KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
K. UTTENDORFER
Vögel am Fenster G...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
K. UTTENDORFER
Vögel am Fenster GEFIEDERTE
FREUNDE
ALS F U T T E R G Ä S T E
VERLAGSEBASTIANLUX MURNAU . MÖNCHEN . INNSBRUCK . BASEL
J L h sitze am Schreibtisch, links neben mir das offene Fenster. Ich kann es mit der Hand erreichen, wenn ich mich etwas hinüberbeuge. Auf der Blechverkleidung des äußeren Fenstersimses und auf dem inneren Fensterbrett liegen Weißbrot- und Kuchenkrümel, ein paar größere Brocken dabei, auch etwas Schwarzbrot. In der schmalen Wasserrinne haben sich vom Winter her noch einzelne Sonnenblumenkerne versteckt. Da klopft es plötzlich hart auf der Blechverschalung, ich schaue hin: ein Kleiber! Aber wie sieht der Kerl aus! Im Winter war er wirklich adrett, und seine Farben leuchteten. Jetzt im Juni sind sie stumpf, und struppig ist der Bursche! Brutgeschäft und Jungenaufsicht haben ihn arg mitgenommen. Schon hat er mich eräugt, und das ist ihm doch etwas ungemütlich. Also schnell noch einen großen Brocken Weißbrot in den Schnabel und ab! Der Brocken wird in eine Bindenspalte eingeklemmt und dann der große Happen zerkleinert. Nach einer Viertelstunde ist er wieder da. Jetzt ist er schon kecker, hüpft auf die Holzkante zwischen Außen- und Innenfensterbrett, schaut sich neugierig um und nimmt gar keinen Anstoß mehr an meiner Person, obwohl ich keinen ganzen Meter von ihm entfernt bin. Er springt herum, spaziert an der Wasserrinne entlang und holt sich einen der drei noch vorhandenen Sonnenblumenkerne. Der Kleiber kommt nicht allein, da ist noch eine Blaumeise. Freilich, von ihrem leuchtenden Blau, von ihrem Gelb ist so gut wie nichts mehr geblieben. Die einst weißen Backen sind jetzt grau, grau verwandelt ist das ganze Kerlchen, so weit man überhaupt noch von Farbe sprechen kann. Die Blaumeise wagt sich nicht so weit wie der Kleiber, vorsichtig bleibt sie hübsch draußen. Dort wird emsig in den Krumen gepickt. W a r wohl auch recht anstrengend, die acht Eier auszubrüten und die acht Schnäbelchen satt zu bekommen? Und das ewige Gehaste und Gejage von Ast zu Ast, das Ausmeißeln der Insekteneier, das Schnappen nach Larven und Räupchen und der Transport der Beute zur 2
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Bruthöhle im alten Apfelbaum! Eine tolle Hetze von früh bis spät, um die acht satt zu kriegen. Längst ist der Frühlingsgesang vergessen, nicht lange dauert's mehr, und wieder liegen acht Eier in der Nisthöhle — oder werden es diesmal neun? Und dann noch mal das ganze Theater! Also, da darf die Blaumeise schon mal ans Fenster kommen, ist ja viel bequemer. Außer den beiden, Kleiber und Blaumeise, kommt jetzt nichts ans Haus. Doch! Zwei oder drei Haussperlinge, die ja immer da sind, wo es etwas zu ergattern gibt. Eben war der Kleiber wieder da, aber nur einen Augenblick, sofort schwirrte er wieder ab in den hohen Birnbaum. Merkwürdig! Das Schwarzbrot bleibt liegen, nur Weißbrot und Kuchcnkrümel verschwinden vom Fensterbrett. Haben etwa alle Vögel und nicht nur die Hühner einen Widerwillen gegen Roggen? Aber das wollte ich ja eigentlich gar nicht erzählen, sondern was sich im vergangenen Winter an diesem Fenster und an den anderen Fenstern meiner Wohnung alles tat und was ich zu sehen bekam. Ich meine, ich müßte auch von diesen Alltagsbcobachtungen einmal berichten, die so beglückend und aufschlußreich sind. Und vielleicht wird mancher, der mit mir durch die Scheiben blickt, in den Wintermonaten öfters als bisher den Platz am Fenster aufsuchen und zu dem gefiederten Völkchen ein vertrauteres Verhältnis finden. Ich blättere also im Kalender zurück, bis zum letzten September. Denn im September ging er bereits los, der Betrieb an meinem Vogelfenster. Ich hatte noch gar nicht daran gedacht, Futter zu streuen, es war noch viel zu früh. Aber sie kamen von selber. Kohl-, Blau- und Nonnenmeisen klopften bei mir an und wollten ganz offensichtlich etwas haben. Ahnten sie etwa einen frühen Winter? Kaum; denn der Winter kam spät. Richtiger Schnee fiel erst Mitte Dezember, und zum Weihnachtsfest war der weiße Winterspuk schon wieder vorüber. Weshalb kamen sie aber so früh? Ich war nicht der einzige, der diese Beobachtung machte. Ich überlegte. Vielleicht war das der Grund: Die zweite Julihälfte, der August und erst recht der September waren sehr naß gewesen. Da war den Meisen anscheinend die Futtersuche leid geworden. Vielleicht fehlte es bei dieser Witterung auch an Insekten, Stubenfliegen gab es zum Beispiel nur wenig. 3
Für den kommenden Winter aber wollten meine Vögel etwas Fett auf dem Leibe haben. Da erinnerten sie sich meines Fensterplatzes, wo es den Winter über immer etwas gegeben hatte, die ganzen letzten Jahre hindurch. Wenn sie schon einmal da waren, sollten sie nicht vergeblich suchen und klopfen. Also zuerst in die Drogerie und dann zur Metzgerei: ein Pfund Sonnenblumenkerne, zwei Meisenringe und ein halbes Pfund Talg. Ein drittel Talg kommt gleich zum Schmelzen auf den Elektrokocher. Die flüssige Masse vermische ich mit einem Teil der Kerne und streiche sie mit einem alten Blechlöffel sorgfältig auf den äußeren Fenstersims; den übriggebliebenen flüssigen Talg gieße ich darüber. Die Meisenringe werden rechts und links ans Fenster gehängt. Meine Mischung ergibt eine schöne, feste, harte Masse, die gut am Blech haftet. Das muß so sein, sonst ist im Nu der ganze Talgkuchen zerhackt und heruntergeworfen. Es dauert keine zehn Minuten, da geht der Betrieb am Fenster los: Vier Kohlmeisen, zwei Blau- und zwei Nonnenmeisen sind die ersten Gäste. Ihr Gehämmer in der hartgewordenen Talgmasse lockt sehr rasch auch anderes Volk an: Da fliegen ein halbes Dutzend Grünfinken und ein paar Hausspatzen herbei; auch das Kleiberpärchen läßt nicht auf sich warten. Die Buchfinken riechen Lunte, doch kommen sie recht selten bis zu mir herauf, sie hüpfen lieber emsig pickend unten am Boden; es fällt bei dem Gehack genug für sie ab. Unten bleiben zunächst auch noch die Amseln; zwar sind Sonnenblumenkerne nichts für sie, Talgkrümchen dagegen schätzen sie anscheinend als Leckerbissen. Wenn ich an meine Kiriderzeit zurückdenke, so war das damals — kurz nach 1900 — mit den Amseln und Finken noch ganz anders. Von beiden Arten blieben im Winter nur die Männchen da. Der Buchfink hatte daher auch seinen wissenschaftlichen Namen: Fringilla coelebs, Junggeselle Fink, weil er im W i n t e r ohne Weibchen war. Heute gibt es im Winter genau so viel Finkenweibchen bei uns wie Finkenmännchen, und bei der Amsel ist's ähnlich. Sie, die früher einmal ein scheuer Waldbewohner war, ist heute im Sommer und Winter unmittelbarer Nachbar des Menschen. Sie fehlt das ganze Jahr über kaum in einer der grö-
Grünfink
Kohlmeise
ßeren Grünanlagen der Großstädte, wo sie nach Würmern,' Käfern und Larven herumstochert und das Fallaub umdrehen kann, um zu verspeisen, was sie darunter findet. In ihrer Häufigkeit wird sie manchmal schon lästig; sie zerpickt die jungen Salatpflanzen, geht wie die Stare in die Kirschen und soll auch Vogeleier nicht verachten, wenn sie welche findet. Aber wer möchte ihren schönen Gesang missen! Eben jetzt, während ich schreibe, sitzt eine Amsel auf dem Giebel der Scheune, ihrem Stammplatz, und singt. Häufig läßt sie von dem Wohnhausgiebel mitten über meinen beiden Fenstern ihr Lied erschallen. Schau ich dann hinaus und unmittelbar nach oben, so sehe ich nichts als ihren gelben Schnabel. Und sie bleibt ruhig dort oben sitzen und singt weiter, denn sie vermag von mir erst recht nichts zu sehen. Wenn ich das Treiben am Fenster und darunter im Garten betrachte, fällt mir folgendes auf: Die Meisen, auch der Kleiber, kommen immer paarweise; auch im Winter halten Männchen und Weibchen zusammen. Bei den Grünlingen, Spatzen und Buchfinken ist das anders: Sie sind während des Winters Gesellschaftsvögel, Männchen und Weibchen in buntem Durcheinander. Auch das Fressen geht bei Meisen und Kleiber und den Körnerfressern ganz verschiedenartig vor sich. Die Meisen meißeln sich einen Kern aus der harten Talgmasse, fliegen mit ihm auf einen der nächsten Äste und nehmen ihn dort fest zwischen
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die Zehen. Dann wird gewaltig mit dem Schnabel drauflosgchämmert, bis die Schalen rechts und links nach unten fallen und der süße Kern verspeist werden kann. Spatzen, Finken, Grünlinge gehen anders vor. Auch sie hacken sich einen Kern heraus; er bleibt aber im Schnabel, wo er von rechts nach links und umgekehrt hin- und hergeschoben und dabei „zerknautscht" wird. Die Schalen lösen sich, werden ausgeworfen, und der Kern ist verzehrfertig. Die Vögel verharren während der Mahlzeit häufig auf dem Fenstersims und machen sich gleich an den nächsten Kern. Noch anders treibt es oft der Kleiber: Er fliegt mit dem herausgemeißelten Kern ab, klemmt ihn irgendwo fest, klebt selbst köpf unter darunter am Stamm oder Ast und bearbeitet den Bissen mit dem Schnabel, um die Schalen loszuwerden. So hat zwar nicht jeder, aber doch jede Arlgenossenschaft und Verwandtschaft ihre besonderen Methoden, um zum Kern der Dinge vorzustoßen. Für den Vogel ist aber nun einmal der Kern der Dinge die Nahrung. Bis Mitte Oktober etwa bleibt die Gesellschaft die gleiche, dann jedoch wird es bunter. Eines Tages taucht der Kernbeißer auf, ein altes prachtvoll ausgefärbtes Männchen. Er ist etwas scheu, und ich darf mich nur vorsichtig zeigen. Solches Scheusein hätte der neue Fenstergast gar nicht nötig, denn er braucht sich wahrhaftig nicht zu verstecken. Manche Dame würde ihn um seine kastanienbraune Scheitelfrisur beneiden, die nicht alle acht oder vierzehn Tage aufgefärbt werden muß, und erst recht würde der graue Chinchillakragen im Nacken den Neid erwekkcn. Fein steht dazu der klobige silbrige Schnabel, und fabelhaft schmuck wirkt unmittelbar darunter die kohlschwarze Kehle. Auch der weiße Spiegel quer über den blau-schwarz schillernden Flügeln nimmt sich sehr vorteilhaft aus. Die oberen Schwanzdeckfedern sind wieder kastanienbraun, kokett schauen die weißen Enden des kurzen Schwanzes hervor. Trotz meiner Vorsicht muß der Kernbeißer mich jetzt entdeckt haben — er fliegt ab. Schön kann ich ihn nun von oben sehen, aus dieser Sicht gleicht er tatsächlich einem phantastischen Schmetterling. Bald wird er wieder erscheinen, denn von der kurzen Mahlzeit, die er sich eben genehmigt hat, kann er keineswegs satt sein.
Rotkehlchen
Wasser umsei
Die übrige Gesellschaft freut sich, daß der Gefürchtete weg ist. Denn der Kernbeißer ist doppelt so groß wie Spatz und Grünling, dreimal so groß wie eine Kohlmeise und gar fünfmal größer als Nonnen -und Blaumeise — dazu der klobige Schnabel: All das zusammen verschafft unbedingt Respekt. Nur die Nonnenmeise wagt sich manchmal ans ausgelegte Futter, solange er da ist, zwar ganz bescheiden in der anderen Ecke, aber sie holt sich eben doch ihren Kern oder wenigstens ein Schnabelchen voll Talg. Auch der Kernbeißer scheint Junggeselle zu sein, denn nur einmal sah ich unten auf dem Boden zwischen Finken und Spatzen ein Kernbeißerweibchen herumhüpfen, das sich aber nach diesem einzigen Besuch nicht mehr blicken ließ. Es konnte sich an Prachtentfaltung auch nicht entfernt mit dem Männchen messen. Das ist überhaupt bei den Vögeln so, daß, falls Unterschiede bei den Geschlechtern bestehen, der Herr derjenige ist, der auffallend gekleidet zu sein pflegt. Auch die Stimmbegabung in größerem Umfang kommt nur dem Herrn zu. Doch glaube man nicht, der Kernbeißer sei ein überwältigender Sänger; er hat so schnurrige Schnalz- und Quetschlaute, daß man meinen könnte, sie blieben ihm irgendwo in der Kehle stekken. Vielleicht ist es ganz gut, daß er jetzt bei mir seinen Tisch schon reichlich gedeckt findet; da zerstört er nicht so viele Knospen, die er überaus gern frißt, wenn es keine Kirschkerne und
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keine Maikäfer zu knacken gibt. Alle beide liebt er leidenschaftlich, und er beißt kräftig zu. Ich hatte einmal einen angeschossenen Kernbeißer gefangen und ihn zur Pflege weitergegeben. Acht Jahre blieb er bei seinem neuen Besitzer im Käfig. Das kleine Schrotkörnchen, das ihn dicht am Schnabel getroffen hatte, fiel eines Tages heraus und dann ein zweites aus dem Flügel. Da war das Kerlchen wieder ganz heil. Er wurde so zahm, daß er das Futter aus der Hand nahm, doch war ein bißchen Vorsicht geboten. Denn der gewaltige Schnabel, der ohne große Mühe Kirschkerne aufknackt, schneidet leicht bis auf den Knochen. Solch ein Starkschnabcl ist also von Mitte Oktober ab täglicher Gast bei mir, und er nimmt eine ziemliche Portion Sonnenblumenkerne zu sich. Mit diesem schmucken Herrn etwa gleichzeitig erscheint ein Gimpel- oder Dompfaffenpärchen. Hier ist der Herr noch viel auffallender und lebhafter - gefärbt als unser Kernbeißer, man könnte es fast protzig nennen, wie er daherkommt. Mit dem schwarzen, glänzenden Käppchen auf dem Kopf, mit der leuchtend grellroten Brust und den schwarzblau schillernden Flügelund Schwanzfedern gewährt uns das Dompfaffmännchen einen Anblick, der in weißer Schneeumgebung besonders bezaubernd ist. Sie, die Dompfäffin, ist natürlich nicht so schmuck wie er, weil die rote Farbe fehlt, und doch kann sie sich mit der schwarzen Kappe und der grauen Brust durchaus sehen lassen. Bei den Dompfaffen scheint es wie bei Meisen und Kleiber zu sein: Immer treten sie paarweise auf. Auch wenn man nicht am Fenster steht, weiß man, daß sie da sind; denn Männchen und Weibchen haben einen pfeifenden Lockton, der sie deutlich von allen anderen Besuchern unterscheidet. Meisen und Kleiber dagegen bleiben während des Winters recht stumm, besonders der Kleiber; und doch kann man auch sie unterscheiden, wenn man ßie nicht vor Augen hat: an ihrem Picken. Der Kleiber tut das derb und hart, die Kohlmeise ist weniger laut, zart pickern Blau- und Nonnenmeisen. Am lautesten aber geht es zu, wenn der ganz derbe Geselle, der Große Buntspecht, auftaucht. Dröhnend und mit voller Wucht hämmert er in die Sonnenblumen-Talgplatte, die ich, wenn er 8
Der schmucke Kernbeißer weiß sich Respekt
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zu verschaffen
vorspricht, viel öfter erneuern muß. Fest hängt er sich an den Blechrand des Fenstersimses, während der kräftige Schwanz ihm als Stütze dient. Wenn ich recht vorsichtig bin, kann ich ganz dicht hinter der Scheibe der wütenden Arbeit zuschauen. Hat er mich dennoch gewahrt, so fliegt er meist nicht weit, sondern hakt sich im nahen Pflaumenbaum fest, klettert scheinbar geschäftig herum und tut so, als suche er etwas. In Wirklichkeit wartet er nur darauf, daß ich, der Störenfried, endlich verschwinde und er die Futterentnahme fortsetzen kann. Er begnügt sich nicht mit einem Kern, sondern er hackt ganz große Fetzen von dem harten Kuchen los und trägt sie weg; dabei verschmäht er den Talg so wenig wie die Körner. Wenn der Große Buntspecht und sein Kollege, der Mittelspecht, da sind, gibt es viel zu sehen, und am Futterplatz ist viel los. Ein lieberer Gast ist mir indes das Rotkehlchen. Hätte es nicht die leuchtend rote Kehle und Brust, würde man das graue Kerlchen leicht übersehen. Ganz bescheiden benimmt es sich am Fenster, Sonnenblumenkerne sind für sein zartes Schnäbelchen nichts, aber der Talg wird gern genommen. Nicht allzu oft übrigens kommt das Rotkehlchen herbei, es schlüpft lieber unten im Gebüsch herum und auf dem Boden, wo genug herabgefallene Talgkrumen zu finden und so nebenbei auch mal kleine Spinnchen zu erwischen sind. Nur wenn Schnee liegt, wird sein Besuch häufiger. W i r müssen uns noch einmal den Amseln zuwenden; denn bald finde ich auch sie am Fenster, meist schon am zeitigen Morgen. Auch sie mögen die Sonnenblumenkerne nicht und picken lieber im Talg; er ist ihr Ersatz für die jetzt fehlenden Würmer und Käfer. Doch ich versorge sie noch in anderer Weise: Ab und zu erhalten sie einen Apfel, der ganz oder teilweise für den menschlichen Genuß nicht mehr tauglich ist, auch Apfelschalen bekommen sie, wenn ich einen Apfel geschält habe. Wie ich feststelle, treten die Gäste, die ich jetzt füttere, zu mehreren Paaren an; das im Sommer für unseren Garten zuständige Paar kenne ich gleich wieder, ein zweites, das ich bei der Morgenvisite antreffe, ist erst im Winter dazugekommen: gegen Abend pflegt sich die Amselpärchenzahl auf sechs zu erhöhen. Sie versammeln 10
sich im großen Birnbaum und geben dort noch die allabendliche Abschiedsvorstellung und zanken und jagen sich. Häufi" ertönt dabei ein schreckhaftes „Tititit". Dann fliegen sie einzeln in gleicher Richtung ab, wohl zum gemeinschaftlichen Schlafplatz mit den übrigen Amseln der Gegend. Vermutlich ist das noch irgendeine Erinnerung an ihr einstiges Leben im Wald. Oft ist's ein dichtes Nadelholzgebüsch, das den vielen als Schlafstätte dient, es bietet Schutz gegen nächtliche Feinde und gegen scharfen Wind. Hier wird das Gezänk noch einmal im großen aufgenommen, das im Birnbaum im kleinen begonnen hatte: „Tititit!" Da habe ich den Vogelfreunden schon allerlei an Vögeln vorgeführt, die zu mir ans Fenster kommen. Im vorigen Jahr, wie gesagt, flogen sie schon im September an, und bis Mitte Oktober war das Dutzend bereits überschritten. Der Zahl nach waren es natürlich viel mehr: weit über vierzig. Wenn ihr mit mir zum Fenster hinausschaut, werdet ihr feststellen, woher meine Vögel alle kommen, weshalb sie so zahlreich und so artenreich sind. Dabei werdet ihr gewahr, daß ich von meiner Wohnung aus noch allerlei mehr zu Gesicht bekomme als nur das, was gerade am Fenster auftaucht, um sich sattzufressen. Der Blätterfall hat gerade erst begonnen. Doch seht ihr durch das Gezweig die Giebelwand der alten Scheune? Aus dem Lesebogen „Eulenvolk" kennt ihr den Giebel bereits: Dort saß damals sechs W o chen lang Tag für Tag der Steinkauz in einem der Löcher — ihr könnt die Öffnung noch deutlich sehen, die durch herausgefallene Ziegel entstanden ist. Diesen Winter war das Käuzchen nur einmal kurz zu Besuch im Birnbaum. Ich merkte es daran, daß die Ameln so fürchterlich zeterten. Im Hintergrund werden die Häuser an der großen Ausfallstraße nach Hannover und Braunschweig sichtbar — sie teilt sich bald schon hinter der großen Brücke in diese beiden Richtungen. Die Straße ist nur einseitig bebaut; auf der anderen Straßenseite führt ein breiter Alleenweg zwischen alten Kastanien und Linden durch. Man sieht deutlich ihre hohen Wipfel. Die Allee ist knapp zweihundert Meter von meinem Futterfenster entfernt. Sie ist für meine gefiederten Besucher nicht ganz unwichtig: Mittcl11
specht, Kleiber, Kernbeißer, auch der Baumläufer kommen bestimmt von dort. Großer Bunt-, Grün- und Grauspecht suchen ihre Nahrung häufig in den Alleebäumen. Dagegen treibt sich der kleine Buntspecht, der sich nur selten ans Fenster wagt, gern in den vielen Obstgärten herum, die unser Haus umgeben; dort hat er in der harten Kälte seine Schlaf- und im Sommer seine Bruthöhle. Vor meinem Schlafkammerfenster, das unmittelbar nach Norden schaut, leuchten jeden klaren Abend die sieben hellen Sterne des Großen Bären und dazu der Polarstern als Schwanzstern seines kleineren Bruders; Wenden wir den Blick ein wenig nach Westen, so haben wir im Hintergrund, 1200 Meter Luftlinie entfernt, den bewaldeten Suttmerberg. Von dort kommt wintersüber kein Vogel bis zu mir, das wäre doch etwas weit; aber im Frühjahr, von Ende März an, und dann während des ganzen Sommers läßt sich häufig in prachtvollem Segelflug der Rote Milan mit seinem tief gegabelten Schwanz blicken. Sein Horst steht auf dem genannten Berg. Er kreist überm Schlachthaus, ob er da nicht einen Abfall erwischen kann, und er reviert über Rhume und Rhumekanal nach abgestandenen Fischen und anderem treibenden Abfall. Er hält aber auch Ausschau nach Küken und halbwüchsigen Hühnern. Der Suttmerberg und die hintere Häuserreihe liegen bereits jenseits der Rhume, deren Quelle — es ist die größte Europas — fünfundzwanzig Kilometer weiter entspringt. Die vorderen etwas versteckten Häuser stehen nur etwa hundert Meter von uns entfernt. Links unten wird ein Stück des Weges sichtbar, der an meinem Hause vorbeiführt, zu seiner Rechten dehnen sich Obstund Gemüsegärten. Fast ganz versteckt fließt hinter dichten Weidenbüschen, von denen einer als Baum die andern weit überragt, der Rhumekanal. Links am Weg, noch vor den Weiden, gedeiht in Massen hohes Unkraut, das mit seinen Samen allerhand Vögeln Nahrung spendet. Inmitten lockt ein dichtes Distelgestrüpp einen Schwärm Distelfinken, Stieglitze, an. Zwölf bis fünfzehn Stück sind's, die ich bis Anfang Dezember Tag für Tag mehrmals an den Distelköpfen in Arbeit sehen kann. Das ist das Richtige für sie: Mit dem Kopf nach unten hängen die bun12
ten Vögel an den schaukelnden, bis anderthalb Meter hohen Distelstauden. Märchenbunt leuchten ihre Farben in der Sonne. Es ist, als ob ein Maler die letzten Farbenreste seiner Palette wahllos über sie hingespritzt hätte: rot der Vorderkopf, weiße Bakken dazu, schwarz Scheitel und Nacken, über den Flügeln ein frechgelber Spiegel, schwarze Schwanzenden, zuvor aber weiß. Viel bunter ließ es sich wohl nicht machen, übrigens werden die Distelfinken im Juni wieder hier in die Gegend kommen; unten am Kanal werden sie sich über die vielen Puste-Blumen des Löwenzahns freuen, deren Samen sie liebend gern fressen. Links sieht man einen Weg mit Zaun dahinter, das ist schon auf der anderen Seite des Kanals. Der Zaun grenzt die Stadtgärtnerei ab, wo es allerhand Samen gibt von Blumen und Unkraut. Dort und in den Weiden am Kanal hält sich während des ganzen Winters fast regelmäßig ein Trupp von acht bis zehn Feldsperlingen auf. Vom Fenster aus kann ich sie nur mit Hilfe des Fernglases sehen, aber ab und zu kommen drei oder vier von ihnen um Futter bitten, besonders wenn Schnee liegt. Gegenüber den Hausspatzen fallen Männchen wie Weibchen sofort auf mit ihren rotbraunen Köpfchen, auch sind sie etwas kleiner und zierlicher, und ihr Schilpen klingt dünner und feiner als das grobe Schimpfen der Hausspatzen. Obwohl das Ufer des Rhumekanals nur zwanzig Meter vom Hause entfernt ist, kann ich ihn wegen der Weiden zur Zeit nur vom Küchenfenster aus ins Blickfeld bekommen. Wenn es Frühjahrs- oder Sommerhochwasser gibt, dann lecken die Wellen bis an den Weg. Der Kanal ist fünfzehn bis zwanzig Meter breit, die Strömung an der anderen Seite ist sehr stark und deshalb das Ufer dort unterspült und steil; auf meiner Seite gibt es dagegen bei niedrigem Wasserstand allerhand Schlamm-, Steinund Sandbänke, da können die Vögel bequem trinken und im flachen Wasser baden. Hinter dem Kanal sieht man den Fuß- und Fahrweg in Richtung zur Stadt, am Weg wieder Obstgärten, deren vollbelaubte Bäume die Häuser gegenüber bis zu den äußersten Dachkanten bedecken. Wo die Hälfte des Laubes schon herunter ist, sieht man etwas mehr von ihnen. Fs wäre noch einiges vom Schlachthof zu berichten, der mit 13
seinem Hauptgebäude der Scheune gegenüberliegt. Von meinem Futterfenster aus kann ich einiges von ihm sehen, wenn ich den Blick nach Südwesten richte. Der Schlachthof gehört unbedingt mit zum Lebensraurn meiner Winter- wie Sommervögel. Da sind erstens einmal die zahlreichen Hausspatzen, die ihren Stammplatz an der Ecke der Scheune haben. Sie leben vom Schlachthof, denn die Scheune bietet ihnen zu wenig. Sie enthält nur kurz nach der Ernte leeres Stroh, und auch dieses Stroh ist Ende Januar verschwunden. Daher kommt es, daß wir selbst bei großer Kälte und viel Schnee auch nur sehr wenig Goldammern hier haben, sie finden in den Bauerngehöften am Bande der Stadt mehr Nahrung. Ich kann die Goldammern nur zu den vorübergehenden Wintergäslcn zählen. Auch die drei Stare, die sich den ganzen vergangenen Winter hier herumtrieben, gehören nicht zu meinen Kostgängern, da sie ebenfalls vom Schlachthof lebten. Als im Februar vorübergehend die warmen Tage waren, vermehrte sich ihre Zahl auf etwa zwanzig, die dann bis zum wirklichen Frühjahr blieben. Oft saßen sie bei Schnee und Kälte etwas trübselig auf den beiden Weidenbäumen. Nur der Schlachthof schützte sie vor dem Verhungern. Und da war auch noch eine alte, einsame Saatkrähe. Häufig saß sie im großen Birnbaum oder auch in den Weiden vor dem Haus. Auch ihr bot der Schlachthof so gut wie alles, was sie brauchte. In den Ställen des Schlachthofs brütet im Sommer immer ein Pärchen Bauchschwalben; stets bleibt ein Fenster für sie zum Ein- und Ausfliegen offen. Oft ruhen sie, mir zuzwitschernd, auf dem Draht der Hauslichtleitung von ihrer unermüdlichen Insektenjagd aus. Ihr seht also: Der Schlachthof gehört mit zum Lebensraum meiner Vögel. Vom Boten Milan sprach ich ja auch schon in diesem Zusammenhang. Wenn der Laubvorhang gefallen ist, wird endlich auch der Blick auf den Kanal geöffnet. Es gibt neue Bilder. Da sind einmal die Zwergtaucher. Einer kommt regelmäßig jeden Tag, häufig ist in seiner Gesellschaft ein zweiter, und manchmal, wenn auch seltener, sind es sogar ihrer drei. Fluß und Kanal sind ihr Winterlebcnsraum, wenn die Gefahr besteht, daß ihre Teiche zufrieren, was weder bei der Bhume noch beim Kanal geschieht. Unmittelbar vom Hause aus kann ich ihr lustiges Tauchspiel im 14
Wasser verfolgen. Aber es ist gar kein Spiel, sondern ernste Arbeit, die dem Lebensunterhalt dient. Sehr oft müssen sie ohne Beute wieder auftauchen, aber einige Male erlebte ich es doch, daß einer der Taucher einen kleinen Fisch fing: Mundgerecht wurde er in den Schnabel geschüttelt, bis der Fischkopf selmabelwärts stand, und dann war der Happen sehr rasch und ohne großes Gewürge verschwunden. Häufig werden nur Wascsrinsekten erwischt, und von denen braucht der reichlich zweihundert Gramm wiegende Taucher eine ganze Menge, bis der Appetit gestillt ist. Es macht schon Spaß, ihrer Taucherarbeit zuzuschauen, bei der sie recht lang unter Wasser bleiben können. Die Rhume schickt noch einen andern Gast kanalaufwärts bis zu mir. Nicht jeden Tag ist er da, oder sagen wir lieben: Nicht jeden Tag bekomme ich ihn zu Gesicht. Es ist das grünfüssige Teichhuhn, das viel versteckter lebt als der Zwergtaucher. Offensichtlich kommt es gern den Kanal heraufgeschwommen, wenn der Wasserstand niedrig ist und es in genügender Menge und Ausdehnung Schlamm- und Sandbänke gibt. Sie werden gründlich nach Nahrung abgesucht. Macht das Teichhuhn gelegentlich einen Abstecher unter das Weidengebüsch, so sucht es sich so weit wie möglich in Deckung zu halten. Glaubt es, irgendeiner Gefahr ausgesetzt zu sein, fliegt es unbeholfen dicht übers W a s ser hin ans andere Ufer. Beim Schwimmen stößt es dauernd fast ruckartig den Kopf vor. Auf mehreren Teichen der Umgegend ist das grünfüssige Teichhuhn Brutvogel, aber schon bevor Vereisungsgefahr droht, kommt es genau wie die Zwergtaucher auf die Rhume, um hier den Winter zu verbringen. Geschützte Plätze gibt es am Fluß mit seinem Schilfbestand und dem überhängenden Gebüsch genügend. Ende Februar, spätestens Mitte März, sind Teichhuhn und Zwergtaucher von Rhume und Kanal verschwunden und beziehen wieder ihre Teiche. Sind sie den Winter über stumm, so kann man jetzt das lustige Trillern der Zwergtaucher im Schilfwald hören. Aber noch ein weiteres Schaustück verdanke ich der Rhume. Geraden Flugs kommt der Eisvogel angeschwirrt, rastet auf einer der Weiden nicht allzu hoch überm Wasser und hält unbeweglich Ausschau nach einem Fischchen. Außer den Anglern macht 6ein 15
Zaunkönig
Eisvogel
Anblick jedem Freude, der nur etwas Sinn für Schönheit hat. Dieser grün-blau schimmernde Edelstein unter den deutschen Vögeln fällt auf durch seine korallenroten Füßchen, den langen, spitzen Bajonettschnabel und das rotbraune Brustgefieder. Er gräbt im Frühjahr in einer der steilen, lehmigen Uferwändc der Rhume, zwei Kilometer unterhalb, seine lange Brutröhre mit dem erweiterten Nistraum. Vor drei, vier Jahren ließ er sich im Winter noch häufiger bei mir sehen, im letzten Winter war er aber ein sehr seltener Gast. Die Angler sind ihm wohl gram und beseitigen ihn, wenn sie können. Aber sie haben kein Recht dazu; nur wer einen wirklich angerichteten Schaden durch den Fisvogel nachweist, kann die Genehmigung erhalten, ihn vorübergehend zu verfolgen. Unser kleiner Räuber ist nämlich gar nicht so schädlich, wie man es manchmal behauptet. Er schnappt nur fingergroße Fische. Und was erbeutet er hauptsächlich? Elritzen, Schmerlen, Ukeleis und auch Stichlinge. Groppen und Barsche, die er in der angegebenen Größe ebenfalls nimmt, sind arge Räuber von Fischbrut; desgleichen die Gelbrandkäfer und Libellenlarven, die sich der Eisvogel greift. Die Untersuchung von 51 Eisvogelmägen ergab 34mal Fischreste und 12mal Insekten. 16
Also laßt es schon leben, dieses schmucke Geschöpf der Vogelwclt, die immer ärmer und langweiliger wird! Abends kommen im Winter gelegentlich Stockenten von der Rhume und der eine halbe Gehstunde entfernten Leine her. Ich höre sie vom Fenster aus im Kanalwasser planschen. Sobald sie durch Vorübergehende erschreckt auffliegen, kann ich sie an ihrem Schnattern erkennen. Auch die sperlinggroße Gebirgsstelze entdecke ich manchmal zwischen der Rhumcmühle und meiner Wohnung. Auf den Stein- und Sandbänken, in den Löchern des gegenüberliegenden Steilufers und zwischen den Steinen der halbzerfallenen Ufermauer findet sie selbst in den kalten Monaten Nahrung und ein leidlich erträgliches Dasein. Auch sie ist, wenn auch nicht so farbenprächtig wie der Eisvogel, eine Zierde unserer Uferlandschaft. Zu gern schaue ich ihr vom Fenster zu, wenn sie, noch viel eleganter als ihre schwarz-weiße Schwester, mit dem Schwanz wippend, emsig auf der Sandbank einhertrippelt. Hell leuchtet ab und zu in der Sonne das Gelb ihrer Unterseite auf, das sie vor Schwester Bachstelze auszeichnet. Und noch ein lustiger Geselle belebt in allen Jahreszeiten die Kanalufer: der Zaunkönig. Klein ist er und recht unscheinbar in seiner Farbe, einem einförmigen Braun, nur der Schwanz ist etwas dunkler quergebändert und der Flügel weißlich gepunktet. Wenn er auch das Wasser liebt, so ist er doch nicht unbedingt daran gebunden. Mitten im Winter bei Schnee und strammer Kälte singt er unbekümmert schmetternd sein kleines Lied. Nicht nur durchs Gebüsch des Kanalufers sehe ich ihn schlüpfen, auch unter meinem Stubenfenster klettert er munter durch Stachelund Johannisbeersträucher. Nie schwingt er sich zum Fenster herauf; das hat er nicht nötig, und mit Sonnenblumcnkernen weiß er nichts anzufangen. Die Zaunkünigsnahrung besteht aus Kerbtieren aller Art: Spinnen, Larven, Raupen, Puppen und Insekteneiern. Da er in die kleinsten Verstecke schlüpft und sie gründlich durchstöbert, findet er auch im Winter genug, denn keiner macht ihm dort Konkurrenz. Gelegentlich wird eine Beere verzehrt. W e r hätte nicht seine Freude an dem lebhaften, mausflinken kleinen Wesen, das so lustig auf seinem Reisighaufen knistert und vergnügt mit seinem fast immer hochragenden Stum-
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melschwänzchen wippt! Ob Schnee, Regen oder Kälte, er singt, als ob er sagen wollte: Das alles ist mir piepwurstegal, ich bin vergnügt. Seine Beliebtheit beweisen die zahlreichen volkstümlichen Namen, die man ihm gegeben hat. Entweder hängen sie mit seinem Lieblingsaufenthalt in Hecken und Zäunen zusammen: Zaunschnurz, Zaunschlüpfer, Zaunpurzel, oder aber mit seiner Königswürde: Schnee-, Winter-, Dorn-, Nessel- und Meisenkönig. Freilich nicht sein Federkleid trägt ihm die Bezeichnung König ein, sondern die Beherrschung seines Reiches: des für andere undurchdringlichen Dickichts. Wo kein anderer Vogel hindurchkommen kann, der Zaunkönig schafft's. Und deswegen erbeuten ihn Sperber und Eulen auch recht selten; er ist zu klein und lebt zu versteckt. Viel eher ist es möglich, daß der Hermelin oder ein Marder ihn einmal beschleicht. Wütend und energisch warnt das Zaunkönigsmännchen mit erregtem ,,Zerr, zerr, zerr, zeck, zeck" alles Vogelvolk, wenn der Feind sichtbar wird. Andere Vögel schließen sich dem Warngeschrei an, bis der Lärm dem Angreifer lästig wird und er sich verzieht. Was mir der Rhumekanal mit seinen Ufern, seinen Weidenbüschen und seinem Unkrautgestrüpp an Besonderem bietet, habe ich damit vorgeführt. Nicht jeden Tag im Winter sind sie alle da. So ist es nicht! Aber wenn ich immer wieder einmal hinausschaue, werde ich doch den einen oder anderen von ihnen gewahr. Das Wasser mit seinen Ufern und was auf ihnen wächst, ist in harter Jahreszeit ihr Lebensraum, der ihnen das bietet, was sie brauchen: Nahrung und Deckung. Keiner kann sie dort auf die Dauer vertreiben, es sei denn der Mensch. Doch nun zurück zu unserem Futterfenster! Da ist noch ein ganz verstohlener Geselle zu vermerken, der freilich nicht ans Fenster selber kommt, sondern nur ab und zu in seiner Nähe auftaucht. Ich nenne ihn .,verstohlen", weil er im Winter mucksmäuschenstill ist und weil er am Baumstamm in seiner rindengrauen Farbe kaum erkannt wird. Ihr wißt, wen ich meine: den Baumläufer. Er lebt in zwei verschiedenen Arten bei uns als Garten- und als Waldbaumläufer. Sie sind eigentlich nur an ihrem Frühlingsgesang zu unterscheiden, denn im Aussehen sind sie sich fast gleich. Da ich hier mitten in Gärten und ziemlich 18
weit ab vom Walde wohne, wird's bei mir wohl der Gartenbaumläufer sein. Gelegentlich erblickte ich ihn im vergangenen W i n t e r am Pflaumenbaum. In seiner gewohnten Weise schraubt er sich am Stamm in die Höhe, um, wenn er oben angelangt ist, an die Wurzel des nächsten Obstbaumes zu fliegen und an ihm das gleiche Spiel zu beginnen. Er rutscht förmlich am Stamm in die Höhe, während sein dünner, leicht gekrümmter Schnabel mit Blitzesschnelle in alle Rindenlücken und -ritzen fährt. Auch im Winter findet er in den winzigen Kerbtieren und deren Eiern und Larven genügend Kalorien. Als ganz für sich lebender Eigenbrötler beachtet er die bunte Gesellschaft am Fenster und den Futlersims nicht. Manchmal ist er zusammen mit Specht und Meisen zu finden, aber nur, weil er es vortrefflich versteht, den Nutznießer dieser Gesellschaft zu machen: Da, wo der Specht mit keilenden Schnabelhieben die Rinde gelockert oder abgespalten hat und die Meisen bereits genassauert haben, findet unser stiller, bescheidener Baumläufer noch reichliche Ernte für sich. Was den andern zu klein erscheint oder was ihre Schnäbel nicht erreichen können, das holt sich der spitze Baumläuferschnabel auch noch aus feinsten Ritzen. Mein Winterfensterklub ist damit eigentlich vollzählig vorgestellt. Es sind sozusagen die Stammtischkunden. Greift das Au/ r e aber weiter aus, so lassen sich noch manche Gefiederte in den häuslichen Beobachtungskreis einbeziehen. Da fliegt im Winter gelegentlich der Mäusebussard seine Schleifen, und selbst der Rauhfußbussard als Gast aus dem hohen Norden läßt sich vereinzelt blicken. Aber da muß man die Augen offen halten, und das Fernglas muß bereitliegen, damit man diese Vögel auch sicher ansprechen kann, und ich wünsche nur, daß die Beleuchtung günstig sei! Mitte Oktober zog ein großer Flug Kraniche rufend über die Stadt, ich hörte sie, stieß die Fensterflügel zurück und schaute ihnen nach. Die Leute auf der Straße blieben einen Augenblick in ihrer Hast und Hetze stehen, sprachen vom Zug ,,der wilden Gänse", und daß es nun bald Winter werden müsse. Vierzehn Tage später — das Fenster stand weit offen — wachte ich in der Nacht plötzlich auf. Ich lauschte nach draußen, und schon wußte ich, was mich geweckt hatte — der Schrei von 19
Hunderten von Graugänsen: Gjek-Gak, Gjek-Gak! Wer es einmal gehört hat, weiß, daß man Kraniche nicht mit „wilden Gänsen" verwechseln kann. Inzwischen war es Mitte November geworden. Jeden Morgen, eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, konnte ich jetzt einen großen Schwärm Krähen beobachten, dreihundert und mehr, Rabenkrähen, vermischt mit ein paar Dohlen, deren Geschrei man deutlich heraushörte. Die Krähen flogen in gelockertem Schwärm, einzelne Vorreiter vorneweg und hinter dem Hauptschwarm noch eine Menge Nachzügler. Sie kamen aus ihrem Schlafrevier, verteilten sich tagsüber auf Ortschaften und Felder, und gegen Abend versammelten sie sich wieder zum Rückflug und zur gemeinsamen Nachtruhe irgendwo in hohen Bäumen. Einmal sah ich auch den Sperber. Er flog zwischen Scheune und meinem belebten Fenster durch, kümmerte sich aber nicht um die lärmenden Spatzen. Er war wohl zu satt, oder er wußte anderswo bessere Beute. An einem Tage im Februar ließ sich ein Trupp Wacholderdrosseln im Birnbaum nieder, diese buntesten unter unseren Drosselvögeln, leicht zu erkennen an dem bläulichen Kopf, der schwarzgepunkteten, gelbbraunen Brust, dem weißen hinteren Unterteil und dem schwarzen Schwanz. Auch sie beachteten den Futterplatz nicht und flogen bald wieder über den Kanal zurück zur Stadtgärtnerei. Da mußte es irgendwelche Beeren geben; denn kurz zuvor hatte sich dort auch ein kleiner Flug Von Seidenschwänzen aufgehalten, die ebenfalls die Beeren lieben. Einer von ihnen hatte mir den Gefallen getan und setzte sich hoch oben in den Birnbaum. Klar war seine Silhouette gegen den Himmel zu sehen und recht deutSeidenschwanz lieh hob sich seine Haube 20
aufmerksam lauert der Kleiber, bis der Futterplatz frei Ist
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ab, oder besser gesagt: sein Schopf. Zur Sicherheit nahm ich rasch das immer bereitliegende Glas vor die Augen, und da war er einwandfrei zu erkennen. Ich nahm mir vor, im Herbst Beeren der verschiedensten Art zu sammeln und zu trocknen. Vielleicht, daß ich dann auch den Seidenschwanz in meinen Vogelgasthof locke. Einmal zieht ein Trüppchen von sechs Schwanzmeisen durch, kopfüber, kopfunter schaukeln sie an den Ästen und finden da genügend zu picken, so daß sie meine Talg und Sonnenblumenkerne nicht nötig haben. Für sie wird's nur schlimm, wenn dikker Rauhreif alle Äste umklammert hält und den leichten Vögelchen den Zugang zur Nahrung sperrt. Ua der Winter nicht streng genug war, ließen sich Elstern nur selten in Sichtnähe der Menschenwohnungen herbei. Einige Male aber hatte ich Glück und sah den sehr zierlichen Vogel. Das Schwarz in Flügel und Schwanz schillerte in prachtvollem blaugrünem Schimmer und ging in der Sonnenbeleuchtung in tiefdunklen Purpur über. Im Winter macht mir der Anblick Freude; im Frühjahr und Sommer aber soll sie möglichst weit wegbleiben, denn die Elster ist eine ganz üble Nesträuberin, die allzu gern Eier schleckt und unflügge Vögel ausnimmt. Genau das gleiche tut der Eichelhäher, bei dem ebenfalls der Schaden überwiegt, auch wenn er gelegentlich mit den Maikäfern gründlichst aufräumt. Allein wer möchte ihn im Wald entbehren? Mit dem blauschwarzen Spiegel in den Flügeln, mit seiner rötlichen Brust und der gesträubten Tolle auf dem Kopf, ist er unstreitig ein ganz prächtiger Lump! Eines Wintertags sitzt auch er im Birnbaum — wohin sich die Elster niemals traut — und sieht und hört den lärmvollen Trubel an meinem Fenster. Und der Durchtriebene weiß sofort: Wo es für die Kleinen was zum Fressen gibt, gibt es bestimmt auch was für mich! Schwupp, hockt er auf dem Fensterbrett. Entsetzt stiebt das kleine Vogelvolk auseinander. Ihm ist's recht so, ungestört macht er sich über den harten Kuchen her. Als ich herantrete, ist's nur ein Sekundenblick, bis er auf und davon ist, selbstverständlich nicht ohne einen großen Talgfetzen. Soll ihm gegönnt sein! Trotz aller Torheit und Bosheit, die er ausübt — er gehört mit in die Schöpfung hin22
ein und hat da seine Aufgabe, selbst wenn sie uns Menschenkindern oft recht unverständlich erscheinen will. Wo man Habicht und Sperber nicht rücksichtslos abknallt, halten die beiden den Eichelhäher kurz und lassen ihn nicht zu viel Unheil anrichten. Noch bin ich nicht am Ende. Wir müssen uns nämlich noch einmal die Spechte vornehmen. Da ist zunächst einmal der Grünund der Grauspecht. Man muß ihre Merkmale schon genau kennen, um sie auseinanderzuhalten. Denn der Grünspecht ist trotz seines Namens nicht sehr viel grüner als der Grauspecht. Man merke sich: Der Grünspecht hat einen roten Kopf und unter den Augen auch noch einen roten Strich, der Grauspecht hat nur den Scheitel rot, und beim Weibchen fehlt er ganz. Am Fenster läßt sich das recht leicht und sehr genau feststellen, draußen in der Natur wird es erheblich schwieriger. Im Frühling trommelt nur der Grauspecht, freilich kürzer als die anderen Spechte, aber der Grünspecht tut es gar nicht. Und dann das Lachen der beiden! Der Grünspecht lacht frech, der Grauspecht wehmütig, seine „Schnulze", um in der Film- und Schallplattensprache zu reden, ist leicht nachzupfeifen. Im vergangenen Winter waren sie nur ganz am Anfang ein paarmal da und blieben dann weg. Aber vor zwei Jahren kamen sie fast täglich und zwar mehrmals. Da hab' ich so meine Erfahrungen mit den Nimmersatten gesammelt, so daß ich ganz froh war, daß die beiden derben Gesellen, die anderswo genug zu fressen vorfinden, im vergangenen Winter nicht mehr zu Tisch kamen — hatte ich doch schon den Großen Buntspecht und seinen Vetter, den Mittelspecht, täglich mehrmals zu Gast. Nie aber kamen sie gemeinsam ans Futter, es fürchtete wohl einer den anderen. Oft hakte der eine am Pflaumenbaum und wartete nur darauf, daß der andere losflog und Platz machte. Der Mittelspecht ist ein Laubwaldvogel, im Nadelwald wird man ihn nur vorübergehend antreffen. Er macht sich nichts aus Fichtensamen wie sein etwas größerer Vetter, der sich die sogenannten Spechtschmieden anlegt, indem er den Zapfen irgendwo festklemmt und die Schuppen abmeißelt, um an die kleinen Samen heranzukommen. Unter der Spechtschmiede sieht es dann immer bunt aus: Die leeren Zapfenspindeln und die Zapfenschuppen liegen in wirrem Durcheinander in Masse herum. Auch 23
die Unterschiede zwischen Großem Bunt- und Mittelspecht muß man recht genau kennen, um sie nicht zu verwechseln. Vom Fenster aus sieht man, daß der Große Buntspecht im Jugendkleid auf dem Scheitel einen roten Fleck zeigt, der Mittelspecht dagegen einen roten Kopf und dazu zwei große weiße Schulterflecke. Und während der Buntspecht sein „Tick" nur einzeln ruft, kommt es beim Mittelspecht stets reihenweise: „Tick-ticktick-tick". Und damit hätten wir so gut wie alles durch bis auf einen ganz kessen Gesellen: Das ist der Bergfink, oder sagen wir lieber gleich die Bergfinken, Wintergäste aus dem hohen Norden, bunter und farbenfreudiger als unsere Buchfinken: rot sind Kehle und Brust, und das Rot reicht weit bis auf die Unterseite — die Weibchen sind blasser, fast weiß —, dazu der blauschwarze Kopf und im Flügel ein weißer Spiegel, der im Streifen fast bis auf den Rücken reicht. Längst schon waren sie im Land, das wußte ich von vogelkundigen Freunden, aber bei mir hatten sie sich bis in den Februar hinein noch nicht sehen lassen. Als jedoch die acht warmen Februartage kamen, glaubten die Bergfinken wohl genau wie wir auch, der Winter sei vorbei. Sie sammelten sich in großen Schwärmen für die Heimkehr. Da kam sehr plötzlich der Rückschlag mit Kälte und Schnee und hielt die nordischen Finken fest. Jetzt waren sie auf einmal am Hause: erst zwei, am andern Tag fünf und am dritten neun. Sie machten sich breit am Fenster, als wären sie die Herren der Lage, und "sie waren es auch. Sie bissen die andern Tischgäste weg, bissen sich untereinander: in der Luft, auf dem Fenstersims, im Geäst der Bäume. Spatzen sind harmlos gegenüber dieser übermütig-frechen Bergfinkengesellschaft. Für das Gezänk gab es gar keinen Grund, denn das Futter reichte für alle, und wenn es einmal damit zu Ende ging, sorgte ich sogleich für Nachschub. Kein Piepmatz darf von mir weg hungrig schlafen gehen. Die Gesellschaft blieb bis Ende März. Plötzlich waren sie verschwunden. Ihre Stippvisite aber bleibt mir eine schöne Erinnerung. Und dann war es endlich so weit: Die Kohlmeisen geigten, die Amsel stümperte nicht mehr, sondern sang voll und rund ihr 24
richtiges Lied, die Stare pfiffen, Zilp-Zalp und Fitis sangen ihre einfachen Liedchen, die Finken schmetterten ihren Schlag. Kurzum, man merkte, daß es Frühling wurde. Ich konnte die Winterbilanz machen.. Vierzig Vogelarten hatten bei mir Einkehr gehalten oder konnten von den Fenstern des Hauses aus gesichtet werden. Zehn waren reine Gelegenheitsbeobachtung, die wenig oder nichts mit den Lebensräumen um mich herum zu tun hatte. Blieben also dreißig Arten, die mehr oder weniger regelmäßig Fenstergäste waren, sich häufig in der Nähe des Hauses herumtrieben oder den Rhumekanal tagsüber als Lebensraum wählten. Nicht um mehr zu beschreiben, als nötig ist, habe ich meine Hausumgebung so eingehend beschrieben, sondern um den Lebensraum meiner gefiederten Freunde so anschaulich wie möglich zu machen. Der Lebensraum ist die entscheidende Grundlage für alle Tiere und auch für die Vögel meiner Umgebung. In einer Großstadtstraße, die nicht in der Nähe einer größeren Grünanlage liegt, wäre eine Vogelfütterung ziemlich sinnlos. Wo keine Pferde mehr durch die Straßen der Stadt stampfen, da sind nicht einmal Spatzen zu erwarten. Vielleicht fliegt wintertags einmal ein Krähenschwarm über die Dächer, im Sommer jagen vielleicht einmal Segler schwirrend durch die Straße. Sie sind die typischen Großstadtvögel, denen vor allem die zerbombten Städte zusagten, weil sie noch nie ein so reichliches Wohnungsangebot hatten wie in den Ruinen. Natürlich gibt es Mauersegler auch anderswo, in der Kleinstadt, ja selbst auf dem Dorf, wenn nur einige hohe Gebäude vorhanden sind, aber für die Großstadt sind sie vom 1. Mai bis zum 31. Juli die Gharaktervögel. Wo aber in der großen Stadt eine Grünanlage ist — sie braucht nicht so groß zu sein wie der Berliner Tiergarten, der Leipziger Carolapark oder der Dresdner Große Garten —, wo sich eine Anlage mit Rasenflächen, Gebüsch, ein paar hohen Bäumen, ein paar Nadelhölzern, Fichten, Tannen, Blautannen, Douglasfichten, Eiben ausbreitet, da gibt es schon bald auch Vogelleben, und da wird es immer Freude machen, am Fenster oder auf dem Balkon eine Futterstelle einzurichten. Dabei wird der Vogelfreund kaum mit so vielen Arten in Berührung kommen wie ich. Daß sie sich bei mir so zahlreich einstellen und in so mancherlei 25
Arten, verdanke ich den verschiedenen Lebensräumen, die sie in meiner Wohnlage vorfinden. Deutlich kann ich vier solche Vogelräume unterscheiden: Das sind einmal drüben die hohen, alten Alleebäume mit den Kastanien und Linden und die hochragenden Pappeln jenseits der Allee. Zu diesem Lebensraum gehören Spechte, Kernbeißer, Kleiber, Baumläufer. Den zweiten Bereich bilden die Gebäude in meiner Nachbarschaft, im Mittelpunkt Schlachthaus und Scheune, im Winter Lebensraum für Hausspatzen, Stare, Saatkrähen und gelegentlich auch für die Goldammern, im Sommer für Hausspatz, Star, Hausrotschwanz, Graue Fliegenschnäpper, Weiße Bachstelze und Rauchschwalbe. Die vielen Obst- und Gemüsegärten mit Gebüsch, Buschobst und hochstämmigen Obstbäumen, darunter mein hoher alter Birnbaum, machen den dritten Lebensraum aus. Im Winter bergen die Gärten in Menge Grünlinge, Kohl-, Blau- und Nonnenmeisen, Gimpel, Buch- und Bergfinken, Kleinspechte, Rotkehlchen und Amseln. Auch Eichelhäher und Elster suchen diesen Raum auf, dazu treten im Sommer Gartenrotschwanz, Trauerschnäpper, ZilpZalp, Fitis, Dorngrasmücke und Mönch, Hänftling und Girlitz. Vierter Lebensraum ist der Rhumekanal mit den Uferpartien, mit dichtem Weidengebüsch und Unkrautstreeken; zur Winterzeit leben hier oder tauchen doch vorübergehend auf: Zwergtaucher, Grünfüssiges Teichhuhn, Stockente, Eisvogel, Gebirgsstelze, Zaunkönig, Feldspatz und Stieglitz. Im Sommer kommt als vorübergehender Gast die Uferschwalbe hinzu, als Brutvogel der Sumpfoder Getreiderohrsänger, auch Gebirgsstelze und Zaunkönig brüten hier, der Rote Milan aber betrachtet Schlachthof, Rhumekanal und gewisse Hühnerausläufe als ,,Jagd"gebiet. Vier voneinander abgegrenzte und verschiedene Lebensräume, die von einzelnen dieser Vogelarten sehr streng innegehalten werden. Andere halten die Grenzen nicht ein und machen Ausflüge aus ihrem eigentlichen Lebensraum in die Nachbargebicte. Manche haben zwei Lebensräume, die nebencinanderliegen, sozusagen als einen. Wieder andere betrachten das gesamte Gebiet als ihr Reich. Am Rhumekanal trinken und baden viele. So bilden die vier Reviere schließlich eine einzige große Vogelheimat. Der Raum umfaßt etwa 300 X 200 = 60 000 Quadratmeter = 24 Mor26
gen = 6 Hektar. Kein sehr großer Raum, und doch, welche Fülle von Vogelleben birgt er im Winter wie im Sommer! Was die Vögel hier festhält oder sie hierherlockt? Im Winter hauptsächlich die Nahrung und für Spechte, Kleiber und Meisen auch die Schlafgelegenheiten, im Sommer ebenfalls die Nahrung und die Brutgelegenheit, andere lockt nur der Nahrungsreichtum, wie Hausschwalben und Segler. Was in die sem Raum fehlt, sind Gruppen von Nadelholzbäumen, es gibt kaum einen Nadelholzbaum. Dann dürfte ich auch noch mit Tannen- und Haubenmeisen sowie Goldhähnchen rechnen. Aber man kann nicht alles zusammen haben, und ich freue mich an der Reichhaltigkeit und Buntheit dessen, was da ist. Vielleicht bekommt auch der Leser Freude daran, bei sich daheim eine Fütterung am Fenster, auf dem Balkon oder im Garten einzurichten. Man bringt zugleich den Vögeln eine wirkliche Hilfe. Eine Meise hat bei Schnee und Kälte, insbesondere aber bei Rauhreif, allergrößte Mühe, ihren Hunger zu stillen. An den kurzen Wintertagen hat sie nur acht Stunden Zeit dazu anstatt wie im Sommer, wenn der Tisch an sich schon reich gedeckt ist, vierzehn bis fünfzehn Stunden. Das in acht Stunden mühsam Zusammengesuchte soll dann für sechzehn Stunden dunkler und kalter Nacht vorhalten! Man helfe also! Eine solche Fensterfütterung bringt dem Tierfreund viele beglückende Erkenntnisse. Ohne Anstrengung und so bequem wie möglich hat er Gelegenheit, eine Vielzahl von Gefiederten so genau kennen zu lernen, wie das draußen kaum möglich ist. Rückt man in freier Natur dem Vogel zu dicht auf den Leib, so fliegt er weg, und man hat das Nachsehen. Das Futter aber gewöhnt ihn an die Nähe des Menschen. Auf dreißig bis vierzig Zentimeter Entfernung kommt er heran, präsentiert sich von allen Seiten und läßt sich genau studieren. Man kann nun sehen, wie unterschiedlich Körnerfresser, Meisen, Kleiber und Spechte. einen Sonnenblumenkern enthülsen, und man lernt die Charaktereigentümlichkeiten der Arten kennen. Freilich, in einem versagen unsere Vögel im Winter: Sie singen nicht. Ein kurzer Lockruf, ein ärgerliches ..Sehimpfen 1 ' ist 27
ihre ganze Musik, es sei denn, die warme Februarsonne verlocke den Kohlmeisenhahn einmal dazu, seine Geigen zu versuchen, oder die Amsel beginne zu „stümpern". Der volle Gesang ist es noch nicht. Erst Ende März fangen die Finken an zu schlagen. Der einzige, der auch im Winter singt, ist der Zaunkönig. Was man füttern soll? Schon Jahrelang gebe ich mein selbsthergestelltes Gemisch aus Sonnenblumenkernen und ßindstalg. Talg wie Kerne werden von allen Körnerfressern gern genommen. Amsel und Rotkehlchen picken nur im Talg. Manchmal kaufe ich im Laden der Mühle eine Tüte Unkrautsamen für wenige Pfennige. Die Körnerfresser suchen sich das beste heraus, die Meisen nehmen nicht viel davon. Rechts und links oben hängen außerdem die Meisenringe, da können die Meisen fressen, wenn Talg- und Körnerblech von Körnerfressern besetzt sind. Ein Futterhäuschen wäre für meinen Betrieb viel zu klein, es gäbe nur eine dauernde Zänkerei, und zudem brauchen die Vögel keine Überdachung am Fenster, sie sind vom Regen her an Nässe gewöhnt. Sollte Schnee fallen, fegt man ihn mit einem Handfeger vom festen Futterkuchen herunter. Die Vögel sind durch die Bank abgehärtet, und man darf sie nicht verwöhnen. W e r von ihnen im Dasein nicht bestehen kann, weil er krank oder zu schwach ist, wird von der Natur ausgemerzt. Sperber, Eulen, Hermelin, Wiesel, Iltis wissen das Schwache mit erstaunlichem Instinkt herauszufinden und vor langen Qualen zu bewahren. Als der Frühling kam — er zögerte lange mit seiner Ankunft —, als Zilpzalp und Fitis wieder ihren schlichten Gesang hören ließen und Bäume und Sträucher grün zu werden begannen, änderte sich die Szenerie, und neue Bilder zogen an meinem Beobachtungsplatz vorüber. Ich sah die ersten Ankömmlinge durch die Zweige schlüpfen und nach Deckung suchen, die noch gar nicht vorhanden war. Kurz vor Mitte April saß der Hausrotschwanz auf dem Giebel der Scheune und ließ sein Liedchen ertönen, sofern der Amselhahn das genehmigte und seinen Stammplatz nicht für sich haben wollte. Die Rauchschwalben hielten sich merkwürdig lange zurück, und als sie endlich da waren, war ihre Anzahl erschreckend gering. Die Zeitungen meldeten, daß große Zugvögelscharen in üble Wetterstürme geraten und wohl zu Tau28
senden umgekommen seien. Nach Helgoland, dem beliebten Umschlagbahnhof der Zugvögel, hatte man große Futtermassen geschafft, um dort zu retten, was noch zu retten war. Auch von Haus- oder Mehlschwalbe konnte ich überm Rhumekanal lange nur ein Pärchen beobachten. Beide Schwalbenarten lassen sich auch im Flug leicht unterscheiden: Die Rauchschwalbe hat einen langen, gegabelten Schwanz und eine rotbraune Kehle, die Hausschwalbe einen kurzen, gegabelten Schwanz und eine bis zur Kehle hinauf weiße Unterseite. Beide haben auch verschiedene Brutgewohnheiten: Die Hausschwalbe klebt ihre Nester außen ans Haus, natürlich möglichst unter einen Dachvorsprung, die Rauchschwalbe baut ihre Nester, meist auf einer Unterlage, in den Stall. Beide Arten konnte ich ständig fliegen sehen, zu welchem Fenster ich auch hinausschaute. Häufig ruhten sie auf dem Draht der Lichtleitung aus und zwitscherten. Sehr oft — keineswegs nur hei Regenwetter oder wenn Regen zu erwarten war — flogen sie dicht überm Rhumekanal, da mochte es die meisten Insekten geben. Als ich ihnen beim Jagdspiel zusah, zog eine fremde Schwalbe über den Kanal, braun auf dem Rücken. Bevor ich das Glas an die Augen heben konnte, war sie schon vorbei. Aber gleich mußte sie wiederkommen. Richtig, da war sie wieder; eine Uferschwalbe. Zwei Kilometer aufwärts an der Rhume ist eine Steilwand mit einer ausgedehnten Kolonie. Ähnlich wie der Eisvogel graben sich die Uferschwalben Röhren in den Lehm, an den Gangenden befinden sich die Bruthöhlen. Bei schlechtem Wetter dehnten die Vögel ihre Jagd weit aus, um für sich und die Jungen genug Futter zusammenzubekommen. Die Kolonie war nicht mehr so stark besetzt wie früher, und so zeigte sich die Uferschwalbe jetzt auch viel seltener. Ende April waren Gartenrotschwanz und Grauer Fliegenschnäpper da. Fliegenschnäpper und Rotschwänze brüteten in der Giebelwand der Scheune, dort, wo Ziegel herausgefallen waren. Sie vertrugen sich, oft saßen sie einträchtig nebeneinander auf dem Antennendraht oder in einem der Bäume, jagten von dort aus auf fliegende Insekten und schlugen merkwürdige Kapriolen. Die drei fütterten schon Junge und mußten fleißige Arbeit leisten. Auch die Bachstelzen, die in der anderen Scheu29
nenwand nisten, fütterten schon ihren Nachwuchs, sie wählten sich dazu das Scheunendach aus. Schon wippten die Jungen auf ihren Schwänzen. In ein paar Tagen würden sie verschwunden sein und selbständig auf Insektenjagd gehen. In der Nähe brütete wohl auch der schwarze und weiße Trauerfliegenschnäpper, denn vor ein paar Tagen flog einer aus einem der Apfelbäume. Er hatte dort vermutlich eine Höhle entdeckt, die ihm zusagte; denn Brutkästen für Halbhöhlenbrüter, wie er einer ist, sah ich nirgendwo aufgehängt. Noch sangen Dorn- und Mönchgrasniücke, freilich, lange konnte es nicht mehr dauern. Auch Hänfling und Girlitz mußten in der Nähe hausen, ich sah auch sie gelegentlich auf dem Lichtkabel hocken. Den ganzen Tag über und auch noch in der Nacht schwatzte unermüdlich der Sumpf- oder Getreiderohrsänger. Er saß in den Weiden. Man hört es am Gesang, daß er zur Familie der Rohrsänger zählt, wenn er auch nicht entfernt die Tonstärke seines grüßten Vetters, des Drosselrohrsängers, erreicht. An einem klaren Mondscheinabend dem Singen eines Rohrsängerchors zu lauschen, ist ein Genuß ganz eigener Art. Morgens um 4 Uhr hörte ich zum erstenmal den Kuckuck nach seinem Weibchen rufen. Hier gab es für den Brutschmarotzer manch günstige Gelegenheit: Bachstelze, Zaunkönig und Grasmücke boten ihm, wenn auch nicht eben freiwillig, ihre Nester an. Noch früher waren die Mauersegler auf Jagd. Der erste zeigte sich am 27. April, aber die große Masse kam erst Anfang Mai. Bald war der Schwärm von dreißig Stück, als erst die Jungen ausflogen, verdreifacht. Ihrer gewandten Flugkunst zuzuschauen bereitete immer wieder neue Freude. Ebenfalls in aller Frühe, wenn kaum ein Mensch auf den Beinen war, trieb sich ganz heimlich ein Rabenkrähenpaar in den Obstgärten herum. Anfang April hatten sie Obstreiser abgeknickt zum Nestbau. Jetzt gingen sie auf Raub aus, um Atzung zu stehlen. Hütet euch, ihr kleinen Vögel! Die Eier und Jungen sind in Gefahr! An einem Nachmittag, als ich zufällig durchs Fenster blickte, flogen vier seltene Durchzügler vorüber, Richtung West-Ost. Es waren Fischreiher, ich erkannte sie deutlich an den eingezogenen Hälsen. Eine eigentliche Reiherkolonie hatten wir nicht in un30
serer Nähe, aber einzelne Paare mußten doch wohl öfter in der Nachbarschaft brüten. Im W i n t e r standen häufig ein oder zwei in dem nassen Dreieck zwischen Leine und Rhume kurz vor |deren Mündung und fischten, oder sie standen ausruhend auf einem der dort vorhandenen hohen Bäume. Noch rief der Kuckuck, noch eilten die Mauersegler ohne ihre Jungen mit immer wieder überraschenden Wendungen durch die Lüfte. Noch anderthalb Monate — dann würden Kuckuck und Mauersegler verschwinden, und Ende September würde der Kreislauf geschlossen sein, den ich in seinem bunten Ablauf nun schon jahrelang verfolge. Und wieder würde es von vorn beginnen, mit Kleiber und Specht, mit Grünling und Spatz, Kernbeißer und Gimpel vor meinem Fenster.
Umschlaggestaltung und Zeichnungen: Karlheinz Dobsky Fotos: Niestli, Schünemann, Behrens (sämtlich Bavaria). Bild auf Urasehlagsei'te 2: Eisvogel
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(Naturkunde) H e f t p r e i s 2 5 P f g .
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Amsel, Misteldrossel - Singdrossel, Nachtigall Fitis- und Waldlaubsänger - Weidenlaubsänger, Zaunkönig Garten- und Mönchsgrasmücke - Feld- und Heidelerche Drossel- und Teichrohrsänger - Sumpfrohrsänger, Gelbspötter Hausrotschwanz, Gartenrotschwanz - ßraunkehlchen und Rotkehlchen Buchfink - Distelfink und Grünfink Kohlmeise, Nonnenmeise, Tannenmeise - Baumpieper, Dorngrasmücke Ringeltaube und Eichelhäher, Turteltaube - Grünspecht, Grauspecht, Schwarz- und Buntspecht Feldgrille und Hausgrille - Maulwurfsgrille, Laubheu> schrecke, Singzikade Goldammer, Grauammer - Rauchschwalbe, Uferschwalbe Pirol (Ruf u.Ges.), Star-Trauerfliegenschnäpper,Neuntöter Star, Sumpfrohrsänger - Mönchsgrasmücke
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