Western-
Bestseller � Nr. 422 � 422
G.F. Unger �
Viele Wege – viele � Kämpfe �
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Die Uferhöhle am White Wolf Cr...
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Western-
Bestseller � Nr. 422 � 422
G.F. Unger �
Viele Wege – viele � Kämpfe �
2 �
Die Uferhöhle am White Wolf Creek war während des Blizzards ein ganz brauchbarer Unterschlupf. Trotzdem fühlte ich mich nicht besonders wohl in meiner Haut. Denn meine beiden Nachbarn in der Höhle, die sich in letzter Sekunde vor dem orgelnden Blizzard auch hier verkrochen hatten, waren berüchtigte Goldwölfe in den Black Hills. Und sie wußten, daß ich mit vier Kilo Gold unterwegs nach River Port war. Gold, das mir die Digger in Lucky Ben anvertraut hatten, weil sie mir allein zutrauten, die Goldwölfe aufs Kreuz zu legen, von denen sie sonst ausgenommen wurden wie besonders lecker gefüllte Weihnachtsgänse. Well, ich hatte das Vertrauen der Digger schon einige Male gerechtfertigt. Dennoch, diesmal mußte es höllisch schwer werden. Meine Erfahrung sagte mir nämlich, daß der Blizzard drei, vier Tage anhalten konnte. Eine verdammt lange Zeit, wenn man sie, wie ich jetzt, mit zwei Hartgesottenen auf engstem Raum verbringen mußte immer auf der Hut vor einem ihrer höllischen Tricks. Ich hatte am Anfang sogar die Nerven, einige Stunden zu schlafen. Ich setzte einfach all meine Chips darauf, daß die beiden Nachbarn auf der anderen Seite des Feuers mir das nicht zutrauten. Jede Stunde etwa erwachte ich und legte Holz ins Feuer, so daß es relativ hell blieb in unserer Höhle. Es war inzwischen noch wärmer geworden. Das Feuer, die Wärme der Pferde und die zugeschneite Schutzwand aus Tannenzweigen funktionierten vorzüglich. Es war so warm wie in einem Stall zur Winterszeit. Als ich Hunger spürte, wußte ich, daß die Nacht herum sein mußte. Doch ich blieb liegen. Irgendwann bewegten sich end3 �
lich meine Höhlen-Mitbewohner, und French-Pierre ließ sich sogar dazu herbei, aus ihren eigenen Vorräten Kaffee zu kochen und Pfannkuchen mit Speck zu braten. Ais wir schweigsam aßen, starrten wir uns immer wieder an… *** McMullen sagte schließlich: »Wir könnten Poker spielen, nicht wahr? Vielleicht könnten wir dir dein Geld und alles Gold abgewinnen, welches du bei dir hast, John Rosebud – und auch die vier Kilo Gold, die man dir anvertraut hat, nicht wahr?« Ich grinste. »Laßt euch nur nicht auf ein Pokerspiel mit mir ein.« Und French-Pierre schüttelte auch sofort heftig seinen Kopf. Sein Piratengesicht verzerrte sich zu einem Grinsen. »Nein, mit dir spielen wir nicht Poker – McMullen, du mußt wissen, daß man gegen Rosebud beim Poker nicht gewinnen kann. – Der hat einen besonderen Sinn und kann riechen, ob du bluffst oder nicht.« »So«, sagte McMullen nur, sonst nichts. Aber sein schräger Wolfsblick funkelte böse, so, als mache es ihn wütend, daß ich beim Poker nicht so leicht zu schlagen sei, so als neidete er mir diesen Ruf. Wir sprachen nicht mehr viel, lagen und hockten nur herum, legten Holz nach und lauschten auf den Blizzard. Am Abend dieses Tages – man konnte dies nur schätzen – fütterte ich mein Pferd mit den letzten Maiskörnern. McMullen murrte: »Du hättest unseren Tieren auch etwas davon abgeben können.« Aber ich erwiderte nichts. Unsere Situation veränderte sich langsam. Ich konnte es wit4 �
tern, spüren irgendwie mit meinem Instinkt genau erfassen. Die beiden Goldwölfe wurden ungeduldig. Der Blizzard dauerte ihnen schon zulange. Sie wollten gerne zurück in die Amüsierlokale von Lucky Ben, zum Whisky, den Mädchen, den Karten. In dieser Nacht schlief ich nicht mehr. Wenn ich Holz nachlegte, hielt ich meinen Colt bereit und hatte überdies noch die zweite Waffe in meinem Ärmel Denn es war nicht so warm, daß man sich die Felljacken oder -mäntel ausziehen konnte, zumal wir uns ja kaum bewegten. Ich mußte ständig befürchten, daß sie mich unter ihren Schlafdecken mit ihren Colts anvisierten und auf mich schossen, besonders dann, wenn ich meinen Oberkörper aufrichtete und Holz ins Feuer legte. Dann bot ich für sie ein gutes Ziel. Aber auch diese Nacht verging. Sie taten es nicht – noch nicht. Sie warteten immer noch. Wahrscheinlich glaubten sie, daß ich nun schon die zweite Nacht ohne Schlaf war. Aber es war die erste. Ich war noch nicht ausgebrannt vor Müdigkeit. An diesem zweiten Tag bereitete McMullen unser Essen. Morgen würde ich an der Reihe sein. – Und ich wußte, morgen würden sie es mit mir versuchen – wahrscheinlich dann, wenn ich beide Hände für das Essenmachen brauchte. * Ja, es kam so, wie ich es vermutet hatte. Als ich mit der linken Hand die Pfanne hielt und mit der rechten Hand und dem Messer den Pfannkuchen umdrehte – denn er hing etwas am Pfannenboden an –, da hielt McMullen plötzlich seinen linken Colt in der Hand. Es war wie Zauberei, so schnell zog er ihn. Aber er schoß nicht. 5 �
Sie wollten keinen Toten in der Höhle haben. Vorerst wollten sie nur meine Waffe. Das war verständlich, denn sie hatten sich ausgerechnet, daß ich keine dritte Nacht mehr wachbleiben wollte und konnte. Sie hatten befürchten müssen, daß ich ihnen meinen Colt unter die Nase hielt und ihnen den Befehl gab, sich gegenseitig zu fesseln. Vielleicht hielten sie mich auch für hart und gnadenlos genug, sie umzulegen, um endlich nicht mehr länger bedroht zu sein. Ach, sie trauten mir eine Menge zu und hatten sich auch allerlei ausgerechnet. »Ich will nur deinen Colt, Rosebud«, sagte McMullen. »Du brauchst die Pfanne und den schönen Pfannkuchen nicht hinzuwerfen – nein, nein! Der liebe Pierre kommt sich nun deinen Colt holen. Bleib schön friedlich, mein Junge – schön brav.« Seine Stimme wurde immer kehliger. Ich sah ihm jetzt noch deutlicher an, daß er ein Killer war. Würden sie diese Höhle in der nächsten Stunde verlassen können, hätte ihn nichts davon zurückgehalten, mich zu erschießen. Ich hielt eine Weile den Atem an. Denn es stand auf des Messers Schneide, ob er schießen würde oder nicht. Er war zu sehr ein Killer, um Feinde, die er sich machte, leben zu lassen. Aber dann schoß er doch nicht. Ich tat nichts, um ihn zu reizen. Dann kam French-Pierre im Bogen um mich herum, trat hinter mich und durchsuchte mich nach weiteren Waffen. Doch den kleinen Colt im Ärmel meiner Felljacke fand er nicht. Mein Messer durfte ich behalten, weil ich ja noch weiter die Pfannkuchen braten sollte. Ich machte weiter. McMullen steckte auch bald seinen Colt wieder weg. Sie glaubten, daß ich keine Chance gegen sie hatte ohne Waffe. French-Pierre sagte nach einer Weile kauend und zwischendurch den heißen Kaffee schlürfend: »Tut mir leid, alter Junge – 6 �
tut mir wirklich leid. – Doch du konntest doch wohl wirklich nicht glauben, daß du uns ewig an der Nase herumführen und für die Goldgräber auf Schleichwegen das schöne Gold aus dem Lande schaffen kannst. Einmal mußte es für dich nicht gut ausgehen, nicht wahr?« »Du bist wohl sehr schnell mit dem Colt?« So fragte ich ihn und fügte hinzu: »Ich sah noch nie einen Mann so schnell ziehen. Du hast im Süden gewiß einen berühmten Namen, nicht wahr?« Er grinste und blieb kühl. Nein, der ließ sich von mir nicht bebauchklatschen. Er war keiner von diesen eitlen Schießern, die sich gerne bewundern ließen. Er war ein Killer, kein Revolverheld – obwohl er gewiß schneller als die meisten dieser Revolverschwinger war. Ich wußte, er würde mich töten, sobald der Blizzard nachgelassen hatte. Ich fragte nach einer Weile: »Wenn ihr mir das Gold abnehmt – wieviel bekommt ihr denn von der Beute? Ihr bekommt doch bestimmt nicht alles, nicht wahr? Ihr gehört doch nur zu einer organisierten Bande. Ihr müßt eure Beute abliefern und bekommt dann einen Anteil. – Wer ist denn euer Boß? Wer hat euch alle unter seinem Kommando? Da ihr mich ja wahrscheinlich umlegen werdet, könnt ihr mir das ja noch sagen – oder?« Pierre lachte leise. McMullen sah ihn an und blickte dann wieder auf mich. »Ist der tatsächlich so kaltschnäuzig, Pierre?« fragte er. Und Pierre nickte. »Ich hätte nie geglaubt«, sprach er kauend, »daß wir ihn so leicht würden abrasieren können. – Oder hast du noch ein As im Ärmel, Freund John Rosebud?« Ich konnte im Feuerschein seine Augen gut erkennen. Ich sah darin auch das jähe Funkeln, und ich glaubte, daß ihm jetzt bestimmt einfiel, daß er mich zwar nach Waffen absuchte, jedoch 7 �
nicht meine Ärmel befühlte. Ich konnte richtig seine Gedanken lesen. Sein Mund formte sich auch schon zu einem Fluch. Vielleicht sah er nämlich mir jetzt an, daß ich wirklich noch ein As im Ärmel hatte. Seine Instinkte waren nicht weniger schlecht als meine. Er war ein Kind dieses Landes wie ich. Unsere Instinkte waren scharf und unverbildet. Wir kannten uns. Nun, ich konnte nicht länger warten. Denn gleich würde auch McMullen etwas wittern. Er würde zu seinem Colt greifen. Deshalb warf ich meinen Arm vor und schleuderte gewissermaßen meine Hand gegen die beiden Banditen. Es klappte gut. Der kleine Colt rutschte aus dem Ärmel, und er hatte genug Schwung, um bis in meine Hand zu gleiten. Ich sah sie beide ziehen. Pierre fluchte, und dieser Fluch war für McMullen das Signal. Sie zogen blitzschnell. Aber ich kam ihnen zuvor. Ich schoß früher, und ich mußte auf McMullen schießen, weil dieser schneller war als Pierre. Ich traf ihn voll. Auch eine 31er Kugel wirkte auf diese kurze Entfernung höllisch. Die zweite Kugel bekam Pierre. Aber es war noch nicht genug. Es ging noch immer weiter. Diese beiden Goldwölfe gaben noch nicht auf. Sie schössen, und nur weil sie schon von mir so schwer angeschossen waren, trafen sie mich nicht richtig. Wieder schoß ich nacheinander auf McMullen und French-Pierre. Und dann endlich war es vorbei. Die Höhle war voller Pulverrauch. Er biß in die Augen. Die Pferde stampften nervös – obwohl sie an Gewehr- und Revolverfeuer gewöhnt waren. Es war als wüßten sie genau, daß sich ihre Reiter gegenseitig umzubringen versuchten. Ich spürte an zwei Stellen heftige Schmerzen, wo die Kugeln 8 �
mich zumindest gestreift haben mußten. Doch es konnten keine schlimmen Wunden sein, denn ich blieb auf den Beinen. Ich ging um das Feuer herum und kniete bei Pierre nieder, der seine Augen öffnete. Er verzerrte sein stoppelbärtiges Gesicht zu einem Grinsen und sagte: »Gut gemacht, Rosebud – gut gemacht, du verdammter Indianer. – In der Hölle sehen wir uns alle wieder.« »Sicher, Pierre«, sagte ich. Dann war er tot. Ich drückte ihm die Augen zu. Verdammt noch mal, wegen ein paar Kilo Gold brachten sich hier die Menschen um. Ich sah nach diesem McMullen. Er war tot. Eine Weile betrachtete ich ihn im Feuerschein. Er war ein Killer aus dem Süden, der gekommen war, in den Black Hills auf die schnelle Art reich zu werden. Nun war er auf die schnelle Art zur Hölle gesaust. Ich aber lebte. Indes ich so kauerte und all das Schreckliche der letzten Minuten noch einmal bewußt erlebte, sich alles in meinen Gedanken und vor meinen Augen noch einmal wiederholte – war da noch etwas. Draußen war es still. Der Blizzard war gestorben. * Es war zehn Tage später, als ich von River Port am Cheyenne River zurück nach Lucky Ben reiten wollte. Ja, ich hatte eine Menge Zeit verloren, denn ich konnte nach dem Blizzard die Uferhöhle am White Wolf Creek erst drei Tage später verlassen. Der Schnee lag zu hoch. Er mußte erst tauen, zusammensacken 9 �
und wieder frieren. Der Weg nach River Port war dann schlimm genug. Auch hatte ich zwei Streifwunden abbekommen, die mich auch nicht gerade fröhlicher und beweglicher machten. Ich saß noch beim Frühstück in Hank Overbridges Gaststube, als eine junge Frau eintrat. Ich hatte sie zuvor die Treppe von oben herunterkommen hören. Durch die offene Tür zur Diele kam sie dann in den Gastraum. Ihr Blick richtete sich sofort auf mich, und ich wußte gleich, daß sie etwas von mir wollte. Denn sie war darauf vorbereitet, mich zu sehen. Jemand hatte ihr gesagt, daß ich beim Frühstück saß. Wir waren allein im Gastraum der großen Handels- und Poststation River Port. Der Name River Port täuschte natürlich sehr. Es gab hier keinen großen Hafen, nur eine Anlegestelle für ein paar Boote, Kanus und das kleine Dampfboot der Armee, mit dem man zur Mündung in den Belle Fourche River und auf diesem dann zum Missouri fahren konnte, wenn der Wasserstand dies zuließ. Ich staunte über ihren Anblick, denn er war so unerwartet; er war wie ein Geschenk. Dabei war sie nicht ausgesprochen schön, nein, so war es nicht. Aber sie war mehr als reizvoll. Sie war rassig, eigenwillig hübsch. Und sie bewegte sich wie eine ausgebildete Tänzerin. Dabei strömte sie eine Lebendigkeit aus, die nicht gewollt, sondern natürlich war. Verdammt noch mal, solch ein Mädel sah ich noch niemals in meinem ganzen Leben. Ihre grünen Augen waren etwas schräg. Sie hatte rotblonde Haare und einen etwas zu vollen Mund. Ich merkte endlich, daß ich immer noch staunte und dabei sogar das Kauen vergaß. Wahrscheinlich sah ich ziemlich blöd aus in diesem Moment. Und deshalb bemühte ich mich, wieder normal zu wirken. 10 �
Ich kaute also weiter. Und als sie mir ein Lächeln schenkte, da nickte ich höflich, war auch bereit, ein paar Worte über das Wetter zu sagen. Aber sie nahm nicht an einem der vier anderen Tische Platz, sondern kam an meinen Tisch. Bevor ich mich erheben und ihr den Stuhl zurechtrücken konnte – denn ich wußte ja, daß sich solches gehörte und war kein ungebildeter Affe –, hatte sie schon mit einer schnellen und gleitenden Bewegung mir gegenüber ihren Platz eingenommen. »Sitze ich etwa an Ihrem Tisch, Ma'am?« So fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und lächelte mich an. Dabei prüften mich ihre Augen. Ich erkannte ein paar feine Linien um ihre Mundwinkel und auch um die Augen. Sie hatte auch ein paar Sommerprossen um die Nasengegend und auf der Nase selbst. »Nein, dies ist nicht mein gewohnter Tisch«, sagte sie. »Ich möchte mit Ihnen reden, Ihre Bekanntschaft machen. – Mister Overbridge sagte mir, daß Sie der einzige Mann wären, dem ich mich in diesem verdammten Land anvertrauen könnte. Mister Overbridge erzählte mir ein paar Dinge über Sie, Mister Rosebud. »Ich bin Sue Maryland. Und ich brauche Ihre Hilfe.« Ich schwieg und dachte nach. Diese Sue Maryland gefiel mir immer besser. Auch ihre Stimme ging mir gewissermaßen unter die Haut. Sie war dunkel, melodisch und hatte ein besonderes Timbre. Diese Stimme paßte zu ihr, ergänzte ihre rassige Lebendigkeit. Verdammt noch mal, träumte ich? Hatte sie gesagt, daß sie meine Hilfe brauchte? Plötzlich klingelte es irgendwie in meinen Ohren. Hilfe brauchen! Nun war ich auch schon wieder der mißtrauische Wolf. »Dann muß ich mich wohl nicht vorstellen, wenn Ihnen der 11 �
Agent hier schon was von mir erzählte«, murmelte ich und wollte mir aus der Kaffeekanne nachgießen. Aber sie kam mir zuvor und bediente mich. Dann sagte sie schlicht und knapp: »Nehmen Sie mich mit nach Lucky Ben. Ich muß unbedingt nach Lucky Ben, bevor es völlig eingeschneit ist. – Es ist wichtig für mich, sehr wichtig. – Bitte.« Nun wußte ich es also. Und deshalb betrachtete ich sie noch mal genau. Was wollte eine schöne Frau wie sie um diese Jahreszeit in einer wilden Goldgräberstadt, die kaum mehr als ein Camp war? War sie ein Flittchen? Oder eine Glücksjägerin, eine Abenteuerin, ein Edel-Flittchen? Oder… Ach, du lieber Himmel, es gab ja gewiß sehr viele Möglichkeiten, auch solche, die ich mir gar nicht ausdenken konnte. Sollte ich sie fragen, warum sie nach Lucky Ben wollte? Ich sah sie an, und ich hatte diese Frage schon auf der Zunge. Doch dann erkannte ich den Ausdruck in ihren Augen und wußte, daß sie nicht darüber reden würde. Und dies wieder gefiel mir irgendwie. Aber ich sagte: »Das ist ein harter Ritt bis Lucky Ben. Eis und Schnee liegt überall. Es ist höllisch kalt geworden. – Wölfe, Indianer – auch Banditen. Man muß gewiß dreimal unterwegs im Freien übernachten. – Das ist nichts für eine Frau wie Sie – Miß oder Mrs. Maryland.« »Miß«, sagte sie, »einfach nur Miß. – Aber da wir ja bald zusammenreiten werden, sollten Sie mich gleich Sue nennen, Ben.« Verdammt, woher nahm sie ihre Sicherheit? Wieso glaubte sie, daß ich sie mitnehmen würde? Dieser Ritt war nichts für eine Frau wie sie, denn sie war keine Squaw und auch kein Mannweib, nicht mal ein Cowgirl aus dem Süden. Ich würde mit ihr eine Menge Mühe haben unterwegs. Vielleicht sollte sie nach ein 12 �
paar Stunden schon lieber wieder umkehren. Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Daraus wird nichts. Ich nehme Sie nicht mit, Sue Marlyand. – Sie könnten das nicht durchhalten. – Warten Sie bis die Postkutsche wieder fahren kann – auch wenn es bis zum Frühling dauern sollte. Sie sind eine schöne Frau, Sue aber das bedeutet auch, daß Sie kein Mannweib sind. Sie würden mir eingehen unterwegs. – Nein!« Ich sprach das letzte Wort sehr nachdrücklich, weil sie schon Luft holte, um mich mit irgendwelchen Worten oder gar mit versuchter Logik umzustimmen. »Nein!« Ich wiederholte es nochmals. Sie sah mich aus schmalen Augen an, und sie war zornig, ja richtig böse. Ich war nun darauf gefaßt, daß sie schimpfen oder gar loskreischen würde, um mir zu sagen, was sie von mir hielt – einem Burschen, der einer schönen Frau nicht behiflich wäre. Aber sie behielt sich unter Kontrolle. Sie beherrschte sich. Dann war ich darauf gefaßt, daß sie es auf die andere Art versuchen würde, nämlich mit Schluchzen, Bitten und Tränen, mit deutlicher Hilfsbedürftigkeit und irgendwelchen, sicher mitleiderregenden Geschichten. Oha, ich kannte die Frauen einigermaßen. Irgendwie erreichten sie immer ihr Ziel, besonders dann, wenn sie reizvoll waren und diese Stärke richtig ausspielten. Aber sie unterließ jeden Versuch. Sie erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung, verharrte einen Moment, so als wollte sie mir Gelegenheit geben, alles noch einmal zu überdenken. Ich sagte: »Hier ist es schöner als in Lucky Ben.« Sie nickte nur und ging. Doch am Druchgang zur Diele und der Treppe hielt sie noch einmal inne und sah mich über die Schulter hinweg an. »Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir etwas von Ihrer Zeit geop13 �
fert haben«, sagte sie. »Und wenn wir uns unterwegs nach Lucky Ben sehen sollten, dann kümmern Sie sich einfach nicht um mich.« Damit ging sie. Ich fluchte kauend. Das Frühstück schmeckte mir nicht mehr so gut. Denn ich traute dieser Sue Marlyand plötzlich zu, daß sie sich allein auf den Weg machte. Hank Overbridge, der Handelsagent und das Oberhaupt von River Port trat von draußen ein. Er zog seine dicke Jacke aus und schlug sich die Arme kreuzweise um die Brust bis zu den Schulterspitzen. »Phaaah, ist das kalt«, sagte er. »Dein Pferd steht fertig zum Abritt. Sie hat sich die graue Stute gekauft – weißt du, die Vance Kelly bei mir ließ, als er im Herbst heimreiste nach Missouri. – Die versteht was von Pferden. Die Stute trägt Wintereisen.« Ich sagte zuerst nichts. Dann aber fragte ich, indes Hank Overbridge zu mir an den Tisch kam, sich setzte und sich eine Tasse aus der Kaffeekanne vollgoß: »Was weißt du über sie, Hank?« Hank Oyerbridge war ein starkknochiger, schon grauköpfiger Bursche. Bei seinem Anblick mußte man an ein beharrliches und zuverlässiges Maultier denken. Er hatte sich vom Frachtfahrer hochgearbeitet. Auf seine Menschenkenntnis konnte man sich verlassen. »Sie ist kein Flittchen«, sagte er überzeugt. »Sie hat Format. – Aber ich halte sie für eine Abenteuerin, der nichts mehr fremd ist auf dieser Erde. – Verstehst du, John? – Gar nichts mehr fremd ist, mein Junge. Die mußte längst schon herausfinden, wie schlecht diese Welt ist und hat gelernt, sich darin zu behaupten. Die glaubt an nichts mehr, nur noch an sich selbst. – Warum sie nach Lucky Ben will, weiß auch ich nicht. Sie kam mit der letzten Postkutsche vor dem Blizzard. Aber sie erkundigte sich nach 14 �
einem Mann, der im Herbst hier durchgekommen sein mußte. Sie sagte, daß der Bursche etwas über dreißig Jahre alt wäre und wie ein blonder Sieger aussehen würde. – Ja, sie sagte blonder Sieger, und dieser Vergleich stimmte wirklich. Denn ich sah diesen Burschen im Herbst und dachte unwillkürlich an einen strahlenden Helden, an einen lachenden Sieger – an einen Königssohn. Verstehst du, John?« Ich dachte nach Aber dann verstand ich ihn. Ein sogenannter schöner Mann war hier durchgekommen und im Goldland verschwunden. Und diese Sue Marlyand war hinter ihm her. Anders konnte es nicht sein. Ich dachte nach, versuchte mich an einen außergewöhnlich schönen oder stattlichen blonden Burschen zu erinnern, der jetzt in Lucky Ben leben mußte. Ich kannte mich aus in Lucky Ben und in all den anderen Camps und Nestern des Goldlandes. Aber wenn der Bursche erst vor wenigen Wochen in dieses Land kam, so war ich ihm vielleicht doch noch nicht begegnet. Ich nickte Hank Overbridge zu, stand auf, ging zum Wandhaken und nahm dort meine Felljacke herunter. Indes ich sie anzog, sagte ich: »Die reitet allein. Denn ich lehnte es ab, sie nach Lucky Ben zu bringen. Die ist ja verrückt. – Verstehst du, Hank, ich bin nicht für sie verantwortlich!« Nach diesen Worten ging ich hinaus. Er saß am Tisch, rührte noch den Zucker in der Tasse und schüttelte den Kopf. »Aber ich kann sie doch nicht mit Gewalt hier festhalten«, sagte er hinter mir her. »Du wirst dich unterwegs wohl oder übel um sie kümmern müssen, John Rosebud.« Ich hörte das noch, indes ich die Tür zuschlug. Draußen knirschte der Schnee unter meinen Füßen. Es hatte eine Handbreit hoch in der vergangenen Nacht geschneit. Doch 15 �
dann war es klar und kalt geworden. Bald würde die Sonne den Tag freundlich machen, so freundlich wie ein Dezembertag nur sein konnte. Daß etwas Schnee auf dem hartgefrorenen Untergrund aus einstigem Blizzardschnee lag, war mir nur recht. Denn da fanden die Pferdehufe besser Halt und glitten nicht so leicht aus. Der Stallmann brachte mein Pferd heraus. Er sagte: »Mein Bruder bedient im Lucky Ben Saloon. – Es ist der Dicke mit dem Schnurrbart, an dessen Enden man Klimmzüge machen könnte. Sage ihm, daß man daheim die Steckbriefe gegen ihn eingezogen hätte. Ein Zeuge hat sich gemeldet, der es auf seinen Eid nahm, daß nicht mein Bruder, sondern sein Gegner zuerst zur Waffe griff und mein Bruder nur in Notwehr handelte. Verstehst du, er kann heimkehren. Mam hat den Zeugen aufgetrieben. Mam ließ nicht locker. – Sagst du Bill das alles?« »Sicher«, erwiderte ich. »Und wo ist Miß Maryland?« »Schon abgeritten«, sagte er. »Sie hatte ihr Bündel schon bei sich, als sie herkam. Sie reitet die graue Stute von Vance Kelly und hat ein Gewehr in der Sattelhalfter. – Die feilschte um jeden Dollar. Sie sagte,, du würdest sie sicherlich bald einholen.« Ich würgte einen Fluch hinunter und nickte nur. * Ich ritt nicht schnell, denn ich schonte mein Pferd für die Berge. Erst am späten Mittag holte ich die Meile Vorsprung auf, die Sue Maryland heute am frühen Morgen gehabt hatte. Sie wandte sich nur einmal um. Dann ritt sie unbeirrt auf den Paßeinschnitt zu. Die Wagenstraße war sonst nur von Radfurchen und Hufspuren gekennzeichnet. Jetzt standen da und dort Stangen im Schnee. Aber man konnte auch so geradewegs über eine weiße Ebene reiten. 16 �
Man mußte sich nur nach dem Paßeingschnitt orientieren. Ich sah, daß Sue Maryland wie eine erfahrene Reiterin im Sattel saß. Sie ritt geschmeidig, leicht und lässig wie ein Cowgirl. Das war mir gar nicht recht. Denn sie hatte nun gewiß noch nicht genug. Deshalb würde sie auch nicht umkehren wollen. Als ich neben ihr Steigbügel an Steigbügel ritt, wandte sie den Kopf und sah mich an Ihre Stimme klang spröde: »Ich will Sie nicht aufhalten, Mister. – Doch eine Frage werden Sie mir gewiß beantworten, ja? – Reiten Sie geradewegs nach Lucky Ben? – Ich frage deshalb, weil ich dann nur Ihrer Fährte folgen muß, um nach Lucky Ben zu kommen.« Sie verstummte kühl. Ich fluchte in Gedanken. Sie war ein Biest, dies begriff ich in diesem Moment. Sie wollte mich mit kalter Verachtung strafen. Nachdem ich ihre Bitte ablehnte, war ich bei ihr unten durch, wie man so sagte. Ich grinste sie an. »Na schön«, sagte ich. »Sie haben gewonnen mit Ihrem Dickschädel. Aber Sie werden das noch bedauern. – Allein kämen Sie nie nach Lucky Ben Deshalb muß ich Sie mitnehmen, weil es Christenpflicht ist und ich eine gute Mam hatte, die mir beibrachte durch ihr Wesen und ihre ganze Art, daß man Frauen achten und ihnen helfen muß Na schön, Schwester!« »Vielen Dank, Bruder«, erwiderte sie etwas schnippisch. Dann ritten wir schweigend hintereinander her. Nur manchmal ritten wir Steigbügel an Steigbügel, hielten auch manchmal um unsere Tiere verschnaufen zu lassen. Denn das Land stieg ständig an. Auch der Canyon zum Paßrhinauf stieg stetig. Die Kälte nahm zu, denn die Sonne war schon über uns hinweg und auf der anderen Seite der Bergkette. Sie hatte ohnehin 17 �
nur wenig erwärmt. Nun aber wurde es immer kälter. Der Atem fror auf den Nasen unserer Pferde zu Reif Wir mußten noch langsamer reiten, damit die Tiere nicht zu schwitzen begannen. Die Dunkelheit kam dann schnell. Doch ich wußte, wohin wir mußten. Deshalb ritten wir weiter im ruhigen Schritt. Als der Mond hochkam und die Sterne zu strahlen begannen, hörten wir bald schon das Geheul der Wölfe. Wir saßen wieder einmal ab und liefen ein Stück durch den Schnee, um wieder Gefühl in die Füße zu bekommen. Immer wieder wurden sie von der Kälte gefühllos. Sue hatte sich einen breiten Schal um den Kopf gebunden und unter dem Kinn verknotet. Endlich erreichten wir die halbverfallene Hütte, und wir waren jetzt nicht mehr auf der Poststraße, sondern auf Nebenpfaden, die aber eine sehr große Abkürzung des Weges waren. Wir hielten an. »Das ist unser Hotel«, sagte ich »Wir sind etwa dreißig Meilen von River Port entfernt. – Sue, Sie müssen beide Pferde abreiben und ihnen dann die Futtersäcke mit Mais umhängen. – Können Sie das?« »Sicher«, sagte sie, und ihre Stimme klang immer noch fest. Sie war von diesem harten Tag im Sattel bei dieser Kälte noch nicht zermürbt worden. Was für eine Frau war das? Sie war so reizvoll und so sehr Weib, daß man ihr einen solchen Ritt niemals zugetraut hätte. Zumindest hätte sie jetzt zerbrochen und zermürbt sein müssen. Doch ihre Stimme verriet nichts davon; sie klang fest, fast hart in ihrer Herbheit. Was für einen Kern hatte Sue Maryland? Und warum nahm sie dies alles auf sich, um zu diesem blonden Mann nach Lucky Ben zu kommen? Ich konnte nicht länger mehr darüber nachdenken, denn ich 18 �
hatte zu tun. Ich mußte Tannenzweige schneiden und heranschaffen, das Dach der Hütte ausbessern und eine Ersatztür herstellen. Ich mußte Holz für das Feuer herbeischaffen und das Feuer in Gang bringen. Das alles war in der Dunkelheit nicht so einfach. Aber ich kannte die nähere Umgebung der Hütte einigermaßen. Sue Maryland schleppte dann unsere Sättel und das Gepäck herein. Als sie sich am Feuer niederkauerte, sah ich, daß sie erschöpft war. Ja, nun war sie am Ende. Sie hatte ihre letzte Kraft an diesem Tag bei den Pferden verbraucht. Aber das war für mich ein Zeichen für ihre zuverlässige Tüchtigkeit. Als das Wasser in der Kaffeekanne sich in starken Kaffee wandelte, sah ich über das Feuer hinweg auf Sue Maryland. Sie begegnete meinem Blick mit einem aus ihren grünen Katzenaugen, der kühl und abwartend war. »Sie sind doch ein tüchtiges Mädchen, Sue«, sagte ich. »Ich traute Ihnen das nicht zu, und deshalb bitte ich um Entschuldigung. – Wenn Sie morgen noch durchhalten, werden Sie es auch bis Lucky Ben schaffen.« Ich goß die Kaffeebecher voll und reichte ihr einen über das Feuer hinweg. Der Flammenschein erhellte das Innere der schäbigen und baufälligen Hütte, in der vor vielen Jahren einmal ein Trapper hauste. »Wie heißt der Mann, den Sie in Lucky Ben suchen?« fragte ich. Sie sah mich jetzt schrägäugig an. »Ach«, sagte sie, »was sind schon Namen, John Rosebud?« Da hatte sie recht. Ich fragte nichts mehr. Wir bereiteten uns unsere Lager. Ich ging noch einmal hinaus, um nach den Pferden zu sehen, die dicht bei der Hütte zwischen den Tannen standen und holte noch etwas Holz herein. 19 �
Als ich mich niederlegte, schlief Sue schon auf der anderen Seite des Feuers Ihr Schlaf kam wohl wie eine Ohnmacht Anders konnte es nicht gewesen sein. * In dieser Nacht heulten die Wölfe. Einige Male wurden unsere Pferde unruhig. Sie standen dicht an der Hüttenwand. Die Wärme unseres Feuers zog dort durch die vielen Spalten, Ritzen und Löcher. Der Wind kam von der anderen Seite. Es war ein nur leichter, doch eisiger Wind. Zweimal stand ich auf und glitt hinaus, lauschte und witterte. Denn ich war mir nicht sicher, ob da nur Wölfe in der Nähe waren. Einige Male war mir so, als hörte ich Berglöwen. Und als die Nachtfalken am Himmel zu schreien begannen, da kam mir das merkwürdig vor. Denn was hatten Nachtfalken jetzt zu jagen? Das Kleingetier war irgendwo tief unter dem Schnee verborgen. Waren das echte Falkenschreie? Gab es Indianer in der Nähe? Aber ich war vielleicht nur etwas nervös wegen Sue Maryland. Die Nacht verging ohne Zwischenfälle. Am anderen Morgen nach dem Frühstück – als es gerade hell genug geworden war –, da durchstreifte ich die Umgebung der Hütte. Ich schlug einen großen Kreis. Und da fand ich bald schon die Spuren. Ja, es waren Indianer in der Nähe gewesen – zwei nur. Die Schreie der Nachtfalken waren also nicht echt gewesen. Diese beiden Indianer hatten noch andere herbeirufen wollen. Irgendwo streifte ein größeres Rudel umher und suchte Beute. Es hatte nach allen Richtungen Späher ausgeschickt. Zwei hatten uns aufgespürt. Aber sie waren zu weit weg von ihrem Rudel Ihre Schreie wurden nicht gehört. 20 �
Nun waren sie unterwegs, um das Jagdrudel zu holen. Dies alles wurde mir klar. Und ich fluchte leise. Nun, ich kannte eine Menge Indianer in diesem Land. Viele waren meine Freunde aus meiner Jugendzeit. Ich sprach ihre Sprache und hatte einige Jahre meiner Kindheit in ihren Dörfern verbracht. Später dann auf der Missionsschule in Laramie lernte ich mit den Söhnen und Töchtern großer Häuptlinge zusammen die gleichen Dinge. Diese einstigen Schulkameraden waren heute führende Männer bei den Sioux, Arapahoes und Cheyenne. – Ich machte mir also nicht große Sorgen, war aber nicht sorglos. Jüngere Krieger kannten mich nicht aus jener Zeit damals, als Weiße und Rote friedlich miteinander in diesem Land lebten. Handel trieben und jagten. Wir sprachen nicht viel an diesem Morgen. Sue Maryland war steif vom gestrigen Ritt. Sie bewegte sich nur unter Schmerzen. Gewiß, sie konnte vollendet reiten. Wahrscheinlich hatte sie auf einer Ranch das Reiten gelernt, bevor sie ihren Namen schreiben konnte. Doch sie hatte es dann lange Zeit nicht getan. Deshalb ging es ihr jetzt so schlecht. Doch sie biß die Zähne zusammen. Als dann unterwegs die Sonne hochkam, da hatten sich ihre verkrampften Muskeln wieder gelockert. Sie war warm geworden. Es ging ihr besser. Wir ritten stetig. Ich hielt scharfe Ausschau. Und ich fragte mich, ob wir es noch mit den Indianern zu tun bekommen würden. * Sie hatten sich den Ort gut ausgewählt. Als wir durch die Wickmunke-Schlucht ritten, machten sie dem Namen Wickmunke, was ja soviel wie Falle hieß, alle Ehre. 21 �
Sie ließen uns hinein. Aber der Ausgang war schon versperrt. Und hinter uns kamen sie dann ebenfalls in die Schlucht geritten. Es gab kein Entkommen. Sie hatten uns fest in der Klemme. Sue Maryland sah mich fortwährend von der Seite an. Aber sie sagte nichts. Sie wartete ab. Gewiß hatte sie jetzt eine heiße Angst, und vielleicht konnte sie nicht sprechen, weil diese Angst ihr die Kehle zuschnürte. Aber in ihren Augen erkannte ich, daß sie sich unter Kontrolle halten würde. Sie war eine Frau, die einer Gefahr ruhig entgegensehen konnte. Ich nickte ihr beruhigend zu, indes wir auf die Indianer zuritten, die uns den Schluchtausgang versperrten. Sie wirkten ziemlich bedrohlich, ja sogar fast animalisch in ihren Wolfsfellen und Pelzmützen. Ihre Pferde hatten das struppige Winterfell, und wie sie da so auf uns warteten, wirkten sie wild, gnadenlos und hungrig. Sie waren hier in diesem jetzt so harten Winter Lebewesen dieses Landes, die hart ums Überleben kämpfen mußten. Den Herbst und bis in den Winter hinein hatten sie gegen die Weißen gekämpft und versucht, den Zustrom der Goldsucher aufzuhalten. Ihre Jagd war deshalb schlecht. Es gab nur wenige Wintervorräte in ihren Dörfern. Ja, sie waren gnadenlos geworden, denn die Weißen verdrängten sie aus ihrem Land, jagten sie weiter nach Wyoming und Montana hinüber. Die Friedensverträge und feierlichen Verpflichtungen der Regierung in Washington galten nichts mehr. Das alles wußte ich. Und natürlich machte auch ich mir Sorgen. Denn für die Roten waren unsere Pferde, die Sättel, unsere Waffen, die Decken und unsere Kleidung – ja, sogar der Proviant, den wir bei uns führ22 �
ten, jetzt große Schätze und Kostbarkeiten. Aber ich hatte auch einige Hoffnung. Denn ich hatte Gelbvogel erkannt. Gelbvogel war ein schon recht alter Krieger. Er war kein Häuptling. Doch er wurde von Kriegs- und Jagdtrupps oft zum Anführer gewählt. Auch jetzt schien er der Anführer zu sein. Und ich sah ihm an, daß er auch mich erkannt hatte. Schließlich hatte ich als kleiner Junge mal in seinem Tipi gelebt. Ich hielt an und machte die Gebärde der Ehrerbietung zu meiner Stirn. »Hookahey, ich sehe dich, mein Vater«, sagte ich. »Woyounihan, du bist immer noch der große Krieger, auf den die Häuptlinge hören – und der sich damals des kleinen Jungen annahm, der sonst umgekommen wäre auf der Büffelprärie.« Nun schwieg ich. Aber ich hatte ihm und seinen Begleitern eine Menge zu beißen gegeben. Sie starrten mich an – böse und feindselig. Sie waren hungrig. Pferde, Waffen und alles was uns gehörte schienen für sie so greifbar. Aber da war das andere. Sie hatten mich einst als kleines und hilfloses Kind in ihrem Dorf aufgenommen und mir das Leben gerettet. Sollten sie es mir jetzt nehmen? Darüber dachten sie nach. Und ich war für sie kein Eindringling in diesem Land, kein gieriger Goldsucher. Sie wußten, daß dieses Land hier meine Heimat war wie die ihre auch. Gelbvogel blickte von mir auf Sue Maryland. Sie gefiel ihm, das konnte ich ihm ansehen. Damals – als ich in seinem Zelt lebte – hatte er drei Frauen besessen, die sehr fleißig waren und für seinen Wohlstand sorgten. Sein Zelt war eines der schönsten und bestausgestatteten. Die von seinen Frauen hergestellte Lederkleidung, reich mit Stickereien versehen, war ein 23 �
begehrtes Tauschobjekt. Und all seine Frauen waren schön. Jetzt aber mußten sie schon ziemlich runzlig geworden sein. Er fragte plötzlich: »Ist das deine Squaw? Würdest du sie mir verkaufen? Ich würde dir dafür einen kleinen Creek zeigen, aus dessen Sand du Goldstaub waschen könntest.« Ich setzte eine bedauernde Miene auf, versuchte richtig traurig und betrübt auszusehen. Dann schüttelte ich den Kopf. »Sie trägt mein Kind schon unter dem Herzen«, sagte ich. »Du wirst verstehen, daß ich die Mutter meines Kindes, das vielleicht ein Sohn werden wird, nicht hergeben kann – obwohl es gewiß eine Ehre für mich wäre, meinem Vater eine Freude zu machen. – Aber es geht nicht. – Denn mein Sohn würde ja gewissermaßen dein Enkel sein. – Als du mich damals aufnahmst, wurdest du mein Vater. – Mein Leben lag in deiner Hand.« Er starrte Sue an. In seinen Augen glitzerte es. Oha, er war immer schon scharf gewesen auf jede Frau. Aber dann bezwang er sich. Er nickte mir zu. Dann machte er eine Armbewegung. Die Indianer öffneten für uns eine Gasse. Ich ritt hindurch. Sue folgte mir. Bei Gelbvogel hielt ich kurz an. Ich reichte ihm meinen vollen Tabaksbeutel. »Ich möchte dir eine kleine Freude machen«, sagte ich. »Du hast mir in deinem Zelt oft das beste Stück Fleisch gegeben, weil ich so klein und schwach war. – Du bist immerzu stark in meiner Erinnerung.« Er freute sich. Ich sah es in seinen Augen. In seinem Kern war Freude. Er nahm den Beutel. Und er verstand meine Geste. – Ich wollte ihm wirklich eine Freude machen. Denn er war gut zu mir gewesen. Immer wenn wir uns sahen – und das geschah nur alle paar Jahre , hatte ich ihm eine Freude machen wollen. 24 �
Wir ritten weiter. Sue sagte eine ganze Weile nichts. Fast eine Meile ritten wir schweigend. Dann fragte sie: »Wollte er mich haben? Ich verstand zwar kein Wort, doch ich konnte spüren, daß er mich haben wollte, dieser alte Wolf. – Ja?« Ich nickte. »Ja, er wollte dich haben. Schwester.« Sie schluckte. »Und warum verzichtete er dann auf mich? Er hätte mich dir leicht wegnehmen können, nicht wahr?« Ich nickte. »Leicht«, sagte ich. »Doch ich sagte ihm, daß du meine Frau wärest und von mir ein Kind unter dem Herzen tragen würdest. – Er war einige Jahre in meiner frühesten Kindheit mein Stiefvater. Er rettete mir das Leben. – Und gewissermaßen betrachtet er sich jetzt als Großvater unseres Kindes.« Sie schluckte mehrmals. Ihre Augen blickten mißtrauisch. Zuerst glaubte sie wahrscheinlich, daß ich sie auf den Arm genommen hätte, wie man im Volksmund so treffend sagt. Aber dann begriff sie den Ernst der Sache. »Und was wollte er für mich geben?« »Einen ganzen Creek mit goldhaltigem Sand«, erwiderte ich. »Deine grünen Augen hatten es ihm gewiß sehr angetan.« Sie wurde nun wütend. »Diese verdammten Barbaren«, sagte sie. »Diese verdammten Burschen, mögen sie rot oder weiß sein. – Es gibt immer wieder welche, die möchten sich immer nur nehmen, was ihnen gefällt. Und in diesem Lande hier sind diese Wilden wohl besonders günstig dran, nicht wahr? Ich meine diese Wilden jeder Hautfarbe.« Ich nickte nur. Ja, sie hatte sicherlich recht. Solche Wilde gab es unter allen Rassen. 25 �
Und in diesem Lande hier brauchten sie sich kaum Zwang anzutun. Auch nicht in Lucky Ben. Auch dort gab es die Wilden, die Bösen, die Harten und die Sündigen – und kaum Reine und Gute. Diese Sue Maryland würde es nicht leicht haben. * Die zweite Nacht mußten wir im Freien verbringen, allerdings im dichten Tannenwald und geschützt durch eine Wand von Tannenzweigen, die des Feuers Wärme zurückwarfen. Wieder hörten wir die Wölfe heulen. Sue Marlyand ging es noch schlechter als gestern. Denn wir waren heute fast vierzig Meilen geritten. Ich mußte mich selbst um unsere Pferde kümmern, nachdem ich das Camp aufgeschlagen und das Feuer angemacht hate. Sue konnte sich nicht mehr bewegen, nachdem sie erst abgesessen war. Auch essen und trinken wollte sie nicht. Sie war erledigt. Ich flößte ihr etwas Kaffee ein. Dann sagte ich: »Schwester, du wirst morgen nicht in den Sattel können. – Es gibt nur eine Möglichkeit, dir zu helfen.« Ihre Augen öffneten sich langsam. »Welche?« fragte sie gepreßt. »Ich mache noch ein zweites Feuer«, sagte ich, »damit du nicht mehr zu sehr frierst, wenn ich dich ausziehe. Ich habe in meiner Satteltasche eine Flasche hochprozentigen Schnaps. Damit reibe ich dich ein und knete dich dann durch wie unsere Pferde. Deine verkrampften Muskeln müssen sich lockern. – Wie willst du es haben?« Sie begriff alles genau. 26 �
Und sie starrte mich an. So erschöpft sie war, jetzt wurde sie wach. Ich grinste schief und stoppelbärtig. »Du bist sicherlich nackt sehr schön«, sagte ich, »so schön wie eine Göttin. Ja, das glaube ich. – Doch ich werde es gar nicht sehen. – Denn du bist zu krank. – Verstehst du? Für mich bist du vorerst eine Kranke. Also, wie willst du es haben?« Sie nickte. Und da machte ich mich an die Arbeit. Oha, sie war wirklich schön. Sie hatte den schönsten Körper, den ich jemals sah bei einer Frau. Doch dies hier war kein Liebesnest. Sie war wirklich krank und völlig erledigt. Die Feuer brannten, verbreiteten Wärme, die von dem Wall aus Tannenzweigen zurückgeworfen wurde und nur nach oben aufsteigen konnte. Ich rieb Sue von Kopf bis Fuß mit dem Schnaps ein und begann sie zu kneten und zu massieren. Sie stöhnte, knirschte, wimmerte vor Schmerzen. Ich kam mir wie ein grausamer Folterknecht vor. – Aber dann spürte ich unter meinen Händen, wie sie sich entspannte, wie es ihr endlich wohl zu tun begann und sich alles löste in ihren Muskeln und Sehnen.« Als ich sie zudeckte und warm einhüllte, war sie schon eingeschlafen. * Am anderen Morgen sprachen wir kein Wort über das was gestern war. Und dennoch war ein nachdenklicher Ausdruck in Sues Augen, wenn sie mich ansah. Es kam mir immer so vor, als betrachtete sie mich anders als zuvor. Wir ritten bald weiter – und wieder einen ganzen Tag lang. 27 �
Manchmal liefen wir, um warm zu werden und unsere Pferde zu entlasten auf den steilen Hängen. Am Nachmittag erreichten wir die Poststraße deren Umwege wir abkürzten. Es war fast schon Abend, als wir die Kanaska Creek Station erreichten. Es gab hier ein Gasthaus mit einem Store. Im Herbst waren die beiden Ufer des Creek rot von den Kanaskabeeren-Sträuchern. Aus dem Saft der Beeren machten die Indianer die rote Farbe für all ihre Lederstickereien und was sie sonst noch alles rot färbten von ihrem bunten Zeug, auch für die Webarbeiten. »Bisher hatte ich – wenn möglich – die Kanaska Creek Station stets gemieden. Denn ich wußte längst, daß die Goldwölfe des Landes hier ihre Spione sitzen hatten und diese jede Beobachtung mit irgendwelchen Zeichen weiterleiteten. Aber jetzt mußten wir hin. Sue mußte sich erholen, in einem richtigen Bett schlafen und nicht mehr die Kälte spüren oder vom Feuer fast geröstet werden. Sie brauchte gewiß auch eine große Wanne mit heißem Wasser. Wir ritten also hin. Der Stationsmann war hier Portuge-Phil, ein Halbblutmann, den die Indianer wegen seiner indianischen Frau und den vielen Kindern noch nicht umgebracht, hatten. Doch eines Tages würde er sich entscheiden müssen, ob er ein Roter oder ein Weißer war. Er nickte uns zu. Seine schrägen Augen funkelten bei Sues Anblick. Ma'am«, sagte er, »gehen Sie gleich die Treppe hinauf ins hintere Zimmer links. Ich schicke Ihnen meine Frau. Die kümmert sich um Sie.« Oha, ich wußte sofort, warum er das sagte. Drinnen im Gastraum mußte eine üble Gesellschaft versammelt sein. Ich sah 28 �
drüben beim Stall im Windschatten einige Sattelpferde stehen. Sie standen schon lange dort, denn jedes hatte einen Haufen Pferdeäpfel hinter sich liegen. Auch hier vor der Station standen ein paar Tiere an der Haltestange. Sie alle waren struppig mit ihrem zottigen Winterfell. Es waren zähe und harte Tiere, so wie mein Cheyenne. Die waren in diesem Lande geboren und kannten die Winter. Ich nickte Sue zu. Sie gehorchte sofort, glitt aus dem Sattel und ging in das Haus hinein und die Treppe im Vorraum hinauf. Ich lenkte zum Stall hinüber und zog Sues Stute mit mir. Der Stallmann tauchte auf. Er war ebenfalls ein Halbblut. Ich wußte, daß ihm unter dem langen Haar beide Ohren fehlten. Es gab bei einigen Indianerstämmen den Brauch, Diebe- und Betrüger zu bestrafen, indem man ihnen die Ohren, Nasen oder Finger abschnitt und sie dann aus dem Stamm verstieß. Irgendwo war dieser Bursche auch einmal ausgestoßen worden nach einer Bestrafung. Aber von Pferden verstand er etwas. Ich konnte ihm unsere beiden Tiere mit gutem Gewissen anvertrauen. Er würde sich bestens um sie kümmern und ihnen dann auch das richtige Futter geben. Als ich wieder vor das Stationshaus kam, stand Portuge-Phil immer noch vor der Tür. Er schien zu wittern. Als ich mit dem Gepäck zu ihm trat, sagte er: »Die ist zu schön, um sie überall zeigen zu können. Paß nur gut auf sie und dich auf. Ich kann hier keine Partei ergreifen. Ich muß hier leben. Sie zünden mir die Station an oder knallen mich in der Dunkelheit ab, wenn ich gegen sie Partei ergreife. – Ich muß hier leben, verstehst du? Und du stehst auch auf ihrer Abschußliste – schon lange. Warum bist du hergekommen?« Ich sagte nichts, sah ihn nur an. Er wurde etwas dunkler im 29 �
Gesicht. »Sie warten hier auf etwas«, murmelte er, »auf ein Zeichen vielleicht, ein Signal. – Vielleicht versuchen wieder mal ein paar Goldgräber mit ihrer Ausbeute davonzuschleichen – Du bist überfällig, nicht wahr?« Ich nickte, trat ein und ging mit dem Gepäck die Treppe hinauf. Als ich in das Zimmer trat, saß Sue auf dem Bettrand. Eine große Holzwanne stand schon im Zimmer. Bald würde PortugePhils Frau heißes Wasser anschleppen. Ich sagte: »Du mußt hier oben essen. Unten ist eine böse Bande. Ich weiß nicht, wann sie von hier wegreiten wird.« Sie nickte. Dann deutete sie auf die Tür. »Da ist kein Schloß, kein Riegel. – Hier kann jeder rein.« »Nein«, sagte ich. »Denn ich bin hier immer in deiner Rufnähe. Hier kann nicht jeder rein. – Ich gehe jetzt hinunter und wasche mich in der Küche. – Mache dir keine Sorgen.« Ich ging zur Tür. Als ich sie öffnen wollte, sagte sie: »John!« Ich hielt an und wandte den Kopf, blickte über die Schulter. »Ja, Sue?« »Danke«, sagte sie. »Wofür?« Daß du so anständig zu mir bist.« »Bin ich das? Vielleicht kommt erst noch das dicke Ende für dich mit mir?« Ich grinste. Aber sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, in dieser verdammten Welt bist du unter den Sündern sicherlich kein Reiner, doch aber unter den Bösen ein Guter. Ich danke dir!« Ich wandte mich und lehnte mich gegen die Tür. 30 �
»Aber vielleicht bin ich ein Dummkopf in diesem Land«, sagte ich langsam. »Vielleicht war und ist es dumm von mir saublöd – dich nicht bezahlen zu lassen mit den Schätzen einer schönen Frau. Und vielleicht lasse ich dich noch zahlen. Denn wir sind ja immer noch nicht in Lucky Ben. – Na?« Sie betrachtete mich noch einmal kritisch, und ihr Instinkt strömte gegen mich und versuchte in mich einzudringen. »Nein«, sagte sie, »du nimmst dir nichts, was ich dir nicht freiwillig gebe. Du bist zu stolz.« Da sagte ich nichts mehr, sondern ging hinaus und die Treppe hinunter. Sie war eine erfahrene Frau, diese Sue Maryland. Was mochte sie in Lucky Ben wollen? * Portuge-Phil wartete unten auf mich, und er stand in meiner Nähe, als ich mich in der Küche in der Ecke bei der kleinen Handpumpe wusch, auch rasierte. Er sah mir wortlos zu. Als ich fertig war, sah er mich an. »Die wissen schon, daß du mit einer schönen Frau gekommen bist«, sagte er. »Die wissen es schon. Einer von ihnen muß es durch das Fenster gesehen haben Sie bekamen auch mit, daß meine Frau einige Eimer heißes Wasser hinauftrug. Sie kennen dich genau. Sieh dich vor.« Ich nickte. Und die ganze Zeit überlegte ich. Was sollte ich tun? Oha, jeder vernünftige und friedliche Mensch hätte mir jetzt den Rat gegeben, den Kerlen dort drinnen fernzubleiben und sie nicht noch durch mein Erscheinen herauszufordern. Zurückhaltung wäre also für jeden vernünftigen Menschen das Gebot der 31 �
Stunde gewesen. Doch hier in diesem Land war alles anders. Ich wußte es längst. Zurückhaltung würden die Kerle dort drinnen als Feigheit ansehen. Und je länger sie dort drinnen saßen, tranken und auf etwas warteten, um so mehr würde es sie nach etwas jucken. Nein, ich konnte mich nicht vor ihnen verkriechen. Ich wollte in diesem Lande noch viele Wege reiten und das mir anvertraute Gold nach River Port bringen. Es war ein guter Verdienst. Er war besser als die Jagd auf Pelztiere. Denn auch dabei konnte man leicht seinen Skalp oder zumindest das Leben verlieren. – Viele Wege – viele Kämpfe So war es. Und da half mir schon viel, wenn man mich respektierte, ja sogar fürchtete. Also durfte ich niemals kneifen vor diesen Strolchen, Wegelagerern, Goldwölfen und Banditen. Ich grinste Portuge-Phil an. »Deine Frau soll ihr ein Essen hinaufbringen. Und mir bringt ihr das Essen in den Gastraum. Du weißt ja, wie ich dal Steak haben will.« Nach diesen Worten rückte ich meinen Colt zurecht und ging hinüber. Der große Raum war zu Hälfte ein Store und vom Gast- und Schankraum nur durch den Ladentisch getrennt. In den Regalen lagerten irgendwelche Dinge. Kisten, Ballen, Stapel und Fässer waren überall. Bei einem Faß stand ein krummbeiniger Bursche und fischte gerade eine Salzgurke aus der Lauge. Er biß knorpelnd hinein und sah mich dabei aus dreieckigen Augen hart an. »He, Rosebud«, sagte er dann. Ich kannte ihn. Er war ein Townwolf aus Lucky Ben, und obwohl er von unbestimmbaren Einkünften lebte, gab er stets viel Geld aus. 32 �
Ein zweiter Mann saß auf dem Ladentisch und lutschte an einer Zuckerstange wie ein Kind. Doch er war kein Kind, sondern ein wildäugiger Bursche, einer von der Sorte, die sich mit Kühnheit behauptete und gar nicht verwegen genug sein konnte. Er deutete mit der Zuckerstange auf! mich und sagte: »Ja, das ist wahrhaftig der große Lederstrumpf John Rosebud. -Hay, wie geht es denn? Wer ist denn diel Schöne, die sich da hochgeschlichen hat und jetzt offenbar badet? – Wirst du später zu ihr ins Bett steigen?« Er lachte laut. An einem Tisch hockten drei Kerle. Sie spielten Poker. Doch jetzt legten sie die Karten weg und sahen auf mich. Ich setzte mich an einen Tisch, von dem aus ich durch die offene Tür auf die Treppe nach oben blicken konnte. Portuge-Phil würde mir bald das Essen bringen. Ich hörte aus der Küche das Steak schon in der heißen Pfanne zischen. Ich spürte Hunger. Portuge-Phils Frau, die von oben kam, verschwand ebenfalls in der Küche. Ich dachte bitter: Dieses Land war früher schön, friedlich und gut. – Aber dann fand man Gold in den Black Hills. Und nun ist der ganze Dreck der Menschheit hier und will schnell reich werden auf jede nur mögliche Art. »Heh, ich rede mit dir, Lederstrumpf!« Dies sagte der Mann mit der Zuckerstange. Er glitt vom Tisch herunter, lehnte sich nur noch leicht an diesen. Ich sah ihn an und sagte. »Halt dein Maul. Wenn ich mit dir reden will, werde ich dir das sagen.« Es war still. Sie starrten mich an – alle fünf. Und sie wußten jetzt Bescheid. Ich war nicht aus Dummheit hier hereingekommen. Und ich 33 �
war nicht weggeblieben, weil ich kneifen wollte. Nein, ich war hier, weil ich ihnen die Wahl überließ. Sie begriffen in diesen Sekunden, daß ich niemals kneifen würde, weil ich immer und zu jeder Zeit meinen Weg reiten wollte in diesem Land – selbst wenn ich auf jedem Weg immer wieder kämpfen mußte. Sie dachten darüber nach, und sie konnten das alles nicht so schnell glauben. Schließlich waren sie fünf – ich aber nur allein. Und dennoch – so dumm waren sie nicht. Zumindest den Instinkt von zweibeinigen Wölfen besaßen sie. Portuge-Phil brachte mir nun das Steak. Er schwieg. Doch sein Blick wollte uns alle beschwören, hypnotisieren. Er ging dann in den Storeteil des Raumes und begann in den Regalen herumzuräumen und irgendwelche Dinge zu sortieren. Ich begann zu essen, und das Schweigen dauerte an. Draußen war nun die Nacht. Die Lampen allein erhellten nur noch den Raum. Ihr gelbes Licht fiel jetzt durch alle Fenster und war weit sichtbar in der Nacht. Der Bursche mit der Zuckerstange warf diese plötzlich fluchend zu Boden und zertrat sie mit dem Absatz. »Verdammt«, sagte er, »so lasse ich nicht mit mir umspringen. – Von dir lasse ich mir nicht sagen, daß ich mein Maul halten soll, Lederstrumpf!« Ich hatte mir das Steak schon zerschnitten und aß mit der Rechten. Die Linke hielt ich bereit. Denn es war die zwar traurige und bittere, doch aber absolute Gewißheit in mir, daß ich bald ziehen mußte. »Paß auf, mein Freund«, sprach ich kauend. »Ich suche keinen Streit, doch ich lebe schon zu lange in diesem Land, um jedem hergelaufenen Strolch Platz zu machen auf meinen Wegen. – Ihr 34 �
kennt mich – und ich kenne euch. Zwei von euch mußten daran glauben, weil sie mir vier Kilo Gold abnehmen wollten, während des letzten Blizzards. – Ich gebe dir und deiner Sorte einen Rat: Laßt mich in Frieden, und ihr werdet mit mir keinen Ärger haben. – Verstanden?« Oh, sie wußten genau, von wem ich sprach, als ich sagte, daß zwei von ihnen daran glauben mußten. Dieser French-Pierre und sein Partner McMullen waren in Lucky Ben gewiß längst überfällig. Ihre Freunde aber wußten, daß sie hinter mir und dem Gold hergewesen waren. Ich spürte den Haß der Kerle. Und der Bursche am Ladentisch, der seine Zuckerstange zertrat, zog plötzlich seinen Colt. Ich schoß unter dem Tisch hindurch – und ich schoß gleich noch eine zweite Kugel ab, weil der andere Bursche am Gurkenfaß gleichfalls zog. Ich traf sie beide, aber nicht schwer. Sie hätten noch weiter gegen mich kämpfen können. Doch sie gaben auf. Sie wußten, daß ich sie töten konnte – und auch töten mußte, machten sie weiter. Und sie begriffen in diesem Moment erst, daß sie mir nicht gewachsen waren. Nun kam ich ihnen nicht mehr wie ein Dummkopf vor, der sich überschätzte und deshalb hier an den Tisch setzte. Sie stöhnten, fluchten. Aber sie ließen ihre Revolver fallen. Die drei Pokerspieler waren aufgesprungen. Sie verharrten lauernd. »Von eurer Sorte«, sagte ich zu ihnen, »sind mir fünf nicht zuviel. Und ich sage es euch jetzt noch mal: Laßt mich meiner Wege reiten, laßt mich in Frieden, dann geschieht euch nichts. Irgendwann sollte das doch auch der dümmste Bumskopf unter euch begreifen. – ich suche keinen Streit. Aber laßt mich meine Wege reiten.« 35 �
Damit hatte ich« es ihnen noch mal in aller Dringlichkeit gesagt. Die beiden Verwundeten – einen hatte ich am Revolverarm verwundet,, den anderen leicht an der Hüfte getroffen stolperten hinüber zu Küche. Portuge-Phil folgte ihnen. Er warf nur einen Blick zu, der eine Mischung von Bitterkeit und Erleichterung enthielt. Es war also besser ausgegangen, als er befürchtete. Er würde die beiden Kerle verbinden. Einer von den drei Pokerspielern bewegte sich. Er ging hin, hob die beiden Revolver auf und legte sie auf den Schanktisch. Dann sah er mich an. »Vielleicht sind dir fünf von uns nicht zuviel«, sprach er böse. »Doch es gibt noch andere Sorten. Denen bist du nicht zu groß denen nicht. Das wirst du schon noch herausfinden.« Ich sagte nichts mehr, aß weiter. Sie setzten sich auch wieder und nahmen lustlos ihr Pokerspiel wieder auf. Portuge-Phils Frau kam von oben herunter, sah zu uns herein, dann in die Küche und eilte wieder hinauf. Ich wußte, daß sie jetzt Sue Bescheid sagte. Überhaupt – Sue… Wegen ihr hatte ich nun schon eine ganze Menge getan Aber sie gefiel mir mächtig. Und sie vertraute mir. Denn die ganze Zeit war sie mir ausgeliefert. Sollte ich jetzt gleich nach oben gehen und mich zu ihr legen? Was würde sie tun? Meine Gedanken wurden unterbrochen. Die beiden Verwundeten kamen aus der Küche wieder herüber Sie waren harte Burschen, denen solche Verletzungen nicht allzuviel ausmachten. Nachdem sie den ersten Schock des Getroffenseins überwunden hatten, war es gar nicht mehr so schlimm für sie. Jener, der die Gurke gegessen hatte, hielt bei mir an. »Na schön, großer Meister«, sagte er. »Du hast mit uns gespielt 36 �
wie ein Berglöwe mit ein paar Pinschern – na schön.« Ich erwiderte nichts. Sie gingen zum Tisch der Pokerspieler und setzten sich dort nieder. Man füllte ihnen die Gläser. Sie tranken schnaufend. Portuge-Phil kam und holte mein leeres Geschirr weg. Es blieb still. Wir warteten. Ja, ich begriff, daß hier eine große Warterei im Gange war. – Diese fünf Kerle warteten. Ich wartete – und auch Portuge-Phil wartete voller Sorge, daß es vielleicht doch noch einmal losgehen könnte. Dann dachte ich wieder an Sue. Sie war gebadet, hatte gegessen und lag jetzt in dem großen Bett. Wartete sie auf mich? Verdammt, was bildete ich mir da ein? Nur weil wir eine Weile lang Partner! waren, weil ich ihr half wie ein Bruder – nur deshalb schon würde sie mich gewiß nicht lieben wollen. Nein, so eine war sie nicht. Draußen ertönte ein Pfiff – dann noch einer und wieder einer. Drei Pfiffe. Was hatten sie zu bedeuten? Die Kerle drüben am Tisch erhoben sich. Sie starrten zu mir her – abwartend, mißtrauisch, so wie Wölfe, die noch nicht wissen, ob ihnen ein Berglöwe die Beute streitig machen will. Aber ich bewegte mich nicht. Ich sah ihnen nur zu, wie sie ihre Mäntel oder Felljacken anzogen und hinaus in die Nacht gingen. Bald schon hörte ich ihre Pferde. Sie ritten fort. Eine Stimme brüllte fast kreischend aus der Nacht zum Haus zurück: »Rosebud, dich wird auch noch was erwischen! Du saust auch bald zur Hölle!« Dann wurde das Hufgetrampel auf? dem gefrorenen Schnee lauter und entfernte sich allmählich. Portuge-Phil kam zum Verkaufstisch und sah zu mir herüber. »Viele Wege – viele Kämpfe«, sagte er. »Und irgendwann erwischt es jeden. Die hatten noch einen sechsten Mann da draußen. 37 �
– Der sah das Feuer. – Es war ein Signal, ein Zeichen. – Nun reiten sie.« Ich nickte und wußte genau, was das zu bedeuten hatte. Ein paar Goldgräber waren in Lucky Ben mit ihrer Goldausbeute aufgebrochen und würden nun versuchen, damit bis nach River Port zu kommen. Aber die Banditen des Goldlandes waren schon alarmiert. Die warteten schon hier auf das Zeichen. Und nun würden sie gewiß einen Hinterhalt legen. Portuge-Phil betrachtete mich ernst. Ich wußte genau seine Gedanken. Aber ich schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Sheriff«, sagte ich. »Ich bin nicht anderer Männer Hüter. In diesem Land ist jeder sein eigener Hüter. – Ich müßte dort draußen in der Nacht töten. Aber ich will nicht töten. Nein, Phil, ich folge deinen lieben Gästen nicht. Ich bleibe hier sitzen.« Er nickte und er war erleichtert. »Du bist ein einsamer Wolf«, sagte er nach einer Weile. »Du hast es längst aufgegeben, diese Welt ändern oder verbessern zu wollen. Vielleicht ist das gut so. Denn jeder hat mit sich genug zu tun.« »Richtig«, sagte ich. »Auch du, nicht wahr?« Er nickte. »Meine Frau will mit den Kindern zu ihrem Volk zurück«, sprach er weiter. »Sie ist eine Arapahoe. Ich aber bin zur Hälfte ein Comanche. Wie kann ich unter den Arapahoes leben? Da will ich schon lieber unter den Weißen bleiben, obwohl…« Er verstummte, und er wollte etwas über die Weißen sagen, was gewiß nur verächtlich geklungen hätte. Ich entschloß mich. Ich ging hinauf in unser Zimmer. Sue lag im Bett und schlief. Die Lampe brannte noch. Aber Sue war vor Erschöpfung nach dem heißen Bad und dem Essen eingeschlafen. 38 �
Ich nahm mir das zweite Kopfkissen und die Decke und legte mich innen quer vor die Tür. Wer zu uns hereinwollte, würde mir die nach innen sich öffnende Tür gegen den Körper stoßen. Ich schlief schnell ein. Nein, es beschäftige mich nicht, daß dort draußen in der Nacht einige Goldwölfe Jagd auf ein paar Goldgräber machten, die sich mit iher Ausbeute aus dem Lande zu schleichen versuchten. Dies kam sehr oft in diesem Land hier vor. Und ich selber wurde ja auch schon oft genug von Banditen gejagt, die mir auflauerten oder mich verfolgten. Hier war jeder sein eigener Hüter. * Als ich Sue weckte, standen die Pferde schon fertig zum Abritt vor der Tür. Sie mußte nur noch aufstehen, sich ankleiden und ein paar Happen essen. Ich mußte sie ziemlich fest anfassen und eine Weile schütteln. Dann erwachte sie mit einem Seufzer und sah mich im hereinfallenden Licht der Morgendämmerung an. Es war nicht viel dämmrige Helligkeit, denn die Fenster waren mit Eis bedeckt. Unsere Atemluft hatte sich fort als Eis festgesetzt. Es war kalt im Zimmer. Wenn du dich beeilst«, sagte ich, »sind wir heute am Abend in Lucky Ben. Du möchtest doch immer noch nach Lucky Ben – oder?« Nun war sie richtig wach. Sie schien sich zu erschrecken, und es sah einen Moment so aus, als würde sie sich kleinmachen wollen unter der Decke, so wie ein Kind, welches sich fürchtete und verkriechen wollte. Aber das war nur ein kurzer Moment. Dann hatte sie sich schon wieder unter Kontrolle und fest im 39 �
Griff. Sie konnte es sich in diesem Lande nicht leisten, sich vor der Zukunft zu fürchten. Sie sagte: »John, du hast gestern dort unten mit einigen Strolchen kämpfen müssen, nur weil ich so erledigt war und ein Bett brauchte. Allein hättest du hier niemals Station gemacht – John, ich danke dir.« Ihre nackten Arme kamen unter der Decke hervor. Sie umschlang meinen Nacken, zog mich nieder und küßte mich. Ich war nur einen kurzen Moment überrascht Und dann griff ich zu. Das war ja wohl ganz natürlich – oder? Aber ihr Kuß – am Anfang zärtlich und süß – wurde schnell anders. Ihr Körper versteifte sich, als wäre sie plötzlich eine Holzpuppe geworden. Ich begriff, daß etwas nicht funktionierte. Ich gab sie frei und richtete mich auf. Einige Atemzüge lang stand ich an ihrem Bettrand und sah auf sie nieder. »Was ist falsch?« fragte ich schließlich. »Verzeih mir«, sagte sie. »Ich gab einem Impuls nach. Doch aus uns beiden kann nichts werden. Verzeih mir, aber es kann aus uns nichts werden. – Es geht nicht.« Mir lagen viele Fragen auf der Zunge. Doch ich spürte, daß sie mir nichts sagen würde. In ihren Augen schimmerte es nun feucht. Sie würde gleich zu weinen beginnen, wenn ich noch ein einziges Wort sagte oder gar auf sie einwirkte, mit mir über die Dinge zu reden, die sie nach Lucky Ben führten. Denn eines war mir klar: Lucky Ben würde des Rätsels Lösung bringen – und jener blonde Bursche, nach dem sie schon in River Port gefragt hatte. In Lucky Ben würde ich gewiß mehr über ihre Probleme erfahren und dann sicherlich auch wissen, warum aus ihr und mir nichts werden konnte. Denn ich wollte sie haben… Ja, verdammt noch mal, ich wollte diese Frau haben. Ich wäre völlig unnormal und eine blöde 40 �
Pfeife gewesen, hätte ich nicht diesen Wunsch stark in mir gespürt. Nun, wir würden sehen. Ich wandte mich ab und ging. Ich brauchte nicht lange zu warten. Sie hatte rasch ihr Frühstück eingenommen. Als sie heraus kam, stand die Sonne schon im Paßeinschnitt zu unserer linken im Osten. Aber wir wandten ihr dann im Sattel den Rücken zu und ritten genau nach Westen tiefer in die Black Hills hinein. * Es war schon fast Abend, als wir nach Lucky Ben hineinritten. Überall im großen Canyon brannten schon die Lichter und Feuer. Es gab überall und besonders zu beiden Seiten des Creeks tausende von Claims. In die steilen Hänge des Canyons führten Minenstollen. Obwohl alles mit Schnee bedeckt war, wurde tagsüber auf vielen Claims gearbeitet. Alle Minen waren in Betrieb. Man taute auf den freien Claims die Erde mit Feuer auf, hackte, kratzte und schaufelte, mühsam. Ich wußte, daß es so war. Jetzt allerdings war Feierabend. Wir ritten längst nicht mehr allein auf der Straße, deren Schnee sehr zertrampelt, zerfahren und zerstampft war und eine schmutzige Farbe hatte. Die Goldgräber und Minenarbeiter strömten jetzt nach Lucky Ben. Denn dort fanden sie Zerstreuung. Dort gab es auch alle fragwürdige Freuden, nach denen sich einsame un hart schuftende Männer in Ermangelung der echten Dinge sehnten. In Lucky Ben gab es Licht und scheinbare Wärme, konnte man sich Freundlichkeit kaufen, hoffte man, daß man inmitten dieser unheilen 41 �
Welt etwas Glück finden! könnte. Aber das gab es nicht. Diesen Goldgräbern und Minenleuten ging es wie Seeleuten, die nach langer Fahrt in einen Hafen kommen und dort in den Tingeltangels ausgenommen und gerupft werden wie Gänse. Lucky Ben war schon voll in Betrieb, als wir vor das O.K. Hotel ritten. »Es gibt keine freien Zimmer mehr hier in dieser Stadt«, sagte ich zu Sue. »Du mußt mit meinem Zimmer vorliebnehmen. Sage dem Portier, daß ich dir mein Zimmer abgetreten habe. Ich komme eher irgendwo bei Freunden unter als du. – Wenn ich die Pferde im Mietstall versorgt habe, werde ich noch einmal nach dir sehen. – Gut so, Sue?« Sie saß noch still im Sattel und sah sich um. Dann wandte sie sich zu mir. »Bitte verkaufe mein Pferd und den Sattel«, bat sie mich. »Ich brauche beides nicht mehr. Aber das Geld habe ich sehr nötig.. Verkaufe beides am besten sofort. – Und bringe mir das Geld. Willst du das noch für mich tun?« Ich nickte, und ich wollte ihr sagen, daß ich ihr gerne Geld geben würde, ja, daß ich in dieser Stadt für sie sorgen konnte. Denn ich hatte Geld genug. Aber ich ließ es. Denn ich spürte, daß sie es ablehnen würde. Sie wirkte nun trotz ihrer Bitte, die zugleich auch ein Eingeständnis ihrer Mittellosigkeit war, sehr stolz. Und so sagte ich nichts, nickte nur. Sie saß ab und reichte mir die Zügelenden. Dann ging sie mit ihrem wenigen Gepäck ins Hotel. Ich ritt weiter zum Mietstall. Als ich vor dem Tor hielt, kam Tate Tatum säbelbeinig heraus. Er kannte mein Pferd und natürlich mich; zwischen uns gab es eine stillschweigende Freundschaft. Wir mochten uns, ohne jemals darüber gesprochen zu haben. 42 �
Tate Tatum kam zwischen die beiden Pferdeköpfe. Er sah zu mir hoch. »Vorsicht«, sagte er. Ich glitt aus dem Sattel. »Was?« fragte ich nur. »Bart Starretter«, sagte er trocken. Ich nickte und öffnete den Torflügel weiter, so daß Tate Tatum mit den beiden Pferden in den Stall konnte. Hinter ihm schloß ich den Torflügel wieder. Als ich mich umwandte, sah ich Bart Starretter auf der Futterkiste sitzen. Mein Cheyenne stand noch im Vorraum. Tate brachte erst Sues graue Stute in eine der hinteren Boxen. Ich nahm mein Gepäck herunter, also die Satteltaschen und das Bündel hinter dem Sattelzwiesel. Bart Starretter beobachtete mich. Er schnitzte an einem kleinen Kunstwerk, einem etwa handgroßen Pferdchen, an dem trotz der Kleinheit alle winzigen Einzelheiten stimmten. Bart Starretter war ein schon grauköpfiger Revolvermann, aber seine Grauköpfigkeit täuschte. Er war noch nicht so alt, wie er aussah. Seine Bewegungen waren geschmeidig. Er mochte vielleicht ein halbes Dutzend Jahre älter sein als ich, ganz gewiß nicht mehr. Doch er wirkte wie ein grauer Wolf, der ruhig warten und blitzschnell angreifen konnte. Tate Tatum kam, um nun auch mein Pferd nach hinten zu holen. Er konnte gewiß nicht hören, was wir sagten. Es waren zuviele andere Geräusche im Stall. Ich trat näher und betrachtete das kleine Kunstwerk in Starretters Händen. Es war schon fast fertig. Er würde es einem Kind schenken. Ja, es gab auch einige Kinder im Canyon und in Lucky Ben. Einige Handwerker und Kaufleute hatten ihre Familien bei sich – zum Beispiel der Erzprüfer, der Waffenschmied und Büchsenmacher, 43 �
der Post- und Frachtagent. Bart Starretter, dessen Hände schon einige Männer töteten im Revolverkampf, verschenkte kunstvoll geschnitzte Pferdchen an Kinder oder Frauen. Ich nickte ihm zu. »Schönes Ding, das da«, sagte ich. »Es ist dein Cheyenne im Maßstab eins zu zwanzig«, murmelte er. Dann zeigte er mir das Kunstwerk. Ich nahm es, und tatsächlich, ich erkannte all die Merkmale meines Pferdes wieder. »Du bist ein Künstler«, sagte ich. »Du könntest im Osten und drüben in Europa ein berühmter Holzschnitzer sein.« Ich wollte ihm das Pferdchen zurückgeben. Doch er wehrte ab. »Ich schenke es dir«, sagte er. »Zum Zeichen, daß ich persönlich nichts gegen dich habe. – Verstehst du?« Ich sah ihn an. Er war etwas kleiner als ich, sehniger noch. Aber in seinen Augen war etwas, was seine körperliche Unterlegenheit mir gegenüber gewiß ausglich. Er war ein Mann, der letztlich von seinem Colt lebte und zum Töten bereit war. Ich spürte den Sinn seiner Worte. Er hatte nichts gegen mich persönlich. Doch er würde mit dem Colt auf mich losgehen wenn dies notwendig werden sollte. Nun mußte deshalb auch seine Warnung kommen, wann dies eintreten würde. Er sah mich hart an. »Versuche es nicht wieder«, sagte er. »Das war dein letzter Ritt mit Gold im Gepäck nach River Port, dein letzter Ritt – Halt! Das ist keine Drohung von mir. Man bat mich nur, dir das auszurichten. Und das habe ich jetzt getan. – Hast du mich verstanden, John Rosebud?« Ich sah in seine eisgrauen Augen hinein und nickte. Ich sah in seinen Augen die Unerbittlichkeit. Er hatte mich gewarnt, mir 44 �
noch einmal Zeit zum Überdenken gegeben. Ich wußte, daß er es sein würde, der auf mich losgehen mußte. Er gehörte also zur Wilden Horde. Ja, nun wußte ich es – nur ich. Denn für alle anderen Leute wirkte er ganz und gar selbständig und war er einer der Spieler, die zumeist gewannen. Ich nickte ihm zu. »Danke für die Warnung«, sagte ich. »Und auch Dank für dieses Geschenk. Aber…« Ich brach ab und lächelte. »Aber?« fragte er ruhig. Ich zuckte die Achseln. »Dieses Land…«, murmelte ich. »Ich kenne es besser als jeder andere Mensch hier im Canyon. – Viele Wege – viele Kämpfe, so wurde es wohl jetzt für mich. – Starretter, ich möchte mich für dieses Geschenk revanchieren und dir etwas sagen.« »Dann sage es!« Er forderte es fast barsch, obwohl seine Stimme nicht lauter wurde. »Versuche es nicht mit mir«, murmelte ich, »nicht mit mir. – Die sollen mich nur immer meines Wegs reiten lassen. Sag es ihnen. – Ich will nur in Frieden reiten.« Nach diesen Worten steckte ich das kleine Pferd in die Jackentasche, nahm mein Gepäck und ging. Er sagte nichts mehr. Ich ging bald im Strom anderer Passanten zum O.K. Hotel. Überall waren nun die Goldgräber und Minenleute. Sie waren hungrig, durstig und wollten etwas erleben. Sie wollten Freude, Wärme, Vergnügen, Spaß – und sie bekamen nur Lügen und Nepp. Ich ließ mich in diesem Strom treiben. Sie drängten sich in Lokale hinein und auch wieder heraus, immerzu auf der Suche nach etwas, was sie nicht finden konnten, weil es das gar nicht 45 �
gab hier in Lucky Ben. Und weil sie überall zumindest einen Drink nahmen, wurden sie ab betrunken, daß es ihnen endlich im vierten, fünften oder sechsten Lokal und Tingeltangel gefiel. Nun merkten sie nicht mehr, wie sehr sie betrogen wurden, weil alles falsch war und man nur ihren Goldstaub oder die Dollars wollte. Ich erreichte das Hotel, ließ meine Siebensachen beim Portier und ging hinauf in mein Zimmer. Sue Maryland stand am Fenster und sah auf die Straße nieder. Drüben auf der anderen Seite befand sich die Lucky Gent Hall, und sie war der größte Tingeltangel im ganzen Canyon. Vor dem Haupteingang stand ein Anreißer mit einer Trompete. Er schmetterte immer wieder ein Signal, bevor er seine Stimme ertönten ließ. Ich trat an den Tisch und legte zweihundert Dollar hin. »Für das Pferd und den Sattel«, sagte ich. »Es ist ein fairer Preis.« Sie nickte. »Ja, das ist ein fairer Preis. Und dein Zimmer werde ich sicherlich nur diese Nacht brauchen. – Wirst du für eine Nacht wirklich ein anderes Unterkommen…« »Sicher«, sagte ich und ging zur Tür. Dort wandte ich mich noch einmal zu ihr um. Sie wirkte sehr stark und entschlossen. Sie sah so aus, als könne sie ihr eigenes Schicksal fest in die Hand nehmen. »Ich werde schon noch herausfinden, warum du in dieses Camp gekommen bist«, sagte ich. Aber sie erwiderte nichts. Sie sah mich an und schien durch mich hindurchzusehen, so, als wären hinter mir irgendwelche Bilder. Auch ich sagte nichts mehr. Ich wandte mich um und ging. Ja, ich war etwas enttäuscht. Ich hatte sie hergebracht und mir 46 �
eine Menge Mühe mit ihr gemacht. Aber jetzt war ich gewissermaßen entlassen, so wie ein Handlanger, den man nicht mehr brauchte. Sue Marlylands Sinnen und Trachten war jetzt auf ein bestimmtes Ziel gerichtet. Dies begriff ich, indes ich die Treppe hinunterging. Ich nahm mein Gepäck und verließ das Hotel. Ich hatte es nicht weit, denn ich ging nur über die Straße und erreichte bald den Seiteneingang der Lucky Gent Hall. Der hier postierte Wächter ließ nicht jeden Mann herein, aber ich durfte, und ich trat ein in die ganz besondere Abteilung dieser Amüsierhalle. Hier waren die schönsten Mädchen, und hier wurde auf ein gewisses Niveau gesehen. Die männlichen Gäste hier gehörten zu der Sorte, für die tausend Dollar keine große Sache waren. Hier in diesen Räumen wurde gespielt – aber auch im kleineren Kreis jede Art von Unterhaltung und Zerstreuung geboten. Dies hier war ein Etablissement mit besonderer Note, extra geschaffen für den Goldadel von Lucky Ben und des ganzen Gold-Canyons. Ich hatte noch keine zehn Schritte gemacht, da wurde wieder einmal deutlich, wie gut das Nachrichtensystem in diesem Hause funktionierte. Denn aus dem benachbarten Raum erschien Reva Savage. Ihr gelbes Haar leuchtete im Lampenschein; es fiel ihr auf die nackten, vollendet gewachsenen Schultern. Ihr Mund lächelte. Doch ihre braunen Augen sprachen eine stumme Frage. Ich grinste sie an. Da trat sie zu mir, hielt sich an mir fest, so daß sie sich auf die Zehenspitzen stellen konnte und küßte mich auf beide Wangen und dann auf den Mund. Es machte ihr nichts aus, daß einige Leute zusahen. 47 �
Nein, es hatte ihr nie etwas ausgemacht, sehen zu lassen, daß sie mich mochte und ich alles von ihr haben konnte – alles. »Zurück?« So fragte sie dann. Ich nickte. »Und sogar gesund«, grinste ich. »Aber jetzt brauche ich ein Obdach. Wenn ich bei dir nichts finde, muß ich wohl im Mietstall schlafen. Dieses Camp ist überfüllt, nicht wahr? – Oder willst du mich nicht haben?« Sie hängte sich an meinen Arm. Dann zog sie mich mit. Wir gingen die Treppe hinauf zu ihren ganz privaten Räumen. Drüben in der großen Amüsierhalle lärmte die Musik, tönten viele Stimmen, war Gelächter, klatschten manchmal brettharte Hände, trampelten Stiefel, gellten Pfiffe. Da drüben war etwas los. Wahrscheinlich tanzten jetzt Mädchen auf der Bühne und zeigten ihre Beine. Es gab hier oben auf dem Gang vier Türen. Reva Savage hielt inne. Sie sah mich fest an. »Willst du zu mir – oder möchtest du wirklich nur ein Obdach und nicht mehr?« Das war ihre klare, ruhige Frage, und ich wußte längst, daß ich alles von ihr bekommen konnte. Jawohl, das wußte ich. Ich ließ mein Gepäck nicht aus den Händen, doch ich beugte mich nieder und küßte Reva auf beide Augen und den Mund. Sie ließ es bewegungslos geschehen. »Ich kenne zu viele Wege in diesem Lande«, sagte ich. »Und ich muß sie immer weider reiten. Ich muß jagen können. – Hier würde ich mich wie ein gefangener Wolf fühlen. Du weißt es. Wir sprachen schon einmal darüber. Es ginge nicht gut mit uns.« Sie nickte. »Nein, es ginge nicht gut mit uns. Also willst du wirklich nur ein Obdach? – Dort hinein!« Sie deutete auf eine Tür, die zu einem Zimmer führte, welches ihren eigenen beiden Räumen gegenüber lag. – Aber ich hätte jetzt auch in ihr Schlafzimmer gehen können. Ich hatte die Wahl. 48 �
Bevor ich die Tür öffnete, sah ich hoch einmal über die Schulter. Reva stand noch unbeweglich dort. Sie sah mich schweigend an. Ich verharrte und erwiderte ihren Blick. »Du verdammter Wolf«, sagte sie. »Viele Wege kennst du, die du reiten mußt. Aber viele Wege – viele Kämpfe. Sie werden dich eines Tages umbringen, einfach abschießen, töten. – Hier bei mir wäre es besser für dich. Und ich brauche Hilfe, ja, ich brauche Hilfe. Es wächst mir alles über den Kopf. Und wenn du mir helfen würdest, wären wir bald schon reich. Dann könntest du dir…« Sie brach ab, denn sie erkannte endlich, daß sie dabei war, sich zu sehr in Erregung zu reden. Sie war auch zu stolz, sich noch mehr anzubieten. Denn sie wußte längst, daß man Liebe nicht mit Überredung bekommen konnte. Sie war eine erfahrene Frau, die ein Tingeltangel leitete. Dabei mußte sie sich der Hilfe von Männern bedienen. – Dieser Bart Starretter zum Beispiel, der solch schöne kleine Pferdchen schnitzte, der war auch einer ihrer Beschützer. Es war hier in Lucky Ben alles etwas verfilzt und kreuz und quer verbunden. Das war schon in jeder normalen, guten friedlichen Kleinstadt so. – Hier in dieser wilden Campstadt mitten im Goldland, da war das noch viel stärker. Reva Savage wandte sich ab und ging wieder hinunter. Ich betrat das Zimmer, drehte die Lampe heller und legte mein Gepäck ab Dies hier war ganz offensichtlich ein Gastzimmer. Ein paar Männer hatten es sicherlich schon bewohnt. Aber keiner war geblieben. Denn es war frei. Ich dachte über Reva Savage nach. Ja, sie war eine Abenteuerin, eine Glücksjägerin. Sie hatte sich hier in dieser wilden Stadt mit Hilfe harter Männer das größte Amüsierlokal des ganzen 49 �
Goldlandes geschaffen, sozusagen aus dem Boden gestampft. Ihr Betriebskapital mußte von Anfang an sehr groß gewesen sein. Ich konnte sie haben und hier der Prinzgemahl werden, der Boß vielleicht sogar über alle Barmänner, Kartenausteiler und Croupiers, alle Hauspolizisten und Rauswerfer, Tanzmädchen und Edel-Flittchen. Reva würde mir gerne eine Menge Arbeit überlassen. Ich brauchte mir nichts von ihr schenken zu lassen, sondern konnte mir das, was ich hier bekam, ehrlich verdienen. Und sie war eine schöne Frau. Mir fiel Sue Maryland wieder ein. Wer war schöner – Sue oder Reva? Und eine Abenteuerin war Sue gewiß auch, aber sie konnte wie ein Cowgirl reiten. Ihre Herkunft mußte völlig anders sein. Man konnte sie wahrscheinlich doch nicht miteinander vergleichen. Ich fand im Schrank mehrere verschieden große Anzüge, auch Unterzeug, Hemden und allerlei Herrenausstattung. Hier hatten Männer schon gewohnt, die aus irgendwelchen Gründen ihre Kleidung zurückließen. Ich wusch und rasierte mich und bediente mich dann ungeniert. Mein Zeug war ziemlich abgerissen und schmutzig. Als ich hinunterging, hatte ich mich ganz hübsch verändert. * An der großen Bar in der großen Amüsierhalle traf ich die drei Goldgräber, die mir die insgesamt vier Kilo Gold anvertraut hatten. Sie grinsten mich an, indes ich ihnen die Quittung für die Einzahlungen übergab. Denn ich hatte das Gold an drei verschiedene Anschriften übersenden müssen. 50 �
»Wir danken dir«, sagte Sam Hawkins. »Weißt du, ich habe sieben Kinder daheim. Die werden jetzt sicherlich ein schönes Weihnachtsfest bekommen, wenn das Gold rechtzeitig daheim ankommt.« Zum ersten Januar sind einige Hypotheken auf meine Farm fällig«, sagte Tom Sanders. »Meine Frau wird alles bezahlen können und noch genügend übrigbehalten.« Frank Ellis aber schob sich näher an mich heran. Er flüsterte mir zu: »Da wäre wieder Gold zu transportieren. Sieben Kilo etwa. – Freunde und Nachbarn von uns warten nur darauf, daß du wieder hier bist und vielleicht in ein paar Tagen wieder nach River Port reitest. – Hast du Interesse« Ich ließ mir erst ein volles Glas geben, trank mit Appetit, und wischte mir den Schaum von den Lippen. Sieben Kilo Gold wollten mir unbekannte Goldgräber anvertrauen, sieben Kilo Gold. Das waren siebenhundert Dollar Verdienst für mich, wenn ich das Zeug bis nach River Port durchbringen konnte. Aber sollte ich es noch einmal wagen? Es wurde immer gefährlicher für mich. Die Banditen ließen sich nicht immer an der Nase herumführen. Und ich konnte auch nicht immer alle Kämpfe gewinnen und hinterhältigen Schützen entkommen. Nein, es gab kein beständiges Glück. Irgendwann erwischte man eine Pechsträhne. Und dann war es aus. Doch siebenhundert Dollar Verdienst in wenigen Tagen. Ich brauchte nur auf meinen verborgenen Wegen zu reiten – vielleicht auch etwas kämpfen. Und dann war ich um siebenhundert Dollar reicher. Ich sah mich unauffällig um. Beobachtete uns jemand? Mir fiel nichts auf. Auch die Barmänner – es standen mehr als zehn hinter der langen Bar – kümmerten sich nicht um uns. 51 �
Aber ich nickte Frank Ellis nicht zu. Ich schüttelte den Kopf, als gäbe ich ihm eine Absage und sagte dabei: »Darüber können wir in drei Tagen reden. Ich sage euch dann vielleicht, wo ich das Gold übernehme. – Wer wird sich bei mir melden? Ihr oder die neuen Auftraggeber direkt?« »Sic Chuckman heißt der Mann«, murmelte Frank Ellis. »Willst du ein Losungswort, damit du ihn auch erkennst und nicht in eine Falle rennst?« »Sieben Kilo«, murmelte ich. »Sieben Kilo, dies ist die Losung. Verstehst du?« Er schüttelte ebenfalls den Kopf. »Ja, ich verstehe. Es ist alles klar«, sprach er, und dann gingen sie fort von mir. Es sah so aus, als wären wir uns nicht einig geworden. Eines der Tanzmädchen kam und hängte sich bei mir ein. Ich hatte den Eindruck, daß sie uns vorher schon beobachtete und nur darauf wartete, daß neben mir Platz wurde für sie. »Spendiest du mir einen Drink«, fragte sie. »Und tanzt du auch mit mir?« Ich sah sie an. Sie hieß hier Golden-Lou, vielleicht wegen ihrer golden schimmernden Haare. Sie war eines der Mädels, die hier den Ton angaben, und wenn sie auch nur mit dem kleinen Finger winkte, dann würden sich Dutzende von Männern für sie mit anderen Männern prügeln. Sie konnte auch mir eine ganze Meute auf den Hals hetzen, sollte ich unfreundlich zu ihr sein und sie sich deshalb beleidigt fühlen. Und so sagte ich: »Lou, ich habe die ganzen Tage von dir geträumt. – Wie hast du mich in meiner Verkleidung überhaupt erkannt?« Sie stutzte, doch dann lachte sie. »Ach ja«, sagte sie, »du bist ja John Rosebud! Aaah, du bist für die Chefin reserviert. – Nein, mit dir und mir kann nichts wer52 �
den. – Ich habe dich gar nicht in diesem noblen Anzug erkannt. – Ich glaube, der gehörte mal…« Sie sprach nicht weiter. Aber ich fragte: »… wem?« Da lachte Golden-Lou verlegen und rief: »Ach, frage sie doch selbst!« Sie eilte davon. Ich aber leerte mein zweites Glas und ging dann in den Spielsaal hinüber. Ich ahnte noch nichts von der großen Überraschung, die ich bald dort drüben erleben würde. * Wie alles hier in der Lucky Gent Hall war auch der Spielsaal was ganz Besonderes in dieser Goldgräberstadt. Um all die noble und imposante Einrichtung herzuschaffen, hier in die Wildnis der Black Hills, da hatte man schon eine Menge Geld investieren müssen. Denn all diese Spieltische kosteten Geld, eine Menge Geld, irrsinnig viel Geld. Diese Roulett-Tische allein schon waren wunderbar anzusehen. Aber es gab auch die Faro- und Blackjacktische, die Würfeltische. Sie alle waren ganz original so wie an der Ostküste oder auf den superfeinen Saloondampfern, die zwischen New Orleans und Saint Louis verkehrten. Es gab Kronleuchter, die nur so funkelten, wie in einem Palast. Die Vorhänge an den Fenstern und vor den Türen waren schwer und aus Brokat. Es war alles nobel und imposant. Diese Reva Savage hatte hier eine Menge auf die Beine gebracht. Und immer hatten ihr Männer dabei geholfen. Hatte sie mit ihrer ganz besonderen Währung bezahlt – mit ihrer Schönheit, ihrer Zärtlichkeit, also mit Liebe? Ich dachte an die verschiedenen Anzüge im Kleiderschrank meines Zimmers. Einen dieser Anzüge trug ich – und ich fühlte mich jetzt gar 53 �
nicht mehr wohl darin. Ich hätte ihn gerne auf der Stelle ausgezogen. Doch dann sah ich einen Mann. Er war groß, blond, hatte blitzende Zähne. Auf eine männliche Art war er mehr als hübsch; er war schön. Und er sah wie ein lachender Sieger aus. Verdammt noch mal, das war er. Ich wußte es sofort. Hank Overbridge, der Handels- und Postagent in River Port, hatte ihn mir beschrieben. Und Sue Maryland hatte nach ihm gefragt. Auch sie hatte ihn als einen Mann beschrieben, der wie ein blonder Sieger aussah. Und dort saß er. Unter tausend Männern – ach was, unter zehntausend! – gab es gewiß keinen zweiten, der so wie er das zum Leben erweckte und zu Fleisch gewordene Symbol des Siegers aussah. Ich staunte, und ich begriff in dieser Sekunde, daß es hier ein besonderes Spiel des Schicksals gab und ich irgendwie – sei es als Zuschauer oder als tätiger Teilnehmer – in dieses Spiel einbezogen wurde. Das konnte gar nicht anders sein. Denn die Zeichen waren eindeutig. Ich trat näher, doch nicht zu nahe, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser schöne zweibeinige Tiger – ja, er war ein Tiger, ein zweibeiniger, das erkannte ich gleich – saß inmitten einer PokerRunde, die aus bemerkenswerten Gentlemen bestand. Ich kannte sie fast alle. Das da waren die reichsten Minen- und Claimbesitzer des ganzen Canyons. Sie alle besaßen Minen mit Goldadern, die jede Schicht für einige Tausende von Dollar Gewinn abwarfen. Dort an diesem Tisch saßen die ganz Reichen, die Großen. – Ja, sie waren auch als Männer keine Wichte. Denn um hier in diesem 54 �
Canyon eine Goldader zu finden, da brauchte man nur Glück. Sie aber zu behalten in dieser unbarmherzigen und mitleidlosen Welt der Black Hills, da mußte man schon ein besonderer Kerl sein. Denn hier wurden die Kleineren immer von den Großen gefressen. Und wer hier eine Goldmine besaß und diese auch behalten konnte, der war ein Großer, ein Löwe oder Tiger, der imstande war, eine erlegte Beute zu verteidigen und selbst zu verzehren. So war das also. An diesem Tisch der Großen wurde scharf gespielt. Da kam es nicht auf tausend Dollar an. Und der blonde Sieger – ich kannte ja seinen Namen noch nicht und nannte ihn in meinen Gedanken so – machte mit Nachdem, was ich so sah, gewann er sogar zumeist. Denn vor ihm lagen die meisten Chips. Und es waren keine Dollar-Chips. Nein, auf dem ganzen Tisch waren nur Hundertdollar- Fünfhundertdollar- und Tausenddollar-Chips. Denn in dieser noblen und so erstklassig ausgestatteten Spielhalle gab es natürlich Chips, die man sich vorher an der Kasse gegen Bargeld oder Gold kaufen mußte und die man nachher wieder einlösen konnte. Einer der Hauspolizisten hielt auf seinem lässigen Rundgang neben mir an. Er kannte mich und wußte, daß seine Chefin mir mehr als gewogen war und ich hier alles frei hatte wie ein guter Freund, naher Verwandter oder Mitbesitzer. Er sagte leise neben mir: »Der Blonde da… Ich sah noch keinen größeren Spieler – noch niemals. Sie sind alle große Spieler, die da an diesem Tisch – allesamt. Manchmal hatte ihn einer – oder auch mehrere hatten das – ihn schon fast erledigt. Da glaubte man, seine Glückssträhne wäre beendet. Doch dann fing sie wieder von neuem an. Dann stieg er wieder hoch wie ein Komet, der nicht himmelabwärts, sondern aufwärts zischt. – Dann 55 �
gewann er ihnen fast die Hosen ab. – Sie spielen fast jede Nacht. Es ist ein Zweikampf entbrannt. Sie alle fühlen sich von ihm herausgefordert. Er sieht wie ein Bursche aus, der zum Sieger geboren wurde. Und das wollen sie widerlegen. – Verstehst du, Rosebud?« Ich nickte. Ja, ich konnte mir gut denken, daß dieser Bursche da für manche Männer eine Herausforderung war, beonders dann, wenn solche Burschen wie diese da schon an ihn eine Menge verloren. Denn keiner dieser hartgesottenen Männer da am Tisch gab sich so schnell geschlagen – keiner. Jeder gehörte zu der Sorte, die sich behaupten mußte oder lieber kämpfend unterging – am Pokertisch. »Wie heißt er?« So frage ich. »Armstrong, Jubal Armstrong. – Und er ist hier Teilhaber. Ich glaube, ihm gehörten zwanzig Prozent vom ganzen Laden und damit auch vom Gewinn. Reva Savage mußte ihn vor knapp zwei Wochen als Teilhaber ins Geschäft nehmen.« Ich staunte mächtig. »Und warum?« fragte ich. Er grinste. »Der kam herein damals und spielte an Lew Forresters Tisch. Und Lew ist unser bester festangestellter Spieler, nicht wahr? Er nahm Forrester nach und nach alle Chips ab. Zweimal mußte Forrester Chips heranschaffen lassen. Dann löste ihn Reva Savage ab. Sie wollte selbst das Geld wieder hereinholen, welches ihr bester Spieler an den Fremden verlor. – Aber auch sie hatte kein Glück gegen Jubal Armstrong – auch sie nicht. Er nahm auch ihr immer wieder alle Chips ab. die anderen Mitspieler am Tisch waren nur Statisten.« Der Hauspolizist – ich kannte nur seinen Vornamen – machte nun eine Pause. Er sah sich um, prüfte, ob in unserer Umgebung alles in Ordnung war und wandte sich wieder an mich. Mit ein paar trockenen Worten erzählte er mir den Rest. 56 �
»Nun, er gewann also, dieser Jubal Armstrong. Am frühen Morgen hatte er genug und wollte die Chips bei unserer Kasse einwechseln. Doch wir hatten gar nicht so viel Geld in bar zur Verfügung. Reva Savage hatte mehr an ihn verloren an Chips, als dafür Deckung in der Kasse war. – Überdies stand am nächsten Tage die Gehaltszahlung an uns alle bevor. Und wir kosten nicht wenig. Mit all den Tanzmädchen, Artisten und Künstlern waren wir mehr als siebzig auf der Lohnliste in diesem teuren Laden. – Siebzig Leute, verstehst du? Sie brauchte Geld. Vorher waren einige Wagenzüge gekommen mit den verschiedensten Dingen, die wir den ganzen Winter über brauchen würden, wenn die Wege und Pässe eingeschneit waren. Kein Wagenzug hier liefert die Ware auf Rechnung aus, die man später bezahlen kann. Hier gibt es nur Barzahlung gegen Ware. – Ich weiß, daß Reva Savage mehr als hunderttausend Dollar an die Frachtzugbosse zahlte für Wein, Schnaps, Bier, Rauchwaren, Proviant, ein Klavier, neue Spieltische und eine Menge anderes Zeug. Allein eine Kiste mit Spielkarten kostete fünftausend Dollar. – Es gibt ja hier Spieler, die verlangen nach jeder Poker-Runde ein neues Kartenspiel. Na, Reva Savage war also blank. Sie konnte die Chips nicht einlösen. Schuldscheine nahm Jubal Armstrong nicht. Und vertrösten ließ er sich ebenfalls nicht. Er ist ein gefährlicher Bursche, ein Revolvermann, dem wahrscheinlich auch Bart Starretter nicht gewachsen ist. – Es blieb Reva Savage nichts anderes übrig, als ihn an ihrem Unternehmen zu beteiligen und zu ihrem Partner zu machen. Und das war ihr bestes Geschäft. Denn von dem Geld dort in Form von Chips, welches er Nacht für Nacht gewinnt, bekommt sie ja vier Fünftel. Er ist nur mit einem Fünftel Partner von allen Einnahmen und Ausgaben. Verstehst du?« Nun wußte ich also alles. Dieser Mann, hinter dem Sue Maryland her war, war ein Spie57 �
ler und Revolverheld. Und er hatte sich hier bei Reva Savage eingekauft. Offenbar befand er sich zur Zeit in einer riesigen Glückssträhne. – Aber ich wußte, daß kein Glück dauerhaft blieb. Das war immer so. – Auch mein Glück würde nicht ewig währen. Wenn ich mir diesen Jubal Armstrong ansah, da kam es mir fast so vor, als wäre ich ein verdammter Dummkopf, der immerzu sein Leben riskierte, um für ein paar Goldgräber deren Goldausbeute zu retten vor dem Zugriff der Banditen, die überall ihre Spione hatten. – Für zehn Prozent riskierte ich mein Leben. – Und dieser Bursche da am Spieltsich gewann in wenigen Minuten mehr als ich in vielen Tagen auf all den gefährlichen Wegen verdienen konnte. War ich ein Wicht gegen ihn? Zeigte er mir, wie ein wirklicher Großer auf die leichte und schnelle Weise zu Reichtum gelangen konnte? Aber ich schüttelte in meinen Gedanken den Kopf. Nein, so war es wohl nicht. Dieser Bursche mußte auch seine Pechsträhne haben. Der war nicht immer solch ein Sieger gewesen. Ich wandte mich ab und wanderte umher. Dann und wann riskierte ich ein paar Dollar beim Würfeln, Faro, Blackjack und Roulett. Ich versuchte alles, doch ich riskierte nicht viel. Ja, ich gewann ein paar Dollars, und ich wußte die ganze Zeit, daß ich verlieren würde, wollte ich versuchen, mein Glück im Spiel zu machen. Denn das hatte ich längst herausgefunden auf dieser Weit: Es gab für mich kein Glück im Spiel. Ich mußte stets für alles meinen Preis zahlen. Das war mein Schicksal. Einige Male sah ich Reva Savage. Sie ging durch all ihre Räume, sah überall nach dem Rechten, gab Anweisungen, sprach mit den Gästen. Manche Gäste küßte sie auf die Wange. Sie war eine reizende Gastgeberin. 58 �
Manchmal löste sie an den Spieltischen die Croupiers oder die Kartenausteiler ab, erwies den Spielern sozusagen die Ehre, mit einer schönen Frau zu spielen. Als ich einmal an einem Blackjacktisch stand und mein Glück versuchte, löste sie auch hier den Spieler des Hauses ab. Es spielten noch einige andere Männer mit – aber sie alle verloren. Keiner hatte stets so gute Karten wie ich. Und das konnte nicht sein. Ich wußte, daß sie mir stets die Karten zuteilte, die ich zum Gewinn brauchte. Sie zahlte immer nur an mich aus. Ich verließ den Blackjacktisch, schlenderte weiter. Aber bald stand sie neben mir. »Du wolltest deine Glückssträhne nicht ausnutzen«, sagte sie. »Du wolltest nicht gewinnen?« Ich sah sie an, und ich erkannte etwas in ihren Augen. Wir schlenderten zusammen weiter und verhielten an einem Freiimbiß-Tisch. Ich nahm eine Scheibe Bratfleisch und etwas Brot, kaute und wunderte mich, daß ich noch nicht müde war Aber irgendwie war ich innerlich angespannt, so als erwartete ich irgendwelche Dinge. Reva schenkte zwei Gläser voll, reichte mir eines Es war spanischer oder französischer Rotwein. Als wir uns zutranken, sagte sie: »Hilf mir, John.« Ich trank und kaute erst eine Weile. Mein Blick ging zu diesem blonden Jubal Armstrong hinüber, der soeben wieder einen Pott gewann und die Chips vor sich stapelte. Reva war meinem Blick gefolgt. »Ja«, sagte sie. »Dein Instinkt ist erstklassig, John. Da sieht man, was ein Jäger ist. – Das ist er, den ich gerne loswerden würde. Denn sonst frißt er mich bald mit Haut und Haaren und drängt mich hier hinaus. Einige meiner Leute hören schon mehr auf ihn als auf mich. – Dieser verdammte Spieler hat sich hier…« 59 �
»Er ist ein schöner Mann«, unterbrach ich sie lauernd. »Dem fliegen die Frauen nur so zu. Hat er dich nicht als Frau haben wollen? – Und warum bekam er dich nicht? Ich bin ein häßlicher Indianer gegen ihn. – Na?« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist ein Spieler«, sagte sie. »Der kennt nichts sonst als das Spiel. Er ist schlau, eiskalt, ohne Gefühl. – Gewiß kann er töten, ohne etwas dabei zu spüren in seinem innersten Kern. Er hatte hier schon einige Revolverkämpfe mit Narren, die sich nur durch sein Äußeres und seine arrogante Art herausgefordert fühlten. Bart Starretter sagt, daß dieser Bursche ein ganz besonderes Exemplar wäre und sich ganz offensichtlich in der größten Glücksträhne seines Lebens befände. – Dem wäre zur Zeit niemand gewachsen. Für den ginge jetzt alles stets nur gut aus, möge es sein, was es wolle. Verstehst du, John?« Oh, ich verstand sie gut. Ich begriff eine Menge, was sie mir mit Worten gar nicht sagen konnte. Ich erfaßte es mit meinem Instinkt. Dieser Jubal Armstrong begann mich nun auch in dieser Hinsicht zu interessieren. Aber ich fühlte mich nicht von seinem Vorhandensein herausgefordert – o nein, so war es nicht. Ich wollte noch etwas sagen, doch da sah ich, wie die Pokerrunde sich drüben auflöste. Die großen Burschen des Canyons hatten offenbar genug vom Spiel. Oder sie, hatten endlich eingesehen, daß sie gegen einen Burschen mit einer solchen Strähne nichts gewinnen konnten. Sie gaben auf, wahrscheinlich für immer. Und das würde bedeuten, daß für Jubal Armstrong, den großen Spieler, hier in Lucky Ben und im ganzen Canyon kein Spiel mehr zu machen war, das sich für ihn lohnte. Es war aus mit ihm als Spieler. Von jetzt an konnte er nur noch mit Burschen um ein paar Dollars spielen, denen er nicht 60 �
bekannt war. Ich begriff plötzlich sein Problem. Er hatte eine Glückssträhne, doch er konnte sie nicht mehr ausnutzen. Was würde er tun? Ich sah Reva Savage an und erkannte, daß sie in diesem Moment die gleichen Gedanken dachte und dieselbe Erkenntnis in ihr war. Ich spürte, daß sich etwas in ihr veränderte. Jubel Armstrong saß nun allein am großen, runden Pokertisch in der Ecke. Er starrte auf die Chips. Dann begann er sie zu sortieren, langsam und bedächtig. Ja, er dachte nach und gewiß hatte er auch sein Problem begriffen. Er wußte wie Reva und ich, daß er in eine andere Stadt gehen mußte, wollte er seine Glückssträhne weiterhin ausnutzen. – Aber wenn er ein Spieler war, so war er auch abergläubisch. Dann glaubte er auch und war sich darin fast sicher, daß er an einem anderen Ort kein Glück mehr haben würde, weil dann irgendwelche Konstellationen nicht mehr stimmten. Oha, er war in einer Klemme. Und so saß er ziemlich deprimiert da und sortierte die Chips. Vielleicht fiel ihm jetzt auch ein, daß er nur ein Fünftel seines Gewinnes bekam. Denn er war ja nur mit zwanzig Prozent hier Teilhaber und dementsprechend an den Einnahmen beteiligt. Doch es kam nun noch schlimmer für ihn. Vielleicht war seine Glückssträhne sogar beendet. Ich sah plötzlich Sue Maryland. Heiliger Rauch, sie lag nicht in meinem Zimmer, welches ich ihr abtrat, im Bett, sondern tauchte hier in diesem Spielsaloon auf. Also hatte sie die Unruhe, und die Vermutung, dem Manne, den sie offenbar suchte oder gar jagte, sehr nahe zu sein, nicht im Zimmer gehalten und schon gar nicht schlafen las61 �
sen. Sie hatte Erkundigungen eingezogen, irgendwie. Und dieser Jubal Armstrong war ja so leicht zu beschreiben. Jeder, der ihn einmal sah, konnte sich ihn leicht merken und auch wieder an ihn erinnern. Sie hatte es gewiß nicht schwer, ihn hier in Lucky Ben zu finden. Wahrscheinlich wußte sie wohl auch – weil sie ihn gut genug kannte –, daß er im nobelsten Spielsaloon sitzen würde. Nun, sie kam jedenfalls. Aus ihrem wenigen Gepäck, welches wir von River Port aus mitgenommen hatten, entnahm sie ein flaschengrünes Reisekostüm. Es war etwas zerdrückt und zerknittert, doch man sah diesem Kostüm an, daß es der letzte Modeschrei der Ostküste war, herübergekommen sicherlich aus Paris. Sie sah prächtig aus. Oha, das Kostüm brachte eine Menge von ihr zur Geltung, und ich erinnerte mich wieder daran, wie ich sie zwischen zwei wärmenden Feuern in der Wildnis ausgezogen und mit Schnaps eingerieben und massiert hatte. Jetzt erst erinnerte ich mich an ihren schönen Körper so richtig. Sie ging durch die Tischreihen. Und sie trug vor sich her einen kleinen Muff, der zum Kostüm paßte und mit Pelz besetzt war wie der Kragen. Ich begriff plötzlich, warum sie diesen Muff bei sich hatte. Ich wollte mich bewegen. Doch Reva Savage neben mir hielt mich am Arm fest. »Warte doch mal«, sagte sie. In ihrer Stimme klang Härte, war aber zugleich auch ein Glucksen, so als machte ihr etwas Freude und Hoffnung. Denn es war ja klar, daß Sue Maryland ein bestimmtes Ziel hatte, nämlich den einsamen Mann am Pokertisch in der Ecke, der immer noch lässig und gemächlich die Chips zu Türmchen stapelte und zählte. 62 �
Er hatte sie noch nicht bemerkt, ahnte in keiner Weise, was da auf ihn zukam. Reva Savage sah schnell zur Seite auf mich. Es war ein blitzender Blick. Und dann fragte sie: »Ist das die Frau, die du aus River Port mitbrachtest? Wußtest du, daß sie zu Jubal Armstrong wollte?« Ich wunderte mich nicht, daß sie so genau Bescheid wußte. In Lucky Ben blieb nichts verborgen. Hier mußte man als erfolgreicher Geschäftsmann ein gutes Nachrichtensystem haben. Es gab hier genug Leute, die überall herumlungerten, ihre Augen offenhielten und Neuigkeiten verkauften. Reva hatte sich bestimmt gewundert, warum ich ein Obdach brauchte und nicht mehr mein Hotelzimmer hatte. »Ja, das ist sie«, erwiderte ich. Dann machten wir beide einige Schritte in Richtung zum Pokertisch in der Ecke. Wir hielten an, als wir nahe genug waren, um zuhören zu können. Denn Sue Maryland stand nun vor Jubal Armstrong. Sie holte einen kleinen Colt aus dem Muff, und weil Armstrong erst jetzt in diesem Moment aus seinem Brüten erwachte und aufsah, erschrak er wahrhaftig. Er staunte einen Moment wie ein Mondkalb auf der lieben Mutter Erde beim Anblick von Butter- und Gänseblümchen. Dann schluckte er mühsam. Er machte eine Bewegung, als wolle er sich erheben. Doch dann schob er mit einer müden Bewegung alle Chips von sich und Sue Maryland entgegen. »Da hast du es zurück«, sagte er. »Das sind zehntausend Dollar. Da hast du es mit Zinsen und Zinseszinsen zurück. – Gut so?« Sue Maryland überlegte noch. Er starrte auf ihren schußbereiten Colt. 63 �
»Mach dich nicht unglücklich«, sagte er. »Was hast du davon, mir eine Kugel zu verpassen? Glaub mir, daß dich Rache nicht befriedigen wird. Und .,.« Nun trat Reva Savage vor. »Nur ruhig, Schwester«, sagte sie. Hier wird nicht geschossen – was hat er Ihnen denn getan?« Sue nahm ihren Blick nur kurz von Jubal Armstrong. Als dieser sich bewegen wollte, sagte ich knapp Vorsicht!« Er sah mich an und wußte Bescheid. Sue sagte dann zu Reva. »Ach, Schwester, ich möchte hier nicht Klagelieder singen. Es ist ganz einfach. Er ist mit meinem Geld abgehauen. Wir waren verlobt und wollten heiraten. – Ich hatte den Kaufpreis für eine schöne Ranch bar bei mir. Es war unser Geld. Wir hatten es uns auf den Saloondampfern zwischen New Orleans und Saint Louis verdient. – Wenn er nur seinen Anteil genommen hätte, wäre ich ihm nicht bis in diese Stadt gefolgt. – Aber er nahm auch mit, was mir gehörte.« »Und jetzt hast du es wieder«, sagte er und deutete auf die Chips. »Davon gehört dir nur ein Fünftel«, sprach da Reva kühl. Sie wandte sich an Sue. »Wieviel ist er Ihnen schuldig, Schwester?« »Zehntausend«, erwiderte Sue hart. »Und noch eine Menge Unkosten und Ärger. Denn ich mußte ihn suchen und war drei Monate unterwegs. Ihre Stimme klirrte. Sie war eiskalt und hatte nichts zu verschenken. Sie hielt ihre kleine Waffe immer noch auf Armstrong gerichtet, aber dieser war gewiß nicht mehr in Gefahr, getötet zu werden. Reva Savage betrachtete ihn kritisch. »Ich denke«, sagte sie, »daß Sie ihr die Hälfte von Ihrer Beteiligung hier bei mir abtreten werden. Denn die ist zehntausend 64 �
Dollar wert. Und überdies bekommt sie Chips von zweitausend Dollar für ihre Mühe. – Recht so?« Er starrte sie an. Und er wirkte einen Moment müde, resigniert, verbittert. Er glich einem Jäger, der nicht mehr jagen konnte und dies bitter bedauerte Ja, er war ein Spieler, der nicht mehr spielen konnte. Und das Spiel brauchte er wie ein Jäger die Jagd. Es war, als hätte man ihm etwas von seinem Leben genommen, welches allein durch das Spiel lebenswert war für ihn. »Vielleicht sollten Sie mich lieber auszahlen, Reva«, murmelte er. Aber sie schüttelte den Kopf. »Wir werden uns noch darüber unterhalten«, sagte sie, »morgen oder übermorgen. Ja, wir reden noch darüber.« Sie wandte sich an Sue Maryland. »Ich hörte soeben von Ihnen, daß Sie ihr Geld auf den Saloonschiffen des Mississippi verdient haben. Also sind Sie vom Fach wie ich. Ich brauche hier Hilfe. – Alles wächst mir über den Kopf. Und eine schöne Frau kann manche Dinge besser in Gang halten als ein Mann. – Wie ist Ihr Name?« »Sue Maryland«, sagte diese, und sie ließ ihren kleinen Colt im Muff verschwinden Sie beobachtete Jubal Armstrong gar nicht mehr und sah Reva an. Und Reva wandte sich an mich. »Dann kannst du jetzt wohl wieder dein altes Hotelzimmer beziehen«, sagte sie ruhig und sachlich »Sue bleibt bei mir. Ich schicke dir deine Siebensachen ins Hotel hinüber. – Gut so?« Ich nickte. Und ich bewunderte ihre jähe Entschlossenheit. Denn ich spürte sehr deutlich, daß sie binnen weniger Sekunden irgendwelche Entschlüsse faßte, die mit bestimmten Absichten zusammenhingen. Sie war eine Frau, die weit vorausdenken und planen konnte. 65 �
Sie hatte jetzt zwei Dinge getan, nämlich Jubal Armstrongs Anteil verkleinert und sich eine Partnerin ins Geschäft hereingenommen, von der sie wußte, wie entschlossen und hart sie sein konnte. Denn schließlich hatte Sue Maryland Jubal Armstrong drei Monate verfolgt, trotz aller Schwierigkeiten gefunden und vor den Colt bekommen. Überdies war Sue schön und hatte Erfahrung. Auch sie war eine Spielerin und Abenteuerin, eine Glücksjägerin. Denn ihr Bekenntnis, daß sie mit Jubal Armstrong auf den Luxusschiffen des Mississippi zwischen New Orleans und Saint Louis ein Vermögen verdient hatte, sagte genug. Solch eine Partnerin konnte Reva Savage gebrauchen. Ich sah Sue noch einmal an. Sie erwiderte ruhig meinen Blick. »Ja, ich brauche wohl das Hotelzimmer nicht mehr, John«, sagte sie. »Und ich danke dir. Ich danke dir für alles. – Vielleicht bist du der einzige Gentleman in diesem Lande.« »Bestimmt – das ist er bestimmt«, sagte Reva. Ich grinste nur und ging. Denn jetzt war ich müde. Ich wollte schlafen und morgen noch einmal alles überdenken. An den benachbarten Tischen war man natürlich aufmerksam geworden und hatte interessiert zugehört und zugesehen. Doch jetzt wandte sich alles wieder dem Spiel zu. Es war vorbei. Ich ging hinaus. Draußen lehnte ich mich außerhalb des Lichtscheins an die Wand und wartete, bis meine Augen sich an die anderen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten und imstande waren, in all den Schatten etwas erkennen zu können. Oh, es gab zwischen den Lichtbahnen, die wie Barrieren aus Fenstern und Türen fielen, in all den Hauslücken und Gassenmündungen noch viele Schatten Dort konnte eine Menge Unheil auf mich lauern. Ich dachte an Bart Starretters Warnung. Und wenn die Gold66 �
wölfe inzwischen herausgefunden hatten, daß mir schon wieder das Angebot einiger Goldgräber vorlag, auch ihre Goldausbeute nach River Port zu schaffen – nun, dann würden sie mich bald abzuschießen versuchen. * Ich schlief lange bis zum frühen Mittag des nächsten Tages. Dann nahm ich im Restaurant ein ausgiebiges Frühstück und schlenderte durch die Stadt. In einem Store machte ich einige Einkäufe. Bei Tage war Lucky Ben anders als bei Nacht. Es wirkte seriöser, arbeitsam und fast so wie eine Stadt mit einer geordneten Verwaltung und Sicherheit für alle Menschen. Die Vergnügungslokale waren noch geschlossen. Die ganze wilde Horde der Town- und Goldwölfe schlief. Die Spieler und Tingeltangel-Girls ruhten noch aus für die nächste Nacht. Lucky Ben war sehr viel anders. Die Erzwagen waren zu den Stampfwerken und Erzmühlen unterwegs. Packtiere und Schlitten brachten Holz aus den Bergen der weiteren Umgebung. Denn hier im Canyon wuchs kein Baum mehr, waren nicht mal Sträucher Es war an Holz längst alles verbraucht worden. An einem Bratstand gab es Reibekuchen und Apfelmus. Obwohl ich gut und reichlich gefrühstück hatte, blieb ich stehen und kaufte mir drei Reibekuchen und einen großen Klacks Apfelmus. Denn das war hier eine Delikatesse. Neben mir drängten sich andere Männer. Einer, der wie ein Goldgräber aussah, sagte kauend neben mir: »Sieben Kilo!« Ich zuckte nicht äußerlich, doch aber innerlich zusammen. Ja, so war es wahrhaftig. Denn Sieben Kilo, das war ja das ausgemachte Losungwort. 67 �
Oha, diese Goldgräber hatten es eilig, mir ihre Ausbeute anzuvertrauen, damit ich sie nach River Port in Sicherheit brachte. Die Unsicherheit im Canyon mußte also noch zugenommen haben. Wahrscheinlich überfiel man jetzt die Goldgräber auf ihren Claims, in ihren Hütten oder ihren kleinen Minen und zwang sie dann irgendwie mit Härte, das Versteck ihrer Ausbeute zu verraten. Die Goldwölfe wurden immer gieriger, je länger der Winter andauerte. Das Leben war teuer in Lucky Ben, besonders dann, wenn man es sich angewöhnt hatte, schnelles Geld schnell auszugeben – und unter schnellem Geld war schnell verdientes – also durch Raub und Überfall erworbenes Geld zu verstehen. Ich kaute und sagte kauend leise zu meinem Nebenmann: »Ja, ich bin bereit, es auch für euch zu versuchen. – Doch wenn ich Pech habe, dann jammert mir nichts vor. Denn irgendwann erwischen sie auch mich. Keiner kommt davon. Viele Wege – viele Kämpfe. Und nicht immer kann man gewinnen.« Ich drehte dem Mann einen Moment den Rücken, sah mich um. Ja, es war Bewegung überall. Die Sonne schien und der Schnee taute etwas. Doch schon am Abend würde alles wieder frieren und verharschen. Ich konnte niemanden entdecken, der uns beobachtete. Auch die anderen Esser hier am Bratstand schienen unverdächtig zu sein. Es waren Minenleute, Goldgräber, Handwerker. Die standen auch nicht mehr so dicht bei uns, daß sie unser leise geführtes Gespräch, verstehen konnten. Wir sahen uns auch nicht an. Aus einiger Entfernung mußte es aussehen, als stünden wir nur kauend nebeneinander. Der Ort war gut gewählt. Hier in der Öffentlichkeit an einem Bratstand stehend würde kein Beobachter mich verdächtigen, einen neuen Goldtransportauftrag anzunehmen. 68 �
»Ihr Ruf, Rosebud, ist uns die beste Garantie«, sagte der Mann. »Wir zahlen die üblichen zehn Prozent. Sie können diese bei Ablieferung gleich abziehen. Ihr Ruf ist ehrenwert. Wir vertrauen Ihnen. Wann und wo können wir Ihnen das Gold übergeben?« Ich rollte den letzten Pfannkuchen zusammen und stippte ihn in das Apfelmus. »Werdet ihr schon beobachtet? Hat man euch schon im Verdacht, daß es sich lohnen könnte bei euch?« »Ja«, sagte der Mann kauend und sah dann in die andere Richtung. »Wir haben eine kleine Mine in der östlichen Canyonwand. Wir sind fünf Mann. Ja, wir werden schon eine Weile beobachtet Zwei von uns wurden auf dem Heimweg überfallen und ihre Taschen durchsucht Wahrscheinlich machten wir uns verdächtig, weil wir mit Goldstaub zahlen. Das Bargeld wird knapp in Lucky Ben. – Und wer mit Gold zahlt, macht sich verdächtig. – Wo sollen wir Ihnen das Gold übergeben? Kommen Sie es bei uns holen?« Nun mußte ich grinsen über seine Einfalt. »Mann«, sagte ich kauend und sah weg von ihm, so als interessiere mich irgendwas auf der Straße. »Ihr seid ja verrückt. – Wenn ich das Zeug bei euch holen käme… Oha, oha! Nein, geht in den Mietstall. Gebt vor, euch ein oder zwei Pferde kaufen zu wollen. – Ihr könnt den Stallmann – den krummbeinigen Tate Tatum – einweihen. Er ist mein Freund. Besichtigt auch die graue Stute, die ich gestern in den Stall brachte. Versteckt das Gold im Stroh der Box. Ich hole es mir dort. Und Tate Tatum paßt auf, daß es uns niemand stiehlt. – Aber wer sollte schon im Stroh einer Pferdebox nach Gold suchen? Alles klar?« »Ja«, ächzte er und kaute dann. Es paßte ihm nicht, daß sie sieben Kilo Gold in den Mietstall schmuggeln und dort im Stroh einer Pferdebox verstecken sollten. Aber er fügte sich. 69 �
Ich wollte schon gehen. Doch da fiel mir noch etwas ein, und so ließ ich mir die Kaffeetasse noch einmal füllen. Denn Kaffee gab es hier auch zu den Reibekuchen. Indes ich vorsichtig vom Tassenrand schlürfte, sagte ich zwischendurch. »Und noch etwas, Freund. – Ich brauche ein halbes Dutzend von diesen Preßpulverstangen, wie ihr sie in den Minen verwendet. – Es könnte sein, daß ich mir den Weg nicht mehr freischießen, doch aber frei werfen muß.« »Oooohh«, machte er nur. Dann ging er. Ich schlenderte zu meinem Hotel. In mir war eine grimmige Gelassenheit. Ja, ich würde wieder durch die Black Hills zum Cheyenne River reiten und mich unterwegs mit den zweibeinigen Goldwölfen herumschlagen. Dabei konnte ich siebenhundert Dollar verdienen oder mein Leben verlieren. War ich nicht auch ein Spieler? Oder nur ein verrückter Narr, der sich immer wieder selbst beweisen wollte, was für ein Kerl er war? Was war ich? Hier in Lucky Ben hielt mich nicht viel. Ich hätte mich gerne um Sue gekümmert. Ja, ich hätte ihr gerne den Hof gemacht und um sie geworben. Auf neutralem Boden, wo sie nicht von mir abhängig war, hätte ich gerne meine Chancen bei ihr herausgefunden. Aber aus uns konnte wohl nichts werden. Sie war eine Spielerin und Glücksjägerin wie Reva Savage auch. Sie würden wie zwei Schwestern zueinander sein. Das glaubte ich. – Nein, es war sinnlos, mich um Sue zu bemühen. Sie verdiente ihr Geld jetzt müheloser als ich, und sie verdiente 70 �
gewiß auch eine Menge mehr. * Als es Abend wurde, besuchte ich Tate Tatum im Stall und sagte ihm Bescheid. Wir standen bei meinem Cheyenne in der Box, und wir waren die einzigen Menschen im Stall. Das wußte ich genau, denn ich hätte es an Cheyennes Ohren gemerkt, wäre noch jemand außer den Pferden und den Ratten – und außer Tate und mir natürlich – im Stall gewesen. »Du bist verrückt, John«, sagte Tate. »Du kannst nicht immer gewinnen in diesem Spiel. Die erwischen dich eines Tages.« »Aber vielleicht ist dieser Tag noch weit«, sagte ich trocken. Ich besuchte auch noch die graue Stute, die ich ja Sue abgekauft hatte mitsamt dem Sattel. Die Stute erinnerte mich wieder an unseren gemeinsamen Ritt. Ah, es war doch damals in diesen Tagen und Nächten eine Menge Gemeinsames zwischen Sue und mir. Und einmal hatte sie mich auch geküßt. Tat sie es nur aus Dankbarkeit? Als ich sie damals griff, da schreckte sie zurück und sagte, daß aus uns nichts werden könnte. Ich wußte jetzt, daß es wegen Jubal Armstrong war. Doch jetzt…? Jetzt machte sie Geld bei und mit Reva Savage. Zwei schöne, entschlossene Frauen hatten sich verbündet. Und sie würden immer wieder Männer finden, die ihnen halfen. Ich wollte nicht einer dieser Burschen sein – nein, ich nicht. Und so würde ich wieder reiten. Aber ich ging dennoch nach dem Abendbrot hinüber in die große Vergnügungshalle. Reva Savage stand auf der Bühne und sang. Sie hatte keine 71 �
große Stimme, aber was sie sang, ging all diesen rauhen Burschen unter die Haut. Denn sie alle hatten Heimweh, sehnten sich nach Liebe, Wärme und Treue. Reva sang ihnen die alten Lieder vom Mississippi, von Texas, von den Bergen, von einsamen Männern, auf die daheim das Mädchen wartete. – Ja, sie sang ihnen alles, was sie sich wünschten und fühlten. Und dann kam Sue zu ihr auf die Bühne. Nun sangen sie zweistimmig. Sues Stimme war noch etwas dunkler. Zwei schöne Frauen standen auf der Bühne. Es war still, fast lautlos. Sie sangen von den guten Dingen dieser Welt. Und wenn sie ein Lied beendet hatten, dann brüllten die Kerle los. Manche waren dem Weinen nahe, als sie das Lied: »Die Rose von Laredo« sangen. Verdammt, sie paßten zusammen wie Zwillingsschwestern. Und Reva mußte das sofort instinktiv erkannt haben. Sue war verloren für mich. Das wußte ich. Diese Amüsierhalle war ihre Goldmine, und sie wollte reich werden. Von Jubal Armstrong sah ich nichts. Was mochte mit ihm geschehen sein? Was hatte Reva mit ihm beredet? Denn daß sie mit ihm geredet hatte und mit ihm irgendwie zurechtgekommen sein mußte, war anzunehmen. Wo also war er? Ich ging wieder. Nein, ich wollte nicht mehr länger bleiben und auch nicht mit Reva oder Sue reden. Wie zwei Ladies standen sie auf der Bühne. Sie unterschieden sich sehr von den Tingeltangel-Girls und Tanzmädchen, die später auftreten würden, um die Stimmung auf andere Art anzuheizen. Sue und Reva hatten Stil, Format. – Sie waren die Königinnen von Lucky Ben. 72 �
Das war klar. Ich ging durch den Seitenausgang hinaus. An der Gassenecke stand eine dunkle Gestalt. Ich spürte instinktiv, daß dieser Mann auf mich gewartet hatte, und es mußte ein besonderer Mann sein, der sich ausrechnete, daß ich durch den Seitenausgang kommen würde. Es war Bart Starretter, der grauköpfige Revolvermann, der jedoch kaum mehr als fünf oder sechs Jahre älter sein konnte als ich. »Hallo, Rosebud«, sagte er. Ich blieb neben ihm stehen, und ich dachte: Vielleicht ist es doch Zufall, daß er hier steht. Er wollte sicherlich nur frische Luft. Es ist ja noch nicht kalt. Ja, es wird Zufall sein. Indes ich dies dachte, sahen wir auf die Hauptstraße hinaus. Dort war alles voll in Betrieb. Drüben an der Ecke stand sogar ein Feuerschlucker neben einem Feuer, welches in einem geschmiedeten Korb brannte. Bart Starretter sagte: »Rosebud, du hast doch meine Warnung nicht vergessen? Es täte mir leid um dich.« »Und warum täte es dir leid, Starretter?« Er dachte über meine Frage nach. Aber er gab mir keine Antwort. Er trat aus der Gasse hinaus auf die Hauptstraße und wandte sich nach links. Er tauchte unter im Strom der durstigen Passanten, die von einem Lokal zum anderen strömten, immer noch auf der Suche nach etwas, was sie nicht finden konnten, solange sie noch nicht betrunken genug waren. Ich ging zum Mietstall, und ich trug nicht mehr den schönen Anzug aus Reva Savages Gastzimmer, sondern Kleidung, in der ich sofort losreiten konnte. Ich hatte sie mir im Store gekauft. Schnelles Handeln konnte notwendig sein. 73 �
* � Ich brauchte eine Stunde, und es war schon fast Mitternacht – als ich den Mann hinter dem Mietstall gefunden hatte. Er kauerte hinter einem Holzstoß und zündete sich fluchend eine Tabakspfeife an, als ich dicht genug bei ihm war. Er hörte mich im letzten Moment, denn mein Fuß knirschte den Schnee. Ich stieß ihm die Rechte voll ins Gesicht, indes er noch herumwirbelte. Und dann gab ich es ihm nochmals ins Genick. Ich betrat den Stall durch die kleine Tür im Torflügel. Tate Tatum war vorne. Er saß auf der Futterkiste. Doch er hatte die Tür gehört. Er wandte sich zu mir, als ich den Gang entlang nach vorn kam. »Na?« fragte ich ihn. »Es ist alles da«, sagte er. »Du kannst reiten, wenn es dich danach juckt.« »Es juckt mich«, sagte ich. »Diese Bande hat irgendwie etwas gerochen. Hinter dem Stall war ein Aufpasser postiert. Er schläft nun eine Weile. Aber ich muß mich beeilen, damit mein Vorsprung groß genug ist und ich aus dem Canyon komme.« Er half mir schweigend. Nur einmal knurrte er vorwurfsvoll. Aber ich sagte: »Es hat doch keinen Sinn, Tate. Ich muß reiten – ich muß es einfach tun. – Vielleicht würde ich sogar für zehn Dollar reiten und nicht für zehn Prozent.« Da sagte er nichts mehr. Ich führte meinen großen, narbigen Cheyenne hinaus, und ich hatte alles bei mir, was ich brauchte. »Gib es ihnen wenigstens höllisch, wenn sie dich in der Klemme haben«, sagte Tate bissig. Dann saß ich auf und ritt in die Nacht. Lucky Ben tobte und lärmte hinter mir, war wie ein böses Tier. 74 �
Aaah, ich freute mich auf diesen Ritt. Es tat mir gut, fortzureiten. Ein Weg lag vor mir. Ich hatte ein Ziel. Das war es wohl. In Lucky Ben hatte ich kein Ziel, keine Aufgabe. Und das war es genau, was ich brauchte. * Es begegnete mir niemand auf dem Weg durch den Canyon. Das war normal, denn alle, die nach Lucky Ben wollten, waren schon viel früher aufgebrochen. Und heimwärts wollte von Lucky Ben noch niemand. Da war es noch zu früh. Ich ritt ruhig. Mein Cheyenne wurde langsam warm. Doch ich durfte ihn nicht zu warm werden lassen. Wenn die Morgenkälte kam, würde Schweiß ihm sehr schaden. Ich mußte mich auf Cheyenne verlassen können. Er durfte mir nicht krank werden. Ich fragte mich, ob sie schon von meinem Aufbruch wußten und hinter mir hergesaust kamen. Die Nacht war hell. Ich hatte weite Sicht nach allen Seiten. Nur in den Schatten aller aufragenden Dinge konnten Gefahren lauern, die ich zu spät erkannte. Der Bursche, den ich niederschlug, hatte längst schon die Horde alarmiert. Die vielen Spuren und Fährten auf der Straße sagten mir nichts. Ein leichter Schneefall wäre günstig gewesen. Denn dann hätte ich sehen können, ob jemand vor mir ritt. Ich dachte wieder an Bart Starretter. Er mußte zu den Banditen gehören. Ja, es war nicht anders möglich. Sie hatten ihn nicht nur beauftragt, mich zu warnen und von weiteren Ritten abzuhalten. Er gehörte zu ihnen und war vielleicht sogar einer ihrer Anführer. Immer intensiver dachte ich an diesen Bart Starretter, und weil ich ein erfahrener Jäger war, ein Bergläufer und Scout, der die 75 �
Strömungen und Schwingungen in diesem Lande genau zu deuten versuchte, war ich eine Meile weiter gar nicht mehr überrascht darüber, daß ein Reiter mir den Weg versperrte. Ich wußte mit untrüglicher Sicherheit, daß dieser Reiter Bart Starretter war. Ja, ich wußte das, bevor ich ihn erkannte und seine Stimme hörte. Diese Stimme klang ruhig. »Halt an, Rosebud!« Und ich hielt an. Denn ich wußte, dies würde kein einfacher Kampf werden, kein leichter, den ich mit meiner Revolverschnelligkeit gewinnen konnte. Um jetzt zu überleben, dazu gehörte Glück, mußten irgendwelche scheinbare Geringfügigkeiten für mich sein, spielten winzige Vorteile eine Rolle. Ich fragte: »Was ist, Starretter?« »Steig ab«, sagte dieser. »Steig nur ab!« Nach diesen Worten glitt er aus dem Sattel, trat von seinem Pferd weg, welches mit hängenden Zügeln auf dem hartgefrorenen Schnee stand. Ich zögerte. Denn ich dachte jetzt darüber nach, ob sich das alles lohnte. Ich würde jetzt für sieben Kilo Gold mein Leben riskieren müssen. Und selbst wenn ich gewann, so war da immer noch die Tatsache, daß ich töten mußte. Denn ohne zu töten konnte ich nicht überleben. Lohnte sich das alles wegen sieben Kilo Gold, die ich für eine Minen- oder Claimgesellschaft von fünf Goldgräbern transportierte? Das war die große Frage. Und es war einen Moment Furcht in mir. Nur ein Narr spürte keine Furcht vor einem Kampf – oder ein 76 �
Mensch, dem alles fehlte, so sehr alles fehlte, daß er sich dieses Mangels gar nicht bewußt war. Aber es ging ja wohl nicht um die sieben Kilo Gold jetzt. – Nein, es ging um mehr Denn wir hatten ein Recht darauf, dieses Gold nach River Port bringen zu können. Wir alle hatten ein Recht darauf. Es war schon schlimm genug, daß sich die Besitzer dieses Goldes einen Mann wie mich zu Hilfe holen mußten und das Gold nicht auf dem üblichen Postweg senden konnten. – Ja, das war schon schlimm genug. Noch schlimmer war es aber, daß immer wieder Goldgräber überfallen und ausgeraubt wurden. Kaum einer konnte seine Goldausbeute in Sicherheit bringen. Den Goldwölfen entging nichts. Und irgendwo daheim hungerten Familien, warteten Menschen auf das Gold, welches ihr Vater, ihr Sohn, ihr Bruder versprochen hatte zu senden. Und oft war nicht nur das Gold verloren, sondern wurde sein Besitzer getötet. Das war es, um was es ging: Der Kampf gegen die zweibeinigen Goldwölfe, gegen die Mörder und Banditen. Und Bart Starretter gehörte zu ihnen. Ich wunderte mich. Gewiß, er war ein Revolvermann. Doch daß er für die Banditen arbeitete, hätte ich niemals von ihm gedacht. Ich seufzte. Dann saß auch ich ab. Ich zog meine Felljacke aus und hing sie ans Sattelhorn. Auch Bart Starretter tat es. Er trat mir nun offen entgegen. Er gab mir die Gelegenheit zu einem fairen Kampf. Dies war der letzte Stolz eines Mannes, der mit den Banditen paktierte. Ich verstand es sogleich. Doch ich fragte: »Starretter, warum stehst du auf dieser Seite? 77 �
Warum hilfst du verdammten Mördern und Banditen? Wo ist deine Ehre?« Da lachte er leise. »Ehre? Ich bin ein Revolvermann. Und du bist ein Revolvermann. – Ich hatte dich gewarnt. Und nun trete ich dir offen entgegen. Die Chancen sind gleich. Ich lebe vom Colt. Und ein Kampf ist ein Kampf. – Vielleicht wird dies heute mein schwerster Kampf – und vielleicht auch mein letzter. – Also, ich werde auf jeden Fall meinen Stolz behalten können.« Wir schwiegen nach seinen Worten einige Atemzüge lang. Doch ich war noch nicht bereit zum Kampf. Ich fragte: »Wer steckt hinter diesen organisierten Banditen? Wer führt sie? Denn sie sind alle organisiert. Sie haben gute Spione. Nichts im Canyon bleibt ihnen verborgen. Sie erfahren alles. Das beste Zeichen dafür bist du. Denn du hast mich hier erwartet. – Wer also sitzt wie die Spinne im Netz, empfängt die Signale und erteilt die Befehle? Das könntest du mir sagen, Starretter, bevor wir kämpfen. – Oder nicht?« Er lachte leise. »Du würdest mir das nicht glauben«, sagte er. »Es ist ein Mensch, dem du es niemals zutrauen würdest. Du würdest es mir nicht glauben. – Und jetzt haben wir lange genug herumgetändelt. – Es wird zu kalt, um noch länger zu warten. – Hörst du in der Ferne die Schreie der Nachtfalken. – Wenn der nächste Falkenschrei ertönt, werde ich ziehen. – Jetzt!« Er hatte kaum seinen letzten Satz beendet, da klang schon solch ein Schrei. Und er rief nur noch »Jetzt!« und zog zugleich. Aber auch ich zog. Es war ein Reflex, schneller als jeder Gedanke. Ich zog ohne zu wissen, was ich tat. Es war irgendwie ein Reflex, wie wenn man nach einer Biene schlägt, die einem auf die Wange sticht. Ja, so war es wohl. Und unsere Colts krachten zu gleicher Zeit. Die Schüsse klan78 �
gen wie ein einziger Schuß. Ich spürte, wie seine Kugel mich traf, doch ich stand fest und ruhig. Denn um sicher schießen zu können, mußte man fest stehen. Ich schoß weiter. Und er schoß weiter. Dann fiel er. Und ich stand noch. Aber er hatte mich zweimal getroffen. Es war Panik in mir. Die Wunden begannen jetzt erst zu schmerzen, und der Pulverrauch biß mir in die Augen. Ich war ja einen Moment lang eingehüllt in den Pulverrauch meiner Waffe. Als ich mich in Bewegung setzte, mußte ich dies hinkend tun. Mein linker Oberschenkel schmerzte. Das Blut lief mir am Bein herunter. Und meine rechte Seite brannte Irgendwo an dieser Seite hatte ich meine zweite Wunde. Und auch aus ihr lief mir das Blut. Aber ich konnte zu Bart Starretter gehen und bei diesem niederknien. Er lag auf dem Gesicht. Ich drehte ihn auf den Rücken. Er öffnete noch einmal die Augen und sagte mühsam: »Gut gemacht, Rosebud. – Aber auf die Dauer wirst du nicht gewinnen können. Da sind noch…« Weiter konnte er nicht sprechen. * Die Nacht war schon fast um, als ich die Post-Station am Kanaska Creek erreichte und auf Portuge-Phil niederblickte, der aus dem Haus trat. »He«, sagte er, »du siehst gar nicht gut aus. Angeschossen?« Ich nickte mühsam, räusperte mich und sagte schließlich: »Ich konnte unterwegs meine Wunden nicht besonders gut verbinden. – Aber du und deine Frau können es, sicherlich besser. – 79 �
Nimm die beiden Satteltaschen. – Es ist Gold darin. Sieben Kilo Gold.« Nach diesen Worten saß ich ab und ging hinein. Er folgte mir mit dem Gold, rief nach seiner Frau. Sie kam sofort, und ich erinnerte mich wieder daran, wie sie für Sue Maryland das heiße Wasser auf das Zimmer schleppte. Portuge-Phil sagte: »Mein Helfer kümmert sich um dein Pferd. Du hast es ziemlich schnell laufen lassen. Das war ein höllischer Ritt für dich, ja?« Ich gab ihm gar keine Antwort, sondern trank den starken Kaffee, den seine Frau mir reichte. Dann begann ich mich auszuziehen. »Wenn ihr mit mir fertig seid«, knirschte ich, »werde ich zwei Stunden auf diesem Sofa dort schlafen. Und ihr werdet mich wecken, sollte jemand zu Besuch kommen, ganz gleich wer. – Habt ihr mich verstanden?« Sie nickten. Dann kümmerten sie sich um meine Wunden. Portuge-Phils Frau war sehr geschickt. Sie hatte schon mehr als eine Wunde behandelt. Portuge-Phil sagte einmal: »Sieben Kilo Gold… Verdammt, Rosebud, was bist du für ein Mann? – Man kann dir sieben Kilo Gold anvertrauen. Und du setzt auch noch dein Leben dafür ein, es ans Ziel zu bringen – so als wäre es dein eigenes Gold.« In seiner Stimme war ein heißer Tonfall, und in seinen Augen glitzerte es. Dann fragte er: »Und wer hat dich so angeschossen?« »Starretter«, sagte ich. »Aber er trat mir offen entgegen. Er schoß nur so schlecht, weil er so schnell schießen mußte wie noch nie in seinem Leben.« Portuge-Phil grinste hart. »Er hätte dich aus dem Hinterhalt umlegen müssen«, sagte er 80 �
dann. »Ich hätte es getan, würde ich das Gold haben wollen.« »Willst du es nicht?« fragte ich hart zurück. In seinen Augen glitzerte es wieder. Dann sah er auf seine Frau. Die blickte ihm fest in die Augen. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er, »ich will es nicht. – Es brächte uns kein Glück. Du kannst hier ruhig schlafen, Rosebud.« * Zwei Stunden später ritt ich weiter. Ich hätte mich gerne zwei Tage ausgeruht und meine Wunden gepflegt. Doch das konnte ich nicht wagen. Ich war noch nicht weit genug von Lucky Ben entfernt. Die Goldwölfe würden mich für sieben Kilo Gold auch weiter als nur dreißig Meilen verfolgen. Denn daß Bart Starretter mich nicht aufhalten konnte am Ende des Canyons, dies fanden sie inzwischen gewiß schon heraus. Eigentlich war es fast schon ein Wunder, daß ich mich zwei Stunden hier in der Kanaska Creek Station aufhalten konnte, ohne eingeholt worden zu sein. Als ich in den Sattel kletterte, wußte ich ziemlich genau, daß dies ein höllischer Ritt für mich werden würde. Denn ich hatte schon leichtes Wundfieber. Mein Oberschenkel schmerzte; und dieser Schmerz würde beim Reiten gewiß nicht abnehmen. Weil auch meine Seite schmerzte, saß ich schief im Sattel. Mein Cheyenne wandte einmal den Kopf, es war als staune er über die Art, wie ich im Sattel saß. Portuge-Phil, dessen Frau, die Kinder und der Helfer sahen mir nach. Ja, es wurde ein erbärmlicher Ritt. Ich mußte mir die zehn Prozent von sieben Kilo Gold verdammt schwer verdienen. Aber ich hielt durch. Ich blieb im Sattel. Aber weil es mir so schlecht ging, 81 �
suchte ich meine alten Camps auf, die ich auf meinen früheren Ritten aufschlug. Ich brauchte deshalb niemals Tannenzweige zu schlagen Oftmals war auch noch genügend Holz für das Feuer vorhanden. Ich schlief stets schlecht Das Wundfieber setzte mir zu. Die Wunden hämmerten. Und immer dann, wenn es mir etwas besser ging und der Schmerz meiner Wunden sich linderte, da mußte ich wieder hoch, mußte ich reiten. Zum Glück war das Wetter mir gnädig. Es war nicht so kalt. Es gab keinen Schneefall. Kein Blizzard kam. Nur einmal sah ich aus der Ferne Gelbvogel und seine Krieger. Sie waren hinter einem Elch her. Ich wünschte ihnen gute Jagd. Irgendwann kam ich schließlich am Ende meiner Kräfte in River Port an. Hank Overbridge und dessen Leute mußten mich ins Haus tragen. Ich konnte nicht mehr aus eigener Kraft gehen. Ein Wunder, daß ich unterwegs nicht vom Pferd fiel. Und dann vergingen zwei Wochen. * Es war drei Tage vor dem Christfest, als einige Goldgräber aus Lucky Ben in River Port eintrafen. Sie hatten unterwegs einige ihrer Freunde und Partner verloren. Die Banditen hatten sie aus den Sätteln geschossen in der Wickmunke-Schlucht Die anderen konnten erst dann weiter, nachdem sie ihr Gold abgeliefert hatten. Nun hatten sie zwar River Port erreicht, doch ohne ihre Goldausbeute. Sie alle arbeiteten länger als ein Jahr auf ihren Claims umsonst. Nun mußten sie mit leeren Händen heimkehren und konnten noch froh sein, daß man sie am Leben ließ. Sie kannten mich, hatten von mir gehört. Einer sagte zu mir: »Wir wollten nicht warten, bis Sie wieder 82 �
nach Lucky Ben kamen, Rosebud. Wir glaubten, daß wir es alleine schaffen könnten. Denn wir waren neun Mann – neun harte Burschen. Jetzt sind wir nur noch fünf. – Wir hätten Ihnen unser Gold anvertrauen sollen, Rosebud. Selbst wenn wir Ihnen zwanzig Prozent hätten zahlen müssen, so…« Ich hörte gar nicht mehr weiter zu. Denn meine Gedanken schweiften ab. Ich dachte an Lucky Ben, an Sue Maryland, Reva Savage – an Bart Starretter, den ich geöttet hatte – und ich fragte mich, wer wohl der Mann war, der die Goldwölfe führte. Starretter hatte mir gesagt vor seinem Tode, daß ich ihm den Namen nicht glauben würde. Wer also konnte es sein? Kannte ich den Burschen, der ein großes Netz spannte und selbst die Spinne im Netz war. War er mir bekannt? Ich ging alle Namen durch, stellte mir alle Leute vor, die ich kannte und die einiges Format zu haben schienen, so daß sie in Betracht kommen konnten. Aber es gab niemand, den ich mir als Boß der Goldwölfe vorstellen konnte. Neben mir sprach immer noch der Goldgräber über ihre Erlebnisse unterwegs. »… schossen die uns fast die Köpfe ab«, hörte ich ihn sagen. Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich fragte: »Als ihr ihnen euer Gold übergeben mußtet, habt ihr sie da von nahem gesehen? Habt ihr welche von ihnen erkannt?« »Sie waren maskiert«, erwiderte er. »Doch…« Er verstummte, zögerte, dachte offensichtlich nach, war unschlüssig. Ich sagte trocken: »Es ist eure Chance, etwas von dem Gold wiederbekommen zu können. Gebt mir eure Heimatanschriften Sagt mir, was sie euch abgenommen haben. Und dann beschreibt sie mir alle, so gut ihr es könnt. Auch wenn sie maskiert waren, gibt es Anhaltspunkte.« 83 �
Die anderen Männer nickten heftig. Die Aussicht, daß die Banditen überführt werden könnten, spornte sie jetzt in ihrem Wollen an, mir und damit auch sich zu helfen. Aber sie konnten mir nichts beschreiben, was mir eine Hilfe gewesen wäre. Nur jener, der mir alles berichtet hatte, von Anfang an und der nach einem »Doch« zögernd verstummte, sagte nun, nachdem sie alle sonst schwiegen: »Ja, da war etwas. Der Bursche, dem ich meine beiden Beutel mit Goldstaub übergab und der auch offenbar der Anführer war, hatte Narben auf dem Handrücken. Es waren Lassonarben, wie sie ein rutschendes Lasso reibt, an dem ein kämpfender Stier hängt. – Solche Narben sah ich ein paar Tage vorher bei einem Spieler in der Lucky Gent Hall. Es waren alte Narben, sehr alte, vielleicht zehn Jahre alt.« »He«, machte ich nur. Und er sprach weiter. »Der Spieler war prächtig anzusehen, ein…« »… Mann, der wie ein ständiger Sieger aussieht«, sprach ich dann weiter. »Ein Bursche wie ein zur Erde gefallener Gott, ein schöner Mann, den man unter tausend anderen Männern sofort erkenne würde.« Der Goldgräber nickte »Ich spielte einmal an seinem Tisch und verlor ganz schnell zweihundert Dollar. – Und wenn er die Karten gab, sah man die Narben auf seinem Handrücken. Es waren leicht gekreuzte Narben. – Aber dennoch bin ich mir nicht sicher, ob er es auch wirklich war. – Verstehen Sie, Rosebud? Er war sonst zu sehr maskiert und trug einen großen, weiten Mantel. – Es gibt hier im Goldland Hunderte, die mal Cowboys waren und solche Lassonarben haben. – Ich bin mir nicht sicher, ob es der Spieler aus der Lucky Gent Hall war.« Ich nickte.
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* � Am nächsten Tage brach ich auf nach Lucky Ben. Ich war wieder im Vollbesitz meiner Kräfte und Fähigkeiten. Die Folgen des höllischen Rittes hatte ich völlig überwunden. Auch mein Cheyenne freute sich, daß wir wieder unseres Weges zogen. Er benahm sich am Anfang recht übermütig. Immer wieder dachte ich an Jubal Armstrong, den Spieler, mit dem die Großen des Canyons nicht mehr spielen wollten, weil er zuviel Glück hatte mit seinen Karten. Ich dachte an Jubal Armstrong, den Dieb, der einmal mit Sue Maryland verlobt war und dann mit ihrem gemeinsam Ersparten, mit dem sie sich eine Ranch kaufen wollten, durchbrannte. Ich erinnerte mich an jene Nacht, da dieser Jubal Armstrong von Reva Savage ausgezahlt werden wollte, nachdem er schon die Hälfte seines Anteils an Sue Maryland mehr oder minder unfreiwillig abgeben mußte. Und was war dann aus Jubal Armstrong geworden? Ich hatte ihn von jener Nacht an nicht mehr gesehen. Immer wieder grübelte ich über diese Dinge nach, indes ich zwei Tage vor dem Christfest nach Lucky Ben ritt. Das Wetter war immer noch ruhig und klar. Aber das würde gewiß nicht mehr lange so bleiben. Denn nichts auf dieser Erde war beständig, schon gar nicht das Wetter. Vor der Wickmunke-Schlucht begegnete ich auch diesmal wieder Gelbvogel und dessen Jagd- und Kriegstrupp. Diesmal hatte er noch mehr Krieger bei sich als sonst. Sie waren alle mit Gewehren ausgerüstet. Sie schlossen mich in ihren Kreis ein. Gelbvogel sagte: »Paß gut auf dich auf, John-John. Denn wenn der Winter vorbei ist, schlagen wir alle Weißen tot. Wenn wir mehr zu essen hätten, würden wir es jetzt schon tun. Doch wir 85 �
müssen zuviel Zeit für die Jagd aufwenden. Unsere Dörfer dürfen nicht zu viel hungern. – Wenn der Frühling kommt, dann bleibt fort aus den Black Hills. Die werden zu einer Todesfalle für alle Weißen.« »Bin ich ein Weißer?« fragte ich. »Kommt es denn auf die Hautfarbe an, wenn man in einem Lande geboren und aufgewachsen ist, welches ihr als eure Heimat betrachtet und das auch meine Heimat ist?« Sie dachten über meine Worte nach. Aber sie kamen zu keinem Ergebnis. Ich spürte es. Ich hatte eine weiße Hautfarbe. Und das würde schon bald das einzige Entscheidende sein. Nichts anderes mehr zählte. Ich reichte Gelbvogel wieder meinen neuen Tabaksbeutel. Er zögerte einen Moment, ihn anzunehmen. Doch dann nahm er ihn. »Auch Portuge-Phil wird sich entscheiden müssen«, sagte Gelbvogel. Ich nickte, machte das Zeichen des Respektes vor ihm und ritt weiter. Sie ließen mich reiten – und dennoch hatte ich schon gespürt, daß sich etwas verändert hatte. Irgendwann würden sie mich nicht mehr meines Weges reiten lassen und in mir nur noch allein den Weißen sehen. Bald schon. * Als es Mittag wurde, hatte ich schon einen Bogen um die Kanaska Creek Station geschlagen. Denn ich wollte mich von Portuge-Phil und seinen Gästen nicht sehen lassen. Gewiß hatte er heute Gäste, denn heute war ja Christfest. Da würden sich einige Burschen bei ihm betrinken wollen. – Und vielleicht warteten sie auch auf mich. Mit meiner Rückkehr mußten sie schon 86 �
länger als eine Woche rechnen. Vielleicht hofften sie gar, daß ich nicht mehr kommen würde. Als ich mich einmal umblickte, sah ich ein Rauchzeichen aufsteigen. Ich hielt mich in der Deckung einiger Bäume und dachte nach. Es war kein indianisches Rauchzeichen, sondern einfach nur eine aufsteigende Rauchsäule, die schwarzgrau über einem Hügelkamm aufstieg und vom Eingang des Lucky Ben Canyons her gut gesehen werden konnte. Meldete dieses Rauchzeichen meine Rückkehr? Darüber mußte ich nachdenken. Ich blieb also im Schutz der Tannen und saß ab. Die Sonne wärmte trotz ihres flachen Bogens ein wenig. Es tat gut, sich hier ein wenig niederzuhocken, etwas zu essen und nachzudenken. Wenn dieses Rauchzeichen mein Kommen meldete, dann war es gut, wenn ich mir überlegte, wo sie mir den Hinterhalt legen würden. Denn jetzt würden sie mich gewiß nur noch aus dem Hinterhalt angreifen. Nachdem der große Bart Starretter gegen mich kein Glück hatte, würden es ihre hinterhältigen Killer versuchen müssen. Nun, es gab mehrere Stellen, wo sie auf mich lauern konnten, bevor ich in den belebteren Teil des Canyons kam, also dorthin, wo sich die Claims und Minen aneinanderreihten und ich vielleicht Hilfe bekommen konnte. Ich saß auf und ritt weiter. Nur einmal hielt ich noch an. Aus der Satteltasche nahm ich einige der Preßpulverstangen, die ich mit den sieben Kilo Gold mitgenommen, doch nicht gebraucht hatte. Vielleicht würde ich sie heute zum Christfest brauchen, um am Leben zu bleiben und meines Weges reiten zu können. Ich machte die Lunten kurz und steckte mir dann eine Zigarre 87 �
an. So war ich bereit. Ich ritt langsam. Der Tag ging recht schnell dem Ende zu. Als erst die Sonne hinter den Bergen im Westen versunken war, wurden auch schon die Schatten länger und die Dämmerung zog in die Black Hills. Ich erreichte Arapahoe Bluff. Es war eine kurze Schlucht, die durch eine Bergschulter auf eine Ebene führte. Jenseits der Ebene begann der Lucky Ben Canyon. Ich zögerte, in die Schlucht hineinzureiten. Und ich erinnerte mich an das Geschehen, das dieser Schlucht zu ihrem Namen Arapahoe Bluff verhalf. Ich hatte diese Geschichte von Gelbvogel gehört, als ich noch als kleiner Junge in seinem Zelt lebte und er den Wunsch hatte, einen großen Krieger aus mir zu machen. Die Arapahoes hatten sich oftmals nach Kriegszügen gegen feindliche andere Stämme – zum Beispiel die Kiowas – durch diese Schlucht in ihr eigenes Gebiet zurückgezogen. Einige Male legten sie hier Hinterhalte. Und bald wagte sich niemand mehr, ihnen durch die Schlucht zu folgen, obwohl sie keine Hinterhalte mehr legten, also nur blufften. Auch als sie später den Weißen die Pferde zu stehlen begannen, war das so. Und deshalb hieß die Schlucht auch bei den Weißen in ihrer Sprache Arapahoe Bluff Mir fiel das wieder ein. Was sollte ich tun? Oh, man konnte auch um die Bergschulter herumreiten. Doch das war ein Umweg von fast drei Stunden. Doch ich wollte diesen Umweg nicht machen. Wenn mir diese Mörder und Wegelagerer auflauerten, dann sollten sie auch herausfinden, wie sehr sie dabei einen Tiger am Schwanze zogen. Indes ich auf meinem Cheyenne hielt, nachdachte und aus der 88 �
Deckung einiger Tannen zum Schluchteingang hinübersah, wurde es endgültig Nacht. Wahrscheinlich würde es bald schon eine helle Nacht werden mit strahlenden Gestirnen. Doch vorerst war es noch nicht so. Denn der Himmel war noch nicht klar. Er war noch dunstig. Und das würde mir helfen. Ich verspürte einen kalten Zorn. Dies hier war meine Heimatweide, mein Land, in dem ich aufgwachsen war zwischen Roten und Weißen. Hier in diesem Lande ritt ich meines Weges. Und nun wollten mich wahrscheinlich ein paar hinterhältige Killer abschießen. Das Rauchsignal, welches ich am späten Nachmittag hinter mir sah, ließ mich das mit ziemlicher Sicherheit vermuten. Ich entschloß mich. Dann ritt ich weiter und genau auf den Schluchteingang zu. Ja, ich ritt hinein in Arapahoe Bluff, und bald schon hallte der Hufschlag meines Pferdes auf dem gefrorenen Schnee zwischen den Wänden der Schlucht. Diese Wände waren nicht glatt und senkrecht, sondern bestanden aus Terrassen, auf denen Büsche und kleine Bäume standen. Deshalb war ja die Schlucht so gut für einen Hinterhalt geeignet. Man konnte sich über ihr zu beiden Seiten gut verbergen. Die Terrassen befanden sich nicht zu hoch über der Schluchtsohle. Nun, ich ritt also hinein, langsam – und ich hatte meine Füße nicht mehr in den Steigbügeln. Ich war bereit, in Sekundenbruchteilen zu reagieren. Natürlich ging ich ein gewaltig großes Wagnis ein. Und dennoch setzte ich all meine Chips darauf, daß ich ein Signal aufnehmen würde – ein Geräusch, einen Laut, irgendein Zeichen – und würde es nur ein Impuls meines Instinktes sein. Denn die Kerle, die in der Schlucht wahrscheinlich auf mich lauerten, die waren ja keine Indianer. Diese Kerle – waren Town89 �
wölfe. Ich kam etwa zwei Steinwürfe weit hinein in die Schlucht. Dann wurde sie besonders schmal. Mein Pferd ging nun wie eine Katze. Auch Cheyenne witterte jetzt die Gefahr und spürte auch meine lauernde Wachsamkeit. Er wurde selbst wachsam, lauernd. Rechts von mir rollten Steine – oder waren es Eisstückchen und gefrorener Schnee – hernieder. Ich glitt aus dem Sattel und rollte mich in Deckung einiger Steine und des hier wachsenden Gestrüpps. Schüsse krachten. Die Kerle feuerten mit ihren Colts. Die Entfernung war so nahe, daß sie keine Gewehre brauchten. Sie schossen mit den Revolvern, und ich sah ihre Mündungsfeuer da und dort. Mein Cheyenne wurde getroffen, denn er wieherte schrill, stieg mit der Vorderhand hoch und sauste dann davon. So sehr er darauf dressiert war, mit hängenden Zügeln auf einem Fleck zu verharren, so ließ ihn der Schmerz seiner Wunde dies alles vergessen und sich in Sicherheit bringen. Ich war froh darüber, und ich konnte nur hoffen, daß er nicht schlimm getroffen war. Mein kalter Zorn auf diese hinterhältigen Wegelagerer wurde noch stärker. Ihre Revolver feuerten nicht mehr. Es war eine Weile still. Nun luden sie nach. Dann rief eine Stimme heiser: »Rosebud, wir haben dich! Hier kommst du nicht mehr raus! Warte nur bis die Nacht heller wird. – Dann schießen wir dich in viele kleine Stücke!« Ich sagte nichts. Aber ich kannte inzwischen die Positionen der Kerle. Ich sah die Mündungsfeuer ihrer Waffen – und ich hörte jetzt die Stimme ihres Anführers. Ich nahm meinen Hut ab, hielt die Zigarre und eine der Preßpulverstangen hinein und blies auf den Glühpunkt der Zigarre, 90 �
der bisher kaum noch zu sehen war Ich hielt die kurze Lunte an den Glühpunkt. Sie begann zu sprühen. Und dann erhob ich mich ruhig, wartete noch zwei Sekunden und warf das Ding. Ich warf es gut, so als hätte ich es geübt. Ja, schon der erste Wurf gelang mir vortrefflich. Erst als ich mich in Deckung warf, krachten wieder die Colts. Und dann krachte noch etwas, nämlich meine Bombe. Ich ließ es nicht dabei, sondern machte weiter. Es kam mir dabei zu Hilfe, daß durch die Detonationen eine Menge Schnee in die Luft geblasen wurde, der überall auf den Hängen, Sträuchern und Bäumen lag. Er wirbelte wie Staub, denn es war sehr trockener Schnee. Er nahm den Banditen eine Menge Sicht. Ich rannte weiter zur Schluchtmitte, denn ich mußte meine Eierchen zu beiden Seiten hinaufwerfen. Kugeln suchten nach mir. Vielleicht sah man auch kurz den Glühpunkt meiner Zigarre. Ich zündete stets zwei Lunten zu gleicher Zeit und warf die Preßpulverstangen nach zwei Seiten hinauf. Oha, ich gab es der Bande. Es krachte prächtig dort oben auf den Terrassen. Die Kerle preßten sich gewiß voller Sorge in Deckung. Sie schossen bald auch nicht mehr. Denn sie sahen hier unten nichts in der Schlucht. Sie suchten Deckung, und sie wußten nicht, wieviel der Dinger noch kamen. Ich rannte bald durch die Schlucht. Nach einer Viertelstunde erreichte ich meinen Cheyenne. Er stand zitternd da, beruhigte sich jedoch, als ich zu ihm redete, ihn abklopfte und nach seiner Wunde suchte. Er hatte eine tiefe blutende Schramm über der linken Hinterhand. Doch ich konnte jetzt nichts für ihn tun. Wir mußten uns beeilen. Es konnten einige meiner Gegner schon unterwegs zu ihren Pferden sein, um mir draußen auf der Ebene den Weg zu verlegen. 91 �
Und so schwang ich mich auf Cheyenne und ritt los. * Es war wie immer, wenn ich nach Lucky Ben kam. Als ich vor den Mietstall ritt, kam Tate Tatum heraus. Er nahm mir den grauen Cheyenne-Wallach ab und sah sogleich, daß er verwundet war. »Er bekommt eine Narbe mehr«, sagte er trocken. »Und du? Wieviele Narben hast du bekommen? Du warst lange fort. Wir dachten, daß sie dich diesmal erwischt hätten.« »Und ihr dachtet nicht, daß ich mit dem Gold durchgebrannt bin?« So fragte ich scheinbar lässig. Aber ich konnte ihn nicht täuschen. Er kannte mich schon zu gut. Er wußte genau, daß sich hinter meiner Lässigkeit eine kalte und unversöhnliche Wut verbarg. »Gib es auf«, sagte er. »Laß es den letzten Ritt dieser Art gewesen sein. Du hast gewiß auch schon Geld genug verdient. Wolltest du nicht Pferde züchten, sobald du dir einen guten Hengst und erstklassige Zuchtstuten kaufen kannst? Hast du mir nichts von einem herrlichen Tal mit bestem Blaugras erzählt – Blaugras, welches die allerbesten Mineralien aus dem Boden zieht, die für Pferde geradezu ein Wunder-Elixier sind – na?« Ich nickte. »Ja«, sagte ich. »Dort reiten wir im Frühling hin, Tate. Dort bauen wir unsere Pferde-Ranch. Auf diesem Blaugras gedeihen nur erstklassige Pferde. – Im Frühling, Tate. Bestimmt. – Doch erst…« Ich sprach nicht weiter. Aber ich hatte sagen wollen:«… muß ich den Boß dieser verdammten Banditen finden, erst muß ich die Spinne im Netz finden, die mich in dieser Christnacht töten 92 �
lassen wollte.« Aber ich sagte es nicht. Ich klopfte noch einmal meinen Cheyenne ab. Tate Tatum würde sich um ihn kümmern wie ein guter Doc. Ich nahm mein Bündel und die Satteltaschen und ging. Irgendwie fühlte ich mich ausgebrannt, leer, bitter. Lucky Ben lärmte in dieser Christnacht nicht anders als sonst. Hier war nichts zu spüren davon, daß die Menschen in sich gingen. – Nein, es war alles so wie immer. Vielleicht war man sich nur in den Familien der Handwerker und Geschäftsleute, die sich hier ein wenig als Bürger einer Stadt fühlten, dieser Heiligen Nacht bewußt. Und das Christfest wurde ja auch sehr verschieden gefeiert. Ich erreichte das Hotel. Der Hotelmann sah mich staunend an. »Ja, ich bin wieder da«, sagte ich. Und wenn mein Zimmer besetzt ist, schmeiße ich den Kerl darin raus.« »Es ist noch Ihr Zimmer, Mister Rosebud«, sagte der Hotelmann. »Sie haben doch den ganzen Monat vorausbezahlt.« Ich grinste und ging nach oben. »Heißes Wasser! Aber schnell!« So rief ich von der Treppe hinunter und wunderte mich dann erst über meine Ruppigkeit. Ja, ich war angefüllt mit Bitterkeit. In mir war immer noch der kalte Zorn. Und ich wußte ihn zu deuten. Ja, es war Zeit, den Boß der Banditen zu finden, die Spinne im Netz. War es dieser Jubal Armstrong, der früher einmal Cowboy gewesen sein mußte, weil auf seinen Handrücken Lassonarben waren? Aber nein, er konnte der Boß nicht sein. Er war ja noch nicht lange in Lucky Ben. Er kam erst vor einigen Wochen hier an und war ein Spieler. Erst vor kurzer Zeit – ich hatte es erlebt – war er als Spieler hier 93 �
fertig und erfuhr auch die Überraschung durch Sue Maryland. Er mußte die Hälfte seines Anteils an der Lucky Gent Hall an Sue abtreten Und Reva Savage hatte mit ihm reden wollen. Dann war er verschwunden. Aber einer der Goldgräber, die ausgeplündert in River Port ankamen, hatte ihn zu erkennen geglaubt. Ich bekam heißes Wasser und eine Wanne auf mein Zimmer. Indes ich mich wusch, dachte ich fortwährend über all diese Dinge nach. Und es stand für mich fest. Ich mußte diesen Jubal Armstrong suchen. * Ich ließ mir ein Steak auf das Zimmer bringen, verputzte es wie ein hungriger Wolf und legte mich dann eine Stunde lang hin. Für eine Weile konnte ich meine Ungeduld verdrängen. Ich brauchte diese Erholungspause. Ja, ich schlief sogar eine Weile. Aber dann machte ich mich auf den Weg. Ich fühlte mich nun besser, frischer, nicht mehr so ausgebrannt. Und ich war angefüllt mit Ungeduld. Unten in der Halle warteten fünf Goldgräber auf mich, die mir ihre sieben Kilo Goldstaub anvertraut hatten. Seit mindestens einer Woche warteten sie sicherlich immer sehnsüchtiger auf mich. Nun hatten sie von meiner Rückkehr gehört. Als ich die Treppe herunterkam, sie angrinste und ihnen zunickte, da freuten sie sich mächtig. Ich gab ihnen die Einzahlungs- und Versandquittungen. Aber dabei sagte ich: »Die Goldwölfe hätten mich fast erwischt. Ich mußte mit zwei blutenden Wunden fast hundertzwanzig Meilen reiten. – Ich glaube nicht, daß ich noch einmal einen Goldtransport mache. – Sagt es allen, die vielleicht noch ihre 94 �
Chips auf mich setzen möchten. – Jetzt wird es mir zu gefährlich. Die Banditen würden mich beim nächsten Versuch bestimmt erwischen. – Es war mein letzter Goldritt. – Versteht ihr das?« Sie nickten. Aber einer sagte: »Es gibt hier im Canyon noch eine Menge Gold zu transportieren, eine ganze Menge.« »Das mag sein«, grinste ich. »Dann sollen sich die Besitzer dieser Schätze selber auf den Weg machen. Wenn sie sich alle zu einer starken Mannschaft zusammenschließen und ihre Freunde mitnehmen, so daß sie dreißig oder vierzig Mann stark sind, dann werden sie auch unbehelligt durchkommen. Ich mache es nicht mehr. Sagt es allen, die euch fragen, wie es bei euch geklappt hat.« Sie sagten nichts mehr. Aber sie sahen mich an, als könnten sie mir meine Worte nicht glauben. Dann wollten sie mich zu einer Feier einladen, denn sie hatten ja gewissermaßen von mir das schönste Geschenk zum Christfest bekommen. Aber ich wollte nicht. Auf der Straße trennten wir uns. Ich ging zur Lucky Gent Hall hinüber. Und hier stand wahrhaftig ein Tannenbaum auf der Bühne, den man geschmückt hatte und an dem Kerzen brannten. Dennoch war es laut und ziemlich wild in der großen Amüsierhalle. Denn aus der feierlichen Stunde war man längst heraus. Man war schon mehr oder weniger betrunken und hatte Heimweh und alle in diesem Zusammenhang stehenden Gedanken längst mit Feuerwasser betäubt oder ertränkt. Man hatte schon Vergessen gesucht und zumeist auch gefunden. Gleich an der Tür hielten zwei Betrunkene einen dritten fest, 95 �
den das heulende Elend hart erwischt hatte. »Lalalalaßt mich gegegehen«, lallte er. »Ich wiwiwiwill mimir draußen eieieieine Kukukugel in den Kopf schischischießen – Draudraußen! Da mamamacht es keine große Schweischweischweinerei. – Dadada bin ich nun schon das dritte Christfest weg von meiner Rosy – und sie hat zwei Kinder von mir. Ich wollte Gold finden und sie dann heiheiraten. – Aber ich fififinde kein Gold. Verdammt!« Er fing an zu weinen. Sie trösteten ihn. Einer sagte immer wieder: »Charly, morgen finden wir Gold. Morgen finden wir eine Goldader, sobald wir die Spitzhacke in den Boden schlagen. Morgen, Charly!« Ich ging weiter. Es gab da und dort ähnliche Szenen. Sie alle hatten Heimweh, dachten an ihre Lieben daheim und daran, daß sie hergekommen waren, um Gold zu finden und reich zu werden. Aber es war ein erbärmliches Leben. Und wenn sie Gold gefunden hatten, dann mußten sie um ihr Leben fürchten. Denn dann kamen bald schon die zweibeinigen Goldwölfe, die Banditen und Mörder. Und sie raubten es ihnen und töteten rücksichtlos, wenn Widerstand geleistet wurde. Immer wieder in diesen letzten Wochen und Tagen waren diese Gedanken in mir. Ich strich langsam durch die Räume der Lucky Gent Hall. Doch weder Reva Savage noch Sue Maryland waren zu sehen, auch nicht in den noblen Spielräumen. Ich fragte einen der Hauspolizisten nach Jubal Armstrong, dem schönen Spieler, mit dem selbst die Großen des Canyons, denen es auf tausend Dollar nicht ankam, nicht mehr spielen wollten. »Ach der…«, sagte der Mann. »Man sieht ihn selten. Er kommt manchmal hier herein, doch dann kann er nur Roulett, Faro oder Black Jack spielen oder sein Glück beim Würfeln ausprobieren. – 96 �
Poker spielt hier niemand mehr mit ihm in diesem Raum, in dem es kein Limit gibt. – Nein, niemand mehr. – Er muß wohl in einem anderen Laden seine Zeit verbringen – hier jedenfalls nicht.« Ich nickte nur. Als ich noch etwas fragen wollte, kam ein anderer Angestellter des Hauses. »Die Chefin möchte, daß Sie zu ihr kommen, Rosebud«, sagte der Mann. Ich folgte ihm bis zu der Tür, die er mir öffnete. »Sie kennen ja den Weg«, grinste er. Ich nickte und ging die Treppe hinauf. Oben in Reva Savages schönem und mit allem erdenklichen Luxus eingerichteten Wohnraum traf ich sie beide, also Reva und Sue. Sie waren festlich gekleidet, und sie tafelten an einem Tisch, der auch für den Präsidenten im fernen Washington nicht besser hätte gedeckt werden können. Sie wurden von einem Chinesen bedient, der in der Ecke des Raumes einige Tische zusammengestellt hatte, auf denen er irgendwelche Kochkünste zelebrierte. Er flambierte, kochte auf irgendwelchen kleinen Öfchen auf glühender Holzkohle, ließ irgendwelche Dinge sieden. Es war ein fernöstliches Festessen. Reva Savage winkte mir zu. Sie speiste wahrhaftig mit Eßstächen wie die Chinesen. »Komm, setz dich zu uns«, sagte sie. »Du bist der einzige Mann im ganzen Canyon, der es wert ist, hier mit uns zu speisen. – Komm nur, John, Mister Chang Fu ist ein echter Meister seines Faches, ein Großmeister! Lasse dich einführen in die Kunst des Genießens, John Rosebud. – Wir haben uns schon große Sorgen um dich gemacht. – Nicht wahr. Sue?« Ich sah von Reva auf Sue, und ich glaubte in ihren Augen zu erkennen, daß sie sich wahrhaftig große Sorgen machte und sich 97 �
jetzt freute, mich gesund zu sehen. Ich setzte mich. Reva deckte für mich. Es war kostbares Prozellan. »Du brauchst nicht mit Stäbchen zu essen«, sagte Reva. »Doch, wenn du es möchtest…« »Ich habe schon mehr als einmal mit Stäbchen gegessen«, erwiderte ich. Dann tranken wir uns zu. Es war klarer Reisschnaps, und er schmeckte mir. Oha, es gefiel mir, mit diesen beiden schönen Frauen hier zu sitzen und zu speisen, bedient von einem chinesischen Meister der Kochkunst. Es würde eine angenehme Nacht werden, dies glaubte ich. * Es war nach Mittemacht, und wir waren gesättigt von vielen Gängen. Der Reisschnaps war mir etwas in den Kopf gestiegen. Doch ich fühlte mich nicht betrunken. Mein Verstand schien mir seltsam klar zu sein, ganz und gar zu scharfer Überlegung fähig. Wir hatten uns allerlei erzählt und über die ganze Welt gesprochen. Ich hatte damals in der Missionsschule bei Fort Laramie von Pater de Smet eine gute Schulbildung bekommen. Ja, ich konnte mitreden mit diesen beiden Frauen. Das gefiel mir sehr. Ich hatte mich schon sehr lange nicht mehr so prächtig mit zwei schönen und so klugen Frauen unterhalten – eigentlich noch niemals in meinem ganzen Leben. Denn so sehr ich auch nachdachte, es waren keine ähnlichen Erinnerungen in mir, obwohl ich da und dort schon Frauen kennenlernte und es mit der einen oder anderen fast ernst geworden war. Die ganze Zeit aber lag mir eine Frage auf der Zunge. Und nach Mitternacht fragte ich dann wirklich: »Reva, was 98 �
wurde eigentlich aus diesem Jubal Armstrong, der die Hälfte seiner Beteiligung an Sue abgab? Ist er noch mit zehn Prozent Partner?« Ich beobachtete die beiden Frauen bei meiner Frage genau. Bei Sue veränderte sich nichts. Sie lauschte auf die Musik unten im großen Vergnügungssaal, summte sogar leise mit und spielte mit ihrem Glas. Sie wirkte leicht beschwipst, etwas müde schon und irgendwie gelöst, fast glücklich, jedenfalls in diesem Moment entspannt und sorglos. Es war, als hätte sie Jubal Armstrong vergessen und er spielte selbst in ihrer Erinnerung keine Rolle mehr. Aber sie war einst hergekommen, ihn zu töten. Reva Savage wurde sehr, ernst, wachsam, wirkte von einem zum anderen Moment wie eine lauernde Katze auf dem Sprung. Es war, als wäre der Name Jubal Armstrong für sie wie ein Alarmsignal. Aber dann lächelte sie. »Ach«, sagte sie dann lässig, »den habe ich ausgezahlt. Der streunt da und dort herum und versucht mit Leuten zu spielen, die ihn noch nicht kennen. Er hatte inzwischen auch einige Revolverduelle. Manchmal kommt er auch in unser Haus und versucht sein Glück beim Spiel. Doch…« Sie verstummte und zuckte mit den bloßen und so wundervoll geformten Schultern. »Sein Spielerglück ist wohl beendet«, sagte sie gedehnt. »Warum fragst du nach ihm, John?« Es lag mir auf der Zunge, ihr von meinem Verdacht zu erzählen, daß Jubal Armstrong jetzt wahrscheinlich zu den Banditen des Canyon gehörte, zu den Goldwölfen, die auch mich fast hatten erledigen können. Doch ich ließ es sein. Ich machte nur eine lässige Handbewegung. 99 �
»Ach«, sagte ich, »er fiel mir gerade so ein. Ich hätte mich nämlich nicht gewundert, wenn ich euch vor ihm beschützen müßte. Denn ihr seid beide nicht gerade sanft mit ihm umgesprungen. Sue hatte ihn vor ihrem Colt. Und dann mußte er eure Bedingungen annehmen. Er wurde ausgebootet Du wolltest nachher noch mit ihm sprechen, Reva. – Ging dies Gespräch gut aus, wurde er nicht rauh? Drohte er nicht?« Sie lächelte. »Ich habe genügend Leute, die ihn zur Vernunft gebracht hätten«, sagte sie. »Und ich habe Freunde – zum Beispiel dich, John. – Oder hättest du ihn nicht kleingemacht, wenn ich dich darum gebeten hätte?« Sie lachte, trank mir und Sue zu. Unten im großen Amüsiersaal wurde es lauter. Reva sagte: »John, du mußt doch zugeben, daß wir die beiden schönsten Frauen weit und breit sind, nicht wahr? Aber für welche würdest du dich entscheiden? Wer von uns könnte dich glücklich machen – Sue oder ich? Willst du uns das ehrlich sagen?« Verdammt, was war das für eine Frage? Diese Reva war ein verdammtes Biest Nun wurde auch Sue aufmerksam. Ich sah, daß sie auf meine Antwort wartete, sich anspannte und mühte, wieder klaren Kopf zu bekommen. Es war, wie wenn sie sich dazu zwang, endlich wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Ich sah sie beide abwechselnd an. Sie warteten und sie setzten sich unwillkürlich anders hin, fuhren mit den Zungenspitzen über ihre Lippen, lächelten, posierten. Ich grinste. Dann sagte ich: »Oh, ich würde mit jeder von euch ins Bett gehen. Aber sonst würde keine von euch beiden zu mir passen.« »Warum nicht?« Sie fragten es zweistimmig, so als hätten sie es 100 �
eingeübt. Und jetzt waren sie sehr ernst. Nun war es kein Getändel mehr, kein Geplänkel. Nein, nun war es ernst. Denn nun wollten sie wissen, was mir an ihnen nicht gefiel. »Ihr könnt nicht mit mir in einer einsamen Hütte leben«, sagte ich. »Und ich bin nun mal ein halber Wilder. Ich muß meine Wege reiten können in diesem Land. Ihr seid…« Ich hielt inne, denn mir fiel kein Vergleich ein. Aber Reva Savage sagte hart: »… Edelflittchen? Ist das das Wort, welches du soeben aussprechen wolltest?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Das ist nicht das Wort. – Nein, aber ihr seid Abenteuerinnen oder Glücksjägerinnen – eigentlich auch Spielerinnen, wie Jubal Armstrong ein Spieler ist. Ihr sehnt euch nach Reichtum, Luxus und nach der Anerkennung der scheinbar Großartigen und Noblen. Ihr wollt von ihnen aufgenommen werden, zu ihnen gehören. Reiche und bewunderte Ladys wollt ihr werden, denen man zu Füßen liegt und denen die Großen die Hand küssen. – Ich will nur ein Pferdzüchter werden auf einer Ranch in einem Blaugrastal. – Und deshalb würde keine von euch zu mir passen. Nicht fürs Leben. Nur für ein paar Nächte vielleicht.« Sie starrten mich beide an. Reva Savagne wurde wütend. Ich sah es ihren Blicken an. Aber Sue Maryland wirkte nachdenklich. Dennoch war ich darauf gefaßt, daß sie mich jetzt rauswarfen. Es klopfte an die Tür, zuerst leise, dann lauter. »Was ist?« rief Reva scharf Einer ihrer Angestellten trat herein. »Es ist wichtig, Chefin«, sagte er, »sehr wichtig. Unten im Büro…« Er schwieg, und ich hatte den Eindruck, daß er nicht zuviel sagen wollte. Was es auch Wichtiges geben mochte, es war nur 101 �
für Reva bestimmt. Sie erhob sich schnell und folgte ihrem Angestellten. Er war einer dieser hartäugigen Burschen, die einen Colt trugen und überall für Ordnung sorgten. Bevor er sich abwandte, sah er mich mit einem harten und unpersönlichen Blick an. Ich spürte Feindschaft. War er nur neidisch, weil ich hier oben in der Gesellschaft zweier schönen Frauen sein konnte. – Oder hatte der Strom von Feindschaft, der von ihm ausging, andere Ursachen? Dies hätte ich gerne genauer gewußt. Ich war nun mit Sue allein. Sie hatte offenbar ihren leichten Rausch überwunden. »Soll ich gehen?« So fragte ich sie ruhig. Aber sie gab mir keine Antwort Sie sah mich eine Weile schweigend an. »Ein Blaugrastal? Eine Pferde-Ranch in einem Blaugrastal?« So fragte sie nachdenklich. Ich nickte. »Blaugras«, erklärte ich, »wächst nur auf besonderem Boden, in dem sich bestimmte Mineralien befinden. Auf einer Blaugrasweide gedeihen die besten Pferde. Und…« »Das weiß ich selbst alles«, sagte sie. »Ich bin auf einer Ranch in Texas aufgewachsen. Wir hatten auch viele Pferde. Und du hast eines vergessen oder übersehen, John Rosebud.« »Was denn?« Ich fragte es herausfordernd, doch ich wußte schon, was sie meinte. Dennoch forderte ich sie durch meinen Tonfall heraus. Deshalb sagte sie wohl etwas ärgerlich: »Seit einigen Jahren wünsche ich mir nichts anderes als eine Ranch. Und als ich Jubal Armstrong kennenlernte, sagte ich ihm das sofort. Er versprach mir, daß ich eine besonders schöne und große Ranch bekommen würde, wenn ich eine Weile durchhielte bis wir genügend Geld gemacht hätten. Wir fuhren auf den 102 �
Luxusschiffen zwischen New Orleans und Saint Louis. Wir traten als reiches Paar auf, welches daheim riesige Baumwollplantagen besaß. Man durfte Jubal Armstrong nicht als Berufsspieler einschätzen. Er spielte seine Rolle gut. Ich übrigens auch. Und wir gewannen auf jeder Fahrt. Als ich ihm dann sagte, daß wir genug hätten für eine schöne Ranch, da brannte er mit unserem Geld durch. Alles sonst weißt du ja. – Und ich will immer noch eine Ranch. Verstehst du? Wie kannst du mich mit Reva vergleichen in dieser Hinsicht? Ich arbeite hier, weil ich immer noch eine Ranch will und dafür eine Menge Geld benötige. Verstanden?« Ich nickte. »Dann komm mit mir – im Frühjahr«, erwiderte ich. »Dann werden wir ja herausfinden, ob es dir gefallen wird oder nicht.« Sie staunte mich an. »Was war das? Ein Heiratsantrag?« Dies fragte sie langsam Ich schluckte und nickte. »Was sonst. Oder willst du ohne Trauschein mit mir im Blaugras-Valley leben und all die Wege mit mir reiten?« Sie gab mir keine Antwort, sah mich nur an. Ich fühlte mich herausgefordert, war wohl auch etwas wütend, weil sie zu zögern schien. Und so fügte ich noch hinzu: »Bei mir brauchst du nicht mal Gold mitbringen. Ich bau dir auch so eine Ranch. Und wir werden Pferde und Maultiere züchten, vielleicht auch ein paar Rinder – Fleischrinder die besser sind als diese texanischen Longhorns, diese mageren Riesenkarnickel mit Hörnern. – Ha, da gibt es noch andere Sorten. Ich hab schon welche gesehen, Herefords!« Sie sah mich seltsam an und schüttelte schließlich den Kopf. »Bis zum Frühling«, sagte sie, »sind noch vier Monate Zeit. Und die Banditen haben dich auf ihrer Abschußliste. Wo willst 103 �
du dich den Winter über verstecken bis zum Frühling? John Rosebud, du kannst mir nichts versprechen, gar nichts!« Sie wirkte zornig, und ich konnte ihren Zorn nicht recht verstehen. Sie nahm das Glas und trank wieder. »Glaubst du denn, mir gefällt es hier?« So fragte sie mich hart. »Ich will dir etwas sagen, John.« Sie beugte sich vor, sah mich an. Ja, sie war jetzt ziemlich betrunken. Sie hätte soeben dieses Glas nicht mehr leeren dürfen. Ich begriff plötzlich, daß sie sich betrank, weil sie sich irgendwie verloren fühlte, wie in einer Falle oder gefangen. »Reva«, sagte sie, »ist auch nicht die, für die man sie hält. Reva zieht an vielen Fäden. Und sie hat auch immer noch Verbindung mit Jubal Armstrong. Ich weiß es, und ich frage mich, warum sie noch Verbindung zu ihm hat. – Zu Reva kommen viele Männer. Man kann ihr Office durch die Gasse von außen betreten und muß nicht durch den Saloon. Wie kannst du mich mit Reva vergleichen? Ich bin anders, sehr viel anders!« Sie erhob sich, schwankte leicht, hielt sich jedoch gerade. Die Tür öffnete sich. Reva kam zurück. Sie wirkte hart und kühl und so sah sie mich auch an. Vielleicht hatte sie draußen gelauscht. Unten im großen Saal wurde der Lärm jetzt größer. Es klangen Sprechchöre, die immer wieder die gleichen Worte riefen. Dazu klatschten brettharte Hände und trampelten Füße. Nun verstand ich endlich. »Sie wollen euch auf der Bühne sehen«, sagte ich. »Diese betrunkene Meute dort unten will offenbar, daß ihr auf der Bühne singt wie immer. – Oder wollt ihr ihnen Weihnachtslieder singen?« Reva Savage lächelte nicht mal. Sie sagte: »Sie sind hier zahlende Gäste, und sie haben ein Recht auf Unterhaltung. – Unsere private Feier ist vorbei, John Rosebud. – Jetzt müssen wir wieder ans Geschäft denken. – Vielleicht wirst du bald mit einer von 104 �
uns ins Bett gehen, John Rosebud – auch wenn du uns nicht für eine Ranch gebrauchen kannst. – Vielleicht werden wir um dich losen. – Jetzt aber müssen wir an die Arbeit.« Sie war wütend, ich spürte es deutlich. Fast glaubte ich, daß sie mich haßte. War sie eifersüchtig auf Sue? Oder was war sonst plötzlich mit ihr? Ich ging, und ich blieb nicht unten, um sie beide auf der Bühne zu bewundern. Nein, ich ging hinaus auf die Straße. Es hatte ein wenig geschneit, und dieser frische Schnee hatte allen Schmutz zugedeckt. Lucky Ben war immer noch in Betrieb, nur war heute alles nicht so lärmend, sondern mehr wie ein riesengroßer Katzenjammer überall. Die Luft war rein. Mein Kopf wurde klarer, und es wäre gut für alle gewesen, die sich drinnen in den Lokalen betranken, wenn sie so wie ich an die frische Luft gegangen wären. Dann hätte sich ihr Katzenjammer schnell gewandelt. Ich überlegte, ob ich in mein Hotelzimmer gehen sollte, um mich dort endlich aufs Ohr zu legen. Doch es war eine Unruhe in mir, die ich nicht zu deuten wußte. Erst mußten meine Gedanken noch ein wenig auf der Suche sein. Und plötzlich hatte ich es wieder. Jubal Armstrong. Der Name war wie ein scharfes Signal in mir – wie ein Schrei, ein Pfiff oder gar ein Trompetenton. Jubal Armstrong! Ich mußte ihn suchen und finden. Ich mußte mir seine Handrücken ansehen und die Lassonarben betrachten. Und dann… Oha, ich wußte nicht, was dann sein würde. Ich setzte mich in Bewegung, um meine Wanderung durch die Lokale und Spelunken anzutreten. Dabei dachte ich auch an Reva Savage. 105 �
Warum war sie so böse und so kühl gewesen, fast so als haßte sie mich, nachdem sie zurückgekommen war aus ihrem Büro, in welches man sie zu einer Besprechung holte? Mit wem hatte sie gesprochen? Hatte sie vielleicht irgendwelche Nachrichten erhalten? Oh, ich wußte, daß ich jetzt immer wieder auch an Reva Savage denken mußte und auch daran, was Sue Maryland mir erzählte. Ich kam mir etwa so wie ein Mann vor, der in einem dunklen Keller nach etwas suchte. Und er konnte es gewiß nur finden, wenn er endlich ein Licht anzünden würde. Doch dazu mußte er erst eine Kerze oder eine Lampe finden. Also war es wohl besser, nach solch einem Licht zu suchen und dann erst auf die anderen Dinge loszugehen. * Wenn dieser Jubal Armstrong nun nicht mehr vor allen Dingen ein Spieler, sondern jetzt ein Bandit war, dann mußte er ein Pferd haben. Vielleicht hatte er es ganz normal im Mietstall untergebracht. Ich machte mich auf den Weg zu Tate Tatum. Diese Banditen, die mich in Arapahoe Bluff eingekeilt hatten, so daß ich mich mit Hilfe meiner Sprengstoffstangen freikämpfen mußte, waren gewiß nach mir zurückgekehrt. Vielleicht hatten sie alle ihre Pferde in den Mietstall gebracht. Ich wollte also Tate Tatum fragen. Im Stall war es still. Ich glitt durch die kleine Pforte im Tor hinein. Der Vorraum war von einer Laterne erhellt. Auch in Tate Tatums Verschlag, in welchem sich nicht nur das Stall-Büro, sondern auch seine Schlaf statte befand, brannte eine Lampe. Das Licht fiel durch die offene Tür. 106 �
Aber Tate war nicht zugegen. Er saß nicht an seinem Tisch und lag auch nicht auf seinem Lager. Auf dem kleinen Kanonenofen in der Ecke dampfte noch der Kaffeetopf. Tate Tatum hatte immer einen heißen Schluck Kaffee für seine Kunden, wenn diese aus der Kälte und von einem Ritt zurückkamen. Ich fragte mich, wo Tate Tatum um diese Zeit noch sein konnte. Aber ich fand keine Erklärung. Da ich nun schon mal im Stall war, konnte ich auch nach meinen beiden Pferden sehen. Mein Cheyenne und Sue Marylands graue Stute, die ich ihr ja abgekauft hatte, befanden sich in den hinteren Boxen. Ich ging langsam den Stallgang entlang und war eigentlich noch ganz arglos. Doch dann hörte ich ein Geräusch. Es paßte nicht zu den üblichen Stallgeräuschen. Es war anders, völlig anders. Zuerst klang es, wie wenn ein Pferd in seinem Leibe irgendwelche Geräusche machte, bedingt durch Blähungen. Aber dann klang es schon mehr wie das Stöhnen eines Menschen, dem man Mund und Nase zuhielt. Und dann war es, als klopfte jemand auf den mit Stroh bedeckten Boden einer Pferdebox – mit seinen Absätzen etwa oder seinen Fersen. Ich verhielt. Meine Hand berührte nun den Colt. Jäh waren scharfe Warnsignale meines Instinktes in mir. Ich witterte plötzlich Gefahr. Oder waren meine Nerven nur überreizt? War ich übermüdet? Bildete ich mir nun schon Gefahren ein, die gar nicht waren? Langsam ging ich nun weiter. Hier im Hintergrund des Stalles war es dunkler als vorne. Aber meine Augen hatten sich jetzt an diese Dunkelheit gewöhnt. Und dann hörte ich, wie jemand den Hammer seines Revolvers zurücklegte. Es war ein kaum hörbares, knackendes Geräusch. 107 �
Ich hielt wieder an, duckte mich. Denn es war mir klar, daß sich die Umrisse meiner Gestalt gegen den helleren Vorraum, der ja hinter mir war, deutlich abheben mußten. Das Ducken war meine Rettung. Instinktiv hatte ich das Richtige getan. Ich sah die Feuerzunge eines Colts, hörte das Krachen und ich erwiderte sofort das Feuer, schoß genau dorthin, wo das Mündungsfeuer aufleuchtete und ich für Sekundenbruchteile die Gestalt eines Mannes sah. Die Kugel traf. Ich hörte es. Der Mann stöhnte und fiel. Aber es waren noch mehr da. Ich hörte eine Stimme heiser: »Aufhören! Mach nur nicht weiter, Rosebud! Oder wir bringen ihn um! Verstehst du, wir machen ihn alle, wenn du nicht aufhörst! – Geh in den Vorraum zurück! – Los, geh wieder nach vorn! – Und dann zähle bis zehn! – Dann erst kannst du kommen! – Sonst erledigen wir ihn richtig!« Ich begriff es binnen einer Sekunde. Irgendwie waren sie sich darüber klargeworden, daß Tate Tatum mein Freund war und auf meiner Seite stand. Bei Tate Tatum hatten die Goldgräber ja auch damals die sieben Kilo Gold abgegeben, mit denen ich mich auf den Weg machte. Dies alles hatten sich die Goldwölfe irgendwie zusammengereimt. Und nach ihrer letzten Niederlage gegen mich im Arapahoe Bluff, wo ich sie mit Sprengstoff Stangen bewarf, mußten sie sich nach ihrer Heimkehr nach Lucky Ben abreagieren. Ich zögerte. Aber wenn sie Tate Tatum dort in einer der hinteren Boxen in ihrer Gewalt hatten, dann würden sie ihn wahrhaftig töten, sollte ich sie zu sehr bedrängen. Jener Bursche, den ich mit meiner Kugel traf, begann nun zu stöhnen. Ich entschied mich. Ich ging langsam im Stallgang rückwärts 108 �
bis zum Vorraum. Dann hielt ich an, wartete, zählte bis zehn in meinen Gedanken. Ich hörte dann die kleine Pforte im hinteren Stalltor zuschlagen, und der Luftzug, der zu spüren war, hörte wieder auf. Zwei Gestalten erkannte ich, die eine dritte halb und halb stützten. Ich lief wieder nach hinten, und meine Sorge um Tate Tatum war größer als der Wunsch, es diesen Kerlen zu geben. Tate lag zusammengekrümmt auf dem Stroh in einer Box. Als ich ihn anfaßte, stöhnte er vor Schmerz. Oh, sie hatten ihn schlimm zusammengeschlagen – und wahrscheinlich auch getreten. Sie hatten ihn kleingemacht in wilder Wut, die allein mir galt. »Laß mich liegen«, stöhnte er. »Laß mich nur eine Weile liegen. Lauf ihnen nach und gib es ihnen. Los, hol sie ein und gib es ihnen!« Ich überlegte nicht lange. Ja, sie konnten mit dem Verwundeten nicht schnell flüchten. Und so ging ich zur hinteren Pforte, öffnete sie und blieb dabei in Deckung des starken Stalltores. Als die Schüsse krachten, pfiffen die Kugeln herein und durch den Stallgang. Aber sie trafen mich nicht. Ich schoß auf die Mündungsfeuer, sprang schießend hinaus und griff an. Sie befanden sich drüben zwischen einem Schuppen und einem Stapel Bauholz, welcher jedoch vom Schnee zugedeckt war. Ich mußte in Deckung gehen und fand diese hinter einer Wassertonne, die an der hinteren linken Stallecke stand und das Regen- oder Tauwasser sammeln sollte. Ich mußte erst meinen Colt nachladen, und ich fluchte, weil das gar nicht so schnell ging, obwohl ich eine schon geladene Trommel austauschte und nur noch hinten die neuen Zündhüt109 �
chen aufsetzen mußte auf die Enden der Zündkanäle. Wir schossen ja damals im Jahre 1886 noch mit PerkussionsRevolvern. Es gab für Colts noch keine fertigen Patronen und ausklinkbare Trommeln. Ich wechselte also die leere Trommel gegen eine geladene und setzte die Zündhütchen auf. Das ging relativ schnell – und doch dauerte es seine Zeit. Indes ich also in Deckung der Regentonne kauerte und hantierte, krachten drüben noch zwei Schüsse – aber ich merkte nichts von den Kugeln. Wer dort drüben auch geschossen haben mochte, er tat es nicht auf meine Deckung, sondern schoß auf ein anders Ziel. Ich hatte plötzlich eine schreckliche Ahnung. Doch ich konnte mich noch nicht aus meiner Deckung wagen. Ich mußte erst meinen Colt wieder schußbereit haben. Endlich war ich fertig mit dem Nachladen. Es hatte gewiß nur eine halbe Minute gedauert, also höchstens dreißig Sekunden. Und dennoch… Was konnten dreißig Sekunden für eine Ewigkeit sein! Was konnte nicht alles in solch einer Zeit geschehen? Ich wußte es genau. Und ich schnellte hoch, duckte mich und griff wieder an. Ich fand nur zwei Tote im Schnee. Die Fußspur des dritten Mannes konnte ich ein Stück verfolgen. Doch schon in der nächsten Gasse verlor sie sich in all den anderen Fußspuren. Ich kehrte langsam zurück zu den beiden Toten. Und mir war klar, was geschehen war. Einen der toten Männer hatte ich drinnen im Stall verwundet, den zweiten hier draußen hinter dem Stallgebäude. Indes ich nachlud, hatte der dritte Mann sie beide getötet. Das waren die beiden Schüsse, die ich hörte. 110 �
Der geflüchtete Bandit hatte nicht mit mir kämpfen wollen. Er hatte auch keine Verwundeten zurücklassen wollen, die etwas verraten konnten. Der geflüchtete Bandit tötete seine eigenen Kumpane. Er hatte Angst, daß diese ihre ganze Bande verraten könnten, würde man sie – verwundet wie sie waren – nur hart genug rannehmen. Ich fragte mich, was das für ein Mann war, der seine eigenen Kumpane tötete. Ah, diese Goldwölfe waren wirklich erbarmungslos. Auch sich selbst gegenüber. Denn echte Wölfe fielen ja auch oft über kranke oder verwundete Artgenossen her, wenn der Hunger sie verrückt machte. Diese zweibeinigen Goldwölfe töteten also, wenn sie sich in der Gefahr des Entdecktwerdens fühlten. Ich ging, um Hilfe zu holen. Denn für Tate Tatum mußte gewiß eine Menge getan werden. Ich wollte auch möglichst vielen Leuten erzählen, was hier geschehen war. Denn dann wurden auch bald die Banditen erfahren, daß einer von ihnen die eigenen Partner ermordete, um sie nicht lebend zurücklassen zu müssen. Einigen dieser Banditen würde dies sicherlich nicht gefallen – anderen aber ja. Vielleicht wurden sie sich deshalb uneinig. Ich mußte alles versuchen. * Als es Tag wurde, konnte uns Tate Tatum endlich erzählen, was geschehen war. Und es war einfach genug. Er sagte stöhnend: »Ach, die machten mich klein, weil ich dein Freund bin, und sie dies endlich herausgefunden hatten. Weil 111 �
du, John Rosebud, auf ihrer Abschußliste stündest, wollten sie auch deine Freunde gleich mit zur Hölle schicken. Und deshalb gaben sie es mir. – Ich glaube, sie wollten mich einfach tottreten wie einen Käfer. – Verstehst du? – Tottreten! Wenn du nicht gekommen wärest in dieser letzten Minute, dann hätten sie das auch geschafft. – John, die letzte Niederlage, die du ihnen zugefügt hast, muß sie völlig verrückt gemacht haben. Die waren außer sich vor Haß – Die wollten sich rächen. Da sie dich nicht gleich fanden, nahmen sie mich als Ersatz. – Ja, sie wußten auch, daß dein letzter Goldtransport hier von mir ausging, daß das Gold hier im Stall an dich übergeben wurde.« Als Tate Tatum dies stöhnend und mit Pausen dazwischen gesagt hatte, fiel er wieder in eine Bewußtlosigkeit. Er sah schlimm aus. Ich sah mich um. Im kleinen Stallbüro waren noch fünf oder sechs Männer. Es waren Goldgräber, also Claimbesitzer. Einige kannte ich, denn für sie hatte ich schon Gold transportiert. Auch draußen im Vorraum des Stalles standen noch welche, weil sie hier drinnen im Büro-Verschlag keinen Platz mehr hatten. Die beiden Toten hatte man schon weggeschafft. Es gab hier einen Leichenbestatter. Doch Lucky Ben besaß noch keinen Richter, keinen Marshai. Im Canyon gab es keinen Sheriff. Hier lebten sie alle noch ohne verwaltende Ordnung, also ohne die primitivsten Regeln der menschlichen Gemeinschaft. Ich drängte mich hinaus aus dem Vorraum und sah in die Runde. Hier im Vorraum waren nicht nur Goldgräber und Minenbesitzer. Es standen auch ein paar Bürger der Stadt herum, Handwerker, Geschäftsleute. Ich sagte langsam: »Die Wilde Horde hat mich auf der Abschußliste, weil sie sich durch mich um Beute betrogen fühlen – Und wenn es ihr gelingt, mich zu erledigen, dann wird sie 112 �
immer wieder die Anführer und Leithammel von euch abschießen. Dann wird die Herde, die ihr bildet, immer wieder leicht zu berauben, auszubeuten und zu rasieren sein. – Ihr alle müßt eine menschliche Gemeinschaft werden. Ihr müßt Männer wählen, die mit eurer Hilfe eine verwaltende Ordnung schaffen. – Oder die Goldwölfe werden euch fressen, wie sie nur wollen. Denkt mal darüber nach. Und rechnet auch mal. Es gibt noch eine Menge Gold im Canyon. Hunderte von euch halten ihre Ausbeute noch versteckt. Sie getrauen sich nicht, auch nur einen einzigen Krümel Gold zu zeigen. – Ihr solltet euch endlich mal dazu entschließen, eine starke Mannschaft zu bilden und einen großen Goldtransport durchzuführen. Versteht ihr? Schleicht euch nicht mit dem Gold aus dem Lande voller Angst! Vertraut es auch nicht mir an. Denn ich kann immer nur wenige Kilo transportieren, und ich bin allein den Banditen auch nicht mehr gewachsen. – Ihr müßt das alles jetzt aus eigener Kraft und mit eigener Entschlossenheit in die Hand nehmen. – Und selbst wenn es zu einem großen Kampf kommen sollte zwischen euch und den Goldwölfen, dann müßt ihr das riskieren. – Denkt mal darüber nach und redet mit euren Nachbarn und Freunden darüber. Ich selbst werde jetzt hier den Mietstall führen, bis Tate Tatum wieder gesund genug ist.« Damit hatte ich ihnen alles gesagt, was meiner Meinung nach zu sagen war. Sie mußten jetzt begriffen haben, daß die Banditen des Canyons und dieser Campstadt von mir allein nicht mehr überlistet werden konnten. Beim nächsten Goldtransport – würde ich überhaupt noch einen durchzuführen wagen – würden sie mich abschießen. Sie kannten jetzt all meine Wege, verborgenen Pfade, Tricks und Möglichkeiten. Die Goldgräber – und auch die Bürger dieser Campstadt – mußten sich nun selber helfen. Wenn 113 �
sie das nicht jetzt erkannt hatten und etwas unternahmen, dann waren sie verloren und würden von den Banditen beherrscht werden. Sie alle sahen mich an. Einer sagte: »Rosebud, wir alle würden Sie zum Sheriff wählen und…« »… und sich dann um nichts mehr kümmern, weil es ja einen Sheriff gäbe, dessen Pflicht es wäre, all diese Probleme zu lösen. – Nein, Leute, so geht es nicht. Ihr würdet eure eigene Verantwortung auch nur wieder einem Manne zuschieben, den die Banditen leicht abschießen könnten und der so verdammt einsam und allein wäre. Nein, Leute, so geht es nicht! – Ihr müßt eine Art Bürgerwehr bilden. Ihr müßt eine Menge mehr auf die Beine bringen! Denkt mal nach, richtig nach! Oder es bringt niemand mehr Gold aus dem Canyon nach River Port oder sonstwohin. Die Banditen schnappen alles. Ihr Nachrichtensystem ist großartig. Ich hatte nichts mehr zu sagen, sondern ging in den MietstallVerschlag zu Tate Tatum zurück. Ich mußte seine Brauschen und Blutergüsse kühlen und noch eine Menge anderer Dinge für ihn tun. Er brauchte meine Hilfe. – Und zugleich würde ich hier auch der neue Stallmann sein, bis Tate Tatum wieder arbeitsfähig war. Sie schlichen davon. Draußen war der graue Tag. Indes ich mich um Tate Tatum kümmerte, rechnete ich. In diesem Canyon waren gewiß an die fünftausend Goldgräber und Minenleute. Wenn es auch hundert gab, die je ein Kilo Gold versteckt hatten, so mußten dabei schon hundert Kilo zusammenkommen, würde man es auf einen Haufen legen wollen. Aber es war mehr Gold im Canyon. 114 �
Und es mußte irgendwie fortgeschafft werden. Aber die Banditen wollten es. Und sie würden darum kämpfen. Ihr Boß, der wie eine Spinne im Netz saß, der gab so schnell nicht auf. * Als die Sonne aufging und in den Canyon schien, kam Windy Jefferson. Er war noch älter als Tate Tatum, und er konnte schon nicht mehr reiten. Aber er machte sich nützlich im Stall und war tagsüber eine große Hilfe. Auch er war ein alter Cowboy, der sich nicht viel sparen konnte für sein Alter. Er war in das Goldland gekommen, um vielleicht sein Glück zu machen. Doch bisher klappte es nicht. Er wollte bis zum Frühling im Mietstall arbeiten und dann wieder auf seinen Claim zurückgehen. Im Stall waren achtundvierzig Boxen, und sie alle waren belegt. Wir hatten also eine Menge Arbeit mit achtundvierzig Tieren, und die Stunden vergingen Manchmal sahen wir nach Tate, flößten ihm auch etwas Tee ein. Sonst konnte er noch nichts vertragen. Dann und wann kamen Reiter, die ihre Pferde haben wollten, und am Nachmittag kamen schon die ersten von ihrem Ausritt zurück. Ich sah sie mir alle genau an. Es waren Minenbesitzer darunter, die in Lucky Ben lebten und jeden Tag ihre Minen besuchten. Einige andere Reiter gehörten ganz sicherlich zur Gilde der Spieler, Barmänner – oder sie besaßen selbst Saloons und Vergnügungslokale. Auch der Feuer- und Schwertschlucker hielt sich ein Reitpferd, und allesamt liebten sie es, jeden Tag auszureiten in frischer Luft, um sich gesund zu halten für die Nächte in den Saloons. 115 �
Es gab aber auch Reiter, die ich nirgendwo einordnen konnte. Es waren Reiter, die von unbestimmbaren Einkünften zu leben schienen. Sie besaßen gute Pferde, waren gut gekleidet, und trugen Colts. Wahrscheinlich gehörten sie zu den Banditen des Goldlandes, waren sie Goldwölfe. Aber wer konnte ihnen das nachweisen? Schließlich war es nicht verboten, Pferde in einem Mietstall unterzustellen und jeden Tag oder auch für mehrere Tage auszureiten. Sie schwiegen zumeist, diese Männer. Aber ihre Blicke, mit denen sie mich ansahen, verrieten mir oft mehr, als es viele Worte gekonnt hätten. So war also die Situation. Die Banditen des Canyons – oder zumindest einige von ihnen – hielten ihre Pferde hier im Mietstall und ritten aus wie ehrenwerte Leute. Ich spürte ihren Haß. Am Nachmittag erhielt ich dann ganz anderen Besuch, einen Besuch, mit dem ich nie und nimmer gerechnet hatte. Es war Sue Maryland. Sie trug Reitkleidung wie ein Cowgirl, also einen geteilten Lederrock, Stiefel mit Sporen und eine Lederjacke, mit einem Stetson, der farblich dazu paßte. Im Vorraum standen wir uns gegenüber, sahen wir uns an. »Es war vielleicht doch sehr voreilig«, sagte sie, »die graue Stute zu verkaufen, nicht wahr, John?« Sie lächelte, und ich sah in ihren Augen die Bitte. Deshalb nickte ich sofort. »Ich nehme auch die zweihundert Dollar zurück. Aber lieber würde ich dir die Stute schenken, nachdem ich sie dir abkaufte.« Aber da schüttelte sie heftig den Kopf und reichte mir die zweihundert Dollar. Es waren zehn goldene Zwanzigdollarstücke. Ich steckte sie in die Westentasche. Dort klingelten sie dicht neben dem Herzen. »Willst du gleich ausreifen?« So fragte ich. »Die Dunkelheit 116 �
kommt schnell.« »Nur eine Stunde«, sagte sie. »Ich muß mir ganz einfach mal wieder den Wind um die Nase wehen lassen. – Bitte…« Ich nickte. Indes ich ihr die graue Stute sattelte, stand sie draußen vor der Box. Ich bemerkte, daß sie sich mehrmals umsah, so als wolle sie sich genau überlegen, ob wir allein wären. Als ich die Stute aus der Box führen wollte und nur noch einen halben Schritt vor Sue stand, machte diese nicht Platz, um mich mit dem Tier aus der Box zu lassen. Ich hielt inne und sah auf sie nieder. »Jubal Armstrong war bei Reva Savage«, sagte sie. »Noch in der vergangenen Nacht Ich konnte nicht hören, was sie sprachen. – Es war im Büro. – Er kam durch die Seitengasse herein und verließ es auch wieder so. – Er sah mich nicht, obwohl ich draußen in der Gasse war, um frische Luft zu schöpfen.« Ich sah sie schärfer an und wußte nicht, ob ich ihr die letzten Worte glauben sollte. Denn ich traute ihr zu, daß sie absichtlich spioniert hatte. Irgendwie war in Sue Maryland etwas, worüber sie nicht sprechen wollte. »Paß gut auf«, sagte sie und nahm mir die Zügelenden der grauen Stute aus der Hand. Sie wollten dich in der vergangenen Nacht umbringen, nicht wahr? Paß auf dich auf.« Dann brachte sie das Pferd selbst aus der Box und aus dem Stall hinaus ins Freie. Sie saß auf und ritt davon. Ich sah ihr nach. – Dann wandte ich mich einigen Goldgräbern zu, die als geschlossene Gruppe herankamen, wie eine Abordnung wirkend, welche nur ein einziges Ziel vor Augen und im Sinn hatte. Ich wußte sofort, daß sie zu mir wollten.
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* � Sie bildeten einen Halbkreis um mich. »Ja, wir machen es so«, sagte einer. Und sein Nebenmann fügte erklärend hinzu, weil in meinem Blick gewiß ein Staunen war: »Es spricht sich herum im ganzen Canyon. Jeder kann sein Gold zur Post- und Frachtstation bringen. Dort wird es im Panzerschrank eingeschlossen. Wir bilden ein starkes Aufgebot, sozusagen eine Bürgerwehr – und nur aus Goldgräbern und Minenbesitzern, aus Leuten also, die selbst Gold auf den Weg bringen wollen. – Wenn wir genug Gold und Männer beisammen haben, brechen wir auf. – Wir sind gekommen, um Sie zu bitten, John Rosebud, uns zu führen. – Sie kennen die Wege nach River Port und wissen auch, wo man uns Hinterhalte legen könnte und wie diese Hinterhalte zu umgehen sind. – Wir brauchen Ihre Hilfe, John Rosebud. – Wollen Sie uns führen?« Nun hatte ich es also. Aber das mußte ja wohl so kommen. Ich hatte sie alle in der vergangenen Nacht zu diesem Handeln aufgefordert. Sie handelten schnell, sehr schnell, und sie waren entschlossen. Doch sie brauchten einen erfahrenen Anführer, der die Wege kannte. Solch ein Mann war ich. Dazu kam noch, daß sie mich kannten und mir vertrauen konnten. Denn das bewies ich ihnen längst. Ich entschloß mich schnell und sagte: »Ja, ich führe den Goldtransport nach River Port, wenn genügend Reiter mitkommen und ihr Ersatz für mich hier im Mietstall besorgt. Ich kann Tate Tatum nicht ohne Hilfe lassen.« Sie nickten. »Das alles geht klar«, sagte einer. »In zwei oder drei Tagen werden wir aufbrechen können – mit vierzig Mann und zweihundert Kilo Gold. So etwa wird die Größenordnung sein.« Sie schüttelten mir die Hand. Dann gingen sie. 118 �
Ich aber sah ihnen nach und wußte nun, daß es zwischen den Banditen und uns zu einer Entscheidung kommen würde. Doch genau das hatte ich ja gewollt. Ich wandte mich wieder meiner Arbeit zu, so als wäre nichts geschehen. * Als es dunkel wurde, kam Sue Maryland von ihrem Ausritt zurück. »Oh, war das schön«, sagte sie, als sie mir das Pferd übergab, nachdem sie ohne meine Hilfe geschmeidig absaß. Ja, sie konnte reiten wie ein Cowgirl, und ich dachte in diesem Moment an unseren gemeinsamen Ritt von River Port nach Lucky Ben, an unsere gemeinsamen Camps und daß ich sie zwischen zwei Feuern im Freien auf einer Decke entkleiden mußte, um sie mit Schnaps einreiben und massieren zu können. Dies alles hatte zwischen uns eine Menge Gemeinsames geschaffen. Ich hielt nun ihr Pferd, aber sie wandte sich noch nicht von mir ab. Sie blieb stehen. In der Dämmerung sahen wir uns an. »Ja«, sagte sie, »ich würde gern auf einer Ranch leben – auf einer Pferde-Ranch im Blaugrastal. Aber dann müßten wir noch in dieser Nacht von hier fortreiten. Denn…« »Das kann ich nicht«, unterbrach ich sie. »Wenn ich hier fertig bin, können wir von hier fort.« Sie senkte den Kopf. »Ich weiß«, murmelte sie. »Es sprach sich schon herum. Die Goldgräber und Minenbesitzer schaffen ihre Goldausbeute zur Post- und Frachtagentur. Dort wird alles im Panzerschrank gesammelt. Und jetzt schon halten sich ein halbes Dutzend schwerbewaff119 �
nete Wächter ständig bereit. Man will einen großen Goldtransport nach River Port durchführen. Du sollst der Anführer sein. Ja, das hat sich überall schon herumgesprochen. Ihr wollt die Banditen herausfordern, nicht wahr? Und es war von Anfang an dein Plan.« Ich nickte. Sie sah mich an, legte ihre Hand gegen meine Brust. »Hoffentlich bleibst du am Leben«, sagte sie. Dann wandte sie sich ab und ging davon. Ich brachte die graue Stute in den Stall. Windy Jefferson nahm sie mir ab. Er sagte: »Mein Junge, ich bleibe diese Nacht auch im Stall. Ihr beide könnt mich doch wohl gebrauchen – oder?« Ich sah den alten Cowboy an. Seine wäßrigen Augen funkelten. Der graue Stoppelbart schien sich noch borstiger zu sträuben als sonst. »Ja, Windy«, sagte ich. »Es wäre schon ganz gut, wenn du auch die Nacht über hier bei uns bleiben würdest. – Denn vielleicht muß ich schnell mal von hier weg, weil es irgendwelche…« Ich sprach nicht weiter. Eigentlich hatte ich mit den worten enden wollen: »… Notwendigkeiten gibt.« Doch ich hätte diese Notwendigkeiten nicht erklären können. Es war nur ein instinktives Gefühl, daß in dieser Nacht etwas geschehen würde. Ich ging zu Tate Tatum in das Stallbüro und hockte mich an seine Lagerstatt. Tate Tatum war jetzt wach und wieder richtig bei Bewußtsein und Verstand Seine Schmerzen hatten sich wahrscheinlich auch beruhigt. Das ruhige Liegen zeigte nun die erste gute Wirkung. Ich ließ ihn etwas trinken. »Kannst du schon etwas essen?« So fragte ich. »Eine Milchsuppe vielleicht, mit etwas Mehl, Salz und einem verrührten Ei darin – ja?« 120 �
»Nein – noch nicht«, murmelte er »Der Tee reicht mir. Ich habe das Gefühl, als hätte mir jemand den Magen zertreten – als wäre alles wund in mir. Nein, ich kann noch nichts essen, nicht mal eine Suppe. Aber morgen – morgen, dann will ich es versuchen.« Ich nickte, ließ ihn nochmals Tee trinken und war sicher, daß dieser Tee seinen mißhandelten Magen von innen heilen würde. Er sah mich im Lampenschein wieder an. Dann murmelte er: »Ich habe nachgedacht Diese drei Schufte, die mich überfielen, in den Stall schleppten und dann so grausam kleinmachten… Sie waren maskiert. Ich konnte sie nicht erkennen. Doch ihr Anführer, der mir auch sagte, daß es all deinen Freunden so erginge wie mir und du bald keine Freunde mehr haben würdest im ganzen Canyon – nun, dieser Mann stieß mir mehrmals die Faust ins Gesicht. – Auf dem Handrücken dieser Faust waren gekreuzte Lassonarben. Ich sah sie deutlich im Lampenschein. Es waren alte Narben, aber sehr deutliche. Sie bildeten ein schmales X auf dem Handrücken, so als wäre es präzise eingebrannt worden. – Ja, daran erinnere ich mich.« Nun, da hatte ich es also wieder gehört Schon einmal hatte mir jemand etwas von solchen Lassonarben auf dem Handrücken gesagt. Und auch Jubal Armstrong, der Spieler, sollte solche Lassonarben besitzen. Ich hatte ihn immer noch nicht aufgespürt. Und so entschloß ich mich plötzlich. Ich machte mich fertig zum Ausgang und ging zu Windy nach hinten, der sich immer noch um die graue Stute kümmerte in der Box. »Ich gehe, Windy«, sagte ich. »Ich will einen Mann suchen, der mir eine Menge erzählen wird, wenn ich ihn erst gefunden habe.« »Sicher«, sagte Windy Jefferson nur. »Hier im Stall sorge ich schon für alles. Auch für Tate. – Geh nur, mein Junge – in dei121 �
nem Alter wäre ich auch schon unterwegs.« Ich ging durch die kleine Pforte in dem hinteren Tor, und ich tauchte unter in der Dunkelheit und schlug um den Mietstall und das ganze Grundstück einen Halbkreis. Immer wieder verhielt ich, versuchte herauszufinden, ob der Stall schon eingekreist war und sie mich überwachten, belauerten. Denn ich mußte ja damit rechnen, daß sie mit mir noch Schlimmeres tun wollten als mit Tate Tatum. Doch es rührte sich nichts. Ich ging davon und mischte mich bald schon in den Strom der Passanten auf der Canyon Street, der sich in die Lokale drängte oder aus diesen herauskam und zum nächsten Lokal wollte. Es war ein ständiger Strom von Männern, die jede Nacht nach etwas suchten, was sie nicht bekommen konnten. Ich hatte mich so gut es ging getarnt, nämlich den breiten Kragen meiner Felljacke hochgeschlagen, den Hut tief ins Gesicht gezogen und meine Körperhaltung verändert. Ich hielt mich gebückt und etwas schief und hinkte leicht. Wer mich vom Ansehen kannte, würde mich der Gestalt und den Bewegungen nach jetzt nicht erkannt haben. Ich suchte Jubal Armstrong. Manchmal verhielt ich, verharrte in den dunklen Winkeln, Nischen, Gassenmündungen und sah den fortwährenden Strom der Passanten an mir vorüberziehen. Einige Male erkannte ich Goldgräber. Ich trat dann stets vor und hielt sie an, zog sie ein Stück ins Dunkle und fragte sie nach Jubel Armstrong. Er war ja so leicht zu beschreiben. Jeder, der ihn schon einmal an den Spieltischen sah im Verlauf der letzten Wochen, der konnte sich auch an ihn erinnern. Aber ich hatte immer Pech mit meinen Fragen. Niemand hatte ihn gesehen, doch alle spürten sie, wie sehr es mir darauf ankam, ihn zu finden. Und so sagten sie alle, die ich fragte, mit fast den gleichen Wor122 �
ten: »Wir helfen dir suchen. Wir gehen in jedes Lokal, sehen in jedes Hinterzimmer, in dem gespielt wird. Und wir fragen auch unsere Freunde nach ihm. – Wir finden ihn gewiß, sobald er sich irgendwo sehen läßt. – Alle halbe Stunde kommen wir hier vorbei und berichten.« Ich bedankte mich und wartete. Langsam wurde mir kalt. Und nach der ersten halben Stunde kamen auch die ersten Meldungen. Jemand wollte ihn gesehen haben in Begleitung dreier anderer Männer. Doch man wußte nicht, wo er sich jetzt aufhielt. Er war irgendwo untergetaucht, wo er nicht aufzufinden war. Es konnte ein Privathaus sein, und wenn das so war, so hätte ich alle Häuser und Hütten von ganz Lucky Ben durchsuchen müssen. Ich dachte daran, was Sue Maryland mir erzählt hatte. Demnach war Jubal Armstrong in Reva Savages Büro gewesen, welches man auch von der Seitengasse her betreten konnte. Ich entschloß mich, einmal dort in diese Gasse zu gehen. Aber bevor ich den ersten Schritt in diese Richtung machen konnte, kam ein Mann zu mir in die dunkle Hauslücke, in der ich verharrt hatte. »Rosebud?« fragte der Mann. »Hier«, erwiderte ich und hielt meinen Colt bereit. Doch der Mann trat ruhig näher. »Man hat mir gesagt«, sprach er leise, »daß Sie hier zwischen der Sattlerei und dem Labor des Erzprüfers sein würden. – Und man hat mir auch gesagt, daß Sie diesen Spieler Jubal Armstrong suchen.« »Richtig, mein Freund«, murmelte ich, »richtig, richtig.« In mir war eine grimmige Gelassenheit, die sich auch in meinen Worten ausdrückte. Der Mann trat indes dicht zu mir. »Ich weiß, wo er ist«, sagte er. »Hören Sie, Rosebud, ich bin selbst einer der Goldgräber, die ihr Gold zur Postagentur schaff123 �
ten. Und ich werde dem Aufgebot angehören, welches den Goldtransport schützen wird. – Sie werden uns führen, nicht wahr?« »So ist es«, erwiderte ich. Er nickte zufrieden. »Und es ist wichtig, daß Sie diesen Jubal Armstrong finden? Es ist für unsere Sache wichtig, ja? Haben Sie ihn im Verdacht, einer der Banditen zu sein, die uns das Gold abzunehmen versuchen werden?« »Ja«, sagte ich. Er nickte wieder. »So ist das also«, murmelte er. »Nun, dann kommen Sie. Ich weiß, wo er ist. Ich kann Sie zur Hinterseite dieses Hauses führen und Ihnen das erleuchtete Fenster zeigen. Eine Hintertreppe führt hinauf. – Gehen wir?« Ich überlegte. Aber es war nichts Verdächtiges an dieser Sache. Unter den Goldgräbern hatte es sich herumgesprochen, daß ich diesen Jubal Armstrong suchte. Sie hatten auch irgendwie begriffen, daß dies wichtig war für sie und den beabsichtigten Goldtransport. Nun versuchten sie mir alle zu helfen. Sie alle hatten ihre Freunde und Partner eingeweiht, und so hatte das alles weite Kreise geschlagen, wie wenn ein Stein in ein stilles Gewässer geworfen worden wäre. Es war wirklich nur eine Frage der Zeit, daß man Jubal Armstrong fand. Ich entschloß mich, mir die Sache zumindest anzusehen. »Na, dann wollen wir gehen«, sagte ich zu dem Goldgräber. »Mein Name ist Bret Hammer«, sagte er. »Ich freue mich, Ihnen behilflich sein zu können, Mister Rosebud. Sie haben für uns Goldgräber schon eine Menge getan und den verdammten Banditen Niederlagen zugefügt. Ja, gehen wir!« Er sprach es entschlossen. 124 �
Und er war wahrhaftig ein Goldgräber Das sah man an seiner Kleidung. Als wir durch einige Lichtbahnen gingen, betrachtete ich ihn genau. Er sah wie all diese Goldgräber aus, die sich auf einem Claim mühten und am Abend in die Stadt kamen. Nein, ich schöpfte keinen Verdacht. Wir gingen ein Stück die Hauptstraße entlang und bogen schließlich in eine dunkle Gasse ein. Natürlich war ich jetzt wachsam wie ein Wolf, der sich in eine Schafherde wagte Ich hatte die Hand am Revolverkolben und war bereit, in Sekundenbruchteilen zu reagieren. Mein Mißtrauen war jetzt ganz selbstverständlich. Wir gelangten in einen Hof und näherten uns einem großen Gebäude. Es war irgendein Hotel oder ein Saloon. Als wir etwas näher waren und ich die benachbarten Häuser den Umrissen nach betrachten konnte, wußte ich, daß es sich um das Black Hills Hotel handelte. Es gab hier hinten noch einen Anbau, den man über eine Außentreppe erreichte, die oben auf einer Plattform endete, von der aus man die Eingangstur des oberen Stockwerks öffnen konnte. Neben diesem oberen Treppenabsatz war ein erleuchtetes Zimmer. Mein Begleiter deutete hinauf. »In diesem Zimmer muß er sein. Denn kurz nachdem er mit seinen Begleitern diese Treppe hinaufgegangen war und im Haus verschwand, wurde es hinter diesem Fenster hell. Ich glaube, man kann hineinsehen, wenn man sich weit genug über das Geländer beugt. – Aber das habe ich nicht gewagt.« Ich nickte und klopfte dem Mann auf die Schulter. »Vielen Dank, Bret Hammer«, sagte ich. »Das übernehme ich nun alles.« »Soll ich hier warten? Oder soll ich och einige Jungens zu Hilfe holen?« So fragte er. 125 �
»Ich sehe erst mal nach dort oben«, erwiderte ich und ging zur Treppe. An ihrem Fuß verhielt ich, witterte, lauerte. Von diesem Bret Hammer sah ich nichts mehr. Wenn er wartete, dann hatte er sich irgendwohin in die Dunkelheit zurückgezogen, die dort bei einigen Schuppen besonders tief war. Sonst war hier nichts, gar nichts. Ich ging hinauf. Es war eine gute, feste Treppe. Sie knarrte nicht, denn alls war ja gefroren. Ich kam leise hinauf. Oben verhielt ich und witterte wieder, lauschte. Das Fenster war jetzt nur noch drei Schritte von mir entfernt. Ich konnte die Männerstimmen hören. Und ich überlegte, ob ich die Tür zum Gang öffnen, eintreten und dann vom Gang aus an der Zimmertür lauschen – oder hier von der Plattform aus über das Geländer hinweg einen Blick durch das Fenster zu machen versuchen sollte. Ich entschloß mich für die zweite Möglichkeit und bewegte mich auf der Plattform zum Geländer. Aber dann fiel ich auch schon. Es gab keine Chance. Die Bretter unter meinen Füßen gaben nach wie eine Falltür. Oh, ich wußte sofort, daß ich in eine Falle gerannt war wie ein blöder Hammel. Der scheinbar so biedere und grundehrliche Goldgräber Bret Hammer war ein guter Schauspieler. Er hatte mich reingelegt, wie man sonst nur eine einfältige Oma reinlegen konnte, die noch an das Gute der Menschheit glaubte. Sie hatten mich, denn als ich unten aufschlug, fielen noch ein paar Bohlen auf mich; eine traf meinen Kopf wie eine Keule. Ich war zu benommen, um mich in den ersten Sekunden ernsthaft wehren zu können. Drei oder vier Kerle fielen über mich her. Sie machten mich klein mit ihren Revolverläufen. Auch der scheinbar so biedere Goldgräber Bret Hammer war dabei. 126 �
Ja, sie hatten mich. Für eine Weile verlor ich das Bewußtsein. * Ich erwachte in einem Schuppen, und ich lag am Boden. Jemand durchsuchte meine Kleidung. Ich hörte ihn sagen: »Keine Waffe mehr außer dem Messer im Stiefelschaft und dem Colt, der in der Halfter war. – Keine Waffe. – Nur in der Innentasche seiner Felljacke sind ein paar Zigarren. – Aber die sind ziemlich zerdrückt.« »Dann laß sie ihm«, sagte eine andere Stimme. »Wir haben es nicht nötig, zerdrückte Zigarren zu rauchen. Die soll er selbst in der Hölle rauchen.« Ich machte meine Augen auf. Im Scheine einer Laterne sah ich Jubal Armstrong, den Spieler, der so schön wie ein junger Gott aussah, und den Sue Maryland töten wollte, weil er sie so übel betrog. Ich sah den Spieler, mit dem die Großen des Canyons nicht mehr spielen wollten, weil sein Glück zu groß war. Aber was machte ein Spieler, für den keine großen Spiele mehr möglich waren? Er wurde ein Bandit. Und dieses Banditsein verschaffte ihm wahrscheinlich den gleichen Nervenkitzel wie das Spiel und es brachte ihm auch guten Gewinn. Ich begriff plötzlich, warum Jubal Armstrong, der Spieler, so schnell zu einem Banditen wurde. Und ich ahnte noch mehr. Aber vorerst ging es mir so mies wie noch nie. Sie hatten mich fast so grausam kleingemacht wie Tate Tatum. Ich konnte mich nur mühsam und unter starken Schmerzen aufsetzen. Jubal Armstrong saß auf einer Kiste und sah mir zu. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und seine Hände vor dem 127 �
Knie verschränkt. Ich sah die Narben auf seinem Handrücken. Ja, es waren alte, gekreuzte Lassonarben, die ein schmales X bildeten. Ich fand ihm gegenüber eine zweite Kiste und setzte mich mühsam auf sie. Ich befühlte meine Seiten. Die Kerle hatten mir die Rippen angeknickt. »Wenn du Schmerzen hast«, sagte Armstrong, »so kann ich dich beruhigen Denn du spürst bald keine Schmerzen mehr.« Ich nickte ihm zu. »Wie schön«, sagte ich. »Und wie wird ein Spieler zu einem Banditen? Erklärst du mir das? Ich hätte im Himmel oder in der Hölle keine Ruhe, wüßte ich nicht, warum du dich so verändert hast. – Na?« »Ein kaltschnäuziger Bursche bist du ja«, sagte er, »Das muß man dir lassen Ich hatte gehört, daß du hinter mir her warst. Warum?« »Deine Handrücken-Narben«, erwiderte ich. »Man hat dich daran erkannt. Du hättest immer Handschuhe tragen müssen. – Und dann ist noch etwas.« Ich machte eine Pause. »Ja?« So fragte er gedehnt. »Was machst du bei Reva Savage in deren Büro? Warum schleichst du dich durch die Gasse und besuchst sie im Büro? Es gehen viele Männer durch diese Gasse, die dann an Reva Savages Tür klopfen. – Was verbindet euch mit ihr?« Er grinste und begann leise zu lachen. Auch die anderen Kerle, die außer uns noch in diesem Schuppen waren und mich hergeschleppt hatten, lachten leise durcheinander, so als hätte ich einen besonders guten Scherz gemacht. »Mann«, sagte Jubal Armstrong, »Reva Savage ist doch die Spinne im Netz, die du so gerne finden wolltest. – Sie ist gewissermaßen die Queen der Goldwölfe. Ja, sie hat mich zu ihrem 128 �
Lieutenant gemacht – gewissermaßen. Als Bart Starretter, der Revolvermann, nicht so wollte wie sie – weil er sich stets noch wie einer der letzten Ritter fühlte –, da interessierte sie mich für das Geschäft. Sie wußte, daß ich ein Spieler durch und durch war und den großen Nervenkitzel haben mußte. Als von den großen Geldleuten des Canyons niemand mehr gegen mich spielen wollte, als auch noch Sue Maryland mit dem Colt vor mir stand, um mich zu erschießen, da erkannte Reva die große Chance, sich einen guten Mann zu verpflichten. – Sonst noch Fragen?« Ich schüttelte den Kopf. Und ich war nicht besonders überrascht, was Reva Savage betraf. Nein, mir wurde klar, daß ich dies alles instinktiv schon spürte, ahnte. Mir wurde klar, daß Reva auch mich haben wollte. Ich hätte mit ihr ins Bett gehen können. Wären wir ein Paar geworden, hätte sie mich nicht nur gewissermaßen den Goldgräbern abgeworben, sondern gewiß auch auf ihre Seite gebracht Wir wären ein Wolfspärchen gewesen, welches sich das Gold des Canyons nach und nach geraubt hätte. Ja, ich begriff alles in diesen bitteren Minuten hier im Schuppen, indes mich die Schmerzen überall am Körper peinigten und stöhnend atmen ließen. Jubal Armstrong erhob sich von der Kiste. »Ich gehe jetzt zu Reva«, sagte er, »um ihr zu berichten, daß wir dich erwischt und erledigt haben.« Zu den anderen Männern sagte er: »Nun, Jungens, dann schickt ihn zur Hölle. Bringt ihn am besten zum Creekufer, wo die offene Stelle unterhalb des Wasserfalles ist. Dann treibt er schnell ab und kommt unter das Eis. – Dann macht er uns sonst keine Mühe, ihn verschwinden zu lassen – spurlos, damit es seine Freunde, die Goldgräber, so richtig schockt! Ich möchte 129 �
wissen, was diese Dummköpfe machen, wenn er erst verschwunden ist und sie begreifen, daß er ihren Goldtransport nicht führen wird. Ich wette, sie wagen es nicht ohne ihn. – Sie holen ihr Gold wieder aus der Postagentur, um es zu verstecken. – Aber wir kennen sie jetzt. Wir wissen jetzt, wer in diesem Canyon Gold hat. – Na, ich gehe.« Er sah mich mit keinem Blick mehr an. Er ging. Und seine Handlanger stießen mich von der Kiste hoch und nahmen mich dann in die Mitte, so als wäre ich ein Betrunkener, den die Freunde und Saufkumpane stützen und führen mußten. Ich hatte keine Chance mehr – nicht die geringste. Oder doch? * Und dann stand ich also am Rande des Steilufers beim Wasserfall des Creeks. Dort unten war der Creek nicht zugefroren. Das Wasser strömte zu schnell. Es gab Klippen dort unten, auf denen ich aufschlagen würde. Oberhalb und unterhalb von unserem Platz brannten Feuer und leuchteten Lichter in die Nacht. Es waren die Camps bei den Claims, die Hütten und Zelte, in denen die Goldgräber hausten. Hier beim Wasserfall war kein Camp, gab es keine Claims. Der Boden war hier zu felsig. Ich wandte mich den vier Männern zu, die mich hergebracht hatten. »Ihr werdet mich erschießen?« So fragte ich. »Das ist ein zu schneller Tod«, erwiderte jener Bret Hammer, der mich in die Falle lockte. »Wir werden zu gleicher Zeit schießen. Du bekommst vier Kugeln und wirst sofort tot sein. – Hast du noch einen Wunsch?« »Ja«, nickte ich. »Laßt mich noch ein paar Züge aus einer 130 �
Zigarre rauchen, ja? Ich habe ja noch einige dieser Dinger in der Jackentasche. – Laßt mich noch eine halbe Zigarre rauchen – oder wenigstens ein dutzend Züge aus ihr.« Im Mond- und Sternenschein sah ich sie nicken. Sie wollten mich ermorden, und damit sie sich nicht gar zu mistig vorkamen, wollten sie mir eine großzügige Geste erweisen, so als wären sie vom Gesetz bestellte Henker. Ich sollte noch ein paar Züge rauchen können. – Vielleicht beruhigte das ihr Gewissen. Diese primitiven Mörder sagten sich dann vielleicht, daß mein Sterben wohl nicht so schlimm war, weil sie mich ja noch eine Zigarre rauchen ließen. Ich verspürte eine grimmige Verachtung gegen sie. Ich zog eine Zigarre aus der Innentasche meiner Felljacke und ich fühlte dabei, daß sich außer drei weiteren zerdrückten Zigarren noch ein anderes zigarrenähnliches Ding dort befand. Es war eine dieser Preßpulverstangen, mit deren Hilfe ich schon mal die Banditen geschlagen hatte. Das war im Arapahoe Bluff. Der Dummkopf, der mich vorhin im Schuppen nach Waffen durchsuchte, hatte bei der schlechten Beleuchtung auch die kleine, braune, runde Preßpulverstange für eine Zigarre gehalten. Ich zündete die Zigarre an, rauchte ein paar Züge und wandte den vier Kerlen dann den Rücken zu. Ich konnte hoffen, daß sie mir noch einige Sekunden Zeit lassen würden, bevor sie schossen. Ich griff noch einmal vorne in die innere Brusttasche der Felljacke, holte die von Arapahoe Bluff übriggebliebene Sprengstoffstange heraus und zündete mit dem Glühpunkt der Zigarre die kurze Lunte an. Dann warf ich das Ding über meine Schulter hinweg nach hinten. 131 �
Für die Kerle sah es gewiß so aus, als würde ich die Zigarre über die Schulter in ihre Richtung werfen. Dann sprang ich, und ich sprang im richtigen Moment. Denn das Ding hinter mir explodierte. Mich erwischte noch ein Luftstoß, indes ich in Deckung landete. Wieder einmal hatte ich gegen die Banditen gewonnen. Und bald war ich unterwegs, um mir die Wolfs-Queen und ihren Lieutenant zu holen. Ja, das mußte wohl sein. * Ich fand die Tür in der Gasse. Und ich wußte, daß Jubal Armstrong durch diese Tür hineingegangen war, und drinnen wahrscheinlich noch bei Reva Savage weilte. Er hatte ihr meinen Tod gemeldet. Wie würde sie das aufgenommen haben? Das fragte ich mich. Denn ich hatte immer gespürt, daß ich Reva Savage als Mann mehr als nur interessierte. Aus ihr und mir hätte ein Paar werden können, würde ich nur gewollt haben. Allerdings hätte ich mit ihr auf ihre Art jagen müssen. Nun, ich wartete eine Weile. Anzuklopfen getraute ich mich nicht. Denn ich kannte das Klopfzeichen nicht. Bestimmt gab es ein bestimmtes Zeichen. Ich wartete also. Und dann kam er heraus – rückwärts, weil er die Tür hinter sich zuzog und weil er so lange wie möglich auf Reva blicken wollte. Ich ließ ihn die Tür gar nicht schließen, sondern stieß ihm den Coltlauf in den Rücken. Ja, es war mein eigener Colt, den ich bei einem der vier Kerle fand. Mit diesem Coltlauf stieß ich Jubal Armstrong wieder dorthin 132 �
zurück, von wo er herausgekommen oder hergekommen war – also in Reva Savages Büro zurück. Sie saß hinter dem Schreibtisch und staunte. Ich stieß hinter mir mit dem Fuß die Tür zu und sagte: »Es hat nicht geklappt, Reva. Gegen mich können deine Goldwölfe nun mal nicht gewinnen.« Sie sagte nichts. Doch sie hatte plötzlich einen Colt in der Hand. Wahrscheinlich lag er vor ihr in der Schublade, die sie bei unserem Eintreten aufzog. Sie blieb hinter dem Schreibtisch sitzen und begann sofort zu schießen. Ich Narr hätte wissen müssen, daß dies ihre einzige Chance war. Denn wenn wir beide tot waren, Jubal Armstrong und ich, dann konnte sie den Leuten die größten Märchen erzählen. Vielleicht hoffte sie auch, die Sache so zu drehen, als hätten Armstrong und ich uns gegenseitig vor ihren Augen umgebracht, weil wir Nebenbuhler um ihre Gunst waren. Sie schoß, und ihre Kugeln trafen uns beide. Ja, sie schoß kaltblütig wie ein Revolvermann – und ich selbst, ich zögerte. Ich brachte es einfach nicht fertig, in diesem Sekundenbruchteil auf eine Frau zu schießen. Verdammt, da saß die Erziehung in meinem Kern – die Achtung und die Liebe, die ich für meine Mutter empfand. Da lag eine Menge aus jener Zeit in meinem Kern, da ich gute Frauen kannte. Ich konnte nicht reflexhaft auf Reva Savage schießen. Aber Jubal Armstrong konnte es. Indes wir beide zu Boden gingen, teils deshalb, weil wir getroffen waren und teils aus dem Grunde, um vielleicht Deckung zu finden, da schoß er zurück. Er hatte seinen Colt schnell genug heraus. 133 �
Ich verlor dann das Bewußtsein, und ich dachte: Ah, jetzt hast du doch verloren. – Gegen die Wolfs-Queen selbst kannst du nicht an. * Doch im Jenseits gab es gewiß keine Sue Maryland. Als ich ihr Gesicht über mir sah, da wußte ich, daß ich noch auf der Erde war. Sie lächelte. Und ich lag in einem Bett. »He?« »Sicher, du wirst wieder«, sagte sie. »Wir werden unsere Pferde-Ranch schon aufbauen, keine Sorge. – Im Frühling zeigst du mir das Blaugrastal, ja?« ENDE
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