B E R N D
J E N T Z S C H
V O N D E R V I S U E L L E N W O H L H A B E N H E I T DER AU TOR U N D SEI NE BUCHÄSTHETIS...
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B E R N D
J E N T Z S C H
V O N D E R V I S U E L L E N W O H L H A B E N H E I T DER AU TOR U N D SEI NE BUCHÄSTHETISCHEN V O R S T E L L U N G E N E I N VORT R AG
V E R L A G
C . H . B E C K
Bernd Jentzsch
Von der visuellen Wohlhabenheit
B E R N D
J E N T Z S C H
V O N D E R V I S U E L L E N W O H L H A B E N H E I T DER AU TOR U N D SEI NE BUCHÄSTHETISCHEN V O R S T E L L U N G E N EIN VORTR AG GEHALTEN AM 26. APRIL 1991 IN DER HOCHSCHULE FÜR GRAFIK UND BUCHKUNST LEIPZIG. MIT SIEBEN T Y POGR A F ISCH EN BEISPI ELEN VON E . R . W EISS, PAUL RENNER , WA LTER TIEM ANN, K LAUS DETJEN und JUERGEN SEUSS
V E R L A G
C . H . B E C K
M Ü NCH EN N EU NZE H N H U N DE RT E I N U N DN EU NZIG
» Leben und setzen Sie wol «, grüßt Jean Paul » den Herrn Setzer «, nachdem er ihm » sieben Bitten « neben den Winkelhaken gelegt hat – » die Noten im Manuskript bringen Sie immer unter die rechte rothe Zahl; machen Sie nicht die falschen Genitiv-S wieder lebendig, die ich ausgestrichen « usf. –, um ihm dann die » Hauptbitte « einzubleuen: » Sagen Sie Amen ! d. h. ja ja, es soll also geschehen. « Und den » guten Cotta « fleht er » ordentlich an «, diese » sieben Bitten an den Setzer « zu seinen » sieben Befehlen an ihn zu machen «. Bereits ein halbes Jahrhundert vor Jean Paul hatte Klopstock den Verleger Bode wegen der » Oden « – sie erscheinen 1771 – beschworen: » Ich wollte gern, daß nur anderthalb Druckfehler hineinkämen, ein falscher Buchstabe, und ein falsches Comma. « Klopstock ist 26 Jahre alt. Er läuft Schlittschuh und beweist typographischen Verstand. Als einer der Ersten in der deutschen Literatur entwickelt er buchästhetische Vorstellungen. Doch was bedeutet schon das Anliegen eines elenden Scribenten ! In seinem Fall nichts als eine Bettelei, die auf taube Ohren stößt. Der Verleger schert sich nicht um die Wünsche des Autors: » ohne Zierrathen « / » keine Holzstiche zu Ende der Gesänge « / » auf dem Titelblatt bleibt das gewohnte Kupfer weg « / » die Namen Gott und Jesus, Herr nicht mit zwey großen Anfangsbuchstaben, sondern nur mit einem « / » die Zeilen weit voneinander, und soviel möglich ist, jeden Vers in eine Zeile «. 7
Das Resultat ist eine Verhöhnung: Großoktav, überladen mit Kupfern und versehen mit geschwätzigen Auslassungen des Verlegers wie für Leser aus der Dummenschule. Es kommt zum Bruch. Später wird es Klopstock vorziehen, in Kopenhagen setzen zu lassen. Selig das Jahrhundert, in dem man noch keine Tochtergesellschaften kannte ! Klopstocks Gespür, der poetischen Kraft des Textes, der Wirkung des einzelnen Wortes zu vertrauen, war soviel wert wie sein Bogenhonorar. Daß der Drucker » der Freund des Gedankens « und » die Typographie der Vorhof der Literatur « ist, daß das Druckwerk » dem Wort nicht schaden, sondern ihm dienen « sollte, daß » Verantwortungsgefühl auch gegen Kleinigkeiten, herzliche und zuversichtliche Hingabe an jeden Einfall und an jeden Handgriff « Selbstverständlichkeiten darstellen, wie es Benjamin Franklin und Lamartine, E. R. Weiß und Ernst Schneidler gesehen haben, blieb unbeachtet. Stand also die Kunst des Druckens schon 1750 vor dem Dilemma, angesichts zunehmender technischer Möglichkeiten, die heute als kaum noch zu überschauende Multi- und Billigangebote per Knopfdruck abzurufen sind, sich selbst zu nivellieren ? Jean Paul, der angebliche Außenseiter unserer Literatur, traf ins Schwarze der Schwarzen Kunst, als er die funktionsleere Preziosität der Buchproduktion seiner Zeit mit sarkastischem Spott geißelte. Er verfaßt eine » K leiderordnung für sämmtliche einwohnende Bücher unsers Landes «, und die Tinte, mit der er sie aufs Papier wirft, ist der Gallensaft: » Bei den Büchern ist der Klei8
derluxus ebenso klar als enorm. Geistliche, andächtige Werke, die sonst im bescheidnen Priester-Ornat und Trauermantel einher wandelten, kleiden sich wie Gecken nach englischem Schnitt und reden doch von Gott. – Juristen-Kinder gingen sonst wie die Schweine, nämlich in deren Leder, aber auch in Schafskleidern; … jetzt springen sie uns als Halbfranzen, als Perlhühner entgegen, und wollen gleichwol Leute en longue robe vorstellen. « Einer Mühe bin ich als Autor dieser druckfreudigen Zeiten bisher vollkommen enthoben gewesen: in dreißig Schreibjahren hatte ich keinerlei Anlaß, mich gegen Zierat jedweder Art wehren zu müssen. Die Ökonomie erweist sich als eine Herrscherin mit unbeschränkten und unverschämten Vollmachten. Die Überschußbilanz liebt sie allemal mehr als die Kultur des Buches. Aber auch das ist wahr: nur ein Traumtänzer wird ihre Notwendigkeit leugnen. Wirtschaftliches Denken ist unverzichtbar; es schafft die Voraussetzungen für alles, was mit der Herstellung von Büchern zu tun hat. Doch immer fahrlässiger, so kommt es mir vor, wird dabei übersehen, daß dieses Begriffspaar aus zwei Teilen besteht, und » denken « bedeutet ursprünglich: machen daß etwas einleuchtet. Brecht hat in anderem Zusammenhang vom » Machen einleuchtender Bilder « gesprochen. Unter den Briefen, die Autoren mit ihren Verlegern, Druckern, Typographen, Illustratoren gewechselt haben, ist mir einer besonders wichtig, weil ich in ihm ein Bild gefunden habe, das mir einleuchtet. 9
Am 7. September 1843 schreibt Schopenhauer aus Frankfurt: » Mein lieber Setzer ! Wir verhalten uns zu einander wie Leib und Seele; müssen daher, wie diese, einander unterstützen, auf daß ein Werk zu Stande komme, daran der Herr « – gemeint ist Brockhaus – » Wohlgefallen habe. « Zeitsprung; aus einem Verlagsvertrag des Jahres 1990: » Korrekturen nach Insatzgabe sind auf ein Minimum zu beschränken. Die korrigierten Abzüge sind binnen 10 Tagen nach Erhalt dem Verlag zurückzusenden. « Ich kehre gern ins Jahr 1815 zurück. » Theile zu schneller Überlegung eine wilde Scizze mit. Wenn man etwas ähnliches wollte ins Reine zeichnen lassen; fragt sichs, ob das der rechte Raum ist ? oder ob er nicht etwas größer sein könnte ? Das Blättchen erbitte mir zurück und wünschte wohl mich mündlich darüber besprechen zu können. « Empfänger des Briefes ist Carl Friedrich Ernst Frommann: » Tausend Grüße ergebnst Goethe. « Die Ingredienzien sind versammelt: Technik und Text verhalten sich zueinander wie Leib und Seele; das Gespräch über ihre Wechselbeziehungen ist die erste Bedingung für den Wohlstand des Druckes. Dieser gemeinsame Schöpfungsakt bestimmt das Verhältnis zwischen Autor und Verleger. Der Dritte in dem ideenproduzierenden und ideenumsetzenden Bund muß der Ausstatter sein oder, wie ich ihn lieber nenne, weil das seine Arbeit präziser und zugleich umfassender bezeichnet: der Buchkünstler. Die Arbeitsteilung steht fest: der Autor liefert das Manuskript, der Verleger regelt das ökonomische, der 10
Buchkünstler setzt die Intentionen des Autors in das Medium Buch um. Damit ist ein grobes Raster entworfen, mit dem ich mich jedoch nicht zufriedengeben kann. Die Verknüpfungen sind vielgestaltiger. Ein Idealfall: Der Verleger hat das Manuskript gelesen, vollständig, in einer erträglichen Zeitspanne, kritisch. Er sucht den Dialog mit dem Autor. Um dem Ideal eine kulturhistorische Dimension zu verleihen: er nimmt sich Zeit für ihn. Der Autor erschließt ihm den Text bei einem sechsgängigen Essen, wodurch der Verleger zwangsläufig an die Ökonomie erinnert wird. In allen Gelddingen hat er zu entscheiden. Mehr noch: ich erwarte von ihm, daß er die endgültigen Entscheidungen für das Buch als Ganzes und in seinen vielen Teilen trifft. Bestmögliche Ergebnisse sind dann zu erwarten, wenn in den Gedankenaustausch alle einbezogen werden, die die Ware Buch produzieren. Desinteresse, Arroganz und Denkfaulheit richten schlimmere Schäden an als ein Dutzend Druckfehler. Den Buchkünstler von Anfang an in diesen Prozeß zu integrieren, halte ich für eine unverzichtbare Investition, zumal sie nichts kostet, aber reichlich Früchte tragen wird. Weil es ihm obliegt, die sich aus der Wahl des Stoffes und seiner formalen Struktur ergebende literarische Energie in typographische Spannung umzuwandeln, muß er das Manuskript so intim kennen wie der Autor selbst. Die vordringlichste Aufgabe besteht für ihn darin, den Gestus des Textes zu erfassen, sozusagen den DNS-Schlüssel zu finden, mit dem die Vermittlung, die Übersetzung des gesamten Werkes gelingt. Der Buch11
künstler vollzieht die textadäquate Metamorphose in eine andere Sprache innerhalb derselben. Wenn er über Intuition verfügt, wird er die Gespräche zwischen Autor und Verleger, worum sie auch kreisen mögen, auf einer zweiten Ebene wahrnehmen: er wird stets visuell hören und denken. In der Literaturgeschichte hat es derartige Symbiosen gegeben. Ein vorbildhaftes Beispiel überliefert Harry Graf Keßler in seinen Tagebüchern. » Leipzig, 29. Mai 1927. Sonntag Sammy Fischer und Frau luden mich zum Frühstück im Hotel mit Gerhart Hauptmanns ein. Hauptmann war begeistert von meinem Vergil und schlug mir vor, eine Luxusausgabe seines neu herauskommenden ›Till Eulenspiegel‹ zu drucken … Allerdings müsse er mich, ehe ich mich dazu entschlösse, in das Werk einführen. Er … lud mich … ein, ihn, sei es in Bad Liebenstein, wo er sich gegenwärtig aufhält, oder in Agnetendorf in nächster Zeit zu besuchen, damit er mir den Till vorlesen könne. Dazu brauche er allerdings drei Tage, die ich ihm schenken müsse. Ich sagte im Prinzip zu. « » Bad Liebenstein, 3. Juni 1927. Freitag Hauptmann suchte mich um zehn in meinem Zimmer auf und lud mich ein, zu ihm herüberzukommen, um uns ›in die Arbeit zu stürzen‹, das heißt, den ›Till Eulenspiegel‹ vorzunehmen … Er nahm das Manuskript … und las mir das Vorspiel und die ersten beiden Abenteuer vor; mit leiser Stimme, um sich zu schonen, aber mit meisterhafter Klarheit und Betonung. 12
Emil Rudolf Weiß
Emil Rudolf Weiß
Emil Rudolf Weiß
Er sagte, er habe zwar den Hexameter zur Grundlage genommen, sich auch an dessen Skandierung gehalten, aber eigentlich sei der Vers des ›Till‹ etwas Eigenes, Neues. Dies bestätigte sich auch, als er vorlas. Nichts von der festen, starren Versform des Goetheschen Hexameters ist übriggeblieben … Der Effekt ist reich und voller Abwechslung, so daß ich eigentlich befürchte, daß beim Lesen für das Auge die strenge Form des Hexameters etwas irreführend wirken wird. « Beide Eintragungen sind bemerkenswert. Es war einmal ein Verleger, der bereit gewesen ist, einem Autor, der nicht zu seinen Hausautoren gehörte, ohne lange zu überlegen einen dreitägigen Vorlesemarathon zuzusagen, ihn am gewünschten Ort zu besuchen und das gegebene Wort innerhalb von sechs Tagen einzulösen. Nicht weniger bemerkenswert ist, daß Hauptmann den von Graf Keßler in dessen Weimarer Cranachpresse veranstalteten Vergil-Druck nicht nur kannte, sondern auch die drucktechnische und buchkünstlerische Mustergültigkeit zu beurteilen vermochte. Die Fähigkeit, vielleicht sogar: das Bedürfnis, ein Buch allein wegen der ästhetischen Anmutung zum Objekt der Verehrung zu machen, ist unter den heute Schreibenden weitgehend zu einem Anachronismus geworden. Hauptmanns » Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume « erscheint 1928 bei S. Fischer in Berlin, gedruckt mit der WeißAntiqua bei Poeschel & Trepte in Leipzig. Druckleitung, 16
Titel und Einbandentwurf: E. R. Weiß. Um nicht zu vergessen, was da in Vergessenheit geraten ist: in das Lexikon der ausgestorbenen Wörter gehört neben » Druckwerk «, worunter die Väter das Resultat ihrer Arbeit in all seinen Fächerungen verstanden haben, und neben das Gütesiegel vom » Wohlstand des Drukkes « – ich denke an Proportionen, Farbklänge, die Mimik der Seite – mittlerweile auch die Funktionsbeschreibung » Druckleitung «. Graf Keßlers Tagebuchnotiz vom 3. Juni enthält eine höchst aufschlußreiche Wahrnehmung: » … so daß ich befürchte, daß beim Lesen für das Auge die strenge Form des Hexameters etwas irreführend wirken wird. « Welch ein sensitivierter und vorausdenkender Verleger ! Aus Hauptmanns produktivem Umgang mit dem klassischen Hexameter, den er als » notwendiges Instrument « seines personalen lyrischen Sprechens verändert hat, leitet er die Einsicht ab, daß man die Eigenartigkeit dieses Verses typographisch nicht ebenso darstellen kann wie den nichtmodifizierten Hexameter in Klopstocks » Messias « oder in Goethes » Reineke Fuchs. « Der Respekt vor dem Text, die Verantwortung für Wort und Gestaltung waren einstmals Bestandteil des verlegerischen Berufsethos. Graf Keßlers Hör-Beobachtung korrespondiert mit einem Satz aus den Schriften Paul Renners: » Die gestellte Aufgabe ist mit jeder Änderung des Wortlautes neu und fordert eine neue Lösung. « Es ist mir bis heute nicht beschieden gewesen, einem solchen Verleger zu begegnen. Es handelte sich allenfalls um 17
Literaturfunktionäre oder um Produktmanager; die einen ideologisierten, die anderen kapitalisieren. Die Brüder Janus eignen sich ohne Umschulung hervorragend zur Herstellung von gesamtdeutschem Sauerkraut. Ihre Kooperation hat, wie ich der Presse entnehme, schon begonnen. Als mein erstes Buch erschien, ein Gedichtband, ging es weder um Typographie noch um Buchkunst, sondern um die auf kulturpolitische Wundmale abzielende Behauptung einer Dame, die den unmoralischen Beruf eines amtlichen Prüfers von zu veröffentlichenden Schriften ausübte, der junge Autor habe es darauf angelegt, mit diversen Liebesgedichten – es sind sechs oder sieben von insgesamt vierzig Texten – » unsere werktätigen Frauen zu beleidigen «. Ich befand mich, während diese Verse entstanden, zwischen meinem siebzehnten und zwanzigsten Lebensjahr. Man legte mir nahe, eine selbstkritische Stellungnahme abzugeben. So bin ich in unentschuldbarer Naivität, obwohl ministeriell längst als allseitig entwickelter sozialistischer Casanova von Karl-Marx-Stadt eingestuft, wo unter Strumpfwirkerinnen und Posamentenmacherinnen das proletarische Lustleben besonders wild gebraust haben muß, dem Irrtum erlegen, in der neuen Gesellschaftsformation konnte es auch Raum geben für die eigene Subjektivität. Von meiner mitteldeutschen Verlegerpersönlichkeit, einem wegen Diebstahls in der Lederwarenindustrie entlassenen und daraufhin ins Verlagswesen kooptierten Gehilfen, erhielt ich in dem Konflikt zwar keine Un18
terstützung, aber er blieb durchaus nicht untätig und reagierte mit einer flankierenden Erziehungsmaßnahme: der Verlag, gelegentlich als geistige Heimat apostrophiert, fand es unnötig, mir die dem Band beigegebenen Holzschnitte vor Drucklegung zur Kenntnis zu bringen. Später, beim zweiten Prosabuch, wurde ich von einem Verleger angenehmerer Art aufgefordert, einen Illustrator meiner Wahl zu benennen. Schon beim Schreiben hatte ich eine kleine Liste angelegt, die die Namen einiger Grafiker sammelte, von denen ich mir eine Gleichgestimmtheit zwischen der poetisch-skurrilen Grundhaltung der Geschichten und einer freien Transformation ins Bildliche versprach. Ich entschied mich für die herrliche Ruth Knorr. Sie sagte zu und schuf 46 farbige Illustrationen und eine Reihe von Vignetten. Einige Blätter jedoch wirkten auf mich wie Ideenskizzen, wie zeichnerische Stichworte, die es auszuführen galt. Hier geriet der Glücksfall immerhin in Sichtweite: es hätte mir Freude bereitet, gemeinsam mit dem Verleger, dem Lektor und Ruth Knorr darüber in eine Fachsimpelei einzutreten. So weit wollte der am Wasser gelegene Verlag offenbar nicht gehen. Er kaufte die Illustrationen en bloc ein und nahm damit auch die künstlerische Einbuße in Kauf, die die schwächeren Arbeiten bedeuteten. Bis zum Zerfall des stark holzhaltigen Papiers wird diese solipsistische Entscheidung unübersehbar sein. Durch betonte Einfachheit, und gerade dadurch wirkungsvoll, zeichnet sich der Schutzumschlag aus, den Klaus Detjen zu » Quartiermachen « entworfen hat. Er 19
verleiht dem Band einen Anschein von Ruhe. Das bekommt einem Buch gut, das innerlich vibriert. Bindung und Beschnitt betonen den Buchblock auffallend: das Feste, Widerständige, eine Illusion von Geborgenheit suggerierend, als Analogie zum Titelwort. Der Farbklang ist nicht zufällig gewählt: der Fond dunkles Braun wie die Erde, die Schrift ein leuchtendes, flirrendes Lichtgrün wie etwas, das womöglich an Hoffnung denken läßt. In vier auf Mitte gesetzten Zeilen die Informationen für den Betrachter, den Leser: Titel, Genre, Autorenname, Verlag. » Quartiermachen « als Headline in einer halbfetten Baskerville, Fotosatz, auf Zwischenmaß vergrößert: hoch angesetzt, die gesamte Breite beanspruchend, raumgreifend, fußfassend, quartiermachend auf dem erdigen Papier-Grund. Zwischen ihr und der zweiten Zeile eine optische Zäsur, der Durchschuß größer als zwischen den übrigen Zeilen – allesamt 28 Punkt kompress, also Doppelmittel – und somit Distanz schaffend zu den nachgeordneten Mitteilungen. Mir hat diese Herausstellung des Titelwortes, das ja ein poetologisches Programm umfaßt, sofort gefallen. Walter Tiemann verweist einmal auf die » k leinsten Bezirke «, in denen sich Vollkommenheit ausdrückt. Hier ergibt sich wie von selbst, nämlich aus der Unterlänge des Q, eine ornamentale Schmuckform. Sie wirkt, wenn man nur lange genug hinschaut, immer verspielter und heiterer, fast mutwillig; sie gaukelt Leichtigkeit vor und gleicht doch halb dem Omega – die folgenden Buchstaben in ihrer Antiqua-Bedachtsamkeit scheinen sich tonlos dagegenzustemmen. 20
Klaus Detjen
Und eine weitere Sensation: nach » Gedichte «, in der dritten Zeile, die den Autorennamen nennt, entsteht durch das vorangestellte » von «, ohne daß die Symmetrie des Schriftblocks gestört wird, dennoch eine geringfügige, beinahe unmerkliche Asymmetrie. Alle Zeilen beginnen versal, plötzlich die Abweichung: das kleine » v « tanzt aus der Versalien-Reihe und drängt die Versalien des Vor- sowie des Zunamens nach rechts. Die Folge: das optische Gewicht der Zeile verlagert sich. Etwas gerät ins Wanken. Derlei, so sehe ich es, ist nichts anderes als das typographische Dementi unserer Zuversicht, es wäre ein Leichtes, Quartier zu machen. Von dem Mann, auf den ich jetzt zu sprechen kommen muß, muß ich ebenso schnell wieder wegkommen. Darin aber besteht eine siebenstufige Schwierigkeit. 1. Stufe: Sein buchkünstlerisches Werk hat einen beträchtlichen Umfang erreicht. 2. Stufe: Die Bücher, die er ausstattet, sind visuell dermaßen wohlhabend und wohltuend, daß sie nicht eigentlich sieht, wer sich mit dem schnellen Augen-Blick begnügt. 3. Stufe: Einen Buchkünstler wie ihn mag Paul Valéry im Sinn gehabt haben, als er schrieb: » Wenn Papier und Druckfarbe harmonieren, die Schrift edel ist und der Satz wohl ausgeführt, die Zurichtung ohne Makel und der Druck vorzüglich, dann begegnet der Autor seiner Sprache und seinem Stil in gewandelter Form. Er glaubt eine klarere, sicherere Stimme als die eigne zu hören, eine fehlerlos reine Stimme. « 22
Juergen Seuss
4. Stufe: Seine Arbeiten sind auf vertrackte Weise komplex. Sie stellen Beispiele für eine Kombinatorik im Kopf dar, die alles umfaßt, was in diesem Metier wünschenswert erscheint: handwerkliches Können und schöpferischer Umgang mit der Tradition, ästhetische Sicherheit und politisches Engagement, Belesenheit und Hingabe an die Literatur, letzteres bis über den Rahmen des Überziehungskredits hinaus, so daß in seinem Haus die tragenden Wände die Bücherwände sind. Die Ergebnisse seiner Produktion gleichen in ihrem polygrafischen Spektrum jenen Kombinaten, die uns unter den Sprachblättern von Carlfriedrich Claus begegnen. 5. Stufe: Er hat zwei Bücher, die ich gemacht habe, noch einmal gemacht, indem er sie in zwei typographische Dialekte übersetzte. (Ich glaube einen südwestosterländischen Akzent herauszuhören.) 6. Stufe: In einem der beiden Fälle verstrich von der Assenheimer Verlobung mit dem Projekt bis zum Belegexemplar so viel Zeit, daß es durchaus nicht gedankenlos war, wenn ich in meinen Neujahrsgrüßen an ihn immer denselben Wunsch wiederholte. 7. Stufe: Juergen Seuss Lipsiensis ist mein Freund. Diskurse über das Buch als Gesamtkunstwerk, über den demokratischen Charakter der Entwicklung des Buchdrucks seit Gutenberg und, wie er meint, das Demokratiedefizit im Buchkünstlerischen gehören zu unserer Themenunendlichkeit. Er fordert mich heraus durch außergewöhnliche Fragestellungen. Er ist, im Wortsinn, ein förderlicher Mit-Arbeiter. Das Ausstattungsverzeichnis Juergen Seuss hat man 24
Juergen Seuss
sich als Endlos-Leporello vorzustellen: Jack-LondonAusgabe, Glaßbrenner-Ausgabe, Istrati-Ausgabe (die ersten Bände), Bobrowski-Ausgabe, Bibliothek der Exilliteratur, Geoffrey Treases » Pfeile gegen Barone «, Francis Scott Fitzgeralds » Bernices Bubikopf « – ich deute nur an. Ich unterschreibe sofort die bibliographische Kapitulationserklärung und verlasse ihn, in dem viel drinsteckt: der Autor im Verleger; im Lektor und Herausgeber der Lehrer; im Büchermacher der Grafiker und Druck-Kalligraph, von allem etwas in jedem und das Ganze in einem Gohliser Menschen an unserer Seite. Stufe 7 a: Das von Albert Kapr herausgegebene Standardwerk » Traditionen Leipziger Buchkunst « schließt mit Horst Erich Wolter. Die Möglichkeit einer anderen politischen Biographie vorausgesetzt, hätte es wohl auch einen anderen, einen weiterführenden und wiederum vorläufigen Schlußpunkt haben können. Brechts nützlicher Vers » Um uns selber müssen wir uns selber kümmern « zeigt auch noch in der Beschränkung auf den Verfasser seinen Nutzen. In den Notizen » Über das Äußere von Gedicht-Ausgaben « hat Brecht, dem es schwerfiel, sich von einem abgetragenen Mantel zu trennen, ein Geständnis über eine ihn unerwartet heimsuchende, jedoch nicht ganz uneigennützige Verschwendungssucht abgelegt: » Lasse mich dazu verführen, eine Erstausgabe der Hölderlinschen Gedichte und eine Zweitausgabe von ›Hermann und Dorothea‹ zu kaufen. Das kann man den Druckern zeigen ! Welcher Geschmack ! Wie feinfühlig wird da auf die Gedichte ein26
gegangen ! Im ganzen wie im einzelnen. Unaufhörlich läßt der Drucker sich von dem Gedicht Probleme stellen, und kühn löst er sie. « Die zweite Notiz: » … bei Stichnote in Potsdam, wegen des Drucks der Gedichtbände. Ich zeigte ihm die ›Hermann und Dorothea‹-Ausgabe von 1799, aber er schlug nun, teils um die Zeilen gewisser Gedichte nicht brechen zu müssen, teils seines Eindrucks meiner Gedichte als recht sachlicher Gebilde wegen, ein kleines, sehr breites Format vor, das den Eindruck eines Kataloges für optische Geräte vermittelte. Ich versuchte zu erklären, daß ich, mein frisches Kupfer ausstellend, zeitweilig von der Patina traditioneller Aufmachung von Gedichten borgen müsse. « Die Aufzeichnungen stammen aus den Jahren 1948/49, also aus der Zeit kurz nach der Rückkehr Brechts aus dem Exil. Sie sind auch ein Indiz dafür, wie verheerend sich der Traditionsbruch von 1933 im buchkünstlerischen Bewußtsein ausgewirkt hat, selbst bei einem Autor vom Rang Brechts. Ausgesprochen unsicher tastet er sich ins ausgehende 18. Jahrhundert zurück; und das listig gewählte Verb » borgen « muß ihm in einem Moment entschlüpft sein, in dem seine Dialektik kein Lob verdient. Bei Strafe des Epigonentums (und ich spreche diese Binsenwahrheit getrost aus): wer von der Tradition nimmt, muß auch etwas Neues hinzufügen. Goethe erlaubt es seinem Verleger, den » Wilhelm Meister « in einer neuen Schrift, der Unger-Fraktur, zu drukken. » Muß man nicht das Publikum schätzen «, antwor27
tet ihm Unger, » daß sich nach dem Geschmack eines Göthe richtet ? « In demselben Brief spricht er von dem » Glück, das itzt die neuen deutschen Buchstaben beim Publikum machen «. Genau an diesem Punkt findet der Umschlag statt: der Mut, Neuland zu betreten, zahlt sich auch ökonomisch aus. Die Brüder Heartfield/Herzfelde, die 1951 die » Hundert Gedichte « und ab 1961 die achtbändige Ausgabe der » Gedichte « ausstatten, haben, an den Geist des MalikVerlages anknüpfend, Brechts eher bescheidene buchästhetische Vorstellungen überholt. Immerhin, Brecht hat über den wichtigen Schritt vom Schreiben zum Drucken nachgedacht. Belege aus der Gegenwart fallen hingegen spärlich aus. Wenn überhaupt, dann sind es Teilaspekte, um die sich Autoren kümmern: Enzensberger typographiert seine frühen Gedichtbände, Grass entwirft Umschläge und schmückt den Text als Zeichner, ähnlich verfahren gelegentlich Meckel, Hildesheimer, Peter Weiss oder Kunert. Um Buchkunst handelt es sich dabei nicht, bestenfalls um Freude am bildnerischen Schaffen. Am weitesten ist Günter Bruno Fuchs gegangen, der seinen Büchern nicht nur Originalholzschnitte beigegeben hat, sondern auch die Gestaltung der Schutzumschläge und der Einbände übernahm. Das Experiment der Eremiten-Presse von V. O. Stomps, in der Autoren ihre Bücher selbst gesetzt, selbst gedruckt und selbst gebunden haben, hat keine Fortsetzung gefunden, die von Belang wäre. Fazit: Arbeitsfreundschaften zwischen Verlegern, Autoren und Buchkünstlern bestehen so gut wie nicht. Am 28
mangelnden künstlerischen Potential kann es nicht liegen, wenn man nur an Namen denkt wie Hellmis, Kapr, Reher, Schauß oder Walch und an Edelmann, Detjen, Willberg oder Seuss. Und unter denen, die nicht mehr leben, erinnere ich mich mit der Dankbarkeit des Sammlers an Wittkugel, Wolter, Fleckhaus, Jähn. Liegt die Schuld an der Misere vielleicht in den Verlagen selbst ? Bedeutende literarische Häuser wie Hanser, Insel, Klett-Cotta, Kösel (in der Ära Pfäfflin), Rowohlt, Suhrkamp liefern – wenigstens mit Teilen ihrer Produktion – den Gegenbeweis. Ausdrücklich hervorzuheben ist hier das beispielhafte buchkünstlerische Wirken der Büchergilde Gutenberg, deren künstlerischer Leiter zehn Jahre Juergen Seuss gewesen ist. Seit 1985 verfügt auch der Leipziger Reclam-Verlag mit der Dürer-Presse über ein Forum für Buchkunst. Worin also liegen die Ursachen dafür, daß die, die bei der Herstellung eines Buches vielfach aufeinander angewiesen sind, nicht zusammenkommen und diesen bedauerlichen Zustand ganz offensichtlich nicht einmal realisieren ? Die Gründe mögen unterschiedlicher Natur sein; einer aber ist entscheidend: Der Bezug zu jener bahnbrechenden Reformbewegung, die der unerschöpfliche und vielseitige William Morris von England aus mit den Drucken seiner 1891 gegründeten Kelmscott Press eingeleitet hat, dieser Fixpunkt einer Erneuerung ist – wiederum datierbar mit 1933 – verlorengegangen. Es geht mir, wenn ich etwas wehmütig daran erinnere, nicht um Rückgewandtheit, denn gerade das entspräche nicht den Intentionen von Morris, der ein Pionier 29
des erneuerten Kunsthandwerks und der erneuerten Buchkunst war. Wohl aber plädiere ich für eine aktive, schöpferische Rückbesinnung – mit allen Sinnen, auch mit dem siebenten – und für die Wiedergeburt der Dreieinigkeit von Buchkörper, Buchseele und dem Geist des Buches, womit eine mir sehr liebe Assoziation zum Menschen angedeutet ist. Wir besitzen den ungehobenen Schatz einer reichen buchkünstlerischen Tradition, wir verfügen über ungeahnte technische Möglichkeiten. Was spricht dagegen, uns mehr, viel mehr schöne Bücher zu schenken, in denen das Sensorium der neunziger Jahre zu spüren ist ? Es wird schon dafür gesorgt werden, daß meine Hoffnungen nicht bis in den Himmel wachsen. Ich warte nicht auf den Tag, an dem die » Marginalien « oder das » Philobiblon « melden, ein Autor habe sich eine eigene Druckschrift geschaffen. Aber William Morris und Stefan George – dank sei seinem Schriftschneider Melchior Lechter – haben dieses Verdienst. Für wahrscheinlicher halte ich folgende Nachricht: » Der Lyriker, Dramatiker und Publizist X. hat ein Kinderbuch geschrieben und die Ausstattung von A bis Z selbst übernommen. « Das wäre ein Anlaß zur Freude und doch nur die Wiederholung dessen, was Ernst Kreidolf mit den ›Blumenmärchen‹ schon um 1900 getan hat. Denkbar auch, etwa in der Rubrik » Neues aus unseren Polizeikreisämtern «, eine Meldung wie diese: » In Moritz bei Riesa, dem Geburtsort des hinlänglich bekannten Anarchisten und Linkssektierers Max Hoelz, hat sich ein Maler-Dichter niedergelassen und mit der Erzeu30
gung von Büchern begonnen, die er als ›radikal‹ bezeichnet. Wie ein Pressesprecher auf Befragen mitteilte, handelt es sich dabei um eine rein typographische Opposition im Rahmen der geltenden Gesetze. « Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich, Derartiges lesend, an Kurt Schwitters und seine Merz-Bücher erinnert fühlen würde. Aber sicher bin ich mir, daß uns diese künstlerisch radikalen Bücher fehlen. Die Erfahrung lehrt, daß solche Objekte immer im Widerstand gegen etwas entstehen. In den siebziger und achtziger Jahren waren es Zeitschriften, die im Prenzlauer Berg, in Dresden und anderswo gemacht worden sind. Ihre Entstehung vollzieht sich jeweils nach einer physikalisch-politischen Gesetzmäßigkeit: Druck erzeugt Gegen-Drucke. Nicht der Presse zu entnehmen brauche ich die Erinnerung an zwei Leistungen der deutschen Buchkunst, die zum kostbarsten gehören, was sie hervorgebracht hat: Otto Julius Bierbaums Zusammenarbeit mit Emil Rudolf Weiß bei der Ausstattung des Bühnenspiels » Gugeline «, das 1899 im Insel-Verlag Leipzig erscheint, und die postume Würdigung Georg Heyms durch Ernst Ludwig Kirchner, der » Umbra Vitae « 1924 im Kurt Wolff Verlag, München, herausbringt, gedruckt in Leipzig von der Spamerschen Buchdruckerei. Beide Werke bezeichnen Sternstunden, und ich zögere nicht, sie Gnadengaben zu nennen. So säkularisiert unsere Zeitläufe auch sein mögen: mit weniger als geradezu religiöser Hingabe an den Text werde ich mich nicht mehr zufriedengeben. 31
Walter Tiemann
Walter Tiemann
Paul Renner
Paul Renner
Hermann Zapf hat von der » großen Tradition des Alphabets « gesprochen, der der Buchkünstler stets verpflichtet sei. Und sie steht, nach Schiller, in einem unauflöslichen Zusammenhang mit unserer zweifachen Verpflichtung als Staats- und als Zeitbürger, woraus Paul Renner, indem er seinerseits ein Wort von Renoir in Erinnerung ruft – » Man muß die Malerei seiner Zeit malen « –, den Schluß zieht: » Das gilt von allen Berufen. Und deshalb genügt es nicht, schöne Bücher herzustellen. Wir haben uns um die Buchform unserer Zeit, um die moderne Buchform zu bemühen. « Erbe schließt diesen Gedanken mit der Warnung, sich » Buchformen der Vergangenheit zum Vorbild « zunehmen, » ohne zu bedenken, wie zeitbedingt sie bei all ihrer Schönheit waren. « Der » König der Drucker «, Giambattista Bodoni, hat ein ästhetisches Credo hinterlassen, das Gültigkeit beanspruchen darf: » Keine Kunst hat ja mehr Berechtigung, ihren Blick auf die zukünftigen Jahrhunderte zu richten, als die Typographie. Denn was sie heute schafft, kommt der Nachwelt nicht weniger zugute als der lebendigen Generation. « In seinem Reisetagebuch » Rom, Neapel und Florenz « schildert Stendhal einen Besuch bei Bodoni. Der Meister zeigt ihm mehrere von ihm veranstaltete Drucke, darunter einen Boileau, und bittet den Gast um ein Urteil. Als er spürt, daß Stendhal, dem alles » gleichermaßen schön « erscheint, kein Auge für Unterschiede und Valenzen hat, bricht er in den Klageruf aus: » Ach, Monsieur, boileau despréaux, in einer einzigen Zeile und 36
in Großbuchstaben ! Ich habe sechs Monate gebraucht, bis ich die richtigen Lettern fand. « Stendhals Kommentar: » Das ist das Lächerliche an den Leidenschaften. « Gelobt sei derjenige Buchkünstler, der, um noch einmal mit Walter Tiemann zu sprechen, » auch die schlichteste, dem einfachen Gebrauch dienende Sache zu einer Vollkommenheit zu bringen vermag, die letzten Endes das sichtbare Zeichen des kulturellen und zivilisatorischen Niveaus eines Volkes ausmacht «. Brechts Empfehlung, mit Anmut und Mühe, mit Leidenschaft und Verstand nicht zu sparen, erweist sich, wie man sieht, als ein Vorschlag, dessen Annahme uns alle nicht nur in der Politik ehrte. Die Sorgfalt und Umsicht, das Gespür für das Wesen eines Textes, das Bodoni bei der Gestaltung des Haupttitels zu Boileau zeigt, hätte ich mir bei der Typographierung von » Irrwisch « gewünscht. Dieses lange Gedicht oder kleine Poem, das mir wichtig ist, habe ich im Sommer 1980 geschrieben. Es führt ein Thema weiter, das mich schon in » Quartiermachen « beschäftigt hat: den Konflikt zwischen Geist und Macht in dem Teil meines Vaterlandes, das nicht müde wurde, mich innerhalb und später auch über zwei Staatsgrenzen hinweg operativ zu bearbeiten. Von » Irrwisch « existieren zwei Pressendrucke; buchkünstlerisch sind sie mißratene Zwillinge. Ich stelle mir vor: Bodoni der Jüngere bespricht mit mir anhand von Satzproben, die er vorbereitet hat, als erstes das Format. Die Proben zeichnen sich durch eine ausgewogene Proportionalität zwischen den Zeichen und 37
der unbedruckten Fläche aus. Frei entfalten sich die Verse in der weißen Ebene, der Text atmet. Wir verständigen uns bei Unstrutwein, um die Süße der Arbeit zu dämpfen, auf 36,5 × 48,5. Keine Illustrationen. Der Text soll sich allein über den Wortlaut vermitteln. Als gestalterisches Entree erwägen wir ein ganzseitiges Frontispiz. Vorstellbar wäre, das assoziationsgesättigte Titelwort zu interpretieren, die grafische Übersetzung in einen Bild-Irrwisch. Ich schlage ein Blatt aus dem Nachlaß von Gerhard Altenbourg vor. Er denkt an eine der KnotenschriftLithographien von Max Uhlig. Wer hat Joachim John genannt ? Wir erliegen der Versuchung, in Namensketten zu denken: Dieter Goltzsche, Fridolin Frenzel und Klaus Magnus, oder doch die Jüngeren: Via Lewandowsky, Bernd Schlothauer, Wolfram Sulek. Die Entscheidung wird vertagt. Das Papier. Nichts Kostbares, keine Prunkentfaltung auf der Basis von Holzschliff, die Oberfläche porig, angerauht, optische Weißtöner kommen nicht in Betracht. Das Material als Indiz für die Vorläufigkeit der Gedanken. Wir stellen uns die Frage, ob uns genügt, was zur Genüge vorhanden ist. Man könnte sich mit Papiermacherschulen in Verbindung setzen, dem Oskar-vonMiller-Polytechnikum in München, der Technischen Hochschule Darmstadt. Wie aus einem Mund der Zuschlag für die Schrift: eine klassische Bodoni, 12 Punkt, weil in ihr Klarheit und Schönheit verschwistert sind und weil sie über eine hohe Leserlichkeit verfügt, die die Konzentration des Lesen38
Paul Renner
den nicht durch ornamentale Reize vom Inhaltlichen ablenkt. Unterdessen sind wir, stelle ich mir weiterhin vor, zur zweiten Flasche Unstrut übergegangen. Ich suche nach einer Lösung für den Einband, die das Unstete, das sowohl Verlockende als auch Irreführende des Titelmotivs haptisch, also über den Tastsinn, be-greifbar macht: vielleicht ein weicher, schmiegsamer, der Hand schmeichelnder Karton, der zugleich, bedingt durch die nur geringe Stabilität des Großformats, das Trügerische der Beständigkeit zeigt. Mein Bodoni treibt die Überlegung auf die Spitze, indem er bei der Schriftgestaltung des Einbands, des Rükkentitels und der Titelei für größte Nüchternheit und Strenge eintritt und die Schönheit ausschließlich aus den Charakteristika der Letter entwickelt. Tiemanns Arbeiten in ihrer Formenfülle gelten ihm bereits als halbbarock; er bevorzugt die Kargheit Poeschels, um sich dann unwiderruflich für den Altmeister Giambattista zu entscheiden. Somit steht das typographische Konzept fest: die Vermittlung des Gedankens hat » ohne Wegverlust «, wie Cobden-Sanderson fordert, und ohne jeden anderweitigen Beistand allein über das Zeichen zu geschehen. Das bedeutet auch: Verzicht auf gemischte Schriften in der Titelei, keine zweite Farbe, keine Initialen, die Paginierung wird auf die reine Zählfunktion reduziert. Und es bedeutet außerdem: durch die Minimalisierung der gestalterischen Mittel wird das Frontispiz als grafischer Prolog stark aufgewertet. Seine ästhetische und 40
stoffhafte Energie muß so intensiv sein, daß sie über alle Partien des Textes ausstrahlt und den Leser aufnahmebereit macht, ihn rezeptiv vorbereitet auf das Punctum saliens des Verfassers. Ein glücklicher Ausgang, zugegeben, wenn er sich dergestalt ergäbe. Aber doch einer, der möglich scheint. So jedenfalls schien es mir, als ich mich mit diesem Mann, dem ich zutraute, er konnte ein Bodoni sein, ins Gespräch verstrickte. Und so wäre es ja auch vielleicht, unter Umständen und für den Fall, daß es gar nicht notwendig gewesen wäre zu sagen, was ich gesagt habe. An dieser Stelle endet meine Vorstellungskraft. Mit einem Auge nach dem Kommunikationsdesign, mit dem anderen nach der Computergrafik schielend, fällt es mir trotz aller Selbstermunterungen nicht leicht, einfach an sie zu glauben, an diese Science-fiction der Buchkunst: der Autor der Leib und der Setzer die Seele. Allerdings, Weimar 1802: » Nur der Irrtum ist das Leben «.
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/ T Y P O G R A F I S C H E S B E I S P I E L 1 / Gerhart Hauptmann, Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume. S. Fischer Verlag, Berlin 1928. Erstauflage. Ausstattung und Druckleitung E. R. Weiß. Abgebildet sind der Innentitel (Seite 3) und zwei gegenüberliegende Textseiten (156/157). Schrift Weiß-Antiqua / T Y P O G R A F I S C H E S B E I S P I E L 2 / Bernd Jentzsch, Quartiermachen. Gedichte. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1978. Erstausgabe. Abgebildet ist die von Klaus Detjen gestaltete Vorderseite des Umschlags. Schrift Baskerville (im Original grün auf dunkelbraunem Fond) / T Y P O G R A F I S C H E S B E I S P I E L 3 / Katherine Mansfield, An der Bucht / Das Gartenfest. Zwei Erzählungen. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1988. Erstauflage. Ausstattung und Druckleitung Juergen Seuss. Abgebildet ist die Vorderseite des Deckelüberzugs. Schrift Walbaum / T Y P O G R A F I S C H E S B E I S P I E L 4 / Johannes Bobrowski, Litauische Claviere / Mäusefest / Der Mahner / und andere Erzählungen. Mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach und Zeichnungen von Klaus Waschk. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1990. Erstauflage. Ausstattung und Druckleitung Juergen Seuss. Abgebildet ist der Innentitel (Seite 3). Schrift Garamond / T Y P O G R A F I S C H E S B E I S P I E L 5 / Arthur Graf Gobineau, Die Renaissance. Historische Scenen. Übertragen von Bernhard Jolles. Im Insel-Verlag, Leipzig 1912. Erstauflage. Ausstattung und Zeichnung des Rahmens Walter Tiemann. Abgebildet ist der doppelseitige Innentitel (Seite 2 und 3). Schrift Garamond / T Y P O G R A F I S C H E S B E I S P I E L 6 / Molières Sämtliche Werke in sechs Bänden. Herausgegeben von Eugen Neresheimer. Georg Müller Verlag, München und Leipzig 1911 ff. (Band 5 erschien 1913). Erstauflage. Ausstattung Paul Renner. Abgebildet ist der doppelseitige Innentitel (Seite 2 und 3). Schrift Didot-Antiqua / T Y P O G R A F I S C H E S B E I S P I E L 7 / Hans Brandenburg, Chloe oder Die Liebenden. Roman. Georg Müller Verlag, München und Leipzig 1909. Erstausgabe. Abgebildet ist der von Paul Renner geschriebene Innentitel (Seite 3)
/ I M P R E S S U M / © 1991 by Bernd Jentzsch. Alle Rechte für diese Ausgabe by C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung München, 1991. Ausstattung Juergen Seuss, Niddatal bei Frankfurt Main. Satz und Druck Offizin Andersen Nexö (BT Hochdruck), Leipzig. Schrift Cicero und Petit Bodoni-Antiqua (Linotype). Lithografische Arbeiten RGD-ReproGruppe Dreieich, Langen. Bindearbeiten Realwerk G. Lachenmaier, Reutlingen. Papier Strathmore Writing 118 g (über SchneiderSöhne Frankfurt Main). isbn 3 406 35885 3. Printed in Germany