Viel zu heiße Spiele
Jill Shalvis
Dana Mills, Inhaberin einer Reinigungsfirma, lässt es sich nicht nehmen, das Haus de...
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Viel zu heiße Spiele
Jill Shalvis
Dana Mills, Inhaberin einer Reinigungsfirma, lässt es sich nicht nehmen, das Haus des Erfinders Colin West selbst zu putzen. Sie schwärmt für ihn, der nur für seine Arbeit lebt. Als er ihr eines Tages ein ungewöhnliches Angebot macht, greift sie sofort zu: Er bittet sie, seine Verlobte zu spielen, um den ständigen Kuppelversuchen seiner Mutter zu entgehen. Dana genießt jede gespielte Zärtlichkeit und erwidert sie voller Leidenschaft. Animiert von ihren heißen Gefühlen, nimmt Colin dieses eindeutige Angebot an und schläft mit ihr. Dana glaubt sich am Ziel ihrer Träume, bis sie Colins Gespräch mit seiner Sekretärin belauscht…
© 2000byJillShalvis Originaltitel: „The Bachelor’s Bed“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam © Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY Band 904 (17/1) 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Brigitte Bumke Foto: Picture Press/Tony McGee/She
PROLOG „Sie haben das Geld, das ich Ihnen hingelegt hatte, vergessen.“ Beim Klang der tiefen, unglaublich sinnlichen Stimme presste Dana den Telefonhörer fester ans Ohr. Der Anrufer und sie waren sich keineswegs fremd, allerdings auch nicht vertraut genug miteinander, um über die Reaktion, die allein seine Stimme bei ihr auslöste, Witze zu machen. Ihr Herz klopfte heftig, und um sich zu beruhigen, lehnte sie sich in ihrem quietschenden Bürostuhl zurück. Müde, wie sie war, legte sie die Beine auf ihren Schreibtisch und schloss die Augen. „Miss Mills?“ „Ja, ich bin noch da.“ Er konnte nicht ahnen, dass sie seine Stimme überall erkennen würde. Seufzend öffnete sie die Augen wieder. Es war nicht in Ordnung, bei einem Kunden erotische Fantasien zu entwickeln, egal, wie sehr dieser Kunde ihre Gedanken beherrschte. Wahrscheinlich beherrschte er die Gedanken jeder Frau in dem hübschen Bergstädtchen Sierra Summit. Denn Colin West war nun mal der perfekte Mann zum Träumen. „Ihr Geld für Ihre letzte Hausreinigung“, erklärte er geduldig. „Sie haben es auf dem Küchentresen liegen lassen.“ „Ich weiß. Es tut mir Leid.“ Sie war ganz durcheinander gewesen, weil er sie, als sie im Aufbruch begriffen war, wieder einmal schweigend beobachtet hatte. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.“ Ihr war klar, dass sie einen Mann, den sie praktisch nicht kannte, nicht lieben konnte. Begehren aber schon. Er war ein Mann, der wusste, was er wollte und wie er es bekam. Wenn man den Gerüchten über ihn Glauben schenkte, dann kam ihm so schnell nichts in die Quere. Mitleidlos und aggressiv sei er, sagte man ihm nach, aber Dana war der Meinung, dass das nicht stimmte. Sie fand ihn nicht einschüchternd oder gar gefährlich, sondern faszinierend, doch gleichzeitig unglaublich verschlossen. Und er beunruhigte sie über alle Maßen. Sie kannten sich jetzt seit einem Jahr. So lange kam sie einmal pro Woche zum Saubermachen zu ihm, und obwohl sie gehofft hatte, dass sie mit der Zeit etwas weniger förmlich miteinander umgehen würden, so war inzwischen klar, dass nur sie sich das wünschte. Sie seufzte erneut und ermahnte sich, ihre geheimen Wünsche und Sehnsüchte zu vergessen. „Ich werde es nächste Woche mitnehmen. Vielen Dank.“ „Keine Ursache.“ Das Timbre seiner Stimme klang noch etwas tiefer als sonst, und für einen Moment dachte Dana, dass er vielleicht auch gewisse Gefühle hegte. Doch das war Unsinn. Sie war ein Niemand für ihn. Was sie in einem Jahr verdiente, war für ihn höchstens Kleingeld. Ihr Büro war kleiner und voller als der begehbare Schrank in seinem riesigen Schlafzimmer. Bestimmt erinnerte er sich nicht einmal an ihren Vornamen. „Dann bis nächste Woche, Dana“, verabschiedete er sich. Nachdem sie aufgelegt hatte, sah sie verträumt lächelnd aus ihrem Bürofenster auf die Crest Mountains von Los Angeles. Er kannte ihren Namen also doch. „Nächste Woche“, flüsterte sie. Als Dana in der darauf folgenden Woche vor Colins Haus vorfuhr, schien niemand da zu sein. Das enttäuschte sie. Obwohl sie endlich einmal einen Tag hätte freinehmen können, hatte sie ihren Dienstplan umgestellt, nur um Colin kurz sehen zu können. Nun war alles
umsonst gewesen. Sie war eine Närrin. Eine lüsterne dazu. Als sie in die Küche kam, sah sie einen Umschlag mit ihrem Namen auf dem Tresen liegen. Er enthielt ihr Geld für diese und die letzte Woche. „Diesmal werden Sie es nicht vergessen.“ Dana wäre vor Schreck fast umgefallen, als sie so unerwartet seine Stimme vernahm. Er stand in der Tür und wirkte mit seiner hoch gewachsenen Gestalt durchaus einschüchternd. Sie wusste eigentlich nicht, warum sie keine Angst vor ihm hatte, ahnte jedoch, dass sich hinter der finsteren Miene seines attraktiven Gesichts Schmerz verbarg, nicht Boshaftigkeit. Wie immer war sein Blick unergründlich, und Dana wurde augenblicklich befangen. „Nein, ich werde es nicht vergessen, danke.“ „Sie sollten mehr verlangen.“ „Ich komme aus damit.“ „Sie sind viel mehr wert.“ Das klang ehrlich, obwohl Colin an den Türrahmen gelehnt stehen blieb, ohne eine Miene zu verziehen. Egal. Für Dana war klar, dass das Abwehr war, denn darüber wusste sie selbst bestens Bescheid. Aber er hatte bemerkt, dass sie ihre Arbeit gut machte, und das bedeutete ihr viel, auch wenn es das nicht sollte. Sie lächelte. Er sah sie an, ohne ihr Lächeln zu erwidern – sie hatte ihn noch nie lächeln sehen –, und diesmal war sein Blick offen. Sie las Verwirrung darin, und das wiederum verwirrte sie, weil Colin sonst immer so selbstsicher war. Offenbar missfiel ihm dieses Gefühl, denn er nahm seine Schlüssel und verschwand nach einem kurzen Gruß. Dana blickte ihm nach und grübelte über den Anflug von Verletzlichkeit, den sie bei ihm wahrgenommen hatte. Den ganzen Monat über traf Dana Colin nicht wieder. Neben ihrem Geld hinterließ er zwei Mal auch Notizen, in denen er ihre Arbeit lobte. Sie steckte sie ein und fragte sich dabei, wie lange es dauern würde, bis er zuließ, dass sie einander wieder einmal begegneten. Und sie fragte sich, ob er das Knistern zwischen ihnen auch spürte und ob es ihn ebenso nervös machte wie sie.
1. KAPITEL Colin war der Meinung, dass er sich nicht leicht entmutigen ließ. Doch jetzt war er es. Frustriert sah er sich in seinem Büro um. Außer ihm war niemand mehr im Haus. Sogar auf den nächtlichen Straßen war es an diesem Sommerabend bereits still. Seine Lieblingszeit, um zu arbeiten. Am liebsten würde er die ganze Nacht arbeiten. Jede Nacht. Um dieses Projekt zu beenden, würde er alles tun, denn es war ihm außerordentlich wichtig. Aber er musste nach Hause, um Ärger abzuwehren. Er fühlte sich nicht oft so hilflos, und es gefiel ihm gar nicht. Da gab es nur eins – sich dagegen wehren. Sich gegen sie wehren. „Sie“ stand dabei für seine Mutter und ihre beiden aufdringlichen Schwestern. Die drei hatten es sich zur Aufgabe gemacht, sein Leben zu ruinieren. Sie wollten, dass er heiratete, am liebsten noch gestern, und machten ihn deshalb immer wieder mit Frauen bekannt. Sie arrangierten Partys, Verabredungen mit Unbekannten, Überraschungsbesuche, zufällige Treffen. Kurz, sie trieben ihn langsam zum Wahnsinn. Er hatte keine Ahnung, was ihr neuester Plan war, denn seit dem letzten Versuch verhielten sie sich seltsam ruhig. Sie hatten ihm eine Bibliothekarin aus der Stadtbibliothek auf den Hals gehetzt, und weil die ihm einen ganzen Monat lang nachstellte, hatte er einen Entschluss gefasst: keine Einmischung mehr von Seiten seiner Familie. Das musste ein für alle Mal aufhören. Danas altes Auto, das schon das ganze Jahr über den Geist aufgeben wollte, schaffte es gerade noch. Doch um ihre Reinigungsfirma endlich in die schwarzen Zahlen zu bringen, hatte es bislang Wichtigeres gegeben als einen neuen fahrbaren Untersatz. Carmen warf Dana einen skeptischen Blick zu. „He, es hat uns doch hergebracht“, sagte sie zu ihrer Mitarbeiterin, während sie den Motor abstellte. Nachdem sie ihr die Worte von den Lippen abgelesen hatte, blickte Carmen eher noch skeptischer drein. Sie war sechzig und taub. Zudem war sie etwas eigenwillig und putzte keine Fenster – nicht gerade die perfekte Putzfrau. Aber Dana war so knapp an Personal, dass sie heute selbst mit einsprang. Nicht, dass ihr das etwas ausmachte, denn es war Colins Haus. Für einen Blick auf diesen gut aussehenden Mann mit dem athletischen Körper würde sie jede Toilette im Haus persönlich reinigen. Mit seinem dichten dunklen Haar, seinen noch dunkleren, unergründlichen Augen und dem schönen sexy Mund war Colin West wirklich die Traumbesetzung für geheime Fantasien. Manchmal stellte sie sich vor, er sähe in ihr etwas anderes als die Reinemachefrau, die ihn einmal in der Woche aufsuchte. Sie träumte davon, dass er sich darüber wunderte, wie er sie seit einem Jahr beschäftigen konnte, ohne dass ihm ihre atemberaubende Schönheit aufgefallen wäre. Und ihr scharfer Verstand. Aber das war müßig, denn er war perfekt, und sie… tja… sie war es nicht. Doch eines Tages würde sie den Rat ihrer Großtante Jennie befolgen. Sie würde aufhören, alles im Leben mit Umsicht und Vernunft zu tun, sondern sich Hals über Kopf in ein Risiko stürzen, ohne sich darum zu scheren, dass sie vielleicht verletzt wurde. Carmen seufzte dramatisch, weil Dana sich wegen ihrer Tagträumerei verspätete. Dana sagte sich einmal mehr, dass sie aufhören musste, Leute einzustellen, nur
weil sie ihr Leid taten oder sie sich für sie verantwortlich fühlte. Das würde nicht leicht werden. Zudem konnte Carmen richtig nett sein. Beim Anblick des großen Hauses, das geputzt werden sollte, schnaubte Carmen entrüstet. Dana musste lachen. Okay, nicht unbedingt nett, aber sie leistete ihr Gesellschaft, und das war auch ganz schön. Das wird ein heißer Tag, dachte Dana, als sie einen schweren Eimer aus dem Wagen hob. Sie hatte Mühe damit. Denn obwohl es hieß, Bergluft mache groß und stark, war sie eher zierlich und weniger stark. Dana wischte sich die feuchte Stirn und hob den Eimer an, während Carmen offenbar erleichtert war, dass sie nicht gebeten wurde, auch etwas zu tragen. Im Eimer waren Schwämme, Lappen und Reinigungsmittel, und Dana rümpfte die Nase, als ihr der kräftige Geruch von Fichtennadel und Zitrone entgegenschlug. Sie hatte nichts gegen Putzen – es war ihr Geschäft. Aber wenn Colin sich schon nicht in sie verliebte, was immer unwahrscheinlicher wurde, dann konnte sie ebenso gut in ihrem kleinen Büro bleiben und sich ihrer stark vernachlässigten Buchführung widmen. Ein Schwamm fiel aus dem Eimer heraus. Es kostete Dana einige Mühe, ihn wieder hineinzubefordern. Carmen sah ungerührt zu. „He, keine Bange, ich hab ihn.“ Auf diese trockene Bemerkung folgte Schweigen, und Dana wünschte sich auf einmal, sie hätte jemanden zum Reden. Der plötzliche Anflug von Selbstmitleid überraschte sie. Sie ließ es nie zu, warum also fühlte sie sich ausgerechnet heute einsam? „Weil du gerade sechsundzwanzig geworden bist“, gab sie sich selbst die Antwort. Zwanzig Jahre, nachdem sie ihre geliebten Eltern verloren hatte, kam Dana ein beunruhigender Gedanke. Trotz ihres fröhlichen Wesens, trotz ihrer Entschlossenheit, jeden Tag ihres Lebens als etwas Kostbares zu betrachten, hatte sie ihr Herz nie wieder ganz für einen anderen Menschen geöffnet. Sie bekam ein schlechtes Gewissen, denn sie hatte ja ihre Großtante Jennie, die sie als Sechsjährige zu sich genommen hatte, statt ihren Ruhestand zu genießen. Dennoch verspürte Dana eine Sehnsucht, die sie nicht genau beschreiben konnte. Sie wollte mehr vom Leben. Sie wollte Jennies Rat befolgen und ihre Vorsicht über Bord werfen. Ein Risiko eingehen. Und wenn dabei noch eine heiße, leidenschaftliche Affäre mit einem Traummann wie Colin herauskam, umso besser. Mit dem Eimer in der Hand folgte Dana Carmen den Plattenweg zu dem imposanten Wohnhaus hinauf. Sie sollte inzwischen daran gewöhnt sein, in einem ärmeren Stadtviertel aufzuwachen und in einem vornehmen zu arbeiten. Trotzdem blieb sie auch diesmal wieder stehen, um das wunderschöne Haus zu bewundern. Sie selbst wohnte in einem bescheidenen kleinen Apartment. Fast umsonst, denn das Haus gehörte Jennie, und die ließ Dana nicht die gleiche Miete zahlen, die sie von den anderen Mietern verlangte. Colins großes zweistöckiges Haus nahm ihr immer wieder den Atem. Die Fensterrahmen und Türen waren im Laufe der Jahre zu einem Farbton verwittert, der an teueren Whiskey erinnerte. Es gab sage und schreibe drei Schornsteine, die einen unwillkürlich an gemütliche Winterabende am Kamin denken ließen. Und die großzügigen Terrassen beflügelten Dana, sich vorzustellen, dass sie dort eine Hollywoodschaukel aufstellen würde, auf der Colin ihr an lauen Sommerabenden mit heiserer Stimme zärtliche Worte ins Ohr flüsterte. Wenn dann der Mond aufgegangen war, würde er seine Versprechungen mit Händen, Zunge und Lippen in die Tat umsetzen, bis sie vor Lust schwach und willenlos…
In der rauen Wirklichkeit stieß Dana mit Carmen zusammen, die ebenfalls bewundernd stehen geblieben war. Kalte Reinigungsflüssigkeit durchtränkte Danas Shirt. Carmen sah auf ihre bespritzten Turnschuhe und bewegte die Lippen, was sicherlich einem derben Fluch auf Spanisch gleichkam. Dana entschuldigte sich und setzte ihren Weg fort. Soweit sie wusste, benutzte Colin die Kamine nie. Auf der Terrasse stand auch keine Hollywoodschaukel. Seine Arbeit war sein Leben, und obwohl Dana seine Hingabe an den Beruf nachempfinden konnte, fragte sie sich, ob er sich manchmal nicht auch nach mehr sehnte, so wie sie. Vor seiner Hintertür angelangt, verspürte sie ein seltsames Hochgefühl. Würde sie ihn sehen? Würde sie ihm in die schönen, geheimnisvollen Augen blicken können? Seine tiefe, betörende Stimme hören, die sie immer wohlig erschauern ließ? Sie hoffte es, denn er war ihr Highlight der Woche. Er war unglaublich. Vielleicht ein wenig finster und launisch, aber auf jeden Fall überwältigend. Vielleicht trug er wieder diese verwaschene Jeans, die wie angegossen saß, und seine… Carmen gab murrend ihrer Missbilligung Ausdruck, und Dana fuhr schuldbewusst zusammen, weil sie ahnte, dass sich ihre Fantasien deutlich auf ihrem Gesicht widerspiegelten. Verärgert über sich selbst, schüttelte sie den Kopf. Sie war hier, um zu putzen. Trotzdem, jede Frau im Umkreis von dreißig Meilen geriet beim Gedanken an Colin ins Schwärmen. Er war reich, intelligent, gut aussehend und vor allem allein stehend. Dass er zurückgezogen lebte, schürte die Spekulationen über sein Liebesleben ungemein. Es hieß, er habe jede Woche eine andere Geliebte – was Dana nur umso neugieriger machte. Er erfand Geräte – elektronisch gesteuerte Automaten. Sie hatte keine Ahnung von solchen Dingen. Das machte nichts. Sie brauchte nichts davon zu verstehen, um ihn zu schätzen. Colin arbeitete hart. Er war ehrgeizig und erfolgreich. Zu schade, dass er derart in seiner Arbeit aufging. Anders als einige andere Kunden, die so taten, als sei ihre Putzfrau Luft, nickte Colin West ihr immer freundlich zu, redete unbefangen mit ihr und gab ihr nie das Gefühl, dass er sich für etwas Besseres hielt als sie. In den vergangenen Monaten hatten sie sich oft nett unterhalten. Genug, ermahnte sie sich streng. Schnell ging sie das letzte Stück zum Hintereingang der Küche und ließ dabei Carmen weit hinter sich. Plötzlich wurde die Küchentür aufgerissen. Vor ihr stand Colin, und er machte einen unerwartet aufgelösten, ja geradezu verzweifelten Eindruck. „Was für ein Glück, dass Sie es sind.“ „Und nicht…“ „Und nicht eine Ihrer nicht Englisch sprechenden Mitarbeiterinnen oder – noch schlimmer – die taube alte Dame, die mir immer Grimassen schneidet.“ „Also…“ Sie dachte an Carmen, die hinter ihr den Weg zur Hintertür heraufkam. „Kommen Sie herein.“ Sein welliges dunkles Haar, das ihm bis zum Kragen reichte, war unordentlicher als sonst, so als sei er wiederholt mit den Fingern hindurchgefahren. Seine Augen, die einen so dunklen Blauton hatten, dass sie schwarz und unergründlich wirkten, funkelten nervös. Bisher hatte Dana Colin West nie nervös erlebt. Warum war dieser hoch gewachsene, attraktive Mann, der in seinem TShirt und der engen, alten Levis noch umwerfender aussah als sonst, nur derart angespannt?
Dana wollte gerade etwas sagen, als er ihr den schweren Eimer abnahm und ihn
beiseite stellte.
„Was ist los…“, rief Dana überrascht, als er sie in die Küche zog, die Tür hinter ihr
zuwarf und sie sanft, aber bestimmt dagegen drängte.
Sie hätte dankbar sein sollen, weil es so wohltuend kühl im Haus war. Sie hätte
an Carmen denken sollen, die sich sicher wunderte, warum sie, Dana, nicht
gewartet hatte. Doch ihre launische Mitarbeiterin war im Moment das Letzte,
woran sie dachte.
„Mr. West!“ protestierte sie, schloss jedoch die Augen, um seine körperliche Nähe
intensiver genießen zu können. Wenn das alles ein Traum war, dann wollte sie
nicht daraus erwachen. „Habe ich etwa wieder mein Geld vergessen?“
„Nein.“
Himmel, wie prickelnd seine Nähe war! „Ist das ein Dankeschön für meine Arbeit
letzte Woche?“
„Nein.“ Für einen Moment kam er noch näher, und die BeinahUmarmung ließ
Dana ahnen, dass er offenbar verzweifelt Hilfe suchte. Sie legte ihm
beschwichtigend die Hände auf die Hüften, bemüht, nicht zu vergessen, dass er
ein Kunde war.
„Sie lässt nicht locker“, sagte er schroff. „Und ich ertrage es nicht länger, nicht
jetzt, mitten in diesem Projekt. Es ist einfach zu wichtig.“
Widerstrebend öffnete Dana die Augen. „Wer lässt nicht locker?“
„Sie treibt mich zum Wahnsinn.“ Er sprach leise, und seine Stimme klang
erregend heiser. „Es gibt nur einen Weg, sie zu bremsen, mitsamt ihren…
verflixt, Sie sind ja nass!“ Er wich zurück und besah sich mit finsterer Miene sein
TShirt, das nun feucht an seiner Brust klebte.
„Ich habe Reiniger verschüttet. Tut mir Leid.“
„Macht nichts.“
Wie gebannt starrte Dana ihn an. Mit dem an seiner breiten Brust klebenden
Shirt sah er derart sexy aus, dass ihr ganz schwindelig wurde, und das wiederum
machte es schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Das Projekt ist einfach zu wichtig.“
„Welches Projekt?“
„Ich arbeite an einem Verfahren für LaserOperationen.“ Er zupfte an seinem
Shirt herum. „Ich bin so nah dran.“
„LaserOperationen. Die gibt es doch schon.“
„Dieses Verfahren ist anders – besser.“ Es war ihm anzuhören, wie wichtig ihm
die Sache war. „Es macht den Eingriff schonender, die Narkose kürzer. Es wird
die Operationstechniken revolutionieren.“
Und würde unzähligen Menschen helfen. Danas weiches Herz machte einen
Sprung. Sie fand Colin gleich noch viel sympathischer als vorher.
„Sie werden vielen das Leben retten“, sagte sie bewundernd.
„Das werden die Chirurgen tun.“ Colin trat wieder näher. Seine Augen blitzten
vor Leidenschaft, und obwohl Dana klar war, dass diese nicht ihr galt, wurde sie
ganz schwach. Unversehens nahm er ihr Gesicht in seine großen, warmen Hände,
um ihr tief in die Augen zu schauen. „Aber ich kann nicht zu Ende kommen, weil
sie mich nicht in Ruhe lassen. Sie wollen, dass ich ausgehe, mich verabrede, das
Geld ausgebe, das mir eigentlich nichts bedeutet. Ich brauche Hilfe.“
„Wirklich?“ Bei seiner Stärke und Kraft, die sie praktisch hautnah spürte, konnte
sich Dana schwer vorstellen, dass er bei jemandem wie ihr Hilfe suchte.
„Ich brauche eine Verlobte.“ Er hielt ihren Blick gefangen. „Ich weiß, wie das
klingt, Dana, aber würden Sie sich mit mir verloben?
Nur zum Schein natürlich?“
Wohlig benommen, wie sie war, wurde sich Dana nur langsam der Situation bewusst. Ja, sie wurde von dem fantastisch gebauten Mann, von dem sie seit Monaten träumte, gegen die Tür gedrängt. Aber hatte er sie eben wirklich gebeten… „Verloben?“ stotterte sie. „Aber…“ In diesem Moment begann Carmen energisch an die Küchentür zu klopfen. Dana achtete nicht darauf. „Sie wollen, dass ich mich mit Ihnen…“ „Ja.“ Colin holte tief Atem. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Zugegeben, es ist eine ziemliche Zumutung, und ich verspreche Ihnen, Sie zu entschädigen…“ Auf ihre leise Unmutsäußerung hin fuhr er schnell fort: „Ich möchte Sie nicht kränken, aber es ist mir klar, dass meine Bitte Ihnen Unannehmlichkeiten machen wird, um es gelinde auszudrücken.“ Sie brach in Gelächter aus. Er runzelte die Stirn. „Das ist überhaupt nicht lustig.“ „Nein, das ist es nicht.“ Eine Unannehmlichkeit, mit ihm verlobt zu sein? Wohl kaum. „Es wird nicht leicht werden, aber ich habe Sie das ganze Jahr beobachtet. Sie sind clever, fröhlich und vor allem nicht launisch. Wir können die Sache meistern.“ Er hatte sie also beobachtet. Er zögerte. „Sie verstehen, es soll nur zum Schein sein. Ich möchte angeblich verlobt sein, damit ich mein Projekt beenden kann.“ Er hielt ihr Gesicht noch immer in beiden Händen. „Dana?“ Vielleicht sollte sie häufiger ein Risiko eingehen, denn du liebe Güte, das war schon eher der Kick im Leben, von dem sie immer geträumt hatte. Nach dem schmerzlichen Verlust ihrer Eltern, die sehr glücklich miteinander waren, hatte sie sich oft gefragt, welcher Typ Mann ihr wohl eines Tages den Kopf verdrehen würde. Selbst dann noch, als sie Barrieren um sich aufbaute, um die gefürchtete Vertrautheit zu meiden. Und jetzt begehrte Colin sie. Nein, er brauchte sie. Das war ein Unterschied, und sie sollte sich das besser merken. Denn sein Vorschlag war wie geschaffen für romantische Träume. Colin brauchte Zeit für sein LaserProjekt, das Tausende von Menschen retten würde. Mit ihrer Hilfe würde sie ihren Teil dazu beitragen. Und gleichzeitig mit ihm verlobt sein. Carmen presste das Gesicht gegen das Fenster in der Küchentür und verdarb so den besonderen Moment. Als sie sah, wie eng Colin und Dana beieinander standen, riss sie die Augen auf. „Ich hoffe so sehr auf Ihr Einverständnis“, drängte Colin mit seiner rauen und zugleich weichen Stimme. Nicht, dass Dana nicht ganz Ohr gewesen wäre. Traummänner waren ihr allerdings selten derart nah gekommen. Und das erschwerte das Nachdenken ungemein. „Ich weiß, meine Bitte kommt sehr plötzlich und verlangt Ihnen keine leichte Entscheidung ab, aber so wie bisher kann ich nicht mehr arbeiten.“ Colin lehnte die Stirn gegen ihre Stirn. „Ich muss mehr Ruhe und Frieden haben. Unbedingt.“ „Verstehe.“ Sein Mund war so nah, dass sie sich nur ein wenig hätte vorzubeugen brauchen, um ihn mit den Lippen zu berühren. Ihr Herz raste. „Es ist wichtig, dass wir uns einigen, ehe…“ Das Telefon klingelte. „Verflixt.“ Das unablässige Geklingel mischte sich mit Carmens immer ungehaltener werdendem Klopfen. Colin wirkte inzwischen richtig verzweifelt, und weil sie ihn nur ruhig und
gelassen kannte, erschreckte sie das sehr.
„Werden Sie mir helfen?“
„Also…“
„Wir sind uns nicht fremd.“
„Äh… nein. Aber…“
„Und Sie wissen, dass ich kein Massenmörder bin. Oder sonst wie kriminell.“
„Ja. Aber…“
„Dana.“ Er trat wieder näher, ohne sie jedoch zu berühren. „Ich werde Ihnen als
Entschädigung geben, was Sie wollen. Geld?“
„Nein!“
„Eine Reise?“
Dana wusste, dass ihre Augen aufgeleuchtet hatten, denn sie war noch nie richtig
verreist. „Das würde ich niemals annehmen.“
„Nach Hawaii?“
Hawaii. Davon hatte sie immer geträumt. Doch sie blieb bei ihrem Nein.
„Ich würde als Gegenleistung alles für Sie tun. Ihre Firma… könnten Sie einen
neuen Kunden gebrauchen?“
„Ja, sicher.“
„Dann setzen Sie mein Bürohaus in der Stadt auf Ihre Kundenliste. Zur täglichen
Reinigung.“
Damit hatte er ihr Einkommen wahrscheinlich glatt verdreifacht. Er konnte nicht
ahnen, was das für sie bedeutete. Sofort dachte sie an die zusätzlichen
Arbeitsstunden, die sie ihren Mitarbeitern anbieten konnte. „Das ist… sehr
großzügig. Vielen Dank.“
„Sie sind also einverstanden?“
Auch wenn sie gern Träumen nachhing, scheute Dana feste Bindungen von jeher.
Ihr war durchaus bewusst, dass sie deshalb so zufrieden mit ihrem Leben war,
weil sie sich um andere sorgte statt nur um sich selbst. Mit etwa siebentausend
Einwohnern war Sierra Summit nur eine kleine Stadt, und ihre Firma machte nur
wenig Gewinn. Aber nur, weil sie für ihre Dienste nicht genug berechnete und
aus Mitleid mehr Leute einstellte, als sie eigentlich gebrauchte. Sie war
hauptsächlich im gewerblichen Bereich tätig, denn nur wenige Privatleute
konnten sich eine Putzfrau leisten. So gern sie auch für andere da war, so
achtete sie doch darauf, Distanz zu halten.
Dahinter steckte ihre tief verwurzelte Furcht, sich jemandem zu öffnen und
verletzt zu werden. Ob das daran lag, dass sie in so jungen Jahren ihre Familie
verloren hatte oder an etwas anderem – ihrer angeborenen Schüchternheit zum
Beispiel –, hätte sie nicht sagen können. Colin wollte sich also nur zum Schein
verloben, aber sie machte sich da nichts vor. Die Sache würde kompliziert
werden, und komplizierte Dinge lagen ihr nicht besonders.
Um Zeit zu gewinnen, lächelte sie ihn schief an. „Ich kenne Sie doch eigentlich
gar nicht.“
Als das Telefon erneut zu läuten begann, fluchte Colin leise.
Carmen klopfte.
Ungehalten riss Colin die Tür auf. Trotz seiner Anspannung sprach er langsam
und erstaunlich ruhig. „Ich muss noch einen Moment mit Ihrer Chefin reden.“ Er
lächelte sogar. Er wartete ab, bis Carmen begriffen hatte, und nickte. „Allein“,
ergänzte er bestimmt, weil Carmen eintreten wollte.
Sichtlich verärgert kehrte sie um, nicht ohne ihm noch schnell eine Grimasse zu
schneiden.
Dana hielt den Atem an, doch er schien nichts zu bemerken.
Colin machte die Tür zu. Als er sich wieder Dana zuwandte, wirkte er nur umso
entschlossener. „So schwierig ist das Ganze nun auch wieder nicht“, versicherte
er ihr. „In mir kann man doch lesen wie in einem offenen Buch. Wirklich.“
Dana lachte leise, denn er war der verschlossenste Mensch, den sie kannte.
Zudem beunruhigte sie noch etwas – warum wandte er sich gerade an sie? Wenn
er eine andere Frau gefragt hätte, wäre er sicher auf begeisterte Zustimmung
gestoßen.
Ihr anhaltendes Schweigen schien ihm gar nicht zu gefallen. „Schön.“ Er fuhr sich
mit den Fingern durchs Haar. „Sie möchten etwas über mich erfahren.“
Achselzuckend sah er sie an. „Nun, da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe
eine Vorliebe für Technik. Ich trinke nicht und nehme auch keine Drogen. Ich
mag schnelle, rassige Autos… und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht
schnarche.“
Als das Telefon erneut klingelte, sprach er schneller. „Ich mag klassische Musik,
Hunde und mexikanische Küche. Und ich schließe immer den Toilettendeckel.
Also, stimmen Sie zu?“
Dana hatte keine Ahnung, was über sie kam, ob es an dem unerwarteten Anflug
von Einsamkeit lag, den sie vorhin verspürt hatte, oder an ihrer tiefen,
unerklärlichen Sehnsucht nach diesem Mann. Du wolltest doch ein Risiko,
ermahnte sie sich. Hilf ihm bei seinem großartigen Projekt. Und lass dir damit
aus deinem Alltagstrott heraushelfen.
„Okay.“ Weil das so schwach geklungen hatte, sagte sie laut und bestimmt: „Ja.“
Er schien überrascht und zugleich verunsichert, ob er sich nicht verhört hatte.
„Haben Sie eben wirklich zugestimmt?“
„Ja.“ Lieber Himmel, sie fasste es nicht, dass sie tatsächlich eingewilligt hatte,
seine Verlobte zu spiele. „Ich meine, was soll’s. Schließlich mag ich scharfes
mexikanisches Essen auch. Also auf in den Kampf.“
2. KAPITEL Die Anspannung fiel von Colin ab, und obwohl er nicht direkt lächelte,
verschwanden doch die Stresslinien um seinen Mund herum. „Tja, dann mal los.“
Das klang sehr erleichtert.
Lachend griff Dana nach ihrem Besen. „Ich fühle mich im Sturm erobert.“
„Zum Schein“, stellte er klar. „Sie fühlen sich zum Schein im Sturm erobert.“
Verflixt, dass sie das immer wieder vergaß! „Richtig.“
Er wollte etwas sagen, doch in dem Moment presste Carmen erneut das Gesicht
gegen das Fenster in der Küchentür, um besser zu erkennen, was drinnen
vorging. Colin bedeutete ihr, dass er noch eine Minute brauche.
Carmen verdrehte die Augen und ging weg.
„Äh… Mr. West?“
Zum ersten Mal lächelte er Dana an. Sie war überwältigt. „Ich denke, unter den
gegebenen Umständen sollten wir uns ab jetzt duzen. Also nennen Sie mich
Colin.“
„Okay.“ Dana erwiderte sein Lächeln ein wenig benommen. Was hatte sie getan?
Hatte sie wirklich zugestimmt, sich mit diesem ungezähmten Mann zu verloben,
nur weil ihr Leben einen Kick brauchte? „Ich sollte jetzt mit Putzen anfangen.“
„In Ordnung.“ Stirnrunzelnd zupfte er zum wiederholten Mal an seinem feuchten
Shirt herum. „Das ist richtig unangenehm.“
„Ja, der Reiniger brennt mit der Zeit ein wenig auf der Haut. Tut mir Leid.“
Da zog Colin kurzerhand sein TShirt aus und warf es beiseite.
Wow! Er war einfach perfekt gebaut. Breite athletische Schultern, eine
muskulöse, behaarte Brust, flacher Bauch, schmale Hüften, und seine unglaublich
schönen Augen zogen sie vollkommen in ihren Bann. Ihr wurde schwindelig, und
das lag mit absuluter Sicherheit nicht an dem Geruch des Reinigers.
Colin fuhr sich mit der Hand über die nackte Brust. „So ist es besser.“
Viel besser, stimmte Dana insgeheim zu. Hinter ihr machte sich erneut Carmen
an der Tür bemerkbar.
Als das Telefon wieder klingelte, meinte Colin seufzend: „Ich muss den Anruf
annehmen.“ Dabei sah er alles andere als begeistert drein. „Aber ich komme
zurück. Wir müssen einiges besprechen.“
Dana nickte und fragte sich, ob dazu auch ihre quasi ehelichen Pflichten
gehörten.
Warum löste allein der Gedanke daran in ihr prickelnde Erwartung aus? Sie war
sexuell nicht allzu erfahren, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, ein Mann wie
Colin könne ihr vielleicht mehr über die körperliche Liebe beibringen.
Oje, die chemischen Zusätze im Reinigungsmittel stiegen ihr nun doch zu Kopf –
und fingen auch auf ihrer Haut zu brennen an. Zu schade, dass sie ihr Shirt nicht
auch einfach ausziehen konnte. Sie musste lachen.
„Dana?“ Colin blieb an der Küchentür stehen. „Geh noch nicht weg.“
Glaubte er denn, sie würde jetzt einfach verschwinden? Er wusste nicht viel von
ihr, wenn er… Ach was, er wusste überhaupt nichts von ihr. Stumm schüttelte sie
den Kopf.
Colin schaute sie noch einen Moment lang an, und sie überlegte, was ihm wohl
durch den Kopf ging und was er in ihr sah.
Wieder verschlug ihr der Gedanke an ihre Verlobung den Atem. Was sollte sie nur
ihrer Großtante Jennie sagen, die bestimmt begeistert sein würde, dass ihre
Nichte endlich heiraten wollte. Es ist nur zum Schein, rief sie sich ins Gedächtnis.
Keine echte Herzensangelegenheit. Wir gehen getrennte Wege, sobald das
Projekt beendet ist.
Dana blickte ihrem halb nackten Boss nach – und, gütiger Himmel, ihrem zukünftigen Verlobten –, als er hinausging. Sie begann zu kichern, schlug sich aber auf den Mund. Mit Gekicher war es vorbei, es passte nicht zur Verlobten eines Mr. West. „O Mann!“ Weil sie sich wegen ihrer zitternden Knie ungedingt setzen musste, ließ sie sich kurzerhand auf den Fußboden gleiten. Bis Colin sein Büro erreichte, hatte das Telefon bereits zu klingeln aufgehört. Das war ihm nur recht. Alles wird gut, dachte er erleichtert. Er hatte seine angebliche Verlobte und konnte sich nun endlich auf seine Arbeit konzentrieren. Alle anderen Probleme gerieten in den Hintergrund. Nichts sollte ihn mehr stören, weder das Drängen von Seiten des Instituts, sich mit der Fertigstellung des Lasers zu beeilen, noch das ausstehende Gespräch mit seiner wohlmeinenden, aber aufdringlichen Mutter, noch die Tatsache, dass er seine Putzfrau zu einer Scheinverlobung überredet hatte, auf die sie keinesfalls gefasst war. Seine Finger flogen über die Tastatur seines Computers, seine Gedanken waren ganz bei den komplizierten Gleichungen, die er aufstellte. Er war so nah daran, seinen kompakten MiniLaser zu perfektionieren. Er brauchte nur noch etwas Zeit, ungestörte Zeit. Colin nahm ein Teilstück des maßstabgetreuen Modells seiner Erfindung vom Schränkchen hinter sich. Er arbeitete gleichzeitig an Projekten verschiedener Firmen und Institutionen in aller Welt. Normalerweise tat er das in einem umgebauten Lagerhaus in der Stadt, doch sein Büro zu Hause bot ihm die Abgeschiedenheit, die er manchmal unbedingt brauchte. Das Teilstück des Lasers begann zu summen, als er es aktivierte. Ein Wunder, und das Wunder lag auf seiner Handfläche. Nach Monaten harter Arbeit hatte alles langsam Gestalt angenommen. Gerade als sich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, klingelte das Telefon und riss ihn aus seiner Konzentration. Missmutig griff er nach dem Hörer. „Liebling, seit einer halben Stunde versuche ich dich zu erreichen. Warum gehst du erst jetzt an den Apparat?“ rügte ihn seine Mutter, ehe er etwas hätte sagen können. Da war er nun zweiunddreißig Jahre alt, und dieser Ton machte ihm immer noch augenblicklich ein schlechtes Gewissen. „Entschuldige. Ich…“ „Wie geht’s dir? Ich sage dir, du arbeitest zu viel. Hör mal, Liebling, ich bin nur heute Abend in der Stadt. Im Towers mit Tante Bessie und Tante Lola.“ Ach, du lieber Himmel, alle drei auf einmal. Eigentlich waren sie doch nur zierliche, harmlose Frauen in den besten Jahren. Aber gemeinsam, davon war Colin überzeugt, hätten sie Rom in einem Tag einnehmen können. Und nun waren sie in der Stadt. Er wusste, wie sehr sie an ihm hingen, und das machte es praktisch unmöglich, ihnen einen Wunsch abzuschlagen. „Ich dachte, ihr wolltet den ganzen Sommer über auf Reisen sein.“ „Das sind wir. Wir unterbrechen nur kurz, um nach dem Rechten zu sehen.“ Nämlich nach ihm. Da seine Mutter die Einzige der drei Schwestern war, die ein Kind hatte, hatten die drei das Gefühl, er gehöre ihnen gemeinsam. Colin war sozusagen von einem Komitee erzogen worden. Sein Vater hatte schließlich das Weite gesucht. Und daraufhin war Colin noch heftiger beschützt, noch strenger bestraft und noch glühender geliebt worden. Dass er nach wie vor glühend geliebt wurde, bezweifelte Colin nicht. Er wünschte nur, sie würden es etwas verhaltener tun. „Ich möchte dir nur sagen, dass Muffy dich heute Abend erwartet“, erklärte seine
Mutter. „Ich habe zugesagt, dass du teilnimmst.“
„Moment, Moment…“
„Wir möchten dich sehen, Liebling. Wann haben wir uns eigentlich zuletzt
gesehen?“
Vor gerade zwei Monaten, dachte Colin verzweifelt. Waren sie und seine Tanten
nur acht kurze Wochen auf ihrer alljährlichen Einkaufsreise in Europa gewesen?
„Wir haben jede Woche miteinander telefoniert“, erinnerte er sie mit Nachdruck.
„Und ich werde nicht zur Auktion gehen.“
„BenefizAuktion“, verbesserte sie ihn. „Es wird erwartet, Colin. Deshalb sind wir
hergekommen. Alle werden da sein.“
Er verkniff sich einen Kommentar und stellte mit einem seiner winzigen
Präzisionswerkzeuge das vor ihm auf dem Tisch liegende MicroModul ein. „Ich
kann nicht. Ich habe…“
„O Colin, du bist doch mein geliebter Sohn.“
„Ich werde trotzdem nicht hingehen.“
„Bitte. Tu es für mich. Ich möchte nicht schon hundert sein, ehe du mich zur
Großmutter machst. Ich…“
„Hör auf!“ Colin lachte auf. „Hör bloß auf mit dem Alter. Du und deine
Schwestern, ihr seid sozusagen die jüngsten alten Tanten, die ich kenne.“
„Ach, du.“ Doch nun lachte auch seine Mutter. „Das ist das zweite Mal, dass du
Muffy enttäuschst. Nimm dir mal frei von deinen kleinen Robotern und geh mit
uns aus.“ Ihre Stimme wurde sanft. „Geh unter Menschen, Liebling. Du musst
wieder heiraten und es diesmal richtig machen. Bitte! Mir zuliebe.“
Er hätte ja gelacht, wenn sie ihn nur hätte necken wollen. Aber in dieser Hinsicht
verstand sie keinen Spaß – weil es um das Glück ihres einzigen Kindes ging.
„Bitte enttäusch mich nicht“, drängte sie in diesem leise verzweifelten Ton, den
alle Mütter perfekt beherrschten.
Colin bekam ein schlechtes Gewissen. „Du hast Pläne gemacht, ohne mich vorher
zu fragen.“
„Weil du für dich selbst keine Pläne machst! Du bist seit fünf Jahren geschieden,
Colin. Vergiss die Geschichte. Bitte. Mir zuliebe. Vergiss sie.“
Der Schmerz, der ihn durchzuckte, hatte nichts mit seiner Exfrau zu tun. Er hatte
plötzlich starke Kopfschmerzen. Er ignorierte sie, nahm ein anderes Teilstück
seines fast fertigen Modells zur Hand und strich sacht über den Bereich, der ihm
Probleme machte – das Laserrohr. Komplizierte Ideen für eine Abänderung
schwirrten ihm durch den Kopf.
„Ich versuche nur, dein Leben zu verbessern.“
Ihm fiel einiges zu diesem Thema ein, angefangen damit, dass seine Mutter ihn
in Ruhe ließ. Denn auch wenn er das Projekt, das ihn momentan Tag und Nacht
beschäftigte, beendet haben würde, würde er auf keinen Fall eine neue Frau zur
„Verbesserung seines Lebens“ brauchen.
„Spar dir die Mühe, Mutter.“
„Aber ich möchte in Frieden sterben.“
Colin verdrehte die Augen. Großartig. Nun kam also wieder mal das Gerede vom
Sterben, obwohl sie kerngesund war und ihn wahrscheinlich um dreißig Jahre
überleben würde.
„Nur diesen einen Abend“, drängte sie. „Um mehr bitte ich dich nicht. Vielleicht
ist sie ja die Richtige…“
„Nein.“ Er streckte seine langen Beine aus. Die richtige Frau gab es nicht für ihn.
Nie wieder. „Ich will dir eigentlich schon die ganze Zeit klarmachen, dass ich
einen guten Grund habe, mich nicht verabreden zu wollen.“
„O nein“, flüsterte sie entsetzt. „Ich habe es geahnt! Ich hätte dich als Kind nicht
mit Puppen spielen lassen sollen.“ Sie stöhnte dramatisch. „Wie soll ich denn
jetzt Enkelkinder bekommen?“
Colin verkniff sich ein Lachen. „Nein, Mutter, du liegst absolut falsch. Ich bin
verlobt.“
Das Schweigen, das eintrat, war fast greifbar.
„Mutter?“
„Mit wem?“ erkundigte sie sich schwach.
„Sie heißt Dana Mills.“
„Was macht sie?“
„Sie hat eine Reinigungsfirma.“
„Aha.“ Seine Mutter überlegte. „Liebt sie dich?“
Colin war sich nicht sicher, ob er überhaupt wusste, was das bedeutete. Aber er
entsann sich genau, wie hingerissen seine kleine Reinemachefrau war, als er sein
Shirt ausgezogen hatte. Er hätte nicht gedacht, dass er in seiner eigenen Küche,
noch dazu von Reinigungsflüssigkeit durchnässt, erotisch wirken könnte. Doch
ihre Faszination hatte ihn irgendwie inspiriert.
„Sie ist verrückt nach mir.“
„Colin, bist du dir ganz sicher? Ich meine, wenn sie dich nicht hundertprozentig
liebt, dann…“
„Ich dachte, du willst, dass ich heirate“, neckte er sie. „Da ich nun also verlobt
bin, arrangier bitte keine Verabredungen mehr! Und auch keine diesbezüglichen
Anrufe mehr. Okay? Sag deinen Schwestern Bescheid.“
„Sie ist also diejenige, welche? Bist du sicher? Woher weißt du das?“
Dana war lustig. Süß, nett und außergewöhnlich geduldig. Nachdem er sie nun
schon seit einem Jahr kannte, hielt er sie für eine wahre Frohnatur, und Leute,
die immer fröhlich waren, mied er am liebsten… denn es schmerzte ihn auf eine
Art und Weise, die er sich nicht erklären konnte.
Sie hatten rein gar nichts gemein, und deshalb war sie mit absoluter Sicherheit
nicht die Richtige für ihn. Aber er musste da durch, musste in Ruhe gelassen
werden, um sein Projekt zu beenden. Seine Arbeit bedeutete ihm einfach alles.
Und das wiederum hatte zur Folge, dass er jemanden, den er liebte, belügen
musste – seine Mutter.
„Ich bin mir ganz sicher“, sagte er leise.
„Aber…“
Sie würde nicht locker lassen, weil sie sich die Schuld an seiner gescheiterten
Ehe gab. Das musste er verhindern. „Ich bin mir sicher, weil…“ Beim Blick aus
dem Fenster sah er Danas kleines Auto vor dem Haus parken. „Weil wir
zusammen sind“, improvisierte er.
„Du meinst, ihr lebt zusammen?“
„Ja.“ Eine Lüge zog die nächste nach sich. Es behagte ihm gar nicht. „Hör mal,
ich muss jetzt Schluss machen.“
„Warte! Ich möchte sie kennen lernen. Deine Tanten möchten das auch. Verflixt,
wir haben für morgen früh einen Flug gebucht. Kein Problem“, entschied sie
spontan. „Wir werden ihn stornieren. Dein Vater kann warten. Wir müssen
natürlich bei dir wohnen, mindestens zwei Wochen, um Dana kennen zu lernen
und… Colin, wage es bloß nicht, einfach aufzulegen.“
Zwei Wochen, gütiger Himmel. „Ich bin in Eile, Mutter. Ich gebe dir Bescheid,
wenn Dana und ich uns auf einen Termin geeinigt haben.“
„Colin! Wenn du auflegst, komme ich sofort, das schwöre ich.“
„Mutter, Dana und ich brauchen Zeit für uns allein, um…“ Wozu? Wieso ging die
ganze Geschichte nach hinten los, wo er doch alles so schön geplant hatte? „Wir
müssen uns noch besser kennen lernen.“
„Schön. Ich gebe euch zwei Tage, denn ich kann deinen Vater eigentlich nicht gut versetzen. Er ist schnell beleidigt. Doch nach dem Besuch in New York komme ich zurück.“ Ihre Stimme klang ganz aufgeregt. „Ist das nicht herrlich – wir haben eine Hochzeit auszurichten! Kannst du dir vorstellen, wie viel Spaß das machen wird? Also bis dann.“ Colin starrte den Hörer an, nachdem es in der Leitung geklickt hatte. Irene West würde herkommen. In zwei Tagen. Für zwei unendlich lange Wochen. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Seine angebliche Verlobte war gerade – er musste schlucken, um den Gedanken zu Ende zu denken – eine richtige Verlobte geworden. Die Tragweite des Ganzen schockierte ihn. Dana würde hier einziehen müssen und vorgeben müssen, ihn zu lieben. In seinem Zimmer schlafen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie dazu bereit war, und das warf eine andere Frage auf. Warum hatte sie überhaupt zugestimmt? Es war ja nicht so, dass sie Freunde waren. Er kannte sie kaum. Lieber Himmel, seine Mutter kam her! Er steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten. Colin tippte Daten in seinen Computer, ganz so, als habe er keine Zeit, sich dem Schlamassel zu widmen, den er angerichtet hatte. „Entschuldige, wenn ich störe.“ Dana steckte den Kopf zur Tür herein. Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen fragend an. Ihr goldblondes Haar hatte sie zu einer verwegenen Frisur aufgesteckt. „Ich würde jetzt gern hier drinnen Staub saugen und Staub wischen, wenn es dir recht ist.“ Colin starrte sie unverwandt an, aber er konnte nicht anders. Ihm war, als sähe er sie zum ersten Mal, obwohl es gerade eine Stunde her war, dass er sie um Hilfe gebeten hatte. Sie war sehr hübsch. Wieso hatte er das bisher nicht bemerkt? Sie hatte ihm auch quasi das Leben gerettet. Wer war schon so gern bereit zu helfen? Er kannte niemanden, der das für ihn getan hätte. Das beunruhigte ihn und auch, dass er ihre Hilfe überhaupt benötigt hatte. Er stand auf, um ihr entgegenzugehen. „Du störst nicht. Aber es gibt da ein paar Dinge, die wir besprechen sollten.“ Dinge? Dass er nicht lachte. Wie sollte er sie fragen, ob sie bereit war, für zwei Wochen bei ihm einzuziehen und zu versuchen, die neugierigste, einmischungsfreudigste, wohlmeinendste Mutter aller Zeiten hinters Licht zu führen? Dana riss die Augen noch weiter auf, als er auf sie zuging. Wahrscheinlich hielt sie ihn für einen ausgemachten Spinner. Er würde darauf bestehen, ihr zusätzlich zur Hausreinigung etwas zu bezahlen. Ihr Stundenlohn war sowieso viel zu niedrig. Die Frau, die sich nichts aus seinem Geld machte, müsste noch geboren werden. „Du hast kein neues Shirt angezogen“, bemerkte sie atemlos. Er hatte es vergessen. Ihr Blick war wie gebannt auf seine Brust gerichtet. Sie errötete, fuhr aber trotzdem fort, ihn mit sichtlichem Interesse von oben bis unten zu betrachten. Auf einmal war auch sein Interesse geweckt, doch er hatte es da etwas schwerer, da sie vollständig angezogen war. Eine Strähne ihres langes Haares hatte sich gelöst und hing ihr ins Gesicht. Die bequemen, weiten Sachen, die sie immer trug, verbargen ihre Figur vollkommen, jedoch nach ihren mageren Armen zu urteilen, war sie wohl ein wenig knochig. Sie ist ganz bestimmt nicht mein Typ, dachte er. Zum Glück. Sie attraktiv zu finden hätte die Situation noch viel schwieriger gemacht.
„Ich habe da ein kleines Problem“, sagte er.
Blinzelnd riss sie den Blick von ihm los. „Du brauchst mich nicht mehr?“
„Äh… nicht direkt.“
Da lächelte sie ihn an. Die Wirkung, die dieses Lächeln auf ihn hatte, verwirrte
ihn völlig, und er fragte sich, ob das mit dem NichtAttraktivFinden wirklich
stimmte.
„Wir müssen einen Termin festlegen?“
„Schlimmer.“ Er atmete durch. „Wir müssen zusammenleben.“
„Vor der Hochzeit?“
„Dazu wird es nicht kommen“, erklärte er mit Nachdruck.
„Keine Hochzeit?“
Oje. Sie klang ja beinahe enttäuscht.
„Wir sind doch nur zum Schein verlobt“, sagte er. „Hast du das vergessen?“
Sie lachte auf und wandte sich schnell ab, um ihr Gesicht zu verbergen.
„Natürlich. Ich dachte nur… Egal. Entschuldige mich, ich habe zu tun.“
„Dana?“
„Tut mir Leid. Ich muss los.“ Damit verließ sie eilig sein Büro.
3. KAPITEL Entgeistert starrte Colin auf seine offene Bürotür. Was war da eben passiert? Dana konnte ihn unmöglich missverstanden haben. Er hatte doch ganz klar gesagt, dass ihre Verlobung nur eine Farce war. Oder nicht? Er überlegte angestrengt. Ja, er hatte klar zum Ausdruck gebracht, dass alles nur Schau sein sollte, aber hatte er sie glauben lassen, es würde auch eine Hochzeit geben? Fluchend eilte Colin ihr nach und holte sich auf dem Weg schnell noch ein sauberes TShirt. Dana und Carmen hatten das Haus jedoch schon verlassen, und er hörte sie in ihrem klapperigen alten Auto wegfahren. Da nahm er kurz entschlossen seine Wagenschlüssel und fuhr hinter ihnen her. Weil er nicht wusste, wo Dana wohnte, verstieß er gleich gegen mehrere Verkehrsregeln, um sie nicht zu verlieren. Und als sie über die Bahngleise fuhren und in ein weniger gutes Wohnviertel abbogen, hoffte Colin, dass Dana nur Carmen hier absetzen wollte. Das tat sie, doch dann stellte er fest, dass auch sie in dieser Gegend wohnte. Er wartete, bis sie in einem heruntergekommenen Haus verschwunden war, ehe er ihr folgte. Er klopfte an ihre nur angelehnte Eingangstür, als Dana aber nicht an die Tür kam, betrat er zögernd ihre Wohnung. Es war drückend heiß. Er begriff nicht, wie Leute in Südkalifornien ohne Klimaanlage leben konnten, und fand es schlimm, dass Dana es musste. Ihr Apartment war viel heller und geräumiger, als er es erwartet hatte. Die Möbel waren nichts Besonderes, aber das kleine Wohnzimmer war sauber und ansprechend. Er entdeckte sie in ihrer MiniKüche, und als er leise ihren Namen sagte, fuhr sie zusammen. „Du musst deine Tür abschließen“, ermahnte er sie eindringlich. „Zur Sicherheit…“ „Ich bin hier sicher.“ Sie wandte sich ab und warf einen Schwamm in das Spülbecken. Einen kurzen Moment lang hielt sie sich am Küchentresen fest, ehe sie den Wasserhahn aufdrehte. „Warum bist du mir nachgefahren?“ „Du bist gegangen, ehe wir fertig waren.“ „Ich war nicht der Meinung, dass wir noch etwas zu besprechen hatten.“ Das klang so verletzt. Verdammt. „Dana…“ „Was bin ich doch für eine Närrin, hm? Mir war schon klar, dass es zum Schein sein sollte, aber ich dachte, wir würden auch tatsächlich wie Verlobte handeln, zum Schein. Wie idiotisch zu glauben…“ Sie lachte gequält auf. Es war schrecklich, wie hilflos er sich fühlte. „Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verletzen.“ „Du kommst aus einer völlig anderen Welt als ich, und ich hätte nie im Leben…“ Sie brach ab. Ihre ungebändigten Locken fielen ihr ins Gesicht und verbargen ihre Miene, aber er konnte sie sich vorstellen. Tief enttäuscht. Gedemütigt. Er griff um sie herum, um das Wasser abzudrehen, und entschuldigte sich dabei ununterbrochen. Unversehens kamen sie in Berührung. Weil er praktisch von hinten die Arme um sie gelegt hatte, konnte er gar nicht vermeiden, dass er mit den Oberarmen seitlich ihre Brüste streifte. Und ohne jede Vorwarnung überkam ihn heftige Erregung. Schweigen. Endlich drehte Dana sich zu ihm um. Sie hatten nun keinen Körperkontakt mehr, standen jedoch immer noch sehr dicht beieinander. Wenn Dana auch nur tief Luft
geholt hätte, dessen war sich Colin sicher, dann hätte sie seine völlig absurde Reaktion auf sie gespürt. Der Fichtennadelgeruch, der vom Oberteil ihrer feuchten, bequemen Latzhose ausströmte, war betäubend. Doch dann stieg ihm unvermittelt Danas ureigener Duft in die Nase, und der war unwiderstehlich süß und sexy. „Ich bin immer gern allein, wenn ich mich zum Narren mache“, sagte sie kaum hörbar. „Vielleicht könntest du einfach gehen und so tun, als habe es den heutigen Tag nie gegeben?“ „Du bist nicht der Narr, der bin ich“, versicherte er ihr grimmig. Dabei hob er ihr Kinn an, damit er ihr in die Augen sehen konnte. „Ich habe dich zwar gebeten, dich zum Schein mit mir zu verloben, habe allerdings nie vorgehabt, daraus mehr zu machen. Es erschien mir so einfach“, fuhr er verwirrt fort. „Ich habe keine Ahnung, warum nun alles vollkommen aus dem Ruder läuft.“ „Verstehe.“ Nein, das konnte sie gar nicht. „Ich wollte, dass du vorgibst, meine Verlobte zu sein, um meine Familie und wohlmeinenden Bekannten zu beschwichtigen, damit ich in Ruhe arbeiten kann.“ „Ja.“ Das Ganze erschien ihm nun so lächerlich, und weil er selbst ein wenig verlegen war, lächelte er sie kaum merklich an. „Ich dachte, wenn mich alle für verlobt hielten, würden sie mit ihren ständigen Verkupplungsversuchen aufhören. Und ich könnte dann ungestört mein LaserProjekt beenden.“ „Ja, verstehe.“ „Wirklich?“ Sie lächelte zaghaft, und das gab ihm eine Atempause. Es war eine Sache, eine Frau zu überreden, für ihn zu lügen, eine ganz andere, ihr gegenüber Gefühle vorzutäuschen, die er nicht hatte. Er verabredete sich nur gelegentlich und wählte dabei durchweg Frauen, die nicht mehr von ihm erwarteten, als er zu geben bereit war. Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass dieses Persönchen von einer Reinemachefrau an einer kurzen Affäre mit ihm interessiert war. Sie schien eher eine Frau zu sein, die die Liebe nicht auf die leichte Schulter nahm. Er wollte auf keinen Fall Spielchen mit einer Frau spielen, die er dabei unabsichtlich verletzen konnte. Die er schon verletzt hatte. Es konnte nichts zwischen ihnen geben. Ausgeschlossen! „Du brauchst also immer noch eine angebliche Verlobte?“ „Ja.“ Sie nickte langsam. „Aber keinen Hochzeitstermin.“ „Himmel, nein.“ „Verstehe.“ Sie zog die Brauen hoch. „Du willst dich nicht auf das ganze Theater einer wirklichen Beziehung einlassen.“ Nein, nie wieder, dachte er fröstelnd. „In diesem Fall ist das nicht nötig. Aber…“ Er seufzte. „Das Problem ist nur, meine Mutter will in zwei Tagen vorbeikommen, um meine Verlobte kennen zu lernen. Sie will bei mir im Haus wohnen, um meine zukünftige Frau im Augenschein zu nehmen.“ „Oh. Deshalb also brauchst du jetzt eine angebliche Verlobte, die mit dir zusammenlebt.“ „Genau.“ „Na wunderbar.“ Dana bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln, das ihn absolut faszinierte und gleichzeitig über alle Maßen beunruhigte. Es ist ein rein geschäftliches Arrangement, sagte er sich. Kein Grund, dass ihr Lächeln deinen Puls beschleunigt. Persönliche Gefühle hatten hier nichts zu
suchen. „Wirst du mitmachen?“
Überrascht sah sie ihn an. Dann nahm sie seine Hände und drückte sie fest.
„Keine Sorge, Colin. Ich stehe zu meinem Wort.“
Dass sie ihm so leicht verzieh, erschreckte ihn. Ebenso ihre Berührung. Nicht nur,
weil er ihre Hände angenehm warm fand, er war es auch nicht gewöhnt, ohne
jeden Grund angefasst zu werden.
In seiner Familie war körperlicher Kontakt verpönt gewesen.
Deshalb berührte auch Colin selten jemand und schon gar nicht völlig grundlos.
Und warum hatte er dann genau das getan, als Dana am Morgen zu ihm ins Haus
gekommen war?
Plötzlich entzog sich Dana ihm. Nervös zupfte sie an ihrer Kleidung herum. Sie
schien sich sehr unwohl zu fühlen.
„Es wird Zeit, dass ich dieses feuchte Shirt ausziehe.“
Ehe er wusste, wie ihm geschah, löste sie die Träger ihrer Latzhose. Natürlich
war sie mit ihrem weiten TShirt immer noch ausreichend bekleidet. Colin verzog
keine Miene. Schließlich wusste er nur zu genau, wie fürchterlich dieser Reiniger
auf der Haut brannte.
Kein Problem, dass sie offenbar vorhatte, sich vor seinen Augen auszuziehen.
Und das in einer Küche, die so winzig war, dass er bei jedem Atemzug quasi mit
Dana in Berührung kam. Nein, er fühlte sich nicht zu ihr hingezogen. Nicht im
Mindesten. Zudem würden sie demnächst zusammenleben. Er konnte mit der
Situation umgehen.
„Verflixt und zugenäht“, murmelte sie, während sie immer noch an ihrem Shirt
herumzupfte. „Zum Kuckuck mit diesem Reiniger.“ Und dann zog sie sich ihr T
Shirt über den Kopf und stand unversehens in einem eng anliegenden Hemdchen
da. Aufseufzend schloss sie die Augen. „So ist es viel besser. Dieses Zeug brennt
mit der Zeit ganz schön.“
Colin wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Sie stieß ihn mit den
Ellbogen an, streifte seine Schenkel, als sie beiseite trat. Seine Jeans wurden ihm
beängstigend eng, und das widerlegte eindeutig seine geheimen Beteuerungen,
dass er Dana nicht attraktiv fand.
Wie hätte er ahnen können, dass seine Putzfrau und angebliche Verlobte unter
ihren schrecklichen weiten Sachen einen so aufregenden Körper verbarg?
„Ich glaube, an einigen Stellen ist meine Haut wirklich stark gereizt.“ Während
sie den Kopf hin und her bewegte, um den Schaden zu betrachten, glitt ihr
seidiges Haar wieder und wieder über seinen Arm.
Colin war hingerissen. Sie war schlank, hatte aber verführerische Kurven, und er
wünschte, sie würde ihre Latzhose wieder hochziehen.
Stattdessen rutschte sie ihr im nächsten Moment sogar noch bis knapp unter die
Taille. Er hatte nun also den Blick ganz frei auf ihren flachen Bauch, ihre sanft
geschwungenen Hüften, ihre festen kleinen Brüste. Sie trug keinen BH.
Gütiger Himmel. Es gab keinen Zweifel mehr, er war fasziniert von seiner
Reinemachefrau – seiner Verlobten.
Sie bedachte ihn erneut mit diesem betörenden Lächeln. „Bist du okay?“
Er war sich nicht sicher. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Ja,
natürlich.“
„Wir werden also zusammenleben, um zu beweisen, dass wir ein Liebespaar
sind.“
Ein Liebespaar. Verdammt, was für eine entsetzliche Vorstellung! Unfähig, sich zu
bremsen, ließ er den Blick noch einmal über Dana gleiten, und wieder reagierte
sein Körper in unmissverständlicher Weise. Sie war eine der erotischsten Frauen,
die er kannte. Und er würde mit ihr zusammenleben.
„Wir müssen meine Mutter täuschen, und das war noch nie einfach“, meinte er
mit belegter Stimme. Er räusperte sich. „Sie hat sogar hinten im Kopf Augen,
und…“, er seufzte laut, „… sie glaubt, wir leben bereits unter einem Dach.“
Dana riss die Augen auf, betrachtete ihn eingehend von oben bis unten und
schluckte dann hart. „Tja, dann…“
„Tja, dann…“
Sie starrten einander verlegen an. Colin fasste es nicht, dass sie ihm so leicht
verzieh, ihm so bereitwillig helfen wollte. Und dass ihre Augen so groß und
ausdrucksvoll waren.
„Es macht mir bestimmt nichts aus, in deinem Haus zu wohnen statt hier“,
meinte sie schließlich. „Du hast eine Klimaanlage.“
In diese Richtung gingen seine Befürchtungen nun wirklich nicht. Es war pure
Schau, diese ganze verrückte Geschichte, und sie würde zu Ende sein, sobald er
sein Projekt beendet hatte. Dana würde wieder ausziehen, und auch wenn er sie
nun doch anziehend fand, würde er sie nicht verletzen, indem er sie glauben
machte, es würde mehr hinter dem Ganzen stecken.
„Meine Arbeit mache ich weiter“, sagte sie, und es klang beinah wie eine Frage.
„Aber ja, ich will deine Geschäfte nicht stören. Nur eines würde ich gern wissen:
warum tust du das für mich?“
Den Kopf zur Seite geneigt, lächelte sie ihn an. „Wegen deines Projekts. Viele
Menschen setzen ihre Hoffnung darauf. Ich möchte, dass du es beendest. Wenn
ich dir dabei helfen kann, fühle ich mich nützlich und daran beteiligt.“
„Ist das der einzige Grund?“
Ein Anflug von Unbehagen huschte über ihr Gesicht. „Natürlich.“
Colin wurde nicht recht schlau aus ihr. Sie war anders als alle Frauen, die er je
getroffen hatte. Und sie würden zusammenleben. Ihre Seife in seiner Dusche.
Ihre Zahnbürste auf seinem Waschtisch. Ihre Slips mit seinen Shorts im
Wäschebeutel. Dieser Gedanke brachte ihn völlig aus dem Konzept.
Ob ihre Slips wohl ebenso sexy waren wie das knappe Top, das sie da anhatte?
Offenbar war ihr inzwischen kalt geworden, denn ihre kleinen niedlichen Knospen
zeichneten sich deutlich unter dem dünnen Hemdchen ab.
„Wir sind also ein Paar?“
Er würde es nicht überleben, aber sie waren ein Paar. „Ja.“
Lachend schlang sie ihm die Arme um den Nacken.
„Was zum…“
Sie umarmte ihn überschwänglich, drängte sich dabei mit all ihren aufreizenden
Kurven ungestüm an ihn. Ehe er die Arme hätte heben können, um sie von sich
zu schieben – und das hätte er auf alle Fälle getan, egal, wie sehr sein heißes
Verlangen dagegen protestierte –, da trat sie schon zurück.
„Ich habe noch zu arbeiten. Ich kann dich nicht den ganzen Tag lang umarmen.“
Er hatte auch zu arbeiten. Oder etwa nicht? Gerade als er ihr das sagen wollte,
eilte Dana bereits an ihm vorbei und hielt ihm die Tür auf. Ihr wunderbarer
Körper und ihr betörendes Lächeln raubten ihm glatt den Verstand.
Wie um alles in der Welt hatte er so dumm sein können, eine Scheinverlobung
für eine gute Idee zu halten?
Es war ein schwüler Abend, wie er typisch für den Juli war.
Colin war dabei, schnell einen Teller Suppe zu essen, in Gedanken ganz bei einer
schwierigen Korrektur, die er an seinem Projekt vornehmen musste. Während er
sich am Küchentisch sitzend Notizen über Notizen machte, hörte er das Auto
vorfahren.
Es war schlecht zu überhören bei dem Lärm, den der Motor machte.
Gleich darauf stand Dana mit einer Reisetasche vor der Hintertür, die in die
Küche führte. Sie lächelte ihn strahlend an. Irgendwie geriet Colin in Versuchung zurückzulächeln. Er öffnete, und sie trat ein, und augenblicklich schien der ganze Raum erfüllt von ihrer Fröhlichkeit, ihrem Strahlen, ihrem zarten Duft. Wenigstens war ihr Oberteil nicht mehr nass, und ihr war zum Glück auch nicht mehr kalt. Allerdings war das bei dem losen Trägerkleid, das sie über einem weiten TShirt trug, nicht so genau festzustellen. Wenn er am Vormittag nicht ihren unglaublich aufregenden Körper zu sehen bekommen hätte, hätte er dergleichen nie geahnt. Ehe er wusste, wie ihm geschah, umarmte sie ihn kurz, und das erschreckte ihn so sehr, dass er regelrecht erstarrte. Seine Reaktion wiederum verunsicherte sie. „Also… Du wolltest doch, dass ich noch heute Abend bei dir einziehe, oder?“ Seine Mutter würde erst in zwei Tagen zu Besuch kommen. Aber Dana schaute ihn mit ihren großen Augen unschuldig an, und er wusste nicht, was er sagen sollte. Und würde sie ihn immer ohne jeden Grund berühren? Wenn ja, dann würde ihm die Zeit mit ihr verdammt lang werden. Er hatte diese Scheinverlobung aus sachlicher Überlegung heraus geplant und sah ihr keineswegs freudig entgegen. Aber ihm blieb keine Wahl. Und wie schlimm konnte es denn schon werden? Sie kannten sich bereits ein ganzes Jahr. Allerdings war Dana unberechenbar. Und viel zu fröhlich, seiner Meinung nach eindeutig eine Persönlichkeitsstörung. Um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, ergriff sie seine Hand, und allein diese ganz gewöhnliche Berührung ging ihm durch und durch. O ja, er war in großen Schwierigkeiten, das konnte er nicht leugnen. „Ich dachte, wir sollten ein bisschen üben“, meinte sie. „Du weißt schon… ein Liebespaar zu sein.“ Das hatte er ursprünglich zwar auch gedacht, doch jetzt hielt er das nicht mehr für eine gute Idee. Als er nichts erwiderte, kaute sie verlegen auf ihrer Unterlippe. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber für mich ist das nicht so einfach.“ Sie errötete. „Ich meine…“ „Ich weiß schon.“ Er lachte befreit auf. „Auch für mich ist es nicht unbedingt einfach.“ Falls er je so dumm sein sollte, um noch einmal zu heiraten, und falls seine Frau die Figur seiner angeblichen Verlobten haben sollte, dann würde er vielleicht doch noch versuchen, die große Liebe zu entdecken. „Ich bin keine große Schauspielerin. Ich glaube, ich brauche ein paar Tage Zeit zum Üben.“ Das würde er nicht überleben. Er war sich nicht sicher, ob er die Finger von ihr lassen konnte. „Ich glaube nicht…“ „O doch.“ Sie lächelte wie ein Unschuldsengel. „Wir müssen schließlich überzeugend wirken, Colin.“ „Ja.“ Seine Mutter hatte einen sechsten Sinn dafür, wenn etwas nicht stimmte. „Wir sollten auch eine Anzeige in die Zeitung setzen.“ Moment. Das Ganze wurde viel zu echt. „Warum?“ Sie bedachte ihn mit diesem liebenswerten Lächeln, das sie offenbar immer dann einsetzte, wenn sie ihren Kopf durchsetzen wollte. „Du willst doch, dass die Leute dich in Ruhe lassen. Und das ginge am schnellsten, wenn du deine Verlobung öffentlich bekannt machen würdest.“ „Aber…“ Aber was? Sie hatte Recht, sie hatte immer Recht, wie er langsam ahnte. Verdammt. „Okay. Eine Anzeige ist in Ordnung.“ Dana senkte den Blick und ließ ihn dann beinah nervös über den Flur zur Treppe
schweifen. Sie fragt sich, wie wir schlafen werden, mutmaßte Colin. „Komm“, meinte er seufzend, „du kannst dir oben eines der Gästezimmer aussuchen.“ Sie wirkte erleichtert und zugleich enttäuscht. Das konnte er verstehen. Dana nahm das Gästezimmer, das von Colins Schlafzimmer aus am anderen Ende des Flurs lag. Nicht, weil sie ihm aus dem Weg gehen wollte, sondern weil sie sich selbst nicht über den Weg traute. Ihre natürliche Art, mit ihm umzugehen, schien ihn in Panik zu versetzen. Als sie ihn zur Begrüßung umarmt hatte, wäre er fast tot umgefallen. Es war nur eine simple Umarmung gewesen, in aller Freundschaft, aber er hatte es überhaupt nicht gemocht. Seitdem achtete er peinlich genau darauf, ihr nicht zu nahe zu kommen. Und sobald sie im Obergeschoss waren, war er mit ihr als Erstes zu dem Gästezimmer gegangen, das am weitesten von seinem Zimmer entfernt lag. Sie wusste auch nicht, was sie erwartet hatte – dass er womöglich vorschlug, sie solle in seinem Bett schlafen? Das war nicht seine Art. Trotzdem wünschte sie sich sehnlichst, dass ihre Verlobung wenigstens in dieser Hinsicht echt wäre. Colin stellte ihre Reisetasche auf dem Gästebett ab. „Sag Bescheid, falls du etwas brauchst.“ Meinte er das ernst? Sie bezweifelte es. Seiner Miene nach zu urteilen, würde er jetzt lieber beim Zahnarzt sitzen. Nun, sehr viel anders erging es ihr auch nicht. Sie hatte so viele Vorbehalte gegen diese Farce, die sie inszenieren wollten. Auch wenn sie eingewilligt hatte, um ihn bei seinem Projekt zu unterstützen, so wusste sie doch nur zu genau, dass das längst nicht der einzige Grund war. Und das machte ihr Angst. Colin West war von seiner Arbeit besessen, und wenn sie den Gerüchten über ihn glaubte, dann war er auch kalt und unnahbar. Aber das konnte unmöglich stimmen. Niemand, der einen so tiefgründigen und leidenschaftlichen Blick hatte, konnte kalt sein. Das ganze Jahr über hatte sie sich instinktiv zu ihm hingezogen gefühlt, und auch wenn sie das nicht recht begriff, so konnte sie es auch nicht einfach ignorieren. Tausend verschiedene Dinge konnten passiert sein, die Colin zu dem verschlossenen Mann gemacht hatten, der er nun mal war. Das verstand sie besser als die meisten, denn trotz ihrer geselligen Art war sie selbst auch sehr verschlossen. Was sie allerdings überhaupt nicht verstand, war ihr plötzliches Bedürfnis, bei ihm zu sein. Ihn glücklich zu machen. „Ich brauche nichts“, antwortete sie endlich leise und lächelte dabei tapfer. „Was werden wir also unternehmen, um einander besser kennen zu lernen?“ Das Aufleuchten seiner Augen verriet ihr, dass er sich ihrer voll bewusst war. Ihr wurde ganz heiß, und sie starrten einander wie hypnotisiert an. Sie konnte nicht anders, sie musste lachen, denn es war nur zu offensichtlich, dass sie beide das Gleiche dachten. Sie streckte die Hand aus und streichelte seinen Arm. „Das ist doch idiotisch. Schließlich sind wir beide erwachsen.“ Gebannt sah er auf ihre Hand. „Ja, erwachsen“, stimmte er zu und suchte ihren Blick. Ihr wurde noch heißer, und sie spürte ein erregendes Pulsieren tief im Innern wie seit langem nicht mehr. „Wir sollten es überschlafen. Uns wird schon etwas einfallen. Ein Frage und Antwortspiel vielleicht oder etwas Ähnliches.“ Weil er
alles andere als begeistert aussah, musste sie erneut lachen. „Das Ganze war
deine Idee, falls du das vergessen haben solltest.“
Er verzog den Mund. „Ich will versuchen, es mir zu merken.“
Aus der Ferne war schwaches Donnern zu hören. Dana schreckte zusammen.
„Was war das?“
„Anscheinend zieht ein Gewitter auf.“ Colin spähte zum Fenster hinaus.
„Hoffentlich bekommen wir etwas Regen. Und eine Abkühlung nach dieser Hitze.“
Dana hatte eine tiefe Abneigung gegen Gewitter. Sie bekam eine Gänsehaut, als
der Himmel von weiteren Blitzen erhellt wurde. Seit zwanzig Jahren machten
Gewitter ihre große Angst. Unter dem Vorwand, gute Nacht sagen zu wollen,
schlang sie die Arme um Colin und hoffte, er würde sie festhalten.
Er tat es nicht.
„Gute Nacht“, flüsterte sie und umklammerte ihn fester, weil es von neuem
heftig donnerte.
Es fiel ihr schwer, Colin loszulassen, denn er fühlte sich so warm, so stark und
einfach wunderbar an. Doch sie spürte, wie unangenehm ihm ihre Umarmung
war. Sie versuchte, seine Ablehnung nicht persönlich zu nehmen, und ließ sich
aufs Bett fallen. Nur mit Mühe gelang es ihr, nicht erneut zusammenzuzucken,
als es wieder blitzte. Weil der nachfolgende Donnerschlag sogar die
Fensterscheiben zum Klirren brachte, wäre sie am liebsten unter die Decke
gekrochen.
Sie hasste Gewitter wirklich.
Colin hatte mehr oder weniger den Atem angehalten, seit sie ihn umarmt hatte.
Sie versuchte, ihre dumme Angst zu ignorieren. „Colin?“
„Gute Nacht“, murmelte er. Und schon war er zur Tür hinaus.
4. KAPITEL Bis das Gewitter herangezogen war und in voller Wucht tobte, war Dana in einen
unruhigen Schlaf gefallen.
Sie träumte von Dingen, die weit zurück in der Vergangenheit lagen. Von ihrer
warmherzigen, liebevollen Mutter, die ihr erzählte, dass sie bald ein Brüderchen
oder Schwesterchen bekommen würde. Von ihrem Vater, der sie lachend auf
dem Rasen vor ihrem Haus im Kreis herumwirbelte.
Dana seufzte lächelnd im Schlaf.
Und dann sah sie wieder ihre starren Gesichter nach dem Autounfall, bei dem
ihre Eltern umgekommen waren, in einem heftigen, überraschend aufgezogenen
Sommergewitter vor zwanzig Jahren.
Donner ließ die Fenster klirren. Blitze zuckten über den Himmel. Mit einem
Aufschrei fuhr Dana hoch. Doch dann verstummte sie voller Entsetzen, weil ein
Schatten zu ihr aufs Bett sank.
„Was ist los?“ fragte eine tiefe Stimme.
Colin. Er war zu ihr gekommen. Schlaftrunken und mit zerzaustem Haar, wie er
war, und ohne Pyjamajacke.
Er wollte sie trösten.
Und genau das brauchte sie in diesem Moment, sehr sogar. Ehe sie etwas hätte
sagen können, berührte er zart ihr Gesicht und wischte ihre Tränen ab.
„Dana?“ Er stützte sich mit den Armen links und rechts neben ihr ab und beugte
sich über sie. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
Als Antwort schlang sie die Arme um ihn und versuchte, ihn an sich zu ziehen,
weil sie so sehr seine Nähe brauchte. Er widerstand ihr.
Stattdessen sah er ihr tief in die Augen und schüttelte langsam den Kopf. „Du
hast schlecht geträumt.“
Wieder donnerte es heftig, und Dana schrie leise auf. Sie presste die Augen
zusammen und hätte sich am liebsten unter die Bettdecke verkrochen.
Da zog Colin sie wortlos in seine starken Arme und hielt sie ganz fest. „Es ist nur
ein Gewitter.“ Wieder und wieder strich er ihr übers Haar, während sie sich an
ihn kuschelte. Sein stoppeliges Kinn kratzte ihre Wange. „Es kann dir nichts
geschehen. Du bist hier sicher.“
Das war ihr klar, aber ihre Angst war nicht mit dem Verstand zu erklären,
genauso wenig wie ihr Verlangen nach ihm.
Der Regen prasselte mit aller Heftigkeit aufs Dach. Der Wind heulte ums Haus
und ließ die Fenster klappern. Es hatte sich abgekühlt. Immer wieder blitzte und
donnerte es, doch Dana fühlte sich in Colins Armen geborgen und seufzte nur.
Allein seine Anwesenheit vertrieb die letzten Reste ihres Albtraums.
Ihre Traumbilder gehörten der Vergangenheit an. Colin dagegen war Wirklichkeit.
Über sie gebeugt, redete er tröstend und beruhigend auf sie ein, und es wirkte.
Aber seine raue, noch schläfrige Stimme war auch erregend, und obwohl draußen
ein Gewitter tobte, verfehlte sie ihre Wirkung auf Dana nicht. Sie begehrte ihn
leidenschaftlich und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er sie ebenfalls
begehrte. Instinktiv drängte sie sich mit den Hüften an ihn.
Colin erstarrte.
Sie hätte sich schämen oder ihre ungezügelte Reaktion wenigstens bedauern
sollen, doch sie tat es nicht. Colins Hitze erwärmte sie mehr und mehr. Er trug
nur eine weiche Pyjamahose. Ihre Körper berührten sich in ganzer Länge, und
das war eine so aufreizende Position, dass Dana sich noch einmal an ihn drängte.
„Dana.“
Mehr sagte er nicht. Aber sein heiserer, warnender Unterton verriet ihr ganz klar
seine eigene, brennende Sehnsucht.
Mit heftig klopfendem Herzen zog sie ihn enger an sich. Sie hatte das Gefühl,
wenn er sie nicht küsste, wenn er sie nicht auf der Stelle liebte, dann würde sie
sterben.
„Ich will dich, Colin“, flüsterte sie und hob ihm das Gesicht entgegen.
Er schlang die Arme fester um sie.
„Ich möchte so sehr, dass du mich auch willst.“
Lachend stöhnte er auf, denn es ließ sich nicht verbergen, wie sehr er sie
begehrte. „Auf diese Weise verscheucht man aber keine Albträume.“
„Wir sind verlobt.“
„Zum Schein.“
„Es fühlt sich im Moment doch echt genug an, oder nicht?“ Sie presste das
Gesicht an seinen warmen Hals und fuhr mit der Zunge über seine Haut.
Colin erschauerte und zog sie erneut enger an sich. „Noch nie ist mir etwas
echter vorgekommen“, bekannte er.
Draußen rüttelte ein Windstoß an den Fenstern, während drinnen die Hitze ihrer
Körper die Atmosphäre knistern ließ.
„Dana…“
Er würde sie bremsen, ihr sagen, warum das keine gute Idee war, und genau das
wollte sie nicht. „Wir könnten jetzt damit anfangen“, schlug sie daher schnell vor.
„Du weißt schon, einander kennen lernen.“
„Und was ist mit dem Frage und Antwortspiel, das du vorhin vorgeschlagen
hast?“
„Okay – wenn du eine Frage willst, wie wär’s damit?“ Sie streichelte seinen
Oberkörper und küsste ohne Scheu eine kleine, harte Brustwarze. „Gefällt dir
das?“
„Dana…“
Warme Haut, geschmeidige Muskeln – er fühlte sich so fantastisch an, so
unglaublich männlich. Sie spürte, wie sein Herz raste. Sein atemberaubender
Anblick machte sie ganz schwindelig. Sie legte ihm eine Hand unters Kinn und
strich dabei spielerisch mit einem Finger über seinen schönen, sinnlichen Mund.
Mit der anderen Hand drängte sie ihn noch näher an sich.
„Dana, das kann nicht echt sein mit uns, du weißt das.“
„Ich weiß nichts dergleichen.“
„Hör mal, du hast keine Angst mehr“, sagte er mit einem Anflug von
Verzweiflung. „Da sollte ich…“
Sacht verschloss sie ihm den Mund mit einem Finger. „Durch dich fühle ich mich
sicher und geborgen.“
Als er die Augen schloss, streifte sie mit den Lippen ganz flüchtig seinen Mund.
„Bitte, geh nicht“, flüsterte sie. Sie fühlte sich geborgen wie seit langem nicht
mehr. Sie machte sich keine Illusionen über den Mann, der sie da umarmte,
bereit zur Flucht. Er war gefangen, hin und hergerissen zwischen Bedauern und
Begehren, doch für sie war es richtig. Sie musste ihn überzeugen. „Colin, bitte…“
„Ich hätte nicht in dein Zimmer kommen sollen. Du bist verängstigt und
verletzlich.“
„Warum bist du denn hergekommen?“
Er suchte ihren Blick. „Du brauchtest…“
„Dich. Ich brauchte dich.“
„Du hattest einen Albtraum. Da hätte jeder…“
„Nicht jeder. Du.“
„Das glaube ich einfach nicht.“
Diese atemlose, drängende Sehnsucht war vollkommen neu für Dana, aber Colin
war offenbar nicht bereit, ihr das zu glauben. Sie musste es ihm beweisen. Ihre
Knospen waren hart wie kleine Perlen, weil sie erregt, nicht weil ihr kalt war. Sie
schmiegte sich an ihn, damit er es fühlte.
Er sog scharf den Atem ein. Seine Augen wurden dunkel. „Dana.“
„Berühr mich.“
Sie merkte, wie er schneller atmete, wie er um Beherrschung rang. Der Regen
trommelte gegen die Fensterscheiben, als Colin den Kopf hob, um ihr tief in die
Augen zu blicken. Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus
leidenschaftlichem Begehren und großer Verwirrung wider. „So war das nicht
gedacht“, murmelte er. „Es sollte unkompliziert sein.“
„Ich weiß.“ Sie durchwühlte mit den Fingern sein dichtes, seidiges Haar. „Ich
weiß.“
„Dadurch wird es noch härter.“
„Das hoffe ich doch“, flüsterte sie.
Da musste er grinsen. „Ich bin derjenige, der das hier kompliziert macht, oder?“
„Genau.“ Um ihm zu beweisen, dass die Situation eigentlich gar nicht kompliziert
war, veränderte sie ihre Position so, dass sie ganz unter ihm lag. Langsam zog
sie die Beine an und schlang sie ihm um die Hüften.
Diese unmissverständliche Einladung ließ Colin aufstöhnen. Zögernd berührte er
mit den Lippen ihren Mund.
„Endlich“, seufzte sie leise.
Ja, endlich, war alles, was Colin in diesem Moment denken konnte. Er hatte Dana
küssen wollen, seit sie am Abend vor seiner Hintertür erschienen war, auch wenn
er sich das weiterhin versagt hätte.
Es würde Schwierigkeiten geben, das wusste er, aber während er zart ihre
Mundwinkel küsste, dann ihre weichen Lippen, da wurde ihm klar, dass das alles
warten konnte, bis der Sturm, der in ihm tobte, vorbei war.
Und das konnte dauern, bei dem Feuer der Leidenschaft, das zwischen ihnen
loderte. Der Kuss wurde inniger, fordernder. Dana wand sich unruhig unter ihm,
und sein glühendes Verlangen raubte ihm fast den Verstand.
Bisher hatte er sich nie besonders viel aus Küssen gemacht. Er hatte es immer so
intim gefunden, und alles, was auch nur entfernt mit Vertrautheit zu tun hatte,
hatte er gemieden.
Er ahnte, dass das ein großer Irrtum gewesen war.
Das Rascheln der Laken und das Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben
waren die einzigen Geräusche im Zimmer. Und die Stille wurde fast greifbar, als
Colin sich von Dana löste, um fassungslos ihren Blick zu suchen.
In diesem Moment erhellte ein greller Blitz den Raum, und der nachfolgende
Donnerschlag ließ das ganze Haus erbeben.
Dana schreckte zusammen.
„Es ist okay. Das Gewitter zieht langsam ab.“
„Ich weiß.“ Aber sie schluckte hart. „Ich habe keine Angst mehr.“
Ihre großen Augen bargen Geheimnisse, die er nicht kannte. Die er gar nicht
kennen wollte, wie er sich einredete.
Sie legte seine Hand auf ihr heftig klopfendes Herz. Instinktiv begann er, ihre
weiche Brust zu streicheln. Er mochte es, wie Dana kleine lustvolle Seufzer von
sich gab, wie sie sich mit ihrem aufreizenden Körper an ihn geschmiegt hatte. Er
mochte…
Er mochte sie.
Und egal, wie sehr er auf Abstand zu ihr bedacht war, es würde nichts daran
ändern.
„Colin…“ Sie versuchte, ihm noch näher zu kommen.
Er war völlig fasziniert von ihr und konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, warum das, was sie sich beide wünschten, nicht passieren sollte. „Jetzt“, flüsterte sie, und es war nicht zu überhören, wie sehr sie ihn begehrte. Ehe er wusste, was er tat, war er dabei, eine heiße Kussspur von ihrem Hals zu ihrem Dekolletee zu ziehen, dabei ihr TShirt hochzuschieben, um endlich ihre nackten Brüste liebkosen zu können… Sie stöhnte wohlig. „Mehr. Beeil dich.“ „Ich bin dabei, dich zu erforschen“, murmelte er zwischen süßen, feuchten Küssen. „Dräng mich nicht.“ Voller Ungeduld fuhr sie ihm mit den Händen über den Rücken. Unfähig, still zu halten, bewegte er die Hüften und verfiel spielerisch in den uralten Rhythmus der Liebe. Und plötzlich war er genauso versessen darauf, mit ihr zu schlafen wie sie mit ihm. Dana bot ihm alles dar, ihren Körper, ihre Leidenschaft. Statt gewisser Ungeschicklichkeiten, wie er das erwartet hätte, war mit Dana alles vollkommen natürlich. Bei den Frauen, mit denen er vor Dana zusammen war, hatte er nie eine solche Hingabe erlebt. Im Gegenzug wollte auch er geben, denn ihr brennendes Verlangen entfachte seine Begierde auf nie gekannte Art und Weise. Tiefe Zärtlichkeit und ungestüme Wildheit zugleich durchströmten ihn, rissen ihn mit sich fort. Er hätte wissen müssen, dass es genauso mit ihr sein würde. Er küsste sie erneut. Dabei bewegte er ganz zart die Hände über ihren Körper, ihre nackten Beine. Er spürte, wie sie erschauerte. „Colin, bitte…“ Nie zuvor hatte sein Name derart sexy geklungen. Sie schloss die Augen – und riss sie sofort wieder auf, als er begann, ihre Brüste zu streicheln. „Colin!“ Ja, er konnte sich daran gewöhnen, wie sie seinen Namen keuchte, ganz heiser und voller Sehnsucht. Um es gleich noch einmal zu hören, hielt er einen Moment inne. Sie klammerte sich an seine Schultern, warf unruhig den Kopf auf dem Kissen hin und her, und als er mit den Daumen über ihre harten Brustknospen strich, stöhnte sie wieder seinen Namen. Er lächelte zufrieden. „Ist es das, was du willst, Dana?“ Ihre Antwort war ein wohliges Seufzen, und das erregte ihn nur noch mehr. Er wollte sie langsam zum Wahnsinn treiben und erleben, wie sie zum Höhepunkt kam, um sie dann behutsam zurück in die Wirklichkeit zu bringen. „Dana?“ Er zog ihr das TShirt über den Kopf. Sie war perfekt, einfach perfekt. Spielerisch umrundete er ihre Brüste mit einem Finger. „Gefällt dir das?“ „Ja!“ Sie drängte sich an ihn. „Mehr. Bitte.“ „Wie ist es damit?“ Er begann, eine rosige Brustspitze mit der Zunge zu liebkosen, dann die andere. „Bist du sicher…“, er setzte sein erregendes Zungenspiel fort, ehe er genüsslich an einer Knospe knabberte, „… dass es das ist, was du willst?“ Dass sie sich ihm ungeduldig entgegenhob, war ihm Antwort genug. Er hätte nicht sagen können, was über ihn gekommen war, sie so zu necken, denn er selbst verging fast vor Lust, tief erregt, wie er war. Er war sehr lange mit keiner Frau zusammen gewesen, und er hätte gedacht, dass er nur schnell mit ihr schlafen wollte, um die Befriedigung zu erlangen, die Sex immer brachte. Aber jetzt merkte er, dass er mehr wollte. Er wollte Dana zu einem erotischen Höhenflug entführen, der ihnen nie gekannte sinnliche Freuden bringen würde. „Colin…“
Wieder dieses atemlose, sinnliche Flüstern. „Ja…“
Sie wollte ihn zu sich herunterziehen.
„Nicht, Dana!“ stieß er hervor, aus Angst, viel zu schnell die Kontrolle über sich
zu verlieren. Deshalb hielt er ihre Hände einen Moment über ihrem Kopf fest, bis
er sicher war, dass sie sie dort lassen würde. „Lass mich… Dana, lass mich
zuerst…“
Und damit glitt er an ihrem Körper abwärts, bedeckte sie dabei mit heißen
Küssen, bis er endlich zwischen ihren Beinen kniete. Hingerissen betrachtete er
ihren Körper. Im schwachen Licht der Nacht wirkte ihre Haut noch heller und
zarter. „Du bist… atemberaubend“, flüsterte er heiser. Er war unglaublich nah am
Abgrund, und dabei hatte sie ihn noch nicht einmal intim berührt. Er war drauf
und dran, allein von ihrem Anblick den Verstand zu verlieren.
Er zuckte zusammen, als sie ihn mit den Fingern umschließen wollte, und er zog
ihre Hand weg. „Nein“, stöhnte er, denn wenn sie ihn zu liebkosen begann,
würde es augenblicklich vorbei sein. „Nicht, Dana.“ Er hielt ihre Hand fest,
während er ihr tief in die Augen schaute. „Beweg dich nicht.“
Nur mit Mühe gelang es Dana, still zu liegen. Ihr war ganz stark bewusst, wie
begehrlich Colin sie betrachtete, während sie mit gespreizten Beinen vor ihm lag.
Es war einfach überwältigend – wie er bebte, wie heftig seine Brust sich hob und
senkte, wie er seine Kraft und Leidenschaft kaum noch zügeln konnte.
Ihr wurde heiß, und das hatte nichts mit Verlegenheit zu tun, sondern einzig und
allein mit ihrem glühenden Verlangen.
Unendlich sanft nahm er ihr Gesicht in beide Hände. „Du bist bildschön, Dana.“
Das hatte ihr noch nie jemand gesagt, und sie selbst fand das schon gar nicht.
Aber Colin nahm sie es ab.
Langsam bewegte er die Hände über ihren Hals abwärts, umrundete ihre Brüste,
ließ sich viel Zeit dabei, strich dann über ihren Bauch. Er hielt ihren Blick
gefangen, während er ihr den Slip abstreifte und achtlos auf den Boden warf.
Dann beugte er sich über sie, um sie zu küssen, endlos lange und begierig,
schürte die prickelnde Lust, verstärkte sie.
„Colin, berühr mich“, flehte sie.
Lächelnd rutschte er tiefer und begann, eine Knospe hingebungsvoll mit dem
Mund zu liebkosen.
Dana verging fast vor Wonne. „Mehr!“
Ohne das süße Spiel mit ihrer Knospe zu unterbrechen, ließ er eine Hand über
ihre zitternden Beine wandern. „Wo soll ich dich berühren?“
Er wollte, dass sie ihm das tatsächlich sagte? Irgendwie hatte sie inzwischen
zwar alle Hemmungen über Bord geworfen, aber auszusprechen, was sie
besonders erregte…
„Hier?“ erkundigte er sich, während er ihre Kniekehle streichelte.
Sie hob das Becken, und er ließ seine Finger höher wandern, kam dem Punkt
ihrer Sehnsucht näher und näher, aber nicht nah genug.
Dana ertrug die lustvolle Spannung kaum noch. Verlangend griff sie nach Colin
und begann, ihn über seiner Pyjamahose zu liebkosen, ehe er ihr Einhalt
gebieten konnte. „Noch nicht.“
Dann war es an ihm, wollüstig zu stöhnen, weil sie ihn trotzdem weiter
streichelte. „Ich bin bereit!“ flüsterte sie heiser. „Bitte komm ganz zu mir!“
„Hm. Vielleicht anschließend… wenn du brav bist.“ Damit schob er ihr die Hände
unter den Po und senkte den Kopf, um sie mit einer noch süßeren Qual bekannt
zu machen.
Sein erregendes Zungenspiel war gekonnt, und er verwöhnte sie so gründlich,
dass er ihr einen atemberaubenden Höhepunkt schenkte. Als sie schließlich in die
Realität zurückglitt, hatte der Regen nachgelassen.
Es blitzte und donnerte nicht mehr.
Ihre Angst war längst verflogen.
Und sie war fest in Colins Arme geschmiegt. Das Gesicht hatte er in ihrem Haar
vergraben.
Dana merkte, dass er zitterte. „Du willst nicht…“ Verlegen hielt sie inne. „Colin?“
Er küsste sie und löste sich von ihr, während sie ihm so nah sein wollte, wie nur
irgendmöglich. Und er rückte noch weiter von ihr ab, als sie versuchte, ihn auf
sich zu ziehen.
„Wir können nicht.“ Er stöhnte auf, weil sie den Beweis dafür, dass er sie immer
noch heftig begehrte, mit den Fingern umschloss.
Sie begriff nicht. „Hast du es dir anders überlegt?“
„Kaum.“ Er stand auf, und sein Bedauern war ihm deutlich anzusehen. „Ich habe
keinen Schutz im Haus.“
„Oh.“
„Ja, leider. Ich denke, wir sollten lieber in getrennten Schlafzimmern schlafen.“
Sie stand noch immer in Flammen. Sie wollte ihn unbedingt in sich spüren.
„Wieso hast du keine… du weißt schon.“
Ihre Fassungslosigkeit brachte ihn zum Lachen. „Ich brauche eigentlich nie
welche.“
„Wirklich?“
„Du klingst so erstaunt.“ Er zuckte mit der Schulter. „Es ist lange her für mich,
Dana.“
Das freute sie irgendwie und erwärmte ihr Herz für ihn noch mehr. Ohne die
geringste Befangenheit richtete er seine Pyjamahose, und Dana war einmal mehr
fasziniert vom Ausmaß seiner Erregung. Dann ging er zur Tür.
Leise rief sie seinen Namen.
Er wandte sich zu ihr um. In seinen Augen spiegelte sich noch immer
unverhohlene Leidenschaft wider, die ihr versicherte, dass auch vor ihm eine
lange, schlaflose Nacht lag.
Sie verspürte einen Anflug von Schüchternheit, aber das war absurd nach dem,
was sie eben miteinander erlebt hatten. „Es ist auch für mich lange her“, flüsterte
sie.
Da lächelte er, und sein Lächeln ging ihr durch und durch.
Im nächsten Augenblick war er weg.
5. KAPITEL Vielleicht hatte sie, Dana, nichts davon wirklich erlebt – weder ihren Albtraum noch Colins lustvolle Liebkosungen, wenn nicht ihr Körper allein bei seinem Anblick zu prickeln begonnen hätte. Obwohl ihr ganz flau wurde, betrat sie so selbstsicher wie möglich durch die Schwingtür die Küche. Colin saß am Tisch, vor sich eine Tasse dampfenden Kaffees und eine Zeitung. Sein dunkles Haar war noch feucht und einfach aus der Stirn gestrichen, als habe er keine Zeit zum Kämmen gehabt. Das schwarze Hemd, das er anhatte, sah unglaublich maskulin aus, besonders, weil er es noch nicht ganz zugeknöpft hatte. Seine nackte Haut darunter wirkte seidig und weich. Sie hätte ihn liebend gern gestreichelt. Er trug eine maßgeschneiderte schiefergraue Hose, die seine fantastische Figur bestens zur Geltung brachte. Die langen Beine hatte er ausgestreckt, und er war barfuß. „Colin“, sagte sie und merkte selbst, wie sehnsüchtig das klang. Er hob den Kopf und hielt sie mit seinem Blick gefangen. Er nickte ihr zu, ohne dass seine Miene seine Gedanken verraten hätte, und wieder musste Dana sich ins Gedächtnis rufen, dass die letzte Nacht kein Traum gewesen war, sondern wundervolle Wirklichkeit. Er hatte sie berührt. Er hatte ihr eine zügellos leidenschaftliche Seite von sich gezeigt, die sie sich bisher nur in ihren erotischen Fantasien ausgemalt hatte. Er erwiderte nichts, und sein kühler, auf Distanz bedachter Augenausdruck schnitt Dana ins Herz. Seine Tasse beiseite schiebend, stand Colin auf, als wolle er nicht einen Moment mit ihr verbringen. Wahrscheinlich fürchtet er, ich flehe ihn wieder an, mich zu berühren, dachte Dana errötend. Denn letzte Nacht hatte sie ihn angefleht. Trotzdem reckte sie stolz ihr Kinn. „Du hast vergessen, deine Tasse in die Spüle zu stellen.“ Colin, der schon an der Tür stand, hielt überrascht inne. „Bitte?“ Aha, er konnte morgens also doch reden. Auch wenn seine Stimme noch rau und kratzig klang, weil er offenbar erst vor kurzem aufgestanden war. Und das wiederum verstärkte das Kribbeln in ihrem Bauch, weil es unglaublich sexy klang. „Ich bin heute nicht deine Reinemachefrau. Nur einmal die Woche, falls du es vergessen haben solltest.“ Sein Blick wurde dunkel, und daran erkannte sie, dass auch er sich an letzte Nacht erinnerte. „Du hast Recht. Entschuldige.“ Er nahm seine Tasse und trug sie zur Spüle, spülte sie allerdings nicht aus, sondern stellte sie nur ab. Dana sagte nichts. Sie wusste ja, dass er sich morgens selten um sein schmutziges Geschirr kümmerte, weil es sich immer im Ausguss stapelte, wenn sie zum Saubermachen kam. Falls er glaubte, seine Scheinverlobte würde an ihm herumnörgeln, dann hatte er sich getäuscht. Stattdessen wünschte sie ihm fröhlich einen schönen Tag und hielt ihm die Küchentür auf. Er zögerte, und sie konnte es sich nicht verkneifen zu ergänzen: „War nett mit dir zu plaudern, Colin. Du bist morgens ja richtig munter und fidel.“ „Ich bin nie munter und fidel.“ „Das ist mir gar nicht aufgefallen.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Wir werden nicht darüber reden, oder?“ „Müssen wir das denn?“
„Es hilft vielleicht.“ „Das bezweifle ich.“ „Wir sollen uns doch besser kennen lernen. Mich über deine Kaffeetasse hinweg finster anzustarren, als wüsstest du nicht mehr, warum ich hier bin, wird dein Problem nicht lösen.“ Er atmete tief durch, dann fuhr er sich mit den Fingern durch sein halb trockenes Haar. „Ich weiß schon noch, warum du hier bist.“ Wie könnte ich das vergessen? fragte Colin sich, wo er doch noch immer ihre weiche Haut unter den Fingerspitzen zu fühlen glaubte. Nachdem er Dana verlassen hatte, hatte er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Sein Körper hatte vor Sehnsucht nach ihr gebrannt, und immer wieder hatte er Dana in höchster Lust vor sich gesehen. „Colin.“ Er schreckte zusammen, als sie neben ihn trat und ihre Hand auf seine Hand legte. Sie reichte ihm gerade bis zum Kinn. In ihren Augen spiegelten sich neben Mitgefühl auch noch andere Emotionen wider, aber er konnte den Blick nicht von ihnen abwenden. „Nicht, Dana. Sag es nicht. Ich bin an allem schuld, das weiß ich selbst.“ Sie schüttelte den Kopf. Und verflixt, sie zog ihre Hand nicht zurück, was tröstlich und aufregend zugleich war. Colin konnte sich unschwer ausmalen, wie es zwischen ihnen sein würde, wenn er seine Entscheidung, sie nicht zu täuschen oder zu verletzen, über Bord warf. Wenn er sie in die Arme riss und ihr genüsslich ganz langsam diesen scheußlichen Overall auszog, bis sie vor Verlangen nach ihm verging. „Es wird sich alles finden“, versicherte sie ihm und streichelte seine Hand. „Du wirst sehen.“ Dann strich sie sacht über seinen Arm und seine Brust. Er packte ihre vorwitzige Hand, aber da hatte ihre zarte Berührung ihn bereits tief erregt. In diesem Zustand hatte er die halbe Nacht verbracht, und nachdem er erlebt hatte, wie sie in seinen Armen zum Höhepunkt kam, würde er womöglich noch so manche Nacht in diesem unerquicklichen Zustand verbringen müssen. „Ich werde heute unsere Verlobungsanzeige in die Zeitung setzen“, erklärte sie lächelnd. „Dana, ich glaube nicht…“ „Ich muss jetzt an die Arbeit, aber mach dir nicht so viele Gedanken“, beruhigte sie ihn, während sie ihn sanft zur Küche hinaus schob. „Durch zu viel Stress bekommst du bloß Falten.“ Falten. Er lief Gefahr, dass der Reißverschluss seiner Hose aufplatzte, und sie sorgte sich um Falten. „Wenn du möchtest, werde ich uns nach der Arbeit etwas Schönes zu essen machen. Das wäre eine gute Gelegenheit zu reden.“ „Reden.“ „Genau.“ Sie schien amüsiert. „Wir müssen einander doch kennen lernen. Deine Mutter kommt morgen. Und ich will dich ja nicht kritisieren, aber du machst wirklich nicht den Eindruck eines Mannes, der wahnsinnig verliebt ist. Daran müssen wir noch arbeiten.“ Colin schloss die Augen. „Keine Angst“, versicherte sie ihm erneut, während sie ihm die Hände um die Taille legte. „Alles wird gut.“ Er erinnerte sich nur zu genau, wie sie ihn mit ihrer Hand so gekonnt liebkost hatte, dass er fast völlig die Beherrschung verloren hätte… Unbewusst stöhnte er auf.
„Colin…“ Weil sie zögerte, suchte er ihren Blick. „Danke, dass du letzte Nacht für
mich da warst. Du weißt schon, nach meinem grässlichen Albtraum.“
Auch darüber hatte er nachgedacht. Was quälte sie? Da bisher nichts wie geplant
verlief, hätte es ihn nicht wundern sollen, dass er sich ernstlich um sie sorgte.
„Hast du diese Träume oft?“
Sie senkte den Kopf und betrachtete ihre kurzen, nicht lackierten Fingernägel.
„Nicht mehr allzu oft.“
„Woher kommen sie?“
Amüsiert schaute Dana ihn an. „Was ist das? Echte Neugier? Hm, vielleicht wirst
du die Sache besser machen, als ich dachte.“ Ihr Lächeln verflog. „Werden wir in
einem Bett schlafen, wenn deine Familie da ist?“
Plötzlich wirkte sie verunsichert. Nein, er würde diese Frau nicht verletzen oder
täuschen, auch nicht, um seine eigene Haut zu retten. „Davon war ursprünglich
nicht die Rede, oder?“
„Nein.“
„Ich möchte nicht, dass du dich unbehaglich fühlst.“
„Das werde ich nicht“, erwiderte sie schnell. „Und wir sollten wirklich in einem
Bett schlafen – ich meine, in einem Zimmer. Deiner Mom zuliebe.“
Er räusperte sich, weil heißes Verlangen in ihm aufstieg. „Ja, schon möglich.“
„Gehst du… äh…“ Sie errötete. „Na ja, gehst du besorgen, was du brauchst?“
Es dauerte nur eine Sekunde, bis er begriff, was seine süße, kleine Verlobte
wissen wollte. „Das ist keine gute Idee.“
„Verstehe.“ Unsicher lächelnd ging sie zur Tür. „Tja dann einen wunderschönen
Tag, Colin. Bis heute Abend.“
Himmel, und auf den Abend folgte die Nacht. Wie konnte er Dana weiterhin
widerstehen? Ein Kondom würde wenig Schutz vor der eigentlichen Gefahr bieten
– nämlich, dass sie sich in sein Herz einschlich.
Nachdem sie weg war, starrte Colin blicklos auf die Schwingtür. Er sah noch
immer den Ausdruck ihrer lebhaften Augen vor sich. Ehrliche Zuneigung hatte er
darin entdeckt. Mitgefühl. Humor. Und Hoffnung.
Sich gegen diese letzte Emotion zu wehren, würde am allerschwersten werden.
Großtante Jennie goss sich noch ein Glas Apfelwein ein, dem sie einen
ordentlichen Schuss Whiskey beigemischt hatte.
Dana schüttelte den Kopf, als ihre Tante ihr den Krug reichen wollte. „Nein
danke.“
„Nur damit ich das richtig verstehe.“ Tante Jennie trank einen großen Schluck
und stellte dann ihr Glas wieder ab. „Du bist endlich verlobt.“
„Ja. Aber…“
„Verlobt mit dem begehrtesten Junggesellen der Stadt.“ Jennie strahlte. „Das
muss man sich mal vorstellen!“
„Aber…“
„Eine Sekunde.“ Jennie, die mit ihren zweiundachtzig Jahren eher wie Mitte
sechzig aussah, hielt die Hand hoch. Sie kannte ihre Nichte gut. „Honey, wieso
gibt es bei dir immer ein Aber?“
Dana musste lachen. „Und dieses Aber ist auch noch ein richtiges
Schwergewicht.“
Jennie seufzte schwer. „Du wirst mir bestimmt den ganzen Spaß verderben,
stimmt’s?“
„Könnte sein“, räumte Dana ein. Ihre Großtante war kein Vormund im
herkömmlichen Sinn gewesen. Sie hatte Seancen abgehalten, hatte viele Reisen
unternommen und Dana dafür kurzfristig aus der Schule genommen und sich
auch sonst an keine der Regeln gehalten. Sie war nicht zu den Elternabenden
gegangen, hatte sich nie mit anderen Eltern angefreundet oder sich am
Fahrdienst beteiligt.
Aber sie war für sie da gewesen, als sie mutterseelenallein war, und dafür war
Dana ihr dankbar. Auch wenn sie anders aufgewachsen war als andere Kinder, so
hatte Jennie ihr Bestes gegeben, und das würde Dana nie vergessen.
Doch egal, wie ungewöhnlich ihre Erziehung auch gewesen sein mochte, Jennie
wollte, dass sie, Dana, im Hafen der Ehe landete, wie andere junge Frauen auch.
Sie wollte eine gesicherte Zukunft für Dana, weil sie sie in ihrer ganzen
exzentrischen Art von Herzen liebte.
Daher fiel es Dana sehr schwer, Jennie die Wahrheit zu sagen.
Der Gedanke, dass es keine Heirat geben würde, versetzte Dana einen Stich,
doch jetzt war nicht der rechte Moment für Selbstmitleid. „Um ehrlich zu sein,
Tante Jennie, wir sind nur zum Schein verlobt. Colin hat mich darum gebeten.“
„Zum Schein?“
„So ist es.“
Sie waren in Jennies Haus, ein paar Häuserblocks von Danas Apartment entfernt.
Von außen wirkte es heruntergekommen, doch innen war alles tipptopp
aufgeräumt und sauber. Jennie war Danas schwierigste Kundin, aber auch ihre
liebste.
Auf ihre Frage hin erklärte Dana ihrer Tante die Gründe für die Scheinverlobung.
„Warum findet er denn keine richtige Verlobte? Ist er hässlich?“
Dana dachte an Colins schöne Augen, an seinen fantastisch gebauten Körper.
„Nein, hässlich ganz bestimmt nicht.“
„Ist er ein Schuft?“
Niemand konnte eine Frau so liebevoll in den Armen halten wie Colin letzte Nacht
sie und ein Schuft sein. „Nein.“
Daraufhin stellte Jennie wilde Spekulationen darüber an, ob Dana womöglich
einfach ohne Trauschein ihre Lust auf Sex ausleben wolle. Sie habe volles
Verständnis dafür, schließlich sei sie auch einmal jung gewesen.
„Mit ungezügelter Sexualität hat das nichts zu tun. Du hast zu viele
Schundromane gelesen, Tante Jennie.“
„Schon möglich. Also, was du mir eigentlich sagen willst, ist, dass ihr nicht
vorhabt zu heiraten.“
„Und was hältst du von der ganzen Sache?“
„Tja, ich finde es verdammt schade, Honey. Er soll es sich verdienen. Gib es ihm
nicht umsonst.“
„Er muss sich nichts verdienen“, behauptete Dana, errötete jedoch heftig.
„Aber natürlich. Ich hoffe, er wird wenigstens kochen oder einkaufen.“
„Nein, du verstehst es immer noch nicht. Es ist alles nur Theater.“
Einen Moment lang verschlug es Jennie die Sprache. „Nur Theater? Alles?“
wiederholte sie ungläubig.
„Ja… genau.“ Fast alles.
„Du meinst, ihr geht nicht…“
„Nein.“
Ihre Großtante schüttelte traurig den Kopf. „O Honey. Ich dachte, ich hätte dich
zu einer richtigen Frau erzogen.“
Dana wusste nicht genau, was sie an diesem Abend erwartete. Mit Sicherheit,
dass sie und Colin ausgiebig miteinander reden und sich auf eine einheitliche
Story verständigen würden.
Denn Colin, der immer alles plante, würde bestimmt gut auf den Besuch seiner
Mutter und Tanten vorbereitet sein wollen.
Doch sie war allein und ging unruhig in Colins großem, gespenstisch leerem Haus
umher. Das Haus selbst war wunderschön. Alt und großzügig geschnitten, hatte es viel Atmosphäre. Aber obwohl Colin es schon einige Jahre bewohnte, war es kaum eingerichtet. Die meisten Zimmer standen praktisch leer. Dana fragte sich, warum. Sie wusste so wenig über ihn. Warum war er so verschlossen? Welche Geheimnisse bargen seine dunklen, tiefgründigen Augen? Vertraute er sich je einem anderen Menschen an? Warum war ihm Körperkontakt so unangenehm? Vielleicht dachte er ja, seine kühle, unnahbare Art würde die Leute auf Distanz halten. Sie, Dana, nicht. Nein, sie wurde dadurch nur noch neugieriger. Die Erinnerung an letzte Nacht ließ Dana lächeln. Lust jedenfalls war ihm nicht unangenehm. Er war tief erregt gewesen und ohne jede Hemmungen. Dass er sie dazu gebracht hatte, ihr Liebesspiel genauso hemmungslos zu genießen, hätte sie eigentlich nicht überraschen sollen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie derart die Kontrolle über sich verloren. Es hatte ihr sehr gefallen. Wo blieb Colin nur? Zum wiederholten Mal sah Dana auf die Uhr. Es war fast neun, und es wurde ihr immer klarer, dass ihr Scheinverlobter den Abend nicht mit ihr verbringen wollte. Es hatte keinen Sinn, sich zu ärgern, denn sie verstand Colin. Er wollte sich nicht an sie binden, wollte keine Verpflichtung. Sie ja auch nicht. Aber Colin war in die Ecke gedrängt worden. Er hatte keine andere Wahl und lehnte sich nun, bewusst oder unbewusst, dagegen auf. Ihn noch mehr zu bedrängen, wäre ein großer Fehler. Zudem konnte sein Fernbleiben einfach ein Versehen sein. Colin würde sie nie absichtlich kränken, aber sie konnte sich vorstellen, dass er in seinem Stadtbüro saß und wie besessen arbeitete, ohne auf die Zeit zu achten. Kurz entschlossen nahm Dana ihre Wagenschlüssel und war im nächsten Moment zur Tür hinaus. Das Gewitter am Vorabend hatte keine Kühlung gebracht, sondern es war immer noch unerträglich schwül. Das Gebäude, in dem Colin arbeitete und das ihm auch gehörte, hatte sie schon oft bewundert. Es war ein altes Lagerhaus, das Colin nach seinen Bedürfnissen umgebaut hatte. Im Empfangsbereich war es angenehm kühl. Dana blieb eine Weile stehen, um die Kühle zu genießen. Dann folgte sie einem schwachen Lichtschein auf einem der beiden Korridore. Er kam aus einem Büro, in dem eine junge Frau über mehreren Büchern saß. Ihrer Miene nach war sie nicht gerade glücklich über ihre Arbeitszeit oder ihre Arbeit. Als Dana sie leise begrüßte, schrie sie überrascht auf. „Tut mir Leid“, entschuldigte sich Dana, „ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin nur auf der Suche nach Colin.“ „Wer sind Sie?“ „Dana Mills, seine…“ Putzfrau, lag ihr schon auf der Zunge, aber inzwischen war sie ja einiges mehr, oder? „Ich bin seine Verlobte.“ Die Frau blinzelte. „Colin West?“ Ihre Verblüffung war verständlich. Nicht nur, dass Colin der begehrteste Junggeselle der Gegend war, er war auch nicht gerade dafür bekannt, dass er längere Beziehungen einging. Von Verlobungen ganz zu schweigen. „Ja. Ich glaube, er arbeitet noch.“ „Er arbeitet dauernd.“ Die junge Frau wirkte immer noch fassungslos, und Dana konnte es ihr nicht verdenken, fasste sie selbst die unerwarteten Ereignisse doch
auch noch nicht so ganz.
„Na ja, er ist eben mit Leib und Seele bei der Sache.“ Dana lächelte. „Ich
bewundere das.“
Seufzend stand die junge Frau auf und schob ihre Brille auf der Nase höher.
„Verlobt. Kaum zu glauben. Übrigens, ich bin Claudia, seine überarbeitete,
unterbezahlte, nicht so recht geschätzte Sekretärin.“ Sie reichte Dana die Hand.
„Vielleicht rufen ihn nun nicht mehr so viele Frauen an?“
„Da bin ich mir absolut sicher. Im Übrigen arbeiten Sie selbst ja auch noch zu
später Stunde.“
„Es geht um ein besonderes Projekt, und ich bin mit den Büchern nicht auf dem
Laufenden.“ Claudia reckte sich gähnend. „Aber ich mache Schluss. Er gehört
ganz Ihnen.“ Ihr Blick verriet, dass sie nicht so recht begriff, was Dana an Colin
fand.
Dana hätte nicht darauf eingehen sollen. Aber sie hatte nun mal diesen
angeborenen Hang zur Loyalität. Sie trat immer für die ein, die ihr etwas
bedeuteten. „Colin geht ganz in seiner Arbeit auf, sie ist ihm sehr wichtig.“
„Was Sie nicht sagen! Darauf wäre ich nie gekommen.“
Claudias spöttische Bemerkung spornte Dana noch mehr an. „Er ist ein
wunderbarer Mann. Er verdient Mitarbeiter, die das auch finden.“
Claudia errötete. „Tut mir Leid. Ich halte große Stücke auf ihn, wirklich. Es ist nur
entnervend, für jemanden zu arbeiten, der jede Frau mit einem einzigen Blick um
den Verstand bringen kann und das nicht mal merkt, verstehen Sie?“
Dana fürchtete, sie verstand genau.
„Er ist so distanziert.“ Claudia zögerte. „Unter uns Frauen, haben Sie die leiseste
Ahnung, worauf Sie sich da einlassen?“
6. KAPITEL Als er Claudia reden hörte, blieb Colin abrupt vor der Bürotür stehen. Er hatte sich Kaffee holen wollen, doch nun verharrte er und wartete atemlos darauf, dass Dana zur Besinnung kam und das Weite suchte. „Ja, ich weiß, worauf ich mich einlasse“, erwiderte Dana leise. Ihre Stimme klang sicher und fest. Tief durchatmend lehnte sich Colin an die Wand. Was würde er tun, wenn sie einen Rückzieher machte? Claudia lachte auf. „Also, wenn ich Sie wäre, würde ich es mir zwei Mal überlegen, einen Mann zu heiraten, der besser aussieht und reicher ist, ais gut für ihn ist.“ „Das sind in meinen Augen doch keine Nachteile“, erwiderte Dana amüsiert. „Da haben Sie schon Recht. Aber der Umgang mit ihm ist nicht gerade leicht. Er kann sehr egoistisch sein, und soweit ich weiß, ist er nicht sehr für die Ehe geeignet.“ Colin rührte sich nicht. Das alles traf zu, und deshalb war es albern, gekränkt zu sein. Er rechnete fest damit, dass Dana ihre Abmachung aufkündigte. Die Stille war unerträglich. Warum brauchte Dana so lange für ihre Absage? Im Stich gelassen zu werden war für ihn nichts Neues. Viele Leute brauchten ihn, zählten auf ihn. Doch umgekehrt gab es niemanden, auf den er sich verlassen konnte. Dana würde ihn enttäuschen, und komischerweise würde ihn das schmerzen. Er hielt sich seit langem für immun gegen diese Art Schmerz, aber offenbar hatte er sich getäuscht. „Oh, ich weiß ganz genau, was ich bekomme.“ Beim Klang von Danas leiser, aber fester Stimme fühlte Colin sich sofort besser. „Und er ist genau der Mann, den ich will“, fuhr sie fort. „Er ist nicht so, wie Sie ihn beschrieben haben. Überhaupt nicht. Er ist unglaublich nett. Vielleicht ein wenig misstrauisch, aber können Sie es ihm verdenken? Tag und Nacht wird er von Leuten verfolgt, die etwas von ihm wollen. Das würde jeder unangenehm finden.“ „Hören Sie, ich will es Ihnen nicht ausreden. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie wissen, was Sie tun.“ „Das weiß ich. Seine Zurückhaltung ängstigt mich nicht. Dahinter verbirgt sich nämlich ein warmherziger, leidenschaftlicher, wundervoller Mann. Und ich schätze mich glücklich, ihn zu heiraten.“ Dass Dana derart von ihm überzeugt war, machte Colin sprachlos, um es gelinde auszudrücken. Ihre unerschütterliche Loyalität schockte ihn, besonders, weil er sie eigentlich durch nichts verdient hatte. Was würde sie als Gegenleistung von ihm wollen? Er betrat Claudias Büro. Geflissentlich übersah er, dass seine Sekretärin schuldbewusst errötete, und suchte Danas Blick. Kein Zweifel, sie freute sich, ihn zu sehen. „Ich habe gehofft, dich hier im Büro zu finden“, sagte sie, während sie um den Schreibtisch herum auf ihn zukam. Sie ergriff seine Hände, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft, als wären sie ganz allein. Die unerwartete Geste überraschte Colin völlig. Und erregte ihn augenblicklich. Noch etwas anderes verwirrte ihn. Dana machte ihm keine Vorwürfe. Sie verlor kein Wort darüber, dass er offenbar im Büro geblieben war, um ihr aus dem Weg zu gehen, und genau das hatte er getan. Sie lächelte ihn an. Keine Tränen, kein Schmollen, nichts, was signalisiert hätte,
dass sie verärgert war, weil er sie enttäuscht hatte.
Shelly, seine Exfrau, hätte ihm aus viel nichtigerem Grund eine Riesenszene
gemacht.
„Kommst du jetzt mit mir nach Hause?“ fragte Dana leise, während sie ihm tief in
die Augen schaute. Dabei strich sie zärtlich über seine Wange, und das alles vor
der unverhohlen neugierigen Claudia. „Es ist schon spät, und ich möchte dich an
diesem letzten Abend vor dem Besuch deiner Familie ganz für mich haben.“
Er starrte sie an, bemüht, bei ihren Berührungen einen klaren Gedanken zu
fassen. Warum er eigentlich nicht wollte, was ihm ihr tiefer Blick versprach,
wusste er nicht mehr. „Dana…“ Verflixt, sie hatte schon wieder vergessen, dass
alles nur Schau war. „Dana, das ist nicht…“
„Da hast du Recht“, meinte sie leichthin, trat lächelnd zurück und warf Claudia
dabei einen verlegenen Blick zu. „Das ist nicht der rechte Ort für
Vertraulichkeiten. Entschuldigen Sie, Claudia, manchmal vergessen wir uns
einfach.“
„Ist schon okay“, versicherte Claudia, sichtlich verblüfft.
„Ich werde meinen zukünftigen Mann jetzt nach Hause entführen, damit wir ganz
ungestört sind.“
„Tja, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.“
Aber als Dana Colin an der Hand nahm und aus dem Büro führte, bedachte
Claudia ihren Boss doch mit einem seltsamen Blick.
Colin war sich nicht sicher, ob sie geschockt war, dass er sich von Dana
hinausführen ließ, oder ob der Kuss der Grund war.
Ganz bestimmt der Kuss, dachte er.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren oder ihn auch nur anzusehen, verließ Dana
mit ihm Hand in Hand das Bürogebäude.
Über ihnen funkelten die Sterne am nächtlichen Sommerhimmel. Einen Moment
lang stellte er sich vor, es hätte das Gewitter am Vorabend gar nicht gegeben
und er hätte diese kleine, charmante, viel zu fröhliche Frau nie in den Armen
gehalten. Aber er hatte es getan, und er würde sich bis in alle Ewigkeit an ihren
süßen, hinreißenden Körper erinnern.
„Kommst du mit mir nach Hause? Zu dir, meine ich.“
Anscheinend merkte sie gar nicht, wie unbehaglich er sich fühlte.
„Colin.“ Sie schüttelte den Kopf, weil er schwieg. „Überlegst du, ob ich
schauspielere oder unsere Abmachung vergessen habe?“
Er riss sich von seinen Tagträumen los. „Du hast mich geküsst.“
„Claudia zuliebe. Ihr entgeht praktisch nichts, und sie musste doch erfahren,
dass wir verrückt nacheinander sind.“
„Du hast geschauspielert?“ Er konnte doch unmöglich enttäuscht sein, oder?
„Ist das nicht der Sinn des Ganzen? Alles zum Schein?“
Der Kuss, der ihn überwältigt hatte, war also nicht echt gewesen. Er musste über
seine eigene Dummheit lachen. „Äh… ja.“
„Ich habe dich abgeholt, weil das doch unser letzter Abend ist, und wir müssen
noch einiges besprechen.“
„Ich weiß.“
„Ich war mir nicht sicher, ob du es nicht vergessen hast.“
„Habe ich nicht.“
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. Trotz der Wärme schlang sie fröstelnd die
Arme um sich und hielt den Blick starr auf die nahen Berggipfel gerichtet. Der
fast volle Mond erhellte die Nacht mit seinem silbrigen Licht. „Tut mir Leid“,
sagte sie leise. „Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich weiß, dass du
meine Unterhaltung mit Claudia mit angehört hast.“
„Ich bin genauso, wie sie gesagt hat.“
Dana fuhr herum. „Nein, überhaupt nicht! Du bist nett und anständig und
liebenswürdig…“
„Du musst mich mit dem freundlichen Mr. Rogers aus der Fernsehserie
verwechseln.“
Da ging ihr Temperament mit ihr durch – er hatte gar nicht gewusst, dass sie so
wild sein konnte –, und mit Funken sprühenden Augen baute sie sich direkt vor
ihm auf. „Nur weil du verschlossen bist, musst du ja nicht automatisch ein
egoistischer, herzloser Dickkopf sein.“
„Ich erinnere mich nicht, dass Claudia mich einen egoistischen, herzlosen
Dickkopf genannt hat.“
„Möglich, dass das von mir stammt.“
Er musste lachen.
Seufzend strich sie ihr Haar zurück. „Erzähl mir etwas von dir, Colin. Ich weiß so
wenig über dich.“
„Da gibt es nichts zu erzählen.“
„Warum bist du derart verschlossen? Wer hat dich verletzt?“
„Niemand.“
„Doch, ich spüre, dass hinter deiner Zurückgezogenheit Schmerz steckt. Willst du
mir nicht davon erzählen?“
Das war der Grund, warum alle denken sollten, er sei verlobt. Dann brauchte er
nicht mehr davon zu reden, ja, nicht einmal mehr daran zu denken, was ihm
widerfahren war.
„Ich weiß, was Schmerz heißt“, sagte sie leise und trat wieder näher. Behutsam
nahm sie seine Hand. „Du kannst mir alles anvertrauen.“
„Nein, kann ich nicht.“ Es wäre unglaublich peinlich, die Fehler, die er gemacht
hatte, einzugestehen. Er würde sie sowieso niemals wiederholen. Auch wenn es
bedeutete, nie wieder einer Frau Vertrauen zu schenken. Zurückhaltung erschien
ihm bei einer Frau mit so schönen, Vertrauen erweckenden Augen ein Gebot der
Selbsterhaltung. Nein, er würde sich nicht ändern. „Für unsere Scharade ist es
nicht nötig, dass du Näheres weißt.“
„Sich dem anderen zu öffnen hat nichts mit unserem kleinen Täuschungsmanöver
zu tun. Es gehört doch dazu, wenn man befreundet ist.“
Himmel, nein. Befreundet zu sein bedeutete echte Zuneigung und eine Nähe, mit
der er nicht umgehen konnte. „Ich bezweifle, dass es eine gute Idee ist,
miteinander befreundet zu sein.“
Einen Moment lang starrte sie ihn nur an. Dann nickte sie, und aus ihrem Blick
war jede Wärme verschwunden. „Verstehe.“
Es war vorbei. Er war zu weit gegangen. Aber sie sagte nichts.
„Willst du das Ganze immer noch durchziehen?“ fragte er schließlich.
„Ja, natürlich.“ Es gelang ihr zu lächeln. „Ich habe dir doch gesagt, Colin, dass
ich zu meinem Wort stehe. Vielleicht glaubst du mir das ja eines Tages. Können
wir jetzt nach Hause fahren? Es ist spät, und ich habe morgen einen langen Tag.“
Nach Hause… Eine Sekunde lang wünschte Colin sich, dass sie als richtige
Freundin mit ihm nach Hause käme. In sein Bett. In seine offenen Arme.
„Colin?“ Sie wartete. „Okay?“
„Ja.“ Aufseufzend schüttelte er die seltsame Sehnsucht ab. Dafür gab es keinen
Platz in seinem Leben. „Gehen wir.“
Am nächsten Tag stand Dana der Sinn nicht sehr nach Arbeit. Daher war sie
dankbar, dass ihr Personal vollzählig war und sie das Büro nicht verlassen
musste.
Immer wieder kreisten ihre Gedanken um den rätselhaften großen,
dunkelhaarigen, rätselhaften Mann, dem zu helfen sie zugestimmt hatte. Es war nicht Colins Fehler, dass sie mehr wollte. Daran hatte ganz allein sie selbst die Schuld. Um ihre Rastlosigkeit zu bekämpfen, arbeitete sie wie eine Besessene, erledigte ihre Buchführung und eine Reihe von Telefonaten, machte Dienstpläne. Aber immer wieder dachte sie daran, was die Nacht davor passiert war. Oder vielmehr, was nicht passiert war. Colin hatte in seinem Zimmer geschlafen und sie in ihrem. Die ganze Nacht hatte sie an die Decke gestarrt und gewünscht, der eigensinnige Mann am anderen Ende des Flurs würde genauso wenig Schlaf finden wie sie. Was machte ihn nur so verdammt stur? So unfähig, seinem glühenden Verlangen nachzugeben? Er konnte es abstreiten, solange er wollte, sie hatte es einmal mehr in seinem Blick entdeckt, als sie, bereit zum Zubettgehen, in ihrem schenkelkurzen TShirt aus dem Bad gekommen war. Bei ihrem Anblick war Colin abrupt stehen geblieben. Er hatte sie von oben bis unten betrachtet und dabei hart schlucken müssen, ehe er ihr tief in die Augen schaute. Seine Begierde war so heftig gewesen, dass Dana die Knie weich geworden waren. Ehe sie jedoch etwas hätte sagen können, hatte Colin auf dem Absatz kehrtgemacht und sich in sein Schlafzimmer eingeschlossen. Allein. Sie schaltete ihren Computer aus. Obwohl es erst Nachmittag war, beschloss sie, Feierabend zu machen. Es würde glutheiß draußen sein, aber angenehm kühl in Colins Haus. Er würde zu Hause sein, denn seine Mutter und zwei Tanten waren heute angekommen. Allein bei dem Gedanke daran brach Dana der Schweiß aus. Sie waren erbärmlich vorbereitet. Nüchtern betrachtet, wusste sie inzwischen nicht mehr über Colin als vor zwei Tagen, als sie auf diese Farce eingegangen war. O ja, er begehrte sie, wenigstens das wusste sie. Dazu waren seine Blicke viel zu eindeutig, und das Knistern zwischen ihnen beiden war fast mit Händen greifbar. Aber aus welchem Grund auch immer weigerte er sich, seinem Verlangen nachzugeben oder wenigstens einzugestehen, dass es zwischen ihnen gefunkt hatte. Es war nicht viel, worauf sie sich da in Sachen Verlobung stützen konnte. Doch es musste reichen. Es fiel Dana leicht, sich einzureden, sie müsse noch einige Besorgungen machen, ehe sie zu Colins Haus fuhr. Sie war nicht gerade darauf erpicht, seine Mutter zu treffen und Lügen über ihre Verlobung aufzutischen. Nachdem sie alles erledigt hatte, fuhr sie noch zu ihrem Apartment und holte ihre beiden Grünpflanzen. Bis sie sie in ihrem Wagen verstaut und auch noch ein paar weitere Kleidungsstücke eingepackt hatte, klebten ihr vor Hitze alle Sachen am Leib, und sie wünschte, sie hätte ihre Klimaanlage im Auto reparieren lassen, statt ihre Schulden abzuzahlen. Sobald sie die Gleise überquert hatte, waren die Häuser gleich weniger schäbig. Und zwei Minuten später war sie auf dem Weg hinauf zu dem Teil der Stadt, wo die Reichen wohnten. Auf Colins Auffahrt bewunderte sie einmal mehr sein wunderschönes Haus. Es könnte noch viel schöner sein, wenn Colin ein richtiges Heim daraus machte. „Ihr seid ein Anfang“, murmelte sie mit Blick auf ihre Pflanzen. Kurz darauf betrat Dana Colins kühle Küche. Weil sie plötzlich sehr nervös war, rief sie scherzend: „Hallo, Honey, ich bin zu Hause!“ Beladen mit ihren Pflanzen, ihren Einkäufen und einer Reisetasche merkte sie
erst nach einem Moment, dass sie nicht allein in der Küche war.
Colin stand vor dem geöffneten Kühlschrank und zog fragend die Brauen hoch.
„Honey?“
„Es sollte fröhlich klingen.“
„Aha. Sie sind alle im Wohnzimmer, du kannst die Show also einstellen.“ Er
schloss den Kühlschrank und kam auf sie zu. Wie konnte ein Mann, der in einem
Raum eine panische Verlobte hatte und in einem anderen eine neugierige Mutter,
nur derart entspannt aussehen? Er trug wieder die alten Jeans, die immer ihre
Fantasie anregten, und darüber ein dunkles Poloshirt.
Dana stellte ihre Sachen ab und nahm die Wasserflasche, die Colin ihr reichte,
und hielt sie sich dankbar an ihre heiße Stirn. Was soll ich nur zu seinen
Verwandten sagen? schoss es ihr durch den Kopf. Würde es ihr gelingen, sie zu
überzeugen?
„Danke. Ist die Hitze heute nicht wirklich unerträglich?“
„Was ist das denn alles?“ Er betrachtete ihre Pflanzen, als hätten sie die Pest.
„Sie lassen ein wenig die Blätter hängen. Sie brauchen Wasser. Ich dachte, dein
Küchenfenster wäre ein idealer Platz für sie. Die schöne große Fensterbank ist
völlig leer.“
Er sah sie an, und diesmal war es gar nicht schwer, ihn zu durchschauen. Er
fürchtete, sie vergaß ihre Abmachung erneut.
„Weißt du“, sagte sie betont gelassen, denn sein ewiges Misstrauen machte sie
wütend, „langsam wird es ärgerlich.“
„Es ist doch nur…“
„Vorübergehend.“ Sie verdrehte die Augen. „Willst du mich etwa jede Minute
daran erinnern?“
„Nur bis ich sicher bin, dass du es nicht vergisst“, murmelte er und nahm ihr die
Wasserflasche ab, um sie für sie zu öffnen. Er hielt sie ihr behutsam an die
Lippen, und sie trank einen großen Schluck. „Du siehst erhitzt aus.“
„Ich habe noch ein paar Kleider mitgebracht. Macht dir das auch Angst?“
„Du machst mir keine Angst.“
„Wer’s glaubt, wird selig.“
„Dana, meine Mutter ist hier. Willst du nun mitspielen oder nicht?“
Es reichte. Ob es nun an der Hitze lag oder daran, dass sie sich sehr über Colin
ärgerte, mit ihrer Geduld war es vorbei. „Wie oft muss ich dir eigentlich noch
sagen, dass ich zu meinem Wort stehe! Himmel, wenn du mir doch endlich
vertrauen könntest.“
Er warf ihr einen warnenden Blick zu, doch von der Hitze erschöpft und hungrig
dazu, brach es aus ihr heraus: „Egal, wie mürrisch und schwierig du bist, Colin…“
„Ich bin nicht mürrisch, du bist es.“
„Lass uns nicht streiten, okay? Ich lasse dich nicht im Stich. Hast du das jetzt
begriffen?“
„Schön“, erwiderte er knapp. „Und ich bin dir ja so dankbar.“ Weil sie auflachte,
biss er die Zähne zusammen. „Aber wenn du nicht aussteigst, warum bist du
dann so schlecht gelaunt?“
„Weil du es dir leicht machst.“
Er starrte sie an. „Ich mache es… Was zum Teufel meinst du damit?“
„Nichts.“ Es war verrückt, aber Dana überkam heftiges Verlangen, weil Colin so
hilflos wirkte. Er verstand ihre Loyalität wirklich nicht und traute ihr auch nicht.
Es war zum AusderHautFahren. „Möglich, dass du eine Lösung für dein
Problem gefunden hast, Colin, nämlich mich. Aber ich bin kein Puzzle, das man
zusammenfügt und dann einfach beiseite legt.“
Er blinzelte. „Ich verstehe kein einziges Wort.“
Ungeduldig warf sie die Arme in die Luft. „Du bist unmöglich.“
Sie standen jetzt dicht voreinander, und Dana musste zugeben, dass es ihr
gefiel, wie seine Augen blitzten. Denn obwohl sie beide zunächst wütend
gewesen waren, brodelten nun noch viel heißere Emotionen zwischen ihnen.
„Ich habe Gefühle“, flüsterte sie. „Und du hast das besonders ärgerliche Talent,
sie zu verletzen.“
Er zog sie näher. „Ich habe auch Gefühle.“
„Ich wollte dich nicht verletzen.“ Ihre Stimme war ganz rau geworden. Ihre
Brustspitzen streiften Colins Oberkörper, und plötzlich wurde es Dana noch sehr
viel heißer.
Ihm auch, denn er stieß erregt den Atem aus.
„Colin, wegen neulich Nacht…“
„Als du den Albtraum hattest.“
„Ja.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen. „Es ist wohl
nicht zu viel verlangt, wenn ich wissen möchte, ob du vielleicht deine Meinung
geändert hast und doch in der Drogerie warst?“
„Um?“
„Um etwas Bestimmtes zu besorgen.“
Er errötete tatsächlich.
„Du bist verlegen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin doch diejenige, die nicht mal
das Wort aussprechen kann…“
„Kondome?“
Nun errötete sie. „Genau.“
Zärtlich strich er mit dem Daumen über ihre Unterlippe. „Ich war in der
Drogerie.“
Ihr kamen sofort alle möglichen frivolen Ideen. Ein Schauer ungeduldiger
Erwartung durchrieselte sie, doch Colin klang absolut nicht begeistert. „Du
wolltest es eigentlich nicht, stimmt’s?“
„Ja, aber mein Gehirn war zu der Zeit abgeschaltet.“
Während Colin redete, berührten sich ihre Körper, und augenblicklich waren sie
beide wie elektrisiert.
„Ist das denn schlimm, dass du sozusagen aus dem Bauch heraus gehandelt
hast?“
Er seufzte frustriert. „Es ist selbstmörderisch. Wir fühlen uns so stark zueinander
hingezogen, Dana. Es ist außer Kontrolle geraten. Es ist Wahnsinn.“ Weil sie zart
sein Ohr streichelte, stöhnte er auf. „Hör auf damit.“ Er packte ihre Hände und
hielt sie fest. „Es ist verdammt heiß hier drinnen. Die Klimaanlage scheint defekt
zu sein.“
„Nein, es liegt an uns, Colin. Ich lass dir heiß werden und umgekehrt du mir.
Warum kannst du das nicht zugeben?“
„Vortäuschen. Darum geht es hier, richtig? Das Ganze soll nur Schau sein.“
„Du kannst im Leben nicht alles planen. Das funktioniert bei manchen Dingen
einfach nicht.“ Er hielt ihre Hände noch immer fest in seinen Händen. Aber er sah
so unglücklich drein und wirkte so bestürzt über das, was mit ihnen beiden
geschah. Dana musste ihn einfach berühren. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen
und küsste ihn zart auf den Mund.
Er stöhnte auf. „Verdammt, hör auf.“
Es fiel ihr schwer. Sie fühlte sich gut, wenn sie mit ihm zusammen war.
Glücklich. Und sie wusste, er könnte genauso empfinden, wenn er es nur zuließe.
Was hielt ihn zurück?
Sie zog eine Spur kleiner Küsse über seinen Hals und atmete dabei tief seinen
wunderbaren ureigenen Duft ein.
Wieder gab er einen Laut tiefer Sehnsucht von sich und drängte sich verlangend
an sie. „Dana.“
„Wehr dich nicht mehr dagegen, Colin.“
Er sah sie an. Sein innerer Kampf, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen, war
ihm deutlich anzumerken. Irgendein geheimer Schmerz quälte ihn, und Dana
wollte daran teilhaben.
„Was zum Teufel soll ich nur mit dir machen?“
Lass mich bei dir bleiben, hätte sie fast geantwortet. „Küss mich“, flüsterte sie
stattdessen. „Küss mich so wie neulich Nacht.“
Aufseufzend lehnte er die Stirn an ihre Stirn. „Das macht alles nur noch
schlimmer.“
„Ich wüsste nicht, warum.“
„Dana, verstehst du nicht? Ich will dich nicht begehren.“
„Also, das ist ja wirklich nett, so was zu deiner zukünftigen Frau zu sagen.“
Colin seufzte.
In diesem Moment kam seine Mutter in die Küche.
7. KAPITEL Irene West war eine zierliche kleine Frau, die auf den ersten Blick kühl und damenhaftelegant wirkte. Sie trug eine teuer aussehende schwarze Hose, eine dazu passende Seidenbluse und strahlend weiße Tennisschuhe. Letztere machten sie Dana sofort sympathisch. Irene hatte schöne ebenmäßige Gesichtszüge, ihr blondes Haar war perfekt auf Kinnlänge geschnitten. Sie sah unnahbar aus, bis sie verschmitzt grinste. Da wusste Dana, dass sie sie mögen würde. Und Irenes nächste Bemerkung bestärkte sie darin. „Küss deine Verlobte, Colin. Lass sie dich nicht zwei Mal bitten, das gehört sich nicht für einen Gentleman.“ Lächelnd hob Dana Colin das Gesicht entgegen. Colin fluchte leise, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und blickte zur Decke, als hoffe er auf den Beistand des Himmels. „Mit diesem Benehmen“, rügte Irene, „wirst du sie verlieren, noch ehe du vor dem Altar stehst. Und dabei freue ich mich doch so auf deine Hochzeit. Also verdirb es mir nicht. So, und jetzt mach uns endlich miteinander bekannt, Colin.“ Nach einem tiefen Seufzer tat Colin, wie ihm geheißen. Weil er ein paar Schritte zurückgewichen war und dann auch noch die Hände in den Taschen vergrub, verspürte Dana einen Anflug von Befriedigung. Es tat ihrem weiblichen Selbstbewusstsein gut, zu wissen, dass sie ihn nicht kalt ließ. Irene begrüßte Dana herzlich. „Ich bin so glücklich, Sie kennen zu lernen.“ Sie warf Colin einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu. „Dabei dachte ich schon, ich würde diesen Moment nicht mehr erleben.“ „Deine Hartnäckigkeit hat sich also gelohnt“, meinte Colin trocken. „Na, jemand musste sich doch um dein Glück kümmern. Ich hätte mich bis zum Jüngsten Tag dafür eingesetzt, wenn nötig.“ Dana lächelte. Sie fand es rührend, wie sehr Colin Irene am Herzen lag. Aber sie verstand auch langsam Colins verzweifelte Aktion, um sich vor mütterlichen Einmischungsversuchen zu schützen. Sie wartete darauf, dass Mutter und Sohn sich umarmten, doch nichts dergleichen geschah. Das befremdete Dana, denn liebevolle Umarmungen vermisste sie seit dem Tod ihrer Eltern am meisten. Sie zog Irene zur Begrüßung kurz an sich. „Freut mich auch sehr, Sie kennen zu lernen.“ „Oh“, flüsterte Irene und berührte flüchtig Danas Wange. „Sie sind so nett.“ Colin runzelte die Stirn. Irene ignorierte ihren Sohn und auch die Spannung, die eindeutig zwischen ihm und Dana herrschte. Dafür verschlang sie ihre zukünftige Schwiegertochter geradezu mit Blicken. Dana fühlte sich ein wenig wie auf dem Präsentierteller. Verlegen fuhr sie sich über ihre wilde Mähne und wünschte, sie hätte sich gekämmt. Sie trug fast kein Makeup und hatte ihre Arbeitskleidung an. Allerdings besaß sie gar nichts, was für diesen Anlass gepasst hätte. Und zudem hatte sie sich keinerlei Gedanken darüber gemacht. Warum hatte sie sich bloß kein einziges Mal das Zusammentreffen mit seiner Familie vorgestellt? Tief im Inneren gestand Dana sich ein, dass sie nicht darüber hatte nachdenken wollen, ob sie akzeptiert werden würde, ob sie dazupasste. Würde seine Mutter mit ihr einverstanden sein? Schließlich war sie, Dana, nur eine Reinemachefrau ohne gesellschaftlichen Status. Colin war wahrscheinlich mit einer Haushälterin, einem Kindermädchen und einer Köchin aufgewachsen. Und
sie nur mit ihrer Großtante Jennie und einer gelegentlichen Seance…
Unbehaglich zupfte sie an ihrem TShirt herum und strich über ihre alte Latzhose.
Dies war einer jener seltenen Momente, wo sie sich von ganzem Herzen
wünschte, sie wäre schick und elegant.
„Haben Sie heute gearbeitet?“
Auch wenn Irene das absolut nicht missbilligend gesagt hatte, so bildete Dana
sich das doch ein. Irene war viel zu kultiviert, um ihre wahren Gefühle zu
offenbaren. Mit Sicherheit hatte sie aber bestimmte Vorbehalte, dass ihr Sohn
jemanden wie sie, Dana, heiraten wollte. Zum erstenmal in ihrem Leben schämte
sie sich für ihre Berufswahl.
„Ja, das habe ich.“
„Dann müssen Sie sehr müde sein. Und ich halte Sie auch noch davon ab, die
Beine hochzulegen.“
Dana war völlig überrascht. Dass Irene so viel Verständnis für sie hatte, trieb ihr
die Tränen in die Augen. Wie leicht wäre es, so zu tun, als sei das alles echt, als
würde es sie wirklich kümmern, was Colins Mutter von ihr hielt. Aber dem war
nicht so, und daran würde sich niemals etwas ändern. Sie hatte einen Job zu
erledigen – nämlich diese Frau davon zu überzeugen, dass sie deren Sohn liebte.
Und dann würde sie schnellstens wieder aus Colins Leben verschwinden. Sie
würde ihr altes Leben weiterführen, glücklich und zufrieden mit der Erkenntnis,
dass sie der Menschheit einen Dienst erwiesen und seit langer Zeit wieder einmal
etwas gewagt hatte. Die Wahrheit war jedoch, dass es sie kümmerte. Colin
bedeutete ihr etwas. Sie konnte es nicht ändern, denn ihr Herz hatte längst
entschieden.
Irene drängte Dana, sich auf einen Stuhl zu setzen. „Möchten Sie vielleicht ein
Glas Eistee?“
Colin beobachtete sie. Sein Blick war wieder einmal unergründlich. Was denkt er?
schoss es Dana durch den Kopf. Fürchtete er, sie würde versagen?
Tat es ihm Leid, dass er sie überhaupt gebeten hatte, ihm zu helfen?
„Ja, gern“, antwortete sie Irene. „Aber ich hole es mir selbst.“
„Nein, bitte, lassen Sie mich das tun.“
Als seine Mutter zum Kühlschrank ging, hoffte Dana verzweifelt auf ein Zeichen
der Zustimmung von Colin, dass sie sich richtig verhielt.
Unversehens streckte Colin die Hand aus und strich ihr zärtlich eine Haarsträhne
aus der Stirn. Lächelnd schaute er ihr in die Augen und flüsterte, so dass nur sie
es hören konnte: „Es gefällt mir, wie du aussiehst, so verwirrt und zerzaust.“
Hin und her gerissen, weil ihr einerseits sein Kompliment gefiel, sie aber ungern
zerzaust aussah, begann sie auf ihrer Unterlippe zu kauen.
Colin lachte leise. „Hör auf. Du siehst…“
Ihre Blicke trafen sich.
„Ich sehe…?“
„Hinreißend aus“, raunte er ihr heiser zu.
Dana errötete. „Wirklich?“
„Zitrone für Ihren Tee, Dana?“ Irene kam vom Kühlschrank zurück. Sie lächelte,
weil Colin so offensichtlich mit Dana turtelte.
„Ja“, brachte Dana mühsam hervor. „Zitrone wäre sehr schön.“
Colin lächelte nicht mehr. Sein Blick verriet nichts von seinen Gefühlen,
höchstens, dass ihm bewusst war, dass etwas zwischen ihnen vorging.
Dana hätte ihn gern berührt und sich vergewissert, dass er wirklich für eine
kleine Weile zu ihr gehörte. Was passierte da mit ihnen? Das war nicht nur
körperliches Verlangen, es ging viel tiefer. Und plötzlich wurde ihr alles klar. Es
war ihr unmöglich, die für diese alberne Scheinverlobung erforderlichen Gefühle
vorzutäuschen, nicht, wenn diese Gefühle langsam echt wurden. Als könne er ihre Gedanken lesen, senkte Colin den Blick. Er lehnte sich an den Küchentresen. Ohne etwas von der Spannung zwischen Dana und Colin zu bemerken, ging Irene geschäftig hin und her, holte Gläser, schnitt eine Zitrone auf, und dabei redete sie ununterbrochen. „Ich kann mir so gut vorstellen, wie überwältigend das alles für Sie ist, Dana. Zu heiraten! Himmel, was es da alles zu tun gibt und was da alles bedacht werden muss. Ich hoffe, Sie werden mich und meine Schwestern helfen lassen. Wir können es gar nicht abwarten.“ Colin, der Dana noch immer nicht aus den Augen ließ, brachte endlich ein Lächeln zu Stande. „Habe ich dir nicht gesagt, wie begeistert meine Mutter sein würde? Hoffen wir, dass sie es der ganzen Welt erzählt, damit ich nicht mehr angerufen und zu Verabredungen gedrängt werde.“ „Ach du.“ Irene schüttelte den Kopf. „Halte du dich heraus. Ich rede gerade mit meiner zukünftigen Schwiegertochter.“ Vielleicht war es dieses Wort, vielleicht Irenes offenes, freundliches Wohlwollen Dana gegenüber, jedenfalls verging Colin das Lächeln. Seine Miene spiegelte Besorgnis wider, Schuldgefühle, Bedauern. Und Dana konnte es ihm sehr gut nachempfinden. „Ich habe mich so auf eure Hochzeit gefreut“, gestand Irene lachend. Colin zuckte leicht zusammen. Es ging Dana ans Herz, dass er offenbar solche Qualen ausstand, weil er lügen musste. Sie griff nach seiner Hand, und prompt schreckte er auf. Dass er seine Hand nicht wegzog, wertete sie als großen Fortschritt. „Es ist schön, dass Sie zu Besuch gekommen sind, Mrs. West…“ „Oh, seien Sie doch nicht so förmlich! Bitte nennen Sie mich Irene.“ Sie warf Dana über die Schulter einen verschmitzten Blick zu. „Oder Mom, wenn Sie es über sich bringen.“ Mom. Wie viele Jahre hatte sie sich eine Mom gewünscht. Dass sie nun so unverhofft eine bekommen sollte, obwohl alles bloß eine Farce war, erschien Dana geradezu grausam. Während ihr Blick zwischen Colin, dem Mann ihrer Träume, und seiner Mutter, einer lieben, herzlichen Frau, hin und herwanderte, wurde Dana immer unsicherer, ob sie das Ganze würde durchstehen können. „Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.“ Irene betrachtete sie eingehend. „Sind Sie sicher, dass Sie meinen Sohn heiraten wollen?“ „Ich…“ Die Frage erschreckte Dana. Aber sie hatte versprochen, Colin zu helfen. Nun saß sie in der Zwickmühle, denn sie hatte nicht geahnt, wie schlimm sie diese Lügerei finden würde. „Ja, ich möchte Ihren Sohn heiraten“, antwortete sie schließlich, und zu ihrer Erleichterung ließ Irene es damit bewenden. Unter der Last ihres schlechten Gewissens verflog ihre Fröhlichkeit zunehmend. Colin umfasste sanft ihr Kinn. Er schob ihren Kopf nach hinten, um ihr voller Dankbarkeit tief in die Augen zu sehen, und Dana versank in seinem Blick. „Mom“, sagte er leise, „du bist zwar gerade erst angekommen, aber ich möchte unbedingt einen Moment mit Dana allein sein.“ „Aber natürlich.“ Viel sagend schmunzelnd wischte sich Irene die Hände an einem Handtuch ab. „Sie ist eben nach Hause gekommen, und du hast sie den ganzen Tag nicht gesehen. Was habe ich mir bloß gedacht? Ich weiß doch, was junge Liebe ist.“ Sie seufzte dramatisch. „Und ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass du die wahre Liebe gefunden hast, mein Sohn.“ Dana fühlte sich ebenso zerknirscht wie Colin. Wie konnten sie diese Scharade fortsetzen? Wie konnten sie diese wunderbare Frau so dreist belügen?
„Wenigstens kann ich jetzt aufhören, sie dir suchen zu helfen“, fuhr Irene fort.
„Du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich deswegen bin.“
„Oder ich“, murmelte Colin.
Auf dem Weg zur Tür warf Irene ihnen einen so liebevollen Blick zu, dass Dana
am liebsten im Boden versunken wäre. „Ich gehe schnell nach oben, um Bessie
und Lola Bescheid zu sagen, dass Sie jetzt da sind. Die beiden sind schon so
neugierig auf Sie.“
„Kannst du sie bitte noch ein paar Minuten aufhalten?“ Colin machte eine
Handbewegung Richtung Dana. „Ich brauche…“
„Oh, Colin. Wie schön, dich das sagen zu hören. Bisher hast du nie jemanden
gebraucht, weder mich noch deinen Vater, weder Freunde und noch nicht mal
eine Frau. Du warst immer so unabhängig.“
Und allein, dachte Dana. Konnte sie seine Einstellung ändern? Konnte sie ihn das
Glück wahrer Liebe lehren, obwohl sie es selbst nicht kannte?
„In ein paar kurzen Augenblicken“, wandte sich Irene an Dana, „haben Sie mir
eine so große Freude gemacht, wie Sie es sich kaum vorstellen können.“
„Das freut mich“, flüsterte Dana schuldbewusst.
„Oh, die kommende Woche wird herrlich.“ Irene strahlte. „Denn am nächsten
Wochenende werden wir eine Verlobungsparty für euch ausrichten. Natürlich
werden alle kommen.“
Colin sah alles andere als begeistert drein. „Moment…“
„Nein, keinen Dank, Liebling.“ Sie grinste. „Ich bestehe darauf.“ Damit war sie
verschwunden.
Das Schweigen in der Küche war bedrückend.
Colin machte keine Anstalten, etwas zu sagen, und vor lauter Verlegenheit nahm
Dana ihre beiden durstigen Grünpflanzen und stellte sie auf die Fensterbank.
Seltsamerweise wirkte die Küche sofort wohnlicher. Fröhlicher. Sie hoffte, die
Pflanzen würden sich erholen.
„Es tut mir so Leid“, sagte Dana, weil Colin noch immer schwieg.
„Sie wird verletzt werden. Verdammt.“ Colin begann, hin und her zu gehen.
„Tja, was hast du denn geglaubt, was passieren würde?“
Als Colin schockiert zu ihr herumfuhr, schüttelte Dana lachend den Kopf. „Komm
schon, Colin. Du musst dir doch überlegt haben, was passieren würde, sobald
dein Projekt abgeschlossen ist. Ich meine, wie wir das Ganze beenden. Wie sie
sich fühlt, wenn ich wieder aus deinem Leben verschwinde.“ Aus seinem Leben
verschwinden. Allein der Gedanke daran weckte eine Traurigkeit in ihr, der sie
sich nicht stellen mochte.
Colin wirkte fassungslos.
„Verstehe. Du hast dir nichts überlegt. Du, der große Planer und Organisator. Du
hast nie über das Ende dieser Verlobung nachgedacht.“
„Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden.“ Er schien entrüstet über sich selbst.
„Und dass die Anrufe aufhören und die ständigen Verabredungen ein Ende haben.
Verdammt! Dieses Theater muss ein Ende haben. Ich bringe es nicht über mich,
weiter den glücklich Verliebten zu spielen. Ihretwegen nicht und auch
deinetwegen nicht.“
„Mach dir keine Sorgen um mich, Colin.“
„Es ist nicht fair.“
Er würde die ganze Sache beenden. Und Dana würde leben müssen wie vorher –
ohne ihn. „Du kannst es ihr jetzt nicht sagen“, meinte sie leichthin, auch wenn
ihr absolut nicht so zu Mute war. „Es ist zu spät. Sie wird auf jeden Fall verletzt
werden, Colin. Da kannst du genauso gut auch erst dein Projekt beenden.“
„Ich stehe kurz vor dem Durchbruch, das fühle ich.“
„Die Scheinverlobung ist in Szene gesetzt. Du wolltest Zeit für dich, und jetzt
hast du sie. Ich werde deine Mutter und Tanten in den nächsten zwei Wochen
beschäftigen. Und du arbeitest so hart, du kannst und bringst dein LaserProjekt
zu Ende. Danach werden wir uns überlegen, wie es weitergeht.“
„Fühlst du dich dem wirklich gewachsen?“
Er sprach von ihnen beiden. Davon, was zu tun war, um die Sache über die
Bühne zu bekommen. „Ich bin bereit, wenn du es auch bist.“
Er lachte auf. „O ja, das bin ich. Aber nicht für mein Projekt.“
„Nein? Wofür dann?“ hakte sie atemlos nach.
„Nun, ich war in der Drogerie.“
Ihr wurde heiß. „Oh.“
„Bist du dir sicher, Dana?“ Er sprach leise. Dabei kam er näher, berührte sie
jedoch nicht. „Denn wenn du es nicht bist, solltest du es mir besser jetzt sagen,
damit ich mir eine Ausrede überlegen kann, warum wir in getrennten Zimmern
schlafen. Anfangs dachte ich, ich könnte im gleichen Bett mit dir liegen und
friedlich schlafen, aber das war reinste Selbsttäuschung. Wir beide sind wie
Dynamit zusammen, die kleinste Berührung von dir, und ich stehe in Flammen.“
Allein seine raue Stimme ließ sie vor Erregung erschauern. „Colin, du bringst
mich um den Verstand.“
„Tja, dann solltest du mal sehen, was du mit mir anstellst.“
Sie riskierte einen Blick und errötete heftig. „Ach du meine Güte.“
„Das ist für mich seit deinem Albtraum beinah ein Dauerzustand.“
Hilflos hob sie die Schultern. „Ich weiß wirklich nicht, was mit uns werden soll.“
„Ich auch nicht.“
Als Dana mit Tante Bessie und Tante Lola bekannt gemacht wurde, war sie sofort
von deren charmantindiskreten, aufdringlichen Art angetan. Die beiden waren
lustig, kein bisschen zurückhaltend und unglaublich neugierig auf die Frau, die
ihren Neffen heiraten wollte, der für sie wie der eigene Sohn war.
Sie aßen gemeinsam zu Abend, und gleich anschließend stellte Irene es Colin frei
zu gehen, um noch zu arbeiten.
Er zögerte, weil er Dana nur ungern in ihren Fängen zurückließ, andererseits sich
sehr zu seiner Arbeit hingezogen fühlte. Weil Dana wusste, dass er bereits
hoffnungslos in Verzug war, gab sie ihm zu verstehen, dass er ruhig gehen
könne. Hinzu kam, dass sie mehr über ihn erfahren wollte, und wie sollte sie das,
wenn er jedes Wort mithörte?
Irene, Bessie und Lola erzählten ihr mit wahrer Begeisterung alle möglichen
Geschichten aus Colins Jugend. Dennoch schweiften Danas Gedanken immer
wieder ab. Würde er in dieser Nacht wirklich mit ihr schlafen?
Sie wünschte es sich brennend.
Das Wohnzimmer, in dem sie saßen, brauchte unbedingt eine heimeligere
Atmosphäre. Es war elegant und teuer eingerichtet, jedoch nur mit dem
Nötigsten augestattet. Eine Couch, eine Lampe, zwei Sessel, die ausgesprochen
unbequem aussahen. Nichts Behagliches weit und breit.
Das könnte sie leicht ändern, mit ein paar Pflanzen, einem hübschen Teppich,
einigen Bildern.
„Sie haben sich also unseren Colin geangelt.“ Tante Bessie, ein zierliches
Energiebündel mit der sanften Stimme eines Engels und der Grimmigkeit einer
Bärenmutter, die ihr Junges beschützt, riss Dana lächelnd aus ihren Tagträumen.
„Wir sind Ihnen dafür ja so dankbar, meine Liebe, wirklich.“ Sie lehnte sich
verschwörerisch vor. „Könnten Sie uns vielleicht sagen, warum?“
„Warum?“ Dana blinzelte. War ihr etwas entgangen?
„Warum Sie ihn wollen.“
Nun beugten sich auch Lola und Irene begierig vor. „Er kann einem so auf den Geist gehen“, meinte Lola, aber ihre tiefe Zuneigung zu Colin war nicht zu überhören. „Wir möchten einfach wissen, wie Sie ihn noch mal dazu überredet haben.“ Dana brauchte einen Moment, um von ihren Ideen für eine wohnlichere Note des Hauses umzuschalten auf… „Noch mal?“ Nun hatten die drei ihre ganze Aufmerksamkeit. „Verzeihung. Sagten Sie eben ,noch mal’?“ „Ja, warum?“ Lola blieb gelassen. Sie war die größte der drei Schwestern und sehr hager, und sie hatte eine tiefe, raue Stimme. „Wir würden zu gern erfahren, wie Sie ihn dazu gebracht haben, es noch mal zu versuchen, während wir fünf Jahre lang bei ihm auf Granit gebissen haben.“ „Verstehe.“ Dana nickte bedächtig, doch ihr schwirrte der Kopf. „Er war schon mal verheiratet.“ „Oje.“ Bessie biss sich auf die Lippe. „Ach du liebe Güte. Irene…?“ Irene warf ihren beiden Schwestern einen finsteren Blick zu. „Nun habt ihr es geschafft.“ Nervös lächelnd wandte sie sich Dana zu. „Dana, bitte…“ „Er war schon mal verheiratet“, wiederholte sie. Natürlich hatte es genügend Hinweise darauf gegeben. Seine Abneigung, etwas von sich preiszugeben. Seine Angst, verletzt zu werden. Trotzdem war sie überwältigt. „Verdammt!“ rief Lola aus. „Wir haben es vermasselt!“ „Wir?“ Irene setzte sich kerzengerade hin. „Das geht ja wohl nicht auf mein Konto. Ich hätte euch beide in New York lassen sollen!“ „Woher hätte ich denn wissen sollen, dass sie keine Ahnung hat?“ rechtfertigte sich Lola. „Wir hätten es wissen müssen“, meinte Bessie. „Colin war doch schon immer so verschlossen. Kein Wunder, dass er ihr nichts von seiner gescheiterten Ehe erzählt hat.“ „Moment, Moment.“ Dana bemühte sich redlich, sich zu fassen. „Colin war also schon einmal verheiratet.“ Sie sah von einer zur anderen. „Wieso bin ich nicht selbst längst dahinter gekommen?“ Aber der Streit zwischen den Schwestern war bereits in vollem Gange. Vergeblich versuchte Dana einzugreifen. „Vielleicht denkt ihr beide ja, ihr habt ein Anrecht auf Colin. Aber er ist mein Sohn. Meiner“, betonte Irene. „Das heißt, Dana wird meine Schwiegertochter, nicht euere.“ „Bitte streiten Sie sich nicht!“ Dana erhob sich von dem Sofa vor dem Kamin, auf dem sie alle saßen. „Es stimmt also wirklich, dass Colin schon mal verheiratet war?“ Schweigen. „Das ist doch eine ganz einfache Frage.“ Dana wurde es schwer ums Herz, denn sie hatte das schreckliche Gefühl, nun die Ursache von Colins geheimem Schmerz zu kennen. Trauerte er noch um eine Frau, die ihn verlassen hatte? Hatte ihm seine Exfrau das Herz gebrochen, und er konnte deshalb keiner anderen mehr vertrauen? Und wie konnte sie, Dana, es mit einer solchen Erinnerung aufnehmen? Die Antwort war einfach. Gar nicht. „Bitte antworten Sie mir.“ Irene suchte Danas Blick. „Ja, Colin war schon einmal verheiratet. Es tut mir Leid, dass Sie nichts davon wussten. Und erst recht, dass Sie es durch uns erfahren mussten.“ Nachdem ihr erster Anflug von Selbstmitleid verflogen war, tat ihr Colin schrecklich Leid. Er musste seine Exfrau so sehr geliebt haben, dass er sich kein behagliches Zuhause mehr schaffen und auch keine Familie gründen mochte, und
das fand sie unendlich traurig.
Irgendwie gelang es ihr, sich zu entschuldigen.
Sie ging direkt ins Arbeitszimmer, um Colin fest in die Arme zu schließen und ihm
zu sagen, wie sehr sie es bedauerte, dass seine Ehe gescheitert war. Sie wollte
ihn trösten, so gut sie es nur vermochte.
Aber er war nicht da.
Sie vermutete, dass er in sein Stadtbüro gefahren war. Enttäuscht betrat sie sein
Schlafzimmer und machte sich zum Schlafengehen fertig. Sie würde auf ihn
warten.
Gleich darauf kletterte sie in sein riesiges, einladendes Bett.
Und wartete.
Die Laken dufteten nach ihm. Im Zimmer lagen seine persönlichen Sachen
herum. Sie spürte seine Gegenwart förmlich. Und dann malte sie sich aus, was in
Kürze passieren würde, wie sie ihm über seinen Kummer hinweghelfen und er sie
im Gegenzug in die Welt der Leidenschaft entführen würde.
Seufzend stellte sie sich vor, wie er sie mit Händen, dem Mund, seinem ganzen
Körper genüsslich liebkoste. Sie kuschelte sich unter die Decke und wartete
weiter.
Doch Colin kam nicht, und schließlich schlief Dana mit seinem Kissen in den
Armen erschöpft ein.
8. KAPITEL Dass er sich in seiner Arbeit verlieren würde, hätte Colin absolut nicht erwartet,
umso weniger, weil er immer wieder an Dana denken musste. Doch ehe er es
sich versah, war es zwei Uhr morgens. Wie konnte das sein? Stunden waren
vergangen.
Dana würde auf ihn warten.
Er malte sich aus, wie sie warm und weich in seinem Bett lag und ihn voller
Sehnsucht empfing.
Unsinn, sagte er sich. Es war mitten in der Nacht. Sie würde längst schlafen und
falls nicht, würde sie wütend sein. Mit Recht.
Als er wenig später zu Hause ankam, lag sie tatsächlich in seinem Bett, genau
wie er es sich seit Tagen erträumt hatte. Allerdings war sie nicht verrückt vor
Verlangen nach ihm, sondern schlief tief und fest mit seinem Kopfkissen in den
Armen.
Verdammt, wieso war ihm das passiert? Er hatte sie erneut enttäuscht, und das
fand er schrecklich. Sosehr er seine Arbeit liebte, in diesem Moment machte es
ihn zum ersten Mal wütend, dass er derart besessen davon war, dass er absolut
alles darüber vergaß.
Er musste den Schaden wieder gutmachen, musste sich wenigstens bei ihr
entschuldigen. „Dana?“
Laken und Decke hatten sich zwischen ihren Beinen verfangen und bedeckten
Dana nicht mal bis zur Taille. Sie trug ein dünnes weißes Hemdchen und einen
noch winzigeren Slip. Ihre Haut schimmerte seidig zart im schwachen Mondlicht.
Ihr Anblick nahm Colin den Atem.
Wie magisch angezogen kniete er sich neben sie auf die Matratze. „Dana?“
Sie gab einen Laut des Unmuts von sich.
Dennoch beugte sich Colin über sie, um ihr heiße Liebesworte ins Ohr zu flüstern
und sie damit zu wecken.
Aber dann hielt er abrupt inne, weil er Spuren getrockneter Tränen auf ihren
Wangen entdeckte.
Am nächsten Morgen, als Colin wieder in seinem Büro in der Stadt saß, war es
ihm unmöglich, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, weil er dauernd an Dana
denken musste und daran, wie sie in seinem Bett ausgesehen hatte.
Als gehöre sie da hin.
Die lange schlaflose Nacht auf dem Fußboden seines Schlafzimmers hatte nichts
daran geändert, dass er Dana brennend begehrte.
„Ein Gespräch für Sie auf Leitung eins.“ Claudia erschien an seiner Bürotür und
deutete auf das Telefon. „Das Institut.“
„Großartig.“ Er hatte nichts Neues zu berichten. Das Projekt war noch immer
nicht abgeschlossen, und er war sich nicht sicher, wann es soweit sein würde.
„Claudia?“
„Ja?“
„Wenn Sie das nächste Mal eine Frau verscheuchen wollen, würden Sie da bitte
vorher fragen, ob ich sie verscheucht haben will?“ fragte er in Anspielung auf
Danas letzten Besuch.
„Liebe Güte.“ Schuldbewusst sah sie ihn an. „Es tut mir so Leid! Ich bin so daran
gewöhnt, jede Frau, die Ihre Mutter Ihnen auf den Hals schickt, zu vertreiben,
dass ich nicht gemerkt habe, dass sie die Richtige ist.“
Die Richtige. Colins Magen krampfte sich zusammen. „Hat es sich
herumgesprochen?“
Claudia lächelte. „O ja. Sie sind Stadtgespräch. Und Dana auch. Sie ist wirklich
ein Schatz.“
Langsam erkannte er das auch. „Ja.“
„Loyal, hilfsbereit. Süß sowieso und sehr nett.“
„Aber? Wenn ich nicht irre, habe ich da eben ein Aber herausgehört.“
„Na ja… Ehrlich gesagt, ist sie ein viel zu großer Schatz für Sie. Sie wird mehr
wollen als das, was Sie ihr geben werden, Colin.“
„Und was wäre das?“ fragte er, nunmehr amüsiert. „Ich habe mehr Geld, als ich
ausgeben kann, ein riesiges Haus mit jedem erdenklichen Komfort. Ich kann ihr
geben, was immer sie haben möchte.“
Claudias Miene wurde mitleidig. „Sehen Sie? Genau das meine ich. Sie haben
keine Ahnung, wie Sie eine Frau wie Dana halten können.“ Ihr wissender Blick
war ihm unangenehm. „Oder vielleicht doch, wollen es aber nicht wahrhaben.“
„Ich muss endlich ans Telefon.“ Beinah hätte er vergessen, dass die ganze
Geschichte mit Dana bloß vorgetäuscht war. Dass er seiner Sekretärin keine
Rechenschaft schuldig war. Dass es eigentlich egal war, was andere dachten,
denn er war ja nur vorübergehend verlobt.
Aber gerade, als er das Gespräch annehmen wollte, sah er Claudia
kopfschüttelnd hinausgehen… und er gab ihr Recht.
Er hatte keine Ahnung, wie er eine Frau wie Dana halten konnte. Nein, überhaupt
eine Frau.
Seine Exfrau war der beste Beweis dafür.
Colin starrte sein Telefon an. Seit Stunden hatte er vergeblich versucht, Dana zu
erreichen. Sowohl bei sich zu Hause als auch in ihrem Büro.
Er hoffte sehr, sie hatte nicht doch das Weite gesucht. Aber nicht, weil er nicht
wusste, was er seiner allzu um ihn besorgten Mutter und seinen Tanten sagen
sollte. Er konnte die Dinge, die sich zwischen Dana und ihm entwickelten, einfach
nicht auf sich beruhen lassen.
Es war erst drei Uhr nachmittags. Diese Tageszeit nahm er sonst kaum wahr,
weil er in seine Arbeit vertieft war. Aber jetzt stand er tatsächlich auf und verließ
sein Büro. Er konnte sowieso nicht arbeiten, und das hatte er Dana zu
verdanken.
Wie sie sich wegen vergangener Nacht wohl fühlte?
Er hatte sich nichts anderes als Ruhe und Frieden gewünscht. Er hatte
niemanden verletzen wollen, seine Familie nicht und schon gar nicht Dana. Wie
war er nur in solche Schwierigkeiten geraten?
Colin fuhr zu Danas Apartment, und erneut bestürzte es ihn, wie verschieden ihre
Lebensumstände waren. Als er ihre ungepflegte Auffahrt hinaufging, wünschte
er, er könnte ihr eine bessere Wohnung besorgen. Aber Hilfe dieser Art würde sie
niemals von ihm annehmen.
Sie arbeitete so hart. Es erschien ihm nicht fair, dass sie sich trotzdem nicht
mehr leisten konnte.
„Sie ist nicht hier.“
Er drehte sich um und merkte zu seiner Überraschung, dass ihn eine alte Frau
angesprochen hatte. Sie war sehr zierlich, mindestens achtzig und trug einen
knallroten Jogginganzug.
„Verzeihung?“ sagte er.
„Dana. Sie suchen doch Dana, oder nicht? Ihre… Verlobte.“
„Sie kennen Dana?“
Daraufhin begann sie zu lachen und konnte sich gar nicht wieder beruhigen. „O
ja“, meinte sie schließlich. „Ich kenne sie.“ Sie umfasste ihren Rechen fester und
lehnte sich an den Zaun eines kleinen Gartens.
Erst jetzt fiel Colin auf, dass der Garten im Gegensatz zum Wohnhaus, das
offenbar bessere Tage gesehen hatte, gepflegt war und es dort üppig grünte und
blühte.
„Die Frage ist“, fuhr die Alte fort, „kennen Sie Dana?“
Sie ist nicht ganz bei Trost, dachte Colin. „Entschuldigen Sie, wer sind Sie…“
„Sie haben Recht. Wo sind meine Manieren? Wir wurden einander bisher nicht
vorgestellt. Komisch, finden Sie nicht, da ich doch Danas Großtante Jennie bin?“
Dana hatte eine leicht verrückte Großtante?
„Ich habe Ihre zukünftige Frau großgezogen. Aber das wissen Sie natürlich, denn
Sie sind ja mit ihr verlobt. Sie wissen alles über sie, stimmt’s?“
Colin kam sich vor wie im falschen Film.
Großtante Jennie zwinkerte ihm zu. Dann beugte sie sich vor und flüsterte
verschwörerisch: „Nett, Sie kennen zu lernen, Mr. Scheinverlobter.“
Sie wusste Bescheid.
Unbeeindruckt von seinem Schweigen machte Großtante Jennie es sich auf einer
Holzbank bequem und bedeutete ihm, sich zu ihr zu setzen.
Er tat es.
„Außer Ihnen hat Dana nur noch mich“, meinte Jennie lächelnd. „Aber das wissen
Sie doch auch längst, oder?“
Ihr vorwurfvoller Unterton war nicht zu überhören.
„Sie liebt Blumen, wussten Sie das?“ fuhr Jennie fort. „Außerdem liebt sie laute
Musik, Kinder und ist geradezu vernarrt in kleine Katzen. Und Himmel, was
nascht sie gern! Erstaunlich, dass sie bei all den Süßigkeiten eine so gute Figur
hat. Wussten Sie, dass sie besonders gern weiße Schokolade mag?“
Ein richtiger Verlobter würde über all diese Dinge Bescheid wissen und über noch
viel mehr.
Und er würde auch jederzeit wissen, wo die Frau, die er liebte, zu finden war.
„Wogegen sie eine Abneigung hat, brauche ich Ihnen ja wohl auch nicht zu
erzählen, nämlich gegen Gemüse und jede Art von Sport“, meinte Jennie
leichthin. „Oder dass sie sich vor heftigen Gewittern fürchtet, weil ihre Eltern in
einem Gewitter umgekommen sind.“
Colin erinnerte sich genau an Danas panische Angst und daran, wie sie sich bei
jedem Donnerschlag an ihn geklammert hatte. „Das war mir nicht bekannt.“
„Es hätte es aber.“
„Sie haben Recht.“
Es war Jennie anzumerken, dass sie traurig war, als sie aufstand und ein paar
Blätter zusammenharkte. „Tut mir Leid. Ich liebe Dana und bin entsetzt. Dass ich
meinen Ärger an Ihnen auslasse, ist nicht nett von mir. Bitte verzeihen Sie.
Dabei bin ich gar nicht auf Sie böse, sondern auf meine geliebte, großherzige,
idiotische Nichte.“
„Danas Eltern…“
„Starben, als sie sechs war.“ Sie hob den Kopf und schaute ihm fest in die Augen.
„Ich bin Vater und Mutter zugleich für sie und auch ihre beste Freundin. Ich bin
mir sicher, dass Sie nicht gut für sie sind, aber irgendwann mal werde ich auch
noch lernen, sie ihre eigenen Fehler machen zu lassen.“
Immer wieder musste Colin denken, wie schrecklich es für Dana gewesen sein
musste, so früh die Eltern zu verlieren.
„Und weitere Fragen brauchen Sie mir gar nicht zu stellen. Ich werde Ihnen
nichts mehr sagen. Wenn Sie mehr wissen wollen, müssen Sie Dana schon selbst
fragen.“
„Das werde ich.“ Sobald er sie gefunden hatte. Er stand auf, um sich auf die
Suche zu machen.
„Dana hat mir von Ihnen erzählt.“ Jennie sah ihn mit ihren blauen Augen scharf
an. „Sie sagte mir, Sie seien gescheit und mitfühlend und einfach wunderbar.“
Colin war perplex, doch Jennie nickte nur. „Sie ist sehr großmütig, meine Dana.“
Auch wenn es ihm nicht leicht fiel, schluckte Colin seinen Stolz hinunter. „Wissen
Sie, wo ich Dana finden kann?“
„Kommt darauf an, warum Sie sie suchen.“
Weil ich sie vermisse, schoss es ihm durch den Kopf, aber er verwarf diese
lächerliche Begründung sofort wieder. „Ich möchte mit ihr reden.“
Jennie lächelte nur und schwieg.
Verflixt. „Okay, ich habe ihre Gefühle verletzt. Ich muss sie unbedingt sehen, um
mich mit ihr auszusprechen.“
Als Colin schon glaubte, sie sei auf ihre Harke gestützt eingenickt, antwortete
sie: „Sie arbeitet. Und zwar zu hart, wenn Sie mich fragen.“
Wieder eine Botschaft zwischen den Zeilen. Aber Jennie verstand nicht, wie
kompliziert die Situation war. Bei ihrem derzeitigen Verhältnis würde Dana ihm
niemals erlauben, sie finanziell zu unterstützen, wie sehr er selbst das auch
wollte.
„Ich habe schon mehrfach in ihrem Büro angerufen, aber sie war nicht dort.“
„Natürlich nicht. Sie sitzt doch nicht den ganzen Tag am Schreibtisch, Mr. Schein
Verlobter. Nein, sie ist vor Ort und putzt sich für reiche Leute die Finger wund,
weil die dazu keine Lust haben.“
Also eines musste er der Frau lassen. In der kurzen Zeit, in der er hier war, hatte
sie es fertig gebracht, dass er sich lächerlich fühlte, selbstsüchtig, gierig und nun
auch noch schuldbewusst.
Aber Dana mochte ihren Job, oder nicht? Himmel, er hatte keine Ahnung, denn
er hatte sie nie danach gefragt. „Ich möchte einfach mit ihr reden. Wir haben
einiges zu klären. Hauptsächlich auf Grund meiner eigenen Dummheit, wenn Sie
es unbedingt wissen wollen.“
Jennie brach in Gelächter aus. „Wie nett, dass ein Mann das mal zugibt.“
„Können Sie mir sagen, wo sie ist? Bitte.“
Jennie überlegte lange, und Colin war klar, dass er gründlich taxiert wurde. Er
hatte keine Vorstellung davon, was Dana Jennie über ihn erzählt hatte. Liebe
Güte, bis eben hatte er ja nicht einmal eine Vorstellung davon gehabt, wer Danas
Familie war.
Wieso hatte er das nicht gewusst? Wieso hatte er sich nicht danach erkundigt?
„Sie putzt heute Dr. Morrows Praxis“, erklärte Jennie schließlich. „In der Main
Street.“
„Ich danke Ihnen.“ Colin zögerte, und es dauerte einen Moment, bis er merkte,
dass er Jennies Billigung wollte. Diese Gefühlsanwandlung war ihm derart fremd,
dass er sich sagen hörte: „Ich werde sie nicht verletzen.“
„Natürlich werden Sie das.“ Sie lächelte traurig.
Als er widersprechen wollte, hob sie abwehrend eine Hand und schüttelte heftig
den Kopf. „Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können, Colin. Ich weiß,
dass diese Verlobung nur Schau ist, wenigstens für Sie.“
Sie brauchte Colin nicht zu sagen, was sie davon hielt. Es stand ihr deutlich ins
Gesicht geschrieben.
„Dana hat sich eingeredet, dass sie Ihnen hilft. Möglich, dass sie das sogar tut,
aber glauben Sie mir, sie wird verletzt werden. Und deshalb bin ich gar nicht
glücklich mit Ihnen.“
Damit ging sie ins Haus und überließ Colin seinen eigenen trüben Gedanken.
Colin fand die Praxis von Dr. Morrow in der Main Street ohne Probleme, und er
gelangte problemlos ins Haus.
Aber er hatte große Probleme damit, sich zu überlegen, was er Dana wegen des
gestrigen Abends sagen sollte. Oder was zum Teufel er eigentlich von ihr wollte. Er betrat das leere Wartezimmer, denn Dr. Morrow arbeitete heute in der Klinik, wie ein Schild am Eingang besagte. Er rechnete damit, dass Dana auf den Knien lag und in ihrem unförmigen ArbeitsOutfit den Boden schrubbte. Oder auf einer Leiter stand und mit einem Staubwedel Spinnweben entfernte, ihr Gesicht verschmiert von Schweiß und Schmutz, ihre Hände rot und rau. Sicherlich würde sie still und bedrückt sein wegen vergangener Nacht. Was er jedoch auf keinen Fall erwartet hatte, war, sie kreischend vor Vergnügen anzutreffen, in der Hand eine mit Wasser gefüllte Sprühflasche, mit der sie auf seine Tante Bessie zielte, die ihrerseits vor Vergnügen kreischte und auch mit einer Sprühflasche bewaffnet war. Hinter ihnen tauchte mit lautem Gebrüll seine Tante Lola auf und schwang ebenfalls eine Sprühflasche. Um den Kopf hatte sie sich ein Taschentuch gebunden. „Ergebt euch, oder es ist aus mit euch“, rief seine älteste und würdevollste Tante, über das ganze Gesicht grinsend. „Was zum Teufel…“ Unvermittelt brach Colin ab, weil er merkte, dass das Trio wie auf Kommando voneinander abließ und ein neues Opfer für sein ausgelassenes Spielchen erwählte. Ihn. „He, Moment…“ Mehr brachte er nicht heraus, denn Dana – die nicht im entferntesten niedergeschlagen wirkte – besprühte ihm kurzerhand das Gesicht. Von der Couch her war ein seltsames, glucksendes Geräusch zu hören. Es war Carmen, die in Zeitschriften blätterte und mit der Hand vor dem Mund lautlos lachte. Das Wasser tropfte Colin von der Nase, von den Ohren, in seinen Kragen. Seine beiden Tanten bogen sich vor Lachen. Bessie ließ sich auf eine Couch fallen und lachte und lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen. Auch Lola und Dana konnten sich gar nicht mehr beruhigen. Fassungslos starrte Colin Dana an. Lachtränen rannen ihr übers Gesicht, gemischt mit Sprühwasser – offenbar hatte eine seiner Tanten gut gezielt. Ihre Frisur war in totaler Auflösung begriffen, ihre Augen strahlten, ihre Haut schimmerte rosig. Sie bespritzte ihn erneut. „Wofür war denn das?“ protestierte er, während er sich das Gesicht abwischte. „Oh…“ Sie grinste. „Du hast so heiß ausgesehen.“ Unversehens wurde er von dem wilden Verlangen gepackt, sie an sich zu reißen und seine ganze Frustration mit einem glühenden Kuss zu vertreiben. In letzter Sekunde fiel ihm jedoch ein, dass seine beiden neugierigen, aufdringlichen Tanten anwesend waren, und so vergrub er die Hände lieber in den Taschen. Sie hatte ihn besprüht, direkt ins Gesicht! Er fasste es nicht, ebenso wenig, dass sich sein Schock längst in pure Lust verwandelt hatte. Wenn er Dana nicht augenblicklich küsste, dann würde er wahnsinnig. Diese urtümliche, ungezügelte Begierde bestürzte ihn sehr. Denn nie zuvor hatte er für eine Frau ähnlich empfunden. Dana trug heute Jeans, allerdings ein OversizeModell, das ihre atemberaubende Figur verbarg. Aber die Jeans war voller Löcher, und ein Loch mitten auf ihrem rechten Oberschenkel enthüllte so viel nackte Haut, dass er hart schlucken musste. Wo war nur seine bedrückte, verstimmte Verlobte? „Was machst du eigentlich hier?“ erkundigte sie sich höflich, als habe sie ihn nicht gerade mit einer Sprühflasche attackiert. „Was ich hier mache?“ Er gab einen Laut höchsten Erstaunens von sich. „Ich
habe überall nach dir gesucht. Und was machst du hier?“
„Das dürfte nicht schwer zu erraten sein.“ Unschuldig lächelnd zeigte sie auf ihre
Putzutensilien neben der Tür. Sie schien völlig unbekümmert. So, als habe sie
keinen weiteren Gedanken an ihn verschwendet.
Vermutlich hatte sie das auch nicht. Eine seltsam ernüchternde Vorstellung.
„Ich arbeite.“
„O ja, das sehe ich.“
Dana drehte sich ein wenig zur Seite, um seinen Tanten einen Blick zuzuwerfen,
und Colin fielen fast die Augen aus dem Kopf. Auch hinten war ihre Jeans voller
Löcher. Ein Riss verlief so hoch über ihren linken Schenkel, dass er ihren
pinkfarbenen Slip aufblitzen sah.
Hatte er diese Frau wirklich einmal nicht sexy gefunden? Wie hatte er nur so
blind sein können?
Bessie und Lola hatten sich inzwischen gefangen.
„An die Arbeit“, sagte Bessie fröhlich und stieß dabei ihre Schwester an. Sie
gaben Carmen ein Zeichen, die verächtlich schnaubend ihre Illustrierte nahm,
Colin wieder einmal eine Grimasse schnitt und dann den Flur hinunter
verschwand.
Colins Tanten ergriffen einen Eimer mit Reinigungsmittel und Schwämmen.
„Was macht ihr denn da?“
Lola und Bessie, beide alt genug, um Großmütter zu sein, beide Weltreisende und
der so genannten besseren Gesellschaft von Sierra Summit zugehörig, strahlten.
„Dana hat heute zu wenig Personal, die Ärmste“, erklärte Lola. „Sie würde ihre
Arbeit auf keinen Fall allein schaffen, also springen wir ein. Ich mache mich jetzt
an die Toiletten.“
„Und ich mich ans Staubsaugen und Staub wischen“, ergänzte Bessie voller Stolz.
Colin fasste es nicht. „Aber keine von euch beiden hat je im Leben geputzt.“
„Es gibt immer ein erstes Mal, mein Lieber.“ Bessies freches Schmunzeln verhieß
nichts Gutes. „Und weil wir gerade vom ersten Mal reden“, fuhr sie honigsüß fort,
„wir sind wirklich knapp an Personal und zeitlich in Druck. Wie wär’s, wenn du als
ihr Verlobter auch mithilfst?“
„Was?“
„Nimm dir einen Schwamm, Liebling“, stimmte auch Lola ein. „Wir wollen mal
sehen, ob du dieses wundervolle Mädchen hier auch verdienst. Geh ihr zur
Hand.“
Entgeistert wandte sich Colin an Dana. „Machen die beiden Witze?“
Sie warf seinen Tanten einen amüsierten Blick zu, antwortete dann aber ganz
ernst: „Nein, das glaube ich nicht.“
Colin dachte daran, was er von ihrer Großtante Jennie erfahren hatte. Dass sie
hart arbeitete, loyal und fürsorglich war. Dass sie ihre Eltern in so jungen Jahren
verloren hatte. Und panische Angst vor Gewittern hatte.
Allmählich erfasste er Danas innere Größe und Stärke, und obwohl er sie dafür
sehr bewunderte, wurde sein Drang, sie zu beschützen, immer stärker.
„Es sei denn natürlich, du hast keine Zeit für sie, Colin“, meinte Bessie gelassen.
„Oder du findest, mit einem Schwamm zu hantieren, sei nicht dein Ding“,
ergänzte Lola.
Er glaubte es einfach nicht. Diese beiden Frauen liebten ihn angeblich wie ihren
eigenen Sohn. Warum machten sie ihm dann derart die Hölle heiß?
Aber sie hatten Recht. Er hatte seine Arbeit immer über alles andere gestellt, und
er hatte Putzen immer unter seiner Würde gefunden.
Sich schuldig und beschämt zu fühlen, war absolut neu für ihn, und es behagte
ihm gar nicht. „Okay, ich helfe mit.“ Entschlossen nahm er einen Schwamm zur
Hand, aber Dana bremste ihn.
„Sie necken dich doch nur.“ Sie wischte ihm einen Wassertropfen vom Kinn. „Ich
komme zurecht, du brauchst nicht hier zu bleiben.“
„Ich sagte, ich würde mithelfen.“
Sie blickte ihm in die Augen und merkte offenbar, dass sie ihn nicht abhalten
konnte. „Na schön, wenn du unbedingt willst. Danke.“
Er krempelte die Ärmel auf. „Wo ist denn meine Mutter?“
„Beim Floristen.“ Dana kaute auf ihrer Unterlippe herum, ein sicheres Zeichen
dafür, dass sie nervös war, wie er inzwischen wusste.
„Wegen der Verlobung“, ergänzte Lola. „Sie ist so aufgeregt. Die Vorbereitungen
für die Party haben wir bestens im Griff. Ihr beide werdet begeistert sein.“
Es war Colin alles zu viel, und Dana erging es anscheinend genauso. „Wir
brauchen wirklich keine Verlobungsparty. Ich wünschte, ihr würdet euch die
ganze Mühe sparen.“
„Natürlich braucht ihr eine.“ Bessie rieb sich vergnügt die Hände. „Sie wird
sensationell. Mit Blumen, Kerzen, Tanzmusik. So richtig schön romantisch.“
„Eine Verlobungsparty“, flüsterte Dana vor sich hin. Ihr sehnsüchtiger
Gesichtsausdruck ging Colin durch und durch.
Sie wünschte sich von ganzem Herzen, dass alles echt wäre. Diese Erkenntnis
überwältigte ihn. Was hatte er ihr da bloß angetan? Und sich selbst. Einen
Moment lang wusste er nicht einmal mehr, warum er sie eigentlich in der ganzen
Stadt gesucht hatte. Er hätte es bleiben lassen sollen.
Dana starrte ihn an. „Was hast du eben gesagt?“
„Nichts.“
„Doch.“ Sie trat näher und betrachtete ihn eingehend. „Du sagtest, du wüsstest
nicht mehr, warum du dich um mich gesorgt hast.“
Großartig, führte er jetzt schon Selbstgespräche?
„Warum warst du in Sorge, Colin?“
„Du musst dich verhört haben.“
„Bestimmt nicht.“ Sie stand nun so dicht vor ihm, dass er den Duft ihres
Shampoos wahrnehmen konnte, und er hätte sie am liebsten an sich gerissen,
um sie spüren zu lassen, was dieser ganze Wahnsinn bei ihm anrichtete.
„Du hast mich in der ganzen Stadt gesucht? Wirklich?“
„Na und?“
Dana lächelte, als finde sie seine bockige Antwort sehr amüsant.
Er war alles andere als amüsiert, und als sie noch einen Schritt auf ihn zu
machte, wich er zurück.
Daraufhin wurde ihr Blick weich, und er entdeckte so viel Gefühl darin, dass ihm
ganz schwindelig wurde. Es war ihm schmerzlich bewusst, dass sie nicht allein
waren.
„Wolltest du etwas Bestimmtes von mir?“
Er starrte sie an. „Ja.“
„Kannst du mir sagen, was?“
„Nicht vor Zeugen.“
Bessie und Lola kicherten entzückt und gingen dann hinaus. Endlich.
Sobald sie allein waren, schien Danas Mut wie weggeblasen. Sie verschränkte die
Hände ineinander, besah sich ihre Füße, schob eine Staubfluse mit dem Schuh
hin und her.
„Dana…“ Er verstummte. Jetzt, wo sie keine Zuschauer mehr hatten, wusste er
beim besten Willen nicht, was er ihr sagen oder was er tun sollte.
Sie kam ihm zuvor. „Es tut mir Leid, dass es mit deiner Ehe nicht geklappt hat,
Colin.“ Sie klang sehr betrübt. „Du musst sie sehr geliebt haben, wenn du seither
keine andere Beziehung mehr wolltest. Eine echte, meine ich.“
9. KAPITEL Eigentlich hatte Dana nicht so unvermittelt damit herausplatzen, sondern sehr
viel einfühlsamer auf seine Ehe zu sprechen kommen wollen. Colin sollte
verstehen, wie Leid es ihr tat, dass er tief verletzt worden war und dass ihr klar
war, wie sehr er seine Frau geliebt haben musste.
Und falls sie etwas so Unsinniges wie Eifersucht verspürte, so würde sie sich das
keinesfalls anmerken lassen.
Doch nach ihrer Erklärung, die ihn offenbar völlig überrascht hatte, hatte Colin
wortlos einen Schwamm genommen und war in einem Raum der Praxis
verschwunden. Dana hatte ihn nicht zurückgehalten. Dies war nicht der passende
Moment, um die Sache zu besprechen, egal, wie gern sie ihn getröstet und
ermutigt hätte, der Liebe noch eine Chance zu geben. Mit einer Frau, die ihn
nicht verletzen würde, sondern ihn ihr Leben lang lieben würde.
Und falls sie glaubte, sie könne diese Frau sein, falls sie mittlerweile vergessen
hatte, dass sie ebenso wenig eine gefühlsmäßige Bindung wollte wie er, dann
würde sie wohl damit leben müssen.
„Du bist eine Närrin“, murmelte sie vor sich hin, während sie sich energisch das
Haar aus dem Gesicht strich. Sie war dabei, in einem der Sprechzimmer den
Boden zu fegen.
„Wer hat dir das gesagt?“
Beinah hätte sie den Besen fallen lassen.
„Ich möchte wissen, woher du es weißt.“ Colin stand an der Tür und sah
ausgesprochen wütend aus.
„Das ist doch egal.“ Dana wurde das Herz schwer, denn nur tiefer Schmerz würde
ihn derart aus der Fassung bringen. Sie hatte ihre Erfahrung damit. „Es tut mir
so Leid, Colin, dass sie dir das Herz gebrochen hat.“
Er biss die Zähne zusammen, sein Blick wurde hart. „Ich möchte auf keinen Fall
darüber reden.“
„Aber…“
„Niemals, Dana.“
„Es ist doch kein Verbrechen, sie immer noch zu lieben.“
Er lachte auf. „Du hast das völlig falsch verstanden.“
„Dann klär mich auf.“
„Bitte halte dich da heraus.“
Auf ihren Besen gelehnt schaute sie ihn eindringlich an. „Wie war’s, wenn du mir
die ganze Sache erzählst? Vielleicht fühlst du dich dann besser.“
„Ich habe eine bessere Idee. Sprechen wir über dich. Zum Beispiel darüber,
warum du mir nie etwas von dir erzählst.“
„Du willst nie etwas wissen.“
„Erzähl mir von deiner Familie.“
„Na schön. Ich habe nur meine Großtante Jennie. Das ist schon ziemlich lange
so.“
„Hat der Grund dafür vielleicht etwas mit deinen Albträumen zu tun?“
Dana wurde blass. „Ja.“
„Und vermutlich ist das auch der Grund, warum du Single bist. Genau wie ich
hast du genug davon, verletzt zu werden. Habe ich Recht?“
Sie verschränkte die Arme. „Ich möchte nicht darüber reden.“
„Tja, dann sind wir uns ja quitt.“
Zum Teufel mit ihm, dass er den Spieß umgedreht hatte! Es ging doch um ihn,
nicht um sie. „Ich habe zu arbeiten.“
„Ich auch.“ Und damit verschwand er.
Er wird in sein Büro fahren, dachte sie müde, und seinen Schmerz mit Arbeit
betäuben. Und es würde noch schwieriger werden, ihn zu erreichen.
Deshalb nahm sie an, als sie aus dem angrenzenden Behandlungsraum Lärm
hörte, es sei Bessie, Lola oder Carmen.
Auf alles Mögliche gefasst, eilte sie nach nebenan und blieb wie angewurzelt an
der Tür stehen.
Mitten auf dem klitschnassen Fußboden, neben sich einen umgekippten Eimer
und Wischmopp, saß Colin auf dem Hosenboden.
Er sah richtig angewidert drein. Dana lachte hell auf, und da wurde seine Miene
noch finsterer.
„Du findest das wohl auch noch lustig.“
„Bist du in Ordnung?“
Er stand auf. „Körperlich? Alles okay.“ Er rieb sich seinen durchnässten
Hosenboden. „Aber mein Ego hat eben einen schweren Schlag abbekommen.“
„Tut mir Leid.“
„Ja? Und warum grinst du dann so?“
Weil sie erneut lachen musste, hielt Dana sich schnell die Hand vor den Mund.
„Vor Erleichterung, dass du okay bist. Ehrlich.“
„Na schön.“
„Ich dachte, du wärst weggefahren.“
„Ich sagte dir doch, ich würde helfen, verdammt. Ich will mich dabei nur nicht
unterhalten.“
„Warum bist du eigentlich hergekommen?“
„Du warst verschwunden, und ich machte mir Sorgen.“
„Ich war unterwegs, um zu arbeiten.“
„Das wusste ich nicht. Ich dachte, du wärst vielleicht gekränkt oder wütend.
Hättest vielleicht beschlossen…“ Leise fluchend brach er ab. „Egal.“
„Auszusteigen? Das werde ich nicht, Colin. Das habe ich dir doch versprochen.“
„Die Leute tun nicht immer, was sie versprochen haben.“
„Ich schon.“ Sie lächelte. „Oh, Colin, du brauchst doch nicht nach mir zu suchen
und mir beim Putzen zu helfen und…“, sie deutete auf seinen nassen
Hosenboden, „… eine Akrobatiknummer hinzulegen, um mich bei der Stange zu
halten.“
Mit zusammengekniffenen Augen schaute er sie derart skeptisch an, dass sie ihr
kaum unterdrücktes Gelächter nicht mehr zurückhalten konnte.
Da kam er plötzlich langsam auf sie zu. „Du lachst über mich, Dana. Schon
wieder.“
„Hör mal, Colin…“ Sie wich zurück, Richtung Tür, doch die fiel unversehens ins
Schloss. Sie hielt ihren Besen vor sich wie einen Schutzschild. „Ich habe nicht
über dich gelacht… nur mit dir.“
„So, so.“ Er kam immer näher, dieser hoch gewachsene, gut aussehende Mann.
Der ohne Zweifel ärgerlich war.
„Es ist so lieb von dir“, sagte sie schnell, „herzukommen, mir helfen zu wollen
und…“
Ehe Dana wusste, wie ihr geschah, war sie zwischen Colin und der Tür
eingeklemmt.
„Ich hatte keine Ahnung, wie schön ich es finden würde, dass du dich um mich
sorgst“, brachte sie mühsam heraus. Oh, es war einfach wunderbar, ihm derart
nah zu sein. „Du hast deine eigene Arbeit unterbrochen, um mir nachzufahren
und auf deinem Hinterteil zu landen…“
Mit seinen großen, sanften Händen umfasste er ihr Gesicht, mit seinem Körper
hielt er sie gefangen. „Hör auf.“
„Aber es ist ein so hinreißendes Hinterteil, Colin.“ Seine verdutzte Miene ließ sie
erneut in schallendes Gelächter ausbrechen.
„Dana? Sei endlich still.“ Mit einem einzigen Handgriff verriegelte er die Tür.
Augenblicklich wurde Dana von prickelnder Erregung gepackt. „Colin…“ Hatte er
eine Ahnung davon, was dieser gewisse Blick bei ihr bewirkte? „Deine Tanten…“
„… werden ganz bestimmt lauschen. Du solltest also lieber leise sein.“
Unerbittlich drängte er sie mit seinem harten, muskulösen Körper gegen die Tür.
Wie von selbst fanden seine Finger den vorderen Riss in ihrer Jeans, und er
begann die zarte Haut ihres Schenkels zu streicheln.
Danas Herz klopfte heftig. „Ich weiß, du bist aufgebracht, weil ich in deinem
Privatleben herumgeschnüffelt habe…“
Nun erkundete er mit seiner anderen Hand den hinteren Riss ihrer Jeans und
liebkoste dabei ihren Po. „Das hier hat nichts mit irgendjemand anderem zu tun“,
raunte er ihr zu, während er über das Elastikband ihres pinkfarbenen Slips strich.
Dana zwang sich, absolut stillzuhalten, denn am liebsten hätte sie sich
aufstöhnend an ihn geschmiegt. „Dann ist es dir wohl peinlich, dass du auf
deinem Allerwertesten gelandet bist.“ Sie sog scharf den Atem ein, als er
langsam die Finger über das Elastikband ihres Slips wandern ließ. „Aber es
braucht dir nicht peinlich zu sein.“
„Es hat auch nichts mit meinem Sturz zu tun“, versicherte er ihr heiser.
Unversehens glitt er mit der ganzen Hand unter ihren Slip, um sanft ihren
nackten Po zu massieren. Er seufzte genießerisch. „Es geht um letzte Nacht und
heute Morgen und darum, dass du mir ständig im Kopf herumspukst.“
Sie war so benommen, dass es einen Moment dauerte, bis sie erfasste, was er da
eben gesagt hatte. Es bedeutete ihr so viel, dass sie kaum Worte fand. „Wirklich?
Du denkst an mich?“
„Ja. Wirklich.“
„Es gefällt dir nicht.“
„Nicht besonders. Aber das hält mich nicht davon ab.“ Abrupt löste er sich von
ihr. Mit einem Fuß Eimer und Wischmopp beiseite schiebend, packte er sie am
Handgelenk und zog sie quer durch den Raum zu der Liege, auf der Dr. Morrow
seine Patienten behandelte. „Dana, ich muss dich berühren.“
„Du hast mich doch eben berührt.“
„Dann eben noch intimer.“
Es verschlug ihr den Atem. „Colin, ich dachte…“
„Ich auch. Und jetzt sei leise.“
Er nahm den Besen, den sie noch immer in der Hand hielt, und beförderte ihn in
eine Ecke. Dann drängte er Dana nicht allzu sanft auf die Behandlungsliege und
folgte ihr unverzüglich.
Besitzergreifend eroberte er ihren Mund.
Sein Kuss überwältigte Dana, und sie klammerte sich wie berauscht an Colin. Ihr
Herz hatte bereits schneller geschlagen, als er in der Praxis erschienen war, um
sie zu suchen. Jetzt brauchte es nicht sehr viel mehr als ein heißes Zungenspiel,
und sie war der Erfüllung erregend nah.
„Du machst mich wahnsinnig“, gestand er atemlos.
„Du mich auch.“ Sie packte ihn am Hemd, um ihn wieder an sich zu ziehen. „Du
wolltest mich doch berühren, Colin. Warum tust du es nicht?“
Er stellte sich zwischen ihre Beine, spreizte sie noch weiter. Instinktiv presste er
sich eng an sie und rieb sich aufreizend. Sie stöhnte und seufzte, unfähig, sich
dem sinnlichen Rhythmus zu entziehen.
Sie konnte nicht mehr klar denken, sie stand lichterloh in Rammen. Colin schob
die Hände unter ihren Po, hob sie an, damit sie bei seinen spielerischen Stößen
noch deutlicher spürte, wie stark er sie begehrte. Es war ein so köstlicher Hochgenuss, dass sie es kaum ertrug. Dass Colin schnell und flach atmete, bewies ihr, dass die Leidenschaft genauso mit ihm durchgegangen war wie mit ihr. Noch völlig angezogen würde sie gleich ihren Höhepunkt erleben, und das, obwohl Colin nichts anderes tat, als sich gegen ihre Hüften zu drängen. „Ich weiß nicht, was mit uns passiert“, flüsterte er. Sie bewegte sich unruhig unter ihm hin und her, und er stöhnte auf. „Das Ganze sollte doch nur Schau sein, verdammt.“ „Hör nicht auf“, flehte sie, dem Gipfel schon ganz nahe. „Bitte.“ „Nur Schau“, wiederholte er heiser, während er immer noch in perfekter Harmonie gegen sie stieß. Ihre Anspannung wuchs, sie konnte nur noch fühlen, war der Erfüllung so nah. Wieder eroberte er ihren Mund, küsste sie tief und begierig, und Dana schmolz dahin. Und damit sie den Verstand vollends verlor, fing er auch noch an, sie überall zu streicheln, herausfordernd, spielerisch. Dann küsste er sie von neuem so wild und fordernd, bis sie sich vor Lust stöhnend hin und her wand. „Dana, lass mich…“ Mit bebenden Fingern knöpfte er ihr Arbeitsshirt auf, und weil sie darunter nackt war, beugte er sich augenblicklich vor, um eine ihrer harten Knospen mit dem Mund zu liebkosen. Während er sich dann am Verschluss ihrer Jeans zu schaffen machte, nahm sie seine Hemdknöpfe in Angriff. „Das ist Wahnsinn“, keuchte er. Wieder und wieder stieß er gegen sie, rieb sich an ihr, tief erregt, wie er war. „Ich kann nicht genug von dir bekommen, ich will mehr…“ „Ich auch.“ Atemlos vor Erwartung hörte sie ihn seinen Reißverschluss aufziehen. Er schob seine Jeans hinunter. Dabei streifte er mit dem Handrücken kurz den Teil ihres Körpers, der längst bereit für ihn war. Diese flüchtige Berührung genügte, um sie erneut direkt an den Abgrund zu bringen. Sie warf den Kopf zurück, als ein leichtes Zittern sie erfasste. Glühend vor Lust ergriff sie seine Hand, sie brauchte nur noch einmal gestreichelt zu werden, nur noch einmal ganz kurz… Ein Klopfen an der Tür ließ sie beide erstarren. „Liebling?“ Das war Bessie. „Wir sind im vorderen Sprechzimmer fertig. Ist Dana mit dir da drinnen?“ Dana mochte Bessie sehr, aber in diesem Moment hätte sie vor Frustration am liebsten geschrien. Warum musste sie ausgerechnet jetzt stören? Das war nicht fair! Sie war dem Höhepunkt so nah gewesen. Über ihr verharrte Colin reglos. Sein Hemd stand offen, sein Reißverschluss war aufgezogen, das Haar hing ihm wirr in die Stirn, und sein Augenausdruck war einfach unbeschreiblich. Seine muskulöse Brust war unbehaart, sein Bauch flach und… Ja, er war atemberaubend. Und über alle Maßen erregt. „Hallo, Colin?“ Bessie bewegte die Klinke, und Dana war heilfroh, dass die Tür abgeschlossen war. Colin blieb stumm, und Dana war selbst kaum eines klaren Gedankens fähig. Sie räusperte sich. „Wir sind beide hier drinnen, Bessie“, brachte sie schließlich heraus. „Und bekämpfen das reinste Chaos.“ Sie warf Colin einen Blick zu. Er hatte sich noch immer nicht von der Stelle gerührt. Sie spürte ihn groß und hart zwischen ihren gespreizten Beinen. „Wir… wir brauchen noch ein paar Minuten.“ „Kein Problem“, rief Bessie fröhlich. „Wir warten.“ Dana lachte gequält auf. „Hast du gehört, sie warten“, flüsterte sie Colin zu. „Großartig“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Für einen Moment sank er auf sie herab, dann stützte er sich auf den Ellbogen ab. Die Augen hielt er
geschlossen, verbarg seine Gefühle vor ihr. Deshalb überraschte es sie, als er
sich über sie beugte, um sie noch einmal schnell zu küssen.
„Oh, Colin, wie schade“, murmelte sie.
„Ich werde sie umbringen. Alle beide“, wiederholte er mit finsterer Miene
angewidert, während er aufstand und sich das Hemd zuknöpfte. „Verdammt,
warum müssen sie uns nicht nur stören, sondern auch noch warten?“
Dana erwiderte nichts.
Als Colin sich zu ihr umdrehte, stöhnte er auf. Sie lag noch immer mit
gespreizten Beinen auf der Behandlungsliege, ihre Kleidung in völliger
Unordnung, das Haar zerzaust, die Lippen feucht von seinen Küssen. Sie bot
einen hinreißenden Anblick.
Tief erregt, wie er noch immer war, hatte er Mühe, den Reißverschluss seiner
Hose zu schließen.
Dana zog eine Augenbraue hoch. „Vorsicht damit.“
Er lachte. Wie machte sie das bloß? Sie brachte ihn zum Schmunzeln, sie brachte
ihn zum Lachen. Wann hatte das zum letzten Mal jemand bei ihm geschafft?
Und sie brachte ihn auch fast um den Verstand.
Er ging zu ihr und zog sie hoch. Dabei glitt ihr noch offenes Shirt auseinander
und gab den Blick auf ihre hübschen festen Brüste frei. Er streichelte sie noch
einmal voller Sehnsucht.
Dana schmiegte sich an ihn. „Ich wollte nicht aufhören“, flüsterte sie. „Ich hätte
nur noch eine Sekunde gebraucht!“
Colin atmete tief durch, um der Versuchung zu widerstehen, sie an sich zu
reißen. Sosehr er auch in sich hineinhorchte, ihre Berührung erschreckte ihn
nicht. Er verstand das nicht. Er sehnte sich danach, sie weiterhin in den Armen
halten, ganz einfach so. Das war eine völlig neue Gefühlsregung für ihn.
Und eine beängstigende.
„Komm schon“, sagte er leise, während er sie sacht von sich schob. „Wir müssen
uns zusammennehmen, Dana.“
„Nein.“ Sie ließ ihr Hemd wieder auseinander gleiten, und als seine Augen
begehrlich aufleuchteten, seufzte sie zufrieden und zog ihn erneut an sich. „Ich
will mich nicht zusammennehmen, ich will davonfliegen. Mit dir.“
Da hielt er nun eine sinnliche, leidenschaftlich entflammte Frau in den Armen, die
erste Frau, zu der er sich seit langem hingezogen fühlte. Und ihm blieb nichts
anderes übrig, als sie zu bremsen. „Dana, bitte, sei vernünftig.“
„Hallo!“ Gut gelaunt klopfte Lola an die Tür. „Dana, Liebes, wo ist der…“
„Wir kommen sofort!“ brüllte Colin. „Beeil dich“, bat er Dana im Flüsterton und
half ihr, ihre Kleidung zu richten.
„Das ist das letzte Mal, dass ich sie um Hilfe gebeten habe.“ Sie klang ziemlich
verärgert, als sie endlich – zu seiner Erleichterung – ihr Shirt zuknöpfte und
somit ihren wundervollen Körper seinen Blicken entzog.
Colin lächelte, was ihm in seinem Zustand nicht leicht fiel. „Ich dachte, du magst
die beiden.“
„Jetzt vielleicht nicht mehr!“ Sie warf ihm über die Schulter einen Blick zu, und
der spiegelte noch immer die Glut ihrer unbefriedigten Leidenschaft wider.
„Colin?“
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es war hoffnungslos. Sie beide sahen
aus, als hätten sie sich heiß und wild geliebt.
Geliebt.
O nein. „Ja?“
„Weißt du, manchmal machen Menschen Fehler. Besonders in der Ehe und in
Herzensangelegenheiten.“
„Dana…“ „Ich weiß, du wurdest bei deinem ersten Versuch verletzt, und das tut mir sehr, sehr Leid.“ Sacht legte sie die Hand auf sein Herz. „Vielleicht könntest du der Liebe irgendwann eine neue Chance geben… mit der richtigen Frau.“ Sie glaubte, er trauere noch seiner Exfrau nach. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, doch wie konnte jemand wie Dana das wohl verstehen? Seine Frau hatte nicht nur seinen Glauben an die große Liebe zerstört, sie hatte auch mit seinem ehemaligen Partner geschlafen und sie beide dann finanziell ausgenommen. Dass er ein Vermögen verloren hatte, war ihm egal, im Grunde auch seine zerbrochene Ehe. Aber verflixt, bis zum heutigen Tag trauerte er Max nach, mit dem er sein Leben lang befreundet gewesen war. Seitdem hatte er keinen echten Freund mehr. Gefühlsmäßige Bindungen war er nicht mehr eingegangen. Er wollte keine Beziehungen, die ihm Sorge abverlangten. Bei denen er verletzt werden konnte. Und nun sah Dana ihn mit ihren großen Augen mitfühlend an, und ihm wurde klar, dass sie in dieser kurzen Zeit schon sehr viel mehr für ihn geworden war als eine aus der Not heraus engagierte Scheinverlobte. Das machte ihm Angst. So war das nicht geplant gewesen. „Ich würde dir nie wehtun, Colin“, flüsterte sie. „Ich würde gut auf dein Herz aufpassen.“ „Bitte nicht“, erwiderte er rau. „Ich kann das nicht.“ Er merkte, dass er sie gekränkt hatte und schlimmer noch, tief enttäuscht. Sie nickte schweigend und wandte sich ab. Schon im Begriff aufzuschließen, zögerte sie und starrte einen Moment lang auf die geschlossene Tür. „Du wirst es irgendwann versuchen müssen, weißt du das? Du kannst dich nicht ewig verstecken.“ Du wirst es ja erleben, dachte er entschlossen, ehe er ihr hinausfolgte. Als Dana an diesem Abend zu Colins Haus fuhr, hatte sie den Wagen voller Accessoires, um aus seinem Haus ein Zuhause zu machen. Sie hatte noch vier Pflanzen besorgt, zwei hübsche Aquarelle einer ortsansässigen Malerin, die sie kannte, und ein gerahmtes Foto von Colin mitgebracht, das aus einem kürzlich über ihn erschienenen Zeitungsartikel stammte. Auch ihr Herz war gewappnet, und zwar mit Mitgefühl und Geduld. Sie hoffte, das würde etwas bewirken. Colin war nicht zu Hause. Sicher saß er noch im Büro und tat sein Bestes, sich vor dem, was sich zwischen ihnen beiden entwickelte, zu verstecken. Ihr war klar, dass sie wieder gegen die Spielregeln verstieß und so tat, als lebe sie nicht nur zum Schein in seinem Haus. Dabei konnte sie ernstlich verletzt werden, auch das war ihr klar. Aber sie konnte einfach nicht anders. Sie befand sich in einer seltsamen Hochstimmung, denn zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit war sie bereit, ihr Herz zu verschenken. Sie konnte es kaum abwarten, dass Colin sich ihr endlich öffnete. Aber sie machte sich nichts vor, das würde sie noch sehr viel Mühe kosten. Colin war genauso wenig bereit zu akzeptieren, was mit ihnen geschah, wie sie selbst noch vor ein paar Tagen. Da war sie zu einer ziemlich erstaunlichen Erkenntnis gelangt. Sie wollte eine echte Beziehung. Keine weitere oberflächliche Beziehung wie in der Vergangenheit, wo sie Schluss machen konnte, ehe eine Bindung entstand. Es war längst zu spät, um Colin zu verlassen. Ihre Überlegungen würden ihn schlicht in Panik versetzen. Er würde es schrecklich finden, dass sie über ihre vorgetäuschte Verlobung hinaus an eine Zukunft dachte. Was war nur in seiner Ehe passiert, dass er derart misstrauisch
war? Wie konnte sie, Dana, ihn überzeugen, dass er es trotz einer gescheiterten Ehe noch einmal versuchen musste? Ihn überzeugen, dass sein Herz ohne Liebe verkümmern würde? Dass sie das aus eigener Erfahrung wusste und dass sie einander in der Überwindung früheren Leids helfen konnten? Im Haus war es still, und sie brachte Pflanzen und Bilder ins Wohnzimmer. Hier würde sie anfangen. Die anderen Zimmer würde sie nach und nach in Angriff nehmen. Wie schön würde das Haus erst sein, wenn es eine behagliche Atmosphäre hatte. Das Wohnzimmer verlangte geradezu nach mehr Aufmerksamkeit. Es hatte einen blanken Holzfußboden, sehr hübsch, aber eben nicht sonderlich wohnlich. Die Wände waren in einem edlen Cremeton gehalten und ebenfalls ohne jeden Schmuck. Auch der gemauerte Kamin war kahl, und sie hatte genau das passende Bild, um es darüber zu hängen. Mit einem Hammer in der Hand stieg sie auf eine Trittleiter. Ein verträumtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Wie gemütlich würde es im Winter vor dem Kamin sein, wenn er brannte. Hübsche Bilder an den Wänden, ein paar dicke Teppiche im Raum verteilt. Sie und Colin zusammen, und sie würden ihr Zuhause genießen. Sie konnte es kaum erwarten. Da die Trittleiter etwas zu kurz war, stieg Dana auf die alleroberste Stufe, obwohl ein orangefarbener Aufkleber sie genau davor warnte. Sie richtete sich hoch auf, den Hammer in einer Hand, einen Nagel in der anderen. Sie lächelte immer noch, unglaublich glücklich und voll sehnsüchtiger Erwartung einer langen, heißen Liebesnacht mit Colin. „Was zum Teufel machst du da?“ Als sie so unerwartet eine wütende Stimme vernahm – Colins Stimme –, fuhr Dana zusammen. Und fiel von der Leiter.
10. KAPITEL Alles passierte rasend schnell. Eben noch starrte Colin Dana mit ihrem Hammer
an, und nun lag sie reglos auf dem Fußboden neben dem Kamin.
Colin kniete sich neben sie. „Dana!“ Gütiger Himmel, sie rührte sich nicht.
„Dana!“
Er war außer sich. Warum bewegte sie sich nicht? Rasch tastete er ihren Körper
ab, doch sie schien nichts gebrochen zu haben.
Dann entdeckte er die bereits riesige Beule an ihrem Hinterkopf und fluchte leise.
„Dana? Komm schon, Baby, mach die Augen auf.“
Sie tat es, wie in Zeitlupe, und blinzelte verwirrt.
„Bleib liegen“, befahl er ihr, als sie sich aufsetzen wollte. „Beweg dich noch
nicht.“
Als sie es doch tat, wurde sie ganz blass. „Du hast Recht“, sagte sie schwach und
schloss wieder die Augen.
Colin wurde von Panik erfasst. „Dana!“
Sie stöhnte auf. „Bitte schrei nicht. Mir platzt gleich der Kopf.“
„Okay. Und jetzt komm.“ So behutsam er nur konnte, hob er sie auf die Arme.
Ihr Kopf fiel gegen seine Brust, und sie stöhnte erneut leise. „Setz mich ab.“ Sie
war kaum zu verstehen, und Colin biss die Zähne zusammen, weil sie offenbar
Schmerzen hatte.
„Ich bringe dich ins Krankenhaus. Vermutlich hast du eine Gehirnerschütterung.“
Sichtlich verwirrt sah sie ihn an, und seine Panik wuchs.
„Nicht ins Krankenhaus.“
„Du bist mit dem Kopf auf den Kaminsims geschlagen. Wir müssen dich
untersuchen lassen.“
„Nein.“ Aber ihr Protest klang schwach, und sie war noch blasser geworden. „Ich
bin okay. Wirklich.“
Von wegen, dachte er. „Eine Untersuchung kann nicht schaden. Ich möchte
sichergehen.“ Er eilte zur Tür.
„Deine Mutter und deine Tanten… Sie glauben, ich mache das Essen, während sie
bei der Maniküre sind.“
Das Reden fiel ihr schwer, und er ging noch etwas schneller, ohne sie dabei zu
sehr zu schaukeln. „Sie kommen schon allein zurecht.“ Sie waren inzwischen im
Foyer angelangt.
„Sie können nicht kochen, Colin.“
Statt sich auf sich selbst zu konzentrieren, sorgte sie sich um seine Familie. „Oh,
sie werden bestimmt nicht verhungern.“ Gerade, als er mit einer Hand seine
Jeansjacke von der Garderobe nehmen wollte, um sie Dana umzulegen, begann
sie sich ungeduldig in seinen Armen zu winden.
„Lass mich runter!“
„Du musst ins Kranken…“
„Colin…“ Sie war ganz grün im Gesicht.
„Mir geht’s überhaupt nicht gut.“
Er hatte noch nie solche Angst um jemanden gehabt. „Ich weiß, Sweetheart,
deshalb werde ich dich gleich…“
„Runter!“
Weil sie sich dabei verzweifelt die Hand vor den Mund hielt, begriff er endlich und
folgte ihr eilig in die Gästetoilette, wo sie sich sofort übergab.
„Geh weg“, bat sie ihn schwach, als er versuchte, ihr das Haar aus dem Gesicht
zu halten.
Aber er blieb und stand ihr bei, so gut er konnte.
Als es endlich vorbei war, sank sie auf den Fußboden und sah ihn finster an.
Er war auf alle möglichen Vorwürfe gefasst, und er verdiente sie allemal. Er
kniete sich neben sie.
„Wie kannst du mich Sweetheart nennen, wenn es mir so schlecht geht, dass ich
es gar nicht genießen kann?“
Er starrte sie an. „So habe ich dich nicht genannt.“
„Doch.“ Fröstelnd lehnte sie sich an die Wand neben der Toilette. „Ich habe es
genau gehört.“
„Ich… Du musst dich verhört haben.“
„Nein.“ Sie seufzte müde.
Er zog sie in die Arme. „Geht es dir besser?“
„Etwas.“ Aber sie schloss die Augen. Sie zitterte immer noch, und auch Colin
fühlte sich plötzlich ganz elend.
„Wie viele Finger sind das?“ fragte er und hielt dabei zwei Finger hoch.
„Zu viele“, murmelte sie, und dann wurde sie ohnmächtig.
Die gute Nachricht war, dass Dana keine schwere Gehirnerschütterung hatte.
Die schlechte, dass sie über Nacht im Krankenhaus bleiben musste.
Vielleicht ist das die gerechte Strafe für mich, dachte Colin grimmig, als er am
nächsten Morgen unter der Dusche stand. Er hatte die ganze Nacht lang neben
Danas Bett gesessen.
Unter anderen Umständen hätte sie in seinen Armen gelegen, hätte sich lustvoll
unter ihm gewunden… wäre im Paradies gelandet.
Das ist wirklich die reinste Ironie, sinnierte er, während er dann sein müdes
Gesicht im beschlagenen Badezimmerspiegel betrachtete. Erst war er sich nicht
sicher, ob es klug war, mit Dana zu schlafen, und jetzt, wo er es wollte, fand sich
keine Gelegenheit dazu. Es ging ihm langsam auf die Nerven, dass er sich in
einem permanenten Erregungszustand befand.
Wie ein liebeskranker Teenager träumte er von einer Frau, die spontan bereit
war, ihm zu helfen. Ihr Lächeln erhellte seinen Tag und verleitete ihn, es zu
erwidern. Eine liebevolle Berührung von ihr, und sein Herz bekam Flügel.
Die Wahrheit war, dass er dauernd an sie dachte, wenn er sich eigentlich auf sein
Projekt konzentrieren sollte. Sie brachte ihn zum Lachen und zum Nachdenken,
erweckte verschüttete Lustgefühle in ihm, und zum Dank machte er ihr nur
Ärger. Er hatte sie angeschrien, verdammt! Sie hatte versucht, sein Haus zu
verschönern, und nun lag sie im Krankenhaus.
Sie wird wieder in Ordnung kommen, beschwor er sich.
Colin umklammerte den Rand des Waschbeckens und schloss gequält die Augen.
Ja, es würde ihr bald wieder gut gehen, wie der Arzt ihm versichert hatte, und sie
konnte das Krankenhaus heute Vormittag verlassen.
In diesem ersten Moment des Schreckens nach ihrem Sturz, als Dana reglos vor
dem Kamin lag, war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, dass er es
nicht überleben würde, falls ihr ernstlich etwas passiert war. Seine Erleichterung,
als sie langsam die Augen geöffnet hatte, war unbeschreiblich gewesen. So etwas
wollte er nie wieder erleben. Dana erinnerte sich nicht an den Sturz, aber der
Arzt hatte ihnen gesagt, dass das normal sei.
Das kleine Wort „normal“ hätte Colin nie in Verbindung mit Dana gebraucht.
Dana war einzigartig. Sie war fröhlich und immer gut gelaunt, und man musste
sie einfach lieben. Diese instinktive Erkenntnis war ein Schock für ihn. Er liebte
sie nicht, er konnte sie nicht lieben, denn er war einfach nicht im Stande,
überhaupt jemanden zu lieben, auch wenn sich beim Gedanken an Dana sein Puls
beschleunigte.
Das sagte er sich immer wieder, während er sich in Windeseile anzog. Dann
brach er alle Geschwindigkeitsrekorde, um im Krankenhaus zu sein, ehe Dana
aufwachte und sich allein fühlte.
Aber er liebte sie nicht.
Dana schlief nicht, und sie war auch nicht allein. Lola und Bessie waren bei ihr
und erzählten ihr alle möglichen Geschichten aus Colins Kindheit.
Aber so gern Dana auch Geschichten über Colin hörte, sie konnte weder lächeln
noch lachen. Sie hatte Kopfschmerzen. Ihr war leicht übel, sie war benommen
und ziemlich müde. Und sie sehnte sich nach Colin.
Du kannst nicht jeden Wunsch erfüllt kriegen, sagte sie sich streng und richtete
ihre Aufmerksamkeit wieder ganz auf Colins Tanten. Sie verstand, wie sehr seine
Familie ihn liebte und wollte, dass er glücklich war.
Und deshalb taten sie natürlich ihr Bestes, um sie zu unterhalten. Auch wenn
ihnen nicht recht klar war, was sie an Colin fand, so waren sie doch dankbar und
erleichtert, dass sie sich mit ihm verlobt hatte. Das machte die beiden für Dana
noch liebenswerter, denn Loyalität ging ihr selbst über alles.
„Ich werde demnächst entlassen“, erklärte sie ihnen. „Ihr braucht also nicht
euere Zeit hier zu verschwenden.“
„Honey, wir sind gern bei dir“, erwiderte Bessie, der Dana längst das Du
angeboten hatte, genau wie Lola und Irene.
„Ich weiß genau, was ihr damit bezweckt.“
Die beiden setzten ihre Unschuldsmiene auf. „Wir geben nur ein bisschen auf dich
Acht“, meinte Lola beiläufig.
„Gebt es doch zu, ihr habt Angst, wenn ihr die Dinge nicht im Auge behaltet,
nämlich mich, dann könnte ich Colin verlassen.“
Ihre schuldbewussten Gesichter sagten alles.
„Ich habe ihm ein Versprechen gegeben. Und Versprechen sind mir heilig.“
Bessie und Lola brauchten ja nicht zu wissen, dass sie ihm nicht versprochen
hatte, ihn zu heiraten, sondern zu lügen.
Sie schloss die Augen, doch dadurch verschwand ihre seltsame Traurigkeit nicht
automatisch. Nicht, wenn sie immer wieder den Moment vor ihrem Sturz
durchlebte, an den sie sich angeblich nicht erinnerte.
„Was zum Teufel machst du da?“ hatte Colin sie ärgerlich angefahren, als sie das
Bild aufhängen wollte.
Sie war eine Närrin. Und eine sentimentale noch dazu. Wie hatte sie annehmen
können, dass ihm ihre Veränderungen seines Hauses gefallen würden?
Offenbar war er so wütend auf sie, dass er sie nicht mehr sehen wollte. Sie war
halb bewusstlos gewesen, als er sie ins Krankenhaus gebracht hatte, und war
eingeschlafen, sobald die Untersuchungen zu Ende waren. Die ganze Nacht hatte
sie sehr unruhig geschlafen, aber von Colin hatte sie nichts gehört oder gesehen.
Inzwischen war es Morgen, und er hielt sich immer noch fern.
O ja, sie hatte es mit Sicherheit vermasselt.
„Der Arzt sagte, du würdest wieder fit genug sein, um euere Verlobungsparty zu
genießen“, meinte Bessie. „Aber wenn du das anders siehst, hätten wir volles
Verständnis dafür.“
Sie freuten sich alle drei so sehr darauf. Und insgeheim sie sich auch. Vielleicht
hatte sie Probleme mit engen Beziehungen, aber trotzdem träumte sie von einer
Hochzeit in Weiß, mit langem Brautkleid, Hochzeitstorte und Flitterwochen.
Und eine tolle Verlobungsparty gehörte auch irgendwie zu diesem Traum. Wenn
sie nur echt wäre!
„Ich werde fit sein.“
„Wie schön, denn wir sind schon so aufgeregt. Sieh mal, ich habe dir etwas zu
lesen mitgebracht.“ Lola reichte Dana eine knallbunte Tüte. Sie enthielt ein Buch.
„Wie eine Frau einen Mann sexuell glücklich macht, damit er sie nie verläßt,“ las
Dana halblaut vor.
Bessie verschlug es den Atem. „Lola! Das ist… das ist ja Pornografie!“
„Aber nein“, verbesserte Lola entschieden. „Ein erotischer Ratgeber.“ Sie begann
zu kichern. „Und höchst interessant.“
Dana blätterte den illustrierten Band durch. „Wow!“ Die Abbildungen waren so
anschaulich, dass sie mit Sicherheit die Sinne anregten. Sie besah sich ein
besonders interessantes Foto. „Mir fehlen die Worte!“
Beide Tanten kamen näher, um ihr über die Schulter zu sehen.
„Wir dachten, du findest vielleicht den einen oder anderen Tipp darin.“
Verschmitzt zwinkerte Lola ihr zu.
Dana bedankte sich lächelnd. Zu ihrer Überraschung war sie den Tränen nah. „Es
ist so lieb von euch, mir ein solches Geschenk zu machen.“
Auch Bessie und Lola waren gerührt, und Dana wurde klar, dass die beiden sie
offenbar wirklich mochten. Wenig später schlief sie mit dem Erotikbuch in den
Händen ein.
Als Colin kurze Zeit darauf in Danas Zimmer kam, waren seine Tanten gerade
gegangen. Dana schlief. Sie schien Schmerzen zu haben und war sehr blass.
Er bekam es mit der Angst, obwohl der Arzt eben das Entlassungsformular
unterschrieben hatte. Er flüsterte ihren Namen, weil er sie eigentlich nicht stören
wollte. Als sie nicht reagierte, trat er näher.
Sein Blick fiel auf ein Buch, das sie in Händen hielt, und ihm wären fast die
Augen aus dem Kopf gefallen. „Wie eine Frau einen Mann sexuell glücklich
macht.“
Dana schlug die Augen auf. „Colin!“ Schnell verbarg sie das Buch unter der
Decke.
„Eine interessante Lektüre, die du da hast.“
Sie errötete heftig. „Ich weiß gar nicht, wovon du redest.“
„Soso.“ Behutsam zog er ihr die Decke weg.
„Deine Tanten haben es mir geschenkt.“
Er wollte gerade in schallendes Gelächter ausbrechen, als er merkte, dass es ihr
ernst war. „Das ist kein Witz?“
„Nein.“
Er schlug das Erotikbuch auf und betrachtete fasziniert einige der gewagteren
Abbildungen. Er stellte sich vor, wie Dana darin las, wie es ihre Fantasie anregte,
und allein der Gedanke erregte ihn. Langsam reichte er ihr das Buch zurück.
Ihr Blick war heiß…
„Du hast darin gelesen.“ Seine Stimme klang vor Verlangen rau.
„Ein wenig.“ Sie senkte den Blick. „Ich möchte gern wissen, ob es wahr ist.“
„Ob was wahr ist?“
„Wenn ich dich sexuell glücklich mache, würdest du dann nicht gehen können?
Oder mich bitten zu gehen?“
Er starrte sie an. „Ich glaube, du bist noch zu schwach für eine solche
Unterhaltung. Der Doktor sagte…“
„Feigling.“
„Na schön.“ Er konnte ihr nicht ausweichen, nicht wenn die Leidenschaft in ihrem
Blick ihn in den Bann schlug. Er setzte sich zu ihr aufs Bett. „Du weißt genau,
dass du mich sexuell glücklich machst, Dana. Zwischen uns beiden funkt es so
sehr, dass ich mich wundere, dass wir nicht längst in Flammen aufgegangen
sind.“
In ihren Augen spiegelte sich brennende Lust wider.
In seinen bestimmt auch. „Aber ich glaube, du weißt auch, dass das, was
zwischen uns ist, mehr ist als Sex. Viel mehr.“
„Und das ist nicht das, was du willst.“
„Ich wollte nie eine solche Beziehung, nein.“
„Gestern Abend habe ich dich wütend gemacht.“ Dana nahm seine Hand. „Ich
habe Dinge in dein Haus gebracht, ohne dich vorher zu fragen, und jetzt willst du
mich nicht mehr.“
Himmel, nein. „Ich war auf mich selbst wütend. Denn als ich sah, was du
machtest und wie selbstverständlich es wirkte, da geriet ich in Panik. Dana, ich
habe mir alle Mühe gegeben, dir aus dem Weg zu gehen und die Gefühle zu
ignorieren, die du in mir weckst. Meine Nerven liegen blank. Die Kontrolle über
das Ganze ist mir vollkommen entglitten.“ Seufzend betrachtete er ihre Hand in
seiner. „Mein Projekt geht nicht voran, weil ich mich nicht auf die Arbeit
konzentrieren kann. Das ist mir noch nie passiert. Und wenn ich dir in die Augen
sehe, dann erkenne ich die schreckliche Wahrheit.“
„Welche Wahrheit?“
Er stand auf und ging hin und her.
„Colin, welche Wahrheit?“
„Ich habe dir mehrfach vorgehalten, du vergisst, dass alles nur Schau ist. In
Wahrheit bin ich es, der das dauernd vergisst.“ Er wandte sich ab und starrte aus
dem Fenster.
Dana blieb stumm.
„Es tut mir so verdammt Leid, dass du eine Gehirnerschütterung hast. Die ganze
Nacht saß ich bei dir am Bett und machte mir Vorwürfe, dass ich daran schuld
bin. Aber so kann ich nicht weitermachen. Es muss zum Schein sein mit uns,
Dana. Mehr kann es nicht sein.“
„Du hast die ganze Nacht bei mir gesessen?“
Er merkte, wie sehr sie das überraschte. „Hast du denn geglaubt, ich würde dich
hier allein lassen?“ Ihre Miene verriet ihm, dass sie genau das glaubte. Er fluchte
leise. „Das ist nicht sehr schmeichelhaft.“
„Aber es ist doch nur zum Schein mit uns“, wiederholte sie leicht spöttisch seine
Worte. „Was sollte ich da denn sonst glauben?“
„Du bedeutest mir etwas“, bekannte er zögernd. „Mehr als mir lieb ist. Ich war
immer ehrlich zu dir.“
„Ja.“ Sie rieb sich die Stirn. „Das stimmt, du warst ehrlich. Keine Sorge, Colin,
ich mache dir keine Vorwürfe. Es gibt keinen Grund, derart schuldbewusst
dreinzusehen.“
„Du kannst das Krankenhaus verlassen.“ Er kam näher. „Aber du brauchst Ruhe
und jemanden, der sich um dich kümmert. Hast du etwas dagegen, wenn ich dich
nach Hause bringe?“
„Hast du Angst, dass ich mich nicht an unsere Abmachung halte?“
„Nein“, log er.
Dana lachte auf, was sie zusammenzucken ließ. Sie warf die Decke zurück und
stand etwas unsicher auf, wollte sich jedoch nicht von ihm stützen lassen. „Ich
bin okay, ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert. Ich habe nur noch
leichte Kopfschmerzen, das ist alles.“ Ihr Blick war ungewöhnlich kühl. „Und ja,
ich komme mit dir. Ich habe dir mein Wort gegeben, erinnerst du dich?“
Er erinnerte sich. Und verabscheute sich dafür.
„Wie lange willst du denn noch wütend auf mich sein?“ fragte Colin.
Dana lag mitten auf seinem Bett. Sie trug ein TShirt von ihm, in dem sie so
verdammt gut aussah, dass er lieber an der Tür stehen blieb, weil er sonst
womöglich die Beherrschung verloren hätte.
Sie antwortete nicht. Ihr Gesicht war blass, um ihre Augen lagen tiefe Schatten.
Es brach ihm fast das Herz.
„Dana?“
Mit undurchdringlicher Miene lehnte sie sich in die Kissen zurück. „Ich werde
noch eine ganze Weile sauer sein. Vermutlich.“ Sie sah zur Seite.
„Kann ich das denn gar nicht ändern?“
„Doch.“ Herausfordernd blickte sie ihn an. „Erzähl mir von deiner Exfrau, die du
immer noch liebst.“
„Dana, bitte…“
„Dachte ich mir’s doch. Du bist zu feige.“
Wie sollte er ihr klarmachen, dass sein Schmerz viel tiefer ging? Dass er den
Verrat und den Verlust seines besten Freundes betrauerte? „Ich würde lieber
über dieses faszinierende Buch da reden.“ Er zeigte auf das Erotikbuch, das
aufgeschlagen auf seinem Nachttisch lag. Beim Näherkommen las er den Titel
des Kapitels: „Verwöhnen Sie ihn jede Nacht, und Sie werden es nicht bereuen.“
„Hast du dieses Kapitel zu Ende gelesen?“
„Schon möglich.“ Ein winziges Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war wieder die
warmherzige, liebeswerte Dana, die ihm mittlerweile so viel bedeutete.
Er konnte nicht anders, er musste zurücklächeln. „Dieses kleine Lächeln steht dir
gut. Ich habe es vermisst.“
„O Colin.“ Jetzt kam sie ganz aus dem Schmollwinkel heraus. „Du machst mich
wahnsinnig, aber ich vermisse dich.“
„Ich bin doch hier.“
„Das meine ich nicht.“
Er verstand sie genau, und er konnte sich dem verheißungsvollen Unterton ihrer
Stimme nicht entziehen. Aber sie klang auch noch ein wenig verletzt, und daran
war er schuld.
Sie war bereit, sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen. Und
plötzlich wollte er ihr alles erzählen. „Ich liebe meine Exfrau nicht mehr. Und ich
trauere ihr auch nicht mehr nach. Die Sache ist nicht so, wie du denkst.“
„Dann klär mich auf.“
„Es ist lange her. Ich dachte damals, wir wären glücklich, obwohl ich wusste,
dass sie mich meines Geldes wegen geheiratet hatte…“
„O Colin.“
„Es stimmt, und es ist okay. Ich wollte sie auch. Sie war schön und elegant,
genauso, wie ich mir meine Traumfrau vorgestellt hatte. Wir waren jung, hatten
gerade die Uni abgeschlossen.“ Er zuckte mit den Achseln. „Ich arbeitete viel,
und das gefiel ihr gar nicht. Sie brauchte sehr viel Aufmerksamkeit, und die
bekam sie von mir nicht. Ehrlich gesagt, erkannte ich das Problem damals nicht.
Vor lauter Langeweile freundete sie sich mit meinem Partner an, meinem besten
Freund, Max. Erst wollte sie ihn dazu bringen, mich zu überreden, weniger zu
arbeiten. Schließlich überredete sie ihn zu…“ Er trat ans Fenster und starrte
hinaus. „Weißt du, ich habe das alles noch nie in Worte gefasst. Ich konnte noch
nie mit jemandem darüber reden.“
„Mir kannst du alles anvertrauen.“
„Ich weiß.“ Er atmete tief durch. „Sie verführte Max, stahl mein ganzes Geld und
verließ die Stadt. Sechs Monate später fand ich die Scheidungspapiere in der
Post.“
„Wie lange ist das jetzt her?“
„Fünf Jahre. Man könnte sagen, dass ich seither nicht gerade viele Leute an mich
herangelassen habe.“
„Das kann ich mir gut vorstellen.“
Sie sagte das mit so viel Mitgefühl, dass Colin Dana unmöglich ansehen konnte.
„Ich werfe ihr immer noch vor, dass sie meine Freundschaft mit Max zerstört hat. Wir waren schon als Kinder befreundet gewesen.“ Er bemühte sich, distanziert und gefasst zu klingen, hoffte, Dana würde ihn verstehen. „Damals habe ich mir geschworen, nie wieder eine enge Beziehung einzugehen.“ „Es war doch nicht deine Schuld. Und allein ihre auch nicht. Dein Freund hat dich genauso betrogen. Du wurdest zwei Mal hart getroffen, und ich kann gut verstehen, dass du das all die Jahre nicht verwunden hast. Aber nicht alle Frauen sind so schwach, Colin. Nicht jede von uns bricht die Treue und auch gleich noch das Gesetz.“ „Natürlich unterstelle ich das nicht allen Frauen. Das wäre ja albern.“ „Sehr sogar.“ Wortlos rutschte Dana auf eine Seite des Bettes und hielt Colin einladend die Bettdecke auf. „Die Situation, in der wir uns befinden, ist uns beiden nicht unbedingt angenehm. Aber meinst du nicht, wir sollten das Beste daraus machen?“ Plötzlich klopfte sein Herz wie wild. „Möchtest du mich nicht halten?“ fragte sie leise. „So, wie wir beide das schon seit Tagen ersehnen?“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kam er ihrer Bitte nach. Zärtlich strich sie ihm das Haar aus der Stirn und blickte ihm dabei tief in die Augen. „Was siehst du?“ „Dich.“ Sie lächelte. „Von dem erfolgreichen Erfinder ist im Moment nicht viel zu sehen.“ Weil er die Stirn runzelte, musste sie lachen. „Versteh mich nicht falsch, ich mag den Erfinder. Aber dieser Mann hier…“, sacht bewegte sie den Daumen über seine Unterlippe, „… ist so sehr viel mehr. Er ist warmherzig und liebeswert und unglaublich attraktiv.“ Ihre Stimme wurde rau vor Gefühl. „Colin, du bist das Wunderbarste in meinem Leben.“ Im nächsten Moment schlang sie ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn sanft, dann immer begehrlicher. „Das muss ja ein Wahnsinnskapitel gewesen sein“, stieß er hervor, als sie innehielten, um Luft zu holen. Sie grinste frech. „Stimmt.“ Dann drängte sie sich herausfordernd an ihn. „Möchtest du Näheres erfahren?“ Und schon hatte sie die Hände unter seinem Hemd und begann, ihn zu erkunden. Gleich darauf schob sie ihm das Hemd über die Schultern, damit sie sich seiner nackten Brust widmen konnte. Dann zog sie den Reißverschluss seiner Hose auf. „Wenn wir diesmal gestört werden, bringe ich sie um.“ Colin lachte auf, doch sein Lachen ging in wollüstiges Stöhnen über, weil Dana eine Hand in seine Hose gleiten ließ und ihn ohne jede Scheu berührte. Von wildem Verlangen gepackt, riss er sie in die Arme und küsste sie tief und leidenschaftlich. „Hast du dieses raffinierte Zungenspiel etwa auch aus dem Buch?“ „Nein, das ist meine eigene Erfindung. Aber das…“ Sie lachte atemlos, während sie mit einer erotischen Massage begann und er vor Lust fast den Verstand verlor. „Das habe ich aus dem Buch.“ Sie stöhnte und seufzte in sein Ohr. „Und das auch…“ Er wollte, dass sie sich endlich nackt in den Armen lagen, dass sie sich hemmungslos auf dem Bett wälzten. Nach seiner jahrelangen Abstinenz und ihren missglückten Versuchen der letzten Tage war er so sehr erregt, dass es fast schmerzte. „Ich möchte deinen Körper sehen“, murmelte er und zog ihr dabei das Shirt über den Kopf. Sie hatte nichts darunter an. Augenblicklich begann er, ihre Brüste zu streicheln und beobachtete fasziniert,
wie ihre Knospen hart wurden, als er sie mit der Zungenspitze liebkoste. Dann
schob er Dana langsam die Jogginghose herunter.
Auch darunter hatte sie nichts an, und ihr Anblick überwältigte ihn. „O Baby“,
flüsterte er heiser. „Du bist hinreißend.“
Lustvoll wand sie sich unter ihm, keuchte wieder und wieder seinen Namen, als
er sie nach allen Regeln der Kunst mit der Zunge verwöhnte. Mit einem Aufschrei
erreichte sie den Gipfel der süßen Qual, und er hielt sie fest in den Armen, bis sie
sich allmählich beruhigte. Dann begann er sein Spiel von neuem.
„Ich will dich… endlich in mir“, stieß sie irgendwann mühsam hervor.
Hastig nahm er eines der Kondome aus seinem Nachttisch und riss das
Folienpäckchen auf. Dana sah ihm mit verheißungsvoll verhangenem Blick zu.
Er legte sich wieder zu ihr. „Öffne dich für mich“, flüsterte er. „Ja, o ja…“,
aufstöhnend glitt er tief in sie hinein, „… genau so.“
Sie seufzte genüsslich.
„Leg deine Beine um mich… oh, Dana.“ Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar,
versank wieder und wieder in ihrer seidigen Tiefe. Er konnte nicht genug von
Dana bekommen. Er spürte, wie sie zu beben begann, als er sich aufreizend
langsam zurückzog, um dann erneut mit einem kräftigen Stoß einzudringen.
Außer sich vor Entzücken, warf Dana den Kopf auf dem Kissen hin und her.
Er beschleunigte seinen Rhythmus und hielt sie umschlungen, als sie sich mit
verklärtem Blick an ihn klammerte und seinen Namen schluchzte.
Sein letzter Gedanke, ehe er ihr ins Paradies folgte, war, dass sie ihn, falls sie
das Erotikbuch zu Ende las, demnächst wirklich um den Verstand bringen würde.
11. KAPITEL Colin verschlief. Ein Schock, denn er verschlief nie. Bis zu diesem Morgen…
Benommen stellte er fest, dass es fast neun Uhr war.
Seine Mitarbeiter würden sich diebisch freuen, denn Claudia hatte allen von
seiner Verlobung erzählt.
Sie würden ihm viel sagende Blicke zuwerfen, die keinen Zweifel daran ließen,
dass sie genau wussten, was er die ganze Nacht über getan hatte.
Und sie hatten Recht. Er lächelte. Dana und er hatten sich geliebt, bis sie
irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen waren. Er war unersättlich. Noch
immer lächelnd, rollte er sich zur Seite, bereit zu einer neuen Reise ins Reich der
Sinne.
Doch er war allein.
Dana war weg. Auf dem Kissen war noch die Mulde zu sehen, wo ihr Kopf
gelegen hatte, und er dachte daran, wie sie schließlich wohlig ermattet und eng
aneinander geschmiegt eingeschlafen waren. Aber die Laken waren kalt.
Ihm stockte der Atem. Kein Grund zur Panik, beschwor er sich. Es war doch nur
Sex.
Fantastischer Sex.
Dann entdeckte er die Notiz auf seinem Nachttisch.
Colin, ich musste zur Arbeit und brachte es nicht fertig, Dich zu wecken. Du hast
so süß ausgesehen.
Ich freue mich auf das nächste Kapitel im Buch.
In Liebe,
Dana
Süß? Er war doch nicht süß. Aber allein der Gedanke an das Erotikbuch ließ seine
morgendliche Erregung weiter wachsen.
Während er duschte, sagte er sich immer wieder, dass „In Liebe, Dana“ eine
ganz normale Grußformel war, obwohl er es insgeheim besser wusste.
Er war beinah überzeugt, dass es nichts zu bedeuten hatte, als er in die Küche
ging. Barfuß, das Hemd erst halb zugeknöpft, die Krawatte noch nicht gebunden.
Hatte Dana gefrühstückt?
Diese Überlegung ließ ihn innehalten. Er war nicht ihr Aufpasser. Bisher war sie
gut allein zurechtgekommen, und er brauchte sich bestimmt nicht um sie zu
sorgen.
Doch dieser seltsame Wunsch, sie beschützen und umsorgen zu wollen,
erschreckte ihn sehr. „Das geht vorbei“, murmelte er. Und dann blieb er abrupt
stehen.
Am Küchentisch saßen seine Mutter, Bessie und Lola und grinsten anzüglich.
„Was ist?“ fragte er brummig. „Habt ihr noch nie einen Mann gesehen, der
dringend einen Kaffee braucht?“
„Ist das alles, was du brauchst?“ erkundigte sich Lola honigsüß.
„Ich finde, ein Mann, der Selbstgespräche führt, ist in schlechter Verfassung“,
meinte Bessie. „Und erst recht, wenn er sich nicht mal ordentlich anzieht, obwohl
er Gäste hat.“
Colin knöpfte sein Hemd zu. „Seit wann seid ihr Gäste?“
„Liebling, du scheinst etwas… na ja, etwas neben dir zu stehen“, meinte seine
Mutter.
„Ich bin spät dran.“ Er ging zur Kaffeemaschine.
„Wir sind hier, weil wir dich lieb haben, das weißt du.“
„Ich dachte, weil ihr mir auf die Nerven gehen wollt.“
„Nein, das war vor deiner Verlobung. Also, wir sind für dich da.“ Dass seine
Mutter um den heißen Brei herumredete, sah ihr gar nicht ähnlich. „Übrigens,
gibt es vielleicht irgendetwas, worüber du gern mit uns reden möchtest?“
„Ich bin völlig okay.“
„Und verliebt“, ergänzte Lola.
Alle drei Frauen blickten ihn atemlos vor Spannung an.
„Stimmt’s?“ drängte Bessie. „Du bist bis über beide Ohren verliebt und kannst
nicht mehr ohne Dana leben.“
Er schüttelte den Kopf. „Schön, worum geht es hier wirklich?“
„Wir haben Dana heute Morgen getroffen“, erklärte seine Mutter. „Sie schwebte
praktisch die Treppe herunter. Sie ist so lieb, Colin, und etwas ganz Besonderes.
Sie ist mir schon jetzt ans Herz gewachsen.“
„Aber?“
„Aber wenn du nur mit ihr spielst, damit ich dich in Ruhe lasse, werde ich mir das
nie verzeihen.“
„Ehrlich gesagt, Colin“, mischte sich Bessie ein, „wir sind uns nicht sicher, ob du
sie verdienst.“
„Wie bitte?“ Er fasste es nicht. „Ihr bedrängt mich jahrelang zu heiraten, und
jetzt…“
„Wenn du dieses liebe, süße Mädchen verletzt…“
„Glaub mir, sie ist kein Mädchen mehr“, unterbrach er seine Mutter.
„Colin!“ Lola tat entrüstet.
Seine Mutter kam zu ihm herüber. Sie nahm seine Hände, eine ganz ungewohnte
Geste, denn sie vermied meist jede Berührung. „Colin, ich habe dich sehr lieb.
Ich möchte, dass du glücklich bist. Mit Dana könntest du es sein, aber ich habe
meine Zweifel, ob du selbst es zulässt. Wenn nicht, wirst du sie verletzen. Und
dafür fühle ich mich verantwortlich.“
„Das ist doch Unsinn.“
Sie lächelte traurig. „Ich kann nicht anders. Lass los, Colin. Vergiss deine
schmerzliche Vergangenheit, und beginne ein neues Leben. Ich wünsche mir so
sehr, dass du mit Dana glücklich wirst.“
„Woher weißt du, dass ich es nicht bin?“
„Ich weiß es eben.“
„Für solche Diskussionen habe ich keine Zeit, Mutter.“ Er nahm seine Schlüssel
vom Küchentresen. „Wenn ihr drei euch doch endlich entscheiden würdet. Einmal
wollt ihr, dass ich heirate, dann wieder nicht… ihr macht mich langsam
wahnsinnig. Ich muss jetzt zur Arbeit.“
Aber an seine Arbeit dachte er auf der Fahrt in die Stadt nicht. Sondern an eine
süße blauäugige Blondine.
Auf dem Weg in sein Büro ging Colin kurz ins Sekretariat. Claudia war blass und
machte ein Gesicht, als wäre etwas Schreckliches passiert.
„Was gibt’s?“
„Hier sind Ihre Nachrichten.“ Sie reichte ihm mehrere Notizzettel. „Claudia, was
ist los?“
„Möchten Sie vielleicht einen Kaffee, ehe Sie in Ihr Büro gehen?“
„Nein, ich muss sofort anfangen. Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Wieder wich sie
seiner Frage aus. „Ihr Büro wird noch sauber gemacht.“
Von Dana. Sein Herz machte einen Sprung. „Kein Problem.“
„Übrigens…“ Claudia zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
„Egal.“
Als er über den Flur ging, dachte Colin, dass Dana so kurz nach ihrer
Gehirnerschütterung nicht arbeiten sollte. Sie sollte im Bett liegen. Vielleicht
sollte er sie persönlich dorthin bringen…
Ja, keine schlechte Idee.
Dann stand er in der Tür zu seinem Büro und starrte entsetzt auf das Chaos
zerbrochener Metallteile auf dem Boden, die einmal sein neues Lasergerät
gewesen waren. Mit Tränen in den Augen sah Dana ihm entgegen. Neben ihr
stand Carmen, die niedergeschlagen und verängstigt den Blick auf ihre Hände
gerichtet hielt.
Colin biss die Zähne zusammen.
„Es tut mir so Leid, Colin“, sagte Dana schnell. „Es war ein schreckliches
Versehen. Carmen war beim Abstauben und…“
„Es ist ruiniert.“
Er war wütender und unnahbarer, als Dana ihn je erlebt hatte. „Ja, ich weiß. Es
tut mir wirklich Leid.“
„Ich möchte mit dir allein reden.“
„Aber…“
„Sofort.“
Dana war wie gelähmt. Sie bedeutete Carmen hinauszugehen, und nach einem
flüchtigen Blick auf Colin verschwand Carmen. Es war das erste Mal, dass sie
Colin keine Grimasse geschnitten hatte.
Obwohl sie sich sehr bemühte, nicht zu weinen, liefen Dana ein paar Tränen über
die Wangen. „Himmel, Colin. Mir ist ganz schlecht.“
„Deswegen solltest du heute nicht arbeiten, verdammt.“
„Es hat nichts mit der Gehirnerschütterung zu tun. Sondern mit dem
zerbrochenen Modell. Sag mir, was das kostet.“
„Es ist unersetzlich, Dana.“
Es war sein Ton, der sie traf. Dieser distanzierte Ton, der ihr sagte, dass sie
nichts weiter für ihn war als eine unachtsame Putzfrau. „Mit Geld kann man alles
ersetzen. Nenn mir den Betrag, damit ich irgendwie…“
Er lachte. Lachte! „Du könntest den Rest deines Lebens putzen und würdest
trotzdem nicht genug verdienen.“
Sie begriff. Er war wütend, und das mit Recht. Sie hatte etwas Schreckliches
getan, und sie würde alles daransetzen, um den Schaden wieder gutzumachen.
Aber ihr Stolz war tief getroffen. „Soll das heißen, dass ich nichts tun kann, um
die Situation zu retten?“
„Sie zu feuern wäre ein guter Anfang.“
„Carmen?“
„Wen sonst?“
„Ich…“ Sie verstand nicht, warum er das wollte. Sie dachte daran, mit welcher
Mühe Carmen ihre drei Enkelkinder großzog. Nie und nimmer würde sie eine
Sache über das Wohl von vier Menschen stellen, egal, wie wichtig diese eine
Sache war. „Ich fasse es nicht, dass du mich um so etwas bittest.“
„Ich bitte dich nicht, ich verlange es.“
„Ich lasse mir nicht gern Befehle erteilen“, warnte sie ihn mit bebender Stimme.
„Nicht mal von dir.“
„Du willst sie weiter beschäftigen? Obwohl sie den LaserPrototyp zerbrochen
hat?“
Jetzt verstand sie, und seine voreilige Schlussfolgerung betrübte sie sehr.
„Carmen hat dein Modell nicht zerbrochen, Colin. Das war ich.“
„Nein.“
„Ich habe es dir mehrfach zu erklären versucht, aber du wolltest nicht zuhören.
Carmen war beim Staubwischen, als sie eine Spinne sah. Sie schrie auf, und ich
fuhr herum. Dabei stieß ich mit dem Ellbogen gegen das Modell. Es fiel herunter,
ehe ich es auffangen konnte.“
Er hielt den Blick gesenkt. „Du deckst sie. Du wärst nie derart ungeschickt.“
„Dann kennst du mich nicht sehr gut. Weniger gut als ich dachte jedenfalls, wenn
du annimmst, ich würde Carmen wegen etwas feuern, wofür sie nichts kann.“
„Ich kenne dich besser, als du glaubst. Du willst die ganze Welt retten. Und jetzt
versuchst du, Carmen zu retten, die das gar nicht verdient.“
„Ich sage dir doch, es war nicht ihre Schuld.“
Er starrte sie an, ganz offensichtlich fassungslos, dass sie so loyal sein konnte.
Aber in seinem Leben hatte er auch nicht viel Loyalität erfahren. Sie bemühte
sich, das nicht zu vergessen und den warmherzigen, leidenschaftlichen Mann
wieder zu finden, mit dem sie die letzte Nacht verbracht hatte.
Er war verschwunden, versteckt hinter einer Maske aus verbissenem,
unversöhnlichem Zorn.
Doch sie entdeckte etwas in seinem Blick, das verdächtig nach Angst aussah, und
es schnitt ihr ins Herz. „Du nimmst das Ganze als Vorwand, um mich
loszuwerden. Hat die letzte Nacht dich derart in Panik versetzt?“
Als Antwort presste er nur die Lippen aufeinander.
„Es war wunderbar, und das kannst du nicht verkraften.“ Sie lachte gequält auf.
„Ich habe Recht, stimmt’s? Du kannst mir nicht genug vertrauen, um mir dein
Herz 2x1 schenken. Du brauchtest einen Grund, um einen Rückzieher zu
machen. Und gerade eben habe ich dir diesen Vorwand geliefert. Zum Teufel mit
dir, Colin West. Nach allem, was wir miteinander erlebt haben, kannst du es
immer noch nicht zulassen, mich zu lieben.“
„Du vergisst schon wieder, dass alles nur zum Schein ist.“
„O nein. Damit war es vorbei, als du mich das erste Mal berührt hast, und das
weißt du. Andernfalls dürfte unsere gemeinsame Nacht dir das wohl ein für alle
Mal bewiesen haben.“
„Nein.“ Aber seine Stimme klang heiser. „Du warst mit dieser Scheinverlobung
einverstanden, Dana, und damit, bei mir zu Hause zu wohnen. Das Ganze ist eine
pure Farce.“
Ja, sie hatte zugestimmt, und deshalb fühlte sie sich jetzt noch miserabler. „Mir
ist klar, dass du dich an den letzten Strohhalm klammerst, Colin. Dir ist
aufgegangen, dass sich dein Projekt weiter verzögert. Dass ich deshalb länger bei
dir wohnen muss und dass es mit deinem friedlichen, ruhigen Leben vorbei ist.
Ich verstehe. Ich kündige diesen Reinigungsjob hier auf. Und auch die
Abmachung, wenn du willst. Aber wage es nicht, mir ins Gesicht zu sagen, du
hättest nie etwas für mich empfunden.“
Er war wie erstarrt und schwieg.
Sie hoffte so sehr, einen Blick auf den Mann zu erhaschen, in den sie sich
rettungslos verliebt hatte, aber sie sah nur den erfolgreichen, wohlhabenden,
arroganten Erfinder, der niemandem vertraute.
„Ich war dabei gestern Nacht“, sagte sie in einem letzten Versuch, ihn zu
erreichen. „Ich habe dein Gesicht gesehen, als wir uns liebten, ich habe das
Erstaunen in deinem Blick gesehen, die tiefe Zuneigung und die brennende Lust.
Du kannst mir nicht einreden, das alles war vorgetäuscht.“
Colin wusste absolut nicht, was er Dana sagen sollte. Ihm schwirrte der Kopf,
und er hätte am liebsten die Flucht ergriffen. Ja, er begehrte sie leidenschaftlich.
Aber Lust war nicht Liebe.
Liebe war nichts für ihn. Er konnte sich einfach nicht erlauben, sich in diese Frau
zu verlieben, die sein Leben ohne jede Mühe auf den Kopf gestellt hatte. Er
konnte sich nicht erlauben, sich zu binden, weil er es nicht verkraften würde,
wenn es vorbei war.
„Offenbar bist du nicht bereit für eine Beziehung“, brachte sie mühsam hervor. Er
glaubte, neue Tränen in ihren Augen zu sehen, und das bestürzte ihn. Aber sie
blinzelte sie weg.
Sorgfältig sammelte sie das zerbrochene Lasergerät auf und legte ihm alle
Einzelteile auf den Schreibtisch. „Es tut mir unheimlich Leid, Colin. Ich würde
alles tun, um das Geschehene ungeschehen zu machen. Ich hoffe nur, du
begreifst, dass ich mir eher das Herz aus dem Leib reißen würde, als dir
wehzutun.“
Er blieb stumm, als sie zu ihm kam. Sie sah stark und doch so verletzlich aus,
dass er am liebsten alles, was er gesagt hatte, zurückgenommen hätte. Sie
stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn flüchtig auf die Wange.
„Lebewohl“, flüsterte sie.
Dann war sie weg.
Wie erstarrt stand Colin da. Ihre Entschlossenheit, sich ihm verständlich zu
machen, hatte ihn sehr berührt, ebenso ihre Loyalität Carmen gegenüber. Dass
sie nun gegangen war, obwohl der Reinigungsauftrag für ihre Firma wichtig war,
machte ihn geradezu fassungslos.
Er war ein Idiot. Er ließ seine Frustration an Dana aus und einer alten Frau,
gütiger Himmel.
Angewidert von sich selbst, trat er an seinen Schreibtisch und besah sich, was er
über alles andere gestellt hatte. Einen Haufen Metall, nichts weiter.
Zerbrochen, genau wie sein Herz.
Er starrte auf die geschlossene Tür und war sich voll bewusst, dass er gerade das
Kostbarste in seinem Leben überhaupt hatte entschwinden lassen.
Es war nach Mitternacht, als Colin endlich nach Hause fuhr.
Im Haus brannte nirgends Licht – zum Glück, denn er konnte unmöglich seiner
Mutter und seinen Tanten gegenübertreten und eingestehen, dass er versagt
hatte. Oder dass die Verlobungsparty, die morgen Abend stattfinden sollte, ins
Wasser fallen würde.
Nachdem er geduscht hatte, ging er nackt in sein dunkles Schlafzimmer und
hoffte inständig, sofort einzuschlafen.
„Hallo.“
Noch nie hatte er ein so sanftes, sinnliches „Hallo“ gehört.
„Gleichfalls hallo.“ Er war so unglaublich erleichtert, dass er ganz heiser klang.
Im nur vom Mondlicht erhellten Zimmer sah er Dana im Schneidersitz auf seinem
Bett sitzen.
„Ich dachte schon, du würdest überhaupt nicht mehr aus dem Bad kommen.“
Er trat näher, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte. „Ich dachte, du
wärst gegangen.“
„Was den Job in deinem Büro betrifft, betrachte ich mich als entlassen“,
erwiderte sie. „Nein, bitte mach noch kein Licht. Ich möchte dir das, was ich auf
dem Herzen habe, lieber im Dunkeln sagen.“ Sie atmete tief durch. „Aber du hast
kein Wort über unsere Verlobung verloren. Du sollst wissen, dass ich weiterhin
entschlossen bin, mein Versprechen zu halten. Ich möchte dir nach wie vor
helfen, wenn du es willst.“
Er verdiente sie nicht.
„Es tut mir so Leid, Colin“, fuhr sie schnell fort, ehe er sie unterbrechen konnte,
„dass ich dein Lasergerät zerstört habe. Bitte verzeih mir.“
Himmel. Er hatte sie angeschrien, sich wie ein kompletter Idiot benommen, und
sie entschuldigte sich bei ihm!
„Colin?“ Sie klang verunsichert, so, als fürchte sie noch immer, dass er sie
zurückwies.
Er musste sie sehen, musste unbedingt in ihre wundervollen Augen blicken. Er
schaltete das Licht an. Erst als sie vor Überraschung leise aufschrie, fiel ihm ein,
dass er splitternackt war.
„Colin…“ Sie verschlang ihn regelrecht mit Blicken und fachte damit sein
Verlangen weiter an. „Du bist hinreißend schön.“
„Kein Vergleich zu dir, Dana.“ Er hielt ihren Blick gefangen. „In meinem ganzen
Leben habe ich nichts Schöneres gesehen.“ Langsam kam er zu ihr aufs Bett und
zog sie in die Arme.
„Heißt das, du vergibst mir?“
„Entschuldige dich bitte nicht noch mal für heute. Es tut mir so Leid, was ich zu
dir gesagt habe. Ich werde nie vergessen, wie betroffen du ausgesehen hast. Ich
weiß, du hast viel zu früh deine Eltern verloren.“
Sie erstarrte.
Behutsam nahm er ihr Gesicht in beide Hände, damit sie ihn ansehen musste.
„Du hast mir nie davon erzählt.“
„Ich konnte es nicht. Es liegt so lange zurück, es macht mir nichts mehr aus.“
„Du hast noch Albträume, also macht es dir noch was aus. Es tut mir so Leid,
Dana. Ich werde mir nie verzeihen, wie ich dich behandelt habe.“
„Ich dir schon.“
Dieses schlichte Bekenntnis kam direkt aus ihrem Herzen, und er konnte nicht
anders, er musste sie küssen. Sofort wurden sie beide von flammender
Leidenschaft gepackt, doch diesmal war es anders. Anders als alles, was er
bisher gekannt hatte.
Es war unbeschreiblich innig und unendlich zärtlich. Auch wenn sie nicht genug
voneinander bekamen, so hatten sie plötzlich alle Zeit der Welt, zumindest die
ganze Nacht. Colin verlor sich hoffnungslos an jede kleine Nuance ihres
Liebesspiels, jeden Hauch eines Kusses, einer Liebkosung.
Er brauchte Dana, und er wusste ohne jeden Zweifel, dass sie ihn auch brauchte.
Nie zuvor war etwas für ihn so richtig gewesen. So perfekt, obwohl auch dieses
Wort nicht annähernd beschrieb, was sie beide in diesen überirdisch schönen
Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen miteinander erlebten.
„Ich liebe dich, Colin“, flüsterte Dana irgendwann. „Und ich werde dich immer
lieben.“ Dann küsste sie ihn, ehe er etwas erwidern oder in Panik geraten
konnte, und für den Rest der Nacht gehörte er bedingungslos ihr.
12. KAPITEL Am nächsten Morgen schwebte Dana wie auf Wolken.
Es konnte unmöglich Schau sein zwischen Colin und ihr. Nicht, nachdem sie sich
letzte Nacht derart hingebungsvoll geliebt hatten.
Glücklich ging sie an die Arbeit, zunächst in Colins Haus. Es gab jede Menge zu
tun, weil sie am Vortag sehr in Verzug geraten war. Aber es machte ihr nichts
aus.
Die Arbeit machte ihr Spaß. Das Leben machte Spaß.
Und am Abend würde die Verlobungsparty stattfinden.
Sie konnte es kaum erwarten, so aufgeregt war sie.
Zunächst staubte sie im Zimmer neben Colins Büro sehr sorgfältig und
konzentriert die Bücherregale ab. Sie wollte auf keinen Fall noch etwas
zerbrechen.
Als im Büro nebenan das Telefon klingelte, hörte sie Colin mit seiner tiefen,
sinnlichen Stimme Claudia begrüßen.
Dana versuchte zu ignorieren, dass allein der Klang seiner Stimme ihr Herz
schneller schlagen ließ. Sie gab Möbelpolitur auf ihren Lappen und widmete sich
ganz dem Regal.
Durch die Wand konnte sie Colin reden hören, aber sie achtete nicht auf das, was
er sagte. Lauschen war nicht ihre Art.
Doch den Klang seiner Stimme zu genießen, konnte sie sich nicht versagen. Auch
letzte Nacht, als er sie liebte, war sie von seinem heiseren Liebesgeflüster ganz
hingerissen gewesen. Allein der Gedanke an einige seiner frivolen Ideen ließ sie
jetzt noch erröten. Für einen verschlossenen, arbeitsbesessenen Mann war Colin
ausgesprochen natürlich, ungehemmt und erstaunlich sinnlich. Das gefiel ihr
sehr.
Dann hörte sie das Wort „Hochzeit“ von nebenan, und sie hielt inne.
Hochzeit? Er sprach mit Claudia über eine Hochzeit? Nun lauschte sie doch.
„Ich weiß ja, dass Sie gern helfen möchten“, sagte Colin. „Aber es ist nicht
nötig.“
Dana stellte sich näher an die Wand. Es würde eine Hochzeit geben? Colins und
ihre?
„Nein, Claudia. Sie verstehen nicht.“ Er sprach jetzt etwas leiser, so dass sie
genau hinhören musste.
„Es ist nicht nötig, weil es keine Hochzeit geben wird.“
Dana fielen Staubtuch und Politur aus der Hand, als ihre Hochstimmung so
unvermutet in Enttäuschung umschlug.
Kein Grund zur Panik, beschwor sie sich. Sie hatten doch noch gar nicht über
Heirat gesprochen. Sie hatten Zeit.
Und jetzt sollte sie das Zimmer verlassen, ehe sie etwas aufschnappte, was sie
wirklich nicht hören sollte.
„Genau aus diesem Grund wollte ich Ihnen nichts davon sagen“, war Colins
Stimme zu vernehmen. „Ich wusste, dass Sie so reagieren würden. Nein,
Claudia, ich versuche nicht, Sie von den Vorbereitungen auszuschließen. So ist
das überhaupt nicht zu verstehen. Meine Verlobung mit Dana ist nichts weiter als
eine pure Farce, um meine Mutter und meine Tanten auszutricksen.“ Seine
Stimme klang so ruhig und sachlich, als würde er darüber diskutieren, was es am
Abend zu essen geben sollte.
Ich hätte nicht lauschen sollen, schalt sich Dana, doch nun war es zu spät.
Langsam begriff sie, was sie da eben gehört hatte, und es tat weh.
Colin lachte verächtlich. „Ja, stimmt. Es war alles Schau, damit ich arbeiten kann.
Es wird keine Hochzeit geben. Niemals.“ Entschiedener hätte er es kaum sagen
können.
Es brach Dana das Herz.
Colin hatte nie aufgehört, etwas vorzutäuschen. Und letzte Nacht… Du lieber
Himmel! Sie bedeckte ihr erhitztes Gesicht mit beiden Händen. Sie hatte sich
vollkommen fallen lassen, war wie berauscht vom Zauber ihres Liebespiels
gewesen – und es war alles nicht echt gewesen.
Sie hätte es wissen müssen. Schließlich hatte er sorgfältig darauf geachtet, ihr
keinerlei Versprechungen zu machen. Niemand hatte Schuld an ihrem Schmerz
außer ihr selbst. Sich der Wahrheit zu stellen war demütigend und sehr viel
schmerzlicher, als sie es sich hätte vorstellen können. Egal, was sie in Colins
Blick zu lesen geglaubt hatte, sie allein hatte sich rettungslos verliebt.
Dana schaffte es gerade noch, ihre Reinigungsutensilien einzusammeln und das
Zimmer zu verlassen, ohne die Fassung zu verlieren. Mit Tränen in den Augen
und einem dicken Kloß im Hals ergriff sie die Flucht.
Und lief auf dem Flur Irene in die Arme.
„Dana?“
Dana fühlte sich erbärmlich, so als würde sie jeden Moment zusammenbrechen,
und Irenes teilnahmsvolles Lächeln machte alles noch viel schlimmer.
„Bist du in Ordnung? Was ist los?“
Sie wollte, dass sich der Mann ihrer Träume in sie verliebte. Dass er sie brauchte.
Sie wollte eine richtige Braut sein, keine Scheinverlobte.
„Dana?“
„Nichts“, erwiderte sie. „Es ist nichts.“ Sie tat, als lache sie, um nicht
aufzuschluchzen. „Ich habe nur einen Fussel ins Auge bekommen. Entschuldige
mich…“ Dana wollte weitergehen.
Irene legte die Hand auf ihren Arm. „Du brauchst mir nichts vorzumachen. Es
steht dir mitten ins Gesicht geschrieben, was passiert ist.“
„Das bezweifle ich.“
„Mein Sohn hat dich verletzt.“
„O nein. Er würde nie…“
„Nicht körperlich. Natürlich nicht. Aber er hat dich trotzdem verletzt. Du brauchst
den Kerl nicht auch noch zu verteidigen.“
Dana räusperte sich und blinzelte ihre Tränen weg. „Er ist ein wunderbarer Mann,
klug und…“
„Dana…“
„… und verantwortungsbewusst und stark und…“ Sie brach ab, weil es sonst um
ihre Fassung geschehen wäre.
„O Dana. Ich kenne Colins gute Seiten, das kannst du mir glauben. Aber ich
kenne auch seine Fehler, und einer ist seine Unfähigkeit, sich einem anderen
Menschen zu öffnen.“
Nun rannen Dana doch einige Tränen über die Wangen. „Es ist nicht sein Fehler“,
sagte sie leise. „Er wurde verletzt.“ Schniefend wischte sie sich das Gesicht. „Er
hat Angst.“
„Und du bezahlst nun dafür.“ Irene seufzte bekümmert. „Ich hätte ihn nicht so
bedrängen sollen. Es tut mir sehr Leid.“
Weil Dana in diesem Moment unbedingt Zuspruch brauchte, erschien es ihr ganz
natürlich, Irene zu umarmen.
Und Irene zögerte nur eine Sekunde, und dann nahm auch sie Dana in die Arme.
„Es tut mir schrecklich Leid.“
Dana weinte noch heftiger. „Ich muss gehen“, flüsterte sie schließlich.
Mit verdächtig feuchten Augen trat Irene beiseite. „Wohin denn? Was wirst du
unternehmen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Sag die Wahrheit, Dana. War diese Verlobung echt?“
Nur für sie selbst. Allzu echt. Und kurz.
„Zum Kuckuck mit ihm!“ schimpfte Irene leise, als Dana nicht antwortete. „Wie
konnte er dir das antun? Und mir? Und der ganzen Stadt? Es ist nicht zu fassen.“
„Beurteile ihn nicht zu hart. Er hatte seine Gründe, und ich schwöre, es waren
keine egoistischen Motive. Er wollte ganz bestimmt niemandem wehtun.“
„Dann gibt es ja vielleicht noch Hoffnung für ihn.“
Dana konnte sich das nicht vorstellen. Sie hatte ihm alles gegeben, und es war
nicht genug gewesen. Nur ihr Stolz war ihr geblieben. „Es tut mir Leid wegen
heute Abend.“ An ihre Verlobungsparty zu denken erschien ihr geradezu absurd.
„Wirst du damit zurechtkommen?“
„Hör auf, dich um mich zu sorgen.“ Zum ersten Mal, seit sie einander kannten,
ergriff Irene von sich aus Dana spontan bei den Händen. „Bist du sicher, dass du
gehen musst? Es ist nichts mehr übrig?“
Es war viel zu viel übrig. Deshalb musste sie ja weg. „Nein, ich muss gehen,
Irene. Um meiner selbst willen. Verstehst du das?“
„Natürlich.“ Irene traten erneut Tränen in die Augen, „Und pass auf dich auf.“
Dana schaffte es wegzugehen, aber es fiel ihr unendlich schwer. Das Einzige, was
ihr half, war die Erinnerung an das belauschte Gespräch. Indem sie ging, brach
sie nun doch ihr Wort, aber das war jetzt auch nicht mehr zu ändern.
Sie brauchte nur Minuten, um zu packen. Dann stieg sie auch schon in ihren
Wagen und fuhr davon, während Colin noch in seinem Arbeitszimmer saß,
vermutlich noch telefonierte und ungerührt alles leugnete, was ihr etwas
bedeutet hatte.
Sie hatte etwas riskieren wollen und dabei sehr viel mehr bekommen, als sie sich
erträumt hatte. Doch jetzt war es vorbei. Sie würde es nicht bereuen.
Colin hörte die Haustür ins Schloss fallen. In letzter Zeit ein vertrautes Geräusch,
doch diesmal überkam ihn ein ausgesprochen ungutes Gefühl.
Irgendetwas stimmte nicht.
Am Telefon war Claudia noch dabei, ihm seine Nachrichten durchzugeben. Aber
obwohl sie alle wichtig waren, konnte er sich nicht mehr konzentrieren.
„Tut mir Leid, Claudia, ich muss Schluss machen.“ Er legte auf und versuchte
dann, eine Erklärung für seine plötzliche Unruhe zu finden.
Im Haus war es still wie lange nicht mehr… Nein, wie in der Zeit, bevor Dana in
sein Leben getreten war. Er stand auf und verließ sein Arbeitszimmer.
Im Wohnzimmer war niemand. Auch in der Küche nicht. Sein Unbehagen wuchs.
Er rief nach Dana.
Nichts. Keine fröhliche Antwort. Kein ansteckendes Lachen.
Angetrieben von einer seltsamen Angst rannte Colin nach oben. Sie war nicht im
Schlafzimmer, wo er sie erst vor einer Weile tief und fest schlafend
zurückgelassen hatte. Er erinnerte sich noch genau, wie hinreißend sie in seinem
großen Bett ausgesehen hatte, als er aus der Dusche gekommen war.
Jetzt war sie weg.
Wahrscheinlich zur Arbeit.
Aber seine Panik wollte nicht weichen. Er schaute ins Bad.
Ihre Zahnbürste war verschwunden.
Und auch ihre Haarbürste und ihre kleine Kosmetiktasche. Mit wild klopfendem
Herzen rannte Colin ins Schlafzimmer zurück.
Alle ihre Kleider waren ebenfalls weg.
Sie hatte ihn verlassen.
Sie hatte ihr Versprechen gebrochen und…
„Tja, mein Sohn, nun hast du es endlich geschafft“, sagte seine Mutter von der
Tür her, „und das Beste, was dir im Leben widerfahren konnte, zu vertreiben.“
„Sie ist weg.“ Er war fassungslos. Unwillkürlich dachte er an ihre unglaubliche
Liebesnacht und überlegte, ob irgendetwas nicht gestimmt hatte. Er entsann
sich, wie sie immer wieder vor Lust aufgeschrien und mehr von ihm gefordert
hatte. So vorbehaltlos wie sie sich ihm hingegeben hatte, konnte sie doch
unmöglich böse auf ihn gewesen sein.
Aber machte er sich da nicht etwas vor? Er wusste doch, dass sie ihn liebte und
dass er ihre Liebeserklärung nicht hatte erwidern können. Ebenso wie er wusste,
dass das, was er ihr gegeben hatte, letztendlich nicht genug war. Sie wollte, dass
nie wieder von einer nur vorgetäuschten Beziehung die Rede war. Sie wollte ihn
als echten Verlobten.
Warum hatte er ihr diesen Wunsch nicht erfüllt? Warum hatte er angesichts der
selbstlosesten Liebe, die er je erfahren hatte, an seiner Angst festgehalten?
„Sie ist wirklich weg.“ Völlig verwirrt sank er auf sein Bett. „Weg.“
„So ist es.“
„Sie hat es versprochen“, murmelte er geistesabwesend.
„Was versprochen?“
Nein, verdammt. Er konnte nicht ihr die Schuld geben. Das alles war allein sein
Fehler. „Was ist passiert?“
„Sie kam aus dem Zimmer neben deinem Büro und sah aus, als wäre ihr ein
Geist erschienen…“ Seine Mutter überlegte. „Oder vielleicht hat sie etwas gehört?
Etwas Verletzendes?“
Colin schloss die Augen, weil ihm klar wurde, was er getan hatte. Was sie gehört
hatte und wie sehr sie das getroffen haben musste.
Claudia war so versessen darauf gewesen, bei den Vorbereitungen zu seiner
Hochzeit zu helfen, und da war er plötzlich zurückgeschreckt. Aber selbst in
diesem Moment hatte er sich tief im Innern gewünscht, für immer mit Dana
zusammenzuleben. Und das bedeutete Heirat.
Warum war er dann Claudia gegenüber so unerbittlich gewesen? Aus Sturheit,
schlicht und einfach, und Dana hatte nebenan nicht seine Miene sehen, sondern
nur seine Worte hören können.
Und Dana hatte seiner Beteuerung, das Ganze sei eine Farce, natürlich geglaubt.
Warum auch nicht? Er hatte ja oft genug betont, dass er keine richtige Beziehung
wollte.
„Mist!“ fluchte er.
„Stimmt, das ist ein schöner Mist. Und dabei siehst du nur einen Teil des
Desasters.“
„Was meinst du damit?“
„In knapp acht Stunden werden alle, die dich kennen, zur Verlobungsparty des
Jahres hier aufkreuzen. Das wird eine Katastrophe ohne Verlobte, Colin.“
„Das ist im Moment mein kleinstes Problem.“ Aufseufzend sah er seiner Mutter
ins Gesicht. „Es tut mir Leid.“
„Ich glaube, ich bin nicht diejenige, bei der du dich entschuldigen solltest.“
„Doch, denn ich habe dich belogen.“
Sie lächelte ihn traurig an. „Vielleicht wäre ich darüber jetzt noch erzürnt, aber
Dana hat mir erzählt, dass du gute Gründe hattest und es eigentlich nicht böse
gemeint hast, und ich muss ihr Recht geben.“ Sie setzte sich zu ihm. „Du bist ein
wunderbarer Mann, Colin. Du kannst dein Leben sehr gut selbst in die Hand
nehmen, und ich hätte mich nicht einmischen sollen. Ich hoffe, du verzeihst mir
das.“
Und dann umarmte sie ihn zu seiner Überraschung liebevoll. „Du wirst jetzt tun,
was richtig ist“, sagte sie leise. „Ich vertraue dir voll und ganz.“
Damit ließ sie ihn allein.
Es war die Leere, die Colin am meisten Angst machte, die tiefe Einsamkeit, die
sein Herz erfasste. Dass Dana das seinetwegen auch durchmachen musste, war
unverzeihlich. Sie verdiente etwas ganz anderes.
Ohne zu wissen, wie er die verfahrene Situation retten sollte, nur aus dem
Gedanken heraus, dass er es zumindest versuchen musste, machte er sich auf
die Suche nach Dana.
Einige Stunden später musste Colin erkennen, dass er gescheitert war.
Dana war wie vom Erdboden verschluckt.
Sie war nicht in ihrem Büro, nicht unterwegs beim Putzen und auch nicht in
ihrem Apartment.
Ihre Großtante bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, aber er fühlte sich
bereits so elend, dass ihm das auch nichts mehr ausmachte. Außerdem war er
von der Hitze total erschöpft.
Er hatte sich hoffnungslos in Dana verliebt, nur war er dumm genug gewesen,
seine große Liebe nicht mit beiden Händen festzuhalten.
Er fuhr zu allen Arbeitsstellen, die Dana innehatte. Vergeblich. Schließlich kehrte
er nach Hause zurück, nur um dort mit den letzten hektischen Vorbereitungen für
seine Verlobungsparty konfrontiert zu werden. In wenigen Stunden würden die
Gäste eintreffen.
Im Foyer fiel sein Blick auf eine auf dem Fußboden stehende Pflanze. Er hatte
keine Ahnung, was das für eine Pflanze war, aber sie machte den
Eingangsbereich sehr wohnlich.
Ganz wie Dana es beabsichtigt hatte. Irgendwie bestärkte das seinen Entschluss.
„Ich werde nicht aufgeben“, sagte er zu der Pflanze. „Ich liebe sie, und verflixt,
sie wird das zu hören bekommen.“
„Das wird aber auch Zeit.“
Hinter ihm standen, ungewöhnlich still, Bessie und Lola.
„Sieh zu, wie du die Sache in Ordnung bringst“, forderte Bessie. „Denn ich muss
dir sagen, Colin West, Dana ist genau die richtige Frau für dich.“
Er brachte ein Lächeln zu Stande. „Ich weiß. Die Party…“
„Wir kümmern uns um die Party, du kümmerst dich um deine Verlobte“, erklärte
Lola in viel netterem Ton als ihre Schwester und tätschelte ihm den Arm.
Er wollte gerade wieder gehen, als Carmen ihm plötzlich den Weg versperrte. Sie
sollte bei den Vorbereitungen für die Party helfen. Auch wenn sie ihn nicht
gerade freundlich ansah, so schnitt sie ihm wenigstens keine Grimasse.
Ihr Blick sagte ihm, dass sie ihn für dumm hielt, weil er Dana hatte gehen lassen.
Aber auch er las noch etwas anderes in ihren Augen, und zum ersten Mal seit
Stunden schöpfte Colin wieder Hoffnung.
„Sie wissen, wo sie ist.“ Vergeblich versuchte er, seine Aufregung zu dämpfen.
„Sagen Sie es mir.“
Sie betrachtete ihn nur stumm.
Verflixt, sie konnte ihn ja nicht verstehen. „Bitte, Carmen, ich muss es wissen.“
Nach einer halben Ewigkeit zeigte sie schließlich auf ihren Ringfinger und schaute
ihn dabei fragend an.
„Ja, ich kaufe ihr einen Ring“, versprach er, aber sie verdrehte nur entrüstet die
Augen.
Was meinte sie? Er wollte schon Papier und Bleistift holen, da deutete sie auf
seinen Ringfinger.
„Ja, ich will Dana wirklich heiraten. Auch die Verlobungsparty heute Abend ist
echt. Aber zuerst einmal muss ich Dana finden. Bitte, Carmen, sagen Sie mir, wo
ist sie?“
Eine ganze Weile blickte sie ihm forschend in die Augen. Colin wurde immer
ungeduldiger. „Sagen Sie es mir.“
Da nickte sie, trat ein paar Schritte zurück und begann sich im Kreis zu drehen.
Sich in den Hüften wiegend, drehte sie sich immer wieder langsam um sich
selbst. Colin starrte sie entgeistert an. „Carmen, Sie wollten mir sagen, wo Dana
ist, oder?“
Sie hielt inne und stemmte verärgert die Hände in die Hüften.
„Okay, okay! Versuchen Sie es noch mal. Ich passe genau auf.“
Plötzlich kam ihm die Erleuchtung. Carmen tanzte Hula! „Sie ist… Ach, du liebe
Güte!“ stieß er hervor. „Sie fliegt nach Hawaii!“
Carmen nickte triumphierend.
Es stimmte also tatsächlich. Dana hatte offenbar alles stehen und liegen lassen
und wollte Urlaub machen.
Hoffentlich konnte er sie am Flughafen noch erwischen, sonst versäumte sie noch
ihre eigene Verlobungsparty.
13. KAPITEL Dana hatte seit Ewigkeiten keinen Urlaub gemacht. Sie hatte sich einen verdient.
Jetzt würde sie endlich einmal nach Hawaii fliegen.
In knapp einer Stunde hatte sie eine Reisetasche gepackt und ihre Mitarbeiter
und Kunden informiert, dass sie für zwei Wochen verreist sein würde. Noch eine
Stunde später studierte sie am Flughafen die Abflugtafel und überlegte, welchen
Flug sie nehmen sollte.
Um sie herum herrschte hektische Betriebsamkeit.
Ehe sie es sich versah, stand sie vor einem Ticketschalter. Der nächste Flug ging
in Kürze. Wenn sie sich schnell entschied, könnte sie zu einem späten Dinner
schon auf Oahu sein. Sie würde am Strand liegen und den Sonnenuntergang
betrachten und dabei an einem farbenfrohen Cocktail nippen.
Sie würde es genießen.
Ganz bestimmt.
„Ma’am?“ Die Dame am Schalter lächelte sie freundlich an. „Sind Sie die
Nächste?“
Sie könnte es sein. Sie brauchte nur ihre Kreditkarte zu zücken, und weg wäre
sie. Würde jede Erinnerung an den Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte,
hinter sich lassen.
Aber alles in ihr sträubte sich dagegen wegzulaufen. Das war keine Lösung, so
verlockend sie auch erschien, und sie musste sich der Wahrheit stellen.
Ja, sie hatte sich in einen Mann verliebt, der ihre Liebe nicht erwidern konnte.
Aber das war kein Verbrechen und auch nicht seine Schuld. Er hatte sie nie
belogen.
Nicht nur, dass sie sich kindisch benahm, sie hatte auch ihr Versprechen
gebrochen und war drauf und dran, ihn im Stich zu lassen.
In diesem Moment würden seine Mutter und Tanten dem Personal letzte
Anweisungen für die Verlobungsparty geben, der Party, mit der sie einverstanden
gewesen war. Aber es würde sie sehr schmerzen, neben Colin zu stehen, der nur
so tat, als ob, während es ihr mit ihm absolut ernst war.
„Ma’am?“
„Entschuldigen Sie.“ Lächelnd ging Dana beiseite. „Ich hab’s mir überlegt.“
Wenn du diese Misere überstanden hast, tröstete sie sich, dann verreist du nach
Hawaii. Vielleicht würde sie nie mehr zurückkommen.
Einen Moment blieb sie noch stehen und starrte blicklos auf die Anzeigetafel hoch
über ihr. Die Anzeige für den Flug, den sie beinah genommen hätte, begann zu
blinken.
Die Passagiere gingen an Bord. Ohne sie.
Dann verspürte sie plötzlich ein Prickeln, ihr Herz begann zu klopfen, und sie
drehte sich langsam um. Da stand, ganz außer Atem, als sei er gerannt, Colin.
„Dana.“
Er sagte nur ihren Namen, doch er legte derart viel Gefühl in dieses eine Wort,
dass sie die Augen schloss, weil sie wieder von Schmerz übermannt wurde.
Er legte ihr die Hände auf die Schultern, dann umfasste er sanft ihr Gesicht.
„Dem Himmel sei Dank, dass ich dich noch rechtzeitig gefunden habe.“
Dana hatte sich nicht vorzustellen vermocht, was ein Wiedersehen mit ihm für sie
bedeuten würde. Es war der Himmel und gleichzeitig die Hölle.
„Bitte, geh nicht“, sagte Colin leise. „Es tut mir so Leid, dass ich es nicht viel
früher begriffen habe.“ Er nahm ihre Hände und führte sie an die Lippen. „Bitte,
Dana, verlass mich nicht.“
Er denkt, ich reise ab, schoss es ihr durch den Kopf. Kein Wunder, denn sie hatte
eine Reisetasche bei sich. Sie stand noch vor dem Ticketschalter, in einer Hand eine Broschüre, die man durchaus für ein Flugticket halten konnte. Er glaubt tatsächlich, ich könne ihn verlassen. „Auch wenn ich kein Recht dazu habe“, fuhr er flehentlich fort, „so bitte ich dich, mir ein paar Minuten zuzuhören.“ Sie war ihm etwas schuldig. Es war nicht richtig, ihr einmal gegebenes Versprechen zu brechen, nur weil sie sich inzwischen in ihn verliebt hatte. Sie entzog ihm ihre Hände und trat einen Schritt zurück, sonst würde sie nicht klar denken können. „Colin, ich will nicht…“ „Ich weiß, ich habe dich verletzt. Auch das tut mir sehr Leid. Denn dich habe ich auf keinen Fall verletzen wollen.“ „Ich will nicht…“ „Aber du hast mich völlig aus der Fassung gebracht, Dana. Du bist so loyal und vertrauensvoll und süß.“ Er kam wieder näher, berührte sie jedoch nicht. „So unglaublich…“ „Colin, ich will nicht weg.“ Es ist nicht seine Schuld, beschwor sie sich erneut. Du hast dich in ihn verliebt, obwohl du wusstest, dass er deine Gefühle nicht erwidern kann. „Dana, ich liebe dich.“ „Ich werde nicht… Was?“ Sie packte ihn am Hemd und zog ihn näher. „Was hast du da eben gesagt?“ „Dass ich dich liebe.“ „Das ist wirklich gemein, Colin“, zischte sie wütend. „Ich sagte doch, dass ich nicht verreise. Ich werde an deiner verdammten Verlobungsparty teilnehmen. Du brauchst mich nicht damit zu locken, indem du mir erklärst… na, du weißt schon!“ Schockiert starrte er sie an, aber sie wirbelte herum und wollte weggehen. Sie war so aufgebracht wie lange nicht mehr. Wie konnte er es wagen, ihr eine Liebeserklärung zu machen, nur damit sie mit ihm zurückkam, insbesondere da sie sich schon selbst dazu entschlossen hatte. Colin packte sie sanft, aber bestimmt am Arm und zog sie an sich. „Dana, warte.“ Sofort wollte sie sich wieder von ihm zu lösen, doch Colin würde sie nirgendwohin gehen lassen, solange dieses riesengroße Missverständnis zwischen ihnen stand. Er ließ ihre Tasche fallen, weil er zwei Hände brauchte, um Dana festzuhalten. Die Leute, die vor dem Ticketschalter anstanden, verfolgten interessiert ihr Gerangel. Es war Colin egal. Wichtig war allein, sich Dana verständlich zu machen. „Lass mich endlich los“, fuhr sie ihn an. „Ich sagte dir doch, ich komme mit dir zurück und spiele deine Verlobte, verdammt.“ „Du glaubst, ich habe dir eben etwas vorgemacht?“ fragte er ungläubig. „Dana…“ Frustriert stöhnte er auf. Er war einfach fassungslos. Und verletzt. „Hör zu. Ich habe diese berühmten drei Worte noch nie zu einer Frau gesagt. Dana, begreifst du, was das bedeutet? Himmel, nichts läge mir ferner, als sie bei jeder Gelegenheit in der Gegend herumzuposaunen.“ Statt Hoffnung oder Freude entdeckte er Schmerz in ihrem Blick, und ihm wurde ganz elend. „Ist es zu spät?“ flüsterte er und zog sie wieder an sich, weil er ihre Wärme spüren musste. „Ich hoffe nicht. Verdammt, ich liebe dich! Es tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu erkennen, aber es hat mir zunächst schrecklich viel Angst gemacht.“ Dana lief eine Träne über die Wange, aber sie blieb stumm.
Es war Colin egal, dass die meisten Leute vor dem Schalter inzwischen neugierig
zuhörten. Er schloss Dana noch fester in die Arme. „Bitte, weine nicht. Es tut mir
ja so Leid.“
„Sag es noch mal.“
Er starrte sie an.
„Ja, sag es noch mal.“
Die Gruppe Passagiere rückte näher, höchst interessiert.
„Ich liebe dich, Dana. Von ganzem Herzen.“
Aber die Frau in seinen Armen verharrte reglos. Warum sagte sie nichts?
„Du musst mir einfach glauben.“ Mittlerweile war er ziemlich verzweifelt.
„Auch wenn es länger gedauert hat, inzwischen weiß ich genau, was mir immer
gefehlt hat. Du.“
Einige Frauen in der Warteschlange seufzten verzückt.
„In deinem Leben musstest du schon viel verkraften.“ Er versuchte, ihre
Zuhörerschaft so gut er konnte zu ignorieren. „Tief im Inneren hast du genau
solche Angst, dich zu binden, wie ich, seitdem du damals deine Eltern verloren
hast. Aber ich kann dich ebenso sehr lieben wie sie, Dana. Das tu ich ja jetzt
schon und brauche nur Zeit, um es dir zu beweisen. Wir können von vorn
anfangen und unsere eigene Familie gründen.“
Sie neigte den Kopf, so dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber er spürte,
dass sie zitterte. Himmel, er hatte sie erneut zum Weinen gebracht.
„Ich dränge dich, entschuldige…“
„Mich drängen?“
Sie hob jetzt den Kopf, und er sah, dass sie nicht schluchzte, sondern lachte. Sie
strahlte nur so vor Freude.
„Colin, ich liebe dich seit langem. Du hättest dich gar nicht schnell genug in mich
verlieben können. Du und mich drängen?“ Sie lachte erneut.
Die Wartenden grinsten ungeniert.
„Du hast mich nur endlich eingeholt.“
„Heißt das…“ Er war völlig verunsichert. „Du bist einverstanden… Ich kann…“
„Versprich mir, dass wir für immer zusammenbleiben, Colin“, flüsterte sie und
schlang ihm die Arme um den Nacken.
„Ich verspreche dir, ich möchte für immer und ewig mit dir zusammen sein,
wenn du mir versprichst, mich zu heiraten. Ich möchte mit dir bis ans Ende
unserer Tage glücklich sein.“
Sie wurde ganz still. „Wirklich?“
„Werde meine Frau, Dana. Diesmal nicht nur zum Schein.“
Dana lächelte, sie war überglücklich. „O ja, gern.“ Ihr zukünftiger Ehemann
beugte sich zu ihr und küsste sie zärtlich.
Die Abflugtafel über ihnen zeigte an, dass das Flugzeug nach Hawaii soeben
startete.
ENDE