Nr. 1760
Verrat auf Ambraux Atlan bei den Crypers - er stößt auf das Geheimnis des CHASCH von H. G. Francis
Wie ein H...
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Nr. 1760
Verrat auf Ambraux Atlan bei den Crypers - er stößt auf das Geheimnis des CHASCH von H. G. Francis
Wie ein Heuschreckenschwarm sind Millionen von Galaktikern in der kleinen Galaxis Hirdobaan eingefallen, rund 118 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Ihr einziges Ziel: Sie wollen Imprint-Waren kaufen, wollen den »Zauber der Hamamesch« wieder spüren. Die Imprint-Outlaws wurden durch einen bislang undurchschaubaren Plan der fischähnlichen Hamamesch nach Hirdobaan gelockt: Zuerst machten die Händler sie mit mysteriösen Waren süchtig, und dann sagten sie, man könne in ihrer Heimat mehr von diesem Zauber bekommen. Als die BASIS im Sommer 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung unter dem Kommando von Perry Rhodan vor der kleinen Galaxis eintrifft, werden auch Rhodan und seine Freunde mit dieser ungewohnten Situation konfrontiert. Sie erfahren einige Hintergründe über das Machtsystem der Hamamesch und über ihre Gegner, die Crypers. Bei der BASIS sammeln sich Hunderte von galaktischen Raumschiffen. Kompliziert wird die Situation in Hirdobaan durch kampfstarke Einheiten der Imprint-Outlaws, die auf eigene Faust die Galaxis durchstöbern. Dazu gehören auch Einheiten der Unither, die in einem Raumgefecht mit den Fermyyd, der Ordnungstruppe der kleinen Galaxis, aufgerieben werden. Mittlerweile ist Atlan bei den Crypers unterwegs – und er wird konfrontiert mit dem VERRAT AUF AMBRAUX …
Verrat auf Ambraux
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide stößt ins Labyrinth des CHASCH vor. Ronald Tekener - Der Smiler lernt eine Crypers-Waffe auf ungewöhnliche Art kennen. Coram-Till - Der Anführer der Ambraux-Crypers wird Opfer einer Intrige. Erno-Regor - Ein mysteriöser Crypers-Kommandant. Lecce-In - Ein CHASCH-Taucher vom Volk der Origaner.
1. Wenige Schritte vor dem Schott zur Hauptleitzentrale der NIKKEN blieb Ronald Tekener, der Galaktische Spieler, stehen. Er blickte Atlan an. »Ich bin sicher, daß unser Versprechen großen Eindruck auf Coram-Till gemacht hat«, sagte er. »Allerdings«, bestätigte der Arkonide. »Dieser Meinung bin ich auch. Und nicht nur ihn wird es beeindrucken, sondern alle Crypers, die davon erfahren.« Die beiden Zellaktivatorträger hatten inzwischen das Vertrauen und die Freundschaft des Cryper-Rebellen gewonnen. Eine Geste unterstrich dies besonders deutlich: Sie hatten ihre SERUNS und die Waffen ausgehändigt bekommen. »Wir werden Coram-Till Überlichtantriebe aus den Beständen der BASIS beschaffen«, fuhr Tek fort. Ein flüchtiges Lächeln glitt über seine narbigen Lippen. »Ich schätze, davon träumt unser Freund mittlerweile schon, denn das würde Unabhängigkeit von den Hamamesch und ihren Schiffen bedeuten.« Atlan nickte. »Bei unserem letzten Treffen hat er die Hoffnung ausgesprochen, daß die Origaner die Aggregate nachbauen können«, sagte er. »Aber da irrt er sich wohl.« »Richtig. Die Origaner. Es wird Zeit, daß wir ihn fragen, wer die Origaner sind«, mahnte der Smiler. Eine Minute später stellte er dem Anführer der Cryper-Rebellen eine entsprechende Frage. Coram-Till hielt sich wie erwartet in der Zentrale seines Flaggschiffes auf. »Da gibt es nicht viel zu erzählen«, ant-
wortete der Rebell knapp und schwieg sich danach aus. Er war 1,99 Meter groß, ein charismatischer Draufgänger, der oft recht aufbrausend sein konnte, sich jedoch stets um Beherrschung bemühte. Bei seiner NIKKEN handelte es sich um ein von den Fermyyd erbeutetes, zigarrenförmiges Regenbogenschiff. Es war etwa 300 Meter lang. Bei dem modifizierten Hamamesch-Raumer waren einige Laderäume weggelassen worden, um ihn schlanker zu machen und ihn mit starken Geschützen bestücken zu können. Daß Coram-Till daran interessiert war, einen eigenen Überlichtantrieb zu erhalten und somit von den Hamamesch vollkommen unabhängig zu werden, lag auf der Hand. »Erzähl's trotzdem«, bat ihn Atlan. Der Arkonide machte einen ruhigen, ausgeglichenen Eindruck. Er ließ sich in einen freien Sessel sinken und beobachtete die Ortungsschirme, an denen Phora-Sugh arbeitete. Er schien nur am Rande an den Origanern interessiert zu sein und nur auf den Kurs der NIKKEN zu achten, der das Raumschiff zur 200.000 Lichtjahre nahen Spiralgalaxis Queeneroch führen sollte. »Die Origaner sind einst – ebenso wie die Galaktiker – nach Hirdobaan gekommen, von den Hamamesch jedoch ausgebeutet und nahezu vollkommen ausgerottet worden«, antwortete Coram-Till. Die Worte kamen ihm zäh und zögernd über die Lippen, als habe er Mühe, jede einzelne Silbe zu formulieren und auszusprechen. Es schien ihm nicht leichtzufallen, über die Origaner zu reden. Ein Grund für diese Haltung war nicht erkennbar. »Einige Origaner sind von uns Crypers gerettet und nach Queeneroch gebracht worden«, fügte er hinzu.
4 Atlan und der narbengesichtige Tekener wechselten einen kurzen Blick. Diese Worte klangen in ihren Ohren, als hätten die Hamamesch ähnliches wie mit den Galaktikern und den Imprint-Waren schon in der Vergangenheit getan. Der Arkonide wollte mehr über die Origaner wissen, doch Coram-Till war nicht bereit, weitere Auskünfte zu geben. »Sie sind nicht so wichtig, als daß wir uns länger über sie unterhalten sollten«, wies er weitere Fragen ab. Atlan erkannte, daß es zu Verstimmungen führte, wenn er den Cryper weiter bedrängte, und lenkte das Thema geschickt auf andere Dinge. So fragte er Coram-Till nach seinem Heimatplaneten Ambraux, und nun war der Kommandant gern bereit, Fragen zu beantworten und einiges zu erzählen. Nach etwa einer Stunde zogen sich die beiden Galaktiker zurück. Die NIKKEN erreichte Queeneroch am 4. Juli des Jahres 1220 NGZ und steuerte den Ambraux-Arm der Galaxis an, eine dichte Sternenzone in der Peripherie auf der Hirdobaan gegenüberliegenden Seite. Tekener stellte fest, daß sie sich somit in Richtung Milchstraße bewegten. Kurz bevor Atlan und der Terraner Coram-Till erneut in der Zentrale aufsuchten, machte die NIKKEN völlig überraschend einen Zwischenstopp. »Was ist los?« fragte der Arkonide. Er blickte auf die Monitoren, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken. »Wir funken einen Erkennungskode«, antwortete Coram-Till. »Er geht an eine Wachstation.« »Wozu?« wollte Tek wissen. »Fürchtest du, auf Hamamesch zu treffen?« »Nein«, erwiderte der Cryper. »Wir wollen nur sicherstellen, daß wir ungehindert in das Gebiet der Ambraux einfliegen können.« »Also euer Hoheitsgebiet«, stellte der Arkonide fest. »Sozusagen«, bestätigte der Kommandant. »Die Einflußbereiche der sieben Cryper-Gruppen sind durch Warnsysteme gesi-
H. G. Francis chert. Diese sorgen dafür, daß wir rechtzeitig gewarnt werden, falls sich Hamamesch oder gar Fermyyd nähern und uns angreifen.« »Ich verstehe«, sagte der Galaktische Spieler. »Das ist sinnvoll. Ich habe nur nicht damit gerechnet, daß du einen Stopp einlegen mußt, um den Kode zu senden.« »Man kann nicht vorsichtig genug sein«, begründete es Coram-Till. »Wer vorbeirast, wird angegriffen. Wer einen Stopp einlegt, weiß um die Gefahr und kennt den Kode.« Er setzte sich den beiden Galaktikern gegenüber in einen Sessel. Seine große, kräftige Gestalt war beeindruckend. »Ich bedaure nur, daß die Cryper-Gruppen untereinander uneinig sind«, fuhr er fort. »Sie haben dasselbe Vorwarnsystem, aber das ist auch so ziemlich das einzige, was sie gemeinsam tun. Ansonsten sind sie sich uneinig und behindern sich gegenseitig, um zu verhindern, daß einer von ihnen zu einflußreich wird. Wir wären wesentlich stärker und hätten bessere Erfolgsaussichten gegen die Hamamesch, wenn wir uns einig wären.« »Und warum seid ihr nicht einsichtig und einigt euch?« fragte der Terraner. »Gibt es keine gemeinsame Basis? Reicht es nicht aus, daß ihr einen gemeinsamen Feind habt?« »Viele von uns sind zu engstirnig«, eröffnete der Cryper ihm. »Sie sehen nicht die Gemeinsamkeiten, sondern nur ihren eigenen Vorteil. Sie haben Ansprüche, die sich nicht verwirklichen lassen, und sie wollen nicht wahrhaben, daß wir uns durch unsere Uneinigkeit selbst schwächen.« Er legte den Kopf in den Nacken und blickte zur Decke hoch, als sei dort oben eine Antwort auf die vielen Fragen zu finden. »Auch durch eure Anwesenheit wird sich nichts ändern«, gab sich Coram-Till pessimistisch. »Ich gebe zu, daß ich zeitweilig anders gedacht habe. Ich habe gehofft, daß sich etwas in den Köpfen einiger Crypers ändert, wenn wir die Unterstützung der Galaktiker bekommen. Mittlerweile aber kann ich nicht mehr so recht daran glauben. Es
Verrat auf Ambraux gibt immer Persönlichkeiten, die den eigenen Nutzen über den unserer Völker stellen. Es ist wie mit dem Selama.« »Davon habe ich nie gehört«, sagte Atlan. »Es ist Kalam, die Zeit, in der die großen Schwärme an die Küste von Cryam, der Ambraux-Hauptstadt, kommen«, erklärte der Cryper. »Zu dieser Zeit findet ein großes Fest bei uns statt, denn das Meer spendet uns Köstlichkeiten wie zu sonst keiner anderen Zeit. Dabei ist auch der Selama, von dem man nur ein kleines Stück aus dem Rücken essen kann. Es ist eine Kunst, dieses Tier zu zerteilen. Wer dabei einen Fehler macht, verwandelt das Fleisch in pures Gift. Binnen Sekunden führt es mit absoluter Sicherheit zum Tod. Die Crypers könnten sich einig sein und das Zerschneiden des Selama einigen wenigen überlassen, die kunstfertig genug dazu sind, doch sie sind es nicht. Sie reißen sich darum, es selbst zu tun, und sie riskieren sogar ihr Leben, um anderen beweisen zu können, daß sie die Kunst beherrschen. Dadurch gibt es immer wieder viele Opfer zur Zeit der Kalam. Vielleicht ist unser Volk dazu verurteilt, uneinig zu sein.« Die NIKKEN flog in den dichten Sternenarm ein, ging zum Unterlichtflug über und erreichte das Sillis-System. Langsam näherte sie sich dem fünften Planeten: Ambraux, Heimatwelt von Coram-Till, eine erdähnliche Sauerstoffwelt mit zwei kleinen Monden. Atlan und Tekener riefen sich in Erinnerung, was sie von den Ambraux-Crypers wußten, die unter dem Oberkommando von Coram-Till standen. Sie waren mit rund 350 eroberten Hamamesch-Raumern ausgestattet und bewohnten 30 Sonnensysteme. Zu ihrer Rebellengruppe, die besser ausgerüstet war als jede andere, gehörten etwa eine Milliarde Mitglieder. Die von ihnen besiedelten Planeten lagen alle in der sternenreichen Zone an der Peripherie von Queeneroch. Ambraux war der fünfte von zwölf Planeten der Sonne Sillis, hatte etwa 100 Millionen Einwohner und war die am dichtesten bewohnte Welt der Crypers.
5 Bevor die NIKKEN landete, setzte Coram-Till sich mit dem Raumschiffskommandanten Knat-Oran in Verbindung und schickte ihn als Boten zur BASIS. Perry Rhodan sollte darüber informiert werden, wo sich Atlan und Tek aufhielten und daß es ihnen gutging. Danach erst landete das Raumschiff auf dem primitiven, rissigen Betonboden des Raumhafens nahe der Hauptstadt Cryam. Die Stadt lag im Delta eines großen Flusses und verteilte sich auf unzählige natürliche und künstliche Inseln. Atlan und Tekener erfuhren, daß die Stadt annähernd zwei Millionen Einwohner hatte, von denen ein erheblicher Teil vom Fischfang und der dazugehörigen Industrie lebte. Der Raumhafen lag abseits des Deltas im Landesinneren. Während Atlan und Tekener die Zentrale verließen, traf Coram-Till allerlei Vorbereitungen für den Besuch der nahen Hauptstadt, wo er bereits erwartet wurde. Die NIKKEN sollte für etwa zwei Wochen – nach Hirdobaan-Zeitrechnung ein halber Zehner – auf Ambraux bleiben. Die beiden Galaktiker wollten die Zeit nutzen, um das Leben auf diesem Planeten näher kennenzulernen. Als sie drei Stunden nach der Landung die NIKKEN in einem großen Gleiter verließen, zogen ihnen Tausende von Crypers entgegen. Sie säumten den Flugweg zur Hauptstadt; viele hatten sich mit bunten Tüchern versehen, die sie voller Begeisterung schwenkten. Obwohl sein letzter Einsatz ein totaler Fehlschlag gewesen war, wurde Coram-Till von der Bevölkerung wie ein Held empfangen. »Sie haben volles Vertrauen in ihren Anführer«, stellte der Mann mit den LashatNarben fest. »Sie kennen seine Fähigkeiten, und sie halten große Stücke auf ihn.« Coram-Till ließ nicht erkennen, ob diese Worte irgendeine Wirkung auf ihn erzielten. Mittlerweile hatte er ihnen erklärt, daß er nur eine Art militärischer Oberbefehlshaber war, während die Verwaltung des Planeten dem betagten Cryper Mello-Cam unterstand.
6 »Mello-Cam ist im Prinzip gegen, Piraterie und militärische Aktionen in meinem Stil«, hatte Coram-Till erläutert, als sie sich dem Planeten genähert hatten. »Er sieht aber ihre Notwendigkeit ein. Wenn es nach ihm ginge, würden wir den friedlichen Weg gehen, so, wie ihn Capra mit seinen SoltenCrypers beschreiten will. Allerdings weiß er nicht, wie wir dann die Maschinen bekommen sollen, die wir dringend benötigen. So ist es mit vielen Crypers. Sie möchten ganz gern auf eine bestimmte Art und Weise leben und die Realität ignorieren, verlangen aber gleichzeitig, daß sich Wünsche erfüllen, die sich auf diesem Weg nicht verwirklichen lassen. Mello-Cam wird enttäuscht sein, daß wir die erhoffte Technik, vornehmlich landwirtschaftliche Geräte, nicht mitbringen, denn daran fehlt es auf Ambraux ganz besonders. Vielleicht macht er mir gar Vorwürfe deswegen, um mir schon mit seinen nächsten Worten zu empfehlen, die Piraterie, wie er es nennt, endlich aufzugeben.« Ronald Tekener und der Arkonide saßen im hinteren Teil des Gleiters. Sie blickten auf die zahlreichen Inseln hinab, von denen manche kaum größer als zehn Quadratmeter waren. Sie sahen, daß eine Zahl dieser Inseln auf Holzpfählen errichtet worden war, während nur sehr wenige aus Sand oder Fels bestanden. Viele Inseln waren durch abenteuerlich aussehende Brücken aus Holz miteinander verbunden, und aus der Höhe war ein Netz aus Rohrleitungen zu erkennen, das unter der Wasseroberfläche verlegt worden war. Coram-Till erklärte, daß damit die Abwässer der Millionenstadt gesammelt und weit ins Meer hinaus geleitet wurden. Überall ankerten Fischerboote unterschiedlichster Größe, und auf einigen der größeren Inseln fanden Märkte statt, auf denen Fische, Obst und Gemüse und allerlei Trödel verkauft wurden. Moin-Art, der Stellvertretende Kommandant der NIKKEN, lenkte den Gleiter bis zu einer ovalen, etwa hundert Meter langen Insel. Unter grünen Bäumen stand ein kleines,
H. G. Francis flaches Gebäude. Er landete davor, und Coram-Till teilte den beiden Galaktikern mit, daß sie in den nächsten Tagen hier wohnen sollten. »Ihr findet alles vor, was ihr benötigt«, sagte er, und dann legte er seine Hand kurz an sein Armbandkombigerät, das vor allem der Kommunikation diente. »Mich könnt ihr jederzeit erreichen.« »Moment mal, da stimmt was nicht«, sagte Moin-Art plötzlich. Er war ein argwöhnischer Mann, den schon die kleinste Unregelmäßigkeit irritieren konnte. »Es stehen zwei Gleiter neben dem Haus. Einer sollte aber nur dasein.« Er griff nach seiner Waffe, ließ die Hand jedoch sogleich wieder sinken, als ein hochgewachsener Cryper in einer dunkelblauen Kombination aus dem Haus kam und grüßend beide Hände hob. »Erno-Regor«, sagte Coram-Till überrascht. »Der Kommandant von Caston-Pragamas INDIKAR«, erläuterte Moin-Art den beiden Galaktikern mit gedämpfter Stimme. »Was will der denn hier?« »Ich hatte keine Ahnung, daß er hier bei uns in der Gegend ist«, versetzte der militärische Anführer der Ambraux-Crypers. Er stieg aus dem Gleiter, näherte sich ErnoRegor und erwiderte den Gruß. Tekener fiel auf, daß sein Stellvertreter an Bord der NIKKEN die Waffe in die Hand nahm, um für den Notfall schußbereit zu sein. Moin-Art war wirklich ein argwöhnischer Mann. Zusammen mit dem Arkoniden verließ Tek den Gleiter und ging einige Schritte auf das Haus zu. »Was führt dich hierher?« fragte CoramTill den unerwarteten Besucher. »Die Tatsache, daß unsere sieben Gruppen untereinander uneinig sind«, antwortete Erno-Regor. »Das ist nicht neu und kann eigentlich kein Anlaß für einen spontanen Besuch sein«, wunderte sich Coram-Till. »Ist es auch nicht«, gab der Besucher zu-
Verrat auf Ambraux rück. Er war über zwei Meter groß, hatte ungemein breite Schultern und schmale Hüften. Seine Lippen waren sehr schmal und dünn für einen Cryper, und die Augen waren klein, quollen nicht an den Seiten des Kopfes hervor, sondern lagen in Einbuchtungen. »Wir sollten ins Haus gehen, wenn es etwas zu verhandeln gibt«, schlug Coram-Till vor. Er gab nicht nur Atlan und Tek ein Zeichen, ihm zu folgen, sondern auch MoinArt. Der argwöhnische Stellvertreter stieg zögernd aus dem Gleiter, schob die Handfeuerwaffe – die drei Läufe hatte – an die Hüfte und blieb neben dem Gleiter stehen. Er blickte zu den anderen Maschinen der NIKKEN hoch, die dem Kommandantengleiter bisher gefolgt waren und nun schwebend über der Insel ausharrten. Er wechselte einige Worte mit einem der Crypers und ging erst dann ins Haus. Die Gleiter schwärmten aus und suchten die nähere Umgebung des Gebäudes ab, um es gegen feindliche Aktionen zu sichern, die möglicherweise drohten. »Er übertreibt«, sagte Ronald Tekener leise. »Kein Cryper kann so töricht sein, Coram-Till hier anzugreifen. Die Bevölkerung der Stadt würde ihn in der Luft zerreißen.« Coram-Till und Erno-Regor hatten im Haus Platz genommen. Nachdem sie einige Höflichkeiten ausgetauscht hatten, kam der Kommandant der INDIKAR auf den Grund seines Besuches zu sprechen. Er beachtete Atlan und Tekener nur am Rande, als diese ins Haus kamen. »Ich habe euch die Nachricht zu überbringen, daß Caston-Pragama eine Versammlung aller Cryper-Führer auf dem Planeten Connox einberufen will«, berichtete der Besucher. »Das nenne ich eine Überraschung«, meinte Coram-Till. »Sollte Capra versuchen, eine Einigung aller Gruppen herbeizuführen? Sollte aus dem charismatischen Realisten ein Träumer geworden sein? Ich kann es mir nicht vorstellen.«
7 »Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen.« Erno-Regor erhob sich. »Das ist schon alles, was ich dir als sein Kurier sagen wollte. Ich weiß selbst, daß eine solche Einigung kaum zu erreichen ist, bin jedoch der Meinung, daß alle an der Versammlung teilnehmen sollten. Auch du.« »Darüber muß ich nachdenken.« »Das solltest du auf jeden Fall tun.« Coram-Till blickte den Kommandanten der INDIKAR forschend an. »Obwohl du dich Kurier Capras nennst, finde ich es seltsam, daß du mich aufsuchst, um mir das mitzuteilen«, gestand er. »Der Grund kann nicht allein darin liegen, daß du und deine Gruppe eine Einigung wollen.« »Es geht um mehr«, eröffnete ihm ErnoRegor. »Jeder der Anführer will vor dem Treffen mit Caston-Pragama sprechen. Du weißt selbst, daß ein Gespräch mit Capra nicht so ohne weiteres möglich ist. Ich bin in der Lage, dir einen Termin bei ihm zu beschaffen. Das wird allerdings einige Zeit dauern und ist mit Kosten verbunden.« Jetzt war die Katze aus dem Sack. Der Stellvertreter von Caston-Pragama wollte seine enge Verbindung zu dem Solten-Cryper nutzen, um finanzielle Vorteile aus dem bevorstehenden Treffen zu ziehen. »Ich werde auch darüber nachdenken«, versprach Coram-Till, ohne erkennen zu lassen, was er empfand. »Morgen gebe ich dir Bescheid.« Erno-Regor legte grüßend seine Fingerspitzen an die Schläfen und verließ das Haus. Unmittelbar darauf startete sein Gleiter. »Ein geschäftstüchtiger Mann«, sagte Ronald Tekener. Dabei glitt das berühmt-berüchtigte Lächeln über sein von Narben entstelltes Gesicht. Es verriet, daß ihm der Auftritt des Kuriers nicht behagte und daß er die charakterlichen Qualitäten dieses Mannes nicht besonders hoch einschätzte. »Ich sehe das keineswegs negativ«, entgegnete Coram-Till. »Es hätte mich überrascht, wenn Erno-Regor sich nicht als be-
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zahlter Vermittler eingeschaltet hätte. Ich kenne ihn bereits seit vielen Jahren. Er ist immer geldgierig gewesen.« »Wer ist Caston-Pragama?« fragte der Arkonide. »Ich werde dich später ausführlich über ihn informieren«, vertröstete ihn Coram-Till. »Ich muß jetzt zu Mello-Cam. Allerdings kann ich heute noch nicht mit ihm über diese Einladung reden. Er wird sie mir frühestens morgen übergeben und dann mit mir diskutieren. Heute will das Volk uns feiern, und Mello-Cam besteht darauf, daß wir ihm Gelegenheit dazu geben.« Er bat die Galaktiker, das Haus nicht vor dem kommenden Tag zu verlassen. »Dann bringe ich euch zu Mello-Cam«, kündigte er an. »Bis dahin haltet euch bitte in der Öffentlichkeit zurück. Wenn die Ambraux-Crypers feiern, geht es teilweise recht temperamentvoll zu. Einige junge Männer nutzen die Gelegenheit, um mal richtig über die Stränge zu schlagen.« »Ich verstehe«, entgegnete Atlan. »Du kannst beruhigt sein. Wir haben kein Interesse daran, in Schlägereien verwickelt zu werden.« Coram-Till verabschiedete sich und flog mit seinem Troß weiter. Atlan und Tekener blieben allein im Haus zurück. »Ich kann es kaum erwarten, morgen über die Inseln zu streifen«, sagte der Galaktische Spieler. »Vielleicht finde ich irgendwo ein paar besondere Waffen.« Ronald Tekener war ein Waffensammler, der eine Sammlung von einmaligem Unifang besaß. Kaum jemand sonst hatte so viele exotische Waffen aus so vielen Teilen des Universums zusammengetragen wie er.
2. Erno-Regor flog nur etwa einen Kilometer weit. Dann landete er auf einer kleinen Insel, auf der ein offenes Feuer brannte. Die massigen Gestalten von spärlich bekleideten Fischern saßen um das Feuer herum. Fast alle trugen nur grüne Tücher aus einem sei-
denartigen Stoff, den sie sich um die Hüften gewunden hatten. Es war das Zeichen ihrer Würde. Männer mit diesen Tüchern hatten das Privileg, den Selama, dieses überaus edle Tier, jagen zu dürfen, das in jedem Jahr nur ein einziges Mal vor dieser Küste auftauchte, um hier zu laichen, während es in der übrigen Jahreszeit in der Tiefsee lebte, unerreichbar für die Fanggeräte. Erno-Regor landete neben dem Haus, wo es dunkel war. Nachdem er einige Minuten gewartet und sich davon überzeugt hatte, daß ihn niemand beobachtete, streifte er die dunkelblaue Kombination ab und entkleidete sich vollkommen, um sich dann ebenfalls ein dünnes, grünes Tuch um die Hüften zu legen. Er wickelte es in vorgeschriebener, äußerst komplizierterweise, die allein schon eine Kunst für sich war, und schloß es über der Hüfte, indem er es zweifach verknotete. Auch die Knoten mußten nach genau festgelegten Richtlinien geknüpft werden, so daß sich das Tuch in ihnen in bestimmter Weise faltete. Die Knoten gaben den Wissenden Auskunft nicht nur über seine Herkunft, sondern auch über seine Verdienste und Auszeichnungen, über seinen Glauben und über die Tiere, die ihm zu jagen gestattet waren. Allein zu lernen, wie man den Knoten richtig band, hatte ihn viele Zehner Zeit gekostet. So ausgestattet betrat der Cryper ein kleines, einfaches Haus, in dem an einem offenen Kamin ein Feuer brannte. Ein alter Mann saß daran. Cryam lag im Äquatorgebiet des Planeten und hatte ein warmes und ausgeglichenes Klima. Von den überaus heißen Sommern und den extrem kalten Wintern der nördlichen und der südlichen Hemisphäre war in diesem Bereich nichts zu spüren. Dennoch schien der alte Mann zu frieren. Er streckte seine Arme aus und hielt die Hände mit den offenen Handflächen zum Feuer hin, um sich zu wärmen. »Ehre dem Alter«, grüßte Erno-Regor. »Demut der Jugend«, antwortete der
Verrat auf Ambraux Mann am Feuer. Er wandte sich dem Besucher zu und bot ihm mit einer freundlichen Geste Platz an. Erno-Regor dankte und setzte sich. »Ich habe es ihm übermittelt«, berichtete er. »Coram-Till ziert sich noch. Er behauptet, er müsse nachdenken, doch bin ich sicher, daß er der Einladung folgen und mit Capra reden wird.« »Gut«, lobte der Alte. Er hatte große, vorquellende Augen; als er sein Gegenüber ansah, drehte er den Kopf leicht zur Seite. Sein Gesicht hatte einen geradezu dämonischen Ausdruck. Erno-Regor erschauerte. Ihm war nie zuvor ein Mann mit einer derartigen Ausstrahlung wie dieser Alte begegnet, der keinerlei offizielle Ämter auf Ambraux bekleidete und der politisch vollkommen bedeutungslos zu sein schien. Tatsächlich jedoch hatte er einen ungeheuren Einfluß vor allem auf die Fischer des Planeten und damit auf eine der bedeutendsten Bevölkerungsgruppen. »Nichts ist wichtiger als die Einigung. Wenn wir unsere Kräfte bündeln, werden wir die Freiheit gewinnen. Verfolgt jeder wie bisher seine eigenen Ziele, werden wir scheitern. Kleine Meerestiere finden sich zu Schwärmen zusammen, weil sie damit die großen Meeresräuber täuschen. Ihnen bietet sich das Bild eines Gegners, der größer als er selbst ist, und das schreckt ihn von einem Angriff ab. Aber wehe, er findet einen einzelnen Fisch außerhalb des Schwarms. Er wird ihn sich augenblicklich zu seiner Beute machen.« Erno-Regor griff nach einigen kleinen, gerösteten Meeresfrüchten, die in einer Schale auf dem Tisch lagen, und verzehrte sie. »Du hast recht«, sagte er. »Aber in jedem Schwarm muß es einen geben, der alle anderen lenkt, der ihnen die nötigen Befehle erteilt, sonst löst sich der Schwarm auf, und alle Tiere streben in verschiedenen Richtungen davon.« Der Alte nahm ebenfalls einige Meeresfrüchte und aß sie. Er nickte gewichtig.
9 »Coram-Till darf es nicht sein«, sagte er danach. »Coram-Till wird es nicht sein«, stimmte sein Besucher zu. Er blickte den alten Mann voller Ehrfurcht an. Bei ihm war er aufgewachsen, von ihm war er ausgebildet worden, und bei ihm hatte er vieles gelernt – allerdings nicht auf diesem Planeten und nicht bei diesem Cryper-Stamm. In zahllosen Gesprächen hatte der alte Mann ihn mit der Vergangenheit der Crypers vertraut gemacht und ihm manche Weisheit offenbart, die bestimmend für sein ganzes Leben geworden war. »Dafür werde ich sorgen.« »Schon als du noch ein kleiner Junge warst, habe ich gewußt, daß du für Großes bestimmt bist«, sagte der alte Mann und blickte Erno-Regor mit flammenden Blicken an. Er streckte seine Hände aus und faßte ihn an beiden Armen. »Ich habe versucht, deinen Willen zu stärken und deinen Geist zu schärfen. Nun ist es dir gelungen, bis in die unmittelbare Nähe der Mächtigen zu kommen. Es ist an der Zeit, selbst ein Mächtiger zu werden!« »Ich habe die Weichen gestellt«, bestätigte Erno-Regor. Der Alte blickte ihn lange schweigend an. »Es gibt ein Problem, das mir zu schaffen macht«, versetzte er dann. »Coram-Till ist nicht allein. Zwei Galaktiker sind bei ihm. Auf der einen Seite können sie von großer Bedeutung für unser Volk sein, auf der anderen Seite stellen sie eine Gefahr für dich dar, denn sie könnten deine Pläne durchkreuzen.« »Sie sind nicht die einzigen Galaktiker«, stellte der Kommandant fest. »Es gibt viele von ihnen. Nach vorliegenden Informationen sollen es Millionen sein, doch diese beiden sind zwei Säulen seiner Macht.« »Bei einer so großen Zahl spielen zwei keine Rolle. Und wenn sie Säulen seiner Macht darstellen, dann schwäche ihn und brich sie weg!« »Du hast recht«, sagte Erno-Regor. »Es ist Kalam, und die großen Schwärme kommen. Wir alle wissen, daß sie von gefährli-
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chen Räubern begleitet werden, und wir verhalten uns entsprechend. Die Galaktiker wissen es nicht. Sie werden ihrer Unwissenheit zum Opfer fallen.«
* Mello-Cam war ein betagter Cryper. Er empfing Coram-Till und die beiden Galaktiker am Tag nach ihrer Landung auf Ambraux in einem schlichten Gebäude, dessen Inneres mit allerlei Trophäen und kunstvollen Darstellungen aus dem Meer geschmückt war. Wenn Atlan und Tekener sich noch nicht klar darüber gewesen waren, welche Bedeutung die Fischerei für Ambraux spielte, dann mußte es ihnen spätestens hier bewußt werden. So konnte es nicht überraschen, daß Mello-Cam ihnen zur Begrüßung eine Schale mit Meeresfrüchten anbot. Sie aßen ein wenig und wurden von dem Geschmack angenehm überrascht. Coram-Till hatte sie bereits darauf vorbereitet, daß Mello-Cam im Prinzip gegen die Piraterie war und daß er sich darüber auslassen würde. Das tat er tatsächlich, und der Anführer der Crypers hörte geduldig zu, ohne ihm mit seinen Argumenten zu begegnen. Ambraux hatte gar keine andere Wahl. Da der Planet so gut wie keine eigene Produktion von industriellen Gütern kannte, war er darauf angewiesen, sich alles außerhalb zu besorgen, was hier nicht hergestellt werden konnte; dabei hatte er nur die eine Möglichkeit: die Piraterie. Das mußte auch MelloCam klar sein. Daß er sich dennoch dagegen aussprach, warf ein bezeichnendes Licht auf die innere Zerrissenheit seiner Persönlichkeit. »Ich würde den friedlichen Weg vorziehen, wie ihn Capra mit seinen Solten-Crypers beschreiten will«, schloß der Alte das Thema ab. Dann äußerte er sich enttäuscht darüber, daß Coram-Till die erhoffte Technik, vor allem die für den landwirtschaftlichen Bereich, nicht von seinem Beutezug mitge-
bracht hatte. Genau das hatte Coram-Till vorhergesagt. »Doch lassen wir das«, sagte Mello-Cam. »Ich blicke noch aus anderen Gründen mit Sorge in die Zukunft.« Sie saßen auf gepolsterten Bänken in einem lichtdurchfluteten Raum zusammen, von dem aus sie einen freien Blick aufs Meer hatten. Zahlreiche Boote zogen an der Insel vorbei auf die kaum bewegte See hinaus. Unmittelbar vor dem Fenster, das eine ganze Wand einnahm, arbeiteten mehrere Kinder daran, Blumen zu begießen und verwelkte Blüten zu entfernen. »Was macht dir Sorge?« fragte CoramTill. »Es gibt eine zunehmende Unruhe in unseren Reihen«, eröffnete ihm der Verwaltungschef von Ambraux. »Sind die Galaktiker schuld daran?« mischte sich Atlan ins Gespräch. »Nein, eigentlich nicht«, erwiderte der Alte. »Die Galaktiker kommen in Tausenden von Raumschiffen in Hirdobaan an, und es werden immer mehr. Sie sind die Ursache dafür, daß vor allem die Hamamesch wachsende Sorgen haben. Daraus wiederum folgt, daß die Hamamesch sich weniger oder so gut wie gar nicht mehr um die Crypers kümmern können.« »Was uns durchaus recht ist«, kommentierte Coram-Till. »Richtig«, stimmte der Alte zu. »Mit Strafaktionen gegen die Rebellen ist zur Zeit nicht zu rechnen, denn die Hamamesch werden von den Imprint-Outlaws, wie die Galaktiker sich nennen, in Atem gehalten.« »Was ist es denn, was dich beunruhigt?« Coram-Till erhob sich und trat näher an die Glaswand des Fensters heran, um nach draußen zu sehen. Er beobachtete die Kinder bei der Pflege der Blumen. »Sind es die Fermyyd?« »Genau das ist es«, bestätigte Mello-Cam, und dann ließ er durchblicken, daß seine Ansichten über die Moral der Piraterie recht oberflächlicher Natur waren. »Die Galaktiker haben in allen Hirdobaan-Oktanten die
Verrat auf Ambraux Fermyyd auf den Plan gerufen.« »Das stört mich allerdings auch«, sagte der Kommandant der NIKKEN. »Seitdem wir überall mit den Fermyyd rechnen müssen, wird es für uns fast unmöglich, erfolgreiche Beutezüge zu unternehmen. Außerdem scheinen die Galaktiker der Grund für den Lieferstopp von versiegelter High-Tech aus dem Hirdobaan-Zentrum zu sein.« Die beiden Crypers wechselten einen kurzen Blick. Sie verstanden sich. Sie hatten die Probleme erkannt, und sie waren gleicher Ansicht. »In diesen Schwierigkeiten sehe ich die tieferen Ursachen dafür, daß Caston-Pragama, den man Capra nennt, eine Versammlung aller Cryper-Führer auf dem Planeten Connox einberufen hat.« Atlan und Tekener horchten auf. Erneut war von dem geheimnisvollen Caston-Pragama und seiner Einladung zur Versammlung die Rede. »Kannst du mir etwas mehr zu dieser Einladung sagen?« fragte der Arkonide. Coram-Till antwortete nicht sogleich. Er ging zu dem Tisch, auf dem die Schale mit den Meeresfrüchten stand, und bediente sich. Offenbar mußte er über die Frage des Aktivatorträgers nachdenken und sich darüber klarwerden, was er antworten sollte. »Connox im Kugelsternhaufen Eramor ist ein ganz besonderer Planet«, holte er weit aus, nachdem er einige Bissen genossen hatte. »Connox hat als Treffpunkt der Crypers Tradition. Dort können wir uns begegnen, ohne mit Feindseligkeiten rechnen zu müssen. Sie sind ausgeschlossen. Connox ist ein neutraler Platz, beinahe heilig in unseren Augen. Noch nie in der Geschichte unserer Stämme ist es auf diesem Planeten zu feindlichen Auseinandersetzungen gekommen. Es hat Versuche gegeben, Probleme gewaltsam zu lösen, doch alle, die diesen Weg einschlagen wollten, haben teuer dafür bezahlt. Und das meist schon im Vorfeld. Sie sind beispielsweise Unglücksfällen zum Opfer gefallen oder einem plötzlichen natürlichen Tod ausgesetzt gewesen, so daß es scheint,
11 als existierten geheimnisvolle Kräfte auf Connox, die sich gegen einen derartigen Frevel wehren, oder als sei der Planet selbst von einem Geist erfüllt, der sich gegen Verrat wehrt. Ich bin überzeugt, daß dies alles Zufälle sind, die nichts mit übernatürlichen Dingen zu tun haben. Entscheidend ist nur eines – wir können davon ausgehen, daß jeder die Neutralität dieses Planeten respektiert.« »Man könnte Connox als Gegenstück zum Hirdobaan-Planeten Borrengold bezeichnen«, fügte der Alte hinzu, »auf dem sich die Handelsfürsten der verschiedenen Oktanten alle sechs Jahre treffen.« »Und wer ist Capra?« fragte Ronald Tekener. »Der einzige Cryper, der bei allen Anführern die nötige Hochachtung genießt«, antwortete Coram-Till, ohne zu zögern und in einem Tonfall, der Sympathie gegenüber dieser Persönlichkeit ausdrückte. »Caston-Pragama ist der einzige, der die verschiedenen Gruppen der Crypers einigen könnte, aber ich fürchte, selbst ein Mann mit seinen Qualitäten und seinem Ansehen wird es nicht schaffen.« Mello-Cam seufzte tief, schloß die Augen und senkte den Kopf. In dieser Stellung verharrte er einige Minuten lang, und CoramTill schwieg. Zugleich gab der Kommandant den beiden Galaktikern mit einem Handzeichen zu verstehen, daß sie nicht reden durften. »Das Treffen wird in einem Zehner stattfinden«, verkündete der Alte, als er seine nachdenkliche Pause schließlich beendete, den Kopf hob und die Augen öffnete. »Dazu muß ich dich auf eines hinweisen, CoramTill: Es gibt gewisse Informationen, die darauf hindeuten, daß Ammor-Res, der Anführer der Corri, die Gelegenheit nutzen will, sich durch unlautere Mittel an die Spitze aller Crypers zu stellen.« Coram-Till blickte ihn schockiert an. »Du meinst, er will die ungeschriebenen Gesetze von Connox brechen und die Neutralität dieses Ortes mißachten?« fragte er.
12
H. G. Francis
Nun war ihm mit einem Schlag klar, warum der Alte so lange nachgedacht hatte. Die Behauptung war ungeheuerlich. Niemand konnte Ammor-Res daran hindern, seine Ansprüche auf eine Führerschaft anzumelden oder auf seine Weise durchzusetzen – doch wenn er dabei zu unlauteren Mitteln griff, durfte das auf keinen Fall auf dem neutralen Connox geschehen! »Wenn ich überhaupt an der Versammlung teilnehme, dann muß ich vor Beginn mit Capra reden«, sagte er. »Auf ein solches Gespräch kann ich unter gar keinen Umständen verzichten. Erno-Regor hat mich bereits darauf vorbereitet.« »Ein Mann, der mit Vorsicht zu genießen ist«, stellte Mello-Cam fest. »Er ist eine geldgierige Person, der vor allem an der eigenen Karriere liegt.« Für Atlan und Tekener waren die Zusammenhänge etwas verwirrend. Die Worte des Alten unterstrichen jedoch, wie berechtigt der Pessimismus von Coram-Till war. Eine Einigung der Cryper-Rebellen lag unter diesen Umständen in der Tat in weiter Ferne. Entscheidend schien die Persönlichkeit des geheimnisvollen Caston-Pragama zu sein, den man Capra nannte. Atlan blickte Coram-Till prüfend an. Nach wie vor war ihm die Physiognomie der Crypers fremd, doch er glaubte, aus dem Gesichtsausdruck des Kommandanten schließen zu können, daß er vorläufig keinen Sinn darin sah, an der Versammlung teilzunehmen. Jede Versammlung, an der Coram-Till nicht teilnimmt, ist von vornherein gescheitert, stellte sein Logiksektor nüchtern fest.
* Das Gespräch mit Mello-Cam und Coram-Till zog sich noch einige Zeit hin, dann aber trennten sich Atlan und Tekener von den beiden Crypers und verließen das Haus, um sich von einem Bediensteten ein Boot geben zu lassen. Es war mit einem altertümlichen Außenbordmotor versehen und
einfach zu bedienen. Der Smiler lenkte es zu den anderen Inseln des Flußdeltas hinüber und ließ es eine Zeitlang neben einigen Fischerbooten hertreiben. Die Crypers winkten ihnen freundlich, jedoch mit respektvoller Zurückhaltung zu. »Du kannst dich darauf verlassen, daß mittlerweile so ziemlich alle Bewohner der Stadt wissen, wer wir sind«, sagte Tek und erwiderte die Grüße, »daß sie möglicherweise einen Überlichtantrieb von uns bekommen können und daß wir Freunde von Coram-Till sind. Aber es ist ihnen sicher auch bekannt, daß Angehörige unseres Volkes ihr Unwesen in Hirdobaan treiben und sich dabei wie die Verrückten aufführen.« Er steuerte das Boot durch verschiedene Kanäle, ließ es mal schneller, mal langsamer fahren, um sein Verhalten kennenzulernen, und legte schließlich bei einer großen Insel an, die mitten im Strom lag. Unmittelbar am Ufer befand sich ein Markt, auf dem nicht nur Fische, sondern auch andere Nahrungsmittel verkauft wurden. Zwei junge Crypers eilten herbei und vertäuten das Boot am Ufer, um sich danach schweigend und bescheiden zurückzuziehen. »Ich gebe zu, daß ich ihnen dankbar dafür bin«, sagte der Arkonide. »Es ist lange her, daß ich mit so einem Boot zu tun hatte, aber ich weiß immerhin noch, daß es eine ganz besondere Kunst ist, beim Festmachen den richtigen Knoten zu knüpfen. Über derartige Fähigkeiten verfüge ich nicht.« Ronald Tekener sah sich an, wie das Boot vertäut worden war, und glaubte danach, es später in gleicher Weise sichern zu können, wenn sie bei einer anderen Insel anlegten. Kunstvoll mit bunten Tüchern und Blumen geschmückte Boote zogen an der Insel vorbei und strebten dem offenen Meer zu. Die beiden Männer schlenderten über den Markt und sahen sich die verschiedenen Fische und Schalentiere an, die angeboten wurden. Sie kamen hier und dort einer Einladung nach und probierten etwas, scheiterten jedoch bei dem Versuch, Kontakt mit einigen der Händler aufzunehmen. Die Cry-
Verrat auf Ambraux pers wirkten zurückhaltend und teilweise allzu respektvoll. Schweigend standen die meisten herum und starrten sie neugierig an. Als die beiden Galaktiker in einen anderen Bereich der Insel vordrangen, entdeckte Tekener, daß nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch andere Waren angeboten wurden. Sie waren technisch eher rückständig, zum Beispiel Kommunikationsgeräte, die in die Zeit Terras vor dem 21. Jahrhundert gepaßt hätten. Atlan wollte sich bereits abwenden und zum Boot zurückkehren, als der Galaktische Spieler plötzlich entdeckte, wonach er gesucht hatte. Eine Waffe. Es war ein Schwert, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Es bestand aus zwei geflammten Klingen, die jeweils etwa einen Meter lang waren. Der Griff war mit einem schalenförmigen Blech versehen, das die Hand vor Verletzungen schützte. Nahm man es in die Hand, reichte bogenförmig eine Stütze vom Griff aus bis auf die Oberseite des Unterarms herauf. Sie verhinderte, daß die Klingen nach oben gedrückt werden konnten, und verliehen dem Schlag mit dem Schwert eine größere Wucht. »Wozu zwei Klingen?« fragte mit Hilfe des Translators Tekener den Verkäufer, einen alten, buckligen Cryper. Er hatte eine silbergraue, sehr schuppige Haut. Tiefe Falten zogen sich von Auge zu Auge quer über seinen Schädel hinweg. Der Alte schien die Frage nicht verstanden zu haben, denn er schüttelte nur stumm den Kopf und streckte verlangend die Hand aus. Ronald Tekener legte einen schön gestalteten, syntronischen Zeitmesser hinein. Davon war der Alte so begeistert, daß er ihm zusätzlich zum Schwert noch ein mit Patina versehenes Wappen in die Hand drückte. Mit dem Schwert in der Hand schritt Tek nun über den Markt. Er bewegte es prüfend und betrachtete es immer wieder. Die beiden Klingen standen etwa zwei Zentimeter weit auseinander und waren an ihrem oberen Drittel durch einen schmalen Steg verbunden. An diesem Steg befand sich ein etwa
13 zwei Zentimeter langer, leicht gekrümmter Dorn, der nach unten zeigte, wenn man mit dem Schwert zuschlug. »Er verursacht zusätzliche Verletzungen«, stellte der Terraner fest, »und der Steg verhindert, daß die Klingen zu tief eindringen.« Er ließ seine Finger vorsichtig über die Klingen gleiten und pfiff danach respektvoll durch die Zähne. Sie waren ungemein scharf. »Das Schwert besteht aus hochwertigem Metall«, sagte er. »Es ist eine exzellente Waffe. Mir ist nur nicht klar, warum es zwei Klingen sein müssen. Eine Klinge hat sich als wirksamer erwiesen.« »Das kommt auf den Gegner an, gegen den der Schwertträger kämpfen muß«, versetzte Atlan. »Vielleicht ist das Ding genau auf ihn zugeschnitten.« »Das wäre möglich.« Tekener verstaute die Waffe sorgsam im Boot, bevor er erneut startete. Er fuhr nicht weit. Schon bei der nächsten Insel ließ er das Boot langsamer laufen, um den Motor dann ganz auszuschalten. In einer zum Fluß hin offenen Werkstatt voller einfacher Gerätschaften arbeitete ein schlankes Echsenwesen. Es war etwa 1,20 Meter groß und hatte eine bernsteinfarbene Haut wie die von Schlangen. Das schildkrötenartige Gesicht hatte einen Ausdruck, der auf Atlan und den Terraner gutmütig wirkte. Auf dem kugelförmigen Kopf, der auf einem faltigen Hals saß, wuchsen büschelweise fingerlange Borsten. Die großen, dunklen, nach vorn gerichteten Augen hatten schwere, halbgeschlossene Lider, so als döse das Wesen vor sich hin. Dabei bewegten sich die sechsgliedrigen Hände sehr schnell und geschickt. Der größte Teil des Körpers wurde von einer grauen Montur bedeckt, die mit allerlei Taschen für Werkzeuge versehen war. »Ein Origaner«, sagte der Arkonide leise. Es gab keinen Zweifel. Das Echsenwesen war dabei, eine landwirtschaftliche Maschine zu reparieren. Dazu waren die Crypers offenbar nicht imstande, obwohl es sich um eine recht ein-
14 fache Maschine handelte, deren Bearbeitung kein hohes technisches Wissen erforderte. Während Atlan und Tek überlegten, ob sie anlegen und den Origaner ansprechen sollten, beendete das Echsenwesen seine Reparatur und eilte davon. Es hatte im Verhältnis zum Körper lange Beine mit zwei Gelenken, die ihm einen wiegenden, fast tänzerisch wirkenden Schritt verliehen. Bevor die beiden Galaktiker ihn mit einem Zuruf aufhalten konnten, war es verschwunden. »Er weiß, wer wir sind«, vermutete der Arkonide, »und er wollte nicht mit uns reden.« Ronald Tekener warf den Motor wieder an und folgte der Strömung des Wassers, bis sie das offene Meer sehen konnten. Hier hatten sich mittlerweile Hunderte von Fischerbooten versammelt, und fast alle hatten bunte Tücher an den Masten und an den Fallen aufgezogen. Auf verschiedenen Inseln drängten sich mit Fähnchen, Blumen und Girlanden versehene Zuschauer und beobachteten das Geschehen auf dem Waser. Es waren Zehntausende. Zwischen ihnen standen Crypers mit blitzenden Blasinstrumenten. Langgezogene Töne hallten über das Wasser. Auf einigen der Boote hielten die Fischer seltsame Gebilde ins Wasser. Sie setzten sich aus mehreren Stangen zusammen, die an ihrem oberen Ende mit bunten Bändern zusammengebunden waren. Die Männer schlugen die Stangen gegeneinander und erzeugten auf diese Weise ein eigenartiges Klingen unter Wasser. »Ich glaube, es gibt ein interessantes Schauspiel zu bewundern«, sagte der Arkonide und zeigte zu einer Insel, auf der sich zahlreiche Zuschauer eingefunden hatten. »Wir sollten uns einen erhöhten Punkt suchen, von dem aus wir das Geschehen besser beobachten können.« Ronald Tekener nickte nur und lenkte das Boot zu einem kleinen Felsen hinüber, der mitten im Strom aus dem Wasser ragte. Er legte an, sicherte das Boot – wobei ihm der Knoten doch nicht so gelang, wie er es er-
H. G. Francis wartet hatte –, ergriff das Schwert und stieg mit dem Arkoniden auf den Felsen. Von hier aus konnten sie die Szenerie gut überblicken. Die Mühen der Fischer waren von Erfolg gekrönt. Weit draußen auf dem Meer kräuselte sich das Wasser, Gischt spritzte auf, und dann schien sich eine schäumende Welle in das Delta zu drängen. Schon bald war zu erkennen, daß dieser Eindruck täuschte: Es waren Hunderttausende von armlangen Fischen, die das Wasser brodeln ließen. »Das ist es also«, sagte Tek. »Die Crypers locken eine besondere Tierart an. Sicher die Selama.« Atlan machte ihn auf einen mächtigen Schwall aufmerksam, der der gischtenden Welle folgte. Er wurde von einem riesigen Fisch hervorgerufen, der die Gunst der Stunde nutzte, um ebenfalls Beute zu machen. Die Fischer reagierten sehr heftig auf den Riesen. Viele von ihnen warfen die Motoren ihrer Boote an und flüchteten in die Nähe einer Insel. Andere, die über keine Motoren verfügten, ruderten mit ganzer Kraft, um sich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen. Zahlreiche auf dem Wasser schwimmende Bojen zeigten an, wo die Netze der Fischer waren, und viele von ihnen wurden von den heranrasenden Massen der Fische unter Wasser gezogen. Fasziniert beobachteten die beiden Galaktiker, wie der Riesenfisch in das Delta eindrang. Kaum fünfzig Meter von ihnen entfernt hob er kurz den Kopf über die Wasserfläche hinaus, und sie blickten in einen von messerscharfen Zähnen starrenden Rachen. Sie erkannten, daß ihr Platz auf der winzigen Insel alles andere als sicher war. Als die Bestie sich ihnen weiter näherte, griff Atlan zu seiner Waffe und richtete sie auf den Riesen. Nun feuerten viele der Zuschauer mit altertümlichen Schußwaffen. Kugeln pfiffen an ihnen vorbei und schlugen ins Wasser. Einige prallten gegen das Boot und rissen Löcher ins Cockpit. Obwohl er, wie deutlich sichtbar war, ei-
Verrat auf Ambraux nige Treffer erhielt, reagierte der riesige Jäger nicht. Die Schußwunden schienen ihn nicht zu schmerzen und nicht zu schwächen. Nun aber löste der Arkonide seine Waffe aus, und ein Energiestrahl zuckte bis in seine Nähe. Er schlug ins Wasser und verwandelte es explosionsartig in eine Dampfwolke, um die herum das Wasser zu kochen und brodeln begann. Endlich bog der Fisch ab und näherte sich einem Boot mit fünf Fischern, die verzweifelt ruderten, um sich in Sicherheit zu bringen. Atlan schoß erneut ins Wasser und vertrieb den Räuber damit aus der Nähe des Bootes. »Wir müssen hier weg!« rief Tekener, als ihnen erneut Kugeln um die Ohren flogen. Ebenso wie Atlan ließ er sich in die Hocke sinken; dabei beobachtete er, wie mehrere Kugeln in ihr Boot einschlugen und die Bordwand zerrissen. Wasser drang ein, und es begann zu sinken. Atlan spähte zu den Zuschauern hinüber, und er entdeckte einen Cryper, der direkt auf sie zielte. Seine Waffe blitzte auf, und wiederum flogen Kugeln an ihnen vorbei. Doch längst hatten sich die Abwehrsysteme der SERUNS eingeschaltet. Ronald Tekener wußte es – und dennoch schrie er plötzlich erschrocken auf. Ebenso wie der Arkonide hatte er nur auf den Riesenfisch geachtet. Die Gelegenheit hatte ein anderer Räuber genutzt, um sich ihnen zu nähern. Er kroch nun mit seinen armdicken, schwarzen Tentakeln auf die Felsinsel. Sein birnenförmiger, von einem grauen Panzer überzogener Körper schob sich hinterher, und zwei faustgroße Augen fixierten die beiden Männer. Unter der Wasseroberfläche waren die Ausläufer der Tentakel zu erkennen. Sie machten deutlich, daß dieser Räuber nicht kleiner war als der Fisch. Zwischen seinen Augen erhob sich ein schmaler Höcker. Ronald Tekener handelte instinktiv. Er richtete seine Waffe auf das Tier und ver-
15 suchte es zu paralysieren. Es gelang ihm nicht. Die lähmenden Strahlen erzielten keine Wirkung. Nun riß er das Schwert mit der doppelten Klinge hoch und schlug zu. Blitzend fuhr es hinab und traf das Tier zwischen den Augen. Die beiden Klingen senkten sich links und rechts von, dem Höcker in den Körper, und der Dorn fuhr genau in einen feuerroten Punkt dahinter. Der Krake schrie auf, warf die Tentakel in die Höhe und schnellte sich mit einem mächtigen Satz ins Wasser zurück, wo er augenblicklich versank. Verblüfft blickte der Smiler zu den Crypers auf den nahen Inseln hinüber. Sie klatschten in die Hände und schrien voller Begeisterung. »Du bist ein Held«, stellte Atlan spöttisch fest. »Du hast auf Anhieb begriffen, wie man das Schwert benutzt und welcher Hauptfeind damit bekämpft wird. Es ist eine spezielle Waffe gegen die Kraken.« Minuten später war Coram-Till bei ihnen. Der Cryper-Chef kam mit einem Gleiter. »Ich hätte euch warnen müssen, meine Freunde«, sagte er, »aber ich konnte nicht ahnen, daß ihr euch den Zwölfern auf so einer Insel anbieten würdet.« Er legte Ronald Tekener die Hand auf die Schulter und blickte ihn bewundernd an. »Du hast die Bestie in der Manier eines ganz großen Kämpfers erledigt«, lobte er ihn. »Kein Cryper hätte es besser machen können.« »Ich habe mal eine ganz dumme Frage«, sagte Atlan. »Ist dieser Zwölfer – ich nehme an, er hat den Namen wegen seiner zwölf Tentakel – sehr gefährlich?« »Mörderisch«, antwortete Coram-Till. »Und überaus giftig darüber hinaus. Man kann ihn nur mit dieser Art Doppelschwert töten – oder mit einem Energiestrahler.«
3. Die Crypers spendeten Beifall, wo Ronald Tekener und der Arkonide auftauchten, doch
16 sie suchten keinen Kontakt zu ihnen. Sie blieben eher scheu und zurückhaltend. Für sie waren und blieben sie Repräsentanten jener unzähligen Galaktiker, die sich wie die Verrückten in diesem Teil des Universums aufführten. Die Informationen aus Hirdobaan hatten sich rasch verbreitet. Coram-Till blieb noch einige Zeit bei ihnen, nachdem er sie auf einer der Inseln abgesetzt hatte, und erklärte ihnen einiges von dem Geschehen. Überall herrschten ähnliche Zustände. Technische Güter der unterschiedlichsten Art waren vorhanden, doch die meisten waren alt und funktionsuntüchtig. In diesem Teil des Deltas waren nahezu alle Inseln durch schmale Brücken miteinander verbunden; kaum eine befand sich in einem akzeptablen Zustand. Die meisten sahen aus, als müßten sie schon im nächsten Moment unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen. Gute Ingenieure waren die Crypers von Ambraux offenbar nicht. Auf einer der kleinsten Inseln lockten mehrere Verkaufsstände Besucher mit fertig zubereiteten Speisen an. Aus kochenden Töpfen stiegen Dampfwolken auf, und auf glühenden Eisen brutzelten Fische und Muscheln. »Kommt, Freunde!« rief einer der Crypers. »Bedient euch! Ihr seid meine Gäste. Eines meiner Kinder war in dem Boot, das ihr vor dem Giganten gerettet habt.« Er war ein hochgewachsener Mann mit auffallend breiten Schultern und schmalen Hüften. Seine Augen quollen nicht hervor, sondern lagen eingesunken in Höhlen, und seine Lippen waren schmal. Ronald Tekener erkannte ihn nicht wieder. Für ihn wie für den Arkoniden war es schwer, die Crypers auseinanderzuhalten. Doch Atlan besaß ein fotografisches Gedächtnis. Er ließ sich nicht dadurch täuschen, daß dieser Mann anstelle einer dunkelblauen Kombination mehrere hemdenartige Kleidungsstücke übereinander trug, die alle unterschiedlich lang waren, so daß ihr unterer Saum Stufen bildete. Die Stellung der Augen zueinander, die Form seiner Lip-
H. G. Francis pen und der Bogen seines oberen Schädels verrieten den Cryper, der offenbar, davon ausging, daß alle Crypers in den Augen der Galaktiker gleich aussahen, so wie umgekehrt. »Es ist Erno-Regor«, sagte er leise zu dem Galaktischen Spieler. Der Cryper spießte Fleischstücke auf Holzstäbe und hielt sie den beiden Galaktikern hin. »Es sind einmalige Köstlichkeiten«, lockte er, »wie man sie nur zu dieser Jahreszeit genießen kann. Nehmt sie als Zeichen meiner Dankbarkeit.« Ronald Tekener ließ sich einen der Stäbe reichen und probierte ein wenig von dem nahezu rohen Fleisch. Es schmeckte in der Tat außerordentlich gut, und auf der Zunge schien es sich in eine Duftwolke aufzulösen. Atlan nahm ebenfalls ein Stück und probierte. »Wundervoll«, lobte er. Dabei ließ er Erno-Regor nicht aus den Augen. Er bemerkte den lauernden Blick des Crypers, und er wußte Bescheid. Er versucht euch zu vergiften! meldete der Logiksektor. »Es ist Selama«, erläuterte Erno-Regor, und ein zynisches Lächeln glitt über seine Lippen. Atlan erinnerte sich an die Worte von Coram-Till. Es ist eine Kunst, dieses Tier zu zerteilen. Wer dabei einen Fehler macht, verwandelt das Fleisch in pures Gift! Binnen Sekunden führt es mit absoluter Sicherheit zum Tod! Er blickte Ronald Tekener an, und er bemerkte, daß der Smiler sich verfärbt hatte. Das von Lashat-Narben überzogene Gesicht war bleich geworden. Die schmalen Lippen lagen fest aufeinander und bildeten nur noch einen dünnen, weißen Strich. Atlan fühlte, daß sein Zellschwingungsaktivator mit höchster Intensität arbeitete. Zugleich empfand er eine unangenehme Schwäche in den Knien, und er drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Einer der Crypers trat an ihn heran, griff ihm unter die Ar-
Verrat auf Ambraux me und stützte ihn. »Was hast du getan?« rief er Erno-Regor zu. Atlan sah den Kommandanten von Caston-Pragamas INDIKAR wie durch wallende Schleier. Er bemerkte, daß er sich umdrehte und durch die Menge flüchtete, doch es vergingen Sekunden, bis auch er begriff, was geschah. Ronald Tekener erging es ähnlich. Er ließ sich auf einen Holzbalken sinken und klammerte sich an den Tisch. »Sie sind verloren«, klagte einer der Crypers. »Der Händler hat sie vergiftet. Er hat den Selama falsch zerlegt.« Allmählich gewannen die regenerierenden Impulse des Aktivators die Oberhand, die Blicke des Arkoniden klärten sich wieder. Er konnte aufstehen. Staunend wichen die Crypers vor ihm zurück, und einige von ihnen stießen laute Rufe der Verwunderung aus, als auch Ronald Tekener sich erhob. Es schien sich ein Wunder vollzogen zu haben, und die beiden Galaktiker fingen Gesprächsfetzen auf, aus denen hervorging, daß noch niemals zuvor jemand überlebt hatte, wenn er die falschen Stücke des Selamas gegessen hatte. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, daß die Galaktiker stärker als das Gift waren. »Teufel auch«, murmelte der Galaktische Spieler, »für einen Moment dachte ich, es hätte uns erwischt.« »Erno-Regor«, sagte der Arkonide. »Den Namen werden wir uns merken. Der Mann wird noch bereuen, was er getan hat.« Wenige Schritte von ihnen entfernt erhob sich ein großes Geschrei. Die Menge drängte zusammen, bildete jedoch eine Gasse, als Atlan und der Terraner hinzukamen. Halb unter Fischkisten verborgen lag die Leiche eines Crypers. Es war der Händler, dessen Stelle Erno-Regor eingenommen hatte. Der Kommandant hatte ihn ermordet. Tekener wandte sich an einen der Crypers und bat ihn, sie zu ihrem Haus zu bringen. Der Mann wußte, wo sie untergebracht worden waren, und er erfüllte ihnen den
17 Wunsch. Sie hätten zwar mit Hilfe ihrer SERUNS fliegen können, aber sie wollten nicht noch mehr Aufsehen erregen, als sie ohnehin schon getan hatten.
* Erno-Regor triumphierte. Er war sicher, daß es ihm gelungen war, die beiden Galaktiker zu töten und Coram-Till entscheidend zu schwächen. Hastig schob er sich durch die Menge, rannte über eine Brücke zu einem Boot und fuhr damit durch die Kanäle der Lagune bis zu einem schlichten Haus, in dem der alte Mann lebte. Als er das Boot verließ und sich dem Haus zu Fuß näherte, befand er sich in Hochstimmung. »Sie sind tot«, berichtete er, als er das Haus betrat. »Das Gift des Selamas war zu stark für sie.« Der alte Mann saß an einem Tisch. Vor ihm lag ein großer Selama, den er sorgfältig und mit ruhiger Hand zerteilte. Erno-Regor erkannte auf den ersten Blick, daß er dabei mit der ihm eigenen Meisterlichkeit vorging, sich bis an die Grenze des Möglichen vorwagte und dabei doch nur jene Teile herausschnitt, die man gefahrlos essen konnte. »Gut gemacht«, lobte der Alte ihn. »Jetzt müssen wir den nächsten Schritt vorbereiten.« »Und der wäre?« »Coram-Till!« Erno-Regor ließ sich auf ein Kissen sinken. Er spürte, wie es eiskalt in ihm aufstieg. Natürlich war er sich längst darüber klargeworden, daß er irgendwann gegen CoramTill vorgehen mußte, doch hatte er den Gedanken an einen tödlichen Kampf mit ihm noch immer vor sich her geschoben, um zunächst einmal das erste Problem zu lösen, das der Galaktiker. Er sah ein, daß er nun das nächste Problem angehen mußte. »Überall auf Ambraux feiert man CoramTill als Helden«, gab er zu bedenken. »Glaubst du, daß dies ein günstiger Zeit-
18 punkt ist, ihn zu beseitigen?« »Laß dich nicht beirren«, riet ihm sein alter Freund. »Du bist ein Genie. Du darfst dich nicht aufhalten lassen, nur weil die Massen einem vermeintlichen Helden zujubeln. Sein Tod wird sie in tiefe Trauer stürzen und für lange Zeit handlungsunfähig machen, und genau das ist es, was du nutzen mußt.« »Oder sie rennen in blindem Haß gegen mich an!« »Am Fuße des Leuchtturms herrscht Dunkelheit«, sagte der Alte gewichtig. Erno-Regor verstand. Er fühlte sich geschmeichelt, und er beschloß, dem Rat zu folgen und energisch auch gegen Coram-Till vorzugehen. »Hast du einen Plan, wie ich ihn töten kann?« fragte er. Vor dem Haus legte ein Motorboot an, und ein jugendlicher Cryper eilte herbei. Er war ein Vertrauter, der auf dem Markt geblieben war und das weitere Geschehen beobachtet hatte. »Unser Freund kommt«, sagte Erno-Regor. Der Junge stürzte atemlos ins Haus. Er lief so schnell, daß er beinahe auf dem Boden ausrutschte, als er den Raum erreichte und vor dem Stellvertreter Capras stehenblieb. »Die beiden Galaktiker leben«, berichtete er hektisch. »Sie haben das Gift überwunden. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Erst wurden sie schwach, so daß alle glaubten, sie müßten tot umfallen, aber dann sind sie wieder aufgestanden, und jetzt sind sie so munter wie zuvor.« »Ist das wahr?« rief Erno-Regor entsetzt. »Bei meinem Leben«, beteuerte der Junge. »Ich will ein Nusch sein, wenn es nicht stimmt! Du mußt Ambraux sofort verlassen.« »Genau das werde ich!« Erno-Regor wartete ein paar Sekunden auf ein Wort des Alten, doch dieser schwieg nur und griff nach einem Stück Fleisch, das er abgetrennt und zur Seite gelegt hatte; ein Stück aus dem
H. G. Francis Bauchlappen. Der Kommandant der INDIKAR stieß einen erstickten Laut aus und rannte aus dem Haus. Er flüchtete in den Antigravgleiter, der wenige Schritte vom Eingang entfernt parkte, und startete. Als die Maschine aufstieg, trat der Junge aus dem Haus und blickte zu ihm hoch. Erno-Regor winkte ihm kurz zu, lenkte die Maschine nach Osten und flog dabei so niedrig, wie es ihm eben möglich war. Binnen weniger Minuten erreichte er seinen Kurier-Raumer, der ganz am Rande des Raumhafens parkte und versteckt zwischen einigen Lagerhäusern auf ihn wartete.
* Coram-Till fluchte laut aufbrausend und unbeherrscht, als er von dem Anschlag erfuhr. Er wandte sich augenblicklich an Mello-Cam und veranlaßte eine Fahndung nach Erno-Regor. Doch es war schon zu spät: Der Kommandant der INDIKAR hatte den Planeten bereits verlassen. »Ein alter Mann ist als Mitverschwörer ermittelt worden«, berichtete Coram-Till. Zusammen mit den beiden Galaktikern flog er zu einem schlichten Haus, das kaum mehr als einen Kilometer von ihrem Haus entfernt war. Mehrere Gleiter standen davor, und Sicherheitskräfte schirmten die Insel ab. Coram-Till ging mit Atlan und Tek ins Haus. Der Alte war tot. Er lag in verkrümmter Haltung auf dem Boden. Teile seiner Haut hatten sich aufgelöst, und Blut trat aus seinem Mund und aus seinen Augen aus. »Er hat sich selbst getötet«, stellte der Oberbefehlshaber der Cryper-Rebellen fest. »Er hat die giftigsten Stücke des Selamas gegessen, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden, nachdem der Anschlag auf euch gescheitert ist.« Er führte die beiden Galaktiker aus dem Haus und zu ihrem Gleiter zurück. »Ihr seid in Gefahr«, ergänzte er. »Ganz
Verrat auf Ambraux
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sicher wird dies nicht der einzige Anschlag bleiben, der auf euch verübt wird. Seid jederzeit auf der Hut. Vertraut niemandem. Meine Gegner befürchten offenbar, daß ich mit eurer Hilfe zu mächtig werde. Sie wollen euch ausschalten, um mich zu schwächen.« Sie stiegen in die Maschine, und CoramTill lenkte sie selbst. »Wir werden Ambraux in ein paar Tagen verlassen«, kündigte er an. »Es wird Zeit, daß ich Caston-Pragama treffe. Capra wird mir erklären müssen, wieso sein Kommandant solch niederträchtige Spiele gegen meine Freunde und mich treibt und wie er hoffen kann, daß es unter solchen Umständen zu einer Einigung aller sieben Volksstämme der Crypers kommt.« Als er vor ihrem Haus landete, wandte er sich noch einmal an die beiden Galaktiker. »Es gibt Kräfte, die entschieden dagegen sind, daß ihr Connox betretet«, berichtete er. »Für sie wäre das so etwas wie ein Sakrileg, mit dem sie sich auf gar keinen Fall einverstanden erklären können. Deshalb werden wir zunächst zum Planeten Jandrig fliegen, um Capra dort zu treffen. Er wird entscheiden, ob ihr auch nach Connox dürft oder nicht.« »Wann starten wir?« fragte der Galaktische Spieler. »Sehr bald«, antwortete Coram-Till. Doch es verstrichen noch einige Tage, bis es soweit war. Dann holte er die beiden Galaktiker in den frühen Morgenstunden eines regenverhangenen Tages ab und flog in einem Gleiter mit ihnen zur NIKKEN, die startbereit auf dem Raumhafen stand. In der Zwischenzeit hatten Atlan und Tek einige Ausflüge in die Umgebung der Stadt gemacht, dabei jedoch keine neuen Erkenntnisse gewonnen.
* Ronald Tekener blieb erstaunt stehen, als er sich an Bord der NIKKEN unversehens einem Origaner gegenübersah.
Obwohl er sich hätte sagen müssen, daß die NIKKEN ohne die Hilfe eines Origaners gar nicht funktionsfähig war, hatte er nicht damit gerechnet, ein solches Echsenwesen an Bord zu sehen. Der Techniker kniete auf einem Gang in der Nähe eines Antigravschachts, hatte die Wandverkleidung geöffnet und hantierte geschickt mit beiden Händen an Kabelverbindungen. »Hallo«, grüßte der Galaktische Spieler. Er blieb in der Hoffnung stehen, einige Worte mit dem Origaner wechseln zu können und dabei etwas mehr über dieses Volk zu erfahren, als Coram-Till bisher preisgegeben hatte. Der Origaner erwiderte den Gruß, indem er kurz eine Hand hob. Danach widmete er sich wieder seiner Arbeit und schwieg sich aus. Er machte einen introvertierten, verschlafenen Eindruck auf den Terraner. Der hatte genügend Erfahrungen mit nichtterrestrischen Intelligenzen, um zu erkennen, daß der andere nicht mit ihm reden wollte. Es war besser, auf weitere Kommunikationsversuche zu verzichten. Tekener ging weiter und betrat die Hauptleitzentrale des Raumschiffs, das sich dem Gebiet der Solten-Crypers näherte. »Ich bin eben einem Origaner begegnet«, sagte er zu Coram-Till, rief damit jedoch keine äußerlich erkennbare Regung bei diesem hervor. »Sicher«, versetzte der Kommandant. »Ich wußte nicht, daß Origaner an Bord sind.« »Es geht nicht ohne sie.« Der Dialog war denkbar knapp und unpersönlich, doch dann taute Coram-Till plötzlich auf. »Es ist Lecce-In. Er besitzt einen besonderen Status und ist ein begnadeter CHASCH-Taucher. Nach dem Treffen mit Capra werden wir den Origaner auf der Ödwelt Syssod absetzen.« »Was gibt es Besonderes auf Syssod?« fragte der Arkonide.
20 Er maß dem geheimnisvollen Getue des Crypers um die Origaner keine große Bedeutung bei. Coram-Till war ein Mann, dessen Auskunftsfreude starken Schwankungen unterlegen war. Manchmal erklärte er bereitwillig Zusammenhänge oder unbekannte Begriffe, um sich dann wieder mürrisch in sein Schneckenhaus zurückzuziehen und Fragen einfach zu überhören oder nur einsilbig und unzureichend zu beantworten. »Syssod?« Coram-Till blickte nachdenklich auf die Instrumente an den Kontrolltafeln. »Es ist eine Ödwelt, auf der die geheimnisvolle Anlage eines uralten Volkes steht. Diese wird das CHASCH genannt, was soviel heißt wie großes Geheimnis oder unlösbares Rätsel. Lecce-In ist einer der Forscher, die das Geheimnis dieser bis tief in den Planeten hinabreichenden Anlage lösen wollen.« Atlan und Tekener waren neugierig geworden. Sie erfaßten, daß der Origaner alles andere war als ein einfacher Techniker, für Reparaturen an Bord verantwortlich. An den folgenden Tagen versuchten sie, weitere Informationen von Coram-Till zu bekommen, wobei sie vor allem das CHASCH und Lecce-In, der CHASCH-Taucher, interessierten, doch der Kommandant erwies sich als nicht besonders auskunftsfreudig. Er wich den Fragen aus, vertröstete sie auf später oder antwortete gar nicht. Auch über den Planeten Syssod ließ er sich nicht weiter aus, sondern sagte ihnen, die Dinge kämen schon noch auf sie zu. Sie würden beizeiten erfahren, was sie wissen mußten. Atlan und Tekener versuchten abwechselnd, den Origaner an Bord zu finden und mit ihm zu reden, doch es gelang ihnen nicht. Sie sahen ihn kein einziges Mal. Als die NIKKEN den Sektor der SoltenCrypers erreichte, funkte Coram-Till bei einem Zwischenstopp einen Erkennungskode und durfte dann weiterfliegen. Die NIKKEN ging auf den Kurs zum Planeten Jandrig. Die beiden Galaktiker, die an Bord der NIKKEN zum Nichtstun verdammt waren,
H. G. Francis sahen der Begegnung mit Capra ungeduldig entgegen. Er war der Anführer der SoltenCrypers, die ihren Namen von dem Sternensektor im Zentrum der Spiralgalaxis Queeneroch ableiteten. Ihren Wohlstand verdankten sie einigen Welten mit großen Rohstoffvorkommen. Ihre Hauptwelt war Eysenor. Darüber hinaus nannten sie 26 besiedelte Sonnensysteme ihr eigen, dazu eine Anzahl von 20 – oder vielleicht auch etwas mehr – Schürfwelten, die nicht besiedelt waren, sondern nur ausgebeutet wurden. Caston-Pragama stand an der Spitze von etwa 700 Millionen Crypern, die insgesamt über 200 Raumschiffe verfügten. Ronald Tekener und der Arkonide befanden sich in der Zentrale der NIKKEN, als diese den Planeten Jandrig erreichte, und nun gab Coram-Till ihnen einige Informationen über diese Welt. Es war ein Sauerstoffplanet, auf dem die Solten Erz abbauten. Schon als die NIKKEN in den Orbit um diese Rohstoffwelt ging, konnten die beiden Galaktiker die Spuren sehen, die ein sich über Jahrhunderte ausdehnender Tagebau in unzähligen Gebieten hinterlassen hatte. Weite Teile des Planeten glichen Wüsten, in denen es so gut wie keine Vegetation gab. Der Raubbau, offenbar ohne jede Rücksicht auf die Natur und das Ökosystem geführt, hatte tiefe Narben verursacht. »Es gibt gewisse Informationen, die besagen, daß der Planet einst von Spinnenwesen weitgehend verbrannt worden ist«, sagte Coram-Till ohne innerliche Beteiligung. »Aber das ist gut 200.000 Jahre her, und inzwischen hatte die Natur Zeit, sich zu regenerieren. Doch in den letzten Jahrhunderten haben die Solten hier gehaust, und was sie bewirkt haben, ist wohl deutlich zu sehen.« Er zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, daß ihn die Probleme letztlich nicht berührten, sondern ausschließlich eine Angelegenheit der Solten-Crypers waren. »Die Natur wird sich auch von diesem Schlag erholen«, fuhr er fort. »Das ist alles nur eine Frage der Zeit. Sie wird länger existieren als wir oder ihr.«
Verrat auf Ambraux Er nahm Verbindung mit einer lokalen Station auf, um sich anzumelden, und erhielt augenblicklich Landeerlaubnis. Er wurde bereits erwartet. Nachdem er die nötigen Vorbereitungen getroffen hatte, landete er die NIKKEN in einem riesigen Schürf krater, in dem offenbar seit langer Zeit im Tagebau Rohstoffe gewonnen worden waren. Das Aussehen der Landschaft wurde von Sand, Geröll und Abfällen bestimmt. Etwa zwanzig Kilometer von der NIKKEN entfernt parkte ein 300-Meter-Raumer. Coram-Till identifizierte ihn als die VONAU, das Schiff seines Freundes, des VistaCrypers Assyn-Stey. Er schickte augenblicklich eine Grußbotschaft hinüber. Einige Kilometer näher stand die INDIKAR, die einen Durchmesser von 800 Metern hatte. Es war das Raumschiff von Capra. Erno-Regor war der Kommandant, der Mann, mit dem man bereits auf unliebsame Weise Bekanntschaft gemacht hatte. Staubwolken zogen über die Anlage hinweg, die durch Robotanlagen und eine Reihe von primitiven Gebäuden gekennzeichnet war. Die robotischen Maschinen arbeiteten fast alle. Mit mächtigen Klauen schürften sie Erze. Ein geringer Teil der Maschinen jedoch verweigerte seinen Dienst. Crypers versuchten, sie zu reparieren. Nach der Landung nahm Coram-Till erneut Verbindung mit einer Kontrollstation auf. Ein Cryper teilte ihm mit, daß CastonPragama ihn und die beiden Galaktiker in einem der Gebäude empfangen wollte, das sich genau in der Mitte zwischen der INDIKAR und ihnen befand. »Gebäude?« versetzte Atlan leise, als er es vernahm. »Ich würde es eher eine Baracke nennen.« »Ich bin überrascht«, sagte Coram-Till, nachdem er das Gespräch mit der Kontrollstation beendet und die Geräte abgeschaltet hatte. »Ich habe nicht erwartet, daß er euch so bald sehen will.«
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4. Sie verließen die NIKKEN durch eine Bodenschleuse. Da die Baracke von CastonPragama etwa vier Kilometer entfernt war, ließen sie sich von einer Antigravplattform tragen. Schnell und lautlos glitt sie über den rissigen, mit Geröll und Staub bedeckten Boden hinweg, auf dem es nicht die geringste Spur von Vegetation oder tierischem Leben gab. Die robotischen Maschinen der Crypers hatten alles Leben in diesem Bereich vernichtet. Während Coram-Till nicht die geringsten Bedenken zu haben schien, sich zur Baracke zu begeben, um sich dort mit dem Anführer der Solten-Crypers zu treffen, stand Ronald Tekener der in seinen Augen allzu rasch herbeigeführten Einigung über den Treffpunkt und diesem selbst argwöhnisch gegenüber. Mit verengten Augen spähte er zu dem staubigen Gebäude hinüber, das aus vorgefertigten Teilen zusammengesetzt war. »Ich frage mich, warum Capra uns in so einem Schuppen treffen will, anstatt an Bord der INDIKAR zu sprechen«, sagte er. Seine Sinne waren in Hunderten von gefährlichen Situationen geschärft worden. Er dachte an Erno-Regor und die Attacken dieses Mannes, und er fragte sich, ob die Baracke nicht möglicherweise als Bombe präpariert worden war, die in dem Augenblick explodieren würde, in dem sie sie betraten. Nach dem in aller Öffentlichkeit gegen sie vorgetragenen Giftanschlag auf Ambraux traute er dem Kommandanten von CastonPragama buchstäblich alles zu. Zugleich beschäftigte ihn die Frage, ob Capra über die Angriffe seines Kommandanten informiert war und ob er diese billigte. Mußte Erno-Regor nicht fürchten, daß seine Manipulationen bei dem Treffen zur Sprache kamen? Und wie wollte er sich herauswinden, wenn Capra nicht mit dem einverstanden war, was er getan hatte? Oder waren Intrigen und mörderische
22 Winkelzüge so selbstverständlich bei den Crypers, daß man sich am Morgen eines Tages an die Gurgel ging, um sich am Abend freundschaftlich zusammenzusetzen, als sei nichts geschehen? Vier Solten-Crypers in schwarzen Kombinationen traten aus dem Gebäude hervor und stellten sich in respektvoller Haltung vor der Tür auf, die windschief in ihren Angeln hing. »Caston-Pragama ist da drin«, sagte einer von ihnen. »Er erwartet euch.« Coram-Till stieg von der Plattform und ging entschlossen und ohne Zögern auf die Tür zu. Er vertraute Capra und ließ sich durch das Verhalten seines Kommandanten nicht irritieren. Atlan und Tekener folgten ihm im Abstand von einigen Schritten. Sie waren wachsam und darauf gefaßt, angegriffen zu werden. Dabei gaben ihnen ihre SERUNS die nötige Sicherheit. Sie wußten, daß diese Systeme sie auch bei einem blitzschnell vorgetragenen Angriff ausreichend schützten. In der Baracke war es hell. Lampen leuchteten den Raum bis in den letzten Winkel aus. Der Staub war durch zahlreiche Ritzen ins Innere des Gebäudes gedrungen und bedeckte Tische und Sitzgelegenheiten ebenso wie die vergilbten Fenster und den mit kostbaren Stoffen ausgelegten Boden. Caston-Pragama erwartete sie an einem schweren Tisch aus Holz. Er war etwa achtzig Jahre alt, 2,10 Meter groß, und sein Gesicht war eingefallen. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Als dünne, durchsichtige Häute spannten sich die Lippen über seine Zahnreihen, und jeder einzelne seiner Schädelknochen war durch die schuppige Haut seines Kopfes zu sehen. Seine Hände waren so dünn, als seien die Knochen lediglich mit ein wenig vertrockneter Haut überzogen. Er bot das Bild eines Mannes, der seit langer Zeit schon unterernährt war, und er konnte sich aus eigener Kraft nicht mehr auf den Beinen halten. Daher trug er eine wie wattiert aussehende Kombination, in die ein Exoskelett eingebaut war. Für die beiden
H. G. Francis Galaktiker war zu erkennen, daß es aus ausrangierten Roboterteilen zusammengebaut worden war. Der Konstrukteur dieser Apparatur war offenbar der Origaner, der in einer Ecke des Raumes stand und Capra auf Schritt und Tritt beobachtete, bereit, augenblicklich einzugreifen, wenn irgend etwas an dem Bewegungsapparat versagte. Und noch jemand war bei Capra: AssynStey, der Rebellenführer der Vista-Crypers. Er war ein guter Freund Coram-Tills, und seine Anwesenheit machte augenblicklich deutlich, daß keinerlei Gefahr für den Anführer der Ambraux-Crypers und die beiden Galaktiker von diesem Treffen ausging. Als Coram-Till mit den beiden Galaktikern eintrat, kam Capra ihnen einige Schritte entgegen. Dabei bewegte er sich ruckartig und unter Ächzen und Knarren der schlecht geschmierten Gelenke. Mühsam schob er die Füße über den Boden. Jeder einzige Schritt schien mit höchsten Qualen für ihn verbunden zu sein. Er bot einen mitleiderregeriden Anblick. In seinen Augen jedoch war ein Feuer, das die körperliche Schwäche vergessen ließ. Auf Atlan und Tekener machte er den Eindruck eines überaus intelligenten und weisen Mannes, der es verdiente, von seinen Gesprächspartnern mit Respekt behandelt zu werden, und dem es hoch anzurechnen war, daß er ihnen entgegenkam, obwohl es viel kräftesparender und einfacher gewesen wäre, in einem Sessel zu sitzen und auf sie zu warten. Die Ortungs- und Sondierungsgeräte der SERUNS zeigten keine verborgenen Sprengladungen und auch keine Abhörvorrichtungen an. So primitiv der Ort ihrer Zusammenkunft auch wirkte, er war gut gewählt. Mit gleitenden Bewegungen trat der Origaner an Capra heran und hantierte am Exoskelett seiner Beine. Es knackte kurz. Danach schien Caston-Pragama es leichter zu haben, auf seinen Füßen zu stehen. »Danke, Iccu-Si«, sagte er. »Jetzt ist es
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sehr viel besser.« »Wir müssen das Teil auswechseln«, erklärte das Echsenwesen. »Ich habe gerade eben gesehen, daß es brüchig ist und sich verbogen hat. Ein Materialfehler, der vorher nicht erkennbar war.« Capra begrüßte Coram-Till und seine beiden Begleiter mit freundlichen Worten. Dann trat er kurz zur Seite, um Coram-Till und Assyn-Stey Gelegenheit zu geben, miteinander zu reden. Der Anführer der Vista-Crypers war etwa 1,95 Meter groß und sehr kräftig. Er galt als sympathischer Draufgänger, der die Verständigung mit den anderen Gruppen suchte. Die beiden Freunde begrüßten einander in herzlicher Weise. Caston-Pragama musterte Atlan und Tekener lange und eingehend. »Es ist gut, daß ihr mitgekommen seid«, sagte er schließlich. »Es könnte Probleme geben, die wir allein nicht bewältigen können und bei denen wir auf eure Hilfe angewiesen sind.« »Wenn es nötig ist, werden wir euch helfen«, versprach der Arkonide. »Wir sind darauf vorbereitet.« Capra blickte sie von oben bis unten an. »Davon sehe ich nichts«, versetzte er ratlos. Doch dann glitt so etwas wie ein Lächeln über seine Lippen, und für einen Moment wurden seine Zähne sichtbar. »Ich verstehe. High-Tech. Man hat mir zugetragen, über welche Dinge ihr verfügt. Mir scheint, ihr seid in der Lage, die Hamamesch das Fürchten zu lehren.« Bevor die beiden Galaktiker etwas darauf erwidern konnten, wandte er sich an CoramTill und Assyn-Stey. »Kommen wir gleich zur Sache«, schlug er vor.
* Als Erno-Regor zum Planeten Jandrig zurückkehrte, befand er sich in Schwierigkeiten, auf die er nur ungenügend vorbereitet war.
Als geschulter Stratege hatte er auch ein Scheitern seiner Pläne auf Ambraux einkalkuliert, doch war er bei seiner Planung von Anfang an von anderen Voraussetzungen ausgegangen. Von verschiedenen Seiten waren ihm die abenteuerlichsten Informationen über die Galaktiker zugekommen. Auf Ambraux waren ihm weitere Gerüchte zugetragen worden, aus denen hervorging, daß vor allem die beiden Galaktiker in der Begleitung von Coram-Till unangreifbar waren. Er hatte es nicht geglaubt und dementsprechend bei seiner Planung auch nicht berücksichtigt. Niemand war unangreifbar! Doch dann hatten die Ereignisse ihn eines anderen belehrt. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich gegen den Kraken behauptet hatten und wie Kugeln von ihnen abgeprallt waren, die für andere tödlich gewesen wären. Sie hatten kaum Notiz von den Projektilen genommen, die auf sie abgeschossen worden waren. Er verstand immerhin so viel von Technik, daß er auf das Vorhandensein von unsichtbaren Schutzfeldern schloß, wie sie bei Raumschiffen auch als Abwehrschilde eingesetzt wurden. Überrascht hatte ihn, daß man ihnen nicht ansehen konnte, daß sie eine derartige Technik mit sich schleppten. Daraus schloß er, daß die Projektoren der Felder winzig klein, aber ungeheuer stark waren. Über diese Abwehrmechanismen aber hatte er nicht lange nachgedacht. Einen wahren Schock jedoch hatte bei ihm ausgelöst, daß sie auch über eine innerliche Abwehr verfügten, die sogar das tödliche Gift des Selamas neutralisierte! Der Schock wirkte noch nach, als er an Bord der INDIKAR zurückkehrte. Doch nicht nur deswegen befand er sich in großen Schwierigkeiten. Seine Aufgabe war gewesen, Coram-Till über das geplante Treffen zu unterrichten und für eine Besprechung im Vorfeld zu sorgen. Jetzt mußte er befürchten, daß Coram-Till dem Anführer seines Cryper-Stammes berichtete, was auf Am-
24 braux geschehen war. Er blieb einige Minuten in seinem KurierRaumer sitzen, nachdem er in einen der Hangars der INDIKAR eingeflogen war. Noch einmal überlegte er sich die nächsten Schritte seines Plans; dabei war ihm klar, daß es kein Zurück mehr gab, wenn er erst einmal den ersten Schritt getan hatte. Als er das Kurier-Boot verließ, gab er eine kurze Meldung an die Hauptleitzentrale der INDIKAR ab, in der er mitteilte, daß er sich in seiner Kabine aufhalten werde und nicht gestört werden wolle. Tatsächlich hielt er sich kurz in seiner Kabine auf, um dort einige Unterlagen zu vernichten, die ihm gefährlich werden konnten. Dann wandte er sich erneut an die Zentrale und teilte mit, daß er den Raumer kurzfristig in einer dringenden Mission verlassen werde. Minuten später startete er mit einem großen Kampf gleiter, schwebte mit mäßiger Beschleunigung aus der Schleuse des Hangars und glitt dann über das vom Tagebau verwüstete Land. Er verließ den Schürftrichter und geriet über ausgedehnte Waldgebiete mit flachen Tälern und sanft gewellten Hügeln. Auf wenigen freien Flächen ästen Tausende von vierbeinigen Tieren, die sich aber von dem über sie dahingleitenden Schatten nicht erschrecken ließen. Außerhalb der riesigen Bergbaugebiete war Jandrig ein Planet von paradiesischer Schönheit. Doch Erno-Regor hatte kein Auge dafür. Er flog über eine ausgedehnte Seenplatte hinweg bis zu einer Bergkette von Vulkanen, die sich bis in eine Höhe von etwa viertausend Metern erhoben, lenkte die Maschine um einige Berge herum und drang tief in die Bergwelt ein, um dann jedoch in der Deckung der Vulkane umzukehren und sich erneut dem Rand der Bergkette zu nähern. Er landete schließlich hoch unter dem Krater eines Vulkans und blieb dabei auf der Stelle, die der bewaldeten Ebene abgewandt war. Ein haushohes Schott öffnete sich, und er flog mit dem Gleiter in einen Tunnel, der quer durch den Berg führte. Als er landete,
H. G. Francis hatte er nur noch wenige Schritte bis zu einer Station zu gehen, von der aus er auf die Hügel und Täler hinabsehen konnte. Die Station war mit zahlreichen Gerätschaften ausgestattet. Monitoren füllten eine ganze Wand aus. Erno-Regor schaltete die Geräte ein, die Monitoren erhellten sich. Durch kleine Fenster konnte er hinaussehen und sich davon überzeugen, daß die Kameras die richtigen Bilder übermittelten. In der Ferne stiegen riesige Staubwolken auf. Sie zeugten von den Schürfarbeiten, bei denen die Oberfläche des Planeten rücksichtslos zerstört wurde. Der Cryper blickte einige Minuten lang auf die Landschaft hinaus, dann nahm er eine daumengroße Fernsteuerung auf, ging zu einer kleinen Tür und öffnete sie. »Hallo, Kleiner«, sagte er spöttisch zu dem Origaner, der zusammengekauert in einer vergitterten Kammer hinter der Tür hockte. »Ich glaube, es gibt Arbeit für dich.« Das Echsenwesen trug Keramikbänder an den Armen und Beinen, die mit dünnen, unzerreißbaren Keramikfäden verbunden waren. Erno-Regor zeigte ihm die Fernsteuerung. »Wir können es uns einfach machen«, argumentierte er, »und wir können uns die Hölle bereiten. Es liegt allein bei dir. Tust du, was ich von dir verlange, ist alles in Ordnung. Weigerst du dich, bediene ich dieses kleine Ding hier, und die Bänder an deinen Armen und Beinen sorgen für den Rest.« »Ich gehorche«, antwortete der Origaner. »Bitte, schalte nicht ein. Die Schmerzen ertrage ich nicht noch einmal. Sie bringen mich um den Verstand. Schon jetzt fällt es mir schwer, die Geräte zu bedienen. Wenn du mich noch einmal quälst, kann ich es überhaupt nicht mehr.« »Du solltest nicht soviel reden, Kleiner«, sagte Erno-Regor und befreite den Origaner aus dem Verlies, um ihn zu den Schalttafeln zu führen. Auf den Monitoren der Ortungsgeräte er-
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schien die NIKKEN.
* Ronald Tekener und der Arkonide waren irritiert. Sie blickten sich kurz an, und sie wußten, daß sie sich beide mit den gleichen Fragen beschäftigten. Wieso war Caston-Pragama auf ein Exoskelett angewiesen? Wieso war er so dürr, daß er dem Hungertod nahe schien? Hatte seine Erkrankung psychische Ursachen, oder war sie auf eine bakterielle oder viröse Infektion zurückzuführen? Wie war die medizinische Versorgung bei den Solten-Crypers? Konnten sie ihm nicht helfen, oder wollte er sich nicht helfen lassen? War das Exoskelett eine verzweifelte orthopädische Korrektur oder Ausdruck seiner exzentrischen Persönlichkeit? Wenn er psychisch krank war und darauf mit Magersucht reagierte, wie konnte man ihm dann vertrauen? Oder gab es andere Ursachen für sein extremes Untergewicht, Gründe, gegen die möglicherweise auch die hochentwickelte Medizin der BASIS machtlos war? »Ich hasse es, mich unter Zeitdruck setzen zu lassen«, sagte Capra, »doch in diesem Fall sollten wir uns kurz fassen und die Probleme gezielt und schnell angehen.« »Einverstanden«, stimmte Coram-Till zu und stellte danach fest: »Du hast eine Versammlung aller Cryper-Anführer auf dem Planeten Connox einberufen.« »Richtig«, bestätigte der Solten. »Zugleich habe ich diesen Planeten zum ebenfalls neutralen Boden erklärt, auf dem sich jeder Cryper frei und ungefährdet bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, von irgend jemandem angegriffen zu werden.« Wieder versagte ein kleines Teil an seinem Exoskelett, und er drohte zu stürzen. Augenblicklich waren der Origaner und Assyn-Stey neben ihm, um ihn zu stützen und das Teil auszutauschen. Das Echsenwesen schaffte es innerhalb weniger Sekunden, das tragende Skelett wieder in Ordnung zu brin-
gen. Coram-Till wartete ab. Er kannte solche Ausfallerscheinungen offenbar schon, denn dies war nicht seine erste Begegnung mit Capra. Er wußte zudem, daß es diesem nicht recht war, wenn man Mitleid zeigte, und wenn ein Unberufener ihm zu Hilfe eilte. »Was ist der Grund für die Versammlung?« fragte er. »Hoffst du, endlich Frieden zwischen uns stiften zu können und Einigkeit zu erreichen?« »Das ist einer der Gründe«, bestätigte Caston-Pragama. »Ich weiß, daß dies Ziele sind, die nicht in absehbarer Zeit zu erreichen sind. Ein Friedeerfordert ebenso viele Siege wie der Krieg, aber er verlangt mehr Geduld. Spannungen zwischen unseren Stämmen, die sich in Jahrhunderten aufgebaut haben, lassen sich nicht in ein paar Tagen bei einem Treffen beseitigen, selbst wenn alle Beteiligten gutwillig sind. Das aber sind sie in diesem Fall noch nicht einmal.« Diese Nachricht konnte Coram-Till nicht überraschen. Die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Stämmen der Crypers waren nicht neu. Ungewöhnlich allerdings war die Art, in der Capra darauf hinwies. Sie weckte die Aufmerksamkeit des Ambraux-Crypers in besonderem Maße, deutete sie doch darauf hin, daß Caston-Pragama mit dieser Information auf eine ganz bestimmte Person zielte. Meinte er Erno-Regor, seinen eigenen Kommandanten? Coram-Till konnte es sich nicht denken. »Es gibt zwei Wahrheiten im Leben unseres in sieben Stämme aufgespaltenen Volkes«, fuhr Capra fort; dabei bewegte er sich schwerfällig und mit ruckartigen Bewegungen zu dem Tisch hin, um sich daran zu lehnen und abzustützen. »Die eine Wahrheit ist, daß alle Crypers die Souveränität haben, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, und daß ihr ureigenster Wille genügt, es auch zu meistern. Die zweite Wahrheit ist, daß die Crypers diese Souveränität niemals ausgeübt haben. Sie reden von der Hölle der Uneinig-
26 keit, die uns alle schwächt, und sie fürchten, daß sie unseren Untergang herbeiführen wird, aber die Hölle – das sind immer nur die anderen. Niemals sie selbst.« Es waren kluge Worte, die Capra gesprochen hatte, und sie verfehlten ihre Wirkung auf Coram-Till nicht. »Du hast recht«, erwiderte er. »Wir dürfen uns damit nicht abfinden. Wir alle müssen uns ändern, oder für uns alle wird sich niemals etwas ändern.« »So ist es«, sagte Capra. »Und das ist genau der Grund, weshalb ich die Versammlung einberufen habe.« Irgendwo in der Nähe der Baracke krachte und polterte es. Coram-Till ging zu einem der Fenster, wischte den Staub von der Scheibe und blickte hinaus. Viel konnte er nicht erkennen. Die Robotmaschinen wirbelten draußen zuviel Staub auf. Er sah lediglich, daß einige Maschinen die Arbeit aufgenommen hatten. Sie waren nur etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt. Ihre mächtigen Schaufeln wühlten sich in den Boden und rissen ihn auf. »Ein aktueller Grund?« wunderte er sich. »Mir ist nichts zu Ohren gekommen.« »Es geht um Ammor-Res«, eröffnete der Solten-Cryper ihm. »Ich habe erfahren, daß er die anderen Rebellen auf seine Seite bringen und die Macht über alle Queeneroch-Crypers an sich bringen will.« Coram-Till lachte. »Das ist alles?« fragte er und wandte sich nun an die beiden Galaktiker, um ihnen ein paar erklärende Worte über Ammor-Res zu sagen. Der Rebellenführer war das Oberhaupt der Corri-Crypers, die ihren Namen von einem markanten Überriesen herleiteten. Die Sonne Corri hatte den 600fachen Durchmesser von Sol. Ammor-Res war ein bulliger, kräftiger, im Vergleich jedoch nicht allzu großer Mann. Coram-Till bezeichnete ihn als gewalttätigen und hitzköpfigen Schlägertyp, der allerdings schon einige Male Führungs-
H. G. Francis ansprüche angemeldet hatte und einer Einigung wohl nur zustimmen würde, wenn er den Oberbefehl über alle Stämme erhielt. Ammor-Res hatte das Flaggschiff RAUAN, das einen Durchmesser von 600 Metern hatte, und er verfügte über gut 300 bestens zum Kampf gerüstete Raumschiffe mit militärisch gedrillten Besatzungen. Atlan und Tekener gewannen nach dieser Schilderung den Eindruck, daß die CorriTruppen in ihrer rüden Art vergleichbar waren mit den Ertrusern der Milchstraße. Wegen ihrer Brutalität waren sie überall in Hirdobaan gefürchtet. Ammor-Res war Herr über 40 besiedelte Sonnensysteme mit einer Gesamtbevölkerung von 1,4 Milliarden Crypers. Somit verfügte er über eine beachtliche Macht. »Du solltest Ammor-Res nicht unterschätzen«, riet Assyn-Stey seinem Freund, dem Ambraux-Anführer. »Ammor-Res ist ein gefährlicher Mann.« »Und er ist ein intelligenter Mann«, fügte Caston-Pragama hinzu. »Intelligent bedeutet noch lange nicht, daß er auch klug ist.« Coram-Till lachte erneut. »Ammor-Res wird seine Vorstellungen nicht verwirklichen.« »Ammor-Res hat schon viele Ziele erreicht«, gab der Anführer der Vista-Crypers zu bedenken. »Das zeugt immerhin von einiger Klugheit.« »Für einen Mann führen drei Wege zur Klugheit«, spottete Coram-Till. »Auf dem edelsten Weg kommt er durch Nachdenken voran – also ist Ammor-Res dieser Weg versperrt. Er liebt es nicht, sein Gehirn zu benutzen. Den leichtesten Weg kann er durch Nachahmen gehen. Das ist immerhin eine Möglichkeit für ihn.« »Und der dritte Weg?« fragte Capra. Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab, weil sein Exoskelett nicht ganz so funktionierte, wie es sein sollte. »Der dritte Weg ist mit Erfahrung gepflastert«, antwortete Coram-Till. »Er ist für einen Mann wie Ammor-Res der bitterste.« Sein Freund Assyn-Stey war nicht gewillt,
Verrat auf Ambraux die Bedrohung auf die leichte Schulter zu nehmen. Er schaltete sich wieder ins Gespräch ein. »Von guten und zuverlässigen Informanten weiß ich, daß Ammor-Res aller Wahrscheinlichkeit nach zwei Anführer auf seine Seite gebracht hat«, sagte er und hob die rechte Hand, um zwei Finger auszustrecken und seine Aussage auf diese Weise zu unterstreichen. »Es sollen Eser-Furron, der Anführer der Manglon-Crypers, und KaranKan, der Anführer der Eramor-Crypers, sein.« »Eser-Furron ist ein verschlagener und unberechenbarer Typ«, meinte Coram-Till verächtlich. Er fuhr sich mit den Fingern der rechten Hand über die Stirn. »In meinen Augen ist er geistig nicht ganz auf der NormSchiene. Seine Mutter war angeblich eine Hirdobaan-Cryper; er ist ein Nusch, also ein Bastard schlimmster Sorte. Ihm traue ich ohne weiteres zu, daß er sich Ammor-Res anschließt.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. Seine drastische Charakterbeurteilung schien den Beifall zumindest von Assyn-Stey zu finden. »Karan-Kan richtet sein Fähnchen nach dem Wind«, fuhr er danach fort. »Er schlägt sich stets auf die Seite derer, von denen er sich Vorteile verspricht. Wäre ich an der Stelle von Ammor-Res, würde ich mich auf einen derartigen Kandidaten nicht verlassen!« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Capra, ich vermag diese Bedrohung nicht als besonders ernst einzustufen.« Caston-Pragama hatte seinen Oberkörper mehr und mehr nach vorn sinken lassen. Nun richtete er sich steil auf und atmete einige Male tief durch, um einen erneuten Anlauf zu nehmen, Coram-Till zu überzeugen. »Es geht um dich«, sagte er in beschwörendem Ton. »Du bist der stärkste Widersacher von Ammor-Res. Dich will er ausschalten, um die Führung über Ambraux übernehmen zu können. Ich ermahne dich, die War-
27 nung ernst zu nehmen.« »Ammor-Res ist zu allem entschlossen«, behauptete Assyn-Stey, der in großer Sorge um den Freund zu sein schien. Coram-Till trat wiederum an eines der Fenster heran, wischte den Staub zur Seite, so daß er hindurchsehen konnte, und blickte zur INDIKAR hinüber. Bisher war noch kein Wort über den Kommandanten dieses Raumschiffes gefallen, das Capra gehörte. Wußte Caston-Pragama etwa wirklich nichts von den Machenschaften Erno-Regors? »Einen Gegner zu unterschätzen ist der erste Schritt in die Niederlage«, versetzte er. »Wer zum Kampf antritt, will gewinnen. Darüber bin ich mir klar. Wenn Ammor-Res sich also auf eine Auseinandersetzung mit mir vorbereitet, dann hat er sich etwas dabei gedacht, und ich werde ihm nicht schon dadurch einen Vorteil im Kampf gegen mich einräumen, daß ich ihn unterschätze.« »Wir schlagen dir einen Pakt vor«, sagte Caston-Pragama. »Wir sollten uns einigen und bei dem bevorstehenden Treffen gemeinsam gegen Ammor-Res vorgehen.« »Das entspricht meinen Vorstellungen«, unterstrich Assyn-Stey diese Worte. Coram-Till überlegte nicht lange. »Einverstanden«, stimmte er zu. »Vorher ist allerdings noch eine Kleinigkeit zu klären, die aber sehr wichtig ist.« »Und das wäre?« Capra schien überrascht zu sein. Mit eckig erscheinender Bewegung trat er einen Schritt auf den Anführer der Ambraux-Rebellen zu; dann aber schien es, als habe er sich überschätzt. Der alte Cryper drohte das Gleichgewicht zu verlieren, fing sich jedoch, bevor der hinzueilende Origaner ihn stützen konnte. »Das Problem ist Erno-Regor«, eröffnete Coram-Till seinem Gegenüber. »Dein Kommandant!« Capra blickte ihn ebenso irritiert wie überrascht an. Tiefe Falten bildeten sich um seine Augen, und die Lippen strafften sich noch mehr über den Zähnen, so daß es aus-
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sah, als seien sie bis zum Zerreißen gespannt. »Was hat Erno-Regor damit zu tun?« fragte er. Coram-Till erklärte es ihm mit wenigen Worten. Danach wirkte Caston-Pragama, als habe er körperliche Schläge einstecken müssen. Er wich bis an den Tisch zurück, lehnte sich dagegen und stützte sich zudem mit beiden Händen auf. »Dieser Narr!« stieß er keuchend hervor. »Wie konnte er es wagen, sich gegen euch zu stellen!«
5. Coram-Till stand am Fenster und blickte zur INDIKAR hinüber, die weniger als zwanzig Kilometer von ihnen entfernt stand, aus waffentechnischer Hinsicht jedoch viel zu nah bei ihnen war. »Keine Sorge«, sagte Capra. »Erno-Regor wird nicht meutern. Ich bin absolut sicher, daß er sich damit nicht gegen die gesamte Mannschaft der INDIKAR durchsetzen kann. Er wird nicht auf uns schießen. Niemals!« »Mit Bordkanonen kann man uns von diesem Planeten fegen«, stellte Coram-Till ungerührt fest, als ob eine mögliche Bedrohung ihn gar nicht beträfe. »Ein einziger Schuß – und anstelle dieser Baracke gibt es nur noch einen glühenden Krater!« Caston-Pragama löste sich vom Tisch und ging nun ebenfalls zu einem Fenster. Mit ruckartiger Bewegung hob er die rechte Hand und wischte die Scheibe frei. Dann beugte er sich vor und spähte hinaus. Staubwolken hingen über dem Gelände. Von der INDIKAR war unter diesen Umständen nichts zu sehen. »Es passiert nichts«, beteuerte er. »Ich bin sicher, daß Erno-Regor längst von Bord gegangen ist. Er weiß, daß er es nicht überleben wird, wenn ich zur INDIKAR zurückkehre und ihn dort noch antreffe.« Er gab dem Origaner ein Zeichen, und das Echsenwesen nahm mit Hilfe eines kleinen
Funkgerätes Kontakt mit dem Raumschiff auf. Sekunden später bestätigte er, daß ErnoRegor nicht mehr an Bord war. »Er hat die INDIKAR in einer angeblich dringenden Mission verlassen«, sagte der Origaner. »Das habe ich mir gedacht.« Capra nahm nun selbst noch einmal Verbindung mit der Hauptleitzentrale seines Raumers auf. Dort wurde berichtet, man habe ErnoRegors Gleiter im Auge gehabt, bis er in den vulkanischen Bergen verschwunden war. »Abwehrstufe eins!« befahl der Anführer der Solten-Crypers. »Alle auf die Baracke gerichteten Angriffe abwehren und Schutzfelder errichten. Sicherheitshalber!« »Eine Energiebarriere«, schränkte CoramTill ein. »Ich möchte jederzeit die Möglichkeit haben, mich zumindest zu einer Seite hin zurückziehen zu können.« »Einverstanden«, lenkte Capra ein. »Eine Energiebarriere, die einen Angriff von den Vulkanbergen her abwehrt, genügt.« Sekunden später meldete die Zentrale der INDIKAR, daß eine energetische Schutzwand errichtet worden war. »Ihr hättet mich schon viel früher darauf aufmerksam machen müssen, daß kein Verlaß auf Erno-Regor ist«, kritisierte CastonPragama. »Vielleicht«, versetzte Coram-Till, »doch du hättest uns kaum geglaubt, wenn wir mit der Wahrheit direkt gekommen wären.« Capra mußte ihm recht geben. Sie hatten in ihrem Gespräch zunächst erst einmal eine Vertrauensbasis bilden müssen, bevor sie auf die Untreue seines Stellvertreters hatten hinweisen können. Er ließ sich nicht anmerken, was er empfand, und wandte sich nun Atlan und Ronald Tekener zu. Coram-Till stellte die beiden Galaktiker noch einmal als wertvolle Verbündete vor. »Ihr seht unsere Schwierigkeiten«, sagte Caston-Pragama danach. »Wir haben nicht nur mit der Unzulänglichkeit unserer technischen Ausrüstung zu kämpfen, sondern auch mit der Uneinigkeit unserer Stämme. Immer
Verrat auf Ambraux wieder gibt es einige von uns, die meinen, sich mit Gewalt und unsauberen Mitteln über die anderen hinwegsetzen zu können. Sie wollen die Macht, und ihnen fehlt die Einsicht, daß allein mit Egoismus in einer Gemeinschaft nichts erreicht werden kann. Ein derartiges Verhalten provoziert andere allzusehr, so daß es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und damit zu einer weiteren Verstärkung der Uneinigkeit kommt.« »Das ist ein Problem, das ihr allein lösen müßt«, argumentierte der Arkonide. »Wir können euch dabei behilflich sein, aber die wichtigsten Entscheidungen müßt ihr allein treffen. Männer wie Erno-Regor müßt ihr in die Schranken verweisen, wir können dabei nur wenig tun. Allerdings können wir euch die nötigen technischen Hilfen geben.« »Die wir dringend benötigen!« Capra schlug sich mit der flachen Hand verächtlich gegen die Schienen seines Exoskeletts, ließ den weißhaarigen Galaktiker dabei jedoch nicht aus den Augen. »Seht euch das an! Der Origaner unternimmt alles, was in seinen Kräften steht, um mir zu helfen, doch allzu viele Möglichkeiten hat er nicht! Unsere Technik ist zu unterentwickelt – selbst bei so einfachen Dingen wie einer Gehhilfe.« »Ich weiß.« Atlan versprach: »Wir werden alles Mögliche für die technische Ausrüstung der Crypers tun.« Mit ruckartigen Bewegungen und dabei stets leicht schwankend, als könnte er nur mit höchster Konzentration das Gleichgewicht bewahren, kehrte Caston-Pragama zum Tisch zurück und setzte sich darauf. Ronald Tekener, der an einem der Fenster stand, wischte den Staub von der Scheibe und blickte hinaus. Die Robotmaschinen, die Rohstoffe im Tagebau schürften, arbeiteten ununterbrochen. Ihr Lärm erfüllte die Luft. Dröhnend und kreischend scharrten die mächtigen Schaufeln der Geräte über den Boden, rissen ihn auf und hoben das geborgene Geröll auf mächtige Förderbänder, über die es zu Transportbehältern gebracht wurde.
29 Durch den aufwirbelnden Staub war nicht viel zu sehen. Lediglich die schemenhaften Umrisse der Maschinen waren zu erkennen. Ronald Tekener fiel auf, daß eine der größten Maschinen näher an sie herangerückt war. Ihre Baggerschaufeln waren größer als das Gebäude, in denen sie sich befanden, und wenn sie sich in den Boden senkten, spürte er die Erschütterungen unter seinen Füßen. Nicht weit davon entfernt fraß sich eine andere robotische Maschine durch den mit Rohstoffen gesättigten Boden. Sie arbeitete jedoch nur teilweise mit mechanischen Mitteln und brach den Boden mit Energiestrahlen auf. Die Strahlen leuchteten hell durch den Staub, und wenn sie in den Boden schossen, erzeugten sie eine derartige Hitze, daß der sich spontan ausdehnende Boden aufbrach und sich einen Weg nach oben suchte. Danach nahmen Baggerschaufeln die Bruchstücke auf. Von den drei Raumschiffen war nichts zu sehen. Zwischen der Baracke und ihnen erhob sich eine Wand aus Staub und Schmutz, die alles verschwinden ließ, was sich dahinter verbarg. »Das hört sich gut an«, sagte CastonPragama und neigte den Kopf leicht zur Seite, um Atlan mit seinem rechten Auge scharf zu fixieren. Es schien einem anderen Wesen zu gehören, denn es war so voller Kraft und Feuer, daß es nicht zu dem ausgemergelten Körper passen wollte. »Kannst du dich ein bißchen deutlicher dazu äußern?« »Ich rede vom Überlichtantrieb, Raumschiffen und Waffen«, eröffnete ihm Atlan. »Und von der Ausbildung an ihnen.« »Du zählst zu den Mächtigen deines Volkes«, stellte Capra fest. »Andernfalls wärst du wohl nicht in der Lage, so etwas zu versprechen.« Der Arkonide ließ die Worte im Raum stehen, ohne sie zu bestätigen oder abzuschwächen. »Allerdings sind wir nicht ganz selbstlos«, versetzte er. »Wir erwarten eine Ge-
30 genleistung.« »Das ist selbstverständlich. Was verlangst du?« »Unser Problem ist die Sucht der ImprintOutlaws«, stellte der Unsterbliche fest. »Wir müssen unsere Galaktiker von dieser Sucht heilen. Dabei erwarten wir eure Unterstützung. Das heißt, das Geheimnis der ImprintWaren zu lüften, die offiziell ja gar nicht existieren.« »Ich verstehe«, sagte Caston-Pragama, und sein Auge verdunkelte sich. »Das macht die Sache schwierig.« »Wir wünschen diese Zusammenarbeit im Kampf gegen die Hamamesch«, beteuerte Coram-Till. »Wir versprechen dir, daß unsere Stämme alles tun werden, um euch zu helfen«, betonte Caston-Pragama. Hilflos hob er die Arme, um sie dann schlaff wieder fallen zu lassen. Klatschend schlugen seine Hände gegen die dürren Oberschenkel. »Aber ich habe wenig Hoffnung, daß wir die süchtigen Galaktiker heilen können. Wir wissen nicht, wie wir das anstellen sollen, aber ich verspreche dir, daß wir alles tun werden, um es herauszufinden. Noch heute gebe ich entsprechende Befehle. Wir werden alle Kräfte mobilisieren, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.« »Wir danken dir«, sagte Ronald Tekener, der nichts anderes erwartet hatte. »Die Imprint-Waren müssen, falls es sie überhaupt gibt, aus dem Zentrum von Hirdobaan kommen«, versetzte Coram-Till. »Dort sitzen wohl die eigentlichen Machthaber. Sie verbergen sich hinter dem Begriff Gomasch Endredde.« »Gomasch Endredde?« fragte der Galaktische Spieler. Nachdenklich schüttelte er den Kopf. »Davon habe ich in den Berichten zwar schon gehört. Was ist aber darunter zu verstehen?« »Das wissen wir auch nicht«, eröffnete ihm Capra. »Wir wissen nicht, ob sich hinter diesem Begriff eine Gruppe verbirgt oder eine einzelne Persönlichkeit. Ich glaube auch nicht, daß Gomasch Endredde ein anderer
H. G. Francis Name ist für die neun Maschtaren. Sie sind vielleicht doch nicht die oberste Instanz in Hirdobaan.« Erneut hob er die Arme und ließ sie wieder fallen. Es war eine Geste, die seine Ratlosigkeit unterstrich. »Es tut mir leid. Ich weiß es nicht. Wir haben keine zuverlässigen Informationen. Es gibt lediglich Gerüchte, die sich jedoch beim genaueren Hinsehen alle widersprechen, so daß nichts davon zu glauben ist. Wir wissen wirklich nicht, was sich hinter dem Begriff Gomasch Endredde verbirgt. Es wäre vermessen, etwas anderes zu behaupten.« Der Origaner glitt lautlos heran, um eine kleine Reparatur an seinem Exoskelett vorzunehmen. Caston-Pragama schwieg. Er schloß die Augen und ließ erschöpft den Kopf sinken. Sein Brustkorb hob und senkte sich, als leide er unter plötzlicher Atemnot. Doch er erholte sich schnell. Als Atlan bereits eine Verhandlungspause vorschlagen wollte, hob Capra den Kopf und öffnete die Augen, und nun wirkte er so frisch wie zu Beginn des Gesprächs. »Sicher ist nur eines«, erklärte er mit überraschend kraftvoller Stimme. »Alle Antworten auf diese Fragen sind im Zentrum von Hirdobaan zu suchen, doch dieser Kernbereich, der einen Durchmesser von etwa 133 Lichtjahren hat, ist hermetisch abgeschlossen. Niemand gelangt hinein.« »Nur die Maschtaren, so vermuten wir«, fügte Coram-Till leise hinzu. »Nur die Maschtaren«, bestätigte Capra. »Und dann gibt es noch Gerüchte, die beinhalten, daß möglicherweise auch die Fermyyd Zugang zum Zentrum haben – und es auch wieder verlassen können.« »Das ist interessant«, sagte der Arkonide. »Die Sache ist einen Versuch wert.« »Was willst du damit sagen?« fragte Caston-Pragama, während sich Assyn-Stey wieder auf die Rolle des Zuhörers beschränkte. »Ich will damit sagen, daß wir mit galaktischer Technik wohl irgendwann einen Zugang zum Zentrum finden werden«, antwor-
Verrat auf Ambraux tete Atlan gelassen, und Ronald Tekener nickte. »Wenn es nicht anders geht, werden wir einen Maschtaren schnappen, wer auch immer die Maschtaren sind und wie sie sich uns gegenüber auch verhalten mögen«, fügte der Smiler hinzu. »Irgendwie wird es uns schon gelingen, an einen Maschtaren heranzukommen und das Zentrum mit seiner Hilfe zu knacken.« Capra blickte ihn erschrocken an und begann zugleich am ganzen Körper zu zittern. Allein der Gedanke an einen Maschtaren machte ihm schon angst. »Wer sind die Maschtaren?« fragte der Galaktische Spieler. Die drei Crypers antworteten nicht. Sie sprachen leise miteinander, zu sehr mit sich selbst, mit ihren Problemen und den von den Hamamesch ausgehenden Gefahren beschäftigt. Die beiden Unsterblichen zogen sich einige Schritte bis in eine Ecke des Raumes zurück und unterhielten sich nun ebenfalls mit gedämpfter Stimme, um sich noch einmal in Erinnerung zu bringen, was sie erfahren hatten. »Sorge macht mir nur Erno-Regor«, sagte Tek, nachdem sie festgestellt hatten, daß die vielen Informationen nicht zu Mißverständnissen geführt hatten. »Ich fürchte, er steckt irgendwo auf diesem Planeten und heckt etwas aus, was uns in Schwierigkeiten bringt.« »Das halte ich für sehr wahrscheinlich« stimmte Atlan zu. »Der Mann gibt nicht so schnell auf.« Coram-Till räusperte sich, und sie kehrten in die Mitte des Raumes zurück. »Ihr habt recht«, sagte der Cryper in seiner draufgängerischen Art. »Wenn sich Gomasch Endredde im Kern von Hirdobaan versteckt, wenn sich die Macht der Maschtaren im Zentrum der Galaxis ballt, dann müssen wir dorthin und uns dort umsehen. Ich bin bereit, mit euch zusammen ins Zentrum von Hirdobaan zu fliegen, selbst wenn es sich als die Hölle entpuppen sollte. Mit eurer Hilfe werden wir es schaffen, da einzudrin-
31 gen.« Sein Freund Assyn-Stey, der bis dahin keine drei Sätze von sich gegeben hatte, trat vor, um seine Entschlossenheit deutlich zu machen. »Ich bin ebenfalls dabei«, betonte er. »Ich habe bedingungsloses Vertrauen zu eurer galaktischen Technik, und ich bin sicher, daß wir es damit schaffen können.« »Ausgezeichnet«, meinte Atlan. »Dann sollten wir den Plan so schnell wie möglich ins Auge fassen. Wir fliegen ins Zentrum von Hirdobaan.« Caston-Pragama hob beide Hände. »Bitte, nicht so schnell«, wehrte er mühsam ab. »Mir fällt noch etwas ein, was ihr unbedingt wissen müßt. Ich habe Informationen darüber, daß aus dem Zentrum Einfluß auf alle Hirdobaan-Bewohner genommen wird. Aus diesem Wissen heraus, das schon aus alter Zeit überliefert worden ist, sind einst die Crypers aus Hirdobaan ausgewandert.« Die beiden Galaktiker horchten auf. Das Gespräch mit Capra wurde fruchtbarer und informativer. Es zeigte sich, wie wichtig es gewesen war, daß sie Coram-Till zu diesem Treffen auf Jandrig begleitet hatten. »Aus dieser Zeit stammt auch die Bestimmung, daß kein echter Cryper in Hirdobaan geboren werden darf«, fügte Caston-Pragama hinzu. Diese Worte verfehlten ihre Wirkung auf Atlan und Tekener nicht. Die beiden Männer wollten unbedingt mehr wissen und forderten weitere Informationen, doch nun war Capra erschöpft – oder er tat jedenfalls so. Der Cryper mußte sich abstützen und rang heftig nach Luft. Ablehnend schüttelte er den Kopf und verweigerte weitere Auskünfte. Er ließ seine Worte im Raum stehen. Ronald Tekener war nicht bereit aufzugeben. »Wenn wir euch helfen sollen und wenn wir wirklich vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen, dann brauchen wir dringend diese Informationen«, sagte er. »Ich bin nicht bereit, euch noch mehr dar-
32 über mitzuteilen«, antwortete Caston-Pragama. Er richtete sich auf und machte nun wieder einen frischeren Eindruck. Energisch und mit unverkennbarer Entschlossenheit fügte er hinzu: »Es tut mir leid.« »Dafür mußt du einen triftigen Grund haben«, vermutete der Arkonide. Er erkannte wohl, daß der Anführer der Solten-Crypers sich nicht beugen würde. Dennoch wollte er einen letzten Versuch unternehmen, ihm die nötigen Informationen zu entlocken. »Den habe ich«, betonte der Anführer der Solten-Crypers. »Es ist mir nicht erlaubt, dieses Wissen weiterzugeben. Schon damit, daß ich darüber gesprochen und einige Andeutungen gemacht habe, bin ich viel zu weit gegangen.« Ronald Tekener fiel auf, daß es ruhig geworden war. Während des gesamten Gesprächs waren die Arbeitsgeräusche der Robotmaschinen zu hören gewesen, die im Tagebau Rohstoffe schürften. Doch allmählich waren die Geräusche verklungen, und es war stiller geworden, ohne daß sie darauf aufmerksam geworden waren. Tek blickte hinaus. Nur noch eine der kleineren Maschinen arbeitete. Die anderen standen still; langsam senkte sich der Staub, so daß die Umrisse der weit entfernten Raumschiffe erkennbar wurden. Angesichts der Schwierigkeiten, die Caston-Pragama mit seinem Exoskelett hatte, einem technisch relativ anspruchslosen orthopädischen Gerät, konnte nicht überraschen, daß die weitaus komplizierteren Schürfroboter Ausfälle hatten und Reparaturen notwendig wurden. Eigentlich hätte Tek sich mit diesem Gedanken abfinden und beruhigt sein müssen. Doch er war es nicht. Während Atlan, Capra, Coram-Till und Assyn-Stey ihr Gespräch fortführten, beobachtete er die Roboter. Nirgendwo waren Reparaturmaschinen zu erkennen, die an den Schürfgeräten arbeite-
H. G. Francis ten! Es schien, als mache man lediglich eine Arbeitspause, so, wie es bei einer Besatzung durch Crypers durchaus naheliegend gewesen wäre. Doch es gab keine Besatzung, die eine Erholungspause benötigte. Auf dem Planeten Jandrig wurde robotisch geschürft. Wenn es überhaupt irgendwo Intelligenzen gab, die mit und an den Geräten arbeiteten, dann waren es Origaner, die für Reparaturen verantwortlich waren. Von ihnen war jedoch nichts zu sehen. Während Tekener sich darüber klarzuwerden versuchte, warum die Maschinen ihre Arbeit eingestellt hatten, blieb auch der letzte Schaufelbagger stehen, und es wurde still. Ein leichter Wind kam auf und bewegte Fenster und Türen der Baracke, so daß sie zu klappern begannen. Endlich wurde auch Capra aufmerksam. »Was ist los?« fragte er. Ronald Tekener ging zur Tür, öffnete sie und blickte hinaus. Dabei achtete er auf die Ortungsanzeigen seines SERUNS. Sie zeigten nichts Ungewöhnliches an. »Ich weiß es nicht«, antwortete er und vertrieb mit lässiger Geste ein Fluginsekt, das sich ihm auf die Wange setzen wollte. Atlan kam zu ihm. »Wie die Ruhe vor dem Sturm«, sagte er leise, während er ebenfalls hinausblickte. Die riesigen Maschinen standen still. Der Wind rief ein leises, bedrohlich klingendes Pfeifen hoch oben zwischen den metallischen Verstrebungen hervor; Staub rieselte an ihren Seiten herab. Irgendwo waren die Bagger auf Schwefel gestoßen. Ein unangenehmer Geruch wehte heran. Die Sonne stand grell und weiß im Zenit. Sie ließ das aufgebrochene Gestein flimmern. Assyn-Stey nahm sofort Verbindung mit der Zentrale seines Raumschiffs auf. »Was ist los?« fragte er. »Wir können nichts Ungewöhnliches feststellen«, antwortete ihm sein Stellvertreter, »abgesehen davon, daß die Roboter ihre Arbeit eingestellt haben. Einen Grund dafür
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können wir aber nicht erkennen.« Caston-Pragama kämpfte sich sehr schwerfällig und mit ruckartigen Bewegungen bis zu einem der Fenster. Der alte Cryper stieß es auf und atmete die hereinströmende, frische Luft tief ein. »Macht euch keine Sorgen«, bat er. »Solche Unterbrechungen gibt es bei uns immer wieder. Irgendwo ist wohl ein Teil ausgefallen. Vielleicht versagte etwas in der zentralen Steuerung. Mit uns hat das nichts zu tun.« Atlan entfernte sich einige Schritte von der Baracke. »Da bin ich anderer Meinung«, sagte er. »Ich spüre es. Irgend etwas stimmt nicht.«
6. Erno-Regor brauchte mehr Zeit, seine Aktion vorzubereiten, als er ursprünglich geplant hatte. Von technischen Dingen hatte er nur wenig Vorstellungen, und so mußte er sich auf die Versprechungen des Origaners verlassen, daß alles so ablief, wie es sein sollte. »Es geht nicht schneller«, beteuerte InneEk. Er hob seinen runden Kopf und blickte seinen Peiniger mit halb geschlossenen Augen an. Er sah aus, als ob er gleich einschlafen würde. »Ich muß die Maschinen langsam hochfahren, bis sie genügend Energie bereitstellen«, sagte er. »Das ist nicht in ein paar Minuten zu machen. Wenn du es eilig hast, hättest du früher anfangen müssen.« Erno-Regor preßte die Lippen ärgerlich aufeinander. Er blickte auf die Monitoren, auf denen sich die drei Raumschiffe und die vielen Robotschürfer deutlich abzeichneten. Auf dem größten der Monitoren war die Baracke zu sehen. Tief unter der Station im Berg waren mächtige Maschinen angelaufen und erzeugten die nötige Energie für die Pläne des Crypers. Erno-Regor war nie in den Maschinenräumen gewesen.
Er wußte jedoch von Ammor-Res, dem Anführer der Corri-Crypers, daß die Anlage aus uralter Zeit stammte, aus einer fernen und dunklen Vergangenheit, zu der heute niemand mehr Zugang hatte. Ein untergegangenes Volk, das irgendwann einmal auf diesem Planeten gewesen war, hatte die Anlage gebaut. Erno-Regor wußte nicht, welchem Zweck sie gedient hatte und weshalb sie überhaupt errichtet worden war. Es interessierte ihn auch nicht. Ihm war nur wichtig, daß sie – großzügig definiert – eine Waffe darstellte, mit der er den Kampf um die Macht aufnehmen konnte. Ammor-Res war vor drei Jahren mit ihm hier gewesen und hatte ihm die Anlage gezeigt; bei dieser Gelegenheit hatte er mit ihm über ihre Zukunft und über die der Crypers gesprochen. Erno-Regor dachte gern an dieses Gespräch zurück, hatte es doch seine Karriere zum Mittelpunkt gehabt. Ammor-Res hatte ihm Macht und Reichtum versprochen, wenn er an seiner Seite kämpfte. Der Anführer der Corri-Crypers strebte die Macht über alle Crypers an, und Erno-Regor hatte nichts dagegen, sie ihm zu verschaffen. Er selbst fühlte sich nicht zum Führer über alle Volksstämme berufen. Ihm genügte es, wenn er unter Ammor-Res eine hohe Position erreichte, mit der alle ihm wichtigen Annehmlichkeiten des Lebens verbunden waren. »Beeil dich!« fuhr er den Origaner an, dessen Hände ruhig und gleichmäßig über die vielen Schaltungen glitten. »Ammor-Res und ich haben drei Jahre gebraucht, um dieses Treffen vorzubereiten und nicht nur Caston-Pragama, sondern auch Coram-Till und seinen Freund Assyn-Stey hierherzulocken. Daß die beiden Galaktiker dabei sind, ist eine erfreuliche Zugabe für uns, die wir nur zu gerne annehmen. Also verdirb uns nicht alles durch deine Trägheit.« Er beugte sich über den Origaner und tippte mit dem Knöchel eines Fingers gegen
34 eines seiner Keramikarmbänder. »Oder soll ich diese kleinen Schmuckstücke einschalten, um dir Beine zu machen?« »Bitte nicht«, flehte Inne-Ek. »Du kannst ganz sicher sein, daß ich alles tue, um die Maschinen so schnell wie möglich hochzufahren. Wenn ich den Prozeß jedoch weiter beschleunige, überspanne ich den Bogen, und die Maschinen brechen zusammen. Dann richtest du überhaupt nichts aus gegen jene dort in der Baracke.« »Leider muß ich dir glauben«, sagte ErnoRegor mit gepreßter Stimme. »Ich kann nicht nachprüfen, ob du mich anlügst oder nicht. Aber ich warne dich. Wenn du mich betrügst, kostet es dich das Leben.« Er zeigte auf die Monitoren. »Sind wir jetzt endlich soweit, daß die Roboter ihre Arbeit einstellen?« hakte er nach. »Wir sind soweit«, antwortete das Echsenwesen zu seiner Erleichterung. Sekunden später konnte der Cryper verfolgen, wie seine Befehle umgesetzt wurden. Einer der Schürfroboter nach dem anderen blieb stillstehen, und allmählich senkte sich der Staub. »Das wird ihnen zu knacken geben«, freute sich Erno-Regor. Er klatschte so überraschend und so kräftig in die Hände, daß der Origaner erschrocken zusammenzuckte. »Sie werden sich fragen, warum die Maschinen nicht mehr arbeiten, aber sie werden den Grund nicht herausfinden.« Er blickte auf die vielen Anzeigen, und ihm fiel auf, daß sie schnell steigende Werte anzeigten. Der Origaner sagte die Wahrheit. Die Leistung der Maschinen stieg, und somit wuchs die Energiemenge, die ihm zur Verfügung stand. Erno-Regor ging zu einem anderen Schaltpult und ließ sich in den Sessel sinken, der davorstand. Mit langsamer, geradezu feierlicher Bewegung drückte er eine Taste, und einer der Monitoren vor ihm erhellte sich. Das breite Gesicht von Ammor-Res erschien.
H. G. Francis »Es ist soweit«, sagte der Anführer der Corri-Crypers. »Du hast den Speicher eingeschaltet, den ich dir hinterlassen habe. Das bedeutet, daß du ganz kurz vor dem großen Schlag stehst. Jetzt kommt es darauf an, Erno-Regor!« Der Corri blickte ihn mit schmalen Augen an. »Du wirst den entscheidenden Schritt tun«, fuhr er fort. »Er wird dich an die Macht bringen. An meiner Seite wirst du zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten unserer Clans werden. Wir beenden die Uneinigkeit der Crypers – jedoch auf meine Weise. Wir reden in einer Sprache mit unseren Stämmen, die alle verstehen und die keine Fragen offenläßt. Du bist derjenige, der die Weichen stellt. Wenn du jetzt richtig handelst, öffnest du uns den Weg in eine glorreiche Zukunft. Das ist deine Chance, dir einen Platz in der Geschichte unserer Clans zu sichern. Nutze sie! Eine solche Chance kommt niemals wieder!« Die Miene des Corri-Anführers entspannte sich, und ein wohlwollendes Lächeln erschien auf seinen aufgeworfenen Lippen. »Ich vertraue dir, Erno-Regor«, schloß er. »Und ich weiß, daß du genau der Mann bist, der die Auszeichnung verdient, an meiner Seite kämpfen zu dürfen! Los! Gib den Befehl!« Das Bild erlosch, und das Gesicht von Ammor-Res verschwand. Doch die Worte des Corri-Anführers hallten in Erno-Regor nach. Er erhob sich, und seine Gestalt straffte sich. Ja, er war entschlossen, sich einen Platz in der Geschichte der Cryper-Völker zu sichern. Er wollte derjenige sein, der CastonPragama einen dicken Strich durch seine Rechnung machte und der nicht nur den Anführer der Solten-Crypers, sondern auch Coram-Till, den Anführer der Ambraux-Crypers, und Assyn-Stey, den Anführer der Vista-Crypers, tötete und somit aus dem Buch der Geschichte entfernte. »Wie weit sind wir?« fragte er den Origa-
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ner. »Wir haben genügend Energie«, erwiderte Inne-Ek. »Angreifen!« befahl Erno-Regor.
* »Der Schutzschild ist weg«, meldete Ronald Tekener. Das eigenartige, für ihn typische Lächeln glitt über seine zernarbten Lippen. Es wirkte drohend und spiegelte alles andere als innere Freude wider. »Es gibt kein Energiefeld mehr, das uns schützt.« Unwillkürlich blickte Atlan auf die Anzeigen seines SERUNS, und er stellte fest, daß der Smiler richtig beobachtet hatte. Der von der INDIKAR errichtete Schutzschild existierte nicht mehr. Somit waren sie eventuellen Angriffen von Seiten ErnoRegors schutzlos ausgeliefert. Capra nahm augenblicklich Verbindung mit der INDIKAR auf. Die Hauptleitzentrale antwortete, doch die Stimme kam stark verzerrt und nahezu unverständlich herüber. »Ich verstehe dich nicht!« rief CastonPragama. »Was ist geschehen?« »… nicht mehr …«, kam die verzerrte Antwort. »Haben … Fesselfeld …« Danach verstummte die INDIKAR ganz. Atlan regulierte die Ortungsgeräte seines SERUNS. »Die INDIKAR wird von einem unsichtbaren Fesselfeld eingeschlossen«, berichtete er danach. »Ebenso die NIKKEN und die VONAU«, stellte Ronald Tekener fest. Sein drohendes Lächeln vertiefte sich. Es verfehlte seine Wirkung auf die Crypers nicht, verriet es doch selbst ihnen höchste Anspannung und Konzentration. »Was geschieht?« fragte Coram-Till. »Wir werden gleich angegriffen«, antwortete der Arkonide. »Weg von der Baracke! Hier ist es zu unsicher für uns.« Unterstützt von dem Origaner, schleppte sich Caston-Pragama aus der Baracke. Nachdem auch Coram-Till und Assyn-Stey sie verlassen hatten, befanden sich alle im
Freien. Eine der Schürf maschinen setzte sich ratternd wieder in Bewegung, und CastonPragama atmete auf. »Seht ihr?« rief er. »Es ist gar nicht so schlimm!« Die Maschine war noch etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt, und sie rückte nun auf breiten Raupen schnell auf sie zu. Atlan griff nach seinem Energiestrahler. »Nicht!« bat Capra. In seinem Exoskelett krachte und knackte es bei jedem Schritt. »Es ist eine kostbare Maschine. Ohne sie können wir nicht arbeiten und keine Rohstoffe gewinnen.« Unaufhaltsam rollte der Roboter näher. Er war etwa dreißig Meter hoch und ebenso breit. Seine beiden Greifarme mit den riesigen Baggerschaufeln waren erhoben – wie zwei Klauen, die zuschlagen wollten. »Sie greift uns an«, prophezeite der Arkonide. »Wir müssen sie zerstören, oder sie wird uns töten.« »Das glaube ich nicht«, sträubte sich der Anführer der Solten-Crypers. »Warum sollte eine Maschine so etwas tun?« Er wich Schritt für Schritt zurück; CoramTill, Assyn-Stey und der Origaner blieben an seiner Seite. Atlan und Tekener folgten langsamer. »Willst du warten, bis sie tatsächlich zuschlägt?« fragte der Galaktische Spieler. Der Schürfroboter war nun nur noch etwa vierzig Meter von ihnen entfernt. Einer seiner Greifarme streckte sich weit vor, und die Baggerschaufel fuhr mit voller Wucht herab. Keine fünf Meter von Atlan entfernt schlug sie krachend auf den Boden, so daß Staub, Gestein und Erde in die Höhe spritzten. Atlan legte seinen Energiestrahler an, zielte auf die zentrale Steuerung der Maschine, die sich in einem Kasten sieben Meter über ihm befand, und schoß. Der Energiestrahl traf die Steuerung und zerstörte sie. Noch einmal hob sich einer der Arme kreischend in die Höhe. Die Maschine rollte einige Meter weiter, drehte sich leicht zur Seite, und dann stürzte die tonnenschwere
36 Baggerschaufel auf die Antigravplattform herab, mit der Coram-Till und die beiden Galaktiker gekommen waren. »Zu unserem Gleiter!« rief Caston-Pragama nun, der alle Hoffnungen auf eine Wende zum Guten nun fahrenließ. »Schnell! Wir müssen verschwinden.« »Helft ihm«, bat Ronald Tekener die beiden Crypers, als er sah, wie mühsam Capra sich voranschleppte. »Er schafft es nicht allein.« Coram-Till und Assyn-Stey griffen wortlos zu. Sie packten Caston-Pragama an den Armen, hoben ihn so hoch, daß seine Füße über dem Boden schwebten, und liefen mit ihm auf den Gleiter des Solten-Crypers zu. Schon nach wenigen Schritten blieben sie erschrocken stehen: Der Boden neben der Maschine brach auf, und ein Roboter schob sich daraus hervor. Es war eine Maschine für subplanetarische Arbeiten, die den Boden mit Energiestrahlen aufbrach. Die sonnenhellen Strahlen reichten jedoch nur etwa einen halben Meter weit, so daß sie die Crypers nicht unmittelbar gefährden konnten. Von ihnen ging jedoch eine ungeheure Hitzewelle aus; sie war es, die die drei Männer und das Echsenwesen zurücktrieb. Auch aus der Seite der Maschine schossen helle Energiestrahlen hervor. Sie bohrten sich in die Flanke des Antigravgleiters und zerstörten ihn. Flammen brachen aus der Fahrgastkabine. Coram-Till fluchte laut. Er feuerte seine mit drei Läufen versehene Waffe auf den Roboter ab, bis dieser seinen Geist aufgab und in einer Serie von krachenden Explosionen auseinanderbrach. Dann hob er die Fäuste und schüttelte sie drohend gegen die INDIKAR, obwohl er wußte, daß Erno-Regor sich nicht mehr an Bord befand. Bald aber sanken ihm die Fäuste nach unten. »Seht euch das an!« rief er. Eine Gruppe von etwa fünfzig Besatzungsmitgliedern hatte das Raumschiff verlassen. Flimmernde Energiebögen durchbrachen das Fesselfeld, unter dem die INDI-
H. G. Francis KAR gefangen war. »Sie kämpfen sich durch«, freute sich Coram-Till. »Wir bekommen Verstärkung!« »Sieh dir die anderen Roboter an«, sagte Ronald Tekener zu dem Arkoniden. »Jetzt werden sie langsam munter.« Mehr und mehr Maschinen kamen in Bewegung; schnell wirbelte wieder Staub auf. Er bildete einen dichten Schleier zwischen der ausbrechenden Besatzung und ihnen, so daß sie die Crypers bald nicht mehr sehen konnten. »Und alle rücken auf uns zu«, stellte Atlan fest. Seine Augen begannen zu tränen, ein deutliches Zeichen seiner Erregung. »Es wird knapp.« Er ging zu Caston-Pragama, der erschöpft neben den Trümmern seines Gleiters stand. »Unsere SERUNS sind flugfähig«, sagte er zu ihm. »Und sie sind stark genug, daß sie uns alle tragen können. Auf diese Weise können wir uns in Sicherheit bringen.« Capra hob die Hände und schüttelte sie abwehrend vor dem Gesicht des Arkoniden. »Auf keinen Fall«, sträubte er sich. »Ich werde nicht fliehen. Ich kämpfe, und dabei werde ich mit den Füßen auf dem Boden bleiben, solange es mir möglich ist.« Unter dem Druck der Ereignisse nahm er eine widersprüchliche Haltung ein, die für Atlan und den Terraner schwer zu verstehen war. Zudem hatte er offensichtlich die Absicht gehabt, sich in dem mittlerweile zerstörten Gleiter vor den angreifenden Robotern in Sicherheit zu bringen. Aus den wirbelnden Staubwolken rückten die robotischen Schürf maschinen heran. Ihre Ketten rasselten lärmend, und ihre gewaltigen Greifarme bewegten sich quietschend und klirrend. Atlan und Tekener feuerten, doch wegen des Staubes konnten sie nun nicht mehr genau erkennen, wo die Lenkzentrale der Maschinen war. So ging mehr als ein Schuß ins Leere und verpuffte wirkungslos. »Wir müssen uns zurückziehen«, drängte er, während auch Coram-Till und AssynStey feuerten. »So erreichen wir überhaupt
Verrat auf Ambraux nichts.« »Ich weiß, wie wir sie bekämpfen können.« Der Origaner legte seine Hand auf den Arm des Arkoniden. »Kommt! Ich zeige es euch.« Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er los. Ronald Tekener zögerte kurz und folgte ihm dann. Der Origaner bewegte sich schnell und geschmeidig, und der Terraner schaltete den Gravo-Pak seines SERUNS ein, um ihm folgen zu können. Plötzlich blieb Iccu-Si stehen, drehte sich um und zeigte nach oben. Durch Staub und Schmutz, sah Tekener sich drehende Zahnräder, Greifarme und Ketten. Dazwischen befand sich ein kopf großer, runder Behälter. Er zögerte nicht, darauf zu schießen. Der gleißende Strahl aus seiner Waffe durchbrach den Staub und ließ ihn aufglühen, bevor er die Schaltzentrale vernichtete. Die Maschine blieb stehen, der Lärm verringerte sich. Triumphierend stieß der Origaner einen Arm in die Höhe. »Ausgezeichneter Schuß«, lobte er. »Und jetzt zur nächsten Maschine.« Der SERUN zeigte eine sich nähernde Masse an, und Tek stieß einen Warnschrei aus. Doch es war schon zu spät. Aus den wirbelnden Staubmassen raste ein etwa drei Meter hoher Roboter hervor; bevor der Terraner es verhindern konnte, stürzte er sich auf Iccu-Si. Einer seiner Arbeitsarme fuhr auf den Origaner herab und warf ihn zu Boden. Tek erkannte sofort, daß er das Echsenwesen nicht mehr retten konnte. Er schoß auf den Roboter und traf ihn in der Mitte seines Körpers. Damit zerstörte er die Lenkzentrale nicht, verbrannte jedoch eines der wichtigsten Gelenke. Die Maschine kippte um und wühlte sich mit sinnlos kreisenden Armen und Beinen in den Boden. Sie ließ von dem Origaner ab, doch es war schon zu spät. Iccu-Si war tot. Tek zog sich zurück. Er sah, daß die Ma-
37 schine unter Geröll und Schmutz verschwand, und er erkannte, daß sie weiterarbeiten würde, bis ihre Energie irgendwann erlahmte.
* Erno-Regor beobachtete fasziniert, was sich auf den Monitoren vor ihm abzeichnete. »Ausgezeichnet«, lobte er den Origaner. »Die Sache entwickelt sich!« »Neunzig Prozent der Maschinen arbeiten«, berichtete Inne-Ek. »Und alle rücken gegen Caston-Pragama und die anderen vor.« »Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit«, triumphierte der Cryper, »dann sind sie alle erledigt. Sie können einige Roboter zerstören, aber nicht alle. Früher oder später werden auch die Galaktiker unterliegen, und dann ist der Weg frei für mich!« Er beobachtete, daß mehr als fünfzig Crypers von der Besatzung der NIKKEN und der INDIKAR unter größten Schwierigkeiten Strukturlücken in den Fesselfeldern schufen, mit denen die Raumschiffe festgehalten und neutralisiert wurden, und ausbrachen. Besorgt machte er den Origaner darauf aufmerksam. Inne-Ek handelte erst, als der Cryper ihm die Hand auf eines der Keramikbänder an seinen Armen legte. Dann lenkte er zwei der großen Robotmaschinen auf die Besatzungsmitglieder. Erno-Regor verfolgte auf den Ortungsschirmen, wie seine Gegner mit den Maschinen kämpften. Sie wurden alle zwischen den beiden Schürfrobotern eingekeilt, und dann rückten die Maschinen näher und näher heran, bis sie einander berührten und sich nicht mehr die geringste Lücke zwischen ihnen befand. Als der Cryper schon annahm, daß die Roboter sich nun trennen würden, wölbte sich plötzlich ein Feuerball über ihnen auf. Die Roboter explodierten, und niemand in ihrer Nähe überlebte. »Ganze Arbeit«, lobte er den Origaner.
38
H. G. Francis
»Von denen greift keiner mehr in die Kämpfe ein.« Inne-Ek nahm einige Schaltungen vor, und die beiden Galaktiker und die drei Crypers bei der Baracke rückten groß ins Bild. Deutlich war zu erkennen, daß sie von allen Seiten von Schürfrobotern der unterschiedlichsten Größe umgeben waren. »In dem Staub herum sehen sie nichts«, vermutete der Origaner, der nichts von den Leistungen der SERUNS ahnen konnte. »Sie wissen noch nicht, daß sie in der Falle sitzen und daß sich der Ring um sie geschlossen hat.« »Nein«, stimmte Erno-Regor zufrieden zu. »Gute Arbeit! Sie glauben immer noch, entkommen zu können, aber bald werden sie begreifen, wie sehr sie sich irren!«
7. Als er Tekener aus den wirbelnden Staubmassen auftauchen sah, zeigte Atlan zu den Vulkanbergen hinüber. »Die Roboter werden von dort drüben gelenkt«, teilte er dem Galaktischen Spieler mit. »Der SERUN zeigt es mir an. Vermutlich sitzt Erno-Regor in einer Schaltstation und koordiniert den Angriff von dort aus gegen uns.« »Iccu-Si ist tot«, meldete der Terraner. »Ich konnte ihn nicht retten.« »Tut mir leid um ihn. Ich hätte den Origaner gern näher kennengelernt. Sicherlich hätten wir viel von ihm erfahren können.« Coram-Till stürzte herbei. »Wir werden angegriffen!« rief er atemlos. »Allein schaffen wir es nicht. Ihr müßt uns helfen!« »Das übernehme ich«, entschied Tekener. »Und ich sehe mich in den Bergen um«, ergänzte der Arkonide. Er hob vom Boden ab und schwebte in anderthalb Metern Höhe davon. Schon nach wenigen Metern verloren sie ihn aus den Augen. Der Staub verschlang ihn. Tekener eilte zusammen mit dem Cryper zu Caston-Pragama und Assyn-Stey, die sich
verzweifelt gegen einen auf Antigravfeldern gleitenden Roboter wehrten, der sie mit seinen Greif armen zu packen versuchte. Capra versuchte zu fliehen, und der Anführer der Vista-Crypers schirmte ihn ab. Er feuerte immer wieder auf den Roboter, konnte ihn jedoch nicht zurückschlagen, weil die Energiestrahlen aus seiner Waffe von einem Schutzschirm abgelenkt wurden. Unaufhaltsam rückte der Roboter näher. Caston-Pragama setzte mühsam Fuß vor Fuß. Dabqi war er so langsam, daß abzusehen war, wann der Roboter ihn einholte und erschlug. Ronald Tekener stieg mit Hilfe seines SERUNS blitzschnell auf, umflog den Roboter, näherte sich ihm von hinten, entdeckte die Schaltzentrale und feuerte mit seiner Waffe. Er besaß einen hochenergetischen Multitraf, der den Waffen der Crypers weit überlegen war. Die abgefeuerten Energiestrahlen durchbrachen den Schutzschirm und erreichten die Zentrale. Unmittelbar darauf sackte der Roboter auf den Boden. Seine Greif arme fielen kraftlos herab. »Aus«, sagte der Terraner zufrieden, als er neben Coram-Till landete. »Der macht uns keine Schwierigkeiten mehr.« »Aber Capra«, entgegnete der Cryper und deutete auf den Anführer der Solten-Crypers. Caston-Pragama war stehengeblieben. Seine Beine zuckten im Exoskelett, doch er brachte keinen einzigen Schritt mehr zustande. Das tragende Gerüst versagte ihm seinen Dienst. »Ich werde ihn tragen«, schlug Ronald Tekener vor, »und mit ihm in Sicherheit fliegen. Wenn wir hoch genug sind, kann uns garantiert kein Roboter erreichen.« »Das geht nicht«, widersprach CoramTill. »Ich weiß, daß es in der Unterhaltungsliteratur der Solten-Crypers eine komischtragische Figur gibt, die fliegen kann und die in bestimmten Situationen andere Personen auf die Arme nimmt, um sie zu den Wolken hochzutragen. Es ist eine Art Märchenfigur,
Verrat auf Ambraux die vor allem bei den Kindern ungemein beliebt ist.« »Und?« fragte der Terraner verblüfft. »Was hat das mit Caston-Pragama zu tun?« »Wenn du ihn auf die Arme nimmst und mit ihm davonfliegst, was du ja ohne weiteres könntest, dann würdest du dich in seinen Augen mit dieser Figur gleichsetzen, und ihn würdest du lächerlich machen. Seine Krankheit hat ihn zumindest in dieser Hinsicht empfindlich gemacht. Deshalb kann ich dir nur raten, alles zu vermeiden, was ihn in den Augen der Öffentlichkeit bloßstellt. Es ist albern, ich weiß, aber er würde lieber sterben, als so etwas zu ertragen.« »Jetzt verstehe ich«, sagte der Smiler. »Dann laufen wir eben. Und wenn das nicht mehr geht, fliegen wir nicht hoch, sondern bleiben ganz dicht über dem Boden, so daß er gar nicht merkt, was geschieht.« Er ging zu Caston-Pragama und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er. »Wegen des Staubes können wir kaum etwas sehen, aber meine Ortungsgeräte zeigen an, daß wir von Robotern umgeben sind, die alle sehr schnell auf uns zurücken. Ich werde dich auf die Arme nehmen und in Sicherheit bringen. Ich werde rennen wie der Teufel, um diesen Maschinen zu entkommen. Halte dich also gut fest.« »Das Exoskelett ist zerbrochen«, klagte Caston-Pragama. »Ich kann nicht mehr laufen. Hilf mir!« »Genau das habe ich vor.« Er umfing den Cryper mit seinen Armen und hob ihn hoch, und dann rannte er zusammen mit CoramTill durch die Staubwolken. Der SERUN erlaubte es ihm, sich sehr schnell zu bewegen. Die Sicht reichte nur wenige Meter weit, und von allen Seiten drang das Dröhnen, Klirren und Scharren der Maschinen auf sie ein. Immer wieder wuchsen Stahlgiganten neben ihnen auf, und mächtige Greifarme schlugen nach ihnen, doch sie waren so schnell, daß die Roboter sie verfehlten. Coram-Till und Assyn-Stey hatten Mühe, mit dem Terraner Schritt zu halten. Sie rann-
39 ten blindlings hinter ihm her, da sie sicher waren, daß sie ihm vertrauen durften. Da tauchte Atlan wieder auf. Der Arkonide griff mit Hilfe seines SERUNS von oben einige der Roboter an, die im Schütze des wirbelnden Staubs zu nahe zu kommen drohten. Als er erkannte, daß Tekener allein mit den ihm drohenden Gefahren fertig werden konnte, ließ er sich sinken. »Ich verschwinde endgültig«, teilte er dem Freund über Funk mit. »Viel Erfolg«, wünschte Tek. Über Funk stimmte Atlan mit ihm die Richtung ab, in die er sich bewegen mußte, um den Angriffen der Roboter zu entgehen. Noch während er mit ihm sprach, raste der Arkonide im Schutz der Staubmassen davon, suchte die Deckung einiger Hügel und flog dann in Richtung der vulkanischen Berge. Der SERUN zeigte ihm die Stelle an, aus der die Funksignale kamen, mit denen die Schürfroboter gesteuert wurden, und so fiel es ihm nicht schwer, die Schaltzentrale anzufliegen, in der Erno-Regor sich verbarg. Schon bald stieg er an den Flanken eines Vulkans auf und landete zwischen mannshohen Steinen dicht unter dem Krater. Von hier aus unternahm er weitere Peilungen, bis er genau wußte, wo der Cryper war. Kurz darauf entdeckte er zwischen den Felsen verborgene Fenster. Atlan wußte Bescheid. Weitere Messungen ergaben, daß auf dieser Seite des Vulkans kein Zugang zur Station existierte. Atlan flog langsam um den Berg herum, und schon Minuten später machte er das Schott ausfindig, durch das Erno-Regor in den Berg eingedrungen sein mußte. Er brauchte nur knapp eine Minute, um es zu öffnen. Dann betrat er den Tunnel, der quer durch den Berg führte. Die Syntronik seines SERUNS machte ihn auf mehrere Kameras aufmerksam, die sich an der Decke und an den Wänden des Tunnels befanden, und wies darauf hin, daß sie einen akustischen Alarm in der noch weit entfernten Schaltzentrale ausgelöst hatten.
40 Atlan ließ sich dadurch nicht aufhalten. Er flog mit hoher Geschwindigkeit durch den Tunnel, bis er den Gleiter sehen konnte, der unmittelbar vor der Zentrale parkte. Jetzt ließ er sich auf den Boden hinabsinken und ging langsam weiter. Der SERUN aktivierte die Schutzschirme. »Gib auf, Erno-Regor!« rief der Arkonide, als er den Gleiter erreicht hatte und ihn nur noch ein Schott von der Zentrale trennte. Er war sicher, daß der Cryper ihn hören konnte. »Wenn du zu den Waffen greifst, wirst du nicht überleben!« Der Kommandant der INDIKAR antwortete nicht einmal. »Es ist vorbei, Erno-Regor«, fuhr Atlan fort. »Der Angriff der Roboter ist gescheitert, und die Versammlung der Anführer wird stattfinden. Du hast nichts erreicht, also laß uns den Kampf beenden, bevor es Opfer gibt.« Das Schott öffnete sich langsam. Atlan sah die klägliche Gestalt eines Origaners, der an den Armen und Beinen Keramikbänder trug. In den Händen hielt das Echsenwesen einen schweren Energiestrahler, hob die Waffe nun mühsam und zielte auf ihn, doch seine Finger waren weit vom Auslöser entfernt. »Laß die Waffe fallen!« befahl der Unsterbliche. »Damit richtest du ohnehin nichts gegen mich aus. Meine Schutzschirme kannst du damit nicht überwinden!« Plötzlich sprang Erno-Regor, ausgestattet mit einem großkalibrigen Strahler, aus einem Versteck hervor und feuerte sofort. Ein fingerdicker Energiestrahl raste auf den Arkoniden zu und schlug in die ihn umgebenden Schutzschirme ein, um von ihnen abgelenkt zu werden. Schreiend vor Angst sprang der Origaner zur Seite – und geriet mitten in den nächsten Energiestrahl, den Erno-Regor abschoß. Atlan hob eine Hand. »Schluß damit!« befahl er. »Es ist vorbei.« Erno-Regor wußte wohl, daß er das Spiel verloren hatte, und er war sich klar darüber,
H. G. Francis was es bedeutete. Blitzschnell richtete er die Waffe gegen sich selbst, und er löste sie aus, bevor der Arkonide ihn daran hindern konnte. Atlan verharrte einige Sekunden auf der Stelle, dann ging er langsam in die Station hinein. Er betrachtete die zwei Toten. »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Das mußte wirklich nicht sein.« Doch er wußte, daß der Verräter CastonPragama und den anderen Crypers lediglich zuvorgekommen war. Er war sich sicher, daß sie kurzen Prozeß mit ihm gemacht hätten, wenn er sich nicht selbst gerichtet hätte. Atlan betrat die Station und erkannte, daß es viele Elemente in ihr gab, die an das erinnerten, was sein fotografisches Gedächtnis über die Arcoana gespeichert hatte. Er schaltete alle Geräte ab, stieg in den Gleiter ErnoRegors und flog damit zum Schürftrichter zurück.
* Kaum drei Stunden nach Beendigung der Roboterangriffe verabschiedeten sich Ronald Tekener, Atlan und Coram-Till von Caston-Pragama und Assyn-Stey. Die Gefahr war gebannt, und es war noch einmal alles gutgegangen. Die Zwischenfälle auf Jandrig hatten aber gezeigt, wie ernst es Ammor-Res mit seinen Plänen meinte. Alle waren sich einig darin, daß ErnoRegor nicht der Drahtzieher, sondern nur eine Marionette des Anführers der CorriCrypers gewesen war. Beweise dafür fanden sich in seiner Kabine. Die NIKKEN startete mit Coram-Till, Atlan und Ronald Tekener und flog zu ihrem nächsten Ziel, der Ödwelt Syssod, wo der Anführer der Ambraux den CHASCH-Taucher Lecce-In absetzen wollte. Er hatte die Absicht, den Planeten danach wieder zu verlassen und sofort weiterzufliegen. Dagegen sprach sich Atlan aus. »Tek und ich möchten mehr über die rätselhafte Anlage erfahren, die es auf Syssod gibt«, sagte er
Verrat auf Ambraux zu dem Kommandanten. »Vielleicht gelingt es uns ja, einige der Rätsel zu lösen, und das könnte für euch sehr wichtig sein.« Coram-Till versprach, darüber nachzudenken, doch in den nächsten Stunden äußerte er sich nicht. Die Entscheidung schien ihm nicht leichtzufallen. Er hatte Vertrauen zu den beiden Galaktikern, doch er schien so etwas wie einen Besitzanspruch auf das geheimnisvolle Relikt aus einer unbekannten Vergangenheit entwickelt zu haben. Daraus resultierte bei ihm das Gefühl, daß er es für sich und die Origaner, also für die Bewohner von Queeneroch, bewahren mußte. Vielleicht hatte er gar das Gefühl, daß etwas für immer an Wesen aus einem anderen Teil des Universums verloren war, wenn er ihnen den Zugang zu der Anlage und damit einen Blick auf das Geheimnis gewährte. Ronald Tekener und der Arkonide konnten ihn teilweise verstehen. Er sollte etwas mit ihnen teilen, was er instinktiv für sich und sein Volk beanspruchte. Atlan lächelte, als Tek mit ihm darüber sprach. »Ich hätte euch terranische Barbaren sehen mögen, wenn wir Arkoniden bei unserer ersten Landung auf Luna ein rätselhaftes Relikt einer anderen Intelligenz gefunden und uns damit befaßt hätten«, sagte er spöttisch. »Perry Rhodan und die anderen hätten ein fürchterliches Geschrei erhoben und behauptet, daß dieses Relikt selbstverständlich der terranischen Menschheit gehöre und nur von ihr untersucht werden dürfe!« »Ihr seid bei eurem ersten Besuch nicht auf dem Mond gelandet, sondern gestrandet«, entgegnete Tekener in dem gleichen Ton, »und glücklicherweise habt ihr dort nichts anderes gefunden als Staub, sonst hätte es in der Tat ein Protestgeschrei gegeben!« »Coram-Till geht es jetzt wahrscheinlich nicht anders, als es euch damals ergangen wäre«, mutmaßte der Arkonide. »Er hat das Gefühl, daß die Anlage allein Queeneroch gehört und daß wir als Besucher aus einer
41 anderen Galaxis eigentlich nichts darin zu suchen haben. Aber ich bin sicher, daß er seine Meinung ändert und uns Zugang gewährt. Er braucht nur ein bißchen Zeit dafür.« Er behielt recht. Als die NIKKEN im Nordpolgebiet des Planeten Syssod landete, rief Coram-Till die beiden Galaktiker zu sich in die Hauptleitzentrale, zeigte ihnen, was auf der großen Bildwand zu sehen war, und erklärte sich mit allem einverstanden. »Die NIKKEN wird einige Tage oder länger auf diesem Planeten bleiben«, sagte er. Dabei tat er, als habe er nicht einige Tage lang mit sich gekämpft, bis er schließlich zur Einsicht gekommen war. »Lecce-In wird euch in die begehbaren Bereiche der Anlage führen.« Atlan ließ sich in einen der Sessel sinken. Auf den Monitoren zeichnete sich eine sonnenlose, zernarbte Eiswelt ohne Atmosphäre ab. Eingeblendete Zahlen machten deutlich, daß Syssod einen Durchmesser von 24.300 Kilometern und eine Schwerkraft von 1,7 g hatte. Einige Kilometer von der NIKKEN entfernt erhob sich ein zwiebeiförmiges Bauwerk, das an seiner breitesten Stelle einen Durchmesser von annähernd 500 Metern aufwies. Aus dem Mittelpunkt ragte ein sich nach oben hin verjüngender, antennenartiger Turm hervor, der eine Höhe von etwa 1500 Metern erreichte. »Meinst du nicht, daß es an der Zeit ist, uns etwas über CHASCH zu erzählen?« fragte Atlan den Kommandanten und deutete dabei auf die Monitoren. Er hätte gern gewußt, ob Coram-Till mit Lecce-In und möglicherweise anderen Origanern gesprochen hatte und wie sie sich zu dem Problem stellten. Er konnte sich vorstellen, daß auch sie zunächst Einwände gehabt hatten. »Das wird Lecce-In tun«, antwortete der Kommandant der NIKKEN. »Er weiß mehr darüber als ich.« Es war, als habe der Origaner gewußt, daß der Cryper ihm diese Aufgabe zuteilen wür-
42 de. Er kam in diesem Moment in die Hauptleitzentrale der NIKKEN und hörte diese Worte. »Gern«, sagte er. Die »Zwiebel« hatte elf ovale Bodenschleusen, die jeweils sieben Meter breit und fünf Meter hoch waren. Das Innere des Gebäudes war hohl. Von einer Höhe von etwa zehn Metern an zog sich bis zur Spitze ein relativ dichtes, netzartiges Gespinst aus daumendicken Stahldrähten. Die Kuppel und alle bisher erforschten und begehbaren Räumlichkeiten eines Labyrinths, das sich unter dem Gebäude befand, waren von den untersuchenden Forschern mit einer atembaren Atmosphäre gefüllt worden. »Die Anlage wird CHASCH genannt, weil sie so geheimnisvoll und unerforschlich wie die geheimnisvollen Maschtaren aus Hirdobaan ist«, berichtete Lecce-In danach. Er erwies sich nun, da es vor allem um ein ihn tangierendes Problem ging, als erfreulich gesprächig und auskunftsfreudig, während er bei ihrer ersten Begegnung nur schweigend gegrüßt hatte. Er sprach ein eigenartiges Hamsch, das für die beiden Galaktiker nicht leicht zu verstehen war. Der Origaner verwendete eigenwillige Floskeln. Im Laufe der Gespräche merkten sie, daß er einige Begriffe verwendete, die eine Verballhornung von Hamsch-Begriffen darstellten und einen eigentümlichen Humor erkennen ließen. »Die Forscher heißen CHASCH-Taucher, weil sie gewissermaßen blind und ohne ausreichende technische Hilfen mit Raumanzügen ins Unbekannte eintauchen«, sagte Lecce-In. Er gab noch einige weitere Erklärungen ab und berichtete dann: »Das Zwiebelgebäude ist gewissermaßen nur die Spitze eines Berges, denn unter dem Gebäude befindet sich ein Labyrinth mit einem Durchmesser von wenigstens drei Kilometern. Alle Versuche, sich seitlich und von außen einen Weg zu den subplanetaren Anlagen zu graben, sind gescheitert, weil sie durch einen undurchdringlichen Energieschlauch geschützt
H. G. Francis sind. Dieser Energieschlauch konnte bis in eine Tiefe von annähernd 1000 Kilometern angemessen werden, aber wir vermuten, daß er sehr viel länger ist und bis ins Zentrum des Planeten reicht. Darüber hinaus verfolgen wir die Theorie, daß CHASCH seine gesamte Energie aus dem heißen Planetenkern bezieht.« »Crypers und Origaner sind bereits bis in eine Tiefe von etwa einem Kilometer vorgedrungen«, ergänzte Coram-Till, »aber dann war Endstation. Jeder Versuch, tiefer in das Labyrinth zu kommen, endete mit Irrsinn.« »Oder der betreffende Forscher ist einfach verschwunden«, fügte Lecce-In hinzu. In dem nun folgenden Gespräch zeigte sich, daß er geradezu besessen war von der Idee, diese Hürde zu überwinden. Er war überzeugt davon, daß er in tiefere Bereiche des Labyrinths vordringen konnte, wenn es ihm erst gelungen war, den Kode herauszufinden, mit dem diese rätselhafte Schranke ausgeschaltet werden konnte. »Zumindest bis zur nächsten Schranke«, sagte er. »Wir wissen nicht, ob es sie überhaupt gibt, aber wir vermuten, daß sie existiert. Bisher aber haben sich alle Forscher die Zähne an dieser Schranke ausgebissen. Sie sind wahnsinnig geworden oder auf Nimmerwiedersehen verschwunden.« »Interessant«, meinte der Arkonide, der sich von der seltsamen Anlage in zunehmendem Maße angezogen fühlte. »Sind die bisherigen Forschungsergebnisse irgendwo aufgezeichnet worden, oder gibt es so etwas wie die Geschichte der Forschungen?« »Nein«, bedauerte Coram-Till. »Bisher ist nur überliefert, daß die Anlage vor etwa 300 Jahren entdeckt worden ist. Sie war viele Jahre unzugänglich, bis es den Forschern schließlich gelang, den Kode zu finden, mit dem sich die äußersten Schleusentore öffnen ließen.« »Seitdem können wir jederzeit in den oberen Teil des Bauwerks gehen«, ergänzte Lecce-In. Seine Augenlider senkten sich weiter herab, so daß es aussah, als werde er gleich einschlafen. »Jedes denkende Wesen,
Verrat auf Ambraux das sich den Schleusen nähert, darf eintreten. Später entdeckte man den Kode, der Zugang zur unteren Anlage gewährte, bis man auf eine zunächst unüberwindlich erscheinende Schranke stieß. Doch sie ließ sich mit Hilfe eines besonderen Kodes überwinden, so daß der Weg bis zur nächsten Schranke frei wurde. Und so ging es weiter, Schranke für Schranke. Ich weiß nicht, wie viele Schranken bisher ausgeschaltet werden konnten. Niemand hat es aufgezeichnet, und jetzt ist auch nicht mehr zu sehen, wo sie mal waren.« »Es gibt keine Schaltanlagen«, erläuterte Coram-Till. »Die Schranken sind einfach da, und wenn sie geknackt sind, verschwinden sie spurlos.« Lecce-In wirkte äußerlich müde, doch er ereiferte sich immer mehr. »Vor etwa zwanzig Jahren ist die vorläufig letzte Schranke von Sopre-Jan, einem hohen Wissenschaftler meines Volkes, dekodiert worden«, eröffnete er seinen Zuhörern. »Sopre-Jan schaffte es, die Energiesperren aufzuheben. Danach stand ein doppelt so großer Bereich als zuvor zur Begehung zur Verfügung. In einem Kilometer Tiefe versperrt jedoch die nächste Schranke den Weg.« »Konnte Sopre-Jan den anderen Origanern nicht berichten, mit welchen Mitteln er die Schranke überwunden hat?« fragte Ronald Tekener. »Leider nicht«, bedauerte Lecce-In. »Er überschritt die Schranke und verschwand im Nirgendwo. Er ist nie wieder aufgetaucht. Sein Wissen hat er mitgenommen.« Er fügte noch einige Einzelheiten hinzu, die nicht so interessant waren, das Bild jedoch abrundeten. So erfuhren die beiden Galaktiker, daß die Crypers die Forschungen um CHASCH nicht aus reinem Forschungsdrang betrieben, sondern weil sie sich von der Lösung des Geheimnisses technische Innovationen erhofften. Sie waren als Schatzsucher anzusehen, die hinter den rätselhaften Schranken technische Gerätschaften von hohem Wert vermuteten.
43 Die beiden Galaktiker gingen davon aus, daß die Origaner von den Crypers vor allem wegen ihrer technischen Fertigkeit eingesetzt wurden. Doch das allein war es nicht. Sie erfuhren, daß die Echsenwesen nicht nur ein ausgeprägtes technisches Verständnis, sondern darüber hinaus auch noch erstaunliche weitere Fähigkeiten hatten. Die Augen der Origaner hatten eine besondere Akkommodationsfähigkeit. Sie ermöglichte ihnen eine mikroskopische Materieeinsicht mit einem Faktor von 1000, so daß sie einige Zentimeter tief in Materie blicken konnten. Dieses Mikro-Röntgen-Sehen machte es ihnen möglich, mit dem entsprechenden Besteck mikrofeinmechanisch zu arbeiten. »Manche Origaner haben sich auf Organisches spezialisiert«, fügte Coram-Till den Sätzen Lecce-Ins hinzu. »Sie betätigen sich als medizinische Diagnostiker.« Nach diesen Ausführungen waren die beiden Galaktiker mehr denn je entschlossen, das CHASCH aufzusuchen und sich darin umzusehen. Sie hofften, zur Lösung der Rätsel beitragen zu können. Beide waren fasziniert von der geheimnisvollen Anlage, und beide wurden vom Entdeckungsfieber erfaßt. Sie konnten es kaum erwarten, bis sie endlich aufbrechen konnten.
8. Als Ronald Tekener und der Arkonide das zwiebeiförmige Gebäude durch eine Schleuse betraten und sich in seinem Inneren umsahen, stand für sie fest, daß es von Arcoana-Abkömmlingen erbaut worden war. Darauf wiesen recht deutlich spinnenartige Fäden innerhalb der Zwiebel hin. Auch die Proportionen waren auf die Arcoana abgestimmt. Doch was stellte das CHASCH dar? War es eine Falle für Lebewesen? Atlan verneinte diesen Gedanken. Dazu war es zu aufwendig. Ronald Tekener vermutete zunächst eine
44 Art Orakel oder Tester für Intelligenzen, schob diesen Gedanken dann jedoch als unwahrscheinlich zurück. Zu bedenken war, daß dieses Zweigvolk der Arcoana, als sie CHASCH errichteten, vermutlich mörderische Bestien waren, die alles intelligente Leben vernichteten, das ihnen in die Quere kam. Immerhin hatten sie damals Queeneroch nahezu komplett ausgerottet. Zusammen mit Lecce-In schritten die beiden Männer durch die Gänge und Räume des Labyrinths. Sie stellten fest, daß es nirgendwo Schaltanlagen oder technische Geräte gab – abgesehen von den Dingen, die von den Crypers und Origanern hereingebracht worden waren. Zu diesen Dingen gehörten vor allem Orientierungshilfen, die von den Origanern ebenso angebracht worden waren wie von den Crypers. Sie verhinderten, daß man sich verirrte und den Weg zurück nicht mehr fand. Es waren überwiegend einfache Zeichen und Symbole, die kurzerhand an die Wände gemalt worden waren und die jeweils die Richtung anzeigten, die man gehen mußte, wenn man nach oben oder nach unten kommen wollte. In einem großen Saal, der von aufgestellten Lampen erleuchtet wurde und mehrere Ausgänge aufwies, bemerkten die Galaktiker ein großes Symbol, das an der Wand angebracht war. Es stammte eindeutig weder von den Origanern noch von den Crypers, und es schien entsprechend alt zu sein. Das Zeichen wirkte, obwohl es auf der Wand angebracht war, dreidimensional und war sehr verschnörkelt. Im weitesten Sinne erinnerte seine Form an ein großes »P«, mit einer Art Wellenlinie, die es unten abschloß, und mehreren Zacken an der Vertikalen. »Merkwürdiges Symbol«, sagte Atlan halblaut, »sieht aus wie ein altertümlicher Hausschlüssel.« »Oder ein Buchstabe«, meinte Tekener. »Ob das von den Arcoana stammt?« Sie schauten sich an, beide hoben synchron ihre Schultern. Das war jetzt nicht
H. G. Francis wichtig. Während die beiden Galaktiker ihre SERUNS trugen, hatte Lecce-In einen voluminösen Anzug angelegt, den er als »Taucheranzug« bezeichnete. Nach umfangreichen und umständlich erscheinenden Vorbereitungen fuhr der Origaner sie in einem semirobotischen Gerätefahrzeug, das mit allerlei Ausrüstungen und Apparaturen beladen war, bis zum Ende der Markierungen. Es hatte zwei Räder mit breiter Lauffläche. Hier zog sich ein weißer Strich auf dem Fußboden quer über den Gang. Dahinter war der ovale, gewundene Korridor, der eine durchschnittliche Breite von etwa zehn Metern hatte, wie abgeschnitten. Hinter der Markierung gab es nur Schwärze, dort war das Nichts. Es ließ sich nicht ausleuchten oder anmessen. Nicht einmal die SERUNS konnten feststellen, daß sich hinter der Markierung noch irgend etwas befand. Lecce-In hielt das Fahrzeug an und kletterte hinaus. Schwerfällig näherte er sich dem Strich und blieb dann davor stehen. Er zeigte auf den Boden. »Bis hierher und nicht weiter«, sagte er etwas theatralisch. »Was passiert, wenn man weitergeht?« fragte Atlan, der das Fahrzeug ebenfalls verließ. »Ein Schritt über die Markierung hinaus, und man verschwindet auf Nimmerwiedersehen«, antwortete der Origaner. »Oder aber man findet sich oben in der Zwiebelhalle wieder – allerdings bar jeden Verstandes.« Bei diesen Worten tippte er sich kurz gegen den Kopf, um zu unterstreichen, was er meinte. »Einige Forscher haben es trotzdem gewagt. Wir haben sie oben gefunden, und sie sind geistig niemals wieder gesund geworden«, ergänzte er. »Seit mehr als einem Jahr hat niemand mehr diese Grenze überschritten.« Er glaubte, damit genügend Erklärungen gegeben zu haben, und wollte wieder ins Fahrzeug zurückkehren. Doch Atlan wollte
Verrat auf Ambraux noch Näheres wissen. »Wie äußert sich der Verlust des Verstandes?« fragte er. »Gibt es ein bestimmtes Muster der Auswirkungen? Wann verschwindet man für immer, und wann verliert man den Verstand? Ist der Effekt von irgendwelchen Dingen abhängig – von der Größe und Schwere der Person? Von ihrer intellektuellen Kapazität? Von ihrem Alter? Verschwinden sowohl Origaner als auch Crypers? Oder verlieren die einen den Verstand, während die anderen verschwinden? Gibt es Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Personen? Hat die Reaktion etwas mit ihrer Ausrüstung zu tun – ob sie eine hochentwickelte Technik bei sich haben oder lediglich einfaches und anspruchsloses Gerät?« Lecce-In blickte ihn verblüfft an, und die Kinnlade sank nach unten. Die Augenlider hoben sich, so daß er für Sekunden einen hellwachen Eindruck machte. »Wir haben über viele Dinge nachgedacht«, antwortete er, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte. »Ganz genaue Untersuchungen aber haben wir nicht angestellt. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, daß ein bestimmtes Muster vorliegt. Die einen verschwinden, die anderen werden wahnsinnig. Frauen, Männer, Große, Kleine, Origaner, Crypers – ohne Schema. Es läuft ab, als sei es Zufall. Gesetzmäßigkeiten scheint es nicht zu geben, oder vielleicht ist es besser zu sagen, daß wir sie noch nicht gefunden haben.« »Wo sind die Unterlagen darüber?« erkundigte sich der Smiler. »Wir könnten sehr schnell eine statistische Auswertung vornehmen und dabei möglicherweise die Gesetzmäßigkeiten entdecken, die euch entgangen sind.« »Es gibt keine Unterlagen. Tut mir leid. In dieser Richtung haben wir keine Forschung betrieben«, bedauerte der Origaner. Er lud nun einige seiner Apparaturen und Geräte aus, ging nicht mehr auf die Fragen der beiden Galaktiker ein und konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit.
45 »Um ehrlich zu sein«, gestand er nach einigen Minuten, »ich würde gern zu jenen gehören, denen es gelungen ist, eine Schranke zu überwinden.« Er trat dicht an die Tunnelwand heran und tastete sie nun Millimeter für Millimeter mit seinem Mikro-Blick ab; dabei ließ er sich nicht stören. Atlan und der Terraner zogen sich bis zum Fahrzeug zurück und setzten sich darauf. Dann beobachteten sie den Origaner und warteten geduldig ab. Sie wollten zunächst wissen, ob er irgend etwas herausfand, bevor sie sich aktiv in die Untersuchungen einschalteten. Es half ihnen nicht weiter, wenn sie zu ungeduldig waren. Ein falscher Schritt konnte in dieser Umgebung äußerst gefährlich sein. Als sie merkten, daß Lecce-In jegliches Interesse an ihnen verloren hatte, zogen sie sich weiter zurück und flogen mit Hilfe ihrer SERUNS durch den Gang. Als sie an einen Verteiler kamen, von dem mehrere Tunnel abzweigten, drangen sie in einen von ihnen ein. Vorsichtig bewegten sie sich voran, bis sie ein Licht entdeckten und mehrere Origaner sahen, die vor einer ähnlichen Schranke kauerten wie Lecce-In. Sie hatten verschiedene Gerätschaften aufgebaut. Der Terraner und der Arkonide traten behutsam an sie heran, um sie nicht zu stören, fanden jedoch keine Beachtung. Die Origaner ließen sich nicht ablenken. Sie konzentrierten sich voll und ganz auf den Übergang zum Nichts. Im Gegensatz zu Lecce-In setzten sie nicht ihren ungewöhnlichen Röntgen-Blick ein, sondern huldigten zweifelhaften Beschwörungen. Sie leierten obskure Texte herunter, in denen von lichten und dunklen Mächten die Rede war und die wissenschaftlich noch nicht einmal andeutungsweise ernst zu nehmen waren. Die beiden Galaktiker zogen sich sogleich wieder zurück, als sie das hörten. Sie waren nur an einer seriösen Forschung interessiert, nicht aber an Geisterbeschwörungen. Beide kehrten zu Lecce-In zurück. Etwa zwei Stunden vergingen, bis er endlich eine Seite des Tunnels untersucht hatte und sich
46 einige Schritte zurückzog. Erschöpft ließ er sich auf den Boden sinken, legte die Hände vors Gesicht und verharrte lange in dieser Stellung. Seine Schultern hoben und senkten sich, während er Sauerstoff in sich hineinpumpte, um wieder zu Kräften zu kommen. »Was hast du gefunden?« fragte der Galaktische Spieler, als er schließlich den Kopf hob und ihn mit halb geschlossenen Augen anblickte. »Es ist enttäuschend«, antwortete der Origaner. »Nichts?« »Überhaupt nichts. Dabei muß irgend etwas dasein. Ich werde den Boden, die Decke und die andere Seite des Tunnels auch noch untersuchen, und wenn ich nichts finde, werde ich in größerem Abstand davon in die Materie blicken«, kündigte Lecce-In an. Er strich sich mit der Hand zunächst über das flache Gesicht, dann über das fliehende Kinn. Auf den unwissenden Zuschauer machte er einen einfältigen Eindruck, doch die Galaktiker wußten, wie sehr dieser Eindruck täuschte. Die Origaner waren hoch intelligent. »Irgendwo werde ich Erfolg haben, und wenn es hundert Zehner dauert!« Die beiden Galaktiker ließen sich nicht anmerken, was sie bei diesen Worten empfanden. Sie waren erfahren genug, um zu wissen, daß Forschungsarbeiten eine akribische Geduld erforderten und daß es nicht nur Wochen, sondern Monate dauern konnte, bis der Origaner Erfolg hatte. Sie waren nicht so geduldig. Sie wollten schneller zum Ziel kommen und das Rätsel des CHASCH nicht erst in einem halben Jahr oder noch später lösen! »Erlaubst du, daß wir die Wände untersuchen?« fragte der Arkonide. »Wir wollen dir deinen Ruhm nicht streitig machen, und wenn wir etwas finden, sagen wir es dir, damit du es dir genau ansehen und die Forschungsarbeit für dich beanspruchen kannst.« »Ich habe nichts dagegen einzuwenden«,
H. G. Francis sagte der Origaner. Mit geschmeidigen Bewegungen schritt er in den Gang hinein, entfernte sich dabei etwa zehn Meter von ihrem Fahrzeug und legte sich dort auf den Boden. »Fangt an!« forderte er sie auf. Atlan und der Terraner besprachen sich kurz, dann setzten sie die verschiedenen Ortungs- und Erfassungsgeräte ihrer SERUNS ein, in der Hoffnung, irgendwo eine Energieemission zu lokalisieren, die auf eine Schaltung hinwies. Sie gingen nicht weniger sorgfältig vor als der Origaner, wenngleich sie schneller waren als er. Zugleich erfaßten sie einen breiteren Streifen der Wand, so daß sie insgesamt einen größeren Bereich abtasteten. Das Resultat war das gleiche wie bei dem Origaner. Sie entdeckten nichts! Jetzt reagierte Atlan ähnlich wie zuvor Lecce-In. »Es muß etwas dasein«, betonte er, während er fieberhaft überlegte, was sie noch tun konnten, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. »Der Übergang zum Nichts muß eine Ursache haben, die sich physikalisch auch nachweisen läßt.« »Wahrscheinlich geht es um eine Physik, von der wir beide keine Ahnung haben«, spottete Ronald Tekener. Dabei glitt ein belustigtes Lächeln über seine Lippen. »Es kann sich nur um eine Art arcoanische Physik handeln«, argumentierte der Arkonide unzufrieden. »Und die ist uns ja nicht völlig unbekannt.« Der Origaner kehrte zu seinem Wagen zurück, nahm einige seiner Geräte heraus und machte sich erneut an die Arbeit. Doch nun ging er nicht nur mit wissenschaftlichen Mitteln vor, sondern versuchte es zusätzlich mit Beschwörungen, wobei er heftig gestikulierte und obendrein eine Reihe von spitzen Schreien und dumpfen Knurrlauten ausstieß. »Diesen Unsinn solltest du lieber lassen«, empfahl ihm der Arkonide. »Damit kommst du ganz sicher nicht zum Ziel.«
Verrat auf Ambraux Lecce-In beachtete ihn nicht, fuhr unverdrossen fort, warf einige antennenartige Gegenstände gegen die Wand und schrie und gestikulierte noch lauter. Als er sich dabei auf ein Bein stellte, verlor er das Gleichgewicht und kippte über die Schranke, die das Ende des Tunnels und den Beginn des Nichts markierte. Ronald Tekener erkannte die Gefahr. Er reagierte blitzschnell, sprang hinzu und versuchte, ihm zu helfen, doch es war schon zu spät. Der Terraner konnte ihn nicht mehr zurückreißen. Lecce-In bezahlte für seine Unachtsamkeit. Das Nichts verschlang ihn! Der Origaner verschwand mitsamt seinen Gerätschaften und Antennen. Atlan war geistesgegenwärtig genug, die Ortungsgeräte seines SERUNS einzuschalten. Er hatte Erfolg! Er ortete eine schwache Energiespur, die entlang den Korridorwänden verlief und die vorher nicht vorhanden gewesen war. »Hier ist was«, rief er erregt, während er der Spur folgte. Mit Hilfe seiner Ortungsgeräte behielt er sie im Auge. Schritt für Schritt entfernte er sich von der Schranke und dem Fahrzeug, mit dem sie gekommen waren. »Was ist es?« fragte Ronald Tekener, der zunächst stehenblieb und dann im Abstand von fast zehn Metern hinter ihm herging. Dabei schaltete er zahlreiche Systeme seines SERUNS aus, um zu verhindern, daß störende Impulse von dem Gerät ausstrahlten. »Ich weiß es nicht«, entgegnete der Arkonide. »Eine energetische Spur. Sehr schwach, aber zweifellos vorhanden.« Manifestierte der Origaner sich in der schwachen Energiespur? Oder war sie nur so etwas wie ein Schatten, den er auf seinem Weg zum Irgendwohin warf? Sie machten sich keine Gedanken darüber, sondern ließen sich nur von der eigenartigen Energiespur in Anspruch nehmen.
47 Schritt für Schritt folgten sie ihr, und ihre einzige Befürchtung war, daß sie sie verloren, bevor sie herausgefunden hatten, wohin sie führte. Einmal blieb Atlan vor einer großen Wand stehen. Wieder war ein großes Symbol zu sehen, wie die Galaktiker es schon am Anfang des Labyrinths registriert hatten: das große »P«, dreidimensional aus einer Wand herausragend und sehr verschnörkelt, mit einer Art Wellenlinie, die es unten abschloß, und mehreren Zacken an der Vertikalen. »Scheint doch wichtig zu sein«, meinte Atlan. »Leider können wir in dieser Richtung nicht weiterforschen.« Er blickte auf die Anzeigen des SERUNS. »Ich glaube, die Spur wird schwächer«, sagte er leise, um sich gleich darauf schon wieder zu korrigieren. Ronald Tekener behielt den Abstand bei, und er schwieg sich aus, um den Arkoniden in seiner Konzentration nicht zu stören. Für ihn stand schon bald fest, wohin die Spur führte. Er schaltete die Geräte seines SERUNS wieder ein, als Atlan die große Halle im Zentrum der Anlage erreichte und der Spur bis zu dem folgte, was sie unter sich als »Spinnennetz« bezeichneten. Während der Arkonide langsam in die Höhe schwebte und schließlich an einem der Knotenpunkte verharrte, blieb er auf dem Boden stehen und blickte zu ihm hoch. Atlan blieb einige Minuten lang am Knotenpunkt und nahm Messungen vor, dann ließ er sich zu Tek hinabsinken. »Die Spur ist erloschen«, meldete er und zeigte zu dem Knotenpunkt hinauf. »Genau an dieser Stelle.« In sichtlicher Erregung trat ein Origaner an sie heran, der sich bisher bescheiden im Hintergrund gehalten hatte. Aus verschiedenen Gängen kamen andere Origaner und Crypers. »Ich bin Soapa-Ra«, stellte er sich vor. »Ich habe gesehen, wie Lecce-In in das Nichts gestürzt ist. Habt ihr ihn dort oben
48 wiedergefunden?« »Seine Spur endet dort«, antwortete Atlan, »falls es seine Spur ist.« Zusammen mit Tek schwebte er zu dem Knotenpunkt hinauf, und die beiden Männer begannen damit, verschiedene Knotenpunkte zu untersuchen. Bald darauf gesellte sich Soapa-Ra zu ihnen, der sich auf eine kleine Antigravplattform gestellt hatte. »Sieh dir mal dies hier an«, bat ihn Tekener, als er einen Knotenpunkt fand, in dem er eine gewisse Restenergie orten konnte. Der Origaner schwebte zu ihm heran und schob seinen Kopf bis unmittelbar an den Knotenpunkt heran. Mit halb geschlossenen Augen starrte er auf die Wand. Die beiden Galaktiker wußten, daß er ähnlich wie zuvor Lecce-In seinen »Röntgen-Blick« benutzte, um ins Innere der Materie zu sehen. »Ich sehe eine Reihe von Mikro-Teilen«, berichtete der Origaner, und dabei wurde seine Stimme ganz hell. Aufgeregt fuchtelte er mit den Armen herum, und dann wiederholte er seine Worte und rief sie den anderen Origanern und den Crypers zu, die in die Halle gekommen waren. Aus den Tunneln eilten nun mehr und mehr Neugierige herbei. Auf geheimnisvolle Weise hatte sich herumgesprochen, daß die Galaktiker etwas gefunden hatten, was allen anderen bis dahin entgangen war. Atlan und der Terraner machten sich mit Hilfe ihrer SERUNS an die Arbeit und zapften die Schaltstelle an. Mittels unterschiedlich starker Energiestöße, Hyperimpulsen verschiedener Frequenzen und einer Reihe weiterer technischer Tricks versuchten sie, Einfluß auf die Schaltstelle zu nehmen, um eine Reaktion zu erreichen. Und plötzlich geschah es. Mit bloßem Auge war nichts zu erkennen, doch die Instrumente der SERUNS zeigten an, daß eine gigantische Reihe von energetischen Prozessen innerhalb des Knotenpunkts ablief. »Sieh dir das an!« rief Ronald Tekener und wandte sich der Stelle zu, an der sich kurz zuvor noch Soapa-Ra befunden hatte.
H. G. Francis »Endlich geschieht etwas!« Der Origaner war nicht mehr da, und als Tek sich dem Knotenpunkt wieder zuwandte, signalisierte sein SERUN, daß alle Prozesse darin beendet waren. »Was ist los?« fragte er. »Ich weiß nicht«, antwortete der Arkonide. »Es sieht fast so aus, als hätte sich überhaupt nichts geändert – abgesehen davon, daß Ruhe in dem Ding da eingekehrt ist. Und Soapa-Ra ist verschwunden.« Er legte seine Hand auf die Schaltstelle. Plötzlich wurde es laut unter ihnen, und sie ließen sich langsam zu Boden sinken. Origaner und Crypers redeten aufgeregt durcheinander, und aus einem der Gänge kam schreiend ein Echsenwesen hervor. »Die Schranke ist weg«, teilte es mit. »Ihr habt die Schranke aufgehoben!« Nun gab es kein Halten mehr. Inmitten der Gruppe der Crypers und Origaner eilten die beiden Galaktiker in den Tunnel hinein, in dem sie zuvor zusammen mit Lecce-In gearbeitet hatten. Das Fahrzeug stand noch an derselben Stelle wie zuvor, und die Markierung auf dem Boden war deutlich zu erkennen, doch das Nichts dahinter war verschwunden. Der Gang führte weiter in die Tiefe. Er war leer und ohne jede Technik. »Eines ist sicher«, sagte Ronald Tekener. »Wir haben damit zu tun, daß die Schranke verschwunden ist.« Zusammen mit den aufgeregten Origanern und Crypers drangen sie weiter in den Gang vor. »Aber ich habe keine Ahnung, wieso«, gab Atlan zu bedenken. Einer der Origaner blieb bei ihnen, während die anderen mit den Crypers vorauseilten. »Ich weiß es auch nicht«, sagte Tek und gab damit zu verstehen, daß er die Worte des Arkoniden gehört hatte. »Aber ich weiß, daß es einen Zusammenhang im Spiel der Kräfte gibt.« »Tatsächlich?« fragte Atlan. »Wie kommst du darauf?«
Verrat auf Ambraux
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»Die Schranke ist genau in dem Moment verschwunden, als bei euch Soapa-Ra im Nichts untertauchte«, berichtete er. »Ich habe aber gesehen, wie er hier unten die Markierung überschritten hat. Danach erschien der Gang.« Der Tunnel endete nach einer Weile vor einer spiegelartigen Fläche, die an einen Zerrspiegel erinnerte. Ebenso war es mit den anderen Gängen. Wiederum hatten sich Schranken auf getan. Die Frage ergab sich, was geschah, wenn sich jemand in einen solchen Spiegel stürzte. Atlan und Tekener wollten entsprechende Untersuchungen anstellen, doch Coram-Till schickte ihnen einen Boten, der zum Aufbruch drängte. Der Anführer der Ambraux-Crypers wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Er wollte rechtzeitig bei der Konferenz der Rebellenführer sein.
Die beiden Galaktiker gaben nach. Sie kehrten in die Halle zurück. Hier blieben sie noch einmal stehen, bevor sie an Bord der NIKKEN gingen. Zahlreiche Crypers und Origaner umringten ein Echsenwesen, das mitten in der Halle stand. »Wer ist das?« fragte der Galaktische Spieler. Ebensowenig wie Atlan konnte er die Origaner auseinanderhalten. »Soapa-Ra«, antwortete einer der Crypers. »Er hat den Verstand verloren. Wir haben ihn gefragt, was er getan hat und warum er sich ins Nichts gestürzt hat, aber er kann nicht antworten. Sein Geist hat sich verwirrt. Wir haben Fortschritte gemacht und die Grenze zum Unbekannten weiter nach vorn geschoben, aber dennoch hat das CHASCH sein Geheimnis für sich bewahrt.«
ENDE
Die zerstrittenen Crypers zu einigen – das scheint eine Jahrhundertaufgabe zu sein. Um aber Millionen von Galaktikern helfen zu können, müssen Atlan und Tekener nach Verbündeten suchen. Sie fliegen zur Konferenzwelt der Rebellen … KONFRONTATION AUF CONNOX – so heißt der Roman von Peter Terrid, der die weiteren Geschehnisse bei den Crypers beschreibt.
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H. G. Francis Computer: Die Crypers
Neben den Hamamesch sind die Crypers das für die Galaktiker bedeutendste Volk in Hirdobaan. Beide Völker sind miteinander verwandt. Die Crypers sind mit bis zu zwei Metern jedoch größer als die Hamamesch und insgesamt von bulligerer Statur. Sie haben eine silbergraue, schuppige Haut. Über ihre Herkunft und Entwicklung ist nur wenig bekannt. Es heißt, daß es sich bei ihnen um umweltangepaßte Hamamesch handelt, die vor den Olkheol-Kriegen auf einer Extremwelt ausgesetzt wurden. Nach dem Frieden von Pendregge existierten bereits zehn Milliarden Crypers auf verschiedenen Welten in allen Oktanten. Danach wurden die Crypers von den Hamamesch abgesondert und zu Parias und Rechtlosen abgestempelt. Ein großer Teil von ihnen wanderte nach Queeneroch aus. So wurden sie zu Rebellen gegen das Hamamesch-System und deren Handelsmonopol. Sie verweigerten die Integration in das System und kämpften statt dessen für freien Handel. Die Crypers wurden zu Freibeutern, die sich alle lebenswichtigen Dinge wie Raumschiffe und andere Güter durch Piraterie beschaffen mußten. Man muß jedoch zwischen zwei Gruppen der Crypers unterscheiden, nämlich denen, die nach wie vor in Hirdobaan leben, und denen, die nach Queeneroch ausgewandert sind. Die Hirdobaan-Crypers bewohnen Hunderte von Welten, die sich über alle acht Sektoren der Kleingalaxis verteilen. Nach außen hin haben sie sich den Hamamesch untergeordnet und bekommen von diesen auch technisches Gerät gegen entsprechendes Entgelt. Viele von ihnen sympathisieren mit den Rebellen und Piraten von Queeneroch, einige arbeiten insgeheim mit ihnen zusammen. Die Queeneroch-Crypers gelten als Gesetzlose. Sie sind Rebellen gegen das bestehende Hamamesch-System und Piraten, die sich alles, was sie benötigen, gewaltsam von den Hamamesch beschaffen. Die genaue Zahl der Sonnensysteme, die diese Crypers besiedeln, ist nicht bekannt. Aber es gibt insgesamt sieben Rebellengruppen. Jede verfolgt auf eigene Weise das Ziel, die Herrschaft der Hamamesch zu stürzen. Das bedeutet, daß die sieben Gruppen untereinander zwar nicht verfeindet sind, aber auch, daß sie nicht gemeinsam gegen den gleichen Feind agieren. Die Crypers aus Hirdobaan und Queeneroch vermischen sich nie untereinander. Die sieben Queeneroch-Gruppen tragen die Namen: 1. Ambraux-, 2. Solten-, 3. Corri-, 4. Manglon-, 5. Vista-, 6. Eramor-, 7. Sandin-Crypers. Die Nummern bezeichnen ihre Einflußgebiete auf der Skizze.