Gruselspannung pur!
Berlin Alexanderplatz - vor 800 Jahren…
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Berlin, Alexand...
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Gruselspannung pur!
Berlin Alexanderplatz - vor 800 Jahren…
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Berlin, Alexanderplatz. Nichts wies auf den Spuk hin, der an diesem lauen Spätsommerabend hier erscheinen sollte. Fußgänger flanierten am Alex, der die Atmosphäre einer modernen Metropole ausstrahlte. In den Straßencafes saßen dichtgedrängt die Gäste. Autos rollten vorüber, und die S-Bahn spie Passagiere aus. Da, plötzlich, im letzten Tageslicht flimmerte es in der Luft! Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
Ein hochgewachsener, krummnasiger Araber erschien gerade vor einem Hoteleingang. Dort stand ein livrierter Page unter dem Baldachin, dessen vordere Tragsäulen Topfpalmen flankierten. Der Hotelangestellte stutzte zunächst, als er den dunkelgesichtigen Mann in wallenden Gewändern und Turban sah. Aus diesem Turban ragte die Spitze eines runden Eisenhemds. Wer genauer hinsah, erkannte, daß der Araber ein Kettenhemd unter dem Gewand anhatte. Ein Krummsäbel hing an seiner Seite. Auf dem Rücken hatte er einen Köcher mit Pfeilen, und über der linken Schulter trug er einen kurzen Bogen. »Allahu akbar!« rief er entsetzt beim Anblick der Neonreklamen, Schaufenster, Autos, des Platzes und der Passanten. Weit riß er die Augen auf. Ein Wortschall quoll aus seinem bartumrahmten Mund. Das Wort Sheitan war deutlich herauszuhören. Den Rest konnte man nicht verstehen. Jedoch war zu erkennen, daß der fremdartig gekleidete Krieger tödlich erschrocken war. Kein Wunder, Sheitan bedeutete Teufel! Der Portier hatte sich wieder gefaßt. Er glaubte, der Fremde vor ihm sei aus einer Ladenpassage gekommen, wo er mit seinem Auftritt für den ultimativen Werbeeffekt hatte sorgen sollen. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß dieser Mann aus dem Nichts materialisiert war. »Männeken!« rief er. »Hat dich deine Olle so auf die Straße gelassen? - Da lachen ja die Hühner in Pankow! - Biste bekifft, oder tickste nich richtig? Karneval ist vorbei.« Lachend näherte er sich dem Exoten, um ihn freundschaftlich bei der Schulter zu fassen. Das bekam ihm schlecht. Der Araber reagierte total verwirrt auf die fremde Umgebung und zog blitzschnell sein Schwert. Es zischte durch die Luft. Mit einem einzigen Hieb schlug er dem Portier die Hand ab! Der schaute entsetzt auf den Armstumpf und konnte nicht fassen, was er da sah. Dann, als er begriff, was ihm zugestoßen war, schrie er gellend auf. Autofahrer stoppten abrupt beim Anblick dieser Szene. Passanten kreischten. Ein Busfahrer konnte sein schweres Gefährt nicht so schnell abbremsen und fuhr einem PKW hinten drauf. Der Araber sah den Doppelstockbus und brüllte vor Angst. Wieder flehte er Allah um Hilfe an, denn die fremde Umgebung versetzte ihn in Angst und Schrecken. Rasch stieß er den Säbel in die Scheide, nahm den Bogen von
der Schulter und schoß einen Pfeil ab. Das geschah mit einer fließenden, schnellen Bewegung. Der Pfeil bohrte sich krachend in den Kühler des Busses. Der Busfahrer erbleichte. »Einen Meter höher, und der Pfeil hätte mich getroffen«, flüsterte er mit zitternder Stimme. Der Araber wich in Richtung Hoteleingang zurück. Der Portier war inzwischen ohnmächtig zusammengebrochen. Die Passanten wagten nicht, den Araber anzugreifen. Jeder wußte, daß er trotz seiner altmodischen Waffen ein gefährlicher Kämpfer war. Der Araber steckte den zweiten Pfeil, den er bereits an der Sehne gehabt hatte, wieder in den Köcher zurück, hängte den Bogen über die Schulter und schwang seinen Krummsäbel. Schreckensstarr verfolgten das die Passanten. Der Krieger wollte ins Hotel, wich dann aber vor der Drehtür zurück. So etwas hatte er auch noch nicht gesehen. Nun wußte er überhaupt nicht mehr, was er tun und wohin er gehen sollte. Er stand unter Schock. War deshalb unberechenbar. Während ein zufällig anwesender Mediziner den bewußtlosen Portier verarztete, rannte der Araber quer über den Alexanderplatz. Wild und ratlos zugleich schaute er sich um. Dann schrie er wieder etwas, worin der Name Fatma vorkam. Er erblickte die Silhouette des Fernsehturms - solch ein hohes Gebäude hatte er noch nie gesehen - und entsetzte sich. Entweder mußte er geistig völlig verwirrt sein, oder er stammte aus einer anderen Zeit. Aus der Vergangenheit. Sindbad der Seefahrer konnte sich im Land der Zyklopen nicht mehr entsetzt haben als er. Der Arzt blieb bei dem schwerverwundeten Portier und wartete auf den Notarztwagen. Er erklärte den Umstehenden, dem Mann könne in der Charité die Hand wieder angenäht werden. Dort müsse er schleunigst hin. Polizei und Notarzt waren bereits verständigt. Es konnte sich nur um Minuten handeln, bis sie eintrafen. Doch bis dahin geschah noch allerhand. Die Passanten flohen entsetzt vor dem vermeintlich Wahnsinnigen. Ebenso die Gäste des Straßencafes, auf das der fremde Krieger zumarschierte. Er sah die unter grünen Sonnenschirmen stehenden Tische. Die Sonnenschirme erinnerten den Araber an seine Heimat. Doch sonst fühlte er sich hier völlig fremd. Wie in einem Alptraum befangen.
Als er am Zugang der U-Bahnstation Alexanderplatz vorbeikam, fuhren gerade zwei schwarzunifomierte Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes die Rolltreppe hoch. Der vordere hatte einen Schäferhund an der Leine. Die beiden Security Guards sahen den säbelschwingenden Mann sofort. »Wat is denn det for eener?« fragte der eine Schwarze Sheriff. »Haltet den Mann fest!« rief da ein Passant. »Er hat gerade jemanden umgebracht.« Das war übertrieben, alarmierte jedoch die Sicherheitsdienstler. Der eine ließ den Schäferhund von der Leine. Der andere nahm die chemische Keule vom Gürtel. Der Hund hetzte auf den Araber zu. Zum Angriff kam er jedoch nicht mehr. Blitzschnell hatte der fremde Krieger einen Pfeil auf ihn abgeschossen. Ehe der zweite Sicherheitsdienstler die chemische Keule einsetzen konnte, zerschlug der Araber das unter Druck stehende Behältnis. Sofort breitete sich ein stechender Geruch aus. Dann schickte der Araber den Sicherheitsmann mit einem Schwinger zu Boden. Der Hundeführer wich zurück. Er hatte keine Schußwaffe, nur einen Schlagstock, der ihm nicht geeignet erschien, es mit einem derart gefährlichen Gegner aufzunehmen. Das war kein ausgemergelter Junkie, sondern ein bewaffneter Kämpfer, der im Angriff die beste Verteidigung sah! Der Sicherheitsdienstler streckte dem Araber abwehrend die Hand entgegen und wich vor ihm zurück. Er riß sein Walkie-talkie vom Gürtel und bat aufgeregt um Verstärkung. Der Araber beachtete ihn nicht weiter, weil er sicher war, daß von ihm keine Gefahr mehr drohte. Während er ein paar Schritte zur Seite ging, geriet er auf die abwärts führende Rolltreppe. Entsetzt schrie er auf. Rief dann das arabische Wort für Hölle. Vermutlich fürchtete er, hinab in die Hölle zu fahren. Am Ende der Rolltreppe stolperte er, fiel auf alle Viere und sprang gleich wieder auf. Er lief über die B-Ebene und konnte nicht fassen, was er da sah. Die Läden, Verkaufsstände, die Zugänge zu den U-Bahnsteigen, die Anzeigetafeln und Fahrkartenautomaten, die jedes Kind kannte, waren ihm völlig fremd. Bei einer Buchhandlung schleuderte er ein paar Bücher mit dem Säbel durch die Luft. Ein Junkie, der sich in der Ecke die Spritze setzte, beobachtete
ihn staunend. »Hey!« jubelte er, »was für ein Flash! Geiles Zeug wirkt direkt!« Niemand wagte es mehr, sich dem Araber in den Weg zu stellen. Er pflügte durch die B-Ebene und kam auf der anderen Seite die Fußgängertreppe wieder hoch. Inzwischen war das Überfallkommando eingetroffen. Ein Mannschaftsbus mit Beamten, die Schutzhelme und kugelsichere Westen sowie stabile Schutzschilde trugen. Das Sirenengeheul eines Rettungswagens scheuchte die Gaffer zur Seite. Polizisten stürmten die Treppen hinunter und sperrten die Zugänge zum Alex ab. Der Teufel war los! Dem flinken Araber gelang dennoch die Flucht in die Rathausstraße. Von Polizisten verfolgt, die er mit ihren Schilden und Uniformen deutlich als gefährliche Gegner erkannte, stellte er sich zum Kampf. Er schoß rasch hintereinander zwei Pfeile ab. Einer bohrte sich tief in eine Litfaßsäule. Der zweite prallte an der Panzerglasscheibe einer Bank ab. Jetzt gab ein Beamter einen Warnschuß ab. »Ergeben Sie sich!« hallte seine megaphonverstärkte Stimme den Araber an. »Werfen Sie Ihre Waffen weg und bleiben Sie mit erhobenen Händen stehen.« Der Araber erbebte bei dem Knall. Er hielt ihn für einen Donnerschlag. Das ihm von der Pistole des Polizisten eine echte Gefahr drohte, kapierte er nicht. Er drehte sich um und rannte Richtung Neptunbrunnen. Auf der Brunnenumrandung saßen an diesem lauen Abend an die dreißig Punker. Sie waren dem Araber genauso fremd wie er ihnen. Eine Punkerin mit lila Haaren kreischte vor Schreck. Ein anderer Punker barg rasch seine zahme Ratte in den Armen, als der Araber darauf schaute und wilde Verwünschungen ausstieß. Er fuchtelte mit dem Säbel herum. Die Punker stoben zur Seite, als der Araber zum Brunnen stürzte. Polizeipfeifen trillerten. Eine Punkerin stieß dem hochgewachsenen Randale-Axel den Ellbogen in die Rippen. »Na, Axel, willst du denn nichts unternehmen? Sonst hast du immer die große Klappe. Vorige Woche willst du es mit sechs Bullen gleichzeitig aufgenommen haben. Was ist jetzt?« »Bin ich meschugge?« fragte der hünenhafte Punker mit der Metallweste und den zahlreichen Tätowierungen. »Der Kerl da ist
irre. Ich lasse mich doch nicht aufschlitzen. Mit dem sollen sich die Bullen herumschlagen.« Sonst war er immer gegen die Polizei, jetzt war sie ihm recht. Während die Punker zurückwichen, umzingelten Polizisten den Krieger. Er hatte sich den Schweiß vom Gesicht gewaschen und ein paar Schlucke getrunken, obwohl das Wasser nicht besonders klar war und jede Menge Müll darin schwamm. Der Araber rief wieder Allah zum Schutz an und stellte sich den heranrückenden Polizisten zum Kampf. Mit einem Gewalthieb zerschlug er den Schutzschild eines Beamten und verletzte ihn am Arm. Es sah nach einem großen Getümmel und Blutvergießen aus. Doch es kam anders. Ein junger Beamter hatte sich von hinten an den Araber herangeschlichen und sprang ihn mutig an. Er riß ihn nieder. Ein Dutzend Männer stürzten sich nun auf den Araber und entrissen ihm den Säbel. Im Nu war er überwältigt und gefesselt. Mit dem Gesicht am Boden, die Hände mit Handschellen auf den Rücken gebunden, lag er da, während ihn die Beamten nach Waffen absuchten. Er wurde vorläufig festgenommen. Als ihn die Polizisten zum Wagen schleiften, wurden die Punker wieder frech. »Da sieht man mal wieder das feige Bullenpack«, giftete Randale-Axel, der vorher feige geflohen war. »Zwanzig Mann gegen einen. Anders können die es nicht.« Keiner achtete auf den Schwätzer. Der Araber saß geduckt und gefesselt auf dem Rücksitz einer Funkstreife, die ihn mit Blaulicht und Martinshorn zur Wache brachte. Der Araber zitterte während der Autofahrt am ganzen Körper. Er glaubte, im Bauch eines Zaubergefährts zu sein, einer seltsamen Kutsche, die ohne Pferde fuhr. Das konnte nur Teufelswerk sein. Das für ihn völlig fremdartige Innere des Polizeiautos, die schnelle Fahrt, der infernalische Lärm, der ihn begleitete, die vorbeihuschende Außenansicht, das alles entsetzte den Araber. Er war überzeugt, diese Fahrt nicht zu überleben. * Ich hatte Besuch und lag mit meiner Dauerfreundin Tessa Hayden im Bett. Lag ist untertrieben. Wir >turnten< wild herum,
praktizierten Bewährtes und probierten Neues aus. Durch die großen Dachfenster war es reichlich warm in der Wohnung. Der Schweiß lief in Strömen, meine Begeisterung hielt sich deshalb nach den ersten Erfolgserlebnissen in Grenzen. Die rassige Tessa war trotzdem begeistert. Wollte mehr und länger und und und… In der letzten Zeit hatte sie solche Ambitionen, seitdem sie einen bestimmten Sexfilm, fast einen Lehrfilm, im Kino gesehen hatte. Sie hatte sich auch noch Fachliteratur besorgt und wollte nun nach und nach alles mit mir ausprobieren: Wiege- und Stemmfiguren, Klammer- und Was-weiß-ich-für-Positionen… »Geht das nicht einfacher?« fragte ich sie. »Nein, nein! Mach - mach - mach jetzt bloß nicht schlapp. Bitte! - Du bist doch Zehnkämpfer - oder?« »Ich war Zehnkampfmeister, aber nicht in diesen Disziplinen. Verflucht, ich hab einen Krampf! - Auuu! - Kein Wunder bei diesen Verrenkungen…« Tessa bog sich unmöglich. Ich verfluchte die indische Liebeskunst, die für Fakire entwickelt zu sein schien. Dann jedoch vergaß ich alles. Wir brachten die Sache hinter uns. Und auch ich hatte noch meinen Spaß. Anschließend bereitete Tessa zwei eisgekühlte Drinks zu, während ich auf dem Bett lag und ächzte. »Tessa, können wir es nicht mal wieder normal machen? Vergiß diese Stellungsbücher.« »Nein«, sagte Tessa. »Ihr Männer habt alle keine Phantasie. Dann wundert ihr euch, daß euch die Frauen weglaufen.« »Was heißt hier ihr und alle?« »Dir muß man auch auf die Sprünge helfen, Mark. Ich mag die altindische Liebeskunst.« Dazu schwieg ich und ging erst mal unter die Dusche. Das Wasser wusch mir den Schweiß ab und kühlte wunderbar. Wie immer fiel mein Blick auf das fünfmarkstückgroße, siebenzackige Mal, das ich auf der linken Brust hatte. Woher ich es hatte, wußte ich nicht. In der Walpurgisnacht 1980 hatte mich der damalige Kripobeamte Ulrich Hellmann in der Weimarer Altstadt aufgefunden, splitternackt, mit einem Lederband um den Hals, an dem ein silberner Ring mit den ungewöhnlich gezeichneten Buchstaben M und N hing. Es gab an dem Ring noch ein paar andere Zeichen, mit denen ich mich in der nächsten Zeit genauer befassen wollte. Damals, als mich Ulrich Hellmann fand, war ich etwa zehn Jahre alt
gewesen, ziemlich groß für mein Alter, kräftig, doch völlig verstört und geschockt. Was in meinen ersten zehn Lebensjahren passierte, daran erinnerte ich mich bis heute nicht. Doch mich plagten oft Alpträume, an die ich mich hinterher nicht erinnern konnte. Ein Psychiater hatte mir mal gesagt, das sei auf die ins Unterbewußtsein verdrängten ersten zehn Lebensjahre zurückzuführen. Das Ehepaar Hellmann hatte mich damals adoptiert. Der Einfachheit halber und weil ich einen haben mußte, feierte ich meinen Geburtstag am 1. Mai. In der Obhut der Hellmanns war ich herangewachsen und hatte mich nach einem sehr schwierigen ersten Jahr eingewöhnt und gut entwickelt. Niemand wußte, woher ich damals gekommen war und wer meine leiblichen Eltern waren. Alle Nachforschungen hatten zu keinem Ergebnis geführt. Meine Adoptiveltern gaben mir nach den Buchstaben auf dem Siegelring, meinem einzigen Besitz, die Vornamen Markus Nikolaus. Dazu erhielt ich bei der Adoption ihren Familiennamen. Seitdem hatte ich die Jenaer Universität besucht und Völkerkunde, Geschichte und Vorgeschichte studiert sowie mein Staatsexamen in Völkerkunde abgelegt. Den Job als Wissenschaftlicher Assistent am Völkerkundemuseum in Berlin hatte ich jedoch bald aufgegeben. Mir widerstrebte der Gedanke, jahrzehntelang in eine Hierarchie eingebunden zu sein und zusehen zu müssen, wie sich andere mit meinen Erfolgen brüsteten. Ich stand dann zwar auf der Straße, aber ein Mann sollte tun, was er aus Überzeugung tun muß. In der früheren DDR hatte ich auf dem Gymnasium mit der SED und der Stasi schon meine Probleme gehabt. Weil ich lange Haare hatte, Westfernsehen schaute und laut West-Hits hörte. Beinahe wäre ich deswegen in einem Umerziehungslager gelandet. Bei den Freiheiten, die wir heute genießen, will oder kann man sich das gar nicht mehr so richtig vorstellen. Mein Vater kämpfte für mich, wandte sich an eine Parteigröße, die er seit Schulzeiten kannte, und hatte Erfolg. Meine Stasi-Akte wurde >verlegt<. Ich versprach, mich am Riemen zu reißen. Nicht aus Überzeugung, ich hatte schlichtweg Angst vor diesen Lagern. Dann kam die Wende, heiß ersehnt, hoch bejubelt und danach
realistischer betrachtet. Ich hatte damals gerade mein Abitur gemacht, wobei ich in Mathematik und Physik fast durchgefallen wäre. Meine erstklassigen Noten in Sport, Deutsch und Geschichte gaben jedoch den Ausschlag. Mein Mathematik- und Physiklehrer, den ich einmal verprügelt hatte (Siehe MH Band 1), zog sein Veto zurück. Nach der Wende leistete ich meinen Wehrdienst in einer Sportkompanie ab, studierte und trainierte fleißig im Zehnkampf und erwarb mir eine eiserne Natur - indem ich trotz des Leistungssports mehrere Freundinnen hatte. Ohne dieses kraftraubende Hobby hätte es vielleicht für die Olympiade gereicht, aber mich reizten Frauen halt mehr als Medaillen. Mit zwanzig erhielt ich von meinem Vater den Siegelring (Siehe MH Band 1). Nachdem ich beim Völkerkundemuseum gekündigt hatte, mochte ich keine feste Anstellung mehr annehmen. Ich schlug mich als Fotoreporter und bald auch als freier Journalist durch. Verfolgt oder getrieben von einer gewissen Ruhelosigkeit. Ich war auf der Suche. Wonach, erfuhr ich erst vor wenigen Tagen, als nämlich die Schreckenstage von Weimar stattfanden. Der Teufel persönlich war auf einem Blitz über Weimar dahingeritten. Er hatte sich mir gezeigt und zu mir gesprochen. Dracomar, ein dämonischer Vampir und Blutdruide, hatte die Stadt heimgesucht. Fünf Menschen waren ihm zum Opfer gefallen. Ums Haar hätten seine zu Vampiren gewordenen Getreuen die achtjährige Anna Langenbach geopfert, um den Schrecken noch zu vergrößern. Das hatte ich in letzter Minute verhindert. Unterstützt wurde ich dabei von meinem besten Freund, dem Kripohauptkommissar Pit Langenbach. Er war Annas Vater. Ich hatte Dracomar den Pflock ins schwarze vampirische Herz gestoßen und damit den Schrecken beendet. Seitdem herrschten in Weimar wieder Ruhe und Ordnung. Zahlreiche Touristen schauten sich die Sehenswürdigkeiten der Klassikerstadt an. Scharen von Studienräten wanderten die Kulturmeile entlang, vom Goethe-und-Schiller-Denkmal über den Weimarer Markt hin zum Schloß. Sie hörten das porzellanene Glockenspiel vom Weimarer Rathausturm, besuchten die Herderkiche oder die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek. Weimar bot jedoch nicht nur Kultur, sondern auch Discos, Modernes und viele hübsche thüringische Mädchen, hinter denen
ich fleißig her war, bis ich Tessa kennengelernt hatte. Ihr versuchte ich treu zu sein, aber so einfach ist das gar nicht. Weil ich als Träger des Rings jetzt aber auch andere Aufgaben hatte, als hinter jeden Rock herzustiefeln, hatte ich für mein damaliges Hobby ohnehin nicht mehr allzuviel Zeit. Mein Ring sandte Licht aus und erwärmte sich, wenn übernatürliche Kräfte am Werk waren. Was er noch alles vermochte und wie vielseitig man ihn einsetzen konnte, mußte ich noch erforschen. Es würde bis dahin vielleicht nicht mehr lange dauern, denn schon seit Tagen spürte ich, daß etwas bevorstand. Die Ruhepause nach dem Kampf gegen Dracomar war nur kurz gewesen. Ein völlig neues Weltbild tat sich mir auf. Der Teufel ist mir nicht umsonst erschienen, dachte ich. Guten Abend, Mark Hellmann, es ist wieder soweit, hatte er zu mir gesagt. Und: Diesmal kriege ich dich. Meiner Wohnung genau gegenüber hatte ich ihn in dem brennenden Dachstuhl gesehen. Er hatte mir sogar seine Visitenkarte zugeworfen. Besonders der Satz >Diesmal kriege ich dich< hatte sich in mein Gehirn eingebrannt und ließ mich seither nicht mehr los. Mephisto und ich. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, früher schon mal mit ihm zu tun gehabt zu haben. Manchmal glaubte ich sogar, daß mich Mephisto belauerte. Dann prickelte mein silberner Ring am Finger. Ich nahm dann auch einen schwachen Geruch von Pech und Schwefel wahr. Dann murmelte ich immer eine einfache Teufelsbeschwörung, die ich Goethes Faust entnommen hatte. Und sie wirkte! Nicht von ungefähr spielte Mephisto in dem Werk eine tragende Rolle. Der Autor hatte profunde Kenntnisse auch des Okkulten gehabt, was sein ungeheuer tiefgründiges Werk treffend bewies. Ich spürte wieder das Unbehagen, und der Ring meldete sich. Rasch frottierte ich mich ab, da klingelte auch schon das Telefon. Ich kann es nicht erklären, aber ich wußte, daß es geschehen würde. Mit dem Handtuch um die Hüften verließ ich das Bad. Tessa schaute auf das Handtuch, als ob sie den Knoten lösen wollte. Hilfe! dachte ich, nicht schon wieder! Wenigstens nichts Indisches! Tessa gab mir den Hörer und verschwand mit gekonntem Hüftschwung in Richtung Bad. Sie war Kripobeamtin, zwei Jahre älter als ich und meine Dauerfreundin. Ich meldete mich.
Dann Pit Langenbach mit der Antwort. »Von drauß, vom Walde komm ich her…« »Laß dir mal was Neues einfallen, Pit«, sagte ich, weil er wieder auf Nikolaus, meinen zweiten Vornamen, anspielte. Gelegentlich revanchierte ich mich mit dem Reim Der Langenbach, der Langenbach, ist in Hirn und Hoden schwach. Aber heute war es zu ernst. »Was gibt es?« blieb ich sachlich-cool. »Ich habe von einer Sache Kenntnis erhalten, die dich interessieren wird, Mark«, orakelte er. Dann berichtete er mir von dem Araber, der am Vorabend in Berlin wie aus dem Nichts erschienen war und Passanten sowie Polizisten in Atem gehalten hatte. »Seitdem wird er im Polizeipräsidium verhört und medizinischpsychiatrisch untersucht«, berichtete Langenbach. »Die Berliner Kripo fragte intern an, ob eine andere Dienststelle einen ähnlichen Fall gehabt hätte oder ob irgendwo etwas über die Identität des Mannes bekannt wäre.« »Wie ich ist er aus dem Nichts gekommen«, unterbrach ich Pit. Langenbach ging darauf nicht ein und sagte statt dessen: »Der Mann steht unter einem Schock. Bisher kennt man nur seinen Namen. Nasreddin al Mansur.« Pit gab mir die persönlichen Daten durch, erwähnte die besonderen Kennzeichen, beschrieb die ungewöhnliche Kleidung usw. »Er spricht eine altertümliche Version des Deutschen. Zwei Sätze habe ich erst verstanden: >Fatma hat mich um Hilfe geschickte< und >Dies ist nicht meine Welt<.« Langenbach legte eine Pause ein, dann fuhr er fort: »Seine Waffen und seine Kleider sind mit dem Elektronenmikroskop und dem Computertomographen untersucht worden. Nach der Radiokarbonmethode wurde das Alter bestimmt. - Stell dir vor: Nasreddin al Mansurs Waffen und Kleider stammen ziemlich genau aus dem Jahr 1200. Also kurz nach der Beendigung des dritten Kreuzzugs unter Barbarossa.« »Du brauchst bei mir nicht mit deinen Geschichtskenntnissen zu prahlen, ich bin Historiker«, antwortete ich. »Um zwölfhundert also.« »Plus minus ein paar Jahre«, ergänzte Langenbach. »Das ist ein Ding, was?« »Kann man wohl sagen. Und aus welcher Zeit stammt dieser Nasreddin?«
»Aus derselben Zeit.« Ich war sofort Feuer und Flamme. »Diesen Nasreddin würde ich mir gern einmal ansehen.« »Klaro. Ich schicke sofort ein Fax zu den Berliner Kollegen, worin ich dich als Experten empfehle. Man soll dich mit Nasreddin sprechen lassen.« »Meinst du, das klappt? So ein großer Experte bin ich ja wohl noch nicht.« »Doch, das bist du«, widersprach Langenbach. »Ich werde nie vergessen, was du im Kampf gegen Dracomar geleistet hast. Vor allem nicht, daß du unsere Tochter Anna gerettet hast. - Man ist in bestimmten Kreisen schon auf dich aufmerksam geworden und wird dich mit Nasreddin reden lassen.« »Willst du mir vielleicht einen Nebenjob beim Bundesnachrichtendienst verschaffen?« fragte ich ironisch. »Oder mich als Dozenten für Parapsychologie an die Freiburger Universität schicken?« Langenbach ging darauf nicht ein. Er wußte immer sehr viel, aber er sagte nicht alles. »Willst du nach Berlin?« fragte er, »oder willst du nicht?« »Natürlich will ich!« »Dann fahr sofort los!« »Bin schon unterwegs.« Tessa fragte entsetzt, ob ich verreisen müsse. »Nur mal kurz nach Berlin.« »Aber du wirst doch wohl noch eine halbe Stunde Zeit haben«, gurrte sie und ließ das Handtuch fallen. Ich hatte… * Zehn Uhr abends, es war noch immer nicht dunkel. Das Polizeipräsidium, wohin man Nasreddin gebracht hatte, befindet sich am Tempelhof er Damm. Ich parkte mein stahlblaues BMWCoupe in der Tiefgarage, nachdem mich der Beamte in der schußsicheren Loge kontrolliert hatte. Dann mußte ich durch die Sicherheitsschleuse. Wie am Flughafen. Es piepte nicht mehr, nachdem ich Schlüsselbund und Handy aus den Taschen geholt und hochgehoben hatte.
Man wollte verständlicherweise vermeiden, daß Terroristen oder Kriminelle hier eindrangen und Unheil stifteten. Die gesamtdeutsche Hauptstadt mit ihren über vier Millionen Einwohnern war schon ein heißes Pflaster. Eine Kriminalbeamtin, die mich ein wenig an Tessa erinnerte, begleitete mich zufällig in den siebten Stock. Ich flirtete ein wenig mit ihr, denn sie war ganz nett. Als ich den Lift verließ, empfingen mich zwei Kripobeamte in Zivil, sommerlich leicht gekleidet. Sie nannten nur ihre Nachnamen. Der eine fragte mich nach Pit Langenbach, den er von der Polizeiakademie kannte. »Raucht er noch immer Zigarillos?« wollte er wissen. »Ja. Er will es sich zwar abgewöhnen, doch das sind nur Lippenbekenntnisse. In Wirklichkeit liebt er die Stinkbolzen.« Die beiden Beamten lachten. Ich wurde in ein nüchtern eingerichtetes Vernehmungszimmer geführt. Über der Tür draußen brannte ein rotes Licht. Achtung, Verhör, bitte nicht stören! hieß das. In dem engen Zimmer waren schon sechs Personen. Als wir auch noch hinzukamen, wurde es eng. Ein hoher Polizeioffizier war da, zwei Verhörspezialisten und ein Gerichtspsychiater. Letzterer versuchte wohl mit seinem Rasputinbart die Glatze wettzumachen. Eine Protokollführerin war bereit, alles aufzunehmen. Außerdem lief ein Tonbandgerät. Der Araber Nasreddin saß am Tisch, eine Lampe strahlte ihn an. Man hatte ihm Jeans und ein Sweatshirt gegeben. Darin sah er wie irgendein Araber aus. Zwar hatte er einen markanten Kopf mit einer Hakennase, gekräuseltes, schwarzes Haar und einen kurzgeschnittenen Bart. Doch sein interessantes Profil machte ihn zunächst noch nicht zu etwas Ungewöhnlichem. Mein Siegelring fing an zu glimmen und sandte prickelnde Wärme aus, als ich den Araber anschaute. Jetzt spürte ich die besondere Aura des Arabers. Einer meiner beiden Begleiter stellte mich namentlich vor. Zu meiner Person sagte er nur: »Der Weimarer Hauptkommissar Langenbach hat Herrn Hellmann als Gutachter empfohlen.« »Ach, der«, sagte der Polizeirat, ein hochgewachsener Mann Anfang Vierzig. Er musterte mich abschätzend. »Was für einen Modeschmuck haben Sie denn da?« fragte er und zeigte auf meinen Ring.
»Modeschmuck mit besonderem Leuchteffekt«, entgegnete ich lächelnd, um davon abzulenken, und wandte mich an Nasreddin. Begrüßte ihn mit dem allseits bekannten »Salem alei-kum«. Er erwiderte den Gruß. Nasreddin wirkte erschöpft. Bestimmt wurde er schon etliche Stunden durch die Verhörmühle gedreht. In dem Zimmer gab es keine Klimaanlage, und ein Holzstuhl kann sehr hart und unbequem werden, wenn man stundenlang darauf sitzen muß. Bei meinem Anblick schöpfte Nasreddin neue Kraft. Er schaute mir in die blauen Augen und entdeckte auch meinen glimmenden Ring. Sein Gesicht hellte sich auf. Er hob die gefalteten Hände. Bevor es jemand verhindern konnte, warf er sich mir zu Füßen und küßte mir meine Turnschuhe. »Meister«, verstand ich seine Worte in einem altertümlichen Deutsch aus der Zeit des Mittelalters. »Endlich habe ich dich gefunden.« Ich zog ihn hoch. »Ein wahrer Gläubiger kniet nur vor Allah«, sagte ich zu ihm im Mittelhochdeutschen, so gut ich es halt noch konnte. Alle anderen Anwesenden hatten Verständigungsprobleme. - »Was führt dich hierher, Nasreddin? - Setz dich und sprich.« Bevor er loslegte, bestellte ich ihm Mineralwasser und Fruchtsaft. - Als der Imbiß kam, war der Araber nicht mehr zu halten. Und dann begann Nasreddin al Mansur, geboren im Jahr 1170 in der Nähe von Bagdad, zu berichten. Die Verständigung war nicht einfach, manchmal konnte ich nur raten, was er meinte. Daß >Frouden, hochgeziten< hochherzige Frauen waren, >Heleden lobebaeren< vielgerühmte oder gelobte Helden, die Minne die Liebe und >muget ir hoeren sagen< mögt ihr sagen hören bedeutete. Doch sprach Nasreddin manchmal zu schnell, dann verstand ich nichts mehr. »Der Mann ist ein Simulant«, sagte der Polizeipsychologe der nebenher auch noch Psychiater war. »Mit dem Gestammel will er auf sich aufmerksam machen. Jetzt hat er auch noch jemanden gefunden, der ihm den Mummenschanz abkauft.« »Wie erklären Sie sich die Meßergebnisse, daß dieser Mann aus dem Jahr 1200 kommt?« fragte ich den Bärtigen. »Das erkläre ich mir überhaupt nicht«, antwortete er. »Aber ich erkenne eine Schizophrenie, wenn ich sie sehe.«
»Langsam, langsam«, protestierte ich und wandte mich an den Polizeirat. »Wenn ich vernünftig mit diesem Mann reden soll, möchte ich keine Störungen.« Der Psychiater wollte sich rechtfertigen, der Polizeirat schnitt ihm jedoch das Wort ab. Der Bärtige mit der dicken Hornbrille setzte daraufhin eine finstere Miene auf, und ich sprach weiter mit Nasreddin. »Meine Herrin Fatma al-Zani hat mich geschickt, um den Meister zu finden, den Retter zu holen«, verriet er mir. Das ist hier in modernes Deutsch übersetzt. »Sie wird von Heinrich von Schwarzenfels, den man auch den Schwarzen Ritter nennt, auf seiner Burg gefangengehalten. Der Schwarze Ritter hat Fatma vom Kreuzzug ins Heilige Land mitgebracht.« »Wer führte den Kreuzzug an?« fragte ich. »Friedrich Rotbart, genannt Barbarossa. Kaiser aus dem Hause der Staufer. Leider erreichte er Jerusalem nicht, sondern ertrank vorher in einem Bergbach.« Ein Hitzschlag oder Kreislaufversagen hatte Kaiser Barbarossa getötet, fern von der Heimat, fern von seinem Reich, das er bis dahin mit starker Hand und in großem Ruhm regiert hatte. Der dritte Kreuzzug hatte 1189 begonnen und endete mit Kaiser Rotbarts Tod im Jahr 1192. Generationen von Gymnasiasten lernten das Gedicht vom Kaiser Friedrich lobesam, der ins Heilige Land gezogen kam… »Es heißt, der Schwarze Ritter habe beim Tod Kaiser Friedrichs die Hände im Spiel gehabt«, flüsterte Nasreddin, als ob er Angst hätte, gehört zu werden. »Er ist mit dem Teufel im Bund. Ritter, Tod und Teufel terrorisieren das Land im Erzgebirge. Der Seuchendämon Gevatter Tod reitet im Gefolge des Schwarzen Ritters. Und Mephistopheles steht ihm mit Rat und Tat zur Seite.« »Wer?« fragte ich wie elektrisiert. Nasreddin nannte noch einmal den Namen. Mephistopheles, der den Schwefelgestank liebt, war ein Beiname des Mephisto, des Obersten aller Teufel. Vor allem aber des aktivsten und gerissensten, wenn man dem höllischen Who is who glauben durfte, das der niederländische Dämonologe Wier im Jahr 1538 niedergeschrieben hatte. Ich schaute auf meinen glimmenden Ring. Mir war, als ob ich ein leises Kichern hörte. Die Nackenhaare sträubten sich mir. Roch es nach Schwefel?
»Mephisto«, sagte ich. »Wissen Sie nicht, daß man den Namen des Teufels nicht nennen soll, weil man ihn sonst herbeiruft?« fragte der Polizeipsychologe. Die Bemerkung hätte ich von ihm nicht erwartet. »Was will deine Herrin Fatma von mir?« fragte ich Nasreddin. »Ihr sollt sie retten. Sie wird im Turm gefangengehalten. Der Schwarze Ritter bedient sich ihrer Kunst, denn sie ist eine Weiße Hexe. Ohne sie hätte er den Gevatter Tod und Mephisto niemals beschwören und in seinen Dienst bewegen können. Bald sind Ritter Heinrichs Kräfte so stark, und er hat soviel von ihr gelernt, ihr unter der Folter abgepreßt, daß er sie nicht mehr braucht. Dann will er sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Bevor er sie in den Turm einsperrte, ist sie seine Geliebte gewesen. Tut etwas, Ihr tragt den Ring!« »Weißt du etwas über den Ring?« wollte ich wissen. Nasreddin schüttelte den Kopf, aber es war ihm aufgefallen, daß der Ring kein normaler war. Er sagte: »Fatma schickte mich mit einer Beschwörung und ihrer Zauberkraft dorthin, wo ich den Meister finde. Das Tor, an dem ich austrat, führt auf den Weg zu ihr. Ich bin in eine Zeit voller Wunder geraten. Kutschen, die ohne Pferde fahren, gibt es hier. Stimmen dringen aus Kisten, die ich noch niemals gesehen habe. Die Lichtquellen sind weder Öllampen noch Fackeln. Ich habe sogar schon Menschen auf seltsamen Bildvierecken laufen sehen und sprechen hören. Sagt, sind das Bildermenschen, oder hat ein mächtiger Zauberer sie bestraft und in das seltsame Bild gehext?« Er meinte einen Fernseher. Doch wie sollte ich ihm in kurzer Zeit erklären, was eine Bildröhre war und wie Funk und Fernsehen funktionierten? Ich sagte nur kurz, das sei keine Magie, sondern Technik. »Du bist ins Jahr 1998 geraten, Nasreddin.« Ich nannte ihm noch die Jahreszahl des mohammedanischen Kalenders, der 622 mit der Flucht des Propheten von Mekka nach Medina begann. Nasreddin staunte sehr. »Ich fürchtete schon, ich wäre im Reich des Sheitans, des Teufels«, sagte er treuherzig. »Du bist es«, brummte der Psychiater. Dieser Blödsinn gefiel mir nicht, doch hier stimmte etwas nicht. Mein Ring leuchtete stärker. Plötzlich roch es nach Schwefel im
Raum. Da war etwas, an das ich mich dunkel erinnerte. Noch fiel es mir nicht ein. »Denkt Euch, Herr«, sagte Nasreddin, »ich habe sogar schon Menschen gesehen, die sich ein weißes Stäbchen in den Mund steckten. Sie hielten eine Flamme daran. Das Stäbchen glimmte, und Rauch quoll ihnen aus Nase und Mund. - Ist das ein Zauber oder ein Brauch in diesem Land voller Wunder?« Bevor ich antworten konnte, stand der Psychiater auf. »Wenn dich das schon erstaunt, was hältst du erst davon?« fragte er. Im nächsten Moment spuckte er eine lange Flamme aus, die Nasreddin erfaßte. Der Araber schrie auf. Jetzt wußte ich, was mir vorhin gedämmert hatte. In Goethes Faust stand, daß sich Mephisto in jede Gestalt verwandeln konnte. Als Pudel hatte er sich Faust genähert. Er hatte auch einmal die Gestalt des Famulus Wagner angenommen. Der Teufel kann sich wandeln in jegliche Gestalt, stand geschrieben. Jetzt war er in unserer Mitte. Der richtige Polizeipsychologe hielt sich vermutlich in seiner Wohnung auf und schlief tief und fest. Oder er war woanders, von dem Teufel hypnotisiert und geschickt. Ich schrie auf. Nasreddins Kleider, seine Haare und der Bart brannten. Der bärtige Psychiater verwandelte sich in eine zwei Meter hohe Schreckensgestalt, immer noch dämonisch verzerrt. Ein Hüne, gegen den selbst ich klein wirkte, mit gesträubtem Bart, Krallen, feuerspeiend, rotglühenden Augen und zwei Teufelshörnern auf der Glatze. Ein Bocksfuß zeichnete sich in einem Schuh ab. Der lange Teufelsschwanz ragte hinten aus der Hose heraus. Mephisto schrie gräßlich und verbreitete einen durchdringenden Gestank nach Pech und Schwefel. Die Protokollführerin fiel mit einem gellenden Schrei in Ohnmacht. Es wurde unerträglich heiß im Zimmer. Man konnte nicht mehr atmen. »Menschenwürmer!« donnerte Mephisto. »Von Anfang der Zeiten schon bin ich euer Mörder gewesen. Noch ehe der Mensch wart, kämpften die Dämonen der Finsternis mit den Kindern des Lichts. Von daher rühre ich, Mephir Tofel. Ich bin der Herr, denn Lucifuge Röfocale, der Höllenkaiser, hockt nur im dem siebenten Kreis der Hölle auf seinem Thron, um sich herum das Höllengeschmeiß, und tut nichts hier oben. - Jetzt geht es dir an
den Kragen, Mark Hellmann.« Ich sprang vor, packte den Tisch, an dem Nasreddin gesessen hatte, und riß ihn hoch. Mit der Platte wehrte ich Mephistos Feuerstrahl ab. Er schrie wie ein Stier. Dann führte er einen Hieb, daß seine Faust krachend durch die Tischplatte fuhr. Mich warf es zurück, ich flog gegen die Wand. Doch ich riß den Tisch mit. Der Polizeirat und zwei andere Beamte zogen ihre Pistolen. Eine Alarmklingel schrillte. Nasreddin wankte. Mein Ring pulsierte und glühte. Dann stellte er seine Aktivität ein. Wieder einmal, wie schon im Kampf gegen Dracomar und seine Gesellen, stellte ich fest, daß der Ring wohl eine dämonische Aktivität anzeigte, jedoch keine Waffe und auch kein Schutzschild war. Ich mußte mir etwas anderes einfallen lassen. Rasch brach ich zwei Tischbeine ab und hielt sie über Kreuz. »Weiche, Satanas, du Verfluchter!« donnerte ich. »Heb dich hinweg in den Abgrund der Hölle, woher du gekommen bist. Mephistopheles, fahre aus!« Es war eine Stegreifbeschwörung. Mephisto brüllte. Das Feuerspucken verging ihm. Er ließ sich von dem Kreuzzeichen jedoch nicht verjagen, Megadämon, der er war. Statt dessen stapfte er vor, rauchende Spuren am Fußboden hinterlassend. Die Luft war zum Ersticken. Wenn nicht jemand die Tür aufgerissen hätte, wären wir allesamt umgefallen. Mephisto packte den aufschreienden Nasreddin bei der Kehle und brüllte: »Fatma hat dich umsonst geschickt! Ich bin dir gefolgt.« Nasreddin gurgelte. Etwas Schreckliches geschah. In Mephistos Griff drehte sich sein Kopf nach hinten. Sein Genick brach. Tot hing er im Griff des Teufels. Der war noch größer geworden und reichte jetzt bis an die Decke. Der Polizeirat und zwei Beamte feuerten krachend ihre SIG Sauen-Pistolen ab. Die Kugeln trafen Mephisto und schlugen Löcher in seine Brust. Er sank in die Knie, doch nur einen Moment. Dann richtete er sich auf - und spuckte den Beamten alle Projektile ins Gesicht. »Habt ihr nicht mehr anzubieten, ihr Würmer? Nicht einmal Freikugeln verschießt ihr. Was seid ihr für Stümper? Was ist das für eine elende Zeit?« In seinem Griff verdorrte der arme Nasreddin zur Mumie und
zerbröselte zu Staub, der auf den Boden rieselte. Die rauchenden Kleiderreste hingegen blieben so, wie sie gewesen waren. Mephisto hatte Nasreddin in das verwandelt, was in unserer Zeit noch von ihm übriggeblieben wäre. Ein Häufchen Staub. Während die Polizisten hilflos dastanden, sprang ich vor und haute Mephisto ein Tischbein über den Kopf, daß es krachte. Es zerbrach in zwei Teile. Der Hieb schmerzte mich bis in die Schulter hinein. Im nächsten Moment kam von dem Teufel ein Schlag, ohne Ansatz und schnell wie ein Pfeil. Er traf mich krachend ans Kinn, mit einer Wucht, daß ich glaubte, der Kopf würde mir wegfliegen. Damit gingen für mich die Lichter aus. Ich war erledigt. Ich hatte Mephisto unterschätzt und dabei Lehrgeld bezahlt. Doch es gibt Fehler, die begeht man nur einmal im Leben. * »Mark, Liebster, bitte, komm wieder zu dir! Sag doch etwas! Hörst du mich nicht?« Jemand sprach. Ganz von fern drang eine Frauenstimme in mein Bewußtsein. Mir war es, als ob ich am Grund eines tiefen, dunklen Schachts liegen würde und immer wieder ein Stück aufstiege und dann wieder zurückfiele. Endlich gelang es mir doch, hoch ans Licht zu steigen. Das erste, was ich spürte, waren greuliche Schmerzen. Nicht nur im Kopf, sondern am ganzen Körper. So als ob eine ganze Fußballmannschaft auf mir herumgetrampelt wäre. Als ich die Augen aufschlug, sah ich zunächst alles verschwommen und doppelt. Tessa Hayden und mein Freund Pit Langenbach standen an meinem Bett. Mein Blick klärte sich. Ich sah wieder alles normal und erinnerte mich an die Vorfälle in der letzten Nacht. Anzeige Tessa hielt meine Hand. Ich erfuhr, daß ich in der Charite war, in dem berühmten Krankenhaus im Osten von Berlin. Vor vielen Jahren hatte der berühmte Professor Sauerbruch hier gearbeitet. Es war bereits Tag. Ich war fast zehn Stunden bewußtlos gewesen. Mephisto hatte mir ordentlich eine gedonnert, um es leger zu sagen. Er schlug zu, wie ein Pferd auskeilte. Heißes
Erschrecken durchzuckte mich. Ich schaute nach meinem Ring. Glücklicherweise war er noch da. Dann trat ein Arzt ein. Er untersuchte mich und erklärte mir, was ich alles abgekriegt hatte. Er meinte, nur meiner Bärennatur als Zehnkämpfer und meinem starken Körperbau sei es zu verdanken, daß ich noch lebte und mir nichts gebrochen hatte. Einen schwächeren Mann hätte schon Mephistos erster Hieb glatt getötet. Mein Genick war geprellt, ein paar Rippen genauso. Außerdem hatte mir Mephisto einen Arm ausgekugelt, der in der Charite wieder eingerenkt worden war. Im Kiefergelenk spürte ich stechende Schmerzen, wenn ich es bewegte. Ich würde tagelang nicht kauen können und mußte mich flüssig ernähren. Zum Glück gab es ja Schnabeltassen. Um die Brust trug ich ein Stützkorsett. Am Kinn hatte ich eine Plastikstütze, die hinter meinen Nacken führte. Das Kinn war geschwollen, die Zähne waren mir allerdings erhalten geblieben. Daß ich eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte, hätte mir der Arzt nicht zu sagen brauchen. Das merkte ich selbst. Alles in allem hatte mich Mephisto übel erwischt. Der Arzt schüttelte nur den Kopf. »Haben Sie sich mit einer Rockerbande angelegt?« fragte er. Wir verrieten ihm nichts. Mephisto hatte, erfuhr ich von Pit, als der Arzt wieder draußen war, weiter auf mich eingeschlagen und auf mir herumgetrampelt, als ich bereits bewußtlos gewesen war. »Ein fairer Kämpfer ist dieser Teufel jedenfalls nicht«, sagte Pit. »Mark, ich kann es kaum glauben. Durch die Ereignisse bei den Schreckenstagen von Weimar und dem Kampf gegen Dracomar und seine Geschöpfe der Nacht bin ich auf einiges vorbereitet. Mein gesamtes Weltbild hat sich verändert. Ich weiß jetzt, daß Dinge möglich sind, an die ich bis vor ein paar Wochen nicht geglaubt hatte. Von denen ich glaubte, es würde sie nur in Romanen und Filmen geben. - Aber daß ein Mann aus dem Jahr 1200 in Berlin auftaucht und der Teufel selbst im Polizeipräsidium erscheint, das haut mich um.« »Stimmt nicht«, sagte ich mühsam. »Mich hat es umgehauen. Du bist sehr verwundert. Da sind die Beamten endlich mal aufgewacht, als Mephisto erschien.« »Dein loses Mundwerk hat jedenfalls nicht gelitten. Paß auf: Außer dir und Nasreddin ist bei dem Vorfall niemand größer zu
Schaden gekommen. Der Kriminalrat und die anderen griffen Mephisto mit Stühlen, der chemischen Keule und Schlagstöcken an, als er auf dir herumtrampelte. Fünf kräftige, durchtrainierte Männer. Er hat sie aufgemischt, als ob es Schulbuben wären. Er wirbelte sie durcheinander. Dann verwandelte er sich in einen Kugelblitz, zerplatzte und verschwand mit einem meckernden Lachen unter Zurücklassung von Pech- und Schwefelgestank.« »Das paßt zu Mephisto«, sagte ich, »so wie ich ihn einschätze. Den armen Nasreddin hat er umgebracht. - Wie verhält es sich mit dem Polizeipsychiater, dessen Gestalt er angenommen hatte?« »Der echte Psychiater wurde bewußtlos im Kofferraum seines Mercedes in der Tiefgarage vom Polizeipräsidium entdeckt. Er kann sich an nichts erinnern. In dem Moment, in dem er sein Auto in der Tiefgarage abschloß, ist bei ihm der Film gerissen. Ihm fehlt nichts, nur ein wenig steif ist er und hat Gliederschmerzen von dem zusammengekrümmten Liegen im Kofferraum.« »Der hat es gut«, murmelte ich, weil mir alles weh tat. Ich schwang die Beine aus dem Bett. Sofort wurde mir schwindlig. Die Schmerzen vermehrten sich. »Halt!« rief Tessa, schick anzusehen in ihrer Freizeitkleidung, dem sommerlich kurzen Rock und dem Top, das den Nabel frei ließ. »Der Arzt hat gesagt, du mußt eine Woche im Bett bleiben.« »Nicht mal, wenn du dich dazulegst.« Pit kannte mich, er widersprach nicht, sondern stützte mich. »Mark ist es gewöhnt, das letzte aus sich herauszuholen, Tessa«, sagte er. »Er kann nicht so lange im Bett liegen und abwarten. Er muß seinen Fall lösen.« »Richtig. Ich kann mir gar nicht erlauben, hier liegenzubleiben und abzuwarten. Welche Sicherheit habe ich denn, daß Mephisto nicht hier erscheint und mich endgültig umbringt? Er könnte auftauchen wie jener Nasreddin auf dem Alexanderplatz. Oder die Gestalt eines Arztes oder einer Krankenschwester annehmen. Nein, hier habe ich keine Ruhe.« Ich bewegte mich. Trotz der Schmerzen blieb ich auf den Beinen, und ich war überzeugt, daß sich mein Zustand am raschesten bessern würde, wenn ich der Schwäche nicht nachgab. Als ich mich anzog, erschien der Chefarzt, gefolgt von zwei weiteren Ärzten. Die Stationsschwester hatte ihn verständigt.
Wir einigten uns, daß ich die Charite gegen den ärztlichen Rat und auf eigene Verantwortung verließ. Wir legten im Krankenhaus noch eine kleine Ruhepause ein, ehe wir gingen. Wir setzten uns in die Raucherecke. Die Tür zum Balkon stand offen, eine angenehme frische Brise strich herein. Pit Langenbach rauchte ein Zigarillo. Tessa bat ich, mir, dem Nichtraucher, eine Tasse Kaffee zu holen. »Aber Mark, du kannst jetzt noch kein Koffein vertragen«, protestierte sie. »Muß ich mir meinen Kaffee selbst holen? Wenn Mephisto mich nicht umgebracht hat, schafft es der Krankenhauskaffee auch nicht.« Tessa seufzte und meinte, ich sei das dickköpfigste und unvernünftigste Stück Mann, dem sie jemals begegnet wäre. Während ich den Kaffee aus einem Pappbecher trank, erzählte Pit Langenbach noch einiges zu den Vorfällen am gestrigen Abend im Polizeipräsidium. Davon würde nichts an die Öffentlichkeit dringen. Die Boulevardzeitungen wären sonst über die Berliner Polizei hergefallen; es hätte einen Wirbel sondergleichen gegeben. Der Vorfall fiel also unter die absolute Geheimhaltung, wie schon die Schreckenstage von Weimar, deren Hintergründe auch niemals bekanntgemacht wurden. Von Nasreddin war nur ein Häufchen Staub übriggeblieben. Mephisto konnte von der Berliner Polizei schlecht belangt werden. Ich wurde als Zeuge angesehen und sollte meine Aussage zu Protokoll geben, was auch in Weimar bei Pit Langenbach geschehen konnte. Pit avancierte allmählich zum Spezialisten für übernatürliche Fälle. Von dem Auftauchen Mephistos im Präsidium würde nur ein Geheimprotokoll bleiben. Zu dem Araber, der am vergangenen Abend am Alex erschienen war und dort mit Pfeilen und einem Säbel für Furore gesorgt hatte, äußerte sich die Berliner Polizei wie folgt: Eine fremdländisch gekleidete, männliche Person (vermutlich orientalischer Herkunft) wurde wegen schwerer Körperverletzung und anderer Delikte vorübergehend in Haft genommen. Die Identität des Verhafteten ist bisher ungeklärt. Die Ermittlungen laufen noch. Das Beamtendeutsch war gewöhnungsbedürftig. Mich interessierte vor allem, wie ich in Zukunft feststellen konnte, ob sich Mephisto oder ein anderer Dämon - getarnt im fremder
Gestalt - in meiner Nähe aufhielten. So wie am vergangenen Abend wollte ich nicht noch einmal hereinfallen. Ich erinnerte mich. Mein Ring hatte schon beim Eintreten in den Raum gestrahlt und ein schwaches Prickeln verursacht, als ob ich mit Schwachstrom in Berührung geraten wäre. Ich hatte zu Unrecht Nasreddin allein für den Verursacher dieses Effekts gehalten. In Zukunft würde ich klüger sein. Doch wie konnte ich einen Dämon in der Gestalt eines unverdächtigen Menschen entlarven? Da mußte ich mir etwas einfallen lassen und noch einiges recherchieren. Meine Laufbahn als Träger des Rings und Kämpfer gegen das Böse hatte erst angefangen. Nasreddins Worte fielen mir ein: Meine Herrin Fatma hat mich geschickt, um den Meister zu finden, den Retter zu holen. Fatma al-Zani wurde von dem Schwarzen Ritter Heinrich von Schwarzenfels auf seiner Burg irgendwo im Erzgebirge etwa im Jahr 1200 gefangengehalten und grausam gequält. Tod und Teufel trieben zusammen mit dem Schwarzen Ritter ihr Unwesen. Des Rätsels Lösung mußte im Jahr 1200 zu finden sein. Doch wie sollte ich dorthin gelangen? Mephisto war Nasreddin gefolgt, er beherrschte die Technik der Zeitreise und trieb zu allen Zeiten sein Unwesen. Von Beginn der Zeiten schon bin ich euer Mörder gewesen, hatte er gleich losgedonnert, als er aufgetaucht war. Das Tor, aus dem ich austrat, führt zu ihr, hatte der unglückliche Nasreddin in Bezug auf seine Herrin Fatma zuvor gesagt. Was für ein Tor konnte das sein? Eigentlich kam nur jene Stelle am Alex in Frage, wo sich Nasreddin am vorvorigen Abend materialisiert hatte. Dracomar hatte mir einen Hinweis gegeben. Ich nehme mir deinen Ring! hatte er mich angeschrien, - als ich durch den auf mich geschleuderten magischen Blitz völlig wehrlos, von drei Vampiren ergriffen, vor ihm gestanden hatte. Mit dem keltischen Wort Reise hättest du durch die Zeit fahren können. Also mußte ich wohl die Runen an dem Tor aufzeichnen oder aufsagen und damit, anders konnte es nicht sein, eine Manipulation mit dem Ring vornehmen. Abenteuerlust erfaßte mich. Ja, ich wollte es wissen und würde alles tun, um durch dieses Tor zu gehen. Es interessierte mich sehr, wo ich dann herauskam. Vor allem, wann. Vorher jedoch mußte ich mich noch etwas erholen und zurück nach Weimar. Dort war noch einiges abzuklären. Ich
mußte mich vorbereiten, mußte die Kräfte und Möglichkeiten meines Rings besser kennenlernen, ehe ich durch das Tor trat. * Tessa fuhr meinen BMW. Ich fühlte mich dazu noch nicht in der Lage. Pit Langenbach kehrte in seinem Dienstwagen, in dem er mit Tessa nach Berlin gekommen war, nach Weimar zurück. Unterwegs dachte ich an Nasreddin, den arabischen Krieger und getreuen Gefolgsmann der Fatma al-Zani. Was für ein Schicksal! Im Jahr 1170 bei Bagdad geboren, später ins Abendland, ins Deutschland zur Zeit der Staufer, verschleppt. Dann, im Jahr 1998, bei einer Zeitreise von Mephisto umgebracht. Unterwegs. erhielt Tessa übers Handy einen Anruf von Pit, der vor uns herfuhr. Sie gab mir das Handy. »Eben meldete sich bei mir das Berliner Polizeipräsidium«, berichtete Pit. »Stell dir vor, auf sämtlichen Fotos, die der Erkennungsdienst von Nasreddin schoß, ist niemand mehr zu sehen. Und Mephisto hat sich einen üblen Scherz erlaubt: Unter dem Geheimprotokoll ist neben der Unterschrift des Polizeirats und anderer Zeugen des Vorfalls der Abdruck von einem verkleinerten Pferdefuß zu sehen. - Was sagst du dazu?« »Das paßt zu ihm. Mephisto hat Stil, wie es schon Goethe im Faust schilderte. Mephisto tritt nicht immer so plump brutal auf wie gestern abend.« Ich wollte es noch nicht wahrhaben, doch ich hatte meinen großen Gegner gefunden, mit dem ich noch so manchen Strauß ausfechten sollte. In Weimar suchte ich zuerst einmal meine Adoptiveltern in ihrem Reihenhaus in der Siedlung Landfried auf. Tessa ging mit hinein. Meine Eltern mochten sie. Mutter Lydia ließ manchmal durchblicken, daß sie es nicht ungern sähe, wenn ich Tessa heiraten würde. »Du gehörst in den Ehestand, Junge«, sagte sie dann. »Die Herumtreiberei ist doch auf Dauer nichts. Du solltest endlich solide werden. Denk mal an deinen Schulfreund Lothar. Er ist Diplom-Ingenieur, arbeitet bei einer großen Firma, ist glücklich verheiratet, und bei seiner Frau ist schon das zweite Kind unterwegs. - Wäre das nichts für dich?« Ich sagte dann immer nur, ich fühlte mich noch zu jung, um zu
heiraten. In Wahrheit war ich der Meinung, von meiner jetzigen Aufgabe als Träger des Rings einmal abgesehen, daß eine Ehe mit mir eine ziemliche Katastrophe wäre. Zudem hatte ich nie eingesehen, wozu man unbedingt einen Trauschein brauchte, um zusammenzuleben. Mutter Lydia glaubte wohl selbst nicht so ganz, daß ich ein ruhiges, sicheres Leben würde führen können. Die gute Seele hätte es mir jedoch von Herzen gewünscht. Lydia bot uns eine Fruchtschorle an. Wir saßen im Wohnzimmer. Das Arbeitszimmer meines Vaters im ersten Stock war zu klein und nicht besonders gemütlich. Es war früher Nachmittag und sehr heiß. Die Rolläden waren heruntergelassen, um die Hitze abzuwehren. Dämmerlicht herrschte. Durch einen Spalt im Rolladen sah ich Rosenbüsche im Garten hinterm Haus meiner Eltern. Lydia und Ulrich waren passionierte Rosenzüchter. Die Hellmann-Rose, Ulrichs Sonderzüchtung, war in Fachkreisen bekannt. Mein Vater hatte ein steifes linkes Handgelenk und einen steifen rechten Fuß. Wie er dazu gekommen war, hatte er mir nur andeutungsweise erzählt. Trotz seiner Behinderung war er jedoch rüstig und körperlich fit. Er hatte weißes, volles Haar, einen Schnauzbart und trug eine Hornbrille. Meine Mutter hatte silbergraues Haar, war etwas mollig und nicht mehr so gut auf den Beinen. Sie war Brillenträgerin. Mich liebte sie wie ein leibliches Kind. Sie hatte eine mütterliche, gütige Art. Obwohl ich meine leibliche Mutter nicht kannte, dachte ich immer, besser als Lydia könnte sie nicht sein. Lydia hatte immer ein offenes Ohr für meine Sorgen gehabt und mich unterstützt und mir zugeredet, mir Mut gemacht, wenn mich etwas bedrückte oder wenn ich etwas verbockt hatte. Eine Mathearbeit oder etwas anderes. Nur wenn die Rede auf meine Vergangenheit kam, machte Lydia einen schwermütigen Eindruck, als ob sie etwas bedrücken würde. Wahrheitsgemäß schilderte ich meinen Eltern, was in Berlin vorgefallen war. Lydia entsetzte sich. Ulrich Hellmann fuchtelte unbewußt mit seinem Krückstock, als ob er dreinschlagen wollte, als ich von dem Kampf gegen Mephisto erzählte. »Der Mörder ist wieder da«, sagte er, äußerte sich jedoch nicht weiter.
Lydia gab wegen meiner Verletzungen keine Ruhe, bis ich mit ihr ins Bad ging und den Oberkörper freimachte. Sie schaute sich die Prellungen an, soweit der Stützverband sie nicht verdeckte. »Da hast du aber Glück gehabt, Mark«, sagte sie. »Um ein Haar hätte dich Mephisto umgebracht. Noch einmal wirst du ihm hoffentlich nicht gegenübertreten wollen.« »Das weiß ich noch nicht«, antwortete ich ausweichend. Es stank mir gewaltig, daß ich eine Plastikschiene am Kinn hatte und noch andere Verbände trug. Wie ein Invalide kam ich mir vor. Vielleicht hatte mich Mephisto zerbrechen und mir die heilige Gottes- oder vielmehr Teufelsfurcht einflößen wollen. Es gab Männer, die nie wieder einen körperlichen Kampf wagten und schon zitterten, wenn jemand die Hand hob, nachdem sie einmal übel zusammengeschlagen worden waren. Ich reagierte anders. Trotz war in mir erwacht. Ich wollte Revanche, wollte es Mephisto zeigen. Noch einmal würde er mich nicht zusammenschlagen und auf mir herumtrampeln wie auf einer alten Fußmatte. Das kriegst du wieder, dachte ich. Und: Einmal hast du mich überrumpelt, ein zweites Mal gelingt es dir nicht mehr! Lydia betupfte meine Schrammen mit Jod und trug an ein paar Stellen ein Vereisungspray auf. Ihre mütterliche Fürsorge heilte meine Schmerzen besser als die Medikamente, die sie mir gab. Wir kehrten wieder ins Wohnzimmer zurück. Tessa war während der Fahrt nach Berlin von Pit Langenbach in einiges eingeweiht worden. Wegen der Schreckenstage in Weimar hatte ich ihr ein paar Dinge erzählt und von Dracomar gesprochen, dem Blutdruiden, Vampir und Alten des Schreckens. Von diesem Nachtmahr und Teufelsboten, der junge Menschen grausam in Vampire verwandelte und Bäume und Büsche zu einem schrecklichen Leben erwecken konnte. Damit war ich bei Tessa zunächst einmal aufgelaufen. Sie hielt mich für einen Spinner und hatte mir das auch klar und deutlich gesagt. Inzwischen war sie aufgeschlossener, weil Pit Langenbach mit ihr sprach und einiges aus dem Berliner Polizeipräsidium zu ihr durchsickerte. Mein Vater zeigte auf meinen Ring. »Du mußt das FutharkRunenalphabet studieren, Mark«, sagte er. »Und dich über Heinrich von Schwarzenfels informieren.« Genau das hatte ich vor. Mein Vater versprach, sich seinerseits
kundig zu machen. Er war kein leidenschaftlicher Okkultist, hatte sich jedoch aus gegebenem Anlaß seit einigen Jahren über dieses Fach informiert und verfügte über Kontakte in aller Welt. Wir verabschiedeten uns. Auf der Fahrt zu mir kauften wir in einem Supermarkt einige Lebensmittel ein. Ein paar Tage würde ich von Joghurt, Haferschleim und anderer weicher Kost leben müssen. Obst- und Fruchtsäfte konnte ich jede Menge trinken. Das hatte ich Mephisto zu verdanken. Als wir meine Bude betraten, war es heiß dort: der Nachteil einer Dachgeschoßwohnung im Sommer. Gegenüber wurde gehämmert. Zimmerleute richteten den neuen Dachstuhl für das Haus auf, in dem vor einigen Tagen der Blitz eingeschlagen und wo sich Mephisto im Feuer gezeigt hatte. Tessa betätigte sich als Krankenpflegerin. In, der Nacht lagen wir nebeneinander wie Bruder und Schwester. Sex war nicht möglich; ich war zu kaputt und zerschunden und hatte wahnsinnige Kopfschmerzen. Dann, in der Nacht, träumte ich. Ich sah ein helles Licht und hörte eine Stimme, die wie aus Erz und sehr wohltönend klang. Eindringlich sagte sie: Reise! Reise! Prüfe! Prüfe! Danach sah. ich noch allerlei in dem Traum, konnte mich nach dem Erwachen daran jedoch nicht mehr erinnern. Die eindringlich gesprochenen Worte jedoch blieben präsent. Am anderen Tag schleppte ich mich in die Herzogin-AnnaAmalia-Bibliothek, die mir seit jeher gutes Quellenmaterial geliefert hat. Dort schlug ich nach und studierte. Zwischendurch ging ich mal in den nahegelegenen Park an der Ilm, mit dem Gartenhaus Goethes, um frische Luft zu schnappen. Ich wandelte im Schatten des alten Stadtschlosses. Wieder einmal bemerkte ich, daß es die Baustile verschiedener Jahrhunderte in sich vereinigt. Plötzlich fiel mir ein Goethewort ein: Du bist doch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten. So stand es im Faust. War mir das eingefallen, oder handelte es sich um eine Eingebung von Mephisto? Belauerte er mich? Argwöhnisch beobachtete ich meinen Ring, und jede Person, der ich begegnete, erweckte meinen Verdacht, daß sich Mephisto in dieser Gestalt wieder anschlich. Der Ring zeigte nichts an. Kein Leuchten, kein Prickeln. Stank es etwa nach Schwefel? Hörte ich ein Kichern hinter einem
Busch? Tatsächlich. Dort lag ein Pärchen auf der Wiese. Das Mädchen sonnte sich oben ohne. Ich hatte einen MephistoKomplex, den ich erst loswerden würde, wenn ich meine Revanche bei dem Teufel genommen hatte. Ich kehrte wieder in die Bibliothek zurück. Mich interessierten das ältere oder gemeingermanische Runenalphabet. Es hatte vierundzwanzig Zeichen. Ich dachte an Dracomars Worte und meinen Traum von der letzten Nacht. Deshalb schlug ich nach, was in der keltischen Sprache die Worte >Reise< und >Prüfe< bedeuteten, und ich notierte mir ihre Runenzeichen. Aufgrund meines Studiums der Völkerkunde und vor allem der Vorgeschichte wußte ich gut Bescheid, vor allem auch, wo ich nachschlagen konnte. In der Germanischen Religion, mit Odin, Thor und der Göttermutter Frigga als den obersten Gottheiten, galt Odin als Meister der Runen. Leider war ich kein runenerfahrener Druide, dann wäre mir das Ergründen meines Ringgeheimnisses sicher leichter gefallen. In der germanischen und der keltischen Mythologie fand ich jedenfalls keinen Schlüssel. Irgend etwas muß es noch geben, dachte ich und klopfte mit dem Ring auf den Lesetisch. Versuchsweise zeichnete ich mit dem Ring ein paar Runen des Futhark-Runenalphabets auf den Tisch. Mit dem Tisch geschah nichts. Doch mein Ring erwärmte sich schwach. Als ich ihn auszog, sah ich, daß sich an der Innenfläche des Rings Runenzeichen gebildet hatten. Sie verliefen rundum, verblaßten jedoch rasch wieder. Ich war also auf der richtigen Spur, auch wenn ich hier in der Bibliothek kein weiteres Ergebnis hervorrief. Über Heinrich von Schwarzenfels fand ich in der Historischen Abteilung einiges. In einem vergilbten alten Buch las ich: Item Herre Heinrich vun Schwartzenfels sich vil auf die Schwartzkunst verstund und sie erforscht. Deshalb er der Schwarze Ritter geheißen. Hat geplagt Mensch und Vieh im Erzgebirgischen Land nahe bei Annaberg, wo er viel Fehde focht und wie ein Raubritter gehaust. Nit Kayser und Hertzog er sich gebeugt und den Teutschritterorden bekempfft, dem er den Rang ablaufen wolt mit seyner Schwartzkunst und Tyrannei. Im Lande eine große Verwunderung war, als er Kayser Friedrich I Barbarossa zum Kreuzzug ins Heilige Land gefolgt. Davon ist er wiedergekehrt, mit einer Araberin und Hex, Fatme geheißen. Und hat mit der
Fatme groß Unheil gestiftet. Ernten seynt vernichtet worden, Seuchen entstanden, und Ritter Heinrich vergrößerte seine Macht. Suchten die Seuchen sein Feind heim. Itemb ist der Teufel selbst Mephistopheles an seiner Seit gewest und die Hex und der Tod, welcher die Seuchen gespeyt. Hat ein groß Unheil gegeben und unmenschliche Tyrannei weit über die Maßen. Hat Herr Heinrich seine Untertanen geplagt bis aufs Blut und sein Herrschaftsbereich ausgeweitet. Ist ein Ritter aus einem fernen Land gekumbt, Markus von Heleman geheißen. Den hat Herr Heinrich geschlachtet und sein Leich kopfunter an der Burgmauer ausgehängt, bis daß ihn die Raben gefressen. Hat der Schwarze Ritter noch lange Zeit dort in Schrecken geherrscht und ist die Ruine von seiner Burg noch heut ein verwunschener, garstiger Ort. Ich erschrak. Schweiß trat mir auf die Stirn. Schon einmal war ich auf eine Chronik gestoßen, die besagte, daß ein Sohn der Stadt Weimar den Mächten der Finsternis die Stirn bieten mußte. In jener Chronik war unklar gewesen, wer letztendlich siegte. Ich hatte Dracomar besiegt und die Plagen von Weimar beendet. Jetzt aber las ich deutlich, daß ich ums Jahr 1200 in den Tod gehen sollte. Mit Markus von Heleman mußte Mark Hellmann gemeint sein. Die Namensgleichheit konnte kein Zufall sein. Das war ein Schock für mich. Bei aller Kühnheit, wenn hier das Ende schon festgeschrieben stand, dann sollte ich den Versuch einer Reise in die Vergangenheit vielleicht besser nicht unternehmen. Ritter, Tod und dazu noch der Teufel Mephisto waren eine ungeheuer starke Kombination. Wie sollte ich dagegen ankommen, hatte ich doch nicht einmal eine besondere magische Waffe, noch verfügte ich über profunde Kenntnisse der Magie und Beschwörungsformeln. Ich mußte noch viel lernen. Beim Kampf gegen Dracomar war ich letztendlich deshalb erfolgreich geblieben, weil ein Kind - Anna Langenbach - den Namen Gottes aussprach, was wir anderen nicht mehr konnten. Das hatte den Bann von mir genommen, der mich lähmte, und ich hatte meine Fesseln gesprengt und Dracomar den Pflock in die Brust gejagt. Aber ich konnte mich nicht darauf verlassen, daß wieder im rechten Moment eine solche Hilfe erfolgte. Erschöpft fuhr ich nach Hause, löffelte mein dünnflüssiges Müsli in den von der Plastikschiene gestützten Mund und dachte dabei an Mephisto. Eine Flasche Thüringer Bier, was auch flüssige
Nahrung war, schloß die Mahlzeit ab. Ich sprach mit niemanden darüber, was ich in der Bibliothek über Heinrich von Schwarzenfels herausgebracht hatte. Nach Mitternacht fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Bis dahin hatte mir ein Gedanke den Kopf zermartert: Was soll ich tun? Als ich schlief, träumte ich wieder. Es war ein alltäglicher Traum. Ich saß in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek und las wieder den Text über den Schwarzen Ritter. Diesmal jedoch war der Schluß anders. Da stand: Ist ein Ritter gekumbt, aus einem fernen Land, Markus von Heleman geheißen. Seint die Dämonen geflohen. Hat die Hex Fatme Burg Schwartzenfels in Schutt und Asche gelegt. Markus von Heleman und der Schwartze Ritter seynt beide erlegen den Wunden, die sie sich in einem furchtbaren Zweikampf zugefügt. Ist ein groß Trauer gewest um den tapferen Ritter Markus, der Tod und Teufel nit forcht und hat sein Leben gegeben, das Land von dem Tyrannen zu befreien und Dämonen zu verjagen. Ist Frau Fatme mit Herre Walther von der Vogelweide heimgetzogen in ihre Heimat. Herre Walther ist wiedergekumpt. Damit endete der Traum. Nachts um drei wachte ich auf, von Schmerzen gequält. Da hatte ich es. In der einen Chronik stand, ich würde grausam umgebracht und den Raben zum Fraß an die Burgmauer gehängt. Nach meinem Traum würde ich meinen Wunden vom letzten Duell mit dem Schwarzen Ritter erliegen. Das waren >schöne< Alternativen und Zukunftsaussichten. Die Feinde waren übermächtig und in einer unglaublichen Überzahl, und sie verfügten auch noch über magische Kräfte. Sollte ich es dennoch versuchen, oder war es nicht besser, meine Laufbahn als Träger des Rings gleich wieder aufzugeben und in Zukunft jeden mit Mißtrauen zu betrachten und vor Mephisto zittern? Eine Frage ergab sich: Wenn ich in der Vergangenheit gegen den Schwarzen Ritter siegte und danach meinen Wunden erlag, was im Mittelalter nicht ungewöhnlich gewesen war, was würde dann mit dem Text in dem Folianten in der Weimarer Bibliothek geschehen? Blieb er als Fehlinformation stehen, oder änderte er sich? Im Prinzip konnte mir das egal sein, denn tot war ich dann sowieso. Wenn ich jedoch nicht in die Vergangenheit reiste, was passierte dann? In dem Fall würde der jetzige Text in der Weimarer
Bibliothek eine glatte Fehlinformation sein. Denn dann würde es keinen Ritter Markus von Heleman geben, der den Schwarzen Ritter bekämpfte. Schweißperlen, traten mir auf die Stirn. Ganz egal, wie ich es anpackte, war es verkehrt oder schlecht für mich. Entweder wurde ich grausam getötet, oder ich starb nach meinem Sieg an den Wunden des Kampfes. Oder ich blieb in der Gegenwart, zitterte vor Mephisto und wurde womöglich irgendwann von ihm umgebracht. Denn wenn ich eine Bestimmung als Träger des Rings hatte, mußte ich sie erfüllen, oder die Kraft des Rings kehrte sich gegen mich. Da war ich mir sicher. Ich konnte nur hoffen, daß es vielleicht noch eine vierte Alternative gab, die günstiger für mich war. Oder irgend etwas, das ich bisher übersehen hatte. Denn ich wollte in die Vergangenheit und mich meiner Aufgabe stellen. Sonst würde ich niemals mehr Ruhe finden. Und verkrochen oder den Kopf in den Sand gesteckt, das hatte ich noch nie! Konnte man die Vergangenheit ändern, wenn man durch die Zeit reiste? Wie würde sich eine Veränderung in der Vergangenheit in der Gegenwart auswirken? Konnte sie einschneidende Veränderungen hervorbringen? Oder gliederte sich das alles ein in ein System, das kosmische Geschehen, in dem Zeit und Ewigkeit ineinander übergingen und sich alles zu einem Ganzen fügte? Was war, wenn jemand in die Vergangenheit reiste und Hitler als Kind umbrachte? Würde dann der gesamte Zweite Weltkrieg nicht stattfinden? Was würde dann mit der Welt und der heutigen Gesellschaft und den politischen Machtstrukturen sein, die das Dritte Reich und seine Folgen drastisch verändert hatten? Oder nahm ein anderer die Rolle jenes ein? Oder war es nicht möglich, ihn zu töten, weil er seine Bestimmung hatte und sie erfüllen mußte? War ein Zeitparadoxon möglich, also ein Widerspruch in sich? Wenn jemand in die Vergangenheit reiste und seinen Vater tötete, würde er folglich niemals geboren werden. Also konnte er demnach auch nicht in die Vergangenheit reisen und den Vater töten. Da wurde er doch geboren. Gab es Zeitlinien, die ausgelöscht und geändert werden konnten? Mir brummte der Kopf, der von Mephisto sowieso schon angeschlagen war. Mir widerstrebte der Gedanke, daß es vielleicht Hunderte von
Zeitlinien und Parallelwelten gab, die allesamt unserer Erde entsprachen. Auf der einen Erde hätte Karl der Große gelebt, auf der anderen nicht. Auf einer wären vielleicht heute noch die Römer an der Macht gewesen, weil keine Völkerwanderung stattgefunden hatte. Auf anderen hatte die kommunistische Weltrevolution gesiegt. Wieder andere wären so exotisch und seltsam in ihren Zuständen geworden, daß man sie überhaupt nicht wiedererkannte. Ich mochte darüber nicht weiter nachdenken. Ich war ohnehin immer mehr Praktiker als Theoretiker gewesen und handelte lieber aus dem Bauch heraus, als stundenlang zu überlegen und zu philosophieren. Als Tatmensch handelte ich, basta. Jetzt wollte ich den Schwarzenfels im Jahr 1200 bekämpfen. Als ich schlief, hörte ich wieder die erzene Stimme und sah das Licht. Die Stimme sprach: Es gibt nur eine Vergangenheit. Sie sollst du vollenden. Zage nicht, Träger des Rings. Drum gürte deine Lenden, sei ein Held! Ja, ein Held konnte ich werden. Doch nach allem, was ich bisher erfahren hatte, im Traum wie im Wachen, würde ich leider ein toter Held sein. Besser ein lebendiger Feigling als ein toter Held, sagten viele. Aber ich konnte mich nicht daran halten. Es war einfach nicht möglich. * Ich wartete noch ein paar Tage, bis ich wieder fit war. Denn mit Stützkorsett für die Rippen und der Schiene am Kinn wollte ich keine Experimente unternehmen. Anfang September, in einer schwülen Nacht, fuhr ich mit Pit Langenbach und Tessa Hayden mit der U-Bahn nachts um drei zum Alex. Wir hatten uns in Berlin in einem Hotel einquartiert. Die letzten Vorbereitungen wären getroffen, das Abenteuer konnte beginnen. Nachts um die Zeit lag der Alexanderplatz leer. Die Großstadt Berlin schlief zwar nie, und in den Kneipen ohne Polizeistunde und Discos mochten sich Nachtschwärmer und Zechbrüder die Nächte um die Ohren hauen. Auf offener Straße war dagegen nicht mehr viel los. Pit Langenbach zeigte mir die Stelle, wo Nasreddin erschienen
war. Für alle Fälle hatte ich einen Rucksack mit einer Ausrüstung dabei: Pistole, Kompaß, Verbandszeug, Medikamente, Taschenlampe, Lebensmittel… Ein Buch mit mittelalterlichen Ausdrücken befand sich ebenfalls dabei. Ich trug eine zusammengeschneiderte Kleidung, die im Jahr 1200 durchgehen konnte, allerdings in den Taschen einiges aus dem 20. Jahrhundert enthielt, was ich gut gebrauchen konnte. Wir hatten uns sehr viel Mühe gegeben und sollten damit trotzdem, flapsig gesagt, auf die Schnauze fallen… Ich schlug das Notizbuch mit dem Runenwort für >Reise< auf. Dann rückte ich meinen Ring zurecht. Er hatte ganz leicht zu glühen begonnen. Eine schwache Ausstrahlung war hier noch vorhanden, wo Nasreddin aus dem Jahr 1200 hergehext worden war. Tessa umarmte und küßte mich. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. »Paß auf dich auf, Mark«, flehte sie. »Wenn dir etwas zustößt, das überlebe ich nicht.« »Das würdest du nicht mal erfahren«, sagte ich. »Sei unbesorgt, Tess. Unkraut vergeht nicht.« Pit Langenbach schaute ernst drein. Er flachste nicht mit mir wie sonst immer. »Vielleicht sollte ich mitkommen, Mark«, sagte der hochgewachsene Kriminalhauptkommissar. »Vielleicht klappt es, wenn du mich bei der Hand nimmst, sobald die Beschwörung wirkt. Dann wären wir zu zweit.« »Das hätte noch gefehlt! Willst du für achthundert Jahre Bezüge und Pensionsansprüche fordern, wenn du zurückkehrst? Das kann ich der Staatskasse nicht zumuten.« »Daß du in der Situation spaßen kannst, wundert mich, Mark«, sagte Pit. »Ich weiß, daß du mich nicht mitnimmst, weil du mich nicht in Gefahr bringen willst. Dieses Experiment wird zum ersten Mal durchgeführt.« »Jedenfalls hier und von mir«, entgegnete ich. »Und es reicht, wenn ich dabei drauf gehe, wenn was mit der Zeitreise schiefläuft. Denk an deine Familie. - Klar?« Pit nickte bewegt. Er klopfte mir auf die Schulter und gab mir die Hand. Wir umarmten uns. »Gut«, sagte Pit, und dieses Wort war eine Floskel. »Aber beim nächsten Mal komme ich mit. Bei Dracomar war ich auch dabei.«
»Irgendwann, wenn es weitergeht.« Ich konnte Tessa nicht weinen sehen. »Mädel«, sagte ich, »dich nehme ich auch irgendwann mit, und zwar ins Indien der Mogulzeit. Dort kannst du das Kamasutra vor Ort studieren.« »Mark Hellmann«, schniefte Tessa, »du bist ein ganz großes…« Sie nannte unverblümt ein menschliches Körperteil, das zwar lebenswichtig war, aber nicht als vornehm galt. So wurde ich von der Frau, die ich gern hatte und die von sich sagte, daß sie mich liebte, auf die Zeitreise geschickt. Keine heroischen Worte. Das war auch nicht notwendig. Ich klopfte mit dem Ring an die Mauer und zeichnete probehalber ein paar Runen. Der Ring leuchtete stärker. Da trat ich an die Stelle, wo sich Nasreddin materialisiert hatte. Ich bewegte die Hand durch die Luft und malte die Runen des keltischen Worts für >Reise<. Der Ring sandte jetzt einen starken Lichtstrahl aus, wie ein kleiner Laser. Ich konzentrierte mich auf die Zeit, in der Nasreddin seinen Ausgang genommen hatte. Doch es geschah nichts. Ein Taxi fuhr vorbei. Der Fahrer warf nur einen kurzen Blick herüber. Er sah zwei Männer und eine Frau, die vor einem Hotel standen. Der eine Mann - ich - schien mit einer winzigen Taschenlampe zu hantieren. »Ich komme nicht weg!« sagte ich zu Pit Langenbach. Er verfiel auf das Naheliegendste. Vermutlich war ich doch aufgeregt, daß ich nicht selbst daran dachte. »Siehst du nicht, du kannst mit dem Lichtstrahl des Rings auf den Boden zeichnen. Male damit die Runen.« Als ich hinschaute, waren da ein paar leuchtende, gelb phosphoreszierende Linien. Ich folgte Pits Vorschlag und schrieb mit dem Lichtstrahl. Im nächsten Moment verspürte ich das Gefühl, daß mich der Ring aufsaugen würde. Der stilisierte Drache auf dem Ring wurde riesengroß. Er riß seinen Rachen auf. Ich stürzte hinein und schrie gellend auf, weil ich glaubte, daß mich der Ringdrache fraß. * Pit Langenbach und Tessa Hayden blieben allein zurück. Mark Hellmann war mit einem gellenden Aufschrei
verschwunden. Seine Kleider und sein Rucksack, die gesamte Ausrüstung, lagen am Bürgersteig. Er hatte nichts als die nackte Haut und den Ring mitgenommen! Ein Hauch wehte über Pit und Tessa hin. Ein seltsamer Klang, Sphärenmusik, dann erklangen ein Rauschen und Zischen. Danach war alles still. Der Kriminalhauptkommissar und die Fahnderin sahen nur noch die leuchtenden Zeichen am Boden. »Was war das?« fragte Tessa und erschauerte, obwohl es brühwarm war. »Wohin ist Mark verschwunden? Was mag nur mit ihm passiert sein? Vielleicht ist er in der Hölle gelandet, und das splitternackt!« »Er ist abgereist«, entgegnete Pit. »Entweder ist er dort, wo er hinwollte, oder - das weiß der Teufel.« »Aber selbst wenn er ins Jahr 1200 gelangt, wie er das wollte, wie soll er sich denn da helfen? Er hat keine Kleider, keine Ausrüstung, nichts. Er beherrscht die Sprache nicht.« »Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern. So ein Mist! Die ganze Mühe mit der Ausrüstung war umsonst. Wir können nur hierbleiben und abwarten, was weiter geschieht. Ich will mir die Zeichen mal anschauen und ein paar Untersuchungen vornehmen.« Pit Langenbach hatte einen kriminalistischen Ermittlungskoffer mitgebracht. Er fotografierte die Zeichen am Boden. Danach berührte er sie mit den Fingern. Sie fühlten sich weder warm noch kalt an, prickelten nicht und hinterließen keine Spuren an den Fingern, über die er Klarsichthandschuhe gestreift hatte. Der Kriminalhauptkommissar versuchte, eine Probe von dem strahlenden Runen abzukratzen und in ein Reagenzglas zu geben. Tessa assistierte ihm, schließlich war sie eine Kripobeamtin und Fahnderin. Doch keine Untersuchung brachte irgendein Resultat. Nach zehn Minuten fingen die Runen an zu verblassen. Bald waren sie ganz weg. Pit und Tessa warteten noch eine Weile. Dann sagte Pit: »Tessa, es ist ziemlich sinnlos, daß wir uns hier stundenlang die Beine in den Bauch stehen. Wir sollten vielleicht besser ins Hotel zurückfahren.« »Nein«, widersprach Tessa. »Mark wird zurückkehren! Und wenn es auch eine Weile dauert, ich bleibe auf jeden Fall hier und warte. Du kannst allein ins Hotel gehen.« Langenbach zuckte die Achseln, zündete sich ein Zigarillo an
und setzte sich auf die Treppenstufe vor dem Hoteleingang. Tessa ging ein paarmal auf und ab und setzte sich neben ihn. Bald erschien der Nachtportier. »Hier können Sie nicht sitzenbleiben. Gehen Sie, oder ich rufe die Polizei.« Gelassen hielt ihm Langenbach seinen Kripoausweis unter die Nase. »Hauptkommissar Langenbach, Kripo. Rufen Sie mal an.« * Der Ring an meiner Hand brannte wie Feuer. Ich hörte seltsame, verworrene Laute, Fauchen und Zischen. Es stach mir wie eine feurige Lanze ins Gehirn. Meine Umgebung war verschwunden. Licht explodierte in meinem Kopf. Ich hörte Spährenklänge und sah einen hellen, pulsierenden Schacht, in den ich hineinfiel. Leuchtende Sterne wurden zu Strichen, die an mir vorbeirasten. Losgelöst von Raum und Zeit schwebte ich in einer anderen, einer übergeordneten Dimension. Es war angenehm. Ich konnte denken und fühlen, es gab mich. Alles war gut. Spektralfarben wirbelten. Da waren ferne Milchstraßen und Galaxien, in der Nähe Planeten mit Monden, einer von Ringen umgeben. Eine unbekannte Kraft beförderte mich durch die Zeit und die Ewigkeit, über einen finsteren, gräßlichen Abgrund hinweg, in dem es von scheußlichen Wesen nur so wimmelte. Über mir war ein strahlendes Licht. Dann kam wieder der Drache, dessen ins Riesenhafte vergrößerte Symbol ich zu Anfang der magischen Reise gesehen hatte. Ich stürzte und landete. Blitzschnell erfaßte ich, daß ich mich in einem Wald befand, es heller Tag war und die Vögel zwitscherten. Ich prasselte durch die Zweige, landete und rollte mich ab. Es war so ähnlich wie bei einem Fallschirmsprung, davon hatte ich während meiner Bundeswehrzeit ein paar hinter mich gebracht. Dann lag ich in einem dichten Urwald mit gestürzten, vermoderten Stämmen und hohen Eichen und Buchen. Das war kein Wald, wie ihn die Forstwirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts hervorbrachte. Irgendwie war alles anders. Meine Rippen schmerzten seltsamerweise nicht mehr als Folge von Mephistos Attacke, was nach der harten Landung hätte geschehen müssen. Für meine Verletzungen aus dem Jahr 1998
war die Zeitreise heilsam gewesen. Aber ich spürte ein Ziehen in den Gliedern und war schwach und so taumelig, daß ich nur dasitzen konnte. Bei mir schien sich physisch wie psychisch alles erst einmal sortieren zu müssen. Ich hatte keine Ahnung, wie Nasreddin es geschafft hatte, sofort nach seinem Auftauchen im Jahr 1998 auf der Stelle aktionsfähig zu sein. Vielleicht hatte Fatma al-Zani eine andere Art von Beschwörung angewendet, die keine solchen Nebenwirkungen wie bei mir hervorrief. Bei Nebenwirkungen fressen Sie die Packungsbeilage, oder erschlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, schoß es mir widersinnigerweise durch den Kopf. Manchmal hat man die dümmsten Einfälle in ungewöhnlichen oder gar kritischen Situationen, Denksplitter. Wenn sie nicht zu lange andauern, ist es okay. Allmählich ging es mir besser. Meine Kräfte kehrten zurück, ja, ich fühlte mich geradezu wie neugeboren. Ich strotzte vor Kraft, hatte jedoch keinen Faden am Leib. Nur den Ring trug ich an meinem Finger. Er zeigte aber noch keinerlei Aktivität. Wie weiland der Urvater Adam stand ich also in einem unwirtlichen Paradies, splitternackt, barfuß und wußte nicht, wo ich war. Ums Jahr 1200 vermutete ich. Aber ich hatte damit gerechnet, in Berlin herauszukommen, das um 1200 erstmals urkundlich erwähnt war und von wo ich die Zeitreise angetreten hatte. Ich war davon ausgegangen, von Berlin ins Erzgebirge zu der Burg des Schwarzen Ritters reisen zu müssen und hatte mir aus dem Landesmuseum sogar Münzen aus jener Zeit besorgt. Jetzt stand ich woanders. Sollte ich schon im Erzgebirge sein? Ich mußte Menschen finden, die mir weiterhelfen konnten. Mein Notizbuch mit den mittelhochdeutschen Worten war ebenfalls verschwunden. Das war eine schöne Bescherung! Immerhin, darüber mußte man froh sein, war bei mir alles heil. Das Klima war gemäßigt, warmes Spätsommerwetter, und es regnete nicht. Weil ich wußte, daß die Wälder jener Zeit von Wölfen, Bären und Auerochsen bevölkert waren, brach ich mir einen Ast ab und fertigte einen primitiven Speer an. Damit war ich erst einmal gewappnet. Eine Steinkeule oder dergleichen brauchte ich nicht. Dafür hatte ich meine kräftigen Fäuste, die zuzuschlagen verstanden. Wie der Held Siegfried, allerdings in der Nacktausgabe und mit
Einfachstbewaffnung, stapfte ich durch den Wald. Das erwies sich als schwierig. Brombeerhecken und andere Ranken machten mir zu schaffen. Kratzer riß ich mir in den Hintern und kämpfte mich mühsam durch das Gestrüpp, bis ich endlich einen Pfad erreichte, der mir das Weiterkommen erleichterte. Ich war in einer zerklüfteten Berggegend, an einem späten Nachmittag. Die Aussicht, die Nacht nackt und allein im Wald zubringen zu müssen, erfreute mich nicht gerade. Ich wünschte mir den Klang von Holzfälleräxten herbei, eine Köhlerhütte zu sehen oder was immer es in der Zeit damals gab. Oder einen Weiler zu finden, ein Dorf. Barfuß durch den dichten Wald zu wandern, war kein Vergnügen. Obwohl ich nicht empfindlich war, schmerzten meine Füße bald. Andererseits war es faszinierend, die urwüchsige Natur zu erleben, Tier- und Vogelarten zu sehen, die in meiner Zeit schon längst ausgestorben waren. Einmal bemerkte ich ein Rudel Wildschweine und ging ihnen aus dem Weg. Ein wütender Keiler kann sehr gefährlich werden, wie schon mancher Jäger erfahren mußte. Ich war schon eine Weile unterwegs, als es zu dämmern begann. Da hörte ich ein dumpfes Knurren. Der Ring hatte keine Aktivität gezeigt. Ich wirbelte herum, den Speer stoßbereit - und sah mich einem grauen Wolf gegenüber. Der hatte mir noch gefehlt! Meine Blicke flitzten umher. Ich hatte Glück im Unglück, denn ich sah keine weiteren Wölfe. Während Wölfe so gut wie immer im Rudel jagten, schien der vor mir ein Einzelgänger zu sein. Das machte ihn allerdings nicht weniger gefährlich. Rasend schnell, wie ein grauer Schatten, griff er mich an. Ich stieß ihm den Speer in den Rachen. Er jaulte, biß in den dicken Ast, und ich packte ihn. Ich rang mit dem Wolf, kriegte ihn unter und würgte ihn. Dann stand ich auf, fertigte mir einen neuen Speer an und marschierte weiter. * Eins hatte mir das kurze Intermezzo gezeigt: Ich war in bester Verfassung. Nach einer Weile gelangte ich auf eine >Straße<, die den Räder- und Schleifspuren nach zu urteilen, Rodezwecken
diente. Hier konnte ich bequemer gehen. Es dauerte nicht lange, die Dunkelheit war noch nicht hereingebrochen, als ich hinter mir Gesang hörte. Seltsamerweise konnte ich jedes Wort gut verstehen, was mich wunderte. In der Verständigung hatte ich nämlich ein Problem gesehen. »Hei, wie lustig wollt ich von den Vöglein singen, von den Blumen auf der Heide - wie vor Jahren schon! Gab mir ein schönes Weib dann süßen Minnelohn, ich ließ ihr Lilien und Rosen aus den Wangen dringen.« (Übersetzter Originaltext des Walther von der Vogelweide) Dazu erklang eine Leier, was im 12. Jahrhundert eine ein- bis dreisaitige, birnenförmige Fiedel war. Sie wurde hier meisterhaft gespielt. Ich versteckte mich hinter einem Haselstrauch, um mir den Fiedler näher anzusehen. Er ritt auf einem Schecken daher. Ganz so bettelarm, wie er sang, konnte er nicht sein, sonst hätte er sich kein Pferd leisten können. Er trug ein leinenes, blaues Obergewand und einen Umhang, der als Wappen eine stilisierte Harfe zeigte. Das Gewand reichte ihm bis zu den Knien und war mit einem Gürtel befestigt. Auf dem Kopf hatte er einen Hut mit ovaler Krone und einer langen, bunten Feder an der Seite, die bei jedem Schritt des Pferds wippte. An der Seite hatte der Spielmann ein Schwert, und ich bemerkte außer einer Harfe und einem kleinen Horn einen Köcher mit Pfeilen und einen Bogen seitlich an seinem Sattel. Hinten am Sattel war ein Mantelsack aufgeschnallt, die Satteltaschen waren gefüllt. Es gab viel räuberisches Gesindel. Auch ein fahrender Spielmann mußte vor ihnen auf der Hut sein. Ich fackelte und überlegte nicht lange, sondern sprang, als er vorbeiritt, aus meinem Versteck hervor und griff ihm in die Zügel. Der Spielmann war mittelgroß, schlank und gut gebaut. Er hatte ein offenes, freundliches Gesicht, bis auf die Schultern fallende, braune Haare und trug einen kecken Kinnbart. Sein Pferd wieherte erschreckt, als ich auftauchte, und wollte sich aufbäumen. Ich hielt es mit eiserner Hand. Als der Spielmann zum Schwert griff, packte ich sein Handgelenk. »Ich will euch nicht überfallen!« rief ich. »Ich bin ein Freund, es ist keine Gefahr.« Ich hatte nicht geglaubt, daß er mich verstehen würde, und war
sehr erstaunt, als er antwortete: »Ei, nackter Adam, bist du ein Wegelagerer oder ein Waldgeist? Was führt dich hierher in dem Aufzug, der einem ehrlichen Christenmenschen schlecht ansteht? Haben dich Räuber überfallen und bis auf die nackte Haut ausgeplündert?« »Mir ist alles genommen worden«, antwortete ich, und das stimmte. »Ich bitte um Hilfe. Verzeiht, wenn ich euch erschreckt habe, edler Herr. Mein Name ist Markus von Heleman, und ich bin ein fahrender Ritter.« Ich benutzte den Namen, den ich in der alten Chronik gelesen hatte. »Und wer seid Ihr?« »Walther von der Vogelweide, der Sänger. Mich hat es ins Erzgebirge verschlagen, denn in Österreich und in anderen deutschen Landen ist ein Herzog der Meinung, ich hätte seiner Frau allzu vertraulich ein Liedlein gesungen. Und nicht nur ins Ohr, er vermutet auch andere Körperteile und betrachtet sein jüngstes Kind daher mit Argwohn. Er trachtet mir nach dem Leben. Deshalb habe ich mir lieber eine abgelegene Gegend ausgesucht, bis sein Grimm wieder verraucht ist.« »Das ist ein weiser Entschluß gewesen, Herr Walther. Wie steht es denn mit dem Verdacht? Besteht er zu recht?« »Was zwischen einer Dame und mir ist, erzähle ich niemals weiter«, antwortete mir der von der Vogelweide. »Der Herzog allerdings ist ein solch grober Klotz, daß seine Gemahlin nicht anders kann, als anderswo Trost zu suchen. Wieso der Herzog bei allen Hörnern, die ihm je aufgesetzt wurden, gerade nach einem bestimmten schlägt, weiß der liebe Gott.« »Vielleicht ist er unmusikalisch. - In welcher Gegend sind wir hier genau?« Er musterte mich überrascht. »Im Erzgebirge, in der Nähe der Burg Heinrich von Schwarzenfels. Das ist freilich kein Herr, den der Minnesang entzückt. Aber die schöne Fatma, die auf seiner Burg lebt, dauert mich. Vor Jahresfrist bin ich schon einmal zu Gast auf Burg Schwarzenfels gewesen und erhielt von der schönen Araberin eine hohe Belohnung. Ich versprach ihr, wiederzukommen. Mein Gesang ist für sie eine Wonne in ihrem tristen Alltag an der Seite des Schwarzen Ritters, der sie vom Kreuzzug mitbrachte, ihrer Familie und ihren Freunden entriß. Wie eine Gefangene hält er sie. - Wollt ihr etwa in den Dienst Heinrich von Schwarzenfels' treten?« »Nicht unbedingt. Was ich über ihn hörte, läßt ihn mir nicht
sympathisch werden.« »Daran tut Ihr gut«, antwortete Walther knapp. Ich atmete auf, ich war also doch ziemlich richtig gelandet. »Welches Jahr schreiben wir?« fragte ich Walther von der Vogelweide. Er schaute mich seltsam an. »Weißt du das nicht, Ritter Markus?« »Ein Räuber hat mir mit der Keule hart auf den Kopf geschlagen«, erwiderte ich. »Bei mir geht alles durcheinander.« »1198, im Jahre des Herrn. Vor acht Jahren, Gott habe ihn selig, ist der große Kaiser Barbarossa gestorben, der achtunddreißig Jahre geherrscht und das Deutsche Reich beträchtlich vergrößert hat. Sein Sohn Heinrich folgte ihm nach. Er ist im vergangenen Jahr dahingegangen. Jetzt sitzt Philipp von Schwaben als König auf dem Thron. Es geht alles drunter und drüber im Reich. Unter dem Rotbart wäre das nicht passiert. Der Weife Otto von Braunschweig, Sohn Heinrichs des Löwen, ist heuer von den Reichsfürsten zum Gegenkönig ausgerufen worden. Er bekämpft die staufische Hausmacht mit allen Mitteln. - Wo soll das nur hinführen? Das Reich ist größer denn je, seit Karl der Große ganz Europa einte und beherrschte. Wir haben Italien und Sizilien unter unserer Herrschaft, das Königreich Arelat - und links des Rheins die Grafschaft Hennegau, das Herzogtum Brabant und alle westfriesischen Inseln. Weit in den Osten reicht unsere Macht. Pommern und Schlesien sind lehensabhängig, der Deutschritterorden ist noch weiter vorgestoßen. Das Königreich Böhmen, das Herzogtum Österreich, die Steiermark, Herzogtum Kärnten und die Mark Krain sind die Bollwerke des Reichs an der Ostgrenze. Sogar das stolze Venedig gehorcht, wenn der deutsche Herrscher befiehlt. - Das Rittertum, der Minnesang, die höfische Epik und die Baukunst haben einen Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht und werden sich noch mehr steigern. - Aber ach, das Reich wird von inneren Kämpfen zerrüttet und kann an diesen Zwisten zugrundegehen, was äußere Feinde nicht schafften. In Rom schmiedet der arge Papst seine Ränke. Er will die Kirche über die weltliche Macht gesetzt sehen und Kaiser und Könige wie Marionetten dirigieren. Dafür gebraucht er den Kirchenbann als die stärkste Waffe. Der Schwabe Philipp hat sein Haus nicht im Griff. - Wie soll das nur enden?«
Ich hätte dem Minnesänger dazu einiges sagen können. Barbarossa und Heinrich VI. hatten das Papsttum in die Enge gedrängt. Mit Philipp von Schwaben folgte ihnen ein schwacher Herrscher, der nach zehnjährigem Kampf gegen den Braunschweiger Otto IV. ermordet wurde. 1212 würde mit Friedrich II. ein anderer Staufer den Thron besteigen, den Gegenkönig, den Weifen Otto IV. besiegen, das Reich einen und in 38jähriger Regierungszeit, ab 1220 als Kaiser, das Reich noch einmal einen und zu einer Blüte führen. - Mit seinem Tod, als die starke Hand und die einende Persönlichkeit fehlten, endete 1254 die Macht der Staufer. Ihr Reich zerfiel. Der letzte blutige Schlußstrich wurde 1268 gezogen, als der letzte Staufer, der unglückliche Konradin von Karl von Anjou besiegt, auf dem Marktplatz von Palermo öffentlich enthauptet wurde. Der Glanz ihrer Namen Barbarossa und Friedrich II. - und der Ruhm ihrer Taten lebten jedoch durch die Jahrhunderte fort. Auch von Walther von der Vogelweide wußte ich einiges. Schließlich hatte ich außer dem Hauptfach Völkerkunde auch Geschichte studiert und mich immer dafür interessiert. Der bekannteste mittelhochdeutsche Minnesänger, Lyriker und Dichter war um 1170 im Österreichischen geboren und nach 1229 gestorben. Er hatte bleibendes Lied- und Schriftgut hinterlassen. Erst 1220 hatte ihm der Kaiser ein Lehen geschenkt, also Grundbesitz, so daß er über einen bescheidenen Wohlstand verfügte. Bis dahin hatte er sich durchschlagen müssen und die Höhen und Tiefen des fahrenden Sängers erlebt, der heute in einer Burg an der Festtafel saß und morgen die Baumrinde fraß, wie ein derber Spruch aus der Zeit besagte. Zu der Zeit, als ich Walther kennenlernte, war er so alt wie ich, ein munterer Geselle mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Er trug mir nicht nach, daß ich ihn angefallen hatte, sondern schenkte mir sogar ein abgetragenes Gewand aus seiner Satteltasche. »Ich habe es für einen armen Teufel aufgehoben«, sagte er, als ich es anzog. »Es hat ein paar Flicken und Löcher, aber zum Wegwerfen ist es noch zu schade. - Freund Markus, wenn ich mich recht erinnere, hat hier in der Nähe ein Köhler seine Hütte. Er wird uns ein Nachtquartier und Speis und Trank geben, wenn ich ihm verspreche, ihm dafür morgen ein Reh zu erlegen.« »Kann er das denn nicht selbst?« fragte ich.
Walther zwinkerte mir zu. »Mein Freund, der Schwarze Ritter, beansprucht das alleinige Jagdrecht für sich. Außerdem alle anderen Rechte, die ein Grundbesitzer verlangen kann.« Eine Aufzählung der Untaten und der Tyrannei des Schwarzen Ritters folgte. »Er ist ein Unhold, wie man keinen schlimmeren findet. Es heißt, daß er mit dem Teufel im Bund ist.« »Das habe ich auch gehört«, antwortete ich knapp. »Was wollt Ihr in dieser Gegend, Ritter Markus?« fragte mich Walther von der Vogelweide. »Woher kommt Ihr?« »Ich habe ein Gelübde getan, darüber nicht zu sprechen«, antwortete ich. Gelübde und Pilgerfahrten nach Rom waren zu der Zeit gang und gäbe. Der Minnesänger lachte. »Ihr seid ein merkwürdiger Geselle, nackter und mit einem Geheimhaltungsgelübde belegter Ritter«, sprach Walther von der Vogelweide. »Aber ich bin nicht neugierig, obwohl ich gern über meine Mitreisenden Bescheid weiß. Das Erzgebirge und besonders diese Gegend, in der Arges geschieht, sucht niemand ohne besonderen Grund auf. - Ihr scheint ein Geheimnis zu haben.« »Vielleicht«, antwortete ich ausweichend. »Zu gegebener Zeit können wir darüber sprechen. - Dünkt Euch meine Sprache merkwürdig?« »Nein. Ihr sprecht ohne irgendeinen Akzent.« Wir unterhielten uns unbefangen wie alte Freunde. Ausführlich unterhielten wir uns über die Minne, ein Fach, in dem der Herr Walther nicht nur als Spielmann und Sänger beschlagen war. Es wurde immer dunkler. Tierstimmen erklangen in dem urwüchsigen Wald, der ganz anders war als die Wälder, die ich aus meiner Zeit kannte. Glühwürmchen flogen durch die Luft. Eulen schrien unheimlich und dumpf. Es knackte links und rechts vom Weg in dem dichten, verfilzten Unterholz. Einmal sah ich glühende Augen, die uns beobachteten, doch mein Ring zeigte keine Aktivität. Wahrscheinlich war es ein Luchs gewesen, der uns beäugte. Einen Menschen griff die Raubkatze normalerweise nicht an. Ich dachte nach, wie Deutschland in jener Zeit aussah und was für eine Gesellschaftsordnung es hatte. Das Land war hauptsächlich von dichten Wäldern und Heide bedeckt. Die Weltbevölkerung betrug zu der Zeit noch keine halbe Milliarde. Das Reichsgebiet war im Vergleich zu meiner Zeit spärlich besiedelt.
Die Machtverhältnisse und Unruhen jener Zeit hatte Walther von der Vogelweide bereits erwähnt. Der König oder Kaiser von Gottes Gnaden, was sehr wichtig war, stand ganz oben. Der Adel hatte die Macht und besetzte die Schlüsselpositionen sowohl im weltlichen als auch im kirchlichen Bereich. Er konnte Lehen vergeben und hatte Leibeigene. Ihm gehörte der Grund und Boden, abgesehen von Freisassenhöfen, Erbgütern, ein paar freien Reichsstädten und Stadtrepubliken wie den Seemächten Venedig und Genua. In England regierte Richard Löwenherz. Im Orient waren die Sarazenen die stärkste Macht. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug fünfundvierzig Jahre, so daß fünfzig bereits als ein gesegnetes Alter galt. Der König oder Kaiser zog mit seinem Hofstaat auch im Frieden ständig umher, hielt Gericht, regelte Streitfragen der höheren Kategorie. Eine Reichshauptstadt im späteren Sinn gab es nicht, wohl aber Stammsitze und bürgen der edlen Geschlechter. Die meisten Menschen verließen ihre Wohnorte kaum, weil Reisen beschwerlich und teuer war und sie auf ihrer Scholle saßen oder ihr Handwerk hatten. Dieses dirigierten die Zünfte. Die Wanderschaft der Handwerksburschen war noch nicht in Mode. Die Bauern mußten dem Grundbesitzer Frondienst leisten und Abgaben zahlen. Die Leibeigenschaft würde noch lange andauern. Der Landesherr hatte das Recht, die eigene Münze zu schlagen. Die Folter, öffentliche Hinrichtungen und grausame Körperstrafen waren gang und gäbe. In den Badestuben der Städte ging es mit den Badedirnen drastisch zur Sache. Es war eine derbe, handfeste, sinnenfrohe Zeit. Man glaubte fest an Gott und den Teufel und hielt die Erde für eine flache Scheibe. Wer sich über den Rand hinauswagte, fiel hinunter, wohin, darüber gab es verschiedene Ansichten. Die Mehrzahl der Menschen war abergläubisch. Es gab das Ius primae noctis, das Recht des Lehnsherrn, die erste Nacht mit einer heiratsfähigen Magd zu verbringen, und anderes mehr. Die Edlen hatten meist unzählige Bastarde und lebten und liebten wüst vor sich hin. Auf der anderen Seite wurde vom Klerus die Enthaltsamkeit von der Fleischeslust gepredigt, jedoch hielt sich dieser selbst nicht daran. Die Klöster waren Stätten der Gelehrsamkeit. Schriften mußten mühsam per Hand erstellt und
vervielfältigt werden. Selbst die Adligen konnten meist nicht lesen und schreiben. Dafür hatte man Schreiber. Spielleute wie Walther von der Vogelweide gehörten zum fahrenden Volk, also den Randgruppen, die gesellschaftlich ausgegrenzt waren. Dazu wurden auch Henker, Totengräber, Schinder, Arme, Kranke, Bettler, Huren, Bordellbesitzer und Juden gezählt. Die Spielleute waren jedoch beliebt und meist gern gesehen. Sie brachten Unterhaltung und Nachrichten von weither. Für mich war es trotz meines Studiums eine völlig fremde Welt, in die ich jetzt persönlichen Einblick hatte. Der Zeitgeist und die Denkweise waren völlig anders als heute. Das mußte ich immer bedenken, bei dem, was hier geschah. Ich überlegte, wie es kam, daß Walther von der Vogelweide und ich uns problemlos miteinander unterhalten konnten. Es mußte mit meinem Ring zusammenhängen. Entweder während der Zeitreise oder gleich nach der Ankunft stimmte er mich ins jeweilige Jahrhundert ein. Daher rührten auch der Schmerz und die Schwäche in den ersten Minuten nach meiner Ankunft. Eine Umwandlung fand statt. Etwas geschah mit mir, und ich fragte mich, wie weit das wohl gehen würde. Die Wirkung des Rings gab mir Mut und Zuversicht. Mit der Kenntnis der Sprache war eine wichtige Voraussetzung erfüllt, mich in der fremden Umgebung und im Jahr 1198 zurechtzufinden. Interessiert hätte mich, ob ich alle Sprachen dieses Jahrhunderts verstand oder nur die des Landes, in der ich meine Aufgabe lösen wollte. Während ich so meinen Gedanken nachhing, erreichten wir die Köhlerhütte auf einer Lichtung mitten im Bergwald. Sie war kegelförmig gebaut, mit einer Vordertür und kleinen Fensterluken. Der Rauch zog durch eine offenen Abzug ab. Die Hütte war mit Zweigen und Ästen gedeckt und hatte ein primitives Aussehen. In der Umgebung der Köhlerhütte befanden sich jeweils die Meiler, mit Erde bedeckte Holzstöße, die in Brand gesetzt wurden und langsam Verkohlten. So erhielt man für die Verhüttung von Eisenerz und für Heizzwecke nötige Holzkohle. Die Köhlerei war ein mühseliges und schmutziges Geschäft. Da galt es Bäume zu fällen, das Holz zu hauen, die Meiler zu errichten und regelmäßig zu kontrollieren, damit sie nicht erloschen. Sobald sie durchgekohlt waren, mußten sie abgebaut und die Holzkohle von der Asche gereinigt und in handliche Schlacken gehauen werden.
Die Köhler waren meist rußige Gesellen. Ich wunderte mich daher etwas, daß Walther von der Vogelweide eine Köhlerhütte aufsuchte. Normalerweise zog es einen Spielmann nicht dorthin. »Liudolf!« rief Walther von der Vogelweide. »Du hast Besuch. Zeige dich.« »Er lebt allein mit seinen beiden Kindern, seit sein Weib vor zwei Jahren in dem strengen Winter starb«, sagte der Spielmann leise zu mir. »Er wäscht sich selten, doch er ist eine treue Seele.« Der Köhler trat aus der Hütte, in Fell und Lumpen gekleidet, bärtig und langhaarig. Er war von einer dicken Ruß- und Schmutzschicht überzogen und hielt einen kurzen Sauspieß in der Hand. »Wer seid ihr, Fremdlinge?« fragte er. Statt einer Antwort schlug Walther von der Vogelweide ein paar klingende Akkorde. Daraufhin hellte sich die Miene des Köhlers auf. Er winkte uns, näherzutreten. Als ihm Walther von der Vogelweide mitteilte, daß ich ein Freund von ihm sei, der von Räubern überfallen worden wäre, genügte ihm das als Auskunft. Bald saßen wir vor der Köhlerhütte an einem lodernden Feuer und brieten Wildschweinfleisch. Die beiden Kinder des Köhlers, ein Junge von vierzehn und ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, saßen bei uns. Das Mädchen hielt eine Puppe in der einen Hand. Mit der anderen rührte sie in einem Topf mit Bucheckernsuppe herum. Es war klar zu erkennen, daß sie den Haushalt fast allein führte und sie und ihr Bruder schwer arbeiten mußten. Später wollten Walther und ich unter freiem Himmel übernachten. In die Köhlerhütte hatte ich einen Blick geworfen. Drinnen war es so verräuchert und düster, daß ich lieber im Freien schlief. Als das Fleisch durchgebraten war, aßen wir es. Ich behielt die Umgebung im Auge und achtete darauf, nicht ins Feuer zu sehen, damit ich nicht geblendet wurde. Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung im Gebüsch. Ich drehte den Kopf nicht, sondern spähte aus dem Augenwinkel. Die Nacht war finster, nur wenige Sterne und manchmal die bleiche Mondsichel leuchteten zwischen den Wolken hervor. In der Ferne heulten Wölfe. Auch Bären und Auerochsen streiften im Wald umher. Die Kinder des Köhlers hatten ein hartes, gefährliches, karges Leben. Wieder bemerkte ich die Bewegung, dann einen rötlichen Glanz.
Ich sah das helle Oval eines Gesichts. Die Gestalt wagte sich noch ein wenig weiter vor. Jetzt war ich mir ganz sicher, daß es sich um eine Frau in einem dunklen Umhang handelte. Mein Ring zeigte keinerlei Reaktion. Eine Hexe oder ein übernatürliches Wesen schien es also nicht zu sein. Gern hätte ich mir die Unbekannte einmal genauer angesehen, hielt mich jedoch zurück. Es mußte seinen Grund haben, daß sie hier umherschlich. Obwohl ich nur sehr wenig von ihr erkennen konnte, glaubte ich nicht, daß es sich um eine Köhlersmagd handelte. Wahrscheinlich wußten der Köhler und vermutlich auch Walther von der Vogelweide, der sich mit ihm unterhalten hatte, daß sie da war. Mir mißtraute man, ich sollte sie zumindest vorerst nicht sehen. Nach einer Weile wurde mir die Warterei zu bunt. Ich stand auf und ging zwischen die Bäume, als ob ich dort meine Notdurft verrichten wollte. Jedoch schlug ich einen Bogen und schlich mich an die Unbekannte heran. Ich bewegte mich äußerst vorsichtig und paßte auf, daß keine Blätter raschelten und kein Zweig knackte. Das hatte ich noch bei der Jugendorganisation der SED gelernt, wo ich eine Weile Scharführer gewesen war, ehe mir das System so stank, daß ich ab meinem vierzehnten Geburtstag dort nicht mehr mitmachen wollte. Als ich die Unbekannte erreichte, packte ich sie, hob sie hoch und trug sie in den Lichtkreis des Feuers. Sie strampelte heftig. Als ich sie losließ, fauchte sie mich an wie eine Katze und wollte mir eine Ohrfeige verpassen. Ich fing ihre Hand ab. Aus einem bildschönen Gesicht mit herzförmigen Lippen funkelten mich meergrüne Augen an. Rotes Haar floß der jungen Frau mit der rassigen Figur über die Schultern. Sie hatte ein ärmelloses, blaues Obergewand an, zierliche Schnürstiefel und trug eine wertvolle Halskette und einen goldenen Stirnreif. Ich schätzte sie auf achtzehn Jahre, was für die Zeit ein höchst heiratsfähiges Alter bedeutete. Sie war wunderschön. Ihr üppiger Busen wogte vor Empörung, als sie mich anfuhr: »Was fällt Euch ein, mich so anzupacken? Mein Vater Thankmar würde Euch dafür auspeitschen lassen.« »Was schleicht Ihr hier so herum?« fragte ich. »Ist das Eure Art, Euch fremden Männern zu nähern?«
»Unverschämter Kerl!« schimpfte sie.@ Liudolf, der Köhler, sagte: »Er hat sie gesehen, Herr Walther. Wenn er den Schergen des Schwarzen Ritters verrät, daß ich Gudrun hier versteckt halte, werden sie mich zu Tode foltern. Wir sollten den Fremdling umbringen und einroden. Kein Hahn kräht nach ihm.« Der Köhler war ein sehr harter Mann. Er hielt seinen Spieß in der Hand. Die Spitze war auf mich gerichtet. Walther von der Vogelweide hatte den Bogen gespannt. Der Pfeil lag auf der Sehne, bereit, mich zu durchbohren. Der Köhlerssohn hielt ein Beil erhoben. Gudrun zog ein kurzes Dolchmesser aus dem Gürtel. »Tötet ihn nicht«, verwendete sie sich für mein Leben. »Das wäre eine schwere Sünde. Bisher ist nicht erwiesen, daß er überhaupt zu der Burg Schwarzenfels will.« »Wohin soll er denn sonst wollen?« fragte der Köhler. »Zu den Dörfern und Zinshöfen in der Umgebung? Oder zum Freisassenhof deines Vaters, Gudrun? Davon müßten wir wissen. Nein, das ist ein fahrender Ritter, er hat es selbst gesagt. Er will in den Dienst eines Lehnsherrn treten. Der einzige, den es hier gibt, ist Heinrich von Schwarzenfels.« »Ich glaube auch, daß er gelogen hat«, sagte Walther von der Vogelweide. »Er hat nämlich von Räubern gesprochen, die ihn überfallen hätten. Nur die Vogelfreien, die wir kennen, stecken in den hiesigen Wäldern. Otto Bärenmark und seine Leute überfallen jedoch keine harmlosen Reisenden. Der Schwarze Ritter und sein grausiges Gefolge haben sie von ihrer Scholle verjagt. Jetzt fristen sie ihr Leben in den Wäldern und Bergen und sind dem Schwarzen Ritter feind. Die Kaufleute knöpft er sich selbst vor und erpreßt solche Zölle und Abgaben von ihnen, daß es Straßenraub ist.« Streng schaute mich Walther an? »Was habt Ihr dazu vorzubringen? Hat Euch Mephisto geschickt, der oft weiß, was im Verborgenen und an weit entfernten Orten geschieht? Oder steht Ihr im Dienst vom Gevatter Tod?« »Weder das eine noch das andere«, sagte ich. »Ich glaube sogar, daß wir gemeinsame Interessen haben.« »Er lügt!« rief der Köhler. »Er ist ein Spion des Schwarzen Ritters und jener Teufelsbrut von Burg Schwarzenfels. Umbringen, sage ich!«
Der gedrungene, bärtige Mann hatte ein so hartes Leben geführt und so schlimme Dinge gesehen, daß er keine Gnade kannte. Schon hob er den Sauspieß. Noch einmal versuchte ich, die Sache gütlich zu regeln. Sonst mußte ich vorspringen und ins Feuer treten, so daß den vieren vor mir die Glut um die Ohren flog. Umbringen lassen wollte ich mich nämlich nicht. Doch gerade als ich den Mund öffnete, um ihnen zu versichern, daß ich ihr Freund sei, geschah etwas Unerwartetes. Hufschlag ertönte. Das Gekläff von Hetzhunden erscholl. Eine Reitergruppe jagte heran, schwer gewappnet, wie der dröhnende Donner der Hufe bewies. Am Feuer erschraken alle. »Das sind der Schwarze Ritter und seine Schergen!« keuchte der Köhler. »Gott sei uns gnädig! Ritter, Tod und Teufel haben es auf uns abgesehen. -Was sollen wir tun, Walther?« Sie vergaßen mich anzugreifen. Noch war hierüber keine Entscheidung gefallen. Alle, die außer mir bei der Köhlerhütte waren, hatten ein anderes, drängenderes Problem als mich. * Burg Schwarzenfels stand auf einer Bergeshöhe am Nordhang des Erzgebirges. Es war eine trotzige Festung mit für die damalige Zeit uneinnehmbaren Türmen und Wällen. Der tyrannische Schwarzkünstler Heinrich von Schwarzenfels kontrollierte von hier aus die gesamte Region. In der Nähe verlief die Geleitstraße, die die Hafenstädte Bremen, Hamburg und Lübeck mit Magdeburg verband und weiter durch das Herzogtum Sachsen führte, hinüber ins Königreich Böhmen und zu den wilden Ungarn. In beide Richtungen bewegten sich die Kaufmannszüge, von denen sich Raubritter Heinrich jeweils seinen Wegzoll und Tribut holte. Eine halbe Reitstunde war es von seiner Burg aus zu dem Städtchen Annaberg, dessen Einwohner schon bei der Nennung seines Namens erzitterten. Der Schwarze Ritter und seine Gesellen, der Tod und der Teufel, saugten sie aus. Im Einflußbereich des Schwarzen Ritters befanden sich mehrere Flecken und Weiler, dazu Silber-, Kupfer-, Blei- und Erzminen und ein paar Kohlegruben. Von den Bergleuten holte er sich genauso seinen Tribut wie von den fleißigen Handwerkern des Erzgebirges,
den Tuchwebern, Klöpplern und dergleichen. Keine Jungfrau war vor ihm sicher. Um seine Macht abzusichern, hatte er sogar einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Daran erinnerte jetzt, als er auf dem Ostturm seiner Burg stand, die eiserne rechte Hand. Vor Jahren, noch ehe er aus unheiligen Gründen ins Heilige Land zog, hatte sich Heinrich von Schwarzenfels die rechte Hand abgehauen und sie Mephisto geopfert. Dadurch schloß er mit ihm einen Bund. Der Wind zauste Heinrich von Schwarzenfels zottigen Bart. Der Ritter war für seine Zeit ein Hüne. Der Teufelspakt hatte bei ihm den Alterungsprozeß gestoppt. Heinrich würde körperlich niemals älter als dreißig sein und seine Bärenkräfte behalten. Krankheiten kannte er nicht. Er hatte eine klobige Figur, buschige Brauen und tiefliegende Augen, in denen ein dämonisches Leuchten brannte. Er trug einen schwarzen Harnisch mit drei roten Wölfen als Wappen auf der Brust. Das Wolfsbanner flatterte auch über der großen Burg, in der wilde Gesellen hausten, die Schergen des Raubritters. Sie kannten kein größeres Vergnügen, als zu schänden, zu morden, zu plündern und wüste Orgien zu feiern. Sie waren der Abschaum des Abschaums. Zu Ritter Heinrich paßten sie gut. Er zerbröckelte einen Stein in der eisernen Rechten, die ihm ein geschickter Schmied, von Mephisto geschickt, angefertigt hatte. Er konnte damit das Schwert besser als zuvor gebrauchen. Es war Nacht. Eine Fackel, deren Flamme der Wind tanzen ließ, steckte in dem eisernen Halter an einer Zinne des unüberdachten Eckturms. Geisterhaft flackerte ihr Schein über die beiden Gestalten hin. Unterhalb der Burg, die ein Wassergraben umgab, erstreckten sich die finsteren schwarzen Wälder des sich zur Erzgebirgischen Mulde abflachenden Gebirges. Heinrich von Schwarzenfels schaute zum Hauptturm inmitten des Burggeländes. In diesem Söller befand sich ein Verlies. In diesem Verlies brannte eine schwache Öllampe. In ihrem Schein sah Heinrich von Schwarzenfels hinter dem Gitter ein verschleiertes Frauengesicht mit einer orientalischen Kopfbedeckung, unter der lange, schwarze Haare hervorfielen. Glutvolle südländische Augen, in denen tiefe Trauer und abgrundtiefe Verzweiflung standen, schauten ihn an. Der Ritter lächelte böse. »Bald wirst du verbrannt, du
verdammte Hexe«, brummte er und winkte höhnisch mit der eisernen Hand. »Bald brauche ich dich nicht mehr.« »Ihr seid sehr >freundlich< zu Euren Geliebten, Herr Heinrich«, sagte Mephisto, der an der Seite des Ritters am Eckturm stand. »Erst erfreuen sie Euch im Bett, dann auf der Folter, und letztendlich landen sie dann auf dem Scheiterhaufen oder werden geköpft oder in einen tiefen Brunnen gestürzt. Ihr seid längst der Hölle würdig.« »In tausend Jahren«, sprach Heinrich. »So lautet unser Pakt, Mephisto. - Ob der Gevatter Tod und meine Schergen wohl schon die Rote Gudrun und jenen Minnesänger gefunden haben? Ich brenne darauf, sie in meiner Burg zu sehen.« »Dann will ich einmal feststellen, was bei der Köhlerhütte vorgeht, die Ihr schon lange beobachten laßt«, sagte der Teufel. »Wartet einen Moment.« Er zauberte eine silberne Schale aus der Mauer. Die Schale füllte sich mit Blut, das Schlieren bildete und wallte. Mephisto starrte hinein. »Ich kann nichts erkennen«, sagte er nach einer Weile. »Etwas stört meine Magie.« Er wirkte, soweit das bei einem Teufel möglich war, besorgt. »Die Kräfte von Mark Hellmanns Ring wirken sich aus«, murmelte er. »Es ist der vierte Ring. Drei Ringe habe ich, sie sind sicher verwahrt im Höllenfeuer, wo sie niemand herausholen kann. Ihre Kräfte verleihen mir eine gewaltige Macht, wie sie sonst keiner hat in der Hölle. Doch Hellmanns Ring stört diese Kräfte. Er muß auch der Grund sein, weshalb ich meine Blutmagie nicht anwenden kann. - Hölle und Teufel, er ist also hier. Dann hat er herausgefunden, wie er durch die Zeit reisen kann.« Heinrich von Schwarzenfels hatte kein Wort verstanden. »Was sagt Ihr?« fragte er, die eiserne Hand auf den Schwertgriff gestützt. »Nichts für Euch. Auch Teufel denken zuweilen laut. Wir müssen warten, bis wir Nachricht von dem Gevatter Tod haben.« »Könnt Ihr Euch nicht zu ihm hinversetzen?« fragte der Schwarze Ritter, begierig, die Neuigkeiten sofort zu erfahren. Mephisto schaute ihn hochmütig an. »Wir haben einen Pakt«, sagte er. »Ich bin jedoch nicht Euer Laufbursche. Wartet die Zeit ab, oder sendet einen Boten zur Köhlerhütte, der die Nachricht abholen mag.«
Der Schwarze Ritter verzog das Gesicht. Obwohl er es besser hätte wissen müssen, hatte er doch gehofft, Mephisto würde sich sofort in einen Kugelblitz verwandeln und durch die Lüfte sausen. Aber auch den Kräften des Teufels waren Grenzen gesetzt. Er mochte sie nicht für geringe Zwecke verschwenden und schon gar nicht für solche, die nicht in seinem Interesse waren. Mephisto stand in der krummen Gestalt eines unscheinbaren Schreibers neben dem hünenhaften Schwarzen Ritter. Der Teufel trug ein graues Gewand und einen Scholarenkragen. Stilecht, weil er darauf Wert legte, hatte er sogar Kleckse von der Gallapfeltinte an den hageren Fingern. Er hatte einen Hut mit einer langen Feder auf dem Kopf und trug ein Tintenfaß und Schreibfedern am Gürtel. Es bereitete ihm Vergnügen, daß sich Heinrich von Schwarzenfels, der ihn weit überragte und auf ihn herabschaute, doch vor ihm beugen mußte. In dem ausgemergelten Gesicht des Teufels, in hagerer kleiner Schreibergestalt, glühten die Augen wie die einer Raubkatze. Mephisto hüstelte und ließ kleine Flämmchen aus seinem Mund tanzen. »Verzeiht«, sagte er mit falscher Freundlichkeit. »Wenn man so lange im Höllenfeuer sitzt, kann einem dergleichen schon passieren.« Er hatte inzwischen mehr über den Ring erfahren, den Mark Hellmann trug. Und er wußte über diesen jungen Mann aus Weimar Bescheid, dem er im späten zwanzigsten Jahrhundert in einem brennenden Dachstuhl erschienen war. Und den er im Berliner Polizeipräsidium umzubringen versucht hatte, als er Nasreddin ermordete. Er lebt, dachte er. Mark Hellmann lebt. Der Ring ist unlösbar mit ihm und seinem Schicksal verbunden. Erst wenn er besiegt und getötet oder in die Hölle geschickt wird, verliert sein Ring die Kraft. Das kann jedoch nur in einem magischen Kampf geschehen. Der Kampf geht weiter, dachte Mephisto. Und: Diesmal, in diesem Jahrhundert, werde ich Mark Hellmann vernichten. Achthundert Jahre vor seiner Zeit. Heinrich von Schwarzenfels bedeutete Mephisto, mit ihm ins Verlies im Hauptturm zu gehen. Der Schwarze Ritter ergriff die Fackel. Die beiden stiegen vom Turm herunter und begaben sich zum Verlies der gefangenen Araberin. Der Schwarze Ritter rief
herrisch. Sofort schlurfte ein Gnom von buckligem Beschließer aus einer dunklen Ecke hervor. Buckelnd und dienernd sperrte er das Verlies auf. Es hatte kahle Mauern und wies eine Nische auf, in der eine Holzpritsche mit Ketten an der Wand befestigt war. Eine alte Decke, fauliges Stroh, ein tönerner Krug und ein stinkender Eimer bildeten das Inventar, das der Schwarze Ritter seiner früheren Geliebten zugestand. Fatma al-Zani kauerte, mit Pluderhosen und einem Jäckchen bekleidet, in der Ecke und hatte die Decke um sich geschlungen. Schwere Ketten klirrten an ihren Füßen. Beim Eintreten des Schwarzen Ritters und der graugekleideten kleinen Gestalt mit den glühenden Augen erhob sie sich. Quiekend huschten zwei Ratten davon und verschwanden in einem Loch in der Wand. Es stank im Verlies. Die ehemals schöne Fatma war grauenvoll abgemagert. Heinrich hatte sie foltern lassen. Sie bewegte sich nur mühsam. »Was wollt Ihr?« fragte sie. »Habt Ihr mir noch nicht genug Leid zugefügt, Heinrich von Schwarzenfels? Ihr müßt wahrhaftig ein >tapferer< Ritter sein, daß es Euch Spaß bereitet, eine wehrlose Frau zu demütigen und zu quälen.« Heinrich bewegte die Fackel vor ihrem Gesicht. »Da, damit du dich schon einmal an das Feuer gewöhnst. Bald wird es dich verzehren. Doch zuvor wirst du mir noch deine letzten Geheimnisse preisgeben, Fatma. Du kennst viele Hexenkünste. Doch aus diesem Verlies, das ich mit Dämonenbannern und auf Mephistos guten Rat hin gesichert habe, vermagst selbst du nicht zu entfliehen. Daß du Nasreddin in eine ferne Zeit gehext hast, war dein letzter Streich.« »Und dich habe ich einmal geliebt«, stammelte Fatma. »Pfui!« Sie fügte ein paar orientalische Worte hinzu und spuckte aus. Zornig hob Heinrich die Linke, um sie zu schlagen. Doch Mephisto zog ihn mit einer Kraft, die man in seinem schmächtigen Tarnkörper nie vermutet hätte, zurück. »Der Teufel ist grausam«, sagte er. »Doch er hat seine Ehre. Die Niedertracht ist den primitiven niederen Chargen vorbehalten. Ein Megadämon quält nicht sinnlos hilflose Frauen, noch mag er zusehen, wie dies in seinem Beisein geschieht. - Du würdest wohl auch noch Fliegen die Beine ausreißen und das als eine Großtat ansehen, du Held!«
Heinrich von Schwarzenfels zuckte unter dem Spott und Tadel zusammen. Seine eiserne Rechte krampfte sich um den Schwertgriff. Doch gegen Mephisto wagte er nicht, die Hand zu heben. Fatma schaute den kleinen Grauen mit den Glutaugen dankbar an und murmelte arabische Dankesworte. »Keine Ursache«, erwiderte ihr Mephisto in derselben Sprache. »Mephisto hat Niveau. Selbst die Hölle lernt dazu. Die plumpe Bosheit hat keinen Stachel. Doch hofft nicht zu sehr auf mich, Hexlein. Wenn du verbrannt wirst, werde ich keinen Finger rühren.« Er wandte sich an den Schwarzen Ritter. »Die nächsten Tage wirst du sie in Ruhe lassen. Beschäftige dich lieber mit den Vogelfreien und jenen anderen, die es zur Strecke zu bringen gilt, statt deinen üblen Neigungen gegen Wehrlose zu frönen. - Du bist ein gewaltiger Kämpfer, Heinrich, im Turnier ungeschlagen. Doch es mangelt dir an Stil, und du verplemperst die Zeit mit unnützen Dingen.« Er fuhr blitzschnell eine gespaltene Schlangenzunge aus und holte wie eine Eidechse eine fette Spinne und ein paar Asseln aus den Mauerfugen. Die fraß er auf. »Man muß sich bei Kräften halten«, sagte er. »In der Not fresse ich sogar Fliegen. - Heinrich, ich verlasse dich. Laß Fatma in Ruhe, widme dich wichtigeren Dingen, oder du wirst es bereuen.« Der Schwarze Ritter nickte, was sollte er anderes tun? Sein Seitenblick versprach Fatma Schlimmes. Ein paar Tage, bedeutete er, das sind drei oder höchstens vier. Dann werde ich dich persönlich zur Folterbank bringen. Heinrich von Schwarzenfels bebte. Er und Mephisto verließen das Verlies und stiegen zum Außengang des Hauptturms hinauf. Der Schwarze Ritter fragte Mephisto, wohin es ihn zöge. »Ich habe viel zu tun«, antwortete ihm der Höllenfürst ausweichend. »Ich bin an allen Orten und zu allen Zeiten zuhause.« »Wann kehrt Ihr zurück?« fragte der Ritter. »Wann ich es für nötig halte. Wenn Ihr mich braucht, ruft mich.« Heinrich runzelte die Stirn, unterdrückte jedoch die Kritik, daß Mephisto etwas mehr für ihn tun könnte. Manchmal reute den Ritter die rechte Hand, die er sich für den Teufelspakt abgehauen hatte. Mephisto machte nur Stippvisiten bei ihm. Einerseits war ihm das recht, die ätzende, arrogante Art des Oberteufels vertrug
er nämlich schlecht. Andererseits hätte er seinen Rat und Beistand häufiger brauchen können. »Hoffentlich wird der Gevatter Tod den Fall mit dem Ringträger regeln können«, versuchte er indirekt Mephisto um mehr Mithilfe anzusprechen. Ein paar Dinge hatte er aufgeschnappt. Mephisto meinte: »Das wird er gewiß. Dafür habe ich ihn Euch ja zur Seite gestellt. - Ihr seid mir ein treuer und guter Diener, Heinrich. Ein wenig plump, aber man kann nicht alles haben. - Da habt Ihr mein Tintenfaß. Ich schenke es Euch. Mit Tintenfässern hat es so seine Bewandtnis. Ihr kennt doch die Wartburg? Dort hat einmal einer ein Tintenfaß nach mir geworfen. Aber das ist nach Eurer Zeit. - Einen satanischen Abend wünsche ich und teuflische Nachtruhe. Ach, wenn ich mich doch nur schon wieder in meinem Höllenpfuhl ausstrecken und ausruhen könnte. Als Drachengewürm in der kochenden Lava schlummert es sich besonders gut. Doch ich bin vielgefragt.« Mephisto winkte dem Ritter zu. Bei all seinem Hohn und Spott, mit dem er Heinrich überschüttete, war er eine schreckliche Erscheinung. Schatten umgaben ihn, und kleine Flämmchen zuckten über ihn hinweg. Seine Augen glühten stärker. Seine ungeheure satanische Kraft und die geballte Macht der Hölle waren zu spüren. Er strahlte sie jetzt aus wie ein Hochofen Hitze. Wo Mephisto auftauchte, gab es keinen Zweifel, wer der Herr war. Im nächsten Moment zerplatzte er zu einer stinkenden Rauchwolke. Heinrich hustete. Der Höllenfurz, dachte er, hütete sich aber, das laut zu sagen. Er schaute das Tintenfaß an, das Mephisto ihm in die Hand gedrückt hatte, und er wußte nicht recht, was er damit tun sollte. Im nächsten Moment ließ er es angeekelt fallen. Es verwandelte sich nämlich in eine fette, warzige Kröte. Sie plumpste auf den Boden, machte zwei Hopser und quakte ihn an. Heinrich zertrat sie angewidert mit seinem Eisenschuh. Es gab ein widerliches Geräusch, und die Kröte sprach mit klagender Mädchenstimme: »Was hast du getan? Ich bin eine Prinzessin.« Heinrich schauderte es. In seiner Kindheit hatte er die Märchen gehört, die man ihm erzählte. Jetzt wußte er wieder einmal nicht,
ob Mephisto ihn auf den Arm nahm oder ob er tatsächlich eine verwunschene Prinzessin zertreten hatte. Er verließ rasch den Hauptturm. * Bei der Köhlerhütte im finsteren Wald hörten wir den herandröhnenden Hufschlag. Walther von der Vogelweide, die bildhübsche rothaarige Gudrun, der Köhler Liudolf und seine beiden Kinder lauschten entsetzt dem Hufschlag und dem Gekläff der Hetzhunde. Wir schauten in die Richtung, aus der sich der Lärm näherte. Auch Hörner waren zu hören. Von allen Seiten näherte sich dieser Lärm. »Was sollen wir tun, Walther?« fragte der Köhler abermals. »Sie werden gleich da sein.« »Flieht!« rief ich. Man konnte die Tapferkeit auch übertreiben. Dann hieß sie Dummheit. »Verteilt euch. Du, Köhler, sieh zu, daß du deine Kinder in Sicherheit bringst. Versteckt euch, wir locken die Verfolger auf eine falsche Fährte.« »Verräter!« knirschte der Köhler. Er sprang übers Feuer und wollte mich mit seinem Spieß durchbohren. Im Angesicht größter Gefahr drehte er völlig durch. Ich wich dem Stich aus, packte den Spieß, trat dem Köhler von hinten die Beine unterm Leib weg und riß den Spieß zugleich schräg nach oben. Weil er ihn eisern umklammerte, schlug er einen regelrechten Purzelbaum. Seinen Spieß hatte jetzt ich in der Hand. Die wertvollen Sekunden, die uns zu einer Flucht verholfen hätten, waren vertan. Die Reiter preschten zwischen den mächtigen Eichen und Buchen hervor, an einem Meiler vorbei, aus dem durch die Lüftungsschächte ein glosender Schein drang. Ein Dutzend Hetzhunde rasten geifernd, hechelnd und kläffend auf uns los. Riesige Bestien waren es, stark genug, um es mit dem Bär und dem Auerochs aufzunehmen. Walther von der Vogelweide spannte den Bogen. Die Rote Gudrun zog ihm das Schwert aus der Scheide und stellte sich damit zum Kampf. Auch die anderen nahmen Kampfpositionen ein. Ich riß ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer, schwang es
mit der Rechten und hielt den Spieß des Köhlers in der linken Hand. Die Reiter donnerten auf uns zu, als ob sie uns in Grund und Boden stampfen wollten. Es waren lauter Geharnischte in dunklen Rüstungen. Wuchtige Gestalten, mit Schwertern, Lanzen, Streitäxten und Morgensternen bewaffnet, auf kräftigen Gäulen. Auch die Gäule schützte ein Kettenpanzer. Geradezu gespenstisch sahen sie damit aus. Wir schienen verloren zu sein. Ich wehrte zwei Hetzhunde mit dem Feuerbrand ab und schlug einem dritten Hund den Stiel des Spießes über die Nase, daß er aufjaulend floh. Dann hatten wir alle Hände voll zu tun, um uns allein gegen die Hunde zu wehren. Ein gepanzerter Reiter galoppierte mit angelegter Lanze direkt auf mich zu. Auch die anderen kämpften gegen die Hetzhunde, von denen Walther von der Vogelweide zwei mit schnellen Pfeilschüssen niederstreckte. Jaulend der eine, fast lautlos der andere, brachen die Hunde zusammen. Der Spielmann vermochte mit dem Bogen ebenso gut umzugehen wie mit seiner Fiedel. Der Lanzenreiter hatte mich fast erreicht. Ihm folgten weitere Reiter. Um die dreißig Mann waren es, die uns angriffen. Eine erdrückende Übermacht. Da wirst du wohl doch an der Burgmauer enden, Mark, dachte ich, wollte aber mein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Da ertönte ein lauter Ruf. »Halt!« Die Reiter hielten sofort inne. Fast auf der Stelle zügelten sie die Pferde. Auch die Hunde ließen vom Kampf ab. Es war kein Mensch, der da sprach. Seine Stimme klang hohl und krächzend und zugleich zischend wie die einer Schlange. Er hielt allein am Waldrand. Winselnd wichen die Hunde vor ihm zurück und zogen die Schwänze ein. Die Reiter verteilten sich. Der Anführer der Schar, der gerade gerufen hatte, war hochgewachsen und saß auf einem falben Pferd, das fast einen Knochenschädel hatte. Er trug einen schwarzen Umhang mit einer Kapuze, unter der ein Totenschädel hervorgrinste. Ich wollte meinen Augen kaum trauen. Im Lichtschein des Feuers, der bis unter die Bäume reichte, sah ich die leeren, schwarzen Augenhöhlen des Unheimlichen. In der rechten Hand hielt er eine große Sense, deren Stiel er gegen den Sattel seiner Mähre stützte. Grauenvoll sah er aus. Ein Anblick, der auch einem tapferen Mann das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.
Ich spürte ein heftiges Prickeln und schaute auf meine Hand. Mein Ring leuchtete. Ein Dämon, dachte ich. Jetzt wußte ich, weshalb er Gevatter Tod hieß. So sah er nämlich auch aus. Walther von der Vogelweide hatte ihn auf dem Weg zur Köhlerhütte als eine der stärksten Säulen von Heinrich von Schwarzenfels' Macht bezeichnet. Die Reiter des Dämons belauerten uns. Die Hunde desgleichen. Die Rote Gudrun flüsterte: »Gott sei uns gnädig! Lieber stürze ich mich in das Schwert, als lebend in die Hände dieser Meute zu fallen und zum Schwarzen Ritter geschleppt zu werden.« Sie erschauerte bei dem bloßen Gedanken. Das Skelett, denn ein solches verbarg sich unter dem Umhang, trabte heran. Das Leuchten von meinem Ring pulsierte noch einmal kurz und erlosch dann. Der Ring hatte seinen Zweck erfüllt und mich vor dem Dämon gewarnt. Die Kreatur grollte und zischte: »Komm, Fiedler, spiel uns zum Totentanz! Solange du spielst, wird Euch nichts geschehen.« Die gepanzerten Reiter hielten am Rand der Lichtung unter den hohen Bäumen. Sie verschmolzen fast mit den Schatten. Unheimlich und bedrohlich wirkten sie. Obwohl sie keine Dämonen und Nachtgeschöpfe zu sein schienen, tröstete uns das nicht. Verkommene Menschen, Plünderer, Mörder, Notzüchter und Sadisten konnten schlimmer als Dämonen sein. Walther von der Vogelweide räusperte sich. Er hatte fest damit gerechnet, den Angriff nicht zu überleben. Jetzt bot man ihm eine Chance, auch wenn sie zeitlich begrenzt war. Er hängte den Bogen über die Schulter, steckte die Pfeile in den Köcher, schlug wohlklingend die Leier und fing an zu singen: »Ich kann euch nicht berichten, was weiter dann geschah, nur daß man immer weinen Christen und Heiden sah, die Ritter und die Frauen um ihrer Freunde Tod. Hier hat die Mär ein Ende - stirb, du Gevatter Tod!« Der Spielmann hatte den Text der letzten Strophe des Nibelungenlieds, das ein Zeitgenosse und Freund von ihm gedichtet hatte, in der letzten Zeile abgewandelt. Er schlug einen gewaltigen Akkord. Dann ließ er die Leier fallen, zog blitzschnell einen Pfeil aus dem Köcher und schoß ihn auf den Dämon ab. Schneller als Walther, dem ich solch eine mutige Tat nicht zugetraut hätte, war ich. Ich trat mit dem noch immer nackten Fuß ins Feuer, daß die
Scheite flogen und die Funken stoben. Mein Ring glänzte und gleißte, sandte jedoch keine Strahlen aus wie bei der Runenbeschwörung zu Beginn meiner Zeitreise in Berlin. Die Schergen wichen zurück, als ihnen die Glut und die Funken um die Ohren flogen. Die Hetzhunde winselten und jaulten. Ich warf, als Walthers Pfeil schon durch die Luft zischte, mächtig den Spieß. Der Tod vollführte nur eine kurze Bewegung mit seiner Sense. Der Pfeil und der Spieß drehten sich in der Luft um die eigene Achse und flogen zurück. Ich wich gerade noch aus, und der Spieß fuhr hinter mir in den Stamm einer Buche. Walthers Pfeil zerriß ihm das Gewand, streifte das Kettenhemd, das er darunter trug, und zischte in den finsteren Wald. Die Schergen wollten uns angreifen. Doch noch einmal hielten die hohle, zischende Stimme des Tods und eine herrische Geste sie zurück. »Wartet!« Er wandte sich an Walther. »Das war dein letztes Lied, Spielmann. Ich werde dich mit der Lepra strafen, daß dir die Finger abfallen und du nimmer auf Erden die Leier mehr spielen sollst! - Du kannst in der Hölle fiedeln.« Walther erbleichte, blieb aber aufrecht stehen. Der Tod sah mich an. Mich fröstelte es, als ich in seine leeren Augenhöhlen schaute. In ihnen lauerte etwas Furchtbares, das spürte ich genau. »Wer bist du?« fragte der Dämon. »Markus von Heleman, ein fahrender Ritter.« »Dich bringe ich zu dem Schwarzen Ritter«, entgegnete der Dämon, ohne auf Mark einzugehen. Seine Worte galten der rothaarigen Gudrun, auf die der Dämon jetzt schaute. »Ihn gelüstet es schon nach dir.« Jetzt sah er den Köhler an. »Was ist dir eingefallen, dich gegen deinen Herrn zu erheben und seinen Feinden Unterschlupf zu gewähren?« Der zottige Köhler in Lumpen und Bärenfell zitterte heftig. »Herr, das sind zufällig meine Gäste«, stammelte er. »Ich habe nichts Böses getan. Wenn Ihr meint, mich bestrafen zu müssen, tut es. Doch verschont meine Kinder.« »Wir werden sie in die Sklaverei verkaufen«, drohte Gevatter Tod. »Du aber…« Wie ein schwarzer Blitz zuckte es aus seinen Augenhöhlen. Der
Bannstrahl des Schrecklichen traf den Köhler. Dieser schrie auf. Entsetzt sahen wir, wie innerhalb von Sekunden dicke, schwarze Beulen an seinem Körper entstanden. Zu erkennen waren zunächst nur die im Gesicht und an seinen nackten, rußigen Unterarmen. Der Köhler schrie wie am Spieß. Er riß sich die Oberbekleidung vom Leib und kniete im Lendenschurz. Über und über war sein Körper mit den Beulen bedeckt, aus denen eine eitrige Flüssigkeit sickerte. »Ich habe die Pest!« schrie der arme Mann. »Die Geißel Gottes hat mich getroffen.« Hier war es wohl eher die Geißel des Teufels. Binnen Minuten starb Liudolf, der Köhler, einen gräßlichen Tod. Hohl lachte Gevatter Tod. »So ergeht es jedem, der sich gegen Ritter, Tod und Teufel stellt im Erzgebirgischen Land!« rief er. In den nächsten Sekunden ergriffen die Schergen die beiden Kinder des Köhlers. Dem Knaben wurde das Beil entrissen. Wir konnten es nicht verhindern. Ein Fackelwurf setzte das ausgedörrte Reiserdach der Köhlerhütte in Brand. Ich sah nur noch eine Chance, dem Angriff der Schergen zu entrinnen, die auf uns losgaloppierten oder abgesessen waren und sich auf uns stürzten. Ich stieß einen gellenden Schrei aus, so laut ich konnte, reckte mich und breitete die Arme aus. Der Trick, den mir einmal ein Reitlehrer verraten hatte, wirkte. Die Pferde scheuten. Wiehernd bäumten sie sich auf. Zwei geharnischte Reiter wurden abgeworfen. Die übrigen hatten Mühe, ihre Rösser im Zaum zu halten, und sie waren den zu Fuß Angreifenden im Weg. »Nichts wie weg hier!« rief ich Walther und Gudrun zu. Der Spielmann ergriff seine Leier und nahm Gudrun das Schwert ab. Ich rannte zu der Buche, in der der Spieß steckte, trat zwei Bluthunde aus dem Weg, die mich ansprangen, und riß den Spieß aus dem Holz. Walther und Gudrun, die ein kurzes Dolchmesser irgendwo unter ihrem Kleid hervorgeholt hatte, rannten zu mir. Walther teilte sausende Schwerthiebe aus. Der Spielmann, fast einen Kopf kleiner als ich, war ein gewaltiger Kämpe, was die Literatur nicht berichtete. Mit Spieß und Schwert wehrten wir die nachdrängenden Angreifer und die Hetzhunde ab und flüchteten in den dunklen Wald. Walthers Pferd zu holen, das ein Stück weit entfernt
angebunden war, oder uns eines anderen zu bemächtigen, war nicht möglich. Gudrun führte uns. Sie schien hier jeden Fußbreit Boden zu kennen und bewegte sich mit nachtwandlerischer Sicherheit. Reiter und Fußgänger folgten uns nach. Gudrun ergriff das Schwert, das sie gut zu gebrauchen wußte. Walther schoß Pfeile ab. Ein Schuß traf einen gewappneten Reiter in die Halsbeuge, wo sich die Lederbänder des Helms schlossen. Gurgelnd griff sich der Scherge an den Hals und stürzte schwer ins Gesträuch. Wir rannten über Stock und Stein, verfolgt und immer wieder angegriffen von den Schergen des Schwarzen Ritters. Die Hetzhunde, die noch übrig waren, kläfften. Zwei Angreifer stach ich nieder. Zwar trugen sie Kettenhemden, doch die schützten nur den Brustbereich. Die Schergen hatten den Tod alle verdient. Sie dienten aus freien Stücken dem Tod und dem Teufel. Wir streckten mehrere Hetzhunde nieder. Gudrun, die sich wie ich mit dem Schwert eines niedergestochenen Schergen bewaffnet hatte, und Walther wehrten sich tapfer. Bald schwitzten und keuchten wir. Gudrun hatte den Weg verloren und wußte nicht mehr, wo wir hinliefen. Es ging durch den stockdunklen Wald, bergauf und bergab, durch eine Schlucht, dann einen Steilhang hinauf, an dem wir die letzten Eisenreiter, die uns noch folgten, zum Absteigen oder zu einem Umweg zwangen. Manchmal sahen wir den Gevatter Tod, den ein fahler Schein umgab. Er spie seine Seuchensaat nicht mehr aus den Augen. Er verfolgte uns, beobachtete uns. Immer wieder erschollen die Hifthörner, und jedesmal, wenn wir meinten, die Verfolger endgültig abgeschüttelt zu haben, waren sie wieder da. Schwerter klirrten. Schreie und Verwünschungen ertönten im Bergwald. Das dichte Unterholz hatte uns davor bewahrt, von den gepanzerten Reitern umzingelt und niedergeritten zu werden. Noch einmal klappte mein Trick mit dem Schrei und dem Armfuchteln nicht. Dank meiner erstklassigen Kondition bereiteten mir die Flucht und der Kampf keine große Mühe. Ich staunte, wie gut ich mit dem Schwert umgehen konnte. Früher hatte ich mal ein paar Fechtstunden genommen. Aber nicht mit dem Schwert. Dennoch gebrauchte ich es wie ein alter Kämpe. Als mich auf einem steilen Bergpfad die Verfolger
bedrängten, bestätigte sich das. Ein Scherge in schwarzer Rüstung bedrängte mich. Die Mondsichel und etliche Sterne beschienen die Szene mit trübem Licht. Auf dem Schild des Schergen waren die drei roten Wölfe zu sehen, das Wappen seines Herrn, des Schwarzen Ritters. Er schwang sein Schwert und haute auf mich ein, fintierte und stach zu. Ich verteidigte mich. Woher ich die Kenntnisse im Schwertkampf nahm, wußte ich nicht mit Sicherheit. Sie konnten jedoch nur von dem Ring stammen, der sich als immer wertvoller erwies. Neben der Sprache vermittelte er mir auch noch Kampfkenntnisse mit den Waffen jener Zeit. Obwohl der Scherge mit seiner Rüstung und dem Schild sehr im Vorteil war, konnte ich ihm widerstehen. Ich mußte mich anstrengen. Der Ring schenkte mir nichts. Es gelang mir, dem Schergen das Schwert aus der Hand zu schlagen. Mit einem Fußtritt vor die Brust beförderte ich ihn von dem Pfad in den Abgrund. Er stürzte mit einen gellenden Schrei und zerschmetterte auf den Felsen im Bergbach. Dem Schall nach zu urteilen, war der Abgrund achtzig bis hundert Meter tief. Was tief unten in dem finsteren Abgrund geschah, konnten wir in der Nacht nicht sehen. Jäh brach der Schrei des Gestürzten ab. Ich lief hinter Gudrun und Walther her, die hinter einer Biegung des Pfads auf mich warteten. Finster war die Nacht. Nur manchmal war die Mondsichel krumm wie ein Türkensäbel zwischen den Wolken zu sehen. Die Verfolger waren zurückgeblieben. Schon glaubten wir, wir wären sie los. Doch da ritt der Gevatter Tod aus dem Wald, den wir dunkel unter uns sahen, auf seiner Knochenmähre in die Lüfte empor. Ein unheimliches Leuchten umgab das hünenhafte Skelett mit der großen Sense. Der Hufschlag seines Skelettpferdes hallte in der Luft, obwohl das physikalisch eigentlich nicht möglich war. Der Tod hielt hoch über dem Bergbach am Grund des Abgrunds vor uns an. Er lachte uns höhnisch an. Wir standen auf dem schmalen Pfad mit dem Rücken zur Felswand und präsentierten ihm unsere Waffen. Walther legte einen Pfeil an die Sehne. Doch er schoß ihn nicht ab. Wenn der Pfeil wieder umkehrte, hatte er zu wenig Bewegungsfreiheit, um ihm auszuweichen. »Soll ich euch das Fleckfieber anhusten?« fragte Gevatter Tod. »Malaria, Beri-Beri, die Blattern wohl noch dazu. Wie wird es dir
wohl ergehen, Spielmann, wenn ich dir auf dem Pfad die Amöbenruhr verpasse? Und du, Rothaarige, bist stolz auf deine schönen langen Haare und deine weißen Zähne? Mit der Krätze und Skorbut will ich sie dir nehmen.« Gudrun versuchte, sich hinter mir zu verstecken. Der Verlust ihrer Schönheit schreckte sie mehr als der Tod. »Ich lasse deine Brüste verdorren und deine Glieder sich krümmen«, höhnte der Seuchendämon weiter. Gudrun bebte. Fünf Meter vor uns hielt der Schreckliche in der Luft und war unangreifbar. »Hast du für mich nichts übrig, Klappermann?« fragte ich das Gerippe, um es von Gudrun abzulenken. »Welche Krankheit willst du mir wohl verpassen?« »Bluthusten und Cholera!« dröhnte er. Im nächsten Augenblick zuckte es wie ein Schattenstrahl aus seinen Augenhöhlen. Instinktiv riß ich die Rechte zum Schutz empor. * In Berlin am Alexanderplatz waren seit Mark Hellmanns Verschwinden anderthalb Stunden vergangen. Pit Langenbach und Tessa Hayden hielten sich immer noch vor dem Hotel auf. »Ich mache mir die größten Sorgen um Mark«, sagte Tessa. »Ich fühle, daß er in größter Gefahr ist.« Verzweifelt rief sie: »Ich werde ihn nie wiedersehen!« Langenbach legte einen Arm um sie. Obwohl auch er ein ungutes Gefühl hatte, versuchte er Tessa zu trösten und ihr Mut zuzusprechen. »Noch ist nicht aller Tage Abend, Tessa. Mark ist ein Teufelskerl! Der zieht nicht so schnell den Schwanz ein. Pardon.« »Du sagst es, ein Teufelskerl«, erwiderte die junge Frau mit dem burschikosen Wesen. »Er hat dämonische Gegner. Vielleicht hat ihn schon längst der Teufel geholt und in die Hölle gezerrt. Dann ist er das, was du sagtest.« Sie bebte, stellte sich hin und schaute vor sich, ohne etwas wahrzunehmen. »Ich spüre es ganz deutlich!« rief sie. »Wir sind seelisch verbunden. In diesem Moment stirbt Mark.« Sie brach in Tränen aus.
* Die Schattenbahnen mit den tödlichen Seuchenkeimen rasten auf mich los. Ich hatte keine Möglichkeit auszuweichen. Doch es geschah nichts. Ich spürte keinen Schmerz und keine Einwirkung von etwas Fremdem. Nur mein Ring war ein wenig wärmer geworden. Der Dämon betrachtete mich. Gevatter Tod neigte sich im Sattel vor und legte den Kopf unter der schwarzen Kapuze schräg. »Warum wirkt mein Seuchenzauber bei dir nicht?« grollte er zischend. »Bist du ein Magier?« Daß es am Ring lag, merkte er nicht. Der Ring hatte offenbar keine Ausstrahlung, die ein Dämon spürte. Er war eine Defensivwaffe und bildete einen magischen Schutz vor den Seuchenkeimen, die mich sonst einen grausamen Tod hätten sterben lassen. Ich grinste und warf den Kopf zurück, daß meine blonden Haare flogen. Mein Gewand war zerfetzt von der Flucht durch den Wald. Meine Füße bluteten. Doch das waren Kleinigkeiten. »Du wirst alt, Seuchenhuster«, sagte ich keß. »Streng dich mal an, wenn du mich schaffen willst.« Abermals spie mir der Gevatter Tod seine Seuchenkeime entgegen. Diesmal die stärksten, über die er verfügte. Wieder spürte ich nichts. Der Ring wurde nicht mal wärmer. Er glänzte hell. Sonst fiel an ihm nichts Besonderes auf. Aber ich sah in meiner Phantasie, wie der Drache, der stilisiert in den Ring eingeritzt war, in vergrößerter Form seinen Rachen aufriß und die Seuchenkeime verschlang und unschädlich machte. Der Große Drache beschützte mich. Oder, so genau konnte man das Symbol auf dem Ring nicht erkennen, war es eine Sphinx? »Das ist mir in Äonen nicht passiert!« keuchte Gevatter Tod. »Selbst nicht, als noch die Saurier die Erde bevölkerten und die stolzen Amazonenköniginnen von Kass-Amun gegen die finsteren Herrscher des Zwischenreichs von Vampyroda und Wolferone kämpften. Tyrannosaurus Rex und vor ihm die wirbellosen Tiere des Kambriums fielen meinen Seuchen zum Opfer.« Mich überlief es eiskalt. Ich wußte und spürte, der Dämon log nicht. So alt war er also. Zweifellos einer der ältesten
Schwarzblüter überhaupt. Was für Gegner hatte ich da? Und als Mittel gegen sie nur den Ring, meine Kraft, Gewandtheit und meinen Verstand. »Ich bin kein Saurier, Gevatter«, verhöhnte ich ihn. »Aber vielleicht versuchst du es bei mir auch einmal mit der Maul- und Klauenseuche, wenn sie bei diesen wirkte.« Da brauste er auf. Auch ein uralter Dämon konnte sich also erregen. »Menschenwurm, dir schlage ich jetzt den Kopf ab!« Und er ritt an und führte mit seiner Sense einen sausenden Hieb gegen mich. Ich duckte mich weg. Die Sense schnitt tief in die Felswand. Walther und Gudrun waren zur Seite gewichen und schauten fassungslos zu. Gevatter Tod ließ sein Knochenpferd sich aufbäumen und mit den Hufen nach mir schlagen, damit ich tief in den gähnenden Abgrund stürzen sollte. Das gelang nicht. Hufe verfehlten mich. Ich schlug mit dem Schwert nach dem Dämon und stach mit dem Spieß zu. Die Klinge fuhr ihm zwischen die Rippen. Von der Wirbelsäule des Skeletts ertönte ein heller Klang. Funken stoben unter dem Umhang. Die Wirkung war minimal. Auch der Spieß vermochte ihn nicht zu verletzen. Wieder und wieder schlug der Gevatter Tod mit der Sense zu. Ich hatte alle Mühe, die Hiebe abzuwehren. Sie klirrten gegen mein Schwert und zwangen mich in die Knie. In den Felsen, der tote Materie war, war die Sense tief eingedrungen. Mein Schwert, das eine lebende Hand hielt, widerstand ihr. Ich keuchte. Walther wollte mir beispringen. »Bleib weg!« rief ich. »Sonst kriegst du die Pest.« Gevatter Tod hätte sie ihm glatt verpaßt. Weil meine Waffen nichts gegen ihn ausrichten konnten, packte ich ihn, als er sich weit zu einem gewaltigen Hieb vorbeugte, mit der Rechten am Kragen. An der rechten Hand trug ich meinen Ring. Ich spürte nichts, auch strahlte der Ring nicht auf. Doch es gelang mir, den Gevatter Tod aus dem Sattel zu reißen und in den Abgrund zu werfen. Das Skelett war so schwer wie ein Büffel. Ohne das Knochenpferd, das wiehernd durch die Lüfte davontrabte, vermochte sich der Tod nicht in der Luft zu halten. Fauchend stürzte er ab und schlug mit einer Wucht auf, daß der Felsen, auf dem er landete, zerbrach. »Den hast du erledigt«, sagte Walther von der Vogelweide.
Ich war mir nicht so sicher. Tatsächlich, nach einem kurzen Moment der Benommenheit, stand der Gevatter Tod wieder auf und reckte drohend die Knochenfaust gegen uns. Wir beeilten uns, von dem Steilhang wegzukommen und den Pfad zu verlassen. Hinter uns hörten wir den Gevatter Tod nach seinen Gefolgsleuten brüllen, daß es von den Bergen widerhallte. Bald waren sie wieder auf unserer Fährte. Gudrun taumelte inzwischen vor Schwäche. Auch Walther zeigte deutliche Anzeichen von Ermüdung. Die Flucht über Stock und Stein, durch Schluchten, durch den finsteren verfilzten nächtlichen Wald, steile Pfade und Hänge hinauf und hinunter forderte ihren Tribut. Beide waren am Ende ihrer Kräfte. Der Gevatter Tod ritt wieder auf seiner Knochenmähre und suchte uns. Seine, Schergen, mit nur drei Hunden noch, jagten uns. Wir sahen den Schein ihrer Fackeln und hörten das Hundegekläff und ihr Geschrei, das von den Bergen widerhallte. Einmal wollten wir in einer Höhle Schutz suchen und uns verstecken. Doch als es drinnen gefährlich brummte, liefen wir wieder weiter. Nach langer Flucht tief ins Erzgebirge dämmerte dann der Morgen. Ich trug Gudrun mehr, als daß sie noch lief. Walther von der Vogelweide blieb immer wieder keuchend stehen und hielt sich die heftig stechende Seite. »Lauft allein weiter!« forderte er uns auf und hob sein Schwert. »Ich halte sie auf.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, entgegnete ich kurz angebunden. »Einer für alle, alle für einen.« Gudrun schaute mich dankbar an. Nichts anderes hatte sie erwartet. Weshalb es mir gelungen war, dem Gevatter Tod bei dem Zweikampf am Abgrund ein Schnippchen zu schlagen, hatten die beiden mich noch nicht gefragt. Während der anstrengenden und gefährlichen Flucht, bei der sie immer nach Luft schnappten und kaum eine Verschnaufpause hatten, war das nicht möglich gewesen. Wir flüchteten weiter. Ich schleppte die beiden anderen mit. Als die Sonne aufging, gelangten wir über einen Hügelkamm in ein Bergtal, in dem wir eine Zuflucht zu finden hofften. Die Abhänge waren bewaldet. Hoch über uns ritt der Tod, der uns wie ein Schatten folgte. Im Tal unten stellten uns dann die Schergen des Schwarzen
Ritters. Ein Teil von der Schar hatte uns zu Pferd den Weg abgeschnitten. Reiter und Läufer folgten uns. Von der Seite näherte sich eine weitere Reitergruppe. Wir hatten immer noch anderthalb Dutzend Gegner. Die restlichen waren tot oder verwundet zurückgeblieben. Wäre Gevatter Tod nicht gewesen, hätten wir zuvor in den Bergen den Kampf gegen die Schergen aufnehmen können und gute Erfolgsaussichten gehabt. Doch der Gevatter wog eine ganze Kompanie, ja, ein Heer auf. Noch einmal würde er sich von mir nicht übertölpeln lassen. Jetzt war er gewarnt. Meine Erfolgsaussichten waren auf den Nullpunkt angelangt, als der Gevatter Tod im Morgenrot aus den Wolken ritt und seine Schergen uns eingekesselten und sich uns näherten. »Das ist unser letzter Kampf«, sagte auch Walther. Erschöpft lehnte er sich mit dem Rücken gegen einen bemoosten Felsen. »War schön, dich gekannt zu haben, Markus.« »Ganz meinerseits.« Gudrun umarmte mich und drückte mir einen Kuß auf die Lippen. »Du gefällst mir sehr, Markus«, flüsterte sie. »Schade, daß wir uns nicht näher kennenlernen konnten.« Ihr Blick schweifte über die Verfolger und den grimmen Tod. »Thankmar Schönecks Tochter wird nicht auf den Freisassenhof ihres Vaters zurückkehren«, sagte sie. »Doch sie verkauft ihr Leben so teuer wie möglich und bewahrt ihre Ehre.« »Weshalb verstecktest du dich bei dem Köhler, und warum ist der Gevatter Tod mit seinen Begleitern hinter dir her?« fragte ich. »Das ist mit ein paar Worten gesagt. Heinrich von Schwarzenfels hatte ein Auge auf mich geworfen. Ich sollte zu ihm auf die Burg kommen und seine Dirne werden. Dafür versprach er, den Hof meines Vaters zu verschonen und ihn als Freisassen bestehen zu lassen. Den einzigen in seinem Herrschaftsbereich übrigens. Um mich nicht dem Schwarzen Ritter ausliefern zu müssen und meinem Vater Probleme zu ersparen, bin ich geflohen.« Ein Freisasse war ein freier Bauer, dem der Grund und Boden gehörte, den er bestellte. Er war niemandem lehenspflichtig und konnte nur in Sonderfällen zu Zinsabgaben und Frondiensten herangezogen werden. Ich drückte Gudrun ebenfalls einen Kuß auf den üppigen Mund,
der genauso reizend und verlockend war wie alles andere an ihr. Selbst jetzt, verschwitzt und abgehetzt, war sie noch wunderschön. Mit gezückten Schwertern warteten wir auf unsere Verfolger. Sie bauten sich vor uns auf, nahmen Aufstellung. Der Gevatter Tod hielt sich zurück. In der Luft, über und hinter seinem Heer, wartete er ab. Ein pockennarbiger Reiter in voller Rüstung und mit langer Turnierlanze führte die achtzehn Schergen an. »Ergebt Euch, im Namen des Teufels«, verlangte der Pockennarbige, der sein Visier offen hatte. Als Antwort schoß Walther seinen letzten Pfeil auf ihn ab. Der Pockennarbige fing ihn mit dem Schild ab. Dann klappte er das Visier herunter und gab das Zeichen zum Angriff. Ich packte das Schwert mit beiden Händen. Wenn Walther von der Vogelweide erschlagen wird, kann dann der Sängerkrieg von der Wartburg stattfinden? Dann muß er wohl seinem Konkurrenten Reinmar von Hagenau das Feld überlassen, und die mittelalterliche Lyrik wird anders aussehen. Indes, jeder war zu ersetzen. Vielleicht wurde Walther auch nur verwundet und entkam später. Daß ich seine Lebensdaten wußte, von denen welche vom Jahr 1198 aus gesehen noch weit in der Zukunft lagen, besagte nichts zu unserer Rettung. Der Pockennarbige wollte sich unter den Augen vom Gevatter Tod besonders hervortun. Er preschte heran und hatte es auf mich abgesehen. Im letzten Augenblick wich ich seiner Lanzenspitze aus, die mir an der Seite entlangschrammte. Ich stieß die Lanze zur Seite. Sie zerbrach an dem Felsen, vor dem wir Seite an Seite und Rücken an Rücken standen. Dann packte ich das mit einem Kettenpanzer versehene Pferd am Zügel und riß ihn kräftig hoch. Der Reiter flog aus dem Sattel. Der Aufprall mit der schweren Rüstung war hart. Der Pockennarbige blieb erst einmal benommen liegen und würde Schwierigkeiten haben, sich aufzurappeln. Damit es recht lange dauerte, lief ich zu ihm, setzte ihm den Helm ab und gab ihm mit dem Schwertknauf eins aufs Haupt, daß er sich ohnmächtig streckte. Die anderen Schergen griffen vorsichtiger an. Armbrüste und Bogenpfeile zielten auf uns. Mehrere Schergen hoben die Speere. Berittene legten die Lanzen an. »Keine unnötigen Verluste!« befahl der Gewappnete, der an der
Stelle des Pockennarbigen das Kommando übernommen hatte. Da ertönte, als wir alles verloren wähnten, ein Hifthorn im Wald. Kampfschreie erschollen von allen Seiten. Ein Pfeilhagel ging auf die Schergen nieder. Mehrere sanken sogleich zu Boden. Die Angreifer verstanden es meisterhaft, mit Pfeil und Bogen und mit der Armbrust umzugehen. Sie zielten auf die verwundbaren Stellen der gepanzerten Reiter und Fußkämpfer. Wüstes Geschrei erscholl. Plötzlich tauchten überall abenteuerlich gekleidete Männer sowie ein paar Frauen auf. Oft in Grün gekleidet, manche zerlumpt, waren sie jedenfalls gut bewaffnet und kämpften mit einer Wut, die mich erstaunte. Mit Schwertern, Äxten, Spießen, Beilen und Morgensternen stürzten sie sich auf die Schergen des Schwarzen Ritters. Sie waren weit in der Überzahl, kamen aus dem Wald, dem Talgrund, hatten sich teils bis auf wenige Meter an die Schergen herangeschlichen. Besonders ein Mann fiel mir auf: Er war nur etwas über mittelgroß, dabei jedoch ungeheuer breit und stämmig gewachsen. Er hatte einen Kahlkopf und trug einen kurzgestutzten Bart. Wo er mit seinem Morgenstern zuschlug, da wuchs kein Gras mehr. In der Linken hielt er ein Schwert. Den Gegner, den er mit dem Morgenstern nicht erwischte, erschlug oder durchbohrte er damit. Die Hetzhunde der Schergen lagen von Pfeilen und Armbrustbolzen durchbohrt im Gras. Gudruns Gesicht leuchtete auf. »Das sind Otto der Bär und seine Vogelfreien!« rief sie. Wer Otto der Bär war, war offensichtlich. »Jetzt sind wir gerettet.« Sie schaute empor. »Doch nein, da ist ja der grimmige Gevatter Tod! Jetzt richtet er sich im Sattel auf. Gleich wird er die Seuchensaat aus den Augen schleudern. Es ist ihm egal, daß seine eigenen Leute, so sie nicht niedergemacht worden sind, dabei draufgehen. - Ach, Otto, warum bist du unvorsichtig gewesen?« Wieder geschah etwas Unvorhergesehenes. Otto der Bär hatte sich wohl überlegt, was er tat, und er wußte auch, wen er gegen sich hatte. Ein kleiner, hagerer Mönch lief aus dem Wald hervor. Er war barfuß, mager, hatte eine Tonsur und trug eine braune Kutte, die mit einem einfachen Strick gegürtet war. In der Rechten hielt er ein einfaches Holzkreuz. Damit stellte er sich dem Gevatter Tod
entgegen. Heilige Begeisterung leuchtete aus seinem Gesicht. »Ich, Berthold, der Einsiedlermönch, gebiete dir, in die Hölle zurückzuweichen, elender Dämon!« rief er und reckte sein Kreuz empor. »Im Namen des Dreieinigen Gottes, der da lebt und herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit! - Weiche, Dämon, gebrochen sei deine Kraft! Nimmer sollst du Seuchen und Krankheiten säen. Das Licht siegt über die Finsternis, so verdränge ich dich! - Sei gebannt! Sei gebannt! Sei gebannt!« Bei der dritten Wiederholung fing der Gevatter Tod im Sattel zu wanken an. Doch wieder geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte. Der Tod trieb sein Knochenpferd an. Er preschte genau auf Walther von der Vogelweide, Gudrun und mich los. Ich entging seinem sausenden Sensenhieb um Haaresbreite und erhielt von ihm einen Stoß mit dem Schaft der Sense, daß ich zwei Meter weit zurückflog. Gudrun wurde vom Knochenpferd abgedrängt. Das riesige Skelett im schwarzen Kapuzenumhang entriß Walther das Schwert, mit dem er vergeblich auf es einschlug. Wie einen vierjährigen Knaben packte der Tod den Spielmann und stieg mit ihm hoch in die Lüfte hinauf. Otto der Bär und seine Vogelfreien hatten die Schergen des Schwarzen Ritters entweder niedergemacht oder gefangengenommen. »Lebt wohl für immer, Freunde, um mich ist es geschehen«, erklang die Stimme des Minnesängers. Doch das Skelett auf dem Knochenpferd ritt mit ihm nicht davon, sondern senkte sich wieder. »Markus von Heleman«, erklang die Stimme Gevatter Tods. »Ich gebe dir eine Chance. Du hast mich gedemütigt. Um die Schmach abzuwaschen, fordere ich dich hiermit zu einem Zweikampf in Teufels Namen heraus. Hier wollen wir in drei Tagen zusammenkommen. Wir beide allein tragen den Kampf aus. Wenn du mich besiegst, erhältst du den Spielmann zurück. Siege ich, stirbt er an der Beulenpest, und ihr beide seid tot.« Ich überlegte kurz. Dann rief ich, die Hände als Schalltrichter an den Mund haltend: »Ich bin einverstanden. Unter einer Bedingung. Ich will zwei Menschen auslösen, Walther und Fatma al-Zani, die der Schwarze Ritter gefangenhält. Beide sollen unversehrt und frei von deinen Krankheitskeimen sein.« »Gut, einverstanden«, antwortete der Gevatter Tod. »In drei
Tagen zur Mittagsstunde.« Es war ein High Noon dämonischer Art. Der Tod, das Knochenpferd und der Spielmann entfernten sich rasch. Bald war am Himmel nur noch ein kleiner schwarzer Punkt zu sehen. Auch dieser verschwand. * Der Mönch Berthold hatte weniger durch seine Beschwörung als vielmehr durch seine charismatische Ausstrahlung den Gevatter Tod an der Entfaltung seiner Seuchenkraft gehindert. Berthold von Auerbach, wie er genannt wurde, lebte von Beeren, Wurzeln, Kräutern, Hirsebrei und wildem Honig. Er aß kein Fleisch. Kein Tier sollte seinetwegen getötet werden. Er fastete und betete, kasteite sich und schlief in seiner Kutte auf einer hölzernen Pritsche. Nur im Winter gestattete er sich eine Decke. Er konnte, wie ich mich selbst überzeugte, mit den Vögeln und Tieren des Waldes sprechen. Den Bär nannte er Bruder Bär, den Auerhahn Freund Auerhahn. Der heiligmäßige Mann war immer guten Muts und hilfsbereit, freundlich und geduldig zu jedermann. Durch Auflegen seiner Hände konnte er viele Krankheiten und Gebrechen heilen. Die Kraft, die in ihm wohnte, hatte sich gegen den Seuchendämon gerichtet, als er das Kreuz gegen ihn hob. Mit dem geduldigen Mönch Berthold hatte ich einige längere Gespräche. Wir trafen Vorbereitungen für meinen Kampf gegen den Gevatter Tod, und ich stellte Schwarzpulver her, das in der Burg Schwarzenfels gegen den Schwarzen Ritter eingesetzt werden sollte. Bei der Zeitreise vermochte ich kein technisches Gerät mitzunehmen, außer dem Ring überhaupt nichts Materielles, das ich bei mir trug. Aber ich hatte meine Kenntnisse. Damit konnte ich Kampfstoffe oder Waffen herstellen, die es in der Zeit noch nicht gegeben hatte. Jedenfalls nicht in Europa. Wenn sich Mephisto in der Burg befand, sollte ihm Berthold von Auerbach entgegentreten. Durch Gebet und Meditation bereitete er sich darauf vor. Inzwischen ließ ich von den Vogelfreien, die überall gute Verbindungen hatten, in Annaberg und anderswo Kohlenstoff, Schwefel und Salpeter besorgen. Das mischte ich nach dem Rezept, das ich noch im Kopf hatte. Im Chemieunterricht in der Schule war ich, wie es der Lehrer
vornehm auszudrücken pflegte, einer der schwächeren Schüler gewesen. Aber Schwarzpulver hatten meine Kumpels und ich trotzdem hergestellt, denn das hatte uns interessiert. Daß ich dabei den Anbau hinter dem Haus verwüstete, in dem wir damals unsere Wohnung hatten, stand auf einem anderen Blatt. Da war ich vierzehn gewesen. Ulrich Hellmann, mein Vater, hatte mir eine kräftige Tracht Prügel verabreicht, die letzte. In dem Fall trug sie Früchte. Das Experiment, das sie mir eingebracht hatte, und seine Formel vergaß ich nie. Otto der Bär und die Vogelfreien staunten, als es zischte und knallte. Ich klärte sie auf, daß ich kein Hexenmeister sei. »Dann seid Ihr also ein Alchimist?« fragte der ungeheuer vierschrötige Vogelfreie Otto. »Nein, ein fahrender Ritter mit ein paar einfachen alchimistischen Kenntnissen.« Chemischen, hätte ich sagen müssen. Aber was Chemie war, wußte er sowieso nicht. Das Schießpulver, von dem ich eine ganze Wagenladung voll herstellte, brauchte ich aus einem besonderen Grund. Wie ich inzwischen von den Vogelfreien wußte, gab es einen Geheimgang, der unterirdisch in die Burg Schwarzenfels hineinführte. Nicht mal der Schwarze Ritter wußte davon. Ich rechnete damit, daß der Gevatter Tod mich betrügen wollte. In dem Fall würden wir Walther von der Vogelweide und Fatma al-Zani durch den unterirdischen Gang befreien, Heinrich von Schwarzenfels und seinen Mannen aufs Haupt schlagen, uns dann zurückziehen und die Burg in die Luft jagen. Wenn ich gegen den Schwarzen Tod unterlag, sollten Otto der Bär und die Rote Gudrun meinen Plan durchführen. Ich hatte den heißen Kuß nicht vergessen, den mir Gudrun Schöneck aufdrückte, als wir uns für Kinder des Todes hielten. An Tessa dachte ich in diesem Augenblick nicht, sie würde ja erst viele Jahrhunderte später auf die Welt kommen. Die Vogelfreien, von Heinrich von Schwarzenfels Vertriebene und Unterdrückte, hatten ihr Lager im Wald. Weshalb der Gevatter Tod es noch nicht gefunden oder Mephisto es entdeckt hatte, wußte ich nicht. Ich vermutete, es ging auf das Wirken und die Anwesenheit des Mönchs Berthold zurück. Bei den Geächteten konnte ich mir endlich zeitgemäße und ordentliche Kleidung besorgen. Von der, die mir Walther von der Vogelweide geschenkt hatte, waren nur noch Fetzen übrig. Otto der Bär und die meisten seiner Mannen
waren ein gutes Stück kleiner als ich. Die Frauen sowieso. Es gab jedoch auch Hünen in jener Zeit. Das Geschlecht der Weifen, zum Beispiel, hatte immer darauf geachtet, daß ihre Söhne große und stattliche Frauen heirateten. Auf diese Weise hatten sie eine Sippe von Riesen gezüchtet. Die Rote Gudrun und ich schlenderten am zweiten Tag meiner Anwesenheit aus dem Lager. Sie lief vor mir weg, um mich zu necken. Schnell und gewandt war sie wie ein Reh. Doch bald holte ich sie ein. Wir küßten uns voller Erregung. Ich streifte Gudrun das Obergewand herunter und saugte an ihren vollen Brüsten. Sie stöhnte vor Lust. Bald sanken wir in das weiche Moos, Gudrun war voller Leidenschaft und sehr unbefangen. Verwöhnte, ließ sich verwöhnen und schien viel nachholen zu wollen. Bahnen von Sonnenlicht fielen durch das Laub der Bäume und zeichneten Kringel auf unsere nackten, sich heftig im Liebesrausch bewegenden Körper. Vogelgezwitscher und zwischendurch gegessene wilde Beeren versüßten uns das Liebesspiel. Mochte sich auch die Kleidung seit dem zwölften Jahrhundert weiterentwickelt haben, was Frau und Mann miteinander trieben, war eigentlich unverändert geblieben. Ich brauchte mich also nicht groß umzustellen und lernte noch dazu. In manchen Pausen flüsterten wir uns neckische Sprüche zu, während wir uns streichelten. Bis wir das Flüstern vergaßen und wieder - ach, es war herrlich! Der Mönch Bernhard von Auerbach lebte, wie ich wußte, in völliger Keuschheit. Von mir aus konnte er heilig werden, ich hätte das nicht geschafft. Am Abend ging ich zu Gudruns Hütte und legte mich zu ihr auf das Lager. Ein Gedanke drängte sich mir auf, den ich eine Weile nicht los wurde. Wenn Gudrun von mir schwanger wurde, konnte ich dann viele Generationen später mein eigener Vorfahr sein? * Der Tag des Zweikampfs zwischen mir und dem Gevatter Tod kam. Ich erwartete ihn allein in dem Tal, in dem noch die Kampfspuren von vor ein paar Tagen, jedoch keine Toten mehr zu sehen waren. Die lebend gefangengenommenen Schergen des
Schwarzen Ritters hatten die Vogelfreien oder Geächteten vor ein Femegericht gestellt, schwerster Verbrechen für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Sie waren wenig später aufgeknüpft worden. Bald brauste es in der Luft. Aus der Sonne heraus, die mich blendete, ritt der Gevatter Tod auf seiner beinernen Mähre. Er schwang seine Sense. Ich hatte mir ein Schlachtroß besorgt -Otto der Bär managte das - und erwartete ihn mit angelegter Lanze. Wie ich gleich feststellen konnte, vermittelte mir die Kraft meines jetzt leuchtenden Rings die Kenntnisse im Turnierkampf. Die Kraft und die Gewandtheit mußte ich selbst aufbringen. Ein furchtbarer Kampf begann. Der Gevatter Tod hätte mich mit seiner Sense glatt in Stücke gehauen. Aber ich hatte vorgesorgt. Hinter dem bemoosten Felsen, wo Walther von der Vogelweide, die Rote Gudrun und ich vor ein paar Tagen schon einmal gestanden hatten, stand ein Ledereimer mit einem Heilwasser. Bernhard von Auerbach hatte es gesegnet und die heilkräftigen Hände hineingetaucht. Außerdem lagen ein Bogen und Pfeile da, die aus heilkräftigen Wurzeln geschnitzt waren. Auch sie hatte der Mönch Berthold geweiht. Der Mönch und die Vogelfreien unter Otto dem Bär sowie die Rote Gudrun warteten im Wald verborgen auf den Ausgang des Kampfes. Gudrun zitterte um mich. Meine Lanze zerbrach. Zweimal war ich schon abgeworfen worden, stieg aber immer wieder auf. Die Sonne brannte mir aufs Kettenhemd, das an vielen Stellen zerhauen war. Der Tod kämpfte wie ein Teufel. Mit der Sense haute er mir den Eisenhelm herunter, daß ich Sterne sah. Doch ich blieb im Sattel und verpaßte ihm eins mit dem Schwert unter die Kapuze. Und der Gevatter Tod wankte ganz ordentlich. Rasch saß ich ab. Schon war er wieder bei Kräften und näherte sich mir zu Fuß, seine Sense schwingend. »Jetzt hacke ich dich in Stücke!« zischte und dröhnte er. »Dich schicke ich zur Hölle! Dort kannst du deinem Freund Walther begegnen, der morgen mit Fatma al-Zani auf dem Marktplatz von Annaberg hingerichtet wird.« »Du versprachst, sie freizugeben, wenn ich dich besiegte. Sie sollten schon in der Nähe sein.« Der Seuchendämon lachte hohl. Seine Seuchensaat hatte er diesmal bei mir nicht eingesetzt. »Ich habe dich angelogen. Was erwartest du von einem
Dämon? Ich bin der wahre Alte des Schreckens, der Uralte. Dracomar war gegen mich nur ein Kind. - Stirb, Mark Hellmann!« Ich sprang hinter den Fels. Die Sensenspitze fuhr tief hinein. Rasch ergriff ich den Ledereimer mit dem Heilwasser und verpaßte dem Dämon einen kräftigen Guß genau ins Skelettgesicht. Das geweihte Wasser floß ihm in Mund und Augenhöhlen. Es zischte und dampfte, und es stank bestialisch. »Da, hast du, Verdammter!« rief ich, aus einigen Wunden blutend. »Jetzt wird dein höllischer Mut abgekühlt.« Blind haute er mit der Sense um sich, die er aus dem Stein gezogen hatte. Die Kapuze war zurückgefallen. Das Heilwasser verätzte seinen Totenkopf wie Säure. Ich duckte mich vor den Hieben, nahm den Bogen und schoß ihm in jedes Auge einen Heilwurzel-Pfeil. Die Geschosse blieben im Schädel stecken. Das Gebrüll des Urund Erzdämons war bis in die Hölle zu hören. Jetzt hatte ich meine große Chance. Ich packte das Schwert, sprang vor, schwang die Klinge mit beiden Händen und wilder Kraft. Kopf und Knochen des Skeletts polterten stückweise zu Boden. Sie lösten sich auf. Vor meinen Augen wurden sie zu schwarzen Asseln, kleinen Schlangen und Skorpionen, die sich rasch eingruben oder nach allen Seiten flüchteten und in irgendwelchen Löchern oder unter Steinen verschwanden. Dagegen konnte ich nichts unternehmen. Gudrun lief mir entgegen und warf sich in meine Arme, obwohl ich schweißgebadet und blutig war. Sie überzeugte sich, daß ich keine schwere Wunde hatte, bedeckte mein Gesicht und die Schwerthand immer wieder mit Küssen. »Weib«, sagte ich, »laß mich Atem schöpfen! Oder willst du mich nach dem Kampf noch umbringen?« Otto der Bär und seine Mannen beglückwünschten mich. Der Mönch Bernhard indessen war nicht völlig zufriedengestellt. »Der Seuchendämon Gevatter Tod wird wiederauferstehen«, orakelte er. »Seine widerlichen Bestandteile werden unter der Erde zusammenkriechen und sich zusammensetzen. In Pest- und Seuchengräbern wird er sich pflegen und seine dämonische Kraft wiederaufladen. - Dann kommt er wieder. Vielleicht noch zu deinen Lebzeiten, Markus von Heleman, und er wird Rache wollen.« Wenn ich im Jahr 1198 überlebte und in meine Zeit
zurückkehrte, die Runenformel zur Aktivierung des Rings hatte ich im Gedächtnis, würde ich mich in jener fernen Zeit mit dem Todfeind Gevatter Tod auseinandersetzen müssen. Das schien unausweichlich. »Daß Walther von der Vogelweide und Fatma al-Zani morgen hingerichtet werden sollen, lassen wir natürlich nicht zu«, sagte ich. »Wir greifen ein und retten die beiden. Bei der Gelegenheit gehe ich auf den Schwarzen Ritter los. Damit sich weder er noch sonst einer von seiner Schar in ihre Burg zurückziehen kann, sprengen wir sie in die Luft. Wie geplant.« Es war viel zutun. »Du kannst nicht schon wieder kämpfen«, ermahnte mich Gudrun. »Du bist verletzt von dem heutigen Kampf und viel zu geschwächt.« »Ich muß«, sagte ich. »Ich kann Walther und Fatma nicht hängen lassen.« Was ich sprach, stimmte aufs Wort. Walther von der Vogelweide sollte nämlich aufgehängt werden, was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wußte. Unbehaglich dachte ich an die alte Chronik aus der Weimarer Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek und an das, was mir mein Traum mitgeteilt hatte. In beiden Versionen war ich gestorben. Sollte morgen der letzte Tag meines Lebens sein? * Annaberg, 13. September Anno 1198: An dem sonnigen Tag fand auf dem Marktplatz des Städtchens ein besonderes Schauspiel statt. Die Einwohner und zahlreiche Schaulustige von außerhalb drängten sich: An den Fenstern der zwei- bis dreistöckigen Fachwerkhäuser rund um den Marktplatz drängten sich die Zuschauer. Männer, Frauen und sogar Kinder. »Gelt, Benno, jetzt wird die grausige Hex verbrannt. Da freust du dich aber«, sagte eine Mutter zu ihrem Vierjährigen. Die fremdländische Araberin Fatma al-Zani genoß keine Sympathien. »Um den Spielmann, den sie aufhängen wollen, ist es aber schade. Bald hat er seine Vogelweide im Himmel.« Derjenige, dem diese Rede galt, stand unterm Galgen und hatte den Strick schon um den Hals. Er hielt die Fiedel in der Hand. Als
letzten Wunsch hatte er sich ausbedungen, noch einmal von Herzenslust seine Leier schlagen und singen zu dürfen. Es war ein Wunsch, wie er nur aus dem Herzen eines Spielmanns kommen konnte. In Prunkkleidung stand Walther von der Vogelweide unter dem Galgen. Fatma al-Zani, orientalisch gekleidet, war an einen Pfahl gefesselt. Sie stand auf einem großen Scheiterhaufen aus dürren Reisern und großen Holzscheiten. Heinrich von Schwarzenfels saß auf seinem schwarzen Roß. Er war wie zum Turnier gewappnet, in voller Rüstung, mit Lanze, Schild und dem Schwert an der Seite. Außerdem hatte er einen schweren Morgenstern am Sattel hängen, eine kurzstielige Eisenkugel mit fingerlangen Eisendornen. Es war eine furchtbare Waffe. Über hundert Mannen des Schwarzen Ritters befanden sich bis an die Zähne bewaffnet auf dem Platz. Ihre schwere Kavallerie, die geharnischten Reiter, konnten alles niederreiten. Man zitterte vor ihnen. Mephisto war nicht in der Stadt. Im Hintergrund, ein paar Kilometer entfernt, sah man Burg Schwarzenfels in der Bergeshöhe. Die Bürger von Annaberg vermerkten es übel, daß der Ritter mit der Eisernen Hand den beiden zum Tod Verurteilten jeden geistlichen Beistand verwehrt hatte. Das Armsünderglöcklein hatte ein paarmal gebimmelt und war jetzt verstummt. Walther sang von der Liebe, schöner und süßer denn je. Den Frauen und Mägden unter den Zuschauern kamen die Tränen. »Ich kam gegangen zu der Aue: Doch war mein Liebster vor mir dort. Da wart ich empfangen, here Fraue, daß ich bin selig immerfort. Küßt er mich? Ach, unverwandt - tandaradei! - Seht, wie rot mein Mund entbrannt!« Lieblich klang Walthers Minnesang. Dem Henker, der mit nacktem Oberkörper und schwarzer Kapuze über dem Kopf neben ihm auf der Galgenplattform stand, wurde die Zeit zu lang. »Soll ich der Singdrossel den Hals langziehen?« rief er begierig zum Schwarzen Ritter. Die Zuschauer protestierten und baten um Gnade für Walther. Den Henker dagegen kribbelte es im Fuß, den Schemel wegzutreten, auf dem der Minnedichter und Spielmann stand. »Das Lied hat noch zwei Strophen«, sagte Walther ungerührt zu dem Henker, als der Proteststurm verebbte, der ihm das
Weitersingen unmöglich gemacht hatte. »Mit einem ungesungenen Lied auf den Lippen mag ich nicht sterben, du Tölpel.« »Was, Tölpel?« Der Henker wollte schon wieder den Schemel wegtreten. Der Schwarze Ritter winkte mit seiner Eisernen Hand ab. »Nein, Knecht! Auch ihr da, mit den Brandfackeln beim Scheiterhaufen, wartet, ihn zu entzünden. - Ich habe dem Sänger mein Wort gegeben, daß er sein Lied singen darf. Mein Wort halte ich immer. Schon einmal haute ich mir die rechte Hand ab, weil ich es dem Teufel gelobte. Vor meinem Tod werde ich ihm auch noch die Linke geben. - Laß ihn singen, Knecht, oder dein Kopf fällt unter dem Beil!« Walther sang weiter. Als die letzte Strophe endete und seine Fiedel verklang, herrschte tiefes Schweigen. Die Leute waren gerührt. Dann brauste ein Ruf: »Walther von der Vogelweide darf nicht sterben!« Das Lied hatte die Herzen der Zuschauer verzaubert. Doch nicht die des Schwarzen Ritters und seiner Knechte. »Er darf nicht?« fragte Heinrich von Schwarzenfels höhnisch. »Wer verlangt das?« »Ich!« erklang eine sonore Männerstimme aus einer Gasse. Hufschlag erscholl. Ich ritt auf meinem Brauen in voller Turnierrüstung aus der Gasse, in der ich gewartet hatte. »Markus von Heleman. - Platz da! Deinen Verbündeten, den Gevatter Tod, habe ich schon zerhauen. Jetzt bist du an der Reihe, Heinrich von Schwarzenfels.« Der schwarzbärtige Ritter stutzte nur einen Augenblick. »Macht alle nieder, die sich gegen uns erheben!« rief er dann seinen Mannen zu. »Henkt Walther, verbrennt Fatma! - Der da aber, der Heleman, er gehört mir!« Er klappte das Helmvisier zu, gab seinem Kampfroß die Sporen und ritt gegen mich an. Otto der Bär und seine Vogelfreien waren längst in der Stadt. Am Berghang im Hintergrund krachte eine gewaltige Explosion in der Burg, dessen Gewölbe wir mit Pulver vollgestopft hatten. Zuvor waren ein paar Unglückliche aus den Verliesen befreit worden. Steinbrocken und Splitter flogen von der Burg weg. Dichter Qualm hüllte sie ein. Während er sich allmählich legte, kämpfte ich mit dem Schwarzen Ritter mit der
Eisernen Hand den Kampf meines Lebens. Ich hatte kaum Gelegenheit, darauf zu achten, was sonst noch am Marktplatz vorging. Heinrich und ich prallten mit eherner Wucht gegeneinander. Es krachte gewaltig. Die Lanzen zerbrachen. Unsere Pferde standen Kopf an Kopf. Der Schwarze Ritter schwang seinen Morgenstern und drosch auf mein Schild, daß ich glaubte, mein Arm wäre gebrochen. Ich gab ihm eins mit der Doppelaxt, die ich statt des Schwerts führte, auf den Helm. Er wankte. Blut sickerte aus einer Helmritze. Aber es war nur eine Platzwunde. Wir droschen aufeinander ein, daß es nur so dröhnte! Inzwischen bekämpften der Bär und die Vogelfreien die Schergen des Schwarzenfels'. Sie schossen von den Dächern Pfeile ab. Zwei Gewappnete wurden in den Marktbrunnen gestürzt, wo sie klatschend untergingen. Der Scheiterhaufen brannte. Noch hatten die Flammen Fatma al-Zani nicht erreicht. Aber Rauch umwölkte sie bereits. Sie betete in der Sprache ihrer Heimat. Hexen konnte sie nicht mehr. Mein Ring zeigte keine Aktivität. Mephisto fehlte, da war ich froh. Mein Schild war völlig zerhauen. Ich hatte den Ritter mit der Eisernen Hand mehrfach verwundet. Doch er wankte und wich nicht und zeigte keine Anzeichen von Erschöpfung. Auch ich war verletzt. Gerade gelang es mir, Heinrich von Schwarzenfels in die Knie zu zwingen. Da sah ich, daß Walther von der Vogelweide baumelte. Der Henker hatte den Schemel weggetreten, auf dem Walther stand. Da holte ich aus, statt Heinrich den tödlichen Hieb zu versetzen, und warf die Axt in der Waagrechten. Sie pfiff durch die Luft und zertrennte den Strick. Walther rang röchelnd nach Luft. Seine Hände waren frei, und er versuchte, halbtot schon, die Schlinge abzustreifen. Aber der Henker packte ihn und schleifte ihn zu dem Richtblock, der auch noch auf der Plattform stand. Er holte mit dem Beil aus, um den Geschwächten zu enthaupten. Das schaffte er jedoch nicht. Otto der Bär jagte ihm einen Pfeil durch das Wams. Während das stattfand, rappelte sich Heinrich auf. Rums, kriegte ich von hinten eins mit dem Morgenstern an den Schädel. Hätte ich nicht instinktiv den Kopf weggezogen, wäre ich erledigt gewesen. Ich fuhr herum und entrang ihm den Morgenstern. Wir kämpften mit Schwertern, schlugen aufeinander ein, daß die
Funken stoben. Wir waren beide verwundet. Unser Grimm wuchs. Heinrich sah, daß von seiner Burg nur noch eine rauchende, brennende Ruine stand. Die Rote Gudrun und einige Geächtete sowie Bürger, die ihnen halfen, holten Fata al-Zani vom Scheiterhaufen. Sie war mit dem Schrecken, einer mittleren Rauchvergiftung und ein paar Brandblasen davongekommen. Heinrich packte mich mit der eisernen Hand bei der Gurgel und drückte zu. Ich hatte den Helm verloren, er nicht. Er drängte mich gegen die Galgenplattform. Fast erwürgt schon, sah ich das Schwert eines Gefallenen auf der Plattform liegen. Ich packte es und schwang es. Heinrichs Eisenhand lockerte ihren Griff. Abermals holte ich aus. Da fuhr mir der Dolch des Schwarzen Ritters, mit aller Kraft mit der Linken geführt, durch das Kettenhemd in die linke Seite. Es schmerzte nicht, ich spürte nur einen kräftigen Stoß und sah den Dolchgriff aus meiner Seite ragen. Der Traum stimmt doch, dachte ich, während ich ohnmächtig wurde. Ich sterbe an meinen Wunden. Meine Welt und meine Zeit werde ich nicht wiedersehen… * Ich kam zu mir. Jetzt tat der Dolchstich verdammt weh. Die Rote Gudrun, Walther von der Vogelweide und Otto der Bär waren bei mir. Den Dolch konnte man mir nicht herausziehen, sonst wäre ich gleich verblutet. Noch hörte man Kampfeslärm, Waffengeklirr und Geschrei. »Wir haben gesiegt«, sagte der Bär mit unerschütterlicher Ruhe. »Die paar Männlein des Schwarzen Ritters haben nichts mehr gegen uns zu bestellen.« Gudrun umarmte mich. Sie weinte. Ich sah in der Rauchwolke über den Trümmern der Burg Schwarzenfels den Teufelskopf von Mephisto. »Das hast du jetzt davon«, wisperte es in meinem Geist. »Du stirbst fern deiner Zeit.« Der Teufelskopf verschwand. Ich wußte nicht, ob ihn außer mir noch jemand gesehen hatte, fragte aber nicht. Das Leben sickerte mir aus der Dolchwunde. Das bißchen Kraft, das ich noch hatte, brauchte ich.
Ehe ich ohnmächtig wurde, hatte ich den Schwerthieb noch zu Ende geführt. Neben mir lag Heinrich von Schwarzenfels in seinen letzten Zügen. Er bat um ein Schwert, um sein Gelübde halten zu können. Als er es erhielt, hackte er sich mit seiner Eisenklaue die linke Hand ab. »Das ist für Mephisto«, sagte er. Dann starb er. Mein Ring meldete sich mit einem Prickeln. Der Schwarze Ritter hatte doch Dämonisches in sich gehabt. Mir kam eine Idee. Bei der Zeitreise ins Jahr 1198 waren meine Wunden geheilt. Vielleicht, wenn ich Glück hatte. Fatma al-Zani warf sich vor mir aufs blutige Pflaster nieder und küßte meine Füße. Sie bedankte sich für die Rettung. »Zieht sie weg«, sagte ich. »Walther, versprichst du mir, Fatma in ihre Heimat zurückzubringen. Dann kannst du der größte Minnesänger und Lyriker deiner Zeit werden.« »Was?« Er verstand nicht. »Ja«, sagte er. »Ich verspreche es.« Der ausgemergelte kleine Mönch Berthold wollte meine Beichte hören und mir die letzte Ölung geben. Das lehnte ich ab. Auf allen vieren kroch ich zu Heinrichs Leiche, aktivierte den Ring und schrieb, als er strahlte, die Runen. Was um mich herum vorging, kriegte ich schon nicht mehr mit, hörte nur verwunderte Stimmen. Licht explodierte in meinem Kopf. Sphärenklänge erklangen. War das der Tod - oder schaffte ich noch die Rückkehr in meine Zeit? Letzteres war der Fall. Pit Langenbach und Tessa Hayden fingen mich auf, als ich vor dem Hotel am Alex materialisierte. Pit Langenbach legte mir eine Decke um die Schultern. Meine Kleider, die zurückgeblieben waren, konnte ich später anziehen. Mir tat alles weh, aber nur von der Rematerialisation. Ich schaute an mir hinunter. Da war kein Dolch in meiner Brust, keine Verletzung, nichts. Ein paar Minuten noch, und ich würde topfit und in bester Verfassung sein. Auch die Blessuren, die ich vor meiner ersten Zeitreise gehabt hatte, waren geheilt. Ich küßte meinen Ring. »Mark Hellmann«, sagte Tessa, »wie immer zu spät!« Pit fragte, was geschehen sei, und ich antwortete, das würde ich später erzählen. Zuerst einmal wollte ich nach Weimar. Wie ich dort bereits am Vormittag feststellte, stand in dem Folianten in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek jetzt der Text, den ich in
meinem Traum in dem Buch gelesen hatte. Ein klarer Beweis, daß die Vergangenheit etwas variabel war. Am Abend erklärte ich Tessa, wir lagen im Bett, sie könne ihr indisches Lehrbuch wegschmeißen. Ich nannte ihr altdeutsche, genauer gesagt mittelalterliche Liebespositionen und -techniken. »Von wem hast du das?« fragte sie. »Von Walther von der Vogelweide. Ich habe ihn einfach gefragt.« Tessa kreischte: »Du willst mich veräppeln. Was hast du im Mittelalter getrieben?« Sie war eifersüchtig wie immer. Bald darauf seufzte sie jedoch und verdrehte die Augen: »Mein Gott, dieser Walther - von der Vögel… nein, Vogelweide. Im Mittelalter hätte man leben müssen! Im Mittelalter!« ENDE »Auf den ersten Blick ist es nur eine ganz normale Vermißtenmeldung«, begann mein Freund Pit, wobei er die Stimme senkte. »Die Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern suchen nach einem jungen Mann. Er ist spurlos verschwunden. Ein gewisser Thorsten Lambrecht aus Greifswald.« »Was ist daran für mich interessant?« fragte ich. Pit druckste herum. »Mark, er hatte ein nächtliches Stelldichein mit seiner Freundin Jutta. Sie ist die letzte die ihn lebend gesehen hat.« »Nein. Sie befindet sich übrigens in einer Nervenklinik und erzählt ununterbrochen von einem grauenhaften Wesen, in das sich Thorsten verwandelt haben soll…«
Der Satansrächer von Greifswald heißt C.W. Bachs dritter „Mark Hellmann“-Roman. Der Bastei-Verlag wünscht spannende Unterhaltung!