Verlieb dich doch endlich in mich
Suzanne Forster
Bianca Exklusiv 102-2 – 6/02
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Verlieb dich doch endlich in mich
Suzanne Forster
Bianca Exklusiv 102-2 – 6/02
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1. KAPITEL
Amy Dwyer erschrak. War das nicht eben ein dumpfer Knall gewesen? Jedenfalls hatte das nichts mit der üblichen Geräuschkulisse zu tun, die für die Nachrichtenredaktion typisch war. Amy war mit einem Stapel von Papieren, es waren Aktennotizen, Korrespondenz und sonstige Unterlagen, unterwegs. Sie wollte sie an verschiedene Mitarbeiter des „Chicagoer Morgenblatts" verteilen. Im Großraumbüro herrschte die übliche Hektik. Telefone schrillten, die Drucker ratterten und warfen Texte aus, die Computer-Terminals blinkten unablässig. Der Redaktionsschluss für die morgige Ausgabe stand kurz bevor, und jeder ging noch schnell dringenden Angelegenheiten nach. Niemand außer ihr schien deshalb das merkwürdige Geräusch bemerkt zu haben. Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet? fragte sich Amy. Ich habe schließlich eine lebhafte Fantasie. Sie besann sich auf ihre Arbeit und nahm den Zickzackkurs durch die schmalen Gänge zwischen den Schreibtischen wieder auf. Kurz vor dem Kaffeeautomaten hörte sie den Laut aber noch einmal, diesmal folgte ein Poltern, und dann - ein Knurren? Hatte da jemand ein wildes Tier mit ins Büro gebracht? Das Geräusch war ganz klar aus Danny Robinsons Büro gekommen. Vorsichtig ging sie in die Richtung. Je mehr sich Amy dem Büro näherte, desto stärker klopfte ihr Herz. Doch das lag nicht an den beängstigenden Geräuschen, sondern an der Tatsache, dass es sich gerade um Dannys Büro handelte. Mit seinem versonnenen Blick, den blauen Augen, mit dem ungebändigten dunklen Haar und seinen unerschrockenen Reportagen war er der Schwärm aller weiblichen Angestellten beim „Morgenblatt". Amy bildete da keine Ausnahme. Seit zwei Jahren bewunderte sie ihn nun schon, natürlich heimlich. Wenn sie Danny irgendwo auf dem Gang begegnete, brachte sie leider immer nur ein schüchternes „Hallo, wie geht's?" heraus. Die Tür zu seinem Büro war angelehnt, und die Geräusche, die aus dem Raum drangen, waren in der Tat beunruhigend. Amy wollte zuerst anklopfen, sagte sich dann aber, dass Danny das wahrscheinlich gar nicht hören würde, und stieß deshalb einfach die Tür auf. Hätte sie es nur nicht getan! Instinktiv duckte sie sich, weil gerade ein Terminkalender knapp über ihren Kopf geflogen kam. Als Nächstes folgte der Papierkorb, aber er landete zum Glück vor Amys Füßen. Danny war so in Fahrt, dass er nun auch noch mit der Faust auf den Schreibtisch hieb, gerade so, als wolle er die Platte zerschmettern. „Nicht!" rief Amy angstvoll. „Vorsicht", knurrte Danny. „Ich habe einen Wutanfall." „Man sieht es", bemerkte Amy trocken und blickte über die Schulter zurück ins Großraumbüro, wo die Kollegen alle neugierig die Szene verfolgten. Es war vielleicht ein Fehler, aber Amy machte entschlossen einen Schritt vorwärts und schloss die Tür hinter sich. „Was ist los, Danny?" fragte sie so sachlich wie möglich. „Hast du Schwierigkeiten mit einem Artikel?" Sie zuckte zusammen, weil er erneut zu einem Fausthieb ausholte. „Halt! Tu's nicht!" Dannys Faust landete an der Wand, und das verursachte einen harten Knall. „Autsch!" Danny rieb sich die Hand. „Woraus haben sie denn diese Wände gemacht? Aus Panzerplatten?" „Darin sind Stahlträger, die Schwankungen verhindern sollen", gab Amy Auskunft. Sie hatte nämlich einmal einen Vorgang in die Hände bekommen, bei dem es um die Versicherung des Gebäudes ging. „Dieses Hochhaus ist stürm- und erdbebensicher. " Nur dich haben sie vergessen, fügte sie im Stillen hinzu und unterdrückte ein Lächeln. Danny sieht zurzeit ziemlich gefährlich aus, dachte sie. Da bleibe ich besser ernst. Seine Augen sprühten vor Zorn. „Woher weißt du das?" fragte er scharf. „Ach lass, ist ja auch egal. Immerhin hättest du mir das vorher sagen können." Amy schob sich die Brille zurecht. „Ich wollte ja ..." Ihre Stimme erstarb. Danny hatte die
Augen leicht zusammengekniffen und betrachtete sie nun mit sichtlichem Interesse. „Du bist doch Amy, nicht? Die Sekretärin des Verlegers, oder?" „Ja. Amy Dwyer." Andere wären vielleicht beleidigt gewesen, weil er nach zwei Jahren Mitarbeit in der Redaktion immer noch nicht ihren vollen Namen kannte. Nicht so Amy. Sie war glücklich, dass er immerhin ihren Vornamen behalten hatte. „So ..." meinte er gedehnt. „Dwyer." Er legte den Kopf in den Nacken und warf die Haare zurück. Schwerfällig erhob er sich dann von seinem Stuhl und humpelte ans Fenster, um missmutig hinauszustarren. Neuigkeiten, die Danny Robinson betrafen, machten im Haus schnell die Runde. Alle wussten, dass er sich bei einem seiner letzten beruflichen Abenteuer als Journalist verletzt hatte. Amy fragte sich, ob er über die Muskelzerrung am Bein so erbost war. Gedankenverloren betrachtete sie ihn. Er war lässig gekleidet, trug eine graue Cordhose und ein graues Sweatshirt. So aus der Nähe fand sie ihn noch aufregender. Er hatte sehr schmale Hüften und wirkte trotzdem kraftvoll. Jetzt verschränkte er die Arme und verlagerte das Gewicht auf das un verletzte Bein. Sie sah, wie sich seine Figur abzeichnete, und auf einmal spürte sie ein merkwürdiges, höchst angenehmes Kribbeln im Bauch. Verwirrt ließ sie den Blick höher wandern. Sie fühlte sich ihren Gefühlen nicht ganz gewachsen. Eigentlich sollte sie deshalb besser gehen, doch da seufzte Danny. Er hatte offenbar wirklich ein Problem. Noch immer starrte er aus dem Fenster, sein Gesichtsausdruck war inzwischen ganz weich geworden, fast traurig. Wie ein Tier im Käfig wirkt er, dachte sie gerührt. „Danny", begann sie vorsichtig, „du scheinst dich über irgendetwas zu ärgern. Wenn ich dir helfen kann ..." Er drehte sich um und sah sie misstrauisch an. „Du weißt also noch nichts?" Sie schüttelte den Kopf. „Ich dachte, Royce hätte schon einen Aufmacher für die erste Seite daraus gemacht", sagte er ungläubig. Amy glaubte zu verstehen. Royce Hubbard, der Neffe des Verlegers Bill Hubbard, hatte die Lokalredaktion übernommen, nachdem Danny den Posten abgelehnt hatte. Die beiden Män ner waren erbitterte Konkurrenten seit dem Tag, als sie fast gleichzeitig bei der Zeitung angefangen hatten. Jeder versuchte, den anderen mit seinen Reportagen zu übertrumpfen, aber Danny hatte sich dann mit einer Artikelserie über den Drogenhandel einen klaren Vorsprung verschafft. Die Reportage war bei der jährlichen Verleihung des Pulitzerpreises lobend er wähnt worden. Die beiden Kontrahenten pflegten einen rauen Ton, den Amy lächerlich fand. Sie war einerseits von Danny begeistert, andererseits hatte sie mit der Verlegerfamilie Hubbard gesellschaftlichen Umgang. So versuchte sie stets, beiden gerecht zu werden. „Was hat Royce denn jetzt wieder angestellt?" fragte sie. „Du hast wirklich nichts davon gehört?" Danny ging zum Schreibtisch, schlug die letzte „Morgenblatt-Ausgabe auf und wies auf die Briefkastenecke. „Unsere ,liebe Peggy' hat einen Nachfolger gefunden. Er steht vor dir." Amy riss die Augen auf. Danny Robinson als Briefkastenonkel? Das konnte doch nur ein Witz sein. „Wie ist denn das passiert?" fragte sie überwältigt. Danny seufzte wieder und zerwühlte sich das Haar. Dramatisch ließ er sich auf den Stuhl fallen. „Royce Hubbard hat alte Spielschulden eingetrieben." „Spielschulden?" wiederholte Amy verständnislos. „Ja, beim Pokern. Es war so ein Abend, an dem man sich mitreißen lässt und bereit ist, dem eigenen Tod ins Auge zu blicken. Ich hatte ein sagenhaftes Blatt, aber Royce hatte leider ein noch besseres: vier Asse. Das Ganze ist schon eine Weile her, und heute Morgen hat er mich zur Kasse gebeten. Royce ist ein Fuchs", murmelte Danny erbost. „Er hat mir zwei Alternativen gelassen: Entweder ich übernehme den Briefkasten, oder er übernimmt für eine Weile meinen Porsche. Dabei wusste er ganz genau, dass ich ihn nie mein Auto anrühren lassen würde." Ach ja, dachte Amy, das alte Lied: Männer und ihre Autos! Ich werde das nie verstehen. Ob
Danny mir wohl jemals so viel Aufmerksamkeit schenken würde wie seinem 944 Turbo? „Moment mal - der Briefkasten läuft doch unter dem Unterhaltungsressort. Royce macht aber Lokales. Er darf gar nicht über andere Bereiche bestimmen", gab Amy zu bedenken. „Royce fragt nicht lange, was er darf oder nicht darf", meinte Danny bitter. „Er hat mich der Unterhaltungsredaktion einfach ausgeliehen. Aber ich sage dir, eher kündige ich, als dass ich diesen gefühlsduseligen Unsinn zusammenschreibe." „Kündigen?" Amy spürte, dass diese Situation gefährlich war und ihre ganze Geistesgegenwart erforderte. „Findest du das nicht ein bisschen unüberlegt? Lass mich erst noch mal mit dem Verleger sprechen. Wenn ich ihn nicht erreiche, wende ich mich an Ramhurst." Frank Ramhurst war der Chefredakteur und Stellvertreter von Bill Hubbard, Amys eigentlichem Vorgesetzten. Danny machte eine wegwerfende Geste. „Royce war schon bei Ramhurst. Er hat ihm mit Erfolg eingeredet, dass ich überlastet bin und ein bisschen Ruhe brauche, nicht zuletzt wegen meiner Beinverletzung. War auch nicht weiter schwierig, nachdem ich diese Schlappe bei der Geschichte über den Bauskandal neulich einstecken musste. Jedenfalls muss ich jetzt die privaten Probleme der Leser lösen, bis sich ein Ersatz für Peggy findet." Amy war offenbar nicht ganz auf dem Laufenden. „Wo ist Peggy denn hin?" Er blickte gequält auf. „Vermutlich besucht sie einen Kurs für schmerzlose Geburt. Sie ist mal über ihren eigenen Schatten gesprungen und schwanger geworden." „Wie bitte?" Peggy war nicht verheiratet und ging nie mit Männern aus, und obwohl sie aussah wie neununddreißig, wartete sie offenbar schon jetzt auf den demnächst bevorstehenden Tag ihrer Pensionierung. Jedenfalls wurde das von bösen Zungen behauptet. „Wie ist das möglich?" Amy war fassungslos. „Sie hatte es offenbar satt, von den Leidenschaften anderer zu lesen", erklärte Danny, „und wollte endlich selbst etwas erleben. Zumindest wollte sie sich wohl einmal voll und ganz als Frau fühlen, und das scheint ihr ja nun gelungen zu sein." „Erstaunlich", murmelte Amy. Danny lehnte sich zurück und stöhnte leise. Selbst in seinem jetzigen Zustand war dieser Mann einfach hinreißend. Amy spürte wieder dieses seltsame Kribbeln im Bauch. Was war es, das sie an diesem Mann so unwiderstehlich fand? Waren es die blauen Augen, die samtige Stimme oder die verwegene Kinnlinie? Oder diese durchtrainierte Figur? Vielleicht habe ich auch nur Rosinen im Kopf, schalt sie sich. Ein Klopfen an der Tür holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie rief „Herein", und da wurde die Tür geöffnet. Es war ein Bürobote mit einer ganzen Ladung Kartons. „Das sind alles Briefe für Peggy", meinte er munter. „Die waren in ihrem Büro. Wo soll ich sie hintun?" Amy trat einen Schritt zurück, um den Mann seine Last abladen zu lassen. Dann hielt sie ihm die Tür auf, um ihn so zum Gehen aufzufordern. Danny warf einen missmutigen Blick auf die Kartons und gab eine Art Knurren von sich. Ob er die Sache nicht ein bisschen zu schwer nimmt? dachte Amy. Er ist doch ein hervorragender Journalist, da kann ihm doch ein kleines Zwischenspiel als Briefkastenonkel nicht derartig nahe gehen. „Danny", sagte sie beschwörend, „du solltest dich nicht allzu sehr aufregen." „Ja, hast Recht, Amy." Er straffte sich. „In diesem Jahr brauche ich mich jedenfalls nicht um den Pulitzerpreis zu bewerben", fügte er mit einem ergebenen Seufzer hinzu. „Das würde ich auch so sehen", murmelte Amy, mehr zu sich selbst. „Ich bin bloß gespannt, was die anderen dazu sagen werden, wenn sie es erfahren." Es war eine beängstigende Vorstellung. „Und erst unsere Konkurrenzblätter, die ,Chicago Post', das ,Sonntagsblatt', die Boulevardzeitungen. O Danny ...!" Danny sah so verzweifelt aus, dass sie hastig einen anderen Ton anschlug. „Auf der anderen Seite kommt dein Name ins Gespräch, und das ist doch immer gut, oder?" Danny vergrub das Gesicht in den Händen und reagierte nicht. „Glaub mir! Es hat alles seine guten Seiten, man muss sie nur sehen." Amy redete einfach drauflos. „Du bist bestimmt in kürzester Zeit stadtbekannt. Und außerdem bin ich sicher, dass du die beste Peggy wirst, die das
,Morgenblatt' jemals hatte!" Amy lächelte hilflos und bewegte sich langsam auf die Tür zu. Wenn ich noch länger hier bleibe, mache ich mit meinem Gerede alles nur schlimmer, sagte sie sich. „Also, wie gesagt." Jetzt war sie an der Tür. „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag's nur. Ich bin zu allem bereit." Erschrocken hielt sie inne. Dieser letzte Satz war ihr unbewusst über die Lippen gekommen. Klang das nicht zu aufdringlich, ja, zweideutig? Und richtig, Danny wiederholte: „Zu allem?" Seine Stimme klang rau, aber das kam vielleicht daher, dass er den Kopf gesenkt hielt. Amy erstarrte. Dieses war ein denkwürdiger Moment. Seit zwei Jahren erhoffte, ersehnte und erträumte sie, dass Danny Robinson sie endlich wahrnähme. Und nun war es offenbar so weit! Er interessierte sich endlich für sie, Amy Dwyer! Verstohlen prüfte sie ihr Spiegelbild in der Glasscheibe eines der gerahmten Bilder an der Wand. Sah man ihr den Triumph etwa an? War sie gleich ein paar Zentimeter gewachsen? Nein, stellte sie enttäuscht fest. Ich sehe ganz normal aus mit meinem braunen Haar und den großen kurzsichtigen Augen hinter der Brille. Ganz einfach wie ein durchschnittliches Mädchen, weiter nichts. Tragisch war nur, dass ein unvoreingenommener Beobachter Amy ganz anders wahrgenommen hätte, als sie selbst es tat. Sie sah nämlich absolut hinreißend aus, wie sie da zögernd an der Tür stand, mit der etwas verrutschten Brille und den großen braunen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern. „Wirklich, Amy? War das dein Ernst?" fragte Danny noch einmal. „Ja", flüsterte sie. „Komm her. Setz dich", bat er. Sie folgte der Aufforderung, ging mit eckigen Bewegungen zu seinem. Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl davor. Danny trommelte mit den Fingern einen aufwühlenden, gleichzeitig beharrlichen Rhythmus auf die Platte. „Keine Angst, ich habe mich wieder vollkommen in der Hand", beteuerte er. „Das ging aber schnell", sagte Amy, weil ihr nichts Besseres einfiel. Sie hielt noch immer die Papiere umklammert, die sie verteilen wollte. Jetzt legte sie sie auf den Boden neben den Stuhl und wartete gespannt auf Dannys nächste Worte. „Ich habe eine Idee", begann er. „Das heißt, wenn du einverstanden bist..." Einverstanden? Mit allem! dachte Amy leidenschaftlich. Ich würde dir nach Alaska oder nach Sibirien folgen. Na ja, nach Sibirien vielleicht nicht unbedingt. Sie nickte entschieden, und da lächelte Danny zum ersten Mal an diesem Tag. „Ich habe nie geahnt, was für ein prima Kamerad du bist, Amy. Wenn du bereit wärst, die Briefkastenecke für mich zu übernehmen – heimlich - natürlich, dann könnte ich mich auf die Wahlkampf-Geschichte werfen, die heiß zu sein scheint. Und ich würde eine Schlagzeile für die Seite eins herbeibringen, die sich sehen lassen kann." Er fegte mit der Faust über die Schreibtischplatte, sah auf einmal wieder energiegeladen und unternehmungslustig aus. Mit einem komplizenhaften Augenzwinkern fuhr er fort. „Und wenn sie dann die neue Peggy anbringen, decken wir unsere Karten auf und erklären, dass du die ganze Zeit den Briefkasten betreut hast. Ah", rief er begeistert, „wie ich das liebe! Diesen Royce möchte ich mal eiskalt aussteigen lassen, das wäre herrlich!" Amy versuchte noch, den Sinn seiner Aussage zu begreifen, während er schon aufstand und sich über einen der Kartons hermachte. Er riss den Deckel ab, und die Briefe quollen nur so heraus. „Ich ... kann nicht", hauchte sie. „Meine andere Arbeit..." „Du bist doch wohl nicht überlastet? Bill Hubbard ist so gut wie nie da, da hast du sicher ein paar Freiräume, Amy." Die hatte sie allerdings, und das wussten alle. Der reiselustige Verleger war ein alter Freund ihrer Familie. Obgleich sie als Privatsekretärin des Chefs eingestellt war, war sie in Wirklich keit kaum mehr als eine gut bezahlte Schaltstelle zwischen der Unternehmensleitung und einzelnen Abteilungen des Hauses. Ihre „Freiräume" füllte Amy mit ihren beiden heimlichen „Lastern": Sie schrieb an einem Fortsetzungsroman für das „Morgenblatt", und träumte von
dem Mann, der jetzt vor ihr saß. Gerade fing sie seinen enttäuschten Blick auf, und ihre Abwehr geriet ins Wanken. Amy war auf eine ziemlich altmodische Weise anfällig für Mitleid. „Na ja, das heißt, ich könnte eventuell etwas Zeit erübrigen." „Wirklich? Das wäre ja großartig! Aber ich will natürlich nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst", setzte er freundlich hinzu. Sein Lächeln war herzerwärmend. Voller Tatkraft zog er den Karton mit den Briefen zu sich. „Pass auf, wir machen das so: Wir werden vormittags hier zusammen arbeiten. Offenbar wird von mir erwartet, dass ich mich für eine gewisse Zeit in diesem Irrenhaus von Büro aufhalte. Wir werden also miteinander die Briefe durchsehen. Ich könnte Ramhurst einfach mal fragen, ob er dich mir als Teilzeitkraft zur Verfügung stellt." „Ja, das wäre eine Idee." Amy war nicht auf den Kopf gefallen. Das war ihre Chance. Danny wühlte nun mit Entschlossenheit in dem Karton. „Hast du noch ein bisschen Zeit? Ich brauche drei bis vier Briefe für die morgige Ausgabe. Du musst mir bei den Antworten ein paar Tipps geben." Er zwinkerte ihr verwegen zu. „Wenn ich das schreibe, was ich denke, laufen alle Mütter halbwüchsiger Töchter Sturm. Ich hoffe, du kannst dem Ganzen diesen fri schen, moralisch einwandfreien Ton geben, den so ein Briefkasten braucht." Wie war das nun wieder zu verstehen? Hielt er sie etwa für gouvernantenhaft? Danny griff eine Hand voll Briefe aus dem Karton und legte sie vor Amy hin. „Willst du das mal durchsehen und dir etwas dazu einfallen lassen? Die Antworten können ruhig ein bisschen gewagt sein, aber nicht zu pfeffrig." Ernüchtert betrachtete Amy die Briefe. Da Danny in ihr nichts weiter als eine nette Kollegin sah, musste sie sich wohl in ihr Schicksal fügen. Sie öffnete eins der Kuverts. „Liebe Peggy", las sie lustlos vor, „ich bin ein ..." Fassungslos starrte Amy auf die Zeilen. „Ich bin ein ..." wiederholte sie dumpf, verstummte dann und zerknüllte das Blatt spontan. „Was ist denn?" wollte Danny wissen. „Nichts, nichts", wehrte Amy hastig ab. Warum in aller Welt stieß sie ausgerechnet auf den Brief, den sie selbst vor Wochen halb im Ernst, halb aus Jux, unter falschem Namen an Peggy geschrieben hatte? „Komm, lass doch mal sehen", beharrte Danny und streckte die Hand nach dem Brief aus. „Ich wette, das ist genau das Richtige." Amy wich zurück. „Nein, das ist eine ganz banale Frage. Außerdem ist die Monate alt." Sie zielte mit dem Papierknäuel nach dem Papierkorb, traf aber leider daneben. Danny fing den Ball geschickt mit dem Fuß* auf und kickte ihn gekonnt in die Luft, gerade so, dass er ihn auffangen konnte. Amy sah dem Schauspiel wie hypnotisiert zu. „Gut, nicht?" meinte Danny selbstgefällig. „Bist du eine Spielernatur, Amy? Amy schüttelte etwas apathisch den Kopf, und Danny lächelte breit. „Ich schon. Ich habe ein gutes Gespür, und im Moment habe ich so eine Ahnung, als wenn genau dieser Brief uns Glück bringt." Dabei faltete er das Papier auseinander. Manchmal geht es wirklich verrückt zu im Leben, fand Amy. „Hör dir das an", meinte Danny fasziniert. „Ich bin ein ziemlich schüchternes Mädchen, und ich möchte gern wissen, was ich tun kann, damit mein Arbeitskollege mich beachtet. Er hat dauernd so wichtige Dinge im Kopf, dass er mich überhaupt nicht wahrnimmt. Bitte, gib mir einen Tipp, wie man mit Supermännern umgeht. Dein Minnie Mäuschen'." Danny sah auf und lächelte schief. „,Minnie Mäuschen'. Ist das zu glauben?" Amy konnte nichts darauf sagen. Ihr wurde heiß und kalt. Der Supermann war er selbst, und sie würde eher in den Boden versinken, als ihn das merken zu lassen. „Wie albern", brachte sie schließlich mühsam heraus. „Vielleicht", meinte Danny zweifelnd. „Aber irgendwie hat es was, ich weiß auch nicht, was." Er legte ein Bein über die Armlehne seines Stuhls und las den Text noch einmal. „Ich finde, dieser Brief ist genau richtig für unseren Briefkasten. Meinst du nicht?" Der Blick, mit dem er Amy fixierte, enthielt eine Warnung: Er würde vor keinem Mittel zurückschrecken, um sie von seiner Meinung zu überzeugen. „Okay", seufzte Amy deshalb ergeben. Der Brief war schließlich anonym. Nur Connie, mit der Amy sich die Wohnung
teilte, wusste außer ihr, wer das „Mäuschen" wirklich war. „Gut. Jetzt brauchen wir nur noch eine witzige Antwort." Danny starrte nachdenklich an die Zimmerdecke. „Hast du eine Idee?" „Sag ihr, sie soll ihn vergessen", schlug Amy mit leichter Bitterkeit in der Stimme vor. „Bei so einem hat sie keine Chance. Sie sollte sich lieber ein interessantes Hobby suchen, anstatt dumme Jammerbriefe zu schreiben." Danny senkte den Blick und sah sie neugierig an. „Warum bist du denn so gnadenlos mit dem armen Mädchen? Wir wollen mit unseren Antworten die Leute aufbauen, sie nicht fertig machen." Amy überlegte. Wenn sie sich weiter mit der Sache beschäftigte, würde sie sich womöglich verraten. Und der Gedanke, dass Danny sie in die Reihe seiner unzählbaren Bewunderinnen einordnete, war unerträglich. Aus Versehen stieß sie mit der Schuhspitze an die Papiere, die sie auf dem Boden abgelegt hatte, und das war ihre Rettung. „Ich muss jetzt los", sagte sie übergangslos und nahm die Akten vom Boden hoch. „Das geht nicht", protestierte er und sah sie ehrlich entsetzt an. „Ich brauche dich doch." Warum bildete sie sich nur ein, dass in diesen Worten ein doppelter Sinn lag? Sie wusste, dass das nicht sein konnte, und trotzdem hörte sie es heraus. Entschlossen sprang sie auf und ging zur Tür. „Ich muss meinen Job machen", murmelte sie. „Du kannst mich doch hiermit nicht sitzen lassen, Amy", bat er, und sein Ton hatte jetzt etwas Einschmeichelndes. „Was soll ich dem Mädchen sagen?" Das ist unfair, dachte Amy und blieb stehen. Es ist einfach nicht fair, dass seine Stimme wie Samt klingt und seine Augen so blau sind wie das Mittelmeer. „Das Mädchen will einen Mann auf sich aufmerksam machen. Dazu kannst du mehr sagen als ich", erklärte sie ein bisschen traurig. „Wieso soll ich das können?" Es ist unfair, dass er so harmlos tut. Er weiß doch genau, wie er auf Frauen wirkt, dachte Amy. Und bestimmt hat er bemerkt, wie hingerissen ich selbst ihn immer angestarrt habe, wenn wir uns begegnet sind. Aber sie musste etwas sagen. „Ja, Danny, du musst sie darüber aufklären, wie Männer denken und fühlen." Er nickte langsam. „Wahrscheinlich hast du Recht." „Sag es ihr nur", bekräftigte Amy. Sie fühlte sich mit jeder Sekunde unwohler in ihrer Rolle und wollte das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen. „Gib ihr ein paar Tipps, wie man für Männer interessant wird." „Zum Beispiel?" fragte Danny mit hochgezogenen Augenbrauen. „Das musst du doch am Besten wissen", gab sie zurück und sah ihm geradewegs in die Augen, von einer ganz neuen Kühnheit getrieben. „Was spricht dich bei einer Frau an, Danny?" Er sah überrascht auf. Ich bin unmöglich, stellte Amy bei sich fest. Warum schreibe ich nicht gleich „Danny, ich liebe dich" auf seinen Notizblock? Bloß raus hier! „Bis später", fügte sie deshalb verlegen hinzu. „Halt, warte mal!" Er nahm das Bein von der Armlehne und setzte sich aufrecht hin. „Mir fällt gerade auf, dass wir noch nie richtig miteinander geredet haben, Amy. Ich meine, außer ,Hallo' und ,Wie geht's'." Amy machte eine abwehrende Geste und griff nach der Türklinke. „Ich verstehe das gar nicht", sagte er mehr zu sich selbst. Er stand auf und kam um den Schreibtisch herum. „Ich finde, das sollten wir unbedingt nachholen. Nachher vielleicht?" Amy merkte, wie ihr Röte ins Gesicht stieg. Dies war wieder so eine Situation, in der sie total hilflos war. Schnell riss sie die Tür auf, nickte kurz und hastete davon,
2. KAPITEL
Amy saß an der Frühstücksbar in dem Apartment, das sie mit Connie teilte. Sie trank einen Schluck heißen Kaffee und schlug das „Morgenblatt" auf. Ihr Herz klopfte ein bisschen schneller, als sie bis zum Unterhaltungsteil blätterte und nach dem Briefkasten suchte. Sie musste einfach wissen, ob Danny Robinson den Brief von Minnie Mäuschen verwendet hatte. „Das darf doch nicht wahr sein", stöhnte sie, als sie ihn erblickte. Den Brief las sie nicht den kannte sie in- und auswendig -, sie hielt gleich auf Dannys Antwort zu. Während Amy verschiedene undefinierbare Laute ausstieß, tappte Connie herbei, bekleidet mit einem Frotteemorgenmantel, in dem ihre winzige Gestalt förmlich versank. „Was gibt's?" fragte sie und goss sich eine Tasse Kaffee ein. Amy schüttelte nur viel sagend den Kopf und las weiter. „Nun sag schon", drängte Connie. Sie trat hinter Amy und blickte ihr über die Schulter. „Nicht möglich! Er hat wirklich deinen Brief abgedruckt, Amy?" Schnell schlug Amy die Zeitung zu. „Was hat er denn darauf geantwortet?" wollte Connie wissen. Sie warf das schulterlange dunkle Haar zurück und ging auf die andere Seite der Frühstücksbar. „Lass es mich wissen. Was rät er Minnie Mäuschen?" „Nichts Besonderes", sagte Amy ausweichend und stützte den Ellenbogen auf die zusammengefaltete Zeitung. „So schlimm?" Connie stieß einen leisen Pfiff aus. „Zeig doch mal." Amy schüttelte entschieden den Kopf. Connie, eine südländisch wirkende Schönheit, war zwar ihre beste Freundin, und sie hatte, zugegeben, ein mitfühlendes Herz und einen scharfen Verstand, aber außerdem hatte sie leider auch noch eine Schwäche für so aussichtslose Dinge wie den Weltfrieden oder Amys Liebesleben. Und wenn sie Dannys Ratschlag zu sehen bekäme, würde es mit ihr nicht mehr auszuhalten sein - so viel stand fest. „Soll ich raten?" meinte Connie. „Er hat dir vorgeschlagen, dich umzubringen und als ,Madonna' wieder geboren zu werden." Amy ergab sich und überließ ihr die Zeitung. Connie las vor: „Liebe Minnie, vielleicht verhältst Du Dich Deinem Kollegen gegenüber wie ein Kumpel, und deswegen sieht er nichts anderes in Dir? Du solltest mal einen Sturmangriff wagen. Zieh ein Kleid an, das ihm klarmacht, dass Du anders gebaut bist als er. Übe einen aufregenden Augenaufschlag und sprich wie ein Hollywood-Star. Ich bin sicher, dass er nicht länger gleichgültig bleibt. Deine Peggy." Connie ließ das Blatt sinken und blickte Amy an. „Und wo ist das Problem?" fragte sie. „Dieser Mann weiß Bescheid. Das ist genau das, was ich dir seit Jahren predige." Amy winkte müde ab. „Das funktioniert bei mir nicht. Ich bin nun mal keine Sexbiene. Ich könnte stundenlang Augenaufschläge bringen, wegen meiner Brille würde das sowieso nie mand sehen. Und Dannys Stimme ist so sexy - meine kommt da niemals mit." „Wer sagt denn ,Sexbiene'?" Connie faltete die Zeitung sorgfältig zusammen. „Hat Danny etwa diesen Ausdruck benutzt? Oder ich? Du begreifst eines nicht, Amy Dwyer, und das ist dein Problem: dass du eine Frau bist!" Amy war auf der Hut. Sie sah diesen träumerischen Ausdruck in Connies Augen und wusste schon, was jetzt kam. „Wenn du dich nur endlich entschließen könntest, ein paar Pfunde loszuwerden, dir Kontaktlinsen zu kaufen und etwas gegen deinen langweiligen Haarschnitt zu unternehmen, dann würde sich dein Problem von selbst erledigen", legte sie auch prompt los. „Meine Güte, Amy, du bist vierundzwanzig! Halt dir doch mal die Heiratsstatistik vor Augen!" Die Standuhr im Wohnzimmer begann zu schlagen. Amy zählte mit, obwohl sie wusste, wie
spät es war. „Ich muss los", sagte sie und stand auf. „Moment", meinte Connie. „So kannst du nicht ins Büro gehen." Amy sah an sich herunter. Sie trug einen grauen Rock mit einer weißen Bluse. „Aber so gehe ich doch immer." „Eben- Und das ist das Problem. Du siehst aus wie die kleine Schwester von irgendjemand." Connie tippte viel sagend mit dem Finger auf die Zeitung. „Danny Robinson will eine Frau, die anders gebaut ist als er." „Das ist nicht schwer. Er ist einsachtzig groß und wiegt achtzig Kilo." Sie zeigte mit den Händen, was für Ausmaße er hatte. „Solche Schultern und Hüften wie ..." „Du verstehst schon, was ich meine", unterbrach Connie. „Zeig, was du hast." Amy verschluckte sich fast an ihrem Kaffee. So eine Einstellung passte überhaupt nicht zu ihr, und ihre Garderobe war noch weniger darauf eingestellt. „Dann müsste ich in meinem durchsichtigen Morgenmantel gehen", sagte sie spöttisch. Connie war schon auf dem Weg in ihr Zimmer. „Ich sehe schon, du brauchst Nachhilfeunterricht in Kleidungsfragen!" rief sie über die Schulter zurück. „Warte, ich finde bestimmt etwas in meinem Kleiderschrank." Amy kannte Connies Schwäche für Aufsehen erregende Kleider nur zu gut. Sie nahm deshalb schnell ihre Tasche, die Jacke und schlich auf Zehenspitzen zur Tür, schaffte es aber nur knapp bis zum Ausgang. „Halt!" Connie erwischte sie gerade noch. „Na, was hältst du denn hiervon?" Sie hielt ein winziges Strandkleidchen hoch, das Amy - vielleicht, vielleicht! - an einem heißen Tag am Meer tragen würde, aber nie im Leben im Büro. „Connie, ich bitte dich! Für so ein Kleid müsste ich zehn Pfund weniger haben, und die Temperaturen müssten um zwanzig Grad höher sein!" protestierte Amy. „Keine Widerrede. Du hast ja deinen Mantel, und den kannst du im Büro ausziehen, sehr langsam und verführerisch, bitte." Sie warf ihr das Kleid zu. „Los, probier's an." Amy fing es auf und hielt es mit einem zweifelnden Blick vor sich hin. „Also wirklich, Connie ... Ich bin zwar zu vielem bereit, aber nicht zu allem. Alles hat seine Grenzen, und dies ist drüber." Amy fuhr mit ihrem blauen Kleinwagen in die Parkgarage des „Morgenblatts". Sie nahm den unbesetzten Parkplatz von Bill Hubbard direkt neben dem Lift und stellte den Motor ab. Un glücklich sah sie an sich herunter. Connies Kleid war zu eng, zu kurz und einfach zu aufreizend, besonders an einer so wohlgerundeten Figur wie ihrer. Ich sehe unmöglich aus, dachte sie unzufrieden. Fröstelnd stellte sie den Mantelkragen hoch und zog den Gürtel enger. Es war ein ungewöhnlich kalter Frühlingsmorgen. Zum Glück schneite es nicht auch noch. Aber das konnte noch kommen. „Connie, du bist verrückt", sagte sie laut, als säße ihre Freundin neben ihr. Zitternd ließ sie den Motor wieder an. Sie würde nach Hause fahren, um sich etwas Vernünftiges anzuziehen. Wenn Danny bis jetzt nicht gemerkt hatte, dass sie anders gebaut war als er, dann würde er es wohl nie merken. Amy legte gerade den Rückwärtsgang ein, als sie Marion erblickte. Marion war die Sekretärin des Chefredakteurs, und sie kam in diesem Moment in die Garage gefahren und hielt direkt neben Amy. Marion war schlank und grauhaarig und sah immer sehr seriös aus. Amy raffte ihren Kamelhaarmantel zusammen und wünschte, sie wäre unsichtbar. Doch dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung. Marion verließ ihren Wagen und winkte ihr zu. „Hallo, Amy, gut, dass ich dich treffe", sagte sie. „Mr. Ramhurst ist damit einverstanden, dass du Danny Robinson vorübergehend hilfst. Du bist ab sofort frei für die Aufgabe." Es war Marion deutlich anzumerken, dass sie Amy um den Job beneidete. „Das muss Spaß machen, Peggys Briefkasten zu bearbeiten." Amy nickte stumm, und Marion begann sich schon zu wundern, warum Amy nicht ausstieg. Es war eine verquere Situation. „Kommst du mit rein, Amy?" fragte sie schließlich.
Jetzt bin ich geliefert, dachte Amy. Sie zog den Zündschlüssel ab, nahm die Tasche und kletterte ungelenk aus dem Auto. „Du könntest mir den Weg abnehmen, indem du Danny selbst Bescheid sagst", meinte Marion, als sie zusammen im Lift nach oben fuhren. „Natürlich, gern." Sie bemerkte, dass ihr Mantel aufgegangen war, und zog ihn hastig zu. Dabei hoffte sie, dass Marion es nicht gesehen hatte. „Ich werd's Danny sagen", beteuerte sie noch einmal, als sie den Fahrstuhl verließen. Mit hochrotem Kopf durchquerte Amy noch mit Mantel das Großraumbüro der Nachrichtenredaktion. Sie hoffte inständig, unbehelligt ihr Büro zu erreichen. Dort würde sie sofort Danny anrufen und unter irgendeinem Vorwand erklären, dass sie heute noch nicht anfangen könne. „Amy?" Das kam aus Danny Robinsons Zimmer, an dem sie eben vorbeihuschen wollte. Sie tat, als hätte sie nichts gehört. Nur ein paar Meter noch, dann war sie in Sicherheit... „Amy?" Das war jetzt unüberhörbar. „Warst du das?" Amy musste an Connies Worte von vorhin denken: Vergiss nicht, dass er etwas von dir will, Amy - deine Hilfe für seine Briefecke. Er braucht dich. Wenn du diese Chance verschenkst, ist dir nicht zu helfen. Amy blieb stehen, fasste Mut und drehte sich um. Inzwischen waren ein paar der Kollegen im Großraum aufmerksam geworden und blickten neugierig herüber. Amy lächelte verlegen in die Runde. Nun konnte sie wirklich nicht mehr zurück, ohne zum Tagesgespräch zu werden. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und ging auf Dannys Tür zu. Sein Büro war leer. Verblüfft sah sie sich um. Hörte sie nun schon Geisterstimmen? Von woher war die Stimme gekommen? „Bist du's, Amy?" tönte es da noch einmal. „Setz dich doch, bin gleich da." Amy nahm Platz, und Danny erschien in der Tür der kleinen Abstellkammer, die zu seinem Büro gehörte. Er zerrte ein Tischchen hinter sich her. „Na, was sagst du dazu?" fragte er und stellte den Tisch vor sie hin. „Ich würde sagen, das hier ist ein Schreibmaschinentisch", entgegnete Amy verständnislos. „Es ist dein Schreibmaschinentisch, genauer gesagt", verbesserte Danny sie. „Er kommt neben deinen neuen Schreibtisch. Hierhin." „Ach ja?" meinte Amy verdutzt. „Ich habe für alles vorgesorgt", erklärte er, während er das alte Tischchen kritisch prüfte. Es wackelte ein bisschen, und so schob er ein zusammengefaltetes Papier unter ein Bein. „Eigentlich hatte ich befürchtet, du würdest einen Rückzieher machen, Amy. Du warst gestern so komisch, als wir uns trennten." Er ruckte an dem Tisch herum und sagte wie beiläufig: „Ich brauche dich dringend, Amy." Als sie nicht reagierte, sah er auf. Sein Blick war fast flehend. „Wenn du willst, natürlich." Amy bekam eine Gänsehaut unter ihrem Mantel. Wie oft hatte sie davon geträumt, von Danny um etwas gebeten zu werden. Endlich ließ er von dem Tischchen ab und warf sich voller Energie auf seinen Stuhl. Amy konnte sich seiner Ausstrahlung immer weniger entziehen. Ihr Puls ging inzwischen merklich schneller. „Also - willst du?" fragte er. Mein Glück, dass du nicht weißt, wie es in mir aussieht, dachte Amy. „Na ja, vielleicht könnte ich vormittags ein paar Stunden herüberkommen", sagte sie betont gleichgültig. „Aber für den Erfolg meiner Beiträge kann ich nicht garantieren." Sein Lächeln machte jeden Versuch zur Zurückhaltung zunichte. Spontan strahlte sie ihn an, rief sich dann jedoch sofort zur Ordnung und versuchte, nichts weiter als höfliches Interesse zu zeigen. „Hast du ein paar passende Briefe für die morgige Ausgabe gefunden?" „Ich hatte gehofft, du würdest mir dabei helfen", sagte er, indem er ihr einen Stapel Kuverts reichte. „Das ist meine vorläufige Auswahl. Was hältst du davon?" Amy las die Briefe und staunte: Die meisten waren entweder ausgedacht, oder die Welt, in der sie so blauäugig lebte, war in Wirklichkeit ein einziges Jammertal. Die Rat suchenden Frauen waren jedenfalls alle entweder mit Versagern oder Nichtsnutzen verheiratet, oder sie
hatten missratene Kinder, die sich allen Erziehungsversuchen entzogen. Erst nach einer Weile bemerkte sie, dass sie inzwischen mit breit geöffnetem Mantel dasaß. Danny schien das überhaupt nicht zu bemerken. Amy sah erneut an sich hinab. Sollte Connie Unrecht gehabt haben? Sie hatte prophezeit, alle Männer würden Atemnot bekommen, wenn Amy in dem Kleid auftauchte. Gehörte Danny Robinson etwa zu den Männern, die der Anblick einer halb nackten Frau kalt ließ? Nun wollte sie es wissen. Sie schlug die Beine übereinander und spürte, wie der Rocksaum über ihre Knie hinaufrutschte. Sie kam sich unglaublich herausfordernd vor, und ihr wurde augenblicklich heiß. Macht man das so? fragte sie sich im Stillen. Sie sah zu Danny hinüber, der ganz in seine Lektüre versunken war, und dann setzte sie alles auf eine Karte: Mit wilder Entschlossenheit zog sie den Mantel aus und legte ihn über die Rückenlehne des Stuhls. Nichts passierte. Sie räusperte sich. Danny las ungerührt weiter. Amys Mut sank. Was musste ein Mädchen noch alles tun, um einen Mann wie ihn aus der Reserve zu locken? Der Tipp fiel ihr ein, den er Minnie Mäuschen gegeben hatte. Mit der heiseren, sexy Stimme eines Hollywood-Stars hauchte sie deshalb: „Du trägst heute ein hübsches Hemd, Danny." Danny unterstrich energisch einen Satz in dem Brief, den er gerade las. „Bist du erkältet, Amy?" fragte er, ohne aufzuschauen. Nach diesem Schlag brauchte sie einen Moment, um sich zu fassen. „Ich finde, Grau steht dir gut", sagte sie dann entschlossen. Jetzt sah er zerstreut hoch. Aber endlich, endlich bemerkte er ihr Kleid! Seine Augen wurden schmal, er sah weg und wieder zu ihr hin. „Sehe ich das richtig oder nicht - bist du heute im Nachthemd gekommen, Amy?" „Nein", erklärte sie empört. „Das ist ein Kleid. Frauen tragen so was manchmal." Danny schien sich auf einmal sehr für den Inhalt seines Bücherregals zu interessieren, doch dann wanderte sein Blick wieder zu Amy. „Bist du sicher, dass du dich nicht erkältest? Deine Stimme klingt so krank ... und, Himmel, du hast ja überall eine Gänsehaut! Kann ich dir mein Jackett leihen?" „Danke, mir geht's bestens", beteuerte Amy schwach. Connie, was hast du mir da angetan! dachte sie. Die Gänsehaut hatte sie jetzt eher vor Scham als vor Kälte. Was für eine entwürdigende Situation - halb entblößt vor dem Schreibtisch eines Mannes zu sitzen, der drauf und dran zu sein scheint, mir ein Thermometer in den Mund zu schieben, statt sich von meinem Anblick betören zu lassen. Ist er vielleicht ein hoffnungsloser Fall? fragte sich Amy. Oder bin ich einer? So oder so, sie nahm ihren Mantel. „Was ist los?" fragte er beunruhigt. „Gehst du etwa schon wieder?" „Ja, ich muss." Amy presste den Mantel wie ein Schutzschild an sich und ging zur Tür. „Wie du meinst." Seinem Ton war anzumerken, dass ihm das alles höchst absurd vorkam. „Ich glaube, heute schaffe ich es allein. Sehen wir uns morgen?" Amy wusste nicht, ob sie Ja oder Nein sagen sollte. Sie ging einfach weiter. „Nimm am Besten ein paar Vitaminpillen!" rief Danny besorgt hinter ihr her. Mit gesenktem Kopf hastete Amy durch das Großraumbüro. „Tolles Kleid", murmelte ein Lokalreporter anerkennend, als sie an ihm vorbeieilte. Wie man's nimmt, dachte Amy. Sie erreichte ihr Büro, schloss erleichtert die Tür und atmete auf. Das war einer der schrecklichsten Momente in meinem Leben, stellte sie bei sich fest. Sie zog sich den Mantel wieder an, schloss ihn fest mit dem Gürtel und ging an ihren Schreibtisch. Als sie sich auf den Stuhl setzte, fiel ihr Blick auf die drei Eintragungen im Terminkalender auf dem Tisch. Amy nahm einen Kugelschreiber aus der Schublade und schrieb energisch dazu: „Connie eine Bombe unters Bett legen." „Amy, Liebling?" hörte man eine klangvolle Frauenstimme aus dem Nebenraum rufen. Die Tür öffnete sich, und eine Frau trat ein, die von einer Wolke teuren Parfüms umgeben war. Es war eine Dame, sie war elegant gekleidet und tadellos frisiert. Amy brauchte gar nicht weiter hinzusehen, denn wem diese Stimme gehörte, wusste sie
leider nur zu gut: Es war ihre Mutter! Schnell stopfte Amy die Hausaufgabe für ihren Journalistik-Abendkurs, an der sie gearbeitet hatte, in eine Schublade und begrüßte ihre Mutter. Amy hatte wenig gemein mit dem gestylten Wesen, das ins Zimmer hereinkam. Eugenia Dwyer war groß und eine höchst eindrucksvolle Erscheinung. Ihr Lächeln verriet in angemessener Weise mütterliche Gefühle. „Du hast hoffentlich Zeit für einen kleinen Plausch?" erkundigte sie sich. Nein, dachte Amy, ich habe alle Hände voll zu tun. Mein Terminkalender ist randvoll mit Verpflichtungen: eine Fotokopie muss ich machen, einen Telefonanruf erledigen und meine Freundin zur Rede stellen. Eugenia klimperte mit den falschen Wimpern. „Natürlich habe ich Zeit, Mutter", sagte Amy höflich. Mrs. Dwyer zuckte kaum wahrnehmbar zusammen. „Bitte, Amy, nenn mich doch einfach Eugenia." Amy wies vage auf einen Stuhl, wusste aber genau, dass ihre Mutter sich nicht setzen würde. Eugenias Persönlichkeit brauchte Raum zur Entfaltung, und ihre Überzeugungen waren darüber hinaus unerschütterlich. Amy konnte häufig der Versuchung nicht widerstehen, sie ab und zu ein wenig herauszufordern. Ich bin eine schlimme Tochter, dachte sie schuldbewusst. „Ich wollte dir nur sagen, dass meine kleine Dinner-Party verschoben worden ist", meinte Eugenia. „Die Sommervilles sind erst am nächsten Samstag aus Europa zurück, und ich möchte sie unbedingt dabeihaben. Es sind so reizende Menschen!" Sie lächelte ihre Tochter an. „Du könntest ein bisschen früher kommen, nicht wahr? Wir gönnen uns dann einen kleinen Sherry, wir beide, und plaudern ein wenig. Das wird hübsch." Amy hatte die Abendeinladung bei ihrer Mutter leider vergessen. „Nächsten Samstag?" wiederholte sie schuldbewusst. „Das passt mir gut, Mutter ... äh, Eugenia." „Du musst kommen, Amy, ja? Ich habe doch Royce Hubbard eingeladen." Royce Hubbard! Natürlich, ich hätte mir so etwas denken können, seufzte sie bei sich. Eugenia verfolgt mit ihren Einladungen immer irgendwelche Pläne. Und dieses Mal heißt der Plan also Royce Hubbard. Ihre Mutter fand nämlich seit kurzem, dass sie einen Schwiegersohn brauche, und da waren ihr die Hubbards gerade recht: Sie waren nicht nur Besitzer des „Morgenblatts" und alte Freunde der Dwyers, sondern hatten auch, was man Tradition nannte, dazu noch eine einträgliche Supermarktkette. „Mutter, ich bitte dich", flehte Amy. „Royce interessiert sich nicht im Geringsten für mich." „Du musst ihn eben ein bisschen ermutigen." Eugenia schwieg und begutachtete missbilligend das Äußere ihrer Tochter. „Ist das jetzt die neueste Mode? Geht man im Mantel ins Büro?" „Mir war kalt." Amy beglückwünschte sich innerlich dafür, dass sie den Mantel schon angezogen und so ihre Mutter vor einer Ohnmacht bewahrt hatte. „Ich komme zu deinem Essen", versicherte sie. Wenn ich nicht hingehe, müsste ich mir monatelang ihre Vorwürfe anhören, dachte sie. Außerdem war sie sicher, dass der sagenhafte blonde Royce ebenso wenig Lust auf Eugenias Party hatte wie sie. Royce gab sich gern als Playboy und liebte den entsprechenden Rahmen, zu dem nun mal ein bestimmter Typ Frau gehörte. „Und du wirst dich besonders hübsch machen, nicht?" gurrte Eugenia. „Willst du nicht das cremefarbene Chiffonkleid anziehen, das ich dir geschenkt habe?" Amy nickte ergeben und stand auf, um ihre Mutter zur Tür zu begleiten. Sie küsste Eugenia auf die Wange und überlegte dabei, ob ihr eigenes Desinteresse an Kleidern vielleicht mit Eu genias Besessenheit in Modefragen zusammenhing. „Übrigens, musst du wirklich dauernd diese abscheuliche Brille tragen, Liebes?" Eugenia strich ihrer Tochter eine Haarsträhne aus der Stirn. „Nur, wenn ich etwas sehen will", gab Amy trocken zurück. Kopfschüttelnd trat Eugenia Dwyer den Rückweg zum Lift an, und es sah aus, als schritte sie über den Laufsteg eines Pariser Modehauses. Vor einer so perfekten Erscheinung muss man sich ja wie eine graue Maus vorkommen, haderte Amy. Sie war stets ein stilles,
zurückhaltendes Kind gewesen. Ein Psychologe, den man deswegen zu Rate gezogen hatte, hatte auch die wissenschaftlichen Ausdrücke dafür gekannt, aber Amy wusste auch so, dass es an der dominierenden Art ihrer Mutter lag, wie sie, Amy, sich benahm. Jeder Versuch der Tochter, Selbstbewusstsein zu entwickeln, war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Ob ich mich jemals davon befreien kann? dachte Amy. Im Grunde war sie nämlich noch genauso schüchtern und unsicher wie als Kind. Amy hatte durchaus eine eigene Meinung, aber die konnte sie einfach nicht äußern, wenn Eugenia sie kühl musterte. Das cremefarbene Chiffonkleid, Mutter? Nur über meine Leiche, schwor sie sich. Zurück an ihrem Schreibtisch, zog Amy den Schreibblock mit der Journalistik-Hausaufgabe aus der Schublade. Was würde ihre Mutter sagen, wenn sie erfuhr, dass Amy sich als Reporterin versuchte? Frisch von der Schule weg, hatte Amy sich für einen solchen Job beim „Morgenblatt" beworben. Doch Bill Hubbard hatte ihr sogleich klargemacht, dass das für ein „Mädchen aus guter Familie" nichts sei. Und Amy war den Verdacht nie losgeworden, dass Eugenia dahinter steckte. Dass Amy bisher noch keine Journalistin geworden war, konnte sie allerdings nicht völlig ihrer Mutter anlasten. Sie hatte ja selbst die Befürchtung, dass ihre Fähigkeiten nicht aus reichten. Was würde mein Vater wohl zu meinen Plänen sagen, wenn er noch lebte? fragte sich Amy. Sie sehnte sich manchmal sehr nach dem ernsten, sanften Mann, der gestorben war, als sie dreizehn gewesen war. Er hätte mich in meinen Plänen bestärkt, ganz sicher, sagte sie sich. Leichter Kopfschmerz machte sich bemerkbar, und Amy massierte sich die Schläfen. Warum hätte sie nur immer das Gefühl, dass alles viel zu viel für sie war?
3. KAPITEL
Nach Feierabend fuhr Amy direkt zu dem Kinderhort, wo Connie arbeitete. Der Hort war auf Grund einer Privatinitiative für die Kinder von Familien mit niedrigem Einkommen geschaffen» Connie hatte die Sache selbst ins Leben gerufen, und Amy bangte mit ihr ums Überleben der Idee. Es sah so aus, als würden dem Hort die öffentlichen Gelder gestrichen werden, und nun war das ganze Unternehmen gefährdet. Doch das war jetzt nicht Amys Problem. Sie wollte Connie zur Rechenschaft ziehen. Amy hielt vor dem einstöckigen Gebäude und stellte fest, dass es drin hoch herging. Menschen mit Farbkübeln, Pinseln und Bürsten kamen und gingen, bunt bemalte Spruchbänder schmückten den Zaun, die Veranda und die Büsche im Vorgarten. Connie hatte wieder einmal etwas in Bewegung gebracht. „He, du kommst gerade recht!" rief Connie, als Amy den großen Aufenthaltsraum betrat. „Schnapp dir einen Overall und einen Pinsel und hilf mir, die Wand fertig zu streichen." „Ich muss mit dir reden, Connie", sagte Amy fest, während sie einem Mann auswich, der eine Stehleiter herumschleppte. „Ist was schief gegangen?" Connie legte den Farbroller auf dem Eimer ab und richtete sich auf. „Richtig schief?" „Das kann man wohl sagen." „Okay, reden wir", meinte Connie. Sie wischte sich die Hände an einem Lappen ab und bat Amy, ihr zu folgen. „Komm mit. In diesem Narrenhaus gibt es nur einen ruhigen Ort." Sie durchquerten einen weiteren Raum, in dem die Kinder spielten, deren Eltern das Haus herrichteten. Dann gelangten sie in den schmalen Flur, der in den hinteren Bereich des Ge bäudes führte, und erreichten schließlich die Waschräume. „Mach's dir bequem", sagte Connie, indem sie auf den einzigen Hocker im Vorraum wies. „Du siehst erbarmungswürdig aus, Amy. Was ist passiert?" Amy zog es vor, stehen zu bleiben. Sie öffnete ihren Mantel mit einer theatralischen Geste und fragte bitter: „Na, wie gefällt dir mein Nachthemd?" „O nein", stöhnte Connie. „Hat er das etwa gesagt?" „Allerdings. Und er dachte, ich wäre erkältet, weil ich heiser sprach. Er hat mir daraufhin sein Jackett angeboten, Connie!" „Nein, Amy. Sag, dass das nicht wahr ist." Connie hob abwehrend die Hände. „Vielleicht stimmt mit seinen Hormonen etwas nicht?" „Ich fürchte, es liegt nicht an seinen Hormonen", gab Amy zurück. „Eher an meinem Geisteszustand - oder an deinem. Wie konntest du mir bloß so etwas Unsinniges raten?" „Das ist kein Unsinn", verteidigte sich Connie entschieden. „Wenn ich deine Figur hätte, würde ich auf der' Stelle nach Hollywood gehen. Gut, ein paar Zentimeter weniger um die Hüften, aber sonst: große Klasse!" Amy sah zweifelnd an sich herunter. Mit diesem Körper lebte sie nun schon so viele Jahre, er sollte große Klasse sein? Das war ihr noch gar nicht aufgefallen. Ein leises Klopfen an der Tür beanspruchte ihre Aufmerksamkeit. Connie öffnete. Ein winziges Mädchen mit einem aufgelösten Pferdeschwanz stand da. Es war den Tränen nahe. „Ich hab' mir wehgetan, Connie." Die Kleine hob ihr Röckchen und zeigte auf eine Schramme am Knie. „Tatsächlich", meinte Connie und kniete sich hin. „Wie ist denn das gekommen?" „Bin gestolpert", sagte das Kind mit zittriger Stimme. „Na, so was! Komm, das haben wir gleich." Connie zog das Mädchen herein und tätschelte ihm beruhigend den Kopf. „Gleich kannst du wieder Purzelbäume machen, Schatz." Amy sah zu, wie Connie die verletzte Stelle wusch und mit einem Pflaster verband, während sie ununterbrochen auf das Kind einredete. Es ging um Schlümpfe und alles Mögliche. Als das Kind versorgt war, lächelte es glücklich.
Amy amüsierte sich. Es war unmöglich, lange auf Connie böse zu sein. Das stellte sie wieder mal fest. „Das haben wir gleich" war Connies bevorzugte Redewendung. Connie war immer zur Stelle, wenn jemand Hilfe brauchte, da scheute sie weder Zeit noch Mühe. Und so war es auch bei Amys Problem mit Danny. „Und pass ein bisschen auf, dass du nicht mehr stolperst!" rief Connie dem Kind nach. Dann wandte sie sich wieder Amy zu, und ihr Gesichtsausdruck war schuldbewusst. „Kann ich dir auch mit einem Pflaster dienen?" fragte sie augenzwinkernd. „Ach, Connie, was soll ich bloß mit Danny machen?" Amy betrachtete sich im Spiegel. Was hatte sie nur an sich, dass alle Welt sie zu bemuttern versuchte? Sogar Danny Robinson! „Lass den Kopf nicht hängen!" meinte Connie tröstend. „Er ist ein Mann und deshalb kein echter Gegner für weibliche Intelligenz. Wir werden uns da schon noch etwas einfallen lassen." In den nächsten Minuten produzierte Connie ein wahres Ideenfeuerwerk. Es reichte von dem Einfall, dass Amy Porsche-Automechaniker werden sollte, bis hin zu dem Vorschlag, dass sie anfangen sollte, Basketball zu spielen. Amy starrte noch immer in den Spiegel und schüttelte den Kopf. „Es führt alles zu nichts, Connie. Für Basketball bin ich einfach nicht groß genug." „Eigentlich müsste ich ihm einen weiteren Peggy-Brief schreiben und ihm sagen, was ich von seinem letzten Ratschlag halte", meinte sie nach einer Pause. „Genau. Natürlich, das ist eine gute Idee!" rief Connie. „Ein Antwortbrief von Minnie Mauschen! Er wird ihn auf jeden Fall lesen. Ich könnte mir das so vorstellen: ,Liebe Peggy, dein Tipp war gut gemeint, aber Supermann ist offenbar ein bisschen schwer von Begriff, was soll ich jetzt machen?'" Amy sah das noch nicht klar vor sich. „Okay", lenkte Connie ein. „Das ist erst die Rohfassung. Wir werden das überarbeiten. Jedenfalls brauchen wir uns nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Er wird uns selbst erzählen, was er von einer Frau erwartet." Connies unerschütterliche Zuversicht verunsicherte Amy. Irgendwas muss an der Idee verkehrt sein, dachte sie. Sie gefällt mir nämlich mehr und mehr. Danny Robinson blickte durch die staubigen Fenster seines Büros im 20. Stockwerk des „Morgenblatt"„-Hochhauses auf die Chicagoer Häusersilhouette. Er betrachtete den bleifarbe nen Himmel über dem Michigansee, die dicken, regenschweren Wolken. Auf den Straßen herrschte Vormittagsverkehr. Das aggressive Hupen und Bremsenquietschen der Autofahrer drang gedämpft zu ihm herauf. Danny sah wieder auf den Stapel von Peggy-Briefen, der heute mit der Post gekommen war, und schob die Hände in die Taschen der Jeans. Er fand seine Situation einfach unwürdig. Als er unbedacht das Gewicht auf das verletzte Bein verlagerte, erinnerte ihn ein stechender Schmerz an seine Zerrung. Stöhnend ließ er sich auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch nieder. Während der fünf Jahre, die er nun schon für die Zeitung arbeitete, hatte er sich so selten wie möglich im Hause blicken lassen. Er war kein Büromensch, der seine Bleistifte spitzte und seine Arbeit von der Stechuhr abhängig machte. Stattdessen neigte er zu Ungeduld und Rastlosigkeit: Das waren Eigenschaften, die bei einem Reporter angenehm auffielen, die ihn für einen Schreibtischjob jedoch untauglich machten. Spontan griff er nach dem Locher und zielte damit auf den Papierkorb. Mit Befriedigung registrierte er den lauten Knall, mit dem das Gerät in den Blecheimer fiel. Es ist ein Jammer, dachte er, ich kann nicht mal mehr eben mit meinen Freunden eine zünftige Basketballpartie spielen. Vielleicht ist der Mangel an körperlicher Bewegung schuld an meiner Verspanntheit? Und ,Verspannt' ist noch milde ausgedrückt - ich stehe unter Hochdruck. Wenn ich nicht bald eine Möglichkeit finde, Dampf abzulassen, passiert was. Er legte sein verletztes Bein auf eine herausgezogene Schublade und begann, wahllos ein paar Briefe zu öffnen. Eine junge Sekretärin wollte wissen, warum sie sich nicht verlieben kann. Ein dreiundzwanzigjähriger Jungmanager fragte, warum er sich in jede Frau verliebt, die ihn anlacht. Vielleicht sollte ich die beiden zusammenbringen, überlegte Danny. Sie
könnten eine Menge miteinander anfangen, wahrscheinlich mehr als mit meiner Weisheit in Liebesfragen. Frauen - ja, die hatte er gern. Aber Liebe? Sogar jeder Hobbysportler wusste, dass Liebe schwach machte, Energie aufsaugte, jede Power nahm ... Ein Räuspern riss Danny aus seinen tief schürfenden Gedanken. Da wir gerade bei schwachen Figuren sind ... dachte er gehässig. Royce Hubbard schlenderte nämlich soeben mit seinem typischen schiefen Grinsen in Dannys Büro und setzte sich auf den Schreibtisch. „Wie geht's, wie steht's, Kollege?" erkundigte er sich mit einem neugierigen Blick auf den Brief in Dannys Hand. „Ich habe deine Ergüsse von heute gelesen, Dan. Großes Kompliment. Sieht aus, als hättest du deine wahre Bestimmung gefunden." So kenne ich dich, Freundchen, dachte Danny. Dir genügt es nicht, eine Wette zu gewinnen, du musst auch deinen Triumph voll auskosten. „Mach dir keine Illusionen, Kollege. Ich werde mich nicht lange an diesem Platz aufhalten." Er tätschelte sein Bein. „In ein paar Tagen bin ich wieder einsatzfähig." Royce drohte mit dem Zeigefinger. „Stell dir das nicht so einfach vor. Spielschulden sind Ehrenschulden." „Ja, aber nur so lange, bis ..." „Bis wir einen Ersatz für Peggy finden", vollendete Royce hämisch. Danny zog die Augenbrauen zusammen. „Das kann doch nicht lange dauern, eine Woche, zwei vielleicht." „So was kann man nicht übers Knie brechen", belehrte ihn Royce wichtig. Danny hatte durchaus damit gerechnet, dass Royce sich mit der Suche nach einer neuen „Peggy“ Zeit lassen würde, aber das konnte trotzdem nicht ewig dauern. Selbst Royce würde nicht so weit gehen, einen Topreporter auf unbestimmte Zeit zum Briefkastenonkel zu degradieren. Oder doch? Als Neffe des Verlegers konnte sich der Bursche eine Menge erlauben, und es schien ihm ein Herzensbedürfnis zu sein, Danny einmal zu demütigen. Zu oft war er von Danny ausgebootet worden, bei heißen Geschichten und bei Frauen. „Ich will dir mal was sagen, Royce", sagte Danny in drohenden Ton. „Entweder du findest sehr schnell einen Ersatz für Peggy, oder ich bringe dir selbst einen Kandidaten. Und der könnte dir gar nicht gefallen." „Ruhig, Junge", meinte Royce überheblich. „Wir machen das schon. Wir müssen nur sorgfältig auswählen, weißt du." „Du fängst an, mich zu langweilen", gab Danny zurück. Royce gab seinen Sitz auf Dannys Schreibtisch auf. Er grinste, die Hände in den Hosentaschen, und sah dabei aus wie eine Rasierwasserreklame. Locker wechselte er das Thema. „Was sagst du übrigens zu unserer Amy, hm? Wer hätte gedacht, dass die Kleine solche Sachen auf Lager hat?" „Was für Sachen? Und welche Amy?" „Amy Dwyer, du Träumer." Royce lachte und hieb auf Dannys Schreibtischplatte. „Deine neue Assistentin, Mann. Die Nachrichtenredaktion redet von nichts anderem als von dem Kleid, mit dem sie hier auftauchte." Vieldeutig sah er auf seine Brust hinunter. „Die Jungs schließen schon Wetten auf ihre Oberweite ab." „Ach ja?" Danny nahm einen Bleistift und klopfte damit gedankenverloren auf seinen Schreibtisch. Er erinnerte sich an das Kleid, von dem Royce sprach, er erinnerte sich nur zu gut. Es hatte ihm einen ganzen Tag lang die Konzentration geraubt. Sogar während des Spiels der Chicago-Tiger am Abend hatte er es immer noch vor sich gesehen. Wer hätte auch geahnt, dass Amy Dwyer so eine Figur hatte? „Ach ja? Ist das alles, was dir dazu einfällt?" stichelte Royce. „Das Mädel war gestern über eine Stunde bei dir hier drin." Er kreuzte die Arme vor der Brust. „Was läuft da eigentlich ab zwischen dir und der kleinen Dwyer? Arbeit oder Vergnügen, he?" Danny war auf der Hut. Frauen: Das war ein heikles Thema bei Royce. Wenn er argwöhnte, Danny könne etwas mit Amy haben, dann würde er sofort versuchen dazwischenzufunken. Andererseits, wenn er das nicht dachte, würde er es vielleicht auch versuchen. Wenn schon die ganze Nachrichtenredaktion plötzlich fand, dass Amy eine tolle Frau war ... Danny musste beinahe lachen. Amy - eine tolle Frau? „Sie hilft mir bei der Briefkastenredaktion. Sie ist ein nettes Mädchen", sagte er gelassen.
„Das hört sich an wie ,Pfoten weg von Amy'", sagte Royce. Danny lächelte geduldig. „Sie ist ein halbes Kind, Mann. Seit wann stehst du auf so was? Mit der wirst du umgehen müssen wie mit einem Schulmädchen, und das bedeutet wochenlanges, ach was, monatelanges altmodisches Umwerben! Und das soll das Richtige für einen Draufgänger wie dich sein?" Er schüttelte den Kopf, als würde er die Gewinnchancen eines gegnerischen Basketballteams bewerten. „Nein, die ist nicht dein Fall." Royce sah nachdenklich vor sich hin. „Und wenn? Wäre doch mal was anderes. Du meinst wirklich, sie ist noch unschuldig? Gibt's das überhaupt noch?" Dannys Nachsicht fand ihre Grenze. Royce ging ihm auf die Nerven. „Lass die Finger von dem Mädel", sagte er knapp. Royce grinste breit. „Dachte ich's mir doch." Dannys Schreibtischsessel quietschte hässlich, als er zurückrollte und aufstand. „Ich will dir mal was sagen, Kollege: Ich mache diese Kolumne, weil ich beim Pokern gegen dich verloren habe, und das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass du dich gefälligst aus meiner Arbeit raushältst und dass du meine Assistentin in Ruhe lässt. Klar?" Wie ein Wiesel war Royce auf den Beinen und an der Tür. „Okay, okay, Kollege", meinte er spöttisch, schob lässig die Hände in die Hosentaschen und hob die Schultern. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass du das Ganze so ernst nimmst." Danny folgte Royce und griff ihn bei den Jackettaufschlägen. „Jawohl, es ist mir ernst. Ich habe keine Ahnung von Tanzstundenflirts und Problemen mit Kindern. Aber Amy. Und deswegen brauche ich sie." Royce schien stark beeindruckt. Danny ließ deshalb von ihm ab und setzte sich ruhig wieder auf seinen Stuhl, die Beine legte er auf die offene Schublade. „Ohne Amys Hilfe könnte ich einpacken, und der Briefkasten würde "zur reinen Witzseite." Ganz klar empfand er den Widerspruch zwischen seinen Worten und der Realität. Amy hatte sich nämlich seit jenem ersten Vormittag nicht mehr blicken lassen. Worin bestand dann eigentlich ihr unschätzbarer Beitrag? „Donnerwetter, das nenne ich Leidenschaft... für den Beruf", bemerkte Royce anzüglich. „Eure Zeitung kann mir im Grunde gestohlen bleiben", gab Danny rüde zurück. Er schwang mit dem Stuhl herum und starrte aus dem Fenster. „Mir geht es um diese vielen Briefe." Er drehte sich zurück und hielt ein paar Kuverts hoch. „Diese Leute hier haben Probleme, Royce. Sie schreiben die Briefe nicht aus Langeweile. Und sie erhoffen Hilfe - von mir." Royce sah ernüchtert aus, und Danny wunderte sich über sich selbst. Wie kam es nur, dass er auf einmal einen so ernsthaften Ton anschlug? Seine Rede hatte Royce tatsächlich überzeugt. Aber wo blieb Amy eigentlich? „Ich geh' dann wohl besser", sagte Royce, „bevor du zu einer noch längeren Predigt ansetzt." Danny blickte verwirrt auf die Briefe in seiner Hand. Wurde er langsam komisch? Das musste dann an der Büroluft liegen. Wurde er mit diesem merkwürdigen Job überhaupt fertig? Er sah sich eigentlich nicht als Berater in Lebenskrisen. Was sollte er zum Beispiel dieser sitzen gelassenen Braut raten? Dass sie einen Zug durch die Bars machen und sich ordentlich einen genehmigen sollte? Oder dass sie die Rivalin, mit der ihr Verlobter durchgebrannt war, zu so einem Typen beglückwünschen sollte? Danny war hilflos. Was wusste er schon von untreuen Ehemännern und lebenslustigen Ehefrauen? Mit seinen Antworten würde er vielleicht so manchen Briefschreiber zum Selbst mordkandidaten machen. Und sich selbst auf die Dauer auch. Was er brauchte, war eine richtige Aufgabe. Eine heiße Story, eine Herausforderung. Er sehnte sich nach dem Abenteuer, das das Recherchieren einer guten Reportage darstellte. Und nach einem harten Basketballspiel. Seine Muskeln spannten sich, wenn er nur daran dachte, wie er einen perfekten Wurf im Korb platzierte. Er konnte direkt das Geräusch hören, mit dem der Ball ans Brett prallte und dann durchs Netz fiel. Seufzend legte Danny die Briefe auf den Tisch. Er musste sich nun einmal damit «abfinden, dass er für eine Weile auf der Reservebank saß. Wer überleben will, muss sich auch anpassen können, sagte er sich bitter, also reiß dich zusammen, alter Junge, hör endlich auf zu
jammern, und mach das Beste aus der verfahrenen Situation. Danny ging an die Arbeit. Er wählte ein paar Briefe aus und schaltete seinen Computer ein. Ernsthaft dachte er über die Entgegnungen nach, die er den Lesern präsentieren wollte, und allmählich bereitete ihm die Sache sogar Spaß. Nur eins machte ihm zu schaffen: ein Bild, das sich immer wieder hartnäckig in seine Gedanken einschlich. Er sah sanfte weibliche Kurven vor sich und musste lächeln. Es waren nämlich Amy Dwyers Kurven, die er da vor sich sah. Als ihm das bewusst wurde, rief er sich kopfschüttelnd zur Ordnung. So ein harmloses, nettes Mädchen wie Amy, und solche ungehörigen Fantasien! Aber irgendwie war sie süß, er wusste eigentlich nicht, wieso. Er dachte an ihre großen braunen Augen mit den dichten, dunklen Wimpern, die hinter den Brillengläsern ein bisschen hilflos wirkten ... und merkwürdig intensiv. Und dann dieser Mund, er war weich und herzförmig! Es war ein unglaublich schöner, aufreizender Mund. Was Danny zu Royce gesagt hatte, stimmte. Mit einem Mädchen wie Amy konnte man nicht einfach ein Verhältnis haben. Sie war nicht die typische, selbstsichere berufstätige Frau von heute, sondern wirkte irgendwie unzeitgemäß. Danny lächelte versonnen. Amy war wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, als Frauen noch nicht eiserne Hanteln stemmten und Männer in der Disco ansprachen. Der Weg zu ihrem Körper würde über ihre Gefühle führen ganz romantisch und altmodisch. Jetzt fange ich an zu spinnen, schalt er sich. Habe ich denn die Zeit oder die Lust, eine zarte Romanze mit einem Seelchen wie Amy anzufangen, noch dazu, wenn die Welt voll von bereitwilligen Frauen ist? Außerdem weiß ich gar nicht, wie ich mich bei so einem Mädchen verhalten muss. Ich habe mich noch nie für eine Frau angestrengt. Danny machte sich endlich an die Arbeit und öffnete entschlossen den nächstbesten Brief. „Liebe Peggy, ich habe Deinen Rat gefolgt und einen sehr weiblichen Angriff gestartet, aber Supermann hat gar nicht reagiert. Bei den anderen Männern in der Firma war leider das Gegenteil der Fall. Ist meine Lage aussichtslos? Minnie Mäuschen" Schon wieder diese Minnie! Danny kratzte sich mit dem Kuli an der Schläfe. Dieser Supermann musste ja ein völlig verklemmter Typ sein. Vielleicht gab Minnie zu schnell auf? Heutzutage konnte man sich als Frau nehmen, was einem gefiel. Ja, das war der Punkt. Minnie durfte nicht lockerlassen. Danny schrieb also: „Supermann ist offenbar ein harter Brocken, Minnie. Du musst mit ebensolchen Bandagen kämpfen. Nimm noch mal Anlauf, ziele auf seine schwachen Punkte, und setz Deine stärksten Waffen ein. Lass Dich auf keinen Fall unterkriegen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!" Danny las die Zeilen laut und verzog das Gesicht. Das hörte sich ja an wie die letzten Worte eines Feldherrn vor der Schlacht. So etwas konnte er vielleicht einem Mann schreiben, aber einer Minnie Mäuschen? Danny sah zur Uhr und dann zu dem Schreibtisch, den er für Amy aufgestellt hatte. Wo sie nur steckte? Er stemmte sich hoch und humpelte schwerfällig zur Tür. Sein Bein schmerzte mehr, als er es wahrhaben wollte. In der Nachrichtenredaktion herrschte das normale Chaos. Wo blieb aber Amy? Warum war sie heute wieder nicht bei ihm aufgetaucht? Danny ging zum Schreibtisch zurück und nahm ein paar Briefe, darunter den von Minnie Mäuschen. Dann durchquerte er die „Nahkampfzone", wie er das Großraumbüro bei sich nannte. Seine Aufgabe war es momentan, seine verloren gegangene Assistentin aufzuspüren, eine Frau, der die Probleme ihrer lieben Mitmenschen offenbar herzlich egal waren. „Wie soll ich bloß aus diesem Wust von Notizen eine vernünftige Reportage zusammenbasteln?" fragte Amy verzweifelt ihren Bleistift, mit dem sie sich nervös an die Stirn tippte. Vor ihr lagen drei Seiten mit Notizen aus einem Interview, das sie mit dem Hausmeister der Abendschule geführt hatte. Zwei Jahre lang hatte sie dort den
Journalistikkurs belegt, und noch immer gingen ihr die Hausaufgaben zäh von der Hand. Diesmal hatte Amy beschlossen, das ungewöhnliche Thema „Dein Hausmeister, das unbekannte Wesen" zu bearbeiten. Sie rang nach Formulierungen, die vor der ältlichen, leicht angestaubten Kursleiterin bestehen konnten. Da knarrte die Tür. „Darf ich dich höflichst an deine Pflichten erinnern?" sagte jemand, dessen Stimme ihr nur zu bekannt war. Amys Puls ging augenblicklich schneller. Danny Robinson besuchte sie in ihrem Büro? Das war zu aufregend! „Pflichten?" murmelte sie dumpf. Er hatte nicht einmal angeklopft! Da stand er nun wie ein Fels vor ihrem Schreibtisch. Amy starrte auf seine Hüften, die sich in Armeslänge vor ihr befanden. Schnell sah sie wieder in sein Gesicht. Sein Blick zeigte Enttäuschung. „Ich kann mich nicht erinnern, was ich vergessen haben könnte", sagte sie ziemlich ehrlich. „War es etwas Wichtiges?" Er hielt anklagend die Briefe hoch. „Nur ein paar sitzen gelassene Bräute, unglücklich Verliebte und eine Armee von frustrierten Müttern. Nicht zu reden von der Scheidungsepidemie, den haarsträubenden Familienschlachten und missratenen Jugendlichen, um die du dich mit mir kümmern solltest. Ganz Chicago ist voll von Problemfällen. Habe ich das falsch verstanden, Amy, oder wolltest du mir bei dem Briefkasten helfen?" „Oh." „Oh? Ist das alles?" Er legte die Briefe vor sie hin. „Sieh dir das bitte mal an. Ich muss sagen, in dieser Stadt leben eine Menge unglückliche Leute. Und zu allem Überfluss hat auch Minnie Mäuschen wieder geschrieben." Er hatte den Brief also schon erhalten? Amy war sehr im Zweifel, ob es klug gewesen war, noch einmal zu schreiben. Sie sah, dass es Danny wirklich ernst war mit seinen Worten. „Dann war Minnie also nicht zufrieden mit dem Ratschlag?" fragte sie leise. „Ein Fehlschlag auf der ganzen Linie", antwortete Danny düster. „Sie schreibt, sie hat alles so gemacht, wie wir es vorgeschlagen haben, aber der Kerl hat nicht reagiert. Was, glaubst du, hat sie falsch gemacht?" „Sie?" fragte Amy überrascht zurück. "Und was ist mit ihm? „Er kommt mir vor wie einer, der ganz andere Sachen im Kopf hat. Vielleicht hat er eine eher nüchterne Einstellung zu Frauen?" „Vielleicht ..." Sie wischte ein paar Radiergummikrümel von dem Papier, das vor ihr lag. „Vielleicht hat er Minnie noch nie richtig angesehen." Nach einer Weile sah sie zu Danny auf, weil der gar nichts erwiderte. Ihre Worte hatten offenbar Eindruck auf ihn gemacht. Er schien angestrengt nachzudenken. „Meinst du wirklich?" Dieser Gesichtspunkt war wohl so neu für ihn, dass er sich erst damit auseinander setzen musste. Er ging zu einem der Besucherstühle und setzte sich, stützte die Ellenbogen auf die Knie und beugte sich vor. Amy empfand diesen Moment der Nähe zu Danny sehr intensiv. Sie sah sein kummervolles Gesicht und seine bedrückte Haltung, und er tat ihr ein bisschen Leid. Die Hemdsärmel hatte er bis zum Ellenbogen hochgerollt, und so konnte sie seine nackten Unterarme betrachten. Nie hätte sie gedacht, dass Männerarme so sexy sein konnten! Diese Arme waren, so fand sie, wie sein ganzes Wesen: stark, zupackend und zuverlässig. Amy fühlte sich auf einmal ganz leicht, wie abgehoben. „Nein, ich weiß nicht", murmelte Danny schließlich. Amy brauchte einen Moment, um sich klarzumachen, dass er von ihrer Theorie über den gefühlsarmen Supermann sprach. „Ich weiß nicht, wieso", wiederholte Danny nachdenklich, „aber ich glaube, es liegt an Minnie. Es kann doch sein, dass sie ihn nicht genug ermutigt." Nicht genug ermutigt? dachte Amy erbost. „Was soll sie deiner .Meinung nach tun?" erkundigte sie sich leicht spitz. „Einen Bauchtanz vorführen - oder gleich Striptease machen?" Danny schien ernstlich über den Vorschlag nachzudenken. Dann lächelte er sie entwaffnend an. „Das könnte funktionieren", meinte er. „Aber es wäre wohl doch zu plump." Er stand auf, reckte sich und schien auf einmal besserer Laune zu sein. Und dann sah er sie
mit einem Blick an, den sie noch nie bei ihm beobachtet hatte. Aber vielleicht bildete sie sich das nur ein? Amy fragte sich aufgeregt, worauf er hinauswollte, als er den Minnie-Brief nahm und sich wieder setzte, ein Bein lässig über die Stuhllehne gelegt. War das eine beiläufige Begutachtung gewesen, oder hatte Danny sie eben endlich wahrgenommen? Es war ein kurzer Blick gewesen, zugegeben, aber er hatte etwas unverkennbar Eindeutiges, Männliches gehabt. In ihrer Verwirrung fegte Amy noch mehr Radiergummikrümel vom Tisch und ordnete die Papiere. Sie sah zu Danny hin und fing wieder diesen merkwürdigen Blick auf. Er wich schnell aus, aber dieses Mal war Amy sicher, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Er hatte sie angesehen. Ihre Brüste! Und ihr war dabei richtiggehend heiß geworden. „Ja, ich glaube, das ist das Richtige", sagte er jetzt. „Sie muss den direkten Weg nehmen. Findest du nicht?" „Und der wäre?" fragte Amy schwach. „Na, sie muss ihn angehen, frontal", bekräftigte Danny. „Frontal?" wiederholte Amy. „Ich glaube nicht, dass ..." „Doch, Amy, sie muss deutlich auf den Mann zugehen, sonst merkt der nichts." Danny stand wieder auf und nickte selbstzufrieden. Er wanderte in dem kleinen Raum umher und hielt schließlich vor ihrem Stuhl. Plötzlich hockte er sich hin, gelenkig wie ein Turner, stützte einen Arm auf ihre Stuhllehne und sah ihr ins Gesicht. Das Blau seiner Augen wirkte dabei so intensiv wie das des Himmels an einem Spätsommertag. „Sie muss ihn herausfordern. Sie kann nicht warten, bis er auf die Idee kommt, sie zu bitten." „Zu bitten? Um was?" flüsterte Amy atemlos. „Na, um irgendwas! Ins Kino zu gehen, zum Kegeln, egal." Seine körperliche Nähe wirkte geradezu berauschend, und Amys Kopf wurde wieder ganz leicht. Sein nackter Arm berührte ihren. Sie wollte hinsehen, es beobachten, wie sie zum ersten Mal Körperkontakt mit Danny hatte. Aber sein Blick ließ sie nicht los. Sie hatte nie zuvor die leichten Schatten unter seinen Augen wahrgenommen, die ihn so sexy aussehen ließen. Und warum hatte sie nie dieses winzige Grübchen in seinem Kinn bemerkt? Amys Puls überschlug sich fast, aber mit erzwungener Ruhe sagte sie: „Und wenn er sie wieder übersieht?" „Das wird er nicht." „Du scheinst dir deiner Sache ziemlich sicher zu sein." „Ja, das bin ich. Wollen wir wetten?" „Und wenn Minnie nun nicht mehr schreibt? Dann werden wir nie wissen, wer gewonnen hat." Danny stand auf, nahm ihr den Bleistift aus der Hand und schrieb in großen, unmissverständlichen Buchstaben auf ihren Block „Sie wird". Amy erschrak. Ahnte er etwas? Sie saß ganz still, als er den Stift zwischen ihre Finger steckte. Er stand mit gekreuzten Armen vor ihr und sah siegessicher auf sie herunter. „Ich wette nicht mehr", sagte sie leise. „Ich kann nämlich nur schlecht verlieren." „Wie bitte? Das glaube ich nicht, Amy. Ich bin zwar kein guter Menschenkenner, aber von dir halte ich eine ganze Menge. Nimm mir bitte nicht meine Illusionen." Wenn da nicht die Lachfältchen um seine Augen gewesen wären, hätte sie schwören mögen, dass es ihm ernst war. „Ich brauche das Gefühl, dass es immer noch gute, anständige, liebe Menschen gibt", fuhr Danny beschwörend fort. „Menschen wie dich, Amy. Vergiss die Wette, reden wir von Peggys Briefkasten. Du willst doch nicht alle diese Kummerkinder, einem Typen wie mir überlassen? Kannst du das überhaupt vor deinem Gewissen verantworten?" Gut, anständig, lieb! Wenn da nicht dieser samtige Unterton in seiner Stimme gewesen wäre, hätte sie sich glatt als weiblicher Pfadfinder gefühlt. „Hilf mir, Amy", bat er. „Deine Mitarbeit ist unglaublich wertvoll für mich. Deshalb habe ich mir auch eine kleine Belohnung für dich ausgedacht. Wollen wir zusammen Mittag essen, hm?" Essen? Mit ihm? Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Seinen Augen war nichts weiter abzulesen als seine abwartende Haltung. „Vielleicht könnte ich mitkommen, wenn ich mit
meiner Arbeit fertig bin", sagte sie zögernd. Danny warf einen Radiergummi in die Luft und fing ihn wieder auf. „Bestens", sagte er und steckte den Radiergummi ein. „Ich muss wieder an meinen Platz. Komm rüber, wenn du so weit bist." Sein Blick blieb noch einmal kurz auf ihren Brüsten haften. „Und lass mich nicht zu lange warten." Nachdem Danny gegangen war, schien der Raum noch eine Weile gefüllt zu sein mit seiner Energie*. Amy konnte erst nach einiger Zeit wieder klar denken und las noch einmal die Worten die er auf ihren Notizblock geschrieben hatte: „Sie wird". Sie strich mit den Fingerspitzen über die Buchstaben und spürte den Eindruck, den der Stift auf dem Papier hinterlassen hatte. Verhielt sich Danny wirklich anders ihr gegenüber? Amy hatte das starke Gefühl, dass sich überhaupt in ihrem Leben etwas änderte, langsam zwar, aber deutlich. Amy dachte über den Rat nach, den Danny Minnie Mäuschen gegeben hatte. „Sie muss auf ihn zugehen." Er war so überzeugt davon, dass das die richtige Verhaltensweise für Minnie war. Aber würde sie, Amy, das wagen?
4. KAPITEL
Dannys „kleine Belohnung" für Amy war der Besuch einer Kellerbar, die ein paar Straßen vom „Morgenblatt-Gebäude" entfernt lag. Amy stieg beklommen die Stufen zu dem Lokal hi nunter, das sie an einen Gangstertreff der zwanziger Jahre erinnerte. Der Raum war schlecht beleuchtet und schien von zweifelhaften Gestalten bevölkert. Auf den zweiten Blick erkannte Amy jedoch, dass die Bar im Grunde stilvoll eingerichtet war. Über den Tischen hingen Jugendstillampen aus buntem Glas, unter der Decke waren große Ventilatoren angebracht, und der ganze Raum war mit dunkelrotem Samt ausgeschlagen, vor dem poliertes Kupfergerät blinkte. Alles wirkte so echt, dass Amy sich tatsächlich um Jahrzehnte zurückversetzt fühlte. Jeder Einwohner von Chicago kannte die wildbewegte Geschichte der Stadt und war insgeheim ein bisschen stolz darauf. Amy wusste jetzt, warum von diesem dunklen Milieu bei Tageslicht nicht mehr viel zu sehen war - die finsteren Elemente saßen alle in dieser Bar, die sich „Bei Ferdy" nannte. Instinktiv drängte Amy sich an Danny, als nun ein hünenhafter Mensch in einem abgewetzten Smoking auf sie zukam. Er hatte eine lange weiße Narbe auf der rechten Wange und blickte sie drohend an. „Was höre ich?" knurrte er. Diese Stimme kommt direkt aus der Unterwelt, dachte Amy schaudernd. Das hier ist aber nicht Kino, das ist echt. Sie warf Danny einen verängstigten Blick zu, in der Hoffnung, er würde sie so schnell wie möglich aus dieser Spelunke fortführen. Doch Danny dachte gar nicht daran. „Ich komme von Joe", sagte er gut gelaunt und klopfte dem Mann auf den Oberarm. Der Rausschmeißer - irgend so etwas musste der bärenstarke Kerl wohl sein, fand Amy grinste Furcht erregend und trat gerade so weit zurück, dass Amy und Danny vorbeikonnten. Sie steuerten auf einen freien Tisch zu. Amy hielt sich dicht an Dannys Seite und .versuchte, sich seinem Schritt anzupassen. So erreichten sie den Tisch, dessen dunkle, schwere Platte Spuren von Gläsern und Brandflecken von Zigaretten trug. Amy merkte, dass sie an Danny klebte wie sein Schatten. „Entschuldige", sagte sie und setzte sich errötend. „Macht nichts", meinte Danny mit der Andeutung eines Lächelns. „Ich habe eine Schwäche für Ladys in Nöten, dann fühle ich mich nämlich wie ein Held. Aber sag's nicht weiter." Amy dachte, jetzt müsste er lachen, wenn die Bemerkung als Witz gemeint war, aber so etwas kam nicht. Was für ein komplizierter Mann, dachte sie. Dieser Danny mit seinem lässigen Zwei-Tage-Bart und seinem ungebändigten kaffeebraunen Haar ist gewiss kein Mann wie jeder andere. Er ist mehr als ein gerissener Reporter, mehr als ein begeisterter Sportler, viel mehr ... „Bier?" erkundigte er sich, während er dem Barkeeper ein Zeichen gab. „Klar", sagte Amy. Sie begann, der Sache Geschmack abzugewinnen. Danny stand auf und ging zur Bar, und sie sah ihm ungeniert nach. Diese breiten Schultern, die schmalen Hüften in den leicht ausgebleichten Jeans, dieser entschlossene, geschmeidige Gang, die ganze Haltung, die zu sagen schien: „Ich weiß, was ich wert bin" - das alles konnte ein Mädchen durchaus schwach werden lassen. Amy biss sich unbewusst auf die Unterlippe. Was ist bloß los mit mir? dachte sie. Gut aussehende Männer beeindrucken mich doch sonst nicht so! Bei Danny ist das ganz anders. Er mag ja intelligent und ein Spitzenreporter sein, aber es ist seine Figur, die Art, wie er sieh bewegt, was mich atemlos macht. Bin ich etwa so eine Art Playgirl, womöglich eine Sexbesessene? Meine Güte, was ist bloß los mit mir? Danny kam zurück. Er trug zwei Biergläser, von denen er eins vor Amy hinsetzte. „Ist es so recht, mit viel Schaum?" Amy nickte. „Genau richtig." Sie nahm einen großen Schluck und hoffte, dass es
einigermaßen gekonnt aussah. Natürlich trank sie normalerweise andere Sachen. „Gut, nicht?" meinte Danny, der mit dem ersten Zug sein Glas fast geleert hatte. „Ich hätte wohl besser gleich einen Krug für dich nehmen sollen." • „Nein, nein", protestierte Amy, „dann kann ich nichts mehr essen." „Richtig, essen. Wie wär's mit einem ordentlichen Stück Corned Beef? Sie haben hier das beste von ganz Chicago." Amy hatte den Eindruck, dass seine Augen von etwas ganz anderem sprachen als von einem kräftigen Snack. „Ja, das hört sich gut an", sagte sie schwach. Daraufhin winkte Danny die Bedienung heran und gab die Bestellung auf. Dann sah er Amy prüfend an. „Nervös?" Amy schüttelte entschieden den Kopf und blickte sich in dem zwielichtigen Raum um. „Ich muss mich nur erst ein bisschen orientieren." Danny trank sein Bier aus und nahm mit der Zunge den Rest Schaum von der Oberlippe. Die Geste hatte etwas »Ursprüngliches, Sinnliches, das Amy unmittelbar berührte. Mit halb geöffneten Lippen starrte sie ihm auf den Mund. Danny lächelte viel sagend, und sie griff hastig nach ihrem Glas. „Ich danke dir, dass du mich wieder in Gnaden aufgenommen hast, Amy", sagte er plötzlich. „Ich brauche deine Unterstützung wirklich. In meinem Briefkasten habe ich einen übergewichtigen Teenager und einen deprimierten Hundezüchter sowie eine verlassene Braut. Mein Vorschlag wäre, alle drei auf einer Party zusammenzubringen, aber ich fürchte, das wäre keine echte Lösung." „Ja, das wäre höchstens ein Gag", entgegnete Amy und gab sich Mühe, nüchtern und überlegen zu klingen. Im Stillen fragte sie sich einmal mehr, warum in aller Welt er ausgerechnet auf sie als Assistentin verfallen war. Sie, die den größten Teil ihres Lebens in einem goldenen Käfig verbracht hatte, sie, die nicht die geringste Ahnung von der Realität besaß. Die Bedienung brachte die Sandwiches. Es waren gewaltige, duftende, dampfende Fleischberge auf dunklem Roggenbrot, großzügig mit Senf garniert. „Hau rein", meinte Danny herzlich und gab ihr gleich ein gutes Beispiel. Während sie aßen, besprachen sie die Beantwortung der Briefe. Amy staunte, wie gut dieser volkstümliche Snack ihr schmeckte. Danny kam auf das Thema der Nachfolgerin für Peggy. „Das wäre doch etwas für dich", meinte er wie beiläufig. „Für mich?" „Ja, warum übernimmst du den Briefkasten nicht ganz? Du bist gut, die entscheidenden Tipps sind von dir. .Du solltest dafür auch entsprechend bezahlt werden." Er beugte sich über den Tisch. „Oder hast du etwa keine Lust?" Amy sah ihm wie gebannt in die Augen. „Oh, doch." „Dann will ich mal mit Royce reden. Aber warum schüttelst du den Kopf?" Hatte sie das getan? Amy sah auf ihre Hände. „Wenn ich ehrlich sein soll, dann ist so ein Briefkasten nicht unbedingt mein Traum." Sie verspürte auf einmal den starken Drang, Danny von ihren Bemühungen in der Abendschule zu erzählen, aber sie brachte kein Wort heraus. Danny beobachtete, wie Amy mit dem Finger Muster auf die Tischplatte zeichnete, und er fragte sich, warum sie wohl nicht mit der Sprache herausrücken wollte. „Lass mich raten", sagte er versuchsweise. „Du möchtest lieber die Klatschspalte?" Amys Kopf fuhr hoch. „Bestimmt nicht! Ich möchte in die Berichterstattung, Nachrichten, Reportagen." „Wie bitte?" Danny merkte, dass dies ein entscheidender Punkt war und dass er jetzt sehr behutsam vorgehen musste. Dieses sanfte, rehäugige Wesen wollte ins harte Nachrichtenge schäft? Undenkbar! In Chicago noch dazu, in der „Ellenbogenstadt"? „Machst du dir klar, was das unter Umständen bedeutet? Du müsstest an der vordersten Front stehen, wenn es um politische Auseinandersetzungen geht, Großstadt-Kriminalität..." „Das ist mir klar", sagte sie fest, doch innerlich zitterte sie. Sie sah ihn forschend an. „Du denkst bestimmt, ich habe nicht das Zeug dazu."
„Zeug? Amy, Amy, das ist ein ziemlich harmloser Ausdruck!" rief er. „Du hast ja keine Vorstellung, wie rau es da manchmal zugeht!" Er brach betroffen ab, als er ihren Blick sah, und begriff sofort. Da war er auf dem besten Wege, ihre Träume zu zerschlagen, ihre Hoffnungen zunichte zu machen. Das Zucken um ihre Mundwinkel ging ihm plötzlich zu Herzen. Amy wirkte auf ihn wie eine kostbare Puppe, und ihre großen Brillengläser verglich er mit einem Glassturz, der dieses unwirkliche Wesen vor Zugluft schützte. Nein, Amy, dachte er, jede x-beliebige Hausfrau hätte in unserem Job mehr Chancen als du. Seine harten Worte taten ihm Leid. Er langte über den Tisch und nahm ihre Hand. Merkwürdigerweise zuckte sie bei der Berührung zusammen. „Komm, beruhige dich", sagte er warm. „Ich habe vielleicht ein bisschen übertrieben." Amy machte große, verträumte Augen. „Ja, zugegeben, ich war voreilig. Du könntest das natürlich schaffen, mit ein bisschen Übung und Erfahrung." Und einem Karatekurs, fügte er im Stillen hinzu. Amys Mund wurde weich, sie lächelte und schob vertrauensvoll die Hand in seine. Er drückte ihre Hand, und sie erwiderte die Geste ganz sachte. Das berührte ihn. Sie ist so zutraulich wie ein Katzenkind, dachte er. Und genauso unsicher. „Ach, ich weiß ja, dass es eine verrückte Idee ist", sagte sie leise. „Für eine Reporterin bin ich nicht aggressiv genug." Das klang trotzdem hoffnungsvoll, als würde sie Ermutigung erwarten. Er schluckte. Wenn es in dieser Welt einigermaßen gerecht zugeht, dachte er, dann kommt eines Tages ein Prinz geritten und holt dich heraus aus dieser grauen Wirklichkeit. Nicht so ein Wegelagerer wie ich. Was du brauchst, ist ein behütetes Heim mit einem sonnigen Garten und einem hübschen Zaun darum herum. Und viele reizende Kinder mit genauso träumerischen braunen Augen, wie du sie hast. „Wir müssen gehen", sagte er plötzlich energisch, doch mit ungewöhnlich kratziger Stimme. „Warte hier, bis ich bezahlt habe." Verdutzt sah Amy, wie er abrupt aufstand. „Ich komme mit!" rief sie hinter ihm her und wand sich an der Tischplatte vorbei. Durch die heftige Bewegung geriet das Bierglas ins Wanken. Amy versuchte, es aufzufangen, und das gelang ihr auch fast. Aber ein kräftiger Spritzer durchnässte ihren Ärmel. „O nein." Sie griff nach einer Papierserviette und tupfte behutsam die Feuchtigkeit von ihrer Bluse. „So was Dummes", murmelte sie, als sie den beachtlichen Fleck betrachtete. Sie konnte unmöglich so ins Büro zurück, meterweit nach Bier riechend. Danny war verschwunden. Ob es hier einen Waschraum gab, wo sie sich den Fleck schnell auswaschen konnte? Amy spähte umher und entdeckte endlich ein kaum leserliches Hinweisschild über einer Tür. Das war die Rettung. Die Tür öffnete sich zu einem Flur hin, von dem aus noch ein anderer Raum erreichbar war. Neugierig verlangsamte Amy den Schritt und horchte. Sie vernahm ein wohl bekanntes Klicken. Dort drin wurde Billard gespielt, und das Geräusch beim Antippen der Kugeln war Musik in ihren Ohren. Ohne lange nachzudenken, öffnete Amy die Tür und betrat den Billardraum. Den Tisch umstanden vier Männer, zwei spielten gerade, die anderen beiden tranken Bier und schauten zu. Der eine Spieler, der eindrucksvoll tätowierte Arme hatte, verpatzte seinen Schuss und fluchte wie ein Seemann. Interessante Gesellschaft, dachte Amy. Halb bewusst nahm sie schwarze Lederkleidung, glänzende Nieten und einen Hauch von Unterwelt wahr. Auch die Flüche des glücklosen Spielers faszinierten sie. So etwas hatte sie noch nie gehört. Die anderen drei waren ebenfalls nicht maulfaul. Sie zogen den Tätowierten mächtig auf, und Amy bekam direkt Mitleid mit dem Ärmsten. „Sie dürfen den Queue nicht so starr halten", sagte sie freundlich zu dem Mann. „Nicht so verkrampft im Handgelenk." Wie vom Donner gerührt, drehten sich die vier Männer nach ihr um. „Was soll das ..." staunte der andere Spieler, den ein wild wuchernder Bart zierte. Amy bemerkte an ihm eine Augenklappe, die genauso düster aussah wie seine Lederjacke. Sie fragte sich, wie man mit einem Auge Billard spielen konnte. „Ich meinte bloß, wenn Ihr
Freund ein bisschen lockerer im Handgelenk wäre ..." Sie brach ab. Das Schweigen lastete fast drohend im Raum, bis die Gruppe der Männer plötzlich in unbändiges Gelächter ausbrach. „Sie meinte bloß? Nicht möglich! Komm her, du Sahnebonbon, und zeig unserem Big Mac, wie man Billard spielt!" „Nein, nein", wehrte Amy ab, „ich wollte nur ..." „Sie wollte nur", schnaubte Big Mac. „Das habe ich mir doch gleich gedacht. Sie wollte nur 'ne Lippe riskieren." Die Männer wandten ihr den Rücken zu und scharten sich brummend um den Tisch. Amy ärgerte sich. Billard war nämlich ein Sport, von dem sie wirklich etwas verstand, und diese Herren da nahmen sie offenbar nicht für voll. Das war eine klare Herausforderung. Amys Vater war leidenschaftlicher Billardspieler gewesen, und sie war sozusagen mit dem Queue in der Hand aufgewachsen. Amy konnte deshalb nicht nur Billard spielen, sie war geradezu ein Hai auf diesem Gebiet. Der bärtige Spieler beugte sich jetzt über den Tisch und nahm Maß. „Er klammert", sagte Amy. Vier Köpfe fuhren herum. „Wer hat dieses Küken eigentlich reingelassen?" wollte einer wissen. „Ich hab' auch schon mal Billard gespielt", bemerkte Amy kess. „Hast du Geld dabei, Sahnebonbon?" knurrte Big Mac. „Ich wette einen Zwanziger mit dir, dass du nicht mal den Ball triffst!" Die anderen lachten und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. „Ich halte fünfzig dagegen, dass ich alle Kugeln mit einem Schuss ins Loch bringe", entgegnete Amy schnell. Der verunsicherte Seitenblick, mit dem Big Mac sie maß, sagte Amy genug. Aber sein männlicher Stolz würde es nie zulassen, der Herausforderung auszuweichen. „Wow!" rief der mit der Augenklappe aus. „Jetzt wollen wir mal Sahnebonbon spielen sehen! Ich halte die Wette! Wie ist es mit euch, Leute?" Während die Männer miteinander diskutierten, legte Amy ihren Einsatz auf den Tisch und ging zum Ständer, um sich einen Stock zu wählen. Sie begutachtete die Lage der Kugeln und fand, dass nur eine etwas heikel lag. „Sie sind dran", sagte sie zu ihrem Mitspieler. Der Mensch mit der Augenklappe brachte ein paar ins Loch. „Die Wette gilt also, meine Herren?" fragte Amy und sah Big Mac kühn an. „Alle Kugeln ins Loch?" Er grinste, zog eine Fünfzig-Dollar-Note aus der Tasche und knallte sie neben Amys Scheine auf den Tisch. „Sieh dich vor, Sahnebonbon", sagte er großspurig. Amy konzentrierte sich. Sie ging einmal um den Tisch herum und nahm die Situation aus allen Blickwinkeln in Augenschein. Es war nicht einfach, aber mit dem richtigen Ansatz und einem raffinierten Drall konnte sie es schaffen. Sie wollte gerade den Stoß führen, als sie ihren Namen hörte. „Nicht jetzt", sagte sie über die Schulter zu Danny, der in der Tür stand. „Lass sie machen, Robinson", meinte Big Mac drohend, „sie verliert gerade fünfzig Dollar." Amy sah kurz auf. „Ich erhöhe auf hundert", sagte sie knapp. „Amy, um Himmels willen!" Danny war entsetzt. „Ich bin dabei", dröhnte Big Mac und zog aus einer weiteren Tasche seiner Jacke einen Fünfziger. Die Stille im Raum knisterte förmlich. Amy war voll konzentriert. Der Billardstock schien Teil ihres Körpers zu werden, eine Verlängerung ihres Arms. Sie ließ das Holz ein paar Mal vor- und zurückgleiten. Die Bewegung war eine Mischung aus genauer Berechnung und instinktiver Einfühlung. Leicht und spielerisch führte Amy dann den Stoß aus. Mit einem leisen, satten Laut traf das Holz die Kugel. Es sah verblüffend natürlich aus, wie der Spielball auf den gelben prallte, der wiederum den grünen traf und ihn kreiselnd ins Loch beförderte. Amy hörte ihren eigenen Herzschlag wie eine gedämpfte Trommel von weit her, während sie den gelben Ball verfolgte, der immer langsamer wurde. Die Männer scharrten mit den Füßen, und Amy schickte Stoßgebete zum Himmel. Der Ball rollte und rollte, im Zeitlupentempo, doch geradewegs auf das Loch zu. Amys Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als die Kugel auf dem Rand des Lochs zitterte und endlich mit einem dumpfen Klacken darin verschwand. „Na bitte", sagte sie aufatmend.
Big Macs haarsträubenden Flüche erhöhten Amys Vergnügen nur noch: „Zur Kasse, Mister", flötete sie, „Donnerwetter, Amy!" Dannys Stimme klang seltsamerweise gar nicht begeistert, sondern eher besorgt. Amy merkte auf einmal, dass die vier Männer sie keineswegs freundlich anstarrten. „Tut mir Leid, meine Herren", sagte sie, indem sie ihren ganzen Mut zusammennahm, „aber eine Wette ist eine Wette." Sie griff nach dem Geld auf dem Tisch, doch den zweiten Fünfzig-Dollar-Schein behielt Big Mac in der Faust. „Das hier musst du dir schon bei mir abholen, Sahnebonbon", brummte er. Amy ging auf ihn zu, wurde aber gehindert. Jemand packte sie hart am Oberarm. „Lass das", fuhr Danny sie an. „Diesen Kerlen bist du nicht gewachsen, Amy!" murmelte er beschwörend. „Aber das Geld gehört mir", widersprach Amy. „Ich glaube, ich blicke allmählich durch", ließ Big Mac sich vernehmen. „Robinson steckt dahinter. Er hat die Lady auf mich angesetzt." „Mach, dass du rauskommst", befahl Danny rau und schob Amy zur Tür. Dann drehte er sich zu Big Mac um. Wie erstarrt stand Amy da und beobachtete das Geschehen. In Kampfhaltung standen sich die beiden Männer gegenüber. Danny war größer, aber sein Gegner war bestimmt einen halben Zentner schwerer. O nein, was habe ich nur angerichtet? dachte sie verstört. „Du schuldest der Dame noch etwas", sagte Danny. Big Mac schnaubte verächtlich. „Gehst du für sie sammeln?" „Das möchte er wohl gern", bemerkte der Mann mit der Augenklappe, und damit waren die Feindseligkeiten eröffnet. „Schon erledigt", sagte Danny und entriss Big Mac blitzschnell den Geldschein. Dann ergriff er dessen hoch erhobenen Arm und drehte ihn auf den Rücken. In Sekundenschnelle hatte Danny ihn im Polizeigriff und drehte ihn mit dem Gesicht zur Wand. „Mach keine Geschichten", keuchte Danny. Es kostete ihn sichtlich Kraft, die Faust des anderen bis zu dessen Schulterblättern hochzuzerren und ihn damit bewegungsunfähig zu halten. „Denk dran, wie unsere letzte kleine Meinungsverschiedenheit ausgegangen ist." Big Macs Gesicht war nicht zu sehen, aber man hörte seine unterdrückten Flüche, mit denen er Danny alles Mögliche an den Hals wünschte. Die anderen drei verhielten sich erstaunli cherweise abwartend. „Also, was ist?" wollte Danny wissen. „Nimm das Geld und verschwinde", knurrte Big Mac. Danny gab ihn daraufhin frei und trat den Rückzug zur Tür an, vorsichtig und Schritt für Schritt. Als er neben Amy stand, ergriff er ihren Arm. „Weg hier!" befahl er. Kaum waren sie aus dem Billardraum heraus, fingen sie an zu rennen, den Korridor entlang, durch die Bar und auf die Straße. „Da, der Bus!" rief Danny. Sie preschten durch den dichten Verkehr auf die andere Straßenseite, erwischten gerade noch den abfahrenden Bus und sprangen auf. Amy bekam eine Haltestange zu fassen und stöhnte vor Erleichterung. Danny stand dicht hinter ihr und griff nach einer Halteschlaufe. Er war ganz außer Atem. „Du hättest um ein Haar einen Bandenkrieg ausgelöst", er klärte er keuchend. „Mit den Burschen da verbindet mich eine alte Feindschaft, die noch aus den Zeiten meiner Jugend stammt. Jeden Samstagabend gab's zwischen uns eine Prügelei, regelmäßig." Er brach ab und starrte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. „Sag mal, Amy, wo hast du bloß Billardspielen gelernt?" Der Tag endete in vollkommener Seligkeit. Amy hatte den ganzen Nachmittag in Dannys Büro verbracht, mit ihm über Billard und Basketball gefachsimpelt und als „Peggy" aufbau ende Worte für unglückliche Briefschreiber gefunden. Und natürlich triumphierten sie nachträglich noch über die Schlappe, die Amy dem wüsten Big Mac beigebracht hatte. „Oh, schon so spät", sagte Danny schließlich mit einem Blick auf die Uhr. „Lass uns den
Tag beschließen, ja?" „Das war vielleicht ein Tag ..." meinte Amy lachend. Sie fühlte sich richtig ausgelassen und glücklich wie noch nie. „Verlassen wir diesen öden Ort", sagte Danny, nahm Amys Hand und zog sie vom Stuhl hoch. Zusammen gingen sie in Amys Büro, um ihren Mantel zu holen. Amys Fantasie galop pierte davon. Sehen wir nicht wie ein Liebespaar aus, wie wir hier so einträchtig Feierabend machen? dachte sie verträumt. Schweigend fuhren sie mit dem Lift in die Tiefgarage. Amy riss verlegen einen losen Faden vom Saum ihres Mantels. Was Danny wohl gerade dachte? Da sie keine weiteren Fäden mehr fand, strich sie die Ärmel des Mantels glatt. Gleich würden sie sich verabschieden müssen oder mussten sie gar nicht? Eine leise Traurigkeit mischte sich in das Glücksgefühl. Sie schob die kalten Hände in die Taschen und hoffte innig, dass der Zauber morgen noch anhielte. Der Lift hielt, die Türen glitten auf. Amy beschloss, ihr Glück nicht dem Zufall zu überlassen. Hatte Danny nicht gesagt: „Sie muss auf ihn zugehen"? „Danny." Amys Stimme klang dünn über dem Klicken ihrer Absätze auf dem Zementboden der Garage. Er sah sie von der Seite an. „Ich habe für nächste Woche eine Einladung zu einem Abendessen. Ich dachte, wenn du Zeit hast, könntest du mitgehen ..." „Abendessen?" wiederholte er. „Das hört sich ziemlich förmlich an, wie?" „Nur dunkler Anzug ist erbeten", sagte sie. Danny warf sich das Haar aus der Stirn. „Weißt du, was du da von mir verlangst? Ich glaube, ich besitze nicht mal eine Krawatte." „Die kann man sicher leihen." „Du meinst, es gibt Schlipsverleihe?" Sein Augenzwinkern sagte ihr, dass er das Ganze nicht ernst nahm. „Aber du magst Recht haben, so eine Dinner-Party fehlt mir noch in meinem Erfahrungsschatz. Wann und wo?" „Am Samstag, im Haus meiner Mutter", erklärte Amy erleichtert. Während sie zu ihren Autos gingen, beschrieb Amy ihm den Weg. Sie erreichten seinen Standplatz, und die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. An Dannys Porsche lehnte nämlich eine schlanke, auffallend schöne rothaarige Frau, dekorativ hingegossen wie eine Kühlerfigur. Amy blieb stehen. Verdutzt sah Danny auf und hielt ebenfalls inne. Da erblickte er die Frau, und wie ungläubig griff er sich an die Stirn. „Lange nicht gesehen, nicht?" gurrte die Rothaarige mit rauchiger Stimme. Dannys anfängliche Überraschung wurde zu reiner Freude. Sein Lächeln sagte alles. „Sheila?" Seine Stimme klang belegt. „Ja, Danny, ich bin's wirklich." Wie im Film sah Amy die beiden aufeinander zugehen, sich die Hände schütteln, und dann die Umarmung. Es war alles so unwirklich! Die Frau strich mit den Fingerspitzen über Dannys Wange und hauchte: „Du hast mir gefehlt." Amy erstarrte. Jeder Schlag ihres Herzens war wie ein Faustschlag. Diese Frau war ein Teil von Dannys Vergangenheit. Und sie war schön, unglaublich schön. Und dies war ein unverhofftes Wiedersehen. Eine Versöhnung vielleicht sogar ...? Wie eine Schlafwandlerin bewegte Amy sich rückwärts. Bei so einer intimen Szene störte man nicht. Sie wollte etwas sagen, etwas wie „Ich muss jetzt gehen", doch sie brachte nur jein heiseres Flüstern zu Stande. Nach einer halben Ewigkeit wurde ihr Kopf wieder klar, sie drehte sich um und rannte zu ihrem Wagen. Beim Einsteigen hörte sie, wie Danny hinter ihr herrief. „Amy? Wir sehen uns doch morgen?" Die Heimfahrt war ein Horror. Obwohl Amy den Weg im Schlaf kannte, verpasste sie mehrfach die Abzweigungen. Schließlich zwang sie sich, an nichts anderes zu denken als ans Fahren. Die nächste Ausfahrt der Schnellstraße muss ich nehmen, sagte sie sich verbissen. Rechts einordnen und Gas wegnehmen. Noch langsamer, da kommt die scharfe Kurve. Sie brachte ihre Gefühle einfach nicht unter Kontrolle. Sie wollte, dass dieser Schmerz aufhörte, dass das, was sie eben mit angesehen hatte, nicht wahr wäre. Wie in Trance trat sie den Gashebel ganz durch. Langsamer! ermahnte sie sich. Amy hatte die gefährliche
Angewohnheit, in der Erregung zu schnell zu fahren. Das gab ihr die Illusion, dass der Druck in ihrem Innern nachließ, aber das war natürlich unverantwortlich. Als sie vor ihrem Apartmenthaus hielt, hatte Amy sich einigermaßen beruhigt. Der Aufruhr der Gefühle war in Selbstmitleid umgeschlagen. Ich bin ja selber schuld, klagte sie im Stillen. Wie konnte ich mir auch einbilden, ein Mann wie Danny Robinson könnte ein ernsthaftes Interesse an mir haben? Wer bin ich denn schon - eine langweilige graue Maus mit einer dicken Brille, so sexy wie ein Hochhaus. Connie war zu Hause. Sie lag auf dem Teppichboden im Wohnzimmer und sah eine TalkShow im Fernsehen, eine Schüssel Popcorn neben sich. „Na, hast du dich tapfer geschlagen?" fragte sie, als Amy mit schleppendem Schritt eintrat. „Natürlich. Sicher, sicher. Alles bestens", sagte Amy und ging vorbei in die Küche. Dort legte sie ihre Tasche auf die Frühstücksbar, die die Küche zum Wohnraum hin abgrenzte. Sie öffnete den Kühlschrank, nahm einen Glaskrug mit Orangensaft heraus und goss sich ein Glas voll ein. „Amy?" fragte Connie misstrauisch. „Alles in schönster Ordnung", versicherte Amy. „Und außerdem möchte ich nicht darüber reden." Der Orangensaft schmeckte bitter, und sie stellte den Krug in den Kühlschrank zurück. Sie verspürte das starke Bedürfnis, über die Sache zu sprechen, aber sie befürchtete, dass sie nur unzusammenhängende Worte herausbringen und sich absolut lächerlich machen würde. Amy verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die Kühlschranktür. Das kühle Metall war angenehm. Schritte näherten sich. Connie berührte gleich darauf sanft ihre Schul ter. „He, was ist los? Nun red schon", sagte sie. Connies Besorgnis brachte die Dämme zum Einsturz. „Ach, Connie, sie war so schön, dass ich es dir gar nicht beschreiben kann. Ich weiß nicht mal, was sie anhatte, ist ja auch egal, aber sie war einfach hinreißend. Sie hatte so langes, rotes Haar, eine wahre Wolke von roten Locken, und - ach, Connie ..." Amys Stimme wurde zu einem kaum vernehmlichen Flüstern. „Sie hatte eine Stimme genau wie die Stars in alten Hollywoodfilmen!" ,„Oha", machte Connie. „Wer: sie?" „Ich kenne sie nicht, aber er. Oh, und wie gut er sie kennt!" Connie drückte mitfühlend Amys Hand. „Du bist ziemlich durcheinander. Aber sag mir noch eins: wer - er?" „Danny." Amys Lippen begannen zu zittern. „Ich Schaf. Natürlich - er." Amy ließ sich schwer auf einem Stuhl am Esstisch nieder. „Ich möchte nicht darüber sprechen, Connie, das musst du verstehen. Es ist einfach zu schrecklich." Und sie sprach doch darüber, lang und breit, bis in die letzte Einzelheit. Als sie geendet hatte, brachte Connie tausend Gründe an, warum Dannys Verhalten dieser Frau gegenüber etwas ganz anderes war und im Grunde gar nichts bedeute. „Vielleicht haben sie beruflich miteinander zu tun", schlug Connie unter anderem vor. „Das ist lieb von dir, Connie", seufzte Amy. „Aber du hättest das erleben müssen. An dieser Frau war rein gar nichts Berufliches." In der Stille, die auf diese Worte folgte, erhob sich Amy mühsam und ging zur Frühstücksbar, um ihre Tasche zu nehmen. „Halt, was soll das? Du siehst aus, als wenn du dich geschlagen gibst", sagte Connie. „Wir haben unseren Gegenangriff noch gar nicht besprochen." Amy hielt hilflos die Hände hoch. „Sehe ich etwa so aus, als wenn ich es mit so einer Frau aufnehmen könnte?" Connie zögerte. „Da kannst du Recht haben. Was du brauchst, sind ein paar neue Kleider und eine Generalüberholung." Danke, Connie, dachte Amy gerührt, danke für dein Vertrauen in meine Wandlungsfähigkeit. Aber mir fehlt eben die Energie. Amy schüttelte deshalb nur stumm den Kopf und wollte in ihr Zimmer gehen. „Und wenn du noch einen Peggy-Brief schreibst?" meinte Connie.
Amy stoppte. „Nein!" Sie kehrte, auf dem Absatz um. „Unter gar keinen Umständen! Wenn er dann merkt, dass ich dahinter stecke! Ich würde umkommen vor Scham. Und außerdem", fügte sie düster hinzu, „wird die Sache mit jedem Brief komplizierter." „Da muss ich dir Recht geben." Amys Stimme fing schon wieder an zu schwanken. „Es gibt einen Punkt, an dem man der Wahrheit ins Gesicht sehen muss, Connie. Mit Danny und mir ist es aus ... obwohl es noch gar nicht richtig angefangen hatte." Sie wandte sich ab, blass und aufrecht, wie die Heldin in einem Drama. Während Amy sich zurückzog, kam Connie plötzlich ein verwegener Gedanke.
5. KAPITEL
Auf Amys Nachttischuhr war es genau Mittag. Aber welcher Tag war heute? Sie war so benommen, dass sie sich nicht genau erinnern konnte, wie lange jener niederschmetternde Vorfall in der Tiefgarage des „Morgenblatts" zurücklag. War das vorgestern gewesen? Folglich wäre heute Sonntag. Hatte sie wirklich so viel Zeit im Bett verbracht? Verwirrt sah Amy sich um. Die Tür wurde auf einmal aufgestoßen. Amy richtete sich überrascht auf und staunte. Mit einem voll beladenen Tablett erschien Connie in der Tür. „Zeit fürs Frühstück!" verkündete sie. „Ich habe keinen Appetit", protestierte Amy. „Ich bin krank." „Unsinn. Du bist nicht krank." Energisch stellte Connie das Tablett auf Amys Schoß und breitete eine Serviette auf ihrem Busen aus. „Du bist zornig." „So?" „Ja. Du fühlst dich zurückgewiesen und leidest darunter." Amy dachte einen Moment nach. „Eigentlich ist das nicht richtig. Ich hätte ein Recht, beleidigt zu sein, wenn Danny mich abgewiesen hätte. Aber er hat meine Bemühungen ja nicht einmal wahrgenommen." „Ich glaube, da unterschätzt du ihn - und dich." Connie zog die Morgenzeitung unter dem Tablett hervor und blätterte darin. Gebannt schaute Amy ihr zu. Ein Blick in Connies Gesicht sagte ihr, dass sie sich jetzt auf etwas gefasst machen musste. Plötzlich wusste sie mit absoluter Gewissheit, dass in der Zeitung ein weiterer Brief von Minnie Mäuschen stand. „Nein, Connie, das darf einfach nicht wahr sein. Sag, dass du das nicht gewagt hast." Connie blätterte ungerührt weiter. „O doch. Ich habe mich allerdings ein bisschen schändlich dabei gefühlt. Meine Gründe waren zwar edel, aber die beste Freundin zu hintergehen, ist mir nicht leicht gefallen." Sie fand die Briefkasten-Seite, schlug das Blatt ganz auf und setzte sich neben Amy auf die Bettkante. Während sie die Spalten absuchte, murmelte sie vor sich hin. „Der Brief muss da sein. Ich habe ihn persönlich in der Redaktion abgegeben und klargemacht, dass es sich um einen dringenden Fall handelt." Sie unterbrach sich und lächelte zufrieden. Schweigend las sie. „Oh, Amy, das übertrifft meine kühnsten Erwartungen! Jetzt kannst du mir nicht mehr böse sein." Ergeben sank Amy in die Kissen zurück. „Warte, ich lese es dir vor." Connie klopfte beruhigend auf Amys Hand und begann: „Liebe Peggy, es ist eine Katastrophe! Superman hat eine Freundin, und das ist eine Superfrau. Sie ist schön, elegant, selbstsicher und absolut umwerfend ..." Amy litt. Sie hob den Kopf und flüsterte gequält: „O Connie, musste das wirklich sein?" „Still, es geht noch weiter." „Peggy, dieser Frau kann ich nicht das Wasser reichen. Ich werfe das Handtuch. Herzlichst, Deine Minnie Mäuschen." Siegessicher lächelte Connie auf Amy herunter. „So, und was meinst du, was Danny ihr rät?" „Dass sie sich im Schlussverkauf reichlich mit Handtüchern eindecken soll?" „Nicht doch. Hör zu, jetzt kommt's: Wenn Dir wirklich an ihm liegt, dann darfst Du Dich nicht von der erstbesten Konkurrentin aus dem Feld schlagen lassen, Minnie. Dein Supermann scheint mir keiner zu sein, der sich von Äußerlichkeiten beeindrucken lässt. Zeig ihm, was du zu bieten hast. Besinn Dich auf Deine Stärken. Mach Dich nicht unbedeutender, als Du bist. Und nun begib Dich an den Start!"
Connie ließ die Zeitung sinken und nickte beifällig. „Das finde ich eine starke Entgegnung." Amys Lebensgeister waren wieder erwacht. Sie setzte sich auf. „Ich soll mich auf meine Stärken besinnen?" wiederholte sie ungläubig. Connie las vor Begeisterung den ganzen Brief und die Antwort noch einmal. „Er gibt dir ganz schön Zunder, wie? Wenn du dich jetzt immer noch nicht entschließen kannst, um diesen Mann zu kämpfen, dann mach Platz. Ich komme." Connies kameradschaftliche Rippenstöße waren rührend gut gemeint, nur halfen sie Amy nicht. „Ach, Connie, genug Kampfgeist hätte ich ja, das ist nicht das Problem. Aber bei solchen Waffen kann ich nicht mithalten. Ich bin kein Glamour-Mädchen. Ja, wenn ich sie zu einem Billardmatch herausfordern könnte ..." Connie wischte den Einwand mit einer Handbewegung weg. „Amy, du unterschätzt deine Möglichkeiten, begreif das doch endlich! Pass auf, ich weiß, was wir machen. Du musst mir nur vertrauen. Lass mir eine Woche Zeit, und ich mache aus dir den gefährlichsten Vamp von ganz Chicago. Okay?" Geduldig hörte Amy sich Connies mehrstufigen Plan an. „Wir werden deine gesamte Persönlichkeit umkrempeln", erklärte sie schwungvoll. „Körper, Geist und Psyche. Sieh es als ein Abenteuer." Fehlen bloß noch die Fanfarenstöße, dachte Amy. Das Schlimme ist, dass sie mich beinahe überzeugt. Ein leiser Hoffnungsschimmer stahl sich in ihre trüben Gedanken. Und eine Viertelstunde später hatte Connie sie tatsächlich so weit. „Glaubst du, ich könnte das alles bis nächsten Samstag schaffen?" fragte Amy mit klopfendem Herzen. Connie strahlte. „Ich liebe klare Zielvorgaben. Was ist am Samstag los?" „Eugenias Abendessen." „Und da willst du deinen großen Auftritt haben?" „Ja. Ich habe Danny dazu eingeladen- Wahrscheinlich kommt er nicht, aber ich möchte für alle Fälle gerüstet sein." „Danny Robinson zum Dinner bei deiner Mutter?" Connie starrte entgeistert drein. „Amy, du bist ja noch verrückter als ich." In der nächsten Woche meldete sich Amy krank. Sie tat es ungern, denn solche Freiheiten nahm sie sich sonst nie heraus. Mit schlechtem Gewissen tischte sie Danny eine Geschichte von geheimnisvollen Rückenschmerzen auf, die nicht aufhören wollten. Danny meinte, das könnten die Bandscheiben sein und sie solle das ja nicht auf die leichte Schulter nehmen. Er empfahl ihr auch gleich seinen Orthopäden. Von der Rothaarigen sagte er nichts. Amy erwähnte mit keinem Wort die Dinner-Party, ließ ihn jedoch wissen, dass sie am Samstag mit Sicherheit wieder hergestellt sein würde. Der große Feldzug begann mit einem Kontaktlinsenkauf. Bald betrachtete Amy die Welt aus neuen Augen. Sie blinzelte in den Spiegel des Optikergeschäfts und sah dort eine junge Frau mit sanften braunen Augen. Im ersten Moment fragte sie sich, wer das wohl sein mochte ... Am Abend dieses Tages übertönte sie mit Stöhnen und Jammern wegen der schmerzenden Muskeln die leisen Gewissensbisse wegen des Krankfeierns. Am Vormittag war sie nämlich ausgiebig gejoggt, am Nachmittag hatte sie in einem Fitness-Center gezielt die Polster an den Hüften bearbeitet und am Abend eine anstrengende Stunde Jazzgymnastik hinter sich ge bracht. An der Rohkostdiät, der sie sich verschrieben hatte, wäre sogar ein Zwerghase verzweifelt. Am zweiten Tag stand ein Saunagang auf dem Programm. Amy hielt so verbissen durch, dass Connie eingreifen musste. Sie lockte die Freundin aus der Hitze heraus mit einem Hinweis auf die Massage, die angeblich Wunder wirke. „Der Masseur ist sagenhaft", schwärmte Connie. „Er ist ein Tiefenspezialist." Connie vergaß allerdings zu erwähnen, dass „Tiefenspezialität" ein anderes Wort für Folter war. Amys Schmerzensschreie alarmierten die Empfangsdame, die drohte, Amy die Mitgliedskarte zu entziehen, wenn sie nicht sofort mit dem Geschrei aufhöre. Mit Tränen in
den Augen fügte Amy sich in ihr Schicksal. Am dritten Tag hatte Amy das Gefühl, kein Mensch mehr zu sein, aber merkwürdigerweise konnte sie noch immer aufrecht gehen. Am vierten Tag joggte sie sogar schon wieder, was das Zeug hielt. Am Abend dieses Tages trat Amy vor den Badezimmerspiegel, nur mit ihrer Baumwollunterwäsche bekleidet. „Eine Taille", murmelte sie wie verzaubert. „Da ist ja wahrhaftig eine Taille." Connie stand ihr in dieser schweren Zeit getreulich zur Seite. Am Freitag, einen Tag vor dem großen Ereignis also, verkündete sie das Ende der Qualen, die durch Diät und Körperertüchtigung verursacht waren. „Jetzt bauen wir dein Ego auf", meinte Connie. „Zuerst eine feierliche Handlung zur Einstimmung: Wir verbannen auf ewig diese Baumwollunterwäsche." Amy konnte inzwischen rein gar nichts mehr erschüttern. Sie stopfte den ganzen Berg Unterwäsche in den Sack für die Kleidersammlung. Nach diesem symbolischen Akt fuhr sie mit Connie in die Innenstadt und fiel in die Kaufhäuser ein. Und nun konnte es Samstag werden. Mit ihrem neuen Körper, neuen Kleidern und sündiger Unterwäsche darunter betrat Amy Alfredos Schönheitsstudio, wo sie den ganzen Tag verbrachte. Connie wich und wankte nicht. Als Amy verpuppt auf einer Ruhebank lag - den Kopf gespickt mit Lockenwicklern, den Leib einbetoniert in eine Schlammpackung gegen Cellulitis, schoss ihr ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. „Connie", hauchte sie, um die braune Schale nicht zu sprengen. „Wenn Danny nun gar nicht kommt?" Sie konnte den Kopf nicht bewegen und die Reaktion ihrer Freundin nicht sehen. „Hörst du mich, Connie? Was, wenn nun alles vergeblich war ...?" „Ich denke nach", sagte Connie. „Sind denn keine anderen Männer da?" „Nur solche wie Royce Hubbard." „Okay, dann kannst du an dem üben." Amy stand vor dem Badezimmerspiegel und tuschte sich die langen, dichten Wimpern. „Komm doch einfach mit, Connie", sagte sie und trat zurück, um ihr Werk zu prüfen. Ihre neuen Augen, so groß und so dunkel, erstaunten sie noch immer. „Vielleicht brauche ich moralische Unterstützung." Amy verstaute die Make-up-Utensilien in ihrer Abendtasche und drehte sich zu Connie um, die gerade das rotseidene Kleid bereithielt. „Du brauchst mich nicht, Amy", meinte Connie. „Du brauchst heute Abend niemanden. Du bist eine Sensation." Amy konnte nicht widerstehen und trat noch einmal vor den Spiegel. Ob er die Wahrheit sprach? Das Bild, das er zurückwarf, war unglaublich schön - ein Fantasiegebilde aus Glanz und Verführung. War diese Erscheinung da wirklich Amy Dwyer? Die Veränderung war so groß, dass Amy sich fragte, ob sie jemals mit diesem strahlenden Wesen da vertraut werden könnte. Eine ganze Woche lang hatte Amy Zeit gehabt, sich an die Einzelheiten zu gewöhnen: die Augen, die schön geschwungenen Augenbrauen, die hohen Wangenknochen und die feine, leicht aufwärts gebogene Nase, dazu die schlanke Gestalt. Doch das Gesamtbild war trotzdem eine Sache für sich. Amy kam sich irgendwie nackt vor und trotzdem schön, und sie hatte Angst. Hinter den Brillengläsern war sie in Sicherheit gewesen. Es stimmte ja, dass eine Brille Männer zunächst einmal abschreckt, und das war ihr nur recht gewesen. Connie reichte ihr das Kleid, und Amy schlüpfte hinein. Der schimmernde Stoff schmiegte sich eng an, eine Schulter blieb nackt, und die weiße Haut hob sich verführerisch vom Rot der Seide ab. Das kurze, füllige Haar fiel ihr ins Gesicht, geheimnisvoll und aufregend. Amy lächelte. „Gut, nicht? Los, Connie, zieh dein kleines Schwarzes an. Wir gehen zusammen." Connie wehrte ab. „Deine Mutter würde mich glatt verhaften lassen, wenn ich uneingeladen bei ihr auftauche." „Mag sein", sagte Amy und erschrak. „Ich habe vergessen, ihr zu sagen, dass ich Danny auch eingeladen habe." Plötzlich fühlte sie sich wieder wie ein kleines Kind vor der
übermächtigen Mutter. Eugenia konnte sehr unangenehm werden, und eine Störung ihrer Dinner-Party würde sie zornig machen. Amy betrachtete erneut ihr Spiegelbild. Vielleicht hatte sich etwas Grundlegendes geändert, vielleicht konnte sie sich nun endlich einmal zur Wehr setzen. „Warte", sagte sie kurz, ging an Connie vorbei und kam mit dem schwarzen Kleid zurück. „Ich möchte, dass du mich begleitest. Eugenia wird es überleben." „Sie schon, aber wir?" meinte Connie zweifelnd, zog aber das Kleid an. Erst als Connie und sie in Amys Auto auf dem Weg zu Eugenias Villa waren, bekannte sich Amy zu ihren eigentlichen Gründen. „Du erinnerst dich doch, dass ich von einem weiteren männlichen Gast gesprochen habe? Der, mit dem ich üben wollte, falls Danny nicht kommt." „Der so heißt wie ein Auto? Rolls und noch was?" „Royce", sagte Amy lachend. „Ja, wenn Danny nun doch auftauchen sollte, könntest du dich ein bisschen um Royce kümmern, damit er mir nicht in die Quere kommt. Würdest du das tun?" „Ist er reich?“ „Ja, und gut aussehend." „Das hört sich interessant an." „Aber er ist eingebildet, oberflächlich, nie um einen frechen Spruch verlegen, und keine Frau ist vor ihm sicher." „Also eine echte Herausforderung für mich", meinte Connie. Die Fahrt dauerte fast eine Stunde, und mit jeder Meile wurde Amy selbstsicherer. Ihre Ankunft in Eugenias Haus wurde kaum wahrgenommen, obwohl sie ziemlich spät dran waren. Die Gäste standen in Gruppen zusammen, nippten an Cocktails und unterhielten sich gedämpft. Ein bisschen enttäuscht, wandte sich Amy Sally zu, einer von Eugenias Hausangestellten, die ein Tablett mit gefüllten Gläsern herumreichte. Wenigstens Sally könnte etwas über Amys verändertes Aussehen sagen. Doch Sally fragte nur höflich: „Champagner oder Sherry?" „Hm, Champagner", meinte Connie begeistert. Amy wählte ein Glas Sherry und lächelte Sally erwartungsvoll an. Sally erwiderte das Lächeln freundlich und ging weiter. Amy nestelte verunsichert an ihrem Ausschnitt, während Connie mitfühlend murmelte: „Die ist wohl kurzsichtig." Aber als dann Eugenia am Arm eines Gastes vorbeischwebte und Amy ebenfalls nur mit einem verwunderten Blick streifte, verstand Amy die Welt nicht mehr. „Sind die alle blind?" fragte Connie leise. Inzwischen hatte Eugenia ihren Gesprächspartner verlassen und kam auf die beiden zu. „Guten Abend", sagte sie mit einem leicht befremdeten Unterton. „Ich fürchte, ich hatte noch nicht das Vergnügen ... Wenn Sie wegen der Kunstausstellung gekommen sind, dann muss ich Sie leider vertrösten. Heute Abend habe ich Gäste und kann mich nicht..." „Mutter", flüsterte Amy. „Ich bin's doch." Eugenia redete flüssig weiter. „Ich muss Sie bitten, Ihre Visitenkarte hier zu lassen. Ich rufe Sie dann an." Sie drehte sich um und entfernte sich ein paar Schritte. Plötzlich blieb sie, wie vom Donner gerührt, stehen. „Amy?" „Nein, so was", murmelte Connie. „Von der eigenen Mutter nicht wieder erkannt. Das ist ein Ding." Amy war einfach sprachlos. Eugenia kam zurück. „Was hast du denn aus dir gemacht?" „Eigentlich nichts", entgegnete Amy schwach. „Nichts? Das sieht mir aber gar nicht so aus." In Eugenias Stimme schwang so etwas wie Verärgerung und Missbilligung mit. Insgeheim hatte Amy eine etwas andere Reaktion von der Frau erwartet, die dauernd an der unauffälligen Erscheinung ihrer Tochter herumgenörgelt hatte. „Ich habe eine neue Frisur und ein neues Kleid ..." „Und wo ist deine Brille?" „Kontaktlinsen", flüsterte Amy eingeschüchtert. Wie oft hatte sich Eugenia über „diese schreckliche Brille" aufgeregt? Eugenia musterte stumm das rote Kleid und die nackte
Schulter. „Gefalle ich dir nicht, Mutter?" Bevor Eugenia antworten konnte, wurden sich alle der plötzlichen Stille im Raum bewusst. Sämtliche Köpfe hatten sich den drei Frauen zugewandt, selbst die der Angestellten. Eugenia hatte die Lage jedoch sofort im Griff. Sie setzte ein hingerissenes Lächeln auf und klatschte überwältigt in die Hände. „Du siehst reizend aus, Liebling!" Jetzt wandte sie sich ihrem Pu blikum zu und streckte Amy den Arm hin, als hätte sie einen Stargast anzukündigen. „Habe ich nicht eine schöne Tochter?" „Sicher." „Unbedingt." „Zauberhaft." Der vielstimmige Chor der Gäste drückte reine Bewunderung aus. Der Moment der Beklommenheit war vorüber. Mit der Huld einer Fürstin forderte Eugenia die Gäste auf, sich gut zu unterhalten. Dann wandte sie sich Amy zu. „Wie konntest du mir das nur antun, Amy?" Das war nun ein deutlicher Vorwurf. „Du hättest mir doch wenigstens einen Ton sagen können." Sie nahm Connie wahr. „Und wer ist das?" „Meine Freundin Connie. Du hast sie kennen gelernt, als du mich neulich besucht hast, Mutter." „Oh, ich erinnere mich. Nett von Ihnen, dass Sie Amy hergefahren haben. Möchten Sie ein paar Häppchen, bevor Sie gehen?" „Connie bleibt zum Essen", sagte Amy tapfer. „Wie bitte?" Eugenia prüfte mit einem blitzschnellen Blick in die Runde, ob etwa andere dem Gespräch zuhören konnten. „Aber du weißt doch, dass das nicht geht, Liebes. Der Tisch ist schon fertig gedeckt, und die Köchin hat-genau zwanzig Portionen Tomaten in Aspik vorbereitet." „Tja, wenn für mich keine Tomate in Aspik da ist, dann muss ich wohl gehen", ließ Connie sich vernehmen. „Vielleicht sehen wir uns ein anderes Mal, Mrs. Dwyer." Amy packte Connie gerade noch am Arm. „Du bleibst", sagte sie bebend. „Du kannst meine Tomate haben." Amy wusste, dass Eugenia ihr das heimzahlen würde. Eugenias Lächeln gefror. „Wenn das so ist ... nun, dann will ich mit der Köchin reden." Mit einem ungewohnt unsicheren Blick sah sie ihre Tochter an. „Du bist auf einmal so anders, Amy. Ich weiß noch gar nicht, was ich davon halten soll." „Ich offen gestanden auch nicht", sagte eine männliche Stimme rechts neben Amy. „Aber ich würde der Sache gern auf den Grund gehen." Es war Royce Hubbard im feierlichen schwarzen Anzug, „Ist das hier eine Beerdigung?" murmelte Connie. „Royce! Nein, wie elegant Sie wieder sind!" flötete Eugenia. „Hallo, Royce. Wie geht's?" Amy wusste nichts Originelleres zu sagen, weil ihr unter dem abschätzenden Blick, mit dem er sie von oben bis unten maß, unbehaglich wurde. „Mir geht's blendend - momentan." Er betrachtete anzüglich Amys nackte Schulter, ihre Augen, das Haar. „Erstaunlich, was manche Krankheiten für Auswirkungen haben. Nach Robinsons Bericht hatte ich dich heute Abend eher im Rollstuhl erwartet." Hilfe suchend sah Amy die beiden Frauen an. Konnte man dieser Peinlichkeit nicht ein Ende bereiten? Connie blickte finster vor sich hin, aber Eugenia strahlte. „Du hast einen sehr charmanten Kollegen, Amy. Nun, ich lasse euch beide ... euch drei", verbesserte sie sich mit einem kalten Seitenblick auf Connie, „wohl besser allein." Und schon war sie fort, um sich ihren Pflichten als Gastgeberin zu widmen. „Royce, das ist Connie", sagte Amy hastig. „Wir wohnen zusammen und sind gute Freundinnen. Consuelo Mackensie." „Hallo", sagte Connie. „Nett, Sie kennen zu lernen", gab Royce aalglatt zurück. Er wandte dabei keinen Blick von Amy. „Darf man fragen, woher dieser überraschende Wandel kommt?" Royce hat etwas Gieriges, fand Amy. „Ich mag hin und wieder ein bisschen Abwechslung", ließ sie ihn wissen. „Connie leitet übrigens einen Kinderhort in der Südstadt. Sie opfert sich geradezu dafür auf." „Nun übertreib bitte nicht", warf Connie ein. „Wie interessant", meinte Royce und streckte die Hand aus, um Amy eine Haarsträhne aus
dem Gesicht zu streichen. Sie fuhr zurück. Gleichzeitig legte sie die Hand auf die Nierengegend und stöhnte leise. „Was hast du?" wollte Royce besorgt wissen. „Ach, es tut mir da ein bisschen weh - ein bisschen sehr, um ehrlich zu sein", sagte sie mit einem tapferen Lächeln. Connie legte ihr besorgt die Hand auf die Stirn. „Ganz heiß", stellte sie fest. „Das könnte ein Rückfall sein. Du solltest dich lieber ausruhen, Amy." „Ja, vielleicht. Ich gehe ins Gästezimmer. Leiste du inzwischen Royce Gesellschaft. Ich bin bestimmt bald wieder da." Amy durchquerte den Raum, begleitet vom Geflüster und Gemurmel der Gäste. Ein paar Mal bekam sie offene Komplimente, und dann dankte sie anmutig. Im Vorbeigehen nahm sie noch ein Glas Sherry mit und trat auf den Flur hinaus. Die erste Tür führte in ein gemütliches kleines Wohnzimmer. Eugenia hatte offenbar schon wieder alles umgeräumt. Die Stille wirkte auf Amy wie ein belebendes Getränk. Sie setzte sich in einen Sessel und atmete tief durch. Wenn dieser grässliche Abend doch nur schon zu Ende wäre, dachte sie. Immerhin schien Eugenia sich einigermaßen beruhigt zu haben. Es war gar nicht so einfach, sich von einem hässlichen Entlein sozusagen über Nacht in einen Schwan zu verwandeln. Sie stand dadurch auf einmal im Rampenlicht und musste sich die Annäherungsversuche von Männern wie Royce Hubbard gefallen lassen. Nachdenklich trank sie ihren Sherry. Der Mann, für den sie das alles auf sich genommen hatte, war nicht einmal gekommen. Das war eine schmerzliche Enttäuschung. Trotzdem - dies war ihr erster großer Auftritt, und sie würde das Beste daraus machen. Eugenia hatte eine Gruppe von Gästen am Kamin um sich geschart, als Amy zurückkehrte. Plötzlich verspürte sie ein merkwürdiges Kribbeln. Waren es ihre angespannten Nerven, oder was sonst? Die anderen Menschen im Raum schienen nichts zu merken. Aber es lag etwas in der Luft. Amy sah ihn dann als Erste. Danny stand in der Eingangstür, zu der eine Stufe hinaufführte, und überblickte die gesamte Szenerie. Er trug eine dunkle Hose und ein schimmerndes schwarzes Abendjackett, ein weißes Hemd und eine nachlässig geknüpfte Krawatte. Das Gewicht hatte er auf ein Bein verlagert und die Hand auf die Hüfte gestützt. Mit wachem Blick und dem Hauch von Verwegenheit sah er aus wie das Fotomodell aus einer Werbung für schnelle Autos. Auf seinen Wangen lag ein leichter Schatten von sprießendem Bart. Das dunkle Haar war zerzaust, als wäre er durch den Wind gelaufen. Alle starrten ihn nun an. Amy sah zu ihrer Mutter hinüber. Eugenia brach abrupt die Unterhaltung ab, die sie gerade mit einem älteren Herrn angefangen hatte. Sie erblickte Danny Robinson, schwankte kaum merklich und griff nach dem Arm ihres Gesprächspartners. „Um Himmels willen", sagte sie leise. „Wer ist denn das nun wieder?"
6. KAPITEL
Danny hielt Ausschau nach Amy. War er etwa auf der falschen Party? Sein Blick blieb einen Augenblick lang an einer Frau im roten Seidenkleid hängen, die an der rückwärtigen Wand stand. Nettes Mädchen, registrierte er halb bewusst. Vielleicht sogar mehr als nett. Die Frau sah ihn an, als erwarte sie etwas von ihm. Im Grunde blickten ihn hier alle an, als würden sie etwas erwarten. „Sie", sagte eine Frau vom Kamin her mit vernehmlicher Stimme. „Sie müssen sich wohl in der Adresse geirrt haben." In einer Wolke von grauem Chiffon kam sie auf ihn zu. „Hier sind nur geladene Gäste, junger Mann." Das muss Amys Mutter sein, dachte Danny. „Ich weiß." Er lächelte spöttisch. „Ich bin eingeladen. Mein Name ist Danny Robinson." Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass nun auch die Frau im roten Kleid näher kam. Sie sah irgendwie glücklich aus, und er hatte das merkwürdige Gefühl, dass er sie kannte. „Ich habe ihn eingeladen, Mutter", sagte sie und trat neben sie. Danny wollte gerade zu einer näheren Erklärung ansetzen, als er begriff. Verwirrt fuhr er herum. „Amy?" Sie nickte. Danny traute seinen Augen nicht. Ungläubig starrte er die junge Frau an. Ja, da war diese Spur von Schüchternheit im Lächeln, die er kannte. Es war tatsächlich Amy. „Was ist pas siert? Donnerwetter, du bist ja ..." Ihm fehlten die Worte. Oder doch nicht? Das war ja sensationell! Umwerfend. Einmalig. Schön. Hinreißend ... Er spürte mehr, als er es hörte, dass Amys Mutter etwas zu ihm sagte. Amys Lächeln wurde unsicher. „Das kann nicht wahr sein", murmelte er. „Amy, so kenne ich dich gar nicht." Sie sah verlegen auf ihr Kleid hinunter. „Heißt das, dass es dir nicht gefällt?" „Junger Mann!" beharrte die ältere Dame. „Doch, doch, es gefällt mir", versicherte Danny und ließ seinen Blick über ihre Gestalt wandern. Das stimmte, und es stimmte auch nicht. Auf einmal wusste er, was ihn störte. Die ses gestylte Wesen da war nicht Amy. Ihre Haltung wirkte ein--studiert. Zu Amy gehörte dichtes, natürliches Haar und ein verträumter, leicht weltfremder Blick. Ohne lange zu überlegen, nahm er sie bei der Hand. „Komm, lass uns irgendwohin gehen, wo wir ungestört reden können." „Amy!" rief Eugenia vorwurfsvoll. „Ich kann nicht weg", sagte Amy zögernd. „Ich möchte, meiner Mutter nicht den Abend verderben." Den schockierten Gesichtern der Gäste las Danny ab, dass sie bereits auf dem besten Wege dazu waren. Aber es war ihm herzlich egal. Er betrachtete den eleganten Raum mit den erlesenen Bildern, den Stilmöbeln und kostbaren Perserteppichen und fand das Ganze so anheimelnd wie ein Museum. „Gibt es hier keine Stelle, wohin man sich zurückziehen kann?" drängte er. „Die Terrasse", entgegnete Amy ergeben und ging voran durch die Reihen der Gäste auf die Terrassentür zu, in deren Nähe Royce und Connie standen. „Wir -sind gleich zurück", er klärte sie im Vorbeigehen ihrer Mutter. „Wir haben etwas Berufliches zu besprechen." „Ein Briefkastenonkel ist eben immer im Dienst", bemerkte Royce leise, als sie in seiner Hörweite waren. Amy und Danny reagierten nicht und traten auf die spärlich beleuchtete Terrasse hinaus. Amy spürte, wie die Spannung bei ihr wuchs. Sie begann zu zittern, so dass sie die Hände hinterm Rücken falten musste, damit Danny nichts merkte. Er blieb unter einem mit wildem Wein bewachsenen Bogen stehen. Der Mond schien voll auf die Terrasse und warf ihre Schatten auf die silbrigen Blätter. „Kannst du mir bitte mal erklären, was hier eigentlich gespielt wird?" fragte er. Sie blickte ihn an, und ihre Spannung entlud sich in einem langen, bekümmerten Seufzer.
„Kann ein Mädchen sich nicht mal hübsch machen, ohne dass alle Welt gleich aus der Fassung gerät?" fragte sie zurück. „Nicht, wenn das Mädchen sich sonst immer grau in grau kleidet", antwortete er mit einem Lächeln. „Wenn ein Modemuffel wie Amy Dwyer plötzlich ihre Reize ausspielt, fragt man sich doch, warum sie es tut." Diese treffende Feststellung bewies Amy, dass er sie bisher genauer angesehen hatte, als sie dachte. „Ich habe den Eindruck, dass du mit meinem neuen Image nicht viel anfangen kannst", sagte sie geradeheraus. „Das erstaunt mich. Ich glaubte, du magst verführerische, ungewöhnliche Frauen." „Wie kommst du auf die Idee?" „Ach, ich weiß es nicht. Meine Mutter mochte mich übrigens auch nicht in diesem Aufzug." Leise Traurigkeit stieg in ihr auf. „Was macht denn deine rothaarige Freundin heute Abend?" fügte sie gedankenlos hinzu. „Welche Freundin?" „Wie viele hast du denn?" fragte sie spitz. Danny war verwirrt. „Ich komme nicht ganz mit. Könntest du bitte noch einmal von vorn anfangen?" Nun musste Amy aufs Ganze gehen. „Ich jedenfalls erinnere mich recht deutlich an eine rothaarige Frau neben deinem Auto, neulich, abends in der Garage. Sheila, wenn ich mich nicht irre. Du ..." ihre Stimme versagte fast, „hast sie geküsst." „Meinst du etwa meine Steuerberaterin?" Nun war es Amy, die verblüfft war. „Das war deine Steuerberaterin?" Er nickte, und sie wandte sich ab. Es war unmöglich, so verhielt man sich nicht seinem Steuerberater gegenüber. Und seine unbekümmerte Haltung war einfach ärgerlich. „Dann hat sie aber einen guten Service. Sie ist bestimmt sehr erfolgreich." Danny pfiff scharf, und Amy fühlte, dass sie nicht zu weit gehen durfte. „Wir sind vor einiger Zeit zusammen gewesen", gab er zu. „Aber ich bin zu unbeständig." Er sagte das mit Absicht so leichthin. War Amy etwa eifersüchtig? „Und was wollte sie dann in deiner Garage? Hattest du noch ein paar offene Rechnungen bei ihr?" konterte Amy. „Aua." Er zuckte in gespieltem Schmerz zusammen. „Gehört die scharfe Zunge zu dem neuen Kleid?" Amy wurde sich mit einem Mal bewusst, dass sie ganz anders sprach als sonst und dass sie kein Recht hatte, ihm Vorhaltungen für sein Verhalten im Privatleben zu machen. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass eine Frau wie Sheila deine Steuererklärung im Sinn hatte, als sie auf dich wartete." „Sheila ist sehr selbstständig. Sie wollte sich nur ein bisschen amüsieren, mehr nicht", sagte er gelassen. Amy konnte nicht an sich halten. „Verstehe. Und - habt ihr euch gut amüsiert?" Danny schossen verschiedene Gedanken durch den Kopf. Amy konnte also auch kämpfen. Äußerlich sah sie weiterhin sanft und harmlos aus, aber sie zeigte Krallen. Das gefiel ihm. Er stand jetzt so nah bei ihr, dass er ihren Duft wahrnahm. An ihrem Hals pulsierte deutlich die Schlagader. „Da musst du Sheila, was sie betrifft, schon selbst fragen", erklärte er ruhig. „Ich war nicht dabei. Wir haben eine Tasse Kaffee zusammen getrunken und uns anschließend getrennt." Amy fuhr herum. Ihr Gesicht war leicht gerötet, und ihre Augen glänzten. „Eine läppische Tasse Kaffee?" forschte sie beharrlich. „Amy", stöhnte er, „du wärst ja doch eine gute Reporterin." Sie lächelte und fühlte sich geschmeichelt. „Ich freue mich, dass du das endlich so siehst", sagte sie locker. Die Erleichterung über seine Antwort machte sie beinahe übermütig. Sie lächelte kokett. „Also, was sagst du jetzt zu meinem neuen Kleid? Gefällt es dir oder nicht?" Danny tat, als müsse er gründlich überlegen. Amy betrachtete ihn, wie er da so lässig und selbstsicher stand. Diese achtlose, überlegene Art macht ihn einfach unwiderstehlich, fand sie.
Bisher hatte er sie noch nie berührt, jedenfalls nicht mit einer bestimmten Absicht. Sie sah seine Hände an, und ihr Herz schlug schneller. Sie wollte, dass er sie berührte. So, wie ein Mann eine Frau anfasst, wenn er wissen will, wie sie sich anfühlt. Ihr Mund wurde auf einmal trocken. Danny spürte, dass etwas in ihr vorging. Da war plötzlich eine verhaltene Spannung. „Dein Kleid ist umwerfend, Amy, sexy und alles, aber ..." Er zögerte. Sie sah seine Hände an und befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen. „Aber es passt nicht zu mir?" fragte sie bedrückt. „Ja. Es passt nicht zu dir." Er merkte, dass er ihre nackte Schulter anstarrte, die Linie des Ausschnitts verfolgte, bis zu den Brüsten. „Was passt denn dann zu mir?" fragte sie leise. „Ich weiß auch nicht. Du bist so ... sanft." Danny wusste nicht, warum er dieses Wort wählte. „Aber das hier bin ich auch." Sie kam näher, und ihr Kleid schimmerte wie das Wasser eines Sees bei Sonnenuntergang. Ungebetene Fantasien nahmen den Platz seiner Vernunft ein. Wie mochte sich ihre Haut unter der roten Seide anfühle^? Ob ihr Körper wirklich so weich und warm war, wie er aussah? Wie es wohl sein würde, wenn er das Kleid über diese Schulter da herunterstreifte? Jäh fand er in die Wirklichkeit zurück. Amy Dwyer ausziehen? Sie war doch ein junges Mädchen, verträumt und voller Romantik! Er wusste nicht einmal, wie alt sie war, aber auf jeden Fall war sie nicht alt genug. „Wir sollten besser hineingehen", sagte er rau. „Sofort?" Erwartungsvoll sah sie ihn an. „Ja, das denke ich. Oder möchtest du hier bleiben?" „Das würde ich lieber." „Um zu reden?" „Ja, reden ... und andere Sachen." Amy verstand sich selbst nicht mehr. Dass sie so etwas Direktes sagen konnte! „Andere Sachen?" wiederholte Danny gedehnt, berührte ihren Arm und dann ganz sacht ihre Wange. „Solche Sachen?" „Ja." Noch nie in ihrem Leben hatte Amy etwas so intensiv wahrgenommen wie seine Finger, die über ihren Hals glitten. Mit dem Daumen streichelte er ihre Kinnlinie. Durch die Erregung hindurch spürte sie sein Zögern, und sie verstand es nicht. Sie hob den Kopf, und dann waren da seine Lippen, weicher, als sie erwartet hatte. Seinen Kuss wollte sie und reagierte ganz spontan, heiß fühlte sie das Blut in den Adern, und ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Alles in ihr war Erwartung. Er küsste sie ganz leicht, es war, als würde eine Feder an ihren Lippen vorbeistreifen. „Amy ... mach die Augen auf." Wie in Trance sah sie ihn an. „Wir müssen reden", sagte er. Seine Stimme ließ sie an tropische Sandstrände denken, sie war rau und heiß, und sie weckte unbestimmte Sehnsüchte. „Warum?" fragte sie benommen. Er streichelte wieder ihre Wange, doch jetzt hatte seine Berührung etwas Drängendes. „Weil ich etwas Bestimmtes wissen muss, bevor wir uns weiter aufeinander einlassen." „Und das wäre?" „Amy, bist du wirklich so unschuldig, wie du aussiehst?" „Wie unschuldig ist das?" fragte sie zurück. „Das musst du mir sagen." „Hast du die Rothaarige das auch gefragt, bevor du dich mit ihr ... eingelassen hast?" „Sheila?" Er lachte trocken. „Nein, wirklich nicht." „Dann beanspruche ich gleiches Recht für alle. Meine Vergangenheit ist schließlich meine eigene Angelegenheit." Amy staunte über ihre Kühnheit - und das alles dem Mann gegenüber, den sie zwei Jahre stumm verehrt hatte! „Du hast also eine Vergangenheit?" meinte er amüsiert.
„Meine Memoiren wären jedenfalls nicht jugendfrei!" Danny lachte, und Amy war stolz, dass sie das mit ihrer schamlosen Lüge bewirkt hatte. Es gefiel ihm offensichtlich, dass sie nicht auf den Mund gefallen war. „Gibt es in deiner Vergangenheit auch Reporter? Oder nur Salonlöwen? Tennisspieler? Jungmanager?" wollte er wissen. Amy wusste, dass er sie aufziehen wollte, sie hatte sich da mit ihrer Prahlerei auf ein gefährliches Pflaster -begeben. „Okay, lassen wir das. Du bist keine Spielernatur", schloss er. Amy spürte den Druck seiner Hüfte durch das Kleid hindurch. Es war ein aufregendes Gefühl, ihm so nahe zu sein. Doch gleichzeitig wurde ihr klar, wie naiv sie war, ihr Herz an einen so erfahrenen Mann zu hängen, einen Eroberer und Sieger. Das würde bestimmt mit Tränen enden. Indessen strich er ihr sanft über das Haar an den Schläfen, leicht und zärtlich und ganz und gar nicht siegesgewiss. „Ich hätte dir das schon eher sagen sollen, aber ich war von deinem Anblick zu überwältigt", sagte er leise. „Du bist schön, Amy, hinreißend schön." Ihr war, als würde ihr Herz einen kleinen Satz machen. „Ist das wirklich wahr?" Sein Blick sagte wortlos Ja, und sie legte Danny impulsiv die Arme um den Nacken. Daraufhin zog er sie fest an sich. Sie konnte seine Erregung spüren, es nahm ihr fast den Atem, so neu und faszinierend war das alles. Danny umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie. Ihr Mund war weich, und sein Kuss wurde intensiver. Sie war sanft und nachgiebig, genauso wie er es sich vorgestellt hatte. Er spürte ihre Brüste und ihre verhaltene Leidenschaft. „Ich habe mir gedacht, dass du so küssen würdest", sagte sie. „Heißt das, du hast darüber nachgedacht?" „Ich? Nein, wieso?" Im Garten zwitscherte ein Vogel, und Amy blickte angestrengt in die Dunkelheit. „Manchmal sage ich komische Sachen, einfach so." Zugleich nahm sie wahr, wie seine Hände über ihre Schulter hinunterstrichen und ihre Brüste umfassten. Er presste sie an sich und küsste wieder ihre Lippen. Amy wurde ganz schwindelig davon. Jetzt wusste sie, was körperliches Verlangen war - etwas ganz Starkes und Unwiderstehliches. Er zog ihre Hüften näher an seine und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Klang es nicht wie: Ich will mit dir schlafen? Plötzlich bekam Amy Angst. „Danny", flüsterte sie ernüchtert. „Ich glaube, wir sollten ..." „Das glaube ich auch. Aber nicht hier." „Nicht das", sagte sie und schob ihn sachte ein wenig zurück. „Ich meine, wir sollten das noch etwas verschieben. Findest du nicht?" Leicht benommen stimmte er zu. „Ja, wenn du meinst." Er sah, dass der Ausschnitt ihres Kleides verrutscht war, und brachte das schweigend wieder in Ordnung. „So. Nun ist es, als wäre nichts gewesen." Amy strich mit dem Finger über ihre Lippen, als könnte sie so irgendwelche Schäden feststellen. „Bestimmt ist mein Lippen stift total verschmiert, und mein Haar muss wild aussehen", klagte sie. „So wild, wie es sich für ein Mädchen aus der stürmischen Stadt Chicago gehört. Weich und zerzaust - ich mag das ..." Amy konnte darauf nichts erwidern. Verwirrt glättete sie ihr Kleid. Das wäre doch zu peinlich, wenn sie zu den anderen von ihrer so genannten geschäftlichen Besprechung zurückkehrte und dabei nach einem wilden Liebesabenteuer aussah! Sie strich sich übers Haar und wischte die Reste von Lippenstift vom Mund, und das keine Sekunde zu früh. „Amy?" rief Eugenia. Ihre Absätze klapperten über die Platten der Terrasse. „Kommst du? Das Dinner wird serviert!" „Danke", sagte Amy höflich, als Royce ihr den silbernen Salzstreuer reichte. Sie lächelte zerstreut und versalzte sich prompt das Lamm-Medaillon. Ihre volle Aufmerksamkeit galt nämlich Danny und Connie, die am anderen Ende der Tafel platziert worden waren. Wieder einmal musste Amy die meisterhaft ausgeklügelte Sitzordnung ihrer Mutter bewundern. Eugenia hatte Danny auf den Stuhl neben sich gebeten, vermutlich weil sie ihn so am
Besten unter Kontrolle hatte. Und Amy saß so weit von ihm entfernt, dass sie sich unmöglich mit ihm unterhalten konnte. Das Einzige, was Eugenia nicht unter Kontrolle hatte, war das wachsende Unbehagen am Tisch. Während die Vorspeisen serviert wurden, hatte Amy versucht, Danny mit den Maßstäben ihrer Mutter zu beurteilen. Er benahm sich tadellos, hantierte sicher mit den jeweiligen Be stecken und unterhielt sich gewandt mit Connie. Trotzdem wirkte er in diesem Rahmen irgendwie wie ein ungeschliffener Diamant, so hart und kantig, er war eben ein typischer Sohn dieser rauen Stadt. Und genau das fand sie ja so aufregend an ihm. Amy spürte den heißen Atem ihres Tischherrn an der Schulter. „Ist da etwas zwischen dir und Danny, das ich wissen müsste?" Du bist reichlich aufdringlich, lieber Royce! dachte Amy bei sich. „Du müsstest wissen, dass dich das nichts angeht", gab sie scharf zurück. Royce ließ sich von ihrem abweisenden Ton nicht beirren. „Als sein Vorgesetzter", ließ er Amy wissen, „habe ich ein Recht darauf, alles zu erfahren. Techtelmechtel unter Mitarbeitern werden im Haus nicht gern gesehen." Seine Augen glitzerten. „Wie geht's übrigens Bunny Schneider?" fragte Amy. Bunny war seine Redaktionssekretärin, mit der Royce hin und wieder ausging. „Das hat gesessen." Grinsend hob er sein Glas. „Und übrigens, was ist deine Freundin Connie denn für eine? Ich habe sie gefragt, ob sie mit mir übers Wochenende nach Tahiti fliegt, und sie gab mir zur Antwort, ich möge mir doch einen Stoffhund kaufen. Einen merkwürdigen Humor hat diese Frau." Typisch Connie, dachte Amy und sah zu ihrer Freundin hinüber. Stattdessen traf sie auf Dannys misslaunigen Blick. Sie sah Royce an, und sein hämisches Grinsen in Dannys Richtung sagte ihr alles. Hier lief wieder eins der alten Spielchen zwischen den beiden. Und es geht um mich, dachte sie. Ihr Herz klopfte schneller. Hätte sie jemals gewagt, sich so etwas auszumalen? „Mr. Robinson?" Eugenia unterbrach mit schneidender Stimme die stumme Zwiesprache der beiden Männer. Ihr Blick war hochmütig, fast strafend. „Was ist eigentlich Ihre Aufgabe in der Redaktion?" Ehe Danny etwas erwidern konnte, rief Royce vernehmlich über den Tisch. „Er ist unser Briefkastenonkel, er beantwortet die Herz-Schmerz-Probleme unserer Leser." Lachend hob er sein Glas und trank Danny höhnisch zu. „Und ich muss ihn beglückwünschen, er ist ein Naturtalent." Wie in Zeitlupe wandte sich ein Gesicht nach dem anderen in Dannys Richtung, bis alle ihn schweigend anstarrten. „Oh, wirklich? Sie sind die ,liebe Peggy'? Ich dachte, Männer verstehen nichts davon", sagte Eugenia schnell. Das allgemeine Lachen, mit dem diese Bemerkung quittiert wurde, hatte nichts Befreiendes. Danny wandte sich mit einem halben Lächeln an Eugenia. „Und ich hätte nicht gedacht, dass Sie so etwas lesen." „Danny macht das nur aushilfsweise, Mutter", warf Amy hastig ein. „In Wirklichkeit ist er ein ausgezeichneter Reporter, der erst letztlich für den Pulitzerpreis vorgeschlagen wurde." Eugenia ging nicht darauf ein. „Sie beantworten also allen Ernstes diese schmalzigen Briefe? Sind die denn nicht alle scherzhaft gemeint?" nahm sie das Thema wieder auf. Amy spielte nervös mit der Serviette. Sie wusste, dass Danny keiner Herausforderung aus dem Wege ging. „Ja", sagte er mit sichtlich erzwungener Ruhe, „ich beantworte die Briefe." „Er liebt den Job geradezu", stichelte Royce wieder. „Sie sehen mir aber gar nicht so aus", meinte Eugenia. „Wie sehe ich denn aus, Mrs. Dwyer?" fragte Danny. „Nun ... vielleicht mehr wie ein Abenteurer, würde ich sagen." „Wie ein Fremdenlegionär, würde ich sagen", ließ Royce sich lauthals vernehmen. „Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich für Geld auf Abenteuer einlässt." Ganz langsam wandte Danny den Kopf und fasste seinen Widersacher ins Auge. „Du
solltest aufhören zu trinken, Hubbard", sagte er gefährlich leise. „Du fällst aus der Rolle." Die Gäste saßen wie erstarrt. Einer aus ihren Kreisen war beleidigt worden! „Mr. Robinson, Sie sind wirklich stillos", zischte Eugenia mit tödlicher Verachtung. „Aber vermutlich legt man da, wo Sie herkommen, keinen Wert auf so etwas." Nach diesem Hieb stand sie auf und gab der Angestellten ein Zeichen. „Wir sollten uns jetzt lieber dem Dessert widmen." Amy beobachtete angstvoll Danny, der die Ellenbogen auf die Tischplatte stützte und mit der linken Hand die rechte Faust umklammerte. Er wirkte wie ein Pulverfass kurz vorm Explodieren. Kostbares Kristall, stellte er erbittert fest, im Hause Dwyer ist wohl alles vom Feinsten, sieht man von den Manieren der Gastgeberin ab. So liebenswürdig sie sonst auch plauderte, ihn dagegen hatte sie sehr ungezogen behandelt. Das Blut stieg ihm zu Kopf. Warum ließ er sich das gefallen? Diese Menschen ringsum widerten ihn an - und das nicht nur, weil sie ihn verspottet hatten. Wäre Amy nicht da mit diesem unglücklichen Blick, dann würde er aufstehen und dieser verrotteten Gesellschaft sagen, was er von ihr hielt. Danny hörte ein gekünsteltes Hüsteln. Er sah auf und begegnete Royce Hubbards lauerndem, unverhohlen triumphierendem Blick. Amy dagegen war blass. Sie sah zu Ihrer Mutter hinüber, mit einer Mischung aus Hass und Furcht. Auch ihr muss Eugenia übel mitgespielt haben, dachte Danny, und hatte plötzlich den starken Wunsch, Amy aus dieser Umgebung herauszuholen. Das Hausmädchen trat neben Danny und bot ihm von dem Dessert an. Er lehnte dankend ab und beobachtete Royce, der sich dicht an Amy drängte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Amy wurde rot und drehte sich unwillig weg. Da ballte Danny die Faust fester. Sieh dich vor, Hubbard, wütete er innerlich. Lass das, sonst wird es dir gleich Leid tun. Die Angestellten füllten die Gläser mit Champagner. Amy nahm ihren Sektkelch in beide Hände, als müsse sie sich daran festhalten. Sie sah sehr schutzbedürftig aus, wie sie da hilflos in ihr Glas starrte, ohne zu trinken. Wenn doch dieser schreckliche Abend schon vorbei wäre, dachte sie verzweifelt. Sie trank einen kleinen Schluck von dem kühlen, prickelndem Champagner und beruhigte sich etwas. Da spürte sie schon wieder den verhassten Atem an der Schulter. „Komm, Amy, lass uns hier weggehen", drängte Royce. „Ich zeige dir Chicago bei Nacht. Nur du und ich ..." „Lass mich, bitte", sagte Amy leise, aber mit Nachdruck. Royce trank sein Glas aus und setzte es ab. Er schwankte ein bisschen, und Amy merkte, dass er ziemlich betrunken war. „Ich würde gern wissen, ob das, was man über Amy Dwyer redet, wahr ist", begann er erneut. „Und was ist das?" „Dass sie noch Jungfrau ist." In seinen Augen stand unverhohlenes Verlangen, als er jetzt mit dem Finger über ihre Wange fuhr. Amy reagierte prompt, und ohne zu überlegen. Sie griff einfach nach einem vollen Wasserglas und goss es ihm über das Hemd. Er sprang erbost auf, wobei er seinen Stuhl umwarf. „Was fällt dir eigentlich ein, du kleine ..." „Vorsichtig, Royce!" Dannys Stimme klang drohend. Sie kam ganz aus der Nähe, und Amy wagte nicht hinzusehen. „Halt du dich da raus, Robinson!" gab Royce wütend zurück. Die Spannung war auf dem Höhepunkt, und die Atmosphäre schien förmlich zu knistern. Danny stand jetzt unmittelbar neben Royce. „Du setzt dich sofort ganz still hin", sagte er, während er den Stuhl aufhob. Auf einmal war Eugenia an Amys Seite. „Unsere Gäste werden uns einen Augenblick entschuldigen", sagte sie mit einem eisigen Lächeln. „Amy, ich muss mit dir reden." Sie ging ein paar Schritte voran und blieb auffordernd stehen. Amy spürte, wie ihr heiß wurde. Wie damals als Kind war sie auch heute noch dem Willen ihrer Mutter machtlos ausgeliefert. Benommen stand sie auf, sie schwankte, und ihr Blick glitt Hilfe suchend zu Danny. In seiner Miene spiegelten sich widerstreitende Empfindungen. Er schien wütend und besorgt zugleich, und er musste sich sichtlich zurückhalten, um nicht einzugreifen. Amy schüttelte beschwörend den Kopf und folgte ihrer Mutter.
„Ich möchte, dass dieser junge Mann geht", begann Eugenia, kaum dass sie den Raum verlassen hatten. „Er hat einfach kein Benehmen. Ich begreife nicht, was in dich gefahren ist, so einen Menschen einzuladen, Amy. Du bleibst hier, und ich gehe jetzt wieder hinein und sage ihm, dass du ihn sprechen möchtest." Amy traute ihren Ohren nicht. Eugenia verlangte tatsächlich von ihr, dass sie Danny hinauswarf? „Das kann ich nicht", protestierte sie. Durch die offen stehende Tür sah sie, wie Danny auf sie zukam. Er konnte doch nichts von der Unterhaltung gehört haben ...? „Mrs. Dwyer", sagte Danny im Näherkommen. „Amy ist für die Situation nicht verantwortlich. Ich bin mir meiner Schuld bewusst, und von jetzt an wird nichts mehr vorfallen." Eugenia fuhr herum, verärgert über Dannys Eingreifen. „Allerdings, Mr. Robinson", sagte sie scharf, „weil ich Sie leider bitten muss zu gehen." Dannys Augen wurden schmal. „Mutter, bitte, das ist doch nicht nötig", bat Amy. „Amy, dies ist mein Haus, und hier entscheide ich." Danny sah sie starr an. „Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll, Mrs. Dwyer. Ich entschuldige mich, und ..." „Ich glaube nicht, dass ich Ihnen weitere Erklärungen geben muss, junger Mann", unterbrach sie ihn spitz. „.Vielleicht haben Sie nicht recht verstanden? Ich bat Sie zu gehen." „Ich bin von Amy eingeladen worden, Mrs. Dwyer", sagte Danny hart. „Ich meine, sie sollte sich dazu auch äußern." Das Argument nahm Eugenia momentan den Wind aus den Segeln. Doch sie fing sich schnell. „Sie ... Sie erwarten doch wohl nicht, dass meine Tochter sich vor Sie stellt, Mr. Robinson!" Entsetzt stellte Amy fest, dass ihre Mutter nun jedes Mittel einsetzte. Sie sah die stumme Frage in Dannys Augen, doch sie war wie gelähmt. Danny wich zurück. Er sah, dass sie aschfahl geworden war. „Ich gehe, Amy. Kommst du mit mir?" Wie ein Automat wandte Amy sich ihm zu. „Das wirst du nicht wagen, Amy!" flüsterte Eugenia. „Dieser Mann mag gehen, wohin er will, aber du bleibst. Du bist eine Dwyer!" Amy stand wie festgenagelt. So, bis zum Letzten entschlossen, hatte sie ihre Mutter noch nie erlebt. Doch was Amy wirklich hielt, war das angstvolle Zittern um Eugenias Mundwinkel. Scham und Schuldgefühle überfluteten Amy. Als Kind hatte sie manchmal fantasiert, wie sie die perfekte Welt ihrer Mutter kaputtmachen könnte, wie sie die große Dame der Chicagoer Gesellschaft bloßstellen würde ... und das war Unrecht, böse, gemein. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Warum musste sie ihrer Mutter solchen Kummer machen? „Kommst du, Amy?" In Dannys Stimme lag eine Bitte, ein Drängen, und etwas in Amy wollte dem nachgeben. Sie schloss die Augen, um die Angst im Gesicht ihrer Mutter nicht sehen zu müssen. Als sie die Augen wieder öffnete, war Danny fort. Eugenia wandte ihr halb den Rücken, und presste die Hände an den Mund. Connie erschien im Korridor. „Was ist passiert?" wollte sie wissen. „Eben stürmte Danny an mir vorbei." „Nichts", murmelte Amy wie betäubt. „Amy", sagte Connie mit Nachdruck, „du kannst ihn so nicht gehen lassen. Du musst ihn zurückholen." Amy konnte nur stumm den Kopf schütteln. „Dann gehe ich hinterher", sagte Connie. „Nein", protestierte Amy halbherzig. Doch Connie war schon auf dem Weg, und Amy spürte etwas wie Hoffnung.
7. KAPITEL
Danny öffnete die schwere Eichentür und verließ die Dwyersche Villa. Auf den Marmorstufen blieb er kurz stehen und hielt unter all den parkenden teuren Autos Ausschau nach seinem Wagen. Er spürte die unterdrückte Wut über die erlittene Demütigung fast körperlich. Eugenia Dwyer war wahrhaftig von anderem Kaliber als ihre sanftmütige Tochter! Zornig zerrte er sich die Krawatte vom Hals und stopfte sie in die Jacketttasche. Er entdeckte seinen Wagen und hielt darauf zu. Vielleicht schätze ich Amy ebenfalls falsch ein? dachte er. Ich hätte gar nicht erst kommen dürfen. Ich passe nicht in diese Welt. Es gibt Dinge, die sich weder mit akademischen Titeln noch mit beruflichen Glanzleistungen erreichen lassen. Und warum auch? Mit jedem Meter, den er sich von der „herrschaftlichen" Villa entfernte, wuchs sein Zorn. Nein, er schämte sich nicht seiner Herkunft. Sie hatte ihm sogar einen Vorteil gebracht: Er konnte Menschen wie Eugenia Dwyer durchschauen, sie ihn jedoch niemals. Der Wind pfiff ihm kalt um die Ohren, und er stellte den Jackenkragen hoch. Frauen wie Eugenia wollte er im Übrigen gar nicht verstehen, es fehlte ihnen das Interesse an der Motivation Andersdenkender. „Danny?" Schnelle Schritte kamen näher. Wer rief da? Amy? Wollte sie ihn etwa zurückholen? Ohne sich Rechenschaft über sein Verhalten abzulegen, kürzte er den Weg zum Auto ab, indem er quer über den gepflegten Rasen lief. Im Gehen zog er die Autoschlüssel aus der Tasche. Die Möglichkeit, dass Amy ihn nur eingeladen hatte, um ihrer Mutter eins auszuwischen, war immerhin denkbar. Das sah Amy zwar nicht ähnlich, aber bei solchen Leuten konnte man nie wissen - noch dazu bei so einer Mutter. „Danny! Warte doch!" Er war am Wagen und schloss die Tür auf, aber ein erstickter Schrei und ein dumpfer Aufprall ließen ihn innehalten. Er warf die Autoschlüssel auf den Fahrersitz und fuhr herum. „Amy?" Etwa zwanzig Meter von ihm entfernt, lag eine weibliche Gestalt auf dem Rasen. Das lange dunkle Haar bedeckte ihr Gesicht, aber er erkannte, dass es Connie war. „Hast du dich ver letzt?" erkundigte er sich besorgt/während er ihr aufhalf. Connie strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Nein, es geht schon wieder", sagte sie, noch immer außer Atem und spürbar verlegen. Sie stand auf und brachte ihr Äußeres in Ordnung. Danny hob ihr Abendtäschchen vom Boden auf und suchte die verschiedenen Utensilien zusammen, die über den Rasen verstreut waren. Er fand einen Lippenstift, eine Puderdose und ein paar andere Dinge. Als er die Tasche schließen wollte, entdeckte er ein Stück Papier zu seinen Füßen. Er hob es auf. Der Schmuckrand aus stilisierten Blumen kam ihm bekannt vor. Er las, was auf dem Blatt stand, und traute seinen Augen nicht: „Liebe Peggy"? Verwundert las Danny weiter. Es war nicht zu fassen - der Text war ein Entwurf für den letzten Minnie-Brief, den er erhalten hatte! Also war Connie Minnie Mäuschen? Von den vielen hunderttausend jungen Frauen in Chicago war ausgerechnet Connie die Briefschreiberin? Und wer mochte dann ihr Supermann sein? Doch nicht etwa Royce? O nein, bitte nicht, dachte Danny. „Die Grasflecken gehen bestimmt nicht mehr raus", klagte Connie hinter ihm. „Hast du die Tasche gefunden?" „Ja, hier." Danny hatte keine Gelegenheit mehr, den Brief wieder hineinzustecken. Um Connie nicht in Verlegenheit zu bringen, schob er das Blatt kurzentschlossen in die Hosentasche. „Danke", sagte Connie mit einem mühsamen Lächeln. „Was tut man nicht alles für die beste Freundin, nicht? Wenn ich gewusst hätte, dass ich mich auf die Erde werfen müsste, um
dich am Wegfahren zu hindern ..." Sie vollendete den Satz nicht. Langsam dämmerte Danny der Zusammenhang. „Hat Amy dich hinter mir hergeschickt?" Connie beantwortete die Frage nicht. „Du lebst gern gefährlich, wie? Eugenia Dwyer ist dick mit dem Verleger des ,Morgenblatts' befreundet. Hoffentlich bist du demnächst nicht ar beitslos." Danny schnaubte verächtlich, und sein Atem bildete eine kleine weiße Wolke in der kalten Luft. „Das kann mich nicht schrecken. Ich mache den Job da so lange wie nötig, und dann kann ich mir jederzeit etwas anderes suchen." „In dir kocht es ziemlich, was?" meinte Connie. „Eugenia und Royce sind ein ganz besonderer Schlag. Von deren Überheblichkeit kann ich auch ein Lied singen." Connie lachte komplizenhaft, und Danny fand, dass sie eigentlich sehr nett war. Aber sie war ihm vermutlich nicht gefolgt, um zu plaudern. „Halt mich bitte nicht für unhöflich, Connie, aber ich habe das starke Bedürfnis, nach Hause zu fahren. Was wolltest du von mir?" Connie blickte nervös auf ihre Uhr und zurück zum Haus. Danny wurde ungeduldig. „Was geht hier vor, Connie?" „Nichts, aber geh bitte noch nicht." „Warum nicht?" „Weil..." sie zögerte, „weil Amy bestimmt gleich kommt. Ich habe ihr gesagt, dass ich dich aufhalten würde." „Wenn sie gewollt hätte, dass ich bleibe", sagte er bitter, „dann hätte sie nur ein Wort zu sagen brauchen." „Versteh sie doch, Danny!" rief Connie leicht gereizt. „Sie hat diese Mutter vierundzwanzig Jahre lang ertragen müssen, und jetzt hat sie einfach Angst. Und sie ist schon vollkommen fertig deinetwegen, und das macht ihr noch mehr Angst." „Fertig meinetwegen? Woher weißt du denn das?" „Bist du blind? Hast du nicht gemerkt, was für einen gewaltigen Eindruck du auf sie machst?" „Nein, habe ich nicht." Danny war verwirrt. Im Grunde hätte er Connie nur zu gern geglaubt. „Obwohl ... sie hat mich ein paar Mal so merkwürdig angesehen, dass ich nicht wusste ..." Er brach ab. Er wusste nicht einmal, was er sagen wollte. „Ist das wirklich so überraschend für dich?" fragte Connie. Danny fuhr sich verlegen durchs Haar. Er kam sich vor wie ein Junge, der eben seinen ersten Liebesbrief bekommen hatte. „Ich verstehe das nicht. Amy könnte jeden Mann haben, den sie will. Männer wie Royce - reich, gut aussehend, aus bester Familie. Was sollte sie an mir finden? Vielleicht hat ihre Mutter Recht, und es ist eine Form von Rebellion?" „Meine Güte, Danny, du wirst doch nicht auf diese entsetzliche Frau hören?" unterbrach Connie ihn heftig. „Wenn du oder ich als Dwyers geboren wären, hätten wir schon in der Säuglingsstation unsere Namensschildchen vertauscht und uns andere Eltern gesucht. Aber Amy ist dazu zu weich, sie kann niemandem wehtun, glaub mir doch." Danny sah zur Villa zurück. Die Marmorstufen und die weißen Säulen am Eingang strahlten im Licht der Lampen. „Ja, und. deswegen braucht Amy einen Mann, den sie ohne weiteres zu einer Dinner-Party mitbringen kann. Und dieser Mann", sagte er nüchtern, wobei er das flaue Gefühl in der Magengegend ignorierte, „dieser Mann bin ich eben nicht." „Sie muss jeden Moment hier sein." Connie blickte zuversichtlich, ohne auf Dannys Bemerkung einzugehen. „Nein. Ich halte diese Einladung an mich für eine Laune, weiter nichts. Gegensätze ziehen sich an, heißt es doch. Amy ist eine Dwyer, und ich komme von der Straße." Sein Gesicht verriet seine Anspannung. „Okay, Connie, ich gehe jetzt." Damit wandte er sich zum Auto. „Warte noch fünf Minuten, Danny!" bat Connie dringlich. „Ich gehe rein und sehe nach, was los ist. Bitte, bleib." Danny setzte sich kommentarlos hinters Steuer. „Gib ihr noch eine Chance!" flehte Connie. Sie war ihm nachgelaufen und wollte ihn hindern, die Tür zu schließen. „Nur fünf Minuten, ganz bestimmt", beteuerte sie. Connie raffte ihr Kleid und rannte zur
Villa zurück. Danny sah ihr trübsinnig nach. Was wollte er hier denn noch? Es war unsinnig gewesen, überhaupt zu so einer Veranstaltung zu gehen. Er starrte unschlüssig auf die Autoschlüssel in seiner Hand, und dann wusste er plötzlich, was er zu tun hatte. „Eugenia, mit diesem Sorbet hat sich deine Köchin selbst übertroffen", bemerkte jemand neben Amy. Beifälliges Murmeln von anderen Gästen folgte. „Außerordentlich." „Köstlich." „Ich muss sie bei Gelegenheit dafür loben", meinte Eugenia. Amy nahm das alles wie durch einen Schleier wahr. Ihr Sorbet schmolz in der Kristallschale vor sich hin, und das Herz tat ihr weh. „Ich habe gehört, dass unser Symphonieorchester einen Gastdirigenten hat. Stimmt das, Eugenia?" wollte jemand wissen. „Ja, Maestro Cabrini. Er ist einmalig", flötete Eugenia. Amy wusste, was hier vorging. Man hatte die Reihen wieder fest geschlossen und tat, als wäre nichts geschehen. Wie sie diese scheinheilige Selbstgerechtigkeit hasste! Und dennoch saß sie brav an ihrem Platz, mutlos und stumm. Der schwache Versuch, sich zu wehren, war wieder einmal fehlgeschlagen - wie immer. „Amy liebt Himbeersorbet, nicht wahr, Liebes?" Amy spürte die Schärfe unter der oberflächlichen Liebenswürdigkeit ihrer Mutter. Sie sah Eugenia gerade in die Augen und erkannte die unausgesprochene Forderung nach Unterwerfung. Und Amy spürte den lange unterdrückten, bebenden Zorn in ihrem Innern. „Seit wann kümmert es dich, was ich liebe, Mutter?" Entsetztes Schweigen. Im Hintergrund klappte eine Tür. Amy fuhr herum. War er zurückgekommen? Schmutzig und zerzaust, stand Connie an der Tür. „Er fährt weg, Amy! Komm schnell!" „Connie", sagte Eugenia scharf und stand auf. „Sally wird Ihnen behilflich sein, wenn Sie sich wieder herrichten. Dann können Sie mit uns ..." „Connie", unterbrach Amy ihre Mutter und erhob sich ebenfalls. Ihre Hände, mit denen sie sich auf den Tisch stützte, zitterten. „Warte bitte im Auto auf mich, ja? Ich bin sofort da." „Gut." Connie nickte und ging ohne Abschiedsgruß. „Setz dich sofort hin, Amy", befahl Eugenia. Sie hatte den Ton, den Mütter bei widerspenstigen Kindern anwenden und den Amy nun einfach nicht mehr ertrug. Sie hielt dem eisigen Blick ihrer Mutter stand. „Ich gehe", sagte sie leise. „Und versuch nicht, mich aufzuhalten, Mutter." Das stumme Duell währte nur einen Augenblick. Dann drehte Amy sich um und ging auf die Tür zur Halle zu. Keiner sagte etwas, und Amy hatte ein Gefühl, als befände sie sich auf einem mühseligen, endlos langen Weg in die Freiheit und als hätte sie dabei Bleikugeln an den Beinen. Sie hörte, wie Eugenia ihren Namen rief, aber es klang schon ganz entfernt. Amy erreichte die Tür. Es schien ihr unbegreiflich, dass sie das geschafft hatte. Sie hatte auf der Dinner-Party im Hause Dwyer einen Skandal verursacht, und sie hatte es überlebt! Die Nachtluft war kalt. Von irgendwoher kam ein schwacher Duft von frühen Rosen. Amy blieb vor der Treppe stehen, um ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Sie suchte Dannys Auto. Sie war erregt, brannte vor Verlangen, ihn zu sehen, war unsicher, wie sie ihm erklären sollte, warum sie nicht gleich mit ihm gegangen war. Aber wo war er? Sie presste die Hände zusammen, während sie angestrengt Ausschau hielt. Unter den Wagen an der Einfahrt war kein Porsche. Amy ging die Treppe hinunter und stolperte beinahe an der letzten Stufe. War Danny etwa doch schon fort? Sie lief die ganze Auffahrt entlang und sogar noch ein Stück die Straße hinunter. Dabei wusste sie genau, dass er nicht mehr da war, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Doch sie musste die Enttäuschung hinnehmen. Und sie musste versuchen, ihn zu verstehen. „Wer könnte ihm das übel nehmen?" sagte sie laut. „Jeder andere wäre gegangen, wenn man ihn so schäbig behandelt hätte." Niedergeschlagen ging sie zur Garage neben der Villa, wo sie ihren eigenen Wagen geparkt hatte. Dort wartete Connie. Da merkte Amy, dass sie ihre Tasche im Haus vergessen hatte. Sie überlegte kurz, ob sie ohne sie wegfahren sollte. Dann sagte sie sich jedoch, dass sie die Tasche unbemerkt aus der Halle holen könnte, wo sie sie abgelegt hatte. Entschlossen kehrte sie in die Villa zurück. Und
dort fand sie auch die Tasche und machte sich auf den Rückweg. Aber da registrierte sie eine Bewegung im Hintergrund der Halle. „Wie könntest du das wagen?" Es war Eugenia, die aus dem Halbschatten trat, hoch aufgerichtet, drohend. „Wie konntest du mich vor meinen Gästen so bloßstellen?" Ihre Stimme sank zu einem zischenden Flüstern herab. „Machst du dir überhaupt einen Begriff, wie demütigend die Vorstellung war, die deine beiden Freunde hier heute Abend gegeben haben, Amy? An meinem Tisch saßen einflussreiche Leute, und du - du bringst einen solchen Hergelaufenen in mein Haus!" „Er ist kein Hergelaufener ..." „Schweig!" Amys Nerven waren zum Zerreißen gespannt. „Nenn ihn nie wieder so, Mutter", warnte sie. Einen Moment lang starrten sie sich feindselig an, dann fing Eugenia wieder an zu klagen. „Wie konntest du mir das antun? Ich habe immerhin eine gewisse Stellung in dieser Stadt ..." Weil Amy verstockt schwieg, sammelte Eugenia sich und sah auf die antike Taschenuhr, die sie an einer Halskette trug. „Es ist noch nicht zu spät. Geh jetzt mit mir hinein. Wir werden sagen, dass du dich nicht wohl gefühlt hast." Amy trat zurück, als ihre Mutter nach ihrem Arm greifen wollte. „O Mutter, geht es dir wirklich nur darum - was diese Leute da von dir denken?" sagte sie fassungslos. „Ist dir denn gar nicht wichtig, was ich von dir denke?" Eugenias Augen wurden schmal. „Was meinst du damit?" Amy zitterte jetzt am ganzen Körper. „Weißt du eigentlich, Mutter, dass ich früher so sein wollte wie du? Ich habe mir solche Mühe gegeben, dir zu gefallen. Ich trug Kleider, die dir gefielen, war in den Klubs, hatte die Freunde, von denen ich meinte, dass sie deine Zustimmung fänden. Ich habe sogar manchmal Leute hochnäsig behandelt - Leute, die das wahrhaftig nicht verdienten -, weil ich dachte, du fändest sie nicht standesgemäß'." Die Stimme versagte ihr fast. „Ich wollte deine Liebe erkaufen, Mutter. Aber heute ... heute weiß ich, wie falsch und vordergründig das alles war. Nein, unterbrich mich nicht!" Eugenia hatte protestieren wollen. „Ich kann akzeptieren, dass du so viel Wert legst auf Eleganz, auf Partys, auf die richtige Gesellschaft, auf all das. Aber ich kann nicht zulassen, dass du bestimmte Menschen so abfällig behandelst, wie du es tust. Du bist verletzend. Du benutzt andere für deine Zwecke. Und wer dir nicht nützlich ist, auf den schaust du herab." Amy machte eine Pause und nahm noch einmal ihren ganzen Mut zusammen. „Ich will nicht mehr ,nützlich' sein. Und Danny ist nicht Müll." „Nützlich? Aber, Amy, wovon redest du? Und dieser Mann da, meine Güte, wie der daherkam, wie der sich benommen hat..." „O Mutter, du glaubst, ihn verachten zu dürfen, weil er die ungeschriebenen Regeln in diesem Haus nicht beachtet hat? Du wirst ihn nie verstehen, und das ist schade für dich, denn er ist ein außergewöhnlicher Mensch." Gegen ihren Willen wurden Amy die Augen feucht. In Eugenias Gesicht ließ sich jetzt so etwas wie Erstaunen ablesen. Amy spürte, dass sie einer Kehrtwendung ihrer Mutter nicht gewachsen sein würde. „Ich wünschte, ich wäre gleich mit Danny gegangen", sagte sie deshalb entschieden. Dabei bewegte sie sich rückwärts auf die Tür zu. „Ich mag deine Partys nicht, Mutter. Deine Freunde sind nicht meine Freunde. Bitte, lade mich nie wieder ein." Amy lenkte den Wagen aufgeregt die geschwungene Auffahrt hinunter auf die Schnellstraße, die ins Zentrum zurückführte. „Das Ganze hat dich sehr mitgenommen, nicht?" meinte Connie mitfühlend. „Du fährst übrigens zu schnell, Amy, sei bitte vorsichtig. Komm, sprich dich aus. Was hat deine Mutter mit dir angestellt?" Amy erlebte im Geiste noch einmal diesen schrecklichen Abend. „Ach, Connie, was habe ich bloß angerichtet?" sagte sie bedrückt statt einer Antwort. „Ich meine nicht nur den Auftritt mit Eugenia. Sie wird das schon verwinden." Nervös umklam merte sie das Lenkrad. „Ich habe alles falsch gemacht, nicht?"
„Du? Dann kannst du mir genauso die Schuld geben, weil ich dich schließlich in einen Vamp verwandelt habe." Amy lächelte schwach. „Bring mich nicht zum Lachen, Connie, sonst muss ich weinen." „Na, jedenfalls hörst du dich so schon besser an." Amy wollte den verunglückten Abend so bald wie möglich hinter sich lassen, deshalb fuhr sie viel zu schnell. Nach einer Weile besann sie sich aber und nahm den Fuß vom Gas. Connie ließ sich erleichtert zurücksinken. „Vielen Dank, Amy. Jetzt ist mir schon viel wohler." „Erzähl mir jetzt, wie Danny reagiert hat", bat Amy. Connie überlegte kurz. „Das lässt sich nicht in zwei Worten sagen. Er war sehr ... aufgebracht, milde ausgedrückt." „Ich werde mich bei ihm für Eugenias Verhalten entschuldigen." „Ja, das solltest du wohl." „Aber?" Amy warf ihrer Freundin einen beunruhigten Blick zu. „Das hört sich an, als wenn da ein ,Aber' wäre." Connie legte ihr die Hand auf die Schulter. Wenn sie mich auf diese Weise besänftigen will, dann muss es wirklich schlimm sein, dachte Amy voller Angst. „Ich will dich nicht unnötig aufregen", begann Connie vorsichtig, „aber Danny redete ziemlich konfuses Zeug. Er ließ sich über die Dwyers aus, und er deutete an, dass er beim ,Morgenblatt' kündigen würde." „O nein! So weit will er gehen?" Bestürzt schwieg Amy und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Nach ein paar Minuten hatte sie sich aber gefangen und konnte die Dinge wieder nüchtern betrachten. „Wenn es ihn stört, dass meine Familie reich ist, dann ist das sicher bald kein Problem mehr. Wie ich Eugenia kenne, wird sie mich morgen als Erstes enterben." „Das würde manches vereinfachen", bemerkte Connie trocken. Amy nahm die nächste Kurve rasanter als nötig. „Fahr langsamer", bat Connie. „Gleich", murmelte Amy. Sie hatte plötzlich eine Idee, wie sie die Sache mit Danny in Ordnung bringen könnte, und dafür brauchte sie nicht bis Montag zu warten. „Warum geht er denn nicht ans Telefon?" Enttäuscht legte Amy den Hörer auf. Das ganze Wochenende lang hatte sie versucht, Danny zu erreichen. Vom Haus ihrer Mutter war sie direkt zu seiner Wohnung gefahren, aber er war nicht zu Hause gewesen. Am liebsten hätte sie vor seiner Tür auf ihn gewartet, aber das ging natürlich nicht. Seitdem hatte sie ein paar Mal auf seinen Anrufbeantworter gesprochen, und zuletzt hatte sie ihm einen Strauß Blumen mit einem Entschuldigungsbrief geschickt. Amy sah auf die Uhr auf ihrem Nachttisch. Es war inzwischen zu spät, um noch einmal anzurufen. Morgen früh würde sie in Dannys Büro gehen. Mit diesem Vorsatz fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Am Montagmorgen war sie sehr nervös. Auf dem Weg ins Büro fuhr sie zu schnell, und im Lift wiederholte sie noch einmal im •Geist die Rede, die sie Danny halten wollte. Als sich die Fahrstuhltüren im zwanzigsten Stockwerk öffneten, erblickte sie Danny zwischen anderen auf dem Flur. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Diesen düsteren Ausdruck hatte sie schon einmal' bei ihm gesehen - an jenem ersten Morgen, als er mit Fäusten auf seine Büroeinrichtung losgegangen war. Regungslos wartete sie, bis er außer Sichtweite war. Ob er ihretwegen so missgelaunt war? Da rief jemand nach ihr. „Gut, dass ich Sie erwische, Amy!" Es war Frank Ramhurst, der Chefredakteur. „Versuchen Sie bitte gleich, Bill Hubbard in Seattle zu erreichen, und melden Sie eine Konferenzschaltung an. Es ist dringend." So begann ein hektischer Arbeitstag. Ramhurst wollte nicht nur den Verleger, sondern auch die meisten leitenden Redakteure des Blattes in die Konferenzschaltung einbezogen haben. Amy telefonierte, dass die Drähte heiß liefen, aber sie dachte dabei dauernd an Danny. Was im allgemeinen Durcheinander nicht unterging, war ihr neuer „Look". Amys Wege waren begleitet von Pfiffen, entgeisterten Blicken und ungewöhnlichen Kommentaren. Wenn sie ihr Spiegelbild in einer Glasscheibe betrachtete, konnte sie die Aufregung sogar beinahe
verstehen. Sie trug eine neue Kombination aus einem rosafarbenen Rock mit Pulli, die ihre Figur in ein außerordentlich gutes Licht rückte, und sie musste sich eingestehen, dass der Anblick sie selbst jedes Mal wieder überraschte. Gegen halb zwölf hatte sie alles unter Dach und Fach, und die Telefonleitung stand. Da Ramhursts Sekretärin das Protokoll der Sitzung führen sollte, war Amy frei, um ihrer eigenen dringenden Angelegenheit zu folgen, und die hieß Danny. Sie stand in ihrem Büro und sah von der offenen Tür zum Telefon und auf die Uhr. Ob sie vorher bei ihm anrufen sollte? Nein, das war nur eine Ausflucht. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt", sagte sie laut und zog tapfer in den Kampf. Danny hatte den ganzen Morgen konzentriert an seinem Computerterminal gearbeitet. Der Peggy-Briefkasten erschien täglich, und er wollte sich eine Woche Vorlauf verschaffen. Seine Absicht war, die ganze Sache der Redakteurin vom Unterhaltungsressort zu übergeben und loszuziehen, um eine gute Story für eine Reportage zu suchen. Am vergangenen Wochenende hatte er ein paar unwürdige, aber höchst reizvolle Rachepläne geschmiedet, die er letztlich jedoch verworfen hatte. Darunter waren alberne Ideen gewesen wie Royce Hubbards Büro mit Stinkbomben zu spicken oder Eugenia Dwyers Garten mit Toilettenpapier zu schmücken. Diese düstere Phase war aber jetzt vorbei. Er tippte verbissen seine Texte ein. Morgenfrüh würde er wieder die Freiheit der Straße spüren, sich ins wirkliche Leben dieser harten Stadt stürzen. Wenn Royce ihm den Auftrag verweigerte, würde er sich eben auf eigene Faust ein Thema suchen. Müde fuhr Danny sich über die Augen. Er hatte schlecht geschlafen. Eine sanfte Nymphe in einem schulterfreien roten Kleid hatte ihn in seinen Träumen heimgesucht. Vergeblich hatte er versucht, das Traumwesen einzufangen, er war vorher immer wieder aufgewacht. Zumindest hatte er eine klare Einstellung zu Amy Dwyer gewonnen. Sie war von nun an tabu für ihn. Danny zerknüllte ein paar leere Briefumschläge zu einem Ball und feuerte ihn in den Papierkorb. Er traf mit der üblichen Sicherheit. Ja, so würde es sein. Amy und er kamen aus völlig verschiedenen Welten. Das wollte er sich stets vor Augen halten. Er wandte sich erneut seinem Computer zu und schrieb, bis eine Bewegung an der Tür ihn ablenkte. Er sah hin und erblickte ein weißes Taschentuch, das wie eine Friedensflagge ge schwenkt wurde. Wer machte das? Amy? „Herein", sagte er mit rauer Stimme. Ein blonder Schopf zeigte sich im Türrahmen. „Freut mich, dich in menschenfreundlicher Stimmung anzutreffen, Kollege", sagte Royce. „Ich bin eher in blutrünstiger Stimmung", gab Danny zurück. Royce Hubbards Grinsen erstarb. Mit übertriebener Lässigkeit kam er herein. „Hör mal", begann er, „wegen neulich ... das tut mir Leid ..." Danny fuhr von seinem Stuhl hoch, der drehte sich heftig hinter ihm und rutschte ein Stück über den Boden. „Langsam, ja?" Royce hob beide Hände, abwehrend und bittend zugleich. „Ich bin an dem Abend zu weit gegangen, das ist mir klar. Ich hatte ein bisschen viel getrunken, du kennst das." Danny erkannte, dass es Royce dieses Mal ernst war. Bisher hatten sie ihre Kämpfe nur auf beruflichem Feld ausgetragen. Aber an dem Abend bei Eugenia wäre es um ein Haar zu tätli chen Auseinandersetzungen gekommen. Das hatte Royce offenbar zu denken gegeben. „Hör mal, ich mache das wieder gut", bot er an. „Was willst du haben?" Er sah sich im Raum um und bemerkte Stapel von Papieren auf dem Fußboden. „Ein zusätzliches Regal? Da an der Wand würde eins hinpassen. Oder etwas anderes? Sag's." Danny ließ sich nicht lange bitten. „Ich will diesen Briefkasten loswerden und wieder eine richtige Aufgabe haben." Royce schien erleichtert. „Okay, kein Problem! In einer Woche oder so geht das in Ordnung." „Nein. Heute." „Und wer schreibt die Texte für morgen?" Danny hätte sich eher die Zunge abgebissen als zugegeben, dass er schon für eine Woche
vorausgearbeitet hatte. Royce sollte sich ein Weilchen sorgen. „Das ist dein Problem. Du warst es, der mich an die Unterhaltungsabteilung ausgeliehen hat. Setz dich mit denen auseinander." „Mein Problem?" Royce war schon wieder ganz obenauf. Er trat an Dannys Schreibtisch und nahm ein paar Briefe auf. „Du weißt ja nicht, was du redest. Für die liebe Peggy kommen mehr Zuschriften als für sämtliche anderen Abteilungen zusammen. Der Briefkasten ist eine Attraktion ersten Ranges, Mann!" Royce griff nach der Morgenausgabe des Blattes, die auf dem Schreibtisch lag, schlug die Briefkastenseite auf. „Seit du den Job übernommen hast, können wir uns vor Briefen kaum retten. Acht davon haben wir abgedruckt, so viele waren es noch nie." Er warf die Zeitung auf den Schreibtisch zurück. „Die Leser schicken sogar schon Tipps für Minnie Mäuschen. Eine sechzigjährige Großmutter schreibt, Minnie solle sich als Supergirl verkleiden und ihren Supermann so zum Zweikampf herausfordern. Lauter solche verrückten Sachen, es ist unglaublich." Royce lachte und schüttelte den Kopf. „Die Leser sind begeistert von deinen Antworten, Dan." „Waren." „Gut, waren", lenkte Royce ein und spähte an Danny vorbei auf den Bildschirm. „Ich sehe, du warst am Arbeiten. Gut so." Er nickte Danny anerkennend zu, ganz in Chefpose. Dann knuffte er ihn an der Schulter. „Jetzt hast du ja auch Amys Unterstützung wieder. Sie bringt die weibliche Linie ins Spiel, wie?" Danny stützte sich mit den Fäusten auf der Schreibtischplatte ab und beugte sich drohend zu Royce hinüber. „Willst du nicht, oder kannst du mich nicht verstehen, Hubbard? Ich mache den Briefkasten nicht mehr. Oder ich kündige auf der Stelle." Royce nickte und ging rückwärts zur Tür. „Klar, kein Problem", sagte er beschwichtigend. „Hast du ernsthafte Differenzen mit Miss Dwyer, oder was?" „Warum habe ich diesem Mann nicht gleich einen Kinnhaken verpasst, als er reinkam?" murmelte Danny düster. Royce war schon in der Tür. „Ich suche also jetzt jemanden, der deinen Job übernimmt, einverstanden? Wie wär's übrigens mit Amy? Hättest du etwas dagegen?" „Nein." Danny schob seinen Stuhl vor den Computer, setzte sich und begann zu arbeiten. Er sah nicht auf, als Royce ging, sondern konzentrierte sich auf den Brief einer verzweifelten Ehefrau, deren Mann sich für Niki Lauda hielt. „Kaufen Sie ihm ein Schrottauto und einen guten Sturzhelm", schrieb Danny. „Und sehen Sie zu, dass er eine Lebensversicherung auf Ihren Namen abschließt." Er ließ den Text zurücklaufen und las alles noch einmal. Zu seinem Missvergnügen stellte er fest, dass er den Peggy-Job bestimmt vermissen würde. Er seufzte und massierte sich den verspannten Nacken.
8. KAPITEL
Danny saß immer noch vor dem Computer, als es ihm auf einmal so vorkam, als sei da außer ihm noch jemand im Raum. Irritiert sah er sich um. In der Tür stand Amy. Sie fuhr zusammen. „Oh", hauchte sie, „hast du mich jetzt erschreckt." „Du mich auch", sagte er merkwürdig gepresst. Mit einem Blick erfasste er ihre leicht geröteten. Wangen, das Leuchten in ihren Äugen und die pastellfarbene PulloverKombination, die sie trug. Er stand auf und trat ans Fenster, denn wie sollte er still sitzen bleiben, wenn sie so aufregend aussah? Angestrengt starrte er auf die Straße hinunter. Er hörte, wie Amy näher kam. „Wenn du kommst, um mit mir zu arbeiten, bist du leider zu spät dran", sagte er barsch. „Es tut mir Leid, ich ..." Ihre Stimme versägte. Er bedauerte seinen unfreundlichen Ton. „Schon gut. Ich habe alles fertig", meinte er versöhnlich. „Alles fertig für morgen?" „Ja, und für weitere fünf Tage." Danny Beobachtete scheinbar fasziniert einen Straßenkehrer bei der Arbeit. „Ach so, das kannst du ja nicht wissen. Ich habe den PeggyBriefkästen abgegeben. Chicago kann wieder aufatmen." „Was meinst du damit?" fragte sie bestürzt. Da war etwas in ihrer Stimme, das ihn anrührte. Er hätte Amy gern angeschaut, doch er widerstand dem Wunsch. „Ich übernehme andere Aufgaben." „Und was wird aus dem Briefkasten?" „Man wird dich bitten, ihn zu übernehmen. Nur so lange, bis sie eine neue Peggy gefunden haben." Danny betrachtete den quirligen Mittagsverkehr dort unten und stellte sich vor, wie er bald selbst wieder in die Menge eintauchen würde. „Mich?" Amy musste sich an Dannys Schreibtisch festhalten, so umwerfend kam ihr die Neuigkeit vor. „Ja, wenn du einverstanden bist", sagte er heiser. Amy schien noch immer nicht zu begreifen. Gut, gut, sagte sie zu sich selbst, um ihre Anspannung unter Kontrolle zu bekommen. Er will nicht kündigen. Ich werde ihn hin und wieder sehen. Dennoch war die Nachricht eine schwere Enttäuschung. Sie würde nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Kein Lachen, Streiten, Herumalbern mehr, keine verrückten Einfälle für den Papierkorb ... Nach einer Weile fing Amy sich. „Natürlich nehme ich den Job, wenn man mir das zutraut. Aber so gut wie du werde ich nie." Sie brach ab. Ihr Atem ging zu schnell. Sie musste an sich halten, um ihre Gefühle nicht offen auszusprechen. Da fiel ihr ein, warum sie überhaupt hergekommen war. „Danny, ich wollte eigentlich etwas anderes. Es ist wegen der DinnerParty." Er schüttelte den Kopf. „Lass uns nicht mehr davon sprechen, bitte." Das war nicht die Reaktion, die sie erwartet hatte. Danny hätte zornig sein sollen, stattdessen war er traurig, das hatte Amy deutlich seinen Augen abgelesen. Die Kehle wurde ihr eng. Nicht traurig sein. Danny, dachte sie bekümmert, alles - nur nicht diese Niedergeschlagenheit. „Amy, es ist wohl besser, wenn du gehst. Ich habe zu tun." „Ich möchte dir trotzdem erzählen, wie es weiterging, nachdem du gegangen bist." „Das ist jetzt nicht mehr wichtig." Das klang so resignierend, dass es Amy wehtat. „Doch, es ist wichtig. Ich habe mich mit meiner Mutter zerstritten. Ich habe ihr zum ersten Mal gesagt, was ich wirklich fühle.'' Ob sie Danny jemals vermitteln konnte, wie es gewesen war, in der Kälte und Lieblosigkeit ihres Zuhauses aufwachsen zu müssen? Er drehte sich langsam vom Fenster weg, und das gab ihr irgendwie Zuversicht.
„Ich habe immer gelitten, wenn sie andere so hochnäsig behandelte. Sie setzt jedes Mal ihren Willen durch. Und Menschen, die ihr nicht passen, schreibt sie einfach ab." Amys Stimme wurde leise, als sie sich an die hässliche Szene erinnerte. „Und wie hat sie reagiert?" fragte Danny. „Ich glaube, sie hat kaum hingehört. Aber ich habe ihr deutlich gesagt, dass ich ihre Partys nicht mag und dass sie mich nicht mehr dazu einladen soll." „Das hast du gewagt?" Danny blickte besorgt drein. „Ja, das habe ich." Amy war noch nachträglich stolz auf ihren Mut. „Und ich habe ihr auch noch gesagt, dass ich viel von dir halte, weil du am Schicksal anderer Anteil nimmst." Dannys Augen wurden schmal. Er wandte sich erneut ab, stützte den Unterarm gegen die Fensterscheibe und legte die Stirn daran. „Glaubst du mir etwa nicht?" „Doch." Er starrte auf die Straße hinunter. Das Schweigen wurde unbehaglich. „Warum hat sie gesagt, du wolltest sie mit meiner Anwesenheit bloß ärgern?" fragte er endlich. Amy war sichtlich erleichtert. Wenn das sein Problem war, dann konnte sie es aus der Welt schaffen. „Du kennst meine Mutter nicht, Danny. Wenn sie Widerstand spürt, kann sie aus gesprochen gemein werden. Und sie nimmt alles persönlich. Wenn ich zum Beispiel nicht in bestimmten Geschäften mit ihr einkaufen will, dann ist das für sie Rebellion. Außerdem sind diese Partys ihr Ein und Alles. Und da kam ich so total verändert daher, dass sie mich zuerst gar nicht erkannte, dann brachte ich Connie ohne Voranmeldung mit - und dann bist du noch aufgetaucht. Daraus schloss sie sofort, dass das alles gegen sie gerichtet war." „Und damit hatte sie nicht Recht?" „Nein, sicher nicht ..." Nachdenklich zögerte Amy. Vielleicht war das doch nicht so sicher. Immerhin hätte sie Eugenia auf die „neue" Amy vorbereiten und sie von den zusätzlichen Gästen unterrichten können. Sie hatte ohne Zweifel Anstandsregeln verletzt. Aber man konnte Eugenia andererseits nicht auf etwas „vorbereiten" oder sie von etwas „unterrichten". Die beiden Gäste hätte sie jedenfalls niemals akzeptiert. „Hatte sie Recht?" wiederholte Danny unerbittlich. „Na ja, vielleicht ein bisschen." Amy schluckte. „Es war möglicherweise ein unbewusster Racheakt gegen sie. Aber meine Einstellung zu dir hat damit nichts zu tun." Danny rieb sich nachdenklich den Nacken. „Bist du dir da ganz sicher, Amy? Ich will mich nicht als Waffe in deinem persönlichen Kampf gegen deine Mutter missbrauchen lassen." „Du - als Waffe?" Amy begriff plötzlich, was er empfand. „Hältst du mich dazu für fähig? O Danny, du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall! Weißt du denn nicht, wie ich zu dir stehe?" Danny sah sie ungläubig an, und Amy merkte, dass sie bereits zu viel gesagt hatte. „Ich meine", fügte sie hastig hinzu, „dass ich dich für einen anständigen Kerl halte. Ich würde deine ... Freundschaft nie in dieser Weise missbrauchen." „Jedenfalls nicht bewusst", wandte er ein. Amy schüttelte den Kopf. „Nicht einmal unbewusst." Die Stille zwischen ihnen dehnte sich. Als Amy es nicht mehr aushielt, fragte sie: „Also, was jetzt?" „Okay, ich gebe mich geschlagen. Was jetzt?" Danny lächelte. Amy wurde es auf einmal ganz leicht ums Herz. Sie blickte zur Uhr. „Es ist gleich Mittag. Hast du schon gegessen?" „Nein, aber ich wollte eigentlich durcharbeiten." „Ach so ..." Jetzt musst du gehen, Amy, warnte eine leise Stimme sie, und die hörte sich an wie die von Connie. Du bist dabei, einen Fehler zu machen. „Na gut. Dann gehe ich wohl besser", sagte sie deshalb versöhnlich. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Amy war wie elektrisiert. „Oder gehen wir zu Ferdy?" flüsterte sie, ohne zu überlegen. „Ich verspreche, dass ich nicht wieder Billard spiele." „Oh, Amy." Danny schüttelte den Kopf, als verstünde er das alles selbst nicht. „Amy, Amy." Seine Stimme war sanft und rau, und Amy meinte, sie auf der Haut zu spüren. „Sieh
mich doch mal richtig an." Er stand auf und kam um den Schreibtisch herum. „Ich bin einer von denen, die in Jeans und Turnschuhen ins Büro gehen. Ich rasiere mich nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Ich bin reizbar und nehme kein Blatt vor den Mund. Siehst du nicht, dass deine Mutter im Grunde Recht hat? Ich bin nicht der Richtige für ein Mädchen wie dich." „Das ist mir egal." „Aber mir nicht. Ich bin dreißig, und ich hatte nie eine feste Beziehung zu einer Frau. Einmal habe ich mit einem Mädchen zusammengelebt, und soll ich dir sagen, wie lange das gut ging? Zwei volle Tage! Ich habe alle leitenden Posten hier im Haus abgelehnt, weil mich das ans Büro gefesselt hätte. Für mich ist nur eins wichtig: die Story, an der ich gerade arbeite." Amy hob hilflos die Hand. „Bitte, sag so etwas nicht." „Doch, ich muss." Seine Stimme klang hart. „Meine Welt sind die Straßen dieser Stadt. Ich ziehe herum wie ein Steppenwolf, ich setze mich mit den einfachen Leuten zusammen an einen Kneipentisch, und so finde ich die Themen für meine Reportagen. So bin ich geworden, und so gefällt es mir." Amy staunte selbst, dass sie so ruhig antworten konnte. „Kein Platz für eine Frau, willst du damit sagen?" „Kein Platz für eine Frau in meinem Leben." Ich sollte gehen. Er wird mir sonst nur noch mehr wehtun. Er will sich nicht belasten. Er will mich nicht. Aber die stille Warnung half nichts. „Danny ..." „Amy, bitte, sieh das doch ein!" Der Kummer, den ihm dieses Gespräch bereitete, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Aber auch die Entschlossenheit, nicht von seinem Vorsatz abzuwei chen. Amy wartete noch ein paar Sekunden, gab sich unsinniger Hoffnung hin. Dann brachte sie die Kraft auf, sich umzudrehen und Dannys Büro zu verlassen. Das Einzige, was Amy einfiel, um nicht in Niedergeschlagenheit zu verfallen, war die Arbeit. Sie stürzte sich auf ihre Aktenablage und begann, gründlich aufzuräumen, zu sortieren, wegzuwerfen. Als sie beim Buchstaben H angelangt war, hörte sie, wie jemand hinter ihrem Rücken den Raum betrat. Gleich darauf berührte derjenige sie an der Schulter. Sie erstarrte. „Amy?" Das klang wie ein Hauch. Sie spürte, wie die Hand bis zu ihrer Taille herabglitt, und dann zog der Besucher sie an sich. Sein Atem in ihrem Nacken war heiß. „Ich verstehe das nicht", murmelte sie. „Du warst doch vorhin so abweisend." „Ich? Abweisend - zu dir?" Diese Stimme jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Wütend machte sie sich frei. „Royce Hubbard!" rief sie aufgebracht. „Das ist... das ist eine Unverschämtheit!" „He, nicht so hastig." Er duckte sich, als wäre er in Gefahr. „Heute habe ich anscheinend kein Glück bei dir." Amy war empört wie nie. „Raus hier, Royce." „Gut, gut." Er bewegte sich langsam in Richtung Tür. „Wenn du wegen der Party so böse bist, dann entschuldige ich mich." Royce hatte offenbar nicht gemerkt, dass sie ihn zunächst für Danny gehalten hatte, doch das konnte Amy auch nicht besänftigen. „Würdest du bitte mein Büro verlassen", sagte sie drohend, „bevor ich mich vergesse." „Okay. Vielleicht passt es dir ein anderes Mal besser." Endlich ging er. Amy setzte sich aufatmend auf ihren Stuhl. Doch da zeigte sich Royce noch einmal in der Tür. „Es tut mir wirklich Leid, Amy", sagte er überraschend ernst. „Ich wollte eigentlich etwas Geschäftliches mit dir besprechen. Es handelt sich nur um eine Kleinigkeit. Ich möchte dir den schönsten Job im Hause anbieten." Er grinste. Amy seufzte. „Du meinst den Peggy-Briefkästen?" Royce zog die Augenbrauen hoch. „Woher weißt du das?" „Von Danny. Aber die Unterhaltungsredakteurin hat noch nicht mit mir gesprochen." „Das tue ich hiermit. Ich habe Janice gesagt, dass sie einen Ersatz für Peggy bekommt. Du sollst das zunächst natürlich nur aushilfsweise machen, aber wenn du gut bist, könntest du
endgültig die nächste Peggy werden." Amy zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen: „Gut, ich übernehme den Briefkasten. Vorläufig." „Bist ein kluges Kind", meinte Royce herablassend und lehnte mit dem Rücken gegen die Tür. „Brauchst mir nicht zu danken." „Ist noch was?" fragte Amy spitz. „Ja." Er betrachtete sie ungeniert. „Hast du heute Abend Zeit für mich? Oder morgen? Ich richte mich ganz nach dir." „Kauf dir einen Stoffhund." „Oh?" staunte Royce. „Das erinnert mich an deine heißblütige Freundin. Ich sollte sie mal anrufen." „Willst du sie für den Rest ihres Lebens unglücklich machen?" Royce sah Amy mit Respekt an. „Du hast Temperament, Amy. Aber das verliert sich mit der Zeit." Er straffte sich und wollte gehen. Dann drehte er sich noch einmal um. „Kümmere dich um die morgige Briefkastenausgabe, ja? Du trägst jetzt die Verantwortung." Amy hätte jubeln können - wenn da nicht der Wermutstropfen gewesen wäre! Da saß sie nun und hatte den Peggy-Job! Was sie jedoch nicht hatte, das war Danny. Ja, das Schicksal ging manchmal seltsame Wege. „Was ihn betrifft, da kann mir nur ein Wunder helfen", seufzte sie und starrte mutlos an die Zimmerdecke. Als Amy am Abend in ihre Wohnung zurückkehrte, war ihre Stimmung auf dem Nullpunkt. „Hallo, Connie", murmelte sie kaum hörbar. Connie lehnte in der Küche mit einem Glas Wein in der Hand am Spülbecken. „Wieder eine erfolgreiche Schlacht geschlagen?" fragte sie, aber es klang nicht sonderlich heiter. Amy öffnete den Kühlschrank. Sie hatte die Wahl zwischen Milch, Apfelsaft und einer Flasche Weißwein, die Connie bereits entkorkt hatte. Amy entschied sich für den Wein. „Hast einen harten Tag gehabt, wie?" meinte sie, während sie sich ein Glas eingoss. Als Connie nicht antwortete, setzte Amy sich an die Frühstücksbar und nahm einen Schluck. „Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Mit der Brille und den grauen Röcken war das Leben viel einfacher. Connie, Danny hat mich abgewiesen. Er sagte, er hätte keinen Platz für eine Frau in seinem Leben. Ich bin vollkommen fertig." Connie drehte sich langsam um und blickte Amy direkt an. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Was ist denn passiert?" fragte Amy bestürzt. Connie setzte ihr Glas mit unsicheren Händen ab und verschüttete sogar ein bisschen dabei. So geknickt hatte Amy ihre Freundin noch nie erlebt. „Der Hort", sagte Connie. „Wir kriegen kein Geld. Der Gouverneur hat heute unseren Antrag abgelehnt." „O nein", stöhnte Amy. „Und was machst du jetzt?" Connie sah sehr blass aus und seufzte. „Ich weiß es nicht, Amy. Ohne das Geld muss ich den Hort schließen." „Da muss es doch einen Ausweg geben!" Connie schüttelte verzagt den Kopf. „Ich habe den ganzen Tag herumtelefoniert. Die Eltern sind bereit, massiv gegen die Entscheidung zu protestieren. Aber ich sehe darin wenig Chancen." Ihre Stimme versagte, und Amy suchte krampfhaft nach ein paar tröstenden Worten. Connie hatte noch nie einen Kampf aufgegeben, selbst wenn die Sache völlig aussichtslos stand, doch nun machte sie einen wahrhaft erschöpften Eindruck. „Connie, ich leide mit dir", war das Einzige, was Amy zu sagen einfiel. „Ach, Amy, um mich geht es ja gar nicht. Die Kinder ... meine Kinder", klagte Connie. Amy sprang vom Barhocker herunter und umarmte die Freundin. „Es ist einfach ungerecht, Connie. Du hast so hart gearbeitet. " Connie begann zu weinen, und Amy strich ihr liebevoll übers Haar. „Es muss einen Weg geben, Connie, es muss." Sie standen eine Weile schweigend zusammen. Amy empfand die bittere Enttäuschung fast
genauso schmerzhaft wie Connie. Schließlich hatte sie selbst ja heute ebenfalls eine herbe Niederlage einstecken müssen. Plötzlich hob sie den Kopf. „Ich habe eine Idee", sagte sie, ohne lange über ihren Einfall nachzudenken. „Ich könnte einen Artikel darüber schreiben ..." „Du meinst, im ,Morgenblatt'?" Connie war skeptisch. „Nun ja, schaden würde das sicher nicht." Amy ließ die Freundin los und ging erregt auf und ab. Eigentlich müsste sie das Thema einem erfahrenen Journalisten übergeben, aber niemand in der Lokalredaktion würde sich so für den Hort einsetzen wie sie. Sie kannte die Geschichte von Anfang an, sie hatte die Kämpfe mit der Bürokratie hautnah miterlebt. „Lass uns gleich anfangen, Connie", sagte Amy und suchte Papier und Kugelschreiber zusammen. „Wir tragen das Problem an die Öffentlichkeit." Am nächsten Tag war Amy so beschäftigt wie selten. Sie telefonierte den ganzen Vormittag, um Connies Informationen zu überprüfen und zu vertiefen. Einige Beamte lieferten Aussagen, die sie wörtlich übernehmen konnte, und nach ein paar Stünden wusste Amy, dass sie eine gute Story hatte. Sie war natürlich kein Profi, aber wenn ein Redakteur den Text überarbeitete, würde der Artikel vielleicht gedruckt werden. Zum Glück war man beim „Morgenblatt" offen genug, um so etwas zuzulassen. Amy tippte den letzten Satz und las dann das Ganze noch einmal kritisch durch. Ihr abschließendes Urteil war niederschmetternd. Der Artikel war langweilig und betulich wie eine TV-Story für die ganze Familie. Wenn sie dies einem Profi zeigen würde, bekäme sie ein aufmunterndes Schulterklopfen und den Rat, noch ein paar Abendkurse in Journalistik zu belegen. Sie machte keine Mittagspause und überarbeitete den Artikel komplett. Dabei war sie so in diese Aufgabe vertieft, dass sie den Peggy-Briefkasten vollkommen vergaß und von einem Mitarbeiter aus der Unterhaltungsredaktion daran erinnert werden musste. In Sekunden hatte sie die Texte aus Dannys Computer abgerufen und las, was er geschrieben hatte. Die vernachlässigte Frau eines Chirurgen sollte sich bei ihrem Mann einen Termin für eine Blinddarmoperation geben lassen, riet Danny, und Amy fand das recht originell. Alle seine Texte imponierten ihr im Grunde. Sie waren locker und pfiffig, und sie brauchte kaum etwas zu ändern. Amy las sich regelrecht fest daran, machte alles satzfertig und gab es weiter. Anschließend machte sie sich wieder über ihren Kinderhort-Artikel her. Um vier Uhr nachmittags war sie fertig. Aber sie war nicht zufrieden damit. Sie war nicht sicher, eine wirklich gute Arbeit geleistet zu haben. Am liebsten hätte sie einen kollegialen Rat dazu gehört. Nachdenklich massierte sie sich die Stirn. In der Lokalredaktion hetzte wie üblich alles durcheinander, als Amy sich ihren Weg durch schmale Gänge, über ausgestreckte Beine und an spitzen Ellenbogen vorbei bahnte. Ob Danny noch in seinem Büro war? Sie hatte solches Herzklopfen, dass sie kaum klar denken konnte. Es war unwahrscheinlich, aber trotzdem ... Sie hielt vor Dannys Tür an und nahm ihren ganzen Mut zusammen. Danny arbeitete am Computer, und er sah aus, als hätte ihn der Wind gerade von der Straße hereingeweht. Sein Haar war zerzaust, und er trug seine dicke Lederjacke. Amy wollte sich bemerkbar machen, doch da wandte er sieh schon um. Sie umklammerte die Blätter, die sie in der Hand hielt. Dannys Augen waren unwahrscheinlich blau, und er fi xierte sie lange, ohne etwas zu sagen. Endlich brachte Amy ihr Anliegen heraus. „Ich brauche deine Hilfe bei einem ... Artikel, den ich geschrieben habe. Hast du ein bisschen Zeit?" Sekunden, die endlos schienen, verstrichen. Danny sah zur Uhr. „Ja, sicher, warum nicht." Er stand auf, und wieder fand Amy seine Körpergröße überwältigend. „Lass sehen." Amy kam näher und reichte ihm die Seiten. Dabei hatte sie das Gefühl, sie würde ihm einen Teil von sich selbst übergeben. Voll banger Ungeduld wartete sie, bis er den Text gelesen hatte. Sie wünschte so sehr, dass ihm der Artikel gefiele! Als Danny geendet hatte, war Amy sicher, dass er ihr Geschreibsel schlecht fand. Er hatte keinen Ton gesagt. „Ist das eine Hausaufgabe für deinen Abendkurs?" war sein Kommentar.
„Nein, es ist für das ,Morgenblatt'." „Das hier?" Er hob langsam den Kopf. „Wie bist du da rangekommen? Wer hat dich beauftragt?" „Niemand." Amys Stimme war dünn wie ein Fädchen. „Der Hort ist Connies Projekt. Sie hat mir gestern Abend von dieser Sache erzählt. Der Ablehnungsbescheid ist eine Katastrophe, Danny." Dannys Gesichtsausdruck verriet nicht, was er dachte. Gleich würde er ihr klarmachen, dass das so keinen Sinn hatte. Und das wollte Amy einfach nicht hören. „Ich hätte dich damit nicht behelligen dürfen. Gib her", sagte sie und streckte die Hand aus. Danny umfasste ihr Handgelenk und sah sie ernst an. „Das könnte eine große Story werden, Amy." „Ja, nicht? Das dachte ich auch", meinte sie eifrig. „Aber du packst das Thema falsch an." „Findest du?" Sie sahen beide auf ihre Hände herunter. Der Druck seiner Finger war warm und fest. Er hatte schöne, sinnliche Hände. Sie blickten sich in die Augen und schwiegen. Da ließ Danny sie abrupt los und gab ihr den Artikel zurück. „Die Geschichte muss grundlegend anders angegangen werden, Amy. Du hast nur aus dem Gefühl heraus geschrieben, dein Blickwinkel ist zu persönlich. Du musst professioneller arbeiten." Die Kritik traf Amy hart, doch sie begriff, dass er ihr Mut machen wollte. „Kläre die politischen Hintergründe, sprich mit anderen Leuten, die solche Projekte aufgezogen haben", fuhr er fort. „Finde heraus, wer für die Ablehnung verantwortlich war und warum er oder sie das getan hat. Man wird dir nicht viel dazu sagen, aber such dir ungewöhnliche Informationsquellen. Und denk daran, dass Politiker die Macht der Presse fürchten." „Meinst du wirklich, ich sollte ...?" fragte Amy zweifelnd. „Sicher, und mehr als das. Mach ein Interview mit einer allein stehenden Mutter, möglichst eine mit mehreren Kindern, die sich mühsam durchs Leben schlägt." „Das ist eine gute Idee. Ich glaube, das kann ich." Amys Begeisterung war wieder geweckt. „Danke, Danny." „Und noch etwas, Amy. Vermutlich arbeitet hier im Haus schon jemand anders an der Geschichte. Wenn du einen Profi ausstechen willst, musst du besser sein - viel besser." Er machte eine Pause, und Amy wollte schon wieder mutlos werden. „Aber ich denke, du könntest es schaffen." Sein Lächeln war sehr zärtlich, und Amy wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Der Wunsch, ihn zu berühren, wurde so stark, dass Amy nur noch hastig „Danke" murmelte und aus dem Büro lief. Den ganzen Nachmittag und Abend über sammelte Amy die Hintergrundinformationen, die Danny für erforderlich hielt, und dann schrieb sie bis zum Morgengrauen an dem neuen Ar tikel. Am nächsten Tag brachte sie die Geschichte gleich zu Royce Hubbard, der auch wirklich bereit war, sie einem Redakteur zu übergeben. Amys Text verursachte einigen Wirbel. In der Tat arbeitete bereits jemand anders an der Story. Da das Thema keine Eintagsfliege bleiben würde, schien es bei einer Außenseiterin wie Amy nicht in den richtigen Händen zu sein. Schließlich wurde Ramhurst um eine Entscheidung gebeten. Er fand Amys Artikel „erstaunlich gut" und schlug einen Kompromiss vor: Wenn Amy einverstanden wäre, dass ein Profi die Folgeartikel schriebe, sollte ihr Text gedruckt werden. Natürlich war Amy einverstanden. Ein Redakteur überprüfte ihre Quellenangaben und wörtlichen Zitate, und dann stand fest, dass die Reportage unter Amys Namen in die Zeitung kam. Amy war so aufgeregt, dass sie unbedingt Danny sofort von ihrem Erfolg berichten wollte. Aber sein Büro war leer. In den nächsten Tagen lauerte sie Danny regelrecht auf. Sie ging zu den unmöglichsten Zeiten in sein Zimmer und erfuhr jedes Mal, dass sie ihn um Minuten verfehlt hatte. Da kam sie sogar auf die Idee, während der Mittagspause in die umliegenden Lokale zu gehen, die von den Reportern gern besucht wurden. „Eben war er noch da", bekam sie überall zu hören. Es war offensichtlich, dass Danny ihr aus dem Weg ging.
Gegen Ende der Woche verließ Amy abends das Bürohochhaus durch einen Seitenausgang. Auf der Straße herrschte viel Betrieb, und Amy ging, in Gedanken versunken, durch die Menschenmassen. Da drang helles Gelächter an ihr Ohr. Sie blickte auf und bemerkte einen Mann und eine Frau, die gerade die Straße überqueren wollten. Sie hielten sich an den Hän den, liefen zusammen bis zur Mitte der Straße, blieben lachend stehen, liefen wieder los. Der Mann drehte sich kurz um, und Amy erkannte ihn. Danny! Sie machte spontan kehrt und ging eilig zum „Morgenblatt"-Gebäude zurück. Er war also wieder mit dieser Steuerberaterin zusammen. Den Tränen nahe, erreichte sie den schützenden Hauseingang und lehnte sich aufatmend an die Wand. Hoffentlich hat er mich nicht gesehen, dachte sie. In der folgenden Nacht machte Amy verschiedene Gefühlszustände durch. Es war wie ein unaufhörliches Wechselbad, und am Morgen war sie völlig erschöpft und zornig. Das hätte Danny nicht tun dürfen. Als Amy am nächsten Tag an ihrem Schreibtisch im Büro saß, sagte sie laut vor sich hin: „Das hätte er nicht tun dürfen." Sie wusste natürlich, dass diese Aussage barer Unsinn war. Danny war alt genug, er war unabhängig und frei. Er durfte Wahrhaftig tun, was er wollte. Aber Amys Gefühl konnte das nicht zulassen. Es musste etwas geschehen, egal was. Und am Abend dieses Tages hatte das Schicksal endlich ein Einsehen mit Amy. Sie trat in der Tiefgarage aus dem Lift und erblickte einen Porsche mit offener Motorhaube. Nur die Rückseite des Mannes sah sie, der sich über die Maschine beugte: Jeans und Leder jacke, lange Beine und schmale Hüften. Aber bei dem Anblick beschleunigte sich ihr Puls. Amy zögerte nur kurz. „Probleme mit dem Motor?" Danny sah gequält auf. Als er Amy erkannte, leuchteten seine Augen auf, aber seine Stimme blieb ganz gelassen1. „Ja. Es muss der Verteilerkopf sein." „Kann ich dir irgendwie helfen?" Er antwortete nicht gleich, sah sie nur erst einmal intensiv an, und ihr wurde dabei heiß. „Nein, danke", meinte er, indem er sich wieder über den Motor beugte. „Ich krieg das schon hin." Er fingerte ein bisschen in dem Gewirr von Drähten und Leitungen herum, stieg dann in den Wagen und versuchte zu starten. Doch der Motor wimmerte nur. Danny versuchte es wieder und wieder, schimpfte leise und machte sich unter der Motorhaube zu schaffen. Amy betrachtete ihn dabei, und sie fühlte sich unbehaglich. Sie war wie gebannt, aber sie musste doch etwas tun, um ihre Chance zu nutzen. Auch ein weiterer Startversuch erwies sich als vergeblich. Da stellte Danny endlich die erlösende Frage. „Könntest du mich ein Stück mitnehmen?" „Aber sicher." Erst als sie auf der Straße fuhren, wurde Amy die Lage so richtig klar. Da hatte sie eine kostbare Beute an Bord. Danny. Er nahm unglaublich viel Raum in ihrem Kleinwagen ein. Mit dem Knie stieß er vorn an, und für seine Schulterbreite war der Sitz einfach nicht gemacht. Sie schwiegen. „Wohin?" fragte Amy schließlich. „Nach Norden. Nimm die Seepromenade." „Willst du nicht nach Hause?" „Nein. Ich habe noch eine Verabredung." „Ach ja?" Amys Griff um das Lenkrad wurde fester. „Etwas Berufliches? Ein Interview vielleicht?" Danny zögerte. „Nein, privat." „Aha." Es gelang ihr, gelassen zu lächeln. „Um ehrlich zu sein - ich hab's ziemlich eilig. Ich habe heute Abend nämlich auch noch etwas vor." „So? Hast du auch eine Verabredung?"' ' „Ja, so kann man es nennen." „Mit jemandem, den ich kenne?"
„Ich glaube nicht. Und du? Vermutlich hast du etwas mit deiner rothaarigen Steuerberaterin vor. Das ist ja eine wirklich eindrucksvolle Frau." Amy warf Danny einen knappen Seiten blick zu, sah ihn zusammenzucken und wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Als sie die Brücke über den Chicago-River erreichten, befand sich Amy bereits in einer Art Ausnahmezustand. Sollte sie ihn wirklich zu einer Verabredung mit der Rothaarigen fahren? O nein, das würde sie nicht tun! Das war unzumutbar. „Wir sind gleich da", sagte Danny. „Die Nächste links." Amys Herz klopfte wild, und dann trat sie das Gaspedal entschlossen durch. „He! Hier abbiegen!" rief Danny, als sie an der Abzweigung vorbeirasten. Amy wusste kaum, was sie tat. Vielleicht bekam sie einen Strafzettel für zu schnelles Fahren oder sogar eine Klage wegen Entführung - egal. Jetzt stand Wichtigeres auf dem Spiel. „Hast du nicht gehört?" Danny sah sich aufgeregt um. „Da hinten hättest du abbiegen müssen." „Habe ich aber nicht", sagte Amy mit ungewohnter Kühnheit. Vor ihr tauchte eine kleine Waldung auf. Sie näherten sich einem der Parks am See. „Halt dich fest", warnte sie. Danny wurde gegen sie geschleudert, als sie rasant die Spur wechselte und auf die nächste Abfahrt zuhielt. „Wo fährst du denn um Himmels willen hin?" rief er entsetzt und suchte hek tisch nach einer Halteschlaufe. „Keine Ahnung", gab Amy zurück. „Ich weiß bloß, wohin du nicht fährst." Sie bog ab und beschleunigte. So näherten sie sich dem weitläufigen Park. „Bist du verrückt geworden?" wollte Danny wissen. Er hielt sich den Arm schützend vor das Gesicht, als würde das etwas nützen. Die Straße führte durch den Park, und Amy nahm jede Kurve mit quietschenden Reifen. „Kann schon sein", meinte Amy und schnitt die nächste Kurve. Danny saß wie erstarrt neben ihr. Amy wusste nicht, wo sie waren, aber das war ihr egal. „Pass auf!" schrie Danny in höchster Not. Zu spät erkannte Amy, dass die Straße eine scharfe Rechtskurve beschrieb, und nun kam der Mast einer Straßenlaterne bedrohlich schnell näher. „Halt dich fest!" rief Amy wieder und stieg auf die Bremse. Der Wagen rutschte seitlich fort, schleuderte und kam direkt vor der Lampe zum Stehen. Danny ließ sich aufatmend in den Sitz zurücksinken. Amy zitterte. Das war knapp gewesen. Vielleicht bin ich tatsächlich verrückt, dachte sie. „Was hat das eigentlich alles zu bedeuten?" brachte Danny schließlich heraus. Amy nahm die Hände vom Steuer und atmete erst einmal tief durch. „Wir müssen miteinander reden, Danny." „Reden? Du hast diese wilde Jagd veranstaltet, um mit mir zu reden? Hättest du das nicht auch im Büro haben können?" „Ich habe es versucht. Die ganze Woche lang. Du warst nie da." Amy wartete ein paar Sekunden, ob er etwas darauf sagen würde. „Also, was ist? Oder fahren wir noch ein Stück?" fragte sie entschlossen, als er weiter schwieg. „Nein!" Danny griff nach dem Zündschlüssel, doch Amy war schneller. „Okay, reden wir. Über Sheila?" „Nein. Ich weiß, dass du sie triffst, aber das ist es nicht. Ich möchte mit dir darüber sprechen, dass manch einer Menschen ablehnt, nur weil sie nicht aus den richtigen Kreisen kommen." „Möchtest du mit mir über deine Mutter reden?" „Nein, über dich. Denn genau das tust du auch." Sie wandte sich ihm zu und sah ihn voll an. „Du willst nichts mit mir zu tun haben, weil ich eine Dwyer bin. Ich finde das unfair, denn ich kann schließlich nichts dafür." Danny sah starr geradeaus, doch in seinem Gesicht zuckte es. „Du hast Recht, Amy: Aber ich glaube, es geht gar nicht um deinen Namen. Es geht nicht einmal um dich. Es geht um mich." Er kurbelte das Seitenfenster herunter und legte den El lenbogen auf die Kante. „Ich bin für eine feste Beziehung nicht geeignet."
„Wer spricht denn von Beziehung? Ich dachte nur, wir könnten uns ein bisschen besser kennen lernen." Amy wunderte sich, dass sie das so gelassen sagen konnte. Danny senkte den Kopf. „Amy, Amy, du gibst mir ganz schön zu beißen." Er sah auf, und sein Blick war forschend. Sie blickten sich lange an, und es war wie ein stummes Gespräch. Amys Herz klopfte wild. „Danny ..." Er hob abwehrend die Hand. „Nein, sag mir erst, was das für dich bedeutet: sich besser kennen lernen?" Wie magnetisch angezogen, berührte Amy Dannys Wange. Seine Haut war wie seine Stimme, rau und trotzdem weich. „Es kann alles bedeuten, was wir wollen", sagte sie leise; Amy wollte eigentlich die Hand wegziehen, aber wie unter einem Zwang streichelte sie Dannys Gesicht. Sie berührte zaghaft seine Lippen und sah ihm in die Augen. „Das ist doch Wahnsinn", sagte Danny leise. Er kämpfte offensichtlich mit dem Wunsch, sie ebenfalls zu berühren, und schließlich tat er es. „Absoluter Wahnsinn, Amy." Er strich ihr sachte über die Wange, ganz leicht und zögernd. Und dann küsste er Amys Fingerspitzen, die noch immer auf seinen Lippen lagen, jede für sich. Die Stille um sie herum schien zu wachsen, und die hereinbrechende Dunkelheit war wie ein Vorhang, der sie von der Außenwelt abschloss. So nah waren sie sich noch nie gewesen wie in diesem Moment. „Ich möchte mit dir zusammen sein", flüsterte Amy. Ihre Stimme klang angstvoll. Was sie da erlebte, war so kostbar, und sie hatte Angst, es zu verlieren. Danny nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah sie eindringlich an. „Warum, Amy? Warum ausgerechnet ich?" Er küsste sie, bevor sie antworten konnte. Sein Kuss war sanft und drängend, und Amy konnte an nichts anderes mehr denken. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. Sie spürte sein Begehren und eine merkwürdige Leere in sich. Sie wollte nur eins: ihm noch näher sein. Sie brauchte seine Nähe, sonst nichts. Amy registrierte kaum, dass sie seine Jacke öffnete und dann das Hemd. Danny atmete heftig, und sein, Kuss wurde noch leidenschaftlicher. Unter ihren Händen spürte sie seine heiße Haut. Sie berührte seinen Nacken, berauscht und verloren in ihren Empfindungen. Als er ihre Hände ergriff und sie wegschob, blickte sie ernüchtert auf. „Das ist doch Wahnsinn, Amy", stieß er hervor. „Sag mir: Warum willst du gerade mich?" „Ich weiß es nicht.". Amy konnte vor Erregung kaum sprechen. Weil ich dich liebe? Sie hatte so etwas noch nie ausgesprochen, nicht einmal vor sich selbst zugegeben. Auch jetzt konnte sie es nicht sagen, aber es stimmte. Sie liebte ihn. Das Gefühl war so stark und so klar, dass sie sich davor fürchtete. „Ich weiß es nicht", wiederholte sie. „Weil du so bist, wie du bist. Was für Gründe soll ich dir sonst nennen?" Mit einem undeutbaren Seufzer zog Danny ihre Hand an die Lippen. „Keine."
9. KAPITEL
Seit Amy Danny „entführt" hatte, lebte sie wie in einer anderen Welt. Er war wie ausgewechselt. Unzählige Male kam er zu ihr ins Büro. Jeden Abend wollte er mit ihr zusammen sein. Und als er einmal beruflich unterwegs war, führten sie lange Gespräche durchs Telefon. Amy und Danny waren, für alle sichtbar, ein Paar, und Amy wusste sich vor lauter Glückseligkeit nicht zu fassen. Sie erlebte die verrücktesten Sachen mit Danny, gemeinsam entdeckten sie Chicago neu. Amy hätte es nie für möglich gehalten, dass es so herrlich sein konnte, sich ein Baseballspiel bei strömendem Regen anzuschauen. Aber es war so! Mit ernster Musik hatte sie nie sonderlich viel anfangen können, jetzt genoss sie es, eine Symphonie von Gustav Mahler im Chicagoer Konzertsaal anzuhören. Und das verdankte sie Danny. Sie blödelten, stritten und führten tief schürfende Gespräche miteinander. Danny ließ sich auf einen Ballettabend ein, aber sie musste versprechen, anschließend im Park mit ihm Fangen zu spielen. Tatsächlich liefen sie dort dann ausgelassen wie Kinder umher. Ihr Zusammensein war berauschend wie Sekt, und Amy schwebte wie auf Wolken. Danny fand ihren Anblick atemberaubend, und das teilte er ihr auch mit. Amy mit Sonnenöl einzucremen war so erregend für ihn, dass er am liebsten auf der Stelle mit ihr geschlafen hätte. Es war aber nicht nur das „Auge des Gesetzes", das ihn davon abhielt. Amys Verhalten ihm gegenüber war wie eine stumme Bitte um Geduld. Es war eine süße Hölle, neben ihr in der Sonne zu liegen, faul und entspannt, sie nur Zentimeter entfernt. Danny stellte sich in seiner Fantasie vor, wie es sein würde, wenn ... Dasselbe tat Amy. Sie merkte genau, dass sie bald nicht mehr würde warten wollen. Sie wusste, dass sie unaufhaltsam auf diesen Punkt zusteuerten. Irgendwann wollte sie ihm deshalb sagen, dass sie auf dem Gebiet noch gar keine Erfahrung hatte. Eines Abends gingen sie am Michigansee entlang, und da fand Amy den Mut zu diesem Geständnis. Das fahle Licht der Dämmerung über dem Wasser stimmte sanft, es schien ihr genau der richtige Moment dafür zu sein. „Ich muss dir etwas gestehen", begann sie - wich aber dann feige aus. „Ich fahre zu schnell, wenn ich aufgeregt bin." „Da hatte ich schon Gelegenheit, das selbst festzustellen", sagte Danny lachend. „Und ich gehe mit Fäusten auf Wände los. Wir sind ein teuflisches Duo, was?" Am Samstag feierten sie ihr erstes Jubiläum. „Es ist nun vier Wochen her, seit wir uns besser kennen", sagte Amy am Morgen ins Telefon. „Das sollten wir feiern." Abends erschien Danny vor Amys Wohnungstür in einem grauen Seidenjackett von einem italienischen Designer und frisch rasiert. Er führte Amy zum Essen in ein Nobelrestaurant im obersten Stock eines Hochhauses am See. Anschließend tanzten sie in einem eleganten Nachtklub, und schließlich - befeuert von einer Flasche Champagner - fielen sie noch in „Ferdy's Bar" ein, um eine Runde Billard zu spielen. Dort trafen sie auf Big Mac und seine Freunde, aber Amy brachte sie sofort auf ihre Seite, indem sie ihnen den „Dreifachen SpezialQuertreiber" beibrachte. Es war ein Abend voller Ausgelassenheit und Zauber, der schönste in Amys Leben. Und es war klar, dass das Fest in Dannys Wohnung enden würde, „Möchtest du etwas trinken?" erkundigte sich Danny, warf seinen Mantel auf einen Stuhl neben der Tür, lockerte die Krawatte und öffnete die obersten Hemdknöpfe. „Nein, danke", meinte Amy lachend. „Wenn ich noch einen einzigen Schluck trinke, musst du mich ins Bett tragen." „Habe ich richtig gehört - sagtest du ,Bett'?" Diese scherzhafte Bemerkung brachte Amy auf den Boden der Realität zurück. Da war sie nun bei dem Mann, von dem sie zwei Jahre lang geträumt hatte. Sie war in seiner Wohnung, allein mit ihm. Und jetzt müsste sie eine wichtige Entscheidung treffen.
„Ja", sagte sie sanft. „Ich denke, es ist so weit." Danny lachte amüsiert. „Das hört sich ja an, als wäre dies ein Zahnarzttermin." „Wirklich? Das war mir gar nicht bewusst..." Danny kam auf sie zu. „Wenn du noch ein Weilchen bleiben willst, solltest du vielleicht deinen Mantel ausziehen." Er nahm ihr den Mantel von den Schultern. Doch er ging nicht fort, um ihn aufzuhängen. „Amy, ich möchte nicht, dass hier etwas passiert, was du nicht ehrlich willst." Sie sah ihm in die Augen. Doch, sie wusste genau, was sie wollte. Da berührte er mit den Lippen kühl und sanft ihren Mund. Amy schloss die Augen, als seine Zunge ihre Lippen lieb koste und auseinander drängte. Der Mantel fiel zu Boden. Ein süßer Schwindel ergriff sie, und sie musste sich an Danny festhalten. Er vergrub die Hände in ihrem Haar, küsste sie heftiger, und Amy presste sich an ihn. Sie war bereit, sich ihm hinzugeben. Danny gab ihren Mund frei und begann, ihren Hals zu küssen. Er murmelte ihren Namen, und dann biss er ihr zärtlich ins Ohrläppchen. Seine Hände waren jetzt auf ihren Brüsten, er streichelte sie mit langsamen, kreisenden Bewegungen, und Amy seufzte vor Lust. Sie dachte, dass sie ihm ihre mangelnde Erfahrung gestehen sollte, ehe es zu spät war. „Danny ..." „Komm", sagte er und nahm ihre Hand. Amy folgte ihm die Treppe hinauf, die zum Schlafzimmer führte. „Danny, warte einen Moment, ich muss dir etwas sagen!" „Nanu?" Er blieb auf der Treppe stehen und sah lächelnd auf sie hinunter, sie stand nämlich eine Stufe tiefer. „Willst du eine Beichte über deine bewegte Vergangenheit ablegen?" „So etwas Ähnliches." Amy ergriff .seine beiden Hände. „Danny, meine Vergangenheit war überhaupt nicht so bewegt, wie ich gesagt habe!" Er sah sie an, als hätte er gar nicht zugehört. „Dein Mund bringt mich um den Verstand, Amy", sagte er rau, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. „Wie bewegt war sie denn?" murmelte er. Amy wünschte sehnlich, das leidige Geständnis schon hinter sich zu haben. Sie wollte sich ganz diesen köstlichen Empfindungen hingeben. „Nun ja", meinte sie und hoffte, er würde nicht so genau hinhören. „Wenn ich eine kurze Zusammenfassung geben sollte, könnte sich das etwa so anhören: ,Amy Dwyer, im Alter von vierundzwanzig Jahren noch immer unberührt, lernt Danny Robinson kennen und stellt fest, dass sie endlich berührt werden möchte ... und zwar überall'." Danny hielt inne und sah Amy fassungslos an. „Das bedeutet also ..." „Das bedeutet es, aber das kann man ja ändern." Amy reckte sich und küsste ihn schnell. „Und ich dachte, heute wäre der richtige Zeitpunkt dafür." Sie ging an ihm vorbei und wollte ihn hinter sich herziehen. Doch Danny hielt sie zurück. „Moment mal, Amy, nicht so eilig", sagte er nachdenklich. „Was du da eben gesagt hast, ist nicht so etwas wie ,Schönes Wetter heute'. Das ist für mich eine überraschende Neuigkeit." Er ließ ihre Hand los und fuhr sich durch das Haar. „Darüber müssen wir reden. Das ist schließlich keine Kleinigkeit." „Und warum nicht?" Sein Zögern gefiel Amy nicht. „Eben wolltest du noch mit mir schlafen. Und wenn ich nichts gesagt hätte, wäre es auch passiert. Warum ist auf einmal alles anders?" „Gut, vielleicht bin ich in diesen Dingen hoffnungslos altmodisch", sagte Danny bekümmert. „Wenn ein Mann mit einem Mädchen schläft, und es ist für sie das erste Mal, dann hat er eine gewisse ... Verantwortung, finde ich. Ja, die hat er! So etwas nimmt man nicht so nebenbei mit. So, jetzt muss ich erst mal was trinken." „Aha, du hättest mich also so nebenbei mitgenommen?" Amys Stimme klang metallisch, so verstört war sie. „Nein, natürlich nicht, aber ..." Er sah hilflos aus und griff bittend nach ihrer Hand. „Komm, lass uns etwas trinken." Amy ließ sich willig die Stufen hinunterziehen, aber in ihr breitete sich so etwas wie Panik
aus. Danny goss ihr einen Drink ein und bat sie, sich zu setzen. Sie lehnte beides ab. Stumm und starr blieb sie an der Treppe stehen. Danny ging auf und ab, trank zwischendurch, blieb am Fenster stehen und sah auf den See hinaus. Amy hatte währenddessen ein Gefühl, als hingen überall an ihr schwere Gewichte. So war das eben: Danny war immer noch derselbe impulsive, unbeständige Reporter, als den ihn alle kannten. Er hatte sich nicht geändert. Er wandte sich Amy zu. „Wir wollten uns bloß ein bisschen besser kennen lernen, und nun ist es auf einmal viel mehr geworden, nicht?" Amy nickte. „Ist es das, was du wolltest?" „Ja, ich wollte das und mehr." Danny seufzte. „Für dich ist das also ganz einfach. Aber ich muss mich nun fragen, was ich wollte. Durch dich bin ich ganz verändert, Amy. Ich habe sogar angefangen, meine festen Überzeugungen anzuzweifeln." Er trank sein Glas aus und setzte es mit Nachdruck ab. Erst schien er Amy in die Arme nehmen zu wollen, doch dann sagte er: „Okay, wir haben einen schönen Monat zusammen verlebt. Es war amüsant, interessant und aufregend." Das klang wie eine abschließende Feststellung, und Amy verspürte einen scharfen Stich. „Wir können es doch noch weiter versuchen, Danny." „Nein. Amy, das mit uns beiden, das kann auf Dauer nicht gut gehen." „Und warum nicht?" „Weil dein Leben vorgezeichnet ist. Du wirst heiraten, Kinder haben und deine Familientradition fortsetzen." „Und wenn ich das nicht will?" Danny griff nach dem leeren Glas und schaute hinein. „Dann musst du. es lassen, und ich wünsche dir die Kraft, die es dazu braucht. Im Grunde möchtest du doch heiraten, oder?" „Ja." Amy wusste, dass sie mit diesem Eingeständnis Wasser auf seine Mühlen gab. „Irgendwann mal." „Na, siehst du. Du weißt genau, was du vom Leben erwartest. Ich bin jetzt dreißig, und ich weiß immer noch nicht, was ich vom Leben will, außer den Pulitzerpreis vielleicht. Unsere Wege führen in verschiedene Richtungen, Amy. Das Einzige, was wir hätten, wären ein paar glückliche Momente, wenn sich unsere Wege hin und wieder kreuzen." Amys Stimme war kaum zu hören. „Damit könnte ich mich einrichten." Danny trat wieder ans Fenster. „Es ist nicht zu fassen: Ich bin mit dir in meiner Wohnung allein, du bist bereit, dich auf eine unverbindliche Liebesnacht einzulassen, und ich lehne ab." Er schüttelte traurig den Kopf. „Nein, darauf kann ich mich aus irgendwelchen Gründen nicht einlassen, Amy." Amy hörte nicht, was er noch sagte. Sie sah nur ihren Mantel, der am Boden lag, wusste, dass sie den jetzt aufheben und weggehen musste. Sie ging also die paar Schritte und bückte sich. „Ich bringe dich nach Hause", nahm sie wie durch einen Schleier Dannys Stimme wahr, „Bitte nicht. Ich nehme ein Taxi." Entschlossen ging sie zum Telefon. „Ich möchte dich aber hinbringen." Amy ließ sich nicht beirren. Sie bestellte sich ein Taxi. Als sie den Hörer auflegte, hörte sie sich sagen: „Danke für den schönen Abend." Sie hätte nie gedacht, dass sie zu solchem Sarkasmus fähig wäre. Schnell ging sie zur Tür. Da rief Danny ihren Namen. Gegen ihren Willen drehte Amy sich um. Er stand mitten im Raum, sah traurig aus, aber selbstbewusst. Wie ein dramatischer Held, dachte Amy, und da stieg Zorn in ihr auf. „Du kommst dir wohl recht großartig vor, wie? Hast ein unschuldiges Mädchen in schöner Selbstüberwindung vor Ungemach bewahrt? Mach dir nur nichts vor, Danny, du schützt nicht mich, sondern dich." Damit öffnete sie die Tür. Vor Aufregung zitterten ihre Knie, so dass sie sich mit beiden Händen an der Klinke festhalten musste. Sie hörte Danny näher kommen. „Lass mich in Ruhe", sagte sie mit brüchiger Stimme. Dann rannte sie weinend auf die Straße hinaus, wo das Taxi inzwischen wartete.
Am Montagmorgen ging Amy später in die Redaktion. Das Erste, was sie in ihrem Büro sah, war die aktuelle Ausgabe des „Morgenblatts". Ein Artikel darin war mit rotem Leuchtstift fett angestrichen, und darauf lag ein Zettel mit der Bemerkung „Herzlichen Glückwunsch". Auf dem Zettel hatten mehrere Kollegen unterschrieben, darunter Royce Hubbard und Janice Wilson, die Unterhaltungsredakteurin. Dannys Kürzel fehlte. Die Schlagzeile sprang ihr in die Augen. „Unbegreiflicher Verwaltungsakt - dreiundfünfzig Kinder ohne Aufsicht." Amy war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Das war nicht ver wunderlich, denn sie hatte den ganzen vergangenen Tag über alles und jedes geweint, sogar über die Filmklamotte, in die Connie sie geschleppt hatte. Amy las ihren Artikel, und da fühlte sie doch so etwas wie Stolz. Die Geschichte nahm zwei Drittel der ersten Seite ein und wurde auf Seite acht fortgesetzt. „Allerhand", murmelte Amy. „Ja, in der Tat", sagte eine Frauenstimme. Amy blickte überrascht auf. Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie. Aber es war tatsächlich ihre Mutter, die da in der offenen Tür stand, ein Exemplar der Zeitung in der Hand und eine steile Falte auf der Stirn. „Davon habe ich ja gar nichts gewusst, Amy. Du schreibst?" Amy versuchte, sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. „Normalerweise nicht, aber hier ging es um Connies Kinderhort." „Ja." Eugenia nickte. „Ich verstehe." Amy glaubte, aus dem Ton ihrer Mutter Missbilligung herauszuhören. Aber sie hatte Eugenia bereits einmal standgehalten, also würde sie es auch ein zweites Mal schaffen. „Es geht in der Welt eben nicht immer erfreulich zu, Mutter. Armut zum Beispiel ist nicht schick." Eugenia zuckte kaum merklich zusammen. Offenbar dachte sie an die unerfreuliche Szene von neulich. „Ich finde es sehr nobel von dir, dass du deiner Freundin helfen wolltest, Amy." Sie machte eine Pause und nestelte an ihrem seidenen Halstuch. „Ich dachte, vielleicht könnte ich auch ... nun ja, etwas dazu beitragen." Amy war nicht sicher, ob sie das Letzte nicht nur geträumt hatte. „Du?" fragte sie entgeistert. „Sicher, es ist doch für einen guten Zweck. Ich könnte eine Wohltätigkeitsveranstaltung organisieren, so etwas wie eine Grillparty vielleicht." Eugenias Augen begannen zu leuchten. „Oder gleich etwas Richtiges, einen Galaabend mit offiziellem Essen, Orchester und Ball. Das wäre eine Idee ..." Amy war wie vor den Kopf geschlagen. „Unsere Freunde sind sehr großzügig, das weißt du", fuhr Eugenia sichtlich stolz fort. „Wir würden eine hübsche Summe zusammenbringen. Und der Frauenverein würde sich bestimmt auch für Connies Projekt interessieren." „Sag mal, Mutter, ist das dein Ernst?" „Wieso? Natürlich." Eugenia sah aus, als fehlte ihr nur noch der Heiligenschein. „Wir werden den Bürgermeister einladen, eventuell sogar den Gouverneur." Da hatte sie schon die nächste Idee. „Wie wär's, wenn wir die gesamte ,Morgenblatt'-Redaktion dazubitten? Je mehr Gäste, desto besser." „Mutter! Das .Morgenblatt' ist eine sehr große Zeitung!" Ja, ich träume, dachte Amy, da gibt es keinen Zweifel. „Ach so", murmelte Eugenia. „Na, wir werden uns das Ganze gründlich überlegen, nicht wahr?" Nachdenklich sah sie ihre Tochter an. „Vermutlich möchtest du diesen Reporter, feinen Freund, auch einladen?" Amy setzte sich erst einmal hinter ihren Schreibtisch. „Nein, ich glaube nicht." „Habe ich da einen wunden Punkt berührt?" fragte Eugenia unerwartet zart fühlend. „Ich möchte ihn auf jeden Fall dabeihaben." Amy merkte, wie ihr schon wieder die Tränen in die Augen stiegen. „Ich glaube, er würde nicht kommen. Er und ich, wir sind ... tja, wir sind eben nicht ..." Eugenia nestelte an ihrem Seidenschal. „Ihr seht euch nicht mehr? Ist das der Grund, warum du so blass aussiehst?"
„Blass? Ich? Nein, mir geht's bestens." „So, so, bestens." Eugenia machte eine wirkungsvolle Pause. „Ich traf den jungen Mann übrigens auf dem Weg hierher. Er sah auch aus, als wenn es ihm bestens ginge." „Danny? Du hast ihn gesehen?" „Mehr als das. Er hat mich fast umgerannt. Ich begreife euch jungen Leute nicht..." Amy merkte, dass ihre Mutter gern mehr erfahren hätte. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, Eugenia ihr Herz auszuschütten. Doch das hatte sie noch nie getan, und jetzt wollte sie sich schon gar nicht auf ein Risiko einlassen. „Vielleicht hat er bis in die Nacht an einem Artikel gesessen", sagte sie ohne rechte Überzeugung. Mutter und Tochter sahen sich schweigend an. Immerhin schien, sich etwas geändert zu haben. Wenn sie wahrscheinlich auch nie Freundinnen werden konnten, so würden sie in Zu kunft vielleicht wenigstens keine Feindinnen mehr sein. Eugenia lächelte. „Ich muss gehen. Du möchtest das Galadiner sicher so bald wie möglich haben? Am Sonntag würde es mir passen. Ich rufe dich an, sobald ich Genaues weiß." „Sonntag wäre gut", sagte Amy. Sie fand ihre Mutter plötzlich gar nicht mehr einschüchternd. Genau genommen hat sie tatsächlich Stil, dachte sie anerkennend. „Sag Bescheid, wenn ich dir etwas abnehmen kann. Und - danke, Mutter." An der Tür drehte Eugenia sich noch einmal um. „Du bist intelligenter, als ich dachte, Amy", sagte sie, beinahe verlegen. „Das hast du bestimmt von deinem Vater. Er wäre stolz auf dich." Wie hatte Amy sich gesehnt, so etwas einmal aus dem Mund ihrer Mutter zu hören! „Wir sind stolz auf dich." Amy senkte den Kopf. Sie konnte Eugenia jetzt nicht ansehen. „Also dann - ich rufe dich an." Eugenia ging und ersparte sich damit die Peinlichkeit, Amy in Tränen ausbrechen zu sehen. Am Nachmittag war Amy mit den Peggy-Briefen für die morgige Ausgabe fertig. Sie saß an ihrem Schreibtisch und kritzelte auf dem Notizblock herum. Einem plötzlichen Impuls nachgebend, begann sie zu schreiben. „Liebe Peggy, ich bin am Ende ..." Sie schrieb sich alles von der Seele, allerdings ohne die leiseste Absicht, den Brief in die Briefkasten-Seite aufzunehmen. Wie bitter das ist, dachte sie flüchtig, jetzt bin ich selbst Peggy, die kluge Ratschläge gibt. Nur für mich weiß ich keinen Rat. „Ich habe alles getan, wozu eine Frau nur fähig ist. Ich habe ihn sogar entführt und mich ihm in jeder Hinsicht angeboten ..." Hier musste Amy aufhören. Es tat zu weh. Da fiel ein Schatten auf die Seite. Es war noch jemand im Raum, und im nächsten Moment riss dieser Jemand ihr auch schon das Blatt Papier unter den Händen weg. Es war Royce Hubbard, und er grinste wie ein Schuljunge. „Was haben wir denn hier? Liebe-Peggy-Material?" Amy reagierte instinktiv. „Achtung, hinter dir!" rief sie. Royce duckte sich, Amy schoss hoch und entriss ihm das Blatt, legte es auf ihren Stuhl und setzte sich darauf. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Royce kam wieder hoch und sah sie misstrauisch an. „Was geht hier vor? Augenblick mal..." Er maß Amy von oben bis unten mit abschätzenden Blicken. „War das etwa ein Minnie-Mäuschen-Brief?" „Aber wo denkst du hin! Ich habe, nur herumgespielt." „Ich könnte schwören, dass ich den Namen gesehen habe." „Kann schon sein. Janice hat mir erzählt, dass wir immer noch Leserbriefe an Minnie bekommen. Die Leute wollen offenbar wissen, wie es ihr inzwischen ergangen ist." Das war nicht gelogen. Janice hatte vor kurzem deswegen angerufen. Amy lächelte. „Wenn ich telefoniere, kritzele ich immer herum." „Lass mich das Blatt doch noch mal sehen", sagte Royce. „Nein. Kritzeleien sind etwas sehr Intimes, weißt du das nicht? Sie verraten das Innenleben einer Person." Mit einem Lächeln, das wohl einschmeichelnd gemeint war, setzte Royce sich auf die Schreibtischkante. „Du stehst in meiner Schuld wegen des Artikels, den ich ins Blatt gehoben
habe. Darf ich dich zum Essen einladen? Am Samstag, in meiner Wohnung, ja?" Amy musste lachen. Dieser Mensch ließ sich durch Rückschläge überhaupt nicht abschrecken. „Lieber opfere ich dir mein Erstgeborenes, du Teufelsbraten." „Du machst dich, Amy", sagte er, indem er vom Schreibtisch herunterglitt. „So ein süßer Mund und so eine spitze Zunge. Einfach toll. Dieser Robinson ist ein Vollidiot." Und damit war er zur Tür hinaus. Wahrscheinlich macht er sich jetzt an eine der Sekretärinnen heran, dachte Amy. Wenn er bloß nicht Danny erwähnt hätte! Sie hatte ihren Kummer für ein paar Minuten vergessen. Nun wusste sie, das ganze Haus klatschte über sie. Denn wenn es sich zu Royce schon herumgesprochen hatte, dass es mit ihr und Danny aus war, dann wussten es alle anderen auch. Das Blatt Papier auf ihrem Stuhl knisterte, als sie sich bewegte. Verärgert zerriss sie den unglückseligen Zettel in kleine Fetzen und warf sie dann in den Papierkorb. Wenn die Kollegen herausfänden, dass sie Minnie war, würde sie sich von der Schande nie mehr erholen. In diesem Augenblick wünschte Amy sich, sie wäre noch so schüchtern und scheu wie früher. Sie hätte sich am liebsten verkrochen - wie damals, wenn alles zu beängstigend für sie wurde. Danny saß vor seinem Bier. Um ihn herum redete alles durcheinander, im Hintergrund dröhnte eine Musicbox. Das war Dannys Welt. An der Bar standen ein paar alte Bekannte, gleich würde er sich dazustellen, in ein paar Minuten, und alles wäre wie immer. Auf einem Barhocker saß eine nette Blondine, die ihn beobachtete. Ein reizendes Ding, sie hatte helle Augen, ein Stupsnäschen und diesen auffordernden Blick, den Danny so gut kannte. Ob er sie ansprechen sollte? Jetzt lächelte sie ihn sogar einladend an. Er wandte sich ab, erblickte sein Spiegelbild in der Fensterscheibe und erschrak. Was war mit ihm los? Hastig trank er sein Bier aus und schob das leere Glas in die Nähe der Tischkante. „Noch eins!" rief er. Verflixt, er konnte jedes Mädchen ansprechen, das ihm gefiel, er war niemandem Rechenschaft schuldig! Das Bier wurde ihm hingestellt. Es hinterließ eine breite Schaumspur auf der Platte. Danny zog einen Geldschein aus der Lederjacke und warf ihn auf den Tisch. Er trank das Bier halb aus und stand auf. Es war alles in bester Ordnung, es ging ihm gut. Schwerfällig drehte er sich um und wollte zur Musicbox gehen. „Robinson!" rief jemand. Es war Royce Hubbard, der neben Danny trat und ihn kameradschaftlich in die Seite boxte. „Hast du 'ne Sekunde Zeit? Ich muss dir was Wichtiges sagen." „Lass mich in Ruhe, Hubbard." „Klar, geht in Ordnung. Ich dachte bloß, du würdest vielleicht gern eine Neuigkeit über eine Kollegin hören." Royce beugte sich vertraulich zu Danny. „Es geht um die, die wir beide lieben." Dannys Gesicht wurde hart. „Ich weiß, wer diese Minnie-Mäuschen-Briefe geschrieben hat", sagte Royce grinsend. „Soll ich's sagen?" Danny ging zurück zum Tisch, um sein Bier auszutrinken. „Nein", knurrte er über die Schulter. Er wusste schließlich, dass Connie die Briefschreiberin war. „Du hast es schon rausgekriegt, was?" Royce konnte nicht von dem Thema lassen. „Unser hässliches Entlein, das sich über Nacht in einen Schwan verwandelt hat! Wer weiß, was wir noch für Überraschungen mit Amy erleben ..." „Amy?" Danny starrte Royce an. „Was redest du da? Minnie ist nicht Amy!" „Aber sicher. Denk doch mal nach, Junge." Danny versuchte, sich die Briefe zu vergegenwärtigen. Konnte das denn sein? Aber nein, er hatte ja einen handgeschriebenen Minnie-Brief. Er kannte Connies Schrift zwar nicht, aber Amys. Und Amy hatte diesen Brief nicht geschrieben! Royce sah ihn lauernd an. „Wollen wir eine kleine Wette machen?" Die Versuchung war groß. Danny konnte nur gewinnen, denn er hatte einen Beweis, Royce
dagegen höchstens einen Verdacht. Danny hatte Lust, Royce mal so richtig aufs Kreuz zu legen. Doch im selben Moment kam ihm das albern vor. „Ich bin nicht scharf auf dein Geld, Royce", sagte er barsch. „Ich wollte auch gar nicht um Geld wetten. Ich weiß einen viel interessanteren Preis: Amy." Danny schüttelte fassungslos den Kopf und ließ Royce stehen. Er machte sich auf den Weg zur Tür, doch Royce blieb ihm auf den Fersen. Danny öffnete die Kneipentür und trat auf die Straße, wo der Verkehr brandete. Er schlug den Weg zum „Morgenblatt "-Gebäude ein, bedrängt von seinem Verfolger. „Jetzt mal ernsthaft, Mann", begann Royce wieder. „Wenn ich Recht habe und Amy ist Minnie, dann lässt du mir freie Hand bei ihr, ja? Du drohst mir keine Schläge mehr an, wenn ich ..." Danny blieb stehen und griff nach den Aufschlägen von Royce' Cashmere-Jackett. „Halt den Mund, du, oder ich ..." drohte er und drängte den anderen gegen ein Schaufenster. „Sachte, Junge!" beschwichtigte Royce ihn. „Lass mich ausreden. Wenn ich falsch liege und davon scheinst du ja überzeugt zu sein -, dann lasse ich die Finger von Amy. Ich schwö re, dass ich nie wieder einen Versuch bei ihr mache." Daraufhin ließ Danny ihn los. Royce war ein leidenschaftlicher Spieler. Aber er hielt Wort, so gut kannte Danny ihn. Danny ging nachdenklich weiter. Amy hatte ihm an jenem Abend in seiner Wohnung vorgeworfen, er schütze nur sich selbst - jetzt konnte er sie vor Royce schützen, wenn er sich auf die Wette einließ. „Na, was ist?" drängte Royce. „Ich sag dir Bescheid." Über ihren Köpfen donnerte die Hochbahn über die Gleise, und das erschütterte die gesamte Umgebung. Danny wusste, dass es irgendwann einen Mann in Amys Leben geben würde, aber dass das ausgerechnet dieser Royce sein sollte - nein, das konnte er nicht zulassen. Sie überquerten eine Straßenkreuzung. „Ich habe eine Idee, wie wir Amy auf die Probe stellen können", sagte Royce auf einmal. „Wenn nun jemand anders einen Minnie-Brief schreibt und Peggy einen ganz ausgefallenen Rat gibt? Es müsste etwas sein, was Amy nie von sich aus tun würde. Wenn sie den Rat dann doch befolgt, würde dich das überzeugen, dass sie's ist?" Dummes Zeug, dachte Danny. „Gehen wir mal davon aus, das wäre ein Beweis. Aber wie soll der Brief in die Zeitung gelangen, wenn Amy einerseits selbst Minnie ist und andererseits für den Briefkasten verantwortlich ist?" fragte er amüsiert. „Das lass meine Sorge sein", gab Royce großspurig zurück. Na schön, dachte Danny, soll er machen. Er kann gar nicht gewinnen. „Okay. Ich gebe dir achtundvierzig Stunden." „Unmöglich. Ich brauche mindestens eine Woche dafür!" Danny ging ungerührt weiter. „Zwei Tage", sagte er. Sie waren am Hochhaus angekommen. Danny fühlte sich auf einmal sehr erleichtert. Erleichtert und glücklich.
10. KAPITEL
Danny hatte es sich zu Hause im Sessel am Fenster bequem gemacht und las die Sonntagsausgabe des „Morgenblatts". Er war mit dem Sportteil fertig und blätterte weiter zu den Unterhaltungsseiten. Aus alter Gewohnheit schlug, er den Peggy-Briefkasten auf. Amy machte ihre Sache gut. Die Ratschläge für die Probleme waren frisch, natürlich und originell. Während Danny las, hatte er das Gefühl, Amy spräche selbst mit ihm. Er ließ das Blatt sinken und blickte aus dem Fenster. Irgendwie war er niedergeschlagen. So viele Dinge erinnerten ihn an Amy: der Ausblick auf den See und die Baseballspiele seiner Lieblingsmannschaft im TV, einfach alles. Er hatte sich so nach dem Reporterdasein zurückgesehnt, doch jetzt interessierte ihn die Geschichte über gescheiterte Tarifverhandlungen gar nicht mehr, an der er gerade arbeitete. Er hatte keinen Appetit, und er schlief schlecht. Das Leben machte keinen Spaß mehr, und das beunruhigte ihn sehr. Danny wusste, wie man kämpft: zur Not mit Fäusten, mit Wendigkeit und Intelligenz. Aber was machte man gegen Gefühle? Er sehnte sich nach Amy, er wollte mit ihr zusammen sein, aber er durfte dem andererseits nicht nachgeben. Das würde sein ganzes Leben verändern, denn mit Amy konnte man nicht einfach eine Liebesaffäre haben. Bei Amy blieb man, mit Haus und Garten und Kindern und allem, was dazugehörte. Aber dann würde er seine Dynamik, seinen Biss verlieren. Davor fürchtete er sich. Danny stand auf und lief auf nackten Füßen durch die Wohnung. Und dann war da noch diese Mutter ... Kopfschüttelnd sah er auf die Zeitung hinunter, die auf den Boden gefallen war. Eins stand fest: Er musste das „Morgenblatt" verlassen, wenn er je wieder Boden unter die Füße bekommen wollte. Sein Blick fiel auf die Peggy-Seite, und das gab ihm einen Stich. Er nahm die Zeitung hoch. Da sah er den letzten Brief unten auf der Seite. „Das darf doch nicht wahr sein!" Er las, und dann las er das Ganze gleich noch mal. Das musste der Minnie-Brief sein, den Royce geschrieben hatte. Der Mann musste verrückt sein, wenn er annahm, dass Amy auf so einen Unsinn reagieren würde. Und doch - da war etwas, was ihn beunruhigte. Amy hatte die Minnie-Briefe nicht geschrieben, das stand fest. Aber es gab doch eine Reihe merkwürdiger Zufälle in der ganzen Geschichte. Amy war immerhin Connies Freundin. Der Brief war Connie aus der Handtasche gefallen ... Plötzlich kam ihm die Idee gar nicht mehr so absurd vor. Wenn Connie nun die Briefe für Amy geschrieben hatte? Dann wäre Amy doch Minnie! Danny zerknüllte verärgert die Zei tung. Nein, das wollte er nicht glauben. Fast zur gleichen Zeit las Amy das „Morgenblatt" an der Frühstücksbar in ihrer Küche. Als sie die Peggy-Briefe überflog, verspürte sie etwas wie Stolz. Der Ratschlag für die ge schiedene Frau war klar, deutlich und doch mitfühlend. Und der Frau mit dem ewig miauenden Siamkater konnte man im Grunde nichts anderes sagen, als dass sie sich Watte in die Ohren stopfen sollte. Amy kam zum letzten Brief, und ihre Augen wurden ganz rund. Aufgeregt las sie den Text. „Liebe Peggy, Deine Ratschläge sind das Letzte! Ich habe alles genauso gemacht, wie Du gesagt hast, und es ist total daneben-" gegangen! Supermann ist offenbar unfähig, eine echte Beziehung zu einer Frau zu haben. So, und jetzt will ich nichts mehr hören. Ich habe von Männern endgültig die Nase voll. Minnie." Wo kam dieser Brief her? Aber zuerst musste sie noch die Antwort lesen. „Liebe Minnie, nicht so hastig! Peggy hat immer noch ein paar Tricks auf Lager, wenn alle Stricke reißen. Supermann muss jetzt mal hart angefasst werden. Kein normaler Mann verträgt es, wenn sich die Frau, aus der er sich etwas macht, mit einem anderen einlässt. Lass Supermann also glauben, Du hast Dich in jemand anderes verliebt. Such Dir möglichst einen, den er kennt. Wenn ihm wirklich etwas an Dir liegt, wird er endlich weich werden. Und wenn nicht, dann wende Dich lohnenderen Dingen zu. Viel Glück! Deine Peggy."
Wer hatte das geschrieben? Der Minnie-Brief konnte nicht von Connie sein, die war verreist. Es ist weiter nichts als ein schlechter Scherz, sagte sich Amy. Der Brief musste eingetroffen sein, nachdem sie am Freitag das Büro verlassen hatte. Janice, die verantwortliche Redakteurin, liebte das Minnie-Spiel so sehr, dass sie vermutlich selbst die Antwort verfasst und den ' Brief ins Blatt genommen hatte. Amy las den Text noch einmal. Supermann eifersüchtig machen? Was für eine lächerliche Idee! Wenn die tatsächlich von Janice stammte, dann sollte sie sich schämen. Amy sah nachdenklich aus dem Fenster und schüttelte den Kopf. So etwas konnte ja gar nicht funktionieren, oder vielleicht doch? Unter den funkelnden Kronleuchtern des Großen Ballsaals im „Hilton-Hotel" hatte sich schon eine wohlhabende Gästeschar zusammengefunden. Kellner servierten Champagner und über wachten den Nachschub für die Büffets. Die interessantesten Düfte lagen in der Luft, einerseits stammten sie von den üppigen Blumenbuketts auf den Tischen, andererseits waren es die Parfüms der Damen in ihren kostbaren Ballroben. Es war ein Fest ganz nach Eugenia Dwyers Geschmack, und sie genoss die Pracht sichtlich. Auch Amy hatte heute Gastgeberpflichten. Sie staunte immer wieder über die Leistung, die ihre Mutter da vollbracht hatte. Die Bemerkung eines Gastes war ihr nicht entgangen: „Von den tonangebenden Leuten dieser Stadt fehlt wirklich keiner." Und so war es auch. Doch der Ehrengast fehlte noch. Besorgt sah Amy zum Eingang, wo immer noch verspätete Gäste eintrafen. Connie sollte längst von ihrer Reise zurück sein. Wo sie nur blieb? Amy musste sich ehrlicherweise eingestehen, dass sie im Grunde nicht nach Connie Ausschau hielt, so unsinnig es war, sie hoffte auf Dannys Erscheinen. Es war reine Selbstquälerei. Eugenia näherte sich mit einer Gruppe von Freunden, und Amy musste sich zusammennehmen. „Deine Tochter sieht hinreißend aus, Eugenia", sagte eine der Damen. „Und das Kleid steht ihr wirklich ausgezeichnet", pflichtete die andere bei. Amy trug das blaugrüne trägerlose Kleid, in dem sie einmal mit Danny zum Tanzen ausgegangen war. Sie fühlte sich selbst darin schön und begehrenswert. „Danke", sagte sie höflich. Als sie wieder einmal zur Tür blickte, sah sie Royce eintreten. Auch er sah sie sofort. Doch Amy wollte jetzt nicht mit ihm sprechen und wandte sich wieder den Frauen zu. „Ist es nicht schön, dass so viele Menschen bereit sind, sich für einen guten Zweck einzusetzen?" fragte sie, um das Gespräch in Gang zu halten. Die Damen stimmten zu und begannen, Amy nach Einzelheiten über Connies Kinderhort auszufragen. „Es ist für kinderreiche Familien mit niedrigem Einkommen", fing Amy an, brach dann aber ab, weil die Aufmerksamkeit ihrer Gesprächspartnerinnen offenbar von etwas anderem gefesselt wurde. Mit großen Augen starrten sie über Amys Schulter hinweg zum Eingang. Andere Gäste blickten ebenfalls in die Richtung, und da wusste Amy, was sie sahen. „Meine Güte, wer ist denn das?" murmelte jemand. Amy drehte sich um und sah Danny. An jenem Abend in Eugenias Villa hatte Amy denselben Satz von ihrer Mutter gehört. Der Anblick war für eine Amy eine Qual. Wenn sie je einen absolut beeindruckenden Mann gesehen hatte, dann in diesem Moment. Danny stand groß und breitschultrig in der Tür, er war tadellos gekleidet und wirkte unnahbar. Der dunkle Anzug ließ seine Augen noch blauer erscheinen als sonst. Er wirkte kraftvoll, aber doch beherrscht und selbstsicher. Danny sah Amy, und in seinen Augen zeigte sich ganz kurz Freude. Amy wurde es heiß, und sie sah deshalb weg. Da traf ihr Blick den von Royce, der sie merkwürdig lauernd beobachtete. Royce lächelte, als wenn nichts wäre. Danny kam näher, und Amy empfand die Spannung plötzlich als unerträglich. Sie trat deshalb an einen der Tische und machte sich unsinnigerweise am Blumenschmuck zu schaffen. Als sie aufsah, stand Danny vor ihr. Sein Blick hielt ihren fest, und sie konnte sich nicht davon lösen. Es schien, als erwarte er etwas von ihr, aber sie wusste nicht, was es war. Der Wunsch, ihn zu berühren, war fast schmerzhaft. Wie gern hätte sie ihm gesagt, dass er ein unglaublicher Dickkopf war - und dass sie ihn liebte. Doch die Erinnerung an die schmähliche Zurückweisung hielt sie zurück. Das würde sie
nicht noch einmal ertragen. Sie musste der Tatsache ins Auge sehen. Bitterkeit stieg in ihr hoch. Amy zwang sich, Royce anzusehen. Bei dem wusste sie wenigstens, woran sie war. Royce mochte sein, wie er wollte, aber ein Heuchler war er jedenfalls nicht. Dannys Spruch, er wolle sie schützen, wobei doch eindeutig zu erkennen gewesen war, dass er nur seinen eigenen Schutz im Sinne hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Nein, das war nicht Royce' Art. Er lächelte einladend, und sie wollte der Aufforderung folgen. Aber der Weg bis dort hinüber schien so weit, das Parkett so glatt ... Amy hörte ihren Namen. „Wo bleibt denn deine Freundin, Liebes?" fragte Eugenia im Näherkommen. „Wir sollten bald zu Tisch gehen, aber ohne unseren Ehrengast wäre das unpassend." Wie durch einen Schleier nahm _ Amy wahr, wie Royce und Danny sich mit Blicken maßen. Zwischen den beiden knisterte es förmlich, doch Amy musste ihrer Mutter antworten. „Ich rufe am Besten mal in der Wohnung an", sagte sie mühsam. „Ja, tu das bitte", bat Eugenia. „Du weißt doch, ein hungriger Magen spendet nicht gern." Amy ging in die Hotelhalle hinunter und wählte die Telefonnummer ihrer Wohnung. Sie ließ es endlos klingeln, aber nichts rührte sich. Das bedeutete hoffentlich, dass Connie schon auf dem Weg hierher war. Amy kehrte ins oberste Stockwerk zurück und suchte zunächst einmal Zuflucht in den Waschräumen. Sie kämmte sich unnötigerweise das Haar und betrachtete gedankenverloren ihr Spiegelbild. Da flog die Tür auf, und Connie stürmte herein. Sie trug ein schwarzes Abendkleid, einen langen, auffallenden Ohrring und zog eine Stola hinter sich her. „Na, endlich", sagte Amy erleichtert. „Oh, du hast einen Ohrring verloren!" „Hier ist er!" Hastig befestigte Connie das Schmuckstück. „Ich bin ganz aufgeregt, Amy. Dieser Abend könnte mein Projekt wirklich retten. Es wäre zu schön, um wahr zu sein!" Sie lächelte Amys Spiegelbild an. „Danke noch mal für deinen Artikel. Der hat den Ball ins Rollen gebracht. Alle anderen Zeitungen haben nun auch über den Hort geschrieben. Wenn das so weitergeht, kann ich mit ihm vielleicht noch auf die Bahamas umziehen." Sie wies mit dem Kopf in Richtung auf den Ballsaal. „Was machen denn deine beiden Verehrer? Sie hatten gerade eine hitzige Diskussion, als ich ankam." „Was meinst du damit - hitzige Diskussion?" „Na, ich wollte sie begrüßen, aber sie hatten weder Augen noch Ohren für ihre Umgebung. Sie redeten über eine Wette, so viel ich verstanden habe. Es hatte mit dem Peggy-Brief kästen zu tun, glaube ich." „Woher weißt du das?" fragte Amy unruhig. „Du kennst mich doch. Was ich hören will, das höre ich auch. Danny sagte, die Wette wäre ungültig, weil ein Brief, den Royce wohl ins Blatt geschmuggelt hat, ein unfairer Trick sei. Royce sagte, er hätte noch Zeit bis Mitternacht, und außerdem hätte er einen Beweis - einen zerfetzten Brief, den er in deinem Papierkorb gefunden hat." Amy griff sich an die Stirn. „Oh, nein. Royce hat mich überrascht, als ich gerade einen Minnie-Brief schrieb. O Connie, er weiß alles!" „Glaubst du, diese Wette hat etwas damit zu tun?" „Ja, sicher!" Amy verstand auf einmal. „Der Brief in der Zeitung von heute war also eine Falle. Und deswegen sind die beiden hier - um zu beobachten, wie ich hineintappe!" Amy errötete vor Scham. Während sie stumm litt, schloss Danny mit Royce Wetten ab, ob sie Minnie war oder nicht! Das war eine Unverschämtheit. „Connie", murmelte sie. „Ich glaube, es wird Zeit, dass wir den beiden Herren eine Lektion erteilen." Connie sah sie besorgt an. „Du willst doch keine Dummheit machen, Amy? Wenn diese Wohltätigkeitsveranstaltung mit einem Skandal endete, wäre das sehr schade. Schließlich geht es um die Hortkinder, Amy ..." „Nein, nein, keine Sorge. Heute Abend kommt nur das Vorspiel. Und morgen treten wir dann in Aktion."
„Aktion?" „Aktion!" Amy nickte und zeigte so viel Entschlossenheit wie nie. „Ich werde sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Ich werde zur Rachegöttin - oh, das wird mir schmecken! Bist du dabei, Connie?" Connie nickte begeistert. Zusammen betraten Amy und Connie den Ballsaal. Danny und Royce diskutierten immer noch. Amy stellte sich so, dass Royce sie sehen konnte, und winkte ihm zu. Beide Männer fuhren gleichzeitig herum. „Sie warten darauf, dass Minnie den Rat befolgt und ihren Supermann eifersüchtig macht", erklärte Amy leise. „Du willst wahrhaftig mit Royce flirten?" Amy lächelte boshaft. „Natürlich nicht, Connie. Du wirst mit ihm flirten. Ich werde mich den ganzen Abend den Gästen widmen." „Amy, du verblüffst mich", flüsterte Connie beeindruckt. „Und heiz ihm ordentlich ein", sagte Amy noch. Dann kümmerte sie sich in den nächsten Stunden weder um Danny noch um Royce und vergnügte sich stattdessen mit anderen Gästen. Connie flirtete derweil hemmungslos mit dem armen Royce, und entweder amüsierte sie sich köstlich, oder sie war eine geborene Schauspielerin. Royce war jedenfalls entschieden verwirrt. Natürlich hatte Amy keine Ahnung, um was die beiden gewettet hatten. Doch aus Dannys Gesichtsausdruck schloss sie, dass er gewonnen hatte. Wer zuletzt lacht, lacht am Besten, dachte Sie, während sie ihn verstohlen beobachtete. Hoffentlich siehst du morgen auch noch so selbstgefällig aus, mein lieber Danny ... Das Großraumbüro der Nachrichtenredaktion wirkte verlassen, als Amy am Montagmorgen um neun Uhr eintraf. Die Stille war fast unheimlich, wenn man an die Nachmittagshektik dachte. Amy hatte es absichtlich so eingerichtet, dass sie Royce allein in seinem Büro antreffen konnte. Er telefonierte, mit dem Rücken zu ihr. Amy öffnete ihren dritten Blusenknopf auch noch und setzte sich herausfordernd auf den Schreibtisch. Die Kehle wurde ihr trocken, doch sie sprach sich Mut zu. „Royce, Schatz?" Royce wirbelte mit seinem Stuhl herum und staunte. Da beugte Amy sich zu ihm hinüber, nahm ihm sanft den Telefonhörer aus der Hand und legte einfach auf. „Amy, das war meine Mutter!" protestierte er. „Grüß sie das nächste Mal schön von mir." Royce rollte mit dem Stuhl zurück. „Warum sitzt du auf meinem Schreibtisch, Amy?" fragte er misstrauisch. „Ach, es sieht immer so witzig aus, wenn du das machst." Sie schlug provozierend langsam die Beine übereinander und wippte mit der Fußspitze. „Ich habe gehört, dass du am Donnerstag deinen freien Tag nimmst. Ich auch. So ein Zufall, nicht?" „Amy, hat dir jemand was in den Morgenkaffee getan?" „Hast du dir für den Tag schon etwas vorgenommen, Royce?" Er stand auf und lehnte sich mit dem Rücken an ein Regal. „Wenn ich recht verstehe, willst du dich mit mir verabreden?" „Ich dachte, wir könnten ein bisschen wegfahren? Nach. Las Vegas vielleicht? Über Nacht natürlich ..." Royce war so schockiert, dass er ganz vergaß, sie wie sonst mit hungrigen Blicken zu verschlingen. „Was ist das für ein schmutziger Trick, Amy? Wer steckt dahinter? Robinson etwa?" „Ich verstehe nicht, wovon du redest", sagte Amy unschuldig. Aber insgeheim wurde sie doch nervös. Machte sie etwas falsch? Sie hatte halb und halb erwartet, dass Royce auf der Stelle über sie herfallen würde. Deshalb wechselte sie die Taktik. „Ich dachte, du magst mich
ein bisschen, Royce", sagte sie und machte einen Schmollmund. „Aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich will mich dir keineswegs aufdrängen." Das wirkte. Royce wurde allmählich wieder sicherer. „Mir kann sich gar keine Frau aufdrängen", meinte er. „Der Zeitpunkt ist nur etwas ungünstig", fügte er dann vorsichtig hinzu. „Ach so. Na dann, bis bald mal." Amy war sicher, dass er sie so nicht gehen lassen würde. Sein Ruf als Playboy stand schließlich auf dem Spiel. „Okay, Amy, bis demnächst", sagte er, als sie schon auf der Schwelle stand. „Und nimm's nicht persönlich." Amy erstarrte. Das war doch nicht möglich! Sie drehte sich um und ging entschlossen auf Royce zu. „Lass die Faxen, Royce", sagte sie drohend. „Entweder du fährst mit mir nach Las Vegas, oder ich erzähle der ganzen Redaktion, was du hier heute für eine Figur abgegeben hast." Royce kreuzte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Du bist unglaublich, Amy. Nun gut. Wenn Robinson dumm genug ist, dich gehen zu lassen, dann bin ich es noch lange nicht. Wir fliegen also nach Las Vegas." Na also, dachte Amy. Royce nahm den Telefonhörer ab. „Ich buche gleich den Flug, damit du es dir nicht noch anders überlegst." „Bestimmt nicht." Allerdings hatte Amy dabei ein flaues Gefühl im Magen. Er legte die Hand auf die Sprechmuschel. „Das bleibt doch unter uns, nicht?" Amy lächelte überlegen. „Aber sicher, Royce." „Danke. Sag mal, du hast doch die Minnie-Briefe geschrieben, oder?" meinte er wie beiläufig. Amy warf ihm einen Blick über die Schulter zu und ging aus der Tür. Das kriegst du nie raus, mein Lieber, sagte sie sich. Aber Danny wird von der Las-Vegas-Reise erfahren, soweit kenne ich Royce nun doch. Als der Mittwoch herankam, war Amy ein Nervenbündel. Danny war die ganze Woche nicht in der Redaktion aufgetaucht! Sie hatte vorsichtig herumgehorcht und nichts erfahren. Die Selbstachtung verbot es ihr, ihn zu Hause anzurufen. Was hätte sie ihm auch sagen sollen? „Liest du keine Zeitung, Danny? Minnie hat eine Verabredung mit deinem Erzrivalen!" Als Amy an diesem Abend das Hochhaus verließ, hatte sie das unangenehme Gefühl, in einer Falle zu sitzen. In einer knappen Stunde ging das Flugzeug nach Las Vegas. Sie konnte nicht zurück, und das machte sie seltsamerweise traurig. Sie hätte doch damit rechnen müssen, dass Danny nicht reagierte! Connie wartete schon, als Amy nach Hause kam. „Supermann ist nicht aufgetaucht, um dich zu retten, wie?" fragte sie ahnungsvoll, als sie Amys Gesicht sah. „Ach ja, die Männer!" „Connie", sagte Amy nervös. „Ich muss schnell zum Flugplatz. Kannst du mich hinfahren?" „Klar", meinte Connie sofort. „Das ist kein Problem." Der Verkehr war ungewöhnlich dicht für diese Tageszeit, und sie erreichten den Flughafen erst wenige Minuten vor dem Abflug. Trotzdem fand Amy die Zeit, Connie mit ihrem neuen Krisenplan vertraut zu machen. Als sie Royce am Schalter der Fluggesellschaft stehen sahen, versteckte Connie sich. „Haisund Beinbruch!" meinte sie vergnügt. „Hallo, Süße!" rief Royce, als er Amy erblickte. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr." Er fuchtelte mit den Tickets herum. „Bist du bereit für die aufregendste Nacht deines Lebens?" scherzte er. Amy nickte stumm und stellte sich vor ihn in die Schlange, was sie aber sofort als Fehler erkannte. Denn gleich bekam sie Royce' Hände zu spüren. Das ging so weiter, bis sie in der Maschine und bei ihren Sitzen waren. „Ich muss zugeben, ich hab's bis zum Schluss nicht geglaubt, dass du wirklich ernst machst, Amy", sagte er, als sie saßen. Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Du bist erstaunlich." „Vielleicht staunst du nachher noch mehr, Royce." Sie wich geschickt seinen feuchten Lippen aus. „Halt - wo ist meine Tasche? O nein! Ich habe sie in der Flughafentoilette stehen lassen!"
„Keine Aufregung, Amy. Ich hole sie dir." Amy hielt ihn am Jackenärmel fest. „Nein, du verstehst mich nicht - in der Damentoilette!" Sie zwängte sich an ihm vorbei, löste die Strickjacke, die sie sich über die Schulter geworfen hatte, und warf sie auf den Sitz. „Halt das, ich bin gleich wieder da!" Die Stewardess an der offenen Einstiegklappe versuchte, Amy zurückzuhalten. „Sie können nicht mehr aussteigen, wir starten in ein paar Minuten." „Sie brauchen nicht auf mich zu warten", sagte Amy. „Ich fliege nicht mit." Sie lächelte sie beruhigend an und rannte die Rampe hinunter. Connie wartete schon vor dem Flugzeug. „Mach's gut!" sagte Amy. „Ich hoffe, dir gefällt Las Vegas." Connies Blick war jedoch skeptisch. „Mich reizt mehr die Aufgabe, diesen höchst seltsamen Mann zur Vernunft zu bringen", meinte sie. Eine Stewardess kam die Rampe zu ihnen herunter. „Ist eine von Ihnen Amy Dwyer?" fragte sie. „Da drin sitzt ein Fluggast, der alle Passagiere verrückt macht." „Okay, ich muss gehen", sagte Connie und drückte Amys Hand. „Ich werde das schon hinkriegen." Mit hoch erhobenem Kopf folgte sie der Stewardess. Amy sah den beiden mit gemischten Gefühlen nach. Als die Maschine endlich von der Rampe ablegte, lächelte Amy versonnen. Connie und Royce? Konnte das gut gehen? Andererseits brauchte Royce mal eine Frau, die ihm Respekt einflößte, und da war Connie genau die Richtige. Die konnte ihm schon den Kopf zurechtrücken. Amy drehte sich um und ging in die Halle zurück. Was wäre, wenn aus Connie und Royce am Ende noch ein Paar würde? Aber nein, das war eine allzu romantische Idee. Amy fühlte sich plötzlich sehr allein unter all den eiligen Menschen. Sie sah Verliebte, die tränenreichen Abschied nahmen, und Familien, die glückliches Wiedersehen feierten. Amy versuchte, nicht hinzusehen, und ging immer geradeaus weiter. Dennoch nahm sie fröhliche Kinder an der Hand der Mutter wahr und Paare, die vertraut beieinander standen. Amy fühlte sich so verlassen wie nie. Die Kehle wurde ihr eng. Die Traurigkeit war wie ein kleiner Vogel, der ihr zugeflogen war und bei ihr blieb. Sie sehnte sich auf einmal nach einem Glück, das für sie unerreichbar schien. Wie ein Automat ging sie weiter durch die Menge. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie es jetzt nicht in der leeren Wohnung aushalten würde. Für einen Moment verspürte sie den Wunsch, irgendein Flugzeug zu besteigen und einfach irgendwohin zu fliegen. Zur selben Zeit, als Amy und Connie das Flughafengebäude betreten hatten, war Danny auf den Parkplatz vor seinem Apartmenthaus gefahren. Er hatte einen unerfreulichen Arbeitstag hinter sich gehabt, voller Fehlschläge und Irrtümer. Nun machte er seine Wohnungstür eine Spur zu laut zu und warf die Jacke auf einen Sessel. Das rote Lämpchen am Telefon-Anrufbeantworter blinkte. Danny hörte das Band ab. Der erste Anrufer war irgendein armer Narr, der seinen Teppichboden reinigen wollte. Der zweite hatte mit der Giftmüll-Geschichte zu tun, an der Danny gerade saß. Die dritte Nachricht kam von einer aufgeregten weiblichen Stimme. „Hallo, hier Connie. Pass gut auf, ich habe wenig Zeit: Amy fliegt heute Abend um sieben Uhr mit Royce Hubbard nach Las Vegas. Wenn dir etwas an ihr liegt, dann musst du sie zurückhalten, Danny! Und kein Wort davon, dass ich angerufen habe, okay?" Zehn Minuten später hatte Danny festgestellt, welcher Flughafen und welche Fluglinie gemeint war - zwei Informationen, die Connie in der Eile zu geben vergessen hatte. Er war dann mit seinem Sportwagen über die Schnellstraße gejagt. Wenn die Maschine pünktlich startete, würde er es nie schaffen, aber es gab ja häufig Verspätungen. Vor seinem geistigen Auge sah er Amy in Royc' Armen, und da trat er das Gaspedal ganz durch. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Dieses Mal würde Royce nicht nur mit einem blauen Auge davonkommen. Es ging jetzt nicht mehr um die dumme Wette -verloren oder nicht -, es ging um Amy. . Danny wechselte die Spur, überholte, scherte ein und aus. Mehrfach riskierte er Manöver,
die hart an der Grenze waren. Er fuhr wie in Trance, und selbst in den gefährlichsten Situationen waren seine Gedanken bei Amy. Und es war nicht nur der Gedanke an Royc' Sieg, der ihn rasend machte: Er würde überhaupt keinen anderen Mann in Amys Nähe dulden! Wenige Minuten nach dem planmäßigen Abflug der Maschine kam Danny am Flugplatz an. In der Abfertigungshalle drängten sich viel zu viele Menschen um ihn. Auf der großen Arizeigentafel suchte Danny nach der Flugnummer und hastete zum Flugsteig. Vor der Barriere wartete eine lange Schlange. Danny zog seinen Presseausweis aus der Jackentasche. „Ich muss dringend nach Las Vegas!" rief er. „Ein Notfall.“ Der Uniformierte an der Schranke winkte ihn heran. Danny ließ sich vom Metalldetektor abtasten, und das Gerät gab Alarm. Das musste das Schlüsselbund sein. In diesem Moment erblickte Danny Amy. Sie kam eine Rampe herunter, aber in Richtung Flughafengebäude! „Amy!" rief er. „Amy, warte!" Das war die letzte Chance! Jemand griff Danny bei der Schulter. „Gehen Sie bitte da rüber. Wir müssen Sie noch mal checken." „Ja, ja, schon gut." Danny formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. „Amy, bleib stehen!" „Tut mir Leid, aber Sie dürfen hier nicht rein, ehe der Detektor nicht grünes Licht gibt", sagte der Kontrolleur. Danny sah Amy verschwinden und verlor die Nerven. Er schubste den Kontrolleur beiseite und rannte los. „Amy!" brüllte er, denn er hatte sie aus den Augen verloren. „Polizei!" schrie der Flughafenangestellte aufgeregt. „Haltet den Mann!" Sofort tauchten an verschiedenen Stellen Uniformierte auf. Danny rannte. Vor ihm wichen die Menschen zurück und bildeten eine Gasse. Da sah er endlich Amy von weitem wieder. „Stopp, Amy! Hörst du mich denn nicht?" Doch schon waren die Polizisten bei ihm und umzingelten ihn. Kräftige Hände griffen nach seinen Armen, und Amy war verschwunden. Danny schüttelte die beiden Polizisten ab, die ihn fest hielten, und stieß einen Dritten unsanft beiseite, der sich ihm in den Weg stellte. Mit den Schultern bahnte er sich einen Weg durch die neugierig herbeigelaufenen Menschen. Und dann sah er Amy wieder. Sie wollte gerade in die Damentoilette gehen. Er war nur noch etwa zwanzig Meter von ihr entfernt. „Amy!" Sie drehte sich ungläubig um. „Danny?" Sie machte große Augen. „Wo kommst du denn her?" „Ich muss dir etwas Wichtiges sagen", stieß er atemlos hervor. „Stimmt es, dass du mit Royce nach Las Vegas fliegst?" „Da ist er!" rief jemand, und schon waren die Polizisten bei ihm. Danny zog eine Grimasse, als man seine Arme packte und sie ihm auf den Rücken drehte. Doch er ließ es zu. „Kommen Sie mit, Mann", sagte der Polizist barsch. „Ich glaube, Sie sind uns ein paar Erklärungen schuldig." Danny war nicht sicher, ob Amy ihn gehört hatte. Sie stand da, mit leicht geöffnetem Mund, und auf ihrem Gesicht zeigten sich Fassungslosigkeit und Überraschung. „Los, bringen wir ihn ins Büro", meinte einer der Männer. „Wir sollten ihn erst mal abklopfen", sagte der andere. Danny fühlte, wie die Männer ihn mit geübten Griffen abtasteten. „So, jetzt benehmen Sie sich hoffentlich vernünftig, Sie ... Irrläufer!" brummte der Erste. „Sicher, sicher", murmelte Danny und ließ sich willig wegführen. Er hielt sogar brav die Hände auf dem Rücken, wie die beiden Wachen es gefordert hatten - bis er seinen Namen rufen hörte. „Entschuldigen Sie einen Moment", sagte er und drehte sich heftig um. Indem er die Polizisten mit sich zog, ging er zu der Stelle zurück, wo er Amy getroffen hatte. Amy kam auf Danny zugerannt und sah aus, als wollte sie gleichzeitig lachen und weinen. Sie blieb vor ihm stehen.
„Wo bringen sie dich hin, Danny? Was hast du verbrochen?" „Nichts", sagte er mit einem misslungenen Lächeln. „Ich habe den Metalldetektor irritiert." Er sah Amy ins Gesicht, in dem sich unterschiedliche Gefühle spiegelten: Angst und Hoffnung und noch etwas anderes, das ihm fast den Atem nahm. . „Bist du gekommen, um mich zurückzuhalten?" fragte sie leise. Er nickte, und ihr stiegen Tränen in die Augen. Da fühlte er einen scharfen Stich in der Herzgegend. „Amy, du darfst jetzt nicht glauben, dass ich damit ..." Er brachte den Satz nicht zu Ende. Amy war nur wenige Schritte von ihm entfernt, so nah und doch so fern. Danny spürte, dass er sich noch nie zuvor so sehr nach einer Frau gesehnt hatte. Wenn er sie nur berühren dürfte! „Komm her, Amy, komm zu mir, bitte." Sie schüttelte den Kopf. „Amy, es ist ja alles ganz anders." Danny schloss hilflos die Augen. „Amy, ich weiß nicht mehr, was mit mir vorgeht. Ich weiß überhaupt nichts mehr." Er biss die Zähne aufeinander, und da war es ihm, als löse sich bei ihm etwas. Die Polizisten bemühten sich inzwischen, die Umstehenden zum Weitergehen zu veranlassen. Einer der beiden ergriff Amys Arm und zog sie weg. Als Danny das sah, machte er unbedacht einen Versuch, sich zu befreien. Doch die Männer hielten ihn nun umso fester im Klammergriff und gaben keinen Zentimeter nach. Da geriet Danny in Panik. „Amy, ich liebe dich!" rief er unglücklich. Endlich war es heraus, und augenblicklich empfand Danny unsägliche Erleichterung, ja, sogar eine Art Hochstimmung. „Amy, es ist wahr", fügte er in normaler Lautstärke hinzu. „Ich liebe dich. Amy, ich liebe dich." Danny merkte, dass alles um ihn herum wie in einer Momentaufnahme erstarrte - die Polizisten, Amy, die übrigen Menschen. Der ganze Flughafen schien stillzustehen, und alle starrten ihn an. „Seht euch den an", ließ sich endlich einer vernehmen. „Der hat nun vollkommen abgehoben." Amy hielt sich die Hand vor den Mund und sah ihn ebenfalls an, als wäre er nicht ganz bei Sinnen. Und vielleicht stimmte das ja. Doch in ihren Augen las er Freude und Sehnsucht. „Ja, ich habe abgehoben, Amy." Endlich ließen die Männer Danny los, und er ging gleich auf Amy zu. „Ich auch, Danny", sagte sie mit bebender Stimme. Er nahm 4hre Hand, wollte ihr sagen, was in ihm vorging, fand aber keine Worte. „Komm", sagte er rau, „verlassen wir diesen Narrenkäfig." Sie wollten gehen, aber ein stämmiger Polizist stellte sich ihnen in den Weg. Doch als er ihre seligen Gesichter sah, schüttelte er bloß den Kopf. „Ach was, macht dass ihr wegkommt", sagte er mehr zu sich selbst. „Aber schnell." Hand in Hand liefen sie zum Ausgang. Draußen pfiff ein steifer Wind, und Danny zog Amy in eine geschützte Ecke. „Ich hoffe, du weißt, auf was du dich einlässt, Amy", sagte er und umarmte sie. „Denn ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, was bei unserer Verbindung herauskommt." „Denk nicht an das, was noch wird, Danny. Sieh doch mal, was schon aus uns geworden ist: Wir haben uns sehr verändert." „Haben wir das?" Amy belächelte seine plötzliche Ernsthaftigkeit. „Sicher. Ich bin ein paar Pfund leichter geworden", sagte sie ebenso ernst. „Und ich fahre nicht mehr so schnell Auto, das heißt, ich gebe mir Mühe, es nicht zu tun." Danny lachte und zog sie näher an sich. „Und ich wünsche mir außer dem Pulitzer-Preis noch ein paar andere Dinge." Ja, fügte er in Gedanken hinzu, ich will sie mehr, als ich irgendetwas sonst in dieser verrückten Welt will... dieses sanfte, wilde, leidenschaftliche Mädchen. Er küsste sie, zuerst die Unterlippe, dann die Oberlippe, zärtlich und begehrlich. Amy gab sich ganz dem Strom von Empfindungen hin. So nah bei Danny zu sein, das waren alle Glückseligkeiten auf einmal. „Augenblick noch", sagte Danny da. „Bevor ich meinen Gefühlen freien Lauf lasse, muss
ich eins wissen: Wer ist Minnie Mäuschen?" So leicht wollte sie es ihm doch nicht machen. Mit gespielter Entrüstung entgegnete sie: „Du sprichst mit Peggy, mein Lieber. Das ist mein Berufsgeheimnis." „Du willst es mir wirklich nicht sagen?" Amy genoss das Spiel. Sie befeuchtete sich die Lippen und schüttelte den Kopf. Danny sah enttäuscht aus, fing sich aber schnell. „Wenn das so ist, dann muss ich wohl zu anderen Mit teln greifen." „Tu das, Robinson", flüsterte sie. „Das kriegst du nicht raus." „Ich weiß schon, wie ich das anstelle." Er hob ihr Gesicht an und sah ihr in die Augen. Dann berührte er mit den Lippen leicht ihren Mund. „Ich werde erfahren, wer Minnie ist, und wenn ich den Rest meines Lebens dafür brauche." „Das wäre mir nur recht." Amy schob die Hand unter Dannys Jacke und sah ihn glücklich an. - ENDE -