Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Commander Cliff McLane und seiner Crew – und mit Tamara Jagel...
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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Commander Cliff McLane und seiner Crew – und mit Tamara Jagellovsk, dem Offizier des Galaktischen Sicherheitsdienstes.
Der urzeitliche Planet Range III wird das Ziel der ersten Science Patrol. Die ORION VIII, begleitet von zwei weiteren Raumschiffen, dringt in eine Dunkelwolke ein und landet inmitten der chaotischen Landschaft eines Planeten, der wie das Ebenbild einer jungfräulichen Erde wirkt – wie die Erde im Zeitalter der Saurier. Cliff McLane hat als Expeditionsleiter Gefahren der Urwelt mit einkalkuliert – nicht jedoch die silbernen Schemen. Es sind Wesen, die nicht zu dieser Welt gehören.
Alle Romane nach der großen Fernsehserie RAUMSCHIFF ORION erscheinen als Taschenbuch im MOEWIG-VERLAG.
Vom gleichen Autor erschienen bisher die RAUMSCHIFF-ORION-ROMANE: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Angriff aus dem All (T 134) Planet außer Kurs (T 136) Die Hüter des Gesetzes (T 138) Deserteure (T 140) Kampf um die Sonne (T 142) Die Raumfalle (T 144) Invasion (T 146) Die Erde in Gefahr (T 152) Planet der Illusionen (T 154) Wettflug mit dem Tod (T 156) Schneller als das Licht (T 158) Die Mordwespen (T 160) Kosmische Marionetten (O 13) Die tödliche Ebene (O 14) Schiff aus der Zukunft (O 15)
BAND 17
HANS KNEIFEL
RAUMSCHIFF ORION
VERSCHOLLEN IM ALL Zukunftsroman
Deutsche Erstveröffentlichung
MOEWIG-VERLAG MÜNCHEN Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Für den Moewig-Verlag nach Ideen zur großen Fernsehserie »Raumpatrouille«, produziert von der Bavaria-Atelier GmbH, geschrieben von Hans Kneifel
Copyright © 1969 by Arthur Moewig Verlag Printed in Germany 1969 Umschlag: Ott + Heidmann design Gesamtherstellung: Hier. Mühlberger, Augsburg Der Verkaufspreis dieses Bandes enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer
1 In der Großen Australischen Bucht schwenkte die warme Strömung, die von Südwesten kam, jäh nach Norden ab, drehte sich zwischen der Känguruh-Insel und Archipelago of the Recherche in einem vollkommenen Halbkreis wieder zurück und zog entlang der Westküste bis hinauf in die Timorsee, vorbei an Perth, am Nordwestkap und am Bonaparte-Archipel. Zwischen den beiden Nordspitzen des Kontinents und Neuguinea schwenkte sie, aus dem Süden herandriftend, wieder nach Osten und vermischte sich bei den Salomonen mit der pazifischen Strömung. Das silbergraue Boot mit dem grellroten Spinnacker lag schräg im Wasser, dicht am Wind, und der Mann am Ruder genoß die Stille, den salzigen Geruch der Wellen und den Anblick von Wolken und fliegenden Fischen. Der schlanke Mann war hundertachtzig Zentimeter groß und siebenunddreißig Jahre alt. Sein braunes Haar war sehr kurz geschnitten, und der Bart, den sich Cliff McLane im Verlauf der letzten Aufträge hatte wachsen lassen, war ebenfalls verschwunden; zuviel sarkastische Kritik hatte Cliff von seinem Entschluß abgebracht. Das Haar war ausgebleicht von Salzwasser und Sonne. Über den Augen trug der Kommandant eine überdimensionale Brille mit dunklen Gläsern. »ORION VIII ... dich sehe ich nur in der Erinnerung!« murmelte er und bewegte das halbautomatische Ruder um einige Striche. Das silbergraue Boot mit der wasserabstoßenden
Kunststoffschale fuhr, wenn Cliffs letztes Besteck richtig gewesen war, im Vorderfeld der sechzehn Boote, von denen vor zwei Tagen eines ausgefallen war. Cliff machte die Bewegungen des Bootes mit; es hob und senkte sich, zerschnitt die Wellen; eine hochseetüchtige Dreimannjacht. Jeder Quadratzentimeter Segelfläche war aufgezogen. Cliff schlug die Beine übereinander und drückte den Kontakt des Lesewürfels. Das Bild mit dem kleingedruckten Text darunter rückte weiter, ein anderes Bild erschien. Es zeigte eine phantastische Landschaft aus der Vergangenheit der Erde. »Herrlich!« sagte Cliff und sah einer Wolke zu, die sich direkt über der Mastspitze aufzulösen begann. Er wischte den Schweiß von der Stirn und sah in den Lesewürfel. Die Landschaft faszinierte ihn. Die Boote waren von der Wessel-Insel gestartet. Sechzehn Raumschiffkommandanten trugen im August jeden Jahres ein privates Rennen aus. Sie versuchten damit, fern von Raumschiffen, eine Mischung aus Erholung, erbarmungslosem Kampf und völlig ungewohnter Tätigkeit zusammenzustellen. Cliff hatte die Regatta einmal gewonnen; vor sieben Jahren. Und dieses Jahr fehlte ihm fast jeglicher Ehrgeiz. Er fühlte sich wie ein Mann, der hinter sich eine Vielzahl von Gebäuden weiß, die er alle errichtet hatte, nun holte er Atem für das Hochhaus, das eine Art Kindheitstraum geblieben war – bisher. Eine Menge solcher und ähnlicher Überlegungen und nichtgelöster Probleme spukten durch seine Gedanken, und eines dieser ungelösten Probleme lag bei ihm im Boot, unter der weißen Fläche des Sonnensegels und schlief lautlos und tief.
Und trotzdem schien sein Boot an der Spitze zu liegen. Das Ziel der nunmehr fünfzehn Boote war der Jachthafen des Ortes Somerset. Es war noch rund zwei Tage entfernt. Somerset, ein Ort dicht an der Torresstraße, zwischen dem Kontinent und Neuguinea, würde den Raumfahrern einen begeisterten Empfang bereiten. Die Anlage der unterseeischen Startbasis 104 hatte das riesige Dreieck der Küstenlinie, die um den Carpentariagolf lag, mit einem dichten Netz von Uferbauten überzogen – Städte und hochmoderne Fabrikationsbetriebe lösten einander ab, in dichten neugepflanzten Wäldern. Die Ränder der Uferbepflanzungen und der große Naturschutzpark wuchsen immer näher zusammen. Cliff kontrollierte die wenigen Instrumente, warf einen langen Blick auf den Kompaß und sah, daß der Kurs richtig war. Er stellte das Ruder fest und blickte in das Lesegerät hinein. Landschaft und Lebewesen der terranischen Frühzeit, hier der Kreidezeit, boten einen ungewohnten, teilweise erschreckenden Anblick. Merkwürdig, dachte Cliff, innerhalb der 900Parsek-Raumkugel waren viele Planeten entdeckt worden, junge und alte – erdgeschichtlich oder planetengeschichtlich gesehen –, aber noch keiner, der in etwa jenen Schilderungen entsprach, die nichts anderes waren als Rekonstruktionen. Eine solche Entdekkung war überfällig. Nun, das war nicht seine Aufgabe. Seine Aufgabe lag unter dem Sonnensegel und schlief traumlos. Langsam zogen die verschiedenen Erlebnisse an Cliff vorbei. Der fehlgeschlagene Versuch, für die Er-
de Freunde im Kosmos zu finden, ärgerte ihn am meisten. Die Arroganz, mit der die Unsichtbaren in der runden Stadt einen Kontakt abgelehnt hatten, lag ihm schwer im Magen. Er zuckte die Schultern und schwor sich, aus der Vergangenheit zu lernen, grundsätzlich aber der Zukunft den Vorrang in seinen Überlegungen und Plänen einzuräumen. Was brachte diese Zukunft? Er wußte es nicht. Niemand wußte es. Die Dinge konnten sich von einer Stunde zur anderen grundlegend ändern, so wie sie es schon oft getan hatten. Endlich schaltete Cliff das Lesegerät aus, schob die Brille in die Stirn und griff nach einem der Seile die sich von seinem Platz, einem breiten, staumstoffgepolsterten Rudergängersitz, bis zum Eingang der Kajüte zogen. Er ging, mit den Hüften die Bewegungen des Bootes ausgleichend, über den Kunststoffrost und blieb dort stehen, wo das Problem auf einer weißen Schaumstoffmatratze lag. Das Problem hieß: Tamara Jagellovsk. »Hallo«, sagte Cliff halblaut. »Es ist Zeit für den nachmittäglichen Grog!« Tamara, in einen blendend weißen Badeanzug verpackt, bewegte sich unruhig, drehte sich herum und gähnte ausgiebig. »Wie?« murmelte sie verschlafen. »Ich sagte«, wiederholte der Oberst, »daß es Zeit sei, nunmehr aufzustehen. Ich habe Hunger.« Tamara schüttelte unsicher den Kopf. »Ich habe geträumt«, sagte sie. Cliff grinste zurückhaltend und sagte: »Davon wird niemand satt, am wenigsten ich. Wache auf und koche!« Sie öffnete die Augen und zwinkerte, da sie das
Sonnenlicht, das auf das Segel knallte, stark blendete. Dann tastete Tamara um sich und erwischte ihre Brille. »Ich habe von Sauriern geträumt«, sagte sie und setzte sich auf. »Zu groß«, erwiderte Cliff und lehnte sich an die federnden Seile der Reling. »Gehen nicht in die Töpfe hinein. Außerdem – du weißt, daß ich im Augenblick strenge Diät halte. Drei Kilogramm Speck müssen heruntergehungert werden. Weswegen, glaubst du, lasse ich mich jeden Tag hinter dem Boot herziehen?« Sie schwang die Beine herum und stellte die Füße auf den Rost, dicht neben seine bloßen Zehen. »Um aus meiner Gegenwart zu entfliehen«, sagte sie. Cliff nickte nachdenklich und knurrte: »Daran ist etwas Wahres, Tamara.« »Ich weiß!« Sie stand auf und ging an ihm vorbei in die Kajüte. Cliff starrte auf den klassischen Rücken seines Problems und kratzte sich dann im Nacken. Auskristallisiertes Salz knisterte unter seinen Fingernägeln. »Verdammt!« murmelte er. »Auch das noch. Immer die Frauen!« Sein Problem hatte an einem Punkt begonnen, den er genau bestimmen konnte. Es war der glückliche Moment gewesen, an dem sich herausgestellt hatte, daß die Invasion der Extraterrestrier gescheitert war ... endgültig. Damals hatten Tamara und er entdeckt, daß sie wesentlich mehr verband als nur das Verhältnis Kontrollbeamter – undisziplinierter Commander. Und einige Stunden nach dem Start der sechzehn Boote hatten Tamara und er abermals entdeckt, daß
sie weniger verband als ihre gegenseitige Zuneigung. Die Zeit, die mächtige Verbündete eines jeden Freiheitsuchenden, hatte sich gegen diese Partnerschaft verschworen. Jede Stunde hatte neue Verschiedenheiten offenbart, und jeder von ihnen sehnte das Ende der Regatta herbei. Das zurückliegende Jahr war wie ein Stein gewesen, den man ins Wasser wirft: Sie hatten sich für die Dauer des Sinkvorganges geliebt und an den kleinen Ringen gefreut, die der Aufprall verursacht hatte. Jetzt war der Stein gesunken, und die Wasseroberfläche war wieder glatt. Sie glaubten festgestellt zu haben, daß sie nicht zusammenpaßten. Früher, als ihre Begegnungen durch die Kürze der Zeit und durch die seltenen Gelegenheiten diktiert worden waren, konnte die Illusion aufrechterhalten bleiben. Jetzt, da sie pausenlos auf engstem Raum gezwungen worden waren, nebeneinander zu leben, hatten sich die Gegensätze eruptiv Bahn gebrochen ... der Zustand gemessener Freundschaft war die Folge gewesen. Bedauerte einer von ihnen die zurückliegenden Monate? »He, Partner!« schrie Cliff. Tamara steckte den Kopf aus der Kombüse hervor und fragte ebenso laut zurück: »Was ist los, Rudergänger?« Cliff fuhr mit dem Handrücken über sein Kinn. Er war schlecht rasiert. »Bedauerst du das letzte Jahr mit mir?« Sie schwieg einige Sekunden, war offensichtlich von der direkten Frage überrascht und etwas irritiert. »Nein«, sagte sie dann. »Wir haben uns neun Mo-
nate lang im Vorfeld der Erkenntnis bewegt. Ich bereue nichts, Cliff.« »Beim Haar der Berenice«, knurrte Cliff. »Soviel menschliches Format!« Laut erwiderte er: »Nimm bitte zur Kenntnis, daß auch ich nichts bedaure. Wie wird es weitergehen?« Tamara sagte lächelnd: »Ich kehre zu meinem Saurier im Topf zurück. Lende von Tyrannosaurus rex ... sehr delikat.« Cliff nickte. »Wir werden also in Somerset auseinandergehen. Du nach Norden und ich nach Süden. Sind wir Freunde oder Fremde, wenn wir uns begegnen?« Aus dem Innern der Kajüte kam die Antwort: »Freunde, Cliff McLane. Freunde. Schließlich hassen wir uns ja nicht. Wir lieben uns nur nicht mehr. Das ist alles.« Noch immer war Cliff unschlüssig, ob er bedauern oder sich freuen sollte. »Aha. Freunde. Das ist gut. Das ist überhaupt die einzig richtige Möglichkeit. Und für mich geht die alte Unsicherheit wieder los, nach einem knappen Jahr Ruhe.« Er korrigierte sich, sarkastisch lachend, selbst: »Relativer Ruhe«, murmelte er und dachte an das braunhäutige Mädchen, mit dem zusammen er gegen die Mordwespen gekämpft hatte. »Welche Unsicherheit, Cliff?« »Es ist der Faktor Weib«, gab er zur Antwort. »Schließlich bin ich, nach Erziehung, Einkünften und sozialer Stellung, das ideale Opfer für professionelle Großwildjägerinnen. Das ist erschöpfend, glaube mir!«
Sie gab zurück: »Ein Mann mit deiner ehernen Konstitution wird's überstehen. Mario de Monti wird dir sicher bei der Auswahl und bei den umfangreichen Testprogrammen helfen. Oder irre ich sehr?« Cliff wiegte überlegend den Kopf und setzte sich schließlich vor die Kajütentür. »Er wird«, sagte er ruhig. »Aber ich glaube, ich muß bedauern, Tamara.« »Was?« »Die Tatsache, daß sich unsere Partnerschaft als Irrtum herausgestellt hat. Ich werde sehr darunter leiden.« Sie lachte schallend und ließ eine leere Konservenbüchse fallen. Es klang wie die Salve eines Hinrichtungskommandos. »Worunter, Cliff McLane?« »Daß du ins Lager meiner Freunde übergewechselt bist.« Sie kam mit einem Tablett heraus, das eine Spezialanfertigung war; die Tassen und Bestecke, die Teller und Schüsseln waren viereckig oder rechteckig, besaßen einen metallenen Boden und hafteten auf dem Magnetblech der Platte. Das einzige, was auf diesem Boot bisher über Bord gegangen war, waren die Illusionen gewesen. Nicht der schlechteste Ballast, fand Cliff, der abgeworfen werden konnte. »Paß auf«, sagte sie tröstend und stellte die Platte auf den Tisch, den Cliff aus einer Aussparung hervorgezogen hatte. Auf beiden Seiten der Kunststoffplatte klappten kleine Stühle aus der Verkleidung. Sie setzten sich hin, um zu essen. »Ich passe auf«, sagte Cliff und hob einen Deckel.
»Das ist aber kein Saurier, Tamara.« »Nein«, erwiderte sie schlagfertig. »Das ist hervorragendes Kunstfleisch, aus dem Eiweiß hergestellt, das bei der Ausfällung von Paraffin aus Erdöl gewonnen wird, mit der tätigen Mithilfe gewisser Mikroben, die aus Paraffin Eiweiß machen. Es schmeckt wie gegrilltes Huhn, aber ohne Knochen.« »Die Zukunft«, sagte Cliff, »wirft große Schlagschatten voraus. Du wolltest mir etwas erklären?« Sie aßen eine Weile schweigend, dann sagte sie: »Ja. Wir werden uns treffen, hie und da. Ich bin überzeugt, daß wir auch in der Folgezeit zusammenarbeiten werden, wenn die Probleme es erfordern; schließlich sind wir hervorragend aufeinander eingespielt. Vielleicht sticht es ein wenig, wenn wir sehen, daß der andere einen neuen Partner hat, aber das ist auch alles. Eine Shakespearische Tragödie wird nimmermehr daraus, Cliff.« Cliff hob seine braungebrannten Schultern und ließ sie wieder fallen. »In Ordnung, Partner«, sagte er. »Außerdem – wir werden vermutlich die ersten in Somerset sein.« »Wie schön!« sagte Tamara ohne besonderes Interesse. »Bist du auch in diesem Fall so ehrgeizig?« Cliff schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Ist es denn immer Ehrgeiz, wenn man seine Kapazitäten kennt und versucht, sie hin und wieder auszunützen? Nein! Es war nicht mein Ehrgeiz, sondern vermutlich nur exaktes Navigieren und günstige Winde.« »Bist du mit Äolos im Bund?« fragte sie und spielte auf eines von Cliffs Lieblingsbüchern an, die Odyssee.
Cliff zitierte lächelnd: »Vor mir ließ er den Hauch des freundlichen Westwindes einherwehn – daß er die Schiff und uns selbst heimführet ...« Tamara nickte schwer und deutete mit einem spitzen Zeigefinger auf die offene Kajütentür: »Was dort summt, ist nicht der freundliche Westwind, sondern der Summer des schweren Funkgerätes. Du bist der Käpten, Cliff.« Cliff stand auf. Der Summer ertönte ein zweitesmal. »Verdammt!« sagte Cliff mit Nachdruck und blieb stehen. »Nicht einmal auf hoher See habe ich Ruhe. Das ist entweder ein Hilferuf von einem der anderen Boote ... aber die See ist ruhig, es kann nichts passiert sein. Oder ...« Ein Verdacht, der keineswegs unbegründet war, stieg in ihm hoch. »Oder es ist Wamsler, der dicke, cholerische Wamsler, der wieder einmal seinen ›besten Mann‹ zu einer Sonderaufgabe braucht. Aber diesesmal hat er sich verrechnet. Haha!« Der Summer kam ununterbrochen, mit einer perfiden Hartnäckigkeit. »Warum verrechnet?« fragte Tamara und stellte die Eßgeschirre auf die Platte zurück. Cliff grinste sarkastisch. »Weil ich hier auf diesem wunderschönen, braven Boot bin. Es wird in zwei Tagen in Somerset anlegen, nicht früher. Nicht eine Sekunde früher. Wamsler kann sagen und fordern, was er will ... aber er bekommt mich bestenfalls in achtundvierzig Stunden.« Er bückte sich und verschwand in der Kajüte.
»Darauf würde ich nicht einmal die geringste Scheidemünze verwetten«, sagte Tamara zu sich und lehnte sich zurück. Ein Schwarm fliegender Fische erhob sich aus den Wellen, huschte vor dem Boot durch die Luft und verschwand aufklatschend im Wasser. Die Leinwand des Spinnackers knatterte scharf und hell unter einer plötzlichen Bö. Dann hörte das Geräusch des Summers auf. »Hier McLane an Bord der Trash can II«, sagte Cliff. »Wer ist dort?« Ein hohles, pfeifendes Knattern aus dem Lautsprecher, dann kam die Antwort, scharf und klar. »Hier Vorzimmer Büro Wamsler. Ich verbinde.« Cliff schaltete die Beleuchtung über der Seekarte ein und nahm den Stift in die Hand. Die Linie des Kurses verlief ziemlich genau in einer Geraden, nur zweimal durch die warme Strömung leicht geknickt. »Hier Wamsler. Sind Sie dort, McLane?« Höflich erwiderte Cliff: »Mitnichten, Raummarschall. Ich bin der Klabautermann.« »Machen Sie keine blöden Scherze, Mann! Ich braute Sie!« Mit unerschütterlicher Ruhe sagte Cliff: »Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Marschall Wamsler. In zirka achtundvierzig Stunden in Somerset, dem Ziel der Regatta.« Wamsler lachte murrend. »Das denken Sie!« »Sehen Sie, Marschall«, erklärte Cliff geduldig. »Das Ding, auf dem ich mich im Moment befinde, ist ein Schiff. Ein Wasser-Schiff, kein Raumschiff. Ich kann daher nicht fliegen. Und da ich nicht fliegen,
noch die Geschwindigkeit dieses schnittigen Bootes erhöhen kann, werde ich rund achtundvierzig Stunden brauchen. Sie hätten auch Pech haben können, dann würde ich nicht der Erste der Regatta sein, dann würde es noch länger dauern. Haben Sie Geduld, Marschall.« Wamsler atmete schwer und schien eine Reihe von Verwünschungen herunterzuschlucken. »Ich hätte ja Geduld, aber der Ausschuß hat keine. Es ist sicher – Sie können im Moment nicht fliegen. Sie nicht, McLane.« Cliff wußte, daß er verloren hatte. »Ich nicht«, murmelte er ins Mikrophon, das an einer wasserdichten, geringelten Schnur aus dem Gerät hervorgezogen war und in seiner Hand lag. »Aber beispielsweise ein Helikopter ... was ist passiert, Marschall?« Wamsler sagte laut: »Range III ist entdeckt.« »Soso«, machte Cliff und zwang sich zur Ruhe. »Wer oder was ist Range III?« Wamsler erklärte. Sein Atem ging in schnellen, aufgeregten Stößen. »Range III ist ein Planet in der Nähe der Dunkelwolke. Es ist eine Welt, wie wir sie schon seit Beginn unserer Expansion gesucht haben. Eine wilde, junge Welt.« »... mit Sauriern und spuckenden Vulkanen«, ergänzte Cliff tonlos. »Woher wissen Sie ...?« »Ich habe es mir ausrechnen können. Reine induktive Logik«, sagte Cliff leise. »Sie lassen mich also abholen?«
»Ja«, sagte Wamsler. »Und damit Ihr verdammtes Boot auch gewinnt, setzt der Helikopter zusätzlich einen hervorragenden Segler ab. Er wird das WasserSchiff sicher in den Hafen bringen.« Cliff senkte den Kopf und sagte: »Marschall Wamsler! Sie und ich wissen, daß der Erholungsurlaub einer Raumschiffscrew nach dem Einsatz in der Regel so lange dauert, wie der Einsatz gedauert hat. Lesen Sie in Kapitel 16 meines Fahrtenschreibers nach, wie lange der letzte Einsatz gedauert hat. Wenn ich also einwillige, von Ihrem dämlichen Helikopter mitten auf offener See abgeholt zu werden, dann tue ich es Ihretwegen, nicht deswegen, weil mir das Wohl des Planeten quer auf dem Herzen liegt. Wann kommt die Mühle?« Wamsler kicherte. »Im Vertrauen«, sagte er leise. »Der Helikopter ist schon vor neunzig Minuten gestartet.« Cliff fühlte ohnmächtigen Zorn und beschloß, Wamsler zu ärgern, wenn er in der Basis war. »Tamara Jagellovsk ist an Bord«, sagte er scharf und leise, »und das wissen Sie genau. Fliegt sie mit zurück, oder soll sie weiterhin auf das Privateigentum des Jachtklubs aufpassen?« Wamslers Kichern wurde intensiver und lauter. »Ich habe Commander Falpass losgeschickt. Er hat mir ... hört Tamara zu?« »Nein.« »Er hat mir gestanden, daß Fräulein Leutnant Jagellovsk auf ihn eine geradezu dämonische Anziehungskraft ausübt.« Cliff erwiderte bitter: »Sie scheinen auch an alles zu denken, Marschall.«
»Dafür, McLane, werde ich von den Raumaufklärungsverbänden Terras bezahlt, und das nicht gerade wenig. Ich erwarte Sie in meinem Büro. Range III wartet ebenfalls auf Sie.« »In Ordnung«, sagte Cliff und schlug wütend die Taste herunter. Die Funkverbindung wurde unterbrochen. Cliff ging langsam aus der Kajüte hinaus ins helle Sonnenlicht und schob die dunkle Brille von der Stirn herunter. »Wachablösung«, sagte er. »Du wirst gebraucht?« fragte Tamara. »Soll ich das Boot allein steuern? Ich bin hilflos wie ein kleines Mädchen!« Cliff blieb dicht vor ihr stehen und legte seine Hände vorsichtig auf ihre bloßen Schultern. »Da du nicht hilflos wie ein kleines Mädchen bist, hat Wamsler sehr umfassend gedacht. Blond, breitschultrig, strahlende blaue Augen, hart wie Stahl von Schiffsverstrebungen, draufgängerisch wie ein Hammerhai und schnittig wie ein Torpedo.« Sie fragte verwirrt: »Wovon redest du, Cliff?« Cliff erwiderte trocken: »Von Commander Grynt Falpass. Wamsler hat ihn beauftragt, dieses Boot dem Sieg entgegenzusteuern. Soll ich einen Magneten an den Kompaß kleben?« Tamara zögerte, dann erwiderte sie ruhig und halblaut: »Ich bin neugierig, wie dieser Falpass ist. Immerhin habe ich eine jener kleinen Gasdruckwaffen bei mir, mit der ich ihn mir vom Leibe halten kann.« Cliff turnte an ihr vorbei und setzte sich wieder hinter das Ruder. Er korrigierte geringfügig den Kurs
und wartete auf den Helikopter. Dreißig Minuten ... Siebzig Minuten ... Ein helles, bösartiges Summen kam von Süden, dicht über dem Wasser. Cliff drehte den Kopf und machte den dunklen Punkt aus. Er kam unaufhaltsam näher, dann verwandelte er sich in ein glänzendes Etwas aus Glas, Silber und schwirrenden Rotoren. Das Brummen wurde lauter. »Dort kommt Commander Falpass«, sagte er ruhig und blieb regungslos sitzen. »Nicht im engeren, sondern im weiteren Sinn deine Ablösung«, erwiderte Tamara und hob den schweren Feldstecher. »Donnerwetter – Wamsler schickt sogar eine Electeyn-Jet«, sagte sie bewundernd. »Um ihre Wünsche durchzusetzen«, murmelte Cliff, »wenden die Mächtigen jedes Mittel auf. Eile und Notwendigkeit sind zwei herrliche Entschuldigungen.« Der Helikopter verlangsamte seine Geschwindigkeit und schlug einen Kurs ein, der ihn in einem weiten Kreis um das Boot führen sollte. Cliff hatte nicht ein einziges Segel gerefft; er wollte schließlich nicht vom Boot hinunter. Sollten sich die anderen Mühe geben. Er war gespannt, wie sie das Problem lösen würden, einen Mann aus einem Boot zu fischen, das sich mit rund zwanzig Knoten bewegte. Der Helikopter entpuppte sich als ein langgestrecktes Modell mit zwei Horizontalschrauben und drei mächtigen Turbinensätzen – er wurde noch langsamer, der Kreis ging in eine Spirale über, und das Düsengeräusch sank über die halbe Tonleiter abwärts. Cliff sah, daß der Helikopter zwar mit vier Doppelsätzen von brei-
ten Niederdruckreifen, aber nicht mit Schwimmern ausgerüstet war. Der Pilot kurbelte ein Fenster herunter und winkte McLane zu. Cliff hob träge die Hand und nickte. Er hatte beide Füße auf dem Ruder und wartete ab. Die Männer im Helikopter lösten ihr Problem schnell und routiniert. Die Bodenklappe glitt zurück, und an zwei Seilen schwebte ein kleines Boot mit einem starken Außenbord herunter, berührte die Wellen, schaukelte stark und lag dann ruhig im Wasser. Die Magnethaken klafften auseinander, dann senkte sich der Helikopter abermals, und in dem Rettungsgeschirr des Schnellaufzugs wurde ein Mann in weißer Kleidung heruntergelassen. Um ihn und um das Boot herum peitschten die Rotoren das Wasser; ein Sprühregen gischte auf. Der Mann, zweifelsohne Commander Grynt Falpass, warf die Gurte ab und ließ den Motor an, dann zog das Boot in einer eleganten Kurve an die Trash can heran und ging längsseits. »Oberst McLane, wenn ich nicht irre?« Ein blonder, breitschultriger Mann schwang sich, nachdem Tamara die Leine belegt hatte, über Bord und schwankte auf Cliff zu. Cliff nahm die Füße vom Ruder, nickte und streckte eine Hand aus. »Sie sind sicher Commander Falpass?« »Natürlich. Tauschen wir die Plätze?« »Nicht alle«, sagte Cliff und stand auf. Er hielt sich an einem Tau fest und deutete auf Tamara. »Diese Dame dort vergaßen Sie zu begrüßen, Commander. Ich vertraue sie und das Boot Ihnen an. Sie haben die feste Absicht, zu siegen?«
Falpass nickte grinsend. »Der Wind ist günstig«, fuhr McLane ausdruckslos fort. »Die Strömung hält das Boot, und ich hoffe, von Ihnen in achtundvierzig Stunden die Siegesmeldung zu bekommen.« Falpass, der eben Tamara begrüßte und bei der Verbeugung gegen den Großbaum schlug, drehte den Kopf herum, lächelte gequält und erwiderte: »Ich bin ganz sicher.« »Ich nicht«, erwiderte Cliff regungslos. »Die Dame hat eine Gasdruckwaffe. Hatten Sie einen guten Flug?« »Ja. Sie sollten von Bord gehen ... die Maschine wartet, Oberst.« Selten hatte Cliff ein Mann so unbeteiligt gelassen. Er fand Falpass weder besonders unsympathisch noch besonders bemerkenswert; ein Mann von Tausenden. Er zuckte die Schultern, holte seinen weißen Seesack unter Deck hervor und warf einige Kleinigkeiten hinein, schloß dann den wasserdichten diamagnetischen Saum und ging zur Reling. Der Sack fiel ins Boot. Dann blieb Cliff neben Falpass und dicht vor Tamara stehen. Cliff nahm das Gesicht der Frau in beide Hände und küßte Tamara auf die Stirn. Er spürte den salzigen Geschmack der Haut, der Seewasserspritzer. »Komme sicher in den Hafen, Mädchen«, sagte er ernst. »Und rufe mich an, sobald der jubelnde Empfang vorbei ist.« »Ja. Freunde, wenn wir uns begegnen?« Cliff grüßte übertrieben exakt und antwortete leise: »Aye, aye, Madam!« Dann drehte er sich um, nickte Falpass flüchtig zu
und sprang in das kleine Boot. Er brauste mit wild aufheulendem Motor hinüber zum wartenden Helikopter, klinkte die Haken ein und ließ sich mit dem Boot zusammen in den Laderaum ziehen. Die Maschine drehte auf der Stelle und wandte sich nach Süden. Drei Stunden später stand Cliff im Vorzimmer von Wamslers Büro. * Ein Gerücht – oder war etwas in Cliffs Gesichtsausdruck? – ist schneller als der Schall und offensichtlich ebenso schnell wie das Licht. Bereits hier im Vorzimmer des Raummarschalls erntete Cliff einen bewundernden Blick der weiblichen Ordonnanz. Solange die Freundschaft mit Tamara gedauert hatte, war McLane geflissentlich übersehen worden; jetzt schien er rapide im Kurs gestiegen zu sein. Cliff ignorierte im Augenblick allerdings seinerseits die junge Dame. Sie hatte dekorative Aufgaben und bewachte Wamsler. »Ich komme vom Meer«, sagte Cliff kurz. »Wamsler scheint auf mich zu warten?« Er erntete ein schmelzendes Lächeln und blieb gefaßt. »Sie möchten sofort hineingehen, Oberst«, sagte das Mädchen. »Der Kolonialausschuß wartet.« Cliff dankte und ging auf in die Lichtflutbarriere zu. Die rasenden, tödlichen Elektronen verschwanden, der Oberst schritt durch den metallenen Rahmen in
das großräumige Büro des Raummarschalls hinein. Wamsler saß, ein strahlendes Lächeln im Gesicht, hinter dem spiegelnden Tisch, vor sich einen Stapel von Photos und Unterlagen. Wieder standen ein Videophonschirm und ein schwerer Projektor im Büro, und in der Raumkugelprojektion flirrte im Sektor Ost/Sieben 091 ein rotes Signal. Es war aber nicht das Rot, das Gefahr bedeutete. »Da sind Sie ja, Oberst!« begrüßte ihn Wamsler. Der Chef der T.R.A.V. strahlte über das ganze Gesicht, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und machte mit der anderen eine Geste, mit der er auf einen hageren Mann deutete, dessen weiße Jacke ihn als Verbindungsmann zwischen Ausführungsorganen und Regierung auswies. »Ja, hier bin ich«, erwiderte Cliff und blieb neben einem Sessel vor der Kante des Tisches stehen. »Dieser freundliche Herr hier«, dröhnte Wamsler, »heißt P. V. Aventeer. Er ist verantwortlicher Sekretär für das Kolonialwesen. Ein neuer Mann in unseren Reihen. Den dritten hier kennen Sie sicher; Commander Correl.« Cliff nickte dem Kollegen zu. »Sie scheinen Ihre sprichwörtlich gute Laune auf See gelassen zu haben, Oberst McLane«, sagte der Kommandant eines Karthographenschiffes. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.« Cliff musterte den Mann einige Zeit, dann erwiderte er kalt: »Ich bin fast sicher, daß Sie es nicht können, Freund Correl.« »Warten Sie es ab.« Wamsler breitete seine Arme in d e r schwarzen U ni-
form aus, zog die buschigen schwarzen Brauen hoch und tat so, als ob er den Kosmos ausmessen wollte. »Sehen Sie, McLane – ich verkünde hier pausenlos, daß Sie mein bester Mann sind. Ihr Ruf verpflichtet Sie. Setzen Sie sich hin und hören Sie zu, was P. V. Aventeer zu sagen hat.« Cliff starrte Wamsler an, als wolle er ihn in den nächsten Minuten umbringen. Dann setzte er sich hin und lehnte sich schwer zurück. Wamsler überspielte sein Unbehagen an der Situation dadurch, daß er sich übertrieben jovial gab. Cliff wußte aber, daß Winston Woodrov Wamsler selbst bedauerte, Cliff per Helikopter abgeholt zu haben. Es schien also wirklich wichtig zu sein. »Wir haben zum erstenmal die große Chance, einen wertvollen Beitrag zur Wissenschaft und Paläontologie unseres eigenen Planeten zu leisten. Wir können erstmalig einen Planeten, nämlich Range III im Sektor Ost/Sieben 091, beobachten. Dort ist, wie es den Anschein hat, ein Duplikat der Erde zu finden, der Erde in der Kreidezeit. Alles das, was uns über diese geologische und typische Formation bisher verborgen geblieben war, ist dort am lebenden Modell zu studieren.« Cliff dachte an den Bildwürfel und hatte ein seltsames Gefühl; hatte er diese Lektüre zufällig oder wegen einer Ahnung mitgenommen? »Und das war Grund genug, meinen Urlaub zu sabotieren?« fragte er. »Jawohl«, donnerte Wamsler. »Und ob Sie es glauben oder nicht – ich hielt den Anlaß für derartig wichtig.« Cliff hatte kurz eine Kette von Visionen.
Er sah Saurier, Schachtelhalme, erbitterte Paarungsund Nahrungskämpfe, ausbrechende Vulkane und ein Wetter, das nur aus extremen Schneefällen, Regengüssen und stechender Sonne bestand. »Weiter ...«, murmelte er. P. V. Aventeer erklärte: »Dieser Planet ist unbesiedelt und wild. Wir haben ihn in erreichbarer Nähe, und nur durch einen Zufall wurde er entdeckt: Commander Correl flog den Rand der Dunkelwolke ab, die sich durch unsere Raumkugel in Richtung auf den äußeren Orion-Arm hinzieht. Dort fliegen wenige Schiffe, und dort wird es auch noch genügend unentdeckte Planeten geben. Natürlich wollen wir keine Kolonie dort gründen, wir wollen auch keine Bodenschätze abbauen. Alles, was wir dort unternehmen wollen, ist reine Forschung. Und dabei sollen Sie uns helfen, Cliff McLane.« »Indem ich mit der ORION VIII dort hinfliege? Ich bin weder Botaniker noch Biologe, meine Herren!« gab Cliff zu bedenken. »Ich vermute, Sie sollen auch nicht in diesen Eigenschaften dort sein, sondern als Oberst mit einer Crew«, sagte Commander Correl. Cliff blickte P. V. Aventeer durchdringend an. »Was verlangen Sie von mir?« »Wir haben die Absicht, drei Schiffe zu starten. Die ORION VIII, die OPHIUCHI und die AURIGA. Die beiden anderen Schiffe sind voller Wissenschaftler und Baumaterial für ein Lager. Sie nehmen einige Gäste an Bord und überwachen die ganze Aktion. Sie brauchen nicht zu forschen, Sie leiten die Aktion. Die Dauer der ersten Untersuchung ist mit dreißig Tagen veranschlagt worden.«
Cliff deutete auf den Projektor. »Kann ich die Bilder sehen, die Correls Team gemacht hat?« Correl erwiderte stolz: »Wir haben einen netten kleinen Film gedreht, Oberst!« Wamsler drehte an einem Regler, und mit dem Verlöschen des Lichts im Büro begann der Sichtschirm aufzuglühen. Während die ersten Bilder sichtbar wurden – sie zeigten das Anflugmanöver und die ersten Bodenansichten –, erklärte Correl, was zukünftige Raumschiffe dort zu erwarten hatten. »Wir wollen dort Untersuchungen anstellen, welche Kräfte am Werk sind, die für die Größe dieser Tiere und für deren rasches Aussterben verantwortlich sind. Bisher hatten wir nur einzelne Funde aus Gesteinsschichten auf Terra, jetzt können wir jeden Fund belegen oder die Einsichten verwerfen, indem wir Beweismaterial vorlegen. Ich möchte dabei sein, dort, mit Ihnen zusammen, McLane!« Cliff drehte sich zu Correl um und fragte sarkastisch: »Was hat Ihnen der Marschall für die unterschwellige Werbung gezahlt, Freund?« »Nicht ein Prozent Bezüge mehr!« beteuerte der Raumfahrer. Jetzt rückte ein tätiger Vulkan ins Bild. Die Rauchsäule stieg pilzförmig auf und verdunkelte einen Teil der Landschaft. Schachtelhalme bogen sich unter dem Hagel aus Felsbrocken, brannten, als sie der glühende Lavaregen traf. Ein riesiger Saurier floh lautlos nach rechts aus dem Bild. »Vielleicht gewinnen die Wissenschaftler außer den
Sektionsbefunden noch andere Einsichten. Wachstumsmöglichkeiten, Samen für neue Rohstoffe ... ich weiß es nicht. Sie sollen nichts anderes tun, McLane, als ein Lager zu bauen, es zu schützen und auf die Forscher aufzupassen, die sonst alle zehn Minuten einmal in den Tod rennen. Das müßte eine Aufgabe sein, die Sie reizt, nicht wahr?« Cliff warf Wamsler einen niederträchtigen Blick zu und konterte: »Möchten Sie nicht mitfliegen?« »Ich bin ein alter, fetter Mann, der bestenfalls noch Ihre Waffensammlung ansieht und irgendwann einen Jagdausflug machen wird. Aber nicht dorthin, wo man stählerne junge Männer braucht! Nicht nach Range III, Cliff – das müssen Sie verstehen.« »Selbstverständlich, Marschall«, sagte Cliff und sah wie gebannt auf die Bilder, die vor den vier Männern abliefen. Es war eine wilde, unbeherrschte, unausgeglichene Welt. Regen, Hagel und Sonne folgten hintereinander, wurden von Schnee und Asche, von Lava und Felsbrocken abgelöst ... auf breiten Pfaden stampften die riesigen Schreckechsen durch den Sumpf und rissen halbe Bäume aus. Kleine Saurier kämpften um Beute und um die Weibchen. Das Raumschiff flog durch ein Inferno und filmte noch einen Rundblick über ein einigermaßen ruhiges Tal, das von einer ungeheuren roten Felswand abgegrenzt war, dann hörte der Film auf. »Wie viele Menschen würden diesen Einsatz mitfliegen?« fragte Cliff geschäftsmäßig. »Fünfzehn Crewleute und zwanzig Wissenschaftler, Cliff«, sagte Wamsler schlagfertig. »Drei Schiffe.
Sie sind bereits ausgerüstet.« Cliff fuhr auf. »Auch die ORION?« rief er. Wamsler sah ihn an, als wolle er um Verzeihung bitten. »Ja. Alles ist bereit. Ich habe auch schon Ihre Crew alarmiert. Start morgen früh sechs Uhr. Sind Sie mir sehr böse, Cliff?« »Ich weiß es noch nicht«, erwiderte der Oberst. »Ich werde Ihnen vielleicht ein paar junge Pteranoda mitbringen.« »Was für Dinger?« fragte Wamsler. Cliff schüttelte den Kopf. »Keine Dinger, Marschall. Schnelle Flugechsen mit langen und scharfen Schnäbeln und Klauen, die glatt durch diesen Tisch durchschlagen.« Cliff und Wamsler gönnten sich ein zähnefletschendes Grinsen. Dann sagte Wamsler, plötzlich sehr ernst: »Ihr vorletzter Einsatz war nicht gerade eine Ruhmestat, aber bei der Geschichte mit den arroganten Unsichtbaren haben Sie Verständnis und eine gewisse Vernunft bewiesen. Ich habe Sie nur deshalb gebeten, weil ich bei Ihnen und Ihrer Crew die Gewißheit habe, daß kein Unfug gemacht wird. Sie sind die besten Leute für einen solchen Job. Und Aventeer, der Sekretär für das Kolonialwesen, dem in diesem Fall die Arbeiten übertragen worden sind, ist auch der Meinung. Sie tun uns einen persönlichen Gefallen.« Cliff stand auf. »Sie meinen, Sie könnten ruhig schlafen, wenn ich unterwegs bin?« Wamsler erhob sich ächzend aus dem Sessel. Er
ging um den Tisch herum und sagte: »Mann! Tun Sie doch nicht so, als ob Sie selbst keinen Spaß an der Sache hätten. Starten Sie, und kommen Sie nach vierundzwanzig Tagen wieder!« Cliff erwiderte leise: »Ich fliege gern, das muß ich zugeben. Aber mich stört, daß ich sogar mitten aus dem wohlverdienten Urlaub gerissen werde. Das ist es, was mich so ärgerlich macht. Ich ...« Wamsler hob eine Mappe mit Papieren vorn Tisch und näherte seinen Mund Cliffs Ohr. Hinter der als Schaltwand vorgehaltenen Hand sagte er flüsternd: »Es sind auch eine Menge junger Forscherinnen mit von der Partie. Neugierige Wissenschaftlerinnen! Frisch von der Universität!« Cliff flüsterte ebenso zurück, während er die Papiere zu sich nahm. Sie betrafen die Details des Einsatzes. »Hat die Buschtrommel bereits ein Gerücht ausgestreut?« Wamsler stellte sich dumm, was ihm dank seiner geringen Schauspielerkunst nicht schwerfiel. »Ist was mit Tamara? Ärger?« Eisern gab Cliff zurück: »Weder noch. Nichts mehr. Ende. Finis. Aus.« Wamsler starrte ihm fassungslos nach, als Cliff sich von P. V. Aventeer und Correl verabschiedete und den Raum verließ. Cliff ging und fuhr in seinen Bungalow, wo er die Papiere studierte und sich auf den Einsatz vorbereitete. Später führte er vier kurze Gespräche mit Hasso, Atan, Mario und Helga und stellte sich dann unter die Dusche, um zusammen mit dem Ärger auch das Salz aus den Haaren zu spülen. Er
fühlte sich nach langer Zeit wieder einmal wie ein Kolumbus, der zu völlig neuen Ufern aufbrach. Die drei Schiffe standen vollbeladen in den Hangars der Basis 104 und warteten auf den Start. In ihren Rechenspeichern waren die Koordinaten von Range III bereits vorhanden. Ein modernes Abenteuer konnte beginnen.
2 Neunhundert Parsek, mit 3.26 multipliziert, ergab eine Zahl von 2934 Lichtjahren. Die Raumkugel, die von der Erde kontrolliert wurde, maß von einer Grenze bis zur anderen genau 2934 Lichtjahre. Das war, wie gesagt, eine Kugel, ein sphärisches Gebilde. Blickte man von einer imaginären Stelle, weit oberhalb des ›Nordpols‹ der eigenen Galaxis auf die Milchstraße hinunter, dann mußte man erkennen, daß die irdische Sonne, also der Kernpunkt dieser Kugel, fast am Außenrand einer Formation dichtstehender Sonnen lag. Es war der Arm, nach einem von der Erde sichtbaren, markanten Sternbild gesehen, den man den Orion-Arm nannte. Die Erde lag im ersten Drittel des Arms, vom Zentrum der Galaxis aus betrachtet. Der Arm schwang wie ein Ausläufer eines Feuerrades nach außen, dem Rand der spiraliglinsenförmigen Galaxis zu. Etwa in der Längsrichtung dieses Armes spannte sich eine Dunkelwolke. Sie begann vor dem Zentrum der Raumkugel, wurde dünner und unsichtbar in der Nähe von Terras Sonne und wieder dichter und undurchsichtig einige Lichtjahre von der Sonne entfernt. Sie zog sich bis zum Rand der Raumkugel hin und stieß hindurch, setzte sich fort – in Richtung auf den äußeren Orion-Arm. Diese Dunkelwolke, bestehend aus interstellarem Wasserstoff und feinverteiltem Staub, war nur eines der Geheimnisse, die sich innerhalb der Grenzen befanden. Zu den weiteren Geheimnissen und nicht erforschten Dingen gehörten eine Reihe von sämtlichen
Dingen, die innerhalb einer Milchstraße vorkamen. Meteore und Boliden ... Monde und Planeten ... Sonnen und Doppelgestirne ... Und: Planeten. Riesige, zahlenmäßig noch nicht erfaßbare Mengen von Planeten. Die Tatsache, daß die Erde neunhundert Parsek als sozusagen umzäunten Raum betrachtete, den sie kontrollierte, war weitgehend reine Fiktion. Und das wußten alle: Wamsler, Villa und auch McLane. Und die Commander der Karthographenschiffe, deren es zuwenig gab, wußten es ebenfalls sehr genau. Man ging jetzt, da die meisten Kolonien gegründet und einigermaßen funktionstüchtig waren, dazu über, den Raum systematisch zu erforschen. Im Rahmen dieses Projekts, das ein Begriff wie das GALAKTISCHE JAHR war, hatte auch Commander Correl den Planeten Range III entdeckt. Seit der Beendigung des GALAKTISCHEN JAHRES waren einige der Schnellen Kreuzer umgerüstet worden und nahmen die Belange des Projektes SCIENCE PATROL wahr. Ein neuer Name; Kennzeichen eines radikalen Umdenkens. SCIENCE PATROL ... Eine kurze Pause des intensiven Nachdenkens entstand. Dann stand Mario de Monti aus seinem Sessel auf, der vor dem kugelförmigen Eingabeelement des Digitalrechners festgeschraubt war. Der hochgewachsene Mann mit dem kurzgeschorenen, blonden Haar und den breiten Schultern blieb neben Cliff McLane stehen und betrachtete die Unterlagen. Sie waren auf dem Zentralschirm des Schiffes ausgebreitet, der oh-
nehin nichts anderes zeigte als die wesenlose Schwärze des Hyperuniversums mit seinen rätselhaften, violetten Lichtinseln. »Commander Correl hat die Sonne des Dreiplanetensystems dem G-Typ zugeordnet«, sagte der Erste Offizier langsam. »Das könnte bedeuten, daß Range III wirklich annähernd erdgleich ist.« »Richtig, Mario«, stimmte Cliff zu. Seine Augen wogen die Leistungen ab, die durch die Instrumentenanzeigen ausgewiesen wurden. Zugleich bemerkte er an den winzigen Leuchtzeichen, daß in allen Gästezellen des Raumschiffes Licht brannte; das Energiediagramm zeigte einen Mehrverbrauch von 09 Prozent des Bordnetzes an. »Ferner beweisen hier die Fraunhoferschen Linien, ferner das mitgebrachte Material, daß T, L und M die gleichen Werte haben wie unsere Sonne.« T, das wußten die Männer der ORION, war die Oberflächentemperatur der neuentdeckten Sonne. Sie betrug in Kelvingraden ausgedrückt etwas mehr als 5500 Grad. L war die Leuchtkraft; sie entsprach bis auf eine zweite Stelle hinter dem Komma genau derselben der Sonne Terras. Die absolute Größenklasse wurde vom Wert M festgelegt; sie betrug +4,7. »Ja«, sagte Mario laut und deutlich, so daß die Bordkommunikation den Dialog überallhin übertrug. »Und da obendrein Range III, also der dritte Planet, sich auf einer Kreisbahn dreht die als Mittelwert ebenfalls eine Entfernung von einer Astronomischen Einheit besitzt, können wir sicher sein, eine junge Erde zu sehen.« Cliff nickte grimmig.
»Das Duplikat einer jungen Erde. Kannst du dich an luna secunda erinnern, das Duplikat des irdischen Mondes? Wir probierten damals unser Overkillgerät aus.« Mario schob einige der Unterlagen zusammen. Sie betrafen die Sonne, und Atan Shubashi hatte die Werte bereits, nach denen er suchen mußte, um die drei Schiffe exakt in Sonnennähe zu bringen. Nur noch die zahlreichen plastischen Bilder des neuen Planeten lagen auf dem runden Zentralschirm. Atan Shubashi war im Hintergrund geblieben; jetzt schaltete er sich ein und begann zu reden. »Wir sind heute im dritten von rund sieben Tagen«, sagte er langsam, »und wir operieren nicht allein. Zwei Schiffe folgen uns, und insgesamt zwanzig Wissenschaftler sind an Bord. Was sagst du dazu, Cliff?« Cliff zeigte eine Spur seines beißenden Lächelns. »Was die Wissenschaftlerinnen betrifft, sage ich nur Gutes. Betrachten wir das Problem ganz, so sehe ich eine nicht abreißende Kette von kleinen Gefahren voraus. Der Planet kann einigen von ihnen das Leben kosten, wenn sie unvorsichtig genug sind. Sie kennen diese Art Wildnis nicht. Noch nicht.« »Noch vier Tage also«, sagte Helga. Zugleich mit der Nachricht, daß Tamara und er sich in aller Freundschaft getrennt hatten, war neue Hoffnung in Helgas Herz eingezogen. »Ja, noch vier Tage«, sagte Atan. »Und davon wird ein halber Tag vermutlich vor der Landung schon spannend werden.« Mit Hasso Sigbjörnson, der aus dem Maschinenraum sprach und durch BSA mit der Kommandokan-
zel verbunden war, waren es acht Augen, die sich leicht erstaunt auf den kleinen Astrogator richteten. »Wie?« fragte der Kommandant. »Wir fliegen am Rand der Dunkelwolke entlang. Dunkelwolken sind gleichzusetzen mit interstellarer Materie. Die Randzone der Wolke besteht aus einem dichten Band von interstellarem Wasserstoff. In der Umgebung eines heißen Sternes, und einen solchen werden wir passieren müssen, besteht dieses Gas aus Protonen und Elektronen, es ist also vollständig ionisiert. Prallen wir im Hyperraum auf dieses Gasgemisch, das sich hier natürlich, nach Riemanns Berechnungen und deren Weiterführung, anders verhält, wird unser Schiff in Moleküle zerfetzt, trotz der Schutzschirme. Wir werden in genau acht Stunden ins normale Einstein-Kontinuum zurückkehren und dort mit Unterlichtgeschwindigkeit durch das Gas fliegen müssen. Gilt natürlich ebenso wie für uns auch für die OPHIUCHI und die AURIGA.« Halb erschöpft lehnte sich der kleine Astrogator z urück und musterte seine Freunde mit schwarzen Augen. »Das höre ich gern!« sagte Cliff. »Übernimm bitte die Benachrichtigungen, Helga!« Helga warf Cliff einen eigensinnigen Blick zu. »Bin ich Kommandant oder du?« fragte sie. Cliff seufzte tief und erwiderte: »Dein Charme ist heute wieder so weich wie eine Speerspitze. Ich bitte dich inständig darum, Kommandant Iswoshtschic und Commander Gascard zu benachrichtigen und ihnen die genauen Zeiten und Entfernungen anzugeben.« Helga wirbelte mit der Sitzschale ihres Sessels herum, als das Signal aufleuchtete, und während sie
schnell und sicher eine Serie von Schaltern betätigte, sagte sie halblaut: »Du bittest so nett, daß ich nicht widerstehen kann. Außerdem wird die ORION VIII per Hyperfunk angerufen.« »Bitte auf die Bordsprechanlage, Helga!« »Jawohl ... Achtung!« Die verborgenen, schweren Lautsprechereinheiten knackten. Dann lief der Text ab; er stammte von einem Band und wurde über eine Relaiskette übermittelt. »T.R.A.V. an ORION VIII ... unterwegs in besonderer Mission auf SCIENCE PATROL. Hier spricht Wamsler. Eine private Mitteilung an Oberst McLane: Wie ich soeben erfahre, ist das Boot Trash can als erstes im Jachthafen von Somerset eingelaufen. An Bord standen, strahlend und begeistert, Tamara und Commander Falpass. Falpass scheint nicht nur ein Meister im Navigieren zu sein. Der Siegespreis, der unter anderem im freundlichen Händedruck der Miß Jachtklub besteht, fällt natürlich an McLane. Seefahrt tut not, Cliff! Eine private Bemerkung Haha! ... gezeichnet Wamsler ... Ende.« Wieder knackten die Lautsprecher. Cliff saß etwa fünf Sekunden regungslos da, dann drehte er sich um. Er sah seine Freunde der Reihe nach an. »Ja«, sagte er nachdenklich, »das war wohl das Ende einer Affäre. Freut mich, daß es für alle Teile so glimpflich abgelaufen ist.« Tiefsinnig bemerkte Hasso vom Sichtschirm: »Daß sich das Mädchen so schnell mit diesem blonden Schönling getröstet hat, spricht an und für sich für Cliff.«
Atan versenkte sein Gesicht in den Schatten, der vor den Beobachtungsschirmen herrschte und murmelte: »Aber nicht für Leutnant Erster Klasse Jagellovsk.« Helga bemerkte spitz: »Schließlich hätte sie es auch schlimmer treffen können.« Cliff grinste die Funkerin an und nickte. Dann sagte er deutlich: »Sie hätte auch einen Heiratsantrag von Michael Spring-Brauner annehmen können, wie es gesprächsweise bereits bekannt geworden ist, nicht wahr, Helgamädchen?« Sie erwiderte: »Du Ekel!« Cliff warf einen Blick auf das Chronometer und knurrte: »Meine Zeit ist vorbei – ich werde unten noch etwas flirten und mich dann auf ein Ohr legen. Bitte hole mich, wenn wir auf die ersten Ausläufer des ionisierten Gases stoßen, ja?« »Selbstverständlich«, sagte der Astrogator. Cliff, der kein Freund von schnellen Siegen war, weil er wußte, daß das Opfer in diesem Fall mit der Absicht der Niederlage in den Kampf gegangen war, begann das mühselige Werk des Säens. Er erkundigte sich bei den Wissenschaftlern und besonders intensiv bei den Mädchen, ob ihnen etwas an der bordeigenen Bequemlichkeit fehle; er erhielt begeisterte Antworten. Etwas länger verweilte er bei einem schlanken Mädchen mit blaugefärbtem Haar, das er auf Range III vor mancherlei Gefahren zu retten beabsichtigte. Dann ging er in seine Kabine, legte sich hin und
schlief schnell ein. Sein Traum bestand im wesentlichen aus Sauriern, die pausenlos Tamara verfolgten, und er, Cliff, stand bis zu den Hüften im Sumpf und konnte niemanden retten. Es war ein böser Traum, und Cliff war froh, als er zehn Minuten vor Atans Signal erwachte. Die drei Schiffe befanden sich bereits im normalen Raum. Das Bild auf dem Zentralschirm gab ein Inferno aus Dunkelheit, wirbelndem Licht und einem merkwürdigen Halbdunkel wider. Cliff setzte sich vor die Steuerung und begann sich anzuschnallen. * Die ORION VIII, die OPHIUCHI und die AURIGA prallten auf die ersten Ausläufer des ionisierten Gases. »Hier McLane. Ich rufe Kommandant Iswoshtschic.« Cliff hatte sämtliche Schirme aktiviert, die ihm den umgebenden Weltraum zeigen konnten. Die Linsen des Zentralschirms waren in Fahrtrichtung justiert worden; Cliff sah das Bild, das ein Beobachter in der Kante des Diskusschiffes gehabt haben würde. »Hier, Cliff. Was ist los?« Cliff schaute hoch und blickte in das bleiche, ovale Gesicht des anderen Raumschiffskommandanten. Der Mann, fünfzig Jahre alt und hochdotiert, hatte sich während der letzten Bedrohung der Erde besonders hervorgetan und flog jetzt für das Projekt SCIENCE PATROL. »Um schnell und risikolos manövrieren zu können
– zwischen den Schiffen eine Lichtsekunde Abstand.« »Verstanden.« Cliff wiederholte die Anordnung, während die AURIGA zurückblieb und die ORION beschleunigte. Jetzt bestand genügend großer Abstand. Die ORION raste mit einer Geschwindigkeit von 299.700 Kilometern in der Sekunde, also knapp unterhalb der Lichtgeschwindigkeit, in den Ausläufer des ionisierten Wasserstoffs hinein. Dort, wo der Schutzschirm gegen die Ionen stieß, entbrannte ein funkensprühendes Feuerwerk; das Schiff schob eine Bugwelle aus Licht und Funken vor sich her. Wie zahllose kleine Schrotkörner donnerten die Partikeln gegen den Schirm. Vor dem Schiff, undeutlich hinter den Lichterscheinungen sichtbar, breitete sich die Front der Gasmassen aus, die sich aus der Dunkelwolke in den relativ leeren Raum zwischen den Sonnen schob. Rechts von den Schiffen schimmerte die stechende, intensive Helligkeit des heißen Sterns durch die Dunkelheit des Gases. Zugleich mit dem Ausbruch des Wasserstoffs breiteten sich starke, magnetische Linien aus, und der erste Stoß traf die ORION. Ruhig sagte Atan die Entfernung durch, und die beiden nachfolgenden Schiffe wichen aus. »Wie tief ist die gefährliche Zone, Atan?« fragte Cliff. Er steuerte das Schiff ohne die Hilfe des Digitalrechners, mit einem bewundernswerten Fingerspitzengefühl. Die ORION sprang von einer Magnetlinie zur anderen und berührte sie niemals im Zentrum, sondern dank Cliffs schneller Reaktion nur an den Randzonen. Trotzdem gingen schwere Erschütterungen durch die Schiffszelle.
»Neunhundert Lichtsekunden, Cliff«, gab Atan ruhig zurück. »Verdammt – das wird unsere Wissenschaftler einigermaßen irritieren«, stellte der Kommandant fest. Die drei Schiffe flogen jetzt nicht mehr in einer Linie hintereinander, sondern in einem ungeordneten Flugbild, durch das häufige Ausweichen gezwungen. Die Abstände betrugen inzwischen weitaus mehr als eine Lichtsekunde, und pausenlos wechselten sich Stöße, Lichterscheinungen, die die Schirme überlasteten und die Sicht raubten, Wirbel von ionisiertem Gas und die Eruptionen ab, die von dem Schiff ausgelöst wurden. »Warum fliegen wir eigentlich mitten durch diese Gefahr, Kommandant?« Es war die Stimme des blauhaarigen Mädchens, die durch die Bordsprechanlage kam. Cliff stellte die ORION relativ zu der Flugbahn hochkant und jagte zwischen zwei drohenden Wirbeln hindurch, schwang das Schiff wieder zurück, dann schob er den Beschleunigungshebel nach vom. Hasso, der im Maschinenraum die kostbaren Aggregate bewachte, sah einige Zeiger in die Höhe der Maximalbelastungen schnellen. »Weil ein Umweg aus zweierlei Gründen schlecht wäre«, sagte Cliff. »Warum?« »Jeder Umweg kostet Zeit, Energie und Geschwindigkeit. Wir haben drei Alternativen.« Bis auf Helga, die lediglich die Informationsübermittlung zwischen den drei Schiffen überwachte, hatten die Mitglieder der ORION-Crew genügend zu tun. Am meisten jedoch Atan und Cliff.
»Haben Sie Zeit, mir das zu erklären? Meine Kolleginnen und Kollegen können nicht weiterarbeiten, wegen der Erschütterungen, und langsam beginnt sich hier unten die Angst auszubreiten.« Mario grinste und sagte ins Mikrophon: »Wenn McLane wacht, wird der Kosmos friedlich. Kein Grund zur Aufregung!« Cliff zuckte die Achseln, dachte an das eigentümliche Kobaltblau des Haares der jungen Dame und erwiderte: »Wir könnten mitten durch den Wasserstoff fliegen und dabei das Schiff riskieren. Wir könnten in den freien Raum hinaus ausweichen, was uns einen Tag Flugzeit kosten würde. Und wir könnten im Hyperraum bleiben – in welch letzterem Falle wir bereits jetzt unter den Ahnen weilen würden. Zufrieden? Es dauert keine halbe Minute mehr!« »Danke, Commander!« Beim letzten Wort zuckte Cliff zusammen und lächelte schmerzlich. Offensichtlich berücksichtigte niemand, daß er jetzt »Kommandant« war und Oberst. Aber das alles würde auf Range III ohnehin nicht wichtig sein. Er riß die ORION durch die letzten Magnetlinien, fegte durch einen rotierenden Wirbel des ionisierten Gases und schwenkte geringfügig in die entgegengesetzte Richtung des Wasserstoffs ab. Vor ihm lag der freie Raum, neben ihm erstreckte sich eine riesige Wand quer durch das All – wenigstens sah es auf dem Schirm so aus. Die unbedingte Majestät dieses großartigen Bildes war für sein Schweigen verantwortlich. Er flog schon zu lange, als daß er diese Erscheinung als Wunder betrachtet hätte ... aber derartige Bilder faszinierten ihn stets aufs neue.
»McLane an AURIGA. Wir sind draußen, Partner!« Auf dem Sichtschirm erschien das bleiche Gesicht, und Iswoshtschic erwiderte: »Danke. Wir brechen eben durch.« »Verstanden. Wir gehen sofort wieder in den Hyperraum!« »Verstanden. Ende?« Cliff hob die Hand und winkte kurz. »Verstanden. Ende!« Die Lautsprecher knackten, das Schirmbild verschwand. Der zweite Schirm blieb in Betrieb, aber kein Bild war zu sehen. Cliff zog das Mikrophon näher an sich heran und wiederholte seine Durchsage: »McLane an OPHIUCHI. Wir sind durchgestoßen!« Schweigen ... Cliff drehte sich um, leicht beunruhigt, und dann sagte er zu Helga: »Sind deine Geräte intakt?« Helga nickte heftig. »Ja. Ich habe mitten in deinem Satz die Sendekapazität heraufgesetzt. Commander Gascard hätte es hören müssen.« Cliff wiederholte den Anruf ein drittesmal, dann spürte er die eisige Kälte zwischen den Schulterblättern. Wo blieb das dritte Schiff? »Wo ist die OPHIUCHI?« fragte Mario laut. »Vermutlich mitten in einem Magnetfeld«, sagte Atan. »Meine Schirme sind angesichts der Gasdichte ziemlich wirkungslos. Ich kann den Impuls des Schiffes nirgends entdecken.« Cliff handelte wortlos und vor allem blitzschnell. Er griff nach drei verschiedenen Hebeln, drehte an ih-
nen und zog sie dann in verschieden starker Geschwindigkeit zu sich heran. Die ORION kippte um neunzig Grad, ging dann in eine derart starke Rechtskurve, daß die Absorber aufwimmerten und Hasso laut »Vorsicht, Grenzwerte!« ausrief. Dann schoß der Diskus, dessen Hülle in verschiedenen Farben reflektierte, wieder in die Gaskonzentrationen hinein. Cliff begann zu überlegen: Wenn das Schiff von einem Magnetfeld erfaßt worden war, dann wurde es derart durchgerüttelt, daß die Zelle Eigenschwingungen entwickeln und sich dadurch zerstören konnte – bis auf den Raum im Zentrum, der kardanisch und schwingungsfrei aufgehängt und isoliert war. Sicher waren einige Verbindungen gerissen, und die Funkgeräte der OPHIUCHI waren ausgefallen. Oder ... es konnte mehr sein. Jedenfalls trieb das Schiff von der Wand der Dunkelwolke fort, in den Leerraum hinein. Cliff änderte die Richtung und verlangsamte den Flug. »Kommandant an Raumüberwachung: Sobald ein Signal eintrifft, bitte Meldung und Bildprojektion!« Atan gab zurück: »Astrogation an Kommandant: Verstanden.« Einige zehn Sekunden vergingen schleppend, und die Ungewißheit nahm zu. Sie schuf eine nervöse Unruhe unter den fünf Freunden. »Was mag Gascard angestellt haben?« fragte Cliff in die atemlose Stille hinein. Er bekam keine Antwort. Cliffs Finger zuckten in nervöser Erregung. Er starrte auf den Zentralschirm und auf die Farbstrukturen, die der runde dunkle Schirm zeigte; sein Gesichtsausdruck war gespannt. Schließlich fragte er stöhnend:
»Links oben, der Reflex ... Atan! Kann es die OPHIUCHI sein?« Scharf und laut erwiderte der Astrogator: »Ja! Das Schiff driftet schräg auf uns zu. Es wandert in einem starken Magnetfeld und kann offensichtlich nicht heraus!« Cliff drehte die ORION, beschleunigte kurz, aber stark und war vier Sekunden später eineinhalbtausend Kilometer von der OPHIUCHI entfernt. Atan schaltete eine Vergrößerung auf den Zentralschirm. Cliff sah genau, daß das Schiff auf dem Magnetfeld ritt wie ein kleines Rennboot auf den Wellen, die sich bei einer gewissen Grenzgeschwindigkeit in steinharte Formationen verwandelten, die gegen den Rumpf schlugen wie Hämmer. »Atan, Hasso! Wir schleppen das Schiff aus dem Magnetfeld heraus!« »Verstanden!« sagte der Astrogator. Sigbjörnson sagte ruhig: »Ich mache den Traktorstrahl fertig.« Die ORION fegte schnell bis dicht neben das Schiff, wurde von einigen Schlägen mittlerer Stärke getroffen und bremste dann solange ab, bis die beiden Schiffe mit gleicher Geschwindigkeit nebeneinander herflogen, nur achtzig Meter entfernt. Selbst die Bewegungen, denen das andere Schiff ausgesetzt war, machte die ORION mit. Dann zuckte der Traktorstrahl aus dem Projektor und heftete sich an den stählernen Diskuskörper. Cliff simulierte mit den Aggregaten einen Start, währenddem die Maschinen mit äußerster Kraft das Schiff langsam bewegten, und die OPHIUCHI löste sich meterweise aus dem Magnetfeld. Cliff setzte den Strahl in Bezug mit dem kineti-
schen Impuls des zweiten Schiffes, zog und zog ... wurde schneller, und dann lösten sich beide Schiffe. Sie rasten, durch den Traktorstrahl verbunden, mit ständig wachsender Geschwindigkeit der Grenze des Wasserstoffs entgegen, durchbrachen sie und befanden sich im freien Raum. Hinter ihnen blieben die glühenden, kreiselnden Farben zurück. Cliffs Stimme klang erschöpft und unsicher. »Versuchen wir es mit der Notwelle.« Helga sagte: »Bereits eingeschaltet. Ich verstärke!« Eine murmelnde Stimme kam aus den Lautsprechern, von der Statik des aktiven Gases fast unkenntlich gemacht. »... merken wir, daß Sie uns abschleppten ... ich betone: Die Antriebsmaschinen sind in Ordnung ... Verbindungen gerissen oder ... chgeschmort. Hören Sie uns, Cliff ... Lane ...?« Cliff brüllte erleichtert zurück: »Ich höre Sie. Verstehen Sie uns, Gascard?« Die Stimme aus dem Lautsprecher war etwas deutlicher, nicht aber wesentlich lauter. »Ich verstehe Sie, Cliff.« »Ausgezeichnet!« rief Cliff. »Starten Sie sofort, beschleunigen Sie und gehen Sie mit den bekannten Koordinaten wieder in den Hyperraum. In der Zwischenzeit reparieren Sie die Systeme der Funkanlage!« »Verstanden ...«, sagte Gascard. »Wir schaffen es!« Cliff atmete auf. »Das hätte schiefgehen können«, sagte er. Langsam näherten sich die drei Schiffe wieder der bisher eingenommenen Flugformation, wurden schneller und jagten der Lichtgeschwindigkeit entge-
gen. Dann verschwanden sie hintereinander, mit der ORION an der Spitze, im Hyperraum. Cliff räusperte sich und schaltete die Mikrophone auf Bordsprechanlage. »Meine Damen und Herren«, sagte er mit beruhigender Stimme, »es entzieht sich meiner Kenntnis, wie oft Sie schon im Raum waren und mit Schnellen Kreuzern geflogen sind. Wir haben soeben eine etwas kritische Flugpassage gehabt; sämtliche Gefahren haben sich zwischen als unbeträchtlich herausgestellt. Wir befinden uns wieder im Hyperraum, und in rund viermal vierundzwanzig Stunden werden wir unser Ziel erreicht haben. Ich bitte um Entschuldigung für die Aufregung, die der Zwischenfall verursacht hat, und verspreche Ihnen allen, daß Range III noch mehr von diesen Scherzen für uns aufgehoben hat. Danke.« Dann schaltete er die Bordsprechanlage aus und drehte seinen Sessel herum. »Freunde«, sagte er ruhig, »wir werden einen zweiten Zwischenfall dieser Art vermeiden.« Atan erklärte etwas mitgenommen: »Es hätte schlimmer ausgehen können, Cliff. Deine Manöver waren einigermaßen erstklassig.« »Danke, Atan«, sagte Cliff und grinste. »Eure Segenswünsche haben mich begleitet.« Helga und Mario standen auf und blieben in der Nähe des Lifts stehen. »Wir haben jetzt Freizeit!« erklärte der Chefkybernetiker fast drohend, »und jeden, der mich stört, werde ich auf Range III in einen Sumpf werfen.« Helga sagte laut: »Mit meiner tätigen Mithilfe.« Cliff winkte ihnen und bedeutete Hasso, von sei-
nen Maschinen zu lassen und in die Kommandokanzel zu kommen. Die drei Männer machten es sich bequem und unterhielten sich über die Probleme, die sie erwarteten, wenn der Planet Range III auf dem Schirm zu sehen war. Die drei Schiffe rasten dem Ziel entgegen. Die Männer wußten, daß sie von Sauriern erwartet wurden, von Flugechsen und tätigen Vulkanen. Was auf diesem Planeten noch auf sie wartete, ahnten sie nicht. Es sollte die Überraschung ihres bisherigen Lebens werden. * Cliff lag entspannt in dem Sessel, hatte die Beine auf das Instrumentenpaneel gelegt und dachte nach. Seine Gedanken beschäftigten sich mit den zahlreichen Arbeitsvorgängen, die nötig waren, um auf dem Urzeitplaneten eine Station zu errichten, in der rund dreißig Menschen leben und forschen konnten. Die Einzelteile lagen wohlverpackt in den Laderäumen der drei Schiffe. Ein Summer. Cliff kippte den Sessel nach vorn, warf einen langen Blick auf den schlafenden Hasso Sigbjörnson und den ebenfalls schlafenden Mario de Monti und zuckte wortlos die Schultern. Dann nahm er die Schaltungen vor, die mit dem Wiedereintritt des Schiffes in den Normalraum verbunden waren ... und sah die gelbe Sonne auf dem Schirm. Die Korona des Gestirns leuchtete diffus; stechend und grünlich weiß. Cliff verständigte sich schnell und leise mit den beiden
anderen Kommandanten und stand dann auf. Er ging zum Pult des Astrogators hinüber und schaltete die Schirme ein, erstellte eine Verbindung zum Digitalrechner und ließ sich die Werte geben, an denen sich die drei Planeten des Systems befanden. Er suchte etwa eine halbe Stunde lang nach dem dritten Planeten, fand ihn schließlich. Lautlos ging er zurück und jagte das Schiff in die Richtung der ermittelten Koordinaten. Die OPHIUCHI und die AURIGA folgten ihm. Der Planet tauchte auf. Die Schiffe flogen ihn an, die Sonne im Rücken. Der Planet kam als einziger Punkt aus dem Haufen der Sonnen hervor, veränderte seine indifferente Farbe langsam in ein Gemisch aus Weiß und Blau, die entstandene Scheibe wuchs und wurde schließlich plastisch. Wolken zeichneten sich als faserige, lange Strukturen ab, die einzelnen Ströme in den obersten Schichten der Atmosphäre bildeten spiralige Wirbel, und dazwischen lag das dunkle Braun des Landes, das kobaltene Blau der Meere. Sie waren ausgedehnt und flach, an einigen Stellen schwang das Blau in ein dunkles Grün über. Die Scheibe füllte schließlich den Zentralschirm aus, dann reichte diese riesige Fläche nicht mehr aus. »Schluß!« sagte Cliff entschlossen. »Den Rest kann ich nicht mehr allein erledigen.« Er schaltete den Summer in die Kabinen von Helga und Atan und drückte auf den großen Knopf. Dann lehnte er sich zurück und griff nach dem Mikrophon. Er erstellte eine Leitung zu den beiden anderen Schiffen und sagte: »Kommandant Iswoshtschic ... Commander Ga-
scard – ich bitte Sie, mit Ihren beiden Schiffen in einen Neunzig-Minuten-Orbit um Range III zu gehen. Die ORION wird versuchen, durch die Lufthülle nach unten vorzustoßen und einen Landeplatz zu finden. Wir dürfen keine Risiken eingehen. Verstanden?« »Klar!« »Verstanden!« Binnen Minuten war mit Hilfe von Kaffee und einem höheren Sauerstoffanteil der Atemluft die ORION-Crew topfit. Die fünf Freunde saßen an ihren Plätzen, während Cliff das Schiff nach unten steuerte, vorsichtig und ziemlich langsam. Er erinnerte sich noch sehr genau an eine seiner spektakulären Einflüge in eine turbulente Lufthülle, aufgrund derer er zur Raumpatrouille versetzt worden war. Langsam senkte sich der Diskus, überflog, ständig tiefer gehend, ein Drittel einer Hemisphäre. Während dieser Phase des Einfliegens testete Atan mit seinen Fernbeobachtungslinsen die Bodenstruktur des Planeten. »Halt!« sagte er plötzlich. Cliff sah überrascht zu ihm hinüber und bewegte die Steuerung. Das Schiff ging aus der Geraden in einen Kreis mit einem weiten Radius über. »Hier unter uns – ein ideales Gelände!« sagte der Astrogator. »Ich bin sicher!« Cliff starrte den Schirm an. Unter dem Schiff zeichnete sich ein riesiger, runder Sumpf ab, von einigen Wasseradern durchzogen. Nördlich dieses Sumpfes befand sich eine Bergkette, die von drei tätigen Vulkanen gebildet wurde. Südlich des Sumpfes, dort, wo das gesammelte Wasser in einem ausgedehnten Delta in eines der Meere floß, erhob sich eine massive Felsplatte. Sie war mit Bäu-
men bestanden, mehr konnte man von hier nicht erkennen. »In Ordnung«, erwiderte Cliff. »Sehen wir uns die Landschaft einmal unverbindlich an!« Die ORION VIII schwenkte noch einmal um dreißig Grad; aus der Kurve wurde eine Spirale. Die Geschwindigkeit nahm weiter ab, und die ersten Stöße eines Sturms trafen den Diskus und erschütterten ihn leicht. Gleichzeitig sank der Höhenmesser; das Schiff war noch eintausendfünfhundert Meter von der Oberfläche entfernt. Die fünf Mitglieder der Crew konnten bereits Einzelheiten erkennen – Atan schien die richtige Auswahl getroffen zu haben. »Ich versuche eine normale Landung auf der Sandfläche, dort, vorn links!« sagte Cliff und ließ das Schiff einen Kilometer durchsacken, fing es wieder und flog in einer Höhe von fünfhundert Meter auf die bezeichnete Stelle zu. Sie hob sich sichelförmig von der dunklen Umgebung ab. Jetzt sahen sie, daß es fast weißer Sand war. »Scheint ein guter Platz zu sein«, warf Mario ein. Das Schiff hing jetzt hundert Meter schräg vor der sichelförmigen Fläche in der Luft und erbebte unter dem Ansturm des starken Windes. Hin und wieder trieben die Fetzen des dunklen Rauchs vorbei, die von einem der Vulkane stammten. Die Sandfläche war von allen Seiten von Büschen umgeben, die in größerer Entfernung in Bäume übergingen. Cliff verschwendete keinen zweiten Blick auf die Art der Gewächse; das alles hatte Zeit. »Einverstanden!« sagte er. »Hier landen wir!« Helga stellte die Funkverbindung zu den anderen beiden Schiffen her.
»Die nächsten drei Tage werden wir mit dem Bau eines Schutzzaunes und mit der Errichtung des Lagers verbringen«, sagte Cliff. »Hiermit faßt das erste Kommando von SCIENCE PATROL Fuß auf Range III.« Zehn Meter über dem Sand, in der Mitte der freien Fläche, blieb die ORION VIII in der Luft schweben. Die Sandfläche maß von einem Ende zum anderen mehr als fünfhundert Meter, und die Breite an der breitesten Stelle betrug zweihundertfünfzig Meter. Dann ging Cliff nach unten, um die Expeditionskleidung anzuziehen und die Waffen einzustecken. Range III war ein gefährlicher Planet. Und – der Planet der Überraschungen.
3 Als sich sieben Tage nach dem Start die Grundplatte des Zentrallifts auf den weichen Sand senkte und die Schleusentür aufglitt, standen die drei Männer vor einem unbekannten, wilden und unbarmherzigen Kapitel der Schöpfungsgeschichte. Die Luft war hervorragend und atembar, von einem Geruch nach feuchten Pflanzen und Rauch durchzogen. Der Sturm warf die Männer nach einigen Schritten fast um, dann herrschte plötzlich absolute Windstille. Durch diese Stille drangen die Schreie von Sauriern und das dumpfe Grollen der Vulkane. Mit trockenen, knatternden Schlägen seiner ledrigen Flügel raste ein Flugsaurier dicht über das Schiff hinweg. »Ein Pteranodon!« sagte Mario de Monti. Die drei Männer trugen die enganliegende, silbergraue Expeditionskleidung mit den grellgelben Dreivierteljacken, dazu Handschuhe und schwere Waffen. »Das Sauriergeschrei klingt wie das von riesigen Elefanten«, warf Cliff ein. »Es kommt aus dem Sumpf von dort drüben.« Die Männer gingen langsam auf den Rand der Sandfläche zu. Sie konnten sich jetzt davon überzeugen, daß der Landeplatz wirklich den Notwendigkeiten entsprach – hier gab es Wasser und dank der Sandfläche eine relative Sicherheit vor Überfällen. Und sämtliche Formen der Geologie, Fauna und Flora befanden sich in unmittelbarer Nähe, mit Hilfe des Helikopters oder der beiden Expeditionsfahrzeuge schnell zu erreichen.
»Wir haben als Vorauskommando die Aufgabe, mit Hilfe der Roboter das Lager zu errichten«, sagte Cliff. »Ich bin aber dafür, zuerst den Zaun zu bauen.« Hasso lächelte. »Überall dort, wo Homo sapiens seinen Fuß hinsetzt, wird er zuerst seinen Besitz einzäunen.« Cliff blieb stehen und betrachtete das ausgedehnte Feld rotweißer Magnolien, das sich bis zu einer lebenden Mauer aus Weiden hinzog. »Wir bauen den Zaun deshalb, um nicht von einer kleinen Saurierherde überfallen zu werden, nicht aus dem von dir aufgeworfenen Grund.« Mario kratzte sich heftig im Nacken und murmelte: »Zwanzig Hütten aufstellen, Verbindungsstege, Antenne, Laboratorien ... das wird eine richtige Aufbauarbeit!« Als ob Range III diese Worte bekräftigen wollte, erschütterte ein langanhaltendes Krachen die Luft. Der Vulkan arbeitete; und ein klagender, trompetenähnlicher Saurierschrei folgte. »Los!« sagte Cliff. »Wir bauen den Zaun. Rund, Durchmesser einhundertzwanzig Meter!« Die Frachtluken des Schiffes öffneten sich. Atan Shubashi bugsierte die schweren Behälter heraus und lud sie auf dem Sand ab. Helga Legrelle kümmerte sich um die beiden Wissenschaftler und die fünf Mädchen, rüstete sie mit Kleidung und Waffen aus und ließ sich von ihnen über die Besonderheiten der Kreidezeit unterrichten. Cliff, Mario und Hasso rammten einen Pfahl in den Sand, befestigten eine Meßleine und fuhren mit dem kleinen Universalfahrzeug, das Atan ausgeladen hatte, einen Kreis. Mario und Hasso rammten die schweren, stark isolierten
Zaunpfähle ein. An den letzten wurde das dicke Kabel angeschlossen, und dann spannten sich, wie eine zwei Meter hohe Mauer, rot leuchtende Energiestrahlen von Stab zu Stab und umgaben den Lagerplatz. Die Roboter hatten inzwischen nach einem Netzplan die zwanzig halbdurchsichtigen Iglus ausgebreitet und schlossen die Preßluftflaschen an. Zischend jagte hochkomprimierte Luft in die Kammern und blähte die Zellen auf. Binnen Minuten entstanden praktisch aus dem Nichts zwanzig verschiedene Iglus, leicht gelb und mit einer Scheitelhöhe von vier Metern. Schnell und nach einem lange durchexerzierten Plan entstand die kleine Stadt. Roste zwischen den einzelnen Iglus wurden von den Maschinen gelegt und mit dem Boden der Behausungen verschraubt. Eine Stunde später war die Siedlung ein zusammenhängendes System, das nicht einmal ein Orkan hätte erschüttern können. Vom Schiff wurde eine zweite Stromleitung abgeworfen. Dann waren die Laderäume der ORION leer. Die beiden anderen Schiffe landeten, und in der Nähe der Umzäunung wurde ein Zwischenraum geöffnet. Die Inneneinrichtung der zwanzig Iglus wurde ausgeladen, Nahrungsmittelvorräte, die Werkzeuge und die Instrumente, zusätzlich Seile, Kisten, Waffen und Ausrüstungsgegenstände, der Helikopter, dessen sich die Robots bemächtigten, um die robuste, störungsanfällige Konstruktion zusammenzusetzen ... sieben Stunden später nahmen die Wissenschaftler die Siedlung in Beschlag. Cliff stand im Heck des Amphibienfahrzeugs und stemmte die Arme in die Seiten.
»Tadellos!« sagte er zu Hasso, der im Fahrersitz kauerte. »In Rekordzeit gearbeitet. Die Maschinen sind bis auf zwei wieder in den Schiffen, und das Lager kann für die zweite Expedition stehenbleiben.« Hinter ihnen schrie jemand – lang und gellend. »Cliff! Deckung!« Ohne nachzudenken, riß Cliff die Gasdruckwaffe heraus und hechtete aus dem Wagen, hinunter in den Sand. Er rollte sich ab, überschlug sich und blieb auf dem Rücken liegen. Zwei Meter über ihm schlug der lange, spitze Schnabel eines Pteranodons zusammen; ein klapperndes, häßliches Geräusch. Die Waffe warf krachend drei der vergifteten Nadeln aus, und der Flugsaurier kippte über einen Flügel ab. Die zweite Echse stürzte sich flügelschlagend und mit vorgestreckten Krallen, den hammerförmigen Kopf schräg vorgestreckt, auf Hasso Sigbjörnson. Der Ingenieur ließ sich aus dem Fahrzeug fallen und kroch zwischen die breiten Vorderräder. Cliff sprang auf und warf die nutzlose Gasdruckwaffe weg, riß die HM 4 hervor und gab in schneller Reihenfolge drei Schüsse ab. Das Pteranodon brach über dem Allzweckfahrzeug zusammen. Der andere Flugsaurier schlug mit den Schwingen, raste über den Sand davon und warf Sandfontänen hoch. Zwischen dem Wagen und dem letzten Iglu lief der Saurier schwerfällig davon, knickte zusammen und richtete sich wieder auf. Cliff winkelte den linken Arm ab, legte den schlanken Schaft der Waffe darauf und zielte sorgfältig. Dann setzte er die Strahlwaffe wieder ab. Der Flugsaurier taumelte auf die roten Strahlen des
energetischen Zaunes zu, machte einen zweiten, verzweifelten Startversuch und fiel mitten in das Energiegitter. Mit einer Serie krachender, funkenzischender Entladungen trat das Sperrsystem in Tätigkeit. Der Saurier brach zusammen. Explosionen zerfetzten die Lederhaut und das Knochengerüst der Schwingen, von dem hornigen Schnabel stieg eine übelriechende Rauchwolke auf. Minuten später waren nur noch Teile des ausgeglühten Skeletts zu sehen. Hasso kroch unter dem Wagen hervor, und Cliff blieb stehen. »Wir brauchen noch ein Schutzgitter über der Siedlung!« murmelte Hasso und schüttelte den Sand aus seinem weißen Haar. »Technisch zu aufwendig. Was wir benötigen, ist größere Aufmerksamkeit«, sagte Cliff. »Immer – jederzeit.« Langsam beruhigten sich die wenigen Besatzungsmitglieder und die Wissenschaftler wieder. Sie hatten gesehen, daß sie gegen Angriffe und Überfälle vom Land her geschützt waren, daß aber die Luft das Medium der Flugsaurier war. Vielleicht nützte dieser Überfall. Helga kam über den Sand gelaufen und sagte atemlos: »Ich sah die beiden Echsen erst viel zu spät. Sie sind hervorragende Flieger.« Cliff legte einen Arm um ihre Schultern und murmelte: »Du hast vermutlich das Leben von zwei Mann der ORION-Crew gerettet, Helgamädchen. Werden wir dir jemals zur Genüge danken können?« »Kaum«, sagte Helga. Langsam wurde es Nacht.
Die Landschaft, von der das Lager umgeben war, sickerte langsam in das Bewußtsein der Menschen ein. Der Geruch: Feucht und stark nach Pflanzen, nach Wasser und dem feinen Rauch ausgeglühten Erdreichs, brennender Bäume, die irgendwo jenseits des riesigen Moores in Asche versunken waren. Die Laute: Das vielstimmige Konzert, das aus riesigen Blasinstrumenten zu kommen schien – die trompetenden Rufe der großen Echsen. Stöhnen, Knurren, Kreischen. Das Knacken der Bäume, die unter den Tritten der Riesen zerbarsten, und das Hämmern der schweren Regentropfen auf die breiten Blätter. Plätschern von Wasser. Der harte, unverwechselbare Flügelschlag der Raubsaurier mit den hammerähnlichen Köpfen – das alles vermischte sich zu einem Eindruck, der einmalig war. In den Iglus flammten die Scheinwerfer auf. Je zwei Mann schliefen und wohnten, arbeiteten und katalogisierten in jeweils einem Iglu, und vier der nichtbewohnten gehörten zu den Labors und der Küche. Von Westen zog Nebel heran, und über dem Nebel breitete sich eine dichte Wolkendecke aus. Cliff stand mit den beiden anderen Kommandanten in einer Gruppe zusammen, unter seinem Schiff. Die Landescheinwerfer rissen eine kreisförmige Zone der Sandfläche aus der Dunkelheit. »So« sagte Commander Gascard zutiefst befriedigt, »die Aufbauarbeit ist abgeschlossen. Wie sehen Ihre Pläne aus, Cliff?« Cliff betrachtete die Leuchtziffern seiner schweren Pilotenuhr. »Zuerst eine konzentrierte Nachtruhe. Morgen früh werden wir drei Gruppen bilden. Sie sollen mit dem
Programm anfangen, das die Wissenschaftler während des Fluges entwickelt haben. Eine Gruppe sammelt Proben der Gewächse und fertigt Photoserien an. Die zweite versucht, das ökologische System zu erforschen, und die dritte beschäftigt sich mit der Fauna.« Iswoshtschic bohrte die Hände in die Taschen der leuchtenden Jacke und brummte: »Das bedeutet, daß die OPHIUCHI und die AURIGA auf diesem Planeten überflüssig sind, nicht wahr?« Cliff nickte grinsend. »Auf diesem Planeten, aber nicht über diesem Planeten. Ich bitte Sie beide, jetzt zu starten und in den Raum hinauszufliegen. SCIENCE PATROL soll genaueste Karten von Range III anfertigen, sowie von den anderen beiden Planeten. Wir brauchen die Karten für vergleichende Forschungen. Und wenn Sie jetzt mit Ihren Mannen starten, dann erleichtern Sie meine Aufgabe.« Gascard sagte: »Zu viele Leute, nicht wahr?« Cliff stimmte zu. »Ja. Ich muß auf zehn Leute weniger aufpassen. Gleichzeitig erfüllen diese zehn eine nützliche Aufgabe.« »Einverstanden«, sagte Commander Gascard. »Wie lange dürfen wir brauchen?« Cliff breitete die Arme aus und sagte: »Ich schlage vor, wir bleiben erst einmal einen vollen Monat hier. Vielleicht ergibt sich etwas, so daß wir früher starten oder länger bleiben müssen; ich weiß es nicht. Lassen Sie sich bitte reichlich Zeit.«
»Gut. Ich starte jetzt!« sagte Gascard. Er würde diesen Planeten mit den Bordkameras in Zehntausende von Einzelbildern zerlegen. Kommandant Iswoshtschic übernahm die Luftaufnahmen der Planeten Range I und II. Die Männer schüttelten sich die Hände, und die Kommandanten riefen mit der Startsirene ihre Mannschaft an Bord. Cliff sah zu, wie die Schiffe mit leeren Laderäumen lautlos starteten, sich durch den Nebel bewegten und die Wolkendecke durchstießen. Dann waren sie unsichtbar, nur durch Bildfunk zu erreichen. Atan Shubashi kam aus dem Schiff und blieb neben dem Kommandanten stehen. »Ich habe über die Rundsprechanlage durchgesagt, daß nachts absolute Ausgangssperre besteht. Wegen der Flugsaurier.« Cliff schlug ihm auf die Schulter und erwiderte: »Daran hatte ich nicht gedacht. Ich schlage vor, wir setzen uns jetzt in einen der größeren Iglus und essen mit den Wissenschaftlern zusammen.« Atan ließ seinen Blick über die von innen heraus schimmernden Halbkugeln gehen und meinte versonnen: »Besser mit den Wissenschaftlerinnen, Kommandant.« »Auch gut.« Die Crew versammelte sich in einem der großen Iglus, die fast zwanzig Mann fassen konnten. Von der fast vollrobotischen Küche führte ein rechteckiger, überdachter Gang mit zwei Transportbändern hierher. Bequeme, aber leichte Sessel und runde Tische standen unter den an langen Kabeln hängenden
Lampen. Eine zentrale Klimaanlage, deren Luft durch Plastikrohre mit großem Durchmesser geleitet wurde, versorgte die Iglus, die ausnahmslos Temperaturschleusen aus Plastiktüren besaßen. Ruhe senkte sich über das Lager. Zwanzig Mädchen und Männer der wissenschaftlichen Abteilung und die Crew der ORION befanden sich allein auf dem Planeten. Allein? * Das Amphibienfahrzeug lief auf sechs breiten Niederdruckreifen, die gleichzeitig genügend Auftrieb erzeugten, um sechs Mann Besatzung transportieren zu können. Ein kleiner Atomreaktor versorgte die sechs unabhängigen Motoren. Das Fahrzeug war von einem Plastikaufbau abgeschlossen, aber von beiden Seiten leicht zugänglich. Mario de Monti saß an der einfachen Steuerung, neben ihm kauerte Cliff, eine schwere Saurierbüchse im Arm. Die Gasdruckwaffe steckte in der Lederhülle, und die HM 4 im verdeckten Futteral an der Hüfte. Zwei Biologen und deren Assistentinnen saßen auf den kleinen Hecksitzen des Wagens. »Wir fahren erst einmal eine Weile entlang des Sumpfes«, sagte Mario und trat den Beschleunigungshebel durch. Das helle Summen der sechs Motoren wurde von den Geräuschen der Umgebung geschluckt. »Einverstanden«, sagte Cliff. Der Planet drehte sich, wie die Erde, in ziemlich genau vierundzwanzig Stunden und hatte augen-
blicklich einen Vierzehn-Stunden-Tag; gleich nach der ersten Helligkeit hatte die erste Gruppe gefrühstückt und war aufgebrochen. Atan und Helga blieben im Lager und bewachten es. Hinter den Bäumen breitete sich die stechende Helligkeit der Sonne aus, aber noch war das Gestirn nicht zu sehen. »Ich übernehme die Kamera«, sagte das junge Mädchen mit dem blauen Haar, und Cliff gab ihr das schwere Gerät mit den Filmkassetten. »Wenn Sie etwas brauchen, Doktor Spacor, sagen Sie es nur ruhig. Ich schieße Ihnen dann ein paar Saurier.« Der Biologe nickte und deutete auf seinen Instrumentenkasten. »Fangen wir klein an. Erlegen Sie mir einen Camptosaurus, ein guterhaltenes Exemplar.« Mario jagte den Wagen rücksichtslos und sehr souverän durch kleine Sandflächen, über Platten bloßliegenden Gerölls hinweg und durch schmale Rinnsale. Er umfuhr eine Pfütze und ratterte mit den breiten Profilen durch die Büsche der blühenden Magnolien. Langsam ging der niedrige Bewuchs in Ginkgobäume über, die zwischen kleinen Inseln aus Eichen standen. Von links kam ein röhrender Schrei, und das blauhaarige Mädchen zuckte zusammen. Cliff drehte sich um und entsicherte die schwere Büchse. »Louveena«, sagte er und sah ihr in die Augen. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Jeder von uns hat genügend Waffen, um eine Herde von Sauriern in die Flucht zu schlagen. Filmen Sie ruhig, auch wenn einer der sechzig Tonnen schweren Dinosaurier aus dem Sumpf klettert.«
»Ich versuche mein Bestes«, sagte sie und lächelte Cliff unsicher an. Der Kommandant drehte sich um und suchte die Büsche und den Boden zwischen den Ginkgostämmen ab. Er sah einen Schwarm der winzigen Compsognathi, die Nester von Archäopteryxen plünderten. Kleine, rote Tiere, die wie Spielzeugsaurier aussahen und sich blitzschnell bewegten, wie Eidechsen. Jenseits des Sumpfes wuchs eine Rauchwolke pilzförmig in die Luft, und weiße Wolken begannen sich zu bilden. In der Nähe des Vulkans ging ein Regenschauer nieder, und der Rauch vermischte sich mit den schwarzen Wolken. Das bekannte Grollen ertönte. »Links von dir, Cliff – ein Camptosaurus!« stieß Mario hervor und drehte den Wagen fast auf der Stelle. Cliff hielt die Saurierbüchse quer über den Knien und hob die Gasdruckwaffe. Die Menge des Giftes mußte genügen, den kleinen Pflanzenfresser nachhaltig zu betäuben. Er zielte sorgfältig, während der Saurier neugierig näherkam. Diese Menschen waren die ersten, die einen lebenden Saurier sahen. Ein Tier, von der Spitze des langen Schwanzes bis zu den Schneidezähnen des kleinen Kopfes etwa drei Meter lang und dunkelblau, fast metallisch schimmernd, mit einem hellgrünen Bauch. Es lief auf zwei starken Hinterbeinen, balancierte mit dem Schwanz und wiegte den Kopf mißtrauisch hin und her. Louveena murmelte: »Ich habe ihn im Sucher.« Die Kamera begann leise zu surren. Auf Spezial-
film wurden dreidimensionale Abbildungen des Tieres erzeugt. Doktor Spacor deutete auf den Saurier, der mit pendelndem Kopf vorsichtig die Menschen ansah und nichts zu begreifen schien, wieder mit zwei zögernden Schritten näher kam und nur noch fünf Meter von der Seite des Fahrzeugs stehenblieb. »Die Fluchtdistanz ist praktisch nicht vorhanden. Er würde sich streicheln lassen!« flüsterte Spacor. »Das würde ich bleibenlassen«, sagte Cliff, visierte kurz und schoß dem Tier zwei der Lähmungsnadeln in den Hals. Der Saurier zuckte kurz und starrte Cliff an. Dann zwinkerten die kleinen Augen, in einer letzten, verzweifelten Zuckung schwang der lange Schwanz wie eine Peitsche herum und pfiff dicht vor dem Wagen vorbei. Mit dem Luftzug kam ein Geruch nach Aas heran, dann kippte der kleine Saurier langsam um, bewegte rasend schnell die kleinen Vorderfüße und lag dann still da. »Das erste Opfer der Wissenschaft«, sagte Cliff und schwang sich aus dem Wagen. »Danke«, erwiderte Spacor und öffnete seinen Kasten. Er enthielt eine Serie chirurgischer Instrumente. Mit schnellen, sicheren Bewegungen tötete der Biologe das Tier und begann mit der Untersuchung. Louveena nahm eine Serie von Einzelbildern auf. Cliff dachte an die beiden Flugechsen und schob die Sonnenbrille vor die Augen. »Mario! Die Büchse!« Die Mädchen assistierten den beiden Wissenschaftlern, und Cliff und Mario gingen langsam um den Wagen herum. Sie suchten die Umgebung ab,
starrten in den Himmel, der von einem verblüffend intensiven und klaren Blau war, über das Wolken von einem nie gesehenen Weiß zogen. Jedes Geräusch wurde von den beiden Männern registriert, und sie machten den Versuch, es einzustufen. »Es ist direkt aufdringlich: Hier herrscht die Natur. Wild und unbarmherzig. Es ist eine gewalttätige Welt, Cliff!« Cliff, der nach Süden blickte und die entsicherte Büchse in den Händen hielt, erwiderte langsam: »Für uns alle ist dieser Eindruck einmalig. Wir kennen die Erde, die der Mensch so verändert hat, daß sie sich von der früheren Form entfernt hat. Wir kennen ferner eine Menge anderer Planeten, die aber geschichtlich älter sind als Range III. Es ist die Unmittelbarkeit, die uns erschreckt. Versuche einmal, dir vorzustellen, was wir für eine Art Leben hier führen müßten, wenn wir hier notlanden und auf ein anderes Schiff warten müßten. Jahrelang. Es würde uns zu einem Bestandteil dieses wilden Planeten werden lassen.« Mario hob den Kopf und begann, die Luft scharf und schnell einzuziehen. »Was riecht hier so?« Langsam drehte er sich herum. »Verstehe«, sagte er dann. »Die Männer und Frauen der Wissenschaft zerlegen ihren Fund. Es riecht nach Blut!« Blut! Cliff hob langsam die Waffe. »Vorsicht«, sagte er leise und wachsam. »Blutgeruch lockt an. Keiner von uns weiß, wen oder was es anlocken wird. Wir haben die Verantwortung – versuche einen Angriff zu ahnen, bevor er beginnt.«
Die Männer setzten schweigend und lautlos die Runden um die Gruppe der Wissenschaftler und den Amphibienwagen fort. Sie suchten mit den Augen das Moor ab, spähten zwischen die Eichenstämme und versuchten, die rotweiße Flut der Magnolien zu durchdringen. Sie betrachteten die Kronen der Ginkgos, der Eichen und die herunterhängenden Schnüre der Weiden. Die sechs Personen wurden bleich vor Schreck, als der Saurier zu trompeten begann. Cliff wirbelte herum und riß die Waffe an die Schulter. »Halt!« schrie er aus vollen Lungen. »Nicht weglaufen! Stehenbleiben!« Donnernd löste sich ein Schuß. Das Geschoß riß eine blutige Spur in dem Hals des Sauriers, dessen Kopf zwischen den Eichen auftauchte. Das Tier mußte sich, vom Blutgeruch angelockt, lautlos genähert haben. »Ein Tyrannosaurus!« rief Mario und feuerte ebenfalls. Tyrannosaurus rex, der König der Saurier, stampfte heran. Er bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr vierzig Stundenkilometern. Sechs Meter hoch und rund fünfzehn Meter lang, mit zwei lächerlichen Vorderbeinchen und zwei gewaltigen Hinterbeinen, einem wuchtigen Schwanz und mattblau ... und einem furchterregenden Kopf. Er stieß einen heiseren, röchelnden Schrei aus, der wie eine Reihe von Explosionen klang und stürmte heran. »Mario! Schnell!« schrie Cliff. Die beiden Mädchen und die Forscher griffen zu den Strahlwaffen.
Der Kopf sah aus wie Basalt, mit kleinen, runden Mustern. Zwei rotunterlaufene Augen starrten mit dem Ausdruck äußerster Wildheit jene Wesen an, die es wagten, sich zwischen die Nahrung und das Tier zu stellen. Ein metertiefer Rachen, in dem Reihen messerscharfer Zähne zu sehen waren, wurde aufgerissen, und eine breite Zunge bewegte sich. Erneut schoß Cliff. Er traf mit dem schweren Explosivgeschoß den Saurier im Kopf. Zwischen den Augen entstand eine häßliche Wunde, aber der Saurier schüttelte nur den Kopf und kam näher. Fünfzig Meter – Cliff feuerte wieder. Rauchend sprangen die schweren Hülsen aus der Kammer und zischten, als sie auf den Boden trafen. Mario de Monti zielte ruhig und schoß zweimal hintereinander. Mit einem kreischenden Ton jaulte ein Querschläger von einem zersplitterten Zahn ab, der zweite Schuß verletzte das Tier im Rachen. Es schrie abermals auf und donnerte auf die Gruppe um den Kadaver des Camptosaurus zu. Cliff fiel siedendheiß ein, daß ein Saurierhirn keine hundert Gramm wog und für die Motorik des Tieres fast ohne Belang war. »Mario!« schrie er. »Rückenmark! Ein Knoten. Auf die Wirbelsäule zielen!« Er schoß gleichzeitig. In der Lendenwirbelsäule des Sauriers lag ein vergrößerter Nervenknoten, der mehr als zwanzigmal so groß war wie das Hirn. Er leitete die Bewegungen des Tieres – das galt für fast alle Saurier dieses Zeitalters. Zwanzig Meter! Jetzt feuerten die Wissenschaftler wahllos mit den Gasdruckwaffen. Die Bahnen der HM 4 kreuzten sich
und trafen. Dann rissen zwei kleine Explosionen Teile des Rückgrats weg, und ein dritter Schuß von Mario traf den Nervenknoten. Der Saurier stoppte mitten in der Bewegung – sein furchtbarer Schädel krachte einen Meter neben der Forschergruppe in das Gebüsch. Ein furchtbarer Geruch nach Aas und Verwesung schlug über den Mädchen und Männern zusammen. Louveena sprang, die Gasdruckwaffe fallenlassend, zurück. Cliff schwenkte die heißgeschossenen Läufe und wischte sich mit zitternden Fingern den Schweiß von der Stirn. »Wir haben mehr Glück als Verstand gehabt.« Durch den gewaltigen blauen Körper ging ein kurzes Zittern, und eine der mächtigen Klauen riß eine tiefe Furche in den Boden. Plötzlich waren, aus zahllosen Verstecken hervorkommend, Scharen von Compsognathi. Sie versammelten sich um den Körper des toten Sauriers. Mario hielt eines der Mädchen im Arm und redete tröstend auf sie ein. Dabei verbrannte er sich einen Finger an dem heißen Metall der schweren Waffe. »Kommandant – das war knapp!« sagte Spacor, noch immer bleich und mehr als aufgeregt. Cliff McLane nickte wortlos und starrte den Kadaver des Sauriers an. Dann lehnte er sich an den Wagen und versuchte, durch tiefes Atmen und Konzentration seine Nervosität zu besiegen. »Sehen Sie zu, Doktor«, sagte er, »daß Sie Ihre Versuche schnell beenden können. Es wird hier in wenigen Minuten von Scharen von Flugechsen wimmeln. Sie werden den Kadaver in Stücke hacken, und uns
dazu, wenn wir noch da sind.« »Verstanden, Kommandant!« sagte der Biologe und fuhr fort, den kleinen Saurier zu präparieren. Louveena filmte den toten Riesensaurier, und sie sah erst auf, als sie feststellte, daß die Einstellung der Blende nicht mehr stimmte. Das Wetter hatte sich in den letzten Minuten geändert. Jetzt schob sich zwischen die Sonne und die Menschengruppe rund um das Fahrzeug eine schwarze, tellerförmige Wolkenwand. Schräge Linien deuteten an, daß eine Regenwand auf die Gruppe zukam. Ein Windstoß rüttelte an den Bäumen, und plötzlich brachte die Dunkelheit den starken Eindruck lauernder Gefahr mit sich. Die Szene veränderte sich. »Schnell!« knurrte Mario. »Machen wir, daß wir hier wegkommen. Tote Saurier und Regen!« Ruhig gab Cliff zurück: »Warten wir, bis Spacor fertig ist.« Wie ein Vorhang rauschte die Wand aus Regen heran. Sie war schwarz, ließ sämtliche Pflanzen erzittern und brachte Dunkelheit mit sich. Es wurde kälter. Von den Blättern rann das Wasser, sammelte sich und lief in kleinen Bächen die schräge Fläche hinunter. Innerhalb weniger Minuten lag der Körper des Tyrannosaurus rex in einer Wasserlache. Die Terraner flüchteten sich in den Wagen. Der trommelnde Regen vergrößerte das Gefühl des Unheimlichen, Drohenden, das sie alle im Griff hielt. Der Streifen aus Regen und Dunkelheit zog heran, verweilte kurz über der Gruppe und verwandelte die nächste Umgebung in Nebel aus spritzendem Wasser. Ein Blitz zuckte herunter, spaltete einen Baum und setzte ihn in
Flammen. Der wütende Regen löschte die entstehenden Brände wieder, dann rauschte der Regen weiter, verwandelte das Lager für Minuten in eine Fläche aufgewühlten Wassers, unterspülte die Roste und wusch die Vulkanasche von den Iglus. Er brach sich auf der glatten Oberfläche des Raumschiffes. Sekunden später erschien ein prächtiger Regenbogen, dann ein zweiter, und die Sonne schob sich wieder hinter der Wolke hervor. Die Landschaft begann augenblicklich zu dampfen. Nebel erhob sich und wurde von dem Sturm mitgerissen. Das Wasser glänzte hell auf den Jacken der sechs Terraner, die jetzt langsam wieder aus dem Amphibienfahrzeug kletterten. »Donnerwetter!« sagte Mario. »Ein heftiger Planet.« Spacor suchte mühsam seine Instrumente zusammen und arbeitete weiter. »Und das geht seit Tausenden von Jahren so – jeden Tag. Ununterbrochen!« murmelte der Biologe. Cliff lud die Büchse nach und strich das Wasser aus dem Haar, dann schob er die Munitionsbehälter wieder in das wasserdichte Fach unter dem Armaturenbrett. »Wie lange brauchen Sie noch, Doc?« fragte er. »Etwa eine Stunde«, erwiderte Spacor. Cliff überlegte: Von hier oben, einem kleinen Hügel, waren es nicht mehr als drei Kilometer bis zum Sumpf und etwa die Hälfte der Strecke bis zum Ufer des Flusses. Wenn Mario hier aufpaßte, konnte er, Cliff, sich inzwischen dort umsehen. Außerdem ... »Mario?« Der breitschultrige Chefkybernetiker schob mit dem Daumen den Sicherungsflügel der Waffe herum und sah auf.
»Ja?« »Ich nehme Louveena mit und filme einen Uferstreifen. Bin in einer halben Stunde wieder hier, außerdem haben wir die Armbandfunkgeräte. Kannst du hier aufpassen?« Marios Lachen war voller Verständnis. »In Ordnung, Chef«, sagte er. »Ich bleibe hier.« Er deutete auf den toten Riesensaurier und knurrte grimmig: »Dieses Exemplar hielt nicht viel von Fluchtdistanz. Es hätte sich auch wohl kaum streicheln lassen.« Cliff winkte dem blauhaarigen Mädchen und schwang sich hinter die Steuerung. Der Wagen ruckte an, umrundete den Saurier und schoß zwischen einigen Ginkgostämmen hindurch. Weidenzweige peitschten die Frontscheibe und das Dach. Cliff steuerte vorsichtig und fuhr ziemlich schnell. Es ging über Moos und Gräser, die aussahen wie winzige Palmen; echte Gräser waren hier keine zu sehen. Das Mädchen bedachte Cliff mit einem eigenartigen Blick und fragte schließlich: »Was haben Sie vor, Kommandant?« Cliff erwiderte, indem er einem blaßroten Felsen auswich, der hier mitten im Abhang stand und nicht bewachsen war: »Mehr oder weniger systematisch die Umgebung des Lagers abzufahren und auf Film zu bekommen. Ich baue vor. Irgendwann wird eine zweite Gruppe hier auftauchen; sie soll bereits besser Bescheid wissen als wir. Sie können mir dabei helfen.« Cliff bremste ab, als er eine Insel aus Grün erreichte – eine Zusammenstellung von fast sämtlichen Ge-
wächsen, die er bisher gesehen hatte. Hinter dem runden, unregelmäßig kuppelförmig aussehenden Wäldchen verlief der Arm des Flusses, an seinem Rand sah Cliff Steine, Kiesel und Sand, durchzogen von Magnolien und großen Farnwedeln. Faulende Stämme waren angeschwemmt worden und boten Nährboden für winzige Zwergpalmen. »Ich kann Ihnen helfen?« Cliff trat hart in die Bremse; Wirbelströme faßten die Scheiben der vier Räder und hielten sie im Magnetfeld an. »Natürlich. Sie haben die Kamera.« Sie sah ihn etwas verwirrt an. »Klettern Sie bitte auf das Dach des Wagens und filmen Sie einen Rundblick. Von hier aus hat man eine relativ gute Sicht. Ich hebe Sie hinauf.« Mit unverkennbarer Ironie gab sie zurück: »Ich habe nur schon immer gewünscht, auf das Niveau von Raumfahrern emporgehoben zu werden.« Cliff nahm ihr die Kamera ab und deutete auf die Griffe in der Plastikschale. Sie lachten sich an, dann stand das Mädchen auf dem Dach des Wagens. Cliff warf ihr vorsichtig die schwere Kamera hinauf, dann entsicherte er sein Gewehr und sah sich wachsam um. Die Kamera surrte. »Soll ich den Saurier auch filmen?« fragte Louveena laut. Cliff zuckte zusammen und richtete sich auf. »Wo ist ein Saurier? Greift er an?« »Geradeaus – hinter dem Wäldchen!« Cliff drehte sich herum und versuchte, zwischen den Stämmen hindurchzusehen. Er ging einige Meter
nach rechts und sah, was Louveena meinte. Der turmhohe Hals mit dem winzigen Kopf wippte auf und nieder, wie eine dicke, graublaue Schlange. Die Entfernung zwischen dem Wagen und dem Saurier betrug mehr als fünfhundert Meter, und Cliff versuchte sich an die Theorien zu erinnern, die er zusammen mit den Biologen an Bord gewälzt hatte. Jener Saurier dort war ein Dinosaurier, eine Echse im Gewicht von mehr als zehn terranischen Elefanten. Ein Pflanzenfresser. »Nein, er greift nicht an«, sagte Louveena. »Sind Sie fertig mit dem Rundblick?« »Ja«, sagte sie und schaltete die Kamera ab. Cliff nahm den Apparat in Empfang und half ihr vom Dach herunter, dann setzte er den Wagen wieder in Bewegung. Er steuerte links am Rand des Wäldchens entlang und erreichte den sandigen Uferstreifen. Jetzt konnte er die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ausnützen; die Ballonreifen mit dem tiefen Profil griffen gut und rissen den Wagen vorwärts. Der Dinosaurier reckte seinen Hals hoch, bog ihn ab und beäugte den seltsamen Eindringling. Dann pfiff der Schwanz durch die Luft und klatschte in den Morast der geschwungenen Uferbucht. Ein Säulenbein hob sich, dann das zweite, schließlich rannte der Saurier neben dem Wagen her, durch hundert Meter Entfernung und die Breite des Flusses getrennt. Cliff sah auf den Geschwindigkeitsmesser und bemerkte: »Die Dinosaurier werden rund fünfzig Stundenkilometer schnell. Vermutlich wird die Untersuchung von Spacor ergeben, daß einige Arten Warmblüter sind und ein Vierkammerherz haben.« Er bremste kurz, hob die Büchse und schoß kurz
vor dem Saurier ins Wasser. Eine spitze Fontäne brach hoch, und der kleine Schädel stieß ins Wasser hinunter. Das Tier war leicht abzulenken. Cliff schoß ein Stück weiter flußaufwärts ins Wasser, dann noch etwas weiter entfernt, und das riesige Tier suchte an den Stellen, an denen sich das Wasser bewegt hatte. Der wuchtige Körper drehte sich, wühlte das Wasser auf, und ein vierter Schuß lenkte den Saurier endgültig ab. Er verschwand trompetend flußaufwärts. »Kein Hirn«, stellte Cliff fest, »und viel Muskeln.« »Danke«, erwiderte Louveena. »Ich finde die Tiere trotzdem recht possierlich. Sie sollten nur nicht so wild sein wie der Tyrannosaurus.« Cliff sah sie ernst an und erwiderte langsam: »Auf diesem Planeten ist alles gefährlich. Unter Umständen sind wir nicht einmal im Lager sicher.« Der Wagen fuhr jetzt nach Norden. Aus dem Geröll und den Felsen am Ufer wurde ein flacher Streifen, der aus Sand und winzigen Pflanzen bestand. Kleine Tiere flohen vor den breiten Rädern. Cliff erhöhte die Geschwindigkeit und sah sich ständig um. Nichts, was er erkennen konnte, war grundsätzlich neu oder sah aus, als ob es gefährlich werden konnte: Wolken, die Pinie des Vulkans, weit entfernte Spuren von Regen, einzelne Saurier oder einige Flugechsen, die merkwürdigerweise nicht angriffen. Es war fast verdächtig still und ohne Aufregungen. »Was ist dort?« fragte Cliff laut. Er bewegte die Steuerung und kurvte hart ans Wasser heran. Es war klar und sehr bewegt, obwohl es hier durch einen Sumpf floß. Mitten auf einem runden Sandfleck lag etwas Weißes, Schimmerndes.
Irgendwie paßte es nicht zu dem Eindruck der Landschaft. Cliff riß den Wagen herum und bremste so hart ab, daß er und das Mädchen fast gegen die Frontscheibe prallten. »Trainieren Sie für Sandbahnrennen?« fragte Louveena erschrocken. »Nein«, sagte Cliff gedehnt und schob die dunkle Brille in die Stirn. »Steigen Sie aus, nehmen Sie die Kamera und achten Sie darauf, wohin Sie ihre zierlichen Füße setzen.« »Warum?« Unbewußt hatte sich Cliff bereits der hier herrschenden Natur untergeordnet; er war zu einem kleinen Teil ihrer selbst geworden. Er wurde schlagartig mißtrauisch, als ein Farbfleck ihn gewarnt hatte – hier gab es etwas, das nicht in die Norm paßte. Als sie sich aus dem Wagen schwangen und vorsichtig auf den Sandfleck zugingen, sagte Louveena verblüfft: »Ich verstehe. Ich weiß, was Sie meinen.« Durch die niedrigen Pflanzen führte eine Spur. Sie war nicht alt, denn sonst hätten sich die geknickten und gedrehten Zwergpalmen wieder aufgerichtet. Die Spur kam von der Sandfläche. Dort sah man sie in einer Reihe von einzelnen, stark verwischten Eindrücken; der Regen hatte die Konturen zerstört und den Sand zusammengeschwemmt. Der Abstand zwischen den einzelnen Vertiefungen betrug rund einen halben Meter. Und ferner lag auf dem Sand ein toter Fisch. Cliff knurrte: »Dieser Fisch paßt nicht hierher. Können Sie mir sagen, warum?« Er beugte sich hinunter und fühlte, wie seine
Handflächen feucht wurden. Ein unbehagliches Gefühl von Kälte kroch über seinen Rücken. »Noch nicht, Kommandant.« Cliff grinste unsicher und riß den Blick vom Fisch los, sah dem Mädchen ins Gesicht. »Nennen Sie mich Cliff, bitte. Dieser Fisch ist nicht mehr ganz. Ihm fehlt ein Stück. Nämlich der mittlere Teil; Kopf und Schwanz liegen hier. Das an sich würde mich nicht stören. Aber kennen Sie unter allen Tieren der Kreidezeit eines, das mit seinen Klauen oder Zähnen oder Schnäbeln einen solch glatten Schnitt ausführen könnte?« Louveena schüttelte schweigend den Kopf, und jetzt schauderte auch sie. »Das kann nur eines bedeuten«, sagte Cliff. »Sie meinen, daß ...?« Cliff nickte. Der Fisch war durch eine tiefe Wunde dicht hinter dem Auge getötet worden. Was immer diese Wunde erzeugt hatte, es war tödlich gewesen – und nicht von diesem Planeten. Und dann hatte ein Gegenstand, der zumindest einem Messer ähnelte, die besten Stücke aus dem Fisch herausgeschnitten. Ein Stück, etwa fünfzig Zentimeter lang, mit einem Durchmesser von dreißig Zentimetern, war behutsam und sehr geschickt von der Wirbelsäule abgelöst worden. Die durch den Regen saubergewaschenen Därme des Fisches lagen auf einem kleinen Haufen neben dem Kadaver. Louveena filmte das Bild, dann richtete sie sich auf und blieb stehen. Ihr Gesicht sah plötzlich um einige Jahre älter aus. »Diesen Fisch hat kein Tier getötet«, sagte das blauhaarige Mädchen hart.
»Und von uns Terranern war niemand an dieser Stelle«, fuhr Cliff fort. »Das kann nur eines bedeuten.« Er entsicherte die Büchse und sah sich aufmerksam um. »Fremde auf Range III!« knurrte er. Dann deutete er auf den Wagen. »Wir fahren zurück. Berichten Sie bitte noch nichts darüber. Und bringen Sie mir den Film, sobald Sie ihn entwickelt und kopiert haben, ja?« »Selbstverständlich.« Mit durchdrehenden Rädern setzte sich der Wagen in Bewegung, kletterte den flachen Abhang wieder hinauf und nahm die vier anderen Terraner mit. Cliff steuerte und sprach kein Wort. Erst, als sie die Lücke im Energiezaun des Lagers passiert hatten, wurde der Kommandant etwas ruhiger. Fremde auf Range III?
4 Tagsüber hatten Wellen schwüler, wasserdampfgesättigter Hitze und Regenschauer pausenlos einander abgelöst, dazwischen waren dreimal Hagelstürme niedergegangen. Die Sonne hatte das heruntergebrochene Wasser – denn von einem Regen nach irdischen Begriffen konnte keine Rede sein – in Dampf und Nebel verwandelt. Dann wieder ließ ein Sturm, der von Westen kam und Rauch und Asche mit sich führte, die Wände der Iglus erzittern. Die drei Teams kamen mit den ersten Funden; die kleineren Spezies wurden hier in den Labors untersucht. Einige Kilometer Film waren verbraucht, und unzählige Einzelbilder angefertigt worden. Jetzt, als der Geruch von Speisen und Getränken im Raum hing und mit der Nässe aus den Kleidungsstücken konkurrierte, da die Lampen eine gemütliche Helligkeit verbreiteten, beruhigten sich die Nerven wieder. Auf drei Seiten war die sichelförmige Sandfläche von einem regelrechten, triefenden Urwald umgeben, der so gut wie undurchdringlich war. Nur die Strahlwaffen konnten schmale Gassen schneiden. Es wimmelte von Tieren. Und aus diesem Wald kam unaufhörlich das Röhren und Brüllen der großen Echsen. »Woran denkst du, Cliff?« Helga verteilte die im Radarherd zubereiteten Fertigmahlzeiten auf dem Tisch. Der Kommandant, nur mit einer langen Hose und einem offenen Hemd bekleidet, hatte die Beine auf einem anderen Stuhl hochgelegt. Seine Augen waren geschlossen – Cliff schlief oder meditierte.
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte er. »Eine Reihe von Überlegungen.« Hasso, Atan und Mario saßen da und sichteten einige Standphotos. Vor den Männern befanden sich die Bildwürfel auf dem Tisch, und die Bilder wechselten. Es war die photographische Ausbeute der Helikoptermannschaft. Ihr Ausflug war etwas weniger gefährlich abgelaufen. »Etwas Bestimmtes?« fragte Hasso. »Ja«, knurrte Cliff widerstrebend. »Laß mich bitte in Ruhe. Ich denke!« »Pssst, der Kommandant denkt!« murmelte Atan. »Ungewohnt«, sagte Helga und brachte eine zweite Platte heran. ... selbst die feinen Adern waren durchtrennt worden. Gab es auf Range III derart scharfe Gebisse? Cliff konnte es nicht glauben. Was bedeutete es, wenn sich Fremde auf dem Planeten befanden? Wie konnte man ihnen begegnen – wollten sie Angriff oder befanden sie sich in Not? Die gängigen Klischees von heldenmütigen Rettungen aus Raumnot versagten hier ... es konnte ein Sonderfall werden. Oder war alles nur Einbildung, hervorgerufen durch überhitzte Phantasie, durch den Eindruck des tausendfachen Lebens, das hier unaufhörlich miteinander kämpfte, um sich selbst zu erhalten? Cliff wußte es nicht genau. Aber irgendwo fühlte er, daß er sich auf die Spur eines Geheimnisses gesetzt hatte, als er mit Louveena die Gruppe um die beiden toten Saurier verlassen hatte. »Louveena!« murmelte er, setzte sich auf und stellte die Füße auf den Boden. »Er deliriert!« stellte Hasso fest und ließ die Gabel sinken.
»Wohl kaum!« sagte Cliff und deutete mit dem Messer auf die Brust des Ingenieurs. »Dieses Mädchen brauche ich!« Mario verschluckte sich beinahe und brummte: »Unser Kommandant macht schon wieder auf interstellare Liebe!« Cliff zog seine Essensportion zu sich heran und fing an, schnell und konzentriert zu essen. »Wartet ab!« sagte er. Er war mit Hasso allein; die anderen schliefen in ihren Kabinen in der ORION, die wie ein fremder Schatten über der Siedlung schwebte. Die zwanzig Wissenschaftler arbeiteten in den Iglus. Die Siedlung war ein Fremdkörper in der Natur dieses Planeten. Der Raumschiffsingenieur reinigte gerade seine Gasdruckwaffe und schob ein neues Magazin in den Kolben, als der Summer ertönte. »Herein, ohne anzuklopfen!« rief Cliff. Es war Louveena, mit einer Filmrolle und einem kleinen Filmbetrachter im Arm. Sie stellte beides auf dem Tisch ab und sagte leise: »Sie sollten sich auf eine Überraschung gefaßt machen, Cliff.« Cliff zog ihr einen Sessel heran und winkte Hasso. Der Ingenieur kam um den Tisch herum. »Eine gute oder schlechte Überraschung?« »Es kommt auf Ihren Standpunkt an.« Cliff fädelte den Film in das halbautomatische Gerät ein. Sechs Augen sahen zu, wie der Film durch die Anlage lief. Auf einer rechteckigen Scheibe wechselten die stereoskopischen Bilder ab. Sie sahen die Landschaft, den Tyrannosaurier und die anderen Terraner,
dann den toten Fisch. Cliff hielt das Bild an und vergrößerte es. »Hasso«, sagte er. »Sieh dir dieses Bild sehr genau an und sage mir, was du davon hältst!« Fünf Minuten lang betrachtete Hasso das Bild, spulte den Film vor und zurück und hielt einigemal das Bild wieder an. Dann schob er seinen Sessel zurück und sagte fassungslos: »Wenn das nicht die Arbeit des Wissenschaftlers ist ...« Cliff unterbrach kurz. »was sie nicht ist, ich habe mich vergewissert!« »... dann bedeutet es nichts anderes, als daß es hier entweder vernunftbegabtes Leben oder Fremdlinge gibt. Terranische Schiffbrüchige?« »Das ist eine Möglichkeit«, sagte Louveena. »Ich habe den Film geschnitten und den Rundblick, den ich vom Wagendach aus filmte, hinten angeklebt. Sehen Sie selbst, meine Herren.« Sie schaltete den Vorlauf wieder ein und fuhr mit der Hand durch ihr blaues Haar, das in der Raumbeleuchtung schimmerte, als wären silberne Fäden dazwischen. Die Bilder zeigten das riesige Tal mit dem Sumpf, den Saurier, weit hinten einen Vulkan und den Himmel, Bäume und Büsche, das silberne Band des Flusses und ... »Halt!« sagte Louveena und stoppte das Gerät. Sie ließ den Film etwa zweiundsiebzig Bilder zurücklaufen, hielt ihn an und drehte dann die Vergrößerung bis zum Anschlag auf. »Sehen Sie das Bild ganz genau an, Cliff!« Cliff schaute auf und sah, daß ihr Gesicht ungewöhnlich ernst wirkte. Er näherte den Kopf der
Scheibe, auf der sich das dreidimensionale Bild mit den starken Farben entwickelte. Er betrachtete den Vordergrund, ging dann von links nach rechts langsam aufwärts und prallte ungläubig zurück. »Sie haben es gesehen?« »Ja«, keuchte er. »Hasso!« Der weißhaarige Mann neben ihm suchte das Bild ebenfalls lange und schweigend ab, dann schob er den Sessel wieder nach vorn und flüsterte heiser: »Das ist nicht zu glauben.« Cliffs Finger deutete auf das Bild. Irgendwo im Sumpf, zwischen zwei verkrüppelten Ginkgos, stand eine Gestalt. Sie schien etwa menschengroß zu sein, war in einen silberschimmernden Anzug gekleidet. Die Reflexe dieses Anzugmaterials waren es, die Louveena auf das Bild aufmerksam gemacht hatten. In der Hand hielt jene Gestalt einen Gegenstand, der wie ein Speer aussah. Der Kopf war mit schwarzem Haar bedeckt oder mit einer enganliegenden Kappe. Oder mit einem Helm – das war nicht deutlicher zu sehen. Jedenfalls stammte dieser Anzug nicht aus dem terranischen Programm, mit dem Raumschiffe ausgerüstet wurden. Auch war nicht zu erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte – irdische Begriffe vorausgesetzt. »Das«, sagte Louveena laut und deutlich, »wollte ich Ihnen zeigen, Cliff. Ziehen Sie die Konsequenzen!« Cliff ließ die Schultern wieder sinken; er hatte die Halsmuskeln nervös angespannt. Er wechselte einen langen Blick mit Hasso, sah dann das Mädchen an und bemerkte in ihrem Gesicht eine unübersehbare Mischung aus Neugierde und wissenschaftlicher Skepsis.
»Ich werde die Konsequenzen ziehen«, sagte er. »Sie finden Mario de Monti und mich morgen dort unten. Und gleichzeitig werden Hasso und Atan mit der LANCET die Beobachtung aus der Luft übernehmen.« »Morgen schon?« Cliff ließ den Film langsam weiterlaufen. »Ja, schon morgen. Gewisse Dinge dürfen nicht aufgeschoben werden.« Sie sahen in der Vergrößerung, wie die winzige Gestalt des Fremden sich abwandte und hinter einem Stamm verschwand. Noch bevor eine weitere Bewegung wahrgenommen werden konnte, rutschte die Baumgruppe aus dem Objektiv der Kamera nach links weg. Cliff merkte sich die wichtigsten Geländepunkte und rief sich den Standort der Kamera ins Gedächtnis zurück. »Louveena, Hasso ... ich bitte euch, noch nichts verlauten zu lassen. Es kann sich alles als harmlos herausstellen, und ich halte nichts davon, fünfunddreißig Mann rebellisch zu machen.« »Einverstanden. Also bleibt nur die Crew eingeweiht?« »Ja«, antwortete Cliff, »und dieses Mädchen hier.« Er holte sich einen Zeichenblock aus einem der Kunststoffschränke und begann eine provisorische Karte zu zeichnen. Sie hatte das Lager als untere, den Urwald als östliche Kante – der Sumpf lag im Westen. Cliff skizzierte schnell die wichtigsten Bezugspunkte, dann deutete er auf eine Stelle jenseits des Flußarmes. »Dort ungefähr muß die Gestalt gestanden haben!« »Richtig!« stimmte Louveena zu. Cliff stand auf und begann unruhig durch den
kleinen Raum zu laufen. Die Sessel und die technische Einrichtung der Iglus befanden sich in der Ecke zwischen Kuppel und Boden; Cliff ging zwischen der Schleuse und dem Tisch auf und ab. Dann blieb er stehen, wirbelte herum und deutete auf das Filmgerät. »Wir können natürlich vieles falsch machen«, sagte er leise, aber in unüberhörbar scharfem Ton. Es war, als spräche er zu sich selbst. »Aber wir können immerhin versuchen, mit diesem Unbekannten dort in Kontakt zu treten. Ich habe derlei schon hinter mir ... wenn auch bisher ohne viel Erfolg. Vielleicht ist dies eine Chance.« Hasso schob den Ärmel zurück und sah auf seine Uhr. »Es ist spät, und angesichts der einmaligen Aufgabe schlage ich vor, daß wir uns diskret zurückziehen. Sollen wir die Erde verständigen?« »Nein!« erwiderte Cliff schnell. Louveena blinzelte überrascht. »Warum nicht? Wir tun nichts, das gegen irgendwelche Vorschriften wäre.« »Noch nicht«, sagte Cliff. »Ich verständige Wamsler erst dann, wenn ich weiß, ob dort unten im Sumpf Gespenster hausen oder Wesen, die wirklich sind. Ich halte nichts von blinden Alarmen.« Louveena antwortete etwas erstaunt: »Das verstehe ich zwar nicht, aber Sie haben die Verantwortung, Cliff. Wir werden uns morgen um die Proben kümmern, die in den Tiefkühlzellen der Schiffe zur Erde gebracht werden sollen.« »Tun Sie das«, sagte Cliff. »Mein Auge wird weiterhin mit Wohlgefallen auf Ihnen ruhen.«
Louveena schaltete das Filmgerät aus, nickte den beiden Männern zu und bedachte Cliff mit einem Blick, der beinahe ein Loch in die Haut des Iglus geschmolzen hätte. Dann schnappten die Plastiktüren der Temperaturschleuse hinter ihr zu. »Blaues Haar und ein Temperament wie ein Vulkan«, sagte Hasso leise. »Wird sie Eingang in dein Herz finden?« Cliff zuckte die Schultern und holte seine Expeditionsjacke. »Vielleicht, Hasso. Zuerst interessiert mich die Figur im silbernen Anzug. Gehen wir schlafen!« Sie huschten schnell zwischen den Iglus hindurch, stiegen in den Zentrallift und fuhren nach oben ins Schiff. Cliff schlief sofort ein und wurde wach, noch bevor sich das erste Sonnenlicht hinter dem Urwald erhob. * Über ihm brannte die Sonne des Mittags. Unter seinen Füßen gurgelte das Wasser; er stand im Morast, und jedesmal, wenn er sich bewegte, gab es eine Reihe von schmatzenden Geräuschen. Um ihn herum war das dichte Gewirr von Weidenzweigen mit endlos vielen Blättern. Kleine Saurier huschten im Zickzack zwischen seinen Stiefeln hin und her. »Vorsicht!« flüsterte er. Aus dem winzigen Lautsprecher des Armbandfunkgerätes kam die Frage: »Welche Flughöhe schlägst du vor?« Cliff schob mit der Rechten, in der er die entsi-
cherte Gasdruckwaffe hielt, ein Büschel von Zweigen zurück. Dann sagte er leise ins Mikrophon: »Sechshundert Meter. Dann wird die LANCET nicht gesehen, und ihr könnt mit den Geräten den Erdboden gut beobachten. Ich bin hier, zweihundert Meter von der bewußten Stelle entfernt.« »Verstanden. Wir gehen gleich nach dem Start auf diese Höhe.« »Gut. Fragen?« »Keine, Cliff. Weitere Anordnungen?« Cliff schüttelte den Kopf. »Noch keine«, sagte er. »Ende.« Sie waren jetzt den dritten Tag auf diesem Planeten. Bereits zwei Kubikmeter von Proben lagen in den Tiefkühlgefäßen. Man konnte sie nach der Landung von den wissenschaftlichen Abteilungen der Universitäten untersuchen lassen. Während der Betrieb der drei Gruppen weiterlief – sie sammelten und präparierten, untersuchten und katalogisierten die Proben, waren Cliff und Mario bis über den Fluß geflogen. Dreihundert Meter oberhalb der Stelle, an der das Bild die Gestalt gezeigt hatte, war Cliff ausgestiegen und hatte sich langsam, jede Deckung ausnützend, bis hierher vorgepirscht. Jetzt wartete er. Es war etwa zehn Uhr vormittags, nach irdischer Zeit gemessen. Er konnte nicht sagen, ob er Erfolg haben würde. Vorausgesetzt, der Fremde würde heute wieder an der gleichen Stelle jagen – oder aber an einer ganz anderen Stelle? Wie kam der tote Fisch an das gegenüberliegende Ufer? Cliff spähte nach allen Seiten. Gab es überhaupt einen Fremden? Cliff grinste etwas schief, als er sich vorstellte, daß
er einen terranischen Raumfahrer treffen würde, der ihn fluchend begrüßen würde. Aber dann sah er wieder den silberglänzenden Anzug vor sich, und er wußte, daß es ein Fremder sein mußte. »Achtung ... Cliff!« Cliff riß den Arm hoch und preßte den Lautsprecher ans Ohr. »Ja?« »Sieh nach Norden.« Cliff hob die Augen und schob wieder die Weidenzweige zur Seite. »Ziemlich genau hundertfünfzig Meter vor dir ist Bewegung. Wir erkennen nichts Genaues. Sieh nach!« »Verstanden. Danke.« Cliff orientierte sich an dem Sonnenstand und ging langsam vorwärts. Zwischen ihm und dem erwähnten Punkt lagen dreihundert Schritte. Cliff scheuchte drei Camptosaurier auf, die in einem holperigen Vogeltrab davonstoben. Ein Schwarm vogelgroßer Archäopteryxe flatterte durch die Zweige. Cliff stampfte zwischen Farnen und Zwergpalmen hindurch, fühlte, wie Hitze und Wasser zusammenwirkten. Er schwitzte und behielt die Waffe in der Hand. Er watete durch einen schmalen Wassergraben, rutschte aus und fiel gegen einen faulenden Baumstamm. Endlich spürte er harten Kies unter seinen Sohlen. Die Landschaft hier bestand aus einer Reihe von kleinen Erhebungen, nicht höher als drei Meter, teilweise bewachsen, teilweise mit Bäumen bestanden, zwischen deren Stämmen man durchsehen konnte. Cliff hielt an, als er in der Deckung eines Ginkgostammes bleiben und einigermaßen ungehindert geradeaus sehen konnte.
»Dort ...!« flüsterte er. Fünfzig Meter vor ihm, von hier aus gesehen in einem kleinen Tal zwischen den Bodenerhebungen, bewegte sich eine schlanke, in fließendes Silber gekleidete Gestalt. Das Sonnenlicht und dessen Reflexe auf einigen Tümpeln brachen sich auf dem Material des Anzugs. Cliff schien jetzt sicher: »Kein Terraner ...« Er sah genau hin. Schlank, mit ziemlich gelassenen Bewegungen, aber unverkennbar nervös. Etwas unsicher. Als würde sie ahnen, daß sie beobachtet wurde ... sie? Cliff blieb stehen als sei er mit dem Stamm verwachsen. Die Nadelwaffe in seiner Hand deutete genau auf den Fremden. »Und ... wenn mich jahrelange Erfahrungen nicht trügen, dann nicht nur kein Terraner, sondern auch eine Dame!« Er blieb im Schatten stehen. Jahre voller Erfahrungen lagen hinter Cliff; er bemühte sich gerade jetzt, so objektiv wie möglich über die bevorstehenden Dinge nachzudenken. Derjenige oder diejenige, die dort ging, war weder von diesem Planeten, noch war es ein Terraner. Cliff behauptete es in Gedanken, ohne zu wissen, aus welchem Grund er derart sicher war. Irgendwie fremd, ungewöhnlich, obwohl weder das Aussehen noch die Bewegungen anders waren als die der Terraner. Merkte der Fremde, der sich jetzt schräg von Cliff entfernte, daß er beobachtet wurde? Cliff wartete noch einige Sekunden. Dann verschwand die Gestalt zwischen einer Baumgruppe und einem Hügel. Cliff verließ seinen
Platz, stürmte fast geräuschlos den kleinen Abhang hinunter und wandte sich scharf nach rechts. Durch die Breite eines Hügels getrennt, bewegten sich er und der Fremde dem Wasser zu. Cliff blieb einmal stehen, kauerte sich atemlos in die Deckung eines Busches und schaltete das Armbandfunkgerät an. »Atan!« »Hier?« »Ich werde den Fremden beobachten. Ist er allein?« »Ja. Sonst niemand zu sehen. Vierhundert Meter hinter euch kommt ein Dinosaurier auf den Fluß zu.« Cliff blickte sich um. Er sah nur den schaukelnden Schädel des Riesensauriers, in weiter Entfernung. Das Tier war im Augenblick noch ungefährlich. »In Ordnung. Danke.« Cliff schlich geduckt weiter. Vor sich sah er ab und zu das Aufblitzen der Sonne auf dem Wasser. Vereinzelte Stücke Sumpf, dann wieder Platten aus trockenem Schlamm. Kleine, sirupartige Tümpel, an deren Rändern gelbe Pflanzen wucherten, lösten sich mit kreisrunden Gehölzen ab; es sah aus, als wären sie künstlich angelegt worden. Da Gräser und typische Bäume fehlten, wirkten die kleinen Wälder seltsam kahl und dürr. Cliff hastete hindurch, verstaute die Gasdruckwaffe und zog die HM 4 heraus. Diese Waffe war tödlich. Während der Kommandant ein Stück freie Fläche überwand, merkte er, daß sich der Himmel wieder überzog. Von Westen rollte eine Wolkenfront heran, drohend und schwarz. »Verdammt. Auch noch Regen!« knurrte Cliff und warf sich der Länge nach neben einem Magnolienbusch auf den Boden.
Dicht vor seinem Gesicht war ein winziges Gelege von Sauriereiern gewesen; die Schalen waren zersplittert, die Eier leer. Zwei Urvögel flatterten aufgeregt aus dem Magnolienstrauch hervor und strichen in Richtung auf den Fluß ab. Cliff hob seinen Kopf auf den Unterarm und sah geradeaus. Der Fremde. Die Gestalt watete durch das flache Wasser eines Seitenarmes und kletterte am Rand einer langgestreckten Kiesinsel wieder hinaus. Sie trug einen Speer, etwa zwei Meter lang, mit einer blinkenden Spitze. Und dann war das Sonnenlicht fort. Ein Windstoß riß aus einem Haufen zusammengestürzter, verfaulender Stämme links neben Cliff einen Staubschleier hoch, Holz brach mit knisternden Geräuschen. Dann hörte Cliff ein anderes Geräusch, eines, das Gefahren signalisierte. Er rollte sich vorsichtig auf den Rücken und sah in den hellgrauen Himmel. Dort schwebten in weiten Kreisen zwei Flugechsen. Cliff entsicherte die Waffe und hoffte, daß nicht ausgerechnet seine auffallende Jacke das Ziel der hammerköpfigen Raubechsen sein möge. Er drehte sich zurück und sah über das Wasser. Der Fremde – oder die Fremde – ging langsam auf der Kiesinsel flußaufwärts. Die Gestalt war ziemlich schlank und unverkennbar weiblich. Sie hatte enganliegendes, kurzgeschnittenes schwarzes Haar. Sie hob den Speer in einer Weise an, als wolle sie jede Sekunde einen Fisch aufspießen. Cliff schätzte die Entfernung ab. Sie betrug nicht mehr als vierzig Meter. Jetzt war er sicher, ein Wesen vor sich zu haben, dessen
Heimat auf einem anderen Planeten als der Erde lag. Dann machte die Gestalt eine blitzschnelle Bewegung, bog sich vorwärts und riß dann den Speer aus dem Wasser. An seiner Spitze steckte ein Fisch von rund einem halben Meter Länge, der sich verzweifelt wehrte. Der Speer wurde an Land gezogen, dann wirbelte ein schweres Messer durch die Luft. Ein kurzes, knackendes Geräusch. Der Fisch zuckte einigemal, lag dann still. Die Frau zog den Speer aus dem Fisch heraus, rammte ihn in den Boden und wechselte das Messer in die andere Hand. Noch immer bewegte sie sich, als habe sie unsichtbare Zuschauer. Aber sie konnte Cliff nicht gesehen haben. Cliff glitt leise neben dem Busch hervor und kauerte sich in der Nähe der umgestürzten Stämme nieder. Hinter ihm trompetete der Saurier, schwenkte plötzlich ab und donnerte, an dem Kommandanten vorbei, dem Wasser zu. Er würde etwa hundert Meter hinter der Kiesbank den Fluß erreichen. »Keine Gefahr also«, flüsterte Cliff McLane. Mehrere zischende Laute und das Knattern der ledrigen Schwingen belehrten ihn eines Besseren. Er drehte den Kopf und sah, daß die zwei Pteranoda im Sturzflug dem Boden entgegenschossen. Von Flügelspitze zu Flügelspitze maßen sie knapp acht Meter, und ihre langen Schnäbel waren aufgerissen und vorgestreckt. Ihr Ziel war die Frau ... oder der Fisch. »Das macht keinen Unterschied!« murmelte Cliff, sah kurz nach dem friedlich saufenden Dinosaurier, dessen Schwanz in der Luft schnelle Kreisbewegun-
gen beschrieb und ein pfeifendes Geräusch erzeugte. Dann zielte er über den angewinkelten linken Arm. Er wollte zunächst warten, wie sich die Fremde wehrte. Mit den Flugechsen kam der Regen. Er raste wie eine schwarze Wand heran, die herunterfallenden Tropfen schienen den Boden zu erschüttern. Cliff zog die Kapuze über den Kopf und wartete noch einige Sekunden. Plötzlich schaute die Fremde auf, ließ das Messer im Schaft des silbernen Stiefels verschwinden und griff nach dem Speer. Sie stellte sich abwartend hin und richtete die Speerspitze auf einen der Flugsaurier. »Blödsinn!« keuchte Cliff auf, als er sah, wie sich die beiden Echsen von zwei Seiten auf die Fremde stürzten. Er zielte und schoß, als ihn der erste Regenschauer traf. Der dünne, blendende Strahl aus der Spitze der Waffe traf das Pteranodon und zerfetzte beide Schwingen. Krachend stürzte das Tier drei Meter neben der Fremden auf den Kies. Sie drehte sich schnell um. Gleichzeitig sprach das Armbandfunkgerät an. »Hier Atan. Brauchst du Hilfe, Cliff?« Cliff verfolgte den zweiten Flugsaurier mit Kimme und Korn und schrie durch den tobenden Regen: »Nein! Bleibt, wo ihr seid. Ist die Regenwolke groß?« Atan erwiderte spöttisch: »Für deinen Auftritt wirst du wieder Sonne haben. Und Dampf.« Er schaltete ab. Cliff schoß auf den Kopf der Flugechse, als sie trotz des Speeres, der zerbrochen war, sich auf die Fremde
stürzte. Die Frau riß das Messer hervor und lief rückwärts, und der tote Saurier stürzte vor ihr zu Boden. Der Regen schlug die Schwingen und die großen Krallen fast in den Kies, so heftig war er. Dadurch, daß die Frau zurückgelaufen war, geriet sie in die Nähe des zweiten Sauriers. Wieder schoß Cliff, und diesesmal sah die Fremde den Strahl. Er schlug direkt vor ihr ein und verbrannte den Hammerkopf des Pteranodons. Der Dinosaurier hob den kleinen Kopf aus dem Fluß, reckte ihn fünfzehn Meter hoch und bog den Hals ab. Das Wasser strömte über die Haut, die wie glatter Stahl wirkte. Zwischen den Mahlzähnen hielt die Echse eine lange Liane mit Blättern und tropfendem Schlamm; es sah unbeschreiblich komisch aus. Cliff grinste kurz, steckte die HM 4 ein und wußte, daß selbst dieser gutmütige Saurier in der Lage war, das Lager zu demolieren, wenn es ihm einfiel. Bisher hatte sich noch kein Großsaurier bis an den elektronischen Zaun verirrt, vermutlich deswegen, weil es seit Jahren auf der Sandfläche keine Nahrung gab, weder pflanzliche noch tierische. Dann hörte der Regen auf, schlagartig brach die Sonne hervor und verwandelte die Landschaft in ein Inferno aus Dampf und Nebel, das die Lichtstrahlen filterte. Der Saurier brüllte lange und bog den Hals wieder ab. Cliff streifte sich die Kapuze vom Kopf und ging langsam vorwärts. Er hatte gesehen, daß die Fremde keine anderen Waffen als das Messer und den zerbrochenen Speer hatte. Das machte seinen Versuch etwas risikoloser. Zehn Schritte.
Hinter ihm fielen polternd und knisternd die Baumstämme zusammen und zerbrachen in eine Menge nasser Brocken, die wie Torf aussahen. Cliff ging langsam weiter. Er ließ die Arme locker herunterhängen und sah in das Gesicht der Frau. Noch dreißig Meter. Sie schien ihn ebenfalls direkt anzusehen. Dann erreichte er das Wasser. Der Nebenarm des Flusses war dreißig Zentimeter tief und etwa zwanzig Meter breit. Cliff hob die rechte Hand bis in Schulterhöhe und kehrte der Fremden die Handfläche zu. »Hallo!« sagte er halblaut. Mit einer gewissen Entschlossenheit hob er das Kinn. Seine Stimme hatte in diesem Augenblick etwas heiser geklungen. Sein Gegenüber schwieg. Cliff ging weiter, sah kurz zu Boden und watete in den Fluß hinein. Wasser sickerte kalt und unangenehm in die Stiefel hinein. Irgendwie empfand Cliff für die Fremde eine gewisse Bewunderung: Sie zeigte Gelassenheit und scharfe Aufmerksamkeit. Mit dem Messer in der Hand blieb sie stehen und sah zu, wie er aus dem Wasser kletterte und sich auf die Kiesbank schwang. Zehn Meter. Er umrundete den toten, versengten Saurier, von dessen Lederhaut das Wasser perlte, und blieb drei Meter vor der Fremden stehen, noch immer mit der erhobenen rechten Hand. »Hallo«, sagte er ein zweitesmal. Die Frau vor ihm atmete schneller und löste ihren Blick aus seinen Augen. Sie musterte ihn sehr genau von oben nach unten, sah die auffallende Jacke, die
Waffen und die Stiefel, aus denen die Nässe quoll. Dann hob die Fremde den Kopf und starrte Cliff an. Cliff starrte zurück und sah, daß die Fremde aussah wie ein Mädchen von fünfundzwanzig Jahren, hätte er sie mit terranischem Maßstab messen sollen. Sie hatte fast blauschwarzes Haar und Augen in der Farbe von hellem Ocker; mit silbernen Punkten in der Iris. Von den Handgelenken bis zu den Zehen war sie in einen enganliegenden Anzug aus einem elastischen, silberfolienähnlichen Stoff gekleidet. Cliff konnte weder ein Funkgerät bemerken noch sonst etwas – außer dem Messer in ihrer Hand, dessen Spitze eindeutig auf ihn wies. Schließlich nahm er den Arm herunter und deutete auf die beiden toten Pteranoda. »Das war ich«, sagte er. Das Mädchen vor ihm nickte und lächelte; durchaus irdisch. »Ich heiße Cliff McLane«, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Brust. Ihr Lächeln wurde stärker, und, ohne ihn aus den Augen zu lassen, erwiderte sie langsam: »Ishmee.« Dann folgten vier Silben in einer unbekannten Sprache. »Ishmee?« fragte Cliff zurück. Sie nickte, rührte sich aber nicht. Cliff bückte sich, sah mißtrauisch das Messer an und wischte ein Stück Sand glatt. Dann zeichnete er groß die ORION VIII, eine menschliche Figur daneben und deutete mehrmals auf die Figur und sich. Schließlich entstanden einige Sterne und der Planet. Mit Hilfe einiger einfacher Gesten erklärte Cliff, daß
dreißig Menschen und drei Schiffe auf diesem Planeten gelandet waren. Er zeichnete eine Karte und darin den Fluß, die sichelförmige Sandfläche und das Lager. Schließlich fragte er, nur mit einigen Gesten, ob sie mit ihm zusammen ins Lager kommen möchte. Sie verstand und schüttelte den Kopf. »Nein?« fragte Cliff und wiederholte die Aufforderung. »Nein!« sagte Ishmee deutlich. Cliff zuckte die Schultern und grinste verlegen. Er nahm ein Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger und rieb daran; er dachte nach, was er jetzt noch unternehmen konnte. Dann hob er die Hand, um ihre Aufmerksamkeit zu erwecken, deutete senkrecht nach oben und versuchte, ihr klarzumachen, daß in wenigen Minuten ein zweiter Mann hier auftauchen würde. Sie nickte wortlos und sagte etwas, das Cliff weder verstand, noch sich vorstellen konnte, was es vielleicht bedeuten konnte. Er schaltete das Armbandfunkgerät an und sagte: »Mario ... Cliff ruft!« Der Chefkybernetiker schien darauf gewartet zu haben. Seine Antwort kam blitzschnell. »Hier. Gefahr?« »Ganz im Gegenteil!« Cliff mußte lachen. »Starte den Helikopter und komm sofort auf die Kiesbank, von der wir sprachen. Wenn du zwei Personen siehst, erschrick nicht. Ich habe den aufsehenerregenden Fund gemacht.« »Zwei Minuten, Chef!« »In Ordnung!« Cliff schaltete ab und schlug langsam und vorsichtig seine Jacke zurück. Er zog mit spitzen Fingern die
HM 4 aus der Schutzhülle, hob die Waffe hoch und nahm sie in die Hand. Dann zielte er kurz ans Ufer, nickte dem Mädchen zu und zeigte ihr, wie die Waffe gesichert war und ausgelöst werden konnte. Er schoß, und der blendendweiße Strahl zuckte hinüber zum Ufer. Cliff sah der Fremden in die Augen und sagte dann halblaut: »Hier – ein Geschenk!« Sie nickte und lächelte ihn an. Cliff war jetzt der festen Überzeugung, daß sie genau zu wissen schien, was er meinte. Sie erfaßte die Bedeutung zu schnell. Vielleicht konnte sie Gedanken lesen ... aber er verwarf diese Überlegung wieder. »Gesheng?« Sie hörten das Summen der beiden Turbinen, und Cliff vermied es, sich umzudrehen. »Geschenk«, korrigierte er. »Für besseres Jagen.« Sie nahm die Waffe an sich und hielt sie locker in der Hand. Dann deutete sie an Cliff vorbei in die Luft und fragte: »Mario?« Cliff nickte heftig. »Richtig – Mario. Mein Freund.« Zehn Meter hinter ihm setzte der Helikopter auf, und Mario sprang aus dem Pilotensitz, kaum daß die breiten Reifen des Fahrgestells den Kies berührt hatten. Er kam schnell und mit einem erstaunten Lachen auf die beiden zu und blieb neben Cliff stehen. Er sah ungeniert das Mädchen an und fragte: »Terranerin, Chef?« Cliff faßte ihn um die Schultern und erklärte: »Nein. Eine Fremde. Woher, weiß ich noch nicht.« Sie sahen sich an. Sie waren alle drei befangen, weil
die Situation einmalig war. Das Merkwürdige daran war die Tatsache, daß zwischen ihnen schlagartig eine gewisse Vertrautheit herrschte, als ob sie aufeinander gewartet hätten. Cliff versuchte ein zweitesmal, das Mädchen dazu zu bewegen, mit ihnen ins Lager zu kommen. Er verwendete dazu eine Menge von Gesten, die Mario unterstützte, indem er in seiner direkten und unkomplizierten Art – die natürlich das Ergebnis langen Überlegens war –, ihre Hand ergriff und sie langsam mit sich zog. Schließlich lachte Ishmee und nickte zustimmend. Cliff winkelte den Arm ab und sagte ins Mikrophon: »Atan ... wir treffen uns im Lager.« Cliff half ihr in den dritten Sitz des primitiven Expeditionshelikopters und stieg selbst ein. Die Schraube lief noch, und Mario kuppelte die Maschinen ein. Dann erhob sich der Helikopter, drehte bei und raste dicht über dem Boden auf das Lager zu. Der gespeerte Fisch blieb auf der Kiesbank zurück. »Mann!« flüsterte Mario. »Das wird eine Aufregung werden.« Cliff hielt diesen Punkt für nicht mehr erwähnenswert; er dachte an die Zukunft und die Möglichkeiten, die es geben konnte. »Wichtiger ist«, sagte er langsam, »wie wir es schaffen können, uns mit ihr zu verständigen.« Ishmee fragte: »Mit ihr verständigen?« Langsam drehte Cliff den Kopf und sagte rauh: »Ja. Ich sehe, wir sind auf dem richtigen Weg dazu. Was verstehst du, Ishmee?« Das Mädchen heftete einen nachdenklichen Blick
aus ihren hellen Augen auf ihn und erwiderte zögernd: »Cliff und Mario und Ishmee treffen im Lager.« Mario räusperte sich und bemerkte trocken: »Wir haben uns da aber einen verdammt klugen Vogel gefangen. Ist sie allein auf dem Planeten?« »Ishmee nicht allein Planeten.« Jetzt war es reiner Schreck, der die Männer packte. Mario ließ das Steuer los und verfehlte die Krone eines Ginkgos nur um wenige Meter, dann riß er sich wieder zusammen und hob den Helikopter über den Energiezaun. Er landete gekonnt neben der ORION, in der Nähe des Versammlungsiglus. Cliff und Mario sahen sich an. Mario sagte: »Jetzt haben wir es wohl geschafft, Cliff?« »Durch einen Zufall, ja«, erwiderte Cliff. »Und wenn ich wüßte, was alles deswegen über uns kommen wird, beginne ich mich vor der Größe der Aufgabe zu fürchten. Jedenfalls versteht Ishmee schneller als wir zusammen, und das bedeutet etwas Besonderes.« »Richtig«, sagte Ishmee. »Bedeutet Besonderes.« Zuerst hatte nur einer der Wissenschaftler das Mädchen gesehen, dann waren es mehrere, schließlich umstand ein dichter Kreis die Gruppe der beiden Raumfahrer und des Mädchens im silbernen Anzug. Cliff McLane hob beide Arme, sah, daß die LANCET einschwebte und sagte laut: »Meine Damen und Herren – dies ist ein historischer Augenblick. Wir haben zum erstenmal Kontakt mit einer anderen raumfahrenden Rasse. Echten Kontakt. Diese Dame hier heißt Ishmee, wir fanden
sie unten am Fluß. Befindet sich unter Ihnen jemand, der in der Lage ist, das Sprachproblem schnell zu lösen?« Ein jüngerer Mann namens Kyaer trat vor. »Ich bin kein Linguist, aber ich kann mit Hilfe eines Magnetrekorders versuchen, eine Kommunikationsbasis zu finden.« Cliff dankte und deutete auf den Iglu, in dessen Schränkchen sich Bänder und Maschinen befanden. »Dann gehen Sie ans Werk, Kyaer. Ich weiß, daß Ishmee schnell lernt.« Und Ishmee ergänzte: »Richtig ... Ishmee lernt schnell.« Mario de Monti packte Cliff am Arm und brach in ein fast hysterisches Gelächter aus. Das war das Geheimnis von Range III.
5 Jetzt, um die Mittagszeit, hatte sich dieses Stück Landschaft des Urplaneten in ein Bild aus Stein verwandelt – eine betäubende Stille herrschte. Die Hitze der Sonne war fast unerträglich, und die meisten Wissenschaftler kehrten langsam in ihre Iglus zurück, aßen oder arbeiteten in der Kühle der Klimaanlagen. Nur aus dem Dschungel rund um die Sandfläche drangen unaufhörlich die Geräusche von Großtieren. Alles lag vollkommen regungslos, wie aufgespießt durch die senkrechten Lichtstrahlen. Eine Stunde verging. Nichts geschah – außer hier im Iglu, in dem sich eine größere Menge von Menschen treffen konnte. Das Klicken des Bandgerätes, dann das Surren der zurückgespulten Bänder. Dann wieder Stimmen – eine fremde und eine, die langsam Terranisch sprach. Cliff saß hier, mit hochgelegten Beinen; die nassen Stiefel standen vor der Exhaustoröffnung. Mario de Monti saß neben dem Kommandanten, und Helga Legrelle beobachtete Ishmee und Kyaer. Papier raschelte. »Erde ist Mittelpunkt der Kugel aus Raum, Durchmesser zweitausendneunhundertvierunddreißig Jahre des Lichts. Von dort kommt ORION VIII.« Ishmees Stimme! Seit einigen Stunden arbeiteten sie und der Wissenschaftler zusammen. Helga, Mario und Cliff hatten eingegriffen und geholfen, wann immer es notwendig geworden war. Pausenlos wurden Zeichnungen an-
gefertigt. Dann sprach Kyaer die Bedeutung in seiner Sprache und notierte natürlich in einer unsicheren phonetischen Schreibweise, wie Ishmee den Gegenstand bezeichnete. Es war für das Mädchen inzwischen klar geworden, daß sie sich auf einem Planeten befand, den Terra erst vor kurzem entdeckt hatte. Sie hatte auch den Zweck der Wissenschaftler erkannt, die Menge der Personen festgestellt und sich einige Namen gemerkt – natürlich zuerst die der ORIONCrew. Der Versuch, eine primitive Grammatik zu entwikkeln, ging so schnell, daß es Cliff wunderte. Es schien, als begreife Ishmee bereits die Gedanken Kyaers, bevor er sie aussprach. Mario schüttelte den Kopf und massierte mit den Fingerspitzen seine Augenwinkel. »Warten wir noch eine Stunde, dann können wir uns mit ihr fast völlig verständigen.« Cliff lächelte müde. »Ja, warten wir. Ishmee weiß jetzt fast alles von uns, wir wissen aber nichts von ihr.« Als Cliff ihren Namen aussprach, drehte sich Ishmee um und lächelte den Kommandanten an. Cliff nickte zurück und stand zögernd auf. »Helga«, sagte er. »Komm mit, wir gehen ins Schiff. Die beiden Kommandanten müssen verständigt werden, außerdem werde ich einen Funkspruch an Wamsler absetzen. Ob er den neuerlichen Schrecken übersteht?« Er zog Helga aus dem Sessel hoch und kauerte sich dann vor den Stiefeln hin. Sie waren noch immer feucht, und er beschloß, barfuß durch den Sand zu gehen.
»Täusche dich nicht, Chef. Wamsler ist härter, als wir meinen«, sagte Helga und ließ sich von Cliff die Plastiktür der Temperaturschleuse offenhalten. Sie traten hinaus in die Hitze und hörten aus den benachbarten Iglus die erbitterten Diskussionen über den seltenen Fund. »Sie werden noch mehr zu reden haben«, meinte Cliff, »wenn wir erfahren haben, woher Ishmee kommt.« Helga sagte träumerisch: »Es ist wie in einem Roman von Ibsen. Fast so phantastisch.« Cliff erinnerte sich an den letzten Einsatz, vor dem Helga versucht hatte, den Schriftsteller über seine vorübergehende schöpferische Zwangspause hinwegzutrösten. Mit Erfolg, wie sich schnell herausgestellt hatte. »Noch phantastischer, da es sich diesmal um die nackte Wahrheit handelt.« Helga stieg in die Schleuse des Zentrallifts, und Cliff drückte den Schalter hinein. Der Lift setzte sich in Bewegung. »Übrigens ...«, murmelte Helga. »Sie ist sehr schön, diese Ishmee. Groß, schlank, schwarzhaarig und mit fast goldfarbenen Augen.« Cliff schloß mit einem grimmigen Lächeln: »Das habe ich bereits auf jener Kiesbank im Fluß merken können, Helgamädchen.« Sie betraten die leere Kommandokanzel, in der nur einige wenige Leuchtanzeigen die Dunkelheit durchdrangen. Das Licht der Decke flammte auf, und Helga ging voraus zum Funkpult. »Zuerst die AURIGA und die OPHIUCHI, Cliff?«
Cliff schaltete das Videophon ein und zog beide Mikrophone aus den Halterungen. »Ja, bitte.« Zwei Schirme erhellten sich, und die Lautsprecher knackten; ein vertrautes Geräusch aus Hunderten von Flügen. Die Köpfe der beiden Kommandanten waren zu sehen. Cliff winkte ihnen zu und sagte: »Meine Herren ... eine atemberaubende Botschaft habe ich für Sie. Wir konnten auf dem Planeten Range III nicht nur unsere Forschungen zügig vorantreiben, sondern auch eine sensationelle Entdeckung machen.« Er schilderte den beiden Männern, was sich zugetragen hatte, verschwieg auch seinen Verdacht nicht, daß Ishmee entweder überraschend klug war oder telepathisch begabt. Gascard fragte: »Ist diese Ishmee allein auf Range III?« Cliff zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Das werde ich in etwa einer Stunde wissen. Im Augenblick läuft noch der Versuch, unsere beiden Sprachen zu koordinieren.« »Rechnen Sie damit, Cliff?« Cliff straffte sich und dachte wieder an das, was noch vor ihm lag. »Ja. Ich rechne fest damit, daß wir hier Schiffbrüchige oder ebenfalls ein wissenschaftliches Team antreffen werden. Ich rechne ferner damit, daß sich unsere beiden Rassen sehr gut verstehen – alle Anzeichen dafür sind vorhanden. Es war vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, wann wir auf eine ähnliche Rasse stoßen würden; Commander Correls Entdekkung hat die Initialzündung geliefert.«
Iswoshtschic fragte eifrig: »Brauchen Sie unsere Hilfe, Cliff?« »Nein«, sagte McLane. »Machen Sie mit Ihren Aufgaben weiter. Unter Umständen werde ich frühzeitig zur Erde fliegen müssen. Aber das weiß ich nicht genau. Ich werde jetzt Wamsler verständigen.« Gascard lachte kurz und antwortete: »Sparen Sie sich die Mühe, Cliff. Die Nähe des Wasserstoffgases verhindert einen direkten Kontakt. Wir beide haben unabhängig voneinander versucht, eine Routinemeldung durchzubringen. Vergebens.« »Aha!« sagte Cliff. »Das ist interessant. Ich kann also nicht einmal meine Verantwortung abschieben. Nun ... ich werde hierbleiben und weiterhin über die beiden Aktionen wachen.« »Beide Aktionen?« fragte Gascard, »was meinen Sie damit?« »Unser Versuch, den Planeten Range III und sein System zu erforschen und den Kontakt mit einer Rasse, deren Namen ich nicht einmal kenne.« Eine kurze Pause intensiven Nachdenkens entstand. Dann lächelte Gascard in seiner knappen, zufriedenen Art. »Ich wünsche Ihnen eine Masse Glück, Kommandant. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie uns einfach!« Iswoshtschic schloß: »Genau das gleiche gilt auch für mich, Cliff!« Cliff lächelte knapp und erwiderte: »Ich danke Ihnen!« Dann schaltete Helga die Funkanlage wieder aus. Für eine Weile blieben der Kommandant und die Funkerin in dem stillen, kühlen Raum stehen, der ih-
nen so vertraut war. Dann räusperte sich Cliff und sagte halblaut: »Ich habe mir immer gewünscht, eine solche Konfrontierung mitzuerleben. Einige Male war ich nahe daran. Und jetzt beginne ich unsicher zu werden. Sehr unsicher. Muß es gerade eines der schönsten Mädchen sein, die mir je über den Weg gelaufen sind? Ich weiß nicht, ob die Aufgabe, die hier vorliegt, nicht mein Können übersteigt.« Helga blieb vor ihm stehen und sah ihm in die Augen. Sie mußte den Kopf ein wenig heben, da sie kleiner war als er. Ihre Worte kamen impulsiv, trotz des Nachdenkens, und völlig offen. »Ich glaube, du wirst auch ohne Wamslers Hilfe dieses Problem lösen. Zufällig habe ich das Lächeln gesehen, mit dem dich Ishmee betrachtet hat. Und wenn ich nur ein klein wenig von diesem Spiel verstehe ... du bist genau der richtige Mann für diese Arbeit.« Cliff legte seinen Arm um ihre Schultern und schob das Mädchen zum Lift. »Hoffentlich hast du recht, Helgamädchen«, sagte er zweifelnd. Minuten später standen sie wieder in dem Iglu. Vor Mario, Kyaer und Ishmee standen Becher mit heißem Kaffee. Durch die Hülle des Iglus drang das Sonnenlicht und erfüllte das Innere. Cliff hatte im Schiff leichte Schuhe angezogen und holte sich auch einen Becher Kaffee. »Wie weit seid ihr, Kyaer?« fragte er knapp. Der schmalgesichtige Wissenschaftler schob seinen Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und atmete tief ein und aus, dann erwiderte er nachdenklich:
»Ziemlich weit, Chef. Dieses Mädchen ist der reinste Komputer. Ich glaube, Sie können mit Ihren inquisitorischen Fragen anfangen.« Cliff hob den Becher. Dann fragte der Kommandant: »Ishmee?« »Cliff?« Atemlos folgten die anderen dem Dialog, der sich hier anbahnte. Das, was hier gesagt wurde, konnte das gemeinsame Schicksal beider Rassen für alle Zeiten entscheidend beeinflussen. Cliff stand hier stellvertretend, aber nicht allein, für Terra, und Ishmee verkörperte die unbekannte Rasse. In dem sonnenerfüllten Iglu breitete sich ein unbehagliches Schweigen aus. Atemzüge und die Betriebsgeräusche des schweren Magnetrekorders waren die einzigen Laute. »Sind ... bist du allein auf Range III, also auf diesem Planeten hier?« Ishmee schüttelte den Kopf. »Nein. Außer Ishmee noch sechsundvierzig Turceed.« Ihre Antwort kam schnell und trotz der mangelhaften Sprachkenntnis vollkommen klar und deutlich. »Turceed – das ist der Name deiner Rasse?« »Ja. Der Name von Rasse und von Planet, wir dort gestartet.« Sein dringendes Verlangen, alles restlos zu klären, diktierte die nächste Frage. »Wann gestartet? Wie weit entfernt?« Ishmee blickte ihn starr an. Der Dialog schien nicht nur zwischen ihnen stattzufinden – es war, als ob sie versuchte, die Gedanken des Mannes zu ergründen.
Cliff behielt seine ausdruckslose Miene und wartete auf die Antwort. »Turceed entfernt zweimal Jahr von Licht.« »Also zwei Lichtjahre entfernt. Wann gestartet?« »Vor vierhundert Tagen, Zeit von Range III. Gestrandet hier vor dreihundertfünfzig Tagen, Raumschiff zerstört.« Die Erinnerung an etwas Unerfreuliches, Gefährliches überschattete einen Moment das Gesicht des Mädchens. Jetzt bemerkte Cliff, der seine Augen nicht von ihrem Gesicht losreißen konnte, auch die feinen Linien der Anspannung und jene, die von den Strapazen stammten, die dreihundertfünzig Tage auf diesem wilden Planeten verursacht hatten. »Die sechsundvierzig Turceed sind in einem Lager untergebracht?« »Freunde in Raumschiff. Teilweise bewohnbar. Wasservorrat, Metall für Waffen.« »Danke«, sagte Cliff. »Ihr seid also Schiffbrüchige. Willst du, daß wir euch helfen?« Der forschende, direkte Blick aus ihren goldfarbenen Augen verwirrte Cliff. Er war ein leidlich erfahrener Mann und hatte einige Frauen gut gekannt – aber keine von dieser Art. Sie war Herausforderung und Fraulichkeit zugleich. »Es wäre schön, du uns helfen würdest.« »Wissen die anderen Turceed, daß wir hier gelandet sind?« »Nein«, sagte sie. »Nichts gesehen. Radargeräte – deine Worte! – ausgefallen. Wir sind mut ... wie heißt Wort?« Mario warf ein: »Mutlos, ja?«
Ein blitzschneller Blick irrte in seine Richtung, Ishmee nickte und ergänzte: »Ja. Wir alle siebenundvierzig Turceed mutlos.« »Keine Waffen?« »Energie erschöpft, Waffen unbrauchbar. Schiffsmetall Ersatz Waffen.« »Gut. Wir werden mit der ORION hinüberfliegen. Wie weit ist das abgestürzte Raumschiff von der Kiesinsel entfernt?« »Eine Stunde zu Fuß.« »Also etwa fünf Kilometer. Zusammen acht Kilometer.« Er wandte sich wieder an das schwarzhaarige Mädchen. »Werden deine Freunde erschrecken, wenn die ORION VIII über dem abgestürzten Raumschiff erscheint?« Cliff merkte, wie sich langsam die fremdsprachigen Begriffe in seiner Erinnerung festsetzten. »Nein. Freude bei Schrecken.« Cliff überlegte laut: »Wir können maximal dreißig Personen in die ORION hineinpferchen. Wenn ich berücksichtige, daß die Turceed noch einiges Gepäck haben, dann kommen wir mit zwei Flügen aus. Aber – die Quartiere! Weißt du einen Rat, Mario?« Mario umfaßte sein Kinn mit der Hand. Seine Züge verrieten schnelles Nachdenken, dann eine Erkenntnis. »Wir legen einfach die Damen zu unseren Wissenschaftlerinnen und die Herren zu den Wissenschaftlern. Das ist wie das Lernen einer Sprache – binnen kurzer Zeit ist die Völkerverständigung kein Problem
mehr. Interesse, Beschäftigungslosigkeit und Notwendigkeiten arbeiten mit uns.« Cliff lachte laut und erwiderte: »Eine ausgezeichnete Idee, Mario. Genauso werden wir es machen.« Er fragte Ishmee: »Bist du dafür, daß wir sofort starten?« »Ja. Wir sind schon zu lange in Schiff. Hunger, Einsamkeit ... es ist gut, wenn bald Start.« Staunend bemerkte Cliff, wie schnell Ishmee Fortschritte in der richtigen Aneinanderreihung der Begriffe machte. Er ging schnell an den Videophonschirm und drückte die Taste, die sämtliche Geräte einschaltete. Er wartete drei Sekunden, dann sagte er: »Hier spricht McLane. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine gute Mitteilung zu machen. In Kürze wird die ORION VIII zu einem Punkt, rund zehn Kilometer von hier entfernt, starten. Wir bringen in zwei Einsätzen siebenundvierzig Turceed mit. Turceed – das ist der Name der Rasse, deren Angehörige wir heute entdeckt haben. Ich bitte Sie, sich zu überlegen, wie wir den siebenundvierzig Schiffbrüchigen helfen können.« Er schaltete ab und gab den Diskussionen neue Nahrung. Als er sich daran erinnerte, daß Atan und Hasso fehlten, traten beide ein. Für sie bedeutete die Ankündigung des Kommandanten, daß sie sich im Schiff einfinden mußten. Der Raum füllte sich. »Atan, Helga, Hasso, Mario – geht bitte hinauf ins Schiff und bereitet einen Start vor. Ich komme mit Ishmee nach, ja? Kyaer?«
»Chef?« »Und Sie bitte ich, mit Hilfe des Bandes und Ihrer Zeichnungen einen kleinen Schnellkurs zu entwikkeln. Schließlich lebt der Kontakt zwischen Turceed und Terra vom Dialog. Welch letzterer nur durch die Kenntnis einer verbindenden Sprache ermöglicht wird.« Kyaer grinste breit und schob die Zeichnungen am Tisch zusammen. »Das ist eine Aufgabe, die ich gern übernehme, Chef. Ich glaubte schon, meinen Aufenthalt auf Range III mit Bäumefällen und Blütensammeln verbringen zu müssen.« Er nahm den Recorder und die Zeichnungen an sich und verließ zusammen mit der Crew den Raum. Cliff und Ishmee waren allein. »Cliff?« Unbehaglich drehte er sich um und sah sie an. »Ja?« »Du weißt mehr, als du anwendest?« Cliff machte eine vage Geste mit beiden Händen und zuckte die Schultern; sein erwartungsvolles Lächeln erstarb. »Ja. Ich habe zwei Vermutungen, Ishmee.« Sie kam zwei Schritte näher. Sie bewegte sich trotz der anstrengenden Stunden mit einer Art nervöser Grazie, wie ein schnelles, unruhiges Tier. Wieder verstärkte sich das Unbehagen in dem braunhaarigen Mann. »Welche?« »Ich weiß nicht, ob du repräsentativ für die Rasse der Turceed bist. Wenn ja, dann ist dies eine sehr kluge und ziemlich alte Rasse, vielleicht älter als die
Menschen von Terra.« »Die andere Vermutung?« »Du kannst Gedanken lesen oder erkennen?« Ihr Lächeln war herzlich, und die Bewegung, mit dem sie ihm die Hand auf den Arm legte, verriet einiges darüber, wie abgespannt sie in Wirklichkeit war und wie sehr sie sich beherrschen konnte – und mußte. »Beides richtig und falsch.« »Bekomme ich eine Erklärung?« »Selbstverständlich.« »Bitte.« »Ich kann keine Gedanken lesen, aber ich kann die geistigen Strömungen feststellen, die in einem anderen Menschen vorgehen. Das können wir Turceed alle. Ich erkenne, ob er gut ist oder böse, oder ob ein guter böse Gedanken hat. Und etwas von dem Gedankengut des anderen überträgt sich auch in meine Überlegungen. Aus diesem Grund habe ich die ... Grund ...« »Grundzüge?« »Ja. Die Grundzüge eurer Sprache schnell erfaßt. Außerdem ist sie nicht schwer, und wenn du mehr von uns wissen wirst, kannst du feststellen, daß sich die Grundelemente unserer beider Sprachen ähneln. Sehr stark. Und noch etwas. Warnung. Wir Turceed schweigen unter Umständen, um nicht etwas sagen zu müssen, das das Gegenteil dessen bedeutet, was wir wissen.« »Also keine Lügen«, sagte Cliff entgeistert. »Lügen?« Sie kannten nicht einmal den Begriff dafür! kam es ihm in den Sinn.
»Das wird hin und wieder etwas delikate Szenen verursachen«, sagte er leise. »Die Menschen der Erde sind noch nicht in der Lage, immer nur die Wahrheit zu hören.« »Ich werde schweigen, dann«, sagte sie. »Das wird sich als zweckmäßig herausstellen«, murmelte Cliff und streckte die Hand aus. »Komm«, sagte er. »Ins Schiff? ORION VIII?« »Ja. Wir starten, um deine Freunde abzuholen.« »Einverstanden. Du bist ein Mann schneller Entschlüsse.« Cliff blieb ruckartig stehen und meinte: »Wenn du einen Riesen siehst, so schaue nach dem Stand der Sonne und achte sehr darauf, daß es nicht der lange Schatten eines Zwerges ist. Hast du das verstanden?« Sie packte seine Hand fester. »Und außerdem – du bist ein Mann mit einem bitteren Humor.« Cliff öffnete die Tür und zog Ishmee nach draußen. »Das habe ich Wamsler, Villa und von Wennerstein zu verdanken«, murmelte er, aber er achtete nicht darauf, ob sie verstand, was er da sagte. * Plötzlich, am späten Nachmittag, machten die kleinen Saurier und die Vögel, die um ihre Nester fürchteten, einen Höllenlärm. Ein Ankylosaurus stampfte plump vorbei und schob mit seinem vielfach gebuckelten Rückenschild und den nach hinten ausgestellten Sta-
cheln das Erdreich weg wie eine Planierraupe. Drei Camptosaurier flohen in ihrem grotesken Hüpfschritt. Irgendwo röhrten und schrien zwei kämpfende Tyrannosaurier; ihre Bewegungen erschütterten den Boden und ließen unaufhörlich kleine Lawinen niedergehen. Das Geröll sammelte sich und schichtete sich auf. Dort, wo die beiden Felshänge wie ein großes, gezacktes V zusammentrafen, lagen die Trümmer des Raumschiffes, bereits mehr als zu zwei Dritteln von grauen, roten und blauen Felsbrocken zusammengedrückt und verschüttet. Nur die runde Luftschleuse, die jetzt halb offenstand, war noch frei. Ein Pfad aus aneinanderliegenden Hölzern und Sand führte aus der Schlucht heraus. Zwanzig Meter vor dem Schiff, dicht über einem Felsband, auf dem der Pfad entlang lief, stürzte ein Wasserfall senkrecht nach unten und erzeugte während des gesamten Tages einen Nebel aus feinen Wassertröpfchen. In der Umgebung des Schiffes wuchs nichts. Nur hin und wieder stampften Brontosaurier vorbei. Die ORION VIII schwebte lautlos heran; sie kam mit der sinkenden Sonne im Rücken. Neben Cliff saß Ishmee vor dem Zentralschirm. Beide schwiegen sie und betrachteten das Bild auf dem runden Schirm. »Verdammt!« sagte Cliff. »Hat der Pilot vom Treibstoff genascht?« Er deutete auf das halb verschüttete Raumschiff. »Nein. Das Schiff war nicht gut. Abgestürzt, Notlandung. Wie ein Stein.« Cliff studierte drei Sekunden lang das Profil von Ishmee und dachte über die Äußerung nach.
»Das bedeutet, daß ihr keine sehr lange Raumschifferfahrung habt, stimmt das?« fragte er. »Ja. Nur etwa zweimal hundert Jahre eurer Rechnung.« »Und da wagen Sie einen Sprung von einem zwei Lichtjahre entfernten Planeten bis hierher. Ishmee?« Das Mädchen drehte den Sessel herum und sah den Chefkybernetiker an, den zweiten Terraner, den sie kennengelernt hatte. »Ja?« »Seid ihr langsamer als das Licht geflogen oder schneller?« Sie überlegte und machte dann einige entsprechende Bewegungen mit den Händen. »Wir benützten eine Raumfalte.« Der Erste Offizier verstand. Es war ein Verfahren, das jahrhundertelang diskutiert, aber niemals angewendet worden war. Die terranische Technik hatte sich früher des Hyperraums bemächtigt. »Was wolltet ihr hier auf Range III?« fragte Mario. »Wir wollten nichts auf Range III«, erwiderte Ishmee. Seit sie das Schiff betreten hatte, beobachtete sie die Mitglieder der Crew sehr genau. Die hier angewandte Version terranischer Technologie hatte sie nicht in Erstaunen versetzen können; sie wendete sie einfach an, benützte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die darauf schließen ließ, daß das Raumschiff der Turceed ähnlich ausgestattet war. Darüber hinaus erlaubte die Sicherheit ihrer Bewegungen und ihres Benehmens die Erkenntnis, daß die Technik der Turceed auf ihrem Heimatplaneten, der den gleichen Namen führte, einen ähnlich hohen Stand wie die Terras hatte. Das
alles überlegte Mario de Monti jetzt, als er auf die Feststellung des Mädchens einging. »Also seid ihr nur notgelandet?« Ishmee hielt nur noch ihr Wille aufrecht. Sie mußte todmüde sein, dachte Mario. Bewundernswert ... aber die ORION – Crew hatte derlei Aktionen schon so oft durchgeführt, daß es ihn nicht sonderlich beeindruckte. »Ja. Unser Ziel lag woanders.« »Wo?« »Überall und nirgendwo. Wir suchten Freunde im Weltall.« Diese Eröffnung machte die Crew, Cliff eingeschlossen, sprachlos. Plötzlich verstand er, warum die Verständigung zwischen Terranern und einer Turceed so schnell möglich gewesen war. Beide hatten sie das gleiche gesucht und hier gefunden – aber war es wirklich das gleiche? »Soso«, sagte Mario düster. »Ich hoffe, ihr habt Freunde gefunden.« Ishmee erwiderte kühn: »Bis jetzt bin ich zufrieden.« Sie lehnte sich gespannt nach hinten, nickte Mario zu und drehte den Sessel wieder zurück zu Cliff. Während sie sich mit Mario unterhalten hatte, war die ORION in der Luft stehengeblieben, keine zwanzig Meter von der Schleuse entfernt. Niemand zeigte sich. Cliff drehte das Mikrophon an dem biegsamen Stiel quer über die Scheibe des Zentralschirms und sagte leise: »Ishmee! Bitte sprich laut und deutlich einen beruhigenden Text. Sage deinen Freunden, daß wir hier sind, um sie abzuholen. Dann lande ich das Schiff.«
Er drehte sich halb und gab Helga ein Handzeichen, das überflüssig war, denn die Funkerin hatte bereits die Außenlautsprecher angeschaltet und die Lautstärke eingepegelt. »Ja«, sagte Ishmee. Dann sprach sie etwa fünf Minuten lang. Cliff bemühte sich, zu verstehen, was sie sagte, aber er verstand nur vereinzelte Worte. Während die Außenlautsprecher den Schall durch die Schlucht leiteten, erschien zuerst ein Mann in der Schleuse schirmte die Augen ab und starrte das Schiff an. Er drehte den Kopf und rief etwas ins Schiff hinein. Ein zweiter Mann kam heraus, ein dritter, schließlich mehrere Mädchen und andere Männer, alle in glänzende Anzüge gekleidet. Teilweise waren diese Anzüge zerfetzt oder unvollständig. Die Gesichter der Turceed waren schmal und zeigten die Spuren weniger der Entbehrungen, mehr eines Bewußtseins, hier auf diesem Planeten gefangen zu sein für den Rest ihres Lebens. Und es wäre fraglich gewesen, ob es ihnen möglich gewesen wäre, hier auf Range III eine Kolonie aufzubauen. Der Planet war zu wild, um intelligentes Leben lange Zeit beherbergen zu können, zudem mangelhaft und völlig primitiv ausgerüstet. Ishmee wandte sich an Cliff. »Fertig. Schluß«, sagte sie. »Sie können es noch nicht glauben.« »Was sollen wir tun?« »Aussteigen«, sagte Ishmee. »Nimm ein Licht mit. Im Schiff ist es dunkel.« »In Ordnung.« Mario stand auf. »Ich gehe mit euch«, sagte er. »Meinem ehrlichen
Gesichtsausdruck wird selbst der skeptischste Turceed nicht widerstehen können.« Wohlüberlegt entgegnete Ishmee: »Es ist nicht nur dein Gesicht, Mario. Für uns ist entscheidend, was dahinter zu sehen ist.« Mario deutete auf den kleinen Lift, während Cliff das Raumschiff in eine günstige Position brachte. Dann grinste der Kybernetiker breit und murmelte: »Bei allen Sauriern! Im Iglu muß irgendwo Hammersmiths: Psychologie der Raumfahrer herumgelegen haben. Lesen kann sie auch schon!« Cliff wandte sich an Atan. »Atan, ich übergebe das Schiff. Es wird vermutlich so sein, daß wir rund fünfundzwanzig Gäste mit ihrem Gepäck haben werden. Hasso wird ihnen helfen, ja?« Der Bordingenieur meldete sich von seinem Bildschirm. »Mit dem größten Vergnügen, Kommandant McLane. Bitte verfügen Sie über mich!« Der kleine Lift verschwand nach unten. Cliff und Mario nahmen drei schwere Handscheinwerfer mit und ließen sich dann vom Zentrallift nach unten bringen. Die Schleusentür glitt auf, und zum zweitenmal stand Cliff den Angehörigen einer anderen Rasse gegenüber. Er sammelte seine neuen Sprachkenntnisse und sagte langsam, bemüht, keinen Fehler zu machen: »Ihr habt Freunde im All gesucht. Wir sind hier.« Eine Mauer aus silbernen Körpern bildete sich um ihn und Ishmee. Die Gesichter der Turceed lagen in der Sonne, und Cliff fühlte ihre Strahlen im Nacken. Er schwieg und sah von einem zum andern.
Es war, wußte er, eine lautlose Probe. Die Turceed bemühten sich, festzustellen, welches Gefühl ihnen von diesen beiden Männern entgegengebracht wurde. Da Cliff ausnahmsweise ein außergewöhnlich sauberes Gewissen hatte, betrachtete er die schmalen Köpfe der Turceed und wartete geduldig, bis die lautlose Prüfung nach zwei Minuten vorbei war. Einer der Männer trat vor und legte einen Arm um Ishmee. »Das ist der Pilot«, sagte das Mädchen. »Skuard«, sagte der Mann und starrte zuerst Mario an, dann Cliff. »Mein Bruder«, erklärte Ishmee. Sicher stellt sie jetzt meine Erleichterung fest, dachte Cliff und merkte deutlich, daß sie seine Erleichterung feststellte. Grinsend knurrte der Kybernetiker: »Keine Konkurrenz, McLane.« Cliffs Lächeln war etwas gequält. Skuard sagte etwas zu Ishmee, und das Mädchen übersetzte. »Kommt bitte ins Schiff.« Cliff schaltete, nachdem er die Schleuse betreten hatte, den Scheinwerfer an. Der Lichtkreis vor ihm beleuchtete rostenden Stahl. Überall drängten sich die Turceed und betrachteten die Terraner. Ishmee und Mario brachten mit ihren Scheinwerfern mehr Helligkeit ins Schiff. Gestauchte Metallflächen, herausgeplatzte Nieten und aufgerissene Schweißnähte gaben einen Eindruck von den Kräften, die während des Aufschlags des Schiffes gewirkt hatten. Sehr viel würde es nicht zu bergen geben. Die Gruppen versammelten sich in einem Raum, der allen neunundvierzig Personen Platz bot.
Cliff wandte sich an Ishmee und meinte: »Sage ihnen bitte, daß ich die Hälfte ins Schiff bringen und in unser Lager fliegen möchte. Sie sollen mitnehmen, was ihnen mitnehmenswert erscheint. Ich möchte die Umsiedlungsaktion nicht mitten in der Nacht durchführen.« Ishmee übersetzte, und Skuard begann, einige seiner Männer auszusondern. Er schien ihnen zu erklären, worum es ging. Einige Fackeln wurden angezündet und begannen, ein rußendes Licht abzugeben. Schritte ertönten, die Männer verteilten sich und holten, was sie mitnehmen wollten. Cliff und Mario gaben die notwendigen Anweisungen, und Ishmee übersetzte. Nacheinander verließen die ersten Männer das Schiff, einige Mädchen folgten. Zwischen dem Zentrallift und der angerosteten Schleuse entwickelte sich ein ziemlich reger Verkehr. Metallkästen und hastig zusammengeschnürte Bündel, Spulen und Kassetten – Geräte, die aus ihren Befestigungen geschraubt wurden und riesige, zusammengerollte Sternkarten. Das alles wanderte hinüber in die Laderäume der ORION VIII. Schließlich befanden sich rund die Hälfte der dreiundzwanzig Mädchen und der vierundzwanzig Männer an Bord des Schiffes. Cliff startete zurück zum Lager. * Cliff saß etwas nervös in dem Kommandantensessel. Er blickte in die Linsen über dem größeren Videophonschirm; der Schirm selbst, da Cliff auf Lager-
kommunikation geschaltet hatte, war hell und bildlos. Cliff fühlte sich unbehaglich. Er sollte eine Art Ansprache halten, und diese Tätigkeit schätzte er gar nicht. Schließlich schaltete er das Mikrophon ein und räusperte sich. In jedem Iglu des Lagers konnte man jetzt seine Stimme hören und seinen Kopf sehen. »Meine Freunde«, sagte Cliff zögernd. »Ich bin etwas befangen, und den Grund kennen Sie natürlich. Wir haben im Schiff und im Lager insgesamt siebenundvierzig Gäste. Sie sind uns fremd und auch wieder nicht. Sie sehen fast wie Terraner aus und benehmen sich vermutlich in vielen Lebensäußerungen ähnlich. Ich weiß, daß jeder von Ihnen bemüht sein wird, das Gesetz der Gastfreundschaft zu erfüllen. Unsere einzige Absicht ist es, mit den noch Fremden schnell vertraut zu werden – ich baue hier auf Ihr Können. Versuchen Sie bitte, alles zu tun, um den Turceed einen günstigen, aber deswegen nicht unehrlichen Eindruck von uns zu vermitteln. Ich kann leider Terra durch Funk nicht erreichen. Leider, weil jetzt die gesamte Verantwortung auf meinen schwachen Schultern liegt. Ich bin jederzeit zu erreichen und werde versuchen, zu schlafen. Sollte es irgendwelche Probleme geben, dann zögern Sie nicht, ins Schiff zu kommen oder mich anzurufen. Das wäre es – morgen früh sehen wir weiter.« Cliff schaltete ab und blieb noch eine Weile regungslos sitzen. Der Elektronenzaun war eingeschaltet. Hasso hielt draußen mit einer schweren Zweihandwaffe die Wache. Das Schiff schwebte über dem alten Standort, und die Mädchen und Männer aus dem fremden
Schiff waren in den Iglus untergebracht. Ishmee und ihr Bruder Skuard schliefen im Schiff, und ... Der Summer! Cliff sah nach den Leuchtanzeigen auf der linken Seite des Steuerpultes und mußte grinsen. Das Kontrollicht sagte aus, daß der Anruf über die Bordsprechanlage aus der Kabine von Ishmee kam. Cliff drückte den Kontakt. »Ja?« »Hier Ishmee 8431. Ich möchte noch mit dir sprechen. Kommst du?« Cliff erhob sich langsam und fragte kurz: »Achtvierdreieins?« »Ja. Meine Zahl. Meine Zahl in Turceed.« »Ich komme sofort«, sagte Cliff und verließ die Kommandokanzel. Er ging den Ringkorridor entlang und betätigte den Summer an einer der sonst unbesetzten Kabinen. Mit Hilfe Helga Legrelles hatte sich Ishmee hier eingerichtet, von Helga hatte sie auch die zweite Bordkombination bekommen und einige andere Kleidungsstücke, da der anliegende Schutzanzug alles war, was nach dem Absturz des Schiffes noch übriggeblieben war. »Ja!« Cliff trat ein. Ishmee 8431 lag in der breiten, eingebauten Koje, hatte den Kopf auf einem der Kissen und sah sehr müde aus. Der Raum war halbdunkel und roch nach einem ungewöhnlichen Parfüm. Cliff blieb neben der Tür stehen und lehnte sich dann schwer auf einen der beiden Sessel. »Zufrieden, Ishmee?«, fragte er leise.
Sie nickte. »Ich bin müde«, sagte sie. »Sehr müde. Ich möchte dir danken. Skuard findet, daß du ein netter Mann bist. Was hast du mit uns vor?« Es gab Stunden, in denen sich Cliff verzweifelt nach einem halben Liter Archer's tears sehnte, um Sorgen oder Probleme damit hinunterspülen zu können. Jetzt war eine solche Stunde. »Ich höre ungern Komplimente«, sagte er, gleichzeitig fiel ihm ein, daß die Turceed stets nur die Wahrheit sagten, wenn sie es nicht vorzogen, zu schweigen. Er wurde unruhig. »Was wird morgen sein?« fragte Ishmee. »Ihr werdet erst einmal ausschlafen«, sagte Cliff, »und ich auch. Dann werden wir uns zusammensetzen und diskutieren. Unter Umständen ist es das Klügste, wenn wir zur Erde starten, nach Terra.« Sie zog eine Hand unter der Decke hervor und winkte. Cliff ging drei Schritte vorwärts und blieb neben der Kante der Liege stehen. Er sah auf das Mädchen herunter, dessen goldfarbene Augen halb geschlossen waren. Sie war, wie Mario richtig bemerkt hatte, außergewöhnlich hübsch, selbst jetzt. »Helga ist auch nett«, sagte Ishmee. »Hat sie sich um dich gekümmert?« »Wie eine Schwester!« sagte das Mädchen. »Und Mario hat sich um Skuard gekümmert.« »... wie ein Bruder?« Cliff lächelte. »Richtig. Ich möchte dir danken. Du hast den Mut gehabt, allein auf mich zuzugehen. Ich glaube, wir werden sehr gute Freunde werden.« Cliff war versucht, laut zu lachen.
»Das ist genau das, was ich vorhabe«, sagte er. »Aber: Eine Warnung: Wir Terraner sind noch nicht so fortgeschritten wie die Turceed. Wir lügen noch. Oder sagen wir einmal ... wir sagen nicht immer die volle Wahrheit.« Er ging langsam zur Tür zurück. »Ich habe mit Helga lange über dich geredet«, sagte Ishmee und lächelte. »Sie hat mir viel von dir erzählt.« »Ich kann mir genau vorstellen, was sie dir erzählt hat«, sagte Cliff und schob die Tür auf. »Darüber werden wir morgen früh nicht diskutieren«, sagte Ishmee, schloß die Augen und schaltete das Licht aus. Cliff schloß die Tür, ging zehn Meter weiter entlang des Ringkorridors und setzte sich auf die Kante seiner Liege. »Mann!« murmelte er. »Das ist der größte Gag der terranischen Raumfahrt! Kommandant McLane verliebt sich in Außerirdische.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. Morgen, so dachte er, schien ein aufregender Tag zu werden.
6 Helga Legrelle war kurz vor Mittag fertig. Sie hatte, mit sämtlichen technischen Möglichkeiten spielend, den größten Iglu des Lagers in eine Art Arena verwandelt. Atan Shubashi und Hasso hatten ihr geholfen. Die größten Videophonschirme und ein ausgeklügeltes Linsensystem waren eingerichtet worden, und zu den beiden Schiffen bestand eine Bildfunkverbindung. Sämtliche Geräte des Lagers waren angeschlossen, und nachdem die Kunststoffbehälter mit den Proben in den Kältekammern des Raumschiffes verstaut worden waren, beschloß die wissenschaftliche Abteilung des Kolonialamtes, die Arbeit niederzulegen – wenigstens vorübergehend. SCIENCE PATROL hatte für den Moment ihre Bedeutung verloren. »Fertig!« sagte Helga und sah sich um. »Phantastisch!« kommentierte Atan und stolzierte eine Weile vor den Linsensystemen auf und ab, damit auch alle Terraner und Turceed sehen konnten, wer hier an der vordersten Front kämpfte. Hasso warf sich in einen der zwanzig Sessel und seufzte: »Wir warten, wie üblich, auf die Hauptakteure dieses Schauspiels. Ich muß sagen, Cliff fällt immer etwas Neues ein.« Da die Crew nach einem genauen Plan vorgegangen war, wußte sie, daß diese Versammlung wichtig war. Die Wissenschaftler und die Turceed hatten sich sehr bemüht, die zögernd begonnene Freundschaft zu festigen. Die unmittelbare Folge dieser Versuche war
die Kenntnis der Sprache des anderen. Allerdings waren beide Teile weit davon entfernt, die Sprache richtig anwenden zu können. Zehn Terraner und zehn Turceed sollten sich hier treffen und diskutieren. Während die Funkerin, der Bordingenieur und der Astrogator stolz die Früchte ihrer Arbeit begutachteten, stand der Hauptakteur in der Toilette seiner Kabine und zog sich gerade ein frisches Hemd an. »Ich habe den Eindruck, daß ich ausgeschlafen genug bin, um mich zu stellen. Und ich weiß noch immer nicht, was ich tun werde.« Cliff McLane war trotz der Gedanken, die ihn überfallen hatten, als er allein war, schnell eingeschlafen und spät aufgewacht. Jetzt kontrollierte er den diamagnetischen Kragen des Hemdes und strich mit beiden Händen das Haar glatt. Dann suchte er einige Filme, nahm den Projektor unter den Arm und verließ das Schiff. Vor ihm waren Skuard und Ishmee gekommen. Sie saßen bereits in den Sesseln, und als Cliff sie begrüßte, sah er, daß die eine Nacht Schlaf genügt hatte, um dem Mädchen zu einem Aussehen zu verhelfen, das nicht nur ihn verblüffte. »Guten Morgen«, sagte Cliff. »Guten Tag«, erwiderte Skuard und grinste. Nacheinander kamen diejenigen Terraner und Turceed, die ausgesucht worden waren, hier die gemeinsamen Probleme zu erläutern und durchzudenken. Helga stand auf und legte eine Hand auf ein kleines, improvisiertes Schaltpult auf ihrem Tisch. »Freunde!« sagte sie. »Das, was wir hier besprechen, geht uns alle an. Ich habe daher alle Mitglieder
des Projekts Range III eingeschaltet. Die Übertragung geht auch zu den Schiffen AURIGA und OPHIUCHI. Ich bitte nur um eines – macht es nicht zu lang und bleibt telegen!« Gelächter kam auf. Cliff blieb sitzen, und Helga richtete die Linsen auf ihn. »Zunächst fasse ich kurz zusammen, was wir wissen. Kyaer, bitte, übersetzen Sie, so gut Sie es können.« »Selbstverständlich.« Mikrophone, zwei Bandgeräte, die Schirme, der Projektor, einige Karten der Turceed, die Linsensysteme und die Lautsprecher ... der Iglu strotzte vor terranischer Nachrichtentechnik. »Wir kamen hierher, um ein Forschungsprogramm anzufangen und den Grundstein für ein Dauerlager zu legen. Das ist geschehen. Wir fanden währenddessen auch ein Mädchen, Ishmee 8431. Sie suchte wie wir Freunde im All. Wir fanden schnell heraus, daß siebenundvierzig Angehörige der Turceed auf Range III abgestürzt sind und keine Chance mehr hatten, von hier wegzukommen. Ihr Heimatplanet liegt zwei Lichtjahre von hier entfernt. Wir haben sie überreden können, ihr rostendes Wrack aufzugeben und zu uns zu ziehen. Das ist im wesentlichen alles, was wir wissen. Ich glaube, ich werde zuerst einige Fragen stellen. Sollte jemand eine Frage haben ... wir gehen in akademischer Manier vor.« Kopfnicken bedeutete für Cliff Zustimmung. »Erstens: Ich hörte gestern nacht zum erstenmal, daß hinter den Namen der Turceed eine Ziffer genannt wird. Warum?«
Stockend erwiderte Skuard, nachdem Kyaer übersetzt hatte: »Auf Turceed, dem Heimatplaneten, leben nur noch fünftausenddreihundert Turceed. Jeder von ihnen hat eine Zahl. Ishmee hat die Ziffer 8431, ich habe die Ziffer 8439. Es bedeutet nichts My ...« Kyaer half aus: »Mystisches.« »Nein, nichts Mystisches. Nur eine Ziffer.« Cliff fragte weiter. »Warum so wenige Turceed auf dem Heimatplaneten, Ishmee?« Ishmee, in einer abenteuerlichen Kombination von Helgas Kleidung, bedachte Cliff mit einem Lächeln, das sämtliche vagen Hoffnungen aus dem Herzen Louveenas jagte. Dann erwiderte sie: »Wir sind vor vielen Jahren von unseren Vorfahren vertrieben worden. Auf dem Planeten, auf dem wir mit dem letzten Raumschiff landeten, gab es schlechte Lebensbedingungen. Todesfälle und Geburten hielten sich die Waage. Ein harter Planet. Wir brauchten ein Jahrtausend, um einige Schiffe nachbauen zu können, die alle nicht besonders gut sind – unser Absturz bewies es endgültig. Dann starteten wir, eine Gruppe der jüngsten der Rasse, um entweder einen besseren Planeten zu finden oder einen Freund, der uns hilft. Es scheint, daß wir den Freund gefunden haben.« Doktor Spacor hob die Hand, Cliff nickte, und die Biologe sagte: »Setzen wir voraus, daß ihr einen Freund gefunden habt. Wie gut kennt ihr das All?« Jetzt meldete sich Skuard 8439.
»Wir kennen nur die Umgebung unseres Planeten, zehn Lichtjahre weit. Nicht mehr. Diejenigen, die uns vertrieben, haben uns die Karten genommen. Ich habe hier eine uralte, oft kopierte Karte. Astrogator Atan ... können ... kannst du etwas damit anfangen?« Atan holte sich die Karte, die aus einem dicken schwarzen Film bestand und etwa einen Quadratmeter groß war. Es war nichts anderes als eine ungenaue Sternphotographie. »Ich kann zumindest versuchen«, sagte Atan langsam, nachdem er die Karte mit zusammengekniffenen Augen angesehen und dreimal gedreht hatte, »durch einen Vergleich das betreffende Gebiet zu umreißen. Es kann Tage dauern.« »Mehr als fünftausend Turceed warten also auf euch, auf das, was ihr findet oder auf denjenigen, den ihr findet – oder auf einen besseren Planeten. Richtig?« fragte Cliff. »Richtig!« sagte der Pilot des fremden Schiffes. Cliff lehnte sich zurück, versuchte, seinen Plan, der immer deutlichere Folgen annahm, in Worte zu kleiden. Er sagte: »Angenommen – ich wiederhole: Angenommen, ich könnte einen unbesiedelten oder nur ganz dünn besiedelten Planeten anbieten, den die Erde euch zur Verfügung stellt. Angenommen ferner, ich könnte die Regierung dafür gewinnen, mit Schiffen der Flotte die Turceed von ihrem kargen Heimatplaneten zu holen und auf diesen Planeten zu bringen? Wäre das ein Angebot?« Er sah quer durch den Raum in das Gesicht des Mädchens.
»Ein Angebot«, sagte Skuard, »das wir annehmen würden. Sofort. Aber wir haben nichts auch nur annähernd Gleichwertiges dagegen zu bieten. Eure Technik ist besser, eure Schiffe sind schöner und schneller. Alles, was wir haben, wären Daten über gewisse Zellforschungen, die wir seit Jahrhunderten intensiv treiben. Und unsere Unfähigkeit, zu lügen.« Ishmee hatte große, mandelförmige Augen, die entfernt mongolisch wirkten. Das schmale Gesicht mit dem kurzen, fast blau glänzenden Haar wirkte konzentriert und aufmerksam. Ishmee war nur wenige Zentimeter kleiner als der Kommandant und strahlte auf eine exotische Weise ihre unverwechselbare Persönlichkeit aus. Ob es mit den Experimenten auf zellbiologischer Basis zusammenhing? »Warum seid ihr von dem früheren Planeten vertrieben worden?« Ishmee erwiderte: »Es existieren nur Legenden, die vermutlich einen sehr deutlichen Wahrheitsgehalt aufweisen. Als vor Urzeiten unsere Ahnen ausgesät wurden, kam mit ihnen das Prinzip des Machthungers, der Alleinherrschaft. Dieses Prinzip breitete sich aus und bekam Anhänger. Es bildeten sich zwei Gruppen im Volk. Eine Gruppe aktivierte die Kräfte des Planeten, um die andere Gruppe zu unterjochen. Die zweite Gruppe aber stahl ein Schiff und floh. Das waren unsere Urahnen auf Turceed. Wie gesagt, das ist eine Sage.« »Waren es Menschen, Wesen wie ihr?« fragte Hasso leise. »Ja«, sagte der Kapitän des fremden Raumschiffes. Er hieß Rodeen 8501. »Genau wie wir. Schwarzhaarig und mit goldfarbenen Augen. Eine Rasse.«
Ein anderer Turceed hob die Hand. »Ja?« »Ihr werdet euch wundern, warum unsere Ziffern achttausend und mehr ausweisen. Die Einteilung wurde vor nicht allzu langer Zeit eingeführt. Sonst gäbe es keine Ziffer über sechstausend, nicht wahr?« »Richtig«, sagte Mario. »So etwas Ähnliches dachten wir uns.« Zur Sicherheit übersetzte Kyaer. »Es ist also klar, daß das Leben unserer siebenundvierzig Freunde und das der zurückgebliebenen fünftausendzweihundertdreiundfünfzig davon abhängt, wie sich die Erde verhält. Da ich annehme, daß ausnahmsweise über die Grundsätze keine Zweifel bestehen werden, schlage ich folgendes vor: Ich starte mit der ORION VIII, meiner Crew, Ishmee 8431 und Skuard 8439 nach Terra. Dort aktiviere ich alles, was ich ankurbeln kann. Schiffe, einen Planeten, einen Ersatz für die Aktion Range III – alles. Ich werde aber jeden anderen Vorschlag berücksichtigen. Demokratische Abstimmung. Wer dagegen ist, nennt bitte seinen Namen und trägt ihn in eine Liste ein, die nach Ende der Diskussion hier auf dem Tisch liegt. Vorprobe. Wer von den Anwesenden ist dafür? Kyaer ... bitte übersetzen Sie das Ganze langsam.« Kyaer übersetzte alles betont und langsam. Jeder der Turceed verstand den Plan des Kommandanten. »Wer für meinen Plan ist, hebe bitte eine Hand.« Es waren zwanzig Hände. »Ich übernehme die Abstimmung der beiden Schiffsbesatzungen«, versicherte Helga Legrelle ruhig.
»Danke.« »Bis wir, falls wir starten, die Erde erreichen, können Mario und Atan die genaue Position von Turceed feststellen. Dieses Problem kann schnell gelöst werden. Doktor Spacor, Sie sind der wissenschaftliche Leiter dieses Projekts. Glauben Sie, daß es genügt, wenn ich die beiden Schiffe hier landen und aufpassen lasse? Vorräte und Waffen, Anzüge und jede andere Ausrüstung durfte reichen.« Der Biologe dachte lange nach, dann erwiderte er: »Ich bin dafür, daß Sie nach Terra fliegen, Cliff! Wenn die AURIGA und die OPHIUCHI hier landen, wenn die Turceed uns ein bißchen helfen, sind wir auch in dreißig Tagen mit der ersten Untersuchung fertig. Wir dürfen allerdings dann nicht zu langsam arbeiten.« »Ausgezeichnet!« sagte Cliff. Dann stand er auf und blickte kurz in jedes der zwanzig Gesichter. Weniger die Augen der Terraner, mehr die der Turceed, sahen ihn scharf und abwartend an. Cliff McLane sagte: »Freunde! Ich wende mich hauptsächlich an die Turceed. Ich habe hier einen grandiosen Plan entwikkelt. Ich betone, daß es technisch eine Kleinigkeit ist, fünftausend Menschen von einem Planeten der Raumkugel zu einem beliebigen anderen zu bringen. Auch gibt es genügend Planeten, die erdähnlich sind – oder jedenfalls so, daß die Turceed darauf leben können. Die große Frage ist nur, ob ich die Regierung für meinen Plan gewinnen kann. Ich bin schnell begeistert, und ich bin ebenfalls gewöhnt, meine Pläne durchzusetzen. Aber – es kann ein harter Kampf werden, der uns
allen die letzten Kräfte abverlangt. Die Regierung ist aber käuflich.« Das Murmeln der Runde war ein unverkennbar terranisches Murmeln. Cliff lächelte kurz und hart. »Natürlich nicht mit Geld, das meine ich nicht. Wir müssen der Regierung etwas anbieten können. Ich habe es! Wir sagen ihnen, daß die TurceedWissenschaftler ein Serum oder einen Pflanzenauszug entwickelt haben, der lebensverlängernd oder verjüngend wirkt. Oder beides. Ist das klar? Wenn die Umsiedlung vorbei ist, gestehe ich gern, daß ich gelogen habe.« Ishmee sagte kühl: »Das Problem ist nur, daß wir die Wahrheit sagen, wenn wir gefragt werden.« Cliffs Grinsen war nicht anders als verschlagen zu nennen. »Ich werde Wamsler und den Seinen suggerieren, daß dieses Serum tabu ist. Sie werden nicht wagen, nach diesem Zeugs zu fragen. Überlaßt das mir!« Dann setzte er ruhiger hinzu: »Ich starte morgen früh, wenn die Abstimmung dafür ist.« Helgas Stimme besaß plötzlich eine Autorität, die Cliff verwunderte. Die Funkerin sagte laut: »Da die Probleme geklärt sind, nehme ich an, daß die Versammlung beendet ist. Die Wissenschaftler müssen sich wieder mit dem Planeten befassen, die Turceed werden ihnen dabei helfen, und die Crew wird starten. Vermutlich. Ich baue den technischen Kram ab, sobald die Meldungen der beiden Schiffe vorliegen.«
»Ach ja«, sagte Cliff. »Das kann ich gleich erledigen.« Helga winkte ab. »Geh ein bißchen mit Ishmee an der frischen Range-III-Luft spazieren. Ich erledige es.« »Danke.« Zwei Stunden später würde es feststehen, daß sich die gesamte Mannschaft eindeutig für Cliff McLanes Plan ausgesprochen hatte. Die beiden Schiffe brachen ihre Untersuchungen ab und starteten in den Raum. Range III war ihr Ziel. Cliff verließ den Iglu und blieb auf dem Rost stehen, der sich vor dem Eingang bis zu dem nächsten Kuppelbau erstreckte. Ishmee stand plötzlich an seiner Seite. »Gehen wir in die Sonne, solange sie scheint«, sagte sie. »Oder verabscheust du die Sonne?« Cliff schüttelte schweigend den Kopf, dann sagte er: »Die Sonne ist so ziemlich das einzige, das ich auf Range III nicht verabscheue.« Ishmee sah ihn an und mußte die Frage stellen, die seit dem Ende der Diskussion in ihren Gedanken gewesen war. »Du spielst ein gewagtes Spiel, Cliff, nicht wahr?« Cliff lauschte auf den Klang ihrer Worte, er beobachtete ihre Augen. Seine Antwort war ausweichend. »Ich spiele meistens mit nicht gerade kleinen Einsätzen. Hier aber geht es um mehr als fünftausend Leben. Leben von der Art, wie es auch der Homo sapiens ist. Und da mußte ich einfach etwas ausführlicher werden. Es ist keine andere Lösung möglich und denkbar.« »Ja«, sagte sie. »Ich habe mir gewisse Gedanken
gemacht. Was bedeutet Homo sapiens?« Cliff sah sie an und merkte, daß ihn etwas immer stärker zu ihr heranzog. Etwas? Was? »Es bezeichnet, im Gegensatz zu den hochentwikkelten Säugetieren, den ›weisen Menschen‹, also den vernunftbegabten Menschen. Ob unsere Regierung sapiens sein wird, weiß ich nicht.« »Gewisse Gedanken«, beharrte Ishmee. Das blauhaarige Mädchen, das zufällig aus dem runden Fenster über ihrem Laborplatz sah, erblickte Cliff und die Fremde. Für Louveena war alles klar; mit knappem Abstand war sie zweite Siegerin geworden. Ihr Groll auf unentdeckte Planeten wuchs ab dieser Sekunde. »Welche?« »Einige Merkwürdigkeiten: Die Tatsache, daß unsere Sprachen sich sehr ähneln. Daß, soweit ich es feststellen kann, die Gebräuche nicht verschieden sind – wir gebrauchen sogar das gleiche Besteck zum Essen. Die schnelle Verständigung. Die Wahrscheinlichkeit starker gegenseitiger Sympathien. Schwerkraft, Luftzusammensetzung, Stoffwechsel ... alles das ist gleich.« »Kann es sein, daß wir von gleichen Vorfahren abstammen?« Nachdenklich biß Cliff in die Knöchel seiner linken Hand. »Es kann, aber ich halte es für unwahrscheinlich. Über unsere eigene Evolution ... also über die Entwicklung intelligenten Lebens auf Terra ... wissen wir einigermaßen gut Bescheid. Es wären dann schon sehr unwahrscheinliche und spektakuläre Ereignisse, die dazu geführt haben mußten. Es gibt keine Spuren, nichts.«
Sie deutete mit der Hand zum fernen Horizont. »Dort, das Wrack. In einem Jahrhundert spätestens ist keine Spur davon mehr übrig. Vielleicht etwas mehr Eisenoxyd im Boden. Sonst nichts.« Cliff zuckte die Schultern. Dies war ein Problem, das für ihn so weit entfernt war wie eine andere Galaxis. »Ich gehe ins Schiff«, sagte er. »Dort kann ich ungestört nachdenken.« »Ja«, erwiderte sie. »Ab jetzt sind die siebenundvierzig Turceed passive Figuren in deinem Spiel.« Er blieb zwei Meter vor der Schleuse stehen, drehte sich schnell um und sagte deutlich: »Gerade von dir hoffe ich es nicht, Ishmee 8431.« Sie lächelte unnachahmlich. »Ich weiß«, sagte sie. Cliff fuhr hinauf ins Schiff und setzte sich in den Kommandantensessel. Er kippte ihn nach hinten, trat sich die Stiefel von den Füßen und legte die Füße auf das Instrumentenpaneel. Dann schloß er die Augen und begann systematisch, alles Erlebte und seinen Plan von vorn nach hinten durchzudenken. Er fand schon einige Minuten später einige schwache Stellen und eliminierte sie. Aber er fand auch einige ausgesprochen starke Stellen. Sehr starke. Fünfzig Minuten später kam Helga herein, stutzte und fragte: »Schläft der Kommandant?« »Nein«, knurrte Cliff. »Der Kommandant denkt.« »Was etwa das gleiche bedeutet«, meinte Helga nebenbei und hielt ihm die Nase zu. »Putze deine Fingernägel. Wir starten morgen früh?« »So wenig Gegenstimmen?«
»Keine!« rief Helga. »Keine einzige!« Cliff schlug die Hände vors Gesicht und murmelte: »Wamsler sei uns gnädig! Ich komme mit zwei Fremden von einem vergammelten Planeten, arm und abgerissen, die nicht einmal eine ernsthafte Bedrohung darstellen. Und ich erdreiste mich, a) einen Planeten zu verlangen und b) die Mitwirkung der gesamten Flotte Kublai-Krims! Sie werden mich in die Magellanschen Wolken verbannen!« Helga kicherte anzüglich und schloß: »Ishmee 8431 wird dir in die Verbannung folgen, Kommandant McLane!« * In der Kommandokanzel sah es jetzt, am zweiten Tag nach dem Start, wie in dem Studio eines Architekten aus. Riesige Pläne, lange Reihen Komputerpapier, Kunststoffolien, Papppläne, das Handbuch und eine Menge Zeichenstifte lagen herum, einige Maßstäbe für interstellare Entfernungen. Der Eindruck wütender Arbeit lag in der Luft. Helga, die ruhig neben dem Funkpult saß, blickte ab und zu kopfschüttelnd auf die drei Männer und deren Beschäftigung. Was hier geschah, begriff sie zwar, aber ihr fehlte die Abstraktionsfähigkeit, es völlig zu durchschauen. »Mario. Rufe bitte die Analogprojektion ab.« Der Chefkybernetiker hatte im Speicher des Komputers gesucht und schließlich die Spektrogramme einiger Sonnen gefunden, die wiederum einer scharf umrissenen Gruppe von Lichtpünktchen auf der Sternkarte von Skuard 8439 entsprachen. Jetzt würde
der Komputer sämtliche Sternkoordinaten des betreffenden Raumkubus auswerfen. »Analogprojektion kommt.« Auf einem angeschlossenen Schirm breitete sich zuerst eine stumpfe Schwärze aus. Dann erschienen von oben links nach unten rechts in rasender Geschwindigkeit Lichtpünktchen. Eines nach dem anderen, kleiner und größer. »Fertig!« Man hätte es für ein Sternphoto halten können. Skuard und Atan sahen sich an. »Das entspricht jeder anderen Konstellation, aber nicht derjenigen auf deiner alten Karte. Mit einem solchen Plan würde ich nicht einmal mein Haus verlassen, geschweige denn meinen Planeten!« schrie Atan aufgebracht. »Stümper!« Mißmutig erwiderte der Pilot des fremden Schiffes: »Du kannst es auch nur, weil ihr derart tolle Maschinen habt, Partner!« Atan versuchte, die Karte mit dem Analogbild dekkungsgleich zu machen. Er preßte sie gegen den Schirm, aber die Punkte paßten nicht zusammen. Dann drehte er die Karte um neunzig Grad. Negatives Ergebnis. Wieder eine Drehung. Wieder nichts. Als die Karte sich ein viertesmal gedreht hatte und die Lichtpunkte immer noch nicht aufeinanderpaßten, sah Atan den Piloten verachtungsvoll an. »Was kann ich dafür?« verteidigte sich Skuard 8439, »ich habe das Ding benutzt, aber nicht hergestellt. Ich kann sie auch nicht in euer Bezugssystem übertragen.« Mario zog Atan am Ärmel. »Ich werde die Analogprojektion jetzt um die
Längsachse drehen. Wir merken uns am besten die neun Sterne in der Mitte.« Der Komputer drehte das Bild langsam und genau um die Längsachse. Es entstand der Eindruck, als rase eine Kamera in unvorstellbarer Geschwindigkeit im Normalraum rund um eine Sterngruppierung. Atan und Skuard warteten eine 360-Grad-Drehung ab. »Nichts!« Eine halbe Stunde später hatte der Komputer das Bild um die Querachse rotieren lassen. »Wieder nichts. Wir finden einfach die Sonne von Turceed nicht.« Jetzt programmierte Mario de Monti eine Drehung, die gleichzeitig über zwei Achsen verlief. Die Sterne bewegten sich wieder, und die Hirne und Augen von Atan und dem Turceed versuchten, das Bild auf der Karte mit einer der ständig neu entstehenden Konstellationen in Einklang zu bringen. »Haaaaalt!« rief Atan schließlich. Mario hechtete förmlich auf den Schalter, der das Programm stoppte. Er stellte auf Rücklauf und ließ elf Zehntelsekunden zurücklaufen. Dann kam Atan mit ausgebreiteten Armen auf den Schirm zu. Zwischen seinen Händen war die Karte. Er preßte sie gegen den Schirm. »Die Sterne sind deckungsgleich!« murmelte Skuard verzückt. Er deutete mit einem Stift auf eine der Sonnen. »Das ist die Sonne von unserem Planetensystem.« Mario preßte einen Schalter nieder, und das Schreibelement des Komputers begann hämmernd zu arbeiten, wie ein robotischer Specht.
»Ausgerechnet!« sagte der Kybernetiker. »Was – ausgerechnet?« fragte der Astrogator. »Ist aus der Sonne inzwischen eine Nova geworden?« Mario las eine Zahl ab. »Sieh im Handbuch nach, Atan. Im Speicher wird diese Sonne als Stern mit dem Kode 09421:7873 SR ausgewiesen.« Atan blätterte bereits in dem Buch, in dem sämtliche Sonnen, Planeten und Monde verzeichnet waren, die jemals auf einem Photo aufgetaucht waren, das von terranischen Schiffen aufgenommen wurde. Atan las laut vor: »Sonne des A-Typs, Temperatur 9100 Grad Kelvin, Leuchtkraft 30, absolute Größenklasse +1. Nicht angeflogen, System unbekannt. Vermutlich keine Planeten mit intelligentem Leben.« Er musterte Skuard mit einer Art verwunderter Hochachtung. »Im Ernst«, sagte er ruhig, »meine Hochachtung eurer Rasse. Auf dem Planeten eines solchen Sterns zu überleben – dazu gehört mehr als Glück und Tüchtigkeit.« Mario ergänzte: »Ich schließe mich deiner Meinung an, Atan. Aber jetzt haben wir die Möglichkeit, alle vorhandenen Sternkarten und deren Bezugssystem in unsere Erfahrungswerte zu übertragen. Wenn du zehn Sekunden wartest, kann ich dir sagen, wo die Sonne genau liegt.« Sie lag in Ost/Sieben 093. *
Volle sechsundzwanzig Stunden später, in der Kabine des ehemaligen Piloten: Skuard saß neben Ishmee auf der Liege und sah seiner Schwester ins Gesicht. Seine Miene war sehr ernst. Bruder und Schwester verständigten sich nicht durch Gedankenübertragung, aber im Laufe ihres Lebens hatte sich eine Art Kode entwickelt, der jedem Wort eine Bedeutung verlieh, die weit über die bloße Bedeutung hinausging. »Schwester«, sagte Skuard in seiner Sprache, »dadurch, daß dich dieser Kommandant beim Fischfang beobachtet hat, ist unsere Rasse gerettet worden. Wir stehen nur Tage vor der endgültigen Entscheidung.« Ishmee sagte still: »Cliff ist ein kluger und umsichtiger Mann. Dazu kommt eines, das ihn vor allen anderen auszeichnet: Er riskiert für uns einiges. Unter anderem eine Position, die er im Lauf von mehr als siebzehn Monaten, also rund eineinhalb Terra-Jahren, erarbeitet hat. Zutiefst in seinem Inneren ist er ein zweifelnder, reflektierender Mann, alles andere als ein Barbar.« Skuard ertrug die volle Last ihres ruhigen, direkten Blickes, ohne die Augen abzuwenden. »Du hast recht«, sagte er. »Wie würdest du urteilen wenn du ihn halbtot auf der Kiesbank des Urflusses gefunden hättest?« Sie erwiderte zögernd mit einer Gegenfrage. »Du meinst, wenn er nicht als mehr oder minder strahlender Held aufgetaucht wäre und dicht über meinem Kopf ein Pteranodon abgeschossen hätte?« Skuard richtete sich auf und faßte ihre Hand. »Genau das meine ich, Schwester.« »Es hätte nichts geändert, Bruder.« Sie wußten beide, was sie nicht aussprachen. Jetzt
noch nicht. Zwischen Cliff Allistair McLane, dem Kommandanten eines terranischen Kriegsschiffes und Ishmee 8431, die in einem silbernen Schutzanzug einen Fisch gesperrt hatte, war eine sehr starke Bindung entstanden, über die niemand an Bord etwas sagte. Sowohl Cliff als auch Ishmee wichen in gewisser Beziehung einander aus. »Kann eure Beziehung unserer Rasse gefährlich werden? Oder formulieren wir es besser: Glaubst du nicht, daß eine Partnerschaft zwischen euch beiden den Turceed eher schaden als nützen wird?« »Nein!« sagte Ishmee schroff. »Ich bin sehr gegen Spiele mit verdeckten Steinen«, sagte schließlich ihr Bruder. »Bei der nächsten Gelegenheit gehe auf ihn zu und sage ihm, was du denkst. Wenn er das gleiche denkt, dann wird er reagieren. Er ist weder ein Kind noch ein schüchterner Bursche, sondern ein erwachsener Mann und eine Persönlichkeit.« Die beiden Turceed ließen das Schweigen ausgehen, und jeder von ihnen hatte seine eigenen Gedanken dabei. Skuard wollte seine Schwester vor einer Enttäuschung bewahren, und Ishmee suchte nach einem Weg, sich Cliff McLane zu nähern, der ein Kompromiß war zwischen ihnen beiden, ihr und Cliff. Sie mußten sich irgendwo auf halber Strecke treffen, im All, zwischen zwei Sternen ... »Ich werde tun«, sagte sie schließlich lächelnd, »was du geraten hast.« »Beeile dich. In einigen Tagen landen wir auf der sagenhaften, wunderbaren, einzigartigen Erde. Dann ist es zu spät.« Sie stand auf und fuhr sich durchs Haar.
»Jetzt gleich? Er ist im Kommandantensessel?« Skuard blieb in der offenen Kabinentür stehen. »Du kannst dir noch einige Minuten Zeit lassen.« Er lächelte Ishmee an und schoß die Tür. * Zwei Tage vor der Landung und einen Tag nach dem Absenden des Hyperfunkspruches in Cliffs Kabine: Die ORION VIII jagte, vom Digitalrechner und vom Autopiloten gesteuert, der Erde zu. Die Verwunderung auf den Hyperraumfunkspruch schien im Büro Wamsler so groß zu sein, daß sie eine Antwort verhinderte. Cliff saß vor der Arbeitsplatte und notierte auf einem Block die einzelnen Punkte. Ausgerüstet mit der Erfahrung, die er sich beim Aufbau einer Kolonie erworben hatte, plante er die Umsiedlung von rund fünftausend Menschen. Zahlen, Materialmengen, Schiffskapazitäten, die Mengen der benötigten Schiffe, der Zeitplan, die Pionierabteilung ... Cliff addierte die Werte und kam auf einen beträchtlichen Umfang. Für Terra und die dort mehr oder weniger nutzlos stationierten Geschwader würde dies ein Vergnügen sein. Der Türsummer ertönte. »Ja, herein!« rief Cliff. Er drehte den Sessel herum und sah im Spalt der sich aufschiebenden Tür die Gestalt des Mädchens. Cliff ahnte, daß die Angelegenheit, in der sie gekommen war, alles andere als unwichtig war. »Was gibt es?« fragte er unruhig. »Es ist die letzte Gelegenheit, bevor wir landen. Ich
muß mit dir sprechen.« Cliff machte eine entsprechende Handbewegung. »Bitte«, sagte er. »Ich höre.« Sie schloß die Tür, ging einige Schritte in den Raum hinein und setzte sich dann in den zweiten, kleineren Sessel. »Du weißt natürlich, warum ich hier bin«, sagte sie. Cliff schüttelte langsam den Kopf, obwohl er es ahnte. »Ich kann es mir vorstellen«, erwiderte er, »aber ich weiß nicht, ob ich recht habe. Machen auf Turceed die Mädchen den Männern die Anträge?« Ihre Überlegungen beschäftigten sich mit der Frage nicht länger als wenige Sekunden. Dann stand Ishmee auf, ging an Cliff vorbei bis zur Arbeitsplatte und sah auf die ihr unverständlichen Schriftzeichen und Ziffern und die Linien des Netzplanes, die Cliff gezogen hatte. »Wir haben da kein besonderes Schema«, erwiderte Ishmee. »Es richtet sich nach ... Anbietung und ...« »Nach Angebot und Nachfrage«, ergänzte Cliff. »Richtig«, sagte sie. »Ich kenne zwar nicht deine Gedanken, aber ich weiß, welches Gefühl du mir entgegenbringst. Und ich kenne auch die Tiefe des Gefühls.« Cliffs Bewunderung für sie stieg, und gleichzeitig wurde er nervös. Wenn er sich dazu entschloß, seine Gefühle deutlich zu dokumentieren – wobei er noch immer nicht wußte, auf welche Art dies auf Turceed üblich war –, dann wurden seine Gefühle sehr genau kontrolliert, wenn Ishmee in seiner Nähe war. Er zog sich etwas zurück und bemerkte unschlüssig: »Das ist deine Seite der Sache. Ich werde mich
wohl pausenlos damit beschäftigen müssen, zu erraten, was gerade in deinem bemerkenswerten Kopf vorgeht.« »Das«, sagte sie lachend, »ist das Risiko einer jeden Bindung.« »Zwischen zwei Stühlen zu sitzen, dürfte in diesem Fall der bequemste und problemloseste Platz sein«, sagte Cliff. »Willst du damit diskret andeuten, daß du mehr als schwesterliche Gefühle für mich hast?« »So ist es.« Sie stand jetzt neben ihm, ihre goldfarbenen Augen betrachteten ihn kühl und analysierend. Ishmee begann leise zu sprechen, als rede sie zu sich selbst. Cliff aber wußte, daß sie aussprach, was sie undeutlich dachte, um es deutlich und bestimmt werden zu lassen; gewisse Dinge werden scharfer, wenn man sie laut ausspricht oder beschreibt. »Ich habe vierhundert Tage seit dem Start von Turceed, und dreihundertfünfzig Tage seit der Bruchlandung Skuards darüber nachgedacht. Ich habe Angst. Angst vor dem düsteren Schwarz dort draußen, Angst davor, auf einem Planeten voller Saurier und Vulkane zu leben. Mehr oder weniger allein oder unzufrieden zu zweit. Es hätte für mich das Ende der Welt bedeutet. Und nach dreihundertfünfzig langen, grauenvollen Tagen traf ich dich – oder vielmehr trafst du mich.« Cliff sagte sarkastisch: »Du wirfst dich also dem erstbesten Terraner an den Hals?« »Dem ersten und dem besten, jawohl. Sicher bist du nicht der beste aller Terraner. Du gestattest, daß ich für mich selbst eine andere Wertung anlege.«
»Ich bitte darum«, sagte Cliff. Er stand auf und blieb wenige Zentimeter vor ihr stehen. »Wenn du jetzt gleich die stahlharten Muskeln meiner Arme um dich spüren wirst, bedeutet es für mich, daß ich zum erstenmal in meinem Leben mich freiwillig einer Kontrolle unterwerfe; einer Kontrolle meiner Gefühle durch deine Sonderbegabung. Natürlich wirst du es ausnützen.« Cliff küßte sie. Entweder waren die Bräuche auf Turceed von denen Terras verschieden, aber innerhalb von Minuten bewies Ishmee, daß sie schnell lernte und die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen verwischte. Diese Kommunikationsmöglichkeit lernte sie noch schneller als die Sprache. »Schön!« flüsterte sie. »Made in Terra«, sagte Cliff. Sie löste sich widerstrebend aus seinen Armen, ihr Gesicht war gerötet, die Augen halb geschlossen. »Wann landen wir?« fragte sie leise. »In achtundvierzig Stunden, Ishmee.« »Was ist dieser Marschall Wamsler für eine Art Mensch. So wie du oder Hasso?« »Weder noch. Wamsler ist ein reizender Bursche, der seine Zuneigung hinter polternden Reden verbirgt. Ich werde mit ihm lange Wortgefechte führen müssen.« »Welchen Text hast du gefunkt?« Cliff suchte unter den Papieren seiner Arbeitsplatte und fand die entlang der Perforation abgerissene Durchschrift des Funkspruchs. Er drehte die Kunststoffolie um und las vor:
»Kommandant McLane an Marschall Wamsler. Geheim ... persönlich ... dringend ... Im Rahmen von Projekt Range III – SCIENCE PATROL – wurden von meinen Leuten und mir siebenundvierzig Wesen entdeckt. Sie sind die Besatzung eines abgestürzten Raumschiffes, das auf Range III notlandete. Sie suchen ebenso wie wir Kontakte mit einer anderen Rasse. Ich bringe zwei Verantwortliche zur Erde und bitte um Diskretion. Absolut humanoid, Kenntnisse der terranischen Sprache vorhanden. Es wird sich die Notwendigkeit einer Umsiedlungsaktion ergeben, da dies die einzige Möglichkeit zur Hilfe ist. Name der Rasse: Turceed. Namen des Mädchens und des Piloten: Ishmee 8431 und Skuard 8439. Erbitte Abholkommando von Basis 104. Gezeichnet McLane ... Ende ... persönlich an T.R.A.V. (Wamsler) ... dringend.« Ishmee lachte; offensichtlich gefiel ihr das Vorgehen Cliffs. »Es wäre wesentlich besser für dich«, sagte der Kommandant, »wenn du mehr von dem Verwaltungsstil Terras erfahren würdest. Uns stehen schlimme Tage bevor.« Sie legte ihm die Arme um den Hals und nahm ihm jede Möglichkeit, weitere Erklärungen abzugeben. Noch sechsundvierzig Stunden, und dann – die Erde.
7 Nach dem alten, fest eingefahrenen Zeremoniell von Meldungen, Bitte um Landeerlaubnis, Kontakt mit Earth Outer Space Station IV, mit der Einweisung durch die diensthabende Anette Kendrix sank die ORION VIII durch den riesigen Strudel im Carpentariagolf senkrecht nach unten und blieb zehn Meter über dem Beton der Basis stehen. »Landung beendet«, sagte Cliff und legte einige Reihen von Schaltern um. Helga schaltete den Anruf der Landekontrolle auf die Lautsprecher der Bordsprechanlage um. »Hier spricht die Hafenkontrolle«, sagte die Stimme des Mädchens Anette. »Die Crew der ORION und die beiden Gäste an Bord werden gebeten, sich mit den wissenschaftlichen Unterlagen in Schleuse C III einzufinden. Dort wartet ein Wagen.« »Danke«, sagte Helga und schaltete das Funkpult aus. »Wamsler reagiert bereits«, sagte Cliff. »Freunde, ein letztes Wort! Wir kämpfen mit allem, was uns einfällt. Ich rechne mit stärkstem Widerstand. Und jetzt gehen wir von Bord!« Er nickte Ishmee und Skuard zu und stand auf. Nacheinander wurden die Maschinen und Aggregate, die Leitungen und Sicherungen des komplizierten technischen Systems abgeschaltet. Nur noch der Antigrav lief; er hielt das Schiff in einer konstanten Höhe von zehn Metern. Irgendwann wurde ein Robotschlepper die ORION in den Hangar fahren. Der Zentrallift senkte sich ab, und die Crew verließ
das Schiff. Ishmee und Skuard sahen sich neugierig um und bemerkten die Scheinwerfer an den stählernen Wänden des zylindrischen Landeschachtes. Vorsichtig, um nicht in den Bereich der Antigravprojektoren zu kommen, gingen die sieben Personen, von denen zwei nicht im entferntesten unirdisch wirkten, auf die Schleuse C III zu. Die wuchtigen Tore öffneten und schlossen sich wieder, und an der Rampe des dritten Bereitschaftsraumes wartete ein kleiner Wagen mit der Aufschrift T.R.A.V. Terranische Raumaufklärungsverbände. »Wir begrüßen Sie, Kommandant«, sagte ein Mann, den Cliff schon kannte; er konnte sich nur nicht genau erinnern, woher. »Bringen Sie uns zu Wamsler?« Die Ordonnanz aus Wamslers Büro strahlte zuerst Cliff an, betrachtete dann das Mädchen und erwiderte: »Auf direktem Weg, Oberst.« »Schön. Fahren wir!« Sie nahmen in den Schalensitzen Platz, verstauten die Bordtaschen und die metallenen Behälter der wissenschaftlichen Unterlagen und lehnten sich zurück. Der Wagen fuhr ziemlich schnell auf einer der wenig benützten, niedrigen Stollenstraßen bis ins Zentrum der Verwaltungsanlage, hielt dort, und die Ordonnanz übernahm die Führung. Sie kamen durch eine Passage, die von Menschen, Geschäften und kleinen Bars wimmelte, bestiegen eine Rolltreppe und befanden sich dann in dem wohlbekannten Korridor. Wamsler schien ihr Kommen beobachtet zu haben, denn bereits im Vorzimmer hörte Cliff seine polternde Stimme aus einem Lautsprecher:
»Die ORION-Crew soll sofort hineinkommen. Wir warten.« Beim vorletzten Wort zuckte Cliff zusammen und sah Hasso bedeutungsschwer an. Der Ingenieur zuckte die Schultern und machte eine beruhigende Handbewegung, als wolle er Cliffs Erregung dämpfen. Die Lichtflutbarriere fiel zusammen, die sieben Personen gingen ins Büro hinein. Wamsler, Villa, Kublai-Krim und P. V. Aventeer erwarteten sie. Wamsler stand ächzend auf, betrachtete die beiden ungewohnten Gestalten schweigend und etwas zu lange. Es wirkte bereits unhöflich. Dann kam er um den Tisch herum und streckte Ishmee die große Hand entgegen. »Sie müssen dieses Mädchen sein, von dem McLane sprach.« Ishmee war so groß wie der Raummarschall und sah Wamsler gerade in die Augen. Ohne seine Hand loszulassen, erwiderte sie: »Und Sie sind Marschall Wamsler. Die gesamte Crew hat mir von Ihnen berichtet.« Wamsler grinste breit und brummte: »Sicher nur Gutes.« »Es waren einige positive Äußerungen darunter, ja«, sagte Ishmee. »Und die anderen Herren?« Wamsler zuckte zusammen, stellte sie vor und machte sehr genaue Angaben. Dann wandte er sich an Skuard und schüttelte dessen Hand. Wamsler war zu alt und zu klug – er wußte, daß diese beiden Fremden wichtig waren und wertvoll sein konnten. Aber er war auch mißtrauisch, denn das fremde
Raumschiff auf Range III konnte eine Falle sein wie die Puppen von dem Künstlerplaneten. Oder ein neuer Versuch der Extraterrestrier, sich der Erde zu bemächtigen. »Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte er und deutete auf die sieben Sessel, die vor dem Tisch aufgestellt worden waren. Mit Vergnügen bemerkte Cliff, daß Michael Spring-Brauner abwesend war. Die Crew setzte sich, die beiden Freunde in der Mitte. »Zunächst folgende Frage«, sagte Wamsler dröhnend. »Ich richte sie an Cliff McLane.« »Bitte«, sagte Cliff. »Mein Gewissen ist rein.« »Das wäre eine Ausnahme«, meinte Wamsler. »Warum haben Sie uns nicht gleich nach dem ... hm ... Zusammentreffen verständigt?« Cliff lächelte fein und sagte: »Es war unmöglich. Ionisierter Wasserstoff verhinderte den Funkkontakt zwischen dem Range-IIISystem und dem nächsten Relaissatelliten. Ich habe vierzehn Zeugen: Die Crew und die beiden Schiffsbesatzungen der AURIGA und der OPHIUCHI. Sie versuchten es ebenfalls – erfolglos. Frage korrekt beantwortet?« Widerwillig knurrte der Marschall: »Ja. Ausnahmsweise. Berichten Sie zusammenhängend, Oberst.« Oberst Henryk Villa betrachtete das Arrangement mit sichtlicher Belustigung. Er verschränkte die Arme vor der Brust, schlug die Beine übereinander und sagte: »Berichten Sie bitte, Oberst McLane.« Cliff tat es. Er ging exakt chronologisch vor, untermauerte sei-
nen Vortrag mit den Bildern und den wenigen Forschungsberichten, die jetzt schon vorlagen. Er schilderte das erste Zusammentreffen mit Ishmee und die folgenden Maßnahmen. Er schilderte auch seinen Gewissenskonflikt, als er merkte, daß eine Funkverbindung mit der Erde unmöglich war. Schließlich nannte er Zahlen, Entfernungen und schilderte die notwendigen Untersuchungen, die sie alle durchgeführt hatten. Nach einer knappen Stunde beendete er seinen Bericht und schloß: »Ich bin von der langen Rede entkräftet. Früher, vor Jahren, herrschte in diesem Büro der schöne Brauch, daß die Besucher mit Getränken aller Art verwöhnt wurden. Leider ausgestorben. Meine Lippen sind trocken und spröde. Kann ich ein Glas Wasser haben?« Wamsler maß ihn mit einem Blick, der Cliff hätte durchbohren und die Sesselrückwand durchschlagen sollen. Cliff befeuchtete die Lippen mit der Zunge und meinte: »Wirklich, Marschall. Ich bin entkräftet.« Wamsler schaltete sein Videophon ein und bestellte bei der Ordonnanz eine Runde für die Crew. Dann fragte Wamsler: »Ich will offen sein, Cliff McLane. Versuchen Sie, meinen wenig idealistischen und auf den ersten Blick alles andere als humanistisch eingefärbten Standpunkt zu verstehen. Ich leite dieses Büro mit seinen vielfältigen Aufgaben. Wir alle, die hier sitzen, wissen genau, wie oft Angriffe auf die Erde erfolgt sind. Einige andere Rassen, die wir niemals richtig zu Gesicht bekommen haben, versuchten mit mehr oder weniger großem Geschick, die Erde zu erobern, sich
der 900-Parsek-Kugel zu bemächtigen. Wer gibt uns die Gewähr, daß die Turceed nicht einen erneuten Versuch dieser Art darstellen?« Cliff blieb ruhig; auf dieses Argument war er vorbereitet. »Erstens«, sagte er deutlich, »die geringe Anzahl der Individuen. Wir trafen auf Range III siebenundvierzig Turceed. Auf einem Planeten der Sonne 09421:7873 SR leben weitere fünftausendzweihundertdreiundfünfzig Turceed. Ich nehme an, daß Terra einen Angriff von knapp fünfeinhalbtausend Wesen, gleich, wie dieser Angriff erfolgen wurde, souverän abwehren könnte. Zweitens: Die Turceed haben insgesamt ein Raumschiff. Im Flottenjargon würden wir es als Konservenbüchse bezeichnen. Es war so gut wie raumuntüchtig und stürzte nach zwei Lichtjahren Flug ab. Ich habe Ihnen Bilder des rostenden, unter Geröll begrabenen Schiffes vorgelegt – sieht so eine Bedrohung aus? Drittens: Die Rasse der Turceed experimentiert seit Jahrtausenden mit dem Leben der Zelle. Sie bietet uns wichtige Erkenntnisse an, die letzten Endes, nach entsprechenden Versuchen, lebenserhaltend und lebensverlängernd wirken können. Ein geriatrisches Serum; vielleicht werden Sie es eines Tages brauchen können.« »Unsinn!« schnarrte Wamsler. »Ich werde in sechs Wochen auf die Jagd gehen. Dann wird man sehen, wie wenig baufällig ich bin. Zurück zu Ihrer Verteidigung: Diese drei Punkte haben mich überzeugt. Allerdings muß ich betonen, daß mein Widerstand relativ gering war.«
Die Ordonnanz kam herein und verteilte die runden Gläser, aus denen es verlockend roch. »Archer's tears?« fragte Cliff blitzschnell. »Letzter Vorrat von Halvorsen«, erwiderte Wamsler ebenso schnell. »Aber Wamsler ist nicht allein für ein solches Projekt verantwortlich. Sie haben sicher nicht übersehen, daß ich hier sitze« sagte Oberst Villa mit einem maliziösen Lächeln. »Mitnichten!« konterte Cliff. Er wandte sich an Ishmee und Skuard. »Dieser Herr dort ist der Chef des Galaktischen Sicherheitsdienstes. Er ist von Natur aus verpflichtet, mehr als mißtrauisch zu sein. Aber für Sie, Oberst Villa, habe ich ein besonders schönes Argument.« Henryk Villa legte den Kopf etwas schräg und sagte halblaut: »Lassen Sie hören. Ich bin sehr gespannt.« Cliff fragte: »Sie sind schon oft mit Raumschiffen geflogen?« Villa schüttelte den Kopf. »Nicht allzu häufig, aber genügend oft.« »Können Sie sich vorstellen, daß sich zwischen den Männern und Frauen, deren Beruf es ist, Raumschiffe zu steuern, besonders intensive Beziehungen anbahnen? Eine Art Gemeinschaft, die Verbundenheit einer kleinen, qualifizierten Minderheit?« »Das kann ich mir vorstellen, Oberst«, erwiderte Villa. »Zwischen den Wissenschaftlern und Raumfahrern Terras, die am Projekt Range III beteiligt sind, und den Turceed haben sich solche Beziehungen angebahnt«, erklärte Cliff. »Jeder von uns kann Ihnen sa-
gen, was die Turceed wert sind. Sie können fragen, wen immer Sie wollen. Ein zweites Argument: Die Erde steht vor der Alternative, durch eine schnelle Aktion mehr als fünftausend Wesen zu helfen, die uns ähnlicher sind, als es jetzt schon aussieht. Diese Aktion würde Ihre Flotte beschäftigen, KublaiKrim. Sie würde viel Geld kosten, sicher, aber die Erde könnte einen der geeigneten Planeten nur mit Turceed besiedeln. Die Tausende von Schiffen die Sie kontrollieren, würden dann eine echte Aufgabe haben, die sich nicht darin erschöpft, Manöver und Scheinangriffe zu fliegen. Wir hätten dann, was wir schon seit dem Beginn der Raumfahrt gesucht haben: Freunde im All. Die Alternative wäre, meinen Antrag abzulehnen. Meinen Ärger und meine Wut darüber könnten Sie verschmerzen ich würde daran nicht sterben. Aber die Regierung der Erde wäre dann vor jedem lebenden Menschen innerhalb der Raumkugel diskreditiert, weil sie am Tod von mehr als fünftausend Turceed schuldig ist. Das sind die Alternativen. P. V. Aventeer – sagen Sie selbst: Welche würden Sie wählen, wenn Sie könnten?« Aventeer sagte halblaut: »Das ist eine infame Frage, McLane. Natürlich die Siedlungsaktion.« Cliff sah Wamsler starr ins Gesicht und fragte hart: »Wofür sind Sie, Raummarschall?« »Ich bin dafür, daß wir einen Planeten freigeben und die Flotte in Marsch setzen.« »Oberst Villa?« »Abgesehen davon, daß ich die gesamte Aktion mit
meinen Leuten durchsetzen und kontrollieren werde, bin ich auch ein Anhänger Ihres Vorschlages, Oberst McLane!« »Danke. Kublai-Krim?« »Ich kann meine Schiffe innerhalb von zwei Wochen koordiniert einsetzen. Vielleicht werde ich die Aktion selbst leiten, denn als Chef der Taktischen Flotte muß ich Kontrollen und Stichproben durchführen.« Cliff deutete auf den Kolonialsekretär der Erdregierung. »Werden Sie mir helfen, gegenüber der Regierung den Plan durchzusetzen? Ich habe schließlich meine Verdienste für die Erde in die Waagschale zu werfen.« »Sie können auf mich rechnen«, erwiderte der Sekretär langsam und stand dann auf. »Allerdings werde ich versuchen, die Oberleitung für den Bau der neuen Siedlung zu erhalten. Das können Sie sicher verstehen, denn der Gedanke an den Ruhm der Nachwelt beschäftigt uns beide sicher gleich stark.« Cliff lachte. »Meine Herren!« sagte er und hob sein Glas, »ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen vor allem im Namen meiner – unserer – neuen Freunde, der Turceed.« Cliff lachte. Er bückte sich und hob einen flachen Koffer hoch. »Hier ist ein ziemlich genauer Plan«, sagte er, öffnete den Koffer und schob ihn über den Tisch, »den ich während des Fluges entwickelt habe. Er sollte eigentlich ausreichen, aber ich empfehle, ihn von der Zentralen Rechenanlage prüfen zu lassen. Sie finden von dem Zeitplan über die Anzahl der Schiffe so
ziemlich jeden Punkt vermerkt und berechnet.« Wamsler warf einen Blick in den Koffer und sagte schließlich: »Wo liegt der Heimatplanet der Turceed?« Hasso Sigbjörnson erwiderte: »Im Raumkubus Ost/Sieben 093.« »Haben Sie schon einen Planeten im Auge, der für die Kolonisation geeignet wäre?« erkundigte sich die Funkerin und blickte P. V. Aventeer an. Zögernd antwortete der Kolonialsekretär: »Ich könnte Ihnen den Planeten VALKYRIE vorschlagen, den zweiten Planeten einer Sonne in Ost/Vier 763. Ich stelle die Daten Kommandant McLane zu.« »Erdgleich?« fragte Mario. »Abgesehen von Unterschieden in Fauna und Flora – völlig. Ein Planet in der ausgehenden letzten Eiszeit.« »Tadellos!« sagte Cliff. »Jetzt brauche ich nur noch die Versicherung, daß wir alle unbürokratisch schnell arbeiten können.« Wamsler schlug mit beiden Händen auf den Tisch und schrie, krebsrot im Gesicht: »Wollen Sie vielleicht noch ein vergoldetes Raumschiff? Wir alle haben unsere Kompetenzen wegen Ihrer blöden Turceed ohnehin schon überschritten! Ja, ja, ja! Wir werden alle uns nur noch laufend fortbewegen!« Ruhig erwiderte Cliff: »Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie hierin beobachten zu können. Sind die Krankenhäuser verständigt?« »Unverschämter Mensch«, sagte Wamsler und
stand abermals auf. Er blieb vor Ishmee und Skuard stehen, stemmte die muskulösen Arme in die Hüften und sagte dröhnend: »Der offizielle Teil ist vorbei! Ich bin dafür, daß McLane, der ohnehin der reichste Mann in unserem Kreise ist, heute abend in seinem Bungalow eine Party gibt. Und wir alle werden eingeladen. Das ist eine faire Gegenleistung, Cliff, nicht wahr, mein Junge?« Cliff ließ vor Schreck sein Glas fallen. »Marschall Wamsler!« stöhnte er. »Sie haben mich ›mein Junge!‹ genannt. Sind Sie krank?« Wamsler wirbelte trotz seines Gewichts herum und schlug Cliff krachend auf die Schulter. »Keineswegs! Ich freue mich nur, daß wir endlich jemanden im All gefunden haben, der nicht so arrogant ist, unsere Freundschaft abzulehnen. Wir werden tun, was wir können!« Binnen weniger Sekunden hatte Wamslers Büro jeden dienstlichen Eindruck verloren. Die elf Menschen standen in einer Gruppe um den Tisch herum, tranken die Gläser leer und diskutierten. Nach einer Stunde verabschiedete sich Wamsler von Ishmee, empfahl ihr förmlich und in wohlgesetzten Worten, sich um den Junggesellen McLane zu kümmern, versprach abends zu kommen und erzählte noch eine Menge Zeug über die Großzügigkeit irdischer Behörden. Schließlich schüttelte Cliff einige Hände und blieb vor Villa stehen. »Oberst«, sagte er beschwörend, »ich bitte Sie noch um einen einzigen Gefallen. Tun Sie es für mich?« »Was? Soll ich Tamara von Ihnen fernhalten?«
Cliff blickte sich scheu nach Ishmee um, die mit Wamsler und Aventeer sprach und schüttelte energisch den Kopf. Villa grinste verhalten. »Nein«, erklärte Cliff. »Ich bin nicht hier. Ich bin irgendwo an der Grenze der Raumkugel. Ich habe auch niemanden mitgebracht – ich werde sonst von den Reportern zerfetzt.« »Zum Zeitpunkt der Party, an der ich auch teilzunehmen gedenke, wird Ihr Bungalow von einer dichten Postenkette von GSD-Leuten umgeben sein. Wir werden die Presse erst nach Anlaufen der Aktion verständigen.« Cliff atmete auf. »Ich wußte es ja«, stöhnte er. »Sie sind mir wirklich wie ein Vater und eine Mutter. Danke, Oberst Villa.« Dann versammelte er seine Getreuen um sich und verließ unter Zurücklassung des gesamten wissenschaftlichen Materials das Büro Wamslers. Ishmee sagte zu ihm, nachdem sie die Lichtflutbarriere passiert hatten: »Sie hatten alle Angst, daß wir vielarmige Ungeheuer wären, die die Erde unterjochen würden. Es war deutlich zu spüren, wie sie darauf warteten, daß du ihnen erklärtest, daß sie keine Angst zu haben brauchen.« Cliff nickte und erwiderte: »Deine Fortschritte in Wortschatz und Grammatik sind betäubend! Du sprichst bereits gutes Terranisch in schlechtformulierten Sätzen.« Sie hängte sich bei ihm ein und flüsterte: »Deine Schule, Cliff McLane.«
8 Bisher hatte er nach dem Grundsatz zuerst schießen, dann nachdenken gehandelt, und trotz der gegensätzlichen Aufgabe war noch etwas von dieser Einstellung in ihm. Der große, breit gebaute Mann mit den grünen Augen und dem blonden, quer über den Kopf frisierten Haar arbeitete in Maßstäben, die wahrhaft galaktisch waren. Er hatte dreißig Mann seines Führungsstabes »umfunktioniert« und einen kleinen Saal in der Administration der Taktischen Flotte räumen lassen. Mitten in diesem Saal befand sich das Modell. »Hervorragend!« sagte Cliff. Er stand zusammen mit Kublai-Krim und Ishmee vor dem Modell. »Alles meine Leute!« sagte der Chef der Taktischen Flotte stolz. »Und von der Zentralen Rechenanlage durchgetestet. Sechsmal! Alles klappt wie am Schnürchen!« Man hatte zuerst zwei Schnelle Kreuzer und einige Begleitschiffe nach Range III gejagt. Dort hatten sie die fünfundvierzig Turceed abgeholt, mit ihrem wenigen Gepäck. Für die Wissenschaftler und die beiden anderen Schiffe der SCIENCE PATROL waren Nahrungsmittel und Ausrüstungsgegenstände ausgeladen worden. In den Kältekammern würden die Schiffe die Proben aus Fauna und Flora, Gesteinstrümmer und Analysen mit zurückbringen. Die Schiffe waren vor zwei Tagen gestartet. Gleichzeitig mit ihnen startete Oberst Villa und seine psychologische Abteilung eine Pressekampagne, die ihresgleichen suchte.
»Auf Zuwachs gebaut!« versicherte Kublai-Krim. »Ich finde es beispiellos mit welchem Einsatz uns die Erde hilft«, sagte Ishmee. Sie meinte es sehr ernst, und Kublai-Krim merkte es auch. »Sehen Sie«, erklärte er und deutete auf das fünfundzwanzig Quadratmeter große Modell, »wir haben lange Jahre immer Angst gehabt, daß in den Weiten des Alls bösartige Gegner auf uns warten. Das war auch der Angelpunkt unserer Außenpolitik. Da wir aber seit geraumer Zeit Frieden haben, können wir ein ungeheures Potential auf diese Arbeit konzentrieren. Gerade jetzt wird auf rund hundert Raumbasen begonnen, die Maschinen und die Materialien in die Schiffe zu verladen. Wir werden die Siedlung Turceed Nova aus dem Boden dieses Tales stampfen.« Das Modell war wirklich hübsch. P. V. Aventeer hatte mit seinen Mitarbeitern nach McLanes Plänen ein geschlossenes ökonomisches System entwickelt. Die mehr als fünftausend Turceed konnten binnen eines Jahres autark werden. Landwirtschaft, Technik und Wohnraum lag sinnreich zueinander angeordnet hier in dem Riesental. »Das hier ist die Siedlung«, erklärte Kublai-Krim. Man hatte über ein Tal von fünfzig Kilometern – das Modell zeigte jeden Baum und jeden größeren Felsen – eine Art Schachbrett geworfen. Die Bauwerke, verschieden hoch und verschieden groß, wuchsen schräg aus den Hängen hervor, bildeten einige Punkte, schwangen sich als Einzelbauten rund um einen See, der durch Aufstauen eines kleinen Flusses entstehen würde, befanden sich rund um den zentralen Platz der Siedlung gebaut. Es war vorstellbar, daß sich in einigen Jahrzehnten die Bevölkerung ver-
doppelt haben würde – dann reichte diese kleine Siedlung noch immer aus. Eine Stadt für fünftausend Menschen. Ein kleiner Raumhafen, etwa so groß wie auf Tareyton und durch eine unterirdisch angelegte Transportstraße mit dem Siedlungszentrum verbunden, ein Funkturm und ein Sender, einige kleine Robotfabriken, die Behälter für das Erntegut ... alles war sinnvoll und großzügig angeordnet. »Besonders gut hat ja unsere Zusammenarbeit geklappt!« versicherte Kublai-Krim und deutete auf eines der Modellhäuser. »Ihr Bruder hat den Architekten Ihren Stil vermittelt, und Sie werden eine gute Mischung zwischen Terra und Turceed vorfinden. Ich habe alles mobilisiert, was wir haben, McLane.« Cliff nickte und ging langsam um das Modell herum. »Das bedeutet, daß wir nicht eingreifen könnten, wenn auf einer der anderen Kolonialwelten etwas passiert, wobei unsere Hilfe benötigt wird.« Kublai-Krim winkte energisch ab. »Projekt VALKYRIE wird von Terra aus geleitet. Binnen Stunden kann ich ganze Flottenverbände umdirigieren.« »Wie lange wird der Bau dauern?« erkundigte sich Ishmee. »Etwa drei Monate. Wir werden für die Übergangszeit Iglus aufstellen.« Ishmee sagte zu Cliff: »Iglus ... das wird meinen Freunden vorkommen wie ein unverhofftes Geschenk. Wenn du siehst, wie wir auf Turceed wohnen, wirst du meine Äußerung verstehen.« Cliff sah sie an; er hatte schon einiges aus Erzäh-
lungen gehört und konnte sich noch mehr vorstellen. Auf einem Planeten, der neben einer derart heißen Sonne rotierte, pausenlos von Erdstößen erschüttert wurde und seit einigen Jahrhunderten unaufhaltsam versteppte, konnte das Leben nicht anders als hart und karg sein. Ishmee hatte sich verändert – sehr zu ihrem Vorteil. Cliff hatte mit ihr zusammen einige Kleider im Stil Turceeds entworfen und sie in Auftrag gegeben. Die Mode schlug ein, und inzwischen arbeiteten zwei Fabriken bereits an einer Kollektion dieser Art; Ishmee kassierte Lizenzgebühren. Sie würde in kurzer Zeit reich sein. Der Sprung vom Saurierplaneten und der bitteren Zeit nach dem Absturz in die irdische Zivilisation mit ihren Vorteilen und Schattenseiten war ihr jedenfalls leichtgefallen und – geglückt. »Du bist also der Ansicht, Ishmee, daß deine Freunde in dieser Siedlung leben können?« »Vollkommen, Cliff. Und das Schönste – sie ahnen noch nichts. Sie warten noch immer auf eine Antwort oder auf die Landung unseres abgestürzten Schiffes.« Cliff sah auf den Zeitplan, der auf einer der Raumwände projiziert war. »Wir starten in drei Tagen nach Turceed. Vier Schiffe voraus, darunter die ORION VIII.« Kublai-Krim rief laut: »Und meine Taktische Flotte hinterher! Dreitausend Schiffe!« Cliff versuchte, sich dreitausend Schiffe über einem öden Planeten vorzustellen und erschrak. Obwohl es sein Plan gewesen war, hatte diese Vorstellung etwas reichlich Ungewohntes.
»Ich sehe, Kublai-Krim«, sagte er und betrachtete das Modell ein letztesmal, »daß hier eine sagenhaft gute Arbeit geleistet wird. Hat Aventeer die Oberleitung übertragen bekommen?« Kublai-Krim erwiderte: »Ja. Er befindet sich bereits auf dem Flug nach VALKYRIE. Er und seine engsten Mitarbeiter. Sie werden Turceed Nova bauen.« »Schön«, sagte Cliff. »Ich gehe jetzt in das Büro der SCIENCE PATROL. Mal sehen, wie es den Wissenschaftlern auf Range III geht.« Ishmee und Cliff schüttelten Kublai-Krim die Hand, winkten den Mitarbeitern zu und verließen das Großbüro. Sie kamen hinunter auf die Ebene, in der es die breiten Fußgängerbezirke gab, die Läden und die Bars. Ishmee staunte noch immer, wenn sie hier waren. Inzwischen bahnte sich die größte und schnellste Aktion einer Planetenkolonisation an, die Terra je erlebt hatte. Sämtliche Abteilungen des gigantischen Machtapparates von T.R.A.V. und Taktischer Flotte arbeiteten zusammen, um den Turceed eine neue Lebensmöglichkeit zu geben. »Wir werden die ersten sein, die Turceed anfliegen, nicht wahr?« fragte Ishmee. Cliff und sie schlenderten durch die Menschenmengen, die hier unten zu sehen waren. Schaufenster, Auslagen, Bilder, Bewegungen, Farben und Geräusche, und dazwischen die Pflanzen, die mit Speziallicht bestrahlt wurden – ein winziger Aspekt der terranischen Kultur. »Ja. Die Crew, Skuard und du.« Sie gingen nebeneinander durch das Gewühl, bis
sie an einen Liftschacht kamen. »Ich glaube zu merken«, flüsterte Ishmee Cliff ins Ohr, »daß uns sehr viele Menschen anstarren. Liegt das an deiner Berühmtheit?« Cliff McLane sah sich unauffällig um und mußte dann lachen. »Keineswegs«, sagte er. »Versuche einmal, die Natur ihrer Gefühle zu ergründen, Ishmee!« Schweigend und konzentriert ging sie weitere zwanzig Meter neben ihm. Dann drehte sie sich zu ihm herum und meinte mehr als erstaunt: »Die Menschen meinen mich! Warum, Cliff?« Er hielt an, faßte ihren Arm fester und blieb so stehen, daß sie beide sich in einem Schaufenster spiegelten. Cliff deutete auf die reflektierende Riesenscheibe, hinter der sich Kleider, Mäntel und ähnlicher Kram für Damen befanden und sagte halblaut: »Was siehst du dort, Ishmee 8431?« »Ich sehe uns? Ja?« »Was siehst du an der rechten Seite von uns?« »Mich.« »Wie siehst du aus?« »Ich trage ein Paar dünne, weiße Stiefel, ein Kleid und einigen billigen Schmuck an den Handgelenken.« »Das Kleid ist es«, sagte Cliff. »Dieses Muster!« Die riesigen geometrischen Figuren, die von Ishmee selbst stammten, waren in den Stoff auf eine Cliff nicht bekannte Weise hineinpraktiziert worden. Er interessierte sich nicht sehr für die Herstellungsart von Damenmoden; es genügte, wenn er deren Aussehen und Wirkung billigte. Ein Muster, das sich ständig wiederholte, war ein Kreis, der zu zwei Dritteln ausgefüllt war. Unter diesem Kreis und durch ei-
nen der sechzehn Strahlen mit ihm verbunden, befand sich ein Stern. Der Stoff des Kleides war weiß mit winzigen eingewebten Silberfäden, die Muster waren goldgelb. Dieses Muster war es, das die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zog. »Das Muster?« »Ja. Es ist gut, aber auffallend.« »Dieses Zeichen ist irgendwie Bestandteil unseres Geschichtengutes. Es ist das Motiv, das sich in den Erzählungen und Berichten über die gemeinsamen Ahnen ständig wiederholt«, sagte Ishmee ernst. Cliff ging mit ihr weiter, auf eine der Verteilerebenen zu. »Wir werden dieses Zeichen in rund zehn Tagen genau kennenlernen«, versicherte er. »Dann landen wir nämlich auf Turceed.« Sie standen jetzt vor dem Büro von SCIENCE PATROL. Es war eine Informationssammelstelle, die weiter keine besondere Bedeutung hatte, als der Zentralen Rechenanlage die Daten der Schiffe zu übermitteln und deren Standorte beziehungsweise Routen. Sie traten ein. »Hallo, Kommandant McLane!« begrüßte sie ein Mann in der Flottenuniform. »Sie haben einen besonderen Wunsch?« »Ja«, sagte Cliff. »Ich möchte, wenn es möglich ist, die Meldungen von Range III sehen. Schließlich bin ich offiziell noch immer der Leiter dieses Projekts.« Der Mann führte sie in den Raum hinein, wo unzählige Robotgeräte arbeiteten und einige Mädchen und Männer an hellen Schreibtischen. »Wir hatten bisher ziemliche Schwierigkeiten,
überhaupt Meldungen zu bekommen«, sagte der Dienststellenleiter. »Ich weiß«, erwiderte Cliff. »Der ionisierte Wasserstoff.« Der Verantwortliche drückte einige Schalter, gab dem kleinen Komputer einen Befehl und ging hinüber zum Schreibgerät. Die Maschine begann ratternd zu arbeiten. »Wir haben mit Hilfe einiger Schiffe und einiger neu aktivierter Relaisstationen inzwischen eine neue Kette aufbauen können. Hier sind die Berichte, chronologisch geordnet.« Aus dem Ausgabeschlitz falteten sich lange Bögen. Cliff begann zu lesen. »Aha«, sagte er leise. »So etwas Ähnliches habe ich unbewußt erwartet.« Auf Range III ging alles zunächst seinen gewohnten Weg. Die Wissenschaftler schickten Kommandos aus, die versuchten, von jedem lebenden Tier eines oder mehrere Exemplare zu fangen oder zu schießen. Dann wurde dieser Fund seziert und untersucht. Die Proben fror man ein und schickte sie in die Kältekammern der beiden Schiffe. Das ging einige Tage lang. Dann begann der Planet sich in die Arbeiten zu mischen. In den Nebeln oder in den Pflanzen, oder durch das Klima hervorgerufen oder verstärkt, begannen die ersten Ausfallerscheinungen einzusetzen. Zuerst verrotteten einige der Gegenstände. Hitze, Nässe, wieder Hitze und pausenlose Beanspruchungen ließen die Kleidung und Teile der Nahrungsmittel verderben. Maschinen fielen aus, weil sie
nicht genügend isoliert waren. Dann kamen die Menschen an die Reihe. Die Turceed, kaum daß sie sich etwas erholt hatten, bekamen einen juckenden und unangenehmen Hautausschlag, der sich schnell auf die Terraner übertrug. Die beiden Ärzte konnten nicht mehr helfen, da spezielle Medikamente fehlten und schneller aufgebraucht wurden, als man gedacht hatte. Dieser Planet war ohne Parallele. »Verdammt!« knurrte Cliff. Er las weiter, und Ishmee versuchte, mitzulesen. Einige Angriffe von Pteranoda wurden leicht abgewehrt; die Raumfahrer der AURIGA und der OPHIUCHI waren exzellente Schützen, und die HM 4 war eine tödliche Waffe. Die Arbeiten wurden langsamer und langsamer, schließlich stockten sie fast. Todesfälle waren bisher keine zu beklagen gewesen, aber des gesamten Lagers bemächtigte sich eine gewisse Lethargie. Das einzige, das vollendet zu funktionieren schien, war die Freundschaft zwischen den Terranern und den Turceed. Das war die letzte Meldung. »Ich lese«, sagte Cliff, »daß das Lager auf Range III gewissermaßen ausgefallen ist. Was haben Sie angeregt?« Der Mann vor ihm lächelte; er hatte ein hartes, kantiges Gesicht, das auf Erfahrung und schnelles Handeln schließen ließ. »Morgen starten vier Schiffe. Sie bringen eine Ersatzmannschaft und entsprechende Medikamente. Sie holen die gesamte Lagermannschaft ab, auch die beiden Schiffe werden abgelöst. P. V. Aventeer hat sich entschlossen, die Mannschaft im zweiwöchentlichen Turnus ablösen zu lassen. Übrigens übersteigt die
Menge der Präparate, die bereits als gesammelt gemeldet sind, unsere Erwartungen.« »Das beruhigt mich«, sagte Cliff. »Wer leitet die Aktion jetzt?« »Man versuchte den halben Tag, Sie im Bungalow zu erreichen. Man hat Commander Correl damit beauftragt.« »Ausgezeichnet!« sagte Cliff. »Ich bin beruhigt.« Sie verabschiedeten sich und gingen. Der Dienststellenleiter und die Mädchen sahen ihnen lange nach, dann sagte eines der Mädchen laut und verwundert: »Ist das nicht die Außerirdische, die McLane auf einem wilden Planeten gefunden haben will?« Ein anderes Mädchen erwiderte: »Wahrscheinlich nicht. Sie sieht ja ganz normal aus. Dieser McLane wechselt seine Romanzen aus wie Energiezellen in einer Taschenlampe.« Sie beobachteten noch einige Weile das Mädchen im weißen Kleid mit den auffallenden Ornamenten darauf, dann zuckten sie mit den Schultern und arbeiteten weiter. * Tage vergingen. Kommandant Cliff: Allistair McLane arbeitete bei dem Siedlungsprojekt mit, teilte zusammen mit Kublai-Krim Schiffe und Aufgaben ein, sah die Meldungen durch, die von VALKYRIE kamen. Dort starteten in wahrhaft gigantischem Rahmen die Bauarbeiten.
Riesige Maschinen, die in Teilen herantransportiert und an Ort und Stelle zusammengesetzt worden waren, gruben Löcher, hoben lange Kanäle aus und verwandelten den Aushub in Schmelzsteine. Die ersten Bauten wurden hochgezogen. Der Raumhafen entstand. Bis zu zehntausend Pioniere waren gleichzeitig am Werk. Das Tal auf dem erdgleichen Planeten VALKYRIE hallte vom Lärm wider, die Fahnen des hochgewirbelten Staubes trug der Wind davon. Gleichzeitig kamen einige böse Meldungen von Range III. Eine Herde von Tyrannosauriern war gegen den elektronischen Zaun gestürmt und hatte das Lager überrannt. Keine Toten, aber einige Verletzte. Die beiden Schiffe hatten die Overkillprojektoren einsetzen müssen. Bei den ersten Aufräumungsarbeiten, die wegen der Krankheit und der neu hinzugekommenen Sehstörungen aller fünfundsechzig Menschen schleppend vorangingen, landeten die Ersatzschiffe. Sie starteten augenblicklich wieder und brachten Turceed wie Wissenschaftler zurück nach Terra. Eine Presseschlacht tobte ... Man berichtete in allen möglichen Formen des Journalismus von dem sensationellen Zusammentreffen zweier Rassen. Skuard und Ishmee waren die meistphotographierten Personen der Erde. Hin und wieder wurde auch auf die guten persönlichen Beziehungen zwischen der Außerirdischen und dem hochdekorierten Oberst der SCIENCE PATROL hingewiesen. Turceed kam in Mode. Kleider und Schmuck, Stiefel und Mäntel, Dekorationen und Werbeplakate – sie alle waren mit Zeichen und Motiven aus der Turceedkultur verziert. Keines davon stammte
wirklich von dem Planeten, den niemand kannte. Außer dem Kreis mit dem daranhängenden Stern. Tage vergingen. Ein Wort wurde in diesen Tagen zwischen dem Eintreffen der ORION VIII und dem Start dieses Schiffes und anderer nach Turceed am meisten strapaziert: TURCEED ... * Cliff McLane beugte sich vor; er stützte seine Ellbogen auf den Rand des Zentralschirmes und senkte den Kopf. Er blieb so sitzen und war ganz in seine schwierigen Gedanken versunken. Mario ragte ruhig wie ein Felsen neben ihm auf und wartete schweigend. Als sich Cliff nach Minuten in seinem Kommandantensessel zurücklehnte, war in seinem Gesicht nichts verändert. Er drehte den Kopf nach oben, und seine scharfen braunen Augen richteten sich auf Mario de Monti. »Wir haben ein schönes Stück Arbeit hinter uns«, sagte er leise. »Aber ein ebenso großes Stück wartet noch auf uns. Wir und die Schiffe, die uns folgen, haben die wohl eigenartigste Mission, die je ein Schiff hatte.« Vor ihren Augen auf dem Zentralschirm waren die Sterne. Tausende, kalt funkelnd und in seltenen, verworrenen Konstellationen. Rechts hing wie ein wahnsinniger Scheinwerfer die große, weiße Sonne; ihr Licht war so stark, daß es die Halbkugel des Planeten in eine blendende Erscheinung verschwimmender Konturen hüllte.
»Und dort – Turceed!« sagte Mario de Monti. Langsam näherten sich Schritte. Es war Ishmee, die zwischen beiden Männern stehenblieb. Sie stützte sich schwer auf Cliffs Schulter und legte den linken Arm um die Hüfte von Mario de Monti. Kybernetiker und Kommandant konnten ahnen, welche Gedanken das Mädchen erfüllten. Cliff faßte nach ihrer Hand. »Wie fühlst du dich, Ishmee?« fragte er. »Merkwürdig. Ich sollte freudig aufgeregt sein, aber ich zögere. Es wird einen großen Einschnitt im Leben unseres kleinen Volkes bedeuten«, erwiderte sie fast flüsternd. Cliff sagte mit einem durchbohrenden Blick auf das schwarzhaarige junge Mädchen: »Du legst deine Hand auf meine Schulter und hältst dich an Mario de Monti fest. Du machst dumme Witze mit Atan und unterhältst dich mit Helga Legrelle über die irdische Mode. Du bist wie selten jemand, der an Bord dieses Schiffes war, bei uns aufgenommen und vollkommen akzeptiert worden, obwohl sich deine Hilfe im Kaffeekochen erschöpft. So wie du werden auch deine Freunde aufgenommen werden. Du hast erlebt, wie unsere rauhen Krieger weich wurden, als du mit mir zusammen mit ihnen redetest. Es ist weniger ein Problem als ein Versuch, etwas Ungewohntes zu tun ... auch für mich, Ishmee.« Die vier Schiffe drifteten dem Planeten Turceed entgegen. Hasso Sigbjörnson schaltete seinen Schirm der Bordsprechanlage ein und meldete sich zur Stelle. Vor zwanzig Minuten waren die Schiffe aus dem Hy-
perraum gekommen. Jetzt trieben sie mit halber Lichtgeschwindigkeit dem Planeten entgegen und der letzten, aber mehr als entscheidenden Aufgabe dieses Einsatzes. »Du hast wahrscheinlich recht«, sagte Ishmee. »Kommt Skuard?« »Hier ist er«, sagte Helga. Sie und der Bruder des Mädchens standen im kleinen Lift. Der Summer, den Cliff ausgelöst hatte, war für ihr Erscheinen verantwortlich. »Wie werden die Turceed reagieren?« fragte Mario de Monti. Die beiden Nichtirdischen blieben neben Cliff stehen und betrachteten das Bild des Planeten, das immer größer und deutlicher wurde. »Ich weiß es nicht!« sagte Skuard. »Du weißt es nicht?« fragte Cliff verblüfft. »Nein. Das, was wir ihnen sagen werden, ist so unglaublich daß ich nicht voraussehen kann, wie sie reagieren werden. Aber Ishmee und ich werden tun, was wir können.« Auch Atan kam in die Kommandokanzel und blieb hinter seinem Sessel stehen. Das, was sie hier vorhatten erforderte keine besondere Geschicklichkeit; die Landung konnte ohne seine Hilfe durchgeführt werden. »Schön«, sagte Cliff mit einem Anflug von Fatalismus. »Mehr als steinigen können sie uns nicht. Wir landen.« Helga setzte sich vor das Funkpult. »Cliff?« »Ja?« »Ich schalte die Flottenwelle ein. Du willst sicher
den anderen Kommandanten dein Vorhaben erklären.« »Richtig.« Drei Minuten später wußten die drei Männer, was Cliff plante. Die vier Schiffe sollten in Formation zusammenbleiben und die ersten Kontakte der Crew der ORION überlassen und den beiden Turceed. Sie sollten sich ferner nach den Bewegungen des führenden Schiffes richten. Cliff sagte sehr laut: »Wir leiten die Landung ein!« Die Schiffe beschleunigten und jagten der leuchtenden Halbkugel entgegen. Der Zentralschirm zeigte ein gestochen scharfes Bild, und die Unruhe der Mannschaft wuchs um einige Potenzen. Dünne Polkappen schoben sich ins Bild, einige Wüsten und mehrere karge Steppengebiete. Dann ein Gebirgszug, der vom Nordpol bis tief über den Äquator reichte. Der Planet bot das klassische Beispiel einer versteppenden, sterbenden Welt. In der Atmosphäre waren die Wolken einiger tätiger Vulkane. »Dieses Gebirge ... bis zum Anfang des letzten Drittels!« sagte Skuard. »Dort ist eure Siedlung?« »Ja. Du wirst lachen, Cliff – aber wir hatten keine Möglichkeiten.« Cliff warf Mario einen schnellen Blick zu, und der Erste Offizier, in langen Jahren geschult, wußte, was er zu tun hatte. Cliff stand langsam auf und ging mit hängenden Armen auf den Turceed zu. Er blieb dicht vor ihm stehen, sah ihm starr in die goldfarbenen Augen und ergriff ihn dann bei den Oberarmen. »Skuard!« flüsterte er eindringlich, »du verdamm-
ter Narr! Verstehst du noch immer nicht, daß wir fünf hier in der ORION nicht typisch für die Erdbevölkerung sind? Wir wissen genau, was wir erwarten dürfen. Und bisher hast du wohl keinen Grund gehabt, an unserem guten Willen und unseren Überlegungen zu zweifeln. Antworte!« Skuard senkte mürrisch den Kopf. »Du hast recht, Cliff. Ich fühle mich stellvertretend für meine Rasse. Ich bin mit den Ereignissen bisher nicht fertig geworden.« »Hast du das Modell gesehen?« »Natürlich. Ich habe daran mitgearbeitet.« »Und wenn du es noch immer nicht glauben solltest – das alles hat Terra getan, ohne auf unmittelbar folgende Belohnung zu hoffen. Ich habe mich tagelang mit Wamsler und Kublai-Krim herumgestritten. Wir erwarten nur eines von euch Turceed.« Die Crew war von dem Ausbruch des Kommandanten selbst überrascht. »Was erwartest du?« fragte Skuard leise. »Daß du die richtigen Sätze im richtigen Moment sagst. In ungefähr zehn Minuten, wenn wir über eurer Siedlung landen und den Zentrallift ausfahren. Hast du mich genau verstanden?« Der unbegründete Trotz erstarb in den goldfarbenen Augen des Mannes. »Ja«, sagte er so leise, daß es nur Cliff hörte. »Entschuldige. Du hast recht. Es ist ungewohnt, plötzlich so tief in der Schuld eines anderen zu stehen.« Cliff grinste kalt. »Bedanke dich bei deiner Schwester. Ich stehe ebenso tief in eurer Schuld wie du in unserer.« Lässig sagte Atan Shubashi:
»Astrogator an Kommandant: Eintausend Meter über Grund. Landedistanz.« Er hatte genau den Ton getroffen, der die Situation entspannte. »Danke!« sagte Cliff, ließ Skuard los und rannte zum Kommandantensessel. Er sah auf dem Schirm, wie das Gebirge näherkam. Er sah einen Raumhafen mit einem hölzernen Startturm. Er sah weiter ein riesiges System aus Treppen und Rampen, das aus den Felsen eines Gebirgsausläufers gehauen war. Keine Menschen. Es war heißer Mittag, senkrechte Schatten und kleine Wirbel, die bedeuteten, daß ein Sturm den Sand des versteppenden Planeten über die Flächen trieb. Abgestorbene Bäume. Cliff steuerte die ORION in den Einschnitt des Tales hinein, das vor langen Jahren einmal grün gewesen sein mochte. Noch jetzt zeichnete sich ein schmaler Fluß ab; dort sah er einige Gestalten. »Fertigmachen zur Landung, Hasso!« murmelte Cliff ins Mikrophon. »Verstanden.« Der silberschimmernde Diskus und, in einigem Abstand, die drei anderen Raumschiffe, senkten sich zwischen den beiden Felshängen abwärts und bildeten, als sie gelandet waren, eine Reihe. Die Maschinen wurden abgeschaltet. Die Linsen übertrugen ein Bild, das charakteristisch für diese Art des Kontaktversuches war. Es schien, als lasse sich ein unsagbar Reicher herab, die armen Verwandten in der Einöde zu besuchen. Nicht anders. Cliff schaltete die Maschinen ab und stand auf. »Zuerst Ishmee und Skuard«, sagte er. »Dann Helga und ich. Keine Waffen!«
Sie verließen die Kommandokanzel, betraten den Ringkorridor und fuhren mit dem Zentrallift nach unten. Dann öffneten sich die Schleusentüren, und die vier Personen standen auf dem trockenen Sand neben dem Flußbett. Rechts und links der vier Schiffe zogen sich Treppen hinauf in die Hänge, und auf diesen Treppen bewegten sich Gestalten. »Ishmee ... Skuard ... ihr redet.« Ishmee berührte kurz Cliffs Hand. »Ja. Verlasse dich auf uns.« Der Weg von den Schiffen bis zu dem kleinen Platz, an dem die Treppen zusammenliefen, führte durch eine kleine, aber trostlose Einöde. Die vier Personen gingen langsam durch eine Hochfläche, auf der marmorweißer Staub lag, der wie in pulverigen Fontänen zwischen den Stiefeln aufwirbelte und sich auf den Stoff und das Kunstleder legte. Der Staub kitzelte in den Nasen, und die vier Personen sahen nach einigen zehn Metern aus, als wären sie durch den Staub gerobbt. Sie kamen auf der annähernd runden Fläche an – gleichzeitig mit etwa hundert Personen, die von allen Seiten die langen, schmalen Treppen herunterkamen. Alles vollzog sich schweigend, wie ein erstarrtes Ritual in der stechenden Sonne. »Gefahr?« flüsterte Cliff Ishmee zu. »Nein. Sie denken an ein Wunder«, flüsterte das Mädchen zurück. Die Augen begannen zu schmerzen, die Nasen juckten. Dann blieben die vier Personen stehen. Sie waren binnen Sekunden von einem Ring umschlossen, der mindestens zehn Glieder tief war. Ständig ergossen sich neue Menschenmassen über die Treppen abwärts. Alte Turceed, junge Turceed und Kin-
der. Sie alle waren in die Anzüge aus silberähnlichem Material gekleidet, vermutlich deshalb, weil die reflektierende Folie die Sonnenstrahlen abstrahlte, statt den Körper aufzuheizen. Noch immer schwiegen die Turceed. Zweitausend Menschen. Viertausend Menschen ... es wurde unbehaglich. Schließlich hörte Cliff neben sich die Stimme des Mädchens. Er verstand nicht jedes Wort, aber er erkannte, wie auch Helga, deren Bedeutung. »Wir sind hier, um euch zu sagen, daß wir Freunde im All gefunden haben.« Durch die Masse der viereinhalbtausend Menschen, die jetzt den Platz säumten und die Treppen bis zur halben Höhe bedeckten, ging ein Murmeln. Laut rief Ishmee einen zweiten Satz. »Diese vier Schiffe sind nur die ersten Vorboten. Einige Tausend werden in kurzer Zeit folgen.« Aus den Höhlen strömten weitere Turceed, und Cliff war überzeugt, daß er die Bewohner dieses Planeten vollzählig versammelt sah. »Wir sind gestartet mit dem von euch allen gebauten Schiff und nach fünfzig Tagen abgestürzt. Dreihundertfünfzig Tage später fand mich dieser Mann hier –«, sie deutete auf Cliff, – »auf einem wilden, unbeschreiblichen Planeten. Er brachte mich und Skuard in seine Heimat, und einige Tage später den Rest der Schiffsbesatzung. Und auf einem Planeten, den ihr sofort lieben werdet, ist eine Stadt für uns alle im Bau. Wir haben echte Freunde gefunden. Ich bitte Azoor 9671 hierher.« Aus der Gruppe derjenigen, die Cliff und seine Begleiter umstanden, löste sich eine Gestalt. Ein alter
Mann. Über seinen hohen Backenknochen verengten sich zwei goldfarbene Augen, die von zahllosen Falten gesäumt waren, zu einem prüfenden, kühlen Gesichtsausdruck. »Ich bin Azoor 9671«, sagte er. Cliff verstand. »Ich Cliff McLane. Habe gefunden Ishmee auf wildem Planeten«, sagte er in Turceed. »Ich bin der Vater von Ishmee und Skuard!« Die beiden Männer tauschten einen langen Händedruck aus. Wieder ging ein aufgeregtes Murmeln durch die Menschenmauer, die sich hier aufgestellt hatte. »Ist es wahr, was meine Tochter eben sagte?« fragte Azoor. »Es ist wahr«, sagte Cliff. »Warum tut ihr das?« fragte Azoor. »Wir suchen Freunde im All«, erklärte Cliff. »Gute Freunde.« Azoor beschattete die Augen mit der flachen Hand und starrte Cliff prüfend an. Der Kommandant hielt den stechenden Blick ruhig aus. Was er sagte, war richtig. »Warum? Ich bin mißtrauisch gegenüber dieser Freundlichkeit.« Cliff lächelte zurückhaltend und drehte sich zu Ishmee hin. »Bitte übersetze: Wir haben ebenso nach einem Kontakt gesucht, wie die Turceed. Wir hätten uns gefreut, wenn die Turceed eine mächtige Rasse mit einem neuartigen und ungewöhnlich hohen technischen Potential gewesen wären. Aber wir hätten sie in diesem Fall mehr gefürchtet als geliebt. So aber ist es
uns leichtgefallen, sie zu schätzen. Sage ihm: Die anderen Schiffe werden bald kommen, und die über fünftausend Turceed sollen ihre Koffer packen, die Bündel schnüren und die Habseligkeiten zusammenwickeln. Und sie sollen das Lebensserum für Wamsler und Villa nicht vergessen!« Und Ishmee übersetzte Wort für Wort. »Das ist dein Ernst?« fragte Azoor schließlich nach einer langen, gedankenschweren Pause. »Mein völliger Ernst!« sagte Cliff in Turceed. Azoor schüttelte seinen schmalen Schädel. »Das glaube ich nicht«, sagte er. »Ich will es glauben, aber Jahrtausende auf diesem Planeten haben uns gelehrt, nichts mehr zu glauben als das, was wir sehen, fühlen und hören können.« Cliff richtete sich auf und zog die dunkle Brille aus der Brusttasche. Er setzte sie auf, und er brauchte nicht noch einmal zu sprechen. Er deutete nach oben, genau senkrecht. Ein helles, fahles Heulen war in der Luft, wie von einem schneidenden Sandsturm. »Hört!« sagte er laut. »Der Sturm!« Cliff lächelte wieder. »Nein.« Aus dem flirrenden, heißen, wolkenlosen, stechenden Himmel tauchte ein runder Schatten auf. Er raste quer durch den Himmel, fiel und hob sich in einer Parabel und schwenkte dann in einen Kreis ein. Das Kreischen der zurückgerissenen Luftmassen schlug gegen die Trommelfelle der gewaltigen Versammlung. »Ein Schiff!«
»Ja!« brüllte Cliff unbeherrscht. »Ein Schiff. Das fünfte Schiff! Und dort ... seht, hört und fühlt! Schiffe!« Sie kamen. Eines nach dem anderen. Die Taktische Flotte unter Führung von KublaiKrim. Ein viertes Schiff, ein fünftes, dann zehn, zwanzig, hundert, fünfhundert ... jetzt standen über der leblosen Ebene bereits eintausend Schiffe vom Typ ORION. Eines neben dem anderen. Ein riesiger Schatten über dem staubigen Sand wuchs und wuchs. Am Ausläufer des Gebirges breitete sich eine schwarze Fläche aus. Unaufhörlich fielen Schiffe aus dem hellen Himmel und reihten sich aneinander. Zweitausend. Sie verloren sich bereits jenseits des Horizontes, der jetzt durch die grelle Färbung des Sandes nähergerückt war. Pausenlos heulten die Diskusschiffe heran. Pausenlos erschienen riesige Blitze; Reflexionen des Sonnenlichts. Und eine halbe Stunde später befand sich die gesamte Flotte über dem Planeten. Die Reaktion war für Cliff unvorstellbar. Ishmee weinte in den Armen ihres Vaters. Skuard redete auf eine Masse von jungen Männern ein. Die Massen zerstreuten sich, aber einzelne gingen hinaus auf die Ebene, um die Schiffe zu bestaunen, anzufassen. Cliff ging bis neben Azoor und blieb stehen. Starr blickte der Alte auf und sagte zögernd: »Ich weiß alles. Du bist verantwortlich für das dort?« Cliff schüttelte den Kopf. »Nein.« Stumm sah Azoor zu, wie sich aus den Schiffen ter-
ranische Raumfahrer bewegten und sich mit den Turceed vermischten. Man hörte keinen Jubel, keine Schreie, keine Ausbrüche der Begeisterung. Die Freude hatte die Fünftausend verstummen lassen. »Was willst du dafür?« fragte Azoor. »Nichts«, erwiderte Cliff. Ishmee 8431 löste sich von Azoor, kam zu Cliff und legte ihre Arme um seinen Hals. Sie erhob sich auf die Zehenspitzen und küßte seine staubigen Lippen. Sie lachte, als sie sich umdrehte. »Du mußt wissen«, sagte Cliff ruhig in der Sprache der Planetarier, »daß ich meine Belohnung schon bekommen habe. Ich werde jahrelang damit zu tun haben, diesen meinen Entschluß zu verfluchen!« Er glaubte, daß ihn seine Augen und Ohren im Stich ließen. Azoor 9671 begann schallend zu lachen. ENDE