Aus der einen kleinen Glasschale, in der Fleming die bakterientötende Wirkung des Penicillin-Schimmelpilzes beobachtet ...
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Aus der einen kleinen Glasschale, in der Fleming die bakterientötende Wirkung des Penicillin-Schimmelpilzes beobachtet hatte, sind im Laufe weniger Jahre mächtige Apparaturen entstanden, in denen das Penicillin gewonnen wird. Ähnliche Einrichtungen dienen heute in allen Kulturländern der Herstellung des Heilmittels.
sind ein Schmuckstück in jedem Bücherschrank
Die Kassetten sind karminrot und tragen auf dem Goldetikett den Aufdruck „LUX-LE S E B O G E N". Jeder Kassette ist jetzt auch ein gummiertes Sammeletikett in Goldprägedruck zum Abschneiden und Selbstaufkleben beigegeben. Es enthält den Aufdruck der Jahreszahlen 1947—1948—1949—1950—1951 sowie die Titel: Kunst und Dichtung — Geschichte — Völker und Länder — Tiere und Pflanzen — Physik — Technik — Sternenkunde. So können die Lesebogen beliebig nach Jahrgängen oder nach Sachgebieten geordnet werden. Größe 15 X 11 X 4,5 cm für 24 Lesebogen Preis 80 Pfg. zuzügl. 20 Pfg. für Versandkarton und Porto Bezug durch jede Buchhandlung oder unmittelbar vom Verlag möglich. Wird beim Verlag bestellt, Betrag auf PostscheckKonto München 73823 erbeten. VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU VOR MÜNCHEN
KLEINE BIBLIOTHEK
DES W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U LT U R K U N D L I C H E
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vou FRITZ BOLLE _ I N H A L T
HEFTE
Manni
,
DES H E F T E S 88 Leeuwenhoek sieht die Unsichtbaren — Jenner besiegt die Pocken — Pasteur im Kampf mit Mikroben - - Koch und Pasteur bezwingen den Milzbrand — Sieg über die Tollwut — Behring ringt die Diphtherie nieder — Ehrlich sucht die Zauber,« kugel — Heilmittel aus der Retorte — Pilze als Helfer im Mikrobenkampf
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VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU /MÜNCHEN
Digitally signed by Manni DN: cn=Manni, c=US Date: 2006.04.30 07:14:35 + 01'00'
Leeuwenhoek sieht die Unsichtbaren Sie hielten nicht viel von ihrem Mitbürger Antonij Leeuwenhoek, die ehrsamen Bürger des holländischen Städtchens Delft. Ein lustiges kleines Nest war es damals, in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts — .mit Mühlen, die vergnügt ihre Flügel im stetigen Winde drehten, mit stillen Kanälen zwischen den Reihen niedriger Häuser, in deren Küchen die herrlich kobaltblau gemalten Delfter Kacheln leuchteten. Die Straßen waren voll jenes behäbig-geschäftigen Treibens, wie es die niederländischen Meister auf ihren Gemälden so unvergleichlich eingefangen haben. Ein sehr ehrsames Gewerk war in der Stadt wie in vielen anderen Städten der Niederlande das Schleifen von Brillen. Die Brillenmacher verkauften ihre Ware auf allen Jahrmärkten weit und breit. Daß aber einer Stunden um Stunden, Tage um Tage Gläser schliff, nicht um sie zu verkaufen, sondern um sie zu irgendwelchen Spielereien zusammenzubauen, das konnten die fleißigen und lebensfrohen Krämer und Handwerksmeister von Delft keineswegs begreifen. Solch ein Schnurrpfeifer war jener Antonij Leeuwenhoek. Da er jedoch mit dieser albernen Beschäftigung nicht viel Unheil anrichten mochte, zuckte man nur die Achseln und wunderte sich auch nicht weiter, als Leeuwenhoek eines Tages Pförtner des Rathauses seiner Heimatstadt wurde, was ihm freilich nicht viel einbrachte, ihm aber um so mehr Zeit ließ, seiner sonderbaren Leidenschaft zu frönen. Man ließ ihn gewähren, und Leeuwenhoek gar ließ sich durch das Geschwätz, da6 ihn umgab, in keiner Weise beunruhigen: Er schliff weiter seine Linsen, er goß. weiter aus allerlei Metallen die Fassungen für die Linsen, baute Gläser und Fassungen zusammen und machte mit diesen sonderbaren Apparaten seine heimlichen Entdeckungsreisen in eine neue weite Welt voll ungeahnter Wunder — in die Welt des Allerkleinsten. Durch einen Zufall hatte der junge Leeuwenhoek von den großen Erfindungen gehört, die um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die junge Republik Holland der Menschheit geschenkt hatte: Die ersten Fernrohre und die ersten Mikroskope waren in den stillen Zunfthäusern niederländischer Brillenschleifer entstanden. Man weiß nicht genau, wie die Männer hießen, denen die Erfindung der Instrumente gelungen war. Jan Lapprey, wohl auch Jan Lippeseim 2
genannt, soll in Middelburg das erste Fernrohr gebaut haben, zehn und mehr Jahre vor Galileo Galilei; andere meinen, es seien Zacharias Janssen und sein Bruder aus dem gleichen Städtchen gewesen, dieselben Janssens, denen man auch die Erfindung des Zauberglases zuschreibt, das der Grieche Demiskianos im Jahre 1614 „Mikroskop" genannt hat. Den Blick ins Kleine freilich taten nur wenige. Galileis Entdeckungen mit dem Teleskop, die Mondberge und Jupitertrabanten, die Venusphasen und Sonnenflecken, der Ring des Saturn, die Auflösung der Milchstraße in Sternenströme und gar Keplers Gesetze von der Bewegung der Planeten hatten die Blicke der Naturforseher zunächst einmal ins Große, zum Himmel hinaufgelenkt. Was konnte gegen diese Wunder des Weltalls das auf das Kleine gerichtete Zauberglas schon bieten? Aber man mußte nur offene Augen haben, mußte ein geborener Beobachter sein und jene unstillbare Neugier mitbringen, die den echten Forscher ausmacht — dann war es gleichgültig, ob man ein großer Gelehrter war oder nur ein Krämerssohn und Krämer wie Antonij Leeuwenhoek. Einmal — wir wissen nicht einmal wann und wo — hat er den Blick durch die Linsen eines Mikroskops geworfen, das mit den heutigen meisterhaft berechneten und mit höchster Präzision gefertigten Spitzenleistungen der Optik nicht viel mehr gemein hat als den Namen. Einmal hat Leeuwenhoek den Zauber der Vergrößerung des Kleinen erlebt, und bis an sein Lebensende hat ihn die Welt des Mikrokosmos nicht mehr aus ihrem Bann gelassen. Er lernt Linsen schleifen, er lernt Metalle aus Erzen schmelzen, lernt sie gießen und schmieden. Und dan>i baut er seine Mikroskope, eines immer besser als das andere, und richtet ihre Linsen auf alles, aber auch alles, was ihm des Beobachtens wert erscheint. Für ihn, der alles andere denn ein Gelehrter ist, dessen ganze Bibliothek aus einer Bibel besteht, darin er gläubig liest, für ihn, den ganz und gar Unverbildeten, den Beobachtungsfreudigen gibt es nichts, was nicht das Betrachten unter den vergrößernden Gläsern lohnte: Das eigene Haar und die Schuppe der Haut, der Kopf einer Fliege, der Körper einer Laus oder einer Käsemilbe — in allem erkennt er mit staunendem Blick wahre Wunderwerke an Feinheit, Zweckmäßigkeit und Schönheit. Zwanzig Jahre studiert er so — ganz zurückgezogen, ganz und gar eingesponnen in seine Beobachtungen, den Spott seiner Mitbürger gelassen ertragend. Nur zu einem Mann in Delft hat er Zutrauen, zu Regnier de Graaf, dem Arzt und Anatomen, der wegen seiner wissenschaftlichen Untersuchungen hohen . Ruhm in den Kreisen der zünftigen Forscher genießt. De Graaf ist fast bestürzt 3
über die Wunderwelt, die sich dem Blick durch die winzigen Linsen der kuriosen Vergrößerungsapparate erschließt. Begeistert schreibt er an das gelehrte Kollegium, dem anzugehören er die Ehre hat, an die Royal Society zu London, heute noch die älteste und berühmteste aller Akademien der Wissenschaften, und dieses vornehme Gremium läßt sich nun von Leeuwenhoek über seine Entdeckungen berichten. Es erscheint den Londoner Herren fast unglaublich, was dieser Krämer aus Delft in seinen „Sendbrieven" alles zu erzählen weiß, nicht im klassischen Latein der Gelehrtenzunft, sondern im gutmütig daherpolternden Holländisch: Daß er im Schwanz der Kaulquappe das Blut hat kreisen sehen, bis in die feinsten Äderchen hinein, und im Heuaufguß winzige Tierchen entdeckt hat von drolliger Gestalt und absonderlicher Geschwindigkeit. „Sie machen Halt, sie stehen gleichsam auf einem Punkt, dann drehen sie sich mit einer Schnelligkeit, wie wir sie an einem Kreise sehen, und der Kreis, in dem sie sich bewegen, ist nicht größer als ein Sandkorn". Leeuwenhoek errechnet, daß diese „Aufgußtierchen" — wir nennen sie heute Infusorien und wissen, daß es einzellige Tiere sind — „tausendmal kleiner sind als das Auge einer erwachsenen Laus". Eines Tages will er herausbekommen, warum wohl der Pfeffer so scharf ist — eine Frage, wie sie eben nur ein so närrischer Kauz stellen kann wie Leeuwenhoek. Er zerstößt die Pfefferkörner immer feiner und feiner, aber seine Linsen zeigen weiter nichts als Körnchen. So kommt er auf den Gedanken, die Körnchen aufzuweichen, Tage und Wochen lang. Und als er schließlich ein Flöckchen aus der Pfefferlösung unter seinem Mikroskop betrachtet, bleibt selbst ihm, der nun schon so vieles gesehen hat, was vor ihm niemand auch nur ahnen konnte, der Atem stehen: Da kribbelt und wimmelt „eine unglaubliche Menge kleiner Tiere der verschiedensten Art, die sich recht zierlich bewegen, hin- und hertummeln, vorwärts und zur Seite". Leeuwenhoek ist ein sehr genauer Mann; er berechnet, daß ein „grobes Sandkorn eine Million dieser winzigen Wesen fasse, und daß in einem Tröpfchen Pfefferwasser ihrer mehr als zwei Millionen siebenhunderttausend wohnen können". Die gelehrten Akademiker in London glauben es nicht, aber Herr Robert Hooke, ein Forscher von hohen Graden, prüft Leeuwenhoeks Beobachtung nach und muß am 15. November 1677 zugeben, daß dieser kleine Krämer zu Delft Recht hat mit seinen Beobachtungen. In Anerkennung seiner Leistung ernennt ihn die Royal Society nun zu ihrem Mitglied. Überall findet Leeuwenhoek seine „levende Dierkens", 6eine „Biesterchen" — bis er abermals eine staunenerregende Be4
obachtung macht: „Ich b i n jetzt fünfzig Jahre alt", so schreibt er treuherzig an die L o n d o n e r A k a d e m i e , „und meine Zähne sind ungewöhnlich gut erhalten. Es ist nämlich meine G e w o h n h e i t , sie morgens kräftig mit Salz abzureiben, mit e i n e m Gänsekiel auszustochern und mit e i n e m Tuch kräftig abzureiben". Dennoch, so fährt er fort, habe er da u n d dort noch Reste eines weißlichen Belags gefunden. G e w o h n t , alles zu untersuchen, um herauszubringen, w o r a u s es b e s t e h e , habe er ein w e n i g davon g e n o m m e n und in frischem Regenwasser — von dem er ja wisse, daß es niemals „ D i e r k e n s " enthalte — unters Mikroskop gebracht. Zu seiner nicht geringen V e r w u n d e r u n g habe er f e s t s t e l l e n müssen, daß hier w i e d e r u m alles
Abb. links: Leeuwenhoeks erste Abbildung von Bakterien aus dem Jahre 1683 — Der Zeichnung war eine eingehende Beschreibung des Aussehens und der mannigfaltigen Bewegungen der „Biesterchen" beigegeben — Abb. rechts : Das Mikroskop, mit dem Leeuwenhoek zum ersten Male Bakterien beobachtete. In dem Kreis saß die winzige, sorgfältig geschliffene Linse. Leeuwenhoek fertigte seine Mikroskope mit eigener Hand an. Er hinterließ 273 Mikroskope, meist aus kostbaren Metallen und 172 gefaßte Linsen. nur so v o n w i n z i g e n L e b e w e s e n , v o n „ D i e r k e n s " und „Biesterchen" w i m m e l e : Manche „gleich dem Fisch, den m a n Hecht nennt", andere blitzschnell sich überschlagend, dann w i e d e r kurze gerade Stäbchen, K u g e l n , g e b o g e n e Stäbchen und spiralige Dinger w i e w i n z i g e K o r k e n z i e h e r — anno 1683 zeichnet L e e u w e n h o e k zum ersten Mal diese sonderbaren W e s e n auf. „Stäbchen", hatte er v o r allem beobachtet, u n d v o n „Stäbchen" reden wir auch heute noch, w e n n wir diese winzigen L e b e w e s e n m e i n e n , deren A l l g e g e n w a r t schon L e e u w e n h o e k geahnt hat. D e n n nichts anderes als Stäbchen b e d e u t e n die heute vertrauten Bezeichnungen B a k t e r i e n und Bazillen — heißt doch bakterion im Gric-
einsehen „der kleine Stab", und genau das gleiche bedeutet das lateinische Wort bacillus. Für Leeuwenhoek war die Beobachtung seiner Stäbchen und Schräubchen nicht viel mehr als eine „Ergötzung". Heute "wissen wir jedoch, daß die Kenntnis dieser kleinsten Wesen für die Menschheit von höchster Wichtigkeit ist; sie sind für jegliches Leben unentbehrlich. Bakterien sind es, die jede abgestorbene Lebenssubstanz zersetzen und die dabei freiwerdenden Stoffe in den Haushalt der Natur zurückführen, Bakterien schließen den Boden auf, Bakterien spielen die erste Rolle im großen Kreislauf des Lebendigen. Freilich sind es nicht nur Stäbchen, auch nicht nur jene Kügelchen und Korkenzieherchen, wie sie Leeuwenhoek gesehen hat; es gibt auch Klein- und Kleinstlebewesen anderer Gestalt und anderer Bauart. Außer den Bakterien sind es die Strahlen- und die Schimmelpilze, die Hefepilze, die Algen und die schon von Leeuwenhoek im Heuaufguß beobachteten Urtierehen. Sie alle faßt man heute zusammen unter dem Begriff der M i k r o b e n — (griech. mikros, klein, und bios, das Leben). Mikroben aller Art sind auch die Erreger zahlreicher Krankheiten, sie sind die ärgsten, weil mit bloßem Auge unsichtbaren Feinde des Menschen, die Not und Tod über ganze Landstriche und Völker bringen können. Daß die „levende dierkens", die ihm sein Mikroskop in so wunderbarem Gewimmel gezeigt hatte, auch Krankheiten zu übertragen und zu erregen in der Lage sein könnten, davon konnte Leeuwenhoek noch nichts wissen. Doch hatte schon lange bevor der Delfter Krämer die ersten Mikroben entdeckte und zeichnete, eine Menge von klugen und nachdenklichen Leuten sich Gedanken darüber gemacht, woher wohl die ansteckenden Krankheiten kämen; sie hatten die Vermutung ausgesprochen, es müsse winzige, dem Auge unsichtbare Wesen als Träger der Krankheit, als Keime der Seuchen geben: Zum erstenmal blitzt wohl der Gedanke bei Marcus Terentius Varro auf, dem bedeutenden Kulturgeschichtsschreiber der alten Römer, der von 116 bis 27 v. Chr., also zu Zeiten des großen Cäsar, gelebt hat. Varro, der wie kein zweiter das gesamte Wissen seiner Zeit beherrschte, vermutete bereits, ansteckende Krankheiten und Seuchen würden durch Keime übertragen, die der Erkrankte auf irgendeine Weise aufgenommen habe. Als solche unsichtbare Krankheitserreger sind auch die „Massikim" und „Schibtha" der Juden anzusehen; in ihren gelehrten Disputen, wie sie im Talmud und in der Kabbalah niedergelegt wurden, haben die alten Rabbiner wiederholt die Meinung geäußert, diese Dämonen mit den sonderbaren Namen seien für alle 6
möglichen Krankheiten verantwortlich zu machen, sie seien so klein, daß ihrer tausend und mehr auf eine Nadelspitze gingen — eine wahrhaft großartige Vorausahnung der späteren Entdeckung der Mikroben. Um das Jahr 1500 nimmt Girolamo Fraeastoro, gleich berühmt als Arzt wie als Dichter und Gelehrter, Varros Meinung von den krankmachenden Keimen wieder auf. Der Jesuit Athanasius Kircher, dessen Gelehrsamkeit buchstäblich alle Zweige der damaligen Wissenschaft umfaßte, behauptete dann, ein „contagium animatum", ein belebter Ansteckungsstoff sei es, der die Krankheiten verbreite — fast aufs Jahr genau zur gleichen Zeit, da Leeuwenhoek die ersten Bakterien im Zahnbelag sah. Hundert Jahre später wußte man aber immer noch nichts von der wahren Natur und dem unheimlichen Wesen der unsichtbaren Feinde; und doch gelang damals schon der erste Sieg über sie. Der Mann, der ihn erkämpfte, war ein bescheidener englischer Landarzt, Edward Jenner.
Jenner besiegt die Pocken Im Jahre 165 nach Christi Geburt, als Marcus Aurelius römischer Kaiser war, eroberte sein Stiefbruder und Mitregent Lucius Aurelius Verus im Grenzkrieg gegen die Parther die Stadt Seleukia, die in Mesopotamien am Tigris lag, dort wo sich dieser Fluß dem anderen großen Fluß des Zweistromlandes, dem Euphrat, am meisten nähert. Die Römer sollten freilich des Sieges nicht froh werden; denn ihre Legionen brachten eine furchtbare Seuche in die Heimat mit. Sie begann mit Fieber, Gliederschmerzen und Ausschlag, Pusteln bildeten sich im Gesicht, später auf Hals, Brust, Bauch und Gliedmaßen und vereiterten unter weiteren wütenden Fieberattacken, bis sie schließlich, wenn der Erkrankte großes Glück hatte, abtrockneten und heilten. Wer der verheerenden Krankheit nicht erlag — sie raffte ein Viertel, die Hälfte und mehr aller von ihr Betroffenen dahin — war für sein Leben gezeichnet. Kreisrunde Narben, die das Gesicht oft furchtbar entstellten, blieben dicht an dicht zurück. Die römischen Ärzte waren ratlos. Die Beschwörungen der Priester blieben ohne Erfolg. In immer neuen Wellen raste die „Pest" bis an die Nordgrenze des Imperium Eomanum; im Jahre 180 erlag auch Kaiser Marc Aurel, dessen tief durchdachte „Selbstbetrachtungen" auch heute noch viel gelesen werden, in Wien dieser Krankheit. Die neue Geißel der abendländischen Menschheit war nichts anderes als die verheerende Seuche der Pocken, der Blattern. 7
In Innerafrika, in China und Indien war die Krankheit wohl seit den ältesten Zeiten verbreitet. Von diesen Herden aus sind immer wieder ihre Vernichtungszüge über die Menschheit dahingegangen. Im Gefolge der siegreichen Scharen, die unter der Grünen Fahne Mohammeds kämpften, gelangt sie gegen Ende des ersten Jahrtausends erneut nach Europa. Im 13. Jahrhundert erreicht sie England, im 15. Jahrhundert wütet sie in Deutschland. Auch die ersten Weißen, die an den Küsten der Neuen Welt landen, bringen die Blattern mit, die ganze Inseln und Landstriche entvölkern. Anno 1577 meldet der Chronist: „Seit Menschengedenken hat es eine so furchtbare Katastrophe nicht in Frankreich gegeben; alle, die in diesem Jahre hier an den Pocken erkrankten, sind gestorben, ohne daß die Kunst der Ärzte auch nur das Geringste hätte ausrichten können." Und selbst dann, wenn die Krankheit nicht im Pestreigen tobte, waren die Opfer ungeheuer: Jahr für Jahr starben in Frankreich dreißigtausend Menschen allein an den Blattern. In den Ländern, die vielleicht seit Jahrtausenden schon von den Pocken heimgesucht wurden, stand man der Seuche nicht ganz so hilflos gegenüber wie in Europa; man hatte dort gelernt, daß einer, der die Pocken einmal überstanden hatte, zeit seines Lebens gegen erneute Ansteckung gefeit war. Man wußte auch, daß es harmlosere Formen der Pocken gab, die nach der Heilung den gleichen bleibenden Schutz gegen weitere Erkrankung boten. Was lag näher, als eine solch leichte Blatternerkrankung künstlich herbeizuführen, um durch sie die schwerere unmöglich zu machen. In China blies man Kindern zu Staub gestoßenen Pockenschorf in die Nase, in Indien ließ man sie die Kleider Pockenkranker tragen, und die Sklavenhändler des Orients übertrugen das Pockengift mit Nadelstichen oder Messerschnitten aus den Pusteln Erkrankter auf den Oberarm ihrer kostbaren „Menschenware". Die so hervorgerufene, mit leichtem Fieber einhergehende örtliche Entzündung ging meist schnell vorüber, und der Sklave war in Zukunft gegen ernste Ansteckung gesichert. Freilich nicht immer — oft genug gab es trotzdem böse, tödliche Katastrophen. Die orientalische Art des Impfens lernte Lady Mary Wortley Mootagu, die Gattin des englischen Gesandten beim türkiseben Sultan, im Jahre 1716 in Konstantinopel kennen. Die gescheite Frau erkannte sofort die Bedeutung dieses Verfahrens und ließ ihren Sohn „inokulieren"; so nannte man damals die Übertragung von Pockengift auf einen Gesunden in Anlehnung an das lateinische Wort für die gärtnerische Arbeit des Pfropfens. Lady Montagu propagierte die Inokulation auch in ihrer Heimat. Als Versuche an 8
Verbrechern und Waisenkindern erfolgreich aasgefallen waren, setzte sich die Inokulation schnell durch, obwohl sie manche Gefahr barg: Auf zweihundert Impfungen etwa kam ein Todesfall, nicht selten gab es Blutvergiftungen. Besonders gefürchtet war die Möglichkeit, daß bei der Übertragung des Pockengiftes andere, noch bösartigere ansteckende Krankheiten mitübertragen wurden. Aus diesem Grunde lehnten viele die Inokulation ab. Das Verfahren der Lady Montagu konnte zwar viele Menschen vor den Pocken bewahren, nicht aber der Seuche Einhalt gebieten. Es bleibt das unsterbliche Verdienst von Edward Jenner, die Menschheit endgültig von ihr befreit zu haben. Im gleichen Jahr wie Goethe, am 17. Mai 1749, wurde Edward Jenner in dem Dorf Berkeley in der englischen Grafschaft Gloucestershire geboren. Als Dreizehnjähriger schon tritt er in die Lehre bei einem Wundarzt und studiert nach Beendigung der acht Jahre währenden Chirurgenausbildung bei John Hunter, der noch heute als Anatom und Chirurg berühmt ist. Bei ihm lernt Jenner die Inokulation kennen und wird wie sein Meister ihr überzeugter Anhänger. Eine große Gelegenheit bietet sich ihm: James Cook fordert ihn auf, als Schiffsarzt die große Weltumseglung zu begleiten, die der Auffindung des sagenhaften Südkontinents dienen soll. Jenner aber lehnt ab und geht noch im gleichen Jahre 1772 als Landarzt in sein Heimatdorf. Unter den Bauern Westenglands, die nun seine Patienten sind, ist eine merkwürdige Ansicht verbreitet. Wer früher einmal die Kuhpocken gehabt hat, so sagen sie, der kann niemals mehr die Menschenblattern bekommen. Diese Kuhpocken waren eine harmlose Erkrankung der Rinder, bei der Blasen und Pnsteln den Tieren zu schaffen machten. Sie übertrugen sich auch auf den Menschen. Jenner entdeckte nun, daß Bauern, die er mit Blattern inokulierte, gegen die echten Pocken völlig unempfindlich blieben, wenn sie bereits die Kuhpocken durchgemacht hatten. Das sprach für die Richtigkeit der bäuerlichen Weisheit. Man müßte also, so schloß Jenner, durch Inokulation mit Kuhpocken anstatt mit Pockengift aus menschlichen Blattern eine viel ungefährlichere Form der Impfung erzielen können. Kuhpocken, das war dabei die große Schwierigkeit, treten nur in bestimmten Gegenden und auch nicht zu allen Zeiten auf. Man hat sie also nicht ständig zur Verfügung. Da kommt Jenner auf den Einfall, das Kuhpockengift, das gegen die lebensbedrohende Krankheit schützen soll, von Mensch zu Mensch, von Arm zu Arm weiter zu impfen. 9
Noch freilich wagt er es nicht. Volle zwanzig Jahre lang trägt er in fleißiger und geduldiger Kleinarbeit alles an Tatsachen zusammen, was für seine Überzeugung sprechen kann. Endlich, am 21. Mai 1796, schreitet er zur Tat. Die Magd Sarah Nelmes hat an ihrer Hand eine Kuhpocke! Jenner entnimmt der Pocke etwas Flüssigkeit und impft sie auf den Arm des Knaben James Phipps. Lediglich an der Impfstelle bildet sich eine kleine Blatter.' Als Jenner den Jungen einige Wochen später nochmals mit den gefährlichen Menschenblattern inokuliert, treten überhaupt keine Entzündungen mehr auf. James Phipps ist „immun" gegen die furchtbare Seuche. Auch weitere Impfungen, die Jenner nicht mit Menschenlymphe vornimmt, sondern mit Lymphe, die unmittelbar von pockenkranken Kühen stammt, führen zum gleichen Erfolg. Er teilt seine Erfahrungen der Öffentlichkeit mit. Im Jahre 1798 erscheint Jenners zu den klassischen Werken der Heilkunde gehörende Schrift: „An Inquiry into the Causes and Effects of the Variolae Vaccinae, a Disease . .. known by the name of the Cow-Pox — Untersuchungen über Ursachen und Wirkungen der Variolae Vaccinae, einer in manchen Grafschaften Westenglands auftretenden, unter dem Namen Kuhpocken bekannten Krankheit." Dem Landarzt, der nun auch in der Hauptstadt London die Richtigkeit seiner Kuhpocken-Schutzimpfung an Freiwilligen beweisen will, bleibt die Anerkennung vorerst versagt; andere, die wendiger sind als der biedere Medicus aus Berkeley, erringen die ersten Erfolge. Und nun verbreitet sich die Jennersche Vakzination (vom lateinischen vacca, die Kuh) wie ein Lauffeuer über Europa. Um die Jahrhundertwende impft man allenthalben mit KuhpockenLymphe. Im Jahr 1801 erläßt der schweizerische Kanton Aargau ein erstes staatliches Impfgesetz, sechs Jahre später folgen Hessen und Bayern mit dem Impfzwang. Und ebenso schnell, wie sich die Impfung verbreitet, gehen die Blattern zurück, die Sterblichkeit sinkt rapide. Jenner wird zum Nationalhelden; man ernennt ihn zum Präsidenten der neugegründeten Royal Jennerian Society, er wird aufgefordert, sich in London niederzulassen. Es bleibt allerdings beim Versuch; denn Jenner fühlt sich in der Großstadt nicht wohl und kehrt sehr schnell wieder in sein stilles Berkeley zurück. Hier, im Dorf seiner Geburt und seines Erfolges, ist Eward Jenner am 26. Januar 1823 gestorben, still und bescheiden, wie er gelebt — der erste Sieger im Kampf der Menschheit gegen die unsichtbaren Feinde. Was seine Tat bedeutet, mögen einige Zahlen beweisen: Im Jahre 1796, in dem Jenner die erste Kuhpocken-Impfling vorgenommen 10
hat, starben an den Blattern im Königreich Preußen allein 24 646 Menschen; im Jahre 1928 gab es in dem so viel größeren und dichter bevölkerten Deutschen Reich nur zwei Erkrankungen! Keine Seuche ist in Europa so gründlich ausgerottet worden wie die Pocken, und zwar ausschließlich dank Jenners Leistung. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, daß es in seltenen Fällen zu „Impfschäden" kommen kann; diese Gefährdung ist jedoch bei weitem nicht so schwerwiegend, wie es eine Lockerung des Impfzwanges wäre. Das mögen abermals einige Zahlen deutlich machen: In Deutschland verzeichnete die Statistik bei jährlich zweieinhalb bis drei Millionen Impfungen im Jahre 1928 die höchste Zahl ernster Impfschäden: es waren 28 Fälle. In Jenners Heimat England aber besteht die sogenannte „Gewissensklausel", die den Eltern das Recht gibt, ihr Kind von der Zwangsimpfung auszuschließen, wenn nach ihrer gewissenhaften Überzeugung die Impfung der Gesundheit des Kindes schädlich sein könnte; deshalb wird dort nur etwa die Hälfte aller Kinder geimpft. So gab es hier im Jahre 1929 11 000 Erkrankungen mit 39 Todesfällen. Bei der letzten großen Pockenepidemie, die Mitteleuropa in den Jahren 1870 bis 1872 heimgesucht hat — damals starben in Preußen 129 000 Menschen, in Belgien und Holland über 50 000 — erwies sich abermals der hohe Wert der Schutzimpfung: In der sächsischen Stadt Chemnitz zum Beispiel erkrankten von den 58 000 durch Impfung geschützten Einwohnern nur 1,3 Prozent, und von je 1000 erkrankten Geimpften starben 9; von den rund 5000 nicht Geimpften aber wurde fast die Hälfte krank, und beinahe jeder Zehnte wurde dahingerafft. Aus diesem letzten großen Seuchenzug konnte eine weitere segensreiche Lehre gezogen werden: Alle die, die nicht nur einmal, sondern zehn Jahre später zum zweiten Male geimpft waren, erkrankten, wenn überhaupt, nur ganz leicht. Seit der Einführung der Wiederimpfung sind denn auch die Pocken in Mitteleuropa endgültig erloschen. Abermals hundert Jahre mußten vergehen, ehe es der Menschheit gelang, auch andere Krankheiten mit der Waffe zu bekämpfen, die Jenner geschmiedet hatte; der Mann, der bei seinen Forschungen zur Immunisierung gegen Milzbrand, Hühnercholera und Tollwut bewußt auf Jenner zurückging, war derselbe, der als erster das volle Scheinwerferlicht auf die Mikroben und die von ihnen drohenden Gefahren gerichtet hatte: Es war Louis Pasteur.
Pasteur im Kampf mit Mikroben Solange die Menschheit forscht, hat sie sich immer wieder mit der Frage auseinandergesetzt, ob Lebendiges aus Unbelebtem entstehen 11
kann. Aristoteles, der große griechische Forscher, dessen Werk bis in unsere Tage lebendig geblieben ist, hatte gelehrt, daß Aale aus modrigem Schlamm hervorgingen und Fliegenmaden sich aus faulendem Fleisch bildeten. Daß sich Flöhe und anderes Ungeziefer aus Staub entwickeln könnten, hört man sogar heute noch hier und da als Meinung einfacher Menschen. Diesen Glauben an die Umformung toter in lebende Materie, dieser Lehre von der „Urzeugung" hatte der englische Arzt und Naturforscher William Harvey, der im Jahre 1618 den Blutkreislauf entdeckt hatte, zum mindesten für den Bereich der Wissenschaft ein Ende gemacht. Seine Forschung gipfelte in dem berühmt gewordenen Satz: „Omne vivum ex vivo"
[Kokken oder Kugelbakterien
Verschiedene Formen von Bakterien Bazillen oder Sitäbchenbakterien
Spirillen oder Schraubenbakterien
— Nur Lebendiges vermag wieder Lebendiges zu zeugen. Aber vielleicht machten doch die dem unbewaffneten Auge nicht sichtbaren Kleinstlebewesen eine Ausnahme, gingen vielleicht aus totem oder aus dem verwesenden Stoff abgestorbenen Lebens hervor! Diese Frage wurde für die Wissenschaft von Interesse, als mit der Verbesserung der mikroskopischen Technik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr Mikroben unter den geschliffenen Linsen zum Vorschein kamen. Es waren nicht wenige Stimmen, die meinten, das Geheimnis um die Entstehung des Lebens sei aufs engste mit diesen Mikroben verknüpft; immer aufs neue wüchsen sie als „Keime des Lebendigen" aus dem faulenden Schlamm und im gärenden Zerfall verwesender organischer Substanzen. Mannigfach waren die Theorien über diese angebliche „Urzeugung", vielfältig die freilich immer wieder umstrittenen Ansätze, ihre Richtigkeit im Versuch nachzuweisen. Diesem Wirrsal von Spekulation 12
konnte nur das wirklich exakte, einwandfrei saubere Experiment ein Ende bereiten. Den unwiderleglichen Beweis, daß es eine Urzeugung als eine noch heute allenthalben sich abspielende Neubildung von Belebtem aus Unbelebtem nicht gibt, hat Louis Pasteur erbracht. Diese auch für den Kampf gegen die unsichtbaren Feinde so wichtige Leistung ist nur eine der vielen, die dem genialen Franzosen gelangen — und sie ist bei weitem nicht seine größte Tat. Louis Pasteur — er ist am 7. Dezember 1822 zu Dole im französischen Jura geboren und am 28. September 1895 in einem Pariser Vorort gestorben — ist kein Arzt von Beruf gewesen. Allein deswegen hat er immer wieder schwerste Widerstände gegen seine Anschauungen zu beseitigen gehabt. Schon seine ersten chemischen Arbeiten aber wurden in der Wissenschaft stark beachtet; mit seinen Untersuchungen über die Weinsteinsäure und ihr Verhalten unter bestimmten Lichtverhältnissen ist er zum Begründer eines ganz neuen Zweiges der Chemie geworden, der Stereochemie als der Lehre von der räumlichen Anordnung der Bausteine der chemischen Verbindungen. Von der reinen Chemie führt ihn seine Forschung bald zu den Fragen der Chemie des Lebens, und zwar zu dem praktisch wie theoretisch gleich bedeutsamen Problem der Gärung. Pasteur erkennt, daß Gärung und Fäulnis nicht — was damals so große Forscher wie Liebig vermuteten — durch Eiweißzerfall entstehen, sondern daß die dabei vor sich gehenden Umsetzungen nur in Anwesenheit mikroskopisch kleiner Lebewesen, eben jener Stäbchen und Kügelchen Leeuwenhoeks, erfolgen. Pasteurs grundlegende Untersuchungen werden nicht nur für die verschiedenen mit Gärungsvorgängen arbeitenden Gewerbe- und Industriezweige, für die Bierbrauer, die Essigfabrikanten und die Weinbauern zu Anregungen von hohem praktischem Wert: sie führen auch zu der wichtigen Feststellung, daß die „Urzeugung eine Chimäre, eine Einbildung" ist. Pasteurs dabei gemachte Feststellung, daß starkes Erhitzen ebenso wie kräftiges Abkühlen hemmend und schließlich zerstörend auf die Lebensvorgänge der Mikroben wirken und damit die von ihnen verursachten Gärungs- und Fäulniserscheinungen einschränken und endlich verhindern, daß man also Flüssigkeiten und feste Stoffe k e i m f r e i machen kann, wird zur Grundlage entscheidender Entwicklung auf zwei lebenswichtigen Gebieten. In der Nahrungsmittelindustrie lernt man die Haltbarmachung durch Erhitzen, das Pasteurisieren. Wichtiger aber noch erscheint, daß auf Pasteurs Gedanken die große Tat des englischen Chirurgen Lord Lister zurückgeht. Pasteur hatte nämlich gelehrt, 13
daß, wie Gärung und Fäulnis, so auch Eiter und Wundbrand das Werk der Mikroben seien, und mit all dem Temperament, dessen er als echter Franzose fähig war, hatte er es in alle Welt hinausgerufen: „Wenn die Lehre von der Urzeugung falsch ist — und ich bin dessen sicher — dann muß es auch in der Macht des Menschen liegen, alle durch die winzigen Schmarotzer verursachten Krankheiten von der Oberfläche der Erde zu vertilgen." Lister hat aus dieser Prophezeiung die Folgen gezogen: Er entdeckte in der Karbolsäure ein Mittel, das tatsächlich Mikroben abtötete. Neue Mikroben, das hatte Pasteur in überzeugenden Versuchen dargelegt, konnten nicht aus dem Nichts entstehen. Man mußte also ohne Bedrohung durch Mikroben operieren können, und das hieß nichts anderes, als daß man ohne Wundbrand und Eiter würde operieren können! Am 12. August 1865 führte Lister die erste Operation dieser Art durch: In die Luft versprühte Karbolsäurelösung tötete die Keime, die von dort etwa in die Operationswunde gelangen konnten, die Hände des Chirurgen und seine Instrumente waren in Karbolsäure gewaschen, die Wunden wurden mit Karbolsäure versorgt. Und was Pasteur vorausgesagt, was Lister erwartet hatte, trat ein: Es gab keinen Eiter, es gab keinen Wundbrand, die vordem jede chirurgische Operation zu einer Lebensbedrohung gemacht hatten. Die antiseptische Wundbehandlung — antiseptisch genannt nach dem griechischen Wort anti, gegen, und sepsis, Fäulnis — war geboren. Und damit war nun auch jener Gedanke des unglücklichen Doktors Ignaz Semmelweis siegreich geblieben, der zwanzig Jahre zuvor in Wien vergeblich versucht hatte, die fürchterlichen Blutvergiftungen des Kindbettfiebers durch peinlichste Sauberkeit und Waschungen mit Chlorwasser zu bekämpfen. Von der Antisepsis ist es schließlich nur noch ein Schritt zur Asepsis, zur völligen Keimfreiheit. Der große, aus dem Baltikum stammende Chirurg Ernst von Bergmann hat sie geschaffen, wieder unter bewußter Anwendung der Gedanken, die Pasteur als erster ausgesprochen hat. Die Mikroben werden nun nicht mehr durch Karbolsäure getötet, die für das lebende Gewebe des kranken Menschen doch ein etwas sehr gewaltsames Mittel ist, sondern alles, was mit der Operationswunde in Berührung kommt — die Hände des Arztes, die Instrumente, die Verbände — ist schon vorher durch Erhitzen oder durch Waschen mit keimtötenden Substanzen absolut keimfrei gemacht. Von den Mikroben, diesen winzigen Lebewesen, deren Wirken er bei der Gärung hat studieren können, kommt Pasteur nicht mehr los. Über Lehrstühle in Dijon und Straßburg ist er inzwischen zum 14
Professor der Chemie an der altberühmten Sorbonne in Paris aufgestiegen, wendet sich aber ganz und gar medizinischen Fragen zu. Ein wahrer Fanatiker der Arbeit ist er, er kennt weder Sonn- noch Feiertage; erzählt man sich doch, er habe über seiner Arbeit sogar den Termin der eigenen Hochzeit vergessen. Freilich, daß er „nur" Chemiker ist und kein „zünftiger" Mediziner — das bekommt er immer wieder zu spüren, wenn er wieder einmal neue Erfolge bekannt geben kann. Er läßt sich nicht einschüchtern. Pasteur weiß nicht nur zu arbeiten, in Neuland vorzustoßen, er beherrscht auch alle Register der Dialektik. Er ist ein zündender Redner, der beste Propagandist seiner Ideen. Als es ihm gar gelingt, eine verheerende Seuche zu bannen, die in Südfrankreich unter den Seidenraupen ausgebrochen ist und die Seidenproduktion, die Grundlage des Wohlstandes weiter Gebiete, zu vernichten droht, kennt und preist ihn ganz Frankreich als den „großen Pasteur". Er aber wendet sich nun mit aller Energie dem einen großen Ziel zu: Den endgültigen Beweis zu erbringen, daß die von ihm immer wieder genannten Mikroben es sind, die die Seuchen verbreiten, und nach erbrachtem Beweis diese Mikroben zu vernichten. Heilen will er, helfen will er mit der ganzen Leidenschaft seines Herzens. Die Aufgabe, die er sich zunächst gestellt hat, vermag er allerdings nicht zu lösen; denn den ersten Beweis für die verderbenbringende Rolle der Mikroben führt ein Mann, der Landarzt ist wie Jenner: Robert Koch.
K o c h und P a s t e u r b e z w i n g e n den IFilsEnrancl Robert Koch hatte Weltreisender, Naturforscher, Entdecker in fernen Zonen werden wollen, das Schicksal aber hatte es anders bestimmt: Er wurde Landarzt im stillen Wollstein in der preußischen Provinz Posen. All seine Entdeckersehnsucht mußte nun ein Mikroskop befriedigen. Das Mikroskopieren wurde seine Leidenschaft. Wie einst Leeuwenhoek richtete auch Robert Koch die Optik seines Instrumentes zunächst auf alles Mögliche, was beachtenswert schien. Bald aber wandte er sich den Untersuchungen zu, die ihm schließlich Weltruhm bringen sollten: den Untersuchungen an den Mikroben im Blut milzbrandkranker Tiere. Als eine gefürchtete Seuche wütete Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der Milzbrand unter den Rinder- und Schafherden. Koch fragte sich, warum diese Krankheit ansteckend sei, wie sie übertragen werde, und ob es Erreger gebe, die sie verursachten. Daß Pasteur die Mikroben für alle diese Krankheiten verantwortlich machte, davon wird Koch in dem entlegenen Land15
Städtchen wohl nichts gehört haben. Gewiß aber erinnerte er sich an das, was ihn sein Lehrer, der Anatom Jacob Henle, auf der Universität Göttingen gelehrt hatte: Das „Contagium", das die ansteckenden Krankheiten verbreitet, ist „ein Stoff, der sowohl in der Luft schwebend als in Flüssigkeiten des erkrankten Körpers enthalten sein kann, ein Stoff, der im kranken Körper eine bestimmte Zeit verweilt und innerhalb desselben einer Vermehrung fähig ist". Robert Koch ist nicht der erste, der die Frage nach dem Erreger des Milzbrandes stellt. Rund zwanzig Jahre vor ihm haben bereits zwei Tierärzte, Pollender und Brauell, im Blut milzbrandkranker Tiere stäbchenförmige Mikroben gefunden, und zur gleichen Zeit hat Davaine die Übertragbarkeit des Milzbrandes durch Impfung gesunder Tiere mit frischem oder getrocknetem Blut kranker Tiere erkannt. Aber das waren zusammenhanglose Einzelbeobachtungen geblieben, die zum Teil falsch gedeutet worden waren. Robert Koch aber geht mit der ganzen kühlen Strenge des nüchternen Forschers an das Problem. Drei Bedingungen stellt er sich: Der Erreger muß
So sah Robert Koch in seinem Mikroskop die Milzbrandbakterien — winzige Stäbchen, die sich immer wieder im Blut der an Milzbrand erkrankten oder verendeten Tiere fanden. in jedem, aber auch jedem erkrankten Tier nachweisbar sein, und zwar nur bei dieser einen Art von Krankheit. Bei anderen Krankheiten darf er nicht etwa als zufällige, harmlose Begleiterscheinung auftreten, und schließlich muß der Erreger isoliert, in dieser Isolierung gezüchtet und aus der Züchtung wieder auf gesunde Tiere übertragen werden können, die dann krank werden müssen. Im Blute der an Milzbrand erkrankten und verendeten Tiere zeigt ihm das Mikroskop winzig kleine Stäbchen. Ob sie aller16
dinge leben, kann er nicht unterscheiden. Eines aber stellt er fest: Überträgt man Blut, das solche Stäbchen enthält, auf andere, gesunde Tiere, so erkranken sie ebenfalls. Da Großtiere für seine Ve.rsuche zu kostspielig sind, kommt Robert Koch auf den Einfall, seine Experimente mit weißen Mäusen anzustellen, die damit bis auf unsere Tage zum Haustier der Bakterienforscher geworden sind. Koch muß b e w e i s e n können, daß diese winzigen Stäbchen leben, daß sie sich vermehren und durch eben diese Vermehrung Erkrankung und Tod herbeiführen. Nach unendlichen Mühen findet er die geniale Lösung. Er züchtet seine Mikroben in einer durchsichtigen Flüssigkeit, die er einem Rinderauge entnommen und auf Körpertemperatur gebracht hat, indem er den Objekttisch seines Mikroskops primitiv mit einem öllämpchen beheizt. Es gelingt; die kleinen Wesen vermehren sich — aber da kommen immer wieder andere, fremde Keime dazwischen und machen das Resultat undeutlich. Um weiterzukommen, müßte er die Milzbrand-Mikroben getrennt von den anderen züchten können. Auch hierfür findet er einen geistreichen Ausweg, den „hängenden Tropfen": Im hohlgeschliffenen gläsernen Objektträger hängt ein Tropfen Ocfasenaugenflüssigkeit, in ihm schwimmt ein unendlich kleines Fetzchen kranken Gewebes, und ein Ring von Vaseline um den Tropfen verhindert das Eindringen fremder Keime. Hier nun kann er in atemloser Spannung die geradezu ungeheuerliche Vermehrung der Milzbrandbakterien beobachten, kann einige wenige solcher Mikroben in den nächsten hängenden Tropfen übertragen, der in Kürze ebenfalls von Millionen dieser gefährlichen Erreger wimmelt. Er kann das immer weiter wiederholen, bis er schließlich von der achten derartigen Kultur wieder eine Maus impft, die auch prompt erkrankt. Mit dieser genialen Versuchsanordnung hat Robert Koch die wichtigste Voraussetzung zur Erforschung und damit zur erfolgreichen Bekämpfung der Mikroben geschaffen, die Reinkultur außerhalb des Körpers auf besonderen Nährböden; später gelang ihm auch die Züchtung auf festen Nährböden, zunächst auf Kartoffelscheiben, später auf besonderen Gelatineböden. Aber noch erscheint ihm nicht alles geklärt; in seinen Kulturen verlieren nämlich die Bakterien oft schon nach Tagen ihre Gefährlichkeit, während sie doch draußen, im Freien, offenbar jahrelang warten müssen, bis sie von einem Tier mit der Nahrung aufgenommen werden. Auch dieses Rätsel löst Robert Koch: Er entdeckt die Umwandlung der Bakterien in „Sporen", die Jahr um Jahr überdauern können, sich im Tier aber zum Bakterium zurückverwandeln und als Stäbchen ihr fürchterliches Werk beginnen. Damit ist der 17
Ring geschlossen, sind die drei Bedingungen erfüllt. Jetzt glaubt Robert Koch soweit zu sein, daß er der Wissenschaft seine Entdeckungen unterbreiten kann. Am 30. April 1876 — ein ebenso entscheidender Tag wie jener, da Leeuwenhoek die ersten Bakterien sah, da Jenner die erste Impfung vornahm, da Lister zum erstenmal antiseptisch operierte — berichtet er im Pflanzenphysiologischen Institut der Universität Breslau über seine Arbeit. Die Einladung zu seinem Vortrag ging von dem Botaniker Ferdinand Cohn aus, der im Jahre 1853 in seinen „Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der mikroskopischen Algen und Pilze" erstmalig die Pflanzennatur der Bakterien, die man wohl auch Spaltpilze nennt, unzweifelhaft festgestellt hat. Sturmische Begeisterung ergreift die anfänglich sehr zurückhaltenden Autoritäten. Professor Cohnheim, ein bekannter Pathologe, stürmt nach der Rede in hellem Enthusiasmus in sein Institut und ruft seinen Assistenten zu: „Jungens, laßt alles stehen und liegen und geht zu Koch! Der Mann hat Großartiges gefunden, und seine Methode ist einfach genial. Wir müssen uns vor dem Mann schämen, wir alle miteinander." Noch aber muß Koch verbissen weiterarbeiten, bis er sich durchsetzen kann. Die Autorität des großen Rudolf Virchow steht zunächst gegen ihn. In der gleichen Zeit aber, da Koch nun auch den Erreger des Wundbrandes, jener Wundinfektionen und Eiterungen entdeckt, die Listers Karbollösungen und Bergmanns Asepsis bereits besiegt hatten, bannt Pasteur den Sehrecken eben des Milzbrandes, dessen Erreger Koch ermittelt hat. Pasteur will diesen von Koch entlarvten Milzbrandbazillus, der wahre Hekatomben an Rindern, Schafen und Pferden fordert, niederkämpfen. Mit dem ganzen Elan, über den er wie kein zweiter bis in sein hohes Alter verfügt, geht er ans Werk. Er greift auf Jenners Gedanken der Schutzimpfung zurück. Was mit ihr möglieh gewesen ist, sollte sich auch beim Milzbrand erreichen lassen: Den vor der Krankheit zu schützenden Organismus dadurch gegen den Angriff der Mikroben „immun " zu machen, daß man ihm künstlich Krankheitserreger zuführt, die durch geeignete Vorbehandlung abgeschwächt sind; so können sie keine Erkrankung mehr hervorrufen, wohl aber sind sie in der Lage, die Abwehrkräfte des Körpers gegen eine Infektion mit voll lebenskräftigen Mikroben zu mobilisieren. Wieder muß sich Pasteur gegen Vorurteil und Beschränktheit zur Wehr setzen. Aber er bleibt auch hier Sieger. Sein berühmter Versuch an zwei Schafherden im Jahre 1881 wird zum Weltereignis: Alle von ihm geimpften Tiere bleiben am Leben, die nicht geimpften Kontrolltiere aber verenden bis zum letzten Stück am Milzbrand. 18
Sieg über die Tollwut Pasteur hatte den Impfstoff für die Milzbrandbekämpfung dadurch gewonnen, daß er die Bazillen bei bestimmten Temperaturen züchtete; bei der Bekämpfung der Geflügel-Cholera mußte er einen anderen Weg gehen. Der Zufall, der dem Genie noch immer hold gewesen ist, läßt den Forscher bei seinen Immunisierungsversuchen eine Kultur zur Einspritzung benutzen, die schon Monate alt ist. Eine nur örtliche, ungefährliche Erkrankung der Versuchstiere ist die Folge, wichtiger aber ist der Erfolg: Die so behandelten Tiere bleiben gesund, auch wenn sie später mit frischen Bakterien infiziert werden. Eine andere Methode entwickelt Pasteur schließlich zur Bekämpfung des Rotlaufs der Schweine; er bändigt die Mikroben dadurch, daß er sie zuvor den Körper von Kaninchen passieren läßt. Seine epochemachenden Entdeckungen zur Schutz- und Heilimpfung krönt Louis Pasteur mit der Auffindung des Schutzmittels gegen die Tollwut. Er hat selbst erzählt, wie ihn als Kind das furchtbare Schreien eines von einem tollen Hund Gebissenen erregt hat, dem der Dorfschmied die Bißwunde mit glühendem Eisen ausbrannte. Pasteur hat dieses Jugenderlebnis nicht vergessen, als er sich entschließt, dieser immer wieder drohenden Gefahr ein Ende zu machen. Der Erreger läßt sich auch mit den stärksten mikroskopischen Vergrößerungen nicht finden; denn die Tollwut wird — wie man heute weiß — nicht durch Mikroben, sondern durch einen noch winzigeren Erreger verursacht, für den Pasteur den Begriff „Virus1* (= Gift) schafft. Pasteur kann an seinen Versuchstieren vorführen, wie man gesunde Tiere mit diesem Virus infizieren kann, wenn man winzige Teile von Gehirn oder Rückenmark wutkrauker Tiere auf die gesunden überträgt. Die das Krankheitsgift enthaltenden Organe verlieren ihre Virulenz, ihre Giftigkeit, an trockener Luft, und zwar um so stärker, je länger sie austrocknen. Man hat also die Möglichkeit, Viren verschiedener Gefährlichkeit auf einfachste Weise zu erhalten. Und nun gelingt es Pasteur in einem dramatischen Kampf mit der Krankheit, gesunde Hunde Schritt für Schritt solange zu immunisieren, bis der Biß tollwütiger Artgenossen ohne Folgen bleibt. Er beginnt mit ganz stark abgeschwächtem Gift, das aus dem lange Zeit getrockneten Rückenmark kranker Tiere stammt und steigert langsam die Giftdosis durch Impfung mit immer kürzer getrocknetem Rückenmark. Ja, selbst nach bereits erfolgtem Biß führt diese Methode zur Heilung, und zwar um so erfolgreicher, je eher die Behandlung einsetzt. Im Jahre 1885 endlich kann Louis Pasteur auch über die ersten Heilerfolge bei Menschen berichten — und seit jener Zeit hat die Tollwut ihre Schrecken verloren. 19
Behring ringt die Diphtherie nieder Kurz bevor Pasteur nach einem Leben voller Hingabe an die große Aufgabe des Heilens und Helfens starb, hatte er noch die große Freude, die Entdeckung des Diphtherie-Heilserums zu erleben. Seitdem Robert Koch den Milzbrand-Bazillus gefunden hatte, war es den Forschern in aller Welt, vor allem aber Kochs Schülern, gelungen, weitere bösartige Lebensfeinde ins helle Ljcht des Blickfeldes ihrer Mikroskope zu ziehen und sie zu identifizieren: 1882 gab der Meister selbst die Entdeckung des Tuberkel-Bazillus bekannt, im Jahre darauf die des Choleraerregers. Im gleichen Jahr züchtet sein engster Mitarbeiter Gaffky die erste Reinkultur des eben entdeckten Typhusbazillus, ein Jahr zuvor hatte sein zweiter Meisterschüler Löffler den Diphtheriebazillus gefunden und gezüchtet. Schlag auf Schlag geht es weiter. Aber mit dem Erkennen und Kennen der Erreger ist es noch nicht getan. Es gilt, auch die Methoden zu ihrer Niederhaltung und Vernichtung zu finden. Bald erkennt man, daß man durchaus nicht immer mit Jenners und Pasteurs Methoden der Impfung ans Ziel gelangt. Wie wäre es also, wenn man es einmal mit Chemikalien versuchte. Im Reagenzglasversuch war das keineswegs schwer. Man mußte nur genügend kräftige Gifte nehmen, wie das schon Lister mit seiner Karbolsäure getan hatte. Doch was nützte es, wenn ein solcher Stoff zwar die Bakterien tötete, gleichzeitig aber dem erkrankten Körper so zusetzte, daß er weiter dahinsiechte und nun nicht den Krankheitserregern, sondern dem Gift erlag? Gewiß — es gab seit altersher einige Mittel gegen ansteckende Krankheiten. Schon Paracelsus, Luthers Zeitgenosse, hatte von der Heilkraft des Metalles Quecksilber bei bestimmten Krankheiten gewußt, und der Alchimist Basilius Valentinus hatte das Antimon gelobt; eine ganze Reihe keimtötender Verbindungen, besonders des Chlors, des Broms, des altbewährten Quecksilbers und des Jods hatte man vor allem in jener Zeit ermitteln können, da man eine Mikrobe nach der andern unter dem Mikroskop aus ihrer bisherigen Anonymität hervorzog. Mit ähnlichen chemischen Drogen ging nun Emil Behring, ebenfalls ein Schüler Robert Kochs, die Diphtherie an, den alten, so sehr gefürchteten Erbfeind der Kinder. In jenen Jahren hatte Löffler, der Entdecker des Diphtheriebazillus, nachgewiesen, daß es sich bei der Diphtherie nicht um eine uferlose Überschwemmung des Organismus mit Bakterien handelt, die den Tod herbeiführte, sondern daß es ein Giftstoff war, der von den Diphlheriebakterien ausging und die Blutbahn verseuchte. Das Gift wirkte unfehlbar tödlich, sobald es eine bestimmte Menge überschritt. 20
Von diesem Ergebnis ausgehend, begann Emil Behring seinen fast verzweifelten Kampf um das entscheidende chemische Mittel gegen die kindermordende Seuche. All seine Chemikalien waren bösartige Gifte; so wurden seine Experimente mit den diphtheriekranken Meerschweinchen zu wahrhaften Pferdekuren. Einige freilich überstanden selbst diese Gewaltmethoden. Als Behring dann aber die geheilten Tierchen noch einmal diphtheriekrank machen wollte, um seine Mittel erneut an ihnen zu versuchen, ging es nicht. Es gab keinen Zweifel: Die mit einer Jodchlorverbindung geheilten Tiere waren immun geworden, obwohl das Heilmittel, wie sich leicht nachweisen ließ, langst aus ihrem Körper ausgeschieden war. Der Organismus selbst also mußte sich geholfen und vielleicht gegen das Diphtheriegift ein Gegengift gebildet haben. Wie würde es sein — das war Behrings genialer Gedankenblitz —, wenn man versuchte, mit diesem Gegengift aus gesundeten Tieren nunmehr die Erkrankung anderer zu behandeln? Es war wieder ein mühe- und entsagungsvoller Weg, den der Forscher gehen mußte, aber er war nicht vergeblich: Wurde das Antitoxin, der geheimnisvolle Stoff, der sich im Körper der Geheilten gebildet hatte, in gesunde Tiere eingespritzt, so machte es sie ebenfalls immun gegen die Diphtheriebazillen und ihr Gift. Erkrankte heilte das Antitoxin, wenn es rechtzeitig gegeben wurde. Das war nun freilich ein ganz neues Verfahren; das war nicht mehr die „aktive Immunisierung" des erkrankten oder zu schützenden Organismus durch lebende, abgeschwächte oder tote Bakterien oder deren Gifte, wie es Jenner und Pasteur gemacht hatten; hier hatte eine „passive Immunisierung" dadurch zur Heilung geführt, daß man die in einem anderen Organismus gebildeten „Schutzstoffe" dem erkrankten Körper zuführte. Emil Behring hat nie geleugnet, daß bei seinen Forschungen gerade Jenners Vorbild maßgebend war. In der Weihnachtsnacht 1891 — wieder ein Datum, das man sich merken sollte — werden zum ersten Male in der Bergmannschen Klinik in Berlin diphtheriekranke Kinder mit dem neuen Mittel behandelt, das Emil Behring geschaffen hat. Sie werden geheilt. Wenn es auch noch manche Rückschläge gegeben hat, so war damit doch einer der furchtbarsten Seuchen, der man so lange hilflos gegenüber gestanden hatte, endlich, endlich Einhalt geboten. Doch starben selbst noch im Jahre 1893 in Deutschland von 100 000 Einwohnern hundertdreißig an Diphtherie, da die erforderlichen Impfstoffe noch nicht in genügender Menge beschafft werden konnten. Nachdem dann aber der französische Forscher Emil Roux entdeckt hatte, daß man Pferde besonders leicht zur Gewinnung des Antitoxins diphtheriekrank machen und ihnen nach einer einmaligen 21
leichten Erkrankung das Heilmittel literweise abzapfen konnte, begann im Jahre 1894 die Antitoxinbehandlung im großen Stil. Im gleichen Jahre betrug die Zahl der Todesfälle 101, im folgenden Jahr nur noch 53, 1896 noch 43, im Jahre 1900 28, acht Jahre später 25, und in unseren Tagen ist man endlich dabei, die Diphtherie dadurch endgültig auszurotten, daß man nicht nur die Erkrankten behandelt, sondern alle Kinder gegen Diphtherie ebenso vorbeugend impft wie gegen Pocken. Und schon in absehbarer Zeit wird eine früher verheerende Seuche für immer erloschen sein.
Ehrlich sucht die Zauberkugel „Ehrlich färbt am längsten" — Dieses Scherzwort hat Paul Ehrlichs Lebensweg von den Tagen an begleitet, da er als junger Student nichts Schöneres kannte, als mit dem Mikroskop zu beobachten und zu verfolgen, wie sich das Präparat dort unter der Linse verschiedenartig verfärbte, je nach dem Stoff, der dem Präparat zugesetzt wurde. Da wurde Muskelgewebe rosa oder gelb, Zellkerne färbten sich dunkelblau oder leuchtend rot, Knorpel blau, rote Blutkörperchen orangerot. An diesen Farbspielereien hatte Ehrlich auch als Oberarzt noch sein Vernügen, als er nach glücklich überstandener Tuberkulose-Erkrankung aus Ägypten zurückgekehrt war. Er war ein begeisterter Anhänger des um zehn Jahre älteren Robert Koch und hatte seine erstaunlichen Kenntnisse von den Wirkungen der verschiedenen Farbstoffe auf die Körpergewebe mit Erfolg dazu benutzt, neue Färbemethoden auch für die Bakterien zu erfinden; eine der noch heute üblichen Arten, den im Ausstrich zunächst unsichtbaren Tuberkelbazillus farbig und damit kenntlich zu machen, stammt von Paul Ehrlich. Über diesen Färbungen, über der Beobachtung, daß bestimmte Organe und Organteile immer nur ganz bestimmte Farben annehmen, andere aber nicht, kam dem Forscher der große Gedanke, den er nun sein Leben lang fanatisch verfolgt hat: Sollte man nicht einen Farbstoff finden können, der von den Mikroben aufgenommen wird, sie aber nicht nur sichtbar macht, sondern sie zugleich auch schädigt; denn es gab gewisse Farbstoffe, die lebendes Gewebe schädigten, sobald man ihm Farbe zusetzte. Als Paul Ehrlich wegen seiner Erfolge bei der Bakterienfärbung in Robert Kochs Berliner Gesundheitsamt berufen wird, ist er alles andere als ein korrekter Beamter. Es ist dieselbe Zeit, als Behring in Marburg ganze Herden von Meerschweinchen opfert, um endlich der Diphtherie, dem mörderischen Würger der Kinder, ein Ende 22
y,u setzen. Paul Ehrlich entwickelt damals höchst originelle und anregende Gedanken über die Vorgänge bei der Immunisierung, über die Bildung der Schutzkörper gegen die eingedrungenen Toxine, Gedanken, deren Reichtum auch heute noch nicht ganz ausgeschöpft ist. Aber immer wieder hat er es mit den Farben, er schafft wie ein einziger Wirbelwind, unentwegt Zigarren paffend, immer irgendwohin Symbole kritzelnd, Formeln und Zahlen — auf Zettel oder Zeitungsränder, an die Wände, auf den Fußboden, und, wenn es sein muß, auf die Manschette oder das gestärkte Frackhemd. Niemals verläßt ihn dabei die große Idee: Eine Zauberkugel zu finden, mit der er auf die Mikroben schießen kann, ein Geschoß, das er sich nicht anders vorstellen kann, denn als Farbstoff. Die Überlegungen und Untersuchungen über die Impfmittel, über die Toxine und Antitoxine bringen Ehrlich die Leitung der „Königlich Preußischen Versuchsstation für Serum" ein. Im letzten Jahr des vorigen Jahrhunderts geht es dann nach Frankfurt, in die Nähe der großen chemischen Fabriken. Wieder sind es die Farben, die seine Entscheidung bestimmen. Endlich sind die vier S , G " beieinander, von denen er sagt, daß er sie brauche, um jene Zauberkugel gießen zu können: Geschick und Geduld will er mitbringen — freilich Geduld ist nie seine stärkste Seite gewesen, aber als es dann ernst wird, behält er sie doch über Hunderte von Versuchen hinweg —; das Glück will er, wenn es sein muß, zwingen, und G e l d steht ihm hier im reichen Frankfurt genug zur Verfügung.
Trypanosomen (Geißeltierchen) zwischen roten Blutkörperchen, 2000 fach vergrößert. Ihnen galt Ehrlichs Kampf. Versuche des französischen Forschers Laveran regen Ehrlich an, seine Farbkunststücke mit bestimmten Krankheitserregern, mit Trypanosomen, zu beginnen; das sind keine Bakterien, sondern größere, leichter zu erkennende, einfacher von einem Versuchstier auf das andere zu übertragende und besser zu überwachende Wesen aus dem Geschlecht der Geißeltierchen; sie sind für manche Seuchen verantwortlich. Laveran hat mit dem als schweres Gift bekannten Arsen in manchen Fällen höchst bescheidene Erfolge gehabt. Ehrlich versucht es natürlich nicht mit Arsen, sondern mit seinen geliebten 23
Farbstoffen. 500 Versuche, jeder einzelne unendlich sorgfältig angelegt und mit aller Peinlichkeit und jeweils mit einei anderen, gering abgewandelten Farbverbindung durchgeführt, — 500 Versuche muß er anstellen, bis endlich mit einer roten Farbe eine Maus gerett'et wird: eine einzige Maus unter tausend und aber tausenden, die den Trypanosomen erliegen. Noch von einer anderen Seite kommt eine Anregung: Paul Uhlenhuth hat am Reichsgesundheitsamt ebenfalls mit Trypanosomen gearbeitet und mit einem arsenhaltigen Präparat Erfolge gehabt, das, freilich recht irreführend den schönen Namen „Ungiftig" — „Atoxyl" erhält. Sofort wirft Paul Ehrlich das Steuer seiner Untersuchungen herum und geht daran, dieses Atoxyl zu verändern, seine Wirksamkeit zu verbessern, seine Giftigkeit herabzusetzen. 50, 100, 200, 400, 600 Arsenverbindungen komplizierter und kompliziertester Struktur erprobt er — aber keiner der Versuche gelingt. Endlich hat er das Präparat 606 in Händen. Sein chemischer Name ist Dioxy-diainino-arsenobenzol-dihydrochlorid. Wieder muß eine trypanosomenkranke Maus her. Da fegt eine einzige Spritze dieser unaussprechlichen Droge alle Trypanosomen aus dem Blut des schwerkranken Tieres. Die Maus wird gesund, und sie bleibt gesund, trotz des Arsens. Dieses Präparat 606 tötet, wie sich bei weiteren Versuchen herausstellt, nicht nur Trypanosomen, sondern auch die Erreger einer der fürchterlichsten Seuchen: die bleichen Spirochaeten der Lues. Mit dem Präparat 606 — es bekommt später den Namen Salvarsan — ist zum ersten Mal ein ganz und gar künstlich hergestelltes, aus der Retorte des Chemikers stammendes Heilmittel zur wirksamen Waffe gegen die Mikroben geworden. Jener 31. August 1909, da Paul Ehrlich und sein japanischer Assistent Hata das erste glückliche Experiment mit ihrem Präparat 606 durchführten, ist der Beginn einer ganz neuen Richtung in der Medizin, der Chemotherapie, der Heilkunde mit Hilfe rein chemischer Mittel.
Heilmittel ans der Retorte Freilich, die eine einzige, wundertätige Zauberkugel zu schaffen, die „Therapia magna sterilisans", die große, alle Mikroben vernichtende Heilmethode zu finden, blieb auch Ehrlich versagt. Dennoch wurden auf dem Wege, den er beschritten, bald die wunderbarsten Erfolge erzielt, und zwar gerade mit Hilfe jener Farben, denen Ehrlichs ganze Liebe gegolten hatte. Im Jahre 1917, zwei Jahre nach Paul Ehrlichs Tod, finden die Chemiker Dressel und Kothe als 205. Präparat einer systematischen Versuchsreihe — nach Ehrlichs Methode — ein Mittel gegen die Schlafkrankheit. Ehrlichs 24
Schüler Roehl prüft seine Wirksamkeit. 1921 werden im berühmten Hamburger Tropenkrankenhaus die ersten Menschen mit „Bayer 205" geheilt, und Anfang des Jahres 1922 gesunden mit Hilfe dieses Mittels die ersten Neger von der tödlichen Seuche. Germanin — so heißt nun das Präparat 205 — hat die Schrecken der Schlafkrankheit besiegt. Weitere Heilmittel folgen: Plasmochin, Atebrin, Paludrin gegen die Malaria, Anthrycid gegen die Nagana-Seuche der afrikanischen Haustiere. Aber all da« sind Krankheiten, die nicht von
So sehen die Kristalle eines Sulfonamidheilmittels bei starker Vergrößerung aus. Bakterien verursacht werden, sondern von anderen Mikroben, von Urtieren, die der Forscher Protozoen nennt. Chemotherapie bescheidensten Ausmaßes war allerdings schon das Bemühen in der ersten Zeit der Mikrobenjagd gewesen, als Pasteur, Koch und Behring — dieser hatte es ja mit Chlor-Jod-Ver25
bindungen versucht — äußerlich wirkende Desinfektionsmittel auf ihre Brauchbarkeit im Innern des Körpers erprobten. Was sie und ihre Nachfolger damals erreichten, war praktisch gleich Null; gerade den häufigsten Krankheitserregern, den am weitesten verbreiteten und bösartigsten der unsichtbaren Feinde, schien man mit der Waffe der Chemotherapie nichts anhaben zu können. Um so mehr überraschte deshalb die Nachricht, die im Jahre 1935 aus Elberfeld kam, wo auch das Germanin, das Plasmochin und das Atebrin entstanden waren. Wieder war es ein Farbstoff, eine in der Retorte künstlich gewonnene Substanz, die nun auch gegen Bakterienkrankheiten brauchbar sein sollte. An diese Möglichkeit hatte jedoch zunächst niemand gedacht, als man den Farbstoff zuerst im Laboratorium und später in der Fabrik herstellte; man hatte lediglich eine waschechte und walkfeste Farbe für die Textilindustrie finden wollen. Während der Prüfungen der neuen Farbe wurde aber auch ihre Empfindlichkeit gegen Mikroben untersucht; das Ergebnis war verblüffend: Die Farbe erwies sich zunächst im Reagenzglas-Versuch als überraschend wirksam gegen eine Gruppe besonders gefährlicher Bakterien, nämlich gegen die Kokken, jene kugelförmigen Bakterien, die schon von Antonij Leeuwenhoek unter seinem Mikroskop erkannt worden waren. Eiterungen und Blutvergiftung, Lungenund Gehirnhautenzündung, Wundrose, Mittelohrentzündung und Kindbettfieber, das sind nur einige der Leiden, die von Kokken hervorgerufen werden. Gegen diese unsichtbaren Feinde war der neu entwickelte rote Farbstoff, den man „Prontosil" nannte, ungemein erfolgreich. Vom Reagenzglas-Versuch schritt man zum Experiment am Tier und dann zur Erprobung am Menschen, und erzielte stets gleich gute Ergebnisse. Dieses neue Heilmittel aus der Gruppe der Sulfonamide — so nennt der Chemiker eine bestimmte Anordnung von Wasserstoff-, Sauerstoff-, Schwefel- und Stickstoffatomen, für die er die Formel - SO2 . NH2 geprägt hat — bannte eine Reihe von Kokkenerkrankungen. Es war einer der großen Tage der deutschen Forschung, als der Entdecker der Sulfonamide, Günther Domagk, auf der Hauptversammlung des Vereins Deutscher Chemiker in Königsberg 1935 die ersten erstaunlichen Mitteilungen über die Erfolge des Prontosils bekanntgab, das von den Chemikern Klarei und Mietzsch dargestellt worden war. Mit Recht hat Günther Domaglj im Jahre 1939 den Nobel-Preis erhalten, die höchste Ehrung, dij einem Forscher zuteil werden kann; auch Domagks großen Von gängern Koch, Behring und Ehrlich hatte die altehrwürdige Kgl. A k J demie der Wissenschaften in Stockholm den ruhmvollen Titel ein« Nobelpreisträgers zuerkannt. 1 26
Den ersten Sulfonamiden — diese Namen behielt man für die »anze große Gruppe dieser neuen Heilmittel aus der Retorte bei — folgten viele andere, bessere, leichter verträgliche. Der Erfolg: Kindbettfieber, jene Seuche, deren Bekämpfung sich Ignaz Semmelweis verschrieben hatte, gehört heute zu den überwundenen Krankheiten; bei der Hirnhautentzündung ist die Sterblichkeit von 50 auf 3%) gesunken, bei Lungenentzündungen von 30 auf unter 5 vom Hundert. Ein besonderes Ruhmesblatt der Forschung ist es, daß sie nun auch aufklären konnte, w i e die Sulfonamide wirken; gerade diese wissenschaftliche Leistung ist ein schöner Beweis dafür, wie tief man in die Geheimnisse der Kleinstlebewesen eingedrungen ist, seitdem Leeuwenhoek die ersten Mikroben entdeckt, Koch die ersten Bazillen gezüchtet und Laveran, Uhlenhuth und Ehrlich die ersten chemischen Mittel gegen die gefährlichen Feinde eingesetzt hatten. Die Mikroben, so weiß man heute, benötigen zu ihrem Gedeihen genau wie alle anderen Lebewesen bestimmte Wuchsstoffe, Vitamine, ähnlich jenen, die wir mit Milch und'Obst zu uns nehmen. Die Kokken zum Beispiel brauchen als Wuchsstoff eine organische Substanz, die Paraaminobenzoesäure, auch Vitamin H' genannt. Dieses Vitamin H' ist mit den Sulfonamiden chemisch nahe verwandt. Infolge dieser Verwandtschaft kann sich das Heilmittel im Stoffwechsel der Mikroben leicht an den Platz „schwindeln", der rechtens dem Vitamin H' gehört; hier, im Spiel und Widerspiel der biochemischen Reaktionen vermag es aber nicht die Rolle des Vitamins zu übernehmen; das „falsche" Vitamin stört also den Lebenshaushalt des Bakteriums, dessen Wachstum damit aufhört. Das so geschädigte Bakterium vermehrt sich nicht mehr, und schließlich fällt es den „Schutzstoffen" des Organismus zum Opfer. Ihren letzten großen Triumpf hat die Chemotherapie mit zwei neuen Mitteln gegen die „Weiße Pest", gegen die Tuberkulose, errungen. Seit wenigen Jahren verdanken zahllose an dieser heimtückischen Krankheit Leidenden Besserung und Heilung dem ebenfalls von Günther Domagk entdeckten Mittel TB 1/698; der Chemiker nennt es Thiosemicarbazon, als Präparat wurde es Conteben genannt. Gegen die gleiche Krankheit wird auch die in Schweden gefundene Paraaminosalicylsäure, bekannt als PAS, erfolgreich eingesetzt.
Pilze als Helfer im llikrobenkampf Im Jahre 1929 stutzte der englische Bakteriologe Dr. Alexander Fleming über einen merkwürdigen Vorgang, den vor ihm sicher schon zahlreiche andere Fachgenossen beobachtet hatten, ohne sich 27
besonders darüber zu wundern: Auf Kulturschalen, wie sie seit den Tagen Robert Kochs und Louis Pasteurs zur Züchtung von Bakterien benutzt werden, hatte sich außer den Staphylokokken, die als Eitererreger gefürchtet sind, auch ein Schimmelpilz angesiedelt. Solche verdorbenen Kulturen pflegt man schleunigst auszuscheiden; denn erstes Gesetz jeder Mikrobenforschung ist, daß man mit reinen Kulturen arbeitet. Dr. Fleming aber sah, ehe er die Schalen freigab, noch einmal genau hin, und dieser eine Blick hat ihm den Platz unter den Wohltätern der Menschheit gesichert. Fleming sah nämlieh, daß die Schimmelpilze die Bakterienkultur verändert hatten; rings um den Schimmel waren die Kolonien der Mikroben aufgelöst und abgetötet. Was hier geschehen war, das verdiente eine gründliche Untersuchung. In dem Augenblick, da Fleming sich an diese Untersuchung heranmachte, schlug die Geburtsstunde für ein wahres Wunderheilmittel, für das Penicillin. Penicillium notatum — so hieß der Pilz, der da auf der AgarSchicht der Kulturschale gewachsen war. Fleming legte Reinkulturen von ihm an, stellte fest, welche Bakterien er beeinflußte, welche nicht, und machte sich auf die Suche nach dem Stoff, der da offenbar die Entwicklung der Mikroben hemmte. Er entwarf ein Prüfverfahren, einen Test, für die Wirksamkeit des Stoffes, und bemühte sich, ihn immer reiner darzustellen. Nach der botanischen Bezeichnung des Pilzes gab er dem Wirkstoff den Namen Penicillin. Fleming konnte sogar nachweisen, daß dieses mikrobenhemmende Penicillin für warmblütige Tiere unschädlich war; eine Anwendung als Heilmittel aber, so nahe sie nunmehr lag, schien bedauerlicherweise unmöglich; denn allzu schwierig war die Isolierung des Wirkstoffes, und allzu empfindlich schien er zu sein, allzu leicht verlor er seine Wirkung. So wurde es bald wieder still um das Penicillin. Dann aber nahm sich der Mediziner Howard Walter Florey dieses eigenartigen Stoffes an. Es war ein Jahr vor Beginn des zweiten Weltkrieges, als Dr. Florey und ein Mitarbeiter, Dr. Chain, in Oxford darangingen, Flemings Penicilliumpilz in Kultur zu nehmen und seine Eigenschaften zu erforschen. Der Krieg unterbrach ihre Arbeit nicht — im Gegenteil: jetzt wurden Heilmittel gebraucht, gerade für jene gefährlichen Eitererreger in den Wunden, gegen die das Penicillin eine Abwehr zu bieten schien. Fieberhaft begann mai^ nun in Oxford zu arbeiten. Es galt, die besten Bedingungen für di«i Züchtung herauszufinden, Penicillin mußte in möglichst reiner Form und hoher Ausbeute gewonnen und das neue Mittel klinisch genas erprobt werden. Unsagbare Schwierigkeiten waren zu überwinderj aber die „Oxford-Gruppe", nun schon eine verschworene Gemein
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schaft v o n M e d i z i n e r n , M i k r o b e n f o r s c h e r n , C h e m i k e r n u n d Biol o g e n , b i ß sich durch. M a n e n t d e c k t e S t ä m m e , die v e r v i e l f a c h t e A u s b e u t e e r b r a c h t e n ; sie w u c h s e n nicht m e h r a u f d e r K u l t u r f l ü s s i g k e i t , wo sie viel P l a t z b e a n s p r u c h t e n , s o n d e r n u n t e r g e t a u c h t i n e i n e r F l ü s s i g k e i t . N u n k o n n t e m a n P e n i c i l l i u m - P i l z e i n T a n k s von 5 0 000 u n d m e h r L i t e r n z ü c h t e n . Zugleich a b e r w u r d e e i n e T e c h n i k d e r t a u s e n d s t e l P r o z e n t e e n t w i c k e l t , b e i d e r e s d a r u m ging, die r i e s i g e n T a n k s völlig k e i m f r e i z u h a l t e n u n d auch d e n W e g v o m Pilz bis z u d e m b e g e h r t e n W i r k s t o f f v o r j e d e m möglichen Angriff
Normale Staphylokokken-Kolonie
Staphylokokken in Auflösung PenicilliumPilz-Kolonie
Eine der Originalkulturen, in denen Fleming auf die keimtötende Wirkung der Schimmelpilze aufmerksam wurde. a n d e r e r u n s i c h t b a r e r M i k r o b e n peinlich g e n a u z u s c h ü t z e n . Schließ-' lieh a r b e i t e t e n i n E n g l a n d u n d i n U S A 3 8 F o r s c h e r g r u p p e n H a n d in. H a n d , alle m i t d e m Blick auf d a s e i n e Ziel, die G e w i n n u n g des P e n i cillins. Die großartige, uneigennützige Zusammenarbeit der Wissenschaftler i n d e n L a b o r a t o r i e n d e r F o r s c h u n g s s t ä t t e n u n d d e r g r o ß e n chemischen W e r k e t r u g i h r e F r ü c h t e . D i e A u s b e u t e stieg a n , v o n 29
Milligramm auf Gramm, von Gramm auf Kilogramm und schließlich auf Hunderte von Kilogramm. Im Jahre 1945 hatte man es geschafft: Jetzt war genügend Penicillin vorhanden, um es überall in der Welt der leidenden Menschheit zur Verfügung stellen zu können. Bald nach dem Zusammenbruch begann auch die deutsche chemische Industrie, die schon während des Krieges an einem dem Penicillin ähnlichen Heilmittel gearbeitet hatte, Penicillin selber herzustellen. Heutzutage fehlt Penicillin in keiner Apotheke mehr. Gegen nicht weniger als 89 verschiedene Krankheitserreger ist es unbedingt wirksam, und bei weiteren 16 unter bestimmten Verhältnissen. Unendlich viele Menschen hat es vor Tod und Siechtum bewahrt und zahlreichen Krankheiten wohl für immer ihren Schrecken genommen; Penicillin ist vor allem auch da in die Bresche gesprungen, wo die Sulfonamide versagten, weil die Krankheitserreger unter bestimmten Umständen auf diese Heilmittel nicht mehr ansprachen Aber immer noch bleiben viele Leiden, viele Krankheiten, viele Seuchen, gegen die noch kein Kraut gewachsen ist. Doch auch hier dürfen wir hoffen. Die Chemotherapie steht erst am Anfang ihrer Entwicklung. In den wenigen Jahren seit der Entdeckung Dr. Flemings hat man eine Fülle weiterer, dem Penicillin ähnlicher Wirkstoffe entdecken können. Sie alle faßt man unter dem Namen der Antibiotica zusammen. Antibiose ist ein Begriff, der im Gegensatz zu dem der Symbiose steht. Symbiose — vom griechischen syn, zusammen, und bios, Leben — nennt man die mehr oder wenigen innigen Gemeinschaften, die zwischen zwei verschiedenartigen Lebewesen bestehen können. Berühmt ist die Symbiose, die der Einsiedlerkrebs pflegt. Er schleppt auf dem Schneckenhaus, das er bewohnt, eine oder mehrere Seerosen mit sich, und diese Untermieter schützen ihn mit ihren Nesselbatterien vor allen Feinden. Zum Dank dafür sorgt der Einsiedlerkrebs für die Ernährung seiner blumenähnlichen Freundinnen aus dem Geschlecht der Hohltiere. Das Gegenteil der Symbiose ist die Antibiose, unter der man den Kampf der Lebewesen gegeneinander verstehen müßte; im engeren Sinne aber meint man damit nur den Kampf der niederen Pflanzen gegeneinander. Die Bakterien aber und die Schimmelpilze sind solche niederen Pflanzen. In ihrem Kampf um den Lebensraum bedienen sich die Gegner bestimmter Stoffe, die den feindlichen Konkurrenten im Wachstum hemmen oder ihn töten. Schon Pasteur hatte Antibiosen gekannt; er beobachtete nämlich im Jahre 1887, daß eine Milzbranderregerkultur zugrunde ging, als sie durch andere, aus der Luft eingeschlichene Mikroben verunreinigt wurde — schon nach kurzer Zeit befand 30
sich kein einziger Milzbrandbazillus mehr in der Kultur. Zwei Jahre später gab der franzosische Forscher Vuillemin der Erscheinung den Namen, den sie noch trägt: Antibiose. Man weiß heute, daß nicht nur Schimmel- und Strahlenpilze, sondern auch Bakterien, Flechten, Algen und eine Reihe anderer, selbst höherer Pflanzen Antibiotica erzeugen. Obwohl die Erforschung dieser Kampfstoffe der Pflanzen erst in ihren Anfängen steht, kann die Wissenschaft bereits auf eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten stolz sein. Es gibt antibiotische Heilmittel nicht nur gegen alle möglichen Arten von Bakterienkrankheiten, sondern auch gegen solche, die von den noch kleineren Viren verursacht werden. Das Streptomycin, das der amerikanische Forscher Waksman aus einem Strahlenpilz gewonnen hat, hat sich gegen bestimmte Formen der Tuberkulose, gegen Rattenpest und Beulenpest bewährt; vom Chloromycin werden ans Fabelhafte grenzende Heilungen bei Flecktyphus ebenso wie bei Unterleibstyphus berichtet, und Aureomycin, gewonnen aus einem goldgelben Schimmelpilz, verspricht Hilfe bei Krankheiten, denen man bisher kaum irgendeine wirksame Abwehr entgegenstellen konnte. Und morgen vielleicht kann uns ein bisher kaum bekannter Schimmelpilz eine neue Zauberdroge bescheren. Sie zu finden und darzustellen, sie zu erproben und schließlich zum Segen der leidenden Menschheit werden zu lassen, darum mühen sich täglich und stündlich all die Männer und Frauen, die das Werk der Leeuwenhoek und Jenner, Pasteur und Koch, Behring und Ehrlich, Domagk, Fleming und Florey fortsetzen. In den Laboratorien, in den chemischen Fabriken und Kliniken, mit Reagenzglas und Mikroskop, an unzähligen Krankenbetten sind sie tätig. Die große Aufgabe, die ihnen Pasteur gestellt hat, leitet sie: Die unsichtbaren Feinde endgültig zu schlagen und alle ansteckenden Krankheiten für immer vom Erdboden zu vertilgen.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bild auf der vorderen Umschlagseite: Modernes Mikroskop, im Kreis : Streptokokken in Kettenform geordnet bei Blutvergiftung und Eiterungen.
L u x - L e s eb o g e n Nr. 88 / H e f t p r e i s 20 P f e n n i g e Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (viertelj. 6 Hefte DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, v—
Murnau-München — Druck: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg 31
Aus olle* Wissikstetiete*.. plaudern die „LUX-LESEBOGEN". Gesammelt ersetzen die Helte eine ganze Bibliothek moderner Forschung. Folgende Lesebogen sind bisher erschienen. (Die mit einem Sternchen ' bezeichneten Nummern können noch nachbestellt v/erden.) Kunst und Dichtung 1. Von der Panflöte zur Sphärenorgel 2. Der junge Dürer 3. Rembrandt 12. Mozart 15. Polizeiakte Shakespeare 17. Mit Pinsel, Feder, Gänsekiel 27./28. Kasperl 34. Film 38. Tiere d. Höhlenbilder 44. Dome der Gotik "49. Moderne Kunst •55./56. Beim Herrn Geheimrat *58. Michelangelo •61. Gemälde •72. Wilhelm Leibl •80. Formende Hände •81. J. S. Bach •87. Raffael Geschichte 3. Im Goldland der Inka 5. Flucht in die Freiheit 6. Der Streithansl 11. Die Briefmarke 14. Columbus 22. Bunting — der Rattenfänger 25. Das tolle Jahr 1848 29. Mit d. Drachenbooten nach Vinland 40. 1648: Und es ward Friede VERLAG
j-24. Kalenderheft •50. Pompeji 32. Nachtgespenster •51. Cortez — Der weiße "35. Der Pilzsammler Gott 36. Insekten-Rätsel •54. Im Tal der Könige '45. Augen auf! II •59. Jäger der Urzeit •66. Der Prozeß Sokrates "47. Das überlistete Tier •86. Das Reich der Maya •52. Tier-Riesen d. Urzeit •53. Das verwandelte Tier •57. Tiervölker wandern •62. Über Wald und Heide Völker und Länder •64. Ringvoqel 32521 16. Wasser — Wüste — •70. Tierleben (A. Brehm) •74. Hydra Weizen •78. Grimback d. Hamster 31. Arktis 33. Auf dem Mississippi "88. Unsichtbare Feinde 39. Wüste oder Paradies? 43. Der sechste Erdteil Physik, Technik •65. Eisbrecher erkämpfen Sternenkunde Nordost-Passage •67. Im Reich der Höhlen 4. Verhexte Zahlen •69. Japan 7. Die Sterne •71. Das Land Sibir 20. Das multiplizierte •73. Roald Amundsen Auge •75. Urwald •77. Windhunde d. Ozeans 26. Die gläserne Landkarte •82. Rätsel der Osterinsel 30. Chemie keine Hexerei "83. Die großen Kanäle 37. Der gute Mond '85. Zwergmenschen •41. Der brennende Stein im Urwald •42. Vom Tretrad zur Turbine Tiere und pflanzen •46. Helium — derSonnenstoff 8. Anguis — der Aal •48. LuftqauMer '60. Meteore 9. Gefiederte Freunde •63. Weltraum-Raketen 13. Augen auf! I •68. Triumphe der For18. Hagenbeck handelt schung mit Tieren •76. Die Sonne 19. Robert Koch •79. Kälter als Eis 21. Wale 23. Der Räuber Isegrim 1*84. Rätsel des Mars
SEBASTIAN
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