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VIELE MILLIONEN LESEBOGEN mit 188 verschiedenen Titeln stehen bereits auf den Bücherborden und in den Bücherschränken unserer Leser. Aus der „Kleinen Bibliothek des Wissens", die wir vor Jahren begonnen haben, ist eine stattliche Schriftenreihe geworden. Das gesamte Wissen unserer Zeit ist in diesen Sachheften gesammelt und wird alle vierzehn Tage durch einen weiteren Lesebogen ergänzt. Spannend, belehrend, bildend und verständlich — das sind die Grundsätze, nach denen die Verfasser der bunten Hefte alle Gebiete der Naturforschung, Technik, Erdkunde, Geschichte, Dichtung und Kunst behandeln. Über den Wert der Lux-Lesebogen gibt es nur ein Urteil: „Eine der schönsten Kulturleistungen der Nachkriegszeit". J E T Z T ZUM J A H R E S E N D E ist es wieder Zeit, an die Bestellung der preiswerten und praktischen Kassetten zu denken, die sich für die Aufbewahrung der Lux-Lesebogen vorzüglich bewährt haben. Sie lassen sich wie ein Buch in die Hausbücherei einordnen und erlauben doch das Herausnehmen jedes einzelnen Heftes. Die schmucke, karmesinrote Kassette ist zweiteilig, sie besteht aus einer Einsteckkassette, und der Außenhülle. Das goldene Rückenschild trägt die Aufschrift: „Lux-Lesebogen". Ganz nach Belieben kann nun der Leser mit der mitgelieferten Zusatzfolie die Kassetten nach Jahrgängen oder nach Sachgebieten etikettieren. Die Zusatzschilder sind für diesen Zweck mit folgenden Aufdrucken in Goldschrift versehen: Kunst und Dichtung, Geschichte, Völker und Länder, Tiere und Pflanzen, Physik und Technik, Sternenkunde. DIE L U X - L E S E B O G E N - K A S S E T T E ist für einen vollen Jahrgang, 24 Hefte, berechnet. Preis DM 1.20 einschließlich Versand. Bezug durch jede Buchhandlung oder unmittelbar vom Verlag. Wird beim Verlag bestellt, bitten wir, den Betrag von DM 1.20 auf das Postscheckkonto München 73323 (Sebastian Lux) einzuzahlen.
VERLAG S E B A S T I A N LUX MURNAU . M Ü N C H E N • I N N S B R U C K
ÖLTEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KU LT U R K U N D L I C H E
HEFTE
Hans Wilhelm Smolik
Vom Instinkt der Tiere Das gröfjte Rätsel in der Tierwelt
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU-MONCHENINNSBRUCK-OLTEN
Der unbekannte Kompaß
Q . ^fcieben Tage und sieben Nächte ging der Aufruhr des Frühlings
K_/durch das Land. Donnernd stürzten die Schneelawinen von den Bergen in die Täler. Die Wildbäche sprengten ihre Eispanzer und wälzten die andrängenden Wasser durch Klamm und Kluft. Die Flüsso schwollen an, traten weit über ihre Ufer und überschwemmten die noch wintergrauen Auen. Die Tannen und Fichten warfen die weißen Hauben von ihren Wipfeln und reckten sich ins Licht. Silbern sprangen die Weidenkätzchen aus ihren festen Knospenkapuzen. Die Haselbüsche stäubten, und um die Mittagsstunden war die Luft so weich und sanft wie Samt und Seide. Mitten in einer dieser föhndurchbrausten Frühlingsnächte kehrt die Rauchschwalbe von ihrer großen Reise zurück. Mit traumwandlerischer Sicherheit findet sie den alten Brutplatz in unserem Bauernhaus. Wie selbstverständlich fliegt sie durchs offene Fenster und schaut nach ihrem Nest im Kuhstall. Tausende von Kilometern ist die Schwalbe geflogen, vom Nil im fernen Afrika bis in ihre und unsere Heimat. Kein Unwetter hat sie aufhalten können. Kein Berg war ihr zu hoch, keine Nacht zu dunkel und kein Gegenwind zu stark. Unentwegt stürmte sie vorwärts und überwand alle Gefahren und Beschwernisse der weiten Fahrt. Grenzt es nicht ans Wunderbare, daß ein solch zarter, kleiner Vogel eine so große Leistung zu vollbringen vermochte, daß seine Flügel ihn auf einer fest umrissenen Zugstraße über Berge und Wüsten, Länder und Meere trugen! Wie klein und fein ist dieses natürliche Flugzeug gebaut, das auf der großen Reise Abend um Abend gestartet ist und die gewaltige Strecke in wenigen Tagen bezwungen hat! Wie unzuverlässig und unwirsch hat sich nach dem Überqueren der Alpen das Wetter gezeigt, wenn heftige Regenschauer und wilde Schneegestöber einander ablösten; wie 2
kalt erwiesen sich die langen Nächte in dieser Jahreszeit, und wie karg war noch das Futter für diese reisenden Insektenfresser! Oft und oft mag der kleine, kühne Flieger gehungert und gefroren haben, mag er ohne warmen Unterschlupf und sicheres Obdach geblieben sein. Wenn wir das alles erwägen, so erscheint es unbegreiflich, daß sich die Schwalbe zu uns zurückfand. Niemand weiß, welche Macht die Schwalbe dazu trieb, daß sie jetzt aus den Quartieren des Südens aufstieg, damit sie rechtzeitig zum Frühlingsanfang in der alten Heimat landete. Niemand kann sagen, wer ihr dort unten in Afrika den Befehl gab, nun aufzubrechen, und vor allem, wer ihr den Weg wies, wer ihr half, aus tausend Tälern das heimatliche Tal, aus zehntausend Ortschaften den alten Brutort und aus vielen hunderttausend Bauernhäusern unfehlbar das unsere wiederzufinden. Wir stehen vor Rätseln, für die es manche Erklärungsversur1--* gibt; aber im letzten hat sie noch kein Mensch zu lösen vermocht. Die Schwalbe ist zwar im Herbst diesen Weg schon einmal geflogen. Aber sie flog ihn wie auch jetzt bei ihrer Rückkehr in dunkler Nacht; damals waren die Wiesen noch grün, die Wälder noch belaubt. Wo bei ihrem Flug gegen Süden mächtige Laubgewölbe rauschten, ragen heute dürre Zweigbesen und dunkles Astwerk in die Luft. Zudem ist die Nacht der Schwalbe, diesem echten Tagvogel, durchaus nicht vertraut; und doch muß sie in der Nacht fliegen, um sich tagsüber der Insektenjagd widmen zu können. Unmöglich würde sie diese anstrengende Reise bestehen, wenn sie sich am Tage nicht halbwegs sattfuttern könnte. Ihre Leistung ist um so eindrucksvoller, als die Schwalbe jetzt den Weg im Alleinflug mit ihrem Männchen finden mußte, während sie im vergangenen Herbst im großen wimmelnden Haufen flog, der allüberall dort Rast einlegte, wo es sich noch leicht leben ließ.
Sie kennen Richtung und Ziel Trotz allem, es ist wirklich dieselbe Schwalbe, die schon im vorigen Jahre hier genistet hat. Der Ring an ihrem Fuß beweist es einwandfrei. Diese Ringe verraten uns, daß nicht nur Schwalben, sondern auch Mauersegler und Hausrotschwänzchen, Stare und Störche und viele andere Vögel den Trieb in sich spüren, regel3
mäßig und jahrelang bestimmte Fernziele anzustreben und nach den Monaten des Südaufenhaltes zur vertrauten Niststätte zurückzukehren. Alle Zugvögel haben diesen rätselhaften Wandertrieb und den wunderbaren Orientierungssinn, diesen geheimnisvollen Kompaß in der Brust oder im Gehirn, der ihnen den Weg weist. Selbst junge Vögel, die man im Herbst von den wegerfahrenen Altvögeln trennt, Hunderte von Kilometern wegführt und dann erst aufsteigen läßt, finden den Weg ins weit entlegene Winterquartier. Auch die jungen Kuckucke und Jungstare kennen Richtung und Ziel, obwohl sie erst viel später als die Altvögel auf die große Reise gehen und keinerlei Reiseerfahrung und Landschaftskenntnisse besitzen können. Derselbe Kompaß leitet auch die Brieftauben, die sich immer wieder in den heimatlichen Schlag zurückfinden, ganz gleich, von welchem ihnen völlig unbekannten Ort man sie aufsteigen laßt. Und nicht nur die Vögel, sondern auch manche Insekten, Fische und Säugetiere besitzen einen solchen Richtungs- und Fernsinn. Wie wäre es sonst zu erklären, daß die kleine Honigbiene auf der Suche nach Nektar- und Pollenweiden oft kilometerweit durchs Land schwirrt und doch wieder ihren Stock findet? Wie könnten sich sonst die Honigbienen durch ihre berühmten Schwänzeltänze genau die Richtung der gefundenen Weide, deren Winkel zum Sonnenstand und deren Entfernung vom Stock mitteilen? Ebensowenig würden sich ohne diesen inneren Kompaß und Richtungssinn die Kamele durch weite Sandwüsten, die Pferde durch endlose Steppen, die weggegebenen Katzen zum alten Heim und die verkauften Hunde zum bisherigen Herrn zurückfinden. Seihst wenn wir die Hunde und Katzen in verschlossenen Behältern und mit der Bahn auf große Entfernungen verschicken, kehren die Tiere doch oftmals wieder zurück. In diesen Fällen können ihnen nicht ihre feinen Nasen noch ihre scharfen Ohren noch ihre so hochentwickelten Tastsinne helfen. Sie können sich keine Landschaftsmerkmale einprägen, können keinen Spuren folgen und können keinen vertrauten Geräuschen nachgehen. Alle Forscher und Entdecker bestätigen es un6 immer wieder: Wenn der Mensch nicht mehr ein und aus weiß, die Tiere wissen oft genau den Weg. "Unbeirrbar, von ihrem Instinkt geleitet, streben sie durch Nacht und Nebel, durch Sandstürme und dichtes Flockentreiben dem heimatlichen Ort zu. Jeder*Mensch in solchen Nöten tut gut, sich der Führung der Tiere anzuvertrauen. 4
Der Vogelzug ist eine der erstaunlichsten Erscheinungen im Reich der Tiere. Die Karte zeigt als Beispiel die beiden Wanderwege, die aus ererbtem Instinkt die Störche auf ihrer alljährlichen Wanderung einschlagen. (Punkte: Reiseweg der Störche westlich der Weser) Kreuze: Kurs der Störche östlich der Weser.)
Die
vererbten
Baupläne
Diesem erstaunlidien Orientierungsvermögen, das wir nur zum geringsten Teil kennen oder ausdeuten können, gesellt sich bei den Gefiederten, ebenso rätselhaft, der Drang zum Nestbau. Denn seht, die heimgekehrte Schwalbe beginnt nach wenigen Tagen ein seltsames Treiben. Sie fliegt zum Teich, klaubt kleine Klümpchen fetter Schlammerde auf, überzieht sie mit ihrem Speichel und pappt sie an die Stallwand. Hin und wieder mauert sie auch einen kurzen Strohhalm als Bindemittel dazwischen. Wie ein gelernter Handwerker schafft sie, wie ein Maurer, der den Bauplan vorher gründlich studiert hat. Aber von Studieren ist keine Rede; denn jedes junge Schwalbenweibchen, das sein allererstes Nest baut, versteht es, genau das gleiche kunstvolle Werk zu vollbringen. Auch das Nest des Erstbrüters gleicht dem Viertel einer Hohlkugel, die für die ganze Art kennzeichnend ist. Und immer befinden sich die Nester der Rauchschwalben innerhalb der Gebäude, während die Mehlschwalben nur die Außenwände bevorzugen. Keine Schwalbe bedarf dazu einer Anleitung oder Erfahrung oder benötigt irgendwelche fremden Hilfsmittel. So sicher, wie sie sich heimfinden, so sicher sind sie plötzlich vollendete Baukünstlerinnen. Sachgemäß fügen sie Klümpchen an Klümpchen, geben dem Nest einen waagerechten Rand und polstern es fein mit Haaren, Hälmchen und Federn. Mit der gleichen selbstverständlichen Kunstfertigkeit türmt der Storeh, ohne es gelernt zu haben, auf dem Kirchendach einen gewaltigen Reisighaufen auf, trägt der Star den Niststoff in den Starenkasten, wirkt der Haussperling an seinem einfachen Napf. Die Fähigkeiten dazu liegen ihnen gleichsam im Blute, wurden ihnen angeboren und vererbt. Irgendwo in ihrem Innern muß der Bauplan in allen Einzelheiten festgelegt sein. Und jede Vogelart hat ihre ganz bestimmte Nestform. Sie können einfach nicht anders bauen! Selbst der Storch vermöchte niemals ein Taubennest oder der Sperling ein Schwalbennest zu bauen. Auch die Bienen in ihrem Stock, die dort in einer Bautraube in der Wabe hängen und sechseckige Zellen aus Wachs formen« sind fest an den ihnen angeborenen Bienenzellenbanplan gebunden. Nie brächten es diese Künstlerinnen zustande, eine Hummelzelle anzufertigen. Der ihrer Art gemäße Bauplan ist wie ein Gesetz, ein Gebot, das sie kaum einmal umstoßen und selten umgehen. Dieses Gestz bestimmt, daß die Schwalben mauern, die Pirole 6
•weben, die Finken wirken, die Spechte meißeln und zimmern, die Eisvögel graben, die Bienen mit Wachs, die Wespen mit zerkautem Holz, die Ameisen mit zusammengetragenen Nadeln und Zweigstückehen bauen. Und innerhalb jeder Tiergattung hat wiederum fast jede Familie ihre eigenen bautechnischen Besonderheiten, die nur sie allein beherrscht. Es wäre unsinnig, von einem Hamster zu erwarten, daß er eine Maulwurfsburg baut, oder daß der Hase sich eine Biberhütte oder das Wildkaninchen einen Dachsbau anlegt. Die tierischen Baukünstler, diese wahrhaft vom Himmel gefallenen Meister, bauen vor allem, um ihrer Nachkommenschaft eine feste und gute Kinderstube zu schaffen. Der ihnen angeborene Bautrieb bestimmt erst dann ihr Handeln, wird in ihnen meist erst dann rege, wenn sie sich paaren wollen oder soeben gepaart haben. Dann auch werden zugleich all die wunderbaren Baufertigkeiten aktiv, die bis dahin geschlummert haben, und es entstehen in überraschend kurzer Zeit die so vielgestaltigen Vogelnester und die nicht weniger erstaunlichen Eierwiegen der Insekten. Um ihre Eier gut unterbringen zu können, werden die Mistkäfer zu wahren Bergleuten, die Pillenwespen zu kunstvollen Töpfern, die Mohnbienen zu geschickten Tapezierern und die Schlupfwespen zu erfahrenen Höhlenbauern. Eine besonders heimliche Wochenstube baut sich auch das tragende Kaninchen. Es erregt immer wieder Bewunderung, wenn man beobachtet, wie die Häsin einige Zeit, bevor sie ihre Jungen wirft, im dunkelsten Winkel des Stalles ein warmes Nest herrichtet und für den -erwarteten Nachwuchs ein molliges Polsterlager bereitet. Ohne Rücksicht auf das eigene Wohlbefinden und gefälliges Aussehen zupft sich das Kaninchen die benötigte Polsterwolle aus dem eigenen Fell, so daß an Brust und Bauch große Kahlstellen zurückbleiben. Ähnlich sorgsame Vorbereitungen treffen übrigens auch alle anderen Höhlenbewohner, wie die Mäuse und Maulwürfe, die Fischottern und Biber, die Dachse und Füchse, selbst wenn sie noch nie Jungtiere gehabt haben. Es wirkt das alles auf uns, als ob die Tiere in sorglicher Vorausschau nichts versäumen wollten, was ihren Jungen eine sichere und gemütliche Kinderstube sichert. In Wirklichkeit aber ist e» nicht ihr eigenes Denken, Planen und Überlegen, sondern ein un§ unbekanntes Gesetz, dem sie gehorchen, das ihr Handeln bestimmt. Den Bauplan haben die Tiere nicht selbst erdacht und ersonnen, die Baufähigkeiten haben sie sich nicht erworben und angeeignet. Nein, Plan und Fertigkeit sind in sie hineingelegt und auch die
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notwendigen körpereigenen Werkzeuge für die mannigfaltigsten Lebensaufgaben sind ihnen mitgegeben. Gerade diese natürlichen Werkzeuge, wie zum Beispiel die Grabepfote des Maulwurfs, der so vielseitig verwendungsfähige Schnabel des Vogels, die Spinndrüsen der Käfer, der Schmetterlinge und Spinnen, die Beinharken des Mistkäfers, die Kiefernzangen der Bienen und Ameisen und ihre instinktiv zweckvolle Anwendung beweisen uns, daß das Tier gleichsam wie von einer gütigen Fee besdienkt wurde. Denn diese Werkzeuge konnte es sich unmöglich selbst schaffen, wie der Mensch das tat, der die Werkzeuge, Zange und Hammer, Webstuhl und Töpferscheibe, Maurerkelle und Nähnadel selber erfand und sie immer weiter entwickelte. Nein, das große Rätsel der vererbten Baupläne ist zugleich das große Lebensrätsel selbst. Mit dem Wort „Instinkt" ist dieses Rätsel weder gelöst, noch das entsprechende tierische Verhalten erklärt. Hier haben es sich jene Gelehrten des vergangenen Jahrhunderts ein bißchen zu leicht gemacht, die im Tier und seinem Verhalten einen gut konstruierten Mechanismus sahen. Die Tiere sind weder aufgezogene Maschinen, die blind und unbewußt leben, noch sind sie in der Lage gewesen, von sich aus das Leben zu meistern. Das Geheimnis des Instinkts kann durch rein mechanische Kräfte nicht aufgehellt werden.
Das
Wunder
der
Brutpflege
Unsere Stallschwalbe hat jetzt ihr Nest vollendet, hat inzwischen auch ein Gelege von sechs Eiern beisammen und verwandelt sich nun in einen kleinen natürlichen Brutofen. Mit ihrem Leib, mit ihrer sich nunmehr von Tag zu Tag steigernden Körperwärme verschafft sie dem werdenden Leben in den Eiern die Temperatur, die es zu seiner Entwicklung braucht. Nur wenige Stunden wagt sie das Nest zu verlassen, um sich notdürftig zu sättigen. Ab und zu trägt ihr auch das Männchen einen Happen zu. Viele andere Vogelmännchen lösen sogar ihre Frau beim Brüten ab, damit sich die Eier nur ja nicht abkühlen und Schaden nehmen. Es ist. als kennten die Weibchen und die Männchen, die ihnen helfen, genau die Temperaturhöhe, die für ein gutes Brutgeschäft erforderlich ist. Pünktlich und wie nach der Uhr stellen sich die Männchen am Neste ein und geben durch ganz bestimmte Zeichen und Laute ihren Ablösungswillen kund. 8
Niemals vergessen die brütenden Vögel, die Eier gewissenhaft zu wenden und zu ordnen, damit ihnen die Wärme auch gleichmäßig und von allen Seiten zuteil wird. Mit unwahrscheinlicher Geduld hocken diese sonst so beweglichen und quecksilbrigen Geschöpfe im Nest, halten zwölf, vierzehn, sechzehn, achtzehn, einundzwanzig Tage lang durch, je nachdem wie lange bei ihnen die Brutdauer währt. Die Vögel sind also seit Beginn ihres Lebens auch mit diesen Lebensgesetzen vertraut, die wir Menschen erst mühsam erforschen mußten. Sie erscheinen mit Sondersinnen begabt, unbewußt einsichtig und erfüllen den in ihnen wirksamen Auftrag willig, selbst unter großen Opfern Die Brutfürsorge bietet besonders erstaunliche Beispiele für angeborene, zielsichere und zweckvolle Verhaltensregeln des Tieres. Mit dem Einsatz seines Lebens versucht das Männchen der Rauchschwalbe und Eierdiebe vom Nest zu locken und entwickelt dabei noch schauspielerische Fähigkeiten. Es verteidigt und beschützt etwas, das es noch gar nicht kennt — seine Kinder, die noch unsichtbar in den Schalen ruhen. Und das gleiche sinnvolle Verhalten können wir bei fast allen anderen Tieren beobachten. Selbst viele Schlangen und Frösche, Fische und Insekten bewachen und behüten ihre Eier mit größter Sorgfalt. Die Riesenschlangen umschlingen ihren Eierschalz mit dem zusammengerollten Körper. Wie ein Berserker stürzt sich der kleine Stichling auf jeden anderen Fisch, der sich seinem Nest nähert, und sei er auch zehnmal größer als er selbst. Auf dem eigenen Rücken tragt das Männchen der Geburtshelferkröte die Eier mit sich herum, bis die Larven schlüpfen. Die Maulbrüterfische und der chilenische Nasenfrosch nehmen die Eier gar ins Maul, brüten sie dort aus und nähren den Nachwuchs mit Blut und Säften. Andere überseeische Frösche bergen ihre Eier in zusammengeklebten und schaumgefüllten Bananenblättern oder in Erdhöhlen, oder sie betonieren mit Schlamm kleine Bassins aus, in denen sie das Eigelege unterbringen. Wie böse Drachen hocken die Weibchen des Ohrwurmes und der Maulwurfsgrille auf ihrem gehäuften Eierschatz und sind bereit, sich jedem Feind entgegenzustürzen. An den Bauch heftet sich die Wolfsspinne das gewebte Eierbeutelchen und schleppt sich in wahrhaft rührender Weise damit ab. In einer körpereigenen Bruttasche bewahrt das Krebsweibchen seine Eier auf und ist ununterbrochen bemüht, ihnen Wasser und Luft zuzustrudeln. Mit einem tarnenden Schutzkleid von Hautschuppen, eigenen Haaren, mit Gespinsten und Kittverbänden versehen die 9
Schmetterlingsweibchen ihre Gelege. Die Wildbienen aber legen ihre Eier in honiggefüllte Zellen und vergessen nicht, die Eierwiegen geschickt zu tarnen. Unübersehbar ist die Fülle der Fürsorgemaßnahmen, die das Tier dem noch unbekannten Nachwuchs zuwendet. Mit großer Sachkenntnis pflegen die Arbeiterinnen der in großen Staaten lebenden Ameisen, Wespen, Honigbienen und Termiten die von den Königinnen gepflegten Eier, belecken und reinigen, betrillem und betasten sie und sorgen dafür, daß sie jederzeit die notwendige Wärme haben. Sie betreuen zugleich die ausschlüpfenden Larven, füttern sie,'helfen ihnen beim Verpuppen und nehmen sich dann auch noch dieser Puppen an.
Wer sagte es ihnen? Gerade bei den Tieren, deren Nachkommen zunächst die Larvenform annehmen, ist die ernährungs- und lebenstechnische Vorsorge der Elterntiere besonders überraschend. Sie verhalten sich so, als ob sie von irgendwem über die Lebensansprüche dieser Zwischenstufe, ihres Nachwuchses, der ihrer eigenen Körperform so gar nicht gleicht, genau unterrichtet worden wären. Wer aber sagte es ihnen? Die Weibchen der Sand- und Schlupfwespen werden um ihrer künftigen Kinder willen zu gefährlichen Wegelagerern und Buschkleppern. Sie überfallen Käfer, Spinnen, Heuschrecken und Raupen, lähmen sie durch wohlgezielte Stiche, schleppen sie in Erdhöhlen, legen auf ihnen ihr Ei ah und bestimmen sie so ihren Larven zum Fraß. Die Schlupfwespen legen ihre Eier gleich in die Überfallenen Raupen selbst hinein, verschaffen also den erwarteten Larvenkindern eine wandelnde Fleischkonserve, die sie nach dem Schlüpfen dann langsam aushöhlen können. Die Mistkäfer stecken ihre Eier in den Dung, den sie unter die Erde geschleppt und dort zu Würsten, Broten, Kuchen und Pillen geknetet und geformt haben. Die Totengräberkäfer unterziehen sich der großen Mühe, tote Mäuse, Vögel und Eidechsen zu begraben und legen ihre Eier dann in die Erdgruben dieser Grabkammern. Die Libellen schieben ihre Eier' sorgsam und einzeln in geschlitzte Stengel der Wasserpflanzen und werden dabei zu geschickten Tauchern. Mit ihrem Leibe umschlingen die Hundert- und Tausendfüßler, die Band- und Schnurfüßler ihre Eier und verzichten wochenlang auf jegliche Nahrung. Die Weberknechte und Heuschrecken, die Schnecken und Eidechsen, die Schildkröten und Krokodile vergraben ihre Eier im heißen Sand 10
oder warmen Schlick und Schlamm und lassen sie dort von der Sonne ausbrüten. Selbst unsere Haushühner, Enten und Gänse, deren Instinkte durch Züchtung viel von ihrer Zwangsläufigkeit verloren haben, suchen ihre Eier unserem Zugriff zu entziehen und verstecken und verlegen sie an alle möglichen heimlichen Orte. Die australischen Großfußhühner bauen sich aus welken Blättern 60gar einen richtigen Brutofen von vier bis sechs Meter Durchmesser und bedecken ihn dann noch dick mit Sand. Die Tiere lösen die ersten Lebensfragen ihres Nachwuchses in einer zielsicheren Vorausschau, und viele brauchen sich, nachdem sie die entsprechende Vorsorge getroffen haben, nicht mehr um ihre Nachkommen zu kümmern. Die Tiere entwickeln dabei derart bewundernswerte Fähigkeiten und haben einen so sicheren „Griff" in all ihrem vorsorglichen Tun, daß wir immer wieder erstaunen. Gerade auf dem weiten und wunderbaren Feld der Brutpflege aber erkennen wir klar, daß es sich hier nicht um eine im Lebenskampf und durch Erfahrung gewonnene Begabung handeln kann. Der fast hellseherische „Blick" in zukünftige Notwendigkeiten, der hier wirksam wird, ist eine der großartigsten, wenn auch unerklärlichen Erscheinungen der Schöpfungswelt.
Tiermütter und Tierkinder Denn wer könnte es nur halbwegs, nur ungefähr erklären, woher es die Insektenmütter wissen, wieviele gelähmte Raupen, wieviel zusammengeharkter Dung, wieviel gesammelte Pollen und aufgespeicherter Honig die Larven zu ihrer Entwicklung nötig haben? Sie können es weder von ihrem eigenen Larvenleben her, noch im Umgang mit ihren Larvenkindern erfahren haben. In den meisten Fällen sterben ja die Insektenmütter unmittelbar nach der Eiablage, lernen ihre Larvenkinder also gar nicht kennen. Dieses geheimnisvolle Wissen um die Vorratsportion bleibt ein großes Lebenswunder. Es ist ebenso unfaßbar, wie das Wissen der Sdimetterlingsmütter um die Futterpflanzenart, die einzig den Raupen zuträglich ist, wie die Kenntnis der Wespenmütter um den Frischfleischhunger ihrer Larven, der Schmeißfliegenmütter um den Bedarf an Futterstoff, den ihre Maden zum Wachsen brauchen. Es ist um so unfaßbarer, da eben diese Schmetterlinge, Wespen und Raupen ja selbst diese Kost gar nicht genießen, sondern samt und sonders im entwickelten Zustand harmlose Nektarnäscher sind. 11
Ein anderes Bild bietet sich uns, wenn wir jetzt unsere fütternden Schwalben beobachten. Bei ihnen ist vor allem zu bestaunen, wie unermüdlich sie stets das Nützliche tun, wenn sie gewissenhaft und wahrhaft aufopfernd ihre Jungen betreuen. Denn sie tragen den jungen Schwälbchen nicht'nur Futter zu, sondern sie sorgen auch dafür, daß ihre kleinen Rachen und Bürzel sauber bleiben, wärmen sie während der kühlen Nächte und befreien sie von allerlei lästigem Ungeziefer, das sie instinktiv als schädlich erkennen. Wieder andere Instinkthandlungen sind bei den Tauben zu bewundern. Denn wer fragen wollte, woher eigentlich die Altvögel wissen, daß die Jungen noch keine Körnerkost vertragen können und daß sie statt dessen eine Art Muttermilch aus dem Kropf bekommen müssen, der stände schon wieder vor einem Rätsel. Noch schleierhafter wird die Sache am Bienenstock, wenn wir feststellen, daß hier die jungen Larven von den Arbeiterinnen nicht mit Pollen und Honig, sondern mit einem Drüsen3aft gefüttert werden. Wer sagt das den Bienen? Woher haben sie diese Erfahrung gewonnen, und kann es überhaupt eine Erfahrung sein? Dann müßten sich ja die Saftdrüsen der Bienenhebammen auf Grund dieser Erfahrung erst gebildet haben. Aber so etwas gibt es nicht, daß sich Organe je nach Bedarf und auf Wunsch bilden. Auch hier wirkt wiederum der weise Wille der Natur und gibt den Honigbienen diesen für die Larvenernährung bestimmten Saft von Anfang an mit ins Leben. Es ist derselbe weise Wille, der die Dachsfähe mit dem Wissen begabt, das ihre Jungen monatelang nur vorverdaute und erbrochene Speisen vertragen können; der den Kreuzschnabel bestimmt, die harten Samenkerne in seinem Kropf erst aufzuweichen, ehe er sie an seine Nestkücken verfüttert; der dem Kaninchen voraussagt, daß seine kleinen, nackten und blinden Kinder ein dickes, weiches, warmes und dunkles Lager brauchen; der viele Säugetierweibchen veranlaß*, das Männchen aus dem Bau zu weisen oder es wegzubeißen, bevor der Nachwuchs kommt, weil die Männchen später „eifersüchtig" auf ihre Kinder sein werden und sie oft recht unlieb, ja roh behandeln oder auch auffressen würden. Darum wird kein Hamster, Maulwurf, Igel, Biber, Dachs und kein Kaninchenrammler in der Wochenstube gelitten. Es ist überhaupt meist die Säugetiermutter ganz allein, die aus einem angeborenen Antrieb heraus die Nachkommenschaft betreut und aufzieht, führt, belehrt und beschützt. Das können wir schon bei den Haustieren beobachten, bei Schweinen, Schafen, Ziegen, 12
Eseln, Rindern und Pferden. Bei den Haushühnern ist es nicht anders. Was bedeutet schon der schöne, stolze Vater Hahn für die Kücken, und was bedeutet dagegen diesen kleinen wuseligen Dingern die sorgende Hühnermutter, die Glucke!' Sie führt die Schar aus, sie lockt zum Futter, die scharrt vor, sie warnt vor jeder Gefähr, sie wärmt sie unter ihren Federn und sie geht tollkühn und todesmutig jeden Feind an, der die Kücken bedroht. Den doch viel wehrhafteren Hahn kümmert das Schicksal des piepsenden Federvölkchens nicht. Doch dürfen wir die Glucke nicht mit einer Menschenmutter vergleichen, so sehr wir manchmal dazu auch neigen mögen. Denn sie merkt es kaum, wenn wir die Hälfte der Kücken wegnehmen. Sie zeigt deswegen weder Unruhe noch Bedrücktheit. Aber sie unterscheidet doch alle ihre Kleinen sehr sicher von den vielen anderen Kücken des Hofes und hackt die Fremdlinge. Ein merklich tieferes Verbundensein zwischen Tiermutter und Tierkind gibt es wohl nur bei den hochentwickelten Säugetieren. Eine Ziege oder eine Eselin schreit tagelang nach den weggenommenen Jungen, verweigert die Nahrung und scheint wirklich zu leiden. Man wird auch immer wieder Zeuge von Zärtlichkeiten, die bei diesen Tieren zwischen Mutter und Kind ausgetauscht werden. Bei den Affen in den Tiergärten erlebt der Tiergärtner nicht selten, daß die Äffin nach dem Verlust eines Kindes seelisch erkrankt, körperlich kümmert und an ihrem Schmerz zugrunde geht. Hier wird also fast menschenähnlich empfunden und gehandelt. Solch gute, sorgende und rührende Tiermütter gibt es auch unter den Katzen, den Hunden, den Wildschweinen, den Rehen und Füchsen, den Bibern und Wölfen. Bei allen gilt die Einschränkung, daß diese liebende Einstellung, dieses starke Verbundensein nur so lange währt, wie die Jungen tatsächlich hilfs- und schutzbedürftig sind, also durchschnittlich höchstens ein Jahr. Danach beißen, kratzen und hacken auch die besten Tiermütter ihre Jungen weg und bringen ihnen auf diese Weise drastisch und deutlich bei, daß sie nun selbst für sich zu sorgen haben. Eine seelische Verbindung zwischen dem erwachsenen Tierkind und seinen Eltern gibt es in der ganzen Tierwelt nicht, selbst dort nicht, wo die Tiere in Rudeln, Familienverbänden und anderen Gemeinschaften leben. Und gerade aus dieser zeitlichen Beschränkung der Fürsorge wird klar, daß audi die Fürsorglichkeit der Tiereltern stark triebmäßige Wurzeln hat. Die Erhaltung der Art fordert, daß der lebenskräftig gewordene Nachwuchs frühzeitig den Kampf ums Dasein beginnt. 13
Vom Putzen, Kämmen und Baden Zur Fürsorge für die Jungen gehört in der Tierwelt auch das peinliche Sauberhalten. Sobald das Fohlen, das Kalb, das Lamm, das Zicklein, das Ferkelchen das Licht der Welt erblickt hat, wird es von der Mutter zuerst einmal gründlich abgeleckt. Das ist den Tiermüttern noch wichtiger als das Säugen. Mit diesem Säubern erwachen ihre Mutterinstinkte. Der Bauer weiß: Leckt die Tiermutter ihr Junges, so hat sie es als ihr Kind erkannt und angenommen und wird es auch weiterhin betreuen. Und genau so, wie die größeren Säugetiere, halten es auch die kleinen SäugöT, wie der Hund, die Katze, das Kaninchen, bis zur Hausmaus hinunter. Es gibt fast nirgends in der ganzen Tierwelt ein verwahrlostes und schmutzstarrendes Tierkind. Es sei denn, das Jungtier ist krank und nicht recht lebensfähig, so daß es aus diesem Grunde von der Tiermutter vernachlässigt wird. Besonders große Sorgfalt lassen die Vogelmütter walten. Sie nehmen den Nestkücken das Kotbällchen gleichsam vom Bürzel weg und tragen es fort. Das wird übrigens auch einwandfrei beim Wiedehopf beobachtet, von dem noch immer die Fabel umgeht, daß er der einzige Vogel sei, der sein Nest beschmutze. Peinlich putzen und säubern auch die Kindermädchen der Bienen nnd Wespen, Ameisen und Termiten die Eier, die Larven und Puppen. Gerade bei diesen in so großen Gemeinschaften und so dicht beieinander wohnenden Insekten ist der Reinlichkeitstrieb besonders stark — und muß es sein —, da in der Masse Krankheiten schnell zu verheerenden Seuchen werden können. Die erste Arbeit, der sich eine soeben geschlüpfte Biene, Wespe oder Ameise unterzieht, ist, sich selbst zu putzen und gleich danach die verlassene Zelle zu reinigen. Ehe die Königinnen in eine solche Zelle wieder ein Ei legen, überzeugen sie sich, ob sie auch wirklich sauber ist. In den Burgen dieser Insekten gibt es Straßenkehrer, die jeglichen Unrat beseitigen und auch alle gestorbenen Bürger entfernen. Viele Insekten, wie die Fliegen, die Käfer, die Schmetterlinge, die Bienen, Wespen und Ameisen, besitzen am ersten Beinpaar richtige Kämme und Bürsten, die ihre gründliehe Reinigung erleichtern. Man nennt diese Beine darum auch Putzbeine. Beobachtet man eine sich putzende Stubenfliege, so glaubt man, eine Akrobatin vor sich zu haben. Sie verrenkt sich nach allen Seiten, und fast sieht es so aus, als werde sich das eifrige Tier im nächsten Augenblick den Kopf abreißen. Wer hat nicht schon 11
die Sorgfalt bewundert, mit der sich unsere Hauskatzen, die Eichhörnchen und selbst die Mause und Ratten putzen, kämmen und waschen! Diese Tiere sind fast den ganzen Tag mit Säubern b e schäftigt. Es ist ein ulkiges Bild, wenn sich ein Hausinäuslein die Ohren wascht oder den langen Schwanz durchs Mäulchen zieht. Der Instinkt, der sie alle zur Reinlichkeit anhält, dient der Gesunderhaltung, dem körperlichen Wohlbehagen und vermutlich auch der Erhaltung des Eigengeruches, der im Gemeinschaftsleben der betreffenden Tiere für das Sichfinden und den Zusammenhalt große Bedeutung hat. Selbst Hausschweine haben das dringende Bedürfnis, sich zu suhlen, um dann mit dem erstarrten Schlamm auch alle Hautunreinigkeiten abzureiben. Wie die Hirsche, die Elche und die Wildschweine bevorzugen sie nun einmal dieses Schlammkrustenbad und halten sich auf diese Weise genau so sauber wie jedes andere Tier. Sie nehmen, was viele überraschen wird, gern auch ein Wasserbad, wir müssen ihnen nur Gelegenheit dazu geben. Wie gerne Vögel baden, zeigen uns nicht nur unsere Stallschwalben, sondern auch die Sperlinge, die Finken und die Amseln in unserem Garten, von den Wasservögeln ganz zu schweigen, die sich, wie Ente und Gans, das Wasser mit wahrer Wonne übers Gefieder werfen. Gewissenhaft wird nach dem Bade jede einzelne Feder wieder geglättet und eingefettet und ordentlich ins Gefieder eingebettet. Hühnervögel halten mehr von einem ausgiebigen Sandund Staubbad. Das Staubbad aber kennen auch viele kleine Singvögel, besonders die sogenannten Dreckspatzen und die Lerchen. Ein tägliches Bad verlangen geradezu die Arbeitselefanten. Werden sie nicht zum Fluß oder Teich geführt, so verweigern sie einfach den Dienst. Bei Elefanten können wir auch beobachten, daß sich die einzelnen Tiere gegenseitig säubern, daß das eine dem anderen hilft, die schwer erreichbaren Körperstellen abzuschrubben. Audi die Pferde reinigen sich, eines dem andern, Mähne, Widerrist und Kruppe mit den Zähnen, Kühe lecken sich untereinander Rücken und Hinterköpfe sauber. Berühmt und berüchtigt zugleich ist das sogenannte Lausen der Affen. In Wirklichkeit lesen sich die Affen nicht die Läuse oder Flohe aus dem Pelz, sondern entfernen sich gegenseitig die abschilfernden Hautschuppen. Solche Liebesdienste, die vielleicht durch geschmackliche Reize gefördert werden — die Schuppen schmecken salzig —, erweisen sich unter anderen auch die Bären, 15
die Murmeltiere, die Biber und die Eichkätzchen, sowie die Greife, Raben und Krähen. Nichts entbehrt also mehr der Grundlage, als wenn wir einen Tiernamen als einen Begriff der Unsauberkeit gebrauchen. Es gibt weder einen Schmutzfinken noch eine Drecksau. Im Gegenteil, wir könnten uns nur wünschen, daß auch in allen Menschen der Sauberkeitsinstinkt noch so lebendig und wirksam wäre wie im Tiere.
Die
geheime
Rangordnung
Großer Lärm auf dem Hühnerhof! Der Pfau und der Truthahn sind wieder einmal aneinander geraten. Und wie verbissen die beiden stolzen Vögel kämpfen! Hart auf hart geht es, Federn fliegen und Blut tropft. Dabei ist hier weder der Futterneid noch eine vererbte Feinschaft im Spiele. Nein, es geht lediglich darum, ein für allemal festzustellen, wer denn nun eigentlich der Herr des Hühnerhofes ist. Solche Kämpfe liefern sich auch die Hahne, die zusammen auf einem oder auf benachbarten Höfen leben, fechten die Gänseriche, die Ganter, mit anderen Gantern des Dorfes aus; sie spielen sich selbst unter der Hühnerschar ab. Ein Gesetz, das bei allen in Gemeinschaft lebenden Tieren gilt, fordert diese klare und einwandfreie Entscheidung. Dieses Gesetz, ein ursprünglicher Trieb, fordert einen festgelegten und genau eingeteilten Rangordnungsplan. Und diese Rangordnung wird dann wieder wie ein Gesetz gehandhabt und jeder Verstoß empfindlich geahndet. Bei dem Kampf zwischen Pfau und Truthahn geht es um nichts anderes, als um eine Art von Ehrbegriff, wenn man dieses Menschenwort einmal auf das tierische Verhalten übertragen darf. Jeder will der Stärkste und Mächtigste sein, will vom anderen gleichsam anerkannt und respektiert werden. Bei den Hähnen und Gantern aber spielen sicherlich auch Besitzerrechte eine Rolle. Es geht darum, wem die Frauen, also die Hühner und Gänse gehören. Die männlichen Vögel kämpfen zweifellos um die Vorherrschaft 'm Geflügelhof. Kämpfe ähnlicher Art werden ja auch unter den Hirschen, den Rehböcken, den Wildpferden, den Robben und Wildschweinen angefochten. Die Natur will dem stärksten und gewandtesten, also dem besten männlichen Tier, die Vorrangstellung sichern und die Schwachen, die Kümmerlinge, möglichst von der Fortpflanzung ausscheiden. Geraten sieb 16
Viele Tiere verfügen über ein instinktmäßiges Wissen um die Temperatur, die ihr Eigelege braucht. Hier hält die Spinne das ihre Eier enthaltende Gespinst der wärmenden Sonne entgegen, indem sie sich aus dem Nest erhebt.
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aber die Hühner und Tauben selbst in die Wolle, so handelt es sich darum, wer den anderen vom Futterplatz weghacken darf, und wer sich hacken lassen muß. Da darf also Huhn A meinetwegen alle anderen Hühner hacken. Huhn B darf Huhn C hacken. Huhn C darf Huhn D und F hacken. Huhn E darf Huhn G, aber niemals Huhn A bis Huhn D wieder hacken. Und Huhn H darf von allen gehackt werden und muß dieses Hacken über sich ergehen lassen, muß zusehen, wo es bleibt. Unser menschlicher Gerechtigkeitssinn mag sich gegen die Härte dieser ungeschriebenen Gesetze empören. In der Ordnung der Natur aber ist auch diese Härte nicht ohne Bedeutung. Die Auslese der Besten und Stärksten für die Sicherung einer gesunden Nachkommenschaft, die hier durch die Tiere selbst erfolgt, ist im Grunde nichts anderes als die Auslese, die der Tierzüchter betreibt. Sie ist sogar noch weiser gedacht; denn diese Gesetze werden zwar von den Tieren im allgemeinen streng eingehalten, und doch gibt es noch die Möglichkeit der Empörung. Jedes Tier, das sich stark genug fühlt, die ihm aufgezwungene Stellung innerhalb dieser Rangordnung zu verbessern, stellt sich zum Kampf und hat dadurch die Chance, als lebenstüchtiger aufzurücken. So fordern die mannbar gewordenen Tiere die alten Führer immer wieder zum Kampfe heraus und versuchen sie gleichsam aus dem Sattel zu heben. Sie messen und erproben ihre Kräfte, und eines Tages muß der alte Pascha, muß die bevorzugte Lieblingsfrau abtreten, weil andere sieh als kräftiger erwiesen haben. Solche Rängordnungen gibt es in vielen Tierbereichen, sogar bei den Wasserfröschen eines Teiches; besonders gut sind sie bei den Schafen, Ziegen, Kühen und Pferden zu beobachten. Daß sich die Tiere dieser ihrer Stellung innerhalb der Tiergemeinschaft sehr bewußt sind, das beweisen die Leitkühe, denen wir die Leitglocke abnehmen, um sie einer jüngeren Kuh umzuhängen. Von diesem Tage an kann die bisherige Leitkuh seelisch erkranken. Sie wirkt geradezu verstört, gibt weniger Milch, frißt kaum noch und macht ganz den Eindruck eines schwer gekränkten Wesens. Ebenso sind alle die besiegten Paschas der Rudeltiere von ihrer Niederlage so sehr benommen, daß sie sich meistens seitwärts in die Büsche schlagen und zu vergrämten Einzelgängern werden. Die Möglichkeit, sich mit List und durch Tücke am Ruder zu erhalten, kennen die Tiere nicht, nur die Menschen. Sicherlich herrscht das Gesetz der geheimen Rangordnung bei allen Tieren, die in Familienverbänden, in Gemeinschaften mit 18
wenigen Männchen und vielen Weibchen, in Jagdrudeln und Herden zusammenleben, wenn auch bis heute noch nicht genügend Beobachtungen darüber vorliegen. Ganz besonders streng gilt diese Ordnung und Unterordnung bei den Affen aller Art, wie wir es in jedem Tiergarten erfahren können. Die männlichen Leittiere wollen uns hier oft als geradezu widerwärtige Tyrannen erscheinen, die ein rechtes Schreckensregiment führen und ganz ichbezogen und selbstsüchtig ihr erhabenes Leben führen. Wehe dem eigenen Kind und wehe selbst der Lieblingsfrau, wenn sie sich eine Nuß zu nehmen wagen, ehe der Leitaffe zu erkennen gegeben hat, daß er daran nicht interessiert ist! Sie werden empfindlich gezüchtigt. In der Freiheit aber äußert sich die Herrscherwürde dieser Leitaffen in großem, mutigem Hervortreten. Verteidigungsbereit stellen sie sich und fürchten selbst den Menschen und die großen Wildkatzen nicht. In dieser Kampf- und Verteidigungsbereitschaft der führenden, leitenden und herrschenden Tiere gibt sich uns der tiefere Sinn der geheimen instinktiv anerkannten Rangordnung kund. Es liegt nicht in der Absicht der Natur, Tyrannen und Unterdrückte zu schaffen, es geht auch hier darum, daß sich nur die besten und stärksten Tiere fortpflanzen und daß die tragenden Weibchen und die Jungtiere einen starken Beschützer haben. Mit echter Feindseligkeit oder gar mit Gehässigkeit oder Schlechtigkeit im charakterlichen Sinne hat das Verhalten der Leittiere nichts zu tun. Diese Wesenszüge sind dem Tiere fremd. Wenn sich artgleiche Tiere bekämpfen, geht es immer um Über- oder Unterordnung im Interesse der Art und ihrer möglichst kräftigen Zukunftsentwicklung. Es gibt keine natürliche Feindschaft zwischen Puter und Pfau, zwischen Haushahn und Gänserich, es gibt sie genau so wenig wie zwischen Hund und Katze. Wenn Hund und Katze sich nicht vertragen, sind immer Menschen daran schuld, die sich einen Spaß daraus gemacht haben, die Tiere aufeinander zu hetzen. Bösartigkeit bei unseren Haustieren spiegelt oft das Wesen ihrer Pfleger und Betreuer wider, denn von sich aus ist kein Tier böse.
Die
rätselhafte
Gefahrenantenne
Unsere Stallschwalben fliegen nun schon mit ihren Jungen über die Wiesen und Weiher. Besonders dort, wo die großen Rinderherden weiden, wo saure Wiesen sich breiten und viele kleine Tümpel stehen, finden sie reichlich Mücken und Fliegen. Die Rinder kümmern sich wenig um die knapp an ihren Köpfen vorüber19
schießenden Schwalben. Sie sind ganz dem geruhsamen Wiederkäuen hingegeben, so, als müßte erst eine Bombe einschlagen, um sie auftuschrecken. Und doch wirft plötzlich eine Kuh den Kopf sehr heftig hoch, springt jäh auf die Beine und schnaubt laut und ängstlich. Ein eweites, drittes, viertes und fünftes Tier schreckt aus seiner Ruhe. Plötzlich kommt Bewegung in die Weidetiere. Ehe der Hütejunge über sein Verwundern hinaus ist, rast die ganze große Herde, wie von etwas Seh recklichem gejagt, auf und davon. Mit hoch erhobenen Schwänzen und hervorquellenden Augen stürmen die Tiere gegen den Weidezaun, trampeln ihn nieder, sind schon auf der Straße und preschen wie die wilde Jagd dahin. Da hilft kein Schreien und Rufen, kein Sicli-Entgegenstellen mehr. Die Kühe sind wie von Sinnen, springen seitwärts über die Gräben, stürzen, taumeln wieder hoch und verstreuen sich weit übers Land. Was ist geschehen? Sind wieder einmal diese böse summenden, diese blutsaugenden Rinderbremsen am Werk? Die meisten Landleute, die eine solche Panik ihrer Tiere erleben, sind davon fest überzeugt. In Wirklichkeit aber fliehen die Rinder vor einem noch viel gefährlicheren und bedeutend heimtückischeren Feind. Sie fliehen vor der kleinen schwarzen Bies- oder Dasselfliege! Sie fliehen, obwohl diese Fliege gar nicht stechen kann, gar keine Nahrung aufzunehmen vermag, obwohl sie sich lautlos und schwebend nähert und weiter nichts vorhat, als den Rindern ihre Eier ans Fell zu heften. Sie heftet sie dorthin, wo sich die Rinder oft lecken, also an die Brust und an di-e Vorderbeine. Denn die Biesfliegeneier sollen in den Schlund der Rinder gelangen. Dort aber lüpfen die Larven das Deckelchen ihres Eies, schlüpfen schnell aus, fressen sich in die Schleim- und Bindehäute, in die Muskelschichten, wandern schmarotzend durch den ganzen Tietkörper und versammeln sich schließlich unter der Haut ihres un-> freiwilligen Wirtes. Hier, meist am Rücken, bohren sie sich ein Luftloch, das schnell zu einer großen eiternden Beule wird und schlemmen hier im Eiter und Blutschlamm bis zu ihrer Verpuppuiig. Die befallenen Kühe leiden entsetzlich unter diesen Quälgeistein, die zu allem Überfluß auch noch spitz bedornt sind. Die Rücken des heimgesuchten Viehs sind oft mit Beulen wie besät. Um solche schweren Schäden zu verhüten, wurden die Rinder mit dem wunderbaren Instinkt ausgestattet, der sie so eindrucksvoll vor den Biesfliegen warnt. Irgendwo in ihrem Gehirn muß das Bild dieser Fliege als die Verkörperung des Schreckens und des Unheils 20
sitzen. Irgendeine Sinnesantenne befiehlt bei ihrem Auftreten wilde Flucht. Denn daß die Rinder um die Zusammenhänge zwischen der heute anschwirrenden kleinen Fliege und den einige Zeit später auftretenden schrecklichen Eiterbeulen, zwischen den winzigen Fliegeneiern und den Fliegenlarven unter ihrer Rückenhaut wüßten, ist unmöglich.
Innere
Warnbilder
Ähnliche innere Warnbilder und ähnliche Gefahrenantennen haben gewiß viele andere Tiere. Die Pferde scheuen vor der Magenbremse zurück, die ihnen ihre Eier ebenfalls an Brust und Vorderbeine legt, deren Larven aber dort gleich auskriechen und sich in die Haut zu bohren versuchen. Auf diesen Juckreiz hin lecken sich die Pferde, die Larven gelangen in ihren Schlund, nisten sich in der Schleimhaut des Magens ein und rufen dort Geschwüre hervor. Die Schafe aber fliehen vor der Nasenbremse, die ihre Eier in die Nasenlöcher der Wolltiere spritzt und deren Larven dann die Stirnhöhle anfüllen. Ebenso stürzt sich das Rehwild sofort in Tümpel und Suhlen, sobald sich ihnen die Rachenbremse naht, deren Larven sich hinten am Drosselkopf ansiedeln und nicht selten den Erstickungstod der jämmerlich hustenden und leidenden Tiere herbeiführt. Es ist so, als ob wieder einmal ein guter Geist sie mit diesem wunderbaren Ahnungsvermögen oder mit vorfühlenden Sinnesorganen beschenkt hätte — derselbe gute Geist, der die Tiere vor Blitz und Feuer, Erdbeben und Sturmfluten, Bergrutschen und Lawinen warnt. Immer wieder wurde beobachtet, daß Vögel ihre Nistbäume fluchtartig verlassen haben, bevor die Bäume vom Blitz zerschmettert wurden. Die Redensart von den „Ratten, die das sinkende Schiff verlassen", hat eine tiefe Bedeutung, weniger für das Rattenvolk, als für die Tiere allgemein. So ist einwandfrei und durch zahlreiche zuverlässige Zeugen überliefert, daß die Tauben von Lyon zwei Tage vor dem Erdrutsch, der den Stadtteil St. Jean im Jahre 1930 verschüttete, ihre Nistplätze in eben diesem Stadtteil verließen. Das gleiche Verhalten zeigten die Tauben von San Franzisco, kurz bevor die Stadt im Jahre 1906 durch ein Erdbeben vernichtet wurde. Und auch im Jahre 1954, als gewaltige Beben und Springfluten einige griechische Inseln zerstörten, waren es wieder die Tauben, die diesem Verhängnis rechtzeitig auswichen. 21
Nun ist bekannt, daß viele Tiere sehr gute Wetterpropheten «ind; vielleicht gibt diese Fähigkeit einen Anhaltspunkt, wo gerade diese vor Naturkatastrophen warnende Gefahrenantenne ungefähr ihre Wurzel haben könnte; nämlich in einem noch unbekannten Organ, das Luftdruckveränderungen und Änderungen in den elektrischen Spannungen der Atmosphäre erfaßt. Doch, wie das Beispiel der Rinder beweist, spüren die Tiere nicht nur solche Spannungen und Druckveränderungen, sondern erahnen auch manches andere Unheil mit einer fast unbegreiflichen Feinfühligkeit voraus, wie Überschwemmungen, Feuersbrünste und Bergstürze. Sehr seltsam ist es auch, daß viele Hunde vom Tod gezeichnete Menschen ängstlich meiden und oft schon auf bevorstehende Krisen bei schweren Erkrankungen hingewiesen haben. Überraschend ist auch das instinktive Wissen der Tiere in Bezug auf Giftpflanzen. Sie riechen es gleichsam den Pflanzen ab, ob sie ihnen bekömmlich oder abträglich sind; denn zweifellos warnen die Giftpflanzen durch besonders berauschende Düfte — wie beim Maiglöckchen, Seidelbast und der Lilie —• oder durch abstoßende Gerüche — wie beim Bilsenkraut, bei der Tollkirsche und beim Schierling — gleichsam vor sich selbst. Die Ziegen, denen Pflanzengifte seltsamerweise nichts anhaben können, bei denen sich das Gift nur in der Milch niederschlägt, haben diesen Warninstinkt nicht. Rinder dagegen meiden sichtlich den giftigen Hahnenfuß und die giftige Herbstzeitlose. Und ganz bestimmt wittern die Tiere auch, was es mit einem Menschen auf sich hat, ob er ihnen wohlgesinnt ist oder sich ihnen in böser Absicht nähert, ob er Furcht vor ihnen hat oder ihnen vertrauensvoll begegnet. Erfahrene Tierkenner und alte Tierfreunde werden darum mit einem gewissen Recht mißtrauisch, wenn eiu Mensch von ihren Tieren allzu eindeutig abgelehnt wird.
Tarnen und Warnen Dem Schutz des Lebens, der Sicherung vor Schädigungen und Nachstellungen dienen viele eingepflanzte Begabungen, die das Tier im richtigen Augenblick die richtigen Maßnahmen ergreifen läßt. Sie sind oft so verblüffend klug und listig, daß sie wie vom Verstand erdacht erscheinen könnten. Und doch gehören auch diese Verhaltungsweisen zu den rein naturhaften Eigenschaften, die es der betreffenden Tiergattung ermöglichen, auch in einer feindlichen Umwelt zu bestehen. 22
In übermannshoher Front verhüllt ein Schilfwald das Westufer des schönen Staffelsees im Voralpenland. In einem Pulk niedergetretener und aufeinandergetürmter Schilfhalme befindet sich ein Nest der Rohrdommel. In einem flachen Fischerkahn nahen sich Menschen mit leisem Ruderschlag dem Versteck. Angestrengt schauen sie zur Schilfwand hinüber. Aber erst im letzten Augenblick, nur eine Kahnlänge entfernt, entdecken sie undeutlich einen der Nestbewohner. Kerzengerade hat das brütende Weibchen Brust und Hals emporgestreckt und den Schnabel steil zum Himmel erhoben. Die schwärzlichen Striche im rostgelben Federkleid ihres Unterhalses haben sich zu langen dunklen Rainen verdichtet, so daß der Hals vier dicht nebeneinander stehenden Rohrhalmen zum Verwechseln ähnlich sieht. Nur das hellblinkende gelbe Vogelauge verrät das erwartungsvoll verharrende Tier. Unbeweglich verbleibt die Rohrdommel in ihrer starren Tarnhaltung. Fast bis auf Greifnähe läßt sie die Menschen herankommen. Dann erst klettert sie pfeilgeschwind und lautlos am nächsten Schilfhalm empor und verschwindet in der grünen Wildnis. Das heißt, sie streckt sich einige Halme weiter jetzt in ihrer ganzen Länge zu einem kleinen Pfahl auf und behält die Beobachter und das Nest scharf im Auge. Der Kahn dreht ab, man will das brütende Tier nicht vergrämen. Das Erstarren der Tiere in einer ganz bestimmten Tarnhaltung ist eine weitverbreitete Kriegslist. In der Vogelwelt wird sie von fast allen Reihern geübt. Es scheint, als wüßten die Tiere, daß e» viel schwerer ist, eine unbeweglich verharrende als eine sich bewegende Gestalt auszumachen, besonders dann, wenn die Tönung des Federkleides, des Pelzes oder der Haut der Farbe der Umwelt nur halbwegs gleicht. Ob Rotwild oder Schwarzwild, Raubkatze oder Wolf, Marder oder Nagetier, sie alle stürmen beim Erkennen der Gefahr nicht blindlings davon, sondern verharren wie angewurzelt und warten das weitere Verhalten der verdächtigen Erscheinung ab. Wildkatzen ducken sich nieder, Marder werden zu einem Pfahl, und auch viele Nagetiere richten sich auf. Hier scheint die Lebenserfahrung den angeborenen Instinkt zu unterstützen. Je erfahrener das Tier ist, um so mehr ist dieses Verhalten ausgeprägt, um so zuversichtlicher vertraut es dieser Tarnlist. Selbst der Lärm der dicht vorübergehenden Treiber kann dann das Wildschwein oder den Fuchs nicht aus der Sasse treiben. Hasen und auch die Wald- und Feldhühner lassen sich fast auf den Schwanz 23
treten, ehe sie an Flucht denken. Dan-n .aber überraschen und erBchrecken sie den Verfolger durch ihr plötzliches Aufspringen oder Aufpurren so sehr, daß sie meistens mit heiler Haut davonkommen. Diese abwartende Taktik hat den Hasen in den Verdacht gebracht, daß er mit offenen Augen schlafe. In Wirklichkeit fühlt sich Lampe in seinem Versteck und seinem Tarnplatz so sicher, daß er ruhig hocken bleibt, bis er dem Verfolger Auge in Auge gegenübersteht. Daß die Tiere fest an den Wert des Verharrens und Erstarrens „glauben", können wir von erfahrenen Vögeln und Säugern bestimmt annehmen. Was aber sollen wir von der Spannerraupe sagen, die sich in ein steifes Ästchen verwandelt und sich lediglich mit ihren Hinterfüßen am Zweig festklammert und den Leib steif in die Luft streckt? Oder vom Nachtfalter, der es nie vergißt, in der Ruhe seine schlichten dunklen Oberflügel über die in prachtvollen Farben aufleuchtenden Hinterflügel zu decken? Oder von der nächtlichen Motte, die ihre verräterisch schimmernden silbernen und goldenen Schwingen gleich einem Mäntelchen zusammenrollt? Oder vom Tagfalter, der seine Flügel so zusammenklappt, daß die hellfarbigen Oberseiten nicht mehr zu sehen sind? Hier handelt es sich zweifellos um ein unbewußtes, ein instinktives Verhalten. Das Erstarren, das Sichversteifen, das den Toten-Mann-Spielen, das Sichfallenlassen und das Unbeweglich-Liegenbleiben wurde den meisten Insekten als wirksame Waffe für den Lebenskampf mitgegeben. Das Marienkäferchen hat uns diese Künste schon in unserer Kindheit vorgeführt. Und unsere Holz- und Klopfkäfer treiben dieses Spiel so weit, daß sie d.avon den Namen „Trotzköpfe" angehängt bekamen. Wir können mit diesen kleinen Schauspielern anstellen, was wir wollen, sie bleiben stur dabei, sich tot zu stellen.
Das
natürliche
Tarnkleid
hilft
• Und gerade wunderbar ist es oft, wie sehr Gestalt und Farbe des Insekts diese angeborenen Tarnkünste unterstützen. In allen Einzelheiten gleicht die Birkenspannerraupe einem geschuppten Zweig, trägt tarnende Höcker auf ihrer Haut und wechselt die Farbe je nach der Futterpflanze, ist also auf der Kiefer bräunlich, auf der Birke gelblich und auf der Weide grünlichgrau. Die Kupferglucke, ein rindenfarbener bräunlicher Nachtfalter, legt die Vorderflügel dachförmig zusammen, läßt aber unter diesem Dach die gezackten 24
Versammlung der Ameisen. Welcher Instinkt hier wirksam ist und welchem Zweck die Versammlung dient, ist noch ungeklärt
25
Hinterflügel so weit hervorschauen, daß sie täuschend einem gezähnten Blatte gleichen. Andere Falter setzen sich kopfunter an den Stamm, um so das gewohnte Bild eines ruhenden Falters zu verwischen. Die Ornamente, die Linien und Flecken ihrer Flügel sind den jeweiligen Baumrinden so ähnlich, daß wir wahrhaftig mit der Nase auf diese Insekten stoßen können und sie doch nicht "erspähen. Das Sichfallenlassen und starre Liegenbleiben üben besonders die Spinnen, Käfer und Wanzen, die ebenfalls mit nur wenigen Ausnahmen ihrer Umgebung in Farbe und Gestalt großartig angepaßt sind. Wir brauchen da nur an die grünen Blattwanzen, ihre flache Gestalt, ihre langsamen Bewegungen, oder auch an die Schild- und Blattläuse zu denken. Die Schutzfarbe unterstützt also den aus Instinkt veranstalteten Mummenschanz dieser tierischen Schauspieler und Taktiker, sie ist ihr Maskenkostüm, ist das praktische Tarnhemd. In einem solchen natürlichen Tarnhemd treiben die dunklen Krebse im dunklen Schlammgrund ihr Versteckspiel, die grünen Laubfrösche im frischgrünen Gebüsch, die schwarzen Kreuzottern im düsteren Moor, die sandfarbenen Schollen auf dem sandigen Boden der Gewässer, die rindenfarbenen Kiefernschwärmer auf dem Kieferstamm, die bräunliche Feldlerche auf der bräunlichen Ackerscholle und der weiße Schneehase auf der beschneiten Berghalde. Der Schneehase gehört übrigens zu den besonders bevorzugten Tieren, die sich geschickt der Sicht zu entziehen wissen, wobei sie ihr Tarnkleid je nach der Jahreszeit wechseln. Im Winter ist ei schneeweiß, im Frühjahr, wenn die Hänge ausapern, ist auch er gescheckt, und im Sommer trägt der Hase einen dunkelbraunen Pel». Auch das Große Wiesel bekommt im Winter einen weißen Tarnkittel, wird zum Hermelin. Nur die schwarze Schwanzspitze verrät uns dann noch — genau so wie beim Alpenschneehasen die schwarzen Ohrenspitzen —, daß wir dasselbe Tier vor uns haben. Unsere Grasund Laubfrösche aber wetteifern mit dem berühmten Chamäleon und vermögen ihre Hautfarbe der jeweiligen Unterlage anzupassen. Beim Chamäleon, beim Laubfrosch und besonders auch bei vielen Fischen können sogar die Gemütsstimmungen einen jähen Wechsel der Körperfarbe hervorrufen. Das Chamäleon wird vor Wut und Angst weiß, der Laubfrosch vor Kummer und Not grau, und die Fische erglühen während der Laichzeit in den schönsten Regenbogenfarben. Verblüffend ist vor allem, wie die Schutzfarbe nicht nur der Grundfarbe der Umgebung des Tieres ähnelt, sondern wie das Schutzkleid durch viele kleine Kunstkniffe der Natur zu einer wahrhaft vollkommenen Tarnung gesteigert wird. Die Augen, Monde und 26
Striche auf den Flügeln der Nachtschwalbe, die farbigen Ornamente und Warzen auf dem Rücken der Knoblauchkröte, die weißen Tupfen im Fell der jungen Rehe und die hellen Streifen im Jugendkleid der Wildschweine verwischen die Umrisse der Tiergestalt so trefflich, daß sie in der photographischen Aufnahme wie in einem Vexierbild verborgen ist. Vor allem die Jungtiere werden durch diesen „Tarnanstrich" in ihrer Entwicklungszeit geschützt. Gescheckt und fleckig sind aus diesem Grunde fast alle Vogeljungen, besonders die der Bodenbrüter, die sich auf diese Weise einer allzustarken Zehntung durch die gefiederten, bepelzten und beschuppten Nestplünderer entziehen. Auch die Streifen des Zebras, die Goldtüpfel des Leoparden, die Gitternetze der Giraffe, die SchwarzweißFleckung der Bachstelzen und Regenpfeifer sind Tarnanstriche, sind Tarnmasken, die in Verbindung mit den instinktiv ergriffenen Sicherungsmaßnahmen ihren Zweck trefflich erfüllen.
Überlisten und Bluffen Diejenigen Tiere aber, die bei der Verteilung der Tarn- und Schutzkleider zu kurz kamen und auch keine Eignung für das Schauspielern zeigten, begabte die gütige Natur mit der Fähigkeit, sich selbst ein Schutz- und Trutzwams anzufertigen. Als wahre Künstler dieser Art erweisen sich zum Beispiel die Larven der Köcherfliegen, die sich aus zerstückelten und zerbissenen Binsenhalmen, Blättern oder Rinden, aus winzigen Sandkörnchen oder Muschelschalen eine körperlange Hülse zusammenpappen, aus der sie nur mit dem Kopfe lugen. Die gleiche Kunst verstehen auch etliche Zünslerraupen. Sie schwimmen in ihren Röhren wie in kleinen Kähnen über das Wasser, und niemand vermutet, daß in diesen Gebilden die Raupe eines Schmetterlings steckt. Die Larven kleiner Motten, der sogenannten Sackspinner, leimen sich aus Fichtennadeln und Stengelstückchen oder aus Erdkrümchen und Sandkörnern einen tütenartigen Sack, den sie über Stock und Stein, halmauf und halmab mit sich schleppen und oft so geschickt zusammendrehen, daß er aufs Haar kleinen Schneckenhäusern gleicht. Die Raupen der Spinner aber hüllen sich in ein dichtes Gespinst, unter dem sie entweder der Ruhe pflegen oder auch ihrem Fraß nachgehen. Ein ganz anderer Instinkteinfall ist bei der Larve der Landjungfer, einer schlichten Florfliege, verwirklicht. Um sich ihren 27
Opfertieren, den Blattläusen, unbemerkt nähern und ihrem mörderischen Handwerk ungestört nachgehen zu können, sammelt sie, wie ehemals die Indianer, die Skalps ihrer Opfer und wirft sich die ausgesaugten Bälge über den Rücken. Ähnlich hält es die Larve der in staubigen Winkeln unsauberer Häuser hausenden Kotwanze. Sie scharrt sich mit den Hinterbeinen Staub zusammen und schleudert ihn dann gegen und über ihren Leib, bis sie sich so dick eingepudert hat, daß sie nun als ein wandelndes Staubhäufchen dahinzieht und die braunen Bettwanzen, die grauen Kellerasseln, die Silberfischchen und die Stubenfliegen leicht zu überrumpeln vermag. Und da wir einmal bei solchen seltsamen Tierchen sind, sei auch noch die Larve der Schaumzikade erwähnt, die sich aus ihrem eigenen Kot und einer Drüsenabsonderung eine Art Seifenschaum erzeugt, in dem sie tief verbprgen wie in einem wirklichen Luftschloß sitzt. Ihr einzigartiges Schutzkleid ist unter dem Namen „Kuckucksspeichel" allgemein bekannt. Gekrönt aber werden alle diese Tarnkünstler von den Tiermüttern. Fast alle Vogelnester sind mit den Moosen, Blättern und Halmen der unmittelbaren Nestumgebung getarnt. Mit einem Verputz von Kieselsteinchen oder Sand verdecken die Wildbienen und Pillenwespen ihre kunstvoll getöpferten Brutkrüge. Ein Zelt aus Kiefern- oder Fichtennadeln stellt die zweifarbige Mauerbiene über das leere Schneckenhaus, in das sie ihre Zellen gebaut hat. Mit Haaren von ihrem Leib bedecken die Schmetterlinge ihre Eier oder überziehen sie mit einer festen Kittschicht oder bedachen sie mit Schuppen. Viele Käfer drehen für ihre Larvenkinder die schönsten Tüten und wickeln sie zu Blattzigarren. Kurz, wohin wir auch schauen, der Tarninstinkt beherrscht das ganze bunte Bild der Tierwelt. Wir könnten noch zahlreiche Beispiele aufführen und würden doch kein Ende finden. Eine andere Tiergruppe verlegt sich aufs Bluffen, aufs Angeben, den Starken-Mann-Spielen und erreicht auch dadurch vielfach die Abwehr drohender Gegner. Buchstäblich aufgeblasene Gernegroße sind zum Beispiel die Erdkröten. Fühlen sie sich bedroht, so erheben sie sich auf ihre lang ausgestreckten Beine, blasen sich voll Luft und erscheinen auf diese Weise urplötzlich als zwei- bis dreimal größere Froschungeheuer. Dieses Aufblasen und Aufrichten üben auch viele Schlangen, und sie unterstreichen diese Drohgeste noch durch ein lautes auf- und abschwellendes Zischen — genau so, wie die Eulen und Kauze, die sich durch ein Wölben und Fächern der Flügel vergrößern und dabei 23
ein heiseres Fauchen und unheimliches Schnabelgeknacke hören lassen. Angeber im wahrsten Sinne des Wortes sind auch viele Raupen. So richtet sich die abenteuerlich gestaltete und grotesk gezeichnete Raupe des Großen Gabelschwanzes steil auf, zieht den Kopf und die Brust so tief ein, daß ihr Vorderkörper zu einer tollen Schreckmaske wird und läßt aus ihren Hinterleibsgabeln jäh zwei brennendrote Fäden aufzüngeln. Und wer sich davon noch nicht zurückschrecken läßt, der bekommt aus einer Brustspalte einen schädlichen Saft ins Gesicht gespritzt. Noch schauerlicher und furchterregender gebärdet sich die Raupe des Buchenspinners. Sobald sie sich bedroht fühlt, fuchtelt sie hoch aufgerichtet mit ihren sechs grusligen Spinnenbeinen durch die Luft, schnellt geifernd die Schwanzgabel über den Rücken, spuckt Gift und beißt wie wild um sich. Nicht nur ausgesprochene Hasenherzen zucken da erschrocken zurück. Dabei ist alles nur Bluff, ihr Biß vermag nicht, unsere Haut zu verletzen. Einen wilden Krieger markiert auch die Gottesanbeterin, wenn sie größeren Beutetieren gegenübertritt. Dann spreizt sie die Flügeldecken waagerecht von sich, hebt die Flügel selbst gleich geschwellten Segeln empor, krümmt das Hinterleibsende weit nach vorn und läßt ein laut puffendes Geräusch vernehmen. Die Käfer und Heuschrecken sind regelmäßig starr vor Staunen und Schrecken, wenn diese Fregatte anrauscht und lassen sich widerstandslos schnappen. Wie sehr aber das ganze Gebaren ein kleiner Schwindel ist, unterstreicht die Tatsache, daß die Gottesanbeterin ihre Flügel nur zu dieser Angeberei gebraucht, sie aber nie als Schwingen benutzt. Aber nicht nur das abschreckende Verhalten warnt die Feinde all dieser listenreichen Angeber. Auch ihre oft schreienden Farben, ihre Harlekinkittel schüchtern die Verfolger ein. Wir bezeichnen diese auffällige und maskenhafte Farbe darum auch geradezu als Warn- und Schreckfarben. Ihre Wirkung wird gewöhnlich noch dadurch erhöht, daß es die Tiere verstehen, diese Farben jäh und überraschend aufblenden zu lassen. Die oberseits grauschwarze oder graubraune Feuerkröte zum Beispiel, die sich im allgemeinen sehr auf ihre Schutzfarbe verläßt, wirft sich in der größten Bedrängnis plötzlich auf den Rücken und erschreckt ihre Verfolger durch das unerwartete Aufleuchten ihrer mit mennigroten Flecken und weißen Tüpfeln bedeckten Bauchseite. Der Trumpf aller Tarn- und Warntricks aber ist die Nachahmung gefürchteter und wehrhafter Tiere. Harmlose Schmetterlinge und Fliegen nehmen die Gestalt und das Wesen von Hornissen, Bienen, 29
Wespen und Hummeln an und werden nicht nur von uns Menschen, sondern auch von ihren Vogelfeinden achtungsvoll gemieden. Der bekannteste dieser Nachahmer ist wohl der Hornissensdiwärmer aus der Familie der Holzbohrer. Seine Ähnlichkeit mit einer stattlichen Hornisse ist wirklich täuschend, und den summenden Drohton läßt er fast noch deutlicher vernehmen als die Hornisse selbst. Die Natur leidet also keinen Mangel an Einfällen, um ihre Geschöpfe zu schützen, ihnen den Lebenskampf zu erleichtern und besonders die Schwachen und Wehrlosen durch mannigfache Kunstkniffe und Lebenskünste zu unterstützen.
Instinktwesen — aber keine Maschine Dem Menschen ermöglicht es vor allem sein großartiges Denkvermögen, sein Bewußtsein, sein Verstand, sein Wille, sich in der Umwelt, in der er lebt, zurechtzufinden und das Geeignete zu tun, um sich zu behaupten und sich fortzuentwickeln. Er ist in der Lage, sein Verhalten nach eigenem Ermessen einzurichten, sich für dieses oder jenes zu entscheiden, sich Ziele und Aufgaben zu stellen, diese Ziele bewußt anzustreben und die Aufgaben unter Anwendung naturgegebener oder selbstentwickelter Mittel und Kräfte zu erfüllen. Zwar sind auch beim Menschen Instinkte wirksam, besonders in frühester Kindheit, aber sie sind mit zunehmendem Selbständigwerden zurückgedrängt und durch das vom Willen und Bewußtsein bestimmte Verhalten ersetzt. Das Tier aber meistert sein Leben, indem es beinahe unabweisbar seinen Instinkten gehorcht. Sie sind die Mitgift, die im allgemeinen ausreicht, sich selbst und seine Art zu erhalten. Im Verlaufe des Lebens kommen dann gewisse „Einsiditen" hinzu, die durch die Erfahrung oder, wie bei den Haustieren, durch Belehrung oder Dressur gewonnen werden. Sie ergänzen die Instinkte, können auch bestimmte Instinktäußerungen sdiwächen, auch sind mandimal Abweichungen von der Norm möglich. Oft gerät das Tier audi in einen Zwiespalt, welchem Instinkt es in einer gegebenen Sadilage folgen soll — wenn zum Beispiel bei Gefahr der Trieb zur Fürsorge für die Jungen und der Trieb zur Selbsterhaltung zugleich auf es einwirken. Dann ergeben sich Konflikte, für die selbst die Natur keine Richtlinien mehr weiß. Aber auch das Mensdieuleben kennt diese zwiespältigen Situationen. 30
Der vielfach von den Naturwissenschaftlern geprägte und geglaubte Satz, daß sich die Instinkte allmählich herausbildeten und durch Erfahrung, Anpassung und Auslese gewonnen wurden, ist nur eine Annahme. Denn um die Instinkte wirksam werden zu lassen, bedarf das Tier ganz speziell eingerichteter Organe. Diese Organe aber bekam die Tierart zugleich mit den Instinkten mit ins Dasein, so daß keine Auslese möglich war. Trotzdem darf man nicht glauben, daß das Tier nur der Sklave seiner eingepflanzten Instinkte sei und in keinem Falle anders handeln könne, als es sein Instinkt befiehlt. Nein, so maschinell läuft auch das Leben der Tiere nicht ab! Denn gebt, nicht alle weggegebenen Katzen und verkauften Hunde kehren zum alten Heim, zum bisherigen Herrn zurück, auch wenn sie es könnten. Unzählige passen sich den neuen Verhältnissen an, gewöhnen sich ein und finden sich ab. Nicht alle Vögel kommen zur vertrauten Niststätte zurück. Sie bleiben oft, wo sie der Zufall oder der neue Lebensgefährte hinzieht oder wo sie eine besonders günstige Ortlichkeit entdeckt haben. Sie wissen sich auch anzupassen, wenn es nicht anders geht; sogenannte Höhlenbrüter werden dann zu Nischenbrütern, und Baumbrüter werden Bodenbrüter. Ja, sie überwinden unter Umständen sogar den starken Zugtrieb. So haben in den letzten Jahrzehnten die Stare, die Amseln und die Buchfinken sich mehr und mehr aus Zugvögeln in Zigeunervögel, Strichvögel und Standvögel verwandelt. Sie wechseln manchmal auch ihren angestammten Lebenskreis, wandern zum Beispiel aus dem tiefen Wald und vom freien Feld in die menschlichen Ansiedlungen, wie wir es immer häufiger bei den Eichhörnchen, den Amseln, den Buchfinken, den Eulen und Käuzen, den Wildtauben und Rabenkrähen beobachten können. Und auch unsere Haustiere wandeln sich in ihren Instinkten und damit auch in ihrem Wesen, je mehr wir ihnen heute bessere Unterkünfte stellen, bessere Pflege angedeihen lassen und größeres Verständnis entgegenbringen. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Abbildung Seite 5: nach Rudolf Schönmann j Seite 17: Foto Gimpel| Seite 25: nach J. Carreras
L u x - L e s e b o g e n 187 ( N a t u r k u n d e ) - Hef t p r e i s 25 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, München, Innsbruck, Ölten — Druck; Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg
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