Tscherne Unfallchirurgie 2
Unfallchirurgie im Kindesalter Untere Extremität Körperhöhlen Besonderheiten des kindlichen Skelettes A.-M. Weinberg · H. Tscherne (Hrsg.)
Tscherne Unfallchirurgie in 12 Bänden
Trauma-Management H. Tscherne, G. Regel
Wirbelsäule H. Tscherne, M. Blauth Becken und Acetabulum H. Tscherne, T. Pohlemann Kopf und Körperhöhlen O. Trentz Ellenbogen, Unterarm, Hand K.-P. Schmit-Neuerburg, H. Towfigh, R. Letsch Weichteilverletzungen und -infektionen M. Nerlich, A. Berger Unterschenkel R. Szyszkowitz Unfallchirurgie im Kindesalter A.-M. Weinberg, H. Tscherne Fuß H. Zwipp Hüfte, Oberschenkel N. Haas, C. Krettek Knie C. Krettek, Ph. Lobenhoffer Schulter, Oberarm N. Südkamp
A.-M. Weinberg · H. Tscherne (Hrsg.)
Tscherne Unfallchirurgie Unfallchirurgie
im Kindesalter 2 Untere Extremität Körperhöhlen Besonderheiten des kindlichen Skelettes Zeichnungen von R. Henkel
Mit 902 zum Teil farbigen Abbildungen in 2505 Einzeldarstellungen und 117 Tabellen
Springer-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+ Business Media springer.com
ISBN-10 3-540-63287-5 (in 2 Bänden) ISBN-13 978-3-540-63287-0 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
© Springer Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany
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Planung: Gabriele Schröder, Heidelberg Redaktion: Christiane Hocke, Heidelberg Zeichnungen: Reinhold Henkel, Heidelberg Einbandgestaltung: deblik, Berlin Reproduktion der Abbildungen: AM-productions GmbH, Wiesloch Satz: K. Detzner, Speyer Gedruckt auf säurefreiem Papier 24/3151/ML 5 4 3 2 1 0
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Vorwort
Der achte Band des umfassenden Gesamtwerkes zur Unfallchirurgie ist den Verletzungen im Kindesalter gewidmet. Im ersten der beiden Teilbände werden nach einer allgemeinen Einführung die Läsionen der oberen Extremität einschließlich der Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen dargestellt. Der zweite Teil umfasst neben den Brüchen und Weichteilverletzungen der unteren Extremität, einschließlich des Beckens und des Acetabulums, die traumatischen Läsionen der Körperhöhlen, komplexe Verletzungsmuster sowie besondere Situationen am kindlichen Skelett. Die Kapitel der topographisch aufgebauten speziellen Teile des Buches sind überwiegend in einen theoretischen und einen praktischen Bereich unterteilt. Im theoretischen Teil werden die jeweiligen Phänomene des Wachstums und ihr Einfluss auf die Behandlung, die zugrunde liegende spezifische Klassifikation und die diagnostischen Besonderheiten aufgezeigt. Im praktischen Teil werden bewährte und verbreitete Techniken zur konservativen und operativen Behandlung des jeweiligen Verletzungsmusters vorgestellt. Die Darstellung umfasst die Möglichkeiten, altersentsprechend die Grenzen der Spontankorrektur in den Behandlungsalgorithmus zu integrieren, die Gipsanlage bei einer konservativen Therapie, die Lagerung, die verschiedenen Zugänge bis hin zur Fixation kindlicher Verletzungen. Daneben werden auch alternative Methoden geschildert, wenn deren Einsatz als Ergänzung oder gleichrangige Behandlungsform sinnvoll erscheint. Die Autoren beschreiben außerdem zahlreiche »Tipps und Tricks« und erwähnen sämtliche ihnen bekannten Komplikationen und deren Beherrschung. Die meisten Behandlungsschritte sind instruktiv gezeichnet und vielfältig mit klinischen und röntgenologischen Beispielen illustriert. Selbst ein Projekt dieses Umfangs kann nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Nicht alle Thera-
pien sind bereits evaluiert, sodass einige der vorgeschlagenen Therapien auf den persönlichen Erfahrungen der Autoren basieren. Herausgeber und Autor wünschen, den kindertraumatologisch tätigen Kollegen praktisch nutzbare Anleitungen zur Behandlung kindlicher unfallchirurgischer Verletzungen an die Hand zu geben. Die Kinderunfallchirurgie bewegt sich zwischen der Notwendigkeit, dass Kinder überall behandelt werden müssen, aber auch der Tatsache, dass eine kindgerechte Behandlung oftmals nur noch in einem Kinderzentrum stattfinden kann. Auch an den im Anschluss an den chirurgischen Eingriff betreuenden Stationsarzt ist unser Buch gerichtet. So gehört zu einer optimalen Behandlung unserer Patienten auch eine entsprechende postoperative Schmerztherapie. Die Unfallchirurgie im Kindesalter setzt die Kenntnis der unterschiedlichen Wachstumsstadien voraus. Bedingt durch die sinkende Anzahl von Kindern, aber auch durch präventive Maßnahmen, kann es durchaus vorkommen, dass der behandelnde Arzt Verletzungen an bestimmten Lokalisationen noch nie begegnet ist. Nur durch die Kenntnis des natürlichen Verlaufs kann eine Übertherapie vermieden und der einfachste Behandlungsweg eingeschlagen werden. Ein Schwerpunkt des Buches liegt daher in der Darstellung der konservativen Therapie, die im Erwachsenenalter zunehmend in den Hintergrund gerät. Ein weiterer Fokus wird auf die Nachbehandlung gelegt, die in jedem Kapitel beschrieben wird. Kritische Hinweise, Verbesserungsvorschläge und die Mitteilung persönlicher Erfahrungen aus dem Leserkreis sind uns jederzeit willkommen.
Annelie-Martina Weinberg Harald Tscherne
Danksagung
Ohne die Unterstützung vieler Beteiligter in den jeweiligen Entstehungsphasen dieses Buches, die im Einzelnen nicht alle erwähnt werden können, insbesondere die große Anzahl von Eltern und Patienten, die bereitwillig ihre Daten zur Verfügung gestellt haben, wäre dieses Werk nicht entstanden. Unser Dank gilt den Kollegen, die durch Diskussionen und Zusendung von Fällen dieses Buch bereichert haben. Besonderer Dank gebührt den Mitarbeitern der kinderchirurgischen Universitätsklinik Graz unter Leitung von Prof. M. Höllwarth. Weiterhin möchten wir allen Autoren und Koautoren für ihre bereitwillige Mitarbeit danken. Die Zusammenarbeit mit dem Zeichner Herrn R. Henkel war zu jeder Zeit produktiv, kreativ und sehr angenehm. Ohne seine zahlreichen instruktiven Farb- und Schemazeichnungen
wäre dieses Buch nicht denkbar. Auch ihm möchten wir aufrichtig danken. Darüber hinaus danken wir dem Fotografen Herrn J. Fechter, der einige Abbildungen zu diesem Band beigesteuert hat. Zum Schluss möchten wir den Mitarbeitern des Springer-Verlages für ihre Kooperation danken, allen voran Frau G. Schröder, die mit großer Flexibilität die Ausstattung des Buches in dieser Form ermöglicht hat. Außerdem danken wir der Lektorin Frau Dr. R. Körkel für das Copy-Editing und Frau M. Litterer für die Herstellung und ganz besonders Frau C. Hocke von der Redaktion. Und zu guter Letzt – aber nicht zuletzt – danke ich meiner Familie, die viele Stunden in ihrer Freizeit auf mich verzichtet hat.
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Reihenherausgeber
Autoren
Prof. Dr. Harald Tscherne em. Direktor der Unfallchirurgischen Klinik Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Deutschland
Dr. S. Altermatt Universitätskinderspital Steinwiesstraße 75 8032 Zürich Schweiz
Bandherausgeber PD Dr. Annelie-Martina Weinberg Leiterin der Abteilung für Unfallforschung und Prophylaxe Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich [email protected] [email protected] Prof. Dr. Harald Tscherne em. Direktor der Unfallchirurgischen Klinik Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Deutschland [email protected]
PD Dr. S. Arens BG-Kliniken Bergmannsheil Chirurgische Universitäts- und Poliklinik Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Deutschland Dr. Ch. Bassir Charité Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Deutschland PD Dr. S. Berger Chirurgische Universitätskinderklinik Inselspital 3010 Bern Schweiz Prof. Dr. M. Blauth Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie Universität Innsbruck Anichstraße 35 6020 Innsbruck Österreich Prof. A. Bremerich Klinikum Bremen-Mitte gGmbH Klinik für MKG-Chirurgie Sankt-Jürgen-Straße 1 28177 Bremen Deutschland
X
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Prim. Univ. Doz. Dr. med. H. Breitfuß Leiter der Abteilung Unfallchirurgie Am Bezirkskrankenhaus Kufstein Endach 27 6330 Kufstein Österreich
Dr. J. Eichhorn-Sens Park-Klinik Weißensee Lehrkrankenhaus der Charité Schönstraße 61 13086 Berlin Deutschland
Dr. C. Castellani Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich
Prof. Dr. H. Engert Kinderchirurgische Klinik Marienhospital Wildumer Straße 8 44627 Herne Deutschland
Dr. M. Clarius Orthopädische Klinik der Universität Heidelberg Schlierbacher Landstraße 200 a 69118 Heidelberg Deutschland
Dr. W. Flocken Klinikum Bremen-Mitte gGmbH Sankt-Jürgen-Straße 1 28177 Bremen Deutschland
PD Dr. med P. Claus Neuroanatomie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Deutschland Dr. G. Dick Salzburger Landeskliniken St. Johanns-Spital Müllner Hauptstraße 48 5020 Salzburg Österreich Prof. Dr. H.-G. Dietz Kinderchirurgische Klinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Lindwurmstraße 4 80337 München Deutschland Dr. D. Drücke BG-Kliniken Bergmannsheil Universitätsklinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Deutschland PD Dr. Th. Ebinger Chefarzt der Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie Karl-Olga-Krankenhaus GmbH Hackstraße 61 70190 Stuttgart Deutschland
Dr. H. Friedrich Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich Prof. Dr. J. Freyschmidt Klinikum Bremen-Mitte gGmbH Sankt-Jürgen-Straße 1 28177 Bremen Deutschland PD Dr. A Gänsslen Unfallchirurgische Klinik Medizinische Hochschule Hannover Carl- Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Deutschland Dr. E Haxhija Brockmanngasse 18 8010 Graz Österreich PD Dr. A.K. Hell Georg-August-Universität Abteilung Orthopädie Robert-Koch-Straße 40 37099 Göttingen Deutschland Dr. A. Hofmann Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Langenbeckstraße 1 55131 Mainz Deutschland
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Dr. C. Justin Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich
PD Dr. E. Kollig Unfallchirurgische Abteilung Bundeswehrkrankenhaus Rübenacher Straße 170 56072 Koblenz Deutschland
PD Dr. T. Kälicke BG-Kliniken Bergmannsheil Chirurgische Universitäts- und Poliklinik Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Deutschland
Dr. R. Kraus Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie Universität Giessen Rudolf-Buchheim Straße 7 35392 Giessen Deutschland
Dr. E. Kahl Georg-August-Universität Abteilung Orthopädie Robert-Koch-Straße 40 37099 Göttingen Deutschland
Prof. Dr. Dr. H. R. Krause Klinikum Bremen-Mitte gGmbH Klinik für MKG-Chirurgie Plastische Operationen Sankt-Jürgen-Straße 1 28177 Bremen Deutschland
Dr.cand med P. Kalmar Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich Dr. P. Kasten Orthopädische Klinik der Universität Heidelberg Schlierbacher Landstraße 200 a 69118 Heidelberg Deutschland Dr. A. Kathrein Klinik für Unfallchirurgie Universität Innsbruck Anichstraße 35 6020 Innsbruck Österreich Dr. D. Klitscher Orthopädische Klinik Johannes-Gutenberg Universität Mainz Langenbeckstraße 1 55131 Mainz Deutschland Dr. P. Knorr Kinderchirurgische Klinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Lindwurmstraße 4 80337 München Deutschland
Prof. Dr. Ch. Krettek Chefarzt der Unfallchirurgischen Klinik Medizinische Hochschule Hannover Carl- Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Deutschland Dr. F. Kutscha-Lisberg BG-Kliniken Bergmannsheil Chirurgische Universitäts- und Poliklinik Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Deutschland Dr.cand med Ch. Kutschera Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich Prof. Dr. W. Linhart Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich Prof. Dr. J. Mayr Universitäts-Kinderspital Beider Basel (UKBB) Postfach 4005 Basel Schweiz
XI
XII
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Dr. M. Mentzel Hand- und Plastische Chirurgie Universitätsklinikum Ulm Steinhövelstraße 9 89075 Ulm Deutschland
Dr. K. Purtscher Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie Auenbruggerplatz 39 8036 Graz Österreich
Dr. B. Messerer Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Graz Auenbruggerplatz 29 8036 Graz Österreich
Dr. E. Pusch Anatomisches Institut der Medizinischen Universität Graz Harrachgasse 21 8010 Graz Österreich
Prof. Dr. G. Muhr Chefarzt der Chirurgischen Universitäts- und Poliklinik BG-Kliniken Bergmannsheil Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Deutschland
Dr. J. Raith Universitätsklinik für Radiologie Auenbruggerplatz 9 8036 Graz Österreich
Dr. M. Seif El Nasr Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie St. Nikolaus-Stiftshospital Andernach Hindenburgwall 1 56626 Andernach Deutschland PD Dr. U. Neubauer Klinikum Bremen-Mitte gGmbH Sankt-Jürgen-Straße 1 28177 Bremen Deutschland Dr. Partenheimer Klinik für Unfall-, Handund Wiederherstellungschirurgie Zentrum Chirurgie Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Straße 1 66421 Homburg/Saar Deutschland Dr. W. Pieringer Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie Auenbruggerplatz 39 8036 Graz Österreich Prof. Dr. T. Pohlemann Klinik für Unfall-, Handund Wiederherstellungschirurgie Zentrum Chirurgie Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Straße 1 66421 Homburg/Saar Deutschland
Dr. S. Rammelt Klinik und Poliklinik für Unfallu. Wiederherstellungschirurgie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Fetscherstraße 74 01307 Dresden Deutschland Univ.-Prof. Dr. G. Schimpl Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich Prof. Dr. W. Schlickewei Abteilung für Unfallchirurgie, St. Josefs-Krankenhaus und Bruder-Klaus-Krankenhaus Waldkirch Hermann-Herder-Straße 1 79104 Freiburg Deutschland Dr. H.Schmitt Orthopädische Klinik der Universität Heidelberg Schlierbacher Landstraße 200 a 69118 Heidelberg Deutschland PD Dr. P. Schmittenbecher Kinderchirurgische Klinik Klinik St. Hedwig, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Steinmetzstraße 1–3 93049 Regensburg Deutschland
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Dr. F. Schneider Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich
Dr. M. Vittinghoff Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Graz Auenbruggerplatz 29 8036 Graz Österreich
Dr. D. Schneidmüller Klinik für Unfall-, Handund Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main Deutschland
Prof. Dr. P. M. Vogt Klinik für Plastische, Handund Wiederherstellungschirurgie Hochschule Hannover im Klinikum Osttstadt Podbielskistraße 380 30659 Hannover Deutschland
PD Dr. M. Skutek Unfallchirurgische Klinik Medizinische Hochschule Hannvoer Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Deutschland
Prof. Dr. M. Walz Kliniken Uelzen und Bad Beversen GmbH Abt. für Unfall und Wiederherstellungschirurgie Hagenskamp 34 29525 Uelzen Deutschland
Prof. Dr. H. Steinau Klinik für Plastische Chirurgie BG-Kliniken Bermannsheil Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Deutschland
PD Dr. Annelie-Martina Weinberg Leiterin der Abteilung für Unfallforschung und Prophylaxe Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich
Dr. L. Stroedter Universitätsklinik für Kinderchirurgie Landeskrankenhaus Auenbruggerplatz 34 8036 Graz Österreich Prof. Dr. H. Thermann ATOS Klinik Bismarckstraße 9–15 69115 Heidelberg Deutschland Dr. M. Thomson Orthopädische Klinik der Universität Heidelberg Schlierbacher Landstraße 200 a 69118 Heidelberg Deutschland
Prof. Dr. H. Zwipp Klinik und Poliklinik für Unfallu. Wiederherstellungschirurgie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Fetscherstraße 74 01307 Dresden Deutschland
XIII
Inhaltsverzeichnis Band 2
Teil V Becken und Acetabulum Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter T. Pohlemann, A. Gänsslen, A. Partenheimer . . . . . . . . . . . . . . . . 577 18.1
Kindliche Beckenringverletzungen . . . .
18.2
Acetabulumfrakturen bei Kindern . . . . 596 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .
581
601
Teil VI Untere Extremität Kapitel 19 Hüfte S. Arens, A.-M. Weinberg, T. Kälicke, F. Schneider, W. Linhart . . . . . . . . . . . 605 19.1
Hüftgelenkluxation . . . . . . . . . . . . 607
19.2
Frakturen des koxalen Femurs . . . . . .
19.3
Epiphysiolysis capitis femoris . . . . . . 626 F. Schneider, W. Linhart Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .
611
632
Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel W. Schlickewei, M. Seif el Nasr, A.-M. Weinberg . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kapitel 21 Kniegelenk A.-M. Weinberg, C. Castellani, M. Clarius, P. Kasten, E. Pusch, P. Kalmar, E. Kahl, T. Kälicke, S. Arens, M. Thomsen, F. Schneider
671
673
21.1
Femoraler Anteil des Kniegelenks . . . . 673 A.-M. Weinberg, C. Castellani 21.1.1 Frakturen der distalen Femurepiphysäre . 673 21.1.2 Femorale ossäre Seitenbandausrisse . . . 680 21.2
Knieband- und Kniebinnenverletzungen M. Clarius, P. Kasten, A.-M. Weinberg
683
21.2.1 21.2.2 21.2.3 21.2.4 21.2.5 21.2.6
Meniskusläsion . . . . . . . . . . . Scheibenmeniskus . . . . . . . . . Seitenbandläsion . . . . . . . . . . Läsionen des vorderen Kreuzbandes Läsionen des hinteren Kreuzbandes Ausblick . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
685 688 690 690 693 694
21.3
Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse) . . . . . . . . 694 A.-M. Weinberg, E. Pusch, P. Kalmar, E. Kahl 21.3.1 Nichtfugenkreuzende Epiphysenfrakturen 694 Ausrissfrakturen der Eminentia intercondylaris . . . . . . 694 21.3.2 Fugenkreuzende Epiphysenfrakturen . . 703 21.3.3 Ausrisse der Apophyse der Tuberositas tibiae . . . . . . . . . . 710 21.4
Patella . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 A.-M. Weinberg, T. Kälicke, S. Arens, M. Thomsen, P. Kasten, F. Schneider 21.4.1 Patellafrakturen . . . . . . . . . . . . . 716 21.4.2 Patellaluxation . . . . . . . . . . . . . . 721 P. Kasten, M. Thomsen, A.-M. Weinberg 21.4.3 Osteochondrale Frakturen bei Patellaluxation . . . . . . . . . . . . 731 A.-M. Weinberg, F. Schneider Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
736
Kapitel 22 Unterschenkel A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr, E. Kal . . . . .
741
22.1
Proximaler metaphysärer Unterschenkel . A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr
743
22.2
Diaphyse . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Mayr, A.-M. Weinberg
750
22.3
Distaler Unterschenkel . . . . . . . . . . 775 A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr, E. Kahl 22.3.1 Frakturen der Metaphyse des distalen Unterschenkels . . . . . . . 778
XVI
Inhaltsverzeichnis
22.3.2 Frakturen der Epiphyse des distalen Unterschenkels . . . . . . . Fraktur des Malleolus medialis . . . . . . Übergangsfrakturen . . . . . . . . . . . 22.3.3 Distorsionen, knöcherne und ligamentäre fibulare Bandläsionen . Rezidivtrauma, chronische Insuffizienz .
24.3 786 787 792
863
Verletzungen des Zwerchfells . . . . . . . 864
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 799 802
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803
Kapitel 23 Fuß H. Thermann, H. Zwipp, S. Rammelt
24.4
Verletzungen des Herzens und der großen Blutgefäße . . . . . . . .
Kapitel 25 Bauchtrauma G. Schimpl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 867 25.1
Praktisches Vorgehen beim Bauchtrauma
25.2
Organverletzungen beim stumpfen Bauchtrauma . . . . . . 873 Bauchwandhernie . . . . . . . . . . . . 873 Zwerchfellruptur . . . . . . . . . . . . . 873 Ruptur des Magens . . . . . . . . . . . . 874 Ruptur des Duodenums . . . . . . . . . 874 Ruptur des Dünndarms . . . . . . . . . 876 Ruptur des Kolons . . . . . . . . . . . . 877 Mesenterialhämatome . . . . . . . . . . 877 Isolierte Pankreasverletzungen . . . . . . 877
. . . . . 807
869
23.2
Mittelfuß . . . . . . . . . . . . . . . . .
816
23.3
Vorfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . .
817
25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4 25.2.5 25.2.6 25.2.7 25.2.8
23.4
Komplexes Fußtrauma . . . . . . . . . .
819
25.3
Verletzungen der Milz . . . . . . . . . . 878
Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes . . . . . . . . . . . 822 H. Zwipp, S. Rammelt 23.5.1 Korrektur extrinsischer Fußfehlstellungen 823 23.5.2 Korrektur intrinsischer Fußfehlstellungen 837 23.5.3 Rekonstruktion nach kombinierten Knochen- und Weichteildefekten . . . . . 846
25.4
Verletzungen der Leber . . . . . . . . . . 880
25.5
Verletzungen der intraabdominellen Gefäße . . . . . .
881
Organverletzungen durch Bauchdeckenperforation . . . . .
881
23.1
Rückfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 H. Thermann 23.1.1 Talus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 23.1.2 Kalkaneus . . . . . . . . . . . . . . . . 813
23.5
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
Teil VII Körperhöhlen Kapitel 24 Thoraxtrauma S. Berger . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25.7 Besonderheiten im Kindesalter . . . . . 25.7.1 Verschluckte Fremdkörper . . . . . . . . 25.7.2 Verätzungen der Speiseröhre und des Magen-Darm-Trakts . . . . . . .
882 882 882
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
883
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
883
Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind L. Stroedter . . . . . . . . . . . . . . . . .
885
855
24.1 24.1.1 24.1.2 24.1.3 24.1.4 24.1.5
Verletzungen der Thoraxwand . . . . . . 856 Weichteilmantel . . . . . . . . . . . . . 856 Rippen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 Instabiler Thorax . . . . . . . . . . . . . 857 Sternum . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 Klavikula . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
24.2
Verletzungen der Lunge und des Tracheobronchialsystems . . . . Lungenparenchymverletzungen . . . . . Pneumothorax . . . . . . . . . . . . . . Hämatothorax . . . . . . . . . . . . . . Lungenkontusion . . . . . . . . . . . . . Bronchialruptur . . . . . . . . . . . . . Traumatische Asphyxie . . . . . . . . . .
24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4 24.2.5 24.2.6
25.6
858 858 859 860 862 862 862
26.1 Nierenverletzungen . . . . . . . . . . . . 26.1.1 Nierenprellung (Nierentrauma Grad I) . . 26.1.2 Nierenkapselruptur (Nierentrauma Grad II, III und IVa) . . . 26.1.3 Nierengefäßverletzungen (Nierentrauma Grad IV b und V) . . . . Gefäßabriss . . . . . . . . . . . . . . . . Gefäßthrombose . . . . . . . . . . . . . 26.1.4 Nierenbeckenruptur (Nierentrauma Grad IV und V) . . . . . 26.2
886 886 888 889 889 891 892
Verletzungen der Harnleiter . . . . . . . 894
Inhaltsverzeichnis
26.2.1 Harnleiterkompression . . . . . . . . . . 894 26.2.2 Harnleiterruptur . . . . . . . . . . . . . 894 26.2.3 Harnleiterabriss . . . . . . . . . . . . . 896 26.3 26.3.1 26.3.2 26.3.3
Harnblasenverletzungen . . . . . . . . . Harnblasenkontusion . . . . . . . . . . Harnblasenruptur . . . . . . . . . . . . Harnblasentamponade . . . . . . . . . .
26.4 26.4.1 26.4.2 26.4.3
Verletzungen der Harnröhre Harnröhrenprellung . . . . Harnröhrenruptur . . . . . Harnröhrenabriss . . . . .
26.5
Verletzungen der äußeren Geschlechtsorgane . . . . . Penisprellung, Penisquetschung und Lazerationen . . . . . . . . . . . . . Penisfraktur und penetrierendes Penistrauma . . . . . Traumatische Penisamputation . . . . . Hodenquetschung, Hodenprellung und Hodenkapselruptur . . . . . . . . . Straddle-Verletzungen beim Mädchen . . Pfählungsverletzungen und Verletzungen durch Stich- und Schusswaffen . . . . . .
26.5.1 26.5.2 26.5.3 26.5.4 26.5.5 26.5.6 26.6
. . . .
. . . .
897 897 898 899
. . . . . 900 . . . . . 900 . . . . . 901 . . . . . 902 903 903 904 905 906 907
Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden M. Skutek, Ch. Krettek . . . . . . . . . . . . 935 28.1
Allgemeine Behandlungsprinzipien . . . 939
28.2 Spezielle Behandlungsprinzipien . . . . . 941 28.2.1 Wundbehandlung/Wundausschneidung . 941 28.2.2 Frakturstabilisierung . . . . . . . . . . . 942 28.3 Wundverschluss . . . . . . . . . . . . . 943 28.3.1 Primärer Wundverschluss . . . . . . . . 943 28.3.2 Sekundärer Wundverschluss . . . . . . . 945 28.4 28.4.1 28.4.2 28.4.3 28.4.4 28.4.5 28.4.6 28.4.7 28.4.8
Spezielle Verletzungsformen . . . . . . . Morel-Lavalée-Syndrom . . . . . . . . . Verletzungen durch Autoreifen . . . . . . Radspeichenverletzungen . . . . . . . . Rasenmäherverletzungen . . . . . . . . Tier-/Hundebissverletzungen . . . . . . Schussverletzungen . . . . . . . . . . . . Amputation/Replantation . . . . . . . . Kindesmisshandlung . . . . . . . . . . .
947 947 947 947 948 948 950 950 951
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
952
Kapitel 29 Verbrennungen D. Drücke, H.U. Steinau, P.M. Vogt . . . . .
955
909
Operative Zugangswege und Methoden .
910
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
915
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 966 Teil VIII Therapie komplexer Verletzungen Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind M. Walz, T. Kälicke, G. Muhr . . . . . . . . .
Kapitel 30 Amputationen J. Eichhorn-Sens, P.M. Vogt . . . . . . . . . 969 919 30.1
27.1
Verletzungsmuster . . . . . . . . . . . . 920
27.2
Pathophysiologische Besonderheiten des Kindesalters . . . . . . . . . . . . .
921
27.3
Präklinische Versorgung . . . . . . . . .
921
27.4
Schockraummanagement . . . . . . . .
923
27.5 27.5.1 27.5.2 27.5.3 27.5.4 27.5.5 27.5.6
Notfalldiagnostik und Primärmaßnahmen Schädel-Hirn-Trauma . . . . . . . . . . Thoraxtrauma . . . . . . . . . . . . . . Abdominaltrauma . . . . . . . . . . . . Wirbelsäulenverletzungen . . . . . . . . Beckenfrakturen . . . . . . . . . . . . . Extremitätenverletzungen . . . . . . . .
924 924 925 926 927 929 930
27.6
Intensivtherapeutische Aspekte . . . . .
931
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
933
30.2
Indikation zur Amputation und Wahl der Amputationshöhe . . . . .
974
Amputationschirurgie . . . . . . . . . .
975
30.3
Standardisierte Amputationstechnik/ spezieller Teil . . . . . . . . . . . . . . . 980 30.3.1 Obere Extremität . . . . . . . . . . . . . 980 30.3.2 Untere Extremität . . . . . . . . . . . . 981 30.4
Prothetische Versorgung . . . . . . . . . 987
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
XVII
XVIII
Inhaltsverzeichnis
Teil IX Besondere Situationen am kindlichen Skelett Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter F. Schneider, J. Raith . . . . . . . . . . . . . 993 31.1 31.1.1 31.1.2 31.1.3 31.1.4
Avaskuläre Knochennekrosen . . . . . . Morbus Perthes . . . . . . . . . . . . . . Morbus Blount . . . . . . . . . . . . . . Morbus Köhler I . . . . . . . . . . . . . Morbus Freiberg (Köhler II) . . . . . . .
994 995 1000 1002 1003
31.2 31.2.1 31.2.2 31.2.3
Osteochondrosis dissecans . . . . . . . . Osteochondrosis dissecans am Kniegelenk Osteochondrosis dissecans am Talus . . . Osteochondrosis dissecans am Ellbogen .
1003 1004 1012 1016
31.3 Traktionsapophysitiden . . . . . . . . . 1018 31.3.1 Morbus Iselin . . . . . . . . . . . . . . . 1018
31.3.2 Morbus Osgood-Schlatter, Morbus Sinding-Larsen . . . . . . . . . 1018 31.3.3 Morbus Sever . . . . . . . . . . . . . . . 1019 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 Kapitel 32 Stressfrakturen P. Kasten, H. Schmitt, A.-M. Weinberg . . . 1023 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029 Kapitel 33 Posttraumatische Osteitis E. Kollig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . i–viii
Inhaltsverzeichnis Band 1
2.3
Teil I Allgemeines
2.3.1 2.3.2
Kapitel 1 Molekulare, physiologische und anatomische Grundlagen der Knochenentwicklung A.-M. Weinberg, A. Hofmann, P. Claus . . .
3
2.3.3
1.1
Der makroskopische Aspekt . . . . . . .
3
2.3.4
1.2
Der mikroskopische Aspekt . . . . . . .
4
1.3
Knochenentwicklung . . . . . . . . . . .
5
1.4
Molekulare Grundlagen der Knochenentwicklung . . . . . . . . . Entwicklung der Chondrozyten . . . . . Entwicklung der Osteoblasten . . . . . . Entwicklung der Osteoklasten . . . . . . Wachstumsfaktoren . . . . . . . . . . . Endokrine Regulation . . . . . . . . . .
8 9 10 11 11 13
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5
Kapitel 2 Epiphysen- und Apophysenverletzungen J. Mayr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
2.1
Übergangsfrakturen . . . . . . . . . . .
20
2.2
Spezielle Epiphysenverletzungen an der oberen Extremität . . . . . . . Epiphysenlösung des medialen Klavikulaendes . . . . Epiphysenlösungen des lateralen Klavikulaendes . . . . . Epiphysenlösung der basisnahen Processus-coracoideus-Epiphysenfuge Epiphysenlösungen und Frakturen des proximalen Humerusendes . . . Frakturen des Condylus radialis . . . Capitulum-humeri-Frakturen . . . . Epiphysenlösungen des proximalen Radius . . . . . . . . Epiphysenlösungen und Frakturen des distalen Unterarmbereichs . . . .
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.2.8
2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7 2.4.8
Spezielle Epiphysenverletzungen an der unteren Extremität . . . . . . . . Proximale Femurepiphysenlösungen . . . Distale Femurepiphysenlösungenund -epiphysenfrakturen . . . . . . . . . Frakturen und Epiphysenlösungen des proximalen Tibiaendes . . . . . . . . Epiphysenlösungen und Frakturen der distalen Tibiaepiphyse . . . . . . . .
29 29 29 31 31
Apophysenverletzungen . . . . . . . . . Abrissverletzung des Epicondylus ulnaris Olekranonapophysenabriss . . . . . . . Abriss der Crista iliaca . . . . . . . . . . Abriss der Spina iliaca anterior inferior . Abriss der Tuber-ossis-ischii-Apophyse . Ausriss der Symphyse . . . . . . . . . . Hüftpfannenrandabriss . . . . . . . . . Abrisse von Trochanter major und Trochanter minor . . . . . . . . . .
33 33 33 33 33 35 35 35
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Kapitel 3 Wachstumsphänomene bei Frakturen im Kindesalter: Spontankorrekturen und Wachstumsstörungen H. Breitfuß, A.-M. Weinberg, G. Muhr . . .
39
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3
35
Spontankorrekturen . . . . . . . . . . . Spontankorrekturmechanismen . . . . . Korrekturpotenz . . . . . . . . . . . . . Regionale spontane Korrektur von posttraumatischen Deformitäten . .
39 39 41
Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . Stimulative Wachstumsstörungen . . . . Hemmende Wachstumsstörungen . . . .
44 45 46
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
51 55
. .
23
. .
23
. .
24
. .
25
. . . . . .
26 26 28
. .
28
Kapitel 4 Klassifikation von Frakturen im Kindesalter D. Schneidmüller, A.-M. Weinberg . . . .
. .
29
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 3.2.1 3.2.2
41
XX
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5 Diagnostische Besonderheiten W. Flocken, C. Bassir, J. Freyschmidt . . . . 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektionsradiographie (konventionelles Röntgen) . . . . . . . . Computertomographie . . . . . . . . . . Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . Magnetresonanztomographie . . . . . .
57 58 58 59 59 59
Hirnschädel . . . . . . . . . . . . . . . Computertomographie . . . . . . . . . . Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . Magnetresonanztomographie . . . . . . Projektionsradiographie (konventionelles Röntgen) . . . . . . . .
62
5.3
Gesichtsschädel . . . . . . . . . . . . . .
62
5.4 5.4.1
62
5.4.2 5.4.3
Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . Projektionsradiographie (konventionelles Röntgen) . . . . . . . . Computertomographie . . . . . . . . . . Magnetresonanztomographie . . . . . .
62 63 63
5.5
Hals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
5.6
Thorax . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
5.7
Abdomen . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
5.8 5.8.1 5.8.2
Gliedmaßenskelett . . . . . . . . . . . . Frakturtypen . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungstechniken . . . . . . . . .
65 66 71
5.9
Geburtsverletzungen . . . . . . . . . . .
76
5.10
Verletzungen bei Kindesmisshandlung .
77
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
Kapitel 6 Anästhesie im Kindesalter B. Messerer, M. Vittinghoff, C. Justin 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.3.1
61 61 61 62
Schmerztherapieprinzipien . . . . . . . Medikamente . . . . . . . . . . . . . . .
101 102
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
Kapitel 7 Traumabewältigung im Kindesalter Psychologische Aspekte des verletzten Kindes K. Purtscher, G. Dick, W. Pieringer . . . . . 109 7.1 7.1.1 7.1.2 7.2 7.2.1 7.2.2 7.3
. . .
81
Kinderanästhesie . . . . . . . . . . . . . B. Messerer Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung des Narkosearbeitsplatzes . Praxis der Kinderanästhesie . . . . . . . Sedierung und Analgesie . . . . . . . . .
81
Regionalanästhesie . . . . . . . . . . . . M. Vittinghoff, C. Justin Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . M. Vittinghoff Rückenmarknahe Regionalanästhesie . . M. Vittinghoff Periphere Regionalanästhesie . . . . . . C. Justin
6.3.2 6.3.3
81 88 91 94
Stress und Psychotraumatologie – Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . Stressreaktionen . . . . . . . . . . . . . Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traumafolgen . . . . . . . . . . . . . . . Akute Belastungsreaktion (ICD 10: F43.0) Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS; ICD 10: F43.1) . . . . . . . . . . .
109 109 110 110 110 111
Spezielle Unfallarten und psychopathologische Folgen . . . . .
111
Emotionale Unterstützung für das Kind bei der Akutbehandlung . . . . . . . . .
112
Psychische Bewältigung – Unterstützung und Betreuung durch ein multiprofessionelles Team . . .
112
7.6
Unterstützung und Betreuung der Familie
112
7.7
Reaktionen auf Notwendigkeiten und Gegebenheiten im Krankenhaus . .
113
7.8
Weitere Bewältigungsphasen . . . . . . .
113
7.9 7.9.1 7.9.2
Risiko- und Schutzfaktoren . . . . . . . Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . Schutzfaktoren . . . . . . . . . . . . . .
114 114 114
7.10
Das verletzte Kind im Krankenhaus . . .
114
7.11
Wann ist psychologische/ psychotherapeutische Hilfe notwendig? .
115
Fallbeschreibung: Leo, 8 Jahre, Zustand nach Oberschenkelfraktur und Subarachnoidalblutung . . . . . . .
115
Aspekte der Prävention . . . . . . . . . .
117
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
7.4 7.5
7.12
7.13
95 95 96 98
Akute systemische Schmerztherapie . . . 100 B. Messerer Schmerzmessung mit Schmerzscores . . 101
Kapitel 8 Kindesmisshandlung Gewalt gegen Kinder J. Engert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 8.1
Kindesmisshandlung – Krisen- und Konfliktsituationen . . . . .
120
8.2
Diagnostik körperlicher Gewalt . . . . .
121
8.3
Typische Verletzungen . . . . . . . . . .
121
Inhaltsverzeichnis
8.4 8.4.1 8.4.2
Spezielle Verletzungsmuster . . . . . . . Skelettfrakturen . . . . . . . . . . . . . Thorakoabdominelles Trauma . . . . . .
123 123 127
8.5
Schutz des Kindes . . . . . . . . . . . .
128
8.6
Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . .
129
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
Kapitel 12 Klavikula D. Klitscher, A.-M. Weinberg . . . . . . . . . 175 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187
Kapitel 13 Oberarm P. Knorr, P.P. Schmittenbecher, H.-G. Dietz, A.-M. Weinberg, C. Castellani
189
13.1
Teil II Kopf Kapitel 9 Kraniozerebrale Traumen U. Neubauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
13.1.1
Proximaler Oberarm . . . . . . . . . . . 191 P. Knorr, P.P. Schmittenbecher, H.-G. Dietz Tuberculum-minus- und -majus-Ausrisse (Apophysenverletzung) . . . . . . . . . . 206
9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4
Schädelfrakturen . . . Kalottenfrakturen . . Wachsende Frakturen Schädelbasisfrakturen Impressionsfrakturen
. . . . . . . . . . . . . . .
135 135 135 136 136
9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4
Intrakranielle Hämatome . . . . . . . . Epiduralhämatome . . . . . . . . . . . . Akute Subduralhämatome . . . . . . . . Traumatische Intrazerebralhämatome . . Chronische Subduralhämatome . . . . .
136 136 138 138 138
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
9.3 9.3.1 9.3.2
Offene Schädel-Hirn-Traumen . . . . . . Liquorfisteln . . . . . . . . . . . . . . . Schussverletzungen . . . . . . . . . . . .
139 139 139
A. Hell, A.-M. Weinberg, R. Kraus, E. Haxhija
253
9.4
Schädel-Hirn-Traumen bei mehrfachverletzten Kindern . . . . .
14.1
253
139
9.5 9.5.1 9.5.2
Gefäßverletzungen . . . . . . . . . . . . Sinusverletzungen . . . . . . . . . . . . Karotis-Sinus-cavernosus-Fistel . . . . .
140 140 140
9.6
Hirnnervenschäden . . . . . . . . . . .
141
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
13.2
Diaphysärer Oberarm . . . . . . . . . . 208 P. Knorr, H.-G. Dietz, P.P. Schmittenbecher
13.3
Distaler Oberarm – suprakondyläre Oberarmfraktur . . . . . A.-M. Weinberg, C. Castellani
Kapitel 14 Ellbogen
Kondyläre Frakturen . . . . . . . . . . . A. Hell, A.-M. Weinberg 14.1.1 Condylus-ulnaris-Frakturen . . . . . . . 14.1.2 Condylus-radialis-Frakturen . . . . . . .
152
253 253
14.2
Transkondyläre Humerusfrakturen . . . 270 R. Kraus
14.3
Ellbogenluxationen, Frakturen der Epikkondylen und ossäre Seitenbandausrisse am Ellbogen . . . . . . . . . . . . . . . A.-M. Weinberg, E. Haxhija
Kapitel 10 Gesichtsschädelverletzungen H.-R. Krause, A. Bremerich . . . . . . . . . . 143 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217
14.3.1 Traumatische Radiusköpfchensubluxation (Pronatio dolorosa) . . . . . . . . . . . . E. Haxhija, A.-M. Weinberg
275
295
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Teil III Obere Extremität Kapitel 11 Schulter R. Kraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 11.1
Schulterblattfrakturen . . . . . . . . . .
159
11.2
Rotatorenmanschettenrupturen . . . . .
162
11.3
Traumatische Schulterluxation . . . . . .
163
11.4
Schulterinstabilität . . . . . . . . . . . .
166
11.5
Geburtstraumatischer Armplexusschaden
170
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172
Kapitel 15 Unterarm A.-M. Weinberg, S. Altermatt, A. Hell, H. Reilmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 15.1 15.1.1
Proximaler Unterarm . . . . . . . . . . . Radiusköpfchen- und Radiushalsfrakturen A. Hell, A.-M. Weinberg 15.1.2 Olekranonfrakturen . . . . . . . . . . . 15.1.3 Processus-coronoideus-ulnae-Frakturen .
332 342
15.2
345
Diaphysärer Unterarm . . . . . . . . . . A.-M. Weinberg, H. Reilmann
314 314
XXI
XXII
Inhaltsverzeichnis
15.3 Distaler Unterarm . . . . . . . . . . . . 15.3.1 Epiphysäre Frakturen des distalen Radius 15.3.2 Physäre Verletzungen der distalen Ulna .
362 384 387
15.4
Monteggia-Läsionen . . . . . . . . . . . 387 S. Altermatt 15.4.1 Die chronische Monteggia-Läsion . . . . 396 15.5
Galeazzi-Läsionen . . . . . . . . . . . .
398
16.2.3 Haut- und Weichteilverletzungen . . . . 484 H. Friedrich Wunden ohne Substanzdefekt . . . . . . 485 Wunden mit Substanzdefekt . . . . . . . 485 Hautdefekte . . . . . . . . . . . . . . . . 486 Amputationsverletzungen am Finger . . 496 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Teil IV Wirbelsäule Kapitel 16 Hand A.-M. Weinberg, T. Ebinger, M. Mentzel, H. Friedrich, B. Schmidt . . . . . . . . . . . . 405 16.1
Handfrakturen . . . . . . . . . . . . . . 405 A.-M. Weinberg, T. Ebinger, M. Mentzel 16.1.1 Handwurzelfrakturen . . . . . . . . . . 406 A.-M. Weinberg, T. Ebinger, M. Mentzel Skaphoidfrakturen . . . . . . . . . . . . 406 Capitatumfrakturen . . . . . . . . . . . 414 Triquetrumfrakturen . . . . . . . . . . . 414 Hamatumfrakturen . . . . . . . . . . . . 414 Pisiformefrakturen . . . . . . . . . . . . 414 Trapeziumfrakturen . . . . . . . . . . . 414 16.1.2 Frakturen der Metakarpalia . . . . . . . 415 T. Ebinger, M. Mentzel, A.-M. Weinberg Metakarpale II bis V . . . . . . . . . . . 419 Metakarpale I . . . . . . . . . . . . . . . 425 16.1.3 Phalangen . . . . . . . . . . . . . . . . 427 A.-M. Weinberg, M. Mentzel, T. Ebinger, B. Schmid Frakturen der Endphalanx . . . . . . . . 430 Frakturen der Mittel- und Grundphalanx 431 16.2 Weichteilverletzungen . . . . . . . . . . 16.2.1 Strecksehnenverletzungen beim Kind . . H. Friedrich Verletzungen in Zone 1 (über dem Endgelenk) . . . . . . . . . . Verletzungen in Zone 2 (über dem Mittelglied) . . . . . . . . . . Verletzungen in Zone 3 (über dem Mittelgelenk) . . . . . . . . . Verletzungen in Zone 4 (über dem Grundglied) . . . . . . . . . . Verletzungen in Zone 5 (über dem Grundgelenk) . . . . . . . . . Verletzungen in Zone 6 (über dem Handrücken) . . . . . . . . . Verletzungen in Zone 7 (über dem Handgelenk) . . . . . . . . . Verletzungen in Zone 8 (am distalen Unterarm) . . . . . . . . . Tenolyse der Strecksehnen . . . . . . . . 16.2.2 Beugesehnenverletzungen beim Kind . . H. Friedrich Naht beider Beugesehnen . . . . . . . .
444 444
452 454 456
Kapitel 17 Wirbelsäulenverletzungen im Kindesalter A. Kathrein, M. Blauth . . . . . . . . . . .
513
17.1
Spezielle Verletzungsformen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . 519 17.1.1 Komplette Lösung der Epiphysenplatte in der Wachstumszone . . . . . . . . . . 519 17.1.2 Abbruch der vorderen unteren Wirbelkörperkante . . . . . . . 519 17.1.3 Frakturen der knöchernen Wirbelkörperrandleiste . . . . . . . . . 520 17.1.4 Frakturen und Lösungen knorpeliger Zwischenzonen . . . . . . . 520 17.1.5 SCIWORA . . . . . . . . . . . . . . . . 520 17.1.6 Pathologische Frakturen . . . . . . . . . 522 17.2 Verletzungen der Halswirbelsäule (HWS) 522 17.2.1 C0-Verletzungen . . . . . . . . . . . . . 523 17.2.2 C0/C1-Verletzungen – alantookzipitale Dislokation (AOD) . . . 526 17.2.3 Atlasfrakturen (C1) . . . . . . . . . . . . 530 17.2.4 C1/C2-Verletzungen – atlantoaxiale Dislokation (AAD) . . . . . 531 17.2.5 Densfrakturen (C2) . . . . . . . . . . . . 535 17.2.6 C2/C3-Verletzungen – traumatische Spondylolyse/Spondylolisthese . . . . . . 538 17.2.7 C2- bis C7-Verletzungen – Verletzungen der unteren Halswirbelsäule 539 17.2.8 Konservative Therapiemöglichkeiten der Halswirbelsäule . . . . . . . . . . . 543 17.2.9 Operative Therapiemöglichkeiten der Halswirbelsäule . . . . . . . . . . . 546 17.3
458 459 461 463 463 463 464 476
Verletzungen der Brustund Lendenwirbelsäule (BLWS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 17.3.1 Kompressionsverletzungen (Typ A) . . . 560 17.3.2 Distraktions- und Rotationsverletzungen (Typ B und C) . . . . . . . . . . . . . . 562 17.3.3 Therapie der Brustund Lendenwirbelsäulenverletzungen . . 568 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
571
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . i–vii
Kapitel 18
Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
18
T. Pohlemann, A. Gänsslen, A. Partenheimer
18.1 18.2
Kindliche Beckenringverletzungen
. . . . . . . . . . 581
Acetabulumfrakturen bei Kindern . . . . . . . . . . . 596 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
Beckenfrakturen bei Kindern sind seltene Verletzungen. Im eigenen Krankengut der letzten 25 Jahre fanden sich bei mehr als 2000 Patienten mit Beckenfrakturen nur in 5,8% kindliche Verletzungen im Alter bis zu 14 Jahren, eine Häufigkeit, die im Wesentlichen auch von anderen Autoren bestätigt wird (Ehalt 1961; Heiss et al. 1974; Watts 1976). Die Besonderheiten der kindlichen Anatomie – und hier insbesondere die hohe Elastizität des kindlichen Beckenrings – führen zu teilweise anderen Verletzungsmustern als sie vom Erwachsenen bekannt sind. Die früher weit verbreitete Ansicht, dass alle Beckenverletzungen im Kindesalter aufgrund der wachstumsbedingten Kompensationsmechanismen folgenlos ausheilen, wurde zwischenzeitlich in mehreren Untersuchungen widerlegt (Grisoni et al. 2002). Insbesondere nach den – zwar glücklicherweise seltenen – instabilen kindlichen Beckenringverletzungen muss mit teilweise erheblichen Langzeitfolgen gerechnet werden. Die Osteosynthesetechnik, besonders für die Kleinkinder, befindet sich noch in der Entwicklung und kann noch nicht abschließend bewertet werden. Im Folgenden werden daher nur diejenigen Operationstechniken angeführt, die sich im eigenen Vorgehen bewährt haben. Acetabulumverletzungen im Kindesalter nehmen nochmals eine Sonderstellung ein. In der Literatur werden Häufigkeiten zwischen 5 und 20% im Rahmen von Beckenringverletzungen angegeben (Alpar u Owen 1988; Blatter 1979; Bryan u. Tullos 1979; Bucholz et al. 1982; Ehalt 1961; Feil u. Wörsdörfer 1991; v. Laer 1986; Reed 1976; Reichard et al. 1980). Im eigenen Krankengut von 124 Kindern unter Einschluss des 14. Lebensjahres mit Beckenfrakturen fanden sich in insgesamt 12% Beteiligungen des Acetabulums, wobei 7% der Kinder zusätzliche Beckenringverletzungen aufwiesen und bei 5% die Acetabulumfraktur die einzige Beckenverletzung
war. Die Problematik dieser Verletzung liegt darin, dass insbesondere bei noch geöffneten Wachstumsfugen die Diagnosestellung zunächst erheblich erschwert sein kann und häufig vom klinischen Bild her Begleitverletzungen im Vordergrund stehen (Silber u. Flynn 2002). Der folgende Abschnitt stellt daher zunächst die anatomischen und pathobiomechanischen Besonderheiten dar, die helfen, eine Verletzung eher »vermuten« zu lassen und damit eine zielgerichtete Diagnostik einleiten zu können. Die Abschnitte Therapie und Langzeitprognose geben einen Überblick über die im eigenen Vorgehen bevorzugte Behandlung und die weltweit nur in wenigen Fällen dokumentierten Langzeitfolgen. Das folgende Kapitel rekapituliert zunächst die anatomischen Besonderheiten des kindlichen Beckenrings und Acetabulums. In eigenen Abschnitten folgen die geschlossenen Darstellungen der Beckenringverletzungen und der Acetabulumverletzungen. Anatomische Grundlagen Es soll an dieser Stelle nur auf zum Verständnis notwendige Besonderheiten des kindlichen Beckenrings und Acetabulums eingegangen werden.Allgemeine und weitergehende Ausführungen finden sich in dem Band Becken und Acetabulum aus der Reihe Tscherne Unfallchirurgie (Tscherne u. Pohlemann 1998). Entwicklung der Hüftbeine Os ilium, Os ischii und Os pubis sind in der Kindheit und Jugend als einzelne knöcherne Strukturen nachzuweisen. Diese stehen im Bereich des Acetabulums über die so genannte Y-Fuge, einer Epiphysenfuge, in Verbindung. Der Zeitpunkt des synostotischen Fugenschlusses ist großen Schwankungen unterworfen. Normalerweise ist aber im 14. bis 16. Lebensjahr die Umbildung zu einer gemeinsamen knöchernen Struktur, dem Hüftbein (Os coxae) weitestgehend abgeschlossen (Abb. 18.1 a,b). Innerhalb dieser Y-Fuge treten zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr zusätzliche eigenständige Knochenbildungszentren als so genannte »Schaltknochen« auf. Anatomisch bezeichnet sind ein Os acetabuli posterius und ein Os acetabuli anterius. Am Ende des 2. Dezenniums sind alle Anteile sicher zum Os coxae vereinigt.
578
Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
Klinischer Hinweis Die großen interindividuellen Schwankungen erschweren die radiologische Diagnostik kindlicher und jugendlicher Acetabulumverletzungen erheblich. Verletzungen lassen sich vielfach erst durch den radiologischen Nachweis von Heilungsreaktionen (»Periostzeichen«) zwischen 2 und 4 Wochen nach der Verletzung sichern.
Das weitere Wachstum des Beckens wird durch Epiphysen und Apophysen realisiert. Die Crista iliaca ist in der Jugend eine Epiphyse; das Erscheinen von Knochenkernen ist zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr zu beobachten. Die Spina iliaca anterior inferior und das Tuber ischiadicum sind Apophysen; entsprechende Knochenkerne erscheinen Anfang bis Mitte des 2. Lebensjahrzehnts und schließen sich in der Regel zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr (Lanz u. Wachsmuth 1984). Klinischer Hinweis Die Epiphysenfuge und die Apophysen stellen auch am Becken anatomische Schwachpunkte dar. Sie erklären, warum Abrissfrakturen bevorzugt in der Altersgruppe der Jugendlichen zu beobachten sind: Bei Maximalanspannung der – besonders bei sportlichen Individuen – schon sehr kräftig ausgebildeten Muskulatur kann es zum Überschreiten des Haltepotenzials der Wachstumsfuge kommen. Mit knöchernem Schluss der Apophysen, d. h. etwa ab dem 20. Lebensjahr, tritt dieser Mechanismus nicht mehr auf.
Abb. 18.1 a,b. Kindliches Becken. a Ansicht des Os coxae von lateral im Alter von etwa 12 Jahren. Deutlich erkennbar sind die Wachstumsfugen, die sich im Bereich des Acetabulums als so genannte YFuge darstellen. Das unregelmäßig auftretende Os centrale acetabuli kann in dieser Altergruppe Verletzungen vortäuschen. Die schematische Darstellung der Apophysen (nach Lanz u. Wachsmuth 1984) zeigt die nach Schluss der Y-Fuge noch bestehenden Wachstumsregionen am Becken an. Durch plötzlichen Muskelzug kann es zu Abrissverletzungen kommen, eine Verletzungsbild, das typischerweise mit Schluss der Apophysen zwischen dem 20. und 22. Lebensjahr nicht mehr beobachtet wird. b Die Röngtenübersicht eines kindlichen Beckens im Alter von etwa 5 Jahren lässt auch die Y-Fuge erkennen. Zu beachten ist ebenfalls die im Vergleich zum Erwachsenen relativ verbreiterte Weite der SI-Gelenke und des Symphsenspaltes
Betrachtet man das ausgereifte Os coxae morphologisch, so entspricht es nach Mollier (1938, 21967) der Form einer in sich um etwa 90° gewundenen Ziffer 8 (Abb. 18.2 a–c). Innerhalb und unterhalb des Kreuzungspunktes der »Ziffer 8« ist das »hufeisenförmige« Acetabulum eingesetzt. Wesentliche, stabilitätsgebende knöcherne Strukturen finden sich jeweils am Rand der »Kreise«, im Zentrum fehlt der Knochen im Bereich des Foramen obturatum vollständig oder ist im Bereich der Fossa iliaca nur millimeterdünn bzw. kann bei muskelschwachen Individuen auch vollkommen fehlen. Die Kenntnis dieser dreidimensionalen Ausrichtung und knöchernen Strukturverteilung ist wesentlich für die »traumatologische Anatomie«. Diese Vorstellungsweise erleichtert die Orientierung und lässt die zur Implantatverankerung nötigen »sicheren« Schraubenrichtungen besser bestimmen. Beckengelenke. Insbesondere für die Stabilitätsbeurteilung des kindlichen Beckenrings spielen die gelenkigen Verbindungen der Articulatio sacroiliaca sowie der
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Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
Abb. 18.2 a–c. Morphologie der räumlichen Ausrichtung des Os coxae. a Mollier gab 1924 an, dass die abstrahierte Form des Os coxae der Form der Ziffer 8 entspricht, die im Kreuzungspunkt um etwa 90° verdreht ist. Etwas distal des Kreuzungspunktes ist die Hüftpfanne eingebettet, innerhalb der randständigen festen Knochenstruktur findet sich entweder kein Knochen (Foramen obturatum) oder eine nur sehr dünne Knochenlamelle (Darmbeinschaufel). b Die Dichteverteilung im Os ilium lässt sich am Knochen-
präparat in der Durchleuchtung von hinten verdeutlichen. c Die Ansicht eines Os coxae von oben verdeutlicht, dass die Ebene des Os ilium und die Ebene des Foramen obturatum 90° zueinander stehen. Diese Besonderheit ist für die Interpretation der verschiedenen Röntgenprojektionen bedeutsam (Ala- und Obturatoraufnahmen). Weiterhin erleichtert die Kenntnis dieser Orientierung die teilweise schwierige intraoperative Orientierung bei der Implantatpositionierung
Symphysis pubica eine wesentliche Rolle. Aufgrund der hohen Elastizität des kindlichen Knochens und der damit verbundenen Fähigkeit, auch große Kräfte ohne Fraktur zu kompensieren, sind die ligamentären Beckenringunterbrechungen im Kindesalter relativ gesehen häufiger (Stuhler et al. 1977). Insbesondere die radiologische Beurteilung des kindlichen Beckenrings wird noch dadurch erschwert, dass neben der zwangsläufig immer zu beurteilenden schrägen Projektion des Beckens die Weite der Beckengelenke im Verlauf des Alters variiert. Es ist daher günstig, sich die für die verschiedenen Funktionszustände, wie Laufen, Stehen und Sitzen, variablen Beckenringpo-
sitionen zu vergegenwärtigen (Abb. 18.3 a,b). Diese Betrachtungsweise erleichtert nicht nur die radiologische Beurteilung der Bilder, sondern erlaubt auch eine zuverlässigere Orientierung bei der Planung und Durchführung von operativen Stabilisierungsmaßnahmen. Auf die detaillierte morphologische Betrachtung der Beckengelenke soll an dieser Stelle verzichtet werden, sie ist an anderer Stelle ausführlich dargestellt (Tscherne u. Pohlmann 1998, Kap. 2.2, S. 15–18).
Abb. 18.3 a,b. Stellung des Beckens im Raum bei Einnahme von verschiedenen Positionen. a Aufrechter Stand von der Seite gesehen. b Situation beim Sitzen. Die Lagevariationen des Beckens werden hier in verschiedenen Funktionsstellungen verdeutlicht. Dies erleichtert die Auswahl und das Verständnis der spezifischen Implantatpositionen zur Stabilisierung von Becken- und Acetabulumfrakturen
Articulatio sacroiliaca. Für die Betrachtung kindlicher Beckenfrakturen von besonderer Bedeutung ist vor allem die variable Gelenkbeweglichkeit, die im We-
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580
Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
sentlichen durch Alter und Geschlecht determiniert wird. Sie nimmt bei beiden Geschlechtern bis zum 14. Lebensjahr kontinuierlich ab, um danach beim weiblichen Geschlecht bis zu einem Maximum im 3. Lebensjahrzehnt wieder stark anzusteigen, während beim männlichen Geschlecht eine weitergehende kontinuierliche Abnahme des Bewegungsumfanges gemessen wurde (Brooke 1924). Eine radiologisch vermutete traumatische Erweiterung des Sakroiliakal- (SI-) Gelenks kann daher immer nur im Vergleich zum gegenseitigen Gelenk beurteilt werden. Zu beachten sind dabei allerdings Projektionsverzerrungen bei »schrägen« Aufnahmen. Symphysis pubica. Auch die Weite der Symphysis pubica unterliegt erheblichen altersabhängigen Schwankungen. Nach Kraus nimmt die Symphysenweite vom Kleinkindesalter (etwa 10 mm) bis in das höhere Alter von 50 Jahren (etwa 2 mm) kontinuierlich ab (Kraus 1930). 1993 legten Patel u. Chapmann neue Messungen anhand einer großen Untersuchungsreihe vor und fanden mit einer relativ hohen Schwankungsbreite eine durchschnittliche Weite von 7,4 mm in den ersten Lebensmonaten, die bis zum 16. Lebensjahr auf 5,4 mm abnahm. Die Ergebnisse beider Untersuchungen sind in Abb. 18.4 a,b zusammengestellt. Kindliches Acetabulum Scham-, Sitz und Darmbein stoßen im Acetabulum mit Knorpelapophysen als so genannte Y-Fuge zusammen. Schon zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr beginnt der knöcherne Schluss der Synostosis ischiopubica und ist in der Regel im 10. bis 12. Lebensjahr abgeschlossen. Im Acetabulum selbst sind die knöchernen Elemente bei Mädchen im 13. bis 14. Lebensjahr knöchern geschlossen, bei Jungen im 14. bis 15. Lebensjahr, wobei größere individuelle Schwankungen auftreten können und der Fugenschluss sich bis zum 20. Lebensjahr verzögern kann. Bei der Beurteilung von kindlichen Acetabulumverletzungen ist insbesondere die Einschätzung von isoliert liegenden und sehr variablen Knochenkernen schwierig. Die Wachstumsfuge des kindlichen Acetabulums setzt sich aus einem lateralen, hüftkopfnahen hufeisenförmigen Anteil mit Öffnung nach anterokaudal und einem medialen, intrapelvinem, dreiarmigen Anteil (»triradiate cartilage«) zusammen (Abb. 18.5 a–d). Während Ilium und Ischium direkt miteinander in Verbindung stehen, ist das Schambein durch eine dicke Knorpelschicht von beiden Knochen getrennt. In dieser Knorpelschicht entwickelt sich im 8. bis 12. Lebensjahr als sekundäres Ossifikationszentrum das Os centrale acetabuli als Anteil der vorderen Wand und verknöchert um das 18. Lebensjahr herum mit dem Schambein (Ponseti 1978; Scuderi u. Bronson 1987). Proximal und dorsal steht somit der »triradiate cartilage« mit dem Pfannenknorpel in Verbindung.
Abb. 18.4. a Detail der Symphyse (Schnittbild). Die Darstellung der Bandverbindung am kompletten Beckenring verdeutlicht, dass die wesentlichen ligamentären Strukturen dorsal und im Bereich des Beckenbodens liegen. Der vordere Beckenring ist insgesamt wesentlich schwächer ausgebildet. Im Bereich der Symphyse hat der Discus interpubicus die wesentliche stabilisierende Funktion, die vorhandenen Bandverbindungen sind sehr schwach ausgebildet. b Altersabhängige Weite der Symphyse. Die klassischen Untersuchungen von Kraus (1930) wurden durch umfangreiche Studien von Patel u. Chapman (1993) ergänzt. Es zeigt sich, dass die Symphysenweite im Lauf des Lebens langsam abnimmt, wobei im Kindesalter durchschnittlich mit Weiten zwischen 7,5 und 5,5 mm zu rechnen ist
Histologisch zeigt sich, dass der ilioischiale Wachstumsfugenanteil eine höhere Wachstumsrate aufweist als der iliopubische und der ischiopubische Anteil (Ponseti 1978). Interstitielle Knorpel-/Knochenneubildung, apositionelles Wachstum am lateralen Epiphysenanteil und periostale Knochenneubildung sorgen für das Höhen- und Breitenwachstum der Hüftpfanne (ebd.). Das tiefen- und sphärische Wachstum ist an die anatomisch exakte Position des Hüftkopfes gebunden (Ponseti 1978; Watts 1976).
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter
581
Abb. 18.5 a–d. Azetabuläre Morphologie in der Kindheit. d frontale Rekonstruktion
Abb. 18.5 a–d. Azetabuläre Morphologie in der Kindheit. a Schematische Übersicht nach Lanz u. Wachsmuth (1984). b–d Radiologisches Beispiel eines 10-jährigen Jungen ohne nachgewiesene Verletzung: b Beckenübersicht, c 3D-Ansicht
Besonderheiten Der kindliche Beckenring ist durch eine sehr hohe Elastizität charakterisiert, eine Eigenschaft, die sich aus dem hohen Knorpelanteil der Ringstruktur und der noch »weichen« Knochenmatrix erklärt (Canale u. King 1991). Dadurch kann der kindliche Beckenring im Vergleich zum Erwachsenen eine wesentlich höhere Energie aufnehmen, bevor er bricht. Bei kleinen Kindern kann eine Fraktur gelegentlich trotz massivster Gewalteinwirkung ganz ausbleiben (Stuhler et al. 1977). Selbst nach eingetretener Fraktur wird durch die elastische Gesamtstruktur noch weiter Energie aufgenommen (Currey u. Butler 1975; Ogden 1982). Im Gegensatz zur Situation beim Erwachsenen resultiert daraus eine wesentlich geringere Schutzwirkung für die inneren Organe. Die klinisch-radiologische Einschätzung ist erschwert, da schwere Organläsionen auch ohne klinisch offensichtliche Instabilität und ohne radiologisch erkennbare Frakturen auftreten können (Ogden 1982). Umgekehrt bedeuten klinische oder radiologische Verletzungszeichen immer, dass hohe Kräfte eingewirkt haben müssen. Eine isolierte Schambeinastfraktur, die beim Erwachsenen als »einfache« Verletzung gilt, kann besonders beim Kleinkind schon zu erheblichen inneren Verletzungen geführt haben (Junkins u. Bolte 2001). Legt man die Definition des komplexen Beckentraumas zugrunde, lag im eigenen Krankengut dessen Inzidenz bei Kindern bis zu 14 Jahren bei 18,3%, verglichen mit nur 10,7% in der Gruppe der Patienten >14 Jahre (Meyer-Junghänel et al. 1997). Beim Auftreten mehrerer Frakturen im kindlichen Beckenring muss deswegen nahezu immer mit intraabdominellen und pelvinen Begleitverletzungen gerechnet werden (Bond et al. 1991).
CAVE
18.1 Kindliche Beckenringverletzungen
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Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
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Die kindlichen Beckenfrakturen sind somit – zumindest in der Primärphase – als lebensbedrohliche Verletzung einzustufen, die die Anwendung eines primären Managementprotokolls erfordert. Erst der sichere Ausschluss von Begleitverletzungen bekräftigt die »Harmlosigkeit« der kindlichen Beckenverletzung! Notfallbehandlung Die Notfallbehandlung auch der kindlichen Beckenverletzung entspricht generell der des Erwachsenen (Tscherne u. Pohlemann 1998). Im Vergleich zum Erwachsenen ist insbesondere die Befunderhebung erschwert. Es ist deswegen darauf zu achten, dass die Untersuchungen immer komplett und sorgfältig durchgeführt werden:
CAVE
쐌 klinische Stabilitätsprüfung (sehr wichtig, da die Interpretation radiologischer Befunde erschwert ist), 쐌 Prüfung der Körperöffnungen und der lokalen Weichteilsituation, 쐌 Sonographie Abdomen und Becken (retroperitoneales Hämatom, Blase), 쐌 suffiziente Röntgendiagnostik (Becken a.-p., im Verdachtsfall immer Inlet- und Outlet-Aufnahmen, sekundär CT). Die Entscheidungsfindung orientiert sich, wie auch beim Erwachsenen, im Wesentlichen an der Kreislaufsituation und dem Grad des Stabilitätsverlustes des Beckenrings. Dabei ist zu beachten, dass besonders beim Kind die hämodynamische Instabilität nicht immer mit der mechanischen Instabilität des Beckenrings korreliert, d. h. es können operative Blutstillungsmaßnahmen erforderlich werden, obwohl der Beckenring selbst als »federnd stabil« befundet wird! Aufgrund der guten Kompensationsmechanismen des kindlichen Organismus wird der schlechte Allgemeinzustand häufig erst spät offensichtlich (leider häufig zu spät erkannt)! Notfallbehandlung: praktisches Vorgehen Die Notfallbehandlung lebensbedrohlicher Beckenverletzungen stellt eine besondere Herausforderung dar. Sie ist als »klassische zeitsensitive Situation« in der Unfallchirurgie anzusehen. In der Primärbehandlung sind unmittelbare Entscheidungen und Maßnahmen erforderlich, um einen häufig letalen Ausgang abzuwenden. Auf eine detaillierte Betrachtung der Vor- und Nachteile einzelner Maßnahmen und Zeitabläufe wurde schon an anderer Stelle eingegangen (Tscherne u. Pohlmann 1998, Kap. 7). Das derzeitige Therapiekonzept gründet sich zunächst auf das unmittelbare Erkennen der lebensbedrohlichen Situation. Als Alarmzeichen gelten die bei einer manuell in der klinischen Untersuchung erkennbare Instabilität des Beckenrings in Kombination mit einer beckenbedingten lebensbedrohlichen Blutung. Als Richtwert ist ein Eingangs-Hämoglobinwert von <8 g%
anzunehmen, da eine Vielzahl von Untersuchungen bei darunter liegenden Werten eine deutlich ansteigende Letalität zeigten. Die therapeutischen Maßnahmen gründen sich auf 2 Eckpfeiler: der mechanischen Stabilisierung des Beckenrings und der direkt chirurgischen Blutstillung durch Tamponade. Während die zeitliche Anordnung der Einzelmaßnahmen keine Unterschiede zum Erwachsenen zeigen (Abb. 18.6, Abb. 18.7), gibt es bei der Auswahl der Techniken Unterschiede. Zur Notfallstabilisierung hat sich beim Erwachsenen die Beckenzwinge als sehr effektives, in der Frühphase schon zuverlässig einsetzbares Instrument bewährt und insbesondere in großen Zentren den Einsatz des Notfallfixateurs zurückgedrängt. Die Beckenzwinge ist beim kindlichen Skelett aufgrund ihrer Dimensionen und des sehr weichen Knochens nicht regelhaft einzusetzen. Hier gilt weiterhin der ventrale Fixateur externe als Notfallstabilisierungsmaßnahme erster Wahl. Aufgrund der geringeren Massen und der dadurch relativ wesentlich höheren Steifigkeit des Fixateurs erlaubt er in nahezu allen Fällen eine ausreichende Ruhigstellung im Beckenring. Die Techniken zur Anlage entsprechen denen bei Erwachsenen (Abb. 18.8, Abb. 18.9 a–e). Ist nach mechanischer Stabilisierung auch weiterhin eine blutungsbedingte Kreislaufinstabilität vorhanden, wird auch bei kindlichen Verletzungen die Beckentamponade bevorzugt. Die operative Technik entspricht der des Erwachsenen, wobei je nach Alter des Kindes sehr viel kleinere Tamponaden gewählt werden müssen (Abb. 18.10 a–c). Wurde eine Tamponade durchgeführt, ist bei Vorliegen einer Symphysensprengung eine interne Stabilisierung anzustreben, je nach Alter des Kindes entweder über Schrauben und Zerklagen bzw. Kleinfragment Zwei- oder Vierlochplatten. Traumatische Hemipelvektomie Insbesondere nach Überrolltraumen in Verkehr und Landwirtschaft muss an das Vorliegen einer traumatischen Hemipelvektomie gedacht werden. Aufgrund der hohen Elastizität des kindlichen Weichteilmantels erscheinen die Verletzungen klinisch oftmals weitaus weniger dramatisch als beim erwachsenen Patienten, erfordern aber ebenso ein unmittelbares chirurgisches Eingreifen, um ein Überleben zu sichern. Im eigenen Patientengut von 11 Patienten mit traumatischer Hemipelvektomie befanden sich auch 3 Kinder <7 Jahren; 2 dieser Kinder haben überlebt und sind zwischenzeitlich sozial gut reintegriert (Pohlemann et al. 1996). Hinweise zur Definition und zum präklinischen Vorgehen finden sich an anderer Stelle (Tscherne u. Pohlmann 1998, Kap. 7), sodass an dieser Stelle lediglich die praktischen Hinweise zur Vorgehensweise bei Verdacht auf traumatische Hemipelvektomie wiederholt werden sollen.
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter Abb. 18.6. Der »Notfallalgorithmus Becken« ist ein »Modul« der Polytraumaerstbehandlung. Zur schnellen zielsicheren Orientierung wurde er auf 3 Entscheidungen innerhalb der ersten 30 min nach Einlieferung des Patienten reduziert
Abb. 18.7. Entscheidungsfindung bei der Notfallexploration des Beckens. Auch bei der Notfallexploration des Abdomens und des Beckenraums wird standardisiert vorgegangen. Die wesentlichen Maßnahmen zur Blutungskontrolle am Becken sind Stabilisierung und Taponade
Abb. 18.8. Fixateur-externe-Montage am Beckenring. Einfache supraazetabuläre Konstruktion mit jeweils einer Schanz-Schraube und Verbindung durch die gebogene Karbonstange
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Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
a
Abb. 18.9 a–e. Schanz-Schrauben-Platzierung für Beckenfixateure. a Darstellung der Eintrittsstellen für die Schanz-Schrauben am Beckenring und Darstellung der topographischen Verhältnisse der Leistenregion. Bestehen Unsicherheiten bei der supraazetabulären
Pinplatzierung, wird über eine etwa 3–4 cm lange Inzision eine offene Präparation der Spina iliaca anterior inferior vorgenommen. b,c Orientierung der Bohrer bzw. Schanz-Schrauben-Richtung bei der supraazetabulären Fixation
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter
Abb. 18.9 a–e. Schanz-Schrauben-Platzierung für Beckenfixateure. d Bei der Platzierung am Beckenkamm wird die Orientierung durch Palpation des Beckenkamms oder Einbringen eines Spick-
Praktische Hinweise Vorgehen bei Verdacht auf traumatische Hemipelvektomie (Abb. 18.11 a–c, Abb. 18.12 a–e). Die Verdachtsdiagnose »traumatische Hemipelvektomie« basiert auf folgenden Befunden: 쐌 Es besteht eine hochgradige klinische Beckeninstabilität (»Translationsinstabilität«). 쐌 Die Extremität ist pulslos, und die Gefäßläsion liegt in der Beckenetage (keine weiteren Verletzungen des Beins, evtl. unter Schocktherapie schnell zunehmende Schwellung der Leiste, oder zunehmendem Blutaustritt aus Wunden). 쐌 Die Beckenübersichtsaufnahme zeigt eine weite posteriore Abtrennung der Beckenhälfte. Therapie: 쐌 Manuelle Kompression, Notfalloperation vorbereiten, ggf. Tuchumschlingung des Becken, ausreichend Transfusionen bestellen, 쐌 komplette Abdeckung Abdomen und Becken, bei Massenblutung Beibehaltung der Kompression beim Transport in den Operationssaal und Weiterführung der Kompression unter sterilen Kautelen. Weiteres Vorgehen entsprechend des Befundes: 쐌 Offene Wunde, Sonographie Abdomen negativ oder nur minimal positiv: – Wunde erweitern, A. iliaca communis aufsuchen und komprimieren, Läsionsstelle darstellen, ausklemmen; ggf. große Venen komprimieren oder klemmen, – Plexus lumbosacralis inspizieren.
drahtes vereinfacht. e Allerdings lässt der dünne Beckenkamm nur wenig Raum für eine intraossäre Verankerung
쐌 Offene Wunde, Sonographie Abdomen massiv positiv: – Laparotomie, Erweiterung zur Beckenwunde, Kompression Aorta und Präparation von proximal auf die Läsionsstelle, Gefäß klemmen ggf. große Venen komprimieren oder klemmen, – Plexus lumbosacralis inspizieren. 쐌 Hautmantel geschlossen, Sonographie Abdomen negativ oder nur minimal positiv: – Unterbauchlängsschnitt, extraperitoneale Präparation, Tamponade; bei arterieller Massenblutung Erweiterung der Inzision nach lateral (das Gewebe ist zerrissen, oft kann direkt manuell auf die Gefäße eingegangen werden); Aufsuchen der A. iliaca externa, manuelle Tamponade und Präparation bis proximal der Läsion; Ausklemmen der Arterie, ggf. große Venen komprimieren oder klemmen, – Plexus lumbosacralis inspizieren. 쐌 Hautmantel geschlossen, Sonographie Abdomen massiv positiv: – Laparotomie, Kompression Aorta und Präparation von proximal auf die Läsionsstelle, Inzision in die Leiste erweitern, Gefäß klemmen, ggf. große Venen komprimieren oder klemmen, – Plexus lumbosacralis inspizieren. Entscheidung: 쐌 Plexus lumbosacralis ausgerissen oder stark elongiert, hintere Beckenstrukturen komplett
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Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
Abb. 18.10 a–c. Durchführung der pelvinen Tamponade. a Blutungsquellen sind vor allem der präsakrale und der paravesikale Venenplexus. b,c Es wird mit der Hand in die Hämatomhöhle ein-
gegangen und das Os sacrum palpiert. Zur notfallmäßigen Blutungskontrolle wird zunächst der präsakrale Raum, danach der paravesikale Raum auf beiden Seiten fest mit Rollen tamponiert
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter
zerrissen, A. iliaca communis oder A. iliaca externa durchtrennt oder langstreckig zerstört (»kein Blutfluss«) bedeutet: Definition Hemipelvektomie erfüllt: Hemipelvektomie chirurgisch vervollständigen – Plexus lumbosacralis intakt, mäßiger pelviner Weichteilschaden, Gefäßläsion ist nur kurzstreckig oder sogar »scharf« bedeutet: »nur« komplexe Beckenverletzung mit Gefäßschaden: Gefäßrekonstruktion und Beckenstabilisierung (Zwinge, Osteosynthese). Durchführung der Hemipelvektomie: 쐌 Gefäße in der Regel in Höhe A. iliaca communis absetzen (die bei Tumoreingriffen empfohlene Erhaltung der A. glutea superior zur Versorgung der Glutealmuskulatur lässt sich nach Verletzungen meist nicht realisieren), 쐌 Präparation von »innen nach außen«, d. h. Außenrotation der Extremität in der Läsion und schrittweise Ablösung der Weichteile (die sonst schwierige Lösung der Bandstrukturen ist bei der vorliegenden Gewebezerreißung nicht nötig), 쐌 dorsal bleibt ein möglichst großer Haut-MuskelLappen (M. gluteus maximus) bestehen, 쐌 abtrennen der Extremität, Blutstillung und Nachdébridement, 쐌 Anus praeter transversalis (prograde Darmspülung nach Wundabdeckung). Wundverschluss: 쐌 Peritoneum verschließen, bei starker Spannung Abdomen apertum (Netz, Tücher), 쐌 Wunde mit feuchten Tüchern auslegen, Hautlappen mit Situationsnähten sichern, 쐌 Wunde gut abdecken (Sekretion, Wärmeverlust).
Die Morel-Lavallé-Verletzung Insbesondere bei kindlichen Überrollverletzungen kommt es nicht selten zu ausgedehnten Décollement-Verletzungen, die bei Nichterkennen bzw. insuffizienter Behandlung zu ausgedehnten Weichteilnekrosen führen können. Ein ausgedehntes Décollement am Becken wird nach seinem Erstbeschreiber als »Morel-Lavallé-Läsion« bezeichnet (Morel-Lavallé 1848). Die Ursache der Läsion ist eine kombinierte Druck- und Scherbewegung, wie sie z. B. bei Überrollungen auftreten kann. Dabei kommt es zu einer Ablösung des Unterhautfettgewebes von der Faszie. Besonders die anterolaterale Region des Oberschenkels und Beckens sind aufgrund anatomischer Besonderheiten prädestiniert. 쐌 Frühere Untersuchungen zeigten, dass sich an der unteren Extremität proximal der Faszie ein ober-
flächliches Arteriengeflecht befindet (Manchot 1889). Cormack u. Lamberty (1985) konnten allerdings nachweisen, dass besonders das anterolaterale Drittel des Oberschenkels im Vergleich zu den anderen Regionen eine deutlich verminderte arterielle Versorgung aufweist. 쐌 Zusätzlich ziehen wichtige lymphatische Abflüsse der Glutealregion und des lateralen Oberschenkels durch die Region des anterolateralen Oberschenkels zu Lymphknoten im Bereich der V. saphena (Rieger et al. 1996). Ihr Verletzungsrisiko ist naturgemäß bei Scherbewegungen groß. Die Kombination von traumatischer Abhebung des Unterhautfettgewebes mit nachfolgendem Einstrom von Lymphflüssigkeit in die Wundhöhle sowie die mangelhafte Heilungstendenz dieser spezifischen Gewebeschicht führen zu ausgedehnten Seromhöhlen. Auch bei geschlossenem Hautmantel wurden sekundäre Infekte beschrieben (Letournel u. Judet 1993). Die klinische Bedeutung der Morel-Lavallé-Läsion liegt darin, dass spontane Heilungen nur selten auftreten, sich aufgrund der ausgedehnten Hautablösungen zentrale Hautnekrosen und Infekte entwickeln können und dadurch notwendige chirurgische Eingriffe behindert werden. Diagnostik. Die Diagnostik erfolgt im Wesentlichen klinisch. Es zeigt sich ein typisches Bild mit ausgedehnten Einblutungen in das Subkutangewebe und einer gut palpaplen großflächigen tastbaren Fluktuation (Abb. 18.13 a). Die sonographische Untersuchung bestätigt die Flüssigkeitsansammlung und die Ausdehnung der Läsion (Abb. 18.13 b). Häufig wird insbesondere in den zentralen Anteilen über der Läsion über einen Verlust oder eine Abschwächung der Oberflächensensibilität geklagt. Therapie. Während frühere Untersuchungen nur kleine Inzisionen und Drainagen empfahlen (Stuhler et al. 1977), wird in Verbindung mit der chirurgischen Versorgung von Beckenfrakturen eine offene Wundbehandlung empfohlen (Kottmeier et al. 1996). Hierzu wird eine Längsinzision zentral in der Läsion durchgeführt (Abb. 18.13 c). Die Länge des Schnitts orientiert sich an der Ausdehnung der Wundhöhle; über die Wunde sollte eine gute Wunddrainage erfolgen (Abb. 18.13 d). Subkutane Nekrosen und ggf. vorliegende Faszienzerreißungen werden débridiert, eine Spülung mit der Jet-Lavage vorgenommen und die Wundhöhle locker mit »Rollen« ausgelegt. Nachbehandlung. Je nach Ausdehnung der Weichteilschädigung werden geplante Revisionsoperationen durchgeführt. Bei guter Granulationstendenz kann ein sekundärer Wundverschluss über einer Saugdrainage durchgeführt werden. Eine geplante Beckenstabilisierung sollte möglichst früh, idealerweise direkt nach Aufnahme erfolgen, da
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Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
Abb. 18.11 a–c. Traumatische Hemipelvektomie. Sind die Kriterien der traumatischen Hemipelvektomie erfüllt, d. h. neben der teilweisen Amputation einer Beckenhälfte auch die großen Gefäßund Nervenbahnen unterbrochen, wird unter Ausnutzung der Komplikationswunden die Inzision zunächst über den Beckenkamm nach lateral-dorsal erweitert (a) und die großen Gefäße chirurgisch sicher abgesetzt (b). Da bei dieser Verletzung die Beckenhälfte vollkommen mobil ist, lässt sich die weitere Präpara-
tion in der Regel leicht von ventral her durchführen, die Absetzung erfolgt zunächst durch die vorhandene osteoligamentäre Läsion (c). Es ist darauf zu achten, dass ein möglichst großer dorsaler Haut-Muskel-Lappen (M. glutaeus maximus) belassen wird. Der M. psoas muss in der Regel weit kranial gekürzt werden, im weiteren Verlauf ist mit größeren sekundären Muskelnekrosen zu rechnen. Die Wundflächen werden tamponiert, der Haut-Muskel-Lappen wird locker aufgelegt und ein Kompressionsverband angelegt
die Möglichkeiten der operativen Stabilisierung bei Auftreten eines sekundären Infektes limitiert sind. Besteht ein Infekt bei instabiler Beckenringverletzung, müssen ggf. alternative, »reduziert invasive« Fixationsmöglichkeiten eingesetzt werden (s. Tscherne u. Pohlemann, Kap. 11).
Schwierigkeiten ergeben sich, wie auch von anderen Autoren beschrieben, besonders bei der Interpretation von Acetabulumverletzungen (Verletzungen der Y-Fuge; Trousdale u. Ganz 1994) und dem Erkennen von Sakrumfrakturen. Eine konsequente, systematische initiale Diagnostik der kindlichen Beckenverletzungen ist deswegen unumgänglich. Sollte die Beckenübersichtsaufnahme nicht sicher als negativ zu befunden sein, so wird sie durch Schrägaufnahmen (Inlet/Outlet) ergänzt (McDonald 1980). In unklaren Fällen wird bei vermuteten Verletzungen des hinteren Beckenrings oder des Acetabulums eine CT, ggf. ergänzend auch eine MRTUntersuchung angeschlossen (Magid et al. 1992). Anhand der Röntgendiagnostik wird in Kenntnis des Befundes der klinischen Stabilitätsprüfung die Verletzung klassifiziert. Eine einfache Übertragung der beim Erwachsenen bewährten Klassifikation lässt sich auf-
Befundinterpretation und Klassifikation Siehe Abb. 18.14 a–c. Der hohe Knorpelanteil, Epiphysenfugen mit variabel auftretenden akzessorischen Ossifikationszentren, Apophysen und die je nach Lebensalter variable Weite der gelenkigen Beckenverbindungen erschweren die radiologische Diagnostik erheblich. Eine kritische Analyse der eigenen Fälle zeigte, dass eine hohe Anzahl von Frakturen im Beckenring initial nicht erkannt wurde (Meyer-Junghänel et al. 1997).
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter
Abb. 18.11 b.
grund der nicht immer eindeutigen Befunde häufig nicht vornehmen.Allgemein wird nur zwischen stabilen und instabilen Verletzungen differenziert (Reed 1976; Reichard et al. 1980). Andere Autoren bevorzugen eine Einteilung in Verletzungen ohne und mit potenziellen Langzeitfolgen (v. Laer 1991; Torode u. Zieg 1985). Im Hinblick auf die Beckenringverletzungen führt aber auch diese Einteilung zwangsläufig wieder auf die Differenzierung zwischen »stabilen« und »instabilen« Verletzungstypen hin. Therapie Bei der Behandlung der kindlichen Beckenfraktur ist aufgrund der angesprochenen hohen Elastizität und der damit verbundenen hohen Stabilität des kindlichen Beckenrings, die nichtoperative Therapie wesentlich häufiger indiziert als beim Erwachsenen. Für die konservative Therapie sprechen auch das insgesamt gute
Heilungsvermögen des kindlichen Skeletts, sowie die ausgeprägten Korrekturfähigkeiten (Oh u. Hardacre 1980). Stabile Beckenringfrakturen werden deshalb vor allem konservativ behandelt. Nur bei stärkeren Dislokationen einzelner Fragmente oder Repositionsproblemen wird eine offene Einrichtung erwogen (Domisse 1960). Eine andere Situation stellen instabile Verletzungen dar, die beim Erwachsenen den »C-Verletzungen« entsprechen. Ist es im Rahmen der Verletzung zu deutlichen Fehlstellungen gekommen, ist auch der kindliche Beckenring nicht mehr in der Lage, derartige Fehlstellungen auszugleichen. Konservativ In den weitaus meisten Fällen liegt ein allenfalls geringer Stabilitätsverlust des kindlichen Beckenrings vor,
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Abb. 18.11 c.
eine nichtoperative Therapie führt zu einer folgenlosen Ausheilung (Abb. 18.15 a,b). 쐌 Im eigenen Krankengut von 115 kindlichen Frakturen bis zum Alter von 14 Jahren wurden in lediglich 15 Fällen Osteosynthesen durchgeführt. Die Indikation zur konservativen Behandlung besteht in folgenden Fällen: 쐌 Beckenrandfrakturen und Apophysenabrisse, die wenig disloziert sind, 쐌 Beckenringverletzungen mit Unterbrechung der transpubischen Region bei gesichert fehlender dorsaler Ringunterbrechung.
Es wird eine funktionelle Therapie angestrebt und das Kind nach Maßgabe seiner Schmerzen mobilisiert. Häufig erzwingen schwere allgemeine Begleitverletzungen (z. B. Schädel-Hirn-Trauma) sowieso eine längerfristige Immobilisation. Klinische und radiologische Nachkontrollen erfolgen nach 6 Wochen und zur Sicherung eines normalen Wachstums nach einem Jahr. Bestehen Deformitäten, wird langfristig bis zum Abschluss des Wachstums kontrolliert. Operativ Auch wenn bisher nur eine kleine Anzahl von kindlichen Beckenringverletzungen operativ behandelt
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter
Abb. 18.12. a Klinisches Bild eines 3-jährigen Jungen nach Überrolltrauma durch einen Traktor im Rahmen eines Unfalls auf dem heimischen Hof. Der Patient wird intubiert und beatmet aus einem primär versorgenden Krankenhaus zuverlegt. Neben einer instabilen Beckenverletzung vom Typ C mit Symphysensprengung und SI-Sprengung fällt eine pulslose rechte Extremität auf. b Die intraoperative Exploration zeigt einen kompletten Ausriss der A. und V. iliaca communis sowie des gesamten Plexus lumbosacralis. Unter der gesicherten Diagnose einer traumatischen Hemipelvektomie erfolgt die chirurgische Komplettierung. Die Abbildung zeigt den intraoperativen Befund mit abgesetztem Hemipelvis unter Aufsicht auf das SI-Gelenk. Die Wunde wird zunächst passager, später sekundär komplett unter Nutzung des dorsalen Gluteallappens verschlossen. Eine doppelläufige Kolostomie mit distalem »Washout« komplettiert den primären Eingriff. c Lokaler Situs 4 Wochen postoperativ mit primär verheilter Wunde. d Klinische Ansicht ein Jahr postoperativ ohne Prothese. e Klinische Ansicht ein Jahr postoperativ mit angelegter Prothese. Der Junge ist sozial reintegriert und besucht den örtlichen Kindergarten
Abb. 18.13 a–d. Morell-Lavallé-Läsion. Eine besondere Form der pelvinen Weichteilverletzungen ist ein ausgedehntes subkutanes Décollement, das durch Schwerbewegungen zwischen Subkutis und Faszie entsteht. a Typischerweise besteht eine ausgedehnte Fluktuation
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Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter Abb. 18.13 a–d. Morell-LavalléLäsion. Eine besondere Form der pelvinen Weichteilverletzungen ist ein ausgedehntes subkutanes Décollement, das durch Schwerbewegungen zwischen Subkutis und Faszie entsteht. b Die Sonographie bestätigt die Ausdehnung der subkutanen Ablösung. c Die Therapie ist operativ, es wird eine Inzision über dem Punctum maximum der Hautschädigung ausgeführt, das Hämatom entleert und das Subkutangewebe gespült. d Die Ausdehnung der subkutanen Ablösung ist deutlich zu erkennen. Die Weiterbehandlung erfolgt mit offener Wundbehandlung unter ausreichender Drainage
Abb. 18.14 a–c. Kindliche Beckenringfraktur. Auch bei kindlichen Beckenfrakturen lassen sich im Wesentlichen 3 Instabilitätsgrade unterscheiden. Die stabilen Frakturtypen sind bei Kindern häufi-
ger als bei Erwachsenen. a Typische stabile Verletzung mit Schambeinastfrakturen. b Rotationsinstabilität: Es ist zu einer Innenrotationsbewegung der rechten Beckenhälfte gekommen
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter
Abb. 18.14 a–c. Kindliche Beckenringfraktur. Auch bei kindlichen Beckenfrakturen lassen sich im Wesentlichen 3 Instabilitätsgrade unterscheiden. Die stabilen Frakturtypen sind bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen. c Instabile Verletzung mit Translation der rechten Beckenhälfte nach kranial und dorsal bei transsymphysärer und transsakroiliakaler Instabilität
wurde, zeigen aktuelle Untersuchungen, dass bei stark verschobenen und instabilen Beckenringverletzungen die Korrekturpotenz des kindlichen Beckens überschritten ist und mit Langzeitfolgen im Sinne von Fehlstellungen, hypoplastischen Knochenarealen und Schmerzen zu rechnen ist (v. Laer 1991; Meyer-Junghänel et al. 1997). Die Indikation zur operativen Stabilisierung wird nach Verletzungen des Beckenrings in folgenden Situationen gesehen: 쐌 klinisch instabiler Beckenring mit radiologisch nachgewiesener anteriorer und posteriorer Unterbrechung, 쐌 ausgeprägte Rotationsinstabilität, 쐌 stabiler Beckenring, aber stark dislozierte Fragmente, die eine Perforationsgefahr bedeuten (Blasenperforation bei verdrehtem Schambeinastfragment, dem so genannten »Schambeinstachel«, Hautperforation bei dislozierten Iliumrandbrüchen), 쐌 in seltensten Ausnahmefällen nach Abrissfrakturen. Technik der Stabilisierung. Die Operationstechnik bei kindlichen Beckenringverletzungen ist noch nicht standardisiert, eine Reihe von verschiedenen Techniken werden angegeben. 쐌 Schmidt schlägt eine exakte Wiederherstellung des hinteren Beckenrings mit internen Osteosynthesen vor, gibt aber keine Techniken an (Schmidt u. Hofmann 1974). 쐌 Tile (1995) empfiehlt »minimale« Techniken mit Kirschner-Draht-Fixationen von SI-Gelenk und anderen Verletzungen des hinteren Beckenrings. 쐌 Eine Reihe von Autoren favorisieren die Anwendung des Fixateur externe (v. Laer 1991; Rieger et al. 1996; Schwarz et al. 1994). Im eigenen Vorgehen werden folgende Techniken eingesetzt:
Abb. 18.15 a,b. Stabile kindliche Verletzungen heilen unter funktioneller Therapie in der Regel problemlos und ohne Langzeitfolgen aus. a Beckenübersicht eines 5-jährigen Jungen mit Fraktur des oberen Schambeinastes rechts. b Nach 20 Jahren anatomischer Beckering
쐌 Kinder von etwa 12–14 Jahren, bei denen die anatomischen Verhältnisse weitgehend dem Erwachsenen entsprechen (Abb. 18.16 a–c): Gleiche Indikationsstellung und Osteosynthesetechnik wie beim Erwachsenen. Gegebenenfalls modifizierte Implantatwahl zur Anpassung an die anatomischen Verhältnisse (z. B. Kleinfragmentplatten zur Symphysen- und SI-Gelenkstabilisierung). 쐌 Kinder bis etwa 11 Jahre, bei denen die anatomischen Verhältnisse erheblich von denen der Erwachsenen abweichen (Abb. 18.17 a–d): Verletzungen mit »alleiniger« Unterbrechung des anterioren Beckenrings – Symphysenruptur: bei Kleinkindern offene Reposition und Stabilisierung mit Schrauben und Zerklage sowie transossärer Naht, bei größeren Kindern Plattenosteosynthese (1/3-Rohrplatte, Kleinfragment-DC-Platte),
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Abb. 18.16 a–c. Instabile Verletzungen älterer Kinder. Bei älteren Kindern (ab etwa 10 Jahren) bestehen nahezu identische anatomische Verhältnisse wie bei Erwachsenen. In diesen Fällen werden die bei Erwachsenen angewendeten Stabilisationsmethoden lediglich in der Dimension angepasst. a,b Eine 13-jährige Schülerin erleidet eine instabile Beckenringverletzung, bestehend aus einer SISprengung, einer Acetabulumquerfraktur mit Fragmentinterposition, einer transpubischen Instabilität beidseits und Symphysensprengung. c Es erfolgte eine komplette Versorgung am Verlegungstag mit ventraler SI-Verplattung, Repositon, Entfernung des Fragments und Verschraubung des Acetabulums linksseitig, sowie Symphysenverplattung und transpubischer Schraubenosteosynthese beidseits
Abb. 18.17 a–d. Instabile Verletzungen kleiner Kinder. Für sehr kleine Kinder sind die Stabilisierungsverfahren noch in Diskussion. Aufgrund der auch in dieser Altersgruppe nach instabilen Verletzungen auftretenden Dislokationen und den daraus resultierenden nachteiligen Langzeitfolgen muss eine anatomische Reposition und stabile Fixation angestrebt werden. a Ein 2-jähriger Junge wurde unter der Last eines Gabelstaplers eingequetscht und erlitt eine instabile Beckenverletzung mit Symphysen- und SI-Sprengung und instabiler Kreislaufsituation. b,c Es wurde eine Primärstabilisierung durchgeführt, wobei Symphyse und SI-Gelenk simultan exponiert wurden. Die Fixation erfolgte mit Schrauben und Zuggurtung sowie PDS-Kordelnaht im Bereich der Symphyse und einer SI-Verplattung mittles H-Plättchen. d Die Implantate wurden nach 6 Monaten entfernt, die weitere Beckenentwicklung war unauffällig. Aufnahme nach 12 Monaten
18.1 Beckenringverletzungen im Kindesalter
– Sakrumfrakturen: In dieser Altersgruppe werden häufig nur mechanisch »stabile« Einstauchungen beobachtet, hier ist keine Osteosynthese notwendig. Instabile, dislozierte Sakrumfrakturen sind sehr selten. Als Optionen der operativen Therapie wäre bei fehlenden neurologischen Ausfällen eine geschlossene Einrichtung und die Stabilisierung mit dem ventralen Fixateur externe und nachfolgende Immobilisation (je nach Alter 3–4 Wochen) denkbar. Bei Nervenkompressionssyndromen und entsprechenden Verschiebungen müsste eine operative Dekompression des Plexus sacralis erfolgen. Im eigenen Krankengut waren derartige Eingriffe bisher nicht notwendig. – Zusätzlich wird bei instabilen Beckenringfrakturen vom Typ C immer eine ergänzende Stabilisierung des vorderen Beckenrings entsprechend der Verletzungsregion vorgenommen. Die Nachbehandlung erfolgt nach instabilen Verletzungen mit Bettruhe für 3–4 Wochen. Diese Immobilisationszeit wird aufgrund der oft schweren Begleitverletzungen meist sowieso erzwungen. Danach erfolgt die Mobilisation entsprechend des Beschwerdebildes. Eine Implantatentfernung wird nach 3–6 Monaten durchgeführt.
Abb. 18.17 b,c Es wurde eine Primärstabilisierung durchgeführt, wobei Symphyse und SI-Gelenk simultan exponiert wurden. Die Fixation erfolgte mit Schrauben und Zuggurtung sowie PDS-Kordelnaht im Bereich der Symphyse und einer SI-Verplattung mittles H-Plättchen. d Die Implantate wurden nach 6 Monaten entfernt, die weitere Beckenentwicklung war unauffällig. Aufnahme nach 12 Monaten
– transpubische Instabilität: Fixateur externe (supraazetabulär), bei dislozierten Schambeinastfragmenten (Blasenruptur!) offene Reposition; falls die Fixation des Fragments durch den Fixateur nicht ausreicht, Stabilisierung durch Spickdraht, bei älteren Kindern ggf. auch Kleinfragmentschraube. Verletzungen mit dorsaler und ventraler Ringunterbrechung – transiliakale Instabilität: wurde in dieser Altersgruppe nur als Beckenrandfraktur beobachtet; bei starker Dislokation offene Reposition und Spickdraht- oder Schraubenosteosynthese, – SI-Sprengung: ventrale Plattenosteosynthese mit »Miniimplantaten« z. B. H-Platte,
Spätkomplikationen In den meisten Fällen heilen kindliche Beckenfrakturen und auch Beckenringfrakturen ohne Schmerzen oder Fehlstellungen aus (Nauts et al. 1984). Allerdings ist nach instabilen Frakturtypen auch bei Kindern die Korrekturpotenz des Skeletts deutlich limitiert, sodass bei unbehandelt gebliebenen Beckenringverletzungen Fehlstellungen, Pseudarthrosen und Beinlängendifferenzen angegeben wurden (Rang 1983). Auch im eigenen Krankengut der letzten 25 Jahre konnten erhebliche Langzeitfolgen erkannt werden: 쐌 Eine eigene Nachuntersuchung von 16 Kindern aus einer Gruppe von 21 Komplextraumen durchschnittlich 7 Jahre nach dem Trauma ergab bei 3 Patienten noch erhebliche Schmerzen (Meyer-Junghänel et al. 1997). Urologische Störungen lagen bei 2 Patienten vor. Allerdings wies kein Patient einen neurologischen Spätschaden auf. Radiologisch fand sich bei 10 Patienten ein anatomisch ausgeheilter Beckenring. Je 2 Patienten wiesen eine Hypoplasie einer Beckenhälfte bzw. eine Ankylose der Symphyse auf (Abb. 18.18 a–d). Bei weiteren 2 Patienten war es nach initial nicht erkannter Acetabulumverletzung zur einer posttraumatischen Dysplasie gekommen, die klinisch allerdings nur geringe Beschwerden machte. Diese Beobachtungen sollten dazu führen, dass den kindlichen Beckenverletzungen eine höhere Aufmerksamkeit geschenkt wird als vielfach heutzutage üblich.
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Abb. 18.18 a–d. Langzeitfolgen nach kindlichen Beckenverletzungen. Auch kindliche Beckenverletzungen können zu erheblichen Beeinträchtigungen führen: Nach einer Symphysenverletzung (a) kam es langfristig zu einer Symphysenankylose (b). Instabile Beckenringverletzungen (c) führen nicht selten zu einer Wachstumsstörung und nachfolgenden »Hypoplasie« der gesamten Beckenhälfte (d)
Zumindest muss, wie es beim Erwachsenen selbstverständlich ist, eine äußerst sorgfältige Primärdiagnostik durchgeführt werden, da auch instabile Verletzungen des kindlichen Beckenrings oftmals nur schwer zu diagnostizieren sind. Aufgrund der zu erwartenden Langzeitfolgen sollte die Therapie der instabilen Beckenringverletzungen aktiv chirurgisch erfolgen, kindgerechte Osteosynthesetechniken sind dazu derzeit noch in der Entwicklung. Mit Wachstumsstörungen muss gerechnet werden, die Eltern sind darüber aufzuklären, und zumindest nach einem Jahr sollte eine klinische, bei Verdachtsmomenten auch eine radiologische Nachkontrolle erfolgen. Gegebenenfalls werden die Kontrollen bis zum Abschluss des Wachstums fortgeführt.
18.2 Acetabulumfrakturen bei Kindern Pathobiomechanik Auch beim kindlichen Beckenring bestimmen das Ausmaß der einwirkenden Energie und der Vektor der Krafteinleitung wesentlich die entstehende Beckenverletzung. Aufgrund der höheren Elastizität der Knochenstruktur und den noch geöffneten Wachstumsfugen werden allerdings andere Verletzungsmuster als beim ausgewachsenen Skelett beobachtet. Während es beim Erwachsenen z. B. nach einer lateralen Kompression des Beckenrings in der Regel zu einer Innenrotationsinstabilität der Beckenhälfte kommt, führt der gleiche Mechanismus beim Kind eher zu einer Verletzung der Hüftpfanne (McDonald 1980). Anteroposteriore Kompressionen und axiale Scherbewegungen führen dagegen in beiden Altersgruppen
18.2 Acetabulumfrakturen bei Kindern
zu gleichartigen Frakturformen. Die zur Verletzung benötigte kinetische Energie wird beim Kind allgemein als sehr hoch angenommen (Alpar u. Owen 1988). Wie beim Erwachsenen wird die Frakturform selbst von der Position des Hüftkopfes im Moment des Traumas bestimmt (Fernbach u. Wilkinson 1981). Besonders bei kleineren Kindern kommt es dabei zu kompletten oder partiellen Sprengungen der Wachstumsfugen (Feil u. Wörsdörfer 1991; Gottorf u. Egbers 1991; v. Laer 1991). Diagnostik Auf die hohe Rate an pelvinen Begleitverletzungen im Sinne von komplexen Beckenverletzungen wurde bereits eingegangen. Die primäre Diagnostik muss sich deswegen zunächst auf die bei diesen Verletzungen lebensnotwendigen Erstmaßnahmen konzentrieren. In seltenen Fällen, bei isolierten Acetabulumverletzungen, können Schmerzangaben des Kindes und vorliegende Bewegungsschmerzen im Hüftgelenk anamnestisch verwertet werden. Häufiger muss sich die Diagnose einer Verletzung des Acetabulums zunächst auf den Unfallmechanismus und radiologische Zeichen in der immer zu fertigenden Beckenübersichtsaufnahme stützen. Hinweisend für eine Acetabulumverletzung sind (Abb. 18.19 a,b):
쐌 Verschiebungen im Bereich der Wachstumsfugen (Seitenvergleich, cave: »rotierte« Aufnahmen!), 쐌 Unterbrechung der Linea iliopectinea oder ilioischiadica, 쐌 Zeichen eines intraartikulären Ergusses mit abgehobenen Kapselschatten, 쐌 Asymmetrie der Tränenfigur im Seitenvergleich. Aufgrund der Komplexizität der kindlichen Röntgenanatomie muss bei Verletzungsverdacht unbedingt eine komplette Abklärung durch Schrägaufnahmen (Alaund Obturatoraufnahme) und ggf. der CT erfolgen (Alpar u. Owen 1988; Harder et al. 1981; Heeg u. Visser 1988; Magid et al. 1992; Ogden 1982; Watts 1976). Die CT dient dabei in erster Linie dem Nachweis osteochondraler Fragmente, die auf den konventionellen Aufnahmen nicht zu erkennen sind (Harder et al. 1981). Die Wertigkeit der MRT ist derzeit noch nicht endgültig zu abzuschätzen. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Untersuchung insbesondere zum Nachweis von Quetschungsverletzungen der Wachstumsfugen und von periartikulären Weichteilveränderungen (z. B. Hämatome im Bereich des M. obturatorius internus) eine zunehmende Bedeutung erlangen wird. Zur Differenzialdiagnose bei unsicheren Befunden kommt bei kindlichen Acetabulumverletzungen hauptsächlich die Fehlinterpretation eines Os acetabuli in Frage (Blount 1957; Ehalt 1961; Ogden 1982). Da kindliche Acetabulumfrakturen der Primärdiagnostik häufig entgehen, sollten bei begründetem Verdacht Kontrollaufnahmen des Beckens nach 2–4 Wochen erfolgen. Dadurch können ggf. sekundäre Verletzungszeichen wie z. B. Periostreaktionen nachgewiesen werden (Meyer-Junghänel et al. 1997). Klassifikation Die beim Erwachsenen verwendete Klassifikation nach Letournel lässt sich nur begrenzt auf die Verletzungen des Acetabulums im Kindesalter übertragen. 쐌 Heeg et al. (1989) untersuchten 23 bis zum 17. Lebensjahr aufgetretene »kindliche« Acetabulumfrakturen. 17 Frakturen konnten in die Frakturtypen nach Letournel eingeteilt werden, die restlichen 6 waren keiner Gruppe zuzuordnen. Die kindliche Acetabulumverletzung stellt sich meist als Epiphysenlösungen mit oder ohne metaphysäre Beteiligung dar (Feil u. Wörsdörfer 1991; Gottorf u. Egbers 1991; v. Laer 1991). Nach Bucholz et al. (1982) werden in Abhängigkeit von der Art der Fugenverletzung 2 grundlegende »Verletzungsmuster« unterschieden.
Abb. 18.19 a,b. Kindliche Acetabulumverletzungen. Radiologische Hinweise auf eine Y-Fugenverletzung im primären Bild (a) und Kontrollbild nach 14 Monaten (b)
쐌 Scherkräfte nach Krafteinwirkung auf das Os ischium, das Os pubis oder das proximale Femur führen zu Fugenlösungen mit oder ohne metaphysärem Fragment des Iliums (entsprechend Typ I und II nach Salter u. Harris; Bucholz et al. 1982; Salter u. Harris 1963). Diese Verletzungen weisen eine relativ
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gute Prognose auf und heilen normalerweise ohne Behinderung des weiteren Wachstums. 쐌 Andere Mechanismen führen zur Quetschverletzung der Epiphysenfuge (entsprechend Typ V nach Salter u. Harris). Diese Verletzungen haben eine schlechte Prognose, da die Gefahr der Ausbildung einer medialen ossären Brücke besteht und ein so genanntes »Mikroacetabulum« entstehen kann. Andere Klassifikationen unterscheiden 4 Frakturtypen: 쐌 Alpar u. Owen (19988) geben Acetabulumrandfrakturen, stabile nichtdislozierte Frakturen, instabile dislozierte Frakturen und zentrale Luxationsfrakturen an. 쐌 Heiss et al. (1974) unterscheiden Pfannendach-, Pfannengrund-, Pfannenrandfrakturen und zentrale Luxationsfrakturen. 쐌 Watts (1976) ergänzt die Einteilung von Alpar durch die Angabe von 2 unterschiedlichen Typen der zentralen Luxationsfraktur. Therapie Die Behandlung der kindlichen Acetabulumverletzung orientiert sich an der Stabilität des Hüftgelenks und dem Dislokationsgrad der Fragmente. Stabile, minimal dislozierte Verletzungen Bei unverschobenen und allenfalls minimal dislozierten Fragmenten erfolgt eine konservative Therapie. Diese betrifft den Hauptteil der Verletzungen (Bryan u. Tullos 1979; Heiss et al. 1974; Maier 1987). In der Literatur werden teilweise sehr unterschiedliche konservative Behandlungskonzepte angegeben.
Abb. 18.20 a,b. Konservative Therapie wenig verschobener Fugenlösungen. Leicht verschobene Y-Fugenverletzung (a), die nach konservativer Behandlung zu einem guten Spätresultat geführt hat (b)
Sie reichen von einer rein funktionellen Therapie bis zu 6-wöchigen Extensionsbehandlungen mit nachfolgenden 6-wöchigen Entlastungen oder Behandlungen im Becken-Bein-Gips (Alpar u. Owen 1988; Blatter 1978, 1979; Feil u. Wörsdörfer 1991). Im eigenen Vorgehen wird bei unverschobenen und minimal verschobenen Verletzungen eine funktionelle Therapie bevorzugt (Abb. 18.20 a,b): 쐌 Kleinere Kinder bis etwa zum 6. Lebensjahr halten Bettruhe bis zur Schmerzfreiheit der Hüfte ein und werden ab der 2. bis 3. Woche nach Maßgabe der Beschwerden mobilisiert. 쐌 Kinder zwischen dem 7. und 12. Lebensjahr werden nach Abklingen der Schmerzen an Unterarmgehstützen unter Teilbelastung des Beins mobilisiert. Die Dauer der Teilbelastung beträgt 4 Wochen. 쐌 Bei Kindern ab dem 13. Lebensjahr wird eine Teilbelastung für 6 Wochen durchgeführt. Röntgenkontrollen erfolgen in allen Fällen nach 14 Tagen (Periostreaktionen, Sicherung der Diagnose), nach 6 Wochen (Bestätigung der Heilung) und nach 12 Monaten (Spätfolgen). Instabile, dislozierte Verletzungen Ist die Fraktur dagegen instabil, bestehen dislozierte Fragmente oder aber interponierte Fragmente (z. B. nach Reposition einer Luxationsfraktur), wird allgemein die operative Therapie empfohlen (Alpar u. Owen 1988; Blatter 1978, 1979; Ducloyer u. Filipe 1988; Feil u. Wörsdörfer 1991; Gottorf u. Egbers 1991; Heeg et al. 1989; v. Laer 1986; Maier 1987; Watts 1976). Die operative Technik ist derzeit noch nicht standardisiert und muss dem Einzelfall individuell angepasst
18.2 Acetabulumfrakturen bei Kindern
werden. Insbesondere für die Versorgung von kleinen Kindern sind bislang keine spezifischen Techniken zur operativen Stabilisierung etabliert. Liegen dislozierte Verletzungen vor, muss im Einzelfall entschieden und geplant werden. Einige Grundsätze helfen, eine dem kindlichen Skelett entsprechende Osteosynthese durchzuführen: 쐌 Die Zugangswahl orientiert sich wie auch beim Erwachsenen am Frakturtyp; dabei wird nahezu ausschließlich der hintere oder ventrale Zugang verwendet. 쐌 Bei älteren Kindern etwa ab dem 13. bis 14. Lebensjahr werden die gleichen Stabilisierungstechniken eingesetzt bei den erwachsenen Verletzten (Abb. 18.21 a,b). Die Fragmentfixation bei kleineren Kindern muss eine möglichst umfassende Schonung der Wachstumsfugen berücksichtigen. Zur Osteosynthese werden deshalb vor allem Schrauben oder Spickdrähte eingesetzt, ggf. auch Platten (Alpar u. Owen 1988; Blatter 1978, 1979; Brooks u. Rosman 1988; Feil u. Wörsdörfer 1991; Heeg u. Visser 1988; Heiss et al. 1974; v. Laer 1986). In Einzelfällen wurden auch transossäre Nähte mit resorbierbarem Nahtmaterial angegeben (Blatter 1979).
Prinzipiell sollten möglichst wenige und insbesondere nur wenige die Epihysenfugen übergreifende Implante eingesetzt werden, um das weitere Pfannenwachstum nicht zu behindern. Die postoperative Behandlung wird derzeit noch kontrovers diskutiert (Feil u. Wörsdörfer 1991; Heeg u. Visser 1988; v. Laer 1986). Sie orientiert sich am Instabilitätsgrad der Hüfte, der Stabilität der Fixation und dem Alter des Kindes. Prinzipiell werden die gleichen Schonungszeiten wie bei einer konservativen Therapie eingehalten. Lediglich bei sehr instabilen Frakturformen und »labiler« Fixation ist eine 2- bis 4-wöchige Bettruhe anzuraten. Bei kleinen Kindern (bis 6 Jahre) kann alternativ nach 2–3 Wochen eine Mobilisation im Becken-Bein-Gips (bis zur 4. Woche) durchgeführt werden. Häufig sind die Kinder aufgrund schwerer Begleitverletzungen sowieso längerfristig immobilisiert. Langzeitprognose Die Hauptgefahr nach kindlichen Acetabulumfrakturen ist die Ausbildung einer posttraumatischen Dysplasie (Alpar u. Owen 1988; Blair u. Hanson 1979; Blatter 1978, 1979; Bryan u. Tullos 1979; Bucholz et al. 1982; Ehalt 1961; Feil u. Wörsdorfer 1991; Ganz u. Gerber 1991; Gottorf u. Egbers 1991; Guingand et al. 1985; Heeg et al. 1988, 1989; Lechevallier et al. 1988; Rodrigues 1973; Stäubli 1987; Stäubli et al. 1990; Trousdale u. Ganz 1994). Aber auch posttraumatische Hüftkopfnekrosen (Alpar u. Owen 1988; Ganz u. Gerber 1991; Guingand et al. 1985), Beinlängendifferenzen (Bryan u. Tullos 1979) und Koxarthrosen (Ehalt 1961; Guingand et al. 1985) werden als späte Folge der Verletzung beobachtet. Die Entwicklung einer posttraumatischen Acetabulumdysplasie wurde zwischenzeitlich vielfach experimentell und klinisch untersucht. 쐌 Gepstein et al. (1984) untersuchten komplette und partielle Epiphysiodesen im Tierexperiment. Zwischen der Fusion der kompletten Wachstumsfuge oder einer isolierten Fusion zwischen Ilium und Ischium bestanden keine Unterschiede, alle Tiere entwickelten eine Pfannendysplasie, die in 50–66% zu einer Hüftdislokation führte. Eine isolierte Fusion zwischen Ilium und Pubis hatte dagegen nur geringe Folgen für das Acetabulum, eine Subluxation der Hüfte entstand nicht. 쐌 Hallel u. Salvati (1977) führten an Kaninchen intrapelvine Epiphysiodesen des Acetabulums durch. Das Auftreten der Dysplasie war dabei altersabhängig, je jünger die Tiere, umso stärker war die Deformität. 쐌 Klinische Beobachtungen unterstützen die experimentellen Ergebnisse (Ganz u. Gerber 1991; Rodrigues 1973; Trousdale u. Ganz 1994).
Abb. 18.21 a,b. Operative Therapie dislozierter Verletzungen. Dislozierte Y-Fugenverletzung eines älteren Kindes (a), bei der eine operative Therapie mit Verschraubung der hinteren Wand durchgeführt wurde (b)
Eine Vielzahl von Faktoren werden für die Ausbildung einer Dysplasie verantwortlich gemacht. Die Verknöcherungen sollen von abgesprengten Knorpel-
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!
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Kapitel 18 Becken und Acetabulumverletzungen im Kindesalter
stückchen, Vernarbung der Fuge oder Zerstörung der Germinalzellschicht (Blair u. Hanson 1979), Gefäßverletzungen des Knorpels (Bucholz et al. 1982), knöcherner Überbrückung des Acetabulumknorpels nach Ossifikation eines Hämatoms (Rodrigues 1973) oder fugenkreuzenden Kallusbrücken (Stäubli 1987) ausgehen. Da klinische Zeichen einer frühen Dysplasie vielfach fehlen, wird die erlittene Verletzung des Acetabulums teilweise erst diagnostiziert, nachdem eine Subluxation der Hüfte auffällt. Besteht Verletzungsverdacht (Unfallmechanismus, begleitende Beckenringverletzung), sollte neben der frühen Kontrollaufnahme 14 Tage nach Unfall eine späte Röntgenkontrolle nach 12 Monaten erfolgen. Diese muss sorgfältig auf Zeichen einer posttraumatischen Dysplasie untersucht werden (Abb. 18.22 a–c, Abb. 18.23): 쐌 쐌 쐌 쐌
Beckenasymmetrie, Hypoplasie einer Beckenhälfte, Coxa parva/magna, laterale Subluxation des Femurkopfes, Verbreiterung der Tränenfigur (Verdickung des Pfannengrundes), 쐌 Gelenkinkongruenz, 쐌 verkleinerter Zentrum-Ecken (CE-) Winkel, 쐌 Wachstumsstörungen am proximalem Femur. Bei Verdachtsmomenten werden weitere in der Regel jährliche Röntgenkontrollen bis zum Abschluss des Wachstums durchgeführt. Die therapeutischen Optionen bei postraumatischen Pfannendysplasien orientieren sich an der Therapie der kongentitalen Hüftpfannendysplasien. Mögliche chirurgische Optionen sind Pfannendachplastiken, Beckenosteotomien und/oder varisierende intertrochantäre Osteotomien (Blatter 1978; Ganz u. Gerber 1991; Stäubli 1987; Trousdale u. Ganz 1994). 쐌 Peterson u. Robertson (1997) berichten über die erfolgreiche Resektion einer posttraumatisch aufgetretenen knöchernen Fugenüberbrückung bei einem 5jährigen Jungen. Anhand einer über 14 Jahre dauernden Nachbeobachtung konnte gezeigt werden, dass nach posttraumatisch primär dysplastischer Entwicklung das weitere Wachstum nach der Spangenentfernung zu einem weitestgehend normalen Hüftgelenk führte. Über die Spätergebnisse nach kindlichen Acetabulumfrakturen liegen nur wenige Angaben vor. Insgesamt ist die Prognose als günstig zu bezeichnen, und hängt wesentlich von Grad der verbliebenen Fehlstellung (>2 mm) und dem Auftreten eines vorzeitigen Fugenschlusses (Salter-Harris-Typ-V-Verletzungen) ab. Eine früh einsetzende physiotherapeutische Rehabilitationsbehandlung scheint die Langzeitprognose zu verbessern (Upperman et al. 2001).
Abb. 18.22 a–c. Übersehene Y-Fugenverletzung. Primär übersehene Y-Fugenverletzung (a) eines Kindes, die erst anhand eines sekundären Periostzeichens (b, Pfeil) auffiel. c Späte Ausbildung einer posttraumatischen Hüftgelenkdysplasie
Literatur
Literatur
Abb. 18.23. Veränderungen am Hüftkopf nach kindlicher Acetabulumfraktur. Im Seitenvergleich fällt rechtsseitig eine leichte Verplumpung des Hüftkopfes auf
쐌 Heeg et al. (1988, 1989) führten mehrfach langfristige Nachuntersuchungen nach Acetabulumverletzungen mit Beteiligung der Wachstumsfuge durch: – Salter-Harris-Typ I und -II-Verletzungen heilten ohne Wachstumsstörungen mit ausgezeichnetem funktionellem Ergebnis aus, – Salter-Harris-Typ-V-Verletzungen führten zum vorzeitigen Fugenverschluss, mit korrekturbedürftiger Subluxation der Hüfte.
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Kapitel 19
Hüfte
19
S. Arens, A. Weinberg, T. Kälicke, F. Schneider, W. Linhart
19.1
Hüftgelenkluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
19.2
Frakturen des koxalen Femurs . . . . . . . . . . . . . 611
19.3
Epiphysiolysis capitis femoris F. Schneider, W. Linhart
. . . . . . . . . . . . . 626
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
Im Gegensatz zum ausgesprochen häufigen Auftreten von Verletzungen der Hüfte beim Erwachsenen sind Verletzungen des kindlichen Hüftgelenks selten. Im Wachstumsalter haben die atraumatischen, entwicklungsbedingten Veränderungen der Hüfte eine weit höhere Inzidenz als die Verletzungen. Auf diese nichttraumatischen Pathologien wird im Folgenden nur soweit eingegangen, wie es zur Abgrenzung und Differenzialdiagnose notwendig ist. In der Praxis ist diese differenzialdiagnostische Abgrenzung initial nicht selten erschwert. Als typisches Beispiel ist hier die Epiphysiolysis capitis femoris acuta zu nennen. Bei der Bewertung einer Traumaanamnese ist zu bedenken, dass eine relevante Verletzung des Hüftgelenks ohne vorbestehende Pathologie einer signifikanten äußeren Krafteinwirkung bedarf. Daher ist auch für den Traumatologen die Kenntnis der nichtverletzungsbedingten, angeborenen und erworbenen Hüftgelenkerkrankungen im Wachstumsalter wichtig.
a bei Geburt
b nach 4 Monaten
c
Entwicklung und Wachstum (einschließlich Wachstumsprognose und Korrekturmöglichkeiten) Ossifikation Die Ossifikation des Femurs beginnt in der 7. Fetalwoche. Bei der Geburt existiert nur eine proximale femorale Wachstumszone. Der mediale Anteil entwickelt sich zur subkapitalen Fuge, der laterale Anteil zur Fuge des Trochanter major. Kurzzeitig nach der Geburt weist das proximale Femur eine Valgusstellung auf, die während des Wachstums ständig bis zum normalen Schenkelhalswinkel abnimmt. Wachstum und Konfiguration des proximalen Femurs werden durch die Interaktion dieser beiden separaten Ossifikationszentren beeinflusst. In der proximalen Wachstumszone erscheint der Knochenkern um den 4. bis 7. Monat bei Mädchen und bei Jungen etwa 1–3 Monate später. Der Knochenkern des Trochanters major erscheint um das 4. Lebensjahr (Abb. 19.1 a–e). Die proximale Femurepiphyse ist signifikant am Wachstum des metaphysären Anteils des Schenkelhalses beteiligt und weniger am primär appositionellen Wachstum des Femurkopfes. Die trochantäre Apophyse übernimmt den Hauptanteil des appositionellen Wachstums des großen Trochanters. In geringem Ausmaß ist sie auch am metaphysären Wachstum des Femurs beteiligt. Die proximale Femurfuge fusioniert knöchern um das 18. Lebensjahr, die trochantäre Wachstumsfuge bereits 2 Jahre eher (Canale u. Beaty 2001).
d nach 1 Jahr
nach 4 Jahren
Abb. 19.1 a–e. Transformation der Knochenkerne des koxalen Femurs im Wachstumsverlauf
e nach 6 Jahren
Kapitel 19 Hüfte
CAVE
606
!
Wachstumsstörungen und Spontankorrektur von belassenen Fehlstellungen In der Literatur wird nur selten zwischen der Wachstumsstörung, die eine Läsion der Fuge beinhaltet, und der avaskulären Nekrose differenziert. Bei beiden Phänomenen handelt es sich um Gefäßalterationen, deren genauer Pathomechanismus immer noch nicht gänzlich geklärt ist. Von den vielfältigen möglichen Wachstumsstörungen nach Frakturen der kindlichen Hüfte stehen solche nach vorzeitigem vollständigem oder partiellem Verschluss der Wachstumsfuge im Vordergrund. Ihre Inzidenz wird mit bis zu 28% angegeben (Blasier u. Hughes 2001). Mayr et al. (1998) fanden in ihrem Krankengut in 53% der Fälle radiologisch posttraumatische Veränderungen im Epiphysenbereich. Davon hatten jedoch 2 Drittel gleichzeitig eine avaskuläre Nekrose. Die Abgrenzung der beiden Entitäten ist nicht immer möglich, jedoch auch nicht von hoher praktischer Relevanz, da eine primäre Einflussmöglichkeit auf die zugrunde liegende vaskuläre Schädigung nicht gegeben ist (v. Laer 2001). Übereinstimmend betonen alle Autoren das erhöhte Risiko einer Wachstumsstörung nach Penetration der Fugen durch Schrauben oder Implantate – gesicherte Studien fehlen allerdings. Die proximale Wachstumsfuge des Femurs trägt nur in 13% zum Längenwachstum des gesamten Beins bei. Ein vorzeitiger Fugenschluss ist daher bezüglich des Längenwachstums der Extremität, mit Ausnahme junger Kinder, nur selten von klinischer Relevanz. Alle potenziellen Komplikationen koxaler Femurfrakturen des Kindes, sei es die avaskuläre Nekrose, der vorzeitige Fugenschluss oder die Pseudarthrose, können in eine Coxa vara münden (Kay u. Hall 1971; Lam u. Hall 1971; Morrissy 1980). Das Risiko wird mit ungefähr 20–30% eingeschätzt. Die Inzidenz kann nach übereinstimmenden Literaturangaben durch eine korrekte Reposition und sichere Stabilisierung zwar deutlich gesenkt, jedoch nicht vollständig vermieden werden (Cheng u. Tang 1999; Forlin et al. 1992; Morsy 2001; Ng u. Cole 1996; Song et al. 2001). Das relative Höhertreten des großen Trochanters und die daraus resultierende Verkürzung des Muskelarms bewirken eine mechanische Minderung der Abduktorenkraft, klinisch apparent durch ein Trendelenburg-Hinken. Bei Kindern >12 Jahren, einem Schaft-Hals-Winkel <110° und persistierender Klinik sind kompensierende Korrekturmechanismen des Skeletts nicht mehr in ausreichendem Maße zu erwarten, und eine valgisierende subtrochantäre Korrekturosteotomie kann notwendig werden. Bei jüngeren Kindern ist die Spontankorrektur unbedingt abzuwarten (Hasler u. v. Laer 2000; Mayr et al. 1998). Grundsätzlich sind spontane Fehlstellungskorrekturen am koxalen Femur zwar möglich, jedoch nur bei
sehr jungen Patienten begrenzt erfolgreich, da es sich bei der proximalen Femurepiphyse um eine langsam wachsende Fuge handelt. Die Coxa magna – am häufigsten nach Morbus Perthes beobachtet – kann nach Hüftgelenkverletzungen im Wachstumsalter auftreten. Sie ist auf eine passagere Überstimulation des Wachstums im Rahmen der posttraumatischen Hyperperfusion nach stattgehabter avaskulärer Nekrose oder Pseudarthrosen zurückzuführen. Nur selten hat diese radiologisch nachweisbare Traumafolge einen Krankheitswert oder gar ein funktionelles Defizit zur Folge. Bei älteren Jugendlichen kann es durch diesen Mechanismus jedoch zum frühzeitigen Verschluss der Wachstumsfugen kommen. Andererseits kann die Hyperämie bei jüngeren Kindern zu einer unilateralen Stimulation des Längenwachstums führen. Spezielle funktionelle Anatomie Die Gefäßanatomie der proximalen Femurregion ist aufgrund der hohen Inzidenz avaskulärer Nekrosen recht intensiv untersucht worden. Canale u. Beaty (2001) fassen die wesentlichen Besonderheiten zusammen: Die Gefäße des Lig. teres tragen in der Kindheit bis zum Alter von 8 Jahren erheblich zur Blutversorgung des Femurkopfes bei; danach nimmt diese kontinuierlich ab und beim Erwachsenen sind diese nur bis maximal 20% an der Femurkopfdurchblutung beteiligt. Bei der Geburt erfolgt die Blutversorgung des Femurkopfes durch die Äste der medialen und lateralen A. circumflexa (metaphysär), die den Schenkelhals überschreiten. Diese Arterien bilden sich während der Reifung der kartilaginären Wachstumszone schrittweise zurück. Die kartilaginäre Wachstumszone wird zur Barriere und verhindert das Eindringen dieser Gefäße in den Femurkopf. Im Alter von 4 Jahren ist ein relevanter metaphysärer Blutzufluss nicht mehr vorhanden. Mit dem Verschwinden der metaphysären Gefäße prädominieren die lateralen epiphysären Gefäße. Der Femurkopf wird dann in erster Linie durch diese Gefäße versorgt, die die Barriere der Wachstumszone überwinden. Die lateralen epiphysären Gefäße bestehen aus dem posterosuperioren und dem posteroinferioren Ästen der A. circumflexa media. Auf Höhe der intertrochantären Fossa verzweigt sich die A. circumflexa media in ein arterielles Netz der posterosuperioren und posteroinferioren Arterien, und diese penetrieren die Kapsel. Sie erstrecken sich nach proximal entlang des Schenkelhalses und versorgen den Femurkopf peripher und proximal der Wachstumszone. Daher schädigt eine Kapsulotomie die Blutzufuhr zum Femurkopf zunächst nicht; es sei denn die intertrochantäre Fossa oder die lateral aufsteigenden Schenkelhalsgefäße werden verletzt. Im Alter um 3–4 Jahre scheinen die lateralen posteriosuperioren Gefäße prädominat zu sein und versorgen den gesamten anterolateralen Anteil der Femurkopfepiphyse. Die posteroinferioren und posterosuperioren Arterien persistieren und versorgen den Femurkopf.
!
!
19.1 Hüftgelenkluxation
Die Blutversorgung im Wachstumsalter reduziert sich nach Ausreifung des Skeletts, und vaskuläre Minderversorgungen der Epiphyse können entstehen. Das bedeutet, dass durch den Verschluss des posterosuperioren Astes der A. circumflexa medialis eine avaskuläre Nekrose des anterolateralen Anteils des Femurkopfes hervorgerufen werden kann (Abb. 19.2, Abb. 19.3 a–e).
19.1 Hüftgelenkluxation Im Kleinkindalter bis zu 5 Jahren besteht das Acetabulum überwiegend aus weichem, verformbaren Knorpel, und gewöhnlich liegt in diesem Alter eine Gelenklaxizität vor. Klinischer Hinweis
A. cervicalis lat. ascendens
A. cervicalis post. ascendens
Glutealäste
Gelenkkapsel A. cervicalis med. ascendens Äste zum M. obturatorius ext.
inkonstantes Gefäß
A. circumflexa femoris med. A. femoralis
A. cervicalis ant. ascendens A. circumflexa femoris lat.
A. profunda fem. M. iliopsoas
Abb. 19.2. Der Femurkopf und Schenkelhals werden durch intraund extraossale Gefäße versorgt – letztere werden wiederum in intra- und extrakapsuläre Gefäße unterteilt. Der wesentliche Anteil der Blutversorgung kommt aus den posteriosuperioren epiphysealen Gefäßen aus der medialen A. circumflexa femoris.
a Neugeborenes
b 4 Monate bis 4 Jahre
Daher werden in dieser Altersgruppe (<5 J.) Hüftluxationen auch durch geringe Krafteinwirkung, z. B. durch Stürze aus geringer Höhe, ausgelöst. Im späteren Kindesalter nimmt der Knorpelgehalt ab und die Gelenklaxizität reduziert sich, so dass wesentlich höhere Kräfte notwendig sind, um eine Luxation auszulösen, die dann wiederum eher mit knöchernen Pfannenrandabsprengungen einhergeht.
Ursache und Häufigkeit Traumatische Hüftgelenkluxationen bei Kindern sind mit weit unter 1% aller Verletzungen der unteren Extremitäten selten, wenn auch etwas häufiger als Hüftfrakturen. Nur etwa 5% aller traumatischen Hüftluxationen treten bei Kindern <15 Jahren auf (Hamilton u. Broughton 1998). Mehlman et al. (2000) fanden im eigenen Krankengut eines universitären kinderorthopädischen Zentrums im Zeitraum von 24 Jahren 42 Fälle, also knapp 2 pro Jahr. Traumatische Hüftluxationen können zusammen mit Acetabulumfrakturen auftreten. Wie beim Erwachsenen ist eine traumatische Hüftluxation beim älteren Kind meist Folge einer hochenergetischen Verletzung, typischerweise durch ein PKWAnpralltrauma oder auch als sitzender Fahrzeuginsasse (»dashboard injury«), aber auch nach Schaukelsprüngen sind solche Verletzungen möglich. In der Literatur (Canale u. Beaty 2001; Kutty et al. 2001; Salisbury u. Eastwood 2000; Trousdale 1997) wird jedoch betont, dass aufgrund der anatomischen Gegebenheiten bei Kindern <5 Jahren niederenergetische Traumen – z. B. ein einfacher Sturz aus geringer Höhe – eine Hüftluxa-
c 4–7 Jahre (nach Trueta)
d
e 7–12 Jahre
12 Jahre bis Wachstumsende
Abb. 19.3 a–e. Die epi- und metahysäre Blutversorgung ist funktionell bis zum Fugenschluss getrennt. Es handelt sich funktionell um Endarterien
607
608
Kapitel 19 Hüfte
tion hervorrufen können (Sprung von der Schaukel). Mehlman et al. (2000) fanden in ihrem Krankengut überwiegend (64%) niederenergetische Unfallmechanismen und bezeichnen diese sogar als typisch. Entsprechend der einwirkenden Unfallkräfte können lokal weitere Verletzungen des Acetabulums und des proximalen Femurs hervorgerufen werden. Klassifikation Traumatische Hüftgelenkluxationen bei Kindern werden in Analogie zu den Luxationen bei Erwachsenen eingeteilt in 쐌 쐌 쐌 쐌
posteriore, anteriore, zentrale und Obturatorluxationen.
Mit mehr als 80% überwiegen die posterioren Luxationen. Bei Luxationsfrakturen mit Beteiligung des Acetabulums können diese Verletzungen nach Watts (1976) klassifiziert werden. Diagnostik Die klinische und bildgebende Primärdiagnostik entspricht den bei den Acetabulumverletzungen (s. Kap. 18) dargestellten Prinzipien. Die Hüfte eines Kindes mit posteriorer Luxation ist federnd fixiert in Flexion, Adduktion und Innenrotation; bei der seltenen anterioren Luxation in Extension, Abduktion und Außenrotation. Die klinische Untersuchung des Gefäßstatus und insbesondere des peripheren Neurostatus ist Pflicht vor der Reposition, vor allem aber auch nach der Reposition. Es muss nach assoziierten ipsilateralen Femurfrakturen gesucht werden. Klinischer Hinweis Liegt eine Femurfraktur vor – die eigentlich immer erkannt wird – ist eine Hüftluxation sicher auszuschließen.
Diese Hüftluxationen werden gerne übersehen (Alho 1996; Hamilton u. Broughton 1998). Aufgrund der topographischen Nähe sind bei der hinteren Luxation Läsionen des N. ischiadicus möglich. Hüftluxationen können in Kombination mit Femurschaftfrakturen auftreten. Unabhängig von der Dislokationsrichtung ist die Hüfte dann leicht nach außen gedreht. Das proximale Fragment ist dann immer adduziert. Bei transversalen Frakturen des Femurs muss radiologisch eine Hüftgelenkluxation ausgeschlossen werden. Dies sollte möglich sein, wenn standardmäßig die Nachbargelenke bei Frakturen langer Röhrenknochen in die Röntgendiagnostik einbezogen werden. Es ist selbstverständlich, dass die Röntgendokumentation nach Reposition wiederholt wird. Dabei muss auf benachbarte Frakturen
des Acetabulumrandes und des koxalen Femurs geachtet werden. Gezielt müssen intraartikuläre Fragmente gesucht werden. Ein wichtiges indirektes Zeichen ist die Asymmetrie des Gelenkspalts >3 mm. Spätestens bei Vorliegen eines dieser Zeichen muss eine CT in Dünnschichttechnik durchgeführt werden, um Repositionshindernisse in Form eingeschlagener Knochenfragmente oder Weichteilinterponate zu finden. Zur weiteren Abklärung der Weichteilsituation (z. B. Interponate) oder kartilaginärer Strukturen ist die MRT der CT überlegen. Bei Vorliegen einer spontanen Reposition ist die Diagnose einer stattgehabten Hüftgelenkdislokation leicht zu verfehlen. Ein erweiterter Gelenkspalt ist hier richtungsweisend. Luft im Gelenkspalt, die in der CT sichtbar wird, ist nahezu beweisend. Die Stabilitätsprüfung des Gelenks unmittelbar nach der Reposition und noch in Narkose ist ein wichtiger diagnostischer Schritt, der Bedeutung für die weiteren therapeutischen Maßnahmen hat. Leicht zu reponierende Luxationen tendieren auch leicht wieder zur Reluxation. Therapie Unmittelbares Behandlungsziel ist die sofortige bzw. schnellstmögliche und schonende Reposition des Hüftgelenks. Es sollte jedoch nie versucht werden, die geschlossene Reposition in Sedierung und Analgesie durchzuführen, sondern immer in Allgemeinanästhesie. Nur unter vollständiger Relaxation ist die Reposition und anschließende Stabilitätsprüfung schonend möglich, mit dem geringsten Risiko, während des Repositionsmanövers zusätzliche gelenknahe Verletzungen hervorzurufen (Abb. 19.4 a,b). Sollte der geschlossene Repositionsversuch nicht zum Erfolg führen, ist die offene Reposition in gleicher Narkose möglich. Konservativ Das geschlossene Repositionsmanöver richtet sich nach dem Typ der Luxation. Bei dorsalen Luxationen wird das Becken vom Assistenten oder durch einen Gurt auf dem Tisch fixiert. Der Operateur zieht bei 90° gebeugter Hüfte und 90° gebeugtem Knie entlang der Femurachse nach ventral. Beim Außenrotieren kann dann der Hüftkopf schonend über den Acetabulumrand manipuliert werden und rutscht mit einer Innendrehung in die Pfanne. Diese Manöver kann auch in Bauchlage durchgeführt werden, wobei der im Hüftgelenk um 90° gebeugte Oberschenkel über die Tischkante nach unten/ ventral gezogen wird. Bei ventraler Luxation wird in Richtung des Oberschenkels extendiert und dann innenrotiert. Hilfreich kann hierbei eine Abduktion durch Druck auf die Innenseite des extendierten Oberschenkels sein. Nach erfolgreicher Reposition erfolgt die Stabilitätsprüfung. Auch hier gilt, dass leicht reponierbare Hüftköpfe auch leicht wieder dislozieren.
!
19.1 Hüftgelenkluxation
werden, sondern muss bis zum Beweis des Gegenteils als inkomplette Reposition z. B. bedingt durch ein Interponat gelten, die sofort zu beheben ist. Bei Belassen des Hämarthros bringt hier erst das erneute Verlaufsröntgenbild nach einigen Tagen Klarheit, wenn der Gelenkspalt nach Resorption des Blutes der Weite des kontralateralen Gelenkspalts entspricht. Ein nach Reposition verbliebenes Weichteilinterponat kann gelegentlich geschlossen aus dem Gelenkspalt gezogen werden, indem das Hüftgelenk unter leichter Extension durch den vollständigen Bewegungsumfang geführt wird. Im unmittelbaren Anschluss erfolgt die radiologische Kontrolle des Repositionsergebnisses in mehreren Ebenen. Hierbei muss neben einem unauffälligen Gelenkspalt auf knöcherne Absprengungen an den Gelenkflächen geachtet werden. Bei Verdacht auf eine knöcherne Läsion oder Interposition eines Knochenfragments hilft die Dünnschicht-CT weiter; bei einer Weichteilinterposition der kartilaginären Verletzung die MRT. Obligat ist nach der Reposition die Prüfung von Durchblutung, Motorik und Sensibilität. Operativ Gelingt die geschlossene Reposition nicht, erfolgt in gleicher Narkose die offene Reposition. Lagerung. Bei dorsaler Luxation wird in Seitenlage von posterolateral unter Darstellung und Inspektion des N. ischiadicus zugegangen, bei ventraler Luxation in Rückenlage von vorne.
Abb. 19.4. a Traumatische Hüftluxation einer 7-jährigen Patientin, die sich die Verletzung beim Trampolinspringen zuzog. b Geschlossene Reposition
Die Notwendigkeit, das fast immer entstehende Hämarthros zu punktieren, wird kontrovers diskutiert (Blasier u. Hughes 2001; v. Laer 2001; Pape et al. 1999; Salisbury u. Eastwood 2000; Trousdale 1997). Von Laer (2001) befürwortet die Drainage uneingeschränkt und begründet dies mit der Gefahr, dass die Blutzufuhr zum Hüftkopf durch die Kompression der hämarthrosgefüllten Kapsel und damit der hier lokalisierten Gefäße vermindert wird. Auch aus diagnostischer Sicht kann die Drainage des Hämarthros Vorteile bieten. Zum einen weisen Fettaugen im Punktat auf knöcherne Begleitverletzungen. Zum anderen kann nach vollständiger Drainage eine im Post-Repositions-Röntgenbild bestehende Gelenkspalterweiterung nicht mehr mit einem Hämarthros erklärt
Technik. Sowohl der Hüftkopf als auch das Acetabulum sind zu inspizieren und auf kartilaginäre Schäden zu untersuchen. Der Acetabulumrand muss auf Abrissverletzungen des Limbus geprüft werden. Dieser sollte möglichst refixiert werden, wobei die gleichen Kriterien wie in der Traumatologie des Erwachsenen gelten. Die Stabilität kann durch Platten oder Schrauben erreicht werden. Nichtrefixierbare Anteile sind zu resezieren. Der Gelenkraum wird auf Interponate oder Knochenfragmente untersucht. Bei präoperativ bekanntem kleinem intraartikulären Fragment sollte dies vor dem Spülen und Absaugen gesucht und geborgen werden. Die Reposition erfolgt unter direkter Sicht mit anschließender Stabilitätsprüfung und radiologischer Dokumentation. Das offene Verfahren ist auch bei einer unvollständigen geschlossenen Reposition, die durch ein im Gelenkspalt gefangenes Interponat verhindert wird, indiziert. Freie Gelenkkörper sollten operativ entfernt werden, da sie die Ursache für eine vorzeitige Destruktion der Gelenkfläche werden können. Komplikationen Bei den meisten Kindern mit Hüftluxationen kommt es zur Ausheilung ohne Folgen. Wie bei jeder Gelenkverletzung wird die Prognose jedoch durch die Begleitver-
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Kapitel 19 Hüfte
letzungen an den Knochen- und Weichteilstrukturen des Gelenks bestimmt. Typische Komplikationen sind Verletzungen des N. ischiadicus, die in bis zu 13% auftreten können, aber eine gute Prognose haben. Eine operative Freilegung ist nicht zwingend erforderlich, es sei denn, es wird ohnehin offen reponiert. Der Verlust der Nervenfunktion nach Reposition zwingt jedoch zur explorativen Freilegung. Ein Verschluss der Femoralgefäße entsteht meistens durch Kompression und ist nach erfolgreicher Reposition behoben. Im Zweifel und bei Verdacht auf eine Gefäßverletzung muss eine Duplexsonographie bzw. eine Angiographie erfolgen. Nachbehandlung Nach geschlossener und offener Reposition beginnt nach wenigen Tagen die frühfunktionelle Beübung unter schmerzadaptierter Belastungssteigerung. Die spontane Aktivität der Kinder macht eine krankengymnastische Anleitung in der Regel unnötig. Extensionen oder Ruhigstellungen in Gipsverbänden sind nicht sinnvoll. Lediglich nach offenen Repositionen mit ausgedehnten Kapselrekonstruktionen kann eine längere Ruhigstellung indiziert sein. Von Laer (2001) verordnet bei Jugendlichen für 4 Wochen Gehstützen, jedoch vor allem, um sie am Sport zu hindern. Radiologische Kontrollen sollten nach 6 Wochen, einem halben Jahr und nach einem Jahr erfolgen. Nur so können Hüftkopfnekrosen rechtzeitig erkannt werden. Empfohlen wird eine MRT nach 6 Wochen, um eine beginnende Kopfnekrose frühzeitig zu entdecken. Nach 2 Jahren und zuvor halbjährlichen klinischen Kontrollen erfolgt eine abschließende konventionell radiologische Kontrolle und klinische Prüfung der Funktion, des Gangbildes und der Beinlänge. Spätkomplikationen Hüftkopfnekrose Die avaskuläre Hüftkopfnekrose (Abb. 19.5 a,b; Tabelle 19.1) ist die am meisten gefürchtete Komplikation der Hüftgelenkluxation am wachsenden Skelett. Sie tritt selten ein; genaue Angaben fehlen, da meist die Frakturen in die Studien mit eingeschlossen wurden. Einheitlich wird in der Literatur ein Zusammenhang mit dem Intervall zwischen Trauma und Reposition gesehen (Kutty et al. 2001; v. Laer 2001; Maeda et al. 2003; Salibury u. Eastwood 2000; Shah et al. 2002; Togrul et al. 2005; Trousdale 1997; Tsirirkos et al. 2003). Bei Reposition innerhalb der ersten 12 Stunden scheint die Inzidenz einer Hüftkopfnekrose gering zu sein und steigt jenseits der 24 Stunden-Grenze erheblich an. Das erhöhte Risiko einer avaskulären Nekrose nach offener Reposition ist nicht zuletzt auf das zusätzliche chirurgische Trauma der Weichteile und der ernährenden Gelenkkapsel zurückzuführen. Die Schädigung der perfundierenden Kapselgefäße im Rahmen der Luxation wird ebenfalls übereinstimmend in der Literatur als Ur-
Abb. 19.5 a,b. 16-jähriger Junge, bei dem zum Zeitpunkt des beginnenden Fugenschlusses eine Typ-III-Fraktur nach Delbet durch geschlossene Reposition und Schraubenosteosynthese versorgt wurde. 2 Jahre später zeigt sich das Vollbild einer avaskulären Nekrose des femoralen Kopf- und Halsbereiches
sache für das Risiko der Kopfnekrose angesehen, auch wenn direkte Belege des pathophysiologischen Mechanismus fehlen. Ungeklärt ist, weshalb sich die unfallbedingte Perfusionsschädigung meist erst mit erheblicher zeitlicher Latenz von bis zu 3 Jahren nach dem Trauma bemerkbar macht (Sahin et al. 1999). Perfusionsstörungen des Hüftkopfes können szintigraphisch und in der MRT frühzeitig nachgewiesen werden, wobei letzterer Methode heute der Vorzug gegebene werden sollte. Während von Laer (2001) das regelmäßige MRT-Screening 6 Wochen nach Luxation empfiehlt, wird dies als Routineverfahren in der angelsächsichen Literatur (Blasier u. Hughes 2001) nicht befürwortet. Begründet wird dies mit der fehlenden Therapiemöglichkeit bei Feststellung eines Perfusionsausfalls im Bereich des Hüftkopfes, der hohen Rate spontaner Heilungen und falschpositiver Befunde insbesondere bei kurzem zeitlichen Abstand zum Traumaereignis. Die klinischen Zeichen einer avaskulären Hüftkopfnekrose sind Schmerz und Funktionsminderung. Radiologisch zeigt sich die Deformität des Hüftkopfes. Tabelle 19.1. Nekrosehäufigkeit 쐌 쐌 쐌 쐌
Alter des Kindes (<5 Jahre <5%/>5 Jahre >20%) Gefäßvarianten (inkonstante Gefäße) Dislokation (undisloziert <5%, disloziert bis 40%) Zeitpunkt der Primärversorgung (Frühversorgung 10%, Spätversorgung 30%) 쐌 Frakturform (je proximaler, desto häufiger)
19.2 Frakturen des koxalen Femurs
Fragmentation und Kollaps des Hüftkopfes sind bereits späte radiologische Zeichen. Nach Ratliff (1962) wird bei der posttraumatischen Kopfnekrose unterschieden zwischen 쐌 Nekrosen, die sich sowohl auf den Hüftkopf als auch auf den Schenkelhalsbereich erstrecken (Typ I) und 쐌 partiellen Kopfnekrosen (Typ II) oder 쐌 partiellen Halsnekrosen (Typ III; Abb. 19.6 a–c). Die Prognose des Typ I ist ungünstig, während der seltene Typ III meist günstig verläuft. Die Langzeitprognose bei manifester avaskulärer Nekrose ist bei 60% dieser Kinder als schlecht zu werten, insbesondere im Alter >10 Jahren. Hierfür scheint die bereits geschilderte spezielle Gefäßversorgung des Hüftkopfes verantwortlich zu sein, die bei jüngeren Kindern <5 Jahren zu einer günstigeren Prognose führt (v. Laer 2001). In Fällen mit sektoralem Befall der gewichttragenden Gelenkanteile kann eine Umstellungsosteotomie mit Eindrehen eines unbefallenen Sektors sinnvoll sein. Aber auch unbehandelt – insbesondere bei jüngeren Kindern – kann eine Ausheilung durch Remodeling im Verlauf mehrerer Jahre eintreten. Eine degenerative posttraumatische Arthrose bei älteren Kindern ist im Allgemeinen nicht mehr reversibel. Eine intertrochantäre valgisierende Osteotomie kann hier in Erwägung gezogen werden, um die Varisierung und Beinverkürzung zu korrigieren. Voraussetzung ist, dass präoperativ radiologisch eine akzeptable Gelenkkongruenz in Adduktionsstellung erreicht werden kann. Chronische Instabilität Die chronische Instabilität mit rezidivierenden Luxationen ist selten. Sie tritt meist bei jüngeren Kindern nach hinteren Luxationen oder bei begleitender Hyperlaxizität der Gelenke auf (Down-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom). Ursachen im Sinne eines Kapsel- oder Pfannendefekts müssen gesucht und operativ beseitigt werden.
19.2 Frakturen des koxalen Femurs Ursache und Häufigkeit Die Frakturen des koxalen Femurs im Bereich von Hüftkopf, Schenkelhals und Peritrochantärregion sind mit weniger als 1% aller Frakturen am wachsenden Skelett ausgesprochen selten. In einer Sammelstudie fanden Pape et al. (1999) an einem großen Traumazentrum im Verlauf von 20 Jahren lediglich 32 Kinder mit Femurkopf- und -halsfrakturen. In einer kürzlich publizierte Sammelstudie, an der sich alle traumatologischen und kinderchirurgischen Abteilungen Österreichs und 5 traumatologische Zentren des benachbarten Auslands beteiligten, konnten im Verlauf von 20 Jahren insgesamt 37 Patienten eingebracht werden (Mayr et al. 1998). Frakturen des koxalen Femurs im Kindesalter heilen im Allgemeinen gut. Ihre Bedeutung liegt in der Frequenz und Schwere der potenziellen Komplikationen mit teils einschneidenden, lebenslangen funktionellen Folgen für das betroffene Kind. Die Elastizität des kindlichen Hüftknochens und dessen Einbettung in einen dicken Muskelmantel bieten Schutz vor Frakturen, die in aller Regel nur durch eine hohe Krafteinwirkung entstehen. In Vergleich zu Erwachsenen, bei denen bereits geringe Krafteinwirkungen frakturauslösend sein können, beträgt folglich die Prävalenz von Hüftfrakturen des Kindes nur weniger als 1% derer bei Erwachsenen. Hüftfrakturen des Kindes können durch axiale Krafteinwirkung, Torsion, Hyperabduktion oder einen direkten Anprall entstehen. Das koxale Femurende des Kindes ist mit Ausnahme der Epiphysenfuge extrem kräftig und elastisch, sodass in der Regel nur schwere, hochenergetische Traumen im Rahmen von Verkehrsunfäl-
Posttraumatische Arthrose Im Rahmen des Luxationsgeschehens, aber auch bei brüsken Repositionsmanövern kann es zu Läsionen des Gelenkknorpels kommen, die nicht reversibel und somit prädisponierend für die Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose sind.
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b
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Abb. 19.6 a–c. 3 Formen der avaskulären Nekrose nach Radcliff (1962); Erläuterungen s. Text
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Kapitel 19 Hüfte
len oder Stürzen aus großer Höhe eine solche Fraktur auslösen. Entsprechend sind Hüftfrakturen zu einem hohen Anteil mit einer Mehrfachverletzung assoziiert. Dies birgt die Gefahr, eine koxale Femurfraktur zu übersehen, wenn andere dramatischer imponierende Verletzungen im Vordergrund stehen (Pape et al. 1999). Bei einer Typ-I-Verletzung des Kleinkindes muss bei fehlender eindeutiger Traumaanamnese auch an Kindesmisshandlung als Ursache gedacht werden. Selten ist dieser Verletzungstyp Ursache eines Traumas im Rahmen der Entbindung. Ein inadäquates Bagatelltrauma bei Vorliegen einer Fraktur deutet auf eine zugrunde liegende pathologische Ursache wie Zysten oder Neoplasien. Nach hohen repetitiven Belastungen kann es zu Stressfrakturen kommen. Klassifikation Frakturen des koxalen Femurs am wachsenden Skelett werden nach der Einteilung von Delbet klassifiziert (Basset 1920), die durch Colonna (1929) verbreitet wurde (Abb. 19.7 a–d). 쐌 Bei der transphysealen Typ-I-Fraktur handelt es sich um eine Durchtrennung der Epihysenfuge mit oder ohne Fragmente der benachbarten Knochenzonen. Die Luxation des proximalen Fragments aus der azetabulären Führung ist möglich. In solchen Fällen ist fast immer mit einer nachfolgenden avaskulären Nekrose zu rechnen. Die Häufigkeit der Typ-I-Verletzung beträgt bis zu 10% der kindlichen Schenkelhalsfrakuren. Epihysenlösungen treten bei jüngeren Kindern nach hochenergetischen Traumen auf und unterscheiden sich hierdurch von der atraumatischen Epiphysiolysis capitis des älteren Kindes als wahrscheinliche Folge einer Endokrinopathie. Die Abgrenzung kann hier gelegentlich schwierig sein. Entscheidend ist die Anamnese (Trauma!; s. oben). 쐌 Beim Typ II nach Delbet handelt es sich um eine transzervikale Fraktur. Dieser Frakturtyp kommt mit bis zu 45% am häufigsten vor. Die insgesamt günstige Prognose wird naturgemäß beeinflusst durch das Ausmaß lokaler Begleitverletzungen der
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transepiphyseal
b
transcervical
ernährenden Kapselgefäße und den Dislokationsgrad der Fraktur. 쐌 Als Typ III nach Delbet werden die am zweithäufigsten beobachteten zervikotrochantären Frakturverläufe bezeichnet. Undislozierte Frakturen heilen meist unkompliziert. Dislozierte Frakturen dieses Typs verhalten sich ähnlich den transzervikalen Frakturformen (Abb. 19.8, Abb. 19.9 a–e). 쐌 Am günstigsten sind die Heilungserfolge bei den intertrochantären Frakturformen vom Typ IV nach Delbet, die insgesamt mit bis zu 10% wiederum selten sind. Aber auch hier können schwere Komplikationen auftreten (Abb. 19.10 a–d, Abb. 19.11). Die Delbet-Klassifikation ist nach prognostischen Gesichtspunkten ausgerichtet und hat ihre diesbezügliche Wertigkeit auch in neueren Studien (Pape et al. 1999) bestätigt. Die Wertigkeit bezüglich therapeutischer Konsequenzen ist jedoch gering (v. Laer 2001). Als Sonderformen der koxalen Femurfrakturen am wachsenden Skelett außerhalb des Klassifikationsschemas nach Delbet sind zu nennen: 쐌 Stressfrakturen, 쐌 andere pathologische Frakturen und 쐌 Apophysenlösungen. Diagnostik Die Diagnostik beginnt mit der Anamnese einschließlich einer möglichst detaillierten Erfragung des Unfallmechanismus. Während der gesamten Diagnostikphase muss wiederholt nach direkten oder indirekten Hinweisen auf lokale bzw. ortsfremde Begleitverletzungen aktiv gesucht werden. Diese sind bei der meist hohen Krafteinwirkung zu erwarten. In der Initialphase werden auch signifikante Blutungen aus Beckenbereich bzw. Bauch oder Thoraxverletzungen vom Kind gut kompensiert, sie können jedoch kurzfristig im Verlauf zu schwer beherrschbaren Komplikationen führen. Entsprechend gehören eine Ganzkörperuntersuchung einschließlich zentralem und peripherem Neurostatus sowie eine Ultraschalldiagnostik des Abdomens obligatorisch zur Aufnahmediagnostik.
c
basocervical
d
intertrochantär
Abb. 19.7 a–d. Delbet-Klassifikation der Frakturen des koxalen Femurs am wachsenden Skelett. a Transepiphyseal, mit oder ohne Dislokation der Kalotte. b Transzervikal. c Zervikotrochantär. d Intertrochantär. (Erläuterungen im Text; mod. nach Benaroch et al. 1996)
19.2 Frakturen des koxalen Femurs
Abb. 19.8. 14-jähriger Junge mit einer Typ-III-Fraktur des Schenkelhalses nach Delbet, die reponiert und mit Zugschrauben stabilisiert wurde, die die Wachstumsfuge nicht tangieren
Abb. 19.9 a–e. 13-jähriges Mädchen mit einer Typ-III-Fraktur des Schenkelhalses nach Delbet, die reponiert und mit KirschnerDrähten insuffizient stabilisiert wurde. Nach 5 Monaten erfolgte bei beginnender Pseudarthrosenbildung der Verfahrenswechsel
auf eine Zugschraubenosteosynthese ohne Spongiosaplastik. Es kam zur problemlosen Heilung in physiologischer Stellung (s.Vergleichsröntgenbild der Gegenseite)
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Kapitel 19 Hüfte
Abb. 19.10 a–d. 12-jähriger Junge mit einer Typ-IV-Fraktur des Schenkelhalses nach Delbet, die reponiert und mit Zugschrauben stabilisiert wurde. Die radiologischen Verlaufsbilder und CTs nach ein bzw. 2 Jahren dokumentieren der Verlauf einer voll ausgeprägten avaskulären Nekrose
!
Lokal gibt die Inspektion der Hüftregion bereits richtungsweisende Zeichen: Schonhaltung mit Beugung des Hüftgelenks bei Hämarthros, fixierte Gelenkfehlstellung und Beinverkürzung. Die vorsichtige Palpation und Bewegungsprüfung sollte bei Schmerzen nicht erzwungen werden. Die Prüfung der Fußpulse ist Pflicht. Die radiologische Diagnostik unterscheidet sich nicht wesentlich von der bei Erwachsenen. Beckenübersichtsaufnahme und Axialeinstellung des Hüftgelenks sind die Standardtechniken, wobei die axiale Aufnahme bei grober Dislokation nach Einleitung der Narkose nachge-
holt werden kann, da ihre Anfertigung initial sehr schmerzhaft sein kann. Ein Probleme kann die Abgrenzung einer undislozierten Fraktur gegenüber anderen Erkrankungen der Hüfte sein (Tabelle 19.2, Tabelle 19.3). Differenzialdiagnostisch müssen bei einem Kind mit posttraumatischem Hüftschmerz ohne Frakturnachweis andere Erkrankungen – am häufigsten eine Coxitis fugax – einschließlich Synovialitis und bakterielle Infektion ausgeschlossen werden. Neben der erweiterten hämatologisch-serologischen Labordiagnostik (CRP) kommt der Ultraschalluntersuchung mit ggf. diagnostischer Gelenkpunktion in Narkose eine hohe diagnosti-
19.2 Frakturen des koxalen Femurs Abb. 19.11. Beckenübersicht und CT eines 15-jährigen Mädchens mit schwerer Infektion des Hüftgelenks und fulminanter letaler Sepsis
sche Aussagekraft zu. Ein gewonnenes Aspirat ist anschließend serologisch und mikrobiologisch aufzuarbeiten. Die Aspiration von Blut aus dem Hüftgelenk bestätigt eine traumatische Ursache der Hüftsymptomatik (Tabelle 19.4). Auf die Möglichkeiten der Ultraschalldiagnostik gerade bei frühkindlichen Verletzungen der Hüfte (z. B. Geburtstraumen) und zur Verlaufskontrolle sei nochmals besonders hingewiesen. Bei der akuten Behandlung von Brüchen kann der Erguss dargestellt und die Indikation zur Punktion gestellt werden. Gelegentlich
Tabelle 19.2. Diagnostische Schwierigkeiten bei Schmerzen in der Hüfte und unklarer Anamnese 쐌 Radiologischer Nachweis einer minimal verschobenen Fraktur 쐌 Okkulte Frakturen 쐌 Abgrenzung einer pathologischen Fraktur 쐌 Abgrenzung zur spontanen Epiphyseolysis capitis femoris 쐌 Erkennung einer Infektion des Hüftgelenks 쐌 Abgrenzung zum Morbus Perthes 쐌 Coxitis fugax 쐌 Abgrenzung einer rheumatoiden Arthritis
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Kapitel 19 Hüfte Tabelle 19.3. Diffenzialdiagnose Coxitis fugax und bakteriellen Coxitis
Coxitis fugax
Bakterielle Coxitis
CRP
Niedrig bzw. unauffällig
Meist hohe Werte
Fieber
Niedrig oder keines (tritt meist nach Infekt auf! Anamnese (stattgehabter Infekt)!
Septisches, meist abendliches Fieber, oft Schüttelfrost
Allgemeinsymptome
Meist unauffällig, Allgemeinzustand gut
Blass, apathisch, schlechter Allgemeinzustand
Gehen
Hinkend möglich
Bewegt sich nicht, gehunfähig
Gelenkuntersuchung
Enggradig eingeschränkte Hüftbeweglichkeit Knieschmerzen Stauchungsschmerz der Hüfte bzw. Klopfschmerz über dem Trochanter fehlt
Lässt das Kind nicht zu, da sehr schmerzhaft Ausgeprägte Schonhaltung Hüftschmerz Beweglichkeit massiv eingeschränkt Trochanterklopfschmerz, Stauchungsschmerz des Hüftgelenks
Im Zweifel ist immer die notfallmäßige Punktion anzustreben!
Tabelle 19.4. Behandlungsmöglichkeiten 쐌 Geschlossene Reposition + Gips 쐌 Geschlossene Reposition + Kirschner-Draht-Fixation + Gips 쐌 Geschlossene Reposition + kanülierte Schraube + Entlastung/Gips 쐌 Offene Reposition + innere Fixation + Entlastung/Gips
auftretende therapierelevante Unklarheiten bezüglich der Frakturstabilität können bei ausreichender Analgosedierung unter dynamischer Bildwandlerkontrolle abgeklärt werden. Nicht alle Frakturen sind auf konventionellen Röntgenbildern oder in der CT sichtbar. Zur Diagnose okkulter Frakturen ist heutzutage die MRT der Szintigraphie überlegen. Die MRT kann solche okkulten Frakturen einschließlich der so genannten »bone bruises«, deren therapeutische Relevanz fraglich ist, innerhalb von 24 Stunden nach dem Trauma nachweisen. Bei Kindern <5 Jahren kann eine Coxa vara irrtümlich als Folge einer alten Hüftfraktur interpretiert werden. Entsprechend den oben dargestellten anderen Verletzungen des Hüftgelenks beim Kind sind auch bei den Frakturen des koxalen Femur bis zum 2. Jahr nach dem Trauma in halbjährlichen Abständen klinische Untersuchungen zur frühzeitigen Diagnose potenzieller Komplikationen notwendig, die durch radiologische Verfahren zu ergänzen sind. Darauf sollten die Eltern und der nachbehandelnde Arzt ausdrücklich hingewiesen werden. Therapie Bis Mitte der 1970er Jahre erfolgte die Therapie koxaler Femurfrakturen am wachsenden Skelett überwiegend konservativ. Sowohl bei den stabilen, undislozierten
Frakturen als auch bei den instabilen, dislozierten Frakturen erfolgte eine mehrwöchige Immobilisierung im Becken-Bein-Gips, bei den instabilen, dislozierten Frakturen nach vorangehender geschlossener Reposition ggf. eine perkutane Drahtstabilisierung (vgl. Tabelle 19.4). Die suprakondyläre Drahtextension bei Becken-Bein-Gips ist nur noch Ausnahmesituationen, die einer operativen Stabilisierung im Wege stehen, vorbehalten. In den letzten beiden Dekaden hat sich jedoch die notfallmäßige Versorgung mit interner übungsstabiler Stabilisierung unter größtmöglicher Aussparung der Wachstumsfuge durchgesetzt. Therapieziel jeder Form einer hüftgelenknahen Fraktur im Wachstumsalter ist es,Achsabweichungen zu korrigieren bzw. im Verlauf zu verhindern und das Risiko von Komplikationen wie avaskuläre Nekrose, Pseudarthrose und Wachstumsstörungen zu vermindern. Generell entscheidet man – entsprechend anderen Lokalisationen am Skelett – über die einzuschlagende Therapie anhand 쐌 des Fraktutyps und 쐌 dessen Stabilität (instabil/stabil) und 쐌 der initialen Dislokation sowie 쐌 dem Alter des Patienten. 쐌 Undislozierte Frakturen, die instabil sind, werden zunehmend unabhängig vom Alter (>3 Jahre) prophylaktisch fixiert. 쐌 Ob eine geschlossene oder offene Reposition angewandt wird, wird anhand des Frakturtypus und der primären Dislokation entschieden. 쐌 Wenn intraoperativ eine geschlossene Reposition nicht auf Anhieb gelingt, sollte ohne Zögern auf eine offenen Reposition umgestiegen werden, da missglückte Mehrfachrepositionen der Durchblutung des Hüftkopfes erheblich schaden können.
19.2 Frakturen des koxalen Femurs
쐌 Die konservative Therapie ist angezeigt – bei allgemeinen oder lokalen Kontraindikationen gegen eine Operation, – bei stabilen unverschobenen Frakturen, wobei diese zunehmend ab dem 3. Lebensjahr prophylaktisch stabilisiert werden, sowie – bei gering dislozierten Frakturen bei Kindern bis zum 3. Lebensjahr. Intrakapsuläres Hämatom. Umstritten ist auch in der aktuellen Literatur die Frage der Behandlung des intrakapsulären Hämatoms. Während einige Autoren im deutschsprachigen und angelsächsischen Bereich die Kapsulotomie zur Drainage des Hämatoms nicht regelhaft durchführen (Blasier u. Hughes 2001; Pape et al. 1999), wird die Entlastung des Hämatoms durch Punktion oder ventrale Kapsulotomie von v. Laer (2001) und Song et al. (2001) empfohlen. Letztere ist eine der wenigen prospektiven Studien, die den Vorteil einer Punktion aufzeigen konnte – allerdings handelte es sich insgesamt nur um 13 Patienten. Größere Studien existieren in der Literatur nicht.Wir führen sonographische Kontrollen durch und entlasten einen drohenden Spannungshämarthros. Bei offenem Vorgehen erfolgt eine ventrale Kapsulotomie.
undisloziert < 3 Jahre
Bei offenen Hüftgelenkfrakturen ist nach den etablierten Prinzipien zur Versorgung offener Gelenkverletzungen vorzugehen. In entsprechender Weise sind im Rahmen einer Mehrfachverletzung das therapeutische Vorgehen und die Versorgungspräferenz anzugehen. Klinischer Hinweis Grundsätzlich sollten bei Kindern Implantate aus Titan vorgezogen werden, nicht zuletzt um postoperative MRT-Untersuchungen möglich zu machen.
Die Besonderheiten der Behandlung einzelner Formen der koxalen Femurfrakturen werden nachfolgend detailliert beschrieben. Zum therapeutischen Vorgehen s. den Behandlungsalgorithmus (Abb. 19.12). Transepiphyseale Frakturen und traumatische Epiphysiolyse Bei Typ-I-Verletzungen nach Delbet muss zwischen unverschobenen und verschobenen Frakturen nur bis zu einem Alter von 3 Jahren differenziert werden. Diese Verletzungen neigen zur sekundären Dislokation und wer-
undisloziert > 3 Jahre
disloziert
Typ I–IV
Typ I
Typ II + III
Typ IV
Typ I–IV
inkomplett komplett verschoben verschoben
geschlossene Reposition
offene Reposition
fakultative Punktion Hämarthros (Sonographie)
ventrale Kapsulotomie
keine Kapsulotomie
Becken-Bein-Gips
Osteosynthese
oder prophylaktische Osteosynthese Abb. 19.12. Algorithmus der Behandlung der proximaler Femurfrakturen des Kindes
fakultative Punktion Hämarthros (Sonographie)
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Kapitel 19 Hüfte
den daher ab dem 3. Lebensjahr auch bei undislozierten Frakturen primär operativ stabilisiert. Die Reposition bei mäßig verschobenen Frakturen (noch innerhalb des Acetabulums liegend) gelingt fast immer geschlossen unter Längszug (Extensionstisch bei größeren Kindern möglich!). Anschließend kann die Fraktur transkutan verschraubt oder mit Pins stabilisiert werden. Bei diesem Frakturtyp muss das Implantat bis kurz unterhalb des Gelenks in der Epiphyse verankert werden. Mehrfache Bohrungen oder Drahteinbringungen sollten vermieden werden. Muss bei dislozierten Frakturen offen reponiert werden, so entscheidet die Dislokationsrichtung in Bezug zum Acetabulum den Zugang. Besteht eine vordere Disloaktionsrichtung, ist der anterolaterale Zugang zum Hüftgelenk zu wählen, bei dorsaler Dislokation gilt es, einen hinteren Zugang zu nutzen. Undislozierte/gering dislozierte Frakturen können bis zum 3. Lebensjahr konservativ behandelt werden. Die Frakturen müssen dabei nicht notwendigerweise reponiert werden, da sie in diesem Alter ein gutes Remodeling aufweisen. Radiologische Verlaufskontrollen sind bei undislozierten Frakturen, die konservativ therapiert wurden, indiziert. Zeigt sich hier eine sekundäre Dislokation, erfolgt die operative Reposition und Stabilisierung. Beim älteren Kind, insbesondere kurz vor Fugenschluss, sind kanülierte Schrauben vorzuziehen, die über die Fuge eingebracht werden. Auch nach Stabilisierung der Fraktur sollte postoperativ eine Gipsimmobilisation erfolgen. Auf diese kann bei sicher stabiler Fraktur und zuverlässiger Beherrschung einer Teilbelastung des Kindes verzichtet werden. Die traumatische Epiphysiolyse des Neugeborenen ist, wenn es sich um keine angeborene Verletzung handeln kann, immer geburtstraumatisch verursacht und wird häufig verspätet diagnostiziert. Typischerweise zeigen diese Kinder eine Pseudoparalyse der betroffenen Seite sowie eine Beugestellung im Hüftgelenk, eine Beinverkürzung und Außenrotation. Oft wird die Diagnose erst anhand eines sekundären Kallus im Röntgenbild verifiziert. Bei Verdacht auf eine solche Verletzung sollte nicht gezögert werden, eine MRT-Untersuchung durchzuführen, da hier die Epiphysiolyse sicher dargestellt werden kann. Sie muss gegenüber einer angeborenen Erkrankung und der septischen Hüfte abgegrenzt werden. Nichterkannte Frakturen heilen zunächst oft in einer Coxa vara aus, die prognostisch gut remodelliert werden kann (Hasler u. v. Laer 2000; Mayr et al. 1998) Transzervikale Schenkelhalsfraktur Dislozierte Frakturen im Halsbereich sollten immer anatomisch reponiert und stabil intern mit Drähten oder kanülierten Schrauben stabilisiert werden. Auch bei undislozierten Frakturen, die sich primär als stabil zeigen, ist mit einer sekundären Dislokation zu rechnen. Daher sollte auch bei der zunächst undislozierten Situation die perkutane Draht- oder Schraubenfixation in Betracht gezogen werden, deren Risiko geringer ein-
zustufen ist als das einer sekundären Dislokation. Wenn immer möglich, sollte die Wachstumsfuge nicht tangiert werden; dies ist jedoch nicht immer möglich. Klinischer Hinweis In Zweifelsfällen ist die Überquerung der Epiphysenfuge vorzuziehen. Einige Autoren präferieren die Kapsulotomie. Wir führen dies nur durch, wenn die offene Reposition notwendig wird. Beim geschlossenen Vorgehen kann das Hämatom ebenfalls aspiriert werden, muss aber nicht routinemäßig erfolgen.
Es ist darauf zu achten, dass intraoperativ eine gute Bildwandlereinstellung vor allem in der axialen Ebene zur Verfügung steht, da die axial eingebrachten Schrauben ebenfalls parallel und auf keinen Fall im Gelenk liegen sollten. Das parallele Einbringen ist durch die Entwicklung von kanülierten Schrauben wesentlich vereinfacht worden. Vorteil der parallelen Einbringung ist das mögliche Sintern im Frakturspalt (Erhöhung der Kompression). Bei der abschließenden Röntgenkontrolle sollte die Hüfte immer durchbewegt werden, um ein Reiben im Gelenk, welches auf zu lange Schrauben hinweist, auszuschließen. Altersabhängig werden 2 bzw. 3 Schrauben verwendet (ab >8 Jahren). Unabhängig vom gewählten Verfahren sind radiologische Verlaufskontrollen notwendig. Nach Stabilisierung der Fraktur (Kirschner-Drähte!) sollte postoperativ eine Gipsimmobilisation erfolgen. Kinder mit stabiler Versorgung der Fraktur, die teilbelasten können, werden nicht durch einen Gips immobilisiert. Dies ist meist frühestens ab dem 8. Lebensjahr sicher möglich. Zervikotrochantäre Schenkelhalsfraktur Gleiches wie für die transzervikalen Frakturen vom Typ II gilt für die zervikotrochantären vom Typ III nach Delbet. Bei diesem Typ können undislozierte Frakturen jedoch mit einem deutlich geringeren Risiko der sekundären Dislokation im Abduktionsgips behandelt werden. Bestehen jedoch Zweifel, sollte der prophylaktischen Stabilisierung der Vorzug gegeben werden, um das Risiko einer Coxa vara und einer Pseudarthrose zu verringern. Dislozierte Frakturen werden notfallmäßig reponiert und mit Kirschner-Drähten oder kanülierten Schrauben stabilisiert. Aufgrund der distaler gelegenen Frakturen wird die Wachstumsfuge in diesem Fall immer untangiert gelassen (vgl. Abb. 19.8, Abb. 19.9 a–e). Bei weit lateral gelegenen Typ-III-Frakturen des älteren Kindes kann eine kleine dynamische Hüftschraube zur Stabilisierung genutzt werden. Intertrochantäre Frakturen Inter- oder peritrochantäre Frakturen, entsprechend Typ IV nach Delbet, haben ein geringes Risiko, eine
19.2 Frakturen des koxalen Femurs
posttraumatische avaskuläre Nekrose zu entwickeln, die jedoch auch hier vorkommen kann (vgl. Abb. 19.10 a–d). Ihre Prognose und Heilungsrate ist in der Regel gut. Wachstumsstörungen im Verlauf sind selten. Fehlstellungen werden zwar korrigiert, aber nur zögernd, weshalb bei Kindern ab dem 8. Lebensjahr und insbesondere bei Jugendlichen vor Wachstumsabschluss eine anatomische Frakturstellung angestrebt wird. Undislozierte Frakturen können bei kleinen Kindern im Becken-Bein-Gips ruhig gestellt werden. Bei Kindern ab dem 6. Lebensjahr favorisieren wir die prophylaktische Osteosynthese bei kompletten Frakturen. Instabile oder dislozierte Frakturen werden reponiert und mit einer Schraubenosteosynthese bei gleichzeitiger Trochanterzuggurtung oder größenadaptierten Winkelplatten
(z. B. aus dem Set der Winkelplatten für Oberarmkopffrakturen des Erwachsenen) stabilisiert. Dynamische Hüftschrauben oder dynamische Kondylenschrauben sind meist dem Jugendlichen vorbehalten, da diese nicht in kindgerechten Größen vorliegen. Die Entfernung eingebrachter Metallimplantate erfolgt nach sicherer Frakturheilung 6–12 Monate postoperativ. Weiter distal gelegene subtrochantäre Frakturformen sind den Frakturen des Femurschafts zuzuordnen und werden dort abgehandelt. Operatives Vorgehen Siehe Abb. 19.13 a–d, Abb. 19.14 a,b, Abb. 19.15 a–c, Abb. 19.16 a,b. Lagerung und Anästhesie. Im Kindesalter wird ausschließlich in Vollnarkose operiert. Das Kinde befindet sich in Rückenlage. Vor Abdeckung muss sichergestellt sein, dass eine Durchleuchtung nicht durch Teile des Operationstisches behindert wird. Es ist unbedingt auf einen gut fixierten Gonadenschutz zu achten. Der Extensionstisch ist nur sinnvoll, wenn sicher geschlossen anatomisch reponiert werden kann und die Größe des Kindes für den Extensionstisch geeignet ist. In den anderen Fällen sollte die Lagerung besser ohne Extensionstisch erfolgen, um intraoperativ die korrekte anatomische Reposition der Fraktur zu erreichen und keinen unnötigen Stress durch Zug auf die Gefäße und Weichteile zu riskieren.
a
M. vastus lateralis
Fascia lata
b Abb. 19.13 a–d. Lateraler Zugang zum Hüftgelenk, T-förmige Inzision der Kapsel
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Kapitel 19 Hüfte
Bursa trochanterica
Trochanter major
M. vastus lateralis
M. gluteus medius
M. gluteus maximus
N. ischiadicus
c
Lig. iliofemorale Ramus ascendens a. circumflexae lateralis
M. gluteus maximus M. gluteus medius
d Abb. 19.13 c, d.
M. gluteus minimus
19.2 Frakturen des koxalen Femurs
a
b Abb. 19.14 a,b. Zur Orientierung kann ein Spickdraht parallel zum Schenkelhals eingebracht werden. Der zentrale Führungsdraht wird etwas kaudal des Schenkelhalszentrums eingebracht. Er wird bis vor die Epiphyse platziert, kann aber auch über die Epiphyse gesetzt werden
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Kapitel 19 Hüfte
Geschlossene Reposition. Die geschlossene Reposition erfolgt unter Längszug, Abduktion und Innenrotation (bei Retroversion des Femurkopfes). Die Reposition kann mit dem Extensionstisch durchgeführt werden.
a
b
c
Abb. 19.15 a–c. Platzierung des zweiten Drahtes/Schraube. Auch im Kindesalter sollte die parallele Platzierung angestrebt werden. Fakultativ kann ein dritter Spickdraht/Schraube eingebracht werden. Nach der Messung der Länge erfolgt bei Schrauben erfolgt das Vorbohren, Gewindeschneiden und Einbringen der Schrauben, wobei auch selbstschneidende Schrauben gewählt werden können
Implantate. Folgende Implantatstärken sind für die Versorgung von Typ-I- bis -III-Frakturen zu empfehlen: 쐌 <3 Jahre: Kirschner-Drähte (gewindegebohrt – besser geeignet zur Verankerung in der subchondralen Kortikalis) altersadaptiert 1,8–2,5 mm, 쐌 3–8 Jahre: 4 mm-Schrauben, 쐌 >8 Jahre: 6,5 mm-Schrauben. Zugang für die offene Reposition (Typ I bis III). Der anterolaterale Zugang ist für die offene Reposition bei dislozierten, geschlossen irreponiblen Schenkelhalsfrakturen, traumatischer Epiphysiolyse nach ventral sowie zur ventralen Kapsulotomie geeignet. Im Falle einer kanülierten Schraubenosteosynthese reicht beim offenen Vorgehen eine kleine laterale Längsinzision 2 cm unterhalb des Trochanter major. Mit diesem Zugang können das Hüftgelenk und der Trochanter major dargestellt werden kann. Die Schnittführung kann lateral oder transmuskulär durch den M. vastus lateralis proximal am Ansatz erfolgen (vgl. Abb. 19.13 a–d). Dieser Zugang kann bei Bedarf bis in den M. glutaeus medius entsprechend dem transglutealen Zugang fortgeführt werden. Letzterer ist bei basalen oder intertrochantären Frakturen in einigen Fällen von Vorteil, kann aber auch für Schenkelhalsfrakturen oder die Epiphysiolyse wie auch für die ventrale Kapsulotomie angewendet werden. Technik. Nach Durchtrennung der Haut und Subkutis wird nach kleinem Zugang über dem Trochanter major die Hüftgelenkkapsel freigelegt und T-förmig inzidiert. Die Schrauben werden distal des »Tuberculum innominatum« eingebracht, sodass nur dieser Bereich des lateralen Femurs dargestellt werden muss. Entsprechend klein kann der Zugang insgesamt ausfallen. Anschließend wird die Fraktur reponiert. Beim Einbringen der Drähte kann zur Orientierung ein Kirschner-Draht auf den Schenkelhals gelegt werden. Anschließend werden 2–3 Kirschner-Drähte parallel zu diesem in den Schenkelhals eingebracht. Die Drähte sollten entsprechend dem Frakturtyp möglichst nicht über die Epiphyse eingebracht werden. Angestrebt wird eine zentrale Lage des ersten Drahtes in der axialen Ebene und in a.-p. Ebene eher in Höhe des Calcar. Die Lage der Drähte ist sowohl in der a.-p. Ebene als auch in der Lauenstein-Position unter Bildwandler zu kontrollieren. Falls nötig, können anschließend über die Spickdrähte kanülierte Schrauben eingebracht werden (Spickdrähte mit kleinem Gewinde sind hierfür zu wählen, da sich diese besser in der suchondralen Zone verankern lassen – falls dies notwendig erscheint). Bei den Schrauben ist darauf zu achten, dass diese kleine Gewinde aufweisen, andernfalls muss das Gewinde
19.2 Frakturen des koxalen Femurs
Haut in der Region des Schenkelhalses mit Hilfe des Bildverstärkers bestimmt. Nach Setzen der Stichinzision erfolgt das stumpfe Spreizen mit der Schere bis zum Knochen. Der Bohrdraht wird mit Schutzhülse bis zum Knochen geführt und entsprechend den oben genannten Kriterien eingebracht.
a
b Abb. 19.16 a,b. Kanülierte Technik mit SD-Drähten, kanülierte Schrauben. Bei Kindern unterhalb von 8–10 Jahren reichen ggf. 2 Schrauben. In dr Adoleszenz sind immer 3 Schrauben notwendig
gekürzt werden, da sonst möglicherweise das Gewinde in der Fraktur zu liegen kommt, was unbedingt vermieden werden sollte (vgl. Abb. 19.14 a,b). Der Nutzen von Unterlegscheiben ist zu überlegen. Nach korrekter Lage wird das Gelenkspiel überprüft. Der Wundverschluss erfolgt schichtweise, ggf. unter Verwendung einer Redon-Drainage. Beim perkutanen Vorgehen wird die Höhe der Stichinzision durch Auflegen eines Führungsdrahtes auf die
Komplikationen, Gefahren, Fehler Als operationbedingte Komplikation ist in erster Linie die Verletzung der Wachstumszone mit nachfolgender Wachstumsstörung durch perforierende Implantate zu nennen. Der als »Implantatversagen« bezeichnete Bruch von Schrauben oder Drähten ist in Wirklichkeit nicht den Implantaten anzulasten. Implantatbruch ist in der Regel Folge einer unverheilten Fraktur aufgrund unzureichender Osteosynthese, also ein meist chirurgisches Problem. Gleiches trifft für die früh nach Osteosynthese eintretende sekundäre Dislokation oder die Implantatfehllage zu. Die postoperative Infektion ist nach operativer Behandlung einer koxalen Femurfraktur am kindlichen Skelett eine Rarität. Sie kann jedoch zu schwersten Komplikationen führen (vgl. Abb. 19.11). Periartikuläre Ossifikationen sind möglich (vgl. Abb. 19.10 a–d) und werden gehäuft nach ausgedehnten chirurgischen oder traumatischen Weichteilläsionen und in Assoziation mit Schädel-Hirn-Verletzungen beobachtet. Die avaskuläre Nekrose des Hüftkopfes oder/und des Schenkelhalses ist die am meisten gefürchtete und zugleich häufigste Verletzungskomplikation (vgl. Abb. 19.9 a–e, vgl.Abb. 19.19 a,b). Sie tritt in bis zu 30% der Fälle auf (Blasier u. Hughes 2001). Diese Rate wurde auch im Rahmen der multizentrischen nationalen Studie von Mayr et al. (1998) bestätigt. Pape et al. (1999) konnten anhand ihrer Aufarbeitung des eigenen Krankengutes sehr eindrucksvoll herausarbeiten, dass das Risiko der avaskulären Nekrose wesentlich vom Frakturtyp und dem Dislokationsgrad abhängt. Der Zeitpunkt und die Art der Versorgung scheinen weniger eine Rolle zu spielen. Ganz überwiegend ist die avaskuläre Nekrose assoziiert mit den transepiphysären Frakturen oder Epiphysiolysen vom Typ I nach Delbet. Bei gleichzeitiger Luxation des Kalottenfragments kommt es fast immer zur Nekrose. Pape et al. (1999) empfehlen daher nach Frakturen des wachsenden koxalen Femurs, 3 Jahre lang Kontrollen im Hinblick auf eine avaskuläre Nekrose durchzuführen. Die verzögerte Frakturheilung bis hin zur Pseudarthrose (Abb.19.17) ist überwiegend ein Problem, das bei zervikalen Frakturen vom Typ II und III nach Delbet beobachtet werden kann. Es wird in bis zu 7% aller Frakturen der wachsenden Hüfte beobachtet. Wie an anderen Skelettabschnitten auch, ist überwiegend eine insuffiziente Reposition oder Retention die Ursache dieser Komplikation. Diagnostisch kann die CT bei konventionell radiologisch nicht einsehbarem Pseudarthrosespalt Klärung schaffen. Frühzeitig, d. h. noch vor den bei Erwachsenen üblichen 3–6 Monaten, sollten die Stellungskorrektur und
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Kapitel 19 Hüfte Abb. 19.17. Pseudarthrose einer Schenkelhalsfraktur
eine stabile, komprimierende Osteosynthese, ggf. kombiniert mit einer subtrochantären Valgisation, erfolgen. Da es sich, mit Ausnahme der avaskulären Nekrose, bei Kindern in der Regel um vitale Frakturfragmente handelt, ist keine Spongiosaanlagerung indiziert (vgl. Abb. 19.9 a–e). Mögliche Achsabweichungen sind meist auf eine inkorrekt durchgeführte Osteosynthese zurückzuführen. Diese können grundsätzlich alle Ebenen betreffen und werden im Kindesalter oft spontan korrigiert. Bei Adoleszenten ist eine frühe Korrektur einer durch Osteosynthese bedingten Achsenfehlstellung zu überlegen, da eine spontane Korrektur nicht mehr in Frage kommt (Abb. 19.18). Wachstumsstörungen sind schicksalhaft und können initial nicht beeinflusst werden, außer es entwickelt sich eine Wachstumsstörung infolge einer inkorrekten Osteosynthese. Diese können als Schenkelhalsverkürzung, Trochanterhochstand sowie als Achsenfehlstellungen auftreten (Abb. 19.19 a,b). Nachbehandlung In der postoperativen Behandlung ist die Entlastung unter Mobilisation an Unterarmgehstützen mit Fußbodenkontakt bis zur sicheren knöchernen Durchbauung zu gewährleisten. Diese ist in der Regel nach 6–8 Wochen erreicht. Bei jüngeren Kindern oder alleiniger Kirschner-Draht-Osteosynthese kann bei fehlender Koordination für den Gang an Stützen eine passagere Ruhigstellung im Becken-Bein Gips notwendig werden. Meist ist dies jedoch nicht über die 3. Woche hinaus notwendig. Die Implantatenfernung richtet sich nach der Frakturheilung, der operativen Fixation des epiphysären Fragments, der Art der Osteosynthese und den lokalen Beschwerden. Kirschner-Drähte werden altersabhängig nach 5–8 Wochen entfernt, wenn diese nicht versenkt
wurden. Alle Schrauben und Platten werden nach 6–9 Monaten entfernt. Insgesamt müssen diese Frakturen im weiteren Verlauf bis zum Wachstumsabschluss (Fugenschluss) beobachtet und klinisch kontrolliert werden. Nur in besonderen Verdachtsmomenten sind radiologische Verlaufskontrollen, ggf. zur Strahlenreduktion MRT-Aufnahmen, durch zu führen. Pathologische Frakturen Pathologische Frakturen auf der Basis von Zysten, Neoplasien oder generalisierten fibrösen Dysplasien in der Region des koxalen Femurs sind auch am wachsenden Skelett möglich. Ihre Diagnose und Therapie richtet sich – nach der primären Frakturbehandlung – an der Grundkrankheit aus. Eine Sonderform der pathologischen Fraktur ist die Stressfraktur, die in der Hüftregion insgesamt sehr selten anzutreffen ist. Differenzialdiagnostisch ist es nicht immer leicht, die undislozierte und primär konventionell radiologisch inapparente Stressfraktur von einer harmlosen Coxitis fugax abzugrenzen. Ursache der Stressfrakturen sind repetitive hohe Belastungen des Schenkelhalses wie z. B. durch Langlauf oder Trampolinspringen. Leitsymptom ist der progressive Leistenoder Knieschmerz. Wesentliche Frakturen sind im Röntgenbild bereits sichtbar. Gering ausgedehnte Stressfrakturen können jedoch gelegentlich erst im sekundären Röntgenbild anhand sekundärer Umbauzeichen (Kallus, Resorptionslinie) sichtbar werden. Die MRT besitzt auch in der Frühphase die höchste diagnostische Sensitivität. Stressfrakturen ohne Dislokation können konservativ durch Entlastung und Ruhigstellung erfolgreich behandelt werden.
19.2 Frakturen des koxalen Femurs Abb. 19.18. Posttraumatische Achsabweichungen: häufig in Form von Varusfehlstellung, aber auch Valgusfehlstellung kommen vor
Abb. 19.19 a,b. Wachstumsstörungen: Sie sind grundsätzlich möglich, können aber nicht immer von Achsabweichungen und Teilnekrosen differenziert werden. Diese können als Schenkelhalsverkürzung, Trochanterhochstand, Varus- und Valgusfehlstellung sowie F-Kopf in Nackenlage auftreten
Apophysenlösungen Wegen der durch Hormoneinfluss aufgelockerten Wachstumsfugen kann es im Rahmen der Pubertät bei plötzlichem starkem Muskelzug zum Abriss der Apophysen im Bereich des großen und kleinen Trochanters kommen.Auch direkte Traumen können zum Abriss des Trochanter major führen. Aufgrund der Anamnese, der typischen Schmerzlokalisation und anhand des Röntgenbildes bereitet die Diagnosestellung in der Regel keine Schwierigkeit. Die Apophysenlösung im Bereich des kleinen Trochanters und des undislozierten großen Trochanters kann konservativ, symptomorientiert behandelt werden. Signifikante Dislokationen des großen Trochanters durch den Muskelzug der Glutealmuskeln werden über eine Zuggurtungsosteosynthese refixiert. Apophysenlösungen des Trochanter major können vor dem 8. Lebensjahr zu Störungen des epiphysären, ab dem 10 Lebensjahr des dann überwiegend apophysären Schenkelhalswachstums führen. Die potenzielle Folge einer vorzeitigen Fusion der Fuge ist eine Wachstumsstörung im Sinne einer Coxa valga. Abrisse des Trochanter major können zur Zerreißung der A. circumflexa führen und in eine Kopfnekrose münden (v. Laer 2001; Abb. 19.20 a,b, Abb. 19.21).
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Abb. 19.20 a,b. Frakturen der Apophysen des Schenkelhalses. a Abriss des Trochanter major. b Abrissfraktur des Trochanter minor
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bige Jugendliche im frühen Pubertätsstadium (adiposogenitaler Typus). Je ausgeprägter der Abrutschwinkel ist, desto eher entwickelt sich später eine Arthrose.
Abb. 19.21. Zuggurtungsosteosynthese bei Abriss des Trochanter major
CAVE
19.3 Epiphysiolysis capitis femoris F. Schneider, W. Linhart Synonym: Hüftkopfkappengleiten, »slipped capital femoral epiphysis« (SCFE). Definitionsgemäß handelt es sich bei der Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) um ein Abgleiten der Femurepiphyse in der Wachstumsfuge nach hinten und nach unten. Da aber die Femurepiphyse durch das Lig. capitis femoris in der Pfanne gehalten wird, rutscht tatsächlich die Schenkelhalsmetaphyse nach vorne und nach oben (Abb. 19.22 a,b). Insofern ist die Bezeichnung »Epiphysiolysis capitis femoris« irreführend, da anatomisch gesehen nicht die Epiphyse von der Metaphyse sondern die Metaphyse von der Epiphyse abgleitet. Es resultiert eine Varusstellung und eine Retrotorsion der Epiphyse im Verhältnis zum Oberschenkelhals. Die ECF stellt aus mehreren Gründen ein einzigartiges Geschehen dar. Sie tritt ausschließlich während des pupertären Wachstumsschubes auf, eine endokrine Beteiligung ist wahrscheinlich. Komplikationen in Form einer avaskulären Nekrose oder einer Chondrolyse führen zur frühzeitigen Abnutzung der Hüfte und sollten um jeden Preis vermieden werden. Es ist nicht sicher geklärt, ob diese Komplikationen als Folge des primären Gleitvorgangs (Ausmaß des Abrutsches) oder als Behandlungsfolge (Reposition) zu sehen sind. Schließlich ist die Entität weder so häufig, dass eine große Anzahl gesehen wird, noch so selten, dass nicht gelegentlich der eine oder andere Fall zu behandeln ist. Der typische Patient mit ECF ist der groß gewachsene fettlei-
Ursache und Häufigkeit Die Ätiologie der ECF ist noch nicht völlig geklärt.Während der Pubertät scheinen mehrere Faktoren zusammen zu kommen, die als multifaktorieller Komplex die Ursache der Erkrankung darstellen. Es treten biochemische Veränderungen der Wachstumsplatte auf, die zur Gefügelockerung führen. Obwohl die ECF im Rahmen von endokrinen Erkrankungen wie Hypothyreoidismus, Wachstumshormonbehandlung, renaler Osteodystrophie u. a. auftreten kann, handelt es sich in den meisten Fällen um eine so genannte »idiopathische ECF«. In der Regel sind die Patienten größer und schwerer als ihre Altersgenossen. Hormonelle Veränderungen, die während des Wachstumsschubes in der Pubertät auftreten, spielen eine bedeutende Rolle. Wachstumshormone führen zu einer erhöhten Aktivität der Wachstumszone und zur Erweiterung der Fuge. Testosteron vermindert die mechanische Belastbarkeit, Östrogene führen zur Festigung der Fuge (Weiner et al. 1984). Darin mag die Ursache dafür liegen, dass Mädchen nach Eintritt der Menarche seltener von einer ECF betroffen sind. Die Veränderungen an der Epiphysenplatte betreffen in erster Linie die hypertrophe Zone, die verdickt ist und Störungen im Aufbau der Kollagenvernetzung zeigt. Aber auch in der proliferativen Zone zeigen sich morphologische Veränderungen (Agamanolis et al. 1985 a,b). Bei beiden Regionen ist aber nicht letztendlich geklärt, ob diese Veränderungen die Ursache oder die Folge der Epiphysiolyse darstellen. Bei Patienten mit ECF werden auch anatomische Besonderheiten beobachtet. Diese sind neben der Adipositas 쐌 die verminderte Antetorsion (relative Retroversion) des Schenkelhalses, 쐌 die vermehrte Schrägstellung der Wachstumsfuge und 쐌 die tiefere Einstellung des Hüftkopfes im Acetabulum.
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b
Abb. 19.22 a,b. Schematische Darstellung der ECF: Abrutschen der Metaphyse von der Epiphyse mit Dislokation nach vorne und oben
19.3 Epiphysiolysis capitis femoris
Im Vergleich zu Gleichaltrigen ist die Antetorsion des Schenkelhalses bei ECF-Patienten vermindert. Zusammen mit der am Ende des Wachstums auftretenden Schrägstellung der Fuge entsteht eine mechanisch ungünstige Stellung der Epiphysenfuge mit Hauptbelastungsrichtung nach hinten unten (Pritchett u. Perdue 1988). Je tiefer der Hüftkopf in der Gelenkspfanne zentriert ist, desto höher sind die Scherkräfte an der Epiphysenfuge. Bei Patienten mit ECF wurden tiefere Acetabulae gemessen als bei der gesunden Kontrollgruppe (Kitadai et al. 1999). Das Ungleichgewicht zwischen den erhöhten Scherkräften und der hormonell bedingten verminderten Festigkeit der Wachstumsfuge führt in 60–85% zu einem chronischen schleichenden Abrutschen, der ECF lenta (Abb. 19.23). Da die ECF lenta klinisch stumm oder symptomarm verlaufen kann, vergehen oft Monate bis zur Diagnosestellung. Es kommt zu Remodeling-Vorgängen an der Metaphyse, die, auf dem Röntgenbild deutlich erkennbar, auf den schon längeren Krankheitsverlauf bis zur Diagnosestellung hinweisen. Das akute Abrutschen, ECF acuta, ist selten und imponiert wie eine Oberschenkelhalsfraktur. Häufiger tritt ein akutes Abrutschereignis aber im Rahmen einer vorbestehenden chronischen ECF auf. Dies wird als akut-auf-chronisch bezeichnet. Die Epiphyse steht in Relation zum Schenkelhals meist hinten, unten und medial. Dementsprechend entwickeln sich mit zunehmendem Abrutschen eine Außenrotationsfehlstellung und Beinverkürzung. Bei stärkerem Abrutschen ist auch die Hüftbeugung eingeschränkt, da die anterior prominente Metaphyse am vorderen Pfannenrand anstößt (Abb. 19.24). Die ECF ist die häufigste Hüfterkrankung im Jugendalter. Die Literaturangaben zur Prävalenz schwanken zwischen 2 und 10 pro 100.000 Jugendlichen. Offensichtlich gibt es Rassenunterschiede, afroamerikanische Jugendliche sind am häufigsten betroffen. Die typische Altersspanne ist das Jugendalter zwischen 9 und 16 Jahren. Der Median des Erkrankungsalters der Mädchen liegt bei 12 Jahren, der der Jungen
Abb. 19.23. Chronische ECF. Retroversion des Oberschenkelhalses, scheinbare Verbiegung durch »remodeling« der Metaphyse
Abb. 19.24. ECF akut auf chronisch: Impingement der Metaphyse am vorderen Pfannerand
bei 13,5 Jahren. Das Geschlechtsverhältnis Jungen zu Mädchen beträgt in Mitteleuropa ungefähr 3:1. Im eigenen Patientengut fand sich unter 50 ECF bei 46 Kindern eine Geschlechtsrelation von 3,2:1 zu Gunsten der Jungen. Mindestens die Hälfte der Betroffenen liegt mit ihrem Gewicht über der 95. alterskorrelierten Perzentile (Loder et al. 2000). In unseren Breiten wird die ECF häufiger im Sommer und Herbst diagnostiziert. Dies kann mit saisonalen Wachstumsschüben oder mit saisonbedingter erhöhter körperlicher Aktivität zusammenhängen (Maffulli u. Douglas 2002). Die Prävalenz der Erkrankung der Epiphyse der anderen Seite wird mit 50–80% angegeben, wobei sie sich meist innerhalb eines Zeitraums von 18 Monaten nach der Erkrankung der ersten Hüfte manifestiert (Hurley et al. 1996; Loder 1996; Loder et al. 2000). Entwicklung und Wachstum In der 4. Schwangerschaftswoche treten am Embryo die Extremitätenanlagen auf. Die Beinanlage ist eine Ausstülpung der unsegmentierten anterolateralen Leibeswand in Höhe des lumbosakralen Übergangs. Sie besteht aus lockerem mesenchymalen Gewebe, das von einer Ektodermalhülle umgeben ist. Eine Verdickung am distalen Ende der Beinknospe wird als Randleiste oder »apical ektodermal ridge« bezeichnet. Diese induziert das weitere Wachstum und die Differenzierung der Beinanlage. Die Entwicklung geht von proximal nach distal. Im Zentrum der Extremitätenanlagen verdichtet sich das Mesenchym, aus welchem später die Skelettelemente des Beins gebildet werden. Dabei differenzieren Mesenchymzellen zu Chondroblasten. Zwischen der 5. und 7. Embryonalwoche sind die ersten Knorpelanlagen vorhanden.
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Kapitel 19 Hüfte
Die 3 Hüftanlagen (Ilium, Pubis und Ischium) einer Seite sind jeweils zu einem Hemipelvis verschmolzen, wobei die Verschmelzungsstelle das flache Acetabulum bildet. Die proximale Femuranlage ist noch durch Bindegewebe vom Acetabulum getrennt. Dieses Gewebe entwickelt sich zur Gelenkkapsel und dem Lig. capitis femoris. In der 7. Embryonalwoche findet auch die Extremitätendrehung statt, dabei wird die obere Extremität 90° nach außen und die untere 90° nach innen gedreht. Darin liegt die Ursache für die Anteversion des Femurs und die Retroversion des Humerus. Mit der 8. Embryonalwoche ist die frühe Entwicklung des Hüftgelenks abgeschlossen. Alle Gelenkbestandteile wie Gelenkkörper, Gelenkhöhle, Gelenkkapsel, das Labrum acetabulare und Lig. capitis femoris sind ausgebildet. Die Verknöcherung der am proximalen Femur beteiligten Knorpelanlagen findet von der Fetalperiode bis weit über die Geburt hinaus statt. Der Femurschaft ist bereits ab der 7. Embryonalwoche teilweise verknöchert. Um die 12. Schwangerschaftswoche ist die Schaftverknöcherung abgeschlossen. Der Kopfkern entsteht erst nach dem 6. Lebensmonat. Als Rest des knorpeligen Oberschenkelknochens sind nur mehr die Apophysen der Trochanteren, die Wachstumsfuge des Schenkelhalses sowie der Gelenknorpel übrig. Am Ende der Embryonalperiode ist das Lig. capitis femoris stark vaskularisiert, und Gefäßkanäle durchziehen den Knorpel des Femurkopfes. Erst im 6. bis 10. Lebensmonat entsteht aus diesen Gefäßen das sekundäre Ossifikationszentrum des proximalen Femur. Am proximalen Femur unterscheidet man intra- und extraossäre Gefäßsysteme, wobei die letztgenannten wieder in intra- und extrakapsuläre unterteilt werden. Die Gefäßversorgung des Femurkopfes erfolgt bei Kindern aufgrund der Barriere der Wachstumsfuge über funktionelle Endarterien. Diese sind durch Verletzungen (SH-Fraktur), Entzündungen (Osteomyelitis) und andere Irritationen (Morbus Perthes, ECF) gefährdet. Aus diesem Grund sind avaskuläre Nekrosen in dieser Region nicht selten. Die Wachstumsfugen am proximalen Femur schließen sich zwischen 15. und 18. Lebensjahr. Klassifikation und Prognose Die klinisch wichtigste Einteilung ist die in stabil und instabil. Instabil heißt, dass das Kind das betroffene Bein aufgrund der Schmerzen nicht belasten kann. Diese akuten instabilen Formen haben ein höheres Risiko, eine Durchblutungsstörung zu entwickeln. Hierunter zählen die akute und die akut-auf-chronische Verlaufsform der ECF. Die ECF lenta ist stabil, das Kind hinkt, kann aber belasten (Tabelle 19.5). Früher wurde das Ausmaß des Abrutschens in Zentimetern gemessen. Mittlerweile wird eine Einteilung in Abrutschgrade bevorzugt.
Tabelle 19.5. Einteilung der ECF entsprechend des klinischen Erscheinungsbildes Stabil (ECF lenta)
Gehfähig, evtl. Schonhinken oder Verkürzungshinken Instabil (ECF acuta, Nicht gehfähig, schmerzhafte BeweECF akut-aufgungseinschränkung, Hüftgelenkerguss chronisch)
쐌 Als geringes Abrutschen (Grad 1) bezeichnet man den Abrutschwinkel <30°, 쐌 als mäßiges/mittleres Abrutschen (Grad 2) den zwischen 30° und 60° und 쐌 als schweres Abrutschen (Grad 3) den Abrutschwinkel >60° in der Lauenstein-Aufnahme. Die Prognose der unbehandelten ECF ist abhängig von der Progredienz und vom Ausmaß des Abrutschens und der Entwicklung einer sekundären Arthrose im Erwachsenenalter. Das Risiko des weiteren Abrutschens ist schwer zu bestimmen. Es bleibt bestehen, solange die Wachstumsfugen noch offen sind. Patienten mit akuten Episoden haben ein höheres Risiko für eine Progredienz des Abrutschens (Carney u. Weinstein 1996; Ordeberg et al. 1984). Ob subklinische oder milde Formen der ECF zu einer sekundären Arthrose führen, wird weiterhin kontrovers diskutiert (Goodman et al. 1997; Loder 1996). Man kann davon ausgehen, dass etwa 30% aller Epiphysiolysen nicht entdeckt werden (Hägglund et al. 1984; Jerre et al. 1996). Nachdem von einigen Autoren Verformungen des Hüftkopfes (»pistol-grip deformity«) bei Arthrosepatienten als Residuen einer subklinischen Epiphysiolyse angesehen wurden (Stulberg et al. 1975), wurde nachgewiesen, dass Arthroseumbauvorgänge ähnliche Deformitäten zur Folge haben können wie eine milde Epiphysiolyse (Resnick 1976). Die Arthroseentwicklung korreliert mit der Schwere des Abrutschens (Carney u. Weinstein 1996; Carney et al.1991; Loder et al. 2000; Weinstein 2000). Darüber hinaus wird der Verlauf der Erkrankung durch 2 mögliche Komplikationen beeinflusst. Die avaskuläre Knochennekrose der Epiphyse kann beim akuten Abrutschen oder im Rahmen von Repositionsmanövern auftreten. Die Chondrolyse des Hüftkopfes tritt fast nur im Zusammenhang mit chirurgischen Interventionen auf. Sowohl die avaskuläre Knochennekrose als auch die Chondrolyse sind schwerwiegende Komplikationen, die in jedem Fall zu einem Desaster für die Hüfte führen (Jofe et al. 2004; Schultz et al. 2002). Diagnostik Die Anamnese und gründliche Untersuchung sind der Schlüssel zur frühen Diagnosestellung. Nach wie vor vergehen aber bisweilen Monate bis die Pathologie erkannt wird. Dies ist dadurch bedingt, dass die anfänglichen Beschwerden der ECF lenta von Patienten, Eltern
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19.3 Epiphysiolysis capitis femoris
und Ärzten nicht dem Hüftgelenk zugeordnet werden und deshalb das Hüftgelenk erst gar nicht untersucht wird (Ledwith u. Fleisher 1992). Klinisch Der typische Patient ist groß gewachsen und adipös. Sehr häufig äußert er belastungsabhängige Schmerzen im Oberschenkel- oder Kniebereich, seltener Schmerzen in der Hüfte oder Leiste. Bei fortgeschrittenem Abrutschen findet sich ein außenrotiertes verkürztes Bein und ein Verkürzungshinken. Das so genannte Drehmannzeichen beschreibt die zwangsläufige Außenrotation bei Beugung im Hüftgelenk (Abb. 19.25 a–c). Die Hüfte zeigt eine eindeutige Einschränkung der Innenrotation. Die Untersuchung der Hüftrotation sollte routinemäßig auch in Bauchlage durchgeführt werden, um die Rotationseinschränkung der Hüfte in Streckung besser beurteilen zu können. Besteht ein akutes Abrutschen ist das Kind nicht gehfähig. Durch den begleitenden Hüftgelenkerguss ist die Bewegungseinschränkung noch eindrücklicher, es imponieren starke Schmerzen wie bei einer Fraktur.
Röntgen Bei unklaren Beschwerden im Hüft-, Oberschenkeloder Kniebereich sollte im Adoleszentenalter eine Beckenübersichtsröntgen- und eine Lauenstein-Aufnahme beider Hüften angefertigt werden. Mildes Abrutschen ist in der a.-p. Projektion schwer zu erkennen. Durch die nach hinten verkippte Epiphyse entsteht in der Metaphyse eine Doppellinie (»metaphyseal blanch sign«; Steel 1986). Die Klein-Linie (Klein et al. 1952) wird entlang der Oberkante des Oberschenkelhalses gezogen und schneidet im Normalfall die gesunde Hüftkopfepiphyse. Beim Abrutschen nach posterior und medial trifft diese Linie den Hüftkopf nicht mehr (Abb. 19.26). Zur Darstellung der zweiten Ebene wird meist eine axiale Aufnahme nach Lauenstein angefertigt. In Rückenlage werden die Oberschenkel abduziert, die Knie gebeugt und die Füße mit dem lateralen Fußrand am Tisch belassen. (Froschbeinaufnahme). Diese Aufnahme ist einfach durchzuführen und erlaubt eine gute Abschätzung des Abrutschgrades auch bei schmerzhafter Hüfte. Auch wenn nur eine Hüfte schmerzt, sollten immer beide Hüften geröntgt werden. Es wird die Abweichung der Epiphysenlinie von der Senkrechten zur Femurachse in Grad gemessen. Normalerweise beträgt der Winkel etwa 0° (Santili et al. 2004; Southwick 1967). Da Antetorsion und Drehung der Hüfte in der Lauenstein-Aufnahme nicht standardisiert sind, sollte ein aufnahmebedingter Messfehler durch Beurteilung der »gesunden« Seite abgeschätzt werden.Vorsicht ist natürlich bei der Beurteilung einer beidseitigen ECF geboten (Abb. 19.27). Sonographie Der Nachweis eines Hüftgelenkergusses ist im klinischen Alltag die Domäne der Sonographie. Außerdem lassen sich eine Aufweitung der Wachstumsfuge und eine Stufe zwischen Metaphyse und Epiphyse nachweisen. Dopplersonographisch können Blutgefäße bis zur Epiphyse verfolgt werden, die Durchblutung des Knochens lässt sich aber nicht beurteilen. Magnetresonanztomographie In der MRT können ein Erguss im Hüftgelenk, eine Dislokation oder Aufweitung der Wachstumsfuge ebenfalls dargestellt werden. Zusätzlich erlaubt die Signalgebung und Kontrastmittelaufnahme der Epiphyse eine Einschätzung der Durchblutung. Sowohl die MRT als auch die CT erlauben eine dreidimensionale Darstellung der Abrutschverhältnisse, das konventionelle Röntgen ist aber für Diagnostik und Therapieplanung ausreichend.
Abb. 19.25 a–c. Drehmann-Zeichen. a Unwillkürliche Außenrotation bei Beugung der rechten Hüfte. b Ungestörte Flexion der linken Hüfte. c Außenrotationsfehlstellung der rechten Hüfte
Szintigraphie Die Szintigraphie eignet sich zur Beurteilung der Perfusion der Epiphyse. Eine Durchblutungsstörung ist in der Regel nur bei akutem Abrutschen oder Repositionsmanövern zu erwarten. Hier eignet sich die Szintigraphie auch zur Verlaufskontrolle. Eine Mehrspeicherung
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Kapitel 19 Hüfte Abb. 19.26. Klein-Linie (gelbe Linie): Linie entlang der Oberkante des Schenkelhalses schneidet den gesunden linken Hüftkopf, nicht aber den abgerutschten rechten
Abb. 19.27. Bestimmung des Abrutschwinkels: Abweichung des Epiphysenwinkels von der Senkrechten auf den Schenkelhals in der Lauenstein-Aufnahme (hier etwa 45°)
in der Szintigraphie bei normalem Röntgenbild kann auf eine drohende Epiphysiolyse hinweisen. Therapie Unbehandelt droht ein Fortschreiten der ECF mit Verschlechterung der Prognose. Die avaskuläre Nekrose aber auch die seltener auftretende Chondrolyse wurden in erster Linie in Verbindung mit dem operativen Eingreifen gebracht (Fallath u. Letts 2002; Jofe et al. 2004; Loder et al. 2000). Daher ist der oberste Grundsatz bei der Therapie, diese beiden Komplikationen zu vermeiden und keinen weiteren Schaden zu verursachen. Es wird vermutet, dass das Repositionsmanöver durch eine zusätzliche Schädigung der Gefäße die Entstehung einer avaskulären Nekrose mit verursacht. Die Stabilisierung der erkrankten Hüfte in situ und die prophylaktische Stabilisierung der kontralateralen Hüfte haben sich daher als Behandlungskonzept allgemein etabliert. Die Perforation des Gelenks während der Operation, vor allem aber die intraartikuläre Lage von Osteosynthese-
material kann eine Chondrolyse verursachen. (Carney u. Weinstein 1996; Hurley et al. 1996; Kocher et al. 2004; Schultz et al. 2002; Weinstein 2000). In den letzten 15 Jahren ist aus diesen Gründen ein zunehmend vorsichtigerer Zugang zur operativen Stabilisierung propagiert worden, bei dem auf jeden Repositionsversuch verzichtet und nur eine Verschraubung in der Fehlstellung durchgeführt wird (Goodman et al. 1996; Loder et al. 2000). Nachdem sich Kirschner-Drähte als weniger stabiles und komplikationsträchtigeres Fixationsmaterial herausgestellt haben, wird jetzt allgemein eine Schraubenfixation propagiert. Die Verschraubung ist entsprechend dem heutigen Standard am besten minimal-invasiv, also perkutan durchzuführen. Eine zentrale Schraube ist sowohl im Hinblick auf die Durchblutung des Schenkelhalses als auch auf die Perforationsgefahr des Hüftgelenks vorteilhaft. Sie sollte ein kurzes Gewinde haben, um als Zugschraube in der Epiphyse wirken zu können. Die Schraube sollte ausreichend stabil sein, um bei instabiler ECF zumindest eine Teilbelastung zu ermöglichen. Wir verwenden die Schraube der Firma I.T.S. (Implant-Technologie-Systeme, Lasnitzhöhe, Österreich). Der groß dimensionierte Schraubenkopf soll ein knöchernes Einmauern der Schraube verhindern und bietet außerdem die Möglichkeit, die Schraube auch wieder von einer Stichinzision aus perkutan entfernen zu können. Soll bei sehr jungen Patienten das weitere Wachstum erhalten werden, kann eine längere Schraube gewählt werden, die dann am Trochanter übersteht, im Sinne einer dynamischen Verschraubung (Hackenbroch et al. 2002). Operationsttechnik der perkutanen Verschraubung bei ECF 쐌 Instrumentelle Voraussetzung: Extensionstisch sowie 2 Bildwandler. 쐌 Vorbereitung: Der Patient wird auf dem Extensionstisch gelagert, und 2 Bildverstärker werden so eingerichtet, dass das proximale Femurende in 2 Ebenen gesehen werden kann. Die Bildverstärker sind so zu stellen, dass die Röntgenröhren jeweils oben und innen stehen, um die Operationsmannschaft möglichst vor Strahlen zu schützen. Der Pa-
19.3 Epiphysiolysis capitis femoris
쐌
쐌
쐌
쐌
tient wird mit nur angedeutet innenrotiertem Bein auf dem Extensionstisch gelagert. 1. Schritt: Ein freier Kirschner-Draht wird über der Leiste parallel und zentral zum Schenkelhals unter Bildwandlerkontrolle in der a.-p. Ebene an der Haut mit einem Klebestreifen fixiert. Dieser Draht legt die Mitte des Schenkelhalses und damit alle möglichen Idealpunkte der einzubringenden kanülierten Schraube fest (Abb. 19.28 a,b). 2. Schritt: Unter Bildwandlerkontrolle in der seitlichen Ebene wird der Punkt am Zentrum des Schenkelhalses festgelegt, der eine Einbringung ins Zentrum der Femurkopfepiphyse von vorne nach hinten ermöglicht (je größer das Abrutschen des Femurkopfes, desto weiter ventral liegt der Eintrittspunkt und desto steiler muss der Kirschner-Draht in der Sagittalebene gewählt werden). 3. Schritt: Einbringen des Führungsdrahtes unter Bildwandlerkontrolle zentral in die Femurkopfepiphyse bis etwa 1 cm vor dem Gelenksspalt – das ist notwendig, um sicher zu sein, dass der Führungsdraht nicht bei der Einbringung der Lochschraube ins Gelenk vorgetrieben wird. 4. Schritt: Mit Hilfe des Messgerätes ist es möglich, die Länge der passenden Hohlschraube zu bestimmen. Das Ende des Schraubengewindes sollte einen Sicher-
Abb. 19.28. a Auf den Schenkelhals aufgeklebter Kirschner-Draht als radiologische Zielhilfe zur korrekten zentrierten Platzierung der Schraube. b Projektion des Kirschner-Drahtes unter Bildwandler
Abb. 19.29. Eindrehen der Hohlschraube über den Führungsdraht ins Zentrum der Epiphyse
heitsabstand von 0,5 cm vom Gelenkspalt aufweisen, und alle Gewindegänge sollten in der Epiphyse liegen. 쐌 5. Schritt: Einschrauben der Hohlschraube über den Führungsdraht unter Bildwandlerkontrolle in beiden Ebenen (Abb. 19.29). 쐌 Letzter Schritt: Bewegungskontrolle, darauf achten, ob eine Schraube im Gelenk liegt, Bildwandlerkontrolle in Bewegung. Verschraubung der nichtabgerutschten Seite. Zuerst werden die 2 Bildverstärker eingerichtet. 쐌 1. Schritt: Ein Kirschner-Draht wird parallel und zentral zum Schenkelhals in der Leiste festgeklebt. 쐌 2. Schritt: Parallel zum ersten Kirschner-Draht in der Frontalebene wird ein Führungsdraht durch die Haut zum Tuberculum innominatum vorgebracht; Bildwandlerkontrolle im seitlichen Strahlengang. 쐌 3. Schritt: Vorbohren des Führungsdrahtes in die Femurkopfepiphyse wiederum bis 1 cm vor den Gelenkspalt. Abmessen und einbringen der Schraube unter Bildwandlerkontrolle. Auch hier sollte man sicher sein, dass die Schraube nicht intraartikulär liegt (Abb. 19.30 a,b). Nachbehandlung, Spätkomplikationen Nach Verschraubung einer stabilen ECF kann voll belastet werden. Nichtgehfähige Patienten mit einer instabilen ECF sollten für 6 Wochen Teilbelastung an Stützkrücken einhalten. In jedem Fall sollte physiotherapeutisch beübt werden, um möglichst viel Bewegungsfähigkeit wieder zu erlangen. Die Entscheidung über sekundäre Osteotomien hängt davon ab, ob sich durch Krankengymnastik und Remodeling ein ausreichendes Bewegungsausmaß wieder herstellen lässt. Aufgrund des erheblichen Potenzials zur Remodellierung wird an unserer Klinik mit der Entscheidung über eine Korrekturosteotomie meist bis zum Abschluss des Wachstums gewartet. Andere Autoren empfehlen bei entsprechendem Abrutschen schon ein früheres Eingreifen, da das hervorstehende meta-
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Kapitel 19 Hüfte
Literatur
Abb. 19.30 a,b. Perkutane Schraubenfixierung der abgerutschten und der gesunden Seite. a A.-p. Projektion. b LauensteinProjektion
physäre Ende des Femur zu einer frühen Knorpelschädigung am Acetabulum führen soll (Leunig et al. 2002). Die dreidimensionale intertrochantäre Osteotomie nach Weber-Imhäuser bringt die Epiphyse wieder in eine mechanisch günstigere Position in Relation zum Schenkelhals. Subkapitale Osteotomien sind technisch schwierig und bergen eine große Gefahr sekundärer Durchblutungsstörungen.
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Kapitel 20
Diaphysärer Oberschenkel
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W. Schlickewei, M. Seif el Nasr, A.-M. Weinberg
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671
In diesem Kapitel werden die Oberschenkelschaftfrakturen und die suprakondylären metaphysären Femurfrakturen behandelt. Epiphysenlösungen mit und ohne metaphysären Keil (Typ Salter-Harris I und II; Salter u. Harris 1963) stellen dabei die am weitesten peripher gelegenen metaphysären Schaftfrakturen dar. Die Frakturen am proximalen Femur (Schenkelhals- und pertrochantäre Frakturen) bilden eine eigene Entität und sind im Vorkapitel beschrieben. Die distalen epiphysären Frakturen (Typ Salter-Harris III und IV) und die knöcherne Bandausrisse am distalen Femur sind zu den Gelenkverletzungen zu zählen und werden im nächsten Kapitel besprochen. Bei den Schaftfrakturen sind 쐌 die subtrochantären Frakturen von den 쐌 »echten« Schaftfrakturen und diese wiederum von den 쐌 metaphysären nah der Fuge gelegenen Verletzungen zu unterscheiden. Obwohl die Oberschenkelschaftfraktur für Kind und Eltern eine dramatische Verletzung darstellt, heilen die meisten Frakturen schnell und komplikationslos aus. War bis in die 1970er Jahre die konservative Behandlung in Form von Extension (Overhead-Extension/WeberTisch) oder Gipsbehandlung (Becken-Bein-Gips = Spica-Gips) die Methode der Wahl (Saxer 1978), so haben sich seitdem zunehmend operative Alternativen (Plattenosteosynthese, Fixateur externe, elastisch-stabile intramedulläre Markraumschienung/ESIN und Marknagelung) etabliert (Ruedi u. Murphy 2003) und auch als kindgerechte Behandlungsformen erwiesen (Ogden 1999; Parsch 1997). Die einzelnen Verfahren haben im Laufe dieser Zeit eine unterschiedliche Wertigkeit durchlaufen. Diese Entwicklung erfolgte im Rahmen eines besseren Verständnisses für die Abläufe der Frakturheilung, aber auch unter den Aspekten der Verkürzung von Hospitalisationszeit, Steigerung des Patientenkomforts, Akzeptanz und nicht zuletzt auch Kostensenkung.
Ursache und Häufigkeit Oberschenkelschaftfrakturen einschließlich der subtrochantären und suprakondylären Frakturen machen etwa 1,6% aller Frakturen im Kindesalter aus (Landin 1983). Sie sind nach den Frakturen am Unterschenkel die häufigsten Verletzungen der unteren Extremität. Femurschaftfrakturen weisen 2 Altersgipfel auf: Der erste Gipfel liegt zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr, der zweite zwischen dem 14. und 17. Lebensjahr. Jungen sind wesentlich häufiger betroffen als Mädchen (Hedlund u. Lindgren 1986). Das kindliche Femur wandelt sich im Verlauf des Wachstums von einem zunächst weichen Gewebe in harten laminären Knochen mit einer deutlichen Zunahme der Kortikalisdicke. Diese anatomischen Gegebenheiten erklären den 1. Gipfel der Altershäufigkeit. Der 2. Häufigkeitsgipfel erklärt sich durch eine zunehmende Risikobereitschaft in der Adoleszenz, da der betroffene Knochen an sich keinen loco minoris resistentiae mehr darstellt. Im Kleinkindesalter tritt im Regelfall die Oberschenkelfraktur als Monotrauma auf. Ist das betroffene Kind 2 Jahre oder jünger, so liegen laut Literatur in bis zu 80% der Fälle Folgen einer Kindesmisshandlung vor (Anderson 1982; Silvermann 1987). Exakte Zahlen hierzu existieren für den deutschen Sprachraum nicht. Der zweite Altersgipfel, zwischen 14 und 17 Jahren, wird durch Hochrasanzverletzungen wie Verkehrsunfälle oder Sturz aus größerer Höhe verursacht, aber auch durch direkte Traumen beim Sport, z. B. beim Ski- und Schlittenfahren (Jawadi u. Letts 2003). Pathologische Oberschenkelfrakturen im Kindesalter sind selten. Sie sind entweder Ausdruck einer generalisierten Knochenerkrankung (z. B. Osteogenesis imperfecta, Zustand nach Chemotherapie) oder einer lokalen Veränderungen (z. B. beim Vorliegen juveniler Knochenzysten; Wedin 2001; Abb. 20.1 a–c). Stellt sich ein Kind ohne adäquates Trauma vor und lässt sich eine Kindesmisshandlung ausschließen, besteht der Verdacht auf eine Osteogenesis imperfecta. Diese kann jedoch nicht immer radiologisch erkannt werden. Bei entsprechendem Verdacht wird die Krankheit durch eine Hautbiopsie und Kollagenuntersuchung diagnostiziert; es gibt unterschiedliche Subtypen (Forlino et al. 1997; Luhmann et al. 1998; Schickedanz u. Zwacka).
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.1. a Pathologische subtrochantäre Fraktur, rechter Femur, bei einem 6-jährigen Mädchen mit einer juvenilen Knochenzyste. b Versorgungsbild mit Spongiosa-/Apatitplastik. c Kontrollbild 3 Monate später
In diesem Zusammenhang ist die Stressfraktur in der Adoleszenz zu erwähnen, da diese ebenfalls keine adäquate Traumanamnese aufweist. An diese muss vor allem bei sportlichen Kindern gedacht werden. In der Frühphase lässt sich dies in der MRT darstellen. »Bonebruise-Verletzungen«, die diagnostiziert werden, sind ernst zu nehmende Läsionen des Knochenmarks, die auch Ausdruck eines Ermüdungsbruches sein können und in jedem Fall therapeutisch durch Schonung, Entlastung oder kurzfristige Gipsruhigstellungen therapiert werden müssen, auch wenn die eigentliche Kortikalis noch intakt ist (Snearly et al. 1996). Als seltene Oberschenkelschaftfraktur wird die Grünholzfraktur der distalen medialen Femurmetaphyse beschrieben. Sie tritt z. B. auf, wenn ein Erwachsener mit einem Kind im Arm stürzt, während das Kind seine Beine um die Hüfte des Erwachsenen geschlungen hat. Es ist wichtig, diesen Frakturtyp, der vor allem bei Kleinkindern beobachtet wird, zu erkennen, da er nicht als Folge einer Kindesmisshandlung fehlgedeutet werden darf (Kasser 1996). Die typische Frakturform für die Kindesmisshandlung stellt der distale metaphysäre Stauchungsbruch dar. Entwicklung und Wachstum Ossifikation Die Ossifikation des Femurs beginnt in der 7. Fetalwoche. Bei der Geburt existiert nur eine proximale femorale Wachstumszone. Der mediale Anteil entwickelt sich zur subkapitalen Fuge, der laterale Anteil zur Fuge des Trochanter major. In der proximalen Wachstumszone erscheint der Knochenkern um den 4. bis 7. Monat bei Mädchen und bei Jungen etwa 1–3 Monate später. Der Knochenkern des Trochanters major erscheint um das 4. Lebensjahr. Die proximale Femurfuge fusioniert knöchern um das 18. Lebensjahr, die trochantäre Wachstumsfuge bereits 2 Jahre eher (Canale u. Beaty 1996).
Die distale Wachstumsfuge zeigt bereits bei Geburt ihren typischen Kern, der sich bei Jungen erst spät um das 19. Lebensjahr verschließt, bei Mädchen bis zu 2 Jahre früher. 30% des Längenwachstums gehen vom proximalen Femur aus. Die distale Fermuepiphyse ist für 70% des Längenwachstums des Oberschenkels verantwortlich (Abb. 20.2 a,b). Spontankorrekturen Im Bereich des Oberschenkels können grundsätzlich alle Ebenen im Raum im weiteren Verlauf spontan korrigiert werden. Diese Korrekturen sind grundsätzlich altersabhängig. Nach dem 10. Lebensjahr sollten keine Achsabweichungen toleriert werden, weil die Potenz zur Achskorrektur deutlich nachlässt. Achsabweichung in der Frontalebene. Die Spontankorrekturen in diesem Bereich werden durch die Bewegungsebene und die dadurch wirksamen Muskeln beeinflusst. Am Oberschenkel werden Valgusfehlstellungen im weiteren Wachstum geringer korrigiert als Varusfehlstellungen. Zu bedenken ist, dass je weiter die Achsabweichung im Bereich des proximalen Drittels zu liegen kommt, desto langsamer die Korrektur erfolgt (v. Laer 2001; v. Laer et al. 1989). Besonders die proximalen Fehlstellungen in der Frontalebene haben Einfluss auf die Schenkelhalsstatik, daher sollten grundsätzlich keine Varus- oder Valgusachsabweichungen im Bereich der per- und subtrochantären Region dem Wachstum und damit der Spontankorrektur überlassen werden. Im Schaftbereich korrigieren sich Valgusabweichung sehr viel schlechter spontan. Derartige Achsabweichungen können die Knieachse beeinflussen, wenn die Werte 20° und mehr betragen. Unterhalb des 10. Lebensjahres kann die Spontankorrektur abgewartet werden, bei Kindern über dem 10. Lebensjahr kann aus funktionellen Gründen dann eine Frühkorrektur notwendig werden.
!
Diaphysärer Oberschenkel Epiphysis marginalis 16–22. J.
Epiphysis marginalis 13.–15.J. Spina ischiadica 17.–18. J. Os ilium ab. 3. EM.
Spina iliaca ant. inf. ab 16. J.
Caput femoris ab 10. M.
Epiphyses acetabuli 10.–13.J.
Trochanter major ab 3. J. Trochanter minor ab 11. J.
Trochanter major 16.–20. J.
Spina iliaca ant. inf. 16.–17. J. Pfanne 13.–14. J. Tuberculum pubicum 20 J. Os pubis 18. J. Epiphyses acetabuli 18.J. Angulus pubis 20.–21. J.
Epiphysis acetabuli pubica 10.–13.J. Tuberculum pubicum ab 16. J. Os pubis ab 6. EM. Angulus pubis 18.–20. J. Os ischii 4.–5. EM. Tuber ischiadicum 13–15 . J.
SSynostosis ynostosis ynost osis ischiopubica ischiopubica 4.–6. J. Tuber ischiadicum 21.–24. J. Trochanter minor 16.–20. J.
Diaphysis femoris 6. EW.
Epiphysis distalis ab 9. EM. bis Geburt
Epiphysis distalis 19.–20. J.
Patella ab 3. J.
a
Patella 10. –11. J.
b
Abb. 20.2. a Zeitpunkt des Auftretens der Ossifikationskerne an Femur und Hüfte. b Zeitpunkt des Fugenschlusses an Femur und Hüfte
Achsabweichungen in der Sagittalebene. Verbliebene Achsabweichungen in der Sagittalebene – der Bewegungsebene – kommen im diaphysären Bereich am meisten als Antekurvationsstellungen vor; diese werden im Laufe des Wachstums im Schaft (Diaphyse) maximal bis zu einem Bereich von 10–15° verringert. Metaphysär gelegene Frakturen können auch bis zu 25° ausgleichen (Weinberg et al. 2002). Rekurvationsstellungen sind äußerst selten anzutreffen. Daher kann das Ausmaß der möglichen Spontankorrektur nicht exakt beurteilt werden.
Antekurvationsfehlstellungen sollten 20° bis zu einem Alter von 5–6 Jahren nicht überschreiten, da dann keine vollständige Reduktion mehr erwartet werden kann und eine Korrektur durch weiteres Wachstum unsicher bleibt. Jenseits des 4. Lebensjahres ist eine Korrekturosteotomie bei funktionellen Beschwerden indiziert (Grill et al. 1990; Abb. 20.3 a–d). Seit-zu-Seit-Verschiebungen, Verkürzungs-Verlängerungs-Fehlstellungen. Seit-zu-Seit-Verschiebungen können noch bis ins jugendliche Alter korrigiert werden.
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Abb. 20.3 a–d. Spontankorrektur einer Achsenfehlstellung in der Sagittalebene im distalen Femur. a Unfallbild einer distalen metaphysären Femurfraktur bei einem 6-jährigen Jungen. b Konservative Behandlung mit einem Oberschenkelgips. c Ausheilungsbild
nach 4 Wochen mit einer Antekurvationsfehlstellung von 25°. d Nachuntersuchung mit 13 Jahren aufgrund eines Traumas des gleichen Oberschenkels. Es zeigt sich ein vollständiges Remodeling der ehemaligen Fraktur
Diaphysärer Oberschenkel
Zu bedenken ist bei jedem prolongierten Remodeling, dass es gleichzeitig zu einem stimulativen Wachstumsreiz kommt und somit eine mögliche Beinverlängerung wahrscheinlicher wird. Verkürzungsstellungen können problemlos bis zum 10. Lebensjahr ausgeglichen werden. Sie sind insgesamt selten isoliert anzutreffen. Daher ist neben der Verkürzung meist auch eine Seit-zu-Seit-Verschiebung größeren Ausmaßes oder gar eine Achsabweichung vorhanden. Dies alles bedingt ein vermehrtes Remodeling mit stattfindender Überkompensation (Verlängerung). Nach dem 10. Lebensjahr werden je nch Fugenreife Verkürzungsstellungen nicht mehr vollständig ausgeglichen. Eine Verlängerungsstellung in der Initialbehandlungsphase (6 Wochen) ist nur iatrogen oder seltener als Folge von Extension bei Nagelung anzutreffen. Diese wird im weiteren Verlauf nicht mehr korrigiert und sollte daher vermieden werden. Rotationsfehler. Über den Rotationsfehler am Oberschenkel wird immer wieder in der Literatur und auch auf Symposien heftig diskutiert. Von Laer (1977) und auch andere Autoren (Brouwer 1981; Oberhammer 1980; Verbeek 1979) konnten in mehreren Arbeiten klinisch und radiologisch nachweisen, dass eine Antetorsionsdifferenz des Schenkelhals im weiteren Wachstum zumindest bis ins Schulalter ausgeglichen werden kann. Ein Außenrotationsfehler des distalen Fragments führt zu einer verminderten Antetorsion der betroffenen Seite. Der Innenrotationsfehler führt umgekehrt zu einer vermehrten Antetorsion der betroffenen Seite. Der Antetorsionswinkel ändert sich im Verlauf des Wachstums: von anfänglich 40–50° bei Geburt auf 10–15° bei Wachstumsabschluss. Besteht eine Außenrotationsstellung, also verminderte Antetorsion, wird diese physiologische Detorsion vorweggenommen. Bei einer Innenrotationsfehlstellung kommt es zu einer vermehrten Torsion. Die physiologische Detorsion der Schenkelhälse hat 2 Gipfel, zum einen zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr, zum anderen präpubertär. Von Laer geht davon aus, dass bis zum 10. Lebensjahr (v. Laer 2001; v. Laer et al. 1989), Buchholz, dass bis zum Schulkindalter der Rotationsfehler spontan korrigiert werden kann (Buchholz et al. 2002). Tabelle 20.1. Ausmaß der möglichen Spontankorrektur am Oberschenkel bezogen auf die Frakturhöhe
Femur proximal Femurschaft Femur distal
Korrekturbedürftige Rotationsfehler sind generell selten. Aufgrund der zweigipfligen Detorsionsvorgänge am Schenkelhals sollte bis zum definitiven Wachstumsabschluss abgewartet werden. Ausnahme bilden Rotationsfehler >25°, die zu Beschwerden führen. Hier kann eine frühe Korrektur indiziert sein. Tabelle 20.1 fasst die Korrekturmöglichkeiten am Femur zusammen. Klinische Messung der Torsion am Oberschenkel. Die klinische Messung des Rotationsfehlers nach Abheilung der Oberschenkelfraktur sollte bei jeder Nachuntersuchung durchgeführt werden. Hierzu liegt der Patient auf dem Bauch, parallel zur Unterlage, die Beine liegen ebenfalls parallel. Der Patient beugt die Knie um 90°. Anschließend tastet der Untersucher den Trochanter major und dreht den Oberschenkel so lange nach außen, bis der Trochanter major parallel zur Unterlage steht. Der Winkel zur Senkrechten und dem nach außen gedrehten Unterschenkel gibt mit einer Messfehlerbreite von 10° den Antetorsionswinkel an. Die Differenz zur Gegenseite ist das Ausmaß des Rotationsfehlers (Abb. 20.4 a–d). Bei klinischen Studien ist darauf zu achten, dass grundsätzlich bei etwa 20% der Kinder eine physiologische (idiopathische) Antetorsionsdifferenz in einem Ausmaß von bis zu 20° anzutreffen ist (v. Laer 2001). Verbunden mit körperlichen Entwicklung kommt es auch zu altersspezifischen Torsionsdifferenzen des Schaftes , die in die Berechnungen einbezogen werden müssen (Keppler u. Kinzl 1999; Keppler et al. 1999 b). Klinischer Hinweis Daher gelten persistierende Antetorsionsdifferenzen >20° als definitive Rotationsfehler. Nur diese scheinen erhebliche Beschwerden zu verursachen und zu Spätfolgen zu führen und sind primär unbedingt in jedem Alter zu vermeiden (Weber 1961).
Dementsprechend findet sich in der Literatur keine Arbeit, die über einen hohen Prozentsatz an Korrekturoperationen bei zuvor konservativ behandelten Oberschenkelfrakturen – der Therapie der Wahl bis weit in die 1980er Jahre hinein – berichtet (v. Laer 2001).
Keine spontane Korrektur
Langsame Korrektur
<10 Jahre
>10 Jahre
<10 Jahre
>10 Jahre
X, RK, AK X, AK>20°, IRF dist. FX IRF distales Fx
O, X, RK, AK X, AK<20°, IRF dist. Fx AK, RK, IRF dist. FxX
O (>5 Jahre) RK?
Keine RK?, RF
O, X
O,
Fx = Fraktur, O = varus, X = valgus, RF = Rotationsfehler, IRF = Innenrotationsfehlstellung, dist = distal, AK = Antekurvation, RK = Rekurvation.
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>30°
bei Geburt
T 15°–30°
5.–7. Lebensjahr
10°–15° AT Wachstumsabschluss
c
d
Abb. 20.4 a–d. Bei der klinischen Messung des Rotationsfehlers ist darauf zu achten, dass der Trochanter major parallel zur Untersuchungsliege steht. Der Winkel senkrecht zum Unterschenkel gibt
den Torsionswinkel des Schenkelhalses wieder. Verminderte Antetorsion gegenüber der unverletzten Seite bedeutet einen Außenrotationsfehler, und damit klinisch einen Innenrotationsfehler
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Wachstumsstörungen Stimulative Wachstumsstörung. Beinlängendifferenzen sind als stimulativer Wachstumsreiz nach jeder Fraktur zu erwarten. Sollte jedoch die Differenz >2 cm betragen, so muss nicht das absolute Ausmaß der Längendifferenz bestimmt werden, sondern das Ausmaß unter der individuellen Wirbelsäulenstatik. Daher sind Beinlängendifferenzen mit der Brettchenmethode zu messen (Abb. 20.5 a–c). Grundsätzlich können 2 cm durch Sohlenausgleich korrigiert werden. Beinlängendifferenzen >2 cm können entweder durch eine intertrochantäre Verkürzungsosteotomie oder durch eine rechtzeitig durchgeführte Epiphysiodese auf der längeren Seite diminuiert werden. Heute wird auch die Kallusdistraktion auf der kürzeren Seite als Methode angewandt. Eine physiologische Beinlängendifferenz bis maximal 1,5 cm weisen etwa 25% der Bevölkerung auf (v. Laer 2001). Hemmende Wachstumsstörung. Eine der am meisten gefürchteten Komplikationen im Bereich des proximalen Femurs ist die Kopf- oder Halsnekrose. Sie ist Folge der iatrogenen Verletzung der Gefäße des koxalen Femurendes. Daher wurden die Nagelungen des Femurs, wie sie früher vorgenommen wurden, wieder verlassen. Diese Wachstumsstörung kann häufig nicht beeinflusst werden. Eine eventuelle Therapie richtet sich nach dem Ausmaß, der Lokalisation und Richtung der Deformität (ggf. ist eine subkapitale intratrochantäre oder Beckenosteotomie zur besseren Einstellung der Hüfte in die Pfanne zu planen).
Abb. 20.5 a–c. Beinlängendifferenzen werden funktionell mit der Brettchenmethode gemessen, wobei Taillendreiecke, die Richtung der Rima ani, die Stellung der Gesäßhälften und die Lendenwirbelsäule selbst vor und nach einem Längenausgleich beurteilt werden müssen
Die Folge von Wachstumsbeschwerden kann die Coxa valga sein, wie sie früher nach Marknagelung kindlicher Femurschaftfrakturen bei noch weit offenen Fugen beobachtet werden konnte (Ansorg u. Graner 1976). Die Coxa vara hingegen ist eher eine iatrogene Deformität – weniger die Folge einer Wachstumsstörung. Diese tritt auf bei primärer oder sekundärer Achsabweichung im Rahmen instabiler Osteosynthesen oder als Folge partieller oder totaler Pseudarthrosen. Die Schenkelhalsverkürzung ist eine seltene Wachstumsstörung, die den vorzeitigen Verschluss der proximalen Fuge nach sich zieht. Klinisch kann die Schenkelhalsverkürzung in einem positiven TrendelenburgGangbild imponieren, dann ist ggf. die Indikation zur Verlängerungsosteotomie zu stellen. Partielle oder totale Pseudarthrosen sind Folgen instabiler Osteosynthesen oder konservativer Behandlung dislozierter Frakturen. Sie sollten umgehend angefrischt und die Fragmentstellung sollte korrigiert und mit einer Plattenosteosynthese oder Marknagel ggf. mit Spongiosaanlagerung stabilisiert werden, sodass eine funktionelle Nachbehandlung möglich wird. Pseudarthrosen treten unterhalb des 6. Lebensjahres so gut wie nie auf. Der Knochen scheint in diesem Alter noch problemlos Komplikationen wie Frakturdiastase oder -instabilität kompensieren zu können (Arslan et al. 2002). Besonders nach distalen Femurfrakturen kommt es häufig zu Wachstumsstörungen, bedingt durch den hohen Wachstumsanteil der Fuge und der Nähe der Läsion zur Fuge. In der Literatur schwanken die Angaben erheblich – nicht zuletzt, weil diese Frakturen selten sind und daher nicht differenziert genug beurteilt werden
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
können. Im Allgemeinen wird eine Rate zwischen 30–50% angenommen; dies sollte beim Aufklärungsgespräch gegenüber den betroffenen Eltern entsprechend geäußert werden (v. Laer 2001; v. Laer et al. 1989; Weinberg et al. 2002). Therapeutisch lässt sich eine Wachstumsstörung bisher nicht beeinflussen. Jede Manipulation, jede unnötige Nachreposition und jede iatrogene Läsion (Operation) erhöhen das Risiko einer solchen. Eine MRT sollte
Abb. 20.6 a–d. Posttraumatische hemmende Wachstumsstörung nach Salter-Harris-II-Verletzung des distalen Femurs. 8-jährige Junge, der am Unfalltag (a) primär operativ stabilisiert (b) wurde und im Verlauf nach Konsolidation (c,d) konsekutiv eine posttraumatische partielle Wachstumsstörung entwickelte
nicht routinemäßig erfolgen, da sie keinen Einfluss auf die Therapie hat. Die Korrekturen richten sich nach den funktionellen Beschwerden, der Zunahme der Deformität und der Langzeitprognose. Beeinflusst wird die Indikation von kosmetischen Aspekten und auch der Zumutbarkeit für den Patienten. Insgesamt muss bei früher Korrektur mit mehreren Folgeeingriffen gerechnet werden (Abb. 20.6 a–d).
Diaphysärer Oberschenkel
Spezielle funktionelle Anatomie Der Oberschenkel ist ein muskelstarker Skelettabschnitt. Wegen der damit verbundenen guten Durchblutungssituation verläuft die Frakturheilung am Femur unproblematisch. Die Anatomie dieses Muskelmantels ist jedoch für die operativen Zugangswege von Bedeutung (Abb. 20.7). Ein langstreckiger Zugang zum Femur ist mit schwindender Bedeutung der Plattenosteosynthese am Femur nur noch selten erforderlich. Ein kurzstreckiger Zugang für eine offene Reposition sollte im Septum intermusculare laterale erfolgen, unter Darstellung und Ligatur bzw. Durchstechung der Perforansgefäße. Ein Zurückrutschen derselben unter das Septum beinhaltet das Risiko einer Nachblutung oder eines postoperativen Kompartmentsyndroms. Die Platzierung von Schanz-Schrauben erfolgt am günstigsten von lateral, nahe dem Septum intermusculare. Ziel ist ein möglichst kurzstreckiger intramuskulärer Verlauf (geringe Wundsekretion) und die Vermeidung von Verklebungen zwischen dem M. vastus intermedius und dem Femur mit der sich daraus ergebenden Flexionseinschränkung. Kniegelenknah ist der subfasziale Raum relativ eng. Zu lang überstehende ESIN-Schienen (intramedulläre Drähte) können hier bei Mobilisierung zu Gewebeirritationen führen. Weiterhin ist die Enge kniegelenknah dafür verantwortlich, dass es bei Fixateur-externe-Anlagen zu Einschränkungen der Kniebeweglichkeit kom-
men kann, die aber bei Abnahme innerhalb von 6 Wochen von den Kindern problemlos wiederhergestellt wird (Weinberg et al. 1994, 2000). Die Höhe der Fraktur führt am Femur zur charakteristischen Dislokation der Fragmente in Abhängigkeit vom Zug der ansetzenden Muskeln. Diese Gegebenheiten sind vor allem bei konservativer Behandlung zu berücksichtigen: 쐌 Bei subtrochantären Frakturen wird das proximale Fragment in Abduktion, Flexion und Außenrotation gezogen. 쐌 Bei suprakondylären Frakturen führt der Zug der Gastrocnemiusmuskulatur am distalen Fragment zu einer Hyperextensionsstellung (Abb. 20.8 a–f). Aus diesen regelhaft auftretenden Stellungen leitet sich die Repositionsrichtung ab. Klassifikation Von therapeutischer Relevanz ist die Unterscheidung zwischen stabilen und instabilen Frakturen. Als stabil gelten Frakturen, deren Enden aufeinander stehen und die allenfalls einen Achsknick aufweisen und weiterhin alle Frakturen bei denen noch eine Kortikalis intakt bzw. die betreffende Kortikalis nur gestaucht wurde.
M. rectus femoris M. vastus intermedius
M. vastus medialis
M. vastus lateralis A., V. femoralis M. sartorius
M. gracilis M. adductor longus M. biceps, caput breve M. adductor magnus M. biceps, caput longum M. semimembranosus M. semitendinosus
Bursa suprapatellaris M. vastus lateralis
M. biceps femoris
M. vastus medialis
M. sartori M. gracilis M. semimembranosus A., V. poplitea
Abb. 20.7. Querschnitt durch die Mitte des Oberschenkels von distal rechts, durch das distale Drittel des Oberschenkels von distal rechts
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a a
b
cc
Abb. 20.8 a–f. Fragmentdislokation bei Oberschenkelschaftfrakturen in Abhängigkeit von der Frakturhöhe. a,b Der unfrakturierte Femur steht in Neutralstellung. Die Muskelkräfte halten sich die Waage. c Bei proximalen Frakturen wird das proximale Fragment in Abduktion (Abduktorengruppe), Flexion (M. iliopsoas) und Außenrotation (kurze Außenrotatoren) gezogen. c,d Bei Frakturen in Schaftmitte ist dieser Effekt geringer ausgeprägt, da er von
Instabil sind alle komplett dislozierten Frakturen, insbesondere Schrägfrakturen mit deutlicher Verkürzungstendenz. Für die Behandlung und Dokumentation der Femurschaftfrakturen hat sich die Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) bewährt. Derzeit ist eine spezielle AO-Klassifikation der Frakturen im Kindesalter in Evaluation und wird in Kürze vorgestellt werden können.Von Laer hat bereits die typisch kindlichen Unterschiede gegenüber den Frakturformen des Erwachsenen bereits in einer Klassifikation (LiLa 1.1) umgesetzt. Allen Klassifikationen gemeinsam ist, dass die vollständigen Frakturen in eine einfache Frakturform, die mit einem zusätzlichen Biegungskeil versehen sein kann (Instabilität nimmt zu), sowie eine komplexe Fraktur eingeteilt wird. Typische kindliche Läsionen sind 쐌 die Stauchungsfraktur des distalen Femur, 쐌 die Grünholzfraktur und 쐌 die Epiphysíolysen mit oder ohne metaphysären Anteil. Wegen der unterschiedlichen Stabilisierungsmöglichkeiten erfordern metaphysäre Frakturtypen sowohl subtrochantär als auch suprakondylär eine eigene Betrachtung. Die häufigste Femurfraktur im Kindesalter (in >50%) ist die einfache geschlossene Querfraktur. In letzter Zeit ist jedoch eine Verschiebung der Häufigkeit zu
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ff
den am proximalen Fragment ansetzenden Adduktoren und Extensoren kompensiert wird. e Distale Schaftfrakturen zeigen meist nur geringe Dislokationen, da alle Muskeln am gleichen Fragment ansetzen. f Bei suprakondylären Frakturen führt der Zug der Gastrocnemiusmuskulatur am distalen Fragment zu einer Hyperextensionsfehlstellung
komplexen Frakturformen, bedingt durch Hochrasanzsportarten, zu verzeichnen (Snowbordunfälle und Funsportarten; Abb. 20.9 a–c). Die Klassifikationen für offene Frakturen sowie geschlossene Weichteilschäden kommen in bekannter Weise zur Anwendung (Gustillo 1976; Oestern u. Tscherne 1983). Die AO klassifiziert möglichst differenziert den vorhandenen Weichteilschaden. Therapeutische Richtlinien für die Behandlung von Kindern, die aus dieser Klassifikation abgeleitet werden könnten, wurden bisher nicht publiziert (s. Nerlich u. Berger, 2003, Weichteilverletzungen und Infektionen, aus der Reihe Tscherne Unfallchirurgie S. 206). Diagnostik Ziel der Anamnese ist zunächst festzustellen, ob ein adäquates Trauma vorliegt, und die Verletzungslokalisation einzugrenzen. Bei der klinischen Untersuchung sollten schmerzhafte Untersuchungsschritte unterlassen werden. Die Dokumentation der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität ist auch ohne schmerzhafte Tests möglich. Eine Überprüfung der klinischen Frakturzeichen ist nicht sinnvoll. Die meisten Kinder mit Oberschenkelfrakturen sind gehunfähig und schmerzgeplagt, häufig ist die Fraktur schon klinisch zu vermuten. Schwieriger ist die Diagnostik bei Mehrfachverletzungen, bei Kindern mit Schädel-Hirn-Trauma und schwerbehinderten Kindern. Die Standarddiagnostik umfasst eine Röntgenuntersuchung in 2 Ebenen mit Abbildung der beiden benachbarten Gelenke. Aufgrund des Strahlenschutzes ist es
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Diaphysärer Oberschenkel
a
Diaphyse proximal
Mitte
distal
b
Metaphyse
c Abb. 20.9 a–c. Klassifikation der Oberschenkelfrakturen. a,b Diaphyse: AO 3.1 subtrochantäre Fraktur (a), AO 3.2 (von links nach rechts) Querfraktur, Schrägfraktur, Biegungskeil, Grünholzfrak-
tur, Mehrfragment-Trümmerfraktur. c Metaphyse: AO 3.3 (von links nach rechts) Salter I, Salter II, Stauchungsfraktur, Grünholzfraktur, vollständige metaphysäre Fraktur
angebracht, im a.-p.-Strahlengang den Oberschenkel mit Hüfte und im seitlichen Strahlengang den Oberschenkel mit Knie abzubilden. Eine zusätzliche Darstellung eines der Gelenke in der zweiten Ebene ist nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die Einstellung der zweiten Ebene am Oberschenkel ist bei vorliegender Fraktur schmerzhaft. Die Kenntnis des Frakturverlaufs hat allerdings Konsequenzen für die Verfahrenswahl. Nach Diagnosestellung anhand der ersten Aufnahme ergibt sich die Indikation zur Versorgung, die Aufnahme in der zweiten Ebene kann ggf. unter entsprechender Analgesie oder im Rahmen der therapeutischen Maßnahme (Reposition, Operation) erfolgen.
Der radiologische Nachweis einer nicht oder nur minimal verschobenen Fraktur kann schwierig sein. In diesen Fällen kann die primäre Sonographie den Nachweis anstelle der sekundären radiologische Diagnostik (Periostreaktion) nach 8–10 Tagen erbringen. Zeigt die Röntgendiagnostik trotz entsprechender Klinik keine Fraktur, ist die Indikation zur Sonographie gegeben. Im Ultraschall lassen sich Grünholzfrakturen und metaphysäre Stauchungsfrakturen häufig früher diagnostizieren als durch sekundäre Röntgendiagnostik 8–10 Tage nach Trauma. Die Sonographie kann diese radiologische Sekundärdiagnostik überflüssig machen.
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Differenzialdiagnostischer Hinweis Kinder zeigen häufig eine unsichere Traumaanamnese. Daher muss bei Kinder, die Schmerzen im Oberschenkel, Knie oder Hüfte angeben, bei denen keine Fraktur nachweisbar ist (Differenzialdiagnose: Epiphysiolysis capitis femoris, Morbus Perthes) und die die Extremität nicht belasten die Coxitis fugans gegenüber der Osteomyelitis ausgeschlossen werden. Bewährt haben sich eine Ultraschalluntersuchung zum Ausschluss eines Hüftgelenkergusses und eine Laboruntersuchung im Hinblick auf Entzündungsparameter. Bei anhaltenden Beschwerden ist auch bei negativem Labor eine weiterführende Diagnostik anzustreben. Sekundäre Diagnostik Bei Beschwerden, die nach 10 Tagen persistieren und zu keinem Ergebnis geführt haben, ist dies MRT indiziert (Bone bruise, Stressfrakturen, Ausschluss von Tumoren, Infekt – auch bei blandem Labor). Bei fraglichen Rotationsfehlern, die bei der Initialbehandlung aufgetreten sind,ist die Sonographie der CT-Untersuchung vorzuziehen (Keppler et al. 1999 a). CT-Untersuchungen sollten nur bei definitiver Indikation zur Korrektur oder bei vorhandenem Gips in die Überlegungen einbezogen werden (Bulut et al. 2003; Keppler et al. 1999 b).
oder Kissen erfolgen (Abb. 20.10 a). Bei Änderungen der Lage (Wechsel der Tragen) wird das Bein unter Zug gehalten, falls keine aufblasbare Schiene angelegt wurde. Man sollte keine Repositionsversuche durchführen. Falls es erforderlich ist, sollte mit der Thromboseprophylaxe begonnen werden. Den Kindern sind zur Vermeidung unnötiger Stressreaktionen jedes Manöver und jede Maßnahme mitzuteilen. Es sollte möglichst nur ein Ansprechpartner fungieren. Bei jeder fraglichen Monoverletzung des Oberschenkels (Traumaanamnese unsicher!) ist initial immer auch eine Sonographie im Schockraum und nach durchgeführter Therapie/Operation durchzuführen. Femurschaftfrakturen gehen in einem hohen Prozentsatz mit intraabdominellen Verletzungen einher, die im Kindesalter lange kompensiert werden können und nicht selten übersehen werden. Typische Verletzungsursachen sind Fahrradsturz bzw. Fußgängerunfälle (Holmes et al. 2002 a,b; Kluger et al. 1994; Kong et al. 1996; Poole et al. 1992; Abb. 20.10 b). Klinischer Hinweis Bei vorhandener Oberschenkelfraktur und entsprechender Traumanamnese muss im Kindesalter aktiv (Sonographie) eine intraabdominelle Verletzung ausgeschlossen werden.
Therapie Klinische Erstversorgung Neben der Kreislaufsstabilisierung und den allgemeinen Grundsätzen der Notfalltherapie sollte grundsätzlich auf eine ausreichende Analgesie geachtet werden. Eine schmerzarme Lagerung kann auf einer Vakuummatratze, aufblasbaren Schienen, Schaumstoffschienen
Wie bei allen Frakturen im Kindesalter gilt es, eine primär definitive Versorgung zu erreichen, die eine bald mögliche Mobilisation und Belastung gestattet. Ein Therapiewechsel – auch Nachrepositionen – sind zu vermeiden, da da-
Abb. 20.10. Im Schockraum erfolgt neben der adäquaten Lagerung der Extremität (a) z. B. in einer Luftkammerschiene und den nativen radiologischen Bildern die primäre Abdomensonographie (b)
zum Ausschluss einer intraabdominellen Verletzungen. Letztere wird gerade im Kindesalter bei vermeintlichem Monotrauma des Oberschenkels am häufigsten übersehen
Diaphysärer Oberschenkel Tabelle 20.2. Akzeptable Dislokationen bei Oberschenkelschaftfrakturen im Kindesalter
Akzeptable Dislokationen
Säugling bis –6 Monate
Kleinkind bis 3 Jahre
Schulkind bis 14 Jahre
Adoleszent >14 Jahre
Varus/valgus Ante-/Rekurvation Rotation Verkürzung
<30°/<20° <20°/<10° <20° 20 mm
<20°/<10° <20°/<10° <20° 20 mm
<10°/<10° <10°/<5° <10° 10 mm
<10°/<10° <10°/<5° <10° 10 mm
durch eine Wachstumsstörung begünstigt werden kann. Akzeptable Dislokationen sind im Wesentlichen abhängig vom Alter des verletzten Kindes (Tabelle 20.2). Indikation Die Behandlung der Oberschenkelschaftfraktur im Kindesalter hat sich in den vergangenen Jahren von konservativen hin zu operativen Therapieverfahren gewandelt. Ein Behandlungskonsensus wurde anlässlich der 19. Tagung der Sektion Kindertraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) im Juni 2000 in München getroffen (Dietz et al. 2001). Die Therapiewahl ist von mehreren Faktoren abhängig: 쐌 Im Vordergrund der Therapieentscheidung steht das Alter des Kindes unter Berücksichtigung von Größe und Knochenalter. 쐌 Weiterhin sind bei der Verfahrenswahl Unfallursache und Verletzungstyp (Monotrauma, Mehrfachverletzung, Polytrauma) wichtig. 쐌 Begleitend fließen Faktoren wie Patientenkomfort, familiäre und ökonomische Aspekte ein. Lange Hospitalisationszeiten wie bei Extensionsbehandlungen sind nicht als kindgerecht anzusehen. 쐌 Bei operativen Verfahren sind mögliche Komplikationen bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Entsprechend dem getroffenen Konsensus sind die Operationsindikationen in Tabelle 20.3 zusammengefasst. Unterschieden nach Altersgruppen sind verschiedene Behandlungsmethoden in ihrer Wertigkeit dargestellt (Tabelle 20.4 bis Tabelle 20.7). Neugeborene bis 6 Monate. Bei Neugeborenen und Säuglingen ist die konservative Behandlung ausreichend. In diesem Alter sind Femurschaftfrakturen in der Regel als stabil anzusehen. Der kräftige Periostschlauch verhindert meist eine weitergehende Dislokation verhindert. Derart stabile Frakturen können in einem Becken-Bein-Gips ruhig gestellt werden. Tabelle 20.3. Gute lokale und übergeordnete Gründe für die operative Frakturversorgung bei kindlichen Oberschenkelschaftfrakturen Lokale Gründe
Übergeordnete Gründe
Offene Fraktur/Weichteilschaden Begleitender Gefäß-Nerven-Schaden Nichtreponible Fraktur Instabile Fraktur
SHT/Polytrauma Kettenverletzung Bilaterale Verletzungen Frakturen kurz vor Wachstumsabschluss
쐌 Subtrochantäre Oberschenkelfraktur: Sie ist in dieser Altersgruppe eine Rarität; sie wird entsprechend den Oberschenkelschaftfrakturen konservativ therapiert. 쐌 Diaphysäre Schaftfraktur: Dislozierte Frakturen können durch Abduktion und Flexion der Hüfte reponiert und in einer Spreizhose oder einer Pavlik-Bandage, wie sie zur Behandlung der Hüftluxation gebräuchlich ist, behandelt werden (Abb. 20.11 a,b). In dieser Altersgruppe genügt eine Ruhigstellung für 2 Wochen. Instabile Frakturen mit deutlicher Verkürzung (>1–2 cm) oder Achsfehlstellung (>30°) profitieren von der Anlage eines Becken-Bein-Gipses. Nur in Ausnahmen kommt die Overhead-Extension zur Anwendung. 쐌 Metaphysäre Oberschenkelschaftfraktur: Für die Behandlung der suprakondylären dislozierten instabilen Frakturen reicht in der Regel ein Becken-BeinGips aus. Das Ausmaß der erforderlichen Beugung in Hüfte und Knie wird durch die beste zu erreichende Repositionsstellung bestimmt. Metaphysäre Grünholz- oder Stauchungsfrakturen, die am häufigsten auftreten, können meist mit einem alleinigen Oberschenkelgips therapiert werden. 6 Monate bis 3 Jahre. Auch in dieser Altersgruppe dominiert das konservative Vorgehen. Die Pavlik-Bandage kommt hier nicht mehr zu Anwendung. 쐌 Subtrochantäre und diaphysäre Oberschenkelschaftfraktur: Therapie der Wahl ist der Becken-Bein-Gips. Die Ruhigstellungszeit liegt bei 3–4 Wochen. Eine Behandlung in der Overhead-Extension ist ebenfalls möglich, sie kann bis zu einem Körpergewicht von 15 kg durchgeführt werden. Eine routinemäßige operative Stabilisierung mit ESIN oder Fixateur externe ist in diesem Alter kein Standard, zumal keine gesicherten Ergebnisse vorliegen, ob hierdurch eine sekundäre Wachstumsstimulation der verletzten Extremität ausgelöst wird. Lediglich in Einzelfällen und bei nichtakzeptabler Stellung ist ein operatives Vorgehen angeraten. Zu favorisieren ist in dieser Altersgruppe der Fixateur externe. Eine Alternative stellt die ESIN dar (Abb. 20.12 a–c, Abb. 20.13 a,b). Letztere ist gerade in diesem Alter komplikationsreich, da ein ausgeprägter Weichteilmantel einen noch weichen und wenig kompakten Röhrenknochen mit einem kleinen Markraum umgibt (Dietz et al. 1997; Luhmann et al. 2003; Schmittenbecher 2001; Schmittenbecher et al. 2000).
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel Tabelle 20.4. Behandlungsoptionen für die Therapie der Oberschenkelschaftfrakturen in Abhängigkeit von der Altersgruppe – subtrochantäre Frakturen
Subtrochantär
Säugling bis 6 Monate
Kleinkind bis 3 Jahre
Schulkind bis 14 Jahre
Adoleszent >14 Jahre
Pavlik-Bandage Overhead-Extension Becken-Bein-Gips ESIN Fixateure externe Plattenosteosynthese Marknagel Gekreuzte Kirschner-Drähte
+++ ++ +++ (–) (–) ∅ ∅ ∅
∅ + +++ – + ∅ ∅ ∅
∅ ∅ ∅ +++ + ++ ∅ ∅
∅ ∅ ∅ +++ ++ ++ ++ ∅
+++ Methode der Wahl; ++ gute Alternative; + möglich; – in begründeten Ausnahmefällen; ∅ keine Indikation.
Tabelle 20.5. Behandlungsoptionen für die Therapie der Oberschenkelschaftfrakturen in Abhängigkeit von der Altersgruppe – »echte« Schaftfrakturen
Diaphyse
Säugling bis 6 Monate
Kleinkind bis 3 Jahre
Schulkind bis 14 Jahre
Adoleszent >14 Jahre
Pavlik-Bandage Overhead-Extension Becken-Bein-Gips ESIN Fixateure externe Plattenosteosynthese Marknagel Gekreuzte Kirschner-Drähte
+++ ++ +++ (–) (–) ∅ ∅ ∅
∅ + +++ – + ∅ ∅ ∅
∅ ∅ ∅ +++ ++ (–) ∅ ∅
∅ ∅ ∅ +++ ++ (–) +++ ∅
+++ Methode der Wahl; ++ gute Alternative; + möglich; – in begründeten Ausnahmefällen; ∅ keine Indikation.
Tabelle 20.6. Behandlungsoptionen für die Therapie der Oberschenkelschaftfrakturen in Abhängigkeit von der Altersgruppe – Übergang diaphysäre/metaphyseläre Frakturen
Dia-Metphyse
Säugling bis 6 Monate
Kleinkind bis 3 Jahre
Schulkind bis 14 Jahre
Adoleszent >14 Jahre
Pavlik-Bandage Overhead-Extension Becken-Bein-Gips ESIN (deszendierend) Fixateure externe Plattenosteosynthese Marknagel Gekreuzte Kirschner-Drähte
+++ ++ +++ ∅ (–) ∅ ∅ (–)
∅ + +++ ∅ – ∅ ∅ –
∅ ∅ ∅ +++ ++ – ∅ ∅
∅ ∅ ∅ +++ ++ ++ + ∅
+++ Methode der Wahl; ++ gute Alternative; + möglich; – in begründeten Ausnahmefällen; ∅ keine Indikation.
Tabelle 20.7. Behandlungsoptionen für die Therapie der Oberschenkelschaftfrakturen in Abhängigkeit von der Altersgruppe – Salter-Iund -II-Frakturen
Salter I+II
Säugling bis 6 Monate
Kleinkind bis3 Jahre
Schulkind bis 14 Jahre
Adoleszent >14 Jahre
Oberschenkel-/Becken-Bein-Gips ESIN Fixateure externe Plattenosteosynthese Marknagel Gekreuzte Kirschner-Drähte/Schraube
+++ ∅ (–) ∅ ∅ –
+++ ∅ – ∅ ∅ –
∅ ∅ + – ∅ +++
∅ ∅ + +++ ∅ ++
+++ Methode der Wahl; ++ gute Alternative; + möglich; – in begründeten Ausnahmefällen; ∅ keine Indikation.
Diaphysärer Oberschenkel Abb. 20.11 a,b. Pavlik-Bandage
a
b
Abb. 20.12 a–c. Subtrochantäre Oberschenkelfraktur bei einem 2-jährigen Mädchen nach häuslichem Sturz. Monoverletzung. a Die Röntgenkontrolle in der Overhead-Extension zeigt eine nicht zu tolerierende Fehlstellung. b Nach ESIN-Stabilisierung gutes Alignement. c Ausheilungsbild 3 Monate später, vor Metallentfernung
Abb. 20.13 a,b. Klinische Bilder zu Abb. 20.12 a–c in Overhead-Extension (a) und nach ESIN (b)
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
쐌 Metaphysäre Oberschenkelschaftfraktur: Nichtdislozierte Frakturen können im Becken-Bein-Gips behandelt werden. Je nach Größe des Kindes genügt auch ein hochgezogener Oberschenkelgips. Dislozierte Frakturen werden nach Reposition hinsichtlich ihrer Stabilität geprüft und ggf. durch perkutane, gekreuzte Bohrdrähte adaptierend stabilisiert. Eine zusätzliche Gipsbehandlung für etwa 3–4 Wochen ist erforderlich. 3–14 Jahre. Ab dieser Altersgruppe ist die operative Behandlung Methode der Wahl. Die konservative Behandlung ist nur bei undislozierten Frakturen möglich. Diese stellen aber gegenüber dislozierten Frakturen die absolute Rarität dar.
쐌
쐌 Subtrochantäre Oberschenkelfraktur: Hier steht einerseits die ESIN zur Verfügung. Diese Methode weist aber besonders bei Kindern >10 Jahren erhebliche Nachteile auf, da meist eine geringe Achsabweichung verbleibt, da oberhalb der Fraktur die Nägel nur eine begrenzte Länge aufweisen, sich nahe an der Fraktur kreuzen und somit eine gute Dreipunktabstützung nicht immer erreicht werden kann. Dies hat neben einer verbleibenden Achsabweichung den Nachteil, dass keine belastungsstabile Situation erreicht werden kann. Alternativ kann der additive Fixateur externe/Gips zur Stabilitätsverbesserung eingesetzt werden. Dennoch hat gerade an dieser Lo-
쐌 쐌 쐌 쐌
Abb. 20.14. a 6-jähriges Mädchen stürzte beim Schlafwandeln aus dem 2. Stock und zog sich die subtrochantäre Oberschenkelfraktur zu. b,c Diese wurde mit winkelstabiler Platte und Schrauben, die proximal im Schenkelhals verankert wurden, versorgt. d Heilung nach 4 Wochen
kalisation nach wie vor die Platte eine Indikation. Eine gute Option ist die Stabilisierung mit einer Winkelplatte oder einer winkelstabilen Platte der neuen Plattengeneration. Die Plattenklinge bzw. die im Schenkelhals positionierten Schrauben werden dabei nicht über der Wachstumsfuge platziert (Abb. 20.14 a–d). Der Fixateur externe ist ebenfalls nicht Methode der Wahl, da oftmals proximal der Fraktur nicht ausreichend Platz zur Verankerung von 2 Schanz-Schrauben verbleibt. Diaphysäre Oberschenkelschaftfraktur: Die ESIN (Abb. 20.15 a–c) hat sich gegenüber dem Fixateur externe als Standardverfahren durchgesetzt. Entscheidende Argumente sind, wie in anderen Lokalisationen auch: komplikationsarmes Verfahren, hoher Patientenkomfort, gedecktes Verfahren, Akzeptanz. Abhängig vom Frakturtyp ist eine Behandlungszeit von (4 bis) 6 Wochen die Regel. Gute Indikationen für den Fixateur externe sind die im Kindesalter seltenen Trümmerfrakturen oder Frakturen mit langem Drehkeil sowie offene Frakturen (Siguier et al. 1995; Abb. 20.16 a–c). Die Marknagelosteosynthese kommt aufgrund der offenen Fugen und der Anatomie der den Hüftkopf versorgenden Gefäße weniger in Frage (s. auch Al-
Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.15 a–c. Schulsportunfall bei einem 9-jährigen Jungen. Isolierte Verletzung. a,b Unfall- und Versorgungsbild. c Nach 8 Wochen ist die Fraktur völlig konsolidiert
Abb. 20.16 a–c. Versorgung einer instabilen Oberschenkelspiralfraktur bei einem 11-jährigem Jungen mit Fixateur externe in linearer Montage. a Unfall-, b Versorgungs- und c Ausheilungsbilder
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
tersgruppe >14 Jahre). Neuere Marknageldesigns mit lateralem Zugang sind in der Diskussion (Fernandez DellÒca 2003). Die lange Zeit favorisierte Plattenosteosynthese ist deutlich aufwendiger, verzögert belastungsstabil, mit einer kosmetisch beeinträchtigenden Narbensituation verbunden und erfordert einen ebenso aufwendigen Zweiteingriff für die Metallentfernung. Sie ist nur noch begründeten Ausnahmefällen vorbehalten. Tipps und Tricks. Bei instabilen Frakturformen (Typ B und C) sowie bei langstreckigen Spiralfrakturen (Typ A1) ist eine stabile Versorgung (Achseinstellung, Längenerhalt) mit der ESIN allein nicht immer möglich. In diesen Fällen hat sich eine passagere additive Fixateur-externe-Anlage zu der ESIN, mit jeweils nur einer Schanz-Schraube pro Hauptfragment, bewährt. Gegenüber der alleinigen Fixateurbehandlung ist die Dauer der Kombinationsbehandlung deutlich kürzer (s. unten, »ESIN mit additivem Fixateur externe«). 쐌 Metaphysäre distale Oberschenkelschaftfraktur: Nichtdislozierte Frakturen können im Oberschenkelgips behandelt werden. Dislozierte Frakturen benötigen nach Reposition eine Stabilisierung zur Retention. Mit einer deszendierenden ESIN kann in vielen Fällen eine übungsstabile Fixation erreicht werden. Die Wachstumsfuge muss dabei nicht unbe-
dingt geschont werden. Die Nägel können für eine ausreichende Verankerung bis an oder in die Epiphyse vorgeschlagen werden und bis zur Ausheilung verbleiben. Eine vorzeitige Metallentfernung nach Abbinden der Fraktur mit anschließender Gipsbehandlung ist nicht erforderlich. Instabil verbleiben oft Frakturen am Übergang zur Metaphyse, da sich der Markraum öffnet und die Kreuzung beider Drähte sich nah an der Fraktur befindet. Alternativ kann ein Fixateur externe eingesetzt werden (Abb. 20.17 a,b). Epiphysiolysen mit ausreichend großem metaphysärem Keil (Aitken I; Salter-Harris II; Aitken 1965) können mit Zugschrauben versorgt werden (Abb. 20.18 a). Sehr distale Frakturen oder reine Lysen der Fuge (Aitken 0; Salter-Harris I) werden nach Reposition mit gekreuzten Kirschner-Drähten retiniert, eine zusätzliche Gipsbehandlung ist in all diesen Fällen erforderlich (Beck et al. 2001; Eid u. Hafez 2002; Abb. 20.18 b). Über 14 Jahre. Bei Adoleszenten mit noch offenen Fugen erfolgt die Behandlung wie in der vorhergehenden Altersgruppe. Mit zunehmendem Schluss der Wachstumsfugen nähern sich die Behandlungsverfahren denen der Erwachsenen. Entsprechend lang sind die Ausheilungszeiten, sie liegen zwischen 6–8 Wochen. Eine Behandlung mit Fixateur externe ist möglich, verliert jedoch in dieser Altersgruppe wegen der erforderlichen langen Tragedauer mit daraus resultierenden Sekundärproblemen (»Pin-tract-Infektion«) zunehmend an Bedeutung.
Abb. 20.17 a,b. Mehrfachverletzter 9-jähriger Junge, der als Fußgänger von einem PKW erfasst wurde. a Unter anderem Epiphysiolyse distaler Oberschenkel rechts mit ausreichend großem metaphysärem Keil (Aitken I, Salter-Harris II). b Versorgungsbild
Diaphysärer Oberschenkel Abb. 20.18. a 11-jähriges Mädchen zog sich bei einem Verkehrsunfall eine Epiphysiolyse mit metaphysärem Keil (Salter-Harris II) zu. b Stabilisierung mit gekreuzten Spickdrähten
쐌 Subtrochantäre Oberschenkelfraktur: Die Stabilisierung mit einer Winkelplatte oder einer winkelstabilen Platte hat in dieser Altersgruppe erhebliche Vorteile (vgl. Abb. 20.1 a–c). Frakturabhängig ist auch eine Marknagelosteosynthese möglich. Der proximale Femurnagel (PFN) ist für Adoleszente überproportioniert, vom Prinzip her aber möglich. 쐌 Diaphysäre Oberschenkelschaftfraktur: Bei geschlossenen Fugen ist die Marknagelosteosynthese eine sehr gute Alternative zur ESIN (s. auch »Marknagelosteosynthese«; Abb. 20.19), zumal die ESIN in dieser Altersgruppe zur hypertrophen Pseudarthrosenbildung infolge zu hoher Instabilität und mangelnder Belastung neigt (Arslan et al. 2002; Beaty et al. 1994). 쐌 Metaphysäre Oberschenkelfraktur: Neben der deszendierenden ESIN ist hier bei geschlossener distaler Fuge die Stabilisierung durch Platten Methode der Wahl, da gerade in dieser Altersgruppen keine Achsenfehler mehr akzeptiert werden dürfen. Wegen der Dimension der Kondylenplatte und auch der LISSPlatte sind in diesen seltenen Fällen ebenfalls winkel-
stabile Platten der neuen Generation möglich. Beim Anformen dieser Platten muss sorgfältig darauf geachtet werden, die Gewindegänge in den Plattenlöchern nicht zu beschädigen. Konservative Behandlungsverfahren Overhead-Extension. Extensionen sind nach modernem Therapieverständnis nur in begründeten Indikationen für kurze Zeiträume (bis zu 14 Tagen) durchzuführen. Die meist mit Trikotschlauch durchgeführte Overhead-Extension führt nicht selten zu sekundären Hautreaktionen. Auch eine Haftplasterextension wirft die gleichen Probleme auf. Konfektionell vorgefertigte Klebeverbände scheinen diese Komplikationen zu reduzieren. Die Montage erfolgt am einfachsten in einem Gitterbett. Die Extension wird in diesem Fall über eine Umlenkrolle gezogen (Abb. 20.20). Das Gewicht ist so zu wählen, dass das Becken leicht auf der Matratze aufliegt (Saxer 1978). Eine ambulante Behandlung ist bei Mitarbeit der Eltern möglich.
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.19. Ausheilungsbild eines 14-jährigen Mädchens, das sich bei einem PKW-Unfall eine Oberschenkelfraktur zugezogen hatte und mit einem ungebohrtem soliden Oberschenkelmarknagel versorgt wurde. Der Nagel hat seinen Eintritt am Trochanter und tangiert nicht die Fossa piriformis
Abb. 20.20. Overhead-Extension mit vorgefertigten Pflasterklebeverbänden. Das maximale Körpergewicht sollte 15 kg nicht überschreiten. Das Gewicht sollte so gewählt werden, dass der Po des Kindes gerade über der Unterlage schwebt
Becken-Bein-Gips. Grundsätzlich sollte ein BeckenBein-Gips in Sedierung angelegt werden, abhängig von der Kooperation des Kindes ist ggf. eine Allgemeinnarkose indiziert. Auf der unverletzten Seite kann der Gips bis oberhalb des Kniegelenks geführt werden, auf der verletzten ist eine Ruhigstellung bis oberhalb des oberen Sprunggelenks notwendig. Eine Repositionskontrolle mit Bildwandler sollte nach Polsterung vor Anbringen der Gipsbinden durchgeführt werden. Bei der Materialwahl ist die Hautverträglichkeit zu berücksichtigen. Zur Erleichterung der Pflege und um Sollbruchstellen zu reduzieren kann ein Stab zwischen beide Beine eingegipst werden. Die Anlage kann ambulant oder stationär erfolgen (Abb. 20.21, Abb. 20.22). Extensions-Becken-Bein-Gips. Zur Rotationssicherung kann auch eine passagere Extension (querer Extensionsdraht durch den distalen Femur oberhalb der Wachstumsfuge) erfolgen. Dieses Verfahren ist dann zu überlegen, wenn gegen operative Verfahren (ESIN) grundsätzliche Einwände bestehen und aufgrund der Frakturform im konventionellen Becken-Bein-Gips keine ausreichende altersentsprechende Retention erreicht werden kann. Der Extensionsdraht kann nach etwa 2 Wochen über ein Gipsfenster entfernt werden, ein zusätzliches Gewicht ist nicht erforderlich, da der Draht mit Bügel durch den Gipsverband fixiert ist.
Abb. 20.21. Anlage eines Becken-Bein-Gipses
a=1/3b b
1/3b a=1/3b
Abb. 20.22. Wahl des Nageldurchmessers bei intramedullärer Markraumschienung
Diaphysärer Oberschenkel
Operative Behandlungsverfahren ESIN. Die intramedulläre Markraumschienung ist heute Standardverfahren bei der Stabilisierung von Oberschenkelschaftfrakturen von Kindern. Das seit etwa 15 Jahren eingesetzte Verfahren ist mittlerweile etabliert (Dietz et al. 1997). Bei der Implantatwahl sind Titannägel vorzuziehen. Titan gewährleistet aufgrund der höheren Elastizität das dem Verfahren zu Grunde liegende Prinzip der dynamischen Stabilisierung durch Dreipunktabstützung sicherer als Stahl. 쐌 Lagerung: Für die intraoperative Lagerung ist ein durchleuchtbarer Operationstisch erforderlich. Die Lagerung auf einem Extensionstisch ist möglich, aber nur sinnvoll, wenn während der präoperativen Durchleuchtungskontrolle eine gute Reposition erreicht werden könnte. Bewährt hat sich das Auffädeln der Fraktur ohne Extensionstisch.
a
CAVE
Bei Schaftfrakturen erfolgt die Nagelung in aszendierender Technik, bei distalen Frakturen ist eine deszendierende Technik anzuraten. 쐌 Wahl des intramedullären Nagels: Die zu wählende Nageldicke entspricht einem Drittel des engsten Markraumdurchmessers (Beispiel: Markraum 9 mm, 9 : 3=3, d. h.: 3 mm-Nagel; Abb. 20.23 a–c). 쐌 Aszendierende Technik: Der Eintrittspunkt für beide Nägel wird auf gleicher Höhe gewählt. Als Orientierung dient die Patellaoberkante, der Eintrittspunkt selbst sollte 1–2 cm oberhalb davon zu liegen kommen. Die Inzision sollte vor allem distal lang genug gewählt werden, mindestens 2 cm vom geplanten Eintritt des Nagels in den Knochen aus. Die Eröffnung der Markhöhle erfolgt unter Bildwandlerkontrolle mit einer Reibahle oder Bohrer (vgl. Abb. 20.23 a–c). Das Eingehen sollte nach Ankörnen der Kortikalis in einem Winkel von 45° erfolgen. Die Nägel werden von beiden Seiten bis an die Frakturzone vorgeschoben und nach Reposition unter Bildverstärkerkontrolle über die Fraktur weiter vorgebracht. Die Technik des Auffädelns mit entsprechendem Drehen des Drahtes bzw. Biegung des Beins in der Frakturzone zur Reposition hat sich gegenüber dem Extensionstisch bewährt (Abb. 20.24 a–g). Die vorgenommenen Drehungen sollten wieder zurückgenommen werden, da es sonst zu einem Verwringen der Drähte kommen kann (Korkenziehereffekt). Die Verwendung von Bildspeichern erlaubt, die Durchleuchtungszeit zu minimieren. In Einzelfällen ist bei Repositionsschwierigkeiten eine offene Reposition über einen lateralen Zugang erforderlich (Abb. 20.25). Proximal sollten die Nagelenden im spongiösen Knochen verankert werden (Abb. 20.26 a–c). Eine belassene Diastase führt immer zu einer verzögerten Heilung und sollte daher vermieden werden. Stehen die Fragmente am Ende der Operation nicht aufeinander, so sollte man die Fraktur manuell einstauchen.
b
c Abb. 20.23. a Bei der Nageleinbringung muss die Inzision vom Eintrittspunkt des Nagels nach epiphysär gesetzt werden. b,c Ankörnung der Kortikalis im rechten Winkel mit Pfriem oder Bohrer, anschließend Absenken des Bohrers oder Pfriem, da sonst das Einbringen des Nagels zu steil erfolgt, sodass dieser nicht um die Biegung kommt
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Das distale Nagelende ist so zu kürzen, dass sekundäre Hautirritationen möglichst vermieden werden (Dietz et al. 1997). Ein Umbiegen der Drähte ist nicht sinnvoll, da die Drähte sich bei geradem Verlauf am besten an die Kortikalis anlegen und so Hautirritationen nach Abschwellung vermieden werden können. Durchgeführte distale Verriegelungen erhöhen die Stabilität, eindeutige biomechanische Untersuchungen liegen diesbezüglich nicht vor. Klinischer Hinweis 1. Hautinzision weit genug nach epiphysär legen, um Weichteilquetschungen zu vermeiden, 2. bilaterale Hautinzision möglichst auf gleicher Höhe, Faszie ausreichend spalten, 3. Eintrittsloch in einem Winkel von 45° oder kleiner, 4. Handgriff kurz einspannen, damit die Schiene nicht gestaucht wird (Hebelarm!), 5. Drehungen zurücknehmen, 6. verbogene Schienen unbedingt auswechseln, 7. ist einmal eine Schiene implantiert, so ist das erneute Einbringen (Wechseln) unproblematisch, 8. zu weit überstehende Schienen vermeiden, da dies postopertiv die häufigsten Beschwerden verursacht.
Die Verriegelung der Nägel bei langen Schrägfrakturen oder älteren Kindern (Abb. 20.27 a–f) haben wir bisher mit guten Erfahrungen durchgeführt. Dies kann auch bei Titannägeln durch Biegen einer Öse erfolgen, Stahlnägel gibt es mit vorgefertigten Ösent. 쐌 Deszendierende Technik: Die deszendierende Anwendung verlangt eine gute präoperative Planung mit entsprechendem Vorbiegen des zweiten Nagels, um auch hier das Prinzip der Dreipunktabstützung zu gewährleisten. Die Eintrittspunkte sind so zu wählen, dass ein Ausbrechen der Knochenbrücke zwischen beiden Nägeln vermieden wird (Abb. 20.28, Abb. 20.29 a–c). Im distalen Bohrloch sollte der Draht eingebracht werden, der sich an der medialen Kortikalis abstützt und mit der Spitze lateral zu liegen kommt.
Tipps und Tricks. Bei Schrägfrakturen ist der intramedulläre Nagel, dessen Spitze im rechten Winkel auf die Frakturfläche trifft, leichter zu implantieren. Bei Torsionsfrakturen ist primär die Implantation auf der Seite der langen Kortikalis empfehlenswert (Dietz et al. 1997).
45°
90°
a
b
Abb. 20.24. a Der Handgriff ist kurz eingespannt, da sich sonst die Schienen verbiegen, b Mit Drehbewegungen kann die Fragmentstellung verändert bzw. die Fragmente aufgefädelt werden. c,d Das Gleiche gilt beim Einbringen des 2. Nagels. Die Nägel müssen stabil in dem metaphysären Anteil verankert werden, ggf. durch eini-
ge Hammerschläge (e). f Kleine Fragmentverschiebungen können noch gezielt durch Drehen der Implantate ausgeglichen werden. g Die Nägel werden unter der Haut abgetrennt und nicht umgebogen
!
Diaphysärer Oberschenkel
90°
c
d
e
Abb. 20.24. c–g.
f
g
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.25. Bei einem Repositionshindernis erfolgt eine kleine Längsinzision in Höhe der Fraktur; unter manueller Palpation Reposition und Vortreiben der Schiene
Abb. 20.26 a–c. Klinisches Beispiel einer Nageleinbringung. a,b Die Dicke der Implantate kann gleichzeitig bei Festlegung der Inzisionshöhe unter Bildwandler durch paralleles Anhalten des gewählten Nagels ermittelt werden. c Der Pfriem muss nach Ankörnung der Kortikalis unbedingt abgesenkt werden
Die häufigsten Fehler bei Implantation 쐌 Inzision zu proximal und damit zu proximales Einbringen der Schienen 쐌 Eingehen nicht auf gleicher Höhe 쐌 Bohrlöcher bei gleichseitigen Zugang mit zu geringem Abstand 쐌 Quetschen der Weichteile durch zu sparsame Inzisionen 쐌 Falscher Durchmesser des Nagels. Dies führt zu Instabilität 쐌 Korkenziehereffekt, dadurch Verlust der Stabilität 쐌 Diastase bedingt verzögerte Heilung bis hin zur Pseudarthrose
쐌 Aufklärung/Komplikationen: Generell stellt die ESIN zwar ein geschlossenes Verfahren dar, dennoch entsprechen die allgemeinen Komplikationen einem offenen Vorgehen. Luhmann et al. (2003) analysierten anhand des eigenen Patientengutes, dass bei der Nagelung von Femurfrakturen in bis zu 50% Komplikationen auftreten. Bei 43 intramedullären Femurnagelungen traten insgesamt in 20 Fällen intraoperative Komplikationen ein, gravierende Komplikationen waren nur in 2 Fällen zu beobachten (eine Sepsis, eine verzögerte Heilung), dennoch litten diese 20 Patienten an Schmerzen an der Eintrittspforte; es kam zu Hautdurchspießungen und verzögerten Heilungen in einem nicht unerheblichen Anteil. Eine verzögerte Heilung bis hin zur Pseudarthrose wurde nur bei älteren Kindern über dem 12. Lebensjahr beobachtet.
Diaphysärer Oberschenkel Abb. 20.27. a Versorgung einer Oberschenkelspiralfraktur eines 12-jährigen Mädchens. b Intramedulläre Schienung mit distaler Verriegelung. c,d Ausheilungsbilder und nach Implantatentfernung nach 6 Monaten
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.27. e,f Klinische Bilder am 2. postoperativen Tag
0,5–1cm
1–2cm
Abb. 20.28. Eintrittsstelle bei aszendierender ESIN-Technik
Fixateur externe. Nach einer zunächst breiten Akzeptanz für dieses Verfahren (Krettek et al. 1991; Weinberg et al. 2000) folgte in den 1990er Jahren ein Wandel zugunsten der ESIN. Gründe hierfür waren Pin-tractInfekte, Narbenbildung, Tragedauer, Refrakturen, im Wesentlichen aber die Vereinfachung der Behandlungsmöglichkeiten durch die ESIN. Im prospektiv randomisierten Vergleich beider Methoden zeigt sich für die ESIN-Behandlung ein schnellerer Wiedereintritt der Schulfähigkeit, eine geringere Muskelatrophie und eine signifikant bessere Akzeptanz des Verfahrens durch Eltern und Patienten (Bar-On et al. 1997). Der Fixateur externe ist dennoch auch weiterhin eine wichtige und gute Therapiealternative zur Reposition und Retention von Oberschenkelschaftfrakturen (Weinberg et al. 2000). Er bleibt Methode der Wahl bei Kindern mit Schädel-Hirn-Trauma, Mehrfachverletzten und Polytraumatisierten sowie bei erheblicher lokaler Weichteilproblematik oder bei Kindern mit erhöhtem Narkoserisiko (Abb. 20.30 a–d). Als Montageform kommt fast ausschließlich eine monolaterale seitliche Montage zur Anwendung (Fernandez DellÒca 2003). Einfache Fixateurformen sind ausreichend (z. B. AO-Fixateur). Die Schanz-Schrauben
!
Diaphysärer Oberschenkel
N2
N2
N2
N1
N1
N1
N2
N2
N1
N1
N1
a
b
c
N2
Abb. 20.29. a Im distalen Bohrloch sollte der Nagel eingebracht werden, der sich an der medialen Kortikalis abstützt und mit der Spitze lateral zu liegen kommt. b,c Der Nagel, der medial zu liegen kommt, wird bis zur Diaphysenmitte vorgetrieben und anschlie-
ßend gedreht und weiter vorgebracht. Idealerweise enden die Nägel auf gleicher Höhe. Die Epiphysenfuge kann problemlos passiert werden, wenn dies die Stabilität, insbesondere je distaler die Fraktur liegt, verlangt (c)
sollten lateral und so nahe wie möglich am Septum intermusculare zu liegen kommen, um einen langen intramuskulären Verlauf zu vermeiden und um im Bereich der geringsten Relativbewegung der Muskulatur zum Pin zu liegen. Die Irritation der Weichteile am Pineintritt kann so reduziert werden und damit auch die Wundsekretion und die Infektrate. Biomechanisch günstig ist ein weiter Abstand der beiden Pins in den Hauptfragmenten zueinander, mit einem Pin jeweils frakturnah und dem zweiten deutlich frakturfern. Bei Bestimmung der Eintrittsstellen für die frakturnahen Pins ist darauf zu achten, dass hier keine Fissurausläufer vorliegen (Röntgenbild der 2. Ebene! s. Diagnostik). Die frakturfernen Pins werden frakturseits der Wachstumsfugen geplant. Bei einfachen Frakturen kann eine lineare Fixateurmontage geplant werden (Abb. 20.31 a). Befriedigt das Repositionsergebnis nach einer Zwei-Pin-Montage nicht, kann eine modulare Fixateurmontage zur Anwendung kommen (Abb. 20.31 b). Bei modularer Technik er-
folgt die Reposition über die vormontierten Griffe (Abb. 20.32 a–c). Nach Komplettierung der Montage wird das Bein durchbewegt, um den Fasziendurchtritt der Pins zu weiten. Eventuell müssen die Stichinzisionen an der Haut verlängert oder partiell adaptiert werden. Resultieren sollte eine spannungsfreie Lage der Pins zu den Weichteilen. Wie nach allen Stabilisierungen einer Oberschenkelschaftfraktur erfolgt zum Abschluss eine Prüfung der Bandstabilität am Kniegelenk. 쐌 Komplikationen/Aufklärung: Die Rate der Pin-tractInfektionen liegt bei 5%. Die Komplikation ist meist durch Antibiose und lokale Säuberung und Bäder zu beherrschen. Nur in seltenen Fällen muss der Fixateur externe vorzeitig entfernt werden. Weiterhin zeigen fast alle Patienten während der Fixateur-externe-Tragedauer eine Einschränkung der Kniebeweglichkeit, die sich aber nach Abnahme des Fixateurs innerhalb von 3 Wochen zurückbildet.
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.30. Unfallbild (a) einer distalen diaphysären Oberschenkelfraktur, die mit Fixateur externe versorgt wurde (b). c Mobilisation. d Ausheilungsbild
Diaphysärer Oberschenkel
a
b
Abb. 20.31. a Linearer Fixateur-externe-Aufbau. b Modularer Aufbau
a
b
c
Abb. 20.32 a–c. Bei der modularen Fixateurmontage wird zunächst an jedem Hauptfragment eine Fixateurstange über jeweils 2 Pins montiert. Mit dieser Teilmontage können die Fragmente wie mit »Griffen« bewegt und reponiert werden. Eine dritte Stange verbindet die 2 Teilmontagen über 2 Rohr-zu-Rohr-Backen
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
ESIN mit additivem Fixateur externe. Bei instabilen Frakturformen (Typ B und C) sowie bei langstreckigen Spiralfrakturen (Typ A1) ist eine stabile Versorgung (Achseinstellung, Längenerhalt) mit ESIN allein nicht immer möglich. Eine Problemlösung kann in diesen Fällen durch die additive Fixateur-externe-Anlage mit jeweils einer Schanz-Schraube pro Hauptfragment erreicht werden (Abb. 20.34). Die Schanz-Schraube im proximalen Hauptfragment kann bereits vor Einbringen der elastische Nägel platziert werden und dient als Joy-Stick zur Manipulierung dieses Fragments und erleichtert zugleich das Auffädeln der Fraktur. Eine exzentrische Platzierung dieses Pins erleichtert das Vorbeischieben der Nägel am Pin. Die Fixateurtragedauer ist bei dieser Kombinationsversorgung deutlich kürzer, da der Fixateur nach Abbinden der Fraktur bereits entfernt werden kann. Ein Nachteil ist die Kombination eines offenen mit einem gedeckten Verfahren. Der Pinpflege kommt hier besondere Bedeutung zu. Plattenosteosynthese. Die konventionelle Plattenosteosynthese nach den Richtlinien der AO (Kuner 1991) hat durch die Einführung der ESIN ihren hohen Stellenwert bei der Behandlung von Schaftfrakturen im Kindesalter generell, so auch am Oberschenkel, verloren. In begründeten Einzelfällen kann sie zur Anwendung kommen (proximale oder distale Frakturformen). Wichtig ist, dass die Operationsprinzipien sowohl in Hinblick auf die Biologie (weichteilschonendes Vorgehen) als auch auf die Mechanik (Plattenlänge, Schraubenpositionierung) beachtet werden. Falls das Verfahren gewählt wird, sind moderne Plattendesigns vorzuziehen (»Low-contact-Platten«, ggf. winkelstabile Schraubenverankerungen; Wittner u. Holz 2003). 쐌 Lagerung: Rückenlage. 쐌 Zugang: lateraler Zugang zum Oberschenkel (Abb. 20.33 a–c). Es wird eine laterale Längsinzision in Höhe der Fraktur gesetzt und möglichst hinter dem M. vastus lateralis eingegangen. Dieser wird mit dem Raspartorium vom Septum intermusculare abgeschoben. Der M. vastus lateralis und intermedius werden ggf. inzidiert, falls eine Darstellung der Intertrochantärregion notwendig ist. Die Perforansgefäße werden ligiert. Der Knochen sollte möglichst nicht denudiert werden. Einfache Frakturen werden anatomisch unter Kompression gestellt. Bei Trümmerfrakten erfolgt die Plattenanlage überbrückend, ggf. minmal-invasiv durch Tunnelung und Durchschieben der Platte, ohne dass diese im Frakturbereich direkt dem Knochen anliegt. Dabei sind winkelstabile Implantate vorzuziehen. 쐌 Komplikationen: Neben der möglichen höheren Rate an Infektionen bedingt durch das offene Verfahren wurden nur nach Plattenosteosynthesen auch im Kindesalter Pseudarthrosen beschrieben.Weiterhin ist die Platte nicht immer belastungsfähig. Daneben kann es zu Platten- und Schraubenbrüchen kommen.
Marknagelosteosynthese. Sind die Wachstumsfugen noch offen, verbietet sich die klassische Marknagelosteosynthese. Im Adoleszentenalter, bei weitgehend geschlossenen Fugen, ist sie jedoch die Methode der Wahl. Bei Verwendung der herkömmlichen Marknägel mit ihrem Eintrittspunkt in der Fossa piriformis ist die Femurkopfdurchblutung gefährdet (Beaty et al. 1994; Abb. 20.35). Zu favorisieren sind daher ungebohrte Verriegelungsnägel der neuen Generation, deren Eintrittspunkt im Bereich des Trochanter majors liegt. Berücksichtigt werden muss die Tatsache, dass Jugendliche z. T. sehr enge Markhöhlen haben, sodass ein Aufbohren erforderlich sein kann. Tangiert wird bei diesen Nägeln nur die Apophyse. Eine Dynamisierung der Nägel ist am Oberschenkel und zumal beim Adoleszenten nicht routinemäßig erforderlich. Distale Femurnägel mit retrograder Insertion sollten bei der Versorgung Adoleszenter wegen des transartikulären Zugangs und der Schädigung der distalen Fuge nicht verwendet werden. 쐌 Operation: Der Patient wird auf dem Extensionstisch gelagert und die Fraktur reponiert. Hierbei ist in erster Linie auf eine korrekte Rotationseinstellung zu achten. Die Nageleintrittsstelle wird mit einem Führungsdraht markiert, dessen Richtung sowohl die Längsachse als auch die Antekurvation berücksichtigt. Nach Kontrolle des Eintrittspunktes und der Achsausrichtung des Drahtes unter Bildverstärker in beiden Ebenen wird die Kortikalis am Trochanter perforiert und der Führungsdraht in den Markraum vorgeschoben. Nach erneuter Kontrolle seiner Lage wird über den Führungsdraht mit dem kanülierten Bohrer der Markraum eröffnet. Im Gegensatz zur Eröffnung mit dem Pfriem ist bei dieser Methode das Abrutschen nach medial und damit eine Verletzung der Gefäße in der Fossa piriformis ausgeschlossen. Vonseiten der Frakturversorgung ist eine Markraumbohrung nicht erforderlich/erwünscht, bei engem Markraum ist sie jedoch zuweilen nötig. Dünnere Nageldurchmesser sind deswegen in der Entwicklung. Grundsätzlich sollte beim Adoleszenten ein Marknagel vor der distalen Fuge enden. Proximal wird der Nagel bzw. seine Verschlusskappe über Trochanterniveau positioniert, um die Metallentfernung zu erleichtern (Kretteck 2003) 쐌 Komplikationen: Neben den üblichen Komplikationen kann es im Rahmen von Marknagelungen zu Kompartmentsyndromen kommen, die therapeutisch entsprechend den Kautelen der Erwachsenen behandelt werden sollten. Pseudarthrosen vor allem bei Diastasen im Frakturbereich kommen vor. In diesen Fällen sollte die Verriegelung – falls vorhanden – entfernt werden. Bei zu langen Implantaten kann es an der Nageleintrittsstelle zu Pseudobursitiden kommen, in diesem Fall muss der Nagel ggf. frühzeitig entfernt werden.
CAVE
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Diaphysärer Oberschenkel M. intermedius M. vastus lateralis
a
b
Ligatur der Perforansgefäße M. vastus lateralis M. intermedius
c Abb. 20.33. a Lateraler Zugang zum Oberschenkelschaft. b,c Nach Inzision des Tractus iliotibialis, Abschieben des M. vastus lateralis vom Septum intermusculare, dabei Ligatur der perforierenden Gefäße
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.34 a,b. Instabile Oberschenkelfraktur (AO-Klassifikation 32 C1) bei einem 12-jährigen Jungen nach Sturz von einem Baum. a Röntgenbild 4 Wochen nach Primärversorgung mit ESIN und Fixateur-externe-Augmentation. Dies wurde notwendig, da primär keine ausreichende Länge der Nägel vorhanden war. Die Fraktur ist abgebunden, die Entfernung des Fixateurs ist möglich. b Weitere 8 Wochen später ist die Fraktur vollständig konsolidiert
A.lig. capitis Rr. nutricii capitis superiores Rr. nutricii colli superiores
R. nutricius colli intraosseus R. nutricius colli post.
R. nutricius capitis inf. R. nutricius colli. inf.
R. nutricius colli ant. R. trochantericus major R. ascendens a. circumflexae femoris lateralis
R. profundus a. circumflexa femoris medialis
A. profunda femoris A. femoralis
Abb. 20.35. Die Arterien im Bereich des Schenkelhalses sind Hauptgefäße für die Hüftkopfdurchblutung. Diese Gefäße sind bei der herkömmlichen Marknagelung mit dem Nageleintritt in der Fossa piriformis gefährdet
Diaphysärer Oberschenkel
Kirschner-Draht-/Schraubenosteosynthese (SalterHarris-I/II-Frakturen). 쐌 Narkose: Allgemeinnarkose. Bei Adoleszenten ist eine Spinalanästhesie möglich. 쐌 Lagerung: Rückenlagerung. Frei abgedecktes Bein, Fußteil sollte möglichst abklappbar sein, da diese Frakturen in Beugestellung meist besser reponierbar sind. 쐌 Zugangswege: Bei suprakondylären Frakturen perkutan oder durch kleine mediale und laterale Inzisionen distal der Epikondylen. Bei Repositionshindernis medialer oder lateraler Zugang. Bei Epiphysenlösung mit metaphysärem Keil wählt man die Seite des Keils. 쐌 Technik: Versuch der geschlossenen Reposition unter Beachtung der Rotation und der Achse. Ist die geschlossene Reposition möglich, kann die Stabilisierung mit Bohrdrähten perkutan oder über kleine Stichinzisionen erfolgen. Die Hautinzisionen liegen dabei etwa in Höhe des tastbaren Gelenkspaltes. Gelingt die Reposition aufgrund eines Weichteilinterponates nicht, wird die Fraktur über kleine mediale oder laterale Inzisionen freigelegt (bei vorliegendem metaphysärem Keil auf der Seite des Keils), das Repositionshindernis entfernt und offene die Reposition unter digitaler Kontrolle vorgenommen. Die Fraktur wird durch 2 von distal eingebrachte Kirschner-Drähte fixiert, entweder perkutan oder über 2 kleine Inzisionen unter Bildwandlerkontrolle. Der Durchmesser der Bohrdrähte sollte zur Schonung der Epiphysenfuge nicht zu groß gewählt werden (1,2–2,0 mm).
a
b
Abb. 20.36 a–c. Perkutane Stabilisierung über Bohrdrähte oder über kleine Stichinzisionen. Die Drähte müssen oberhalb der Fraktur kreuzen und möglichst die Gegenkortikalis durchbohren. a Bei Versenken der Drähte sind diese umzubiegen. b Beim Herausstehen der Drähte ist darauf zu achten, dass ein entsprechender
Die Bohrdrähte werden in der Gegenkortikalis verankert. Die Kirschner-Drähte sind von weit distal einzubringen, um die Epiphysenfuge möglichst senkrecht kreuzen. Auf die Verankerung in der Gegenkortikalis und eine proximal der Fraktur gelegene Kreuzungsstelle der Drähte ist zur ausreichenden Stabilität und somit Verhinderung einer Nachrotation unbedingt zu beachten. Die radiologische Kontrolle des Repositionsergebnisses und der Bohrdrahtlage erfolgt in 2 Ebenen. Bei halb offener Spickung werden die Bohrdrähte umgebogen und versenkt. Bei perkutanem Vorgehen werden die Drähte 2–3 cm über Hautniveau gekürzt. Bei diesem Vorgehen muss der später angelegte Gipsverband einen gipsfreien Hof um die Drähte aufweisen, um eine Irritation durch Scheuerbewegung zu vermeiden. Diese lässt sich am besten mit einem Drahtkörbchen oder einem abgeschnittenen 10 mm-Spritzenkonus, der über die Drähte gelegt wird, erreichen. Der Vorteil des perkutanen Vorgehens liegt in der problemlosen narkosenfreien Entfernung der Drähte nach knöcherner Konsolidierung. Liegt ein ausgesprochen großer metaphysärer Keil vor, kann die Fixation mit einer kanülierten Spongiosaschraube mit kurzem Gewinde erfolgen. Bei offener Reposition erfolgt ein schichtweiser Wundverschluss über Drainage mittels Intrakutannaht. Schießlich wird ein gespaltener Oberschenkelgipses mit gipsfreien Hof um die herausragenden Drähte angelegt (Abb. 20.36 a–c).
c Hof beim Gips um dieselben gelegt wird. Durch diese Technik ist die Implantatenfernung erleichtert. Dies weist bei kleinen Kindern mit großem Weichteilmantel Vorteile auf. c Bei einem großen metaphysären Fragment kann auch eine Schraubenosteosynthese in kanülierter Technik erfolgen
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Nachbehandlung Die Nachbehandlung differiert je nach gewählter Therapieform. Becken-Bein-Gipse sind je nach Alter des Kindes für 2–4 Wochen indiziert. Nach Gipsabnahme ist grundsätzlich keine gezielte Physiotherapie erforderlich. Die Kinder beginnen meist spontan zu belasten, ein Schonungshinken verliert sich in kurzer Zeit. Ein entsprechendes Aufklärungsgespräch mit den Eltern erleichtert die Betreuung im Verlauf.
Abb. 20.37. In Fehlstellung mit Fixateur externe versorgte Oberschenkelfraktur bei 6-jährigem Mädchen
Abb. 20.38. CT-Kontrolle zur Beurteilung des Rotationsfehlers
Hlinischer Hinweis Bei Mädchen ist eine Thromboseprophylaxe bei Risikoanamnese spätestens bei eingetretener Menarche indiziert, Jungen sollten ab dem 14. Lebensjahr oder bei vorliegendem Risikopotenzial eine Thromboseprophylaxe erhalten.
Diaphysärer Oberschenkel
Radiologische Kontrollen Undislozierte stabile Frakturen müssen keiner sekundären radiologischen Kontrolle im Verlauf unterzogen werden. Um die Konsolidation zu prüfen, stellt die Sonographie eine gute Alternative dar. Undislozierte Frakturen, die sekundär eine Achsabweichung aufweisen können, müssen nach 7 Tagen und bei Kindern über dem 6. Lebensjahr zusätzlich nach 14 Tagen radiologisch kontrolliert werden. Instabile Frakturen werden meist primär osteosynthetisch versorgt. Diese sind innerhalb des stationären Aufenthalts zu röntgen, und zwar einschließlich der angrenzenden Gelenke. Die nächste radiologische Kontrolle ist nach 4 Wochen indiziert, um die Heilung nachzuweisen. Generell ist vor Implantatentfernung ein aktuelles Röntgenbild zu fordern, da es immer wieder zu Schraubenbrüchen kommt. Nachkontrollen Grundsätzlich sind klinische Nachkontrollen in halbjährlichem, später jährlichem Abstand bis zum Abschluss des Wachstums angeraten. Beinlängendifferenzen und Rotationsabweichungen können so frühzeitig erkannt werden (v. Laer 2001).
Abb. 20.39. Postoperative Kontrolle nach Derotation und Stabilisierung mit Plattenosteosynthese
Alle operativen Therapieformen sollten eine rasche Mobilisierung an Unterarmgehstützen gestatten. Kinder erlernen diese Technik schnell. In den ersten Tagen der stationären Kontrolle ist eine physiotherapeutische Anleitung sinnvoll und für den weiteren Verlauf meist ausreichend. Der schrittweise Belastungsaufbau kann von den Kindern selbst gesteuert werden. Die meist vorhandene Kniegelenkeinschränkung nach Anlage eines Fixateur externe bildeten sich innerhalb von 4–6 Wochen nach Abnahme zurück. Die kurzen Konsolidierungszeiten im Kindesalter erlauben es, Sport, insbesondere Kontaktsportarten und Schulsport solange zurückzustellen, bis freie Funktion und volle Belastbarkeit erreicht sind. Die Metallentfernung erfolgt beim Fixateur nach erfolgter Konsolidation (meist nach 8–16 Wochen, je nach Alter des Patienten und Frakturform), wenn möglich ohne Vollnarkose; meist ist eine Analgosedierung ausreichend. Intramedulläre Nägel können nach etwa 6 Monaten, Verriegelungsnägel nach etwa 9 Monaten entweder ambulant oder im Rahmen eines kurzen stationären Aufenthalts entfernt werden. Gekreuzte Spickdrähte werden nach Konsolidation der Fraktur entfernt, Schrauben altersabhängig zwischen dem 5. bis 9. Monat.
Posttraumatische Korrektur Bei Auftreten einer posttraumatischen Deformität kann in der Regel abgewartet werden, wenn nicht bereits während der Primärtherapie eine inakzeptable Achsenfehlstellung aufgetreten ist. Letztere kann am einfachsten in der Initialphase behoben werden (Abb. 20.37, Abb. 20.38, Abb. 20.39). Kontrollen sind mit Hilfe der CT oder – ohne Strahlenbelastung – mit Hilfe des Ultraschalls möglich (Keppler et al. 1999 b). Ein wesentlicher Grund zur Intervention können funktionelle Beschwerden des Kindes sein. Kosmetische Beschwerden, vor allem vonseiten der Eltern bemängelt, sind für sich allein noch kein Grund zur sofortigen Intervention. Indikation zur Korrektur ist vor allem eine signifikante Befundverschlechterung im Verlauf. Generelles Ziel ist es, unnötige Korrekturen zu vermeiden – somit werden mögliche Befundverbesserungen bis Wachstumsabschluss abgewartet – und falls erforderlich tatsächlich eingetretene Fehlstellung ggf. in einem Schritt definitiv zu beheben. Andernfalls ist der Patient darüber aufzuklären, dass möglicherweise mehrere Operationen notwendig werden (Abb. 20.40 a–f). Methode der Wahl sind in der Regel Korrekturosteotomien, die entweder über einen Fixateur externe oder eine Plattenosteosynthese stabilisiert werden (Hasler u. v. Laer 2000). Korrekturen werden meistens durch quere Osteotomien im distalen Drittel des Schaftes durchgeführt (v. Laer 2001). Grundsätzlich müssen Patienten, die eine Verlängerung wünschen und für die eine Verkürzung nicht in Frage kommt, über die Gesamtdauer des Behandlung und die lange Tragedauer bei Verwendung des Fixateur externe (monolateral oder als Ring) aufgeklärt werden (vgl. Abb. 20.40 a–f).
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Kapitel 20 Diaphysärer Oberschenkel
Abb. 20.40 a–f. 20-jähriger Patient mit Wachstumsstörung nach Salter-Harris-II-Fraktur, Korrektur mit Fixateur externe, Epiphysiodese (Klammerung), Achskorrektur und Verlängerung mit Fixateur externe
Indikationen zur Korrektur einer posttraumatischen Deformität am Oberschenkel 1. Alter 2. Zunehmender Verlauf 3. Funktionelle Beschwerden 4. Kosmetische Bedürfnisse 5. Zumutbarkeit für den Patienten 6. Tatsächliche Spätprognose
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Kapitel 21
Kniegelenk
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A.-M. Weinberg, C. Castellani, M. Clarius, P. Kasten, E. Pusch, P. Kalmar, E. Kahl, T. Kälicke, S. Arens, M. Thomsen, F. Schneider
21.1 21.1.1 21.1.2 21.2 21.2.1 21.2.2 21.2.3 21.2.4 21.2.5 21.2.6 21.3
21.3.1 21.3.2 21.3.3 21.4
21.4.1 21.4.2 21.4.3
Femoraler Anteil des Kniegelenks . . . . . . . . . . 673 A.-M. Weinberg, C. Castellani Frakturen der distalen Femurepiphysäre . . . . . . 673 Femorale ossäre Seitenbandausrisse . . . . . . . . . 680 Knieband- und Kniebinnenverletzungen . M. Clarius, P. Kasten, A.-M. Weinberg Meniskusläsion . . . . . . . . . . . . . . . Scheibenmeniskus . . . . . . . . . . . . . . Seitenbandläsion . . . . . . . . . . . . . . Läsionen des vorderen Kreuzbandes . . . . Läsionen des hinteren Kreuzbandes . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 683 . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse) . . . . . . . . . . . . . A.-M. Weinberg, E. Pusch, P. Kalmar, E. Kahl Nichtfugenkreuzende Epiphysenfrakturen . . . . Ausrissfrakturen der Eminentia intercondylaris . Fugenkreuzende Epiphysenfrakturen . . . . . . . Ausrisse der Apophyse der Tuberositas tibiae . . . Patella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.-M. Weinberg, T. Kälicke, S. Arens, M. Thomsen, P. Kasten, F. Schneider Patellafrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . Patellaluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Kasten, M. Thomsen, A.-M. Weinberg Osteochondrale Frakturen bei Patellaluxation A.-M. Weinberg, F. Schneider
. . . . . .
685 688 690 690 693 694
. 694 . . . .
694 694 703 710
. . . 714
. . . 716 . . . 721 . . . 731
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
Verletzungen des Kniegelenks setzen sich aus knöchernen Läsionen sowie aus Verletzungen der Menisken oder des Bandapparates zusammen. Verletzungen der gelenkigen knöchernen Anteile sind: 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
die epiphysären Verletzungen des distalen Femur, Patellafrakturen und Luxationen, osteochondrale Frakturen, Ausrissfrakturen der Eminentia intercondylaris, Frakturen des epiphysären Anteils der Tibia sowie Frakturen der Tuberositas tibiae.
Bei den Kniebinnenverletzungen kann es sich um 쐌 Bandverletzungen (Seitenbänder, Kreuzbänder) und 쐌 Meniskusverletzungen handeln.
Im folgenden Kapitel wird zunächst auf die Verletzungen des femoralen Anteils, dann auf die Kniebinnenläsionen gefolgt von den tibialen Läsionen des Kniegelenks eingegangen. Im letzten Teil sind die Verletzungen der Patella dargestellt.
21.1 Femoraler Anteil des Kniegelenks A.-M. Weinberg, C. Castellani 21.1.1 Frakturen der distalen Femurepiphysäre Die kniegelenknahen extraartikulären metaphysären Verletzungen einschließlich der Salter-Harris-I- und -II-Brüche wurden im vorangegangenen Kapitel abgehandelt (s. Kap. 20). Dies ist insofern sinnvoll, da es sich dabei um die am weitesten peripher gelegenen Schaftfrakturen und nicht um Gelenkfrakturen handelt. Generell unterscheiden sich die echten Gelenkfrakturen von den Schaftfrakturen, welche auch Fugenläsionen beinhalten können, dadurch, dass die Schaftfrakturen ein altersabhängiges Korrekturpotenzial besitzen und die Gelenkfrakturen immer anatomisch rekonstruiert werden müssen. Zu den Verletzungen des femoralen Anteils des Kniegelenks gehören 쐌 die epiphysären Frakturen (Salter-Harris III und IV), 쐌 die ossären femoralen Bandausrisse sowie 쐌 die osteochondralen Frakturen. Letztere werden unter dem Abschnitt der chondralen Läsionen bei Patellaluxation abgehandelt (s. Abschn. 21.4.2). Ursache und Häufigkeit Der Unfallmechanismus beruht in erster Linie auf einer indirekten Einwirkung von kombinierten Torsions- und Biegekräften auf das kniegelenknahe Femur bei fixiertem Unterschenkel. Unfallursache sind Ball- oder Kontaktsportarten, aber auch beim Skilaufen kann eine solche Verletzung auftreten. Direkte Krafteinwirkung bei Verkehrsunfällen oder Anpralltraumen sind ebenfalls beschrieben. Abgesehen von Verletzungen der distalen
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Femurmetaphyse bei Geburtstraumen sind entsprechend überwiegend ältere Heranwachsende betroffen. Selten können spezifische Grunderkrankungen (Leukämie, Hämophilie, Myelodysplasie usw.) aufgrund lokalisierter Schwächung der epiphysären Region zu pathologischen Frakturen führen. Generell zeigen sich folgende Verteilungen: metaphysäre Frakturen machen etwa 4,6%, epiphysäre etwa 0,1–0,3% aller distalen Femurfrakturen aus (Beck et al. 2001; Lombardo et al. 1977; Zimmermann et al. 1999). Entwicklung und Wachstum (einschließlich Wachstumsprognose und Korrekturmöglichkeiten) Die distale Femurepiphyse ist die größte Fuge und diejenige, die am schnellsten wächst. Sie hat am Femur einen Anteil von 70% am Längenwachstum, am gesamten Längenwachstums des Kindes einen Anteil von 37% (Weinberg et al. 2002). Die Ossifikation geht von einem Ossifikationskern aus, der bereits bei Geburt sichtbar ist. Die distale Femurfuge verschließt sich zwischen dem 15. bis 18. Lebensjahr (v. Laer 2001). Wachstumsstörung Stimulative Wachstumsstörung. Nach jeder Femurfraktur sind bis zum Ausheilen derselben stimulative Wachstumsstörungen zu verzeichnen (Weinberg et al. 2002). An der unteren Extremität führt dies zu Beinlängendifferenzen, die entsprechend kontrolliert werden müssen. Die Höhe wird aufgrund der Seltenheit der Fraktur mit einer hohen Varianz zwischen 5 und 59% angegeben (Beck et al. 2001; v. Laer 2001; Lombardo et al. 1977). Befindet sich der Patient kurz vor dem Wachstumsabschluss, so kann es konsekutiv auch zu einer Verkürzung der Beinlänge gegenüber der Gegenseite kommen, da die Stimulation zu einem frühzeitigeren Schluss der Fuge gegenüber der Gegenseite führen kann (Weinberg et al. 2002). In der Literatur wird die Inzidenz der posttraumatischen Beinlängendifferenzen nach distalen Femurfrakturen zwischen 11–38,5% angegeben (Beck et al. 2001; Ehrlich 1979; Zimmermann et al. 1999). Diese hohe Schwankungsbreite hat mehrere Ursachen. In den Nachuntersuchungen werden die unkomplizierten Stauchungsfrakturen, die wesentlich seltener Wachstumsstörungen aufweisen, miteinbezogen. Der Anteil der präpubertären Patienten ist in den einzelnen Studien unterschiedlich hoch. Der Nachuntersuchungszeitraum variiert. Patienten können noch Jahre nach dem Trauma (insbesondere präpubertär) Längendifferenzen entwickeln. Exakte epidemiologische Daten bezüglich der reinen Gelenkfrakturen (Salter-Harris-III- und -IVLäsionen) existieren für den distalen Femur nicht. Hemmende Wachstumsstörung. Die vollständige hemmende Wachstumsstörung, in deren Folge es zu einer Beinlängenverkürzung kommen kann, betrifft die ganze Fuge. Die hemmende partielle Wachstumsstörung
kann je nach Lage der Brücke ein Genu varum, valgum, ante- bzw. recurvatum nach sich ziehen (Beck et al.2001; Caterini et al. 1991; Ehrlich 1979; v.Laer 1994; Abb.21.1 a,b). Hemmende Wachstumsstörungen scheinen in der Frontalebene häufiger aufzutreten. Eine prophylaktische Therapie der Wachstumsstörung gibt es nicht. Es ist wichtig, die Risikofaktoren, die eine Wachstumsstörung verursachen, so gering wie möglich zu halten. Generell wird angenommen, dass 쐌 das Dislokationsausmaß (über ein Fünftel Schaftbreite), 쐌 aber auch die Therapie: – Genauigkeit der Reposition, – die Häufigkeit der Manipulation insgesamt sowie – stattgehabte Infekte die Inzidenz der Wachstumsstörung beeinflussen (Buess-Watson et al. 1994; Lombardo et al. 1977; Riseborough et al. 1983). Die Höhe liegt zwischen 35–50%, manche Autoren gehen von noch größeren Zahlen aus. Entsprechend müssen der Patient und seine Eltern frühzeitig über mögliche Wachstumsstörungen aufgeklärt werden. Spontankorrekturen Da es sich um Gelenkfrakturen handelt, sind Fehlstellungen im Gelenk (Diastasen und Stufen) zu vermeiden. Grundsätzlich kann eine Gelenkinkongruenz nicht spontan korrigiert werden. Inwieweit kleine Kinder zumindest im knorpeligen Anteil des Gelenks Diastasen, weniger Stufen ausgleichen können, ist wissenschaftlich nicht gesichert, es scheint aber möglich. Jedoch finden sich derartige Verletzungen des distalen Femurs typischerweise erst ab dem Schulkindalter. Dies mag mit dem sehr elastischen und großen knorpeligen Anteil der Fuge zusammenhängen.
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Abb. 21.1 a,b. Partielle Wachstumsstörungen nach distaler epiphysärer Femurfraktur. a Zentrale Brückenbildung nach SalterHarris-IV-Verletzung, Beinverkürzung und zentrale Gelenkeinziehung. b Periphere Brücke nach distaler Femurfraktur, klinisch Beinverkürzung und Achsdeviation
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21.1 Femoraler Anteil des Kniegelenks
Klassifikation Die distalen Oberschenkelgelenkfrakturen werden nach Salter u. Harris (1963) oder Aitken (1936) eingeteilt. Man differenziert die Gelenkfrakturen in 쐌 reine epiphysäre Verletzungen (Aitken II, Salter-Harris III) und 쐌 Verletzungen mit epimetaphysärem Anteil (Aitken III, Salter-Harris IV). In der Adoleszenz können Übergangsfrakturen auftreten. Diese wiederum können in 2 bzw. 3 Ebenen liegen (»twoplane«, »triplane«; v. Laer 1997; Abb. 21.2 a–c). Knienahe Bone-bruise-Verletzungen Eine weitere Sonderform von epiphysären Verletzungen stellen die vor allem im Kniebereich zu beobachtenden »Bone-bruise-Verletzungen« dar. Es handelt sich dabei um subchondrale Mikrofrakturen mit Einblutungen in die Knochenmatrix der Epiphyse. Dabei sind häufig begleitende Gelenkergüsse zu beobachten (Abb. 21.3 a,b). Diese Verletzungen können erst seit der Einführung von MRT-Untersuchungen diagnostiziert werden. Bei Beschwerden erfordern diese eine Entlastungsbehandlung über 4–8 Wochen. Eine Ruhigstellung ist nur zu Beginn bis zur Schmerzfreiheit – in der Regel für 1–2 Wochen – zu empfehlen.
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Abb. 21.2 a–c. Klassifikation der epiphysären Femurfraktur. a Salter-Harris III. b Salter-Harris IV. c Übergangsfraktur, die in mehreren Ebenen liegen kann
Abb. 21.3 a,b. Bone-bruiseVerletzung am lateralen Femurcondylus im MRT-Bild (Mädchen, 13 Jahre)
Diagnostik Ist die Klinik eindeutig und die Fraktur bereits nach einer Aufnahme zu erkennen, so kann initial auf die zweite Ebene verzichtet werden, um dem Patienten unnötige Schmerzen zu ersparen. Da alle dislozierten Frakturen eine Notfallindikation zur Operation darstellen, ist die zweite Ebene vor dem sterilen Abdecken unter Anästhesie nachzuholen. Schwieriger ist die Diagnose der Übergangsfraktur, da diese manchmal nur auf einer schrägen zusätzlichen Aufnahme in der Ebene der Fraktur zu erkennen ist. Alternativ kann bei Verdacht auf eine solche Fraktur eine CT durchgeführt werden. Hier ist eine exakte Beurteilung des Verlaufs und des Ausmaßes der Fraktur für die weitere Frakturversorgung möglich (Wojcik et al. 1998). Therapie Therapieziel ist die Vermeidung von funktionellen Beschwerden und einer bleibenden Deformierung des Gelenks, letztere ist verbunden mit einer Reduzierung des Risikos einer frühzeitigen Arthrose des Kniegelenks. Zusätzlich ist die Möglichkeit einer Wachstumsstörungen, die zu einer Deformierung des Gelenks führen kann, zu minimieren. Neben dem Erhalt der anatomischen Gelenkkongruenz muss auch die Anzahl der Manipulationen möglichst gering gehalten werden. Daher gibt es eine Tendenz zur primären definitiven Stabilisierung auch bei primär undislozierten Frakturen. Indikation für konservative Therapie Undislozierte Frakturen, die eine Rarität darstellen, können grundsätzlich im Becken-Bein-Gips oder Oberschenkelgips ruhig gestellt werden. Zuvor ist ein Erguss ggf. durch Punktion zu entlasten. Eine klinische Kontrolle des Ergusses sollte am übernächsten Tag erfolgen, an dem eine erneute Punktion erfolgen kann (Fiala et al. 1992; Rybka et al. 2003; Weinberg et al. 2002). Bei kleinen Kindern sind die Punktion und die Gipsanlage ausschließlich in Vollnarkose durchzuführen.
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Klinischer Hinweis Nur Achsabweichungen in der Sagittalebene nach metaphysären Frakturen (Salter-Harris I und II) können der Spontankorrektur überlassen werden, alle epiphysären Frakturen, die immer Gelenkfrakturen darstellen (Salter-Harris III und IV), müssen anatomisch rekonstruiert werden. Dies ist altersunabhängig!
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Indikation für operativ Therapie Relative Indikation. Manche Autoren plädieren grundsätzlich dafür, alle Gelenkfrakturen – auch undislozierte Brüche – definitiv zu stabilisieren (Novello 1974; Trinchi u. Tarolli 1975). Vorteil dieses Vorgehens ist die Vermeidung sekundärer Dislokationen, erneuter Narkosen und zusätzlicher Repositionsmanöver an der Fuge. Unterstützt wird diese Forderung durch neue Techniken. Das Einbringen kanülierter Schrauben ist bei undislozierten Frakturen parallel zur Fuge geschlossen möglich. Ein offenes Verfahren dagegen birgt immer ein erhöhtes Risiko einer posttraumatischen Wachstumsstörung, sodass früher der Nachteil der Weichteilirritation mit möglichen Durchblutungsalterationen der Fuge den vermeintlichen Vorteil der Verhinderung einer sekundären Dislokation aufgewogen hat. Weitere relative Indikationen stellen innen rotierte Verletzungen, die polytraumatisierte Patienten aufweisen, sowie Kettenfrakturen dar. Absolute Indikation. Alle dislozierten Frakturen sind notfallmäßig primär definitiv zu stabilisieren (v. Laer 1997, 2001). Hinzu kommen alle Verletzungen, die offen sind, sowie Serienfrakturen der unteren Extremität. Bei reinen epiphysären Gelenkfrakturen ist die geschlossene Reposition meist nicht möglich. Es muss offen anatomisch rekonstruiert werden. Der Zugang hängt von der Frakturlokalisation ab. Oftmals kann von lateral zugegangen werden. Es empfiehlt sich, bei offenem Vorgehen eine Kompressionsosteosynthese durch Kleinfragmentzugschrauben durchzuführen (v. Laer 1997). Falls keine Schraubenosteosynthese durchführbar ist, kann alternativ eine Kirschner-Draht-Osteosynthese erwogen werden (Novello 1974; Trinchi u. Tarolli 1975; Weinberg et al. 2002). Da die Drähte in Kniegelenknähe eingebracht werden, sollten die Drahtenden besser versenkt werden, da diese gerade im Bereich des Tractus iliotibialis erhebliche Beschwerden bereiten können. Außerdem besteht eine erhöhte Gefahr, dass im Falle eines Infekts das Kniegelenk einbezogen wird.
Operatives Vorgehen Operationsprinzip. Ziel ist die Wiederherstellung der Gelenkkongruenz zur Vermeidung einer präarthrotischen Deformität und das volle Wiedererlangen der Funktion.
Vor- und Nachteile der operative Therapie (insbesondere bei prophylaktischer Verschraubung undislozierter Frakturen zu beachten!) Vorteile: 쐌 Genaue Beurteilung des Verletzungsausmaßes 쐌 Bewusste Schonung der Fuge, Vermeidung wiederholter Repositionsmanöver 쐌 Anatomische Refixation des Fragments 쐌 Wiederherstellung der Knieachsen Nachteile: 쐌 Operativer Eingriff mit der Möglichkeit einer iatrogenen Schädigung des Gefäß-NervenBündels (medialer Zugang) 쐌 Möglicherweise störende Narbenbildung 쐌 Möglichkeit der operationsbedingten weiteren Fragmentierung der Fragmente 쐌 Erhöhtes Risiko der Wachstumsstörung 쐌 Allgemeine Operationsrisiken (Wundinfektion, Knocheneiterung, Nachblutung) 쐌 Fast immer Notwendigkeit eines zweiten operativen Eingriffs (Metallentfernung in Narkose) 쐌 Die Implantate (Kirschner-Drähte) liegen im Bereich des Tractus ilitibialis, was die Kniegelenkfunktion passager beeinträchtigen kann (insbesondere bei Fixateur-externe-Anlage)
Kontraindikationen. Kontraindikationen für einen operativen Eingriff sind undislozierte Frakturen bei einem Patientenalter bis 4 Jahre sowie die allgemeinen Operationskontraindikationen. Patienten- und Elternaufklärung. Patienten und Eltern müssen über folgende Aspekte aufgeklärt werden: 쐌 allgemeine Operationsrisiken, 쐌 iatrogene Läsion des medialen Gefäß-Nerven-Bündels bei medialem Zugang, 쐌 dreiwöchige postoperative Gipstutorbehandlung, 쐌 klinische und radiologische Kontrolle nach 3 Wochen sowie 6 Wochen nach Metallentfernung, 쐌 besteht eine deutliche Bewegungseinschränkung im Kniebereich (>25° Streckdefizit und/oder 25° Beugedefizit) 6 Wochen nach Metallentfernung, so empfehlen wir die Physiotherapie, 쐌 meist Notwendigkeit eines zweiten operativen Eingriffs zur Metallentfernung in Narkose.
21.1 Femoraler Anteil des Kniegelenks
Operationsvorbereitung. Falls bei der Erstversorgung keine zufriedenstellenden Aufnahmen gemacht werden konnten, muss vor der Abdeckung eine korrekte radiologische Aufnahme der Verletzung nachgeholt werden, um mögliche knöcherne Begleitverletzungen bzw. zusätzliche Fragmente sicher zu diagnostizieren. Instrumentarium. Bohrdrähte der Dicke 1,0–2,0 mm in ausreichender Länge, Spongiosaschrauben 4,0 mm (3,0–4,5 mm, kanüliert). Anästhesie und Lagerung. Bei Kindern wird die Allgemeinanästhesie bevorzugt, bei Jugendlichen kann der Eingriff ggf. in Spinalanästhesie durchgeführt werden. Der Patient wird auf dem Rücken bei frei abgedecktem Bein gelagert. Zur Reposition kann eine Unterpolsterung im Kniegelenk hilfreich sein. Ein abklappbares Fußteil erleichtert die Kniegelenkflexion. Operationstechnik (Abb. 21.4 a,b). Dislozierte Gelenkfrakturen (Salter-Harris III und IV) und Übergangsfrakturen müssen exakt reponiert und mit einer Kompressionsosteosynthese stabilisiert werden. Der Zugang richtet sich nach der Lokalisation der Fraktur bzw. des metaepiphysären Keils. Meist liegt der metaphysäre Keil lateral, sodass ein lateraler Zugang gewählt wird.
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쐌 Anterolaterale Zugang zum Kniegelenk: Es erfolgt eine 5–8 cm lange Hautinzision über dem lateralen Kniegelenkspalt (der Patellarand findet sich in 3–4 cm Abstand). Die Subkutis wird durchtrennt und der Tractus iliotibialis längs gespalten. Unter Weghalten des Tractus iliotibialis wird die Gelenkkapsel schräg nach distal vorne gespalten (Abb. 21.5 a,b) Bei Bedarf kann die Hautinzision beliebig nach distal in Richtung der Tibiavorderkante und nach proximal verlängert werden. Die Fraktur wird schonend dargestellt, um den Weichteilmantel nicht zusätzlich zu schädigen. Das epiphysäre Fragment zeigt sich intraoperativ stets größer als auf der Röntgenaufnahme vermutet (Knorpelanteil). Nach sorgfältiger Versorgung des Frakturspalts erfolgt die anatomische Reposition und passagere Bohrdrahtfixation. Mit dem Bildwandler werden Repositionsergebnisse und Lage der Wachstumsfuge überprüft. Danach wird ggf. unter Durchleuchtungskontrolle vorgebohrt und eine Zugschraube (4,0 mm Spongiosaschraube mit kurzem Gewinde) oder kanülierte Schraube parallel zur Fuge eingebracht. Es ist wichtig, die Epiphysenfuge weder mit dem Bohrer noch mit der Schraube zu tangieren. Ein mehrfaches Bohren oder Heißlaufen von Drähten erhöht das Risiko einer Wachstumsstörung. Auf ein ausreichendes Kühlen während der Bohrvorgänge ist zu achten. Das Schraubengewinde muss die Frakturlinie in vollem Umfang überschreiten und darf nicht in das Gelenk
b Abb. 21.4 a,b. Kompressionsosteosynthese der distalen Femurgelenkfraktur mit Schraubenosteosynthese. Der Zugang richtet sich nach der Lokalisation des metaphysären Keils. Das epiphysäre Fragment ist intraoperativ stets größer als radiologisch erkennbar
vorragen. Liegt ein ausreichend großes metaphysäres Fragment vor oder eine Triplane-Fraktur, wird zusätzlich eine parallel zur Fuge verlaufende metaphysäre Schraube nach dem gleichen Prinzip eingebracht. Bei sehr kleinen Kindern reicht in Ausnahmefällen auch die Spickdrahtosteosynthese aus. Zum Abschluss erfolgt eine Röntgenkontrolle intraoperativ in 2 Ebenen, ein schichtweiser Wundverschluss über Drainagen, eine resorbierbare Hautnaht und schließlich die Anlage einer Oberschenkelgipsschiene (Abb. 21.6 a–c).
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Fehler, Gefahren, Komplikationen 쐌 Intraoperative Schädigung des medialen GefäßNerven-Bündels beim Einbringen der Bohrdrähte von lateral 쐌 Bei erhöhtem Varusstress bei Reposition Schädigung des N. peronaeus 쐌 Ungenügende Stabilität bei kreuzenden Drähten, wenn die Kreuzungsstelle in Höhe der Fraktur liegt 쐌 Schädigung der Wachstumsfuge durch Heißlaufen des Drahtes 쐌 Vermeiden von mehreren Schraubenbohrungen 쐌 Liegen des Implantats in der Fuge ist zu vermeiden (Brückenbildung) 쐌 Fehlfixation eines Gelenkfragments führt zu Fehlwachstum 쐌 Irritation des Tractus iliotibialis bei zu langen Drähten 쐌 Instabilität und verbliebene Fehlstellungen nach intraartikulären Frakturen sollten frühzeitig im Rahmen der Primärbehandlung korrigiert werden
Abb. 21.5 a,b. Meist liegt der Keil lateral, sodass ein anterolateraler Zugang gewählt wird. Oft genügt eine 5–8 cm große Inzision am lateralen Kniegelenkspalt, der sich bei gebeugtem Knie gut tasten lässt. Nach Durchtrennung der Subkutanschicht wird der Tractus iliotibialis in Längsrichtung gespalten (1 Condylus lateralis femoris, 2 Meniscus lateralis, 3 vorderes Kreuzband)
Geschlossene kanülierte Schraubenosteosynthese bei undislozierten Frakturen. Nach sterilem Abwaschen und Kontrolle nach Bildwandler der guten Reposition wird am distalen lateralen Oberschenkel über Stichinzisionen der Bohrdraht parallel zur Fuge eingebracht (v. Laer 1997, 2001). Anschließend wird die Schraubenlänge ausgemessen und eine entsprechende Schraube über den Draht in kanülierter Technik eingebracht. Das Gewinde sollte nicht im Frakturspalt zu liegen kommen. Bei sehr kleinen Kindern sollte unter Umständen der Draht in der kanülierten Schraube belassen werden, um das Herausdrehen bei gut freigelegtem Schraubenkopf zu erleichtern, da in diesem Alter die kanülierten Schrauben häufig sehr schnell mit Knochen zuwachsen und dann bei der Materialentfernung der Zugang deutlich erweitert werden muss. Nachbehandlung Konservativ Stellt sich kein Erguss mehr ein, so muss zwischen dem 7. bis 9. Tag eine radiologische Kontrolle der Stellung durchgeführt werden. Da es sich um Gelenkfrakturen handelt, ist eine sekundäre Dislokation/Achsabwei-
21.1 Femoraler Anteil des Kniegelenks
chung in keinem Fall zu tolerieren. Bei Kindern über dem 10. Lebensjahr ist bei vollständigen undislozierten Frakturen (eine Rarität!) nach 14 Tagen erneut eine radiologische Kontrolle durchzuführen, da diese Frakturen bei älteren Kindern auch noch nach dem 10. Tag – zumindest theoretisch – dislozieren können. Die konservativ behandelten Frakturen werden im Durchschnitt 4–5 Wochen ruhig gestellt. Die Patienten sind nach Anlage eines Liegegipses für eine Woche zur Abschwellung, anschließend unter Entlastung bei geschlossenem Gips an Unterarmgehstützen zu mobilisieren. Nach 2 Wochen kann mit leichter Belastung begonnen werden, in der 3. und 4.Woche kann sie bis zum halben Körpergewicht gesteigert werden, ab der 4. Woche ist die volle Belastung erlaubt. Die Tragedauer des Gipses beläuft sich alters- und frakturabhängig zwischen 4–6 Wochen. Nach 4–6 Wochen wird der Gips entfernt (Weinberg et al. 2002). Bei allen Frakturen wird zu diesem Zeitpunkt eine radiologische Kontrolle in 2 Ebenen durchgeführt. Diese dient der Beurteilung der Durchbauung des Bruches. Die Patienten sollen die Bewegung spontan wieder aufnehmen. Eine Physiotherapie ist zwar nach Ansicht vieler Autoren nicht zwingend notwendig, erscheint aber gerade bei Gelenkfrakturen unterstützend hilfreich und sollte entsprechend mit dem Patienten diskutiert werden (v. Laer 2001). Einschränkungen der Beweglichkeit, die länger als 6–8 Wochen andauern, sollten krankengymnastisch behandelt werden. Länger bestehende Einschränkungen im Gelenkbereich sind später nur mit Mühe zu therapieren. Zusätzlich haben viele Patienten – insbesondere Adoleszente – durch die hohe Gewalteinwirkung und die Stellung des Beins beim Unfall erheblich Schwierigkeiten,Vertrauen in die eigene Extremität zu setzen.Auch hier ist die Physiotherapie unabdingbar. Bei freier Funktion kann die sportliche Aktivität wieder erlaubt werden (v. Laer 1997). Dies ist meist nach 12–16 Wochen erreicht. Operativ Patienten, die eine Schraubenosteosynthese ohne zusätzliche Gipsruhigstellung erhalten haben, werden an Unterarmgehstützen unter Abrollen des Fußes mobilisiert. Gleichzeitig wird bereits postoperativ funktionell auf der Bewegungsschiene behandelt. Patienten, die die Teilbelastung nicht durchführen können bzw. osteosynthetisch versorgte Frakturen mit geringer Restinstabilität werden in einem Oberschenkeltutor ruhig gestellt. Nach 3 Wochen erfolgt die Abnahme des Gipses und der langsame Belastungsaufbau.
Abb. 21.6. a 5-jähriger Junge zog sich eine Salter-Harris-III-Verletzung des distalen Femurs zu. b Osteosynthese mit Spickdrähten. c Ausheilungsbild nach 12 Wochen
Metallentfernung. Kirschner-Drähte werden nach Durchbauung der Fraktur gezogen, alle anderen Implantate werden frühestens nach einem halben Jahr entfernt (v. Laer 1997; Weinberg et al. 2002).
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Wachstumskontrollen Bei allen Gelenkfrakturen ist in halbjährlichen Abständen eine Wachstumsstörung auszuschließen. Darunter werden Beinlängendifferenzen mit und ohne Achsabweichungen und deren Folgen verstanden (Bylander et al. 1981; v.Laer 1997). Finden sich Zeichen einer beginnenden oder zunehmenden Deformität, so muss dies radiologisch gesichert werden. Hier empfiehlt sich, zusätzlich eine CT durchzuführen. Mit dieser Technik können vorhandene Brückenbildungen beurteilt werden, um ggf. die Indikation zur Sprengung derselben zu stellen. Wenn ein Patient innerhalb der ersten 2 Jahre nach Unfall beschwerdefrei ist und keine Beinlängendifferenzen oder beginnende Wachstumsstörungen auftreten, so kann die Behandlung abgeschlossen werden. Der Patient und dessen Eltern müssen aber darüber informiert werden, dass es gerade im Rahmen des physiologischen Wachstumsschlusses erneut zum Auftreten von Störungen kommen kann. Bei aufgetretenen Störungen ist der Patient in jährlichen bis zweijährlichen Abständen bis zum Wachstumsabschluss zu kontrollieren. Spätkomplikationen Bei auftretenden hemmenden Wachstumsstörungen mit teilweisem oder völligem Verschluss der Fuge hängt der Zeitpunkt der Korrektur vom Alter und dem Ausmaß der Brückenbildung ab. Bei konsekutiven Beinverkürzungen ohne Achsendeviation ist die Verlängerung (die Verkürzung der Gegenseite lehnen fast alle Patienten ab) abhängig vom Alter des Patienten zum Unfallzeitpunkt und der noch zu erwartenden Verkürzung im Laufe des Wachstums zu planen. Finden sich Brücken, so sind diese, wenn sie weniger als 15–20% der Zirkumferenz der Fuge betragen, zu resezieren und mit einem Interponat anzufüllen (Bronfen et al. 1994; v. Laer 2001; Laura et al. 1992). Als geeignetes Interponat wird Rippenknorpel oder Knorpel aus dem Beckenkamm bevorzugt (Bronfen et al. 1994; v. Laer 1997, 2001; Laura et al. 1992). Auch die frühzeitige Verödung der gesamten Fuge kann eine Alternative darstellen. Anschließend kann die Kallusdistraktion zur Wiederherstellung der Länge eingesetzt werden. Diese Möglichkeit wird selten in Erwägung gezogen. Bei Adoleszenten nach dem 12. Lebensjahr bevorzugen einige Autoren eine Brückensprengung mit der Ilizarov-Methode (v. Laer 2001). Diese führt zu einem erneuten Verschluss, welcher mit einer konsekutiven Beinlängenverkürzung einhergeht. Stimulative Beinlängenalterationen ohne Achsendeviation überschreiten selten 2 cm. Diese werden, wenn notwendig, erst nach Wachstumsabschluss korrigiert.
21.1.2 Femorale ossäre Seitenbandausrisse Ursache und Häufigkeit Die Anzahl der Bandläsionen am Kniegelenk nimmt zu. Dies ist auf vermehrte sportliche Aktivität im Leistungsbereich, aber auch auf das größer werdende Bewusstsein von Bändläsionen am Knie zurückzuführen (Ritter u. Neugebuaer 1989). Dennoch sind Verletzungen der Bänder wesentlich seltener als knöcherne Läsionen in Fugenhöhe, da die Bänder eine höhere Reißfestigkeit aufweisen als die Epiphysenfugen. Intraligamentäre Läsionen finden sich meist erst in der Adoleszenz. Seitenbandausrisse am Knie müssen generell als Knieverletzung mit der Möglichkeit der Instabilität betrachtet werden. Bei inkompletten Rupturen bzw. fehlender Aufklappbarkeit kommen Verletzungen der Kniebinnenstrukturen äußerst selten vor. Bei Instabilität, die auch zur Dislokation der Fragmente geführt hat, besteht immer der Verdacht auf eine Kniebinnenläsion (v. Laer 1997). Es besteht eine Altersabhängigkeit. Kleinere Kinder erleiden diese Verletzungen bei Verkehrsunfällen im Rahmen einer Mehrfachverletzung. Ältere Kinder verunfallen meist bei der Ausübung von Kontaktsportarten, wobei es direkte und auch indirekte Unfallmechanismen gibt. Meist beschreiben die Kinder ein Gefühl des Herausspringens des Kniegelenks. Gefürchtet ist die »unhappy triad«, bei der es neben der Ruptur des medialen Seitenbandes und des vorderen Kreuzbandes zu Schäden an den Menisken kommt (Matter et al. 1970; s. auch Abschn. 21.2.1). Entwicklung und Wachstum (einschließlich Wachstumsprognose, Korrekturmöglichkeiten) Wachstumsstörung Wachstumsstörungen können auch nach Läsionen des medialen wie auch des lateralen Kapsel-Band-Apparates eintreten. Diese führen zu einer zunehmenden Varusoder Valgusfehlstellung des Kniegelenks, ein Problem, das aber auch nach undislozierten Brüchen auftreten kann.Wir selbst haben dies jedoch in der eigenen Klinik nie beobachtet. Grundsätzlich beschränkt sich eine Varus- oder Valgusfehlstellung des Kniegelenks nach v. Laer (2001) aber auf die metaphysären knöchernen Bandläsionen am Kniegelenk. Es gibt 2 Ursachen der partiellen Wachstumsstörung in diesem Bereich: zum einen durch eine randständige periostale Brücke, zum andern durch eine Nekrosebrücke durch entsprechende Gefäßläsionen. Die Ausbildung eines periostalen Überbrückungskallus kann bei dislozierten Fragmenten nur durch eine Osteosynthese vermieden werden. Eine Brücke sollte bei entsprechender Größe reseziert werden.
21.1 Femoraler Anteil des Kniegelenks
Chirurgische und spezielle Anatomie Die Seitenbänder inserieren an der distalen Femurepiphyse und enden an der proximalen Tibia-Fibula-Epiphyse. Eine Ausnahme bildet das mediale kollaterale Seitenband (MCL), welches einen oberflächlichen Anteil aufweist, der von der femoralen Metaphyse zur distalen Tibia-/Fibulametaphyse zieht (Abb. 21.7). Klassifikation Die Läsionen werden hinsichtlich ihrer Rupturstelle eingeteilt. Man unterscheidet 쐌 femorale Ausrisse von 쐌 tibialen Ausrissen und 쐌 intraligamentäre Läsionen, die wiederum inkomplett oder komplett sein können. Die Therapie der rein ligamentären Verletzungen sind in Abschn. 21.2 aufgeführt.
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Diagnostik Klinisch Schmerzen entlang der Seitenbänder sind meist gut zu ertasten. Bei Verdacht auf einen knöchernen Ausriss werden keine Stabilitätsprüfungen durchgeführt, da es dabei zu sekundären Dislokationen kommen kann. Meist fallen gravierende Verletzungen bereits klinisch durch einen Hämarthros auf. Nach durchgeführter radiologischer Standarddiagnostik und Ausschluss einer knöchernen Läsion kann die Stabilität im Seitenvergleich getestet werden (s. Abschn. 21.2). Manchmal ist es schwierig, auf den Nativbildern kleine Fragmente durch die Überlagerung der Fuge zu
Abb. 21.7. Das Seitenband am Knie hat 2 Zügel, ein kurzen epiphysären und einen langen metaphysären Anteil. Nach Schädigungen kann es zu Wachstumsstörungen kommen
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erkennen. Im Zweifelsfall stellen wir die Extremität ruhig und kontrollieren den Befund nach einer Woche. Radiologisch Knöcherne Seitenbandläsionen kommen auf dem Standardröntgenbild des Kniegelenks in 2 Ebenen zur Darstellung. Empfohlene Diagnostik Bei Verdacht auf weitere Kniebinnenläsionen, vor allem bei dislozierten knöchernen Seitenbandausrissen, führen wir eine Notfall-MRT durch (Major et al. 2003).
Erst im Anschluss an die MRT wird ein vorliegender Hämarthros ggf. punktiert und eine Oberschenkelgipsschiene angelegt. Therapie Indikation für konservative Therapie Alle undislozierten Fragmente können sowohl bei epi- als auch bei metaphysären Bandausrissen problemlos konservativ behandelt werden. Sie zeigen eine gute Einheilung. Indikation für operative Therapie Siehe Abb. 21.8 a,b). Alle dislozierten Fragmente sollten offen refixiert werden: metaphysäre Läsionen, um die Ausbildung eines Brückenkallus zu vermeiden, epiphysäre, um die Stabilität des Gelenks zu sichern. Hierzu muss das Fragment schonend offen reponiert und je nach Größe mit einer oder 2 parallel zur Wachstumsfuge verlaufenden Kleinfragmentzugschrauben oder Kirschner-Drähten (kleine Fragmente) refixiert werden. Begleitende Kniebinnenverletzungen dürfen nicht übersehen werden, daher empfiehlt es sich immer, zunächst eine Arthroskopie durchzuführen. Die zunehmende initiale Durchführung einer MRT scheint die Arthroskopie teilweise überflüssig zu machen. Diesbezüglich fehlen aber eindeutige Kriterien in der Literatur, da diese Verletzungen äußerst selten auftreten. Wir empfehlen die Arthroskopie bei dislozierten insbesondere epiphysären Seitenbandausrissen am Kniegelenk (Abb. 21.9 a–c). Operatives Vorgehen Lagerung und Anästhesie. Es erfolgen die Rückenlagerung, ggf. zunächst die Durchführung einer Arthroskopie (Arthroskopielagerung mit hängendem Unterschenkel – abklappbares Fußteil) und anschließend die offene Verschraubung der dislozierten Fragmente. Das Bein wird frei beweglich abgedeckt. Durch Unterpolsterung im Kniegelenk kann eine leichte Beugung erreicht werden. Im Kindesalter ist eine Vollnarkose notwendig, bei Adoleszenten ist eine Regionalanästhesie möglich.
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b Abb. 21.8 a,b. Die Versorgung von knöchernen Bandausrissen entspricht derjenigen von Gelenkfrakturen, da es zu epimetaphysären Brückenbildungen kommen kann. Es werden meist Kleinfragmentzugschrauben verwendet. Begleitende Kniebinnenverletzungen dürfen nicht übersehen werden
Operationstechnik. Anterolateraler Zugang s. oben. 쐌 Anteromedialer Zugang: Die mediale parapatellare Inzision für die mediale Arthrotomie wird zunächst genutzt, um mediale und posteromediale Strukturen einzusehen. Nach Durchtrennung der Subkutis wird das mediale Retinaculum längs gespalten. Die Kniegelenkkapsel wird 2 cm proximal des Spaltes eröffnet und nach distal medial erweitert (cave: kapsulärer Meniskusansatz!). Zunächst wird entsprechend der Verletzung eine mediale (oder laterale) Inzision gesetzt. Es erfolgt dann die
Abb. 21.9.a Knöcherner Seitenbandausriss. b Versorgung mit einer Schraubenosteosynthese. c Ausheilungsbild nach 2 Jahren, keine sichtbare Wachstumsstörung
Eröffnung des Gelenks (Arthrotomie) sowie Spülung und Revision des Gelenkraums. Dann wird – wenn nicht bereits arthroskopisch durchgeführt – die Versorgung eventueller begleitender Meniskus- oder Kapselverletzungen vorgenommen. Anschließend erfolgt die anatomiegerechte Reposition des knöchernen Bandansatzes. Zur Verhinderung eines periostalen Brückenkallus wird eine Zugschraubenosteosynthese durchge-
21.2 Knieband- und Kniebinnenverletzungen
führt. Anschließend wird das Gelenk verschlossen, gefolgt von einem schichtweisen Wundverschluss, RedonDrainage, resorbierbaren Hautnähten. Nachbehandlung Konservativ Nach Punktion des Ergusses wird der Patient bezüglich des nachlaufenden Hämarthros in kurzen Abständen klinisch kontrolliert.In dieser Zeit legen wir eine Oberschenkelliegeschale an. Nach 7–10 Tagen wird ein Gipstutor angelegt, und der Patient darf zunehmend belasten. Nach 4 Wochen erfolgt die radiologische und klinische Kontrolle der Einheilung.Anschließend nimmt der Patient die Beweglichkeit eigenständig wieder auf. Nach weiteren 4 Wochen erfolgt eine klinische Untersuchung der Stabilität. Operativ Nach vierwöchiger Ruhigstellung im Brace oder Tutor mit Vollbelastung wird die knöcherne Einheilung gipsfrei kontrolliert. Gelingt es dem Patienten nicht, nach weiteren 2–4 Wochen eine freie Beweglichkeit zu erlangen, wird physiotherapeutisch die Wiederaufnahme der Beweglichkeit unterstützt. Implantatentfernung. Nach 3–4 Monaten werden die Implantate entfernt. Zu diesem Zeitpunkt wird die Stabilität ebenfalls geprüft. Wachstumskontrollen Nach klinischer Stabilität, die auch bei leicht dislozierten nichtrefixierten Fragmenten meist unproblematisch besteht, und vollständigem Einheilen der Fraktur kann der Patient seine sportliche Aktivität wieder aufnehmen. Insgesamt müssen operativ refixierte Seitenbandläsionen in halbjährlichen Abständen bis mindestens 2 Jahre nach Trauma nachkontrolliert werden, da diese gehäuft posttraumatische Brückenbildungen im Bereich der Epiphyse aufweisen. Befindet sich der Patient vor Wachstumsabschluss, so ist die Gefahr einer posttraumatischen Wachstumsstörung gering. Spätkomplikationen Kommt es im Verlauf der Behandlung zu einer Wachstumsstörung, so wird diese radiologisch dokumentiert und zusätzlich eine MRT oder CT durchgeführt. Anhand dieser Aufnahmen kann geprüft werden, wie groß die Brücke ist, und die Brückenresektion entsprechend geplant werden. Kann keine Brückenresektion durchgeführt werden, werden unter Umständen mehrere Korrekturosteotomien notwendig. Bei kurz vor dem Wachstumsabschluss stehenden Patienten ist es daher sinnvoll, ggf. den Wachstumsabschluss abzuwarten, um anschließend definitiv zu korrigieren. Befindet sich der Patient noch im Wachstum, so empfehlen einige Autoren die Überkorrektur (v. Laer 2001).
21.2 Knieband- und Kniebinnenverletzungen M. Clarius, P. Kasten, A.-M. Weinberg Knieverletzungen sind im Kindesalter oft schwer zu diagnostizieren, da die Schmerzangaben der Kinder ungenau sein können und die Mitarbeit bei der Untersuchung aufgrund von Schmerzen nur eingeschränkt möglich ist. Generell unterscheidet man bei den Kniebinnenschäden zwischen 쐌 Meniskusverletzungen, 쐌 Seitenbandverletzungen, 쐌 Kreuzbandverletzungen, 쐌 knöchernen Eminentiaausrissen (s. Abschn. 21.3) und den 쐌 chondralen und osteochondralen Frakturen (s. Abschn. 21.4.2 und 21.4.3). Ursache und Häufigkeit Im Gegensatz zum Erwachsenen erleiden Kinder seltener Verletzungen des Kniebinnenraums (Kocher et al. 2004; Ritter u. Neugebauer 1989). Allerdings werden in den letzten Jahren solche Läsionen immer häufiger beschrieben. Ursache ist zum einem die Zunahme des leistungsorientierten Sports im Kindes- und Adoleszentenalter und die Entwicklung zu Sportarten mit hohen Geschwindigkeiten, die auch für Jüngere immer populärer werden. Zum anderen hat sich das diagnostische Spektrum der bildgebenden Verfahren enorm entwickelt und so dazu beigetragen, dass Kniebinnenverletzungen häufiger diagnostiziert werden. Die Inzidenz der Meniskusläsionen im Kindesalter ist in einer epidemiologischen Studie in Schweden von 7 auf 25 pro 100.000 Kinder angestiegen (Abdon u. Bauer 1989). Studien in den 1980er und 1990er Jahren konnten nachweisen, dass bei Kindern nach stattgehabtem Knietrauma in der folgenden Arthroskopie in 30–40% eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes (VKB) oder eine Meniskusläsion vorlag. In der Gruppe der Adoleszenten lag der Anteil sogar bei 50–60% (Eiskjaer u. Larsen 1987; Kloeppel-Wirth et al. 1992; Stanitski et al. 1993; Ure et al. 1992). Durch die Einführung der MRT als schmerzloses, nichtinvasives, dreidimensionales bildgebendes Verfahren wurden insbesondere intraligamentäre Kreuzbandrupturen im Kindesalter bei noch offenen Fugen häufiger diagnostiziert (Angel u. Hall 1989 b; DeLee u. Curtis 1983). Ingesamt ist dies jedoch eine seltene Verletzung (v. Laer 1997). Bei Kindern treten vorwiegend knöcherne Kreuzbandausrisse auf. Frische Kniegelenkverletzung Das Vorliegen einer frischen Kniebinnenläsion muss immer in Betracht gezogen werden, wenn ein adäquates Trauma mit nachfolgendem Kniegelenkerguss vorhanden ist. Der genaue Unfallmechanismus kann nur selten
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Kapitel 21 Kniegelenk
rekonstruiert werden, da Kinder sich meist nicht exakt an die näheren Umstände erinnern können. Typische Verletzungsmuster sind wie beim Erwachsenen die Flexions-Außenrotations- und Valgusbelastung oder die Hyperextension des Kniegelenks (v. Laer 1997, 2001).
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Diagnostik Klinisch Die klinische Untersuchung sollte bei Kindern sehr behutsam vorgenommen werden. Zunächst sollten die Weichteile beurteilt werden. Schürfungen und Hautverletzungen müssen inspiziert und ein intraartikulärer Erguss ausgeschlossen werden. Sollte ein Erguss vorliegen, muss vor einer weiteren genauen Untersuchung zunächst eine knöcherne Verletzung mittels Röntgendiagnostik ausgeschlossen werden. Die Untersuchung der Menisken ist in der Akutphase oft schwierig, da diese häufig schmerzhaft ist und vom Kind meist nicht geduldet wird. Eine grobe Untersuchung kann das Kind sehr ängstigen und dient kaum der Diagnosefindung. Der Bandapparat dagegen lässt sich meist gut untersuchen, wenn das Kind abgelenkt wird und die Oberschenkelmuskulatur dabei entspannt ist. Der sensitivste Test zur Beurteilung einer VKB-Ruptur ist der so genannte Lachman-Test (d. h. die ventrale Translation des Unterschenkels in 10–20° Knieflexion). Neben einem vermehrten Gelenkspiel im Seitenvergleich ist vor allem der weiche, nichtligamentäre Anschlag der zuverlässigste Hinweis für eine Ruptur (Anderson et al. 1992). Dieser Test muss immer im Seitenvergleich bewertet werden. Das unverletzte Knie muss als erstes untersucht werden. Die Laxizität des vorderen Kreuzbandes ist bei Kindern größer als beim Erwachsenen. Das in der Literatur häufig beschriebene Pivot-shift-Phänomen (d. h. das Zurückschnappen des Unterschenkels durch Zug des Tractus iliotibialis bei beginnender Flexion nach einer hervorgerufenen ventralen Subluxation durch Innenrotation und Valgusstress auf den Unterschenkel) ist im Kindesalter aufgrund der Notwendigkeit, die Muskulatur gut zu entspannen, meist nur erschwert oder in Narkose auslösbar und hat daher klinisch in der Akutphase keine wesentliche Bedeutung (Galway et al. 1972). Bei der Prüfung des Seitenbandapparats ist zu beachten, dass im Kindesalter fast immer eine geringe laterale Aufklappbarkeit besteht (Baxter 1988; Cheng et al. 1991). Falls ein ausgeprägter Erguss vorhanden ist, sollte dieser primär zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken punktiert werden. Das Punktat sollte makroskopisch beurteilt und bei Verdacht auf eine entzündliche Genese auch einer Synoviaanalyse (u. a. Blutbild, CRP, LDH, Glukose, Kristalle) unterzogen werden. Bei Verdacht auf eine Infektion ist eine mikrobiologische Untersuchung des Punktats obligatorisch.
Das Aussehen des Punktats kann für die weitere Diagnose richtungsweisend sein: 쐌 Seröser Erguss: kein Zeichen für eine frische Läsion, häufig Zeichen eines chronischen Reizzustands (z. B. freier Gelenkkörper) oder einer juvenilen Arthritis. 쐌 Hämarthros mit Fettaugen: Fettaugen sind ein klinischer Hinweis auf eine Fraktur oder osteochondrale Läsion. Gelegentlich kann eine Kontusion des HoffaFettkörpers in Kombination mit einem Synoviaeinriss zu Fettaugen im Punktat führen. 쐌 Hämarthros ohne Fettaugen: Es liegt am ehesten eine Kniebinnenläsion vor, wobei neben dem Meniskuseinriss und der Ruptur des vorderen Kreuzbandes am häufigsten die Kapsel und die Seitenbänder verletzt sind. Bei unklarem klinischen Befund hat es sich bewährt – nach Ausschluss einer Fraktur im Röntgenbild –, das Knie in 15–30° Flexion vorübergehend ruhigzustellen und das Kind innerhalb der nächsten 3 Tage erneut zu kontrollieren. Differenzialdiagnostisch muss in erster Linie auch an eine Patellaluxation gedacht werden. Radiologisch Eine Röntgenaufnahme des Kniegelenks in 2 Ebenen ist insbesondere bei vorliegendem Hämarthros obligat. Hier sind frische knöcherne Verletzungen auszuschließen. Besonderes Augenmerk sollte dem Ausschluss eines osteochondralen Fragments gegeben werden, zumal dieses nur schwer zu erkennen ist und daher oft übersehen wird. Besteht der Verdacht auf eine osteochondrale Läsion nach Patellaluxation, so kann die axiale Aufnahme der Patella die Läsion oftmals darstellen. Besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kniebinnenläsion, so sollte eine MRT durchgeführt werden (Boeree u. Ackroyd 1991; Chen et al. 1995; v. Laer 1997, 2001; Ng et al. 1989). Die Sensitivität und Spezifität dieses Verfahrens entspricht nahezu der Arthroskopie (Chen et al. 1995; Ng et al. 1989). Allerdings kann es bei kleinen Kindern häufig nicht ohne Narkose oder Sedierung angewandt werden (Major et al. 2003). Diagnostische Arthroskopie In der Arthroskopie können über die klinische Untersuchung hinaus häufig zusätzliche Informationen gewonnen werden (Angel u. Hall 1989 a; Eiskjaer u. Larsen 1987; Kloeppel-Wirth et al. 1992; Stanitski et al. 1993; Ure et al. 1992). Da mit dem MRT die meisten Kniebinnenschäden bereits präoperativ diagnostiziert werden können, sollte eine rein diagnostische Arthroskopie die absolute Ausnahme bleiben. In der Regel folgt auch der arthroskopischen Diagnostik die unmittelbare operative Therapie.
21.2 Knieband- und Kniebinnenverletzungen
21.2.1 Meniskusläsion Anatomie Makroskopisch unterteilt man den Meniskus in 쐌 ein Vorderhorn, 쐌 eine Pars intermedia und 쐌 ein Hinterhorn. Man unterscheidet von peripher nach zentral 3 Zonen (Arnoczky u. Warren 1982; Abb. 21.10 a,b): 쐌 Zone 1: rot-rot, 쐌 Zone 2: rot-weiß, 쐌 Zone 3: weiß-weiß. Die Menisken werden von der Peripherie mit Blut versorgt. Pränatal ist noch der ganze Meniskus vaskularisiert. Nach der Geburt wird die Vaskularisierung im inneren Drittel des Meniskus geringer und bis zum 9. Monat schließlich avaskulär (Clark u. Ogden 1983). Die Vaskularität der Menisken nimmt bis etwa zum 10. Lebensjahr weiter ab, und der Meniskus hat dann eine Gefäßversorgung wie beim Erwachsenen.
Häufigkeit Die Meniskusverletzung ist im Kindesalter selten. Man unterscheidet im Wesentlichen zwischen den traumatischen Läsionen, häufig in Kombination mit Instabilitäten, und den symptomatischen Scheibenmenisken. Grundsätzlich werden wie im Erwachsenenalter verschiedene Rissformen unterschieden (Abb. 21.11 a–f). Traumatisch bedingt liegen im Kindesalter zumeist Längsrisse vor. Mediale Meniskusläsionen sind dabei häufiger als laterale (Connolly et al. 1996; Kelly u. Greene 2002; Kim et al. 1995; Stark et al. 1995). Die im Erwachsenenalter häufig diagnostizierten Lappeneinrisse am inneren Rand finden sich im Kindes- und Jugendalter nur sehr selten. Liegt eine Meniskusverletzung vor, so muss in jedem Fall eine VKB-Ruptur ausgeschlossen werden, da diese häufig assoziiert sind (Kim et al. 1995; Smith u. Barrett 2001; Stanitski et al. 1993; Valen u. Molster 1994). Diagnostik Bei Vorliegen eines intraartikulären Ergusses nach einem Trauma besteht immer der Verdacht auf eine Gelenkverletzung. Eine genaue klinische und apparative Diagnostik ist daher unabdingbar. Zunächst muss eine intraartikuläre Ergussbildung ausgeschlossen oder
posterior
C
C
B
B A
a
b
c
d
A medial
lateral
a
anterior
3
zentral
2
1
peripher
f
b
e
Abb. 21.10 a,b. Einteilung der Meniskusläsionen. a Nach makroskopischer Lokalisation: Hinterhorn (C), Pars intermedia (B), Vorderhorn (A). b Nach Lage innerhalb des Meniskus: 1 vaskularisiertes Meniskusdrittel (rote Zone), 2 mittleres Meniskusdrittel (rotweiße Zone), 3 zentrales Meniskusdrittel (weiße Zone)
Abb. 21.11 a–f. Morphologie der unterschiedlichen Meniskusläsionen. a Lappenriss, b Radiärriss, c Längsriss, d Korbhenkelriss, e Kombination Längsriss und Horizontalriss (Querschnitt), f Längsriss (Querschnitt)
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Kapitel 21 Kniegelenk
diagnostiziert werden. Nach Ausschluss von knöchernen und ligamentären Verletzungen wird der Gelenkspalt palpiert. Eine Druckschmerzhaftigkeit über dem Gelenkspalt deutet bereits auf eine Meniskusläsion hin und ist ein sehr sensitiver Test. Falls der Schmerzpunkt bei zunehmender Flexion nach dorsal wandert, spricht das ebenfalls für eine Meniskuspathologie. In der Literatur sind zahlreiche spezielle Meniskustests beschrieben. Das Prinzip der meisten Meniskustests besteht im Auslösen von Schmerzen durch Kompression (Varusstress für das mediale Kompartment, Valgusstress für das äußere Kompartment), Dehnung durch Rotation (Außenrotation für den Innenmeniskus, Innenrotation für den Außenmeniskus) oder Bewegung (Kompression des Vorderhorns des Meniskus bei Extension bzw. des Hinterhorns bei Flexion). Klinisch kommt meist eine Kombinationsbewegung mit Kniebeugung, Rotation des Unterschenkels, Varus/Valgusstress und direktem Druck auf den Gelenkspalt zur Anwendung. Gelegentlich lässt sich mit diesen Manövern ein Schnappen auslösen. Im Zweifel sollte bei Kindern großzügig die Indikation für eine MRT gestellt werden (Boeree u. Ackroyd 1991; Chen et al. 1995; Major et al. 2003; Ng et al. 1989).
Therapie Bei Kindern und Adoleszenten sollte grundsätzlich bei instabilen Rissen in der mittleren (rot-weiße) und äußeren (rot-rote) Zone eine Refixation versucht werden, denn sie haben im Vergleich zu Erwachsenen eine deutlich bessere Heilungschance (Kocher et al. 2003 b; Valen u. Molster 1994). Die Refixation erfolgt in der Regel arthroskopisch. Risse im anterioren und mittleren Drittel können über eine »Inside-out-« oder »Outside-in-Technik« versorgt werden. Der Hinterhornbereich wird mit einer »All-inside-« oder »Inside-out-Technik« mit zusätzlichen posteromedialen/posterior-lateralen Inzisionen therapiert. Kleine nichtdislozierte, stabile Risse in der äußeren (rot-rote) Zone können auch ohne eine Operation heilen und asymptomatisch werden (Valen u. Molster 1994). Die konservative Therapie besteht aus einer vorübergehenden Teilbelastung und Vermeidung von Kompressions- und Drehbewegungen für insgesamt 12 Wochen. Bei Erwachsenen kann die Heilungschance nach Meniskusnaht optimiert werden, wenn die Rissregion »angefrischt«, bzw. mit einer Kanüle gestichelt wird. Voraussetzung ist allerdings die anatomische Reposition, stabile Fixation und der Schutz der Naht während der Heilungsphase. Im Kindesalter gelten prinzipiell die gleichen Richtlinien, wissenschaftliche Daten fehlen aber. Bei instabilen Rissen im inneren Drittel (weiß-weiße Zone) des Meniskus werden auch im Kindesalter Teilresektionen notwendig. Folgende Faktoren sind prognostisch günstig für eine erfolgreiche Refixation von Meniskusrissen:
쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
junges Alter, Risse in der rot-roten (peripheren) Zone, Refixationen des lateralen Meniskus, gleichzeitige VKB-Rekonstruktion, Zeitintervall bis zur Operation von weniger als 8 Wochen und 쐌 eine Risslänge <2,5 cm (Kocher et al. 2003 b). Umgekehrt weist die Meniskusnaht beim chronisch instabilen Kniegelenk aufgrund der gestörten Biomechanik des Gelenks deutlich schlechtere Ergebnisse auf, weshalb grundsätzlich eine zusätzliche Stabilisierung durchgeführt werden sollte. Bei der Kombination einer frischen Bandruptur mit Meniskusläsion ist bei Bandrekonstruktion eine gewisse Spontanheilungsrate, insbesondere der Radiärrisse und der kurzen Längsrisse im Hinterhorn des Außenmeniskus bekannt (Agneskirchner u. Lobenhoffer 2004). Operationstechnik Nahtmaterial. Es wird im Allgemeinen monofiles Nahtmaterial empfohlen, da es gegenüber geflochtenem im Meniskus einen geringeren Sägeeffekt hat. Die Stärke (meist 2/0 oder 3/0) richtet sich nach dem Patientenalter. Dickere Fäden haben eine größere Reißfestigkeit, tragen aber im Gelenk mehr auf und können auch zu Knorpelschäden führen. Am häufigsten wird resorbierbares Material (z. B. PDS) verwendet. Im Kindesalter besitzen diese Nahtmaterialien eine höhere Aggressivität und rufen häufig eine begleitende inflammatorische Reaktion während der relativ schnellen Resorption hervor. Klinisch äußert sich dies in rezidivierenden Kniegelenkergüssen, die in der Regel nach 6–8 Wochen spontan zur Ruhe kommen. Inside-out-Technik (Abb. 21.12, Abb. 21.13 a,b). Nach Reposition des Meniskusfragments werden ein- oder doppellumige Führungskanülen von intraartikulär her an den Meniskusrand platziert. Anschließend wird der zentrale Anteil des Meniskus aufgefädelt, bevor dann der periphere Anteil und die Kapsel durchstochen werden. Die austretenden Fäden werden schließlich extraartikulär unter arthroskopischer Kontrolle der Nahtspannung auf der Kapsel verknotet. Dazu werden unterschiedlich gebogene Kanülen verwendet. Die Biegung der Kanülen wird so gewählt, dass die jeweilige Region gut erreicht und die Nadeln auch im gewünschten Areal die Kapsel verlassen. Der Vorderhornbereich wird am besten vom kontralateralen Arthroskopieportal erreicht. Der Nahtabstand beträgt 3–5 mm. Im Bereich der Hinterhörner ist die Verletzungsgefahr von Gefäßen und Nerven gegeben, weshalb zusätzliche Zugänge posteromedial bzw. posterolateral empfohlen werden, um die Nadeln unter Sicht und unter Schutz der Gefäße und Nerven auszuleiten.
CAVE
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21.2 Knieband- und Kniebinnenverletzungen
Abb. 21.12. Inside-out-Technik
Abb. 21.13. a Eingeschlagene Innenmeniskusläsion bei 8-jährigem Jungen. b Naht in Outside-in-Technik
Outside-in-Technik (Abb. 21.14). Bei dieser Technik wird nach Reposition des Meniskusfragments zunächst eine Kanüle von außen durch den peripheren Anteil des Meniskus und durch die Ruptur in das zentrale Fragment nach intraartikulär dirigiert. Über diese wird eine Fadenschlinge in das Gelenk platziert. Dann wird eine zweite Kanüle ebenfalls von außen durch den Meniskus in das Gelenk eingebracht. Über diese Kanüle wird ein weiterer Faden in das Gelenk geschoben und mit der Fasszange durch die Schlinge geführt. Das Fadenende wird durch Zug an der Fadenschlinge wieder nach extraartikulär gebracht und geknotet. Der Fadenabstand sollte auch hier 3–5 mm betragen. Diese Technik ist einfach, billig und lässt sich sowohl im Bereich der Pars intermedia als auch im Bereich des Vorderhorns des Innenmeniskus und auch des Außenmeniskus anwenden.Von Nachteil ist, dass die gewissermaßen »blind« eingebrachten spitzen Kanülen den Knorpel verletzen können und dass die Gefahr der Ver-
letzung des poplitealen Gefäß-Nerven-Bündels im Bereich des Hinterhorns besteht. All-inside-Technik. Bei der All-inside-Technik wird die Refixation komplett intraartikulär durchgeführt. Indikationen sind Längsrisse im Hinterhornbereich und Korbhenkelrisse des Außen- und Innenmeniskus. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Nahttechnik und speziellen Meniskusimplantaten. Die Nahttechnik erfordert speziell gebogene Kanülen und ist technisch sehr anspruchsvoll. Die resorbierbaren, meist auf Basis von Glykol- oder Milchsäure hergestellten Meniskusimplantate werden mit speziellen Instrumentarien angeboten und sind technisch einfacher in der Handhabung. Allerdings sind für die starren Implantate Komplikationen wie Implantatbrüche, synoviale Reizreaktionen und Knorpelschäden durch hervorstehende Implantatenden bekannt geworden.
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Kapitel 21 Kniegelenk
dazu sollte eine Krankengymnastik mit Kräftigung der kniestabilisierenden Muskulatur durchgeführt werden. Bei klinischer Beschwerdefreiheit empfehlen wir die Wiederaufnahme von Sport nach 3 Monaten. Komplikationen Bei der Meniskusnaht können Gefäß- und Nervenverletzungen, vor allem bei Nähten des Hinterhorns auftreten. Ferner kann der genähte/fixierte Meniskusriss nicht heilen oder erneut reißen. Nach kompletten und subtotalen Meniskusentfernungen besteht ein erhöhtes Risiko für eine Früharthrose.
21.2.2 Scheibenmeniskus Synonym: diskoider Meniskus (»discoid meniscus«). Angeborene fehlerhafte Ausbildung des lateralen Meniskus, der scheibenförmig, statt hufeisenförmig angelegt ist.
Abb. 21.14. Outside-in-Technik
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Bei Kindern empfehlen sich daher eher fadenbasierte Systeme, da die Gefahr von Knorpelschäden durch Fäden im Gelenk geringer ist. Die starren Implantate sind bei Kindern und Jugendlichen häufig auch zu lang und können dorsal über die Kapsel ragen, was zu Schmerzen führen kann (Kocher et al. 2003 b). Nachbehandlung Bei isolierten Meniskusnähten wird eine vorübergehende Teilbelastung und Bewegungslimitierung empfohlen, um Druck- bzw. Scherkräfte zu reduzieren, die die Heilung negativ beeinflussen könnten. Wir empfehlen für 6 Wochen eine Orthese und eine Teilbelastung mit dem Eigengewicht des Beins (5–15 kg). Die ersten 4 Wochen sollte eine Bewegungslimitierung von 0°-10°-60° für Extension/Flexion eingehalten werden, bevor für weitere 2 Wochen 0°-0°-90° empfohlen wird. Parallel
Ursache und Häufigkeit Bezüglich der Häufigkeit von Scheibenmenisken werden in der Literatur nur wenige Angaben gemacht. Man geht von etwa 3–5% in der Gesamtbevölkerung aus (Dickhaut u. DeLee 1982), wobei beide Geschlechter wahrscheinlich gleich häufig betroffen sind. Insgesamt ist die Inzidenz in Asien höher als in Europa. Mediale Scheibenmenisken werden nur vereinzelt beschrieben (Choi et al. 2001; Comba et al. 1985; Min et al. 2001; Pinar et al. 2000; Tachibana et al. 2003; Yanez-Acevedo 2001). Hin und wieder wird ein familiäres Vorkommen diskutiert (Min et al. 2001). Früher wurde angenommen, dass die Scheibenform aufgrund einer unvollständigen Rückbildung des zentralen Anteiles des Meniskus entsteht. Diese Theorie wurde später widerlegt, da in keinem Entwicklungsstadium ein diskoider Meniskus nachgewiesen werden konnte (Clark u. Ogden 1993). Ein Teil der Scheibenmenisken hat jedoch einen anderen Ursprung. Bei diesen fehlt die normale Verankerung des lateralen Meniskus am Tibiacondylus. Er ist nur am hinteren meniskofemoralen Ligament befestigt. Solche Menisken sind hypermobil und hypertrophieren durch mechanische Beanspruchung. Das an der Tibia nicht befestigte Hinterhorn luxiert bei Extension nach medial (Pinar et al. 2000). Dieser Typ kann symptomatisch sein. Spätere Untersuchungen ließen die Vermutung zu, dass der Scheibenmeniskus aus mesenchymalen Gewebe Faserknorpel an einer Stelle bildet, wo dies normalerweise nicht der Fall ist (Tachibana et al. 2003). Die meisten Autoren sehen den Scheibenmeniskus als eine anatomische Variante an, die ein erhöhtes Risiko für eine Rissbildung aufweist, da er höheren Scher-
21.2 Knieband- und Kniebinnenverletzungen
kräften bei einer Hypermobilität ausgesetzt ist (Choi et al. 2001; Comba et al. 1985; Min et al 2001; Patel et al. 1986; Pinar et al. 2000; Tachibana et al. 2003; Yanez-Acevedo 2001). Klassifikation Watanabe hat folgende Klassifikation vorgeschlagen (Bin et al. 2002; Kelly u. Green 2002; Watanabe et al. 1979: Abb. 21.15 a–c): 쐌 Typ I: kompletter Typ (80%), 쐌 Typ II: inkompletter Typ (10%), 쐌 Typ III: Wrisberg (0–33%). Beim Typ I (kompletter Typ) ist der Meniskus sehr dick und das laterale tibiale Plateau vollständig verdeckt. Die Verankerung ist normal. Typ II (inkompletter Typ) zeigt eine nur teilweise Bedeckung des lateralen tibialen Plateaus (<80%). Auch hier ist der Meniskus dicker als üblich und weist eine reguläre Befestigung auf. Beim Wrisberg-Typ (Typ III) fehlt die Verankerung des lateralen Meniskus an der Tibia. Der Meniskus ist nur am posterioren meniskofemoralen, dem so genannten Wrisberg-Ligament befestigt, sodass er hypermobil ist. Von der Morphologie her unterscheidet er sich bis auf ein verdicktes Hinterhorn wenig von einem normalen Meniskus. Klingele et al. (2004) konnten bei einer Analyse von 128 Scheibenmenisken in 28% eine Instabilität durch eine fehlende periphere Befestigung feststellen; in 47% dieser Fälle fehlte die Aufhängung aber im anterioren Drittel. Diagnostik Klinisch Selten sind Symptome bereits im Säuglingsalter vorhanden. Diese treten erst im Alter von 5–6 Jahren auf. Die betroffenen Kinder berichten häufig über ein Schnappen im Bereich des Kniegelenks. Dies kann oftmals aktiv bei Extendieren des flektierten Kniegelenks in etwa 20° Flexion ausgelöst werden.
a
Radiologisch Das bildgebende diagnostische Verfahren der Wahl zur Darstellung des Scheibenmeniskus ist die MRT. Zur Diagnose eines Scheibenmeniskus muss mindestens eines der 3 folgenden Kriterien erfüllt sein (Connolly et al. 1996; Stark et al. 1995): 쐌 eine durchgängige Darstellung von Meniskusgewebe zwischen dem Vorder- und Hinterhorn in mindestens 3 aufeinander folgenden sagittalen Schnitten, 쐌 ein transversaler Durchmesser des Meniskus von >15 mm oder 쐌 >20% der Tibiabreite auf den Transversalschnitten. Allerdings lässt sich der Scheibenmeniskus nicht immer in der MRT darstellen (Kocher et al. 2003 b). Bei symptomatischen Patienten sollte daher die Indikation zur Arthroskopie gestellt werden. Zur Differenzialdiagnose gehören Meniskuszysten, die kongentiale Subluxation des Kniegelenks, die angeborene Kreuzbandaplasie, das Schnappen von Sehnen und die Patellaluxation. Therapie Solange Scheibenmenisken keine oder nur wenig Symptome verursachen, besteht keine Notwendigkeit zur chirurgischen Therapie. Findet aber ein häufiges Schnappen statt, welches als unangenehm empfunden wird, so sollte die Indikation zur Arthroskopie gestellt werden. Viele Autoren empfahlen früher die komplette laterale Meniskektomie; Langzeitstudien zeigten aber, dass bei diesem Vorgehen ein erhebliches Arthroserisiko besteht (Patel et al. 1986). Es sollte also stets beim kompletten und inkompletten Typ nur der zentrale Anteil des Meniskus entfernt werden, sodass peripher noch 6–8 mm verbleiben. Da der laterale Meniskus eine sehr wichtige Stabilisierungsfunktion besitzt, ist besonders die Erweiterung des Hiatus popliteus bei einer Resektion des Hinterhornes problematisch. Dadurch fehlt ein wichtiger posterior-lateraler Stabilisator. Im Zusammenhang mit einer Läsion des vorderen Kreuzbandes kann es zu einer massiven Instabilität kommen, die zu den schwierigsten Behandlungsproblemen im Kniegelenk gehören.
b Typ I
c Typ II
Abb. 21.15 a–c. Klassifikation nach Watanabe. a Komplett, b inkomplett, c Wrisberg-Typ
Typ III
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Kapitel 21 Kniegelenk
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Instabile periphere Risse sollten refixiert werden. Schwieriger ist die Behandlung des hypermobilen Wrisberg-Typs. Generell empfehlen wir die arthroskopische Refixation; aus der Literatur sind keine Erfahrungen mit größeren Patientenzahlen bekannt.
Die Läsion des medialen Seitenbandes heilt konservativ, solange der zentrale Pfeiler intakt ist. Bei anteromedialer Instabilität sollte das vordere Kreuzband rekonstruiert werden. Das mediale Seitenband kann dann spontan ausheilen.
21.2.3 Seitenbandläsion
21.2.4 Läsionen des vorderen Kreuzbandes
Läsionen des medialen Seitenbandes sind auch bei Kindern nicht allzu selten. Häufig handelt es sich um Ausrisse am knorpeligen, proximalen Ansatz in der Epiund/oder Metaphyse. Später verknöchert dieser knorpelige Anteil und wird dann auf dem Röntgenbild sichtbar. Da isolierte Läsionen des medialen Seitenbandes eine gute Prognose haben, erfolgt die Therapie konservativ. Eine mediale Aufklappbarkeit von mehr als 1+ (= 5 mm) weist darauf hin, dass der zentrale Pfeiler ebenfalls beschädigt sein könnte, d. h. dass gleichzeitig eine Läsion des vorderen Kreuzbandes vorliegt. In der Kombination mit der medialen Meniskusläsion handelt es sich um eine »unhappy triad«. Der gleiche Mechanismus (Außenrotation/Valgus/Flexion), der zur »unhappy triad« führen kann, kann auch zur Patellaluxation führen. Deshalb ist auch an diese Begleitverletzung zu denken. Wurde eine Kombination dieser Verletzungen diagnostiziert, so sind die Kreuzbandverletzung und ggf. die Meniskusläsion und die Patellaluxation operativ behandlungsbedürftig, die mediale Seitenbandruptur kann bei Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes konservativ behandelt werden.
Bei Läsionen des vorderen Kreuzbandes wird zunächst zwischen den knöchernen tibialen Ausrissen, die in einem gesonderten Kapitel abgehandelt werden; und den intraligamentären Rupturen unterschieden. Insbesondere bei Kindern <12 Jahren sind die knöchernen Ausrissverletzungen deutlich häufiger. Die intraligamentäre Ruptur des vorderen Kreuzbandes ist bei offenen Epiphysenfugen eine seltene Verletzung, sie tritt jedoch mit zunehmendem Alter verhältnismäßig häufiger auf (Guzzanti 2003; Hefti et al. 1991; Kocher et al. 2002). Die jährliche Inzidenz wird in der Literatur auf 0,1/100.000 Einwohner geschätzt. Grundsätzlich unterscheiden wir entsprechend der Prognose:
Therapie Bei isolierten Seitenbandläsionen wird das Bein initial mit einer Schiene oder einem Oberschenkelgipstutor ruhig gestellt. Nach Abklingen der Akutsymptomatik kann bei Kindern ab 6–8 Jahren für weitere 6 Wochen mit einer Knieorthese behandelt werden, die eine Streckung und Beugung bei gleichzeitigem Schutz vor Varus-/Valgusbewegungen erlaubt. Wir empfehlen für die ersten 4 Wochen eine Bewegungslimitierung auf 0°-10°-60° für Extension/Flexion und für weitere 2 Wochen auf 0°-0°-90°. Bei Kindern jünger als 6 Jahre und einem geringen Oberschenkelumfang kann es schwierig sein, eine passende Orthese zu finden. Falls keine entsprechende Orthese gefunden werden kann, wird die Ruhigstellung im Oberschenkeltutor für 4–6 Wochen und dann eine funktionelle Weiterbehandlung empfohlen. Eine operative Refixation ist nicht nötig, da die Ergebnisse identisch zur konservativen Behandlung sind. Eine Ausnahme bilden die dislozierten knöchernen Ausrisse, die operativ zu refixieren sind. Auch isolierte ossäre Ausrisse der Popliteussehne sollten refixiert werden.
쐌 inkomplette Rupturen, 쐌 komplette Rupturen, 쐌 komplette Rupturen mit Begleitverletzung. Die inkomplette Ruptur wird klinisch häufig übersehen. Da das teilrupturierte vordere Kreuzband des Kindes und des Jugendlichen ein Potenzial zur Regeneration hat, wie experimentell nachgewiesen werden konnte, sind symptomatische Instabilitäten bei dieser Verletzung selten zu beobachten (Guzzanti 2003; Hefti et al. 1991; Kocher et al. 2003 b). Die Behandlung erfolgt deshalb konservativ. Nach einer initialen Ruhigstellung zur Schmerztherapie wird in der Regel eine frühfunktionelle Therapie empfohlen. Die komplette Ruptur hat kein Potenzial zur Regeneration (Hefti et al. 1991). Das vordere Kreuzband wird entweder resorbiert oder es verklebt mit dem hinteren Kreuzband. Im diesem Fall findet man klinisch einen verzögerten, aber festen Anschlag im Lachman Test. Bei verbleibenden Instabilitäten ist mit einer hohen Rate von sekundären Meniskusläsionen zu rechnen. In der Literatur werden Inzidenzen bis zu 75% innerhalb des ersten Jahres nach dem Unfall angegeben (Braq et al. 1996). Darüber hinaus wurden frühzeitig auftretende Arthrosezeichen bei instabilen Gelenken beschrieben. Da Instabilitätsepisoden und Subluxationsphänomene bei Kindern häufig nicht als problematisch erkannt werden, ist die Prognose der Ruptur des vorderen Kreuzbandes bei Kindern und Jugendlichen schlechter als bei Erwachsenen. Die Ursache hierfür dürfte einerseits die vermehrte Aktivität der jungen Patienten und andererseits die allgemeine Bandelastizität und das damit verbundene Ausmaß des Gelenkspiels sein.
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21.2 Knieband- und Kniebinnenverletzungen
Differenzialdiagnose Kongenitale Kreuzbandaplasie: Angeborenes Fehlen meist beider Kreuzbänder, häufig mit kongenitaler Kniegelenkluxation assoziiert, geht häufig mit anderen angeborenen Fehlbildungen der unteren Extremität einher. Therapie Bei einer VKB-Ruptur im Kindes- und Jugendalter wurde in der Literatur bis vor wenigen Jahren eine konservative Behandlung bevorzugt, da operative Maßnahmen wie die primäre Naht der VKB-Stümpfe und die extraartikulären Bandrekonstruktionen nur wenig überzeugende Ergebnisse erzielen konnten (McCaroll et al. 1994, Robert u. Bonnard 1999). Man fürchtete bei epiphysenfugenkreuzender operativer Rekonstruktion die Verletzung der Wachstumsfugen und die damit verbundene Gefahr des vorzeitigen Fugenschlusses. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, da die kniegelenknahen Epiphysenfugen 2 Drittel des Längenwachstums der unteren Extremitäten bewirken und bei deren Verletzung auch mit Achsabweichungen, Epiphysiodesen und Beinverkürzungen zu rechnen ist. Allerdings waren auch die Ergebnisse der konservativen Behandlung schlecht. Die daraus resultierende Instabilität führt häufig zu sekundären Meniskusläsionen und zur vorzeitigen Arthrose (Aichroth et al. 2002; Kocher et al. 2002; Stadelmaier et al. 1995). Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass die Wachstumsfugen einen gewissen Grad an Traumatisierung überstehen, ohne dass es zu den genannten Störungen kommt. Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass – falls der Schaden 10% der Fläche der Wachstumsfuge nicht überschreitet – Wachstumsstörungen nicht mehr zu erwarten sind. Übertragen auf das a.-p. Röntgenbild entspricht dieser Grenzwert etwa 20% der Breite der Wachstumsfuge (Aichroth et al. 2002; Kocher et al. 2002; Stadelmaier et al. 1995). Allerdings können die Techniken, die bei Erwachsenen routinemäßig erfolgreich angewendet werden, nicht ohne weiteres auf Kinder und Jugendliche übertragen werden. Wachstumsstörungen im Sinne von Beinverkürzungen und Achsabweichungen sind als Komplikationen der VKB-Ersatzplastik beschrieben worden. Insgesamt sind diese jedoch selten und meistens auf eine fugenüberbrückende Transplantatfixation mit Knochenblöcken (»Bone-tendon-bone-Patellarsehnentransplantat«) oder mit Metallimplantaten zurückzuführen. Deshalb müssen bei transepiphysärer VKBPlastik im Kindesalter einige Faktoren berücksichtigt werden. Zunächst sind vom durchführenden Operateur eingehende Kenntnisse der kindlichen Anatomie und insbesondere der Wachstumsfugen zu fordern. Eine Verletzung der Epiphysenfuge der Tuberositas tibiae muss vermieden werden. Die angelegten Bohrkanäle sollten kleinstmöglich gewählt und im Zweifel tibialseitig eher
etwas steiler gebohrt werden, um die Epiphysenfuge möglichst senkrecht zu penetrieren. Die Epiphysenfugen sollten nur mit Sehnenmaterial und keinesfalls mit Knochenblöcken oder Implantaten überbrückt werden. Des Weiteren wird empfohlen, eine zu hohe Transplantatspannung zu vermeiden (Bisson et al. 1998). In unserer klinischen Praxis hat sich folgendes Vorgehen bewährt: Nach röntgenologischem Ausschluss einer kniegelenknahen Fraktur sollte bei klinischem Verdacht auf eine VKB-Ruptur eine MRT durchgeführt werden. Bestätigt sich der Verdacht auf eine isolierte Ruptur des vorderen Kreuzbandes, so wird zunächst wegen der deutlich erhöhten Gefahr einer Arthrofibrose (Streckdefizit, Narbenbildung, Kapselkontrakturen) im Falle einer unfallnahen Rekonstruktion konservativ therapiert. Initial wird das Knie in einer Kniegelenkimmoblisationsschiene ruhiggestellt und nach Abschwellen der Weichteile für 4–6 Wochen frühfunktionell behandelt. Häufig ist auch durch die MRT eine Unterscheidung in eine partielle und komplette Ruptur nicht eindeutig zu stellen, weshalb dieses Vorgehen zusätzlich gerechtfertigt scheint. Bei kombinierter anteromedialer Instabilität empfehlen wir nach initialer Ruhigstellung für 4–6 Wochen eine Orthese mit der freigegebenen Beweglichkeit von 0°-0°-90°. Das weitere Vorgehen hängt dann vom Ausmaß der Instabilität ab. Da von Kindern das subjektive Gefühl der Instabilität häufig nicht als problematisch erkannt wird, kommt der klinischen Untersuchung besondere Bedeutung zu. Besteht ein positiver LachmanTest ohne Anschlag, wird auch bei 8- bis 10-jährigen Kindern eine Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes empfohlen. Auch bei zusätzlicher Meniskusverletzung raten wir zu einem VKB-Ersatz. Besteht ein positiver Lachman-Test mit festem Anschlag ohne zusätzliche Verletzungen wird zunächst konservativ therapiert, aber engmaschig in Dreimonatsabständen klinisch kontrolliert. Idealerweise haben die Kinder zum Zeitpunkt der Operation eine freie Beweglichkeit und weisen keine intraartikuläre Ergussbildung mehr auf. Unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien empfehlen wir die arthroskopische VKB-Rekonstruktion mit der Semitendinosussehne in der Quadrupeltechnik und die Fixation des Transplantats femoralseitig mittels Endobutton und tibialseitig mittels Suture disc. Die Operation selbst beinhaltet 3 wesentliche Schritte: 1. Arthroskopie, 2. Transplantatentnahme und Transplantatvorbereitung, 3. Positionierung der Bohrkanäle und Einbringen des Transplantats. Arthroskopie Zunächst wird eine diagnostische Arthroskopie über einen nicht zu weit lateral platzierten anterolateralen Zugang durchgeführt. Begleitende Verletzungen des Me-
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Kapitel 21 Kniegelenk
niskus und des Knorpels werden dokumentiert und therapiert. Transplantatentnahme und Transplantatvorbereitung Im nächsten Schritt wird über eine 2–3 cm lange, 1 cm medial und distal der Tuberositas tibiae gelegene, horizontal verlaufende Hautinzision die Sehne des M. semitendinosus mittels Sehnenstripper entnommen. Dies kann insbesondere bei komplexen Instabilitäten und nach direktem Trauma schwierig und auch zeitintensiv sein. Nach Spreizung des Subkutangewebes wird zunächst die Sartoriusaponeurose dargestellt, die dann längs zwischen den darunter befindlichen anderen Sehnen des Pes anserinus superficialis inzidiert wird. Meist kann die Sehne des M. gracilis und des M. semitendinosus gut getastet werden. Nach Identifikation der Semitendinosussehne, die distal der Gracilissehne zu liegen kommt, wird diese mit einer gebogenen Klemme umfahren und mit einem Faden angeschlungen. Die Sehne wird anschließend an der Insertionsstelle mit einem etwa 1,5 cm großem Periostlappen abgelöst und weiter nach proximal verfolgt. Faserzügel zum M. gastrocnemius werden durchtrennt und die Sehne mit dem Sehnenstripper geborgen (Abb. 21.16). Die erforderliche Sehnenlänge zur Vierfachversorgung sollte mindestens 24 cm betragen. Falls dies nicht der Fall ist, muss die Gracilissehne ebenfalls entnommen werden. Die gewonnene Sehne wird vom Muskelgewebe befreit und halbiert. Die jeweiligen Enden werden in ein spezielles Sehnenboard eingespannt und beidseits mit nichtresorbierbaren 1er Fäden armiert. Nach Markierung der Sehnenstränge mit einem bzw. 2 Knoten werden die Sehnen in den Endobutton gezogen und der Durchmesser des Transplantats ermittelt, bevor dieses schließlich über 5 min mit mindestens 50 Newton vorgespannt wird (Abb. 21.17). Der Endobutton wird mit je einem verschieden farbigen Flipp- und Zugfaden armiert, bevor die femorale Durchzugslänge mit einem Stift auf dem Transplantat markiert wird. Diese ergibt sich aus der Länge des gemessenen femora-
Abb. 21.16. Transplantatentnahme
Abb. 21.17. Semitendinosussehne als Vierfachtransplantat
len Kanals plus 7 mm Flippstrecke für den extrakortikalen Umflippmechanismus des Endobuttons. Positionierung der Bohrkanäle und Einbringen des Transplantats Im letzten Operationsschritt werden die VKB-Stümpfe reseziert und die femorale Ansatzzone dargestellt. Beim rechten Knie ist diese bei 10.30 Uhr, beim linken Knie bei 1.30 Uhr zu finden. Mit Hilfe der tibialen Führungshülse, die über den anteromedialen Zugang eingebracht wird, positioniert man einen Kirschner-Draht, beginnend 1,5 cm medial der Tuberositas tibiae bis in die hintere Region der Restfasern des vorderen Kreuzbandes intraartikulär (Abb. 21.18 a). Anschließend wird über den Draht unter arthroskopischer Sicht (Abb. 21.18 b) beginnend mit einem 6 mmBohrer bis zur gemessenen Dicke des Bohrkanals aufgebohrt. Nach Glätten der Bohrränder mit dem Shaver oder dem Raspatorium wird dann das femorale Zielgerät mit Unterstellung von 4 bzw. 5 mm über den tibialen Bohrkanal in die »Over-the-top-Position« eingebracht (10.30 Uhr rechtes Knie, 1.30 Uhr linkes Knie), wobei das Knie in mindestens 90° Flexion gebracht wird. Nach Einbringen des Kirschner-Drahtes wird dieser mit einem 6 mm-Bohrer über eine Länge von 27–32 mm überbohrt und der Durchmesser weiter mit Bohrern bis zum ermittelten Transplantatdurchmesser erweitert, bevor schließlich mit dem 4,5 mm-Bohrer die Gegenkortikalis perforiert wird. Bevor nun das Transplantat eingezogen werden kann, werden die Bohrränder geglättet und das entstandene Bohrmehl sorgfältig ausgespült. Über einem Kirschner-Draht mit Öse wird das Transplantat anschließend von distal nach proximal eingezogen.
21.2 Knieband- und Kniebinnenverletzungen
Abb. 21.19. 12-jähriger Junge, der sich eine intraligamentäre Kreuzbandruptur zuzog. Röntgenbild nach VKB-Rekonstruktion mittels Semitendinosusplastik bei offenen Wachstumsfugen
naht und der Hautverschluss. Abbildung 21.19 zeigt das postoperative Röntgenbild mit der regelrechten Lage der eingebrachten Implantate.
Abb. 21.18 a,b. Festlegen des tibialen Kanals
Sobald die Markierungslinie den Eintrittspunkt des femoralen Kanals erreicht, kann der Flippfaden angezogen werden, und der Endobutton sorgt durch Umklappen für eine extrakortikale Fixation. Das Transplantat wird nach distal angespannt und das Knie unter arthroskopischer Sicht in die volle Streckung gebracht. Besteht eine eingeschränkte Streckfähigkeit oder zu enge Platzverhältnisse am lateralen Femurcondylus mit Impingement, muss eine Notchplastik durchgeführt werden. Nach Einlage einer intraartikulären Redon-Drainage wird das Gelenk mehrfach durchbewegt und in die volle Extension und Flexion gebracht. Das Transplantat wird schließlich über einen »suture disc« mit den nach distal ausgeleiteten nichtresorbierbaren Fäden tibial fixiert. Der Suture disc wird dazu nach subperiostal dirigiert und die mit einem oder 2 Knoten markierten Sehnenschlaufen jeweils miteinander verknotet . Das Knie wird hierzu in 15–20° Flexion gebracht. Ein Nachspannen des Transplantats ist durch Drehen des tibialen Verankerungsknopfes möglich. Nach Stabilitätsprüfung erfolgen die Einlage einer subfaszialen Redon-Drainage in die Sehnenentnahmestelle sowie die Readaptation der Sartoriusaponeurose, die Subkutan-
Nachbehandlung Die Nachbehandlung ist bei isolierter VKB-Ruptur orthesenfrei und umfasst eine vierwöchige Entlastungsphase mit einer Bewegungslimitation von 0°-0°-90°, um dem Transplantat die ungestörte knöcherne Integration zu ermöglichen. Sportfähigkeit wird in aller Regel 6–8 Monate postoperativ erreicht.
21.2.5 Läsionen des hinteren Kreuzbandes Rupturen des hinteren Kreuzbandes sind bei Kindern und Jugendlichen mit offenen Epiphysenfugen eine Rarität, meist handelt es sich um knöcherne Abrisse der tibialen und femoralen Ansatzpunkte, die entsprechend der Dislokation refixiert werden müssen (Sanders et al. 1980). Hyperextension ist der häufigste Verletzungsmechanismus. Bei den seltenen intraligamentären Rupturen wird zunächst für 6 Wochen konservativ therapiert. Hierbei wird eine Orthese mit tibialem Vorschub empfohlen.Verbleibt nach 6 Wochen bei gehaltenen Aufnahmen eine hintere Schublade von >10 mm im Seitenvergleich, so muss auch eine operative Rekonstruktion mit autologer Sehne in Erwägung gezogen werden. Die Prognose der Verletzung des hinteren Kreuzbandes ist aber, ähnlich wie auch beim Erwachsenen, nicht so gut wie beim vorderen Kreuzband. Meist verbleibt
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Kapitel 21 Kniegelenk
auch nach Rekonstruktion eine vermehrte posteriore Laxizität (Bosch u. Kasperczyk 1992; Jakob u. Ruegsegger 1993; Sanders et al. 1980).
21.2.6 Ausblick Die Prognose von Kniebinnenverletzungen hat sich in den letzten Jahren wegen der zunehmenden diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten und vor allem wegen der minimal-invasiven arthroskopischen Operationstechniken gewandelt (Angel u. Hall 1989 b; Engebretsen et al. 1988; Kannus u. Jarvinen 1988; Keene et al. 1993). Angesichts des ungünstigen natürlichen Verlaufs einer Knieinstabilität mit frühzeitigen sekundären Meniskusläsionen und Arthrose erscheint die bislang geübte operative Zurückhaltung hinsichtlich einer stabilisierenden Maßnahme bei noch offenen Wachstumsfugen nicht mehr gerechtfertigt. Die bislang vorliegenden Langzeituntersuchungen konnten zwar noch nicht überzeugend beweisen, dass eine Operation eine Arthroseentwicklung verhindert, dennoch besteht kein Zweifel, dass sportlich aktive, junge Patienten von einer operativen Stabilisierung profitieren. In jedem Fall sollten die jungen Patienten bis zum Wachstumsabschluss klinisch kontrolliert und bei konservativem Vorgehen regelmäßig reevaluiert werden. Für die Auswertung von Behandlungsresultaten von kniebandstabilisierenden Eingriffen bietet sich das IKDC-Nachuntersuchungs- und Evaluationssystem an (Hefti u. Muller 1993).
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse) A.-M. Weinberg, E. Pusch, P. Kalmar, E. Kahl 21.3.1 Nichtfugenkreuzende Epiphysenfrakturen
Ausrissfrakturen der Eminentia intercondylaris In der englischsprachigen Literatur wird die Fraktur der Eminentia intercondylaris als eigenständige Fraktur (»anterior tibial spine«) eingestuft. Entsprechend der Lokalisation handelt es sich um eine epiphysäre Läsion des Kniegelenks, welche zwar im Kniegelenk liegt, sich aber meistens außerhalb der gelenktragenden Flächen befindet. Die Prognose nach der Behandlung der Ausrissfrakturen, sei sie nun konservativ oder operativ, wird für alle in der Literatur publizierten Serien als günstig angegeben (Ahn u. Yoo 2005; Gronkvist et al. 1984; Janarv et al. 1995; Mulhall et al. 1999). Trotzdem bleibt es schwierig, einen strikten Behandlungsweg vor-
zugeben, da die vergleichenden Serien – speziell für die operativen Techniken – sehr klein sind (Ahn u. Yoo 2005; Kocher et al. 2004; Manzotti u. Caviggiola 1967; Mulhall et al. 1999; Schmitgen u. Utikuri 2000). Weiterhin werden die Verletzungen des Jugendlichen, die natürlich den Läsionen im Erwachsenenalter zunehmend gleichen, in die meisten Studien miteinbezogen. In diesem Alter ist aber nicht mehr mit relevanten Wachstumsstörungen zu rechnen, sodass die Versorgungen denen der Erwachsenen ähneln und nicht den Prinzipien bei kindlichen Versorgungen folgen müssen. In der Adoleszenz steigt die Zahl der intraligamentären Verletzungen, die im Kindesalter eine Rarität darstellen (Kocher et al. 2004). Ihre Anzahl nimmt bedingt durch Rasanzsportarten zu (Kocher et al. 2004; Moustaki et al. 2005; Nguyen u. Letts 2001). Verletzungen der Eminentia und des vorderen Kreuzbandes und deren Behandlungsstrategien entsprechen nicht dem numerischen, sondern dem Knochenalter (Kocher et al. 2004). In Ausnahmefällen kann es auch zu einem knöchernen Ausriss des hinteren Kreuzbandes kommen (Shelbourne et al. 1999; Abb. 21.20 a,b). Ursache und Häufigkeit Im Kniegelenkbereich stellt die Ausrissfraktur der Eminentia intercondylaris zwar eine seltene Verletzung, jedoch die häufigste knöcherne Knieläsion im Wachstumsalter dar. Sie ist meist Folge eines Monotraumas bei erlittener Kniegelenkdistorsion. War in den 1980er Jahren noch der Fahrrad- bzw. Kleinmotoradunfall Hauptursache (Molander et al. 1981; Nichols u. Tehranzadeh 1987; Rockwood et al. 1984; Sigge u. Ellebrecht 1988), so haben die neueren Entwicklungen im Sport zu einer wachsenden Anzahl von Ausrissfrakturen der Eminentia intercondylaris, aber auch der intraligamentären Läsionen des Kreuzbandes geführt (BuessWatson et al. 1994; Damore et al. 2003; Gronkvist et al. 1984; Moustaki et al. 2005; Pavlovich et al. 2004). In den Alpenländern wird jährlich eine Zunahme unter den Ski- und Snowboardfahrern beobachtet (Höllwarth 1981; Wilfinger et al. 2005; Xiang et al. 2005). Zwei unterschiedliche Verletzungsmechanismen werden diskutiert: 쐌 entweder eine Hyperextension des gestreckten Kniegelenkes mit gewaltsamer Innenrotation oder 쐌 ein Sturz auf das gebeugte und nach innen rotierte Knie (Falstie-Jensen u. Sondergard Petersen 1984; Zifko u. Gaudernak 1984).In der Adoleszenz und im Erwachsenenalter führt das Trauma zu einem intraligamentären Riss des vorderen Kreuzbandes. Vereinzelt sind isolierte Eminentia-intercondylaris-Ausrisse auch bei Erwachsenen möglich. Dagegen ist bei noch weit offenen Fugen der knöcherne Ausriss als punctum minoris resistentiae zu betrachten und daher wesentlich häufiger als ein intra-
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse)
Abb. 21.20. 15-jähriger Junge zog sich beim Fussballspielen einen knöchernen Abriss des hinteren Kreuzbandes zu (a), der in der MRT bestätigt wurde (b). Bei gutem knöchernen Kontakt zur Abrissfläche wurde eine konservative Therapie durchgeführt
ligamentärer Riss. Untersuchungen zeigten, dass die Breite der Notch auch im Kindesalter als prognostisch ungünstig für einen intraligamentärer Riss anzusehen ist. Prognostisch unterscheiden sich beide Verletzungen erheblich. Ein intraligamentärer Riss stellt eine lebenslange Minderung der Funktion des Kreuzbandes dar, da dieses nicht wiederhergestellt werden kann, dagegen heilt der knöcherne Abriss – in anatomischer Stellung – folgenlos für das Kreuzband ein. Entwicklung und Wachstum Entwicklung des Kreuzbandes Die Kreuzbänder sind bereits in der 8. Fetalwoche vorhanden. Im Laufe des Wachstums machen diese wahrscheinlich Längenänderungen durch. Spontankorrektur Dieser Punkt wird in den meisten Publikationen nicht erwähnt. Eigene Erfahrungen in einer Serie von 50 Eminentiaausrissen im Kindesalter ließen folgendes Phänomen erkennen: Bei nichtadäquater anatomischer Reposition (von der Basis abgehobenes Fragment mit noch bestehendem dorsalem Kontakt) führt dies im Rahmen der Heilung zu einer Längenverschiebung, verbunden mit einer vermehrten Laxizität des vorderen Kreuzbandes (Fältelung). Im Langzeitverlauf führte dies nicht obligat zu einer Elongation des Kreuzbandes, wie durch MRT-Untersuchungen belegt wurde (Wilfinger et al. 2005). Folglich hat sich die Länge im Zuge des Wachstums wieder korrekt eingestellt. Hier scheint es korrektive Mechanismen zu geben. Studien oder Angaben in der Literatur fehlen diesbezüglich.
Wachstumsstörungen Der Abriss der Eminentia intercondylaris ist keine fugenkreuzende Läsion. Klinisch relevante Wachstumsstörungen wurden nicht beschrieben. Dennoch kann es bei operativ versorgten Läsionen über einen transepiphysären Zugang bzw. Anschlingen zu einem frühzeitigen Verschluss kommen, in dessen Folge eine entsprechende Rekurvationsfehlstellung entsteht. Auch kann die Apophyse durch ein offenes Vorgehen in Mitleidenschaft gezogen werden (v. Laer 2001). Funktionelle Anatomie Um die Verletzungsmechanismen zu verstehen, ist es notwendig, die epiphysäre Zone der proximalen Tibia zu kennen. Im Bereich des Tibiaplateaus liegt zentral die gegen die Eminentia aufsteigende Gelenkfläche. Dadurch entstehen mittig und seitlich je ein Tuberculum mediale und laterale der Eminentia intercondylaris. Diese Höcker zeigen keine Bandinsertion. Vor und hinter der Eminentia intercondylaris finden sich die Area intercondylaris anterior und posterior, diese stellen die Ansatzareale und die Verankerung der Kreuzbänder bzw. der Meniskusvorder- und Meniskushinterhörner dar. Eine Ausrissfraktur der Eminentia intercondylaris anterior bedeutet eine Auslösung einer Knochenschuppe im Bereich der Insertion des vorderen Kreuzbandes aus der Area intercondylaris anterior.
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Kapitel 21 Kniegelenk
Dieses Knochenfragment ist meist oval und besteht aus Knochen- und Knorpelgewebe. Der anterolaterale Anteil kann bis unter den vorderen Teil des Innenmeniskus reichen. Das Fragment ist meist größer als der Querschnitt des vorderen Kreuzbandes. Es entspricht der Verlängerung der Bindegewebefasern in die Mirkrotunnels, wo sich die Verankerungszone des Kreuzbandes befindet. Größe und Ausdehnung der Fragmente sind die Basis der radiologischen Klassifikation. Das vordere Kreuzband selbst ist bei einer solchen Läsion meist nicht oder nur mit einzelnen Fasern betroffen. Funktionell handelt es sich fast immer um eine Ausrissfraktur durch Zug des vorderen Kreuzbandes am Ende der elastischen Phase der Dehnungskurve des Kreuzbandes. Die Reißfestigkeit des Kreuzbandes ist dabei höher ist als die des jugendlichen Knochens. Je jünger die Kinder sind, desto ausgedehnter ist der kartilaginäre Anteil der Eminentiaoberfläche. Kartilaginäre Ausrisse ohne ossäre Anteile sind möglich. Sie sind auf Röntgenaufnahmen jedoch nicht oder nur schwer nachzuweisen. Bei übersehenen Verletzungen kann es zu einer Pseudarthrose kommen.
Abb. 21.21 a–c. Klassifikation der Eminentia intercondylaris (nach Meyers u. McKeever 1970). a Grad I: geringfügig abgehoben. b Grad II: deutlich abgehoben, der hintere Anteil hängt an der proximalen Tibiaepiphyse. c Grad III: es besteht ein vollständiger Ausriss
Abb. 21.22 a–c. Radiologische Darstellung der Eminentiaintercondylaris-Fraktur im Nativröntgen (seitliches Bild) sowie in der MRT. a Grad I
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Klassifikation Die Fraktur der Eminentia intercondylaris ist eine Epiphysenfraktur ohne Beteiligung der Wachstumsfuge. Bei großen, dislozierten Fragmenten kann ein Meniskusvorderhorn zwischen Tibiaepiphyse und Fragment dislozieren und so zum Repositionshindernis werden. Das distale vordere Kreuzband inseriert am anterioren Anteil der Eminentia. Bei den Eminentiafrakturen ist lediglich zwischen undislozierten und leicht bzw. unvollständig dislozierten und vollständig dislozierten Frakturen zu unterscheiden. Sämtliche Frakturen die nur ventral angehoben sind, also dorsal oder seitlich sichtbar hängen, sind als leicht, bzw. unvollständig disloziert zu einzuordnen. Meyers u. McKeever (1970) schlugen eine dreistufige Klassifikation der Eminentiafrakturen auf der Basis des Dislokationsgrades vor (Abb. 21.21 a–c). Später wurde diese noch um unterschiedliche Typen erweitert (Goudarzi 1985; Iborra et al. 1999; Meyers u. McKeever 1970; Rockwood et al. 1984; Ogden et al. 1980). Zur Therapieentscheidung ist klinisch die Unterscheidung in nichtdislozierte und dislozierte Ausrisse notwendig. Im Gegensatz zu v. Laer (2001) halten wir die Einteilung in 3 Typen (Abb. 21.22 a–c) für sinnvoll, da der Typ II sehr
b
c
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse) Abb. 21.22 a–c. Radiologische Darstellung der Eminentia-intercondylaris-Fraktur im Nativröntgen (seitliches Bild) sowie in der MRT. b Grad II, c Grad III
gut konservativ behandelt werden kann, weil die Basis sich noch im Knochenbett befindet; diese Frakturen können ausreichend anatomisch reponiert werden, wenn der mediale Meniskus nicht eingeschlagen ist. 쐌 I Minimale Dislokation des Fragments von der proximalen Tibiaepiphyse, 쐌 II Dislokation des anterioren Anteils nach kranial bei bestehendem Kontakt des posterioren Anteils mit der Tibiaepiphyse, 쐌 III vollständige Trennung des nach kranial dislozierten Eminentiafragments.
Die Gesamtprognose der kindlichen Eminentiafrakturen ist als gut anzusehen und von möglichen Begleitverletzungen abhängig, deren Auftreten wiederum direkt beeinflusst wird vom Ausmaß der Gewalteinwirkung. Diese ist am Dislokationsausmaß der Fraktur zu ermessen: Relevante Begleitverletzungen sind nur im Rahmen der dislozierten Frakturen zu finden.Als häufigste Begleitverletzungen werden mediale Meniskusläsionen, selten begleitende Knorpelläsionen und mediale Periostausrisse beobachtet. Des Weiteren werden persistierende Instabilitäten bei Wachstumsabschluss angegeben.
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Kapitel 21 Kniegelenk
Diagnostik Klinisch Das klinische Leitsymptom ist der Hämarthros. Die Stabilitätsprüfung der Kreuzbänder ist in der Akutphase ohne adäquate Analgesie schwierig und sollte bei bereits diagnostiziertem Eminentia-intercondylaris-Abriss nicht mehr durchgeführt werden (Bachelin u. Bugmann 1988; Konig et al. 1998, Sigge u. Ellebrecht 1988; Smith 1984; zum Vorgehen bei nichtknöchernen Kniebinnenschaden s. Abschn. 21.2). Begleitverletzungen, insbesondere die des medialen, seltener des lateralen Seitenbandapparates müssen bedacht und klinisch ausgeschlossen werden. Dies lässt sich auch im Kindesalter problemlos durchführen. Radiologisch Von den Standardröntgenaufnahmen in 2 Ebenen hat die seitliche Einstellung die höchste Aussagekraft, sie kann aber einen rein kartilaginären Ausriss nicht ausschließen. Die a.-p.-Einstellung muss herangezogen werden, um die Gesamtausdehnung des Fragments beurteilen zu können. Bei großen dislozierten Fragmenten kann ein interponierter Meniskus die Reposition verhindern. Meist findet sich bei diesen Patienten auch bei abpunktiertem Erguss noch eine persistierende zusätzliche Streckhemmung. Ebenfalls muss in der a.-p.Einstellung auf die Kongruenz des tibiofemoralen Gelenkspaltes geachtet werden. Asymmetrien können entweder auf eine assoziierte Fugenverletzung der Nachbarepiphysen deuten, oder auf eine Seitenbandinstabilität. Da schmerzbedingt verbleibende diagnostische Unklarheiten nicht sicher klinisch überprüft werden können, ist in diesem Fall eine MRT-Untersuchung anzustreben (Ishibashi et al. 2005; Wessel et al. 2001). Fragliche Frakturen des Tibiaplateaus sind in der CT besser zu beurteilen, und man sollte im Zweifelsfall nicht zögern, ggf. auch diese Untersuchung durchzuführen. Therapie Das Therapieziel besteht darin, die Instabilität zu beseitigen, Begleitverletzungen zu eruieren und, wenn vorhanden, zu behandeln. Nicht immer einheitlich wird die Frage beanwortet, ob dies konservativ oder operativ zu erreichen ist (Benedetto et al. 1990; Goudarzi 1985; Gronkvist et al. 1984; Illi et al. 1987; Kocher et al. 2003; Konig et al. 1998; Laer u. Brunner 1984; Lowe et al. 2002; Noyes et al. 1985; Oostvogel et al. 1988; Rockwood et al. 1984; Sigge u. Ellebrecht 1988). Indikation für konservativ Therapie Undislozierte und unvollständig dislozierte Frakturen werden konservativ in einer Oberschenkelgipshülse ruhig gestellt. Diese kann nach Reposition entweder in Überstreckstellung oder 15° Beugung des Kniegelenks angelegt werden. Wir legen initial Oberschenkelliegeschalen an und modellieren erst um den 7. bis 10. Tag
den geschlossenen Tutor an (Abb. 21.23 a–c). Da das Kreuzband grundsätzlich fächerförmig inseriert, unterliegt dieses in jeder Knieposition einer bestimmten Spannung. Daher erscheint es sinnvoll, nach Reposition unter Bildwandler zu prüfen, in welcher Knieposition die Lage des Fragments am besten redressiert werden kann. Nach Reposition ist in jedem Fall radiologisch zu prüfen, inwieweit sich das Fragment verschoben oder angelegt hat (Abb. 21.24). Eine adäquate Schmerzmedikation ist hierbei notwendig. Im Tutor kann die Teilbelastung ab dem 7. bis 10. Tag unter zunehmender Belastung begonnen werden. Ein Hämarthros wird vor Anlegen der Schiene (Oberschenkelliegeschale oder gespaltener Gipstutor) punktiert (ambulanter Patient). Bei stationären Patienten kann alternativ das Kniegelenk erst am folgenden Tag punktiert werden, da der Erguss bei sofortiger posttraumatischer Punktion erneut nachlaufen kann. Im Falle einer MRT lässt der Erguss Begleitläsionen besser darstellen (indirektes Kontrastmittel). Grundsätzlich wird der Erguss in regelmäßigen Abständen nach 2–4 Tage kontrolliert und wenn nötig erneut punktiert. In einer eigenen Untersuchung (Wilfinger et al. 2005) wurde festgestellt, dass maximal 2 Punktionen nötig sind, alle weiteren Punktionen bzw. Kontrollen erscheinen obsolet. Nach 7–10 Tagen ist die Frakturstellung erneut radiologisch zu prüfen. Hat sich das Fragment gut eingestellt, wird weiter konservativ vorgegangen, ansonsten wird die Indikation zur Operation gestellt. Indikation für operative Therapie Alle vollständig dislozierten Frakturen müssen arthroskopisch oder durch eine Miniarthrotomie im Hinblick auf mögliche Begleitverletzungen der Menisken sowie auf Knorpelläsionen und Bandläsionen abgeklärt und je nach Befund behandelt werden. In Abhängigkeit von der Fragmentgröße stehen mehrere Methoden der Fixation zur Verfügung, die entweder im Rahmen einer Arthrotomie oder arthroskopisch bzw. arthroskopisch assistiert durchgeführt werden (Delcogliano et al. 2003; Haring u. Schenk 1981; Kocher et al. 2003; Kuner u. Haring 1980; Manzotti u. Caviggiola 1967; Mulhall et al. 1999; Schmitgen u. Utikuri 2000; Shepley 2004; Abb. 21.25 a–i). Technik Kleine oder kartilaginäre Abrissfragmente können mittels Auszugnaht, ggf. mit Durchflechtung des Kreuzbandes oder neueren Ankersystemen gehalten werden. Resorbierbares Material macht dabei einen Zweiteingriff zur Entfernung unnötig. Größere Fragmente können entweder durch 2 perkutan eingebrachte KirschnerDrähte, oder durch exakt längendimensionierte Kleinfragmentschrauben stabilisiert werden. Aber auch eine Drahtzerklage erlaubt eine Refixation des Fragments. Die Spitze der Implantate darf das Niveau des Fragments proximal nicht nach intraartikulär überragen, um Reizsymptome zu vermeiden.
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse)
CAVE
Abb. 21.23. a Unfallbild einer Fraktur der Eminentia intercondylaris Grad II mit noch dorsalem Knochenkontakt. b Reposition unter Bildwandler. Es zeigt sich eine gute Anlage des Fragments. c Stellungskontrolle nach 10 Tagen
Ist das Fragment zu klein, um es von distal zu fassen, muss die Schraube von intraartikulär in kraniokaudaler Verlaufsrichtung eingebracht werden – mit dem Nachteil einer Zweitarthrotomie zur Entfernung. Das Risiko aller von distal eingebrachten Implantate und der Auszugsnaht besteht in einer iatrogenen Verletzung der offenen, ventralen tibialen Epi-/Apophysenfuge mit nachfolgender hemmender Wachstumsstörung. Bei Patienten kurz vor Fugenschluss kann das Implantat jedoch transepiphysär eingebracht werden, da mit keiner Wachstumsstörung mehr zu rechnen ist. Patienten- und Elternaufklärung. Die Eltern und Patienten werden über das allgemeine Operations- und Infektionsrisiko aufgeklärt. Bei Ausrissen der Eminentia kommt es im Allgemeinen nicht zu Wachstumsstörungen. Bei fugenkreuzenden Osteosynthesen kann
es zu Wachstumsstörungen im Bereich der Apophyse kommen. Operationsvorbereitungen. Bereitstellen eines Bildwandlers zur Stellungskontrolle während der Operation. Eine Oberschenkelblutsperre sollte angelegt werden, initial ist die Blutsperre aber nicht obligat. Anästhesie und Lagerung. Bei Kindern ist die Allgemeinnarkose die bessere Wahl. Altersabhängig kann alternativ auch eine Regionalanästhesie durchgeführt werden. Dabei sollte bedacht werden, dass das Kind ruhig liegen bleiben muss. Gelagert wird in Rückenlage, und die betroffene Extremität soll frei beweglich bleiben. Zuerst wird eine Arthroskopie durchgeführt. Das Knie kann mit Tuchrollen bei der operativen Versorgung unterlagert werden.
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Abb. 21.24. Behandlungsablauf bei der konservativen Therapie von Frakturen der Eminentia intercondylaris
a
b
d
e
c
Abb. 21.25 a–i. Technik der Refixation. a–c Konventionell: a Kirschner-Drähte, b Drahtzerklage mit/ohne Schraube, c Schraube. d–e Arthroskopisch: d Durchzugsnaht, e Ankermaterial
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse)
Operationstechnik. Es stehen mehrere Operationstechniken zur Auswahl. 1. Arthroskopische Reposition mit perkutaner Kirschner-Draht-Spickung, 2. arthroskopische Reposition mit resorbierbaren Anker- bzw. Durchzugsnähten oder Zerklagen, 3. Fixierung größerer Fragmente mittels einer Schraubenosteosynthese, 4. offene Reposition und transepiphysäre Fixierung (z. B. Drahtzerklagen, resorbierbare Ankertechniken (Arthroskopie; Abb. 21.26 a,b, Abb. 21.27 a,b).
Fehler, Gefahren, Komplikationen 쐌 Operativ kann es von Vorteil sein, die Miniarthrotomie der arthroskopischen Refixierung vorzuziehen, da Kinder einen kleineren Kniebinnenraum aufweisen. Die Gefahr der Knorpelschädigung ist durch die bisweilen zu unhandlichen Instrumente, die für das Kinderknie nicht angepasst sind, groß. 쐌 Typische postoperative Komplikationen (Infektion, Wundheilungsstörung, Thrombose, Embolie bei Jugendlichen) 쐌 Bruch der Implantate, sekundäre Dislokationen bis hin zu Pseudarthrosen 쐌 Gelenkreizung mit Ergussbildung vor allem bei resorbierbaren Implantaten 쐌 Iatrogene Wachstumsstörungen – Rekurvationsfehlstellung durch Verletzung der Apophyse mit sekundärem posttraumatischen Verschluss derselben 쐌 Pseudarthrose 쐌 Bleibende Instabilität nach konservativer Therapie 쐌 Übersehende Begleitverletzungen der Menisken
f
laterler Meniskus
g
h
Bohrloch
Eminentiafraktur
i
Abb. 21.25 f–i. f,g Arthroskopisch: f 30°-Optik, 4 mm. Das Portal ist lateral. g Schraffiert stellt sich die Eminentiafraktur dar. Die Bohrlöcher, vor allem bei einem großen Fragment, kommen unter Umständen unterhalb des Meniskushornes zu liegen. Eine Verletzung des Meniskus muss vermieden werden. h,i Impingement des medialen Meniskus, bei großen Fragmenten vor allem an der medialen Seite lokalisiert
Nachbehandlung Konservativ Es erfolgt dei Ruhigstellung im Gips für 4–6 Wochen, dann gipsfreie radiologische und klinische Konsolidationskontrolle.Ab der ersten Woche – mit Auflösung des Hämarthros – ist das Gehen an Unterarmgehstöcken mit voller Belastung erlaubt. Nach Gipsabnahme erfolgt das spontane Bewegen. Kann der Patient bei der nächsten Funktionskontrolle nach 1–2 Wochen das Knie nicht aktiv bis etwa 70° flektieren, sollte eine physiotherapeutische Übungsbehandlung eingeleitet werden (Abb. 21.28 a–c). Operativ Eine gipsfreie Nachbehandlung ist bei entsprechender Implantatwahl möglich. Wir legen eine Knieorthese an und limitieren die Beugung auf 90° für 4–6 Wochen. Gang an Unterarmgehstützen unter Teilbelastung bis zum 10. Tag. Die Kirschner-Drähte werden bei der Kon-
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Kapitel 21 Kniegelenk Abb. 21.26 a,b. 8-jähriger Junge, der sich beim Skilaufen eine Fraktur der Eminentia intercondylaris zuzog. Die Kirschner-Draht-Osteosynthese wird perkutan unter Arthroskopie gesetzt, wobei die Enden herausstehen können oder auch versenkt werden
Abb. 21.27 a,b. Beispiel für die Zerklagetechnik. a Durch Miniarthrotomie und distale Schraubenverankerung. Diese Technik kommt eher bei älteren Kindern zur Anwendung kommt. b Durchzugstechnik. Mehrfache Bohrungen sollten unterbleiben um keine posttraumatische Wachstumsstörung zu provozieren. Das Drahtende sollte unterhalb der Tuberositas zu liegen kommen
solidationskontrolle gezogen, Schrauben und Drähte, die versenkt wurden, werden nach 4–6 Monaten entfernt. Nachkontrollen Nach der Konsolidationskontrolle werden Funktionskontrollen bis zum Erreichen der freien Funktion sowie nach Wiederaufnahme des Sports durchgeführt. Eine Stabilitätskontrolle sollte einmal jährlich bis zum Wachstumsabschluss durchgeführt werden. Spätkomplikationen Posttraumatische Rekurvationsfehlstellungen im Zuge des vorzeitigen Verschlusses der Tibiaapophyse benötigen selten eine Achsenkorrektur. Pseudarthrotisch verheilte Fragmente bedürfen bei bestehender Instabilität einer operative Korrektur, wobei auch verspätet durchgeführte Refixationen einheilen können.
21.3.2 Fugenkreuzende Epiphysenfrakturen Ursache und Häufigkeit Die »typischen« Epiphysenfrakturen (Salter-Harris III und IV) sind ebenfalls seltene Verletzungen und immer Folge einer direkten Gewalteinwirkung (Verkehrsunfälle und Sportverletzungen). Manchmal ist es schwierig, diese Verletzungen von den Apophysenaus- bzw. -abrissfrakturen der Tuberositas tibiae zu differenzieren. In der Literatur existieren keine genauen Angaben über deren Häufigkeit, da in den meisten Publikationen die Epiphysenlösungen, die dem Schaft zuzuordnen sind, mitbetrachtet werden (Burkhart u. Peterson 1979; Glaser et al. 1987; Krause et al. 2005; Machan 1980; Peters u. Steinert 1972; Rhemrev et al. 2000; Verzin et al. 2001).
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse) Abb. 21.28 a–c. 7-jähriger Junge nach Sturz beim Skifahren. a Nativröntgen bei Trauma: Eminentiaausrissfraktur Grad II nach Meyer u. McKeever (1970). b Ergebnis nach Reposition, konservative Therapie. c Bei der Nachuntersuchung nach einem Jahr zeigten sich klinisch keine Instabilität und keine pathologischen Veränderungen. Die zur selben Zeit durchgeführte MRT zeigt ebenfalls keine pathologischen Veränderungen
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Entwicklung und Wachstum Die Verknöcherung der Tibia nimmt ihren Ausgang in 3 Ossifikationszentren, wobei 2 epiphysär und eines diaphysär angelegt sind. Der diaphysäre Knochenkern tritt erstmals in der 7. Fetalwoche in Erscheinung, der proximale erscheint kurz nach der Geburt und der distale Knochenkern wird im 1. bis 2. Lebensjahr sichtbar. Der distale Epiphysenschluss erfolgt zwischen dem 14. und 15. Lebensjahr bei Mädchen und zwischen dem 16. und 17. Lebensjahr bei Jungen. Der proximale Epiphysenschluss erfolgt zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr. Wachstumsstörung Nach jeder Fraktur werden stimulative Wachstumsstörungen beschrieben, wobei dies bei Frakturen des Unterschenkels im Hinblick auf mögliche Beinlängenalterationen klinisch nahezu ohne Bedeutung ist. Hingegen führen partielle hemmende Wachstumsstörungen und ausgeprägte Brückenbildungen immer zu einem Achsenfehlwachstum. Bis zum 12. Lebensjahr ist eine Wachstumsstörung (mit Fehlwachstum in Richtung Varus oder Valgus, der Ante- oder Rekurvation) bei einem vorzeitigen bzw. teilweisen Verschluss der Fuge möglich, aber nicht obligatorisch. Auch hierzu gibt es keine genauen Häufigkeitsangaben (Gautier et al. 1998; Rappold 1992; Wozasek et al. 1991; Zionts 2002). Spontankorrektur Da es sich um eine Gelenkfraktur handelt, sollten keine Fehlstellungen, vor allem keine Stufen, belassen werden, da diese sich nicht korrigieren. Inwieweit geringe Diastasen bei kleinen Kindern Korrekturpotenzial aufweisen, ist unbekannt. Klassifikation Die Klassifikation erfolgt nach Salter und Harris und entspricht den Typ-III- und -IV-Läsionen. Diese epiphysären Frakturen sind Gelenkfrakturen, die entweder nur die Epiphyse betreffen oder zusätzlich noch einen metaphysären Anteil besitzen. Zusätzlich können an der proximalen Tibia kurz vor Wachstumsabschluss Übergangsfrakturen beobachtet werden (Abb. 21.29 a–c).
Abb. 21.29 a–c. Klassifikation der epiphysären Verletzungen der proximalen Tibia. Diese Gelenkfrakturen werden nach Salter u. Harris eingeteilt. a Salter-Harris III. b Salter-Harris IV. c Übergangsfrakturen (»twoplane«, »triplane«)
a
Diagnostik Klinisch Patienten mit einer Gelenkfraktur der proximalen Tibiaepiphyse haben meist starke Schmerzen, da die Verletzung mit einer hohen Gewalteinwirkung verbunden ist. Es findet sich ein massiver Hämarthros als Leitsymptom. Eine Streckung im Knie ist unmöglich und sollte bei der Lagerung nicht provoziert werden. Durchblutung und Sensibilität können je nach Dislokationsrichtung (vor allem nach dorsal) geschädigt sein und sollten primär miterfasst werden. Wenn das proximale Ende nach posterior disloziert ist, kann es zu einer Konkavität des Knies kommen. Wenn die Metaphyse nach medial/lateral verschoben wird, ergibt sich eine Valgus-/Varusdeformität. Radiologisch Die Diagnose wird radiologisch gestellt. Primär genügt ein a.-p. und ein seitliches Bild. Zusätzlich können bei nichtdislozierten Frakturen oder Übergangsfrakturen Schrägaufnahmen zur Diagnosestellung hilfreich sein. Manchmal ist die Fraktur des Caput fibulae der einzige Hinweis darauf, dass es sich um eine unverschobene Epiphysenfraktur handelt kann. In Zweifelsfällen sollte eine CT angefertigt werden. Zunehmend ist die MRT auch bei knöchernen Läsionen aussagekräftig genug und bei Kindern vorzuziehen (Close u. Strouse 2000). Therapie Ziel der Therapie ist es, bei dislozierten Frakturen die Tibiaplateaufläche wieder herzustellen. Weiterhin versucht man durch eine anatomische Reposition, das Ausmaß einer möglichen Ausheilungsbrücke klein zu halten (Roberts 1990; Rhemrev et al. 2000). Im Falle einer Übergangsfraktur, die zunehmend der Tibiakopffraktur des Erwachsenen entspricht, sind die Prinzipien der Gelenkrekonstruktion bei der operativen Versorgung erwachsener Patienten anzuwenden (Abb. 21.30 a,b). Konservativ Bei allen undislozierten Frakturen mit einer Frakturspaltdehiszenz in der Epiphyse von <2 mm kann konservativ im Oberschenkelgips behandelt werden. Nach einer und 2 Wochen erfolgt die radiologische Kontrolle der Stellung. Der Gips wird 5–7 Wochen getragen.
b
c
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse)
Abb. 21.30. a 14-jährige Patientin, die sich eine Übergangsfraktur des lateralen Tibiaplateaus zuzog. b Stabilisation mit einer Plattenosteosynthese, Ausheilungsbild nach 3 Monaten
Operativ Operativ versorgt werden sämtliche dislozierte Frakturen, d. h. Frakturen mit einer Dehiszenz von >2 mm in der Epiphyse. Eine relative Indikation stellt die nichtverschobene Fraktur im Alter >10 Jahren dar. In diesen Fällen wird zunehmend die prophylaktische Verschraubung gewählt, da fast alle Kinder einer CT- oder MRT-Untersuchung unterzogen werden und die Spaltbildung auf diesen Aufnahmen immer 2 mm überschreitet. Von Vorteil für die adoleszenten Kinder ist eine frühfunktionelle Behandlung unter Weglassen eines Gipsverbandes, wenn der Gang an Unterarmgehstützen erfolgen kann.
Operationsprinzip und -ziel. Die Wiederherstellung der Tibiaplateaugelenkfläche durch eine funktionsstabile Schraubenosteosynthese. Patienten- und Elternaufklärung. Beim Aufklärungsgespräch sollen die Eltern und Patienten auf mögliche Wachstumsstörungen, Schädigungen der Epiphysenfuge sowie resultierende Achsabweichungen und die allgemeinen Operationsrisiken hingewiesen werden. Das Ausmaß der primären Schädigung kann durch eine Operation nicht reduziert werden. Es muss immer mit einer Ausheilungsbrücke gerechnet werden.
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Instrumentarium. Wir bevorzugen kanülierte Schrauben (3,5 oder 6,5 mm – altersabhängig). Altersentsprechend finden auch Kirschner-Drähte Anwendung. Anästhesie und Lagerung. Allgemeinnarkose; alternativ kann bei älteren Kindern eine Spinalanästhesie gewählt werden. Gelagert wird in Rückenlage bei leicht gebeugtem Knie durch Unterlagerung einer Tuchrolle. Operationstechnik (Abb. 21.31 a,b). Eine offene Reposition mit funktionsstabiler Schraubenosteosynthese wird bei allen dislozierten Frakturen vorgenommen. Handelt es sich um eine prophylaktische Verschraubung, so eignet sich die perkutane geschlossene Technik mit kanülierten Schrauben. Zur Beurteilung des Gelenks ist der laterale oder mediale Zugang zum Gelenk geeignet. Dies richtet sich nach der Fraktur bzw. der Lage des metaphysären Keils. Man kann über diesen Zugang das Tibiaplateau darstellen. Je nach Frakturlokalisation erfolgt eine Längsinzision über dem Tibiakopf seitlich bzw. medial parapatellar. Die Fraktur wird dargestellt und ggf. ein entsprechendes Débridement der Läsion vorgenommen. Wenn nötig werden eingeschlagene Periostfetzen entfernt. Anschließend erfolgen die Reposition und Fixation durch Einzelschrauben parallel zur Epiphysenfuge und zur Gelenkfläche unter Verwendung von Unterlegscheiben.Alternativ können über Kirschner-Drähte kanülierte Schrauben eingebracht werden. Eventuell muss zusätzlich eine quer verlaufende Schraube durch die Metaphyse bei großem dorsalem Keil eingebracht werden. Die Wunde wird schichtweise verschlossen (Abb. 21.32 a–c, Abb. 21.33 a–c, Abb. 21.34).
a
Fehler, Gefahren, Komplikationen 쐌 Bei Mitverletzung der A. poplitea oder der A. tibialis anterior kann in der Folge eine chronische vaskuläre Insuffizienz auftreten. 쐌 Verbleibende Stufen durch nichtkorrektes Einbringen der Schrauben, bzw. verbleibende Stufen bei dislozierten Frakturen, die geschlossen reponiert wurden 쐌 Schraubenbruch 쐌 Wachstumsstörungen durch Brückenbildung 쐌 Verbleibende Seitenbandlaxizität, bzw. Gelenkinstabilitäten bei Inkongruenz, übersehene zusätzlichen Verletzungen oder posttraumatische Achsabweichungen
Nachbehandlung Konservativ Während der konservativen Behandlung sind nach 7 und 14 Tagen Stellungskontrollen notwendig, da die Frakturen sekundär dislozieren können. Die Ruhigstellung im Oberschenkelgips dauert 5–7 Wochen, je nach Alter des Patienten. Der Patient wird sofort an Unter-
b Abb. 21.31 a,b. Es wird der parapatellare laterale Zugang favorisiert, nur in Ausnahmefällen der mediale Zugang. Gerade laterale Inzision, diese wird bis zum Knochen fortgeführt. Der Tractus iliotibialis wird geteilt. Nur in Ausnahmefällen muss die Muskulatur abgetrennt werden. Das Gelenk kann durch Anheben des Meniskus dargestellt werden. Dieser kann ins Gelenk eingeschlagen sein und sollte dann reponiert und refixiert werden
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse)
a
b
Abb. 21.32 a–c. Schraubenosteosynthese. Entsprechend des Keils werden 1 bzw. 2 Schrauben oder zusätzlich Kirschner-Drähte verwendet
c
armgehstützen ohne Belastung mobilisiert. Nach 3 Wochen ist die Belastung frei zu geben. Eine Röntgenkontrolle bei Frakturkonsolidation ist indiziert. Die Mobilisation des Kniegelenks erfolgt primär spontan, meist verordnen wir eine Physiotherapie. Postoperativ Sofortiges spontanes Bewegen auf der Bewegungsschiene (CPM). Der Patient wird an Unterarmgehstützen ohne Belastung bzw. mit einem Gewicht von maximal 15 kg für 3 Wochen mobilisiert, anschließend wird die zunehmende Belastung erlaubt.
Nachkontrollen Es wird üblicherweise alle 3–4 Wochen die Funktion bis zum freien Gangbild und dem vollen Bewegungsumfang des Gelenks klinisch kontrolliert. Danach werden halbjährliche klinische und ggf. radiologische Kontrollen durchgeführt. Der Kontrollabschluss findet 2 Jahre nach dem Unfall statt, wenn die Funktion der Gelenke und die Achsen symmetrisch sind und keine Beinlängendifferenz bestehen. Sollte es zu einer Wachstumsstörung kommen, werden die Kontrollen bis zum Wachstumsabschluss weitergeführt. War das Kind weit vor Wachstumsabschluss verletzt, müssen sowohl Patient als auch Kind darauf hingewiesen werden, dass es im Rahmen des Wachstums auch noch nach Jahren zu Wachstumsstörungen kommen kann.
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Kapitel 21 Kniegelenk Abb. 21.33. a 14-jähriger Junge, der sich eine nahezu undislozierte Salter-HarrisIV-Läsion der proximalen Tibia zuzog. b Relative Indikation: Versorgung über 2 kanülierte perkutan eingebrachte Schrauben. Postoperativ Mobilisation an Unterarmgehstützen ohne Gipsruhigstellung. c Ausheilungsbild nach Metallentfernung nach einem Jahr
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse)
Abb. 21.34 a–f. Dislozierte, proximale Salter-Harris-III-Epiphysentrümmerfraktur der proximalen Tibia, Unfallbild, 15-jähriger Junge. Bild nach geschlossener Reposition und Versorgung mit per-
kutan eingebrachten Kirschner-Drähten und einer kanülierten Schraube. Kniegelenkröntgen 6 Monate nach dem Unfall zeigt gute Form des Tibiaplateaus
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e
d
f,g
Abb. 21.35 a–g. Entwicklungsstadien der Tibiaapophyse. a–c Pränatal: Um die 12. bis 15. SSW entwickelt sich die Apophyse aus der Epiphyse heraus. d–g Postnatal: In den ersten Lebensjahren verbleibt die Apophyse als ein Teil der Epiphyse. Erst mit dem 7. bis 9.
Lebensjahr formiert sich ein zweites Ossifikationszentrum. Erst ab dem 13. Lebensjahr beginnt der Verschluss. Dieser kann bei Jungen bis zum Alter von 18 Jahren dauern
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21.3.3 Ausrisse der Apophyse der Tuberositas tibiae Ursache und Häufigkeit Epiphysenfrakturen im Bereich der proximalen Tibia kommen in Kombination mit Apophysenverletzungen der Tuberositas tibiae vor. Bei der Therapieentscheidung ist darauf zu achten, ob eine Gelenkfraktur besteht oder es sich um eine Epiphysenlösung mit bzw. ohne metaphysären Keil handelt. Letztere gehört zu den metaphysären Verletzungen und ist mit einer Abhebung der Apophyse verbunden (s. Kap. 22.1). Ausrisse der Tuberositas tibiae sind außerordentlich selten (0,5–1% aller Epiphysenfrakturen) und kommen praktisch nur zwischen dem 11. und 17. Lebensjahr vor (Krause et al. 2005; v. Laer 2001). Im Durchschnitt sind die Jugendlichen 15 Jahre alt, mit einem deutlichen Überwiegen des männlichen Geschlechts. Die höhere Inzidenz einer derartigen Apophysenverletzung der Tibia für männliche Jugendliche, beruht auf mehreren Faktoren. So führen Sportarten, die mit forcierten Streckbewegungen einhergehen (z. B. Fußball), wie auch der besser entwickelte M. quadriceps, aber auch hormonelle Faktoren, die eine Minderung der Resistenz gegenüber Gewalt bedingen, zu einer Läsion der Apophyse (Buhari et al. 1993; McKoy u. Stanitski 2003; Ogden 1999; Ogden et al. 1980). In der Literatur wird in mehreren Fällen ein vorbestehender Morbus OsgoodSchlatter als Risikofaktor angegeben (Balmat et al. 1990; Bolesta u. Fitch 1986; Hand et al. 1971; Ogden et al. 1980). Andere Sportarten, bei denen derartige Unfälle beobachtet wurden, sind die Lauf- und Sprungdisziplinen in der Leichtathletik und der Gymnastik oder Ballsportarten wie Basketball und Football, die eher in angloamerikanischen Ländern ausgeübt werden (Di Giovanni et al. 1986; Levi u. Coleman 1976). Direkte Anpralltraumen werden auch bei Verkehrsunfällen beschrieben. Direkte Traumen sind jedoch wesentlich seltener. Wichtiger Entstehungsmechanismus ist die plötzliche Anspannung der Oberschenkelmuskulatur mit Zug an der Tuberositas tibiae. Entwicklung und Wachstum Die Apophyse der Tuberositas tibiae ist Teil der Epiphyse und bleibt bis zum Wachstumsabschluss am Wachstum der Tibia beteiligt. Zwischen dem 8. und 12. Lebensjahr bei den Mädchen und zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr bei den Jungen erscheint in der Apophyse ein sekundäres Ossifikationszentrum. Der physiologische Fugenschluss bei Wachstumsende beginnt im dorsalen Bereich der Fuge und schreitet langsam nach ventral voran. Die Apophysenfuge selbst verknöchert erst ganz zum Schluss (Abb. 21.35 a–g). Dieser Prozess kann bei Jungen bis ins Alter von 18 Jahren andauern (Ogden et al. 1975).
Wachstumsstörung Da sich diese Frakturen stets im Jugendlichenalter bei schon dorsal geschlossenen Fugen ereignen, ist die Wachstumsprognose gut. Die Wachstumsstörung des vorzeitigen partiellen Verschlusses der Fuge mit konsekutivem Fehlwachstum in Richtung des Varus/Valgus, der Ante- oder der Rekurvation ist bis zum 12. Lebensjahr möglich, aber nicht obligatorisch. In der Literatur existieren keine exakten Häufigkeitsangaben über deren Vorkommen. Spontankorrektur Da es sich um eine Apophyse handelt, ist die spontane Korrektur von Fehlstellungen nicht gegeben. Verletzungen, die in die Epiphyse reichen (Gelenkverletzungen!), sind nie der Spontankorrektur zu überlassen. Handelt es sich um Lösungen ohne Beteiligung des Gelenks so können Seit-zu-Seit Verschiebungen spontan korrigiert werden. Größenangaben existieren nicht, daher überlassen wir maximal 5 mm als Versatz der Spontankorrektur (s. auch Kap. 22.1). Funktionelle Anatomie Der vordere scharfe Rand (Margo anterior) der dreiseitigen Tibia geht an seinem proximalen Ende in die Tuberositas tibiae über. Dieser »Vorsprung«, welcher beim Erwachsenen bereits verknöchert und aufgeraut ist, ist beim Kind noch ein Teil der Epiphyse, der aktiv am Wachstum beteiligt ist. An der Tuberositas inseriert das Lig. patellae, welches seinerseits die Fortsetzung der Quadrizepssehne darstellt. Lateral und medial der Tuberositas setzen das Retinaculum patellae laterale und mediale an. Der Sehnen-Knochen-Übergang ist an den knorpelig präformierten Apophysen anders aufgebaut als an den Diaphysen.An der Apophyse fehlt das Periost, und stattdessen befindet sich an dieser Stelle ein faserknorpelähnliches Gewebe, welches auch mineralisiert ist. Die Knorpelzellen dieser Sehnenansatzzone werden von den Kollagenfaserbündeln »scherengitterartig« umhüllt, bevor sie in den Knochen einstrahlen. Diese verankerten Kollagenfibrillen nennt man auch SharpeyFasern. Die mechanische Bedeutung solcher Sehnenansatzstrukturen besteht darin, die unterschiedlichen Elastizitätsmodule von Sehne und Knochen durch Dehnungsdämpfung oder -bremsung auszugleichen. Im Falle der Apophysen wirkt der Faserknorpel als »Elastizitätsbremse«.(Rauber u. Kopsch 1998). Klassifikation Die Brüche der proximalen Tibia werden in extra- und intraartikuläre Läsionen unterschieden. Die am häufigsten verwendete Klassifikation ist die nach Ogden (1999; Abb. 21.36 a,b). Ürsprünglich stammt die Einteilung von Watson-Jones (Zitat aus Ogden 1999), der 3 Typen von Ausrissfrakturen der Tuberositas tibiae differenzierte, und Ogden (1999) erweiterte diese Einteilung, indem er jeden der Haupttypen noch in Subtypen unterteilte.
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse)
1a
3a
2a
1b
2b
3b
Abb. 21.36 a,b. Einteilung der Tuberositasverletzungen nach Odgen. a Extraartikuläre Frakturen. b Intraartikuläre Frakturen
Klassifikation der Ausrissfrakturen der Tuberositas tibia (nach Ogden 1999) 쐌 Extraartikuläre Frakturen: – Typ I A: Es handelt sich um eine Fraktur durch das Ossifikationszentrum der Tuberositas mit einer minimalen Verlagerung des Fragments nach vorne und distal. – Typ I B: Das Fragment ist nach vorne und proximal verlagert. – Typ II A: Die Frakturlinie zieht durch die Verbindung zwischen Epi- und Apophyse. Das Fragment ist am distalen Anteil der Tuberositas disloziert. – Typ II B: Das Tuberositasfragment ist zerstückelt, und der untere Anteil ist stark disloziert und nach proximal verschoben. 쐌 Intraartikuläre Frakturen (epiphysäre Frakturen): – Typ III A: Die Fraktur hat sich bis ins Gelenk ausgedehnt. Abriss von der Apophyse und Epiphyse. Dislokation des Bruchstückes nach proximal mit Entstehung einer Stufe im Gelenk. – Typ III B: Gleich wie Typ III A, jedoch ist das apo-epiphysäre Fragment zusätzlich zerstückelt, und die Bruchstücke sind stark nach proximal disloziert.
Diagnostik Klinisch Die Jugendlichen spüren während ihrer sportlichen Aktivitäten einen plötzlich auftretenden akuten Schmerz mit anschließender Schwellung im Bereich der Tuberositas tibiae. Im Anschluss daran sind der Gang und die Streckung des Kniegelenks eingeschränkt. Die Palpation der Tuberositasregion ist schmerzhaft. Weiterhin besteht oftmals eine aszendierte Patella, ein subpatellarer Erguss (»tanzende Patella« bei intraartikulärer Blutung) oder ein scharfkantiges, subkutan tastbares Fragment. Das Anheben des gestreckten Beins ist schmerzhaft oder bisweilen nicht möglich. Radiologisch Die Radiologie sichert die Diagnose. Zur Erkennung der Fraktur genügt das a-p. und seitliche Bild. Nur im seitlichen Bild können der Typ der Fraktur, die Anzahl der Fragmente und das Ausmaß der Dislokation definiert werden. Wichtige Differenzialdiagnosen sind der Morbus Osgood-Schlatter, sowie der Morbus Sinding-Larsen (s. Abschn. 21.4). Therapie Die Therapie hat zum Ziel, im Falle einer wesentlichen Dislokation, die Tibiaplateaugelenkfläche (bei intraartikulären Frakturen) zu rekonstruieren. Bei den Epiphysenlösungen soll durch das Aufeinanderstellen der Fragmente eine möglichst gute Voraussetzung für
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Kapitel 21 Kniegelenk
eine möglichst geringe Ausheilungsbrücke geschaffen werden. Bei nahezu undislozierten Frakturen (Typ I A, III A), d. h. bei einer Dehiszenz der Tuberositas bis zu etwa 5 mm und einer intraartikulären Deshizenz von maximal 2 mm erfolgt eine konservative Behandlung im Oberschenkelgips bei gestrecktem Knie. Operativ behandelt werden alle dislozierten Frakturen. Eine relative Indikation besteht bei all jenen Frakturen, die ins Gelenk reichen. Sie werden – vor allem in der Adoleszenz – prophylaktisch verschraubt (Typ I B, II A,B und III A,B; McKoy u. Stanitski 2003). Operationsprinzip und -ziel Wiederherstellung der Tuberositas tibiae mit korrekter Replatzierung des Lig. patellae durch eine Drahtzerklage oder mittels einer Schraubenosteosynthese. Patienten- und Elternaufklärung. Die Eltern und Patienten werden über das allgemeine Operations- und Infektionsrisiko aufgeklärt. Bei Ausrissen der Tuberositas kommt es im Allgemeinen nicht zu Wachstumsstörungen. Die Eltern und Patienten sind jedoch darauf hinzuweisen, dass es bei vermehrter Belastung zum Bruch des Osteosynthesematerials (vor allem der Drahtzerklage kommen kann). Weiterhin kann es im Rahmen der Heilung zu einem vermehrten appositionellen Wachstum kommen, welches sich klinisch durch eine Vorwölbung manifestiert und beim Knien und sportlicher Aktivität schmerzt. Bewegungseinschränkungen können ebenfalls verbleiben. Operationsvorbereitungen. Da evtl. seitliche Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke benötigt werden, sollte man entsprechende Abdeckungen wählen, um im Bildwandler die korrekte Höhe der Patella beurteilen zu können. Eine Blutsperre ist nicht zwingend erforderlich. Instrumentarium. Kleinfragmentschrauben mit Unterlegscheibe, kanülierte Schrauben oder Drahtzerklageset je nach Versorgungstyp.
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Anästhesie und Lagerung. Bei Kindern bevorzugt man die Allgemeinnarkose, bei Jugendlichen ist auch alternativ die Plexusanästhesie möglich. Gelagert wird in Rückenlage. Operationstechnik. Der parapatellare Zugang erweist sich als günstig, wenn beim jüngeren Kind mit Apophysenausriss (Typ I B, II A,B) eine Drahtzerklage durchgeführt werden soll. Die mediale oder laterale Schnittführung (je nach Frakturtyp) beiderseits des Lig. patellae mit Schnitterweiterung über die Tuberositas tibiae stellt den Zugang beim älteren Kind mit Apophysenausriss (Typ III und IV) dar. Über diese Zugänge erhält man auch einen guten Überblick über epiphysäre intraartikuläre Fragmente. Der laterale/mediale parapatellare Hautschnitt kann von der Basis der Patella bis etwa 2 cm unter der Tuberositas tibiae reichen, wobei meist der Schnitt über der Tuberositas tibiae ausreicht. Diese Schnittführung eignet sich besonders für die Typen I B und II A/B. Die Ausrissstelle wird dargestellt, es erfolgt ein querer Bohrkanal im unteren Drittel der Tuberositas zum Setzen der Drahtzerklage. Die Kleinfragmentschraube wird quer durch den vorgebohrten Kanal durch die Tuberositas tibiae für die distale Drahtverankerung eingebracht. Anschließend erfolgt die korrekte Positionierung der Fragmente und die Fixation der Drahtzerklage als Rahmennaht. Die Festigkeit der Drahtzerklage wird bei flektiertem Knie bis etwa 60° überprüft. Alternativ ist insbesondere bei Adoleszenten auch die alleinige Schraubenosteosynthese möglich (hauptsächlich von der Größe des Fragments abhängig). Die Tuberositasfragmente werden an ihrer Ausrissstelle mittels einer von distal ventral nach proximodorsal verlaufenden Zugschraube befestigt (unter Bildwandlerkontrolle). Die mediale und/oder laterale Schnittführung beiderseits des Tibiakopfes mit Verlängerung des Schnittes über die Tuberositas tibiae eignet sich bei Tuberositasausrissen des Typs III A/B, da man bei Bedarf das Fragment im Gelenk besser beurteilen kann. Dies ist aber nicht immer nötig (Abb. 21.37 a–c, Abb. 21.38 a–c).
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Abb. 21.37 a–c. Die abgerissene Tuberositas tibiae kann entweder über Schrauben oder über einen Zerklagedraht refixiert werden, wobei die kanülierte Technik bevorzugt wird
21.3 Der tibiale Anteil des Kniegelenks (proximale Tibiaepiphyse) Abb. 21.38. a Dislozierter Ausriss der Apophyse der Tuberositas. b Refixation über eine kanülierte Schraube (intraoperativ, Bildwandlerbilder). c Ausheilungsbild nach 6 Monaten
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Fehler, Gefahren, Komplikationen 쐌 Übersehende Meniskusverletzung bei bestehender Gelenkbeteiligung 쐌 Kompartmentsyndrom 쐌 Infektion 쐌 Tiefe Venenthrombose mit der Gefahr einer Lungenembolie 쐌 Genu recurvatum 쐌 Verlust an Beugung 쐌 Möglichkeit einer Refraktur 쐌 Neurome des N. saphenus 쐌 Quadrizepsatrophie 쐌 Bruch des Zerklagedrahts 쐌 Vermehrtes appositionelles Wachstum (schmerzhafter Knochensporn) Nachbehandlung Konservativ Der Patient erhält für 5 Wochen einen Oberschenkelgips und wird an Unterarmgehstützen ohne Belastung die ersten 2 Wochen mobilisiert, anschließend erfolgt der Übergang auf eine Vollbelastung. Im Rahmen konservativer Behandlungen sind bei intraartikulären Frakturen Stellungskontrollen nach 7–10 Tagen notwendig, um eine sekundäre Dislokation auszuschließen. Undislozierte nichtvollständige, meist extraartikulär gelegene Frakturen, die eine Seltenheit sind, müssen nicht kontrolliert werden, da diese Frakturen nicht zu sekundären Dislokationen neigen. Die Mobilisation nach Konsolidation erfolgt primär spontan, ohne Physiotherapie. In einer klinischen Kontrolle kann geprüft werden, ob einer Physiotherapie bzw. ein Muskelaufbautraining verordnet werden muss. Operativ Alle operierten Patienten werden unter physiotherapeutischer Anleitung frühfunktionell mit der Bewegungsschiene nachbehandelt und unmittelbar postoperativ an Unterarmgehstützen mit Abrollen des Fußes mobilisiert. Der Beginn des Quadrizepstrainings wird nach 3 Wochen erlaubt. Die Vollbelastung sollte nach 5–6 Wochen zum Zeitpunkt der Konsolidation bereits bestehen. Die Metallentfernung erfolgt nach einem halben Jahr. Nachkontrollen Klinisch wird bis zu 2 Jahre nach dem Trauma kontrolliert, wenn die Verletzung vor dem 13. Lebensjahr stattgefunden hat, um die Folgen möglicher Wachstumsstörungen zu erfassen. Bleibt die Funktion nach Sportwiederaufnahme und Metallentfernung weiterhin ungestört, kann die Behandlung abgeschlossen werden.
21.4 Patella A.-M. Weinberg, T. Kälicke, S. Arens, M. Thomsen, P. Kasten, F. Schneider Brüche und Luxationen der Kniescheibe sind insgesamt selten. Wesentlich häufiger sucht der Patient den Arzt wegen Knieschmerzen auf, deren Ursache auf die typischen Schmerzsyndrome der Kniescheiben zurückgeführt werden können. Natürlich führt die Aufzählung aller Schmerzsyndrome des Kniegelenks in diesem Buch zu weit, aber die wichtigsten werden erwähnt, da oftmals das Trauma nur das auslösende oder verstärkende Agens dieser Syndrome sind. Besteht kein tatsächlich akutes Trauma, so muss im Kleinkindalter an Wachstumsschmerzen gedacht werden, die vorwiegend im Kniebereich und vor allem nachts auftreten. Beide Seiten sind abwechselnd betroffen. Das peripatellare Schmerzsyndrom ist schon wesentlich schwieriger gegenüber dem akuten Trauma abzugrenzen, da diese Schmerzen anstrengungsabhängig sind und vor allem um das Knie herum auftreten. Sie sind medial häufiger als lateral zu finden und vorwiegend bei Jugendlichen. Bei Wachstumsabschluss verschwinden die Schmerzen wieder. Synonym werden die Begriffe Patellarsyndrom, Chondropathia patellae, Chondromalacia patellae, Patellastresssyndrom und femoropatelläres Schmerzsyndrom verwendet. Eine peripatellares Schmerzsyndrom ist die häufigste Ursache für Eltern, den Arzt zu konsultieren. Die effiziente Behandlung stellt eine Herausforderung an die inderdiziplinäre Behandlung durch Orthopädie und Unfallchirurgie dar. Entwicklung und Wachstum (einschließlich Wachstumsprognose, Korrekturmöglichkeiten Ossifikationskerne, Zeitpunkt des Fugenschlusses Bei der Geburt ist die Patella lediglich kartilaginär angelegt. Die Ossifizierung beginnt zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr, häufig durch mehrere, nach und nach konfluierende Kerne (Abb. 21.39). Der Kern kann unregelmäßig begrenzt erscheinen. Der Zusammenschluss dieser Kerne findet geschlechtsspezifisch bis spätestens zur Pubertät statt. Um das 10. Lebensjahr erreicht die Kniescheibe ihre endgültige Form. Als letztes verschmilzt der obere laterale Kern mit der Patella. Ein unvollständige Zusammenschluss resultiert in einer Patella bi- oder multiparta. Spontankorrektur Da es sich um keine Epiphyse im eigentlichen Sinn handelt, sind Korrekturen nicht bekannt. Es handelt sich um einen intraartikulären Gelenkanteil, der anatomisch rekonstruiert werden muss. Inwieweit kleine Diastasen oder geringe Stufen bei sehr kleinen Kindern im Laufe des Wachstums ausgeglichen werden können oder
21.4 Patella
Abb. 21.39. Der Ossifikationskern erscheint individuell unterschiedlich zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr. Meist sind verschiedene Kerne vorhanden, die um das 8. bis 10. Lebensjahr zu verschmelzen beginnen. Der laterale obere Quadrant schließt sich zuletzt und kann zuweilen mit einer Fraktur verwechselt werden
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knorpelige Anteile wieder mit hyalinem Knorpel ersetzt werden, ist nicht bekannt. Dies liegt darin begründet, dass gerade kleine Kinder weder Frakturen noch Patellaluxationen erleiden und eine Arthroskopie nicht immer durchgeführt wird, sodass über die Prognose einer Knorpelschädigung im Kleinkindalter keine Aussage gemacht werden kann. Für die Adoleszenz ist bekannt, dass der Knorpel nur mit Ersatzgewebe aufgefüllt wird. Wachstumsstörungen Wachstumsstörungen sind im eigentlichen Sinne nicht beschrieben. Kommt es jedoch bei Operationen zur Minderdurchblutung so kann eine dysplastische Kniescheibe daraus resultieren. Weiterhin können in dieser Lokalisation Pseudarthrosen entstehen, welche allerdings in der Kindheit eine Seltenheit darstellen. Chirurgische und spezielle Anatomie Die Patella des Kindes ist durch eine dicke Knorpelschicht gepolstert und im Vergleich zum Erwachsenen umgeben von einer in Relation zum Knochen deutlich ausgeprägten bindegewebigen Faserschicht des tendinösen Streckapparates. Diese anatomische Situation zusammen mit der höheren Beweglichkeit – und damit Ausweichmöglichkeit – schützt die kindliche Patella vor Frakturen. Anderseits prädisponiert die Konstellation zur Dislokation, die dann wiederum mit osteochonralen Frakturen einhergehen kann. Funktionell-anatomisch ist die Patella als Sesambein in den Streckapparat des Kniegelenks integriert. Als Verbindungsglied zwischen Quadrizepssehne und Patellarsehne erfolgt biomechanisch die Kraftumlenkung beim Strecken über das patellofemorale Gleitlager. Je höher der Beugegrad des Kniegelenks und die Streckkraft, desto höher ist der Anpressdruck im Bereich des Hypomochlions – also der retropatellaren Gelenkfläche. Dabei wird die dorsal zentral prominente Patellagelenkfläche in der talartigen Mulde der interkondylären Femurgelenkfläche geschient.
8. Jahr
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In der konventionellen Tangentialaufnahme erscheint bei Kindern aufgrund der nichtossifizierten Knochenanteile ein flacher femoraler Sulcus, der als eine fehlende patellofemorale Kongruenz fehlgedeutet werden kann. Nietosvaara et al. (1994) konnten allerdings sonographisch nachweisen, dass der kartilaginäre Sulcus während des Wachstums annähernd gleich ist. Kommt es bei erworbenen oder anlagebedingten Fehlstellungen der femorotibialen Achse oder bei anlagebedingtem exzentrischen Verlauf der Achse des Streckapparates zu einer relativen Dezentrierung in der Frontalebene, kann daraus insbesondere beim plötzlichen ruckartigen Beugen eine erhöhte Luxationsneigung des femoropatellaren Gelenks resultieren. Medial sind am Knie 3 Schichten vorhanden (Abb. 21.40). 쐌 Die äußere Schicht wird aus der Faszie des M. sartorius gebildet. 쐌 Die mittlere Schicht besteht aus dem medialen patellofemoralen Band (MPFL), dem medialen Retinaculum und dem oberflächlichen Blatt des medialen Seitenbandes. 쐌 Die tiefe Schicht umfasst das tiefe mediale Seitenband und die Gelenkkapsel. Das MPFL befindet sich also extraartikulär, und Verletzungen sind in der MRT relativ gut und in der Arthroskopie nur indirekt anhand von Einblutungen in die Gelenkkapsel sichtbar. Lateral sind bindegewebige Verbindungen zwischen dem iliotibialen Band, den lateralen Sehnen der Ischiokrulralmuskulatur, dem lateralen patellofemoralen Band und dem lateralen Retinaculum vorhanden. Eine ausgeprägte Verkürzung in den zuletzt genannten Strukturen kann einen starken posterior und lateral gerichteten Zug verursachen, der in einer patellaren Kippung und lateralen Subluxation resultieren kann. Der M. vastus medialis ist der primäre mediale dynamische Stabilisator der Patella. Es konnte entgegen einer häufigen Behauptung keine vom restlichen Quadrizeps isolierte und einem Training zugängliche Funktion des
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Kapitel 21 Kniegelenk Abb 21.40. Medial sind am Knie 3 Schichten vorhanden: Die äußere Schicht wird aus der Faszie des M. sartorius gebildet. Die mittere Schicht besteht aus dem medialen patellofemoralen Band (MPFL), dem medialen Retiniaculum und dem oberflächlichen Blatt des medialen Seitenbandes. Die tiefe Schicht umfasst das tiefe mediale Seitband und die Gelenkkapsel. Das MPFL befindet sich also extraartikulär, und Verletzungen sind in der MRT relativ gut und in der Arthroskopie nur indirekt anhand von Einblutungen in die Gelenkkapsel sichtbar
M. vastus medialis
Tuberculum adductorum
M. sartorius
Lig. patellofemorale
vordere Gelenkkapsel
V. saphena magna N. saphenus
Lig. collaterale superficiale med.
M. semitendinosus M. gracilis hintere Gelenkkapsel M. semimembranosus Caput mediale M. gastrocnemii
M. gracilis M. sartorius
M. semitendinosus
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M. vastus medialis gefunden werden (Powers 1998). Das MPFL ist eine ovaläre Struktur, die von den oberen 2 Dritteln der medialen Patellafacette zum Epicondylus medialis femoralis läuft. Das MPFL ist eine Fortsetzung der tiefen retikulären Fasern des M. vastus medialis. Das Band war in einer Leichenpräparatstudie in 87–100% vorhanden, wobei die Form eine große Varianz zeigte. Das MPFL ist mit 50–80% der primäre mediale ligamentöse Stabilisator gegen eine Lateralisation der Patella (Conlan et al. 1993; Desio et al. 1998). Die Blutversorgung erfolgt durch ein Anastomosennetz aus der oberen und unteren Knieartereie und aus der A. tibialis anterior. Dieses Gefäßnetz konvergiert zentripedal auf der Patellavorderseite, um dann in die Patella einzutreten. Zusätzlich existiert eine Blutversorgung vom unteren Patellapol aus, vom oberen Pol oder
den seitlichen Patellarändern fehlt dagegen diese zusätzliche Versorgung. Dies kann als Erklärung für die schlechte Heilungstendenz von randständigen Frakturen oder posttraumatischen Nekrosen des proximalen Patellapols herangezogen werden.
21.4.1 Patellafrakturen Ursache und Häufigkeit Frakturen der Patella sind im Kindesalter selten, nicht zuletzt weil im Kindesalter die Patella durch viel Knorpel geschützt ist. Die sehr seltene Patellafraktur am wachsenden Skelett ist dennoch meist Folge eines direkten Traumas. Die Ursache ist in den überwiegenden Fällen ein Verkehrsunfall. Als indirekte Unfallfolge kann es
21.4 Patella
bei übermäßiger, plötzlicher Anspannung des Streckapparates zu Abrissfrakturen des proximalen oder distalen Patellapols kommen. Die Inzidenz wird mit weniger als 2% aller Frakturen angegeben. Abrissfrakturen sind abhängig von der auftretenden Kraft, die wiederum mit der Muskelmasse korreliert. Diese ist im Kindesalter geringer als beim Erwachsenen (Maguire u. Canale 1993). Das Gleitlager ist zusätzlich noch flexibler als im adulten Knie. Abrissfrakturen, die bei Patellaluxationen auftreten, werden medial häufiger als lateral entsprechend der häufigeren Dislokationsrichtung der Kniescheibenluxation gefunden. Patellalfrakturen sind manchmal schwierig zu diagnostizieren, weil der knöcherne Anteil sehr klein sein kann, was zu einer Unterschätzung der Fragmentgröße führt. Außerdem können Frakturen vorgetäuscht werden, wenn sich die Kerne noch nicht verbunden haben. Bei Frakturen des distalen Pols kann differenzialdiagnostisch auch eine Sinding-Larson-Johannson-Verletzung vorliegen, die durch zyklischen Stress ausgelöst wird (Duri et al. 2002; Rockwood et al. 1984). Klassifikation Die Frakturen der Kniescheibe werden nach ihrer Lokalisation, ihrem Verlauf oder nach der entsprechenden Dislokationsrichtung beschrieben. Klinisch von Bedeutung ist die Unterscheidung in Quer-, Schräg-, Längsbzw. Trümmerfrakturen. Die Avulsionsfrakturen (Abrissfrakturen) des distalen oder proximalen Pols werden ebenfalls differenziert. Die Querfrakturen können inkomplett auftreten, diese Frakturen dislozieren bei adäquater Ruhigstellung nicht sekundär. Alle kompletten Frakturen dislozieren zumeist unter dem herrschenden Muskelzug. Eine Besonderheit im Kindesalter stellt die SleeveFraktur dar. Unter einer Sleeve-Fraktur wird im Kindesalter eine Avulsionsfraktur des distalen Pols mit Ausriss eines immer weitaus größeren, gelenktragenden knorpeligen Anteils der Patella, des Periosts und des Retinaculums verstanden (Kaivers et al. 2003; Yeung u. Ireland 2004).
Diagnostik Eine Patellafraktur lässt sich bereits bei der schonenden schmerzorientierten klinischen Untersuchung erkennen. Es findet sich eine schmerzhafte Schwellung aufgrund des Hämatoms, und zuweilen ist ein Hämarthros vorhanden. Im Seitenvergleich kann es infolge der Verletzung zu einer höher stehenden Patella kommen (Patella alta) bei gleichzeitig fehlender Anspannung des Lig. patellae. Andere Untersuchungen sind schmerzbedingt nicht möglich.
Nach radiologischem Ausschluss einer Patellafraktur kann aus differenzialdiagnostischen Erwägungen versucht werden, die laterale Luxationstendenz zu prüfen. Bei Mehrfachverletzungen wird nicht selten eine Patellafraktur übersehen, insbesondere nach Verkehrsunfällen (Hou et al. 2002). Die radiologische Untersuchung umfasst eine Aufnahme des Kniegelenks in 2 Ebenen, zusätzlich kann – wenn dies die Schmerzen zulassen – eine Tangentialaufnahme durchgeführt werden. Querfrakturen sind am besten in der Seitansicht bei 30° Beugung darstellbar, da dann eine Dislokationstendenz besteht. Längsfrakturen sind gelegentlich in der a.-p.-Aufnahme schwer zu erkennen. Nach durchgeführter Akutdiagnostik sowie nach Abschwellung (5. bis 7. Tag) kann eine tangentiale oder axiale Einstellung der Patella in 30°-60°-90° zusätzlich zur Diagnostik angefertigt werden. Neben dem Ausschluss einer Längsfraktur können die retropatellare Gelenkfläche und Subluxationsstellungen der Patella damit aufgezeigt werden. Am distalen Pol kann differenzialdiagnostisch bei jüngeren Kindern die Unterscheidung zwischen einer »sleeve fracture«, einer Sinding-Larson-JohannssonLäsion und einem akzessorischen Ossifikationszentrum oder einer Patella bipartita nur anhand der akut aufgetretenen Klinik in Verbindung mit einer Traumaanamnese bzw. dem anschließenden Verlauf getroffen werden (Bates et al. 1994; Dai u. Zhang, 1999; Davidson u. Letts 2002). Therapie Ziel der Therapie ist die anatomische Rekonstruktion, um Bewegungseinschränkungen und die Gefahr einer frühzeitigen Arthrose bedingt durch belassene Gelenkstufen zu minimieren (Dai u. Zhang 1999; Jani 1978; Marchiodi et al. 1999; Neumann et al. 1993). Indikation Grundsätzlich können alle undislozierten Frakturen konservativ behandelt werden (Sperner u. Wanitschek 1989). Alle dislozierten Frakturen müssen reponiert werden, um eine stufenfreie Rekonstruktion zu gewährleisten. Wir empfehlen, Stufen ab einem Ausmaß von 2 mm operativ zu versorgen ebenso wie alle offenen Frakturen (Torchia u. Lewallen 1996). Konservativ Alle unverschobenen Frakturen werden nach Punktion eines Ergusses in einer Oberschenkelliegeschale oder einem gespaltenen Gipstutor ruhig gestellt (Kniegelenk in 15° Beugung). Entsprechend dem Ergussbefund erfolgen kurzfristige klinische Kontrollen im Abstand von einem, 3 und evtl. nach 5 Tagen. Nach 7–10 Tagen kann zumeist der Gipsschluss erfolgen. Gleichzeitig müssen vollständig durchgehende Frakturen, die sekundär dislozieren, radiologisch kontrolliert werden (Abb. 21.41 a–f).
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Abb. 21.41. a Knöcherner Retinaculumausriss, der konservativ behandelt wurde. Unfallbild. b Nach einer Woche, es trat keine sekundäre Dislokation auf. c Nach 5 Wochen Ausheilung der Fraktur. d Patellalängsfraktur. Unfallbild. e Kontrollbild nach einer Woche. f Nachkontrolle nach 2 Monaten. Ausheilung der Fraktur
Operativ Operationsprinzip und -ziel. Alle dislozierten Frakturen müssen reponiert werden, um eine stufenfreie Rekonstruktion des patellofemoralen Gleitlagers zu erreichen und um den Streckapparat wiederherzustellen. Als Technik ist die Stabilisierung entweder mit Kompressionsschrauben oder Zuggurtung möglich. Bei kleinen Kindern (<6 Jahren) reicht oft die alleinige Kirschner-Draht-Osteosynthese. Die Retinacula sollten mit einer Naht adaptiert werden. Kleinere Fragmente müssen unter Umständen, wenn diese nicht refixiert werden
können, reseziert werden. Letzteres Vorgehen sollte Ausnahmen vorbehalten sein, da auch im Kindesalter nach Resektionen des Patellapols unbefriedigende Ergebnisse auftreten können (Kastelec u. Veselko 2004). Auch bei Trümmerfrakturen gilt: Rekonstruktion vor Patellektomie. Offene Frakturen müssen entsprechend der Weichteilerhaltung therapeutisch angegangen werden. Isolierte intraligamentäre Bandrupturen sind eine Rarität, sollten aber ebenfalls durch eine Naht versorgt werden (Berg 1995).
21.4 Patella
Patienten- und Elternaufklärung. Folgende FrühSpätkomplikationen sind zu beachten: Neben postoperativen Hämatomen und Kniegelenkergüssen können Wundheilungsstörungen, Infekte und im schlimmsten Fall ein Kniegelenkempyem eintreten. Weiterhin können Lockerungen des Osteosynthesematerials zu Bewegungseinschränkungen führen, die Reosteosynthesen erfordern. Pseudarthrosen sind eine Rarität. Verbliebene Gelenkstufen stellen eine präarthrotische Deformität dar. Anästhesie und Lagerung. Grundsätzlich werden die notwendigen Operationen bei jüngeren Kindern in Allgemeinnarkose durchgeführt, bei Jugendlichen kann auch die Regionalanästhesie angewandt werden. Die Lagerung erfolgt auf dem Rücken, eine Blutsperre ist im Allgemeinen nicht erforderlich. Operationstechnik (Abb. 21.42 a–h). Der Zugang erfolgt in unserem Hause bei Kindern über eine Längsinzision, aber auch eine quere Inzision ist möglich. Die Längsinzision bietet den Vorteil, den infrapatellaren sensiblen Nervenast zu schonen. Außerdem kann dieser Zugang problemlos erweitert werden, was insbesondere bei späteren Eingriffen von Vorteil ist. Die Inzisionsstelle sollte natürlich auch entsprechend der Weichteilsituation gewählt werden. Nach Freilegung der Patellaoberfläche werden die Frakturränder dargestellt. Dabei sollte, wenn möglich, die Bursa praepatellaris geschont werden. Die Bruchenden werden von Hämatom oder eingeschlagenen Weichteilen mit dem scharfen Löffel gesäubert. Anschließend erfolgen Reposition und Fixation der Fraktur mit der Repositionszange und anschließend je nach Frakturtyp eine Schrauben-Spickdraht- oder Zuggurtungsosteosynthese. 1. Schraubenosteosynthese: Nach Reposition der Fraktur kann die Reposition temporär mit KirschnerDrähten fixiert werden. Die definitive Fixation erfolgt mit in der Frontalebene eingebrachten Spongiosaschrauben mit Unterlegscheiben. Die stufenfreie Reposition wird mit dem Finger palpiert. Das Gewinde der Schrauben darf nicht im Frakturspalt liegen (Schrauben stets vom kleineren Bruchstück aus einbringen). Die Stabilität wird in Beugung überprüft. 2. Kirschner-Draht-/Zuggurtungsosteosynthese: Hier erfolgt das Einbringen von 2 Kirschner-Drähten parallel von proximal nach distal. Die Repositionsgenauigkeit wird durch Palpation der Patellarückfläche geprüft. Anschließend wird ein Draht hinter den Kirschner-Drähten durch die Quadrizepssehne entlang der Patellabasis geführt. Dies geschieht entweder über eine großkalibrige Kanüle oder einen Dechamp. Entsprechend wird in umgekehrter Richtung am distalen Pol vorgegangen. Der Draht wird über
die Patellavorderfläche geführt und durch Verdrillen seine Enden gespannt. Es hat sich bewährt, das Ende des zirkulären Drahtes in der Nähe des proximalen, lateralen Kirschner-Drahtes zu platzieren, um die Materialentfernung zu erleichtern. Die Enden der Kirschner-Drähte werden um 180° nach dorsal umgebogen; Prüfung der Stabilität, ggf. Naht der Retinacula. Grundsätzlich bevorzugen wir die resorbierbare Hautnaht. Eine Oberschenkelliegegipsschale wird bis zur Entlassung angelegt. Bei kleinen Kindern kann die alleinige Kirschner-Draht-Osteosynthese ausreichend sein (Abb. 21.43 a,b).
Komplikationen, Gefahren, Fehler 쐌 Verbleibende Gelenkstufen durch zu hohes Einbringen der Kirschner-Drähte 쐌 Fehlen des Knochenkontakts der Zuggurtung mit dem Risiko einer möglichen sekundären Lockerung, Fragmentverschiebung bis hin zur fehlenden knöchernen Heilung (Smith et al. 1997) 쐌 Unreponierte Querfrakturen mit durchtrenntem Streckapparat können zum Patellahochstand mit Streckdefizit und Quadrizepsatrophie führen (Bruijn et al. 1993)
Nachbehandlung Konservativ Die Gipsruhigstellung im Tutor erfolgt für 3–4 Wochen. Abrollen ist initial erlaubt. Nach Ergussrückgang kann angepasst an den Schmerz zunehmend belastet werden. Bei Abrissfrakturen mit gleichzeitiger Läsion des Streckapparates (Teileinriss) sollte die Entlastung länger aufrecht erhalten werden.
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f Abb. 21.42. a,b Zugang zur Kniescheibe. a Längsinzision. Diese schont den infrapatellaren Hautnerv. Diese Inzision kann problemlos erweitert werden. b Die quere Inzision birgt den Vorteil, medial und lateral einsehen zu können. Störungen der Sensibilität sind häufig. Grundsätzlich ist der Zugang von der Weichteilsituation abhängig, wobei wir die Längsinzision bevorzugen. c Längsinzision, Ddarstellung der Frakturenden, kleine Blutkoagel werden entfernt. Reposition und Fixation der Fraktur mit der Repositionszange. Der Abstand sollte etwa 2–3 cm betragen (je nach Alter des Kindes). d Einbringen der Kirschner-Drähte von proximal nach distal. e Einbringen der Drahtzerklage mit einer Kanüle oder einem Dechamp über der Patellabasis. f Der Draht wird über die Patellaoberfläche nach distal und vice versa nach proximal gebracht. Die Drahtenden werden umgebogen. Die Drahtschlinge sollte lateral zu liegen kommen. Die Drähte sollten seitlich mittig bzw. eher im unteren Drittel eingebracht werden. Zu proximal eingebrachte Drähte können zu einem Klaffen des Frakturspalts im gelenktragenden Anteil fürhren. g Falls Schrauben verwendet werden sollen, so können diese als Spongiosaschrauben oder als kanülierte Schrauben eingebracht werden. Dies richtet sich nach der Patellagröße und somit nach dem Alter des Kindes. Das Gewinde muss vollständig distal außerhalb der Bruchstellen zu liegen kommen. Bei kleineren Kindern genügt die parallele Einbringung von Kirschnerdrähten. h) Bei gößeren Kindern empfiehlt es sich, bei Nähten des Lig. patellae dieses durch eine Drahtzerklage zu sichern
21.4 Patella
Abb. 21.43. a Ein 12-jähriges Mädchen verunfallte als PKW-Beifahrerin. Eine Fraktur des unteren Patellapols wurde durch Schrauben und Drahtzerklage therapiert. b Ein 14-jährger Patient zog sich eine Patellaquerfraktur zu. Diese wurde mit einer Schraubenosteosynthese operativ versorgt
Postoperativ Bei stabil versorgten Frakturen ist eine anschließende Ruhigstellung nicht mehr notwendig. Schmerzadaptiert kann nach sicherer Wundheilung zunehmend belastet und funktionell behandelt werden. Die Metallentfernung erfolgt nach 3–6 Monaten. Die Wiederaufnahme der sportlichen Betätigung ist bei freier Funktion erlaubt. Dies ist meist nach 8–12 Wochen gegeben. Nachkontrollen (Wachstumskontrollen) Wachstumsstörungen sind nicht zu erwarten. Persistierende Stufen können eine Pseudarthrose bedeuten und sollten dann sekundär korrigiert werden. Auch verspätet offen versorgte Frakturen zeigen im Kindesalter noch befriedigende Ergebnisse und sind der Patellaresektion vorzuziehen (Keskin et al. 2003). Seitliche Randfragmente können bei fehlender Einheilung anhaltende Beschwerden bereiten und sollten dann sekundär reseziert werden.
21.4.2 Patellaluxation P. Kasten, M. Thomsen, A.-M. Weinberg Bei einer Patellaluxation handelt es sich um eine Dislokation der Patella (meist nach lateral) aus dem patellofemoralen Gleitlager heraus. Bei einer Erstluxation sollte versucht werden, eine akute traumatische Luxation gegen eine Erstluxation bei prädisponierenden Faktoren abzugrenzen, was häufig nicht einfach ist. Ursache und Häufigkeit In einer finnischen Studie bezüglich der Ätiologie der Patellaluxationen wurde eine Inzidenz von 43 pro 100.000 Heranwachsenden <16 Jahren festgestellt (Nietosvaara et al. 1994). Bei adoleszenten Patienten mit einem Hämarthros wurde die Diagnose einer Patellaluxation in 10% der Fälle gestellt (Sperner u. Wanitschek 1989).
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Traumatische Patellaerstluxationen ereignen sich meistens bei Adoleszenten, die auf hohem Niveau Sport treiben (Atkin et al. 2000). Dies widerspricht der häufig zitierten Vorstellung, dass Patellaluxationen vermehrt bei unsportlichen, hyperlaxen Mädchen auftreten. Eine Geschlechtsprävalenz scheint nicht vorzuliegen, allerdings ist die Datenlage widersprüchlich (Arendt et al. 2002). Larsen u. Lauridsen (1982) fanden z. B. eine höhere Prävalenz bei Mädchen, andere Studien dagegen bei Jungen (Hawkins et al. 1986). Klassifikation Bereits bei der Anamnese des Unfalls kann die zu Grunde liegende Pathologie der Patellaluxation vermutet werden. Bei der akuten traumatischen Patellaluxation ist immer ein adäquates Trauma vorhanden. Die Verletzung erfolgt meistens in einer Flexions-Valgus- und Außenrotationsstellung des Kniegelenks oder durch ein direktes Trauma. In der Regel tritt bei einer Luxation eine Verletzung des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) auf (Nomura et al. 2003). Dabei lassen sich am häufigsten Avulsionen im Ansatzbereich des MPFL, dem Epicondylus medialis femoris, gefolgt von intertendinösen Rupturen und Rupturen im Ansatzbereich an der Patella diagnostizieren. Begleitend können Zerreißungen des medialen Retinaculums sowie gelegentlich osteochondrale Frakturen an der medialen Patellafacette und am lateralen Femurcondylus vorkommen. Verletzungen des MPFL rücken zunehmend in das Zentrum des Interesses, da das MPFL als wichtiger Stabilisator der Patella erkannt wurde (Hinton u. Sharma 2003). Bei Erstluxationen hatten bei einer arthroskopischen Studie 37 von 39 Patienten einen Knorpelschaden an der Patella, wobei die Mehrzahl Knorpelrisse in Kombination mit osteochondralen und chondralen Frakturen aufwiesen (Nomura et al. 2003). Diese Knorpelschäden können für persistierende retropatellare Schmerzen verantwortlich sein. Die traumatische Patellaluxation ohne prädisponierende Faktoren ist bei Kindern und Jugendlichen selten. Dagegen ist die akute Patellaluxation bei prädisponierenden Faktoren bei Kindern und Jugendlichen häufig. Im Unterschied zur akuten traumatischen Patellaluxation ist in diesen Fällen das Unfallereignis meist nicht adäquat und Begleitverletzungen sind eher selten. Die akute, prädisponierte Form geht fast immer in die rezidivierende Patellaluxation über. Bei letzterer kommt es immer wieder zu Luxationen der Patella nach lateral. Grundsätzlich begünstigen folgende Faktoren ein solches Geschehen: 쐌 Patella alta: In voller Extension befindet sich die Patella proximal und lateral der Trochlea des Femur. In 10–30° Flexion taucht die Patella in den Sulcus des patellofemoralen Gleitlagers ein. Eine hochstehende Patella tritt beim Beugen später in das stabilisierende patellofemorale Gleitlager ein, was eine Luxationstendenz fördert (Atkin et al. 2000; Abb. 21.44).
쐌 Dysplasie der Femurkondylen: Der laterale Femurcondylus steht im Normalfall stärker nach ventral vor als der mediale. Eine Abflachung des lateralen Femurcondylus sowie eine verminderte »Eindellung« des patellofemoralen Gleitlagers begünstigen eine Luxation, da die Kniescheibe im Übergang von Extension zu Flexion nicht in einer knöchernen Rinne geführt wird, sondern auf einer ebenen oder gar konvexen Fläche gleitet. 쐌 Achsen- oder Rotationsfehlstellungen: Ein Genu valgum verstärkt den auch physiologisch vorhandenen lateralen Kraftvektor an der Patella. Ferner begünstigen eine vermehrte Tibiaaußentorsion in Kombination mit einer Femurinnentorsion sowie ein Genu recurvatum die Patellaluxation. 쐌 Dysbalance der ligamentären Strukturen: Eine vorausgegangene Zerreißung und Heilung in Verlängerung des MPFL sowie der übrigen medialen Strukturen (des medialen Retinaculums oder des medialen patellomeniskalen Ligaments), sowie eine Verkürzung der lateralen Bandstrukturen sind ebenfalls prädisponierend für ein Rezidiv einer Patellaluxation. Ferner weisen schnell Heranwachsende häufig das Phänomen von gleichzeitig vorliegender (medialer) Bandlaxität und (lateraler) Bandverkürzung auf. Oftmals handelt es sich pathophysiologisch um ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, welche es genau zu analysieren gilt. Als weitere Form muss die habituelle Patellaluxation (Abb. 21.45 a–c) in die Überlegungen einbezogen werden, wenn die Patella bei einer Fehlbildung der aktiven und passiven Kniescheibenstabilisatoren (allgemeine Bindegewebeschwäche wie z. B. beim Ehlers-DanlosSyndrom oder Morbus Down, Hypoplasie der lateralen Femurkondyle, Genu valgum, muskuläres Ungleichgewicht, pathologische Tibiaaußentorsion) ohne wesentliche Beschwerden in leichter Flexionsstellung luxiert und problemlos zurückspringt. Der Patient kann unter Umständen willkürlich die Patella durch Zug des M. vastus lateralis nach lateral luxieren. Diese Form ist von der angeborenen Variante, der kongenitalen Patellaluxation, abzugrenzen. In diesem Fall liegt oftmals eine kleine dysplastische Patella vor. Ätiologisch kann die kongenitale Patellaluxation aus einer fehlerhaften Medialrotation des Quadrizepsmyotoms resultieren. Klinisch ist der M. vastus lateralis, inklusive seiner Faszie und des Tractus iliotibialis, stark angespannt und verhindert das Verharren der Kniescheibe im häufig dysplastischen Gleitlager. Bereits beim Neugeborenen ist bei genauer Untersuchung beidseitig die Dislokation der Patella nach lateral tastbar. Die Diagnose wird allerdings zu diesem Zeitpunkt selten gestellt. Die Kinder werden meist erst dann auffällig, wenn sie nach der Vertikalisierung infolge der veränderten Zugrichtung des M. quadriceps ein Streckdefizit im Kniegelenk entwickeln. Häufig sind Genua valga
21.4 Patella
Abb. 21.44. Eine 14-jährige Patientin erlitt eine traumatische Patellaerstluxation (Ballett). Die seitliche Aufnahme in 30° Flexion zeigt eine Patella alta bei einer gemessenen Blackburne-Peel-Ratio von 1,5 (>1 pathologisch, im Bild A/B). Die Aufnahme ist etwas verdreht, da sich die posterioren Kondylen nicht exakt übereinander projizieren. Die Tangentialaufnahme zeigt eine Knochenaussprengung. Aus diesem Grund erfolgten primär eine Arthroskopie zum Ausschluss von Knorpelschäden und eine offene Refixierung des medialen patellofemoralen Bandes
Abb. 21.45 a–c. 8-jähriges Mädchen mit einer habituellen Patellaluxation und Beschwerden. Hier wurde bei einer Patella- und Trochleadysplasie, keiner ausgeprägten Achsfehlstellung und bei noch nicht geschlossenen Wachstumsfugen ein Weichteileingriff – Operation nach Ali-Krogius und Goldthwait – durchgeführt. Auf-
fällig ist im Seitbild die Rotation des Unterschenkels, welche bei Außenrotation eine Rezidivluxation begünstigt. Die 30°- und 60°-Tangentialaufnahmen demonstrieren eine Lateralisation der Patella
vorhanden. Die Kniestreckung wird ängstlich vermieden, da es dabei zu einer schmerzhaften Patellareposition kommen kann (Carstens 1997). Noch seltener ist die fixierte hintere SubluxationsAußenrotations-Fehlstellung des Kniegelenks bei angeborener Patellaluxation. Auch diese Kinder fallen erst später durch Gangstörungen auf, die nur durch sehr aufwändige Operationen verbessert werden können (Ochs et al. 2005).
Diagnostik Zur Differenzierung der unterschiedlichen Formen ist bei der Anamneseerhebung nach einem möglicherweise adäquaten Trauma zu fragen. Patienten mit einem Rezidiv oder einer habituellen Luxation berichten eher von Blockierungen und einem Gefühl des Einknickens (»giving-way«). Ein Hämarthros findet sich in der Regel bei akut traumatischen, aber auch beim Erstereignis der prädisponierten Luxation. Die initiale Diagnostik muss entsprechende Begleitver-
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Kapitel 21 Kniegelenk
letzungen mit berücksichtigen. Bei der rezidivierenden Form kommt es nur noch selten zu einem Hämarthros, und die Häufigkeit an Luxationen nimmt zu. Oftmals stellen sich die Patienten wegen zunehmender Beschwerden beim Bergabgehen oder nach langem Sitzen vor.
Q
Klinik Die klinische Untersuchung sollte folgende Punkte dokumentieren: 쐌 Besteht eine Druckschmerzhaftigkeit im Verlauf des MPFL, was auf eine Ruptur hindeutet? Sind Druckschmerzen an der medialen Patellafacette vorhanden? 쐌 Wie sind die Achsenverhältnisse, d. h. die Beinachsen im Stehen und Gehen? Liegt insbesondere ein Genu valgum oder eine lateralisierte Tuberositas tibiae (evtl. funktionell bedingt durch eine Außenrotation des Unterschenkels im Kniegelenk) vor? 쐌 Die Position der Patella in der Frontalebene bei Flexion wird palpiert (Lateralisationstendenz), insbesondere ein spätes Eintreten der Patella in das patellofemorale Gleitlager bei Beugung. 쐌 Beim Wegdrücken der Patella nach lateral lässt sich eine schmerzhafte Subluxation nach lateral auslösen, das so genannte »apprehension sign«. 쐌 Hypermobilität: bei 30° Beugung lässt sich typischerweise die Kniescheibe über den lateralen Femurcondylus schieben; wichtig ist der Seitenvergleich! 쐌 Kippung der Patella: kontrakte laterale Strukturen verhindern ein Anheben der lateralen Facette zur Horizontalen. 쐌 Besteht eine Atrophie des M. vastus medialis als allgemeiner Indikator für eine Kniepathologie? Über die Wertigkeit des Quadrizepswinkels (Q-Winkel; Abb. 21.46; Winkel aus lateral gerichtetem Kraftvektor des M. quadriceps und der Ausrichtung der Tuberositas tibiae/Tibia) als Risikofaktor für eine patellofemorale Instabilität gibt es keine eindeutige Meinung in der Literatur. Wir wenden ihn deshalb kaum an. Einige Studien, u. a. mit CT-Untersuchungen, konnten einen vermehrten Q-Winkel bei Patienten mit einer Luxation finden (Dejour u. Bonnin 1994; Dejour et al. 1994) andere nicht (Biedert u. Gruhl 1997). Dies hängt evtl. mit unterschiedlichen Messmethoden zusammen, da einige Autoren (fälschlicherweise?) unter dem Q-Winkel den Winkel der Geraden entlang der Tuberositas/Tibia und einer Geraden durch die Spina iliaca anterior und der Patellamitte verstehen (Biedert u. Gruhl 1997). Ferner weist der Q-Winkel eine große physiologische Bandbreite auf, und akzeptierte Normangaben fehlen. Eine maximale Quadrizepskontraktion kann den Q-Winkel vergrößern und verkleinern (Biedert u. Gruhl, 1997), was den Widerspruch einer statischen Messung eines dynamischen Vorgangs verdeutlicht. Der Q-Winkel kann sich bei Flexion bis 90° aufgrund einer Innenrota-
Abb. 21.46. Der Q-Winkel wird in der Regel als der Winkel aus dem Kraftvektor des M. quadriceps und einer Geraden durch die Tuberositas tibiae/Tibia definiert. Der Q-Winkel hat klinisch keinen nachgewiesenen prognostischen Wert für eine Patellaluxation und ist deshalb eher von historischer Bedeutung
tion der Tibia deutlich verringern. Dementsprechend können aus dem Q-Winkel keine eindeutigen Schlussfolgerungen gezogen werden (Fairbank et al. 1984). Radiologie Die radiologische Diagnostik umfasst bei allen Patienten das Kniegelenk a.-p. im Stand, exakt seitlich in 30° (posteriore Kondylen projizieren sich übereinander) sowie eine Tangentialaufnahmen der Patella in 30° Beugung. Zusätzliche Tangentialaufnahmen in 60° und 90° bringen in der Regel keine wesentlichen Zusatzinformationen, da eine Lateralisation vor allem in der Anfangsphase der Flexion auftritt. Allenfalls kann bei höheren Flexionswinkeln in der Tangentialaufnahme die Kontaktzone der Patella zum Femur festgestellt werden. Es ist insbesondere auf osteochondrale Fragmente und freie Gelenkkörper zu achten, da dies eine operative Intervention nötig machen kann. Bei Kleinkindern, bei denen die Patella nur knorpelig angelegt ist und sich radiologisch nicht darstellt, empfehlen wir eine Ultraschalluntersuchung, um die Größe, einen Hochstand oder eine Lateralisation zu dokumentieren. Bei traumatischen Erstluxationen empfehlen wir bei einem Hämarthros die Durchführung einer MRT zum Ausschluss eines großen chondralen Flakes, der operativ zu refixieren oder zu entfernen wäre. Die seitliche Aufnahme dient ferner der Abklärung einer Patella alta, einer Trochleadysplasie und einer Verkippung der Patella.
!
21.4 Patella
Patienten mit einer Patella alta haben ein erhöhtes Risiko für eine Patellaluxation, da die Patella aufgrund der im Verhältnis relativ langen Patellarsehne bei Flexion erst relativ spät in das stabilisierende patellofemorale Gleitlager eintaucht (Atkin et al. 2000). Eine vergleichende Studie (Seil u. Kohn 2000) zeigte hinsichtlich der Reproduzierbarkeit eine leichte Überlegenheit der Methode nach Blackburne-Peel zur Bestimmung einer Patella alta. Entsprechend dieser Methode wird in 30° Flexion die Distanz zwischen dem Schnittpunkt einer Tangente an das konkave mediale Gelenkplateau und einer Senkrechten durch den distalsten Punkt der Patellagelenkfläche durch die Länge der Gelenkfläche der Patella geteilt (Blackburne u. Peel 1977; Abb. 21.47 a,b). Blackburne-Peel Ratio: 쐌 Patella norma: 쐌 Patella alta: 쐌 Patella baja:
0,8, >1, <0,5.
Bei Kindern mit noch großen kartilaginären Anteilen der Patella und der Tibia empfiehlt sich die Methode nach Koshino u. Sugimoto (1989), welche das Verhältnis der Strecken
Abb. 21.47 a,b. Messmethode nach Blackburne-Peel und Koshino. a) Bei der Blackburne-Peel-Ratio wird die Länge a (Distanz zwischen dem Schnittpunkt einer Tangente an das konkave mediale Gelenkplateau und einer Senkrechten durch den distalsten Punkt der Patellagelenkfläche) durch die Länge der patellaren Gelenkfläche b geteilt. b) Bei der Berechnung nach Koshino wird das Verhältnis der Strecken Patellamitte zu Mitte der tibialen Epiphyse (PT) und der Strecke Mitte der tibialen zur femoralen Epiphyse (FT) gemessen
쐌 Patellamitte zu Mitte der tibialen Epiphyse und 쐌 Mitte der tibialen zur femoralen Epiphyse misst. Der Mittelwert dieses Verhältnisses bei 59 gesunden Knien ohne Luxation betrug 1,31 +/– 0,9 in Streckung und verringerte sich bei Flexion bis 90° auf 0,99 +/– 0,06. Eine Trochleadysplasie kann radiologisch festgestellt werden. Als qualitatives Zeichen einer Trochleadysplasie kann das Kreuzungszeichen verwendet werden. Dieses ist wie folgt definiert: Die Linie des Bodens der Trochlea kreuzt den vorderen Anteil des lateralen Condylus und gilt an dieser Stelle als ungenügend tief. Man unterscheidet nach Dejour 3 Typen (Dejour u. Bonnin 1994; Dejour et al. 1994; Abb. 21.48 a–c): 쐌 Typ I: gering ausgeprägte Dysplasie. Die Trochlea ist nur in ihrem proximalen Anteil ungenügend tief, die Kondylen sind symmetrisch, und die Linie des Bodens der Trochlea kreuzt nur in einem Punkt beide Kondylen. 쐌 Typ II: Die Bodenlinie der Trochlea kreuzt auf unterschiedlichen Höhe separat beide Kondylen.
F
P
b
a
T a/b
b
a
Abb. 21.48 a–c. Kreuzungszeichen nach Dejour. a Im leichten Typ I kreuzen beide Kondylenkonturen die Trochlea proximal symmetrisch. b Im Typ II ist die Kreuzung der beiden kondylären Strukturen mit der trochlearen Rinne asymmetrisch. c Im schweren Typ III ist die Kreuzung symmetrisch und distal, wobei die Trochlea am Kreuzungspunkt flach ist und die Rinne weiter proximal eine schnabelförmige Aufwerfung besitzt
b
a Typ I
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c Typ II
Typ III
!
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Kapitel 21 Kniegelenk
쐌 Typ III: stark ausgeprägte Form der Dysplasie. Beide Kondylen sind symmetrisch, aber die Kreuzung ist distal im Gleitlager angesiedelt, welches komplett über eine größere Ausdehnung abgeflacht ist. Es kann eine schnabelförmige Aufwerfung des proximalen Trochleaendes auftreten. Die Trochleadysplasie kann noch durch 2 weitere Merkmale quantifiziert werden: 1. Trochleare Krümmung (Abb. 21.49 a–c): Es wird eine Linie (Linie X) tangential zur ventralen Femurkante gezogen. Nun kann die trochleare Rinne entweder anterior, posterior oder auf der Linie X liegen. Der Abstand kann in Millimetern von der Linie X angegeben werden. Werte von >3 mm anterior sind als pathologisch anzusehen. 2. Trochleare Tiefe (Abb. 21.50): Diese wird anhand einer Hilfslinie gemessen, die in einem Winkel von 15° von der Geraden abweicht, die rechtwinklig von der Tangente der posterioren Kortikalis in Höhe der am weitesten proximal ausschwingenden posterioren Anteile abzweigt. Eine trochleare Tiefe von 4 mm oder weniger wurde als pathologisch definiert (Dejour u. Bonnin 1994; Dejour et al. 1994). In der Tangentialaufnahme bei 30° Flexion kann neben der Form der Trochlea mit der Sulcustiefe auch die Form der Patella beurteilt werden. Nur eine Patella Typ Wiberg 3 (»Jägerhutpatella«) hat pathologische Bedeutung. Eventuell kann eine Verkippung der Patella festgestellt werden. Die Patellakippung wird in der CT in 15° Knieflexion beurteilt. Der Winkel der Linie entlang der posterioren Kondylen und der lateralen Patellafacette sollte >12–14° sein (Fulkerson et al. 1990; Abb. 21.51). Bei Werten <8° und einem geringen Knorpelschaden sowie Schmerzen brachte ein laterales »release« (Durchtrennung der kontrakten lateralen Bandstrukturen parapatellar) gute Ergebnisse (Fulkerson et al. 1990; Shea u. Fulkerson 1992). Schnittbilduntersuchungen wie die MRT erlauben die Darstellung von Läsionen des MPFL, des medialen Retinaculums, eines Hämarthros, Knochenmarködemen und/oder Knorpelschäden und können wichtige therapeutische Hinweise geben.
Abb. 21.49 a–c. Trochleare Krümmung nach Dejour. Entlang der ventralen Kortikalis wird eine Linie X nach distal gezogen. Die trochleare Rinne kann diese Rinne tangieren, ventral oder dorsal liegen. Die Krümmung der Trochlea wird als positiv oder negativ oder in Millimeter zur Linie X angegeben. Werte >3 mm werden als pathologisch angesehen
Bei klinischem Verdacht auf Achsfehlstellungen ist ebenfalls die Anfertigung von konventionellen Beinachsaufnahmen hilfreich. Torsionsvarianten von Tibia und Femur lassen sich am besten mit der CT erkennen. Hier werden im Seitenvergleich die Ausrichtung des Schenkelhalses, der Kondylenhinterkante, der Tibia und des Sprunggelenks vermessen. Therapie Publizierte Therapiekonzepte basieren z. T. auf Daten aus Studien mit einem wenig homogenen Patientenkollektiv, unscharfen Definitionen, einer ungenügenden Beurteilung des sportlichen Aktivitätsniveaus und kurzen Nachuntersuchungszeiträumen (Arendt et al. 2002; Hinton u. Sharma 2003). Viele in der Fachliteratur immer wieder geäußerte Behauptungen sind nicht evidenzbasiert (Arendt et al. 2002; Hinton u. Sharma 2003). Es mehren sich die Hinweise darauf, dass das Ausmaß der Verletzung des MPFL und des retropatellaren Knorpelschadens Einfluss auf die Reluxationsrate bzw. auf retropatellare Beschwerden haben (Hinton u. Sharma 2003). Die MRT erlaubt die Beurteilung der beiden zuletzt genannten Parameter und kann die Therapieentscheidung erleichtern, sodass diese Untersuchung von einigen Zentren als Voraussetzung für eine Therapieentscheidung gefordert wird. Konservativ Meistens reponiert sich eine Patellaluxation spontan, wenn das Knie gestreckt wird. Falls dies nicht der Fall ist, sollte eine Reposition im Kindesalter nur in einer Kurzsedierung unter dosiertem Druck nach medial reponiert werden, um Knorpelschäden zu vermeiden. Die traumatische Erstluxation wie auch die Erstluxation bei prädisponierenden Faktoren wird konservativ behandelt. Es fehlen eindeutige Daten, die eine Überlegenheit einer initial chirurgischen Behandlung mit z. B. einer Rekonstruktion des MPFL gegenüber einer konservativen Behandlung zeigen (Nikku et al. 1997). Bei Kindern wird eine vierwöchige Gipstutorbehandlung empfohlen, da keine konfektionierten Orthesen in den entsprechenden Größen vorhanden sind.
b
a x
c x
x
21.4 Patella
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Operativ Indikationen:
A
쐌 bei Nachweis oder Verdacht auf osteochondrale oder große chondrale Läsionen, 쐌 rezivierender Patellaluxation (ab der Zweitluxation in kurzer zeitlicher Folge), 쐌 habitueller Luxation nur bei Beschwerden, 쐌 kongenitalen Luxationen (unmittelbar nach Diagnosestellung).
15° B
Abb. 21.50. Trochleare Tiefe nach Dejour. Die trochleare Tiefe wird als Distanz von A zu B gemessen, wobei eine Tiefe von <4 mm als pathologisch definiert wird
A
B lateral
medial
Abb. 21.51. Im transversalen Schnitt in 15° Kniebeugung auf Höhe der Patellamitte wird in der CT der Winkel aus der Tangente an die laterale Patellafacette und einer Parallelen durch die dorsalen Kondylen gemessen. Die Normwerte betragen 12–14°
Bei Jugendlichen ist eine mehrwöchige Ruhigstellung im Oberschenkelgipstutor zugunsten einer vorübergehenden Ruhigstellung im Tutor zur Schmerzbehandlung und Verbesserung der Weichteilheilung mit anschließender zügiger Mobilisierung in einer Orthese, die eine Bewegungslimitierung bis 40°-90° Flexion über 4–6 Wochen aufweist, verlassen worden. Es sollten von Beginn an isometrische Übungen zur Stärkung des M. quadriceps femoris im schmerzfreien Bereich durchgeführt werden. Sobald die Schmerzen nachlassen, sind Bewegungsübungen zur Verhinderung einer Quadricepsatrophie und zur Verbesserung der Knorpelphysiologie mit einer Bewegungslimitierung indiziert. Um den verstärkten patellofemoralen Druck bei Flexion zu verhindern, werden Bewegungsübungen in der offenen Kette bis 45° empfohlen (Hinton u. Sharma 2003). Das Tapen der Patella und eine Bandage mit Patellaführung kann zur Schmerzreduktion und Verbesserung der Quadrizepsaktivität angewandt werden. Der Mechanismus ist nicht ganz klar, evtl. spielt die Propriozeption oder ein Placeboeffekt eine Rolle. Das Physiotherapieregime sollte kontrolliert werden, um auf persistierende Probleme reagieren zu können (z. B. unerkanntes intraartikuläres osteochondrales Fragment). Bei habituellen Patellaluxationen mit geringen Beschwerden und bei Reluxationen mit langen luxationsfreien Intervallen und ebenfalls geringen Beschwerden kann eine Bandage mit einem Antiluxationsbund verordnet werden.
Das Prinzip ist, mit möglichst geringem operativen Aufwand das für den Patienten optimale Ergebnis zu erreichen. Es besteht weitgehend Konsensus darüber, dass bei der traumatischen Erstluxation mit Verdacht auf ein osteochondrales Fragment in der Bildgebung zunächst eine Arthroskopie durchgeführt werden sollte, da so am besten das Ausmaß der Verletzung inklusive der Knorpelverhältnisse beurteilt werden kann. Ein gerissenes MPFL, der wichtigste mediale Stabilisators der Patella, kann als extraartikuläre Struktur in der Arthroskopie nur indirekt – z. B. an einer Einblutung in der Synovia – erkannt werden. Das MPFL kann besser in der MRT beurteilt werden. Meistens tritt eine Avulsion des Bandes am Epicondylus medialis femoris auf, wo es mit gutem Erfolg reinseriert und somit anatomisch rekonstruiert werden kann. Falls das MPFL intraligamentär oder an der Patella gerissen ist, sollte es genäht oder an der Patella refixiert werden. Osteochondrale Fragmente sollten – falls möglich – refixiert und eventuelle Knorpelschäden behandelt werden (zu Refixationsmöglichkeiten s. Kap. 21.4.3, S. 731 ff). Welches Verfahren zur Behandlung von Knorpelschäden das Beste ist, hängt von der Größe und der Lokalisation ab und ist derzeit noch nicht abschließend geklärt (Knorpelglättung, »microfracturing« oder autologe Knorpelzelltransplantation). Insgesamt geht bei der operativen Versorgung von Reluxationen die Entwicklung dahin, die anatomischen Verhältnisse, die vor dem Trauma vorlagen, wiederherzustellen. Bei Reluxationen kann häufig nicht mehr eine frische Bandruptur, sondern ein elongiertes MPFL festgestellt werden. Nach einer arthroskopischen Evaluation des Gelenks und der Behandlung möglicher intraartikulärer Befunde, sollte als kleinster Eingriff mit guten Erfolgschancen zunächst eine Rekonstruktion des MPFL und/oder eine mediale Kapseldopplung/-raffung durchgeführt werden. Falls eine ausgeprägte Patella alta oder ein stark vermehrter Q-Winkel vorhanden sind, kann das MPFL z. B. mit der Semitendinosussehne augmentiert werden (Drez et al. 1991). Falls klinisch oder in der Bildgebung eine deutliche Kippung der Patella nach lateral besteht und die laterale Facette nicht zur Horizontalen angehoben werden kann (Kolowich et al. 1990), sollte arthroskopisch ein laterales Release durchgeführt werden. Ein laterales Release ist ebenfalls indiziert, wenn durch die mediale Bandrekonstruktion keine ausreichende Rezentrierung der Patella erreicht werden kann.
!
CAVE
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Kapitel 21 Kniegelenk
Die arthroskopische Beurteilung der Patellarkippung sollte mit Vorsicht angewandt werden, da laxe mediale Strukturen und eine Füllung des Gelenks mit Spülflüssigkeit eine Lateralkippung bewirken können. Das laterale Release sollte nicht unkritisch durchgeführt werden, da aus dieser Maßnahme auch eine mediale Instabilität resultieren kann (Hughston 1994). Ob bei einer Reluxation neben den genannten operativen Maßnahmen primär auch dysplastische Veränderungen an der Trochlea korrigiert und/oder Operationen an der Tuberositas durchgeführt werden sollen, ist wegen fehlender Studien nicht geklärt. Wir können die oben genannten Verfahren für einen Ersteingriff nicht empfehlen, da z. B. bei der knöchernen Vertiefung des patellofemoralen Gleitlagers rein operationstechnisch Knorpelschäden nicht ausgeschlossen werden können. Falls jedoch gravierende Achsen- oder Torsionsfehlstellungen bestehen, müssen diese mit korrigiert werden, um die ursächliche Pathologie zu beheben. Bei Kindern und Jugendlichen mit rezidivierenden Patellaluxationen werden Weichteileingriffe zur Zentrierung der Patella durchgeführt. Bei der Operation nach Goldthwait wird der laterale Anteil des Lig. patellae nach medial versetzt und transossär fixiert (Abb. 21.52). In der Operationsmethode nach Ali-Krogius (Abb. 21.53) wird aus dem zu weiten medialen Retinaculum
Abb. 21.52. Bei der Operation nach Goldthwait wird der laterale Anteil des Lig. patellae nach medial versetzt und transossär fixiert
Abb. 21.53. Bei der Operation nach Ali-Krogius wird aus dem zu weiten medialen Retinaculum ein 1 cm breiter proximal gestielter Retinaculum-Kapsel-Streifen präpariert, proximal durch die Patellarsehne geführt und lateral in das Retinaculum eingenäht. Der mediale Defekt wird durch eine Raffnaht verschlossen
ein 1 cm breiter proximal gestielter Retinaculumstreifen präpariert, proximal durch die Patellarsehne geführt und lateral in das Retinaculum eingenäht. Der mediale Defekt wird durch eine Raffnaht verschlossen. Bei Kindern verbietet sich ein Eingriff zur Versetzung der Tuberositas tibiae, da dieser bei noch offener Wachstumsfuge einen vorzeitigen Verschluss der Wachstumsfuge und ein Genu recurvatum zur Folge haben kann. Bei einem ausgeprägtem Genu valgum sollte in erster Linie diese Pathologie am Ort der Deformität korrigiert werden (Abb. 21.54 a–c). Diese kann in Ganzbeinstandaufnahmen festgestellt und dann entweder mit einer suprakondylären varisierenden Umstellungsosteotomie (häufiger) oder einer tibialen Varisierung therapiert werden. Falls nach knöcherner Korrektur intraoperativ weiterhin eine ungenügende Zentrierung besteht, kann zusätzlich sowohl die Operation nach Goldthwait und/oder Ali-Krogius durchgeführt werden. Die Tuberositasversetzung dient prinzipiell dazu, die Führung der Patella zu verbessern. Zu der Frage, inwieweit der Q-Winkel für die Indikation einer Tuberositasversetzung herangezogen werden kann, gibt es widersprüchliche Aussagen. Möglicherweise ist die Messung des Q-Winkels in 90° Flexion oder die Feststellung der Ausrichtung des patellofemoralen Gleitlagers als Referenzwert besser geeignet als die übliche Messung am gestreckten Bein (Kolowich et al. 1990).
21.4 Patella
In der Technik nach Roux-Goldthwait wird die Tuberositas nach medial verschoben. Dies kann den unerwünschten Nebeneffekt haben, dass der Anpressdruck auf die mediale Patellafacette steigt, retropatellare Schmerzen und eine Arthrose auftreten können. Zur Vermeidung dieses Problems wurde diese Technik durch Ferguson und Fulkerson mit einer anteromedialen Versetzung modifiziert (Ferguson 1982; Fulkerson et al. 1990; Abb. 21.55). Kadaverstudien konnten allerdings zeigen, dass eine Medialisierung der Tuberositas wenig Einfluss auf die Stabilisierung der Patella hatte, die Tibia eher nach außen rotierte und damit die Rotation der Patella beeinflusste (Arendt et al. 2002). Von Vorteil bei der anterioren Versetzung ist eine Reduktion des patellofemoralen Anpressdrucks. Operationen an der Tuberositas sollten als letztes operatives Verfahren erst nach Wachstumsabschluss durchgeführt werden. Bei einer ausgeprägten Trochleadysplasie und rezidivierenden Patellaluxationen kann nach Ansicht einiger Autoren eine Trochleaplastik in der Technik nach Dejour durchgeführt werden. Bei diesen Operationen wird der Knorpel subchondral abgelöst, der trochleare Sulcus ossär vertieft und der Knorpel in dem neu geschaffenen Bett refixiert (Dejour u. Bonnin 1994; Dejour et al. 1994). Unsere Bedenken gegen dieses Verfahren sind mögliche Knorpelschäden und eine verbleibende Inkongruenz zur Patella. Daten aus Langzeitstudien fehlen derzeit. Eine habituelle Luxation sollten nur dann operativ angegangen werden, wenn Beschwerden bestehen. In der Regel sind aufwändige Achskorrekturen und
knöcherne Eingriffe notwendig, um die Pathologie zu korrigieren. Bei schweren habituellen Patellaluxationen, bei denen die Patella nicht in der Femurtrochlea läuft und die einen Übergangsbereich zu kongenitalen Patellaluxationen darstellen, sind zur Vermeidung eines dauerhaften Fehlwachstums mit Ausbleiben der Ausbildung der knöchernen Rinne am Femur frühzeitig weichteilige und knöcherne Operationen indiziert. Kongenitale Patellaluxationen sind – falls möglich – mittels einer weichteiligen Rezentrierung zu korrigieren, z. B. mit einer ausgedehnten Operation nach AliKrogius und/oder Goldthwait, um in der weiteren Entwicklung ein regelrechtes patellofemorales Gleitlager zu schaffen. Liegt gleichzeitig noch eine fixierte Subluxationsund Außenrotationsfehlstellung vor, muss das Knie zusätzlich mit einem Fixateur externe mobilisiert werden (Ochs et al. 2005).
Abb. 21.54 a–c. 10-jähriger Junge mit Trisomie 21 und einem Rezidiv einer habituellen Patellaluxation nach suprakondylärer Umstellungsosteotomie beidseits im Alter von 4 Jahren. Wegen einer
zunehmenden Bewegungsunfähigkeit wurde der Patient rollstuhlpflichtig. a A.-p.-Strahlengang, beide Kniee mit lateral luxierter Patella und einer hypoplastischen lateralen Femurkondyle
Komplikationen Als Komplikationen müssen die Eltern und die Kinder neben den üblichen operativen Risiken über eine mögliche Reluxation, eine Retropatellararthrose, retropatellare Schmerzen, Infekt, bei Tuberositasversetzung über Schmerzen beim Knien und generell über eine Reflexdystrophie aufgeklärt werden. Nachbehandlung Postoperativ Bei Weichteileingriffen werden die jungendlichen Patienten mit einer Orthese und einer Bewegungslimitierung auf 40° Flexion für die ersten 2 Wochen, dann auf
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Kapitel 21 Kniegelenk Abb. 21.54 a–c. b Es wurde beidseits erneut eine suprakondyläre varisierende Umstellungsosteotomie von 10°, eine mediale Epiphysiodese und bei intraoperativ noch ungenügender Patellazentrierung die Operationen nach Ali-Krogius und Goldthwait durchgeführt. Exemplarisch wird die rechte Seite mit einliegenden Kirschner-Drähten und medial 2 Blount-Klammern zur Epiphysiodese gezeigt (linkes Bild). 6 Wochen danach wurden die Kirschner-Drähte entfernt und ein Bycast angelegt (rechtes Bild). c Ein Jahr postoperativ zeigt sich eine konsolidierte Osteotomie, eine sich im Wachstum erholende laterale Femurkondyle und eine zentrierte Patella. Die Achse muss bei einliegenden BlountKlammern regelmäßig kontrolliert und ggf. eine Entfernung der Klammern durchgeführt werden, um eine Überkorrektur zu verhindern
60° für die nächsten 2 Wochen, dann auf 90° für weitere 2 Wochen mobilisiert. Die ersten 6 Wochen sollte das Bein mit dem Eigengewicht teilbelastet werden. Für diesen Zeitraum sollte ab der Pubertät eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden. Eine CPM- (continuous »passive motion-«) Schiene kann ab dem ersten postoperativen Tag im oben genannten Bewegungsausmaß eingesetzt werden, sofern der Patient dies von den Schmerzen her toleriert. Nach 6 Wochen werden bei regulärem Heilungsverlauf die Bewegung und die Belastung freigegeben. Parallel werden physiotherapeutische Maßnahmen durchgeführt. Bei Kleinkindern, bei knöchernen Eingriffen und größeren Weichteileingriffen empfiehlt sich eine zweibis vierwöchige Ruhigstellung in 20° Flexion im Gipstutor oder einer Oberschenkelschiene.
Klinischer Hinweis Die alleinige Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) und der medialen Retinacula weist eine hohe Rezidivquote auf, wenn die ossären Verhältnisse – wie vor allem die Achsenund Rotationsverhältnisse (evtl. die Tiefe des patellofemoralen Gleitlagers) – pathologisch bleiben, da die bindegewebigen Strukturen alleine gegen den Luxationsvorgang keinen Widerstand bieten. Die Durchblutung der Patella ist kritisch und birgt Komplikationen. Eine Durchtrennung der Gefäße sowie eine Narbenbildung an mehreren Stellen der Patella werden nur sehr bedingt toleriert.
CAVE
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21.4 Patella
ventral
Fibula
dorsal
Abb. 21.55. Operation nach Fulkerson mit anteromedialer Versetzung der Tuberositas tibiae
Es gibt eine Vielzahl an publizierten Eingriffen, von denen sich kein Verfahren als eindeutig überlegen erweist (Arendt et al. 2002; Hinton u. Sharma 2003). Prinzipiell sollte die führende Pathologie behoben werden.
Auswahl von Operationstechniken zur Korrektur am Streckapparat Folgende Eingriffe werden empfohlen: 쐌 Distal: 1. größere Weichteileingriffe (z. B. Operation nach Ali Krogius, Operation nach Goldthwait) 2. Ventromedialisierung der Tuberositas tibiae (Operation nach Fulkerson) 쐌 Proximal: 1. Korrektur des ossären Gleitlagers der Trochlea durch Vertiefung des patellofemoralen Gleitlagers oder einer Anhebung der lateralen Femurkondyle (selten) 2. die Distalisierung des Ansatzes des M. vastus medialis an der Patella nach Insall (selten)
21.4.3 Osteochondrale Frakturen bei Patellaluxation A.-M. Weinberg, F. Schneider Ursache und Häufigkeit Die osteochondralen Frakturen betreffen in erster Linie den lateralen Fermurkondylus und die Patella. Der Unfallmechanismus kann direkt oder indirekt über Scherkräfte erfolgen. Osteochondrale Frakturen nach Patellaluxation sind die häufigsten knöchernen Läsionen des kindlichen Kniegelenks. Der Anteil der chondralen Läsion bei Patellaluxation liegt um 40%, auch höhere Angaben sind zu finden sind. Dies ist u. a. auf das Design der einzelnen Studien zurückzuführen. Patellaluxationen beruhen auf unterschiedlichen Pathologien, die jeweils unterschiedlich häufig chondrale Frakturen aufweisen. Grundsätzlich sind osteochondrale Frakturen bei jeder Form der Patellaluxation möglich (Matelic et al. 1995; Nietosvaara et al. 1994; Nomura et al. 2003; Toupin u. Lechevallier 1997; Vahasarja et al. 1993). Die Häufigkeitsangaben in einigen Studien haben vor Jahren dazu geführt, eine Arthroskopie bei Erstluxation der Patella durchzuführen, man war der Meinung, dass osteochondrale Frakturen zu häufig übersehen wurden (Haupt u. Reek 1987; Illi et al. 1987; Toupin u. Lechevallier 1997). Es hat sich aber gezeigt, dass mit einer guten klinischen Anamnese, engmaschigen Kontrollen und unter Durchführung einer MRT – als nichtinvasive Methode – die Zahl der übersehenen chondralen Läsionen reduziert werden konnte (King 1997). Jeder Hämarthros nach Patellaluxation ist verdächtig auf eine osteochondrale Fraktur. Diagnostik Klinisch Meist reponiert sich die Patella spontan, daher ist eine sorgfältige Anamnese zur Diagnosestellung einer abgelaufenen Patellaluxation besonders wichtig. Bei noch luxierter Patella wird das Kniegelenk in leichter Flexion gehalten, und jegliche Bewegung ist schmerzhaft. Nach Reposition sind die Schmerzen deutlich geringer. Mit oder ohne osteochondralen Flake entsteht ein Hämarthros. Schmerzen verursachen der Hämarthros und die Bandzerreißung, unabhängig vom Knorpelschaden oder begleitenden osteochondralen Frakturen. Bei der Punktion des Hämarthros finden sich fast immer Fettaugen, da meist eine Kontusion der Patella und des lateralen Femurs zur Eröffnung des spongiösen Raumes geführt hat bzw. das Retinaculum mediale knöchern ausgerissen ist. Chondrale oder osteochondrale Flakes sind meist nicht tastbar, können aber einklemmen oder eine Synovialitis unterhalten. Sekundär vorgestellte Patienten berichten dann über intermittierende Blockierungen.
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Tibia
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Kapitel 21 Kniegelenk
Radiologisch Röntgen. Chondrale Fragmente sind auf dem Röntgenbild nicht sichtbar, aber auch osteochondrale Fragmente können sich der radiologischen Diagnostik entziehen. In den Standardaufnahmen a.-p. und seitlich sind osteochondrale Frakturen der Patella nicht immer darstellbar, daher sollte standardmäßig eine Aufnahme der Patella axial in 30° Beugung angefertigt werden. Dies ist nach reponierter Patella immer möglich, spätestens jedoch nach Punktion des Hämarthos. Eine Tunnelaufnahme nach Frik kann Fragmente in der interkondylären Region darstellen. Magnetresonanztomographie. Bei Verdacht auf eine chondrale oder osteochondrale »flake fracture« ist die MRT des Kniegelenks die sensitivste und sensibelste nichtinvasive Untersuchung. Kleinere chondrale Flakes sind allerdings nur dann gut zu finden, wenn diese von Flüssigkeit umgeben sind. Ein indirekter Hinweis auf einen freien Gelenkkörper ist ein Verlust der Knorpelfläche an der Patella oder dem lateralen Femur. Empfohlene Diagnostik Röntgenaufnahme von Knie a.-p. und seitlich sowie Patella axial 30°. Bei Verdacht auf chondrale oder osteochondrale Fragmente ist die MRT zur Sicherung der Diagnose das Mittel der Wahl.
Therapie Die Therapie der chondralen Fragmente richtet sich nach der Größe und der Lokalisation der Fragmente. Kleinere Fragmente, vor allem wenn diese aus den nichtgelenktragenden Anteilen stammen, können während der Arthroskopie z. B. bei der Behandlung von Patellaluxation entfernt werden. Größere Fragmente aus den gelenktragenden Anteilen des Kniegelenks sollten unbedingt refixiert werden (Mayer u. Seidlein 1988).
Dies erfolgt zunehmend mit resorbierbaren Stiften (Benz et al. 1994; Matsusue et al. 1996). Hierzu ist meist eine kleine Arthrotomie notwendig, da arthroskopisch die exakte Refixation nicht immer gelingt. Manche Autoren refixieren größere Fragmente mit Schrauben. Vorteil der Schraube ist die geringere inflammatorische postoperative Reaktion. Bei resorbierbaren Implantaten wurden rezidivierende Ergüsse, aber auch Arthrofibrosen beschrieben. Bei der Schraubenosteosynthese muss darauf geachtet werden, dass bei der Refixation am Femurkondylus nicht die Fuge alteriert wird. Zur Implantatentfernung ist immer ein Zweiteingriff notwendig (Benz et al. 1994; Matsusue et al. 1996; Mayer u. Seidlein 1988; ten Thije u. Frima 1986; Abb. 21.56 a–e, Abb. 21.57 a–d). Komplikation Die häufigste Komplikation ist das Nichteinheilen des Fragments, welches dann als freier Gelenkkörper imponiert und in einer zweiten Sitzung entfernt werden muss. Falls im gelenktragenden Teil des Kniegelenks größere Defekte bestehen bleiben, sind diese Schäden als präarthrotische Deformität zu bezeichnen. Nachbehandlung Die Nachbehandlung ist u. a. abhängig davon, ob begleitend eine operative Behandlung des Patellamalalignements vorgenommen wurde. Längere Ruhigstellungen sind bei guter Fixierung des Fragments nicht notwendig, vom Aspekt der muskulären Situation her sogar kontraproduktiv, da sie immer zu einer Atrophie des M. vastus medialis, dem dynamischen Stabilisator der Patella, führen. Das Gesamtkonzept der Behandlung sollte die Verhinderung einer erneuten Luxation und die Behebung des Patellamalalignements zum Ziel haben. Insgesamt sollten die Patienten, bei denen eine Refixation eines Flakes vorgenommen wurde, für 6 Wochen die Extremität entlasten.
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21.4 Patella
Abb. 21.56 a–g. 13-jährige Patientin erlitt eine Patellaluxation. a In der seitlichen Ebene kann das Fragment gerade noch erkannt werden, in der Vergrößerung wird es besser sichtbar. b Kniegelenk-
MRT: Darstellung eines freien osteochondralen Flakes im vorderen Gelenkraum sowie Darstellung des Defekts im gelenktragenden Anteil des lateralen Femur
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Kapitel 21 Kniegelenk
Abb. 21.56 a–g. 13-jährige Patientin erlitt eine Patellaluxation. c Arthroskopischer Befund. Flake vor dem vorderen Kreuzband liegend. d Spongiöse Unterfläche des Flakes. e Offene Refixierung des
osteochondralen Flakes. Defekt im lateralen Femur. f Osteochondraler Flake. g Refixierung mit resorbierbaren Stiften
21.4 Patella
Abb. 21.57 a–d. Refixierung eines osteochondralen Flakes der Patella bei einem 14-jährigen Jungen mit Patellaluxation. a Radiologische Diagnostik: bei der 30° axialen Aufnahme zeigt sich die Lä-
sion an der Patella. b Lateraler parapatellarer Zugang. Defekt an der medialen Patellafacette. c Osteochondraler Flake. d Refixierung mit resorbierbaren Stiften
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Kapitel 21 Kniegelenk
Literatur
Literatur zu Abschn. 21.2
Literatur zu Abschn. 21.1
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Kapitel 22
Unterschenkel
22
A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr, E. Kal
22.1
Proximaler metaphysärer Unterschenkel . . . . . . 743 A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr
22.2
Diaphyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 J. Mayr, A.-M. Weinberg
22.3
Distaler Unterschenkel . . . . . . . . . . A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr, E. Kahl Frakturen der Metaphyse des distalen Unterschenkels . . . . . . . Frakturen der Epiphyse des distalen Unterschenkels . . . . . . . Fraktur des Malleolus medialis . . . . . . Übergangsfrakturen . . . . . . . . . . . . Distorsionen, knöcherne und ligamentäre fibulare Bandläsionen . Rezidivtrauma, chronische Insuffizienz .
22.3.1 22.3.2
22.3.3
. . . . . . 775
. . . . . . 778 . . . . . . 786 . . . . . . 787 . . . . . . 792 . . . . . . 799 . . . . . . 802
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803
Die untere Extremität weist die häufigsten nicht die Fuge betreffenden Knochenbrüche im Kindesalter auf. Der Frakturtyp, der Unfallmechanismus, die Häufigkeit der verschiedenen Läsionen und die Lokalisation der Brüche werden entscheidend durch das Alter der Patienten beeinflusst. Die meisten Frakturen des Unterschenkels können mit gutem Erfolg konservativ und komplikationsarm behandelt werden. Dennoch muss insbesondere die metaphysäre proximale Biegungsfraktur der Tibia erkannt und entsprechend behandelt werden, um die Möglichkeit einer Komplikationen zu minimieren. Der Bruch des distalen Unterschenkels und insbesondere das Sprunggelenkdistorsionstrauma des Kindes und des Jugendlichen ist eine der häufigsten Verletzungen im Wachstumsalter. Der Aufwand der Therapie muss einem klaren Konzept folgen, da hier aus ökonomischen Gesichtspunkten ein Potenzial zu Einsparungen besteht. Entwicklung und Wachstum (einschließlich Wachstumsprognose, Korrekturmöglichkeiten) Ossifikationskerne, Zeitpunkt des Fugenschlusses Zu Beginn der 5. Schwangerschaftswoche werden die paddelförmigen Knospen der unteren Extremität sichtbar. Sie bestehen aus einem mesenchymalen Kern, der
aus dem parietalen Mesoderm aussprosst, und sind von Ektoderm bedeckt. In der 6. Woche treten die Knorpelspangen des Beinskeletts auf, und die Fußplatte grenzt sich durch eine zirkuläre Einschnürung ab. Die Tibiadiaphyse beginnt am Ende des 2. Schwangerschaftsmonates (Scheitel-Steiß-Länge 19 mm) zu verknöchern. Wie bei allen diaphysären Knochenanteilen handelte es sich um eine perichondrale Knochenbildung. Der Knochenkern der proximalen Epiphyse ist in 77% zum Zeitpunkt der Geburt, spätestens aber einige Monate postpartal ausgebildet. Im Bereich der distalen Epiphyse entsteht der Knochenkern erst im 6. Lebensmonat. In diesem Bereich der Innenknöchelspitze kann es gelegentlich zur Ausbildung eines multifokalen Ossifikationszentrums kommen. Dieses kann auch noch später (10. bis 11. Lebensjahr) entstehen und verschmilzt nach etwa einem Jahr mit dem Innenknöchel. Nur in seltenen Fällen bleibt dieser Zusammenschluss aus, sodass ein akzessorischer Knochenkern bis zum endgültigen Fugenschluss verbleibt (Love et al. 1990). Im Gegensatz zu den langen Röhrenknochen der oberen Extremität und des Oberschenkels erfolgt das Längenwachstum der Tibia zu nahezu gleichen Anteilen an der proximalen und distalen Epiphyse. Es besteht lediglich ein geringes Überwiegen der proximalen Epiphyse mit 55% gegenüber 45% der distalen Fuge. Das Längenwachstum endet distal früher als proximal. Der vollständige Verschluss der distalen Fuge erfolgt zwischen dem 16. bis 19. Lebensjahr, während der proximale Verschluss erst nach dem 19. Lebensjahr stattfindet. Man muss allerdings davon ausgehen, dass mit Beginn des partiellen Verschlusses der distalen Wachstumsfuge, der individuell sehr unterschiedlich mitunter schon ab dem 10. Lebensjahr erfolgt, kein signifikantes Längenwachstum distal mehr erfolgt (Abb. 22.1 a,b). Spontankorrektur Die Korrekturprinzipien, die geeignet sind posttraumatische Fehlstellungen spontan im Rahmen des Skelettwachstums zu korrigieren, unterscheiden sich am Unterschenkel nicht von den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten. Prinzipiell gilt, dass Fehlstellungen in Richtung der Hauptbewegungsachsen der benachbarten Gelenke besser korrigiert werden können. Für den Unterschenkel bedeutet dies, dass besonders gelenknahe Ante- und
742
Kapitel 22 Unterschenkel Abb. 22.1. a Zeitpunkt des Auftretens der Ossifikationskerne. b Zeitpunkt des Fugenschlusses
3–4 Jahre
9–12 Monate
Geburt 16–20 Jahre
6 Monate
16–19 Jahre
17–18 Jahre 17–18 Jahre 14–20 Jahre
14–21 Jahre
a
Rekurvationsfehlstellungen besser ausgeglichen werden als Varus- oder Valgusfehlstellungen. Die Korrektur dieser Achsenfehlstellungen erfolgt sowohl über direkte periostale/endostale als auch über epiphysäre Mechanismen. Im Bereich der Fehlstellung erfolgt die Korrektur durch endostalen Abbau an der konvexen und periostalen Anbau an der konkaven Seite, während gleichzeitig die durch die Fehlstellung direkt betroffene Fuge durch ungleichmäßiges Längenwachstum wieder horizontal ausgerichtet wird. Bei isolierten Seit-zu Seit-Verschiebungen erfolgt das »remodeling« ebenfalls durch periostalen und endostalen Umbau. Als Faustregel gilt, dass Achsenfehlstellungen bis zum 10. Lebensjahr gut spontan korrigiert werden. Das Korrekturpotenzial ist größer, wenn die Fehlstellung in der Nähe einer Fuge liegt. Auch in der Frontalebene sind Unterschiede in der Spontankorrektur zu verzeichnen. Varusfehlstellungen korrigieren sich besser als Valgusfehlstellungen. Gründe hierfür könnten einerseits der dominante Muskelzug an der lateralen Unterschenkelseite und andererseits die physiologische Korrektur der angeborenen Varusfehlstellung darstellen. Gerade an der unteren Extremität sollte jedoch das Potenzial der Spontankorrektur nicht ausgereizt werden. Die spontane Korrektur von Rotationsfehlstellungen, wie sie für den Oberschenkel und den Oberarm nachgewiesen wurden (v. Laer 1977; Oberhammer 1980), scheint am Unterschenkel zwar denkbar, ist aber bislang nicht sicher nachgewiesen. Eine gewisse Korrekturfähigkeit für Rotationsfehler könnte im Rahmen der Detorsion der Tibia erklärbar sein. Da diese Detorsion
b
aber in ihrem Hauptumfang sehr früh in der Wachstumsphase abläuft und nach dem 5. Lebensjahr nur sehr langsam erfolgt und Rotationsfehlstellungen am Unterschenkel klinisch gut diagnostiziert werden können, sind diese Überlegungen nicht in die Primärtherapie zu integrieren. Wir empfehlen die primäre Korrektur von Rotationsfehlstellungen durch Reposition. Stimulative Wachstumsstörung Nicht nur während der Frakturheilung, sondern auch während der Reparationsvorgänge werden die Wachstumsfugen durch Hyperämie angeregt. Aus diesem Umstand resultiert wahrscheinlich die posttraumatische Verlängerung eines Knochens. Das überschießende Längenwachstum der Tibia ist nicht so stark ausgeprägt wie jenes des Femurs und beträgt selten >1,5 cm. Das Ausmaß der Verlängerung hängt aber von der Dauer der Knochenheilung direkt ab (Konsolidierungszeit und Reparationszeit). Ebenso ist die primäre Frakturverkürzung zur Prävention des Längenüberschusses kritisch zu sehen, da die entstehende Seit-zu-Seit-Verschiebung das Längenwachstum erst recht fördert und beide Knochen ja weder synchron gebrochen sind noch in ihren Längenalterationen synchron reagieren. Wachstumsstörungen Die partielle sowie die vollständige hemmende Wachstumsstörung kann sowohl an den distalen als auch an der proximalen Wachstumsfugen auftreten (s. Abschn. 22.1 und 22.3).
22.1 Proximaler metaphysärer Unterschenkel
Chirurgische und spezielle Anatomie Die Tibia unterliegt im Rahmen des Wachstums in allen 3 Ebenen z. T. ausgeprägten Veränderungen der Achsen. Zum Zeitpunkt der Geburt besteht eine ausgeprägte Varus- und Innenrotationsstellung der unteren Extremität. Zusätzlich können Hüft- und Kniegelenk nicht vollständig gestreckt werden. Im Bereich des Fußes liegt eine kombinierte Adduktions-Supinations-Stellung in Hakenfußposition vor. Die »Varuskorrektur« beginnt am Oberschenkel. Die O-Bein-förmige Innenkrümmung des Unterschenkels bleibt bis ungefähr zum Ende des 3. Lebensjahr bestehen. Im 4. bis 5. Lebensjahr beschränkt sich diese Krümmung auf das distale Unterschenkeldrittel. Da die Kniegelenke noch weiter nach medial wandern, entsteht eine physiologische Valgusstellung, welche erst im 1. Lebensjahrzehnt ausgeglichen wird. Korrespondierend zu diesen Veränderungen ändert sich der Winkel zwischen Wachstumsfuge und Schaftachse ebenso wie der Winkel zwischen Wachstumsfuge und Gelenkspalt. Während der proximale Epiphysenachsenwinkel nur sehr geringen Veränderungen unterliegt, zeigt sich die Korrektur der angeborenen O-Stellung im Winkel zwischen Gelenkfläche und Schaftachse, welcher von knapp über 100° zum Zeitpunkt der Geburt auf 93° des Erwachsenen abnimmt. Ebenso wird die Rekurvation der proximalen Tibia von 27° des Neugeborenen auf 17° im 3. Lebensjahr reduziert.Ab dem 10. Lebensjahr (7°) erfolgt nur mehr eine geringe Veränderung der Retroversion. Die distale Wachstumsfuge verläuft bei Geburt von medial nach lateral abfallend, während der Gelenkspalt umgekehrt von medial nach lateral aufsteigend verläuft. Die horizontale Ausrichtung erfolgt bis etwa zum 8. Lebensjahr. Vor der Geburt besteht eine Innenrotation der Sprunggelenkebene von 10° gegenüber der Kniegelenkebene. Beim Neugeborenen decken sich die Achsen und werden zunehmend im Sinne einer Außenrotation verdreht. Diese Rotation ist um das 10. Lebensjahr abgeschlossen. Die Derotation ist in den ersten 6 Monaten mit 10° am größten. Vom 6. Monat bis zum Ende des 3. Lebensjahres werden etwa 5° und vom 4. bis zum 10. Lebensjahr etwa 8° außenrotiert (Lang u.Wachsmuth 1972).
22.1 Proximaler metaphysärer Unterschenkel A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr Unter den proximalen Unterschenkelfrakturen werden neben den Epiphysiolysen die typischen metaphysären Läsionen aller langen Röhrenknochen verstanden. Diese können als Stauchungsfrakturen, Grünholzfrakturen oder vollständige Frakturen vorliegen. Da die Epiphysenlösungen insbesondere im Jugendalter nicht selten
als Epiphysiolyse mit der Ablösung der gesamten proximalen Apophyse der Tuberositas tibiae vergesellschaftet ist, wird diese Läsion auch im vorangehenden Kap. 21.3.3 abgehandelt. Klinische Besonderheit Partielle stimulative Wachstumsstörung (Konsolidationsstörung mit Fehlwachstum) Über die Problematik der proximalen metaphysären Fraktur wurde erstmals 1953 von Cozen berichtet. Die Beobachtung der auch nach Abschluss der Knochenbruchheilung progredient verlaufenden Valgusfehlstellung wurde von mehreren Autoren bestätigt (Jordan et al. 1987; Steinert u. Bennek 1966; Taylor 1963). Als Ursache für das Fehlwachstum in Valgusstellung wurden mehrere Mechanismen postuliert. Goff (1960) vermutete einen Schaden des lateralen Fugenanteils, Taylor (1963) eine vermehrte Stimulation der tibialen Epiphyse im Vergleich zur fibularen und Pollen (1979) eine zu frühe Belastung der betroffenen Extremität. Weber (1977) wies auf die Rolle des medialen Periostes und des Pes anserinus hin. Diese interponierten Weichteile würden seiner Ansicht nach die Reposition und die knöcherne Heilung verhindern und verzögern, wodurch die Fuge stimuliert wird. Andere Autoren bestätigten diese Ergebnisse und sehen zusätzlich eine Zuggurtungsfunktion des Pes anserinus, welche nach Zerreißung wegfällt, sodass die Fuge medial »unkontrolliert« und damit zu rasch wächst (Bassey 1990; De Bastiani et al. 1986 a,b; Zionts u. MacEwen 1986). Als gesichert kann die partielle Stimulation der proximalen Tibiawachstumsfuge angesehen werden.Während der Knochenbruchheilung kommt es zu einem vermehrten Wachstum besonders der angrenzenden Fugen. Da die mediale Kortikalis entweder isoliert gebrochen ist oder eine verzögerte Knochenbruchheilung bei Grünholzfraktur vorliegt, wird der mediale Teil der Fuge mehr stimuliert als der laterale. Diese asymmetrisch vermehrte Durchblutung konnte mehrfach, auch szintigraphisch, nachgewiesen werden (Green 1983; Jordan et al. 1987; Ogden et al. 1995; Zionts et al. 1987). Aus diesem Grund ist das Ziel der Therapie eine möglichst rasche Konsolidation durch Reposition und Kompression. Auch wenn dieses pathophysiologische Konzept sehr gut wissenschaftlich fundiert ist, muss angemerkt werden, dass metaphysäre Biegungsbrüche an anderen Knochen nicht in diesem Ausmaß Fehlstellungen verursachen, obwohl auch sie zu einer ungleichen Fugendurchblutung führen müssten. Es ist deshalb anzunehmen, dass die stimulative Wachstumsstörung, durch die spezielle biomechanische und topographische Beziehung des Pes anserinus verstärkt wird. Zusätzlich wird an der proximalen Wachstumsfuge die angeborene Varusform des Unterschenkels maßgeblich korrigiert, sodass auch eine physiologische »Bereitschaft« zum Valguswachstum diskutiert wird (Ogden et al. 1995; Abb. 22.2 a–f).
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Kapitel 22 Unterschenkel
f Abb. 22.2. a Unfallbild einer proximalen metaphysären Tibiafraktur (Grünholzfraktur). b Gipsruhigstellung im Oberschenkelgips. Die primäre Achsenfehlstellung wurde nicht beseitigt. c Ausheilungsbild mit bereits typischer Konsolidationsstörung auf der medialen Seite. d Im Verlauf sichtbare klinische Valgusfehlstellung nach 18 Monaten. e Beinachsenaufnahmen zeigen eine Valgusfehlstellung von 40°. f Aufgrund der fehlenden Kompression kommt es analog zu den Grünholzfrakturen am Unterarmschaft zu einer Konsolidationsstörung mit konsekutiver Zunahme der Achsenfehlstellung und meist typischen Zystenbildungen an der medialen Kortikalis
22.1 Proximaler metaphysärer Unterschenkel
Ursache und Häufigkeit Frakturen der proximalen Metaphyse stellen eine sehr seltene Verletzung dar. Von Laer (2001) gibt an, dass lediglich 0,2% aller Frakturen des wachsenden Skeletts die proximale Tibia betreffen, wobei in dieser Angabe die Epiphysenfrakturen mit berücksichtigt wurden. Der Biegungsbruch der proximalen Tibiametaphyse entsteht durch übermäßigen Valgusstress. Durch Überschreiten der Zugfestigkeit der medialen Kortikalis kommt es zur Fraktur. Dabei bestimmen Größe, Dauer und Richtung der einwirkenden Kraft das Ausmaß der nahezu immer bestehenden Valgusfehlstellung. Der Häufigkeitsgipfel dieser Verletzung liegt zwischen dem 3. bis 8. Lebensjahr. Da zu diesem Zeitpunkt der physiologische Valgus ein Maximum erreicht hat, wird die proximale Tibiametaphyse durch axial eingeleitete Kräfte leichter in Richtung Valgusstress beansprucht. Klassifikation An der proximalen Tibiametaphyse werden der Stauchungsbruch, der Biegungsbruch, die Epiphysenlösung mit und ohne Keil und die vollständige Fraktur unterschieden (Abb. 22.3 a–e). Bei älteren Kindern ist die Epiphysenlösung mit einem Abriss der Apophyse der Tuberositas tibiae vergesellschaft. Diese Verletzung wurde bereits im Kap. 21.3.3 (S.707) beschrieben. Zusätzlich kann die Fibula entweder unverletzt, frakturiert oder plastisch deformiert sein. Als stabil wird am Unterschenkel jede Fraktur betrachtet, die nur einen Knochen betrifft. Partiell instabil sind Frakturen beider Knochen. Quere Frakturen lassen sich besser retinieren als schräg verlaufende Brüche, sind jedoch meist schwerer zu reponieren, wenn eine Verkürzung eingetreten ist. Diagnostik Klinisch Da Frakturen des Unterschenkels meist schmerzhaft sind, erweist es sich als hilfreich, die Kinder zu fragen, ob sie auf die am meisten schmerzende Stelle weisen können. Da die meisten Frakturen gar nicht oder nur
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minimal verschoben sind, besteht fast nie eine klinisch sichtbare Achsendeviation. Die Schwellung ist ebenfalls abhängig vom initialen Trauma, der Weichteilsituation und dem Frakturgeschehen (initiale Dislokation). Gefäß-Nerven-Verletzungen sind bei geschlossenen Frakturen selten, dennoch sollte die Dorsalextension bzw. Dorsalflexion des Sprunggelenks und der Zehen spätestens bei Anlegen der Oberschenkelliegeschale geprüft werden. Die Sensibilitätsstörungen können durch vorsichtigem Berühren entsprechend verifiziert werden. Ein Gefäßschaden stellt eine absolute Rarität dar und ist am ehesten bei Epiphysenlösungen (Abb. 22.4) zu erwarten. Allerdings muss bedacht werden, dass ein Gefäßschaden nicht mit einem fehlenden Puls der A. dorsalis pedis vergesellschaftet sein muss. In entsprechenden Fällen hat sich die Farbduplexsonographie bewährt. Offene bzw. geschlossene Weichteilschäden sind entsprechend den Richtlinien für Erwachsene zu klassifizieren. Radiologisch Die proximale Tibiafraktur kann auf Standardröntgenaufnahmen meist gut erkannt werden. Im Rahmen der initialen Röntgendiagnostik sollten immer die angrenzenden Gelenke mit abgebildet sein, da sonst zusätzliche Läsionen nicht erkannt bzw. die eigentliche Verletzung auch übersehen werden kann. Ausnahme bildet die proximale Stressfraktur, die erst sekundär bei entsprechender Anamnese (s. Kap. 32) oder durch die MRT diagnostiziert werden kann (Abb. 22.5 a–c). Es kann schwierig sein, eine primäre Achsenfehlstellung zu erkennen. Dies hat mehrere Ursachen: 1. Eine Fehlstellung in der Frontalebene wird bei nicht exakt durchgeführter a.-p.-Röntgenaufnahme unterschätzt. 2. Die Aufnahme bei nichtvollständig gestrecktem Kniegelenk führt zu einer Verharmlosung der Valgusstellung. 3. Individuell liegen große physiologische Unterschiede der Beinachse in diesem Alter vor. Im Zweifelsfall muss das Kind in Analgosedierung oder sogar in Narkose untersucht und reponiert werden.
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Abb. 22.3 a–e. Klassifikation der proximalen metaphysären Tibiafraktur. a,b Epiphysenlösung mit und ohne Keil. c Stauchungsfraktur. d Grüholzfraktur. e Vollständig Fraktur
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Abb. 22.4. Schematische Darstellung einer möglichen Gefäßverletzung nach Epiphysiolysn mit dorsaler Verschiebung
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Um die Fehlstellung zu quantifizieren, kann der Epiphysenachsenwinkel bestimmt werden. Die Achse des kurzen, fugennahen Fragments ergibt sich aus der Normalen zur Wachstumsfuge. In dieser Weise können auch Fehlstellungen sehr kurzer Fragmente reproduzierbar gemessen werden (Abb. 22.6). Therapie Indikation für konservative Therapie Stabile Frakturen können konservativ behandelt werden. Hierunter fallen die Stauchungs- und Biegungsfrakturen. Da es sich aber um ein paariges Knochensegment handelt, gelten auch alle vollständigen Frakturen nur eines Knochen als stabil, da diese durch den Partnerknochen geschient werden. Partiell stabil sind alle Querfrakturen, da diese sich nach korrekter Reposition und Verzahnung nicht sekundär verschieben. Instabil können lange Schrägfrakturen sein, wenn beide Knochen frakturiert sind. Weiterhin können Epiphysenlösungen nach der Reposition instabil verbleiben. Die meisten Frakturen können konservativ behandelt werden. Eine Reposition muss angestrebt werden, wenn das Ausmaß der Achsenfehlstellung bzw. die Seitverschiebung die Toleranzgrenze überschreitet. Dies hängt vom Alter des Patienten ab. Bei proximalen metaphysären Tibiabiegungsfrakturen darf keine Achsenfehlstellung verbleiben. Indikation für operative Therapie Instabile Frakturen oder unvollständig reponierte dislozierte Frakturen, bzw. wenn Frakturen nach der Reposition instabil bleiben, sind operativ zu stabilisieren. Bei ipsilateralen Begleitverletzungen oder höhergradig (zweit- und drittgradig) offenen Frakturen – je nach
Abb. 22.5. a Unfallbild einer Stressfraktur der proximalen Tibia. b Kontrolle nach 10 Tagen: zarter Kallussaum. c Ausheilungsbild nach 4 Wochen
22.1 Proximaler metaphysärer Unterschenkel
zurückzuführen ist. Von Laer (2001) bezweifelt, dass nach unverschobenen oder korrekt reponierten Frakturen eine nennenswerte Fehlstellung erwartet werden muss. Daher muss beim Scheitern eines konservativen Vorgehens ggf. operativ vorgegangen werden.
Abb. 22.6. Epiphysenachsenwinkel. Dieser wird nach v. Laer (2010) vor allem bei kleinen Fragmenten wichtig, um eine primäre Achsenfehlstellung vor allem im Falle der proximalen metaphysären Grünholzfraktur der Tibia nicht zu übersehen. Er wird aus dem senkrechten Winkel zur Ebene der Fuge und dem Unterschenkelschaft bestimmt
Weichteilsituation – wird die Indikation zum operativen Vorgehen ebenfalls gestellt (v. Laer 2001; v. Laer et al. 1982, 2001; Ogden et al. 1995). Konservativ 쐌 Undislozierte Frakturen werden ohne Reposition in einem Oberschenkelspaltgipsverband ruhig gestellt (Abb. 22.7 a–c). 쐌 Eine Reposition benötigen alle Frakturen, die eine signifikante Achsenfehlstellung in der Frontalebene und altersabhängig in der Sagittalebene aufweisen (Abb. 22.8 a–e). 쐌 Fehlstellungen <10° können auch primär unter Varusstress mit einem gespaltenen Oberschenkelgips versorgt werden. Am 8. bis 12. Tag erfolgt das Keilen des Gipses, um neuerlich Kompression ausüben zu können. Ein mediales Klaffen der Fraktur oder eine Valgusfehlstellung dürfen nicht akzeptiert werden. Kommt die Gipskeilung nicht in Betracht, so müssen diese Frakturen nachreponiert werden. Wir empfehlen wenn möglich eine geringe Überkorrektur der Achsenfehlstellung. 쐌 Eine Ausnahme stellt die proximale metaphysäre Tibiafraktur (Grünholzfraktur) dar. Aufgrund ihrer Wachstumsprognose (s. oben) ist das Grundprinzip der Therapie die exakte primäre Beseitigung der Valgusfehlstellung und die Kompression der medialen Kortikalis, um eine rasche Konsolidierung zu erreichen und mögliche Wachstumsstörungen zu minimieren. Dazu wird in Streckstellung des Kniegelenke ein in Varusstress gehaltener langer Oberschenkelgipsverband angelegt. Autoren wie Skak (1982) weisen daraufhin, dass die Valgusdeformität im Wesentlichen auf eine unzureichende oder unterlassene Reposition
Abb. 22.7. a Undislozierte vollständige proximale Tibiafraktur. b Anlage eines Oberschenkelgipses. c Ausheilungsbild nach 4 Wochen
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Kapitel 22 Unterschenkel Abb. 22.8. a Proximale metaphysäre Grünholzfraktur der Tibia. b Im Transportgips wird das Ausmaß der bestehenden Achsabweichung auf 10° genau gemessen. c Es erfolgt die Reposition mit Kompression und Durchbrechen der Kortikalis auf der Gegenseite. d Zusätzliches Keilen nach 7 Tagen. e Ausheilungsbild nach 5 Wochen
Klinischer Hinweis Die eingehende Aufklärung der Eltern über die Möglichkeit des Fehlwachstums ist bei der Behandlung einer proximalen metaphysären Tibiafraktur (Grünholzbruch) obligat, da das Schicksal des weiteren Verlaufs trotz korrekter Therapie nicht vor-
hersehbar ist und es auch bei korrekter Therapie zu einem Achsenfehlwachstum kommen kann. Eine posttraumatische Korrektur kann das weitere Achsenfehlwachstum nicht sicher verhindern. Bei einer korrekt reponierten Frakturen ist dies jedoch selten oder überhaupt nicht zu erwarten.
22.1 Proximaler metaphysärer Unterschenkel
Die Gipsabnahme erfolgt nach knöcherner Konsolidierung nach etwa 4–6 Wochen. 쐌 Valgusfehlstellungen von >10° oder instabile Frakturen (mediale und laterale Tibiakortikalis und Fibulafraktur mit primärer Dislokation) reponieren wir primär unter allgemeiner Anästhesie. Die Indikation zum offenen Vorgehen wird gestellt, wenn es nach dem Durchbrechen der lateralen Kortikalis nicht einwandfrei gelingt, die Achse in 0°-Stellung wiederherzustellen (medialer Spalt muss geschlossen sein!), oder bei den dislozierten Frakturen eine bestehende Seit-zu-Seit-Verschiebung >5 mm (auch bei korrekten Achsverhältnissen) resultiert. Sowohl die verzögerte Knochenbruchheilung bei Persistieren des medialen Spaltes als auch das Remodeling bei (medialer) Seit-zu-Seit-Verschiebung führen zu einer partiellen Stimulation der Wachstumsfuge mit möglicher konsekutiver, progredienter Valgusfehlstellung. Operativ Patienten- und Elternaufklärung. Besonders bei einer proximalen metaphysären Tibiafraktur (Grünholzbruch) müssen die Eltern und die Patienten auf die hohe Wahrscheinlichkeit der Valgusfehlstellung hingewiesen werden, die unter Umständen nur offen beseitigt werden kann. Die Notwendigkeit der klinischen Kontrollen über einen Zeitraum von 2 Jahren muss ebenfalls schon zu Behandlungsbeginn erläutert werden, da trotz korrektem Vorgehen eine schicksalshafte Achsenfehlstellung auftreten kann. b
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Lagerung. Rückenlagerung bei frei abgedecktem Bein. Zugang. Anteromedialer kleiner Schnitt in Höhe der Fraktur. Bei der offenen Reposition werden Repositionshindernisse in Form von interponierten Periost- und Pesanserinus-Anteilen beseitigt. Meist genügt es bei der proximalen metaphysären Tibiafraktur (Grünholzfraktur), die Weichteile aus dem Frakturspalt zu entfernen, und anschließend kann die Fraktur konservativ mit Gipsanlage in Kniestreckung unter Varuseinhaltung problemlos austherapiert werden. In seltenen Fällen ist eine Osteosynthese erforderlich. In diesem Fall favorisieren wir den Fixateur externe zur Kompression. Auf eine Rekonstruktion eines eingeschlagenen Pes anserinus wird verzichtet. Operationstechnik (Abb. 22.9 a–e). Der komplette Bruch oder die Epiphysenlösung, die instabil sein können, werden entsprechend der Frakturlinie entweder mit gekreuzten Bohrdrähten oder mit einem Fixateur externe retiniert.
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d Abb. 22.9. a–e Biegungsbrüche der proximalen Tibia. Diese werden geschlossen reponiert (a). b–d Gelingt es nicht, die Fraktur unter Kompression zu setzen, so kann dies am besten über einen medial angebrachten Fixateur externe erfolgen. Falls weiterhin ein Repositionshindernis besteht so sollte offen reponiert werden, da dann eingeschlagene Weichteile die Reposition verhindern. e Perkutane gekreuzte Spickdrahtosteosynthese. Schema Operationsversorgung Epiphysiolyse und Biegungsfraktur und vollständige Fraktur
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Beim Platzieren der proximalen Pins des Fixateurs muss eine Verletzung der Apophyse der Tuberositas tibiae unbedingt vermieden werden (Abb. 22.10 a–c). Der geschlossen irreponible Biegungsbruch wird mit einem medialseitigen unilateralen Fixateur externe stabilisiert, um Kompression ausüben zu können.
gelenkebene resultiert. Das Ausmaß der Korrektur ist nicht sicher vorhersehbar, und eine Korrektur ist nur dann zu erwarten, wenn sich der Unfall vor dem 8. Lebensjahr ereignet hat. Zionts u. MacEwen (1986) berichteten über 7 Kinder mit Fehlstellungen <10°, wobei in 6 Fällen eine Spontankorrektur innerhalb von 39 Monaten beobachtet werden konnte.
Empfohlene Therapie Die Valgusstellung wird durch geschlossene Reposition und Retention im Oberschenkelgipsverband, der im Kniegelenk gestreckt und in Varusstress gehalten wird, beseitigt. Ist die geschlossene Reposition nicht möglich, erfolgt der Verfahrenswechsel zur offenen Reposition. Die Osteosynthese erfolgt durch einen medialen Fixateur externe (Frakturkompression) bei intakter lateraler Kortikalis. Bei fakturierter lateraler Kortikalis wird der Fixateur entsprechend erweitert oder mit gekreuzten Bohrdrähten und adjuvanter Gipsfixation stabilisiert.
Nachbehandlung Konservativ Die Gipsimmobilisation erfolgt für 4–6 Wochen entsprechend dem Alter des Patienten. Wulstfrakturen werden nur klinisch kontrolliert. Alle Biegungs- und kompletten Frakturen sowie Epiphysiolysen werden 2 Wochen lang wöchentlich radiologisch kontrolliert, um Valgusfehlstellungen bzw. sekundäre Dislokationen zu erkennen. Die letzte routinemäßige Röntgenkontrolle erfolgt zum Zeitpunkt der knöchernen Konsolidierung. Nach proximalen Tibiafrakturen werden halbjährlich klinische Kontrollen durchgeführt; die Behandlung wird bei komplikationslosem Verlauf 3 Jahre nach Unfall abgeschlossen.
Valgusfehlstellung Korrekturosteotomien während der Wachstumsphase sind mit dem großen Risiko eines Rezidivs behaftet. Dieses Rezidiv tritt in etwa 50% auf und kann das Ausmaß der initialen Fehlstellung noch übertreffen (Dal Monte et al. 1983; Ferriter u. Shapiro 1987; McCarthy et al. 1998; Tuten et al. 1999). Aus diesen Gründen sollte die korrigierende Operation während des Wachstums nur nach strengster Indikationsstellung und ausführlicher Aufklärung der Eltern erfolgen. Wir empfehlen die Operation zu diesem Zeitpunkt nur, wenn ein exzessives Genu valgum den normalen Bewegungsablauf durch Aneinanderschlagen der Kniegelenke verhindert oder Schmerzen bei Belastung resultieren. Gegen Ende der Wachstumsphase kann eine sorgfältig geplante mediale Epiphysiodese eine langsame Korrektur bewirken (Steel et al. 1971). Da die Valgusfehlstellung mit einer Beinverlängerung einhergeht, kann die subtraktive, proximale Varisierung nach Wachstumsabschluss erfolgen. Bei Korrekturoperationen am Ende oder nach Abschluss der Wachstumsphase muss berücksichtigt werden, dass der Scheitelpunkt der Fehlstellung, in Abhängigkeit des Wachstums nach Unfall, nach distal gewandert ist, und durch die Spontan(teil)korrektur eine veränderte Stellung der Epiphysen vorliegen kann (veränderte Knie- und Sprunggelenkachsen, die eine Korrektur der Fehlstellung in mehreren Etagen erforderlich machen können).
Operativ Bei Kindern, die eine Kirschner-Draht-Osteosynthese erhalten haben, wird zusätzlich ein Oberschenkelgips in Streckstellung des Kniegelenks angelegt. Innerhalb der ersten Woche erfolgt die radiologische Stellungskontrolle der Fraktur. Insgesamt ist eine Gipsruhigstellung für 4–6 Wochen vorgesehen. Die Drahtentfernung richtet sich danach, ob die Drähte versenkt wurden oder über die Haut vorragen. Herausstehende Drähte können ambulant gezogen werden. Versenkte Drähte sollten bei Kindern in Narkose entfernt werden. Bei Fixateur-externe-Anlagen kann, eine belastungsstabile Montage vorausgesetzt, die Belastung erlaubt werden. Die Entfernung des Fixateur externe erfolgt nach 6 Wochen.
Posttraumatische Beinverkürzungen Das Ausmaß entscheidet über den Zeitpunkt der Korrektur. Als Grenze wird eine Verkürzung von 3 cm gesehen. In diesem Fall wird bereits vor Wachstumsabschluss eine Verlängerung durchgeführt. Eltern und Kindern müssen darüber informiert werden, dass die einmalige Intervention oft nicht ausreicht und ggf. nach Wachstumsabschluss erneut korrigiert werden muss (Abb. 22.11 a–d).
Spätkomplikationen Spontan erfolgt eine Korrektur des Valgus, indem der Scheitel der Fehlstellung nach distal wächst und sich die Epiphysen wieder senkrecht zur Belastungsrichtung einstellen, wodurch eine orthograde Stellung der Knie-
Ursache und Häufigkeit Die Angaben über die Häufigkeit von Schienbeinbrüchen sind aufgrund unterschiedlicher Definitionen bezüglich des Alters und des betroffenen Tibiaabschnittes sehr variabel (Dubravcik u. Burke 1979; Johnson u. Pope
22.2 Diaphyse J. Mayr, A.-M. Weinberg
22.2 Diaphyse Abb. 22.10. a Dislozierte Salter-Harris-II-Epiphysenlösung der proximalen Tibia im Transport-Gipsverband (Mädchen, 12 Jahre). b Zustand nach geschlossener Reposition und Fixation mit perkutan eingebrachten Kirschner-drähten. Noch geringe Rest-Rekurvationsstellung. Röntgenbild 2 Wochen nach dem Unfall. c Nachuntersuchungs-Knieröntgenbild 3 Jahre nach dem Unfall. Es findet sich weiterhin eine geringe Rekurvationsstellung, diese hat sich durch 3 Jahre nicht verändert
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Abb. 22.11. a Dislozierte Salter-Harris-I-Verletzung der proximalen Tibia eines 7-jährigen Mädchens. b Konservative Behandlung mit vorsichtiger geschlossener Reposition und Anlage eines Oberschenkelspaltgipses. c Ausbildung einer zentralen Wachstumsfugenbrücke im Frakturbereich zentral (Bild 3 Jahre nach dem Trauma). Die Knochenbrücke hat sich an der Stelle gebildet, an der die
proximale Tibiametaphysenkante Druck auf die dislozierte Epiphyse im Bereich der Wachstumsfuge ausgeübt hat. d Bild nach erster Beinverlängerung vor der Pubertät. Nach der Pubertät wurde eine neuerliche Beinverlängerung mittels Kallusdistraktion zum Beinlängenausgleich notwendig
1977; Rahmanzadeh u. Hahn 1984; Ungerholm et al. 1985; van der Linden et al. 1975; Wilkins 1996). Die isolierte Tibiafraktur ist häufiger als eine komplette Unterschenkelfraktur zu beobachten (Briggs et al. 1992; Teitz et al. 1980). In etwa 90% liegt die Fraktur im mittleren und/ oder distalen Drittel des Schienbeins (Dietz et al. 1997; Karlsson et al. 1993; Shannak 1988). Mit fortschreitender Knochenentwicklung steigt die Widerstandskraft der Tibia gegen Rotationskräfte, sodass zunehmend die distale Wachs-
tumsfuge, als mechanisch schwächste Stelle, betroffen ist. Der Altersgipfel liegt um das 8. Lebensjahr, wobei Jungen etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Mädchen (Bengner et al. 1990; Cheng et al. 1999; Emami et al. 1996; Galano et al. 2005; Herold et al. 1998; Wilkins 1996). Toddler’s fracture Im Kleinkindesalter, etwa bis zum 4. Lebensjahr, wird der isolierte Bruch der Tibia »toddler´s fracture« ge-
22.2 Diaphyse
nannt (John et al. 1997; v. Laer 2001; Rockwood 1996). Die Besonderheit dieser Fraktur ist das plötzliche nicht mehr auftreten Können bzw. das Schonhinken eines Kleinkindes. Der Unfall wird oft nicht bemerkt. Der radiologische Nachweis anhand des Unfallbildes ist häufig nicht eindeutig möglich. Durch das stabile meist intakte Periost des Kleinkindes kann das Kind gehfähig bleiben, es hinkt jedoch oder tritt nur mit dem Zehenballen auf. Die Diagnose wird meist erst sekundär im Verlauf der Behandlung an der radiologisch nachweisbaren Kallusbildung und der Entkalkung des Frakturspalts infolge von Resorptionsvorgängen um den 10. Tag gestellt. Dieser spezielle Frakturtyp entsteht meist durch Außenrotation des proximalen Fragments bei fixiertem Fuß (undislozierter Drehbruch; Abb. 22.12 a,b). Da die Diagnose primär radiologisch meist nicht gestellt werden kann, wird die Extremität im Oberschenkelliegegips zunächst ruhiggestellt. Nach 10–14 Tagen, zum Zeitpunkt der Kontrolluntersuchung, sind die Kinder entweder beschwerdefrei, oder aber die Fraktur lässt sich radiologisch am sekundären Kallus nachweisen. Die Ruhigstellung im Gips wird dementsprechend etwa weitere 10 Tage fortgesetzt.
körperlichen Aktivität auf, z. B. nach langen Wanderungen oder im Leistungssport durch Wechsel der Trainingsquantität und -qualität auf. Auch wenn ein Sportart nach einer Verletzung wieder aufgenommen wird, kann es im Rahmen einer raschen Belastungssteigerung zu einer Stressfraktur kommen. Eine abrupte Trainingssteigerung ist die häufigste Ursache der Stressfraktur der Tibia bei Sportlern. Bei Mädchen sind Turnen, Tanzen, Gymnastik und Laufen die Hauptursache, bei Jungen Fussball und Sprungsportarten (s. Kap. 32). Diese Verletzungen werden häufig initial übersehen, zumal sie sich der konventionellen radiologischen Technik entziehen können. Die Stressfraktur an der Tibia kann auch im Verlauf an der physiologischen Entkalkung des Fissurspaltes und an der typischen Lokalisation an der proximalen und distalen Tibiametaphyse erkannt werden. Nach 10–14 Tagen ist meist die eintretende Kallusbildung oder eine Verdichtungslinie quer zur Knochenachse im Frakturbereich sichtbar. Stressfrakturen der Tibia lassen sich durch die MRT sehr gut diagnostizieren (s. Kap. 32). Vorteil dieser Untersuchung ist die gleichzeitige Abgrenzung von anderen Läsionen (z. B. Knochentumoren; Iwamoto u. Takeda 2003).
Stressfraktur Eine weitere Besonderheit stellt die Stressfraktur der Tibia dar. Diese ist ebenfalls im Nativröntgen nicht immer eindeutig nachweisbar (s. Kap. 32). Sie tritt in allen Altersgruppen auf. Wegweisend die meist lang andauernde Schmerzanamnese bzw. die Belastungsabhängigkeit der Beschwerden. Diese tritt oft nach Änderungen der
Klassifikation von Unterschenkelfrakturen und isolierten Tibiafrakturen Grundsätzlich werden die Frakturen der Diaphyse in Biegungsfrakturen und vollständige Frakturen unterteilt. Die vollständige Fraktur ist durch die Unterbrechung beider Kortikales gekennzeichnet. Weiterhin können diese Brüche quere oder schräge Frakturverläu-
Abb. 22.12 a,b. 1,5-jähriger Junge, der das rechte Bein nicht mehr belasten will, Unfallanamnese unklar, da die Eltern keinen Sturz bemerkt haben. a Unfallaufnahme ohne Frakturnachweis. b Das
Röntgenbild 2 Wochen nach dem Trauma zeigt eine sekundäre Kallusbildung an der dorsalen Kortikalis im Sinne einer Toddlerfraktur
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fe aufweisen. Zusätzlich werden Mehrfragmentfrakturen differenziert. Für die Behandlung ist die Beurteilung der Reststabilität des gebrochenen Unterschenkels wichtig, da sich daraus entsprechende Algorithmen ableiten lassen. Alle Frakturen, die nur eine Unterbrechung einer Kortikalis in der jeweils abgebildeten Ebene aufweisen (maximal 2 Kortikales in 2 Ebenen), sind stabil. Da es sich um ein paariges Knochensegment handelt, sind Verletzungen, die nur Brüche an einem Knochen zeigen, ebenfalls relativ stabil. Therapeutisch wird daher zwischen der isolierten Tibiafraktur und der Unterschenkelfraktur unterschieden (Abb. 22.13 a–d).
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Diagnostik Klinisch Die Frakturen der Tibia und des Unterschenkelschaftes sind gekennzeichnet durch Schwellung, begleitende Hämatomverfärbung und auch durch sichtbare Achsendeviationen, da der Weichteilmantel diese in der Frontalebene nicht verdeckt. Das Kind kann das Bein nicht belasten. Klinische Prüfungen der Stabilität (Manipulationen) sollten dem wachen Kind nicht zugemutet werden. Motorik, Sensibilität und Durchblutung distal der Frakturstelle sind jedoch stets zu prüfen, um z. B. ein Kompartmentsyndrom nicht zu übersehen. Die klinischen Zeichen des Kompartmentsyndroms sind starke Schmerzen, eine sensible Störung des N. tibialis anterior (N. dorsalis pedis) sowie häufig Sensibilitätsverlust oder -schwächung auf dem Fußrücken im Bereich zwischen dem 1. und 2. Metatarsale dorsal. Bei einem begleitenden Kompartmentsyndrom darf nicht gezögert werden, Gipse und Verbände sofort vollständig zu öffnen/spalten.
Abb. 22.13 a–d. Häufige Verlaufsformen kindlicher Frakturen am Schaft. a Querfraktur. b Schrägfraktur. c Biegungskeil, d Grünholzfraktur, e MehrfragmentTrümmerfraktur
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Auch im Kindesalter hat sich die Kompartmentdruckmessung bewährt (Vandervelpen et al. 1992; Abb. 22.14). Im Kindesalter sind Werte über 25–30 mmHg am Fuss und über 40 mmHg am Unterschenkel pathologisch. Im Kindesalter ist das vordere Unterschenkelkompartiment am häufigsten betroffen (Fußheberloge). Kompartmentsyndrome sind im Kindesalter seltener als im Erwachsenenalter, sie entwickeln sich jedoch rascher – bedingt durch den hohen Flüssigkeitsgehalt des kindlichen Körpers und die Enge der Muskellogen. Radiologisch Die konventionelle Röntgenaufnahme in 2 Ebenen mit Darstellung der angrenzenden Gelenke ist bei bestehenden klinischen Beschwerden ausreichend. In seltenen Fällen ist eine gezielte Aufnahme (Zentralstrahl) des Sprunggelenks erforderlich, wenn die Fraktur bis in die Epiphysenregion der Knochen einstrahlt. Ein Problem kann die nicht zur Darstellung kommende Toddlerfraktur sein (vgl. Abb. 22.12 a,b). Man sollte dabei die Diagnose nicht radiologisch erzwingen, sondern die Extremität ausreichend ruhig stellen und nach 10 Tagen eine klinische und ggf. eine radiologische Kontrolle durchführen. Beim klinischen Verdacht auf eine Stressfraktur im Schulalter und in der Adoleszenz ist die MRT Methode die Wahl zur Diagnosesicherung. Therapie Therapeutisch ist es sinnvoll, die isolierte Tibiafraktur von den Unterschenkelbrüchen zu differenzieren. Isolierte Tibiafraktur Meist handelt es sich dabei um Drehbrüche (90%), die einen schrägen bzw. spiralförmigen Frakturverlauf aufweisen. Quer- und Grünholzfrakturen kommen seltener vor.
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22.2 Diaphyse
Abb. 22.14. Kompartmentdruckmessung. Pathologisch sind auch beim Kind Werte >40 mmHg
Dislozierte Querbrüche sind immer Ausdruck einer direkten Krafteinwirkung auf den Unterschenkel. Bei intakter Fibula ist die Varusfehlstellung durch Verkürzung der tibialen Fraktur die häufigste primäre und sekundäre Fehlstellung. Zusätzlich kann sich die Fraktur in eine Rekurvation verschieben. Diese kann zusätzlich in Kombination mit einer Rotationsfehlstellung vorkommen. Das Ausmaß der initialen Dislokation korreliert mit der Frakturform, z. B. Ausbruch eines kompletten Drehkeils mit stärkerer Dislokation (Yang u. Letts 1997). Therapieziel ist es, eine bestehende Varus-Rekurvations- oder Rotationsfehlstellung zu beseitigen und in weiterer Folge zu verhindern. Bei langen Schrägfrakturen darf die Verkürzung maximal 5 mm betragen (Chiu et al. 1996; Coles u. Gross 2000; Sim 1991; Teitz et al. 1980).
Abb. 22.15. a Distale Tibiaschaftfraktur mit Grünholzfraktur der proximalen Fibula eines 13-jährigen Jungen, die minimal disloziert war. Es erfolgte die konservative Therapie mit Reposition in Analgosedierung in der Ambulanz. b Achsengerechte Stellung nach einer Woche. c Ausheilungsbild nach 5 Wochen. Bei intakter Membrana interossea kommt es kaum zur Verkürzung, sodass sich für diese Frakturform eine konservative Behandlung eignet
Konservative Therapie ohne Reposition. Bei nicht oder wenig verschobenen Frakturen (<10° Angulation, maximal 5 mm Verkürzung) wird primär ein Oberschenkelspaltgipsverband angelegt. Beim Anmodellieren des Gipses wird »gegen Varus«, also in Valgusrichtung und gegen eine Rekurvation die Fraktur gehalten, um einer sekundären Dislokation entgegenzuwirken. Der initiale Gips muss immer gespalten werden. Wir bevorzugen den konventionellen Gips gegenüber den Kunststoffgipsen, um die Frakturen auch sekundär keilen zu können. Kommt es innerhalb der ersten Behandlungswoche zur sekundären Varus- oder Rekurvationsfehlstellung, wird der Gips handbreit proximal der Fraktur gekeilt. Dazu wird der Gipsverband an der konkaven Seite der Fehlstellung (bei Varus medial!) quer teildurchtrennt (80–90% der Zirkumferenz) und die so entstandenen Ränder gespreizt. Die Keilung erfolgt ohne Narkose, etwa am 10. Tag nach dem Unfall. In den so geschaffenen Spalt wird ein passender elastischer Kunststoff- oder Korkkeil eingebracht. Die Keilung erfolgt bis knapp zur Schmerzgrenze, Schmerzen nach der Keilung sind ungewöhnlich und erfordern eine Gipsabnahme. Die Familie muss darüber aufgeklärt werden, dass dies nach der Keilung zu Hause auftreten kann. Abschließend wird der Bereich durch zirkuläre Gipstouren »repariert«. Alternativ kann nach 10 Tagen auch umgegipst werden. Unter Analgosedierung lassen sich diese Frakturen gut anmodellieren und im Gips korrekt retinieren (Shannak 1988; Abb. 22.15 a–c). Konservative Therapie mit Reposition. Nur selten muss aufgrund einer ausgeprägten Rotations- oder Varus-Rekurvations-Fehlstellung initial die Indikation zur Reposition in Narkose gestellt werden. Dies ist bei den seltenen dislozierten Querfrakturen der Fall. Auch bei initial gutem Repositionsergebnis kann es durch
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Kapitel 22 Unterschenkel
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neuerliche Verkürzung zur sekundären Dislokation bei Vorliegen eines kompletten Drehkeils kommen. Die Röntgenkontrolle am Ende der ersten Woche ist obligat (Abb. 22.16 a–e). Rotationsfehler werden in keinem Alter toleriert. Bei Kindern <10 Jahren können Varusfehler bis 10°, Valgusfehlstellungen bis 5°, Re- und Antekurvationsfehlstellungen bis 10° toleriert werden. Verkürzungen sollten 5 mm nicht überschreiten (Varusfehlstellung bei intakter Fibula!; Breitfuss et al. 1991; v. Laer et al. 1989; Marti u. Besselaar 1991). Operative Behandlung. Häufigste Operationsindikation ist ein begleitender geschlossener oder auch offener (Levy et al. 1997; Song et al. 1996) Weichteilschaden, der eine Gipsbehandlung verbietet oder sogar eine Kompartmentspaltung notwendig macht. In diesen Fällen verwenden wir den unilateralen, anteromedial montierten Fixateur externe, der auch eine rasche Belastung ermöglicht (Jones u. Duncan 2003). Bei der operativen Therapie werden keine oder maximal 5° Achsenfehler toleriert, wobei eine Distraktion der Fraktur vermieden werden muss. Bei Jugendlichen mit Epiphysenfugen, die sich bereits verschließen, kann über eine intramedulläre Marknagelung, wie sie bei Erwachsenen durchgeführt wird, nachgedacht werden, da die Immobilisationsdauer bei konservativer Therapie nicht unerheblich ist und Achsenfehlstellungen in keiner Weise akzeptiert werden dürfen. Unterschenkelschaftbruch Durch gleichzeitigen Bruch des Schien- und Wadenbeins steigt der Instabilitätsgrad an. Zwar fällt die Tendenz der isolierten Tibiafraktur zur Varusfehlstellung weg, dafür sind aber Fehlstellungen in allen anderen Richtungen häufiger. Ein wesentlicher Bestandteil der
Abb. 22.16 a–e. a Refraktur der Tibia mit Rekurvationsfehlstellung (7-jähriger Junge). b Intraoperative Reposition sowie Brechen der Gegenkortikalis. c Röntgenkontrolle nach einer Woche. d Ausheilung in achsengerechter Stellung nach 4 Wochen. e Funktionskontrolle nach 6 Wochen ohne Gips
Therapieplanung besteht im initialen Abschätzen und Festlegen des Instabilitätsgrades der Verletzung (Flynn et al. 2003). Die Instabilitätskriterien sind: 1. Dislokation der Tibia um Schaftbreite oder mehr, 2. Bruch beider Knochen auf gleicher Höhe und 3. eine primäre Verkürzung der Tibia um 1 cm oder mehr. 4. Als stabil gilt ein Biegungs- oder Wulstbruch der Fibula, die in diesem Fall als Stabilisator fungieren kann. Neben dem Instabilitätsgrad wird das geeignete Therapieverfahren von der Weichteilsituation mitbestimmt. Für die Behandlung eines Kompartmentsyndroms und einer Weichteilverletzungen im Rahmen offener Frakturen gelten die gleichen Kriterien wie bei Frakturen im Erwachsenenalter (Jones u. Duncan 2003; Jubel et al. 2004; Prevot et al. 1993; Sim u. Schaden 1990).
22.2 Diaphyse
Konservative Therapie ohne Reposition. Alle unverschobenen Frakturen können konservativ behandelt werden. Alle primär als stabil eingeschätzten Brüche werden unter exakter Kontrolle der Rotation mit einem Oberschenkelspaltgips versorgt. Nach Anlegen des Gipsverbandes erfolgt in jedem Fall eine Röntgenkontrolle nach 7–10 Tagen, um eine sekundäre Dislokation auszuschließen. Bei einer inakzeptablen Stellung muss die Fraktur entsprechend gekeilt, umgegipst oder operativ versorgt werden. Klinischer Hinweis Verkürzungen von maximal 1 cm werden bis zum 10. Lebensjahr toleriert, solange keine Seit-zu-SeitVerschiebung der Tibia um >50% vorliegt, wie dies gelegentlich bei langen Schrägfrakturen der Fall sein kann. Varusfehlstellungen bis zu 10° können belassen und am 10. bis 12. Tag durch Gipskeilen oder Umgipsen korrigiert. Valgus- und Rotationsfehler >5° werden nicht toleriert. Bei älteren Kindern wird die achsengerechte Stellung auch in der Frontalebene angestrebt. Für Ante- und Rekurvation gilt eine Toleranzgrenze von jeweils 10°.
Nach dem Gipskeilen/Umgipsen erfolgt in jedem Fall eine Röntgenkontrolle. Die Keilung braucht einige Tage bis sie sich endgültig einstellt. In unserem Hause werden Keilungen nach einer Woche radiologisch überprüft. Sollte nach der Reposition durch Keilen am Ende der ersten 10 Tage keine Verbesserung der Frakturstellung erzielt werden, muss das Therapiekonzept überprüft werden. Wie empfehlen in dieser Situation, die komplette Unterschenkelfraktur definitiv durch eine Osteosynthese zu versorgen, um weitere sekundäre Stellungskorrekturen zu vermeiden.
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Konservativ mit Reposition. Primär instabile Frakturen werden im Operationssaal in Narkose reponiert. Auf jeden Fall muss es gelingen, eine bestehende Seitzu-Seit-Verschiebung der Tibia um >50% Schaftbreite bei Querfrakturen zu reponieren. Gelingt dies geschlossen, wird die Stabilität bezüglich der Seit-zu-Seit-Redislokation beurteilt. Gelingt es weiterhin, die oben genannten Fehlstellungstoleranzwerte zu unterschreiten und die Fraktur zu »verzahnen«, so lässt sich die Fraktur in der Regel gut im Oberschenkelgipsverband halten. Ein konservatives Vorgehen ist nur dann indiziert, wenn keine dieser Fehlstellungen wieder im vorbestehendem Ausmaß auftritt, da es im Gipsverband nur möglich ist, die Achsen um einen Fixpunkt (Fraktur) zu halten. Als Grundregel gilt, dass das Erzielen eines ausreichend stabilen Fixpunktes bei Querfrakturen prinzipiell möglich ist. Je schräger der Frakturverlauf und je höher die Anzahl der Fragmente, umso unwahrscheinlicher wird es,
einen derartigen Fixpunkt zu erhalten und die Fraktur erfolgreich konservativ behandeln zu können. Operatives Vorgehen. Eine absolute Operationsindikation besteht für die folgenden Frakturen: 쐌 bei allen geschlossenen instabilen Unterschenkelfrakturen 쐌 sowie irreponiblen und nichtretinierbaren Frakturen und 쐌 bei allen offenen Frakturen 쐌 oder Frakturen mit behandlungsbedürftigen Weichteilschäden (Jones u. Duncan 2003; Vinz u. Kurz 1980). Wenn der Weichteilschaden außer einer Naht keine weitere Behandlung erfordert, kann konservativ vorgegangen werden. Eine relative Indikation zur Osteosynthese besteht bei 쐌 einer Fraktur, bei der eine sekundäre Korrektur oder ein Gipswechsel nach 8–10 Tagen wahrscheinlich ist, 쐌 Frakturen bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma 쐌 oder Polytrauma sowie Kettenfrakturen (»floating knee«; Bhandari et al. 2003; Letts et al. 1986; Teitz et al. 1980; Abb. 22.17 a–i, Abb. 22.18 a–c) (Alter >14 Jahre). Dies gilt ferner für alle Frakturen bei Jugendlichen, um diesen die lange Gipsruhigstellung und die häufig notwendigen sekundären Nachrepositionen zu ersparen. Dies kann nur in Absprache und nach ausführlicher Aufklärung über die möglichen Komplikationen erfolgen (Court-Brown et al. 2003; Abb. 22.19 a–c). Auf die Darstellung der konservativen Therapie durch Dauerzug (Extension) wird an dieser Stelle verzichtet, da diese Therapieform nicht mehr durchgeführt oder empfohlen wird. Sie ist Ausnahmesituationen bei kreislaufinstabilen schwerverletzten Patienten, die keiner Narkose zugänglich sind, vorbehalten. Ergibt sich die Indikation zur Operation, weil es nicht möglich ist, die Fraktur zu reponieren oder ausreichend sicher zu retinieren, wird die elastische Schienung des Markraumes, durch 2 vorgespannte, elastische intramedulläre Drähte in der Literatur empfohlen (Ando u. Yamaji 2000; Court-Brown et al. 2003; Dietz et al. 1997; Flynn et al. 2003; Huber et al. 1996; Rehli u. Slongo 1991; Schmittenbecher 2001; Schmittenbecher u. Dietz 1995; Teitz et al. 1980; Till et al. 2000; Vara-Thorbeck et al. 1989). Intramedulläre Markraumschienung. 쐌 Indikation: Quer- und kurze Schrägfrakturen im mittleren Schaftdrittel sowie quere Etagenfrakturen. Die Grenzen des Verfahrens sind einerseits durch den Frakturtyp und andererseits durch das Patientenalter gegeben. Metaphysäre Brüche stellen ebenso Grenzindikationen dar, wie Frakturen mit längerer Trümmerzone und vielen Fragmenten. Erreichen die Kinder das 12. Lebensjahr, kann besonders bei höherem Körpergewicht mit dieser Methode keine sichere be-
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Abb. 22.17. a–f Ein 9-jähriger Junge zog sich eine offene Unterschenkelfraktur mit Weichteilschaden Typ III nach Gustillo und Anderson zu. Es erfolgte eine gelenküberbrückende Fixateur-externe-Anlage. Ausgiebiges Débridement und Jet-Lavage. Weichteildeckung durch freien Lappen des M. latissimus dorsi. Der Junge führte die Fixateur-externe-Pflege zusammen mit seiner Mut-
ter durch. Klinisches Ausheilungsbild mit deutlich eingeschränkter Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk und geringer Spreizfußstellung im Rahmen einer primären N.-peronaeus-Läsion. g Das Unfallbild zeigt eine komplette Unterschenkelschaftfraktur. h Spongiosaplastik und Fixateur-externe-Anlage bis zur Ausheilung. i Verlaufskontrolle nach 10 Monaten
lastungsstabile Retention erreicht werden. Entweder findet dann eine Fixateur-externe-Anlage primär statt oder es wird zusätzlich ein Fixateur zur Stabilisation für 3 Wochen appliziert. In manchen Fällen reicht es, die Extremität über 2–3 Wochen zu entlasten. Alternativ kann eine Verriegelung durchgeführt werden (Madan u. Blaeway 2002). Die Drähte können sowohl antegrad als auch retrograd eingebracht werden, wobei selbstverständlich eine Verletzung der Epiphysenfugen und der proximalen Apophyse (Tuberositas tibiae) zu vermeiden ist.
쐌 Vorteile: Schnellere Belastbarkeit der Extremität, die Beurteilung der Weichteile ist zu jedem Zeitpunkt möglich. 쐌 Nachteile: Zweiteingriff zur Entfernung der Implantate. Mögliche Drucksteigerung durch intramedulläres Bohren in den Kompartmentlogen. Um das Einbluten möglichst gering zu halten, sollte der Zugang nur locker adaptierend genäht bzw. ein Drain eingelegt werden (ohne Sog!). 쐌 Kontraindikationen: Im distalen bzw. proximalen Drittel des Schaftes gelegene Frakturen, zweit- und
22.1 Proximaler metaphysärer Unterschenkel
Abb. 22.18. a »Floating-knee-Verletzung« mit Weichteilschaden. Dislozierte Salter-Harris-II-Verletzung, distale Femur- und Tibiaschaftfraktur (3-jähriger Junge, Überolltrauma durch zurücksetzenden PKW). b Verschraubung des metaphysären Keils am distalen Femur mit 2 kanülierten Schrauben, die Führungsdrähte wurden belassen, um eine leichtere Auffindung und perkutane Entfer-
nung der kanülierten Schrauben bei der Metallentfernung zu ermöglichen. Da die Tibiafraktur aufgrund des Weichteilschadens nicht konservativ behandelt werden konnte, wurde diese mit einem intramedullären Draht zur Achsenstabilisierung und erleichterten Pflegebedingungen stabilisiert. c Ausheilungsbild 4 Monate nach dem Unfall
Abb. 22.19. a 15-jähriger Junge. Unfall als Mopedbeifahrer. Er zog sich eine Tibiaschaftfraktur und eine Übergangsfraktur am oberen Sprunggelenk auf der gleichen Seite zu. b Verschraubung der Gelenkfraktur mit kanülierten Schrauben, Versorgung der Schaft-
fraktur mit Trigen-Nagel (Smith & Nephew) unter proximaler und distaler Verriegelung. c Kontrolle nach 4 Wochen, weiterhin achsengerechte Stellung bei bereits komplett durchbauter Gelenkfraktur
drittgradig offene Frakturen sowie bei Kompartmentsyndrom. 쐌 Anästhesie: Allgemeinnarkose, nur bei Kindern kann die Spinalanästhesie angewendet werden. 쐌 Antibiose: Bei Operationen über 1,5 Stunden verabreichen wir eine »Single-shot-Antibiotikumtherapie«, bei offenen Frakturen wird das Antibiotikum für 3 Tage verabreicht, ggf. nach Klinik entsprechend länger.
쐌 Lagerung (Abb. 22.20 a–f): Rückenlagerung, wobei das Knie mit einem Kissen unterpolstert wird. Insgesamt wird das Bein frei beweglich (Knie- und Spunggelenk müssen zugänglich sein) abgewaschen. Eine Blutsperre ist nicht notwendig. 쐌 Implantate: Die Stärke der Schienen ist dem Markraumdurchmesser anzupassen, wobei der Implantatdurchmesser einer Markraumschiene ein Drittel des Markraumdurchmessers in Schaftmitte im Röntgen-
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Kapitel 22 Unterschenkel Abb. 22.20. a Lagerung. b Inzision. c Pfiemeinbringung
a
b
bild an der engsten Stelle betragen sollte (Dietz et al. 1997). Die Drähte werden in 2 Ebenen vorgebogen) und von medial und lateral in den Markraum eingebracht, dadurch entsteht für jeden Draht eine Dreipunktabstützung, wodurch sich eine belastungsstabile Osteosynthese ergibt, da die Drähte gegenläufig im Markraum zu liegen kommen. 쐌 Zugang: Mediale und laterale Inzisionen an der proximalen Tibiametaphyse. Es darf nicht zu proximal und vorne eingegangen werden, da sonst durch die Form des Tibiakopfes die Drähte nur noch passiv nach distal laufen und die Wachstumsfuge der proximalen Tibia, die vorne in die Tuberositas tibiae verläuft, gefährdet wird. Sie sollten also idealerweise erst im Schaftbereich die Gegenkortikalis berühren. Weiterhin ist es wichtig, dass beide Schienen gleich
c
gebogen, gleiche Stärke und in gleichen Höhe platziert werden. Nach Setzen der Inzision, die in Höhe der Tuberositas tibiae liegt und jeweils 2 Fingerbreit lateral und medial erfolgt, werden mit der Schere die Weichteile bis zum Knochen aufgespreizt. Setzen des Pfriems. Das Bohrloch sollte in einem Winkel von 40–60° zur Schaftachse der Tibia verlaufen. Beide Eintrittspunkte sollten auf gleicher Höhe liegen. Einbringen der Drähte, wobei mit dem Handgriff oder mit dem Einschlagwerkzeug die Schienen unter kleinen hin und herdrehenden Bewegungen vorangeschoben werden. Unter Bildwandlerkontrolle wird die Fraktur aufgefädelt und die Schienen bis in die distale Tibia eingebracht (Abb. 22.21 a–g, Abb. 22.22 a–n). Die Schienen sollten unmittelbar vor der distalen Wachstumsfuge platziert werden (Abb. 22.23 a–c).
22.2 Diaphyse
d
Abb. 22.20. d Auffädeln der Fraktur. e Verankerung distal. f Verriegelung
e
f
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Kapitel 22 Unterschenkel
Abb. 22.21. a Intraoperative Lagerung mit frei beweglich abgedeckten Bein, wichtig ist die Positionierung des Bildwandlers gegenüber dem Operateur, damit er sich nicht umdrehen muss. b Markierung die Inzisionshöhe und maximale Länge. c Ausmessen der Länge (Kinder-Ender-Nägel mit Verriegelungsöse). d Vorbiegen des Drahtes, wobei zunächst die Spitze gebogen wird, anschlie-
ßend die Biegung in der Frontalebene und entsprechend dann in der Sagittalebene um eine möglichst gute Vorspannung zu erreichen. e Pfriemeinbringung unter Bildwandlerkontrolle. f Pfriemeinbringung in einem Winkel von ungefähr 45° zur Schaftlängsachse und Erweiterung des Lochs durch drehende Pfriembewegungen
22.2 Diaphyse
Abb. 22.21. g Einbringung der Verriegelungsbolzen aus Titan
Da der Tibiaquerschnitt dreieckig ist, kann zur Erhöhung der Stabilität ein dritter Nagel mittig platziert werden. So kann eine zusätzliche Fixateur-externe-Anlage oder Gipsanlage vermieden werden (Abb. 22.24 a–c). Weiterhin sind Nägel aus Titan besser geeignet. Anschließend werden in unserer Klinik alle Schrägfrakturen (über 30° Anstieg zur Horizontalen) oder Frakturen mit Biegungskeil bzw. Defektzone proximal verriegelt, um Übungsstabilität zu erreichen. Entsprechendes Kürzen der Drähte ist wichtig, um eine sekundäre Perforation an den Einschlagstellen zu verhindern. Ist es schwierig, den Bruchbereich geschlossen exakt zu reparieren und die Drähte unterzubringen, stehen verschiedene Problemlösungsmöglichkeiten zur Auswahl (Abb. 22.25 a–j).
Abb. 22.22 a–n. Bildwandlerdarstellung. a Einbringen des Pfriems. b Vorbringen des ersten Drahtes, der außerhalb des Frakturspalts zu Liegen kommt, bis zur Fraktur. c Durch Drehen der Spitze gelingt es, den Draht besser intramedullär zu platzieren. d,e Durch Drehen des Drahtes kann die Fraktur reponiert werden. f Einbringen des zweiten vorgespannten Drahtes. g Auffädeln der Fraktur
mit beiden Drähten. Weiter Vorschieben des Drahtes. i Durch Drehen wird die Frakturstellung verändert. j Korrektes Anspannen des Markraums ohne Korkenziehereffekt. k,l Durch Drehen der Drähte sowie Vorbringen derselben auf die gleiche Höhe wird die Reposition definitiv herbeigeführt. m Proximal Aufsuchen des Verriegelungsloches. n Einbringen der Verriegelungsbolzen
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Abb. 22.22 e Durch Drehen des Drahtes kann die Fraktur reponiert werden. f Einbringen des zweiten vorgespannten Drahtes. g Auffädeln der Fraktur mit beiden Drähten. Weiter Vorschieben des Drahtes. i Durch Drehen wird die Frakturstellung verändert. j Korrektes Anspannen des Markraums ohne Korkenziehereffekt
22.2 Diaphyse
Abb. 22.22. k,l Durch Drehen der Drähte sowie Vorbringen derselben auf die gleiche Höhe wird die Reposition definitiv herbeigeführt. m Proximal Aufsuchen des Verriegelungsloches. n Einbringen der Verriegelungsbolzen
Abb. 22.23 a–c. Klinisches Beispiel intramedullär eingebrachter Kinder-Ender-Nägel in der Tibia bei instabiler Unterschenkelschaftfraktur
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Kapitel 22 Unterschenkel
Es erfolgt der Wundverschluss sowie ein Pflasterverband, eine zusätzliche Ruhigstellung erübrigt sich. Postoperativ werden die Kinder in einer Schaumstoffschiene gelagert, größere Kinder hingegen auf einer CPMSchiene. Die Kinder dürfen entsprechend den Schmerzen mobilisiert werden.
a
Abb. 22.24. a Schemazeichnung bei Einbringung von 3 intramedullären Nägeln. b Das Unfallbild zeigt eine komplette Fraktur am Übergang von der Diaphyse zur Metaphyse mit einer langen schrägen Fraktur der Tibia. c Versorgung mit 3 intramedullär eingebrachten Nägeln, wovon jeweils ein medial und ein lateral eingebrachter Nagel proximal verriegelt wurden, um ein Herausrutschen zu verhindern und eine Frühbelastung zu ermöglichen
Tipps und Tricks 쐌 Der Assistent sollte die Schiene während des Einschlagens mit der Hand führen, um die Vibrationen des Implantates und ein Abknicken der Schiene beim Einschlagen zu verhindern. 쐌 Eine korkenzieherartige Schieneneinbringungen ist zu vermeiden, da es dabei zu einem Stabilitätsverlust kommt (Abb. 22.26 a–d). 쐌 Proximal müssen die Schienen ausreichend mit Weichteilgewebe bedeckt sein, sonst kommt es zu sekundären Perforationen der Drahtenden nach Abschwellung der Weichteile. 쐌 Bei der Reposition kommen verschiedene Techniken zur Anwendung. Manche Frakturen sind leichter unter Zug zu reponieren. Falls ein Druckbzw. Gegendruck in Frakturhöhe erzeugt werden muss, kann bei der Durchleuchtung anstelle der Hände ein Holzhammer (strahlendurchlässig) proximal oder distal der Fraktur platziert werden. 쐌 Am Ende erfolgt manuell das Stauchen der Fraktur, da eine Distraktion vermieden werden sollte. Dabei kann es zum Zurückrutschen und sogar zur Perforation der Drähte kommen. Diese müssen dann korrekt gekürzt werden. In solchen Fällen ist die proximale Verriegelung durch die Ösen ein Vorteil. 쐌 Nur in Ausnahmefällen wird die intramedulläre Schienung mit einem Fixateur externe kombiniert. Dieses Vorgehen wird angewandt, wenn aufgrund der Frakturform eine zusätzliche Gipsfixation zur intramedullären Osteosynthese (Grenzindikation) vorgenommen werden muss, dies aber aufgrund der Weichteilsituation nicht möglich ist. Kann man davon ausgehen, dass das Weichteilproblem innerhalb von 14 Tagen gelöst ist, kann der Fixateur nach 3 Wochen abgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt ist meist keine Gipsfixation mehr notwendig.
쐌 Fehler, Gefahren, Komplikationen: Handelt es sich um Adoleszente, so kommt es bei der intramedullären Schienung mitunter zu hypertrophen Pseudarthrosen, die sich aber im Gegensatz zu Erwachsenen noch über Monate durchbauen können. Wir behandeln solche Situationen einmalig mit einer Stoßwellentherapie, um die Frakturdurchbauung zusätzlich anzuregen; ein Umnageln konnte in allen
22.2 Diaphyse
Abb. 22.25. a,b Möglichkeiten zur Erhöhung der Stabilität bei elastisch stabiler Marknagelung (ESMN) an der unteren Extremität. a Durch starke Drahtvorspannung (Biegung in den beiden Ebenen) zum maximalen Ausspannen der Drähte im Frakturbereich. b Verriegelung des knienahen Nagelendes. Dies funktioniert auch bei Titanmarkschienen. Es muss dabei allerdings das Öhr selbst angefertigt werden Beim Einbringen muss auf die Schonung der Fuge geachtet werden.Andernfalls kann es zu einem frühzeitigen Verschluss mit Genu recurvatum kommen. c,d Frakturreposition für ESMN, Einbringung des ersten Drahtes, cave: Keine Gewalt anwenden! Wenn die Reposition zunächst nicht gelingt, eher Längszug nachlassen und über ursprüngliche Frakturfehlstellung versuchen, eine Reposition bzw. eine Passage der Fraktur mit dem ersten Markdraht zu erreichen. e–j Erleichterte Einbringung des zweiten Drahtes im Frakturbereich
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Kapitel 22 Unterschenkel
Abb. 22.25. e–g Winkelkorrektur bei diaphysären Unterschenkelschaftfrakturen bei ESMN mit Drehung des 1. Drahtes um 180°, Einbringtiefe distal 5–6 cm ergibt eine Winkelkorrektur an der
Frakturstellung. h–j Korrektur einer Seitverschiebung mit dem ersten Draht, Draht distal nur 1–2 cm eingebracht, Drahtdrehung um 180° ergibt eine Seitverschiebung
Fällen vermieden werden. Wir empfehlen allerdings in der Adoleszenz die Versorgung mit einem (Erwachsenen-) Marknagel. Dagegen müssen Infektpseudarthrosen entsprechend saniert und operativ versorgt werden. Dies wird entsprechend den Kriterien der Erwachsenentraumatologie durchgeführt. Das radikale Débridement ist die Therapie der Wahl auch im Kindesalter. Dies ist allerdings im Kindesalter selten notwendig – vor allem nach zweit- und drittgradig offenen Frakturen (Cramer et al. 1992; Jones u. Duncan 2003). Die schlimmste Komplikation stellt der posttraumatische tiefe Infekt dar. Gerade im Wachstum hat dies oftmals weitreichende Folgen, und mehrere Operationen stehen anschließend an.Im Kindesalter ist die Infektrate nach offenen Frakturen geringer als im Erwachsenenalter (Cramer et al. 1992; Jones u. Duncan 2003). Dennoch ist jede Indikation einer Osteosynthese exakt anhand klarer Richtlinien zu erstellen (Abb. 22.27 a–f).
Sanctis et al.1996; Gordon et al.2000,2003; Holbrook et al. 1989; Paderni et al. 2001; Platz u. Kach 1996; Siegmeth et al. 1998; Weinberg et al. 1994; Abb. 22.28a–e). Das Einbringen der Pins erfolgt bevorzugt von anteromedial. Theoretisch kann ein Fixateur externe auch an der Vorderseite proximal in einem Halbkreis von 220°, an der Diaphyse von 140° und an der distalen Metaphyse von 120° platziert werden. Es hat sich bewährt, den ersten Pin etwa 2 cm zur Fraktur und den zweiten möglichst weit weg von der Fraktur in der Metaphyse zu platzieren. Die Distanz außerhalb der Weichteile sollte möglichst kurz sein, aber einen Verbandswechsel unter dem liegenden Fixateur externe ermöglichen. Zur Verstärkung der Montage können mehrere Stangen notwendig werden, und auch eine V-förmige Konstruktion proximal oder distal erhöht die Stabilität. Zur Reposition kann auch eine »Tube-to-tube-Konstruktion« hilfreich sein. Da Kinder unterschiedliche Größen aufweisen und das Gewicht der Montage altersentsprechend nicht zu hoch sein darf, verwenden wir Fixateure in verschiedenen Größen (Abb. 22.29 a–c).
Fixateur externe. 쐌 Indikation: Der Fixateur externe ist beim Vorliegen von instabilen metaphysennahen Frakturen, bei Trümmerfrakturen, schweren Weichteiltraumen und bei offenen Frakturen vorzuziehen, ebenso bei Kindern ab dem 12. Lebensjahr, die aufgrund erheblicher Adipositas nicht für die intramedullären Implantate geeignet sind (de
DCP-Platte. Bei instabilen metaphysennahen und Trümmerfrakturen, die geschlossen sind, ist die Indikation zur Plattenosteosynthese auch im Kindesalter – vor allem über dem 10. Lebensjahr – gerechtfertigt. Die ope-
22.2 Diaphyse
rative Technik und die Zugänge entsprechen den Versorgungsrichtlinien von Erwachsenen (s. den Band Unterschenkel, herausgegeben von R. Szyszkowitz in der Reihe Tscherne Unfallchirurgie). Kompartmentspaltung. Ziel der Kompartmentspaltung ist es, einen normalen Gewebedruck in allen 4 Logen des Unterschenkels zu erreichen und zu halten (McQueen u. Court-Brown 1996; Tiwari et al. 2002; Vandervelpen et al. 1992; Whitesides et al. 1975). Grundsätzlich gibt es 2 Zugänge am Unterschenkel zur Kompartmentspaltung. Entweder werden alle 4 Kompartimente von lateral eröffnet oder 2 von lateral (Fußheber, Peronaeusloge) und 2 von medial (oberflächliche und tiefe Wadenloge). Wir empfehlen die Spaltung über 2 Inzisionen, da eine Kompartmentspaltung im Kindesalter viel seltener vorkommt als im Erwachsenenalter und die beidseitige Inzision technisch und anatomisch einfacher durchzuführen ist. Die Entlastung der Fußheber und Peronaeusloge wird durch eine laterale Inzision, die vom Fibulaköpfchen bis zur Außenknöchelspitze reicht, vorgenommen. Medial wird 1 cm hinter der Schienenbeinkante inzidiert. Bei zusätzlichem Fußkompartiment wird die laterale Inzision nach distal vorne zwischen beide Knöchel ziehend erweitert (Abb. 22.30 a–c). Es wird die Faszie über dem M. tibialis anterior aufgesucht und langstreckig bis nach distal inzidiert. Anschließend wird die Faszie des M. peronaeus longus aufgesucht. Dort wird wiederum eine langstreckige Inzision zur Entlastung der Peronaeusloge gesetzt.
Abb. 22.26. a Eine Grenzindikation stellt die proximale Diaphyse am Übergang zur Metaphyse dar. In diesem Bereich kann keine stabile Versorgung erfolgen, da die Nägel sich immer in Höhe der Fraktur kreuzen und der Effekt der Ausspannung, wie dies in Schaftmitte vorliegt, nicht möglich ist. b Nach 3 Wochen kam es zur zunehmenden Achsenfehlstellung in der Frontalebene, sodass auf Fixateur externe umgestiegen wurde, eine DCPPlatte stellt ebenfalls eine Alternative in diesem Bereich dar. c Die korkenzieherartige Einbringung der Markdrähte (»Verwickeln der Drähte«) bzw. mehr als zweifache Überkreuzung der Drähte mindert die Stabilität der Osteosynthese deutlich
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Kapitel 22 Unterschenkel
Der N. peronaeus superficialis läuft im Septum und zieht dann subkutan nach vorne und muss geschont werden (Abb. 22.31 a–i). Zwischen diesen Muskellogen findet sich das Septum zwischen den Mm. tibialis anterior/extensor digitorum longus ventral und den Mm. peronaei lateral. Das Septum zieht zur Fibulavorderkante. Die Entlastung der Flexorenlogen erfolgt von medial. Die Hautinzision wird entlang der medialen Tibia(hinter)kante vorgenommen. Anschließend erfolgt die Faszienspaltung dorsal der V. saphena magna und des N. saphenus. Die Nachbehandlung erfolgt in zwei- bis dreitägigen »Second-look-Operationen« und schrittweisem Wundverschluss. Wir legen routinemäßig Vakuumverbände an und verzichten auf Korsettnähte. Ein Hautverschluss sollte innerhalb von 2 Wochen erzielbar sein. Nachbehandlung Isolierte Tibiafraktur Klinisch. In Abhängigkeit des Patientenalters ist die knöcherne Konsolidierung innerhalb von 3–8 Wochen zu erwarten. Alle Kinder erhalten einen gespaltenen kurzen Ober- oder Unterschenkelgips. Eine Ausnahme stellen kleine Kinder bis zum 5. Lebensjahr dar. Diese erhalten immer im Kniegelenk einen Oberschenkelgips (sie streifen den Gips sonst sehr leicht ab). Da ein Umgipsen sparsam erfolgen sollte (Angst, Schmerz), wird dieser selten gewechselt. Bei der isolierten Tibiafraktur kann schon nach einer Woche an Unterarmgehstützen mit der Teilbelastung angefangen werden. Die Vollbelastung sollte in der 3. Woche erreicht werden. Bei Kindern vor dem 5. Lebensjahr ist der Gang an Unterarmgehstützen meist noch nicht möglich. In diesem Fall wird auf die selbständige Mobilisierung innerhalb von 2–4 Wochen gewartet. Radiologisch. Alle abrutschgefährdeten Frakturen werden nach einer Woche hinsichtlich einer sekundären Dislokation kontrolliert. Stabile Brüche werden bis zum Alter von 10 Jahren erst nach der 3. Woche bezüglich der Durchbauung kontrolliert. Alle Kinder über dem 10. Lebensjahr werden nach 14 Tagen erneut radiologisch kontrolliert.
Abb. 22.27. a Komplette Unterschenkelfraktur mit geschlossenem Weichteilschaden Grad II. b Als Primärversorgung wurde eine intramedulläre Schienung durchgeführt. Im weiteren Verlauf kam es zum Infekt (2 Monate postoperativ). c Dieser wurde débridiert und zwischendurch eine Gentamycin-Kette eingelegt. d Anschließend wurde ein Segmenttransport durchgeführt. Wegen einer Refraktur 9 Monate nach dem Unfall wurde eine Weiterbehandlung mit Spongiosaanlagerung und Ringfixateur vorgenommen (IlizarovApparat). e Nach 18 Monaten Abnahme des Ringfixateurs und Unterschenkelgehgips. f Freies Gehen nach 20 Monaten, Tibiafraktur konsolidiert
CAVE
770
22.2 Diaphyse
220°
140°
N. peroneus communis
140° N. peroneus superficialis N. peroneus profundus
120°
a
b
c
d
Abb. 22.28 a–e. Fixateur-externe-Anlage an der Tibia: Höhenabhängig finden sich unterschiedliche Winkel, in denen der Fixateur an der Tibia problemlos eingebracht werden kann (vorzugweise anteromedial)
e
771
772
Kapitel 22 Unterschenkel
Abb. 22.29. a Unfallbild: dislozierte zweitgradig offene, instabile Unterschenkelschaftfraktur. Versorgung durch Fixateur-externe-Anlage (Junge, 14 Jahre, Fahrradsturz). b Ausheilungsbild nach 6 Wochen. c Verlaufskontrolle nach 6 Monaten
Unterschenkelfrakturen Konservativ. Das konservative Vorgehen wird durch das Anlegen eines Oberschenkelgipsverbandes für 2–4 Wochen, gefolgt von einem Unterschenkelgehgips für ebenfalls 2–4 Wochen, fortgeführt. Die Teilbelastung aller instabilen Frakturen erfolgt frühestens nach 3 Wochen. Die Kinder werden nach 7 und nach 14 Tagen bezüglich der Stellung radiologisch kontrolliert. Im Verlauf wird in der 4. bis 8. Woche der Patient (altersabhängig) zur Konsolidationskontrolle geröntgt. Operativ. Bei stabiler Versorgung erfolgt innerhalb der ersten Woche eine Kontrolle, falls dies nicht postoperativ bereits geschehen ist. Alle Kinder werden an Unterarmgehstützen mobilisiert. Je nach Stabilität muss die Fraktur radiologisch erneut kontrolliert werden. Wir nehmen dies nach 14 Tagen bzw. wenn die Teil- oder Vollbelastung ausgeführt wird, vor. Nach 4 Wochen sollte eine Vollbelastung möglich sein. Das Konsolidationsröntgen wird altersabhängig zwischen der 4. bis 8. Woche durchgeführt. Metallentfernung. Ein Fixateur externe, der je nach Frakturtyp 6–16 Wochen belassen wird (Querfrakturen brauchen zur Durchbauung der Fraktur länger als Schrägfrakturen, weiterhin besteht eine erhebliche Altersabhängigkeit bezüglich der Durchbauung), wird meist in Analgosedierung entfernt. Intramedulläre Nägel sollten entsprechend dem Konsolidationsbefund nicht vor dem 4. Monat, jedoch
spätestens nach einem Jahr entfernt werden. Wird länger zugewartet, kann die Metallentfernung durch das Knochenwachstum erschwert sein, da dann die Nägel oftmals im Knochen eingewachsen sind. Spätkomplikationen Da Verletzungen der Wachstumsfugen bei isolierten Tibiabrüchen praktisch nicht vorkommen, ist nur eine stimulative Wachstumsstörung zu erwarten. Diese entsteht durch Hyperämie der Fugen im Rahmen der Konsolidierung der Fraktur und durch die stattfindenden Reparationsvorgänge bei verbliebenen Fehlstellungen. Die zu erwartenden Beinlängendifferenzen sind jedoch wesentlich geringer als nach Oberschenkelfrakturen. Um diese Längendifferenz nicht zu provozieren, sollen Fehlstellungen vermieden werden, auch wenn sie sich spontan im Laufe des Wachstums korrigieren können. Dies gilt selbstverständlich auch für die Unterschenkelfrakturen. Nochmals sei darauf hingewiesen, dass Rotationsfehlstellungen sich nicht und Valgusfehlstellungen nur zögerlich in geringem Umfang korrigieren. Auch Fehlstellungen, die sich spontan korrigieren, führen zu unphysiologischen Belastungen der Gelenke, bis sie dann nach mehreren Jahren ausgeglichen werden. Weiterhin stellen diese Fehlstellungen auch mitunter kosmetische Probleme dar, unter welchen die betroffenen Kinder leiden können. Grundsätzlich gilt, dass nach Ablauf der zweiten Behandlungswoche eine akzeptable Stellung der Fraktur vorliegen muss, da eine weitere
!
22.2 Diaphyse
proximales und mittleres Unterschenkeldrittel Spaltungsrichtung zur Entlastung aller 4 Unterschenkelkompartimente über eine peroneale Inzision
Tibialis anterior Loge M. tibialis ant. M. extensor digitorum longus M. extensor hallucis longus
Spaltung der oberflächlichen und tiefen Wadenbeugerlogen über eine mediale Inzision
A., V. tibialis ant. N. peronaeus profundus
Ramus cutaneus n. saphenus
Septum intermusculare cruris anterius
V. saphena magna
N. peronaeus superficialis
N. saphenus
Peronaeusloge M. peronaeus brevis M. peronaeus longus
Septum intermusculare cruris posterius
oberflächliche Flexorenloge
tiefe Flexorenloge
M. soleus
M. tibialis post.
M. gastrocnemius
M. flexor hallucis longus M. flexor digitorum longus N. suralis N. tibialis V. saphena parva A., V. tibialis post.
distales Unterschenkeldrittel
a
V. saphena magna N. saphenus A., V. tibialis ant. N. peronaeus superficialis
b
N. peronaeus profundus
Septum intermusculare cruris anterius
Abb. 22.30 a–c. Entlastung der Strecker- und Peronaeusloge durch gerade fibulare Inzision von der proximalen Fibula zum Außenknöchel (oder bei Verlängerung zum Fußrücken vor dem Außenknöchel) verlaufend. Dabei wird die Faszie über dem M. tibialis anterior dargestellt und langstreckig inzidiert. Anschließend wird die Faszie über dem M. peronaeus longus dargestellt und ebenfalls inzidiert. Hinter dem Septum intermusculare anterius verläuft der
c N. peronaeus superficialis. Dieser wandert distal zunehmend nach oben und liegt in Höhe des Sprunggelenks subkutan (b). Die Beuger können einfacher von medial entlastet werden. Dazu wird eine Inzision knapp dorsal entlang der Margo medialis tibia in voller Länge durchgeführt. Faszieninzision dorsal der V. saphena magna und des N. saphenus
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774
Kapitel 22 Unterschenkel
Abb. 22.31 a–i. Klinisches Beispiel einer Kompartmentspaltung. a,b Intraoperativer Situs. Die dunkelverfärbte Muskulatur weist auf die vorübergehende Ischämieschädigung bei Kompartmentdruckerhöhung hin. Wundverschluss mit einem Vakuumverband. c,d 4. Tag, Second-look-Operation: bereits Verkleinerung der
Wunde durch Einzelknopfnähte an den Rändern, erneuter Vakuumverband. e,f Unterschenkelschaftfraktur in Schaftmitte. Osteosynthese durch ESIN, Ausheilung nach 3 Monaten. g–i Klinisches Ausheilungsbild nach 3 Monaten
22.3 Distaler Unterschenkel
Dislokation oder spontane Verbesserung nach diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich ist, und es gleichzeitig immer schwieriger bis unmöglich wird, weiter korrigierend einzugreifen. Operative Unterschenkelachskorrekturen sollten wenn möglich am Ende des Knochenwachstums erfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gravierende Fehlstellungen zu konsekutiven Fehlstellungen in den angrenzenden Gelenken führen können. Dies erfordert eine baldige Korrektur der Achsenfehlstellung, da sonst die Gelenkfehlstellung fixiert bestehen bleibt und später ebenso korrigiert werden muss. Ausgeprägte, funktionell bedeutsame Fehlstellungen werden am Scheitelpunkt korrigiert. Allerdings kann beim wachsenden Skelett nicht sicher vorausgesagt werden, wie die Auswirkungen dieser Korrekturosteotomien auf das Längenwachstum ausfallen werden.
22.3 Distaler Unterschenkel A.-M. Weinberg, C. Kutschera, F. Kutscha-Lissberg, J. Mayr, E. Kahl Die kindlichen Sprunggelenkverletzungen mit Beteiligung der Wachstumsfuge werden nach 2 verschiedenen Einteilungen differenziert. In den anatomischen Klassifikationen werden morphologisch die Verletzungsfolgen und ihre Beziehung zur Wachstumsfuge berücksichtigt, in den funktionellen Klassifikationen erfolgt die Einteilung über die Stellung des Fußes und die Richtung der während des Unfalls einwirkenden Kraft. Der Vorteil der anatomischen Einteilungen liegt vor allem darin, dass sie für alle Fugenlösungen unabhängig von der Lokalisation anwendbar sind und dass aufgrund der weiten Verbreitung dieser Einteilung auch eine gute Reproduzierbarkeit gegeben ist. Zwischen 1863 (Foucher 1863) und 1994 (Peterson et al. 1994) wurden mehr als 10 verschiedene anatomische Einteilungen publiziert. Die gebräuchlichste dieser Einteilungen wurde von Salter u. Harris (1963) erarbeitet. Die funktionelle Einteilung wurde von Dias u. Tachdjian (1978) nach den Erkenntnissen von Lauge-Hansen (1950) für die kindlichen Knochenverletzungen adaptiert. Unbestritten ist, dass Kenntnisse über die Frakturentstehung eine wesentliche Voraussetzung sowohl für die konservative als auch für die operative Frakturbehandlung darstellen. Allerdings zeigten Vahvanen u. Aalto (1980) in einem Vergleich von 3 verschiedenen Einteilungen (Weber u. Suessenbach 1978; Lauge-Hansen 1950; Salter u. Harris 1963) anhand von 310 kindlichen Frakturen, dass lediglich die Einteilung nach Salter-Harris eine akzeptable Übereinstimmung zwischen verschiedenen Untersuchern ermöglicht. Die von Peterson et al. 1994 empfohlene Einteilung fügt den 5 verschiedenen Verletzungsformen von Salter
u. Harris noch 2 hinzu, wobei die erste die Epiphyse nicht tangiert, sondern in der Metaphyse beginnt und in die Physe ausläuft, ohne zu einer Dislokation in der Fuge zu führen. Die zweite »neue« Verletzung ist als offene Verletzung zu bezeichnen, wobei ein knöcherner epiund metaphysärer Defekt besteht und regelhaft ein vorzeitiger (partieller) Verschluss der Fuge eintritt. Der Vorteil der von Peterson angegebenen Einteilung besteht in der guten statistischen Aufarbeitung von 951 Frakturen. In der Studie wird über die Verteilung der Frakturen und die Wahrscheinlichkeit von Wachstumsstörungen in einem Zehnjahreszeitraum berichtet (Peterson et al. 1994). Im Alltag hat sich gezeigt, dass es wesentlich ist, zwischen den metaphysären und den epiphysären Läsionen, die immer das Gelenk mitbetreffen, zu differenzieren. Therapeutisch kann bei metaphysären Läsionen die Spontankorrektur durchaus integriert werden, dagegen müssen alle epiphysären Brüche anatomisch reponiert und sicher retiniert werden. Die Übergangsfraktur stellt eine Sonderform der epiphysären Verletzung in der Adoleszenz dar. Entwicklung und Wachstum (einschließlich Wachstumsprognose, Korrekturmöglichkeiten Ossifikationskerne, Zeitpunkt des Fugenschlusses Die distale Tibiafuge beginnt sich 1,5 Jahre vor dem endgültigen Wachstumsende zu verschließen. Dieser Verknöcherungsprozess beginnt zentral und breitet sich dann nach dorsal und medial und schließlich nach anterolateral aus. Das Längenwachstum hört bei Mädchen etwa mit dem 12. Lebensjahr und bei Jungen mit dem 13. Lebensjahr auf (vgl. Abb. 22.1 a,b). Zusätzliche Ossifikationskerne sind im Bereich der Knöchel nicht selten. Sie erscheinen zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr und verschwinden meist mit dem Verschluss der sekundären Ossifikationszentren. Das bekannteste Ossikel ist das Os subfibulare, das manchmal nur schwer gegen eine frische Verletzung abgegrenzt werden kann (Abb. 22.32). Spontankorrektur Bei allen metaphysären Frakturen ist durch die Nähe zur Fuge mit einer hohen Spontankorrekturrate, besonders bei sehr jungen Kindern, zu rechnen. Am distalen metaphysären Unterschenkel bedeutet dies, dass Achsenfehlstellungen in der Sagittalebene (obere Bewegungsebene) bis zum 10. Lebensjahr bis zu einem Ausmaß von 30° korrigiert werden können. Achsenfehlstellungen in der Frontalebene bis zu 20°, und Seit-zu-SeitVerschiebungen bis zu 2 cm werden ebenfalls korrigiert. Die häufigste Achsenfehlstellung nach metaphysären Frakturen stellt die Rekurvationsfehlstellung dar. Beim Belassen von Achsenfehlstellungen an der distalen Tibia ist wesentlich zurückhaltender als beim distalen Radius vorzugehen.
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776
Kapitel 22 Unterschenkel Abb. 22.32. Zusätzliche Knochenkerne, die auf der a.-p.-Aufnahme zur Darstellung kommen können. Das Os subfibulare wird am häufigsten mit einer Fraktur verwechselt
Os trigonum Os intercalare (bzw. Sesambein) zwischen innerem Knöchel und Talus Os retinaculi
Os intercalare (bzw. Sesambein) zwischen innerem Knöchel und Talus Begleitschatten des Malleolus medialis (Patella malleoli)
Os subtibiale Talus accessorius
Os subfibulare
Os sustentaculi
Talus secundarius Os tibiale externum Os trochleare calcanei
CAVE
Grenzen der Spontankorrektur der distalen Unterschenkelfrakturen bis zum 10. Lebensjahr 쐌 Sagittalebene bis 30° 쐌 Frontalebene bis zu 20° 쐌 Seit-zu-Seit-Verschiebungen bis 2 cm Schaftbreite
Wachstumsstörung Partielle oder vollständige Wachstumsstörungen können sowohl nach metaphysären als auch nach epiphysären Verletzungen auftreten (v. Laer et al. 1982, 1989). Für einen vorzeitigen Verschluss des medialen Anteils der Fuge (im Innenknöchelbereich) ist in den meisten Fällen ein unfallabhängiger Gefäßschaden mit konsekutiver vaskulärer Minderversorgung verantwortlich (Carothers u. Crenshaw 1955). Durch die chirurgische Darstellung dieser Region kann dieser Gefäßschaden zusätzlich provoziert oder verstärkt werden. Einige Zeit hielt man eingeschlagenes Periost für die Ursache dieser Wachstumsstörung. Im Gegensatz zu Weber u. Suessenbach (1978) konnten weder Beck (1982; experimentell) noch v. Laer (1982; klinisch) eingeschlagenes Periost als Repositionshindernis bestätigen oder für die Wachstumsstörung verantwortlich machen. Generell wird angenommen, dass nach jeder epiphysären Fraktur eine Fugen-Knochen-Brücke im Fugenbereich auftritt, die jedoch fast immer spontan wieder ge-
sprengt wird (Marti et al. 1991; v. Laer et al. 1982; Rogers u. Poznanski 1994). Letzteres hängt vom Ausmaß derselben ab, wobei es für den Menschen keine zuverlässigen Daten gibt. Tierexperimentell hat sich ergeben, dass eine Brückengröße bis maximal ein Fünftel der gesamten Fläche der Epiphyse als Ausheilungsbrücke klinisch irrelevant bleibt und meist spontan wieder gesprengt wird (Dallek et al. 1983; Lalonde u. Letts 2005). Vollständig hemmende Wachstumsstörungen führen zu einer Beinlängenalteration, die jedoch meist klinisch irrelevant bleibt (Lalonde u. Letts 2005; Marti et al. 1991; Rogers u. Poznanski 1994). Auch ein vorzeitiger partieller Verschluss der distalen Tibiawachstumsfuge ist möglich. Die Inzidenz wird mit bis zu 10% bei allen Frakturen angegeben (Chadwick u. Bentley 1987). Nach dislozierten Frakturen, vor allem mit erheblichem Weichteilschaden, steigt die Inzidenz auf bis zu 35% an (Barmada et al. 2003; Chadwick u. Bentley 1987; Hasler u. v. Laer 2000; Rogers u. Poznanski 1994; Spiegel et al. 1978). Klinisch relevant werden aber wiederum nur 10% (Rogers u. Poznanski 1994). Der vorzeitige Verschluss tritt praktisch immer medialseitig auf (Barmada et al. 2003; Marti u. Besselaar 1991; Marti et al. 1991). In der Folge kommt es zu einer Varusfehlstellung des Sprunggelenks (Barmada et al. 2003; Cass u. Peterson 1983; Chadwick u. Bentley 1987; Crenshaw 1965; Dias 1985; Karrholm et al. 1983; Kling et al. 1984; Lalonde u. Letts 2005; Linhart et al. 1983; Peterson et al. 1977; Spiegel et al. 1984; Abb. 22.33 a–h).
22.3 Distaler Unterschenkel
Abb. 22.33. a Einem 5-jährigen Mädchen stürzte ein schweres Eisentor auf den Fuss herab. Neben einem ausgedehnten Weichteilschaden fand sich eine Innenknöchelfraktur. b Es erfolgte die geschlossene Reposition. c Eine Gipsruhigstellung für 3 Wochen folgte. d Ausheilungsbild nach 8 Wochen. e Nach 8 Monaten zeigt sich eine zentrale Brückenbildung. f In der MRT-Untersuchung wird der Befund der zentralen Brücke bestätigt. g Klinisch finden sich eine Beinverkürzung sowie h eine diskrete Varisierung
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778
Kapitel 22 Unterschenkel
Fibula
Tibia
Tibia
epiphysäre Wachstumsfuge Lig. tibiofibulare ant.
epiphysäre Wachstumsfuge
Lig. tibiofibulare ant.
Lig. deltoideum
Lig. talofibulare ant.
Talus
Lig. talofibulare postt.
Lig. calcanofibulare
a
Calcaneus
b
Abb. 22.34 a,b. Anatomie Sprunggelenk
Chirurgische und spezielle Anatomie Das Sprunggelenk weist 2 Hauptbewegungsrichtungen auf. Im oberen Sprunggelenk erfolgen die Plantarflexion und die Dorsalflexion, die um eine quere Achse im Bereich des oberen Sprunggelenks vonstatten geht. Die Pro- und Supination findet im unteren Sprunggelenk statt. Der Talus ist vorne breiter, sodass die Rotationsbewegung bei Dorsalflexion abnimmt. Die Ligamente des Sprunggelenks sind an der Epiphyse verankert. Das Lig. deltoideum entspringt an der Spitze des Innenknöchels und zieht mit 2 Anteilen, einem oberflächlichen und einem tiefen Teil, nach distal. Der oberflächliche Anteil setzt am Os naviculare, dem Talus und dem Sustenaculum tali an, der tiefe zieht zur medialen Gelenkfläche des Talus. Der laterale Bundapparat wird von 3 Bundstrukturen gebildet, dem Lig. talofibulare anterius, dem Lig. talofibulare posterius und dem Lig. calcaneofibulare. Der jeweilige Spannungszustand der Bänder richtet sich nach der Bewegungshaltung des Sprunggelenks. Alle 3 Bänder entspringen distal an der Fibulaspitze unterhalb der distalen Fuge. Im Gegensatz zum Erwachsenen muss bei der Behandlung von Bandläsionen im Kindesalter bedacht werden, dass im Wachstum die Fugen und damit der Knochen anfälliger sind für Läsionen als die Bundstrukturen am Sprunggelenk. Aus dem gleichen Grund ist die Syndesmose häufiger bei Jugendlichen und Erwachsenen als bei Kindern verletzt (Abb. 22.34 a,b).
22.3.1 Frakturen der Metaphyse des distalen Unterschenkels Ursache und Häufigkeit In der Literatur wird die Häufigkeit der Verletzung des distalen Unterschenkels mit 6–10% aller Frakturen im Kindesalter angegeben (v. Laer 2001; Mizuta et al. 1987). Bei steigender Festigkeit der Tibia führen vor allem Rotationskräfte in zunehmendem Maße zu Verletzungen der distalen Wachstumszone. Mit zunehmender Nähe der Frakturen zur Wachstumsfuge vergrößert sich das Korrekturpotenzial. Die distale Tibia stellt die häufigste Lokalisation für eine Epiphysenlösung an der unteren Extremität dar. Entsprechend der Größe und Richtung der einwirkenden Kräfte kann es zusätzlich zu Verletzungen der distalen Fibula kommen. Für alle traumatischen Fugenlösungen gilt, dass bedingt durch hormonelle Einflüsse die Wachstumsfuge mit Einsetzen der Pubertät mechanisch weniger belastbar wird als der Kapsel-Band-Apparat. Deshalb besteht ein Häufigkeitsgipfel für derartige Verletzungen im 11. bis 13. Lebensjahr. Gemeinsam mit den Übergangsfrakturen nach Beginn des physiologischen Verschlusses der Fuge stellt die Epiphysenlösung im Kindes- und Jugendalter das Korrelat zu den (bi-) malleolären Verletzungen des Erwachsenenalters dar.
22.3 Distaler Unterschenkel
Fahrradspeichenverletzung Frakturen in diesem Bereich sind oftmals die Folge von Fahrradspeichenverletzungen. Diese Verletzungen entstehen während des Sitzens auf dem Gepäckträger oder in einem Kindersitz, indem die kindlichen Zehen oder der vordere Teil des Fußes in den Speichen des sich drehenden Rades gefangen werden. Es kommt zu einer Innenrotation des Unterschenkels bei gleichzeitiger Supination, Adduktion und Plantarflexion des Fußes. Neben den knöchernen Verletzungen spielen die oftmals sehr ausgeprägten Weichteilverletzungen eine wesentliche Rolle (Drewes 1965).
Stauchungs- oder Biegungsfraktur der Fibula als stabil betrachtet werden. Der Stabilitätsgrad der Querbrüche hängt zusätzlich wie bei den Schaftfrakturen von der primären Seit-zu-Seit-Verschiebung und von der Anzahl der Fragmente im Frakturbereich ab. Alle Epiphysiolysen mit oder ohne metaphysären Keil sind zwar isoliert instabil, werden aber über eine intakte Fibula ebenfalls mitstabilisiert. Findet sich dagegen eine komplette Fraktur der Fibula in Höhe der Epiphysiolyse, so sind auch diese Verletzungen zunehmend instabil. Als instabil gelten alle kompletten Schrägfrakturen beider Knochen auf gleicher Höhe.
Klassifikation In der Metaphyse, der kolbenförmigen Aufweitung der Diaphyse bis zur Fuge, werden grundsätzlich Biegungs-, Stauchungs- und vollständige Brüche unterschieden. Als die am weitesten peripher gelegene Schaftläsion wird die Epiphysiolyse mit und ohne metaphysären Keil (Salter-Harris I und II) den metaphysären Frakturen zugeordnet. Drehfrakturen, die nur die distale Metaphyse betreffen, sind äußerst selten. Biegungsfrakturen sind meist Grünholzfrakturen, sodass einseitig die Kortikalis frakturiert, an der gegenüber liegenden Seite aber nur angebrochen ist. Diese Läsion kann gegen die Stauchungsfraktur exakt abgegrenzt werden, ähnlich der Lokalisation am distalen Radius. Definitionsgemäß liegt bei der Stauchungsfraktur ein Wulst- an einer oder mehreren Kortikalisseiten vor. Findet sich ein Klaffen auf der gegenüber liegenden Seite, so handelt es sich um eine Biegungsfraktur (Grünholzfraktur; Abb. 22.35 a–e). Therapeutisch ist eine Unterscheidung hinsichtlich einer erhöhten Refrakturrate nicht notwendig. Es kann aber, ähnlich wie bei den Biegungsfrakturen am Unterarm, zu einer Konsolidationsstörung mit konsekutiver Valgusfehlstellung kommen. Komplette Frakturen können als Querfrakturen (Schuhrandbruch), Schrägfrakturen oder Mehrfragment-Trümmer-Frakturen auftreten.
Diagnostik Klinisch Meist findet sich eine ausgeprägte Schwellung mit deutlicher Bewegungseinschränkung. Eine sichtbare Achsendeviation kann vorkommen. Zwar ist nach Frakturen des distalen Unterschenkels die Gefahr eines Kompartmentsyndroms (Gewebebinnendruck >30 mmHg) vorhanden, aber gegenüber den Schaftfrakturen tritt dieses wesentlich seltener auf. Dennoch muss klinisch ein solches ausgeschlossen und ggf. im Verlauf kontrolliert werden. Dazu gehört die Dokumentation der Weichteilsituation besonders im Zehenbereich (Trophik und Klinik). Im angelegten Gipsverband muss besonders auf Durchblutung, Sensibilität und Motorik geachtet werden. Bei allen Verletzungen muss die proximale hohe Fibulafraktur aktiv ausgeschlossen werden, um eine Maisonneuve-Verletzung nicht zu übersehen. Röntgen Bei der Unfallaufnahme ist der Unterschenkel mit den angrenzenden Gelenken zu röntgen. Nur so kann initial sicher beurteilt werden, ob es sich um eine isolierte distale Verletzung handelt (cave: Maisonneuve-Verletzung!). Bei Kontrolluntersuchungen ist die zentrierte Aufnahme des oberen Sprunggelenks in 2 Ebenen anzuschließen und im weiteren Verlauf für die Beurteilung ausreichend. Um Achsfehlstellungen zuverlässig beurteilen zu können, muss der Epiphysenachsenwinkel mitbestimmt werden (Abb. 22.36 a–c).
Stabilität Wichtigstes Kriterium zur Therapieplanung ist neben der Frakturform die Stabilität, insbesondere bei paarigen Knochen. Stauchungsfrakturen sind stabile Verletzungen, aber auch der isolierte Querbruch kann bei
Abb. 22.35 a–e. Klassifikationsikon der metaphysären Tibiafraktur. a Epiphysiolyse (Salter-Harris I). b Epiphysiolyse der distalen Tibia mit metaphysärem Keil (Salter-Harris II). c Metaphysärer Stauchungsbruch. d Biegungsfraktur der distalen Tibia. e Vollständig durchgebrochene metaphysäre Fraktur
a
b
c
d
e
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!
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Kapitel 22 Unterschenkel
A2
A1 α = Ausmaß der Achsenfehlstellung
a
Abb. 22.36. a Der Epiphysenachsenwinkel wird dann bestimmt, wenn keine vollständige Aufnahme des Unterschenkels mit angrenzenden Gelenken vorliegt. Diese Winkel dient zur Bestimmung des Ausmaßes einer Achsenfehlstellung. Hierzu zieht man eine Gerade durch die Epiphysenfuge und zeichnet eine Senkrechte. Diese schneidet die Schaftachse, die aus der Geraden, die durch die Schaftmitte zieht, ermittelt wird. Der entstandene Winkel α entspricht der Achsenfehlstellung. b,c Klinisches Beispiel einer dislozierten vollständigen Fraktur mit einer erheblichen Achsabweichung
Diagnostisch kann die unverschobene Variante der Epiphysiolyse ein Problem darstellen, da diese auf den primären Röntgenbildern nicht unbedingt knöcherne Verletzungsfolgen zeigt. Deshalb sollte bei supramalleolärer Schwellung und Schmerzen auch bei negativem Röntgenbefund immer eine Gipsschienenruhigstellung durchgeführt werden. Diese Maßnahme ist symptomatisch, schmerzlindernd und im Falle der unverschobenen Fugenlösung auch therapeutisch begründet. Falls es sich um eine reine Weichteilverletzung handelt, so muss nach 10–14 Tagen Schmerzfreiheit erlangt sein. Bestehen Zweifel, wird eine Röntgenkontrolle durchgeführt, die im Falle der unverschobenen Fraktur eine Entkalkung des Frakturspalts und eine periostale Reaktion als Zeichen der ablaufenden knöchernen Reparation erwarten lässt.
Therapie Konservativ Alle stabilen Frakturen (Stauchungs- und Biegungsfrakturen) können konservativ behandelt werden (Abb. 22.37 a–c). Alle per se instabilen Verletzungen (Epiphysiolysen mit metaphaphysärem Keil, bzw. vollständige Frakturen) sind bei paarigen Knochen dann partiell stabil, wenn der Partnerknochen keine oder eine stabile Verletzung aufweist, da dieser zusätzlich stabilisierend wirken kann. Zur Stabilitätsbeurteilung der Fugenlösung an der distalen Tibia griff Peterson eine Einteilung von Bergenfeldt (1933) auf, und unterteilte die Fugenlösungen mit metaphysärem Keil in 3 Gruppen. Je größer die Basis des Keils an der Wachstumsfuge ist, umso kleiner ist die Wahrscheinlichkeit einer direkten Verletzung der Fuge und in der Folge einer Wachstumsstörung, umso größer ist allerdings der Instabilitätsgrad (Abb. 22.38 a–c).
!
Konservative Therapie ohne Reposition. Alle stabilen primär undislozierten Frakturen können konservativ ohne Reposition behandelt werden. Als undisloziert gelten auch Frakturen, die altersspezifisch geringe Achsenfehlstellungen aufweisen dürfen. Dies sind für die Frontalebene und Sagittalebene maximal 10° und für kleine Kinder bis zum 6. Lebensjahr in der Sagittalebene maximal 20°. Ab dem 10. Lebensjahr ist eine achsengerechte Stellung anzustreben. Die dominierenden Fehlstellungen liegen in der Sagittalebene. Dabei überwiegen Rekurvationsfehlstellungen deutlich. In ihrem Fall wird der Gips zunächst in Spitzfußstellung angelegt, um eine Zunahme der Fehlstellung zu vermeiden (Abb. 22.39 a–e). In diesen Fällen ist ein Oberschenkelgips anzulegen. Der Belastungsbeginn richtet sich nach der Stabilität und dem Alter des Patienten. Stabile und undislozierte Frakturen können nach Abschwellen belastet werden.Alle anderen Frakturen lassen wir erst nach 14 Tagen voll belasten (Dugan et al. 1987; v. Laer 2001). Fehlstellungen können auch primär ohne Manipulation eingegipst werden. Dann erfolgt am Anfang der zweiten Behandlungswoche bei Bedarf die Korrektur durch Gipskeilung/Umgipsen (Abb. 22.40 a–c). Konservative Therapie mit Reposition. Alle Achsenfehlstellungen >10° werden primär reponiert oder nach 7–10 Tagen durch Keilung redressiert. Bei der dislozierten Querfraktur ist ein stärkeres Trauma zu vermuten, weswegen der Grad der Weichteilschwellung bzw. die Gefahr eines Kompartmentsyndroms größer ist, als bei anderen Frakturen. Liegt primär eine Seit-zu-Seit-Verschiebung von >25% vor, ist die Fraktur mit großer Wahrscheinlichkeit instabil (Fibula auf gleicher Höhe vollständig gebrochen oder disloziert), sodass eine alleinige Retention im Gipsverbund unzuverlässig sein kann.
!
22.3 Distaler Unterschenkel
Abb. 22.37. a Unfallbild einer metaphysären Fraktur des Unterschenkels (Schuhrandbruch) bei einem 11-jährigen Mädchen. b Nach Reposition erfolgte eine konservative Therapie im Oberschenkelgips. c Ausheilungsbild nach 5 Wochen
Abb. 22.38. a 12-jähriges Junge, der sich beim Skaten eine Epiphysiolyse mit metaphysärem Keil zugezogen hat. b Nach der Reposition zeigte sich eine ausreichende Stabilität, sodass konservativ im Gips ausbehandelt wurde. c Ausheilungsbild nach 3 Monaten
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Kapitel 22 Unterschenkel
Abb. 22.39. a Unfallaufnahme einer distalen metaphysären Fraktur, die sich ein 13-jähriger Junge beim Skifahren zuzog. b Repositionsergebnis unter Bildwandlerkontrolle. c–e Rekurvationsfehl-
stellungen lassen sich oftmals gut in Spitzfußstellung redressieren, wobei nach 10–14 Tagen das Umgipsen in die Neutralstellung zum Belasten der Extremität erfolgt
CAVE
22.3 Distaler Unterschenkel
Abb. 22.40. a Valgus- und Antekurvationsfehlstellung einer kompletten distalen Unterschenklefraktur bei der Routinekontrolle um den 8. Tag nach Trauma. b Durch die Keilung konnten die Valgus- und die Antekurvationsfehlstellung komplett ausgeglichen
werden. c Radiologisches Ausheilungsbild nach 5 Wochen. Bei der Keilung muss darauf geachtet werden, dass dies kurzfristig Schmerzen bereiten kann, bei anhaltenden Beschwerden muss der Gips gefenstert bzw. entfernt werden
Diese Frakturen sollten nur in Narkose reponiert und entsprechend bezüglich ihrer Stabilität überprüft werden. Zeigt sich intraoperativ nach Reposition eine Instabilität, so sind diese Frakturen operativ zu stabilisieren. Eine Sonderstellung nimmt auch der distale Valgusbiegungsbruch ein. Analog zur proximalen Metaphyse kann es zu einer partiellen stimulativen Wachstumsstörung kommen, sodass primär keine Fehlstellung in der Frontalebene (insbesondere keine Valgusfehlstellung) toleriert werden darf (Abb. 22.41 a,b). Nach konservativer Therapie kann es zu einer Verklebung der Sehne des M. flexor hallucis longus kommen, welche zu Gangstörungen führt, wenn sie nicht erkannt wird und physiotherapeutisch mobilisiert werden kann.
mefällen mit der elastischer Markraumschienung durch. Letztere ist am distalen Unterschenkel nur in Grenzfällen akzeptabel, z. B. bei einer Querfraktur am diametaphysären Übergang. Am häufigsten kommt die Bohrdrahtosteosynthese als unilateral oder gekreuzte Einbringung zur Anwendung oder auch die kanülierte Schraubenosteosynthese, die sich nach der Größe des metaphysären Keils richtet (Abb. 22.42 a–c). Eine Indikation zur perkutanen Bohrdrahtstabilisierung ergibt sich, wenn die Fehlstellung zwar geschlossen reponibel ist, aber sofort wieder in eine gewisse Dislokation »zurückfedert«. Diese Situation kommt gelegentlich bei den Diaz-Tachdjian-Typ-B-Verletzungen vor. Diese Verletzung entsteht durch Außenrotation des in Pronation und Eversion stehenden Fußes. Es kommt zu einem Bruch oder einer plastischen Deformität der Fibula über der Syndesmose (Weber-C-Äquivalent des Erwachsenen), zu einem anterolateralen tibialen metaphysären Keil und zu einer Dislokation der Epiphyse nach lateral. Die Sprunggelenkgabel selbst ist nicht verletzt, da die vordere und hintere Syndesmose ebenso wie die Innenknöchelstruktur erhalten sind. Ist die Fibula »verbogen«, so kann es unmittelbar nach der Reposition zu dem oben beschriebenen Zurückfedern in Richtung der ursprünglichen Fehlstellung kommen. In
Operativ Eine Operationsindikation ist bei diesen Frakturen äußerst selten gegeben. An erster Stelle steht ein Weichteilschaden, der eine Gipsbehandlung verbietet. Weiterhin kann der Instabilitätsgrad der Querfrakturen bzw. der Epiphysiolysen mit oder ohne Keil so hoch sein, dass eine operative Stabilisierung notwendig wird. Diese führen wir mittels Fixateur externe und in Ausnah-
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Abb. 22.41 a,b. Auch an der distalen Tibia kann es bei Biegungsbrüchen zu einer ausbleibenden Heilung mit konsekutiver vermehrter Stimulation der medialen Fuge kommen, die dann im Verlauf ähnlich zu den proximalen Tibiafrakturen zu einer Valgusfehlstellung führen kann
Abb. 22.42. a Distale, dislozierte Salter-Harris-II-Epiphysenlösung mit lateralem, metaphysärem Keil und distaler Fibulaschaftfraktur, Mädchen, 11 Jahre. b Postoperatives Bild mit geschlossener Reposition und Fixation der Epiphysenlösung mit einem perkutanen
diesen Fällen fixieren wir die distale Tibiaepiphyse mit 2 die Fuge kreuzenden, medialen Bohrdrähten. Liegt der Grund für die Instabilität nicht in der federnden Fibula sondern in einem sehr großen metaphysären Keil, so erfolgt die Stabilisierung direkt über die perkutane Verschraubung des Keils oder durch eine Kirschner-DrahtOsteosynthese (Abb. 22.43 a,b). Eine offene Reposition medialseitig zur Beseitigung von eingeschlagenem Periost als Repositionshindernis versuchen wir, wenn irgend möglich, zu vermeiden. Im Gegensatz zu den häufigeren Pronations-Eversions-Verletzungen kann es bei den seltenen Supinationsverletzungen auf der fibularen Seite zu Instabilitäten kommen. Kommt es im Rahmen eines Supinationstrau-
Kirschner-Draht, dessen Ende über die Hautoberfläche herausragt, um eine leichtere Entfernbarkeit zu gewährleisten. c Nach 2 Wochen wird bei achsengerechter Frakturstellung der Kirschner-Draht in Hautoberflächen-Analgesie entfernt
22.3 Distaler Unterschenkel
ziert, was wahrscheinlich an der ähnlichen Ausrichtung des metaphysären Keils liegt. Diese Frakturen sind nach Reposition in den überwiegenden Fällen stabil, sodass eine konservative Behandlung möglich ist. Im Falle der Instabilität oder wenn eine geschlossene Reposition nicht möglich ist, erfolgt das operative Vorgehen als Ausnahmeverfahren. Operationstechnik. 쐌 Lagerung: Rückenlagerung mit frei abgedeckten Bein ab Kniegelenk. Dies erleichtert die radiologische Diagnostik, da durch Beugung im Kniegelenk und Drehung im Hüftgelenk die seitliche Ebene ohne Durchschwenken des Bildwandlers erhalten werden kann. 쐌 Anästhesie: In Allgemeinanästhesie; bei älteren Jugendlichen ist auch eine Spinalanästhesie möglich. 쐌 Technik (Abb. 22.44 a–d): Nach erfolgter geschlossener Reposition wird der Draht von distal medial nach proximal lateral eingebracht. Nun kann entweder gekreuzt oder auch unilateral vorgegangen werden. Grundsätzlich lassen wir die Drähte außerhalb der Haut herausstehen, um ihre Entfernung zu erleichtern (Drahtfixationsdauer: etwa 3 Wochen). Komplikationen. Infekt, Wundheilungsstörungen, Gefäß- und Nervenschäden (vor allem des sensiblen Anteils des N. peronaeus superficialis), vorzeitiger partieller Fugenschluss mit konsekutivem Fehlwachstum.
Abb. 22.43. a Distale, dislozierte Salter-Harris-II-Epiphysenlösung mit lateralem, metaphysärem Keil und zweifacher, distaler Fibulaschaftfraktur. Junge, 13 Jahre. b Sprunggelenkröntgen 10 Tage nach geschlossener Reposition und Verschraubung des metaphysären Keils mit einer kanülierten Schraube
mas zur kompletten, dislozierten Lösung der distalen Wadenbeinwachstumsfuge (Weber-A-Äquivalent des Erwachsenen) und zur Epiphysiolyse des distalen Schienbeins (diesmal mit medialem metaphysärem Keil), so kann die verkippte Wadenbeinspitze einerseits ein Repositionshindernis darstellen oder aber die gewonnene Stabilität medial nach Reposition nicht ausreichen, um eine weitere konservative Behandlung durchführen zu können. Bei einwundfreiem Repositionsergebnis (auch lateral) führen wir deshalb eine Verschraubung des medialen Keils durch. Ist die Reposition geschlossen nicht möglich, so erfolgt lateral die offene Reposition und Bohrdrahtfixation. Überwiegt im Moment des Unfalls eine Plantarflexion oder Dorsalextension im oberen Sprunggelenk, so dreht sich die Ebene des metaphysären Keils in Richtung Frontalebene. Fälschlicherweise werden diese Frakturen gelegentlich als Übergangsfrakturen klassifi-
Nachbehandlung Konservativ Handelt es sich um Stauchungsfrakturen, die vorwiegend bei kleineren Kindern vorkommen, so erfolgt der Gipsschluss nach einer Woche; auf eine radiologische Kontrolle wird verzichtet. Nach insgesamt 3 Wochen wird der Gips abgenommen. Biegungsfrakturen und komplette Frakturen werden nach einer Woche radiologisch kontrolliert. Bei initial belassener Rekurvationsfehlstellung erfolgt zu diesem Zeitpunkt das Umgipsen zur Beseitigung der Fehlstellung. Dies ist nach 7–12 Tagen einfacher und schmerzfreier für den Patienten. Oftmals kann die Fraktur leichter in Spitzfußstellung retiniert werden. Diese Frakturen werden spätestens nach 3 Wochen in Normalstellung des oberen Sprunggelenks umgegipst, sodass die Belastung ermöglicht wird. Epiphysiolysen mit oder ohne metaphysären Keil werden ebenfalls nach einer Woche einer Stellungskontrolle unterzogen. Anschließend wird der Gips geschlossen. Bei über 12-jährigen Patienten wird nach 2 Wochen erneut eine radiologische Kontrolle durchgeführt. Für insgesamt 2, altersabhängig 3 Wochen ist die Epiphysiolyse nicht belastungsstabil. Operativ Operativ versorgte Frakturen werden wöchentlich bezüglich der Weichteile kontrolliert. Da eingebrachte
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Abb. 22.44 a–d. Die Epiphysenlösung und die vollständige Fraktur werden vorzugsweise mit der perkutanen gekreuzten Spickdrahtosteosynthese versorgt. Die Epiphysenlösung mit metaphysärem Keil durch 1–2 Kirschner-Drähte (altersabhängig) oder mit
1 oder 2 kanülierten Schrauben in der perkutanen Technik stabilisiert. Eine meist vorhandene Fibulafraktur bedarf nur in Ausnahmefällen eine Stabilisation
Drähte über das Hautniveau herausstehen, können diese altersabhängig nach 3–4 Wochen entfernt werden. Entsprechend der Durchbauung kann eine weitere Ruhigstellung für weitere 2 Wochen notwendig sein.
22.3.2 Frakturen der Epiphyse des distalen Unterschenkels
Spätkomplikationen Vorübergehende Fugenstimulationen sind möglich, erreichen aber selten ein klinisch relevantes Ausmaß. Ausnahme ist die partielle Konsolidierungsstörung der Valgusbiegungsbrüche, weswegen eine exakte primäre Reposition der Valgusfehlstellung und eine sichere Retention erfolgen müssen (Hasler u. v. Laer 2000). Wie bei allen Epiphysenlösungen ist der vorzeitige partielle Verschluss der distalen Wachstumsfuge möglich. Insgesamt ist dieser aber nach metaphysären Frakturen wesentlich seltener als nach epiphysären Brüchen. Der Anteil wird mit <10% angegeben. Der vorzeitige Verschluss tritt immer medialseitig auf. Da der Häufigkeitsgipfel gerade der Epiphysenlösung um das 12. bis 13. Lebensjahr liegt, ist dieser vorzeitige Verschluss allerdings nur in seltenen Fällen mit einem Fehlwachstum verbunden, da auch physiologischerweise die Fuge an dieser Stelle in einem zeitnahen Abschnitt konsolidiert.
Während der Wachstumsperiode (bei noch weit offenen Fugen) stellt die Innenknöchelfraktur die einzig bekannte Epiphysenfraktur der distalen Tibia dar. Mit Beginn des Fugenschlusses kommt es zu inkompletten oder unvollendeten Epiphysenlösungen, den so genannten Übergangsfrakturen. Bei fast komplettem Schluss der Fuge kann es zum isolierten Bruch der anterolateralen Tibiaepiphyse, der juvenilen Tillaux-Fraktur, kommen (Abb. 22.45 a–d).
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Abb. 22.45 a–d. Klassifikation der epiphysären intraartikulären Frakturen der distalen Tibia. a Intraartikuläre Fraktur mit reinem epiphysärem Anteil (Salter-Harris III). b Intraartikuläre Fraktur mit reinem epimetaphysärem Anteil (Salter-Harris IV). c,d Übergangsfrakturen (Twoplane, Triplane)
22.3 Distaler Unterschenkel
Weiterhin kommen knöcherne Frakturen an der Epiphyse der Fibulaspitze wie auch im Bereich des Innenknöchels vor. Diese werden unter den fibularen Bandrupturen abgehandelt.
Fraktur des Malleolus medialis Ursache und Häufigkeit Der Unfallmechanismus ist meist indirekt und kann alle Bewegungsebenen betreffen. Unfallursachen sind neben Kontaktsportarten auch Sprünge aus der Höhe, Quetschtraumen und Verkehrsunfälle. Sprunggelenkverletzungen, die die Epiphyse betreffen, machen nur insgesamt 4% aller Frakturen dieser Lokalisation aus. Von allen Epiphysenfrakturen sind nur 10–25% am Sprunggelenk lokalisiert (v. Laer 2001; Larson u. Davis 1995; Landin u. Danielsson 1983). Klassifikation Die Fraktur des Innenknöchels bei noch weit offenen Fugen liegt meist in der gedachten Verlängerung der medialen Taluswand nach proximal. Die Fraktur der Epiphyse zeigt im a.-p.-Strahlengang daher meist eine vertikale Ausrichtung. Erst im jugendlichen Alter, wenn der physiologische Fugenschluss medial schon begonnen hat, können auch die horizontal verlaufenden Bruchformen des Erwachsenen beobachtet werden. Die Frakturen können mit oder ohne metaphysären Keil auftreten (Salter-Harris Typ III und IV). Ob es tatsächlich den immer wieder postulierten »Crush-Mechanismus« im Sinne einer Salter-Harris-V-Verletzung gibt, ist fraglich, dies spielt aber für die Therapie keine Rolle. Zusätzlich können laterale Verletzungen des oberen Sprunggelenks vorkommen. Neben der fibularen Epiphysiolyse kann es zu knöchernen Syndesmosenausrissen und auch zu knöchernen medialen Bandausrissen kommen (Abb. 22.46 a–d).
a Abb. 22.46. a,b. Die Frakturen des Innenknöchels sind zwar intraartikulär, aber meist im nicht gelenktragenden Anteil gelegen. c Sie können die Fuge berühren oder überqueren oder außerhalb
Diagnostik Radiologisch Die Röntgendiagnostik ist durch den Umstund erschwert, dass der Knochenkern der distalen Epiphyse erst zwischen dem 6. und dem 24. Lebensmonat sichtbar wird. Die radiologisch sichtbare Kontur des Innenknöchels bildet sich noch später aus. Der Bereich der Epiphyse, in dem die Frakturlinie erwartet wird, ist etwa ab dem 3. Lebensjahr radiologisch sichtbar.Auch kleinste radiologische Veränderungen an der medialen Kortikalis der Tibiameta- oder epiphyse können auf dislozierte Innenknöchelfrakturen hinweisen. Bei klinischem Verdacht auf eine Innenknöchelfraktur ist die a.-p.-Aufnahme senkrecht zur Platte besser geeignet als die 15–20° innenrotierte Aufnahme. In der genannten Aufnahmetechnik ist die mediale Seite des oberen Sprunggelenkes besser einsehbar. Die meist standardmäßig durchgeführte Aufnahme in Innenrotation stellt hingegen knöcherne Syndesmosenausrisse oder Tillaux-Frakturen exakter dar. Daher fertigen wir beim klinischen Verdacht auf eine Innenknöchelfraktur immer eine zusätzliche Aufnahme im a.-p.-Strahlengang bzw. in leichter Außenrotation zur üblichen Standardaufnahme an (Abb. 22.47 a–e). Falls zusätzliche Information z. B. beim schweren Weichteiltrauma mit Verdacht auf Schäden am Gelenkknorpel oder an Ligamenten besteht, ist die MRT der CT überlegen. Vor allem die Frage der Brückenbildung kann im Verlauf durch die MRT besser beurteilt werden (Iwinska-Zelder et al. 1999). Therapie Ziel der Therapie ist die stufenlose Reposition und stabile Osteosynthese. Bei diesen Maßnahmen sind Gelenkstufen zu vermeiden, auch wenn sie während des Wachstums ausgeglichen werden können, ist das Ausmaß der Reparation nicht zuverlässig vorhersehbar. Konservativ werden nur unverschobene Frakturen be-
b des Fugenbereichs liegen. d Nur selten liegen die Frakturen im gelenktragenden Teil. Ab dem 12. Lebensjahr ist nicht mehr mit relevanten Wachstumsstörungen zu rechnen (v. Laer 2001)
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Kapitel 22 Unterschenkel
20°
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Abb. 22.47. a,b Die Standardaufnahme für das Sprunggelenk (OSG) stellt die a.-p.-Aufnahmetechnik in 20°-Innenrotation dar. Bei Verdacht auf eine Innenknöchelfraktur kann es sinnvoll sein, eine orthograde Aufnahme durchzuführen, da dann der Innenknöchel besser zur Darstellung kommt. c Standardtechnik der a.-p.-Auf-
nahme des OSG in 20°-Innenrotation. Eine zarte Linie weist auf eine mögliche Innenknöchelfraktur hin. d Seitliche Aufnahme. e A.-p.-Aufnahme ohne Innenrotation in orthograder Technik bzw. leicht außenrotiert. Die Innenknöchelfraktur kommt deutlich zur Darstellung
handelt (Abb. 22.48 a–c).Weiterhin soll versucht werden, durch die anatomische Rekonstruktion eine sich ausbildende Nekrosen- oder Ausheilungsbrücke in ihrem Umfang möglichst klein zu halten, auch wenn diese Brücken durch die Therapie selbst nicht vermeidbar sind. Auch Frakturen mit einer Spaltbildung (>2 mm) ohne Stufenbildung gelten nach diesen Gesichtspunkten – im Gegensatz zu den Übergangsfrakturen – als verschoben und werden der operativen Therapie, sobald diese den tragenden Teil des Gelenks betreffen, zugeführt. Die Indikation zur Operation ergibt sich auch aus der Tatsache, dass im Bereich des Innenknöchels nach konservativer Therapie – insbesondere bei einer dislozierten Fraktur – in einigen Fällen die für das Kindesalter untypische Komplikation der Pseudarthrosenbil-
dung zu beobachten ist (Kling et al. 1984; Lintecum u. Blasier 1996; Weber 1967; Wehner u. Hasek 1977; Wicky u. Stauffer 1982; Abb. 22.49 a–c). Operativ 쐌 Anästhesie: Bei Kindern ist eine Vollnarkose vorzuziehen. 쐌 Lagerung: Rückenlagerung. 쐌 Zugang (Abb. 22.50 a,b): Bei dislozierten Innenknöchelfrakturen mit vorhandener Gelenkstufe und möglicher Rotation des Fragments muss immer offen vorgegangen werden. Dabei reicht es aus, die Fraktur unter Sicht zu reponieren und über Stichinzisionen in der kanülierten Technik zu fixieren, sodass der Zugang klein gehalten werden kann.
22.3 Distaler Unterschenkel
notwendig werden, eine Bohrdrahtfixation vorzunehmen (Abb. 22.51 a–f). Komplikationen. Wundinfekt, Knocheninfekt, Wundheilungsstörung, Bewegungseinschränkung, Gefäß- und Nervenschäden, die am ehesten bei zusätzlicher Darstellung der Tibiahinterkante auftreten können. Nachbehandlung Konservativ Alle undislozierten Frakturen werden in einem gespaltenen Unterschenkelgips ruhiggestellt. Nach einer Woche erfolgt sowohl die radiologische Kontrolle, um eine sekundäre Dislokation auszuschließen, als auch der Gipsabschluss. Insgesamt wird die Extremität für 2–3 Wochen nicht belastet. Kinder <7 Jahren dürfen nach der 2. bis 3. Woche voll belasten. Kinder >7 Jahren müssen noch für eine weitere Woche eine Teilbelastung durchführen. Spätestens nach 3 Wochen ist die Belastung im Gips erlaubt. Nach insgesamt 5 Wochen wird der Gips abgenommen. Operativ Die Teil- bzw. Nachbehandlung erfolgt im Gipsverbund, wobei eine Entlastung für 2–3 Wochen angestrebt wird. Ältere Kinder können auch ohne US-Gips mit einer Teilbelastung von 15 kg an Unterarmgehstützen mobilisiert werden. Anschließend wird entweder bei Teilbelastung ohne Gips für weitere 2 Wochen weiterbehandelt oder unter Vollbelastung noch zusätzlich ein Gips angelegt. Nach 5 Wochen wird die Vollbelastung zugelassen. Bei freier Beweglichkeit, meist nach 6–12 Wochen, ist eine Wiederaufnahme von Sport möglich.
Abb. 22.48. a 11-jähriges Mädchen erlitt beim Trampolinspringen eine Distorsion und zog sich eine unverschobene Innenknöchelfraktur ohne Gelenkstufe zu. b Es wurde eine konservative Therapie im Unterschenkelgips durchgeführt. c Ausheilungsbild nach 3 Monaten
Die Inzision verläuft bogenförmig vor dem Innenknöchel. Bei der operativen Stabilisierung wird darauf geachtet, dass weder Schrauben noch Bohrdrähte die Wachstumsfuge kreuzen. Mit der epiphysären Zugschraube kann entsprechend des beschriebenen Frakturverlaufs in fast allen Fällen eine optimale Frakturkompression ausgeübt werden. Zusätzlich kann ein metaphysärer Keil verschraubt werden. Nur bei sehr kleinen Fragmenten kann es gelegentlich
Wachstumskontrollen Um mögliche Komplikationen im Bereich der Fuge rechtzeitig erkennen zu können, ist eine routinemäßige Kontrolle nach 3 und 6 Monaten, sowie anschließend im halbjährlichen Abstand bis zu 3 Jahre nach Unfall erforderlich. Bei unauffälligem Verlauf wird die Behandlung nach 3 Jahren oder mit Beginn des physiologischen Fugenschlusses medial abgeschlossen. Spätkomplikationen Wachstumsstörungen im Sinne des partiellen vorzeitigen Verschlusses sind vor dem 12. Lebensjahr mit 10% relativ häufig. Wesentliche Punkte sind deshalb die primäre Aufklärung der Eltern und des Patienten und sowohl klinische als auch radiologische Kontrollen bis zum Abschluss des Wachstums (Hasler u. v. Laer 2000; Marti u. Besselaar 1991; Marti et al. 1991). Führt ein Brückenkallus zum Fehlwachstum im Sinne einer Varusfehlstellung, kann die Resektion und Interposition von Knochenzement (ohne Antibiotikum und ohne Röntgenkontrastzusatz), eines Fettlappens oder von au-
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Kapitel 22 Unterschenkel Abb. 22.49. a Gering dislozierte epimetaphysäre Fraktur (Salter-Harris IV) im Innenknöchelbereich. Mädchen, 4 Jahre. b Postoperatives Bild nach offener Reposition und Verschraubung mit einer kanülierten Schraube. c Sprunggelenkröntgenbild 6 Monate nach dem Unfall, ohne sichere Zeichen einer knöchernen Wachstumsfugenbrückenbildung. Eine Langzeitkontrolle ist erforderlich
Malleolus medialis V. saphena magna
a Abb. 22.50 a,b. Zugang zum Innenknöchel. a Hautinzision, diese sollte leicht bogenförmig (konvex) vor dem Innenknöchel verlaufen. b Nach Durchtrennen der Haut und Subkutis ist darauf zu achten, dass die V. saphena magna und der sie begleitende N. saphenus nach ventral präpariert werden. Der Innenknöchel liegt nach Durchtrennen der Faszie frei
Fascia cruris
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Abb. 22.51. a Bei älteren Kindern kann das epiphysäre Fragment verschraubt werden. b Ist das metaphysäre Fragment groß genug, kann es ebenfalls verschraubt werden. c Bei kleinen Kindern findet die alleinige Spickdrahtosteosynthese oder kombiniert mit einer Drahtzerklage Anwendung. d–f Eine dislozierte Innen-
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knöchelfraktur wurde in kanülierter Technik verschraubt. Bei diesem Vorgehen ist darauf zu achten, dass das Gewinde hinter der Fraktur zu liegen kommt, ggf. kann über einen eingeschobenen Spickdraht das Gewinde der Schraube gekürzt werden. Bevorzugt wird der anteromediale Zugang
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tologem Knorpel (Knorpel aus Crista iliaca oder Rippenknorpel) notwendig werden. In Fällen mit kleiner Brückenbildung kann es noch vor Ausbildung einer signifikanten Fehlstellung zur spontanen Sprengung der Wachstumsfugenbrücke kommen (Abb. 22.52 a–h).
Übergangsfrakturen Diese Verletzungen, die nur in einem engen Zeitfenster der knöchernen Entwicklung auftreten können, sind in den letzten Jahrzehnten oftmals unter verschiedenen Synonymen beschrieben worden. Ungeachtet dieser Publikationen wurde der Ausdruck »triplane fracture« von Lynn (1972) geprägt. Epidemiologisch zählt die Fraktur an der distalen Epiphysenfuge der Tibia neben den Fingerepiphysiolysen zu den häufigsten Unfällen der Wachstumsfugen im Kindesalter. Der Anteil der Übergangsfraktur an den epiphysäen Verletzungen der Tibia wird unterschiedlich bewertet. Dies hängt wahrscheinlich mit der Struktur der Krankenhäuser zusammen, die die Altersgrenze in der Kindertraumatologie im 14. Lebensjahr ziehen (Cooperman et al. 1978; Karrholm 1997; Mann u. Rajmaira 1990; Spiegel et al. 1984). Physiologische Grundlage für das Entstehen dieser Frakturen ist die Tatsache, dass die distale Wachstumsfuge der Tibia asymmetrisch über einen Zeitraum von etwa 18 Monaten ossifiziert (der mechanisch empfindlichste Teil der Fuge liegt an der metaphysären Grenzzone). Mit zunehmender Mineralisierung dieser Zone steigt auch die mechanische Festigkeit. An der distalen Tibia beginnt dieser Umbau im ventrolateralen Teil des Innenknöchels, um sich von dort nach dorsolateral auszubreiten. Diese Mineralisationsvorgänge sind anfänglich auf dem Röntgenbild nicht sichtbar (Clement u. Worlock 1987; v. Laer 2001). Der anterolaterale Teil der Wachstumsfuge verbleibt am längsten in der mechanisch schwächeren Form bestehen. Jede Krafteinwirkung, die vor Beginn dieser Veränderungen zur Epiphysenlösung und nach Abschluss dieses Umbaus zur »Knöchelfraktur« führt, kann eine der vielen Formen der Übergangsfrakturen verursachen. Das morphologische Erscheinungsbild wird dabei weniger von der Stellung des Fußes und der einwirkenden Kraft bestimmt, sondern vielmehr vom Verlauf der »Grenzzone« zwischen mineralisierten und nichtmineralisierten Anteilen der Fuge. (Siehe Kap. Mayr Epiphysäre Verletzungen.) Grundsätzlich weisen daher alle Übergangsfrakturen stereotype Verläufe auf, wobei diese an der distalen Tibia am besten untersucht wurden. Der Altersgipfel der Frakturen ist bei Jungen und Mädchen verschieden und liegt zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr (Clement u. Worlock 1987; El-Karef et al. 2000; Ertl et al. 1988; Karrholm 1997; Rapariz et al. 1996). Die Verletzungen sind zu einem hohen Anteil durch Sportunfälle bedingt (Ertl et al. 1988; Landin et al. 1986; Rapariz et al. 1996; Shin et al. 1997).
Entwicklung und Wachstum Wachstumsstörungen Da zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr an der distalen Tibia naturgemäß kein signifikantes Wachstum mehr stattfinden kann, gelten für die Behandlung dieser Verletzung die Richtlinien der Knochenbruchbehandlung im Erwachsenenalter. Zwar können verbliebene Fehlstellungen nicht mehr korrigiert werden, jedoch kann es auch zu keinem iatrogenen oder unfallkausalen Schaden an den Fugen mehr kommen. Wachstumsstörungen im eigentlichen Sinne sind nicht zu erwarten, da kein signifikantes Wachstum an der Fuge der distalen Tibia mehr erfolgt. Allerdings existieren Hinweise, dass evtl. noch eine gewisse Reparationsfähigkeit im Bereich der Gelenkfläche am Übergang von der mineralisierten zur nichtmineralisierten Zone möglich ist. Bislang ist nicht genau abschätzbar, welche Stufen- und vor allem Spaltbildungen im Gelenkbereich als tolerabel anzusehen sind. Daher behandeln wir reine Diastasen, die in der CT <4 mm betragen, derzeit konservativ. Diese weisen im Nativröntgenbild allenfalls eine Größe von 2–3 mm auf (Landin et al. 1986). Weiterhin wird daraufhin gewiesen, dass es nach unvollständig reponierten Frakturen zu einer Erhöhung der Arthroserate in Langzeitstudien kommen kann (Ertl et al. 1988; Hasler u. v. Laer 2000; Rapariz et al. 1996). Klassifikation Grundsätzlich wird zwischen den »twoplane-fractures« und den »triplane-fractures« unterschieden. Die 2 Ebenen der »twoplane-fracture« werden durch die Ebene der Wachstumsfuge (nicht mineralisierter Teil) und der Epiphysenfraktur (Grenze zum mineralisierten Teil) festgelegt. Naturgemäß liegt die 1. Ebene parallel zur Gelenkfläche, während die 2. Ebene in der a.-p.-Ansicht vertikal verläuft. Die Größe des Fragments unter dem nichtmineralisierten Teil hängt demzufolge vom Stadium des Fugenschlusses ab. In späten Stadien, wenn die Mineralisation fast vollständig bis auf einen kleinen anterolateralen Teil stattgefunden hat, entsteht die juvenile Tilleaux-Fraktur, als knöcherner Ausriss der vorderen Syndesmose (Abb. 22.53 a–e). Selbstverständlich kann diese inkomplette Epiphysiolyse auch mit einem metaphysären Keil auftreten. Dieser Keil beschreibt dann die 3. Ebene, in diesem Fall liegt eine »triplane-fracture« vor. Im Gegensatz zur kompletten Fugenlösung ist aber nicht die gesamte metaphysäre Fläche betroffen, sondern lediglich in jenem Bereich, wo noch keine Mineralisation stattgefunden hat. Bei diesen Frakturen handelt es sich also um »Triplane-two-part-Frakturen«. Der metaphysäre Keil kann allerdings ebenso bis zur Gelenkfläche frakturieren, sodass ein drittes Fragment (hinteres Volkmann-Fragment) und eine weitere Frakturlinie im Bereich der Gelenkfläche entstehen (»triplane-three part«). Es wurden sogar Versuche unternommen, diese Frakturen in laterale und mediale Triplane-
22.3 Distaler Unterschenkel
Abb. 22.52. a Dislozierte, epimetaphysäre Fraktur (Salter-Harris IV) im Innenknöchelbereich mit begleitender Salter-Harris-IIEpiphysenlösung der distalen Fibula. Junge, 5 Jahre zum Unfallzeitpunkt. b Bei Erstvorstellung 3 Wochen nach Beginn der konservativen Behandlung bestand eine Wachstumsfugenbrücke, deren Ausdehnung in der CT die ganze Länge des Innenknöchels im Frakturbereich einnahm. Sichtbare Knochenbrücke (Pfeil) zwi-
schen Epi- und Metaphyse im Frakturbereich im Innenknöchelbereich. c Nach Knochenbrückenresektion und Verschraubung der Fraktur zeigt sich der Wachstumsfugenbereich medial wieder frei. d 6 Monate postoperativ zeigt sich die Wachstumsfuge medial breit offen. e Das Kind nunmehr seit 4 Jahren beschwerdefrei. f,g Intraoperativer Situs: schwarzer Pfeil: Fuge, weißer Pfeil Innenknöchelfragment. h Anteromedialer Zugang
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Frakturen zu unterteilen, jenachdem ob die Mineralisationsgrenze noch medial oder schon lateral verläuft. Ungeachtet dieser Vielzahl von Frakturebenen und Fragmentgrößen scheinen aber Patienten mit TriplaneFrakturen jünger zu sein als jene mit Twoplane-Frakturen. Während bei den einfacheren Twoplane-Frakturen am primären Röntgenbild der partielle Verschluss der Fuge schon erkennbar ist, zeigen sich bei den TriplaneFrakturen mitunter radiologisch noch unverschlossene Fugen (Landin et al. 1986; Abb. 22.54 a–f). In seltenen Fällen kann die epiphysäre Frakturlinie auch durch den Innenknöchelbereich ohne Gelenkbeteiligung verlaufen, wenn sich fast die gesamte distale Tibiaepiphyse gelöst hat (= extraartikuläre Triplane-Fraktur). Zu bedenken ist, dass Übergangsfrakturen schon ab dem 10. Lebensjahr bei Mädchen und etwa ab dem 12. Lebensjahr bei Jungen auftreten können. Bei Kindern, die diese Altersgrenze erreichen, muss man nach Distorsionstraumen des oberen Sprunggelenks die Möglichkeit einer Übergangsfraktur in Betracht ziehen. Diagnostik Klinisch Neben einer Schwellung zeigen die Patienten eine Bewegungseinschränkung und meist eine diffuse Schmerzangabe im Sprunggelenk. Bei den Tilleaux-Frakturen kann ein Druckschmerz über der Syndesmose vorhanden sein. Eine solche Verletzung kann leicht übersehen werden. Offene Verletzungen oder eine Gefäß-NervenBeteiligung sind äußerst selten. Radiologisch Zusätzlich zu den a.-p. und seitlichen Aufnahmen des Sprunggelenks sind zur genauen Beurteilung des Frakturverlaufs und zum Ausschluss von Dislokationen zwei 45°-gedrehte a.-p.-Aufnahmen des Sprunggelenks oder eine axiale CT des Sprunggelenkbereichs günstig (RaAnsicht von frontal
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lateral
lateral
pariz et al. 1996). Im Gegensatz zu v. Laer führen wir zur Planung einer Schraubenfixation meist eine präoperative CT durch, um Form und Lage der zu verschraubenden Fragmente in die Operationsplanung miteinbeziehen zu können. Wichtig erscheint uns zu betonen, dass die Weite des Frakturspalts in der CT fast immer 2 mm überschreitet; ab einer Diastase von 4 mm in der CT stellen wir grundsätzlich die Indikation zur operativen Intervention. Bei Gelenkstufen sind bereits 2 mm intolerabel (Brown et al. 2004; Seifert et al. 2001; Vanhoenacker et al. 2002). Therapie Indikation Unabhängig von der Frakturform ergibt sich die Indikation zur Operation aus dem Vorliegen von Gelenkstufen. Behandlungsziel bei Übergangsfrakturen ist die Wiederherstellung der Kongruenz der Gelenkfläche, wobei Gelenkflächenstufenbildungen >2 mm und reine Distraktionen der Gelenkfläche von >4 mm zu vermeiden sind (El-Karef et al. 2000; Karrholm 1997). Konservativ Undislozierte Frakturen (Gelenkstufe <2 mm, Distraktion im Gelenkflächenbereich <4 mm) können im Unterschenkelgips mit Belastungsbeginn nach 3 Wochen behandelt werden (Abb. 22.55 a–c). Zunächst wird der Unterschenkelgips gespalten und nach einer Woche zirkulär geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt eine radiologische Kontrolle der Stellung der Fragmente. Eine sekundäre Dislokation unverschobener Übergangsfrakturen ist eine Rarität. Operativ Dislozierte Frakturen müssen verschraubt werden. Hierfür hat sich die minimal-invasive Versorgung mit kanülierten Schrauben bewährt. Grundsätzlich wird in
lateral
medial
b
unten
Abb. 22.53. a–c. Klassifikation der Übergangsfrakturen. a Twoplane. b Triplane I. c Triplane II
c
22.3 Distaler Unterschenkel Abb. 22.54. a Dislozierte Twoplane-Fraktur eines 13,7-jährigen Jungen. b Twoplane-Fraktur in der CT in koronarer Schnittführung. c Twoplane-Fraktur in der CT in horizontaler Schnittführung. d Perkutane Schraubenfixation mit kanülierter Schraube nach geschlossener Reposition. e Twoplane-Fraktur, 3 Monate nach Verschraubung ist die Fraktur konsolidiert. f Ergebnis 6 Monate nach operativ versorgter Twoplane-Fraktur, Zustand nach Metallentfernung
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unserer Klinik geschlossen vorgegangen, nur im Falle einer rotierten Tilleaux-Fraktur erfolgt ein offener Zugang, da sich diese Frakturen meist nicht geschlossen reponieren lassen. Intraoperativ muss bei unzureichender Reposition ebenfalls von der geschlossenen Technik auf ein offenes Verfahren umgestiegen werden; dies ist nur sehr selten notwendig. Operationstechnik Anästhesie. Bei Jugendlichen kann sowohl die Vollnarkose als auch die Spinalanästhesie Anwendung finden. Lagerung. Rückenlagerung mit frei abgedecktem Sprunggelenk. Eine Blutsperre ist nicht notwendig, sollte jedoch zur Sicherheit angelegt, aber nicht aktiviert werden. Zugschraubenosteosynthese. Bei den TwoplaneFrakturen ist eine einfache Zugschraubenosteosynthese ausreichend. Die Schraube wird von distal anterolateral nach proximal dorsomedial platziert. Kanülierte Schrauben (Abb. 22.56 a,b). TwoplaneFrakturen benötigen häufig nur eine epiphysär eingebrachte Schraube, wobei das Fragment direkt mit einem Kirschner-Draht reponiert (»Joystick-Technik«) und passager fixiert wird. Das Fragment kann dann von der gegenüber liegenden Seite durch Einbringen einer kanülierten Schraube über den durchgebohrten Führungsdraht fixiert werden. Dies hat den Vorteil der leichteren Entfernbarkeit zu einem späteren Zeitpunkt. Sehr instabile Triplane-Frakturen benötigen zusätzlich zur epiphysären noch eine metaphysäre, von vorne (oder hinten) eingebrachte Schraube zur Fixation des hinteren (metaphysären oder Volkmann-) Keils. Meist ist keine offene Reposition erforderlich, und die Einbringung der Schraube(n) kann über kleine Hautinzisionen erfolgen. Wenn eine offene Reposition notwendig wird, so wird meist ein anteriorer Zugang (Abb. 22.57 a–e) gewählt, der je nach Fragmentdislokation medial oder lateral zu liegen kommt (s. anteromedialen Zugang Abb. 22.50 a,b; Altermatt 1998; Dias u. Giegerich 1983; ElKaref et al. 2000; Karrholm 1997; Kling 1990).
Gefahren, Komplikationen, Fehler 쐌 Belassen einer Gelenksstufe 쐌 Persistierende Gelenkinkongruenz mit späterer Arthrosegefahr 쐌 Bewegungseinschränkungen 쐌 Osteoarthritis 쐌 keine klinisch relevanten Beinlängendifferenzen (fehlende Wachstumspotenz in diesem Alter) 쐌 Achsenfehlstellungen (Varus-/Valgusfehlstellung)
Nachbehandlung Konservativ Primär wird nach Anlage eines gespaltenen Unterschenkelgipses dieser nach einer Woche geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt nochmals die radiologische Kontrolle zum Ausschluss einer sekundären Dislokation. Nach 2 Wochen erlauben wir den Gang an Unterarmgehstützen unter 15 kg Teilbelastung, ab der 3. Woche ist die zunehmende Vollbelastung erlaubt. Der Gips wird insgesamt für 5 Wochen belassen. Operativ Die Mobilisation des Patienten erfolgt mit Stützkrücken (Belastungsbeginn etwa nach 3 Wochen) bis zum Erreichen der Vollbelastung. Sportfähigkeit Nach Gipsabnahme erfolgt ein Training zu Förderung der Stabilisation und Koordination. Bei Erreichen derselben kann die sportliche Aktivität wieder aufgenommen werden. Metallentfernung Die Schraubenentfernung erfolgt nach 3–6 Monaten. Wachstumskontrollen Da eine Wachstumsstörung nicht zu erwarten ist, führen wir keine routinemäßigen Langzeitkontrollen durch.
22.3 Distaler Unterschenkel
Abb. 22.55. a Triplane-II-Fraktur eines 14-jährigen Jungen (Fußballsportverletzung). b CT-Bild bei horizontaler Schnittführung zeigt »Mercedes-Stern-förmiges« Frakturbild in Höhe der Epiphy-
3
se. c Konsolidationsbild 5 Wochen nach dem Unfall nach konservativer Behandlung (anfangs kurzer Oberschenkelgipsverband, für 3 Wochen, anschließend Sarmiento-Gehgips, für 2 Wochen)
3
2 2 1 a Abb. 22.56 a,b. Prinzip der geschlossenen Reposition und perkutanen Schraubenfixation mit kanülierten Schrauben von Übergangsfrakturen. Geschlossene Reposition mit Hilfe eines dicken Kirschner-Drahtes (1), Einbringen eines Führungsdrahtes für die kanülierte Schraube (2). Wenn möglich Einbringen der kanülierten Schraube vom Innenknöchel her (leichtere Entfernbarkeit!).
b Einbringen eines Führungsdrahtes (3) für die Verschraubung des metaphysären Keils. Zuletzt Verschraubung des metaphysären Keils mit kanülierter Schraube, wobei vorher das Gewinde dieser Schraube so zu kürzen ist, dass das Gewinde nur im metaphysären Keil zu liegen kommt (Zugschraubenwirkung!)
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Kapitel 22 Unterschenkel
N. cutaneus dorsalis intermedius M. extensor digitorum longus
Retinaculum mm. extensorum inferius
a
b
M. extensor digitorum longus
Fascia cruris Fascia cruris
Vv. tibiales anteriores
c
Capsula articularis articulationis talocruralis
Tendo m. peronei tertii
Retinaculum mm. extensorum inferius
d
Lig. talofibulare anterius.
Abb. 22.57 a–e. Anterolateraler Zugang zum Sprunggelenk. a Hautschnitt. Dieser liegt lateral des M. extensor digitorum longus vor der Syndesmose. b Spaltung der Faszie und des Retinaculum Mm. extensorum inferius. c Der M. digitorum longus und auch der M. peronaeus tertius werden nach medial weggehalten. Querverlaufende Venen müssen ligiert werden. Auch das Gefäß-NervenBündel wird nach medial gehalten. d Eröffnung der Kapsel immer in Längsrichtung. e Darstellung der Fraktur und des Gelenks
Kapsel
e
Talus
22.3 Distaler Unterschenkel
22.3.3 Distorsionen, knöcherne und ligamentäre fibulare Bandläsionen Distorsion bis hin zur akuten knöchernen oder ligamentären Bandverletzung zählen zu den häufigsten Verletzungen, die Kinder und Jugendliche in die Praxis oder in die Klinik führt. Insbesondere in der Adoleszenz spielen diese Läsionen eine nicht unerhebliche Rolle, da die sportliche Aktivität in dieser Altersgruppe besonders hoch liegt. Ballsportarten wie Fußball, Basketball oder Handball führen überproportional häufig zu Kapsel-Band-Verletzungen am Sprunggelenk (Kingma u. ten Duis 1998; Watson 1984). Anatomie Das Sprunggelenk wird von einer funktionellen Einheit umgeben, die aus folgenden Bändern gebildet: 쐌 dem Lig. talofibulare anterius (eine Verdickung der vorderen Gelenkkapsel; TFA), 쐌 dem Lig. talofibulare posterius (TFP), 쐌 dem Lig. calcaneofibulare (CF), 쐌 dem Lig. deltoideum. Die Außenbänder nehmen in den verschiedenen Flexionsstellungen des Fußes unterschiedliche Rollen für die Stabilisierung des Sprunggelenks ein. Die Translation des Fußes nach vorne wird hauptsächlich durch das TFA verhindert, wobei das TFA auch einer gewissen Varisierung entgegenwirkt (Weiglein 1996). Die Taluskippung wird hauptsächlich über das CF gesteuert, da es beide Sprunggelenke überbrückt. Die Translation des Fußes nach hinten wird durch das TFP verhindert. Allein durch den Bandapparat ist eine vollständige Stabilität des oberen Sprunggelenks nicht garantiert. Die Mm. peronaei sind die »dynamische Ausbänder« des oberen Sprunggelenks und leisten auch die Hauptarbeit bei der Pronation. Die Seitenbänder stellen nicht nur mechanische sondern auch propiorezeptive Einheiten dar (Löfvenberg et al. 1996). Dem Eigenreflexbogen kommt für die dynamische Stabilisierung des oberen Sprunggelenks eine zentrale Bedeutung zu. Die verantwortlichen afferenten Nervenfasern liegen in den Bändern und den Gelenkkapseln. Wiederholte Distorsionen können zum so genannten »giving way«, ohne mechanischer Instabilität führen, da diese Nervenfasern leichter als die kollagenen Fasern rupturieren und so der Reflexbogen unterbrochen wird. Ein aus dieser funktionellen Instabilität erneut erfolgtes Supinationtrauma kann nun zur Bandruptur und damit zur mechanischen Instabilität führen (Freeman 1965).
Stress des Fußes zu 3 charakteristischen Dislokationen des Talus: 쐌 in der Frontalebene zu einer Varuskippung, 쐌 in der Sagittalebene zum Schubladenphänomen und 쐌 in der Transversalebene zur abnormen Innenrotation des Talus. Zusätzlich rupturieren die lateralen Strukturen in folgender Sequenz: zunächst das TFA, dann das CF und schließlich das TFP. Beim reinen Inversionstrauma kann eine partielle Ruptur des CF auftreten, das TFP reißt als stärkstes Band nur sehr selten. Isolierte Verletzungen des Innenbandes ohne Fraktur des Außenknöchels sind im Adoleszentenalter extrem selten. Eine forcierte Inversion des Fußes kann zusätzlich zur Ruptur des TFA wie auch zu einer Ruptur des Lig. deltoideum führen. Klassifikation Die knöchernen Läsionen können als Epiphysiolyse mit und ohne metaphysären Keil oder als knöcherne Bandausrisse auftreten. Seltener sind knöcherne Syndesmosenausrisse (Abb. 22.58). Zur Klassifikation der ligamentären Verletzungen des Außenbandes werden meist 3 Schweregrade unterschieden (Sommer 1996): 쐌 Grad-I-Verletzungen sind leichte Bandverletzungen im Sinne einer Zerrung oder Distorsion, bei denen einige Fasern überdehnt sind. Die Bandintegrität ist gewahrt. Klinisch bestehen eine leichte Schwellung und Schmerzen. 쐌 Grad-II-Verletzungen lassen makroskopisch sichtbare Teilrupturen unter Beteiligung des CF sowie des TFA erkennen mit klinischen Anzeichen einer geringen Instabilität. Gegenüber der gesunden Seite ist ein Aufklappen von >5° gegeben. 쐌 Grad-III-Verletzungen zeigen eine komplette Ruptur des CF und des TFA. Klinisch zeigen sich eine ausgedehnte Schwellung und Ekchymose. Das obere Sprunggelenk ist instabil. Die Aufklappbarkeit beträgt >15° gegenüber der anderen, gesunden Seite.
a
Ursache Bei der Ruptur des vorderen und auch des hinteren fibularen Bandes führt ein Adduktions-Supinations-
b
c
Abb. 22.58 a–c. Knöcherne Verletzungen am Außenknöchel. a Knöcherner Bandausriss. b Epiphysiolyse mit und ohne Keil. c Knöcherner Syndesmosenausriss
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Kann der Talus in der Frontalebene um >30° verkippt werden, muss von einer Luxatio pedis supinatoria ausgegangen werden. Findet sich zusätzlich ein anteromediales Schubladensymptom, besteht der unmittelbare Übergang zur Luxatio pedis cum talo, die eine vollständige Verrenkung des Fußes mit dem Sprungbein aus der Gabel heraus bedeutet. Es handelt sich hier um ein extrem seltenes Unfallgeschehen, bei dem sämtliche lateralen Bandstrukturen rupturieren und bei weiterer Gewalteinwirkung durch Schub von vorne oder hinten auch der mediale Bandapparat zerreißt (Zwipp 1994). Diagnostik Klinisch Meist zeigt sich bei frischem Trauma eine eiförmige Schwellung im Bereich des Sprunggelenks unter und/ oder vor dem Knöchel. Bei einem länger zurückliegenden Trauma kann das mitunter ausgeprägte diffuse Hämatom bis an den Fußrand abgesackt sein. Druckschmerzhaftigkeit im Verlauf des Außenbandes und im Bereich des Innenbandes sollte geprüft werden. Insgesamt ist die Beweglichkeit eingeschränkt. Bei der akuten Verletzung lassen sich die Stabilitätstests nur bei Jugendlichen durchführen. Bei Kindern sind die Distorsion sowie die knöcherne Läsion weitaus häufiger. Wir verzichten zunächst bei Kindern unter dem 12. Lebensjahr auch bei erheblichen Schmerzen und Schwellung auf eine klinische Stabilitätsuntersuchung. Nach Durchführung der radiologischen Untersuchung und ausgeschlossenem knöchernen Bandausriss wird dann die Stabilität untersucht. Im Zweifelsfall wird eine Bandruptur angenommen und der Patient bei Schmerzen nicht untersucht. Nach der ersten Woche lässt sich auch bei Kindern nach Abschwellung die Stabilität sehr gut prüfen, ohne Schmerzen zu provozieren. Bei Jugendlichen lassen sich die Stabilitätstests, wie Talusvorschub und Kippung, sowie die gehaltenen Aufnahmen des oberen Sprunggelenks in 2 Ebenen (unter Leitungsanästhesie) durchführen. Diese erlauben meist eine eindeutige Differenzierung zwischen stabiler und instabiler Verletzung. Auch bei Jugendlichen führen wir grundsätzlich für eine Woche eine Ruhigstellung durch und wiederholen ggf. anschließend die standartisierte Stabilitätsprüfung, falls primär keine eindeutige Diagnose gestellt werden konnte. Radiologisch Zum Ausschluss knöcherner Läsionen (Epiphysenlösungen, Syndesmosenausrisse, Malleolarfrakturen) führen wir grundsätzlich eine Sprunggelenkaufnahme in 2 Ebenen durch. Hier zeigt sich im Kindesalter unter dem 12. Lebensjahr meist bereits der knöcherne Abriss. Dieser befindet sich häufiger an der Fibulaspitze als am Talus (Schneider u. v. Laer 1981). Die Diagnose des knöchernen Bandausrisses kann dennoch schwierig sein, da im Bereich des Außen-
knöchels so genannte sekundäre Ossikel zu finden sind, wie das Os subfibulare (vgl. Abb. 22.32). Reine Epiphysiolysen sind ebenfalls primär radiologisch nicht sicher erkennbar. Im Zweifelsfall kann der Befund nur zusammen mit der klinischen Untersuchung gesichert werden. Im Jugendlichenalter muss differenzialdiagnostisch immer an eine Übergangsverletzung, insbesondere an eine Twoplane-Fraktur gedacht werden. In diesem Fall kann zum Ausschluss derselben eine 45°-Schrägaufnahme durchgeführt werden. Eine gehaltene Aufnahme des Sprunggelenks führen wir nicht durch, da sich die therapeutische Konsequenz aus der klinischen Untersuchung ergibt. Auch führt die schmerz- und/oder angstbedingte Gegenspannung der Patienten zu falsch-negativen Ergebnissen, vor allem wenn die Aufnahme mit Unterstützung von Haltegeräten ohne (Regional-) Anästhesie durchgeführt wird (Wülker 2000). Ist eine Fraktur radiologisch ausgeschlossen und der Knöchel wegen einer beträchtlichen Schwellung schwer zu untersuchen, ist es wichtig, nach Ruhigstellung – unterstützt durch Kryotherapie und Hochlagerung – eine erneute Untersuchung durchzuführen. Eine präzise durchgeführte rein klinische Diagnostik, innerhalb von 48 Stunden nach erfolgter Verletzung, hat eine Sensivität von 71% und eine Spezifität von 33%. 5 Tage nach Verletzung findet sich eine Sensivität von 96% und eine Spezifität von 84%. (VanDijk et al. 1996). Bei entsprechendem klinischen Verdacht und der Notwendigkeit einer weiteren Abklärung halten wir die MRT im Vergleich zur gehaltenen Aufnahme für die geeignetere Methode. Zusätzlich gibt die MRT Aufschluss über eventuelle Zusatzverletzungen. Es muss aber bedacht werden, dass eine MRT keine Aussage über den funktionellen Zustand des Sprunggelenks liefert. Zusätzlich ist zu bedenken, dass akute ligamentäre Verletzung am oberen Sprunggelenk konservativ mit gutem Erfolg behandelt werden können und daher eine aufwendige Primärdiagnostik fragwürdig erscheint. Die Sonographie besitzt in der Basisabklärung einen hohen Stellenwert, da sie kostengünstig ist und Aufschluss über Verletzungsmuster, Außenbandkontinuität und Kapseldeformierungszeichen bietet (Abb. 22.59 a,b). Therapie Knöcherne Läsionen Die knöchernen Verletzungen sind bei Kindern bis zum 10. Lebensjahr wesentlich häufiger als ligamentäre Rupturen. Grundsätzlich werden diese für eine Woche in einer Unterschenkelliegeschale ruhig gestellt. Anschließend wird auf einen Unterschenkelgehgips gewechselt, der altersabhängig 3–4 Wochen verbleibt. Alternativ kann nach 2 Wochen auch auf ein Brace umgestellt werden. Da dies aber eine kostenaufwendigere Behandlung ist und altersabhängig Kinder bereits nach 3 Wochen knöchern eine Konsolidation aufweisen, verzichten wir meist auf einen Umstieg der Behandlungsweise (Abb. 22.60 a,b).
22.3 Distaler Unterschenkel Abb. 22.59a,b. Typisches Bild eines akzessorischen Knochenkerns (Os trigonum)
Abb. 22.60 a,b. Unfallbilder eines knöchernen Bandausrisses
Ligamentäre Verletzungen Unabhängig von der Primärversorgung (operativ, konservativ mit Gipsruhigstellung oder funktionell) wird die Zahl der Patienten mit dekompensierten Instabilitäten mit 10% bei Jugendlichen angegeben (Zwipp et al. 1989). Das Therapieziel ist die Schmerzbehandlung und der Schutz vor einem neuerlichen Trauma. Bei Grad-I- und Grad-II-Verletzungen erfolgt die Therapie konservativ: mit Kühlung, bei Bedarf unterstützt durch Schmerztherapie mittels topisch, oral oder parenteral verabreichten nichtsteroidalen Antiphlogistika und der Ruhigstellung des verletzten Gelenks über
eine Woche durch eine Unterschenkelliegeschale. Diese kann bei Grad-I- und Grad-II-Verletzungen nach Abschwellung durch einen elastischen Salbenschlauchverband bzw. durch eine funktionelle Brace-Behandlung zur Ausheilung gebracht werden. Bei entsprechendem Ausmaß an Schwellung, Schmerz und/oder Alter des Patienten kann auch die Gipsruhigstellung im Unterschenkelgehgips für weitere 10–14 Tage notwendig werden. Die Behandlungsdauer richtet sich nach dem klinischen Bild bei zunehmender Belastung und dem Schmerzempfinden des Patienten.
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Auch bei Grad-III-Verletzungen hat sich das Therapiekonzept vom operativen Vorgehen hin zur primär konservativen Therapie mit intensiver Physiotherapie entwickelt, da beide Behandlungsformen zu vergleichbar guten Langzeitergebnissen führen (Kannus u. Renstrom 1991).
Nachbehandlung Kontrollen sollten nach einem halben und einem Jahr erfolgen. Stellt sich der Patient subjektiv beschwerdefrei vor, so kann die Behandlung abgeschlossen werden.
Rezidivtrauma, chronische Insuffizienz Empfohlene Therapie Bei Ersttrauma kann eine Therapie wie folgt aussehen: Ruhigstellung mittels Unterschenkelspaltgips über 5 Tage (bei Jugendlichen Thromboseprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen), Kryotherapie, Hochlagerung und Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika. Ist der Patient schmerzfrei, kann nun eine Orthese, die das Gelenk in Neutralstellung hält, angepasst werden. Die verletzten Bandstrukturen können unter Vollbelastung bei axialer Stabilität und erlaubter Extension und Flexion heilen. Die Orthese soll kontinuierlich über 6–8 Wochen getragen werden, anschließend konsequent beim Sport mindestens bis zur 12. Woche, bei Risikosportarten auch länger. Eine begleitende Physiotherapie mit propiorezeptivem und peronealem Training ist nachweislich von entscheidendem Vorteil (Freeman 1965; Sommer 1996; Abb. 22.61 a–d).
Abb. 22.61. a Ausgeprägte Schwellung bei ligamentärem Bandausriss. b Schienenlagerung für eine Woche zum Abschwellen. Dies hat sich bei Kindern bewährt, da diese manchmal keine Teilbelastung durchführen können und dann die sofortige Bracebehandlung zu große Schmerzen verursacht. Bei geringer Schwellung und Jugendlichen kann das Brace sofort angelegt werden. c,d Anlage eines funktionellen Braces. Zunächst Mobilisation an Unterarmgehstützen, die zunehmend weggelassen werden können. (Die Braceversorgung kann in jedem Konfektionsschuh, ggf. eine Nummer größer, getragen werden)
Hat der Patient subjektiv Beschwerden (Schwellung, Schmerzen) oder eine Dekompensationsanamnese (z. B. Rezidivtrauma) und ein frisches Trauma so kann die Indikation zur Operation gestellt werden. Die günstigste operative Therapie ist die Rekonstruktion des Bandapparates durch die primäre Bandnaht in Abhängigkeit vom intraoperativen Befund der dargestellten Bandreste (Rabl u. Nyga 1994). Ist dies nicht möglich muss eine Periostlappenplastik (Kuner 1978; Stöhr u. Huberty 1980), eine Rekonstruktion mit einer Plastik aus der Sehne des M. plantaris (Weber 1972) oder eine Bandplastik aus der Sehne des M. peronaeus brevis nach Watson-Jones bzw. deren Modifikationen vorgenommen werden (Watson-Jones 1965). Um die Wundheilung zu sichern, erfolgt eine fünftägige Gipsruhigstellung, und anschließend erfolgt die Behandlung wie bei der konservativen funktionellen Behandlung.
Literatur
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Literatur zu Abschn. 22.2
Literatur zu Abschn. 22.1
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805
Kapitel 23
Fuß
23
H. Thermann, H. Zwipp, S. Rammelt
23.1 23.1.1 23.1.2
H. Thermann Rückfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 Talus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 Kalkaneus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813
23.2
Mittelfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816
23.3
Vorfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817
23.4
Komplexes Fußtrauma
23.5
Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes . . . . . . . . . . . . . . H. Zwipp, S. Rammelt Korrektur extrinsischer Fußfehlstellungen . . Korrektur intrinsischer Fußfehlstellungen . . Rekonstruktion nach kombinierten Knochenund Weichteildefekten . . . . . . . . . . . . .
23.5.1 23.5.2 23.5.3
. . . . . . . . . . . . . . . . 819 . . . 822 . . . 823 . . . 837 . . . 846
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
H. Thermann Frakturen des kindlichen Fußes weisen im Gegensatz zum Erwachsenen einige Besonderheiten auf. Daraus resultieren spezifische therapeutische Probleme. Abgesehen von den Vorfußfrakturen ist die Inzidenz sehr gering, sodass der behandelnde Chirurg in der Regel nur eine geringe Expertise in der Behandlung dieser Verletzungen besitzt. Die Durchsicht der deutschsprachigen und auch internationalen Literatur ermöglicht dem behandelnden Arzt jedoch nur eine geringe Hilfestellung bei der Erstellung eines stringenten Therapiekonzeptes. Die Anatomie des Fußes mit entsprechenden Wachstumspotenzialen zu verschieden Altersstufen ist bei weitem nicht so detailliert analysiert wie z. B. bei den langen Röhrenknochen, sodass eine Einschätzung der Kompensationsmechanismen bei Fehlstellungen (z. B. Talus- und Kalkaneusfrakturen) im Folgenden nur partiell gegeben werden kann. Die wissenschaftliche Überprüfung der Langzeitergebnisse zeigt besonders bei Problemfrakturen (Talus-, Kalkaneus-, Navicularefrakturen) geringes Datenmaterial, wobei vornehmlich konservative Behandlungen untersucht wurden. Die Fortschritte in der Behandlung des traumatisierten Fußes beim Erwachsenen sind nicht ohne Auswirkungen auf die Verletzungen des kindlichen Fußes geblieben, sodass eine Bestandsaufnahme und kritische
Würdigung bisheriger Behandlungserfahrungen und neuer Therapiekonzepte notwendig erscheint. Spezifische Anatomie des kindlichen Fußes Der kindliche Fuß weist, verglichen mit dem des Erwachsenen, abweichende Strukturen auf. Als Beispiele seien hier nur Rückfußachse, talokalkanearer Winkel, unterschiedliches Auftreten von Ossifikationszentren und vermehrte Dehnbarkeit von Bändern und Sehnen aufgeführt. Diesen Spezifika muss jedoch bei der Behandlung kindlicher Frakturen unbedingt Rechnung getragen werden, um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden. Entwicklung und Wachstum Beim Wachstumsverhaltens des kindlichen Knochens muss prinzipiell zwischen 2 Arten des »Wachstums« unterschieden werden. Während bei der direkten (desmalen) Ossifikation durch Zellvermehrung und Vaskularisation im Mesenchym Ossifikationsinseln entstehen, von denen im weiteren Verlauf die Knochenbildung ausgeht, wird bei der indirekten (chondralen) Ossifikation zunächst der im Bereich der Epiphysenfuge gebildete Knorpel abgebaut und anschließend durch Knochen ersetzt. Letztere Art der Knochenneubildung findet sich vor allem an den Röhrenknochen des Fußes. Zur Erhaltung der Proportionen eines Knochens während des Wachstums ist neben den oben beschriebenen Wachstumsmechanismen auch ein ständiges »remodeling« erforderlich, bei dem entsprechend den veränderten Dimensionen an allen Teilen des Knochens Knochengewebe an- und abgebaut wird. Ein solches Remodeling findet beschleunigt während des 1. Lebensjahres statt. So beträgt die jährliche Erneuerungsleistung des Knochens während der ersten beiden Lebensjahre 50% verglichen mit 5% beim Erwachsenen. Die oben beschriebenen Ossifikationszentren sind teilweise bereits bei der Geburt vorhanden oder bilden sich meist innerhalb des 1. Lebensjahres (Abb. 23.1), wobei der radiologische Nachweis häufig verzögert auftritt (Bliss et al. 1956). Bei Geburt sind lediglich das Sprung- und Fersenbein radiologisch nachweisbar, das Os cuboideum einige Wochen später. Die Ossa cuneiformia sind radio-
808
Kapitel 23 Fuß 9.–12. Woche 6. Jahr 15. Monat 3.–6. Jahr
18. Jahr
11.–15. Jahr
ren zunächst dehnbarer, sodass es unter Belastung anfangs noch zu scheinbaren Fehlstellungen kommt. Entscheidend für die Diagnostik ist hier der unbelastete Fuß, der ein normales Aussehen aufweisen muss (De Valentine 1987).
2.–8. Jahr 3.–4. Jahr 17.–20.. Jahr
3.–4. Jahr 9. Woche 10. Woche 3. Jahr 17.–20. Jahr 2. Jahr
3. Jahr 1. Jahr
3. Jahr
9. Fetal-Monat
6. Fetal-Monat
5. Fetal-Monat Verschmelzung
6.–8. Jahr/ 14.–16. Jahr
Abb. 23.1. Ossifkationzentren des Fußes
logisch meist am Ende des 1. Lebensjahres sichtbar. Das Ossifikationszentrum des Os naviculare als letztem Knochen der Fußwurzel ist dagegen erst zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr röntgenologisch nachzuweisen. Die sekundären Ossifikationszentren der Ossa metatarsalia und Phalangen erscheinen mit 5 Jahren, die Kalkaneusapophyse zwischen dem 6. und 10. Lebensjahr. Das Wachstum ist mit dem Schluss der Wachstumsfuge, d. h. mit dem knöchernen Verbund zwischen Epiund Diaphyse beendet, wobei das Fußskelett diesbezüglich eine große interindividuelle Varianz zeigt. Das Längenwachstum des Fußes findet, verglichen zum übrigen Skelett, wesentlich schneller statt. So ist nach Untersuchungen von Bliss et al. (1956) ein wesentlicher Anteil des Längenwachstums bereits bis zum 5. Lebensjahr abgeschlossen. Bei einjährigen Mädchen bzw. 1 1/2-jährigen Jungen hat der Fuß bereits 50% seiner Gesamtlänge erreicht, wohingegen dies beim Femur erst nach 3 Jahren der Fall ist. Bei 12-Jährigen weist der Fuß schließlich bereits 96% (Mädchen) bzw. 88% (Jungen) seiner Gesamtlänge auf. Diesem initial beschleunigten Längenwachstum muss bei der Behandlung kindlicher Fußfrakturen im Hinblick auf anatomische Reposition unbedingt Rechnung getragen werden (De Valentine 1987; Silas et al. 1995). Die Fußwölbung ist bei kleinen Kindern aufgrund eines meist gut ausgebildeten subkutanen Fettpolsters an den Fußsohlen häufig noch nicht zu erkennen. Erst im Schulalter werden die Fußgewölbe denen der Erwachsenen ähnlicher. Die Gelenke und ligamentären Struktu-
Ursache und Häufigkeit Kindliche Fußverletzungen sind relativ selten und prozentual deutlich geringer als bei Erwachsenen. Die klinischen Berichte umfassen meist nur kleine Fallzahlen. So fanden Buckley et al. (1994) in einer konsekutiven Verlaufsbeobachtung bei insgesamt 805 verletzten Kindern eine Beteiligung des Fußes bzw. Sprunggelenks nur bei 13%. Unfallursache bei schwereren Fußverletzungen ist fast immer das direkte Trauma. Führende Unfallmechanismen sind hierbei Quetschverletzungen durch herabfallende Objekte, das Überrolltrauma oder der Sprung aus der Höhe. Bei einem Sprung aus der Höhe wird aufgrund der großen Flexibilität und Elastizität des Fußes die Gewalteinwirkung nach oben weitergeleitet, sodass es meist zu Verletzungen im Sprunggelenk- oder Unterschenkelbereich kommt. Wird ein Sturz als Unfallursache angegeben, so ist zusätzlich bedenken, dass bei Stürzen aus großer Höhe meist Kopf- bzw.Verletzungen der oberen Extremität führend sind. Bei Stürzen aus niedriger Höhe (z. B. aus Hochbett) wird als typisches, jedoch seltenes Verletzungsmuster, die so genannte »bunk bed fracture« beschrieben, eine Basisfraktur des 1. Metatarsale (Johnson 1981). Insgesamt kommt es bei Stürzen aus niedriger Höhe jedoch sehr selten zu Fußverletzungen, sodass hier ein »battered child syndrom« unbedingt ausgeschlossen werden muss. Schwere Weichteilschädigungen treten vor allem als Folge von »Rasenmäherverletzungen«, Überrolltraumen oder als Radspeichenverletzungen auf. Zu sportbedingten Verletzungen kommt es meist erst bei Jugendlichen. Die meisten Fußverletzungen betreffen die Zehen und Mittelfußknochen. Rückfuß- bzw. Fußwurzelfrakturen treten nur sehr selten auf. In unserem eigenen Patientengut betrug der Anteil von Metatarsalia- und Zehenfrakturen 70%, in einer Untersuchung von Crawford (1993) sogar 87%. Frakturen der Ossa metatarsalia treten meist am distalen Ende auf und werden durch ein direktes Trauma verursacht. Bei Frakturen der Zehen ist vornehmlich die Grundphalanx betroffen. Bei direktem Trauma kommt es meist zu unkomplizierten Schaftbrüchen, bei indirekten Traumen treten jedoch häufig Epiphysenverletzungen auf. Verletzungen des Kalkaneus oder Talus sind relativ selten. In unserem eigenen Patientengut der stationär behandelten Kinder betrug die Rate jedoch >4%, bedingt durch einen überproportional hohen Anteil zugewiesener oder polytraumatisierter Kinder (20%; Buckley et al. 1994; Hawkins 1970; Letts u. Gibeault 1980; Marti 1981; Morgan u. Crawford 1986; Musemeche et al. 1991; Tachadjian 1990; Trott 1976; Vosburgh et al. 1995).
!
23.1 Rückfuß
23.1 Rückfuß 23.1.1 Talus Die kindlichen Talusfrakturen sind aufgrund der höheren elastischen Widerstandsfähigkeit des kindlichen Knochens sehr selten. Höllwarth beziffert sie mit 0,008% aller kindlichen Frakturen. Wie bei Erwachsenen wird zwischen Talushals- und Korpusfrakturen sowie osteochondralen Frakturen unterschieden. Periphere Talusfrakturen (Processus lateralis und posterius) sind extrem selten und meist nicht disloziert. Am häufigsten treten Halsfrakturen auf, welche entsprechend denen der Erwachsenen nach Hawkins (1970) klassifiziert werden (Draijer et al. 1995). Ursache für eine Talusfraktur ist meist eine forcierte Hyperdorsalflexion mit zusätzlicher Rotationskomponente bei höhergradigen Verletzungen. Korpusfrakturen dagegen resultieren aus massiver Gewalt, welche auf den neutralgestellten oder leicht in Plantarflexion stehenden Fuß wirkt. Osteochondrale Frakturen sind Folge von Pro- oder Supinationsverletzungen (Crawford 1993; De Valentine et al. 1995; Laliotis et al. 1993; Linhard u. Höllwarth 1985 a,b).
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Talushals Typ Hawkins I Diese nicht oder gering dislozierten Frakturen sollten nur bei Veränderung der sagittalen und koronaren Achse anatomisch geschlossen eingerichtet werden (Plantarflexion über Hypomochlion, evtl. Reposition mit kleinen Löffel über Stichinzision). Eine Gelenkstufe im Subtalargelenk ist besonders bei Kindern >12 Jahren zu vermeiden, da aufgrund des weitgehend abgeschlossenen Wachstums eine Korrektur nicht mehr zu erwarten ist. Avaskuläre Nekrosen treten bei dieser Frakturform fast nicht auf. Die Ausbehandlung erfolgt in einem Unterschenkelgips, wobei eine Teilbelastung für 3–4 Wochen von etwa 15 kg durchgeführt werden sollte. Typ Hawkins II Unter einer Hawkins-II-Fraktur versteht man die eine Dissolution des Corpus nach posterior ohne Luxation aus der Malleolengabel. Diese Frakturen sind häufig mit einer Trümmerzone medialseitig vergesellschaftet, sodass bei einer offenen oder geschlossenen Reposition eine Verkürzung der medialen Fußsäule sowie eine Varusfehlstellung der Talusachse mit Inkongruenz im Subtalargelenk entstehen
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kann. Nach offener oder geschlossener Reposition sollte eine »Canale-Aufnahme« zur Kontrolle der Talusachse durchgeführt werden (Abb. 23.2 a–e; Hahn u. Stock 1984). Zu exakten offenen Reposition ist ein bilateraler Zugang sinnvoll, da dieser die korrekte anatomische Wiederherstellung des unteren Sprunggelenks ermöglicht. Leitstruktur ist der Sinus tarsi. An dieser Stelle lässt sich immer das Korpus- mit dem anatomisch korrespondierenden Halsfragment finden, während medialseitig häufiger Trümmerbereiche oder Impaktionen die anatomische Reposition erschweren. Ferner können Zugschrauben von medial und anterolateral eingebracht werden, um damit eine optimale Kompression der gesamten Frakturfläche zu erreichen. Die biomechanisch günstige posteriore-anteriore Verschraubung sollte über eine posterolaterale Stichinzision erfolgen. Ein weiterer Vorteil ist eine hohe Primärstabilität mit der Option der temporären frühfunktionellen Nachbehandlung. Das Kind sollte für 7–10 Tage sagittale Bewegungsübungen des oberen Sprunggelenks durchführen. Danach wird der Fuß für 3–6 Wochen (je nach Alter) in einem Unterschenkelgehgips immobilisiert, wobei bei stabiler Osteosynthese eine Vollbelastung erlaubt ist (Abb. 23.3 a–e). Typ Hawkins III Diese Frakturen führen zur Dislokation des Korpus aus der Malleolengabel, häufig verbunden mit einer 90°-Innenrotation und einem Entrapment hinter der M.-tibialis-posterior-Sehne. Ein geschlossener Repositionsversuch sollte aufgrund der geringen Erfolgschancen und der erheblichen Traumatisierung unterbleiben. Diese Verletzung erfordert eine sofortige operative Therapie. Die Präparation beim anteromedialen Zugang muss sehr behutsam vorgenommen werden, um eine weitere Kompromittierung der medial einstrahlenden Gefäße (Lig. deltoideum!) zu vermeiden. Des Weiteren sollte zu Reposition und Osteosynthese der Weichteilverbund zwischen Os naviculare und Talushals vollständig geschont werden, da bei fraglicher Zerstörung der A. canalis tarsi die Vaskularisation über laterale und vor allem distale Gefäßanastomosen erfolgen muss. Eine stabile Osteosynthese ist die Voraussetzung für eine Revaskularisation des Corpus tali. Im Einzelfall sollte die biomechanisch bessere Verschraubung von posterolateral über eine Stichinzision mit kanüliertem 3,5-Schraubensystem erwogen werden (Hansen 1991). Aufgrund der fortgeschrittenen Ossifikation besteht beim Kind >12 Jahren hier eine größere Gefahr einer avaskulären Talusnekrose als beim mehr kartilaginären Talus des Kleinkindes.
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Abb. 23.2. a Hawkins-II-Fraktur. b Offene Reposition und Schraubenosteosynthese. c Ausheilungsergebnis. d Dreidimensionale CT-Rekonstruktion einer Hawkins-II-Fraktur. e Verschraubung über posterolaterale Stichinzision
Obwohl wissenschaftlich noch nicht bewiesen, erscheint aus unseren Erfahrungen in der Behandlung von Kindern (ab 5–6 Jahren) mit drittgradigen Unterschenkel- und Fußweichteilschäden der Einsatz eines Periduralkatheters zur Schmerzbehandlung und Sympathikolyse mit Verbesserung der peripheren Durchblutung sinnvoll. Die Nachbehandlung besteht in der Anlage eines immobilisierenden Unterschenkelgipses für 4–6 Wochen (je nach Alter). Bei der Röntgenkontrolle nach Gipsabnahme sollte auf das prognostisch günstige »Hawkins-
Zeichen« (Hypodensität im subchondralen Talusdom) geachtet werden, eine MRT-Verlaufskontrolle erscheint heute obligat. Die weitere Behandlung besteht in einem Unterschenkelgips mit Vollbelastung bis zur 12. Woche (Abb. 23.3 a–c). Typ Hawkins IV Bei diesem Frakturtyp tritt als zusätzliche Pathologie die Luxation des Talushalses aus dem Talonavikulargelenk auf. Die avaskuläre Nekrose scheint schicksalhaft (Laliotis et al. 1993), jedoch sind Einzelfälle mit Revas-
23.1 Rückfuß
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Taluskörper Dieser Frakturtyp ist meistens Folge einer Einwirkung großer axialer Kräfte (Autounfall usw.) und kommt häufig im Zusammenhang mit einem komplexen Fußtrauma vor. Die Frakturen unterliegen den Kriterien der Versorgung von intraartikulären Frakturen. Da sie fast immer mit einer deutlichen Inkongruenz einhergehen, ist die offene Reposition mit interner Schraubenosteosynthese (3,5 mm) die Methode der Wahl. Osteochondrale Fragmente werden mit Fibrinkleber und resorbierbaren Stiften fixiert. Die Anwendung von Schrauben (z. B. HerbertSchraube) im Knorpelbereich – auch bei entsprechender Fragmentgröße – ist kritisch zu bewerten, da bei einer Degeneration des Knorpels die Schraubenköpfe im Gelenk frei liegen und somit innerhalb kürzester Zeit zur Zerstörung des Gelenks führen können. Falls keine tibiotarsale Transfixation vorgenommen wurde, sollten postoperativ sofort Bewegungsübungen (Dorsal- und Plantarflexion) durchgeführt werden. Eine Teilbelastung mit Unterschenkelgips entsprechend dem Verletzungsmuster erfolgt für 4–6 Wochen. Entsprechend der Röntgenkontrolle kann danach auf eine Vollbelastung übergegangen werden.
Abb. 23.3 a–c. Talusteilnekrose und arthrotische Veränderungen im oberen und unteren Sprunggelenk nach Hawkins-III-Verletzung
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kularisation des Talus beschrieben (De Valentine et al. 1995). Das operative Vorgehen entspricht dem der Hawkins-III-Verletzungen. Zusätzlich sollten das Talonavikular- und das Subtalargelenk mit Kirschner-Drähten für 3–4 Wochen transfixiert werden. Da die Hawkins-III- und -IV-Fraktur auch am kindlichen Skelett das Risiko einer aseptischen Knochennekrose birgt, sollte wegen der großen Bedeutung der Früherkennung regelmäßig eine MRT durchgeführt werden (zunächst im Abstand von einem halben Jahr).
Taluskopf Dieser Frakturtyp ist meistens Folge medial einwirkender Kräfte (im Sinne einer koronaren Stauchung; Autounfall usw.) und kommt häufig im Zusammenhang mit einem komplexen Fußtrauma vor. Neben der schweren Verletzung des Knorpels entsteht durch die Stauchung der Spongiosa immer ein Substanzdefekt. Die Aufrichtung des Kopfes mit Spongiosa ist eine Conditio sine qua non, um die Gelenkkongruenz und damit auch die Länge der medialen Fußsäule, wiederherzustellen. Gelingt dies nicht, kommt es nicht nur zu einer symptomatischen Arthrose im Talonavikulargelenk, sondern aufgrund der Störung der biomechanischen Kette zur Destruktion des Subtalargelenks (Abb. 23.4 a–g). Ergebnisse/Schlussfolgerungen Die Spätergebnisse konservativ behandelter, nicht exakt reponierter Talusfrakturen ergaben Belastungs- und Bewegungsschmerzen sowie radiologische Arthrosezeichen im oberen und unteren Sprunggelenk (Dimentberg u. Rosman 1993; Höllwarth u. Hausbrand 1984; Linhard u. Höllwarth 1985 a,b; Silas et al. 1995). Das Problem ist nicht nur die Inkongruenz im Subtalargelenk, sondern vor allem die Verkürzung der medialen Fußsäule mit konsekutivem Rückfußvarus, Vorfußadduktion und Supinations-
CAVE
Zeigt sich eine beginnende Nekrose, sollte bei noch erhaltenem Knorpel (Arthroskopie!) eine retrograde Revaskularisationsbohrung durchgeführt werden. Ist der Knorpel schon von seiner subchondralen Fixierung gelöst, sehen wir eine Indikation für eine autologe Chondrozytentransplantation.
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Abb. 23.4. a Schwerste Taluskopftrümmerfraktur mit Verdacht auf »Chopart-Luxation«. b K-Draht-Osteosynthese, »suboptimale« Rekonstruktion des Talushalses und Taluskopfes sowie verbliebene Subluxation im Calcaneo-Cuboid-Gelenk. c Schwerste Talus-
Navikulare-Arthrose nach 3 Jahren mit Fußfehlstellung (verkürzte mediale Säule). d Triplearthrodese zur Korrektur der Fußdeformität. e Ausheilungsbild nach 10 Jahren. f,g Funktionelles Ergebnis nach 10 Jahren
23.1 Rückfuß
fehlstellung, bedingt durch die muskuläre Imbalanz zwischen Flexoren, Extensoren und Pronatoren (vgl. Abb. 23.4 a–g). Um das Fortschreiten der Arthrose durch die Fehlbelastung zu vermeiden, sollte im ersten Schritt eine »reorientierende« Kalkaneusosteotomie durchgeführt werden. Die Versetzung erfolgt nach lateral. Gravierender als die statischen Probleme ist vor allem die Zerstörung des Knorpels mit Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose. Obwohl aufgrund der geringen Inzidenz noch keine Ergebnisse vorliegen, sollten heute neben einer kontrollierten Überprüfung der sich abzeichnenden Schäden (MRT!) alle neueren Techniken der Knorpelstimulation (Mikrofrakturierung) oder des Knorpelersatzes (Chondrozytentransplantation oder osteochondrale Transplantation) angewendet werden, um langfristig das Gelenk zu erhalten.
23.1.2 Kalkaneus Kalkaneusfrakturen machen nur 0,005–0,15% aller kindlichen Frakturen aus (Linhard u. Höllwarth 1985 a). Im selektionierten Krankengut eines Traumazentrums (Medizinische Hochschule Hannover) betrafen seit 1980 etwa 3–4,5% (20/436) aller Kalkaneusfrakturen Kinder. Unfallursache waren in der Mehrzahl Stürze aus mittlerer Höhe (bis 2 m) oder Verkehrsunfälle. In der Mehrzahl sind Kinder im Alter zwischen 8 und 12 Jahren betroffen (Rasmussen u. Schantz 1986; Schantz u. Rasmussen 1988; Tachadjian 1990; Vosburgh et al. 1995), jedoch sind auch Fälle bei Kleinkindern beschrieben worden (12/42). Extraartikuläre Frakturen betreffen in der Regel das Tuber calcanei und zeigen manchmal eine Fissur oder unverschobene Fraktur, welche in die posteriore Facette hineinläuft (Cole et al. 1995). Die Diagnose kann manchmal schwierig sein, da die Kinder die Schmerzen im Bereich des Tubers nicht genau spezifizieren können. Wiley u. Profitt (1984) fanden bei 43% der extraartikulären Kalkaneusfrakturen eine verzögerte Diagnosestellung. Wesentliche Information ergeben sich aus den zusätzlichen Broden-Aufnahmen, welche die Integrität der posterioren Facette dokumentieren. Bei sicher klassifizierbarer extraartikulärer Verletzungen kann auf eine CT verzichtet werden. Die Vorsorgung besteht in einer Unterschenkelgipsbehandlung für 3–4 Wochen; wenn es die Beschwerden zulassen, kann dabei eine Vollbelastung durchgeführt werden. Diese Verletzung heilen immer folgenlos aus. Intraartikuläre Frakturen können aus therapeutischen Aspekten in 2 Gruppen eingeteilt werden: Typ 1 Frakturen mit plantarer Dislokationen der posterioren Facette als »Block« oder mit einem sagittalen Split der posterioren Facette (entsprechend Sanders Typ 2; Sanders et al. 1993).
Diese Frakturform lässt sich mit einer »halb offenen« Technik anatomisch reponieren. Hierzu wird unter Bildverstärkerkontrolle eine 4,0-Schanz-Schraube unter Schonung der Apophyse in den Tuber sagittal oder lateral (Benirschke-Technik, Benirschke et al. 1993) in der Koronarebene zur Varus-/Valgusreposition eingebracht. Über einen 1 cm langen Stichkanal plantar des dislozierten posterioren Facettenanteils wird mit einem Raspatorium die Facette anatomisch angehoben und mit einem Kirschner-Draht (1,4 mm) zum Sustentaculum fixiert. Die Reposition wird untere Bildverstärker in Broden-20°-Stellung kontrolliert. Gleichzeitig wird mit der Schanz-Schraube (Joystick) die meist vorhandene Varusfehlstellung korrigiert. Zwei sagittale KirschnerDrähte – vom plantaren Tuber durch die posteriore Facette in den Talus – fixieren die Reposition. Die Rückfußkorrektur wird mit 2 longitudinalen KirschnerDrähten horizontal vom Tuber in den Processus anterius retiniert. Hierbei sollten die Spickdrähte plantarseitig die posteriore Facette abstützen. Mit einem schmalen Stößel wird dann der laterale »bulge« zurückgedrückt (Abb. 23.5 a–e). Die Fraktur wird in einem Unterschenkelgips für 4–6 Wochen bei Teilbelastung (ein Viertel des Körpergewichts) ausbehandelt. Danach erfolgt die Implantatentfernung. Bei bislang 3 eigenen Fällen zeigte sich im weiteren Verlauf (1–3 Jahre) keine Arthrose im Subtalargelenk bei normalem Wachstum des Fußes (vgl. Abb. 23.5 a–e). Typ 2 In diesem Fall liegt eine Mehrfragmentfraktur der posterioren Facette vor. Es kommen die Prinzipien der aktuellen Kalkaneuschirurgie mit offener Reposition und interner Fixation zur Anwendung. Beim kindlichen Kalkaneus sollte eine kleine 4-Loch H-Platte angewendet werden. In unserem Klientel von 6 Kindern wurde in allen Fällen der erweiterte laterale Zugang angewendet. Bei allen heilte die Fraktur nach anatomischer Reposition ohne Arthrosezeichen aus. Lediglich in 2 Fällen zeigte sich bei der Zweijahreskontrolle eine geringe Verkürzung des Tuber calcanei als Zeichen einer geringen apophysären Wachstumsstörung (Abb. 23.6 a–d). Langzeitergebnisse aus der Literatur (Matteri u. Frymoyer 1973; Paley et al. 1994; Rasmussen u. Schantz 1986; Salter 1974; Sanders et al. 1993; Tanke 1982; Trott 1976; Walling et al. 1990) und unseren eigenen Erfahrungen (Medizinische Hochschule Hannover; mittlerer Nachuntersuchungszeitraum 3,8 Jahre) ergaben bei nicht primär anatomischen Repositionen eine Abflachungen des Böhler-Winkels sowie schmerzhafte Einschränkungen der subtalaren Beweglichkeit (Abb. 23.7 a–c). Jedoch konnten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung (2–10 Jahre) in der Regel nur geringe radiologische Anzeichen für den Beginn einer Arthrose festgestellt werden.
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c Abb. 23.5. a Intraartikuläre Kalkaneusfraktur mit Depression der posterioren Facette als »Block«. b »Semioffene« Reposition mit Raspartorium sowie Schanz-Schraube (schematische Darstellung). c Fixation der anatomischen Reposition mit KirschnerDrähten, longitudinale Kirschner-Drähten kaudal der frakturier-
ten posterioren Facette, somit subtalare Transfixation( schematische Darstellung). d,e Röntgen Fuß seitlich, Broden 20°, Kalkaneus axial: Fixation der anatomischen Reposition mit longitudinalen Kirschner-Drähten kaudal der frakturierten posterioren Facette, somit subtalare Transfixation
23.1 Rückfuß
Abb. 23.5. d, e.
Abb. 23.6 a–d. Intraartikuläre Kalkaneusfraktur »Typ II«. a Sagittale Rekonstruktion der CT. b Intraoperativer Situs nach anatomischer Reposition und Anlage der H-Platte. c Postoperative axiale und Rückfußröntgenaufnahme. d Kontrolle nach 2,5 Jahren mit minimaler Verkürzung des Tuber calcanei bei Wiederherstellung der Höhe und Breite des Kalkaneus
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Os naviculare Bei Navikularefrakturen ist besonders auf die Rekonstruktion des plantaren Frakturbereichs zu achten. Teilweise ist die dislozierte Navikularefraktur mit einer Chopart-Luxation mit zusätzlicher Kompression des Os cuboideum vergesellschaftet, sodass bei der Reposition unbedingt auf die Wiederherstellung der Länge der medialen und lateralen Fußsäule zu achten ist. Da die Durchblutung beim Kahnbein radiär vom Talus und Os cuneiforme mediale einstrahlt, sollten die Weichteilstrukturen der dorsalen Fragmente entweder proximal oder distal erhalten bleiben. Zur Stabilisierung werden 3,5 mm (kanülierte) Schrauben und Kirschner-Drähte verwendet. Zur Stabilisierung der periartikulären Weichteilverletzungen sollte eine temporäre talonavikulare Transfixation mit einem 1,8 mm Kirschner-Draht für 2–3 Wochen erfolgen. Die Nachbehandlung erfolgt für 4–6 Wochen entsprechend dem Alter mit Teilbelastung im Unterschenkelgips.
Abb. 23.7 a–c. Konservativ behandelte Kalkaneusfraktur (Kontrolle nach 3 Jahren). a Röntgen Fuß seitlich: sichtbare Inkongruenz des Subtalargelenks mit Depression der posterioren Facette. b Röntgen Broden 20°: sichtbare Verplumpung des Rückfußes mit »lateralem Bulge«. c Röntgen Kalkaneus axial: sichtbare Seitverschiebung des Tuber calcanei
Bedenkt man jedoch, dass diese Problem schon im Adoleszentenalter aufgetreten sind, so erscheint eine Zunahme der Beschwerden vorgegeben. Aus diesem Grund muss die anatomische Rekonstruktion entsprechend den Prinzipien der aktuellen Kalkaneuschirurgie gefordert werden.
23.2 Mittelfuß Frakturen der Fußwurzel sind bei Kindern extrem selten. Verletzungsursache ist eine große direkte Krafteinwirkung im Rahmen eines Verkehrsunfalls oder durch ein entsprechendes Gewicht, welches auf den Mittelfuß fällt (Linhard u. Höllwarth 1985 a). Da das Os naviculare und cuboideum sowie die Ossa cuneiformia auch beim Kind nur mäßig durchblutet sind und nur ein geringes Wachstumspotenzial besitzen, kann nur die anatomische Rekonstruktion ein erfolgversprechendes Ergebnis erbringen.
Luxationsfrakturen der Chopart-Reihe Diese Frakturen führen ohne anatomische Reposition zu schweren Fehlstellungen und Arthrosen mit erheblichen Beschwerden, welche im weiteren Verlauf nur mit einer Arthrodese behoben werden können (Tomaschewski 1975; Wiley 1981; Zwipp u. Ranf 1991). Die Auswirkung von Mittelfußarthrodesen auf die Biomechanik des Fußes mit Anschlussarthrosen der peritalaren Gelenke im weiteren Verlauf sind hinreichend bekannt (vgl. Abb. 23.7 a–c). Die Vorgehensweise entspricht der oben beschriebenen Technik (Fixation des Os naviculare), jedoch sollte bei Chopart-Luxationen das Kalkaneokuboidgelenk mit einem Kirschner-Draht ebenfalls für 2–3 Wochen transfixiert werden (Abb. 23.8). Kuboid Kuboidfrakturen sind meist Kompressionsfrakturen mit Impaktion und Verkürzung der lateralen Fußsäule im Kalkaneokuboidgelenk (»Nussknackerfraktur«). Die Impaktion muss mit einem kleinen Meißel angehoben und evtl. mit einer Spongiosaplastik (Tibiaplafond oder Beckenkamm) unterfüttert werden. Eine direkte Stabilisierung ist in der Regel nicht möglich. Daher sollte eine Transfixation des Kalkaneokuboidgelenks mit 2 Kirschner-Drähten vorgenommen werden. Relevante unbehobene Verkürzungen der lateralen Fußsäule führen mittelfristig zur Ausbildung eines Pes plano valgus, welcher durch eine Verlängerung (EvansOperation/Arthrodese?) des Kalkaneus bzw. Kalkaneokuboidgelenks behoben werden kann. Ossa cuneiformia Diese Frakturen treten in der Regel im Zusammenhang mit schweren Weichteilverletzung (s. unten, Abschn. 23.4) auf und sind im Hinblick auf Dislokationen in der Sagittalebene zu kontrollieren und zu reponieren.
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23.3 Vorfuß
Abb. 23.8. Transnavikulare Chopart-Luxation. Offene Reposition und Verschraubung des Os naviculare sowie Transfixation nach Reposition des Kalkaneokuboidgelenks mit Kirschner-Draht
23.3 Vorfuß Lisfranc-Luxation Die Ursache für eine Lisfranc-Luxation stellt ein Sturz auf den plantarflektierten Fuß oder das Überrollen des Mittelfußes beim knienden Kind dar. Zur genauen Diagnostik ist eine technisch einwandfreie dorsoplantare Aufnahme beider Füße unerlässlich. Bei Unsicherheit sollte eine CT (3D-Rekonstruktion) durchgeführt werden. Lisfranc-Luxationen müssen anatomisch reponiert werden. Ausgangspunkt ist der 2. Strahl mit der Basis des Metatarsale II und dem Os cuneiforme II. Bei Weichteilinterposition gelingt die geschlossen Reposition nicht, sodass über 2 kleine longitudinale Inzisionen (MT 1/MT 2 und MT 4) offen reponiert werden muss. Bei eine Kompartmentsydrom wird über einen medianen Zugang das Kompartment entlastet und anschließend die Reposition durchgeführt. Die Retention erfolgt über Kirschner-Drähte mit Transfixation des Lisfranc-Gelenks für 3–4 Wochen (Abb. 23.9). Nicht erkannte Lisfranc-Luxationen führen zu einer schweren Störung der Vorfußmechanik mit erheblichen Beschwerden. Auch hier kann nur mit der technisch sehr
Abb. 23.9. Lisfranc-Luxation. Offene Reposition und KirschnerDraht Osteosynthese
anspruchsvollen Lisfranc-Arthrodese eine Beschwerdeverbesserung erzielt werden (Wiley 1981; Zwipp u. Ranf 1991). Metatarsalia Singuläre Frakturen der Metatarsalia entstehen durch eine direkt einwirkende Kraft, während Serienverletzungen z. B. Folge einer Radspeichenverletzung oder eines Überrolltraumas sind (Vosburgh et al. 1995). Ihre Häufigkeit beträgt nach Höllwarth u. Hausbrand (1984) etwa 4% unter allen Fußfrakturen. Einzelne Frakturen der Metatarsalia sind in der Regel durch den Zug der Ligg. transversa sowie der Mm. interossei gering verschoben, sodass sie bei konservativer Behandlung folgenlos ausheilen. Serienfrakturen zeigen teilweise eine »Ad-latus-Verschiebung« sowie eine Verkürzung und Verschiebung in der Sagittalebene. Ein Versatz mit Kortikaliskontakt ist prinzipell tolerabel. Es empfiehlt sich jedoch aufgrund der Instabilität eine Verspickung mit Kirschner-Drähten, besonders bei Kinder >12 Jahren. Diese weisen nur noch ein geringes Wachstumpotenzials auf, und somit können bei einer Verschiebung in der Sagittalebene Vorfußfehlbelastungen auftreten. Epiphysiolysen und Aitken-Frakturen der distalen Metatarsalia sollten geschlossenen reponiert und bei verbleibender Instabilität perkutan verspickt werden. Postoperativ werden diese Frakturen mit einem Gipsschuh bei Vollbelastung ausbehandelt (Owen et al. 1995; Abb. 23.10a–c).
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Kapitel 23 Fuß Abb. 23.10. a Geschlossene Reposition und Fixierung der instabilen MT 1- bis MT 4Frakturen mit KirschnerDrähten. b,c Gipsschuh zur (Nach-)Behandlung von Fußwurzel- und Metatarsalefrakturen
Phalangen Zehenfrakturen stellen mit >50% den Hauptanteil der Frakturen des kindlichen Fußes. Hiervon betreffen etwa ein Viertel die Großzehe (Hansen 1991; Linhard u. Höllwarth 1985 a). Indirekte Traumen können Luxationen oder knöcherne Bandausrisse verursachen. Bedeutungsvoll bei den Frakturen der Phalangen sind intraartikuläre oder Epiphysenfrakturen. Ursache für die Verletzung sind indirekt einwirkende Kräfte (das
klassische Beispiel ist die »Bettpfostenfraktur« der 5. Zehe). Eine anatomische (teilweise offen) Reposition ist notwendig, um Komplikationen wie Wachstumsstörungen oder frühzeitige metatarsophalangeale Arthrosen, besonders im 1. und 5. Strahl, zu vermeiden. Bei unkomplizierten Frakturen der kleinen Zehen wird der betroffene Zeh mit der anliegenden Zehe zusammen getaped. Das Kind sollte zur weiteren Behandlung Schuhe mit fester Sohle oder einen Gipsschuh tragen.
23.4 Komplexes Fußtrauma
23.4 Komplexes Fußtrauma
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Das komplexe Fußtrauma wurde von Zwipp (1994) als Kombinationverletzung in mehreren anatomischen Etagen unter Berücksichtigung des Weichteilschaden und Zusatzverletzungen definiert. Auch beim Kind stellt es eine große Herausforderung für den Traumatologen da. Verletzungsursache sind Rasanz- und Überrolltraumen sowie Rasenmäherverletzungen (Johnstone u. Bennett 1989; Vosburgh et al. 1995; Abb. 23.11 a–d). Unabdingbare Voraussetzung für eine optimale Therapie ist die Möglichkeit einer gleichzeitigen interdisziplinären gefäßchirurgischen und plastisch-chirurgischen Versorgung des Kindes. Aufwendige Rekonstruktionsversuche beim schwerstoder mehrfachverletzten Kind stellen eine vitale Gefährdung dar, sodass eine Amputation erfolgen sollte. Falls der Fußerhalt möglich ist, sollten schon bei der
Abb. 23.11. a Schwerstes »Rasenmäherverletzung mit Vorfußamputation. b,c Weichteildistraktion über Fixateur externe und Vollhauttransplantation nach Nekroseabtragung im Fersenbereich. d Funktionelles Ergebnis und Schuhorthetische Versorgung nach einem Jahr
Erstversorgung die Weichen für eine plantigrade achsengerechte Stellung des Fußes gestellt werden, da der weitere Verlauf teilweise keine Möglichkeiten (Verschlechterung der Weichteilsituation usw.) für korrigierende Eingriffe bietet. Zwar weist jeder Fall eines komplexen Fußtraumas spezifische Besonderheiten auf, jedoch konnten aufgrund der häufigeren Erfahrungen beim Erwachsenen Standardprinzipien zur Versorgung erarbeitet werden.
Standardprinzipien zur Versorgung komplexer Fußtraumen 1. Die Reinigung von teilweise stark verschmutzten Wunden mittels einer Jet-Lavage stellt nach unserer Erfahrung eine enorme Verbesserung dar und sollte immer angewendet werden. Eine systemische Antibiotikagabe (z. B. Cephazolin) sollte schon in der Notaufnahme erfolgen.
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2. Das ausgiebige Débridement ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Behandlung der Verletzung. Alle nichtdurchbluteten Strukturen müssen ohne Rücksicht auf Funktion und Knochendeckung radikal reseziert werden. Amputate von großen Hautlappen oder spongiösen Knochen sollten bei vernachlässigbarer Keimbesiedlung als potenzielle Autotransplantation asserviert werden. Die Gewebevitalität ist am Unfalltag nicht einschätzbar, sodass täglich Revisionseingriffe und ein erneutes Débridement durchgeführt werden müssen. Temporär sollten Weichteildefekte mit Kunsthaut gedeckt werden.
3. Ein Kompartmentsyndrom muss nicht mit einer geschlossenen Verletzung vergesellschaftet sein. Auch offene Brüche können sehr wohl ein Kompartmentsyndrom aufweisen. Nach unserer Erfahrung reicht eine mediane Spaltung mit Einbeziehung des superioren Sprunggelenkretinaculums wie von Zwipp (1994) beschrieben. Nichtgespaltene Kompartmentsyndrome führen zu Muskelnekrosen, besonders der kurzen Fußbeuger und zu Sensibilitätsstörungen im Bereich der Fußsohle (Abb. 23.12 a–c). 4. Osteosynthesen sollten einfach sein und die anatomischen Achsen (Rückfuß, Mittelfuß, mediale
Abb. 23.12. a Schweres Fußtrauma mit offener plantarer Vorfußverletzung und Kompartmentsyndrom. b Kirschner-Draht-Osteosynthese. c Tibiotalare Transfixation und Kunsthautdeckung nach Kompartmentspaltung
23.4 Komplexes Fußtrauma
und laterale Fußsäule) wiederherstellen. Zur Anwendung kommen 1,4–1,6 mm Kirschner-Drähte sowie kanülierte 3,5 mm-Schrauben. Perkutane Repositions- und Fixationstechniken sollte bevorzugt werden, um weitere Weichteilschäden zu vermeiden. Kleine Stichinzisionen zum Einbringen von Repositionshilfen (z. B. Raspatorium) führen nur zu geringen Weichteiltraumen. Metatarsaliaund Phalangenfrakturen sollten zur Stabilisierung und anatomischen Ausrichtung aufgefädelt werden. Eine tibiometatarsale Transfixation (wenn möglich 1. und 4. Strahl; 3,0–4,0 SchanzSchraube, 2 Schanz-Schrauben tibial) in Neutralstellung des oberen Sprunggelenks und Fußes ist bei schweren Verletzung zur besseren Weichteilheilung und zur Vermeidung einer konsekutiven Equinusfehlstellung obligat. 5. Bei schwersten Begleitverletzungen mit vitaler Gefährdung (Lunge, Leber, Niere) oder beim aufsteigenden Infekt ist eine adäquate Amputation unverzüglich durchzuführen (»life before limb«!). 6. Entscheidungen zum freien Gewebetransfer werden nach dem primären oder sekundären Débridement gemeinsam mit dem plastischen Chirurgen getroffen und sollten innerhalb von 2–4 Tagen erfolgen. 7. Im Gegensatz zum Erwachsenen sollte auf frühzeitige Arthrodesen zur Stabilisierung von Fehlstellungen bzw. bei Gelenkzerstörung verzichtet
werden. Zum einen sind das Regenerationspotenzial, aber auch das klinische Beschwerdebild im weiteren Wachstum ist nicht einschätzbar, sodass gravierende Gelenkveränderungen über einen langen Zeitraum nur zu geringen »klinischen« Beschwerden führen können. Zum andern sollte, wenn möglich, durch einen Muskeltransfer (M. tibialis anterior oder posterior) Muskelimbalancen (Peroneusläsion usw.) mit konsekutiven Planovalgus- oder Equino-varus-Fehlstellungen frühzeitig entgegengewirkt werden. Es kann sonst durch Kapsel- und Bänderschrumpfung zur Fixierung der Fehlstellung kommen, was Korrekturen zu einem späteren Zeitpunkt erheblich erschwert (Abb. 23.13 a–d). 8. Nach Erfahrungen ist in der Behandlung von Kindern (ab 5–6 Jahren) mit drittgradigen Unterschenkel- und Fußweichteilschäden der Einsatz eines Periduralkatheters zur Schmerzbehandlung und Sympathikolyse mit Verbesserung der peripheren Durchblutung sinnvoll. Die exakte Aufarbeitung der Frakturen des kindlichen Fußes steht vor dem Problem, dass bislang zu geringe Fallzahlen evaluiert wurden. Um detaillierte Therapiekonzepte einzelner seltener Problemfrakturen wissenschaftlich fundiert überprüfen zu können, bedarf es in der Zukunft multizentrischer Studien mit einen standardisierten Behandlungsprotokoll.
Abb. 23.13. a Schwerstes Fußtrauma mit Degloving-Verletzung des Vor- und Mittelfußes. b,c Kirschner-Draht-Osteosynthese und Kunsthautdeckung, Débridement und »Jet-Lavage«. d Kontrakte Spitzfußstellung aufgrund der Peroneusläsion
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23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes H. Zwipp, S. Rammelt Während die Ätiologie und Therapie fehlverheilter Epiphysenfrakturen am oberen Sprunggelenk systematisch untersucht und Behandlungsalgorithmen für die Korrektur dieser nicht seltenen Fehlstellungen erarbeitet wurden, finden sich nur spärlich systematische Analysen posttraumatischer Fußdeformitäten beim Kind (Zwipp u. Ranft 1991). Dies erklärt sich durch die hohe Elastizität der knorpelig angelegten kindlichen Fußknochen, aus welcher sich einerseits die geringe Inzidenz relevanter Fußverletzungen und andererseits ein erhebliches spontanes Remodellierungspotenzial ergeben. Es wäre jedoch ein schwerer Irrtum zu glauben, dass dislozierte Frakturen am kindlichen Fußskelett prinzipiell eine Spontankorrektur erfahren, weswegen im Folgenden typische Fallbeispiele nach Fehlheilungen besprochen werden sollen. Bei den noch selteneren direkten Sehnenverletzungen ist naturgemäß von keinem spontanen Regenerationspotenzial auszugehen. Eine Vielzahl von posttraumatischen Fußfehlstellungen sind Folge eines unerkannten oder unzureichend behandelten Kompartmentsyndroms, postischämischer oder neurologischer Genese, was eine detaillierte Analyse der Funktion der unteren Extremität als Ganzes erfordert, um eine kausale Therapieplanung zu ermöglichen (Lusskin et al. 1986; Zwipp et al. 1989). Pathogenese Korrekturbedürftige posttraumatische Fußdeformitäten entstehen am wachsenden Skelett ähnlich wie beim Erwachsenen (Zwipp et al. 1989) prinzipiell durch 3 verschiedene Läsionstypen: A. Indirekte Fußfehlstellung (extrinsisch). Die primäre Schädigung liegt nicht am Fuß selbst, sondern wirkt als indirektes pathogenes Agens über eine neuromuskuläre oder mechanische Imbalance. Dies betrifft Nervenläsionen (entweder zentral oder peripher, vor allem N. ischiadicus und Endäste), Gefäßverletzungen oder Kompartmentsyndrom mit postischämischen Kontrakturen, den traumatischen Verlust an Ober- und Unterschenkelmuskulatur, Hautkontrakturen und Narbenzug (z. B. nach Verbrennungen) sowie knöchern bedingte posttraumatische Fehlstellungen der unteren Extremität. B. Direkte Schädigung des Fußes (intrinsisch). Die Primärläsion betrifft den Fuß direkt. Sie wird initial nicht erkannt oder unzureichend therapiert, sodass unter zunehmender Belastung bzw. infolge des biologischen Wachstums Fehlstellungen entstehen oder symptomatisch werden.
C. Kombinierte Knochen- und Weichteilläsionen. Die schwerste Form der Primärläsion entsteht im Rahmen von Komplextraumen des Fußes (Zwipp et al. 1997) bzw. Kettenverletzungen der unteren Extremität mit einem erheblichen lokalen Trauma. Oft finden sich diese Verletzungen als Pars pro Toto beim Polytrauma, bei dem aufgrund vordringlicher lebenserhaltender Operationen die Versorgung der Fußverletzungen hinten ansteht. Gerade diese Verletzungen führen jedoch nach überstandenem Polytrauma zu den höchsten bleibenden Funktionseinbußen (Turchin et al. 1999). Diagnostik Klinisch Die Analyse der Fehlstellung beinhaltet eine subtile Beschwerdeanamnese unter Mitwirkung der Eltern, die klinische Untersuchung und Beobachtung des Kindes sowie eine gezielte radiologische Diagnostik. Zur klinischen Diagnostik gehören 쐌 die dezidierte Schmerzlokalisation, 쐌 die Dokumentation neurologischer und zirkulatorischer Defizite einschließlich bestehender Engpasssyndrome, 쐌 die Beurteilung von Hauttrophik, Schwellungszustand, Narbengewebe, Fußsohlenbeschwielung und Kallositäten sowie 쐌 die Feststellung des aktuellen Bewegungsausmaßes. Neben dem betroffenen Fuß selbst, an dem bestehende Achsabweichungen oder Verkürzungen im Vergleich zur Gegenseite erfasst werden, gibt das von den Kindern regelmäßig getragene – oder abgelehnte – Schuhwerk Auskunft über Fehlstellungen und funktionelle Defizite. Zur Diagnostik extrinsischer Fußfehlstellungen müssen Beinlängendifferenzen, Achsabweichungen, trophische und muskuläre Defizite an der unteren Extremität im Seitenvergleich erfasst werden. Muskel- und Sehnenkontrakturen auf Höhe des Unterschenkels und Fußes werden dokumentiert. Besonderes Augenmerk gilt Verkürzungen des funktionell wichtigen Gastrocnemius-Soleus-Komplexes (Hansen 2003). Das Gangbild der Kinder wird im Barfußgang beobachtet. Zehengang, Fersengang, Fußinnen- und Außenkantengang werden dokumentiert, ebenso die Fähigkeit zum einbeinigen Stehen und Hüpfen. Radiologisch Mit konventionellen Röntgenaufnahmen werden im Seitenvergleich fixierte Fehlstellungen, der Arthrosegrad angrenzender Gelenke, extraartikuläre Verkalkungen und die stattgehabte bzw. ausgebliebene knöcherne Konsolidierung abgelaufener Frakturen dargestellt. Für rekonstruktive Fragestellungen sind prinzipiell Belastungsaufnahmen beider Füße zu empfehlen, da diese dynamische Instabilitäten aufdecken und die Unterscheidung zwischen flexiblen und fixierten Achsabweichungen erlauben (Zwipp u. Rammelt 2002).
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23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
Die Standardprojektionen beider Füße im Stehen beinhalten die dorsoplantare und seitliche Ansicht, Aufnahmen beider oberer Sprunggelenke im a.-p. Strahlengang sowie axiale Aufnahmen beider Rückfüße in Relation zur Unterschenkeltragachse (Projektion nach Saltzman u. el-Khoury 1995). Mehrdimensionale Fehlstellungen werden in der CT erfasst, der Datensatz kann ggf. mit spezieller Software zur virtuellen Planung der Korrektur verwendet werden (Dahlen u. Zwipp 2001). Insbesondere am Talus ist die Beurteilung der Durchblutung mit der MRT sinnvoll. Eine Szintigraphie ist beim Verdacht auf aktive entzündliche oder arthrotische Prozesse indiziert. Zusätzliche Untersuchungen Muskuläre und tendinöse Imbalancen können elektrophysiologisch (EMG, ENG) bzw. durch gezielte Kraftmessung (Biodex) quantifiziert werden, insbesondere um die Eignung spezieller Muskelgruppen zum Sehnentransfer zu überprüfen. Chronisch-entzündliche oder degenerative Prozesse an Muskeln, Sehnen und Faszien werden ebenfalls durch die MRT, besser jedoch mit einer dynamischen sonographischen Untersuchung abgeklärt. Dynamische Fehlfunktionen beim Aufsetzen, Abrollen und Abstoßen des Fußes können mit der mittlerweile weit verbreiteten dynamischen Pedographie quantifiziert werden und dienen zudem der Erfolgskontrolle im Verlauf (Rammelt et al. 2004; Zwipp et al. 1999). Zeitpunkt der Korrektur Definitive rekonstruktive Maßnahmen wie Arthrodesen sollten prinzipiell nach Abschluss des Längenwachstums erfolgen, da weder das Ausmaß des spontanen Korrekturpotenzials noch dasjenige der dauerhaften Beschwerden und Funktionseinbußen anhand der vorliegenden Literatur ausreichend gesichert ist. Nach Bliss et al. (1956) ist das Längenwachstum des Fußskelettes in wesentlichen Teilen zum 5. Lebensjahr und zu etwa 90% um das 12. Lebensjahr vollendet. Bei erheblichen Fußfehlstellungen, welche Dysbalancen an der unteren Extremität mit schwer korrigierbaren Haltungsschäden nach sich ziehen, und bei progredientem asymmetrischen Knochenwachstum muss eine Korrektur der führenden Fehlstellung jedoch eher erfolgen, um ein weiteres Fehlwachstum und die Entstehung von Anschlussarthrosen zu vermeiden. In diesen Fällen ist ein mehrzeitiges Vorgehen angezeigt. Hierbei wird die relevante Fehlstellung zunächst durch Korrekturosteotomie korrigiert, ggf. mit begleitenden Weichteileingriffen (Release, Sehnentransfer). Die definitive Rekonstruktion (Arthrodese) wird zum Abschluss des Wachstums durchgeführt (Zwipp u. Ranft 1991).
23.5.1 Korrektur extrinsischer Fußfehlstellungen Zehenkorrekturen Flexible oder fixierte Kontrakturen der kleinen Zehen können entzündlicher, neuropathischer oder traumatischer Genese sein. Es sind jedoch auch kongenitale oder idiopathische Deformitäten beschrieben (Coughlin 2000, 2002). Posttraumatische Kleinzehendeformitäten sind in den meisten Fällen auf eine Muskelischämie im Rahmen eines Kompartmentsyndroms des Unterschenkels oder Fußes zurückzuführen, seltener auf ein direktes isoliertes oder repetitives Trauma (Zwipp 1994). In der Literatur finden sich zuweilen abweichende Definitionen, sodass die genaue Charakterisierung der jeweiligen Gelenkfehlstellungen sinnvoll erscheint. Die Krallenzehe bezeichnet eine Beugekontraktur im proximalen Interphalangealgelenk bei gleichzeitiger Hyperextension im Metatarsophalangealgelenk (Abb. 23.14 a). Krallenzehen treten insbesondere nach Kompartmentsyndrom des Unterschenkels, aber auch nach direkter traumatischer Schädigung der empfindlichen Fußbinnenmuskulatur (kurze Beuger, Mm. lumbricales, Mm. interossei) auf. Diese Fehlstellung wird durch eine Kontraktur vor allem des langen Zehenbeugers sowie dem Ausfall der intrinsischen Fußbinnenmuskulatur verursacht. Die Hammerzehe ist charakterisiert durch eine Beugekontraktur im proximalen Interphalangealgelenk bei überwiegender Kontraktur der kurzen Zehenbeuger (Abb. 23.14 b). Sie ist demnach typisch für eine isolierte Ischämie der Fußbinnenmuskulatur, so z. B. nach Kalkaneusfrakturen oder Lisfranc-Luxationsfrakturen mit begleitendem Fußkompartmentsyndrom (Manoli 1990; Manoli u. Weber 1990). Die wesentlich seltenere Mallet-Zehe ist gekennzeichnet durch eine isolierte Kontraktur der langen Zehenbeuger (z. B. nach Unterschenkelkompartmentsyndrom speziell der tiefen Flexoren) mit einer charakteristischen Beugekontraktur im distalen Interphalangealgelenk, welche der Zehe das Aussehen eines Krocket- bzw. Poloschlägers (»mallet«) verleiht (Abb. 23.14 c). Diese Deformitäten sind zunächst flexibel und redressierbar. Im weiteren Verlauf werden sie jedoch durch
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c Abb. 23.14. Anatomische Charakteristika der Krallenzehe (a), Hammerzehe (b) und Mallet-Zehe (c)
Kapsel- und Bandschrumpfung fixiert und sind von schmerzhaften Kallositäten auf der jeweiligen Konvexität des kontrakten Gelenks begleitet. Zur Therapieplanung ist die Unterscheidung in manuell redressierbare und fixierte Zehenfehlstellungen wichtig. Röntgenaufnahmen sind nur bei vermuteter knöcherner Deformität, also nach direktem Trauma mit komplexen Fehlstellungen des Vorfußes oder bei rheumatischer Genese von Interesse. Therapie Im frühen Krankheitsstadium sind geräumiges Schuhwerk, direkte Polsterung der Zehen und Abtragung prominenter Kallositäten effektiv. Milde Formen der Subluxation im Metatarsophalangealgelenk können mit einem ausgedehnten Kapsel-Release sowie einer Extensorentenotomie beherrscht werden (Coughlin 2000). Formen der Mallet- und Krallenzehe nach Kompartmentsyndrom können mittels perkutaner Tenotomie der
langen Beugesehnen auf Höhe der Endgliedbasis korrigiert werden, bei Hammerzehen mittels Tenotomie von langer und kurzer Beugesehne auf Höhe der Mittelgliedbasis (Zwipp 1994). Weiterhin können alle passiv noch redressierbaren Krallen- und Hammerzehen mittels Beugesehnentransfer effektiv behandelt werden (Coughlin 2002; Hansen 2000). Die Inzision liegt quer verlaufend in der plantaren Beugefalte des proximalen Interphalangealgelenks. Die Beugesehnenscheide wird in Längsrichtung eröffnet und die lange Beugesehne an der Endgliedbasis abgelöst, geteilt und direkt neben dem Knochen auf den dorsalen Aspekt der Mesophalanx transferiert, wo die beiden Beugesehnenschenkel über eine dorsale Zusatzinzision miteinander vereinigt werden (Abb. 23.15 a,b). Dadurch übernimmt der extrinsische Flexor digitorum longus die Funktion der intrinsischen Muskulatur und ermöglicht eine aktive Streckung im proximalen Interphalangealgelenk sowie Beugung im Metatarsophalangealgelenk, während die deformierende Kraft auf das distale Interphalangealgelenk entfällt (Hansen 2000). Die Resektionsarthroplastik kommt als Mittel der letzten Wahl für fixierte Fehlstellungen, insbesondere im Erwachsenenalter, in Betracht (Coughlin 2002). Hierzu werden im Einzelnen bei der Hammerzehe die Kondylen der Grundphalanx und die Gelenkfläche der Mesophalanx, bei der Mallet-Zehe die Kondylen der Mesophalanx und die Gelenkfläche der Endphalanx reseziert. Zusätzlich erfolgt eine Flexortenotomie und Verkürzung der Extensoren. Die Zehe wird für 3 Wochen mit einem Kirschner-Draht in Neutralstellung gehalten und verbleibt für 3 weitere Wochen im Tapeverband. Sehnenverlängerung Sehnenverlängerungen, in der Regel als Z-Plastiken ausgeführt, kommen bei manifesten Kontrakturen der Unterschenkelmuskulatur nach direkter traumatischer oder ischämischer Schädigung meist als ergänzende therapeutische Option in Frage. Funktionell bedeutsam sind Kontrakturen des Gastrocnemius-Soleus-Komplexes. Durch das Übergewicht der Sprunggelenkbeuger entstehen progrediente Spitzfußfehlstellungen auch bei längerer Immobilisation nach Komplextrauma der unteren Extremität, weswegen der Lagerung bzw. Fixation des Fußes in Neutralstellung des oberen Sprunggelenks eine wichtige Funktion zukommt. Nach fehlverheilten Kalkaneusfrakturen mit erheblich nach kranial disloziertem Tuberfragment resultiert ebenfalls eine Verkürzung der Achillessehne. In diesen Fällen ist zur Korrektur der knöchernen Fehlstellung eine Sehnenverlängerung notwendig. Die Verlängerung der Achillessehne erfolgt vorzugsweise als nahtlose ZPlastik, um das bradytrophe Sehnengewebe – insbesondere nach vorangegangenem Komplextrauma – durch die Einbringung von Nahtmaterial nicht zusätzlich zu schädigen (Zwipp 1994). Hierzu wird die Achillessehne
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes Abb. 23.15 a,b. Transfer der langen Zehenbeuger nach dorsal bei kontrakten Zehenfehlstellungen. (Nach Hansen 2000)
a
FDL FDB
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CAVE
etwa zur Hälfte von medial etwa 2 cm distal des muskulären Ursprungs und lateral etwa 2 cm proximal des knöchernen Ansatzes über eine perkutane Inzision eingekerbt (Abb. 23.16 a,b). Unter maximaler Dorsalextension des Fußes erfolgt die Verlängerung der Sehne, wobei die längs verlaufenden Sehnenfasern sich zentral gegeneinander verschieben. Je nach Ausmaß der Spitzfußfehlstellung sollte die Distanz zwischen den Inzisionen mindestens 4–5 cm betragen. Sehnentransfers Tibialis-posterior-Transfer Eine dauerhafte Fußheberlähmung mit resultierenden Fallfuß und pathognomonischem »Steppergang« führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Funktion der unteren Extremität. Der Fuß wird flächig und außenrotiert aufgesetzt, was zu Imbalancen auf Höhe der Knieund Hüftgelenke führt. Die posttraumatische Fußheberlähmung ist meist auf eine direkte Schädigung des N. ischiadicus bzw. peroneus oder ein Kompartmentsyndrom des Unterschenkels mit überwiegender Affektion der Tibialis-anterior-Gruppe zurückzuführen. Bei intaktem N. tibialis und funktionierendem M. tibialis posterior kann ein Transfer der Tibialis-posterior-Sehne auf das Os cuneiforme intermedius eine aktive Fußhebung wiederherstellen (Abb. 23.17 a–h; Abb. 23.18 a–g). Die mit einem Knochenblock von ihrem Ansatz am Os naviculare entnommene Sehne wird mit einer kleinen Spongiosaschraube im Os cuneiforme intermedius fixiert (Zwipp 1994). Von einem Sehnensplitting auf 2 getrennte Ansätze am 1. und 5. Strahl sollte abgesehen werden, da hiermit die Pro- und Supination praktisch aufgehoben wird,
was ein unnötiges iatrogenes Funktionsdefizit nach sich zieht (Klaue 2003). Zur Vermeidung von Dysbalancen in der Frontalebene oder eines späteren Kollapses des Fußlängsgewölbes durch den Transfer des M. tibialis posterior kann zusätzlich die Sehne des M. flexor digitorum longus auf das Os cuneiforme mediale, alternativ auf das Os naviculare oder den Stumpf der Tibialis-posteriorSehne erfolgen (Hansen 2003). Je nach Ausmaß der motorischen Ausfälle können zusätzlich die Sehnen des M. peroneus brevis und der langen Zehenstrecker in den Transfer einbezogen und ebenfalls auf das Os cuneiforme intermedius bzw. laterale transponiert werden (Klaue 2003). Peroneus-brevis-Transfer Dieser Transfer dient ebenfalls der Wiederherstellung der Streckfähigkeit im oberen Sprunggelenk und kommt insbesondere bei einem zusätzlichen Defizit des M. tibialis posterior in Frage. Der M. peroneus brevis (ausnahmsweise M. peroneus longus, Abb. 23.19 a–d) wird über einen kleinen, direkten Zugang über der Tuberositas des Os metatarsale V an seinem Ansatz abgelöst und über einen posterolateralen Zugang geborgen. Der entnommene Sehnenspan wird nun in einem Bohrloch im Os cuneiforme laterale unter einem Knochendeckel versenkt (Zwipp 1994). Alternativ wird eine Lengemann-Ausziehnaht nach plantar durchgezogen. Tibialis-anterior-Transfer Durch eine traumatische oder ischämische Schädigung der Peronealmuskulatur kommt es zu einem Überwiegen der ohnehin kräftigeren Supinatoren mit entspre-
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Abb. 23.16 a,b. Perkutane Z-Plastik der Achillessehne. (Nach Dockery, s. Zwipp 1994; Einzelheiten s. Text)
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Abb. 23.17 a–h. Tibialis-posterior-Transfer zur aktiven Fußhebung (mod. nach Zwipp 1994). a Der Sehnenansatz wird über einen geschwungenen medialen Zugang mit einem Knochenblock entnommen und b über einen retrotibialen Schnitt nach proximal geborgen. c,d Mittels anteromedianem Zugang wird die Membrana interossea etwa 6 cm oberhalb des Syndesmosenkomplexes gespalten und der Sehnenspan von dorsal her unter Schonung des Gefäß-Nerven-Bündels nach ventral durchgezogen. e Über einen kleinen medianen Zugang direkt über dem Os cuneiforme laterale wird f der Knochen mit dem Meißel eröffnet und eine Mulde für die Aufnahme des Sehnenspans vorbereitet. g,h Die Fixation erfolgt mit einer KFI-Spongiosaschraube
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23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes M. tibialis posterior Fibula
Tibia
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Abb. 23.17 c–h.
Neurovaskuläres Bündel
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Abb. 23.18 a–g. Ein 7-jähriges Mädchen hatte ein Überrolltrauma mit ausgedehntem Hautdefekt und mutmaßlich abgelaufener, knöchern ausgeheilter Lisfranc-Luxationsfraktur erlitten. a,b Die Vorstellung erfolgt im Alter von 8 Jahren mit einer ausgeprägten Fußheberschwäche aufgrund einer Insuffizienz der Tibialis-anterior- und Extensor-hallucis-longus-Sehne sowie einer Hohlfußdeformität mit talometatarsalen Achsenknick. Krallenzehendeformitäten waren bereits auswärtig angegangen worden, die Großzehe zeigt jedoch eine Hyperextension im Metatarsophalangealgelenk. Bei instabilen Narbenverhältnissen nach Spalthauttransplantation im Bereich des Dorsum pedis wurde zunächst eine Achillessehnenverlängerung durchgeführt. c Ein halbes Jahr später erfolgte der Transfer der Tibialis-posterior-Sehne auf das Os cuneiforme mediale, wo es mit einer Kleinfragmentschraube verankert wurde. Im weiteren Verlauf kam es aufgrund des Längenwachstums zu einer funktionellen »Cock-up-Deformität« der
Großzehe mit einer maximalen Extension im Metatarsophalangealgelenk beim Auftreten, was in den Belastungsaufnahmen deutlich sichtbar wird. Intraoperativ imponierte ein kontrakter Rest der Extensor-hallucis-longus-Sehne, welcher mit der Faszie und der Gelenkkapsel derb verbacken war. Nach Resektion des Extensor-hallucis-longus-Restes und Arthrolyse wurde die Großzehe für 6 Wochen transfixiert. d Bei der inzwischen 14-jährigen Patientin zeigt sich eine korrekte Stellung der Großzehe unter Belastung. Die talometatarsale Achse hat sich nach Sehnenverlängerung und Sehnentransfer etwas aufgerichtet, es verbleibt jedoch eine Dorsalabkippung des Talus infolge einer Steilstellung des Kalkaneus im Vergleich zur Gegenseite (e). Die deflektierende Kalkaneusosteotomie ist nach Wachstumsabschluss geplant. f,g Die Achsenausrichtung des Rück- und Vorfußes unter Belastung sowie das annähernd seitengleiche Druckprofil beider Füße ist in den Spiegeltischaufnahmen dokumentiert
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
M. peroneus longus
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Os cuneiforme III
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Abb. 23.19. a–c Peroneus-longus/brevisTransfer (Zwipp 1994). Die Peronealsehne wird unterhalb des Tuberculum peroneale über einen kurzen, horizontalen Zugang zum Kalkaneus durchtrennt und mittels retrofibularem Zugang nach proximal geborgen. Anschließend Durchzug nach distal über einen kurzen, medianen Zugang über dem Os cuneiforme laterale, wo die Sehne mit einem Knochenblock eingebolzt wird
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d Abb. 23.19. d Tibialis-anterior-Transfer (Klaue 2003). Ablösen der Sehne über einen dorsomedialen Zugang von ihrem Ansatz am Os metatarsale I und Os cuneiforme mediale. Die komplette Sehne wird verlagert
chender Sichelfußstellung (Pes varus adductus). Diese führt über eine Fehlbelastung der Sprunggelenke relativ rasch zu arthrotischen Veränderungen. Zur Wiederherstellung der Pronation stehen Transfers der Tibialisanterior-, der Flexor-hallucis-longus- und der Peroneus-longus-Sehne zur Verfügung (Klaue 2003). Die Tibialis-anterior-Sehne wird von ihrem Ansatz an der Basis des Os metatarsale I abgelöst, zum Os cuneiforme laterale hin subkutan getunnelt und hier transossär fixiert (Abb. 23.19 d). Liegt eine strukturelle knöcherne Deformität zugrunde, so kann eine Lateralisationsosteotomie des Kalkaneus oder eine Verlängerung des Os metatarsale I die Fehlstellung beheben (ebd.). Bei komplexen oder verschleppten, kontrakten Fehlstellungen und Endzuständen nach langwierigen Infektverläufen ist gelegentlich eine Kombination von Sehnenverlängerungen, Tenotomien und ausgedehntem Weichteilrelease erforderlich (Zwipp 1994). Folgen direkter Sehnenverletzungen Eine direkte Verletzung der Sehnen bzw. Sehnenlager ist beim Kind die extreme Ausnahme und bereitet daher in den seltenen Fällen des Auftretens regelhaft diagnostische Probleme. Auf Höhe der Malleolen liegen die Sehnen knapp unter der Haut und wölben sich bei Anspannung hervor. Schnittverletzungen im Kindesalter entstehen häufig durch Glasscherben (Thompson u. Henderson 1997). Werden die Wunden – insbesondere hinter den Malleolen – nicht gründlich inspiziert, können Sehnenverletzungen unerkannt bleiben und zu erheblichen Deformitäten führen. Thompson u. Henderson (1997) berichteten über 4 Patienten mit schweren Fußdeformitäten im Mittel
23 Jahre nach direkter Sehnendurchtrennung im Kindesalter. In 2 Fällen war die Tibialis-posterior-Sehne nach Schnittverletzung hinter dem Innenknöchel, einmal die Peroneus-longus- und in einem Fall die Peroneus-brevis-Sehne nach Schnittverletzungen hinter dem Außenknöchel betroffen. Chronische Verletzungen der Tibialis-posterior-Sehne im Kindesalter führen zur progressiven Entwicklung eines Pes planovalgus (Masterson et al. 1994; Zwipp et al. 2000). Masterson et al. (1994) führten bei 3 Kindern mit gutem Erfolg einen Transfer der Flexor-hallucis-longusSehne auf den distalen Stumpf der Tibialis-posteriorSehne durch. Im eigenen Krankengut sahen wir die Entwicklung eines schweren Pes planovalgus 2 Jahre nach interstitieller Ruptur der Tibialis-posterior-Sehne im Rahmen einer Pronations-Abduktions-Fraktur am oberen Sprunggelenk bei einem zum Unfallzeitpunkt 13-jährigen Jungen (Abb. 23.20 a–l). Die Therapie bestand in einer varisierenden Kalkaneusosteotomie nach Dwyer, einer modifizierten Evans-Osteotomie mit Spaninterposition zur Verlängerung der lateralen Fußsäule und zusätzlicher transossärer Refixation der Tibialis-posterior-Sehne im Os naviculare nach Osteotomie (Zwipp et al. 2000). Die Durchtrennung oder Lazeration einer Peronealsehne resultiert in den wenigen beschriebenen Fällen in einem posttraumatischen Pes cavovarus mit erheblicher Einschränkung der Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk (Carroll et al. 1999; Thompson u. Henderson 1997). Versuche einer direkten sekundären Sehnenrekonstruktion schlagen fast regelhaft fehl, so dass Sehnentransfers zur weitgehenden Wiederherstellung der verlorenen Funktion erforderlich sind. Bei symptomatischen, lang dauernden Fehlstellungen mit fixierter De-
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Abb. 23.20. a,b Schwerer posttraumatischer Pes plano valgus 2 Jahre nach einer lege artis versorgten Übergangsfraktur der distalen Tibia bei einem damals 14-jährigen Jungen. c Erhebliche Inklination der talometatarsalen Achse im Seitenvergleich mit Medialshift des Talus. Erkennbare Abstützreaktion an Taluskopf und Os naviculare. d–e Der laterale Versatz und die Valgusfehlstellung des Kal-
kaneus werden in der Brodén-Aufnahme und der Spiegeltisch-Dokumentation deutlich. f Operative Exploration über einen anteromedialen Zugang bei sonographisch gesicherter Läsion der Tibialis-posterior-Sehne. g Diese ist offenbar als Folge der Sprunggelenkfraktur deutlich elongiert, jedoch nicht durchtrennt
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Abb. 23.20. h–l. h Sie wird mit einem knöchernen Span an ihrem Ansatz entnommen (Pfeil) und i am Ende der Korrekturoperation unter Vorspannung knöchern im Os naviculare mit einer KFISchraube refixiert (*). Die Korrektur der Plattfußstellung erfolgt durch eine Tripleosteotomie unter Verzicht auf jegliche Arthrodese: 1. varisierende Kalkaneusosteotomie nach Dwyer, 2. Verlängerung der lateralen Fußsäule im Sinne einer modifizierten Evans-
Osteotomie unter Verwendung des entnommenen Kalkaneusspans und 3. Zweidrittel-Varisierungs-Osteotomie des Talushalses und Spaneinbolzung zur Wiederherstellung der Kongruenz im Chopart-Gelenk (Pfeil). j Ein Jahr postoperativ stabiles Fußgewölbe unter Belastung. k,l In den Belastungsaufnahmen sichere knöcherne Konsolidierung und korrekte Ausrichtung der talometatarsalen Achse in beiden Ebenen
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formität und Arthroseentwicklung im Rückfuß ist die Durchführung einer Triplearthrodese zu erwägen. Forman et al. (2000) beschrieben einen Fall von chronischer traumatischer Peronealsehnenluxation bei einem 10-jährigen Mädchen. Ein Jahr nach dem Unfall fanden sich bewegungsabhängige Schmerzen unter dem Außenknöchel, eine eingeschränkte Eversion sowie globale Kraftminderung. Die Autoren führten eine modifizierte Chrisman-Snook-Tenodese mit einem halben Peroneus-brevis-Span unterhalb der Epiphysenfuge durch (ebd.). Ebenfalls nur in Einzelfällen berichtet werden chronische Verkalkungen nach kindlichen Sehnenverletzungen (Kuritz et al. 1977). Arthrodesen nach Lähmungsdeformitäten Triplearthrodese
CAVE
Der Begriff der Triplearthrodese umfasst eine Versteifung der Subtalar-, Talonavikular- und Kalkaneokuboidgelenke (Abb. 23.21 a–o). Sie wurde für ausgeprägte Lähmungsdeformitäten des Fußes – insbesondere nach Poliomyelitis – entwickelt mit dem Ziel, bei einem gut in der Knöchelgabel geführten Talus eine rigide, aber plantigrade Stellung des Rückfußes zu erreichen (Ryerson 1923). Die Indikationen zur Durchführung einer Triplearthrodese bei Kindern umfassen sowohl angeborene als auch erworbene Lähmungsbilder, Klump- und Plattfußfehlstellungen, Kontrakturen nach Kompartmentsyndrom und posttraumatische Deformitäten mit Subluxation im Chopart-Gelenk (Seitz u. Carpenter 1974). Sie wird zudem als Reserveverfahren beim Scheitern von reinen Weichteileingriffen eingesetzt (Galindo et al. 1987). Im Vordergrund stehen kombinierte Fehlstellungen in 2 oder 3 Ebenen wie der Pes equinovarus, Pes planovalgus sowie Fehlstellungen des Kalkaneus (Pes calcaneocavus, -varus/valgus). Die Triplearthrodese korrigiert hierbei die knöcherne Komponente der Fehlstellung. Die häufig erheblichen muskulären Dysbalancen müssen durch begleitende Sehnentransfers, wie oben beschrieben, ausgeglichen werden, um ein funktionell günstiges Ergebnis zu erreichen und den Durchbau der Arthrodese nicht zu gefährden (Seitz u. Carpenter 1974). Ziel der Triplearthrodese ist die Stabilisation des paralytischen Fußes, die Korrektur kontrakter und symptomatischer Rückfußfehlstellungen sowie die Schmerzelimination bei posttraumatischer Arthrose der betreffenden Gelenke. Die Triplearthrodese wurde von einigen Autoren bereits bei Kindern im Vorschulalter durchgeführt; es besteht aber aufgrund der mangelnden Ausreifung des Ossifikationskernes und der dicken Knorpelschicht des Talus von Kindern <8 Jahren die erhöhte Gefahr einer
fibrösen pseudarthrotischen Ausheilung (Johnson u. Kanat 1987). Die Triplearthrodese beim Kind wird in der Regel über bilaterale Zugänge in Rückenlage des Patienten erreicht. Es erfolgt zunächst ein großzügiger, medialer, retromalleolär geführter Zugang, welcher nach distal hin auf das Talonavikulargelenk verlängert wird (Abb. 23.21 b). Nach Identifikation des medialen Gefäß-Nerven-Bündels (A./V./N. tibialis posterior) werden das Talonavikulargelenk und die mediale Facette des Subtalargelenks nach Kapsulotomie vom Sustentaculum tali her ausgeräumt. Über einen schräg verlaufenden, lateralen Ollier-Zugang (Abb. 23.21 h) werden das laterale Subtalargelenk sowie das Kalkaneokuboidgelenk ausgeräumt. In der Mehrzahl der Fälle lässt sich erst jetzt, nach Revision und Mobilisation aller 3 Gelenke eine ausreichende Stellungskorrektur des Rückfußes erreichen. Vom medialen Zugang aus wird nun die mediale Fußsäule zum Mittel- und Vorfuß hin ausgerichtet. Über den lateralen Zugang wird die Stellung des Kalkaneus im Verhältnis zum Talus korrigiert sowie die Ausrichtung des Kalkaneus zur lateralen Fußsäule eingestellt. Die Fixation erfolgt zunächst temporär mit Kirschner-Drähten. Das erreichte Ergebnis wird mit intraoperativen Röntgenaufnahmen (Fuß seitlich, dorsoplantar, axial) kontrolliert und mit den Vorgaben der Planung verglichen. Empfohlen werden ein leichter Rückfußvalgus von 5°, eine Abduktion im Chopart-Gelenk von 0–5° sowie ein Vorfußvalgus von <10° (Adelaar et al. 1976). Bei zufrieden stellender Rückfußposition werden die Kirschner-Drähte schrittweise durch Spongiosaschrauben ersetzt. Die Schraubengröße richtet sich nach dem Alter des Kindes, wahlweise kommen 3,5, 4,5 oder 6,0 mm- bzw. kanülierte Schrauben zum Einsatz. Postoperativ wird der betroffene Fuß im Unterschenkelspaltgips ruhig gestellt. Die Nachbehandlung erfolgt im Gehgips unter einer Teilbelastung mit dem Eigengewicht des betroffenen Beins für mindestens 6 Wochen bzw. bis zur sicheren knöchernen Fusion. Kinder mit schweren Lähmungsbildern bzw. erheblichen funktionellen Defiziten (z. B. nach Polytrauma) können die Vorgabe der Teilbelastung in der Regel nicht umsetzen, sodass der Fuß konsequent entlastet werden muss. Die Fusionsraten für Triplearthrodesen liegen bei Kindern zwischen 80 und 90% (Galindo et al. 1987; Johnson u. Kanat 1987; Seitz u. Carpenter 1974). In 3 Vierteln der Fälle von ausbleibendem Durchbau ist das Talonavikulargelenk betroffen, die Mehrzahl dieser Fälle bleibt jedoch asymptomatisch (Adelaar et al. 1976; Johnson u. Kanat 1987). Auf die Gefahr von Wundrandnekrosen bei übertriebenem Hakenzug über einen einzigen (lateralen) Zugang wurde dezidiert hingewiesen (Seitz u. Carpenter 1974). Die in der Literatur angegebenen Raten guter Ergebnisse um 70% sind für ein Reserveverfahren akzeptabel,
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Abb. 23.21 a–o. Im Alter von 9 Jahren polytraumatisierter Patient u. a. mit drittgradig offener Unterschenkelschaftfraktur, Intimaläsion der A. poplitea und Kompartmentsyndrom nach primärer Veneninterposition. a,b 3 Jahre nach dem Trauma besteht bei reizlos abgeheilten Weichteilen ein kontrakter Pes equinovarus. c,d Im Röntgenbild ist keine direkte knöcherne Läsion des Fußes zu erkennen. e Die in der CT sichtbare Valgusdeformität des Talus mit zentraler Nekrose und Varusposition des Kalkaneus ist durch die jahrelange Fehlstellung am wachsenden Fußskelett entstanden. f In der MRT des Unterschenkels sind die ausgedehnten Muskelnekrosen in der Tibialis-anterior-Loge, der tiefen Beugerloge und partiell auch des Triceps sureae deutlich erkennbar. Lediglich die Peroneusloge ist vollständig intakt. g Die Rekonstruktion beinhaltet ein ausgedehntes Weichteilrelease über einen ausgedehnten re-
tromelleolären medialen Zugang mit langstreckiger Resektion der kontrakten Tibialis-posterior-, Extensor-hallucis-longus- und Extensor-digitorum-longus-Sehnen. Das komplette Release des kontrakten oberen Sprunggelenks wurde durch eine posteriore Kapsulotomie und eine Achillessehnenverlängerung (Z-Plastik) erreicht. h Anschließend Triplearthrodese mit Entknorpelung und Fusion des Talonavikular- und Subtalargelenks von medial sowie des lateralen Subtalar- und Kalkaneokuboidgelenks über einen lateralen Ollier-Zugang. Abschließend Transfer der Peroneus-longus-Sehne transossär durch das Os cuneiforme intermedium auf das Os cuneiforme mediale zur aktiven Fußhebung. i,j Nach 3 Monaten stabil verheilte Triplearthrodese mit korrekter Ausrichtung der Fußachsen in den Belastungsaufnahmen
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
Abb. 23.21 e–j.
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Kapitel 23 Fuß
Abb. 23.21 k–o. k,l Der Einbeinstand ist problemlos möglich. m,n Eine verbliebene Valgusfehlstellung der Tibia wird ein Jahr nach Triplearthrodese mittels varisierender Tibiaosteotomie korrigiert (o)
in der Regel kann bei komplikationslosem Verlauf eine weitgehende Schmerzfreiheit erreicht werden (Galindo et al. 1987; Horton u. Olney 1995). Residuelle Fehlstellungen werden insbesondere bei schweren Lähmungsbildern beschrieben, was die Notwendigkeit einer subtilen präoperativen Analyse und ggf. zusätzlicher Sehnentransfers von nichtgelähmten Muskeln unterstreicht. Oft handelt es sich um ein Überwiegen der Peronealmuskulatur gegenüber dem geschwächten M. tibialis anterior oder posterior (Crego u. McCarroll 1938).
Keinesfalls sollte der Rückfuß in leichter Varusstellung eingestellt werden, selbst wenn ein ausgeprägter Valgus korrigiert wurde. Aufgrund der erheblich veränderten Mechanik des eingesteiften Rückfußes mit vermehrter Belastung des oberen Sprunggelenks sind in etwa 30% der Fälle arthrotische Veränderungen innerhalb von 5 Jahren zu beobachten, welche nicht in jedem Falle symptomatisch werden (Adelaar et al. 1976; de Heus et al. 1997).
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23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
Pantalare Arthrodese Die pantalare Arthrodese, von Lorthioir 1911 erstmals für schwere kongenitale Fehlbildungen oder Lähmungen beschrieben, schließt zusätzlich zur Triplearthrodese das obere Sprunggelenk mit ein. Ziel ist auch hier die Wiederherstellung der Achsenverhältnisse von Sprunggelenk und Fuß, welche jedoch mit einer völligen Versteifung der oberen und unteren Sprunggelenke erkauft wird und mit einem erheblichen Funktionsdefizit einhergeht. Sie sollte daher in der Therapie posttraumatischer Fehlstellungen heute als letzte Rückzugsmöglichkeit bei schweren Fußdeformitäten in Erwägung gezogen werden, z. B: bei Anschlussarthrosen im oberen Sprunggelenk nach stattgehabter Triplearthrodese oder posttraumatischer septischer Talusnekrose. In diesen Fällen erfolgt im Rahmen der Arthrodese die komplette Exzision des Taluskorpus. Voraussetzung für einen Behandlungserfolg ist eine ausreichende Kniestabilität sowie ein sensibler Fuß, damit den veränderten Belastungsverhältnissen nach einer derart ausgedehnten Arthrodese Rechnung getragen werden kann (Barrett et al. 1981). Analog zur Triplearthrodese ist daher die Fusion in einer leichten Valgusstellung des Rückfußes von etwa 5° zu empfehlen.
23.5.2 Korrektur intrinsischer Fußfehlstellungen Talus Der kindliche Talus besitzt aufgrund seiner weitgehend knorpeligen Struktur eine hohe Elastitzität, sodass erhebliche Kräfte vonnöten sind, um eine Talusfraktur hervorzurufen (Marti 1974). Aufgrund der zentralen Stellung des Talus als Schaltknochen zwischen Unterschenkel und Fuß mit der Beteiligung an 3 funktionell essenziellen Gelenken führen jedoch selbst geringe residuelle Fehlstellungen und Inkongruenzen nach Talusfrakturen zu erheblichen Einschränkungen der globalen Fußfunktion. Die Fähigkeit zur spontanen Remodellierung nach dislozierten Talusfrakturen ist auch beim wachsenden Talus offensichtlich begrenzt. In der Literatur sind Fehlverheilungen mit erheblichen funktionellen Defiziten sowohl nach nichtanatomischer Reposition (Schwarz u. Gebauer 1983; Zwipp u. Ranft 1991) als auch nach Osteosynthese intraartikulärer Trümmerfrakturen beschrieben (Jensen et al. 1994; Linhart u. Höllwarth 1986). Insbesondere eine posttraumatische Verkürzung des Talushalses führt – analog zu den Beobachtungen beim Erwachsenen – aufgrund einer Varusfehlstellung des Talus bzw. einer Verkürzung der medialen Fußsäule zu einem Pes adductus mit Vorfußvarus. Die Entwicklung einer schmerzhaften Arthrose im Talonavikular- und Subtalargelenk ist in diesen Fällen auch bei Kind nicht aufzuhalten (Zwipp u. Ranft 1991). Schwarz u. Gebauer (1983) fanden eine Inkongruenz im Chopart-Gelenk
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nach um 10 mm dislozierter Taluskopffraktur mit posttraumatischer Plattfußbildung, welche eine Talonavikulararthrodese erforderte. Bei lediglich radiologisch erkennbarer Inkongruenz im Talonavikulargelenk wurden in einem weiteren Fall 12 Jahre nach Taluskopffraktur keine Beschwerden geklagt (Schwarz u. Gebauer 1983). Pseudarthrosen nach Talusfrakturen sind lediglich im Erwachsenenalter, und auch da nur in Einzelfällen beschrieben (Zwipp u. Rammelt 2002). Die Gefahr der avaskulären Nekrose steigt auch beim kindlichen Talus mit dem Grad der Dislokation. Andererseits wurde anhand einer ausgedehnten Literaturrecherche auch für die nichtverschobenen zentralen Talusfrakturen eine Inzidenz von 16% kalkuliert (Rammelt et al. 2000), während diese beim Erwachsenen in den meisten Studien mit 0%, in größeren Kohorten, welche Erwachsene und Kinder einbezogen, mit bis zu 12% angegeben wird (Canale u. Kelly 1978). Die Ursachen hierfür sind spekulativ. Einerseits könnte die hohe Energie des meist direkten Traumas, welche für eine Fraktur des knorpeligen Talus notwendig ist, zu erheblichen Weichteilschäden und zentralen Kompressionszonen mit Kompromittierung der Blutzufuhr führen. Andererseits könnte durch die hohe Elastizität eine spontane Reposition initial dislozierter Frakturen erfolgen, welche dann in der Röntgendiagnostik als nichtdisloziert klassifiziert werden. Für diese Annahmen spricht die Tatsache, dass die Mehrzahl der Talusnekrosen nach nichtdislozierten Talusfrakturen bei Kindern <6 Jahren beobachtet wurden (Rammelt et al. 2000). Die Entstehung einer avaskulären Nekrose führt allerdings nicht zwangsläufig zu einer posttraumatischen Arthrose. Für die Planung möglicher Korrektureingriffe muss in reine Fehlstellungen und solche mit partieller und totaler Taluskorpusnekrose unterschieden werden (Zwipp u. Rammelt 2003; Tabelle 23.1). Fehlstellung/Gelenkinkongruenz Eine weitgehende Wiedererlangung der normalen Fußfunktion ist nur bei anatomischer Rekonstruktion der Talusgeometrie und Erhalt der Gelenkflächen zu erwarten. Diese Maximalvariante der sekundären Rekonstruktion mittels Korrekturosteotomie ist jedoch nur bei einer reinen Gelenkfehlstellung und/oder Achsabweichung ohne begleitende Arthrose, Totalnekrose oder Infekt und entsprechender Compliance des Patienten
Tabelle 23.1. Einteilung posttraumatischer Fehlverheilungen des Talus I II III IV V
Gelenkfehlstellung Gelenkfehlstellung und Pseudarthrose I/II mit partieller Talusnekrose I/II mit totaler Talusnekrose I/II mit septischer Talusnekrose
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Kapitel 23 Fuß
möglich (Zwipp u. Rammelt 2003; Zwipp et al. 1998). Lässt die präoperative Diagnostik eine ausreichende Knorpelqualität und Durchblutung des Knochens erkennen, kann diese Option noch Monate nach der Verletzung eine relevante funktionelle Rehabilitation der Patienten gewährleisten (Abb. 23.22 a–o). Die primäre Frakturebene wird in einer Planungs-CT dargestellt und dient als Ausgangspunkt für die Korrektur. Die Zugangswahl richtet sich nach der Art der Fehlstellung. In jedem Falle ist zur korrekten Einstellung von oberem und unterem Sprunggelenk eine ausreichende Übersicht von einem bilateralen Zugang aus er-
forderlich. Die Kombination von anteromedialem und lateralseitigem Ollier-Zugang bietet in vielen Fällen eine ausreichende Darstellung der Gelenkebenen und der Stellung des Talushalses. Als zusätzliche Option bietet sich der posteromediale oder posterolaterale Zugang an. Eine streng atraumatische Präparationstechnik ist bei den ohnehin durch die persistierende Fehlstellung bereits kritischen Durchblutungsverhältnissen obligat. Insbesondere das Lig. deltoideum, der Sinus und Canalis tarsi sowie das Periost am Taluskopf müssen zum Erhalt der Durchblutung geschont werden. Die »Osteo-
Abb. 23.22. a,b Ein zum Unfallzeitpunkt 15-jähriger Junge wird ein knappes Jahr nach im Fixateur externe behandelter Talushalsfraktur mit einer erheblichen Deformität im Sinne eines Rückfußvarus, einer Außenrotation und Abduktion des Mittel- und Vorfußes gegenüber dem Rückfuß vorgestellt. Der adipöse Junge ist nur an Unterarmstützen und unter Dauerschmerzen gehfähig. c Die a.-p. Röntgenaufnahme zeigt eine Fehlstellung des Talusdoms in der Malleolengabel sowie ein nicht zuzuordnendes Fragment unter dem Innenknöchel. d In der lateralen Ansicht imponiert eine erhebliche Verkürzung des Talus mit einer Doppelkontur im Kopfbereich und einer Inkongruenz im Subtalargelenk. e In der CT imponiert eine Rotation des gesamten Mittelfußblocks inklusive eines nekrotischen Taluskopffragments gegenüber dem Taluskörper, welcher zum oberen und unteren Sprunggelenk hin sklerosiert wirkt. Aufgrund des jugendlichen Alters des Patienten wurde trotz der erkennbaren Veränderungen die sekundäre anatomische Rekonstruktion angestrebt. Die schrittweise Darstel-
lung und Lösung des Subtalargelenks und die Reposition der fehlgestellten Fragmente gelingt über einen bilateralen (anteromedial + Ollier) Zugang. f,g Die Osteosynthese nach zentraler Defektauffüllung mit Spongiosa vom Innenknöchel erfolgt mit 3,5 mmSpongiosaschrauben, ergänzt durch eine temporäre Transfixation. h,i In der Einjahreskontrolle imponiert eine anatomische Stellung des Rückfußes und stabile Fusion der Korrekturregion. j,k Abgesehen von einer osteophytären Reaktion über dem Talonavikulargelenk findet sich keine Progredienz der vorbestehenden Arthrose- und Nekrosezeichen. l–o Die anatomische Achskorrektur ist auch klinisch evident und äußert sich in einem normalen, schmerzfreien Gangbild mit Normalisierung der plantaren Druckverteilung in der dynamischen barographie. Selbst wenn bei frühzeitiger Arthroseentwicklung eine spätere Arthrodese notwendig würde, wäre diese unter anatomischen Achsen- und Längenverhältnissen deutlich erleichtert
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
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tomie« orientiert sich an der primären Frakturfläche unter sukzessiver Auflösung derselben. Nach Erreichen des gewünschten Korrekturausmaßes erfolgt eine temporäre Kirschner-Draht-Transfixation. Das Ergebnis wird mit dem Bildwandler bzw. intraoperativen Standardröntgenaufnahmen verifiziert. Nach Wiederherstellung der anatomischen Form und der Gelenkflächen erfolgt die stabile Schraubenosteosynthese analog zur frischen Fraktur. Defekte wie im gezeigten Fallbeispiel nach Pseudarthrosenausräumung (vgl. Abb. 23.22 a–o) bedürfen einer autologen Spongiosaplastik, um keine Verkürzung oder Achsenfehlstellung des Talus zu provozieren und die Heilung zu beschleunigen.
Abb. 23.22. h–o.
Fehlstellung und Arthrose bzw. Nekrose Bei manifesten, schmerzhaften Inkongruenzarthrosen mit irreparabler Gelenkzerstörung ist die korrigierende Arthrodese indiziert. Diese richtet sich nach dem Ort der Inkongruenz und sollte auf das betroffene Gelenk beschränkt bleiben. Durch die Interaktion von Subtalarund Talonavikulargelenk resultiert jedoch die Fusion des einen Gelenks in einer erheblichen Bewegungseinschränkung des anderen (Astion et al. 1997). Insbesondere das Talonavikulargelenk als Bestandteil der Coxa pedis sollte, wenn immer möglich, erhalten werden, da dessen Blockade zur größten Einschränkung der Rückfußbeweglichkeit führt (Zwipp u. Rammelt 2002).
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Kapitel 23 Fuß
Bei posttraumatischen, nichtkorrigierten Fehlstellungen im oberen Sprunggelenk wie z. B. nach dislozierten Taluskorpusfrakturen ist eine tibiotalare Arthrodese indiziert (Mazur et al. 1991; Sullivan u. Jackson 1958). Im Gegensatz zum Erwachsenen wird zudem bei Kindern auch über Deformitäten im oberen Sprunggelenk bereits nach partiellen Talusnekrosen berichtet (Draijer et al. 1995; Meyer u. Kappeler 1997). Machen erhebliche arthrotische Beschwerden eine Arthrodese im Kindesalter erforderlich, so bietet die Chuinard-Fusion die Möglichkeit der Schonung der Wachstumsfuge der distalen Tibia (Chuinard u. Peterson 1963). Die Resektion beschränkt sich an der Tibia auf den subkortikalen Anteil distal der Epiphysenfuge. Notwendige Achsenkorrekturen werden durch eine entsprechende keilförmige Resektion vom Talus erreicht. Abschließend erfolgt die Interposition eines Beckenkammspans zum Längenausgleich (Mazur et al. 1991). Bei arthrotischen Veränderungen ohne wesentliche Fehlstellung stellt die Sprunggelenkendoprothese seit einigen Jahren beim Erwachsenen eine Alternative dar, wobei die Langzeitprognose gerade beim jungen, aktiven Patienten als kritisch zu bewerten ist. Entsprechende Studien fehlen derzeit noch für die neueren Dreikomponentenprothesengenerationen. Bei Prothesenmodellen, die nur eine minimale Knochenresektion erfordern, bietet der Prothesenwechsel bzw. die sekundäre Arthrodese eine Rückzugsmöglichkeit (Hansen 2003). Die subtalare Arthrodese ist bei Inkongruenzarthrose, vor allem nach fehlverheilten peripheren Talusfrakturen, wie des Processus fibularis tali, indiziert. Bei in Fehlstellung verheilten Taluskopffrakturen mit erheblicher Gefügestörung im Chopart-Gelenk erlaubt die Arthrodese des Talonavikulargelenks eine Korrektur der konsekutiven Plattfußfehlstellung mit weitestgehender funktioneller Rehabilitation (Schwarz u. Gebauer 1983). Die Double-Arthrodese (im deutschen Sprachraum gleichbedeutend mit der tibiotalokalkanearen Arthrodese) kommt insbesondere beim Kollaps des Talusdoms aufgrund einer avaskulären Totalnekrose des Taluskorpus in Frage, wobei zur Überbrückung des nicht unerheblichen Defektes die Interposition eines trikortikalen Spanes vom Beckenkamm erforderlich ist. Bei einem kritischen Längenverlust von >4 cm kommen gefäßgestielte Knochentransplantate in Frage (Bishop et al. 1995), insbesondere wenn dadurch eine Arthrodese vermieden werden kann (Szita, in einer persönlichen Mitteilung). Komplexe Fehlstellungen erfordern entsprechende Kombinationen von Arthrodesen (Zwipp et al. 1989). Die Triplearthrodese stellt eine Rückzugsmöglichkeit bei kontrakten Fehlstellungen des Rückfußes mit Subluxation im Chopart-Gelenk bzw. schwerer Arthrose im Subtalar- und Chopart-Gelenk dar (Zwipp u. Ranft 1991). Der Sonder- und Extremfall einer septischen Talusnekrose kann entweder durch direkte Keiminokulation nach offener Talusluxationsfraktur oder – beim Säugling und Kleinkind – hämatogen fortgeleitet entstehen. Wäh-
rend bei der hämatogenen Osteomyelitis im Säuglingsalter die systemische Antibiotikagabe effizient ist, orientiert sich die Therapie der posttraumatischen septischen Talusnekrose an den Grundprinzipien der septischen Chirurgie mit wiederholten, radikalen Knochen- und Weichteildébridements zur Sanierung des Infektherdes (Rammelt et al. 2001). PMMA-Ketten dienen als vorläufige Platzhalter und Antibiotikaträger, bis die Abstrichergebnisse negativ sind. Die externe tibiotarsale Transfixation ggf. kombiniert mit der Applikation von VacusealVerbänden dient der Weichteilkonsolidierung und Bereitung des Wundgrundes. Die Auffüllung des knöchernen Defekts nach Infektsanierung erfolgt mit einer ausreichend dimensionierten autologen oder homologen Knochenspanbolzung (Kitaoka u. Patzer 1998; Rzesacz et al. 1997). Bei Folgezuständen nach schweren Infekten mit deutlichem Höhenverlust und axialen bzw. torsionalen Fehlstellungen können nach primärer Sanierung und tibiokalkanearer Fusion durch Längenausgleich und Redressierung über einen Ilizarov-Fixateur noch deutliche Funktionsgewinne erzielt werden (Liener et al. 1999). Bishop et al. (1995) berichteten über eine erfolgreiche Arthrodese im oberen Sprunggelenk mit gestieltem Fibulatransfer in 5 von 7 Fällen von chronischer Osteomyelitis und Pseudarthrosenbildung nach offenen Defektverletzungen auf Sprunggelenkhöhe. Das Verfahren wurde auch bei 2 Kindern im Alter von 11 bzw. 12 Jahren nach Tumorresektion jeweils mit Erfolg angewendet. Insgesamt ist der komplette Verlust des Taluskorpus insbesondere nach Infektverlauf jedoch mit einer ungünstigen Prognose behaftet (Rammelt et al. 2001; Rzesacz et al. 1997). Kalkaneus Der kindliche Kalkaneus verfügt über eine erstaunliche Fähigkeit zur Remodellierung nach meist durch ein Niedrigenergietrauma hervorgerufener Fraktur. Zwei jüngere systematische Langzeitanalysen haben bei konservativer Therapie dislozierter intraartikulärer Frakturen gute funktionelle Ergebnisse ergeben (Brunet 2000; Ceccarelli et al. 2000), was sich mit den Beobachtungen aus früheren Serien deckt (Schantz u. Rasmussen 1998). Entsprechend finden sich in der Literatur auch in größeren Übersichten keine Hinweise auf Fehlstellungen nach kindlichen Kalkaneusfrakturen (Zwipp u. Ranft 1991). Das Potenzial zur Spontankorrektur verliert sich allerdings mit Abschluss des Wachstums. Ceccarelli und Mitarbeiter (2000) fanden bei Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren mit dislozierten intraartikulären Frakturen signifikant schlechtere Ergebnisse nach konservativer Therapie im Vergleich zur operativen Therapie. Die in der Literatur beschriebenen Fehlheilungen manifestieren sich prinzipiell mit denselben Symptomen wie beim Erwachsenen. Die klassische posttraumatische Deformität nach konservativ behandelter dislozierter intraartikulärer Kalkaneusfraktur besteht – beim Jugendlichen wie beim Erwachsenen – in einer
Höhenminderung, Verbreiterung und Achsabweichung des Rückfußes in der Horizontalebene im Sinne einer Varus- oder Valgusfehlstellung (Ceccarelli et al. 2000). Sekundäre Folgen dieser Fehlstellung bestehen in einer Irritation oder Subluxation der über die ausgesprengte laterale Wand verlaufenden Peronealsehnen, einem Anstoßen der Außenknöchelspitze (»abutment«) und einer Taluskippung nach dorsal (Deklination) mit der biomechanisch ungünstigen Einstellung der breiteren ventralen Talusrolle in der Knöchelgabel verbunden mit einem vorderen tibiotalaren Impingement (Rammelt et al. 2004; Zwipp u. Rammelt 2002). Bei länger bestehenden Fehlstellungen ist daher mit der Entwicklung einer Anschlussarthrose im oberen Sprunggelenk und Chopart-Gelenk zu rechnen (Zwipp 1994). Eine für die Korrekturplanung relevante Einteilung der posttraumatischen Fehlheilungen ist in Tabelle 23.2 dargestellt. Rekonstruktion Fehlstellungen nach Kalkaneusfrakturen im Adoleszentenalter werden nach Abschluss des knöchernen Wachstums in Analogie zu den Fehlheilungen im Erwachsenenalter korrigiert. Im Gegensatz zu den Talusfrakturen scheint eine sekundäre Wiederherstellung mit Gelenkflächenerhalt nur bei extraartikulären Fehlstellungen möglich, sodass meist eine reorientierende subtalare Arthrodese notwendig wird (Crawford 1994; Zwipp u. Rammelt 2003). Lediglich bei nur wenige Wochen zurückliegender Verletzung kann eine sekundäre anatomische Rekonstruktion in Betracht gezogen werden. Durch die zwischenzeitlich erfolgte Weichteilretraktion und Frakturkonsolidierung ist die Rekonstruktion erheblich erschwert und das Risiko von Wundheilungsstörungen sehr hoch. Das Beispiel eines 13-jährigen Jungen, dessen beidseitige Kalkaneusfrakturen im Rahmen eines schweren Polytraumas verzögert angegangen wurden, ist in Abb. 23.23 a–v dargestellt. Subtalare Arthrodese Die Art der durchzuführenden Arthrodese bei länger bestehender Fehlstellung richtet sich nach dem Charakter der Deformität (Zwipp u. Rammelt 2003). Bei schmerzhafter subtalarer Arthrose ohne begleitende Fehlstellung (Typ I), genügt eine In-situ-Arthrodese des Subtalargelenks (Kalamchi u. Evans 1977). Diese Tabelle 23.2. Einteilung posttraumatischer Fehlverheilungen des Kalkaneus A Fehlstellung
B Pseudarthrose C Nekrose
I II III IV V
Gelenkinkongruenz Zusätzliche Varus-/Valgusfehlstellung Zusätzliche Höhenminderung Zusätzliche Translation Zusätzliche Taluskippung (Subluxation)
kann über einen limitierten posterolateralen oder Ollier-Zugang, alternativ auch arthroskopisch gestützt durchgeführt werden (Tasto et al. 2000). Bei den limitierten Zugängen ist die Lagebeziehung der Inzisionen zum N. suralis zu beachten, welcher auf Höhe des Außenknöchels auf etwa der halben Strecke zur Achillessehne verläuft. Die posterioren Facetten von Talus und Kalkaneus werden unter Zuhilfenahme eines Arthrodesenspreizers vollständig von Restknorpel und subchondralen Sklerosezonen befreit. Wird dieser Operationsschritt nicht gründlich durchgeführt, kann eine unvollständige Konsolidierung mit persistierenden Beschwerden resultieren. Anschließend erfolgt eine Kompressionsarthrodese mit 2 von plantar über Stichinzisionen eingebrachten 6,5 mm-Spongiosazugschrauben. Wird keine Spongiosa interponiert, so muss zur Vermeidung eines Rückfußvalgus zusätzlich die mediale Facette ausgeräumt werden. Die Nachbehandlung erfolgt frühfunktionell im flexiblen Arthrodesenstiefel (Variostabil) mit Wiederaufnahme der Vollbelastung nach 6–12 Wochen. Beim Vorliegen einer manifesten Fehlstellung des Kalkaneus (Typ II, III) hat sich in mehreren Serien die von Carr und Mitarbeitern (1988) vorgestellte reorientierende subtalare Arthrodese mit Einbringung von 1–2 trikortikalen Knochenspänen bewährt (Rammelt et al. 2004). Diese erfolgt in Bauchlage des Patienten über einen posterolateralen Zugang von 6–8 cm Länge. Durch die Form der Späne, welche anhand einer präoperativen Planungsskizze gefertigt werden, kann sowohl die Aufrichtung des Talus als auch eine Korrektur begleitender Varus- oder Valgusfehlstellungen erzielt werden (Zwipp 1994). Zur Feststellung dieser Deformitäten des Kalkaneus sind die präoperativen axialen Aufnahmen von Unterschenkel und Rückfuß (Saltzman u. el-Khoury 1995) dem axialen »Harris-view« im Stehen (»Skispringeraufnahmen«) aufgrund der messbaren Lagebeziehung zur Tibia überlegen. Korrekturosteotomie Für komplexere Fehlstellungen finden sich nur vereinzelte Empfehlungen in der Literatur, welche sich ausschließlich auf Erwachsene konzentrieren. Bei erheblicher Fehlstellung entlang der primären Frakturlinie mit Translation des Tuberfragments (Typ IV) wird vor der subtalaren Arthrodese die Korrekturosteotomie durch die ehemalige Frakturfläche empfohlen (Romash 1993; Zwipp u. Rammelt 2003). Nach eigener Erfahrung ist für diese Eingriffe ein bilaterales Vorgehen hilfreich. Eine dreidimensionale Operationsplanung mittels CT-gestützter Software ist zu empfehlen (Dahlen u. Zwipp 2001). Bei den schweren Fehlstellungen nach Kalkaneusluxationsfrakturen mit manifester Taluskippung (Typ V) wird über einen bilateralen Zugang der tief impaktierte Talus gehoben und die korrekte Einstellung des Talus in die Sprunggelenksgabel über einen zusätz-
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CAVE
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
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Abb. 23.23 a,b. Doppelseitige »Blow-out-Kalkaneusfrakturen« mit Fußkompartmentsyndrom bei einem 13-jährigen Jungen im Rahmen eines schweren Polytraumas nach Fenstersturz aus 10 m Höhe. c,d Bei kritischem Allgemeinzustand mit drohendem Multiorganversagen war zunächst nur eine Drahtextension angelegt worden. e,f Bei Übernahme der Behandlung 2 Wochen nach dem Unfall imponiert eine Vollhautnekrose über dem medialen Aspekt des linken Rückfußes. g,h Es erfolgt eine postprimäre Rekonstruktion mit beidseitiger Plattenosteosynthese. i Linksseitig zusätzliche Nekrektomie und Vacuseal-Verband. Definitive Weichteildeckung mit freiem Latissimus-dorsi-Lappen, welcher prob-
lemlos einheilt. j,k Nach 10 Monaten imponieren kontrakte Hammerzehen beidseits und ein posttraumatischer Hallux valgus rechts. l,m Im Rahmen der Implantatentfernung erfolgt beidseits eine serielle Tenolyse mit Verlängerung der Flexor-digitorum-longus-Sehnen und perkutaner Flexorentenotomie sowie ein Release der Plantarfaszie (Steindler-Procedere). Zur Korrektur des rechtsseitigen Hallux valgus erfolgen laterales Release, mediale Kapselraffung, Extensor-hallucis-longus-Verlängerung und Transfixation der rechten Großzehe. n,o In der CT kongruente Stellung der Gelenkflächen
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
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lichen anteromedianen Zugang kontrolliert (Zwipp 1994; Zwipp u. Rammelt 2003). Chopart- und Lisfranc-Gelenk Chopart- und Lisfranc-Luxationsfrakturen entstehen bei Kindern regelhaft durch erhebliche Gewalteinwirkung wie beim Überrolltrauma (Wiley 1981; Zwipp u. Ranft 1991). Diese Verletzungen sind mit einem nicht unerheblichen Weichteilschaden assoziiert und entsprechen nicht selten den kombinierten Fehlverheilungen der Gruppe C. Um lokal-isolierte Verletzungen nicht zu übersehen ist eine genaue Kenntnis der exakten Röntgenprojektionen erforderlich (Rammelt et al. 2002;
Zwipp 1994). In den wenigen in der Literatur beschriebenen Fällen von Fehlheilungen auf Höhe des Chopartund Lisfranc-Gelenks war eine Subluxationsstellung verblieben, welche auch am wachsenden Skelett offenbar nicht ausgeglichen wurde (Wiley 1981; Zwipp u. Ranft 1991). Insbesondere der Versuch einer geschlossenen Reposition und Kirschner-Draht-Fixation lässt subtilere Fehlstellungen oft unberücksichtigt bzw. führt bei den häufigen Kapsel- und Bandinterpositionen zu einem unvollständigen Repositionsergebnis (vgl. Abb. 23.4) und kann in der Folge in schmerzhaften Deformitäten resultieren (Zwipp et al. 1999).
CAVE
Abb. 23.23 g–o.
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Kapitel 23 Fuß
CAVE
Abb. 23.23 p–v. Nach 3 Jahren korrekte Achsenausrichtung des Fußskelettes in den Belastungsaufnahmen (p–r) und klinisch befriedigende Fußstellung (s,t) bei freier Funktion des oberen Sprunggelenks (u,v)
Die Indikation zur Korrekturoperation nach Chopart- und Lisfranc-Luxationsfrakturen ergibt sich demnach – ähnlich wie beim Erwachsenen – aus Fehlstellungen in der Horizontalebene, wie pathologische Abduktion/Adduktion des Vorfußes durch Verkürzung der medialen oder lateralen Fußsäule bzw. homolaterale Lisfranc-Luxation, oder nach Fehlstellungen in der Sagittalebene mit Verwerfungen der talometatarsalen Achse und des Fußlängsgewölbes. Dazu gehören auch Gelenkverwerfungen insbesondere des Talonavikulargelenks und chronische Bandinstabilitäten mit der schrittweisen Entwicklung eines posttraumatischen Plattfußes (Rammelt et al. 2002; Schwarz u. Gebauer 1983; Wiley 1981; Zwipp u. Rammelt 2003). Der seltene Fall einer Pseudarthrose des Os naviculare ist in Abb. 23.24 dargestellt. Der Erhalt des funktionell bedeutsamen Talonavicular-Gelenks als Bestandteil der »Coxa pedis« ist immer anzustreben.
Korrekturarthrodesen im Chopart-Gelenk Im Falle einer lateralen Verkürzung mit isolierter Kalkaneokuboidarthrose erfolgt nach Ausräumung des Gelenks über einen geraden lateralen Zugang und Einbolzung eines trikortikalen Spans die isolierte Kalkaneokuboidarthrodese (Hansen 2000; Rammelt et al. 2002) unter Erhalt des funktionell wichtigen Talonavikulargelenks. Sind beide Fußsäulen betroffen, wird über einen bilateralen Zugang (anteromedial und lateral) die komplette Chopart-Arthrodese (im englischen Schrifttum »double arthrodesis«) unter Wiederherstellung der Säulenstatik des Fußes und des Fußlängsgewölbes durchgeführt (Zwipp u. Rammelt 2003). Bei Verkürzungen der medialen Fußsäule und isolierter talonavikularer Arthrose erbringt die talonavikulare Arthrodese zwar eine ausreichende Schmerzreduktion, zieht jedoch eine substanzielle Bewegungseinschränkung im Subtalargelenk sowie eine verminderte Plantarflektion in der Abstoßphase nach sich (Astion et al.
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
Abb. 23.24. Seltener Fall der Ausbildung einer Pseudarthrose des Os naviculare pedis 6 Monate nach konservativer Therapie einer primär nicht dislozierten Mehrfragment-Fraktur bei einem zum Unfallzeitpunkt 13-jährigen Jungen (a–d). Durch den beginnenden Kollaps des Os naviculare und insbesondere die Dehiszenz der Fragmente ist es zur Insuffizienz der an der Tuberositas anset-
zenden Tibialis posterior-Sehne mit Ausbildung eines Pes plano valgus gekommen (e). Bei moderaten Beschwerden und weitgehend erhaltener Gelenkfläche im Rahmen der operativen Exploration (f) erfolgt die Ausräumung der Pseudarthrose, Auffüllung der Defekthöhle (g) mit Spongiosa, Reposition der Hauptfragmente (h) und Kompression mittels Titan-Zugschrauben (i–k)
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Kapitel 23 Fuß Abb. 23.24. i–n Die Belastungsaufnahmen nach einem halben Jahr zeigen die knöcherne Konsolidierung des Os naviculare und eine korrekte Ausrichtung des Vorfußes in beiden Ebenen (l–n). Der Langzeitverlauf bleibt bei bereits bestehender Deformierung der Gelenkfläche jedoch abzuwarten
1997; Fogel et al. 1982). Biomechanisch ist nach Clain u. Baxter (1994) daher die komplette Chopart-Arthrodese günstiger.Von Main u. Jowett (1975) sowie Canale u. Kelly (1978) wird sogar die Triplearthrodese empfohlen (vgl. Abb. 23.4 ), insbesondere bei einer konkomitanten Ruptur der Tibialis-posterior-Sehne. Bei allen Arthrodesen am Chopart-Gelenk empfiehlt es sich, das korrekte Verhältnis von medialer und lateraler Fußsäule durch intraoperatives Röntgen zu überprüfen. Korrekturarthrodesen im Lisfranc-Gelenk Ziel der reorientierenden Arthrodese des Lisfranc-Gelenkes ist die Rekonstruktion der normalen Achsen- und Längenverhältnisse des Fußes sowie der Stabilität, um ein weitgehend schmerzfreies Gehen im eigenen Schuh zu ermöglichen. Die Korrektur erfolgt über 2 dorsale, parallele, längs verlaufende Zugänge. Nach kompletter Ausräumung der betroffenen tarsometatarsalen Gelenke beginnt die Achsenkorrektur analog zur Versorgung frischer Verletzungen mit der Reorientierung des 2. Strahles, wodurch die Einrichtung des benachbarten 1. und 3. Strahles erleichtert wird. Abhängig von Alter und Ausmaß der Fehlstellung kommt es gelegentlich zu einer spontanen Ausrichtung der lateralen Strahlen, welche dann nicht mit dem Os cuboideum fusioniert werden müssen (Zwipp et al. 1999). Die Fusion erfolgt mittels 2,7oder 3,5 mm-Kortikalisschauben. Bei schlechter Knochenqualität und Längenverlusten von >2 cm kann alternativ eine Plattenosteosynthese durchgeführt werden (Mann et al. 1996; Sangeorzan et al. 1990).
Die Nachbehandlung erfolgt im eigenen Vorgehen unter Vollbelastung im gut anmodellierten Gipsschuh für 6–8 Wochen. Eine Implantatentfernung nach Schraubenarthrodese ist generell nicht vorgesehen. Gerade junge Patienten sollten über die Möglichkeit asymptomatischer Schraubenbrüche nach knöcherner Ausheilung aufgeklärt werden. Die Korrekturarthrodese gestattet eine weitgehende Rehabilitation der Patienten und ist bei entsprechendem Leidensdruck auch mehrere Jahre nach LisfrancVerletzung noch sinnvoll (Mann et al. 1996; Sangeorzan et al. 1990; Zwipp et al. 1999). Radiologische Kriterien der Erfolgskontrolle sind die Korrektur des Talus-Metatarsale-I-Winkels in der dorsoplantaren und seitlichen Ansicht sowie die Bedeckung des Taluskopfes durch das Os naviculare in der dorsoplantaren Aufnahme (Mann et al. 1996; Zwipp et al. 1999). In knapp 10% der Fälle muss mit der Entwicklung einer Pseudarthrose gerechnet werden (ebd.). Metatarsalia und Zehen Obwohl 70–90% aller Frakturen des kindlichen Fußes die Metatarsalia betreffen, treten kaum korrekturbedürftige knöcherne Fehlverheilungen in dieser Region auf (Crawford 1994; Zwipp u. Ranft 1991). Zum einen sind die Mehrzahl der Metatarsalefrakturen im Kindesalter gering disloziert, zum anderen scheint ein gewisses Korrekturpotenzial von Achsenfehlstellungen zu bestehen (Trott 1976; Zwipp u. Ranft 1991). Sind die Wachstumsfugen betroffen, tritt offenbar eher eine spontane
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
Überkorrektur der Länge, als eine Verkürzung der entsprechenden Strahlen auf. In jedem Fall sollte bis zum Abschluss des Wachstums zugewartet werden, ob sich relevante Fehlstellungen entwickeln. Bei überschießender Knochenheilung an der Basis des Os metatarsale V können Druckbeschwerden im Schuhwerk auftreten, sodass eine Abtragung der knöchernen Prominenz über einen direkten lateralen Zugang erforderlich wird (Trott 1976). Der Ansatz der Peroneus-brevis-Sehne und der lateralen Plantaraponeurose ist bei diesem Eingriff in jedem Fall zu schonen. Relevante Fehlstellungen treten nach Frakturen der Grundphalanx der Großzehe auf. Bei den typischen Stauchungsverletzungen nach Anpralltrauma des ungeschützten Fußes kann es zu einer Verletzung der Epiphysenfuge vom Typ Salter-Harris V mit sekundärem Fehlwachstum kommen (Noonan et al. 1994). Bei asymmetrischem Fugenschluss kommt es zu Achsabweichungen in der Horizontalebene im Sinne eines posttraumatischen Hallux valgus oder Hallux varus interphalangeus. Eine Spontankorrektur tritt nach Trott (1976) nicht ein, sodass die Korrekturosteotomie indiziert ist. Diese erfolgt als Keilosteotomie der Grundphalanx. Krallen-, Hammer- und Mallet-Zehen verbleiben als Folgezustände nach Kompartmentsyndrom, neurologischen Affektionen oder direkter Schädigung der intrinsichen Fußmuskulatur. Ihre Behandlung ist oben dargestellt (Abschn. 23.5.1).
23.5.3 Rekonstruktion nach kombinierten Knochenund Weichteildefekten Kinder erleiden schwere Komplexverletzungen der unteren Extremität am ehesten als Fußgänger in Form von Überrolltraumen. Eine spezielle Problemgruppe stellen schwerste Verletzungen durch Rasenmäher (»lawn mower injuries«) dar, da hier zu den schweren und unregelmäßigen Lazerationen an Knochen und Weichteilen die Kontamination mit aggressiven Erdkeimen hinzutritt (Myerson 1999). Sowohl die Akutversorgung als auch rekonstruktive Eingriffe bei posttraumatischer Deformität sind ausgesprochen anspruchsvoll und erfordern eine gute Kooperation zwischen dem Unfallchirurgen und dem Plastischen Chirurgen. Insgesamt werden die Erfolgsaussichten mikrovaskulärer Techniken bis hin zur Replantation des Fußes beim Kind positiv eingestuft (Myerson 1999; Rajacic et al. 1994). Bei relevanten Fehlstellungen ist nach individueller Planung ein kombiniertes, mehrzeitiges Vorgehen mit Korrektur der knöchernen Deformität (Osteotomie, ggf. Arthrodese) und der Weichteilproblematik (Release, Narbenkorrektur, plastische Deckung, Sehnentransfers) nach den oben genannten Prinzipien erforderlich. Ein Beispiel für eine sekundäre Rekonstruktion nach komplexem Fußtrauma ist bei einem zum Unfall-
zeitpunkt 5-jährigen Jungen in Abb. 23.25 a–l dargestellt und soll vor allem zeigen, dass Korrekturosteotomien beim Kind prinzipiell Arthrodesen vorzuziehen sind. In der Regel werden die Kinder mit komplexem Fußtrauma jedoch nach erfolgter Primärversorgung mit sekundären Problemen, welche sich aus dem weiteren Wachstum bzw. Weichteilkontrakturen ergeben, vorstellig. Die Neigung zur hypertrophen Narbenbildung ist beim Kind nicht unerheblich und kann durch frühzeitige Behandlung mit Bindegewebemassagen und Druckpolstern zumindest eingedämmt werden. Bei einem erheblichen funktionsmindernden Narbenzug sind operative Maßnahmen (Z-Plastik, Kapsel-Release, Tenolyse usw.) erforderlich.Ausgedehnte, mehrschichtige Narbenplatten hinterlassen nach Exzision zuweilen tiefe Defekte, welche im einfacheren Falle mit Spalthautplastiken, bei freiliegenden Knochen, Gelenken oder Sehnen jedoch eine Lappendeckung erfordern (Al-Qattan 2000; Chiang et al. 1997). Die Eignung des betreffenden Areals zur lokalen Lappenplastik bzw. zum Anschluss eines freien Lappens ist nach abgelaufenem Komplextrauma vor der Korrektur kritisch zu prüfen, eine Angiographie ist erforderlich. In Analogie zu den isolierten knöchernen Fehlstellungen sollten symptomatische knöcherne Fehlheilungen vor Abschluss des Längenwachstums nach Möglichkeit zunächst durch extraartikuläre Osteotomien korrigiert werden. Bei fixierten, kontrakten Fehlstellungen wird in Ausnahmefällen eine Arthrodese auch im Wachstumsalter unumgänglich sein. Sehnentransfers sollten hingegen bei symptomatischen Dysbalancen frühzeitig durchgeführt werden. Weitere sekundäre Korrekturen nach komplexen Fußtraumen beinhalten Stumpfrevisionen nach Amputationen im Fußbereich, Neurolysen, sekundäre Nerventransplantationen, die Resektion symptomatischer heterotoper Ossifikationen sowie die Sanierung und definitive plastische Deckung von Druckulzera. Insbesondere bei Amputationen auf Höhe des Chopart- und Lisfranc-Gelenks ist auf eine dynamische Ausbalancierung des Amputationsstumpfes durch eine Sehnenzügelung zu achten, da ansonsten durch das Überwiegen der Flexoren eine Equinusstellung des verbliebenen Rückfußes resultiert (Zwipp 1994). Posttraumatische Nervenkompressionssyndrome können durch Neurolysen und Transpositionen in Verbindung mit der Elimination des auslösenden Agens (Verwachsungen, Ossifikationen) angegangen werden. Die Ergebnisse von Neurolysen, Nerventranspositionen und -transplantationen am Fuß sind abhängig vom Zeitpunkt der Korrektur.Auch für diese Prozeduren gilt, dass der Erfolg umso wahrscheinlicher ist, je eher der Eingriff erfolgt, ehe irreversible intraneuronale Fibrosierungen oder degenerative Veränderungen der Zielmuskulatur eingetreten sind (Lusskin et al. 1986). Die Aussichten auf gute und sehr gute Ergebnisse nach Spätkorrekturen werden immerhin noch mit 45% angegeben, wobei keine separaten Zahlen für Kinder vorliegen (ebd.).
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Kapitel 23 Fuß
Abb. 23.25 a–l. a–c Komplexe Fußfehlstellung nach kombiniertem direkten und indirekten Primärtrauma. Der zum Unfallzeitpunkt 5-jährige türkische Junge war bei einem Erdbeben durch eine auf den Fuß stürzende Metalltür schwer verletzt worden. Die Nachbarn hatten danach versucht, mit heißer Asche die Schmerzen zu lindern, was zu drittgradigen Verbrennungen mit Narbenkontrakturen und grotesker Zehenfehlstellung führte. Der Vorfuß ist erheblich proniert (b), der Rückfuß steht in Eversion (c). Nach vermutlich abgelaufener Chopart- und Lisfranc-Luxationsfraktur Achsenfehlstellung in der lateralen Ansicht zwischen dem steil gestellten Talus und den nach dorsal dislozierten Metatarsalia (d), welche zudem durch die extreme Vorfußpronation kulissenartig übereinander stehen (e). f,g Zur Korrektur war zunächst eine ausgedehnte Resektion der Narbenkontrakturen erforderlich. Diese beinhaltete eine dorsale Kapsulotomie des oberen Sprunggelenks und Tenolyse der Extensoren am Dorsum pedis. Die Korrektur der
knöchernen Komponente bestand in einer »Open-wedge-Osteotomie« der Ossa cuneiformia im Scheitel der Fehlstellung und Verlängerungsosteotomie des Processus anterior calcanei mit Interposition eines kortikospongiösen Spans aus der Tibia zur Verlängerung der lateralen Fußsäule mit temporärer Spickdrahtfixation. Die nach ausgedehnter Narbenexzision erforderliche Weichteildeckung erfolgte durch den plastischen Chirurgen mittels freiem Latissimus-dorsi-Lappen, wodurch eine ausreichende Beweglichkeit gewährleistet wurde. h–l 4 Jahre nach der Korrektur besteht trotz Verzicht auf sekundäre Zehenkorrekturen eine plantigrade Ausrichtung des rechten Fußes mit gut ausgerichteten Zehen und nahezu normalem Druckprofil. Der Patient ist sportfähig. Das Beispiel zeigt, dass insbesondere am wachsenden Skelett spannungsfreie Weichteile und Achskorrekturen unter Verzicht auf Arthrodesen eine normale Weiterentwicklung des Fußes erlauben
23.5 Korrektureingriffe nach Verletzungen des kindlichen Fußes
Abb. 23.25 f–l.
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Kapitel 23 Fuß
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Kapitel 24
Thoraxtrauma
24
S. Berger
24.1 24.1.1 24.1.2 24.1.3 24.1.4 24.1.5
Verletzungen der Thoraxwand Weichteilmantel . . . . . . . . Rippen . . . . . . . . . . . . . Instabiler Thorax . . . . . . . Sternum . . . . . . . . . . . . Klavikula . . . . . . . . . . . .
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856 856 857 857 857 857
24.2
Verletzungen der Lunge und des Tracheobronchialsystems . . . . Lungenparenchymverletzungen Pneumothorax . . . . . . . . . . Hämatothorax . . . . . . . . . . Lungenkontusion . . . . . . . . Bronchialruptur . . . . . . . . . Traumatische Asphyxie . . . . .
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24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4 24.2.5 24.2.6 24.3
Verletzungen des Herzens und der großen Blutgefäße . . . . . . . . . . . . . . 863
24.4
Verletzungen des Zwerchfells . . . . . . . . . . . . . 864 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866
Ursachen und Häufigkeit Inzidenz Schwere Thoraxtraumen sind im Kindesalter selten. Die Inzidenz einer Thoraxverletzung beträgt unter schwer verletzten Kindern etwa 10% (Stafford u. Harmon 1993). Trotz ihrer relativen Seltenheit haben die Thoraxverletzungen einen hohen Stellenwert in der Behandlung schwerverletzter Kinder: In der Statistik der traumatischen Todesursachen folgen die Thoraxtraumen nach den Schädel-Hirn-Verletzungen an zweiter Stelle (Cooper 1995). Während Erwachsene ein Thoraxtrauma meist als Autoinsasse bei Verkehrsunfällen erleiden, werden Kinder häufiger als Fußgänger verletzt (36–37% als Fußgänger, 31–32% als Autoinsasse; Peclet et al. 1990; Rielly et al. 1991). Die hierbei einwirkenden Kräfte sind oft geringer, leichtere Verletzungen stehen deshalb im Vordergrund. Weniger als 15% der kindlichen Thoraxtraumen bedürfen daher einer größeren Operation, 85% der Verletzungen können hingegen konservativ oder mit kleineren therapeutischen Maßnahmen (wie z. B. einer Thoraxdrainage) erfolgreich behandelt werden; Haller 1990). Unfallursachen Die weitaus meisten Thoraxtraumen im Kindesalter sind stumpf (Peterson et al. 1994), penetrierende Verlet-
zungen sind in Europa äußerst selten. In anderen Ländern sind penetrierende Thoraxtraumen, überwiegend durch Schusswaffen hervorgerufen, dagegen ein ernstes Problem mit stark ansteigender Inzidenz auch im Kindesalter (Nance et al. 1996; Reinhorn et al. 1996). Schwere Thoraxtraumen bei Säuglingen und Kleinkindern sollten bei unklarem Unfallmechanismus immer auch an eine Kindesmisshandlung denken lassen, insbesondere beim Vorliegen von lateralen Rippenfrakturen oder Sternumfrakturen (Hechter et al. 2002). Bei Kleinkindern ereignen sich nicht selten Überrolltraumen auch des Thorax, wenn Kinder zwischen Autos spielen, die sich unerwartet in Bewegung setzen (Silen et al. 1999). Kleinkinder erleiden nur selten Thoraxtraumen als Autoinsassen, insbesondere, wenn sie in geeigneten Rückhaltesystemen fixiert sind. Bei Kindern, die sich von der Hand eines Erwachsenen losreißen oder bei größeren Kindern, die sich selbständig im Straßenverkehr bewegen, kommen jedoch auch schwere Thoraxverletzungen im Rahmen von Rasanztraumen durch schnell fahrende Autos und andere Verkehrsmittel vor. Eine häufigere Ursache sind Stürze aus größerer Höhe (Fenstersturz, Sturz vom Baum) und Stürze vom Fahrrad oder Schlitten. Unterschiede zum Erwachsenen Aufgrund der Elastizität des Thorax im Kindesalter sind zwar Rippenverletzungen wesentlich seltener als beim Erwachsenen, schwere intrathorakale Verletzungen können jedoch bestehen, ohne dass äußerliche Zeichen einer Verletzung vorliegen. Der Brustkorb mit noch überwiegend knorpeligem Rippen und dünnem Muskelmantel kann sich so weit verformen, dass die knöchern-knorpeligen Strukturen zwar intakt bleiben, die einwirkende Energie wird jedoch nicht absorbiert, sondern auf die darunter liegenden Strukturen wie Lunge, Herz und Gefäße übertragen. Das Entstehen von Lungenkontusionen ist deshalb beim Kind wahrscheinlicher als beim Erwachsenen. Das Mediastinum ist beim Kind verschieblicher, was bedeutet, dass bei einem Spannungspneumothorax oder Hämatothorax schneller sowohl ein Schock als auch, allein durch die Verschiebung im Mediastinum
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Kapitel 24 Thoraxtrauma
und damit Kompression von großen Gefäßen und Bronchien, ein respiratorisches Versagen eintreten kann (Jaffe u. Wesson 1991). Aortenverletzungen, ein instabiler Thorax (»flail chest«) und penetrierende Verletzungen des Thorax sind beim Kind seltener anzutreffen als beim Erwachsenen (Nakayama et al. 1989). Kinder können nach starkem intrathorakalem Blutverlust ähnlich wie bei intraabdominellen Blutungen relativ lange kreislaufstabil bleiben und zeigen dann nicht selten einen raschen Kreislaufeinbruch bei fortbestehender Blutung (Bliss u. Silen 2002). Ein Blutverlust von bis zu 30% des Blutvolumens kann durch Tachykardie und periphere Vasokonstriktion relativ lange kompensiert werden, ab einem Blutverlust von etwa 40% des Blutvolumens droht die vollständige und dann oft akut einsetzende Dekompensation (Scherer 1997). Todesfälle aufgrund schwerer Thoraxverletzungen sind beim Kind eher in der Akutphase zu erwarten, beim Erwachsenen dagegen auch im Rahmen eines komplizierten Verlaufs. Vorkommen im Rahmen von Mehrfachverletzungen Isolierte schwere Thoraxverletzungen sind im Kindesalter noch seltener als im Erwachsenenalter. Die Mehrzahl der schweren Thoraxtraumen (82%; Peclet et al. 1990) sind deshalb im Rahmen von schweren Mehrfachverletzungen und Polytraumen zu sehen. Das Vorliegen einer ernsthaften intrathorakalen Verletzung ist im Kindesalter fast immer ein Zeichen für eine sehr schwere Gewalteinwirkung und sollte das Augenmerk auf damit wahrscheinlich vorliegende Begleitverletzungen lenken (ebd.). Thoraxverletzungen sind insgesamt beim Kind viel seltener Ursache einer lebensbedrohlichen Blutung als Abdominalverletzungen (Taylor et al. 1994). Prognose Schwere Thoraxverletzungen können Ursache einer Hypoxie und Hypotension sein und lassen dem behandelnden Arzt daher wenig Zeit für eine diagnostische Abklärung. Ein rasches, zielgerichtetes Handeln, das bereits am Unfallort beginnt, ist daher Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Bei schwersten Thoraxtraumen mit Beteiligung von Herz und großen Blutgefäßen erreichen betroffene Patienten das Krankenhaus häufig nicht mehr lebend, da sie vorher an einem Kreislaufversagen infolge eines massiven Volumenmangelschocks versterben.Auch optimierte Rettungszeiten und Vorortbehandlung durch den Notarzt können viele dieser Patienten nicht mehr retten. Die Letalität eines isolierten Thoraxtraumas (alle Schweregrade) beträgt etwa 5%, liegt ein begleitendes Bauchtrauma vor, so steigt diese auf 20%. Bei gleichzeitigem Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas steigt die Letalität eines Thoraxtraumas auf 35% an (Black et al. 1996; Peclet et al. 1990; Scherer 1997). Das begleitende SchädelHirn-Trauma ist in den meisten Fällen von Thoraxverlet-
zungen mit Todesfolge die Todesursache (Crankson et al. 2001).Verletzungen des Herzens oder der großen Blutgefäße gehen mit einer Letalität von 75% einher, ein Hämatothorax mit 53% und eine Lungenverletzung oder Rippenfraktur mit >40% (Peclet et al. 1990). Diagnostik Röntgen Beim schwerverletzten Kind ist die Anfertigung einer a.-p.-Thoraxübersichtsaufnahme zusammen mit der Ultraschalluntersuchung des Abdomens, Röntgenaufnahmen von Wirbelsäule und Becken Teil der apparativen Standarddiagnostik. Beim weniger schwer verletzten, ansprechbaren Kind sollte beim Vorliegen von äußerlichen Verletzungszeichen am Thorax, Thoraxschmerzen oder einer abnormalen Atemfrequenz zunächst nur eine Thoraxaufnahme erfolgen (Gittelman et al. 2003). Diese kann Frakturen am knöchernen Thorax, Belüftungsstörungen der Lunge, Pneumo- oder Hämatothorax und Konturveränderungen von Herz und großen Blutgefäßen nachweisen. Beim klinischen Verdacht auf Rippenfrakturen liefert eine Aufnahme des jeweiligen knöchernen Hemithorax belichtungs- und projektionsbedingt Bilder, die eine Beurteilung der knöchernen Strukturen eher erlauben als eine Standardthoraxaufnahme, bei der die Belichtung auf die Beurteilung der Lunge abgestimmt ist. Computertomographie Liegt eine auffällige konventionelle Röntgenaufnahme des Thorax vor, so wird zur weiteren diagnostischen Abklärung häufig eine CT-Untersuchung notwendig (Renton et al. 2003). Bei schweren Mehrfachverletzungen kann auch eine primär durchgeführte Ganzkörper-Spiral-CT sinnvoll sein. Bei Kindern sind Lungenkontusionen der häufigste Befund in der Thorax-CT; diese sind oft posterior oder posteromedial lokalisiert, wahrscheinlich aufgrund der höheren Elastizität der anterioren Brustwand (Manson et al. 1993). Auch bei der Durchführung einer Abdomen-CT wird nicht selten (etwa 4%) ein begleitender Pneumothorax mitdiagnostiziert, selbst wenn die vorherige Röntgenaufnahme des Thorax keinen Pneumothorax gezeigt hat. Diese »Zufallsbefunde« bedürfen nur selten einer Behandlung mit Pleuradrainage (Holmes et al. 2001).
24.1 Verletzungen der Thoraxwand 24.1.1 Weichteilmantel Bei offenen Wunden des Weichteilmantels am Thorax ist stets eine penetrierende Thoraxverletzung durch genaue Exploration der Wunde auszuschließen. Beim
24.1 Verletzungen der Toraxwand
Kind ist der Weichteilmantel des Thorax im Vergleich zum Erwachsenen dünn, da Muskulatur und subkutanes Fettgewebe noch deutlich geringer ausgebildet sind.
24.1.2 Rippen Das Vorliegen von Rippenfrakturen ist beim Kind Ausdruck einer schweren Gewalteinwirkung und deshalb mit einer hohen Letalität (42%; Garcia et al. 1990) verknüpft, wobei eine Korrelation zwischen der Anzahl der frakturierten Rippen und der Letalitätsrate besteht. Rippenfrakturen können durch direkte oder indirekte Gewalt hervorgerufen werden. Direkte Gewalteinwirkung führt zu einer Dislokation der Rippe in Richtung auf die Körpermitte hin, sodass die Fraktur an der Innenseite der Rippe entsteht und das Risiko von Sekundärverletzungen (z. B. Lungeneinriss) durch die scharfen Frakturenden mit sich bringt. Indirekte Gewalteinwirkung besteht bei Einwirken einer Kraft auf einer größeren Fläche, die zur einer Kompression des gesamtem Thorax und lateralen Berstungsfrakturen der Rippen führt (Abb. 24.1 a,b). Hier liegt die Fraktur an der Außenseite der Rippen und ein sekundäres Verletzungsrisiko ist deutlich geringer.
wegung am stärksten beeinträchtigt wird. Die erste Notfallmaßnahme ist die Stabilisierung des betroffenen Thoraxsegments durch Auflage der flachen Hand oder eines Sandsackes. Ein instabiler Thorax wird bei kleineren Kindern fast nie angetroffen. Eine Beatmung mit PEEP bewirkt eine innere Schienung und verhindert den Kollaps der benachbarten Lunge während der Inspiration. Eine operative Fixierung der frakturierten Rippen ist nur ausnahmsweise erforderlich.
24.1.4 Sternum Sternumfrakturen sind Raritäten im Kindesalter. Sie treten meist isoliert auf und werden nicht selten durch ein indirektes Trauma (extreme Flektion der BWS) verursacht. Neben Frakturen, die meist im Corpus sterni auftreten (Abb. 24.2), sind Synchondrolysen zwischen Manubrium und Corpus sterni möglich (v. Tiling u. Berger 2000). Eine chirurgische Therapie ist fast nie indiziert, da stärkere Dislokationen ungewöhnlich sind. Die Diagnose kann in einer seitlichen Zielaufnahme nachgewiesen werden.
24.1.5 Klavikula 24.1.3 Instabiler Thorax Paradoxe Atembewegungen und der Nachweis von Rippenserienfrakturen sind die wichtigsten Zeichen eines instabilen Thorax. Dieser beeinflusst die Atmung insbesondere bei dorsolateraler Lokalisation des ausgesprengten Brustwandanteils, da hier die Zwerchfellbe-
Klavikulafrakturen zählen zu den häufigsten Frakturen im Kindesalter und stellen sicher die häufigste knöcherne Verletzung an der Thoraxwand dar. Sie können bereits unter der Geburt auftreten, werden dann nicht immer bemerkt und kommen nicht selten aufgrund überschießender Kallusbildung als Tumor zur Abklärung (Abb. 24.3). Meist sind sie Folge einer Gewalteinwirkung
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Abb. 24.1. a Verformung des Thorax bei punktförmiger Gewalteinwirkung. Die Frakturenden der Rippen werden in den Thorax hineingedrückt, das Risiko für eine Lungenverletzung ist hoch. b Ver-
formung des Thorax bei flächiger Gewalteinwirkung. Die Frakturenden der Rippen werden aus dem Thorax herausgedrückt, das Risiko für eine Lungenverletzung ist niedriger
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Kapitel 24 Thoraxtrauma
an der Schulter und nicht am Thorax. Sie sind beim Kind eine Domäne der konservativen Therapie. Eine operative Frakturversorgung kommt nur bei älteren Kindern, Frakturen mit Durchspießung oder extremer Fehlstellung (>90° Achsknick) sowie bei Mitverletzungen der darunter liegenden großen Gefäße in Frage. Alle anderen Frakturen der Klavikula können konservativ im Rucksackverband behandelt werden. Etwa ab dem 6. Lebensjahr können hierzu vorgefertigte Verbände benutzt werden, bei kleineren Kindern hat sich eine Achtertour mit individuell angepasstem »Cuffn’collar-Material« bewährt.
24.2 Verletzungen der Lunge und des Tracheobronchialsystems 24.2.1 Lungenparenchymverletzungen
Abb. 24.2. Sternumfraktur in mittleren Anteil des Corpus sterni bei einem 8-jährigen Jungen nach Flektionstrauma des Rumpfes
Hinweisend auf eine Lungenparenchymverletzung sind ein subkutanes Emphysem am Hals, eine Hämoptysis oder ein nach Drainage fortbestehendes Luftleck. Da diese Verletzungen nur wenig bluten, steht die Pneumothoraxentwicklung oft im Vordergrund. Die Behandlung mit einer (oder mehreren) Pleuradrainage ist ausreichend. Operationen wegen anhaltendem Luftleck oder stärkerer Blutung müssen nur gelegentlich erfolgen und bestehen dann in einem resezierenden Eingriff (Lobektomie, atypische Lungenresektion). Bei offenen Thoraxtraumen wird eine operative Revision durchgeführt, insbesondere bei Schussverletzungen und intrathorakal befindlichen Fremdkörpern ist dies obligat (Abb. 24.4 a–d).
Abb. 24.3. »Tumorartige« Schwellung am Hals bei 4 Wochen altem Kind nach geburtstraumatischer Klavikulafraktur
24.2 Verletzungen der Lunge und des Tracheobronchialsystems
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24.2.2 Pneumothorax Klinisch besteht eine Abschwächung der Atemgeräusche und eine Hyperresonanz bei der Perkussion, bei stärkerer Ausdehnung oder Entwicklung eines Spannungspneumothorax eine Dyspnoe und später eine Hypoxie. Der Thorax zeigt auf der betroffenen Seite eine geringere Atemexkursion. Die Entstehung eines Pneumothorax beruht beim Kind häufiger auf einer Lungenparenchymruptur nach starker Druckerhöhung im Thorax, z. B. bei einem Aufprall (Abb. 24.5 a), als auf einer direkten Lungenverletzung (Abb. 24.5 b) oder Ruptur des Bronchialbaumes. Diese Form des Pneumothorax wird in aller Regel mit einer entsprechenden Drainage ausreichend behandelt. Aufgrund der leichten Verschieblichkeit des Mediastinums entsteht beim Kind leichter ein Spannungspneumothorax mit beträchtlicher Mediastinalverschiebung (Abb. 24.5 c–d). Notfallmäßig kann die Dekompression eines Spannungspneumothorax mit einer im 2. Interkostalraum in der mittleren Klavikularlinie eingebrachten Kanüle erfolgen (Abb. 24.6 a). Eine definitive Thoraxdrainage wird im 4. bis 6. Interkostalraum in der vorderen Axillarlinie eingebracht.
Sie darf beim liegenden Patienten nicht tiefer erfolgen, da sonst Zwerchfelle und Leber getroffen werden können (Abb. 24.6 b). Bei der Anlage einer Drainage sollte versucht werden, einen treppenförmigen Kanal anzulegen, indem die Hautinzision distal der geplanten Eintrittstelle zwischen den Rippen gelegt wird. Dies bewirkt, dass bei Entfernung der Drainage die Gewebeschichten sich kulissenartig über die Eintrittstelle schieben und ein luftdichter Verschluss entsteht (Abb. 24.6 c). Der Verschluss kann durch das Anziehen einer um die Hauteintrittstelle angelegten Tabakbeutelnaht unterstützt werden. Bei der Punktion oder Anlage einer Drainage im interkostalen Raum ist zu beachten, dass die Interkostalgefäße unter der Rippe verlaufen, die Punktionsnadel sollte daher unmittelbar über den Oberrand der Rippe eingeführt werden, um iatrogene Verletzungen der Gefäße zu vermeiden (Abb. 24.6 d).
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Abb. 24.4 a–d. Schussverletzung des Thorax bei 2 1/2-jährigem Kind mit Lage des Projektils in der linken Lunge
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Kapitel 24 Thoraxtrauma
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bb. 24.5. a Pneumothorax durch Lungenruptur. b Pneumothorax durch Verletzung der Thoraxwand. c,d Spannungspneumothorax bei Ventilmechanismus an der Rupturstelle, Luftaustritt während der Inspiration durch Unterdruck im Thorax. Die ausgetretene
Luft kann nicht mehr entweichen und führt zu einer Verschiebung der Thoraxorgane (»mediastinal shift«) auf die gesunde Seite. (Aus Schumpelick et al. 1989)
24.2.3 Hämatothorax
beim Hämatothorax dagegen eher nach kaudal-dorsal zielen sollte. Eine initiale Blutmenge von >15 ml/kg Kg, ein Ablauf von >2–3 ml/kg KG/h in 3 aufeinanderfolgenden Stunden oder ein Fortbestehen einer intrathorakalen Blutansammlung trotz adäquater Drainage spricht für eine operationsbedürftige intrathorakale Blutung. Blutungsquelle sind häufiger verletzte Interkostalarterien (Hochdruckkreislauf) als die Hilusgefäße, da in diesen ein so niedriger Blutdruck herrscht (Niederdruckkreislauf), dass Lungenparenchymblutungen nur selten kreislaufwirksam und operationsbedürftig werden (Scherer 1997).
Beim Hämatothorax liegt ähnlich wie beim Pneumothorax ein abgeschwächtes Atemgeräusch, aber ein dumpfer Klopfschall vor. Neben der Thoraxröntgenaufnahme, die dorsobasal eine Verschattung zeigt, kann ein Hämatothorax auch sonographisch, z. B. im Rahmen der Notfallabdomensonographie gesichert und quantitativ beurteilt werden. Die Thoraxdrainage wird in gleicher Weise wie beim Pneumothorax eingebracht, wobei die Spitze der Drainage beim Pneumothorax eher nach kranial-ventral,
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24.2 Verletzungen der Lunge und des Tracheobronchialsystems
a b
c
d
Abb. 24.6. a Punktionsstellen zur Entlastung eines Pneumothorax (Spritze a) bzw. eines Hämatothorax (Spritze b; aus Schumpelick et al. 1989). b,d Einlage einer Pleuradrainage mit Eintritt der Drainage durch den 5. ICR in der mittleren Axillarlinie unter Beachtung eines subkutanen Tunnels (d). Hierdurch schieben sich bei einer Entfernung der Drainage die Wandschichten kulissenartig übe-
reinander und verhindern das Eintreten von Luft (aus Schumpelick et al. 1989). c Interkostalgefäße und -nerven verlaufen am Unterrand der Rippen. Die Punktion durch den Interkostalraum sollte daher am Oberrand der Rippe entlang geführt werden, um Blutungen zu vermeiden
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Kapitel 24 Thoraxtrauma
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24.2.4 Lungenkontusion Als häufigste intrathorakale Verletzung beim Kind fällt die Lungenkontusion im Röntgenbild durch eine infiltratähnliche Verschattung auf; diese wird in der CT genauer sichtbar. Kleinere Kontusionen bedürfen keiner spezifischen Therapie außer einer (physiotherapeutischen) Pneumonieprophylaxe. Ausgedehntere Kontusionen müssen dagegen mit maschineller Beatmung und einem PEEP behandelt werden. Das Vorliegen von intraparenchymatösen Hämatomen und Ödemen hat intrapulmonale Shunts und eine herabgesetzte Lungencompliance zur Folge (Scherer 1997). Die Aufrechterhaltung einer Normovolämie ist obligatorisch, um die Entstehung eines Multiorganversagens mit Ausgangspunkt in der Lunge zu verhindern. Es besteht ein signifikantes Risiko für die Entwicklung einer postkontusionalen Pneumonie, diese sollte frühzeitig erkannt und gezielt antibiotisch behandelt werden.
24.2.5 Bronchialruptur
Klinischer Hinweis Dem Verdacht auf das Vorliegen einer Bronchusverletzung sollte besonders dann nachgegangen werden, wenn ein Pneumomediastinum oder Pneumothorax mit einer Pleuradrainage nicht ausreichend therapierbar ist, also nach adäquater Drainage keine adäquate Rückbildung zeigt (Grant et al. 1998).
24.2.6 Traumatische Asphyxie Meist im Rahmen von Überrollverletzungen kann es bei verschlossenen Stimmritzen oder Glottis durch den raschen intrathorakalen Druckanstieg zu einer akuten massiven zentralvenösen Hypertension kommen. Da hierdurch aus dem rechten Vorhof Blut über die klappenlosen Gefäße in Kopf und Hals zurückfließt, kommt es in diesen Körperregionen zu Petechien und Einblutungen. Abbildung 24.7 a,b zeigt das typische Erscheinungsbild mit Hyposphagma beidseits, Petechien und Ödembildung im Gesicht. Die meisten Kinder, die das Krankenhaus erreichen, überstehen ein solches Trauma (wenn es isoliert auftritt) folgenlos, die Prognose ist allerdings abhängig von der Schwere und Dauer der Hypoxie.
Verletzungen von Trachea und Bronchien können stumpf oder penetrierend sein. Bei den penetrierenden Verletzungen sind Begleitverletzungen von Ösophagus, Karotiden und Jugularvenen nicht selten. Stumpfe Traumen betreffen meist den karinanahen Trachealabschnitt (Haller 1990). Hinweise auf eine tracheobronchiale Verletzung sind 쐌 Blut im Trachealsekret, 쐌 ein trotz Drainage anhaltender Spannungpneumothorax und 쐌 ein massives Luftleck, das die Ventilation beeinträchtigt. Ein Pneumomediastinum oder ein subkutanes Emphysem am Hals sollten ebenfalls den Verdacht auf eine Tracheal- oder Bronchialverletzung richten. Besteht der klinische und radiologische Verdacht auf das Vorliegen einer solchen Verletzung, so kann die Bronchoskopie die diagnostische Klärung herbeiführen und eine zielgerichtete chirurgische Versorgung ermöglichen (Sawin 1998). Gerade im Kindesalter können leichtere Verletzungen des Bronchialbaumes anfänglich übersehen werden und kommen dann erst verspätet zur Versorgung (Hancock u. Wiseman 1991; Ozdulger et al. 2003). Die Seltenheit der Verletzungen im Kindesalter ist ein wichtiger Grund für die oft verzögerte Stellung der Diagnose. In der Literatur wird durchweg nur über kleine Fallgruppen berichtet (Becmeur et al. 2000; Hancock u. Wiseman 1991; Mordehai et al. 1997; Slimane et al. 1999).
Abb. 24.7 a,b. Petechiale Blutungen und Hautödeme am Kopf sowie Hyposphagma beidseits nach Thoraxkompression im Rahmen eines Überrolltraumas
24.3 Verletzungen des Herzens und der großen Blutgefäße
24.3 Verletzungen des Herzens und der großen Blutgefäße Verletzungen des Herzens sind beim Kind insgesamt sehr selten. Wenn sie auftreten, beschränkt sich die Verletzung meist auf eine Kontusion mit geringen klinischen Auswirkungen. Alle anderen Verletzungen des Herzens und der herznahem großen Gefäße sind Raritäten (Abb. 24.8). Für die Entstehung solcher Verletzungen sind in der Regel Rasanztraumen verantwortlich, wie etwa beim Verkehrsunfall mit starker Dezeleration oder Akzeleration oder bei Stürzen aus größerer Höhe. Beim Erwachsenen entsteht ein Großteil der kardialen Verletzungen durch den Aufprall des Thorax auf das Lenkrad, ein bei Kindern nicht zu erwartender Un-
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fallmechanismus (Tiao et al. 2000). Zervikothorakale Sitzgurtmarken können auf eine intrathorakale Gefäßverletzung hindeuten (Rozycki et al. 2002). Die sehr seltene traumatische Ruptur der thorakalen Aorta mit einer ähnlich hohen Letalität wie beim Erwachsenen verbunden. Meist liegt sie nicht isoliert, sondern im Rahmen schwerer Mehrfachverletzungen vor. Beschränkt sich die Rupturausdehnung auf das hintere Mediastinum, wird ein Überleben möglich. Selbst eine rasche Behandlung ist jedoch auch hier nur in einem Teil der Fälle erfolgreich (Eddy et al. 1990). Hinweise auf eine Perikardtamponade sind die obere Einflussstauung, verminderte Herztöne und ein paradoxer Puls. Diagnostik Bei stumpfem Thoraxtrauma mit Verdacht auf eine Beteiligung des Herzmuskels ist neben EKG und der Echokardiographie die Bestimmung der hirn- und myokardspezfischen Kreatinkinase (CK-MB) wegweisend (Ildstadt et al. 1990; Tellez et al. 1987). Verletzungen der großen Blutgefäße können sich im Thoraxröntgenbild andeuten, die genauere Diagnostik erfolgt im Verdachtsfall durch CT, Farbdoppleruntersuchung oder auch transösophageale Echokardiographie (Trachiotis et al. 1996). Eine Perikardtamponade ist sonographisch rasch und sicher nachweisbar. Konservative Therapie Die konservative Therapie einer Herzkontusion besteht in einer engmaschigen Überwachung mit Kontrolle von EKG, CK-MB und dopplersonographischen Funktionsparametern (Myokardmotilität, Auswurffraktion usw.). Treten Rhythmusstörungen auf, ist eine antiarrhythmische Therapie z. B. mit Lidocain einzuleiten (Tellez et al. 1987).
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Abb. 24.8. Mögliche kardiovaskuläre Verletzungen im Rahmen eines Thoraxtraumas: 1 Ruptur der V. cava superior, 2 Aortenruptur, 3 Perikardruptur, 4 Koronarläsion (Thrombus), 5 Klappenverletzung, 6 penetrierende Verletzung des Myokards, 7 Herzkontusion, 8 Verletzung des Ductus thoracicus mit Ausbildung eines Chylothorax oder Chylaskos
Operative Therapie Im Rahmen der Wiederbelebung (bei einer offenen Thoraxverletzung) kann selten eine notfallmäßige Thorakotomie erforderlich werden. Diese erfolgt immer linksseitig anterolateral (5. bis 6. Interkostalraum), weil dieser Zugang die offene Herzmassage ermöglicht und ein Abklemmen (»cross-clamping«) der Aorta descendens erlaubt. Ein Spannungpneumothorax und eine Perikardtamponade können so ebenfalls behoben werden. Verletzungen des linken Hilus und linksseitige Lungenparenchymblutungen können durch Abklemmen des Hilus beherrscht werden. Zur Kontrolle rechtsseitiger Verletzungen kann die Inzision über das Sternum hinweg nach rechts verlängert werden. Nach Kontrolle der Blutung und Sicherung der Ventilation kann die definitive Versorgung im Operationssaal erfolgen (Scherer 1997). Nicht indiziert sind solche massiven Eingriffe bei Kindern, die nach stumpfem Thoraxtrauma ohne Lebenszeichen in den Schockraum gelangen, da hier dem Herzversagen meist ein respiratorisches Versagen mit Anoxie
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Kapitel 24 Thoraxtrauma
vorausgegangen ist und eine Überlebenschance auch mit Notfallthorakotomie nicht besteht (Rielly et al. 1992). Eine primäre chirurgische Versorgung der Verletzungen großer Gefäße ist meist nur unter Einsatz der HerzLungen-Maschine möglich (Ali et al. 1992); sie ist dem erfahrenen kardiovaskulären Chirurgen vorbehalten. Verletzungen der deszendierenden Aorta werden durch eine posterolaterale Thorakotomie angegangen. Je nach Höhe der Läsion besteht ein Risiko für die Entwicklung einer Paraplegie durch Rückenmarkischämie. Kleinere Defekte können übernäht werden, größere und die gesamte Zirkumferenz betreffende Läsionen können durch Verwendung von synthetischen Interponaten (Gore-tex) versorgt werden. Neben der direkten Übernähung oder Deckung des Defekts kommen neuerdings endovaskuläre Stents zur Abwendung, die über eine arterielle Schleuse interventionell eingebracht werden (Karmy-Jones et al. 2003). Bei einer Perikardtamponade kann die Abpunktion des Blutes aus dem Perikardbeutel eine rasche Besserung der Kreislaufsituation bringen. Die Punktion erfolgt meist im linksseitigen xyphokostalen Winkel, mit Zielrichtung der Kanüle auf die ipsilaterale Skapulaspitze (Abb. 24.9). Alternativ ist eine Punktion im 4. oder 5. Interkostalraum parasternal möglich.
24.4 Verletzungen des Zwerchfells Bis zu 90% der Zwerchfellverletzungen bei Kindern und Erwachsenen sind auf Verkehrsunfälle zurückzuführen (Johnson 1998). Stumpfe Traumen verursachen hierbei eher radiäre Einrisse des Zwerchfells, die eine sofortige Herniation zur Folge haben, während penetrierende Traumen oft nur kleine Defekte erzeugen, die sich erst nach längerer Zeit zu fassbaren Hernien entwickeln (Haller 1990). Meist sind Zwerchfellrupturen bei schweren Traumen mit Begleitverletzungen anzutreffen, aber auch isolierte Zwerchfellrupturen kommen vor (Sharma et al. 2002). Traumatische Läsionen des Zwerchfells sind häufiger linksseitig, da das rechtsseitige Zwerchfell durch die Leber geschützt und abgedämpft wird. Die Diagnose einer rechtsseitigen Zwerchfellruptur kann durch die verminderte klinische Symptomatik gegenüber einer linksseitigen Ruptur schwerer sein und erfolgt daher oft erst verzögert (Karnak et al. 2001; Sharma et al. 2002). Die häufigsten, wenn auch unspezifischen Symptome für eine Zwerchfellruptur sind Dyspnoe, Bauchschmerzen und Erbrechen (Karnak et al. 2001). Erfolgt aus anderen Gründen (z. B. intraabdominelle Blutung) eine Laparatomie, so sollten auch die Zwerchfelle inspiziert werden, da nicht wenige Patienten, die verzögert an Zwerchfelldefekten operiert werden, bereits eine vorausgehende Notfalllaparatomie hatten, bei der eindrucksvollere intraabdominelle Verletzungen den Blick vom Zwerchfell ablenkten. Das gleich gilt für intrathorakale Eingriffe, auch hier kann eine Zwerchfellverletzung wegen anderer Verletzungen leicht übersehen werden (Haller 1990). Abbildung 24.10 a–c zeigt ein Beispiel für eine linksseitige Zwerchfellruptur bei einem 10-jährigen Jungen nach schwerem Verkehrsunfall, bei dem die Zwerchfellverletzung im Rahmen einer Laparotomie aufgrund einer Duodenalruptur und Pankreasruptur nicht gesehen wurde. Die Versorgung des Zwerchfelles erfolgte 3 Wochen nach dem Unfall. Diagnostik Die Verdachtsdiagnose auf das Vorliegen einer Zwerchfellruptur kann anhand einer Standard-Thoraxröntgenaufnahme gestellt werden, ggf. auch durch die Beurteilung des Verlaufs in seriellen Aufnahmen. Hilfreich zur Bestimmung der Lokalisation des Defekts ist eine seitliche Thoraxaufnahme. Die wichtigsten radiologischen Zeichen sind:
Abb. 24.9. Punktionsstellen eines Perikardergusses (von links nach rechts): xyphokostal, parasternal im 5./6. ICR, an der Herzspitze im 5. ICR
쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
untypische Gasansammlungen im Thorax, eine kraniale Verlagerung des Leberoberrandes, eine mediastinale Verschiebung, ein auffälliger Verlauf einer Magensonde, ein atypischer Pneumothorax und Frakturen der unteren 6 Rippen (Brandt et al. 1992).
24.4 Verletzungen des Zwerchfells
Die Zwerchfellbeweglichkeit wird anhand von Inspirations- und Exspirationsaufnahmen, einer Durchleuchtung oder Ultraschalluntersuchung beurteilt. Mehr Sicherheit ergibt eine CT-Untersuchung, bei der Darm, Leber oder andere Organe im Thorax nachgewiesen werden. Auch eine Kontrastmittelgabe (Magen-DarmPassage oder Kontrasteinlauf) kann die intrathorakale Lage von Magen oder Darm nachweisen. Operative Therapie Zwerchfellrupturen werden in aller Regel vom Abdomen aus angegangen. Eine Ausnahme besteht beim Vorliegen intrathorakaler Begleitverletzungen oder bei rechtsseitiger Lokalisation im dorsalen Bereich des Zwerchfells und damit schlechter Erreichbarkeit von abdominell. Der Verschluss des Defekts erfolgt durch direkte Naht; es kommen – wie bei der Versorgung angeborener Zwerchfelldefekte – U-Nähte mit kräftigem, nichtresorbierbarem Nahtmaterial zum Einsatz. Bei verzögerten Versorgungen und großen Defekten kann auch die Anwendung prosthetischer Materialen (Kollagenvlies, Gore-tex-patch o. Ä.) erforderlich werden.
Abb. 24.10 a–c. Traumatische Zwerchfellruptur rechts bei 10 Jahre altem Jungen mit deutlicher Verlagerung der Leber nach kranial in der CT und Ausbildung einer Pseudo-Zwerchfellkuppel rechts im Röntgenbild. Intraoperativ bereits Verwachsungen zwischen rechtem Lungenunterlappen (unter dem Sperrer) und der hochgetretenen Leber (unter dem Tupfer) bei ausgedehnter Zwerchfellruptur rechts
865
866
Kapitel 24 Thoraxtrauma
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Kapitel 25
Bauchtrauma
25
G. Schimpl
25.1
Praktisches Vorgehen beim Bauchtrauma . . . . . . 869
25.2 25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4 25.2.5 25.2.6 25.2.7 25.2.8
Organverletzungen beim stumpfen Bauchtrauma Bauchwandhernie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwerchfellruptur . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruptur des Magens . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruptur des Duodenums . . . . . . . . . . . . . . . Ruptur des Dünndarms . . . . . . . . . . . . . . . Ruptur des Kolons . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mesenterialhämatome . . . . . . . . . . . . . . . Isolierte Pankreasverletzungen . . . . . . . . . . .
25.3
Verletzungen der Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . 878
25.4
Verletzungen der Leber . . . . . . . . . . . . . . . . 880
25.5
Verletzungen der intraabdominellen Gefäße . . . . 881
. . . . . . . . .
873 873 873 874 874 876 877 877 877
25.6
Organverletzungen durch Bauchdeckenperforation
25.7 25.7.1 25.7.2
Besonderheiten im Kindesalter . . . . . . . . . . . 882 Verschluckte Fremdkörper . . . . . . . . . . . . . . 882 Verätzungen der Speiseröhre und des Magen-Darm-Trakts . . . . . . . . . . . . . 882
881
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 883 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 883
Bauchtraumen sind häufige Verletzungen im Kindesalter und treten in 2–5% bei verunfallten Kindern auf. Meist kommt es durch die Gewalteinwirkung ohne Eröffnung der Bauchhöhle zum so genannten stumpfen oder geschlossenen Bauchtrauma: Dabei treten mehr oder weniger schwere Verletzungen der Bauchwand oder der Baucheingeweide inklusive des Retroperitoneums auf. Perforierende Bauchverletzungen entstehen durch Stich-, Schuss- und Pfählungsverletzungen und führen zur Eröffnung der Bauchhöhle. Sie sind im Kindesalter relativ selten und machen etwa 10% der Bauchverletzungen aus. Die stationäre Behandlungsrate beim stumpfen Bauchtrauma ist hoch. Zum einen stellt die exakte Diagnose der Verletzungen auch heute noch eine Herausforderung dar, und zum anderen ist das Bauchtrauma für 10–15% aller traumatischen Todesfälle verantwortlich. Während die Mehrzahl der Kinder nach einem stumpfen Bauchtrauma nur kurze Zeit zur Überwachung im Krankenhaus bleibt, weist ein kleiner Prozentsatz schwere lebensbedrohliche Verletzungen auf. Diese können durch Blutungen aus parenchymatösen Organen oder Rupturen der intraabdominalen Hohlorgane bedingt sein.
Unfallursachen Typische Unfallmechanismen für das stumpfe Bauchtrauma sind Flachstürze und Stürze aus der Höhe oder beim Laufen und Sport sowie Kollisionen mit Gegenständen. Stürzen Kinder mit Rollern, Scootern oder Fahrrädern, können Bauchverletzungen durch den Sturz auf den Lenker auftreten; meist sind in diesen Fällen typische Prellmarken an der Bauchdecke sichtbar (Abb. 25.1 a). Weiterhin führen Überrollungen und Unfälle mit Beteiligung von Autos oft zu schwerere Bauchtraumen. Eine große Rolle spielt bei Autounfällen die Verwendung geeigneter Rückhaltesysteme, da bei ungeeigneten Gurtsystemen Verletzungen der Bauchorgane durch den Gurt selbst verursacht werden können. Aber auch bei geeigneten Gurtsystemen kann eine massive Gewalteinwirkung (Frontalzusammenstoß) Schäden im Bereich des Bauchgurtes hervorrufen (Velanovic u. Tapper 1993; Abb. 25.1 b). Perforierende Bauchtraumen werden hauptsächlich durch das Hantieren mit Schusswaffen und Messern, Stürze durch Glasscheiben und durch Pfählungen mit Stöcken (Skistock) verursacht (Abb. 25.2 a,b). Diese Verletzungen spielen aber mit nur etwa 10% eine untergeordnete Rolle. Verletzungsmechanismus Die Besonderheit des Bauchtraumas im Kindesalter ist die sehr geringe Distanz der Baucheingeweide zur Körperoberfläche, sodass einwirkende Kräfte ungebremst die Baucheingeweide erreichen. Die Lendenwirbelsäule stellt ein Widerlager dar, welches gemeinsam mit der einwirkenden Kraft die Verletzung dazwischen liegender Organe begünstigt. Die parenchymatösen Bauchorgane des Kindes sind in Relation zur Körpergröße deutlich größer als beim Erwachsenen. Daher kann bereits ein geringfügiges Trauma eine erhebliche Organverletzung verursachen. Entscheidend für die Art der Verletzung ist die Richtung und Schwere der einwirkenden Kraft. Verletzungen der lateralen Oberbauchorgane, wie Leber und Milz, sind bei Kindern häufiger anzutreffen, weil der untere Thorax, der diese Organe schützend umgibt, beim Kind noch wesentlich elastischer ist und dadurch ein Großteil der Kraft auf die tiefergelegenen Organe ungebremst weiterleitet. Die soliden Organe wer-
868
Kapitel 25 Bauchtrauma
Abb. 25.2. a Pfählungsverletzung durch ungeschützte Lenkerstange. b Pfählungsverletzung mit Bauchdeckenperforation durch Lenkerstange. Stoffreste der Kleidung in der Wunde aus a
Die Altersverteilung zeigt einen Gipfel um das 6. Lebensjahr und einen zweiten Häufigkeitsgipfel um das 14. Lebensjahr. Das Verhältnis Jungen zu Mädchen beträgt annähernd 3:1. Abb. 25.1. a Prellmarke durch Fahrradlenker. b Typische Beckengurtverletzung bei Frontalzusammenstoß
den eher durch direkte Krafteinwirkung verletzt; sie werden dabei zwischen von außen wirkender Kraft und der Wirbelsäule gequetscht. Die Hohlorgane rupturieren dagegen eher durch indirekte Krafteinwirkung, wie abrupte Beschleunigungs- oder Bremsvorgänge (Dezelerationskräfte) und Kompressionskräfte. Dabei spielt der Füllungszustand (Flüssigkeitsgehalt) der Hohlorgane eine wesentliche Rolle. Häufigkeit und Altersverteilung der Organverletzungen Am häufigsten wird im Rahmen eines stumpfen Bauchtraumas die Bauchdecke verletzt, wobei es vom Hämatom bis hin zur traumatischen Bauchwandhernie kommen kann. An der Spitze der verletzten Organe liegt die Milz, gefolgt von Leber, Pankreas, Duodenum und Dünndarm, Mesenterium, Zwerchfell, Magen und Kolon.
Vorkommen im Rahmen von Mehrfachverletzungen Begleitverletzungen bei einem stumpfen Bauchtrauma sind in 30–45% vorhanden (Bockholdt u. Schneider 2003). Am häufigsten finden sich Verletzungen des Schädels, der Extremitäten und des Thorax. Es ist immer an die Verletzungen intraabdominaler Organe zu denken, wenn gleichzeitig Verletzungen des Thorax, des Beckens und der unteren Extremität vorliegen (Mehretagenverletzungen). Schwere Verletzungen der parenchymatösen Oberbauchorgane sind die führende Ursache für die Entstehung eines hypovolämischen Schocks. Verletzungen von Hohlorganen werden häufig primär nicht erkannt, da mitunter Begleitverletzungen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Prinzipiell ist jedoch beim Polytrauma das schwere Schädel-Hirn-Trauma (SHT) die häufigste Todesursache (Sarihan u. Abes 1998; Schwarz et al. 2000). Bei Vorliegen eines hypovolämischen Schocks – sei es durch eine intraabdominale Verletzung oder durch Extremitätenfrakturen – verdoppelt sich die Letalität eines SHT (Partrick et al. 2002). Weiterhin hat die im hypovolämischen Schock herabgesetzte Durchblutung des
!
25.1 Praktisches Vorgehen beim Bauchtrauma
vorgeschädigten Gehirns die Entstehung irreversibler sekundärer Hirnschäden zur Folge.
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Prognose Die Prognose aller leichten stumpfen Bauchtraumen ohne Organruptur, der so genannten Bauchdeckenprellung, ist gut. Nach einer kurzen Phase mit Schmerz und Übelkeit kommt es rasch zur Beschwerdefreiheit. In etwa 5% der Patienten kann als Spätkomplikation eine Bauchwandhernie auftreten, die meist operativ verschlossen werden muss. Bei den Verletzungen mit Organruptur ist hinsichtlich der Prognose zwischen den soliden und den Hohlorganen zu differenzieren. Während die Verletzungen der soliden Organe meist konservativ behandelt werden können und nur etwa in 15% der Fälle operiert werden müssen, bedürfen Verletzungen der intraabdominellen Hohlorgane in nahezu allen Fällen einer chirurgischen Versorgung. Erfolgt diese zeitgemäß, so ist auch hier eine gute Prognose zu verzeichnen. Die Rate an Komplikationen und Spätfolgen ist bei den operativ zu versorgenden Verletzungen höher, jedoch können auch nach konservativer Versorgung von Verletzungen solider Organe Komplikationen wie Milz- oder Leberzysten, Pankreaspseudozysten und Darmstenosen auftreten. Die Mortalität nach operierten Bauchtraumen beträgt zwischen 6% und 14% und jene nach konservativer Therapie rund 3%, wobei die Begleitverletzungen die Mortalitätsrate beeinflussen können (Lucas u. Ledgerwood 1975; Mayr 2002; Partrick et al. 1999; Sauer 1984). Altersabhängige Besonderheiten Geburtstraumatische Verletzungen Verletzungen der Oberbauchorgane Leber und (seltener) Milz können bei Komplikationen unter der Geburt vorkommen (instrumentelle Geburt, Lagevarianten, Missverhältnis). Die Leber hat beim Frühgeborenen und Neugeborenen eine wesentlich weichere Konsistenz als beim älteren Kind und ist entsprechend mechanisch leicht verletzlich, und es kann zu subkapsulären Hämatomen kommen. Klinisch können sich diese Blutungen neben Zeichen eines kreislaufwirksamen Blutverlustes auch als Blauverfärbung des Skrotums manifestieren, da es durch den offenen Processus vaginalis zum Absinken der intraabdominellen Blutung kommt. Die Behandlung sollte, wenn immer möglich, konservativ erfolgen. Andere intraabdominelle Verletzungen mit geburtstraumatischer Ursache sind selten. Perforierende Bauchverletzungen durch Schnittverletzungen im Rahmen einer Sectio können vorkommen. Verletzungen im Kleinkindesalter Das Abdomen ist in der Relation zum übrigen Körper beim Kleinkind größer als beim älteren Kind, Leber und Milz reichen bis weiter unterhalb des Rippenbogens,
869
und die Blase wird noch nicht von den Beckenknochen schützend eingeschlossen. Die Bauchwandmuskulatur ist noch wesentlich schwächer ausgeprägt und die Distanz Bauchdecke-Wirbelsäule ist geringer. Alle diese Eigenschaften machen das Kleinkind bei Einwirkung einer äußeren Gewalt vulnerabler für eine intraabdominale Verletzung. Hauptursachen intraabdominaler Verletzungen sind Stürze aus großer Höhe (Fenster-, Balkonsturz) und das Überrolltrauma. Häufig werden Kleinkinder beim Rangieren eines PKW von diesem überrollt. Verletzungen im Schulalter Der ausgeprägte Bewegungsdrang und Entdeckungstrieb führen dazu, dass Schulkinder eine häufig von Bauchtraumen betroffene Altersgruppe darstellen. Unfallursachen sind Fahrradstürze, Verkehrsunfälle – sowohl als Fußgänger als auch als PKW-Insassen –, Stürze bei Bewegungssportarten, aber auch Verletzungen bei Sportarten wie Fußball, Judo oder Geräteturnen sowie Hochstürze von Bäumen, Mauern und Bauten sind häufig. Kindesmisshandlung Typisch bei Verletzungen durch Kindesmisshandlung ist, dass die anamnestischen Angaben über den Unfallhergang häufig nicht mit den erlittenen Verletzungen korrelieren und auch bei wiederholter Befragung unterschiedlich angegeben werden. Die Beteiligung intraabdomineller Organe spricht immer für eine sehr schwere Kindesmisshandlung mit großer Gewalteinwirkung. Deshalb ist die Mitbeurteilung des Abdomens durch eine klinische Untersuchung, Ultraschall und evtl. CT bei jedem unklaren Unfallmechanismus notwendig, auch wenn andere Verletzungen, wie Hautlazerationen, Frakturen und SHT vordergründiger sind. Bauchverletzungen durch Misshandlung betreffen häufiger median und paramedian gelegene Organe, wie Pankreas, Duodenum, Mesenterium und Jejunum, wodurch auch initiale hypovolämische Schocksymptome fehlen können.
25.1 Praktisches Vorgehen beim Bauchtrauma Um eine optimale Behandlung eines traumatisierten Kindes zu gewährleisten, bedarf es einer entsprechenden personellen und fachlichen Kompetenz sowie der räumlichen, diagnostischen und therapeutischen Voraussetzungen. Dies ist in der Regel nur in einem Kindertraumazentrum gegeben, das 24 Stunden täglich über ein entsprechen geschultes Team von Kinderchirurgen, Unfallchirurgen bzw. Chirurgen, die kindertraumatologisch versiert sind, Kinderanästhesisten, pädiatrischen Intensivmedizinern und Kinderradiologen verfügt, so-
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870
Kapitel 25 Bauchtrauma
dass jederzeit sämtliche diagnostischen Maßnahmen wie Röntgen, Ultraschall, CT oder MRT sowie die notwendigen intensivmedizinischen und operativen Maßnahmen durchgeführt werden können (Grasso u. Keller 1998). Postoperativ muss für diese Patienten eine optimale Betreuung in einer den Kindern angepasster Intensivstation garantiert sein (Abb. 25.3). Anamnese Der anamnestische Hinweis auf eine intraabdominelle Verletzung ergibt sich meist aus der Schilderung des Unfallmechanismus, sei es durch den Patienten selbst oder durch dritte Personen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass bei typischen anamnestischen Angaben wie Sturz auf den Bauch, Sturz aus großer Höhe, Fahrradsturz, Verkehrsunfall (Fußgänger, PKW-Insasse) oder Überrollung immer an Verletzungen intraabdominaler Organe gedacht wird, auch wenn andere Verletzungen wie Extremitätenfrakturen, Thorax- und Beckenverletzungen oder ein SHT vordergründiger erscheinen. Erstversorgung des Patienten Die Erstversorgung sollte in einem entsprechend ausgerüsteten und temperierten Schockraum am völlig entkleideten Patienten durchgeführt werden. Dies ermöglicht einerseits den raschen Einsatz von Geräten für den
Abb. 25.3. Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf Bauchtrauma
»life support« (Narkosemaschine, Pulsoxymetrie usw.), von diagnostischen Geräten (Ultraschall, Röntgen, CT, MRT) und akut interventionellen Maßnahmen (z. B. zentraler Venenkatheter). Das vorrangigste Ziel ist die Sicherung und Aufrechterhaltung eines optimalen kardiopulmonalen Zustandes des Patienten. Hierfür notwendig ist eine entsprechende Flüssigkeitszufuhr, eine Sedierung und Analgesierung über geeignete großlumige venöse Zugänge. Im Zweifelsfall sollte die Indikation zur Intubation großzügig gestellt werden. 쐌 Flüssigkeitszufuhr: isotone Elektrolytlösungen (halbisotone Lösungen), Hydroxyethylstärke, 쐌 Sedierung: Midazolam (0,1–0,2 mg/kg, maximal 5 mg), 쐌 Analgesie: Piritramid (0,1–0,2 mg/kg, maximal 15 mg), 쐌 Intubation: Propofol 1% (2–3 mg/kg). Anschließend ist das transnasale (bei Mittelgesichtsverletzungen ggf. transorale) Legen einer großkalibrigen Magensonde eine der ersten Maßnahmen bei jedem Kind mit aufgrund der Untersuchung wahrscheinlicher intraabdomineller Verletzung. Das Aspirationsrisiko kann hierdurch bei nichtintubierten Patienten deutlich gesenkt werden. Notfallmäßig intubierte Patienten sollten in jedem Fall eine Magensonde erhalten.
25.1 Praktisches Vorgehen beim Bauchtrauma
Die Anlage eines Blasenkatheters liefert Information über die Urinausscheidung und eine evtl. vorhandene Hämaturie. Bei transurethralem Blutabgang und Verdacht auf eine Beckenfraktur muss an eine eventuelle Urethraverletzung gedacht werden, die das Legen eines transurethralen Blasenkatheters unmöglich und gefährlich machen kann. Hier kann nach sonographischem Nachweis einer gefüllten Blase eine suprapubische Harnableitung und radiologische Abklärung der Urethra eingeleitet werden. Erstuntersuchung Ziel der Erstuntersuchung ist, herauszufinden, ob eine intraabdominelle Verletzung vorliegt und ob diese interventionsbedürftig ist. Einer dringlichen Operation bedürfen vor allem unkontrollierte Blutungen und rupturierte Hohlorgane. Befindet sich der Patient im Schock und ist eine periphere Blutungsquelle durch Inspektion ausgeschlossen bzw. findet sich keine Erklärung für den Schockzustand des Patienten, so ist eine abdominelle Verletzung die wahrscheinlichste Ursache (Foglia u. Winthrop 1997). Die klinische Untersuchung sollte nach der Stabilisierung der Vitalfunktionen und Erhebung des neurologischen Status (Glasgow Coma Scale) bei einem kardiorespiratorisch und neurologisch stabilen Patienten folgende Untersuchungsschritte beinhalten: Klinische Untersuchung 쐌 Untersuchung des Thorax: – Inspektion: Verletzungszeichen: penetrierende Verletzungen, Prellmarken, Blutung, – Vergleich der Atembeweglichkeit: seitengleichasymmetrisch, fehlend, – Palpation: Crepitatio der Rippen, Hautemphysem, – Auskultation: seitengleiche Ventilation, fehlend. 쐌 Untersuchung des Abdomens: – Inspektion: Prellmarken, Penetrationen, Vorfall von intraabdominalen Organen (Netz). – Palpation: Resistenz, Druckschmerz, Schwellung, thympanitischer Klopfschall, – Auskultation: Peristaltik, fortgeleitete Geräusche. 쐌 Untersuchung des Beckens: – Inspektion: Asymmetrie, offene Verletzung, Lage der Beine, »open book lesion«, – Palpation: Stabilität, Hämatome. 쐌 Rektale Untersuchung: – Inspektion: Beurteilung des Anus (klaffend, blutend), Beurteilung des Perineums, – Palpation: Tonus, Douglas-Raum. 쐌 Untersuchung der Extremitäten: – Inspektion: Lage, sichtbare Verletzungen, Fehlstellung, Pulse, – aktive Beweglichkeit: spontan, seitengleich, – passive Beweglichkeit: Seitendifferenz, Reflexe, abnorme Beweglichkeit.
Röntgenuntersuchungen 쐌 Standardröntgen: je nach Verletzungen (Schädel, Thorax, Wirbelsäule, Becken, Extremitäten), 쐌 Abdomenröntgen: – in Rückenlage: Gasverteilung, Verschattungen, »football sign« bei freier Perforation, Ileus bei Darmobstruktion, – im Stehen: subphrenische Luftsicheln = Perforation; stehende Darmschlingen mit Spiegelbildung = Ileus, – in linker Seitenlage mit horizontalem Strahlengang: freie Luft im Abdomen; zwischen Leber und Zwerchfell = Perforation; Luftperlen entlang des M. psoas rechts = retroperitoneale Perforation (z. B. Duodenalruptur). Ultraschalluntersuchung Zur Notfallsonographie des Abdomens im Kindesalter genügt in der Regel ein normaler 5 MHz-Schallkopf. Die initiale Übersichtsuntersuchung dient der raschen Darstellung von freier intraperitonealer Flüssigkeit. Freie intraabdominale Flüssigkeit sammelt sich vorwiegend im Douglas-Raum (Abb. 25.4) und im Morrison-Pouch rechts (zwischen rechter Niere und Leber) und im linken Morrison-Pouch (zwischen linker Niere und Milz). Die sekundäre, sorgfältige und organbezogene Untersuchung umfasst die schrittweise Untersuchung der intraabdominalen Organe und des Retroperitoneums. Die Untersuchung beginnt mit der exakten Untersuchung der Leber, der Milz (Abb. 25.5, Abb. 25.6) und des Pankreas inklusive der Perfusionsverhältnisse mittels Dopplersonographie. Weiterhin werden die intraabdominalen Gefäße (Aorta,V. cava, Pfortader, Mesenterialgefäße) und die Motilität und Perfusion am Darm untersucht. Wichtig ist auch die Untersuchung des Zwerchfells und dessen Beweglichkeit; hierbei können auch Flüssigkeitsansammlungen im Pleuraraum und im Perikard (Pleuraerguss, Perikarderguss) gesehen werden. Bei Mädchen ist die Beurteilung des inneren Genitales angezeigt (Partrick et al. 1998).
Abb. 25.4. Sonographie: freie intraperitoneale Flüssigkeit im Douglas-Raum
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Kapitel 25 Bauchtrauma
sätzliche regelmäßige klinische Untersuchungen des Abdomens durchzuführen (Soudack et al. 2004). Insbesondere bei Verletzungen von Hohlorganen ist die wiederholte klinische Untersuchung der Sonographie überlegen und vorzuziehen (Buzzas et al. 1998; Jerby et al. 1997). Jedoch ist bei jedem unklaren sonographischen Befund und entsprechendem klinischen Verdacht unverzüglich eine CT durchzuführen (Emery et al. 2001). Laborchemische Untersuchungen Die laborchemische Untersuchung sollte bei der ersten Blutabnahme im Schockraum neben der Blutabnahme zur Blutgruppenbestimmung und Bereitstellung von Blutkonserven folgende Parameter umfassen:
Abb. 25.5. Sonographie: Leberruptur im rechten Leberlappen
쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
rotes Blutbild, weißes Blutbild, inklusive Differenzialblutbild, Elektrolyte, Blutgasanalyse, Leberenzyme, Pankreasenzyme, Harnstoff, Kreatinin, Gerinnung.
Zusätzlich sollte eine initiale Blutprobe für forensische Untersuchungen (Alkohol, Drogen, Medikamente) aufgehoben werden.
Abb. 25.6. Sonographie: ausgedehnte Milzruptur
Die sonographische Untersuchung des Retroperitoneums umfasst eine exakte Darstellung der Nieren inklusive der Nierengefäße und deren Perfusion. Zusätzlich sollte die Nebennierenregion zum Ausschluss von Hämatomen untersucht werden. Bei der Untersuchung der ableitenden Harnwege und der Blase muss auf das Vorhandensein von Extravasaten und retro- sowie subperitonealen Hämatomen geachtet werden (Ceylan et al. 2002; Farthmann et al. 1989; Russel et al. 2001). Die initiale Sonographie mit negativem Befund stellt dabei keinen sicheren Ausschluss einer intraabdominellen Verletzung dar (Boulanger et al. 1998; Desai et al. 2003; Holmes et al. 2001). Parenchymrupturen der Leber und der Milz ohne Kapselverletzung sowie Verletzungen des Darms und anderer Hohlorgane können initial selten dargestellt werden.Aus diesem Grund ist es wichtig, sonographische Kontrolluntersuchungen und zu-
Computertomographie Bei Nachweis einer größeren oder zunehmenden Menge freier Flüssigkeit im Ultraschall ohne eindeutigen Nachweis der Blutungsquelle sollte eine CT-Untersuchung mit Kontrastmittel erfolgen (Taylor et al. 1989). Hierfür ist besonders die Spiral-CT wegen der kurzen Untersuchungsdauer für Kinder von großem Vorteil. Durch eine Kontrastmittelgabe lassen sich perfundierte von nichtperfundierten Arealen in Leber, Milz, Pankreas und Niere abgrenzen, was für eine Parenchymverletzung beweisend ist. Die Gabe eines oralen Kontrastmittels, ggf. über eine Magensonde, ist bei Verdacht auf eine Duodenal- oder Dünndarmverletzung angezeigt. Generell ist die CT-Untersuchung hinsichtlich der Beurteilung des Pankreas, des Mesenteriums und des Darms dem Ultraschall überlegen, insbesondere wenn aufgrund von Darmgasüberlagerung diese Strukturen nicht ausreichend einsehbar sind. Bei polytraumatisierten instabilen Patienten ist eine initiale GanzkörperSpiral-CT-Untersuchung zu erwägen, da hiermit eine zeitaufwendigere Einzeldiagnostik von Schädel, Thorax, Wirbelsäule, Abdomen und Becken vermieden werden kann. Magnetresonanztomographie MRT-Untersuchungen werden in der Akutdiagnostik nur selten eingesetzt. Meist stehen die Geräte nicht zur Verfügung, und die langen Untersuchungszeiten machen den Einsatz bei Kindern oft nur in Narkose möglich.
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25.2 Organverletzungen beim stumpfen Bauchtrauma
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Absolute Indikationen für eine sofortige MRT sind Verletzungen der Wirbelsäule mit Verdacht auf Mitbeteiligung des Rückenmarks. Laparoskopie In den letzten Jahren hat die rein diagnostische Laparoskopie nach Einführung des Ultraschalls an Bedeutung verloren. In ausgewählten speziellen Fällen, wie beim Verdacht auf eine intestinale Verletzung, kann die Laparoskopie als weiterführende Diagnostik beim klinisch stabilen Patienten eingesetzt werden (Hasegawa et al. 1997). Verletzungen der Leber und Milz stellen primär in keinem Fall eine Indikation für die Laparoskopie dar, zumal die meisten Verletzungen konservativ behandelt werden können und eine Verlaufkontrolle mittels Ultraschall ausreichend ist. Wird ein Patient aufgrund einer intraabdominellen Blutung kardiopulmonal instabil, so ist eine offene chirurgische Intervention notwendig. Peritoneallavage Beim kindlichen Bauchtrauma ist die Einlage eines Lavagekatheters gegenüber früheren Berichten (Rückert v. Kap-Herr 1980) obsolet und bietet gegenüber der Sonographie keine diagnostischen Vorteile. Diese invasive Methode ist bei Kindern mit einer hohen methodisch bedingten Komplikationsrate und mit einer hohen Rate falsch-positiver Ergebnisse behaftet.
25.2 Organverletzungen beim stumpfen Bauchtrauma
25.2.2 Zwerchfellruptur Die traumatische Zwerchfellruptur kommt in 4,5% der Bauchtraumen mit Mehrfachverletzungen und in 3% der Thoraxtraumen vor. Dabei kommt es zu einer kompletten Durchtrennung des Diaphragmas einschließlich Peritoneum und Pleura parietalis. Über den Entstehungsmechanismus gibt es mehrere Theorien, jedoch scheint es wahrscheinlich, dass es durch Scherkräfte am Thorax zusammen mit einer intraabdominalen Druckerhöhung zum Anspannen und nachfolgender Zerreißung des Diaphragmas kommt (Höllwarth 1984; Sharma et al. 2002). Häufig treten diese Kräfte bei Überrollungen und bei Dezelerationen auf. Durch das abdominothorakale Druckgefälle führt die Saugwirkung auf die Bauchorgane zu einem Eingeweideprolaps in den Thorax. Da das rechte Diaphragma durch die Leber geschützt ist, treten Rupturen am Diaphragma in 70–90% auf der linken Seite auf (Friedlaender u. Tsarouhas 2003). In 80% verläuft der Riss im Diaphragma radial im Bereich des Centrum tendineum (Kurz 1984; Abb. 25.7). Das klinische Bild der Zwerchfellruptur ist vielfältig und unspezifisch, da meist Begleitverletzungen bei den polytraumatisierten Patienten im Vordergrund stehen. Häufig werden von den Patienten Schulterschmerzen der betroffenen Seite angegeben (Phrenikusschmerz). Deshalb wird die Zwerchfellruptur in der Regel erst im Rahmen der erweiterten Klinikdiagnostik offenkundig. In etwa 60% der Patienten werden Zwerchfellrupturen erst intraoperativ bei Laparotomien aus anderer Indikation oder verspätet diagnostiziert.
25.2.1 Bauchwandhernie Das klinische Bild einer traumatischen Bauchwandhernie ist typisch, und sie wird meist durch eine kleinflächige stumpfe Gewalteinwirkung, wie bei einem Sturz auf das Ende einer Fahrradlenkstange, verursacht. An der Haut findet sich die typische kreisförmige Kontusionsmarke (vgl. Abb. 25.1 a), und darunter findet sich die tastbare Lücke in der Bauchmuskulatur. Die häufigste Lokalisation ist im Unterbauch am Übergang der schrägen Bauchmuskulatur in die Rektusscheide. Therapie Als Therapie genügt es, die Lücke nach einigen Tagen operativ zu verschließen, wobei jedoch vorher intraabdominale Mitverletzungen, wie z. B. des Darms, ausgeschlossen werden müssen.
Abb. 25.7. Häufigste Lokalisationen bei der Zwerchfellruptur
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Im Thoraxröntgen können prolapierte Darmschlingen oder eine Verschattung im Lungenunterfeld sichtbar sein. Ein typischer Befund kann auch ein »Spannungspneumothorax« auf der linken Seite sein, wobei es sich aber tatsächlich um den prolabierten und torquierten Magen handelt. Weiterhin kann die Sonographie eine eingeschränkte oder paradoxe Zwerchfellbeweglichkeit auf der rupturierten Seite zeigen. Therapie Jede Ruptur des Zwerchfells erfordert die Operation. Bei der frischen linksseitigen Ruptur erfolgt der Zugang in der Regel von abdominal. Nur bei Vorliegen schwerer intrathorakaler Verletzungen sollte ein thorakaler Zugangsweg gewählt werden. Auch bei der rechtsseitigen Ruptur – in diesem Fall liegen häufig auch Parenchymverletzungen der Leber vor – ist der Zugangsweg von abdominal zu bevorzugen. Über eine horizontale linksoder rechtsseitige Laparotomie wird das Zwerchfell mit nichtresorbierbaren Einzelknopfnähten (U-Nähten) verschlossen, wobei die Äste des N. phrenicus zu schonen sind.
25.2.3 Ruptur des Magens Magenverletzungen werden selten beim stumpfen und fast ausschließlich beim perforierenden Bauchtrauma beobachtet. Bei einer stumpfen Gewalteinwirkung rupturiert der Magen, vor allem bei guter Füllung, entlang der großen Kurvatur. Häufig sind auch Verletzungen der Milz, des Zwerchfells und des Pankreas vorhanden. Bei perforierenden Verletzungen ist unbedingt auch an die Verletzung der Magenhinterwand zu denken. Diagnostisch findet sich freie intraperitoneale Luft im Abdomenröntgen oder in der CT (Kimmins et al. 1996). Therapie Eine Magenruptur muss grundsätzlich operativ versorgt werden. Es sollte dafür immer die Bursa omentalis zur Exploration der Magenhinterwand eröffnet werden. Es genügt, die Ränder der Rupturstellen zu exzidieren und die Öffnung in der Magenwand zweischichtig zu vernähen.
25.2.4 Ruptur des Duodenums Bei Duodenalverletzungen, die vorwiegend beim stumpfen Bauchtrauma durch Lenkerverletzungen (Fahrrad), Sturz aus großer Höhe, Überrollungen und Kindesmisshandlung auftreten, unterscheidet man folgende Formen:
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intramurales Hämatom (Darmwandhämatom), freie Perforation, retroperitoneales Hämatom, Duodenalperforation kombiniert mit Pankreasverletzungen, 5. Duodenalperforation kombiniert mit Pankreas- und Gallenwegverletzungen. Klinisch besteht meist eine Abwehrspannung im rechten Oberbauch, verbunden mit Erbrechen und Zeichen einer umschriebenen Peritonitis (Moss u. Musecheme 1996; Öztürk et al. 2003). Oft findet sich auch ein schmerzfreies Intervall. Häufig sind Prellmarken an der Bauchdecke sichtbar. Laborchemisch findet sich initial meist nur eine Leukozytose und Erhöhung der Pankreasamylase, Pankreaslipase und der Leberenzyme. Im Ultraschall sind Duodenalhämatome und Begleitverletzungen von Pankreas und Gallenwegen gut darstellbar, während Rupturen leicht übersehen werden können. Bei Verdacht auf eine Duodenalruptur ist die CT mit oraler Kontrastmittelgabe die Untersuchungsmethode der Wahl. Nur selten ist im Abdomenröntgen freie intraperitoneale Luft sichtbar. Gelegentlich sieht man in der linksseitigen Abdomenröntgenaufnahme im horizontalem Strahlengang freie Luft entlang des rechten M. psoas (bei retroperitonealer Duodenalruptur). Intramurales Duodenalhämatom Beim intramuralem Duodenalhämatom liegt meist subseröse oder submuköse Blutung vor, die zu einer partiellen oder totale Duodenalobstruktion führt. Neben einer traumatischen Genese sieht man diese Hämatome auch bei der Hämophilie und der Purpura-SchönleinHenoch. Klinisch weisen die Patienten die Zeichen einer hohen Darmobstruktion mit galligem Reflux auf. Therapeutisch ist eine vorübergehende Magensonde, Nahrungskarenz, die Gabe von Protonenpumpenhemmern und evtl. eines Antibiotikums ausreichend. Freie Perforation Die freie Duodenalperforation oder Duodenalruptur (Abb. 25.8 a–c) kommt kranial der Anlagerung des Mesokolons und der rechten Flexur oder an der Flexura duodenojejunalis vor. Klinisch präsentieren sich die Patienten mit den Symptomen eines akuten Abdomens mit Oberbauchperitonitis. Im Ultraschall findet man freie Flüssigkeit um das Duodenum und freie Luft unter der Leber oder dem Zwerchfell. Auch im Röntgen sind die Zeichen einer freien intraperitonealen Perforation zu sehen. Die CT-Untersuchung ermöglicht den Ausschluss von Begleitverletzungen des Pankreas oder der Gallenwege. Die Diagnose stellt eine absolute Operationsindikation dar. Durch eine quere Oberbauchlaparotomie wird das Duodenum dargestellt und nach Kocher mobilisiert (Ladd et al. 2002). Je nach Art der Ruptur kann diese direkt übernäht werden, oder es sind resezierende Verfah-
25.2 Organverletzungen beim stumpfen Bauchtrauma
ren oder auch die Anlage eines Bypasses notwendig. Wichtig ist der Ausschluss von Begleitverletzungen vor allem des Pankreas und der Gallenwege.
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c Abb. 25.8 a–c. Duodenalruptur: einfache End-zu-End-Anastomose bei der proximalen Duodenalruptur und Y-Roux-Rekonstruktion bei distalen Duodenalrupturen
Retroperitoneale Duodenalruptur Die retroperitoneale Duodenalruptur wird häufig primär nicht erkannt und kann initial asymptomatisch sein. Verzögerungen in der Diagnose sind häufig, und die Ruptur präsentiert sich klinisch oft erst nach einem symptomfreien Intervall. Bei Auftreten einer lokaler Entzündung mit Durchwanderungsperitonitis zeigen sich typische klinische Symptome, wie umschriebene Oberbauchschmerzen mit lokaler Muskelanspannung. Ultraschall und Röntgen können anfänglich unauffällig sein. Gelegentlich ist im Röntgen eine Spiegelbildung im Duodenum sichtbar. Das CT ist in der Diagnose unerlässlich und zeigt die retroperitoneale Flüssigkeits- und Luftansammlung. Die Versorgung hat immer operativ zu erfolgen, wobei das Duodenum vollkommen nach Kocher mobilisiert werden muss. Nach Übernähung der Ruptur muss das Retroperitoneum drainiert werden. Begleitverletzungen des Pankreas und der Gallenwege sind auszuschließen. Morbidität und Mortalität dieser Verletzung sind abhängig von dem frühzeitigen Erkennen dieser Verletzung. Verletzungen des Duodenums kombiniert mit Pankreasverletzungen Diese Verletzungen (Abb. 25.9 a,b) sind sehr häufig bei umschriebenen groben Gewalteinwirkungen auf den Oberbauch, wie z. B. Überrollungen oder bei Frontalkollisionen durch den Gurt. Es kommt hierbei meist zu einer Duodenalruptur und einer Kontusion mit partiellen Einrissen im Bereich des Pankreaskopfes. Die Komplikationsrate dieser komplexen Verletzungen ist sehr hoch, und die Mortalität wird mit 15–40% angegeben (Galifer et al. 2001; Sauer 1984). Durch das traumatisierte Duodenum und durch den austretenden Pankreassaft kommt es rasch zu fortschreitenden Nekrosen. Diagnostisch finden sich vor allem in der Sonographie, dem Röntgen und auch in der CT die Zeichen einer freien intestinalen Perforation und die Zeichen einer Pankreaskontusion mit hypound hypertensen Arealen im Bereich des Pankreaskopfes. Die Behandlung ist immer eine chirurgische. Das Prinzip der Operation besteht in einer Ausschaltung und Drainage des Duodenums unter Sicherung des Abflusses von Galle und Pankreassaft. Methoden wie der temporäre Pylorusverschluss unter Anlegen einer Gastrostomie sollten nicht mehr durchgeführt werden
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Kapitel 25 Bauchtrauma
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b Abb. 25.9 a,b. Kombinierte Duodenal- und Pankreasruptur: Endzu-End-Anastomose des Duodenums und Y-Roux-Anastomose des distalen Pankreasanteils und Verschluss des proximalen Pankreas. b. Kombinierte Duodenal- und Pankreasruptur: End-zu-EndAnastomose des Duodenums und Y-Roux-Anastomose des distalen Pankreasanteils und Verschluss des proximalen Pankreas
Duodenal- und Pankreasverletzungen kombiniert mit Verletzungen der ableitenden extrahepatischen Gallenwege Bei dieser Verletzungskombination (Abb. 25.10 a,b) erweitert sich das operative Vorgehen bis hin zu Y-Rouxund Whipple-Rekonstruktionen. Intraoperativ sollte bei unklarem Befund eine Kontrastdarstellung des Ductus choledochus und falls erforderlich auch des Ductus pancreaticus durchgeführt werden (Schimpl et al. 1992 a).
b Abb. 25.10 a,b. Komplexe Duodenum-, Pankreas- und Ductus-choledochus-Ruptur. Rekonstruktion durch proximale Duodenopankreatektomie und Rekonstruktion mit Jejunalschlinge (Whipple-Verfahren)
25.2.5 Ruptur des Dünndarms Isolierte Dünndarmverletzungen sind selten und werden am häufigsten durch Stürze auf Fahrradoder Tretrollerlenker verursacht. Weitere Ursachen sind die Kindesmisshandlung, Sicherheitsgurtverletzungen, Überrollungen und perforierende Bauchverletzungen.
25.2 Organverletzungen beim stumpfen Bauchtrauma
Die Füllung des Darmes etwa 2 Stunden nach einer Mahlzeit begünstigt die Darmruptur, da die meist kleinflächig auftretende Kraft durch die fehlende Komprimierbarkeit von Flüssigkeiten zur Überdehnungsruptur am Darm führt. Scherkräfte, wie z. B. durch den Sicherheitsgurt oder bei Überrollungen, führen neben Darmrupturen auch zu Abrissen des Darms vom Mesenterium (Bensard et al. 1996; Canty et al. 1999; Schimpl et al. 1992 a). Dabei kann es neben der Durchblutungsstörung am Darm auch zu massiven intraabdominellen Blutungen kommen. Klinische Symptome können akut durch die intraabdominelle Blutung oder verzögert durch eine Perforationsperitonitis auftreten (Jerby et al. 1997). Meist liegt nur eine kleine Perforationsöffnung antimesenteriell am Darm vor. Sonographisch kann freie intraperitoneale Flüssigkeit sichtbar sein, und im Abdomenröntgen ist gelegentlich ein Pneumoperitoneum vorhanden. Die AbdomenCT ist die hilfsreichste Untersuchungsmethode, da sowohl direkte Zeichen einer Darmverletzung als auch indirekte Zeichen sichtbar sind (Hagiwara et al. 1995). Therapie Kleine Rupturen werden durch Einzelknopfnähte zweischichtig quer verschlossen. Bei Durchtrennung des Darms ist die End-zu-End Anastomose nach Débridement beider Darmenden die operative Technik der Wahl. Alle durchblutungsgestörten Darmanteile, z. B. beim Mesenterialabriss, müssen reserziert werden.
25.2.6 Ruptur des Kolons Kolonverletzungen sind häufiger bei penetrierenden Bauchverletzungen als beim stumpfen Bauchtrauma. Die Verletzung ist sehr selten und weist auf eine sehr große Gewalteinwirkung hin, und meist sind intraabdominelle Begleitverletzungen wie Milz-, Duodenal- und Leberrupturen vorhanden. Im Rahmen von schweren Beckenverletzungen und Überrolltraumen kann es im Sigma-Rektum-Bereich zu so genannten »Blow-outVerletzungen« kommen, bei denen Längsrisse im Darm auftreten können. Klinisch kommt es wegen des Stuhlaustrittes rasch zu einer Peritonitis mit bretthartem Abdomen und Schockzustand. Diagnostisch können Ultraschall, Röntgen und CT oft nur indirekte Hinweise auf eine Kolonverletzung geben. Therapie Operativ können Kolonrupturen übernäht und reanastomosiert werden. Gelegentlich kann auch die Anlage einer temporären Kolostomie notwendig sein. Die Auswahl des Operationsverfahrens hängt von der anatomischen Lokalisation, vom Grad der Peritonitis und von den Begleitverletzungen ab.
25.2.7 Mesenterialhämatome Gelegentlich kann es zu Einblutungen zwischen die peritonealen Blätter des Mesenteriums kommen. Hierfür sind häufig Scherkräfte, wie sie bei Gurtverletzungen oder bei Einquetschungen am Bauch oder bei Kindesmisshandlung auftreten, verantwortlich. Sie präsentieren sich klinisch als akutes Abdomen, und die Hämatome sind meist sonographisch darstellbar. Therapie Therapeutisch genügt meist ein konservatives Vorgehen, denn selten verursachen sie Durchblutungsstörungen am Darm oder eine Darmobstruktion.
25.2.8 Isolierte Pankreasverletzungen Durch eine stumpfe Gewalteinwirkung im Oberbauch (Sturz aus Höhe, Schlag, Kollision) kann es zu einer isolierten Pankreasverletzung kommen. Dabei wird das quer liegende Pankreas gegen das harte Widerlage der Wirbelsäule gedrückt und gequetscht. Die dabei entstehenden Pankreasverletzungen sind Kontusionen des Organs. Selten kommt es zu Einrissen des Pankreas oder zu kompletten Durchtrennungen des Pankreas (Arkovitz et al. 1997; Jobst et al. 1999; Smith et al. 1988). Häufig jedoch liegen Verletzungen der benachbarten Organe wie Duodenum, Gallenwege, Milz und Leber vor. Einteilung der Pankreaverletzungen: 쐌 Grad I: Kontusion ohne Kapselverletzung, 쐌 Grad II: Kapsel- und Parenchymverletzung im Korpus und Schwanz des Pankreas, 쐌 Grad III: partielle oder komplette Durchtrennung des Pankreas, 쐌 Grad IV: Trauma des Pankreaskopfes, 쐌 Grad V: Kombination von Pankreas-, Duodenal- und Gallenwegsverletzungen. Klinisches Leitsymptom sind der quere Oberbauchschmerz, der Oberbauchdruckschmerz und ein ausstrahlender Schmerz zwischen die Schulterblätter. In der Sonographie findet sich ein Ödem des Pankreas bis hin zu einem Flüssigkeitssaum um das Organ, mit oder ohne minderperfundierte Pankreasanteile, oder eine komplette Organdissektion. Laborchemisch kommt es sowohl im Serum als auch im Harn zu einer signifikanten Erhöhung der Pankreasamylase und Lipase. Ist sonographisch das Ausmaß der Pankreasverletzung nicht eindeutig feststellbar, muss eine CT angeschlossen werden. Bei der Pankreaskontusion und Pankreasruptur mit intaktem Gangsystem (Grad I bis II) ist ein streng konservatives Vorgehen indiziert.
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Therapie Therapeutisch haben sich eine parenterale Flüssigkeitszufuhr, ein Protonenpumpenhemmer und ein Antibiotikum (Cefalosporin) bewährt. Bei Normalisierung der Pankreasfermente kann ein rascher oraler Nahrungsaufbau durchgeführt werden. Als Spätkomplikationen können nach Parenchymrupturen Pankreaspseudozysten entstehen, die je nach Größe und Klinik operativ saniert werden müssen (Burnweit et al. 1990; Ohno et al. 1996). Ist der Pankreashauptgang (Abb. 25.11 a,b) verletzt (Grad III bis V), ist dies fast immer eine Indikation zur Operation. Bei Rupturen im Pankreasschwanzbereich wird der abgetrennte Teil reseziert und das proximale
Pankreas mit Nähten verschlossen (Velanovic u. Tapper 1993). Bei Rupturen im Korpus- und Kopfbereich wird der distale Pankreasanteil mit einer Y-Roux-Schlinge anastomosiert und der proximale Teil vernäht. Selten sind komplette Duodenopankreatektomien indiziert (Canty u. Weinmann 2001). Im Kindesalter können bis zu 90% des Pankreas reseziert werden, ohne dass es zu einer endokrinen oder exokrinen Pankreasinsuffizienz kommt (Wales et al. 2001). Da stumpfe Bauchtraumen häufig im Rahmen von Polytraumen vorkommen, muss bedacht werden, dass ein schweres SHT allein zu einer signifikanten Erhöhung der Pankreasamylase ohne Verletzung des Pankreas führen kann.
25.3 Verletzungen der Milz
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Die Milz ist beim Kind weniger durch den linken Rippenbogen geschützt, zum einen, da dieser weit elastischer als beim Erwachsenen ist, und die Milz zum anderen weiter nach kaudal in den ungeschützten linken Oberbauch reicht. Deshalb genügen auch Minimaltraumen, um eine Ruptur zu verursachen. Das die Milz treffende direkte Trauma kann zu Rupturen der Milzaußenfläche oder der Milzinnenfläche führen, wobei Querrupturen der Außenfläche am häufigsten sind. Unfallursachen sind Stürze auf den Bauch, Kollisionen beim Sport, Autounfälle, Radstürze und Überrollungen. In 20% liegen Begleitverletzungen wie Zwerchfellrupturen, Darmverletzungen (Kolonrupturen, Mesenterialhämatome), Pankreaskontusionen und Nierenverletzungen vor. Die Milzverletzungen werden in 5 Grade eingeteilt (Schimpl et al. 1991): 쐌 Grad I: subkapsuläres Hämatom <10% der Oberfläche, kleiner Kapseleinriss bis 1 cm Tiefe, 쐌 Grad II: subkapsuläres Hämatom 10–50% der Oberfläche, intraparenchymales Hämatom bis 5 cm, Kapseleinriss bis 3 cm Tiefe, 쐌 Grad III: subkapsuläres und parenchymatöses Hämatom >50%, intraparenchymatöses Hämatom >5 cm, tiefer Einriss >3 cm, 쐌 Grad IV: Lazeration mit Abriss von segmentalen Gefäßen mit teilweiser Devaskularisation, 쐌 Grad V: Milzzertrümmerung, Milzhilusabriss.
b Abb. 25.11 a,b. Typische Pankreasruptur. Verschluss des proximalen Pankreas mit Nähten und Einnähen des distalen Pankreas in eine Y-Roux-Schlinge. Bei weiter linksseitigen Pankreasrupturen kann der distale Pankreasanteil auch entfernt werden
Klinisch präsentieren sich die Patienten mit Schmerzen im linken Oberbauch, häufig ausstrahlend in die linke Schulter, lokaler Abwehrspannung und, je nach Ausdehnung der Milzverletzung, im Blutungsschock. Laborchemisch finden sich ein Hämatokritabfall und eine Leukozytose. Im Röntgenbild kann ein basaler Pleuraerguss links, eine Medialverlagerung der Magenblase und ein Tiefertreten der linken Kolonflexur gefunden werden.
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25.3 Verletzungen der Milz
Im Regelfall ist jede Milzverletzung im Ultraschall sichtbar. Neben der genauen Beurteilung der Milz, inklusive der Durchblutung des Organs, ermöglicht der Ultraschall auch eine Quantifizierung der freien intraperitonealen Flüssigkeit und Darstellung benachbarter Organe. Eine CT-Untersuchung ist bei jedem zweifelhaften Befund an der Milz und bei Verdacht auf intraabdominale Begleitverletzungen indiziert. Therapie Konservativ Milzverletzungen im Kindesalter sind mit Ausnahme des kompletten Milzhilusabrisses (Grad-V-Ruptur) konservativ zu behandeln (Ein et al. 1978; Frumiento et al. 2000). Voraussetzung für eine konservative Therapie ist
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쐌 ein kreislaufstabiler Patient, 쐌 eine kinderadäquate Intensivstation und 쐌 der uneingeschränkte und rasche Zugang zu diagnostischen Einrichtungen (Ultraschall, CT) und Blutderivaten. Kreislaufstabil ist auch ein Patient, der Blutkonserven benötigt und hiermit stabil bleibt (stabil unter Transfusion). Bei einem Hämoglobinwert <8 mg/dl sollte spätestens eine Transfusion beginnen, insbesondere wenn der Wert bereits in den ersten 24 Stunden unterschritten wird. Als Grenzwert für die Fortführung der konservativen Therapie wird in den meisten Quellen eine Blutmenge von 40 ml/kg KG oder die Hälfte des Blutvolumens des Patienten angegeben. Besonders hohe Ansprüche an die Kreislaufstabilität sollten bei Patienten mit begleitendem SHT gestellt werden, da hier ein ausreichender zerebraler Perfusionsdruck entscheidend für die Gesamtprognose des Patienten ist. Die konservative Therapie der Milzruptur besteht in einer engmaschigen Kontrolle von Blutdruck, Puls, Hämoglobin und Lokalbefund sowie Ultraschallbefund (»bed side«) und Monitorüberwachung. Diese Überwachung hat in Operationsbereitschaft zu erfolgen, d. h. Anästhesie, Operationssaal und -personal müssen kurzfristig verfügbar sein, lange Vorlaufzeiten oder Wegstrecken zum Operationssaal sollten nicht bestehen. In der ersten Woche sollten gekreuzte Blutkonserven in dem Gebäude verfügbar sein, in dem die Überwachung durchgeführt wird, also nicht erst aus einer Blutbank abgefordert werden müssen. Alle diese Maßnahmen zusammen bedeuten einen hohen pflegerischen und ärztlichen Aufwand. Der Patient sollte in den ersten 7–10 Tagen strenge Bettruhe einhalten, denn zwischen dem 3. und 7. Tag (bis zu 30 Tagen) kann es zu einer zweizeitigen Milzruptur kommen. Diese entsteht, wenn subkapsuläre Hämtome oder Parenchymeinrisse durch die posttraumatische Kapselnekrose nach außen, in die Bauchhöhle, aufbrechen und bluten. Klinisch treten Zeichen eines akuten Abdomens
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mit Blutungsschock auf. Aus diesem Grund sollte der Patient insgesamt wenigstens 14 Tage in stationärer Beobachtung bleiben, da erst nach dieser Zeit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer sekundären Ruptur stark sinkt. Obwohl die konservative Behandlung der Milzruptur damit zeitaufwendig und auch kostenintensiv ist, sind ihre Vorteile unbestritten. Heute können 90% der nachgewiesenen Milzrupturen beim Kind – jedenfalls in pädiatrischen Traumazentren – konservativ behandelt werden (Hall et al. 1996). Operativ Unter den Patienten, die wegen eines anhaltenden Blutverlustes doch operiert werden müssen, kann bei einem großen Prozentsatz die Milz zumindest teilweise erhalten werden (Roth et al. 1986). Hierdurch lässt sich das gefürchtete und besonders Kinder nach Splenektomie betreffende OPSI- (»Overwhelming-postsplenectomy-infection-«) Syndrom vermeiden. Dieses Syndrom ist seit 50 Jahren bekannt (King u. Shumacher 1952); es tritt nur bei wenigen Patienten nach Splenektomie (etwa 1,5%) auf, ist dann aber lebensbedrohlich.Verantwortlich für die rasant ablaufenden und unbehandelt oft (50%) tödlichen Infektionen sind kapseltragende Bakterien wie Streptococcus pneumoniae und Haemophilus infuenzae. Für die Abwehr solcher Infektionen spielt die Milz im Kindesalter eine wichtige Rolle, die nach einer Splenektomie ausfällt (Kurz 1984). Muss trotzdem eine Milz im Kindesalter entfernt werden, so ist eine antibiotische Prophylaxe mit Penicillin (40.000 IE/kg/Tag) noch am Operationstag zu beginnen, und über Jahre fortzusetzen. Gleichzeitig ist das Kind gegen Pneumokokken (Pneumovac) zu impfen (Rutherford et al. 1995). Auch diese Immunisierung schützt nur gegen die wichtigsten, aber nicht gegen alle Pneumokokkenstämme, sodass ein Restrisiko verbleibt, über das splenektomierte Patienten und ihre Eltern aufgeklärt werden müssen. Im Kindesalter gilt für die Milzverletzung, dass sich die Operationsindikation nur aus einer nichtbeherrschbaren Blutungssituation ergibt. Jede operative Therapie hat die Erhaltung der Milz zum Ziel. Milzerhaltend können eine Splenorhaphie, eine Milzteilresektion oder eine Verklebung mit fibrinhaltigem Kollagenvlies sein. Bei starker, nichtstillbarer Blutung (Hilusabriss) oder bei schweren Begleitverletzungen, die ein längeres konservatives Vorgehen nicht erkauben, ist die Splenektomie alleine oder im Rahmen der Versorgung der Begleitverletzung indiziert. Der operative Zugangsweg ist die quere Oberbauchlaparotomie bei kleineren Kindern oder der Rippenbogenrandschnitt links bei Jugendlichen. Zur Darstellung des Milzhilus ist die Durchtrennung des Aufhängeapparates notwendig (Inzision Lig. gastrocolicum, Durchtrennung Lig. splenocolicum). Die Milz kann dann nach medial aus der Wunde
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Kapitel 25 Bauchtrauma
herausluxiert werden, und Hilus sowie Pankreasschwanz werden sichtbar. A. und V. lienalis werden hilusnah und mit ausreichender Distanz zum Pankreasschwanz separat ligiert und durchtrennt. Nach jeder Splenektomie im Kindesalter hat eine OPSI-Prophylaxe (s. oben) zu erfolgen. Nebenmilzen sind nicht selten und sollten gerade bei einer Splenektomie gesucht und, falls vorhanden und durchblutet, belassen werden. Nebenmilzen können nach Entfernung der Hauptmilz hypertrophieren und die Milzfunktion übernehmen. Komplikationen Komplikationen bei der konservativen Behandlung einer Milzruptur sind neben einer intestinalen Darmparalyse und der Notwendigkeit einer parenteralen Ernährung vor allem linksseitige Pleuraergüsse, die mitunter sogar punktiert oder drainiert werden müssen. Langzeitkomplikationen nach einer konservativ behandelten Milzruptur können in Form von Milzzysten auftreten. Sind sie asymptomatisch. sollten sie sonographisch kontrolliert werden (Minarik et al. 2002). Bei symptomatischen posttraumatischen Milzzysten hat sich die laparoskopische Zystenresektion oder Zystenmarsupialisation bewährt. 25.4 Verletzungen der Leber Leberverletzungen sind im Kindesalter seltener als Milzverletzungen. Auch die Leber reicht beim Kind zum einem tiefer unter den Rippenbogen als beim Erwachsenen und zum anderen ist sie wegen des zarteren Binnengewebes wesentlich verletzlicher. Isolierte Verletzungen der Leber treten insbesondere bei umschriebener direkter Gewalteinwirkung im rechten Oberbauch auf (Fahrradlenker, Stürze aus der Höhe, Sportunfälle). Bei anderen Unfallmechanismen (Kollision, Überrolltrauma, Gurtverletzung) sind Begleitverletzungen anderer intraabdomineller Organe nicht selten (Darm, Pankreas, Niere, Milz). Verletzungen der Leber werden in 6 Schweregrade unterteilt: 쐌 Grad I: subkapsuläres Hämatom <1 cm, oder Kapseleinriss <1 cm Tiefe, 쐌 Grad II: subkapsuläres Hämatom <3 cm, oder Parenchymriss von 1–3 cm Tiefe, 쐌 Grad III: subkasuläres/parenchymatöses Hämatom >3 cm, Parenchymriss >3 cm, 쐌 Grad IV: subkapsuläres/parenchymatöses Hämatom >10 cm, Lazerationen mit Verletzungen segmentaler Gefäße und lobärer Devaskularisation, 쐌 Grad V: globale Leberzerreißung und Verletzung von zentralen Gefäß- und Gallengangstrukturen, 쐌 Grad VI: komplette Devaskulrisation der Leber mit Zerreißung aller großen Gefäße (V. porta, V. cava).
Klinisch präsentieren sich Leberverletzungen meist nur mit einem lokalen Druckschmerz oder einer Defence im rechten Oberbauch. Häufig werden auch Schulterschmerzen rechts angegeben. Laborchemisch zeigen sich signifikante Erhöhungen der Transaminasen und eine Leukozytose. Die Sonographie ist die Untersuchung der Wahl. Bei der überwiegenden Zahl ist die Leberruptur sichtbar bzw. kann auch die freie intraperitoneale Flüssigkeit gesehen werden. Eine Ausnahme bilden Leberkontusionen; hier kommt es ohne große Parenchymzerreißung zu einem diffusen Einbluten in das Leberparenchym (Pryor et al. 2001). Leberkontusionen können primär nicht erkennbar sein und meist erst nach 24 Stunden sichtbar werden. Zur genauen Diagnose einer Leberruptur ist die CT unerlässlich. Mit dieser Untersuchung ist auch eine exakte anatomische Zuordnung, sowohl zu den Lebersegmenten als auch zu den großen Gefäß- und Gallenwegstrukturen, möglich. Therapie Konservativ Prinzipiell gilt für Leberrupturen dasselbe Vorgehen wie für Milzverletzungen: Sie werden, wenn immer möglich, konservativ behandelt. Eine konservative Therapie ist bei der Mehrzahl der Lebertraumen im Kindesalter möglich (Cywes et al. 1985; Gross et al. 1999). Auch hier erfolgt in Transfusions- und Operationsbereitschaft die engmaschige Überwachung der Kreislaufparameter, des Hämoglobins und des Ultraschallbefundes. Auch bei Mitverletzungen der Gallengänge ist eine erfolgreiche konservative Therapie beschrieben (Leone u. Hammond 2001; Sharpe et al. 2002). Operativ Bei Patienten, die aufgrund des starken Blutverlustes (>25 ml/kg KG in den ersten 2 Stunden, Gross et al. 1999; oder >30–40 ml/kg KG in 24 h nach Aufnahme, Galat et al. 1990) einer operativen Therapie bedürfen, sollte diese möglichst rasch erfolgen (Moss u. Musecheme 1996). Durch eine quere Oberbauchlaparotomie, die eine mediane kraniale Schnitterweiterung ermöglicht, kann unter Verwendung eines Rochard-Hakens der gesamte Oberbauch eingestellt werden. Werden Grad-I/II-Verletzungen bei einer Laparotomie aufgefunden, können sie entweder durch Naht oder, einfacher, durch eine Kollagenvlies-gebundene Fibrinklebung versorgt werden. Bei tieferreichenden Verletzungen des rechten Leberlappens (Grad III) ist eine Kompressionsverpackung oft ausreichend. Verletzte größere Gefäße und Gallengänge bei Parenchymrupturen müssen durch Einzelligatur versorgt werden. Hierzu wird bei stärkerer Blutung die Anwendung des Pringle-Manövers notwendig. Dazu wird das Lig. hepatoduodenale stumpf umfahren und alle Strukturen im Ligament, die V. porta, die A. hepatica commu-
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25.6 Organverletzungen durch Bauchdeckenperforation
nis und der Ductus choledochus, mittels eines Tourniquets verschlossen. Falls notwendig, kann auch die V. cava unterhalb des Zwerchfells angeschlungen werden, wodurch eine totale vaskulare Exklusion der Leber möglich ist. Mit diesen relativ einfachen Maßnahmen lässt sich der Blutverlust stark verringern (Greco et al. 2003). Eine unkritische Anwendung des Pringle-Manövers ist aufgrund der damit verbundenen Leberischämie und des folgenden Reperfusionsschadens jedoch zu vermeiden. Die unbedenkliche warme Ischämiezeit der Leber beträgt etwa eine Stunde. Prinzipiell ist die chirurgische Versorgung der schwereren Leberverletzungen ein komplexes Verfahren und sollte nur dem in der Leberchirurgie Erfahrenen vorbehalten sein (Moulton et al. 1992). Liegen mehrere tiefe oder zentrale Leberverletzungen bis hin zur Leberzerreißung vor, sind primäre Leberresektionen oft sehr schwierig, die Resektionsgrenze oft nicht klar erkennbar und das Ausmaß der erhaltbaren Leberanteile nicht beurteilbar. Bei diesen seltenen Verletzungen hat sich ein Packing der Leber mit Bauchtüchern bewährt. Dabei wird die Leber rundum mit Bauchtüchern eingehüllt bis sämtliche Blutungen tamponiert sind (Stylianos 1998). Die Bauchdecke wird anschließend temporär verschlossen. Im Intervall, etwa nach 12, 24 bis 48 Stunden, erfolgt dann unter gesetzten und optimalen Bedingungen die definitive Versorgung. Hierbei können operative Techniken, wie ein portojugulärer Shunt, ein temporärer kavokavaler Shunt bis hin zur Ex-vivo-Rekonstruktion der Leber angewandt werden. Eine totale Resektion der Leber mit dem Ziel der kurzfristigen Implantation einer Spenderleber ist eine Verzweiflungstat und selten mit Aussicht auf Erfolg. Komplikationen Komplikationen der konservativen und auch der operativen Therapie können traumatische Verbindungen zwischen Blutgefäßen und intrahepatischen Gallenwegen sein. Man unterscheidet die Bilhämie und die Hämatobilie (Haberlik et al. 1992). Bei der Bilhämie kommt es zu einem Galleabfluss über Lebervenen in die systemische Zirkulation, der sich als persistierender posttraumatischer Ikterus klinisch präsentiert. Bei der Hämatobilie kommt es zu rezidivierenden Einblutungen in das intrahepatische Gallenwegsystem, welche sich klinisch als chronische intestinale Blutungen, chronische Anämie und leichten Ikterus manifestieren, Diagnostisch können die Szintigraphie (99mTechnetium) und die MR-Angiographie genauen Aufschluss auf Art und Ausdehnung dieser Komplikationen geben. Meist kommt es zum spontanen Verschluss dieser Fisteln, und selten ist eine Embolisation oder chirurgische Revision notwendig. Ein streng konservatives Vorgehen
ist auch bei posttraumatischen Biliomen und bei intrahepatischen Leberzysten indiziert. In Ausnahmefällen müssen diese CT-gezielt drainiert werden, sofern sie zu Galleabflussstörungen führen.
25.5 Verletzungen der intraabdominellen Gefäße Trotz ihrer Seltenheit habe die Verletzungen der intraabdominellen großen Blutgefäße einen Stellenwert aufgrund ihrer hohen Letalität, die in der Literatur mit 35–55% angegeben wird (Cox et al. 1998; DeCou et al. 1999). Gefäßverletzungen können gemeinsam mit Mesenterialrissen auftreten. Als Unfallmechanismus werden Überrollungen und Quetsch- bzw. Scherverletzungen am Bauch angegeben. Therapie Die Diagnose wird im CT oder intraoperativ bei einer explorativen Laparotomie gestellt, die bei diesen Patienten meist auf Grund des sofortigen massiven Blutverlustes erforderlich ist (DeCou et al. 1999). Die Versorgung der Gefäßverletzungen erfolgt durch direktes Übernähen des Gefäßes, durch Anastomosierungen unter Resektion des zerstörten Gefäßanteiles oder durch Einsetzen von Interponaten oder Gefäßprothesen.
25.6 Organverletzungen durch Bauchdeckenperforation Perforierende Stich-, Pfählungs- und Schussverletzungen im Bauchraum betragen im deutschsprachigen Raum etwa 10% aller Bauchverletzungen. Dabei verursachen Holzstöcke, Skistöcke und Stürze durch Glasscheiben am häufigsten perforierende Verletzungen am Bauch. Schussverletzungen oder Messerstiche sind seltene Ursachen und führen meist unbeabsichtigt zu Verletzungen. Klinisch findet sich neben den unterschiedlichen Perforationswunden an der Bauchdecke gelegentlich auch ein Prolaps des großen Netzes oder bei großen Wunden von Darmschlingen. Diagnostisch ist der Ultraschall hilfreich, wenn es um Verletzungen parenchymatöser Organe geht. Im Abdomenröntgen kann bei Darmverletzungen freie Luft sichtbar sein, oder es zeigt auch die Lage von Geschossprojektilen. Therapie Grundsätzlich muss jede perforierende Bauchdeckenverletzung nach Stabilisierung des Patienten operativ exploriert werden. Etwaige steckende Gegenstände dürfen präoperativ nicht entfernt werden. Die Laparotomie muss abseits der Perforationsöffnung durchgeführt werden und kann entweder median längs oder quer er-
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Kapitel 25 Bauchtrauma
folgen. Die intraabdominale Exploration muss neben einer exakten Durchsuchung des Darms und des Mesenteriums bis in das Retroperitoneum erfolgen. Bei Darmverletzungen genügt es meist, diese zu übernähen, und bei den parenchymatösen Organen gelten dieselben operativen Richtlinien wie beim stumpfen Bauchtrauma. Eine perioperative Antibiotikagabe hat sich als vorteilhaft erwiesen.
25.7 Besonderheiten im Kindesalter 25.7.1 Verschluckte Fremdkörper Klein- und Vorschulkinder in der »explorativen Phase« ihres Lebens entdecken die Welt auch, indem sie Teile davon in den Mund nehmen und dann nicht selten verschlucken (Graumann et al. 2003). Die am häufigsten verschluckten Fremdkörper sind Münzen, gefolgt von kleinen Spielzeugteilen, wobei aber das Spektrum der verschluckbaren Gegenstände riesig ist. Beim Verschlucken gibt es 3 Gefahrenstellen, an denen die Gegenstände stecken bleiben können: die beiden Ösopphagusengen und der Pylorus. Als Faustregel gilt, dass die meisten Fremdkörper, die die beiden Ösophagusengen passieren, also den Magen erreichen, auch die Passage durch den Pylorus und den weiteren Magen-Darm-Trakt antreten. Auch spitze und kantige Fremdkörper befolgen diese Regel, sodass allein wegen der Kontur eines Fremdkörpers nicht unbedingt eine Extraktion angezeigt ist, ja diese sogar risikoreicher als die spontane Passage sein kann. Vor allem spitze metallische Gegenstände, wie z. B. Nadeln, passieren aufgrund ihrer eigenen elektrostatischen Ladung problemlos den Gastrointestinaltrakt. Runde Gegenstände wie Münzen oder Ringe bleiben häufig im Ösophagus stecken oder verweilen manchmal länger im Magen. Wichtig ist, ob der Fremdkörper in den Mund genommen und verschluckt oder ob er aspiriert wurde. Eine Röntgenaufnahme, auf der Hals, Thorax und Abdomen sichtbar sind, ist in jedem Fall angezeigt. Neben der etwaigen genauen Lokalisation eines röntgenologisch sichtbaren Fremdkörpers kann die Überblähung einer Lunge ein eindeutiger Hinweis auf eine Fremdkörperaspiration sein (Schimpl et al. 1991). Therapie Alle Fremdkörper, die im Trachealsystem liegen, müssen dringlich tracheoskopisch entfernt werden; dies erfolgt in Allgemeinnarkose mit einem starren Beatmungsbronchoskop in entsprechender Größe. Denn nur zu starren Tracheoskopen gehört ein entsprechendes Sortiment von optischen Fremdkörperzangen. Fremdkörper, die im Ösophagus stecken bleiben, müssen frühzeitig und notfallmäßig mit flexibler oder
starrer Ösophagoskopie entfernt werden. Besonders gefährdet für eine unvollständige Ösophaguspassage von Fremdkörpern und Nahrungsteilen sind Kinder mit vorbestehender Ösophagusenge und Peristaltikstörung, wie z. B. nach Operation einer Ösophagusatresie, neurologisch gestörte Kinder, nach Fundoplikatio. Eine hohe Gefährdung geht von im Ösophagus liegenden Knopfzellenbatterien aus, da die an der Batterie fließenden Ströme in relativ kurzer Zeit zu einer Wandläsion des Ösophagus führen können; dies gilt auch für im Magen liegend Batterien. Übrige Fremdkörper (z. B. Münzen, Schmuckgegenstände, Spielzeugteile), die im Magen liegen, können vorerst konservativ behandelt werden, und erst wenn sie nach etwa einer Woche noch im Magen liegen, endoskopisch entfernt werden. Im Zweifelsfall muss jede Fremdkörperingestion und Fremdkörperaspiration in Allgemeinnarkose mit kindergerechtem Instrumentarium endoskopiert werden. 25.7.2 Verätzungen der Speiseröhre und des Magen-Darm-Trakts Genauso wie Kleinkinder alle Gegenstände in den Mund nehmen, versuchen sie auch, alle erreichbaren Flüssigkeiten zu trinken. Häufigste Ursache der Ingestion einer ätzenden oder giftigen Substanz ist die nachlässige Aufbewahrung der entsprechenden Flüssigkeit. Einerseits werden gefährliche Flüssigkeiten zweckentfremdet in Limonadeflaschen aufbewahrt, andererseits sind die Aufbewahrungsorte für Kleinkinder leicht zugänglich (z. B. unter der Abwaschstelle). Die am häufigsten getrunkenen Flüssigkeiten sind Haushaltsreiniger, chemische Zusatzstoffe und Konzentrate. Menge, Art und Konzentration der ätzenden Substanz sowie die Dauer ihrer Einwirkung bestimmen das Ausmaß der Verätzung. Nach Ingestion einer Säure entsteht eine trockene Koagulationsnekrose und endet mit der Bindung der Substanz an das Gewebe. Nach einer Laugeningestion ist eine meist tiefer reichende Kolliquationsnekrose zu erwarten, die durch die Verflüssigung des Gewebes bis zur Ösophagusperforation führen kann. Um welche Substanz es sich im Speziellen handelt, und wie hoch das Risiko einer Verätzung ist, kann jederzeit über die Vergiftungszentralen ermittelt werden. Endoskopisch wird die Ösophagusverätzung in 3 Grade eingeteilt: 쐌 Grad I: Hyperämie und Ödem der Schleimhaut, 쐌 Grad II: fleckförmige Ulzerationen und Schleimhautnekrosen, 쐌 Grad III: zirkuläre Ulzerationen und Schleimhautnekrosen.
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Literatur
Die klinische Symptomatik hängt vom Grad der Verätzung ab. Jedoch schließt prinzipiell ein unauffälliger Mund und Rachenraum eine schwere Ösophagusverätzung nicht aus. Im Akutstadium schwerer Verätzungen steht das Schockgeschehen im Vordergrund. Die Patienten haben einen starken Speichelfluss und klagen über Schmerzen mit Verweigerung etwas zu trinken. Ein begleitendes Glottisödem kann zu respiratorischen Komplikationen führen. Therapie Die Erstmaßnahme besteht im Ausspülen des Mundes und, falls möglich, im Trinkenlassen von Wasser. Bei schweren Fällen ist eine sofortige Intubation als Aspirationsprophylaxe wichtig. In der Klinik sollte in Narkose eine Ösophagogastroskopie erfolgen, um den Grad und die Ausdehnung der Verätzung zu beurteilen. Liegt eine Verätzung Grad I vor, genügt es, das Kind bis zur klinischen Beschwerdefreiheit stationär aufzunehmen. Bei Grad-II-Verätzungen ist sofort eine Therapie mit Kortison (anfänglich 5 mg/kg, danach 2 mg/kg) und einem Protonenpumpenhemmer und einem Antibiotikum (Cephalosporin) einzuleiten. Diese Behandlung muss zur Strikturprophylaxe über 4 Wochen fortgesetzt werden. Liegt eine Grad-III-Verätzung vor, muss in derselben Narkose eine Gastrostomie mit Einführen eines Endlosfadens angelegt werden. Um die Bildung einer narbigen Stenose zu verhindern, muss mit einer Frühbougierung innerhalb der ersten Woche begonnen werden, wobei diese 2-mal wöchentlich zu erfolgen hat. Diese Therapie muss über 4–8 Wochen fortgesetzt werden, da es in diesen Zeitraum zur Ausbildung definitiver Narbenfelder im Ösophagus kommt (Höllwarth 1984; Sauer 1984). Die Langzeitprognose einer auch schweren Ösophagusverätzung ist unter einer adäquaten Therapie für die Mehrzahl der Patienten gut. Nur ein geringer Anteil der Patienten muss über den Zeitraum von 1–2 Jahren bougiert werden. Im Rahmen der Bougierungen haben sich die Instillation von Kortison in die Stenose wie auch die endoskopische Laserschlitzung bewährt. Zeigt jedoch die Langzeitbougierung keinen Effekt, ist bei Patienten mit kurzstreckigen Stenosen eine Stenosenresektion mit Ösophagusanastomese indiziert. Liegen langstreckige Ösophagusstenosen vor, führt nur eine Ösophagusersatzplastik mit Kolon, Dünndarm oder Magenhochzug zum Erfolg.
Danksagung Herrn Priv.-Doz. Dr. S. Berger von der chirurgischen Universitätskinderklinik des Inselspitals Bern für die Mitarbeit am Manuskript und Herrn Univ. Prof. Dr. Johannes Mayr von der Universitätsklinik für Kinderchirurgie Graz für die Überlassung der Ultraschallbilder.
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Kapitel 26
Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
26
L. Stroedter
26.1 26.1.1 26.1.2
Nierenverletzungen . . . . . . . . . . . Nierenprellung (Nierentrauma Grad I) Nierenkapselruptur (Nierentrauma Grad II, III und IVa) . . Nierengefäßverletzungen (Nierentrauma Grad IV b und V) . . . Gefäßabriss . . . . . . . . . . . . . . . Gefäßthrombose . . . . . . . . . . . . . Nierenbeckenruptur (Nierentrauma Grad IV und V) . . . .
. . . . . . . 886 . . . . . . . 886
26.2 26.2.1 26.2.2 26.2.3
Verletzungen der Harnleiter Harnleiterkompression . . . Harnleiterruptur . . . . . . Harnleiterabriss . . . . . . .
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894 894 894 896
26.3 26.3.1 26.3.2 26.3.3
Harnblasenverletzungen Harnblasenkontusion . . Harnblasenruptur . . . . Harnblasentamponade .
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897 897 898 899
26.4 26.4.1 26.4.2 26.4.3
Verletzungen der Harnröhre Harnröhrenprellung . . . . . Harnröhrenruptur . . . . . . Harnröhrenabriss . . . . . .
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900 900 901 902
26.5 26.5.1 26.5.2 26.5.3 26.5.4
Verletzungen der äußeren Geschlechtsorgane . . Penisprellung, Penisquetschung und Lazerationen Penisfraktur und penetrierendes Penistrauma . . Traumatische Penisamputation . . . . . . . . . . Hodenquetschung, Hodenprellung und Hodenkapselruptur . . . . . . . . . . . . . . Straddle-Verletzungen beim Mädchen . . . . . . Pfählungsverletzungen und Verletzungen durch Stich- und Schusswaffen . . . . . . . . . . .
. . . .
903 903 904 905
26.1.3
26.1.4
26.5.5 26.5.6 26.6
. . . .
. . . . . . . 888 . . . . . . . 889 . . . . . . . 889 . . . . . . . 891 . . . . . . . 892
. 906 . 907 . 909
Operative Zugangswege und Methoden . . . . . . . 910 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915
Ursache und Häufigkeit Verletzungen des Urogenitalsystems werden in 10–15% der Fälle bei abdominellen Traumen diagnostiziert (Levy et al. 1993). Die Ursachen sind bei Jugendlichen in erster Linie Hochgeschwindigkeitstraumen bei Verkehrsunfällen (Motorradfahrer). Dagegen finden sich Überrolltraumen oder Stürze aus größerer Höhe in allen Altersklassen. Bei Spielunfällen (Skateboardfahren, Inlineskaten, Fahrradfahren) werden Verletzungen der Nieren durch Stürze mit der Flanke auf einen harten Gegenstand (Baumstumpf, Bordsteinkante) verursacht.
Die Elastizität des kindlichen Thorax lässt Nierenverletzungen auch ohne Rippenfrakturen zu. (Topographische Übersicht Niere, Ureter und Harnblase: Abb. 26.1). In Ländern außerhalb Europas spielen auch bei Kindern Schuss- und Stichverletzungen eine überdurchschnittliche Rolle. Pfählungsverletzungen des Anogenitalbereiches (z. B. infolge einer Durchspießung des Perineums mit einem Zaunpfahl) können zu Verletzungen des äußeren und inneren Genitale, der Urethra sowie des Darms und anderer intraabdomineller Organe führen. Diagnostik Entscheidend für das Therapiemanagement ist es, frühzeitig an eine mögliche Organbeteiligung zu denken und entsprechende Verletzungen nachzuweisen oder definitiv auszuschließen (McAleer u. Kaplan 1995). Bei der Primäruntersuchung des verunfallten Kindes ist auf Prellmarken am Körperstamm oder im Perinealund Genitalbereich zu achten, sowie nach Zeichen für eine Becken- oder Rippenfraktur zu suchen. Ausladende Flankenschwellungen oder durch die Bauchdecken hindurch tastbare Resistenzen können auf retroperitoneale Hämatome oder Extravasate hinweisen. Blutiger Harn oder auch eine Harnsperre zeigen eine Beteiligung des Harntrakts an (Perez-Brayfield et al. 2002; Patel u. Bissler 2001). Selbst größere Blutungen in das Retroperitoneum des kleineren Kindes können zunächst unbemerkt bleiben, da die klinischen Zeichen für einen drohenden hämorrhagischen Schock oft erst spät erkennbar sind. Da auch der Grad der Hämaturie nicht mit dem Verletzungsgrad der Nieren korrelieren muss, ist bei entsprechendem Unfallhergang oder Verdacht eine diagnostische Abklärung unumgänglich (Stein et al. 1994). Aufgrund der engen Lagebeziehungen der Urogenitalorgane zum Intestinaltrakt ist eine Mitbeteiligung des Darms möglich. Ein häufiges Begleitsymptom ist die Ausbildung eines Subileus aufgrund der sich entwickelnden Darmmotorikstörung. Bei stumpfen und penetrierenden Verletzungen des unteren Thorax, des Abdomens oder im Gluteal- und Perinealbereich ist an die mögliche Beteiligung der Urogenitalorgane zu denken.
!
Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind A. renalis A. suprarenalis V. cava inf.
Niere
Aorta A. gonadalis
letzung) unterteilt. Bei den schweren Formen sind meist auch andere Organe mitbetroffen (Lunge, Zwerchfell, Leber, Milz, Magen, Darm oder große Gefäße). Wegen der im Vergleich zum Erwachsenen relativ großen Nieren beim Kind und deren schlechteren Einbettung in das retroperitoneale Fett- und Bindegewebe, sind diese bei plötzlicher Kompression von außen oder bei axialen Traumen besonders verletzungsgefährdet. Die Entscheidung über den Grad der vorliegenden Nierenverletzungen lässt sich nicht allein am Vorhandensein oder Fehlen einer Hämaturie festlegen und basiert immer auf einer umfassenden bildgebenden Diagnostik zusammen mit dem klinischen Status, der Anamnese und dem Verletzungsmechanismus (Nguyen u. Das 2002).
26.1.1 Nierenprellung (Nierentrauma Grad I) Ursache Im Kindesalter sind Prellungen der Nieren am häufigsten die Folge von Verkehrsunfällen, Stürzen auf die Flanken oder bei Spiel-, Sport- und Freizeitunfällen auf die untere Thoraxapertur (Gerstenbluth et al. 2002; Radmayr et al. 2002). Außerdem kommen Verletzungen durch Raufereien oder Misshandlungen vor. Nierentraumen Grad I machen etwa 50% aller Nierenverletzungen aus.
M. psoas A. iliaca communis
A. vaginalis A. uterina A. vesicalis sup.
Harnblase
A. hemorrhoidalis
Abb. 26.1. Topographische Anatomie von Niere, Ureter und Harnblase
26.1 Nierenverletzungen Klassifikation Nierenverletzungen werden nach Beteiligung des Nierenparenchyms, der Nierenkapsel, des Nierenbeckens und/oder der Nierengefäße von der American Association for the Surgery of Trauma in 5 Schweregrade eingeteilt (Moore et al. 1989; Santucci et al. 2001; Abb. 26.2 a–e; Tabelle 26.1). Zur besseren Übersicht haben wir die Grade IV und V in A und B (ohne und mit Nierengefäßver-
Klinik Diagnostisches Zeichen ist neben dem Flankendruckschmerz (Nierenkapselspannung durch Ödem oder Hämatom) eine Mikrohämaturie. Diagnostik Im Harnschnelltest lässt sich die Hämaturie nachweisen. Sonographisch findet sich perirenal keine oder nur eine geringe Flüssigkeitsansammlung. Die Nierenkapsel ist intakt. Ergänzend wird die Dopplersonographie der Nierengefäße und des Nierenparenchyms zum Nachweis einer Minderperfusion oder einer Gefäßschädigung eingesetzt. Bei unklaren Befunden im Sonogramm ist die Durchführung einer MR-Urographie oder einer CT mit Kontrastmittel indiziert (Goffette u. Laterre 2002). Nach Abklingen der Akutphase wird eine Nierenszintigraphie für die Erfassung der erhaltenen Nierenfunktion benötigt. Der fehlende Nachweis eines Nierenkontusionsherdes in der initialen Sonographie schließt diese nicht vollständig aus! (Blankenship et al. 2001; Morey et al. 1996). Deshalb ist die Sonographie nach 12–24 Stunden zu wiederholen. Therapie Die Therapie einer leicht- bis mittelgradigen Nierenkontusion erfolgt rein symptomatisch mit Analgesie und Bettruhe. Die Harnausscheidung ist zu überwa-
CAVE
886
26.1 Nierenverletzungen
b
a
Grad II
Grad I
d
c Grad III
e
Grad IV – A und B
Grad V
Abb. 26.2 a–e. Klassifikation des Nierentraumas (Organ Injury Scale). Grad IV A: ohne Gefäßverletzung, Grad IV B: mit Gefäßverletzung
Tabelle 26.1. Organ Injury Scale Kidney (OISK) der American Association for the Surgery of Trauma 1987 Schweregrad
Verletzungsform
Beschreibung
I
Kontusion Hämatom Hämatom Lazeration Lazeration A: Lazeration
Mikroskopische oder makroskopische Hämaturie mit ansonsten normalen urologischen Befunden Rein subkapsuläres Hämatom ohne Parenchymeinriss Perirenales, auf den Retroperitonealraum begrenztes Hämatom <1 cm in die Nierenrinde hineinreichend >1 cm in die Nierenrinde hineinreichend, ohne Harnextravasat Parenchymverletzung durch das gesamte Nierenparenchym und das Nierenbeckenkelchsystem hindurchziehend Verletzung der A. oder V. renalis mit Blutung Komplett zerborstene Niere mit mehreren Fragmenten Devaskularisierte Niere durch Abriss am Gefäßhilus
II III IV
V
B: Vaskulär A: Lazeration B: Vaskulär
chen. Eine chirurgische Behandlung ist nicht erforderlich (Levy et al. 1993). Komplikationen Unmittelbar nach einer Nierenkontusion kann es zu Einschränkungen der Darmperistaltik mit dem Zustandsbild eines Subileus kommen. Weitere mögliche Komplikationen ergeben sich aus späteren Parenchymnarben oder nicht bemerkten Begleitverletzungen der Nierengefäße (z. B. Intimaeinriss der Gefäße) mit verletzungsbedingtem Bluthochdruck (Goff u. Collin 1998).
Nachkontrollen Klinische und sonographische Nachkontrollen nach 2–3 Wochen zum Ausschluss einer Harnabflussbehinderung werden empfohlen. Bei schweren Nierenkontusionen sollte die Nierenfunktion ggf. durch eine Szintigraphie nach 6–12 Monaten überprüft werden. Eine Mikrohämaturie kann noch über Monate nachweisbar sein.
887
888
Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
26.1.2 Nierenkapselruptur (Nierentrauma Grad II, III und IV a) Ursache Alle in Abschn. 26.1.1 genannten Ursachen können auch zu einer Nierenkapselruptur mit Parenchymeinriss und zu einer Verletzung des Nierenhohlsystems führen. Die Läsion des Nierenparenchyms verläuft meist in der Horizontalebene von der lateralen Nierenkapsel in Richtung Nierenbecken (vgl. Abb. 26.2 a–e, Tabelle 26.1). Bei Rippenbogenfrakturen können Anteile der Brüche auf die Kapsel drücken oder diese durchstoßen (Gerstenbluth et al. 2002). Nierenkapselrupturen und Verletzungen des Nierenhohlsystems kommen in jeweils 15% aller Nierenverletzungen vor. Klinik Der Patient hat starke Schmerzen in der Flanke und eine Hämaturie. Meist finden sich typische Prellmarken im Flanken-, Thorax und Abdominalbereich. Eine Schonatmung und leicht erhöhte Körpertemperatur sind möglich und besonders oft bei kleinen Kindern und Säuglingen zu finden. In ausgeprägten Fällen bildet sich eine Flankenschwellung (derber, druckdolenter Tumor) durch das perirenale Hämatom aus (Abb. 26.3 a,b). Subileus, Ileus und ein Schockzustand des Patienten sind möglich. Diagnostik Zur Diagnostik werden die gleichen Untersuchungsverfahren wie unter Abschn. 26.1.1 geschildert angewendet. Zusätzlich ist eine Röntgenaufnahme des Abdomens ohne Kontrastmittel durchzuführen. In dieser kann bereits die fehlende Abgrenzbarkeit des Psoasschattens ein Hinweis für die Nierenkapselruptur sein. Indirekte Zeichen für eine mögliche Nierenverletzung (Meteoris-
Abb. 26.3. a Nierenkapselruptur mit perirenalem Hämatom rechts (Pfeile), Mikrohämaturie. 8-jähriger Junge, Verletzung durch Gokartlenker. Konservative Therapie. Sonographie Nierenlängs-
mus, Subileus, Begleitverletzungen der Rippen und Wirbelkörper) sind zu beachten. Die intravenöse Pyelographie (IVP) oder Tomographien werden heute durch die MR-Urographie und die Kontrastmittel-CT ersetzt. Kontrastmittelaustritt in den perirenalen Raum hinein ist beweisend für die Lazeration des Nierenbeckens. Partielle oder fehlende Ausscheidung der Nieren lässt zwar eine Verletzungsfolge vermuten, beweist diese aber nicht und bedarf daher dringend weiterer Abklärung. Therapie Bei Kindern werden auch mittelgradige Nierenkapselrupturen zunächst konservativ unter Antibiotikaschutz behandelt (Hammer u. Santucci 2003; Levy et al. 1993). Kommt es zu einer zunehmenden Hydronephrose bei unauffälligem Nierengefäßstatus ist die Einlage eines Double-J-Katheters zur Harnableitung empfehlenswert. Eine Ureterverletzung ist zuvor auszuschließen. Bei einer Makrohämaturie sollte die Entlastung des Pyelons mit einem transkutan gelegten großlumigen Pyelostomiekatheter erfolgen. Der Katheter wird für die Dauer der Harntransportstörung belassen. Die Indikation zur operativen Intervention ist gegeben: 쐌 bei zunehmendem perirenalem Hämatom oder Urinom, 쐌 bei Hydronephrose mit versiegender Nierenperfusion, 쐌 bei Verdacht auf Nierengefäßverletzungen oder Thrombose (s. Abschn. 26.1.3; Matthews et al. 1997). Operationstechnik Der Patient wird in halbschräger Rückenlage unter Anhebung der betroffenen Seite mit Tüchern oder einer Rolle gelagert, sodass die Flanke vollständig frei liegt (Abb. 26.4 a). Der operative Zugang erfolgt bevorzugt
schnitt. b Nierenruptur mit perirenalem Hämatom (Pfeil). 16-jähriges Mädchen, Sturz auf die Flanke. Sonographie Nierenquerschnitt
26.1 Nierenverletzungen
a
b
Abb. 26.4. a Lagerung des Patienten zur Operation bei anterolateralem Zugang zur Niere. b Parenchymnaht bei Nierenlazeration unter Verwendung von Kollagenflies, Tabotamp oder Tacho Comp zur Blutstillung
über einen anterioren Flankenschnitt in Höhe der 12. Rippe (s. auch Abschn. 26.6). Nach Ausräumung des Hämatoms wird die Nierenlazeration durch Parenchymnaht geschlossen (Abb. 26.4 b). Bei Verletzung des Nierenbeckens oder der Kelche sind diese chirurgisch ebenfalls durch Naht zu versorgen. Nierengefäßverletzungen erfordern gefäßchirurgische Techniken. Komplikationen Durch hämatogene, aszendierende oder translokationsbedingte bakterielle Entzündungen kann es zum Nierenabszess kommen. Urinfisteln sind möglich. Hydronephrosen entstehen durch Narbenbildung entlang des harnableitenden Systems. Sie können bei Kindern auch erst nach Jahren manifest werden. Die Narbenbildung am Nierenparenchym kann zum renalen Hypertonus, die der Nierengefäße zum prärenalen Hypertonus führen. Posttraumatische Nierensteinleiden sind bekannt. Nachkontrollen Die Rückbildung des Hämatoms und des Urinoms ist mit Ultraschalluntersuchungen zu überwachen. Untersuchungen im Abstand von zunächst 3–6 Wochen und später vierteljährlich können auf einmal jährlich erweitert werden. Die Nierenfunktion wird 6–12 Monate nach dem Trauma mit der Bestimmung der Serumnierenparameter und einer Szintigraphie kontrolliert. Jährliche Blutdruckkontrollen sind essenziell.
26.1.3 Nierengefäßverletzungen (Nierentrauma Grad IV b und V)
Gefäßabriss Ursache Der Grad V der Nierentraumaskala bezeichnet die multifragmentierte Niere mit oder ohne kompletten Nierengefäßabriss. Die Nieren der Kinder sind schlecht in das noch mäßig ausgebildete retroperitoneale Fettgewebe eingebettet und dadurch weniger in ihrer Position fixiert. Bei Stürzen aus größerer Höhe oder bei Hochgeschwindigkeitstraumen mit dem PKW oder Motorrad kommt es beim Aufprall (oder durch den Sicherheitsgurt) zum plötzlichen Abstoppen der Körpergeschwindigkeit. Die noch vorhandene Bewegungsenergie der Organe führt zu Abscherverletzungen an den Nierengefäßen (Brown et al. 1998). Dieser Unfallmechanismus ist bei kleineren Kindern und den relativ zur Körpermasse großen Nieren häufiger und reicht vom Einriss der Intima, über Gefäßeinrisse, bis zum kompletten Abriss der Gefäße und Nierengefäßthrombose (Abb. 26.5). Die Wucht des Aufpralls korreliert dabei nicht unmittelbar mit dem Grad der Verletzung (Brandes u. McAninch 1999). Berstungsverletzungen durch direkte Traumen im Mittelbauch oder Verletzungen durch Stich- und Schusswaffen kommen ebenfalls vor. Klinik Die älteren Patienten geraten durch den schnellen Blutverlust in das Retroperitoneum rasch in einen Schock-
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
Abb. 26.5. Intimaläsionen der Nierenarterie bei Akzelerationstrauma der Niere
zustand mit Tachykardie, Tachypnoe und starken Schmerzen in der Flanke. Bei kleineren Kindern können diese Symptome aber auch initial fehlen (Quinlan u. Gearhart 1990). Es finden sich: 쐌 ein niedriger Hämatokrit und 쐌 eine Makrohämaturie, 쐌 die Urinausscheidung ist insgesamt gering. An zusätzliche Verletzungen der inneren Baucheingeweide, der Lunge und der Knochen in den RippenBecken-Wirbelsäulen-Regionen muss gedacht werden. Diagnostik Für die Primärdiagnostik eignet sich die Sonographie in Verbindung mit der Dopplersonographie als schnell durchzuführendes Verfahren (Wessel et al. 2000). Die Diagnose kann bereits durch den Nachweis von freier, extrarenaler Flüssigkeit im Retroperitoneum zusammen mit Parenchym- und Kapselunterbrechungen, fehlenden Dopplersignalen der Gefäße und im Gewebe gestellt werden. Beweisend für die Gefäßläsion ist die Nierengefäßangiographie oder MR-Angiographie, sowie die Kontrastmittel-CT. Die IVP zeigt lediglich die stumme Niere bei Gefäßabrissen an oder ein perirenales Kontrastmittelextravasat bei Schädigung des Nierenbeckenhohlsystems. Eine szintigraphische Untersuchung der Nieren zur Erfassung von Funktion, Durchblutung und Abflussverhältnissen ist in der Akutphase durch die lange Untersuchungsdauer nicht geeignet. Therapie Die Behandlung von Nierengefäßverletzungen und/ oder Nierenmehrfragmentverletzungen kann bei etwa einem Drittel der Patienten konservativ erfolgen. Vor-
aussetzung hierfür ist die Kreislaufstabilität des Patienten und das Fehlen anderer operationspflichtiger Verletzungen (Altman et al. 2000; Margenthaler et al. 2002). Die operative Therapie ist bei fortbestehenden Blutungen oder drohender Kreislaufinstabilität unumgänglich. Die Nephrektomierate korreliert mit dem Verletzungsgrad (Wessels et al. 2003). Die Niere wird je nach Ausmaß und Lage der Verletzung über einen Flankenschnitt oder durch Laparotomie von ventral freigelegt (s. auch Abschn. 26.6). Ist die Niere sowohl im oberen, mittleren und unteren Abschnitt multifragmentiert, so ist eine Rekonstruktion meist nicht mehr möglich, und es erfolgt die Nephrektomie. Die Nierengefäße müssen hierbei zur Vermeidung von arteriovenösen Fisteln einzeln ligiert und in unterschiedlicher Höhe abgetragen werden. Der zugehörige Harnleiter wird durch eine möglichst tief vor der Einmündung in die Harnblase angelegte Durchstichligatur mit z. B. 3/0-Vicryl/Dexon verschlossen und abgesetzt. Kleinere hilusnahe Gefäßverletzungen können über den anterolateralen Flankenschnitt ebenfalls versorgt werden. Bei kompletten Gefäßabrissen oder zentralen Gefäßläsionen empfiehlt sich die Mittellinienlaparotomie, da hier ein besserer Überblick über die Gefäßsituation möglich wird und die großen Gefäße für die Rekonstruktion erreichbar sind. Der Replantationsversuch kann sowohl an den ehemaligen Hilusgefäßen, als auch, wie z. B. bei Nierentransplantationen üblich, an den Beckengefäßen erfolgen. Bei letzterem ist dann allerdings auch eine Kürzung und Neueinpflanzung des Ureters in die Harnblase erforderlich (s. Abschn. 26.6, Ureterozystoneostomie nach Cohen und Politano-Leadbetter). Die Einlage einer Jackson-Wunddrainage in die Nierenloge ist bei erfolgter Nephroureterektomie für 1–2 Tage empfehlenswert. Bei Replantationen oder Rekonstruktionen ist darüber hinaus die Ureterschienung mit Ableitung des Urins in die Harnblase oder die transkutane Pyelostomie notwendig. Komplikationen Direkte Operationsrisiken sind die chirurgischen Verletzungen an Darm, Leber, Milz und den dorthin ziehenden Blutgefäßen und Nerven sowie der Nierengefäße. Im Bereich des prävesikalen Ureters können der Ductus deferens und die Hodengefäße verletzt werden. Bei organerhaltendem operativem Vorgehen kommen sekundäre Thrombosen und Organverluste und Pseudoaneurysmen vor (Delarue et al. 2002; Halachmi et al. 2003). Bei entsprechender Operationstechnik sind Komplikationen nach einer Nephroureterektomie selten. Sie beziehen sich fast ausschließlich auf Stumpfinsuffizienzen an den abgesetzten Blutgefäßen (AV-Fistel) oder am abgesetzten Ureter (Urinom). Bei einem vesikoureteralen Reflux auf der betroffenen Seite kann ein divertikelartiger Ureterstumpf verbleiben, falls dieser nicht ausrei-
26.1 Nierenverletzungen
chend tief an der Blaseneinmündung abgesetzt wurde. Rezidivierende Harnwegsinfekte können die Folge sein.
zystitis oder Pankreatitis sowie Ulzera des Magens oder Duodenums ausgeschlossen werden.
Nachkontrollen Beschwerdefreie, nephrektomierte Patienten bedürfen lediglich einer klinischen, laborchemischen und ggf. sonographischen Kontrolle bezüglich ihrer auf der Gegenseite verbliebenen Einzelniere. Insbesondere an einen entstehenden Bluthochdruck durch initial nicht erkannte und traumabedingte Gefäßveränderungen der kontralateralen Seite ist zu denken. Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten nach Nephroureterektomie ist ein refluxiver Ureterstumpf durch eine MCU auszuschließen. Chirurgisch versorgte Nierengefäßverletzungen werden mit Hilfe der Dopplersonographie in jährlichen Abständen überprüft.
Therapie Die Behandlung orientiert sich zunächst an der Akutsymptomatik mit
Ursache Durch traumatische Nierengefäßüberdehnung mit Intimaeinrissen, aber auch durch chirurgische Eingriffe, Verbrauchskoagulopathien im Rahmen eines Polytraumas oder durch Streuung eines Gefäßthrombus vom Herz oder der Aorta kann es zu einer Nierengefäßthrombose kommen. Der Verschluss des Nierenarterienhauptstamms führt zu einem totalen Niereninfarkt. Sind nur einzelne Äste der Nierenarterien betroffen, kann daraus lediglich ein Teilinfarkt des Organs resultieren. Klinik Während kleinere Infarkte der Seitenäste unbemerkt ablaufen können, ist der Verschluss der A. renalis durch heftige Mittelbauchschmerzen mit Flankenklopfschmerz gekennzeichnet. Das Abdomen kann druckdolent sein, der Harn ist oftmals blutig. Es entwickelt sich eine Oligurie und im Verlauf eine Anurie der betroffenen Seite. Außerdem findet sich ein Hypertonus. Diagnostik Die Nierendurchblutung kann durch die Dopplersonographie ohne Strahlenbelastung sicher bestimmt werden. Auch die Lage eines Gefäßthrombus kann oftmals mit der Sonographie genau lokalisiert werden. Trotzdem sind für die Therapieplanung zusätzliche, untersucherunabhängige bildgebende Verfahren, wie die Kontrastmittel-CT oder die Angiographie, durchzuführen. In der heutigen Zeit hat die IVP wegen der fehlenden Kontrastmitteldarstellung der betroffenen Niere seine Indikation verloren, da keine weiteren Aussagen bezüglich der Ursachen abgeleitet werden können. Differenzialdiagnostisch müssen akute abdominelle Erkrankungen wie Nierenkoliken, Appendizitis, Chole-
쐌 Analgesie, 쐌 Volumensubstitution zur Schockbekämpfung (cave bei Anurie oder Oligurie), 쐌 Gabe von Diuretika, 쐌 Infektionsprophylaxe mit Antibiotika und 쐌 die Behandlung mit Antikoagulantien (cave: zunächst Ausschluss akuter Blutungen!). Eine therapeutische Konfliktsituation kann sich aus den teilweise gegensätzlichen Erfordernissen bei der Behandlung des verunfallten Kindes und den notwendigen Maßnahmen bei einer Nierengefäßthrombose ergeben. Die Kleinheit der Verhältnisse im kindlichen Organismus schränkt die möglichen therapeutischen Maßnahmen weiter ein. Bei persistierendem Gefäßverschluss kann ggf. im Intervall eine Thrombektomie oder Lysetherapie durch einen konservativen, interventionsradiologischen Gefäßeingriff versucht werden. Bei persistierendem Hypertonus ist die operative Entfernung des betroffenen Nierenabschnitts (partielle Nephrektomie, ggf. Nephroureterektomie) angezeigt. Komplikationen Reflektorische Anurie, persistierender Hypertonus und septische Niereninfarkte sind beschrieben. Die Therapie mit Antikoagulanzien in der Akutphase eines Traumas ist problematisch und erfordert viel Erfahrung und Monitoring der Gerinnungsparameter, um diffuse Blutungen aus den vorhandenen Begleitverletzungen zu vermeiden. Thrombosen anderer Organe sind möglich. Bei Kindern bergen interventionsradiologische Gefäßeingriffe die Gefahr der Gefäßverletzung und Ruptur. Rezidive oder Gefäßteilverschlüsse sind häufig. Gefäßrekanalisierungen mit Gefäßstents sind nur bei älteren Patienten anwendbar. Nachkontrollen Verlaufkontrollen erfolgen durch Sonographie, Dopplersonographie, Blutdruckmessungen und Nierenfunktionsprüfung sowie ggf. Überprüfung der Gerinnungswerte. Das Ausmaß einer thrombosebedingten Niereninsuffizienz lässt sich am besten mit der seitengetrennten Nierenszintigraphie erfassen (Moog et al. 2003). Die postthrombotische Nierenschrumpfung stellt sich sonographisch dar.
CAVE
Gefäßthrombose
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
26.1.4 Nierenbeckenruptur (Nierentrauma Grad IV und V) Ursache Man unterscheidet traumatische Nierenbeckenrupturen von pathologischen Nierenbeckenrupturen. Alle bereits genannten traumatischen Ursachen können zu einer isolierten Nierenbeckenruptur führen. Pathologische Nierenrupturen bezeichnen Rupturen ohne ein adäquates Trauma bei vorher bereits bestandenen Hydronephrosen infolge von Nierenfehlbildungen, Tumoren oder Steinleiden.
Klinik Isolierte Nierenbeckenrupturen können längere Zeit unentdeckt bleiben, da zunächst nur geringe Beschwerden möglich sind. Die klassische Symptomatik mit dumpfem Flankenklopfschmerz, Lumbalgien und einer außerhalb des Nierenhohlsystems nachweisbaren Ansammlung von Urin (Urinom) mit umgebender bindegewebiger Membran (Pseudohydronephrose), entwickelt sich erst nach Tagen bzw. Wochen. Eine Mikrooder Makrohämaturie kann fehlen (Santucci u. McAninch 2001). Durch die zunehmende Raumforderung des Urinoms im Retroperitoneum wird die Symptomatik nur langsam verstärkt. Die peritoneale Reizung kann zu einem Subileus führen. Die Steigerung der Entzündungswerte im Blut und ein Fieberanstieg sind ebenfalls Spätsymptome und sollten an eine Superinfektion mit zumeist gramnegativen Keimen denken lassen. Diagnostik Traumaanamnese und Symptomatik können irreführend sein. Urinuntersuchungen und Blutlabortests sind obligat, aber wenig spezifisch. Im Verdachtsfall führt eine Ultraschalluntersuchung zum Nachweis des gut abgegrenzten, perirenalen Urinoms. Die Abflussverhältnisse aus dem pyeloureteralen Übergang lassen sich mit einer IVP oder mit einer Nierenszintigraphie ausreichend dokumentieren. Mit einer MR-Urographie gelingt sowohl die Klärung der Abflussverhältnisse als auch die genaue Lokalisation und Beurteilung der Rupturstelle. Die Diagnostik der Nierenbeckenruptur durch eine CT mit Kontrastmittel ermöglicht zeitgleich die Diagnostik anderer Verletzungen im Thorax oder Abdominalbereich. Therapie Isolierte Nierenbeckenrupturen, insbesondere in den kranialen Anteilen des Organs, können sich innerhalb von Stunden spontan wieder schließen (Matthews et al. 1997). Bei zunehmendem Urinom ist eine ultraschall-
kontrollierte, transkutane Drainage für die initiale Entlastung ausreichend. Eine antibiotische Prophylaxe gegen gramnegative Keime, die aus dem Darmtrakt stammen, ist durchzuführen. Zeigt sich keine Abnahme in der täglich bilanzierten Flüssigkeitsmenge aus der Drainage, ist der transureterale Harnabfluss mit einer IVP oder antegraden Pyelographie über den Nephrostomiekatheter zu überprüfen. Ein operativer Verschluss der Rupturstelle ist bei größerem Defekt im Nierenbecken meist unumgänglich (Abb. 26.6 a–e). Bei Harntransportstörungen im ureteralen Abschnitt kann eine retrograd endoskopisch eingebrachte Schienung des Ureters mit einem Double-Pigtail-Katheter versucht werden (innere Drainage). Zusätzliche Verletzungen des Harnleiters stellen eine Kontraindikation für dieses Vorgehen dar. Die Innere Drainage des Systems hat zusätzlich zur perirenalen Drainage zu erfolgen. Operativ Die operative Therapie der isolierten Nierenbeckenruptur mit zunehmendem Urinom besteht in der Freilegung der betroffenen Niere, dem Verschluss der Ruptur im Nierenbecken mit resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. Vicryl 5/0) und der temporären Drainage des Nierenbeckens durch Einlage eines Nephrostomiekatheters und ggf. Schienung des pyeloureteralen Übergangs (Nephrostomiekatheter mit filiformem Ansatz). Die intraoperative Einlage einer perirenalen Drainage (z. B. Jackson-Drainage) ist empfehlenswert. Komplikationen Die Gefahr einer Urosepsis muss bedacht werden. Bei nicht rechtzeitig oder unzureichend behandelten Nierenbeckenrupturen kann es durch die entstehenden Urinome und Entzündungen zur Atrophie und dem kompletten Funktionsverlust der betroffenen Seite kommen. Die Ausbildung eines renalen Hypertonus ist möglich. Dagegen liegt die Mortalität stumpfer Nierenverletzungen im Kindesalter <3%, sofern keine zusätzlichen Verletzungen des Zentralnervensystems oder der Wirbelsäule vorliegen (Snyder et al. 1990). Nachkontrollen Nach 3–6 Monaten und anschließend jährlich bis zum Erreichen des Erwachsenenalters ist eine Ultraschallkontrolle der Nieren und der ableitenden Harnwege durchzuführen. CT-Kontrollen sind nur bei kompliziertem Verlauf, klinischen Beschwerden oder Auffälligkeiten in der Ultraschalluntersuchung indiziert (Mizzi et al. 2002). Jährliche Blutdruckkontrollen auch im Erwachsenenalter sind anzuraten. Urinkontrollen sind nur bei klinischer Symptomatik notwendig. Bei posttraumatischen, rezidivierenden Harnwegsinfektionen ist eine weitergehende Diagnostik bezüglich der Nierenfunktion, Nierenausscheidung und des Harntransports angezeigt.
26.1 Nierenverletzungen
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Abb. 26.6 a–d. Operative Versorgung der Nierenbeckenruptur. a Laterokolische Inzision des Retroperitoneums zur Expostion der Niere mit Gerota-Faszie und perirenalem Hämatom. b Ausgangsbefund einer Nierenbeckenruptur mit Parenchymzerreißung. c Exzision von devitalisiertem Nierenparenchym, blutende Gefäße
werden umstochen oder ligiert. d Operative Versorgung mit exaktem Verschluss der Nierenbeckenschleimhaut durch fortlaufende resorbierbare monofile 4/0-Naht. e Approximierung von Parenchym und Kapsel mit resorbierbaren 3/0-Einzelkopfnähten oder Matratzennaht
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
26.2 Verletzungen der Harnleiter Im Kindesalter sind Verletzungen der Ureteren infolge von Unfällen sehr selten. Als Folge einer plötzlichen Überstreckung im Lumbosakralbereich während eines Unfalls kann es zu Abrissverletzungen des Harnleiters kommen. Penetrierende Verletzungen durch Stich- oder Schusswaffen sind möglich. Verletzungen der Harnleiter entstehen jedoch meist als Folge diagnostischer oder chirurgischer Eingriffe am Urogenitaltrakt, im Abdomen oder im Beckenbereich. 26.2.1 Harnleiterkompression Ursache Traumatisch bedingte Kompressionen der Harnleiter von außen sind Folgen retroperitonealer Hämatome entlang des M. psoas oder schwerer Bauchtraumen oder Beckenfrakturen. Auch können intraabdominelle Drucksteigerungen durch schwere ödematöse Zustände des Darms oder Blutungen in das Abdomen zu Harnabflussbehinderungen durch die Kompression der Harnleiter von außen führen. Klinik Bei Kompression nur eines Harnleiters wird die Symptomatik bestimmt durch die ursächliche Verletzung und den Schmerz, der bei der Stauung des Urins entsteht. Die Nierenparameter der Blutuntersuchungen können normal sein, da die nicht betroffene Gegenseite den Ausfall kompensiert. Bei Kompression der Harnleiter von außen ohne direktes Trauma am Ureter kann eine Mikro- oder Makrohämaturie gelegentlich auch fehlen. Diagnostik Neben der Anamnese des Unfallhergangs und der Urinanalyse ist die Ultraschalluntersuchung die wichtigste Erstuntersuchung zum Erkennen einer Harntransportstörung. Eine Erweiterung des Nierenbeckenkelchsystems und der Nachweis einer Ureterdilatation müssen den Verdacht auf eine direkte oder indirekte Ureterbeteiligung lenken. Retroperitoneale Hämatome, intraabdominelle Flüssigkeitsansammlungen oder Raumforderungen lassen sich ebenfalls mit dem Ultraschall erkennen. Zum Ausschluss einer Ureterruptur und zur weiteren Abklärung der Verletzungsart ist eine Kontrastdarstellung des oberen Harntrakts mittels IVP, Kontrastmittel-CT oder MR-Urographie durchzuführen. Therapie Ureterkompressionen werden konservativ behandelt. Entscheidend ist die rasche Wiederherstellung des Harnabflusses aus dem oberen Harntrakt und damit die Entlastung der Niere. Dies kann durch ultraschallkontrollierte
Punktion eines retroperitonealen Hämatoms mit Einlage einer Redon-Drainage und/oder durch die direkte Harnableitung aus dem betroffenen System mit Hilfe eines perkutanen Nephrostomiekatheters erreicht werden. Ist eine Ureterruptur sicher ausgeschlossen, so ermöglicht auch die zystoskopische retrograde Einlage eines DoubleJ-Katheters in den Harnleiter eine Schienung des Ureters und Ableitung des Urins in die Harnblase. Während der Akutphase ist eine antibiotische Behandlung erforderlich, die bei Patienten mit einem Nephrostomiekatheter oder einem Double-J-Katheter bis zur Entfernung der Katheter fortgeführt wird. Komplikationen Die häufigsten Komplikationen einer Harnleiterkompression sind segmentale Harntransportstörungen und narbige Stenosen. Diese können durch die Verletzung selbst, durch Infektionen in den betroffenen Abschnitten oder durch eine druckbedingte partielle Minderperfusion der Ureterwand entstehen. Retroperitoneale Hämatome können zur akuten Darmparalyse mit Ileuszuständen führen. Iatrogene und verletzungsbedingte zweizeitige Ureterrupturen sind möglich. Die Katheter und Drainagen werden bis zum Erreichen eines normalen Harnabflusses belassen. Die Prüfung des normalen Harntransports im betroffenen System kann durch den noch vorhandenen Nephrostomiekatheter mittels direkter Kontrastdarstellung oder durch eine IVP erfolgen. Nachkontrollen 6 Monate nach dem Trauma kann eine Darstellung der Ureterkinetik mit der statischen und dynamischen Nierenszintigraphie erfolgen. Anfängliche Ultraschallkontrollen der Nieren und der ableitenden Harnwege in 2- bis 4-wöchigen Abständen können schrittweise auf halbjährlich und jährlich verlängert werden. Die Langzeitkontrollen sind bei Kindern bis zum Erreichen des Erwachsenenalters nötig. Bei Entstehung von Ureterstenosen mit Harnabflussbehinderung und Schädigung des oberen Harntrakts sind operative Korrekturen erforderlich (z. B. Ballondilatation, Resektion der Stenose).
26.2.2 Harnleiterruptur Ursache Rupturen der Harnleiter sind als unmittelbare Traumafolge oder als sekundäre Verletzungen während diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen möglich. Infizierte retroperitoneale Hämatome können den Harnleiter soweit entzündlich schädigen, dass eine Ruptur sowohl spontan als auch während endoskopischer Eingriffe am Harntrakt (z. B. Einlage eines Ureterkatheters) auftreten kann.
26.2 Verletzungen der Harnleiter
Klinik Im Vordergrund steht die peritonitische Reizung im Rupturbereich mit Flanken- oder Rückenschmerzen durch das Urinom. Es kommt im Verlauf zur Darmparalyse bis zu möglichen Zeichen des Schocks. Leitsymptome sind klare, freie Flüssigkeit retroperitoneal ohne Binnenechos und der Nachweis von Harnstauungszeichen im Ultraschall mit und ohne Hämaturie.
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Diagnostik Verzögerungen in der Diagnostik von Ureterverletzungen kommen bei Patienten mit lebensbedrohlichen Abdominalverletzungen vor. Durch die vorherrschenden Symptome anderer Organverletzungen, oder aber durch die zunächst fehlende klinische Symptomatik, können Ureterverletzungen übersehen werden (Boone et al. 1993). Neben der initialen Ultraschalluntersuchung beweist die Kontrastmitteldarstellung des Harntraktes mit IVP oder CT und Darstellung des Extravasates um den Harnleiter herum die Ureterwandruptur. Wird aufgrund anderer Erfordernisse eine Zystoskopie durchgeführt, so kann die retrograde Ureterdarstellung nach der Positionierung eines Ureterkatheters und mit Hilfe von Kontrastmittel unter Durchleuchtung im Operationssaal erfolgen. Therapie Kleinere Ureterrupturen können sich nach Ableitung des Urins durch einen Nephrostomiekatheter spontan verschließen. Die Schienung des Ureters und Drainage des Urins durch einen endoskopisch platzierten transureteralen Double-J-Katheter ist bei bereits vorhandener Parenchymläsion problematisch und birgt die Gefahr einer iatrogenen Verletzung des Harnleiters. Ist die alleinige Drainage des Pyelons nicht zielführend, muss eine operative Versorgung der Verletzung durchgeführt werden. Operativ Die operative Darstellung der verletzten Region erfolgt je nach Lokalisation der Leckage von retroperitoneal oder transperitoneal (s. unten, Zugangswege zum Ureter). Nur selten handelt es sich bei der Ureterruptur um einen glatten Einriss der Wandstruktur, sondern meist um zusätzliche Quetschungen des Gewebes mit unregelmäßigen Wundrändern. Es ist in diesen Fällen zu entscheiden, ob eine alleinige Naht der Rupturstelle ausreicht oder ob eine Resektion des betroffenen Uretersegments mit End-zu-End-Anastomose erfolgen muss. Liegt ein Längseinriss der Ureterwand vor, so sollte dieser durch eine quere Naht verschlossen werden, um eine Stenose zu vermeiden. Bei querer Verletzung des Ureters von >50% der Zirkumferenz ist eine Reanastomosierung durch schräge Nahtreihentechnik empfehlenswert. (Abb. 26.7 a–d).
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d Abb. 26.7 a–d. Ureteranastomose in End-zu-End-Technik. a Resektion des traumatisierten Gewebes und Anfrischen der Rupturstellen. b Einkerben der Ureterwand an beiden Enden in Längsrichtung um etwa 2–3 mm. c,d Anastomosierung der Ureteranteile mit 5/0- oder 6/0-Vicryl-Einzelknopfnähten
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Komplikationen Siehe Abschn. 26.2.1. Nachkontrollen Die in Abschn. 26.2.1 angeführten Kontrolluntersuchungen gelten auch für Patienten mit Harnleiterrupturen. Eine Ureterstenose im Anastomosenbereich muss im Verlauf ausgeschlossen werden.
26.2.3 Harnleiterabriss Ursache Harnleiterdurchtrennungen kommen ausschließlich bei schweren Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großen Höhen vor; Stich- oder Schussverletzungen sind möglich. In einem Drittel der Fälle wird die Diagnose erst verspätet gestellt (Howerton u. Norwood 1991). Sie können iatrogen bei größeren abdominellen, urologischen oder gynäkologischen Operationen entstehen. Als Traumafolge sind sie in den meisten Fällen am pyeloureteralen Segment oder am Übergang zum Beckeneingang gelegen; in diesem Fall handelt es sich oft um schwere Beckenfrakturen. Verletzungen durch Schuss- und Stichwaffen können naturgemäß im gesamten Verlauf angetroffen werden (Beamud-Gomez et al. 1986). Klinik Die Klinik entspricht der unter Abschn. 26.2.2 beschriebenen Symptomatik. Die klinischen Symptome der Begleitverletzungen können die sich eher langsam entwickelnde Symptomatik der Ureterruptur bzw. des Ureterabrisses stark überlagern. Iatrogene Durchtrennungen der Ureter bei anderweitigen Operationen führen zum Harnaustritt aus der tubulären Struktur und sollten dadurch bereits intraoperativ auffällig werden. Intraoperativ nicht erkannte Ureterdurchtrennungen bleiben dagegen meist lange unentdeckt, da die wenigen klinischen Zeichen als postoperative Beschwerden im Rahmen des ursprünglichen Eingriffs verkannt werden. Verminderte Harnausscheidung und Makrohämaturie sind nicht obligat vorhanden.Harnstauung oder Urinombildung mit ureterokutaner Fistelung oder ein septischer Krankheitsverlauf zwingen zu weiterführenden Diagnostik und Abklärung. Diagnostik Die diagnostischen Schritte entsprechen denen der Ureterrupturen (s. oben). Für die Diagnose beweisend ist beim Ureterabriss außer dem Kontrastmittelextravasat die fehlende Kontrastmitteldarstellung des distalen Uretersegments und ggf. auch ein atypischer Verlauf des Harnleiters. Therapie Bei einem Ureterabriss ist eine schnellst mögliche operative Korrektur unumgänglich (s. auch Abschn. 26.6).
Der durchtrennte Ureter wird an seinen Enden jeweils schräg angeschnitten und mit Vicryl-6/0-Einzelknopfnähten End-zu-End-anastomosiert. Zur Vergrößerung der Ureterquerschnitte im späteren Anastomosenbereich kann noch vor der Naht der Uretersegmente an beiden Enden eine etwa 3 mm lange Längskerbung des Ureterrandes erfolgen (vgl. Abb. 26.7 a–d). Das Stenoserisiko kann auf diese Weise deutlich gesenkt werden. Der Ureter erhält eine transanastomotische Schienung mit einem Double-J-Katheter oder einen Nephrostomiekatheter zur Harnableitung. Je kleiner die Kinder, desto eher empfiehlt sich die transanastomotische Schienung, um gleichzeitig eine ausreichend weite Anastomose zu gewährleisten. Befindet sich der Ureterabriss unmittelbar am pyeloureteralen Übergang, so anastomosiert man den Ureter und das Nierenbecken nach der Technik von Anderson-Hynes. Harnblasennahe Durchtrennungen des Ureters können gelegentlich ein differenzierteres Vorgehen erforderlich machen. Hier ist zu prüfen, ob eine End-zu-End-Anastomose möglich ist, oder ob ggf. eine Neueinpflanzung des Harnleiters in die Harnblase durchgeführt werden muss. Bei Verletzungen im distalen Uretersegment kann es bei der operativen Korrektur zur Minderperfusion des distalen Ureterstumpfes kommen und dadurch eine Stenose begünstigt werden. In diesen Fällen wird eine Ureterozystoneostomie nach Cohen oder Politano-Leadbetter durchgeführt (s. Abschn. 26.6). Musste der Ureter im distalen Bereich aufgrund der Verletzung gekürzt werden, so ist die Ureterozystoneostomie ggf. mit einem so genannten PsoasHitch bzw. mit dem Verfahren nach Boari zu kombinieren, bei dem die Harnblase nach kranial hinauf gezogen und am M. psoas mit mehreren Nähten fixiert wird. Der Harnleiter derselben Seite wird anschließend in die Harnblasenwand entsprechend den genannten Techniken implantiert (s. auch Abschn. 26.6). Komplikationen Neben den genannten Risiken der Stenosierung, Motilitätsstörung und Anastomoseninsuffizienz können blasennahe Ureterverletzungen zu einem vesikoureteralen Reflux (VUR) führen. Auch die Neoimplantation der Ureter in die Harnblase birgt die Gefahr eines VUR oder einer Harnleitermündungsstenose. Die mangelhafte Verankerung des Psoas-Hitch am M. psoas kann zur Retraktion des Harnleiters aus der Harnblasenwand und zu einem VUR führen. Nachkontrollen Als Kontrolluntersuchungen werden Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. In der postoperativen Phase ist auf Harnstauungszeichen und Extravasate zu achten. Nach 6 Monaten werden im Nierenszintigramm die Nierenfunktion und die Harnableitung in die Blase untersucht. Auf die Funktion und Motilität des Harnleiters
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26.3 Harnblasenverletzungen
kann durch die Ureterkinetik im Szintigramm rückgeschlossen werden. 6 Monate nach der operativen Korrektur mittels Psoas-Hitch oder Boari-Flap und/oder Ureterozystoneostomie empfiehlt sich die Durchführung einer MCU zum Ausschluss eines VUR. Die Durchführung einer IVP bleibt besonderen Fragestellungen vorbehalten und wird heute nicht mehr routinemäßig für die postoperative Kontrolle bei Kindern verwendet.
26.3 Harnblasenverletzungen 26.3.1 Harnblasenkontusion Ursache Stumpfe Verletzungen durch Sturz oder Schlag auf den Unterbauch, Überrolltraumen sowie die Kompression der Beckenorgane durch Autosicherheitsgurte bei Verkehrsunfällen können eine Kontusion der Harnblase verursachen (Abb. 26.8 a,b). Klinik Blasenkontusionen können zu ausgeprägten Hämatomen in der Blasenwand und im Retroperitonealraum führen. Die Ausdehnung des Hämatoms bereitet Schmerzen bei gleichzeitig vorliegender Abwehrspannung. Eine Makrohämaturie ist häufig. Aufgrund der starken peri- und intravesikalen Schwellung kann es zur reflektorischen Blasenlähmung mit akutem Harnverhalt kommen. Eine Harnblasentamponade durch Schleimhautblutungen ist möglich. Bei der Inspektion finden sich meist charakteristische Prellmarken und
Abb. 26.8 a,b. Stumpfes Überrolltrauma des Beckens mit großflächiger Lazeration des äußeren Genitale und Harnblasenkontusion. a Präopertiver äußerer Situs (* Sonde im Meatus urethrae, 쐌 Sonde im Vaginaleingang, ♦ Sonde im Rektum). b Postoperativer äußerer Situs
gelegentlich eine Vorwölbung am Unterbauch oder im Douglas-Raum (rektale Untersuchung!). Diagnostik Die Sonographie ist die erste Wahl für die Diagnostik. Die perivesikal, intramural oder auch intravesikal gelegenen Hämatome lassen sich gegenüber den umliegenden Gewebestrukturen gut abgrenzen, die Harnblasenwand ist verdickt und zeigt eine aufgelockerte Echostruktur. Bei einer Harnblasentamponade durch koaguliertes Blut zeigt sich dieses intravesikal mit einer inhomogenen Echogenität. Die Ureter sind häufig durch die Harnabflussbehinderung erweitert. Es kann zu einer Harnstauung der Nieren kommen. Bei einer Blasenkontusion muss sowohl eine Beckenfraktur als auch eine Harnblasenruptur ausgeschlossen werden. Zum Ausschluss von Begleitverletzungen ist eine KontrastmittelCT-Untersuchung des Beckens sinnvoll (Abb. 26.9). Therapie Analgesie und eine temporäre Urinableitung mit einem großlumigen, suprapubischen Harnblasenkatheter unter antibiotischer Abschirmung sind erforderlich. Bei stark blutigem Harn ist zum Vermeiden einer Harnblasentamponade eine Blasenspülung über den suprapubischen Katheter möglich. Nach Rückgang der Hämatome stellt sich die normale transurethrale Miktion wieder ein, und der suprapubische Katheter kann entfernt werden. Komplikationen Wichtigste Komplikation einer Harnblasenkontusion ist die Harnblasentamponade (s. oben). Eine persistierende Harnblasenentleerungsstörung ist selten, aber bei
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
Abb. 26.9. Harnblasenkontusion mit retroperitonealer Blutung. CT des Beckens mit Kontrastmittel
zusätzlicher Schädigung der Nervenversorgung im kleinen Becken oder der unteren Wirbelsäule möglich. Hierfür eignet sich die CT-Untersuchung des Beckens oder die kombinierte Beckenübersichtsröntgenaufnahme mit einer MCU über den suprapubischen Katheter. Eine transurethrale Harnableitung ist aufgrund der länger erforderlichen Verweildauer des Katheters nicht sinnvoll. Nachkontrollen Neben Ultraschalluntersuchungen mit Restharnmessung zur Kontrolle der Hämatomresorption und Normalisierung der Harnblasenentleerung sind bei leichten Blasenkontusionen keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Bei Zeichen einer Harnblasenentleerungsstörung kann die Durchführung einer Harnblasenmanometrie oder auch eine urodynamische Untersuchung erforderlich sein. Eine MCU ist bei sonographisch unklaren Befunden im Harnblasen- und Harnleiterbereich durchzuführen oder wenn eine normale Miktion über die Harnröhre nicht möglich ist.
26.3.2 Harnblasenruptur Ursache Man unterscheidet zwischen offenen und geschlossenen Verletzungen. Die offenen Blasenrupturen entstehen durch äußere Durchspießungen des Hohlorgans oder Berstungen infolge Schuss-, Stich- oder Pfählungsverletzungen. Beckenfrakturen mit Durchspießungen der Blasenwand durch Knochenteile gehören dagegen meist in die Gruppe der geschlossenen Verletzungen (Abb. 26.10). Bei ihnen unterscheidet man weiter zwischen intraperitonealen und extraperitonealen Rupturen (Brandes u. Borrelli 2001). Erheblicher Druck von Außen, wie er bei einem gezielten Schlag in den Unterleib oder infolge von Explosionen möglich ist, kann zu einer Berstung der Harnblasenwand führen.
Abb. 26.10. Beckenfraktur und Durchspießung der Harnblase durch Knochensplitter. Überrolltrauma durch Linienbus, 15-jähriges Mädchen. MCU mit Kontrastmittelaustritt aus der Blasenwandruptur in das Retroperitoneum
Klinik Intraperitoneale Rupturen zeigen eine vordringlich abdominelle Symptomatik mit Peritonitiszeichen und Ileusbild. Bei den extraperitonealen Blasenrupturen können sich die klinischen Zeichen deutlich abgeschwächt und nach längerer Latenz, z. T. schleichend, entwickeln. Palpable Unterbauchresistenzen infolge des Extravasates, dysurische Beschwerden mit Makrohämaturie und häufigem Harndrang bis hin zur Anurie stehen im Vordergrund. Schocksymptomatik mit zunehmender Urämie infolge der Ausscheidungsstörungen und Elektrolytentgleisungen stellen sich ein. Diagnostik Die Verdachtsdiagnose ergibt sich aus der Anamnese und den klinischen Erstsymptomen. Neben der Urinuntersuchung und Labortests (Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte und Blutbild) ist die Ultraschalluntersuchung essenziell für die Erstdiagnostik. Mit ihr lassen sich der Harnblasenfüllungszustand, intravesikale Konglomerate und Fremdkörper sowie extravesikale Flüssigkeitsansammlungen bzw. Raumforderungen beurteilen und gleichzeitig eine vorhandene Harntransportstörung des oberen Harntrakts erkennen. Eine konventionelle Röntgenaufnahme des Abdomens ohne Kontrastmittel im Stehen oder in Linksseitenlage als Notfalldiagnostik lässt 쐌 eine Spiegelbildung des Darms bei Ileus, 쐌 freie Luft unter dem Zwerchfell bzw. über der Leber bei perforierenden Abdominalverletzungen erkennen sowie 쐌 die Diagnose einer Beckenfraktur zu.
26.3 Harnblasenverletzungen
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Eine Kontrastmittel-CT des Beckens ergibt die genauere Lokalisation der Blasenverletzung und lässt sich mit der diagnostischen Beurteilung einer Beckenfraktur verbinden. Der obere Harntrakt mit dem Verlauf der Ureter kann ebenfalls beurteilt werden. Eine MCU-Untersuchung hat für die Diagnostik einen hohen Stellenwert. Das Legen eines transurethralen Katheters für die Untersuchung ist bei blasenhalsnahen Rupturen oder bei gleichzeitigen Urethraverletzungen kontraindiziert. Die suprapubische Blasenpunktion mit Kathetereinlage bietet neben der diagnostischen Nutzung in diesen Fällen auch den Vorteil der langfristigen Ableitung des Urins. Die MCU gibt neben dem Aufzeigen der Leckage wichtige Hinweise über die Beteiligung des Blasenhalses und der Harnröhre (Iverson u. Morey 2001). Therapie Kleinere Blasenlazerationen ohne sichtbare Fremdkörperdurchspießungen können bei Kindern häufig durch Legen einer suprapubischen Harnblasenableitung und eine unter Ultraschallkontrolle in das Extravasat eingebrachten Drainage konservativ beherrscht werden. Bei Blasendurchspießungen oder größeren Rupturen mit Ileuszeichen, Blutungen und drohendem Schock ist eine umgehende operative Versorgung notwendig. Neben der Hämatomausräumung und der Versorgung der Harnblasenwandverletzung durch zweireihige Nahttechnik, ist auf Zeichen etwaiger Begleitverletzungen im Retroperitoneum und intraabdominell zu achten. Eine vorhandene Beckenfraktur sollte in gleicher Sitzung stabilisiert werden. Der Retroperitonealraum muss anschließend mit Hilfe von großlumigen Drainagen (z. B. »Jackson drain«, »easyflow« usw.) versorgt werden. Die intravesikale Drainage erfolgt durch Einlage eines großlumigen suprapubischen Blasenkatheters. Komplikationen Wichtigste Komplikationen bei der Versorgung einer Blasenruptur sind intraoperative Verletzungen des Darms, der Harnleiter, der Samenleiter, der Blutgefäße und Nerven; außerdem Fistelbildungen von der Blase in das Retroperitoneum, nach intraabdominell oder zur äußeren Haut, und septische Komplikationen mit Urämie. Als Spätfolge einer Blasenverletzung wird die Entwicklung einer neurogenen Harnblasenentleerungsstörung angesehen. Nachkontrollen 3 Monate nach der operativen Versorgung und nach einem Jahr ist die Durchführung eines Ultraschalls der Harnblase und des oberen Harntrakts sinnvoll. Eine MCU-Kontrolle nach 6 Monaten ist nur bei unklaren Befunden in der Sonographie, nach Operationen an den Ureteren, nach Verletzungen des Blasenhalses oder der Urethra indiziert. Nach einem Jahr sollte eine videourodynamische Untersuchung durchgeführt werden,
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um allfällige Harnblasenentleerungsstörungen nachzuweisen.
26.3.3 Harnblasentamponade Eine Harnblasentamponade bezeichnet ein Ausfüllen des Harnblasenlumens mit Blut, Schleim oder Eiter mit daraus resultierender Harnentleerungsstörung. Ursache Bei Verletzungen und hämorrhagischen Entzündungen der Harnblasenwand oder Blutungen bei Nieren- und Harnleiterverletzungen können sich große intravesikale Koagel ausbilden, die den Blasenhals blockieren. Klinik Kurzfristig besteht eine Makrohämaturie, die von einem Harnverhalt gefolgt wird. Durch die starke Blasenfüllung mit dem intravesikalen Konglomerat und Urin kommt es zu extremen Schmerzen und Blasenspasmen. Die Blasenfüllung ist durch die Bauchdecke hindurch palpabel und bei den meisten Kindern sichtbar. Sie kann bis zur sekundären Ruptur des Organs führen. Diagnostik Die klinische Untersuchung und die Anamnese ergeben in den meisten Fällen die Verdachtsdiagnose. Im Ultraschall des Unterbauches findet sich die stark gefüllte Harnblase mit der intravesikalen Raumforderung und inhomogener Echogenität. Gelegentlich finden sich auch Sedimentationsphänomene bei abgekapselten, meist entzündlichen Prozessen. Die Ureter und die Nierenbecken können durch die Harnabflussstörung erweitert sein. Therapie Initial erfolgt bei einer Harnblasentamponade die Schmerzbehandlung, die bereits bei der Verdachtsdiagnose mit Spasmolytika und analgetischer Therapie begonnen werden sollte. Bei einem größeren intravesikalen Hämatom gelingt die Ausräumung des Konglomerats nur mit einer Vesikotomie (Sectio alta), da die Koagel die Schlauchdrainagen stets verstopfen. Bei kleineren Blutkoageln, eiweißreichem Wundsekret oder bei Schleim kann die Drainage durch großlumige suprapubische Katheter und gleichzeitige transurethrale Katheterisierung erfolgen. Die Blase kann durch die beiden Katheter zusätzlich mit physiologischer Kochsalzlösung gespült werden. Ist zur Hämatomausräumung eine Vesikotomie erforderlich, so können die beiden Ureter zusätzlich mit einem Ureterkatheter geschient und abgeleitet werden, um einer Harnstauung zu begegnen.
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
Komplikationen Die möglichen Komplikationen sind bestimmt durch die Ursachen der Tamponade. Risiken bestehen bei der Therapie durch mögliche Verletzungen der Blase, der Urethra, des Darms und von Blutgefäßen mit den Kathetern. Sekundäre Harnstauungen durch entzündliche Schleimhautschwellungen sind möglich, daher sollten die Katheter nie gleichzeitig entfernt werden. Aufsteigende Infektionen und Urosepsis sind beschrieben. Nachkontrollen Nachkontrollen mittels Ultraschall sind zur Verlaufsbeurteilung bei isolierter Blasentamponade bis zur völligen Ausheilung sinnvoll. Weitere Maßnahmen sind nur bei klinischer Symptomatik indiziert.
26.4 Verletzungen der Harnröhre 26.4.1 Harnröhrenprellung Ursache Harnröhrenprellungen sind vom Verletzungsmuster her häufig. In der Praxis sind ernsthafte Verletzungen aber selten (Abb. 26.11). Die Harnröhre in ihrem anterioren Anteil, also dem Bereich distal des Diaphragma urogenitale, verläuft dorsal der Symphyse nach distal. Durch Sturz auf einen harten Gegenstand (z. B. eine Fahrradstange oder Sattel), kann die Harnröhre gegen die Symphyse gedrückt und verletzt werden. Die beim Jungen die Harnröhre begleitenden Schwellkörper sind ebenfalls verletzungsgefährdet. Es kann zu einer so genannten Penisfraktur kommen (s. dort). Klinik Die meisten Harnröhrenprellungen sind leichter Natur und verursachen kaum Beschwerden. Brennen beim Wasserlassen und Mikrohämaturie sind die häufigsten Symptome. Der Druck auf den Dammbereich ist schmerzhaft. Es finden sich dort Prellmarken oder Hämatome. Bei mittelschweren bis schweren Prellungen kann das Hämatom sehr ausgeprägt sein und die Symptomatik entsprechend verstärken. Eine Makrohämaturie ist möglich; teilweise läuft das Blut als Sickerblutung aus der Urethra. Durch die Schwellung des Gewebes und die Schmerzen kommt es zum Harnverhalt und sekundärem Blasenhochstand. Skrotum, Penis oder Vulvabereich sind in die Schwellung mit einbezogen. Diagnostik In den meisten Fällen genügen die klinische Beurteilung des Genitale und die Prüfung der Miktionsfähigkeit. Eine Hodenverletzung muss immer ausgeschlossen werden. Bei stärkerer Schwellung des Genitale oder klinischer Symptomatik ermöglicht die Ultraschallunter-
Abb. 26.11. Prellung des äußeren Genitale mit oberflächlichen RissQuetsch-Wunden am Penis und Harnröhrenprellung bei einem 11jährigen Jungen. Hämatom am Skrotaleingang
suchung des Perineums, das Ausmaß des Hämatoms, Lufteinschlüsse in den Weichteilen als Hinweis einer möglichen Perforation der Vagina oder des Darms und das äußere Genitale (Hodenverletzung) zu beurteilen. Dies ist aber bei Kindern wegen der erheblichen Schmerzen nicht durchführbar. Eine retrograde Urethrographie weist eine evtl. vorhandene Harnröhrenlazeration nach. Bei Unsicherheiten bezüglich der Befunde muss eine MRT-Untersuchung oder eine Endoskopie von Harnröhre, Vagina und Darm erfolgen. Therapie Wichtigste Maßnahme bei einer Harnröhrenprellung ist die Analgesie. Ist eine Miktion nicht mehr möglich, so muss eine suprapubische Harnableitung erfolgen. Eine transurethrale Katheterisierung birgt die Gefahr einer Perforation. Intraurethral verabreichtes analgesierendes Kathetergel lindert die lokalen Beschwerden (Maßnahmen bei einer Harnröhrenruptur s. unten). Je nach Grad der Verletzung können die Schwellungen des periurethralen Gewebes mehrere Tage anhalten und eine normale Miktion verhindern. Die suprapubische Harnableitung verbleibt bis zur vollständig beschwerdefreien Miktion. Die Antibiotika werden nach der Katheterentfernung noch für weitere 2 Tage gegeben. Komplikationen Die wichtigste Komplikation einer Harnröhrenprellung ist die Ruptur. Andere Komplikationen betreffen das Auftreten von Harnröhrenstenosen und Entzündungen. Rupturen der Vagina und des Darms sind bei einfachen Prellungsverletzungen selten. Auf Zeichen der lokalen Infektion mit Ausbildung einer Phlegmone oder eines Abszesses ist zu achten. Nachkontrollen Bei mittelschweren und schweren Prellungsverletzungen sollte eine Uroflowmetrie und ggf. eine Zystoskopie
26.4 Verletzungen der Harnröhre
nach etwa 3–6 Monaten zum Ausschluss einer Urethrastenose oder Striktur erfolgen.
26.4.2 Harnröhrenruptur Ursache Harnröhrenrupturen treten in 10% der Fälle bei Beckenringfrakturen auf (Moore et al. 1992). Häufigste Ursachen sind Hochgeschwindigkeitstraumen oder Stürze aus größerer Höhe (Al Rifaei et al. 2001; Holland et al. 2001; Koraitim 1999). Bei Frakturen des Ramus pubis oder der Symphyse erfolgt die Ruptur beim Jungen meist in der Pars membranacea urethrae am Übergang zur Prostata (Abb. 26.12, A). Bei Beckenfrakturen haben Mädchen ein geringeres Risiko für eine Urethraruptur (Tarman et al. 2002). Eine Ruptur ist bei starken Prellungen der Dammregion oder des Penis möglich [Venn et al. 1999; Abb. 26.12 (B), Abb. 26.13] Iatrogene Ursachen wie unsachgemäßer Katheterismus stellen ebenfalls ein Risiko dar. Klinik Die Leitsymptome einer Beckenringfraktur wie Kompressionsschmerz des Beckens oder Instabilitäten zusammen mit Dysurie und/oder Hämaturie müssen zur weiteren Diagnostik einer eventuellen Harnröhrenbeteiligung führen. In den meisten Fällen findet man entsprechende Prellmarken am Körperstamm, die auf das mögliche Trauma hindeuten. Bei Urethraverletzungen durch Katheterismus stehen der Harnverhalt und die Dysurie mit einer unterschiedlich stark ausgeprägten Hämaturie im Vordergrund.
a
b
Abb. 26.12. Traumatische Harnröhrenverletzungen. A Urethraabriss Pars membranaceae. B Urethraruptur in Höhe der Pars pendulans urethrae
Diagnostik Der Nachweis einer Urethraruptur gelingt radiologisch am sichersten durch retrograde Kontrastdarstellung des Urethraverlaufs. Man findet ein Extravasat des Kontrastmittels am Ort der Leckage. Liegt die Ruptur unmittelbar unterhalb des Blasenhalses, so ist der sonographische Nachweis von subvesikaler, freier Flüssigkeit im Cavum Retzii (Spatium retropubicum) wegweisend. Letztere kann auch in der MRT nachgewiesen werden. Wurde beim primären Management ein suprapubischer Katheter in die Harnblase gelegt, so ist die Möglichkeit der Durchführung einer MCU gegeben. Therapie Eine Urethraruptur sollte rasch chirurgisch versorgt werden. Die temporäre Schienung der Urethra mit einem transurethralen Katheter ist möglich, birgt aber die Gefahr einer verbleibenden Urethrastenose oder Urethrastriktur. Antibiotische Behandlung und Analgesie sind obligat. Die Harnableitung erfolgt vorzugsweise über einen suprapubischen Blasenkatheter oder über die intraoperativ eingeführte Urethraschiene.
Abb. 26.13. Urethraruptur nach Sturz mit dem Skateboard auf die Regio perinealis. Retrograde Urethrographie. 15-jähriger Junge
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
Die Operationsmethode zur Versorgung einer Urethraruptur ist abhängig von deren Lokalisation und Ausmaß. Prinzipiell sind sowohl die primäre Urethranahttechnik als auch die Rekonstruktion mittels eines Urethra-Patches möglich (s. Abschn. 26.6). Komplikationen Rupturen der Urethra führen in einem hohen Prozentsatz zu einer Urethrastenose oder Striktur und damit zur subvesikalen Harnabflussstörung. Verletzungen der paraurethralen Gewebe und Nerven können zusätzliche Langzeitfolgen bezüglich der Funktion und Kontinenz haben. Nachkontrollen Nach erfolgter operativer Therapie und besonders nach konservativem Management muss eine Langzeitbetreuung mit regelmäßigen jährlichen Uroflow-Untersuchungen erfolgen. Bei reduziertem Harnfluss, postmiktionellem Harnträufeln, vermehrtem Pressen bei der Miktion, Restharnbildung, rezidivierenden Harnwegsinfekten oder dysurischen Beschwerden sollte eine Abklärung mittels Ultraschall, MCU, Videourodynamik und ggf. Zystoskopie erfolgen.
26.4.3 Harnröhrenabriss Ursache Unter einem Harnröhrenabriss versteht man die vollständige Kontinuitätsunterbrechung der Harnröhre. Man unterscheidet den supradiaphragmalen Urethraabriss (meist nach Überrolltraumen mit Beckenfraktur) vom infradiaphragmalen Abriss der Harnröhre (Hemal et al. 2000). Letzteren findet man nach Straddle-Traumen mit klassischem Schmetterlingshämatom im Gesäß- und Schambereich (Podesta u. Jordan 2001). Der Harnröhrenabriss erfolgt bei Beckenfrakturen durch eine Scherbewegung der frakturierten Beckenknochen mit der durch die Ligg. puboprostatica fixierten Prostata gegen die im Diaphragma urogenitale gelegene Pars membranacea der Urethra (Koraitim et al. 1996; Abb. 26.14 a,b). Die Ligg. puboprostatica können vollständig abreißen. Beim Jungen stellt die Pars membranacea die häufigste Stelle für einen Harnröhrenabriss dar. Weitere Ursachen können direkte Durchspießungen der Harnröhre durch die frakturierten Knochen sein. Iatrogene Urethraabrisse durch unsachgemäße Instrumentierung oder Untersuchungstechniken sind möglich, aber sehr selten.
Abb. 26.14. a Beckenringfraktur (Pfeile) mit Harnblasenverletzung bei einem etwa 10-jährigen Jungen. Röntgen-Beckenübersichtsaufnahme im Liegen. b Urethraabriss bei einem 10-jährigen Jungen. Verkehrsunfall. Antegrade und retrograde Kontrastmitteldarstellung der Blase und der Urethra. Beachte den nach ventral versetzten Blasenhals mit proximalem Urethraanteil (dicke Pfeile) und den nach dorsal versetzten distalen Urethraanteil mit Austritt von Kontrastmittel in das Gewebe (dünne Pfeile)
Klinik Es besteht nahezu immer eine Anurie und Extravasation von Urin und Blut ins Retroperitoneum (Urinom). Der Austritt von Blut aus dem Meatus urethrae ist möglich, kann aber auch fehlen. Bei der rektalen Untersuchung kann eine durch das Urinom oder Hämatom gebildete Vorwölbung retrovesikal tastbar sein. Die Prostata lässt sich evtl. nicht mehr an typischer Stelle palpieren, da sie zusammen mit der Harnblase aufgrund der Kontinuitätsunterbrechung und fehlenden Fixation nach kranioventral luxiert ist.
26.5 Verletzungen der äußeren Geschlechtsorgane
Diagnostik Beweisend für die Kontinuitätsunterbrechung der Harnröhre ist die retrograde und gleichzeitige antegrade Urethrographie über einen liegenden suprapubischen Harnblasenkatheter mit Nachweis eines Kontrastmittelabbruchs und Austritts von Kontrastmittel in das umliegende Gewebe (Baskin u. McAninch 1993; Brandes u. Borrelli 2001; Demetriades et al. 2003). Bei nach ventral ausgewandertem Blasenhals und fehlender Darstellung der Harnröhre ist von einer Ruptur unmittelbar distal der Prostata auszugehen. Im Ultraschall und in der MRT können die Beckenbodenmuskulatur und der Sphinkterapparat auf weitere Schädigung durch das Trauma untersucht werden. Gleichzeitige Verletzungen der Harnblase sind zu beachten. Therapie Bei polytraumatisierten Patienten erfolgt zunächst die adäquate Schockbehandlung. Ein suprapubischer Katheter in der Harnblase ermöglicht die Urinableitung und weitere Diagnostik. Die primäre Rekonstruktion der Urethra ist schließlich die Therapie der Wahl. Diese kann bei der Repositions- und Frakturbehandlung des Beckens durchgeführt werden und ermöglicht die Nutzung der erforderlichen Zugangswege, insbesondere zu den vorderen Schambeinästen. Nach suprapubischer Freilegung der Harnblase wird das Hämatom entleert und die Urethrastümpfe mit Einzelknopfnähten (z. B. Vicryl 5/0 oder 4/0) reanastomosiert. Eine transanastomotische Urethraschienung ist erforderlich. Kann der Patient nicht primär operativ versorgt werden, wird ein Ballonkatheter transurethral über die Diskontinuität hinweg in die Harnblase eingeführt und der im Blasenhals entfaltete Ballon unter kontinuierlichem Zug nach außen für 3 Wochen zur Adaptierung der Urethrastümpfe beibehalten. Gelegentlich ist zur Durchführung dieses Manövers die antegrade Zystoskopie durch die Zystostomie erforderlich, um den Blasenhals und die Pars prostatica der Harnröhre mit dem Zystoskop oder einem Bougie in die gewünschte Position zu bringen und die Urethraschienung zu ermöglichen (Podesta et al. 1997). Komplikationen Die häufigste Komplikation der kompletten Urethraruptur ist die Harnröhrenstriktur (Levine u. Wessells 2001; Upadhyaya u. Freeman 2002). Beim Misslingen der ordnungsgemäßen Adaptation und Reanastomosierung der Urethra können sich langstreckige Narben und Urethraatresien ausbilden, die wiederholte chirurgische Korrekturen erfordern. Wird die Anastomosierung der Urethra nicht zeitnah durchgeführt, bildet sich zwischen der Pars membranacea urethrae und der Pars prostatica eine dicke Narbenplatte aus. Die Prostata wird in der dislozierten Position narbig fixiert. Dies erschwert die späteren korrigierenden Eingriffe für die Reanastomosierung erheblich.
Nachkontrollen Nach Rekonstruktion der Urethra verbleibt die transanastomotische Schienung für 2–3 Wochen. Die in das Retroperitoneum eingelegte Wunddrainage wird entfernt, wenn nur noch wenig oder gar kein Sekret gefördert wird. Ein Antibiotikum wird für 3–4 Wochen verabreicht, bzw. bis 2 Tage nach Entfernung der Katheter. Uroflow-Untersuchungen und Ultraschalluntersuchungen der Harnblase mit Bestimmung des Restharns sind nach der operativen Korrektur halbjährlich zu empfehlen. Nach einem Jahr ist eine MCU-Untersuchung und ggf. eine Endoskopie der Urethra zum Ausschluss einer Narbenstriktur durchzuführen. Jährliche Langzeitkontrollen bis zum Erwachsenenalter oder bis zum 10. Jahr post Trauma sind zu empfehlen.
26.5 Verletzungen der äußeren Geschlechtsorgane Man unterscheidet 쐌 die Straddle-Verletzungen beim Mädchen und 쐌 die stumpfen Verletzungen des äußeren Genitale beim Jungen (Skrotum, Hoden und Penis). Immer muss bei diesen Verletzungen auch an eine Beteiligung der Harnröhre und beim Mädchen an eine Verletzung der Vagina gedacht werden (Eke 2001).
26.5.1 Penisprellung, Penisquetschung und Lazerationen Ursache Aufgrund der hohen Mobilität des Organs und der geschützten Lage zwischen den Oberschenkeln ist eine Verletzung in diesem Bereich bei Kindern eher selten. Eine Gefährdung des Penis ist jedoch bei einem direkten Aufprall auf das Genitale gegeben (Fahrradstange, Tritt in das Genitale). Der Penis wird zwischen dem Schambein und dem Prellungsgegenstand eingequetscht (vgl. Abb. 26.11). Verletzungsgefährdet sind die Harnröhre und die Schwellkörper (s. Abschn. 26.4). Die sehr elastische Penisschafthaut reißt dagegen nur bei Scherungsverletzungen ein. Verletzungen durch Sportunfälle kommen ebenfalls vor. Auch Überrolltraumen im Beckenbereich können erhebliche Quetschungen des Penis verursachen. Klinik Im Vordergrund steht bei der Symptomatik der Schmerz. Weitere Symptome sind lokale Hämatome oder bei den Lazerationen die offenen Hautwunden mit oder ohne Gewebedefekt. Bei massiven Quetschungen können große Anteile der beteiligten Gewebe nekrotisieren. Es besteht ein hohes Infektionsrisiko. Blutungen aus den Schwellkörpern führen zu rasch zunehmenden
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
z. T. monströsen Hämatomen. Fast immer besteht bei den stärkeren Verletzungen initial ein reflektorischer Harnverhalt. Er wird durch die unterschiedlich starke Schwellung der Weichteile noch verstärkt und kann dann mehrere Tage bestehen bleiben (Symptome bei Mitverletzung der Harnröhre s. Abschn. 26.4.2). Diagnostik Immer ist eine Harnröhrenverletzung auszuschließen (s. oben). Eine Ultraschalluntersuchung des Unterbauchs ist zum Nachweis von inneren Verletzungen durchzuführen. Bei Verdacht auf knöcherne Verletzungen des Beckengürtels ist eine Beckenübersichtsröntgenaufnahme erforderlich. Der weitere Ausschluss oder Nachweis von Begleitverletzungen des Beckenraums ist je nach klinischem Befund mittels CT oder MRT möglich. Besteht noch eine spontane Miktion, so ist der Urin auf das Vorhandensein von Blut zu untersuchen. Therapie Die Behandlung von Prellungen, Quetschungen und Lazerationen im Rahmen größerer Unfälle und Verletzungen im Beckenbereich ist oft erst nach der klinischen Stabilisierung des Patienten und der Versorgung lebensbedrohlicher Verletzungen möglich. Leichte Prellungen oder Quetschungen bedürfen in der Regel keiner therapeutischen Maßnahmen. Immer ist auf evtl. vorhandene Miktionsstörungen zu achten. Ausreichende Analgesie und bei Harnverhalt die Entlastung der Harnblase mit einem suprapubischen Blasenkatheter sind initiale Maßnahmen. Eine Katheterisierung der Harnröhre ist nur zulässig, wenn zuvor eine Harnröhrenverletzung sicher ausgeschlossen worden ist (Gefahr der Via falsa!). Bei Verletzungen der Schwellkörper ist eine sofortige chirurgische Intervention unumgänglich. Der Einriss in der Tunica albuginea wird hierbei chirurgisch verschlossen (Operationsbeschreibung s. Abschn. 26.5.2). Blutungen aus der Penisschafthaut oder der Subkutis werden mit einem leichten Kompressionsverband zunächst gestillt und können später chirurgisch durch Naht versorgt werden. Bei Ablederungen der Haut werden die offenen Stellen mechanisch gereinigt, desinfiziert und avitales Gewebe abgetragen. Die Hautdeckung kann entweder primär mit der umgebenen Haut des Pensischaftes und des Präputiums oder sekundär mit Hilfe von Spalthauttransplantaten erfolgen. Hautlappenplastiken aus dem Gebiet des Mons pubis sind aufgrund der Behaarung nicht günstig und nur im Ausnahmefall zu verwenden. Ist eine initiale Wunddeckung nicht möglich, so werden die offenen Stellen vorübergehend bis zur späteren plastisch chirurgischen Rekonstruktion mit sterilen Verbänden abgedeckt. Komplikationen Hauptgefährdungen gehen von den Begleitverletzungen im Unterbauch oder von Weichteilinfektionen aus. In
zweiter Linie sind bereits die Komplikationen bei Mitbeteiligung der Urethra zu nennen, wie z. B. Strikturen und Stenosen. Größere Gewebedefekte oder Weichteiltraumen können durch Narbenbildung zu Deformitäten des Penis führen. Bei Verletzungen der Nervenversorgung des Genitale ist spätere Impotenz möglich. Nachkontrollen Die klinischen Kontrollen nach erheblichen Prellungen oder Verletzungen im Genitalbereich sind abhängig von den primären Traumafolgen. Narbenbildung und mögliche Komplikationen der Urethra lassen sich frühestens nach 3–6 Monaten beurteilen. Gelegentlich ist die Durchführung einer Uroflowmetrie hilfreich.
26.5.2 Penisfraktur und penetrierendes Penistrauma Ursache Bei einer Penisfraktur handelt es sich um eine Ruptur der Tunica albuginea und des Corpus spongiosum des Penis. Die Ursachen sind in den meisten Fällen plötzliche, brüske Biegungen des erigierten Penis im Rahmen des Geschlechtsverkehrs oder sonstiger sexueller Handlungen. Sie sind daher hauptsächlich Verletzungen des sexuell aktiven Jugendlichen oder Erwachsenen. Verletzungen der Tunica albuginea bei Überrolltraumen, landwirtschaftlichen Unfällen, Tier- und Menschenbissen, Einklemmungen und durch Waffen kommen vor. Klinik Verletzungen der Schwellkörper führen zu erheblichen Blutungen in die Weichteile mit birnenförmiger Schwellung und Hämatomverfärbung. Die Harnröhre wird komprimiert, und es kann zum Harnverhalt kommen. Bei offenen Verletzungen können erhebliche Blutverluste eintreten. Klinisch im Vordergrund stehen Schmerzen. Blutiger Ausfluss aus der Harnröhre oder Hämaturie lassen eine gleichzeitige Verletzung der Urethra vermuten. Diagnostik Anamnese und Befund ermöglichen bereits die Diagnose. Nur selten lassen sich die Gewebedefekte in der Tunica albuginea von außen tasten, können dann allerdings auch im Ultraschall verifiziert werden. Cavernosogramme sind entbehrlich und haben bis zu 27% falsch-negative Ergebnisse (Mydlo et al. 2002). Die intraoperative Auffüllung der Schwellkörper mit Kochsalzlösung ist dagegen ungleich sensitiver. Hiermit sind auch kleinere Defekte sicher nachzuweisen. Eine Harnröhrenverletzung muss mittels retrograder Urethrogra-
CAVE
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26.5 Verletzungen der äußeren Geschlechtsorgane
phie, antegrader MCU über einen suprapubischen Katheter oder durch eine Urethrozystoskopie ausgeschlossen werden. Therapie Liegt keine Harnröhrenverletzung vor, wird die Urethra mit einem altersgemäßen Harnröhrenkatheter geschient und gleichzeitig die Harnableitung gewährleistet. Kompressionsverbände und Kühlung des Bereichs mit Eispacks unter Antibiotikaschutz und Antiphlogistika ermöglichen eine konservative Therapie. Die Behandlungsdauer liegt aufgrund der nur langsam erfolgenden Resorption des Hämatoms bei mehr als 2 Wochen. Mit der operativen Therapie lässt sich der Klinikaufenthalt auf etwa eine Woche deutlich verkürzen. Das Behandlungsprinzip besteht in der Ausräumung des Hämatoms und dem Nahtverschluss des Defektes in der Tunica albuginea. Operationsverfahren Nach dem Legen eines transurethralen Katheters wird an der Penisbasis ein Tourniquet zur Blutstillung angelegt. Die Penisschafthaut wird etwa 0,5–1 cm proximal des Sulcus coronarius inzidiert (Bei nicht zirkumzidierten Patienten erfolgt die Inzision im Bereich des inneren Präputialblattes!). Das Präputium und die Penisschafthaut werden zirkulär vom Penisschaft nach proximal abgeschoben und das Hämatom entfernt. Durch Auffüllen der Corpora cavernosa mit physiologischer Kochsalzlösung bei angelegtem Tourniquet lässt sich die genaue Lage des Gewebedefekts in der Faszie des Schwellkörpers ausmachen. Nach Darstellung des Einrisses in der Tunica albuginea wird dieser mit 2/0 oder 3/0 resorbierbarem Nahtmaterial und introvertierenden Einzelknopfnähten verschlossen. Es ist unbedingt auf das jeweilige Gefäß-Nerven-Bündel am Dorsum penis zu achten! Die Subkutis wird über den Defekt ausgespannt und mit 6/0 resorbierbarem Nahtmaterial verschlossen. Die Nahtreihe der Subkutis sollte nicht auf der Nahtreihe der Tunica albuginea zu liegen kommen. Die Penisschafthaut wird mit 5/0 Vicryl rapid am subkoronaren Hautrand adaptiert. Der Harnröhrenkatheter verbleibt für 7 Tage. Ein lockerer Verband mit Salbengaze ist ausreichend. Komplikationen Penisdeformitäten durch Hernierung des Gewebes oder durch schlecht resorbierte Hämatome, Schmerzen bei der Erektion, Impotenz und arteriovenöse Fisteln kommen überwiegend als Folge der konservativen Therapie vor. Wundinfektionen sind selten. Verletzungen der Gefäß-Nerven-Bündel des Dorsum penis sind bei der operativen Therapie möglich. Prognose Die Verletzung hat insgesamt eine sehr gute Prognose. Langzeitfolgen sind bei Wundinfektionen oder bei Ver-
letzungen des Gefäß-Nerven-Bündels möglich. Eine klinische Kontrolle ist diesbezüglich nach 6 Monaten sinnvoll.
26.5.3 Traumatische Penisamputation Ursache Traumatische Penisamputationen im Kindesalter sind selten. Als Ursache kommen in erster Linie Unfälle und Explosionstraumen insbesondere in Kriegsgebieten in Betracht. Daneben können Amputationen auch bei rituellen Beschneidungen oder medizinischen Zirkumzisionen vorkommen. Klinik Durch die Penisamputation kommt es zu Blutungen aus den durchtrennten Corpora cavernosa und Gefäßen. Aufgrund der Schmerzen und der Begleitumstände im Rahmen von Unfällen oder Explosionen sind die Kinder im Schockzustand. Weitere Verletzungen wie z. B. Beckenfrakturen, innere Verletzungen oder Verbrennungen sowie Muskel-Weichteil-Schäden sind häufig. Der Penisschaft und das Genitale können ganz oder nur teilweise einbezogen sein. Bei den Amputationen im Rahmen von Zirkumzisionen sind in erster Linie die Glans und der distale Penisschaft betroffen. Diagnostik Die Diagnostik erfolgt durch eine subtile Inspektion des verletzten Areals. Die Amputationsebene, die Art der Amputation (Schnitt-, Riss- Berstungsverletzung) und die Gewebebeschaffenheit sowie der Verschmutzungsgrad werden bestimmt. In jedem Fall sollte nach dem Amputat gesucht werden. Bei Unfall- oder Explosionsopfern müssen Verletzungen anderer Organe oder der Weichteile ausgeschlossen werden. Therapie Die primäre Therapie ist die Behandlung des Schockzustandes und der Schmerzen. Gegebenenfalls müssen die erheblichen Blut- und Flüssigkeitsverluste ausgeglichen werden. Die Blutung wird zunächst durch einen Druckverband kontrolliert und behandelt. Die definitive Therapie erfolgt als Notfalleingriff durch Replantation des Organs mit mikrochirurgischen Techniken sobald der Zustand des Patienten es zulässt. Operationsverfahren Die Gefäße werden unter dem Operationsmikroskop mit 10/0-Nähten anastomosiert und die Schwellkörper mit 4/0 resorbierbaren Nähten adaptiert. Die Anastomosierung der Urethra erfolgt mit 6/0 resorbierbaren Nahtmaterialien, und eine transanastomotische Urethraschienung und Harnableitung werden eingelegt.
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
Für die Replantation ist die Beschaffenheit und die Vorbereitung des Amputats von entscheidender Bedeutung. Das Amputat und evtl. vorhandene Hautreste sind daher vom Unfallzeitpunkt bis zur Replantation in 4°C kaltem Eiswasser einzulegen und zu transportieren. Es darf zu keinem direkten Kontakt des Amputats mit dem Eis kommen wegen der Gefahr von Erfrierungsschäden am Gewebe. Replantationen des Penis mit mikrochirurgischen Techniken haben bezüglich der Funktion und Kosmetik eine gute Prognose und sollten unbedingt angestrebt werden. Bei nichtreplantierbaren Organen werden die Blutungen aus den Corpora durch Setzen von Ligaturen gestillt und Teile der verbliebenen Penisschafthaut zur Deckung der Amputationsfläche verwendet. Die Urethra wird dabei ringförmig mit dem neuen Meatus in die Penisschafthaut eingenäht. Komplikationen Hauptkomplikationen bei der Penisamputation sind Infektionen durch verschmutzte Wunden, die Striktur der Urethra im Bereich der Anastomose und Impotenz durch die begleitenden Nervenverletzungen.Abstoßung und Ischämie des Replantats kommen vor. Nachkontrollen Langzeitkontrollen und die Betreuung der betroffenen Patienten sind aufgrund der psychischen und organischen Schäden angezeigt. Bei nichtreplantierten Organen sind nach der Abheilung der Primärverletzungen und nach psychischer Stabilisierungsphase rekonstruktive Eingriffe mit dem Patienten zu erörtern.
a
b Grad I Kontusion
Grad II Ruptur mit Parenchymprolaps undHämatozele
26.5.4 Hodenquetschung, Hodenprellung und Hodenkapselruptur Ursache Bei den Hodenverletzungen unterscheidet man in den Schweregraden 쐌 쐌 쐌 쐌
Kontusion (Grad I), Ruptur der Hodenhüllen (Grad II), Fraktur des Parenchyms (Grad III) und Hodenfragmentation (Grad IV)
(Sauvage et al. 1988; Abb. 26.15 a–d). Die Verletzungen entstehen durch ein Anpralltrauma beim Spiel und Sport (Fahrradstange, Stoßverletzung) oder infolge von Raufhandlungen (Fußtritte, Schläge; Wan et al. 2003). Unfälle im Straßenverkehr mit Überrolltraumen sind ebenfalls von Bedeutung. Penetrierende Verletzungen kommen als Pfählungsverletzungen, Stich- oder Schusswunden vor. Abscherverletzungen der Skrotalhaut können in Ausnahmefällen auch die Hoden betreffen (über begleitende Verletzungen der Urethra und des Penis s. Abschn. 26.4 und 26.5.1). Klinik Die Hodenquetschungen oder -prellungen sind stark schmerzhaft. Die Schmerzen strahlen oft in den Unterbauch aus. In der Akutphase können Übelkeit und Erbrechen auftreten. Es kommt zu einer Schwellung der Hoden unterschiedlicher Ausprägung mit Skrotalhämatom. Durch die Schwellung des Skrotums sind die Hoden palpatorisch gelegentlich nur schwer abgrenzbar.
c
d Grad III Fraktur des Hodens Hämatozele
Grad IV Fragmentation mit Hämatozele
Abb. 26.15 a–d. Klassifikation des Hodentraumas. a Grad I: Kontusion. b Grad II: Ruptur mit Parenchymprolaps und Hämatozele. c Grad III: Fraktur des Hodens, Hämatozele. d Grad IV: Fragmentation mit Hämatozele
26.5 Verletzungen der äußeren Geschlechtsorgane
Diagnostik Neben der klinischen Untersuchung ist die Sonographie das entscheidende Untersuchungsverfahren. Mit ihr lässt sich eine Hodenverletzung mit oder ohne Kapselverletzung am schnellsten beurteilen (Lewis u. Mitchell 1991; Micallef et al. 2001). Mit Hilfe der Farbdoppleruntersuchung kann über die Parenchymdurchblutung (ggf. im Seitenvergleich) Aussagen gemacht werden (Abb. 26.16). Bei Kleinkindern ist dies gelegentlich schwierig und bedarf entsprechender Erfahrung. Die Dopplersonographie sollte anfänglich mehrfach wiederholt werden, da die Schwellung des Parenchyms in den ersten Stunden zunimmt und die Hodendurchblutung dadurch abnimmt (Gefahr des Hodenkompartmentsyndroms). Die MRT-Untersuchung ist besonderen Fragestellungen vorbehalten. Therapie Die einfache Hodenquetschung oder -prellung wird konservativ symptomatisch behandelt. Ruhigstellung und ggf. ein Suspensorium für etwa 2 Wochen sowie eine ausreichende Analgesie und lokale Kühlung sind erforderlich. Präparate wie Ibuprofen, die gleichzeitig eine entzündungshemmende Wirkung aufweisen, werden unterstützend verordnet. Bei einer Hodenkapselruptur oder fehlender Hodendurchblutung ist die Hodenfreilegung obligat (Haas et al. 1999). Nach Ausräumung des Hämatoms erfolgt die lockere Kapseladaptation mit resorbierbarem Nahtmaterial, wenn dies ohne Spannung der Naht möglich ist. Eine Drainage in das Skrotum wird für 2–3 Tage eingelegt. Bei mittelgradigen und schweren Genitalverletzungen oder bei offenen Wunden ist eine antibiotische Prophylaxe notwendig.
Bei unklarem Befund der Hodendurchblutung muss das Skrotum operativ exploriert werden. Ist der Hoden nicht mehr durchblutet, oder muss er aus anderen Gründen entfernt werden, so wird der verbleibende Testikel prophylaktisch mit 2 versetzten, resorbierbaren Nähten (z. B. Vicryl 4/0) im Skrotum an der Tunica Dartos fixiert, um einer Hodentorsion vorzubeugen. Die Orchiektomie erfolgt durch separate Ligatur der Hodengefäße und des Ductus deferens im Inguinalkanal. Komplikationen Als Komplikationen eines Hodentraumas findet man Hämatome des Hodenparenchyms, Hämatozelen, Hodeninfarkte, Hodenwachstumsstörungen (Hypoplasie), Hodenatrophie, Orchitis, Epidymitis, Skrotalphlegmone und Infertilität (Cross et al. 1999). Nachkontrollen Ultraschalluntersuchungen nach 6–12 Monaten geben Hinweise über Vernarbungen und dauerhafte Parenchymschädigungen nach einem Trauma. Nach Abheilen der Wunde und frühestens nach 6–12 Monaten kann bei orchiektomierten Patienten eine Hodenprothese in das Skrotum eingesetzt werden, um den normalen äußeren Aspekt wieder herzustellen. Dies ist insbesondere für Kinder wichtig, da sie sonst häufig Hänseleien oder Ausgrenzungen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Über diese Möglichkeiten sollten mit den Eltern und möglichst auch mit den betroffenen Kindern frühzeitig Gespräche geführt werden.
26.5.5 Straddle-Verletzungen beim Mädchen Ursache Die Straddle-Verletzung ist die häufigste Verletzung des äußeren Genitale beim Mädchen. Sie entspricht einer starken Prellung durch einen Sturz mit dem Genitalbereich auf einen stumpfen Gegenstand (Klettergerüststange, Fahrradlenker, Spielzeug, Baumäste, Badewannenrand usw.; Scheidler et al. 2000). Klinik Der Grad der Straddle-Verletzungen reicht 쐌 von kleineren Rötungen der Haut und Schleimhaut mit und ohne Abschürfungen, 쐌 über starke Schwellungen der Weichteile mit erheblichen Hämatomen bis hin zu 쐌 Weichteilverletzungen mit tiefen Riss-Quetsch-Wunden und Verletzungen der Vulva, des Scheideneingangs, der distalen Harnröhre und des Perineums Abb. 26.16. Hodenhämatom nach Trauma. 12-jähriger Junge. Sonographiebefund
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(Abb. 26.17 a,b; vgl.Abb. 26.8 a,b).Auch der Dammbereich mit dem Sphincter ani externus kann betroffen sein. Bei tieferen Verletzungen kommt es meistens zu stärkeren Blutungen aus den in der Subkutis verlaufenden Ästen der A. und V. pudendi externa und interna. Die Region um die Klitoris ist fast immer mit betroffen und führt zu erheblichen Schmerzen beim Gehen und Brennen beim Wasserlassen. Die Kinder neigen daher zum reflektorischen Harnverhalt. Platzwunden der Labien sind häufig. Anfänglich imponieren die Verletzungen durch stärkere Blutungen aus dem Subkutangewebe, die aber meistens rasch durch Verklebung von selbst sistieren. Bei geringem Trauma ist eine subtile Inspektion der Anogenitalregion für die Diagnostik meist ausreichend. Da insbesondere kleinere Kinder diese Inspektion aber aus Angst oder wegen der Schmerzen nicht zulassen, die Anamnese nicht immer zweifelsfrei erhoben werden kann und immer auch eine Harnröhrenbeteiligung ausgeschlossen werden muss, führen wir diese Untersuchung immer in Narkose und Steinschnittlage durch. Beim geringsten Verdacht auf eine Harnröhrenbeteiligung oder Verletzung der Scheide sollte die Untersuchung durch eine Urethroskopie bzw. Vaginoskopie ergänzt werden (Merrit 1999). Bei unklarem Unfallhergang muss ein sexueller Missbrauch ausgeschlossen werden (Greaney u. Ryan 1998). In diesen Fällen werden Abstriche auf Clamydien und Spermien entnommen.Wenn möglich ist eine medizinische Fotodokumentation auffälliger Befunde durchzuführen. Therapie Oberflächliche Riss-Quetsch-Wunden werden lokal mit entzündungshemmenden Salben oder Cremes (z. B. Be-
Abb. 26.17. a Typische Prellungsverletzung des weiblichen Genitale (5 Jahre) durch Sturz auf eine Klettergerüststange. Schwellung und Hämatom der Labia minora und von Anteilen der Labia majora, geringes Ödem des Meatus urethrae. Konservative Therapie. b Riss-Quetsch-Wunden der großen Labien beidseits nach Sturz mit dem Genitale auf den Badewannenrand. Operative Versorgung durch Naht
panthen, Baneocin) mehrmals täglich behandelt. Die Salben vermindern zusätzlich die Beschwerden bei der Miktion, da sie den Kontakt von Urin zur verletzten Haut- und Schleimhaut reduzieren. Bei größeren Verletzungen der Schleimhaut oder Beteiligung der Region des Meatus urethrae oder der Harnröhre selbst ist die Einlage eines transurethralen Harnblasenkatheters für einige Tage sinnvoll, um die Harnentleerung und die Pflege zu erleichtern. Tiefere Schleimhautverletzungen der Vulva werden durch adaptierende Einzelknopfnähte mit resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. 6/0 Vicryl rapid) versorgt. Vorhandene Blutungsquellen werden ligiert oder umstochen. Die Verwendung des Elektrokauters im Bereich der Harnröhrenmündung sollte unterbleiben. Für die diagnostische Urethrozystoskopie verwendet man bei Kindern 30°-Winkel-Zystoskope der Größen 6–14 Charr mit Spül- und Arbeitskanal. Große Hämatome sind bei Kindern selten. Wenn sie inzidiert werden müssen, sollte eine Drainage für 24–48 Stunden eingelegt werden. Nachkontrollen Ein Harnkatheter wird nach Abklingen der Akutschwellung wieder entfernt. Die Salbenbehandlung erfolgt bis zum vollständigen Wundschluss. Kamillesitzbäder, 1–2 pro Tag, zur Entfernung der alten Salben- und Sekretreste unterstützen die Heilungsphase. Mechanische Irritationen, Druck auf das Verletzungsgebiet und insbesondere Fahrradfahren sind für 1–2 Wochen zu meiden. Kurzfristige Wundkontrollen zum Ausschluss von Sekundärinfektionen sind zu empfehlen. Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika ist meist entbehrlich (zum Vorgehen bei Harnröhrenverletzungen s. Abschn. 26.4).
26.5 Verletzungen der äußeren Geschlechtsorgane
26.5.6 Pfählungsverletzungen und Verletzungen durch Stich- und Schusswaffen Ursache Im Kindesalter treten Pfählungsverletzungen am häufigsten bei Spielunfällen auf. Das Überklettern spitzer Zäune oder Stürze von Bäumen sind die häufigsten Ursachen. Verletzungen durch sexuellen Missbrauch müssen immer ausgeschlossen werden (Kadish et al. 1998). Messerstichverletzungen oder Schusswunden sind in Europa glücklicherweise selten (Armenakas et al. 1999; Ersay u.Akgün 1999; Velmahos et al. 1998).Verletzungen durch instrumentelle Manipulationen oder durch sexuelle Handlungen im Anogenitalbereich sind im Kindesalter selten (Öztürk et al. 2002). Klinik Die Klinik richtet sich nach den betroffenen Organ- und Körperregionen. Bei äußeren Schuss- oder Stichverletzungen ab etwa Höhe Xiphoid des Sternums bzw. Brustwirbelkörper 11/12 muss auch an eine Verletzung der Nieren und der ableitenden Harnwege gedacht werden (Wessels et al. 1997). Bei schrägem Stich- oder Schusskanal oder durch Ablenkung des jeweiligen Projektils im Körper selbst können die äußeren Wundflächen noch weiter von dem verletzten Organ entfernt gelegen sein. Pfählungsverletzungen betreffen in erster Linie den Abdominalbereich und das Anogenitale. Die in der jeweiligen Umgebung gelegenen Organe und Strukturen können einzeln oder kombiniert betroffen sein. Entsprechend sind bei der Diagnostik alle diese Strukturen im Einzelnen auf ihre Integrität hin zu überprüfen. Die klinischen Symptome können sich erst im Verlauf von Stunden entwickeln oder, wie z. B. bei Gefäßverletzungen, durch die Blutungen zum raschen Kreislaufschock führen. Urinextravasate aus Niere, Ureter oder Harnblase zeigen meist eine schleichende Befundverschlechterung mit zunehmenden Schmerzen und steigenden Entzündungszeichen (Fieber, Labor). Eine Hämaturie kann initial fehlen. Verletzungen des Dünndarms, Kolons oder des Rektums führen zur Peritonitis bei intraabdomineller Ausbreitung oder zu pararektalen und retroperitonealen Entzündungen, wenn die Bauchhöhle selbst nicht betroffen ist. Darmmotilitätsstörungen mit Ileuszeichen sind als Folge der Entzündung nicht selten. Bei Verletzungen der Vagina können sich Entzündungen entlang der Organstruktur im Beckenbodenbereich und retroperitoneal ausbreiten. Diagnostik Neben den üblichen Serum- und Blutparametern zur Erfassung von Entzündungszeichen, Hb-Abfall und Elektrolytverschiebungen ist die Harnanalyse für den Nachweis einer Hämaturie erforderlich. Letztere sollte entweder als Mittelstrahlharn spontan gewonnen wer-
den oder nach sonographischer Kontrolle durch suprapubische Punktion. Ist eine Urethraverletzung auszuschließen, kann ein transurethraler Katheterharn gewonnen werden. Nach der klinischen Untersuchung erfolgt die bildgebende Diagnostik mit Sonographie des Abdomens und Retroperitoneums, Abdomenübersichtsröntgenaufnahme im Stehen oder in Patientenseitenlage links und eine Kontrastmittel-CT des Abdomens und des Beckens. Zum Ausschluss einer Urethraverletzung ist ggf. eine retrograde oder antegrade Urethrographie anzuschließen. Verletzungen der Vagina und des Rektums bedürfen der direkten klinischen Inspektion. Falls nicht bereits in der CT sicher nachzuweisen oder auszuschließen, muss bei Verdacht auf Ureterverletzung eine IVP durchgeführt werden. Vaginaler und rektaler Ultraschall bleiben speziellen Fragestellungen vorbehalten. Therapie Das Vorgehen bei Verletzungen durch Pfählung oder Waffenkontakt erfolgt sehr individuell. Grundsätzlich ist bei allen inneren Verletzungen dieser Art eine operative Exploration des Stich-, Schuss- oder Pfählungskanals angezeigt. Bei Verletzungen des Peritonealraums sollte eine Laparotomie erfolgen. Bei der Beteiligung des Darms oder der Vagina ist zur Infektionsprophylaxe frühzeitig eine breite antibiotische Therapie gegen aerobe und anaerobe Keime zu beginnen. Dies gilt auch bei Verletzungen anderer Organe wie Niere, Ureter oder Harnblase. Eine suffiziente Harnableitung durch einen suprapubischen Katheter ist notwendig. Das chirurgische Management folgt den Standardprinzipien in der Chirurgie: Ausdehnung der Verletzungen festlegen, Entfernen von Nekrosen oder Fremdkörpermaterialien, Blutstillung; anatomiegerechte Rekonstruktion der Organe, ggf. Anlage eines Anus praeter, Spülung und Drainage der Wundhöhlen, Antibiotikaschutz und Gewährleistung des Tetanusschutzes. Komplikationen Die häufigsten Komplikationen sind Nachblutungen und Infektionen des Abdomens und des Retroperitoneums. Insbesondere der Keimeintrag durch die Stichwaffe oder den Pfählungsgegenstand selbst bedeutet eine große Infektionsgefahr. Bei gleichzeitiger Verletzung des Darms steigt die Infektionsrate deutlich an. Durch Verletzungen der harnableitenden Organe oder deren operative Rekonstruktionen kommen Stenosen, Anastomoseninsuffizienzen oder Harnfisteln vor. Nach Verletzungen von Gefäßen sind Durchblutungsstörungen mit Funktionsverlust des betroffenen Organs möglich. Nachkontrollen Nachkontrollen betreffen die Funktionsüberprüfung der verletzten Organe und müssen individuell dem Verletzungsgrad angepasst werden. Grundsätzlich bietet die Sonographie eine gute Möglichkeit der raschen
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind
Überprüfung von Harnabflussstörungen im oberen Harntrakt und zum Ausschluss von Extravasaten. Funktionsüberprüfungen der Nieren selbst sind mit der Szintigraphie durchzuführen.
rückseite werden 2 Haltenähte an der vermutlichen Basis des Flaps im Abstand von etwa 3–4 cm gesetzt und die Harnblase nach ventral U-Haken-förmig eröffnet. Die Länge der Seitenlinien des Flaps entspricht dabei der benötigten Distanz zum Ureter plus der erforderlichen Tunnellänge für den Harnleiter von etwa 3–4 cm.
26.6 Operative Zugangswege und Methoden Psoas-Hitch und Boari-Flap Indikation. Der Boari-Flap dient der Neuimplantation eines verkürzten Harnleiters (z. B. bedingt durch traumatische Ruptur oder langstreckige Stenose) in die Harnblase. Zugang. Der Zugang erfolgt in Rückenlage des Patienten. Die Harnblase wird mit einem transurethralen oder suprapubischen Blasenkatheter mit physiologischer Kochsalzlösung aufgefüllt und operativ freigelegt (s. unten, »Zugangswege zur Harnblase«). Die Harnleiter werden angeschlungen und der Ureterdefekt exzidiert. Das Volumen in der Harnblase wird nun auf etwa die Hälfte reduziert und die Harnblasenwand nach kranial hinüber zur betroffenen Seite auf den M. psoas gezogen. Erreicht die Blasenumschlagfalte das distale Uretersegment ohne große Spannung, so reicht im Allgemeinen die Fixierung der Harnblase auf dem Muskel und die Neuimplantation des Ureters in der Blasenhinterwand zur Rekonstruktion aus (Psoas-Hitch). In diesem Fall wird die Harnblasenhinterwand entlang des M. psoas mit mehreren kräftigen Nähten am sehnigen Muskelansatz nach kranial fixiert. Zwischen 2 Haltefäden wird die Blasenvorderwand gehalten und quer eröffnet. Die Inzision wird in Längsrichtung gedehnt und so eine Blasenwandausziehung entlang des Psoas gebildet. An der ausgewählten Stelle für das Neoostium wird die Blasenschleimhaut inzidiert und die Schleimhaut nach kranial untertunnelt. Die Länge des Tunnels sollte je nach Alter des Kindes etwa 3–4 cm betragen (etwa 5bis 7-mal der Ureterdurchmesser). Am kranialen Tunnelende wird die Blasenwand schräg durchstoßen und der Ureter mit Hilfe von Haltefäden in diesen hineingezogen. Das Ende des Ureters wird in die Blasenschleimhaut zirkulär mit Einzelnähten fixiert.An der Uretereintrittsstelle in die Blasenwand werden ebenfalls 3–4 Nähte am Ureter gesetzt, um ein Zurückziehen des Ureters aus dem Schleimhauttunnel zu verhindern. Auf einen geraden Verlauf des Ureters auf dem Weg in die Blase ist unbedingt zu achten. Die Ureterostien beider Seiten werden mit je einem Ureterkatheter geschient und nach außen durch die Bauchdecke abgeleitet. Die Blase wird anschließend mit zweireihiger Naht in Längsrichtung verschlossen. Reicht der Psoas-Hitch für eine Neuimplantation nicht aus, verwendet man den Boari-Flap (Abb. 26.18 a–c). Die Harnblase wird wie beim Psoas-Hitch am M. psoas mit mehreren Nähten fixiert. An der Blasen-
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b Abb. 26.18 a–c. Ureterozystoneostomie mit Boari-Flap. a Blasennahe Ureterruptur und markierte Schnittführung an der Harnblase für den Boari-Flap. b Präparierter Blasenlappen mit Basis an der dorsalen Blasenwand und antirefluxive Implantation des Ureters an der Spitze des Boari-Flaps in einem submukösen Tunnel. c Tubularisierung des Blasenlappens und Fixierung am M. psoas
26.6 Operative Zugangswege und Methoden
Hierbei sollte von kaudal nach kranial vorgegangen werden, um das Peritoneum nicht zu eröffnen. Ein Bauchdeckensperrer wird eingesetzt. Das Bauchfell kann nun von der Harnblase und von der seitlichen Bauchwand abgeschoben werden, und der Ureter wird in Höhe des Kreuzungspunktes über den Iliakalgefäßen bzw. vor dem M. psoas aufgesucht und angeschlungen. Er kann nun in seinem Verlauf bis zum Übergang zum nierennahen Drittel dargestellt werden. Muss auch dieser Anteil des Harnleiters exploriert werden kann die Inzision beliebig erweitert werden. Beim transabdominellen Zugang wird der Bauchraum eröffnet und das Peritoneum entlang des lateralen Kolonrandes durchtrennt. Das Kolon wird nun nach medial abgeschoben und die Ureter aufgesucht und angeschlungen. Bei der blasennahen Präparation der Ureter ist beim Jungen auf die Samenleiter zu achten. Die Blutgefäße zu den Gonaden sind zu schonen.
c Abb. 26.18 c.
Das freie Ende des Flaps hat dabei eine Breite von etwa 3 cm (etwa 4-fache Breite des Ureters) für die erforderliche Implantation und Tubularisierung. Die Mukosa des Flaps wird etwa 4 cm zentral des Blasenlappens inzidiert und in die Richtung des freien Endes untertunnelt. Der Ureter kann nun entsprechend dem o. g. Verfahren für den Psoas-Hitch neoimplantiert werden. Der Flap wird anschließend tubularisiert und zweischichtig zu einer kegelförmigen Ausziehung der Blase genäht und nochmals am M. psoas angeheftet. Der Blasenverschluss erfolgt entsprechend dem Verfahren beim Psoas-Hitch. In die Harnblase wird ein großlumiger suprapubischer Katheter (Pezzer-Katheter) zur Urinableitung eingelegt und fixiert. Die Ureterkatheter werden ebenfalls durch die Bauchwand ausgeleitet und fixiert. Zugangswege zum Ureter Der distale Ureter kann durch die Zugangswege zur Harnblase gut dargestellt werden (Inzision nach Pfannenstiel s. dort). Bei unklarer Ausdehnung der Ureterverletzung (evtl. auch beidseits) empfiehlt sich der Zugang über eine mediale Unterbauchinzision, die sowohl transabdominal als auch extraperitoneal weitergeführt werden kann. Eine pararektal nach kranial verlängerte, Hockeyschläger-förmige Hautinzision im Unterbauch ist ebenfalls möglich und bietet eine gute Darstellbarkeit und Übersicht über den Harnleiter der betroffenen Seite bei eingeschränkter Beurteilbarkeit der Gegenseite. Beim medialen Unterbauchzugang wird die Haut vom Nabel bis zur Symphyse in der Mittellinie inzidiert und die Subkutis durchtrennt. Die Bauchdeckenfaszie wird dargestellt und in der Linea alba längs eröffnet.
Zugangswege zur Harnblase Standardzugang zur Harnblase ist die Inzision nach Pfannenstiel. Die quere Inzision der Haut erfolgt oberhalb der Symphyse in einer Hautfalte über etwa 2 Drittel der dort vorliegenden Breite des Beckens. Die Harnblase wird zuvor über einen Harnkatheter mit physiologischer Kochsalzlösung gut aufgefüllt und ist durch die Bauchdecke palpabel. Das Becken wird mit einer Schaumstoffrolle unterstützt, sodass der Unterbauch leicht überstreckt wird und den höchsten Punkt des Körpers bildet. Nach der Haut wird das Subkutanfett mit der Diathermie durchtrennt und die Rektusfaszie dargestellt. Nach Pfannenstiel wird die Faszie quer eröffnet, die Muskeln in der Linea alba auseinandergedrängt und die Harnblase durch stumpfes Abschieben des Peritoneums dargestellt. Die Harnblasenwand kann nun mit Haltefäden markiert und in der Mittellinie eröffnet werden. Bei Bedarf können die M. recti auch quer durchtrennt werden, um den Zugang zu erweitern. Zugangswege zur männlichen Urethra Siehe dazu Abb. 26.19 a–c. Indikation. Die Freilegung der Urethra ist erforderlich bei traumatischer Verletzung, Abriss oder Striktur. Nur selten ist dieser Eingriff unmittelbar nach einem Trauma im Rahmen der Komplettversorgung des Patienten sinnvoll. Er wird meist als Sekundäreingriff planbar. Die Urethra kann im Bereich des Perineums oder unmittelbar an der Ventralseite des Penis freigelegt werden und richtet sich nach dem Ort der Schädigung. Operative Freilegung der infraprostatischen (bulbospongiösen) Urethra. Der Patient wird in Steinschnittlage gelagert und das Skrotum mit einem Klebestreifen nach ventral fixiert. Ein halbovaler Hautschnitt, mit seiner Basis zum Analring und der Kuppe am Skrotalansatz, wird angelegt (vgl. Abb. 26.19 a). Die Haut
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind Corpora cavernosa Urethra
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durchtrennte Urethra
Abb. 26.19. a Medialer Sagittalschnitt der männlichen distalen Harnorgane (Übersicht). b Hautinzision am Perineum zur Darstellung der infraprostatischen Urethra bei Ruptur- oder Abrissverletzung des Jungen. c Präparation der Urethra im Perinealbereich
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26.6 Operative Zugangswege und Methoden
wird in der Subkutanschicht von der Skrotalseite aus abpräpariert und der M. bulbocavernosus in der Mittellinie längs gespalten.. Darunter befindet sich die Urethra mit den Corpora cavernosa zu beiden Seiten. Das Operationsgebiet wird mit einem Selbsthaltespreizer offen gehalten. Ein Katheter oder eine Sonde mit altersentsprechender Größe wird vom Meatus aus in die Urethra bis zum Ort der Schädigung vorgeschoben. Die Urethra wird nun zu beiden Seiten freipräpariert und von den Corpora cavernosa gelöst. Ein unter der Harnröhre hindurch geführtes Gummibändchen erleichtert die weitere Präparation. Es ist wichtig, eine gute Mobilisation der Urethra nach proximal und distal zu erreichen, um die spätere Anastomose spannungsfrei durchführen zu können (vgl. Abb. 26.19 b). Nach proximal ist die Mobilisation aber durch die Prostata sehr limitiert. Es muss darauf geachtet werden, dass die Spongiosa der Urethra bei der Präparation nicht verletzt wird (Fistelbildung!). Die freigelegte Urethra wird distal und proximal der Stenose oder Verletzung reseziert und die End-zu-EndAnastomose entsprechend der Anastomosentechnik des Ureters (vgl. Abb. 26.7 a–d) durchgeführt. Bei längerstreckigen Strikturen sind evtl. andere Operationstechniken unter Verwendung von Haut-Patches oder die Interposition von tubularisierten Hautlappen zur Überbrückung der Distanz oder des Defekts nötig (s. hierzu entsprechende Lehrbücher zu urologischen Operationen). Zur Vermeidung von neuerlichen Strikturen werden die Urethrastümpfe entweder leicht angeschrägt oder am proximalen Stumpf dorsalseitig und am distalen Stumpf ventralseitig über etwa 2 mm in Längsrichtung eingekerbt. Die Anastomosierung erfolgt mit Einzelknopfnähten mit 6/0-Vicryl. Man beginnt die Anastomose an der Hinterwand der Urethra. Die Nähte liegen in der Adventitia und die Knoten an der Außenseite. Die Mukosa sollte möglichst nicht oder nur wenig mit der Naht gefasst werden, um einen wasserdichten Verschluss zu erhalten und eine Fistelbildung zu vermeiden. Die Anastomose wird mit einem transurethralen Ballonkatheter für etwa 10 Tage geschient. Die Urethra wird mit einzelnen Nähten wieder an den Corpora cavernosa fixiert und der M. bulbospongiosus in der Mittellinie vereint. Der Hautverschluss erfolgt vorzugsweise mit resorbierbarer intrakutaner Hautnaht. Eine antibiotische Prophylaxe mit Augmentin bis zum Entfernen des Katheters ist sinnvoll. Zugangswege zur Niere Indikation. Die Nieren können von dorsal, lateral oder ventral operativ erreicht werden. Für die meisten traumatologischen Eingriffe an den Nieren eignen sich die lateralen oder ventralen Zugangswege am besten.
Operationstechnik. Der anterolaterale Flankenschnitt eignet sich insbesondere bei Kindern für alle Nephrektomien, partielle Nephrektomien und Polresektionen, Pyeloureteroplastiken und Operationen am Nierenbecken, Nierenparenchym und proximalen Ureter. Nicht geeignet ist er für Operationen an den großen Nierengefäßen. Für den lateralen oder anterolateralen Flankenschnitt wird der Patient zunächst in halbschräger Position auf dem Rücken gelagert. Die Operationsseite wird mit Tüchern oder Schaumstoffrollen erhöht. Die Flanke muss dabei frei bleiben, falls der Schnitt weiter nach dorsal verlängert werden soll. Entlang des Verlaufes der 12. Rippe wird die Haut von der Mamillarlinie bis zur vorderen Axillarlinie quer durchtrennt (vgl.Abb. 26.4 a). Die Subkutis wird geteilt und die Muskelfaszie dargestellt. Mit der Diathermie werden die 3 seitlichen Bauchdeckenmuskeln schichtweise durchtrennt. Die innere Muskelschicht kann dabei meist stumpf auseinandergedrängt werden: Das Peritoneum wird nach medial abgeschoben und mit Langenbeck-Haken die Sicht auf die Gerota-Faszie retroperitoneal freigegeben. Die Faszie wird inzidiert und das perirenale Fett abgeschoben bis die Niere und das Nierenbecken freiliegen. Besondere Vorsicht ist hierbei an der Medialseite der Nieren geboten, da hier die Gefäße z. T. über das Nierenbecken hinweg verlaufen und in den großen Nierengefäßen münden. Der Ureter wird an seinem Ursprung am Nierenbecken angeschlungen. Beim operativen Zugang über eine mediane Laparotomie erreicht man die linke Niere nach Inzision des parietalen Peritoneums entlang des lateralen Rands vom Colon descendens. Das Kolon wird nach medial geklappt und die Gerota-Faszie eröffnet. Die Niere kann bis zur Einmündung der Gefäße in die Aorta und V. cava dargestellt werden. Die rechte Niere wird entsprechend durch Mobilisation der rechten Kolonflexur dargestellt. Einen direkten Zugang zu den Nierengefäßen erhält man durch Inzision des dorsalen Peritoneums entlang des linken Seitenrands der Aorta in Höhe der V. mesenterica inferior (Abb. 26.20 a–c). Der Dünndarm wird nach kranial gelagert, um den Blick auf die mittleren und kaudalen Abschnitte der Aorta freizugeben. Durch Präparation entlang der Aorta nach kranial erreicht man die kreuzende linke V. renalis. Das Gefäß wird angeschlungen und nach kranial gehalten. Von der Aorta entspringen unterhalb der V. renalis sinistra die linke und die rechte A. renalis. Die Gefäße werden angeschlungen. Schließlich wird die rechte V. renalis dargestellt und angeschlungen. Sie entspringt etwa auf gleicher Höhe oder etwas distal des Abgangs der linken V. renalis.
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Kapitel 26 Traumatische Verletzungen des Urogenitalsystems beim Kind V. renalis sinistra V. renalis dextra
a V. mesenterica inf.
V. testicularis A. renalis dextra
A. renalis sinistra
c
b Abb. 26.20 a–c. Operativer Zugang zu den Nierengefäßen. a Transabdomineller Zugang durch mediane Laparotomie. b Inzision des Retroperitoneums medial der V. mesenterica inferior von der A. mesenterica inferior bis zum Treitz-Band. c Abgänge der Nierengefäße von Aorta und V. cava inferior. Anschlingen der dargestellten Gefäße. Beachte die enge Lagebeziehung der Nierenvene zur Nierenarterie auf beiden Seiten
Pyeloplastik nach Anderson-Hynes Indikation. Die Technik dient der Anastomosierung des proximalen Ureters mit dem Nierenbecken bei Patienten mit Ureterabgangsstenose oder Verletzungen des pyeloureteralen Übergangs.
Operationstechnik. Nach Freilegung der Niere wird der Ureter angeschlungen. Am Nierenbecken werden feine Haltefäden im Abstand von etwa 5 mm entlang der Grenze zum Nierenparenchym angelegt. Der Ureter erhält ebenfalls eine Haltenaht distal der Engstelle oder Verletzung. Der Ureter wird zwischen der Haltenaht und der Stenose/Verletzung durchtrennt und das Nierenbecken, unter Belassen der Haltefäden an der Niere, rautenförmig zusammen mit dem proximalen Uretersegment exzidiert. Der Ureter wird in seinem kranialen Abschnitt unter Schonung der Durchblutung mobilisiert und kontralateral der Haltenaht mit einer geraden Schere über eine Strecke von etwa 1 cm längs inzidiert. Es ist darauf zu achten, dass der Ureter sich hierbei nicht verdreht oder abknickt! Der Scheitelpunkt der V-förmigen Ureterinzision wird nun mit 6/0-Vicryl mit dem tiefsten Punkt des kaudalen Nierenbeckenrands anastomosiert. Die Anastomosennaht beginnt an der Nierenbeckenhinterwand mit außenliegenden Einzelknopfnähten oder als fortlaufende 5/0- oder 6/0-Vicryl-Naht. Die Nierenbeckenränder werden im kranialen Teil mit fortlaufender Naht verschlossen. Vor der Naht der Vorderwandanastomose wird ein Pyelostomiekatheter mit filiformem Schlauchansatz durch das kraniale Nierenbecken oder kraniale Nierengewebe in das Nierenbecken eingelegt und der Ansatz über die Anastomose in den Ureter vorgeschoben. Der dicke Anteil des Katheters mit den Drainageöffnungen verbleibt im Nierenbecken, und die Anastomose kann beendet werden. Über den Pyelostomiekatheter kann mit Kochsalzlösung die Anastomose auf Dichtigkeit überprüft werden. Alternativ zum genannten Pyelostomiekatheter kann auch ein Double-J-Katheter eingelegt werden. Bei traumatischen Läsionen der
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Literatur
Niere empfiehlt sich immer die Einlage eines perirenalen »Jackson-drains«. Die Bauchdecke wird anschließend schichtweise geschlossen und die Drainagen an der Bauchhaut angenäht. Ureterozystoneostomie nach Cohen Indikation. Das Verfahren dient zur antirefluxiven Neuimplantation des Ureters in die Blase. Operationstechnik. Nach Darstellen der Harnblase wird diese zwischen Haltefäden längs eröffnet. Das neu zu implantierende Ureterostium wird mit einer Haltenaht fixiert, zirkulär umschnitten und aus der Blasenwand herauspräpariert bis der Ureter sich spannungsfrei etwa 5 cm in die Blase hineinziehen lässt. Von der Schleimhautöffnung der Blasenwand aus wird nun mit der Schere ein submuköser Tunnel schräg entlang des Trigonums zur Gegenseite gebildet. Der Ureter wird kranial oder kaudal des Ostiums der Gegenseite in die Blasenwand eingenäht (5/0-Vicryl). Es ist darauf zu achten, dass der Ureter sich in dem submukösen Tunnel nicht verdreht, der Ureter sich nicht mit der anderen Seite überkreuzt und die Nähte am Ostium ausreichend Gewebe der Blasenwand mit gefasst haben, damit der Ureter sich nicht aus dem Tunnel retrahieren kann. Eine weitere Fixierungsnaht erfolgt an der primären Durchtrittsstelle des Ureters durch die Blasenwand. Der Schleimhautschlitz wird über dem Ureter verschlossen. Die intramurale und submuköse Ureterlänge muss mindestens 4 cm betragen (etwa das 5- bis 7-Fache des Ureterquerschnitts), um keinen VUR zu erzeugen. Beide Ureterostien und Harnleiter werden mit 4 Charr-Ureterkathetern geschient und durch die Bauchdecke nach außen abgeleitet. Die Harnblase wird zweireihig mit 2/0-Vicryl verschlossen. Ein suprapubischer Harnblasenkatheter (Pezzer-Katheter) wird vorher noch in die Blase eingelegt. Ureterozystoneostomie nach Politano-Leadbetter Indikation. Das Verfahren dient zur antirefluxiven Neuimplantation des Ureters in die Blase. Im Gegensatz zum Verfahren nach Cohen wird der Ureter nicht auf die Gegenseite geführt, sondern erhält in der ipsilateralen Blasenwand einen neuen submukösen Verlauf. Der Ureter wird z. T. extravesikal mobilisiert und präpariert. Operationstechnik. Die Blase wird zwischen 2 Haltenähten längs eröffnet und das Trigonum dargestellt. Das betroffene Ureterostium wird mit einer Haltenaht markiert, zirkulär umschnitten und aus der Blasenwand herausgelöst. Der Ureter wird vor der Blasenwand weiter mobilisiert und mit Hilfe der Haltenaht vor die Blasenwand geführt. Dieser Schritt kann auch direkt von extravesikal erfolgen. Auf den Ductus deferens und die kreuzenden Gefäße ist zu achten. Die ehemalige Ureter-
durchtrittstelle durch die Blasenwand wird mit 3/0Vicryl verschlossen. Kranial der ehemaligen Durchtrittstelle des Ureters durch die Blasenwand wird die Blasenwand mit einem Skalpell oder einer Klemme durchstoßen und die Öffnung gespreizt. Der Ureter wird mit dem Haltefaden durch die neue Inzision wieder in die Blase zurückgeführt. Von dieser Öffnung aus wird nun ein submuköser Tunnel in Richtung Trigonum präpariert, der Ureter dort hindurchgezogen und das Ureterende in die Blasenwand mit Einzelknopfnähten in die Blasenwand eingenäht (5/0-Vicryl). Es ist unbedingt darauf zu achten, dass der Ureter von extravesikal nach intravesikal einen gradlinigen Verlauf nimmt und nicht verdreht ist. Die intramurale und submuköse Ureterlänge muss mindestens 4 cm betragen (etwa das 5- bis 7-Fache des Ureterquerschnitts), um keinen VUR zu erzeugen. Beide Ureter werden mit Ureterkathetern geschient und die Blase mit einem suprapubischen Katheter drainiert. Die Harnblase wird zweireihig verschlossen.
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Kapitel 27
Das polytraumatisierte Kind
27
M. Walz, T. Kälicke, G. Muhr
27.1
Verletzungsmuster
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 920
27.2
Pathophysiologische Besonderheiten des Kindesalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 921
27.3
Präklinische Versorgung
27.4
Schockraummanagement . . . . . . . . . . . . . . . 923
27.5 27.5.1 27.5.2 27.5.3 27.5.4 27.5.5 27.5.6
Notfalldiagnostik und Primärmaßnahmen Schädel-Hirn-Trauma . . . . . . . . . . . . Thoraxtrauma . . . . . . . . . . . . . . . . Abdominaltrauma . . . . . . . . . . . . . . Wirbelsäulenverletzungen . . . . . . . . . Beckenfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . Extremitätenverletzungen . . . . . . . . .
27.6
Intensivtherapeutische Aspekte
. . . . . . . . . . . . . . . 921
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
924 924 925 926 927 929 930
. . . . . . . . . . . 931
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933
Die Definition des Polytraumas als »gleichzeitig entstandene Verletzung zweier oder mehrerer Körperregionen oder Organsysteme, wobei entweder eine Einzelverletzung oder die Kombination der erlittenen Verletzungen eine Bedrohung des Lebens bedingen«, ist uneingeschränkt auch bei Kindern gültig. In gleichen Maße sind Kinder durch die Auswirkungen von Hypovolämie, Hypotonie, Hypothermie, Ischämie, Gewebeschaden, Reperfusionssyndrom, SIRS (»systemic inflammatory response syndrome«), MODS (»multiple organ dysfunction syndrome«) und Sepsis bedroht. Die Frage, ab wann ein Kind bei unfallchirurgischen Fragestellungen nach den Richtlinien für Erwachsene behandelt werden soll, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Der wachstumsbedingte Übertritt vollzieht sich mit individuellen Schwankungen im Jugendalter, d. h. zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr. Allgemein akzeptiert ist die Auffassung, dass Verletzte ab dem 16. Lebensjahr bezüglich Unfallkinematik und therapeutischer Strategien wie Erwachsene betrachtet werden können. Diese Trennung berücksichtigt anatomische und pathophysiologische Besonderheiten im Kindesund Jungendalter, die das diagnostische sowie therapeutische Vorgehen bei mehrfachverletzten Kindern beeinflussen. Die Kenntnis solcher Besonderheiten ist Grundvoraussetzung zur Behandlung unfallverletzter Kinder.
Als Beispiel sei auf die Kreislaufregulation bei Kindern hingewiesen, die bei der Entstehung eines Volumenmangelschocks durch eine gegenüber Erwachsenen längere Phase der Kompensation, jedoch eine umso fulminantere Dekompensation charakterisiert ist. Bezüglich der Volumensubstitution gilt der Satz: »Ein kleiner Topf ist schneller leer und läuft rascher über als ein großer.« In den USA zeugt der Aufbau eigener Pediatric Trauma Center von den Bemühungen einer Versorgungsoptimierung. Auch auf die Bedeutung dauerhaft verbleibender Unfallfolgen für die weitere physische und psychische Entwicklung des Kindes – nicht zuletzt vor dem Hintergrund volkswirtschaftlicher Aspekte – muss hingewiesen werden. Die Tatsache, dass Unfallverletzungen die häufigste Todesursache bei Kindern sind, unterstreicht die Notwendigkeit, sich mit diesem Themenkomplex zu beschäftigen, auch wenn Kinder – glücklicherweise – nur einen sehr geringen Anteil aller Schwerverletzten ausmachen. Häufigkeit Kinder sind von Unfallverletzungen bevorzugt zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr betroffen. Die Gesamtverteilung weist 2 Gipfel im 7. und 12. Lebensjahr auf, Jungen sind häufiger als Mädchen betroffen (Breaux et al. 1990; Dallek et al. 1993; Hofmann v. Kap-Herr 1984; Huber et al. 1998; Kaufmann et jal. 1989; Mayr u. Fasching 1993; Reichmann et al. 1998). Es lässt sich eine Kombination der Schulanfangsjahre mit erhöhter Risikobereitschaft bei noch mangelnder Gefahreneinschätzung beobachten. Etwa die Hälfte der verunglückten Kinder befindet sich zum Unfallzeitpunkt in der Begleitung Erwachsener. Bei den Unfallarten steht der Verkehrsunfall mit 80–90% an erster Stelle, wobei Kinder <6 Jahren hier deutlich häufiger Fußgänger als PKWInsassen oder Zweiradfahrer sind; danach folgen Stürze aus großer Höhe (Dallek et al. 1993; Huber et al. 1998; Reichmann et al. 1998; Remmers et al. 1998; Schmitz et al. 1989). Mit steigendem Alter nehmen Unfälle als PKW-Insasse und Zweiradfahrer an Häufigkeit zu. Trotz verstärkter Bemühungen um Sicherheitsmaßnahmen in den letzten Jahren versterben Kinder als PKW-Insassen deutlich öfter als Erwachsene (Remmers et al. 1998).
920
Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind
27.1 Verletzungsmuster
!
Häufiger als bei Erwachsenen treten bei Kindern schwere Schädel-Hirn-Verletzungen (50–75%!) sowie Kombinationen von Schädel-Hirn- mit Thorax- und Abdominaltraumen auf (Eble et al. 1998; Hofmann v. KapHerr 1984; Mayr u. Fasching 1993; Remmers et al. 1998). Verantwortlich hierfür sind ähnliche Höhen des kindlichen Rumpfes und Kopfes wie die PKW-Front sowie das proportional höhere Kopfgewicht. Neben dem SchädelHirn-Trauma (SHT) treten am häufigsten Extremitätenverletzungen auf mit Frakturen des Oberschenkels und Oberarms, gefolgt von Unterschenkel und Unterarm (Reichmann et al. 1998). Intraabdominelle Verletzungen betreffen vorwiegend die Milz und Leber, jedoch wie bei Erwachsenen auch die übrigen intraabdominellen Organsysteme (Dallek et al. 1993; Reichmann et al. 1998; Schmitz et al. 1989). Der physiologische kindliche Zwerchfelltiefstand und die schwächere Bauchwandmuskulatur bedingen, dass die Oberbauchorgane geringer als beim Erwachsenen durch die untere Thorax- und Bauchwand geschützt sind. Im Rahmen des Thoraxtraumas sind intrathorakale Verletzungen wie Lungenkontusion, Hämato- und Pneumothorax ohne begleitende Thoraxwandverletzungen öfter anzutreffen als bei Erwachsenen. Die wesentlich größere Elastizität der kindlichen Brustwand ermöglicht gravierende intrathorakale Verletzungen ohne den bei Erwachsenen typischen Warnhinweis vorliegender Rippenserienfrakturen. Rippenfrakturen bei Kindern sind somit Ausdruck erheblichster Gewalteinwirkung, erhöhen die Sterblichkeit mit der Zahl frakturierter Rippen und enden in Kombination mit Schädelverletzungen fast immer tödlich (Garcia et al. 1990). Verletzungen der Wirbelsäule (Inzidenz 5–10%) und des Beckens (Inzidenz etwa 10–20%) finden sich bei mehrfachverletzten Kindern aufgrund der höheren ossären und ligamentären Elastizität deutlich seltener als im Erwachsenenalter (Dallek et al. 1993; Kasperk u. Paar 1991; Mayr u. Fasching 1993; Reichmann et al. 1998). Zweifelhafte anamnestische Angaben oder Diskrepanzen zwischen angegebenem Unfallmechanismus und Verletzungsmuster insbesondere bei Kleinkindern müssen an die Möglichkeit einer Kindesmisshandlung (»battered child syndrome«) denken lassen. Tabelle 27.1. Pediatric Trauma Score (PTS). (Tepas et al. 1987)
Parameter
Körpergewicht Atmung ZNS Systolischer Blutdruck Offene Wunden Frakturen
Gebräuchliche Scoring-Systeme wie ISS (»Injury Severity Score«), AIS (»Abbreviated Injury Scale«), PTS (Hannoveraner Polytraumaschlüssel) sind zwar prinzipiell anwendbar, die Übertragbarkeit auf Kinder wird jedoch kontrovers diskutiert. Alternativ stehen der 1987 von Tepas und Mitarbeitern beschriebene Pediatric Trauma Score und der Revised Trauma Score als präklinische sowie der Pediatric Risk of Mortality-Score (PRISM III) in Anlehnung an den APACHE II-Score als physiologischer Intensiv-Score zur Verfügung (Aprahamian et al. 1990; Champion et al. 1981; Cramer 1995; Kaufmann et al. 1990; Nayduch et al. 1991; Pollack et al. 1996; Tepas et al. 1987, 1988; Tabelle 27.1, Tabelle 27.2). Mortalität und Morbidität Die Mortalität mehrfachverletzter Kinder liegt mit 5–18% unter der von Erwachsenen mit 20–50% (Breaux et al. 1990; Dallek et al. 1993; Eble et al. 1998; Hofmann v. Kap-Herr 1984; Huber et al. 1998; Kaufmann et al. 1989, 1990; Reichmann et al. 1998; Snyder et al. 1990). Nach Altersgruppen differenziert trifft dieses auf die vornehmlich betroffene Gruppe von 6- bis 12-Jährigen mit 13% zu, während Ein- bis 5-Jährige (29%) und 13- bis 17Jährige (28%) eine tendenziell höhere Sterblichkeit als 18- bis 40-Jährige (23%) aufweisen (Remmers et al. 1998). Pneumonien und Multiorganversagen (MOV) sind seltener als bei Erwachsenen als tödliche Komplikationen im Behandlungsverlauf anzutreffen. Als häufigste zum Tode führende kindliche Verletzung ist das Schädel-Hirn-Trauma mit einer Letalität von etwa 10% anzuführen (Dallek et al. 1993; Reichmann et al. 1998; Remmers et al. 1998). Unter den verstorbenen Kindern ist das Schädel-Hirn-Trauma in 50–90% verantwortlich, danach folgen Blutungsschock und Hirnstammläsionen (Kasperk u. Paar 1991; Reichmann et al. 1998; Schmitz et al. 1989). Kinder sterben häufiger als Erwachsene bei Verletzungen nur einer Körperhöhle; Extremitätenverletzungen spielen im Hinblick auf die Letalität nur eine untergeordnete Rolle (Schmitz et al. 1989). Auch nach Einführung von Schutzhelmen und Kindersitzen haben sich diese erschreckenden Zahlen leider nicht wesentlich verändert. Die Überlebenswahrscheinlichkeit schwer verletzter Kinder ist höher als die von Erwachsenen, was durch eine insgesamt geringere Rate schwerwiegender Komplikationen im Behandlungsverlauf erklärbar ist. Punkte +2
+1
–1
>20 kg Normal Normal >90 mmHg Keine Keine
10–20 kg Beeinträchtigt Eingetrübt 50–90 mmHg Klein Geschlossen
<10 kg Beatmet Komatös <50 mmHg Groß oder penetrierend Offen oder multipel
27.3 Präklinische Versorgung Tabelle 27.2. Revised Trauma Score (RTS). (Champion et al. 1981) Punkte
Glasgow Coma Scale (A)
Systolischer Blutdruck (B)
Atemfrequenz (C)
4 3 2 1 0
13–15 9–12 6–8 4–5 3
>89 76–89 50–75 1–49 0
10–29 >29 6–9 1–5 0
RTS = A × 0,9368 + B × 0,7326 + C × 0,2908.
Dauerhafte, zur Berentung führende Unfallfolgen bei etwa 20% der polytraumatisierten Kinder resultieren zu jeweils etwa 50% aus Frakturen der unteren Extremitäten und höhergradigen Schädel-Hirn-Verletzungen (Mayr u. Fasching 1993; Reichmann et al. 1998; Wesson et al. 1989).
27.2 Pathophysiologische Besonderheiten des Kindesalters Die Aussage »Kinder sind keine kleinen Erwachsenen« besitzt gerade bei der Behandlung schwer verletzter Kinder – insbesondere im intensivmedizinischen Bereich – eminente Bedeutung. Unterschiede zur Reaktionsweise des erwachsenen Organismus müssen bekannt sein und berücksichtigt werden, will man folgenschwere, möglicherweise iatrogene Komplikationen vermeiden. Die wesentlichsten Unterschiede seien deshalb kurz erwähnt. Bezogen auf das Körpergewicht weisen Kinder einen wesentlich größeren Flüssigkeitsumsatz bei kleinerem Blutvolumen auf. Ein Blutverlust von 500 ml bedeutet für den Erwachsenen ein Defizit von etwa 10%, für ein 4-jähriges Kind den Verlust von etwa 40% und ein 10 Jahre altes Kind immerhin noch etwa 20% des zirkulierenden Blutvolumens. Aufgrund der bei Kindern altersabhängig höheren Herzfrequenz bei jedoch niedrigeren Werten für den systolischen wie auch den arteriellen Mitteldruck ist der gebräuchliche Schockindex (systolischer Blutdruck/ Herzfrequenz) nicht vom Erwachsenen auf Kinder übertragbar. Der kindliche Organismus ist anfälliger gegen Flüssigkeits- und Elektrolytverschiebungen (Eble et al. 1998). Die Niere besitzt im Kindesalter eine gegenüber Erwachsenen geringere Konzentrationsfähigkeit. Der Gesamtstoffwechsel bewegt sich wachstumsbedingt auf einem höheren Niveau als der des Erwachsenen. Kinder reagieren aufgrund geringerer Reserven der Puffersysteme bei Störungen der Homöostase mit einer ausgeprägten Neigung zur metabolischen Azidose (ebd.). Die Toleranz des kindlichen Gehirns gegenüber Hypoxie und Hyperkapnie liegt deutlich unterhalb der von Erwachsenen; die Ödemneigung ist wesentlich ausge-
prägter. Der Vermeidung und Behebung von Störungen der Oxygenierung wie auch der zerebralen Perfusion kommt deshalb eine entscheidende Bedeutung zu. Die gegenüber Erwachsenen proportional zum Körpergewicht größere Körperoberfläche macht Kinder anfälliger für eine Hypothermie und ist bei der Einschätzung von Verletzungen der Körperoberfläche entsprechend zu berücksichtigen. Die Behandlung polytraumatisierter Kinder stellt in den meisten Kliniken eher eine Ausnahme darn. Gerade deshalb muss man sich selbstverständliche Unterschiede wie eine deutlich niedrigere Stundenurinmenge im Rahmen des Monitoring immer wieder vergegenwärtigen, um fehlerhafte Konsequenzen eigenen Handelns zu vermeiden.
27.3 Präklinische Versorgung Aufgrund der flächendeckenden Verfügbarkeit der Rettungsdienste ist die notärztliche Versorgung unfallverletzter Kinder wie die von Erwachsenen gesichert. Baby- oder Kinder-Notarzt-Systeme sind die Ausnahme. Sie stehen in Deutschland nur punktuell zur Verfügung und sind nicht speziell auf unfallverletzte Kinder ausgerichtet. Schwerverletzte werden unabhängig vom Alter zu >70% bereits am Unfallort notärztlich behandelt und in die Klinik begleitet. Auch die Rate präklinischer Intubationen unterscheidet sich kaum und liegt für Kinder wie Erwachsene bei >40% (Reichmann et al. 1998). Untersuchungen aus den USA konnten keine relevanten Unterschiede in der präklinischen Versorgung der unter 12-Jährigen im Vergleich zu älteren Verletzten durch »paramedics« feststellen (Paul et al. 1999). Trotzdem stellt die Primärbehandlung schwerverletzter Kinder sehr hohe Anforderungen an Notarzt und Rettungsdienstpersonal. Obgleich sich die Grundprinzipien der notfallmedizinischen Versorgung nicht von denen bei Erwachsenen unterscheiden, müssen bei Kindern nachfolgende Besonderheiten berücksichtigt werden, um Komplikationen in der häufig entscheidenden Erstbehandlung zu vermeiden. Erstdiagnostik am Unfallort, Frakturimmobilisierung, Rettung und Lagerung erfolgen nach den für Erwachsene geltenden Regeln. Geringes Blutvolumen und eine sehr schmale Grenze zwischen kompensierter Hypovolämie und schwer zu behebender Kreislaufdekompensation erfordern erhöhte Aufmerksamkeit und Erfahrung bei der Beurteilung der Kreislaufsituation. Insbesondere äußerlich nicht erkennbare Volumenverluste durch intrathorakale oder intraabdominelle Blutungen können bei nichtaussagekräftigem Schockindex unter Umständen das Einleiten einer adäquaten Schockbehandlung durch Volumensubstitution verzögern.
921
922
Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind
!
Erst Blutverluste von >30% führen aufgrund der spezifischen Reaktion des kindlichen Gefäßsystems zum Blutdruckabfall (Haller 1996). Mehr als der Blutdruck ist die Pulsfrequenz geeignet, einen Volumenmangel anzuzeigen, da die Steigerung der Herzfrequenz im Gegensatz zur Tonuserhöhung des peripheren Gefäßsystems einfacher zu objektivieren ist. Die Volumensubstitution erfolgt in der Regel über peripher-venöse Zugänge; nur bei nicht ausreichender Venenfüllung werden zentralvenöse Katheter eingesetzt. Beide Zugangswege sind technisch anspruchsvoller als bei Erwachsenen und setzen ein ensprechendes Training voraus. Bei Kleinkindern stellt die intraossäre Volumengabe oder Medikamentenapplikation über den Markraum der von medial punktierten proximalen Tibia eine Alternative dar, setzt jedoch die Verfügbarkeit entsprechender Kanülen voraus. Quantitativ orientiert sich die Volumensubstitution am erkennbaren oder vermuteten Blutverlust, den Kreislaufparametern sowie am Alter oder Körpergewicht des Kindes. Eine Infusion von 250 ml entspricht (Tabelle 27.3): 쐌 쐌 쐌 쐌
bei einem einjährigen etwa einem Drittel, bei einem 3-jährigen etwa einem Viertel, bei einem 5-jährigen etwa einem Sechstel und bei einem 10-jährigen Kind rund einem Zehntel des normalen Blutvolumens. Wegen der geringeren Toleranz gegenüber Flüssigkeitsverschiebungen sollten unangemessen große Volumina vermieden werden.
Zur Anwendung kommen meist kristalloide Lösungen (NaCl 0,9%, Ringerlösung, Glukose 5%). Es stehen verschiedene, bezüglich der Elektrolytzusammensetzung auf Kinder abgestimmte Produkte zur Verfügung. Bei höheren Volumenverlusten ist die Gabe von Humanalbumin 5% indiziert; dies bleibt jedoch wie die Glukosegabe meist der klinischen Versorgung vorbehalten. Ziel der Volumensubstitution ist der peripher (A. radialis/femoralis) tastbare Arterienpuls. Im Rahmen des Thoraxtraumas ist die Spontanatmung bei Kindern deutlich stärker eingeschränkt als bei Erwachsenen. Die Hypoxie ist bei Kindern schwerer als
bei Erwachsenen zu erkennen; der Beobachtung von Atemfrequenz und Atemtypus kommt deshalb entsprechende Bedeutung zu (Reeb 1998). Unter dem Aspekt der geringen pulmonalen Reserven und niedrigen Toleranz des kindlichen Gehirns gegenüber Hypoxie und Hyperkapnie ist die Indikation zur frühzeitigen Intubation und Beatmung eher noch großzügiger zu stellen, zumal das manuelle Offenhalten der Atemwege bei Kindern aufgrund der relativ großen Zunge, des kurzen Halses und des weiter kranial liegenden Larynx schwierig ist. Ebenso sollten Kinder mit einem Glasgow Coma Score ≤7 intubiert werden (ebd.). Auch die Intubation von Kindern setzt entsprechende praktische Erfahrung voraus. Vor allem bei kleinen Kindern ist wegen der genannten anatomischen Gegebenheiten ein Laryngoskop mit geradem Spatel (Miller, Foregger) vorteilhaft. Bei Kindern <8–10 Jahren wird in der Regel ein Cuff-loser Tubus verwandt, um druckbedingte Schleimhaut- und Knorpelschäden der Trachea zu vermeiden. Bezüglich der Tubusgröße kann man sich grob an der Größe des Kleinfingers des Kindes orientieren. Der Innendurchmesser (ID) des Tubus lässt sich für über 2-jährige Kinder näherungsweise nach der Formel ermitteln: 쐌 ID (mm) = 4 + (Alter in Jahren : 4). Die erforderliche Tubuslänge kann nach folgenden Formeln abgeschätzt werden: 쐌 orotracheal: 12 + (Alter in Jahren : 2) cm ab Zahnreihe, 쐌 nasotracheal: 15 + (Alter in Jahren : 2) cm ab Nase. Die präklinische Beatmung sollte manuell mittels Kinderbeatmungsbeutel und Sauerstoffzufuhr vom Erfahrenen durchgeführt werden, um ein Volu- oder Barotrauma zu verhindern. Physiologische Atemfrequenz und Atemvolumen müssen altersabhängig berücksichtigt werden (Tabelle 27.4). Orientierend lassen sich die Beatmungsvolumina nach folgenden Formeln abschätzen: 쐌 AMV (Atemminutenvolumen) = 120–150 ml/kg KG (ml), 쐌 AZV (Atemzugvolumen) = 6 ml/kg KG (ml).
Tabelle 27.3. Normwerte bei Kindern. (Nach Altemeyer u. Lemburg 1986; Lenz et al. 1985; Rossi u. Dobler 1983; Sirtl u. Jesch 1989) Alter (Jahre) 1 3 5 7 10 12 14
Körpergewicht [kg]
Blutdruck (systolisch) [mmHg]
Herzfrequenz [min–1]
Blutvolumen [ml]
HZV [l × min ]
[l × min × m ]
Urinmenge [ml × h–1]
10 14 18 23 30 40 45
85 90 95 100 100 105 115
120 110 100 95 90 80 75
800 1100 1500 2000 2400 3000 3500
1,0–1,4 1,5–2,0 2,0–3,0 2,5–3,5 3,5–5,0 5,0–6,0 6,0–7,0
2,0–3,0 2,5–4,2 2,6–4,5 3,0–5,0 3,2–5,4 3,2–4,8 3,3–4,0
20 25 30 37 45 55 60
HZV Herzzeitvolumen; CI »cardiac index«.
CI –1
–1
2
27.4 Schockraummanagement Tabelle 27.4. Normwerte bei Kindern
Alter (Jahre)
Atemfrequenz [min–1]
Atemminutenvolumen [l_min–1]
Atemzugvolumen [ml]
Tubusgröße ID [mm]
Länge ab Zahnreihe (oral) [cm]
1 3 5 7 10 12 14
32–38 25–30 20–25 18–22 16–20 15–17 14–16
1.5–2.0 2.0–2.5 2.2–2.6 2.5–3.0 2.7–4.2 3.2–4.5 4.0–5.5
50–60 70–90 90–110 115–150 150–200 200–280 250–350
3.5–4.0 4.5–5.0 5.0–5.5 5.5–6.0 6.5 7.0 7.0–7.5
13 14 16 18 20 21 22
Ein Beatmungsspitzendruck von 15–18 mb sollte bei Kindern nicht überschritten werden. Bei gleichzeitigem Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas sollte eine Hyperventilation angestrebt werden. Wie bei Erwachsenen erfordert eine Überdruckbeatmung initial und repetitiv die auskultatorische Kontrolle der seitengleichen Belüftung. Die Indikation zur Thoraxdrainage ist bei klinischen Zeichen eines Thoraxtraumas und im Zweifelsfall kompromisslos zu stellen. Die Oxygenierung ist klinisch und pulsoxymetrisch zu überprüfen. Zur Sedierung sollten Kombinationen wie Fentanyl/Midazolam oder Ketamin/Diazepam verwandt werden. Der Hypothermiegefahr muss mittels aluminiumbeschichteter Rettungsfolien und erwärmter Infusionslösungen entgegengetreten werden. Auch wenn Wirbelsäulenverletzungen bei Kindern selten sind, sollte bei disponierenden Unfallmechanismen an diese Verletzung gedacht und das Kind prinzipiell in einer Vakuummatratze gelagert werden. Der Transport in die Klinik erfolgt unter besonders engmaschiger Kontrolle der Vitalfunktionen des verletzten Kindes.
27.4 Schockraummanagement Unter Beachtung der beschriebenen Besonderheiten unterscheiden sich das diagnostisches und therapeutisches Vorgehen im Rahmen der klinischen Erstversorgung nicht von Algorithmen der Erwachsenbehandlung, sodass entsprechende Checklisten herangezogen werden können (Nast-Kolb et al. 1994). Dem Wärmeerhalt und der Wärmezufuhr (Wärmedecken, Wärmestrahler) kommen auch im Schockraum große Bedeutung zu. Zu erfassen sind: 쐌 Unfallmechanismus, 쐌 Vitalparameter und 쐌 Verletzungsmuster. Der klinischen Erstdiagnostik durch körperliche Untersuchung, Registrierung von Vitalparametern wie Blutdruck, Herzfrequenz, EKG, Sauerstoffsättigung über Pulsoxymetrie, Körpertemperatur, Urinproduktion folgt neben der Blutentnahme (Notfalllabor und Blut-
gasanalyse) die Sonographie des Thorax und des Abdomens zum Ausschluss oder Nachweis freier Flüssigkeit, evtl. erkennbarer Läsionen parenchymatöser Organe sowie eines Perikardergusses. Bei pulmonalen Kontusionsherden oder anderen Belüftungsstörungen kann die Sonographie bereits erste Hinweise durch eine Abschwächung der luftbedingten Wiederholungsechos, bei bestehendem, nichtentlastetem Pneumothorax durch Verbreiterung des sonst sehr schmalen, echoreichen Reflexbandes am Übergang Thoraxwand-Lungenparenchym liefern. Bei Extremitätenverletzungen ist die periphere Durchblutung zwingend dopplersonographisch zu überprüfen. Ist eine Intubation/Analgosedierung erforderlich, sollte diese nach grob-orientierender Erhebung des neurologischen Status vorgenommen werden. Die Anlage erforderlicher Zugänge und Katheter (zentraler Venenkatheter, Thoraxdrainage, arterielle Kanüle, Blasenkatheter, Magensonde) schließt sich an. Bei ausreichender Kreislaufstabilität folgt die Röntgenuntersuchung mit obligatorischer Erfassung von Schädel, Thorax, Becken, Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule und weiteren Aufnahmen in Abhängigkeit von den klinisch erhobenen (Verdachts-) Diagnosen. Bei Mehrfachverletzungen des Rumpfes und Schädels, dem Verdacht auf Hirn- oder Rückenmarkschädigungen ist die Durchführung einer (Ganzkörper-) Spiral-CT zu erwägen (Windolf u. Rueger 2003). Im Hinblick auf die Strahlenbelastung ist die Implementierung einer (Ganzkörper-) MRT in die Primärdiagnostik wünschenswert. Eine auf adäquate Volumensubstitution nichtreagierende hämodynamische Instabilität erfordert beim Nachweis freier intraabdomineller oder intrathorakaler Flüssigkeit die Notfallaparotomie/-thorakotomie aus vitaler Indikation. Auf die Bedeutung repetitiver Ultraschallkontrollen von Thorax und Abdomen sei nochmals hingewiesen. Bei klinischen oder aus der Unfallkinematik resultierenden Hinweisen auf ein Schädel-Hirn-Trauma sollte insbesondere bei sedierten und beatmeten Kindern, falls keine dringlicheren Maßnahmen erforderlich sind, eine Schädel-CT sowie ggf. eine Thorax- und AbdomenCT durchgeführt werden. Aufgrund der durch die Spiral-CT kurzen Untersuchungsdauer ist es zur Vermeidung wiederholter Trans-
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Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind
porte von Vorteil, im Zweifelsfall die CT- oder auch MRT-Diagnostik primär auf Schädel, Thorax und Abdomen auszudehnen. Nach Sicherung oder Wiederherstellung der Vitalfunktionen und Abschluss der Akutdiagnostik schließen sich Eingriffe mit vitaler/dringlicher Operationsindikation oder die weitere intensivmedizinische Überwachung und Behandlung an.
27.5 Notfalldiagnostik und Primärmaßnahmen Die Häufigkeit von Notfalloperationen und dringlichen Eingriffen liegt bei Kindern über der von Erwachsenen. Insbesondere vermeintlich »leichter« Verletzte bedürfen im Kindesalter häufiger solcher Eingriffe (Kasperk u. Paar 1991; Kaufmann et al. 1989). Die phasengerechte Differenzierung erforderlicher Operationen nach Dringlichkeit und das Erstellen eines individuellen Behandlungsplanes geschieht analog zum Vorgehen bei Erwachsenen. Folgende Behandlungsphasen werden unterschieden: 쐌 Akut-/Reanimationsphase (1. bis 3. Stunde): lebensrettende Sofortoperationen, 쐌 Primärphase (3. bis 60. Stunde): lebens- und organerhaltende Operationen, 쐌 Sekundärphase (3. bis 10. Tag) und Tertiärphase (nach dem 10. Tag): wiederherstellende Operationen. Nachfolgend sind spezielle Überlegungen zu mehrfachverletzten Kindern zusammengestellt. Einzelheiten zur Operationstechnik und differenzierten Indikationsstellung sind den entsprechenden Kapiteln zu entnehmen.
27.5.1 Schädel-Hirn-Trauma Dem SHT kommt aufgrund der Häufigkeit im Kindesalter, der prognostischen Relevanz (Letalität 2,5–21%), der niedrigen Toleranz des kindlichen Gehirns gegenüber Hypoxie und Hyperkapnie sowie der ausgeprägteren Ödemneigung erhebliche Bedeutung zu (Eble et al. 1998; Maier-Hauff et al. 1993; Nutz et al. 1986; Snyder et al. 1990).
Die noch offenen Schädelnähte bedingen eine höhere Elastizität des knöchernen Schädels; intrakranielle Verletzungen finden sich deshalb häufiger als bei Erwachsenen auch ohne begleitende Frakturen. Aus dem gleichem Grund können sich Hirndrucksteigerungen unter Umständen erst verspätet klinisch manifestieren. Begleitende Duraeinrisse können in den ersten Lebensjahren zum Auftreten einer revisionsbedürftigen »wachsenden Fraktur« führen. Die klinische Einteilung folgt den 3 bekannten Schweregraden anhand klinischer und morphologischer Veränderungen. Analog zur Glasgow Coma Scale (GCS) existiert für Kleinkinder eine Children’s Coma Scale (CCS), die der verminderten Reaktionsfähigkeit auf Aufforderungen Rechnung trägt (Simpson et al. 1991; Tabelle 27.5). An erster Stelle der intrakraniellen Verletzungen steht das Hirnödem (48%), es folgen subarachnoidale (19%) und intrazerebrale (14%) Blutungen (Dallek et al. 1993). Epi- und subdurale Hämatome sind mit jeweils etwa 5% seltener. Epidurale Blutungen treten aufgrund der Duraanheftung im Bereich der Nähte nicht selten atypisch lokalisiert frontal oder okzipital auf (MaierHauff et al. 1993). Unter den verstorbenen Kindern finden sich nach Häufigkeit: Kontusionsblutungen (32%), Hirnödem (18%), subdurale (15%), subarachnoidale (4%) und epidurale (2%) Hämatome (Schmitz et al. 1989). Mehr noch als bei Erwachsenen ist bei vorliegendem SHT nach Begleitverletzungen der Halswirbelsäule zu suchen. Die CT-Diagnostik mit entsprechenden Verlaufskontrollen (erste Kontrolle nach 12–24 Stunden!) ist beim SHT unverzichtbar. Verletzungen der Kopfschwarte sind im Hinblick auf teilweise erhebliche Blutverluste nicht zu unterschätzen. Neben der klinischen und radiologischen (CT, NMR) Diagnostik besitzt das Monitoring des intrakraniellen Drucks (ICP) mittels epiduraler/subduraler Hirndrucksonde oder über einen Ventrikelkatheter im Rahmen der externen Liquordrainage zur Drucksenkung wesentliche Bedeutung. Zu beachten ist, dass intrakranielle Druckerhöhungen bei Kindern noch mit einer Latenz von einigen Tagen auftreten können. Zur Prophylaxe und Therapie des Hirnödems wird die Oberkörperhochlagerung (20–30°) unter Beachtung des ICP und des mittleren arteriellen Blutdruckes (MAP) durchgeführt.
Tabelle 27.5. Children’s Coma Scale (CCS) Punkte
Augenreaktionen
Verbale Reaktion
Motorische Reaktion
4 3 2
Augenfolgebewegungen Äußere Augenmuskeln intakt, reaktive Pupillen Keine Pupillenreaktion oder Störung der äußeren Augenmuskeln
Schreien Spontanatmung
1
Keine Pupillenreaktion oder Lähmung der äußeren Augenmuskeln
Apnoe
Beugung und Streckung Gezielte Abwehr auf Schmerzreize Schlaffer Tonus
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27.5 Notfalldiagnostik und Primärmaßnahmen
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Wesentlicher Parameter für die Hirndurchblutung ist zerebrale Perfusionsdruck (CCP), der sich aus der Differenz von arteriellem Mitteldruck und intrakraniellem Druck ergibt: CCP = MAP–ICP. Der CCP sollte Werte von 60 mmHg nicht unterschreiten, um einen ausreichenden zerebralen Blutfluss zu gewährleisten. Im Vergleich zu Jugendlichen und Erwachsenen (ICP <5–10 mmHg) sind bei Kindern niedrigere Normalwerte (ICP <3–7 mmHg) zu berücksichtigen. Es sollte – zumindest für die ersten 48 Stunden nach Trauma – eine Hyperventilation mit PaCO2-Werten von 28–30 mmHg angestrebt werden (Maier-Hauff et al. 1993). Weitere adjuvante Maßnahmen sind die Gabe hyperosmolarer Lösungen (z. B. Mannitol 20%, Sorbit 40%) und Anwendung von Barbituraten (Thiopental = Trapanal), wobei eine EEG-Überwachung durchgeführt werden sollte. Diuretika können bei stabiler Hämodynamik und ausgeschlossenem, intravasalem Volumendefizit unter kontinuierlicher Blutdruck- und ICP-Überwachung gegeben werden. Der Einsatz von Steroiden wird kontrovers diskutiert; bei Kindern wird eher davon abgeraten (Maier-Hauff et al. 1993; Schärli 1984; Williams et al. 1992). ICP-Werte von >10 mmHg rechtfertigen nach Ausschluss einer ursächlichen Blutung die medikamentöse Therapie, bei Werten von >30–35 mmHg ist die Entlastungstrepanation erforderlich. Iatrogene Volumenüberladungen durch inadäquate Infusionsmengen sind bei bestehendem SHT unbedingt zu vermeiden. Dem SHT-assoziierten Elektrolytentgleisungen (Natrium, Kalium, Chlorid) sind nicht selten und erfordern ein entsprechendes Labormonitoring und therapeutisches Einschreiten (Schärli 1984). Bei etwa 30% der schweren SHT muss mit dem Auftreten von Krampfanfällen innerhalb der ersten 24 Stunden gerechnet werden. Das Phänomen »The child who talks and dies« beschreibt die akute Zustandsverschlechterung verletzter Kinder aufgrund der ausgeprägten Neigung zum Hirnödem mit der resultierenden Gefahr der häufig letalen Einklemmung. Die Versorgung des offenen SHT folgt den bei Erwachsenen geltenden Regeln. Frakturen mit Impression von mehr als Kalottenbreite erfordern die operative Intervention zur Hebung und Druckentlastung sowie Durarevision. Akute, raumfordernde Blutungen werden schnellstens der operativen osteoplastischen Entlastung zugeführt. Der möglichst raschen Druckentlastung durch Kraniektomie kommt nach aktuellen Untersuchungen prognostische Bedeutung zu (Taylor et al. 2001). Seltene intraventrikuläre Blutungen können bei Liquorabflussstörungen über eine externe Drainage abgeleitet werden. Bei intrazerebralen Blutungen richtet sich das Vorgehen nach klinischem Zustand, Ausmaß der Blutung und Hirndruckverlauf. Das Auftreten eines posttraumatischen Hydrozephalus kann eine entlastende Shuntanlage erforderlich machen. Psychopathologische Verhaltensmuster und geistige Leistungsschwäche sind bei etwa 50% der hirnverletz-
ten Kinder zu befürchten; eine entsprechend intensive Rehabilitation solcher Kinder ist zwingend notwendig.
27.5.2 Thoraxtrauma Der kindliche Brustkorb ist durch die gegenüber Erwachsenen deutlich größere Elastizität der Thoraxwand, insbesondere der Rippen charakterisiert. Knöcherne Verletzungen wie Rippenfrakturen treten deshalb relativ selten auf. Demgegenüber sind intrathorakale Verletzungen wie Lungenkontusionen, Hämatooder Pneumothorax aufgrund des fehlenden Schutzes der Brustkorbwand sowie der proportional größeren Gewalteinwirkung etwa 2-mal häufiger (Hofmann v. Kap-Herr 1984; Reichmann et al. 1998). Bestehende Rippenfrakturen sind wichtiges Anzeichen einer erheblichen Traumatisierung und müssen auch beim primären Fehlen radiologischer Kriterien der Lungenkontusion im weiteren Vorgehen berücksichtigt werden (Garcia et al. 1990; Höllwarth 1984). Funktionell steht die thorakale wesentlich hinter der Zwerchfellatmung zurück, pulmonale Reserven und Hypoxietoleranz von Kindern sind geringer als die von Erwachsenen. Beim Thoraxtrauma kommt deshalb der möglichst frühzeitigen und schonenden Beatmung und der Entlastung eines Hämato- oder Pneumothorax eminente Bedeutung zu. Gegenüber der konventionellen Röntgenaufnahme des Thorax besitzt die CT eine deutlich höhere Aussagekraft. Kontusionsherde lassen sich früher und spezifischer erkennen, unklare Verschattungen in der Übersichtsaufnahme können Kontusionen, Atelektasen, pneumonischen Infiltraten und intra- oder extrapulmonalen Flüssigkeitsansammlungen zugeordnet werden (Abb. 27.1 a,b). Thoraxdrainagen werden grundsätzlich über eine Minithorakotomie in der »Kulissentechnik« eingebracht. Eine Zwerchfellruptur mit thorakalem Eingeweideprolaps ist zuvor (!) radiologisch und/oder sonographisch auszuschließen. Ein atypischer Verlauf der Magensonde im Thoraxröntgen kann den ersten Hinweis auf eine solche Verletzung geben. Die Größe der Drainagen und Einbringtiefe sind der Weite der Interkostalräume und der Größe des Kindes anzupassen. Die Bronchoskopie kann zur Abklärung eines möglichen begleitenden Inhalationstraumas sowie einer zentralen Bronchusverletzung angezeigt sein. Ähnlich wie bei Erwachsenen treten Pneumonie und ARDS (»adult respiratory distress syndrome«) in bis zu 50% der Patienten als häufigste Komplikationen auf (Allen u. Cox 1998). Operationspflichtige intrathorakale Verletzungen sind wie bei Erwachsenen eher selten anzutreffen. Die Operationsfrequenz liegt bei Kindern <2% (Breaux et al. 1990; Snyder et al. 1990). Meist handelt es sich um an-
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Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind
Abb. 27.1 a,b. 3 Jahre alter, polytraumatisierter Junge mit Thoraxkontusion und drainiertem Pneumothorax. a In der Übersichtsröntgenaufnahme keine sichtbaren Kontusionsherde. b In der Thorax-CT Darstellung eines Kontusionsherdes im rechten Mittelfeld
haltende Blutungen aus Parenchymeinrissen oder Interkostalgefäßen. Verletzungen von Trachea, Ösophagus, Herz und großen Gefäßen des Mediastinums sind selten (Haller 1996). Die Indikation zur Thorakotomie bei Blutungen ergibt sich aus anhaltenden, substitutionspflichtigen Blutverlusten über die Thoraxdrainage. Da die Versorgung dieser Verletzungen im Wesentlichen der bei Erwachsenen gleicht, soll an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden. Aufgrund seiner Einflussnahme auf die Gesamtprognose des mehrfachverletzten Kindes kommt der Diagnostik und Therapie des Thoraxtraumas eine erhebliche Bedeutung zu. 27.5.3 Abdominaltrauma Aufgrund des physiologischen Zwerchfelltiefstands sind die Oberbauchorgane bei Kindern exponierter; der
Schutz der unteren Brustkorbwand fehlt. Verletzungen von Milz und Leber sind deshalb häufig, gefolgt von Hohlorganrupturen, Nieren-, Blasen- und Mesenterialverletzungen. Die Anamese kann bereits Hinweise auf mögliche Organbeteiligung geben (z. B. Duodenal- und Pankreasverletzungen beim Fahrradsturz durch Aufprall auf den Lenker). Die Hauptgefährdung bei solchen Verletzungen besteht im äußerlich nicht erkennbaren Blutverlust mit drohendem Eintreten des hypovolämischen Kreislaufschocks. Die Peritoneallavage ist in der Diagnostik intraabdomineller Verletzungen weit hinter Sonographie und CT zurückgetreten. Insbesondere der initialen Ultraschalluntersuchung und engmaschig wiederholter Kontrollen kommt hier wesentliche Bedeutung zu (Hofmann 1998). Dünn- und Dickdarmperforationen sowie Pankreasverletzungen können allerdings im »toten Winkel« der Sonographie liegen. Bei klinisch suspekten Abdominalbefunden ist deshalb – falls durch die CT-Diagnostik keine eindeutigen Befunde erhoben werden können – die Durchführung einer Peritoneallavage indiziert. Diese sollte zur Vermeidung iatrogener Verletzungen über eine Minilaparotomie erfolgen. Die gewonnene Spülflüssigkeit wird auf Amylase, Lipase, Bilirubin, Leukozyten und Dünndarmfasern untersucht. Entsprechende Blutuntersuchungen komplettieren die laborchemische Diagnostik. Die sonographische Verlaufskontrolle hinsichtlich freier Flüssigkeit ist nach Durchführung einer Lavage nicht mehr verwertbar; daher sollte diese erst nach Ausschluss einer evtl. zunehmenden Menge an freier Flüssigkeit im Abdomen vorgenommen werden. Nicht der Nachweis freier Flüssigkeit, sondern die anhaltende hämodynamische Instabilität des Kindes bedingen die Operationsindikation. Solange die Kreislaufverhältnisse stabil sind, kann unter engmaschigen sonographischen Kontrollen und hämodynamischem Monitoring zugewartet werden (Abb. 27.2 a,b). Die Laparoskopie hat sich in der Primärdiagnostik bislang nicht durchgesetzt. Die Indikation zur Laparotomie ist bei Kindern mehr als bei Erwachsenen zurückhaltend zu stellen. Auch bei den seltenen Verletzungen des Gastrointestinaltrakts (Häufigkeit <1%) wird eine Indikation zur Laparotomie teilweise zurückhaltend gestellt (Canty et al. 1999). Im Hinblick auf die besondere Gefährdung von Kindern durch die »overwhelming postsplenectomy sepsis« ist milzerhaltenden Operationstechniken der Vorzug gegenüber der Splenektomie einzuräumen (Haller 1996; Leppin 1998). Hier stehen Parenchymnaht, Einsatz von Fibrinkleber und hämostyptischem Kollagenflies, Infrarotkoagulation, Splenorraphie oder »mesh-wrapping« mit Kunststoffnetz, »packing« (Tamponade mittels Bauchtüchern) mit »second-look« und die Teil-/Polresektion zur Verfügung (Haller 1996). Auch bei Leber- und Nierenverletzungen sollte, wenn möglich, der Organerhalt angestrebt werden.
CAVE
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27.5 Notfalldiagnostik und Primärmaßnahmen
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27.5.4 Wirbelsäulenverletzungen
Abb. 27.2 a,b. 14-jähriges Mädchen mit Ruptur des Nierenunterpols und ausgedehntem Hämatom, konservative Behandlung unter Ultraschall- und Laborkontrollen, niedrigster Hämoglobinwert: 8,2 g/dl (keine Substitution erfolgt)
Im Rahmen vital bedrohlicher Blutungen im Bauchraum ist über die Durchführung möglicherweise zeitaufwendiger Rekonstruktionsversuche mit unsicherer Blutungskontrolle jedoch individuell zu entscheiden. Lässt sich eine Makrohämaturie sonographisch oder durch die CT-Untersuchung nicht hinreichend abklären, ist die intravenöse Urographie indiziert. Eine Zwerchfellruptur ist bei 2–5% der polytraumatisierten Kinder mit Thorax- oder Abdominaltrauma zu erwarten (Sauer 1984). Die Versorgung erfolgt hier wie auch bei den übrigen intraabdominellen Verletzungen analog dem Vorgehen bei Erwachsenen. Zwingende Operationsindikationen beim stumpfen Bauchtrauma 쐌 Anhaltende oder erneute hämodynamische Instabilität trotz Volumensubstitution 쐌 Nachweis freier intraabdomineller Luft 쐌 Klinische Zeichen der Peritonitis 쐌 Nachgewiesene Ruptur eines Hohlorgans
Verletzungen der Wirbelsäule treten bei Kindern selten auf, ihre Inzidenz wird in der Literatur mit etwa 3% (1–5%) angegeben (Breaux et al. 1990; Dallek et al. 1993; Hofmann v. Kap-Herr 1984; Kasperk u. Paar 1991; Reichmann et al. 1998; Snyder et al. 1990). Grund hierfür ist die gegenüber Erwachsenen hohe Elastizität des Wirbelsäulengefüges, die Rückenmarkverletzungen bei Kindern auch ohne begleitende knöcherne Läsionen möglich macht (Cramer 1995). Diese Verletzungen werden mit dem Begriff SCIWORA (»spinal chord injuries without radiographic abnormalities«) umschrieben. Die klinische Manifestation kann mit einer Latenz von einigen Tagen auftreten (Pang u. Wilberger 1982). Zusätzlich werden Wirbelsäulenverletzungen gerade bei Kindern nicht selten übersehen, können aber mit einer Häufigkeit von bis zu 75% bei polytraumatisierten Kindern auftreten (Gäbler et al. 1998). Eine Wirbelsäulenverletzung ist deshalb im präklinischen und Schockraummanagement stets solange anzunehmen, bis sie durch geeignete Mittel (Nativröntgen, Tomographie, CT, MRT) ausgeschlossen ist. Im Gegensatz zu Erwachsenen finden sich Wirbelsäulenverletzungen bei Kindern bevorzugt im Rahmen von Mehrfachverletzungen und besitzen eine höhere Letalität (Snyder et al. 1990). Kindliche Wirbelsäulenfrakturen weisen häufiger eine Rückenmarkbeteiligung auf. Vor allem bei jungen Kindern ist aufgrund des proportional hohen Gewichts des Kopfes bevorzugt die obere Halswirbelsäule (HWS), bei Jungendlichen – wie bei Erwachsenen – häufiger der untere HWS-Abschnitt betroffen (Cramer 1995; Abb. 27.3 a–c). Auf die Koinzidenz von HWS-Verletzungen und SHT sei nochmals hingewiesen. Bei als PKW-Insassen verunfallten Kindern, die den nur noch selten anzutreffenden Beckengurt angelegt hatten, ist an Verletzungen der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie begleitende intraabdominelle Läsionen zu denken. Ebenso implizieren Frakturen vor allem der oberen und mittleren Brustwirbelsäule (BWS) ein Thoraxtrauma, sodass in diesen Fällen der pulmonalen Situation des Kindes erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen ist. Auf die kontroverse Diskussion hinsichtlich der Steroidgabe bei Kindern wurde bereits hingewiesen. Der potenzielle Nutzen im Rahmen einer Rückenmarkläsion überwiegt nach unserer Ansicht mögliche, jedoch therapeutisch besser beeinflussbare Nebeneffekte. Das empfohlene Schema zur Gabe von Methylprednisolon nach der NASCIS III-Studie ist in Tabelle 27.6 wiedergegeben (Bracken et al. 1998).Auf den erforderlichen Therapiebeginn innerhalb der ersten 8, besser noch (aufgrund der mit 24 Stunden gegenüber 48 Stunden kürzeren Applikationsphase und damit geringeren Gesamtdosis) der ersten 3 Stunden nach Trauma sei in diesem Zusammenhang hingewiesen.
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Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind
Abb. 27.3. a 10-jähriger Junge mit C3/C4-Luxationsfraktur. b Ventrale Stabilisierung mit Span. c Stabile Ausheilung 3 Monate nach Unfall
Die stabilen Verletzungen der HWS überwiegen und können konservativ behandelt werden. Der HALO-Fixateur hat hierbei den pflegetechnisch unkomfortablen Minerva-Gips ersetzt. Bei sehr jungen Kindern kann statt der unter Umständen zu groß dimensionierten Weste auf die Kombination von HALO-Ring und Carbon-Stangen mit einem Gipsmieder zurückgegriffen werden. Instabile Verletzungen erfordern wie bei Erwachsenen in der Regel die ventrale oder dorsale (bei irreponibler Subluxation/Luxation) Spondylodese. Die seltene atlantookzipitale Instabilität erfordert in der Regel die Fusion C0–C1/C0–C2. Atlantoaxiale Gefügestörungen können in eine rotatorische (Differenzialdiagnose: rheumatoide Genese) und eine translatorische (Ruptur des Lig. transversum atlantis) Form differenziert werden, wobei die letztere meist durch eine dorsale Fusion versorgt wird (Blauth et al. 1998). Frakturen des Dens axis können – ggf. nach Reposition – mittels HALO-Fixateur behandelt werden, wenn auf diese Weise die Retinierung in anatomiegerechter Stellung gelingt. Das Vorliegen eines anlagebedingten Os odontoideum (fehlende Verschmelzung des Dens mit dem Axiskörper) ist beim radiologischen Befund einer Densfraktur differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen. An die Keilform der Wirbelkörper, die sich mit zunehmendem Alter des Kindes der Blockform des Erwachsenen angleicht, sei hingewiesen. Die physiologische Hypermobilität der Segmente C2/C3 und C3/C4 ist mit einer Inzidenz von bis zu 20% bei den unter 8-Jährigen im Rahmen der Diagnostik zu berücksichtigen. Ein »Versatz« um 3–4 mm zwischen diesen Wirbelkörpern in Nativ- oder Funktionsaufnahmen kann durchaus physiologisch bestehen (Shaw et al. 1999). Frakturen der Brust- und Lendenwirbelsäule sind überwiegend stabile Verletzungen; diese können konservativ-funktionell behandelt werden. Auch das spontane »remodeling« primär höhengeminderter Wirbelkörper im weiteren Wachstumsverlauf spricht für eine zurückhaltende Einstellung gegenüber nicht zwingend erforderlichen operativen Eingriffen (Kertulla et al. 2000). Die Beteiligung der Wachstumsfugen ist aufgrund des möglichen vorzeitigen Fugenschlusses mit konsekutivem Fehlwachstum als prognostisch ungünstig anzusehen. Höhergradig instabile (Typ-B/C-Frakturen), erheblich dislozierte und Frakturen mit neurologischen Ausfallsymptomen erfordern die Einrichtung, Dekompression und Stabilisierung. Mit zunehmendem Alter der verletzten Kinder (>10–14 Jahre) ist individuell zwischen »kindlichen« und »Erwachsenenstrategien« in der Behandlung von Wirbelfrakturen zu entscheiden. Aufgrund der Seltenheit dieser Verletzungen und der daraus resultierenden diagnostischen sowie therapeutischen »Unsicherheiten« sollte im Zweifelsfall ein mit diesen Verletzungen erfahrenes Zentrum konsultiert werden.
27.5 Notfalldiagnostik und Primärmaßnahmen
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27.5.5 Beckenfrakturen Beckenverletzungen bei Kindern sind mit einer Häufigkeit von etwa 10% (6–20%), beim Polytrauma jedoch bis zu >80% vertreten. Diese Verletzungen erfordern, bedingt durch die elastische Verformbarkeit des kindlichen Beckenrings, eine hohe Gewalteinwirkung (Breaux et al. 1990; Cramer 1995; Dallek et al. 1993; Hofmann v. Kap-Herr 1984; Hübner et al. 1998; Reichmann et al. 1998; Rieger et al. 1998; Schmitz et al. 1989). Der Anteil komplexer Beckenfrakturen mit assoziierten pelvinen Begleitverletzungen ist deutlich höher als bei Erwachsenen. Die Häufigkeit intraabdomineller und urogenitaler Läsionen wird bei kindlichen Beckenfrakturen mit bis zu 80% angegeben (Bond et al. 1991; Hübner et al. 1998). Intraabdominelle und retroperitoneale Blutungskomplikationen können prognosebestimmend sein, sodass gerade primär radiologisch als »harmlos« angesehene Frakturen besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf potenzielle Begleitverletzungen erzwingen. Häufigkeit und Schwere der Begleitverletzungen sowie Transfusionsbedarf steigen in der Regel mit der Schwere der Beckenverletzung. Beckenringfrakturen mit hämodynamisch wirksamer Blutung aus den spongiösen Frakturflächen oder den präsakralen Venenplexus erfordern die notfallmäßige Reposition und Anlage einer externen Fixation mittels ventralem Beckenfixateur oder Beckenzwinge unter Umständen noch im Schockraum (Swiontkowski 1993). Als Unfallmechanismus liegt bei diesen Frakturen nicht selten ein Überrolltrauma zugrunde. Hier ist an mögliche Urogenitalverletzungen wie auch begleitende Rektumverletzungen bereits im Rahmen der Primärdiagnostik zu denken. Auch geringfügige Blutungen aus Rektum oder Urethra dürfen als wegweisende Warnzeichen keinesfalls übersehen werden. Die digital-rektale Untersuchung ist obligat, im Zweifel klärt eine retrograde Urethrozystographie den Verdacht einer Harnröhrenverletzung. Der dem Überrolltrauma assoziierte oft massive Weichteilschaden kann zur Ausbildung eines Kompartmentsyndroms der Glutealmuskulatur, das Décollement zur ausgedehnten Weichteilschädigung mit konsekutiver Weichteilnekrose führen. Zur Klassifikation und Stabilitätsbeurteilung ist neben Röntgenaufnahmen (Beckenübersicht, Ala- und Obturatoraufnahme, Inlet- und Outlet-Aufnahme) in der Regel die CT, evtl. ergänzend eine MRT erforderlich. Auf die bei kleinen Kindern bis zu 12 mm weite Symphysenfuge, die eine »Open-book-Verletzung« vortäuschen kann, sei hingewiesen. Der Großteil kindlicher Beckenfrakturen ist stabil und kann konservativ-funktionell therapiert werden (Cramer 1995; Swiontkowski 1993). Die gute Heilungstendenz des kindlichen Knochens sowie die Mög-
lichkeit der Spontankorrektur während des Wachstums unterstützen eine generell restriktive Einstellung zur operativen Behandlung. Hochgradig instabile Frakturen des vorderen und hinteren Beckenrings (entsprechend den Typ-C-Frakturen), erheblich dislozierte Frakturen mit zu befürchtenden funktionellen Spätfolgen (persistierende Fehlstellung, Beinverkürzung) sowie urogenitale oder abdominelle Begleitverletzungen bei dislozierten Frakturen des vorderen Beckenrings erfordern jedoch eine operative Behandlung (Hübner et al. 1998; Schwarz et al. 1998; Abb. 27.4 a–e). Die Beteiligung des Acetabulums mit der Y-förmigen Wachstumszone ist selten, kann jedoch zu funktionell bedeutsamen Entwicklungsstörungen der Hüftpfanne führen. Die operative Behandlung bei Dislokationen >2 mm wird deshalb empfohlen (Rieger et al. 1998; Swiontkowski 1993).
Abb. 27.4. a 5 Jahre alter Junge mit Acetabulumquerfraktur, vorderer Beckenringfraktur und ipsilateraler subtrochantärer Femurfraktur (Überrolltrauma). b Stabilisierung
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Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind
27.5.6 Extremitätenverletzungen
Abb. 27.4. c Radiologisches und d,e klinisches Ausheilungsergebnis 6 Monate nach Unfall
Liegen Einzelverletzungen vor, sind die Extremitäten am häufigsten betroffen. Frakturen des Ober- und Unterschenkelschafts machen etwa 45%, Frakturen des Ober- und Unterarmschafts rund 30% aller Extremitätenfrakturen aus (Reichmann et al. 1998). Für die Prognose hinsichtlich des Überlebens des mehrfachverletzten Kindes sind die Extremitätenverletzungen von nachgeordneter Bedeutung. Sie haben jedoch deutlichen Einfluss auf Spätmorbidität. Die Diagnostik umfasst die klinische Untersuchung, die dopplersonographische Kontrolle der peripheren Durchblutung verletzter Extremitäten und die Röntgenaufnahme. Blutverluste bei offenen Frakturen sowie Becken- und Femurfrakturen sind im Hinblick auf die Schockgefährdung nicht zu unterschätzen. Obgleich die Versorgung prinzipiell den Regeln der kindlichen Frakturbehandlung entspricht, sind beim polytraumatisierten Kind andere Prioritäten gegeben. In der Versorgungsdringlichkeit stehen Extremitätenverletzungen zunächst hinter vital indizierten oder dringlichen Eingriffen beim Schädel-Hirn-, Abdominal- und Thoraxtrauma zurück. Dringlich zu versorgen sind anschließend Frakturen mit Gefäß- oder Nervenbeteiligung, offene Extremitätenfrakturen, Luxationen großer Gelenke und intraartikuläre Frakturen sowie mediale Schenkelhalsfrakturen. Bei Schaftfrakturen des Ober- und Unterschenkels, die als Monoverletzung konservativ behandelbar wären, empfiehlt sich im Rahmen der Mehrfachverletzung die Stabilisierung mittels Fixateur externe oder intramedullären Federnägeln (Abb. 27.5). Ebenso wie bei Erwachsenen reduziert eine frühzeitige Frakturstabilisierung die Belastung des Organismus beim Polytrauma, reduziert die Wahrscheinlichkeit potenzieller Komplikationen und erleichtert die Intensivpflege (Cramer 1995). Aufgrund des ausgezeichneten Heilungspotenzials des kindlichen Knochens ist hierbei deutlich seltener als bei Erwachsenen ein Wechsel auf ein anderes Osteosyntheseverfahren notwendig. Gerade die rasch durchzuführende Fixateuranlage erlaubt bei Kindern fast immer eine sofortige Vollbelastung der unteren Extremität im Rahmen der Rehabilitation. Auch bei der Immobilisierung osteosynthetisch versorgter Gelenkfrakturen ist die Anwendung des Fixateur externe gegenüber der Gipsruhigstellung nicht nur für die Intensivbehandlungvon Vorteil. Bei der Versorgung offener Frakturen gelten die gleichen Regeln wie bei Erwachsenen. Débridement und Fasziotomie sind ebenso kompromisslos vorzunehmen (vgl. Abb. 27.5). Bezüglich der Versorgung von Femurschaftfrakturen und deren Einfluss auf die Rate pulmonaler Komplikationen bei Kindern gibt es nur wenig Literaturhinweise.
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27.6 Intensivtherapeutische Aspekte
쐌 nosokomiale Infektionen und 쐌 Folgen primär nicht diagnostizierter Verletzungen (z. B. retroperitoneale Duodenalperforation). Die komplette Darstellung der intensivmedizinischen Strategien unter besonderer Berücksichtigung der Behandlung von Kindern würde den Rahmen dieses Kapitel überschreiten. Deshalb soll lediglich auf einige grundsätzliche Aspekte hingewiesen werden.
CAVE
Abb. 27.5. 5-jähriger Junge mit SHT, bilateralen Femurfrakturen und Unterschenkelfraktur mit Kompartmentsyndrom, Versorgung mittels Fixateur externe und Unterschenkelfasziotomie
In einer Untersuchung konnte kein Einfluss einer primären oder verzögerten Versorgung von Femurfrakturen auf die Häufigkeit pulmonaler Komplikationen festgestellt werden (Hedequist et al. 1999). Vorteile einer frühzeitigen Stabilisierung sind jedoch für Kinder mit zusätzlichem SHT nachgewiesen worden (Nutz et al. 1986). Die Verwendung unaufgebohrter Marknägel mit der damit verbundenen Einschwemmung von Blut- und Knochenmarkbestandteilen ist der Versorgung von Femur- und Tibiafrakturen Jungendlicher mit bereits verschlossenen Wachstumsfugen vorbehalten. Impliziert die radiologische Diagnose isolierter Wachstumsfugenverletzungen bereits die eben genannten Probleme, so muss insbesondere bei polytraumatisierten Kindern auch beim Vorliegen wesentlich augenfälligerer und primär bedrohlicherer Schädigungen gezielt nach solchen Verletzungen gesucht werden. Nichterkannte Epiphysenfrakturen manefestieren sich tragischerweise häufig erst spät-sekundär mit der Folge schwer zu beeinflussender Wachstumsstörungen.
Monitoring Die intensivmedizinische Überwachung von Kindern unterscheidet sich nicht wesentlich von der bei Erwachsenen. Sämtliche erforderlichen Katheter stehen in entsprechend kleinen Dimensionen zur Verfügung. Ebenso unterscheiden sich die typischen Katheterlokalisationen nicht. Die kontinuierliche Registrierung von EKG, Sauerstoffsättigung und Körpertemperatur, die nichtinvasive oder invasive Blutdruckmessung, eine regelmäßige Messung des zentralen Venendruckes (ZVD) und Durchführung von Blutgasanalysen, die Erfassung der Urinmenge in 30- bis 60-minütigen Intervallen und bedarfsorientierte Laboruntersuchungen sind Standard. Ein vorliegendes SHT kann eine kontinuierliche Messung des ICP sowie EEG-Kontrollen erforderlich machen. Die Diurese sollte bei Kindern von 2–5 Jahren mindestens 2 ml/kg KG/h, bei älteren Kindern 1 ml/kg KG/h betragen. Beatmung Ein Teil der heute gebräuchlichen Respiratoren bietet in der Software ein so genanntes »Kindermenü«, das den gegenüber Erwachsenen niedrigeren Werten für Atemzug- und Atemminutenvolumen sowie höheren Atemfrequenzen durch feinere Abstimmungsbereiche gerecht wird. Bei der Beatmung von Kindern <10 Jahren sind Kinderbeatmungssysteme mit reduziertem Schlauchquerschnitt zur Totraumverkleinerung zu verwenden. Entsprechend der Morphologie der kindlichen Lunge sollte ein druckkontrollierter oder drucklimitierter Beatmungsmodus gewählt werden, um ein Barotrauma zu vermeiden.
Tabelle 27.6. Methylprednisolon – Schema bei Rückenmarkläsionen. (NASCIS-III-Studie; Bracken et al. 1998) Dosis
Applikationszeitraum
Bolus
30 mg/kg KG
Über 15 min 15 min Pause
Wesentliche potenzielle Probleme während der intensivmedizinischen Behandlungsphase sind:
Erhaltungsdosis
5,4 mg/kg KG/h
쐌 zerebrale Hypoxie und Hirnödem nach SHT, 쐌 respiratorische Insuffizienz, ARDS, 쐌 Blutungen bei stumpfem Bauchtrauma und Beckenfrakturen,
a) über 23 h (Beginn <3 h nach Trauma) b) über 47 h (Beginn 3–8 h nach Trauma)
Gesamtdosis
154,2 mg/kg KG 283,8 mg/kg KG
a) in 24 h b) in 48 h
27.6 Intensivtherapeutische Aspekte
931
932
Kapitel 27 Das polytraumatisierte Kind
Beatmungsspitzendrücke von 20 mb sollten bei Kindern nicht überschritten werden. Wie bei Erwachsenen sollten FIO2-Werte von 0,5 aufgrund der Gefahr von Resorptionsatelektasen und des schädigenden Einflusses auf die Surfactant-produzierenden Typ-II-Pneumozyten vermieden werden. Die sonst eingesetzte »permissive Hyperkapnie« ist bei Kindern aufgrund der geringeren Pufferkapazität und vor allem bei vorliegendem SHT zurückhaltend anzuwenden. Die anzustrebenden PaO2-Werte sollten 70–80 mmHg nicht unterschreiten. Die Anwendung der wenig invasiven perkutanen Dilatationstracheotomie wird im Gegensatz zu Erwachsenen bei Kindern nicht empfohlen. Hier ist derzeit der konventionellen offenen Tracheotomie bei Langzeitbeatmungspflicht der Vorzug zu geben. Auf eine ausreichende Befeuchtung und Erwärmung der Beatmungsluft ist zu achten; die regelmäßige Applikation von Sekretolytika über einen integrierten Vernebler ist zu empfehlen. Bei Kindern mit Thoraxtrauma sowie unter länger dauernder Beatmungstherapie ist die Anwendung einer wechselnden Bauch-Rücken-Lagerung in 6- bis 12-stündigen Intervallen zur Atelektasenbeseitigung und -prophylaxe sowie Sekretdrainage zu empfehlen. Infusionstherapie und Ernährung Die Flüssigkeitszufuhr erfolgt bilanzorientiert, muss jedoch den erhöhten Flüssigkeitsumsatz von Kindern berücksichtigen. Näherungsweise lässt sich der Basisbedarf an Flüssigkeit wie folgt ermitteln: 쐌 4 ml/kg KG/h: für die ersten 10 kg des Körpergewichts, 쐌 2 mL/kg KG/h: für die zweiten 10 kg des Körpergewichts, 쐌 1 ml/kg KG/h: für jedes Kilogramm >20 kg KG. Bei Blutverlusten >10% des geschätzten Gesamtblutvolumens kann eine Volumensubstitution unter Zusatz von Humanalbumin 5% erfolgen. Alternativ können bei Hypovolämie 10–15 ml/kg KG Ringerlaktatlösung oder NaCl/Glukose-Lösungen infundiert werden. Das Blutvolumen eines Neugeborenen beträgt etwa 85 ml/kg KG und sinkt bis zum 6. Lebensjahr auf etwa 65 ml/kg KG ab. Hb-Werte <10 g/dl bzw. HK-Werte <30% erfordern die Gabe von Erythrozytenkonzentraten (EK). Die verabreichten Volumina orientieren sich dabei am Defizit des geschätzten, normalen Blutvolumens (EK-Volumen: etwa 10 ml/kg KG).Als Faustregel gilt: 4 ml EK/kg KG erhöhen den Hb-Wert um etwa 1 g/dl. Bei höheren Blutverlusten kann die Gabe von Frischplasma (FFP/«fresh frozen plasma«) zur Substitution von Gerinnungsfaktoren notwendig sein. Unter Volumentherapie müssen klinisches Bild, Blutdruck, Herzfrequenz und ZVD engmaschig überwacht werden. Die gegenüber Erwachsenen proportional deutlich unterschiedlichen Infusionsmengen sind zur Vermeidung einer Volumenüberlastung stets zu berücksichtigen. Hier sind auch intravenös applizierte Medikamente unbe-
dingt in die Bilanz einzurechnen, da die Volumina einen deutlich höheren Anteil an der Gesamteinfuhr einnehmen als bei Erwachsenen. Wenn intraabdominelle Verletzungen nicht dagegen sprechen, sollte so früh wie möglich mit einer enteralen Ernährung begonnen werden, um die Darmmotilität zu fördern und eine Zottenatrophie des Dünndarms zu verhindern. Wie bei Erwachsenen wird die enterale Nutrition langsam bis zur angestrebten, körpergewichtsadaptierten Menge, abhängig von der Verträglichkeit, über einige Tage aufgebaut. Die parenterale Flüssigkeitszufuhr kann dementsprechend schrittweise reduziert werden. Die parenterale Ernährung muss Kohlenhydrate, Aminosäuren, Fette, Elektrolyte, Spurenelemente und Vitamine enthalten. Die Zusammenstellung sollte dabei den erhöhten Umsatz des kindlichen Organismus sowie die Besonderheiten des Postaggressionsstoffwechsels berücksichtigen. Gewöhnlich wird am ersten Tag nach Trauma mit der anteiligen Zufuhr von Glukose 5–10% begonnen. Es folgt am 2. bis 3. Tag die Gabe von Aminosäuren, danach die Fettzufuhr unter Beachtung einer ausreichenden Glukosegabe zur Vermeidung einer Leberverfettung. Anhaltswerte für den Normalbedarf wesentlicher Anteile der parenteralen Ernährung sind in Tabelle 27.7 wiedergegeben. Grundsätzlich kann die Dosierung verschiedener Medikamente gewichtsadaptiert erfolgen. Falls vom Hersteller keine Angaben vorliegen, kann die individuelle Dosis wie folgt berechnet werden: 쐌 Kinderdosis = Erwachsenendosis × (kg KG des Kindes : 70 kg). Adjuvante Therapiemaßnahmen Wie bei Erwachsenen sollte frühzeitig eine physiotherapeutische Behandlung begonnen werden. Der Erhalt der Mobilität von Gelenken und die Kontrakturprophylaxe sind insbesondere bei Schädel-Hirn-verletzten Kindern und Kinder mit Rückenmarkläsionen wesentliche Ziele dieser früh-rehabilitativen Maßnahmen. Die Lagerungstechniken helfen, druckbedingte Weichteilschäden zu vermeiden und erleichtern die pulmonale Sekretmobilisierung. Auch ergotherapeutische und logopädische
Tabelle 27.7. Parenterale Ernährung – Normalbedarf bei Kindern Bedarf pro 24 h Wasser Na+ K+ Cl– Eiweiß Glukose Kalorien
2–5 Jahre: 100–90 ml/kg KG >5 Jahre: 90–70 ml/kg KG 2–3 mmol/kg KG 2–3 mmol/kg KG 2–3 mmol/kg KG 40 g/m2 KOF Bis 20 kg KG: 4–6 g/kg KG >20 kg KG: 3–5 g/kg KG 1700 kcal/m2 KOF
Literatur
Behandlungen beginnen häufig bereits noch während der intensivmedizinischen Behandlungsphase. Techniken wie der basalen Stimulation kommt besonders bei wahrnehmungsgestörten Patienten große Bedeutung zu. Die Eltern sollten wenn möglich in solche Maßnahmen integriert werden. Eine therapeutische Unterstützung bei der Traumabewältigung unter Berücksichtigung der kindlichen Psyche sollte angeboten werden.
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Kapitel 28
Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
28
M. Skutek, Ch. Krettek
28.1
Allgemeine Behandlungsprinzipien . . . . . . . . . 939
28.2 28.2.1 28.2.2
Spezielle Behandlungsprinzipien . . . . . . . . . . 941 Wundbehandlung/Wundausschneidung . . . . . . 941 Frakturstabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 942
28.3 28.3.1 28.3.2
Wundverschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943 Primärer Wundverschluss . . . . . . . . . . . . . . 943 Sekundärer Wundverschluss . . . . . . . . . . . . . 945
28.4 28.4.1 28.4.2 28.4.3 28.4.4 28.4.5 28.4.6 28.4.7 28.4.8
Spezielle Verletzungsformen . Morel-Lavalée-Syndrom . . . Verletzungen durch Autoreifen Radspeichenverletzungen . . . Rasenmäherverletzungen . . . Tier-/Hundebissverletzungen Schussverletzungen . . . . . . Amputation/Replantation . . Kindesmisshandlung . . . . .
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947 947 947 947 948 948 950 950 951
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952
Ursache und Häufigkeit Verletzungen der Haut, des subkutanen Fettgewebes und der Muskeln nehmen einen hohen Prozentsatz der Verletzungen in der unfallchirurgischen Notaufnahme ein (Thomson 1975). In der Gruppe der 6- bis 13-jährigen Kinder sind alle Altersstufen etwa gleich unfallgefährdet. Jungen sind dabei in einem Verhältnis von 3 : 2 häufiger betroffen als Mädchen. Die Mehrzahl aller Unfälle im Kindesalter passieren in der Freizeit: 22% beim Freizeitsport, 33% bei sonstigen Freizeitaktivitäten. 32% sind Durchgangsarztunfälle. Ursächlich liegt in der Mehrzahl der Fälle ein Sturz oder ein Zusammenstoß zugrunde (Kehr et al. 2000). Bei Verkehrsunfällen kommt bei Kindern erschwerend häufig ein größerer Verletzungsgrad hinzu, da sie vergleichsweise kleine Objekte darstellen, wodurch sich die einwirkende Kraft auf eine kleinere Fläche verteilt und eine größere Verletzungsschwere resultiert. Die Knochen sind beim Kind altersentsprechend unvollständig ossifiziert und noch teilweise elastisch. Verletzungen betreffen daher häufiger die Weichteile. In zunehmendem Maße werden Weichteilverletzungen auch im Freizeitbereich durch Rasenmäher, Skateboards und Inlineskates hervorgerufen. Die Verletzungen müssen genauso sorgfältig und ebenso aggressiv behandelt wer-
den wie beim Erwachsenen, um unnötigen Gewebeverlust, Wachstumsstörungen und akute sowie chronische Infektionen zu vermeiden. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich beim Kind dadurch, dass die Verletzungen oftmals ungesehen von den Eltern geschehen, sodass eine genaue Anamnese nicht möglich ist. Die klinische Untersuchung nimmt daher einen sehr hohen Stellenwert ein. Hierbei muss besonders auf Lokalisation und Grad eines Weichteilschadens, Deformitäten sowie Integrität der Durchblutung und Innervation geachtet werden (Ogden 2000). Weichteilverletzungen können eigenständig oder in Kombination mit Frakturen, Periost-, Gelenkknorpel-, Gefäß-, Nerven-, Band- und Sehnenverletzungen vorkommen. Der Verlauf schwerer Weichteilverletzungen ist allerdings bei Kindern in der Regel im Vergleich zum Erwachsenen günstiger, weil vorbestehende Herz-Kreislauf-Leiden, arterielle Gefäßverschlüsse oder venöse Durchblutungsstörungen eine Ausnahme darstellen. Verletzungsformen, chirurgische und spezielle Anatomie Die genaue Beurteilung eines Weichteiltraumas bereits anlässlich der Notfalluntersuchung erlaubt es, mögliche Komplikationen abzuschätzen. Es interessieren in erster Linie die Ausdehnung und Lokalisation der Läsion, welche anatomischen Strukturen der Weichteile betroffen sind, ob es sich um eine offene oder geschlossene Weichteilverletzung handelt und ob es sich um spezielle Unfallmechanismen handelt, die besonders komplikationsgefährdet sind.
Einflussfaktoren des Weichteilschadens 쐌 Kontaktfläche des traumatisierenden Objektes (stumpf, spitz, scharf, breitflächig usw.) 쐌 Größe der Krafteinwirkung 쐌 Richtung der Krafteinwirkung (vertikal oder tangential) 쐌 Betroffene Körperregionen 쐌 Reinheitsgrad der Wunde (sterile Operationswunde – Bissverletzung) 쐌 Allgemeinzustand des verletzten Kindes
936
Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
!
Aus diesen Faktoren ergeben sich unterschiedliche Wundarten, die in Tabelle 28.1 dargestellt sind. Die Wundarten unterscheiden sich nicht nur in ihrer Form, sondern auch in der Art der notwendigen Behandlung und der zu erwartenden Prognose. So haben Wunden mit glatt begrenzten Wundrändern und geringer Kontamination (z. B. Glasscheibenverletzungen) eher eine gute Prognose im Hinblick auf die primäre Wundheilung. Im Gegensatz dazu ist die Prognose bei erheblichen Kontusionen und Kontaminationen (Bisswunde, Abb. 28.1 a) eher ungünstig. Bei Frakturen in Kombination mit Weichteilverletzungen entscheidet letztlich die neurovaskuläre Situation über Erfolg und Misserfolg der Lokalbehandlung. Bei der Beurteilung der Ausdehnung und Lokalisation ist vor allem daran zu denken, dass ausgedehnte Schürfverletzungen ähnliche Flüssigkeitsprobleme verursachen können wie Verbrennungen. Tabelle 28.1. Wundformen und deren kausale Ursache Einwirkende Kraft
Wundart
Scharf, spitz Stumpf Dehnung, Zerrung Scherkraft Mischform
Schnitt-, Stichwunde Quetsch-, Platzwunde Risswunde Schürfung, Décollement, Defektwunde Hieb-, Pfählungs-, Biss-, Schusswunde
Oberflächliche Verletzungen sind häufig Kombinationen aus Kontusionen, Schürfungen, Hämatomen und Riss-Quetsch-Wunden. Ausgedehnte Kontusionen, die durch Abscherungen an der Grenze Subkutis zu Faszie kompliziert werden, sind auch beim Kind häufig schwierig zu beurteilen. Morel-Lavalée-Verletzungen, die durch tangentiale Krafteinwirkung mit resultierender Scherverletzungen und Kontusion entstehen, sind wegen der senkrecht zur Oberfläche führenden Blutversorgung besonders nekrosegefährdet. Offene Frakturen stellen eine sehr schwere Form kindlicher Weichteilverletzungen an den Extremitäten dar ebenso wie auch Amputations- oder Explosionsverletzungen. Offene Frakturen sind meist Folge eines Verkehrsunfalls (Hochrasanztrauma, Überrolltrauma) und nehmen als solche in ihrer Häufigkeit zu (Abb. 28.2 a–f, vgl. Abb. 28.5). Polytraumatisierte Kinder weisen in 10% der Fälle offene Frakturen auf. Etwa 25–50% aller Kinder mit offenen Frakturen haben Begleitverletzungen (Marcus 1986). Pathophysiologie von Weichteilschäden und Frakturen Die körperliche Reaktion auf eine entsprechende Weichteilverletzung bzw. offene Fraktur beginnt zum Zeitpunkt der Verletzung. Zunächst kommt es zu einer Aktivierung von Makrophagen und Produktion von proinflammatorischen Substanzen. Die Mikrozirkulation wird durch Aktivierung von Endothelzellen und Permeabilitätsstörungen negativ beeinflusst. Dieser Prozess wird durch Ischämie, verminderte Oxygenierung und dem Vorhandensein von nekrotischem Gewebe potenziert, d. h. die inflammatorische Antwort wird verstärkt. Diese Reize stimulieren das Zytokinsystem, was zu einer systemischen, inflammatorischen Antwort führen kann (Harris u. Gelfand 1995). Im Hinblick auf die metabolischen Auswirkungen entspricht eine kindliche Femurfraktur (Weichteilschaden, Blut- und interstitieller Flüssigkeitsverlust) einer drittgradigen Verbrennung (Ogden 2000).
Verletzungsbedingte lokale Veränderungen im geschädigten Gewebe 쐌 Hypoxie 쐌 Permeabilitätsschaden 쐌 Azidose 쐌 Ödem
Abb. 28.1. a Schwerste Weichteilverletzung durch Hundebiss (Kampfhund). b Unkomplizierte Wundheilung nach sorgfältigster Säuberung durch Wundspülung, geringem Débridement (Wundrandausschneidung) und primärem Wundverschluss
Durch Zunahme des interstitiellen Druckes auf der Basis des Ödems kann es bei bestehender Einengung des sich ausdehnenden Gewebes durch Faszien oder Haut zu einem Kompartmentsyndrom kommen. Aus der metabolischen Entgleisung des Gewebes resultiert dazu eine vermehrte Infektbereitschaft des geschädigten Gewebes. Zudem besteht beim schwerstverletzten Kind eine
Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
Abb. 28.2 a–f. 12-jähriger Junge, von Pkw angefahren und am linken Unterschenkel überrollt. a,b Subtotale Amputation distaler Unterschenkel links (III C) mit Durchtrennung der A. tibialis posterior. A. dorsalis pedis langstreckig obliteriert. Durchtrennung des N. fibularis profundus und schwere Schädigung des N. tibialis. Decollement der Haut. c,d Primär Indikationsstellung zur Amputation. e,f Behandlungsergebnis und endgültige prothetische Versorgung
Verstärkung aller Mechanismen bei generalisierter Hypoxie und Azidose. Klassifikation von Weichteilschäden in Verbindung mit Frakturen Zur Klassifikation von Weichteilschäden in Verbindung mit Frakturen existieren mehrere Einteilungen. Im angloamerikanischen Sprachraum ist die Klassifikation von Gustilo u.Anderson verbreitet (Gustilo u.Anderson 1976; Gustilo et al. 1987), die auch von uns verwendet wird. Offene Frakturen werden dabei in 3 Schweregrade eingeteilt, wobei das Ausmaß der Hauptverletzung zugrunde
gelegt wird (Tabelle 28.2). Die primäre Einteilung erfolgte in offene Frakturen Grad I, bei der eine saubere, kleine Wunde (< 1 cm) besteht. Bei der zweitgradig offenen Fraktur ist die Wunde >1 cm, ohne ausgedehnten Weichteilschaden. In die Gruppe der drittgradig offenen Frakturen fielen zunächst alle offenen Frakturen mit ausgedehntem Weichteilschaden und traumatische Amputationen, zusätzlich Schussverletzungen, landwirtschaftliche Verletzungen und Verletzungen mit rekonstruktionspflichtiger Gefäßverletzung (Gustilo u. Anderson 1976). Die drittgradig offenen Frakturen wurden später weiter unterteilt (Gustilo et al. 1987; vgl. Tabelle 28.2).
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden Tabelle 28.2. Klassifikation der offenen Frakturen nach Gustilo u. Anderson (Gustilo u. Anderson 1976; Gustilo et al. 1987). Äquivalent der Klassifikation nach Tscherne (vgl. Tabelle 28.3) Grad I
II
III
III A
III B III C
Tscherne Offene Fraktur mit Wunde <1 cm, geringes Weichteiltrauma, geringe Gewalteinwirkung, saubere Wunde (Durchspießung), einfache Quer- oder Schrägfraktur Offene Fraktur mit Wunde >1 cm, ohne ausgedehnten Weichteilschaden, mittlere Gewalteinwirkung, leichte bis mittlere Kontamination. Einfache Queroder Schrägfraktur mit mehreren Fragmenten Offene Segmentfraktur sowie offene Fraktur mit ausgedehntem Weichteilschaden (Muskel, Haut, neurovaskuläre Strukturen) oder traumatische Amputation Ausgedehnte Weichteilverletzung, ausreichende Weichteildeckung, Mehrfragmentfraktur Deperiostierung, massive Kontamination, Weichteildeckung notwendig Meist massive Kontamination, begleitende Gefäß-Nerven-Verletzung, rekonstruktionspflichtige Gefäßverletzung
OI
O II
O III
O III
OIV
In der Einteilung nach Tscherne werden geschlossene und offene Frakturen in 4 (G I bis G IV) bzw. 5 (O I bis O V) Schweregrade eingeteilt (Oestern u. Tscherne 1983; Tscherne u. Oestern 1982; Tabelle 28.3). Dabei entspricht die offene Fraktur des Grades O V der totalen oder subtotalen Amputation (vgl. Abb. 28.2 a–f), welche nach dem Replantationskomitee der International Society for Reconstructive Microsurgery als Durchtrennung der wichtigsten anatomischen Strukturen, besonders der Hauptgefäßverbindungen mit totaler Ischämie, definiert ist (Biemer u. Duspiva 1980). Vom Weichteilmantel, bestehend aus Haut und Muskeln, darf dabei nicht
mehr als ein Viertel der Zirkumferenz erhalten sein. Bei Bestehen von noch wesentlichen anatomischen Verbindungen und deutlichen Zeichen einer Restdurchblutung – so genannte Revaskularisation – kann lediglich von einer offenen Fraktur des Grades O IV gesprochen werden. Die Klassifikationen von Gustilo und Tscherne weisen eine hohe Übereinstimmung auf (vgl. Tabelle 28.2). Diagnostik Anamnese Die Erhebung einer genauen Anamnese ist obligat. Beim Säugling/Kleinkind oder beim bewusstlosen Kind können Angehörige, Freunde oder auch Babysitter helfen, das Unfallgeschehen zu rekonstruieren. Alle gewonnenen Informationen können dabei für die Diagnose, die Einschätzung des Gewebeschadens und für die Behandlung von großer Wichtigkeit sein. Zum Beispiel können bei Quetschungen die Art und Dauer der Krafteinwirkung sowie die, Oberflächenbeschaffenheit des Gegenstandes usw. zur Einschätzung des Gewebeschadens beitragen und somit Einfluss auf die Therapie nehmen. Mögliche Begleiterkrankungen sowie der Impfstatus (Tetanus) müssen ebenfalls erhoben werden. Gegebenenfalls ist eine Impfung vorzunehmen. Untersuchung Generell besteht beim Kind im Vergleich zum Erwachsenen ein größeres Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen. Das Risiko einer Hypothermie ist daher größer. Eine Hypothermie entwickelt sich schneller, weshalb auf eine ausreichende Wärmezufuhr bei der Untersuchung und bei den anschließenden Maßnahmen zu achten ist. Bei der Untersuchung ist unbedingt eine weitere Kontamination der Wunde zu vermeiden. Wurde bereits an der Unfallstelle ein steriler Verband angelegt, so bleibt dieser bis zur endgültigen Versor-
Tabelle 28.3. Klassifikation der offenen Frakturen nach Tscherne (persönliche Mitteilung; Ostern u. Tscherne 1983) Grad
Haut (offen +)
Frakturtyp
Kontamination
OI O II O III
Haut offen, geringer Weichteilschaden, Durchspießung Haut offen, umschriebene Weichteilkontusion Haut offen, ausgedehnte Weichteilzerreißung oder -quetschung, Deperiostierung, Knochendefekte Haut offen, ausgedehnte Weichteilzerreißung oder -quetschung, Gefäßverletzung (Rekonstruktion erforderlich) Totale oder subtotale Amputation Keine oder unbedeutende Weichteilverletzung Oberflächliche Schürfung oder Kontusion, Fragmentstück von innen Tiefe Schürfung, umschriebene Haut- oder Muskelkontusion Ausgedehnte Weichteilkontusion, Décollement, drohendes Kompartmentsyndrom Gefäßverletzung, Rekonstruktion erforderlich Kompartmentsyndrom, Fasziotomie erforderlich
+ + bis +++ + bis +++
0 + + bis +++
+ bis +++
+ bis +++
+ + bis ++ + bis +++ + bis +++ + bis +++
– – – (+) (+)
O IV OV G0 GI G II G III G IV
Leicht +, mittel ++, schwer +++.
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28.1 Allgemeine Behandlungsprinzipien
Empfohlene Diagnostik 쐌 Erhebung von Begleitverletzungen 쐌 Erhebung des genauen Neurostatus (Aufforderung, Sensibilität, verminderte aktive Bewegung vs. normale passive Bewegung, Beurteilung post operationem und im Verlauf) 쐌 Genaue Abklärung der arteriellen Durchblutungsverhältnisse im Schockraum mittels klini-
scher Erhebung des Pulsstatus. Im Zweifel ist eine Doppleruntersuchung bzw. eine Angiographie notwendig. Nachbeurteilung post operationem 쐌 Unterscheidung offene/geschlossene Verletzung. Auch die kleinste offene Verletzung macht aus einem geschlossenen Bruch eine offene Fraktur mit entsprechendem hohen Komplikationsrisiko. Entsprechend ist bei der Behandlung zu verfahren
28.1 Allgemeine Behandlungsprinzipien Die wichtigsten Ziele bei der Behandlung von Weichteilverletzungen sind die Infektionsbekämpfung und das Erreichen sauberer Wundverhältnisse, um letztlich einen Wundverschluss (primär oder sekundär) durchzuführen. Ohne intaktes oberflächliches Gewebe hat die Behandlung der darunter liegenden Strukturen wie Sehnen und Knochen wenig Aussicht auf Erfolg. Alle primär geschlossenen Verletzungen sollten im Interesse der Infektverhütung geschlossen bleiben, d. h. die konservative Behandlung muss dafür sorgen, dass durch Lagerung in Schaumgummiblöcken, Antidekubitusmatratzen oder Luftkissenbett kein zusätzlicher Druckschaden die Durchblutung stört. Extremitäten sollten hochgelagert werden, und häufiges Umlagern ist notwendig. Bei gefährdeter Durchblutung bzw. drohendem Kompartmentsyndrom ist eine Hochlagerung kontraindiziert. Frische subkutane Hämatome dürfen nicht zur Punktion verleiten. Diese ist gefährlich, weil damit aus einer geschlossenen Verletzung eine infektgefährdete offene Verletzung entsteht.
Therapieziele 쐌 Wiederherstellung der Oberflächenkontinuität/ Abheilung des Weichteilschadens 쐌 Knochenbruchheilung 쐌 Wiederherstellung der Funktion 쐌 Vermeidung einer Wundsepsis 쐌 Vermeidung weiterer Komplikationen (z. B. Kompartmentsyndrom)
Die Vermeidung einer Wundsepsis ist ein wesentliches Ziel, insbesondere die Ausbreitung einer Infektion auf tiefergelegene Strukturen wie z. B. Knochen, Gelenke oder Sehnen. Vorbemerkung allgemeine Behandlungsprinzipien Bereits am Unfallort muss durch entsprechende Behandlung eine weitere Schädigung der bestehenden
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gung der Verletzung, also bis zur Operationsvorbereitung, angelegt. Bei Kindern ist häufig eine Allgemeinnarkose notwendig, um eine vollständige Untersuchung der Wunde zu ermöglichen. Dies ist z. B. bei verschmutzten oder tiefen Wunden der Fall. Bei der Untersuchung von Wunden sollten eine Operationshaube, Mundschutz sowie sterile Handschuhe getragen werden. Ein geeigneter Ort ist daher der Operationsvorbereitungsraum, da sich unmittelbar an die Untersuchung die operative Versorgung anschließen kann. Ist aus bestimmten Ursachen keine sofortige Versorgung möglich (z. B. CT notwendig), so ist bei Extremitätenverletzungen mit Frakturen eine Ruhigstellung als Schutz vor weiterer Gewebetraumatisierung selbstverständlich, soweit noch nicht erfolgt. Bei der Untersuchung wird die Blutung (Menge und Typ des Blutflusses, Farbe des Blutes) beurteilt. Weiterhin ist auf Schwellung (Ausdehnung eines Hämatoms), Farbe (Rötung, Zyanose, Fremdkörpereinsprengung) und Gewebespannung (Kompartmentsyndrom) zu achten. Die Lokalisation der Wunde sowie Ausdehnung und Tiefe werden festgehalten. Eine Fotodokumentation ist auf jeden Fall notwendig. Sie ermöglicht nicht nur eine sehr gute Verlaufskontrolle, sondern erleichtert auch die Festlegung einer Behandlungsstrategie, ohne jedes Mal die Wunde erneut zu inspizieren. Anatomische Strukturen in der Nähe der Verletzung müssen besonders sorgfältig auf Begleitverletzungen inspiziert werden. Nerven und Gefäße verlaufen häufig in enger anatomischer Beziehung zueinander. Bei stark blutenden Wunden mit Verdacht auf Verletzung eines großen Gefäßes ist dabei auch an begleitende Nervenverletzungen zu denken. Eine genaue Dokumentation des Neurostatus, nicht zuletzt aus versicherungstechnischen Gründen (z. B. Peroneusparesen bei Weichteilverletzungen der Unterschenkel, N.- medianus-Paresen bei suprakondylären Oberarmfrakturen usw.), ist obligatorisch. Die Größe einer Wunde kann irreführend sein. Eine kleine Wunde beim Kind kann eine signifikante Verletzung (z. B. Sehnenverletzung an der Hand) maskieren. Unberücksichtigt der führenden Verletzung ist es erforderlich, eine ganzkörperliche Untersuchung vorzunehmen, insbesondere, wenn eine große Krafteinwirkung wie beim Hochrasanztrauma vorlag.
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
Weichteilverletzung vermieden werden. Wichtigstes Prinzip ist zunächst die Dekompression der ischämischen und gequetschten Weichteile durch Frakturreposition. Offene Frakturen mit entsprechender Fehlstellung bzw. freiliegendem Knochen sollten zur Verbesserung der Durchblutungssituation reponiert werden. Durch Anlegen eines sterilen Verbandes und Ruhigstellung der Extremität in einer pneumatischen Schiene wird die Ausbreitung des Frakturhämatoms und des posttraumatischen Ödems vermindert (Tscherne 1983). Ein zu starker Druck in der pneumatischen Schiene ist sorgfältig zu vermeiden, da hierdurch die Ausbildung eines Kompartmentsyndroms gefördert werden kann. Bei wenig dislozierten Frakturen mit kleiner Wunde kann in der Regel eine Ruhigstellung nach steriler Wundabdeckung ohne Repositionsmanöver erfolgen. Wesentlich ist bei allen Manipulationen eine ausreichende Analgesie durch den Notarzt. Gespräch mit den Eltern/Aufklärung. Unabhängig von der Schwere des Traumas besteht bei den Eltern große Sorge und ein entsprechendes Informationsbedürfnis. Im Gespräch mit den Eltern sollten daher ausführlich der Behandlungsplan, das zu erwartende Behandlungsergebnis und mögliche Komplikationen, einschließlich unschöner Narbenbildung usw., aufgezählt werden. Auf eine realistische, umfassende, aber gleichzeitig schonende Darstellung, um Schuldgefühle nicht noch zu verstärken, sollte geachtet werden. Aufklärung erleichtert das Verständnis der Eltern und vermeidet Enttäuschung bei eintretenden Komplikationen. Antiseptika/Antibiotika. Für die Behandlung von offenen Wunden eignen sich Alkohole, Biguanide (Lavasept) und kationenaktive Substanzen wie Octenisept. Iod bzw. der Polyvinyl-Pyrrolidon-Iod-Komplex (PVP-Iod) zeichnet sich durch seine universelle Anwendbarkeit aus, ist jedoch bei Kleinkindern kontraindiziert. Präoperativ sollten daher nach ausführlicher Seifenreinigung alkoholische Lösungen verwendet werden. Intraoperativ eignen sich sowohl alkoholische Lösungen als auch Octenisept und Lavasept (Bischoff u. Beck 2000), welche auch bei Infektionen zu wiederholten Spülungen eingesetzt werden können. Stark traumatisiertes Gewebe, Verbrennungen und devitalisiertes Gewebe distal von Ligaturen verstärken das Infektionsrisiko. Ob es zu einer postoperativen Wundinfektion kommt, hängt neben patientenbezogenen Faktoren (Immun- und Ernährungsstatus, Diabetes) und mikrobiologischen Faktoren insbesondere auch von wundbezogenen Faktoren (Ausmaß des Weichteilgewebeschadens, Devitalisation und Hämatom) ab. Die Indikation zur Antibiotikatherapie besteht im Allgemeinen dann, wenn eine Gefährdung des Patienten durch Infektionserreger vorliegt, die nicht oder
nicht zuverlässig durch operative Maßnahmen beseitigt werden können. Es konnte gezeigt werden, dass die antibiotische Therapie das Risiko einer Infektion bei offenen Frakturen signifikant vermindern kann (Patzakis u. Wilkins 1989). In der Traumatologie ist die Antibiotikatherapie ferner bei ausgedehnter Weichteilzertrümmerung und bei Schuss- und Bisswunden indiziert. Weitgehende Übereinstimmung besteht darüber, dass die Narkoseeinleitung ein guter Zeitpunkt für die Erstgabe des Antibiotikums ist. Bei offenen Frakturen erfolgt die Erstgabe bereits in der Notaufnahme.Vor der Antibiotikagabe sollte aus offenen Wunden ein Abstrich genommen werden. Aufgrund des antibakteriellen Spektrums, geringem Allergierisiko und wenig Nebenwirkungen stellen die Cephalosporine die erste Wahl bei chirurgischen Interventionen dar. Gustillo zeigte, dass Cephalosporine (z. B. Cefazolin 25–50 mg/kg KG; Haessner 2003) bei offenen Frakturen eine gute Wirksambarkeit besitzen (Gustilo 1985). Die örtliche Applikation antibiotikahaltiger Medikamente, wie Puder, Salben und Lösungen, ist eher schädlich als nützlich. In der Lokalbehandlung von Weichteilverletzungen haben Maßnahmen wie das chirurgische Débridement, Abtragung von Nekrosen und eine ausreichende Sekretdrainage stets Vorrang. In stark kontaminierten Wunden mit ossärer Beteiligung können nach sorgfältigstem Débridement antibiotikahaltiger Zement, z. B. Ketten (PMMA) zur Erhöhung der lokalen Antibiotikakonzentration eingelegt werden (Ogden 2000). Aminoglykoside, angemischt mit PMMA, haben in Studien eine gute Wirksamkeit gezeigt (Henry et al. 1990). Blutstillung als Notfallmaßnahme. In der Regel reicht eine direkte Kompression der Wunde. Arterielle Blutungen erfordern unter Umständen eine direkte digitale Blutstillung. Vermieden werden sollte eine »blinde« Blutstillung durch Klemmen o. Ä. Bei starken Blutungen kann eine Blutsperre angelegt werden. Die Dauer muss dokumentiert werden. Nach einer Stunde angelegter Blutsperre sollte eine erneute Evaluation der Blutungsneigung stattfinden. Anmerkungen zur Behandlung von Weichteilschäden. Das für die operative Therapie von Weichteilverletzungen notwendige Débridement sollte sehr sorgfältig erfolgen und kann häufig in Kombination mit notwendigen Versorgungen der Begleitverletzungen im Rahmen einer Allgemeinnarkose durchgeführt werden. Die gleichzeitige Versorgung von kontaminierten Wunden und geschlossenen Verletzungen, die mittels Osteosynthese versorgt werden, erhöht das potenzielle Infektionsrisiko. Nach dem Wunddébridement und der Spülung kontaminierter Wunden müssen daher durch Handschuhwechsel, neue Desinfektion und Abdeckung zunächst wieder aseptische Verhältnisse hergestellt werden.
28.2 Spezielle Behandlungsprinzipien
28.2 Spezielle Behandlungsprinzipien Obwohl Weichteilverletzungen im Kindesalter eine vergleichsweise gute Heilungsprognose haben, erfordert die Behandlung dieser Verletzungen ein genaues Behandlungsprotokoll (Novkov u. Kaneva 1996). Generell folgt auf das Débridement die definitive Klassifikation des Weichteilschadens, auf der die weitere Therapie aufbaut (Mentzel et al. 2000). Indikationen/Kontraindikationen. Prinzipiell stellen offene Weichteilverletzungen eine Indikation zur chirurgischen Versorgung dar. Bei oberflächlichen Schürfwunden ohne Kontamination reicht in der Regel eine Wundreinigung. Kleinere, saubere Wunden können zumeist in Lokalanästhesie versorgt werden. Größere, verschmutzte Wunden müssen meistens in Allgemeinnarkose behandelt werden. Eine Kontraindikation für eine operative Versorgung sind dagegen primär geschlossene Weichteilverletzungen. Ausnahmen stellen massive Hämatome, superinfizierte Hämatome und geschlossene Frakturen dar, die operativ versorgt werden müssen. Operationsvorbereitung. Im Operationsvorbereitungsraum wird der am Unfallort angelegte Notverband entfernt und die Wunde unter aseptischen Bedingungen inspiziert. Zur Operationsvorbereitung wird die Wunde, falls erforderlich, mit einem sterilen Einmalrasierer enthaart und mit einer Bürste und Seifenlösung gereinigt. Anschließend erfolgt die Desinfektion mit einer alkoholischen Lösung. Die Wunde wird mit reichlich Polyvidon-Iod gespült. Bei schwerem Weichteilschaden sollte von der Möglichkeit der Blutsperre nicht Gebrauch gemacht werden, da diese die periphere Hypoxie fördert. Manchmal allerdings ist es besser sie anzulegen, um bei schwer stillbaren Blutungen den Blutverlust gering zu halten. Die Extremität wird nochmals desinfiziert und in ein steriles Tuch eingedreht. Erst dann wird das verletzte Kind in den Operationssaal gebracht. Auf jeden Fall sollte die Abdeckung so erfolgen, dass bei Bedarf intraoperativ eine Blutsperre angelegt werden kann.
28.2.1 Wundbehandlung/Wundausschneidung Instrumentarium 쐌 Skalpell 쐌 Pinzette chirurgisch/anatomisch 쐌 Schere, Lüer, Meißel 쐌 Nierenschale 쐌 50 ml Spritze mit Jet-Düse, gepulstes Spülsystem 쐌 Spüllösung/Desinfektionslösung (Ringer-Lactat, Octenisept, Lavasept, PVP-Iod)
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쐌 Gefäßklemme 쐌 Ligaturen (z. B. Dexon)
Anforderungen an das primäre Wunddébridements 쐌 Vollständige Entfernung des nekrotischen und grenzwertig vitalen Gewebes einschließlich tiefer Gewebeschichten 쐌 Entfernung sämtlicher Fremdkörper, insbesondere organischer Fremdkörper. Bei stark verteilten Fremdkörpern wie z. B. Schrot kann unter Umständen auf eine vollständige Entfernung verzichtet werden (s. unten, Abschn. 28.4.6) 쐌 Steriles Vorgehen, danach Wechsel der Instrumente, neues Abwaschen und Abdecken 쐌 Herstellung einer Wunde, deren natürliche Abwehrorganismen mit einer eventuellen Restkontamination fertig werden
Die Schwere des Weichteilschadens bestimmt die Operationstechnik. Die Wundausschneidung hat in sorgfältigster Weise zu erfolgen. Lebendes Gewebe ist der beste Infektionsschutz. Avaskuläres, totes Subkutan- und Muskelgewebe wird konsequent radikal exzidiert. Dazu ist es häufig notwendig, die Wunde entsprechend zu erweitern. Alle Wundhöhlen müssen sichtbar gemacht und von Fremdkörpern gereinigt werden. Das Débridement hat schichtweise von außen nach innen zu erfolgen. Eine sorgfältige Blutstillung ist notwendig. Die Lebensfähigkeit aller Gewebe muss geprüft werden. Die 4 »K«: Konsistenz, Kolorit, Kontraktilität und Kapillardurchblutung sind die wichtigsten Kriterien für die Lebensfähigkeit eines Muskels. Wenn ein Muskel blutet und sich auf Druck kontrahiert, ist er in der Regel vital. Im Zweifelsfall ist es besser, minderdurchbluteten Muskel zu resezieren. Die Alternative besteht darin, den in seiner Vitalität fraglichen Muskel zu belassen und den Patienten für eine geplante »Second-look-Operation« 2 oder 3 Tage später wiederum in den Operationssaal zu bringen. Auch der Knochen wird in gleicher radikaler Weise behandelt. Verschmutzter Knochen wird angefrischt, Fremdkörpereinsprengungen in den Knochen werden ausgemeißelt oder mit dem Lüer entfernt. Freie Kortikalisfragmente sind potenzielle Sequester und sollten immer entfernt werden. Intraoperativ wird die Wunde mehrfach gespült (gepulstes Spülsystem/Lavasept/Octenisept). Nach der Wundausschneidung werden alle Instrumente und die gesamte Operationskleidung gewechselt. Die Wunde wird für eine neue Operation (Frakturstabilisierung/Weichteildeckung) mit Iodlösung abgewaschen und steril abgedeckt.
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
28.2.2 Frakturstabilisierung
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Die stabile Fixation der Frakturhauptfragmente reduziert Schmerzen, vermeidet eine zusätzliche Schädigung des umgebenden Weichteilgewebes, reduziert die weitere Streuung von Mikroorganismen und erlaubt die frühzeitige Rekonstruktion von Weichteilen und Knochen. Somit besteht kein Zweifel am günstigen Einfluss der Immobilisation. Da die Frakturen meistens instabil sind, führt auch nach einer guten Reposition ein sekundäres Abgleiten der Fragmente zum Druck auf die oft schwer geschädigten Weichteile und in weiterer Folge zu Weichteilnekrosen und Sekundärinfektionen. Vaskularität ist die biologische und Stabilität die biomechanische Grundlage für eine ungestörte Frakturheilung. Je stärker die Knochenvaskularisation beeinträchtigt ist, desto größere Bedeutung kommt der Stabilität zu. Es sollten daher alle Anstrengungen unternommen werden, um durch die stabile Fixation des Knochens optimale Heilungsbedingungen für die Weichteile zu schaffen. Durch die Osteosynthese soll die Durchblutung des Knochens nicht noch weiter verschlechtert, sondern die Revaskularisation gefördert werden. Der biologischen Situation am Ort der Knochenläsion kommt daher für die Wahl der Fixationsmethode übergeordnete Bedeutung zu. Es soll zwar das für eine bestimmte Frakturform biomechanisch am besten geeignete Verfahren angewendet werden, aber nur, wenn dies von biologischer Seite vertretbar ist. Die mechanischen Belange sind den biologischen Erfordernissen unterzuordnen. Bei der Verfahrenswahl sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
Lokalisation und Art der Weichteilschädigung, Frakturlokalisation und Frakturform, Zustand der Wachstumsfugen, Alter des Kindes, Fragmentvitalität, Knochenqualität, biomechanische Leistungsfähigkeit und biologische Störungsmöglichkeit des Osteosyntheseverfahrens.
Grundsätzlich gilt, im Fall einer notwendigen Anästhesie, Frakturen definitiv zu versorgen, sodass Nachrepositionen und Therapiewechsel unnötig werden. Zugleich sollte mit der Therapie eine möglichst hohe Stabilität – im Idealfall Belastungsstabilität – erzielt werden. Im diaphysären Bereich kommen zur Anwendung: 쐌 die intramedulläre Stabilisierung, 쐌 der Fixateur externe und 쐌 die Plattenosteosynthese. Alle geschlossenen/offenen Frakturen mit Weichteilschaden und begleitende oder drohende Gefäß-Nerven-
Verletzungen stellen dabei eine absolute Indikation zur sofortigen operativen Versorgung dar. Bei der distalen Radiusfraktur und konsekutiver Kompression des N. medianus zusammen mit leichter Weichteilverletzung (Grad I) kann ggf. die alleinige Reposition zur Dekompression und zum Verschwinden der Symptome führen. Genaue Neurologische Untersuchungen vor und nach einer Reposition sind obligat (Ogden 2000). Intramedulläre Stabilisierung. Bei den meisten geschlossenen Frakturen mit schwerem Weichteilschaden, aber auch den meisten offenen Frakturen im Schaftbereich, gilt primär die Forderung zur intramedullären Stabilisierung. Dies ermöglicht eine rasche Mobilisierung sowie einfache Weichteilpflege. Bei allen Patienten mit offenen Epiphysenfugen sollte eine intramedulläre Markraumschienung (Titan, Stahl) erfolgen. Bei geschlossenen Epiphysenfugen ist am Femur bzw. an der Tibia auch ein unaufgebohrter/ aufgebohrter Marknagel möglich. Intramedulläre Osteosynthese 쐌 Indikationen: – geschlossene Querfrakturen mit Weichteilschaden – offene Querfrakturen mit Weichteilschaden – einfache Schrägfrakturen mit Weichteilschaden 쐌 Kontraindikationen: – stark kontaminierte Wunden – schwerer, rekonstruktionspflichtiger Weichteilschaden (Décollement, notwendiges mehrfaches Nachdébridement) Fixateur externe. Die Anlage eines Fixateur externe bei der Versorgung offener kindlicher Frakturen stellt eher eine Ausnahme dar. Indikationen sind in der Regel instabile Torsions-, Schräg- und Trümmerfrakturen sowie Mehretagenbrüche und Frakturen im Rahmen eines Polytraumas. Die Technik und Art der Standardmontage folgt den AO-Richtlinien. Soweit möglich sollten die Schanz-Schrauben nicht unmittelbar im Frakturbereich angebracht werden. Gleichzeitig gilt für die Gesamtstabilität der Montage, dass der Abstand zwischen den Pins möglichst groß sein sollte (Mechanik vs. Biologie). Die Schrauben sollten durch den Markraum und beide Kortikales führen, um möglichst große Stabilität zu gewährleisten. Dies ist ohne Bildverstärker möglich, weshalb auf häufige Röntgenkontrollen bei der Anbringung der Pins aus Zeitgründen verzichtet werden kann. Nerv- und Gefäßverletzungen lassen sich durch profunde anatomische Kenntnisse minimieren. Falls möglich sollte vermieden werden, die Schrauben durch Muskeln/Sehnen einzubringen. In der Regel sollten zunächst je 2 Schanz-Schrauben im proximalen und distalen Fragment verankert und mit je einem Karbonstab verbunden werden. Nach erfolgter Frakturreposition
28.3 Wundverschluss
werden die beiden Stäbe mit einer kurzen Karbonstange in »Tube-to-tube-Technik« verbunden. Für die optimale Schraubenplatzierung wird auf die entsprechenden Kapitel verwiesen. Die Fixateur-externe-Osteosynthese ist indiziert bei schweren Weichteil- und Knochenläsionen, vor allem an der Tibia, Schussbrüchen, ausgeprägter primärer Kontamination und wenn durch intramedulläre Stabilisierungsverfahren keine auseichende Stabilisierung gewährleistet werden kann. Fixateur externe 쐌 Indikationen: – geschlossene/offene, instabile Torsions-, Schräg- und Trümmerfrakturen – geschlossene/offene Mehretagenbrüche und Frakturen im Rahmen eines Polytraumas – ausgeprägte primäre Kontamination – Schussbrüche 쐌 Kontraindikation: – Querfrakturen
Ursachen für die Komplikationen bei der Plattenosteosynthese sind häufig falsche Indikationsstellungen, intraoperative Gewebeschädigung, insuffiziente Weichteilbehandlung und fehlerhafte Osteosynthesetechnik.
28.3 Wundverschluss 28.3.1 Primärer Wundverschluss Der Wundverschluss kann prinzipiell primär oder sekundär erfolgen. Ein primärer Wundverschluss ist zulässig, wenn vitale Weichteilverhältnisse gegeben sind und die Wunde spannungsfrei mit Berücksichtigung der postoperativen Schwellung verschlossen werden kann. In diesen Fällen kann die Wunde unter Einlage einer Redon-Drainage mit atraumatischem Nahtmaterial verschlossen werden. Offene Gelenkverletzungen sollten möglichst immer primär verschlossen werden.
Für die meisten offenen Frakturen hat sich eine Frakturstabilisierung durch Gips als nicht vorteilhaft erwiesen (Green u. Swiontkowski 1994). Die schwereren Frakturformen mit entsprechendem Weichteilschaden (Grad III offene Frakturen) machen häufig ein wiederholtes Débridement mit leichter Zugänglichkeit der Weichteile erforderlich. Für diese Situationen eignet sich ein Fixateur externe (= Teil des »orthopaedic damage control«). Mit angebrachtem Fixateur sollte daher eine leichte Zugänglichkeit der Wunde für Revisionen und spätere Weichteildeckung möglich sein. Gleichzeitig sollte der Fixateur ausreichend Stabilität als Schutz vor weiterem Weichteilschaden bieten, die regelrechte Länge bewahren und eine Mobilisation unter Teilbelastung ermöglichen. Die knöcherne Konsolidierung ist allerdings in der Regel erst mit sekundären Folgeeingriffen zu erzielen.
Primärer Verschluss 쐌 Indikationen/Bedingungen: – die Durchblutung der betroffenen Extremität muss normal sein (tastbarer bzw. dopplerbarer peripherer Puls, normale kapilläre Füllung) – jedes tote Gewebe muss entfernt sein – die primäre Kontamination muss gering sein – der Wundverschluss muss ohne Spannung und ohne einen Totraum zu hinterlassen möglich sein – offene Gelenkverletzungen 쐌 Kontraindikationen: – erhöhter Kompartmentdruck – Polytrauma – jede Wunde, die nicht absolut spannungsfrei verschlossen werden kann
Plattenosteosynthese. Der Einsatz von Platten zur Osteosynthese stellt bei Weichteilverletzungen in Verbindung mit Frakturen eher eine Ausnahme dar und beschränkt sich auf Gelenk- und gelenknahe Frakturen (Abb. 28.3 a–i). Insbesondere winkelstabile Implantate (z. B. LCP) bieten sich an.
Die Gewebespannung steigt unmittelbar nach der Operation durch das posttraumtische/postoperative Ödem an. Bei Hinweis für erhöhten Gewebedruck sollte eine intraoperative Messung des Kompartmentdruckes erfolgen. Bei entsprechender Indikation (s. unten, »Kompartmentsyndrom«) ist eine Kompartmentspaltung durchzuführen. Beim polytraumatisierten Kind mit entsprechender Störung der vitalen Systeme (Schock, Hypothermie usw.) sollte nach dem Wunddébridement eine temporäre Weichteildeckung (z. B. Polyurethanschaum mit Teflonfilm, Vakuumversiegelung) erfolgen. Die verminderte Sauerstoffzufuhr zur Wunde führt zu einer Verzögerung der Wundheilung und zu einer erhöhten Infektanfälligkeit unter den Bedingungen der relativen Hypoxie. Beim Second look kann dann über ein notwendiges Nachdébridement bzw. einen sekundären Wundverschluss entschieden werden.
Plattenosteosynthese 쐌 Indikationen: – Gelenk- und gelenknahe Frakturen – Platzierung der Platte unter vitalem Weichteilgewebe möglich – Keine gravierende Weichteilablösung notwendig – Stabile Osteosynthese mit Plattenosteosynthese biomechanisch möglich – Wachstumsfuge darf nicht geschädigt werden
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
Abb. 28.3 a–i. 6-jähriger Junge, in einer Sandgrube von einer Baggerschaufel an Becken und beiden Oberschenkeln getroffen. a Offene Grad-III B-Verletzung, stark verschmutzte subtrochantäre Oberschenkelfrakturen beiderseits mit schwerstem Weichteil- und Hautdefekt. Distale Frakturenden ragen aus den Weichteilen heraus, Muskulatur und Knochen von Schmutzschicht überzogen, z. T. deperiostiert. b Radiologisch sieht man massive Fremdkörpereinsprengungen in die Weichteile des Beckens und beider Oberschenkel. Die erhebliche Frakturdislokation weist auf eine schwerste Weichteilzerreißung hin. c,d Vorgehen mittels Wundausschneidung, stabiler Osteosynthese der gelenknahen Frakturen mit einem Minimum an Implantaten, Offenlassen der Wunde und sekundärer Wunddeckung durch Spalthaut. e Nach 4 Monaten sind die Frakturen radiologisch ausgeheilt. f,g Uneingeschränkte Beweglichkeit. Zu dieser Zeit freie Funktion aller Beingelenke. h,i Radiologischer und klinischer Verlauf nach 22 Jahren. Regelrechte knöcherne Durchbauung, ausgeglichene Beinlänge, freie Hüftgelenkfunktion beidseits. Zufriedenstellendes kosmetisches Ergebnis
28.3 Wundverschluss
Spontan verschließende Restdefekte weisen kosmetisch häufig kein schlechteres Ergebnis auf als unter Spannung geheilte Narben. Treten in den ersten 24–48 Stunden Durchblutungsstörungen am Hautrand auf, hilft nur eine sofortige Nahtentfernung, um diese Areale noch zu retten. Ein Wundverschluss unter Spannung führt häufig zur Hautnekrose, bedingt durch das posttraumatische Ödem und die ungenügende Hautdurchblutung.
28.3.2 Sekundärer Wundverschluss Der verzögerte oder aufgeschobene Wundverschluss ist die häufigste Art der Wundbehandlung bei schweren Weichteilschäden und bei offenen Frakturen. Hauttransplantationen werden primär nicht ausgeführt. Es ist besser, das Abklingen des posttraumatischen Ödems und die Formation eines Granulationsrasens abzuwarten. 4–10 Tage später hat sich der Defekt in der Regel erheblich verkleinert und kann zu dieser Zeit entweder sekundär vernäht oder mit einfachen Spalthauttransplantaten oder Meshgrafts gedeckt werden (vgl. Abb. 28.3 d). In der Zwischenzeit kann die Wunde vakuumversiegelt oder mit Hautersatz temporär verschlossen werden. Empfohlene Therapie Für den temporären Wundverschluss tiefer Wunden eignet sich insbesondere eine Vakuumversiegelung. Hierdurch wird das Eindringen von Bakterien verhindert und die Granulation angeregt. Die saubere, granulierende Wunde kann dann mittels Sekundärnaht verschlossen oder mittels Spalthaut gedeckt werden (vgl. Abb. 28.3 d). Der luftdichte Verband kann bis zu 2 Wochen belassen werden (Fleischmann et al. 1997). Bei oberflächlichen, mit Kunsthaut gedeckten Wunden, kann das Wechselintervall bis zu einer Woche gedehnt werden.
Abb. 28.3 g–i.
Kleine Hautdefekte. Bei fehlendem oder nur geringem Weichteildefekt kommt als einfache plastische Maßnahme die Sekundärnaht einer primär durch synthetische Haut temporär gedeckten Wunde in Frage. Verbliebene Hautdefekte können plastisch mit Spalthaut gedeckt werden. Dabei sind die Möglichkeiten der Sekundärnaht nicht zu unterschätzen, denn durch konsequentes Einengen gelingt es oft, größere Wunden ohne verbleibenden Defekt zu verschließen. Hierbei werden die Wundränder, soweit möglich, spannungsfrei mittels Donati-Rückstichnaht verschlossen. Der verbliebene Defekt wird dann mit kräftigem monofilen Kunststofffaden (z. B. 2/0) durchflochten und wenn möglich die Wundränder angenähert. In den Folgetagen
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
kann dann durch einfaches Nachziehen des Fadens eine weitere Annäherung der Wundränder erreicht werden. Die temporäre Deckung der Wunde erfolgt mit künstlichem Hautersatz (Abb. 28.4). Große Hautdefekte und Gewebedefekte/plastische Deckung. In seltenen Fällen ist eine primär plastische Maßnahme vertretbar, da eine unklare Durchblutungssituation im geschädigten und unmittelbar angrenzenden Gewebe besteht und das vollständige Ausmaß des Weichteilschadens zum Zeitpunkt der Erstversorgung oft nicht definitiv beurteilbar ist (Raffensperger 1980). Darüber hinaus ist der Allgemeinzustand aufgrund von Begleitverletzungen oft sehr kritisch. Ein weiterer Gesichtspunkt, der die Zeitplanung beeinflussen kann, sind organisatorische Probleme, z. B. wenn es keine Klinik für plastische Chirurgie gibt. Durch geplante wiederholte Revisionsoperationen (Second-look-Operationen) wird die Konditionierung der Wunde bis zum Erreichen vitaler Verhältnisse mit abgegrenztem Defekt erwirkt. Danach erfolgt die plastische Deckung mittels Spalthaut, als lokaler Lappen oder durch freien Gewebetransfer (Raffensperger 1980). Größere Hautdefekte, die sich nicht durch Sekundärnaht verschließen lassen, werden mittels Spalthaut gedeckt (vgl. Abb. 28.3 d). Für die Deckung großer Hautund Gewebedefekte eignen sich myokutane Lappenplastiken. Zur Anwendung kommen gestielte Lappen wie Rotationslappen, die sich gut zur Deckung kompletter Weichteildefekte eignen. Gestielte Muskel- oder myokutane Lappen haben sich besonders für die Weichteildefekte im Bereich des Unterschenkels bewährt (Mühlbauer u. Olbrisch 1983). Falls eine plastische Deckung durch lokale Lappendeckung nicht möglich ist, kann eine Deckung durch freien Gewebetransfer mit mikrovaskulärer Anastomose erfolgen. Diese Maßnahmen sind Sekundärmaßnahmen und sollten nicht primär erfolgen. In der Regel sind gute Ergebnisse zu erwarten (Mast u. Newton 1996).
Abb. 28.4. Dynamischer Wundverschluss durch Einengung der Wundränder. Mäanderförmige Durchflechtungsnaht zur konsekutiven Annäherung der Wundränder. Die Nähte werden zunächst nur etwas angezogen und die Wunde zwischenzeitlich mit Kunsthaut gedeckt. Bei der Wundrevision können die Wundränder durch »Nachziehen« der Naht einander genähert und ggf. vollständig verschlossen werden
Bei Kindern im Alter bis zu 2 Jahren ist der mikrovaskuläre Gefäßanschluss aufgrund des kleinen Kalibers schwierig bis unmöglich, was bei der Planung solcher Maßnahmen berücksichtigt werden muss (Ogden 2000). Weichteilrekonstruktionen als Folge eines verletzungsbedingten Weichteilschadens oder Defektes sind sehr häufig bei drittgradig offenen Verletzungen (III B, III C), Bestandteil der erforderlichen Behandlung.
Indikationen 쐌 Große Defektausdehnung und Defekttiefe/freiliegende Gewebestrukturen 쐌 Lokalisation des Gewebedefektes Beide Größen – Lokalisation und Ausdehnung des Weichteildefektes – beeinflussen die Verfahrenswahl. Hinsichtlich der Lokalisation der Verletzung ist bei der oberen und unteren Extremität die unterschiedliche Funktionalität der Extremitäten zu beachten. An der oberen Extremität werden überwiegend Fernlappen und freie, mikrovaskulär gestielte Lappen zur plastischen Deckung genutzt, da Nahlappen die wesentlich differenzierte Funktionalität des Armes erheblich beeinträchtigen bzw. nicht genug Material zur Defektdeckung liefern. Diese Gesichtspunkte sind an der unteren Extremität von untergeordneter Bedeutung (Anderl et al. 1982; Kinzl et al. 1996).
Kontraindikation 쐌 Gestörte Durchblutungsverhältnisse (vorher angiographischer Gefäßstatus mittels DSA)
Bei ausgedehnten Weichteildefekten werden in Abhängigkeit von der Defektgröße unterschiedliche Verfahren eingesetzt (Kinzl et al. 1996). Bei begrenzter Defektausdehnung an der unteren Extremität kommen Nahlappen in Form von regionalen fasziokutanen-, myokutanen- und Muskellappenplastiken in Frage. Die fasziokutane Lappenplastik wird bei oberflächlichen Defekten angewendet. Sie ist, wenn möglich, anderen Techniken vorzuziehen, da die chirurgische Technik einfach ist und durch diese Form der Defektdeckung die Funktionalität der Extremität nicht beeinflusst wird. Lediglich das Längen- und Breitenverhältnis ist in der Anwendung dieser Lappenplastiken zu beachten und sollte das Verhältnis 1 : 3 nicht unterschreiten, um keine Kompromittierung der Durchblutungssituation zu provozieren. Für proximale oberflächliche Defekte kann diese Lappenplastik auch mit einem distalen Stiel verwendet werden. Die Muskel- oder myokutanen Lappenplastiken an der unteren Extremität eignen sich für tiefere, aber in
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28.4 Spezielle Verletzungsformen
ihrer Ausdehnung begrenzte Defekte im proximalen und mittleren Unterschenkelbereich und werden z. B. in Form eines medialen oder lateralen Gastrocnemiuslappens bzw. als Soleuslappen ausgeführt (Kinzl et al. 1996). Bei distaler Lokalisation des Defektes an der unteren Extremität werden heute überwiegend freie Gewebetransfers durchgeführt. Die »Cross-leg-Plastik« als Fernlappen hat aufgrund der erheblichen Einschränkung des Patienten durch die temporäre Fixierung beider Extremitäten zugunsten des freien Gewebetransfers deutlich an Bedeutung verloren. Sind die distalen Defekte größer oder besteht unabhängig von der Lokalisation eine schlechte Qualität des Empfängerbettes, kommen mikrovaskulär anastomosierte, freie Gewebetransfers zu Anwendung, die überwiegend in Form eines Latissimus-dorsi-Lappens durchgeführt werden. Bei bestehenden Knochendefekten kann eine primäre Spongiosaplastik nur bei kleinen Defekten und initial minimaler Kontamination befürwortet werden. In den Fällen, in denen die Wunde offen belassen und mit Kunsthaut bedeckt wurde, ist eine frühsekundäre autogene Spongiosatransplantation zum Zeitpunkt des definitiven Wundverschlusses vorzunehmen. Die temporäre Einlage antibiotikahaltiger Ketten (PMMA), die therapeutisch effektive Dosierungen erreichen, haben sich als effektiv erwiesen (Henry et al. 1990).
28.4 Spezielle Verletzungsformen Durch den besonderen Aktionsbereich von Kindern treten einige Verletzungsformen vermehrt auf. Zu denken ist dabei zum einen an Unfälle auf Kinderspielplätzen, Kratz- und Bissverletzungen durch Katzen und Hunde (insbesondere Kampfhunde), Rasenmäherverletzungen, Radspeichenverletzungen usw., zum anderen liegen auch Verletzungen vor, die vom Muster dem Erwachsenenbereich zuzuordnen sind: z. B. Verkehrsunfälle mit Fahrrad oder Pkw sowie Unfälle aus dem Freizeitbereich, z. B. Reiten, Inlineskaten usw.
28.4.1 Morel-Lavalée-Syndrom
Die Morel-Lavalée-Läsion ist eine traumatische Ablösung (Décollement) von Haut und Subkutis von der Faszie mit Zerreißung der segmentalen perforierenden Blut- und Lymphgefäße, wodurch sich eine mit Blut und seröser Flüssigkeit gefüllte Wundhöhle bildet (Vico 2000).
Der Verletzungsmechanismus besteht in einer erheblichen direkten tangentialen Krafteinwirkung auf die Haut über einer unnachgiebigen Faszie. Die prädisponierten Regionen liegen lumbodorsal, gluteal, trochantär, iliofemoral und selten ilioinguinal. Hervorgerufen wird diese Verletzung häufig bei Überrolltraumen, z. B. bei Verletzungen durch Reifen (Pkw/Lkw/ landwirtschaftliche Fahrzeuge). Die Folgen dieses Hautdécollements sind Hämatombildung, Lymphozele, Nekrose der Subkutis, zentrale Hautnekrose bis hin zur völligen Weichteilgangrän (»crushing«) und schließlich Sepsis. Die Diagnostik ergibt sich aus den fluktuierenden Hautverletzungen an den prädisponierten Stellen mit Sensibilitätsverlust. Die Sonographie kann die Ausdehnung der Läsion sehr gut erfassen. Die Therapie dieser Verletzung besteht aus einem ausführlichen Débridement und einer Lavage (Tscherne et al. 1996). Beim Débridement werden Blut, Hämatom, Lymphe und nekrotisches Fett entfernt. Bei totalen Hautnekrosen kann eine Hautexzision notwendig werden. Die am meisten gefürchtete Komplikation dieser Verletzung ist die Infektion mit nachfolgender Sepsis. In der Literatur wird beschrieben, dass beim Débridement bereits 20–43% dieser Läsionen infiziert sind (ebd.). Empfohlene Therapie Die Inzision sollte im Zentrum der Hautläsion und nicht peripher erfolgen. Bei ausgedehnten Hautnekrosen ist ein Débridement durchzuführen. Im Anschluss sollte eine offene Wundbehandlung, ggf. unter Einlage einer Drainage, erfolgen. Nach Konditionierung des Wundgrundes (Vakuumversiegelung) ist nach ausgedehnten Nekrosen ggf. eine Spalthauttransplantation notwendig.
28.4.2 Verletzungen durch Autoreifen An den Extremitäten liegt oftmals ein Kombinationsschaden aus einer Kontusion, Abscherung und Verbrennung vor (Abb. 28.5). Das Décollement kann partiell oder vollständig sein. In partiellen Läsionen kann unter Umständen ein Teil des Gewebes gerettet werden, indem es ausgeschnitten und in einen Vollschichthautlappen überführt wird. Die betroffenen Hautpartien können sekundär wegen der fehlenden Blutversorgung aus tieferen Gewebeschichten nekrotisch werden s. oben.
28.4.3 Radspeichenverletzungen Diese Verletzung tritt bei Kleinkindern auf, deren Fuß zwischen Rahmen und Fahrradspeichen gerät. Ausge-
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
belastet. Zudem erlaubt die Szintigraphie nicht, das Ausmaß der Epiphysenverletzung festzustellen, womit ihr prognostischer Wert fraglich ist. Allein der radiologische Langzeitverlauf kann über das Ausmaß einer Epiphysenschädigung Auskunft geben (Pochon 1991). Radspeichenverletzungen sollten als offene Verletzungen behandelt werden, da Subkutangewebe, Periost und Perichondrium verletzt sein können, ohne dass eine Fraktur nachgewiesen werden kann. Als weitere Verletzungen können in diesem Zusammenhang auch Fußwurzelfrakturen und Zehenfrakturen, insbesondere der Großzehe, auftreten (Sankhala u. Gupta 1987; Subrahmanyam et al. 1980).
28.4.4 Rasenmäherverletzungen
Abb. 28.5. Kombination von Kontusion und Abscherung bei einem Überrolltrauma durch KFZ-Reifen. Beim Décollement können die abgescherten Hautanteile durch fehlende Blutversorgung sekundär nekrotisch werden
dehnte Schürfungen, Kontusionen und z. T. Ablederungen resultieren daraus. Nach Ausschluss von Begleitverletzungen besteht die Behandlung in der Wundreinigung, Auflage eines sterilen Verbandes und Schienenlagerung zur Ruhigstellung und Schmerztherapie der betroffenen Extremität. Die Heilung verläuft häufig langsam, aber zufriedenstellend. Die Komplikationsmöglichkeiten liegen in der Natur der Verletzung, da es sich häufig um eine Kombination von Scherkräften und Hitzeentwicklung handelt. Der primäre Befund mit einigen kleinen Kontusionsmarken und Hauterosionen verleitet zur Sorglosigkeit. Mittelfristig kann es zu kutanen und subkutanen Nekrosen kommen, die nicht immer spontan heilen und meist nur durch Débridement und Hauttransplantationen behandelt werden können. Durch diesen Unfallmechanismus kann auch eine distale Tibiafraktur ohne Fibulafraktur hervorgerufen werden. Hierbei handelt es sich bei kleinen Kindern um eine Grünholzfraktur, die als supramalleolarer Querbruch imponiert. Die Behandlung dieser Frakturen erfolgt grundsätzlich konservativ (Rüter et al. 1995). Es treten aber auch kombinierte Tibia- und Fibulafrakturen auf. Einige Autoren empfehlen im Zweifelsfall eine Knochenszintigraphie (Jehle et al. 1986), da an Wachstumsstörungen durch Crush-Verletzungen (Salter-Harris V) der distalen Epiphyse gedacht werden muss. Therapeutisch nichtverschobene Epiphysenverletzungen von geringer Konsequenz. Radspeichenverletzungen müssen ohnehin entlastet und ruhig gestellt werden, um die Weichteilheilung zu optimieren. Daher wird die Extremität erst 3–4 Wochen nach dem Unfall
Häufige und sehr schwere Verletzung bei Kindern werden durch Rasenmäher hervorgerufen (Loder et al. 1997). In einer Multizenterstudie wurde gezeigt, dass mit einer Häufigkeit von 77% überwiegend Jungen (23% Mädchen) betroffen sind. Das Durchschnittsalter liegt bei 7,0 Jahren. In 67% der Fälle kam es dabei zu Amputationen, 63% einseitig und 4% beidseits. Am häufigsten waren die unteren Extremitäten betroffen (Lode et al. 1997; Ogden 2000). Die Verletzungshäufigkeit in den Vereinigten Staaten beträgt 100.000/Jahr (Ogden 2000). Bei der Primärbehandlung erfolgt ein radikales Débridement, Einschätzung begleitender Gefäß-NervenVerletzungen, Gewinnung mikrobiologischer Abstriche sowie Beginn einer prophylaktischen Antibiose. Nach 24–72 Stunden schließt sich ein Nachdébridement an. Ist alles nekrotisches Gewebe entfernt, erfolgt die Konditionierung des Wundgrundes für eine spätere Defektdeckung mit Spalthaut. Bei freiliegendem Knochen, Sehnen, Nerven und Gefäßen erfolgt eine Deckung durch Rotationslappen oder freie Lappen. Die Stabilisierung begleitender Frakturen erfolgt mittels Kirschner-Drähten und/oder Fixateur externe, insbesondere bei Tibiafrakturen. Bei allen Amputationsverletzungen gelten die Regeln der sterilen Sicherung und Kühlung des Amputats sowie des schnellen und direkten Transports in eine entsprechende Schwerpunktklinik (Abb. 28.6 a–c).
28.4.5 Tier-/Hundebissverletzungen Der Großteil der Tierbisse wird durch Hunde verursacht (etwa 80%). Katzen sind nur zu 8% an den Bissverletzungen beteiligt (Pochon 1991). Beide Tierarten sind typische Überträger von Pasteurella multocida. Dieser Erreger wird neben Staphylococcus aureus am häufigsten aus Bisswunden kultiviert. Die Therapie der Pasteurella-multocida-Infekte geschieht am besten
28.4 Spezielle Verletzungsformen
Abb. 28.6 a–c. 3 Jahre altes Mädchen. Initial totale Amputation des linken Oberarms, als das Kind unter einen Miststreuer geraten ist. Da kurze Transportzeit und fachgerechte Versorgung des Amputats vorlagen, wurde primär ein Replantationsversuch mit Anastomosierung der A. und V. brachialis und Anastomosierung des N. ulnaris und N. medianus durchgeführt. Im Verlauf Blutung aus dem arteriellen Anastomosenbereich und Reoperation mit Veneninterponat. Durch wiederholte Thrombosierungen letztlich Amputation. Gute Heilung des Amputationsstumpfes
durch die parenterale Verabreichung hochdosierter Penicilline oder Cephalosporine. Wirksam sind u. a. Unacid oder Augmentan (Ogden 2000). Ein primärer Wundverschluss begünstigt die Infektion. Bei Verletzungen im Handbereich besteht ein höheres Infektionsrisiko (25%) als am übrigen Arm, Bein oder im Gesicht (Aigner et al. 1996; Wiggins et al. 1994), da hier Knochen und Gelenke unmittelbar unter der Haut liegen und somit leicht mitverletzt und damit kontaminiert werden können. Trotz Antibiotikagabe stellt die chirurgische Therapie das wichtigste und effektivste Verfahren dar. Bissverletzungen im Gesichtschädelbereich sollten aus kosmetischen Gründen möglichst primär verschlossen werden. Zuvor müssen die Wunden ausgiebig mit Seife und alkoholischer Lösung gereinigt werden. Eine sparsame Wundrandausschneidung von 1–2 mm
ist ebenso notwendig wie das sorgfältige Débridement tieferer Wundschichten und die anschließende ausgiebige Spülung (vgl. Abb. 28.1 a,b). Die Eltern sollten darauf hingewiesen werden, dass ggf. eine Narbenkorrektur notwendig ist (in etwa 30% der Fälle; Raffensperger 1980). Empfohlene Therapie Alle Wunden, die ein ausgiebiges Débridement erfordern, sollten in Allgemeinanästhesie versorgt werden. Punktförmige Wunden sollten gereinigt und offen gelassen werden, da eine effektive, vollständige Reinigung oft nicht möglich ist und bei primärem Wundversschluss ein hohes Infektionsrisiko besteht. Gegebenenfalls kann eine lockere
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
Adaptation unter Drainage durchgeführt werden. Bei größeren Verletzungen sollte eine stationäre Aufnahme unter weitestgehender Ruhigstellung und Antibiotikagabe für eine Woche erfolgen. Als Komplikationen von Pasteurella-multocida-Infekten können tiefe Abszesse, Tendosynovitiden, septische Arthritiden und Osteomyelitis auftreten. Eine sorgfältige tägliche Wundinspektion ist unbedingt notwendig.
28.4.6 Schussverletzungen In einer retrospektiven Studie konnte gezeigt werden, dass lediglich 30% der Schussverletzungen auch Frakturen verursachen. Die Infektionsgefahr ist dabei insgesamt sehr gering. Kleine Wunden wurden durch Spülung und minimales Débridement behandelt, dabei traten keine Infektionen auf (Victoroff et al. 1994). Eine prophylaktische Antibiose wird in der Regel empfohlen. Die Erhebung des genauen Gefäßstatus bei Schussverletzungen ist essenziell (Ogden 2000). Die Behandlung des ausgedehnten Weichteiltraumas erfolgt durch Débridement, Spülung und Verschluss bzw. plastische Deckung nach den allgemeinen Prinzipien. Die Entfernung der Kugel wird dabei kontrovers diskutiert. Intraartikuläre Geschosse sollten wegen einer möglichen Blei- bzw./Schwermetallvergiftung entfernt werden (ebd.).
28.4.7 Amputation/Replantation Traumatische Amputationsverletzungen gehen häufig mit schweren Weichteil- und Gefäßverletzungen einher (vgl. Abb. 28.2 a–f). Ursachen von Amputationsverletzungen sind außer dem direkten Trauma auch Verbrennungen, Meningokokkensepsis und Stromverletzungen. Bei Amputationsverletzungen entscheidet das initiale Management häufig über das frühfunktionelle Behandlungsergebnis sowie über den Langzeitverlauf. Die wichtigsten Faktoren stellen dabei Infektionen, Gefäßstatus und der Einfluss der Amputationsverletzung auf Skelettwachstum und -entwicklung dar (Ogden 2000). Bei der Primärversorgung sind daher besonders der Gefäßstatus, die Vermeidung von Infektionen und die Auswirkung der Amputation auf das weitere Wachstum- und Entwicklung zu beachten. Bei klarer Amputationsindikation sollte die Amputation zur Vermeidung zusätzlicher psychosozialer Folgen primär erfolgen (vgl. Abb. 28.2 c,d). Die Akzeptanz liegt in der Regel höher, wenn bereits frühzeitig eine Prothesenversorgung erfolgt und es zu keiner sekundären Am-
putation infolge eingetretener Komplikationen kommt (vgl. Abb. 28.2 e,f). Generell kann bei Kindern die Indikation zum Extremitätenerhalt großzügiger als beim Erwachsenen gesehen werden, auch wenn in einigen Fällen dadurch eine Amputation nur hinausgezögert wird (Hansen 1989; Hertel et al. 1996). Die Gründe liegen in der allgemein günstigeren Heilungstendenz. Als Entscheidungskriterien müssen neben Begleitverletzungen auch die Zeit bis zur Weichteildeckung, die Erzielung der Knochenbruchheilung sowie die ggf. längere Rehabilitationsbehandlung herangezogen werden (Ogden 2000). Folgende Grundprinzipien bei kindlichen Amputationsverletzungen sollten berücksichtigt werden: 1. Der Erhalt von Epiphysen bzw. Wachstumszonen hat hohe Priorität, insbesondere der Erhalt der distalen Femurepiphyse. So kann eine Amputation oberhalb des Knies beim Baby einer proximalen Femuramputation beim Erwachsenen entsprechen (Ogden 2000). 2. Das gute Wundheilungspotenzial ermöglicht eine Lappendeckung auch bei kritischen Weichteilverhältnissen im Gegensatz zum Erwachsenen (Dederich 1963). 3. Übermäßiges Wachstum im Stumpfbereich stellt bei Kindern ein Problem dar. Eine Disartikulation ist daher einer metaphysären bzw. diaphysären Amputation vorzuziehen (Ogden 2000). Empfohlene Therapie 쐌 Die Amputation sollte am distalsten Punkt/ Gelenk durchgeführt werden. 쐌 Intakte Haut sollte möglichst geschont werden, Hauttransplantation vom Amputat ist möglich. 쐌 Keinen primären Wundverschluss durchführen, »Staging-Vorgehen« mit intermittierendem Vakuumverband. 쐌 Gegebenenfalls ist eine Hautextension anlegen. 쐌 Wachstumsfugen sollten möglichst erhalten bleiben.
Bei der Replantation von Extremtäten spielt neben der Ischämiezeit und dem begleitenden Weichteilschaden die Durchblutung eine wesentliche Rolle. Diese ist wiederum vom Patientenalter und von Begleiterkrankungen bzw. vom Ausmaß des Gewebeschadens abhängig. Notwendig ist die rasche Verfügbarkeit von plastischer Chirurgie und Neurochirurgie (s. Kap. 30). Folgende Voraussetzungen sollten erfüllt sein: 쐌 Eine warme Ischämiezeit von 8 Stunden bzw. kalte Ischämiezeit von 18 Stunden sollte nicht überschritten werden. 쐌 Eltern müssen über Ziele und ggf. notwendige sekundäre Amputation aufgeklärt werden.
28.4 Spezielle Verletzungsformen
쐌 Geeignet sind in der Regel glatte Guillotine-Amputationen. 쐌 Ein möglicher Links-rechts-Transfer ist zu bedenken.
28.4.8 Kindesmisshandlung
CAVE
In jedem Fall ist bei Weichteilverletzungen im Kindesalter aus unklarer Genese auch an Kindesmisshandlung zu denken. Hinweise ergeben sich durch das spezifische Verteilungsmuster (Wangen, Körperstamm, Genitalien, Oberschenkel usw.; Pascoe et al. 1979). Liegt ein solches Verteilungsmuster vor, besteht bei Kindern <9 Monaten der Verdacht auf Missbrauch. Zwischen 10 Monaten und 3 Jahren sind Gesichtsverletzungen und Verbrennungen im Gesichtsbereich suspekt. Bei Kindern, die älter als 3 Jahre sind, geben Weichteilverletzungen oftmals den Hinweis auf Kindesmissbrauch. Auf jeden Fall sollten von den betroffenen Regionen Röntgenaufnahmen angefertigt werde, da ältere Frakturen bei der klinischen Untersuchung übersehen werden könnten (Ogden 2000; vgl. Kap. 8). Komplikationen Wundheilungsstörungen Bei schwerem Weichteilschaden und offenen Frakturen stellen Entzündungen eine wesentliche Frühkomplikation dar. Diese können auf das Weichteilgewebe begrenzt sein, den Knochen betreffen oder sogar generalisiert in Form einer Sepsis auftreten (Ogden 2000). Tägliche Wundkontrollen sind daher eine wesentliche Voraussetzung, diese Komplikation frühzeitig zu erkennen (Aldin et al. 2001). Traumatisiertes Gewebe ist im Vergleich zu gesundem Gewebe anfälliger für Infektionen. Durch hämatogene Streuung ist eine vergleichsweise geringe Bakterienkonzentration ausreichend, um zu einem Infekt zu führen (Dellinger et al. 1988). Eine Ausbreitung der Infektion auf chondrales und ossäres Gewebe stellt eine gefährliche Komplikation dar (Ogden 2000). Die größte Gefahr liegt dabei in der Entwicklung einer Osteomyelitis, die sich in der Diaphyse ausbreitet. Insbesondere in der Tibiadiaphyse sind Entzündungen wegen der hohen kortikalen Knochendichte besonders schwer zu behandeln. Bei einer 3-jährigen Patientin, die durch einen landwirtschaftlichen Unfall den linken Arm vollständig verlor, wurde primär für eine Replantation entschieden. Im Verlauf kam es jedoch zu einer Ischämie der betroffenen Extremität durch Thrombosierungen, weshalb sekundär eine Amputation erfolgte (vgl. Abb. 28.6 a–c). Kompartmentsyndrom Das Kompartmentsyndrom tritt auf, wenn es in einem abgeschlossenen, nichtdehnbaren Raum zu einer
Drucksteigerung kommt, die den Inhalt des Raums vorübergehend oder dauernd schädigt (Matsen et al. 1979). Die nutritive Kapillardurchblutung bricht zusammen, und das Risiko einer Muskelischämie steigt, wenn sich die Druckdifferenz zwischen subfaszialem Kompartmentdruck und diastolischem Blutdruck auf 10–20 mmHg nähert (Hackman et al. 1993).Von anderen Autoren wird ein Zusammenhang zwischen mittlerem arteriellen Druck und dem Kompartmentdruck beschrieben. Als kritische Druckdifferenz wird ein ∆p von 30 mmHg angegeben (Heppenstall 1996). Diese Referenzwerte stammen von Erwachsenen, entsprechende Werte für Kinder fehlen und erfordern weitere Untersuchungen (Ogden 2000). Ein Kompartmentsyndrom tritt beim kindlichen Polytrauma in gleicher Häufigkeit wie beim Erwachsenen auf (Green u. Swiontkowski 1994). Typische Stellen sind dabei die interossären Kompartimente an der Hand und am Fuß, das palmare Kompartiment des Unterarms, der Oberschenkel sowie alle 4 Kompartimente des Unterschenkels. Die Ursache besteht in einer Perfusionsstörung durch Ödem oder Hämatom, die eine Nekrose der Muskulatur zur Folge hat. Die klassischen Zeichen sind deshalb zuerst Schmerzen, dann Einschränkung der Motilität der entsprechenden Extremität und schließlich Sensibilitätsstörungen bei gleichzeitig erhaltenen Extremitätenpulsen. Beim Kind können diese Anzeichen wegen eingeschränkter Kooperation bei der klinischen Untersuchung auch übersehen werden. Der Unfallhergang selbst lässt schon auf die mögliche Entwicklung eines Kompartmentsyndroms schließen: Ausgedehnte Quetschungen durch Überrolltrauma, Trümmerfrakturen und drittgradig zirkuläre Verbrennungen führen zu ischämischen Muskelnekrosen (Ogden 2000). Verstärkend wirken eine Hypotension sowie begleitende Gefäßverletzungen, wie dies bei Mehrfachverletzungen möglich ist. Bei jedem Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom ist eine Diagnostik mittels Kompartmentdruckmessung notwendig. Bei entsprechend hohen Werten bzw. kleinem ∆p ist die sofortige Eröffnung der Muskellogen indiziert (Heppenstall 1996; Matsen et al. 1979). Fällt die Entscheidung gegen eine Dermatofasziotomie, so sind Verlaufsmessungen wichtig (Ogden 2000). An der unteren Extremität empfehlen wir, durch einen parafibulären Zugang alle 4 Kompartimente zu eröffnen. Die Eröffnung muss zur Vermeidung einer Restkompression unbedingt großzügig erfolgen. Liegen begleitende Frakturen vor, ist das Anbringen einer operative Stabilisierung der Fraktur in der Regel notwendig, weil das vorher noch stabilisierende Ödem nun wegfällt. Zudem werden Schmerzen und Infektionsgefahr verringert und die Lagerung in leichter Hochlage vereinfacht.
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Kapitel 28 Weichteilschäden und Frakturen mit Weichteilschäden
Gefahren/Tips Weichteilschäden bei Kindern sehen häufig harmloser aus, als sie eigentlich sind. Das elastische Gewebe einschließlich der Haut zieht sich nach Reposition wieder zurück. Daher kann die primäre Schädigung weitaus größer sein, als es die Wunde vermuten lässt. Eine sorgfältige intraoperative Inspektion kann diese Gefahr verringern und eine adäquate Behandlung veranlassen. Nach der Primärtherapie sichern tägliche Wund- und Verlaufskontrollen, wiederholte mikrobiologische Abstriche (z. B. aus Drainagen) und deren Befunde (ggf. Anpassung der Antibiotikatherapie, Einlage von Medikamententrägern bei Revisionen) sowie die zeitgerechte Planung und Durchführung von Revisionen den Therapieerfolg. Nachbehandlung Postoperativ Das Ziel aller operativen Maßnahmen bei Weichteilschäden mit Frakturen muss eine zeitgerechte Wundund Frakturheilung bei befriedigender funktioneller Wiederherstellung unter Vermeidung von Komplikationen sein. Die Aufstellung des postoperativen Nachbehandlungskonzeptes sowie die Anordnung und Überwachung diffiziler Nachsorgemaßnahmen gehören zum ärztlichen Aufgabengebiet. Therapieentscheidende Patientendaten wie Umfang und Art der Verletzung sowie das Ergebnis operativer Eingriffe sind in der Regel nur dem behandelnden Arzt bekannt. Der Arzt ist daher Koordinator für die Zusammenarbeit zwischen Traumatologen, Physiotherapeuten und Pflegepersonal (Suren 1983). Dauer der Ruhigstellung Eine Ruhigstellung sollte nur solange erfolgen wie unbedingt notwendig. Sie ist indiziert bei allen Wundkomplikationen z. B. Infekt und Nekrose sowie bei Verletzungen im Gelenkbereich usw. Ziel der Ruhigstellung ist dabei, die Wundheilung zu fördern. Der Nutzen und die Notwendigkeit einer frühfunktionellen Nachbehandlung gilt heute als erwiesen und verkürzt die Rehabilitationsphase drastisch. Positive Einflüsse für die Weichteile sind 쐌 die Förderung der Muskelpumpe, 쐌 der Druck auf das Plantarvenengeflecht der unteren Extremität mit Verbesserung der Durchblutung sowie 쐌 eine Thromboseprophylaxe. Für Gelenk- und gelenknahe Frakturen ist der Einsatz von motorgetriebenen Bewegungsschienen zur Verbesserung der Knorpeltrophik unerlässlich (Ogden 2000). Kontrollen klinisch/radiologisch Wundkontrollen sollen täglich unter Beachtung der Wundhygiene erfolgen. Dies ist unbedingt notwendig, um den Heilungserfolg sicherzustellen und um Kompli-
kationen wie Infektionen und Wundheilungsstörungen frühzeitig zu erkennen. Radiologische Verlaufskontrollen unterliegen den Regeln für die osteosynthetische Behandlung geschlossener Frakturen. Sport Sportliche Aktivitäten sollten solange noch nicht alle Wunden geschlossen sind nicht durchgeführt werden. Bei geschlossenen Wund- und Weichteilverhältnissen ist abhängig von Begleitverletzungen Sport im Sinne einer frühfunktionellen Nachbehandlung möglich. Prophylaxe kindlicher Weichteilverletzungen Zur Vermeidung von Verletzungen sollte bei sportlichen Aktivitäten mit erhöhtem Verletzungspotenzial (z. B. beim Inlineskaten, Radfahren, Skilaufen) entsprechende Schutzkleidung getragen werden. Durch Aufklärung über das richtige Verhalten im Straßenverkehr und durch kindgerechte Gestaltung z. B. von Spielplätzen kann das Verletzungsrisiko weiter reduziert werden. Verletzungen durch Radspeichen lassen sich durch Verwendung entsprechender Kindersitze vermeiden. Rasenmäherverletzungen können vermieden werden, indem Kindern der Zugang zum Gefahrenbereich eines laufenden Mähers verwehrt wird.
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953
Kapitel 29
Verbrennungen
29
D. Drücke, H.U. Steinau, P.M. Vogt
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 966
Häufigkeit In Deutschland erleiden jährlich weit über 3000 Kinder Verbrennungen, die eine stationäre Therapie notwendig machen. Der Anteil der ambulant versorgten Verbrennungen kann nur abgeschätzt werden. Der weitaus größte Anteil verletzt sich in der Altersgruppe von 2–4 Lebensjahren. Der häufigste Unfallmechanismus stellt das Herunterziehen von heißen Flüssigkeiten vom Tisch oder Arbeitsflächen dar, wobei sich das Kind hiermit übergießt. Körperliche Misshandlung oder grobe Fahrlässigkeit der Aufsichtspersonen kommt bei Säuglingen, da diese immobil sind, in Betracht (Rutan u. Benjamin 1996). In der Altersgruppe <4 Jahren kann bei unklarer Traumaanamnese insbesondere bei Verbrühungen auch der begleitende sexuelle Missbrauch eine Rolle spielen (Hummel et al. 1993). Der Anteil unter allen Missbrauchsfällen wird hier auf bis zu 10% geschätzt (Bennet u. Gamelli 1998). Verbrennungen als Kindesmisshandlungen bleiben auch in anderen Altersgruppen aufgrund nicht sorgfältig durchgeführter Anamnesen oder Unerfahrenheit des Untersuchers auf diesem Gebiet oft unentdeckt. Schulkinder werden Opfer von Grillunfällen oder verunfallen beim unsachgemäßen Gebrauch von Feuerwerkskörpern oder Feuerzeugen bzw. Streichhölzern. Aufgrund des explorativen Verhaltens von Kleinkindern kann es zum Kontakt mit häuslichen Stromquellen (Steckdosen) kommen. Jugendliche können im Rahmen von Mutproben auch von schwerwiegenden Starkstromunfällen betroffen sein. Prognose Die Überlebensprognose ist in erster Linie abhängig von 쐌 쐌 쐌 쐌
der verbrannten Körperoberfläche (VKOF), dem Alter, der Verbrennungstiefe und dem Vorliegen eines Inhalationstraumas (Barrow et al. 2004).
In zweiter Linie wird die Prognose von 쐌 der Qualität der Erstversorgung (z. B. Volumentherapie), 쐌 der Art der chirurgischen Therapie (zeitgerechtes radikales Débridement/Nekrektomie), 쐌 der zeitgerechten Zuweisung in ein geeignetes Brandverletztenzentrum (Sheridan et al. 1999); siehe Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin, http://www.verbrennungsmedizin.de), 쐌 dem Auftreten von Infektionen (Sepsis häufigste Todesursache) und 쐌 der Wahl des Ernährungsregimes (parenteral vs. enteral) bestimmt. Begleitverletzungen (Polytrauma) verschlechtern ebenso die Prognose wie relevante Vorerkrankungen. Therapie Erstversorgung Die adäquate Erstversorgung am Unfallort hat einen entscheidenden Einfluss auf die Ausprägung der Verbrennungsfolgen und somit auf die Überlebenswahrscheinlichkeit. Tabelle 29.1 fasst die wesentlichen zu ergreifenden Maßnahmen am Unfallort zusammen. Intubation und Beatmung sollten bei respiratorischer Insuffizienz aufgrund eines schweren Inhalationstraumas oder drohendem Glottisödem durchgeführt werden. Auf Begleitverletzungen muss insbesondere bei Explosions- und Starkstromunfällen geachtet werden; diese erfordern nach Eintreffen in der Klinik eine interdisziplinäre Versorgung (Trop 2002). Der sachgemäßen Kühlung der betroffenen Körperpartien mit kaltem Wasser kommt eine entscheidende Rolle zu (Davies 1982). Sie vermindert die Tiefenausdehnung der Verbrennung und die Ausdehnung des Ödems und somit die Verbrennungsfolgen (Boykin u. Crute 1982). Diese Maßnahme ist noch bis zu einer Stunde nach Unfall sinnvoll und sollte auf einen Zeitraum von mindestens 10 und je nach Erstversorgungslage auf höchstens 20–30 min beschränkt bleiben. Die Temperatur von Leitungswasser ist hierbei ausreichend.
!
956
Kapitel 29 Verbrennungen Tabelle 29.1. Maßnahmen zur Erstversorgung Rettung und Bergung Entfernung der Verbrennungsquelle
Kühlung mit kaltem Wasser (cave: Auskühlung) Venöser Zugang Magensonde Blasenkatheter
CAVE
Analgesie Abschätzung der Verbrennungsfläche Adäquate Volumensubstitution Einweisung in ein Verbrennungszentrum
Bei Verbrühungen: Entfernen der nassen Kleidung Bei Kontaktverbrennungen: Entfernen der Hitzequelle Bei Flammenverbrennungen: Flammen löschen oder ersticken Eintauchen der betroffen Extremität oder Den gesamten Körper abduschen oder kalt baden Gegebenenfalls intraossärer Zugang Nicht am Unfallort, provoziert Erbrechen (cave: Aspiration) Nicht am Unfallort, nur bei schwerbrandverletzten Kindern oder anogenitalen Verbrennungen, möglichst suprapubische Blasenfistel (Anlage in Narkose) Zum Bespiel Pethidin oder Piritramid Altersadaptierte Schemata (bzw. Handfläche des Patienten entspricht 1% der VKOF) Ringerlaktat, Infusionsschema (cave: Lungenödem bei Überinfusion) Einweisungskriterien beachten
Auf die Vermeidung einer Unterkühlung des Kindes sollte hierbei unbedingt geachtet werden, ansonsten kann sich diese Maßnahme (insbesondere bei Einleitung einer Narkose und Intubation; Loennecker u. Schoder 2001) auch ins Gegenteil verkehren (Mlcak et al. 1996). Die Abschätzung der Verbrennungsfläche erfolgt nach dem für das jeweilige Lebensalter geltende Schema, welches den unterschiedlichen Körperoberflächen (KOF) der Lebensaltersgruppen Rechnung trägt (Wallace 1949; Abb. 29.1).Vereinfacht enspricht die Handfläche des Kindes inklusive der Finger etwa 1% der KOF. Die ermittelte Verbrennungsfläche liefert neben dem Körpergewicht die essenzielle Grundlage für die Berechnung der Volumensubstitutionsmenge. Da die genaue Ermittlung der verbrannten Körperoberfläche am Unfallort nicht immer möglich oder erschwert ist, kann als eine grob orientierende Regel, wie von M. Trop (2002) vorgeschlagen, gelten: 쐌 initialer Bolus Ringerlaktat von 10 ml/kg und 10–15 ml/kg in der folgenden Stunde (ebd.). Neben den richtungweisenden therapeutischen Maßnahmen durch den erstversorgenden Arzt ist die Orga-
Abb. 29.1. Schema zur Schätzung der VKOF bei Kindern. (Nach Wallace 1949)
nisation der Weiterversorgung von besonderer Wichtigkeit (Sheridan et al. 1999). Abbildung 29.2 zeigt die Kriterien zur Einweisung eines brandverletzten Kindes in ein geeignetes Verbrennungszentrum basierend auf den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV) und auf den vom Arbeitskreis »Das Schwerbrandverletzte Kind« (1993) erarbeiteten Empfehlungen sowie auf den Leitlinien der DGV (erschienen bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften/AWMF, Register-Nr. 044/001, Stand 02/2002, http://www.awmfonline.de bzw. http://www.verbrennungsmedizin.de). Die Kontaktaufnahme erfolgt innerhalb Deutschlands über den Anruf beim nächsten bekannten Zentrum selbst oder besser über die Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Betten für Schwerbrandverletzte (ZA-Schwerbrandverletzte) der Feuerwehr Hamburg: 쐌 Telefonnummern: – 040/42851–3998, – 040/42851–3999, 쐌 Faxnummer: 040/428 51–4269, 쐌 E-Mail: [email protected], 쐌 http://www.feuerwehrhamburg.org/brandbetten/default.htm. Therapie der Verbrennungskrankheit Die adäquate Versorgung des brandverletzten Kindes erfordert bestimmte bauliche, infrastrukturelle und personelle Voraussetzungen, wie sie nur in ausgewiesenen Verbrennungszentren zur Verfügung stehen. Die Schaffung einer keimarmen Umgebung mit zweigeteiltem Klimatisierungssystem zwischen Schockraum und Funktionsräumen sowie Schleusen zur Station und vor jedem Behandlungsraum gehören zum baulichen Standard einer Schwerbrandverletzteneinheit. Idealerweise befindet sich der Operationssaal in der gleichen Einheit und kann kurzfristig – wie auch der Erstversorgungsraum, das Bad und die Behandlungsräume – aufgeheizt und in der Luftfeuchte reguliert werden.
Verbrennungen
957
CAVE
Volumentherapie. Kinder weisen im Gegensatz zu Erwachsenen bezogen auf das Körpergewicht einen höheren, jedoch bezogen auf die Körperoberfläche einen geringeren Wassergehalt des Gewebes auf. In Relation zum Körpergewicht besteht eine größere Körperoberfläche, und der Anteil der Extrazellularflüssigkeit ist mit 30% beim Kleinkind und Säugling gegenüber dem des Erwachsenen (18%) deutlich größer. Zusätzlich zum höheren Stoffwechsel bei Kindern entsteht nach einem Verbrennungstrauma ein größerer Verlust an Wundexsudat als beim Erwachsenen. Die notwendige Flüssigkeitssubstitution setzt sich zum einen aus dem Erhaltungsbedarf und zum anderen aus dem Substitutionsbedarf zusammen. Die Berechnung der zu infundierenden Flüssigkeitsmenge beginnt ab dem Unfallzeitpunkt und nicht ab Eintreffen des Kindes in der Klinik. Der Erhaltungsbedarf kann über die Körperoberfläche oder besser über das Körpergewicht (Tabelle 29.2) berechnet werden. Bei dem Substitutionsbedarf hat sich die Berechnung nach Baxter (Parkland-Formel) zunehmend durchgesetzt (Baxter 1971; Tabelle 29.3). Hierbei ist der erhöhte Flüssigkeitsbedarf von Kindern zu beachten. Hierbei muss eine Überinfusion vermieden werden, die zu einer verstärkten Ödemneigung oder sogar zum Lungenödem führt (Trop 2002).
Tabelle 29.2. Bestimmung des Erhaltungsbedarfs Körpergewicht [kg]
Flüssigkeitsmenge [ml/kg/Tag]
0–10 11–15 16–20 21–40 >40
100 90 80 60 50
Eine wichtige Richtgröße zur Abschätzung der ausreichenden Infusionsmenge ist die Diurese, die nicht <1 ml/kg KG/h liegen sollte. Bei der Wahl der Infusionslösungen wurde lange Jahre die Verwendung von Kombinationspräparaten (z. B. PÄD II und III) präferiert. Des Weiteren wurde nach bestimmten Formeln primär eine Substitution mit Kalium und Natriumbikarbonat vorgenommen. Nach heutiger Meinung sollte in der Initialphase ausschließlich Ringerlaktat zum Einsatz kommen – dies jedoch nur unter der Maßgabe, dass der Blutzuckerspiegel engmaschig kontrolliert wird, um hypoglykämische Phasen nicht zu übersehen. Die unkritische Verwendung von 5%iger Glukoselösung kann ein Hirnödem zur Folge haben. Kalium sollte nur streng nach engmaschiger Laborkontrolle und ausreichender Diurese bedarfsgerecht gegeben werden. Wichtiger noch erscheint die Einstellung des Natriumserumwertes. Das Prinzip ist der plasmaisotone Flüssigkeitsausgleich. Die Gabe von kolloidalen Lösungen in der Initialphase wird bei Kindern ebenso kontrovers diskutiert wie beim Erwachsenen. Die so genannte »blinde Pufferung« gilt heute als obsolet. Die Zielvorgaben einer adäquaten Flüssigkeitstherapie sind: Tabelle 29.3. Berechnung des Substitutionsbedarfs Zeitraum nach Trauma
Flüssigkeitsmenge
0–24 h
6 ml/kg/% VKOF
Ab der 24. Stunde
Nur noch bedarfsadaptiert (Diurese, Hämatokrit)
Richtwert: 24–48 h 48–72 h
Davon: 0–8 h 50% 9–24 h 50%
3 ml/kg/% VKOF 1 ml/kg/% VKOF
Ab der 72. Stunde nur noch Erhaltungsbedarf, keine Substitution mehr.
CAVE
Abb. 29.2. Einweisungskriterien brandverletzter Kinder in ein Brandverletztenzentrum
Kapitel 29 Verbrennungen
쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
normale Serumelektrolyte, normale Hämoglobin- und Hämatokritwerte, zentraler Venendruck zwischen 3–7 cm Wassersäule, Urinausscheidung nicht <1,0–2,0 ml/kg KG/h, spezifisches Gewicht des Urins zwischen 1010–1020.
Kommt es unter diesem Infusionsregime dennoch zu einem Blutdruckabfall oder einer Tachykardie sind dies in der Regel Zeichen einer Hypovolämie und nicht einer kardialen Insuffizienz. Daher sollte mit dem Einsatz von Katecholaminen vorsichtig verfahren und besser zunächst eine zusätzliche Volumensubstitution durchgeführt werden. Die Verwendung von Infusionsformeln darf jedoch nicht den Blick für den individuellen Flüssigkeitsbedarf eines brandverletzten Kindes verstellen. Jedes Kind muss engmaschig klinisch und apparativ überwacht werden und ggf. eine Anpassung der Therapie erfolgen. Änderungen im Infusionsregime sind eher die Regel. Zur Überwachung der adäquaten Flüssigkeitssubstitution sind als Mindestvoraussetzungen die in Tabelle 29.4 zusammengefassten Parameter notwendig. SelbstTabelle 29.4. Minimaldiagnostik Parameter
Intervall
Normwerte
Urinausscheidung Spezifisches Uringewicht Hämatokrit ZVD Körpergewicht
1/h 2–3/Tag 2–3/Tag 2–3/Tag 1/Tag
Serumnatrium Blutzucker
2/Tag 2–3/Tag
1,0–2,0 ml/kg/h <1020 35–40% <15 cm H2O Zunahme von 10–30% in den ersten 3 Tagen 135–140 mmol/l <200 mg/dl
verständlich gehören ebenso die Überwachung der klinischen Parameter wie Pulsfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz und periphere Sauerstoffsättigung zum Standardmonitoring. Bei ausgedehnten Verbrennungen können oftmals nicht genügend periphere venöse Zugänge mit ausreichendem Durchmesser für einen hohen Flüssigkeitsdurchsatz angelegt werden. Die Indikation zur Anlage eines zentralvenösen Katheters ist bei schwerbrandverletzten Kindern großzügig zu stellen. Die Punktion der V. jugularis interna ist bei kleinen Kindern wegen des sehr kurzen und dicken Halses oft erschwert. Durch die anatomischen Besonderheiten bei Kleinkindern kann der Versuch der Punktion der V. subclavia in einem Pneumo-, Sero- oder Hämatothorax enden. Die Punktion und Kanülierung der V. femoralis ist technisch sehr einfach, jedoch sollte dieser Katheter aufgrund der erhöhten Thrombosegefahr nicht für längere Zeit belassen werden. Daher gehört die Anlage eines zentralvenösen Katheters in die Hand des erfahrenen und gut ausgebildeten Arztes. Analgosedierung. Die Empfehlungen zur Analgosedierung (Tabelle 29.5) brandverletzter Kinder können immer nur grobe Richtgrößen darstellen. Nicht selten kann eine Überschreitung der angegebenen Höchstdosierungen des jeweiligen Medikaments notwendig werden. In jedem Fall ist, nach heutiger Meinung, die zusätzliche Anwendung von nichtsteroidalen Antiphlogistika zum zentral wirksamen Opiod zu empfehlen. Zur Anwendung kommen z. B. Paracetamol (Erstdosis: 25 mg/kg KG, danach 15 mg/kg KG; alle 6 h p.o./rektal; Höchstdosis 1 g/Tag) und Ibuprofen (10 mg/kg KG; alle 6 h p.o.). Darüber hinaus sollte eine Obstipationspro-
Tabelle 29.5. Analgosedierungsschemata brandverletzter Kinder (Empfehlungen) Medikament
Anwendung/Besonderheiten
Dosierung
I. Kleinere Verbrennungen/kurze Verbandswechsel Pethidin (Bolus; ohne Beatmung) Piritramid (Bolus)
Maximal 0,5 mg/kg KG 0,01 mg/kg KG
oder
II. Ausgedehnte Verbrennungen (ohne Beatmung) Pethidin (Bolus) Piritramid (Bolus) Midazolam (Perf.)
0,5 mg/kg KG 0,01 mg/kg KG 0,2–0,6 (–0,8) mg/kg KG/h
oder und
III. Ausgedehnte Verbrennungen (mit Beatmung) Morphin (Perf.) (Bolus) Fentanyl (Perf.) (Bolus) Piritramid (Perf.) (Bolus) Midazolam (Perf.)
0,01–0,03 mg/kg KG/h 1–2 mg/kg KG 0,001–0,008 mg/kg KG/h 0,005–0,05 mg/kg KG 0,005–0,02 mg/kg KG/h 0,01 mg/kg KG 0,2–0,6 (–0,8) mg/kg KG/h
IV. Längere Verbandswechsel/kleinere Eingriffe Midazolam (Bolus) Atropin (Bolus; cave: fiebernde Kinder) Ketamin (Bolus; immer kombiniert mit Benzodiazepinen)
3–5 mg 0,4 mg als Einmaldosis 1–2 mg/kg KG
Perf. = Perfusorinfusion, Dauerinfusion; Bolus = Einmalgabe i. v. (näheres s. Text).
oder oder und
CAVE
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Verbrennungen
phylaxe bei der Langzeitanwendung von Opioiden mit z. B. Lactulose durchgeführt werden.
!
Ernährung. Aufgrund der ausgeprägten Stoffwechselveränderungen nach einem Verbrennungstrauma kommt der Ernährungstherapie eine besondere Rolle zu. Nach schweren Verletzungen entsteht eine lang anhaltende Phase der negativen Stickstoffbilanz, die mit einem Körperzellmassenverlust und ausgeprägten metabolischen Veränderungen einhergeht. Die Möglichkeiten der therapeutischen Beeinflussung dieser hypermetabolischen Antwort des Organismus auf das Trauma sind in Tabelle 29.6 zusammengefasst. Zusätzlich existieren Hinweise darauf, dass eine frühzeitige Insulinsubstitution in der Akutphase der Verbrennungskrankheit auch bei Kindern die hypermetabole Antwort vermindern kann (Jeschke et al. 2004; Wu et al. 2004). Die enterale Ernährung ist immer der parenteralen überlegen, da hierdurch die sekundär entstehende Komplikationsrate gesenkt werden kann (Enzi et al. 1990; Inoue et al. 1989; McDonald et al. 1991) und gezeigt werden konnte, dass die parenterale Hyperalimentation das Infektions- und Mortalitätsrisiko steigert (Herndon et al. 1989). Die orale Nahrungsaufnahme wird bereits 3–6 Stunden nach Verbrennungstrauma von den meisten Kindern toleriert. Alternativ ist die enterale Ernährung über eine nasoduodenale Sonde in Erwägung zu ziehen. Wird bei Säuglingen und Kleinkindern eine reine Milchernährung durchgeführt, sollte eine Natriumsupplementation vorgenommen werden. Kommerzielle Ernährungszubereitungen sind verfügbar und tragen dieser Zusammensetzung Rechnung. Der ungefähre Kalorienbedarf kann Tabelle 29.7 entnommen werden (Hildreth et al. 1988, 1989, 1993).
Lokaltherapie Neben der Therapie der Verbrennungskrankheit ist der Lokaltherapie kindlicher Verbrennungen eine gleichberechtigte Rolle einzuräumen. Die Vermeidung und Beherrschung der Wundinfektion bestimmt auch heute noch wesentlich die Überlebensprognose. Daher ist mit unverminderter Eindringlichkeit die Einweisung kindlicher Verbrennungsopfer in die eingerichteten und anerkannten Zentren zu fordern. Nicht nur die baulichen Voraussetzungen, sondern auch die Erfahrung des hier tätigen medizinischen Personals bieten optimale Versorgungsmöglichkeiten und tragen nicht nur zur Senkung der Sterberate und Prävention entstellender Folgezustände und funktionellen Einbußen, sondern auch zur Verringerung des sozialen, psychischen und ökonomischen Schadens bei, der durch Verbrennungen gemeinhin angerichtet wird. Das geforderte interdisziplinäre Gesamttherapiekonzept ist in Tabelle 29.8 zusammengefasst. Die Tiefenausdehnung eines thermischen Hautschadens (Tabelle 29.9) resultiert aus der Höhe der Temperatur und ihrer Einwirkzeit. Die unterschiedlichen Körperregionen reagieren hierbei aufgrund ihrer besonderen anatomischen Gegebenheiten der Haut unterschiedlich. Hieraus leitet sich im Wesentlichen die Indikation zur chirurgischen Therapie ab. Nach Zuweisung des brandverletzten Kindes in ein Verbrennungszentrum kann nach adäquater Erstversorgung unmittelbar nach Aufnahme in Narkose eine ausgiebige Wundsäuberung im Bad oder Operationssaal erfolgen. Ein Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass am analgosedierten und schmerzfreien Kind nach Entfernung aller Bekleidungsstücke und der Reinigung des gesamten Körpers die objektive genaue Einschätzung der Verbrennungsoberfläche und des derzeitigen Aspekts der Verbrennungstiefe möglich ist.
Tabelle 29.6. Therapeutische Beeinflussung der hypermetabolischen Antwort Maßnahme
Effekte
Schaffung adäquater klimatischer Bedingungen Suffiziente Analgosedierung Vermeidung von Wundinfektionen (Frühexzision)
Verminderung der Evaporation Schmerz- und Stressminderung, Senkung des Sauerstoffbedarfs Senkung der metabolischen Rate (steigt proportional zur quantitativen Keimzahl) Verminderung der Komplikationsrate Eindämmung des Körperzellmassenverlustes
Frühzeitige enterale Ernährung
Tabelle 29.7. Richtlinien für das erforderliche Energieangebot brandverletzter Kinder
Alter in Erforderliche Energiemenge pro Tag Jahren < 1 2100 kcal/m2 Körperoberfläche + 1000 kcal/m2 VKOF 1–13 1800 kcal/m2 Körperoberfläche + 1300 kcal/m2 VKOF 13–20 1500 kcal/m2 Körperoberfläche + 1500 kcal/m2 VKOF VKOF = verbrannte Körperoberfläche.
959
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Kapitel 29 Verbrennungen Tabelle 29.8. Übergreifendes Therapiekonzept der Verbrennungsbehandlung 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
Hämodynamische Stabilisierung Frühe enterale Ernährung Frühe Exzision Infektionsprophylaxe Frühe Rehabilitation Frühe Rekonstruktion Reintegration Sekundäre operative Korrekturen
Tabelle 29.9. Einteilung der Verbrennungstiefe und Operationsindikationen Grad
Klinisches Bild, Verbrennungstiefe
Therapie
I
Erythem, schmerzhaft konservativ Blasenbildung, roter stark nässender Wundgrund, sehr schmerzhaft, konservativ
Oberflächliche Epithelschädigung Schädigung der Epidermis und oberflächlicher Dermis Wie IIa, jedoch tiefer gehende Dermiszerstörung
II a
II b
III
a
!
Wie IIa, jedoch blasser nässender Wundgrund, sehr schmerzhaft, tangentiale Exzision und Hauttransplantation Trockene Koagulationsnekrose, kein Schmerz, epifasziale (ggf. auch tangentialea) Exzision und Hauttransplantation
Totalzerstörung der der Epidermis und Dermis sowie ihrer Anhangsgebilde
Bei Kindern besteht durchaus die Möglichkeit, auf Fettgewebe zu transplantieren.
Die Erstversorgung ist in jedem Fall in einem aufgeheizten Raum durchzuführen, um eine Auskühlung zu vermeiden, bzw. das schon unterkühlte Kind wieder aufzuwärmen. Um diesen Forderungen gerecht zu werden ist in der Regel die Erstversorgung in Narkose am praktikabelsten. In unserer Klinik wird Silbersulfadiazincreme (Flammazine) zur Lokaltherapie eingesetzt. Bei oberflächlich dermalen Gesichtsverbrennungen können z. B. nur kochsalzgetränkte Kompressen aufgelegt werden. Synthetische Hautersatzmaterialien und synthetischbiologische Hybride wie z. B. Biobrane oder Suprathel weisen den Vorteil auf, dass sie semipermeabel sind und die Reepithelisierung gut unterstützen, sie bedürfen aber auch einer engmaschigen Infektkontrolle. Chirurgische Therapie Allgemeine Richtlinien. Während der ersten posttraumatischen Tage ist täglich eine Neueinschätzung der Verbrennungstiefe der betroffenen Areale unabdingbar. Gerade bei Kleinkindern sollte die Regenerationsfähigkeit der tief dermal verbrannten Haut nicht unterschätzt werden. Daher ist im Vergleich zum Postulat der Frühnekrektomie beim Erwachsenen beim Kind durch-
aus ein Zuwarten von bis zu 14 Tagen zumindest bei Verbrühungen gerechtfertigt (Desai et al. 1991). Dies gilt nicht bei sicher drittgradigen geschädigten Arealen. In diesem Fall ist, wie auch beim Erwachsenen, keine Regeneration mehr möglich. Der Verbrennungsschorf sollte so früh wie möglich abgetragen werden, da hierdurch die Letalität von schwerstverbrannten Kindern gesenkt werden kann (Herndon et al. 1993). Weiterhin sollte bei der Indikationsstellung zur Nekrektomie nicht außer Acht gelassen werden, dass bei Kindern die Neigung zur hypertrophen Narbenbildung spontan geheilter Verbrennungswunden ungleich höher sein kann als beim Erwachsenen. Im Hinblick darauf kann es erforderlich werden, die Indikation zur Spalthauttransplantation in Regionen wie Hals, ventrale Brust, Gesicht und Hände eher großzügig zu stellen. Bei zirkulären tief dermalen und insbesondere drittgradigen Verbrennungen der Extremitäten ist die sofortige Escharatomie zur Vermeidung von Zirkulationsstörungen und Nervenläsionen durchzuführen (Abb. 29.3). Bei zirkulären Verbrennungen des Thorax und Abdomens dient sie zur Verbesserung der Atemexkursionen. Einer besonderen Bedeutung in der chirurgischen Therapie kommen Maßnahmen zur Minimierung des Blutverlusts zu (Vogt et al. 1994). Je geringer der intraoperative Blutverlust gehalten werden kann, desto geringer stellt sich das Operationstrauma dar und umso radikaler kann die Nekrektomie pro operativer Sitzung durchgeführt werden. Bei der Nekrektomie an den Extremitäten werden häufig pneumatische Blutsperren eingesetzt. Hierbei ist zu beachten, dass die Exzisionstiefe schwieriger zu beurteilen ist, da keine Blutpunkte auftreten. Nach der Exzision können mit verdünnter Adrenalinlösung (Mischungsverhältnis 1:100.000) getränkte Kompressen aufgebracht werden. Eine weitere Möglichkeit des blutsparenden Operierens bietet die Unterspritzung vor der Spalthautentnahme am Kopf mit verdünnter Adrenalinlösung
Abb. 29.3. Escharatomie der unteren Extremität bei zirkulären Verbrennungen
!
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(1 : 250.000). Auch an den übrigen Körperregionen ist nach der Entnahme anschließend eine Kompressionsblutstillung mit Adrenalinkompressen indiziert. In Anbetracht der Tatsache, dass vom kindlichen Organismus in einem bestimmten Rahmen Anämien toleriert werden, kann in der postoperativen Phase eine Stimulation der Blutbildung mittels Erythropoetin und Eisenpräparaten sinnvoll sein. Zum perioperativen Management gehört auch, dass zur Vermeidung von Auskühlungen des Kindes der Operationssaal aufgeheizt wird und/oder Wärmedecken verwendet werden sowie dass die Verweildauer im Operationssaal so kurz wie möglich gehalten wird. Nekrektomieverfahren. Ist die Indikation zur Nekrektomie gestellt, sollte diese so früh und aggressiv wie möglich erfolgen (Herndon et al. 1993). Das bedeutet, dass bei den Arealen, die sicher transplantiert werden müssen, weiteres Zuwarten nur die Infektionsgefahr erhöht. Die Abtragung des Verbrennungsschorfes muss immer vollständig geschehen, wobei so lange tangential nekrektomiert wird, bis gut durchbluteter Wundgrund erreicht wird. Im Allgemeinen gilt die Entfernung von 10–15% der Verbrennungsfläche als Obergrenze für eine operative Sitzung (Germann u. Steinau 1993). Wir sind der Ansicht, dass die Fläche der Nekrektomie und die Fläche der Spalthautentnahme zusammen höchstens 20% der KOF pro Operation betragen sollte. Bei der Anwendung von blutsparenden Maßnahmen kann diese Grenze je nach Zustand des Kindes jedoch auch überschritten werden. II b-Areale sollten tangential exzidiert werden. Hierbei hat sich die Verwendung des Weck-Goulian-Messers (Edward Weck, USA) mit verschiedenen Schablonen (unterschiedliche Exzisionstiefe) bewährt. Der Verbrennungsschorf wird so weit abgetragen bis zahlreiche Blutpunkte (unverletztes Gewebe) sichtbar werden (Abb. 29.4). Bei Kindern kann dieser Vorgang stellenweise bis in das Fettgewebe fortgeführt werden; dagegen muss beim Erwachsenen die Indikation zur epifaszialen Abtragung bereits früher gestellt werden.
Abb. 29.4. Tangentiale Nekrektomie der Hand mit dem Weck-Goulian-Messer
Liegen großflächige drittgradige Areale vor, ergibt sich im Allgemeinen die Indikation zur epifaszialen Abtragung. Eine weitere Technik zur Abtragung verbrannter Haut stellt die Dermabrasion mit hochtourigen Turbinen und verschiedenen Keramik- oder Metallschleifköpfen dar. Sie wird meist bei tief dermalen Verbrennungen des Gesichts eingesetzt und bietet eine sehr gute Steuerbarkeit der Abtragungstiefe. Eine wichtige Indikation hierzu besteht auch bei Schmaucheinsprengungen, bei denen das sofortige Abschleifen die Entstehung von lebenslang sichtbaren Schmutztätowierungen verhindern kann. Bei der Primärversorgung der verbrannten Hand ist zu beachten, dass das Paratenon geschont wird, um Fixierungen von Sehnen mit der transplantierten Haut vorzubeugen. Hautentnahme. Zur Hautentnahme bei Kleinkindern bietet sich die behaarte Kopfhaut an. Hierbei entstehen im Gegensatz zu Entnahmestellen an den Extremitäten keine weiteren Stigmata. Hierzu wird der Skalp nach Rasur und Farbmarkierung der Behaarungsgrenze mit physiologischer Kochsalzlösung und Adrenalin im Mischungsverhältnis 1:250.000 großzügig zur Vermeidung eines unnötigen Blutverlustes unterspritzt. Nach der Hautentnahme erfolgt der sterile Wundverband z. B. mit einer okklusiven Operationsfolie (Abb. 29.5). Hierunter sind eine rasche Epithelisierung und die Möglichkeit der erneuten (auch wiederholten) Entnahme in 7–9 Tagen gegeben. Ansonsten ist bei ausgedehnten Verbrennungen eine Hautentnahme an den übrigen nichtverbrannten Arealen unumgänglich. Transplantationstechniken. Alle Zonen der vermehrten mechanischen Belastung und kosmetischen Beeinträchtigung (Hände, Füße, Gesicht, Dekolletee/ vordere Schweißrinne) sollten mittels durchgehender (»ungemeshter«) und gestichelter Spalthauttransplantate versorgt werden. Alle übrigen Areale werden im Allgemeinen mit Gittertransplantaten (»gemeshte« Haut) bedeckt.
Abb. 29.5. Anlage einer Inzisionsfolie nach Spalthautentnahme
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Der Vorteil der Mesh-Technik liegt in der Expansionsrate (1 : 1,5 bis 1 : 3) und der damit verbunden Einsparung von Spenderarealen bei gleichzeitig verbessertem Sekretabfluss zur Verhinderung von Hämatomund Serombildung. Größere Expansionsraten (bei Kindern bis 1:6) bedürfen der temporären Abdeckung z. B. mit Glyzerin-preservierter Spenderhaut, um der Austrocknung des freiliegenden Wundgrundes innerhalb der Maschen vorzubeugen. Die Transplantate können mit Hautklammergeräten fixiert werden. Besser ist die Anwendung von resorbierbarem ungefärbtem Nahtmaterial (z. B. Monocryl 5/0). Sind die Verbrennungen so ausgedehnt, dass eine sofortige Transplantation mit autologer Spalthaut nicht möglich ist, kann nach der sequenziellen Nekrektomie eine passagere Bedeckung mit Hautersatzmaterialien durchgeführt werden. Neben synthetischen semipermeablen Folien hat sich zunehmend die Verwendung von Leichenhaut zur temporären Bedeckung durchgesetzt (Druecke et al. 2002; vgl. Abb. 29.8 b). Wir konnten unter Fremdhaut sogar bei II b-Verbrennungen eine Spontanheilung beobachten. Dies hat den Vorteil, dass sich die noch zu transplantierende Fläche verringert. Fremdhaut bleibt in der Regel sehr lange infektfrei. Die kollagene Matrix der aufgebrachten Fremdhaut kann auch vaskularisieren und somit als dermales Äquivalent bei der autologen Spalthauttransplantation belassen werden. Seit der Einführung der Technik zur Kultivierung humaner Keratinozyten 1975 (Rheinwald u. Green 1975) und der ersten erfolgreichen Transplantation bei Brandverletzten 1981 (O’Connor et al. 1981) stehen solche Transplantate heute bei Mangel an Eigenhautspenderarealen für sehr ausgedehnte Verbrennungen zur Verfügung. Die sehr fragilen Transplantate werden wenn möglich auf noch erhaltene Dermisanteile transplantiert. Hier erzielen sie die höchste Einheilungsrate (Odessey 1992), was durch einen Stimulus der Keratinozytenkulturen auf die natürliche Epithelisierung erklärt wird. Dies wird durch die Beobachtung gestützt, dass die transplantierten Keratinozyten im Laufe der Zeit durch ortsständige Zellen ersetzt werden (Burt et al. 1989). Die Ergebnisse bei Transplantation auf andere Gewebe insbesondere Faszie und Muskel sind weniger ermutigend (De Luca et al. 1989), sie können aber durch die Schaffung eines dermalen Äquivalents, z. B. mit vaskularisierter Fremdhaut, deutlich verbessert werden (Schiozer et al. 1994), sodass diese zweizeitige Schaffung eines »composite graft« bereits Einzug die tägliche Praxis gefunden hat (Druecke et al. 2002; vgl. Abb. 29.8 c–e). Nachteile der »Zuchthaut« bestehen in 쐌 den hohen Kosten, 쐌 der Zeitdauer für die Anzüchtung, 쐌 der mechanisch verminderten Belastbarkeit, die sich z. B. in Blasenbildung beim Auftreten von Scherkräften äußert (Herndon u. Spies 2001).
Unter vielen anderen Unterhautersatzmaterialien wird derzeit am häufigsten die Collagen-GlucosaminglykanMatrix-Integra nach epifaszialer Nekrektomie primär aufgebracht. Nach einer Vaskularisierungszeit von 12–16 Tagen kann in einem zweiten Schritt nach Entfernung der schützenden Silikonfolie dünne Spalthaut transplantiert werden. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass es im Langzeitverlauf nach Ersatz des bovinen Kollagens durch körpereigenes durch die Bildung einer dermalen Äquivalenzschicht unter der Spalthaut zu einer Verbesserung der mechanischen Eigenschaften kommt im Vergleich zur alleinigen Spalthauttransplantation auf die Faszie. Nachteile sind die hohen Kosten, die zum einen durch das Material selbst, zum anderen durch häufige aufwendige Verbandswechsel über Wochen hinweg anfallen. Das Modellieren der Integra insbesondere über mechanisch belasteten Arealen ist schwierig. Entstehende Hämatome müssen unverzüglich entfernt werden, da ansonsten die Vaskularisation des Materials unterbleibt. Auftretende Infekte führen nicht selten zum Verlust von großen Arealen, und eine Retransplantation der Integra wird erforderlich. Nachbehandlung Postoperativ Nach erfolgter Spalthautransplantation sollte gerade bei kleinen Kindern ein festsitzender Verband zum Schutz der Transplantate angelegt werden. Fehlen direkte oder indirekte Infektionszeichen kann der erste postoperative Verbandswechsel am 3. bis 5. Tag nach der Operation erfolgen. Falls eine Fixierung mit Klammern oder nichtresorbierbarem Nahtmaterial erfolgt ist, kann dies bereits jetzt entfernt werden. Bis zum Abschluss der endgültigen Wundheilung werden in der Regel ein täglicher Verbandswechsel und die Transplantatpflege vorgenommen. Die Prävention hypertropher Narben wird durch die frühzeitige Anpassung von adäquaten elastischen Kompressionsbandagen (Jobst-Bandagen) gewährleistet, die für etwa ein Jahr nach Anpassung kontinuierlich getragen werden sollten. Die 2-mal täglich durchgeführte Pflege und Massage der Narbeareale mit Fettsalben (z. B. Bepanthen, Linola) trägt zur besseren Elastizität der Verbrennungsnarben bei. Eine zusätzliche Narbenglättung kann bei der Verwendung von Silikonauflagen erreicht werden. Zur erweiterten Physiotherapie zählen krankengymnastische und ergotherapeutische Übungsbehandlungen. Aufgrund der besonderen Anpassungsmöglichkeit von Kindern sowie der Fähigkeit des Erlernens von Ersatzbewegungen beschränkt sich die Ergotherapie hier nur auf die Unterstützung der Anleitung zum Spielen und die grundsätzliche Motivation, spielerische Handlungen auszuführen. Das Ziel einer intensiven funktionellen Ergotherapie ist die Erhaltung bzw. die Verbesserung der normalen Funktionen des Bewegungsappara-
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tes, Muskelkräftigung, Gelenkmobilisation oder auch die Kompensation von fehlenden Bewegungen. Auch die krankengymnastische Übungstherapie sollte die Kinder zu spielerischen Bewegungsabläufen anhalten. Zur Kontrakturprophylaxe ist die Lagerung in Schienen, heute meist aus thermoplastischem Material, insbesondere an den Händen in Funktionsstellung (»Intrinsic-plus-Stellung«) und am Hals im Bereich des sternomentalen Übergangs notwendig. Wechselnde Quengelschienen kommen je nach Erfordernis an allen die Gelenke übergreifenden Verbrennungen zur Vermeidung oder Behandlung narbiger Kontrakturen zum Einsatz. Rekonstruktive plastische Chirurgie der Verbrennungsfolgen Rekonstruktive Maßnahmen dienen der Wiederherstellung oder Funktionsverbesserung insbesondere von kontrakten Gelenken und instabilen Narben mit dem Auftreten von rezidivierenden Ulzerationen. Hier kommen meist Z-Plastiken und Hautverpflanzungen (Vollund Spalthaut) und auch häufig aufwendige rekonstruktive plastisch-chirurgische Maßnahmen zum Einsatz. Bei flächigen Verbrennungsnarben kann das Verfahren der Serienexzision durchgeführt werden, wobei sequenziell Anteile der Verbrennungsnarbe exzidiert und durch ein lokales Advancement unverbrannter Haut ersetzt werden, um hier wenn möglich eine strichförmige Narbe zu erhalten. Kontrahierende Narbenzüge können bei Kindern im Verlauf nicht nur zu funktionellen Behinderungen, sondern vor allem zu Wachstumsbehinderungen und chronischen Instabilitäten führen (Abb. 29.6 a,b). Des Weiteren können sich beim Brandverletzten heterotope Ossifikationen entwickeln. Dafür ist der Ellbogen die häufigste Lokalisation. Als Ursachen werden Lagerungs- und Mobilisationsschäden, aber auch pathologische Zytokinexpressionen vermutet. Die chirurgische Korrektur ist schwierig. In instabilen Verbrennungsnarben können sich durch rezidivierende Aufbrüche und die damit zusammenhängenden Reparationsvorgänge Narbenkarzinome entwickeln. Über ein Zwischenstadium der Epitheldysplasie und pseudokarzinomatösen Hyperplasie entsteht nach etwa 10–15 Jahren eine echte Dedifferenzierung in ein Plattenepithelkarzinom. Der spinozelluläre Typ neigt zur Metastasierung und muss weit im Gesunden exzidiert werden. Im Allgemeinen sollten ästhetische Narbenkorrekturen erst nach kompletter Stabilisierung des Narbenbildes, also etwa 12 Monate nach dem Verbrennungstrauma, durchgeführt werden. Der Zeitpunkt zur operativen Korrektur funktionell beeinträchtigender Narbenzüge richtet sich nach dem zu erwartenden Defizit. So sollten gelenkübergreifende Narben korrigiert werden, bevor eine arthrogene Kontraktur eintritt. Insbesondere an
Abb. 29.6. Spontan abgeheilte tief zweitgradige Verbrennungen der Hohlhand (a) führen zu kontrahierenden Narben (b), die eine Wachstumsbehinderung bedingen können
der Hand werden frühzeitige Eingriffe zur Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Greiffunktion erforderlich. Rekonstruktionseingriffe an Gesicht, Kopf und Hals. Häufig sind korrigierende Maßnahmen bei konzentrischen Kontrakturen am Mund (Mikrostoma) oder an den Augenlidern (Ektropium, Keratitis e lagophthalmo) erforderlich. Hier finden Transplantate möglichst aus benachbarten Arealen (retroaurikulär entnommene Vollhaut) Anwendung. Narbenplatten auf behaarter Kopfhaut führen zur lokalen Alopezie. Mittels Expandervordehnung gesunder haartragender Areale besteht die Möglichkeit einer kosmetischen und funktionellen (Narbenulzerationen) Wiederherstellung (Abb. 29.7 a–c). Bei ausgedehnten Verlusten an Haut und Knorpel der Nasenregion müssen aufwendige rekonstruktive Maßnahmen ergriffen werden – je nach Ausdehnung des Schadens entweder durch ortständige Lappenplastiken z. B. aus der unverbrannten Stirnregion oder bei Totalverlusten z. B. durch vorgeformte mikrochirurgische Lappenplastiken aus dem Unterarm. Bei Ohrverbren-
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nungen muss initial eine sofortige Bedeckung freiliegenden Knorpels zur Verhinderung einer Chondritis vorgenommen werden. In seltenen Fällen ist es notwendig, freiliegenden Knorpel zu entnehmen und für spätere Rekonstruktionen an unverletzten Arealen subkutan temporär zu implantieren. Es kann auch sinnvoll sein, das Ohrgerüst in einer retroaurikulär gebildeten Tasche ortsständig zu verwahren. Am Hals erfordert die Korrektur der sternomentalen Kontraktur in der Regel Vollhauttransplantate, die der Halskontur angepasst werden müssen. Hierbei muss der gesamte Narbenpannus inklusive des Platysmas reseziert werden, da ansonsten Rekontrakturen drohen. Besondere Bedeutung kommt der konsequenten postoperative Nachbehandlung unter Verwendung von speziell angepassten Halsschienen zu. Lokale Lappenplastiken können aufgrund des mitverletzten umgebenden Gewebes häufig nicht angewendet werden. Nur bei begrenzten Kontrakturen der Mentalregion kann nach Narbenexzision ein lokales Advancement der unverbrannten Halshaut nach Mobilisation bis an die Klavikula durchgeführt werden. Die Indikation zur freien Lappenplastik besteht nur in seltenen Fällen. Stehen überhaupt keine geeigneten Spenderareale zur Verfügung, kann hier zur Rekonstruktion Intergra zum Einsatz kommen (Abb. 29.8 f–h).
Abb. 29.7 a–c. Bestehen narbig bedingte Alopezieareale der Kopfhaut können diese mittels vorheriger Expandervordehnung der noch haartragenden Anteile reduziert oder beseitigt werden
Abb. 29.8. a 5 Jahre altes Mädchen mit überwiegend drittgradigen Verbrennungen von insgesamt 70% der KOF. b Nach sequenzieller kompletter Nekrektomie erfolgte die passagere Bedeckung mit Fremdhaut. c Aufgrund der limitierten Spenderareale (beide Unterschenkel) konnte nur in bestimmten Bezirken (Gesicht, sternomentaler Übergang, Arme und Hände) eine Eigenhauttransplantation durchgeführt werden, die übrigen Areale wurden mit Fremdhaut gedeckt, die z. T. vaskularisierte. d Auf der Ventralseite des Rumpfes und der Leistenregion erfolgte dann die Transplantation kultivierter autologer Keratinozyten, wobei zur Vorbereitung des Wundbettes dieses nur vorsichtig tangential unter Erhalt der festsitzenden Fremdhautanteile angefrischt wurde. e In der Vergrößerung erkennt man die eingeheilten Keratinozytentransplantate (matte Oberfläche) über der dermalen Matrix der ehemaligen Fremdhaut. f Im weiteren Verlauf entwickelte das Kind dann eine massive sternomentale Kontraktur mit fehlendem Mundschluss. g Da keine geeigneten Spenderareale für eine Lappenplastik oder ausreichend große Vollhautentnahme zur Verfügung standen, wurde hier nach Narbenresektion (inklusive Platysma) Integra aufgebracht und dieses nach 12 Tagen mit Spalthaut bedeckt (h)
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Abb. 29.8. b–h Nach sequenzieller kompletter Nekrektomie erfolgte die passagere Bedeckung mit Fremdhaut. c Aufgrund der limitierten Spenderareale (beide Unterschenkel) konnte nur in bestimmten Bezirken (Gesicht, sternomentaler Übergang, Arme und Hände) eine Eigenhauttransplantation durchgeführt werden, die übrigen Areale wurden mit Fremdhaut gedeckt, die z. T. vaskularisierte. d Auf der Ventralseite des Rumpfes und der Leistenregion erfolgte dann die Transplantation kultivierter autologer Keratinozyten, wobei zur Vorbereitung des Wundbettes dieses nur vorsichtig tangential unter Erhalt der festsitzenden Fremdhautanteile angefrischt wurde. e In der Vergrößerung erkennt man die eingeheilten Keratinozytentransplantate (matte Oberfläche) über der dermalen Matrix der ehemaligen Fremdhaut. f Im weiteren Verlauf entwickelte das Kind dann eine massive sternomentale Kontraktur mit fehlendem Mundschluss. g Da keine geeigneten Spenderareale für eine Lappenplastik oder ausreichend große Vollhautentnahme zur Verfügung standen, wurde hier nach Narbenresektion (inklusive Platysma) Integra aufgebracht und dieses nach 12 Tagen mit Spalthaut bedeckt (h)
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Rekonstruktionseingriffe am Stamm. Zu den wesentlichen plastisch-chirurgischen Rekonstruktionseingriffen am Stamm nach kindlicher Verbrennungsverletzung zählt der Brustwiederaufbau bei Mädchen und jugendlichen Frauen. Bei der Primärversorgung von Verbrennungen des Thorax ist beim Mädchen unbedingt die glanduläre Brustanlage auch bei der epifaszialen Nekrektomie zu schonen, da ansonsten ein späteres Brustwachstum ausbleibt und zu einer erheblichen Verstümmelung der heranwachsenden Frau führt. Prinzipiell sind tief dermale Verbrennungen der Mammille bei Jungen und Mädchen gleichermaßen auch von der tangentialen Exzision auszusparen. Hier kommt es häufig im Laufe der Zeit unter konservativen Maßnahmen nach Ablösung des Verbrennungsschorfes zu einer befriedigenden Spontanheilung, bedingt durch eine Epithelisierung aus den Drüsengängen. Bei kontrahierenden Narbenfeldern über der Brustanlage müssen diese exzidiert und durch vorher expandierte gesunde Haut ersetzt werden, um eine normale Brustentwicklung zu ermöglichen, wobei eine spätere Rekonstruktion des Mammillenkomplexes möglich ist. Bei fehlender gesunder Umgebungshaut kommen nach Narbenexzision über den Mammae Vollhauttransplantationen und dermale Ersatzstoffe wie z. B. Integra zum Einsatz (Frame et al. 2004). Rekonstruktionseingriffe an den Extremitäten. Im Bereich der vorderen und hinteren Axillarlinie der Schulter entwickeln sich Narbenzüge, die eine Adduktionskontraktur des Arms hervorrufen. Hier, wie auch am Ellbogen, bei dem eine Flexionskontraktur entsteht, muss der Narbenstrang gespalten und in Form einer Z-Plastik aufgelöst oder durch ein Transplantat ersetzt werden. Wichtig ist eine konsequente Nachbehandlung mit Physiotherapie und Schienenbehandlung, um einer erneuten Kontrakturbildung vorzubeugen. Die häufigste Verbrennungsfolge an der Hand ist die so genannte Schwimmhautbildung zwischen den einzelnen Fingern. Bei spärlicher Narbenbildung genügt eine Z- oder W-Plastik zur Korrektur. Bei ausgeprägteren Fällen empfehlen sich die Narbenspaltung und das Einlegen von dicker Spalthaut oder eines Vollhauttransplantates. Bei den verschiedenen Kontrakturformen der Langfinger und des Daumens werden die Korrekturen mittels Z-Plastiken, dicken Spalthauttransplantaten, Vollhauttransplantaten oder auch funktionsgerechten Arthrodesen durchgeführt. Nach Amputationen kommen alle handchirurgischen Rekonstruktionsmöglichkeiten inklusive der Pollizisation von Langfingern, der Transportkortikotomie zur Distraktion der Phalangen und des Zehentransfers in Betracht. Insbesondere können aber bei Teilverlust von Daumen und Langfingern bereits Vertiefungen von Interdigitalfalten erhebliche Verbesserungen der Greiffunktion erbringen.
Die Verwendung von freien mikrochirurgisch angeschlossenen Lappenplastiken kann in der Primärphase zur Rettung der Extremitäten erforderlich werden. Hierbei ist eine erhöhte Komplikationsrate zu beachten, wobei die Thrombosegefahr der Anastomosen zwischen dem 5. und 24. posttraumatischen Tag am höchsten ist (Baumeister et al. 2004). Diese Gefahr besteht bei der sekundären Rekonstruktion nicht mehr.
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Kapitel 30
Amputationen
30
J. Eichhorn-Sens, P.M. Vogt
30.1
Indikation zur Amputation und Wahl der Amputationshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974
30.2
Amputationschirurgie
30.3 30.3.1 30.3.2
Standardisierte Amputationstechnik/spezieller Teil 980 Obere Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980 Untere Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981
30.4
Prothetische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . 987
. . . . . . . . . . . . . . . . 975
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
Eine Amputation bedeutet den irreversiblen Verlust einer Gliedmaße und damit einen Verlust an körperlicher Integrität, der zunächst den Eltern mehr als den Kindern zu schaffen macht. Anders als beim angeborenen Fehlen einer Gliedmaße handelt es sich um eine akute und dramatische Veränderung des Körpers. Neben der körperlichen Einschränkung kommen auch psychische Probleme auf den Betroffenen und die Angehörigen zu. Selbst die modernste Prothesentechnik vermag den Verlust einer lebendigen Extremität nicht zu ersetzten. Nach Baumgartner u. Botta (1995) geht mit einer Amputation somit ein unwiederbringliches Stück Leben verloren. Als positiv mag bei der insgesamt unerfreulichen Situation der Amputation gelten, dass Kinder eine beachtliche Geschicklichkeit beim Wiedererlernen alter oder Erlernen neuer Fähigkeiten zeigen. Die geringe Akzeptanz selbst der technisch ausgefeiltesten Prothese im Kindesalter unterstreicht die Bedeutung einer chirurgisch kunstgerechten Amputationstechnik, wenn Versuche des Extremitätenerhalts fehlschlagen. Anders als beim Erwachsenen sind beim Kind Unfallereignisse mit 75–80% häufigste Ursache einer Gliedmaßenamputation. Die unteren Extremitäten sind 2- bis 3-mal so oft betroffen wie die oberen. Im Kindesalter gelten weiterhin einige Besonderheiten, die insbesondere mit den Eigenschaften des wachsenden Skeletts zusammenhängen. Entscheidend ist hier die Planung auf lange Sicht. Durch das Wachstum können beim Kind im Laufe der Zeit Stumpfkorrekturen notwendig werden, besonders an Unterschenkel und Oberarm. Grundsätzlich kommt eine Amputation heute erst nach Ausschöpfung des gesamten Spektrums der Wiederherstellungschirurgie in Betracht, denn jeder Verlust ist irreversibel! Ist eine Amputation unumgänglich, ist
es das Ziel, die Amputationshöhe soweit wie möglich peripher zu wählen und gleichzeitig einen Stumpf zu schaffen, der frei von Schmerzen, funktionell brauchbar und im günstigen Fall prothetisch zu versorgen ist. Hier hat die moderne Orthopädietechnik ein neues und fruchtbares Betätigungsfeld erhalten. Beispielsweise lassen sich auch kurze Rückfußstümpfe prothetisch versorgen, sodass Konfektionsschuhwerk getragen werden kann und damit auch der Einbeinstand möglich ist. Dies alles führt dazu, dass das Stigma der Amputation im Alltag weitestgehend eliminiert und eine »normale« Lebensqualität erlangt wird. Ursache Im frühen Neugeborenen- und Säuglingsalter stellen angeborene Fehlbildungen (Verhältnis obere/untere Extremität = 1,2 : 1) und Tumorleiden die häufigste Ursache des Fehlens bzw. Verlusts einer Gliedmaße dar. Mit zunehmenden Alter rücken die traumatischen Ursachen in den Vordergrund. Die verschiedenen Ursachen von Amputationen lassen sich in Gruppen unterteilen, welche jeweils bezüglich der Indikationsstellung zur Amputation, der Wahl der Amputationshöhe, der Technik der Amputation und der Rehabilitation Besonderheiten aufweisen und vor Beginn der Therapie genau überdacht werden müssen. Trauma Verletzungsformen. 쐌 Primäre Amputation: Hier hat das Trauma bereits zur Amputation geführt. – Totale Amputation: Dies beinhaltet die völlige Diskontinuität aller Strukturen. – Subtotale Amputation: Die wichtigsten anatomischen Strukturen, insbesondere die Hauptgefäßverbindungen, sind durchtrennt. Das Amputat kann ohne Wiederherstellung der Durchblutung nicht überleben. Erhaltene Basisdurchblutung: Es handelt sich um eine drittgradige Schädigung des Weichteilmantels und der ossären Strukturen bei ausreichender Restdurchblutung. Bei erhaltenem Amputat ist auf jeden Fall die Möglichkeit der Replantation zu prüfen, wobei im Kindesalter die Indikation weiter zu stellen ist als beim Erwachsenen.
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Kapitel 30 Amputationen
쐌 Sekundäre Amputation: Sekundäre Amputationen Tage, Wochen oder Monate nach dem Unfall sind häufiger als primäre, denn unmittelbar nach dem Unfallereignis ist es nicht möglich, vitales von nekrotischem Gewebe zweifelsfrei zu unterscheiden. Manchmal zeigt sich auch lange Zeit nach dem Unfall die Amputation als bessere Lösung. Unfallmechanismus. Die genaue Kenntnis des Unfallmechanismus ist für das Vorgehen und die Prognose von größter Bedeutung: Bei Schnittverletzungen bildet die glatte Schnittfläche ideale Replantationsvoraussetzungen, besonders bei quer verlaufendem Schnitt. Breitere Wunden als bei Schnittverletzungen hinterlassen Säge- und Fräseverletzungen. Knochen und Wundränder sind zerfetzt und Replantationen nur unter Längenverlust möglich. Stanzverletzungen hinterlassen meist totale Amputation mit glatter Schnittfläche, häufig peripher, Daumen und Zeigefingerbasis bleiben oft verschont. Im Gegensatz dazu finden sich bei Verletzungen durch eine Presse die distalen Anteile zermalmt und nicht mehr replantierbar. Trümmerverletzungen durch schnell laufende Maschinen betreffen meist mehrere Finger und gelegentlich den ganzen Arm. Nur in günstigen Fällen ist eine Replantation möglich. Stichverletzungen werden wegen minimaler Eintrittspforte nicht selten als Bagatellverletzung verkannt, eine bakterielle Infektion kann zur Hohlhandphlegmone, zur nekrotisierenden Entzündung und schließlich zur Amputation führen. Eine typische Verletzung ist die Ausrissverletzung. Meist ist der 4. Finger, beispielsweise beim Hängenbleiben am Fingerring beim Überklettern eines Zaunes, betroffen. Folge kann die traumatische Exartikulation im 1. Interphalangealgelenk sein, der Knochenstumpf ist mit den geschädigten Weichteilen bedeckt, und es kommt zu Zirkulationsstörungen, welche Nachamputation erforderlich machen können. In günstigen Fällen gelingt die Replantation mit Kürzen des Knochenstumpfes. Ausrissverletzungen von Hand und Arm sind selten, die schwächste Stelle ist das Schultergelenk (Zentrifugenverletzungen). Häufig ist der Plexus brachialis geschädigt. Schwerste Schädigungen der Gewebe finden sich bei Walzenverletzungen. Ist der Ellbogen betroffen, sollte alles daran gesetzt werden, wenigstens einen kurzen Unterarmstumpf zu erhalten. Bei Trümmerfrakturen ist der Versuch einer Arthrodese in Rechtwinkelstellung im Hinblick auf die prothetische Versorgung zu unternehmen. Auch Bissverletzungen können primäre und sekundäre Amputationen zur Folge haben. Arterienverletzungen führen zur Ischämie des versorgten Gebietes und zur Amputation, wenn sich die Durchblutung nicht rechtzeitig wiederherstellen lässt. Explosionsverletzungen hinterlassen im schlimmsten Fall den »blinden Ohnhänder« mit Verlust beider Hän-
de, totaler Erblindung und Zerstörung der Trommelfelle mit Hörschaden. Hier empfiehlt sich die Versorgung mittels Krukenberg-Zange und keine Prothesen, da diese die Sensibilität an den Stümpfen herabsetzten und damit das wichtigste verbleibende Sinnesorgan in seiner Funktion beeinträchtigen. Nach Verbrennungen, Verbrühungen und Verätzungen sind die Stümpfe oft vernarbt, schlecht belastbar und daher funktionell schwer beeinträchtigt und prothetisch kaum zu versorgen (Abb. 30.1). Starkstromverletzungen entstehen durch Hochspannung von mindestens 10.000 V. Es kommt zu Verbrennungen, wenn der Strom über eine Ein- und Austrittsstelle durch den Körper fließt. Lichtbogen und Funken erzeugen zusätzliche thermische Verbrennungen bis zur Verkohlung. Unter intakter Haut können sich zerstörte tiefere Gewebeschichten verbergen, betroffen sind Areale mit kleinerem Querschnitt und geringerer Muskeldeckung und damit geringerer Leitfähigkeit wie z. B. Hand- und Ellbogengelenk oder Schulter. Über die geringste Leitfähigkeit verfügen Knochen und Knorpel, gefolgt von Fettgewebe, Sehnen, Haut, Muskeln, Gefäßen und Nerven. Es muss an die Möglichkeit eines Crush-Syndroms und auch an ein Kompartmentsyndrom gedacht werden. Verbrennungen der Epiphysenfuge bringen das Wachstum zum Stillstand (Della Santa u. Hoffmeyer 1986). Kontrakturen entstehen durch Schrumpfen der Gelenkkapsel und Knorpelschädigung. Erfrierungen können sekundäre Amputationen nach sich ziehen. Nach Demarkation erfolgt das Abtragen der Nekrosen und, es wird ein möglichst peripherer Stumpf gebildet. Allerdings altern nach Baumgartner (1995) die
Abb. 30.1. Frühkindliche Verbrennung (80% der Körperoberfläche, viertgradig im Bereich der Fingerspitzen) mit schwerster Narbenbildung und Kontrakturen der Langfingerstümpfe sowie Daumenverlust
Amputationen
Weichteile dieser Stümpfe schneller und können so im Alter zu ischämischen Schmerzen führen und dann auch Nachamputationen nötig machen. Verletzungen des Plexus brachialis führen zu motorischen und sensiblen Ausfällen bis zur völligen Funktionsunfähigkeit. Tumoren Kurative Amputation. Man wählt den minimalen Sicherheitsabstand, denn der Grad der Behinderung nimmt mit jedem Zentimeter zu. Voraussetzung sind eingehende onkologische Kenntnisse, denn der eine Tumor wächst lokal infiltrierend, der andere setzt ggf. schon vor Entdeckung Metastasen. Von Bedeutung für Verlauf und Prognose ist die »Tumorsterilität«, d. h. eine durchdachte Vorgehensweise schon bei der Biopsie: Es dürfen keine Tumorzellen verschleppt werden! Die Schnittführung erfolgt entlang der Sicherheitsgrenze, und aus dem Verbliebenen wird der bestmögliche Stumpf gebildet. Palliative Amputation. Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität. Eine zügige Prothesenversorgung muss gewährleistet werden. Amputation bei multimodalen Therapiefolgen. Strahlenfibrosen haben Lymphödeme, in Extremfällen bis zur Elephantiasis zur Folge. Es kommt zu extremer Schmerzhaftigkeit und Lähmung bis zum Funktionsverlust und zu Luxationen, da die geschädigten Weichteile das Gewicht der Extremität nicht mehr halten können. Der Traumatologe wird meist bei pathologischen Frakturen involviert. Postoperative Probleme. Postoperative Chemo- und Strahlentherapien führen zur Verzögerung der Prothesenversorgung mindestens für die Dauer der Nachbehandlung. Durch die Chemotherapie entstehen Gewebenekrosen an der Stumpfspitze, die Weichteile atrophieren, und es bilden sich Kronensequester an Röhrenknochen. Der Knochen steht direkt unter der Haut und ist druckempfindlich, Stumpfrevisionen mit Kürzung sind nach Abschluss der Chemotherapie erforderlich. Volumenschwankungen erschweren die Prothesenversorgung erst durch Ödeme, dann durch Atrophie und nach Chemotherapie wieder durch Gewichtszunahme. Störungen der arteriellen Durchblutung Auch Kollagenkrankheiten wie die Periarteriitis nodosa können zu Teilamputation der Fingerkuppen führen ebenso wie der Lupus erythematodes. Die Sklerodermie mit ihrer Sonderform, der Epidermiolysis bullosa, betrifft auch Kinder: Es kommt zur Verdickung und Verhärtung der Haut, Wachstumsbehinderungen und Kontrakturen sind die Folge. Das Skelett ist im Panzer der eigenen Haut eingesperrt und kann sich nicht entwickeln. Betroffen sind vornehmlich Finger und Hand bzw. Vorfuß und Zehen sowie das Gesicht. Die Haut ist
sehr vulnerabel und infektanfällig, es besteht die Gefahr der malignen Entartung. Die Meningo- und Pneumokokkensepsis hinterlässt hämorrhagische Infarkte an allen Extremitäten (Abb. 30.2) und führt im Extremfall zum Totalverlust beider Hände und Füße (Abb. 30.3 a–e). Betroffen sind meist Kleinkinder, selten Erwachsene. Die Weichteile sind meist stärker geschädigt als die Knochen und Wachstumsfugen. Im Stadium der Demarkation werden so genannte Grenzzonenamputationen durchgeführt. Es ist dabei alles an den Erhalt der distalen Wachstumsfugen zu setzten. Zunächst erfolgt das Débridement eindeutig nekrotischer Gewebe, die Wundflächen sind vor Austrocknen zu schützen, und das Abwarten der spontanen Epithelisierung ist Hauttransplantaten vorzuziehen. Auch der anaphylaktische Schock mit hämorrhagischen Infarkten der Extremitäten kann zu Hautnekrosen bis zu peripheren Amputationen führen. Beim Morbus Raynaud und Raynaud-Phänomen treten primär oder sekundär episodisch reversible Gefäßspasmen mit Kältegefühl und marmorähnlicher livider Verfärbung der Extremitäten bis zur Gangrän und Autoamputationen in der Peripherie bei ungeklärter Pathophysiologie auf. Auch durch Alkaloide des Mutterkornpilzes in Medikamenten gegen Kopfschmerzen, zur Beruhigung und zur Förderung der Wehen, kam es im Rahmen eines Ergotismus zur Gangrän der unteren und oberen Extremitäten mit nachfolgender Amputation. Durch iatrogene Arterienverschlüsse mit Ischämie der betroffenen Extremität sind einerseits Säuglinge und Kleinkinder (Abb. 30.4 a–f), andererseits Patienten mit arterieller Verschlusskrankheit besonders gefährdet. Störungen der venösen und lymphatischen Zirkulation Morbus Klippel-Trénaunay. Hierbei handelt es sich um angeborene Gefäßfehlbildungen, welche groteske Weichteilschwellungen, arteriovenöse Fisteln und Riesenwuchs des betroffenen Extremitätenteils zur Folge haben. Der Restköper bleibt im Wachstum zurück; im
Abb. 30.2. Hämorrhagische Infarkte nach Pneumokokkensepsis
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Kapitel 30 Amputationen
Abb. 30.3 a–e. 6-jähriges Mädchen mit Waterhouse-FriedrichsonSyndrom. a Hämorrhagische Infarkte des rechten Unterarms und der Hand. b Zustand nach Fasziotomie bei Kompartmentsyndrom und fortschreitende Demarkation im Bereich der Finger der rechten Hand. c Grenzzonenamputation auf Höhe des proximalen Unterschenkels beidseits. d Grenzzonenamputation der Finger II, IV
und V im Grundgelenk, III im DIP-Gelenk, der Fingerkuppe des Daumens sowie Defektdeckung des freiliegenden Handgelenks mittels Leistenlappen, temporäre Fixation zur Lagerung des Lappens mit Fixateur externe. e Deckung der nach Nekrektomie freiliegenden linken Patella durch lokalen Verschiebeschwenklappen und der Rest- bzw. Hebedefekte durch Spalthaut
Abb. 30.4. a,b Nekrose der Endglieder des Mittel-, Ring- und Kleinfingers eines 3-jährigen Kindes nach iatrogener intraarterieller Fehlinjektion
Amputationen
Laufe der Jahre kommt es zu Herzinsuffizienz und schließlich Herzversagen. Operativ kommen eher Weichteilreduktionen in Frage. Großer Blutverlust und verzögerte Wundheilung mit Nekrosen und Infekten sind häufig. Betroffen sind besonders die untere Extremität und das Becken. Lymphangiom. Lymphangiome können zu Riesenwuchs und grotesker Verformung der Extremitäten führen, die Operation erfolgt im Kleinkindesalter, um Funktion und Kosmetik zu verbessern und den Riesenwuchs zu stoppen. Infekte Akute hämatogene Osteomyelitis. Betroffen sind Kinder zwischen 2 und 12 Jahren sowie Erwachsene mit geschwächter Immunabwehr. Als Ursache kommen Mittelohrentzündungen, Tonsillitiden oder eitrige Zähne in Betracht, welche zur Streuung der Bakterien über die Blutbahn führen. Auch direkte Eintrittspforten wie z. B. Stichwunden oder eingewachsene Nägel sind möglich. Typisch sind septische Temperaturen, Schüttelfrost und ein geschwächter Allgemeinzustand bis hin zum lebensgefährlichen septischen Schock. Bevorzugt werden die Metaphysen der langen Röhrenknochen, seltener Gelenke, Humerus, Radius, Ulna und die Röhrenknochen der Finger. Häufig erfolgt die Fortleitung in die Diaphysen, die Wachstumslinien der Epiphysenfugen werden kaum durchbrochen, subperiostale Abszesse treten auf. Die Frage der Amputation stellt sich, wenn überhaupt, erst wenn die akute in eine chronische Osteomyelitis übergeht, die sich durch andere Mittel nicht beherrschen lässt. Chronische Osteomyelitis/Osteitis. Die chronische Osteomyelitis ist heute Domäne der plastischen Rekonstruktion mit radikalem Débridement und Lappenplastiken. Ziel ist zunächst die Verbesserung der lokalen Durchblutung. Dies geschieht zum einen durch radikales Entfernen von nicht durchblutetem Material wie Sequester, Osteosynthesematerial, Gelenkprothesen, Fremdkörper und nichtresorbierbares Fadenmaterial sowie durch ein Weichteildébridement. Dann erfolgt das Ausfräsen und Ausfüllen der Markhöhle durch vitales Gewebe, z. B. gestielte oder freie Muskellappen. Eine zuverlässige Wunddrainage ist besonders wichtig. Es erfolgt ein spannungsfreier Hautverschluss oder zunächst eine offene Wundbehandlung, weiterhin eine antibiotische Therapie. Amputation kommen erst nach erfolglosen und wiederholten Therapieversuchen und bei Wunsch des Patienten, »Ruhe vor der Erkrankung zu haben«, in Betracht. Abb. 30.4. c,d Nach erfolgter Grenzzonendemarkation Amputation der Endglieder. e,f Stumpfbedeckung durch Adaptation der fischmaulförmigen Hautläppchen bei größtmöglichem Längenerhalt der Stümpfe
Sonstige. In unseren Breiten seltener ist die Tuberkulose mit typischer Lokalisation am Bewegungsapparat: Finger und Zehen beim Kleinkind, Wirbelkörper beim Jugendlichen und Erwachsenen sowie die Lepra. Auch
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Kapitel 30 Amputationen
anaerobe Infekte wie Tetanus, Gasbrand und Phlegmonen können zu Amputationen führen. Lähmung Amputationen nach traumatisch bedingten Lähmungen sind äußerst selten indiziert und dann häufig Wunsch des Patienten. Hier sollten primäre oder sekundäre Wiederherstellungsoperationen der neuromuskulären Funktionen erfolgen. Angeborene Fehlbildungen Amputationen an angeborenen Fehlbildungen (Finger-, Zehenbürzel, rudimentäre Finger und Zehen, Amnionumschnürungen, Polydaktylie, Riesenwuchs) kommen allenfalls im Rahmen der funktionsverbessernden Rekonstruktion als Teilamputation vor. Psychopathologische Ursachen Traumatische Amputationen können auch Folge von Selbstverstümmelung oder Mutproben sein.
30.1 Indikation zur Amputation und Wahl der Amputationshöhe
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In jedem Fall gilt: »Die beste Amputation ist keine Amputation.« Mit der Entwicklung der Mikrochirurgie wurden Extremitätenreplantationen peripher wie auch zentral abgetrennter Gliedmaßen möglich. Wesentlich mitgetragen wurden die Erfolge durch klare Regimes in der Prophylaxe sowie der Behandlung des Wundinfekts bei schweren Extremitätenverletzungen: durch konsequentes chirurgisches Débridement, Volumentherapie, intensivmedizinische Behandlung und Antibiotika. Lässt sich die Amputation nicht vermeiden, sollte sie jedoch so peripher wie möglich erfolgen, denn je peripherer die Amputationshöhe, umso geringer der Grad der Verstümmelung und Behinderung. Die Aufgabe, möglichst peripher zu amputieren oder die Amputation sogar zu vermeiden, setzt Kenntnisse der Wiederherstellungschirurgie sowie von Patient und Arzt die Bereitschaft zu weiteren operativen Eingriffen voraus. Die Grenze der Vitalität verläuft in den seltensten Fällen quer durch die Extremität, sondern kann je nach Art der Verletzung, der Qualität der Gewebe und der anatomischen Gegebenheiten von unterschiedlicher Höhe sein. Die Wahl der Amputationshöhe wird in erster Linie bestimmt durch die Grenzen der Durchblutung, welche häufig erst nach einiger Zeit zu erkennen sind. Ziel ist es, einen möglichst peripheren und trotzdem schmerzfreien und funktionell belastbaren Stumpf zu erhalten. Allgemeine Faktoren Wie bereits beschrieben, ist die Kenntnis der Ätiologie entscheidend für die Therapieplanung. Die Anamnese umfasst Angaben über Zeitpunkt und Hergang des Un-
falls im Hinblick auf mögliche Replantationen, Fremdkörper und Begleitverletzungen, Angaben über vorbestehende Krankheiten oder Unfälle. Beim Jugendlichen ist bei einer traumatischen Amputation z. B. nach einem Eisenbahnunfall auch an die Möglichkeit eines Suizidversuchs zu denken, weiterhin an den Einfluss von Drogen, Misshandlungen oder Fahrlässigkeit von Drittpersonen. Schon vor der Amputation müssen klare Vorstellungen über die Nachbehandlung und die spätere prothetische Versorgung vorliegen. Der Patient und die Angehörigen sind über die erforderlichen Maßnahmen genau aufzuklären und sollten bereit sein, das gleiche Risiko zu tragen wie der Operateur. Lokale Faktoren Präoperativ wird ein exakter klinischer Befund erhoben. Die Qualität des Amputationsstumpfes hängt wesentlich vom Hautzustand (Farbe, Trophik, Nekrosen, Ödeme, Temperatur, Sensibilität) ab. Ein asensibler Stumpf hat eine schlechtere Qualität und Prognose, ist jedoch kein Grund zur weiteren Amputation. Gegebenenfalls ist die Verlagerung sensibler Zonen durch plastisch-chirurgische Maßnahmen zu überdenken. Die Stumpfqualität hängt auch entscheidend von der Durchblutungssituation und dem venösen Rückfluss ab. Infekten muss rechtzeitig begegnet werden. Bei Röhrenknochen ist die Bedeckung der Stumpfspitze mit Hautmuskellappen anzustreben. Die so genannte Grenzzonenamputation wird in einer Phase durchgeführt, in der die Demarkation bereits so weit fortgeschritten ist, dass sich die Grenze zwischen vitalen und abgestorbenem Gewebe bereits deutlich demarkiert hat. Die klinische Beurteilung kann in geeigneten Fällen durch bildgebende Verfahren, wie Nativröntgen, ggf. Tomographie, Fisteldarstellung, CT, MRT, Angiographie, Knochenszinigraphie oder Ultraschall ergänzt werden. Zur Abklärung der Durchblutung können neben der Kontrolle von Puls, Temperatur und Hautkolorit die Oszillographie, Dopplersonographie oder die Sauerstoffpartialdruckmessung eingesetzt werden. Trotz zunehmender apparativer Diagnostik ist die klinische Beurteilung der entscheidende Faktor in der Wahl der Amputationshöhe. Letztlich gibt der intraoperative klinische Befund den entscheidenden Ausschlag für die Wahl der Amputationshöhe. Man sollte so peripher wie möglich beginnen. Wichtig ist zunächst die Beurteilung der Gefäßdurchgängigkeit; bei Einsatz von Blutsperre oder Blutleere muss diese vor Wundverschluss aufgehoben werden. Beim Verschluss größerer Arterien wird nicht automatisch auf gleicher Höhe abgesetzt (Kollateralen), denn maßgebend ist klinische Durchblutung. Verschlossene größere Arterien alleine sind kein Grund, die Amputationshöhe weiter proximal zu wählen. Entscheidend ist ebenso der venöse Abfluss. Denn im Gegensatz zu den Arterien sind frisch thrombosierte Venen sehr wohl
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30.2 Amputationschirurgie
eine absolute Indikation, die Amputationshöhe weiter nach proximal zu verschieben. Die Muskulatur wird auf Vitalität beurteilt, ggf. sind Faszienspaltungen erforderlich, Nekrosen werden radikal entfernt. Ebenso beurteilt man die Vitalität der Sehnen und Bänder. Avitale matte gelb bis bräunlich verfärbte Sehnen und Bänder werden ebenfalls débridiert. Vitaler Knorpel wird bei Exartikulationen als physiologischer Schutz des Knochenstumpfes erhalten. Nekrotisches Knochengewebe und Sequester werden beseitigt. Nicht immer ist damit eine Kürzung des Stumpfes verbunden, denn selbst ein halber Knochenquerschnitt genügt den mechanischen Stumpfbelastungen. Offene Wachstumsfugen müssen in jedem Fall erhalten werden. Von Vorteil ist die hohe Regenerationsfähigkeit kindlichen Gewebes. Schon präoperativ ist das Vorliegen des Tetanusschutzes zu überprüfen, der Operateur entscheidet über eine erforderliche Antibiotikagabe.
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Schultergürtel
ultrakurz
proximal
Oberarm
Schultergelenk
distal
Ellbogen
transkondylär
ultrakurz
Schema der Amputationshöhen Generell ist im Bereich der oberen wie der unteren Extremitäten jeder Zentimeter Längenerhalt wertvoll. Die Einteilung der Amputationshöhen ist schematisch in Abb. 30.5 und Abb. 30.6 a,b aufgeführt.
kurz Unterarm
mittellang
distal
Die Amputation darf nicht unnötig herausgezögert werden, da es zur Verschlechterung des körperlichen und psychischen Allgemeinzustandes und zu Komplikationen mit insgesamt verlängerter Behandlungsdauer und verzögerter und/oder erschwerter Rehabilitation, einem posttraumatischer Wundinfekt, Sepsis, Infektanämie oder auch Crush-Syndrom kommen kann. Jedoch sollte man sich auch ausreichend Zeit zur exakten Planung und zur Patienten- und Angehörigenaufklärung nehmen. Auch Patienten und Angehörige brauchen Zeit zum gemeinsamen Gespräch. Das Aufklärungsgespräch umfasst 쐌 die Erläuterung des Operationsrisikos, 쐌 die voraussichtliche Dauer des Eingriffs, 쐌 Angaben über die zu erwartende Amputationshöhe, zur Wundheilung, zu postoperativen Schmerzen und Komplikationen, 쐌 Aussagen über den Beginn, die Dauer und die Möglichkeiten der Prothesenversorgung sowie über die Dauer und den Grad der Rehabilitation. Prinzipien der operativen Technik Der Eingriff wird, wenn möglich, in Blutleere oder Blutsperre durchgeführt, diese jedoch vor Wundverschluss immer geöffnet, um Nachblutungen zu vermeiden. Wichtig ist die so genannte asymmetrische Opera-
Handgelenk Karpatometakarpale Gelenklinie
transkarpal metakarpal (verschiedene Höhen)
Fingergrundgelenke Finger (verschiedene Höhen)
Abb. 30.5. Schema der Amputationshöhen an der oberen Extremität
tionstechnik, d. h. die unbedingte Schonung und atraumatische Behandlung des zu erhaltenden Gewebes im Gegensatz zum Amputat. Die Wundfläche ist so klein wie möglich zu halten. Es wird möglichst wenig Fremdmaterial eingebracht, d. h. nur unbedingt erforderliches Nahtmaterial aus resorbierbaren Fäden, da sonst die Gefahr des Auftretens von Fadengranulomen bzw. Fadenfisteln besteht. Gefäßclips,Antibiotikaketten und Osteosynthesematerial können die Prothesenversorgung durch lokale Druckempfindlichkeit bis zum »inneren Dekubitus« durch Druck des Prothesenschaftes stören. Wichtig ist eine zuverlässige Wunddrainage. Diese wird, um zusätzliche Narben zu verhindern, aus der Wunde ausgeleitet. Ein spannungsfreier Hautverschluss ist anzustreben. Das Stumpfende soll in ganzer Fläche belastbar sein, so dass die Narben nicht auf für Funk-
CAVE
30.2 Amputationschirurgie
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Kapitel 30 Amputationen
Hemipelvektomie Hemikorporektomie
Hüftexartikulation
Oberschenkel
Knieexartikulation
Unterschenkel
transmalleolär nach Stowe
tion und Sensibilität wichtige Zonen und nicht auf das Stumpfende gelegt werden dürfen. Davon ist jedoch unter Umständen im Sinne eines Längenerhalts abzuweichen. Vorhandene Narben werden in die Schnittführung einbezogen. Schwachstellen, wie sich kreuzende oder verzweigende Schnitte, müssen vermieden werden. Die abgeheilte Haut muss auf der Unterlage für eine optimale Prothesenversorgung voll verschieblich sein. Ausnahmen sind bei endbelastbaren Stumpfsituationen möglich. In jedem Fall ist bei traumatischen Amputationen Augenmerk auf Durchblutungsstörungen und Infekte durch Restnekrosen zu richten und ggf. eine frühzeitige Revision einzuleiten. Haut Die Qualität des Stumpfes ist abhängig von der Hautqualität. Im Idealfall ist der Stumpf mit Vollhaut bedeckt, die auf der Unterlage verschieblich ist mit uneingeschränkter Sensibilität. Nur die Fußsohle ist für die Übertragung mechanischer Kräfte vom Körper auf den Boden und umgekehrt angelegt und verfügt über eine spezifische Polsterstruktur (Blechschmidt 1982). Bei Amputationen im Bereich der unteren Extremität wird daher mit allen Mitteln versucht, wenigstens ein Stück Fußsohle zu erhalten. Ein mit Sohlenhaut bedeckter Stumpf ist voll endbelastbar. In geeigneten Fällen wird daher die Replantation eines Fußes in den Bereich des mittleren Unterschenkeldrittels oder an den Femur durchgeführt. Selbstverständlich verbietet sich eine Stumpfkürzung ausschließlich für die Möglichkeit einer Vollhautdeckung. Zum Erhalt der Stumpflänge kann die Defekt-
a Kalkanektomie und Talektomie
Kalkanektomie total
Kalkanektomie partiell Chopart Bona-Jäger Lisfranc Transmetatarsal proximal
Transmetatarsal peripher Zehen, Exartikulation Grundgelenk Großzehe, Exartikulation Mittelgelenk Zehenendglied
b
Abb. 30.6. a Schema der Amputationshöhen für die untere Extremität. b Schema der Amputationshöhen für die untere Extremität. 1 Zehenendglied, 2 Großzehe: Exartikulation Mittelgelenk, 3 Zehen: Exartikulation Grundgelenk, 4 Transmetatarsal peripher, 5 Transmetatarsal proximal, 6 Lisfranc, 7 Bona-Jäger, 8 Chopart, 9 Kalkanektomie partiell, 10 Kalkanektomie total, 11 Kalkanektomie und Talektomie
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30.2 Amputationschirurgie
deckung durch Traktion oder Hauttransplantate erfolgen. Bei Kindern bietet sich die Kopfhaut als Entnahmestelle an, der Haarwuchs wird damit in keiner Weise gestört. Um eine Beeinträchtigung der Prothesenversorgung zu vermeiden, werden die Transplantate nicht an der amputierten Extremität entnommen. Nachteilig sind die minderwertigen mechanischen und sensorischen Eigenschaften. Eine sekundäre Entfernung und Defektverschluss durch Hautmobilisation oder Expansion nach Wundheilung und Atrophie der Weichteile ist jedoch möglich. Alternativ kann ggf. eine offene Wundbehandlung mit Epithelisierung des Defektes vom Wundrand her bei Hautdefekten von bis zu 5 cm Durchmesser durchgeführt werden. Nachteil ist hier die erforderliche Zeitdauer, von Vorteil die Schrumpfungsneigung und funktionelle Überlegenheit gegenüber Hauttransplantaten bei im Wachstumsalter hervorragender Regenerationsfähigkeit. Bei Kindern können sich auch ausgedehnte Hautnarben im Lauf der Zeit zu durchaus tragfähigen Bezirken entwickeln. Schnittführung Palmar- und Plantarseite bzw. palmare und plantare Stumpfspitzen werden frei von Narben gehalten. Um Nekrosen zu vermeiden, dürfen Hautlappen nicht länger als die Breite ihrer Basis sein, dieses 1 :1-Verhältnis darf höchstens bei Kindern geringfügig überzogen werden. Im Gelenkbereich ist für einen spannungsfreien Hautverschluss mit genügend Reserve zu sorgen, da sich hier die Haut bei Lappenbildung stärker als üblich retrahiert; ein Weichteilüberschuss ist jedoch zu vermeiden. Hautlappen ungleicher Länge werden mittels »Mokassin-Technik« adaptiert. Subkutane Nähte sollten sparsam eingesetzt werden, um keine Fremdkörper in der Wunde zu belassen. Statt dessen werden tiefe, Haut und Subkutis, gelegentlich Haut, Faszien und Muskula-
Abb. 30.7 a–c. Décollement-Verletzung mit sekundärer feuchter Gangrän der Weichteile (auswärtige Vorbehandlung). a Ausgangsbefund. b Zunächst Weichteilkonditionierung nach Débridement, Defektdeckung mit Latissimus-dorsi-Lappen und sekundäre Spalthautplastik. c Abheilungsergebnis mit narbenbedingter Kon-
tur umfassende Einzelknopfnähte aus dickem, nichtresorbierbarem Nahtmaterial angelegt. Eine fortlaufende Intrakutannaht ist bei gestörter Durchblutung oder Infektgefahr kontraindiziert. Hautplastiken Spalthaut, Mesh graft und Vollhaut. Spalthauttransplantate sind insbesondere den mechanischen Beanspruchungen eines Beinstumpfes nicht gewachsen, es fehlen Sensibilität, Schweiß- und Talgdrüsen, das Fettpolster und damit die Verschieblichkeit auf der Unterlage. Trotz aller Nachteile sind sie in jedem Fall besser als eine Nachamputation (Abb. 30.7 a–c). Unter guter Pflege und schonender mechanischer Belastung kann auch Spaltlappenhaut den Beanspruchungen eines exakt angepassten Vollkontakt-Weichwand-Schaftes einer Prothese genügen – dieser Umbau vollzieht sich bei Kindern leichter als bei Erwachsenen. Die Entnahmestellen sind nicht voll belastbar, lichtempfindlich, und es kann zu hypertrophen Narben und Keloidbildung kommen. Weiterhin ist die ohnehin eingeschränkte Kosmetik zusätzlich beeinträchtigt durch eine weitere sichtbare Narbe. Als Spender bietet sich, wenn möglich, die Haut des Amputats an, welche bis zu 7–10 Tage tiefgekühlt aufbewahrt werden kann, oder die Entnahme von der behaarten Kopfhaut. Vollhaut kann z. B. aus den Leisten entnommen werden. Lappenplastiken. Hier bieten sich je nach Situation Verschiebe-Schwenk-Lappen, Visierlappen, Insellappen, Cross-Lappen (z. B. Cross-Finger-Lappen), Leistenlappen (Abb. 30.8 a–h) und freie mikrochirurgische Muskel-Vollhaut-Transplantate an. Hautexpander. Hautexpander zur Narbenkorrektur werden erst sekundär im abgeheilten Zustand angewendet.
traktur und Equinovarus-Fehlstellung des Fußes. Weitere tendoplastische Korrekturoperationen erforderlich. Trotz der gewissen Fehlstellung ist dabei ein voller Längenerhalt mit belastungsfähigem Bein verblieben (BG-Kliniken Bergmannsheil Bochum, Prof. Dr. H.U. Steinau)
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Kapitel 30 Amputationen
Abb. 30.8. a,b Walzenquetschverletzung der linken Hand eines 10jährigen Jungen. Amputation im PIP-Gelenk des Kleinfingers, langstreckige Décollementverletzung des Mittelfingers. Eine Replantation des zerstörten Amputates war nicht möglich. c,d Erhalt des Mittelfingers und Stumpfbedeckung des Kleinfingers zum
Längenerhalt durch Leistenlappen. c Leistenlappen gehoben und d eingepasst. e,f Trennung des Leistenlappens nach 3 Wochen mit anschließender Modellierung. g,h Ergebnis 5 Monate nach dem Unfallereignis
30.2 Amputationschirurgie
Muskulatur Die Muskelvitalität wird beurteilt nach Farbe und Kontraktilität bei Inzision. Nekrosen werden radikal débridiert. Vor der Muskelnaht erfolgt die Blutstillung, und die Nervenstümpfe werden gekürzt. Antagonisierende Muskelstümpfe vereinigt man über dem knöchernen Ende mit resorbierbaren Einzelknopfnähten. Gegebenenfalls erfolgt – z. B. am Oberarm – eine Myodese durch transossäre Nähte, da durchtrennte Muskulatur die Eigenschaft hat, sich zu retrahieren, sodass die knöcherne Stumpfspitze nur noch von Haut bedeckt bleibt. Es gilt insbesondere die Aussage von César Roux: »muscle cousu, muscle foutu« (Muskelnaht = Muskelnekrose), d. h. die Naht sollte nie den gesamten Muskelquerschnitt erfassen.
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Sehnen, Faszien, Ligamente Hierbei handelt es sich um bradytrophes Gewebe. Daher sollte möglichst, selbst bei guter Durchblutung, auf jede Naht verzichtet werden. Das Vernähen der antagonistischen Sehnen über dem Stumpf ist nicht notwendig und führt leicht zu Wundheilungsstörungen. An der Hand ist dieses Vorgehen sogar kontraindiziert. Auch ohne Naht entstehen narbige Verankerungen. Laut Baumgartner u. Botta (1995) können z. B. Patienten bei Exartikulation im Kniegelenk selbst bei Resektion des Lig. patellae ohne jede Sehnennaht die Kniescheibe gegen Widerstand um 2–3 cm auf und abwärts bewegen. Gefäße und Nerven Bei Gefäß-Nerven-Bündeln sind die Nerven von den Gefäßen zu trennen. Die Gefäße werden möglichst peripher ligiert, während die Nerven etwa 2–5 cm weiter proximal durchtrennt und zwischen gut durchblutete Muskulatur gelegt werden. Die Nervenstümpfe dürfen nicht in den Narben am Stumpfende liegen, da sonst quälende Nervenschmerzen bzw. Neuralgien die Folge sein können. Knorpel Es besteht kein Grund, gesunden Knorpel bei Exartikulationen zu entfernen, es sei denn, es ist eine Verschmächtigung des knöchernen Stumpfes erforderlich. Die Knorpelentfernung führt zu vergrößerter Wundfläche und »öffnet den Bakterien Tür und Tor«, der Knochen hat darüber hinaus die Tendenz zur Exostosenbildung und zum Verwachsen mit den Weichteilen. Knochen Ziel ist es, möglichst viel Länge erhalten. Im Idealfall ist das knöcherne Stumpfende mit einem Haut-MuskelLappen bedeckt. Beim Kind kann bei unvollständiger Weichteildeckung die Bedeckung des vitalen Knochengewebes durch Granulationsgewebe abgewartet und die Wunde mit einem Spalthauttransplanat gedeckt werden. Bei Amputationen von Röhrenknochen mit der Tendenz zur sekundären wachstumsbedingten Perfora-
tion, nämlich Tibia und Fibula sowie Humerus, sollte die Weichteilbedeckung eher großzügig bemessen sein. Die Knochenenden werden abgerundet und die Markhöhle »in Ruhe gelassen«. Liegt eine Fraktur vor, muss nicht auf ihrer Höhe amputiert werden, denn nicht selten lässt sich hier durch Osteosynthesen ein Längengewinn erzielen. Die Gefahr der Knochenatrophie durch verminderte mechanische Beanspruchung soll, z. B. durch Kurzprothesen mit Vollkontakt und maximal möglicher Belastung des Stumpfendes, vermieden werden. Eine Inaktivitätsosteoporose erhöht die Frakturgefahr besonders auf Höhe des Prothesenrandes oder aber, wenn keine Prothese getragen wird, an der Stumpfspitze. Exostosen stellen die Hauptindikation für operative Stumpfrevisionen dar. Sie entstehen zum einen durch Kallusbildung. Bei Amputationen von Röhrenknochen kann es zu sekundären wachstumsbedingten Komplikationen kommen, die möglichst bereits primär bedacht werden sollten. Die Voraussetzung für das Auftreten dieser Komplikationen ist das Vorliegen von Periost und Hämatom – daher sind Periostfransen zu entfernen und Hämatome zu vermeiden. Zum anderen bilden sich Exostosen z. B. durch Verknöcherung des distalsten erhaltenen Sehnenansatzes der Adduktoren am Oberschenkel, evtl. bedingt durch Mikrotraumen bei chronischer Überlastung des Sehnengewebes. Es können auch parartikuläre und muskuläre Verkalkungen nach neurologischen Störungen wie Schädel-Hirn-Trauma und Paraplegie oder Infekte und Sequester mit reaktiver Knochenneubildung (»Totenlade«) auftreten. Wachstumsfugen Im Wachstumsalter ist alles an den Erhalt der Epiphysenfugen zu setzten. Im Bereich der oberen Extremität sind die entfernt vom Ellbogengelenk gelegenen Epiphysenfugen (distaler Radius und Ulna sowie Humeruskopf) verantwortlich für das Längenwachstum (Abb. 30.9). Bei Verlust der Epiphysenfugen kommt das Wachstum zum Stillstand, Radius- und Ulnastümpfe verkümmern zu spitz zulaufenden Rudimenten; dagegen zeigt der Oberarmstumpf eine übermäßig proportionale Wachstumspotenz bis zur Perforation durch die Haut. An den unteren Extremitäten lokalisieren sich die Epiphysenfugen rund um das Knie; diese sind zu 70–80% für das Längenwachstum verantwortlich (vgl. Abb. 30.9). Bei Oberschenkelamputationen kann aus einem mittellangen Oberschenkelstumpf beim Kleinkind ein hypoplastischer, kurzer Femurstumpf mit bleistiftähnlicher Spitze entstehen mit resultierender Weichteilschädigung. Nach Unterschenkelamputationen kommt es zum stärkeren Wachstum der Fibula als der Tibia aufgrund unterschiedlicher Potenz der verbleibenden Wachs-
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Kapitel 30 Amputationen Bein
Arm 80%
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20% 25%
20%
70% 60%
56%
und nicht miteinander über dem Knochenstumpf vernäht. Bei gelenknahen Amputationen sollte man besser eine Exartikulation vornehmen. Dabei wird der intakte Gelenkknorpel an der Spitze erhalten, während die Kondylen abgerundet werden, um einen kolbenförmigen Stumpf zu vermeiden. Nerven sind etwa 1 cm weit herauszuziehen und glatt zu durchtrennen. Im Fingerendgliedbereich stehen je nach Schnittverlauf verschiedene Lappentechniken zur Verfügung: 쐌 der Verschiebelappen nach Cutler mit Bildung eines palmaren Lappens, 쐌 der dorsale Visierlappen bei Nagel- und Nagelmatrixverlust, 쐌 der palmare Visierlappen, 쐌 der Cross-Thenar-Lappen bei Defekten von >50% sowie 쐌 der Cross-Finger-Lappen. Mittelhand Prinzipiell gilt das gleiche Vorgehen wie an den Fingern.
75%
80%
40%
44%
Abb. 30.9. Schematische Darstellung der Wachstumspotenz der Epiphysenfugen
tumsfugen, unter Umständen mit Verkümmerung der Tibia. Dadurch ist ein verstärktes Abdrängen der Tibia nach medial möglich bis zur Varusfehlstellung des Stumpfes. Auch ein Hochstand des Fibulaköpfchens mit Subluxation im proximalen fibulotibialen Gelenk und Weichteilperforationen durch verstärktes Wachstum sind möglich. Dies kann man vermeiden, indem der Fibulakopf mit Wachstumsfuge und einem Anteil der Diaphyse subperiostal entfernt und als freies Transplantat in die Markhöhle des Tibiastumpfes eingebracht wird, was zur besseren Endbelastbarkeit und Stimulation des Wachstums der Tibia mit 2 Wachstumsfugen führt. Bei diesem Vorgehen ist der laterale Kollateralbandapparat des Kniegelenks sorgfältigst zu schonen.
30.3 Standardisierte Amputationstechnik/spezieller Teil 30.3.1 Obere Extremität Finger Im Idealfall wird das Stumpfende mit palmarer Haut bedeckt, und die Narbe verläuft dorsal. Der Knochen wird abgerundet, Sehnen auf gleicher Höhe durchtrennt
Handgelenk Ein Exartikulation im Handgelenk ist besser als eine Amputation im Unterarm, da die distalen Wachstumsfugen leistungsfähiger als die proximalen sind. Pro- und Supination bleiben erhalten, und es genügt die Bedeckung der Stumpfspitze mit Haut. Empfohlen wird die Resektion des Processus styloideus ulnae. Operation nach Krukenberg Verlust beider Hände kann mit der Bildung einer Greifzange zwischen Radius und Ulna nach Krukenberg ein kraftvoller Griff bei erhaltender Sensibilität geschaffen werden. Eine Prothesenversorgung aus ästhetischen Gründen ist trotzdem möglich. Unterarm Die Amputation sollte so weit wie möglich peripher durchgeführt werden, da der Stumpf durch den Verlust der distalen Epiphysenfugen praktisch nicht mehr wächst. Weiterhin vermindern sich mit jeder Kürzung Pro- und Supinationsfähigkeit. Radius und Ulna werden möglichst auf gleicher Höhe durchtrennt und die Membrana interossea geschont. Die Bedeckung erfolgt mit Muskulatur, wenn vorhanden, sonst mit Vollhaut. Hierbei sind gleich lange palmare und dorsale Hautlappen anzustreben. Bei kurzen Stümpfen <4 cm empfiehlt sich die Transposition der Bizepssehne auf die des M. brachialis nach Lescoeur, um die Versorgung einer Kurzprothese ohne Übergreifen auf den Ellbogen möglich zu machen. Eine Übersicht über die Stumpfqualitäten an Handgelenk und Unterarm gibt Tabelle 30.1.
30.3 Standardisierte Amputationstechnik/spezieller Teil Tabelle 30.1. Stumpfqualitäten an Handgelenk und Unterarm. (Nach Baumgartner u. Botta 1997) Exartikulation Handgelenk
Amputation Mitte Unterarm
Distale Wachstumsfugen Hebelarm Pro- und Supination Form
Erhalten 100% 100% Birnenförmig
Prothesenschaft
Auf Unterarm beschränkt Möglich
Nichterhalten 50% 30% Zylindrisch oder konisch Übergreifend auf Ellbogen Nicht mehr möglich
Krukenberg-Plastik
CAVE
Ellbogen Eine Exartikulation im Ellbogen ist der Amputation im Oberarm vorzuziehen, da eine rotationsstabile Verankerung der Prothese ohne Übergreifen auf die Schulter möglich ist. Oberarm Der Erhalt der potenteren proximalen Wachstumsfuge führt zu einem überschießenden Wachstum des Knochens und kann zur Perforation der Stumpfspitze führen. Daher ist an eine großzügige Weichteilbedeckung zu denken. Auch hier eignet sich zur Bedeckung ein gleich großer vorderer und hinterer Muskel-HautLappen. Die Prothesenversorgung ist nur mit Übergreifen der Schulter möglich und führt daher zu deren Bewegungseinschränkung. Voraussetzung zur Prothesenführung ist allerdings eine einwandfrei funktionierende Schulter. Daher ist z. B. bei Lähmungen die Arthrodese mit subkapitaler Varisationsosteotomie nach Abschluss des Wachstums indiziert. Mit der Angulationsosteotomie nach Marquardt durch ventrale Abwinklung der distalen 3 cm des Knochens in der Sagittalebene um 90° wird die Voraussetzung für eine Prothesenversorgung wie bei der Exartikulation im Ellbogengelenk geschaffen. Die Prothese kann nun rotationsstabil und zugfest verankert werden. Ohne konsequente Nachbehandlung wie sofortiges Stumpftraining und Beanspruchung des abgewinkelten Humerus durch die Prothese bringt das Wachstum den Winkel wieder zum Verschwinden. In modifizierter Form ist dies auch mittels Kallusdistraktion des Humerus und winkelförmiger Orientierung des distalen Segments möglich. Schultergelenk Eine Exartikulation im Schultergelenk kann wie die Amputation im Schultergürtel bei Ausrissverletzungen des Arms notwendig werden. Durch das Fehlen des Humeruskopfes entsteht ein schlecht gepolsterter und prothetisch kaum zu versorgender Stumpf. Die Gelenkpfanne ist mit möglichst viel Muskulatur zu decken. Bei
fehlender Hautbedeckung von Akromion und Klavikula erfolgt die Kürzung des Akromions bis zum Akromioklavikulargelenk. Nerven werden auf Höhe der Axilla gekürzt. Schultergürtel Auch hier ist so viel Gewebe wie möglich zu erhalten. Die Entstellung des Rumpfes kann mit einer passiven Schulterprothese ausgeglichen werden, eine funktionelle Prothesenversorgung ist nicht möglich. Die Stümpfe des Plexus brachialis sind hoch zu durchtrennen, die Nervenläsionen liegen bei Ausrissverletzungen jedoch oft weiter proximal an den Wurzeln. Falls verwertbare Anteile des Unterarmamputats vorliegen, können diese als so genannte »spare pares« (z. B. osteomyokutane Unterarmfilets) zur Skapulakonturierung mikrovaskulär transplantiert werden.
30.3.2 Untere Extremität Auch hier gilt das Prinzip, Amputationen so weit wie möglich peripher durchzuführen. Höchstes Ziel ist ein voll endbelastbarer Stumpf, was durch Fußsohlengewebe erreicht werden kann. Amputationen durch Diaphysen sind im Gegensatz zu Exartikulationen nie voll belastbar, können jedoch durch geeignete operative Verfahren teilbelastbar werden. Zehen Im Gegensatz zur Vorgehensweise an den Fingern ist eine Exartikulation im Grundgelenk besser. Der Stumpf sollte durch plantare Zehenhaut gedeckt werden (Abb. 30.10 a,b). Teilamputationen der Zehen führen mit Ausnahme der Großzehe in jedem Fall zur Extensionskontraktur. Die Schuhversorgung gestaltet sich schwierig, und die funktionslosen Stümpfe werden wund gerieben. Bei der Großzehe ist die Amputation im Mittelgelenk möglich, das kolbige Ende der Grundphalanx ist seitlich abzurunden. Sehnen werden auf Höhe des Knochens glatt durchtrennt, der intakte Gelenkknorpel der Metatarsalköpfe wird belassen. Transmetatarsale Amputation Die transmetatarsale Amputation wird entweder distal, im Bereich der Metatarsaleköpfe, oder proximal, am Übergang der Diaphyse zur Metaphyse, durchgeführt. Die Knochenstümpfe dürfen nicht spitz zulaufen, um sich beim Abrollen des Fußes nicht in die Sohle zu bohren. Die Länge der Knochenstümpfe muss aufeinander abgestimmt werden, und die Resektion erfolgt schräg, um den Knochen schlittenförmig abzurunden. Am besten ist die Deckung durch einen Muskel-Haut-Lappen der Fußsohle. Die langen Beuge- und Strecksehnen sowie die Nerven werden möglichst peripher unter Schonung der Gefäße durchtrennt.
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Kapitel 30 Amputationen Abb. 30.10 a,b. 7-jähriger Junge mit traumatischer Amputation der 1. und 2. Zehe links durch Rasenmäher. Replantation aufgrund massiver Zerstörung der Amputate nicht möglich. Amputation Höhe Grundgelenk und Weichteildeckung mit plantarer Haut. 6 Monate nach Trauma volle Belastbarkeit und Gehfähigkeit
Bei teilweise erhaltenem Vorfuß ist eine Teilamputation vorzuziehen. Aus funktionellen Gründen sollten mit Ausnahme des Großzehenstrahls mindestens 2 Strahlen erhalten sein. Lisfranc-Gelenk Der Amputation im Lisfranc-Gelenk ist gegenüber der nächst proximalen Amputationshöhe der Vorzug zu geben, da hier das Gleichgewicht zwischen Extension und Flexion sowie Pro- und Supination des Fußes als letzte Amputationshöhe noch ungestört ist. Bei Aufhebung dieses Gleichgewichts entsteht eine Equinovarusstellung des Stumpfes mit Überlastung der Spitze des äußeren Stumpfrandes. Um eine schön abgerundete Amputationslinie zu erhalten ist es notwendig, die Basis des 2. Strahls zu belassen. Auch hier ist die Bedeckung der Stumpfspitze mit einem Sohlenlappen anzustreben. Chopart-Gelenk Die Amputation erfolgt zwischen Talus und Navikulare einerseits und Kalkaneus und Kuboid andererseits. Nachteil ist die beschriebene Störung des Muskelgleichgewichts. Wenn durchführbar, kann man der Tendenz zur Equinovarusstellung mit der Reinsertion der Tibialis-anterior-Sehne und deren Verlagerung nach lateral und transossärer Fixation, wenn auch nicht vollständig, entgegenzuwirken. Auch die Verlängerung und Z-förmige Lateralisation der Achillessehne ist hier möglich. Der Stumpf in Fehlstellung ist kaum belastbar und die Prothesenversorgung schwierig. Dennoch sollte versucht werden, mit der Exartikulation im Chopart-Gelenk bis zum Wachstumsabschluss zurechtzukommen. Denn die beim Erwachsenen durchgeführte Arthrodese zwischen Talus und Tibia oder die kalkaneotibiale Arthrodese nach Boyd oder Pirogow/Spitzy kann beim Kind zu einem Wachstumsstopp von Fersen- und Sprungbein führen. Daher erfolgt die Anlage eines gelenkübergreifenden Fixateur externe zur Bildung einer stabilen Verbindung zwischen Tibia und Kalkaneus für 1–2 Monate. Beim Abschluss des Wachstums ist in der Regel dennoch eine Stumpfkorrektur nötig.
Partielle oder totale Kalkanektomie Dieser Eingriff erfolgt bei singulärer Verletzung im Bereich des Kalkaneus mit erhaltenem Mittel- und Vorfuß und ergibt einen äußerst funktionstüchtigen Fuß, der besser ist als jeder Prothesenfuß (Abb. 30.11 a–d). Supramalleoläre Amputation nach Syme Die Amputationslinie erfolgt quer durch Tibia und Fibula durch den Scheitel des oberen Sprunggelenks. Die Wachstumsfugen von Tibia und Fibula bleiben intakt, die Malleolen werden reseziert. Der Stumpf ist durch die Bedeckung mit Sohlenhaut der Ferse voll endbelastbar. Unterschenkel Auch bei Amputationen im Unterschenkel gilt: Jeder Zentimeter ist wichtig. Auch wenn die Endbelastung von mehr als 60% beim kurzen bis auf etwa 10% beim langen Unterschenkelstumpf aus anatomischen Gründen sinkt, ist die Länge des Hebelarms wertvoller. Außerdem vergrößert ein langer Stumpf die Kontaktfläche mit dem Prothesenschaft und verringert den Druck auf den Stumpf. Eine großzügige Deckung der Knochenspitze ist wegen der Tendenz zur Durchspießung des Stumpfendes wichtig. Technik nach Burgess Als erstes erfolgt die Bildung eines etwa 1 cm langen Vorderlappens vom lateralen Rand der Fibula zum medialen Rand der Tibia. Auf gleicher Höhe werden die Fibularismuskulatur durchtrennt und die Gefäße ligiert, etwa 2 cm höher der N. fibularis durchtrennt. Tibia und Fibula werden präpariert und zuerst die Fibula, etwa 5 mm proximal der Tibia und leicht schräg von proximal-lateral nach distal-medial, dann die Tibia durchtrennt. Ein etwa 10 cm langer Hinterlappen wird aus dem Triceps surae gebildet. Die großen Gefäße werden ligiert und N. tibialis weiter proximal durchtrennt. Schließlich wird der N. suralis aufgesucht und gekürzt. Nach Abrunden der Stümpfe wird die oberflächliche Faszie des Hinterlappens mit der Peronealmuskulatur bzw. dem medialen Periost der Tibia mit resorbierbarem Nahtmaterial vereinigt; anschließend einschichtige Hautnaht.
30.3 Standardisierte Amputationstechnik/spezieller Teil
Abb. 30.11 a–d. Teilverlust des Kalkaneus, Verlust der 2. Zehe sowie Zustand nach subtotaler Großzehenamputation und Restdefektdeckung durch Spalthaut in den minderbelasteten Zonen des
Rückfußes nach Rasenmäherverletzung eines 5-jährigen Jungen, 6 Monate nach Unfallereignis
Bei kurzen Stümpfen <5–6 cm erfolgt die vorsichtige Entfernung der Fibula unter Schonung der Bänder (hier wird die Gefahr der lateralen Knieinstabilität durch Durchtrennung des lateralen Seitenbandes diskutiert) zur Erleichterung der Prothesenversorgung. Der kürzeste Unterschenkelstumpf, an dem aktive Ex- und Flexion noch möglich sind, liegt auf Höhe der Tuberositas tibiae. Eine weitere Voraussetzung für einen funktionell wertvollen Unterschenkelstumpf ist ein zwischen 0 und 90° aktiv bewegliches Kniegelenk.
verkürzung nach Kniegelenktuberkulose. Später fand die Technik Anwendung beim angeborenen Femurdefekt (Van Nes 1950). Salzer und Mitarbeiter wendeten seit 1974 die Technik als Alternative zu hohen Oberschenkelamputationen bei malignen Tumoren im Bereich des distalen Femur an (Saltzer et al. 1981). Diese Indikationen wurden besonders durch Winkelmann (1986, 1993) und Steinau et al. (1997) inzwischen erweitert. Auf Höhe des Kniegelenks wird der Fuß in der Längsachse um 180° gedreht. Das Sprunggelenk fungiert als Ersatz für das Kniegelenk, der Fuß bildet eine Art Unterschenkelstumpf. Das Verfahren ist der Kniegelenkendoprothese nach Kniegelenksegmentresektionen funktionell überlegen (Winkelmann 1993).
Umdrehplastik nach Borggreve-Van Nes Die Idee der Umkehrplastik hatte erstmals 1930 Borggreve zur Behandlung der Folgen einer massiven Bein-
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Kapitel 30 Amputationen
Kniegelenk Bei Exartikulation im Kniegelenk ist der Amputationsstumpf voll endbelastbar. Die Wachstumsfugen werden erhalten – die distale Epiphysenfuge des Femurs ist für das Längenwachstum 3-mal so wichtig wie die proximale. Ideal ist die Stumpfbildung durch 2 seitliche Lappen, sodass die Narbe entfernt von der terminalen Belastungszone in der Sagittalebene dorsal zwischen beiden Kondylen zu liegen kommt. Eine andere Möglichkeit ist die Bildung eines längeren Hinterlappens. Die Narbe liegt in diesem Fall quer über dem Stumpfende am ventralen Rand der Kondylen. Es besteht keine Notwendigkeit, das Stumpfende mit Muskulatur zu polstern. Die Patella wird abhängig vom Verletzungsmuster belassen. Die Indikation zur Resektion wird nur noch dann gestellt, wenn nur dadurch ein spannungsfreier Verschluss der Haut möglich ist (Baumgartner u. Botta 1995). Die Patella erleichtert die rotationsstabile Einbettung des Stumpfes und erfüllt damit eine wichtige Funktion bei der Prothesenversorgung. Es ist üblich, das Lig. patellae an die Kreuzbänder mit resorbierbaren Nähten zu fixieren. Nach Baumgartner u. Botta (1995) kann jedoch auf diese Fixierung verzichtet werden, da die Patienten trotzdem in der Lage sind, ihre Kniescheibe 2–3 cm aktiv auf und ab zu bewegen, bei besserer Wundheilung (s. oben). Wichtig ist es, den Verband proximal der Kondylen dorsal mindestens 3 cm dick zu polstern, um einen Dekubitus der Kondylen zu vermeiden. Auch die Kniescheibe muss gepolstert werden. Die Bandage darf wegen der Gefahr von Drucknekrosen auf Kondylen und Patella nicht zu straff sein. Oberschenkel Jede Kürzung stört das Muskelgleichgewicht im Oberschenkel und führt zu einer Kontraktur in Abduktion und Flexion, da selbst bei kurzem Stumpf Abduktoren und Flexoren erhalten bleiben, im Gegensatz zu deren Antagonisten. Selbst ein kurzer Oberschenkelstumpf auf Trochanterhöhe ist der Hüftexartikulation vorzuziehen. Für die Sitzbalance ist er von entscheidender Bedeutung. Durch eine Myodese wird eine optimale Verankerung der durchtrennten Muskulatur am Knochen und damit eine zuverlässige Stumpfdeckung erreicht.
eines Knochensequesters. Die einzelnen Muskeln werden durch resorbierbare transossäre Nähte am Stumpfende verankert. Die Stumpfspitze wird mit dem längeren und besser erhaltenen Muskel gedeckt, vorzugsweise mit dem Quadrizeps. Eine Gegenüberstellung der Eigenschaften von Stumpf und Prothese im Unterschenkel-, Knie- und Oberschenkelbereich zeigt Tabelle 30.2. Hüftexartikulation und Hemipelvektomie Anzustreben ist eine gute Stumpfdeckung durch einen Haut-Muskel-Lappen aus dem Gluteus maximus. Die Narbe liegt vorne auf Höhe des Leistenbandes. Bei Verlust des Sitzbeins werden Sitzen und Prothesenversorgung erschwert. Komplikationen Wundheilungsstörungen Komplikationen wie lokale Nekrosen, Hämatome und Infekte können auftreten. Exzision und Sekundärnaht bzw. sorgfältiges Débridement, gute Drainage, Schonung der Gewebe während der Operation sowie eine exakte Verbandstechnik sind hier entscheidend. Im Zweifelsfall sollte eine sofortige operative Revision erfolgen. Tiefe Wundheilungsstörungen sind verdächtig auf eine Knochenbeteiligung. Wachstumsbedingte Komplikationen Der unterschiedliche Beitrag der Epiphysenfugen am Gesamtwachstum ist in Abb. 30.9 dargestellt. Im Bereich des Knies sowie distal des Ellbogens befinden sich die kompetenten Wachstumsfugen (»fern vom Ellbogen, nahe beim Knie«). Tabelle 30.2. Eigenschaften von Stumpf und Prothese bei Amputationen im Unterschenkel, Knie und Oberschenkel. (Nach Baumgartner u. Botta 1995)
Stumpf Kniegelenk Muskelgleichgewicht Endbelastbarkeit Form
Myodese nach Murdoch Der Vorderlappen wird durch schrittweise Durchtrennung des Quadrizeps in schräger, nach proximal gerichteter Ebene von etwa 45° gebildet. Anschließend erfolgen die Versorgung der Femoralgefäße und die quere Inzision des Periosts an der Basis des Hautlappens sowie die Durchtrennung des Femur. Der Hinterlappen wird gebildet. Der Ischiasnerv wird nach Ligatur der Begleitarterie proximal durchtrennt. Dann werden nicht mehr als 4–6 höchstens etwa 2 mm starke Bohrlöcher unter ständiger Kühlung eingebracht. Die Überhitzung oder das Wegschieben des Periosts birgt die Gefahr
Hebelarm Prothese Totalkontakt Schaft Abstützung am Becken Kniebeweglichkeit Hüftbeweglichkeit
Unterschenkel
Knie
Oberschenkel
Intakt Intakt Teilweise voll Zylindrisch Kurz
Fehlt Intakt Voll
Fehlt Gestört Teilweise
Kolbig
Zylindrisch
Lang
Kurz
Ja Semiflexibel Nein Aktiv Frei
Ja Semiflexibel Nein Passiv Frei
Ja Hart Ja Passiv Vollständige Rotation, Flexion teilweise aufgehoben
30.3 Standardisierte Amputationstechnik/spezieller Teil
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Aus diesem Grunde neigen Oberarm- und Unterschenkelstümpfe mit weiterem Wachstum zur knöchernen Durchspießung (Abb. 30.12 a–c). Die Knochenenden laufen wie Bleistifte spitz zu und sind damit nicht mehr belastbar. Um die Spitze bildet sich eine Bursa.
Therapie wachstumsbedingter Komplikationen 쐌 Zugang zur Knochenspitze über Exzision der vorbestehenden Narbe und Knochenkürzung, Bursa muss nicht unbedingt entfernt werden, sie verschwindet nach Beseitigung der Ursache in der Regel von selbst. Nachteil: erneute Kürzung des Stumpfes. 쐌 Wachstumsknorpeltransplanat nach E. Marquardt: Decken der Stumpfspitze durch ein freies Transplantat von Wachstumsknorpel aus dem Beckenkamm, temporäre Fixation mit Schraube in Längsrichtung, das Transplantat verhindert erneute Durchspießung und trägt zum Längenwachstum bei. 쐌 Freie Transplantation des Fibulaköpfchens in die Markhöhle der Tibia nach E. Marquardt: Hierdurch verbessert sich die Belastbarkeit der Stumpfspitze, und Rezidive werden verhindert. Im günstigen Fall bleibt die fibulare Wachstumsfuge erhalten und trägt zum Wachstum der Tibia bei. 쐌 Myoplastische Stumpfdeckung durch vorhandene Anteile des M. gastrocnemius (Abb. 30.13 a–c).
Eine weitere Komplikation im Bereich des Unterschenkels ist das raschere Wachstum der Fibula im Vergleich zur Tibia. Dadurch kommt es zu einer Fehlstellung des Stumpfes in Varus. Andererseits wachsen nach einer Amputation des Femurs oder des Unterarms diese Kno-
Abb. 30.12 a–c. Unterschenkelamputation im Alter von 7 Jahren. Nach 20 Jahren chronisch-instabile Narbe und zunehmende Durchspießung der Tibia durch die Weichteile. Chronische Haut-
chen nahezu nicht mehr. Weiterhin kommt es zu einem Wachstumsrückstand der gesamten amputierten Extremität. Je früher und je höher die Amputation, umso größer ist der Unterschied. Spätkomplikationen durch äußere Einflüsse Durch die Prothesenversorgung können Druck- und Scheuerstellen auftreten, welche zu chronischen Hautschädigungen mit akuten und chronischen Hautinfekten führen können (vgl. Abb. 30.12 a–c). Diese Stellen sind ggf. zu exzidieren und mit Z-Plastiken zu verschließen.Weiterhin kann es zu allergischen Reaktionen auf das Prothesenmaterial kommen. Da die Haftung der Oberschenkelprothesen durch ein leichtes Vakuum erfolgt, entstehen bei unvollständigem Stumpfkontakt Hohlräume, in denen es zu chronischen venösen und lymphatischen Stauungen kommen kann. Weiterhin ist eine Hitzeentwicklung durch das unvermeidbare leichte Pumpen beim Belasten der Beinprothesen möglich, bis zur Entstehung von Brandblasen. Nachbehandlung Verbandstechnik Bezüglich der Verbandstechnik dürfen wir auf einschlägige Lehrbücher verweisen. Grundsätzlich sei angemerkt, dass Verbände den Stumpf keinesfalls strangulieren dürfen. Lagerung Zur Reduktion des Wundödems wird der Stumpf in der Regel etwas hochgelagert. Wichtig ist die Lagerung zur Dekubitusprophylaxe und zur Vermeidung von Kontrakturen. Kontrakturgefährdet sind besonders Gelenke an kurzen Stümpfen, deren Muskelgleichgewicht gestört und deren Wundheilung noch nicht abgeschlossen ist. Eine geeignete Maßnahme zur Ruhigstellung eines stumpfnahen Gelenks in Funktionsstellung kann der
infekte im Prothesenversorgungsbereich. Man beachte die dysplastische Form des Tibiastumpfes
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Kapitel 30 Amputationen
Hautnähte Die Nähte werden zwischen dem 14. und 20. postoperativen Tag entfernt, ggf. etappenweise. Um Abfluss zu schaffen, bei Entzündung oder Durchblutungsstörungen des Wundrandes kann ein Faden früher entfernt werden, um weitere Schäden zu verhindern.
Abb. 30.13 a–c. Patientin von Abb. 30.12 a–c; Stumpfkorrektur durch Narbenexzision, Beseitigung der Exostose und myoplastische Stumpfdeckung durch medialen M.-gastrocnemius-Muskellappen. a Vor, b nach Positionierung des Muskels. c Postoperatives Ergebnis mit nahezu endbelastbarem Stumpf
Fixateur externe sein. Er verhindert durch die sichere Ruhigstellung Kontrakturen, Schmerzen werden reduziert, Wundpflege und Lagerung erleichtert. Drainage Nachblutungen sind trotz sorgfältiger Blutstillung bei den großen Wundflächen nie ganz zu vermeiden. Wichtig ist daher eine suffiziente Drainage. Wir verwenden in der Regel offene Drains (»easy flow«), welche prinzipiell durch die Operationswunde gelegt werden. Dadurch werden zusätzliche Narben durch separate Inzisionen vermieden. Bei sauberen Wunden und ungestörter Durchblutung können jedoch auch Saugdrainagen Anwendung finden.
Antikoagulation, Antibiose Thromboseprophylaxe mit »Low-dose-Heparin« beginnen wir in der Regel ab dem 14. Lebensjahr unter Berücksichtigung des entsprechenden körperlichen Entwicklungsstandes. Eine prophylaktische Antibiotikagabe führen wir nicht durch. Krankengymnastik, Ergotherapie Wenn möglich, erfolgt die Mobilisation vom ersten Tag an. Am Stumpf selbst sollte zunächst mit isometrischen Kontraktionen begonnen werden, um die Wundheilung nicht zu stören. Die Belastungssteigerung erfolgt langsam zunehmend, erst am Gehwagen, dann an Stöcken, später, wenn möglich, ohne diese. Wichtig ist auch die Vermittlung von Kenntnissen über das An- und Ausziehen der Prothese und die Beurteilung des Stumpfes. Auch an der oberen Extremität erfolgt die Anleitung zur Technik der Prothese, das An- und Ausziehen und die Stumpfbeurteilung unter Berücksichtigung des psychomotorischen Entwicklungsstandes. Die Ergotherapie ist verantwortlich für Erstabklärung und provisorische Erstellung von Schreib- und Esswerkzeug direkt am Stumpf, das Umlernen auf die Hand der Gegenseite, das Erlernen von Trickbewegungen und die Abklärung weiterer Hilfsmittel z. B. für die Toilette sowie zum An- und Ausziehen.
30.4 Prothetische Versorgung
30.4 Prothetische Versorgung Frühversorgung Die Anpassung der Prothese beginnt frühestens einige Tage nach der Operation, d. h. meist zwischen der 2. und 4. Woche. Die so genannte Interimsprothese hat eine Volumenreduktion des Stumpfes, eine Verbesserung der Hauttrophik und der Hautverschieblichkeit zum Ziel und bedeutet zugleich die Vorbereitung auf die definitive Prothese. Definitive Versorgung Mit der definitiven Prothese wartet man in der Regel mindestens bis zur Wundheilung, meist 4–6 Wochen. Obere Extremität Die Prothesenversorgung an der oberen Extremität ist besonders schwierig. Die Kinder sind auch ohne Prothese sehr geschickt und fühlen sich freier. Beim Verlust der Hand ist die beste Prothese die Hand der Gegenseite. Patienten mit doppelseitiger Amputation oberhalb des Ellbogens bedürfen in jedem Fall fremder Hilfe. Mit zunehmender Amputationshöhe wird die Versorgung mit technischen Hilfen wie Halterungen für Schreibund Esszeug, Toiletten- und Ankleidehilfen wichtiger als die Prothese. Armprothesen werden unterteilt in 쐌 passive (kosmetischer »Schmuckarm« sowie Arbeitsarm), 쐌 aktive (Eigenkraft mit direkter oder indirekter Kraftquelle sowie Fremdkraft) und 쐌 Hybridmodelle (Kombination verschiedener Bauweisen). Finger Fingerprothesen bringen Kindern nie Hilfe, Erwachsenen nur selten (Schmuckprothesen). Mittelhand Beim Verlust aller Finger kann eine palmare Greifplatte das Halten von Gegenständen zwischen Stumpf und Schiene ermöglichen, jedoch helfen sich Kinder auch ebenso gut ohne dieses Hilfsmittel. Hand und Unterarm Die »passive Prothese« im Sinne einer Schmuckhand wird aus ästhetischen Gründen getragen und ist zudem als Gegenhalt z. B. zum Fixieren von Papier auf einer Unterlage gut brauchbar. Die »aktive Prothese« im Sinne einer Kraftzugprothese ermöglicht Greifbewegungen bzw. Schließen und Öffnen der Hand durch Schulterzug, Greifhaken sind auswechselbar. Eine andere Möglichkeit stellen die myoelektrischen Greifprothesen dar. Durch Elektroden werden die Mus-
kelströme der Extensoren (steuern Öffnen der Hand) und der Flexoren (steuern Schließen der Hand) aufgenommen. Sie haben jedoch beim Kind folgende Nachteile: recht hohes Gewicht und Störanfälligkeit, und sie sind der Beanspruchung beim Kind schlecht gewachsen. Oberarm Ein besonderes Problem stellt die Befestigung der Prothese am Schaft dar. Mit Ausnahme der Exartikulation im Ellbogen und der Winkelosteotomie nach Marquardt muss der Prothesenschaft auf die Schulter übergreifen. Hier kommt es immer zu einer gewissen Einschränkung der Schulterbeweglichkeit. Schultergürtel Die Schulterprothese stellt die Silhouette des Körpers wieder her und ermöglicht das Tragen normaler Kleidung.Aktive Schulterprothesen haben sich in der Praxis beim Kind bislang nicht bewährt. Untere Extremitäten Beinprothesen sind während des Wachstums 2- bis 3mal jährlich anzupassen und alle 1–2 Jahre zu erneuern. Fuß Einzelne Zehenamputationen bedürfen keiner prothetischen Versorgung, die benachbarten Zehen verschließen die Lücke auf physiologische Weise. Der Mittelfußstumpf kann mit orthopädischen Schuhwerk (hoher Schuh; flacher, durchgezogener Absatz; Versteifung der Sohle bis an Fußspitze; ggf. Pufferabsatz und Abrollrampe) ausreichend versorgt werden. Transmetatarsale Amputationen und höher sind prothetisch zu versorgen. Bis zum Lisfranc-Gelenk genügt eine ein so genannter Innenschuh ohne Übergreifen auf den Knöchel. Bei Amputationen des Rückfußes ist eine Prothese bis unterhalb des Kniegelenks nötig. Unterschenkel Die Kinder werden mit Kurzprothesen versorgt. Zwischen Stumpf und Schaft besteht Vollkontakt, der Stumpf wird maximal endbelastet, die Zirkulation ist frei, und chronische Ödeme am Stumpfende sind praktisch nicht möglich. An- und Ausziehen der Prothese sind »kinderleicht« und nehmen nur Sekunden in Anspruch. Der Schaft besteht aus einem weichen inneren und einem härteren äußeren Schaft. Durch 2 seitliche federnde Klammern an den Kondylen wird die Prothese gehalten. So kommt es zu keiner Muskelatrophie im Oberschenkel, das Knie bleibt frei beweglich, und auch schwere Belastungen wie z. B. Skifahren sind möglich. Unterschenkelprothese für die Umdrehplastik nach Borggreve-Van Nes. Hier ist ein Oberschaft erforderlich, der mit 2 seitlichen Scharniergelenken mit dem Unterschenkelteil verbunden ist.
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Kapitel 30 Amputationen
Knie Es erfolgt eine prothetische Versorgung mit innerem Weichwandschaft, der den birnenförmigen Stumpf in einen konischen umwandelt. Ein äußerer harter Schaft wird wie ein Stiefel darüber gezogen. Dadurch wird eine volle Endbelastung und Rotationsstabilität bei exakter Abformung erreicht, jedoch kein Druck auf Patella und Femurkondylen ausgeübt. Die Hüfte bleibt frei beweglich. Oberschenkel Hier erfolgt die Versorgung durch eine Haftprothese mit Vollkontaktschaft, die am Stumpf durch Vakuum gehalten wird, am besten mit maximal möglicher Endbelastung. Da jedoch keine volle Belastung des Stumpfes möglich ist, ist immer ein Tuberaufsitz notwendig. Der vordere Gegenhalt reicht bis auf Höhe des Leistenbandes. Bei undichtem Vakuum ist zusätzlich eine Schlesier-Bandage (Aufhängung durch Leibgurt) vonnöten. Hüfte Anwendung findet die so genannte Kanada-Prothese mit Beckenkorb und nach vorn gesetztem Hüftgelenk. Die Gelenke blockieren beim Stehen automatisch, beim Kippen des Beckens werden sie wieder gelöst. Spätkomplikationen Stumpfprobleme können mannigfaltig auftreten, z. B. 쐌 ein Stumpfödem durch Abflusshindernisse, 쐌 Hauterkrankungen wie die allergische Kontaktdermatitis, 쐌 Prothesenrandknoten (kleine Hautzysten am Prothesenrand als Folge chronischer Überbeanspruchung), 쐌 übermäßiges Schwitzen mit vulnerabler Haut und Geruchsbelästigung, 쐌 Follikulitis und 쐌 Pilzinfekte. Auch können generalisierte Hauterkrankungen mit Vorliebe zur Stumpfhaut, wie Acne vulgaris, seborrhoische Dermatitis, Ekzeme, Psoriasis, Lichen planus und Hautwarzen in Erscheinung treten. Während der Wundheilungsprozesse können sich am Stumpfskelett Exostosen bilden. Diese entstehen z. B. durch Periostfransen, welche zur Kallusbildung führen, sowie durch verkalkte Hämatome oder Sequester. Weiterhin kann es zur Resorption von Knochen kommen bei Verbrennungen durch den Sägeschnitt und bei der Anlage von Bohrlöchern, bei übermäßigem Zurückstülpen von Periost und durch Infekte. Osteoporose entsteht durch die verminderte mechanische Beanspruchung und hat eine erhöhte Frakturgefahr zur Folge. Bei Amputation vor Wachstumsabschluss führt diese Minderbelastung außerdem zu einem Wachstumsrückstand. Durch den Druck gegen die Prothesenwand und dem Auftreffen
der Scheuerkräfte kann sich der Knochen abrunden und verkürzen bzw. die nicht beanspruchte Seite spitzt sich zu (Wolff-Gesetz: Zusammenhang zwischen äußerer mechanischer Beanspruchung und Knochenstruktur). Diese »negative Exostose« kann auch zu Perforationen des Stumpfs durch die Weichteile führen. Weitere Probleme bringt ein Missverhältnis der Weichteile zum Knochen mit sich. Zum einen kann sich die Muskulatur zurückziehen oder der Knochen die Muskulatur perforieren wenn die Muskelschlingen nicht über dem knöchernen Ende vereinigt wurden, schon primär nicht ausreichend Muskulatur zur Verfügung stand, die Muskulatur durch einen zu schmalen Prothesenschafteingang zurückgestülpt wurde oder der Endkontakt fehlt. Zum anderen kann ein Überschuss an Weichteilen im Verhältnis zur Knochenlänge vorliegen. Phantomgefühl und Phantomschmerz treten bei amputierten Kindern im Gegensatz zum Erwachsenen praktisch nie auf, auch nicht nach Jahren. Plastische Rekonstruktion/Stumpfkorrektur Plastische Rekonstruktionen sind eher im höheren Kindes- oder Jugendlichenalter vonnöten. Gerade die Spätfolgen von Verbrennungen und Verbrühungen mit schwerer Narbenbildung und dem Auftreten von Kontrakturen erfordern häufig funktionsverbessernde plastisch-chirurgische Maßnahmen (Abb. 30.14, Abb. 30.15 a–c). Vor der Durchführung chirurgischer Maßnahmen sind auf jeden Fall die Konstruktion, Ausführung und der Sitz einer Prothese zu prüfen und eine Optimierung derselben vorzunehmen. Für unfallchirurgische Belange bestehen verschiedene Möglichkeiten. Rekonstruktionen nach Daumenamputation Eine Kommissurverbreiterung und -verlängerung kann durch Z-Plastiken erfolgen. Bei störendem Längenverlust ist eine Verlängerungsosteotomie unter dem Ein-
Abb. 30.14. Verbesserung der Greiffunktion durch Erweiterung des ersten Interdigitalraumes mittels Z-Plastiken und Spalthauttransplantation nach frühkindlicher Verbrennung
30.4 Prothetische Versorgung
das Öffnen und/oder Schließen derselben wird ermöglicht. Es wird ein quer durch die Muskulatur verlaufender und mit Vollhaut ausgekleideter Kanal gebildet, welcher sich parallel zur Muskelkontraktion auf- und abbewegt. Der darin liegende Stift überträgt die Bewegungen exakt auf die Prothese. Eine wichtige Voraussetzung ist das Verständnis für die Pflege und Handhabung. Stumpfkappenplastik am Humerusstumpf Kommt es im Laufe des Wachstums zur Perforation der knöchernen Stumpfspitze, ist diese zunächst über einen proximal des Stumpfendes gelegten Schnitt zu entfernen. Um wiederholte Perforationen zu vermeiden, versucht man das knöcherne Stumpfende abzudecken und zu verbreitern, z. B. durch ein mit einer Zugschraube befestigtes Knochentransplantat oder einer KunststoffMetall-Kappe nach E. Marquardt. Bei entsprechenden Größenverhältnissen kann der Humerus quer gespalten und gespreizt werden, und die von Periost befreite Knochenspitze wird um 180° gedreht und in den Spalt eingebracht. Weichteildefekte bei Unterschenkelamputationen Zur Verbesserung der Weichteildeckung unter Erhalt der Knochenlänge sind folgende Maßnahmen möglich: 쐌 freier mikrochirurgischer Latissimus-dorsi-Lappen; dieser bringt jedoch meist ein größeres Volumen mit, 쐌 Gastrocnemius-Lappen, 쐌 Cross-leg-Lappen von der Wadenmuskulatur der Gegenseite. Übrig gebliebene Defekte lassen sich durch Mesh graft decken.
Abb. 30.15. a Schwere Kontrakturen des Handgelenks und der MPGelenke nach Verbrennung. b,c Auflösung der Kontrakturen und temporäre Kirschner-Draht-Fixation der Gelenke sowie Deckung des resultierenden Defektes am palmaren Handgelenk durch gestielten Leistenlappen
satz von Distraktionsverfahren möglich. Ein Verfahren zum Ersatz des Daumens ist die Pollizisation meist des Zeigefingers unter Erhalt sämtlicher Strukturen nach Kürzen der Diaphyse des Metakarpale und Rotation in Oppositionsstellung auf die Basis des Metakarpale I. Eine weitere Möglichkeit zum Daumenersatz bietet der mikrochirurgische Zehentransfer. Kineplastik nach Sauerbruch Mit der Kineplastik werden Bewegung und Kraft direkt mechanisch auf die Prothesenhand weitergeleitet, und
Operative Verfahren bei chronischer Osteomyelitis des Tibiastumpfes Mit gestielten Muskellappenplastiken ist es möglich, eine Stumpfosteomyelitis zu beseitigen. Zur Verfügung stehen für mittellange Stümpfe die Peronealmuskulatur sowie der Triceps surae, für kurze und ultrakurze Stümpfe nur der Triceps surae. 쐌 Peronaeusplastik: Durch eine Fensterung an der lateralseitigen Tibia werden die Muskelstümpfe in die ausgehöhlte Markhöhle und den Tibiakopf eingeführt. 쐌 Trizepsplastik: Bei kurzen und ultrakurzen Stümpfen erfolgt das Ausfräsen des Tibiakopfes von dorsal, die Stümpfe der Gastrocnemii und ggf. Reste des Soleus werden eingebracht, ein Vollhautlappen bedeckt das Stumpfende. Als Alternative kann die Tibiadiaphyse reseziert werden, und die Fibula wird unter den Tibiakopf verlagert, im Laufe der Zeit entwickelt sich schließlich ein tragfähiger Stumpfknochen.
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Kapitel 30 Amputationen
Operative Verfahren bei chronischer Osteomyelitis des Femurstumpfes Hier erfolgt die Verplombung der ausgehöhlten Markhöhle mit einem gestielten Muskellappen aus dem dorsalen Anteil des M. rectus femoris oder einem freien Lappen. Umkehrplastik nach Sauerbruch Das Femur wird ganz oder teilweise durch die um 180° in der Frontalebene gedrehte Tibia ersetzt. Es erfolgt eine Exartikulation des Fußes im Sprunggelenk, der Hautmantel wird vom Unterschenkel gelöst und die gefäßgestielte (Poplitealgefäße) Tibia mit den umgebenden tiefen Weichteilen gedreht. Die Tibia nimmt den Platz des entfernten Femur ein. Bei der Modifikation nach Baumgartner u. Ochsner (Baumgartner u. Botta 1995) wird auf gleiche Weise nur die distale Femurhälfte ersetzt.
Literatur Baumgartner R (1977) Amputationen und Prothesenversorgung beim Kind. Enke, Stuttgart Baumgartner R (1984) Amputation und prothetische Versorgung. In: Sauer H (Hrsg) Das verletzte Kind, Lehrbuch der Kindertraumatologie. Thieme, Stuttgart New York, S 676–705 Baumgartner R, Botta P (1995) Amputation und Prothesenversorgung der unteren Extremität, 2. Aufl. Enke, Stuttgart Baumgartner R, Botta P (1997) Amputation und Prothesenversorgung der oberen Extremität. Enke, Stuttgart Blechschmidt E (1982) The structure of the calcaneal padding. Foot Ankle 2: 260–283 Della Santa D, Hoffmeyer P (1986) Les brûlures électriques du membre supérieur par courant á haut voltage. Helv Chir Acta 52: 881–884 Salzer M, Knahr K, Kotz R, Kirsten (1981) Treatment of osteosarcomata of the distal femur by rotationplasty. Arch Orthop Trauma Surg 99: 131–136 Steinau HU, Hebebrand D, Vogt PM (1997) Amputation alternatives preserving bipedal ambulation. Operative Techniques Plast Reconstr Surg 4: 199–208 Van Nes CP (1950) Some cases of reparative and reconstrucive surgery. Brux Med 30: 2093–2115 Winkelmann W (1986) Hip rotationplasty for malignant tumors of the proximal femur. J Bone Joint Surg Am 68: 362–369 Winkelmann W (1993) Die Umdrehplastiken. Orthopade 22: 152–159 Winkelmann W (2000) Type-B-IIa hip rotationplasty: an alternative operation for the treatment of malignant tumors of the femur in early childhood. J Bone Joint Surg Am 82: 814–828
Kapitel 31
Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
31
F. Schneider, J. Raith
31.1 31.1.1 31.1.2 31.1.3 31.1.4
Avaskuläre Knochennekrosen Morbus Perthes . . . . . . . . Morbus Blount . . . . . . . . . Morbus Köhler I . . . . . . . . Morbus Freiberg (Köhler II) .
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. 994 . 995 . 1000 . 1002 . 1003
31.2 31.2.1 31.2.2 31.2.3
Osteochondrosis dissecans . . . . . . . . . Osteochondrosis dissecans am Kniegelenk Osteochondrosis dissecans am Talus . . . Osteochondrosis dissecans am Ellbogen .
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. 1003 1004 . 1012 . 1016
31.3 31.3.1 31.3.2 31.3.3
Traktionsapophysitiden . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Iselin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Osgood-Schlatter, Morbus Sinding-Larsen Morbus Sever . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 1018 . 1018 1018 . 1019
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020
Synonyme: avaskuläre Knochennekrose, aseptische Knochennekrose, idiopathische juvenile Osteochondrose, »aseptic bone necrosis«, »spontaneous osteonecrosis«, idiopathische Osteonekrose. Unter dem Begriff Osteochondrosen werden im Kindes- und Jugendalter Erkrankungen der Epiphysen zusammengefasst, die mit einer Störung der enchondralen Ossifikation einhergehen. Hierbei kommt es zur Beeinträchtigung sowohl des Knorpel- als auch des Knochenaufbaus in Regionen mit bis dahin normalem enchondralem Wachstum. Prädilektionsorte sind die Epiphysen der langen und kurzen Röhrenknochen sowie die enchondral verknöchernden Hand- und Fußwurzelknochen. Betroffen sind vorwiegend konvex-geformte Gelenkabschnitte. Die Ossifikation des in der Fetalperiode angelegten Knorpelmodels beginnt mit einem primären Ossifikationszentrum im Schaft. Zuerst entsteht die Knochenmarkhöhle, später vergrößert sich der Knochen durch interstitielles und appositionelles Wachstum. Im Bereich der Gelenke entsteht die Epiphyse, ein zweites Ossifikationszentrum, das in ähnlicher Weise an Größe zunimmt. Zwischen beiden verbleibt die knorpelige Wachstumszone, die für den Hauptteil des weiteren Längenwachstums des Knochens verantwortlich ist.
Das Wachstum der verschiedenen Knochen geschieht mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die sekundären Ossifikationszentren der einzelnen Knochen entstehen zu unterschiedlichen Zeitpunkten während des Wachstums. Ihr Auftreten ist individuell variabel, es können mehrere Zentren entstehen, die dann zu einer Epiphyse verschmelzen. Die epiphysäre Wachstumszone besteht aus dem Epiphysenfugenknorpel, der Metaphyse, der Ranvier-Rinne und dem perichondralen Ring nach Lacroix. Der Prozess der enchondralen Ossifikation verläuft an allen Epiphysenfugen nach demselben Schema. Im Epiphysenfugenknorpel wird neuer Knorpel gebildet, der säulenförmig longitudinal ausgerichtet ist (proliferative Zone) und zur Metaphyse hin zunehmend kalzifiziert. In der Metaphyse wird dieser Knorpel durch Knochen ersetzt. Dies führt zum Längenwachstum des Knochens. In der Ranvier-Rinne sitzen proliferative Zellen, die für das Dickenwachstum der Wachstumsplatte verantwortlich sind. Das Perichondrium bildet den ringförmigen Abschluss der Wachstumsplatte. Der Knochen wächst durch periostale Knochenneubildung im Bereich des Schafts auch im Umfang (Zylindrisation). Durch Umbauvorgänge, die Funnelisation genannt werden, wird das Dickenwachstum im Übergang von der breiteren Metaphyse zur schmäleren Diaphyse gesteuert.Auch die Epiphyse selbst wächst, dieser Prozess wird Hemisphärisation genannt. Die halbkugelige Gestalt der Epiphyse nimmt durch interstitielles Knorpelwachstum an Höhe und Umfang zu. Das Knorpelmodel der Epiphyse verknöchert vom Kern ausgehend. Die Wachstumszone wird durch 3 vaskuläre Systeme versorgt. Die epiphysären Gefäße reichen bis zur proliferativen Zone der Wachstumsplatte. Die Metaphyse erhält arterielle Versorgungsäste aus der Diaphyse. Perichondrale Arterien versorgen den Lacroix-Ring und die Ranvier-Rinne. Während des Wachstums erfahren diese Regionen einen dauernden Umbau der arteriellen Gefäßversorgung (Abb. 31.1 a,b). Am Wachstum des Knochens sind also mehrere Vorgänge beteiligt, die genau aufeinander abgestimmt sein müssen, um einen anatomisch normalen erwachsenen Knochen entstehen zu lassen. Wird einer dieser Vorgänge gestört, resultiert eine Formveränderung.
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
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Bei den Osteochondrosen kann die Störung der enchondralen Ossifikation den Knorpel- oder Knochenaufbau stören und zu einer Veränderung des Gelenks führen. Dies kann, wie z. B. beim Morbus Perthes, die ganze Epiphyse und die Metaphyse betreffen oder, wie bei der Osteochondrosis dissecans, nur bestimmte Teile des subchondralen Knochens der Epiphyse. Ist die Störung nur vorübergehend, kann das weitere Wachstum die entstandene Formveränderung wieder ausgleichen. Die noch intakten Wachstumsmechanismen versuchen, die Veränderung zu kompensieren, indem sie der Belastung entsprechend mit einem überschießenden Wachstum reagieren. Bei allen Osteochondrosen gilt der Grundsatz: Je jünger der Patient bei Erkrankungsbeginn ist, desto eher kann mit einer Restitution gerechnet werden, da noch ausreichend Zeit für kompensatorische Wachstumsprozesse bleibt. Je größer der betroffene Bezirk und je länger eine Störung dort anhält, desto schwieriger wird es für den Körper, adäquate Reparaturmechanismen in Gang zu setzen. Ursache und Häufigkeit Die auslösenden Faktoren, die zur Entwicklung einer Osteochondrose führen, sind weitgehend unbekannt. Die Palette der in Frage kommenden Faktoren ist groß. Pathogenetisch werden vaskuläre, ischämische, infektiöse, traumatische und genetische Faktoren diskutiert (Jones 2000). Gefäßspasmen, Gefäßanomalien, okkulte Infektionen mit Beeinträchtigung der Blutzufuhr oder Ischämien durch vegetative Dysregulation sollen eine Störung
Hemisphärisation
Vergrößerung des Kopfkerns
Gefäße zur Epiphyse
Elongation Gefäße zur Ranvier-Rinne und zum perichondralen Ring
der Blutversorgung verursachen. Am wahrscheinlichsten ist eine multifaktoriell ausgelöste intravaskuläre Koagulation, die mit Entwicklung eines Fibrinthrombus zur vorübergehenden Ischämie führt (Carlson et al. 1991; Gallistl et al. 1999; Hresko et al. 2002; Hungerford 1981; Ohzono et al. 1992). Initiale Traumen oder repetitive Traumatisierungen sind für einige Knochennekrosen als wichtige ätiologische Faktoren bekannt. Warum nur manche Personen auf diese Traumen mit einer Nekrose des Knochens reagieren, ist unbekannt. Die vorwiegend konvex-geformten Gelenkenden sind biomechanisch hohen Druckund Scherkräften ausgesetzt, die für das Auftreten der Erkrankung mit verantwortlich sind. Alimentäre Faktoren, Stoffwechselstörungen und hormonelle Dysregulationen spielen eine zusätzliche Rolle. Häufig werden konstitutionelle Besonderheiten, wie z. B. Minderwuchs, Skelettretardierung oder Adipositas, bei Osteochondrosen beobachtet. Bei manchen Erkrankungen wird daher eine syndromale Konstellation vermutet, in dem Sinne, dass die Ausprägung einer Osteochondrose Ausdruck einer systemischen Erkrankung mit genetischer Disposition ist. Für eine genetische Prädisposition spricht auch die Tatsache, dass mehrere Osteochondrosen bei einem Individuum auftreten können. Für die gesamte Erkrankungsgruppe fehlen epidemiologische Daten. Bei fast allen hier besprochenen Erkrankungen ist das männliche Geschlecht bevorzugt betroffen (Tabelle 31.1). Im folgenden Text werden die avaskulären Knochennekrosen, die Osteochondrosis dissecans und die Traktionsapophysitiden besprochen. Die Traktionsapophysitiden werden aus historischen Gründen und aufgrund ihres ähnlichen Erscheinungsbildes immer noch den Osteochondrosen zugeordnet, obwohl bei ihnen die Apophyse und nicht die Epiphyse betroffen ist und histologisch keine eigentliche Knochennekrose nachgewiesen wurde.
Funnelisation
31.1 Avaskuläre Knochennekrosen Zylindrisation
Gefäße zur Metaphyse Diaphyse
a
b
Abb. 31.1 a,b. Anatomie und Wachstumsvorgänge an der Wachstumszone. a Schematische Darstellung der Anatomie der Wachstumszone. Separate Gefäßversorgung der Epiphyse, Ranvier-Rinne, perichondraler Ring nach Lacroix und Metaphyse. Durch das Wachstum erfahren diese Regionen einen ständigen Umbau ihrer Gefäßversorgung. b Schematische Darstellung der Wachstumsvorgänge an der Epi- und Metaphyse: Hemispärisation: epiphysäres Wachstum; Elongation: Längenwachstum; Funnelisation: Modellierungsvorgänge im Übergang von der Metaphyse zur Diaphyse; Zylindrisation: Dickenwachstum
Die meisten avaskulären Knochennekrosen beginnen vor Wachstumsabschluss. Unabhängig von der betroffenen Skelettregion zeigen sie einen ähnlichen stadienhaften Verlauf. Dieser wird am Beispiel des Morbus Perthes erläutert. Im Folgenden sind nur die häufigeren klinisch relevanten avaskulären Knochennekrosen näher besprochen.
31.1 Avaskuläre Knochennekrosen Tabelle 31.1. Osteochondrosen des Kindes- und Jugendalters mit bevorzugter Altersgruppe
Skelettregion
Eigennamen
Obere Extremität Caput humeri Capitulum humeri Caput radii Distale Radiusepiphyse Epihysen der Mittel- und Fingerendphalangen Os lunatum
Hass Panner Hegemann Madelung Thiemann Kienböck
Untere Extremität Caput femoris Condylus medialis tibiae Caput ossa metacarpi Caput ossa metatarsi (II bis IV) Os cuneiforme laterale Os naviculare pedis Talus Sesambeine am Metatarsale I Synchondrosis ischiopubica
Legg-Calvé-Perthes Blount Dietrich Köhler (II)-Freiberg Lance Köhler (I) Vogel Renander van Neck
Generalisiert Osteochondrosis dissecans Traktionsapophysitiden Tuberositas tibiae Kalkaneus Basis Os metacarpale V Patellaspitze
31.1.1 Morbus Perthes Synonym: »Legg-Calve-Perthes-syndrome«. Ursache und Häufigkeit Die häufigste behandlungsbedürftige avaskuläre Knochennekrose ist die juvenile Osteonekrose der proximalen Femurepiphyse. Im deutschen Sprachraum wird die Erkrankung üblicherweise nach Perthes benannt. Aufgrund der oft resultierenden Deformierung und der potenziellen Präarthrose des Hüftgelenks kommt dem Morbus Perthes große individuelle und volkswirtschaftliche Bedeutung zu. Die Prävalenz beträgt in der Hauptrisikogruppe im Alter zwischen 3 und 9 Jahren etwa 0,1–0,4%. Die Erkrankung zeigt eine rassenspezifisch erhöhte Inzidenz im asiatischen und europäischen Raum, während afrikanische, indianische und australische Rassenangehörige seltener erkranken. Das Verhältnis von erkrankten Jungen zu Mädchen beträgt 4:1. Etwa 20% zeigen einen beidseitigen Befall, eine Seitenpräferenz besteht nicht. In 7% wurde eine familiäre Häufung beobachtet. In >80% findet sich ein Entwicklungsrückstand und eine Verzögerung der Skelettreife bis zu 2 Jahren. Bei Morbus-Perthes-Patienten wurden erniedrigte Hormonspiegel der Somatomedine nachgewiesen. Die spätere Körpergröße als Erwachsener ist kleiner als die der gesunden Gesamtbevölkerung. Die Ursache des Morbus Perthes ist noch nicht geklärt. Im letzen Jahrhundert wurde eine ganze Reihe von Theorien zu Ätiologie des Morbus Perthes entwickelt.
Bevorzugtes Alter [Jahre]
3–9 12–18 15–30 3–9 10–16 2–10 5–16 10–50
Osgood-Schlatter Sever Iselin Sinding-Larsen-Johansson
10–17 8–14 10–16
Keine davon konnte bisher ausreichend belegt werden. Infektiöse oder traumatologische Ursachen sind als eher unwahrscheinlich in den Hintergrund getreten. Zur Zeit werden anatomische Anomalien der Gefäßversorgung, Störungen der Blutgerinnung und hormonelle Störungen als Ursachen favorisiert (Wilson 1967). Einigkeit herrscht in der Ansicht, dass es sich um eine syndromale Systemerkrankung handelt, deren Faktoren zum Auftreten der Erkrankung prädestinieren. Entwicklung und Wachstum Meistens beginnt die Erkrankung mit einem Knochenmarködem des betroffenen Knochens und einem begleitenden Gelenkerguss mit entsprechender Bewegungsbehinderung (Initialstadium). Ischämische Episoden können zu Mikroinfarkten führen. Dauert die ischämische Phase längere Zeit an, kommt ein pathologischer Prozess in Gang, der zur Nekrose des Knochens führt. Das Initialstadium kann einige Wochen bis Monate dauern. Im Kondensationsstadium wird das Ausmaß der Osteonekrose deutlich. Es kann nur ein Anteil aber auch die ganze Epiphyse betroffen sein. Der Knochenkern bleibt im Wachstum zurück, der Knorpel wächst weiter. Da der Knorpel vorwiegend über die Synovialflüssigkeit ernährt wird, kann er primär ungestört sein. Es kommt zu einer radiologisch sichtbaren Verdichtung des Knochens. Die Nekrose der Knochenbälkchen führt zu einer Minderung der Stabilität. Der Kopf kann einbrechen und eine typische subchondrale Frakturlinie zeigen (»crescent sign«). Das Kondensationsstadium erstreckt sich über 6–12 Monate.
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
Durch neues Einsprossen von Blutgefäßen in den betroffenen Bezirk setzt eine Resorption des nekrotischen Gewebes ein, es wird durch fibrokartilaginäres Gewebe ersetzt. Dieses Fragmentationsstadium zeichnet sich durch die radiologische Auflösung der Knochenstruktur aus. Typisch sind zystische Aufhellungen, die von sklerosierten Arealen umgeben sind. Auch in diesem Stadium kann es durch das Zusammensintern der nekrotischen Knochenbälkchen zum subchondralen Einbruch der Kopfkalotte kommen. Der Femurkopf wird abgeflacht. Das Ausmaß der subchondralen Fraktur spiegelt die Ausdehnung des Befalls wider und hat prognostische Aussagekraft (Salter u. Thompson 1984): Ist weniger als die Hälfte des Hüftkopfes betroffen, ist die Prognose besser. Ist mehr als die Hälfte betroffen ist mit einem schweren Verlauf zu rechnen. Abhängig von den auf das Gelenk einwirkenden Kräften kommt es zur Deformierung und Inkongruenz der Gelenkflächen durch Verbreiterung des Hüftkopfes. Hierdurch wird auch das Wachstum des Acetabulums beeinflusst. Das Fragmentationsstadium dauert 18–24 Monate. Tritt keine subchondrale Fraktur auf, spricht man vom »potential Perthes«, da bei einem Teil dieser Patienten eine vollständige Restitution beobachtet werden kann. Im Reparationsstadium regeneriert sich das betroffene Areal. Der nekrotische Knochen wird abgebaut, das fibrokartilaginäre Gewebe rekalzifiziert und wird durch neues Osteoid ersetzt. Es findet sich ein Nebeneinander von Ersatzknorpel und neu aufgebautem Knochen.Vorraussetzung für den Neuaufbau ist eine intakte Vaskularisation, die in den meisten Fällen wiederhergestellt ist. Am Ende des Reparationsstadium ist der Knochen wieder aufgebaut, radiologisch ist wieder eine normale Struktur der Knochenbälkchen erkennbar. In welcher Form der Hüftkopf wieder aufgebaut wird, entscheidet sich in den Stadien der Fragmentierung und Reparation, in denen er sich den von außen einwirkenden Kräften anpasst. Durch die im Gelenk auftretenden Kräfte verformt er sich, er kann abgeflacht und verbreitert sein und seine kugelige Gestalt verlieren. Fast immer entsteht eine Coxa magna, im günstigen Fall mit sphärischer Kongruenz der Gelenkflächen. Schlechter für die Prognose ist eine asphärische Kongruenz oder asphärische Inkongruenz, da die dreidimensionale Bewegungsmöglichkeit des Gelenks dann verlorengegangen ist (Stuhlberg et al. 1981). Da sich Femurkopf und Gelenkpfanne gegenseitig im Wachstum beeinflussen, kommt es hierdurch zur dysplastischen Verformung des Gelenks mit Subluxation und Inkongruenz. Wenn der Hüftkopf über die Pfanne ragt, kann sich der Kopf derart verformen, dass eine so genannte »hinge abduction« entsteht. Dies bedeutet ein Hebeln des Kopfes aus der Pfanne über den Pfannenrand als Hypomochlion. Der noch plastische Kopf wird durch die Pfanne weiter deformiert, und es kommt zu einer sekundären
Schädigung der Epiphysenfuge. Dies hat eine Wachstumsstörung zur Folge, welche die schon bestehende Deformierung weiter verstärkt. Es entsteht eine präarthrotische Deformität mit den bekannten Folgen des frühen Gelenkverschleißes. Die Übergänge zwischen den einzelnen Stadien sind fließend. Die Erkrankung kann sich altersabhängig über einen Zeitraum von 2 bis zu 4 Jahren erstrecken. Je jünger das Kind, desto kürzer ist der zu erwartende Krankheitsverlauf. Etwa 50% der Erkrankten haben ungünstige Krankheitsverläufe. Nach Catterall (1971) gelten die so genannten »head at risk-signs« als prognostische Zeichen für einen zu erwartenden schlechten Verlauf. Neben der schlechten Beweglichkeit im Hüftgelenk zählen hierzu 쐌 die Beteiligung des lateralen Pfeilers der Epiphyse (Gage-Zeichen, laterale Ossifikation und Verbreiterung der Epiphyse), 쐌 die Beteiligung der Metaphyse und 쐌 die Horizontalisierung der Wachstumsfuge. Aber auch wenn primär keine »head at risk-signs« vorhanden sind, kann ein schlechtes Ergebnis resultieren. Weitere prognostisch ungünstige Parameter sind (Wilson 1967; Tabelle 31.2): 쐌 das Patientenalter bei Erkrankungsbeginn >6 Lebensjahre, 쐌 der prolongierter Verlauf der Erkrankung, 쐌 ein fortgeschrittenes Stadium bei Behandlungsbeginn und 쐌 ein ausgedehnter Befall des Femurkopfes. Diagnostik Klinisch Die klinische Symptomatik ist unspezifisch. Häufig ist das erste Zeichen eine schmerzlose Gangstörung. Schmerzen stehen insbesondere bei kleinen Kindern nicht im Vordergrund der Beschwerden. Je kleiner das Kind ist, desto ungenauer sind die Angaben zu Schmerz und zur Lokalisation des Schmerzes. Während des Wachstums sollte daher jede Gangstörung näher abgeklärt werden. Anamnestisch findet sich häufig ein Hinken, sowie eine schnellere Ermüdbarkeit und Gehfaulheit. Wenn Schmerzen angegeben werden, sind es meist
Tabelle 31.2. Faktoren einer schlechten Prognose beim Morbus Perthes 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
Erkrankungsalter >6 Jahre Deformität des Hüftkopfes Befall von >50% des Hüftkopfes Prolongierter Krankheitsverlauf Fortgeschrittene Erkrankung bei Behandlungsbeginn Radiologische Head-at-risk-Zeichen nach Caterall Caterall Stadium III und IV Salter und Thompson Stadium B Herring Stadium C
31.1 Avaskuläre Knochennekrosen
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Oberschenkel- oder Knieschmerzen (»referred pain«), die vom Hüftgelenk ausgehend in Oberschenkel und Knie projiziert werden. Nur die genaue Untersuchung der eingeschränkten Hüftgelenkbeweglichkeit macht die Hüfte als Ursprung der Beschwerden offensichtlich. Reizzustände führen zu rezidivierenden Gelenkergüssen und Kapselkontrakturen. Dies hat eine typische Bewegungseinschränkung im Sinne eines Kapselmusters nach Cyriax zur Folge. Für das Hüftgelenk typisch ist die Kombination einer Innenrotations-, Adduktionsund Beugekontraktur. Es zeigt sich ein TrendelenburgHinken durch Behinderung der aktiven Hüftabduktion. Die Laborparameter sind wie bei anderen avaskulären Knochennekrosen unauffällig. Im Einzelfall wurde eine Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit beobachtet. Zur Differenzialdiagnose von infektiösen und entzündlichen Veränderungen sollten zumindest ein Blutbild und die Entzündungswerte bestimmt werden. Die Abgrenzung zur harmlosen Coxitis fugax ist im Anfangsstadium klinisch nicht möglich. Radiologisch Röntgen. Die Röntgenuntersuchung ist nach wie vor die wichtigste apparative diagnostische Methode. Das erste röntgenologische Zeichen ist im Initialstadium eine Demineralisierung des betroffenen Knochens. Es findet sich eine Vermehrung des Weichteilschattens und Erweiterung des Gelenkspalts. Da der Knochenkern im Wachstum zurückbleibt, der darüber liegende Knorpel aber weiterwächst, entsteht die so genannte Pseudohypertrophie des Knorpels, die den Gelenkspalt erweitert erscheinen lässt. Im Kondensationsstadium verdichtet sich die Knochenstruktur, was als Sklerosierung beschrieben wird. Im Stadium der Fragmentation findet sich ein Nebeneinander von zystischen Aufhellungen und Sklerosierungen. Die Knochenstruktur löst sich auf. Der subchondrale Knochen kann einbrechen und eine Frakturlinie aufweisen. Dies führt zu einer typischen subchondralen Frakturlinie, die im englischen Sprachraum als »crescent sign » bezeichnet wird. Im Reparationsstadium findet sich ein Nebeneinander von Aufhellung und Sklerosierung. Schrittweise normalisiert sich die Feinstruktur des Knochens wieder (Kramer et al. 1992; Tabelle 31.3). Magnetresonanztomographie. Bei negativem Röntgenbefund ist zur Früherkennung die MRT das diagnostische Mittel der Wahl. Die MRT ist in dieser Frühphase, insbesondere bei Knochenmarködem ohne Demineralisierung und begleitendem Knorpelödem, das am besten geeignete und meist auch einzig aussagekräftige bildgebende Verfahren (Forst et al. 1994). Mit ihrer hohen Sensitivität und Spezifität in der Beurteilung des subchondralen Knochenmarks, des Knorpels, der Gelenkkongruenz, des Kapsel-Band-Apparats
Tabelle 31.3. Röntgenbefunde und Stadieneinteilung der avaskulären Knochennekrosen am Beispiel des Morbus Perthes Initialstadium
Röntgen: umschriebene Demineralisierung, Gelenkspalterweiterung, kleinerer Kopfkern als auf Gegenseite
Kondensationsstadium
Röntgen: Verdichtung der Knochenstruktur, subchondrale Fraktur (»crescent sign«), Verkleinerung des Kopfkerns
Fragmentationsstadium
Röntgen: zystische Aufhellungen mit perifokalen Sklerosierungen, subchondrale Fraktur (»crescent sign«) Abflachung und Verbreiterung des Kopfes
Reparationsstadium
Röntgen: Nebeneinander von Demineralisierung und Verdichtung der Knochenstruktur des betroffenen Areals mit ggf. Deformierung oder Subluxation Schrittweise Revitalisierung zu normalem spongiösen Knochen
und der periartikulären Weichteilstrukturen ist sie den anderen bildgebenden Verfahren deutlich überlegen (Bluemke u. Zehouni 1996; Imhof et al. 1999; LahdesVasama et al. 1996). Im Initialstadium kommen das Knochenmarködem und der Gelenksknorpel am besten in T2-gewichteten fettunterdrückten oder STIR-Sequenzen in longitudinaler Schichtführung zur Darstellung. Eine hyper- und hypointense Doppellinie in T2gewichteten Sequenzen zwischen Nekroseareal und angrenzendem vitalen Knochenmark ist für den Morbus Perthes pathognomonisch. T1-gewichtete Sequenzen erlauben eine optimale Beurteilung des fetthaltigen Knochenmarks und der subchondralen Grenzlammelle. Axiale Schichten geben Aufschluss über die periartikulären Weichteile. Eine Kontrastmittelgabe zeigt am besten die Revaskularisation im Reparationsstadium (Imhof et al. 1997). Verbesserungen in der MR-Technologie mit rascheren Messungen versprechen eine deutliche Reduktion der Untersuchungsdauer und eine Anwendung als Screening-Methode (May u. Disler 2000). Dynamische MRT-Sequenzen zur dreidimensionalen Beurteilung der Gelenkkongruenz sind in Erprobung. Szintigraphie. In der Szintigraphie findet sich ein vermehrter Tracer-uptake als Zeichen eines aktiven Prozesses. Die szintigraphische Untersuchung ist zwar hochsensitiv, aber sehr unspezifisch. Sie eignet sich zu Verlaufskontrollen und zur Beurteilung der Hüftkopfdurchblutung, hat aber den Nachteil der Strahlenbelastung. Im Zeitalter der MRT verliert diese Untersuchung zunehmend an Bedeutung. Differenzialdiagnosen Im Initialstadium, ohne erkennbare Veränderungen in der bildgebenden Diagnostik, müssen differenzialdiagnostisch entzündliche, traumatologische, rheumatologische und andere systemische Erkrankungen mit Ge-
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
lenkbeteiligung abgegrenzt werden. Am häufigsten ist der harmlose Reizzustand bei Coxitis fugax. Bei positiver Bildgebung muss zusätzlich an Störungen der Blutgerinnung, des Protein- und Fettstoffwechsels, endokrinologische und hämatologische Erkrankungen gedacht werden (Jones 2000; Lee et al. 1974). Die Meyer-Dysplasie, epiphysäre und spondyloepiphysäre Dysplasien können radiologisch sehr schwierig zu interpretieren sein. Meist wird erst in der Verlaufskontrolle erkennbar, ob eine Dysplasie der Epiphyse oder eine avaskuläre Osteonekrose vorliegt (Meyer 1964). Klassifikation Die gebräuchlichsten Klassifikationen nach Catterall (1971) und Salter (Salter u. Thompson 1984) setzten voraus, dass bereits ein Fragmentationsstadium vorliegt. Ausschlaggebend ist die Ausdehnung der Nekrose in der axialen Röntgenaufnahme. In den Stadien III und IV nach Catterall mit ausgedehntem Befall des Hüftkopfes sind schlechte Ergebnisse zu erwarten. Bei der Gruppe A nach Salter u. Thompson ist weniger als die Hälfte des Hüftkopfes betroffen. Bei der Gruppe B ist mehr als die Hälfte betroffen, die Prognose ist schlechter. Die Klassifikation von Herring et al. (1993) orientiert sich an der Höhenreduzierung der lateralen Epiphyse (»lateral pillar«) in der Röntgenaufnahme a.-p. Schlechte Ergebnisse sind bei der Gruppe B im Alter >9 Jahren und in der Gruppe C zu erwarten (Abb. 31.2 a–c). Mit der MRT steht ein bildgebendes diagnostisches Verfahren zur Verfügung, mit dem der Krankheitsverlauf besser verfolgt werden kann. Hierauf basierend sind für die Zukunft neue Klassifikationen zu erwarten, aus denen sich therapeutische Konsequenzen ableiten lassen. Therapie Die Behandlung erfolgt symptomatisch. Ein ursächliches Behandlungskonzept gibt es nicht. Konservative Behandlungsstrategien wie z. B. Abspreizschienen, Becken-Bein-Gipse und Entlastung
a
b
c
Abb. 31.2 a–c. Radiologische Klassifikation des Morbus Perthes in der Röntgenaufnahme a.-p. nach Herring. a Typ A: Nekrose betrifft die zentrale Zone, intakter lateraler Pfeiler. b Typ B: Ausdehnung der Nekrosezone bis in den lateralen Pfeiler, mehr als 50% der Höhe des lateralen Pfeilers erhalten. Im Alter >9 Jahre schlechte Prognose. c Typ C: ausgedehnte Nekrose, <50% der Höhe des lateralen Pfeilers erhalten. Schlechte Prognose
über Monate bis Jahre, die lange Zeit als Goldstandard der Therapie galten, stellen eine große psychische Belastung für Kind und die Familie dar. Ihre Wirksamkeit muss in Frage gestellt werden, da oft das Endergebnis den hohen Aufwand nicht rechtfertigt. Leichte Formen zeigen auch ohne eine solche Behandlung einen zufriedenstellenden Verlauf, und schwere Verläufe werden oft auch mit einer solchen langdauernden konservativen Behandlung nicht zufriedenstellend beeinflusst. Neuere Therapieschemata verzichten daher weitgehend auf langdauernde Abspreizbehandlung oder Entlastung und haben einen eher funktionellen Ansatz. Die Physiotherapie ist der zentrale Pfeiler der Therapie. Ziel ist die Erhaltung der physiologischen Beweglichkeit des Hüftgelenks. Auch dies ist aufwendig und als Dauerbehandlung anzusehen. Es erfordert die aktive Mitarbeit der ganzen Familie. Kontinuierliches tägliches Training ist erforderlich. Die Patienten müssen regelmäßig kontrolliert werden. Die physiologische Stellung des Femurkopfes in der Hüftgelenkpfanne wird als »containment« bezeichnet. Die Erkenntnis, dass sich Hüftpfanne und Femurkopf im Wachstum gegenseitig beeinflussen, ist die Grundlage der so genannten »Containment-Therapie«. Ziel dieses Therapieansatzes ist es, das Auswandern des Femurkopfes aus der Hüftpfanne zu verhindern, um ein gegenseitiges kongruentes Modellieren während des weiteren Wachstums zu ermöglichen. Kommt es trotz Physiotherapie zu einem Verlust des Containments, ist die operative Rezentrierung des Hüftkopfes in der Pfanne durch reorientierende Beckenosteotomien und/oder Femurosteotomie indiziert. Der Grad der entstehenden Deformierung hängt von vielen Faktoren ab, u. a. von 쐌 der Größe und Lage des betroffenen Bezirks, 쐌 dem Alter und Geschlecht des Patienten und 쐌 der Suffizienz der Behandlung (Caterall 1971; Kramer et al. 2002; Krauspe u. Raab 1997). Bisher bestehen keine Erfahrungen über durchblutungsfördernde Infusionen beim Morbus Perthes. Bei der avaskulären Femurkopfnekrose des Erwachsenen zeigten Prostavasininfusionen gute Erfolge (Aigner et al. 2001; Petje et al. 2002). Möglicherweise lässt sich dies auf die Behandlung des Morbus Perthes übertragen. Klinische Studien stehen hierzu noch aus. Nachbehandlung, Follow-up, Spätkomplikationen Die Patienten werden in der Regel bis zum Abschluss des Wachstums betreut, um sekundär entstehende Fehlstellungen frühzeitig zu erkennen und die Prognose für das weitere Leben richtig einschätzen zu können. Durch rechtzeitige Diagnosestellung und Einleitung einer adäquaten Behandlung treten ausgeprägte Fehlstellungen zunehmend seltener auf.
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31.1 Avaskuläre Knochennekrosen
Es kommt aber immer noch, auch im Rahmen der Zuwanderung aus anderen Ländern, zu Verläufen, die erst sehr spät einer suffizienten Behandlung zugeführt werden. Die Gelenkdeformierungen können dann große Probleme bereiten. Bei massiven Fehlstellungen
sind rekonstruktive Operationen nur als palliative Maßnahme zu sehen. Oft bleibt als letzter Ausweg nur, den natürlichen Verlauf der Arthrose abzuwarten (Abb. 31.3 a–c, Abb. 31.4 a–c).
Abb. 31.3 a–c. Natürlicher Verlauf eines unbehandelten Morbus Perthes rechts bei Erkrankungsbeginn und 4 Jahre später. a Beginn der Erkrankung im Alter von 4 Jahren. Man erkennt die Verkleinerung des Kopfkerns und die Pseudohypertropie des Gelenkspaltes, das Containment ist erhalten. In der MRT Signalabnahme im Femurkopf in T2-gewichteter Sequenz als Zeichen einer Sklerosierung, der Gelenkknorpel ist medial hypertrophiert und in der Druckaufnahmezone verdünnt, geringer Gelenkserguss. b,c Über 4 Jahre wurde keine Therapie durchgeführt. Im Alter von 8 Jahren kam der Patient wieder wegen massivem Hinken zur Kontrolle. Man erkennt nun die massive Verformung des Hüftkopfes mit Abflachung und Verbreiterung. Der Hüftkopf ragt über die Pfanne hinaus. Es hat sich eine Wachstumsstörung des Schenkelhalses und der Pfanne eingestellt, das Containment ist verloren. Auch in der Lauenstein-Aufnahme zeigt sich die asphärische Inkongruenz des Hüftkopfes. In der MRT (T2-gewichtete Sequenz mit Fettunterdrückung) entsprechende Veränderungen des Femorkopfes und deutliche Anhebung des Labrum acetabulare, Knorpeldefekt in der Duckaufnahmezone und ausgeprägter Gelenkerguss
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
31.1.2 Morbus Blount Synonym: »blount disease«, »osteochondrosis deformans of the proximal tibia«, Tibia vara. Ursache und Häufigkeit Die infantile Tibia vara wurde von Blount als Osteochondrose der proximalen Tibia beschrieben, die zu einer progredienten Innenrotation und Varusfehlstellung des Unterschenkels aufgrund einer Wachstumsstörung der Tibia führt. Im Endstadium bildet sich medial eine knöcherne Brücke über die Wachstumszone. In der Literatur wird diese Störung derzeit nicht mehr den Osteochondrosen zugeordnet, sondern eher als erworbene Wachstumsstörung der proximalen Tibiametaphyse eingestuft, da eine Osteonekrose nicht nachgewiesen werden konnte. Es scheint aber die enchondrale Ossifikation gestört. Die Ursache hierfür ist noch unbekannt. Nachdem die Erkrankung erst nach Beginn der Gehphase manifest wird, wurden im frühen Gehbeginn und der Übergewichtigkeit wichtige ätiologische Faktoren erkannt. Die Hauptursache wird derzeit in der mechanischen Überlastung der medialen Wachstumszone gesehen, die zu einer Wachstumsstörung der Epiund Metaphyse der Tibia führt. Eine familiäre Häufung wurde beobachtet. Man unterscheidet altersabhängig 2 Gruppen des Morbus Blount: 쐌 Die infantile Form betrifft Kinder bis zum 8. Lebensjahr, 쐌 die seltenere adoleszente Form Kinder und Jugendliche zwischen dem 8. und 13. Lebensjahr.
Abb. 31.4 a–c. Operative Behandlung eines Morbus Perthes rechts mit Containmentverlust. a Morbus Perthes rechts Typ C nach Herring. Der laterale Pfeiler ist um mehr als die Hälfte verringert. Fast der gesamte Hüftkopf ist betroffen. Pseudoerweiterung des Gelenkspalts durch relative Verkleinerung des Kopfkerns. Der Hüftkopf ist verbreitert und überragt die Pfanne nach lateral. Das Containment ist verloren. b Containmentbehandlung durch Beckenosteotomie nach Salter. c Ergebnis nach knöcherner Ausheilung der Osteotmie. Der Hüftkopf baut sich in der Reparationsphase wieder auf. Das Containment ist wieder hergestellt
Entwicklung und Wachstum Im Kleinkindalter ist ein Genu varum physiologisch und von einem beginnenden Morbus Blount nicht zu unterscheiden. Ein varischer femorotibialer Winkel von 10–15° entspricht dem Durchschnittswert der normalen physiologischen Entwicklung bei Gehbeginn im Alter von 12–15 Monaten. Im Verlauf des 2. Lebensjahres wird dieser Winkel zunehmend reduziert. Im 3. bis 4. Lebensjahr ist eine Valgusstellung von etwa 10° als physiologisch anzusehen, dann begradigt die Beinachse sich wieder. Eine Abweichung von diesen Mittelwerten ist häufig, ohne dass ein pathologischer Befund zugrunde liegen muss.Als Normvarianten sind extreme Varusstellungen noch über das 2. Lebensjahr hinaus beobachtet worden, die sich während des weiteren Wachstums voll zurückbildeten. Daher ist die Verlaufskontrolle bei der Beurteilung von varischen Achsabweichungen der unteren Extremitäten für die Diagnosestellung eines Morbus Blount entscheidend. Das physiologische Genu varum wird sich im Laufe des weiteren Wachstums vermindern, der Morbus Blount ist eine progrediente Störung. Das physiologische Genu varum des Kleinkindes ist fast immer beid-
31.1 Avaskuläre Knochennekrosen
seitig, der Morbus Blount nur in 60% der Fälle. Nach der Theorie der mechanischen Überlastung kann sich aus einem physiologischen Genu varum ein Morbus Blount entwickeln, besonders wenn früh mit dem Gehen begonnen wird. Häufig, aber nicht immer, sind Kinder mit infantilem Morbus Blount übergewichtig (Barthfield u. Beighton 1978). Seltener betrifft der Morbus Blount das späte Kindesalter oder die Adoleszenz. Typischerweise sind diese Patienten übergewichtig und haben einen großen Oberschenkelumfang. Ganganalysen bei übergewichtigen Patienten mit dicken Oberschenkeln ergaben vermehrte Varusbelastungen der Kniegelenke beim Gehen (Davids et al. 1996). Aufgrund dieser biomechanischen Überlegungen wird vermutet, dass die einwirkenden Varusmomente beim Gang eine Überbelastung des medialen Gelenkkompartiments zur Folge haben, die zu Wachstumsstörungen der proximalen Tibia, aber auch des distalen Femur mit progredienter Varusfehlstellung führt. Diagnostik Bei Kindern mit Morbus Blount werden bei Geburt keine Auffälligkeiten gefunden. Typischerweise werden die Kinder nach Gehbeginn wegen einer zunehmenden Varusstellung der Beine vorgestellt. Die Diagnose kann selten bei der ersten Konsultation gestellt werden. Meist sind mehrere Verlaufskontrollen in 4- bis 6-monatigen Abständen notwendig, um definitiv beurteilen zu können, ob es sich um einen Morbus Blount oder eine Normvariante handelt. Bei den klinischen Kontrollen empfiehlt es sich, den Interkondylenabstand im Stehen bei gestreckten Knien zu dokumentieren. Bei der Beobachtung des Gangs zeigt sich beim Morbus Blount die typischerweise vermehrte Innentorsion der Tibia. Beim Morbus Blount imponiert in erster Linie die varische Tibia, während beim physiologisch vermehrten Genu varum das ganze Bein vermehrt varisch erscheint. Die Übergänge von der Normvariante ins Pathologische sind jedoch, wie oben ausgeführt, fließend (Davids et al. 1996). Differenzialdiagnostisch sollten bei jedem ausgeprägten Genu varum Knochenstoffwechselerkrankungen und Skelettdysplasien ausgeschlossen werden. Die Röntgenuntersuchung ist das Standardverfahren zur Diagnostik. Das Charakteristische am Röntgenbild beim Morbus Blount ist die nach medial abfallende Epiphysenfuge, die zunehmend vertikal ausgerichtet ist. Die Epiphyse ist medial ausgedünnt, und die Metaphyse wird medial prominent. Es kommt zu Verkalkungen, später zur Fragmentierung der medialen Metaphyse und schließlich zur Ausbildung einer knöchernen Brücke über die Wachstumszone. Zur Verlaufsbeobachtung sollten Röntgenganzbeinaufnahmen im Stehen mit gestreckten Knien und nach vorne ausgerichteten Kniescheiben angefertigt werden. Der Metaphysen-Diaphysen-Winkel beschreibt den
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Grad der Abkippung der Metaphyse nach medial. Als pathologisch wird ein Metaphysen-Diaphysen-Winkel von mehr als 10° angesehen. Klassifikation Die Klassifikation von Langenskiöld (1989) beschreibt 6 radiologische Stadien beim infantilen Morbus Blount. 쐌 Die Stadien I und II sind frühe Veränderungen der Metaphyse mit irregulärer Ossifikation des medialen Anteils. 쐌 In den Stadien III und IV ist die mediale Wachstumszone zunehmend steiler gestellt. 쐌 Im Stadium V ist die mediale knorpelige Wachstumszone massiv verändert, die Fuge ist vertikal gestellt. 쐌 Das Stadium VI beschreibt eine massive Gelenkdeformität mit Verknöcherung der Wachstumsfuge. Dies tritt erst im Alter von etwa 9 Jahren auf. Therapie Die Therapie ist abhängig vom Alter des Kinds und der Schwere der Ausprägung. Frühe Veränderungen (Stadium I und II) im Alter zwischen 2 und 5 Jahren werden beobachtet. Einige Autoren empfehlen in diesen Stadien eine orthetische Versorgung mit funktionellen Gehorthesen und berichten über positive Ergebnisse (Greene 1993). Da aber in vielen Fällen noch mit einer spontanen Besserung gerechnet werden kann, ist dies meist eine unnötige Behandlung (Shinohara et al. 2002). Schreitet die Deformität fort ist eine Osteotomie zur Achskorrektur notwendig. Bei Kindern mit juvenilem Morbus Blount hat die Osteotomie das Ziel, wieder normales Wachstum zu ermöglichen und eine weitere Progredienz zu verhindern. Es hat sich gezeigt, dass durch frühe Korrekturen im Alter von 5 Jahren oder jünger die besten Ergebnisse erzielt und weitere Korrekturoperationen im späteren Alter vermieden werden können. Wenn sich aber bereits eine knöcherne Brücke an der Wachstumsfuge gebildet hat, werden bis zum Erwachsenenalter weitere Korrekturoperationen notwendig sein. Beim adoleszenten Morbus Blount ist das primäre Ziel die definitive Achskorrektur. Da es sich um ein dreidimensionales Fehlwachstum handelt, müssen auch die Rotation und die Fehlstellung in der Sagittalebene mitberücksichtigt werden. Zur dreidimensionalen Korrektur eignet sich deshalb am besten der Fixateur externe (Abb. 31.5 a–c). Nachbehandlung, Follow-up Die Betreuung sollte bis zum Wachstumsabschluss fortgeführt werden.
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
Abb. 31.5. Physiologisches Genu varum (a) und Morbus Blount (b,c). a Physiologisches O-Bein (16 Monate alt): Varusstellung von Ober- und Unterschenkel. b Morbus Blount (4 Jahre alt): massive Varusfehlstellung mit deutlich pathologisch vermehrter Tibiainnentorsion. c Ganzbeinröntgen bei Morbus Blount: femurotibialer
31.1.3 Morbus Köhler I Ursache und Häufigkeit Die Osteochondrose des Os naviculare pedis ist eine seltene Erkrankung, die bei Jungen 4-mal häufiger vorkommt als bei Mädchen. Der Häufigkeitsgipfel des Morbus Köhler liegt im Kindesalter zwischen 2 und 10 Jahren. In 30% liegt ein beidseitiger Befall vor. Es gibt Hinweise dafür, dass ein Zusammenhang zwischen wiederholt einwirkender axialer Kompression des Fußes und dem Auftreten der Erkrankung besteht. Entwicklung und Wachstum Der Knochenkern des Os naviculare pedis entwickelt sich bei Mädchen zwischen dem 18. bis 24. Lebensmonat und bei Jungen zwischen dem 24. und 36. Lebensmonat. Die Normvarianten des Os naviculare sind zahlreich; mehrere unregelmäßig begrenzte Ossifikationszentren können auftreten. Beim Morbus Köhler I bleibt das Os naviculare in seiner Entwicklung zurück, es verkleinert und verdichtet sich. Diagnostik In der Phase bis zur vollständigen Entwicklung des Knochenkerns kann anhand des Röntgenbildes nicht sicher zwischen einer Osteonekrose des Os naviculare und einer Normvariante unterschieden werden. Aufgrund der radiologischen Unsicherheiten stehen bei der
Winkel rechts etwa 35º, links etwa 45º. Aufbaustörung der Epiphyse sowohl der Tibia als auch des Femurs auf der Innenseite. Nach medial stark abfallende Tibiametaphyse. Langenskiöld-Stadium II bis III
Diagnostik im Frühstadium die klinischen Symptome im Vordergrund. Es imponiert die Schwellneigung am Fußrücken, sowie ein Druck- und Belastungsschmerz am Mittelfuß. Die Kinder hinken und rollen über den lateralen Fußrand ab. In den radiologischen Verlaufskontrollen zeigt sich dann eine Verkleinerung und Sklerosierung des Knochenkerns. Die Normalisierung des radiologischen Erscheinungsbildes kann noch über Jahre hinaus gesehen werden, auch wenn die Schmerzen bereits verschwunden sind. Therapie Die Erkrankung ist selbstlimitierend und bedarf in der Regel keiner operativen Intervention. Durch Gehgipse kann die Symptomatik gelindert und der Heilungsverlauf möglicherweise beschleunigt werden. Schuheinlagen sind als symptomatische Behandlung zur Stützung des Fußgewölbes sinnvoll. Als späte sekundäre Veränderungen sind Arthrosen in den angrenzenden Gelenken beschrieben.
31.2 Osteochondrosis dissecans
31.1.4 Morbus Freiberg (Köhler II)
31.2 Osteochondrosis dissecans
Ursache und Häufigkeit Bei der avaskulären Osteonekrose der Metatarsaleköpfchen kommt es zur Vergrößerung und Subluxation des Köpfchens im Metatarsophalangealgelenk. Am häufigsten ist das Metatarsale II und III betroffen, nicht selten bilateral. Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen 10 und 16 Jahren, Jungen sind 3-mal häufiger betroffen als Mädchen. Der Morbus Freiberg ist oft kombiniert mit einer Überlänge des 2. und 3. Metatarsale und einem Spreizfuß. Diese Überlänge wird auch als ursächlicher Faktor zur Entstehung diskutiert.
Synonym: »osteochondritis dissecans«. Die Osteochondrosis dissecans (OCD) unterscheidet sich von den avaskulären Knochennekrosen durch ihre typische Verlaufsform. Nach primärem Befall des subchondralen Knochens mit intakter Knorpeloberfläche kommt es im weiteren Verlauf zur Knorpelerweichung und Demarkation eines Knorpel-Knochen-Fragments, dem so genannten Dissekat. Dieses kann sich aus seinem Bett lösen und als freies Fragment (»Gelenkmaus«) abgestoßen werden.
Diagnostik Klinisch imponiert der Vorfußschmerz mit starken Beschwerden beim Abrollen. Es besteht eine Druckdolenz an den betroffenen Metatarsaleköpfchen. Im Röntgenbild zeigt sich die typische Abflachung des Köpfchens mit Verbreiterung der distalen Diaphyse und Metaphyse. Therapie Im akuten Stadium hilft eine Ruhigstellung im Gips. Schuheinlagen mit retrokapitaler Abstützung sind indiziert. Durch Anbohrung des nekrotischen Knochens kann versucht werden, die Revaskularisierung zu beschleunigen. Ist eine Arthrose mit Subluxation im Gelenk eingetreten, sind Einlagen oft nicht mehr wirksam. Subkapitale Verschiebe- oder Verkürzungsosteotomien können die Belastung des Köpfchens reduzieren und die Symptomatik der Metatarsalgie verbessern. Eine Köpfchenresektion ist den therapieresistenten Fällen vorbehalten (Abb. 31.6 a,b).
Abb. 31.6 a,b. Morbus Freiberg (Köhler II). a Osteonekrose des MT-II-Köpfchens bei einem 14-jährigen Jungen. b Ausheilung ein Jahr später mit Abflachung des MT-IIKöpfchens
Ursache und Häufigkeit Die Ätiologie der Osteochondrosis dissecans ist unklar. Wie bei den avaskulären Knochennekrosen werden genetische, endogene, infektiöse, ischämische und traumatische Faktoren diskutiert. Das indirekte oder direkte Trauma scheint aber eine bedeutende Rolle in der Pathogenese zu spielen. Da das wachsende Skelett besonders anfällig ist, geht man davon aus, dass durch Störungen der enchondralen Ossifikation, aus welchen Gründen auch immer, die mechanische Belastbarkeit der Epiphyse herabgesetzt ist. An den Prädilektionsorten entsteht ein Überlastungsschaden, der nur ungenügend oder gar nicht repariert werden kann, solange die mechanische Belastung anhält. Gelenkspezifische Belastungen sind für den Entstehungsort der Osteochondrosis dissecans entscheidend. Dies konnte biomechanisch an Tierversuchen demonstriert werden. Tangentiale Scherkräfte wirken im Sinne repetitiver Mikrotraumen auf die konvexen Gelenkenden ein und führen zur initialen subchondralen Läsion (Aichroth 1971; Andrews 1985; Barnes u. Tullos 1978; Fairbank 1933; Slocum 1968; Takahara et al. 1999). Die Abgrenzung zu lokalisierten Knochenaufbaustörungen, akzessorischen Ossifikationszentren oder fokalen epiphysären Dysplasien ist im Anfangsstadium oft schwierig, sodass ähnlich erscheinende Störungen mit der eigentlichen Osteochondrosis dissecans ver-
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
wechselt werden können (Bauer u. Ochsner 1987; Hefti et al. 1999; Schenk u. Goodnight 1996). Das häufige Auftreten von Irregularitäten der Ossifikation oder akzessorischen Knochenkernen brachte einige Autoren zur Überzeugung, dass diese den Anfang einer Osteochondrosis dissecans darstellen könnten (Ribbing 1955). Meist handelt es sich bei den betroffenen konvexen Gelenkenden um Areale, die Endstrecken der versorgenden Gefäße darstellen. Für den medialen Femurkondylus konnte nachgewiesen werden, dass der posterolaterale Anteil durch eine besonders langstreckig intraossär verlaufende Arterie versorgt wird, deren Versorgungsgebiet ungefähr der Ausdehnung des typischen Osteochondrosis-dissecans-Herdes entspricht (Lankes et al. 2000). Die Prävalenz beträgt etwa 20–30/100.000, wobei die Angaben hierzu in der Literatur schwanken. Am häufigsten betroffen ist das Kniegelenk (etwa 70%), gefolgt von Ellbogen- und Sprunggelenk. Der Befall anderer Gelenke ist selten, grundsätzlich kann eine Osteochondrosis dissecans aber an jedem Gelenk auftreten. Männliche Individuen sind 2- bis 3-mal häufiger betroffen als weibliche. Die Osteochondrosis dissecans betrifft häufiger sportlich aktive Kinder und Jugendliche (Hefti et al. 1999). Es besteht ein eindeutiger Altersgipfel zwischen 10 und 30 Jahren. Im Alter <10 und >50 Jahren ist die Osteochondrosis dissecans eine Rarität. Abhängig vom Alter unterscheidet man die juvenile von der adulten Form. Von der juvenilen Osteochondrosis dissecans (JOCD) spricht man bei Patienten mit noch offenen Wachstumsfugen im Alter bis etwa 11 Jahren bei Mädchen und etwa 13 Jahren bei Jungen (Cahill 1995; Hefti et al. 1999). Nicht selten ist die Entdeckung einer juvenilen Osteochondrosis dissecans ein radiologischer Zufallsbefund im Rahmen einer Traumaabklärung. Es ist nicht klar, wie vielen unentdeckten Osteochondrosis-dissecans-Herden diese Zufallsdiagnosen gegenüberstehen. Da es asymptomatische Verläufe gibt und ein Großteil der juvenilen Osteochondrosis dissecans mit einer Restitutio ad integrum abheilt, ist die tatsächliche Häufigkeit der Osteochondrosis dissecans wahrscheinlich höher, als bisher angenommen. Nach dem Epiphysenfugenschluss spricht man von der adulten Osteochondrosis dissecans. Betroffen sind vorwiegend Adoleszente und junge Erwachsene. Der natürliche Krankheitsverlauf führt unbehandelt häufig zu sekundär arthrotischen Veränderungen. Entwicklung und Wachstum Die Erkrankung beginnt mit einer Nekrose des subchondralen Knochens (Initialstadium). Die Ursache ist wie oben beschrieben unklar. Wenn die Reparationsversuche des umliegenden Knochens scheitern, entwickelt sich am Rande der Nekrose eine Sklerosierungszone (Sklerosierungsstadium). Es entsteht eine narbig fibröse Zwischenschicht, die den nekrotischen vom gesunden
Knochen trennt. Der Gelenkknorpel bleibt primär erhalten. Im weiteren Verlauf erweicht der Knorpel am Rand zur intakten Umgebung. Das Dissekat demarkiert sich. Diese zirkuläre Demarkation lässt sich arthroskopisch mit dem Tasthaken palpieren (Demarkationsstadium). Das Dissekat in situ wird zunehmend instabiler. Der Knorpel der Grenzzone reißt ein, und das Dissekat wird von Gelenkflüssigkeit unterspült. Jetzt befindet sich das Dissekat in Ablösung und ist als instabil zu bezeichnen. Es kann mit dem Tasttaken unterfahren und abgehoben werden. Zwischen Dissekat und Mausbett entsteht eine narbige Zwischenschicht. Löst sich das Dissekat ganz, liegt ein freier Gelenkskörper vor. Der subchondrale Defektgrund liegt frei und wird mit Bindegewebe überzogen. Der freie Gelenkkörper rundet sich an den Rändern ab. Da er über die Synovia weiter ernährt wird, kann er an Größe zunehmen. Die Unterteilung in eine juvenile und eine adulte Form ist hinsichtlich der Prognose von Bedeutung. Während die juvenile Form meist mit einer Restitutio ad integrum ausheilt ist, dies bei der adulten Form nicht zu erwarten. Die gute Prognose der juvenilen Osteochondrosis dissecans wurde in vielen Untersuchungen betont (Cahill 1995; Hefti et al. 1999; Mubarak u. Caroll 1981; Robertson et al. 2003; Twyman et al. 1991). Bleibt eine Heilung aus, wurde meist die empfohlene Belastungsreduktion bzw. Entlastung nicht eingehalten (Cahill 1995; Green u. Banke 1959; Schenk u. Goodnight 1996). In Langzeitnachuntersuchungen mit einem Follow-up bis zu 30 Jahren wurden bei konservativer Therapie der stabilen juvenilen Form keine sekundär arthrotischen Folgen gesehen (Green u. Banke 1959; Linden 1977). Die meisten Patienten mit der adulten Osteochondrosis dissecans sind jünger als 40 Jahre. Ein späteres Auftreten ist eine Rarität, aber grundsätzlich möglich. Man geht davon aus, dass in vielen Fällen die adulte Form eine bis dahin nicht voll ausgeheilte juvenile Osteochondrosis dissecans darstellt (Schenk u. Goodnight 1996). Es ist jedoch bewiesen, dass die Osteochondrosis dissecans auch im Erwachsenenalter neu entstehen kann (Cahill 1995). Bei der adulten Form ist die Prognose deutlich schlechter. Viele dieser Patienten mit stabiler Osteochondrosis dissecans verschlechtern sich ohne Therapie weiter. Im Folgenden wird die Osteochondrosis dissecans für die wichtigsten Gelenke separat besprochen.
31.2.1 Osteochondrosis dissecans am Kniegelenk Am Kniegelenk ist hautsächlich der mediale Femurkondylus erkrankt. Etwa 50% betreffen die »klassische« posterolaterale Region, etwa 20% den zentralen und 7% den medialen Anteil des medialen Femurkondylus. Sel-
31.2 Osteochondrosis dissecans
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tenere Lokalisationen sind der laterale Femurkondylus mit 16,5% und die Patella mit 6,5% (Hefti et al. 1999). Zu unterscheiden sind osteochondrale Frakturen im Rahmen direkter Traumen oder Luxation der Patella. Ob ein initiales Trauma oder repetitive Mikrotraumen bei der Entstehung der subchondralen Läsion eine hauptsächliche Rolle spielen, wird immer noch kontrovers diskutiert. Es werden erhöhte Scherbelastungen durch vermehrten Druck der Patella oder der Eminentia intercondylaris tibiae vermutet, die im Sinne einer Stressfraktur zur subchondralen Läsion führen sollen (Aichroth 1971; Fairbank 1933). Bis zu 40% der Patienten haben ein Trauma in der Vorgeschichte (Hefti et al. 1999; Linden 1977). Eine positive Familienanamnese wurde nur in 4,7% erhoben. Ein bilateraler Befall wurde bei Jugendlichen in 20–40% gesehen (Bruns 1997; Hefti et al. 1999; Mubarak u. Caroll 1981; Robertson et al. 2003). Die gute Prognose der juvenilen Osteochondrosis dissecans am Kniegelenk wird in der Literatur immer wieder betont. Allerdings fand sich in einer Nachuntersuchung von 509 Patienten (Hefti et al. 1999) immerhin in 22% der Patienten mit juveniler Osteochondrosis dissecans eine bleibende Störung am Knie. Unterschiede in der Prognose bestehen hinsichtlich der Befallsregion und der Ausdehnung des befallenen Bezirks. Die seltenere Lokalisation am lateralen Femurkondylus hat eine schlechtere Prognose. Je mehr die Osteochondrosis dissecans die Belastungszone betrifft, desto eher misslingt die knöcherne Reintegration (Twyman et al. 1991). Bei 40% der Patienten mit adulter Osteochondrosis dissecans ist mit einem bleibenden Knieschaden zu rechnen (Hefti et al. 1999). Bei instabiler Osteochondrosis dissecans tritt dann in nahezu allen Fällen eine sekundäre Arthrose auf (Aichroth 1971; Cain u. Clancy 2001; Lee et al. 1974; Linden 1977; Schenk u. Goodnight 1996; Abb. 31.7).
Diagnostik Klinisch Die klinische Symptomatik ist oft unspezifisch. Manchmal wird ein Reibe- oder Fremdkörpergefühl geäußert. Es kommt zu Blockierungen oder Einklemmungserscheinungen und Gelenkergüssen, die auf ein freies Gelenkfragment hinweisen. Aber auch bei nichtdislozierten Dissekaten werden solche Blockierungsphänomene beschrieben. Belastungsschmerzen sowie Schmerzen bei BeugeDreh-Belastung sind unspezifische Zeichen eines intraartikulären Prozesses. Wilson (1967) hat ein diagnostisches Zeichen bei der Osteochondrosis dissecans am medialen Femurkondylus beschrieben. Ausgehend von 90° Beugung wird das innenrotierte Knie langsam gestreckt. Mit zunehmender Steckung wird ein Schmerz empfunden, der sich nach Außenrotation im Knie wieder bessert. Radiologisch Röntgen. Die Röntgenaufnahme des Kniegelenks in den Standardebenen stellt die Basisdiagnostik dar. Bei weit dorsal gelegener Osteochondrosis dissecans empfiehlt sich zur besseren Darstellung die Tunnelaufnahme nach Frik. Durch diese Aufnahme mit gebeugtem Knie lässt sich die häufigste Läsion am posterolateralen Anteil des medialen Femurkondylus am besten darstellen. Im Frühstadium zeigt sich die Osteochondrosis dissecans als irregulär begrenzte ovaläre Aufhellungszone ohne sklerotische Begrenzungslinien. Dies wird häufig übersehen. Nach der Sklerosierung ist die Diagnose offensichtlich. Die normale oder sklerotische subchondrale Knochenzeichnung des Dissekats demarkiert sich mit einer Aufhellungslinie gegenüber der vermehrt sklerosierten Basis. Das Dissekat kann sich fragmentieren. Der darüber liegende Knorpel kann Kalkeinlagerungen zeigen. Radiologische Aufnahmen eignen sich zur Verlaufskontrolle. Soll aber die Stabilität des Dissekat beurteilt
medialer Femurkondylus
50%
lateraler Femurkondylus Abb. 31.7. Prozentuale Verteilung der OCD am Kniegelenk: Lokalisation der OCD in über 3 Viertel der Fälle am medialen Femurkondylus (nach Hefti et al. 1999)
16,5%
7%
20%
Patella
6,5%
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
werden, hat die Röntgendiagnostik ihre Grenzen. Etliche Autoren beschrieben die Diskrepanz zwischen radiologischen und arthroskopischen Befunden bei fraglich instabilen Dissekaten (Aichroth 1971; Bohndorf 1998; Schenk u. Goodnight 1996). Eine zuverlässige Aussage zur Stabilität kann anhand des Röntgenbildes nicht mit genügender Sicherheit getroffen werden. Magnetresonanztomographie. In der MRT lassen sich die Umbauvorgänge im subchondralen Knochen und im Knorpel am besten darstellen. Die Befunde bezüglich Stabilität des Dissekats und Intaktheit des knorpeligen Überzugs stimmen fast immer mit den arthroskopisch erhobenen Befunden überein. Intakter Knorpel, Kontrastmittelaufnahme der subchondralen Läsion und fehlende zystische Defekte signalisieren eine stabile Läsion, während Knorpeldefekte mit inkompletter oder kompletter Dislokation auf eine Instabilität hinweisen. Für die Stabilitätsbeurteilung entscheidend ist das Signalverhalten des Randsaums zwischen subchondralem Osteonekroseareal und angrenzendem Markraum (vgl. Tabelle 31.5). Die stabile Osteochondrosis dissecans zeigt einen fehlenden oder signalarmen Randsaum in der T1- und T2-Wichtung. Der Knorpel zeigt keine Unterbrechungslinie. Eine Signalanreicherung des Randsaums in der T2-Wichtung bei intaktem Knorpel entspricht einer Zwischenschicht aus Granulationsgewebe. Die instabile Osteochondrosis dissecans zeigt einen partiell oder komplett signalreichen Randsaum in der T1- und T2Wichtung als Zeichen der Flüssigkeitsansammlung unter dem Dissekat. Meist ist dann auch eine Unterbrechung im knorpeligen Überzug zu sehen (Bohndorf 1998; Bruns 1997; Diapola et al. 1991; Ettl et al. 2001; Jürgensen et al. 1996, 2002; O’Connor et al. 2002; Pill et al. 2003 a). Nach Refixation oder Knorpelersatzverfahren kann die Kontrolle durch die MRT erfolgen. Die diagnostische Arthroskopie zur Erfolgskontrolle wird dadurch zunehmend überflüssig (Alparslan et al. 2001; Bachmann et al. 1999). Szintigraphie. Die szintigraphische Untersuchung ist sehr sensitiv. Sie eignet sich für Verlaufskontrollen, hat aber den Nachteil der höheren Strahlenbelastung. Im Zeitalter der MRT besitzt sie daher keine vergleichbare diagnostische Relevanz. Klassifikation In der Literatur sind zahlreiche Klassifikationen zur Osteochondrosis dissecans veröffentlicht. Die meisten Klassifikationen beschreiben die unterschiedlichen Stadien der Osteochondrosis dissecans basierend auf dem jeweiligen diagnostischen Mittel, das zur Diagnose herangezogen wurde. Es werden teilweise bis zu 7 Stadien beschrieben. Die einzelnen Klassifikationssysteme sind untereinander nur bedingt zu ver-
gleichen, was auch den Literaturvergleich erschwert. Daher sind an dieser Stelle nur die nach Ansicht der Autoren für die Therapieentscheidung relevanten Einteilungen besprochen. Die Klassifikation von Guhl (1982) beschreibt das arthroskopische Erscheinungsbild der Osteochondrosis dissecans. In den Stadien I und II ist der Knorpelüberzug noch erhalten und das Dissekat stabil im Mausbett verankert. In den Stadien III und IV ist die Knorpelschicht unterbrochen, das Dissekat wird instabil (Tabelle 31.4). Einteilungen nach dem radiologischen Erscheinungsbild haben, wie oben angeführt, den Nachteil, dass die Stabilität aus dem radiologischen Erscheinungsbild nicht sicher zu beurteilen ist. Sie haben daher nur eingeschränkte therapeutische Relevanz und werden nicht weiter besprochen. Kramer et al. (2002) beschreiben 5 MRT-Stadien. Entscheidendes Kriterium ist die Signalgebung des abgrenzenden Randsaums zwischen Dissekat und vitalem Knochen. Bohndorf (1998) stellt eine eigene zweistufige Klassifikation mit darausfolgender Therapieempfehlung vor. Stadium I beschreibt die stabile Osteochondrosis dissecans mit intaktem Knorpel; die Behandlung erfolgt primär konservativ. Im Stadium II ist das Dissekat instabil oder der Knorpel geschädigt, meist ist eine operative Intervention indiziert (Bachmann et al. 1999; Jürgensen et al. 2002). In Tabelle 31.5 sind die Einteilungen nach Kramer und Bohndorf zusammengefasst. Therapie Eine kausale Therapie ist bisher nicht bekannt. Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach dem Alter des Patienten, dem Stadium der Erkrankung und der Lokalisation. Die Therapie der juvenilen Osteochondrosis dissecans ist primär konservativ, da in den überwiegenden Fällen ein stabiler Zustand (Stadium I und II) besteht. Bei Instabilität und drohender Ablösung ist eine operative Intervention angezeigt. Konservativ Im stabilen Stadium I und II (MRT-Stadium nach Kramer) wird konservativ behandelt. Unter konservativer Behandlung versteht man in erster Linie die Entlastung des betroffenen Beins.
Tabelle 31.4. Arthroskopische Einteilung der Osteochondrosis dissecans. (Nach Guhl 1982) Stadium
Definition
I II III IV
Intakter Knorpel, Knorpelerweichung Herd am Rand abgrenzbar, Knorpelaufbruch Teilweise Knorpelablösung (Türflügelphänomen) Komplette Ablösung, freies Dissekat
31.2 Osteochondrosis dissecans
CAVE
Tabelle 31.5. Übergeordnete Einteilung der OCD in »stabil« und »instabil« nach Bohndorf (1998) und MRT-Stadieneinteilung nach Kramer et al. (2002) Stadium nach Bohndorf (1998)
MRT-Stadium nach Kramer et al. (2002)
Definition des MRT-Stadiums nach Kramer
I (stabil)
I
Konservative Therapie
II
Signalarmer Fleck in der T1-SE, kein eigenständiger Grenzsaum, intakter Gelenkknorpel Signalarmer Grenzsaum zwischen Herd und Mausbett in der T1-SE und T2-SE, intakter Gelenkknorpel
II (instabil) Operative Therapie
III IV V
Signalarmer Grenzsaum in der T1-SE und partielle Signalanhebung in T2-SE Signalarmer Grenzsaum in der T1-SE und komplette Signalanhebung in T2-SE Freies Dissekat, leeres Mausbett
Eine Gipsruhigstellung sollte unterbleiben, da hierdurch die Gelenktrophik gestört und die Muskelatrophie verstärkt wird. Das Gelenk sollte entlastet, aber bewegt werden. Bei der juvenilen Form wird eine Sportkarenz oder Entlastung für 3 Monate empfohlen. Bei Persistenz der Beschwerden wird diese Zeit verlängert. Bevor man sich zu einem operativen Vorgehen entscheidet, sollte zuvor mindestens 6 Monate konservativ behandelt worden sein. Beim Adoleszenten oder Erwachsenen mit der adulten Form sollte nach 6–12 Wochen Entlastung eine Besserung erkennbar sein, anderenfalls ist eine Besserung unter konservativer Therapie nicht wahrscheinlich (Bruns 1997). Zu neuen Therapieansätzen mit durchblutungsfördernden Medikamenten, die bei den avaskulären Nekrosen erfolgreich durchgeführt wurden, fehlen bei der Osteochondrosis dissecans bislang Untersuchungen (Aigner et al. 2001; Petje et al. 2002; Abb. 31.8).
Operativ Bei fehlgeschlagener konservativer Therapie des Stadiums II und den instabilen Stadien III bis V nach Kramer wird eine operative Intervention empfohlen. Durch die MRT lässt sich das operative Vorgehen im Voraus planen. In den meisten Fällen ist eine differenzierte präoperative Aufklärung möglich. Dennoch sollte bei allen operativen Eingriffen ein arthroskopischer Gelenkbefund erhoben werden, um die MRT-Befunde zu verifizieren.
Abb. 31.8. Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus zur stabilen juvenilen Osteochondrosis dissecans (JOCD) des Kniegelenks
klinischer oder radiologischer Verdacht auf Osteochondrosis dissecans
stabil
Operative Therapie bei fehlgeschlagener konservativer Therapie im Stadium II nach Kramer – retrograde Knochenbohrung. Bei der stabilen Osteochondrosis dissecans, die keine Heilungstendenz zeigt, sind mit der Anbohrung und Durchbrechung der subchondralen Sklerosezone gute Erfolge erzielt worden (Müller u. Kohn 1999; Steadman et al. 1999). Bei Kindern sollte der intakte Knorpel nicht anterograd durchbrochen wer-
MRT Stadium I
MRT Stadium II
konservativ Sportkarenz Röntgenkontrolle nach 3 Monaten
konservativ Sportkarenz (Entlastung) für 3–6 Monate
klinische Besserung Sportkarenz für weitere 3 Monate
klinisch gleich oder Verschlechterung MRT-Kontrolle
MRT Stadium II Arthroskopie
retrograde Anbohrung
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
den. Bei stabilem Dissekat und erhaltenem Knorpelüberzug empfiehlt sich daher ein retrogrades Vorgehen. Von manchen Autoren wird bei großer subchondraler OCD-Zone eine retrograde Ausräumung und Spongiosaplastik propagiert. Ein Vorteil dieses Verfahrens gegenüber der alleinigen retrograden Anbohrung wurde bisher nicht nachgewiesen (Abb. 31.9 a,b, Abb. 31.10 a–c). Operative Therapie bei instabilem oder gelöstem Dissekat (Stadium III bis V) – Refixation des Dissekats und Anbohrung des Mausbetts bei erhaltenem Gelenkknorpel. Die alleinige Entfernung des Dissekats führt zur sekundären Arthrose (Davids et al. 1996). Bei Kindern sollte unbedingt eine Refixation versucht werden (Abb. 31.11). Befindet sich das Dissekat bereits im Stadium der Ablösung oder ist bereits gelöst, muss anterograd vorgegangen werden. Bei partieller Lösung wird nach Aufklappen des Dissekats das subchondral sklerosierte Mausbett anterograd angebohrt. Nekrotisches Gewebe wird entfernt. Im Mausbett sollten Blutungen sichtbar werden, um sicher zu sein, dass eine genügende Perforation der Sklerosezone erfolgt ist. Um dies zu überprüfen, kann es notwendig sein, die Blutsperre zu öffnen. Entsteht eine subchondraler Defekt, kann mit Spongiosa aus der Kondylenwange unterfüttert werden. Das freie Dissekat kann unter Umständen an Größe zugenommen haben, sodass es erst nach Zurichtung wieder in sein ursprüngliches Bett hineinpasst. Zur Refixation stehen verschiedene Materialien zur Verfügung. Neben Schrauben und kortikalen Knochenspänen aus der Tibia werden zunehmend bioresorbierbare Materialen verwendet. Mit den seit kurzem verwendeten bioresorbierbaren Stiften sind gute Ergebnisse
Abb. 31.10 a–c. OCD-Stadium II nach Kramer. 14-jähriger Junge mit persistierenden Schmerzen im rechten Knie, trotz 3 monatiger Entlastung und 3 -monatiger Sportkarenz. a STIR-Sequenz koronar und sagittal: Demarkierungslinie zwischen nekrotischem und vitalem Knochen »Doppellinienzeichen« – die signalreiche Linie entspricht einer reaktiven Zone, die signalarme Linie einer Sklerose, der Knorpel ist intakt (MRT-Stadium II nach Kramer). b T1-gewichtete Sequenz: das Fettsignal innerhalb des OD-Areals ist z. T. erhalten. c Arthroskopisch OCD-Typ I nach Guhl mit Knorpelerweichung bei intakter Oberfläche. Indikation zur retrograder Anbohrung aufgrund der persistierenden Schmerzen
a
b
Abb. 31.9 a,b. Schematische Darstellung der retrograden Anbohrung des OCD-Herdes am Kniegelenk. Die Sklerosierungszone des Mausbetts sollte mehrmals perforiert werden. Dies lässt sich mit dem Röntgenbildverstärker kontrollieren. Der Knorpel sollte nicht verletzt werden
31.2 Osteochondrosis dissecans instabil
klinischer oder radiologischer Verdacht auf Osteochondrosis dissecans
MRT Stadium III–V Arthroskopie
CAVE
Knorpel des Dissekats intakt Refixation
!
Chondomalazie des Disesekats OATS? ACT? anterograde Anbohrung?
erzielt worden. In einer retrospektiven Studie waren die Ergebnisse nach Refixation mit bioresorbierbaren Stiften verglichen mit Refixation durch Knochenspäne aus der Tibiakortikalis gleichwertig (Tuompo et al. 2000). Nur bei großen Dissekaten kommen Schrauben zum Einsatz. Neben dem Defekt des Schraubeneintrittlochs besteht bei Schraubenfixation die Gefahr des Knorpelabriebs durch den hervorstehenden Schraubenkopf. Die wahre Knorpeldicke des oft ödematös verquollenen Dissekats kann täuschen, sodass nach Abschwellung der Schraubenkopf aus dem Knorpel hervorsteht. Auf jeden Fall sollte die Schraube unter Knorpelniveau versenkt werden und die Metallentfernung so früh als möglich erfolgen. Im arthroskopischen Stadium IV ist der Knorpel oft schon stark degenerativ verändert, das Dissekat kann in einzelne Teile fragmentiert sein. Ob eine Refixation solcher Fragmente noch sinnvoll ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Im Zweifelsfall sollte bei Kindern eine Refixation versucht werden. Eine Entlastungsphase von bis zu 3 Monaten ist zur vollständigen Einheilung notwendig. Osteochondrale Autograft-Transplantation (OATS) bei zerstörtem Gelenkknorpel. Ist das Dissekat zerstört, sollte das Ziel sein, den Defekt möglichst mit hyalinem Knorpel auszufüllen und die Kongruenz der Gelenkflächen wiederherzustellen. Das operative Vorgehen richtet sich nach der Größe des Defekts und der abgeschätzten zukünftigen Beanspruchung. Bei Kindern und Jugendlichen ist grundsätzlich von einer hohen Beanspruchung auszugehen. Defekte >2 cm2 werden zur Zeit am sinnvollsten durch eine osteochondrale autologe Transplantation (OATS) versorgt. Ab einer Defektgröße von 6 cm2 muss das kontralaterale Kniegelenk als zusätzliche Spenderquelle dienen (Imhoff et al. 1999; Tabelle 31.6). Die OATS ist ein Verfahren zur Verpflanzung von hyalinen Knorpel-Knochen-Zylindern aus einer relativ wenig belasteten Zone (Spenderzone) des Kniegelenks
Abb. 31.11. Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus zur instabilen juvenilen Osteochondrosis dissecans (JOCD) des Kniegelenks
Tabelle 31.6. Operatives Vorgehen in Abhängigkeit von der Größe des Knorpeldefekts Defekt <2 cm2 Defekt 2–6 cm2 Defekt >6 cm2
Anterograde Anbohrung, Mikrofracturing OATS ACT
in den Bereich des osteochondralen Defekts in der Belastungszone (Empfängerzone). Die OATS-Technik lässt sich arthroskopisch oder durch eine lokalisierte Arthrotomie durchführen. Die Auswahl der Entnahmestelle ist von entscheidender Bedeutung; dies ist vor allem bei der arthroskopischen Technik anspruchsvoll. Der Krümmungsradius des Spenderknorpels sollte möglichst genau dem des Defekts entsprechen. Der Entnahmehohlbohrer muss orthograd aufgesetzt werden, sonst entstehen Inkongruenzen, die das Ergebnis verschlechtern. Es gibt eine Reihe von Instrumentarien zur Zylinderentnahme. Das gemeinsame Prinzip ist die möglichst schonende Entnahme des Transplantats und Platzierung im Defektloch in »Press-fit-Technik«. Daher hat der Spenderzylinder einen um etwa 0,3 mm größeren Durchmesser. Die typische Entnahmestelle ist der nur gering belastete Rand des medialen und lateralen Femurkondylus. Weitere Lokalisationen sind der posteriore mediale und laterale Femurkondylus, diese sind jedoch nur über eine dorsale Arthrotomie erreichbar (Horas et al. 2003). Durch das nur begrenzt zur Verfügung stehende autologe Gewebe sind mit der OATS-Technik Defektversorgungen nur bis zu 6 cm2 möglich. Die Morbidität im Entnahmegebiet steigt mit der Anzahl der entnommenen Spenderzylinder und beeinflusst dadurch das Gesamtergebnis. Die OATS-Technik erfordert präzises Arbeiten. Die Fehlermöglichkeiten, Gefahren und Komplikationen sind nicht unerheblich. Neben den allgemeinen Operationsrisiken stehen Schädigungen des Knorpels bei Transplantatentnahme oder Implantation, Inkongruenzen der Knorpeloberfläche, Beschwerden im Bereich
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
der Entnahmestelle, chronische Reizzustände und Bewegungseinschränkungen im Vordergrund (Tabelle 31.7). Die Bewegungsbehandlung mittels »continous passive motion« (CPM) hat sich in der postoperativen Phase bewährt. Durch einen intraoperativ verabreichten Beinblock kann der postoperative Schmerzmittelverbrauch erheblich reduziert werden. Begleitend beginnt die isometrische Übungsbehandlung und aktive Beübung durch die Physiotherapeuten. Dies ist deshalb wichtig, da nach etwa 5 Tagen CPM-Behandlung die aktive Muskelansteuerung verlernt wird. Je nach Defektgröße schwanken die Empfehlung zur Entlastung zwischen 3 und 6 Wochen. Sportliche Aktivitäten sollten frühestens 3 Monate postoperativ begonnen werden. Die bisherigen Studien zeigen eine hohe Patientenzufriedenheit und gute mittelfristige Ergebnisse (Barthfield u. Beighton 1978; Bobic 1999; Burkhardt et al. 2001; Horas u. Schnettler 2002; Imhoff et al. 1992; Laprell u. Petersen 2001; Schöttle et al. 2001). Kontrollierte prospektive Untersuchungen sind nicht veröffentlicht (Abb. 31.12 a–e). Autologe Chondrozytentransplantation (ACT). In den letzen Jahren wurden zunehmend biologisch aktive Materialien zur Defektdeckung eingesetzt. Perichondrium oder Periost haben eine proliferative Kapazität Knorpelsubstanz zu bilden, besitzen aber den Nachteil, dass der Defekt langsam aufgefüllt wird und die dreidimensionale Architektur des Knorpels nicht in ausreichendem Maße wiederhergestellt wird. Es entsteht minderwertiger Ersatzknorpel. Mittelfristige Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend (Angermann et al. 1998). Durch Einbringen von autolog gewonnenen und in vitro vermehrten Knorpelzellen wurden kurz- bis mittelfristig überwiegend gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt. Der Defekt wird mit einem Periostlappen wasserdicht verschlossen und die Zellen unterspritzt. Diese Technik wird bisher nur in wenigen Zentren angewandt. Langzeitergebnisse liegen noch nicht vor (Brittberg 2001; Brittberg et al. 2001; Burkhardt et al. 2001; Cartilage Repair Registry 1998; Horas et al. 2003; Löhnert et al. 1999; Peterson et al. 2000).
Die klinischen Ergebnisse einer Nachuntersuchung von 94 Patienten 2–9 Jahre nach ACT ergab vorwiegend gute bis sehr gute Resultate, arthroskopisch fand sich eine gute Ausfüllung des Defekts. In der histologischen Untersuchung wurde hyalinähnlicher Knorpel mit TypII-Kollagen-Anteilen gefunden (Peterson et al. 2000). In einer prospektiven vergleichenden Untersuchung zeigten sich nach 2 Jahren ähnlich gute klinische Ergebnisse nach ACT und OATS. Histologisch wurde bei der ACT nur wenig hyaliner Knorpel und vorwiegend faserknorpelähnliches Gewebe gefunden, während die osteochondralen Zylinder ihren hyalinen Knorpelcharakter behielten (Horas et al. 2003). Neuere Techniken mit einem Kollagenvlies als Trägermedium der kultivierten Chondrozyten haben kurzfristig ebenfalls ermutigende Ergebnisse gezeigt. Möglicherweise kann hiermit die dreidimensionale Struktur des hyalinen Knorpels besser nachgeahmt werden. Kontrollierte prospektive Studien zur Knorpelersatzchirurgie liegen nicht vor. Anterograde Anbohrung und Microfracturing. Durch anterogrades Anbohren oder Mikrofracturing der freiliegenden Sklerosezone und dadurch Eröffnen des Knochenmarkraums werden Mediatoren und pluripotente Stammzellen freigesetzt, die einen Reparationsvorgang einleiten. Es bildet sich ein Fibrinpropf, der den Defekt ausfüllt und im weiteren Verlauf zu Ersatzknorpel differenziert (Guhl 1982; Schenck u. Goodnight 1996; Steadman et al. 1999). Dieser ist aber in seinen biomechanischen Eigenschaften dem hyalinen Knorpel unterlegen (Müller u. Kohn 1999; Patel et al. 1998). Bei tiefen Defekten bleibt oft auch eine Inkongruenz zurück. Daher ist dieses Verfahren nur für kleine Defekte <2 cm2 geeignet. Bei Kindern findet es selten Anwendung. Allografts. Über die Verwendung von Allografts bei der Behandlung der Osteochondrosis dissecans sind bisher keine überzeugenden Ergebnisse veröffentlicht. Sie sind bei Kindern und Jugendlichen schon wegen der Ungewissheit übertragbarer Erkrankungen obsolet. Achskorrektur, Achsumstellung. Liegt eine für die OCD-Zone ungünstige Achsfehlstellung vor, sollte diese
Tabelle 31.7. Fehler, Gefahren und Komplikationen bei OATS am Knie Fehler, Komplikation
Mögliche Folgen
Unterschiedlicher Krümmungsradius von Transplantat und Defekt, nicht orthograd gestanzt Zu kurzer, zu tief implantierter Spenderzylinder Zu langer, hervorstehender Spenderzylinder Entnahmestelle in belasteter retropatellarer Zone Zwischenraum zwischen Zylindern zu groß Zylindernekrose Chronischer Gelenkerguss, Hämarthros
Inkongruenz Inkongruenz, bindegewebige Ausfüllung des Defekts Inkongruenz, Gelenkstufe Retropatellare Schmerzen, Arthrose Bindegewebige Ausfüllung, Umbau zu Faserknorpel Defekt, Arthrose Arthrofibrose, Bewegungseinschränkung
31.2 Osteochondrosis dissecans
c Abb. 31.12 a–e. OATS bei instabiler OCD im MRT-Stadium IV und zerstörtem Knorpel. a Röntgenbild einer 16-jährigen Patientin mit einer OCD des medialen Femurkondylus rechts. b Die MRT zeigt eine OCD im MRT-Stadium IV. Der Knorpel ist ausgedünnt, das
Dissekat unterspült. Deutliches Knochenmarködem im medialen Femurkondylus. c Schematische Darstellung der OATS am Kniegelenk. Entnahme des Zylinders am Rand des medialen Femur. (Blau = Entnahmestelle für den Zylinder, Rot = Transplantationsstelle)
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter Abb. 31.12 a–e. OATS bei instabiler OCD im MRTStadium IV und zerstörtem Knorpel. d Röntgen 6 Monate nach osteochondraler Transplantation: guter Einbau des Transplantats. Noch erkennbarer Defekt in der Spenderzone (schwarzer Pfeil). e MRT 6 Monate nach osteochondraler autologer Transplantation: knöchern integriertes Transplantat, Knorpelüberzug intakt, noch Defektveränderungen in der Spenderzone (weiße Pfeile)
zur Verbesserung der mechanischen Situation behoben werden. Bei Varusfehlstellung ist eine valgisierende Achsumstellung sinnvoll. Bei Kindern sollten solche Maßnahmen allerdings reiflich überlegt werden. Das noch zu erwartende Wachstum muss in die Überlegungen mit einbezogen werden. Iatrogene Überkorrekturen können sich mit weiterem Wachstum verstärken.
31.2.2 Osteochondrosis dissecans am Talus Ursache und Häufigkeit Die Osteochondrosis dissecans am Sprunggelenk zeigt eine Inzidenz von etwa 0,09% in der Gesamtbevölkerung. Sie ist in etwa 80% im mittleren oder hinteren Anteil der medialen Talusrolle lokalisiert. Betroffen sind meist Kinder und Jugendliche >10 Jahren und junge Erwachsene.
Der Erkrankung geht häufig ein Supinationstrauma voraus. Meist erinnern sich die Patienten erst nach Befragen an ein solches Trauma, da es oft ohne unmittelbare Folgen bleibt. Gelegentlich weisen im Röntgenbild Residuen nach knöchernen Bandausrissen auf vorhergegangene Traumen hin. Als prädisponierende biomechanische Faktoren erscheinen erhöhte sportliche Aktivität, Übergewicht und Bandlaxizität. Vaskuläre, genetische oder stoffwechselbedingte Faktoren spielen am Talus eher eine untergeordnete Rolle. Bei Supination des plantar flektierten Fußes kommt der dorsomediale Anteil des Talus mit der Hinterkante der Tibia in Kontakt. Man geht davon aus, dass repetitive Mikrotraumen zu einer chronischen osteochondralen Läsion führen. Auch an der lateralen Taluskante kann eine Osteochondrosis dissecans auftreten. Häufiger sind dort aber akute osteochondrale Läsionen, die durch einen Abschermechanismus der antero-
31.2 Osteochondrosis dissecans
lateralen Talusrolle an der Fibula bei Inversion des dorsal flektierten Fußes verursacht werden (Josten u. Rose 1999; Steinhagen et al. 2001). Entwicklung und Wachstum In der Literatur werden akute und chronische osteochondrale Läsionen oft gemeinsam besprochen. Sie unterscheiden sich aber nicht nur im Entstehungsmechanismus, sondern auch hinsichtlich der Prognose. Die klassische dorsomediale Osteochondrosis dissecans stellt sich als muldenförmige subchondrale Läsion dar. Die Stadien sind mit denen am Kniegelenk vergleichbar. Über die Faktoren, die den natürlichen Verlauf der Erkrankung bestimmen, ist wenig bekannt. Es scheint, dass spontane Reparationsvorgänge bei entsprechendem Schutz zu einer Ausheilung führen können. Die Prognose kann besser eingeschätzt werden, wenn Größe und Kontrastmittelaufnahme der Osteochondrosis dissecans sowie der Zustand des Gelenkknorpels in der MRT beurteilt werden. Je kleiner das betroffene Areal und je jünger der Patient, desto besser ist die Prognose. Die Heilungschancen der klassischen medialen Osteochondrosis dissecans sind auch im MRTStadium III nach Kramer et al. (2002) noch gut. Bleiben die pathogenetisch angenommenen Traumatisierungen bestehen, kann das Dissekat nicht wieder integriert werden. Die Lösung als freier Gelenkkörper, der refixiert werden kann, ist selten (Bachmann et al. 1999). Meist verschleißt das Dissekat im Mausbett, es entsteht ein Knorpelschaden und Knochenkrater. Die laterale osteochondrale Läsion ist häufig auf ein akutes Trauma zurückzuführen. Die Abgrenzung der Osteochondrosis dissecans von der akuten osteochondralen Läsion ist schwierig. Die akute anterolaterale osteochondrale Läsion verursacht eher eine waffelförmige (»wafer-shaped«) Abscherung der Taluskante. Entsprechende Symptome wie Hämarthros, akuter Gelenkschmerz und Bewegungseinschränkung sprechen für das Vorliegen einer echten Gelenkfraktur. In der Literatur wird die Heilungschance der lateralen osteochondralen Läsion deutlich pessimistischer gesehen als die der medialen (Bernt u. Harty 1959; Schenck u. Goodnight 1996; Steinhagen et al. 2001). Diagnostik Die klassische mediale Osteochondrosis dissecans verläuft in den Anfangsstadien symptomarm. Häufig ist sie ein so genannter Zufallsbefund bei radiologischer Abklärung eines Distorsionstraumas. Die Beschwerden imponieren stadiumabhängig als Reibegefühl, Heißlaufen oder Schmerzen nach längerer Belastung auf unebenem Grund. Typisch ist der plötzlich einschießende Schmerz bei Belastung. Seltener treten echte Gelenkblockierungen oder Einklemmungen auf. Bei der Untersuchung findet sich oft kein auffallender Befund. Unspezifische Symptome sind die Gelenkschwellung, der Bewegungsschmerz und der lokale Druckschmerz am Talus.
Wie beim Kniegelenk wird auch hier die klassische radiologische Diagnostik zunehmend durch die MRT ergänzt. Entsprechend dem vergleichbaren stadienhaften Verlauf sind dieselben Phänomene wie am Kniegelenk zu beobachten. Klassifikation Die klassische Einteilung der Osteochondrosis dissecans am Talus geht auf Bernt u. Harty (1959) zurück. Durch die bessere Beurteilung in der MRT hat sie für die Therapieentscheidung an Bedeutung verloren. Da sie die Grundlage der meisten Nachuntersuchungen darstellt, ist sie hier in Tabelle 31.8 dargestellt. Die beim Kniegelenk näher beschrieben MRT-Klassifikation nach Kramer eignet sich auch für den Talus. Die MRT-Grobeinteilung in »stabil und instabil« ist am Talus ähnlich zuverlässig wie beim Kniegelenk (Bohndorf 1998; Jürgensen et al. 1996, 2002; Koch et al. 1997; vgl. Tabelle 31.5). Therapie Konservativ In den MRT-Stadien I und II wird konservativ behandelt. Bei Kindern sollte aufgrund der guten Heilungschancen auch noch im Stadium III ein konservativer Behandlungsversuch unternommen werden. Die konservative Behandlung besteht in Gewichtsentlastung. Die Dauer kann bei Kindern 3–6 Monate betragen. Bei Erwachsenen sollte sie 6–8 Wochen nicht überschreiten, da danach keine weitere Verbesserung zu erwarten ist. Zur Erleichterung der Entlastung hat sich die Anwendung einer Orthese mit PTB-Abstützung – wie z. B. Sarmiento-Brace oder Allglöwer-Gehapparat – bewährt, da hiermit eine Entlastung ohne Stützkrücken möglich ist. Eine Sportkarenz bis zur vollständigen Ausheilung und ggf. Sprunggelenkbandagen zur Verhinderung von Supinationstraumen sind sinnvoll. Nach längerer Entlastung ist ein propriozeptives Training wichtig, da durch die Schonungsphase das Risiko für neuerliche Umknicktraumen steigt. Operativ Die operativen Techniken sind im Grundsatz beim Kniegelenk bereits beschrieben worden. Tabelle 31.8. Radiologische Einteilung der Osteochondrosis dissecans am Talus. (Nach Bernt u. Harty 1959) Stadium
Definition
I
Subchondrale Kompression, kein sichtbares Fragment Sichtbares Fragment mit partieller knöcherner Verbindung Komplett gelöstes Fragment im sklerosierten Knochenkrater Freier Gelenkkörper
II III IV
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
Wie beim Kniegelenk ist die Arthroskopie das erste Mittel zur Überprüfung der in der MRT diagnostizierten Läsion. Die meisten Läsionen sind arthroskopisch erreichbar und beurteilbar. Aufgrund der anatomischen Nähe zu neurovaskulären Strukturen ist ein vorsichtiges Vorgehen angezeigt. Tritt auf konservative Maßnahmen im Stadium I bis III keine Heilung ein, wird die subchondrale Sklerosezone retrograd angebohrt. Dies ist perkutan unter Röntgenbildverstärker möglich. Der Knorpel sollte möglichst nicht perforiert werden (Abb. 31.13 a–d).
Für das anterograde Vorgehen bei Dissekation oder zerstörtem Knorpel ist die Lokalisation entscheidend. Ventrale Herde sind durch eine einfache Arthrotomie gut zugänglich. Bei medialer oder dorsomedialer Lage muss abgeschätzt werden, ob der Bezirk durch maximale Plantarflexion ausreichend unter der Tibia nach vorne gebracht werden kann. Wenn die Wachstumsfugen geschlossen sind, kann durch eine Innenknöchelosteotomie der mediale und dorsomediale Talus gut erreicht werden. Der retromalleoläre Zugang bietet
Abb. 31.13 a–d. Retrograde Anbohrung bei JOCD-Stadium III nach Kramer der medialen Talusrolle. a Radiologisch deutlich erkennbare osteochondrale Läsion an der medialen Talusrolle rechts. In der MRT (nicht abgebildet) zeigte sich ein OCD-Stadium III nach
Kramer. b Arthroskopischer Befund rechts: Der Knorpelüberzug ist unterbrochen und lässt sich mit dem Tasthaken abheben. Arthroskopischer Befund links: Die oberflächlich losgelösten Schichten wurden sparsam geglättet
CAVE
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31.2 Osteochondrosis dissecans
Abb. 31.13 a–d. Retrograde Anbohrung bei JOCD-Stadium III nach Kramer der medialen Talusrolle. c Retrograde Anbohrung des OCD-Herdes. d Wiederaufbau des Knochens im Röntgen nach 6 Monaten. Der Patient ist beschwerdefrei
weniger Einsicht ins Gelenk. Er ist nur bei weit dorsal gelegenen Läsionen zu erwägen. Bei der selteneren lateralen Lokalisation muss evtl. die Fibula osteotomiert werden, um einen orthograden Zugang zum Talus zu erhalten. Wie beim Kniegelenk kann mit einem osteochondralen autologen Transplantat (OATS) die Gelenkfläche wiederhergestellt werden (Bruns 1997; Hangody et al. 2001; Imhoff et al. 1992, 1999; Schöttle u. Imhoff 2002). Hierfür wird der Spenderzylinder aus dem Kniegelenk entnommen. Auf die Problematik der Morbidität am Entnahmeort wurde beim Kniegelenk bereits hingewiesen. Dennoch sind die bisherigen Berichte ermutigend, da der Vorteil für das Sprunggelenk überwiegt (Al-Shaikh et al. 2002; Imhoff et al. 1999; Schöttle u. Imhoff 2002).
Über autologe Chondrozytentransplantation am Talus ist bisher keine verlässliche Studie publiziert. Nachbehandlung, Follow-up, Spätkomplikationen Nach OATS, ebenso wie nach Anbohrung, sollte das Gelenk für 6 Wochen entlastet werden. In weiteren 6 Wochen wird stufenweise die Belastung wieder aufgebaut. Eine Ruhigstellung ist aus Sicht der Knorpelernährung ungünstig. Bis zur Ausheilung sollte in 3- bis 6-monatigen Abständen kontrolliert werden.
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
31.2.3 Osteochondrosis dissecans am Ellbogen Ursache und Häufigkeit Die Osteochondrosis dissecans des Ellbogens tritt bei Jugendlichen >12 Jahren und jungen Erwachsenen auf. Sie betrifft das Capitulum humeri, sehr selten den Radiuskopf oder die Trochlea humeri. Die Inzidenz unterliegt starken regionalen Schwankungen, was unmittelbar mit den ursächlichen Faktoren der Erkrankung zusammenhängt. Trauma oder repetitive Mikrotraumen wurden in vielen Untersuchungen als ätiologischer Hauptfaktor identifiziert. Im amerikanischen Sprachraum ist die Erkrankung unter dem Namen »little leaque ellbow« bekannt, da sie unter jugendlichen Baseballspielern außerordentlich häufig auftritt (Andrews 1985; Barnes u. Tullos 1978). Biomechanische Untersuchungen beschreiben eine valgisierende Krafteinwirkung im Ellbogengelenk während des Wurfs, die zu einer erhöhten Kompression im humeroradialen Gelenkraum führen soll. Der repetitive Anprall des Radiuskopfes am Capitulum humeri soll zur subchondralen Läsion im Sinne einer Stressfraktur führen. Andauernde Scherbelastungen haben dann die Ablösung eines osteochondralen Fragments zur Folge (Fleisig u. Andrews 1995). Entwicklung und Wachstum Die Erkrankung beginnt mit einer Abflachung des subchondralen Knochens am Capitulum humeri. Der Knorpel darüber ist verbreitert. Über dem abgeflachten Knochen entsteht anschließend eine Zone der Verknöcherung, die entweder am subchondralen Knochen Anschluss findet und zur Heilung führt, oder sich demarkiert und ein Dissekat bildet. Das Capitulum humeri ist bevorzugt in dem Gelenkanteil betroffen, der zwischen 30°- und 90°-Beugung mit dem Radiuskopf artikuliert (Takahara et al. 1999). Die Vorgänge, die zur Dissekation führen, sind noch nicht geklärt. Entscheidend für die Prognose erscheint die frühe Diagnose und das Meiden der schädigenden Belastung. Die Chance auf Ausheilung ist bei Fortführen der sportlichen Aktivität deutlich geringer (Schenck u. Goodnight 1996). Die Blutzufuhr zum Capitulum humeri wird vorwiegend durch eine von dorsal gespeiste Arterie gewährleistet. Im Kindesalter ist sie funktionell eine Endarterie, da bei offenen Epiphysenfugen keine ausreichenden Kollateralen zur Verfügung stehen. Ist eine Dissekation eingetreten, ist in der Hälfte der Fälle mit einer bleibenden Beeinträchtigung zu rechnen (Takahara et al. 1999). Arthrotische Veränderungen sind häufig. Funktionelle Einschränkungen betreffen vor allem die Extension, die in vielen Fällen eingeschränkt bleibt. Rezidivierende Bewegungsblockierungen sind bei freien Gelenkkörpern häufig (Bauer et al. 1992;
McManama et al. 1985). Bei großen Defekten oder Wachstumsstörungen des Capitulums kann die Stabilität im Humeroradialgelenk verloren gehen, bei 2 Dritteln der Patienten kommt es zu einer Vergrößerung des Radiusköpfchens. In einigen Fällen ist eine Subluxation, selten eine Luxation des Radiusköpfchens zu beobachten (Bauer et al. 1992; Klekamp et al. 1997; Ruch et al. 1998). Zu unterscheiden ist die avaskuläre Osteonekrose des Capitulum humeri (Morbus Panner), die dem Morbus Perthes am Hüftgelenk entspricht. Haupterkrankungsalter ist das Kindesalter zwischen 4 und 8 Jahren. Die Osteonekrose betrifft das gesamte Capitulum humeri, ist selbstlimitierend und heilt bei rechtzeitiger Sportkarenz meist ohne Folgen aus (Schenck u. Goodnight 1996). Diagnostik Der Jugendliche mit einer Osteochondritis dissecans am Ellbogen klagt über Schwellneigung, Bewegungsschmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit. Die Beschwerden können langsam als stumpfer diffuser Schmerz im Ellbogen beginnen. Etwa 20% haben anamnestisch ein Trauma erlitten (McManama 1985). Nicht selten wird die schon fortgeschrittene Erkrankung erst durch das Loslösen eines Dissekats diagnostiziert. Radiologisch Röntgen. Die Standardaufnahmen a.-p. und seitlich reichen zur Diagnose einer fortgeschrittenen Osteochondrosis dissecans aus. Im Anfangsstadium ist die nur leichte Abflachung des subchondralen Knochens jedoch schwieriger zu erkennen. Bei entsprechender klinischer Symptomatik empfiehlt sich eine Aufnahme in 45° Flexion im Ellbogen. Freie Gelenkkörper werden röntgenologisch nicht immer erkannt. Häufig findet sich eine Gelenkspaltverschmälerung, Abflachung des Capitulums und eine Vergrößerung des Radiuskopfes. Magnetresonanztomographie. Die Standardsequenzen entsprechen denjenigen beim Kniegelenk. Bei unklaren radiologischen Befunden ist die MRT das Mittel der Wahl. Kleine freie Gelenkkörper können auch in der MRT nur schwer identifiziert werden, insbesondere wenn es sich um vorwiegend chondrale Fragmente handelt (Abb. 31.14 a–d). Klassifikation Eine allgemein gebräuchliche Klassifikation ist nicht veröffentlicht. Aus therapeutischer Sicht erscheint eine Einteilung in frühe und fortgeschrittene Veränderungen sinnvoll, da sich die Prognose deutlich unterscheidet. Frühe radiologische Veränderungen sind die Abflachung des Capitulums ohne Fragmentierung. Fortge-
31.2 Osteochondrosis dissecans
Abb. 31.14 a–d. OCD am Ellbogen. a Röntgenbild einer OCD am Capitulum humeri rechts bei einem 16-jährigen Jungen. b Im MRTStadium IV nach Kramer; die Knorpelschicht ist unterbrochen, das vorwiegend chondrale Fragment komplett gelöst. c Der freie Gelenkkörper wurde arthroskopisch entfernt. d Ausheilung der OCD 18 Monate später mit Verkleinerung und Abflachung des Capitulums. Der Radiuskopf ragt nach radial über
schrittene Veränderungen zeigen sich in Demarkation und Fragmentierung des Dissekats (Takahara et al. 1999). Therapie Prospektive kontrollierte Studien zur Therapie sind nicht veröffentlicht. Der Schlüssel zum guten Behandlungsergebnis liegt in der Früherkennung. Frühe Veränderungen werden konservativ behandelt. Dies bedeutet in erster Linie Sportkarenz und keine belastenden Tätigkeiten bis zur Ausheilung. Ob fortgeschrittene Veränderungen ohne Loslösung des Dissekats durch einen operativen Eingriff profitieren, wird kontrovers diskutiert. Die meisten Autoren befürworten ein konservatives Vorgehen.
Liegen abgerundete freie Gelenkkörper vor, sollten diese entfernt werden (Bardley u. Petrie 2001; McManama et al. 1985; Ruch et al. 1998; Stubbs et al. 2001). Der Vorteil einer Arthroskopie liegt in der Möglichkeit der genauen Inspektion des Gelenkraums. Kleine freie Gelenkskörper können arthroskopisch entfernt werden. Für größere oder dorsal gelegene Fragmente genügt meist eine lokale Arthrotomie lateral oder dorsolateral. Im Einzelfall kann eine Refixation von losgelösten Dissekaten sinnvoll sein. Die Berichte darüber betreffen jeweils kleine Patientenzahlen (Kuwahata u. Inoue 1998). Da sich in Langzeitnachuntersuchungen in der Hälfte der Fälle sekundär arthrotische Zeichen nachweisen ließen, empfehlen einige Autoren, den Defekt anzubohren (McManama et al. 1985). Dies erscheint durch die
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Kapitel 31 Osteochondrosen im Kindes- und Jugendalter
CAVE
positiven Erfahrungen beim Knie- und Sprunggelenk sinnvoll, Studien über positive Auswirkungen des Anbohrens auf den Heilverlauf am Ellbogen wurden bisher jedoch nicht veröffentlicht. Über osteochondrale Transplantationen am Ellbogen gibt es keine Studien. Nachbehandlung, Follow-up, Spätkomplikationen Eine Ruhigstellung des Ellbogens sollte unterbleiben, da hierdurch Kontrakturen provoziert werden. Intensive Physiotherapie ist bei jeder verbliebenen Bewegungsbeeinträchtigung indiziert. Da sich sekundäre Fehlstellungen ergeben können, empfiehlt sich eine Nachbetreuung bis zum Wachstumsabschluss.
31.3 Traktionsapophysitiden
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Synonym: »traction epiphysitis«. Der englische Terminus »traction epiphysitis« ist irreführend, da es sich bei den unter diesem Begriff subsummierten Erkrankungen um Störungen der Apophysen handelt. Die Apophyse unterscheidet sich von der Epiphyse durch die in diesem Bereich einstrahlende Sehne. Daher unterliegt diese Wachstumszone einer permanenten Beanspruchung auf Zug. Bei der Apophyse wird der hyaline Knorpel im Verlaufe des Wachstums durch Faserknorpel ersetzt, der über membranöse Ossifikation zu Knochen umgebaut wird. Bei den so genannten Traktionsapophysitiden kommt es zu einer Veränderung der Apophysen durch Überbeanspruchung. Die vermehrte Zugbelastung soll zu einem pseudarthroseähnlichen Umbau führen. Es kommt zur Fragmentierung und nekroseähnlichen Veränderungen. Eine Störung der Vaskularisation wurde histologisch nicht nachgewiesen (Cohen u. Wilkinson 1958). Die Erkrankung ist selbstlimitierend, die Prognose gut. Die Behandlung besteht in Reduktion der Belastung, Sportkarenz oder Ruhigstellung und begleitende Physiotherapie. Operative Maßnahmen sind selten notwendig.
31.3.1 Morbus Iselin An der Basis des 5. Metatarsale inseriert der M. peroneus brevis. Der Knochenkern dieser Apophyse entsteht bei Mädchen im Alter von 10 Jahren, bei Jungen im Alter von 12 Jahren. Die Fuge schließt sich 2 Jahre später. Beim Morbus Iselin besteht eine Druckschmerzhaftigkeit der prominenten Basis des Metatarsale V. Beim
Gehen und bei Eversion und Dorsalflektion gegen Widerstand treten Schmerzen am lateralen Fußrand auf. Die Abgrenzung zu Avulsionsfrakturen des 5. Metatarsale ist manchmal schwierig. Bei akuten starken Schmerzen ist eine Ruhigstellung im Gips für 3–4 Wochen indiziert. Bei milden Symptomen helfen Sportkarenz, antiphlogistische Behandlung und vorsichtiges Dehnen. Eine operative Stabilisierung ist nicht notwendig (Lehman et al. 1986).
31.3.2 Morbus Osgood-Schlatter, Morbus Sinding-Larsen Typisch für den Morbus Schlatter ist die prominente druckempfindliche Tuberositas tibiae. Oft findet sich eine teigige Schwellung und Rötung der Weichteile darüber. Die akute Dehnung des meist verkürzten M. quadriceps führt zu Schmerzen. Bei milder Ausprägung treten die Schmerzen nur bei Belastung auf. In ausgeprägten Fällen imponieren starke Schmerzen bei aktiver und passiver Bewegung im Knie. In der Röntgenaufnahme des Knies seitlich zeigt sich bei fortgeschrittener Erkrankung eine Fragmentierung des Apophysenkerns (Cohen u. Wilkinson 1958; Krause et al. 1990). Die Erkrankungsdauer ist durch den Schluss der apophysären Wachstumsfuge limitiert. In der Regel genügen Sportkarenz, Reduktion der Belastung und vorsichtige Dehngymnastik, um eine volle Schmerzfreiheit zu erreichen. Zur Verhinderung eines Rezidivs sollte die Sportkarenz mindestens 3 Monate betragen. Bei starken Schmerzen wird eine Gipsruhigstellung für 3–6 Wochen empfohlen. Operative Eingriffe sind selten indiziert. Oft bleibt aber eine Vorwölbung der Tuberositas tibiae zurück, die beim Knien behindern kann. Als seltene Komplikation ist ein vorzeitiger Fugenschluss mit Entwicklung eines Genu recurvatum beschrieben. Residuelle Veränderungen im Sinne separierter Ossikel können manchmal über das Wachstumsende hinaus Probleme bereiten. Bei persistierenden Schmerzen kann durch Entfernung des Ossikels die Symptomatik gelindert werden (Krause et al. 1990). Am proximalen Patellarsehnenansatz kann ebenfalls ein Überlastungsschaden entstehen. Dieser wird als Morbus Sinding-Larsen bezeichnet. Es findet sich ein lokaler Druckschmerz an der Patellaspitze und röntgenologisch eine schalenförmige Verkalkung am Sehnenansatz. Die Behandlung ist dieselbe wie beim Morbus Osgood-Schlatter. Nach Reduktion der sportlichen Aktivität und Dehngymnastik bessern sich die Beschwerden rasch (Abb. 31.15 a–c).
31.3 Traktionsapophysitiden
31.3.3 Morbus Sever Entsprechend dem Morbus Osgood-Schlatter am Knie wird die schmerzhafte druckempfindliche Apophyse am Kalkaneus als Morbus Sever bezeichnet. Die Patienten klagen über belastungsabhängige Schmerzen an der Ferse. Die Apophyse ist druckempfindlich, bei Dorsalextension im oberen Sprunggelenk treten Schmerzen an der Ferse auf. Bei längere Schonhaltung kann die Achillessehne verkürzt sein. Das schalenförmige sekundäre Ossifikationszentrum der Kalkaneusapophyse entsteht im 10. Lebensjahr und verschmilzt mit der Tibia mit Abschluss des 16. Lebensjahrs. Häufig sind 2 oder mehr Zentren erkennbar. Eine vermehrte radiologische Dichte im Vergleich zum Kalkaneus findet sich regelmäßig. Da die zahlreichen Normvarianten der Apophyse eine alleinige radiologische Zuordnung unmöglich machen, ist die klinische Symptomatik zur Diagnosefindung entscheidend. Die Erkrankung ist selbstlimitierend und heilt nach Belastungsreduktion und vorsichtiges Dehnen folgenlos aus. Stoßdämpfende Fersenkissen erleichtern das normale Gehen bis zum Abklingen der Symptomatik.
Abb. 31.15 a–c. Klinisches und radiologisches Erscheinungsbild eines Morbus Schlatter. a,b Druckdolente derbe Vorwölbung der Tuberositas tibiae. Typische klinische Präsentation eines Morbus Schlatter. c Radiologische Veränderungen an der Tuberositas tibiae bei Morbus Schlatter: Aufgelockerte fragmentierte Apophyse; kleines Ossikel im Sehnenansatz
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Kapitel 32
Stressfrakturen
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P. Kasten, H. Schmitt, A.-M. Weinberg
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Definitionen 쐌 Stressfraktur: Ermüdungsbruch eines gesunden Knochens infolge einer inadäquaten, submaximalen und wiederholten Belastung. 쐌 Insuffizienzfraktur: Ermüdungsbruch eines Knochens mit diffus abnormaler Dichte und Struktur (sowohl in der Kortikalis als auch in der Spongiosa). 쐌 Pathologische Fraktur: Sonderform einer Insuffizienzfraktur mit Knochenveränderungen aufgrund von primärem und sekundärem Tumorwachstum. Ursache und Häufigkeit Stressfrakturen an den Extremitäten machen 1,5–3,9% aller Überlastungsschäden bei jungen Athleten aus (Dalton 1992; Engber 1977; Orava u. Puranen 1978; Watkins u. Peabody 1996). Sie sind somit seltener als bei sportlich bedingten Verletzungen Erwachsener mit 0,7–20% (Clement et al. 1981; James et al. 1978; Orava 1980). In einer Analyse von 368 Stressfrakturen der Extremitäten waren 9% der Patienten <16 Jahren. 32% der Patienten waren 16–19 Jahre alt und 59% aller Patienten älter als 19 Jahre (Hulkko u. Orava 1987). Bei Erwachsenen kommt es vor allem bei Laufsportarten wie z. B. in der Leichtathletik oder beim Dauerlaufen zu Stressfrakturen an den unteren Extremitäten (Matheson et al. 1987). In den Studien zur Lokalisation von Stressfrakturen bei Adulten ließen sich Unterschiede je nach Belastung und Sportart zeigen (Brukner u. Bennell 1997). Bei den Leichtathleten treten Stressfrakturen vor allem am Os naviculare, der Tibia und an den Metatarsalia auf, bei Langstreckenläufern an der Tibia und Fibula und bei Rekruten im Militärdienst charakteristischerweise an den Metatarsalia und am Kalkaneus (Greaney et al. 1983). Insgesamt ist vor allem die untere Extremität betroffen (Brukner et al. 1996). Bei Patienten mit noch offenen Wachstumsfugen waren in einer retrospektiven Studie 50% aktive Sportler (Walker et al. 1996). Die Lokalisation der Stressfraktur zeigt bei Kindern im Vergleich zum Erwachsenen einige Unterschiede auf. In retrospektiven Serien von 40 bzw. 34 Stressfrakturen bei Patienten mit noch offenen Wachstumsfugen befanden sich diese in 37–47% an der
Tibia (Devas 1963; Walker et al. 1996). Die Mehrzahl der Läsionen befand sich an der proximalen Tibia posteromedial (Walker et al. 1996), im Gegensatz zur anteromedialen Lokalisation beim Adulten (Engber 1977). Die zweit- und dritthäufigste Lokalisationen kindlicher Stressfrakturen sind die Fibula mit 21–27% und die Metatarsalia mit 9–17% (Tabelle 32.1). Eine eigene retrospektive Analyse von 21 Sportlern mit offenen Wachstumsfugen ergab signifikante Unterschiede je nach Sportart: Sportler mit Abstoppsportarten erlitten Ermüdungsbrüche vor allem an der Tibia, Ausdauersportler vor allem an den Metatarsalia (Niemeyer et al. 2005). Bei den oben aufgeführten Studien wurden Spondylolysen nicht eingeschlossen, obwohl diese Entität aufgrund der Pathogenese mit eingeschlossen werden könnte. Spondylolysen mit nachfolgender Spondylolithese treten aller Wahrscheinlichkeit nach durch wiederholte Flexions- und Extensionsbewegungen der Wirbelsäule kombiniert mit Rotationsbewegungen auf. Ätiologisch sind dies ebenfalls Stressfrakturen. In Europa ist eine Spondylolyse bei Erwachsenen in 5–7% zu finden, eine Spondylolisthese entwickelt sich in 2–4%. In 80% ist das Segment L5/S1, in 15% das Segment darüber betroffen. Bei Sportlern mit zyklischen Reklinations-/Inklinationsbewegungen ist das Risiko um das 20- bis 30fache erhöht (Wittenberg u. Rubenthaler 2001). Die Spondylolyserate bei Turnern konnte durch frühzeitiges Krafttraining auf nahezu Normalwerte reduziert werden, ebenso wie im Gewichtheben durch Vermeidung des Kreuzhebens. Typische Risikosportarten sind Speerwerfen, Stabhochspringen, Delphinschwimmen, Turmspringen und Tennisspielen. Spondylolysen bei jungen Athletinnen in den oben genannten Sportarten sind häufige Ursachen von Rückenschmerzen (Omey et al. 2000). Tabelle 32.1. Lokalisation von kindlichen Stressfrakturen der Extremitäten (ohne Spondylolysen). (Devas 1963; Walker et al. 1996) 쐌 쐌 쐌 쐌
Tibia (vor allem proximale Tibia; 37–47%) Fibula (21–27%) Metatarsalia (9–17%) Sonstige: Patella (vor allem bei infantiler Cerebralparese (ICP)), Femurschaft, 1. Rippe, Becken, distaler Radius, Olekranon, Schenkelhals, Kalkaneus, Grundphalanx der Großzehe
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Kapitel 32 Stressfrakturen
Stressfrakturen sind Ausdruck des Knochenumbaus nach wiederholter, submaximaler und inadäquater Belastung. Histologische Untersuchungen von Ermüdungsfrakturen zeigten eine vermehrte Osteoklastenaktivität, welche gegenüber der Knochenneubildung durch die Osteoblasten überwiegt (Li et al. 1985; Stanitski et al. 1978). Dies führt zu einer temporären Knochenschwächung und bei Fortsetzung der Belastung zu Mikrofrakturen der Knochenbälkchen – im MRT am Knochenödem zu sehen. Der Körper reagiert mit einer enostalen und periostalen Knochenneubildung in der betroffenen Region. Wird der Knochen weiter überbelastet, verstärkt sich die Dysbalance zwischen den insuffizienten Reparaturmechanismen und den Mikroschäden, und eine Stressfraktur resultiert. Dass Muskelkräfte auf den Knochen zu Stressfrakturen beitragen, ist prinzipiell denkbar, aber wissenschaftlich nicht eindeutig erwiesen (Markey 1987; Stanitski et al. 1978). Risikofaktoren Aufgrund der geringen Fallzahlen konnten bisher keine signifikanten Risikofaktoren für Stressfrakturen an den Extremitäten bei Patienten mit offenen Wachstumsfugen gefunden werden. Bei Sportarten mit traditionell hohem Anteil an weiblichen Athleten mit noch offenen Wachstumsfugen wie z. B. Tanzen und Turnen fanden sich erhöhte Raten an Spondylolysen (Omey et al. 2000). Zur Klärung des Risikoprofils wurde eine eigene Untersuchung an 35 Patienten mit 40 Stressfrakturen (ohne Spondylolysen) und offenen Wachstumsfugen initiiert (Niemeyer et al. 2005). Es zeigten sich als Risikofaktoren: 쐌 der (Leistungs-) Sport, 쐌 die Änderung der Trainingsgewohnheiten, 쐌 biomechanische Fehlbelastungen (Klumpfuß, valgische oder varische Beinachsen), 쐌 Gewichtsveränderungen >5 kg und 쐌 die infantile Zerebralparese (ICP). 34 von 40 Stressfrakturen (85%) waren wenigstens mit einem der oben beschriebenen Risikofaktoren vergesellschaftet. Bei der Bewertung dieser Ergebnisse muss einschränkend die geringe Fallzahl und eine Selektion der abgefragten möglichen Risikofaktoren beachtet werden. Bei Kindern mit ICP, einem Kauergang und einer Kniegelenkbeugekontraktur (Abb. 32.1 a,b) traten Stressfrakturen am distalen Pol der Patella auf. Diese werden vermutlich durch einen vermehrten Zug des Lig. patellae bei fehlender Streckbarkeit des Kniegelenks verursacht (Mann 1984; Rosentahl u. Levine 1977). Für die adulte Population sind Risikofaktoren für Stressfrakturen an den Extremitäten beschrieben worden (Tabelle 32.2): Eine plötzliche Änderung des Trainingprogramms hinsichtlich Strecke, Intensität und Tempo stellt den am häufigsten genannten Risikofaktor dar (Fredericson et al. 1997). Ferner erhöht eine Laufstrecke von mehr als 32 km pro Woche und eine harte
Abb. 32.1 a,b. Kinder mit infantiler Cerebralparese gehen teilweise im Kauergang, d. h. das Knie wird aufgrund mangelnder Streckfähigkeit und ggf. einer Beugekontraktur im Gangzyklus nicht durchgestreckt. Diese Patienten können eine z. T. schmerzhafte Stressfraktur im Bereich der distalen Patella bekommen (Mann 1984; Rosentahl u. Levine 1977). Das a.-p. und laterale Röntgen zeigt bei einem 13-jährigen Jungen einen solchen Befund. Es wurde mit einer komplexen Korrekturoperation, mit u. a. einer Sehnenverlängerung der ischiokruralen Muskulatur, die zugrunde liegende Pathologie, nämlich der Kauergang behandelt. Damit reduzierte sich die Belastung der Patellarsehne, und die Patellastressfraktur heilte aus Tabelle 32.2. Risikofaktoren für Stressfrakturen der Extremitäten bei Adulten 쐌 Plötzliche Belastungsänderung (Tempo, Laufstrecke, Körpergewicht, harter Boden) 쐌 Laufstrecke >32 km 쐌 Geringer Wadenumfang bei Frauen 쐌 Geringe Breite der Tibia und vermehrte Außenrotation der Hüfte 쐌 Weibliches Geschlecht?
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Stressfrakturen
oder gewölbte Trainingsoberfläche das Risiko für einen Ermüdungsbruch (Dalton 1992). Bei 300 untersuchten Militärrekruten fanden sich 2 voneinander unabhängige Variablen für ein erhöhtes Stressfrakturrisiko: eine geringe Breite der Tibia und eine vermehrte Außenrotation der Hüfte (Giladi et al. 1987). Bei Frauen mit Stressfrakturen fand sich in einer prospektiven Studie ein geringer Wadenumfang und weniger Muskelmasse (Bennell et al. 1996). Es wird postuliert, dass die geringere Muskelmasse weniger Energie absorbieren kann und somit mehr Energie auf den Knochen abgegeben wird. In der Folge könnten vermehrt Tibiaermüdungsbrüche auftreten. Als Risikofaktoren bei jungen Athletinnen gelten eine reduzierte Knochendichte, Menstruationsstörungen, Essstörungen und Muskelschwäche (Bennell et al. 1996). Weibliche Militärrekruten hatten bei gleichem Trainingsprogramm ein 1,2- bis 10-mal höheres Risiko als ihre männlichen Kollegen, eine Ermüdungsfraktur zu erleiden (Brudvig et al. 1983; Protzman u. Griffis 1977). Bei Untersuchungen an Athleten sind diese Faktoren weniger eindeutig. Einige Studien konnten ein 1,5- bis 3,5-mal höheres Risiko bei Frauen nachweisen (Brunet et al. 1990), andere fanden keine Geschlechtsprävalenz (Brukner et al. 1996).
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Diagnostik Die Schwierigkeit bei der Diagnose von kindlichen Stressfrakturen liegt darin, dass diese relativ selten sind, als Bagatellen eingestuft werden und dass das Nichterkennen möglicher Differenzialdiagnosen, wie z. B. ein Tumorleiden oder eine Infektion, fatale Folgen haben kann (Tabelle 32.3). Der erste Schritt zur Diagnose einer Stressfraktur: daran denken! Neben einer genauen Anamneseerhebung, gefolgt von der klinischen Untersuchung, ist eine adäquate Bildgebung notwendig. Engmaschige Kontrollen können unter Umständen eine Knochenreaktion und eine relativ schnelle Heilung aufzeigen. Mit diesem Vorgehen kann meistens eine invasive Biopsie zum Ausschluss anderer Erkrankungen vermieden werden (Kasten et al. 2005). Falls jedoch nach wiederholter bildgebender Diagnostik noch Zweifel bestehen, muss die Diagnose mit einer Biopsie erzwungen werden. Anamnese In einer retrospektiven Studie waren Schmerzen bei Belastung das häufigste Symptom, gefolgt von Schmerzen Tabelle 32.3. Wichtigste Differenzialdiagnosen 쐌 쐌 쐌 쐌 쐌
Tumor (Ewing-Sarkom, Osteosarkom) Osteitis/Osteomyelitis Trauma Ansatztendinitiden (z. B. Pes anserinus) Knochenhautreizung, z. B. das Schienenbeinkantensyndrom (»shin splint syndrome«)
unabhängig von Belastung oder ein Hinken bei sehr jungen Patienten (Walker et al. 1996). Anders als bei Erwachsenen traten Stressfrakturen bei Kindern nur bei 50% in Zusammenhang mit sportlicher Aktivität auf (ebd.). Dennoch können die sportlichen Aktivitäten wertvolle Hinweise auf die Ätiologie geben, z. B. distale Radiusfrakturen bei Gewichthebern. Typische Lokalisationen wie die proximale Tibia sollten den untersuchenden Arzt aufmerksam machen. Ferner sollte analog zu den Stressfrakturen bei Adulten nach plötzlichen Belastungsänderungen gefragt werden. Eine Gewichtszunahme >5 kg scheint eine Rolle zu spielen. Bei Rückenschmerzen von jungen Sportlern, die repetitive Reklinationsbewegungen der Wirbelsäule ausführen, sollte an eine Spondylolyse mit ggf. Spondylolisthesis gedacht werden. Klinisch Typisch sind belastungsabhängige Schmerzen unterschiedlicher Intensität. Ferner kann eine lokale Druckschmerzhaftigkeiten des Knochens, fortgeleitete Klopfschmerzen, eine Weichteilschwellung oder eine palpable Verdickung des Periosts/Knochens vorliegen. Es ist sinnvoll, nach Fehlstellungen zu suchen, die eine vermehrte einseitige Belastung hervorrufen können, wie z. B. eine Beinlängendifferenz, eine Asymmetrie der Hüftbeweglichkeit, Kniefehlstellungen (X- oder O-Beine), eine Tibia vara, ein vermehrte subtalare Pronation, Klump-/Hohlfüße oder ein Kauergang (James et al. 1978). Es konnte gezeigt werden, dass eine vermehrte subtalare Pronation einen Ermüdungsbruch der Tibia und der Tarsalia und ein Hohlfuß eine Stressfraktur der Metatarsalia begünstigt (Matheson et al. 1987). Radiologisch Bei Verdacht auf Stressfrakturen werden primär konventionelle Röntgenbilder angefertigt. Im Frühstadium haben jedoch 2/3 einen negativen Befund, und auch nur die Hälfte entwickelt im Verlauf die typischen nativradiologischen Zeichen einer Stressfraktur (Savoca 1971). Die lamelläre Periostreaktion ist ein radiologisch früh sichtbares Zeichen (Abb. 32.2 a–c). Eine umschriebene Knochendichteminderung, das so genannte »gray cortex sign«, und eine Unschärfe der Kortikalis infolge einer Hyperämie und eines Ödems wurden ebenfalls als Frühzeichen beschrieben (Mulligan 1995). Im Verlauf kommt es zu einer enostalen Kortikalisverdickung oder einer unscharf begrenzten Verdichtungslinie. Falls sich im Nativröntgen ein bezüglich einer Stressfraktur suspekter Befund zeigt, aber ein Malignom oder ein Infekt nicht auszuschließen sind, empfiehlt sich die Anfertigung einer MRT. Eine MRT hat den Vorteil, bereits Frühzeichen einer Stressfraktur zur Darstellung zu bringen. Sie kann als mehrschichtiges Verfahren mit einer hohen Sensitivität exakt die Ausdehnung und Lokalisation angeben. Die
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Kapitel 32 Stressfrakturen
Abb. 32.2. a Im a.-p.-Röntgen eines 8 Jahre alten Jungen zeigt sich eine Verdichtungslinie im Bereich der distalen Metaphyse des Femurs mit Periostreaktion. b In der koronaren Schnittführung der MRT in der T2-Wichtung zeigt sich ein vermehrtes Signal im Knochen und dem umliegenden Weichteil bei transkortikaler Frakturlinie. c Auch in der T1-Wichtung (koronarer Schnitt) ist die Frak-
turlinie sichtbar, d. h. es handelt sich um ein Grad IV der Stressfrakturen nach Arendt. Eine Dislokationsgefahr bestand nicht. Der Patient wurde konservativ mit vorübergehender Ruhigstellung und gradueller Belastungssteigerung nach Schmerzfreiheit behandelt
Applikation von Kontrastmittel kann zum Ausschluss eines Tumors oder einer Infektion hilfreich sein. In der Frühphase ist ein Knochenmarködem vorhanden, das in den T1-gewichteten Bildern hypointens, in den T2gewichteten Bildern hyperintens zur Darstellung kommt. Eine Periostreaktion ist in den T2-gewichteten Bildern ebenfalls hyperintens zu sehen. Eine Frakturlinie ist in allen Gewichtungen als hypointense Linie zu sehen. Arendt u. Griffith (1997) haben eine Klassifikation für Stressfrakturen unter Einbeziehung der MRT erarbeitet (Tabelle 32.4). Bei klinischem Verdacht auf eine Stressreaktion oder Fraktur bei blanden nativen Röntgenbildern kann die sehr sensitive Dreiphasenskelettszintigraphie bei der Diagnosestellung weiter helfen. Nach 5–10 min kommt
es in der Weichteilphase/Extravasalphase zu einer Speicherung in das umliegende Weichteil. In der Spätphase – frühestens 2 Stunden nach Tracer-Applikation – kann eine Anreicherung im Knochen bei vermehrten Umbauvorgängen festgestellt werden. Innerhalb von 2–10 Tagen nach Fraktur oder Knochenverletzung kommt es zu einer Aktivitätsanreicherung, die erst nach 3–18 Monaten wieder verschwindet. Dies bedeutet, dass diese Methode nicht für eine Verlaufskontrolle geeignet ist (Steingruber et al. 2002). Der SPECT- (»single-photonemission-computed tomography«-) Modus ermöglicht als Schnittbildverfahren eine verbesserte Ortsauflösung und Diagnosefindung. Die SPECT ist auch eine Szintigraphie, die aber wie die CT in Schnittbildern aufgezeichnet wird.
Tabelle 32.4. Klassifizierung entsprechend der Bildgebung. (Nach Arendt u. Griffith 1997)
Grad
Röntgen
Szintigraphie
MRT
1
Normal
Signal in der STIR-Sequenz
2
Normal
3
Diskrete Linie und ggf. Periostreaktion
4
Frakturlinie oder Periostreaktion
Geringe, unscharf begrenzte Mehranreicherung Stärkere unscharf begrenzte Mehranreicherung Scharf begrenzte Mehranreicherung (diffus oder fokal) Intensive transkortikale Mehranreicherung
Signal in der STIR- und T2-gewichteten Sequenz Signal in der T2- und T1-gewichteten Sequenz, keine kortikale Frakturlinie Frakturlinie in T2und T1-Wichtung
Stressfrakturen
Nachteilig bei der Skelettszintigraphie sind insbesondere bei Kindern die Strahlenbelastung für die Wachstumsfugen (dort wird am meisten Tracer aufgenommen, da dort immer eine hohe Aktivität vorhanden ist) und die nur niedrige Spezifität. Die CT kann mit einer hohen Sensitivität Frakturlinien und/oder Periostreaktionen nachweisen. Zu beachten bei Kindern ist auch hier die Strahlenexposition. Bei Patientinnen mit wiederholten Stressfrakturen, Amenorrhö und/oder Anorexie, verzögerter Pubertät und familiärer Osteoporose sind eine Knochendichtemessung (»dual x-ray absorptiometry«/DXA) und Laboruntersuchungen des Hormonstatus zu erheben (Matter et al. 2002; Tabelle 32.5).
Tabelle 32.5. Diagnostischer Algorithmus bei kindlichen Stressfrakturen (Kasten et al. 2005) 1. Anamnese (Belastungsschmerzen, plötzliche Belastungsänderung, Sportart, Essstörungen, Amenorrhö) 2. Klinische Untersuchung [Druckschmerz, Knochenverdickung palpabel, anatomische Auffälligkeiten (z. B. Achsfehlstellungen, Hohlfüße, vermehrte subtalare Pronation)] 3. Nativröntgen (in Frühphase unauffällig, im Verlauf ggf. Knochendichteminderung oder Periostreaktion) 4. Bei unauffälligem Nativröntgen: MRT, ggf. Szintigraphie Bei Differenzialdiagnose Neoplasma/Osteoidosteom/ Infekt: MRT (CT) 5. Wiederholte, engmaschige Röntgen- oder MRT-Verlaufskontrollen 6. Gegebenenfalls Biopsie
Abb. 32.3. a Im a.-p. und vor allem im lateralen Röntgenbild zeigt sich eine Verdichtungslinie im proximalen Schaftbereich der Tibia mit Kallusbildung bei einem 6-jährigen Jungen. b Eine Röntgento-
Prophylaxe Eine Cochrane-Metaanalyse aus dem Jahre 2000 zeigte eine signifikante Reduktion von Stressreaktionen und -frakturen bei der Anwendung von stoßdämpfenden Einlagen bei adulten Athleten und Rekruten. Daten zu Patienten mit offenen Wachstumsfugen fehlen diesbezüglich (Gillespie u. Grant 2000). Therapie Die Therapie richtet sich nach 쐌 der Stabilität der Stressfraktur, 쐌 einer möglichen Dislokation im Sinne einer Achsabweichung, 쐌 der Lokalisation und 쐌 dem Risiko hinsichtlich einer Pseudarthrose. In aller Regel erfolgt die Therapie bei Kindern nichtoperativ (Abb. 32.3 a–c). Liegt jedoch eine Gelenkbeteiligung oder eine nicht tolerierbare Fehlstellung vor, dann kann neben der Reposition eine Osteosynthese indiziert sein (Tabelle 32.6). Bei Belastungsschmerzen ist eine temporäre Ruhigstellung z. B. im Gips oder eine Entlastung an Unterarmgehstützen nötig. Neuere eigene Untersuchungen ergaben, dass eine Ruhigstellung von 4–6 Wochen, die sonst bei kindlichen Frakturen ausreichend ist, in bis zu einem Drittel der Fälle nicht zur Beschwerdefreiheit führte. 14 von 40 Stressfrakturen (35%) wurden 8 Wochen und mehr entlastet (Mittelwert: 7,9 Wochen, Standardabweichung 7,1, minimal 4, maximal 40) (Niemeyer et al. 2005). Es empfiehlt sich daher – je nach Beschwerden des Kindes –, eine adaptierte Ruhigstellung oder Entlastung
mographie brachte den Frakturspalt zusätzlich zur Darstellung ohne Nachweis einer weiteren Pathologie. c Einen Monat später zeigt sich eine zunehmende Strukturierung des Kallus
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Kapitel 32 Stressfrakturen Tabelle 32.6. Therapeutischer Algorithmus Fraktur instabil, ins Gelenk reichend oder stark Pseudarthrose gefährdet 쐌 OP oder Ruhigstellung (z. B. Gips) mit temporärer Entlastung/Sohlenkontakt bis zur Schmerzfreiheit, dann Zweistufenschema Fraktur stabil und mit mittlerem Risiko für eine Pseudarthrose 쐌 Konservativ, Zweistufenschema Stufe 1: Nur Alltagsbelastung, Schmerzreduktion mit nichtsteroidalen Antiphlogistika, Eis, Physiotherapie, bei starken Schmerzen vorübergehende Immobilisation (6–12 Wochen), dann leichtes Trainingsprogramm z. B. im Wasser, mit dem Rad oder Stepper Stufe 2: Nach 14 Tagen Schmerzfreiheit: stufenweise Wiederaufnahme der sportlichen Aktivität (z. B. in den ersten 2 Wochen nur jeden 2. Tag laufen, in der 3. bis 6. Woche langsame Steigerung der Distanz, Frequenz und Tempo)
bzw. Teilbelastung von 6–12 Wochen durchzuführen. Solange ein Kind hinkt oder Beschwerden angibt, ist dies ein Indiz für eine weiterhin notwendige, konsequentere Ruhigstellung bis zur Beschwerdefreiheit. Wenn die Belastungsschmerzen nachlassen, kann eine funktionelle Behandlung unter antiphlogistischer Medikation, physikalischen Maßnahmen (z. B. Eis) und/oder Elektro-/Ultraschalltherapie und/oder Krankengymnastik beginnen. In einem schmerzfreien Intervall unter Alltagsbelastungen von 14 Tagen kann – nach erneuter klinischer Kontrolle – eine schrittweise sportliche Belastungssteigerung durchgeführt werden. Zumeist lassen sich Kinder bei Beschwerdefreiheit ihre Sportart auch nicht verbieten. Eine Cochrane-Metaanalyse ergab einen positiven Effekt auf den Rehabilitationsverlauf von tibialen Stressfrakturen durch Luftkammerorthesen bei jungen adulten Athleten (Gillespie u. Grant 2000). Klinische Daten für Kinder existieren nicht, meist muss im Kindesalter konsequent ruhiggestellt oder entlastet werden. Dagegen können bei Patienten, die in der Pubertät sind, solche Schienen eine Alternative darstellen. Grundsätzlich ist es sinnvoll, bei Kindern mit hohem Sportniveau darauf zu achten, dass eine sportspezifische Muskelrehabilitation mit Auftrainieren der allgemeinen Kraft und defizitärer Muskelgruppen durchgeführt wird. Wichtig ist zu betonen, dass dies als Prophylaxe später dauerhaft ins Training integriert werden sollte. Eine medikamentöse Substitution sollte bei nachgewiesenem Kalzium- und/oder Vitamin D-Mangel verordnet werden, wobei ein solcher Mangel eher selten als auslösendes Agens nachgewiesen wird. Bei Zyklusstörungen ist nach Abklärung einer möglichen Grunderkrankung eine leichte Gewichtszunahme oder Trainingsreduktion zu empfehlen. Bei Athletinnen, die das
nicht wollen oder können, ist in enger Zusammenarbeit mit einem pädiatrischen Endokrinologen oder Jugendgynäkologen die Gabe einer differenzierten Hormonersatztherapie möglich. Erfahrungen hinsichtlich einer Biphosphonattherapie bei jungen Athletinnen mit reduzierter Knochendichte liegen bisher nicht ausreichend vor, sodass hier eher Zurückhaltung zu empfehlen ist (Matter et al. 2002). In der Nachuntersuchung am eigenen Patientengut bei 40 Stressfrakturen wurden 27 Fälle (67,5%) uneingeschränkt sportfähig, 11 (27,5%) hatten Einschränkungen bei sportlicher, 2 bei alltäglichen Belastungen. Dementsprechend waren 13 von 40 (32,5%) Patienten mit dem Behandlungsergebnis nicht zufrieden. Dieser hohe Anteil unterstreicht, dass bei diesem Krankheitsbild auf eine ausreichende Ruhigstellung und Ausheilung geachtet werden muss, um einen frustranen zu frühen Trainingsbeginn zu vermeiden (Niemeyer et al. 2005). Therapie von Spondylosen bei Kindern und Jugendlichen Der Zufallsbefund einer Spondylolyse und/oder einer Spondylolisthesis bis Meyerding I (Verschiebung des Wirbelkörpers von <25% des Wirbelkörperdurchmessers) bei beschwerdefreiem Kind sollte bei weiterer Beschwerdefreiheit einmal jährlich radiologisch kontrolliert werden, um eine Progredienz auszuschließen (Wittenberg u. Rubenthaler 2001). Ein allgemeines Sportverbot besteht nicht. Sportarten mit wiederholter Lordosierung der Lendenwirbelsäule (Turnen, Delphinschwimmen, Speerwerfen, Gewichtheben, Tennis) sollten vermieden werden bzw., falls eine Einstellung der Sportart für das Kind nicht in Betracht kommt, sollte unbedingt eine physiotherapeutische Langzeitbetreuung mit rehabilitativen Maßnahmen und Muskelaufbau der stabilisierenden Muskelgruppen eingeleitet werden. Auch bei weniger sportaktiven Kindern und vorhandenen Spondylolysen mit Beschwerden und ggf. geringen Spondylolisthesen ist eine Behandlung mit rumpfstabilisierender Krankengymnastik über 3 Monate indiziert. Bei Beschwerdepersistenz kann eine Ruhigstellung für 6 Wochen z. B. mittels Mieder durchgeführt werden. Falls nach Beendigung der Ruhigstellung Beschwerden verbleiben, kann bei alleiniger Spondylolyse ohne Olisthese eine Osteosynthese z. B. mittels Hakenschrauben und autogener Spongiosaanlagerung erfolgen. Bei ebenfalls vorliegender Spondylolisthese Meyerding II ist <12 Jahren bei einer notwendigen Reposition eine dorsale Instrumentierung und posterolaterale Spondylodese indiziert, >12 Jahren eine dorsoventrale Stabilisierung. Weitere Operationsindikationen sind ein stark progredientes Ventralgleiten, höhergradige Olisthesen (vom Typ Meyerding III und IV) und/oder neurologische Symptome.
Stressfrakturen Tabelle 32.7. Risiko, eine Pseudarthrose und Dislokation zu entwickeln. (Nach Fredericson et al. 1997) Hoch
Mittel
Schenkelhals (Distraktionstyp)
Schenkelhals (Kompressionstyp) Posteriore Tibia Becken Medialer Malleolus Proximale Diaphyse Metatarsale V
Anteriore und mittlere Tibia Talus Navikulare Proximales Metatarsale II Sesambeine
Komplikationen Die Komplikations- und Pseudarthroserate bei adäquater Therapie ist sehr niedrig. Möglich ist bei einer Ruhigstellung im Gips bei Kindern ab der Pubertät eine tiefe Beinvenenthrombose. Häufig kommt es zu einer längeren Beschwerdepersistenz (Tabelle 32.7).
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Kapitel 33
Posttraumatische Osteitis
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E. Kollig
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044
Die posttraumatische Osteitis stellt eine schwerwiegende Komplikation dar, ganz besonders für das noch wachsende Skelett. Es drohen Wachstumsstörungen und Deformierungen mit lebenslangen Konsequenzen, nicht eingerechnet die psychischen und sozialen Konsequenzen: Verstümmelung, chronische Fistelung, Schulausfall und Außenseitertum können für ein betroffenes Kind zu einer individuellen Katastrophe kumulieren (Levy et al. 1997). Auch wenn sich in unseren Breiten der Chirurg dieser Komplikation selten zu stellen hat, ist gerade dann von ihm das komplette und kindgerechte diagnostische wie differenzialtherapeutische Spektrum zu fordern. Alternativ sollte die Vorstellung eines betroffenen Kindes in einem Kompetenzzentrum in Betracht gezogen werden. Ursache und Häufigkeit Die posttraumatische Knocheninfektion des Kindes gilt in den westlichen Nationen als ausgesprochene Rarität (v. Laer 2001). Im Wesentlichen verantwortlich dafür sind spezifische Eigenschaften des kindlichen Gewebes, die Heilungsvorgänge derart günstig beeinflussen, dass komplikationsträchtige Konstellationen im Gegensatz zum Erwachsenen seltener auftreten. Der höhergradige Weichteilschaden, insbesondere mit Devaskularisierung und denudiertem Knochen, tritt bei kindlichen Frakturen erheblich seltener auf (Grimard et al. 1996; Levy et al. 1997). Die Elastizität des kindlichen Weichgewebes wirkt hier limitierend bzw. protektiv. Auch die spontane Remissionsrate bei neurologischen Ausfällen verläuft nach der kindlichen Verletzung deutlich günstiger (Haasbeek u. Cole 1995). Zudem betreffen 75% der kindlichen Frakturen die obere Gliedmaße, die mit ihrer höherwertigen Durchblutung ein per se niedrigeres Infektrisiko aufweist (Townsend u. Bassett 1996). Selbst nach offenen Tibiafrakturen übersteigt die Infektrate kaum die Zweiprozentgrenze (Cullen et al. 1996; Skaggs et al. 2000). Somit kann die Komplikationsrate beim Kind unter der Anwendung der modernen Behandlungsstandards für offene Frakturen vergleichsweise niedrig gehalten werden.
Dies ändert sich, sobald das Lebensalter zum Unfallzeitpunkt über 11 Jahre liegt. Dann werden Infektraten z. B. nach offener Tibiafraktur in ähnlicher Häufigkeit wie beim Erwachsenen gefunden (Grimard et al. 1996; Song et al. 1996). In unserem Patientenkollektiv des Departments für Knocheninfekte mit etwa 240 operativ behandelten Osteomyelitisfällen pro Jahr wurden in einem Beobachtungszeitraum von 5 Jahren nur 3 Kinder mit einer echten posttraumatischen Osteitis beobachtet. Dieses Phänomen spiegelt sich in der Literatur wider: Es finden sich zahlreiche Publikationen und Beiträge zur hämatogenen Osteomyelitis des Kindes, deren Inzidenz in den Industrienationen seit der breiten Verfügbarkeit der Antibiotika stetig abnimmt (Craigen et al. 1992). Da grundsätzliche Unterschiede in der Pathogenese und im weiteren Verlauf bestehen, können nicht alle Erkenntnisse aus der hämatogenen Form des Knocheninfekts unbesehen auf die posttraumatische übertragen werden. Einige Parameter in Diagnostik und Therapie gelten für beide Formen, sodass in die nachfolgende Darstellung auch Erfahrungen aus der Behandlung von hämatogenen Osteomyelitiden von Kindern einfließen, die von humanitären Hilfsorganisationen aus Dritteweltländern übermittelt werden. Ebenso regelmäßig fordert die Behandlung der traurigen Folgen kriegsverursachter komplexer Knochen- und Weichteilverletzungen bei Kindern aus Krisenregionen (Bialik et al. 1987) das gesamte Spektrum der Unfallund Wiederherstellungschirurgie. Prävention Auch bei kindlichen Frakturen spielen in der Infektgenese die offenen und weichteilgeschädigten Verletzungen die wesentliche Rolle. Da das kindliche Weichgewebe viel mehr verzeiht als das des Erwachsenen, taucht die postoperative Osteitis nach primär geschlossener und nicht weichteilgeschädigter Fraktur ausgesprochen selten auf. Liegt eine offene, evtl. auch makroskopisch kontaminierte Fraktur beim Kind vor, gelten kompromisslos die Behandlungsgrundsätze der modernen Unfallchirurgie. Die Wundausschneidung umfasst nekrotisches und irreversibel kontaminiertes Gewebe, eine Lavage ergänzt das Débridement. Die Stabilisierung des Knochens erfolgt situationsgerecht, wobei sich beim
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Kapitel 33 Posttraumatische Osteitis
Kind das Verfahrensspektrum unter Beachtung der Wachstumsfugen eingrenzt. Bei offenen Frakturen empfiehlt sich eine perioperative Antibiotikumprophylaxe. Eine Osteosynthese darf den Knochen nicht weiter devaskularisieren, sowie beim Mehrfachverletzten und Polytrauma keine relevante systemische Zusatzbelastung hervorrufen. Dies gilt auch für die Operationsdauer. Entscheidend ist das Resultat des Weichgewebemanagements: Nach dem Eingriff müssen Fraktur oder Osteosynthese von sicher vitalem Gewebe bedeckt sein. Ist dies nicht in diesem Operationsschritt zu gewährleisten, sollte nach temporärer Deckung mit einem Synthograft spätestens 24–36 Stunden nach dem Trauma durch eine lokale oder freie Lappenplastik die definitve Weichgewebeversorgung erfolgen. Klinischer Befund Eine posttraumatische Osteitis lässt sich in Kenntnis der Vorgeschichte mit einer (offenen) Verletzung und einer evtl. operativen Versorgung mit nachfolgendem Infekt in der Regel leichter eruieren als z. B. die nichtproduktive hämatogene Form. Infolge des vaskulär bedingten Entrapments von streuenden Keimen in den kindlichen Metaphysen tritt die hämatogene Osteitis vorwiegend in den entsprechenden Abschnitten der langen Röhrenknochen der unteren, seltener der oberen Gliedmaße auf. Diese Prävalenzstellen treffen für die posttraumatische Osteitis nicht zu. Fieber und Schmerzen sowie Schwellungen treten besonders dann auf, wenn der ossäre Infektherd über keinen suffizienten Abfluss verfügt und systemisch streut. Entsteht bei entsprechender traumatischer Anamnese eine Fistel, bestehen kaum differenzialdiagnostische Probleme der ätiologischen Abgrenzung gegenüber anderen Krankheitsbildern des Knochens. Dies gilt auch für einen Weichteildefekt mit freiliegendem, evtl. bereits eburnisiertem Knochen (Abb. 33.1).
Abb. 33.1. Unterschenkel eines 12-jährigen Mädchens mit posttraumatischem Infekt, Weichteildefekt mit freiliegendem Sequester der Tibia
Diagnostik Stellen sich nach einer kindlichen Fraktur klinische Infektparameter ein, kommt laborchemisch dem initial pathologischen Wert wie auch der Verlaufsbestimmung des CRP besondere Bedeutung zu, noch vor der Leukozytenzahl oder der Blutsenkungsgeschwindigkeit. Besteht der Verdacht auf einen Verhalt, kann durch eine Sonographie (in der Regel mit dem linearen Scan) eine Flüssigkeitsansammlung über einer Fraktur oder einer Osteosynthese dargestellt und ggf. gezielt punktiert werden. Liegt eine produzierende Fistel oder ein sezernierender Weichteildefekt vor, ist daraus ein Abstrich oder ein Punktat zu entnehmen, mit der Einschränkung, dass hier eine Kontamination mit Keimen der Hautflora möglich ist. Aus dem Punktat kann unmittelbar ein Grampräparat angefertigt und über den Abstrich eine mikrobiologische Kultur angelegt werden. Ersteres zeigt im positiven Fall zeitnah den bakteriellen Infekt. Letztere ermöglicht die Differenzierung der pathogenen Keime und eine Resistenzbestimmung. Eine positive Kultur gelingt in etwa 2 Dritteln der Fälle (Trobs et al. 1999). Eine vorangegangene oder laufende Antibiotikatherapie beeinflusst die Diagnostik und sollte bekannt sein. Ähnlich wie bei der hämatogenen Osteitis wird auch beim posttraumatischen Knocheninfekt an der Gliedmaße als häufigster Keim Staphylococcus aureus nachgewiesen (Karwowska et al. 1998). Nach offenen Frakturen des Beckens mit anorektalen oder urogenitalen Komplikationen sind dagegen auch Anaerobier anzutreffen (Brook 1998; Mosheiff et al. 1999). Bei polymikrobiellen Infekten liegt eine höhere Komplikationsquote vor (Karwowska et al. 1998). Im Rahmen der radiologischen Diagnostik erweist sich das konventionelle Röntgenbild in der Frühphase der Osteitis kaum als wegweisend, da sich ossäre Veränderungen erst nach 2–4 Wochen Infektgeschehen manifestieren (Abb. 33.2). Veränderungen des Weichteilschattens sind dagegen bereits nach 48 Stunden nativradiologisch sichtbar (Karwowska et al. 1998). Radiologische Wegweiser sind Veränderungen des Periostes (»toxische Periostreaktion«) sowie Lysezeichen des Knochens oder an Osteosyntheseimplantaten. In der Literatur wird die hohe Sensitivitat der 99mTcSzintigraphie zur Detektion akuter wie chronischer hämatogener Knocheninfekte betont. Darüber hinaus kann durch eine Gallium-Szintigraphie eine abnorme Anreicherung der 99mTc-Untersuchung im Sinne des Infektes bestätigt werden (Karwowska et al. 1998). Für die posttraumatische Infektdiagnostik sollte allerdings bei Kindern der Einsatz nuklearmedizinischen Methoden aus Strahlenschutzgründen und bei ausreichenden Alternativmöglichkeiten unklaren Situationen vorbehalten bleiben. So hat sich die CT (mit Kontrastmittel) zur Darstellung ossärer Destruktionen wie auch von Abszessen
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Posttraumatische Osteitis
Therapie Die Prinzipien der Osteitisbehandlung des Erwachsenen finden –modifiziert – auch beim Kind Anwendung: 쐌 쐌 쐌 쐌
Infektkontrolle, Stabilisierung, Weichteilmanagement und ossäre Rekonstruktion
Abb. 33.2. Konventionelles Röntgenbild des Unterschenkels bei stationärer Aufnahme, Patientin wie in Abb. 33.1
bewährt. Die MRT (ebenfalls kontrastierbar) hat ihre Domäne in der Beurteilung der Weichteilbeteiligung sowie der Vitalität des beteiligten Gewebes einschließlich befallener Knochenabschnitte (Glys-Morin 1998; Abb. 33.3 a,b). Bei höhergradigen Weichteilschäden ist die Überprüfung der neurovaskulären Leitungsbahnen obligat vorzunehmen. Kontrolliert werden klinisch Pulsstatus und akrale Durchblutung/Rekapillarisierung. Im Zweifelsfall sollte zumindest eine (Farb-)Doppleruntersuchung als nichtinvasive Untersuchung erfolgen, bei pathologischem Befund die Gefäßdarstellung mittels DSA (digitaler Subtraktionsangiographie) oder MR-Angiographie. Ist eine komplexe Weichteilrekonstruktion vorgesehen, empfiehlt sich ebenfalls die Gefäßdarstellung zur Planung. Neurologische Defizite nach Trauma haben bei Kindern eine günstigere Prognose als bei Erwachsenen. Dennoch ist bei sekundären Erhaltungsversuchen einer Gliedmaße mit erheblichen Weichgewebekomplikationen die Kontinuität von Leitungsbahnen und deren Remissionspotenzial – auch unter Hinzuziehung elektrophysiologischer Untersuchungen – zu verifizieren.
Infektkontrolle und Stabilisierung Wird bei noch geschlossenen Weichteilen ein putrider Verhalt über einer Fraktur oder Osteosynthese festgestellt, folgt der Basisdiagnostik umgehend die operative Revision, insbesondere, wenn Zeichen der systemischen Belastung vorliegen. Findet sich ein Focus im meta- oder epiphysären Bereich, besteht ein dringender Handlungsbedarf, da bei nichtbehandeltem Übergreifen des Infekts auf eine noch produktive Fuge schwere Wachstumsstörungen drohen. Eine Mindest- oder Sofortmaßnahme besteht in der Entlastung jeder ossären Abszedierung durch Punktion oder besser Inzision mit nachfolgender Spülung. Durch die dabei mögliche Materialasservation können Diagnostik und Therapie gleichzeitig erfolgen. Die Gabe eines Antibiotikums (initial ist die systemische Anwendung überlegen) wird möglichst nach Abnahme der mikrobiologischen Diagnostik veranlasst. Hat der Infekt z. B. über eine Fistel oder einen Weichteildefekt ausreichend Abfluss, besteht Zeit für eine umfassende Diagnostik, um ein differenzialtherapeutisches Konzept für das individuelle Problem auszuarbeiten. Wird operativ revidiert, ist alles nekrotische Gewebe zu exzidieren. Bei bislang negativer Bakteriologie kann aus Probeexzisionen der histopathologische Infektnachweis erbracht werden. Dies gelingt inzwischen auch über die Schnellschnittdiagnostik. Wird unter einer Blutsperre operiert, sollte sie mindestens intermittierend zur Überprüfung der lokalen Durchblutung geöffnet werden. Sicher eburnisierte Knochenabschnitte werden konsequent sequestrektomiert, jeder Kompromiss zu diesem Zeitpunkt führt zur Infektpersistenz und unter Umständen zum Scheitern aller weiteren Schritte (Abb. 33.4). Im Rahmen des lokalen Débridements hat sich der Einsatz einer Jet-Lavage bewährt. Die lokale Anwendung von antibiotikumhaltigen PMMA-Ketten dient als antimikrobieller Platzhalter für ossäre Defektareale nach der Sequestrektomie und zur lokalen Infektkontrolle (Abb. 33.5 a–d). In Ausnahmefällen kann bei einem großvolumigen Defekt sowie zur Vermeidung von verkürzungsbeding-
CAVE
bezeichnen die Eckpfeiler der Therapie, wobei kein stringentes Nacheinander der Schritte zu befolgen ist. Nach Ausarbeiten eines Behandlungskonzeptes können auch einzelne Schritte simultan vorgenommen werden.
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Kapitel 33 Posttraumatische Osteitis Abb. 33.3 a.b. Vergleich des konventionellen Röntgenbildes mit der MRT bei kindlicher Osteitis der Klavikula (Mädchen, 13 Jahre), Abszessdarstellung mit Pfeil markiert
ten Kontrakturen die Indikation für einen antibiotikumhaltigen Zementspacer zu stellen sein. Hierbei sind individuelle resistogrammgerechte Antibiotikazumischungen möglich. Liegt eine Osteosynthese vor, wird sie nach gründlicher mechanischer Reinigung mit einem lokalen Antiseptikum (Entfernung des bakterioprotektiven »Bioschleims«) auf Stabilität überprüft, sofern ein situationsgerechtes Osteosyntheseprinzip vorliegt. Im Bedarfsfall folgt ein Verfahrenswechsel, optional ist eine interne Fixation mit CrNi-Stahl-Implantaten gegen Titanimplantate auszutauschen, die eine geringere Infektanfälligkeit aufweisen (Abb. 33.6 a–c). Die Titanplattenosteosynthese stellt für die metaphysären Gliedmaßenabschnitte im Revisionsfall in der Regel das Verfahren der Wahl dar. Erlauben die lokalen Verhältnisse nach der Revision keine interne Fixation, ist die externe Stabilisation in Betracht zu ziehen. Als Alternative steht der (gefensterte) Gipsverband zur Verfügung. Im Hinblick auf weitere Revisionen oder aufwendige Verbandswechsel ist aber dem Fixateur externe der Vorzug zu geben. Bei gelenknahen Prozessen empfiehlt sich hierbei eine transfixierende Montage. Ob eine uni-, bilaterale oder Hybridkonstruktion gewählt wird, hängt von den verfügbaren Systemen und der lokalen Situation ab.
In jedem Fall sind bei jedem Osteosyntheseverfahren noch offene Wachstumsfugen grundsätzlich zu respektieren oder für das weitere Vorgehen miteinzukalkulieren. Eine Infektberuhigung oder -sanierung profitiert entscheidend von der Ruhigstellung des betroffenen Abschnitts. Es ist stets zu berücksichtigen, dass die Entste-
Abb. 33.4. Entfernen eines Sequesters bei posttraumatischer Osteitis der Tibia (Patientin aus Abb. 33.1)
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Posttraumatische Osteitis Abb. 33.5. a 11-jähriger Junge mit Osteitis nach fehlverheilter Radiusfraktur, Infektpseudarthrose nach auswärtiger Korrekturosteotomie und Bohrdrahtosteosynthese. b Temporäre PMMA-KettenEinlage nach Metallentfernung und Débridement. c Reosteosynthese mit additiver Korrektur. d Radiologisches Resultat nach Metallentfernung
hung einer Pseudarthrose durch einen begleitenden Infekt begünstigt wird (Lewallen u. Peterson 1985). Bei den ausgesprochenen seltenen Infektpseudarthrosen des Kindes ist zwischen atropher und hypertropher Form zu differenzieren, die sich im Wesentlichen über einen Mangel an Stabilität oder Vitalitat bzw. Durchblutung definieren. Wird diese Komplikation durch einen sequestrierten Knochenabschnitt gene-
riert, ist das Débridement obligater Therapiebestandteil. Da beim Kind Durchblutungsstörungen praktisch nicht auftreten, bedürfen die in der Regel vorliegenden hypertrophen Infektpseudarthrosen nach dem Débridement meist nur einer stabilen Fixation, um zu konsolidieren. Eine Antibiotikagabe sollte frühestmöglich und entsprechend der Resistenzbestimmung erfolgen postope-
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Abb. 33.6 a–c. 14-jähriges Mädchen, polytraumatisiert, hier Unterarmfraktur und 2°Verbrennungen. Auswärtige ORIF mit primärem MRSA-Infekt. Revisionen mit Sequestrektomien, Reosteosynthese und zweizeitige Spongiosaplastik. Sanierung und Konsolidierung
rativ zunächst 3–4 Wochen fortgesetzt werden (Campbell 1996). Dabei gilt die Sequenz: intravenös – oral als akzeptiertes Standardverfahren (Karwowska et al. 1998). Von rigiden Therapieschemen wird bei Kindern abgeraten. Im Hinblick auf interindividuell sehr unterschiedliche Resorptions- und Metabolisationskinetiken wird die Spiegelbestimmung im Serum empfohlen (Nelson 1997). Dies gilt obligat, wenn nach der Resistenzbestimmung Substanzen mit erheblichen Nebenwirkungen verabreicht werden, wie z. B. Aminoglykoside. Das postoperative Infektmonitoring umfasst klinische, laborchemische und mikrobiologische Parameter. Unter den Laborwerten ist der CRP-Verlauf von besonderer Bedeutung (Nelson 1997). Verschlechterte klinische Symptome, steigende CRP-Werte und positive postoperative Abstriche indizieren die operative Revision. Dabei ist nach dem zugrunde liegenden Agens zu fahnden: »kein Rauch ohne Feuer«. Regelhaft finden sich verbliebene oder unerkannte Restnekrosen in situ. Wurde bei vorliegendem Infekt eine interne Osteosynthese belassen oder neu angelegt, ist zum Schutz der Konsolidierung regelhaft eine Antibiose über 6–8 Wochen angezeigt. So wird z. B. in der Literatur für die Infektpseudarthrose nach hämatogener Osteitis des Femur eine 6-monatige Antibiosedauer beschrieben (Campbell 1996). Die Kontrolle der Infektparameter wird nach Entlassung aus der stationären Behandlung ambulant durch den weiter behandelnden Arzt vorgenommen. Für komplexere Fälle empfiehlt sich die regelmäßige Wiedervorstellung in der Klinik, insbesondere wenn aufwendige Rekonstruktionen von Weichgewebe und Achsenskelett vorgenommen werden.
Weichgewebemanagement Von entscheidender Bedeutung für die Sanierung eines Knocheninfekts ist die Weichgewebesituation: Steht zum Ende der Revision ausreichend vitales Gewebe für einen vollkommen spannungsfreien Wundverschluss zur Verfügung, erfolgt dieser nach abschließendem Kontrollabstrich direkt über Drainagen. Ist dies nicht möglich, oder wird ein Second-look-Eingriff angesetzt, hat sich bei einer Infektsituation die Vakuumversiegelung bewährt. Prinzipiell muss am Ende der Revision sämtliches Knochengewebe mit sicher vitalem Weichgewebe bedeckt sein. Wegen der geringeren Inzidenz von relevanten Weichteilverlusten sind Defekte, die einer plastischen Versorgung bedürfen, selten. Häufig kann nach temporärer Versorgung mit synthetischer Haut (z. B. Coldex, Epigard, Syspurderm) über einer guten Granulation die definitive Deckung durch Spalthaut erfolgen. Für ausgedehnte Defektsituationen ist die Möglichkeit einer lokalen Lappenplastik bereits präoperativ zu bedenken. Für die Infektsanierung haben sich gut durchblutete Muskellappen und myokutane Lappen als überlegen gezeigt. Gefäßgestielt, denerviert und desinseriert weisen sie weitere Vorteile auf (Abb. 33.7, Abb. 33.8 a,b). Liegt eine derartige Weichgewebezerstörung vor, dass mit konventionellen Mitteln die sichere Weichteilrekonstruktion über dem Knochen/der Osteosynthese nicht zu gewährleisten ist, kommt das Spektrum der freien, mikrochirurgischen Lappenplastiken zum Zuge (Abb. 33.9 a–e). In diesen Fällen sollte zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt die plastische Chirurgie in den Behandlungsalgorithmus involviert werden (Steinau u. Germann
Posttraumatische Osteitis
Abb. 33.7. Gefäßgestielter, medialer Gastrocnemiuslappen beim Kind, proximal desinseriert und denerviert
Abb. 33.8 a,b. Eingeheilter Gastrocnemiuslappen, spalthautgedeckt, erfolgreiche Osteitissanierung der Tibia (Patientin aus Abb. 33.1)
1991). Dies gilt auch für anstehende komplexe Ersatzoperationen. Eine entsprechend erweiterte präoperative Diagnostik ist dazu erforderlich (s. oben). Die frühe fachübergreifende Therapieplanung umfasst für die komplexeren Problemfälle z. B. die spezielle Montage eines Fixateur externe im Hinblick auf einen Lappensitus und seine Gefäßanschlüsse sowie einen eventuellen. Segmenttransport. Ossäre Rekonstruktion Knöcherne Konsolidierung und Infektheilung bedingen sich gegenseitig, daher ist die Ruhigstellung einer infizierten Fraktur eine essenzielle Voraussetzung. Der
Fixateur externe hat sich für die Stabilisierung bis zur ossären Konsolidierung auch unter ungünstigen Voraussetzungen bewährt (Steiner u. Kotisso 1996). Zudem kann er praktisch an allen Gliedmaßenabschnitten angewandt werden, zumindest als temporärer Stabilisator bis zur Infektkontrolle. Bei gesicherter Infektfreiheit kann der Verfahrenswechsel zur internen Osteosynthese erfolgen; die Wahl fällt dabei regelhaft auf die Plattenosteosynthese. Zu bevorzugen sind dabei Titanimplantate. Eine frühzeitige autologe Knochentransplantation vom Beckenkamm ist daher nicht routinemäßig erforderlich (Levy et al. 1997). Kurzstreckige Defekte können mit einer autologen Spongiosaplastik versorgt werden, Infektfreiheit und eine suffiziente Stabilisierung vorausgesetzt. Längere ossäre Defektstrecken sind auch beim Kind durch einen Segmenttransport über Fixateur externe rekonstruierbar (Abb. 33.10 a–c; Abb. 33.11 a–p). Lange Regeneratstrecken sind beim Kind wegen der systemimmanenten spezifischen Nachteile nicht unproblematisch. Es besteht alternativ auch die Möglichkeit, z. B. gehälftete oder ganze Fibulaspäne als Interponat frei zu transplantieren. Wird bei der Spanentnahme der Periostschlauch penibel geschont, bildet sich beim Kind innerhalb von Monaten ein isokalibriges Fibularegenerat. Diese Möglichkeit erlaubt zudem die Aussparung der Beckenkämme (Abb. 33.12 a–c, Abb. 33.13 a,b). Der Ilizarow-Fixateur wurde auch zur Behandlung von kindlichen Infektpseudarthrosen nach hämatogener Osteitis erfolgreich eingesetzt (Zehi et al. 1999). Er konnte sich auch bei der Korrektur von posttraumatischen und postinfektiösen Längendifferenzen wie Achsenfehlern etablieren (Herbert et al. 1995; Siebert et al. 1999). Für gelenknahe Prozesse besteht zudem die Möglichkeit, das Ilizarow-System als Hybridmontage einzusetzen. Auf die nicht unerhebliche Rate an Pin-tracInfekten bei diesem Verfahren ist zu achten. Amputation Versagen alle rekonstruktiven Maßnahmen für einen Gliedmaßenerhalt, ist die Indikation zur Amputation eines Gliedmaßenabschnittes, unter Umständen in Verbindung mit einer Ersatzoperation zu erwägen. Die Verwendung von so genannten Filet-Lappen stellt dabei eine wichtige Erweiterung des operativen Spektrums dar (Kuntscher et al. 2001). Die Amputation bleibt als Ultima Ratio. Deren Indikation ist differenzialtherapeutisch auch dann zu überprüfen, wenn bestehende und immanente Komplikationen einer denervierten Extremität (»warme Prothese«) durch einen nicht beherrsch- oder sanierbaren Infekt potenziert werden. Sofern nicht eine jahrelange Leidensodyssee vorausgegangen ist, erholen sich Kinder nach einer Amputation erstaunlich schnell (Bialik et al. 1987). In der Folgezeit arrangieren sich gerade jüngere Kinder mit dem Gliedmaßenverlust viel erfolgreicher als Erwachsene (Rab 2001).
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Abb. 33.9. a,b 5-jähriges Mädchen mit inadäquat behandelter Osteitis: Resultat der konservativen Behandlung mit instabiler Narbe und kontrakturbedingten Deformierungen und Unterschenkelverkürzung. c–e sekundäre Weichteilrekonstruktion mit
freiem Latissimus-dorsi-Lappen, Transportkortikotomie zur Längen- und Fußkorrektur; eine Lappenausdünnung steht an. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. H.U. Steinau, Klinik für Plastische Chirurgie, BG Kliniken Bergmannsheil, Bochum)
Für die Amputation bei Kindern sind wiederum spezielle Prinzipien zu beachten: 쐌 Wegen des erheblichen Wachstumsdefizites und der relativen Stumpfverkleinerung im weiteren Leben wird von der transmetaphysären Amputation abgeraten, empfohlen wird möglichst die Exartikulation. 쐌 Kondyläre Strukturen mit rotationssichernden Eigenschaften für die Prothesenversorgung sind zu erhalten. 쐌 Wegen des ungleich besseren Heilpotenzials des kindlichen Gewebes sind bei der Stumpfgestaltung
mehr Freiheiten gegeben; so kann auf stumpfbildende Muskulatur Spalthaut transplantiert werden. 쐌 Für die dem Wachstum angepasste Prothesenversorgung empfiehlt sich die weitere Vorstellung in entsprechenden Einrichtungen, die sich auf Kinderprothetik spezialisiert haben. 쐌 Für den Fall des regelmäßig eintretenden überschießenden Längenwachstum des Stumpfes sind weitere chirurgische Revisionen angezeigt (Rab 2001).
Posttraumatische Osteitis
Abb. 33.10 a–c. Segmenttransport des Humerus nach infektbedingtem Verlust der proximalen Epi- und Metaphyse
Abb. 33.11 a–p. Tibiaosteitis. a,b Ausgangslage; mehrfache Voroperationen. c Débridement, Vakuumversiegelung. d Konditionierung
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Kapitel 33 Posttraumatische Osteitis Abb. 33.11 a–p. Tibiaosteitis. e Segmentresektion. f Transportbeginn. g Transportfixateur »custom made«. h,i 6 Monate nach Transportbeginn
Posttraumatische Osteitis
Abb. 33.11 a–p. Tibiaosteitis. j Docking-Operation. k Gastrocnemius: Lappenstiel. l Docking-Operation: Spongiosa plus Muskellappen. m Docking-Operation. n Nach Lappendeckung
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Abb. 33.11 a–p. Tibiaosteitis. o Nach Lappendeckung. p Telemedizinischer Befund 08/05
Abb. 33.12 a–c. 6-jähriger Junge mit langstreckigem Verlust der Tibiadiaphyse im Infekt, Defektüberbrückung durch kontralateral gehobene Fibula
Posttraumatische Osteitis Abb. 33.13 a,b. 12-jähriges Mädchen, Fibularegenerat nach Spanentnahme
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Kapitel 33 Posttraumatische Osteitis
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Kapitel 1
Stichwortverzeichnis
A Abstand, atlantodentaler 517 Acetabulumfraktur – Diagnostik 597 – Klassifikation 597 – Langzeitprognose 599 – Pathobiomechanik 596 – Therapie 598 Akromioklavikulargelenk 176, 177 Allman 176 Amputationen 1038 – Amputationschirurgie 975 – – Aufklärungsgespräch 975 – – Gefäße und Nerven 979 – – Haut 976 – – Hautexpander 977 – – Hautplastiken 977 – – Knochen 979 – – Knorpel 979 – – Lappenplastik 977 – – Muskulatur 979 – – Schnittführung 977 – – Sehnen, Faszien, Ligamente 979 – – Wachstumsfugen 979 – – Wunddrainage 975 – Ausrissverletzung 970 – Bissverletzung 970 – Extremitätenreplantationen 974 – Indikationen 974 – Infekte – – akute hämatogene Osteomyelitis 973 – – chronische Osteomyelitis/Osteitis 973 – Lymphangiom 973 – Nachbehandlung 985 – plastische Rekonstruktion 988 – prothetische Versorgung 987 – – Interimsprothese 987 – – Kineplastik nach Sauerbruch 989 – – myoelektrische Greifprothese 987 – – Stumpfkappenplastik am Humerusstumpf 989 – – Weichteildefekte 989 – Schema der Amputationshöhen 975 – Spätkomplikationen 985, 988 – Starkstromverletzung 970 – Stichverletzung 970 – Stumpfkorrektur 988 – Technik – – Myodese nach Murdoch 984 – – nach Burgess 982 – – obere Extremität 980 – – Operation nach Krukenberg 980 – – Umdrehplastik nach Borggreve-Van Nes 983 – – untere Extremität 981 – Trauma 969 – Trümmerverletzung 970
– – – – –
Tumoren 971 Verätzung 970 Verbrennung 970 Verbrühung 970 wachstumsbedingte Komplikationen 984 – Walzenverletzung 970 – Wundheilungsstörungen 984 Analgetikum, nicht saures antipyretisches 102 Analogskala, visuelle 101 Antibiose 1036 Antirheumatikum, nichtsteroidales (NSAR) 103 Apophyse 33, 1019 – der Tuberositas tibiae – – Ausrisse 707 – – Diagnostik 710 – – funktionelle Anatomie 709 – – Klassifikation 709 – – Therapie 710 Apprehension-Test 162 Armplexusschaden, geburtstraumatischer 170 Arteria-poplitea-Verletzung 31 Aspiration 92 – Infiltrat 64 – Prophylaxe 93 Atelektase 64 Atlas 513 – Pseudosubluxation 517 Atlasfraktur (C1) – Diagnostik 530 – Klassifikation 530 – Prognose 530 – Therapie 530 Atmung 81 Aufnahme – okzipitofrontale, siehe Projektion, 1/4axiale – okzipitonasale 62 Ausrissfraktur der Eminantia intercondylaris 694 – Diagnostik 698 – funktionelle Anatomie 695 – Klassifikation 696 – Operationstechnik 701 – Therapie 698 Axis 513
B Babygramm 77 Bado 389 Band – extrinsisches 305 – intrinsisches 305 Bauchtrauma – Bauchwandhernie 873 – Computertomographie 872
– Erstversorgung 870 – geburtstraumatische Verletzungen 869 – isolierte Pankreasverletzungen 877 – Kindesmisshandlung 869 – klinische Untersuchung 871 – laborchemische Untersuchung 872 – Magnetresonanztomographie 872 – Mesenterialhämatome 877 – Organverletzungen durch Bauchdeckenperforation 881 – Röntgenuntersuchung 871 – Ruptur – – des Dünndarms 876 – – des Duodenums 874 – – des Kolons 877 – – des Magens 874 – Ultraschalluntersuchung 871 – Verletzungen der intraabdominellen Gefäße 881 – Verletzungen der Leber – – konservative Therapie 880 – – operative Therapie 880 – Verletzungen der Milz 878 – – konservative Therapie 879 – – operative Therapie 879 – Verletzungen der Speiseröhre 882 – Verletzungen des Magen-Darm-Trakts 882 – Verletzungsmechanismus 867 – verschluckte Fremdkörper 882 – Zwerchfellruptur 873 Becken – Entwicklung der Hüftbeine 577 – Gelenke 578 – Klassifikation 588 – Komplikationen 595 – Notfallbehandlung 582 – Operationstechnik – – Sakrumfrakturen 595 – – Symphysenruptur 593 – – transiliakale Instabilität 595 – – transpubische Instabilität 595 – Therapie 589 – traumatische Hemipelvektomie 582 Beinlängendifferenz 45 Beinverkürzung 29, 32 Beinverlängerung 32 Belastungsreaktion, akute 110 Belastungsstörung, posttraumatische 111 Belly-press-Test 162 Beschleunigungstrauma 133 Betreuung der Familie 112 Bewältigung, psychische 112 Bewältigungsphase 113 Bewertungsschema nach Beugesehnenwiederherstellung 479 Blackburne-Peel-Methode 725 Blut 83 – Blutdruck 83
ii
Stichwortverzeichnis – Blutgase 82 – Bluttransfusion 84 – Blutvolumen 83 BMP 11 Boari-Flap 910 Bohrlochtrepanation 138 Bone-bruises-Phänomen 73, 74 – knienah 675 Boutonniere 456 Brückenbildung 46 Brunner-Schnitt 470 Brust- und Lendenwirbelsäule (BLWS) – Berstungsbruch mit Neurologie 565 – Diagnostik 562 – Distraktionsverletzungen 562, 566 – dorsaler Zugang 568 – funktionelle Behandlung nach Magnus 568 – instabile Berstungsfraktur (A3) 564 – instabile Distraktions- und Rotations/Scherverletzung 564 – Kompressionsverletzungen (Typ A) 560 – konservative Therapie 568 – operative Therapie 568 – pedikuläre Platten- und Stabsysteme 570 – Prognose 563 – Reposition, Retention und Übungsbehandlung nach Böhler 568 – Rotationsverletzungen (Typ B und C) 562 – Therapie 563 – thorakolumbaler Übergang 568 – ventraler Zugang 570 – Verletzungen 559 – Wachstumsfugenverletzung 566 – Zerklagetechnik 569 Button hole 456
C C0/C1-Verletzung 526 – atlantookzipitale Dislokation 526 – Diagnostik 526 – Klassifikation 528 – Methode nach Powers 527 – Prognose 528 – spinolaminäre Linie 527 – Therapie 528 C0-Verletzung 523 – Klassifikation 525 – Prognose 525 – Therapie 525 C1/C2-Verletzung – atlantoaxiale Dislokation 531 – Diagnostik 531 – rotatorische Instabilitäten 531 – Therapie 533 – translatorische Instabilitäten 531, 533 C2- bis C7-Verletzungen – Diagnostik 539 – Distraktionsverletzungen 539 – Klassifikation 539 – Kompressionsverletzungen 539 – Prognose 540 – Rotationsverletzungen 539 – Therapie 540 C2/C3-Verletzung – Klassifikation 538 – Prognose 538 – Therapie 538 – traumatische Spondylolyse/Spondylolisthese 538 Capitulum-humeri-Fraktur 28 Capitulumneigungswinkel 226
cbfa1-Expression 10 Ceiling-Effekt 106 Chondrozyten 9 Clonidin 94 Commotio cerebri 133 Computertomographie 61 Condylus-radialis-Fraktur 27, 253 – avaskuläre Nekrose 254 – Blutversorgung 254 – Diagnostik 257 – Fischschwanzdeformität 254 – Hypervalgisierung 254 – Klassifikation 257 – Komplikationen 267 – konservative Therapie 259 – Konsolidationsverzögerung 254 – Milch 257 – Nachbehandlung 267 – Operationstechnik 263 – operative Therapie 259 – Pseudarthrose 254 – Spätkomplikationen 267 – Spontankorrektur 254 Contusio cerebri 133 Crush-Läsion 17 CT-Angiographie 63
– – – –
Follow-up 631 Klassifikation 628 Nachbehandlung 631 Operationstechnik der perkutanen Verschraubung 630 – Prognose 628 – Spätkomplikationen 631 Erb-Lähmung, siehe Plexusverletzung Ernährung, parenterale 85 Evans-Osteotomie 830
F
D DAI, siehe diffuse axonal injury Defektverletzung, epimetaphysäre Dehydration 85 Dejour-Kreuzungszeichen 725 Densfraktur (C2) – Diagnostik 535 – Prognose 535 – Therapie 535 Densspitze 517 Dermabrasion 961 Detorsionsvorgang 40 Diaphyse 3, 750 Diazepam 94 Dickenwachstum 4 Diclofenac 104 Diffuse axonal injury (DAI) 124 Dislokation, atlantookzipitale – Einteilung 528 Drehfehler 405 Dreipunktstützung 29 Durazerreißung 135 Dysostosis cleidocranialis 180
20
E Eigenblutspende 84 Eingriff, kleiner chirurgischer 95 Elektrolythaushalt 84 Ellbogenluxation 275, 279 Endotrachealtubus 88 Endplatte – sekundäre Ossifikationszone 515 – Wirbelkörper 515 Energiehaushalt 85 Entwicklung – geistige 87 – renale 86 Epicondylus radialis 294 Epiduralhämatom (EDH) 136 Epiphyse 4, 515 Epiphysenachsenwinkel 747 Epiphysenfraktur 67 – nichtfugenkreuzende 694 Epiphysenfuge 8 Epiphysenplatte, Lösung 519 Epiphysiolysis capitis femoris 626 – Diagnostik 628
Fahrradspeichenverletzung 779 Fehlbildung – kongenitale 517 – kyphotische 517 Femurepiphysenlösung, distale 30 Femurkopfwachstumsfugenschluss 29 Fentanyl 105 Fettkörperzeichen 71 Fettpolsterzeichen 227 FGFR3 14 Fistel 1032 Flüssigkeitsberechnung, parenterale 85 Flüssigkeitsmangel 85 Folge von Schmerzen 101 Fraktur – der distalen Femurepiphyse 673 – – Diagnostik 675 – – Klassifikation 675 – – Spontankorrektur 674 – – Therapie 675 – – Wachstumsstörung 674 – der knöchernen Wirbelkörperrandleiste 520 – knorpeliger Zwischenzonen 520 – pathologische 522, 1023 – wachsende 4, 61 Frakturspalthämatom 137 Fremdkörper, verschluckter 882 Fugenbrückenresektion 32 Fugenschluss, vorzeitiger 24 Fugensprengung 46 Fugenverletzung 22 Fuß – Abduktion/Adduktion des Vorfußes 844 – Analyse der Fehlstellungen 822 – Anatomie 807 – anatomische Achskorrektur 838 – Arthrodese 840 – – korrigierende 839 – avaskuläre Nekrose 837 – Beugesehnentransfer 824 – Defizit des M. tibialis posterior 825 – extraartikuläre Osteotomie 847 – Fehlstellung – – mit Taluskippung 841 – – mit Translation 841 – Fraktur der Metatarsalia 817 – freier Latissimus-dorsi-Lappen 842 – Hallux varus interphalangeus 846 – Hammerzehe 823, 842 – hypertrophe Narbenbildung 847 – Kalkaneusfraktur 813 – kindliche Verletzungen 808 – komplexe Fehlstellung 848 – komplexes Fußtrauma 819 – Komplexverletzungen 846 – Korrekturosteotomie 837 – Krallenzehe 823 – Kuboidfraktur 816 – Lisfranc-Gelenk, reorientierende Arthrodese 846 – Lisfranc-Luxation 817
Stichwortverzeichnis – – – – – – – – –
Luxationsfraktur der Chopart-Reihe 816 M. tibialis anterior und posterior 836 Malletzehe 823 Narbenkontraktur 848 Open-wedge-Osteotomie 848 Os naviculare 816 Ossa-cuneiformia-Fraktur 816 Peronealsehnenluxation 833 posttraumatische Nervenkompressionssyndrome 847 – posttraumatischer Hallux valgus 846 – posttraumatischer Plattfuß 844 – Pseudarthrosenausräumung 839 – Rückfuß 842 – Schädigung – – des N. ischiadicus 825 – – des N. peroneus 825 – sekundäre Rekonstruktion 837 – septische Talusnekrose 840 – subtalare Arthrose 841 – Talushals 837 – – Typ Hawkins I–III 809 – – Typ Hawkins IV 810 – Taluskopf 811 – Taluskörper 811 – Varusfehlstellung 837 – Verkürzung der medialen/lateralen Fußsäule 844 – Vollhautnekrose 842 – Zehenfraktur 818 – Z-Plastik 824, 834 Fußheberlähmung 825
G Galeazzi-Läsion 398 Geburtsverletzung 26 Gesichtsschädelverletzung – Alveolarfortsatzfrakturen 149 – Diagnostik 143 – Frontobasisfrakturen 151 – funktionskieferorthopädisches (FKO) Gerät 150 – intraorale Verletzungen 148 – Leitsymptome 145 – Mittelgesichtsfrakturen 147, 151 – Nervenverletzungen 148 – Stirnbeinfrakturen 151 – Unterkieferfrakturen 145, 149 – Verletzungsarten 144 – Weichteilverletzungen 147 – Zahnluxationen 148 Gewalt, körperliche 121 – Diagnostik 121 Gliedmaßenskelett 65 Gradientenecho- (GRE-) Sequenz 59 Grandlagen, gesetzliche 129 Grünholzfraktur 67, 306, 348, 747 Guedel-Tubus 88
H Halo-Fixateur 543 Halswirbel 515 Halswirbelsäule 513 – dorsale atlantoaxiale Fusion (C1/C2) – – mit transartikuläre Verschraubung 549 – – mit Zerklagen 548 – dorsale Plattenfixation 558 – dorsale Spondylodese 557 – dorsale Verschraubung der traumatischen Spondylolisthese (Osteosynthese C2) 552 – dorsaler Zugang 554 – konservative Therapiemöglichkeit 543
– – – – – –
operative Therapie – dorsaler Zugang 546 – minimal-invasive Methode 550 – okzipitozervikale Fusion 546 Stabsysteme 558 ventrale interkorporelle Spondylodese 554, 555 – ventraler Zugang 553, 555 – Verschraubung des Dens axis 553 – Zerklagetechnik 557 Halswirbelsäulenverletzung 522 Hämatom, subungeales 431 Hämatothorax 64 Hand – Capitatumfrakturen – – Diagnostik 414 – – radiologische Beurteilung 414 – – Therapie 414 – Frakturen der Metakarpalia – – basale Frakturen 424, 425 – – Frakturen des Caput 419, 425 – – Frakturen des Korpus 419, 425 – – funktioneller Brace 417 – – Grenzen der Spontankorrektur 415 – – Klassifikation 417 – – konservative Therapie 419, 424, 425 – – Metakarpale I 415, 425 – – Metakarpale II bis V 415, 419 – – operative Therapie 419, 422, 424, 425 – – subkapitale Frakturen 425 – – Therapie 417 – Hamatumfrakturen 414 – Haut- und Weichteilverletzungen – – Amputationsverletzungen am Finger 496 – – bilaterale VY-Plastik 489 – – Cross-Finger-Lappenplastik nach Cronin 490 – – Daumen 499 – – Dehnungslappenplastik nach Moberg 490 – – Dehnungslappenplastik nach Snow 490 – – Diagnostik 484 – – Endphalanx 496, 497 – – Vollhauttransplantatentnahme 487 – – Spalthautentnahme 488 – – freie Hautlappen mit mikrovaskulären Anastomosen 494 – – gestielte Nahlappen 490 – – Grundphalanx 499 – – Hautdefekte 486 – – Hautdefekte an der Streckseite 502 – – Hautdefekte in der Hohlhand 502 – – Hautlappenplastiken 488 – – Hauttransplantate 486 – – Hautverschlusstechniken 486 – – Indikation für eine Hautlappenplastik 486 – – Insellappenplastik 493 – – künstliche Haut 486 – – Langfinger 497 – – lokale Verschiebelappen 488 – – Mesh-graft-Transplantat 488 – – Mittelphalanx 499 – – operativer Eingriff 495 – – Schmetterlingsplastik 501 – – sekundäre Veränderungen des Fingernagels 506 – – Thenarlappenplastik 491 – – Verletzung in Zone 1/2 497, 500 – – Verletzung in der Zone 3/4 498, 500 – – Verletzungen des Fingernagels 502 – – VY-Dehnungslappenplastik 488 – – Wunden mit/ohne Substanzdefekt 485
– – Zeitpunkt des Hautverschlusses 486 – – Z-Plastik 500 – – Zwischenfingerfalte 500 – Phalangen – – basale Frakturen 443 – – Basis-phalangis-Fraktur 436 – – Caput-phalangis-Fraktur 433 – – Corpus-phalangis-Fraktur 434 – – Endphalanx-Fraktur 430 – – Grenzen der Spontankorrektur 428 – – Grundphalanx-Fraktur 431 – – Klassifikation 430, 432 – – Kondylen-Fraktur 433, 442 – – konservative Therapie 430 – – Mittelphalanx-Fraktur 431 – – operative Therapie 431, 438 – – Osteosynthesetechniken 439 – – Schaftfrakturen 443 – – subkapitale Frakturen 443 – – Therapie 433 – – Trochleafrakturen 433 – – Verletzung der kollateralen Seitenbandapparate 440 – – Wachstumsstörungen 428 – Pisiformefrakturen 414 – Skaphoidfrakturen – – dorsaler Zugang 411 – – Herbert-Schraube 409 – – Kahnbeinosteosynthese 409 – – Klassifikation 407 – – Operationstechnik 410 – – palmar-radialer Zugang 410 – – Pseudarthrosen 411 – – radiologische Diagnostik 407 – – Reposition 411 – – Therapie 408 – – Zugang 410 – Trapeziumfrakturen 414 – Triquetrumfrakturen 414 – Verletzungen des ulnaren Seitenbandes des Daumens 440 – Weichteilverletzungen – – Anatomie 444 – – Ansatzbasis des Endgliedes 477 – – Ausziehnaht 449 – – Begleitverletzungen 474 – – Beugesehnentranspositionen 483 – – Beugesehnenverletzungen beim Kind 464 – – Daumen 461, 462 – – Diagnostik 447, 467 – – distaler Stumpf 477 – – Durchflechtungsnaht nach Pulvertaft 481 – – Einteilung der Verletzungen 446 – – einzeitiges Vorgehen bei einer Sehnentransplantation 480 – – Ergebnisse nach Beugesehnenwiederherstellung 479 – – geschlossene Verletzungen 454, 455, 457, 459, 460, 462, 463 – – Indikation 448 – – Inspektion der Hand 468 – – Inzisionen 449 – – Klassifikation 446, 452 – – knöcherner Ausriss 478 – – knöcherner Ausriss der Streckaponeurose 454 – – kurzes/langes Beugesehnentransplantat 480 – – Lengemann-Ausziehdrahtnaht 450 – – Nachbehandlung 451 – – Naht beider Beugesehnen 476 – – Naht der langen Daumenbeugesehne (FPL) 478
iii
iv
Stichwortverzeichnis – – Naht der oberflächlichen Beugesehne (FDS) 477 – – Naht der tiefen Beugesehne (FDP) 477 – – Nahttechnik 449, 472 – – offene Verletzungen 452, 455, 456, 458, 459, 461, 463 – – Operationstechnik 448, 471, 483 – – Operationszeitpunkt 448 – – operative Therapie 448, 470 – – Physiotherapie 475 – – Plantarissehnentransplantat 480 – – postoperative Behandlung 450, 474 – – Prüfung der Motorik 469 – – Refixation der tiefen Beugesehne (FDP) 477 – – Ringbandrekonstruktion 483 – – Sehnenheilung nach Bunnell 446 – – Sehnentransplantation 480 – – sekundäre Eingriffe nach Beugesehnenverletzungen 479 – – spezielle funktionelle Anatomie 464 – – temporäre Kirschner-Draht-Fixation 450 – – Tenolyse 483 – – Tenolyse der Strecksehnen 463 – – Therapie 452, 455, 456, 458, 459, 461, 463 – – Umkippplastik nach Snow 457 – – U-Naht 449 – – Verletzungen in Zone 1 452 – – Verletzungen in Zone 2 454 – – Verletzungen in Zone 3 456 – – Verletzungen in Zone 4 458 – – Verletzungen in Zone 5 459 – – Verletzungen in Zone 6 461 – – Verletzungen in Zone 7 463 – – Verletzungen in Zone 8 463 – – Zoneneinteilung 446, 467 – – zweizeitiges Vorgehen 482 Harnblasenkontusion – Harnblasentamponade 897 – Makrohämaturie 897 – reflektorische Blasenlähmung 897 Harnblasentamponade – Harnblasenspülung 899 – Vesikotomie 899 Harnleiterabriss – Psoas-Hitch 896 – Technik nach Anderson-Hynes 8896 – Ureterozystoneostomie 896 – Verfahren nach Boari 896 – vesikoureteraler Reflux 896 Harnleiterverletzungen 894 Harnröhrenabriss, Überrolltrauma 902 Harnröhrenprellung – Harnröhrenstenose 900 – Hodenverletzung 900 Harnröhrenruptur – Beckenfraktur 901 – Hochgeschwindigkeitstrauma 901 Heuter-Volkmann-Prinzip 16 Hill-Sachs-Defekt 164 Hirngewebetrauma 138 Hirnnervenschäden 141 Hirnstammeinklemmung, irreversible 137 Hirnstammreflex 134 Hoden, Skrotalhämatom 906 Hodentrauma – Hodenprothese 907 – Infertilität 907 – Orchidopexie 907 – Orchiektomie 907 Hohlfuß 1025
Hüfte – Apophysenlösung 625 – Diagnostik 611 – Entwicklung und Wachstum 605 – Frakturen des koxalen Femurs 611 – Gefäßanatomie 606 – intrakapsuläres Hämatom 617 – Klassifikation 611 – pathologische Frakturen 624 – Spontankorrektur 606 – Therapie – – intertrochantäre Fraktur 617 – – Komplikationen 623 – – operatives Vorgehen 619 – – transepiphyseale Frakturen 617 – – transzervikale Schenkelhalsfraktur 618 – – traumatische Epiphysiolyse 617 – – zervikotrochantäre Schenkelhalsfraktur 618 – Wachstumsstörungen 606 Hüftgelenkluxation 607 – chronische Instabilität 611 – Diagnostik 608 – Hüftkopfnekrose 610 – – Spätkomplikationen 610 – Komplikationen 609 – posttraumatische Arthrose 611 – Therapie 608 Hüftluxation, traumatische 35 Humerus-Ellbogen-Handgelenk-Winkel 227 Humerusepiphysenlösung, proximale 26 Humerusfraktur, transkondyläre – Diagnostik 270 – Klassifikation 270 – konservative Therapie 271 – Nachbehandlung 275 – operative Therapie 271 – Spätkomplikationen 275 – Spontankorrekturpotenz 270 Hydrocephalus occlusus 138 Hyperglykämie 85 Hypertonie 83 Hyperventilation 135 Hypoglykämie 85 Hyponatriämie 135 Hypotension 134 Hypothermie 86 Hypotonie 83 Hypoxie 134
I Ibuprofen 104 IGF-1, siehe Insulin-likeWachstumsfaktor-1 Ilizarow-Fixateur 1037 Impotenz 904 Impressionsfraktur 136 Indian hedgehog 9 Infekt, banaler 91 Infektpseudarthrose 1035 Instabilität, unidirektionale 167 Insuffizienz – chronische 802 – respiratorische 82 Insuffizienzfraktur 1023 Insulin-like-Wachstumsfaktor-1 (IGF-1) 11 Interphangelagelenk, distales – Luxationen 431 Intrinsic-plus-Stellung 451 Intubationstiefe 89 Intubationszubehör 88
J Jerk-Test 167 Jobst-Bandage 962 Juvenile Osteochondrosis dissecans (JOCD) 1004
K Kadi-Läsion 69 Kalkaneusosteotomie nach Dwyer 830 Kalottenfraktur 135 Kapnometrie 90 Karotis-Sinus-cavernosus-Fistel 140 Karpaltunnelsyndrom 29 Kathetertechnik 97 Kehlkopfmaske 89 Kinder mit Infekt 91 Kinderanästhesie 81 Kinderschutzgruppe (KS) 128 Kindesmisshandlung 518 – elterliche Faktoren 120 – epidurale Hämatome 124 – familiäre Faktoren 120 – kindliche Faktoren 120 – SDH 124 – subarachnoidale Blutungen 124 Kindesmisshandlungssyndrom 119 Klavikula – allgemeine Indikationen zur Operation 183 – Anatomie 175 – elastisch stabile Markdrähte (ESIN) 183 – epiphysäre Frakturen 177 – hypertrophe Pseudarthrosen 183 – Kirschner-Drähte 183 – Klassifikation 176 – – nach Dameron 178 – – nach Rockwood 178 – Klavikulaschaftfrakturen 183 – Komplikationen 185 – laterale Klavikularfrakturen 185 – laterale Pseudoluxation 177 – mediale Epiphysenlösung 177 – mediale Klavikulafrakturen 184 – Nachbehandlung 186 – Operationstechnik der elastischen Titannagelung 184 – Ossifikationszentrum 175 – posteriore Dislokationen 184 – Spätkomplikationen 187 – spontanes Remodeling 175 – symptomatische atrophe Pseudarthrosen 183 – vorzeitiger Fugenschluss 175 Kleinert 474 Kniebinnenverletzung 31 Kniegelenk – diagnostische Arthroskopie 684 – Meniskusläsion 685 – Patella 714 – – alta 722, 725 – – baja 725 – – chirurgische und spezielle Anatomie 715 – – norma 725 – Patellafraktur 716 – – Diagnostik 717 – – Klassifikation 717 – – Therapie 717 – Patellaluxation 721 – – akute traumatische 722 – – Diagnostik 723 – – habituelle 722 – – Klassifikation 722
Stichwortverzeichnis – – kongenitale 722 – – osteochondrale Frakturen 731 – – Therapie 726 – Scheibenmeniskus 688 – Watanabe-Klassifikation 689 Kniegelenkhämarthros 30 Kniegelenksverletzung, frische 683 Knochenbrücke 32 Knochenmarködem 1026 Knochennekrose, avaskuläre 993, 994 Knochenneubildung, enchondrale 515 Knochenregeneration 8 Knochensequester 1033, 1034 Knopflochdeformität 456 Knopflochphänomen 446 Kompartmentsyndrom 832 Komplex, fibrocartilager triangulärer 305 Kontraindikation 96 Kopf-Brust-Gipsverband 543 Korrekturpotenz 39, 41 Koshino-Methode 725 Kreislauf, neonataler 83 Kreuzungszeichen nach Dejour 725 Kronenfraktur 149 KS, siehe Kinderschutzgruppe KUS-(Kindliche Unbehagens- und Schmerz-)Skala 101
L Landsmeer-Band 446 Längenwachstum 4 Lappenplastik 1036 Laryngoskop 88 Larynxmaske 89 Läsion, epikondyläre – Avulsionsfrakturen 276 – Komplikationen 288 – Nachbehandlung 293 – Ossifikationszentrum 276 – Osteosynthese 287 – Spätkomplikationen 293 – Spontankorrektur 276 – Wachstumsstörung 276 Laxizität, multidirektionale 167 Le Fort I 147 Leber 87 Leptin 13 Lift-off-Test 162 Linie nach Shenton 280 Liquorfistel 139 Lokalanästhetikum 98 Luftkammerorthese 1028 Lungenfunktion bei Kindern 82
M Magnetresonanztomographie 59 Markraumschienung, intramedulläre 757 Mefenaminsäure 104 Mehrzeilen-Technik 59 Meninga-media-Blutung 137 Meniskusinsertion 31 Metamizol (s. auch Novalgin) 103 Midazolam 94 Milch 26 Minerva-Gipsverband 543 Monitoring 90 Monteggia-Äquivalent-Läsion 389 Monteggia-Fraktur 389 Monteggia-Läsion – chronische 396 – chirurgische Anatomie 388 – elastische Marknagelung 393
– geschlossene Reposition 395 – Klassifikation 389 – Ligamentum anulare 393 – Nachbehandlung 395 – operative Stabilisierung 395 – Plattenosteosynthese 395 – Therapie 392 – Wachstumsstörungen 388 Morbus Blount – adoleszente Form 1000 – Genu varum 1000 – infantile Form 1000 – Klassifikation nach Langenskiöld 1001 – knöcherne rücke über die Wachstumsfuge 1001 Morbus Iselin 1018 Morbus Klippel-Trénaunay 971 Morbus Köhler – akzessorische Ossifikation 1002 – epiphysäre Dysplasie 1002 – Os naviculare pedis 1002 – Schuheinlagen 1002 Morbus Panner 1016 Morbus Perthes – Containment-Therapie 998 – Crescent sign 995, 997 – Fragmentationsstadium 996 – Head at risk sign 996 – Initialstadium 995 – Klassifikationen 998 – Knochenmarködem 997 – Kondensationsstadium 995 – Referred pain 997 – Reparationsstadium 996 Morel-Lavallé-Verletzung 587 Morphin 105 Müller-AO-Klassifikation 51 Multislice-Technik 59 Muskelrehabilitation, sportspezifische 1028
N Naht nach Kirchmayr-Zechner 472 Nalbuphin 106 Narkose zur Notfallversorgung 92 Narkosearbeitsplatz 88 Neer 176 Nekrose, avaskuläre 29 Nekrosebrücke 46 Nervensystem 87 Niereninfarkt 891 Nierenverletzung – Berstungsverletzung 889 – Intimaläsion der Nierenarterie 890 – Nierenbeckenruptur 892 – Nierenkapselruptur 888 – – Operationstechnik 888 – renaler Hypertonus 889 – Schweregrade 886 – transkutane Pyelostomie 890 – Ureterozystoneostomie 890 – Urinom 890 Novalgin, siehe Metamizol NSAR, siehe Antirheumatikum, nichtsteroidales Nüchternheit, perioperative 92
O Oberarm – Anatomie 189 – diaphysärer – – Behandlungsverfahren – – Klassifikation 208
209
– – – – – – – –
– operative Technik 214 – operative Versorgung 212 – Spontankorrektur 208 distaler – Komplikationen 217 – Nachbehandlung 217 Entwicklung 189 geburtstraumatische proximale Humerusfrakturen 191 – Klassifikation 192 – klinische Erstversorgung 193 – konservative Behandlungsverfahren 193 – operative Behandlungsverfahren 193 – proximaler 191 – – elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN) 197 – – Indikationen 194 – – Kirschner-Draht-Osteosynthese 199 – – Komplikationen 199 – – konservative Therapie 195 – – Nachbehandlung 205 – – operative Technik 195, 197 – – Patientenaufklärung 197 – Spontankorrektur 192 – Wachstum 189 – Wachstumsstörungen 192 Oberarmfraktur, suprakondyläre – Antekurvationsfehlstellungen 218 – Biomechanik des Torsionsfehlers 224 – Cubitus varus 222 – Diagnostik 225 – elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN) 239 – Extensionstyp 218 – Extensionstypen 224 – Fixateur-externe-Montagen 239 – Flexionstyp 218 – Gartland 225 – isolierte Torsionsfehlstellung 221 – Kirschner-Draht-Osteosynthese 235 – Klassifikation 224 – Komplikationen 240 – Nachbehandlung 240 – operatives Vorgehen 232 – Ossifikation 218 – posttraumatische Korrekturen 249 – Rekurvationsfehlstellung 220 – Rotationsfehlstellung 226 – Spätkomplikationen 249 – Spontankorrektur 218 – Therapie 228 Oberschenkel – Fraktur – – Diagnostik 644 – – Klassifikation 643 – – klinische Erstversorgung 646 – – pathologische 635 – klinische Messung der Torsion 639 – Ossifikation 636 – Rotationsfehler 639 – Spontankorrektur 636 – Therapie 647 – – ESIN 655, 664 – – Fixateur externe 660 – – Indikation 647 – – Kirschner-Draht-/ Schraubenosteosynthese 667 – – konservative Behandlungsverfahren 653 – – Marknagelosteosynthese 664 – – Nachbehandlung 668 – – operative Behandlungsverfahren 655 – – Overhead-Extension 653 – – Plattenosteosynthese 664
v
vi
Stichwortverzeichnis – – posttraumatische Korrektur 669 – Wachstumsstörungen 641 Ogden-Klassifikation 18 Olekranonfraktur – apophysäre Fraktur 332 – Komplikationen 339 – Nachbehandlung 339 – Plattenosteosynthese 339 – Schraubenosteosynthese 339 – Therapie 334 – Wachstumsprognose 333 – Zugang 336 – Zuggurtungsosteosynthese 336 Olekranonosteotomie, intraartikuläre 271 Olekranonzuggurtung 339 Opioid 104 Opioidüberdosierung 106 Orchidopexie 907 Orchiektomie 907 Orthese 543 Ossifikation – chondrale 5 – enchondrale 7, 9 – perichondrale 6 Ossifikationskern 406 Ossifikationszentrum, akzessorisches 717 Osteoblasten 4 Osteochondrose – Apophyse 994 – avaskuläre Knochennekrose 994 – Epiphyse 994 – Störung der enchondralen Ossifikation 993 Osteochondrosis dissecans 74 – adulte 1004 – – sekundäre Arthrose 1005 – am Ellenbogen – – freie Gelenkkörper 1016 – – Little leaque elbow 1016 – – Morbus Panner 1016 – am Talus – – akute/chronische osteochondrale Läsion 1013 – – Supinationstrauma 1012 – diagnostisches Zeichen nach Wilson 1005 – juvenile 1004 – Klassifikation nach Guhl 1006 – MRT-Stadium nach Kramer 1006 – Therapie – – Achskorrektur/-umstellung 1010 – – Allografts 1010 – – anterograde Anbohrung 1010 – – autologe Chondrozytentransplantation 1010 – – Continous passive motion 1010 – – Microfracturing 1010 – – osteochondrale AutograftTransplantation (OATS) 1009 – – Refixation des Dissekats 1008 – – retrograde Knochenbohrung 1007 Osteoklasten 5, 11 Osteomyelitis 1031 Osteopetrose 11 Osteozyten 5 Osterix (s. auch Osx) 10 Östrogen 13 Osx, siehe Osterix
P Panoramaaufnahme 179 Paracetamol 102 Paracetamolüberdosierung
103
Parathormon-related Peptid (PTHrP) 10 Parathyrin (PTH) 13 Patella bipartia 717 Pauwel 39 PDA, siehe Periduralanästhesie Penisamputation – Explosionstrauma 905 – Operationsverfahren 905 – Zirkumzision 905 Penisfraktur, Operationsverfahren 905 Penisprellung 903 Perfalgan 103 Periduralanästhesie (PDA) 97 Periost 5 Pes – calcaneocavus 832 – cavovarus 830 – equinovarus 832, 834 – planovalgus 830, 832, 833 Physiologie 81 Piritramid 105 Plattenosteosynthese 1037 Plexuslähmung, vollständige 171 Plexusläsion – obere (s. auch Typ Erb) 170, 171 – untere 171 Plexusschädigung (s. auch Typ Klumpke) 170 Plexusverletzung (s. auch Erb-Lähmung) 76 PMMA-Ketten 1033 Pneumothorax 64 Polytrauma – Abdominaltrauma 926 – Beckenfraktur 929 – Extremitätenverletzungen 930 – Häufigkeit 919 – Intensivtherapie 931 – Mortalität und Morbidität 920 – präklinische Versorgung 921 – Schädel-Hirn-Trauma 924 – Schockraummanagement 923 – Thoraxtrauma 925 – Verletzungsmuster 920 – Wirbelsäulenverletzungen 927 Prämedikation 94 Präventionsaspekte 117 Processus-coronoideus-ulnae-Fraktur 342 Projektion, 1/4-axiale (s. auch okzipitofrontale Aufnahme) 62 Projektionsradiographie (s. auch konventionelles Röntgen) 58 Pronatio dolorosa 295 – Nachkontrollen 299 – Therapie 297 Pseudarthrose 330, 1027 Pseudoluxation 177 Pseudoparalyse 179 Pseudosubluxation 517 Psoas-Hitch 910 Psychotraumatologie 109 PTH, siehe Parathyrin PTHrP, siehe Parathormon-related Peptid Pulsoxymetrie 90
R Radioulnargelenk, proximales 305 Radius, distaler – epiphysäre Frakturen 384 Radiushalsfraktur – avaskuläre Nekrosenbildung 318 – Blutversorgung 316 – Diagnostik 320
– intramedulläre Markraumschienung 323 – Klassifikation 319 – Komplikationen 330 – Nachbehandlung 331 – offene Reposition 328 – Ossifikationskerne 315 – Pseudarthrose 318 – radioulnare Synostose 316 – Spontankorrektur 319 – Therapie 321 – Wachstumskontrollen 331 – Wachstumsstörungen 316 Radiusköpfchen 28 Radiusköpfchenfraktur – avaskuläre Nekrosenbildung 318 – Blutversorgung 316 – Diagnostik 320 – intramedulläre Markraumschienung 323 – Klassifikation 319 – Komplikationen 330 – Nachbehandlung 331 – offene Reposition 328 – Ossifikationskerne 315 – partieller Fugenverschluss 316 – Pseudarthrose 318 – radioulnare Synostose 316 – Spontankorrektur 319 – Therapie 321 – Wachstumskontrollen 331 – Wachstumsstörungen 316 Radiusköpfchensubluxation, traumatische 295 Randleiste 516 Rang-Klassifikation 18 Ranvier-Zone 16 Raynaud-Phänomen 971 Refraktur 306 Regionalanästhesie – Grundlagen 95 – intraoperative 96 – periphere 98 – postoperative 96 – rückenmarknahe 96 Relokationstest 167 Remodelingvorgang 40 Rezidivtrauma Ringapophyse 515 Roger-Hilfslinie 226 Röntgen, konventionelles, siehe Projektionsradiographie Rotationsfehler 41 Rucksackverband 183 Ruhephase, prämature 39 Ruptur der A. meningea media 136
S S(+) Ketamin 106 Salter-Harris-Verletzung 17 – I 19 – II 19 – III 20, 519 – IV 20 – V 20 Sauerstoffbedarf bei Kindern 82 Schädelbasisfraktur 136 Schädelfraktur 62 Schädel-Hirn-Trauma 133 – bei mehrfachverletzten Kindern – diffuse Schäden 133 – durch Schussverletzung 139 – gedeckte 133 – Hirnnervenschäden 141 – lokalisierte Schäden 133
139
Stichwortverzeichnis – Notfalldiagnostik 134 – offenes 133, 139 – Sinusverletzungen 140 Schädelknochen 3 Schädelprellung 133 Schaltzeit 58 Schmerzkonzept, multimodales 96 Schmerzscore 101 Schmerzsyndrom, peripatellares 714 Schmerztherapie, systemische 100 Schocktrauma 110 Schulter – Anatomie 155 – Arthroskopie 158 – Diagnostik 159 – Entwicklung 159 – hintere Luxationen 164 – Komplikationen 161 – Operationstechnik 161, 165 – operative Zugangswege 155 – Rotatorenmanschettenrupturen 162 – Schulterinstabilität 166 – Therapie 160, 169 – traumatische Schulterluxation 163 – Wachstum 159 Schulterdystokie 170 Schultergelenkaufnahme, axiale 179 Schütteltrauma 124, 138 Schutzfaktor 114 SCIWORA-Syndrom 516, 520, 521 SDH 124 Sedierung 94 – in Spontanatmung 95 Segmenttransport 1037 Seitenbandausriss – ossärer 281 – – femoraler 680 – – radialer 294 Sesambein-Fraktur 441 Sharpey-Fasern 709 Sichelfußstellung 830 Sichelzahn 150 Sinding-Larson-Johannson-Verletzung 717 Single-shot-Technik, siehe Spinalanästhesie Sinusverletzun 140 Skaphoidfraktur – dislozierte 408 – instabile 408 – nichtdislozierte 408 Skelettfraktur 123 Skelettszintigramm 77 Sleeve-Fraktur 717 Smiley-Analog-Skala 101 Spinalanästhesie (s. auch Single-shotTechnik) 97 Spiral-CT 59 Spondylolyse 1023 – Therapie 1028 Spontankorrekturmechanismus 39 Stack-Schiene 451 Staphylococcus aureus 1032 Sternal occiput mandibular immobilization (SOMI-brace) 543 Sternoklavikuklargelenk 176 – Luxation 179 Straddle-Verletzung – sexueller Missbrauch 908 – Urethrozystoskopie 908 Strahlenenergie 58 Strahlenschutz 57 Stressfraktur 69, 1023 – Diagnostik 1025 – Risikofaktoren 1024 – Therapie 1027
STRO-1 10 Sychondrose – neurozentrale 516, 517 – subdentale 517 Syndesmose, vordere 21 Synostose, radioulnare 316, 330
T Tagesklinik/Tageschirurgie 93 Tagesklinik 93 Temperaturmessung 90 Thoraxtrauma – Bronchialruptur 862 – Computertomographie 856 – Hämatothorax 860 – instabiler Thorax 857 – Lungenkontusion 862 – Lungenparenchymverletzung 858 – Pneumothorax 859 – Röntgen 856 – traumatische Asphyxie 862 – Unterschiede zum Erwachsenen 855 – Ursachen und Häufigkeit 855 – Verletzungen – – der Thoraxwand 856 – – des Herzens und der großen Blutgefäße 863 – – des Zwerchfells 864 Thrombozytenkonzentrat 84 Tibiaepiphyse, proximale 31 – fugenkreuzende Epiphysenfraktur 702 Tibiafraktur, proximale metaphysäre 747 Tillaux-Fragment 22 Tilleaux-Fraktur, juvenile 792 Toddler’s fracture 67, 752 Traktionsapophyse 1018 Tramadol 105 Trauma 110 Traumabewältigung 109 Trepanation, osteoplastische 138 Triplane-Fraktur 22, 792 Trochleadysplasie 725 Tuberculum-majus-Ausriss 206 Tuberculum-minus-Ausriss 206 Twoplane-Fraktur 21, 792 Typ Erb, siehe Plexusläsion, obere Typ Klumpke, siehe Plexusschädigung
U Übergangsfraktur 20, 21, 68, 792 – Diagnostik 794 – Nachbehandlung 796 – Therapie 794 Übergangszone, osteochondrale 516 Ulna, distale 387 Ultraschalldiagnostik 59 Unteram – distaler – – Diagnostik 368 – – geschlossene Reposition 374 – – Gipse 368 – – Gipskeilung 368 – – hemmende Wachstumsstörungen 362 – – Kirschner-Draht-Osteosynthese 379 – – Kirschner-Draht-Spickung 369 – – Klassifikation 364 – – Komplikationen 380 – – Nachbehandlung 382 – – perkutane Kirschner-Draht-Spickung 369 – – Plattenosteosynthese 369, 380
– – Spontankorrektur 362 – – stimulative Wachstumsstörungen 362 – – Therapie 368 – – Wachstumsprognose 362 – Diagnostik 310 – diaphysärer – – Achsenfehlstellung 346 – – Frakturart 346 – – Instabilitätskriterien 346 – – intramedulläre Marknagelung 349 – – Klassifikation 345 – – Nachbehandlung 356 – – Plattenosteosynthese 356 – – Spontankorrektur 345 – – Therapie 346 – – Tipps 356 – – Wachstumsprognose 345 – funktionelle Deformitäten 307 – kinematische Kette 305 – Klassifikation 308 – Korrekturmechanismen 304 – Nachuntersuchung 313 – operative Verfahren 313 – Ossifikationszentren 303 – Primärtherapie 312 – Propination 306 – Röntgen 310 – Rotationsfehlstellungen 312 – spezielle Anatomie 305 – Standardröntgenaufnahme 311 – Supination 306 – Technik der geschlossenen Reposition und Gipsanlage 312 – Umwendbewegung 306 – Unterarmmuskeln 306 Unterschenkel – digitaler – – Diagnostik 779 – – Epiphysenachsenwinkel 780 – – Frakturen der Epiphyse 786 – – Frakturen der Metaphyse 778 – – Klassifikation 779 – – Nachbehandlung – – Operationstechnik 785 – – operative Therapie 783 – – Spontankorrektur 775 – – Therapie – – Valgusfehlstellungen 784 – – Wachstumsstörung 776 – Distorsionen – – Diagnostik 800 – – Klassifikation 799 – – ligamentäre Verletzungen 801 – – Therapie 800 – Fraktur – – Diagnostik 754 – – Klassifikation 753 – – Therapie 754 – Fraktur des Malleus medialis 787 – – Nachbehandlung 789 – – operative Therapie 788 – isolierte Tibiafraktur 754 – – Nachbehandlung 770 – knöcherne und ligamentäre fibulare Bandläsionen 799 – proximaler metaphysärer 743 – – Diagnostik 745 – – Klassifikation 745 – – Konsolidationsstörung mit Fehlwachstum 742 – – Spätkomplikationen 750 – – Therapie 746 – – Valgusfehlstellungen 749 – Spontankorrektur 741 – Stressfraktur 753
vii
viii
Stichwortverzeichnis – Therapie – – DCP-Platte 768 – – Fixateur externe 768 – – Kompartmentspaltung 769 – – Komplikationen 766 – – Spätkomplikationen 772 – Unterschenkelschaftbruch 756 – Valgusfehlstellung 750 – Wachstumsstörungen – – hemmende 7442 – – stimulative 742 Untersuchung zur Durchführung einer Narkose 93 Ureterverletzung 909 Urogenitalsystem 885 – Pyeloplatik nach Anderson-Hynes 914 – Ureterozystoneostomie 915 – Zugangswege – – zum Ureter 911 – – zur Harnblase 911 – – zur männlichen Urethra 911 – – zur Niere 913
V VDR, siehe Vitamin-D-Rezeptor, exprimierter Venenkanüle für Kinder 91 Verbrennung – Analgosedierung 958
– – – – – – –
chirurgische Therapie 960 Erstversorgung 955 Hautentnahme 961 Lokaltherapie 959 Nachbehandlung 962 Nekretomieverfahren 961 rekonstruktive plastische Chirurgie 963 – Transplantationstechnik 961 – Verbrennungsfläche 956 – Verbrennungstiefe 960 – Volumentherapie 957 Verletzung, geburtstraumatische 76 Vitamin-D-Rezeptor, exprimierter (VDR) 13 Vorläuferzelle 4
W Wachstumskorrektur 16 Wachstumsstörung 44 – stimulative 45 Wärme 85 Wärmeproduktion 86 Wasser 84 Weber Klassifikation 18 Weck-Goulian-Messer 961 Weichteilschäden 1031 – Behandlungsprinzipien 939 – – spezielle 941
– Frakturstabilisierung 942 – Klassifikation 937 – Kompartmentsyndrom 951 – primärer Wundverschluss 943 – sekundärer Wundverschluss 945 – spezielle Verletzungsformen – – Amputation 950 – – Radspeichenverletzung 947 – – Rasenmäherverletzungen 948 – – Schussverletzungen 950 – – Tierbissverletzungen 948 – – Verletzung durch Autoreifen 947 – Ursache und Häufigkeit 935 – Verletzungsformen 935 Weichteilschatten, retropharyngealer 517 Wiplash shaken infantile syndrome 518 Wirbelkörperendplatte 515 Wirbelkörperlängenwachstum 516 Wulstfraktur 66
Z Zangengeburt 518 Zephalhämatom 76 Zervikalstütze – harte 543 – steife 543 – weiche 543 Zusatzfilterung 58