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KING COLT
Verlorene Herde Wildwest‐Roman
Verlags-Nr. 571 – 1. Auflage Printed in Germany Hönne-Verlag...
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KING COLT
Verlorene Herde Wildwest‐Roman
Verlags-Nr. 571 – 1. Auflage Printed in Germany Hönne-Verlag
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1.Hinterhalt Es ist Mittag, als der Schuß knallt. Das Echo erwacht und fliegt wie ein munterer Spielball von Wand zu Wand. Dann Stille. Sogar die Vögel in den breitästigen Sykomoren sin‐ gen nicht mehr. Die Stille des Todes. Es ist ein schöner, ein wunderbarer Tag. Ein Tag, wie man ihn nur noch oben in der Einsamkeit der wilden Mogollons findet, von Sonnenlicht durchsponnen, von sanfter Brise gestreichelt. Hier erinnert nichts an die harte Hand des Menschen. Unberührte Wildnis dehnt sich, soweit das Au‐ ge schauen kann. Zackige Granitfelsen säumen verträumte Täler und waldige Hänge. Es ist das Revier des Pumas und des grauen Wolfes. Und es ist mein Revier. Eine Antilope setzt erschreckt in langen Fluchten über den schmalen Ge‐ birgspfad und bricht in die Fettholzsträucher auf dem jen‐ seitigen Hang, Mein Mustang prustet aufgeregt und spielt mit den Ohren. Ich tätschele seinen blanken Hals und drü‐ cke ihn eng an die Büsche. Wer hat geschossen und war‐ um? Keiner meiner Männer ist in dieser Gegend. Es muß’ ein Fremder sein ‐ einer oder mehrere. Die alten Gefahrensignale schrillen Alarm. Menschen ‐ fremde Menschen in der Weltabgeschiedenheit der Mogol‐ lons bedeuten fast immer Verdruß. Es können Gejagte sein oder Jäger, und fast immer sind es Gesetzlose auf der Flucht oder Gesetzlose auf der Jagd. Das eine so schlimm wie das andere. Well, so ist das. Ein Mann mag noch so friedfertig sein, er muß sich seiner Haut wehren, wenn er leben will. Darum 3
das Gewehr im Scabbard neben meinem Sattelschuh, dar‐ um der 44er auf der rechten Hüfte, darum das Messer im Schaft des weichen Stiefelleders. Denn Menschen sind schlimmer als Pumas und Wölfe, wenn sie ausgestoßen sind aus der Gesellschaft, wenn sie jenseits von Recht und Gesetz leben ‐ schlimmer als wilde Tiere. Nur ein Schuß. Kein Schrei, der ihm folgt, kein Kampflärm, keine Fluchtgeräusche. Stille. Nach den Sekunden er‐ schreckten Schweigens singt der Whipporwhill wieder sein Lied. Die Kugel hat nicht ihm gegolten. Auch nicht dem Reh, das den anmutigen Kopf über die Büsche hebt und zu mir herabäugt. Und immer noch spielen die Ohren meines Mustangs. Er wendet den klugen Kopf und zeigt alle Zäh‐ ne. Gefahr. Wirklich Gefahr? Natürlich kann auch ein einsamer Jäger auf einen Hasen geschossen haben. Es ist zu still für ein Drama, das sich etwa hinter dem Vorhang des Waldes ab‐ gespielt haben mag. Nur der Wind raunt in den Bäumen seine uralte Melodie des Lebens. Ich reite weiter. Nach hundert Yard mündet der Pfad auf einer Lichtung, hinter der sich die klobige Hand des Zie‐ genfelsens in den Himmel steilt. Ich reite langsam, die Hand auf der Hüfte, auf alles gefaßt. Der Tod kommt schnell in diesem Land. Er kommt auf leisen Sohlen ‐ und wenn es kracht, ist es zu spät. Es ist zu spät. Ich hätte absitzen müssen, hätte durch die Büsche schleichen sollen, hätte nicht der trügerischen Stille trauen dürfen.. . 4
Well, machen wir es kurz. Am Rande der Lichtung, noch ein gutes Stück drinnen in der Waldgasse, halte ich, beuge mich im Sattel vor und schaue auf das Pferd, das reiterlos dicht unterhalb der Felswand steht. Ein Pferd mit hängen‐ den Zügeln. Es steht stocksteif und blinzelt nicht mal zu uns herüber. Es ist staubbedeckt und hat den langen Weg vom Rim herunter hinter sich. Damit kenne ich mich aus, denn der rote Granitstaub ist unverkennbar. Der Sattel ist leer. Wo steckt der Reiter? Hat er geschossen? Oder hat’s ihn erwischt? Ich lege die Hand ans Gewehr und will’s just aus dem Schuh ziehen, als die sanfte Stimme unmittelbar hinter mir ‐ schräg hinter mir in den Büschen ‐ sagt: »Halten Sie sich ruhig, mein Freund.« Sie befiehlt nicht, die Stimme. Sie ist sehr sanft, sehr ruhig, sehr kühl. Und gerade darum muß man ihr gehorchen, den hinter solcher kühlen Sanftheit steckt meist mehr, als mit bloßem Auge zu erkennen ist. Also halte ich mich ruhig, wende nicht einmal den Kopf und sage durch die Zähne: »Na und? Was soll das Ganze?« »Jemand hat geschossen«, sagt die Stimme des Mannes glatt und unpersönlich. »Stimmt«, sage ich. »Deshalb bin ich nämlich hier.« »Was wissen Sie darüber, Freund?« »Nichts, Freund. Noch nichts. Ich bin hier, um etwas zu er‐ fahren. Mich interessiert es immer, wenn hier geschossen wird.« »Die Kugel ging zwei Millimeter an meinem linken Ohr vorbei. Schießen Sie denn immer so schlecht?« 5
Ich’ drehe langsam den Kopf, ohne den übrigen Körper auch nur mit einem Haar zu regen. Ich schaue in die Bü‐ sche, ohne etwas zu sehen. Der Bursche hat seine Stellung gut gewählt. Ich spucke aus und knurre: »Sie sind ein Witzbold Wer weiß, wer Ihnen auf der Pelle sitzt! Ich je‐ denfalls nicht.« »Gut. Sie also nicht. Aber Ihr Helfershelfer, der dort oben in den verdammten Felsen steckt!« »Hm«,’ brumme ich. »Es wundert mich natürlich gar nicht, daß ein Strauchdieb hinter jedem Menschen auch einen Strauchdieb vermutet. Und nun geben Sie diesen blöden Bluff auf und knallen Sie mich ab! Hat Kane Shurk Sie ge‐ schickt? Oder glauben Sie, riesige Reichtümer bei mir fin‐ den zu können?« Ich schwenke den Kopf von den Büschen weg und schaue zu den Felsen auf. Sie sind mir bekannt wie meine Westen‐ tasche im Sonntagsausgehanzug, der zu Hause im Spind hängt. Ich weiß genau, wie der Ziegenpfad sich zur Höhe hinaufschlängelt und wo es für einen Heckenschützen günstige Positionen gibt. Sie sind zahlreich wie die Steine am Weg. Schweigen. Eine Stille, die an die Nerven gebt. Vielleicht wird sie gleich von dem Knall des Schusses unterbrochen und von dem Jaulen der Kugel, die sich in mein Leben fres‐ sen will. So was nennt man dann wohl Schicksal. Weg kann ich nicht. Selbst der erbärmlichste Schütze auf Gottes Erd‐ boden müßte mich auf diese geringe Entfernung treffen. Und natürlich hat der Bursche den Finger im Abzug und meine werte Brust im Visier. 6
Und dann sah ich etwas ‐ einen Gewehrlauf, der sich in halber Höhe des Ziegenpfades langsam hebt. Knappe hun‐ dert Yard Luftlinie sind es bis dahin. Ein Sonnenstrahl trifft den stählernen Lauf und läßt ihn aufblitzen. So was habe ich gern! Well, es gibt Situationen, in denen es einem egal sein kann, ob man eine Sekunde früher oder später tot ist. Natürlich glaube ich kein Wort von der phantastischen Geschichte des Fremden mit der sanften Stimme in meinem Rücken. Aber wenn es doch stimmt, wenn er mich für einen Komp‐ licen des Heckenschützen dort oben hält, dann werde ich ihm das Gegenteil beweisen . . . auf die Gefahr hin, daß er mich umlegt. Ich ziehe die Winchester mit der flüssigen Bewegung aus dem Scabbard, die seit Jahren einstudiert ist. Die Rechte saugt sich um den Kolbenhals, der Daumen drückt den Si‐ cherungsflügel herum, der Kolben legt sich an die Backe und das Auge sucht über Kimme und Korn; nach dem Schützen. Jetzt kommt der Kopf aus der Deckung der Fel‐ sen, und wieder flimmert der Stahl in der gleißenden Son‐ ne. Unsere beiden Gewehre brüllten fast gleichzeitig auf ‐das dort oben und meins hier unten. Der Knall verweht, dann pfeift wie ein giftiges Insekt das Geschoß heran und klatscht gegen meinen Rock. Ich spüre nichts, keinen Schmerz jedenfalls. Es ist nichts anders, als wäre ein Kiesel‐ stein gegen meinen Rock geflogen. »Okay«, sagt die sanfte Stimme hinter mir. »Sie können das Gewehr einstecken.« 7
Und während er das sagt, poltert die Flinte des Hecken‐ schützen herab und bleibt irgendwo zwischen Gesteinsbro‐ cken und kümmerlichem Gestrüpp liegen. »Moment!« knurre ich und schwenke die Flinte herum. »Wir sind noch nicht fertig, Freund. Kommen Sie raus und zeigen Sie Ihr hübsches Gesicht!« Ein glucksendes Lachen steigt aus den Büschen auf. Es ra‐ schelt, und Kopf und Schultern tauchen zwischen den Zweigen und Blättern hervor. Aus einem sonnenverbrann‐ ten, wettergebeizten Gesicht zwinkern mich zwei humor‐ volle Augen an. Ich decke ihn mit meiner Flinte, während er gemächlich auf den Pfad herabkommt und mit der Lin‐ ken den Staub aus dem Anzug klopft. Er sagt: »Sie sind nicht schlecht; amigo. Sie sind auf alle Fälle für einen Mann wie mich viel zu gut. Ich gebe auf. Haben Sie ’ne Zigarette für mich?« Er ist nicht mehr jung, mindestens ein Dutzend Jahre älter als ich. Er stößt den Hut ins Genick und blinzelt mich an. Eine silberweiße Haarsträhne zieht sich von der Mitte der Stirn durch das dunkle Haar. Aber nicht das ist das Auffäl‐ ligste an ihm, sondern der leere rechte Ärmel, der in den Waffengurt gesteckt ist. Ein Mann mit einem Arm. Ein we‐ nig beschämt lasse ich die Flinte sinken und stecke sie in den Scabbard. Ich werfe ihm Tabak und Blättchen zu, was er geschickt mit der Linken auffängt . »Soll ich Ihnen helfen?« frage ich. »Danke. Mit der Zeit lernt ein Mensch alles. Übrigens ‐ man nennt mich Trux.
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Er dreht die Zigarette mit der einen Hand besser, als ich es mit beiden kann. Er trägt den Colt auf der rechten Hüfte mit dem Kolben voran. Seine Weidekleidung ist staubig und abgenutzt, das Leder fleckig und glatt. »Trux?« sage ich. »Da gab es mal einen Sheriff, der so hieß. Irgendwo im Süden.« »Kein Sheriff, sondern Marshal. In Tucson. Der Marshal hatte aber zwei Hände.« »Richtig. Er hatte zwei Hände. Ich heiße Rocky, Trux ‐ Ro‐ cky Bragg.« »O. K., Rocky. Sie sind Schafmann?« »Stimmt. Woher wissen Sie das?« »Meine Nase ist gut. Schafe riechen anders als Rinder. Aber das soll keine Beleidigung sein, Rocky.« Er hat mir den Tabaksbeutel wieder zugeworfen, und ich stecke jetzt die Selbstgedrehte zwischen die Lippen. Er reicht mir Feuer. »Danke, Trux. Sind Sie über die Ziegenfelsen gekommen?« »Wenn die Wand dort drüben so heißt ‐ ja. Allerdings nicht ganz von oben, sondern mehr von Osten her. Dies ist doch der Weg nach Sunset?« »Viele Wege führen dorthin. Dies ist einer von ihnen. Aber ich glaube nicht, daß Sunset einen Marshal sucht ‐ obwohl die Stadt vielleicht einen nötig hätte.« »Was gewesen ist, kommt nicht wieder Rocky Ein einarmi‐ ger Marshal ist ungefähr so, wie ein blinder Nachtwächter. Krüppel sind zu nichts nutze. Ich suche aber trotzdem ei‐ nen Job.« »Als Rindermann? Und dann ausgerechnet in Sunset?« 9
»Irgendwo, Rocky. Es müssen keine Rinder sein. Irgendein Job für einen hungrigen Mann.« Ich nicke und schaue zu den Felsen auf. Ein Mann liegt dort oben, der anderen Menschen nach dem Leben getrach‐ tet hat, ihm sowohl wie mir. »Wir sprechen noch drüber, Trux. Ich werde mir jetzt ers‐ tmal den Boy dort oben betrachten.« * Der Mann liegt auf dem Bauch, so wie ihn die Kugel er‐ wischte. Das Einschußloch sitzt unmittelbar neben der Na‐ senwurzel, dicht unter der niedrigen Stirn. Schwarzes, fet‐ tiges Haar kräuselt sich tief in die Stirn. Die Bartstoppeln sind mindestens fünf bis sechs Tage alt. Selbst die gebro‐ chenen Augen in ihrer grenzenlosen Leere haben noch et‐ was von den Lichtern eines Raubtieres. Es gibt kaum einen Zweifel, daß dies ein Gesetzloser war, ein Gestrauchelter ‐ ein Mörder. Trux neben mir sagt langsam: »Dag Krim. Ich habe nicht gehofft,« ihn je wiederzusehen.« »Sie kennen ihn, Trux? Er war also doch auf Ihrer Fährte?« »Ich glaube nicht. Bestimmt nicht bewußt. Könnte sein, daß König Zufall hier Regie geführt hat. Ich nehme an, er hat mich auf dem Ziegenpfad gesehen und erkannt. Nun, ich habe ihn damals in Tucson einige Male ins Gefängnis ge‐ sperrt. Aber zum Strick hat’s nie gelangt. Er hatte mächtige Freunde und Gönner.« »Er war Bandit?« »Zeit seines Lebens, Rocky. Er ist so geboren worden. Ich wundere mich, daß er sich in diese Wildnis verkrochen hat. 10
Sein Revier lag eigentlich immer in den Städten. Er mochte mich nicht leiden ‐ nein, wirklich nicht.« »Sieht so aus, als hätte er auch mich nicht leiden können, obwohl ich ihn nie gesehen habe.« »Das war so seine Art. Ein Wolf, der ohne Unterschied sei‐ ne Opfer gerissen hat. Friede seiner Asche!« Friede seiner Asche. Und wir beerdigen ihn indem wir ei‐ nen Steinhaufen auf den leblosen Körper schichten, gleich am Rande des Pfades. Dann suchen wir sein Pferd und fin‐ den es in der Schlucht zu Füßen der Felsen. Es ist ein abge‐ triebener, erbarmungswürdig geschundener Klepper, an dessen Hinterhand man seinen Hut aufhängen kann. In der Satteltasche findet sich ein ganzes Waffenarsenal und eine Brieftasche mit hundert Dollar. Schweigend reiten wir, den leidigen Gaul am Zügel hinter uns, in die Waldgasse hinein. Ich starre auf den Sattel‐ knopf. Jetzt erst kommt mir ganz zum Bewußtsein, was ich getan habe: ich habe getötet. Ich habe einen Menschen aus dem Leben in den Tod befördert, einen Menschen, den ich nie zuvor gesehen habe, mit dem mich nichts verbunden und von dem mich nichts getrennt hat. Es war Notwehr, gewiß. Wenn ich ihn nicht getroffen hätte, würde er mich ausge‐ löscht haben . . . aber es war ein Mensch. »Es ist drei Jahre her«, fallen Trux’ Worte in das Schweigen zwischen uns, »ziemlich genau drei Jahre ‐ da wurde ich in die Bronco‐Bar in Tucson gerufen. Ein Mann war niederge‐ schossen worden. Er starb unter den Händen des Arztes. Er
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war waffenlos gewesen und hatte keine Möglichkeit zur Notwehr gehabt. Sein Mörder hieß Dag Krim.« »Verdammt, Trux ‐ dafür haben Sie ihm nur Gefängnis ge‐ geben?« »Nein. Ich habe ihn nicht mehr erwischt. Es war das letzte, was ich von ihm hörte ‐ bis jetzt, Sein Gastspiel in Tucson war damit beendet. Mein« dauerte noch acht Tage länger. Sie sollten nicht mehr an ihn denken, Rocky.« »Das Gefühl, getötet zu haben ...« »Ich weiß, wie das ist. Man schleppt es bis an sein Ende mit sich herum. Die Schatten der Toten begleiten unseren Weg ‐ zähe Schatten. Aber hier hat das eherne Gesetz des »Du oder Ich« noch Gültigkeit. Das Loch in Ihrer Jacke sagt wohl genug. Um Haaresbreite sind Sie an Ihrem Grab vor‐ beigeschliddert.« »Sicher, Trux. Aber ich habe noch nie einen Menschen töten müssen.« »Danken Sie dem Schöpfer dafür. Aber nun sagen Sie mir, wie ich nach Sunset komme. Ich will Sie nicht aufhalten.« »Sie haben es doch nicht eilig, Trux, oder? Dann kommen Sie mit zu meiner Schafranch. Ich lade Sie ein.« Er schickt einen langen Blick zu mir herüber, er lächelt und legt die linke Hand auf meine Schulter. »Ich nehme die Einladung an, Rocky Bragg. ‐Ich nehme sie mit Dank an.«
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2. Eine gute Nachricht Es gibt keine Weidegrenzen in den Mogollons. Es gibt auch keinen Nachbarn meiner Ranch. Dort, woher ich komme, sind Schafe verpönt, dort rümpfen die Rinderbarone die Nase über jeden Schafmann. Nun, es ist noch gar nicht so lange her, da habe auch ich die Nase hoch über jeden Schafgeruch erhoben. So ändern sich die Zeiten. »Futter genug für die Tiere?« fragt Trux, während wir uns gemächlich durch den Agavenwald treiben lassen, wäh‐ rend die Sonne allmählich tiefer sinkt und hie und da das schnelle Geklingel der Leithammel hörbar wird ‐ irgendwo auf den Grasinseln zwischen Dornengestrüpp, bewaldeten Hängen und tiefen Schluchten. »Mehr als genug«, nicke ich. »Wir sind schließlich an keine Grenze gebunden und können hundert Meilen in fast jeder Richtung treiben ‐ abgesehen vom Süden, denn dort liegt Sunset.« »Hm. Sie sagen das so merkwürdig, Rocky, haben Sie et‐ was gegen die Stadt?« Ich ziehe die Schultern hoch und lasse sie wieder fallen. Was soll ich ihm erzählen? Daß ich die größte Enttäu‐ schung meines Lebens in Sunset erlebt habe? Daß Haß und Intrigen und Mißtrauen dort wuchern wie Unkraut zwi‐ schen Fettholzsträuchern! Daß Diana Delazon mich verraten hat ‐ mich und meine Liebe?
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»Ja«; sagte ich kurz, »ich habe eine ganze Menge gegen Sunset.« »Es ist eine Rinderstadt, nicht wahr? Ich hörte neulich da‐ von. Dieser Name, den Sie vorhin nannten . . . Kane Shurk...« »Vergessen Sie ihn, Trux. Er ist keinen Gedanken wert, wenn er sich auch für einen ungekrönten König hält.« »Aha. Rinderbaron also. Einer mit einer rauhen Mann‐ schaft, wie?« »So rauh war sie damals nicht. Ein guter Mann konnte sie leicht zähmen. Wie kommen Sie darauf?« »Unwichtig. Nur eine Vermutung. Ich habe Sie auf den ers‐ ten Blick für einen Rindermann gehalten, Rocky.« »Also darum! Sie glauben, daß ich vor Kane Shurk den Schwanz eingezogen habe und stiften gegangen bin!« »Nein, nicht ganz. Ich halte Sie nicht für den Typ, der stif‐ ten geht. Vielmehr halte ich Sie für klug genug, beizeiten einem Druck auszuweichen, der eines Tages übermächtig werden könnte. Ist es so?« »Nein. Es stimmt, daß ich meine Ranch im Sunset‐County verlassen habe. Es stimmt nicht, daß Kane Shurk in dieser Weise Schuld daran trägt. Nein, nicht in dieser Weise!« »Sondern?« »Das geht Sie nichts an, Trux. Es geht nur mich an. Ich möchte nicht darüber sprechen.« »Schon gut, Rocky, schon gut. Ich hätte beherzigen sollen, daß man in diesem Land keine Fragen stellt.« Fast bereue ich meine schroffe Ablehnung. Aber gerade dies ist ein Punkt, an dem ich empfindlich bin. Jeder Ge‐ 14
danke an die Vergangenheit, an Diana Delazon, die jetzt Diana Shurk heißt. .. Verdammt, ich bin fertig damit! Fertig mit ihr, mit Sunset, mit allem! Ich habe mich tief genug in die Berge verkro‐ chen, um nicht tagtäglich daran erinnert zu werden. Ich habe alles von mir geworfen, was an die Vergangenheit erinnern konnte ‐ sogar das Rinderlasso. Und es ist mir verdammt schwergefallen, mich auf Schafe umzustellen ‐ so schwer wie für jeden Rindermann. Aber hier oben in den Mogollons ist keine Rinderweide. Nur die genügsamsten aller Tiere finden hier Nahrung genug ‐ Schafe. Eines Tages werde ich so viel gezüchtet haben, daß ich mit einer großen Herde hinunter in die Ebene ziehen und mir einen Haufen Geld dafür holen kann. Und dann gibts irgendwo im wer‐ ten Arizona eine neue Axt‐Ranch, auf der wieder Long‐ horns gezogen werden! Die ovale Mulde mit dem klaren Auge des Sees in der Mitte öffnete sich vor uns. Unter den Sykomoren an der Bergleh‐ ne kräuselt sich Rauch aus dem Schornstein der Blockhütte. In den Korrals stehen die Mustangs und dösen vor sich hin. Fern bimmeln die Glöckchen einer meiner Herden. »Donnerwetter!« murmelt Trux verblüfft. »So schön habe ich mir das nicht vorgestellt!« Im Trab legen wir die letzte Strecke zurück. Concho tritt aus der Hütte, schaut gleichmütig zu uns herüber und ver‐ schwindet wieder. Concho ist immer gleichmütig und durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Er kann das Blut seiner indianischen Eltern nicht leugnen. Selbst damals, als er unter den Pranken eines Grizzlys lag, mit nichts als ei‐ 15
nem Messer in der Hand ‐ selbst damals hat sein bronzenes Gesicht nichts von Furcht oder Schmerz gezeigt. Er wäre still und ohne Klagen gestorben, hätte ich nicht das Brechen im Unterholz gehört und das nervenzerfetzende Angriffs‐ signal des grauen Bären. Und selbst dann würde ich mich noch nicht beeilt haben, wenn diese Bestie nicht unter mei‐ nen Schafen ein Blutbad veranstaltet gehabt hätte. Es war eine Kleinigkeit, dem riesigen Untier den Fangschuß zu verpassen. Wesentlich schwieriger schon war es, den be‐ wußtlosen Concho unter dieser zottigen Masse hervorzu‐ zerren, die wie ein Gebirge über ihm lagerte und ihn zu ersticken drohte. Well ‐ seit jenem Tage ist Concho mein Freund. Vom Arbei‐ ten hält er nicht viel, aber dafür macht er sich auf andere Art nützlich. Für das Treiben der Schafherden habe ich au‐ ßerdem genug Leute: Tonto, Escamillo, Juan und Diario. Alles Mexikaner. Denen ist es nämlich schnurz, ob sie mit Schafen oder Rindern zu tun haben. Ihnen sind Schafe so‐ gar lieber, weil sie längst nicht soviel Arbeit machen wie widerspenstige Longhorns. Wir sitzen ab und lassen die Mustangs am Korral frei. Den Sattel des toten Dag Krim hänge ich zu den anderen in der Hütte. Concho hockt dort an der offenen Feuerstelle und dreht eine Rehlende am Spieß. Er kehrt uns sein scharfgemeißeltes Profil zu, ohne den Blick zu wenden. Manchmal frage ich mich, wozu er eine Zunge hat, wenn er sie doch so gut wie nie gebraucht. Schweigsamer als Concho geht’s nämlich nicht mehr.
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»Das ist mein Freund Concho«, sage ich zu Trux. »Concho, dies ist Trux, unser Gast. Und hier habe ich dir etwas mit‐ gebracht. Du hast dir doch schon immer einen guten Colt gewünscht, nicht wahr. Nun, hier sind gleich zwei. Sie ha‐ ben einem Revolvermann gehört. Schau sie dir an.« Natürlich besitzt Concho einen Revolver, ein abgegriffenes Ding, ungefähr so schwer wie ein Elefantentöter. Ich habe immer Angst, daß das Ding nach hinten losgeht oder in der Hand explodiert. Dag Krims Kanonen sind da natürlich andere Klasse, schlanke Läufe, Kimme und Korn abgefeilt, Abzugsbügel entfernt und die Hämmer genau passend auf Krims Daumen zurechtgefeilt. Kurze, erstklassige Instru‐ mente, mit denen ein guter Mann schneller als ein Maschi‐ nengewehr feuern kann. Ich hänge die beiden Waffengurte über Conchos Stuhl. Sei‐ ne dunklen Augen schauen mich kurz an, aber man muß schon sehr genau hinschauen, um das dankbare Licht darin zu erkennen. Er sagt nichts, keinen Ton Während die Linke emsig den Braten um den Spieß weiter dreht, zieht er mit der Rechten einen Colt aus dem Halfter und wiegt ihn ab‐ schätzend in der Hand. Er wirft ihn spielerisch hoch, fängt ihn auf, wirbelt ihn um den Zeigefinger, spannt den Hahn, schießt. Er grunzt leise, als die Kugel einen Nagel tiefer in die Wand treibt. »Bene«, sagt er. Damit ist der Fall für ihn ausgestanden. Trux schüttelt leicht den Kopf und läßt sich auf einen Stuhl fallen. Er sieht erschöpft aus ‐ ein Mann, der seit Tagen durch unbekannte Wildnis geritten ist, ohne die Spur eines Menschen zu sehen. Und der dann plötzlich durch eine 17
fauchende Kugel daran erinnert wurde, daß es nicht eitel Freude und Wonne auf dieser Welt gibt. Zehn Minuten später setzen wir uns zum Essen an den rohbehauenen Tisch. * Die Sonne sinkt schnell in Arizona. Eben noch ein feuerro‐ ter Ball, dann ‐ Sekunden später ‐ nur noch eine glühende Halbkugel, die gigantische Feuerbündel über den Horizont versprüht, dann violett vergehend und untertauchend ins Nichts. Schnell verblassen die Farben über die ganze Skala der Farbenpalette hinweg, bis alles übergeht in tintiges Blau und grundloses Schwarz. Nacht. Wir sitzen vor der Hütte auf der Bank, Trux und ich. Con‐ cho gleitet auf leisen Mokassins an uns vorbei, hinaus in die Nacht. Denn die Nacht gehört ihm, sie ist Teil seines Wesens. Niemand von uns anderen, von meiner Mann‐ schaft, weiß, wo Concho die Nächte verbringt. Er ver‐ schwindet einfach. Selbst ein Puma kann sich nicht ge‐ räuschloser bewegen als er. Manchmal ist er selbst mir ein Rätsel. »Das ist doch ein Apache, nicht wahr?« fragt Trux. »Ja, ein Navajo, ein toller Kerl. Den müssen Sie mal reiten sehen! Ohne Sattel und ohne Zaumzeug, nur mit einem Lasso um den Kopf des Mustangs ist er besser als jeder Mann, den ich bisher kennengelernt habe.« »Möglich. Ich kenne einige Indianer. Für einen Freund ge‐ hen sie durchs Feuer.«
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»Concho bestimmt. Sein Instinkt ist phantastisch. Er hat Augen wie ein Luchs und Ohren ‐ also ich kann nur stau‐ nen. Bloß mit der Zunge hapert es.« »Das ist kein Fehler. Ein schweigsamer Mann ist mir lieber als einer, der dauernd dummes Zeug quatscht. Übrigens kann er ziemlich gut mit einem Revolver umgehen.« »Schätze ja. Fast wie ein perfekter Revolvermann. Das sind Naturtalente, Trux.« Ich lehne mich an die Wand, drehte mir eine Zigarette, rei‐ che auch Trux den Beutel ‐ wir rauchen. Die beginnende Nacht ist erfüllt von heimlichem Flüstern, von den ge‐ heimnisvollen Geräuschen des fernen Waldes und der Ber‐ ge. Der Tag atmet noch einmal tief, ehe er sich schlafen legt. Und schon kriecht das Nachtgetier aus seinem Versteck. Das bösartige Kreischen eines Pumas zerreißt die Stille ‐ ein Kreischen, das sich anhört, als würde eine Frau zu Tode gefoltert. Wer diesen Laut nicht kennt, dem gefriert das Blut in den Adern. Plötzlich sagt an der Hausecke die ruhige, gutturale Stim‐ me Conchos: »Mann kommt! Aufpassen.« Nichts hat Conchos Kommen angekündigt oder verraten. Er ist einfach wieder da, so wie er vorhin einfach ver‐ schwunden ist. Trux flucht leise und drückt die Zigarette aus. Er erhebt sich und verschwindet in die Hütte. Ich blei‐ be sitzen und rauche weiter. Besuch? Ein Fremder? Wo‐ möglich jemand, der mit Dag Krim in einen Topf gehört? Ich schiebe den Halfter zurecht und prüfe kurz die Waffe. Das schlurfende Geräusch müder Hufe kommt um den See herum, auf die Hütte zu. Dann, aus einiger Entfernung 19
noch, ruft ein Mann: »Hallo ‐ Rocky, bist du das? Hier ist Rod Francis.« Rod Francis? Mein Gott, wie lange ist das her, seit ich ihn zuletzt gesehen habe. Zwei Jahre oder drei? Bestimmt schon drei ‐ seit ich damals Sunset verlassen habe. Rod Francis ist mein, Jahrgang. Wir haben zusammen die Schulbank gedrückt, obwohl das bei ihm nicht allzu häufig der Fall war. »Okay, Rod«, sage ich. »Komm herüber und sattle ab.« Merkwürdig ‐ plötzlich pocht mein Herz oben im Halse. In all den Jahren habe ich kaum eine Nachricht aus der alten Heimat bekommen. Selbst die ehemaligen Freunde sind nicht hier herübergekommen ‐ Jim Deep zum Beispiel oder Wade Holm. Von den anderen habe ich es ohnehin nicht erwartet. Schon gar nicht von Rod Francis, der jetzt vom Pferd steigt und es mit hängenden Zügeln stehen läßt. Das ist auch so eine Mode, die ich nicht leiden kann, denn für einen guten Mann kommt zuerst sein treuer Begleiter, dann erst er selbst. Well ‐ nach so langer Zeit begrüßt man sogar einen krum‐ men Zeitgenossen mit freudigen Gefühlen. Um die Wahr‐ heit zu sagen: keiner von uns Gleichaltrigen hat je ein inni‐ ges Verhältnis zu Rod bekommen. Immer war er der Prü‐ gelknabe für uns; schon als junger Boy war er ohne Rück‐ grat, ein Schwätzer und unzuverlässig. Aber hier in der Einsamkeit der Berge ist jeder Bote aus der Vergangenheit recht. »Versorg das Pferd, Concho«, sage ich. »Wenn du Hunger hast,’ Rod, dann sag es gleich.«
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Als Conchos verfließender Schatten sich lautlos von der Hüttenecke löst, tut Rod Francis einen erschreckten Seiten‐ sprung. Er ist nervös wie ein Dutzend junger Katzen. »Verdammt, hast du dir eine Leibwache zugelegt, Rocky?« fragt er. Seine Stimme klingt noch immer wie die einer quiekenden Ratte, vor allem wenn er Angst hat. Und Angst hat er fast immer. »Quatsch, Rod. Sei nicht so zimperlich. Setz dich her. Was treibt dich in die Berge?« Er schielt über die Schulter zu dem Apachen, während er sich stöhnend neben mir niederläßt. Die ersten Sterne ste‐ cken im schwarzen Spiegel des Firmaments ihr flammen‐ des Licht an, und plötzlich steht eine fahle Mondsichel zwi‐ schen den Zacken des Rim. Sie liegt halb auf dem Rücken und sieht aus wie der zahnlose und plattgeschlagene Schä‐ del eines Skeletts. »Wenn du eine Zigarette für mich hättest. . . », murmelt er. Ich drücke ihm den Tabaksbeutel in die Hand, und er dreht mit fliegenden und bebenden Fingern das Stäbchen. »Das ist nämlich so, Rocky. . .« fängt er an, »ich . . . also ich bin ausgerissen. Sie sind hinter mir her.« »Wer? Und war‐ um? Hast du eine von Kane Shurks Kühen geklaut?« »Daß ich verrückt wäre! No, Mister, Ich habe noch nie ge‐ stohlen, und von Kane Shurk ‐ also lieber hacke ich mir gleich selber die Rübe ab. Das kommt nämlich aufs selbe raus. Sag mal ‐ sind wir hier auch sicher?« »Mach dir nicht die Hose voll, Rod. Erzähle lieber. Wer sitzt hinter dir?«
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»Wenn ich das nur wüßte! Einen habe ich gesehen, heute morgen. Aber ich glaube, ich habe die Spur hübsch ver‐ dreht. Ein Revolvermann, tolles Kaliber, sage ich dir.« »So? Und sein Name? Etwa einer der Delazon‐Brüder?« »Keine Spur. Mit denen habe ich nichts zu schaffen. Schon wegen Diana nicht, weißt du ‐ weil wir es doch immer ganz gut zusammen gekonnt haben, du und ich und Diana.« Davon ist zwar kein Wort wahr, aber vielleicht hat Rod sich von dieser Illusion genährt. Soll er es weiter glauben. »Nein, nicht, die Delazons«, fährt er fort. Das sind neue Burschen, die du bestimmt nicht kennst. Mit einem von ih‐ nen bin ich ins kurze Gras gekommen. Dag Krim heißt er. Ein Satan auf zwei Beinen, sage ich dir.« »Hm. Dag Krim? Und er will deinen Skalp?« »Sicher. Weißt du, als ich ihn gesehen habe, habe ich gleich gesagt: Mensch, habe ich ge‐ sagt, das ist Gift für einen ehrlichen Menschen. Mein Rie‐ cher war richtig. Jetzt sitze ich in der Tinte.« »Warum, Rod? Hast du ihm auf die Füße getreten? Das ist doch wohl sonst nicht deine Art.« »Er hat mich getreten. Und ich hatte wohl einen zuviel getrunken, anders kann ich mir das nicht er‐ klären. Jedenfalls habe ich ihm eine reingeschoben und dann ... na ja, dann habe ich eben gesattelt und bin weg von Sunset.« »Und wo war das, als du ihn hinter dir gesehen hast?« »Kann nicht weit von hier gewesen sein. In diesen ver‐ dammten Bergen kenne ich mich nicht aus.« »Nur ihn allein? Keinen anderen?« »Nein. Aber das will nichts sagen. Dieser Krim ist mit der Kanone so gut wie zehn andere zusammen. Ich ...« 22
»Er war gut, Rod. Aber er war nicht gut genug. Jedenfalls nicht mit der Büchse.« Wieso? Was soll das? Hast du ihn gesehen? War er. . . war er etwa hier?« »Nein, Oben in den Ziegenfelsen. Er hat sein Glück mit mir versucht. Er hatte keins.« »Oh verdammt! Du hast ihn .. hast ihn umgelegt?« »Er ist tot. Von umlegen kann keine Rede sein. Er hat ge‐ schossen und ich habe geschossen. Wie du siehst,’ leb ich. Well ‐ möchtest du jetzt ein Stück kaltes Fleisch? Oder ist es dir auf den Magen geschlagen?« »Her damit! Jede Menge ist richtig, Rocky. Verdammt, du bist ein Kerl! Ich habe ja immer gesagt ‐ seit du aus Sunset weg bist, tanzen die Mäuse auf Tischen und Bänken. Ver‐ dammt, warum bist du nicht geblieben, Rocky! Wegen Diana brauchtest du wahrhaftig nicht...« »Halt den Mund, Rod! Kein Wort davon! Erzähle lieber; was im Lande los ist. Was machen die Freunde?« »Nichts Besonderes. Wade Holm sieht man kaum noch in der Stadt. Seit er deine Ranch mit übernommen hat, schuf‐ tet er von früh bis spät. Jim Deep habe ich vor ein paar Ta‐ gen getroffen. Er wollte in die White‐Mounts zur Mustang‐ jagd. Weiß nicht, ob er genug Leute zusammengekriegt hat. Eigentlich wollte ich ja mit.« »Mustangs will er jagen? Hat er nicht genug Tiere in den Korrals?« »Doch nicht für sich! Weißt du denn nicht, daß im Fort Caspar jede Menge Broncos gesucht wird? Das Stück zu fünfzig Dollar. Ich sage dir... « »Was denn ‐ pro Mustang 23
fünfzig... du machst Witze, Rod. Vor zwei Jahren habe ich mal eine Herde gefangen und pro Nase keine zwanzig Dol‐ lar gekriegt. Und voriges Jahr wollten sie gar keine.« »Dies Jahr ist das eben anders. Ich hab’s aus zuverlässiger Quelle. Würde Jim Deep sonst losziehen, he? So gern läßt er sein hübsches Schwesterlein nicht allein, verlaß dich drauf. Auf Kitty fliegen die Boys sowieso wie die Bienen auf den Honig. Das Mädchen ist ’ne Wucht, sage ich dir. Dagegen ist noch nicht mal Diana in ihrer besten . . .« »Ich will den Namen nicht hören, Rod!« »Okay, schon gut! Aber Kitty ... Zucker, verdammt noch mal! Sid Mola ist reinweg verrückt nach ihr.« »Wer ist Sid Mola? Neu im Lande?« »Richtig, den kennst du ja noch nicht. Neuer Boy bei Kane Shurk. Ganz ordentlich soweit, nehme ich an. Wie es heißt, soll er Bud Abbott schwer Konkurrenz machen ‐ Shurks Vormann, weißt du.« »Natürlich weiß ich, daß Bud Vormann bei Shurk ist. Muß mich wundern, daß er es so lange aushält.« »Alles wegen Dia . . . na, ich spreche den Namen lieber nicht wieder aus. Bud hat sich immer Hoffnungen gemacht, auch als du und Di. . .als ihr beide ‐ na ja. Und jetzt ist er froh, daß er täglich ihren Schatten sehen kann.« Ich presse die Zähne aufeinander. Es schmerzt noch immer. Wie schön hätte es werden können ‐ trotz Hink und Jill De‐ lazon, der beiden Brüder Dianas, die es mit der Ehrlichkeit nie genau genommen haben. Ich hätte ihnen das Rinder‐ stehlen schon abgewöhnt. Aber natürlich hat ein Kane
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Shurk mehr Geld als ein Rocky Bragg. Das war’s und nichts anderes. Nur das Geld. »Ich habe sie nie begreifen können«, sagt Rod Francis. »Sie ein Bild von einer Frau und er, Kane Shurk, ein Bulle mit ’nem Schädel wie ein Nußknacker. Noch dazu, wo er dop‐ pelt so alt ist als sie. Aus den Weibern soll einer schlau werden! Verdammt, weißt du noch, wie du ihn verdro‐ schen hast? Er hat immer geglaubt, er wäre der stärkste Mann von Arizona und Umgebung. Ich wette, das vergißt er in seinem Leben nicht, wie du ihn aus dem Fenster des Mesquite‐Hotels geschmissen hast. Nie in seinem Leben vergißt er das!« »Hör auf, Rod! Kane Shurk mit seiner ganzen Sippschaft ist tot für mich. Jim Deep wollte also auf die Mustangs los? Ist ein Termin gesetzt, bis wann die Tiere abgeliefert sein müssen?« »In drei oder vier Wochen. Warum? Willst du auch los? Muß ja sagen ‐ wäre ein prima Job. Du verstehst dich doch darauf. Hast immer ein schnelles Lasso gehabt...« Er redet weiter und weiter, wie ein Wasserfall, der nicht zu bremsen ist. Zwischendurch gehe ich in die Hütte und hole ihm ein Stück Fleisch. Mich wundert ohnehin schon, daß Trux gar nicht wieder zum Vorschein kommt. Er hockt dicht neben der Tür und flüstert mir nur zu: »Sag ihm nicht, daß ich hier bin! Ich verschwinde nachher nach draußen.« Warum er das so haben will, begreife ich nicht. Sagen kann ich auch nichts darauf, weil er mir den Mund verschließt. Irgend etwas stimmt nicht ‐ mit Rod Francis und Trux? 25
Wir sitzen noch eine Weile dort draußen im silbernen Ster‐ nenlicht. Ich lasse ihn reden und denke zurück, wie es da‐ mals war. Und dann schalte ich ab und überlege, ob ein Trip in die White Mounts nicht just zur rechten Zeit kom‐ me. Fünfzig Dollar für einen Mustang, das ist kein Pappen‐ stiel. Es würde mich meinem Ziel gewaltig näherbringen. Als wir uns schlafen legen, drinnen in der Hütte, ist Trux verschwunden. Ich liege noch lange wach und durchdenke alles. Am nächsten Morgen, während Rod Francis sattelt, um quietschvergnügt und ohne Sorgen nach Sunset zu‐ rückzureiten, reite ich zu den einzelnen Camps meiner Männer und gebe ihnen Bescheid, daß wir auf Wildpferd‐ jagd reiten. Als ich zur Hütte zurückkomme, ist auch Trux wieder da. Er zwinkert mir vergnügt zu und sagt: »Ich ha‐ be oben im Walde geschlafen und mich mit den Sternen zugedeckt.« »Hm. Ich habe nicht gewußt, daß Sie Rod Francis kennen, Trux.« »Ich kenne ihn nicht. Aber er kennt jemanden, der mich kennt ‐ und der nicht zu wissen braucht, daß ich im Lande bin. Okay?« »Von mir aus! Wollen Sie nun gleich nach Sunset weiter? Oder haben Sie Interesse an einem Job? Ich will mit Concho Bronchos fangen. Ein dritter Mann wäre wünschenswert.« »Geht in Ordnung, Rocky. Ich bin dabei. Werden Ihre Boys hier auch allein fertig?« »Sicher. Sie wissen schon Bescheid, Bis zum Winter bleibt Zeit genug. Dann allerdings könnte ich nicht mehr weg.«
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Der Rest des Tages vergeht mit den notwendigen Vorberei‐ tungen. Wir haben alle Hände voll zu tun, und keiner von uns verschwendet noch einen Gedanken an Rod Francis oder gar den toten Dag Krim. Es wäre besser gewesen, wir hätten uns Gedanken ge‐ macht. . .
3. Schwing das Lasso, Cowboy! Vierzehn Tage später . . . Im hellen Sternenlicht einer bitterkalten Nacht blinken die Schneezinken der White‐Mounts. Unter uns windet sich zwischen schroffen Felswänden der Canon, in dessen Mitte ein klarer Quell entspringt. Geduldig haben wir das weite Land durchforscht, bis wir Sicherheit darüber bekamen, daß zu diesem Quell eine über hundertköpfige Herde kommt ‐ nicht regelmäßig zwar, aber doch mit einiger Wahrscheinlichkeit. Es ist die dritte Nacht, in der wir hier liegen und warten. Mehrere Tage haben wir gebraucht, um den Canon auf beiden Seiten mit einem hohen Plankenzaun zu schließen, dessen Tore auf beiden Seiten offenstehen. Denn noch wis‐ sen wir nicht, von welcher Seite die scheuen Tiere kommen ‐ wenn sie überhaupt kommen, Concho hat alle Listen seiner indianischen Ahnen hervor‐ gekramt. Er ist der Kopf dieser Unternehmung. Ohne ihn wären wir längst noch nicht so weit. Ohne ihn wäre ich
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auch gar nicht auf die verrückte Idee gekommen, mit gan‐ zen drei Mann über hundert Pferde fangen zu wollen. Concho hat zum Beispiel die Planken der beiden Zäune mit kräftig riechenden Kräutern abgerieben, um dem Holz die Witterung des Menschen zu nehmen. Mustangs sind ver‐ dammt empfindlich in dieser Beziehung. Deshalb haben wir uns auch drei Tage lang nicht vom Fleck gerührt. Die Quelle ist unsere Hoffnung. Wenn dieser Trumpf nicht zieht, müssen wir wieder von vorn anfangen. Trux neben mir liegt auf dem Rücken und starrt zu den Sternen hinauf. Die Kälte hat Besitz von meinem ganzen Körper ergriffen, aber wir dürfen uns nicht rühren. In der frostklaren Nacht trägt jedes Geräusch sehr weit, Und die Ohren eines Wildhengstes sind verdammt scharf und arg‐ wöhnisch. Wir liegen am Anfang des Canons, etwa an seiner breiten Einmündung. Zur Quelle hin wird der Schlauch allmählich enger und weitet sich erst unmittelbar neben dem Quell zu einem Kessel aus. Jenseits des Kessels wird der Schlauch wieder enger ‐ und an den beiden engsten Stellen diesseits und jenseits liegt unsere Sperre. Plötzlich kommt das müde Rufen eines Kauzchens zu uns herüber. . . einmal, zweimal und dann nach einer Pause ein drittes Mal. Das muß Concho sein, der drüben am jenseiti‐ gen Ausgang des Canons liegt. Sollten die Tiere von dort kommen? »Ich presse das Ohr an den Boden ‐ da höre ich es. Das sanfte Vibrieren, wie es dem Hufschlag einer Herde voran‐ läuft, teilt sich dem Ohr mit. 28
Trux ist sofort hoch. Er wirft die Flinte über die Schulter und eilt mit langen Schritten voraus, rutscht den Steilberg zur Sohle des Canons hinab und ist vor mir am Tor des Korralzaunes. Wir haben es an der einen Seite an Ledergur‐ ten eingehängt, schwingen es jetzt geräuschlos herum und binden es mit einem Lasso zu. Trux legt die hohlen Hände vor den Mund und ahmt den Ruf des Käuzchens nach ‐ dreimal, genau wie Concho. Nur klingt es nicht ganz so echt. Das dumpfe Trommeln der Hufe kommt näher. Der stille Hintergrund des Canons gerät in Bewegung. Schatten hu‐ schen heran, die im milchigen Sternenlicht grotesk verzerrt erscheinen und erst im Näherkommen kenntlich werden. Die Herde ‐ unsere Herde. Kostbare Mustangs, vom Duft der Wildnis umweht. Sie drängen sich an das frische Quellwasser, sie schnobern und prusten und stampfen. Ein Schatten löst sich aus der Masse und tänzelt näher heran, stutzt, wirft den Kopf auf, steht wie aus Bronze gehauen. Der Leithengst. Er ist grau von Kopf bis Fuß ‐ ein wunder‐ bares nerviges Tier. Lange steht er, und wir hallten unwillkürlich den Atem an. Dann setzt er Fuß vor Fuß und kommt näher. Noch ist Neugier stärker als Mißtrauen. Noch hat er uns nicht gewit‐ tert. Er sieht nur den Zaun, dieses fremdartige Ding, das früher nicht da war,, dieses Hindernis mitten im Weg. Denn das Tor ist hier ja geschlossen, nicht offen wie drü‐ ben, als er in die Falle hineingetrabt ist. Fünf Schritte ist er von uns noch entfernt, als er die Witte‐ rung Mensch einsaugt. Er bläht die Nüstern, seine Augen 29
funkeln. Er wirft den Kopf auf und zeigt alle Zähne, als er sich herumwirft und davondonnert, vorbei an seiner Her‐ de. Wie eine Fanfare klingt sein schrilles Wiehern und schreckt die Tiere vom Quell weg. Die dichte Phalanx der Leiber quirlt durcheinander, drängt dem Hengst nach ‐ und steht. Die Falle ist verschlossen, Freund. Ihr habt verspielt. . . die Freiheit verspielt. * Einhundertfünfzig Tiere sind es, die Füllen mitgerechnet. Dreißig davon scheiden wir als unbrauchbar in den näch‐ sten arbeitsreichen Tagen aus und entlassen sie wieder aus der Falle. Die anderen werden von »uns in mühseliger Pro‐ zedur in einem Extra‐Korral eingebrochen. Sie müssen den fremden Willen zu spüren bekommen, müssen merken, daß’ diese komischen zweibeinigen Wesen mächtiger sind als ihre Dickschädel. Fast tun die herrlichen Tiere mir leid. Und nicht nur mir, auch Trux spürt die sehnsüchtigen Blicke der Mustangs hi‐ nüber in die Freiheit. Nur Concho ist das egal. Zumindest merkt man ihm nichts an. Ein Indianer nimmt solche Dinge als gegeben und selbstverständlich hin. Eigentlich hatte ich mir den grauen Hengst vorknöpfen wollen. Das großartig gebaute Tier stach mir von Anfang an in die Augen. Aber Concho in seiner mitleidlosen Art sagt nur: »Alter Bock. Ist verdorben für Mann. Nix gut. Laß laufen.« Der Hengst mag zehn Jahre alt sein, vielleicht auch zwölf. Wenn er zugeritten wäre, würde er so genau richtig sein ‐ 30
nicht mehr wild wie ein junges Tier, im besten Alter und zur höchsten Leistung fähig. Aber er ist nicht zugeritten. Und selbst wenn eine starke Faust ihn jetzt unter den Sattel zwingt, so würde er nie ein brauchbares Pferd des Reiters werden, sondern immer und bei jeder sich bietenden Gele‐ genheit aufmucksen. So sagt auch Trux. Also lassen wir den Leithengt sausen. An seiner Stelle sucht Concho mir einen anderen Hengst aus, einen drei‐ bis vierjährigen, dem man das gute Blut des Vaters ansieht. Auch er ist grau bis zum letzten Haar und hat nur vier weiße Stümpfe. Er sieht lammfromm aus. Leider sieht er nur so aus. Als ich ihn zwischen den Schen‐ keln habe, geht es los wie die Feuerwehr. Teufel noch mal, hat der Bösewicht ein Temperament im Leibe! Selbst Con‐ cho ist völlig aus dem Häuschen, als der vierbeinige Satan mich einfach an die Korralpfosten klatschen will wie Flie‐ gendreck. Nun, ganz so einfach ist das nicht, aber zweimal bringt er mich doch aus dem Sattel. Alle Knochen werden durchgeschüttelt, als hingen sie lose in meinem Götterkör‐ per. Der Spaß hat nur den Vorteil, daß der junge Hengst noch nicht so gewieft ist wie ein alter in Ehren ergrauter Schin‐ der. Er versucht es nur mit reiner Kraft, und da bin ich ihm auf die Dauer über. Schließlich ist es nicht der erste Mus‐ tang, den ich unterm Hintern habe. Aber den Schweiß der Edlen preßt er doch aus mir heraus. Und wie! Well ‐ als ich ihn soweit habe, daß er mit pumpenden Flan‐ ken und zitternden Knien aufgibt, wirft Trux seinen Hut in die Luft und schreit: »Er ist goldrichtig, Rocky! Er hat 31
Feuer, Temperament und Kraft. Er hat auch Ausdauer und sogar ein bißchen Vernunft ‐er weiß nämlich, wann er auf‐ geben muß. Erzieh ihn dir richtig, und du wirst deine Freude an ihm haben!« Wir nennen ihn Grey Star. Concho will ihm indianische Dressur beibringen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber wenn er ihn jeden Tag eine Stunde vorknöpft, haut es bald hin. Es sind trotz der schweren Arbeit sehr schöne Tage hier oben im unwegsamen Gebirge. Einer von uns geht immer auf Jagd und reitet gleichzeitig die Umgebung ab, denn auch hier in dieser Weltabgeschiedenheit muß man vor‐ sichtig sein. Meist ist Trux unterwegs, weil er mit seinem einen Arm doch nicht so beim Zureiten der Broncos belas‐ tet werden kann wie Concho und ich. Abends am Lager‐ feuer, wenn das Kaffeewasser summt und wir die müden Glieder von uns strecken, sind wir ausgesprochen glück‐ lich. Denn der Erfolg, den eigener Hände Arbeit bringt, ist immer der schönste. Es sollen für lange Zeit die letzten schönen und glücklichen Tage sein . . . * Es gibt Leute, die angeblich nahendes Unheil schon lange vorher in den Knochen spüren. Leider gehöre ich nicht zu dieser Sorte. Ich bin auch kein Hellseher. Vielleicht ist es gut so, wie es ist. Yeah, Freunde ‐ wir treiben also unsere kostbare Herde durch das Gewirr von Canons und Schluchten zu Tal ‐ zwi‐ schen klobigen Bergrücken und spitzen Felsnadeln hin‐ 32
durch, durch unwegsames Gelände, das selten von eines Menschen Fuß betreten wird. Die ersten Schneeflocken des nahen Winters umtanzen uns, aber unten in Fort Caspar meint es die Sonne noch einmal gut. Als ich die Tore der Korrals in Fort Caspar hinter unseren Tieren schließen, at‐ men wir auf. Es ist geschafft. »Gehabte Arbeit, die hab’ ich gern!« grinst Trux und haut mir seine gesunde Linke zwischen die Schulterblätter. Con‐ chos Gesicht bleibt reglos. Nur seine tiefen Augen gleiten aufmerksam über die flachen Bauten des Forts hinweg und übersehen nichts. Der Major in der Schreibstube schüttelt den Kopf, als er uns sieht. »Mustangs?« brummt er. »Eine ganze Herde? Wir haben keinen Bedarf.« »He!« grunze ich. »Wenn das ein Witz sein soll, Major, dann geraten Sie bei mir an den Falschen! Wir haben uns über drei Wochen um die Ohren geschlagen.« »Dafür können Sie mich doch nicht verantwortlich machen, Mann! Ich habe Ihnen doch nicht befohlen, daß Sie Wild‐ pferde fangen sollen. Wer hat Ihnen denn überhaupt den Floh ins Ohr gesetzt?« »Ein Bekannter; drüben in Sunset. Der kann sich das doch nicht aus den Fingernägeln gelutscht haben!« »Wie es scheint, doch. Die Armee hat seit zwei Jahren keine Wildpferde gekauft.« Trux, der neben mir steht, tritt einen Schritt vor. Wir beide sehen wahrhaftig nicht gentlemanlike aus, schon gar nicht neben dem wie aus dem Ei gepellten Major. Wenn man 33
drei Wochen nicht aus den Kleidern gekommen ist, dürfte das kein Wunder sein. »Major«, sagt Trux, »es scheint wirklich ein Mißverständnis vorzuliegen. Aber gibt es nicht vielleicht doch eine Mög‐ lichkeit, uns zu helfen? Sehen Sie, unsere ganze Arbeit. . .« »Tut mir leid, ich habe meine Befehle. Darüber hinaus kann ich nichts für Sie tun.« »Dann verzeihen Sie eine Frage ‐ ist Colonel Morrow noch Befehlshaber in Tucson?« »Sicher. Warum fragen Sie? Was hat Colonel Morrow mit dieser Sache zu tun.« »Ich kenne ihn. Er kennt auch mich. Ich glaube, er könnte etwas tun. Würden Sie eventuell tele‐ grafisch anfragen?« »Telegrafisch? Sie sind verrückt, Mann! Schließlich weiß ich doch besser als Sie, ob die Armee Bedarf hat oder nicht! Daran ändert auch nicht, daß Sie angeblich den Colonel kennen!« »Nicht angeblich, Major. Man nennt mich Trux. Fragen Sie bei Colonel Morrow an, ob er Trux aus der Patsche helfen kann.« »Trux ‐ etwa der ehemalige Marshal von Tucson? Hm. Wä‐ re zu überlegen. Ich . . . äh . . . ich habe natürlich von Ihnen gehört. Alle Anerkennung, Mister Trux. Diese Geschichte mit Ihrem Arm ... äh ... tut mir leid ...« »Sie werden telegrafieren, Major?« »Man kanns versuchen. Ja, ich glaube, es läßt sich verant‐ worten. Sie bekommen Nachricht, meine Herren.« Und draußen sind wir. Ich fluche nicht schlecht. Wenn ich Rod Francis in die Finger kriege, diesen lausigen Schwät‐ 34
zer«, dann dreh ich ihm den Hals um! Aber was für ein Interesse soll er daran haben, mir einen Bären aufzubin‐ den? Wahrscheinlich hat das Kamel irgendwo etwas aufge‐ schnappt und in die falsche Kehle gekriegt. Wir marschieren in die Kantine und kippen auf den Schreck ein paar scharfe Sachen hinter die Binde. Wir kommen mit einem Offizier und ein paar Sergeanten ins Gespräch’, und natürlich weiß kein Aas etwas davon, daß das Fort Wildpferde sucht. Es ist auch keiner vor uns mit einer Herde angekommen, auch nicht Jim Deep, von dem Rod Francis behauptet hatte, er wolle in die White‐Mounts zum Fangen. Na, das kriege ich noch raus! Langer Rede kurzer Sinn: ein paar Stunden später kommt der Major höchstpersönlich zu uns und schwenkt ein Pa‐ pier ‐ das Telegramm von Colonel Morrow. »Herde abnehmen stop Stückpreis je nach Güte zwischen dreißig und vierzig Dollar stop Gruß an Trux. Ende.« Ich glaube, ich mache einen Luftsprung bis fast unter die Decke. Wenns auch keine fünfzig Dollar sind, so ist unsere Arbeit doch nicht umsonst und vergeblich gewesen. Und runde fünftausend Dollar haben oder nicht haben, das ist verdammt ein Unterschied! Mit einer dicken Brieftasche machen wir uns auf den Rückweg.
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4.Verrat? Eine kraftlose Sonne verbirgt sich hinter schnell segelnden Wolken. Das bunte Laub des Indianersommers raschelt un‐ ter den Hufen der Pferde. Ein breiter Keil von Wildgänsen zieht über uns nach Süden. Ich pfeife eine Melodie, die mir seit Tagen nicht aus dem Kopf will, und von der ich beim besten Willen nicht sagen kann, woher ich sie kenne. »Nun schlägt bald die Abschiedsstunde«, sagt Trux an meiner Seite. »Wieso?« fahre ich hoch. »Abschied? Ich denke, du kannst tun und lassen, was du willst? Gefällts dir etwa nicht bei uns? Ist dir der Schafgestank zuwider?« »Blödsinn, Rocky. Kann sein, daß ich bald wieder zurück‐ komme.« »Warum willst du denn erst gehen, wenn du doch wieder zurückkehrst? Du hast gesagt...« »Es gibt Dinge die getan werden müssen, Rocky. Dinge, denen man nicht ausweichen kann und darf.« »Gehts nicht noch ein bißchen rätselhafter, Alter? Wenns natürlich ein Staatsgeheimnis ist, halte ich die Klappe.« »Du wirst es früh genug erfahren ‐ wenn nicht von mir, dann von anderen. Jetzt kann ich mich dazu nicht äußern.« »Aha. Ich dachte, wir kennen uns lange genug. Ich dachte, wir vertrauen einander. Ich dachte ...« »Es hat nichts mit Vertrauen zu tun, gar nichts. Jeder Mensch schleppt Dinge mit sich herum, die sein Eigentum sind und nur ihn angehen. Muß ich dich erst an jenen Tag
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erinnern, als ich an dich eine unberechtigte Frage gerichtet habe?« »Schon gut, Trux. Ist in Ordnung. Aber wenn ich dir helfen kann ...« »Eben nicht. Diese Geschichte geht nur mich allein an, und nur ich allein habe sie zu erledigen. Danke für dein Ange‐ bot.« Na also. Da meint man, man hat endlich einen Menschen gefunden, dem man Freund sein kann ‐ und dann kriegt man ’ne Abfuhr.« »Zieh nicht! solch einen Flunsch, Rocky!« brummt] er ne‐ ben mir. »Es ist von jeher mein Prinzip gewesen, daß ich Freunde nicht in meine Geschichten hineinziehe. Nur wenn ich in Not sein sollte, dann würde ich natürlich jede Hilfe eines echten Freundes erwarten und mit ihr rechnen. Klar?« Ich schaue zu ihm hinüber. Ein leises Lächeln spielt um die engen Lippen, und das Lächeln unterstreicht noch den Ernst, mit dem er seine Ansicht vorgetragen hat. Aus Trux schlau zu werden, ist nicht einfach ‐ aber jetzt weiß ich, wie er es meint. Ich nicke also und grinse und schlage ihm kräf‐ tig auf die Schulter. Concho hinter uns treibt die Remuda der ledigen Mustangs mit kehligen Lauten an. Unsere alten Freunde wittern die Heimat und greifen schneller aus. So biegen wir in den Talkessel ein, zwei Stunden vor Sonnenuntergang. Es ist ein eigenes, ein schönes Gefühl, wieder daheim zu sein. Und wenn dieses Daheim auch nur aus vier roh behauenen
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Wänden besteht, mit einem klobigen Steinherd in der Mitte und ein paar verrußten Töpfen und Pfannen. Das weite Tal liegt still vor uns. Kein Rauch kräuselt sich aus dem Schornstein der Hütte. Kein Pferd steht im Korral daneben. Kein Glöckchen bimmelt. Niemand ist zu Hause. Wir sitzen vor der Hütte ab, müde von den langen Stunden im Sattel. Die Tür ist nur angelehnt. Ich gehe hinein und schüttele den Kopf. Fingerdicker Staub liegt auf dem Tisch, auf den Stühlen, auf dem Herd. Über dem Kamin hat eine Spinne ihr Netz gezogen. Die Nägel an den Wänden sind leer ‐ kein Sattel hängt dort, kein Zügel, kein Gewehr, nichts. Ich glaube, es dauert ein paar Minuten, bis ich das halbwegs begreife.. Leer? Überall Staub? Ja aber . . . aber das geht doch nicht! Das ist doch nicht möglich? Unsere Boys haben doch schließlich hier ihr Essen kochen müssen, haben . . . Ich renne raus und rufe: »Trux, Concho! Hier stimmt was nicht! In der Hütte ist seit Tagen niemand gewesen!« Concho treibt just die ledigen Tiere in den Korral. Seine nachtschwarzen Augen werden eng. Er schwingt das Lasso über dem letzten Mustang, schließt das Tor und kommt he‐ rüber. Er schaut flink in den Staub vor der Hütte, schaut über die Grasnarbe, die sich bis hinunter zum See zieht und schüttelt langsam den Kopf. »Keine Spur«, sagt er. »Alle alt, keine neu.« Er gleitet an mir vorbei in die Hütte. Trux läßt schwer den Sattel zu Boden fallen und ist mit zwei Sätzen neben Con‐ cho. Sie sehen nicht mehr als ich ‐ nämlich nichts.
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»Verdammt«, murmelt Trux, »hier ist seit mindestens einer Woche kein Mensch drin gewesen. Kann sogar schon län‐ ger her sein. Verstehst du das?« »Gar nichts verstehe ich! Aber es wird sich ja herausstellen. Los, wir verteilen uns und durchstreifen das Gelände. Ir‐ gendwo müssen wir ja schließlich die Herde finden. Wer weiß, warum die Boys nicht hierher gekommen sind.« Aber während ich dies sage, weiß ich doch, daß irgend et‐ was geschehen sein muß, etwas Entsetzliches. Aber was? Concho sagt nichts und fragt nichts. Er wirft einem frischen Pferd den Sattel über und sitzt oben, ehe Trux und ich uns von der Tür gelöst haben. »Hierbleiben«, sagt Concho. »Ich reiten. Ich warten.« Und im Galopp jagt er dem Walde zu. Kein Glöckchen bimmelt, kein1 Schaf blökt. Die Stille des Todes liegt über dem Land . . . Drei Zigarettenlängen halte ich es aus. Dann renne ich zum Korral; um zu satteln. Trux sagt: »Wohin, Rocky? Gleich geht die Sonne unter. Wenn Concho nichts findet, ent‐ deckst auch du bestimmt nichts.« Er hat recht. Natürlich hat er recht, aber der Teufel soll dies verdammte Warten aushalten, wenn er auf dem Pulverfaß sitzt. Wo sind meine Boys? Wo ist die Herde? Ich kehre um und hocke mich auf die Bank. Ich drehe eine Zigarette und paffe. Ich springe auf, renne in die Hütte und durchsuche sie bis in den letzten Winkel. Nichts. Hätte ja sein können, daß einer der Jungens eine Nachricht hinter‐ lassen hat. Und wenns nur ein winziger Zettel oder sonst irgendein Hinweis wäre. Nichts. 39
»Ich begreife das nicht«, murmele ich, als ich wieder neben Trux sitze. »Wenn sie auf eine andere Weide umgezogen wären, hätten sie bestimmt eine Botschaft hinterlassen.« »Hm«, macht Trux. »Wer weiß, wie es sich aufklärt. Ver‐ traust du den Boys? War nicht etwa ein falscher Fuffziger darunter? So was gibts schließlich auch auf dieser schönen Welt. Man nennt es Verrat.« »Zugegeben, der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Aber ich habe ihn gleich wieder verworfen. Meine Boys kennen mich nicht erst seit gestern. Sie wissen; was gefällig ist, wenn mir der Kragen platzt. Doch ganz abgesehen da‐ von habe ich wahrhaftig keine Ursache, an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln.« »Ich vertraue ihnen, Trux«, schüttele ich den Kopf. »Esca‐ millo zum Beispiel ist ein alter Graukopf, der schon unter meinem Vater als Cowboy tätig war und nur mir zuliebe mit in die Berge gegangen ist. Juan ist sein jüngerer Bruder ‐ genauso zuverlässig. Juan hat Tonto und Diario mit von Mexiko herüber gebracht. Er hat sich für sie verbürgt. Nein, Trux, von dort habe ich keinen Verrat zu fürchten.« »Um so besser. Es war nur so eine Vermutung. Schließlich kenne ich die Leute nicht. Sie hatten immerhin beinahe vier Wo‐ chen Zeit, um ein Ding zu drehen. Wieviel Schafe sind es?« »Ungefähr zweitausend. Genau kenne ich die Kopfzahl nicht. Der Bestand ändert sich laufend, gerade jetzt im Herbst, wo viele Geburten erfolgen.« »Natürlich. Zweitausend Schafe ‐ ein lohnendes Objekt. Hast du Feinde, Rocky?«
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»Wer hat sie nicht. Aber sie sind weit vom Schuß. Dies hier ist mein Revier. Ich bin jedem Menschen aus dem Wege gegangen, um keinen Streit zu bekommen. Seit drei Jahren habe ich kaum noch einen Menschen gesehen.« »Manche Leute gehen dem Streit aus dem Wege, andere laufen ihm nach. Was ist Kane Shurk für ein Mensch?« »Ein Großmaul. Er glaubt, mit Geld wäre alles käuflich. Vielleicht hat er recht.« »Warum so bitter, Rocky? Was mit Geld zu kaufen ist, ist nicht soviel wert, daß man ihm nachweinen sollte, wenn man es verliert. Die unbezahlbaren Dinge sind die besten ‐ Treue zum Beispiel und Liebe und echte Freundschaft. Die kann kein Mensch kaufen, Rocky. Er bekommt sie oder er bekommt sie nicht.« »Ja, Trux. So ist es. Ich glaube. . . ach verdammt, ich glaube, ich war ein Narr, daß ich weggelau‐ fen bin!« »Weggelaufen? Du? Das kann ich nicht glauben. Ein Mann wie du kneift nicht.« Da ist sie wieder, die Erinnerung. Merkwürdig, sie schmeckt längst nicht mehr so bitter wie damals. Anschei‐ nend heilt die Zeit doch alle Wunden . . . auch die seeli‐ schen. Ich knete meine Hände und starre darauf. »Es war kein Mann, vor dem ich davongelaufen bin, Trux«, sage ich. »Es war auch nicht Feigheit, die mir Beine ge‐ macht hat. Nein, ich bin enttäuscht worden ‐ verraten, wenn du willst. Von einer Frau.« »Ja. Ich weiß, Rocky. Ich habe einiges davon gehört, was dieser Rod Francis neulich gesagt hat. Den Rest kann ich
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mir zusammenreimen. Sie hat dich verlassen und den an‐ dern genommen ‐ den reichen Kane Shurk. Stimmt’s?« »Es stimmt. Sie war ein Jahr jünger als ich ‐ und Kane Shurk ist doppelt so alt wie sie. Er ist ein Mann, der alles haben muß, was er sieht. Ein Nimmersatt. Ich habe Diana geliebt, Trux. Wir waren versprochen, wir wollten heiraten, sobald das Round Up vorbei war. Wie du weißt, reiten beim Round Up auf offener Weide alle Mannschaften ge‐ meinsam, um ihre jeweiligen Tiere auszusondern. Dabei ließ Kane Shurk schon dauernd komische Redensarten fal‐ len. Ich hab’s überhört. Ich wollte keinen Streit. Ich dachte, er wäre nur neidisch. Am letzten Tag kehrten wir im Hotel ein und tranken einen, um den Staub herunterzuspülen. Shurk fing gewaltig an zu prahlen und stänkerte wieder. Plötzlich grinste er, stieß mich an und sagte: ,Sie versteht was vom Geschäft, die kleine Diana.’ Ich starre ihn an, weil ich nichts begreife und frage: ,»Was soll das heißen, Kane?’ « Er grinst, kneift ein Auge zu und lacht: »Na Mensch! Glaubst du, ihre Lippen gehören nur dir allein? Diana ist nicht so dumm wie du, Bragg!’ « »Und da hast du ihn zusammengeschlagen und aus dem Fenster geworfen. War es so?« »Ja, Trux. Ich bedaure jeden Schlag, der daneben gegangen ist. Bloß ‐ ich habe ihn für Diana geschlagen, für ihre Ehre, die ich angegriffen glaubte. Ich habe mich geirrt, Trux. Als ich am nächsten Tag zu Dianas kleiner Ranch kam, war sie nicht da. Ihre Brüder empfingen mich ‐ Hink und Jill Dela‐ zon. Sie sagten mir und grinsten sich eins dabei, daß Diana soeben zur Hochzeit weggefahren wäre. Zur Hochzeit mit 42
Kane Shurk.« »Bitter, verdammt bitter. Und deshalb hast du dich hier herauf verzogen, ans Ende der Welt?« »Ja. Ich lasse mich nicht zum Gespött der Leute machen, Trux. Damals war eine Welt für mich eingestürzt.« »Die Welt stürzt nicht ein, weil eine Frau die Treue bricht. Aber ich kann’s begreifen. Du wolltest ihr nicht begegnen, wolltest sie nicht sehen ‐ und ihn auch nicht, den großen Kane Shurk. Ich kann’s begreifen, Rocky. Ist er ein Mann, der vergessen kann?« »Was vergessen? Daß ich ihn geschlagen habe? Ach du lie‐ ber Gott, das ist mehr als drei Jahre her. Wir sind uns seit‐ dem nie wieder begegnet. Ich hab’s vergessen. Ich glaube, heute könnte ich sogar Diana gegenübertreten, ohne mehr als ein bißchen Herzklopfen zu empfinden. Obwohl ich ih‐ ren Verrat natürlich nie vergessen werde.« »Was für eine Mannschaft hat Kane Shurk? Gut, schlecht? Wie stark?« »Damals standen zwölf Männer auf seiner Lohnliste. Durchweg anständige Kerle. Natürlich auch Rüpel dabei ‐ Kid Smith zum Beispiel, der nichts lieber tat als sich zu prügeln und anderen Leuten die Nasenbeine zu zerdre‐ schen.« »Hui, so wild? Hast du dich auch mit ihm gebalgt?« »Nein. Das tat er schon nicht wegen Bud Abbott, dem Vormann. Bud und ich sind nämlich immer Freunde gewesen.« »Yeah ‐ wie groß war deine Ranch dort unten im Sunset‐ Tal?« »5000 Acres, gut bewässert. Dazu gehörte der Agavenwald und außerdem natürlich die freie Weide, zu der alle Ran‐ 43
cher Zugang haben. Ich habe die Ranch meinem Freund und Nachbarn Wade Holm zur Bewirtschaftung überge‐ ben. Vielleicht kehre ich doch eines Tages zurück. . . ob‐ wohl ich nicht daran glaube.« »Wie hieß doch der Boy, der neulich hier war? Rod .. . Rod Francis, stimmt das?« »Ja. Ich habe mich gewundert, daß du vor ihm in den Wald gelaufen bist.« »Nicht vor Francis. Aber er stammt aus Sunset, und ich will nach Sunset. Es sollte niemand wissen, daß ich im Lande bin.« »Wer ist niemand? Ich kenne alle Leute dort. Wer ist es, der nichts von deiner Ankunft wissen soll?« »Ein Mann, dem ich eine Frage vorlegen werde, Rocky ‐ eine ganz bestimmte Frage. Ich denke, er kann . . . Moment! Ich glaube, da kommt ’ein Reiter. Ob das schon Concho ist?« Es ist Concho, der in Karriere die Bodensenke quert und im Galopp den Sattel verläßt. Er landet genau vor unseren Fü‐ ßen, läuft ein paar Schritte und steht. Er lehnt sich an die Hüttenwand und sagt: »Keine Herde, Boß. Kein Lager‐ feuer. Keine Spur. Letzter Regen hat gewischt alles weg.« »Verdammt!« schreie ich. »Der Regen kann schließlich kei‐ ne zweitausend Schafe wegwischen, Concho! Wir werden suchen, morgen bei Tageslicht ‐ und bei Gott, wir werden sie finden!« * Wir suchen drei lange Tage. Wir drehen jeden Stein in ei‐ nem Umkreis von zwanzig Meilen um. Nichts. Weniger als 44
nichts. Nur alte Spuren finden wir dort, wo die einzelnen Herden die Hänge abgegrast haben. Sie waren ja geteilt in drei etwa gleich große Abteilungen, weil die Herde in gan‐ zer Größe zu unbeweglich war. Erst an diesem dritten Tag bringt Concho etwas, was er zwanzig Meilen südlich meiner Ranch gefunden hat. Es ist ein Halstuch, rot mit weißen Tupfen. Diario hat es getra‐ gen. Es ist zerfetzt und hat an einem Dorngestrüpp gehan‐ gen, dort, wo die Mogollons in die Badlands übergehen, ungefähr am Wege nach Sunset. Das kann nur eins bedeuten: die Herde ist weggetrieben worden, gestohlen. Was ich diese ganze Zeit über nicht wahrhaben wollte, jetzt muß ich dran glauben. Der Anfang einer Fährte ist gefunden . . . Wer wird an ihrem Ende stehen?
5. Kitty Die Badlands legen sich, ein zwanzig Meilen breiter Gürtel, zwischen die Mogollons und das Sunset‐Tal. Es ist ein rau‐ hes Gelände von wüstenartigem Charakter, ohne Vegetati‐ on. Alkalistaub beißt sich in die Lungen, getrieben von ei‐ nem stetig wehenden Wind. Die paar dürren Sträucher zählen nicht. Auch nicht die tückischen Kriechkakteen, zwischen denen die Hornvipern sich verbergen. Eine trost‐ lose Gegend. Wenn meine Herde hier durchgezogen sein sollte, dann muß es schon lange her sein. Das Halstuch Diarios bleibt 45
tatsächlich das einzige Zeichen ‐ und ein sehr trügerisches dazu. »Nehmen wir einmal an«, sagt Trux nachdenklich, »neh‐ men wir einmal an, die Herde wäre gestohlen. Dabei ist es zunächst völlig egal, wer sie geklaut hat. Alles deutet dar‐ auf hin, daß es nicht lange nach unserem Aufbruch zur Pferdejagd geschehen sein muß. Sonst hätten wir nämlich bessere Spuren finden müssen. Das ist vier Wochen her.« »Aber«, platze ich dazwischen, »aber schließlich waren vier ausgewachsene Männer bei den Herden! Und nicht nur sie, sondern jeder von ihnen hatte zwei Hunde bei sich. Die können doch nicht einfach verschwinden, Trux!« »Man kann Menschen töten und jede Spur der Tat vernich‐ ten. Man kann auch Hunde abschießen. Es gibt oben in den Bergen genügend unzugängliche Plätze, die nie eines Men‐ schen Fuß betreten wird ‐ Felsspalten zum Beispiel. Klar?« »Du meinst, meine vier Boys wären . . . sie wären tot?« »Ich meine gar nichts. Aber wir wollen uns keinen falschen Hoffnungen hingeben. Wer auch immer dies Ding gedreht hat, er hat was vom Fach verstanden. Und deshalb meine ich, wir sollten nicht so sehr auf das gefundene Halstuch bauen. Es wäre zum Beispiel denkbar, daß jemand es zwanzig Meilen weit vom Tatort weggebracht hat, um uns auf eine falsche Fährte zu bringen. Es ist natürlich auch denkbar, daß Diario selbst an diesem Platz gelegen und sein Halstuch als Zeichen für uns zurückgelassen hat.« »Moment!« sage ich. »Wenn jemand zweitausend Schafe klaut, tut er das nicht zum Spaß, sondern um sie zu Geld zu machen.« 46
»Aha! Folglich bin ich der Auffassung, wir sollten uns nicht mehr mit Spurenlesen und ‐suchen aufhalten, sondern uns nach solchen Plätzen umsehen, an denen Schafe gekauft oder verkauft werden. Ist das richtig?« Ich schaue Concho an. Der brave Bursche ist zum erstenmal in seinem Leben wirklich ratlos. Wenn einer etwas vom Spurenlesen versteht, dann ist er es. Und wenn er nichts findet, dann ist Hopfen und Malz verloren. Allerdings muß man ihm und uns zugute halten, daß einige schwere Re‐ gengüsse über das Land gegangen sind ‐ wie in jedem Herbst. »Well«, sage ich, »also schauen wir uns danach um. Wohin zuerst?« »Du kennst das Land, Rocky. Welche Plätze in der näheren Umgebung haben Bahnstationen?« »Sunset nur. Die nächste Station liegt erst zwanzig Meilen weiter im Süden.« »Westlich und östlich gibt’s keine, nicht wahr? Ich kann mir nur nicht vorstellen, daß die Diebe es wagen können, die Herde nach Sunset zu treiben, denn schließlich weiß dort jeder, daß die Tiere dir gehören.« Ich zucke die Achseln. »Darauf weiß ich auch keine Ant‐ wort. Ich versteh’ mich nun mal nicht auf Kreuzworträtsel ‐ und dies sieht wahrhaftig wie eine verzwickte Kiste aus!« »Versuch macht klug«, sage ich, »und fragen kostet nichts. Bei der Gelegenheit kann ich gleich ein paar alten Freunden die Hände drücken. Eigentlich wird’s Zeit. Verdammt ‐ wenn ich nur wüßte, was mit meinen vier Jungens ist!«
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Der Blick, den Trux mir daraufhin zuwirft, spricht eigent‐ lich Bände. Aber ich kann’s noch nicht glauben, daß es kei‐ ne Hoffnung mehr geben soll. Nein ‐ ich kann’s nicht glau‐ ben. . . * Die erste Ranch jenseits der Badlands ist die Jim Deeps. Sie kuschelt sich eng an eine Berglehne, die bis zur halben Hö‐ he herab mit Wey‐moutskiefern bestanden ist. Ein paar vereinzelte Rinder sprenkeln den Grashang, und eine Gruppe von Jährigen zieht gemächlich über den jenseitigen Kamm. Die tiefstehende Sonne läßt die Fensterscheiben an der Vorderfront des Hauses gleißen wie pures Gold. Es ist ein zauberhaftes Bild ‐ es ist für mich der erste Gruß der alten Heimat, und ungeduldig gebe ich Grey Star den Kopf frei und jage vor den anderen auf den Ranchhof. Ich parie‐ re durch und schreie: »Jim ‐ he, Jim Deep! Wach auf, altes Haus!« In der Tür erscheint ein Wesen in Cordhosen, mit einem verblichenen Männerhemd, dessen Ärmel aufgekrempelt sind, in der Hand eine Flinte. Aber trotz des männlichen Aussehens bleibt das Wesen ein Mädchen. Das läßt sich nicht leugnen. Daran ändert auch der riesige Sombrero nichts, unter dem sich goldgelbe Locken verbergen. »Was wollen Sie?« faucht die Dame und spannt den Hahn der Donnerbüchse. Ich reiße Augen, Mund und Nase auf. »Nanu!« staunte ich. »Jim hat doch früher anders ausgese‐ hen! Ich wette, er war nicht halb so hübsch!« Das Wesen senkt den Lauf, schüttelt den Kopf und lächelt: »Rocky Bragg! Das Sunset‐Land hat geglaubt, Sie wollten 48
sich total zum Einsiedler entwickeln. Steigen Sie ab, Rocky, und kommen Sie herein.« Ich nicke zu meinen Freunden hinüber, die just den Hof erreichen: »Das sind Trux und Concho, Kitty. Wir wollen dir das Haus nicht schmutzig machen. Äh ‐ darf ich du zu Ihnen oder muß ich Sie zu dir sagen?« Sie lacht leise und schüttelt den Kopf: »Du natürlich, wie damals, als ich noch Zöpfe trug.« »Lang, lang ist’s her! He, Trux und Concho, schaut euch diese lieblich erblühte Rose vom Sunset‐Tal an. Das ganze heißt Kitty Deep und ist neunzehn Lenze alt. Knusprig, was?« Trux verbeugte sich galant wie ein Kavalier alter Schule, doch Concho tut nichts dergleichen. Er kaut auf irgend et‐ was herum, was er von irgendeinem Kaktus oder was weiß ich sonst gepflückt hat. Vermutlich hält er es für ein Stär‐ kungsmittel. Dementsprechend wird es auch schmecken ‐ gallenbitter nämlich. In der Beziehung kenne ich Concho zur Genüge. Wir treten ein in die gute Stube und nehmen Platz. Kitty setzt Kaffeewasser auf und ruft uns zu: »Kommt Jim noch nicht bald zurück? Sollt ihr Nachricht von ihm bringen?« »Wieso?« frage ich zurück. »Wir sind hier, um ihn zu besu‐ chen. Wie können wir Nachricht von ihm bringen, wenn ich ihn seit Jahren nicht gesehen habe?« Sie kommt aus der Küche zurück, schüttelt den Kopf und meint: »Das verstehe ich nicht. Sind Sie nicht auf Wild‐ pferdjagd gegangen, Mister Bragg?«
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»Klar sind wir. Aber was hat das mit Jim zu tun? Übrigens ‐ Kitty ‐ ich heiße Rocky. Wenn schon duzen, dann beider‐ seits.« »Danke, Rocky«, sie lächelt und steckt sich rot an. Es steht ihr verdammt gut. Wenn man drei Jahre kein weibliches Wesen gesehen hat. . . ah, Schwamm drüber! »Sie . . . du mußt Jim doch gesehen haben!« fährt Kitty Deep fort. »Er ist vor vier Wochen von hier fort und wollte direkt zu dir. Er meinte, ihr könntet den Job gut zusammen machen und teilen.« »Jim war nicht bei mir. Wir müssen uns verfehlt haben oder. . . wann ist er losgeritten und mit wem? Weißt du das genaue Datum,’ den genauen Tag, Kitty?« »Ja, natürlich. Es war ein Freitag ‐ ja, morgen werden es vier Wochen.« Ich muß scharf nachdenken, denn mit den Wochentagen habe ich es dort oben in den Mogollons nie so genau gehal‐ ten. Wenn ein Tag wie der andere aussieht, mit immer der gleichen Arbeit, dann vergißt man leicht, den Kalender weiterzublättern. Ein Freitag . . . wie war denn das heute vor vier Wochen eigentlich? Trux fährt mit einer Frage dazwischen: »Ist Ihr Bruder al‐ lein geritten, Miß Deep?« »Ja, natürlich. Er hatte erst vor, mit Wade Holm und einem seiner Boys loszuziehen. Aber Wade hatte etwas anderes vor. Deshalb überlegte sich Jim, daß er es am besten mit Rocky machen könnte.« »Aha. Und von wem wußte Jim, daß in Fort Caspar Wildpferde gebraucht werden?«
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»Er hat es aus der Stadt mitgebracht. Ich nehme an, daß dort ein Anschlag angebracht war.« »So so. Ein Anschlag also. Übrigens ‐ pfeift da nicht der Wasserkessel?« »Oh ja! Entschuldigen Sie. Vor lauter reden vergesse ich meine Hausfrauenpflichten.« Sie eilt hinaus. Ich grübele immer noch darüber nach, wann wir aufgebrochen sind. Ich muß alle zehn Finger zur Hilfe nehmen und zurückrechnen ,‐ doch jetzt beugt Trux sich zu mir herüber und sagt halblaut: »Am Sonnabend, also übermorgen, werden es vier Wochen, seit wir uns kennen‐ gelernt haben. Am Sonnabend vor vier Wochen ist Dag Krim gestorben. Am Montag sind wir aufgebrochen ...« »Hölle und Pest!« fluche ich. »»Dann hätte Jim da sein müssen! Er braucht einen Tag von hier zu uns herauf.« »Pssst, nicht so laut! Es könnte natürlich sein, daß er es sich anders überlegt hat. Aber ich fürchte ...« »Du glaubst, Dag Krim ...« Er zieht die Schultern hoch. Mir wird schwül unterm Hut. Verdammt und zugenäht, wie soll ich Kitty beibringen, daß Jim nicht zu uns gekommen ist, obwohl er uns gar nicht hätte verfehlen können? Und wie, zum Teufel, paßt Rod Francis ins Bild? Und warum hat Francis keine Silbe davon gesagt, daß Jim unterwegs war zu mir? »Hier geht mehr vor sich, als man mit bloßem Auge sehen kann«, murmelt Trux düster. Selbst Concho hört auf zu kauen und die Überreste seiner Mahlzeit in die Gegend zu spucken. Er erhebt sich und gleitet auf leisen Sohlen hi‐ naus. 51
Als Kitty mit dem köstlichen Getränk ankommt; haben Trux und ich uns schon wieder in der Gewalt. Was sollen wir ihr auch sagen? Noch kann sich ja alles harmlos aufklä‐ ren. Aber wir sind uns völlig darüber im klaren, daß schon ein Wunder geschehen müßte. Ein Mann, der vier Wochen lang nichts von sich hören lassen hat, ist in diesem Lande so gut wie tot. »Wie ist es denn nur möglich«, fängt Kitty sofort wieder an, »daß Jim euch verfehlt hat?« »Vermutlich waren wir schon unterwegs, Kitty«, sage ich. »Ich nehme an, daß er unsere Spur auf dem Weg zu den White Mounts verloren hat. Das ist schließlich kein Wun‐ der im Gebirge, nicht? Wenn ich natürlich geahnt hätte, daß er auch in der Gegend war, hätten wir uns nach ihm umgesehen. Aber so ‐ weißt du ‐ bei der Wildpferd‐Jagd hat man schließlich alle Hände voll zu tun.« »War er denn auch nicht in Fort Caspar? Mein Gott, der Winter steht vor der Tür. Und allein kann er doch keine Mustangs fangen! Er hätte doch umkehren können!« »Vielleicht hat er unterwegs ein paar Boys gefunden, Kitty. Dadurch läßt sich eine Verzögerung leicht erklären.« »Ja«, nickt sie hoffnungsvoll, »ja, das wird es sein. Ich... ich habe mir schon Sorge gemacht.’’ Wie paßt Dag Krim ins Bild? Und wie Rod Francis? Trux nimmt mir die Frage von den Lippen. »Haben Sie Rod Francis in jenen Tagen hier gesehen, Miß Deep?«
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Sie schüttelt den Kopf. »Jim war auf Rod nie gut zu spre‐ chen. Ich glaube, er hätte ihn vom Hof gejagt. Rod ist ein krummer Typ, der keine Freunde hat. Ich weiß nicht ‐ Ir‐ gendwie ist er mir unheimlich.« »Kennen Sie einen Mann namens Krim ‐ Dag Krim?« »Ja. Er war einmal bei uns mit Sid Mola. Es ist schon Wo‐ chen her.« »Wer ist Mola?« frage ich. Den Namen muß ich schon ge‐ hört haben ‐ ah richtig! Francis hat ihn genannt. »Sid ist bei Kane Shurk, Rocky. Er ... er kommt öfter hier vorbei. Solange Jim weg ist, hat er mir ab und zu geholfen. Er . . . ich glaube, er ist ganz nett.« Es ist purer Zufall, daß ich einen Blick auf Trux’ Gesicht werfe, nur einen Streifblick. Ich muß gleich noch mal hin‐ gucken, denn sein Gesicht ist plötzlich verändert. Er sieht aus wie aus Stein gemeißelt, hart, unbarmherzig, mit Au‐ gen, die wie Gletschereis aussehen. Aber gleich darauf ist es, als wische eine Hand die Starre weg. Ein dünnes Lä‐ cheln spielt um seine Lippen. Er zieht den Tabaksbeutel und dreht eine Zigarette. »Ist Dag Krim auch bei Kane Shurk angestellt?« fragt er langsam mit seiner sanftesten Stimme. »Ja, ich glaube schon, daß er es war. Allerdings sagte Sid neulich, daß Dag Krim das Land verlassen habe.« »So so. Aber Rod Francis ist noch hier ‐ oder?« »Ja, natürlich. Er ist doch Sheriff in Sunset. Einen dümme‐ ren konnten sie anscheinend nicht finden.« Fast hätte ich laut losgelacht. Rod Francis Sheriff. Das ist ungefähr so, als wenn eine Maus auf ein Schock Katzen 53
aufpassen soll. Rod Francis Sheriff ‐ so ein Witz! Es ist dun‐ kel geworden im Zimmer. Kitty holt die Lampe herbei, zündet den Docht an und zieht die Vorhänge zu. Jede ihrer Bewegung ist trotz der männlichen Kleidung anmutig und fraulich. Damals vor drei Jahren war sie ein eckiges und bockiges Füllen, das frecher war als der frechste Bengel in der ganzen Gegend. Aus dem Entlein ist ein Schwan ge‐ worden. Wir schlürfen die zweite und dritte Tasse Kaffee. Plötzlich öffnet sich die Tür. Concho steht in ihrem Rahmen und sagt leise in seinem kehligen Klang: »Reiter kommen. Besser aufpassen.« Trux ist sofort hoch und neben Concho. »Stellen Sie bitte meine Tasse weg, Miß Deep«, sagt er. »Und erwähnen Sie meinen Namen nicht ‐ zu keinem Menschen!« Und drau‐ ßen ist er. Kitty schüttelt verblüfft den Kopf, aber ich kann ihr auch nichts über das komische Verhalten meines Freundes sa‐ gen. Manchmal ist er auch für mich ein Buch mit sieben Siegeln. »Was . . . was fürchtet ihr?« fragt Kitty beklommen. »Nichts. Ich jedenfalls nicht. Aber man kann nie vorsichtig genug sein, nicht wahr?« Draußen nähert sich Hufschlag. Zwei Pferde sind es, die vor dem Haus halten. Aber der Schritt nur eines Mannes wird auf dem Flur hörbar. Dann klopft es. Herein tritt Bud Abbott ‐ seines Zeichens Vormann bei Kane Shurk. Bud Abbott, der vor drei Jahren mein Freund war. Ist er es auch heute noch? 54
6. Der Sattel ist leer Bud hat sich kaum verändert. Er ist ein großer verschlosse‐ ner Mann, einen Zoll über sechs Fuß hoch steht er in den Schuhen. Er, Wade Holm und ich, wir waren lange Zeit unzertrennlich. Man nannte uns das Kleeblatt ‐ und als dann auch noch Jim Deep dazu kam, der um zwei Jahre jünger war, hießen wir das vierblättrige Kleeblatt. Lang lang ist’s ’her . . . Buds Gesicht ist streng geschnitten, mit tiefliegenden Au‐ gen und schmalen Lippen, die selten lachen. Die wuchtigen Schultern sind ein wenig gebeugt, so als trage er an einer schweren Last. Aber das kommt vom vielen Reiten. Män‐ ner, die dauernd in lässiger Haltung im Sattel sitzen, neh‐ men leicht diese Haltung an. Die lassogewohnten Hände Buds sind groß wie Schaufeln. Auf der braunen Haut zeigen sich unzählige weiße Narben, vom scharfen Zug des Lassos gebissen. Merkwürdig ‐ als ich diese verarbeiteten Hände sehe, weiß ich plötzlich, daß Bud mir nie die alte Freundschaft und Treue aufkündigen wird. Er bleibt in der Tür stehen, die langsam hinter ihm ins Schloß fällt. Er runzelt die Stirn, als er mich sieht und er‐ kennt. Ein kurzer Blitz kommt und geht in seinen Augen. Er sagt: »Was suchen die Schafe unter Wölfen?« Es ist eine verdammt merkwürdige Begrüßung für alte Freunde. »Seit wann bist du ein Wolf, Bud?« frage ich und lächele. »Und seit wann hältst du mich für ein Schaf?«
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Ein Anflug von Röte zeigt sich dort, wo der wuchtige Hals aus dem Hemd kommt. Er preßt die Zähne aufeinander, daß die Kinnbacken scharf hervortreten. Was zum Teufel ist mit ihm los? Dann gleitet sein Blick scheinbar gleichgültig von mir weg zu Kitty hinüber. Seine Augen erwärmen sich, aber sie werden eher noch ernster als vorher. »Kitty, ich muß dir eine Nachricht bringen«, sagt er lang‐ sam, mit spröder Stimme. »Von Jim?« fährt sie auf. »Hast du ihn gesehen, Bud? Wann kommt er zurück?« Bud Abbott tut die zwei Schritte zu ihr hinüber und legt die Rechte auf ihre Schulter. Seine starre Miene zerbricht plötz‐ lich und wird weich. Die Schultern wölben sich noch mehr nach vorn. Plötzlich sieht er viel älter aus. »Nein, ich habe ihn nicht getroffen, Kitty. Ich war heute morgen in den Badlands, um ein paar verlaufene Rinder zurückzuholen. Ich . . . ich glaube, du mußt jetzt sehr tapfer sein, Kitty.« Ich halte den Atem an. Die Ahnung von etwas Schreckli‐ chem weht durch den Raum. Ich sehe, wie Kittys Augen sich weiten, wie sie ein wenig zurückweicht und sich auf‐ richtet, wie Buds Hand von ihrer Schulter herabgleitet. »Er ist tot, Bud? So rede doch schon! Ist Jim tot?« Ein Flüs‐ tern ist es zuerst und dann ein Schrei. »Ich weiß es nicht, Kitty. Ich habe an einem Wasserloch ein Pferd gefunden ‐ Jims Pferd. Gesattelt, mit schleifenden Zügeln. Der Sattel war leer ‐ und der Rotbraune hat eine
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schwere Wunde in der Brust, die aber schon verharscht ist.« »Nein! Das kann nicht sein, Bud! Sag, daß es nicht wahr ist!« Kitty preßt beide Hände auf die Brust. Ihr Gesicht ist kalk‐ weiß, die Lippen sind blutleer. Eine Woge des Mitleids überflutet mich ‐ und gleichzeitig Schmerz und Zorn. Was geht vor in diesem verfluchten Land? »Ich habe das ganze Land rings um das Wasserloch untersucht«, sagt Bud hei‐ ser. »Es gibt keine Spur. Es sieht so aus, als hätte der Rot‐ braune Jims schon lange dort am Wasser gestanden. Er konnte einfach nicht weiter. Ich habe ihn mitgebracht. Jims Gewehr steckte noch im Scabbard. Das ist alles, Kitty. Es tut mir leid ...« »Ja, Bud.« Ihre Stimme ist erstorben. Mit fahrigen Fingern nestelt sie am Gürtelschloß ihres Leibriemens. Ich stehe auf und trete neben sie. Ich nehme ihre kalte Hand in die meine und drücke sie und murmele: »Bitte, Kitty ‐ noch ist Hoff‐ nung. Noch wissen wir nicht, was geschehen ist. Wir wer‐ den Jim suchen.« Ich führe sie wie ein kleines Kind zum Stuhl. Sie setzt sich und starrt aus blicklosen Augen vor sich nieder. Plötzlich wirft sie beide Arme auf den Tisch, den Kopf darauf und schluchzt wild und hemmungslos. Ich schaue mit zusam‐ mengepreßten Lippen zu Bud auf, der regungslos am glei‐ chen Fleck steht ‐ ein Mann wie ein Felsblock. Ich strecke ihm die Hand entgegen ‐ aber er übersieht sie. Ich zucke die Achseln und gehe an ihm vorbei zur Tür hinaus.
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Der Rotbraune steht mit Bud Abbotts breitbrüstigem Wal‐ lach neben dem Stangenkorral. Von Concho und Trux ist nichts zu sehen. Auch unsere drei Pferde sind verschwun‐ den. Die beiden gehen ganz auf Nummero sicher. Die Verletzung an der Brust des Pferdes ist schon ziemlich vernarbt. Nur an zwei Stellen ist sie noch entzündet und eitert ein wenig. Es ist eine lange, tiefe Schramme, die sich schräg von unten nach oben zieht. Unzweifelhaft hat eine Kugel die Furche gezogen ‐ und nicht erst gestern. Den ge‐ nauen Zeitpunkt kann man nicht bestimmen, doch können schon Wochen darüber vergangen sein, zumal das Tier er‐ bärmlich heruntergekommen ist. Die Rippen stehen hervor unter dem struppigen Fell. An den Hinterhandknochen kann man den Hut aufhängen. Die Tür knarrt, schwere Schritte nähern sich. Ich lehne mich an den Korralpfosten, stecke mir eine Zigarette an und starre ins Leere. Jim Deep ist tot. Es gibt keinen Zwei‐ fel daran. Der allzeit fröhliche Jim ist nicht mehr unter uns. Auf dem Wege zu mir hat ihn die Kugel getroffen ‐ war‐ um? Und wer hat es getan? Trauer und Zorn mischen sich und verwirren die Gedan‐ ken. Ich höre das Blut in den Ohren sausen. Jetzt, in dieser Sekunde, bin ich bereit, etwas Schreckliches, etwas Mörde‐ risches zu tun. Wer hat Jim Deep umgebracht? Bud Abbott bleib drei Schritte von mir entfernt stehen. Ich höre seine schweren Atemzüge, aber ich schaue ihn nicht an. Seine Stimme klingt hart: »Warum bist du hierher gekommen, Rocky?«
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Ich werfe die Zigarette weg und zertrete sie. »Das fragst du, Bud? Es ist meine Heimat, nicht wahr? Es ist meine Heimat genauso wie die deine. Hier in diesem Land haben wir zusammen die Jugend verlebt. Wir waren Freunde, Bud, und ich hätten gerade von dir ein anderes Willkom‐ men erwartet.« »Du bist ein Narr, wenn du von diesem Land und seinen Leuten etwas erwartest! Ich sage dir nur eins: verschwin‐ de!« Das reißt mich herum. Es ist, als hätte ich einen Tiefschlag verpaßt bekommen. Das sagt Bud Abbott zu mir? »Bist du verrückt, Bud? Was soll das heißen? Was habe ich dir getan, ich habe mich auf diesen Tag des Wiedersehens gefreut. Ich habe gedacht ...« »Hör auf zu denken, Rocky Bragg! Dies ist ein Rinderland, wir können keinen Schafgestank gebrauchen!« »Sieh mal einer an! Wer hat dir denn den Floh ins Ohr ge‐ setzt? Kane Shurk? Well, ich sage dir nur eins, Bud Abbott: es ist völlig gleich, womit ein Mann sein Brot verdient, wenn es nur ehrliche Arbeit ist. Du weißt, warum ich ge‐ gangen bin und wie schwer es mir gefallen ist. Es ist bitter, aus deinem Mund so etwas zu hören.« »Komm nicht mit der lauen Tour! Aber was ist von einem Schafmann schon anderes zu erwarten.« Fast wäre ich ihm an die Gurgel gesprungen. Aber ich halte mich noch zurück. Das ist genau der Ton, den ich nicht lei‐ den kann ‐ diese Überheblichkeit, mit der die Rindermän‐ ner auf jeden anderen herabschauen, einerlei ob er hinter
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dem Pflug geht oder hinter einer Schafherde. Für einen Rindermann gibt es nur eins, was gilt: Rinder. »Ich stecke von dir viel ein, Bud. Ein anderer hätte das nicht sagen dürfen. Jim Deep war jedenfalls anderer Mei‐ nung als du. Und ich hoffe, daß auch andere Männer in diesem Land nicht so borniert sind.« »Laß Jim aus dem Spiel! Er ist tot und kann sich nicht weh‐ ren.« »Wehren?« Ich lache bitter auf. »Du Narr! Jim Deep war auf dem Wege zu mir, als dies passiert ist. Jim wollte mit mir zusammen auf Wildpferdjagd gehen. Er ist nie bei mir angekommen. Wo hast du ihn gefunden?« Schweigen. Die klobige Gestalt Bud Abbotts steht reglos vor dem zerrisse‐ nen Horizont. Dann als er antwortet, klingt seine Stimme nicht ganz so schroff und leiser. »Ich habe ihn nicht gefun‐ den. Aber ein Mann, der in diesem Land vier Wochen ver‐ schwunden ist, lebt nicht mehr. Zweifelst du daran?« »Nein. Aber wer hätte ihn töten sollen? Und warum? Jim war kein Mensch, der sich Feinde machte.« »In den Badlands und Mogollons kriecht mancher Kojote herum. Anders weiß ich keine Antwort.« »Möglich. Kennst du einen Mann namens Krim ‐ Dag Krim?« »Ja. Er war einige Zeit in unserer Mannschaft. Eines Tages verschwand er und kam nicht wieder. Warum fragst du?« »Seit wann stellt Kane Shurk Revolvermänner ein? Wofür braucht er sie?« »Nonsens! In meiner Mannschaft gibt es keine Revolver‐ männer! » 60
»Es gab aber einen ‐ Dag Krim. Wie erklärst du es, daß er sich oben in den Mogollons hinter einen Felsen legt und auf mich schießt? Tut das ein ehrlicher Mensch?« »Du bist verrückt! Dag Krim hat sich in der Mannschaft anständig aufgeführt und ...« »Gut. Er ist tot. Es ist ziemlich genau vier Wochen her. Und einen Tag vor Dag Krims Tod hat Jim Deep seine Ranch verlassen und sich auf den Weg zu mir gemacht. Er ist nicht angekommen. Zur gleichen Zeit ist aber dieser Heckenschütze Dag Krim auch dort oben aufgetaucht. Ich pflege zwei und zwei zusammenzu‐ zählen Bud Abbott ‐ und bei mir gibt das vier.« »Das wäre . . . ach Quatsch! Ich kann’s mir einfach nicht denken. Ich habe schließlich mit Krim an einem Tisch ge‐ sessen. Ich habe ihn bei der Arbeit gesehen. Er war nicht so einer.« »Du bist ein großartiger Menschenkenner, Bud. Dag Krim hat schon früher gemordet, nur so zum Spaß. Auf seinem Konto steht eine lange Liste von Toten. Ich habe das Konto abgeschlossen. Ich wollte nur, ich hätte ihn fragen können, ob auch Jim Deep auf seiner Liste stand.« »Ich halte mich an Tatsachen, Rocky. Es gibt keinen Beweis, daß ausgerechnet Dag Krim es getan hat. Er ist tot, und Jim ist tot. Tote schweigen. Wir werden es nie erfahren. Well ‐ ich reite. Und beherzige dies: reite nicht nach Sunset!« Er geht an mir vorbei zu seinem Pferd. Er setzt den Fuß in den Steigbügel und nimmt den Zügel auf. »Einen Augenblick, Bud«, sage ich. »Du warst in den Bad‐ lands, nicht wahr?« »Ja, und?«
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»Hast du zufällig eine Fährte gesehen ‐ eine Fährte, die zweitausend Schafe hinterlassen haben?« »Was soll das? Nein, ich habe nichts gesehen ‐ aber was soll das? Schafe in den Badlands?« »Das soll heißen, daß ich zweitausend Schafe suche. Sie ge‐ hören mir, Bud ‐ und sie sind verschwunden. Genauso ver‐ schwunden wie die vier Männer, die die Herde bewacht haben. Genauso verschwunden wie Jim Deep.« Er schweigt. Er nimmt den Fuß wieder aus dem Steigbügel und steht regungslos neben seinem Pferd. Anscheinend hat’s ihn getroffen. »Es sieht nach Raub und Mord aus, Bud«, sage ich. »Ich war vier Wochen unterwegs, auf Wildpferdjagd. Auf der gleichen Jagd, die Jim Deep mitmachen wollte. Jim ist seit Wochen verschwunden und meine Herde auch. Glaubst du immer noch, daß ein flüchtiger Strauchdieb es getan hat? Ich nicht; nein, Bud Abbott, ich nicht!« »Zweitausend Schafe?« murmelt er. »Deshalb bist du hier? Wohin führen die Spuren?« »Es gibt keine. Das einzige, was wir gefunden haben, ist ein zerrissenes Halstuch. Es gehörte einem meiner Männer. Es lag am Rande der Badlands. Auch Jims Pferd war in den Badlands, nicht wahr?« Er hebt sich in den Sattel, schwer‐ fällig wie ein alter Mann. Er zieht den Mustang am Zügel herum. Er schweigt. »Noch eins, Bud«, sage ich scharf. »Du stehst auf der ande‐ ren Seite des Zaunes. Du hast vergessen, daß wir einst Freunde waren. Well ‐ ich hab’s nicht vergessen. Für mich ist Freundschaft nicht nur leeres Gerede, verstehst du! Und 62
darum sage ich dir jetzt eins: ich werde nach Sunset reiten und mich einen Dreck darum kümmern, ob das verschie‐ denen Leuten angenehm ist oder nicht. Wem es nicht paßt, der soll es mir ins Gesicht sagen ‐ und ich werde ihm die richtige Antwort verpassen. Ist das klar?« »Es ist gut, Rocky. Ich habe dich gewarnt und warne dich nochmals. Ich bin ein Mann Kane Shurks, und ich kann nicht aus meiner Haut. Kane Shurk hat mich zu dem ge‐ macht, was ich bin ...« »Glaubst du? Dann hast du keine hohe Meinung von dei‐ nen Fähigkeiten. Ich jedenfalls habe eine bessere. Kane Shurk hat dich als Vormann genommen, weil er gar keinen besseren Mann finden konnte. Wärst du nicht Vormann geworden, hättest du heute eine eigene Ranch und be‐ stimmt nicht die schlechteste. So wirst du bis an dein Le‐ bensende Kane Shurks Stiefel ablecken.« Er richtet sich steil im Sattel auf, sitzt sekundenlang so und starrt auf mich he‐ rab ‐ dann reißt er den Gaul herum und galoppiert an. Se‐ kunden später ist er in der Nacht untergetaucht. Ein verlo‐ rener Freund . .. Schleppenden Schrittes gehe ich zurück ins Haus, nachdem ich Jims Rotbraunen abgesattelt und zum Wassertrog ge‐ führt hatte.
7. Sid Mola Kitty richtet sich müde auf und wischt die Tränen ab. Sie schnupft energisch und schaut mich aus trüben Augen an. Es ist ein Blick, der mir das Herz im Leibe umdreht. Nichts 63
ist schwerer zu ertragen als das Leid einer Frau . . . als die Tränen einer Frau. »Rocky, sei ehrlich zu mir«, sagt sie leise, mit zitternder Stimme, »gibt es noch eine Hoffnung?« Ich kann nicht lügen, nicht in diese Augen hinein. Was könnte eine fromme Lüge noch nützen? Was eine Hoff‐ nung, die keine ist? »Kitty«, sage ich schwer, mit einem Kloß im Hals, »du mußt tapfer sein. Nur ein Wunder kann noch helfen.« »Es gibt kein Wunder!« stößt sie bitter hervor. »Oh, warum mußte das geschehen? Warum mußte es Jim treffen, der nie einem Menschen etwas zuleide getan hat?« Warum . . . warum . . . warum? Das ist die Frage, die ich mir seit Tagen vorlege, auf die ich keine Antwort weiß. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Jims Tod und dem Verschwinden meiner Herde? Aber nein, das ist ein ver‐ rückter Gedanke. »Das Leben geht weiter, Kitty«, sage ich, weil ich irgend etwas sagen muß, und wenn’s noch so sinnlos ist. »Wenn ich dir helfen kann ... du mußt wissen; daß du immer auf mich zählen kannst. Ich habe nur eine Kleinigkeit zu erle‐ digen. Aber ich werde gleich Wade Holm benachrichtigen, daß er dir in den nächsten Tagen unter die Arme greift. Und später, Kitty ‐ die Zeit heilt alle Wunden, allen Schmerz.« »Ja, Rocky. Ich danke dir. Es ist so unfaßlich, der Gedanke ist so unerträglich, daß Jim nicht wiederkommt...« Sie schluckt heftig und bringt das Kaffeegeschirr hinaus. Ich drehe eine Zigarette und paffe vor mich hin. Gedanken 64
nagen ‐ fruchtlose Gedanken ohne Ziel. Immer wieder die Frage: warum . .. warum . . . warum . . . Den Hufschlag höre ich erst, als er schon über den Hof pol‐ tert. Es ist ein einzelner Reiter. Ob Bud Abbott noch einmal zurückkommt? Aber nein ‐ der Schritt auf dem Flur ist leicht und flüchtig, nicht so schwer und dröhnend wie Buds. Es klopft, die Tür fliegt auf und herein stolziert ein Mann in prächtiger Reitkleidung, geschniegelt und gebü‐ gelt. Ein hübscher Mann mit blitzenden Augen, einem ge‐ fälligen schmalen Schnurrbart auf der Oberlippe, mit hauchdünnen Lederhandschuhen und überkreuz ge‐ schnallten Colts, die tief auf den Hüften hängen. Er stößt den weißen Stetson in den Nacken, prüft den Sitz des Halsknotens und ruft: »Hallo, Kitty, wo verkriechst du dich?« Dann erst fällt sein Blick auf mich, und das freudige Lä‐ cheln gefriert in den Mundwinkeln. Die schwarzen Augen schließen sich halb, so, als würde ein Vorhang zugezogen. Er sieht plötzlich nur noch halb so hübsch aus ‐ dafür aber doppelt so gefährlich. Die behandschuhten Hände gleiten wie an der Schnur gezogen hinunter und haken die Dau‐ men hinter den Gürtel. »Hallo ...« dehnt er. »Hallo!« nicke ich und lächele. Ich betrachte den Mann von Kopf bis Fuß ‐ das weiche Lederhemd, auf dem bizarre Sti‐ ckereien angebracht sind, ein weißes Hemd mit roten und goldenen, Verzierungen. Dann die Hose, die beineng an‐ liegt und die prächtige Figur des mittelgroßen Boys betont. Sie ist schwarz, die Hose, mit roten Aufschlägen, und sie 65
endet in wunderbar weichen, hochhackigen Reitstiefeln. Am interessantesten sind allerdings die Waffen: Elfenbein‐ kolben mit silberner Intarsienarbeit. Sie stecken in goldbe‐ schlagenen Lederhalftern und haben bestimmt ein Heiden‐ geld gekostet. Mehr als ein armer Schafzüchter in einem Jahr verdienen kann. Kitty kommt aus der Küche gewir‐ belt. »Sid!« ruft sie und wirft sich in seine Arme, aber diese Arme öffnen sich nicht. Sie stoßen Kitty beiseite. Er behält Front zu mir, und seine Haltung versteift sich. »Wer ist das?« fragt er. Es klingt wie das Knurren eines Pumas. Er nickt zu mir. Sein Ton mißfällt mir sehr. »Oh ‐ das ist Rocky Bragg, Jims alter Freund. Er ist aus den Bergen gekommen, zu einem Besuch. .‐.« »Bragg? Der Schafmann? Und so was duldest du in deiner guten Stube?« »Sid!« Sie ist betroffen, verstört. Sie schüttelt den Kopf und schaut von ihm zu mir und wieder zurück zu ihm. Ich ste‐ he auf und lächele immer noch und sage: »Sid Mola, nicht wahr? Sie sind ein Mann Shurks. Nun, dann nehme ich Ih‐ nen solche Worte nicht übel.« Ich trete um den Tisch herum. Er setzt seine Beine ausei‐ nander und sperrt die Tür. Ein böses Lächeln umspielt plötzlich die vollen, ein. wenig weibischen Lippen. Er sieht immer noch hübsch aus, trotz dieses gefährlichen Lächelns. Manche Leute haben einen Charme ‐ und wenn sie auch Dinge dahinter verbergen, die absolut nichts mit Charme zu tun haben.
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»Ich war neugierig auf Sie, Bragg«, sagt er gedehnt. »Man hat soviel von Ihnen erzählt. Sie werfen einen langen Schat‐ ten, wie?« »Möglich. Der Schatten allein macht’s nicht, Sid.« Ich ziehe den Hut und wende mich an Kitty. »Ich möchte nicht län‐ ger stören, Kitty. Ich schaue bestimmt wieder herein. Und wenn du mich brauchst oder wenn du etwas über Jim hörst...« »Stop!« fährt Sid Mola dazwischen, und seine Stimme klirrt wie Eisen an Stahl. »Sie werden dieses Haus nicht wieder betreten, Bragg! Sie werden das Land verlassen, und zwar auf direktem Weg! Wenn ich Sie noch einmal treffe ...« »Aber Sid!« ruft Kitty. »Was ist in dich gefahren? Rocky ist ein Freund dieses Hauses. Kein Mensch hat das Recht, ihm Befehle zu geben ‐ du schon gar nicht. Du kennst ihn ja nicht einmal!« »Schweig!« faucht er. »Sie haben es gehört, Bragg. Wenn Sie etwas dagegen tun wollen ...« Seine Hände gleiten noch ein wenig tiefer. Sie liegen jetzt dicht über den Kolben der Colts. Oh, ich kenne diese Tour. Revolvermänner sind sich immer gleich. Sie stoßen immer ins Horn. Sie beleidigen einen Mann, sie fordern ihn he‐ raus, sie wollen ihn in den Kampf stoßen. Sie wollen ihn zwingen, den Anfang zu machen ‐ und dann schießen sie. Und jeder Revolvermann glaubt, daß er unschlagbar ist. »Ich habe es gehört«, lächele ich. »Ich bin nämlich nicht taub. Aber sagen Sie, Mister Mola ‐ kennen Sie zufällig ei‐ nen Mann namens Krim? Dag Krim? Ich hörte, er wäre Ihr Freund gewesen?« 67
Er preßt die Lippen zusammen. Seine Augen werden zu Dolchen, aber als ich meine Blicke fest in sie hineinbrenne, weichen sie ab. »Nein«, zischt er. »Ich kenne keinen Dag Krim.« »Aber Sid!« ruft Kitty. »Du selbst bist mit ihm ...« »Schweig!« schreit er. Und zu mir: »Hinaus! Kein Wort mehr, oder ich bringe Ihnen den neuesten Tanz bei!« »Wirklich, Mister Mola? Nun, ich gehe gleich. Mir ist da nur etwas in den Sinn gekommen. Vor etwa vier Wochen ist Jim Deep aufgebrochen, um mich zu besuchen. Zur sel‐ ben Zeit ist auch Dag Krim außer Landes gegangen. Jim hat mich nie erreicht ‐ aber Dag Krim hat mir eine Begrü‐ ßungsansprache mit seiner Flinte gehalten. Er war nicht halb so gut, wie er glaubte, Mister Mola ‐ nicht halb so gut. Solche Ratten können einen Mann nur in den Rücken schießen. Zu mehr sind sie nicht fähig. So ‐ und nun geben Sie die Tür frei!« Er ist ein bißchen blaß um die Nase geworden. Ich sehe, wie er kocht. Ein Zittern läuft durch seine schlanke Gestalt. Es ist schlimm für einen Revolvermann, wenn er seine Wut nicht bezähmen kann. »Versuchen Sie, vorbeizukommen!« faucht er durch die Zähne. Ich drehe mich halb von ihm weg und reiche Kitty die Hand: »Leb wohl, und nimm’s nicht so schwer. Und halte dir besser das Haus rein von Ungeziefer ...« Und ich habe das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als ich ihre Hand fallen lasse, herumwirbele und eine schmet‐ 68
ternde Linke an Sid Molas ungedecktes Kinn setzte. Sein Kopf knallt gegen die Tür, die Zähne knirschen aufeinan‐ der. In der Reflexbewegung zucken seine Hände zu den Waffen ‐ aber schon habe ich beide Fäuste unten und schlage seine Arme auseinander. Dann lande ich, während Kitty entsetzt aufschreit, einen vollen echten Heumacher in seinem Magen. Er stöhnt leise und knickt in den Hüften ein. Ich ziehe die Linke hoch an sein Kinn und setze dann noch als Schlußpunkt die Rechte hinten drauf ‐ genau in den Kinnwinkel. Seine Augen werden glasig, als er in die Knie geht. Ich hebe ihn hoch und werfe ihn in die nächste Ecke, so, wie man ein Bündel Lumpen wegwirft. Dann wische ich mir die Hände an den Hosen ab. Kitty starrt mich völlig entgeistert an. Sie hat nichts von alldem begriffen ‐ und ich auch nur die Hälfte, wenn ich ehrlich sein soll. »Mit dem Ungeziefer«, sage ich, »mit dem Ungeziefer mei‐ ne ich solche wie den da. Es ist nicht der feine Anzug, der den Mann ausmacht. Der da ist ein Revolverheld, ein Kil‐ ler. Wenn du es noch , nicht gewußt hast, Kitty ‐ jetzt weißt du es. Soll ich ihn hinausbefördern?« »Nein«, stößt sie hervor. »Nein! Was ist denn in euch ge‐ fahren? Seid ihr denn überhaupt Menschen? Warum muß‐ test du ihn denn gleich zusammenschlagen wie einen Hund?« »Weil er mich sonst zusammengeschossen hätte, mein lie‐ bes Kind. Dazu ist mir meine Haut zu schade.« »Das ist nicht wahr! Ich kenne Sid. Er ist immer anständig gewesen. Wenn du anders mit ihm gesprochen hättest, wä‐ 69
re dies nicht geschehen. Bitte, geh, Rocky! Und ich glaube, es ist wirklich besser, wenn du nicht wiederkommst.« »Gut. Ich gehe. Es tut mir leid, daß es vor deinen Augen geschehen mußte. Gute Nacht, Kitty.« Draußen auf dem Flur pralle ich fast mit einer dunklen Ge‐ stalt zusammen ‐ Trux. Er huscht vor mir hinaus zu den Pferden. Erst als wir unter dem hohen Sternenhimmel da‐ hinreiten, der Stadt entgegen, erst da sagt er: »Das war knapp, Freund. Sid Mola ist ziemlich schnell mit der Kano‐ ne. Suche nie wieder Streit mit ihm ‐ versprich mir das, Ro‐ cky!« »Quatsch. Er 1st ein aufgeblasener Fatzke. Außerdem habe nicht ich Streit gesucht. Und ich lasse mich von dem Kerl nicht zum Hampelmann machen.« »Lieber ein Hampelmann als tot, Rocky. Yeah ‐ und was nun? Mir scheint, das Klima dieses Landes ist ziemlich un‐ gesund. Ich habe für einen Bleiregen nicht allzuviel übrig.« Wir grinsen uns eins, aber nach Lachen ist keinem mehr zumute.
8. Sunset Es sind die alten vertrauten Landmarken, die wir passieren. Es ist der Duft, wie er in jedem Herbst gelegen hat und immer liegen wird. Der böige Wind treibt Staubfahnen vor sich her. Wie zur Begrüßung pfeift eine Lok auf dem Bahn‐ hof der Stadt.
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Auf dem zweiten Hügel halten wir und schauen auf die spärlichen Lichter herab. Sunset ‐ Heimat. Hier habe ich meine ersten Hosen durchgewetzt, die ersten dummen Streiche ausgeheckt, die ersten Prügel bezogen und ausge‐ teilt. Mit jedem Stein verknüpft sich ein Stückchen Erinne‐ rung. Es ist, als wäre ich erst gestern gegangen. »Wir reiten besser nicht zusammen«, sagt Trux. »Wir über‐ nehmen Rückendeckung und Flankensicherung.« »Warum?« brumme ich. »Wir haben doch keinen Krieg, Trux! Allzuviel Vorsicht ist auch nicht angebracht.« »Zu vorsichtig ist noch keiner gewesen. Ich habe das Ge‐ fühl, daß du hier nicht besonders gern gesehen bist, Alter.« Darin hat er nicht unrecht. Die Ansprachen, die mir Bud Abbott und Sid Mola gehalten haben, waren jedenfalls alles andere als freundschaftlich. Well, treten wir also mit Be‐ dacht ins Fettnäpfchen‐. Ich reite allein vornweg in die Hauptstraße ein. Ich reite langsam, denn Trux und Concho lassen ihre Mustangs draußen vor der Stadt und gehen zu Fuß, Concho auf der linken und Trux auf der rechten Stra‐ ßenseite. Die Stadt ist still, kein Mensch auf der Straße. Der Wind pfeift um die Ecken und zerrt an meinem Hut. In einigen Häusern brennt Licht, aber in den wenigen Bars und Sa‐ loons scheint kein Betrieb zu sein. Noch nicht einmal vor dem Mesquite‐Hotel stehen Pferde an den Haltepfosten. Wieder pfeift die Lok und rangiert über die Weichen des Bahnhofs. Als ich das Sheriffsoffice sehe, fällt mir plötzlich ein, was Kitty gesagt hat: Rod Francis soll Sheriff sein. Und da aus 71
dem Fenster des Büros noch Licht schimmert, halte ich gleich hinüber und marschiere in Rods gute Stube. Er staunt nicht schlecht, der komische Knabe, als er mich im Türrahmen sieht. Im ersten Schreck kriegt er den Mund gar nicht wieder zu. Dann springt er auf und überschlägt sich förmlich vor Freundlichkeit. »Mensch, Rocky! Das ist ’ne Wucht! Gerade dieser Tage habe ich noch gedacht, ob du wohl schon zurück bist von der Wildpferdjagd. Hat’s sich gelohnt? Komm, setz dich. Wie wär’s mit ’nem Drink?« Er langt ins Schreibtischfach und füllt zwei Glaser bis zum Rand. Ich nippe bloß daran, weil ich das Zeug nicht ge‐ wohnt bin, aber er kippt das scharfe Gesöff direkt hinter die Binde. Er ist zappelig wie ein Hering auf dem Trocke‐ nen. »Hör zu, Rod«, sage ich. »Woher hast du den Tip mit den Wildpferden gehabt?« »Wieso? Na, Mensch, das haben doch alle gewußt. Stimmt denn was nicht? Also, ich bin nicht schuld; ich bestimmt nicht!« Er wird noch zappeliger. Seine Augen wieseln hin und her. Verdammt, der Kerl ist mir schon ewig unsympathisch ge‐ wesen. Früher war er ein Petzer. Manche Züge an ihm erinnern an eine Ratte ‐ die vorstehenden Zähne zum Bei‐ spiel. Er ist abgrundhäßlich, aber das ist schließlich kein Grund, ihn für einen schlechten Kerl zu halten. »Stimmt es«, frage ich, »daß hier in der Stadt ein Anschlag gewesen ist, angeblich von Fort Caspar?«
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»Richtig! Stimmt! Daran habe ich im Augenblick gar nicht gedacht. Jawohl, da war ein Anschlag!« »Wo? Und wer hat ihn ausgehängt?« »Yeah ‐ wenn ich das nun sagen soll. . . nee, das weiß ich wirklich nicht. Ich glaube, im Hotel hat er gehangen.« »Gut. Wann hast du Jim Deep zum letzten Male gesehen, Rod?« »Jim? Jim Deep? Das war ... ach, das ist schon ’ne Ewigkeit her. Bestimmt, Rocky, schon ’ne ganze Ewigkeit.« »Vor vier Wochen hast du gesagt, du hättest vorher mit Jim gesprochen. Entsinnst du dich?« »Wenn ich das gesagt habe, dann stimmt es. Ich werde doch nicht einen alten Freund wie dich belügen!« »Du hast ferner gesagt, Jim hätte eine Mannschaft zusam‐ mengesucht, um die Wildpferde zu fangen. Entsinnst du dich?« »Das . . . das ist möglich. Genau weiß ich es nicht mehr. Weißt du, als Sheriff hat man soviel im Kopf...« »Hier hat sich noch kein Sheriff totgearbeitet, Rod. Überleg noch mal genau ‐ hat Jim eine Mannschaft gesucht oder nicht?« »Ich nehme es doch an. Wenn ich es gesagt habe . . . aber habe ich es auch gesagt?« »Darauf kannst du Gift nehmen. Es war eine Lüge, Rod. Jim hat keine Mannschaft gesucht, sondern war unterwegs zu mir. Er ist nie auf meiner Ranch angekommen. Jetzt fra‐ ge ich dich: hast du unterwegs etwas von Jim Deep gese‐ hen?« Seine Lippen zittern. Ein Schweißtropfen löst sich von seiner Stirn und tropft auf die Tischplatte. Er schüttelt 73
mit fahriger Hand das Glas und kippt es. Röte steigt in sei‐ ne Wangen. »Nein, Rocky«, murmelt er. »Ich schwöre dir, daß ich von Jim nichts zu sehen gekriegt habe. Du weißt doch, daß die‐ ser verdammte Dag Krim hinter mir her war! Ich... ich habe an nichts anderes denken können! So wahr ich hier sitze . . « »Warum schwörst du, Rod? Und was fürchtest du? Ich bin doch nicht Dag Krim. Der ist tot und tut dir nichts mehr. Hast du Jim Deep zu fürchten?« »Du... du bist verrückt, Rocky! Ich meine, das ist doch Quatsch! Jim und ich, wir waren immer Freunde und...« »Ihr wart keine Freunde. Es gibt keinen Menschen in dieser Stadt, der dein Freund ist! Und nun spuck die Wahrheit aus, ehe ich ungeduldig werde! Was ist mit Jim Deep pas‐ siert? Du weißt es!« Er öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Er schüttet das Glas voll und kippt es und wischt mit dem Handrü‐ cken den Mund ab. In seinen Augen steht Angst, zitternde Angst. Ich stehe auf und trete zum Schreibtisch, stütze die Fäuste vor ihm auf und schaue ihm tief in die Pupillen. Ich sage ganz langsam und ganz leise: »Mein lieber Rod, in diesem verdammten Land gehen Dinge vor, die mir nicht gefallen. Es könnte sein, daß hier mit eisernem Besen gekehrt wer‐ den muß. Und dann wehe dem, der keine reine Weste hat! Und nun rede Boy ‐ rede, ehe ich die Ärmel aufkrempele! Wer hat Jim Deep ermordet?«
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Er hebt beide Hände bis in Schulterhöhe und spreizt alle Finger. Er ist ein Feigling, er zittert um sein bißchen Leben. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, warum er zittert. »Ich... ich weiß es nicht, Rocky«, bringt er mühsam hervor. »Ich habe den Schuß gehört. . .« »Einen Schuß? Denk scharf nach, Rod! Wann war das und wo ‐ und wieviel Schüsse?« »Ich glaube, zwei. Ja, zwei waren es. Zwei aus derselben Waffe. Gleich jenseits der Badlands. Aber wer es gewesen ist, kann ich nicht sagen. Ich schwöre, daß ich es nicht weiß.« »Du hast gesehen, daß Jim getötet wurde? Und du hast mir nichts davon gesagt?« »Ich habe doch nicht gewußt, daß Jim es war. Ich weiß es jetzt noch nicht. Ich habe nur die Schüsse gehört und den Schrei. Und da bin ich gewetzt wie noch nie in meinem Le‐ ben!« »Hast du wenigstens auf dem Rückweg nachgesehen, ob es Spuren eines Kampfes gab? Als Sheriff ist es ja wohl deine Pflicht, nicht wahr?« »Das ist nicht mehr mein Revier. Und ich habe auch nicht geglaubt, daß einer getötet worden ist. Nein, das habe ich nicht gedacht. » »Die Geschichte gefällt mir nicht, Rod. Aber ich kriege die Wahrheit raus, verlaß dich drauf. So, und nun noch etwas. Sind hier auf dem Bahnhof in der vergangenen Woche Schafe verladen worden?« »Nein. Das müßte ich wissen, Bestimmt nicht, Rocky. In Sunset ist noch nie ein Schaf gewesen.« 75
Damit hat er nicht unrecht. Kein Rinderzüchter duldet ei‐ nen Dickschwanz auf seinem Land. Damals, als ich meine kleine Herde gekauft habe, mußte ich sie zwanzig Meilen südlich Sunset auf einem Haltepunkt der Bahn ausladen und in weitem Bogen um das Sunset‐Land herum in die Mogollons treiben. »Okay, Rod«, sage ich und gehe zur Tür. »Und wenn dir in dieser Angelegenheit noch etwas einfällt, dann sag’s mir. Es wäre gut, wenn dein Gedächtnis sich bessern würde!« Ich knalle die Tür ins Schloß, sitze auf und reite zum Bahn‐ hof. Je mehr ich über Rod Francis nachdenke, um so weni‐ ger gefällt mir seine Rolle. Wer hat diese komische Figur zum Sheriff gemacht? Warum hat er Blut und Wasser ge‐ schwitzt bei meinen Fragen? Ein Mann mit einem reinen Gewissen hat das nicht nötig! Zwei Eisenbahner kommen mir entgegen, aber sie scheinen mich nicht zu kennen in dem Dunkel zwischen den Häu‐ sern. Ich schaue ihnen nach und sehe Trux in einer Seiten‐ gasse untertauchen. Concho auf der anderen Straßenseite ist fast auf meiner Höhe ‐ ein Schatten in den Schatten der Nacht. In der Wellblechbaracke döst ein Mann vor dem Telegra‐ fen. Ein anderer hockt auf der Ofenbank und blinzelt mich an. Scheint ein Zugführer zu sein. Ich kenne ihn nicht. Der Telegrafist dagegen, der gleichzeitig Bahnhofsvorsteher ist, ist ein alter verknöcherter Beamter, der stets miesepetrig in die Welt schaut und kaum die Zähne voneinander kriegt. Für den existiert bloß die Eisenbahn und sonst nichts auf der Welt. 76
»Ich hätte gern eine Auskunft«, sage ich. »Wenn ich Schafe verladen will, muß ich doch vorher die Wagen bestellen, ja?« »Natürlich«, brummt der Mann und setzt sich die rote Mütze auf. »Aber hier können Sie keine Schafe verladen. Das lassen die Rancher nicht zu. Da müssen Sie schon nach Dicksons Point treiben.« »Aha. Dann muß ich wohl auch dort die Wagen bestellen? Oder geht das bei Ihnen?« »Das können Sie halten wie Sie wollen. Von Dicksons Point kriegen wir die Meldung sowieso hierher, weil die Züge hier zusammengestellt werden. Wieviel Tiere sind es denn?« »Weiß ich noch nicht genau, Mister. Wollte mich nur erst erkundigen. Sind vielleicht in letzter Zeit Transporte von Dicksons Point abgegangen? Ich meine große Transporte?« »Natürlich. Wie in jedem Herbst. Wenn Sie treiben wollen, dann tun Sie es lieber bald, ehe der Schnee kommt.« »Ja, sicher. Können Sie mir sagen, wer schon Herden weg‐ geschickt hat?« »Nein. Ich bin nicht befugt, Namen zu nennen. Wozu auch?« »Sie könnten es aber, wenn Sie wollten? Ich meine, Sie wis‐ sen, wer in Dicksons Point verladen hat?« »Ich will Ihnen was sagen, Mister Bragg: reiten Sie selbst hin. Wir sind für Schafe nicht zuständig, Punktum!« Well, ich streife die Handschuhe über, stülpe den Hut aufs Haupt und pilgere hinaus. Immer dasselbe Lied in diesem Rinderland. Schafe sind nicht gefragt, und Schafmänner
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schon gar nicht. Fast komme ich mir wie ein Aussätziger vor, zum Teufel noch mal! * Trux ist nicht in Sicht, aber Concho pirscht sich an mich he‐ ran, als ich auf die Straße einbiege. Er sagt: »Mann mit Stern geht in großes Haus!« und zeigt auf das Hotel. Natür‐ lich meint er Rod Francis. Er fügt noch hinzu: »Mann mit böser Blick. Du in acht nehmen.« Nun, Rod Francis ist wahrhaftig nicht der Kerl, vor dem ich ins Mauseloch krieche. Er ist ein Würstchen, daß ich mit dem kleinen Finger aus dem Anzug stoßen kann, wenn’s sein muß. Wenn ich bloß wüßte, ob er etwas Wichtiges ver‐ schwiegen hat! Ich trabe die Straße hinab. Der Magen knurrt. Kein Wun‐ der, denn seit Tagen leben wir von kaltem Fleisch. Kitty Deeps Kaffee war das letzte, was uns die Glieder gewärmt hat. Trux kommt bepackt wie ein Esel aus einer Seitengasse. Anscheinend hat er einen Store geplündert. Ich halte neben ihm. »Nichts Neues, Trux. Ich denke, wir marschieren ins Hotel und futtern erst mal. Hunger habe ich, Hunger ...« »Tu das, Rocky, aber ohne uns. Bis jetzt weiß keiner in der Stadt, daß wir zu dir gehören. Vielleicht ist es ganz gut, wenn sie dich allein glauben. Ich habe schon Vorräte ein‐ gekauft für die nächsten Tage. Man weiß nämlich nie, was kommt.« »Diese Geheimniskrämerei ist doch Blödsinn, Trux. Wir haben nichts zu fürchten!«
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»Weißt du das so genau? Ich wäre an deiner Stelle nicht so sicher. Geh ins Hotel und riech in den Wind. Kümmere dich nicht um uns, klar? Wir verhungern nicht, Concho und ich.« Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen. Ich sitze vor dem Hotel ab, hänge Grey Star den Futtersack mit frischen Maiskörnern um und freue mich auf ein ordentli‐ ches Steak und einen Drink.
9. Erloschenes Feuer Die Bar ist nur mäßig groß, den Verhältnissen der Stadt entsprechend. Nur drei Tische sind besetzt. An einem ho‐ cken zwei trübsinnige Gestalten, abgerissen wie immer ‐ Lemmy und Wango. Sie sind aus diesem Land genauso wenig wegzudenken wie die Rinder auf der Weide, wie die Kandelaberkakteen und Sykomoren. Sie gehören einfach zu Sunsets Inventar, die beiden Vagabunden, die vermutlich in ihrem ganzen Leben noch nicht einen Tag richtig gear‐ beitet haben. Wovon sie leben, mag der Himmel wissen. Sie würfeln. An dem Tisch in der hinteren Ecke sitzt eine Pokerrunde. Ich erkenne Doc Williams, Richter Wheeler ‐ und die stier‐ nackige Rückfront Kane Shurks. Der Anblick versetzt mir einen leichten Schock, aber einmal mußte das Wiedersehen wohl kommen. Er ist dicker geworden, aber nicht behäbig. Kane ist nicht der Typ eines Mannes, der sich auf den Lor‐ beeren ausruht oder gar ganz zur Ruhe setzt. Durch die 79
Fettpolster im Gesicht und an den Hüften wirkt er massig wie ein Nilpferd. Die Leute am dritten Tisch sind ehrbare Bürger Sunsets, harmlose Gemüter, die sich über das Wetter unterhalten und dazu einen Halbstöckigen trinken. Ich nicke ihnen flüchtig zu und gehe zu Willie Gould an die Bar. Der Ho‐ telbesitzer ist ein merkwürdiger Mensch. Trotz verhältnis‐ mäßig junger Jahre hat er nicht nur eine strahlende Glatze, sondern auch einen zahnlosen Mund. Wenn er spricht, kommen nur zischende Laute hervor. Aber es empfiehlt sich nicht, darüber zu lachen, denn Gould ist mit der Schrotflinte schnell bei der Hand . »Hallo, Willie«, sage ich. »Wie war’s mit einem blutigen Steak für einen hungrigen Mann?« Er nickt, und auf seinem frischblütigen Gesicht rührt sich nichts. Er begrüßt mich nicht mal, sondern macht kehrt und verschwindet in der Küche. Ich drehe mich um, hake die Ellbogen hinter die Messingstange der Bar und sehe, wie Wango drei Sechsen würfelt. Er streicht dafür einen Cent von Lemmy ein, zwinkert mir zu und sagt, was er schon vor drei Jahren stets zu sagen pflegte: »Sind wir zu einem Drink eingeladen, Rocky?« »Ist gemacht, Wango. Zur Feier des Tages kriegt ihr sogar zwei Doppelstöckige. Okay?« »Du bist okay, Rocky. Steck dein lächerliches Geld ein, Lemmy und komm. Endlich hat ein Gentleman dieses Lo‐ kal betreten. Ich hoffe, du weißt das zu würdigen.« Lemmy spuckt aus, grinst bis zu beiden Ohren und wälzt sich hinterm Tisch hervor. Die beiden Biedermänner klop‐ 80
fen meine Schultern, als wäre ich ein Kotelett, und schreien nach dem Keeper. Sie haben sich nicht verändert. Kane Shurks bullenhafte Stimme sagt die nächste Runde an. Er steigt mit einem hohen Einsatz ein. Bis jetzt hat er noch keine Notiz von mir genommen. Aber sein hektisch gerötetes Gesicht verrät die innere Anspannung, unter der er steht. Ich sehe ihn nur im Halbprofil ‐ aber ich sehe; wie er die Karten anpackt, als wolle er sie zerquetschen. Gould schiebt uns Flasche und Gläser zu, wir trinken. Just will ich hinüber zum nächsten Tisch, als die Hintertür sich öffnet. Diana Shurk kommt eilig über die Schwelle ‐ und bei ihrem Anblick setzt mein Herzschlag einen Takt aus. Nur einen Takt. Vor dieser Begegnung habe ich mich ge‐ fürchtet. Ich habe es mir schwer vorgestellt, der Frau gege‐ nüberzutreten, der einst meine Liebe gehörte, der ich alles zu Füßen legen wollte, was ich besas. Aber jetzt bin ich kalt bis in die Fingerspitzen. Selbst das Gefühl der Bitterkeit, das mich stets bei dem Gedanken an ihren Verrat über‐ kommen hat, ist verschwunden. Ich spüre nichts, weder Liebe noch Haß. Sie ist für mich ein Mensch wie tausend andere. Diana Shurk; geborene Delazon, geht schnell zu ihrem an‐ getrauten Gatten und küßt ihn auf die Wange. Er grunzt, dann lacht er hart auf und zieht sie auf seinen Schoß. »Aber Kane!« ruft sie vorwurfsvoll. »Denk an mein teures Kleid, an meine Frisur! Und was sollen die Herren von mir denken. Ich bin nur gekommen, um dir etwas zu sagen. Ich habe Nachricht von ...« 81
Da fällt ihr Blick über die Schulter Kanes auf mich, Sie ers‐ tarrt. Das Wort bleibt ihr im Halse stecken. Fliegende Röte breitet sich über ihr Gesicht bis unter die Haarwurzeln. Die Überraschung ist vollkommen. Ich nehme Flasche und Glas und gehe zum Tisch. Lemmy und Wango schauen sich an und verziehen die Gesichter. Willie Gould fixiert mich scharf ‐ aber ich fühle mich be‐ stens. Nein, mir merkt bestimmt keiner etwas an. Ich fülle die Gläser und sage: »Cheerioo, ihr Räuber! Auf daß eure Kinder lange Hälse kriegen!« Drüben in der Ecke ist es still. Dann, nach einer Weile, knurrt Kane Shurk: »Stör uns nicht bei unserem Geschäft, Diana. Ich bin gerade im Gewinn!« und mit dröhnender Stimme setzt er dreihundert Dollar auf den Topf. Doc Wil‐ liams zieht gleich nach und erhöht um weitere hundert. Ich kenne ihn als vorsichtigen und bedächtigen Mann, der nur etwas bei einer sicheren Sache riskiert. Darum bin ich wirk‐ lich neugierig, als Shurk wieder um zweihundert erhöht. Diesmal zieht Doc nur gleich und erhöht nicht weiter. Er blättert seine Karte auf den Tisch ‐ und Kane Shurk flucht schauerlich, weil er verloren hat. »Siehst du, da haben wir es!« brüllt er. »Wenn du nicht dazugekommen wärst, hätte mir das nicht passieren können. » Natürlich meint er Diana damit, die wie ein begossener Pudel neben ihm steht. Jetzt wendet sie sich brüsk um und läuft hinaus. Kane starrt ihr nach und knurrt noch etwas, was ich nicht verstehe. Dann blättert er die verlorenen Scheine hin und erhebt sich.
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»Schluß für heute!« grollt er. »Ich lasse mir nicht das Fell über die Ohren ziehen. Ist schon genug, daß die verdamm‐ ten Viehdiebe mir das Hemd vom Leibe stehlen.« Das ist typisch für Kane Shurk. Ein Mann, der nicht verlie‐ ren kann, der für jede Niederlage jemand anderen verant‐ wortlich machen möchte. Ich höre, wie Doc Williams sagt: »Moment, Shurk, so einfach geht das nicht. Es war abge‐ macht, daß wir noch zwei Runden spielen wollten. Sie können uns nicht einfach sitzen lassen.« »Abmachung hin, Abmachung her ‐ ich habe keine Lust mehr. Werden Sie selig mit den paar Kröten!« Doc schweigt. Shurk stampft zur Theke und bestellt einen Whisky. Sein Gesicht wirkt schwammig, alle Härte ist unter Fettpolstern verborgen. Vor drei Jahren war er noch besser in Form. Trotzdem strahlt er noch Kraft und Gewalttätig‐ keit aus. Plötzlich fällt sein Blick voll auf mich. Er betrachtet mich lange, und ich erwidere den Blick voll. Als wir uns das letz‐ te Mal gegenüberstanden, sind die Fäuste geflogen. Ich hab’s noch nicht vergessen, und er auch nicht. »Rocky Bragg!« sagt er. Sieh mal einer an ‐ Rocky Bragg! » »Richtig«, nicke ich, »Ich bin’s noch, Mister Shurk. Unve‐ rändert und in Lebensgröße.« Er setzt das Glas an und nippt daran. Als er es absetzt, lä‐ chelt er. Tatsächlich, er lächelt ‐ und ich gäbe eine ganze Menge dafür, wenn ich wüßte, was dieses Lächeln zu be‐ deuten hat. »Sind das Ihre neuen Spielgefährten, Bragg?« fragt er. »Dann müssen Sie sich mächtig geändert haben.« 83
»Ich trinke mit jedem Menschen, der mir freundlich geson‐ nen ist, Mister Shurk.« »Auch mit Viehdieben? Das könnte gefährlich werden, Bragg. Die beiden da stehen auf meiner schwarzen Liste.« »Nur die beiden? Und wie sieht es mit den Beweisen aus? Dort hinten sitzt der Richter. Warum klagen Sie Lemmy und Wango nicht an? Warum schicken Sie nicht den Sheriff mit den Handschellen? « »Oh, solche Dinge erledige ich auf meine Art. Warum anderen Leuten Arbeit machen? Ein starker Ast findet sich immer.« Lemmy und Wango werden plötzlich zappelig. Ich schaue sie an, grinse und sage: »Aber Gentlemen! Habt ihr Angst? Ihr seid doch zwei, und er ist allein. Wenn ihr allerdings wirklich geklaut habt, dann stellt euch besser gleich dem Richter.« »Aber Rocky!« seufzt Wango. »Wie kannst du so etwas von uns denken. Mister Shurk macht doch nur Spaß. Auf seiner schwarzen Liste stehen ganz andere Leute!« »Was soll das heißen?« donnert Shurk. »Ich schlage dir die Zähne ins Maul, du Naseweis!« »Aber Mister Shurk!« tut Wango erstaunt. »Sie haben doch selbst gesagt, daß Wade Holm ein Viehdieb ist...« Kane Shurk ist mit einem langen Satz bei Wango und reißt ihn mit beiden Fäusten hoch. Er beutelt ihn hin und her ‐ und dann wird er plötzlich ganz steif und still und läßt Wango los. Lemmy hat ihm seinen Schießprügel in die Rippen gesetzt und sagt gemütlich: »Aber aber, Mister Shurk! Man wird doch noch die Wahrheit sagen dürfen!«
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Kanes Gesicht ist blaß geworden, als er sich schwerfällig umdreht und zur Theke zurückkehrt. Ich hätte nie ge‐ glaubt, daß er zurückweichen würde, auch nicht vor einem Revolvermann ‐ schon gar nicht vor einer halben Portion wie Lemmy, dem Vagabunden. Oder verbirgt sich hinter der Großmäuligkeit in Wahrheit Unsicherheit oder gar Feigheit? Aber damals hat er doch gekämpft, hat sich mit mir geschlagen, daß die Fetzen flo‐ gen. Oder hat er da geglaubt, mich einfach an die Wand klatschen zu können wie eine lästige Fliege? Doch das andere, was Wango gesagt hat, ist viel wichtiger. Da muß ich sofort nachhaken. »Wie war das, Wango ‐ Wade Holm soll ein Rinderdieb sein? Mein Freund Wade?« »Mister Shurk hat’s gesagt. Fragen Sie Doc Williams, fragen Sie Judge Wheeler. Sie haben’s gehört.« Ich werfe den Kopf herum. Doc Williams kommt just vor der Theke entlang. Er reicht mir die Hand im Vorbeigehen und brummt: »Kane Shurk redet viel, wenn der Tag lang ist. So was darf man nicht auf die Goldwaage legen. Wie geht’s immer, Rocky. Siehst gut aus. Bringst du Neuigkei‐ ten mit?« »Ja. Leider keine guten. Jim Deep ist tot, Doc. Und mir sind die Schafe gestohlen worden ‐ zweitausend Schafe.« »Das ist. . . das ist doch nicht möglich, Rocky! Ein Kerl wie du läßt sich doch nicht die Butter vom Brot nehmen!« »Ich war nicht da, Doc, als es geschehen ist. Ich bin vier Wochen unterwegs gewesen. Wildpferdjagd. Ach ‐ wissen
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Sie zufällig, wer den Anschlag angebracht hat, demzufolge Fort Caspar wilde Mustangs sucht?« Doc guckt mich erstaunt an. »Wer soll das schon gewesen sein. Der Sheriff natürlich. Rod Francis.« Unwillkürlich pfeife ich durch die Zähne. Wieder Rod Francis! Belogen hat er mich, der Lump. Hat gesagt, er wüßte nicht, wer den Anschlag angebracht hätte. Diesen Anschlag, der eine Lüge war! Aber warum hat er denn das getan? Unbegreiflich. »Was machst du denn für ein Gesicht, Rocky?« fragt Doc. »Stimmt was nicht?« »Eine ganze Menge stimmt nicht. War Rod Francis vorhin hier, Doc?« »Ja. Vor einer halben Stunde vielleicht. Er hat mit Kane ge‐ sprochen und ist gleich wieder zur Hintertür hinaus.« »Danke. Wer, zum Teufel, hat denn diese Flasche bloß zum Sheriff gemacht?« »Er ist gewählt worden, Rocky. Er war der einzige Kandi‐ dat. Sheriff Dickins hatte sich zufällig eine Bleivergiftung eingehandelt und konnte sich deshalb nicht zur Wahl stel‐ len.« »Donnerwetter. Ihr habt ja komische Zustände hier. Wer hat denn Dickins abgeknallt?« »Ein Fremder. Er war nicht lange hier. Er nannte sich Dag Krim. Übrigens soll Sheriff Dickins zuerst gezogen haben.« »Interessant. Ich hoffe, Mister Shurk hat diesen schießwüti‐ gen Mister Krim gleich an die Luft gesetzt.« Kane Shurk wirbelte herum. Sein Gesicht ist haßverzerrt, aber er beherrscht sich und spricht verhältnismäßig ruhig. 86
»Jawohl, ich habe ihn hinausgefeuert. Solche Burschen’ kann ich nicht in meiner Mannschaft gebrauchen.« »Gut, Mister Shurk, ausgezeichnet, Ich nehme an, Rod Francis hat Ihnen erzählt, was aus Krim geworden ist.« »Es interessiert mich nicht. Krim war für mich schon tot, als ich ihm den Tritt gegeben habe.« Er kippt noch einen Whisky und marschiert hinaus wie ein wütender Bulle. Trotzdem bin ich überrascht, ihn so ver‐ hältnismäßig friedfertig zu erleben. Vor drei Jahren hat er noch ganz anders auf die Pferde geschlagen. Anscheinend werden Ehemänner mit der Zeit friedlicher .. .
10. Bluff Während ich mein Steak esse, unterhalte ich mich mit Doc Williams. Ich erzähle ihm von den letzten Ereignissen und auch von der rätselhaften Rolle, die Rod Francis dabei ge‐ spielt hat. Doc ist seit dreißig Jahren im Land, er kennt alle Leute und weiß sie einzuschätzen. Aber er ist mit seinem Urteil immer sehr vorsichtig, »Ich kann mir keinen Vers darauf machen, Rocky«, meint er. »Aber an deiner Stelle würde ich sehr vorsichtig sein. Ich habe schon seit einiger Zeit das Gefühl, als wenn dieses Land rauhen Tagen entgegengeht. Übrigens ‐ siehst du Wade Holm?« »Ich denke, Doc. Ich wollte ihn aufsuchen, schon wegen Kitty Deep. Solange ich nach einer Spur meiner Herde su‐ che, kann ich mich kaum um sie kümmern.« 87
»Das ist gut. Sag Wade, daß Shurk nicht gut auf ihn zu sprechen ist. Warum, wird er selber besser wissen als ich. So, ich muß gehen.« Lemmy und Wango schielen sehnsüchtig nach der Flasche. Ich drücke sie ihnen in die Hand, denn mehr als zwei Drinks genehmige ich mir nicht. Es ist lange her, seit ich einen Brandy genossen habe. Könnte sein, daß er mir in den Kopf steigt. »Well«, brummt Lemmy, »du bist in Ordnung, Rocky. Nicht so ein schäbiger Knilch wie dieser großmäulige Affe Shurk. Aber ich schätze, wir beiden werden jetzt erst ein‐ mal die Tapeten wechseln. Go on, Wango. Kane Shurk ist wild auf unseren Skalp.« Die beiden trotten, Lemmy mit der Pulle unterm Arm, hi‐ naus. Ich zahle, kaufe noch ein Päckchen Tabak und Papier, pflanze mir eine Zigarette, eine Camel, ins Gesicht und ge‐ he auch. Eigentlich bin ich verdammt müde, aber solange Trux und Concho draußen stehen, kann ich nicht an ein Bett denken. Außerdem habe ich keine Lust, die Nacht un‐ ter einem Dach mit Kane Shurk zu verbringen. Die Straße ist dunkel und still. Fast alle Lichter in den Häu‐ sern sind erloschen. Eine streunende Katze miaut kläglich auf einem Dach, am anderen Ende der Stadt fällt eine ande‐ re antwortend ein. Ich gehe die zwei Verandastufen hinab, werfe die Zigarette weg ‐ da peitscht der Schuß. Etwas Heißes, Hartes klopft an meine Schulter, zerrt an meinen Rock. Instinktiv, ohne zu denken, ohne überhaupt begriffen zu haben, daß geschossen worden ist, daß die Kugel mir galt ‐ instinktiv werfe ich mich vorwärts und 88
lande neben den Hufen Grey Stars im Staub. Im Flug noch greife ich zum Halfter, ziehe den Colt. Aber da brüllen schon an zwei verschiedenen Punkten Re‐ volver auf. Das sind Trux und Concho. Der eine steht drü‐ ben auf der anderen Straßenseite, der andere ‐ Concho ‐ auf dem Brettergehsteig vor dem nächsten Haus auf dieser Sei‐ te. Er schießt beidhändig, und es klingt, als wäre ein Ma‐ schinengewehr am Werk. Ein Mann schreit ganz kurz auf, in einem hohen schrillen Ton, der plötzlich abbricht. Der Mann, der auf mich ge‐ schossen hat. Er steht an der Ecke der Veranda, in dem schmalen Seitengang, der neben dem Hotel zum Stall und auf den Hinterhof führt. Jetzt taumelt er zwei, drei Schritte vor und fällt mit ausgebreiteten Händen aufs Gesicht. Klir‐ rend kracht das Gewehr aus seiner Hand auf den Bretter‐ gehsteig und entlädt sich dort zum zweitenmal. Die Waffen schweigen. Trux kommt mit langen Sätzen über die Straße. Ich erhebe mich aus dem Staub und taste nach meiner Schulter. Sie schmerzt, aber es ist mehr ein dumpfer Druck als ein nagender Schmerz. Meine Hand ist klebrig, als ich sie zurückziehe. Es scheint nicht schlimm zu sein. Trux kommt dicht hinter mir bei dem Toten an. Ich drehe ihn um und schaue in das starre Gesicht Rod Francis. Der Sheriffstern auf seiner Brust schimmert matt. Er ist tot. »Hast du etwas abgekriegt?« murmelt Trux. »Nein? Okay! Concho, lade dir den Toten auf. Schnell, weg von hier ‐ über den Hinterhof! Du bleibst hier, Rocky, du weißt von nichts! Ist das klar?«
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Ehe ich antworten kann, sind die beiden verschwunden. Trux hat das Gewehr des toten Sheriffs aufgenommen, während Concho Rod Francis auf die Schulter geladen hat. Ihre huschenden Schritte gehen unter in den vielfachen Ru‐ fen, die von allen Seiten laut werden. Willie Gould kommt so ziemlich als erster aus dem Hotel gestürmt. Noch wirbelt mir der Kopf. Ich begreife nicht ganz, was Trux bezweckt. Wozu den Toten wegbringen? Schnell ziehe ich mein Taschentuch und presse es unter dem Rock auf die Wunde. Ich taste sie mit den Fingerspit‐ zen ab. Es ist Gott sei Dank nur eine schmale Furche, die nichts als einen Fetzen Haut mitgenommen hat. »Was, zum Teufel, ist hier los?« ruft Gould. Vorsichtshalber ist er in der Schwingtür stehengeblieben. Ich trete schnell neben Grey Star und löse die Laufschlinge des Zügels. Ich tätschele dem Hengst beruhigend den Hals und sage: »Keine Ahnung, Willie. Als ich auf der Veranda stand, ging plötzlich der Feuerzauber los. Ich glaube, da hat eine ganze Bande geknallt. Jetzt sind sie weg. Ich habe keinen Schwanz zu sehen gekriegt.« »Was denn ‐ haben die etwa auf dich geschossen? Wer kann denn das gewesen sein?« »Frag mich! Ich habe doch keinen Feind in dieser Stadt ‐ oder weißt du einen?« Hinter Willie Gould werden Schritte laut. Auch über die Straße kommen Leute gerannt, einige mit Lampen in der Hand. Doc Williams ist unter den ersten, er stopft noch sein Nachthemd in die Hose.
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»Um Gottes Willen, Rocky ‐ hat das dir gegolten? Hat’s dich erwischt?« Und von der Veranda grollt Kane Shurks Baß: »Was soll der Blödsinn, Bragg? Kaum sind Sie im Land, schon ist der Krawall im Gange. Wenn Sie einen umgelegt haben ...« »Noch nicht; Shurk!« fauche ich. »Aber wenn Sie Ihren Ra‐ chen weiter so aufreißen, kann das noch passieren. Ich habe jedenfalls nicht geschossen. Hier, Doc ‐ betrachten Sie mei‐ nen Revolver. Ich habe nur einen.« Doc riecht an der Lauf‐ mündung und schüttelt den Kopf. Kane Shurk stampft über den Bretteisteig bis zur Ecke der Veranda und kommt wieder zurück. Er scheint ratlos. »Da hat doch einer geschrien!« knurrt er böse. »Ich hab’s genau gehört.« »Vielleicht war ich das«, sage ich. »Ich werde nämlich im‐ mer furchtbar nervös, wenn’s knallt. Möchte bloß wissen, wohin die gezielt haben! Das waren mindestens drei oder vier Kerle ‐ wenn nicht sogar fünf.« »Das stimmt!« ruft einer aus der Menge. »Ich hab’s genau rausgehört! Und einer hat geschrien: ,Bringt ihn um!’ hat er geschrien. Genau gehört habe ich das. Und ich wette, das waren Banditen, und gar nichts anderes!« Es ist nur gut, daß andere Leute eine blühendere Phantasie besitzen als ich. Allmählich macht mir die Geschichte Spaß ‐ und so langsam begreife ich auch, weshalb Trux den toten Sheriff weghaben wollte. Erstens weiß jetzt kein Mensch, daß ich Freunde bei mir habe. Und wenn es einer ahnt, dann weiß er doch nicht, wie viele es sind. Und zweitens weiß keiner, daß Rod Francis tot ist. 91
»Hier stimmt was nicht!« murrt Kane Shurk. »Ich fresse ei‐ nen dreckigen Besen, wenn hier alles seine Ordnung hat!« »Richtig!« pflichte ich ihm bei. »Aber dies ist eine geordne‐ te Stadt, nicht wahr? Und wozu hat eine ordentliche Stadt wie Sunset einen Sheriff? Ich bin dafür, daß er geweckt wird und den Fall aufzuklären hat. Ist das richtig, Leute?« Sie pflichten mir bei, obwohl einige Lästermäuler wenig schmeichelhafte Kommentare über Rod Francis abgeben. Wenn sie wüßten, daß er mausetot ist.. . und wenn Kane Shurk es wüßte. .. Natürlich traut er mir nicht. Während einige Leute zum Sheriffsoffice rennen und ‐ natürlich vergeblich ‐ an der Tür bollern, betrachtet er mich unentwegt. Nur gut, daß die Be‐ leuchtung so schlecht ist und er meine Wunde nicht entde‐ cken kann. »Haben die denn alle auf Sie geschossen, Bragg?« fragt er. »Und Sie haben sich nicht mal gewehrt?« »Auf mich?« tue ich erstaunt. »Mann, glauben Sie, dann stände ich noch lebend hier? Bei dem Feuerzauber? Nee, ich glaube, daß da ein paar Leutchen Meinungsverschie‐ denheiten haben. Ich hatte nichts damit zu tun. Schließlich weiß ja kaum ein Mensch, daß ich in der Stadt bin, nicht wahr?« Das scheint ihm einzuleuchten. Er denkt nach. Ich spüre förmlich, wie es hinter seiner Denkerstirn knistert. Plötzlich geht ihm ein Licht auf ‐ wie er meint. »Ich hab’s! Das kön‐ nen nur Wango und Lemmy gewesen sein! Die haben es bestimmt auf mich abgesehen gehabt! Drinnen in der Bar
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haben sie es nicht riskiert, aber hier auf der dunklen Stra‐ ße...« »Blödsinn«, knurrt Doc. »Wango und Lemmy sind zahme Kaninchen. Die denken nicht an Mord. Und deine Rinder stehlen sie auch nicht, Shurk. Das sind Hirngespinste. Well ‐ Tote gab’s keine, Verwundete auch nicht; also verziehe ich, mich ins Bett. War mal wieder blinder Alarm. Ich wet‐ te, da haben sich ein paar dumme Jungen einen Streich er‐ laubt. Halbstarke oder so. Gute Nacht, Gentlemen!« »Gute Nacht, Doc«, sage ich und hebe mich in den Sattel. Ich ziehe Grey Star herum, drücke ihn durch die auseinan‐ derweichende Menschenmenge, die sich allmählich ver‐ läuft und trabe gemächlich die Straße entlang, Kane Shurks grollender Baß verfolgt mich bis an das Ende der Stadt. Und ich muß nur immer an den Blutfleck auf dem Gehsteig denken. Hoffentlich sieht ihn keiner. Die Stimmen hinter mir verlieren sich, als ich Grey Star von der Straße herun‐ terziehe. »Rocky!« Die Stimme ist dicht neben mir, nur ein Flüstern. Grey Star macht einen weiten Satz vorwärtsr und diesmal schalte ich schneller. Ich werfe mich vorwärts aus dem Sat‐ tel, lande auf der verwundeten Schulter, überschlage mich einmal, rolle mich auf den Bauch und habe den Colt in der Hand. »Rocky, ‐ nicht schießen, ich bins, Diana!« * Sie löst sich von dem Bretterzaun. Sie trägt über dem ele‐ ganten Kleid einen dunklen Mantel, den sie über der Brust zusammenrafft. Sie zittert. 93
»Rocky ‐ ich muß dich sprechen. Ich hätte es nicht mehr ausgehalten. Als ich dich vorhin sah . .« Ich erhebe mich langsam, klopfe pedantisch den Staub aus dem Anzug und ziehe den Hut, wie es sich für einen Gent‐ lemen gehört. Sie eilt auf ’mich zu, wirft sich an meine Brust und atmet schwer ‐ und ich stehe steif wie ein Klotz. Das Feuer ist erloschen. Dieser Körper, der sich an mich drängt, war einmal eine köstliche Verheißung für mich. Das ist vorbei. »Rocky, bitte ‐ sag, daß du mich noch liebst! Ich will dir al‐ les erklären. Du mußt es begreifen, Rocky ‐ bitte!« »Du bist die Frau eines anderen, Diana«, sage ich langsam. »Und ich bin kein Dieb. Geh zurück zu ihm.« Sie schluchzt. Ich weiß nicht, ob sie es ehrlich meint. Frauen sollen gut schauspielern können. Vielleicht kann sie es auch. Ich glaubte einst, ihrer völlig sicher zu sein. Ihre Lie‐ be war für mich ein Evangelium. Es ist vorbei. »Rocky, sprich nicht so, ehe du nicht alles weißt! Damals, vor drei Jahren ... er hat mich erpreßt. Er hat mich gezwun‐ gen, mit ihm zu gehen. Und meine Brüder haben ihm dabei geholfen. Ich mußte ihm folgen, sonst...« »Keine Macht der Welt kann eine Frau zwingen, ja zu sa‐ gen. Auch Kane Shurk nicht. Hat er dich etwa in Fesseln vor den Traualtar geführt? Ich habe nichts davon gehört. Und der Pfarrer hätte es bestimmt nicht zugelassen.« »Es waren Fesseln, Rocky ‐ unsichtbare Fesseln. Hink und Jill ‐ meine Brüder ‐ sie hatten gestohlen. Oh Gott, Rocky, warum hat Gott mich so gestraft, warum hat er mir solche Brüder gegeben? Sie hatten Kane Shurks Rinder gestohlen, 94
und er hat sie erwischt. Er wollte sie aufhängen, wie man es hierzulande mit Rinderdieben macht. Ich war das Lösegeld, durch das sie freikamen. Begreifst du nun, Rocky?« Das ist.. . das ist die Hölle! Daß Hink und Jill Delazon Die‐ be gewesen sind, das wußte das ganze Land. Aber vom Wissen bis zum Beweis ist ein weiter Weg. Aber daß Diana für die Verbrechen ihrer Brüder dieses Opfer auf sich nahm . . . »Das habe ich nicht gewußt, Diana«, murmele ich. »Es tut mir leid, daß ich . . . daß ich ungerecht war dir gegenüber. Ich habe geglaubt, du hättest mich verraten. Ich dachte, Kane Shurks Geld hätte dich geblendet.« »Ach Geld! Zuerst war es ja ganz schön ‐‐immer neue Klei‐ der und tausend Wünsche, die plötzlich erfüllt wurden, die mir sonst nie in meinem Leben auch nur eingefallen wären. Aber als ich dich heute abend sah...« Ich muß an vorhin denken, als sie Kane Shurk geküßt hat, als er sie auf seinen Schoß zog, um aller Welt zu beweisen, daß sie sein eigen war. Ich sehe wieder ihr Gesicht, wie es sich plötzlich mit Blut füllte, wie sie starr wurde. War die‐ ser Kuß Lüge? »Warum bist du bei ihm geblieben, wenn du ihn nicht liebst, Diana? Du hast doch gewußt, wo ich zu finden war. Deine Brüder hätten das Land verlassen können, ja müs‐ sen!« »Ich konnte nicht weg, Rocky. Warum hast du auch das Land verlassen? Dort oben in den Mogollons ‐ nein, das ist doch kein Leben für eine Frau! Nicht wahr, du bleibst jetzt hier, Rocky? Du übernimmst wieder deine Ranch?« 95
»Ich glaube nicht. Man sieht mich nicht gern in Sunset. Ich rieche nach Schafen, weißt du. Rinderleute lieben das nicht.« »Nur einer sieht dich nicht gern ‐ Kane Shurk. Aber du fürchtest ihn doch nicht! Ich weiß alles über ihn, Rocky! Wenn wir beide zusammenhalten, ist er ein Nichts! Wir beiden können ihn vernichten! » »Aber Diana! Das wäre Verrat! Noch ist er dein Mann. Du hast ihm vor dem Altar Treue gelobt und...« »Treue? Darüber kann ich nur lachen! Ich habe ja gesagt, weil es zur Ehe gehört. Gelobt habe ich nichts. Nicht mit dem Herzen. Ich gehöre ihm nicht wie seine Rinder, wie sein Land! Sag nur ein Wort, Rocky ...« »Nein, Diana! Das ginge gegen meine Ehre. Mit solchen Mitteln kämpfe ich nicht ‐ ich kämpfe überhaupt nicht ge‐ gen Kane Shurk. Er hat mir nichts getan. Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen. Wenn du ihn verläßt, ist das deine Sache. Das mußt du wissen ‐ aber tu es nicht meinetwegen, Diana! Das wäre töricht.« »Was . . . was heißt das? Willst du damit sagen, daß du al‐ les vergessen hast, was zwischen uns war? »Vergessen? Oh nein, Diana. Vergessen werde ich es nie. Aber auch das an‐ dere kann ich nicht vergessen. Es ist mir aufgebrannt wie ein Brandzeichen. Ich habe Achtung vor deinem Opfer ‐ aber es wird nie wieder sein wie damals.« »So. So ist das also. Und ich Närrin renne hinter dir her und bilde mir wunder was ein. Nun gut. Wie du willst. Ich hätte alles für dich getan, alles. Ich hätte Kane Shurk mit diesen meinen Händen umgebracht ‐ für dich. Aber du . . . 96
ah, geh! Reite zurück in deine verdammten Berge und sei selbst verdammt! Du mit deiner sogenannten Ehre. Weit gebracht hast du es damit ‐ bis zum Schafhirten!« »Du bist erregt, Diana. Ich will dies alles nicht gehört ha‐ ben. Geh zurück und tu so, als hätten wir uns nicht gese‐ hen. Vielleicht können wir eines Tages Freunde sein.« Sie schüttelt wild die dunklen Locken. Ihre Augen sind dicht vor mir. »Freunde? Ich will dich ganz oder gar nicht! Oder bin ich dir nicht gut genug, weil meine Brüder einmal Rinder gestohlen haben? Pah, damit sind schon viele groß geworden. Sie haben nur Pech gehabt, das ist alles. Andere fangen es geschickter an ‐ und in größerem Stil.« »So? Ist das deine Meinung? Dann war der Mann aber sehr geschickt, der meine zweitausend Schafe gestohlen hat.« »Deine ... Schafe? Du hast keine Herde mehr?« »Nein, Diana. Ich bin bettelarm. Die Arbeit von drei Jahren, mein ganzes erspartes Geld ‐ alles ist hin.« Sie lacht. Sie lacht erst leise, dann lauter und bricht plötz‐ lich mittendrin ab. »Was ist los, Diana? Ich möchte wissen, was es dabei zu la‐ chen gibt!« »Oh, ich habe nicht über dich, sondern über mich gelacht. Ich habe mir vorgestellt, wie es sein würde,’ wenn ich in deiner Hütte am Kochtopf stehen und Erbsen mit Speck immer abwechselnd mit Bohnen und Speck kochen müßte. Mein Gott, wäre das ein Witz. Heute brauch’ ich nur in die Hände zu klatschen, und alle Wünsche werden mir erfüllt. Ich habe einen Koch und drei Haushilfen und eine Kutsche zum Ausfahren ...« 97
«Du bist reich, Diana. Aber sagtest du nicht eben, daß Geld dir nichts bedeutet?« »Man braucht nicht gerade reich zu sein, mein lieber Rocky ‐ aber so arm wie du? Nein! Nie Wieder! Dann nehme ich schon lieber meinen guten Kane in Kauf und verzichte auf dein hübsches Gesicht. Gibst du mir einen Kuß zum Ab‐ schied, Liebling?« Ich glaube, ich stehe da wie ein Idiot. Mir wirbelt der Kopf. Ist so etwas zu begreifen? Was ist denn nun Lüge ‐ der erste oder der zweite Akt ihres Auftritts? Ich weiß es nicht. Ich stehe stocksteif, als sie sich auf die Zehenspitzen hebt und mir die eiskalten Lippen küßt. Ihr Mund ist warm, ich spüre für Sekunden ihren vibrierenden Körper ‐ und es läßt mich kalt. Sie lacht girrend, wirbelt herum und läuft zur Straße hinüber. »Gute Nacht, mein armer Liebling! Schlafe gut und deck dich mit den Sternen zu! Gute Nacht!« Das ist Spott. Wenn nicht schon alles zerstört gewesen wäre ‐ diese letzten Worte hätten ihren wahren Charakter enthüllt. Hat Kane Shurk nicht schon damals beim Round up so merkwürdige Anspielungen gemacht? Habe ich ihn nicht deshalb zusammengeschlagen und zum Fenster ’rausgefeuert? Und fast hätte ich ihr die Komödie von ihrem angeblichen Opfer geglaubt. Fast wäre ich drauf reingefallen. Oh ver‐ flucht. Ich stülpe den Hut aufs Haupt und hebe mich in den Sattel. Hundert Schritte weiter treffe ich auf Trux und Concho, der den Toten vor sich auf dem Sattel liegen hat.
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»Wohin?« fragt Trux. »Ich bin dafür, daß wir ein Stück rei‐ ten, damit wir ihn bestatten können. Möglichst an einem Platz, der nicht leicht gefunden werden kann. »Ja, Trux. Ich habe die Nase ohnehin voll von der Stadt. Ich möchte endlich einen Freund sehen. Reiten wir zu Wade Holm.«
11. Flammen und Blut Schwarzes Gewölk quillt von den Mogollons herab über das Sunset‐Tal. Der Wind treibt uns erste schwere Tropfen ins Gesicht. Wir streifen unseren Ölumhang über und zie‐ hen die Sturmriemen fest. Hinter uns versickern die letzten spärlichen Lichter der Stadt. »Ich glaube«, sagt Trux, »ich glaube, jetzt wissen wir, wer Jim Deep umgebracht hat.« »Ja. Ich hatte auf Dag Krim getippt, aber jetzt halte ich Rod Francis für den Mörder.« »Oder beide gemeinsam. Mir gibt es sehr zu denken, daß sie beide zur gleichen Zeit oben in den Mogollons aufge‐ taucht sind. Denn die Geschichte, die Rod Francis über eine angebliche Verfolgung durch Dag Krim erzählt hat, halte ich für erlogen.« »Ja, ich auch. Ich wollte, ich hätte Rod Francis schärfer in die Zange genommen und die Wahrheit aus ihm herausgequetscht. Aber als ich ihn in dem Sheriff‐ soffice besuchte, wußte ich noch nicht, daß er seine Finger bis zum Ellbogen in der Geschichte stecken hatte. Er hat
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nämlich den Anschlag über die Wildpferdjagd angebracht. Ich möchte nur wissen, warum!« »Das ist verdammt merkwürdig. Er bringt einen Anschlag an, der nicht auf Wahrheit beruht. Auf Grund dieses An‐ schlages macht Jim Deep sich auf den Weg zu dir und wird ermordet. Rod Francis selbst kommt und erzählt von der Jagd . .« »Mein Gott, Trux! Ich glaube, ich weiß, warum er es getan hat! Er hat mich von der Ranch wegsgelockt!« »Siehst du, genau das habe ich mir auch gedacht. Aber wie paßt Jim Deep ins Bild? Wer hat Nutzen von seinem Tod? Oder ist er ihnen nur in die Quere gekommen? Fürchteten sie ihn aus irgendeinem Grunde als Zeugen?« »Es könnte sein, daß er die Leute gesehen hat, die unsere Herde gestohlen haben ‐ oder?« »Hm. Ich weiß nicht. Möglich ist alles. Es gibt einige rätsel‐ hafte Dinge, die wir vielleicht nie aufklären können, weil die beiden Männer tot sind, die über alles informiert waren. Übrigens Sid Mola und Dag Krim hatten schon in Tucson Beziehungen zueinander. Sagt dir das etwas?« »Sid Mola? Er ist Cowboy bei Kane Shurk ‐ aber er sieht wahrhaftig nicht aus wie ein Mann, der mit dem Lasso ar‐ beitet.« »Ein hübscher Junge, nicht wahr? Hübsch wie eine Kobra ‐ und genauso giftig.« Ich warte, daß er mehr über den Revolvermann ‐ denn das ist Sid Mola ‐ von sich gibt, aber er schweigt. Der Regen hat aufgehört. Es war nur ein kleiner Schauer. Und als wir jetzt tiefer in die Hügel eindringen, ist der Boden wieder staub‐ 100
trocken. Hier ist kein Tropfen gefallen. Wir kreuzen auf dem Weg zu Wade Holms Ranch mehrere Rinderwege. Dann, vor einem kleinen Gehölz, halten wir und laden den toten Sheriff von Sunset ab. Tief im Gebüsch betten wir ihn zu letzten Ruhe. Vielleicht werden wir ihn eines Tages, wenn alle Geheimnisse geklärt sind, die über diesem Land lasten, auf den Friedhof überführen können. »Warum hat er es getan?« frage ich, als das letzte Gebet ge‐ sprochen und die letzte Scholle auf ihn gefallen ist. »Zwar sind wir nie Freunde gewesen, aber ich habe ihm auch kei‐ nen Anlaß zum Haß gegeben. Was steht dahinter?« Ich glaube, die Antwort zu kennen. Es gibt eigentlich nur die eine. Aber ich brauche Beweise, ehe ich Anschuldigun‐ gen aussprechen kann. Die Zeit wird lehren, ob meine Vermutung richtig ist. Daß wir eine klare, unmißverständliche Antwort noch in dieser Nacht bekommen sollen, ahnen wir noch nicht. . . * Zwei Uhr morgens. Die müden Pferde trotten mit hangenden Köpfen dahin. Wir frieren unter den Ölumhängen. Hinter den jagenden Wolken schwimmt für eine Weile die Mondsichel wie ein Schiff auf stürmischer See. Dann wird sie von schwarzem Gebräu verschluckt. Eine gespenstische Nacht. Eine Nacht für den schleichenden Wolf und den mordlüsternen Puma. Plötzlich ist Concho neben uns, der die ganze Zeit hinter uns gehangen hat. Er hebt schnuppernd die Nase in die Luft und sagt nur ein Wort: »Staub!« Wir halten. Concho gleitet aus dem Sattel und huscht zu der Kreuzung des 101
Weges zehn Schritte vor uns. Er reißt ein Streichholz an. Ich merke immer noch nichts von Staub, aber plötzlich spüre ich eine innere Unruhe. Das Streichholz verlöscht. »Reiter«, sagt Concho und sitzt wieder auf. »Viele Reiter. Von Ost nach West.« Von Ost nach West? Nordwestlich von hier, zwei Meilen entfernt, liegt Wade Holms Ranch. Im Osten haust Kane Shurk. Dort hausen auch die Delazons ‐ Dianas Brüder Jill und Hink. Geradeaus läuft der Weg zu Kitty Deeps Ranch, während meine alte Heimat noch weiter westlich am Tinto‐ Creek liegt. »Das gilt Wade Holm!« rufe ich. Und ich muß an Doc Wil‐ liams Warnung denken, und an die Drohungen, die Kane Shurk ausgestoßen hat ‐ daran, daß er Wade Holm als ei‐ nen Rinderdieb bezeichnet hat. »Los!« sagt Trux, Unsere müden Mustangs bekommen die Hacken zu spüren. Jetzt ist Concho weit voraus ‐ unser Auge und Ohr und unsere Nase. Die beste Spürnase, die sich denken läßt. Noch anderthalb Meilen. Meine Pulse jagen. Ich habe Angst ‐ ja Angst um Wade, um einen alten Freund. Soll es ihm genauso ergehen wie Jim Deep? Soll auch er unter heimtückischen Mordkugeln fallen? Im Schlaf ermordet werden, nichtsahnend wie ein schlachtreifes Schaf? Nein, zur Hölle! Schneller, Grey Star! Ich ziehe das Gewehr aus dem Scabbard und stoße die Kugel in den Lauf. Schnel‐ ler, noch schneller. Die hämmernden Hufe tragen mich von Trux weg und näher an Concho heran. Er hat den Hut ver‐ loren, er hängt am Sturmriemen auf seiner Schulter und 102
tanzt auf und ab. Seine schwarze Mähne flattert im Sturm‐ wind. Er stellt sich in den Bügeln auf, als ich neben ihm bin und läßt nur ein kurzes Knurren hören. Er reitet, wie nur ein Indianer reiten kann, aber Grey Star bleibt neben ihm. Noch eine Meile. Nur eine Meile noch. Die Nacht ist still. Der Wind trägt keine Detonation zu uns her ‐ noch nicht. Haben wir uns geirrt? Gilt es nicht Wade Holm? Aber wer reitet dann durch diese Nacht? »Rechts herum!« rufe ich und ziehe Grey Star in schlankem Bogen von dem Hauptweg ab. Es geht steil bergauf. Die Hufe knattern auf staubtrockenem Boden. Der Sturm jault seine mißtönende Melodie und reißt auch mir den Hut vom Schädel. Weiter, nur weiter! Riechst du noch Staub, Con‐ cho? Nur noch eine halbe Meile, nur noch. .. Da peitscht die Salve! Nur noch tausend lächerliche Schritte ‐ und zu spät. Ich heule auf vor Wut und dresche Grey Star mit der flachen Hand auf die Hinterhand. Er springt vor‐ wärts und läßt Conchos Gaul einfach stehen. Schneller, Grey Star! Bitte, Grey Star, tu es für mich, tu es für meinen Freund, tu es für Wade! Er ist der letzte Freund, der mir geblieben ist ‐Jim ist tot und Bud Abbott ist nicht mehr mein Freund. Bitte, Grey Star! Und der graue Hengst fliegt durch die Nacht, fliegt dem Sturm entgegen, den Hals langgestreckt, den schmalen Kopf vorgereckt. Er frißt den Boden mit den Hufen, trägt mich den Detonationen entgegen, diesem mörderischen Lärm des Kampfes. Hinab geht es durch einen Hohlweg. Mit verkniffenen Au‐ gen starre ich voraus in die Finsternis. Klatschende Trop‐ 103
fen, schwer wie Kinderfäuste, treffen mein Gesicht. Die schwarze Wolke über uns entlädt ihre nasse Fracht. Halte aus, Wade! Wir kommen ‐ halte aus! Immer noch Schüsse, vereinzelt jetzt. Wades Haus scheint unter konzentrischem Feuer zu liegen. Lebt er noch? Hat er den ersten Ansturm abwehren können? Wer ist bei ihm? Wenn er allein steht, wenn seine Boys auf der Weide sind, gibt es keine Hoffnung mehr. Aber würden sie dann noch schießen? Halte aus, Wade! Da endet der Hohlweg, die Mulde weitet sich. Ver‐ schwimmende Schatten mir sind die flachen Gebäude. Ich höre Pferde wiehern, Wades Mustangs im Korral. Ich sehe das Haus und das Mündungsfeuer eines Gewehres, das in regelmäßigen Abständen sein tödliches Blei versendet. Wade kämpft noch! Da, eine Stimme! Oh, ich erkenne ihn sofort, diesen brüchi‐ gen Baß. Es ist Hink Delazon, der da schreit. »Gib auf, Wade Holm! Du bist erledigt!« Wirklich, Hink Delazon? Glaubst du, schon am Ziel zu sein? Irren ist menschlich, Hink Delazon! Die Korralstangen fliegen vorbei. Ich zügele Grey Star, er steht. Rechts neben mir toben wildgewordene Mustangs durch den Korral. Und dort, am Ende des Zaunes, liegen zwei Männer und feuern auf das Haus. Ich ziehe das Gewehr hoch und lasse das Blei fliegen. Ein‐ mal ‐ durchgeladen ‐ zweimal ‐ durchgeladen ‐ und ein Mann schreit; wie nur der Tod schreit. »Halt aus, Wade!« brülle ich. »Halt aus, hier ist Hilfe!«
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Ich drücke Grey Star die Hacken in die Weichen, jage wei‐ ter an den Stangen vorbei auf den Hof, reiße den Hengst links herum und wechsele das Gewehr in die linke Hand. Ich ziehe den Colt. Vor mir ein huschender Schatten ‐ eine Mündungsflamme blüht auf. Das gilt mir. Schräg über Grey Stars Hals hinweg lasse ich zwei Schüsse auf den Schatten los. Ich weiß nicht, ob ich getroffen habe. Vorbei. Schon vorbei. Am Rande der Mulde steht wie eine wuchtige Phalanx eine Allee von Sykomoren. Ich presche zwischen zwei Bäumen hindurch und bin aus dem Sattel. Grey Star verschwindet in der Nacht. Ich suche das Gewehr, das ich im Sturz verlo‐ ren habe ‐ es ist in Ordnung, nicht zerbrochen, Mit ein paar langen Sätzen bin ich hinter einem der Bäume in Deckung und suche nach dem Gegner. Stimmen schreien durcheinander. Die Schüsse sind abge‐ bröckelt. Nur aus der Hütte klopft ein Gewehr methodisch wie ein Hammer. Ich warte. Die Seitenfront des Hauses liegt schräg vor mir. Mir ist so, als wenn sich an der Rück‐ front etwas bewegt, aber als ich genauer hinschaue, sehe ich nichts mehr. Wo sind Trux und Concho? Wenn wir uns jetzt nur nicht gegenseitig in die Quere kommen. In dieser Nacht bleibt nur der am leben, der zuerst schießt und nicht lange fragt, wo sind die Feinde? Drüben, auf der anderen Seite des Hauses, genau mir gegenüber, meldet sich eine laute Stimme: »Das ist nur einer. Das ist der verdammte Schaf‐ mann, Rocky Bragg! Wir erledigen ihn gleich mit. Los, Jun‐ gens!« 105
Ich würde nicht so laut reden, Jill Delazon, wirklich nicht. Schweigen ist Gold, Jill ‐ vor allem für einen Mann, der auf Raub und Mord ausgeht. Es ist gut, daß ich weiß, wen ich vor mir habe. Hierfür wirst du zahlen müssen ‐ du und dein sauberer Bruder und alle, die mit euch sind! Hierfür wird vor allem einer zahlen müssen : Kane Shurk! Hinter dem Haus bewegt sich doch etwas. Ich schleiche geduckt unter den Bäumen weiter, verharre hinter jedem Stamm und spähe in die undurchdringlichen Schatten. Auch drüben auf der anderen Seite gibt’s jetzt Bewegung. Wieder prasselt eine Salve los, wieder schreit einer der De‐ lazons: »Vorwärts, Boys, jetzt erledigen wir sie!« Und dann geht das Angriffsgeschrei in einem Geheul un‐ ter, denn plötzlich mischt sich in das Gewehrfeuer das ra‐ send schnelle Bellen mehrerer Revolver. Das können nur Concho und Trux sein. Und daß sie nicht nur schießen, sondern auch treffen können, das beweisen die wilden Schreie der Feinde. Hinter dem Haus flammt ein Streich‐ holz auf. Ich erkenne eine schemenhafte Gestalt, sehe, wie das Streichholz Nahrung findet ‐ anscheinend ist dort tro‐ ckenes Holz aufgehäuft worden. Die Flammen lecken em‐ por und beleuchten den Mann, der zurückspringen will. Da habe ich die Flinte hoch und lasse die Kugel fliegen. Der Mann wirft die Arme hoch, brüllt und taumelt in die Nacht zurück. »Verrat!« brüllt drüben auf der anderen Seite des Hofes ei‐ ne gellende Stimme. Sie kommt mir mächtig bekannt vor. »Verrat ‐ wir sind umstellt!«
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Sieh mal einer an! Das ist der hübsche Sid Mola, der Angst um sein bißchen Leben hat. Ja, mein Freund, es ist ein gro‐ ßer Unterschied, ob man selber schießt oder beschossen wird. Es ist gar nicht schön, wenn man im Kreuzfeuer liegt, nicht wahr? Ich springe hinter dem Baum hervor auf den Hof. Schat‐ tenhafte Gestalten hasten zum Korral, während ihnen das höllische Feuer Conchos und Trux’ im Nacken brennt. Ste‐ hend freihändig lasse ich alle Kugeln aus dem Lauf, die ich noch im Magazin habe. Dann verballere ich auch das restli‐ che Blei der Colts. Stolpernde, fluchende,’ brüllende Gestal‐ ten tauchen unter in der Nacht. Prasselnd entlädt sich der Regenguß auf das Kampffeld ‐ dann wird es still. Dann knattern fern im Hohlweg Hufe. Die Feinde sind geschla‐ gen. Wir haben gesiegt.
12. Um ein Haar ... In das Klatschen der Regenschlossen mischt sich das Knat‐ tern der Flammen. Schon lecken sie bis zum Dach des Hau‐ ses empor und beleuchten den Hof mit zuckenden Schlag‐ lichtern. Zwei . . . nein drei leblose Gestalten liegen dort und ruhen sich von allen Strapazen aus. Der Tod ist über den Hof gegangen und hat mit knochiger Faust zugeschla‐ gen. »Wade!« rufe ich. »Komm heraus, Wade. Es ist vorbei!«
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Der Sperriegel der Tür knackt, heraus tritt ein Mann mit dem Gewehr in der Armbeuge. Es ist Hal Fisher, Wades alter Cowboy. »Verdammt will ich sein«, knurrt er, »wenn das nicht höch‐ ste Eisenbahn war! Komm her, Rocky, alter Eisenfresser! Laß dir die Pfote drücken. Ich fühlte mich schon wie ein Spanferkel, das am Spieß geröstet werden soll.« »Wo ist Wade? Ist er gar nicht hier?« fragte ich und drücke ihm die Hand. »Doch. Drinnen. Schätze, es wird Zeit, daß wir ihn und Ruß Urba herausholen. Wird schon mächtig warm da drin. » Beunruhigt eile ich hinein. Wade hockt auf einem Stuhl und lächelt mich mühselig an. Ruß Urba liegt mitten im Zimmer auf dem Rücken und flucht. »Du alter Roßtäuscher, konntest du nicht fünf Minuten eher kommen? Ich hab’s gar nicht gern, wenn mir literwei‐ se Blut abgezapft wird. Hölle und Kanonenrohr, man sollte dich . . . sollte dich umarmen, du Kamel!« Das ist die alte rauhe Tonart, wie ich sie nicht anders ken‐ ne. Wade sagt gar nichts, er drückt mir nur die Hand. Ihn hat ein Querschläger ziemlich übel hoch in der linken Schulter erwischt, während Ruß Urba eine ziemliche Delle im Schädel hat. Er kommt auf eigenen Füßen zur Tür hi‐ naus, bricht aber draußen auf dem Hof zusammen. Ich stütze Wade ab, während Hal Fisher den Verbandkasten von der Wand reißt und herausbringt und dann alles Wertvolle aus der Hütte trägt, um es vor den gefräßigen Flammen zu retten. Die Sättel vor allem und die Waffen,
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dazu auch einiges an Proviant und Kochtöpfe und Klei‐ dung. Trux und Concho kommen mit den Pferden am Zügel aus der Finsternis. Der Indianer zeigt ein breites Lächeln, und das ist verdammt selten bei ihm. Ich stelle meine Bundes‐ genossen vor; dann verschwindet Concho, um Grey Star zu suchen, während ich bei Wade und Trux bei Ruß Urba ers‐ te Hilfe leisten und die Wunden verbinden. Der Querschläger in Wades Schulter hat ein übles Loch ge‐ rissen. Ohne ärztliche Hilfe kommen wir bestimmt nicht aus, das sehe ich auf den ersten Blick, Ruß Urba ist bewußt‐ los. Anscheinend hat der Kopfschuß ihm eine Gehirner‐ schütterung eingetragen. »Jetzt ist der Hund von der Kette«, stöhnt Wade mit zu‐ sammengebissenen Zähnen. »Ich habe die ganze Zeit ein dummes Gefühl gehabt ‐ aber so etwas hätte ich Kane Shurk nicht zugetraut.« »Ja, Wade. Aber tröste dich. Du bist nicht der einzige, dem er an die Gurgel gegangen ist.« Und während ich das Blut zu stillen suche und einen Wattebausch nach dem anderen und Mullbinde um Mullbinde verbrauche, erzähle ich ihm in kurzen Worten, was alles geschehen ist. Denn nun ist mir völlig klar, daß nur ein Mann hinter allem stehen kann. Sowohl Jim Deeps Tod als auch meine verlorene Herde ge‐ hen auf das Konto Kane Shurks. Alles bekommt plötzlich einen Sinn. Sogar der Anschlag, die Wildpferdjagd betreffend. Angefangen hat’s wohl schon mit Dag Krims Schuß auf den alten Sheriff Dickins und der Wahl Rod Francis zum neuen Sheriff. Nur ein 109
Mann wie Kane Shurk, der der mächtigste im Land ist, konnte eine solche Flasche auf den Sitz des Sheriffs heben. Und Rod Francis, die geborene Verräterseele, hat natürlich alles getan, was Shurk wollte. Klar, daß der Aufruf zur Jagd ein Lockmittel sein sollte, das seine Wirkung prompt getan hat. Jeder, der Jim Deep und mich kannte, mußte wissen, daß wir uns eine solche Chance nicht entgehen las‐ sen würden. Darauf hat Shurk spekuliert und recht behal‐ ten. Warum Jim Deep sterben mußte, werden wir vielleicht nie ergründen können. Oder gehört auch das zu dem teufli‐ schen Spiel? Will Kane Shurk vielleicht das ganze Land rings um Sunset in seine Finger bekommen? »Jim hat’s also auch erwischt«, murmelt Wade. »Unseren lachenden Jim. Ah, ich weiß, wer der schlimmste von allen ist! Er sieht aus wie ein junger Gott, aber er hat das Herz eines Teufels. Kitty will’s ja nicht wahr haben.« »Du meinst Sid Mola? Er steht obenan auf meiner Liste, gleich hinter Kane Shurk!« »Nein«, knurrt Trux neben mir, »er steht auf meiner Liste, Rocky! Laß dir ja nicht einfallen, ihn vor deine Kanone zu nehmen! Sid Mola gehört mir! Ich habe ihn zu dem ge‐ macht, was er ist und kann ‐ ich habe ihm das Schießen beigebracht. Er war mein Schüler und sollte mein Nachfol‐ ger als Marshal werden. Er hat sich auf die Seite der Wölfe geschlagen, hat mich verraten. Dafür stirbt er durch meine Hand.« Das also hat Trux in dieses Land geführt. Jetzt ist es heraus. Er sagt es ganz kühl und gelassen, nur seine Augen bren‐ 110
nen. Er, der einen Arm in der wilden Stadt Tucson gelassen hat... im Kampf für das Recht. »Es war eine Nacht wie diese«, fährt er langsam fort. »Wir gingen zusammen die Straße in Tucson entlang, beide mit dem Stern auf der Brust. . . Sid Mola und ich. Er war Hilf‐ smarshal, von mir auf das Gesetz vereidigt. Es gab einige in Tucson, denen ich ein Dorn im Auge war. Die Spielhöllen‐ besitzer zum Beispiel, weil ich den Rowdies und Schießern zu sehr auf die Finger sah. Schießern wie Dag Krim. Well ‐ plötzlich zog Sid Mola und schoß auf einen Schatten zu Sei‐ ten der Straße. Ich hatte keine Ahnung, was los war. Ich springe hinüber ‐ und Sid schoß ein zweites Mal. Er traf mich am Arm und zerschmetterte das Ellbogengelenk.« »Ja aber . . . aber warum denn?« stotterte ich. »Es ging um Geld, Rocky. Bei solchen Leuten geht es im‐ mer um Geld. Er dachte, er könne es irgendeinem Revol‐ verhelden in die Schuhe schieben, wenn ich tot liegenblieb. Aber er hatte schlecht gezielt. Ich lebe. Und ich habe ihm einige blaue Bohnen um die Ohren gefeuert, so daß er Hals über Kopf stiften ging ‐ wie heute abend. Als ich wieder gesund war, habe ich seine Fährte aufgenommen. Hier en‐ det sie.« »Und wer hat ihm Geld geboten für den Mord? Um was ging es?« »Ein Spielhöllenbesitzer, den ich wegen Betrügereien ins Gefängnis gebracht hatte. Ich hab’s rausgekriegt. Er ist we‐ gen Anstiftung zum Mord ins Zuchthaus gewandert. Mei‐ nen Arm kriege ich dadurch nicht wieder.«
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Eine kurze, eine mitleidlose Geschichte. Ein Kapitel aus dem wilden Buch des Westens. Jetzt weiß ich, warum Trux von Anfang an so für Vorsieht war. Er kannte Dag Krim, und er kannte Sid Mola. Er wußte, was zu erwarten war, wenn Raubtiere, wie diese, auf die Menschheit losgelassen werden. Jetzt ändert sich seine Stimme, wird drängend: »Der Tag ist nicht mehr fern, Freunde. Wir haben zwar einen Sieg er‐ rungen, aber diese Freude wird nur von kurzer Dauer sein. Sobald Sid Mola mit seinem Anhang merkt, wie wenig Ge‐ gner er zu fürchten hat, setzt er sich auf unsere Fährte. Das könnte in eine Hasenjagd ausarten.« »Hasen schießen nicht«, knurrt Hal Fisher. »Ich für mein Teil werde ihnen schon die Leviten lesen, den Schweine‐ hunden!« »Viele Hunde sind des Hasen Tod, Freund! Und manchmal ist der Fluch der bessere Teil der Tapferkeit. Es braucht ja nicht gleich in kopflose Flucht ausarten. Ein geordneter Rückzug ist jedenfalls besser als ein Wiedersehen im Mas‐ sengrab.« »Okay, Trux«, nicke ich. »Du hast recht. Unsere erste Sorge muß den Verwundeten gelten. Solange wir sie bei uns ha‐ ben, sind wir unbeweglich und können nicht richtig operie‐ ren. Und dies hier wird ein Kampf auf Biegen und Brechen, Hal! Glaub ja nicht, daß wir kneifen wollen! Gewinnen können wir nur, wenn wir unsere Köpfchen anstrengen!« »Dann tut das!« brummt er. »Ich hab’s mehr mit der Flinte und den Fäusten. Strengt eure weiche Rübe nur an.«
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»Wir brauchen ein Versteck, das nicht zu weit entfernt ist, Rocky. Und wir brauchen einen Arzt, dringend!« Ich denke nach. Nur gut, daß ich das Land wie meine Wes‐ tentasche kenne. Das Dumme ist nur, daß auch Bud Abbott all unsere Verstecke von früher her kennt ‐ und Bud Abbott ist Kane Shurks Vormann. Er könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen. Natürlich auch Hink und Jill Dela‐ zon, aber ich glaube, es gibt einige Schlupfwinkel, die sie nicht kennen. Wir müssen es drauf ankommen lassen. »Die Badlands«, sage ich. »Wade, entsinnst du dich des Platzes, an dem wir mal das Klapperschlangennest ausge‐ hoben haben?« Wade nickt. Er ist erschöpft. Der Blutverlust und die Schmerzen haben ihn an den Rand einer Ohnmacht getra‐ gen. »Glaubst du nicht auch, Wade, daß wir dort sicher sind? Wir haben die Höhle erst entdeckt, als wir direkt davors‐ tanden. Der Eingang ist kaum mannshoch, wenn man den dicken Stein davorpackt. Und dahinter ist Platz genug zum Tanzen.« »Wasser?« fragt Trux. »Könnte sein, daß wir lange dort zu‐ bringen müssen. Wasser ist das Wichtigste.« »Gibt es auch, wenn auch nicht das beste. Zur Not muß es gehen. Es sind zehn Meilen dorthin, nicht mehr. Wenn wir direkt aufbrechen, sind wir am frühen Morgen in Sicher‐ heit.« »Gut. Und wie bringen wir den Arzt dorthin? Das könnte gefährlich werden.«
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»Hm. Ich wüßte einen Weg. Wade, glaubst du, daß du den Weg weisen kannst?« Er nickt. Ich schaue Trux an, der bedenklich den Kopf wiegt. Bei Wades Zustand muß man mit allem rechnen. »Ich erkläre den Weg«, sage ich schnell. »Ich denke, daß Concho ihn findet, falls Wade besinnungslos sein sollte. Wenn ich direkt zur Stadt reite zu Doc Williams ...« »Nein! Nicht zur Stadt!« ruft Trux energisch. »Du würdest in den Tod rennen. Ich schlage vor, daß du zu Kitty Deep reitest und sie zum Doc schickst. Du kannst einen Treff‐ punkt mit ihm vereinbaren und ihn zu uns bringen.« »Gut. Das geht in Ordnung. Kitty wird es bestimmt tun . . . und wenn sie Sid Mola noch so sehr ins Herz geschlossen hat.« Ich erkläre Trux und Concho, der mit Grey Star zurückge‐ kehrt ist, den Weg in die Badlands und zur Höhle. Dann verfertige ich mit Hal Fisher eine Schleppbahre, auf die wir Wade Holm betten. Ruß Urba wird auf seinem Pferd fest‐ gebunden, und die kleine Karawane des Elends setzt sich in Bewegung. Ich drücke Grey Star aus der Mulde durch die Büsche und den Hang hinauf und nehme Kurs auf Kitty Deeps Haus. * Es ist noch stockfinster, als ich den Wald oberhalb von Kit‐ tys Ranch erreiche. Unablässig prasselt der Regen herab, wie aus Eimern geschüttet. Ich binde Grey Star im Dickicht an einen Baum, hänge ihm die Decke über und suche mir einen Weg den Hang hinab.
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Nichts deutet daraufhin, daß ein Feind in der Nähe ist. Schwer zu sagen, wie weit die Bande gelaufen ist und ob sie sich schon wieder gesammelt hat. Aber da der Tag nicht mehr fern ist, werden sie kaum Lust verspüren zu einem neuen Angriff. Dieses Gesindel bevorzugt die Nacht und den Hinterhalt. Von nun an werden wir listig sein müssen wie Füchse und scharf wie die Wölfe. Wir werden dem Kampf ausweichen, wenn der Feind ihn sucht ‐ und wir werden angreifen, wenn er uns nicht erwartet. Das allein muß unser Rezept sein! Das Haus liegt finster in der Nacht. An der Ecke bleibe ich stehen und lausche nach allen Seiten. Ich weiß, daß Kitty nur einen Helfer auf dem Hof hat, Old Tuck, der vermut‐ lich in der Kammer neben dem Stall schläft. Die Leute sa‐ gen, er wäre nicht ganz richtig im Kopf, aber soweit ich ihn kenne, ist er klüger als mancher Gescheite. Ich klopfe an ein Fenster, von dem ich vermute, daß Kittys Schlafzimmer dahinter liegt. Natürlich ist es unschicklich, daß ein Mann eine junge Dame zu so unpassender Zeit weckt, aber in der Not frißt der Deubel Fliegen. Es dauert eine Weile, bis sich etwas rührt ‐ dann wird das Fenster vorsichtig geöffnet. »Sid ‐ bist du das? Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß ich nachts nicht zu sprechen bin . . .« »Pssst, Kitty! Es ist nicht Sid. Ich bins, Rocky. Ich brauche Hilfe ...« »Rocky Bragg? Ich soll dir helfen, nachdem du dich so be‐ nommen hast? Ein anständiger Mann macht einen anderen 115
nicht schlecht ‐ und er schlägt ihn auch nicht einfach zu‐ sammen, Mister Bragg! Ich bin für deine Streitigkeiten nicht zuständig!« »Moment, meine Dame. Du kannst von mir halten, was du willst. Meinetwegen glaube, daß Sid Mola ein Engel ist. Hier geht es auf Leben und Tod. Wade Holm ist überfallen worden. Er ist schwerverletzt und auf der Flucht. Auch Ruß Urba hat’s übel erwischt. Die beiden brauchen drin‐ gend ärztliche Hilfe.« »Wade?« Das klingt schon anders ‐ bestürzt und ein wenig ängstlich. »Wer hat es getan?« »Ich nenne keine Namen, denn du würdest mir doch nicht glauben. Ich bin ja bloß ein Schafmann. Wade hat einen Querschläger in die Brust bekommen. Es ist ein faustgroßes Loch. Sein Haus ist verbrannt.« »Nein! Um Gottes willen, Rocky ‐ wer hat es getan? Sag es mir, bitte!« »Ich mache keinen Menschen schlecht, Madam. Ich bitte auch nicht für mich. Ich bitte für Wade, der einmal Jims Freund war. Ich würde selbst in die Stadt reiten, aber nachdem man dort schon einmal auf mich ein Scheiben‐ schießen veranstaltet hat...« »Auf dich? Oh, Rocky! Was bedeutet das alles? Jims Tod und der Überfall auf Wade und ...« »Es bedeutet Krieg. Aber vielleicht haben auch Schafe Zäh‐ ne. Wir werden es sehen. Willst du in die Stadt reiten?« »Ja. Ja natürlich. Warte, ich ziehe mich eben an. Komm he‐ rein, Rocky!«
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»Nein, danke. Ich möchte deine gute Stube nicht schmutzig machen. Außerdem könnte es sein, daß in der Umgegend einige Wölfe stecken, die auf mich Schaf Jagd machen möchten. Sage bitte Doc Williams, er möchte sofort losrei‐ ten, und zwar allein. Sag ihm auch, daß er nicht hierher und nicht zu Wades Ranch reiten soll. Ich halte es für das beste, wenn er zum Kreide‐Riff reitet. Dort werde ich ihn erwarten.« »Ja, Rocky. Ich werde es ausrichten. Wo ist denn Wade? Ihr hättet ihn doch zu mir bringen können. » »Nein. Hier wäre er nicht sicher. Keiner von uns ist mehr sicher im Land. Wir werden uns verkriechen wie die Rat‐ ten.« »Rocky! Wie sich das anhört! Warum bist du so bitter. Wä‐ rest du doch in den Bergen geblieben. Jetzt wühlst du alles wieder auf, was schon fast vergessen war.« »So, tue ich das? Ausgerechnet ich? Ich darf wohl nur still‐ halten, wenn man mir das Fell über die Ohren zieht, wie? Ich habe drei Jahre geschuftet, bis ich eine Herde von zwei‐ tausend Schafen zusammen hatte. Und dann wurde die ganze Herde über Nacht gestohlen, meine Leute wurden ermordet. Das soll ich mir wohl alles gefallen lassen, wie?« »Rocky«, flüstert sie, »das . . . das habe ich nicht gewußt! Wer hat es getan?« »Er hat seine Visitenkarte nicht hinterlassen. Well, es ist keine Zeit zu verlieren. Ich danke dir für deine Hilfsbereit‐ schaft, Kitty. Vielleicht kann Wade es dir einmal rechtma‐ chen. Denk an das Kreide‐Riff! Leb wohl!«
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»Rocky!« Ihre Stimme hält mich auf. Zögernd wende ich mich wieder dem Fenster zu. »Rocky ‐ um der alten Freundschaft willen . . . geh nicht so im Zorn von mir. Ich . . . ich weiß nicht viel von dir, nur das, was vor allem Jim immer gesagt hat. Ich glaube, ich habe mich schlecht benommen. Bitte, Rocky ‐ du hast vieles hinter dir. Ich kann dich nicht einfach so gehen lassen.« »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Ich komme schon zurecht. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, daß ein Mann sich nur auf sich selbst verlassen darf. Du wirst in diesem Kampf, der nun entbrannt ist, Stellung beziehen müssen. Ich möchte dich da nicht beeinflussen.« »Du traust mir nicht, Rocky. Das ist es! Du haßt Kane Shurk. Und weil Sid bei mir war, und weil er ein Mann Ka‐ ne Shurks ist, glaubst du, daß ich ...« »Ich glaube gar nichts. Und auch du solltest nur das glau‐ ben, was du mit eigenen Augen gesehen hast. Ich ...« Plötzlich ist ein Geräusch in der Luft, das anders ist als der platschende Regen. Ich eile zur Hausecke ‐ und nun höre ich es ganz deutlich. Da kommen Reiter, viele Reiter. Sie sind schon ganz nahe. Unter dem schützenden Mantel des Regens habe ich sie zu spät wahrgenommen. Und jetzt, wo schon graue Dämmerung in das Tal kriecht, kann ich kaum noch unerkannt zurück zum Wald. »Was ist, Rocky?« ruft sie leise. »Warum läufst du weg?« Ich bin wieder bei ihr, unter dem Fenster. »Kitty, sie kom‐ men. Ich werde versuchen, den Wald zu erreichen. Denk an den Doc. Wade braucht unter allen Umständen Hilfe! Tu es für ihn, Kitty!« 118
»Rocky. Du kannst nicht mehr weg, Sie sind schon zu nahe, ich höre sie. Sie... werden dich abschießen. Komm herein!« Sie hat recht. Natürlich hat sie recht. Verdammte Schweine‐ rei. Ein paar Minuten eher hätte ich es schaffen können. Hier gibt’s kein langes Überlegen. Ich streife den Ölum‐ hang ab und reiche ihn Kitty herein. Dann bin ich durch das Fenster und ziehe es zu. Kitty wirft den Ölumhang in den Schrank und streift ihre Reitkleidung über. Schon wer‐ den vor dem Haus rauhe Stimmen laut. »Hör zu, Kitty!« sage ich rasch. »Verrate auf keinen Fall, daß du etwas von dem Überfall weißt! Irgendwie wird es dir schon glücken, daß du in die Stadt kommst. Sei vorsich‐ tig! Um mich brauchst du dich nicht zu kümmern.« »Ja, Rocky. Ich werde es beherzigen. Nur eins noch: weißt du, wer Jim . . . wer Jim getötet hat?« »Vielleicht. Es ist nicht sicher. Wenn ich es weiß, werde ich es dir sagen. Bestimmt, Kitty.« Schwere Fäuste bollern an der Haustür. Ich höre einen knirschenden Schritt unter dem Fenster, es klopft. »Kitty ‐ mach auf! Verdammt, wir haben es eilig!« Das ist Sid Molas Stimme. Und ich sehe, wie Kittys Hände sich vor der Brust verkrampfen. Nun weiß sie es. Nun kann sie sich alles andere selbst denken. »Ja, Sid!« Ihre Stimme ist ganz ruhig und sehr kühl. »Was ist denn los? Moment, ich muß mich anziehen!« Kitty öffnet die Schranktür und winkt mir mit der Hand. Soll ich mich darein verkriechen, zum Teufel? Aber wenn Sid Mola mißtrauisch wird, wenn er einen Blick in dieses
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Zimmer wirft ‐ oder wenn er gar meine Fußspur unter dem Fenster sieht... es ist schon besser so. »Verrate dich nicht!« flüstere ich. »Mach gute Miene zum bösen Spiel! Denk an Wades Verwundung!« Sie nickt und wirft ein Jackett über. Dann schließt sich die Schranktür hinter mir. Ich halte sie von innen zu. Kittys Schritte entfernen sich. Da säßen wir also in der Falle!
13. Heißes Blei Noch kann ich die einzelnen Stimmen nicht unterscheiden, aber schon nach kurzer Zeit poltern schwere Schritte in das Zimmer nebenan. Hink Delazons Organ ist sofort zu er‐ kennen, und auch Sid Molas Stimme kenne ich mittlerweile gut. »Was bedeutet das alles, Sid?« höre ich Kitty sagen. »Es ge‐ hört sich wirklich nicht, eine Frau um diese Zeit aus dem Bett zu holen. Was wollen die vielen Männer hier?« »Mein liebes Kind ...« das ist Molas arrogante Stimme, ». . . du wirst jetzt dein Mündchen halten und schön zuhören. Der Spaß ist vorbei, jetzt fängt der Ernst des Lebens an. Wir sind hinter Viehdieben hergewesen. Und was meinst du wohl, wer dabei war? Du ahnst es nicht, mein Täubchen! Dein sauberer Freund Rocky Bragg!« »Rocky Bragg?« »Ganz recht. Wir sind in eine Falle gelaufen und haben Verluste gehabt. Hier ‐ Hink Delazon hat zum Beispiel n’e 120
Schramme am rechten Arm. Und ich habe zwei Löcher in meinem schönen Hut.« »Und das hat Rocky Bragg alles allein gemacht?« fragt Kit‐ ty. Sie versteht sich wahrhaftig aufs Schauspielern. »Quatsch!« Das ist Hink Delazons Organ. »Eine ganze Bande hat er bei sich. Wade Holm gehört auch mit dazu. Dem habe ich noch nie über den Weg getraut.« »Wade Holm soll ein Viehdieb sein?« ruft Kitty, »Da lachen ja die Hühner! Das müßt ihr jemand anderem erzählen, aber nicht mir!« »Ah ‐ ist wohl auch dein Freund, wie?« dehnt Sid Mola. »Gut, daß wir das wissen.« »Sid, ich verbitte mir diesen Ton! Wenn ihr euch nicht ans‐ tändig aufführen wollt, mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch!« »Du bist aber witzig, Täubchen. In diesem Land regieren wir, merk dir das. Aber wenn du hübsch artig bist, kannst du dabei nur gewinnen. Wann wollte Rocky Bragg wieder‐ kommen?« »Überhaupt nicht. Ich habe ihm das Haus verboten, weil er dich niedergeschlagen hat. Aber ich glaube, er hatte recht.« »Was du nicht sagst! Dieser stinkende Schafskerl! Hinterlis‐ tig hat er mich angefallen, der Satan!« »Schon gut, Sid. Darf ich nun erfahren, was dieser Besuch bei mir zu bedeuten hat? Bin ich etwa auch ein Viehdieb?« Hink Delazon lacht brüllend, und die anderen fallen mit ein. Dann sagt Jill, der saubere Bruder Hinks: »Da müssen wir erst deine Weide durchkämmen, Kitty. Man weiß nie, was sich dabei anfindet. Aber wir sind gar nicht so, wie wir 121
aussehen. Wir wollten dich nur warnen. In einem Weide‐ krieg weiß man nie, was passiert, nicht wahr?« »Es ist also Krieg? Und wer kämpft gegen wen? Und wo‐ rum geht es?« »Mußt nicht so neugierig sein. Koch lieber eine Tasse Kaf‐ fee.’’ Eine Weile kann ich nichts verstehen, weil sie nur ge‐ dämpft sprechen. Dann höre ich Hufschlag, ein einzelner Reiter kommt auf den Hof und wenig später ins Zimmer. An seiner Stimme erkenne ich Kid Smith, den rauhbeinigen Cowboy Kane Shurks, der so gern mit Fäusten um sich schlägt. »Sie sind abgezogen«, meldet er. »Ich habe in einem Ge‐ büsch am Wege gelegen. Sieht so aus, als wollten sie in die Badlands. Zwei waren verwundet, anscheinend schwer. Ich wette, sie brauchen einen Arzt.« »Ah, gut! Hast du erkannt, wer verwundet war? Und wie viele Männer waren es überhaupt?« »Hal Fisher habe ich erkannt, zwei andere nicht. Rocky Bragg war bestimmt nicht dabei. Vielleicht ist er zur Stadt, zum Arzt.« »Das glaube ich nicht«, brummt Hink Delazon. »Er weiß genau, daß er nicht heil durchkommen kann, wenn er das riskiert. Hm ‐ laß mich mal nachdenken. Wenn sie wirklich einen Arzt brauchen ...« »Bestimmt, Hink! Wade Holm lag auf einer Schleppbahre. Sah so aus, als wäre er schon halb hops. Und Ruß Urba hing auch wie ’ne Wasserleiche auf seinem Gaul.« 122
»Dann steckt Rocky Bragg irgendwo hier in der Gegend. Ich kenne den Burschen. Er ist gerissen. Er kann verflucht rangehen, aber nur, wenn er muß. Ich wette, daß er gar nicht weit entfernt ist.« Mir wird schwül unter dem Hut. Wenn sich Kitty jetzt durch einen Blick, durch eine falsche Bewegung verrät. . . wenn sie in Panik gerät, dann könnte die Bande auf die Idee kommen, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen. »Ich wüßte, was ich täte, wenn ich Rocky Bragg wäre«, fährt Delazon langsam fort. »Ich würde nicht selbst in die Stadt reiten. Ich würde jemanden schicken. Und wer käme dafür in Frage, Boys? Versetzt euch in Braggs Lage!« Schweigen. Sie schienen alle mächtig nachzudenken, bis Sid Molas Stimme das Schweigen bricht. »Ich weiß, was du meinst, Hink. Bragg hat nur wenige Freunde im Land. Dazu zählt Kitty. Du meinst, er wird hierher kommen und Kitty zum Arzt schicken. Ist es das?« »Genau, Sid. Und damit werden wir ihn fangen. Die ande‐ ren fürchte ich nicht ‐ nur Rocky Bragg kann uns gefährlich werden.« »Er wird nicht kommen, wenn er uns hier versammelt sieht. Er ist jetzt gewarnt und wird höllisch vorsichtig sein.« »Natürlich. Wer sagt denn, daß er uns sehen muß. Im Ge‐ genteil! Wenn er schon irgendwo dort oben herumkriechen sollte, wird er uns wegreiten sehen. Und Kitty, die brave, liebe Kitty, wird uns nachwinken und dann den guten Ro‐ cky empfangen.«
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»Nein!« Kittys Stimme klingt scharf und eisig. »Jetzt weiß ich, welches schmutzige Geschäft ihr betreibt. Ich hätte es mir denken sollen, denn wo ein Delazon seine dreckigen Finger im Spiel hat...« Es klatscht laut. . . einmal, zweimal. Ich höre einen Weh‐ laut. Er hat Kitty geschlagen. Dieser gottverdammte Lump hat sich an ihr vergriffen. »Zähme deine Zunge, du Wildkatze!« faucht Sid Mola. »Du wirst tun, was wir befehlen, oder...« »Nichts könnt ihr mir befehlen, gar nichts! Und du erbärm‐ licher Kerl ‐ ich habe dich mal für einen Mann gehalten. Was bist du denn? Eine Kleiderpuppe, die sich an zwei Re‐ volvern festhält. Rocky Bragg hat mich gewarnt, und ich hab’s nicht glauben wollen. Ja, schlag mich nur! Das ist das einzige, was du kannst ‐ dich an Wehrlosen vergreifen. Aber ihr kennt Rocky Bragg noch nicht. Ihr alle werdet ihn kennen lernen ‐ und das Erwachen wird furchtbar sein.« Donnerwetter, so eine tolle Rede habe ich lange nicht ge‐ hört. Kitty ist mächtig in Fahrt, aber das ist natürlich das Verkehrteste, was sie machen kann. Verdammt, ich sitze hier wie auf heißen Kohlen. Wenn sie jetzt Dummheiten macht, wenn sie sich verrät. . . »Schluß!« donnert Hink Delazon. »Wir haben keine Zeit, uns dein Gewäsch anzuhören. Fesselt sie auf einen Stuhl und stopft ihr was in den Mund.« »Okay«, knurrt Kid Smith. Für den Bullen ist das natürlich das gefundene Fressen. Wieder überlege ich, ob ich sofort hinüber soll, aber nur kaltes Blut und klarer Verstand kön‐ nen jetzt helfen. 124
»Sid«, fährt Delazon fort, »du reitest mit den Boys in die Stadt zu Kane. Schick die Hälfte zur Ranch zurück. Kane Shurk kann selbst entscheiden, wie es weitergehen soll. Ich bleibe mit Kid Smith hier ‐ als Empfangskomitee für Rocky Bragg.« »Ah, das ist gut! Aber lieber wäre mir, ich könnte hier blei‐ ben, Hink. Ich habe mit dem Burschen ein Hühnchen zu rupfen.« »Ich auch, Freund Sid. Jill ‐ du gehst zu Doc Williams und läßt ihn nicht aus den Augen. Könnte sein, daß Rocky Bragg doch selbst in die Stadt geritten ist. Paßt auf dem Weg dorthin auf, klar? Und beeilt euch gefälligst!« Die Dielen knarren unter den Stiefeln, Türen klappen, dann entfernt sich knatternder Hufschlag. Verfluchte Kiste! Wäre ich direkt in die Stadt geritten, könnte ich jetzt schon fast da sein. Wie es aussieht, ist es nun so gut wie unmöglich geworden, Doc Williams aus der Stadt herauszubekom‐ men. Soll Wade Holm verbluten? Es gibt nur einen Weg ‐ den harten, den Weg der rauchen‐ den Revolver! * Die Nerven sind aufs äußerste gereizt. Seit Wochen habe ich kein Bett gesehen, seit langen Tagen schon hat eine Aufregung die andere gejagt ‐ denn der Verlust der Herde ist schließlich kein Pappenstiel. Und noch immer nagen die Sorgen um meine vier Boys, obwohl es jetzt kaum noch ei‐ ne Hoffnung gibt, sie lebend wiederzusehen. Dann der Tod Jims . . . dann der heimtückische Anschlag Rod Francis’ . . . und endlich der Überfall auf Wade Holm. 125
Das alles bleibt nicht in den Kleidern sitzen, verdammt noch mal. Es kann auch den härtesten Mann zermürben. Die schlaflosen Nächte rächen sich. Ich gucke nur noch aus entzündeten und überempfindlichen Augen, und jede Kleinigkeit kann mich auf die Palme bringen. Well, so stehen die Aktien auf meiner Seite. Ruhe hätte ich nötig und Schlaf. Aber der Teufel soll an Schlaf denken, wenn ihm die Zeit auf den Nägeln brennt ‐ und wenn ne‐ benan zwei abgefeimte Schurken hocken und finstere Pläne ausbrüten. Daß sie Kitty geschlagen und nun gar gefesselt haben, das schlägt dem Faß den Boden aus! Langsam öffne ich die Schranktür. Nebenan, nur durch die Tür getrennt, rumort einer mit Töpfen. Ein Streichholz wird angerissen, und unter dem Herd fängt das Feuer an zu prasseln. An den wuchtigen Schritten kann ich hören, daß sich Kid Smith um das Feuer bemüht, denn er ist wesent‐ lich schwerer und größer als Hink Delazon. »Wo hast du den Kaffee stehen?« knurrt Kid. »Ah, das Tuch sitzt dir im Wege, was? Soll sie geknebelt bleiben, Hink? Ich meine, wenn einer kommt, werden wir es früh genug merken.« »Schon gut, nimm den Knebel raus«, brummt Hink. »Und guck mal im Schrank nach, ob du nicht was zu beißen fin‐ dest.« Kitty seufzt tief. Anscheinend hat Kid Smith den Knebel entfernt. Ich massiere eifrig meine Hände, die von dem naßkalten Wetter noch klamm sind. Vielleicht bin ich mit dem Revolver nicht ganz so gut wie ein Sid Mola oder Dag Krim, denn meine Hände haben ihr Leben lang arbeiten 126
müssen ‐ aber schlecht bin ich gewiß nicht mit der Kanone. Ein Mann, der in den Mogollons haust, muß sich mit sol‐ chen Finessen auskennen, sonst wird er nicht alt. Langsam lasse ich den Revolver aus dem Halfter gleiten und prüfe die Ladung. Sie ist nicht naß geworden. Die töd‐ lichen Stahlmantelgeschosse schimmern matt im grauen Dämmerlicht, das durch die Gardinen kriecht. Ein paarmal stoße ich den Colt zurück in den Halfter und ziehe ihn so schnell wie möglich. Das Leder ist glatt genug. Es ist geschmeidig und klemmt nicht ‐ ein Umstand, der schon manchem zum Verhängnis geworden ist. Bei einem Revolverkampf kommt es auf die geringste Kleinigkeit an. Wer einen winzigen Fehler macht, ist tot und kann ihn nicht mehr korrigieren. Wenn ich durch jene Tür ins Ne‐ benzimmer trete, gibt es kein Zurück mehr. Darum muß vorher alles bedacht sein. Ich höre Kid Smith im Schrank kramen. Verschiedene Ge‐ genstände poltern und fallen auf die Erde. Er lacht dazu und pfeift ein Lied. Dann grollt Hink Delazon: »Laß das blöde Gepfeife. Wenn er kommt, wird er dadurch nur ge‐ warnt.« Die Kaffeemühle mahlt, der Wasserkessel summt. Ich trete aus dem Schrank und schiebe ihn behutsam zu. Auf Ze‐ henspitzen gehe ich bis zur Tür, die in die Küche führt. Ich sehe sie deutlich vor mir, wenn ich auch eine Ewigkeit nicht drin gewesen bin. Früher, mit Jim, habe ich oft dort gesessen, auf der Ofenbank neben dem Herd oder in der Sofaecke.
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Ich möchte wissen, was Kitty jetzt denkt. Für sie muß dies alles wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen sein. Vor allem die Enttäuschung mit Sid Mola. Ich weiß, wie das ist, wenn man liebt und plötzlich seine Liebe wie eine Seifenblase platzen sieht. Oh ja, Kitty Deep, ich weiß, wie es schmerzt! Ich öffne die Tür, trete schnell hindurch und lasse sie hinter mir ins Schloß gleiten. Es ist soweit! * Kitty sitzt in der hinteren Ecke des Raumes, die Arme hin‐ ter dem Stuhl verschränkt, den ganzen Oberkörper mit ei‐ nem Lasso umwickelt. Im Sofa, zwei Schritte von ihr ent‐ fernt, hockt Hink Delazon. Er hat den Kopf in die Hand ge‐ stützt und döst anscheinend. Erst jetzt, als die Tür leise ins Schloß knackt, schaut er auf. Die Hand sinkt vom Kopf he‐ runter, sein Mund öffnet sich, die Augen quellen förmlich über. Auch Kid Smith dreht sich um. Er hat eine Tasse in der Hand, die er just vor Hink absetzen will. Er duckt sich, der Bulle. Er ist gut einen Kopf größer als ich, mit gewaltigen Muskelpaketen. Aber er ist kein Mann, den ich fürchten müßte. Dazu ist er viel zu unbeweglich. Rohe Kraft allein tut’s auch nicht. »Hallo, Freunde!« sage ich gemütlich. »Es ist nett, daß ihr Kaffee für mich kocht.« »Rocky...!« stöhnt Hink Delazon. »Mein Gott.. . wie . . . wie bist du hier reingekommen?« »Durch die Tür, Hink. Ich bin nicht der Gott seibeiuns, der durch den Schornstein ins Zimmer kommt. Steh ruhig, Kid, 128
das ist besser für deine Gesundheit. Einen Augenblick noch, Kitty ‐ ich bin gleich fertig.« Sie lächelte. Eine wuschelige Haarsträhne hängt ihr in die Stirn, aber sie sieht trotzdem verdammt hübsch aus. Ich ni‐ cke ihr zu und schaue wieder zu den beiden anderen. Kid preßt die Fäuste so um die Tasse, daß sie zerbricht. »Du verdammter Hund!« knurrt er. »Glaub ja nicht, daß du lebend hier rauskommst!« »Mit dem Mund tötest du mich nicht, Kid. Und mit deinen Fäusten auch nicht. Ihr seid lange genug im dunkeln he‐ rumgekrochen. Jetzt wird bei Licht gekämpft. Wer hat Jim Deep getötet, Hink Delazon?« »Rocky«, sagt er schnell, »es ist wohl das beste, wenn wir uns über alles ruhig unterhalten. Ich schlage vor ...« »Wer hat Jim Deep getötet, Hink? Auf eine klare Frage gehört ei‐ ne klare Antwort!« »Es ist das Neueste, was ich überhaupt höre, daß Jim tot sein soll! Wer hat ihn denn gefunden?« »Woher weißt du denn, daß seine Leiche versteckt worden ist? Hat es dir der Mörder gesagt oder warst du selber da‐ bei?« »Das ist Faselei, Rocky. Ich habe damit nichts zu tun. Du kannst es mir nicht anhängen!« »Glaubst du! Wo sind meine zweitausend Schafe geblieben, Freund Hink? Antworte, aber schnell!« »Deine Schafe? Was gehen mich deine Schafe an! Ich habe in meinem ganzen Leben noch keins angerührt!« »Vielleicht magst du Schafe nicht besonders gern, aber das Geld, das sie einbringen, wirfst du bestimmt nicht weg. Ihr 129
habt geglaubt, ihr hättet es wer weiß wie schlau angefan‐ gen, Hink. Aber wer solche Leute wie Rod Francis ins Ver‐ trauen zieht...« »Francis? Du spinnst. Mit dem Laumann haben wir nichts zu schaffen.« »Es war bei weitem nicht so schlau, wie es auf den ersten Blick aussieht. Rod Francis hat uns mit der Wildpferdjagd weggelockt ‐ und nicht nur mich, sondern auch Jim Deep. Das hat mir den ersten Fingerzeig gegeben. Nun, Rod ist wahrhaftig nicht der Mann, der seinen Mund hält, wenn man ihm nur richtig die Daumenschrauben anlegt.« »Verdammt! Der Hund hat geplappert? Dafür werde ich ihm die Zunge rausreißen!« »Du bestimmt nicht, Hink. Und jetzt erzähle mir, wo ihr meine vier Boys verscharrt habt. Schnell, Hink, ich hab’s eilig.« »Hör zu, Rocky ‐ es ist nicht meine Schuld. Bestimmt nicht. Ich war auch nicht dabei, ich meine; nicht bis zum Schluß. Ich glaube gar nicht, daß deine Boys tot sind. Nein, das glaube ich wirklich nicht. Kane Shurk hat den Befehl gege‐ ben, und wir mußten gehorchen. Du kennst Kane nicht. Gegen den kommt keiner an.« »Die Schafe sind in Dicksons Point verladen worden?« »Ja. Warum fragst du, wenn du doch schon alles weißt. Oh, dieser verfluchte Rod Francis! Aber das Geld, das hat Kane allein eingesteckt. Ich habe keinen roten Cent bekommen, Rocky. So wahr ich hier sitze ...«
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»Du lügst, Hink Delazon. Dein ganzes Leben besteht aus Lüge, Betrug, Raub und Mord. Kid Smith ‐ du warst auch dabei! Bist du auch zu feige, es einzugestehen?« »Pah ‐ das ist alles Geschwätz. Ich weiß nichts von Schafen und will auch nichts wissen. Ich kriege mein Geld von Shurk und tu meine Arbeit dafür.« »Sicher. Blutarbeit. So wie in der vergangenen Nacht.« Ich lasse Kid nicht aus den Augen. Er ist im Augenblick der Gefährlichere, denn er steht nur knapp zwei Schritte vor mir. Wenn er einen kleinen Trick versucht, wie ich ihn bei Sid Mola angewandt habe, kann’s kritisch werden. Er braucht nur blitzschnell loszuspringen. »Dazu brauchst du Beweise, Rocky Bragg!« knurrt Kid. »Du hast mich nicht gesehen und ich dich nicht. Ich habe nicht geschossen.« Natürlich lasse ich auch Hink Delazon nicht außer acht. Obwohl ich Kid fest anschaue, habe ich Hink gerade noch im Blickwinkel. Ich sehe zum Beispiel, daß er die linke Hand verstohlen Zoll um Zoll tiefer gleiten läßt. »Du bist ein Narr, Kid«, sage ich. »Du holst für Leute wie Kane Shurk und die Delazons Kastanien aus dem Feuer und wirst dafür mit ein paar Dollars bezahlt ‐ oder mit ei‐ ner Kugel. Solche Narren wie du verdienen gar keine Chance. Man sollte dich einfach an den nächsten Ast hän‐ gen.« Jetzt ist Hinks linke Hand verschwunden. Gleich wirds passieren ‐ jetzt. Ich werfe mich vorwärts. In genau dem gleichen Sekun‐ denbruchteil stößt sich auch Kid Smith vom Tisch ab. Ich 131
fliege um Haaresbreite an ihm vorbei und landete auf allen Vieren auf der Erde. Ich sehe ‐ denn jetzt habe ich nur Au‐ gen für Hink Delazon ‐ ich sehe Hink aus dem Sofa hoch‐ schnellen und gleichzeitig das Mündungsfeuer seiner Waf‐ fe. Aber wohin schießt er denn, zum Teufel? Ich bin doch gar nicht mehr an der Tür. Ich rolle auf die linke Seite und habe den Colt mit der Rech‐ ten heraus; als Kids Körper gegen die Tür kracht. Ich ziehe die Waffe in einem flüssigen Schwung hoch, schaue in das runde Loch der Mündung, die Hink Delazon jetzt zu mir herumwirft ‐ dann lasse ich den Hammer fallen. Hink Delazon steigt förmlich in die Höhe. Sein Körper schiebt den Tisch beiseite, knickt in der Hüfte ein und rutscht neben dem Tisch zu Boden. Ich schnelle mich hoch und wirbele herum. Kid Smith liegt neben der eingedrück‐ ten Tür und zerrt mit der Rechten die Waffe aus dem Half‐ ter. Sein Gesicht sieht merkwürdig verkrampft aus, aber das kann auch an der schlechten Beleuchtung liegen. Es dauert lange, bis er den Revolver hebt. Ich schieße ihm das Schießeisen aus der Hand. Er stöhnt plötzlich, und sein Kopf sinkt gegen die Türfüllung. Zweimal versucht er, sich aufzuraffen ‐ dann bäumt der gewaltige Körper sich nach hinten und liegt still. »He, Kid!« sage ich. »Stell dich nicht an! Du kannst mir keine Komödie vorspielen! Du hast bloß einen Ratscher an der Hand.« »Ich glaube«, murmelt Kitty in der Ecke, »ich glaube, er ist tot, Rocky. Hink Delazons Kugel hat ihn getroffen, ich habs genau gesehen. Ich weiß nur nicht, wo es ihn erwischt hat.« 132
Damit habe ich nicht gerechnet. Ich wollte ihn nicht töten. Ich wollte ihn lebend haben, denn Kid Smith ist bestimmt ein Zeuge der Vorgänge in den Bergen gewesen. Sollte er wirklich tot sein? Bei Hink Delazon genügt ein Blick in die gebrochenen Au‐ gen. Er lächelt im Tode ‐ vielmehr sieht es wie ein Lächeln aus, obwohl es keins ist. Er wollte töten und wurde getötet. Und Kid Smith? Ich knie neben dem Riesen nieder. In jenem Augenblick, als ich die Tür verlassen hatte, prallte sein Schädel dort auf, wo eine Sekunde vorher mein Kopf sich befunden hatte. Mög‐ lich, daß Hink Delazon gar nicht mitgekriegt hat, wie ich von der Tür weggeflogen bin. Jedenfalls ist Delazons Kugel unter Kids Achselhöhle eingedrungen und hat sich einen Weg unmittelbar am Herzen vorbei gesucht. Es war der al‐ lerletzte Hauch von Kraft, der ihn noch die Waffe ziehen ließ. Ich bin müde, unsagbar müde. Angewidert stoße ich die leeren Hülsen aus und ersetze sie durch frische Patronen. Ich schleppe mich zu Kittys Stuhl, knüpfe mit zitternder Hand ‐ ja, sie zittern, die Hände, ‐ knüpfe die Stricke los und lasse mich dann auf den nächsten Stuhl fallen. Ich bin fertig, ausgebrannt...
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14. Bud Abbott Die fünf Tassen Kaffee, die ich hintereinander trinke, wir‐ ken Wunder. Das weckt die Lebensgeister und bringt mich einigermaßen auf die Strümpfe. »Was nun, Rocky?« fragt Kitty beklommen. »Du kannst sie doch nicht alle umbringen!« »Wenn es nach mir ginge, würde kein Tropfen Blut vergos‐ sen, Kitty. Glaube mir, daß es mich ekelt, den Revolver an‐ zufassen. Aber bin ich ein toller Hund, daß ich mich zu To‐ de hetzen lassen muß? Oh nein! Kane Shurk erntet, was er gesät hat.« »Aber wie sollen wir Wade jetzt noch helfen? Natürlich rei‐ te ich gern in die Stadt...« »Auf gar keinen Fall. Ich reite! Du mußt hier natürlich ver‐ schwinden. Ich brauche nur ein frisches Pferd. Irgendwie werde ich schon zu Doc Williams durchkommen.« »Das ist doch Wahnsinn, Rocky. Die ganze Bande ist in der Stadt. Hink hat seinem Bruder Jill extra befohlen, in Doc Williams Haus aufzupassen. Nein, es wäre dein sicherer Tod. Ich muß es tun. Und wenn ich mich zum Doc durch‐ schießen muß! Doch vorher müssen die beiden Toten ver‐ schwinden. Sie können hier nicht liegen bleiben. Wenn du Wache hältst, damit ich nicht überrascht werde, könnte ich sie hinter dem Haus beerdigen.« »Ja. Ich werde Old Tuck holen. Er kann dir helfen. Hoffent‐ lich haben sie ihm nichts angetan!«
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»Warte. Ich gehe erst einmal hinaus und peile die Lage. Es könnte sein, daß doch noch Leute von Shurk in der Nähe sind.« Es regnet immer noch. Die Wolken segeln so niedrig dahin, daß sie die Baumkronen auf der Höhe zu streifen scheinen. Ich schaue von der Haustür aus zum Stall hinüber und dann den Weg nach rechts und links hinauf. Es ist alles still. Ob mit Old Tuck etwas nicht stimmt? Ob sie auch ihn gefesselt haben? Es ist anzunehmen. Ich springe aus der Haustür und haste über den Hof. Vier oder fünf Schritte mag ich getan haben, als die Stimme mich erreicht. »Stop!« sagt sie. »Nimm die Hände hinter den Kopf, Rocky. Und versuch keinen Trick ‐ ich spaße nicht!« Es ist die Stimme Bud Abbotts. Sie trifft mich wie ein Schlag. Jetzt, wo ich den Weg frei glaubte, jetzt muß das passieren. Ich drehe mich langsam um und denke gar nicht daran, die Hände zu heben. Soll er doch schießen, wenn er kann! »Du gehörst also dazu«, sage ich langsam und mit soviel Verachtung in der Stimme, wie mir nur eben möglich ist. »Du bist also auch einer von denen, die durch die Nacht schleichen und Häuser in Brand setzen und Menschen tö‐ ten.« »Was faselst du da? Du hast wohl schlecht geschlafen!« »Überhaupt nicht, Bud. Es gibt Leute, die mir den Schlaf nicht gönnen. Du gehörst auch dazu.«
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»Gut. Glaube, was du willst. Ich habe Schüsse gehört, dort im Haus. Ich war just auf dem Weg hierher. Ich will wis‐ sen, was hier geschehen ist!« »Oh, glaubst du etwa, ich hätte Kitty umgebracht? Komm und überzeuge dich!« Ich gehe auf die Haustür zu. Er hebt den Revolver und sagt wieder: »Stop!« Aber ich spucke nur aus und marschiere weiter. Er löst sich von der Ecke, knurrt und ist direkt hin‐ ter mir, als ich in die Tür trete. Sein Revolver bohrt sich in meinen Rücken. So wandern wir über den Flur und in die Küche. »Besuch, Kitty«, sage ich. Mister Bud Abbott gibt sich die Ehre. Frag ihn mal ob er jetzt weiß, wer Jim umgebracht hat.« Kitty steht am Herd und hat ein Dutzend Eier in die Pfanne geschlagen. Sie wird blaß bis in die Lippen, als sie den Re‐ volver in Buds Hand sieht. Aber vermutlich’ sieht auch Bud nicht viel besser aus, denn jetzt hat er die Toten gesehen. »Hölle und Pest!« knirscht er. »Hink Delazon und Kid Smith! Das ist. .. » » ... das ist der Lohn der bösen Tat, Bud!« falle ich schnell ein. »Frag Kitty, wie es passiert ist. Mir wirst du ja wohl doch keinen Glauben schenken. Aber faßt euch kurz, ihr beiden. Ich habe noch mehr zu tun.« Ich ignoriere die Waffe in seiner Hand völlig und setze mich auf die Ofenbank. Ich drehe eine Zigarette, zünde sie an und höre zu, wie Kitty überhastet alles berichtet ‐ beim
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Überfall auf Wade angefangen und bei dem Drama hier in der Küche aufgehört. Bud Abbott, Vormann Kane Shurks, mein gewesener Freund, er steht an der Tür und rührt sich nicht. Sein düste‐ res Gesicht sieht aus wie eine Gewitterwolke kurz vor dem befreienden Blitz. »Rocky hatte wirklich keine Wahl, Bud«, schließt Kitty. »Und ich bin überzeugt, daß sie auch mich getötet hätten, weil ich zuviel wußte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du zu ihnen gehörst, Bud ...« »Spar dir die Worte, Kitty«, knurre ich. »Stände er sonst hier mit der Kanone in der Pfote? Er ist genauso auf meiner Fährte wie die anderen Banditen.« »Halt’s Maul!« brüllt Bud Abbott. Das ist der Blitz, der die Gewitterwolke zerreißt. Einen Augenblick sieht’s tatsäch‐ lich so aus, als ob er sich auf mich stürzen wolle. Wie Schmiedehämmer hängen seine Fäuste neben den Hüften. Dann stopft er den Revolver achtlos in den Halfter und verschränkt die Arme über der Brust. »So«, fauche ich zurück. »Ich soll also das Maul halten. Ich soll auch wohl Wade Holm verrecken lassen und Ruß Urba dazu. Und ich soll wohl hübsch stillhalten und mir von dir einen verplätten lassen, was? Oh nein, Mister Abbott. Jetzt mußt du Farbe bekennen! Willst du auf einen alten Freund schießen oder endlich einsehen, daß dein Boß Kane Shurk ein Verbrecher ist?« »Rocky!« ruft Kitty. »Bitte, tu ihm nicht unrecht. Ich kann deine Verbitterung verstehen, aber...«
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»Gut. Ich bin still. Aber jede Minute, die verstreicht; bringt Wade Holm dem Grab näher. Er war auch dein Freund, Bud. Auch Jim war dein Freund ‐ und er starb auf Kane Shurks Befehl!« »Beweise es!« schreit Bud. »Du redest bloß immer etwas daher. Beweise brauche ich, Beweise!« »Gut. Warten wir noch ein bißchen. Es wird nicht allzu lange dauern, bis jemand von der Bande auftaucht. Sid Mo‐ la vielleicht oder Jill Delazon. Vielleicht auch Kane Shurk höchstpersönlich. Wenn sie mich dann zum Sieb machen...« »Hör auf ‐ verflucht, hör auf! Ist es . . . ist es so schlimm mit Wade?« »Noch schlimmer. Hab du mal ein faustgroßes Loch in der Schulter und kein Bett und keinen Arzt!« »Rocky will nach Sunset«, fällt Kitty ein. »Das geht doch nicht, Bud! Jill Delazon paßt auf, daß niemand zum Doktor kann. Bitte, Bud ‐ reite du! Wenn du kein Herz von Stein hast...« »Nein!« knurre ich. »Mister Abbott steht auf der anderen Seite des Zaunes. Niemand erwartet von ihm, daß er seinen Herrn und Meister verrät. Kane Shurk hat ihn doch zu dem gemacht, was er ist. Kane Shurk wird ihn noch größer ma‐ chen, ganz bestimmt. Vielleicht sogar eines Tages zum Mörder. Man kann nie wissen, wie weit man auf der Leiter des Erfolges steigt.« Bud Abbott löst sich von der Tür und geht schwerfällig zum Herd. Er sagt: »Laß die Eier nicht verbrennen, Kitty. Eßt schnell, ihr beiden. Und dann ‐ ich habe euch nicht ge‐ sehen. Das ist alles, was ich für euch tun kann.« 138
»Danke!« ruft Kitty. Sie reißt die Pfanne vom Feuer, kippt die Eier auf zwei Teller und holt Biskuits aus dem Schrank. Ich zertrete die Zigarette und lange zu. Wir schweigen. Bud steht gebeugt neben dem Tisch und starrt aus dem Fenster. Natürlich ist es schwer für ihn. Natürlich kann er nicht be‐ greifen, daß sein Boß dies alles befohlen haben soll. Ich be‐ neide ihn nicht. »Die Toten beerdige ich«, sagt er endlich. Ich hole, nachdem ich den letzten Happen eben herunter habe, meinen Ölumhang aus dem Nebenzimmer und werfe ihn über. Kitty sucht in fliegender Hast das Notwendigste zusammen, denn natürlich kann sie nicht bleiben. »Es könnte sein«, sage ich, »es könnte sein, daß jemand auch dieses Haus anstecken möchte, Bud. . .« »Nein«, entgegnet er leise, »nein, das wird nicht geschehen. Nicht, solange ich da bin!« »Okay, Bud. Wenn wir uns wieder einmal treffen sollten, so sollst du eins wissen: ich werde nie auf dich schießen!« »Ja, Rocky. Ja. Und ‐ Glück auf den Weg!« Ich finde Old Tuck tatsächlich in seiner Kammer neben dem Stall. Er ist gefesselt und flucht nicht schlecht, als ich ihn losbinde. Wir lassen alle Tiere aus dem Stall und dem Korral frei, nach‐ dem wir die besten Reittiere ausgesucht haben. Ich hole Grey Star aus dem Wald und sattle um. Dann traben Kitty und Old Tuck mit Grey Star und zwei Paßtieren am Zügel davon ‐ hinüber zum Kreide‐Riff, wo wir uns treffen wol‐ len. Und ich setze dem frischen Pferd die Hacken ein und ga‐ loppiere in die Hügel hinein. Auch ich führe ein gesatteltes 139
Reservepferd mit, denn es dürfte unmöglich sein, Doc Wil‐ liams beritten aus der Stadt zu bringen. * Das hügelige Land nimmt mich auf wie der sorgende Schoß einer Mutter. Natürlich kann ich keinen gebahnten Weg benutzen, aber wer das Land kennt wie ich, findet ge‐ nügend Deckungsmöglichkeit. Gefährlich wird’s erst in der Nähe der Stadt. Lange vorher schon überlege ich mir, wie ich es am besten anstellen kann, am hellichten Tage in das feindliche Gelände einzud‐ ringen. Denn daß Kane Shurk in Sunset regiert, steht außer Frage. Ich muß auch damit rechnen, daß Shurk oder Sid Mola eine Postenkette durch die Hügel legen, um mir den Weg zu sperren. Natürlich erwarten sie mich aus nördli‐ cher Richtung, zumal das Gelände südlich der Stadt de‐ ckungsarm ist ‐ abgesehen von dem bewaldeten Höhenzug der Brakes, der eine Meile südlich Sunset beginnt und von der Bahnlinie durchschnitten wird. Die Bahn! Das wäre eine Möglichkeit ‐ vorausgesetzt, daß um diese Zeit ein Zug fährt. Leider habe ich den Fahrplan nicht im Kopf, aber meines Wissens fährt täglich um die Mittagszeit ein Zug. Ich muß es riskieren. In weitem Bogen lasse ich die Stadt links liegen und errei‐ che den Höhenzug um elf Uhr vormittags. Zehn Minuten später habe ich die Pferde im Unterholz festgebunden und mich an den Bahnkörper vorgearbeitet. Immer noch faucht ein böiger Nordwind durch die Waldgasse, der den Regen, mit Hagelkörnern gemischt, vor sich hertreibt. Der Schie‐ nenstrang läuft talwärts fast schnurgerade über die Ebene 140
und mündet auf dem Bahnhof der Stadt. Kaum mehr als eine Meile ist sie entfernt ‐ und doch unerreichbar für mich, denn diesen tischebenen Teller der Prärie kann ich unmög‐ lich zu Pferde überwinden. Wenn ein Zug kommt. . . Warten. Ich liege im Gebüsch am Rande des Bahnkörpers, den Hut über das Gesicht gezogen, alle Viere von mir ge‐ streckt. Die feuchte Kälte kriecht lähmend in die Glieder. Die Zigarette will nicht schmecken. Das Warten zerrt an den Nerven. Nicht einmal das Eichkätzchen, das wenige Schritte von mir entfernt Männchen macht, kann meine Stimmung aufheitern. Warten. Ich denke an Wade, wie er mit dem Tode ringt. Ich sehe sein blasses, erschöpftes Gesicht vor mir, von Schmerz gezeichnet. Ich sehe ihn wieder wie in der vergangenen Nacht, wie die Flammen seines brennenden Hauses zu‐ ckendes Licht und Schatten über sein Gesicht warfen, wie seine brennenden Augen voll Vertrauen auf mir ruhten. Ich bin seine letzte, seine einzige Hoffnung. Und breiter als der Ozean liegt diese eine lächerliche ver‐ dammte Meile zwischen mir und Sunset. Jede dieser eilig vertickenden Sekunden und Minuten bringt Wade Holm näher an den Rand des Grabes. Ich weiß es, als stände ich neben seinem Lager. Nur der Arzt kann helfen ‐ und es muß bald sein! Und wenn heute gar kein Zug kommt? Dann muß ich reiten. Einerlei, was geschieht ‐ ich muß nach Sunset reiten. Ich bin es Wade schuldig, ihm und un‐ serer alten Freundschaft. Vielleicht erwartet mich von die‐ ser Seite gar keiner. 141
Aber ich weiß, daß es eine Illusion ist. Ein Blick aus einem Fenster des Hotels genügt für einen von Kane Shurks Leu‐ ten, um mein Kommen zu verraten. Ein Reiter, der offen wie auf dem Präsentierteller nach Sunset hinein will, hat von vornherein nicht die geringste Chance. Da ‐ was ist das? Ein hohles Summen liegt in der Luft, reißt mich vom Boden hoch. Ich; springe über den schmalen Graben neben den Geleisen, lege das Ohr an die Schienen ‐ ein Zug! Jawohl, ein Zug kommt! Ich springe zurück ins Gebüsch, werfe den Ölumhang ab und wickele das Gewehr hinein. Beides verstecke ich unter dem Busch, hinter dem ich mich verberge. Hoffentlich fährt der Lokführer nicht zu schnell. Schließlich kann ich ihn nicht anhalten. Ich kann es mir nicht leisten, von einem ge‐ sehen zu werden. Denn in Sunset regiert Kane Shurk, und ich kann von niemandem Hilfe erwarten. Vielleicht hat Ka‐ ne Shurk schon einen Kopfpreis auf mich ausgesetzt. Das ist immer das beste Mittel, unbequeme Leute loszuwerden. Es wäre ein Wunder, wenn Kane Shurk davor zurück‐ scheute. Ich zittere wie ein Rennpferd vor dem entscheidenden Start. Selbst meine Zähne klappern wie im Fieber aufei‐ nander. Jetzt geht’s um die Wurst. Nur gut, daß ich keine hochhackigen Reitstiefel trage, sondern leichte Mokassins wie Concho. Es ist das praktischste Gehwerkzeug, das sich denken läßt. Praktisch, bequem und billig dazu. Das Fauchen der Lok kommt näher. Die Dampfpfeife bläst ihr schrilles Lied der Begrüßung nach Sunset hinüber. Vor‐
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bei ist die Lok, der Kohlentender . . . die Kette der Güter‐ wagen rollt an. Jawohl, es ist ein Güterzug. Gott sei Dank! Ich schaue hinter dem Gebüsch hervor zur Lok. Niemand blickt heraus. Mit zwei langen Sätzen bin ich hinter dem Gebüsch hervor und über dem Graben. Einen Schritt neben mir wirbeln die Wagen vorbei. Ich laufe los, parallel zu den Wagen, schneller und immer schneller. So bin ich noch nie in meinem Leben gerannt! Da ist das Ende eines Wagens ‐ eine schmale stählerne Leiter führt hinauf zum Bremser‐ häuschen, eine dünne Eisenstange daneben dient als Ge‐ länder. Ich strecke die rechte Hand nach der Stange aus, stoße mich vom Boden ab, fliege hinauf. Der Ruck des schneller fahrenden Zuges reißt mir fast den Arm aus dem Gelenk, aber nun hat der rechte Fuß Tritt gefaßt ‐ jetzt auch der linke. Geschafft. Völlig außer Atem, pustend wie die Lok vorn am Zug, zie‐ he ich mich die Treppe hinauf ins Bremserhäuschen. Die letzten Bäume und Sträucher des Waldes fliegen vorbei, als die Tür hinter mir zuklappt. Ich schaue aus dem kleinen Fenster über die Dächer der letzten Wagen, ehe ich mich neben der schmalen Sitzbank niederkauere. Niemand darf mich sehen. Ein paar Minuten später, kaum, daß ich zu Atem gekom‐ men bin, rumpeln die Räder über die Weichen des Bahn‐ hofs, knirschen die Bremsbacken, schrillt die Dampfpfeife. Der Zug hält. Sunset ... Hauptbahnhof... alles aussteigen . . .
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15. Die Höhle Mein Ohr registriert die vielfältigen Geräusche des Bahn‐ hofs. Ich höre den Fahrdienstleiter rufen und dann mit dem Zugführer sprechen. Schritte knirschen unmittelbar unter meinem Hochsitz vorbei. Die Tür der Wellblechbaracke klappt. Kann ich es wagen? Ich muß es wagen. Vorsichtig hebe ich den Kopf zum Fens‐ ter. Gerade geht ein starker Guß nieder und treibt die Leute in die schützende Behausung. Das Wetter ist richtig für mich. Ich stoße die Tür auf, rutsche die Leiter hinunter und bin unter dem Wagen. Hinter dem Hinterrad hervor sehe ich einen Mann am Fenster des Dienstgebäudes stehen. Jetzt dreht er sich um, kehrt mir den Rücken zu. Ich starte. Zehn Schritte sind es nur zum unkrautüberwucherten Ab‐ hang jenseits des Bahnsteiges. Ich überwinde sie in den drei langen Sätzen und überschlage mich die Böschung hinab ‐ liege still. Nur mein Atem und das bösartige Prasseln der Regentropfen hängen in der Luft. Niemand hat mich gese‐ hen. Ein neuer kurzer Spurt bringt mich an die Rückfront des nächsten Hauses. Ich gleite an ihr entlang. Hoffentlich streunt jetzt kein bissiger Hund durch die Gegend, der mich mit seinem Gekläff verrät. Meine Lederjacke trieft vor Nässe, aber sie läßt so leicht nichts durch. Nur am Hals si‐ ckert das Wasser unter dem Hemd und läuft eisig über den Rücken. Fünf Häuser weiter noch muß ich. Doc Williams wohnt schräg gegenüber vom Hotel, in dem Kane Shurk zweifel‐ 144
los sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Ich springe über ein paar niedrige Zäune, bis ich auf dem Hof hinter dem dritten Haus lande. Es gehört Dick Stanfield, dem Fuhrun‐ ternehmer. Ich husche hinter zwei leeren Planwagen vorbei und springe hinter den Schuppen, als Dicks grobe Stimme ruft: »He ‐ wer kriecht da herum?« Nun, ich kenne Dick von früher her. Er ist ein Vierziger mit einem martialischen Schnurrbart, der seinem Gesicht etwas Bärbeißiges gibt. Aber in Wahrheit hat er das weiche Ge‐ müt eines Kindes. Ich schaue hinter dem Schuppen hervor und lege die Hand auf den Mund. Er starrt mich an wie einen Geist. Schaut sich schnell nach allen Seiten um und kommt angewat‐ schelt. »Rocky, Mensch! Bist du vom Affen gebissen? Die ganze Stadt steht Kopf. Wenn sie nur eine Nasenspitze von dir sehen, bist du geliefert! Ich wette ...« »Sie dürfen mich eben nicht sehen, Dick. Ich muß Doc Wil‐ liams herausholen. Ist er zu Haus?« »Sicher. Sie lassen ihn keinen Schritt tun. Habe so was läu‐ ten hören, daß Wade Holm verwundet sein soll und den Doc braucht. Stimmt das?« »Genau. Ist jemand bei ihm? Jill Delazon vielleicht?« »Ja. Woher weißt du das? Sie haben einen Verwundeten zu Doc gebracht, aber ich glaube, er ist schon hinüber. Kane Shurk hat fürchterlich getobt und geschworen, dich in der Luft zu zerreißen!« »Schon gut. Dazu gehören zwei. Dick. Wenn du mich nicht verrätst...« 145
»Quatsch! Was denkst du von mir, he? Ich kann Shurk ge‐ nauso wenig riechen wie du. Soll ich rüber zu Doc und ihm Bescheid geben? Du kannst solange reingehen zu meiner Frau und...« »Nein, Dick. Jill Delazon würde sofort Unrat wittern und Doc doch nicht loslassen.« »Dann hau’ ich ihm eben eins über die Nuß! Glaubst du, vor dem verqueren Hund wäre ich bange?« »Willst du dir Kane zum Feind machen? Er würde dir das Haus über dem Kopf anstecken, Dick. Nein, ich gehe selbst. Wenn du etwas tun willst, dann paß auf, ob andere Männer von Shurk auf diese Straßenseite kommen.« »Okay. Tu ich. Wenn dicke Luft ist, fange ich an zu singen. Hals‐ und Beinbruch, Rocky!« »Danke!« Und beruhigt husche ich hinter dem Schuppen entlang hinter das nächste Haus. Ein Kind weint hinter zu‐ gezogenen Gardinen. Ich höre die tröstende Stimme einer jungen Mutter, die gleich darauf ein altes Wiegenlied singt. Weiter. Auch hinter den Fenstern von Does Haus sind die Gardi‐ nen zugezogen. Lange liege ich flach auf dem Bauch neben einem Abfalleimer und starre hinüber. Nichts rührt sich. Jetzt hat der Regen auch einen Weg in meine Hose gefun‐ den. Ich komme mir vor wie eine ertränkte Katze. Bis zur Hintertür von Does Haus sind es sechs lange Schrit‐ te. Ein brüchiger Zaun liegt dazwischen, der das eine Grundstück vom nächsten trennt. Vorsichtig biege ich ein paar Zaunlatten auseinander und krieche hindurch. Auf dem Bauche robbe ich dicht an Does Haus entlang unter 146
dem Fenster her. Ich lausche. Plötzlich höre ich über mir hinter dem Fenster Does Stimme. »Ich sage Ihnen eins, Jill Delazon: für diesen Spaß werden Sie bitter bezahlen müssen! Sie zwingen mich, meine ärztli‐ che Pflicht zu vernachlässigen. Well, ich werde mich daran erinnern, wenn Sie eines Tages mit blutigem Schädel vor mir stehen.« »Schwatzen Sie nicht soviel, Doc«, knurrt Jill. »Ich tue, was ich für richtig halte. Gehen Sie vom Fenster weg, Sie Narr. Glauben Sie, ich sitze zum Spaß hier?« »Nein, zum Spaß wahrhaftig nicht. Dies ist blutiger Ernst. Ich hoffe nur, daß alles vergossene Blut über euch kommt!« Ich stemme mich am Türrahmen hoch und drücke vorsich‐ tig die Klinke nieder. Hoffentlich quietscht die Tür nicht. Und hoffentlich stecken nicht noch mehr Banditen im Haus. Mit Jill Delazon werde ich schon fertig. Die Tür ist prima geölt, alles was recht ist. Ich höre immer noch die Stimmen, höre sie jetzt näher, ohne aber ein Wort zu verstehen. Verstohlen drücke ich mich auf den nur schwach erhellten Flur. Ich lausche, die Linke am Türgriff, in der Rechten den Revolver. Mir ist gleichzeitig heiß und kalt. Does Stimme wird lauter. Er ist wütend. Ich drücke die Tür ins Schloß und husche über den Flur. Länger zu warten, ist sinnlos. Mit einem langen Schritt bin ich im Zimmer und erfasse mit schnellem Blick die Szenerie. Jill Delazon hat’s sich vor dem Fenster im Sessel gemütlich gemacht. Doc Williams steht neben dem Tisch und hält noch immer seine Gardi‐ 147
nenpredigt. Jetzt bricht er ab und starrt mich an wie eine Erscheinung. Auch Jill reißt den Kopf herum ‐ und schaut in die Revolvermündung. Er ist unfähig; sich zu rühren, unfähig, etwas zu tun oder zu sagen. »Guten Tag, Doc«, sage ich. »Jill, du bist ein toter Mann, wenn du etwas versuchst!« »Ich will doch verdammt sein!« schreit Doc, dämpft aber sofort seine Stimme. Ich gehe auf Jill zu, der plötzlich sehr aktiv wird und aus dem Sessel hochspringt. Er hebt die Hände wie ein Schlangenbeschwörer, aber jetzt gibts kein Pardon mehr. Ich schlage ihm den stählernen Lauf des Re‐ volvers über den Kopf und fange die zusammenbrechende Gestalt auf. »Einen Strick, Doc ‐ schnell! Und einen Lappen für seinen großen Mund!« »Darf’s auch Chloroform sein?« grinst Doc, »Mensch, Ro‐ cky, du bist ein Prachtkerl!« »Suchen Sie Ihre Sachen zusammen, Doc ‐ schnell bitte. Wade Holm und Ruß Urba hat’s ziemlich schlimm er‐ wischt. Ich fürchte, daß eine Operation notwendig st.« »Meine Tasche ist schon gepackt. Für so was muß ein Arzt stets bereit sein. Moment, ich werfe nur die Jacke und den Ölmantel über. Dann sattle ich meinen Gaul und ...« »Kein Pferd, Doc. Wir würden nicht weit kommen. Es muß anders gemacht werden. Machen Sie sich nur fertig.« Ich fessele und knebele Jill Delazon und schaffe ihn auf Does Anraten in den Stall hinaus. In aller Eile erkläre ich Doc, wie ich mir den Rückweg aus der Stadt gedacht habe ‐
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und er ist derselben Meinung. Ich bin mit dem Zug ge‐ kommen und will auch wieder mit dem Zug abfahren. Dick Stanfield grinst über das ganze Gesicht, als Doc und ich an ihm vorbei in Richtung Bahnhof pilgern. Wieder geht es quer durch die Gärten und vorsichtig an den Rück‐ fronten der Häuser vorbei. Es klappt reibungslos. Eine Lok mit einem Güterwagen dran rangiert über die Gleise, die müssen wir kapern. »Ich spreche mit dem Bahnhofsvorsteher«, sagt Doc ‐ aber vorsichtshalber gehe ich mit. Ich trau nämlich in dieser verdammten Stadt keinem Menschen über den Weg. Der Aufsichtsbeamte hat’s sich am, Ofen gemütlich gemacht. Er schaut nicht schlecht, als er mich erkennt. Doc beginnt ohne Umschweife die Verhandlung: »Hör zu, Johnson ‐ wir sind im Druck. Ich muß einem Verwundeten Hilfe bringen, und zwar so schnell wie möglich. Kannst du deine Lok da draußen ein Stück für uns fahren lassen?« Mister Johnson ‐ derselbe, mit dem ich mich abends zuvor unterhalten habe ‐ macht ein Gesicht, als hätte er einen Pott voll Mäuse gegessen. Beschwörend hebt er beide Hände. »Aber Doc, wie denken Sie sich das! Ich kann doch nicht einfach mir nichts dir nichts in der Gegend herumkutschie‐ ren! Heute abend geht der fahrplanmäßige Personenzug und ...« »Heute abend ist es zu spät! Verdammt, legen Sie Ihre lä‐ cherlichen Vorschriften mal beiseite und seien Sie ein Mensch!« »Tut mir leid, Doc«, zuckt er die Achseln. »Ich kann meine Befugnisse nicht überschreiten. Außerdem habe ich gehört, 149
daß Wade Holm Vieh gestohlen haben soll. Ich an Ihrer Stelle würde für den keinen Schritt tun.« »So?« knurre ich. »Haben Sie das gehört, Mister? Dann pas‐ sen Sie auf, was ich Ihnen jetzt sage: entweder geben Sie Ihrem Lokführer freiwillig den Auftrag, oder ich lege Ihnen Daumenschrauen an. Ihre Vorschriften sind mir nämlich verdammt gleichgültig, wo es um Leben und Tod geht! Al‐ so? Sie haben eine Minute Zeit!« Er wird ein bißchen blaß, bleibt aber stur bei seiner Weige‐ rung. Da packe ich ihn mir, setzte ihm die Kanone ins Kreuz und lasse ihn vor mir her in den Regen marschieren. Er ist plötzlich mucksmäuschenstill. Was so eine geladene Kanone doch für Wunder wirken kann. Die Lok hält nicht weit von uns entfernt. Ich zwinge Mister Johnson, die steile Treppe hinaufzuklettern und marschiere mit Doc hinterher. »Gib Volldampf!« sage ich zum Lokführer. »Hinüber zu den Brakes. Los!« Fünf Minuten später sind wir an Ort und Stelle. Ehe wir abspringen, sage ich den beiden Leutchen :«Ihr könnt jetzt schnurstracks zu Kane Shurk marschieren und ihm erzäh‐ len, was passiert ist. Ich möchte dazu nur eins bemerken ‐ ich merke mir die Leute sehr genau, die mich verraten! Denken Sie darüber nach, Mister Johnson!« Ich springe ab und führe Doc in das Unterholz hinein. Die‐ se Schlacht wäre gewonnen . . . * Bis zu dem Kreide‐Riff, wo wir Kitty Deep und Old Tuck programmgemäß treffen, sind es noch zwei Stunden be‐ 150
schwerlichen Ritts. Ein paarmal schlafe ich im Sattel ein, denn jetzt bin ich seit nahezu vierzig Stunden ununterbro‐ chen auf den Beinen und in dieser Zeit von einer Aufre‐ gung in die andere gestolpert. Das haut den stärksten Ne‐ ger vom Schlitten. Conchos Anruf aus der inzwischen hereingebrochenen Nacht kommt wie eine Erlösung. Er hat die Höhle gefun‐ den und übernimmt für den Rest der Strecke die Führung. Erst als ich an Wades und Ruß Urbas Lager stehe, zittern mir die Knie richtig. Concho gleitet sofort wieder aus der Höhle heraus, um draußen herumzustreifen. Trux hat sich zusammen mit Hal Fisher rührend um die Verwundeten bemüht. Sie werden jetzt von Doc und Kitty abgelöst. Wade fiebert. Er fällt von einer Bewußtlosigkeit in die an‐ dere. Manchmal schlägt er um sich und kämpft mit unsich‐ tbaren Feinden. Ruß Urba dagegen liegt sehr still und starrt aus eingefallenen Augen zur Decke. Doc hat über eine Stunde zu tun. Sein Gesicht ist sehr ernst, als er erschöpft die Gummihandschuhe abstreift und nach einer Zigarette greift. Er zuckt die Achseln und sagt: »Ich habe getan, was ich konnte. Wir müssen auf alles gefaßt sein. Er hat zuviel Blut verloren. Ich werde bei ihm bleiben. » Wir müssen auf alles gefaßt sein .... Ich nehme die Angst um den Freund und die ohnmächtige Wut mit hinüber in einen Schlaf, der von wilden Träumen erfüllt ist, in den Schlaf völliger Erschöpfung und Überrei‐ zung. 151
16. Angriff Der leichte Druck einer Hand reißt mich vom Lager hoch. Unwillkürlich greife ich sofort zur Hüfte ‐ doch Kittys ru‐ hige Stimme bringt mich zur Vernunft. Aus verklebten Au‐ gen starre ich sie an, dann werfe ich die Decken von mir und stehe auf. Alle Glieder schmerzen ‐ so, als wäre jeder Knochen einzeln zerhackt worden. »Irgend etwas stimmt nicht«, flüstert Kitty. »Concho ist die ganze Nacht draußen gewesen und hat nur für einen Au‐ genblick hereingeschaut. Jetzt ist auch Trux hinaus.« Ich streiche mir das wirre Haar aus der Stirn und schaue auf die Uhr. Sie zeigt auf elf ‐ also muß es fast Mittag sein. Und ich habe geglaubt, ich hätte nur ein paar Minuten ge‐ schlafen. »Danke, Kitty«, murmele ich und versuche, meiner Stimme etwas Beruhigendes zu geben. »Wenn die beiden draußen sind, geht alles in Ordnung. Vielleicht wollen sie noch letz‐ te Spuren verwischen. Wie geht es Wade?« Sie zuckt die Achseln. »Unverändert. Er phantasiert. Doc hat ihm Beruhigungsmittel gegeben und eine Spritze gegen das Fieber. Er will mir gar nicht gefallen, Rocky. Wenn ich daran denke, daß auch Jim ein solches Loch in der Brust hatte.« »Kopf hoch, Kitty! So bitter es ist, wir können nichts unge‐ schehen machen. Wir liegen gemeinsam im Wasser und müssen schwimmen ‐ oder untergehen. Es gibt keine ande‐ re Wahl.
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Jetzt müßte man einen Kaffee trinken können, einen strammen. Aber natürlich können wir es nicht wagen, ein Feuer anzuzünden. Zwar würde der Rauch im Hinter‐ grund der Höhle abziehen ‐ das weiß ich von früher her. Anscheinend gibt es dort enge Durchlässe im Gestein, die einen Luftzug verursachen. . . doch wenn irgend jemand von der anderen Partei in der Gegend herumschnüffelt, würde es uns verraten. Ich knabbere einige Biskuits und genieße dazu ein Stück kaltes Fleisch. Kitty hat außerdem einiges von ihren Kon‐ servenvorräten mitgebracht und kann mir also jetzt eine Dose Aprikosen anbieten. Es schmeckt wie nie zuvor. Doc lehnt an der Wand und nickt mir düster zu. Er ist er‐ bittert über Kane Shurk. Auch er hätte seinem Pokerpartner diese hinterhältigen Streiche nicht zugetraut. Hal Fisher und Old Tuck hocken neben dem Wasserloch und füllen vorsichtig einen Ledereimer, um die Pferde zu tränken. Noch haben wir keinen Mangel zu fürchten. Ich bringe meinen äußeren Adam ein bißchen auf Vorder‐ mann und säubere die Ledermontur von dem gröbsten Dreck. Vor allem sehe ich natürlich die Waffen durch ‐ auch den Revolver aus der Satteltasche. Vorsichtshalber stecke ich ihn in den Hosenbund. Auch eine Rasur wäre vonnöten, denn in dem Dreitagebart haben sich Staub und Dreckspritzer eingenistet ‐ aber daran zu denken ist jetzt nicht die Zeit. Trux kommt hastig durch den schmalen Eingang gekro‐ chen und winkt mir. Sofort bin ich neben ihm.
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»Concho hat schon vor einer halben Stunde einen Reiter gesehen«, sagt er leise. »Er war noch mindestens zwei Mei‐ len entfernt auf einem Hügel. Anscheinend hat er Aus‐ schau gehalten. Jetzt haben wir wieder einen gesehen. Con‐ cho behauptet, es wäre ein anderer als der erste.« »Sie suchen uns also. Nun, damit war zu rechnen. Ist es nicht besser, wenn Concho hereinkommt?« »Ich glaube nicht. Ich schlage vielmehr vor, daß du mit he‐ rauskommst. Wir können gegenüber von der Höhle in der Steilwand Posten fassen. Wenn sie unseren Schlupfwinkel entdecken, sind wir drei frei und können ihnen mehr zu schaffen machen, als wenn wir alle wie die Heringe im Faß sitzen. Was meinst du?« »Okay. Ich hole nur meine Flinte. Habt ihr Munition ge‐ nug?« »Ja. Sag Hal Fisher Bescheid, daß er hier am Eingang Wa‐ che hält. Und die anderen sollen sich ruhig verhalten und sich vor allem um die Pferde kümmern. Eine Kleinigkeit kann uns verraten.« Ich eile hinüber zu Doc und Kitty und gebe ihnen Instruk‐ tionen. Doc greift wortlos zu Revolver und Gewehr. Hal Fisher nickt nur grimmig und marschiert zum Eingang, wo Trux ihm Anweisungen gibt. Old Tuck bleibt bei den Pfer‐ den. * Der frische Wind hat den Himmel blank gefegt wie einen Tanzboden. Die Sonne lacht aus allen Knopflöchern. Der Boden vor der Höhle ist schon wieder hart und vom steti‐ gen Wind ausgedörrt. 154
Trux geht vor mir durch den steinigen Arroyo, der die Höhle von der gegenüberliegenden Felswand trennt. Na‐ türlich haben wir erst eine Weile die Ohren auf den Boden gepreßt, ehe wir uns hinüberwagten. Aber von drüben aus den Felsen « hat Concho beruhigend herübergewunken. Keine Gefahr. Noch nicht. Auch ohne ein Gemsbock zu sein, ist es nicht schwer, die Felswand zu erklimmen. Das Gestein ist ein wenig brüchig und sehr griffig. Man muß natürlich aufpassen, daß sich unter dem festen Zugriff nicht dicke Brocken aus dem ge‐ waschenen Fels lösen. Etwa dreißig Fuß über dem Grund des Arroyos liegt Concho hinter einem Steinsims, das sich quer über die Wand zieht. Es sieht fast aus wie eine Galerie, hinter deren Brüstung man sich bequem verstecken kann. Hier ist Platz für ein halbes Regiment. Zugleich aber hat man einen prächtigen Ausblick nach Süd, Nord und West. »Irgend etwas stimmt nicht, flüstert Kitty. Nur zum Osten versperrt die Felswand in unserem Rücken die Sicht. Trux zeigt mir, wo der Reiter aufgetaucht ist, den er gesehen hat. Auf seine Frage verneint Concho ,es ist niemand mehr in Sicht gekommen. Aber das will nicht viel besagen, denn in den vielfach verschachtelten Schluchten, Hohlwegen und Canons der Badlands können Männer sich so gut wie un‐ gesehen bewegen. Wir müssen uns mehr auf die Ohren als die Augen verlassen. Deshalb liegen wir auch still auf dem harten Steinboden. Nur Concho streckt ab und zu den Kopf über die Brüstung.
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Concho ist es auch, der nach geraumer Zeit den Finger auf die Lippen legt und den Kopf schüttelt. Dann höre ich auch das ferne Geräusch klappernder Hufe. Jetzt muß es sich entscheiden! Die Geräusche verstummen am unteren Ende des Arroyos ‐ jenes ausgetrockneten Bachbettes unter uns, der auch den letzten Regen verschluckt hat, als hätte es ihn gar nicht ge‐ geben. Mit Arroyos in den Badlands ist es eine eigene Sa‐ che. Manche sind schmal wie ein Handtuch und führen endlos weit zwischen engen Felswänden dahin. Wenn ein Mann in solcher Röhre von einem Unwetter überrascht wird, muß er die Beine unter den Arm nehmen, denn die Wassermassen kommen mit ziemlicher Plötzlichkeit. Ich habe es erlebt, das binnen einer Viertelstunde eine Was‐ serwoge von zwei Meter Höhe herangebraust kam ‐ und zwar mit D‐Zugs‐Geschwindigkeit. Wenn ich nicht wie ein geölter Blitz auf den nächsten Hügel entwetzt wäre, hätte es meinen Gaul und mich übel zerrupft. Aber da war natür‐ lich ein ganz anderer Guß vom Himmel geplatscht als ge‐ stern und in der Nacht. . . ein Wolkenbruch. Wir liegen still. Der Wind singt an den Felsen vorbei, ohne uns zu treffen. Wir erhaschen noch ein paar Sonnenstrah‐ len, die uns wärmen. Es ist bei weitem nicht so kalt wie tags zuvor. Der Hufschlag kommt näher. Zuerst ist es nur ein Pferd, dann kommen andere dazu. Es ist nicht zu unterscheiden, ob es drei oder vier Männer sind, die dort herankommen. Concho nimmt liebevoll sein Gewehr vom Boden und legt es quer über die Knie. Trux berührt ihn kurz an der Schul‐ 156
ter und schüttelt den Kopf. Wir dürfen nichts überstürzen. Wir sind nicht allein hier und müssen vor allem an die Verwundeten denken. Der Hufschlag kommt näher und näher. Die Burschen be‐ wegen sich sehr vorsichtig. Ganz wohl scheint es ihnen nicht in ihrer Haut zu sein. Wieder halten sie ‐ diesmal ziemlich genau unter uns. Und Kane Shurks gereizte Stimme zerbricht die lastende Stille. »Was, zum Teufel, ist mit dir los, Sid? Wenn du alle zehn Schritte anhältst, wer‐ den wir nie vom Fleck kommen!« Kane Shurk ‐ Sid Mola! Es juckt mir in den Fingerspitzen. Jetzt können wir mit einem Schlage die ganze Geschichte bereinigen, können auftrumpfen und ihnen den Stahl ins Genick setzen. Aber sie sind nicht allein. Wer ist bei ihnen? »Lassen Sie die ewige Meckerei, Boß!« faucht Sid Mola. »Dies ist mein Geschäft, und ich versteh’ mehr davon als Sie je in Ihrem Leben lernen werden. Kann ich dazu, wenn die Spuren völlig verwischt sind? Seit über zwei Meilen gibt es nicht das geringste Anzeichen mehr, daß hier je‐ mand geritten ist.« »Dann möchte ich wissen, wieso wir immer noch weiter in diese verdammte Wildnis reiten!« »Sie wollen doch Rocky Bragg fangen, nicht ich! Entweder mache ich es auf meine Art oder gar nicht! Ich werde mal auf den Felsen da klettern und die Gegend betrachten!« Oha, das wird brenzlich! Freilich wohl weniger für uns als für Sid Molas hübschen Kopf. Aber leider kommt es an‐ ders.
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»Wozu?« fragt eine ruhige Stimme ‐ Bud Abbotts Stimme. »Ich halte das für vergeudete Zeit. Ich habe schon vor einer halben Stunde gesagt, daß hier herauf keiner geritten sein kann. Ich wette, sie haben dort unten einen Haken geschla‐ gen. Vielleicht sind sie gar nicht in die Badlands und haben uns bloß in die Irre geführt.« »Wie klug ihr alle seid!« höhnt Sid Mola. »Vielleicht sind sie wohl gar nach Sunset geritten, sitzen jetzt im Hotel und trinken einen, was? Ich sage euch, daß sie sich wie Coyoten verkrochen haben ‐ und zwar nicht weit von hier!« »Wenn Rocky Bragg ein Coyote wäre, brauchten wir wohl nicht hinter ihm herzusausen. Ich jedenfalls jage keinen Coyoten, Mister Mola. Und ich möchte verdammt wissen, warum ihr alle so wild auf ihn seid!« »Hier gibt’s keinen Streit!« grollt Kane Shurks Baß. »Und was ich gegen Rocky Bragg habe, weißt du ganz genau, Bud! Er hat nicht nur die Ehre meiner Frau tödlich belei‐ digt, sondern hat außerdem den verrückten Plan, in diesem Land eine Schafzucht zu beginnen.« »Das haben Sie schon öfter gesagt, Kane. Ich wundere mich nur, weshalb er denn allein aus den Bergen gekommen ist und seine Schafe nicht mitgebracht hat.« »Das ist sehr ein‐ fach, Bud. Er ist gekommen, um Wade Holm und noch an‐ dere für seinen Plan zu gewinnen. Das alles richtet sich nur gegen mich, weil er mich haßt, weil ich ihm Diana vor dei Nase weggeschnappt habe. Das ist es!« »Schon gut, Kane. Wollen wir nun weiter durch dieses Ge‐ röll kriechen und nach Spuren suchen?«
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»Wir suchen weiter. Bleib von dem verdammten Felsen runter, Sid! Da siehst du auch nicht mehr als hier unten. Wo Pferde gegangen sind, gibt’s immer Spuren, zum Teu‐ fel! Los, Sid, beweg dich ein bißchen!« »Moment! Ich habe eben etwas gehört! Ich glaube, da kommen Reiter. Ob das schon Jill ist?« »Oh, das wäre gut. Jill hat Katzenaugen. Er wird auch Hink und Kid Smith bei sich haben ...« »Hink und Kid Smith? Aber Mister Shurk, Sie können doch keine Toten lebendig machen! Hat Bud Abbott Ihnen wirk‐ lich nicht verraten, daß Hink und Kid unterm kühlen Rasen ruhen?« Es ist nicht anders denkbar. Bud muß seinen Mund gehal‐ ten haben. Bud . . . der alte Freund Bud Abbott. Ich habe wie auf glühenden Kohlen gesessen in dieser ganzen Zeit, denn Bud Abbott kennt die Höhle genau und so gut wie ich. Wir beide haben sie zusammen mit Wade Holm ent‐ deckt. Fast hätte mich eine Klapperschlange dabei erwischt, wenn Bud sie nicht mit einem guten Schuß erledigt hätte. Oh ja, Bud, ich hab’s noch nicht vergessen ‐ und du auch nicht, denn sonst brauchtest du nur den Finger zu heben und auf den Felsblock zu deuten, der wie ein Riegel vor dem Eingang zur Höhle liegt. Trux ist nervös. Er weiß nicht recht, was er machen soll, denn er weiß ja von mir, daß Bud unser Geheimnis kennt. Ich schüttele beruhigend den Kopf und raune dicht an sei‐ nem Ohr: »Keine Sorge. Bud verrät uns nicht!« Concho gähnt hinter der vorgehaltenen Hand und streckt sich lang aus. Seine Nerven möchte ich haben, denn 159
schließlich sitzen wir immer noch auf dem Pulverfaß. Hof‐ fentlich wird Hal Fisher drinnen in der Höhle nicht ver‐ rückt! Aber Trux hat ihm ja deutlich genug eingeschärft, daß er keine Extratouren reiten soll. Vier Männer kommen von der anderen Seite des Arroyo herab. Sie machen einen Krach, als hätten sie ein Picknick vor sich und keinen Feldzug. Jill Delazon ist als erster bei der Gruppe, die unter uns halten bleibt. Ob er noch Kopf‐ weh hat? »Gut, daß wir euch treffen!« ruft Jill. »Sind Hink und Kid Smith noch nicht zu euch gestoßen?« »Nein«, brummt Kane Shurk. »Ich denke, sie sind bei euch? Habt ihr euch denn getrennt?« »Wir haben uns überhaupt noch nicht gesehen. Kitty Deeps Ranch steht leer. Hink und Kid waren nicht mehr da, auch Kitty und dieser Old Tuck nicht. Kein Stück Vieh mehr im Stall, der Korral leer ‐ möchte wissen, was das zu bedeuten hat!« »Hölle und Pest! Wenn Hink etwa eine Extrawurst braten will ‐ wenn er womöglich gar mit diesem Deep‐Mädchen losgezwitschert ist, um ein vergnügtes Wochenende zu veranstalten ...« »Das glauben Sie ja selbst nicht, Kane«, knurrt Bud Abbott. »Kitty Deep geht nicht mit jedem los. Was haben denn Hink und Kid überhaupt bei ihr gemacht?« »Sie sollten dort auf Rocky Bragg warten und ihn ab‐ schnappen. Aber er ist ja in die Stadt gekommen und nicht zu Kitty Deep. Hast du denn keine Spuren gefunden, Jill?« »Doch. Einen ganzen Haufen, aber ich bin nicht schlau draus geworden. Die breiteste Fährte führt zum Kreide‐ 160
Riff. . .« »Da sind wir auch gewesen. Bis dorthin haben wir auch Rocky Braggs Spur verfolgt ‐ und von da aus bis in die Badlands. Verdammt, was hat das zu bedeuten?« »Ich weiß nicht ‐ mir gefällt die Geschichte nicht«, sagt Sid Mola. »Kid Smith hat gesehen, daß zwei Unbekannte bei den Verwundeten Wade Holm und Ruß Urba waren. Wenn Hink und Kid verschwunden sind, könnte das vielleicht mit denen zusammenhängen ...« »Mal den Teufel nicht an die Wand, Mann! Vielleicht sind sie in die Stadt geritten und haben uns verfehlt.« »Das glaube ich auch«, sagt Bud. »Noch dazu, wo sie Kitty bei sich haben. Habt ihr Spuren gefunden, Jill? Wie seid ihr überhaupt geritten?« »Vom Kreide‐Riff aus ein Stück auf euer Fährte und dann in weitem Bogen nach Osten. Keine Spur.« »Also brauchen wir nicht weiter zu reiten, Boß. Am besten kämmen wir das Gelände westlich von hier durch. Ich halte es für das beste, wenn wir weit auseinandergezogen vor‐ gehen. Was sagst Hu, Sid Mola?« »Von mir aus. Mir reden hier zuviel dazwischen. Macht, was ihr wollt!« Kane Shurk gibt den entscheidenden Befehl. Die Kavalkade setzt sich in Bewegung und verschwindet am Ausgang des Arroyos. Concho schaut über die Brüstung, wendet sich dann uns zu, spuckt aus und klopft an seine Flinte: »Wir schießen, sie kaputt. Wir nicht schießen ‐ sie machen kaputt uns! Nicht gut!«
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Ich klopfe ihm die Schulter. »Das geht schon in Ordnung, Concho. Möglich, daß wir sie hätten alle erledigen können, aber ich glaub’s nicht. Und dann hätten wir in der Patsche gesessen. Wir hätten hier nicht vom Felsen herunter ge‐ konnt, und unsere Freunde dort in der Höhle hätten auch kein Bein mehr losgekriegt.« Auch Trux gibt mir recht. Und er freut sich mit mir, daß Bud Abbott uns nicht verraten hat. Dies war die beste Pro‐ be aufs Exempel. Noch gilt ihm unsere alte Freundschaft etwas ‐ vielleicht mehr als die Arbeit für Kane Shurk. Wir klettern herab von unserem Hochstand, als alle Geräu‐ sche in der Ferne verklungen sind. Jetzt kennen wir die Ab‐ sichten unserer Gegner und können uns danach richten. Trux hat auch gleich die richtige Idee. »Womit können wir Kane Shurk am härtesten treffen, Ro‐ cky?« fragt er, als wir vor dem Eingang der Höhle stehen. »Womit ‐ das weiß ich nicht, es sei denn mit einer Kugel. Aber wo er am verwundbarsten ist, das kann ich dir verra‐ ten: am Geldbeutel. Wenn ich nur eine richtige Mannschaft hätte, dann würde ich seine Rinder wegjagen, so wie er es mit meinen Schafen gemacht hat. Denn daran gibt es nun wohl keinen Zweifel mehr.« »Am Geldbeutel also. Oder noch besser gesagt: an seinem Besitz. Fällt dir da nichts ein?« »Meinst du, wir sollten uns doch an seiner Herde schadlos halten? Das haut nicht hin, Trux.« »Er hat noch mehr Besitz, nicht nur eine Herde, Ich denke zum Beispiel daran, wie Wades Haus in Flammen stand ...«
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»Ah! Das ist ’ne Wucht! Aber wir können doch nicht ein‐ fach losreiten und unsere Freunde hier sitzen lassen?« »Warum nicht? Doc ist bei ihnen und außerdem Hal Fisher und Old Tuck. Sollen wir uns dazu setzen und Grillen fan‐ gen? Nein, Boy! Jetzt ist die richtige Zeit zum Handeln. Vielleicht bringt es Kane Shurk zur Besinnung!« Zehn Minuten später sitzen wir im Sattel und reiten nach Osten ‐ Concho, Trux und ich. Kane Shurks Ranch ist das Abbild ihres Herrn. Breit, wuch‐ tig, klobig liegen die Gebäude im Dämmerlicht des schei‐ denden Tages vor uns. Er hat keinen Wert auf Schönheit gelegt. Ihm kam es nur auf Größe an. Seine Ranch sollte größer sein als alle anderen im Gelände. Seine Ranch sollte die einzige im Sunset‐Tal werden. Das war und ist sein Plan. Deshalb mußte Jim Deep sterben, deshalb wurde Wade Holm überfallen. So rätselhaft das Komplott auf den ersten Blick erschien, so lächerlich leicht war dann die Erklärung für alle Machen‐ schaften zu finden. Wenn erst ein Stein aus einem solchen Gebäude des Lugs und Trugs gebrochen ist, stürzt es wie ein Kartenhaus zusammen . . . Vor dem Herrenhaus steht ein Kutschwagen. Ein Cowboy führt zwei tänzelnde Rappen heran und spannt sie ein. Ich erkenne ihn am schleppenden Gang. Es ist Okarina, Einer von den Alten, die schon immer hier im Lande geritten sind ‐ nicht nur für Kane Shurk. Das Schlafhaus liegt still, nichts rührt sich. Da es schon finster wird, ist anzunehmen, daß niemand zurückgeblie‐ 163
ben ist, als Kane Shurk auf Jagd ging. Natürlich müssen wir mit dem Koch rechnen und den drei Hilfen, von denen Diana gesprochen hat. »Gehen wir es an!« sagt Trux gelassen. Ich nicke, und wir donnern los. Wir stoßen schräg von hinten auf das Herrenhaus zu. Con‐ cho ist dicht vor mir und jagt an den Stall heran. Trux bleibt dicht am Haus und nimmt die Ecke in ganz engem Bogen. Ich halte auf den Kutschwagen zu. »Bleib ruhig, Okarina!« rufe ich, »Ich habe nichts gegen dich ‐ aber bleib ruhig!« Trux ist schon aus dem Sattel und auf der Veranda. Concho verschwindet im Stall und ist nach wenigen Sekunden wieder zurück. »Wer ist noch außer dir auf der Ranch?« frage ich Okarina, der mit den scheuen Rappen alle Hände voll zu tun hat. Er hält sie am Kopfzeug und versucht sie zu beruhigen. Endlich kann er mich anschauen und verzieht den Mund zu einem breiten Grinsen. »Sieht so aus, als wäre mein Job hier zu Ende, was? Well, ich habe gleich gesagt, daß Kane sich an dir die Zähne ausbeißt. Aber so geht’s zu, wenn ei‐ ner den Rachen nicht voll genug kriegen kann. Wer noch hier ist? Kein Boy. Nur die Frauen und der Bauchbetrüger.« »Okay, Okarina. Du kannst gehen und deine Sachen zu‐ sammenpacken. Du darfst den Revolver behalten.« »Danke, Rocky. Den Frauen wirst du ja wohl nichts tun, was? Sonst müßte ich nämlich schießen.« »Ich heiße nicht Kane Shurk und schon gar nicht Delazon!«
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Die Haustür fliegt auf, und heraus kommt Diana. Sie trägt ein kostbares Kleid und einen noch kostbareren Pelzmantel über dem Arm. Sie stürzt an Trux vorbei, die Treppe he‐ runter und auf mich zu. »Rocky! Ich habe gewußt, daß du kommen würdest! Oh, Rocky ‐ hast du ihn besiegt?« Aus der Frau soll einer schlau werden. Ich muß an Hink und Jill denken, ihre Brüder. Bei denen weiß man auch nie, woran man ist. Und diese Frau habe ich einmal geliebt. Mein Gott, habe ich denn nur Au‐ gen für ihre äußere Schönheit gehabt, für diesen biegsamen lockenden Körper, für die roten Lippen, die verschleierten Augen? Kane ist nicht tot, falls du das meinen solltest, Diana. Noch ist der Krieg nicht zu Ende. Ich bin noch immer der gleiche Habenichts wie vorgestern ‐ ein Mann ohne Ranch, ohne Herde, ohne Geld.« »Aber Rocky! Das war doch nur Scherz. Hast du vergessen, wie es damals war? Nein, du kannst es nicht vergessen ha‐ ben, denn du bist doch gekommen ‐ zu mir gekommen!« »Du irrst, Diana, Ich bin gekommen, um Kane Shurk die Grenze seiner Macht zu zeigen. In einer Viertelstunde wer‐ den wir diese Ranch an allen vier Ecken anzünden. Du dar‐ fst alles Wertvolle aus dem Haus holen. Diana. Das ist alles, was ich für dich tun kann.« »Du . . . bist. . . wahnsinnig! Das . . . das kannst du nicht tun! Das ist ein Verbrechen!« »Oh, ich tue nur, was dein Mann auch getan hat. Beeil dich,1 Diana. Eine Viertelstunde ist schnell um!«
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»Du . . . Satan! Dafür wirst du sterben! Dafür hasse ich dich bis an alle Ewigkeit, Rocky Bragg!«
17. Bitterer Entschluß Während sie ins Haus hastet, starrt Okarina mich düster an. Er schüttelt den Kopf und murrt: »Wenn ich das ge‐ wußt hätte, Bragg, wäre ich nicht wie ein Trottel hier stehen geblieben, dann hätte ich geschossen. Du kannst doch nicht einfach das Haus anstecken!« Ich schaue zu Trux hinüber. Dann überfliege ich noch ein‐ mal das fest gefügte Gebäude, die mächtigen Stämme, aus denen es aufgeführt ist wie eine Trutzburg. Ja, wie eine Burg, in der ein Raubritter haust. Aber hat Okarina nicht recht? Und wenn Kane Shurk mich auch vernichten will, wenn er keine Gnade kennt ‐ darf ich deshalb sein Haus in Brand stecken? Es ist ein schwerer, ein bitterer Entschluß, und in diesem Augenblick stemmt sich mein Gewissen dagegen. Nein, ich will kein Brandstifter sein. Ich will nicht Gleiches mit Glei‐ chem vergelten, so lange ich nicht weiß, ob Kane Shurk überhaupt alle Schuld trägt. Weiß ich denn mit Sicherheit, daß er Jim Deep hat töten lassen? Daß er meine Herde ge‐ stohlen hat? Weiß ich denn, ob meine vier Boys nicht noch leben? Ich weiß es nicht. Fest steht nur, daß außer Kane Shurk auch so heimtückische Halunken wie Sid Mola und die 166
Brüder Delazon ihre schmutzigen Finger im Spiel haben. Ist es nicht durchaus denkbar, daß sie ein Geschäft auf eigene Kappe abgewickelt haben? Mir fallen die Worte ein, die Kane Shurk vor wenigen Stunden gesprochen hat. Er sagte, ich hätte Diana tödlich beleidigt, er sagte ferner, ich hätte geplant, mit meiner Schafherde in dieses Land zu ziehen, und die Rinder zu verdrängen. Er sagte es zu Bud Abbott ‐ und diese Ver‐ leumdung könnte auch erklären, weshalb Bud mir von An‐ beginn so feindlich oder doch zumindest nicht mehr freundschaftlich gegenüberstand. Nur eins möchte ich gern wissen: ob diese Verleumdung auf Kane Shurks Mist ge‐ wachsen ist oder aus anderen Quellen stammt. Well ‐die Gedanken wirbeln. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich tun soll. Der Plan, das Haus in Brand zu setzen, stammt von Trux, aber das ändert nichts an der Sache. Plötzlich ruft eine Stimme hinter mir, gar nicht weit ent‐ fernt: »Hallo, Rocky!« Es reißt mich herum, so bin ich überrascht. Auch Trux ist sofort an der Ecke der Veranda und zieht das Gewehr hoch. Concho gleitet mit pantherartigen Sprüngen am Stall ent‐ lang, aber ich winke ihm ab. Denn hinter dem Stall steht ein abgerissener Bursche und grinst mich an ‐ Lemmy. Und hinter ihm zeigt sich gleich ein zweites vertrautes Gesicht ‐ natürlich Wango. Die bei‐ den Vagabunden kommen vorsichtig anmarschiert. Aus Wangos zerschlissener Jackentasche, die noch entfernte Ähnlichkeit mit einem Schafpelz hat, schaut eine halbleere Flasche. 167
»Was gibt’s?« frage ich. »Ich denke, ihr habt das Land ver‐ lassen? Wenn Kane Shurk euch schnappt ...« »Das ist wie beim Pokerspielen«, meinte Wango, »man weiß nie, wie die Trümpfe fallen. Weißt du, Rocky, wir wä‐ ren ja längst weg, aber seit du wieder im Lande bist, haben wir gedacht, du könntest der Joker im Spiel sein.« »Hm. Und weshalb stromert ihr hier so dicht vor Shurks Nasenspitze herum?« »Also, das will ich dir erklären, Ro‐ cky. Wir haben uns eine Zeitlang im Walde verkrochen und so’n bißchen den Puls des Landes gefühlt. Daß Kane mäch‐ tig aufgeregt ist, haben wir inzwischen spitz gekriegt. Wir haben auch die Schießerei gehört ‐ drüben bei Wade Holm. Und daß sie Wades und deine Ranch verbrannt haben ...« »Meine . .. Ranch? Das stimmt nicht. Ich bin gestern noch ganz dicht daran vorbeigeritten, Wango!« »Nicht gestern, Rocky. Heute. Wir kommen just daher. Wir haben Kane Shurk gesehen und Jill Delazon und überhaupt den ganzen Haufen. Wenn du dort drüben auf den Hügel gehst, kannst du es sehen.« »So. Also meine Ranch auch. Nun, es ändert nicht mehr viel.« »Nicht nur deine, Rocky. Wir haben natürlich gemacht, daß wir weiterkamen. Bei Kitty Deep wollten wir Bescheid ge‐ ben, aber da war niemand zu Hause. Well ‐ und als wir kaum den Hof verlassen hatten ...« »Rede weiter, Wango! Du willst doch nicht etwa sagen, daß sie auch Kittys Heim ...« »Doch, Rocky. Es waren acht Mann, Kane Shurk an der Spitze. Seine Stimme war leicht herauszuhören. Er hat den 168
Befehl gegeben und Jill Delazon hat ihn ausgeführt. Und Bud Abbott ...« Wieder macht er eine Pause. Unwillkürlich beuge ich mich im Sattel vor. Fast kann ich mir denken, was nun kommt ‐ und doch ist es so ungeheuerlich, daß mir dieser Gedanke verrückt erscheint. »Und Bud Abbott?« frage ich heiser. »Was ist mit Bud?« »Er . . . also Rocky, du weißt, daß Bud immer ein anständi‐ ger Kerl war. Ich hab’s nie begreifen können, daß er sich vor Kanes schmutzigen Karren spannen ließ. Well, ich bin wahrhaftig kein Musterknabe und Lemmy auch nicht ‐ aber wir haben noch nie einem Menschen nach dem Leben getrachtet, Und wir haben auch nie geglaubt, daß Kane Shurk einmal so verrückt spielen würde. Nein, wahrhaftig nicht!« »Rede endlich, Mann! Was ist mit Bud!« »Er ist tot, Rocky. Er zog den Revolver und schrie Jill Dela‐ zon an. Er sagte, er wäre kein Brandstifter, und Kittys Haus müßte stehen bleiben. Nur über seine Leiche könnten sie es anstecken. Und da . . .« »Und da?« »Sid Mola hat’s getan, Rocky. Er saß noch im Sattel, schräg hinter Bud. Ich habe nicht gesehen, wie er gezogen hat, weil es schon zu diesig war. Aber er hat geschossen, das weiß ich genau. Von hinten hat er ihn umgebracht. Wir sind geritten, als säße uns der Teufel im Nacken. Und wenn wir dich nicht zufällig auf dem Hof hier gesehen hätten, wären wir nicht herunter gekommen. Bestimmt nicht.« Bud Abbott tot. Auch Bud. Der letzte meiner Freunde. Denn er war ein Freund, trotz allem. Er hat es bewiesen ‐ 169
mehr als einmal. Sein Gewissen war stärker als Kane Shurks Macht. Er hat sich gegen den Willen seines Herrn gestemmt ‐ und sein Leben verspielt. Bud... oh verdammt! War er ein Narr, weil er Vertrauen schenkte, wo er nur Gemeinheit und Tücke erwarten durfte? Er war ein treuer Mann . . . und er hat seine Treue dem Teufel geschenkt. »Rocky. . .« murmelt Lemmy. »Wir müssen dir noch etwas sagen, Rocky. Wir hätten’s dir schon neulich erzählen müs‐ sen, in Sunset. Aber ich habe mich nicht getraut ‐ und Wango auch nicht. Suchst du deine Schafe?« »Ja. Deshalb bin ich doch hierher gekommen, Lemmy.« »Sie sind verkauft, Well ‐du weißt, daß Wango und ich dauernd unterwegs sind. Wir halten’s nun mal nirgends lange aus. Neulich, es ist schon fast vier Wochen her, woll‐ ten wir in die Mogollons hinüber. Manchmal findet man oben in den Badlands verlaufene Rinder. Aber wir sind gar nicht weit gekommen.« »Ihr seid auf die Herde gestoßen?« »Ja, Mensch, wir haben mächtig Schwein gehabt, denn fast wären wir ins Lager geritten, weil wir dachten, du wärst dabei. Aber dann sahen wir Sid Mola und haben uns schleunigst verkrochen.« »Wer war noch dabei?« »Kane Shurk kam abends heraus. Die beiden Delazons ha‐ ben wir gesehen und Kid Smith und Rod Francis.« »Und meine Boys? Habt ihr sie gesehen? Mein Gott, Lem‐ my, laß dir doch nicht alle Würmer einzeln aus der Nase ziehen.«
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»Sie waren noch dabei ‐ und sie lebten noch. Auch die Hunde. Am nächsten Morgen lebten sie nicht mehr. Wir haben die Schüsse gehört. Kennst du den Ghostly‐Canon?« »Ja.« Ich weiß kaum, daß ich spreche. Es ist so ungeheuer‐ lich, so unfaßlich ‐ nein, das können keine Menschen sein. Sie sind schlimmer als Raubtiere, sind mitleidlose grausa‐ me Verbrecher ohne Seele und Gemüt. Ich muß an Dag Krims vertiertes Gesicht denken. Auch er war ein Wolf, der ausgezogen und ausgeschickt war, mich zu töten. Daß Trux dazwischen kam, war purer Zufall ‐ und dieser Zufall hat Trux und mir das Leben gerettet. Zumindest mir, denn Trux ist nur durch ein Wunder der Mörderkugel entgan‐ gen. »Sie haben«, fährt Lemmys heisere Stimme fort, »sie haben die Toten ‐ auch die Hunde ‐ in die schmälste und tiefste Spalte des Canons geworfen. Ich glaube, daß die Herde nach Dicksons Point getrieben wurde, aber genau wissen wir das nicht, denn wir waren froh daß sie uns nicht ent‐ deckt haben.« »Danke, Lemmy«, murmelte ich. Und dann fahre ich he‐ rum und stelle mich in den Bügeln auf. Ich. brülle über den Hof, daß die Fensterscheiben klirren: »Raus aus dem Haus!« Ich springe aus dem Sattel. Okarina steht starr wie eine Salzsäule neben den Kutschpferden. Ich brülle ihn an: »Hast du immer noch etwas dagegen, daß ich es tue?« »Nein, Rocky«, stammelt er. »Ich habe nicht gewußt, das ich für einen verrückten Verbrecher gearbeitet habe. Bei Gott, Rocky, ich hab’s nicht gewußt!« 171
Diana kommt aus dem Haus gestürzt, die Arme voll mit ihrem Tand. Sie schluchzt bitterlich, aber diese Tränen können mich nicht mehr rühren. Auch meine Augen bren‐ nen ‐ brennen in unsagbarem Schmerz um meine Freunde, um meine Boys, um alles das, was Kane Shurk erbar‐ mungslos vernichtet hat. »Rocky!« schluchzt sie neben mir. »Rocky, habe ein Herz! Alles, was ich mir in den Jahren erspart habe. . .« »Geh weg!« fauche ich sie an. »Geh, ehe ich dir auch noch das Kleid vom Leibe reiße! Und sag Kane Shurk, daß seine Stunde geschlagen hat! Er wird sterben, ehe der Tag anb‐ richt!« Ich reiße das erste Streichholz an. Und unbewegten Gesich‐ tes und ohne Reue kann ich zuschauen, wie die Flammen hochzüngeln und das fressen, was Kane Shurk zusammen‐ gerafft und zusammengeraubt hat. Eiskalte Raserei hat mich ergriffen. Die letzte Hoffnung ist zusammengebro‐ chen‐ und damit das letzte Fünkchen Mitleid für Kane Shurk. * Schweigend jagen wir weiter durch die Nacht. Hinter uns glüht der Himmel. Alles, was fleißige Hände in langen Jah‐ ren geschaffen haben, wird in dieser Nacht Beute der Flammen. Mein Haus, Kittys Haus ‐ und das Kane Shurks. Und gleich, in einer halben Stunde, wird auch die Hütte der Delazons nicht mehr sein . . . Wer Wind sät, wird Sturm ernten! Das alte Wort bewahr‐ heitet sich aufs neue. Kane Shurk hat sich des Sieges zu si‐ cher gefühlt. Er glaubte schon das ganze Land in seiner Ta‐ 172
sche. Er wollte alles haben in seiner unersättlichen Gier ‐ und hat nun nichts. Was mag die Triebfeder seines Han‐ delns gewesen sein? Haß? Machtgier? Haß auf mich ‐ das steht fest. Weil ich ihn einmal geschla‐ gen und zum Gespött der Leute gemacht habe. Und dazu ist wohl noch etwas anderes gekommen: die Tatsache, daß Diana Delazon einmal meine Verlobte gewesen ist. Im stil‐ len mag er immer noch Eifersucht gespürt haben, denn ein Mann wie Kane Shurk kann nicht teilen. Mein Gott, habe ich nicht alles getan, um jeden Streit aus dem Wege zu gehen? Bin ich nicht weit in die Berge gezo‐ gen, um ihm nie wieder in die Quere zu kommen? Genügt das nicht? Für einen normaldenkenden Menschen werden die Gedan‐ ken und Taten eines verbrecherischen Hirns immer unbeg‐ reiflich bleiben. Warum töten. Menschen? Die einen aus dunklem Trieb, die anderen, weil sie gefühllos sind und gleichzeitig habgierig. Wieder andere nur aus Haß, aus zu mächtiggewordenen, überspitzten Gefühlen heraus, die noch dazu falsch gelagert sind. Aber dies alles sind Beweg‐ gründe, die ein normaler Mensch nie begreifen wird, weil er von anderer Denkart ist ‐ weil er ein Gewissen hat. Das ist es ‐ sie alle, diese Verbrecher aus niedrigen Beweg‐ gründen, sie alle sind moralisch nicht gesund. Ihnen fehlt der Regulator des Gewissens, Sie sind moral insanity ‐ mo‐ ralisch krank. Genauso krank wie ein Aussätziger. Sie sind im Grunde bedauernswert wie jeder Kranke, aber sie sind auch eine Gefahr für jeden ehrlichen Menschen.
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Kane Shurk hat in diesem Land das Gesetz ausgeschaltet, indem er den alten Sheriff töten ließ ‐ und wenn nicht tö‐ ten, so doch so schwer verwunden, daß er sein Amt nicht mehr ausüben konnte. Kane Shurk hat einen Mann zum neuen Sheriff gemacht, der alle Voraussetzungen für dieses heimtückische Spiel mitbrachte ‐‐ Rod Francis, Rod Francis, den geborenen Verräter, den hinterhältigen Schuft, der von Freundschaft sprechen konnte und gleichzeitig an Mord dachte. Oh, ich sehe ihn noch vor mir, wie er nervös und zappelig zu meiner Hütte in den Bergen kam, wie er seine Märchen auftischte ‐ und wie ich darauf hereingefallen bin. Wenige Stunden vorher hatte derselbe Rod Francis mitge‐ holfen, meinen Freund Jim Deep zu ermorden. Und dersel‐ be Rod Francis hatte wenig vorher Dag Krim auf meine Fährte gesetzt ‐ und erst, als das fehlgeschlagen war, kam er zu mir und stellte die nächste Falle . . . glattzüngig und falsch wie eine Schlange. Und meine Boys ahnten zu jener Stunde noch nichts von ihrem nahen Ende. Wie mögen sie gestorben sein ‐ Escamil‐ lo, Tonto, Juan und Diario? Oh, es ist eine lange Liste, und ich werde Kane Shurk die Rechnung präsentieren! * Im silbernen Sternenlicht liegt die Hütte der Delazons vor uns wie ein verwunschenes Hexenhäuschen. Ich stoße die Tür auf und springe hinein. Als ich die Lampe anzünde, die auf dem Tisch steht, begegnet mein Auge einem wilden Durcheinander. Sie haben nie viel von Ordnung gehalten, die Delazons. Nur damals, als Diana hier wirkte, sah es an‐ ders aus. Aber auch in ihr kreist das Blut der Delazons. 174
Auch sie hat nicht das rechte Gefühl für Gut und Böse, für Recht und Unrecht. Ich habe sie einmal geliebt ‐ aber das muß eine Ewigkeit her sein. Wenn ich Kittys Gesicht dage‐ gen halte, in dem ich das Antlitz des toten Freundes wiede‐ rerkenne ‐ nein, es gibt keinen Vergleich zwischen Kitty und Diana. Sie unterscheiden sich wie Tag und Nacht. Merkwürdig ‐ wenn man über die Vergangenheit nach‐ denkt, gerade über jene Erinnerungen, die sich mit diesem Haus verknüpfen, dann treten manche Dinge ins Licht, die damals unbedeutend erschienen. Manchmal, wenn Diana launisch war und kratzbürstig, wenn sie Wünsche äußerte, die ich nie erfüllen konnte ‐ dann hielt ich das für närrische Einfälle, denen keine Bedeutung beizumessen war. Jetzt weiß ich es besser. Denn aus solchen winzigen Kleinigkei‐ ten ergibt sich das Charakterbild eines Menschen. Damals schon hatte sie hochtrabende Pläne, die ich nur hätte erfül‐ len können, wenn ich das große Los gezogen hätte ‐ oder zum Räuber geworden wäre wie Kane Shurk. »Möglich, daß man das auch Kane Shurk zugute halten muß, daß die Triebfeder seines Handelns zum guten Teil Diana gewesen ist ‐ mit ihren immer neuen Wünschen, ih‐ rer ewigen Unzufriedenheit, ihren Launen. Verdammt, was muß ich damals für ein Narr gewesen sein, ein mit Blind‐ heit geschlagener Narr, daß ich es nicht gesehen habe! Daß ich geglaubt habe, Diana wäre besser als ihre Brüder ‐ ob‐ wohl auch sie von gestohlenen Rindern gelebt hat. Ich hatte die Absicht, sie aus der Räuberhöhle herauszuholen und in ein anständiges Klima zu bringen.
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Heute weiß ich, daß keine Macht der Welt ihren Charakter hätte ändern können, so wie auch mein Charakter nicht zu ändern wäre. Denn kein Mensch kann über seinen eigenen Schatten springen .. . Concho bleibt nur einen Augenblick neben mir, dann ist er wieder draußen. Trux reißt den Schrank auf und fegt mit einem Ruck alles heraus, was darin aufgehäuft ist. Plötzlich stutzt er und schnuppert. Dann hebt er einen Schafpelz hoch, einen langen Mantel, wie ihn die Schafhirten zu tra‐ gen pflegen ‐ wie auch meine Boys ihn getragen haben. »Kennst du ihn?« fragt er. »Sollte mich wundern, wenn das Eigentum der Delazons wäre.« Ja, ich erkenne ihn. Escamillo hat ihn getragen. Ich erkenne ihn an dem breiten Riß an der linken Seite, den Camillo mit feinen Nadelstichen repariert hat. Wenn wir noch nicht gewußt hätten, daß die Delazons beim Raub meiner Herde und bei der Ermordung meiner Boys dabei gewesen sind ‐ jetzt hätten wir den schlüssigen Beweis. Schweigend trage ich den Mantel, die letzte Erinnerung an meine treuen Jun‐ gens, hinaus zu den Pferden. Trux durchsucht inzwischen die Hütte weiter mit seiner methodischen Gründlichkeit. Er klopft den Boden ab ‐ und tatsächlich gibt es eine Falltür in der Ecke des Raumes, die von der Umgebung nicht zu unterscheiden ist. Sie ist ge‐ nauso mit Lehm bedeckt wie der übrige Boden. Nun, ich erwarte keine Wunderdinge hinter der Tür. Aber als wir mit der Lampe hineinleuchten und ein ganzes Ar‐ senal von Waffen sehen, da gehen uns doch die Augen über. Ich hole alles mögliche heraus aus dem viereckigen 176
Loch ‐ und dann hätte ich fast laut aufgeschrien. Was ich da plötzlich in der Hand halte, ist ein mir nur zu gut bekann‐ ter Waffengurt. Auf dein Kolben des Revolvers brauche ich nicht erst die beiden Buchstaben J. D. zu lesen, um zu wis‐ sen, daß es Jim Deeps Revolver ist. J. D. Auch auf Jill Delazon passen die Anfangsbuchstaben. Vielleicht hat er die Waffe deshalb mitgenommen, denn normalerweise ist das Eigentum eines Ermordeten für den Mörder nicht zu gebrauchen, wenn es gezeichnet ist. »Jim Deeps Revolver?« murmelt Trux. »Dann müssen wir unsere Theorie von Jims Ermordung wieder umstoßen. Wir haben zuerst Dag Krim für den Täter gehalten. Dann muß‐ ten wir Rod Francis in die Kombination mit einbeziehen. Ich habe die beiden allein für die Täter gehalten. Jetzt möchte ich behaupten, daß nicht nur Rod Francis und Dag Krim, sondern auch die beiden Delazons und Sid Mola schon unterwegs zu den Mogollons waren. Jim Deep ist ih‐ nen in die Hände gefallen und aus dem Sattel geschossen worden. Wer weiß, wer den tödlichen Schuß abgefeuert hat ‐ aber schuldig sind sie alle!« Ich hänge den Waffengurt wie einen kostbaren Schatz über die Schulter. Es ist nicht viel, was ich Kitty von ihrem Bru‐ der als letzten Gruß, als letzte Erinnerung bringen kann. Aber ich bin fest überzeugt, daß sie diese Erinnerung wirk‐ lich wie einen Schatz hüten wird! Zum guten Schluß wuchtet Trux noch ein Pulverfaß aus dem Loch. Auch ein Bündel mit Zündschnüren ist dabei. Weiß der Teufel, für welche Gaunerei sich die Delazons diesen Apparat aufgehoben haben. »Well«, lacht Trux. »Da 177
sparen wir Streichhölzer. Dies Ding wird so laut knallen, daß Kane Shurk vor Schreck aus dem Sattel fällt, einerlei, wo er ist. Und sogar in Sunset wird es verschiedenen Leu‐ ten in den Ohren dröhnen. Wetten?« Er macht die Zündschnur an dem Pulverfaß fest und rollt sie lang aus. Er entzündet die Schnur, und ich puste die Lampe aus. Wir sind kaum draußen, als Concho schon leise raunt: »Besuch kommt. Reiter. Aufpassen!« Das trifft sich ja wunderbar. Ob Kane Shurk sich einbildet, uns hier erwischen zu können? Natürlich rast er jetzt schnaubend vor Rachedurst durch das Land. Daß wir hier‐ her reiten würden, konnte er sich ja an den fünf Fingern abzählen. Wir reiten hübsch sachte von der Lichtung, in deren Mitte die Hütte liegt. Die Zündschnur ist lang genug, also wird’s nicht gleich krachen. Jill Delazon kommt zur rechten Zeit. Wir drücken uns gemächlich in die Deckung und sitzen ab. Jeder hält das Gewehr in der Hand und lädt durch. Drüben auf der anderen Seite wird das Poltern der Hufe laut, ver‐ klingt für einen Moment, kommt näher. Jetzt sehen wir im silbernen Sternenlicht die Gruppe aus der gegenüberlie‐ genden Waldschneise kommen. Jill Delazon ist an der Spit‐ ze, weit voraus. Er rechnet anscheinend nicht mit Verdruß. Er ist noch zehn Schritte von der Hütte entfernt ‐ die ande‐ ren noch weitere fünf Schritte hinter ihm ‐ als die Detonati‐ on losbrüllt. Well, das Schauspiel müßten Sie sehen! Jills Gaul überschlägt sich förmlich und wirbelt seinen Reiter davon wie eine gewichtlose Puppe. Kane Shurks Hut fliegt davon, und gleich darauf kracht ihm eine Dachschindel auf 178
die Nuß. Sid Mola schreit wie am Spieß und reißt seinen Gaul auf den Hacken herum. Die anderen Boys jagen aus‐ einander wie Spreu, in die ein Windstoß fegt. Wir brauchen unsere Gewehre nicht. Binnen einer Minute ist die Lichtung leergefegt. Als letzter rennt Jill Delazon hinter seinem Gaul her. Es gelingt ihm tatsächlich, das kopfscheue Tier am Waldrand zu erwischen. Er taucht im Dickicht unter, während hinter ihm die Flammen ihr schauriges Lied der Vernichtung beginnen. Die Räuberhöh‐ le der Delazons ist vom Erdboden getilgt. Trux lacht grimmig und legt den Sicherungsflügel des Ge‐ wehrs wieder herum: »Wir hätten sie abschießen können wie die Kaninchen, aber solche billigen Siege sind nicht meine Sache. Well, Freunde ‐ ich schätze, die Festung ist sturmreif. Reiten wir. Ich möchte endlich einmal ein ver‐ nünftiges Essen in den Magen bekommen!«
18.Trux Sunset schläft. Wir haben einen schnellen Ritt hinter uns, der uns schnur‐ gerade in die Stadt geführt hat. Erst am Anfang der Straße lassen wir die Tiere in Schritt fallen. Langsam, zu dritt ne‐ beneinander, Trux und Concho nur um ein weniges schräg hinter mir ‐ so reiten wir in die Stadt ein. Von einer Bar der Straße fällt ein Lichtkeil bis zu uns herü‐ ber. Nichts als das ungleichmäßige Klappern der Hufe un‐ 179
terbricht die Stille. Plötzlich beginnt unten in der Nähe des Bahnhofs jemand zu singen. Es ist eine heisere, rauhe Stimme, die sich vergeblich bemüht, die Melodie heraus‐ zubekommen. Ein Betrunkener. Die Uhr auf dem engbrüstigen Turm der Kapelle beginnt zu schlagen. Eins . . . zwei . . . drei . . Zwölf Uhr. Mitternacht. Ist es nicht Sonnabend heute? Richtig ‐ es war Sonnabend. In dieser Sekunde beginnt der Sonntag. Vor vier Wochen bereitete sich bei mir oben in den Bergen das Drama vor, das jetzt sein Ende finden soll. Vor vier Wochen hatte Jim Deep schon sterben müssen und keiner von uns hatte auch nur die geringste Ahnung des, Schrecklichen, das auf uns zukam. Die Uhr verhallt. Der Betrunkene beendet sein Lied mitten im Takt und lallt nur noch mühsam weiter. Er scheint alle Hände voll mit seinem Affen zu tun zu haben. Und die Stadt bleibt still. Kein Schuß aus einer dunklen Gasse, kein Hinterhalt, nichts. Vor dem Hotel steht die Kutsche, die wir vor wenigen Stunden auf Kane Shurks Ranch gesehen haben. Die Pferde sind abgeschirrt. Kein Mustang steht an der Haltestange. Aber das will nichts besagen. Die Tiere können im Stall sein. Das ist doch Musik, die ich da höre? Natürlich! Musik! Sie kommt aus dem Hotel ‐ nein, aus der Tanzhalle daneben. Richtig, es ist ja Wochenend. Wie lange ist es her, seit ich das letzte Mal das Tanzbein geschwungen habe? Ich weiß es nicht. Damals, mit Diana . . . ah, zur Hole mit Diana De‐
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lazon. . . nein, Diana Shurk! Es ist so lange her, daß es mehr bedeutet als eine Ewigkeit. Und heute . . . heute sind wir zu einem anderen Tanz hier‐ hergekommen. Wir drei: Trux, Concho und ich. Neben der Tanzhalle sitzen wir ab und bringen die damp‐ fenden Tiere in die Stall. Wir werfen ihnen Mais vor und Heu und geben ihnen frisches Wasser zu trinken. Unsere Pferde sind nicht die einzigen im Stall, aber es ist keins mit Kane Shurks Brandzeichen dabei. Sollten wir eher hier sein als er? Oder traut er sich nicht mehr? * Die Geige schluchzt, das Klavier hämmert und der Baß brummt dazu. Die Bar ist blau von Tabaksqualm. Willie Gould steht mit aufgekrempelten Ärmeln hinter der Theke und füllt die Gläser im Akkord. Er wirft einen schrägen Blick auf mich ‐ dann auf Trux und Concho. Seine Lippen werden plötzlich schmal, die Augen eng. »Laß das Glas nicht überlaufen, Willie«, sage ich langsam. »Das kommt zu teuer.« Er setzt Glas und Flasche ab, wischt die Hände an der Schürze trocken und knurrt: »Ihr seid hier unerwünscht. Hier ist ein Vergnügen, seht ihr das nicht? Schert euch raus!« »Aber Willie!« Ich schüttele den Kopf und grinse schief. »Das kann nicht dein Ernst sein. Ich finde das ausgespro‐ chen unfreundlich von dir. Wir haben nämlich Hunger, weißt du.« »Die Küche ist geschlossen.« »Dann muß ich nicht normal sein, Willie. Sind das da drüben zum Beispiel nicht heiße 181
Frankfurter? Oder haben die lieben Leute sich die Würstchen etwa mitgebracht?« »Für euch ist die Küche geschlossen.. Verschwindet . . . oder ...« »Oder, Freund Willie? Ich habe heute leider nicht meinen menschenfreundlichen Tag, mußt du wissen!« Ich weiß, wie schnell er mit der Schrotflinte bei der Hand ist, aber solche Fixigkeit hätte selbst ich ihm nicht zuget‐ raut. Plötzlich ist er untergetaucht und schon eine Sekunde später taucht er wie ein Stehaufmännchen am anderen En‐ de der Theke wieder auf und hält die Schrotflinte in der Hand. Leider hat er nicht mit Conchos Geschwindigkeit gerech‐ net. Ehe der gute Willie noch richtig sehen kann, fliegt ihm eine Flasche an den Schädel ‐ eine volle Flasche übrigens. Sie zerschmettert in einige tausend Splitter ‐ und gleichzei‐ tig geht Willies Kanone los. Es kracht fast so laut wie das Pulverfaß in der Hütte der Delazons. Aber die ganze La‐ dung geht in die Decke. Wie gesagt ‐ Concho ist mächtig fix auf den Beinen. Er steht, kaum daß der Schuß aufbrüllt, auf der Theke neben Willie, reißt ihm die Donnerbüchse aus der Hand und ist schon wieder neben mir. »Nun Willie?« frage ich sanft. »Wie sieht es jetzt mit deiner Küche aus?« Er wischt sich Whisky und Glassplitter auf dem Gesicht, kommt langsam hinter der Theke entlanggewandert und ist plötzlich die Freundlichkeit selbst. »Gewiß, Rocky. Was soll’s denn sein?« 182
Ich bestelle eine doppelte Portion für jeden von uns. Ein Tisch in der Ecke neben dem Fenster wird just frei ‐ ver‐ mutlich haben die braven Leutchen es nicht gern, wenn ih‐ nen Pulvergestank in die Nase kommt. Ich kann das durch‐ aus begreifen. Nebenan hat die Musik aufgehört. Ein Knäuel von Men‐ schen drängt sich durch die Verbindungstür vom Saal he‐ rein. Der Schuß hat sie wohl aufgeschreckt. Aber als gleich darauf die Takte eines Walzers beginnen, verschwinden die Pärchen wieder. Willie Gould höchstpersönlich bringt uns eine Flasche, die wir gar nicht bestellt haben. »Auf Kosten des Hauses«, sagt er. Dein Freund hätte mir wahrhaftig nicht gleich an die Gurgel zu springen brau‐ chen, Rocky.« »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt’s heraus, Willie. Ist Mrs Shurk im Hause?« »Ja. Das heißt ‐ ich weiß es nicht. Ich nehme es an. Sie war völlig mit den Nerven fertig. Verstehst du das?« »Vielleicht. Es ist nicht wichtig, Sie wird sich schon wieder beruhigen ‐ hoffe ich jedenfalls. Beeil dich mit dem Essen, Willie.« Er beeilt sich wirklich. Binnen einer Viertelstunde haben wir ein prächtiges Menu vor uns stehen. Daß es trotzdem nicht richtig schmecken will, ist eine andere Sache. Und daß wir nicht dazu kommen, die blutigen Steaks zu Ende zu genießen, ist wieder eine andere Sache. * Es liegt an der Musik, daß wir den Hufschlag auf der Stra‐ ße erst hören, als er vor dem Hause endet. Das heißt ‐ ei‐ 183
gentlich hört ihn nur Concho, der sofort das Besteck beisei‐ te legt und den Stuhl vorsichtig zurückschiebt. Auch Trux tupft sich gleich den Mund ab, nachdem er Concho fragend angeschaut hat. Sie kommen, Kane Shark ist der erste, der wie ein Büffel über die Schwelle gestampft kommt und mit verkniffenen Augen und Lippen zur Theke marschiert. Er denkt gar nicht daran, den Raum zu überblicken. Er rechnet einfach nicht mit uns. Hinter ihm gleiten Jill Delazon und Sid Mola herein, wesentlich behutsamer schon, aber auch auf keine Überraschung vorbereitet. Sid tut zwei Schritte von der Tür weg zum Ende der Theke und schickt schnelle Blicke nach allen Seiten. Jill Delazon geht an ihm vorbei und tritt neben Kane Shurk, dessen Baß grollt: »Gould, hat sich der verdammte Rod Francis schon bei dir blicken lassen? Ich brauche ein Aufgebot, und zwar sofort!« Trux gleitet vom Stuhl. Er lehnt sich daneben an die Wand und sagt nur ein Wort. Es fällt in die Stille, die durch Kane Shurks Worten hervorgerufen ist, wie ein Stein in ruhiges Wasser. Er sagt: »Sid!« Sid Molas Augen haben uns nicht gesehen, noch nicht. Sie sind zu schnell über den Raum geglitten. Vielleicht waren sie auch noch nicht an die Helligkeit gewöhnt und an den dicken Tabaksqualm. Das Wort reißt seinen Kopf herum. Er steht steif. Auch Kane Shurk merkt, daß in seinem Rücken etwas vor‐ geht. Er wendet den Schädel, starrt Trux an, den er nicht kennt, nie gesehen hat... und sein Blick trifft mich. Er öffnet 184
die Lippen, will etwas sagen ‐ aber jetzt ist er nur Randfi‐ gur. Jetzt gibt es nur zwei Menschen hier im Raum: Trux und Sid Mola. Und einer von ihnen ist zuviel auf der Welt. Trux stößt sich von der Wand ab und geht mit schwingen‐ den Schritten auf Sid zu. Aller Augen hängen an ihm, auf dem leeren rechten Ärmel, auf den Colt, der mit dem Kol‐ ben voraus auf der rechten Hüfte hängt. »Sid Mola!« die Stimme klingt sanft, unpersönlich, glatt und kalt. »Trux!« das ist ein heiserer Aufschrei, ein Stöhnen mehr, ein Laut völliger Panik. Drei Schritte vor Sid Mola bleibt Trux stehen, breitbeinig, lässig, in völliger Ruhe. So habe ich ihn mir vorgestellt, den Marshal von Tucson, den Marshal einer wilden Stadt. Jetzt zeigt er sein Format. »Es hat lange gedauert, Sid«, sagt er mit der gleichen küh‐ len und sachlichen Stimme. »Du bist weit gelaufen, aber nicht weit genug. Die Liste deiner Untaten ist lang gewor‐ den, zu lang. Ich war hinter dir her, weil du mir den Arm genommen hast. Das zählt jetzt nicht mehr. Jetzt werde ich dein Richter sein für den Mord an Jim Deep, für den Mord an Escamillo, Juan, Tonto und Diario. Für den Überfall auf Wade Holm und alles andere, woran du mitschuldig bist. Gestehst du deine Schuld ein, Sid Mola?« Der Revolvermann preßt die Lippen zusammen. Er hat sich gefaßt. Seine Augen gleiten über den leeren Ärmel von Trux, sie erkennen, daß der Revolver auf der rechten Hüfte hängt, obwohl nur die Linke ziehen kann. Und er weiß, daß Trux früher nie den Kreuzgriff angewandt hat, den er jetzt 185
gebrauchen muß. Das gibt ihm Hoffnung, ja sogar Über‐ heblichkeit. »Du spinnst, Trux!« faucht er. »Du bist nicht mein Richter. Und von all dem Quatsch, den du da erzählt hast, weiß ich kein Wort.« Ich stehe auf und nehme den Waffengurt Jim Deeps vom Stuhl, an dem ich ihn aufgehängt habe. Conchos katzeng‐ leicher Schritt ist dicht hinter mir. So treten wir durch die Tischreihe neben Kane Shurk. »Jill Delazon«, sage ich, »diesen Waffengurt haben wir in deiner Hütte gefunden. Ist es dein Revolver?« Ich halte ihm den Kolben der Waffe mit den Anfangsbuch‐ staben J. D. unter die Nase. Er schaut mit flirrenden Augen hin und dann zu mir hoch: »Natürlich. Da steht ja mein Name. Kannst du nicht lesen?« »J. D. steht da, richtig. Du erkennst ihn also als dein Eigentum, Jill?« »Was soll der Quatsch! Ich werde doch wohl meine eigene Kanone kennen! Kane, was sagst du?« »Natürlich«, grollt Shurks Baß. »Da ist gar kein Zweifel möglich. Es ist dein Reservegurt, Jill.« »Danke«, nicke ich. Ich ziehe den Revolver und winke den Richter an meine Seite, der nur wenige Schritt entfernt ist. »Judge, ich bitte Sie als Zeugen herbei. Sie haben die Worte dieser beiden Gentlemen gehört?« »Natürlich, Mister Bragg. Gibt es irgendeinen Zweifel an dieser Aussage? Ich sehe doch selbst die Initialen J. D.« »Ja. Es stimmt alles ‐ bis auf eine winzige Kleinigkeit. Sehen Sie dieses Silberplättchen innen am Kolben, Judge?« »Gewiß.« 186
»Dann werde ich Ihnen etwas zeigen. Dieses Silberplätt‐ chen läßt sich nämlich aufklappen ‐ Sehen Sie, so. Und was lesen Sie dort innen? Welcher Name ist dort eingraviert?« »Natürlich Jill. . nein! Jim Deep! Jawohl, Jim Deep steht dort!« »Aha!« Ich lasse das Plättchen wieder zuschnappen und hebe die Stimme. »Jim Deep steht hier, denn dies ist Jims Revolver. Und Jim Deep wurde vor vier Wochen ermordet. Nun frage ich Sie, Judge ‐ wie kommt! der Revolver in De‐ lazons Hütte?« * Jill Delazon weicht einen Schritt zurück und duckt sich. Aber neben mir läßt Concho nur einen Knurrlaut hören ‐ und Jill Delazon wird blaß bis in die Lippen. Selbst Kane Shurk ist leicht erschüttert. Aber schon dröhnt sein Baß: »Das ist eine Lüge! Kein Mensch im ganzen Land weiß et‐ was von Jims Tod! Und kein Mensch glaubt diesem herge‐ laufenen Schafkerl, daß ...« »Schluß, Shurk!« donnere ich. »Das Spiel ist aus! Sie haben den Befehl zu Jims Ermordung gegeben! Sie haben dabei gestanden oder selbst mitgewirkt, als meine Männer getö‐ tet wurden. Zwei Zeugen haben es gesehen, als meine Boys in den Ghostly‐Canon geworfen worden sind.« »In den . .. Ghostly‐Canon . . .« zum erstenmal zittern seine Lippen. »Oh ja! Aber ich habe dies alles nur vorgebracht, um Sid Mola zu zeigen, daß er erledigt ist. Trux ‐ laß dich nicht aufhalten. Wir haben keine Zeit. Deine Rechte sind die äl‐ testen!« 187
Mochte die Stimmung im Raum zu Beginn noch ge‐ schwankt haben, jetzt stand sie einhellig auf unserer Seite. Diesem Beweis konnte sich niemand verschließen. Kane Shurk und seine Genossen sehen sich plötzlich einer Wand des Abscheus, der Verachtung und Feindseligkeit gegenü‐ ber. »Die letzte Schandtat«, sagt Trux in die völlige Stille, »deine letzte Schandtat, Sid Mola, war der Mord an Bud Abbott. Von hinten hast du ihn abgeknallt, weil er nicht dulden wollte, daß Jill Delazon Kitty Deeps Haus in Brand steckte. Dein Maß war vorher schon voll ‐ aber jetzt ist es überge‐ laufen. Es gibt kein Pardon mehr für dich. Bete dein letztes Gebet ‐ wenn du kannst!« Sid Mola ist völlig weiß im Gesicht. Jeder Blutstropfen ist gewichen. Er sieht sich gestellt ‐ und er denkt nicht ans Be‐ ten. Er stößt die Hände atemraubend schnell zu den Half‐ tern hinab, und mir wird angst und bange um Trux. Aber dann, als ich den Blick ein wenig schwenke, dann sehe ich den Revolver schon aus Trux’ Halfter fahren und schräg hochschwirren. Er schießt dreimal kurz hintereinander. Dreimal, aber so schnell, daß die Schüsse ineinander übergehen. Genau ge‐ nommen sind es nicht drei, sondern fünf Schüsse, die durcheinander brüllen . . . Sid Mola steht plötzlich auf den Zehenspitzen und reckt den Kopf hoch, als bekäme er keine Luft mehr. Auf seinem wunderbaren Lederhemd blühen scharlachrote Flecke auf, drei nebeneinander. Die Hände sinken schlaff herab, jetzt
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schon ohne Leben. Beide Revolver kippen vornüber auf den Boden. Dann stürzte Sid Mola vornüber aufs Gesicht.
19. Mit letzter Kraft Wir alle haben nur Augen für diese Szene gehabt. Wir alle haben erlebt, wie ein großmäuliger Revolverheld einem wirklichen Künstler mit dem Colt begegnet ist. Denn Trux steht da, völlig unberührt, völlig unverletzt. Er hat später gezogen als Sid Mola, aber er hat drei Kugeln schneller aus dem Lauf gebracht als Sid Mola eine. Mit der linken Hand. Es ist unbegreiflich. Wie gesagt ‐ wir stehen da und sind noch erstarrt, da gerät Kane Shurk in Bewegung. Völlig lautlos springt er zu und schmettert mir beide Fäuste an den Schädel. Wenn Concho mir nicht in letzter Sekunde einen Schubs gegeben hätte, der mich gegen die Theke schleuderte, ich hätte diese Schläge kaum verdauen können. So streifen sie mich nur. Well ‐ es ist wieder so wie vor drei Jahren. Wir stehen uns wieder gegenüber, Kane Shurk und ich. Wieder hat ihn sein unbezähmbarer Haß in den Kampf gestoßen. Ich drehe mich an der Theke herum und bin bereit, ihn zu empfan‐ gen. Er kommt an wie eine Dampfwalze. Er möchte mich festnageln, mit der Wucht seines massigen Körpers zer‐ quetschen. Aber den Gefallen tue ich ihm nicht, oh nein! Denn jetzt ist alle Wut, alle Erbitterung von mir abgefallen. Jetzt bin ich eiskalt. Als seine Rechte wie ein Dampfham‐ 189
mer angezischt kommt, tauche ich unter ihr durch und ramme ihm gleichzeitig die Linke bis zum Ellbogen in die Magengrube. Ah, dort ist er weich! Vor drei Jahren war er es noch nicht. Da hatte er noch keine Fettpolster angesetzt. Er japst richtig und knickt zusammen, als er meine Faust spürt. Und sofort drehe ich mich und schmettere die Rechte von hinten an den Kinnwinkel. Er kracht mit der Nase auf die Ecke der Theke und brüllt laut auf. Oh ja, Mister Shurk, so weh tut es, wenn Blut fließt! Nur ist es diesmal Ihr eigenes Blut! Er ist blind vor Wut und deshalb doppelt gefährlich. Er stürmt heran mit blutender Nase. Ich weiche zurück, bis ich mit dem Rücken an einen Tisch stoße und lasse mich fallen, als seine Faust kommt. Ehe er weiß, was los ist, bin ich schon wieder hoch, während er den Tisch umwirft und aufs Gesicht segelt. Fluchend kommt er hoch und schleudert einen Stuhl nach mir. Ich fange ihn auf und dresche ihn über seinen Schädel. Dann, ehe er die Augen wieder klar hat, schmettere ich eine Serie von Schlägen in seine Magengrube. Es nimmt ihm die Luft und läßt ihn stöhnen. Und wieder bin ich weg, als er schlägt. Plötzlich stolpere ich und liege auf dem Rücken. Ich rappe‐ le mich auf ‐ da ist er über mir. Er hat sich einfach vorwärts geworfen, hat die Chance erkannt und sie sofort ausge‐ nutzt. Wie ein Berg wälzt er sich auf mich und schlägt seine Pranken um meinen Hals. Für einen Augenblick habe ich keine Luft, mache mich ganz klein. Dann begreife ich, daß ich in tödlicher Gefahr bin. 190
Ich packe einen Finger seiner Hand, die um meinen Hals liegt und biege ihn mit aller Macht herum. Es knackt ‐ und er brüllt wieder auf. Meine Augen drohen aus den Höhlen zu treten, das Blut hämmert wahnsinnig in meinem Schä‐ del. Die Angst verleiht mir Riesenkräfte ‐ ich drücke mich auf die Knie hoch, mit dem unheimlichen Gewicht auf meinem Rücken, und ich werfe mich vorwärts, krache mit dem Kopf auf die Dielen und wälze das Gewicht von mir. Der Griff an meinem Hals löst sich. Taumelnd komme ich auf Hände und Knie. Shurk liegt ei‐ nen Schritt neben mir, seine Hände greifen nach mir, doch ich werfe mich zurück, weiche ihnen aus. Er ist eher auf den Beinen als ich, will sich wieder auf mich stürzen, doch ich kann gerade noch eine Rolle seitwärts machen, die mich unter ihm wegträgt. Dann bin ich so weit klar, daß ich auf die Füße komme . . Ich keuche, aber er keucht noch mehr. Schwankend wie ein Grisly kommt er auf mich zu. Vielleicht glaubt er, ich wür‐ de wieder ausweichen, aber jetzt greife ich an. Ich springe in ihn hinein, jage ihm die Fäuste in den Leib, peitsche sie in sein Gesicht, auf die Nase, die Augen, das Kinn. Ich höre es splittern, als sein Nasenbein zum Teufel geht Ich spüre seine Fäuste in meinem Leib, im Gesicht, aber es ist nicht schlimmer als Nadelstiche. Jetzt bin ich entfesselt, nicht mehr zu bremsen ‐ und wenn es auch Verrücktheit ist was ich tue. Die Vernunft ist zum Teufel. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Plötzlich liegt er zu meinen Füßen, liegt auf den Knien und winselt wie ein getretener Hund. Plötzlich knicken auch seine Arme und 191
Knie ein. Er wälzt sich und liegt still. Und irgendwo in wei‐ ter, weiter Ferne sagt eine schrille Stimme: »Das ist dein Ende, Rocky Bragg!« Es ist Dianas Stimme, und sie geht unter im Krachen eines Schusses. Etwas Heißes trifft mich dumpf in der Seite, ohne weh zu tun. Verwundert schaue ich an der Theke entlang. Dort steht sie ‐ Diana Shurk, geborene Delazon. Steht dort mit dem rauchenden Revolver in der Hand, mit einem Ge‐ sicht wie Asche. Und Concho springt sie an wie ein Panther, schlägt ihr die Waffe aus der Hand und schwingt das Messer. »Nein, Concho!« schreie ich. »Tu’s nicht, Concho!« Der Apache läßt das Messer sinken und dreht sich zu mir. Zum erstenmal sehe ich ein echtes Gefühl auf seinem Ge‐ sicht ‐ es sieht aus wie eine zerklüftete Landschaft. Er springt mit einem Knurrlaut in der Kehle von Diana weg zu ihrem Bruder Jill und stößt ihm das Messer bis zum Heft in die Brust... * Irgend jemand schiebt mir einen Stuhl unter. Die Lungen pumpen Luft. Ich taste nach jener Stelle unter dem Rippen‐ bogen, an der mich das heiße Etwas getroffen hat. Als ich die Hand betrachte, ist sie rot. Blut. Mein Blut. Der Schweiß auf meiner Stirn wird plötzlich kalt. Willie Gould kommt um die Theke herum und setzt ein Glas an meine Lippen. Sein mürrisches Gesicht ist jetzt ganz anders geworden.
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»Trink das, Rocky«, sagt er. »Und ich will verdammt sein, wenn ich das alles geahnt habe. Nimm mir das nicht übel, Rocky ‐ das von vorhin.« »Schon gut, Willie.« Trux streift mir die Jacke ab und schneidet das Hemd an der Seite auf. Ich schaue hinüber zum Ende der Theke, wo Diana gestanden hat. Sie ist von mehreren Leuten umringt, die sie hinausführen. Der Richter steht vor mir und fragt etwas, aber ich verstehe kein Wort. Sein Gesicht verdoppelt sich plötzlich und die beiden Gesichter drehen sich in ver‐ rücktem Wirbel. Ich schmecke etwas Salziges auf den Lip‐ pen ‐ kalten Schweiß. »Schräger Durchschuß«, höre ich in weiter Ferne eine Stimme. Es scheint Trux zu sein, der das spricht. Er ist tau‐ send Meilen weit entfernt, Komisch, daß es gar nicht weh‐ tut. Nur so ein leichtes Ziehen und Brennen ‐ aber der Schnaps, den Willie Gould mir eingeschenkt hat, brennt fast ebenso. Und dann schreien plötzlich die Menschen alle. Es ist ein Aufschrei, dann völlige Stille. Ich schüttele den Kopf. Was sie bloß haben. Das Gesicht des Richters kommt aus weiter Ferne wieder auf mich zu ‐ und dann wandert er zur Seite. »Bud!« sagt eine Stimme neben mir. »Bud Abbott! Um Got‐ tes willen . . .« Bud? Bud ist tot, Freunde. Er ist so tot wie Jim Deep und Escamillo und Sid Mola und Tonto und Hink Delazon und . . . ach, ich weiß keine Namen mehr. Bud ist tot, Jim ist tot. .. Aber diese Stimme. ‐ Ich will doch gleich verdammt sein, wenn das nicht Buds Stimme ist! Bin ich denn auch schon 193
tot, zur Hölle? Ich zwinge den Kopf herum, dorthin, woher die Stimme kommt. Dort steht er, Bud Abbott. Steht dort und hält sich an der Theke fest und ist von oben bis unten mit Blut besudelt. Oh Gott! Bud, alter Freund . . . Plötzlich bin ich wieder ganz da, kann alles sehen, fühlen, hören. Plötzlich spüre ich den bohrenden Schmerz in mei‐ ner Seite, so, als würde ein Messer dauernd hin‐ und her‐ gezogen. Bud Abbott wälzt sich mühsam herum und lehnt sich mit dem Rücken an. Der Himmel mag wissen, wie er es ge‐ schafft hat, hierher zu kommen . . . mit einer Kugel im Rücken hierher zu reiten! Er hält einen Revolver in der Hand, und die Waffe zeigt auf einen Punkt direkt neben mir. Ich schaue hin ‐ dort sitzt Kane Shurk und starrt aus zerschlagenen Augen zu Bud auf. Seine Lippen zittern. »Bud«, stöhnt er, »Bud, leg das Schießeisen weg. Du bist mein Vormann gewesen, Bud. Tu’s nicht!« Buds Stimme ist tonlos und so leise, daß sie kaum zu ver‐ stehen ist. Und doch hört jeder im Raum, was er sagt. »Ich wollte, ich hätte dich nie gesehen, Kane Shurk. Du hast alles zerstört, was in diesem Land schön war. Du bist ein Untier ‐ und ich habe dir Vertrauen geschenkt.« Der Revolver hebt sich Zoll um Zoll. Buds Daumen zwingt den Hammer herunter und läßt ihn fallen. Die Waffe brüllt auf. Noch einmal zwingt Bud den Hammer herunter. Noch einmal kracht der Schuß.
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Dann ist es still. Die Waffe rutscht aus Buds Hand. Er nickt mir zu und lächelt. Trux fängt ihn auf, als er zusammenb‐ richt. . . Yeah, Freunde, das ist die Story von Kane Shurk und sei‐ nem verrückten Plan. Es ist die Geschichte meiner Freunde und meine eigene. Es hat so harmlos angefangen, aber es wurde ein Weg durch Blut und Tränen. Der Winter ist ver‐ gangen. Seit einigen Wochen bin ich wieder auf den Füßen und kann dem Lazarett, in dem ich seit langen Wochen ge‐ legen habe, meinen Besuch abstatten. Wade Holm sitzt schon am Fenster und schaut auf die sprießenden Blüten hinaus, aber mit Bud Abbott wird es noch gute Weile ha‐ ben, bis er wieder in den Sattel klettern kann. Übrigens ‐ Kittys Haus steht wieder. Ich habe am ersten Ostertag den ersten Ritt dort hinaus getan. Und jetzt sattle ich Grey Star wieder, denn heute feiern wir auf meiner Ranch Richtfest. Aus Schutt und Asche soll ein neues Glück wachsen ‐ für uns alle. Es ist ein Tag, wie man ihn nur in Arizona findet. Über den Hügeln steigen Lerchen in die Lüfte, und ein blauer seidi‐ ger Himmel spannt sich über all der Pracht. Aber richtig glücklich bin ich erst, als ich die Gestalt am Rande der Straße erkenne, die auf mich gewartet hat. Sie hat ein hübsches buntes Kleid an, so bunt wie der Frühling ringsum. Und sie lächelt zu mir auf und streckt mir die Hände entgegen und sagt: »Endlich, Rocky.« Ich steige ab und setze mich neben sie. Ich ziehe sacht ihren Kopf zu mir herüber und sage: »Ja, Kitty ‐ endlich. Willst du mit mir kommen ... für immer?« 195
Sie nickt. Und als ich ihre Lippen spüre, zieht für immer Frieden in mein Herz.
Ende
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