Dan Shocker Vor der Tür stand Frankenstein »Hast du das gehört?« fragte sie leise. »Da war doch etwas …« Jean lauschte...
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Dan Shocker Vor der Tür stand Frankenstein »Hast du das gehört?« fragte sie leise. »Da war doch etwas …« Jean lauschte. »Du hast dich geirrt. Da ist nichts.« Seine Hände glitten langsam über ihre braunen Schultern. Mit einer nervösen Bewegung strich sie die langen, blonden Haare zurück. Die dünne Bettdecke rutschte zur Seite. Nicole war nackt. »Die Tür … drüben beim Stall … ich habe sie deutlich gehört«, flüsterte sie. »Du hast dich getäuscht«, sagte Jean noch einmal. »Du träumst und …« Er unterbrach sich, denn plötzlich quietschten rostige Angeln drüben im Stall und breitete sich Unruhe aus. Mit einem Sprung war Jean aus dem Bett. Er schlüpfte nun in seine Hose. »Ich sehe nach.«
Larry Brent und sein Psycho-Spezialteam der PSA
Larry Brent alias X-RAY-3, Amerikaner, Spitzenmann der PSA
Die PSA, eine geheimnisvolle Institution, die es sich zu ihrer Aufgabe gemacht hat, vor allem außergewöhnliche und besonders unheimliche Verbrechen aufzu klä ren, wurde von David Gallun ins Leben gerufen. Er war der erste X-RAY-1. Aus diesen Tagen, als Larry Brent, alias X-RAY-3, noch nicht das Erbe David Galluns mit übernommen hatte, erzählt Dan Shocker die aufregendsten und gruseligsten Abenteuer. Wo Wolfsmenschen und Blut sauger, Vampire und Untote auf tauchen, rätselhafte Stimmen aus dunklen Grüften rufen. Tote aus ihren Särgen steigen, geheimnisvolle Geräusche in der Nacht Schlafende veranlassen, laut schreiend aufzuwachen und schauerliche Gestalten in alten Häusern spuken - da sind Larry Brent und seine Freunde Morna, Iwan und Su der Furcht und dem Grauen unserer Tage, unserer Welt auf der Spur. Denn - sie hat noch lange nicht alle ihre Geheimnisse preisgege ben ...
Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7, Russe, Larrys bester Freund
Su-Hang
Morna Ulbrandson
alias X-GIRL-G, Chinesin, Larrry Brents linke Hand
alias X-GIRL-C, Schwedin,
Larry Brents rechte Hand
»Sei vorsichtig, Jean«, rief sie ihm zu. Sie hatte plötzlich Angst, ohne eine Erklärung dafür zu haben. Der junge Franzose zog den Riegel zurück. Im Haus war es still. Außer Nicole lebte niemand auf diesem kleinen abgelegenen Bauernhof, den er nach dem Unfall seiner Eltern vor zwei Jahren übernommen hatte. Er verließ das Haus. Die Nacht war mild. Eine Nacht für die Liebe. Jean war weit davon entfernt, an etwas Schreckliches zu denken. Vielleicht war ein Fuchs oder ein Dachs in die Ställe gedrungen? Mechanisch griff er nach einer Eisenstange, die an der Hauswand lehnte. Schwarz breitete sich die weit auseinandergezogene Stallfront vor ihm aus. Er ging direkt auf sie zu. Schnell erkannte er, daß keine Tür offen stand. Das verwunderte ihn. Demnach konnte unmöglich ein Tier in die Ställe eingedrungen sein. Das dumpfe Poltern aus dem Schweinestall ließ ihn zusammenfahren. Die Tiere grunzten und rannten wie irr durcheinander. Eines quiekte gellend, als würde es bei lebendigem Leib gevierteilt. * Jean Dumont riß die Tür zum Stall auf. Seine Blicke durchbohrten die Finsternis. Er sah die angstvoll zusammengepferchten Tiere in einer Ecke des geräumigen Gatters stehen. Aufgeregt grunzten und quiekten sie. Der Franzose blickte sich um. Alles blieb still. Kein Anzeichen, daß ein wildes Tier … Er ging vorsichtig in den Stall hinein. Große dunkle Flecken zeigten sich auf dem grauen Betonboden, der sauber gekehrt war. Dunkle Flecken auch auf dem neuen, hellen Brett, das erst kürzlich auf das Gatter genagelt worden war. Jeans Blick erstarrte. Jetzt erst wurde es ihm bewußt. Er zählte nach. Vierzehn Schweine befanden sich im Pferch. Fünfzehn hätten es sein müssen!
Die Unruhe in ihm wuchs. Schrittweise nur ging er in das Dunkel. Er sah davon ab, eine der Stallaternen anzuknipsen. Beinahe körperlich fühlte er, daß irgend etwas nicht in den Stall gehörte. Die Unruhe und das ganze Verhalten der Tiere war ein Beweis auch für sein Gefühl. Schlagbereit hielt er die schwere Eisenstange in der Rechten. Was erwartete er eigentlich? Er mußte wieder an den Wolf denken, der in den Nachbardörfern genug Schaden anrichtete, den jedoch bis zur Stunde kein Mensch zu Gesicht bekommen hatte. Er hörte ein leises, schabendes Geräusch. Jean Dumont wirbelte herum und riß die Eisenstange hoch. Mit brennenden Augen starrte er in die düstere Nische. Aber da war nichts. Er ging weiter. Mit dem Fuß stieß er gegen einen großen, blutigen Knochen, an denen noch Fetzen rohen frischen Fleisches klebten. Er bückte sich und hob ihn auf. Der Knochen vom Spitzbein eines Schweines. Schweiß bildete sich auf der Stirn des Mannes. Er stieß auf die Reste eines schaurigen Mahles. Die Knochen und die Fleischstücke lagen zerstreut über dem ganzen Boden. Dumont fand den aufgerissenen Schädel, den zersplitterten Brustkorb und die abgerissenen Beine. Er fragte sich mit einem Mal, ob er wache oder ob er noch in seinem Bett neben Nicole lag und diesen furchtbaren Traum hatte. Kein Raubtier konnte so handeln, wie es sich hier zeigte. Jedenfalls kein Raubtier, das er kannte. Angst und Ratlosigkeit erfüllte ihn, und die Furcht wurde immer größer. Er bekam plötzlich Platzangst, er mußte raus hier. Diese Dinge gingen über sein Begriffsvermögen. Er wich zurück, als er den Schatten wie aus dem Boden gewachsen neben sich aufsteigen sah. Er roch den scharfen, säureartigen Gestank, der in seine Nase stie g. Instinktiv riß er die Eisenstange herum. Doch als würde eine Titanenfaust das vordere Ende packen, zog jemand mit Gewalt
die Stange aus seinem Griff. Dumont verlor das Gleichgewicht. Er versuchte dem Schatten noch auszuweichen. Doch die Gestalt, die ihn gut um zwei Köpfe überragte, war schneller. Jean Dumont wurde gepackt. Wie Stahlklammern umschlossen die Hände des unheimlichen Fremden, der sich im dunklen Stall verborgen gehalten hatte, seine Armgelenke. Dumont keuchte. Vergebens versuchte er sich zu befreien. Der scharfe, säureartige Geruch betäubte seine Sinne. Seine Augen weiteten sich, als er seinem geheimnisvollen Gegner ins Auge blickte. Er wollte schreien. Der andere preßte seine Hand auf sein Gesicht und stieß ihn brutal zurück. Dumont spürte das krachende und zerberstende Gatter hinter sich. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen. Er fand nicht mehr die Kraft, den Fall abzufangen. Angst, Schmerzen und das Grauen packten ihn, als das unheimliche Wesen sich über ihn beugte, ihn vom Boden hochriß und abermals herumschleuderte wie einen Spielball. Dumpf schlug Jean Dumont drei Meter entfernt auf den Boden. Seine Sinne versagten ihm den Dienst. * Nicole Mercier hockte im Bett. Sie hörte die Geräusche im Stall, doch sie wagte nicht, das Haus zu verlassen. Ihr feingeschnittenes Gesicht zeigte deutlich die Erregung, unter der sie stand. Eine Viertelstunde war vergangen, seitdem Jean das Haus verlassen hatte. Sie waren schon an vielen Abenden und Nächten hier gewesen, aber sie hatte sich noch nie so unwohl gefühlt wie in dieser Nacht. Plötzlich hörte sie Schritte draußen vor dem Haus. »Jean?« kam es über ihre Lippen, leise wispernd, mit belegter
Stimme. Doch die Schritte entfernten sich. Es waren feste, dumpfe Schritte. Jean lief rascher, leichter, federnder. Die hübsche Französin merkte, wie ihr Herz rascher schlug und das Blut in ihren Schläfen hämmerte. Man hörte heutzutage gräßliche Sachen, da entsprangen Häftlinge, Mörder, Bankräuber und Verbrecher. Abgelegene Gasthäuser und einsam stehende Baue rnhöfe boten ihnen ausgezeichnete Schlupfwinkel. Und der Bauernhof Jeans war geradezu eine ideale Unterkunft. Er lebte hier ganz allein und zurückgezogen. Es gab zwar zwei Arbeitskräfte auf dem Hof, doch die verließen bei Einbruch der Dunkelheit das Haus. Sie hatten Familie im Nachbardorf und kamen erst am frühen Morgen wieder. Nicole Mercier erhob sich aus dem Bett, schlüpfte in ihr Baby Doll und warf den leichten, duftigen Morgenmantel über ihre makellosen Schultern. Ihr dichtes, langes Haar schimmerte wie Gold. Nicole ging bis zum Fenster, das weit offen stand, von außen jedoch war der Fensterladen vorgeklappt. Sie starrte durch die Luftschlitze nach draußen. Dunkel und einsam dehnte sich der verlassene, nächtliche Bauernhof vor ihr aus. Von den Stallungen konnte sie nur ein kleines Stück wahrnehmen. Die Stille bedrückte sie. »Jean?« Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme, die viel lauter klang, als sie ursprünglich beabsichtigte. Minuten vergingen. Sie löste sich nicht vom Fenster. Sie wußte ihn drüben bei den Ställen, sie hatte die Tür gehört. Warum kam er nicht zurück? Als sich auch nach einer weiteren Viertelstunde nichts rührte, bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie konnte nicht länger mit dieser Ungewißheit hier stehen und warten. Nicole Mercier ging zur Haustür. Sie machte kein Licht. Am
liebsten hätte sie telefonisch einen Knecht aus dem Dorf herbeigerufen, damit der nach dem Rechten sah. Doch es gab kein Telefon im Haus. Jean Dumont hatte sich bisher mit Erfolg gegen diese Neuerung gewehrt. Er war kein großer Menschenfreund, seine Liebe beschränkte sich auf seine Arbeit, auf die Natur – und auf sie, Nicole. Sie wollten bald heiraten. Jean beabsichtigte, den alten Bauernhof – der zu den ältesten in dieser Gegend überhaupt zählte – zu einer Touristenattraktion zu machen. Je mehr Altertümlichkeit er aufwies, desto besser. Die einzigen Neuerungen, die er hatte durchgehen lassen, waren die Wasserleitung und die Stromversorgung. Von dem Holzstoß neben dem Haus nahm sie sich eine Scheit. Sie fühlte sich damit etwas sicherer. Langsam näherte sich Nicole den Stauungen und ging durch die Tür, hinter der die Schweine untergebracht waren. Von dorther waren die meisten Geräusche gekommen. Ohne zu überlegen, schaltete sie die Stallampen ein. Gelbliches Licht vertrieb schlagartig die Finsternis. Nicole sah die immer noch aufgeregten Tiere hinter dem Gatter – und schrie leise auf, als sie die Reste eines zerrissenen Schweines auf dem Boden entdeckte. Wie unter dem Druck einer unsichtbaren Hand folgte sie der ausgeprägten Blutspur. Sie entdeckte Kratzer und Scharten auf dem Boden, das zersplitterte Gatter, ein Büschel schwarzer, blutiger Haare … Angst schnürte ihr die Kehle zu. Haare von – Jean? Nicole Mercier schrie, daß es schaurig durch die Stallungen hallte. Dann begann sie zu rennen, als ob der Satan sie persönlich verfolgte. Ihre Vernunft setzte aus. Sie wagte nicht, in das Wohnhaus zurückzukehren. Der Gedanke daran, hier allein zu sein, versetzte sie in Panikstimmung.
Jean – was war aus Jean geworden? Warum hatte er sich nicht mehr gemeldet? Sie geriet in Schweiß. Das dünne, duftige Perlongewebe klebte auf ihrer Haut. Sie schob den großen hölzernen Bolzen zur Seite, der das Tor in der Umzäunung verschlossen hielt. Nicole rannte hinaus in die Nacht, noch immer krampfhaft das Holzscheit umklammert. Richtung Dorfstraße. Die nächste Ortschaft, in der dreihundertfünfzig Einwohner lebten, lag gut sechs Kilometer entfernt. Sie warf keinen Blick zurück. Keine zehn Pferde hätten sie mehr dazu gebracht, noch einmal in das alte Bauernhaus zu gehen und sich ihre Kleider zu holen. Halb nackt eilte sie durch die Nacht. Nicole war nicht unbeobachtet. Hinter der mächtigen Eiche, unmittelbar vor dem Eingangstor zum eigentlichen Grundstück, bewegte sich ein Schatten. Die schemenhaften Umrisse des Kopfes wurden sichtbar. Jean Dumont! Er starrte der Davoneilenden nach, und kein Laut, kein Ruf kam über seine Lippen. Die helle Gestalt auf der nächtlichen Dorfstraße wurde kleiner und verschwand wie eine Spukerscheinung zwischen den dichtstehenden Stämmen des umliegenden Waldes, der sich bis auf den Hügel hinaufzog. Jean Dumont schien die Frau, die soeben seinen Hof verlassen hatte, nicht zu kennen. Sie war eine Fremde für ihn, eine, die er niemals berührt, die er niemals geküßt hatte, eine, die in dieser Nacht nicht das Bett mit ihm geteilt hatte. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er den Schweiß und das Blut von seinem entstellten Gesicht. Seine Haut strömte einen widerlichen, abscheulichen Geruch aus. Es war ätzender Schwefel. * Nicole Mercier erreichte ungeschoren die Ortschaft.
Die Gendarmerie war ihr erstes Ziel. Der Polizist, zugleich
Oberhaupt der winzigen Gemeinde, nahm ihre Meldung entgegen und benachrichtigte umgehend die Kollegen in der nächsten Ortschaft. Kommissar Lucell fuhr ihm Morgengrauen mit seinem Stab los, um auf dem einsamen Bauernhof nach dem Rechten zu sehen. Er konnte nicht einmal der kleinen Französin die verdiente Ruhe lassen. Nicole Mercier, die man inzwischen aus der Nachbarschaft notdürftig mit Kleidern versorgt hatte, saß an der Seite des Kommissars und gab kurz und knapp einen Bericht der Situation. »Das ist nicht viel«, meinte Lucell schließlich. Er hatte sie nicht ein einziges Mal unterbrochen, und er hielt es – zu diesem Zeitpunkt jedenfalls – nicht für nötig, weitere Fragen zu stellen. Es war zu offensichtlich, daß dieses Mädchen nicht mehr wußte. Recht einsilbig verlief die Fahrt zum Bauernhof. Das breite, klobige Holztor stand noch offen, wie Nicole Mercier es verlassen hatte. Lucell wurde von drei Beamten begleitet. Der vierte, der in einem zweiten Dienstwagen mitgefahren war, blieb im Auto zurück, bereit über das Autotelefon Kontakt zur Dienststelle aufzunehmen. Sie gingen zuerst in den Stall und fanden alles so wieder, wie die Französin es bereits geschildert hatte. Lucell wurde blaß, als er die Teile des zerrissenen Schweines sah. Der Fotograf machte seine Aufnahmen. Wie bei einem Mordfall wurden Spuren gesichert. Der Kommissar sprach während dieser Vorgänge kaum ein Wort. Seine Redefaulheit war bekannt. Lucell schien sich über die Dinge hier scheinbar überhaupt nicht zu interessieren. Er blieb nur hier und da einmal stehen, betrachtete sinnend seine Zigarre, die meistens gar nicht brannte, und ging dann weiter. Er spazierte durch den ganzen Stall, verlangte jedoch, daß Nicole Mercier an seiner Seite blieb, falls er doch noch irgendwelche Fragen an sie
hätte. Er durchsuchte das Wohnhaus vom Keller bis unter den Dachboden. Außer dem blutigen Haarbüschel im Stall jedoch fand man nicht die geringste Spur von dem jungen Franzosen. Er war wie vom Erdboden verschluckt. »Eigenartig«, bemerkte Lucell. Sein breites, sympathisches Gesicht wirkte nachdenklich. »Auf den ersten Blick scheint ein Raubtier in die Ställe eingedrungen zu sein, aber auf den zweiten merkt man spätestens, daß eine solche Vermutung geradezu absurd ist. Ein Tier könnte das Schwein niemals so zugerichtet haben!« Beiläufig erwähnte er, daß in der letzten Zeit oft Meldungen eingegangen seien, wonach die Bauern in dieser Umgebung über den Verlust von Vieh klagten. Sie hätten schon Fallen aufgestellt, in der Hoffnung den Fuchs oder den Dachs oder gar den Wolf, den manche vermuteten, zu fangen. »Ich habe niemals etwas Ähnliches zuvor erlebt und gesehen«, gestand der Kommissar der Französin ein. Wenig später ließ er Nicole Mercier im Dienstwagen bei dem Beamten zurück und sah sich mit einem anderen Begleiter die nähere Umgebung an. Sie gingen um den Zaun herum, suchten die Wiese nach Fußspuren ab und näherten sich bis auf wenige Meter dem ausgedehnten Waldgebiet. Lucell wollte mit seinem Begleiter schon wieder zurückgehen, als er plötzlich stutzte, sich bückte und ein hochgeschossenes Farnkraut über dem schlammigen Boden, der vom letzten Regen in dieser Erdmulde besonders feucht geblieben war, zur Seite drückte. »Ein Fußabdruck«, bemerkte er leise. Er hatte den Eindruck zur Hälfte gesehen. »Hier ist vor kurzem noch jemand gegangen.« Lucells Begleiter bückte sich. »Ob es von Bedeutung ist?« meinte er, doch dann stutzte er, und es schien, als würde er im gleic hen Augenblick seine vorschnelle Bemerkung bereuen.
»Der Bursche, der hier gelaufen ist, hat verdammt große Latschen.« Der Kommissar nickte. »Es ist der größte menschliche Fußabdruck, den ich jemals gesehen habe, Philipe. Da paßt mein Fuß fast zweimal hine in. – Davon will ich einen Gipsabdruck sehen.« Lucell kehrte zum Hof zurück. Er schärfte seinen Leuten ein, besonders nach Fußabdrücken Ausschau zu halten. Das Glück war mit ihnen. Hinter dem Stall befand sich ein schmaler Durchgang. Dort stieß ein Beamter auf das Fragment eines Fußabdruckes. Die Ferse war noch vorhanden. Sie paßte in Größe und Form genau zu dem Abdruck, den sie drüben am Waldrand gefunden hatten. Der Boden hinter dem Stall, unmittelbar an der hier vorbeiführenden Umzäunung, war aufgewühlt. Hier mußte längere Zeit jemand gestanden und gewartet haben. »Ich denke, wir sprechen nicht über unsere Entdeckung«, meinte Lucell leise, während er zum wiederholten Male seine Zigarre anzündete und nach drei- bis viermaligem Ziehen doch wieder vergaß, weiterzurauchen. »Wir warten erst mal das Laborergebnis ab.« Lucell stellte später eine einzige Frage an Nicole Mercier: »Wie groß war Jean Dumont?« »Etwa einsachtzig.« Das war fast die Körpergröße Lucells. Er trug schon eine verhältnismäßig auffallende Schuhgröße, doch dieser Abdruck hätte von einem Menschen stammen müssen, der mindestens drei Meter sechzig gewesen wäre … Bemerkenswert war noch, daß es Abdrücke eines nackten Fußes waren. Deutlich zeichneten sich die unförmigen, dicken Zehen ab. Der Kommissar kam nicht so schnell von diesem Ort weg, wie er gehofft und erwartet hatte. Immer wieder machte er die Runde in den Stall, als müsse dort irgend etwas sein, wonach er
bisher vergebens Ausschau gehalten hatte. Als sein Begleiter Philipe neben ihm stand, schüttelte Kommissar Lucell ungläubig den Kopf. »Wenn ich nicht wüßte, daß wir wirklich hierher gerufen wurden, daß wir heute den 3. Juli schreiben und im 20. Jahrhundert leben, dann könnte ich fast daran glauben, hier würde ein Film gedreht und wir beide wären auf den Spuren eines vorsintflutlichen menschlichen Ungeheuers. Ich habe das Gefühl, daß sich die Bauern in der Umgebung gründlich geirrt haben mit ihrem Fuchs und ihrem Dachs und sogar ihrem Wolf …« Philipe sah den Kommissar verwundert an. »Wie meinen Sie das?« »Es war nur so eine Idee, Philipe. Nichts weiter sonst.« Damit löste Lucell sich aus dem Schatten der Stalltür und ging quer über den Hof zu den beiden Stallknechten, die mit einem klapprigen 2 CV über den holprigen Feldweg fuhren. * Lucell sprach kurz mit den beiden Knechten. Er unterrichtete sie über das Ungewisse Schicksal Jean Dumonts, und sie erklärten sich bereit, auf dem Hof zu bleiben, um das Vieh zu versorgen. Als der Kommissar auf der Rückfahrt neben der blassen und niedergeschlagenen Nicole Mercier saß, meinte er nachdenklich: »Es gibt bis jetzt keinen Hinweis, daß Jean Dumont tot ist, Mademoiselle. Wir sind zwar auf Spuren gestoßen, die darauf schließen lassen, daß er zumindest verletzt wurde, als er auf …« Er wollte hinzufügen Raubtier stieß, aber er brachte es nicht fertig. Die Lippen der jungen Französin waren schmal wie ein Strich. »Ich habe das zerrissene Schwein gesehen, Kommissar …« »Wenn Jean Dumont so zugerichtet worden wäre, hätten wir
garantiert etwas gefunden. Ich hege einen ganz anderen Verdacht«, fügte Lucell hinzu. Sein ruhiges Gesicht zeigte nicht im geringsten die Spannung und die Verwirrung, unter der er stand. Er nahm seine erkaltete Zigarre in die Hand und betrachtete sie sinnend. »Welchen Verdacht.« Nicole Merciers Stimme klang belegt. Mit einer nervösen Bewegung strich sie die langen blonden Haare aus dem Gesicht. »Jean Dumont stieß auf dieses merkwürdige Tier und er folgte ihm. Es gibt eindeutig Spuren, daß es so gewesen war. Die Spuren verlieren sich drüben am Waldrand.« Lucells Worte entsprachen nicht der vollen Wahrheit. Er sagte nicht, daß fünfzig Prozent seiner Ausführungen nur aus Vermutungen bestanden. »Vielleicht verbirgt sich Dumont, vielleicht ist er auf etwas gestoßen, was ihm – so absurd, so ungewöhnlich vorkam, daß er erst Gewißheit haben wollte, ehe er darüber sprach.« Nicole Mercier sah ihn aus großen Augen an. »Sie glauben – Jean kommt zurück?« Lucell zuckte die Achseln und zündete sich seine Zigarre an diesem Morgen schon zum neunten Mal an. »Das kann natürlich niemand mit Bestimmtheit sagen. Aber die Hoffnung besteht durchaus. Ich rechne fest damit, daß Jean Dumont sich in den nächsten Stunden auf irgendeine Weise melden wird. Vielleicht ist die Nachricht, die er uns zu überbringen hat, so ungeheuerlich, daß wir alle anfangen müssen umzudenken!« Das letzte Wort war so leise gesprochen, daß es kaum hörbar über seine Lippen kam. Die Französin an seiner Seite öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch dann unterließ sie es. Sie mußte sich im stillen eingestehen, daß sie den Ausführungen des Kommissars nicht folgen konnte. Der Wagen fuhr über eine schmale, hölzerne Brücke. Die armdicken Bohlen klapperten.
Lucell ließ den Blick weit über das flache, hügelige Land schweifen. Im Hintergrund zeichnete sic h die Nordseite des Waldgebietes ab, an dessen Rand er die ungewöhnlichen großen Fußabdrücke gefunden hatte. Von hier aus war deutlich die kahle, rußgeschwärzte Schneise zu sehen, etwa dreihundert Meter breit und einen Kilometer lang. Die Bäume in dieser Schneise sahen aus wie Stalagmiten, die aus dem dunklen Untergrund emporwuchsen. Sie trugen kein Blatt und keinen Zweig mehr. Ihre Stämme waren teilweise verkohlt und bizarr verformt. Die Bauern in der Umgebung hatten sich an den Anblick dieses geschändeten Waldes gewöhnt. Doch merkwürdigerweise mieden sie die Nähe dieser Stelle. Hier war nach offiziellen Verlautbarungen zufolge vor anderthalb Monaten ein französisches Militärflugzeug abgestürzt. Die Absturzstelle war sofort von Armee-Einheiten hermetisch abgesperrt worden. An die Öffentlichkeit drang kaum eine brauchbare Nachricht. Ein Reporter, der sich während der Bergung heimlich an die unmittelbare Absturzstelle schleichen wollte, war in die Hände des Geheimdienstes geraten. Seine Kamera und der Film waren beschlagnahmt worden. Während der letzten Wochen hatte Kommissar Lucell diesen Weg oft fahren müssen. Er hatte seine eigenen Vermutungen, aber keine Beweise für seine Thesen. In diesen Sekunden nahm er sich vor, diesen Beweis zu bringen. Das Gebiet drüben war kein Sperrbezirk mehr, und jedermann konnte sich frei bewegen. Nachdenklich wandte Lucell sich ab. Er ließ Nicole Mercier nach Hause bringen. Die Französin wohnte in einer kleinen, aber gemütlich eingerichteten Mansardenstube des Dorfwirtshauses, in dem sie als Kellnerin angestellt war. »Haben Sie Telefon?« fragte Lucell, bevor er sich von Nicole Mercier verabschiedete.
»Nicht auf dem Zimmer. Aber unten im Lokal.« »Das macht nichts. Ich möchte Sie um eines bitten.« Der Kommissar sah sie an. »Sollte sich Jean Dumont bei Ihnen melden, dann lassen Sie es mich bitte umgehend wissen. Wenn ich nicht am Apparat sein sollte, dann teilen Sie es meinem Assistenten mit. Ich muß auf jeden Fall Bescheid wissen – ehe es zu spät ist! Wenn Jean Dumont noch am Leben ist – und bis jetzt konnten wir das Gegenteil nicht nachweisen, dann werden wir ihm nur helfen können, wenn er nichts auf eigene Faust unternimmt.« Nicole Mercier schüttelte den Kopf. »Ich verstehe Sie nicht, Kommissar. Sie sprechen in Rätseln. Ich fürchte, Sie wissen mehr, als Sie mir eingestehen wollen.« »Sie irren. Ich weiß genausoviel wie Sie. Ich möchte nur ganz sichergehen, daß Jean Dumont sich nicht auf ein Abenteuer einläßt, das er schließlich nicht mehr überblicken kann. – Denken Sie also daran! Hier ist meine Telefonnummer!« Er schob ihr ein Kärtchen zu, nickte grüßend und stieg dann die Treppe hinab. Im Kommissariat angekommen, sorgte er dafür, daß die aufgesammelten Reste des zerrissenen Schweines, die man in Plastikbeuteln eingewickelt hatte, in Metallbehältern untergebracht wurden. Dann machte sich ein Bote auf den Weg nach Reims. Die Fleischteile sollten zur Untersuchung in das Labor von Dr. Fermand geschafft werden. Als Lucelle allein in seinem Büro saß, blätterte er den Aktenstoß vor sich auf dem Schreibtisch durch, brachte mit rotem Stift Vermerke an und erhob sich dann. Der Fall Dumont lenkte ihn ständig ab, er konnte sich nicht konzentrieren. Es war kein Verbrechen im eigentlichen Sinn. Hier war kein Mord, den aufzuklären es galt. Das hieß, man wußte noch nicht, ob es ein Mord war. Erst wenn das Waldstück von den Polizisten bis auf den letzten Winkel durchkämmt worden war, wußte man vielleicht mehr.
Lucell rief einen seiner engsten Vertrauten zu sich. Es war Philipe. »Ich hätte einen Auftrag für Sie. Sie brauchen ihn nicht anzunehmen, Philipe. Es ist freiwillig.« »Ich weiß was Sie beschäftigt, Lucell.« Die beiden Männer arbeiteten schon so lange zusammen, daß einer den anderen verstand, ohne daß erst viel Worte zu machen waren. »Die Sache mit Dumont läßt Ihnen keine Ruhe.« Auf dem Schreibtisch vor Lucell lag der detaillierte Fußabdruck eines Mannes. »Die Sache beschäftigt mich, Philipe«, sagte Lucell leise. »Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Zum ersten Mal sind wir auf eine Spur gestoßen. Die Spur eines Menschen, eines ungewöhnlichen Menschen.« »Ein Mensch, der Tiere reißt – wie ein Wolf?« Die Blicke der beiden Männer begegneten sich. »Warum bringen Sie ausgerechnet den Vergleich – mit einem Wolf?« fragte Lucell interessiert. »Sie kennen die Legende, die in den beiden Nachbardörfern kursiert, ebensogut wie ich, Kommissar. Vor Jahrzehnten hat es hier Wölfe gegeben. Die Legende, die sich eines Tages entwickelte, sprach davon, daß der Anführer des Rudels – ein Mensch sein sollte, ein Wolfsmensch, ein Werwolf. Einige Bewohner gaben genaue Beschreibungen. Aber die, die ihn gesehen hatten oder glaubten, ihn gesehen zu haben – verschwanden kurze Zeit darauf – und man hat sie nie wiedergesehen. In der Tat weist die Chronik der beiden Dörfer darauf hin, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Männer und Frauen verschwanden. Sie werden namentlich aufgeführt. Man brachte diese Dinge mit dem Werwolf in Verbindung. Nur in einem Fall wurde bekannt, daß man ein junges Mädchen im Wald wiedergefunden hätte, zur Unkenntlichkeit zerfleischt, als wäre ein Raubtier über sie hergefallen. – Die Bauern der Umgebung fürchten seitdem den Wald. Kein Einheimischer wäre bereit, in den Wald zu gehen.« Lucell nickte. »Ich kenne diese haarsträubenden Geschichten
und den Hintergrund der Verbrechen, die dem legendären Werwolf zur Last gelegt werden. Sie sind für das Studium eines angehenden Kriminalisten höchst interessant. Aber ich dachte eigentlich weniger an die Vergangenheit. Die Gegenwart ist doch auch interessant – und merkwürdig genug, finden Sie nicht, Philipe? – Ich denke dabei an das Militärflugzeug, das vor gut sechs Wochen in dem von den Bauern verpönten Wald abstürzte. Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen. Die Vorsichtsmaßnahmen bei der Bergung waren mehr als ungewöhnlich. In einem Gespräch mit Dr. Fermand entwickelte ich die These, daß eventuell geheime Kampfstoffe – chemischer und biologischer Art – an Bord der Maschine gewesen seien. Es war nur ein Verdacht. Er konnte bisher nicht erhärtet werden, weil es keine Untersuchungsmöglichkeiten gab. Die Fleischreste des Schweines sind die ersten Spuren, die wir gesichert haben. Der Fall unterscheidet sich zudem von allen anderen, weil diesmal ein Mensch verschwunden ist. Was ist ihm zugestoßen, Philipe? Um das zu erfahren, brauche ich Ihre Hilfe. Wir müssen in den nächsten Tagen von verschiedenen Seiten aus tätig werden. Meine Absicht ist es, Sie im Hof des Bauern Jean Dumont einzuquartieren. Davon wissen Sie, Philipe, und ich etwas. Die beiden Knechte verlassen das Gebäude am Abend. Die Tiere sind unbeaufsichtigt. Das müßte auch der Bursche wissen, dessen Fußabdruck wir hier haben.« Lucell wies auf das gegossene Gipsmodell. »Sie rechnen damit …?« Philipe brauchte nicht zu Ende sprechen. Nickend zündete Lucell seine Zigarre an. »Wir müssen mit allem rechnen. Gehen wir von der Überlegung aus, daß es sich bei dem unheimlichen Wesen um einen Menschen handelt. Oder haben Sie schon einmal ein Tier gesehen, das einen riesigen menschlichen Fußabdruck hinterläßt? Na also … Hängt es mit dem Absturz zusammen, dann ist anzunehmen,
daß es sich – vielleicht – um den Piloten handelt oder um eine andere Person, die in der Maschine saß. Es gibt heute einige erstaunliche chemische und biologische Mittel, den Geist und den Körper eines Menschen zu verändern. Vielleicht kam jemand mit den geheimen Stoffen in Berührung …« »Eine utopische These«, bemerkte Philipe. Doch sein Einspruch klang nicht überzeugend. Sein Blick klebte förmlich an dem überdimensionalen Gipsabdruck, und er stellte sich vor, daß das menschliche Wesen, das diesen Abdruck hinterlassen hatte, über wahrscheinlich ungewöhnliche Ausmaße verfügte. Er fror, als er daran dachte. »Ich übernehme die Wache im Hause Dumonts, Kommissar.« »Gut. Ich sehe mich ein wenig an der Absturzstelle um. Ich bin gespannt, ob man von höchster Stelle aus mein Vorgehen torpedieren wird. Das erbrächte zumindest einen weiteren Beweis in die Kette der Hypothesen. – Gespannt bin ich auch auf das Ergebnis, das uns Dr. Fermand mitteilen wird. Wenn es Spuren gibt, die auf das Wesen hinweisen, das das Schwein zerrissen hat, dann müssen sie an den Fleischresten vorhanden sein. – Lassen wir uns überraschen!« * Heute abend wollte er es genau wissen. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Larry Brent konnte es wagen, die Höhle des Löwen aufzusuchen. Es würde sich zeigen, ob der Zeitpunkt gekommen war, dem Unheimlichen der seit Wochen Hongkong unsicher machte, das Handwerk zu legen. Gemeinsam mit dem Russen Iwan Kunaritschew weilte XRAY-3 seit drei Wochen in der Britischen Kronkolonie. Dabei war es nach langer Zeit auch wieder zu einer Begegnung mit Su-Hang gekommen. Leider hatte Larry die Zeit nicht aufbringen können, sich intensiv um die hübsche, attraktive Chinesin zu kümmern. Seit
seiner Ankunft war es Schlag auf Schlag gegangen. Hongkong war ein heißes Pflaster, das wußte er aus Erfahrung, aber daß er so stark eingespannt werden würde, hatte er nicht erwartet. Mit Einbruch der Dunkelheit ging er zum Hafen. Ein alter Fischer erwartete ihn mit einer aus Treibholz zusammengezimmerten Dschunke. Der Amerikaner mußte zum anderen Ende des Hafenbeckens. Sie fuhren hinaus in die Nacht. Weit spannte sich vor ihnen der Bogen der Bucht. Der Fischer war sehr wortkarg. Larry kam es so vor, als ob ihn irgend etwas bedrücke. Doch bei einem Chinesen wußte man nie so recht, woran man war. Sie begegneten einer großen Dschunke, an deren Bug und Heck Bündel von Räucherstäbchen befestigt und angezündet waren. Sämtliche Lampen auf dem Schiff waren erloschen. Nur die Räucherstäbe glommen. »Sie grüßen damit die Göttin des Himmels«, sagte der Chinese. »Alle Fischer, die hinausfahren, bitten die liebliche Tin Hau um eine glückliche und fruchtbare Heimkehr.« Larry hatte während seiner Aufenthalte in Hongkong schon viele der seltsamen Sitten und Gebräuche der Bewohner kennengelernt. Tin Haus Tempel stand oben auf einem Berg, der sich steil hinter der Bucht erhob. Ein winziges Gebäude, das von Tausenden gestürmt wurde, wenn der Geburtstag der Göttin des Himmels war. Die Wasserbewohner, die kaum oder niemals ihren Fuß auf festes Land setzten, verehrten Tin Hau als eine der ihren. In der Nähe des winzigen Tempels gab es seit geraumer Zeit einen zweiten, modernen Tempel, der halb in den Felsen gebaut war. Nach schwierigen Nachforschungen waren Larry Brent und Iwan Kunaritschew auf diesen Tempel aufmerksam geworden und fanden heraus, daß dort eine Sekte zusammentraf, deren Ziel es war, gut organisierte Verbrechen durchzuführen. Larry vermutete, daß die Bande von einem
Kopf geführt wurde, der sich von den Sektenmitgliedern wie ein Gott verehren ließ. Die Absicht der beiden PSA-Agenten war es, diesen Mann im Untergrund unter allen Umständen lebend in die Hände zu bekommen, denn nur er allein konnte mit Sicherheit das Versteck bekanntgeben, wo die bisherige Beute untergebracht war. Larry steckte dem Fischer ein Bündel Hongkong-Dollar zu, bevor er an das eisige Ufer sprang. In der Dunkelheit türmte sich der steile, graue Berg auf. Die Sträucher und die Grasflächen waren trocken und ausgedörrt von der heißen Sonne, die tagsüber vom Himmel strahlte. X-RAY-3 begann mit dem Aufstieg. Der Pfad war steil und schmal. In der Ferne, in der Tiefe unter ihm, wetzte ein Vogel seinen Schnabel an einem scharfen Felsen. Es war das einzigste Geräusch weit und breit. Die Aufmerksamkeit des Agenten war aufs äußerste gespannt. Erst in wenigen Minuten würde er wissen, ob ihr Plan in allen Einzelheiten gelungen war. Iwan Kunaritschew hatte die schwere Aufgabe übernommen, sich der religiös getarnten Bande anzuschließen. Seit drei Wochen hatte Larry kein Wort mehr mit dem Freund gewechselt. Lediglich durch geheime Zeichen hatte er erfahren, daß der Russe noch alles wie abgesprochen vorbereitete. Kleine Steine unter seinen Füßen kamen ins Rollen und schlugen gegen die Felswände. Larry näherte sich auf direktem Weg dem flachen Tempel, der sich kaum von dem Gestein abhob. Er lag in völliger Dunkelheit. Minutenlang verharrte der Amerikaner hinter einem Felsblock und starrte hinüber. Er erwartete einen Wachtposten vor dem finsteren Eingang. Aber es blieb leer und ruhig. Zu ruhig, hämmerte es in seinen Gedanken. Er fühlte sich beobachtet und belauscht, konnte aber keinen Beweis für seine Annahme finden. Geduckt huschte er zu der Tempelwand hinüber. Die Tür ließ sich mit einem leichten Druck öffnen. Das Heiligtum stand
jedermann offen. In der Öffentlichkeit war das Interesse an der religiösen Sekte erwacht, ohne daß man dort wußte, welchem riskanten Gewerbe das Oberhaupt und die engsten Vertrauten nachgingen. X-RAY-3 kam in eine schmale Kammer, die in einen großen ovalen Saal mündete. An den kahlen Wänden blakten einige Fackeln und warfen spärliches Licht über die Szene, die sich seinen Augen bot. Auf dem quadratischen Altar, roh aus dem Felsen herausgehauen, stand eine hölzerne Statue, die einen Mann mit übergroßen Ohren darstellte. Der Amerikaner sah sich aufmerksam um. Der Raum war völlig leer. Hier wollte Kunaritschew ihn erwarten. Instinktiv nahm Larry die Smith and Wesson Laser zur Hand und entsicherte sie. Er wollte für alle Fälle gewappnet sein. Doch der Ablauf der Dinge erfolgte so schnell, daß selbst sein trainiertes Gehirn nicht mehr mitkam. Er ging durch den Saal, in dem dicht hintereinander lange Sitzbänke angeordnet standen und plötzlich stieß sein rechter Fuß gegen etwas Weiches, das nachgab. Larry Brent zuckte zusammen, sein Blick ging sofort nach unten und erfaßte die leblose Gestalt zwischen den braunen, schäbigen Bänken. Es war ein Mann. Sein Kopf fiel schlaff auf die Seite, als Larry ihn auf den Rücken drehte. Der Fremde, ein Chinese, hatte das Genick gebrochen. Sein Gesicht war blutig, mit zahlreichen blauen Flecken gekennzeichnet. Die Lippe war aufgerissen. Er sah ganz so aus, als wäre er kurz vor seinem Tod in einen schweren Kampf mit einem überlegenen Gegner geraten. Dann sah Larry etwas Entsetzliches. Die linke Hand des Toten fehlte! Der blutige Armstumpf sah aus, als wäre der Mann damit in eine Rasenmähmaschine geraten. Krachend schlug plötzlich eine Tür zu, hastige Schritte erklangen in der Dunkelheit. Vorn, direkt neben dem Altar, tauchte eine Gestalt auf. Kräftig, breitschultrig. Im Schein der flackernden Fackeln erkannte X-RAY-3 seinen Freund, den
Russen Iwan Kunaritschew. Völlig abgehetzt, das Hemd auf dem Leib in Fetzen, die borstigen Haare durcheinander. Kunaritschew auf der Flucht?! Vor wem? Als Larry den Verfolger sah, gefror das Blut in seinen Adern. * Dr. Fermand hielt sich seit fünf Stunden in seinem Labor auf. Er hatte kaum zu Abend gegessen. Der Raum enthielt drei große, flache Tische. In einem schwebend aufgehängten Glasballon sprudelte eine hellgrüne Flüssigkeit. Zahllose Reagenzgläser standen in chromblitzenden Gestellen. Hinter einer beheizten Glasfront reihten sich wie die Glieder einer Kette flache Schalen, in denen Bakterienkulturen angesetzt waren. Das Hauptinteresse Dr. Fermands galt den Fleischresten, die Kommissar Lucell ihm zugeschickt hatte. Unter einem eckigen Glasbehälter lagen die Reste eines Knochens und ein zerrissenes Stück Fleisch. Fermand hatte mehrere Untersuchungsmethoden angewandt und jeden Versuch peinlich genau auf Band gesprochen. Das Bandgerät stand auf einem Hocker neben dem Tisch. Das magische Auge leuchtete. Lautlos drehten sich die Spulen. Der Franzose wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er schob eine Glasplatte über den Behälter, einen Filter, der den Lichteinfall in den Kasten verfärbte. »Jetzt müßte es sich zeigen«, murmelte er im Selbstgespräch vor sich hin und vergaß völlig, daß das Band seine Bemerkungen aufzeichnete. »Mit bloßem Auge müßte es zu sehen sein.« Und es war zu sehen! Das Fleisch wirkte unter dem gefilterten Licht wie eine grau-blaue Gummimasse und darauf zeichnete sich deutlich eine kristalline Substanz ab.
Fermand nahm ein Metallröhrchen und kratzte vorsichtig von der fremdartigen, leblosen Substanz etwas ab und ließ es in eine flache Schale fallen. Außerhalb des Filters konnte er die Kristalle nicht wahrnehmen. Er verschloß die Schale, nachdem er einige Tropfen aus einem Reagenzglas hinzugefügt hatte, und stellte sie hinter die beheizte Glaswand. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Fleischresten unter dem Behälter zu. Er schaltete das Licht aus, zog den Filter zurück und sprach in das Mikrofon, mit sachlicher und klarer Stimme: »Bei Versuch 18 wurde das Kristall unter der Einwirkung ultravioletten Lichtes sichtbar. Ich glaube, daß die Substanz während der letzten Stunden sich auf dem zur Untersuchung befindlichen Fleischrest fast verdoppelt hat. Das haben Gewebemessungen ergeben, ich kann es allerdings nicht mit Gewißheit behaupten, da zu diesem Zeitpunkt noch keine Möglichkeit bestand, die fremde Substanz mit dem bloßen Auge zu beobachten. Ich habe einen neunzehnten Versuch eingeleitet. Teile des Kristalls wurden in eine Nährlösung gegeben.« Er machte eine Pause. Man merkte ihm an, daß es ihm schwerfiel, die Situation zu kennzeichnen und zu beschreiben. Er stand vor dem größten Rätsel, das ihm jemals aufgegeben wurde. Für ihn stand fest, daß das getötete Schwein diese Kristalle nicht im Körper gehabt haben konnte. Von irgendwo wurden sie auf den Fleischrest übertragen. Die Substanz, die er auf dem Fleisch entdeckt hatte, war bis zur Stunde unbekannt. War sie natürlicher oder künstlicher Herkunft? Das würde er bald wissen. Immer wieder mußte er auch an die kurze Notiz denken, die Lucell ihm mitgeschickt hatte. »… hältst du es für möglich, daß kein Tier, sondern ein Mensch in der Lage ist, ein ausgewachsenes Schwein zu zerreißen, Alain?« Und darunter stand nachträglich hinzugefügt: »Mich würde deine persönliche Ansicht sehr interessieren. –
Maurice.« Dr. Fermand mußte sich eingestehen, daß er mit dem Wissen, über das er in seinem Fach verfügte, hier vor Neuland stand, daß es nichts Vergleichbares gab. Er kannte Lucells Vermutungen, die beiden Männer hatten mehr als einmal miteinander gesprochen. Sie waren Freunde, und so hatte der Kommissar ihm im privaten Kreis manches anvertraut, was unter normalen Umständen kein anderer zu hören bekommen hätte. Dr. Fermand sah abgeschlagen aus. Sein glattes, jungenhaftes Gesicht wirkte grau und abgespannt. Er hoffte, daß seine Überlegungen sich nicht erfüllten, doch als er eine halbe Stunde später noch einmal einen Blick unter den Glasbehälter warf, wußte er, daß seine Vermutungen sich leider bestätigten. Die kristalline Substanz nahm nun eine größere Fläche ein. Die pilzartige Kultur hatte sich vermehrt. »Sie leben, sie vermehren sich wie Zellen! Sie handeln eigenständig!« Mit diesen Worten schaltete er das Tonbandgerät ab. Dr. Fermand verließ das Labor. Seine Frau saß im Wohnzimmer neben der Leselampe und hielt ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien. Françoise Fermand blickte auf, als ihr Gatte eintrat. Sie war eine ungewöhnlich schöne Frau und außerdem klug, eine Mischung, die es nicht allzuoft gab. Die junge Französin trug schulterlanges, schwarzes Haar, das ihr schmales, feingeschnittenes Gesicht einrahmte. »Endlich«, sagte sie leise, und sie legte das Buch zur Seite. »Ich dachte schon, du wolltest den ganzen Abend im Labor verbringen.« Sie erhob sich und schlang die nackten Arme um seinen Hals. Françoise Fermand trug einen bequemen, modern geschnittenen Hausanzug. Die Jacke war weit geschnitten, ebenfalls die hauchdünne Bluse. Die Frau des Forschers trug
keinen BH, und die Brüste waren zur Hälfte zu sehen. Er lächelte müde. »Ich hatte nicht die Absicht. Aber ich bin da auf eine Sache gestoßen, die so wichtig ist, daß ich unbedingt noch heute abend nach Montcornet fahren muß.« Ihr Blick verfinsterte sich. »Alain«, sagte sie vorwurfsvoll. »Wenn du jetzt gesagt hättest, du wolltest nach dort, um ein paar Tage in unserem Landhaus zu verbringen, dann hätte ich das noch akzeptiert, aber die Art, wie du es gesagt hast, zeigt mir, daß in Montcornet Arbeit auf dich wartet.« »Es kann sehr schnell vorbei sein. Es kann auch eine oder zwei Wochen dauern, das weiß ich jetzt noch nicht. Eines nur kann ich mit Bestimmtheit sagen: ich bin in unserem Landhaus. Aber es wird kein Erholungsaufenthalt werden. Sicher werde ich auch in Montcornet mehr im Labor sein, als mir lieb ist. Doch ich Verspreche dir, genügend freie Zeit einzulegen und mich zu schonen.« Er küßte sie. »Ich werde mich davon überzeugen«, erwiderte sie leise. Sie war ihm behilflich, den Koffer zu packen. Er nahm nur das Notwendigste mit. Bevor der Gelehrte das Haus verließ, warf er einen letzten Blick in das Labor und vergewisserte sich, ob der Glasbehälter hermetisch abgeschlossen war. Fermand benutzte zur Fahrt nach Montcornet seinen beigen Citroën. Seine Frau verfügte noch über einen Jaguar. Sie liebte schnelle Autos. Der Forscher winkte aus dem Wagen und fuhr dann langsam an. Madame Fermand, schön und verführerisch, stand auf der Türschwelle des Hauses und winkte zurück. Sie sah dem entschwindenden Wagen nach, bis die roten Rücklichter in der Ferne verschwanden. * »Iwan!«
Die Stimme Larrys überschlug sich förmlich.
Der Russe warf sich herum, während X-RAY-3 die Smith and Wesson Laser in Anschlag brachte. »Towarischtsch!« Das vertraute Wort kam über die Lippen des Gehetzten. Es klang gepreßt und voller Angst. Iwan Kunaritschew war fertig. Larry Brent konnte sich nicht erinnern, den Russen jemals so abgerissen gesehen zu haben. Der Verfolger warf sich herum und kam in langen Sätzen näher. Der Fremde war offensichtlich ein Chinese. Doch sein Äußeres war auf erschreckende Weise verunstaltet. Sein Gesicht war von zahlreichen Narben übersät, sein Schädel zur Hälfte kahlgeschoren. Deutlich sah man eine etwa zwanzig Zentimeter lange Operationsnarbe, die quer über den glänzenden Schädel lief. Der Chinese war eine Gestalt aus einem Gruselkabinett, dieser Mann konnte unmöglich durch die Straßen gehen, ohne daß die Menschen nicht erschreckt und schreiend davonstürzten! Unangenehm berührt war Larry Brent auch noch durch das dichte, flaumige Haar, das von der linken Halsseite bis hinab auf die Schulter wuchs und sogar das eine Ohr völlig bedeckte. Als der Unheimliche näherkam, sah er auch, daß eine Gesichtshälfte dunkler war als die andere. Auf der linken Seite war das Haar, das sich über Ohr und Nacken bis zur Schulter hinabzog, geschoren! Kunaritschew rief dem Freund zu: »Weg hier, Larry! Laß es auf keinen Fall geschehen, daß dich der Bursche anfaßt! Das ist das Ende!« Der Russe keuchte. Er, ein ausgezeichneter Taekwondo- und Aikidokämpfer, ergriff die Flucht vor dem Entstellten, den er sicher mit zwei, drei raschen Griffen zu Boden befördert hätte. Mit einem Sprung brachte der Russe die erste Bank hinter sich. Er kam wieder auf den Mittelgang und stolperte in der Übereilung über seine eigenen Füße. Es gelang ihm nicht mehr, den Sturz abzufangen. Schwer fiel er zu Boden. Der Verfolger
erkannte sofort seine Chance. Wie ein Panther kam er um die Bankreihe herum und setzte zum Sprung an. Er handelte wie eine Marionette. Die Tatsache, daß Larry Brent keine zehn Schritte entfernt stand und die Szene verfolgte, schien der Unheimliche gar nicht zu registrieren. Er schien förmlich auf den Flüchtigen programmiert zu sein. Seine Aufgabe war es, den Russen zu erreichen. Wie ein Blitz zündete die Warnung des Freundes im Gehirn von X-RAY-3. Der Unheimliche, der sich auf Iwan Kunaritschew stürzte, war unbewaffnet. Doch die Berührung durch ihn sollte Gefahr bringen. Iwan Kunaritschew war nicht in der Lage, sich aufzurappeln. Aus dem holperigen Untergrund ragte ein unverputzter Stein. Darüber war er gestolpert. Sein linker Fuß war verzerrt. Die erste Flut der Schmerzen erfolgte so heftig, daß X-RAY-7 nicht fähig war, sich zu rühren. Larry Brent konnte kein Risiko eingehen. Seine Waffe zuckte, nadelfein war der Strahl, der die Dämmerung teilte und genau in die Stirn des unheimlichen Mannes drang. Die Hände in Würgegeste erhoben stand er sekundenlang über der Gestalt des Russen. Ein markerschütternder Schrei kam über die bebenden Lippen des Getroffenen. Schweiß rann über die Stirn Larry Brents. Mit bangem Herzen erkannte er in dieser Sekunde, daß er drei Sekunden zu lange gezögert hatte und damit das Leben des Russen in tödliche Gefahr brachte. Iwan Kunaritschew sah mit aufgerissenen Augen, daß der Körper des Unheimlichen auf ihn zuzustürzen drohte. Er selbst fand nicht mehr die Kraft, sich noch herumzureißen. Er war von beiden Bänken eingeklemmt. Larry warf sich wie ein Tier nach vorn. Er packte den Freund unter den Achseln und riß ihn brutal nach hinten. Die plötzliche Eingebung, der er folgte, wurde von dem völlig ermatteten Russen mit einem kaum merklichen Kopfnicken
quittiert. Der getroffene Chinese stürzte mit ausgestreckten Armen genau auf die Stelle, wo der Russe eben noch gelegen hatte. »Danke, Towarischtsch«, kam es wie ein Hauch über die Lippen Kunaritschews. »Du hast X-RAY-1 davor bewahrt, sich einen neuen Agenten suchen zu müssen.« Er lächelte verzerrt. Der Galgenhumor des Russen kam bereits wieder zum Durchbruch, »Ich begreife die Umstände nicht«, meinte Larry. »Er war unbewaffnet. Was für eine Gefahr kann eine Berührung durch ihn hervorrufen?« Der Russe kam mit Larry Brents Hilfe torkelnd auf die Beine. Iwan Kunaritschew hielt den linken Fuß angewinkelt. Unter dem Strumpf zeichnete sich deutlich die Schwellung ab. »Ich kann mir denken, daß dir das Ganze ein bißchen merkwürdig vorkommt, Towarischtsch.« »Ein bißchen ist gut. Es ist etwas mehr, glaube ich.« »Während der letzten beiden Tage hat sich vieles geändert. Nicht ganz unschuldig ist dieser Mann da.« Kunaritschew wies auf den Toten mit der abgerissenen Hand, auf den Larry gleich nach seinem Eintritt in den Tempel gestoßen war. »Ein Agent des Geheimdienstes. Er war ebenso wie wir auf die Spuren der Bande gestoßen. Er scheint uns aber schon einen Schritt voraus gewesen zu sein. Doch das steht im Augenblick nicht zur Debatte. Ich wurde in der letzten Nacht gefoltert. Sie haben mich fertiggemacht, sie müssen mit einem Male einen Hinweis bekommen haben, von welcher Firma ich wirklich bin. Ich habe geschwiegen, sie haben nichts aus mir herausbekommen. Und dann haben sie mir den Chef persönlich auf den Hals gehetzt. Den da …« Er warf einen Blick auf den Unheimlichen, den Larry Brents Laserstrahl ins Jenseits befördert hatte. »Er war der von uns vermutete Kopf der Bande. Aber er handelte aus einem Antrieb heraus, den ich dir nicht schildern kann, Towarischtsch. Es hört sich merkwürdig an. Aber es muß in
der Tat noch jemanden geben, der diesen unheimlichen Burschen da gelenkt hat. Ich stieß auf den Namen Fin-Ma-Kho. Er muß noch wichtiger sein als dieser hier, den sie als Führer anerkannten. Fin-Ma-Kho ist von jenseits der Grenze, ein Chinese aus dem Reich der Mitte. Ich glaube, daß das ganze Unternehmen hier in Hongkong von drüben beobachtet und sogar gesteuert wurde.« X-RAY-3 befeuchtete sich die Lippen. »Mir scheint, daß unser ganzes Unternehmen hier in Hongkong mehr Rätsel und Fragen aufgeworfen hat, als wir lösen konnten.« Der kräftige Russe nickte. »Genauso ist es. Aber um dir die wichtigste Frage zu beantworten, Towarischtsch: Wenn man mit dem Burschen dort auf Tuchfühlung kommt, geschieht ein Unglück. Komm mal näher und sieh dir seine Haut an.« Der Russe humpelte am Arm Larrys zu dem Toten. Der Verunstaltete lag mit weitaufgerissenen Augen vor ihnen. Im Augenblick des Sterbens hatte er seinen Körper noch einmal herumgerissen, als hätte eine unsichtbare Hand ihn gepackt und dafür gesorgt, daß er auf den Rücken fiel. Larry bückte sich. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er den starren, häßlichen Körper ab. Erst jetzt sah er die Einzelheiten, die geschwollenen Augenlider, die aufgeworfenen Lippen. Die Haut machte einen kranken Eindruck. Sie war weich, schwammig und aufgequollen. Zahlreiche geschwulstartige Beulen zeichneten sich ab. »Die Krankheit, die den Chinesen befallen hat, überträgt sich sofort«, sagte der Russe matt. »Sie haben mir damit Angst eingejagt, sie haben mir vor Augen gehalten, wohin das unheimliche Leiden führt, das von diesem Burschen da offenbar gar nicht mehr wahrgenommen wurde. Er litt unter Gedächtnisschwund und handelte wie ein Tier unter einem Trieb, aber nicht mehr mit Überlegung und Vernunft. Sie gaben ihm eine Ratte in die Hand. Ich habe ihn genau beobachtet, ich lag hilflos vor ihm auf der Folterbank. Es fiel
ihm schwer, das Tier nur in den Händen zu halten und es nicht zu zerreißen. Zwei Stunden später wurde mir die Ratte, die sie in einem Käfig neben meiner Bank aufstellten, wieder gezeigt. Das Ergebnis war grauenhaft. Die Ratte war wie von einem Ausschlag übersät. Die Krankheit des Unheimlichen hatte sich auf das Tier übertragen. Die Haut sah aus, als hätte eine ätzende Säure sie zerfressen. In einem Anfall von Wahnsinn ging die Ratte schließlich zugrunde. Sie wollte uns anfallen, nur die Gitter des Käfigs hielten sie davon ab. Ich wußte, daß ich diesen Tag nicht mehr erleben würde, wenn ich mich weiterhin weigerte. Mein unheimlicher Bewacher hatte auch jenes Stadium erreicht, in dem er sich dem Wahnsinn näherte. Ich allein befand mich in seiner Reichweite, nur der Befehl Fin-Ma-Khos hielt ihn noch davon ab, daß auch er mich infizierte.« »Du hast Fin-Ma-Kho gesehen?« fragte Larry. »Nein. Er wagte es nicht, den Raum zu betreten. Er stand hinter einer als Spiegel getarnten Wand und beobachtete von der anderen Seite einer Kammer genau die Vorgänge. Er wußte, daß er bald keine Gewalt mehr über den Kranken haben würde. Ich arbeitete verzweifelt daran, meine Fesseln zu lösen, nachdem Fin-Ma-Kho mich meinem Schicksal überlassen hatte. Dieser Geheimagent dort auf dem Boden, ihm habe ich im Grunde genommen mein Leben zu verdanken. Er verursachte ein Geräusch, als er in den Tempel drang. Das war vor ungefähr einer Stunde. Mein Bewacher entfernte sich. Diese Zeit nutzte ich aus, um meine letzten Kräfte zu sammeln. Ich konnte die Fesseln sprengen. Dann kehrte der Unheimliche zurück. Ich hatte keine Möglichkeit, mich zur Wehr zu setzen. Mit bloßen Händen wäre es Selbstmord gewesen, wie du weißt, Towarischtsch. Ich floh und stieß auf dich.« Der Russe atmete auf. »Am besten wird es sein, wenn ich dir das Geheimquartier der Bande zeige. Irgend etwas stört mich bei der ganzen Angelegenheit«, fügte er hinzu.
»Mich auch«, bemerkte Larry Brent. »Es sieht ganz so aus, als wäre der Kranke eine Art Versuchsobjekt gewesen. FinMa-Kho scheint genau gewußt zu haben, was er wollte.« X-RAY-7 nickte. »Die Hautkrankheit, die durch einen unbekannten Pilz aus gelöst wird, verändert auch die Psyche des Infizierten. Das ist eigenartig. Die Pilze scheinen sich nicht nur auf der Hautoberfläche anzusiedeln, sondern sie müssen auch in das Gehirn eindringen. Ich habe niemals etwas Ähnliches zuvor gesehen.« An der Seite des Freundes humpelte der Russe bis vor zu dem klobigen Altar. Eine finstere Nische verbarg die Schiebetür, die sich kaum von der Wand abhob. Dahinter folgte eine schmale, gewundene, nach unten führende Treppe. Ein kahler Kellerraum, in dem eine altmodische Folterbank, ein paar einfache Rohrsessel und eine harte Liege standen, breitete sich vor ihnen aus. Bemerkenswert war der Spiegel, der fast ein Drittel der einen Wand einnahm. Ein leises, kaum wahrnehmbares Geräusch ließ Larry Brent aufhorchen und sofort reagieren. Er warf sich zu Boden und riß den Russen einfach mit. Im gleichen Augenblick zersplitterte der Spiegel. Sirrend pfiff die Kugel über den Kopf von X-RAY-7 hinweg und bohrte sich in die Kalkwand. Kalk und Mörtel spritzten davon. X-RAY-3 drückte die Smith and Wesson Laser ab. Die durchschlagkräftige Waffe, eine Geheimentwicklung speziell für die Agenten der PSA, lag fest und sicher in seiner Hand. Zwei, drei nadelfeine Strahlen zuckten lautlos auf und durchbohrten den gesprungenen Spiegel an verschiedenen Stellen. Ein vierter, gezielter Strahl ließ die Birne der armseligen Deckenleuchte zerspringen. Völlige Finsternis hüllte die beiden Agenten ein. Geistesgegenwärtig rollte Kunaritschew sich hinter die Folterbank, während Larry aufsprang und sich direkt neben den
angeschossenen Spiegel stellte. Er fühlte den Mauervorsprung, der die rechteckige, mannsgroße Öffnung einrahmte, vor der der Spiegel saß. Larry Brent registrierte mit wachen Sinnen eine Bewegung in der Dunkelheit vor sich und vernahm das unterdrückte Stöhnen eines zweiten Mannes, der offensichtlich am Boden lag. Blitzschnell berechnete Larry Brent seine Chancen, und er entschloß sich zu einem Angriff, der ihn nicht in Gefahr brachte, wohl aber seine verborgenen Gegner aus der Reserve locken mußte. Er wollte es genau wissen, mit wem und mit wie vielen er es zu tun hatte. Mit einem kraftvollen Faustschlag zerschmetterte er die Spiegelwand vollends. Klirrend zersprang das Glas, die Scherben zersplitterten auf dem Betonfußboden. Die Mündungsflamme einer Pistole grellte auf. Donnernd hallte der Schuß durch das Kellergewölbe. Doch die Kugel passierte nicht die Wandöffnung. Der Schuß war auf die am Boden liegende Gestalt abgefeuert worden. Hastige Schritte entfernten sich, eine schwere Tür schlug ins Schloß. Larry Brent ließ die Taschenlampe aufleuchten. Der grelle Strahl wanderte in die Kammer hinüber und erfaßte die leblose Gestalt eines gepflegt gekleideten Chinesen am Boden. Mit einem Blick übersah X-RAY-3, daß der Mann auf der Erde durch den Laserstrahl eine Verletzung im rechten Oberschenkel hatte. Die Kugel seines Begleiters aber hatte ihn genau in das Herz getroffen. Sonst war niemand da. Larry hastete zu der schweren, metallenen Tür hinüber, die einen Stollen in den Felsen verschloß. Ein labyrinthähnlicher Fluchtgang dehnte sich vor ihm aus. Er lauschte, doch nirgends ein Geräusch. Es war hoffnungslos, hier eine Verfolgung aufzunehmen. Kunaritschew kroch durch die Maueröffnung. Mörtel und scharfkantige Glassplitter rieselten zu Boden. Im Schein der Taschenlampe untersuchten Larry und der
Russe den toten Chinesen. Er trug keine Ausweispapiere bei sich. Nichts, was auf seine Person hinwies. »Fin-Ma-Kho ist es nicht«, sagte Iwan Kunaritschew rauh. »Vielleicht war es der andere«, entgegnete Larry. »Er schien großen Wert darauf zu legen, daß sein Begleiter nicht mehr reden konnte.« Larry Brent mußte sich im stillen gestehen, daß die Situation verfahrener war als zu Beginn. Heute hatten sie geglaubt, dem Ziel ganz nahe zu kommen, doch genau das Gegenteil war der Fall. Als sie in den Tempelsaal zurückkehrten, erlebten sie eine weitere Überraschung. Der tote Geheimagent zwischen den Bankreihen und der unheimliche, von einer unbekannten Pilzkrankheit befallene Chinese waren verschwunden. * Zwanzig Minuten später saßen sie in einer Dschunke, die sie auf die andere Seite der Bucht brachte. Kunaritschew legte sein Bein hoch und stellte zufrieden fest, daß er nichts gebrochen hatte. In zwei, drei Tagen würde er wieder voll aktionsfähig sein. Die Zwangspause würde sich beim augenblicklichen Stand der Dinge nicht einmal störend auswirken. Im Gegenteil: jetzt hieß die Devise nicht mehr handeln, sondern abwarten. Der geheimnisvolle Fin-Ma-Kho und sein Werkzeug Frankenstein, wie Larry und Iwan den Unheimlichen inzwischen in einer stillen Übereinkunft zu nennen pflegten, wußten nun, bei wem es sich um ihre hartnäckigen Widersacher handelte. Über kurz oder lang mußten sie die Initiative ergreifen, um etwas gegen Brent und Kunaritschew zu unternehmen. Während die Dschunke über das nächtliche Wasser glitt, strahlte Larry Brent über seinen PSA-Ring eine Nachricht ab, in der er das Ergebnis der letzten Stunde zusammenfaßte. Über
den PSA-eigenen Satelliten wurde der Funkspruch wenig später in New York empfangen. Die Daten wurden von den Computern gespeichert, automatisch verglichen und ausgewertet. X-RAY-1, der geheimnisvolle Leiter der »Psychoanalytischen Spezialabteilung«, erhielt den Auswertungsstreifen gestanzt. X-RAY-1, dessen wahre Identität keiner seiner Agenten kannte, war blind. Flink tasteten seine Finger über die Schriftsymbole. Das Gesicht des Mannes war ernst und verschlossen. »Ich habe mir fast etwas Ähnliches gedacht«, kam es flüsternd über seine Lippen. Die grauen Augen hinter den dunklen Brillengläsern verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Meine Entscheidung, X-RAY-3 eine Nachricht zukommen zu lassen, war richtig. Sie wird durch den Funkspruch nicht aufgehoben, im Gegenteil: sie wird bestätigt.« Zu diesem Zeitpunkt wußte Larry Brent noch nichts von der Botschaft, die X-RAY-1 für ihn im The Hongkong Hotel hinterlegen ließ. Als er mit Iwan Kunaritschew dort eintraf, überreichte der Portier ihm einen verschlossenen Umschlag. Im Zimmer angekommen riß Larry das Kuvert auf. Es war ein Geschäftsbrief einer imaginären Firma. Ein Außenstehender, der diesen Brief in die Hände bekam, würde unmöglich daraus ersehen, daß es ein ausführlicher Bericht an einen Agenten war. X-RAY-3, der die drei wichtigsten Codeschlüssel kannte, übersetzte flüssig und ohne zu stocken. »Unser Nachrichtendienst ist auf ein wohlgehütetes Geheimnis gestoßen: im Reich der Mitte wurden Anfang dieses Jahres eine unbemannte und eine bemannte Rakete in den Weltraum geschickt. Es ist im Osten und im Westen unbekannt, daß die Chinesen ein eigenes Weltraumprogramm entwickelt haben. Die Abschußplätze sind ebenfalls unbekannt. Bei unseren Recherchen stellten wir fest, daß das bemannte Raumschiff der Chinesen nicht wie vorgesehen zurückkehrte.
Es ist durchgesickert, daß es abstürzte. Über unsere Geheimverbindungen haben wir versucht, Kontakt zur französischen Regierung aufzunehmen. Aus nationalem Interesse jedoch scheint man uns etwas zu verschweigen, was für unser Vorwärtskommen augenblicklich in Hongkong unerläßlich ist. Die Computer haben eine Wahrscheinlichkeitsberechnung aufgestellt, wonach die Vorfälle in Hongkong und in der Gegend von Montcornet, in Frankreich, sehr viele Parallelen aufweisen, die im ersten Augenblick mehr als zufällig erscheinen. Der letzte Routinebericht über ungewöhnliche Vorkommnisse jedoch enthält unter anderem einen Hinweis des Kommissars Lucell aus Montcornet, wonach es in der letzten Zeit zu Überfällen auf abgelegene Bauernhöfe gekommen ist. Vieh verschwand spurlos. Zunächst machte man Füchse, Dachse und sogar einen Wolf, von dem man niemals eine Spur fand, dafür verantwortlich. Die Beobachtung eines Bauern jedoch, der sich auf die Lauer legte, gab Lucell zu denken. Ich füge die Bemerkungen Kommissar Lucells wörtlich bei, X-RAY-3. Er schreibt: … ich habe mir den Bauern Gerard sehr genau vorgenommen. Er ist ein einfacher, frommer Mann. Er behauptet, einen Menschen gesehen zu haben, wie er ihn niemals zuvor zu Gesicht bekommen hätte. Ein Wesen – aus einem Alptraum, ein Wesen – wie Frankenstein …« Larry Brent schluckte. Der Brief war noch nicht zu Ende. Aber an dieser Stelle, wo er den Namen Frankenstein las, hielt er inne und begann noch einmal zu lesen. Das Schreiben des PSA-Chefs endete mit den Worten: »… Kommissar Lucell hat es nicht gewagt, diese phantastische Beobachtung seiner vorgesetzten Dienststelle gegenüber überhaupt zu erwähnen. Er wählte den direkten Weg über die PSA, weil er offenbar fürchtete, nicht ganz ernst genommen zu werden. Inzwischen gelang es ihm jedoch, eine Spur
nachzuweisen, die eindeutig den Gipsabdruck eines ungewöhnlich schweren und starken Menschen darstellt. Stärker als zuvor glaubt er jetzt an die Beobachtung des Bauern Gerard. Mit dem als Frankenstein bezeichneten Wesen bringt Lucell auch das Verschwinden des jungen Bauern Jean Dumont in Verbindung. Ob Dumont ein Opfer des Unheimlichen wurde, oder ob er ihm gefolgt ist, konnte bis zur Stunde nicht eindeutig geklärt werden. Ein weitgespannter Bogen, der China, Hongkong und einen Provinzflecken in Frankreich einschließt! Ich fürchte, daß es in der Tat einen Zusammenhang gibt. Knüpfen Sie die Fäden, X-RAY-3! Verlassen Sie auf der Stelle Hongkong! Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 soll in Hongkong seine Arbeit fortsetzen. Sie müssen in Montcornet nach dem Rechten sehen. Der Verdacht liegt nahe, daß die französische Regierung den Absturz einer chinesischen Weltraumrakete mit dem angeblichen Absturz eines Militärflugzeuges zu tarnen versucht. Nützen Sie alle Kanäle, die Ihnen offenstehen! Nehmen Sie Kontakt zu Kommissar Lucell aus Montcornet auf. Ihre Ankunft in dem Städtchen wird, während Sie diese Zeilen lesen, bereits in allen Einzelheiten organisiert. Wenn das chinesische Weltraumschiff kein Märchen ist, dann werden Sie nachzuweisen haben, wo es herunterkam. Und es muß etwas aus dem All gebracht haben, was nicht auf diese Erde gehört, etwas, das sich zunächst mit Tauben und Hühnern zufrieden gab, nun aber auch Schweine und Kälber reißt, und schließlich auch nicht mehr vor Menschen zurückschreckt. Der Bauer Jean Dumont könnte inzwischen sein erstes Opfer geworden sein.« * Kommissar Lucell blieb eine ganze Weile im Auto sitzen und blickte sich um. Er hatte den Rand des Waldes erreicht. Vor
ihm breitete sich die Schneise aus. Verbrannt und kahl ragten die bizarren Stämme in die sternklare Nacht. Rundum eine bedrückende Stille. In diesem Wald gedieh kein Leben mehr. Selbst den Wind hörte man nicht, weil es keine Wipfel mehr gab, in denen er rauschen konnte. Der Franzose kaute auf einer Zigarre, stieg dann aus dem Wagen und warf die Tür hinter sich zu. Er schloß sie jedoch nicht ab. Lucell ging in den Wald hinein. In einem Graben lagen zugespitzte Pfosten und Reste von Stacheldraht, die noch darauf hinwiesen, daß vor einigen Wochen dieses Gebiet hermetisch abgeriegelt gewesen war. Der Kommissar rechnete nicht damit, um diese Zeit jemand zu treffen. Wenn er sein Vorhaben seiner vorgesetzten Dienststelle gemeldet hätte, würde man ihn für nicht ganz voll genommen haben. So aber unternahm er seine Mission auf eigene Faust, und nur Philipe wußte davon. Doch der Kollege war auch nicht über alles unterrichtet. Seit seinem Gespräch damals mit dem Bauern Gerard war Lucell überzeugt davon, dem gesteckten Ziel Schritt für Schritt näherzukommen. Aufmerksam überprüfte er seinen Dienstrevolver und hielt ihn entsichert in der Hand. Der Boden knirschte unter seinen Füßen. Je tiefer Lucell in den Wald ging, desto dunkler und kleiner wurden die Bäume. Schließlich befand er sich auf einem verwüsteten Boden, vor sich einen etwa hundertfünfzig Meter durchmessenden Krater. Er näherte sich dem Kraterrand. Hüfthoch standen entwurzelte Bäume neben ihm. Frisches Grün und Moos belebte den grauen, umgepflügten Boden. Er starrte in die Tiefe des Kraters und fragte sich, ob hier wirklich ein Flugzeug gelegen hatte. Eine Maschine hinterließ keinen solchen Krater. Er schritt auf dem Rand herum und stocherte mit einem fingerdicken Stock in der Erde. Es war zu dunkel, als daß er die
Kratertiefe mit seinen Blicken erfassen konnte. Und der Strahl der Taschenlampe erreichte ebenfalls nicht den Grund. Das Innere war terrassenförmig abgestuft. Reste von mächtigen, ausgetrockneten Wurzeln und verkohlten Stämmen ragten aus den Seitenwänden. Konnte es in diesem Krater ein Versteck geben? Diese Frage stellte er sich nicht zum erstenmal. Heute mittag hatte eine Hundertschaft von Beamten das Waldgelände durchkämmt, in der Hoffnung, auf eine Spur Jean Dumonts zu stoßen. Suchhunde hatten die Polizisten unterstützt. Doch die Tiere waren nervös und ängstlich gewesen. Als man sie von der Kette ließ, rannten sie querfeldein den Weg zurück, den sie gekommen waren. Er, Lucell, hatte diese Reaktion sehr aufmerksam beobachtet und sie gab ihm zu denken. Der feine Geruchssinn der Tiere war so ausgeprägt, daß sie etwas wahrgenommen hatten, das zum Fürchten Anlaß gab. Plötzlich drang helles Zirpen in seine Ohren. Lucell griff sofort in seine Jackettasche, nahm das handliche Funkgerät hervor, zog die Antenne heraus und meldete sich. »… hier Philipe. Es ist soweit, Lucell. Sie haben mich nicht umsonst hier im Haus Dumonts Wache schieben lassen. Er kommt!« Lucell schluckte und schaltete auf Sendung. »Wer kommt, Philipe? Dumont?« Der Kollege lachte verzerrt. »Dann hätte er sich zu seinem Nachteil verändert, Lucell. Es ist etwas anderes, ein Mensch, zumindest stimmt die Form. Er steht am Zauntor und drückt es jetzt auf.« Philipe schwieg. Lucell hörte den Atem des Mannes, der zu diesem Zeitpunkt etwa vier Kilometer von ihm entfernt war. »Sprechen Sie, Philipe, so sprechen Sie doch!« »Ich befinde mich im Haus, Lucell. Das nur, falls Sie später eine Suche nach mir veranstalten sollten. Ich habe alle Türen und Fenster gut verschlossen. Ich beobachte ihn durch den
Spalt eines Fensterladens, den ich handbreit nach draußen gedrückt habe. Jetzt kommt er auf den Hof, sein Schritt ist schwerfällig, er bewegt sich ein wenig vornübergebeugt, und …« Ein unterdrücktes Stöhnen drang über Philips Lippen. Dann ein Ausruf, den Lucell niemals in seinem Leben vergessen würde: »Es ist Dumont – er …« Ein gellender markerschütternder Aufschrei, der in einem langgezo genen »aaahhh!« verebbte. »Philipe!« Lucells Stimme zitterte. Er schüttelte das Funkgerät und versuchte Kontakt zu finden. Die Verbindung bestand noch, aber Philipe meldete sich nicht mehr. Ein häßliches, metallisches Knirschen, dann völlige Stille. »Bitte melden, Zentrale bitte melden!« Während Lucell auf »Empfang« schaltete, rannte er den Weg zurück, um so schnell wie möglich zu seinem Wagen zu kommen. »Hier Zentrale, hier Zentrale!« »Hier Lucell! Bitte schicken Sie sofort alle einsatzbereiten Männer auf den Hof Dumonts! Sie sollen das Grundstück hermetisch abriegeln! Eile, größte Eile! Sollten Sie unterwegs auf eine verdächtige Gestalt stoßen, die beim ersten Anruf nicht stehenbleibt, dann muß geschossen werden!« Er riß die Wagentür auf und warf sich hinter das Steuer. Quietschend drehten sich die Reifen auf dem knochentrockenen Boden. Lucell beschleunigte scharf, der Wagen machte einen regelrechten Satz nach vorn. Wie von Sinnen raste er über den holprigen Waldweg und verlor beinahe die Herrschaft über den Wagen, als das linke Vorderrad von einem Baumstumpf abrutschte. Schweiß perlte auf der Stirn des Kommissars. Er raste über die einsame, dunkle Landstraße. Das Gehöft würde sich in zwei, drei Minuten seinen Blicken darbieten. Was war aus Philipe geworden? Lucell mußte gegen ein Gefühl der Übelkeit ankämpfen, das
in ihm aufstieg. Er empfand plötzlich Angst, und es fror ihn, als er sich vorstellte, was Philipe geschehen war. * Er ließ den Wagen mit laufendem Motor vor dem weitgeöffneten Tor stehen und rannte auf das Grundstück. Die Stallungen und die Schuppen, das Wohnhaus und die Scheune lagen in tiefer Dunkelheit. Kommissar Lucell stürmte mit gezogener Pistole zum Wohnhaus. »Philipe?« hallte seine Stimme durch die Nacht. Er verhielt im Schritt und lauschte. Seine Augen waren in ständiger Bewegung. Ohne zu zögern, riß er die Haustür auf. Sie war nicht abgeschlossen, Lucell stutzte. Hatte Philipe nicht gesagt …? Er starrte in das Dunkel und untersuchte die unteren Wohnräume. Nichts. Er hetzte die knarrenden Treppenstufen hoch. Der Parfümgeruch von Nicole Mercier hing noch in der Luft. In dem Schlafraum unten stand ein Flakon ihres Parfüms. Mit flackernden Augen musterte Lucell die leeren Räume. Er sah den halbgeöffneten Fensterladen. Hier hatte Philipe gestanden, von hier aus hatte er den Hof und den Eingang überblicken können, und … Er erstarrte, als er den Schatten aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm. Blitzschnell wirbelte er herum. Der Vorhang, der den Durchlaß in das angrenzende Zimmer verbarg, bewegte sich wie unter einem leisen Windhauch. Irgendwo stand ein Fenster offen. Lucell näherte sich dem Durchlaß auf Zehenspitzen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. In der Dunkelheit glaubte er die schemenhaften Umrisse einer Gestalt hinter dem dichtgewebten Stoff wahrzunehmen. Ein furchtbarer Verdacht stieg plötzlich in ihm auf. Mit einem
heftigen Ruck riß er den Vorhang zur Seite – und er prallte förmlich auf den schlaffen Leichnam seines Kollegen Philipe! Der Beamte trug einen groben Strick um den Hals. Man hatte ihn oberhalb des Türrahmens erhängt. Philipes Füße schwebten etwa zwei Zentimeter über dem Boden. Auf der Brust war ein kleiner Notizzettel befestigt. Darauf standen nur drei Sätze: »Hände weg von Dingen, die Sie nicht verstehen, Lucell! Oder wollen Sie so enden wie Philipe? Das wäre noch ein dankbarer Tod!« * Der Kommissar schluckte. Sein Gesicht war starr wie eine Maske. Lucell nahm den Zettel ab, nachdem er ein sauberes Taschentuch auseinandergefaltet hatte. Er verstand überhaupt nichts mehr. Bis vor wenigen Minuten noch hielt sich seine Theorie auf festen Beinen. Nun geriet mit einem Mal alles ins Schwanken … Er nahm den Toten gerade ab, als es unten im Hof unruhig wurde. Motorengeräusch näherte sich. Lucell warf einen Blick aus dem Fenster. Polizei rückte an. Er zählte fünf Einsatzwagen. Sein Assistent hatte alle verfügbaren Leute zusammengetrommelt. Mit gepreßter Stimme gab Lucell seine Einsatzbefehle. Die Männer schwärmten aus. Der Mörder Philipes konnte noch nicht weit sein. Wenn er sich nicht hier irgendwo auf dem Hof verbarg, dann kam nur der Wald in Frage. Über Funk forderte der Kommissar den Polizeiarzt an. Dann machte er sich auf dem Grundstück mit drei Begleitern auf die Suche, während fünfzehn Polizisten in einer weit auseinandergezo genen Kette sich dem Waldgebiet näherten. Die langen, geisterhaften Lichtfinger der Taschenlampen wanderten über den grasbewachsenen Boden, über die knorrigen Stämme, leuchteten schattige Winkel und Ecken aus.
Ein Beamter fuhr mit einem Wagen, auf dem ein greller Scheinwerfer montiert war, der Gruppe voraus. Sein Einsatz wurde durch die Natur eingeschränkt, denn ein steiler Damm beendete die Fahrt des Wagens. Die Beamten krochen auf allen vieren nach oben. Sand und trockene Zweige lösten sich. Kommissar Lucell war mit dem Ergebnis seiner Untersuchung nicht zufrieden. Auf dem Hof fanden sie nichts, obwohl sie alles auf den Kopf stellten. Als der Polizeiarzt eintraf, nur mit Hemd und Hose bekleidet, führte Lucell ihn in das Wohnhaus. Die erste flüchtige Untersuchung ergab, daß Philipe erwürgt worden war. Mit Hilfe des Arztes versuchte Lucell die Situation zu rekonstruieren, in der Philipe sich während der letzten Minuten vor seinem Tod befunden hatte. »Er stand hier am Fenster«, bemerkte der Kommissar leise, »er beobachtete den Eindringling, er wollte ihn noch beschreiben. Dann nannte er den Namen – Jean Dumont. Und im gleichen Augenblick war es auch schon aus …« Lucell wischte sich über seine schweißnasse Stirn. »Ich komme und komme nicht weiter, es ist wie verhext. Ich kämpfe gegen Windmühlenflügel. Aber wenn er Dumont kommen sah – wer war dann außer Philipe noch in diesem Raum?« * Der Arzt deckte den Erwürgten mit einem großen Laken zu, das er kurz entschlossen von einem Bett nahm. »Es ist eine Hydra, eine mit vielen Köpfen«, sinnierte Lucell, während er am Fenster stand. Drüben im Wald sah er die langen Lichtbahnen der Taschenlampen durch die Dunkelheit wandern. Die Männer suchten noch immer das Terrain ab. »Was wollte Dumont hier?« Was er nicht laut sagte, waren die Gedanken, die nachfolgten: Philipe hatte Dumont als Ungeheuer beschrieben. Unwillkürlich hatte sich ihm ein
Begriff aufgedrängt, den Lucell schon einmal gehört hatte: Frankenstein! Diesen Namen nannte zum erstenmal ein alter Bauer, Gerard. Aber zu diesem Zeitpunkt war Jean Dumont noch ein normaler Mensch gewesen, der hier auf seinem Hof lebte und die Nächte mit seiner Freundin Nicole aus dem Nachbardorf verbrachte … »Es gibt nicht nur mehr ein Ungeheuer – wir haben jetzt deren zwei«, bemerkte er halblaut und vergaß, daß Dr. Greau den Raum mit ihm teilte und Zeuge dieser Bemerkung wurde. Er starrte den Kommissar wie einen Geist an. Aber er kam nicht mehr dazu, eine diesbezügliche Frage zu stellen. Unten vor dem Haus erklangen eilige Schritte. »Kommissar! Kommissar!« Lucell riß das Fenster auf. »Was ist?« »Sie haben einen Mann aufgespürt, der sich drüben hinter einer Buschgruppe versteckt hielt. Er ist geflohen. Sie verfolgen ihn.« Der Polizist war ganz außer Atem. Ein trockener Schuß hallte durch die Nacht. Lucell stürzte die Treppen hinunter. Er hörte ferne Stimmen aus der Tiefe des Waldes. Kurze Zeit später einen zweiten Schuß, dessen Echo hart und trocken zurückgeworfen wurde. Lucell war der Überzeugung, daß sie auf Jean Dumont gestoßen waren. * Er wäre entsetzt gewesen, wenn er jetzt einen Blick auf den Mann hätte werfen können, der sich im gleichen Augenblick gut sechs Kilometer weiter südlich befand. Die dunkle, kräftige Gestalt löste sich aus dem Schatten eines abseits stehenden Hauses. Im Mondlicht war das pockenübersäte, häßliche Gesicht deutlich zu sehen. Dieser Mann war – Jean Dumont!
Er keuchte, er war lange Zeit gerannt. Immer wieder warf er auch jetzt noch mal einen Blick zurück, als fürchtete er, daß sie noch hinter ihm wären. Doch sie hatten seine Spur verloren. Seine zitternden Hände, eigenartig aufgequollen und wie von einem zähflüssigen Schleim bedeckt, wischten über sein Gesicht. Dumont sah aus, als litte er unter der Beulenpest. Wie unter dem Druck einer unsichtbaren Hand setzte er seinen Weg fort. Er dachte daran, weshalb er auf seinen Hof gekommen war. Der Hunger hatte ihn getrieben. Doch noch bevor er in den Stall eindrang, geschah es. Fremde tauchten plötzlich auf. Zwei – drei Männer. Sie waren klein und gelb, sie hatten ausgesehen wie Chinesen. Sie hatten ihn in ein Netz treiben wollen, wie ein selten kostbares Tier. Doch er war ihnen entkommen. Er hatte sich im Wald versteckt, hatte sie vorbeirennen sehen, und dann, als sie nicht mehr zu sehen waren – entfernte er sich in entge gengesetzter Richtung. Der Dorfrand war erreicht. Was hatte er auf dem Hof gewollt? In seine verworrenen Überlegungen mischte sich das Bild eines schönen Mädchens. Nicole … etwas in seiner Erinnerung sagte ihm, daß er mit ihr zusammengewesen war … Wut und Haß erfüllten ihn plötzlich. Sie hatte ihn im Stich gelassen. Er hatte sie auf dem Hof nicht mehr gefunden. Sie hatte die Fremden geschickt, die er eben noch fürchtete. Aber jetzt war er bereit zu kämpfen. Es wurde ihm nicht bewußt, wie unsinnig und wie unlogisch seine Überlegungen waren. Der Verstand Jean Dumonts war nicht mehr mit normalen Maßstäben zu messen. Er hatte das Gedächtnis verloren. Jean Dumont war nicht mehr Jean Dumont. Er war ein anderer, ein neuer Mensch. Sein kranker Geist glich im übertragenen Sinn seinem kranken Körper, der seine Gestalt veränderte. Ungesehen ging er durch die nächtliche Straße. Dunkel und ruhig lagen die Häuser.
Er drehte sich nicht mehr um. Sein Körper stand unter einer sensitiven Spannung. Er fürchtete die Männer nicht mehr, die ihm aufgelauert hatten. Ein neues Gefühl ergriff Besitz von ihm. Zerstörungswillen und Mordlust trieben ihn. Er erreichte ein Stadium, zu dem er vorhin, vor einer guten Stunde, noch nicht reif gewesen war. Seine Hände öffneten und schlossen sich in innerer Erregung. Ein entsetzliches Hungergefühl, wie er es niemals zuvor gekannt hatte, ergriff ihn. Die Stimmungen und Gedanken und Gefühle wechselten ständig. Er kletterte über eine Ziegelsteinmauer und starrte in einen finsteren Hinterhof. Es roch nach Vieh und Unrat. Im Stall scharrten die Pferde. Ein Hofhund riß an der Kette. Bevor er anfing zu bellen und wie wütend sich zu gebärden, war Jean Dumont schon vor der Hütte. Es ging alles so schnell, daß das Jaulen des Hundes nicht einmal im Nebenhaus gehört wurde. Wie Stahlklammern legten sich die Finger Dumonts um den Hals des Schäferhundes. Sein Druck war so gewaltig, daß seine Fingernägel die Haut des Tieres aufrissen und Blut über seine Fingernägel quoll. Der Hund starb unter seinen Händen. Dumonts Gesicht war zu einer gräßlichen Fratze verzerrt. Töten – töten – hämmerte es in seinen Schläfen. Er verhielt sich wie ein Wahnsinniger, er wußte nicht mehr, was er tat. Mit einem dumpfen Gurgeln registrierte er, daß in der obersten Etage des Fachwerkhauses Licht angeknipst wurde. Silhouettenhaft zeichnete sich hinter dem kleinen Fenster die halbbekleidete Gestalt einer jungen Frau ab. Dumont wich zurück und preßte seinen Rücken gegen die Mauer. Mit blitzenden Augen beobachtete er die Gestalt am Fenster, die sich über die Brüstung beugte und nach unten starrte. »… doch, der Hund – da war etwas«, hörte er die leise, ferne Stimme, die zu jemand im Zimmer hinten sprach. Dumonts aufgequollene Lippen zuckten. Die Umrisse der Gestalt erinnerten ihn an Nicole. Aber Nicoles Körper war
zierlicher, beweglicher, schmaler. »… ich seh mal nach …« vernahm Dumont eine Männer stimme von oben. Er betrachtete seine blutverschmierten Hände, zog sich weiter zurück, schlich geduckt unter den Durchlaß und erreichte den angrenzenden Hof. Im Schutz der Dunkelheit erreichte er das Dorfwirtshaus. Die Fenster standen weit offen. Der Gastraum war gut besucht. Wenn Nicole nicht auf dem Hof draußen war, dann würde sie sich hier aufhalten. Auch er, Jean Dumont, war schon oft hier gewesen, hatte sein Bier getrunken, mit den Bauern und Knechten gezecht und gescherzt und hatte Karten gespielt. Über den Hintereingang betrat er das Haus. Ein schmaler, schwacherleuchteter Gang lag vor ihm. Der Treppenaufgang – links davor der Eingang zu den Toiletten. Die Tür nach dort war nicht verschlossen. Bevor er jedoch zu den Treppenstufen kam, ereignete sich ein unvorhergesehener Zwischenfall. Die Tür zur Gaststube öffnete sich. Ein Betrunkener torkelte, vor sich hinbrabbelnd, durch den Gang, zündete sich umständlich eine Zigarette an und fingerte dann an seinem Hosenlatz herum, bevor er sich dem Toiletteneingang näherte. Jean Dumont hatte genau dreißig Sekunden Zeit, um von der Bildfläche zu verschwinden. Es gab keine Möglichkeit mehr, ungesehen die Treppen hochzusteigen. Der Unheimliche drückte sich in die Toilette, ehe der Betrunkene sich um seine eigene Achse drehte, um den Weg nach dort einzuschlagen. Noch ehe er sich dem Becken nähern konnte, registrierte sein umnebeltes Bewußtsein, daß da noch jemand war. Er sah gerade noch, daß sich eine Tür zu den Klosetts schloß. »Hallo, Bruder?« lallte der Betrunkene. »Ich habe gar nicht gesehen, daß du auch …« Es waren seine letzten Worte. Eine große, schwammige Hand preßte sich auf seinen Mund, eine zweite griff ihn am Kragen
und zerrte ihn nach innen. Fünf Minuten später verließ Jean Dumont die Toilette und bewegte sich auf Zehenspitzen die Treppenstufen hinauf. Durch den Türspalt der nicht ganz geschlossenen Tür konnte er einen Blick in den Gastraum werfen. Lautes Lachen, laute Stimmen, eine dunkelgekleidete Gestalt mit einer weißen Schürze – tauchte neben der Tür am Ecktisch auf. Nicole Mercier – schön und verführerisch wie eh und je. Doch Dumont sah sie mit anderen Augen. Sein Gesicht zuckte, wie zahllose winzige Schlangen kräuselte sich die Oberfläche seiner Haut. Nicole – er sehnte sich nach ihr. Aber dann war da wieder das andere, das ihn zwang, ihn beherrschte. Zwei Seelen wohnten in seiner Brust. Er stieg die Treppe zur Mansarde hinauf. Der Schlüssel zum Zimmer Nicoles steckte. Leise drehte er sich im Schloß. Unten in der Gaststube wußte niemand, welche tödliche Gefahr sich im Haus eingenistet hatte. Frankenstein war gekommen und lauerte auf ein neues Opfer … * Mit seinem Wagen fuhr Kommissar Lucell am Waldrand entlang. Er befand sich jetzt in etwa auf der Höhe der Polizisten, die den Unbekannten jagten. Lucell schloß sich den Verfolgern an, als der Zeitpunkt dafür günstig war. Die Gruppe war weit auseinandergezogen. Die Männer hatten sich teilweise bis außerhalb Rufweite voneinander entfernt und standen nur noch über Funksprechgeräte in Verbindung. Immer wieder bellte eine Pistole auf, immer wieder meldete einer der Beamten, daß der Flüchtling zu sehen war, doch geschickt verstand es der Gejagte, zu rochieren. Die Dunkelheit
kam ihm dabei zugute. Außerdem wies sein Verhalten daraufhin, daß er diesen Wald wie seine eigene Hosentasche kannte. »Trupp II – hier Trupp II«, tönte es plötzlich in Lucells Funkgerät auf, das er ständig auf »Empfang« stehen hatte, um die Operation in allen Einzelheiten zu verfolgen. »Der Gesuchte ist etwa einhundertfünfzig Meter von uns entfernt aufgetaucht. Ich glaube, er ist verletzt.« Trupp II war der am weitesten nördlich, ziemlich nahe an der Straße, die in Richtung Montcornet führte. Lucells Augen verengten sich. »Er scheint die Absicht zu haben, auf die andere Seite des Waldes überzuwechseln. Aber das ist jetzt genau die entgegengesetzte Richtung des Kraters!« murmelte er. »Geht er von der Überlegung aus, daß wir uns auf die Abstur zstelle konzentrieren, und er …« »Nicht aus den Augen lassen«, sprach er in das Funkgerät. »Ich will ständig über jede Veränderung der Lage unterrichtet sein.« Er bahnte sich einen Weg durch das Dickicht und hastete zurück. Wie ein dunkler Hügel wuchs sein Auto vor ihm in der Finsternis auf. Lucell spürte seine bleischweren Glieder kaum noch. Er war müde und abgeschlagen, er taumelte mehr, als daß er ging. Er war seit dem Morgengrauen auf den Beinen, und er war nicht mehr der Jüngste. Zwei Minuten später raste der Wagen über die feuchte Straße. Es hatte zu regnen angefangen, langsam und tröpfelnd, und nun ging ein feiner, sommerlicher Nieselregen nieder. Das tat gut nach der Hitze des Tages. Lucell kurbelte die Fenster herunter und genoß die frische würzige Luft. Das Funkgerät lag neben ihm auf dem Beifahrersitz. Aufmerksam verfolgte er die Zwiegespräche und die Einsätze der Gruppen. Die Mannschaften arbeiteten gut. Er erkannte, daß die Gruppen den Kreis dichter zogen. Dem
Flüchtling war der Weg nach drei Seiten bereits abgeschnitten. Nur der vierte Fluchtweg stand ihm noch offen: der über die Landstraße. Doch hier wollte er, Lucell, den Riegel vorschieben. Das Wesen, das er nur vom Hörensagen kannte, das Philipe kurz vor seinem Tod noch vor Augen gehabt hatte, würde sich nun auch ihm präsentieren. Es gab keinen Ausweg mehr für den Unheimlichen. Lucell trat das Gaspedal vollends durch. Der Wagen raste über die nächtliche Straße. Der Regen fiel jetzt stärker. Die Sicht des Franzosen wurde stark eingeschränkt. Lucell fluchte leise vor sich hin. Der Wetterumschwung konnte dem Gejagten plötzlich zum Verbündeten werden. Er strengte sich an, starrte ständig nach rechts und fuhr scharf am Fahrbahnrand. Als er Kilometerstein 58 erreichte, wußte er, daß der große Augenblick unmittelbar bevorstand. Durch Positionsmeldungen der am weitesten vorgerückten Gruppe wußte er, daß der Gejagte sich in diesem Augenblick etwa auf der Höhe des Kilometersteins 61 aufhalten mußte. »Er wird es nicht schaffen, diesmal sind wir schneller.« Lucell kaute auf seiner erloschenen Zigarre. * Dr. Alain Fermand drosselte die Geschwindigkeit. Für die schlechten Sichtverhältnisse fuhr er zu schnell. Der Regen prasselte auf die Karosserie und die Scheibenwischer schafften die Wasserflut nicht mehr, die sich über die Fenster ergoß. Die nasse Asphaltbahn wurde flankiert von dichtstehenden Baumreihen. Als verschwommene Schemen huschten sie an ihm vorbei. Fermand war dicht am Ziel. Die Landhäuser befanden sich an der äußersten Peripherie von Montcornet. Fermand und Lucell waren Nachbarn. Die Absturzstelle lag von der Kolonie etwa vier Kilometer entfernt.
Fermand beabsichtigte, direkt dorthin zu fahren. Er spähte scharf nach rechts. Für einen Augenblick war er so damit beschäftigt, nach dem nächsten Kilometerstein Ausschau zu halten, daß er die Dinge, die da auf ihn zukamen, erst im letzten Augenblick erfaßte. Ein großer Schatten huschte plötzlich über die Straße. Ein Mensch! Fernands Augen weiteten sich. Der Fremde, der im Licht der Scheinwerfer plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihm stand, schien durch den anbrausenden Citroën ebenso überrascht zu sein wie er, Fermand, der den Unfall kommen sah und ihn nicht mehr verhindern konnte. Seine Scheinwerfer erfaßten die zwei Meter große Gestalt, das abstoßende, häßliche Gesicht, die großen, in panikartiger Abwehr vorgestreckten Hände – und dann geschah es auch schon. Der Gelehrte riß den Wagen herum, sein Fuß schlug hart auf die Bremse. Der Citroën wurde wie von der Faust eines Titanen herumgeschleudert. Fermand fühlte noch den dumpfen Schlag, als ob etwas Großes, Weiches gegen das rechte Schutzblech falle. Dann folgten ein Brechen und Bersten. Der Citroën überschlug sich dreimal. Glassplitter segelten durch die Luft. Der Wagen rutschte schräg über die Fahrbahn und krachte mit dem rechten, eingedrückten Kotflügel gegen einen Baumstamm. Dr. Fermand lag über das Lenkrad’ gebeugt. Seine Hände bluteten ebenso wie sein Gesicht aus zahlreichen Schnittwunden. Der Gelehrte stöhnte. Er bog sich langsam zurück, und er hatte das Gefühl, sämtliche Knochen in seinem Körper müßten gebrochen sein. Benommen tastete er nach dem Türgriff, drückte ihn herunter und stemmte sich mit der linken Schulter dagegen, um sie aufzubekommen.
Es wurde schummrig vor seinen Augen. Er ließ den Schwächeanfall vorübergehen. Das Blut rauschte in seinen Ohren, er atmete kaum. Es wurde ihm nicht bewußt, daß plötzlich Schritte neben dem Unfallwagen waren, daß die Tür mit aller Gewalt von draußen geöffnet wurde. Hände packten ihn an den Schultern und unter den Achseln. Im ersten Augenblick verband sich mit dieser Berührung eine grauenerregende Assoziation. Fermand sah die Vision vor sich aufsteigen: den ungeschlachten Fremden, das gräßliche, furchteinflößende Gesicht, das sich ihm näherte. Er sah die wulstigen, wie schleimige Würmer wirkenden Augenbrauen, die großen, hervorquellenden Augen, den spöttisch herabgezogenen Mund, der zwei Reihen gelber, großer Zähne bloßlegte. Die Hand des Unheimlichen stieß direkt auf ihn zu, schien ihn zu packen und … Fermand schrie wie von Sinnen. Er wollte sich losreißen. Vor seinen Augen drehte sich alles, er konnte noch nichts klar erkennen. Aber dann hörte er die beruhigende Stimme. »Es ist alles in Ordnung, Alain …« Lucell? Träumte er, wachte er? Der Forscher wurde unter den Achseln aus dem Wagen gezogen. Vorsichtig trug man ihn zu dem offenstehenden Auto Kommissar Lucells hinüber. Es regnete noch immer in Strömen. Der warme Regen spülte das Blut von seinem Gesicht. Wie durch wallende Nebelschleier registrierte Fermand die Uniformen der Polizisten. Es wimmelte von Beamten. Zahlreiche Taschenlampen erleuchteten die Nacht. Fermand stöhnte. Sämtliche Glieder schmerzten ihm. Als man ihn in den Wagen des Kommissars legte, winkte er matt. »Das ist nicht nötig. Ich glaube, ich hatte noch einmal verdammtes Glück.«
Lucell nickte ernst. Auf den ersten Blick machte der Freund ganz den Eindruck, als hätte er außer Schnittwunden, Hautabschürfungen und Prellungen keine weiteren Verletzungen davongetragen. Wenn man allerdings dann eine n Blick auf den Citroën warf, konnte man kaum glauben, daß Alain Fermand überhaupt noch lebte. Der Wagen war nicht mehr zu gebrauchen. Schrottreif, Totalschaden. Die Kühlerhaube war völlig eingedrückt, das Dach zur Hälfte aufgerissen, die rechte Tür hatte sich in den Rücksitz gebohrt. Der Citroën war praktisch nur noch halb so groß wie vor wenigen Minuten. Fermand wischte sich das mit Regenwasser vermischte Blut vom Gesicht. Willig ließ er es geschehen, daß man ihm mit Lucells Verbandkasten notdürftig verarztete. Sein Blick wurde klarer. Er konnte die Umgebung und die Menschen wieder wahrnehmen. Nach fünf Minuten war es so weit, daß er sich aufrecht hinsetzte. Er lächelte matt. »Mir tut alles weh, aber es sieht ganz so aus, als hätte ich mir nicht einen einzigen Knochen gebrochen.« Er blickte in die Runde und begutachtete dann sein Aussehen im Rückspiegel. Sein Gesicht war an zahlreichen Stellen mit Pflästerchen tapeziert. »Jetzt sehe ich fast selbst aus – wie Frankenstein«, bemerkte er leise, und das Lächeln gefror auf seiner Miene. »Der Fußabdruck war von ihm. Und ihn selbst habe ich jetzt gesehen. Du warst ihm auf der Spur, nicht wahr?« Maurice Lucell nickte kaum merklich. »Wir waren ihm dicht auf den Fersen, ja. Er ist dir ins Auto gerannt. Aber wir können ihn jetzt nicht mehr finden. Offenbar ist er durch die Wucht des Aufpralls über den Graben geschleudert worden. Er muß nicht eine Sekunde besinnungslos gewesen sein. Er kam sofort wieder auf die Beine zu stehen und rannte weiter.« »Ich bin eigentlich gekommen, um dir weiterzuhelfen,
Maurice«, sagte Fermand mit leiser Stimme. Er beobachtete die Polizisten, die – völlig durchnäßt – aus der anderen Waldhälfte zurückkehrten und die Verfolgung endlich aufgaben. »Es war nicht meine Absicht, genau das Gegenteil zu bezwecken.« Fermands Stimme klang schon sicherer. Er gab sich heiter, als er erkannte, daß er wie durch ein Wunder davongekommen war. Der Kommissar und der Gelehrte wechselten ein paar Worte miteinander, in deren Verlauf Lucell den Freund über den neuesten Stand der Dinge aufklärte. Fermands Augen blickten hart. »Ich habe im Labor bereits festgestellt, daß der ungekannte Pilz sich fortentwickelt. Deshalb bin ich gekommen. Ich wollte davor warnen. Hier geht etwas vor, wovon die Wissenschaft noch keine Ahnung hat. Es kann zu einer Katastrophe kommen, die Tausende von Menschenleben fordert, und vor allen Dingen besteht die Gefahr, daß …« Er wollte nicht zu Ende reden, doch Lucell fügte das hinzu, was Fermand unterließ. »… besteht die Gefahr, daß mit einem Mal unser Freund Frankenstein Nachfolger und Helfershelfer bekommt. Jean Dumont dürfte bereits als zweites Ungeheuer einzustufen sein.« Dr. Fermand erhob sich. Mühsam kam er auf die Beine. Lucell wollte ihn stützen, doch der Gelehrte wies es ab. Als ein Beamter ihm mitteilte, daß es sinnlos sei, weiterzusuchen, brach der Kommissar offiziell das Unternehmen ab und teilte dies auch der Zentrale mit. Er hatte geglaubt, Jean Dumont zu verfolgen, in Wirklichkeit waren sie auf den Fersen des Ungeheuers gewesen, mit dem Dumont ursprünglich zusammengestoßen war. Dumont aber hatte den Hof aufgesucht – in der Hoffnung vielleicht, dort auf Nicole Mercier zu stoßen, die er in der Nacht zuvor dort zurückgelassen hatte? Der Gedanke an eine solche Möglichkeit ließ ihn plötzlich
erschauern. »Zentrale – Hallo, Zentrale …!« Er bekam sofort Verbindung und verlangte, augenblicklich die Nummer anzuwählen, unter der Nicole Mercier zu erreichen war. Er konnte sich die plötzliche Unruhe nicht erklären. Erst mußte er Gewißheit haben. Der Wirt meldete sich. Das Gespräch wurde von der Zentrale in Montcornet auf das Funkgerät im Wagen umgeleitet. Lucell verlangte Nicole Mercier. »Einen Moment, ich hole sie. Sie ist gerade in die Küche und legt die Schürze ab, Herr Kommissar«, beeilte sich der Wirt dienstbeflissen. »Sie macht sich gerade fertig, um in ihr Zimmer zu gehen.« Lucell wurde etwas ruhiger, als er die Stimme der jungen Französin am Hörer vernahm. »Alles in Ordnung?« fragte er. »Ja, natürlich, Herr Kommissar. Warum fragen Sie? Hat es einen besonderen Grund?« Deutlich war das Unbehagen in ihrer Stimme zu hören. »Nein, nein. Ich dachte nur. Ich war den ganzen Abend unterwegs. Es hätte ja sein können, daß Monsieur Dumont sich in der Zwischenzeit – bei Ihnen gemeldet hat.« »Nein, ich habe nichts von ihm gehört. Haben Sie in der Zwischenzeit etwas Neues herausgefunden, das auf Jeans Schicksal hinweist?« »Nein nichts leider.« Er betrachtete sinnend die erkaltete Zigarre, die er in der Linken hielt. »Dann passen Sie weiter gut auf sich auf! Und bitte, denken Sie daran: egal, was immer Ihnen auch merkwürdig vorkommen mag – geben Sie uns auf jeden Fall sofort Bescheid!« »Natürlich, Herr Kommissar. Ich werde daran denken. Gute Nacht!« »Gute Nacht!« Es knackte in der Leitung. Die Verbindung war unterbrochen.
Dr. Fermand, der die letzten Worte seines Freundes mitbekom men hatte, wollte etwas sagen. Doch der Aufschrei eines Polizisten riß ihm das Wort von den Lippen. »Da ist er!« Lucell wirbelte herum. Er sah seine Beamten, die unter den dichtbelaubten Räumen am Straßenrand standen, um vor dem nachlassenden Regen Schutz zu suchen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hielt sich ebenfalls eine Gruppe auf. Einer der Beamten leuchtete mit der lichtstarken Taschenlampe in den nassen Straßengraben. Die Pistole in seiner Rechten kam hoch. Wie der Blitz fegte Lucell über die Fahrbahn. Drei, vier weitere Taschenlampenkegel flammten auf. Unter dem feuchten Laub, zwischen dornigem Gestrüpp, abgerissenen Zweigen und Ästen – zeigte sich eine große, unförmige Hand, die zuckend in die Höhe gestreckt wurde. * Nicole Mercier verließ die Gaststube. Die Stühle waren hochgestellt. Es roch nach abgestandenem Rauch, nach Schweiß und nach Alkohol. Nach dem Weggehen des alten George, der versprochen hatte, nur auf die Toilette zu gehen und gleich wieder zurückzukommen, waren die meisten anderen ebenfalls aufgebrochen. Sie hänselten über George, der als Pantoffelheld bekannt war und den nun doch, selbst im Rausch, die Angst gepackt haben mußte, daß er sich heimlich davonstahl, um noch vor Mitternacht zu Hause zu sein. Auf der Toilette hatte man ihn nicht gefunden. Durch den Hinterausgang hatte er sich unbemerkt abgesetzt. Nicole war müde. Langsam stieg sie die Treppen hoch. Die letzten Stufen waren geschwungen. Mechanisch griff sie nach dem Schlüssel, der im Schloß steckte und wollte ihn umdrehen.
Sie bemerkte, daß die Tür nicht abgeschlossen war, aber sie machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Dann hatte sie eben vergessen abzuschließen. Das war schon mehr als einmal vorgekommen. Sie drückte die Klinke herab und ging in das finstere Zimmer. * »Nicht schießen!« brüllte Lucell. Er erkannte auf den ersten Blick, was eigentlich nicht möglich war und was auch seine Männer in diesen Sekunden erschauern ließ. Dem Arm fehlte die Verbindung zum Körper. In dem flachen Graben konnte der riesenhafte Fremde, der inzwischen als »Frankenstein« in ihren Sprachgebrauch Eingang gefunden hatte, unmöglich liegen. Maurice Lucell hob einen Stock vom Boden auf und begann in unmittelbarer Nachbarschaft des aus dem Laub- und Dornenhügel ragenden Armes den Boden aufzustochern. »Alles leer«, kam es gepreßt über seine Lippen. Er legte den Arm frei. Frankenstein war bei dem Autounfall der Arm abgerissen worden. »Aber wieso hat er sich eben noch bewegt?« fragte der Kommissar leise. Sein Gesicht war bleich. »Eine Muskel- und Nervenreflexion, weiter nichts«, entgegnete Alain Fermand, der hinkend an der Seite des Freundes auftauchte. Er starrte auf den blutigen Armstumpf, der bis zur Ellbeuge erhalten war. Wie ein Ast von einem morschen Baum abbrach, war Frankensteins Arm aus der Beuge gerissen worden. Lucell starrte auf Fermand, als wäre der größte Unsinn über die Lippen des Gelehrten gekommen. »Reflexionen – noch nach zehn Minuten? Ich habe deutlich gesehen, wie die Finger eine krallenförmige Stellung einnahmen und sich dann entspannten …«
»Es ist zu spät, zugegeben, doch das kann mit den besonderen Bedingungen zusammenhängen, die diese Pilzkultur – die ja nichts anderes als fremdes Leben ist – bewirkt. – Es wird von Fällen berichtet, wonach guillotinierte Menschen von der Bank aufsprangen und bis zu fünfzig Meter weit ohne Kopf rannten. Eine Reflexion der völlig intakten Muskeln. Die Köpfe, die beispielsweise bei solchen Massenhinrichtungen in Auffangkörbe zu rollen pflegten, lebten nach dem Abschlagen noch, Maurice. Augen öffneten und schlossen sich, Münder wurden zum Schrei geöffnet, Mundwinkel klappten herab. Hier ist es das gleiche …« Fermands Forscherdrang war nicht mehr zu zügeln. Er verlangte, daß man ihm ein Tuch verschaffte. Lucell schleppte einen riesigen Putzlappen aus dem Kofferraum seines Autos heran. Mit einer Astgabel hob der Gelehrte den unförmigen Arm herum, direkt auf den ausgebreiteten Lappen. Lucell bückte sich, und erst jetzt registrierte er den scharfen Geruch, der von der kranken, schwammartigen Haut aufstieg. Der Geruch nach ätzender Säure – wie Schwefel! Nicole Mercier hatte davon gesprochen, kurz nachdem sie hinter Jean Dumont in der letzten Nacht das Bauernhaus verlassen hatte und auf das tote Schwein im Stall gestoßen war. Fermand wickelte den abgerissenen Arm vorsichtig ein, schlug die Ecken noch mit Hilfe des Stockes um und vergewisserte sich dann, daß der blutige Körperteil wirklich von allen Seiten bedeckt war. Selbst dann nahm er das Bündel noch nicht an sich. Er ließ sich die Autohandschuhe aus seinem zertrümmerten Wagen bringen, stülpte sie über und nahm das Paket mit seinem unheimlichen Inhalt vorsichtig hoch. »Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen«, sagte er, während er langsam, gebeugt und noch mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Wagen Lucells ging. »Ob die kleine Laboranlage zur
Untersuchung ausreicht, wird sich rasch herausstellen. Andernfalls werde ich nach Reims zurückfahren und dort die Untersuchung vornehmen. Diesmal allerdings mit der Französischen Bahn,«, fügte er grinsend hinzu. Der Kommissar stieg hinter das Steuer seines Wagens. Er brachte Fermand zum Landhaus, das in völliger Stille und Abgeschiedenheit hinter einem bewaldeten Hügel lag, mit einem Blick weit über das flache Land. Keine dreihundert Meter entfernt, hinter dicht stehenden Hecken und Büschen, stand das seegrüne Landhaus Kommissar Lucells. »Ich hatte eigentlich gehofft, heute noch ins Bett zu kommen«, sagte Lucell müde und gähnte demonstrativ. »Aber daraus wird wohl nichts mehr. Es ist jetzt schon nach Mitternacht. Und wenn es noch zu einem Zwischenfall kommt, dann ist die Nacht völlig hin …« * Sie knipste die kleine, mit einem roten Schirm überzogene Tischlampe an und begann sich auszukleiden. Als sie, nur noch Schlüpfer und BH trug, zog sie den kleinen Fellsessel unter dem Toilettentisch hervor, trug Reinigungscreme auf und löste mit einem feuchten Wattebausch das Make-up. Sie kämmte die Haare durch, und summte leise vor sich hin. Prüfend stellte sie sich schließlich vor den Spiegel und betrachtete ihre Figur. Ihre Hände glitten dabei über ihre Hüften als müsse sie kontrollieren, daß auch kein Gramm Fett zuviel unter der Haut saß. Sie legte den Büstenhalter ab und zog den Schlüpfer herunter. Nicole ahnte nicht, daß ihre Bewegungen von großen, aufmerksamen Augen genau verfolgt wurden. Jean Dumont stand neben dem wuchtigen Kleiderschrank, unmittelbar hinter dem Vorhang, der die Nische zwischen der linken Schrankwand und dem Türpfosten verdeckte, wo
Handtücher, ein Bademantel und eine Anzahl Schürzen hingen. Dumont spähte durch den fingerbreiten Spalt zwischen Vorhang und Schrankwand. Er konnte von hier aus zwei Drittel des Zimmers überblicken. Nicole wandte sich um und kam direkt auf ihn zu. Die Hände des Franzosen wurden zu Fäusten. Er spürte den Schmerz nicht, den die schneidenden Fingernägel in seinen Handflächen verursachten. Die nackte Französin stand vor dem Vorhang, faßte ihn oben am Saum und zog ihn zurück. Ihre rechte Hand war dabei in diesem Augenblick nur einen knappen Zentimeter von der Schulter des Verborgenen entfernt. Nicole nahm ein flauschiges Handtuch vom Haken, legte es sich über den Unterarm und ging in den angrenzenden Raum, der notdürftig als Duschbad eingerichtet war. Die Brause rauschte. Nicole duschte sich eiskalt ab und frottierte ihren Körper trocken. Dann kehrte sie in den schwachbeleuchteten Wohnraum zurück, hängte das Handtuch wieder an den Haken und ging ins Bett, nachdem sie das Fenster weit geöffnet hatte. Nicole Mercier lag wie Gott sie erschuf. Während der warmen Sommermonate trug sie weder Nachthemd noch Schlafanzug. Sie zog die dünne Decke nach oben, seufzte tief und griff dann nach der Tischlampe, um sie auszuknipsen. Nicole schloß die Augen, um die trüben Gedanken, die sie zu übermannen drohten, zu vertreiben. Die Müdigkeit ließ ihre Glieder schwer wie Blei werden. Es tat gut, so dazuliegen, langsam einzuschlummern und … Sie zuckte plötzlich zusammen. Augenblicklich wurde sie hellwach. Ein Geräusch, eine schattengleiche Bewegung neben dem Kopfende ihres Bettes. Nicole Mercier warf ihren Kopf herum. »Hallo, Nicole …« flüsterte die Stimme. Die junge Französin sah die breitschultrige Gestalt über sich
gebeugt. Sie erkannte die Stimme und zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen. »Jean?« flüsterte sie. Ein freudiger Unterton klang in dem Namen mit, der kaum hörbar über ihre Lippen kam. Sie war noch zu benommen, um die Tragweite dieser Begegnung in vollem Umfang zu begreifen. Und als sie begriff, war es schon zu spät. Seine kräftigen Hände drückten ihren heißen, bloßen Körper zurück und die Lippen Jean Dumonts, aufgeworfen und wulstig von dem geheimnisvollen, seinen ganzen Körper bedeckenden Pilz, verschlossen den feuchten, halb zum Schrei geöffneten Mund der Geliebten. * Die Maschine, mit der Larry Brent flog, landete nach einem etwa zweieinhalbstündigen Flug zum ersten Mal in Bangkok. Dort stiegen neue Passagiere ein. Larry nutzte den kurzen Aufenthalt zu einem kleinen Bummel durch das Flughafengelände. Als er in die Maschine zurückkam, war der Platz neben ihm von einer hübschen jungen Dame belegt. X-RAY-3 grüßte höflich und nahm seinen Fensterplatz wieder ein. Die junge Schönheit an seiner Seite war eine Frau, wie man sie nicht jeden Tag traf. Und daß sie so gesprächig und heiter war, registrierte der Agent als weiteres Plus. »Schade, daß Sie nicht schon in Hongkong eingestiegen sind«, meinte er leise. »So habe ich das Vergnügen, Sie an meiner Seite zu haben, schon seit zwei Stunden entbehren müssen.« Sie lächelte in einer Art, die einem Mann alles versprach. Diese junge Dame – sie war höchstens zweiundzwanzig, strahlte Sex und Erotik aus, daß die Luft in ihrer Umgebung zu
knistern schien –, drückte mit einem Augenaufschlag mehr aus, als eine andere, wenn sie sich vor einem Mann auszog. Er sah, daß sie Europäerin war – keine reinrassige, denn in ihren Adern floß indianisches oder thailändisches Blut. Sie war aber Französin, wie sie selbst schließlich verriet. »Mein Ziel ist Paris«, sagte sie leise. Dann waren das noch über siebzehn Stunden, die er mit dem herrlichen Wesen an seiner Seite verbringen konnte, dachte Larry Brent. Vergessen waren die Illustrierten und Herrenmagazine, in denen er während des ersten Teils seines Fluges geblättert hatte. Aber X-RAY-3 kam doch nicht umhin, sich einige Magazine anzusehen, die sie in ihrem Handgepäck bei sich trug. Es war ein ganzes Bündel druckfrischer Erzeugnisse. Und was für welche! Seine Reisebegleiterin hieß Blanche, und sie war als Fotomodell tätig. X-RAY-3 erfuhr, daß sie während der letzten beiden Monate in Bangkok gearbeitet hatte. Sie blätterte ein Magazin auf, das sich noch nicht im Handel befand. Achtzig Prozent der Aufnahmen stammten von Blanche. Die Bilder, die in der Bucht von Bangkok aufgenommen wurden, zeigten sie in allen Posituren. Sie lag auf einem farbenfrohen Badetuch, die braunen, wohlgeformten nackten Beine angezogen, und warf einen vielversprechenden Blick über ihre große Sonnenbrille hinweg. Sie saß auf blanken Felsen im Wasser, nur mit einem knappen Bikini bekleidet. Ein anderes, großformatiges, farbiges Bild zeigte sie, wie sie – mit dem Rücken zur Kamera – in das blaue, stille Meer hineinging, im Vordergrund noch ein Streifen des weißen, samtigen Ufers. In der Linken den BH des Bikinis. Eine Großformataufnahme zeigte sie oben ohne. Ein gut entwickelter, brauner, schlanker Mädchenkörper, sauber und makellos. Wieder eine andere Aufnahme war geschossen worden, als sie gerade in einer
schattigen, windschiefen Fischerhütte stand, vollkommen nackt. Ihre Umrisse nur schwach wahrnehmbar, weil das Sonnenlicht nicht voll durch das winzige, halbverdeckte Fenster fiel. Ästhetische, reizvolle und verlockende Aufnahmen, wie sie in den bekannten Herrenmagazinen »Playboy« und »Chance« üblich waren. In der Tat arbeitete Blanche auch für diese Verlage. Im Augenblick war sie nach Paris unterwegs, weil sie sich dort mit ihrem Fotografen treffen wollte, um eine Reihe hochkarätiger Aufnahmen für ein englisches und ein französisches Pop-Magazin zu schießen. »Aber erst ruhe ich mich zwei volle Tage in meiner Pariser Wohnung aus«, fügte sie mit ruhiger, angenehmer Stimme hinzu, und wieder mußte Larry Brent feststellen, daß an diesem Mädchen einfach alles stimmte. Die Bewegung, die Stimme, der Blick, die Figur. »Im Augenblick habe ich die Nase von der Arbeit voll.« Sie lächelte Larry an. X-RAY-3 nickte, und er entschloß sich schweren Herzens, das Magazin zuzuklappen, als seine Partnerin meinte: »Sie haben offensichtlich jegliches Interesse an mir verloren, hm?« Sie lächelte in einer Art, die unbeschreiblich war. »Scheinbar sagen Ihnen die Bilder mehr zu als das Modell aus Fleisch und Blut, wie es neben ihnen sitzt …« Mit einer provozierenden Geste schlug sie die Beine übereinander. Lange, braune Beine, die kaum mehr von dem knappen Minirock verdeckt wurden. »Nein, nein, das ist es nicht«, beeilte sich X-RAY-3 mit einer schnellen Antwort. Er mußte sich im stillen eingestehen, daß er in diesem Augenblick überfordert war. Die Situation wechselte so schnell, daß er nicht mehr wußte, wem er eingehendere Aufmerksamkeit schenken sollte: den Magazinen oder dem Modell an seiner Seite. Zunächst schien auch Blanche interessiert daran gewesen zu
sein, daß er die Magazine kennenlernte, aber jetzt, wo der Amerikaner wußte, wie sie ohne Reisekostüm aussah, zog sie das persönliche Gespräch wieder vor. Nickend nahm sie die Magazine zurück, die Larry ihr reichte. In einer plötzlichen Eingebung jedoch nahm sie drei Exemplare von dem Packen herunter und steckte sie ihm wieder zu. Das oberste trug ein raffiniertes Titelbild: Blanche mit verführerischem Unschuldsblick und nackten gekreuzten Armen über der bloßen Brust bis hinab zum Bauchnabel. »Die können Sie behalten, Larry. Damit Sie ein Andenken an mich haben«, meinte sie lächelnd. »Danke! Ich werde alle Bilder ausschneiden und sie übers Bett hängen.« »Sie werden viel Tapete sparen.« Sie musterte ihn eingehend, sekundenlang verschmolzen ihre Blicke ineinander. Dann seufzte sie, zuckte die Achseln und meinte leise: »Schade.« »Was ist schade?« Larry ahnte es, aber er wollte es genau wissen. Er hatte die Schöne an seiner Seite richtig eingeschätzt. »Daß Ihr Aufenthalt in Paris nur so kurz ist, Larry, Sie sagten vorhin, daß Sie nur eine knappe Stunde – von der Ankunft des Flugzeuges gerechnet – noch Zeit hätten. Dann müßten Sie schon wieder einen Zug besteigen, der Sie irgendwo in ein abgelegenes Nest in die Provinz bringt. Ein Mann wie Sie sollte Paris sehen – und vor allen Dingen auch genießen. Ich könnte mir zum Beispiel lebhaft vorstellen, wie ich die folgenden Tage in Paris mit Ihnen gestalten würde.« X-RAY-3 war wieder ganz der alte. Er grinste verschmitzt. »Das könnte ich auch, Blanche.« Ihn erstaunte diese direkte und offene Art seiner Nachbarin. Aber das paßte zu ihr. Blanche, der sonst die Männer zu Füßen lagen, scheute nicht davor zurück, auch einem Vertreter des männlichen Geschlechts zu zeigen, wenn sie ihn sympathisch fand. Und Larry war der Typ Mann, der ihre Sinne verlockte:
groß, sportlich, braungebrannt, scharfgeschnittenes Gesicht, blau-graue kluge Augen, ein Mann, der wußte, was er wollte, der selbstbewußt war, mit beiden Beinen im Leben stand, die Dinge sofort anpackte und nicht zögerte. Sie sagte das glatt heraus. Larry Brent grinste. »Sie halten mich also für eine männliche Sexbombe?« »Ich halte Sie für einen Mann, das ist alles!« Demonstrativ betrachtete sie ihn. »Außerdem merke ich einem Mann an, wenn ihn ein Geheimnis umgibt.« »Sie denken, ich bin verheiratet?« Larry grinste von einem Ohr zum anderen. »Nein. Aber das wäre kein Hinderungsgrund«, fügte sie hinzu, und schien vorauszusetzen, daß Larry Brent in diesem Augenblick ihre vorangegangenen, stillschweigenden Gedankengänge ahnte … »Ich meinte das anders. Sie erinnern mich an eine Bombe. Sie sind gefüllt mit Dynamit – und jeden Augenblick bereit zu explodieren. Sie sind ein gefährlicher Mann!« Die Gesprächsthemen drehten sich eine ganze Zeitlang noch um die gleiche Sache. Dann wurde Blanche müde, was nach der anstrengenden Arbeit in der Bucht von Bangkok kein Wunder war. Sie streckte die Beine ein wenig von sich, wobei der an sich schon knappe Rock noch höher rutschte. Mit einem Knopfdruck verstellte sie den Sitz so, daß er ein wenig nach hinten klappte. Lange Flugreisen waren meistens nicht sehr bequem, zu einem tiefen, erholsamen Schlaf kam man nicht. Larry legte seinen Kopf auf die Seite. Blanche drehte ihm das ebenmäßige, bildhübsche Gesicht zu. Ihre dunklen Augen waren nur halb geöffnet. »So schlafen wir also doch noch zusammen«, meinte Larry, während er seinen Schlips lockerte. »Mal sehen, ob Sie sich’s in Paris nicht anders überlegen«, hauchte sie. »Blanche fliegt nicht jeden Tag von Bangkok nach
Paris und trifft dabei einen Amerikaner, den sie mag. Ein Zug aber von Paris in ihr kleines Nest in die Provinz fährt immer wieder ab, nicht wahr?« Larry nickte. Das stimmte schon. Aber es gab Dinge, die man selbst einer schönen Frau zuliebe nicht hinausschieben konnte. * Als die Maschine auf dem Pariser Flughafen Orly landete, verließen sie beide wie zwei alte Freunde, die sich schon ewig kannten, das Flugzeug. Eingehakt passierten sie die Zollabfertigung. Bei Blanche dauerte es etwas länger. Sie mußte mehr erledigen. Larry Brent wartete, obwohl ihm die Zeit unter den Nägeln brannte. Doch er wollte jetzt nicht unhöflich sein. Er hatte ihr versprochen, sie mit dem Taxi noch bis zu ihrer Wohnung in der Rue Saint Lazare zu begleiten. Dort wollte er sich von ihr verabschieden und dann weiterfahren. Lachend kam sie von der Abfertigung zurück. Sie machte einen ausgeruhten, verführerischen Eindruck. Die unbequeme Schlaflage auf dem Sitz hatte sie nicht sonderlich strapaziert. Das Make-up wirkte frisch, die Haare waren locker aufgekämmt und berührten in einer weiten Außenrolle ihre Schultern. Es war wenige Minuten nach 23 Uhr. Die Luft und die Straßen waren feucht. Ein Taxi kam mit abgeblendeten Scheinwerfern auf sie zu, als sie das Flughafengelände verließen. X-RAY-3 konnte seiner Begleiterin nicht gut beichten, daß er nicht auf ein Taxi angewiesen wäre. Die peinlichst genaue Vorbereitung durch XRAY-1 in New York hatte bereits einen Mittelsmann in Paris informiert, der mit seinem Wagen im Dunkeln auf die Ankunft des Amerikaners wartete, um ihn zum Bahnhof zu bringen. Die veränderten Umstände jedoch machten jetzt eine
Umdisposition erforderlich. Larry Brent hielt sich gern noch eine halbe Stunde an der Seite des Fotomodells auf. »… ich habe nämlich vorgesorgt, weil ich diese Verhältnisse schon mehr als einmal angetroffen habe«, fuhr sie lachend fort. Ihre feingeschwungenen Lippen schimmerten feucht. »Bei unserer letzten Zwischenlandung in Rom habe ich Paris antelefoniert. Ich habe mit einem Freund gesprochen, ich habe hier viele Freunde.« Larry nickte. »Das glaube ich. Man reißt sich sicher um Sie.« »Claude ist Taxiunt ernehmer. Er hat mir versprochen, daß mit der Ankunft unserer Maschine ein Wagen frei ist. Er wollte einen schicken, und er hat Wort gehalten. Da ist er!« Sie blieb stehen. Unmerklich warf Larry einen Blick zum Parkplatz hinüber. Zwischen den zahlreichen dort abgestellten Wagen leuchteten die Scheinwerfer eines Renault auf. Der Wagen stieß zurück. Der instruierte Fahrer hatte Larry Brent erkannt. Rasch gab X-RAY-3 ihm einen unmerklichen Wink, als das von Blanche bestellte Taxi vor ihnen hielt. Er verstaute mit Hilfe des Chauffeurs das Gepäck hinten im Wagen, seines zuerst, darauf das der Französin. »Ich habe einen Freund mitgebracht«, plauderte das Modell munter drauflos. »Wenn wir in der Rue Saint Lazare sind, dann wird die Fahrt nicht beendet sein, mon ami. Du mußt meinen Begleiter dann noch zum Bahnhof fahren. – Zur Rue Saint Lazare. Aber nach dort kann es ruhig etwas langsamer gehen. Der Abschied kommt noch schnell genug.« Sie stellte sich auf die Fußspitzen und hauchte Larry einen Kuß auf die Wange. Der Agent und das Fotomodell stiegen ein. Der Renault, der vom Parkplatz herunterfuhr, folgte dem Taxi noch etwa auf einer Strecke von knapp einem Kilometer, dann bog der Fahrer in eine Seitenstraße. Offenbar war ihm klargeworden, daß Larry Brent entweder neue Instruktionen bekommen hatte oder durch die Umstände zu einer bestimmten Handlung provoziert
wurde. Die Fahrt nach Paris ging verhältnismäßig flott vonstatten. Blanche plauderte und X-RAY-3 kam nicht umhin, ihr das Versprechen zu geben, nach seinen Geschä ften in Montcornet noch einmal nach Paris zurückzukehren. »… ich bleibe allerdings nur bis zum Ende der nächsten Woche«, bemerkte die schöne Blanche leise. »Nächsten Samstag fliege ich schon wieder nach Casablanca, und dann geht die Reise nach Tokio. Der Aufenthalt dort ist für vier Wochen vorgesehen.« »Sie sind ein Globetrotter, wie er im Buch steht«, entgegnete Larry. »Rentiert sich überhaupt die Miete, die Sie für Ihre Wohnung hier in Paris bezahlen?« wollte er wissen. »Die meiste Zeit steht sie doch leer.« »Ich habe einen Bungalow auf Teneriffa und ein kleines Ferienhaus im sonnigen Kalifornien. Meine Wohnung in Paris ist übrigens meistens von meiner Freundin belegt, die als Tänzerin und Sängerin im Crazy Horse Saloon auftritt. Vielleicht werden sie sie kennenlernen.« »Ich sehe schon, daß ich unter völlig falschen Voraussetzungen nach Frankreich geflogen bin. So geht es einem geplagten Journalisten.« Er hatte sich Blanche gegenüber als Mitarbeiter einer großen amerikanischen Zeitschrift und als Berichterstatter einer aktuellen Sendereihe der amerikanischen Fernsehgesellschaft NBC vorgestellt. Das Fotomodell wußte von ihm soviel, daß er ihre Fragen befriedigt hatte. Larry erklärte, daß aus Montcornet ein interessanter Vorfall gemeldet worden sei, ein außergewöhnliches Geschehen, das ihn interessierte. Sie fuhren in die Rue Saint Lazare ein. Blanche gab dem Chauffeur ein paar genaue Hinweise, und drei Minuten später stand das Taxi vor dem Haus, in dem sie wohnte. Als sie zahlen wollte, winkte Larry ab. »Ich erledige das später, wenn ich zurückkomme«, sagte er zu
dem Chauffeur. »Warten Sie bitte auf mich! Ich bringe der Dame nur noch das Gepäck in die Wohnung.« X-RAY-3 stieg aus. Der Taxichauffeur zog seine abgegriffene, speckige Schildmütze tiefer in die Stirn, zündete sich eine Zigarette an und öffnete dann den Kofferraum. Larry nahm das Gepäck heraus. Blanche nahm aus ihrem Handgepäck eines der farbigen Magazine und reichte es dem Fahrer. Der Fahrer griff nach dem Magazin, erblickte das langbeinige, nackte Mädchen auf dem Titelblatt, erkannte, daß es sein Fahrgast war und pfiff leise durch die Zähne. Larry Brent schleppte die beiden prallgefüllten, knallroten Lederkoffer, die in der Farbe zum Minikostüm Blanches paßten. Das Fotomodell schloß die schwere hölzerne, mit Messingbeschlägen versehene Haustür auf. Der große Mietblock mit den Sandsteinfensterbänken und dem großen Sandsteinlöwen über der Haustür lag in völliger Dunkelheit. Das Gebäude stammte noch aus dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts. Schwer, dunkel, mit großen, schartigen Quadern, vergitterten Kellerfenstern und spitzwinkeligen Mansardenstübchen, deren Gauben wie überdimensionale Vogelhäuschen oben auf dem Schieferdach hockten. Blanche betrat zuerst den dunklen Flur. Ihre Rechte suchte den Lichtschalter, fand ihn, drückte ihn jedoch vergebens. Es blieb finster in dem langen, kahlen mit alter, abblätternder Farbe versehenen Hausflur. »Wie üblich«, flüsterte Blanche. »Das Flurlicht geht wieder mal nicht an.« »Macht nichts. Ich denke, wir finden Ihre Wohnung auch so.« Durch die hohen, schmalen Flurfenster, die alle zum Hof wiesen, drang kaum ein Lichtstrahl. Der Himmel war wolkenverhangen, nicht ein einziger Stern, geschweige denn die Mondsichel zeigte sich. »Ich wohne in der ersten Etage. Ich gehe Ihnen voran, und mache oben in der Wohnung gleich Licht.«
Sie ging ihm zwei Schritte voraus. Ihre Stöckelabsätze hallten auf dem mit blanken, grauen Platten bedeckten Boden. Links und rechts waren die Wohnungstüren. Die breite, ausgetretene Holztreppe führte gewunden in die Höhe. Das hölzerne Geländer wurde von braungebeizten runden Stäben gestützt, die jedoch nicht mehr fest in den Löchern saßen. Wenn man sich am Geländer hielt, dann wankte der ganze Aufbau beträchtlich. X-RAY-3 ging hinter Blanche. Sie befand sich vier Stufen vor ihm. Die Aussicht an ihren Beinen entlang war verführerisch. Und dieser verlockende Anblick trug mit dazu bei, daß er den Schatten, der plötzlich wie aus dem Boden gewachsen hinter ihm stand, eine zehntel Sekunde zu spät bemerkte. Der Amerikaner wurde herumgerissen, fing sich sofort, nutzte den Schwung aus und schleuderte einen Koffer herum. Im gleichen Augenblick schrie Blanche auf. Sie verlor das Gleichgewicht und wurde von einem zweiten Mann, der auf dem Treppenabsatz stand, mit einem brutalen Stoß zurückgeschleudert. Das Fotomodell rutschte ab, vier, fünf Treppenstufen nach unten, die Handtasche flog in hohem Bogen durch die Luft. Ihr Körper prallte gegen Larry Brent. X-RAY-3 war gerade dabei, seinem Widersacher zu beweisen, daß mit ihm nicht zu spaßen war. Der Koffer krachte dem Burschen, der die Absicht hatte, dem Amerikaner die Beine unter dem Leib wegzuziehen, mitten in den Magen. Mit einem gurgelnden Stöhnen kippte er nach hinten, seine Hände preßten sich auf seinen Bauch. Durch den Sturz des Fotomodells aber kam X-RAY-3 zu Fall. Er rutschte ab und ließ sofort den anderen Koffer los, um Blanche noch aufzufangen. Sein Körper kippte zur Seite, als der andere, der Blanche die Treppe hinuntergestoßen hatte, ihm einen Tritt versetzte. Instinktiv griff Larry Brent in das Geländer, das sofort unter der Wucht des Anpralls nachgab. Wie eine riesige
Gummischlange bog es sich weit nach außen, dann ein Bersten und Brechen, und zwei, drei Stäbe knickten wie Streichhölzer. X-RAY-3 verlor das Übergewicht. Er schaffte es nicht mehr, seinen Körper zu verlagern. Irgend jemand sorgte dafür, daß er kopfüber mit dem Geländer nach unten stürzte. Er klammerte sich an das Holz und riß die Beine herum, um seinen Sturz aufzufangen. Da war einer seiner Widersacher über ihm und sprang ihn an wie ein Tiger. Der Amerikaner erhielt mit einem schweren eisernen Gegenstand einen Schlag auf den Kopf, der ihn sofort bewußtlos werden ließ. Schlaff fiel er auf die Sandsteintreppe, die zum Hof führte, und rührte sich nicht mehr. Ein langer Blutstreifen sickerte über sein Gesicht. * Maurice Lucell schien während der letzten beiden Tage um Jahre gealtert. Selbst wenn er zu Hause war, fand er keinen Schlaf. Ständig hielt er sich im Arbeitszimmer auf, stand entweder mit Dr. Fermand, mit der Zentrale, mit dem Kommissariat oder den Beamten in telefonischer Verbindung, die augenblicklich im Außendienst waren und nur einen einzigen Auftrag hatten: Ausschau zu halten nach dem Unheimlichen. Lucells Augen waren eingefallen, sein Gesicht bleich und übernächtigt. Unter seinen Backenknochen bildeten sich graue Schatten. Mit der Entdeckung des alten George hatte sich die Situation weiter verschärft. Die Putzfrau, die zur Reinigung des Dorfwirtshauses angestellt war, hatte den Betrunkenen gefunden. Tot! Er lag quer über den nicht ganz bis zur Decke reichenden Zwischenwänden, die die einzelnen Klosetts voneinander trennten. Lucell hatte den Leichnam sofort beschlagnahmt. Bei seinem Aufenthalt in dem Wirtshaus
wollte er mit Nicole Mercier sprechen. Dabei machte er eine weitere unangenehme Entdeckung: Nicole hatte heimlich in der Nacht ihr Zimmer verlassen. Alle Anzeichen wiesen darauf hin, daß sie überstürzt davongegangen war. Das Bett war zerwühlt, in dem Mansardenzimmer stieß Lucell auf die Spuren eines Kampfes. Ein Stuhl war umgestürzt, die Vorhänge zerrissen, der Schrank in aller Hast durchwühlt. Aber das seltsamste: nichts fehlte! Außer einem Sommerkleid schien die junge Französin nichts mitgenommen zu haben. Der Tote über den Zwischenwänden des Klosetts zeigte alle Anzeichen der rätselhaften Pilzkrankheit. Streng geheim war die Leiche in das Landhaus von Dr. Fermand gefahren worden. Lucell, der die letzte Nacht dort verbrachte, wartete noch immer auf eine entscheidende Nachricht von dem befreundeten Forscher. Alain Fermand studierte den abgerissenen Arm und hatte nun auch den Toten im Haus. Für Maurice Lucell gab es keinen Zweifel mehr, die Zusammenhänge schälten sich zu deutlich heraus. Aber der letzte schlüssige Beweis fehlte noch. Und den wollte der Gelehrte erbringen. Lucell zündete die erkaltete Zigarre an. Es gab nur eine furchtbare Gewißheit für ihn: während sie in der letzten Nacht den Unheimlichen jagten, dessen Namen sie nicht einmal kannten, mußte Jean Dumont sich in das Gasthaus geschlichen haben, in dem Nicole arbeitete. Seine Spur war genau zu verfolgen: der tote Hund – der tote George – das Verschwinden der Französin … Lucell fuhr mit einer nervösen Geste über seine feuchte Stirn. Er war den Dingen nicht mehr gewachsen. Es war ein Stadium erreicht, in dem er andere Dienststellen einschalten mußte. Doch im Augenblick überwogen die Vermutungen und Verdächtigungen noch. Er mußte einen handfesten Beweis vorlegen, den nur Dr. Fermand … Plötzlich rasselte das Telefon. Lucell hob ab. Er meldete sich.
»Alain?« sagte er erleichtert! Er atmete hörbar auf. »Wenn du wüßtest, wie ich auf deinen Anruf gewartet habe. Was hast du herausgefunden?« »Es ist so, wie wir beide befürchtet hatten: die Pilzkrankheit weitet sich aus. Dabei ist der unmittelbare Kontakt von Mensch zu Mensch offenbar notwendig. Ich habe die verkapselten Stämme auf dem Leichnam des Mannes George gefunden. Hier konnten sich die Stämme nicht ausdehnen, aber sie sind auch nicht zugrunde gegangen. Sie ziehen sich in eine Art Schlafzustand zurück.« Die Stimme des Gelehrten klang belegt, heiser – und müde. Lucell merkte daß er fast achtundvierzig Stunden auf den Beinen war. Und das trotz des Unfalls! Fermand forderte alles von sich ab. »Du mußt etwas unternehmen, um eine Ausbreitung dieser – dieser mörderischen Krankheit zu verhindern. Es ist eine Seuche, die kann jeden befallen, sie kann sich blitzschnell ausdehnen – und dann ist sie nicht mehr einzudämmen. Ich habe den Beweis für meine Behauptungen! Schon als ich den abgerissenen Arm von Frankenstein untersuchte, schälte sich das erschreckende Ergebnis heraus. Der Pilz übernimmt das Fleisch des Wirts, das bedeutet: er verändert alle Gewebeschichten. Das lebende Fleisch ist die Basis, auf der er existiert. Ein einmaliges Phänomen für die Wissenschaft. Wenn ich damit an die Öffentlichkeit trete, gibt es eine Revolution unter den Gelehrten! Es gibt nichts Vergleichbares! Hier kommt etwas auf uns zu – was nicht von der Erde stammt, Maurice …« * Der Kommissar glaubte im ersten Augenblick, sich verhört zu haben. Fermand war so anders, wie betrunken. Stand er unter der Wirkung einer Droge? Das wäre nicht verwunderlich gewesen. Um sich wach zu halten, hatte er bestimmt etwas
eingenommen. »So etwas gibt es hier nicht. Ich habe die letzte Nacht, während der Versuch automatisch weiterlief, in alten Bibliographien und einem dicken wissenschaftlichen Nachschlagwerk geblättert. Es gibt nicht den geringsten Hinweis. Ich habe etwas Neues entdeckt! – Ich brachte ein Versuchstier mit dem Arm des Fremden in Berührung. Eine Ratte. Sie veränderte sich zusehends. Der Prozeß spielte sich wie im Zeitraffertempo ab. Es geht bei einem Tier schneller als bei einem Menschen. Das Fleisch war nach dreieinhalb Stunden von den Pilzkulturen übernommen. Es wurde mürbe, locker, blähte sich auf und zeigte die typischen Beulen und Wunden, die auch der Arm aufwies von der Gestalt, die mir in den Wagen lief. Die Ratte wurde wahnsinnig, sie gebärdete sich wie toll – und ging dann zugrunde. Ich habe die Stämme in ihrem Gehirn und Nervenzentrum feststellen können. Die Kulturen arbeiteten sich bis in die Tiefe, sie wühlten die Hautschichten förmlich auf.« Maurice Lucell fühlte, wie ihm übel wurde. Dr. Fermand fuhr unbeirrt fort. »In diesem Stadium setzte ich eine zweite, nicht infizierte Ratte in den Käfig. Die Wahnsinnige zerriß das neue Tier. Die Pilzstämme setzten sich dann. Ich verbrannte beide Tiere. In den Rückständen waren die Kulturen nicht mehr feststellbar.« Maurice Lucell biß sich auf die Lippen. »Was können wir tun, Alain?« Der Gelehrte lachte, und Lucell zuckte abermals zusammen. Das Verhalten des Freundes störte ihn. »… diese wandernden, Furcht und Schrecken, und vor allen Dingen den Tod verbreitenden Ungeheuer ausmerzen, Maurice!« »Das ist leichter gesagt als getan. Ich versuche es die ganze Zeit schon vergebens, Alain.« »Jetzt erst kennst du den Feind, vergiß das nicht«, widersprach der Gelehrte. »Du mußt alle verfügbaren Männer
einsetzen. Wir müssen die Ungeheuer aufspüren. Wie viele vermutest du überhaupt?« »Es sind mindestens – drei«, kam es rauh über die Lippen des bleichen Kommissars. Er mußte dabei an Nicole Mercier denken. »Aufspüren – in die Enge treiben – töten – und die Körper dann sofort verbrennen«, sagte Fermand kalt. Lucell nickte mechanisch. Ehe er etwas erwidern konnte, erklang Fermands Stimme schon wieder aus dem Hörer. »Es gibt nur diese eine Möglichkeit. Sie sind keine Menschen mehr – sie sind Fremde, die einem Instinkt gehorchen, der für Tausende tödlich sein wird. Sie dürfen nicht mehr die Möglichkeit haben, sich weiterzuverbreiten. Jeden Augenblick kann eine neue Hiobsbotschaft aus einem Ort, von einem Bauernhof oder aus Montcornet kommen. Wissen wir, mit wem der Unheimliche, dessen Arm abgerissen wurde, alles Kontakt hatte, wissen wir, welche Keime Jean Dumont gelegt hat, welche Nicole Mercier? Selbst die Leute, die den toten Hund fanden, den Dumont erwürgte, sind gefährdet. Vielleicht verwandelt sich in diesem Augenblick ein weiterer, uns völlig unbekannter Mensch in ein Ungeheuer. Der mit Pilzen in Kontakt kam, wird zu einer Art – Larve, Maurice! Das hört sich alles sehr merkwürdig, unglaubwürdig und unmenschlich an, ich weiß, aber die Dinge sind so, wir dürfen sie nicht anders sehen!« Lucell nutzte die kurze Gesprächspause für die Bemerkung: »Ich hatte schon ähnliche Gedanken. Zwei meiner besten Leute halten sich in der Nähe des Hauses versteckt, in dem die Familie wohnt, der der Schäferhund gehörte. Sie sollen jedes ungewöhnliche Vorkommnis sofort melden …« »Du mußt etwas unternehme n, Maurice, du mußt schnell handeln, wenn dir die Dinge nicht über den Kopf wachsen sollen! Je mehr Infizierte herumlaufen, desto aussichtsloser
wird dein Kampf! Du wirst immer mehr Gegner züchten, wenn du nicht umgehend handelst. – Es sind Mörder, Maurice, das mußt du dir vor Augen halten! Sie gefährden das Leben anderer Menschen. Mörder, die sich in Gestalt und Verhalten nur von jenen unterscheiden, die du bisher gejagt hast …« * Der Kommissar entfachte während der nächsten Minuten lebhafte Tätigkeit. Er führte Telefongespräche und bat um verstärkten Polizeischutz für die Bevölkerung in der Umgebung. Er wollte einen Großeinsatz starten und alle verfügbaren Kräfte mobilisieren. Man verband ihn während des zweiten Gesprächs mit einem gewissen Monsieur Teaub. Lucell hatte bisher nur ein einziges Mal mit Teaub gesprochen. Dieser Mann hatte ihm die Ankunft eines amerikanischen Spitzenagenten angekündigt. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Lucell zum ersten Mal etwas über das Wirken der PSA. Er war sehr angetan davon, daß er Unterstützung von einer Stelle erhalten sollte, die sich auf die Klärung ungewöhnlicher und außergewöhnlicher Mordfalle spezialisiert hatte. Teaub wollte nun wissen, ob Lucell schon etwas von Larry Brent gehört hätte. »Er hat mich bis zur Stunde noch nicht angerufen«, erwiderte der Kommissar wahrheitsgemäß. »Es hätte schon geschehen müssen«, bemerkte Teaub. Er hatte eine ruhige und sympathische Stimme. »Ich nehme an, daß Monsieur Brent sich über kurz oder lang bei Ihnen melden wird. Seine Maschine jedenfalls ist schon in Paris eingetroffen und bestätigten Meldungen zufolge hat der Agent auch den Flughafen verlassen, wir wissen natürlich nicht im einzelnen, wie der Einsatz Monsieur Brents erfolgt. Sollte er jedoch keine Möglichkeit finden, Ihnen in dieser
Nacht noch einen Bescheid zu geben, dann wird das spätestens in den frühen Morgenstunden erfolgen. Bis dahin bitte ich Sie dringend, sich noch zu gedulden und keine Panik aufkommen zu lassen. Ich habe Ihre Mitteilung persönlich überreicht bekommen, und ich werde mich darum kümmern. Sie erhalten jede Unterstützung, die nötig ist.« Damit war die Angelegenheit erledigt. Als Lucell auflegte, fühlte er sich erleichtert. Der Wind, der mit einem Mal blies, schien aus einer anderen Richtung zu kommen. Ob der Einfluß der PSA sich auswirkte? Er konnte es kaum erwarten, den angekündigten Agenten namens Brent persönlich kennenzulernen. Kaum hatte er aufgelegt, als das Telefon anschlug. Maurice Lucell meldete sich. Am anderen Ende der Strippe vernahm er die Stimme einer Frau. Es war Nicole Mercier! * »Ich muß Sie sprechen, Herr Kommissar!« stieß sie aufgeregt hervor. Ihre Stimme zitterte. »Wo sind Sie? Von wo rufen Sie an?« wollte Lucell sofort wissen. Sie nannte ihm eine abseits stehende Telefonzelle am Ortsausgang. »Ich möchte Sie sprechen, unbedingt.« »Wo können wir uns treffen?« »Am besten hier, an der Zelle. Oder nein, die ist beleuchtet, man könnte mich sehen. Kennen Sie die alte Mühle, die keine fünfhundert Meter von hier entfernt steht?« »Natürlich.« »Dort erwarte ich Sie!« »Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen, Nicole.« Maurice Lucells Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Er schlüpfte in seinen Rock, nahm die Pistole aus der Lade seines Schreibtisches, vergewisserte sich, ob sie geladen war,
und steckte sie dann langsam in seine Jackettasche. * X-RAY-3 hatte das Gefühl, von einem Watteberg umgeben zu sein. Sein Tastsinn war angegriffen, sein Kopf dröhnte dumpf, er fühlte sich nicht wohl. Es fiel ihm schwer, die Augen zu öffnen. Für den Bruchteil eines Augenblickes kam es ihm so vor, als ob er eben noch etwas getrunken hatte. Whisky? Er merkte den rauchigen Nachgeschmack. Der Amerikaner versuchte sich zu konzentrieren. Er bewegte die Lippen: »Wo bin ich?« Er hatte Mühe, diese Worte zu formulieren. Eine ungekannte Schwäche hatte von ihm Besitz ergriffen. Doch gleichzeitig registrierte sein Unterbewußtsein auch, daß diese Schwäche im Schwinden begriffen war. »In meiner Wohnung, wo sonst, Süßer?« antwortete eine weibliche Stimme. Er erkannte sie sofort wieder. »Blanche?« fragte er irritiert. »Ja, ich bin es.« Er fühlte die Bewegung neben sich, er sah sie. Sie trug nur ein hauchdünnes seegrünes Negligé. Er schüttelte benommen den Kopf. »Wie komme ich in Ihre Wohnung?« Sie lachte. »Sie sind selbst heraufgekommen, Larry.« Zwischen seinen Augen entstand eine steile Falte. Es bereitete ihm Mühe, sich die einzelnen Dinge wieder zusammen zu reimen. »Wir wurden überfallen«, murmelte er dumpf. Er sah sie an. Blanche nickte. Ihr hübsches Gesicht war ernst. »Unten im Flur«, hauchte sie. Ein verunglücktes Lächeln stahl sich auf ihre schimmernden, feuchten Lippen. Mit einer zitternden Handbewegung strich sie die langen, seidig glänzenden Haare aus dem feingeschnittenen Gesicht. Larry sah den verkrusteten Kratzer auf ihrem Unterarm. Und er
erinnerte sich, daß auch Blanche die Treppe herabgestürzt war. »Was wollten die Burschen von Ihnen, Larry?« wollte sie wissen. Blanche war Brent behilflich, den Faden wieder zu finden. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm, die Dinge in der richtigen Reihenfolge zu ordnen. »… die beiden Fremden …« »Haben Sie sie erkannt? Können Sie sie beschreiben, Blanche?« unterbrach er sie. Sie schüttelte den Kopf. »Dazu war es zu dunkel.« »Okay …« »… die beiden Fremden stürzten sich auf den Chauffeur und ließen von Ihnen ab. Sie schleppten den Taxifahrer hinaus, dann fuhr der Wagen ab.« »Mein Gepäck«, murmelte Larry. »Es kam ihnen darauf an, es in die Hände zu bekommen«, sagte Blanche. »Auch Sie hat man untersucht, aber offensichtlich nichts gefunden.« Mit einer plötzlichen Bewegung tastete Larry nach der Schulterhalfter. Sie war weg. Er erhob sich langsam und setzte sich aufrecht. »Sie müssen für die anderen unerhört interessant gewesen sein, Larry«, meinte Blanche noch einmal. »Wissen Sie irgend etwas? Sind Sie wirklich der Mann, für den Sie sich ausgegeben haben? Vorhin, als es Ihnen so schlecht ging, als Sie kaum die Treppen hochkamen …« »Ich kann mich nicht daran erinnern, Blanche«, sagte er mit schwerer Zunge. »Das ist nicht verwunderlich, Larry. Sie haben dagelegen wie ein Toter. Taumelnd kamen Sie schließlich auf die Füße. Als Sie in meiner Wohnung waren, schafften Sie es noch bis hierher zum Diwan, dann brachen Sie zusammen. Ich habe Sie mit eiskaltem Wasser und Whisky behandelt. Sie waren eine ganze Stunde besinnungslos.« Er erfuhr, daß es gleich
Mitternacht war und daß sie mit dem Gedanken gespielt hatte, die Polizei und einen Arzt zu benachrichtigen, als er so gar kein Lebenszeichen mehr von sich gab und sie befürchtete, es nicht aus eigener Kraft zu schaffen. »Aber ich wußte nicht, wie ich recht tat. Ihre Person ist, wie ich gleich von Anfang an vermutete, von einem Geheimnis umgeben«, schloß sie. Das hübsche Fotomodell musterte ihn eingehend, daß es ihm eigenartig zumute wurde und er fast seinen brummenden, und schmerzhaften Schädel vergaß. »Sie haben sich tapfer gehalten, Blanche. Vielen Dank! Nun bin ich doch noch zu Ihnen hereingeschneit, ohne es zu wollen, und mein Zug ist weg.« »Ich habe schon im Fahrplan nachgesehen, wann der nächste Zug fährt. Morgen früh um 6.22 Uhr.« Sie streichelte über seinen mitgenommenen Schädel. Ihre Hand war warm und anschmiegsam. Blanche hockte vor ihm auf dem Boden. »Ich freue mich, daß es Ihnen wieder besser geht, Larry …« X-RAY-3 verzog die Lippen zu einem kaum merklichen Lächeln. Er legte seine Rechte auf ihre bloßen Schultern. Das seegrüne Negligé wurde nur von dünnen Trägern gehalten. Blanches kleiner, fester Busen war nur eine Handbreit von ihm entfernt. Sie legte ihren Kopf auf die Seite, so daß ihre heißen Wangen seine n Handrücken berührten. Ihr Körper duftete nach einem schweren, exotischen Parfüm, das speziell für ihren Körper geschaffen schien. Larry Brent fühlte, wie die Nähe dieser Frau ihn faszinierte und reizte. Sein Gesicht kam dem ihren näher. Die roten, feuchten Lippen waren wie ein Krater, in den er hineingesogen wurde. Blanche schmiegte sich an den Amerikaner. Durch das hauchdünne Gewebe fühlte er ihren heißen, leidenschaftlichen Körper. Sie erwiderte seinen Kuß. Doch Larry war nicht ganz bei der Sache. Verzw eifelt dachte er über die Umstände nach, die die
Situation so für ihn verändert hatten. Manches glaubte er zu verstehen, während anderes ihm völlig entfallen war. Ständig bohrte da eine Frage, ein Gefühl in seinem Unterbewußtsein verlangte nach Aufklärung – doch vergebens. Sein Blut erstarrte, als er begriff, was das bedeutete. Er, Larry Brent, hatte das Gedächtnis verloren. * Maurice Lucell passierte den Ortsausgang. Mit brennenden Augen sah er die hellerleuchtete Telefonzelle näher kommen. Er parkte den Wagen etwa fünfzig Schritte von dem Häuschen entfernt. Die Scheinwerfer erloschen. Aufmerksam seine Umgebung kontrollierend, verließ Lucell den Wagen und blickte zwischen vereinzelt stehenden Kiefern und Birken hindurch den Weg entlang, der zu der alten, verfallenen Mühle führte. Sie stammte noch aus dem 17. Jahrhundert. Bis vor etwa zehn Jahren diente das im Fachwerkstil errichtete Haus und das massive Mühlengebäude, neben dem ein gurgelnder Bach floß, noch als Ausflugsziel und als Restaurant. Dann waren die beiden alten Leute, denen das Anwesen gehörte, plötzlich kurz hintereinander gestorben. Der mißratene Sohn, ein Lebemann, der das sauer verdiente Geld der Alten durchbrachte, zeigte kein Interesse daran, den Betrieb fortzuführen. Er reiste in der Weltgeschichte herum, leistete sich schöne Frauen, Abenteuer und Glücksspiele. Seit dieser Zeit verfiel das Anwesen immer mehr. Lucell hielt die rechte Hand in seiner Jackettasche. Die Finger berührten das kühle Metall der Waffe. Es war, als ob er die Stimme seines Freundes Alain Fermand hörte: »Wenn man ihnen begegnet – töten, ihnen auf keinen Fall zu nahe kommen! Dann gibt es nur eines: sofort verbrennen, damit sich die Keime nicht weiter ausbreiten können.« Ein tiefer Atemzug hob und senkte die Brust des
Kommissars. War Nicole Mercier zu einer Tochter Frankensteins geworden? Der Boden knirschte unter seinen Schritten, trocken und hart brach ein Ast unter seinen Füßen. »Nicole?« rief er leise, aber deutlich, verhielt in der Bewegung und starrte hinüber zu dem alten, überwachsenen Gemäuer. Die Fensterläden waren geschlossen. Rechts vom Wohngebäude aus zeichnete sich schwarz und drohend das Wasserrad ab. Leise rauschte der um diese Jahreszeit wasserarme Bach unter den fauligen Bohlen. Plötzlich nahm er die Bewegung auf der alten, mit meterhohem Gras und Buschwerk verdeckten Bank wahr. Eine Frau erhob sich und kam langsam auf ihn zu. Nicole Mercier! Lucell erkannte sie auf den ersten Blick. Sie trug das Kleid, das der Wirt beschrieben hatte, und das im Schrank fehlte. Unter dem engen Kleid zeichneten sich deutlich ihre Kontu ren ab. Der untere Saum des Kleidungsstückes war aufgerissen, und ein etwa handbreiter Streifen davon abgetrennt. Nicole Mercier trug diesen Fetzen wie einen Schal vor der unteren Hälfte ihres Gesichtes, als müsse sie etwas verbergen. Der wolkige Himmel riß in diesem Moment auf, und zeigte die zunehmende, bleiche Sichel des Mondes. Das herabfallende Licht tauchte die Szene in ein unwirkliches, gespenstisches Fluidum. Das Gesicht der Französin wirkte grünlich. Sie näherte sich mit langsamen Schritten dem abwartenden Kommissar. Lucell sah, daß sie auch den linken Unterarm mit einem Fetzen aus dem Kleid verbunden trug. Das an sich kurze Kleid war durch das Herausreißen der breiten Streifen so knapp geworden, daß die makellosen Schenkel fast völlig bloßlagen. Unter normalen Umständen wäre die Französin verlockend gewesen, aber Lucell stellte sich vor, was sie hinter dem Schleier und dem
Armverband verbarg. Wieder stieg dieser widerliche Geschmack in ihm auf, den er schon gehabt hatte, als Dr. Fermand ihm Einzelheiten seines Experimentes mitteilte. Lucell umklammerte die Pistole. Wenn die junge Frau näher herankam als bis auf drei Meter, würde er sofort schießen. Doch sie blieb stehen, als würde sie seine stillen Gedankengänge respektieren. Lucell ließ sich seine Unruhe nicht anmerken. Je weiter er den Weg vom Auto gegangen war, um so klarer wurde ihm, worauf er sich hier eingelassen hatte. Dies konnte eine tödliche Falle sein, die jeden Augenblick zuschnappte. Wer garantierte ihm, daß Nicole Mercier wirklich allein war? Im Hintergrund der alten Mühle konnte Jean Dumont lauern. Was wußte er schon vom Verhalten dieser Wesen? Vielleicht hatten sie sich zusammengetan und bildeten eine Familie, um ihn, der ihnen so hart auf den Fersen war, auszuschalten. Er mußte unweigerlich an die Warnung denken, die man seinem Kollegen Philipe, der auf dem Hof Jean Dumonts Wache gehalten hatte, an die Brust heftete. Sein Leben stand auf dem Spiel, und Lucell wußte, daß er nicht die geringste Chance hatte, wenn Nicole Merciers Helfershelfer auf ihn lauerten. Er konnte sich auf einen oder höchstens auf zwei konzentrieren, während der dritte ihn von hinten, – unwillkürlich wandte er leicht den Kopf und warf einen Blick in die Runde hinter sich. Stille, Dunkelheit. Nicole Mercier begriff diese Geste. »Da ist niemand. Sie können ganz sicher sein.« Ihre Stimme klang verändert, fremd, schwankte. »Ich hatte Ihnen versprochen, Sie zu informieren. Das tue ich hiermit, wenn vielleicht auch etwas zu spät.« Sie nahm den breiten Stoffetzen nicht von ihrem Gesicht, während sie sprach. »Was ist gestern abend geschehen, Nicole?« Lucell kam einen Schritt näher. Er war noch immer so weit
von der Französin entfernt, daß sie ihn nicht erreichen und berühren konnte. Und wenn sie sich auf ihn stürzen sollte, war er bereit, durch die Jackettasche zu schießen! Sie senkte den Blick. Ihre Wimpern warfen dunkle Schatten auf ihrem grünlich-weißen Gesicht, das durch das Mondlicht noch gespenstischer wirkte. »Jean kam. Er wartete auf mich im Zimmer. Er lauerte mir auf. Ich wurde zu spät auf ihn aufmerksam, er warf sich über mich – er küßte mich.« Sie konnte nur noch stammeln, und sie ließ urplötzlich den Fetzen los, der die untere Hälfte ihres Gesichtes verdeckte. Lucell erschauerte und mußte schlucken. Das hübsche Gesicht der jungen Französin wir wie durch einen bösartigen Ausschlag entstellt. Die Lippen waren geschwollen, die Backentaschen fleckig und wund, als hätte jemand mit eitrigen Fingernägeln in ihrem Gesicht gekratzt und die Wangen aufgerissen. »Auch der Arm, es ist entsetzlich«, ihre Stimme klang weinerlich. »Jean, er hat sich wie ein Wahnsinniger benommen. Er sah fürchterlich aus, entstellt, verändert, unheimlich! Er schlug und küßte mich, er schüttelte mich. Er hatte die Absicht, mich zu töten, aber er brachte es nicht fertig. Schließlich rannte er davon. Ich lag minutenlang wie gelähmt in meinem Bett, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Ich konnte nicht einmal um Hilfe rufen, ich handelte wie in Trance. Es wurde mir nicht bewußt, daß ich einfach ein Kleid aus dem Schrank zerrte und in die Nacht davonstürzte. Es ging irgend etwas in mir und mit mir vor, das ich nicht begriff. Auch Jean muß es auf diese Weise erwischt haben. Es verändert nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Er war benommen, schien nur manchmal noch klar denken zu können. Ich wollte Sie warnen, bevor es zu spät ist, auch mit mir, ich weiß nicht, wie ich vielleicht morgen reagieren würde, ob Sie dann nicht von mir in eine Falle gelockt werden würden, ob ich
nicht den Wunsch hätte, auch Sie zu töten! Der Haß, die Begierde zu vernichten, ist schon manchmal in mir, aber ich kann das Unheimliche immer wieder zurückdrängen. Bis jetzt ist es mir noch gelungen, wie lange aber find e ich noch die Kraft. Sie haben mich gesehen, Sie wissen was passiert ist. Damit habe ich meine Pflicht erfüllt. Ich selbst mache Schluß! Es gibt keine Rettung!« »Vielleicht doch«, fiel Lucell ihr ins Wort. Die Rechte, die die Waffe umklammert hielt, war naß vor Schweiß. Über das entstellte Gesicht Nicole Merciers lief ein Zucken. Die Französin leckte sich über die aufgeworfenen, schleimigen Lippen. »Hilfe? Für mich?« Er hatte ihr damit keine Hoffnung geschenkt, im Gegenteil, es war, als wäre plötzlich ein Mißtrauen in ihr aufgebrochen, das sie stutzig werden ließ. »Warum haben Sie dann Jean im Stich gelassen, wenn Sie Ihre Hilfe so großzügig anbieten?« »Für Dumont war es schon zu spät. Für Sie kann ich vielleicht noch etwas tun. Ich muß Ihnen allerdings ein Versprechen abnehmen. Ich nehme Sie in meinem Wagen mit, zu Dr. Fermand. Er hat die Krankheit zuerst erkannt, im Anfangsstadium kann er möglicherweise noch etwas unternehmen. Wenn Sie im Wagen neben mir sitzen, drücken Sie sich in die äußerste Ecke, lassen Sie die Finger weg von mir.« Lucell sah, wie es in den Augen der jungen Französin aufleuchtete. Hatte er sie überzeugt? »Kommen Sie mit!« Lucell wandte sich um. Die Hand hielt er weiterhin in der Tasche. Er hörte die leisen Schritte hinter sich. Nicole Mercier ging barfuß. Sie folgte ihm zum Wagen. Lucell öffnete ihr die Tür. Er war in diesen Sekunden ein Bild konzentrierter Spannung. Nicole Mercier nahm auf dem Vordersitz neben dem Fahrer Platz.
Der Kommissar hockte sich hinter das Steuer. Die junge Französin drückte sich eng in die Ecke und blickte aus unruhig flackernden Augen den Mann an ihrer Seite an. »Ich weiß nicht, wann es bei Ihnen losgeht«, sagte Lucell leise. »Gestatten Sie deshalb, daß ich mich dementsprechend vorbereite. Ich möchte nichts riskieren.« Mit diesen Worten zog er die Pistole aus dem Jackett, legte sie sich aufs Knie und die Rechte darauf. Er steuerte mit einer Hand und beobachtete dabei die infizierte Französin aus den Augenwinkeln. »Ich werde versuchen, alles für Sie zu tun, was in meiner Macht steht, aber ich werde – ich muß …« berichtigte er sich, »unnachgiebig sein, wenn Sie mich anfallen. Ich werde Sie sofort erschießen!« Sie nickte. »Darum möchte ich Sie auch bitten.« Es hörte sich noch ganz normal an. * Er fühlte ihre Nähe und war von ihr gefesselt. Sie sprach mit ihm, immer wieder, wenn sie ihre Küsse unterbrachen. Ihre Stimme klang beruhigend und verlockend. Und er antwortete ihr, und es wurde ihm bewußt, daß er Fragen beantwortete, die sie an ihn stellte. Larry bemühte sich, die Benommenheit, unter der er litt, beiseite zu drängen. Er suchte nach irgend etwas, und er fand es nicht. Seine Hände berührten das Gesicht der schönen Blanche und streichelten es. Er küßte ihre Stirn, ihre Augen, ihre Wangen und ihren Mund. Dabei hielt er ihren Kopf fest umfaßt. Plötzlich zuckte er zusammen. Da war etwas zwischen seinen Fingern, das sich anfühlte, wie abblätterndes, morsches Gestein. Larry Brents Augen weiteten sich, als Blanche vor ihm zurückwich. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Ihre Mundwinkel
waren verzogen und das linke Auge war um drei Zentimeter nach unten verrutscht. * Im Haus von Dr. Fermand brannte nur ein einziges Licht. Lucell sah den Schein durch die schmalen Ritzen der verschlossenen Fensterläden. Er hupte dreimal. Zwei Minuten später stand Alain Fermand, einen rotseidenen Hausmantel über die Schultern geworfen, an der Gartentür und öffnete sie. Mit einem Blick erfaßte er die Situation. Nicole Mercier ging zwei Schritte vor dem Kommissar, der die Pistole auf sie gerichtet hielt. Fermand betrachtete mit aufmerksamen Augen die Bewegungen der jungen Französin. In knappen Worten klärte Maurice Lucell den Freund auf. »Ich habe es nicht fertiggebracht«, flüsterte er leise, als er auf der Höhe Dr. Fermands war. »Ich habe das Gefühl, daß man noch etwas für Sie tun kann. Die Wunden sind noch frisch. Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann brauchen die Kulturen ihre Zeit, ehe sie den Wirtskörper völlig durchsetzen.« Fermand nickte. »Wir werden sehen, was sich machen läßt. Viel Hoffnung habe ich nicht.« »Bis jetzt verhält sie sich noch ganz normal. Sie war während der Fahrt nach hier völlig still, beinahe gleichgültig.« Fermands Blicke musterten den Freund. »Es kann die Ruhe vor dem Sturm sein«, sagte er kaum hörbar. Die Französin stand abwartend so weit von ihnen entfernt, daß sie nichts mitbekam. Sie hielt den Stoffetzen vor das Gesicht. Lucell war über das Aussehen seines Freundes erschrocken. Doch er konnte nichts feststellen, was darauf hinwies, daß auch Fermand sich infiziert hatte. Der Forscher war überarbeitet,
übermüdet und überforciert. Sie gingen ins Haus. Nicole Mercier bewegte sich vor Kommissar Lucell und hinter Dr. Fermand in das einsam stehende Haus hinein. Sie passierten das geräumige und gemütlich eingerichtete Wohnzimmer. Eine helle Stehlampe stand neben einem ausladenden Arbeitstisch, auf dem sich Papiere und Bücher stapelten. Mit einem Blick erkannte Lucell, daß Fermand in tiefster Arbeit steckte, daß er sie eben, mit ihrer Ankunft unterbrochen hatte. Auf einem großen Zeichenblock hatte er mehrere farbige Skizzen gezeichnet, ein seltsames, wellen- und stäbchenförmiges Muster, das offenbar die vielfache Vergrößerung eines Pilzes zeigte. Vom Wohnzimmer aus führte eine Schiebetür zu einer breiten Treppe ins Sout errain hinab. Die Tür war halb geöffnet, und Lucell warf einen Blick in die dämmrigen Laborräume, die sich Fermand mit der Zeit hier in seinem Landhaus eingerichtet hatte. Er gewahrte ein schwaches, grünliches Licht, dessen Intensität sich ständig veränderte. Plötzlich geschah es. Lucell war nur eine Sekunde unaufmerksam gewesen. Nicole Mercier warf sich auf den Gelehrten. Sie ließ plötzlich den Fetzen vor ihrem Mund los, streckte ihre Hände aus und stürzte sich auf Fermand. »Achtung!« Lucells Warnruf kam zu spät. Fermand konnte nicht mehr ausweichen. Er spürte den Griff auf seinen Schultern und warf sich sofort geistesgegenwärtig auf die Seite, um dem Zugriff noch zu entgehen. Lucell waren sekundenlang die Hände gebunden. Er konnte die Pistole nicht einsetzen, ohne das Leben des Freundes zu gefährden. Doch er konnte auch nicht untätig sein, wollte er eine Infizierung Dr. Fermands verhindern. Blitzschnell warf er sich nach vorn. Hart und trocken schlug er den Knauf der Waffe zweimal auf
den Kopf der Französin. Nicole Merciers Angriff wurde im Keim erstickt. Sie sackte ohne einen Laut von sich zu geben in die Knie. Fermand keuchte. »Bist du verletzt?« fragte Lucell besorgt. Fermand schüttelte den Kopf. »Zum Glück nicht. Sie hat meine Schultern nur mitsamt dem Stoff des Hausmantels umfaßt. Wenn ihre Fingernägel allerdings durch den Stoff gegangen wären …« Er warf einen kurzen Blick auf den reglosen Körper zu seinen Füßen. »Es tut mir leid, daß ich dich in diese Lage gebracht habe«, bemerkte Lucell kleinlaut. »Für mich ist sie noch ein Mensch, ein netter, sympathischer Kerl.« »Ich begreife dich. Du hättest sie niemals erschießen können.« »So ist es. Sie ist keine Verbrecherin, keine Mörderin, sie hat nichts getan. Sie ist krank, Alain, das weiß niemand besser als du. Man muß ihr helfen.« »Wie?« Fermand zuckte die Achseln. Er zog eine Lade an seinem Arbeitstisch auf und nahm ein paar hauchdünne Gummihandschuhe heraus, die er rasch überzog. Er warf auch Lucell ein Paar hinüber. »Hilf mir, sie in das Zimmer von Françoise zu schaffen! Ich will sehen, was ich für sie tun kann.« Gemeinsam trugen sie die Ohnmächtige in den kleineren, angrenzenden Raum. Es war ein schmuckes, gemütliches Zimmer. Von hier aus gab es den einzigen Hinterausgang auf die flache Terrasse, die sich hinter dem Haus befand. Sie legten Nicole Mercier auf einen weichen Diwan. Fermand vergewisserte sich, ob alle Fenster verriegelt waren. »Vielleicht sind deine Gedankengänge nicht einmal so absurd, Maurice«, meinte Fermand unvermittelt. »Man könnte eine Operation wagen. Ich würde mir zutrauen die kranken
Hautschichten herauszutrennen, sie wieder durch gesunde zu ersetzen. Ob es erfolgreich sein wird, ist eine andere Frage.« »Besser einen Versuch zu wagen, als den Dingen ihren Lauf zu lassen, von denen man genau weiß, wie sie sich auswirken.« »Ich bin für einen solchen Fall nicht eingerichtet, ich werde mich mit den Instrumenten begnügen müssen, die im Labor aufbewahrt werden.« Fermand entwickelte eine lebhafte Initiative. »Ich bin sofort zurück. Du brauchst übrigens keine Angst mehr vor ihr zu haben. Sie ist für die nächsten zwei Stunden mindestens außer Gefecht gesetzt.« Er war gerade an der Tür, als das Funkgerät, das Lucell bei sich trug, ein Signal von sich gab. Der Kommissar meldete sich. Er erfuhr vo n einem Streifenbeamten, daß der Unheimliche am Ortsausgang gesehen worden war. »Es handelt sich ohne Zweifel um den Mann, den wir in der letzten Nacht jagten, Herr Kommissar. Es ist ein Einarmiger. Die Meldung erhielt ich von einem jungen Mann, der sich bei mir meldete, und behauptete, daß sein Wagen, den er kurz am Straßenrand abgestellt hatte, gestohlen worden wäre. Er wies darauf hin, daß ein zweiter Bursche, der dem Einarmigen ähnlich gesehen hätte, mit dem Wagen davongefahren wäre.« »Fordern Sie sofort Verstärkung an. Sie haben volle Handlungsfreiheit! Ohne Anruf, sofort schießen, das ist ein Befehl! Schärfen Sie Ihren Leuten ein, daß sie keinem dieser unheimlichen Burschen auch nur einen Schritt zu nahe kommen. Ich muß vor jeder Berührung warnen! Die Ansteckungsgefahr ist zu groß!« »Verstanden, Herr Kommissar.« Fermand, der Zeuge des kurzen Zwiegespräches geworden war, wollte etwas sagen, doch er kam nicht mehr dazu. An dem Fenster gegenüber, dessen eine Hälfte nur mit einem Laden verdeckt war, tauchte ein großes, entstelltes, unheimliches Gesicht auf.
»Jean Dumont!« stieß Lucell aus. Er hatte die Spur der Geliebten gefunden. * Kommissar Lucell zögerte keine Sekunde. Die Pistole ruckte hoch, und ein trockener Schuß zerriß die Stille. Die Scheiben zersplitterten. Doch das Gesicht war Sekundenbruchteile vor Lucells Reaktion weggetaucht. Der Kommissar hetzte zur Tür, riß sie auf, und er sah den kräftigen Jean Dumont in langen Sätzen auf dem schmalen, unbeleuchteten Weg davonlaufen. Vorn stand ein Wagen. Das gestohlene Auto. Lucell schoß. Er verfehlte Dumont um Haaresbreite. Der Entstellte erreichte den Wagen und warf sich hinter das Steuer. Der Kommissar stürzte zu seinem Wagen. Von der anderen Seite riß Dr. Fermand die Tür auf. »Ich komme mit.« »Aber Mademoiselle Mercier…« »Ihr kann nichts gesehen. Und das Haus kann sie nicht verlassen. Es ist fest verschlossen. Außerdem wird die nächsten zwei Stunden nichts ihren Schlaf stören. Ich habe das Gefühl, daß du in eine Lage geraten bist, in der du jetzt jede Hand brauchst.« Lucell warf den Motor an. Mit kreischenden Reifen riß er den Wagen herum und folgte dem Davonfahrenden. Die Dinge hatten sich zugespitzt. Lucell erkannte die einmalige Chance, die er nicht ungenutzt vorübergehen lassen wollte. Es sah so aus, als ob er alle Fliegen plötzlich mit einer Klappe schlagen konnte. Er mußte hart am Ball bleiben. Dumont war greifbar nahe, die Kollegen saßen dem Einarmigen auf den Fersen und Nicole
Mercier war im Haus des Gelehrten untergebracht. * Sie hatte sich vo rgenommen, ihren Mann zu überraschen, und sie war unterwegs, um das auszuführen. Françoise Fermand, die hübsche Frau des jungen Gelehrten, war nur noch eine knappe Fahrstunde vom Landhaus am Rande von Montcornet entfernt. Die junge Frau war später in Reims abgefahren, als sie sich zunächst vorgenommen hatte. Eine Freundin hielt sie auf, kurz bevor sie das Haus verlassen konnte. Françoise Fermand hörte den einschmeichelnden Melodien zu, die Radio Paris nach Mitternacht sendete. Sie freute sich schon darauf, was für Augen Alain machen würde, wenn seine Frau auftauchte. Er würde nicht gleich dahinterkommen. Sie kannte den festen Schlaf, den er hatte. Sie mußte sich heimlich in das Haus schleichen. Das war ihr kein Problem, denn sie besaß für jede Tür einen Zweitschlüssel. Am besten aber würde es sein, vom Hintereingang aus in das Haus zu gehen. Sie konnte ihr Gepäck dann gleich in ihrem Zimmer ablegen und die Treppen zum gemeinsamen Schlafzimmer hochsteigen. Sie wollte sich so still wie möglich verhalten, damit Alain auf keinen Fall gestört wurde. Was für ein Gesicht würde er am Morgen machen, wenn er erwachte, und seine Françoise lag neben ihm. Er wußte nichts von dieser Überraschung, er ahnte es nicht einmal. Heute morgen noch hatte sie mit ihm telefoniert und ihm erzählt, daß sie die nächsten beiden Tage bei einer Freundin verbringen wolle, die sie schon lange nicht mehr besucht hätte. Der rote Jaguar raste wie ein Blitz über die nächtliche Fahrbahn. Die Frau am Steuer fuhr zum Landhaus des Dr. Fermand, in
dem im Augenblick niemand anders war als die bewußtlose Nicole Mercier. * Es war, als erhalte er eine kalte Dusche. Sein scharfer, sezierender Verstand, in tausend Gefahren gestählt und in tausend möglichen und unmöglichen Situationen trainiert, wurde wie vo n einem Blitz erhellt. Plötzlich lag die Frage, die Larry seit einer Stunde vergeblich zu erfassen versuchte, wie auf einem silbernen Tablett vor ihm. Er erkannte die Unlogik, die den Dingen anhaftete. Er hatte Blanche in dieses Haus begleitet. Aber das war nicht vorgesehen gewesen, niemand hatte das wissen können. Nur eine einzige Person schien systematisch einen Plan verfolgt zu haben: die schöne Blanche! Als er jetzt ihr verrutschtes Gesicht sah, fragte er sich, wer da wirklich vor ihm stand. Blanche sprang auf die Beine. Ihr wurde in diesen Augenblicken klar, daß die Droge, die sie Brent eingeflößt hatte, diesen erstaunlichen Mann offenbar nicht so lange unter Kontrolle hielt, wie zunächst berechnet. X-RAY-3 war schneller vom Diwan hoch, als die junge Dame erwartet hatte. Sie schaffte es nicht mehr, nach dem Revolver zu greifen, der in der geöffneten Lade des flachen Schränkchens neben der Blumenbank lag. Statt dessen nahm Larry die Waffe an sich, erwischte Blanche am Handgelenk und drehte sie langsam zu sich herum. »Ich glaube, wir sollten unser Gespräch fortsetzen«, sagte er hart. Die Lethargie, gegen die er noch immer ankämpfte, vermochte seinen Willen nicht mehr zu besiegen. »Allerdings unter anderen Voraussetzungen. Ich bin dir in die hübschen Fänge geraten, das war gut eingefädelt, das habe ich nicht einmal bemerkt! Du solltest mich in die Arme der Burschen
treiben, die hier im dunklen Hausflur auf mich warteten. Auch das hast du geschafft. Als ich bewußtlos war, schleppte man mich in deine Wohnung. Ich weiß nicht, was du mir gegeben hast, jedenfalls hat es gereicht, um in mir den Glauben zu entfachen, ich hätte das Gedächtnis verloren. Aber eigenartigerweise sollte ich nur ganz bestimmte Dinge vergessen. Die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, die verlangen, daß ich meinen Aufenthaltsort von Hongkong nach Montcornet verlege, die waren für dich von Interesse! Schon in Hongkong hat man deinen Einstieg geplant, der schließlich ganz zufällig in Bangkok erfolgte!« Blanche bog sich zurück. Ihre Lippen wurden schmal. »Gut kombiniert«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. Larry ließ sie nicht aus den Augen. Er war ein Bild gespannter Aufmerksamkeit. Er hatte sich mit einem Rundblick vergewissert, daß niemand außer ihnen in der Wohnung war. Das Schäferstündchen zwischen ihm und Blanche sollte in aller Ruhe und vollkommen ungestört über die Bühne gehen. Die geheimnisvollen Widersacher, die die Dinge geplant hatten, schienen überzeugt davon gewesen zu sein, daß er unter den Händen des verlockenden, liebesbereiten Fotomodells weich werden würde wie Butter an der Sonne. Aber das einzig, was weich geworden war – war das Gesicht von Blanche. Der künstliche Hautbelag, der das wahre Gesicht des Fotomodells verbarg, hatte sich unter den Händen Larrys aufgelöst. »Nehmen Sie den Kram runter«, forderte er sie auf. »Es ist nach Mitternacht, Schwester! Demaskierung!« Sie folgte seiner Aufforderung erstaunlich schnell. Sie konnte sich auf niemand verlassen, sie war auf sich allein gestellt. Und die Gefährlichkeit des PSA-Agenten war ihr bekannt. Unter der schwammigen, abbröckelnden Kunsthaut, die fast einen halben Zentimeter dick war, kam ein rundes, gelbliches Gesicht zum Vorschein. Blanche zog die künstlichen Augenbrauen ab und den Wulst, der sich verschoben hatte.
Larry grinste. »Auf die Kosmetik ist nicht immer Verlaß, Darling. Man hätte das Zeug intensiver präparieren sollen.« Zwei Minuten später stand ein anderer Mensch vor ihm. Eine Chinesin! Sie sah nicht schlecht aus, aber die Person, die sie dargestellt hatte, war um eine Klasse anziehender gewesen. Angewidert und niedergeschlagen starrte sie auf die klebenden Reste ihres ehemaligen Gesichts, das nun an ihren Fingerspitzen klebte. »Erlauben Sie, daß ich mich frisch mache?« Sie sah ihn aus großen, dunklen Augen an. »Ich habe nichts dagegen, nicht grundsätzlich jedenfalls. Nur im Augenblick ist es mir noch nicht recht. Ich glaube, daß Sie jetzt an der Reihe sind, mir erst einige Fragen zu beantworten. Vorhin habe ich eine ganze Menge geschwätzt, während sich Ihre Lippen von meinen lösten. Nachher, wenn ich mich auf die Reise begebe, erlaube ich Ihnen gern, sich im Bad ein wenig frisch zu machen. Wer ist Ihr Auftraggeber?« Sie antwortete nicht sofort, und druckste herum, es war, als ob sie Zeit gewinnen wollte. Larry wurde härter. Er verstärkte den Druck seiner Hand um ihr Armgelenk. Sie verzog das Geseicht. »Es tut mir leid«, sagte er rauh. »Vorhin konnte ich zärtlich sein zu Ihnen, jetzt hat sich die Situation um 180 Grad gewandelt.« Er ließ locker und stieß sie auf den Diwan zurück. Ihr Negligé rutschte bis über die Schenkel hoch, aber das interessierte die kleine Chinesin nicht. »Ich kann noch – oder zum Glück wieder – zwei und zwei zusammenzählen, Schwester! Sie sind Chinesin – ich war in Hongkong – und dort gab es jemand namens Fin-Ma-Kho, der uns das Leben schwermachen wollte!« während dieser Name scheinbar ganz beiläufig über seine Lippen kam, beobachtete er die Chinesin sehr genau. Sie zuckte kaum merklich zusammen. Er lag also richtig.
»Wenn Sie alles wissen, warum fragen Sie dann noch?« stieß sie heiser hervor. Sie zog die Beine an. »Sie hatten die Aufgabe, mich aufzuhalten. Das ist Ihnen gelungen. Aber ich sehe den Zweck nicht.« Sie wischte über ihr blasses, mit Resten der Kunstschicht versehenes Gesicht. »Ich komme in Teufels Küche, wenn ich spreche.« »Das liegt an Ihnen. Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor. Wir organisieren alles so, daß Ihre Freunde glauben, Sie hätten gar nicht anders gekonnt, als mir Rede und Antwort zu stehen.« Während er das sagte, griff er nach dem halbgefüllten Whiskyglas auf dem flachen Tisch neben dem Diwan und reichte es ihr. »Die Droge, die mir eingeflößt wurde. Ich bezweifle, ob Sie das Gegenmittel schon geschluckt haben.« Sie wurde noch bleicher, als sie seinen Plan in seiner ganzen Tragweite überblickte. »… Sie hatten die Absicht, mit Kommissar Lucell aus Montcornet Kontaktgespräche aufzunehmen. Ich sollte das verhindern«, sagte sie plötzlich. »Was wissen Sie über mich?« »Wir hatten Gelegenheit, Ihre und Ihres Kollegen Arbeit in Hongkong genau zu studieren. Sie waren hinter dem Mann her, dessen unheimliches Aussehen jene schockierte, die mit ihm zusammenkamen. Dieser Mann, der in Hongkong den legendären Namen ›Frankenstein‹ erhielt, leitete von einem getarnten Tempel aus seine Raubzüge.« »Fin-Ma-Kho aber war in Wirklichkeit das Oberhaupt.« »Ja, aber er war der Mann im Hintergrund, der das Ganze nur beobachtete, registrierte – genau erforschte. Der Mann, der wie Frankenstein aussah, war ein Mitarbeiter Fin-Ma-Khos, der hier in Europa, genauer gesagt, an der Absturzstelle in der Nähe Montcornets in den Überresten der Speisen, die sich an Bord des ersten chinesischen Raumschiffes befanden, eine Pilzkultur entdeckte. Fin-Ma-Kho erhielt diese Sendung durch
unseren außergewöhnlich gut funktionierenden Geheimdienst. Die französischen Behörden, die die Absturzstelle absperren ließen, bargen das Schiff und schafften es an einen geheimen Ort. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits die Vermutung, daß der Pilot des Schiffes mit dem Leben davongekommen war. Unsere Leute suchten ihn, und sie stießen auf seine Spuren. Während Fin-Ma-Kho in seinem Labor an der chinesischen Grenze die Pilzkultur untersuchte, kam es zu einem Zwischenfall: sein Mitarbeiter infizierte sich. Er floh nach Hongkong. Dort, im Zustand des Wahnsinns und der Veränderung, rief er seine Bande ins Leben. Schon während Sie auf den Spuren des Unheimlichen in Hongkong waren, kam es hier in Frankreich, in der Nähe des Städtchens Montcornet zu merkwürdigen Vorfällen. Eine Abordnung chinesischer Agenten fand heraus, daß der Pilot des chinesischen Raumschiffes tatsächlich am Leben war, daß er aber eine furchtbare Verwandlung durchgemacht hatte. – Sie mußten verhindern, daß der Pilot in die Hände der Polizei fiel oder von ihr getötet wurde. Fin-Ma-Kho setzte alles daran, um des Piloten habhaft zu werden und ihn nach China schmuggeln zu lassen. Das erwies sich schwerer als erhofft, Mehr als einmal bekamen unsere Männer den verunstalteten Piloten zu Gesicht. Sie waren mit speziellen Betäubungspistolen ausgestattet, um ihn unbeschädigt in die Hände zu bekommen. Und sie waren auch davon unterrichtet, daß sie nicht auf Tuchfühlung mit dem Piloten kommen durften. Inzwischen wurde ein weiterer Fall bekannt. Demnach gibt es zur Stunde mindestens eine weitere Person, die von den Pilzen infiziert wurde.« »Das chinesische Raumschiff hat die Krankheitserreger aus dem All zurückgebracht«, murmelte Larry dumpf. Er kannte die Befürchtungen der Wissenschaftler. Sie mußten einen Weg finden, damit keine fremden Krankheitserreger auf die Erde eingeschleppt wurden. Was war bei den Chinesen, von denen praktisch niemand wußte, daß sie sich überhaupt mit
Weltraumexperimenten beschäftigten, schiefgelaufen? Er erfuhr es aus Blanches Mund, der es lieber war, unter vollem Bewußtsein zu sprechen, als das Präparat zu schlucken, das ihre Widerstandskraft lähmte und sie zu einem willenlosen Werkzeug in den Händen Larry Brents werden ließ. »… nach nicht bestätigten Untersuchungen und aufgrund des letzten Funkspruchs, den der Pilot vor seinem Absturz senden konnte, ist anzunehmen, daß über die Abstrahldüsen die Pilze in das Raumschiff gelangten. Durch einen Defekt in der Sauerstoffversorgungsanlage des Schiffes müssen sie vom Piloten eingeatmet worden sein …« Larry begriff, weshalb diese Agentin ihn aufhalten sollte. Die Chinesen versuchten, ihren Piloten in die Hände zu bekommen. Durch sein Auftreten an den Handlungsorten aber liefen sie Gefahr, daß die Amerikaner Wind von Dingen bekamen, die sie besser nicht wissen sollten, und außerdem war da plötzlich einer der besten Agenten der Welt, der ihrem Prachtexemplar von Frankenstein gefährlich werden konnte. X-RAY-3 riß kurz entschlossen ein Tischtuch in Streifen und band der kleinen Chinesin die Füße zusammen und die Hände auf den Rücken. »Wenn man Sie so findet, dann sieht das alles ziemlich echt aus. Vielleicht einen kleinen Schluck«, fügte er noch hinzu, und mit diesen Worten hielt er ihr das mit der Droge vermengte Whiskyglas vor die Lippen. »Ein bißchen Benommenheit wäre ganz gut. Ich spreche in Ihrem Interesse. Leider muß ich mich von Ihnen verabschieden, ich habe das untrügliche Gefühl, daß ich an anderer Stelle dringender gebraucht werde. – Nochmals vielen Dank für den netten Abend! Sie haben Ihre Rolle gut gespielt, Blanche! Übrigens eine reizende Idee von Ihren Auftraggebern, das Fotomodell zu kopieren! Sie haben in Ihnen eine vortreffliche Interpretin gefunden! Alle Außenmaße stimmen!« Damit verließ X-RAY-3 die Wohnung. Er stürzte die Treppen
hinunter. Das Geländer war nicht mehr verschoben, offenbar hatten die beiden Gorillas, die ihn überfallen hatten, die Stäbe wieder notdürftig eingesetzt. Von der nächsten Telefonzelle aus rief er eine Geheimnummer an, unter der sich sofort eine männliche Stimme meldete. Der Mann am anderen Ende war ein gewisser Monsieur Teaub. Larry klärte den Verbindungsmann der PSA mit kurzen Worten auf. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er durch Teaub von den Ereignissen, die Kommissar Lucell vor etwa drei Stunden mitgeteilt hatte. Larry warf daraufhin seinen Plan völlig um. Er setzte sich mit einem Kontaktmann direkt in Paris in Verbindung. »… der Zug morgen früh nach Montcornet geht zu spät für mich ab«, schloß er. »Ich bin in einer halben Stunde auf dem Flugplatz. Sorgen Sie dafür, daß für mich ein Hubschrauber bereitsteht.« »Wird erledigt, X-RAY-3.« Auf dem Weg zum Taxistand sprach Larry einen knappen Bericht in die feinen Rillen des als Funkgerät getarnten PSARinges. Er gab X-RAY-1 wichtige Hinweise, die für das Leben und das Weiterkommen des russischen Freundes Iwan Kunaritschew, der den Parallelfall bearbeitete, von höchster Dringlichkeit war. Kunaritschew alias X-RAY-7 mußte unter allen Umständen den verschwundenen Leichnam des unheimlichen Mörders aufspüren, und wenn er dazu die Grenze nach China überschritt. Ein weiterer Gefahrenpunkt am anderen Ende der Welt. Wenn sich die Seuche weiter ausbreitete, dann … Während der Fahrt zum Flugplatz Orly döste Brent vor sich hin. Er war hundemüde, doch aus Erfahrung wußte er, daß er die nächsten Stunden noch nicht zum Schlafen kommen würde. Jede Minute war kostbar. Lucell brauchte Unterstützung in seinem Kampf gegen Mächte, denen er auf Grund seiner Ausbildung nicht gewachsen sein konnte.
X-RAY-3 ahnte, daß Lucell sich in eine Sackgasse manövrierte, wenn er die Dinge in den falschen Perspektiven zueinander sah. Er kämpfte gegen zwei Seiten, diese Gefahr mußte ihm aufgezeigt werden. Larry ahnte, daß es weiter Schlag auf Schlag ging. * Während des Fluges mit dem Hubschrauber sprach Larry Brent mit dem Piloten kaum ein Wort. Er studierte aufmerksam den Lageplan, der auf seinem Sitz gelegen hatte. Der Kontaktmann in Paris wußte, worauf es ankam, wie man Minuten herausschinden konnte. X-RAY-3 mußte sich aufgrund der Zeitnot, die entstanden war, umgehend am Ort des Geschehens zurechtfinden können. Über Funk stand er seit einer Viertelstunde mit der Zentrale in Montcornet in Verbindung. Die Verbindung klappte ausgezeichnet. Der Hubschrauber war zu diesem Zeitpunkt noch knapp fünfzig Kilometer von Montcornet entfernt, und von der Zentrale aus versuchte man eine Schaltung, um Kommissar Lucell direkt mit dem PSA-Agenten in Verbindung zu bringen. Auch das klappte. Larry erfuhr alles über den Einsatz, und Lucell teilte ihm seine Vermutungen und Befürchtungen mit. Der Kommissar ahnte nicht, wie die Dinge wirklich lagen. Larry, durch das Gespräch mit der Chinesin mit den wahren Zusammenhängen vertraut, hielt es für an der Zeit, Lucell aufzuklären. Der Amerikaner konnte sich das Gesicht des Kommissars vorstellen, als er erfuhr, daß die Menschen, gegen die er kämpfte, Opfer eines Pilzes geworden waren, der auf die Erde eingeschleppt wurde. Daß die Weltraumversuche der Russen und der Amerikaner so glücklich verlaufen waren, hing offenbar damit zusammen, daß ihnen eine größere Sorgfalt gewidmet wurde. Aus Hinweisen der Agentin wußte Larry, daß
das bemannte chinesische Schiff bei seiner Rückkehr die Ausläufer eines Kometenschweifs gestreift hatte. In den Gasen und Staubpartikeln, die in dem flammenden Schweif des Kometen mitgetragen wurden, schienen sich die Pilzkulturen, verkapselt, befunden zu haben … »Alain Fermand hat es geahnt«, antwortete es aus dem Funkgerät. Lucells Stimme klang heiser und verzerrt. »Als er die Kulturen untersuchte wurde ihm klar, daß es etwas Derartiges auf der Erde nic ht gibt.« »Wir kämpfen gegen Menschen – und doch gegen Fremde«, vernahm Larry die Stimme Dr. Fermands, nachdem auch der Gelehrte sich vorgestellt hatte. X-RAY-3 wollte genau über die Einsätze informiert sein. »Wir verfolgen Jean Dumont. Sein Wagen fährt etwa hundert Meter vor uns. Er nähert sich Richtung altem Autofriedhof, der inzwischen mehr zu einem riesigen Schuttabladeplatz für die Umgebung geworden ist«, entgegnete Lucell. Danach entstand eine längere Pause, in der Larry vergebens versuchte, den Kontakt zu dem Kommissar wieder aufzunehmen. Drei Minuten später erklang die Stimme Lucells wieder. »Wir waren unterbrochen«, erklärte er überflüssigerweise. »In dieser Zeit aber habe ich erfahren, daß meine Leute dem anderen – Frankenstein Nummer 1 – auf den Fersen sind.« Das war der chinesische Pilot, der bisher seinen Häschern immer wieder geschickt entkam, und den nicht einmal der Verlust eines Armes geschwächt zu haben schien. »Er bewegt sich in gleicher Richtung wie Jean Dumont. Auch südlich. Es sieht ganz so aus, als hätten sie beide ihr Versteck auf dem Autofriedhof. Das würde erklären, weshalb wir die ganze Zeit so erfolglos geblieben sind.« Ein trockener Schuß fiel. Aus der Ferne vernahm Larry die quietschenden Reifen, dann einen lauten Knall. Lucell ha tte auf den Wagen, in dem Dumont saß, geschossen. Offenbar war die Position so günstig gewesen, daß er es
gewagt hatte. »Wir sind direkt vor dem Autofriedhof, Monsieur Brent«, rief Lucell erregt. »Dumont krabbelt aus dem Wagen. Ich habe seinen linken Hinterreifen zerschossen, ehe er direkt auf das unübersichtliche Gelände gefahren wäre …« Lucell sprach sehr schnell. Er schilderte noch, wie er aus dem Wagen stürzte. Dumont befand sich keine zehn Schritte von ihm entfernt. Dann ein Kratzen, ein leiser Aufschrei Lucells. Stille. Es kam keine Verbindung mehr zu Stande. Auch in der Zentrale war man wie vor den Kopf geschlagen und wußte nicht, was geschehen war. Mit knatternden Luftschrauben stürmte der Hubschrauber durch die Nacht. Mit brennenden Augen starrte Larry Brent in das Dunkel vor sich. Die nächste Viertelstunde kam ihm wie eine Ewigkeit vor. * Wie aus dem Boden gewachsen standen sie plötzlich neben ihm. Lucell und Fermand wichen zurück. Der Kommissar kam nicht mehr dazu, noch einen Warnruf auszustoßen, geschweige denn seine Pistole abzudrücken. Damit hätte er sein eigenes Todesurteil gesprochen. Die drei Chinesen hielten die Maschinengewehre im Anschlag. Sie standen wie Statuen neben dem krautüberwachsenen Chassis eines rostigen Lkw. Einer von ihnen schlug Lucell das Funkgerät aus der Hand und stieß den Franzosen mit brutaler Hand zurück an den Wagen. Ein Vierter kümmerte sich um Jean Dumont. Ein dumpfes »Plopp« fiel in die Stille. Mit geweiteten Augen sah Lucell, wie Dumont getroffen wurde. Doch nicht von einem Bleimantelgeschoß, sondern von
einer fingerdicken Kapsel, die nadelspitz zulief und genau in seinem Oberarm steckenblieb. Dumont schrie auf, drehte sich wütend um seine eigene Achse und versuchte im Gewirr der übereinandergestapelten Kanister und rostzerfressener Autokarosserien zu entkommen. Er taumelte. Da traf ihn die zweite Betäubungskapsel aus dem dicken Lauf des merkwürdigen Gewehres. Lucell schluckte. Er sah, wie der Franzose, dessen Gesicht aussah wie eine aufgebrochene Kraterlandschaft, schwankte. In letzter Verzweiflung stürzte er sich nach vorn und wollte seinem Widersacher, der ihm diese Schmerzen zufügte, packen. Doch auf halbem Weg begann das hochkonzentrierte Betäubungsmittel zu wirken. Wie vom Blitz gefällt stürzte Dumont zu Boden. Der Untergrund erzitterte, als sein schwerer Körper aufschlug. Der Chinese, der mit der Maschinenpistole Lucell und den Gelehrten in Schach hielt, grinste. »Wir haben Sie doch gewarnt, Lucell! Haben Sie das schon vergessen? Das ist schade für Sie und Ihren Begleiter. Dieser Mann hier …« mit einem kurzen Seitenblick gab er zu verstehen, daß er Dumont meinte, »… mag zwar ein Franzose sein, aber er ist nicht mehr Eigentum Ihres Staates, um es einmal so auszudrücken. Auch den Piloten, den Sie so lange jagten, werden Sie nun bald los. Wir nehmen Ihnen eine wichtige Arbeit ab, Sie sollten uns dankbar sein. Leider haben wir erst ziemlich spät das Versteck der Ungeheuer – wie Sie diese Männer bezeichnen – gefunden. Zur gleichen Zeit mit Ihnen. Fast wären Sie uns zuvorgekommen. Sie müssen verstehen, daß unsere Forscher in erster Linie daran interessiert sind, was unser Mann aus dem All zurückbrachte. Wir sind illegal hier, aber auf irgendeine Weise müssen wir unser Recht doch wahrnehmen, nicht wahr?« Er lachte spöttisch. Er sprach ein akzentfreies Französisch. »Sie sind sich der Gefahr nicht bewußt, in die Sie sich
begeben, in die Sie viele unschuldige andere Menschen bringen«, stieß Dr. Fermand aufgebracht hervor. »Diese Wesen sind keine Menschen mehr – sie sind Mörder! Die Beispiele in der Vergangenheit zeigen, auf welche Weise sie sich verändert haben. Sie sind lebensbedrohend. Jeder Kontakt mit ihnen führt ins Verderben …« »Um so glücklicher müßten Sie sein, daß wir Sie von dieser Gefahr befreien«, erwiderte der Chinese spöttisch. »Darum geht es nicht. Es geht darum, die Ursache auszuschalten und nicht darum, die tödliche Gefahr an einen anderen Ort zu übertragen. Ob Franzosen, Engländer, Amerikaner, Russen oder Chinesen – die Seuche wird vor keinem haltmachen, sie fragt nicht nach Nationalität. Wenn die Bedingungen geschaffen werden, dann können innerhalb kürzester Zeit Hunderte oder Tausende infiziert werden, der Kreis der Kontaktpersonen wird immer größer. Jetzt ist er noch zu überblicken, jetzt kann man die Gefahr noch eindämmen, und …« »Schwätzer«, sagte der chinesische Agent, und mit dieser Bemerkung zog er dem Gelehrten den Knauf der Pistole über den Kopf. Fermand brach ohne einen Laut zusammen. Lucell sprang im ersten Moment der Erregung den Gegner an. Doch sein Angriff wurde im Keim erstickt. Man machte nicht viel Federlesens. Man schlug auch ihn nieder. Dann zerrte der Chinese sie einfach in eines der zahlreichen Autowracks, drückte die Tür zu und kümmerte sich nicht weiter um sie. Die chinesischen Agenten trugen Gummihandschuhe. Vorsichtig schleppten sie den schweren Dumont in das hinter der Schutthalde stehende Auto, einen kleinen Lastwagen, der mit dem Namen einer französischen Möbelfirma beschriftet war. Dumont befand sich in tiefer Narkose. Die Männer, die den Auftrag hatten, den chinesischen Piloten und den infizierten Franzosen zu entführen, hatten die Hälfte ihres Planes erfüllt.
In der Dunkelheit des Wagens warteten sie auf das Signal des fünften Mannes der Kolonne, der sich in der Nähe des Verstecks befand, in dem der unheimliche Pilot gewöhnlich Unterschlupf suchte. Ein dumpfes Klopfen auf den Kotflügel eines Autowracks war das abgesprochene Zeichen. Es erfolgte zur gleichen Zeit, mit dem Stimmengewirr und dem Rufen vom anderen Ende des Autofriedhofes. »Er kommt, und sie jagen ihn«, sagte der Chinese, der Fermand und Lucell niedergeschlagen hatte. »Kommt! Wir kümmern uns darum. Ihr bleibt hier …« Damit meinte er den Fahrer und den anderen bewaffneten Wächter, der neben der Tür stand, hinter der der betäubte Dumont lag. Die Geheimdienstagenten stürzten davon. Sie huschten geduckt zwischen den aufgetürmten leeren Autohüllen, zwischen den Bergen aus Kanistern und Kasten. Es lagen Autos hier, die von ihren Besitzern hierhergefahren und dann zurückgelassen wurden. Manche noch verhältnismäßig gutaussehend und fahrbereit. In vielen Tanks befand sich noch Benzin. Taschenlampen leuchteten auf. Die Männer Lucells, zehn an der Zahl, tauchten am anderen Ende auf. Vor ihnen her stürzte das einarmige Ungeheuer, das eine Größe von zwei Metern hatte. Das aufgequollene Fleisch der unteren Glieder, besonders der Füße war größer als unter normalen Umständen. Kein Schuh hätte dem unheimlichen Piloten mehr gepaßt. Sein Armstumpf wedelte während des raschen Laufes, mit dem er seinen schweren Körper vorwärtsbewegte, an der Seite. Der Stumpf war von einem großen krebsartigen Geschwür überwachsen. Kein Anzeichen einer Nachblutung, es sah so aus, als wäre der halbe Arm seit langer Zeit schon vernarbt. Zur gleichen Zeit, als die beiden Chinesen in langen Sätzen davonhetzten, als die Leute Lucells sich anschickten, das Ungeheuer zu stellen, dem sie sich auf Schußweite genähert
hatten – da war die Luft plötzlich erfüllt vom Rattern heftig schlagender Luftschrauben. * Wie eine überdimensionale Hornisse hing der Hubschrauber über dem Autofriedhof. Larry geriet mitten in den Hexenkessel. Mündungsflammen blitzten auf. Die Polizisten Lucells wurden von den sich hinter Autowracks verbergenden Agenten Fin-Ma-Kho gnadenlos angegriffen. Zwei Franzosen starben unter dem Kugelhagel, ehe sie überhaupt begriffen, was geschah. Die anderen warfen sich auf den Boden und robbten hinter die Wracks, hinter aufgestapelte Maschinenteile und Blechkanister. »Die Leiter raus!« befahl Larry. Die Strickleiter fiel nach außen, als die Klappe nach oben gezogen wurde. X-RAY-3 schaltete sich in das Geschehen ein, und man empfing ihn heiß. Die Kugeln umschwirrten ihn, eine riß ihm die Schulter auf. Er spürte den bohrenden Schmerz, und für einen Augenblick glaub te er, den Halt zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen. Der Pilot reagierte, ohne daß Larry ein Wort zu sagen brauchte. Er löschte sämtliche Positionslampen. Das erschwerte den Schützen unten das Zielen. X-RAY-3 stieg nach unten. Es ging um sein Leben. Die Leiter rutschte automatisch tiefer. Von seinem erhöhten Standpunkt aus überblickte er die Dinge, die sich insgesamt abspielten. Von zwei Seiten attackierte man ihn. Ein Maschinengewehr begann zu rattern. Der Wächter an dem abgestellten Lkw griff in den Kampf ein. Er war dem PSA-Agenten am nächsten. Larry erkannte die tödliche Gefahr. Er schwebte noch fünf Meter über dem Boden. Unter ihm die scharfkantigen, rostigen Wracks dazwischen wie kleine Inseln die Wege, mit
trockenem, armseligem Gras bewachsene Flächen. Er gab sich einen Schwung, stieß sich ab und ließ sich fallen. Ein Kugelhagel spritzte über ihn hinweg. Im Fallen drückte er die Pistole ab. Er traf den Schützen mitten in die Brust. Der Chinese taumelte, und seine Waffe bohrte sich neben ihm in den körnigen Sand. Larry federte ab und rollte sich auf die Seite. Er hatte den Sprung genau berechnet. Zwanzig Zentimeter weiter nach links – und die aufgerissene, scharfkantige Karosserie eines Ferrari hätte ihn aufgeschlitzt wie ein überdimensionales Messer. Mit der ihm eigenen Kombinationsgabe erkannte er die Dinge und schaltete sich ein. Der Lkw-Fahrer warf den Motor an. Die kostbare Fracht im Innern des Wagens mußte in Sicherheit gebracht werden. Er wußte nicht, daß die Tür hinten im Aufbau weit offenstand. Der PSA-Agent rollte sich blitzschnell zur Seite, als der schwere Lkw auf ihn zuschoß. Um Haaresbreite verfehlten ihn die Vorderräder. Knirschend rollten die Reifen über den trockenen, spröden Boden. Der Chauffeur hatte seine Courage stärker eingeschätzt. Er bekam den Lkw nicht mehr unter Kontrolle. Das Steuerrad wurde ihm aus der Hand gerissen. Mit Donnergetöse knallte der Wagen mit der Kühlerhaube in einen Berg von rostigen Karosserien und Maschinenteilen und blieb darin stecken. Wie ein Panther war X-RAY-3 auf den Beinen, sprang auf, zerrte den Chinesen hinter dem Steuer hervor und setzte ihn mit einem geübten Aikido-Drehgriff außer Gefecht. Wimmernd lag der Agent am Boden, unfähig, nach der Maschinenpistole zu greifen, die sein Kumpan, nur eine Handbreit von ihm entfernt, noch zwischen den starren Fingern hielt. Zwischen den restlichen Polizisten und den schießgeübten chinesischen Agenten kam es zu einem kurzen erbitterten Kampf. Robbend näherte sich X-RAY-3 der Stelle. Genau zwischen den beiden kämpfenden Parteien hielt sich das
Ungeheuer verborgen, der chinesische Pilot, der von den Leuten Lucells auftragsgemäß eliminiert werden sollte, den die Chinesen aber lebend in ihre Hände bekommen wollten, weil ihr Auftraggeber Fin-Ma-Kho geheimnisvolle Experimente plante. Metall knirschte auf Metall, wie wütende Hornissen spritzten die Querschläger ab. Plötzlich sprang Frankenstein 1 geduckt aus seinem riskanten Versteck und versuchte die andere Seite des Kanisterstapels zu erreichen. Eine Kugel traf ihn mitten im Lauf. Der Getroffene wirbelte herum und schrie wie von Sinnen auf, daß seine Stimme sogar den Schußwechsel übertönte. Und dann tat er etwas in seiner Todesangst, was Larry niemals im Leben vergaß. Er riß die Karosserie eines Autos in die Höhe, mit beinah übermenschlicher Kraft, zu der ein normaler Sterblicher nie imstande gewesen wäre. Sekundenlang stand er so auf dem Berg der Wracks, mit angstverzerrtem, wildem Gesicht, beide Arme erhoben, wobei der linke, wulstartige Armstumpf das Heck der Karosserie abstützte. Mit einem fürchterlichen Brüllen stieß der tödlich Verletzte das Wrack von sich, ehe zwei, drei Schüsse aus der Richtung der französischen Beamten ihm den Brustkorb aufrissen. Der Koloß mit der ungeheuren Kraft stützte mit gellendem Todesschrei in den Berg der scharfkantigen Bleche und Kanister, während das von ihm weggeschleuderte Wrack genau auf die beiden chinesischen Agenten fiel, die keine zehn Schritte von ihm entfernt hinter einem alten, umgekippten Lastwagen in Stellung gegangen waren. Der eine wurde zermalmt, der andere versuchte sich noch zu retten. Doch seine Beine wurden eingeklemmt. Während er entsetzlich schreiend zu Boden stürzte, löste sich eine Serie von Schüssen aus einer Waffe. Die Kugeln schlugen in der Nähe Larry Brents ein und bohrten sich in den Tank des
kleinen Lkw, in dem der betäubte Jean Dumont lag. Eine Stichflamme schoß in den Nachthimmel. Das Feuer griff sofort auf die umliegenden Kanister über, in denen noch Öl- und Benzinreste waren. Ein knisterndes Feuerwerk tanzender Funken und durch die Luft segelnder fingerlanger Flammen beherrschte die Szene. X-RAY-3 übersah mit einem Blick die Situation. Gehetzt lief er über den Weg und ergriff die andere Seite der aufgeschichteten Wracks. Einige Autos standen in hellen Flammen. Das Meer aus Rauch und Qualm und Feuer breitete sich blitzschnell aus. Der Amerikaner wich zurück. Die Polizisten auf der anderen Seite der Feuerwand mußten sehen, wie sie sich in Sicherheit brachten. Der Schweiß rann in Bächen von seinem Gesicht, als er den in Flammen stehenden Lastwagen erreichte. Das Gerüst des Aufbaus bestand nur noch aus glühenden Metallgestängen. Hinter den wütenden Flammen erkannte Larry die Umrisse eines verunstalteten Menschen: Jean Dumont. X-RAY-3 begann zu rennen. Die Hitze um ihn herum wurde unerträglich. Immer mehr Autos fingen Feuer, immer öfter erscholl eine heftige Explosion und erschütterte die Luft. Sein Blut erstarrte, als er in einem Wrack an seiner Seite eine schwache Bewegung wahrnahm. Er bemerkte die beiden Mensche n auf den Sitzen. Benommen versuchte Kommissar Lucell sich aufzurichten, doch ihm fehlte die Kraft. Der Rauch, der in das Autowrack drang, war auch nicht gerade dazu angetan, die Lebensgeister der beiden Männer wieder anzukurbeln. X-RAY-3 handelte schnell. Er zerrte die beiden Freunde nach außen. Lucell kam wieder zu sich, taumelte und begriff nicht. Brent schüttelte ihn und schlug ihm auf die Backen. »Laufen Sie, schnell!« keuchte er, während er den
bewußtlosen Fermand auf die Schultern nahm und zum Ausgang schleppte. Lucell taumelte hustend und mit brennenden Augen neben ihm her. »Hierher, Monsieur Brent«, sagte der Kommissar und wies auf seinen Wagen, der keine zehn Schritte von ihnen entfernt stand. Ohne Zwischenfall stiegen sie schnell ein. Lucell startete und fuhr den Wagen rückwärts. Dick und zäh stieg der Qualm über sie hinweg. Sie erreichten die Straße. Da wurde Fermand wach. Es dauerte drei volle Minuten, ehe er begriff, was geschehen war. »Alles in Ordnung«, sagte Lucell heiser und mit hochrotem Gesicht. »Es ist das eingetreten, was du dir immer gewünscht hast: daß die Pilze verbrennen!« »So groß habe ich mir das Feuer nicht vorgestellt«, brummte der Gelehrte. »Es kommt manchmal anders, als man denkt.« Lucell starrte hinüber zu den dunklen Gestalten, die sich von der anderen Seite des Autofriedhofes näherten. Seine Beamten. Fermand sagte, daß es gut wäre, so schnell wie möglich nach Nicole Mercier zu sehen. Zwei Stunden wären längst um. »Sie ist der letzte Gefahrenpunkt«, fügte er hinzu. Lucell blieb zurück. Er überließ dem Freund den Wagen. »Ich kümmere mich um meine Leute und sehe nach, ob die beiden Burschen wirklich völlig ausgeschaltet sind. Gewißheit ist das Gebot der Stunde!« Er taumelte noch immer, als er sich vom Wagen entfernte. Fermand ha tte es plötzlich sehr eilig, in sein Landhaus zu kommen. Unruhe erfüllte ihn, er konnte sie sich nicht erklären. Larry Brent begleitete ihn. * Als der Wagen noch etwa fünfzig Meter vom Ziel entfernt war, sah Alain Fermand schon den knallroten Jaguar seiner Frau vor dem Gartentor.
»Mein Gott«, kam es wie ein Hauch über seine Lippen. Er bremste scharf, riß die Tür auf und stürzte zu der offenstehenden Haustür. Larry war ihm dicht auf den Fersen. »Françoise!« brüllte Fermand durch die Stille. Panikartiges Entsetzen erfüllte ihn. Er starrte in das Wohnzimmer. Es sah aus, als wäre ein Orkan in die Möbel gefahren. Der Tisch lag auf dem Teppich, die Zeichenblätter und Skizzenbogen waren über dem Boden verstreut, Bilderrahmen auseinandergerissen, Gemälde zerstört. Fermand eilte in das Zimmer seiner Frau. »Françoise?!« schrie er entsetzt. Nicole Mercier war verschwunden. Er hörte ein Geräusch auf der Treppe. Larry Brent wirbelte herum. Er sah Françoise Fermand auf der obersten Stufe, bleich und angsterfüllt. Im gleichen Augenblick erfolgte ein Geräusch auf der Treppe, die in das Labor im Souterrain führte. Eine Gestalt tauchte auf. Nicole Mercier! Nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Pilzkulturen bedeckten ihren ganzen Körper. Ihr Kleid war zerrissen und legte ihre bloße, häßliche überwucherte Haut frei. Ihre Augen loderten in einem wilden, alles verzehrenden Feuer. Wütend griff sie nach der umgekippten Stehlampe und benutzte sie als Wurfspeer gegen den anwesenden Agenten. »Töten Sie sie!« brüllte Fermand entsetzt. Es wäre sinnlos gewesen, diese Frau zu operieren, es war eine Augenblicksidee von Lucell und ihm. Von Anfang an war Nicole Mercier nach ihrer Infizierung nicht mehr zu retten. Was hätte er wegschneiden sollen? Ihr Gesicht – ihren Kopf? Larry Brent wußte, daß es keinen anderen Ausweg gab. Er drückte ab. Zwei Schüsse brachten Nicole Mercier zu Fall. Fermand wandte sich seiner Frau zu mit einer bangen Frage auf dem Herzen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie gesehen, Alain«, wisperte die hübsche Françoise Fermand kaum hörbar. »Ich
habe die Wohnung gesehen – sie muß kurz vor meiner Ankunft alles demoliert haben. Ich habe sie nicht berührt, nein …« Der Gelehrte näherte sich seiner Frau und musterte sie angstvoll. »Ich kann dich nicht umarmen, Liebling«, flüsterte er. »Ich muß vorsichtig sein, das mußt du verstehen.« Sie nickte. »Beobachten Sie sie, Monsieur Brent«, wandte er sich an den Agenten. »Ich muß noch etwas anderes erledigen.« Mit diesen Worten wickelte er die Tote ein, trug sie hinaus in den Garten, übergoß sie mit Benzin und zündete sie an. In dieser Nacht wachte Dr. Fermand mit der Pistole in der Hand am Bett seiner Frau und ließ sie nicht aus den Augen. Im Morgengrauen glaubte er sicher zu sein, daß sie in der Tat nicht mit Nicole Mercier zusammengestoßen war. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. »Dann dürfte der letzte Gefahrenherd in der Tat beseitigt sein«, murmelte er dumpf und müde, und Larry Brent, der die Nacht ebenfalls im Haus verbracht hatte, sah ihn ernst an. »Hoffen wir’s«, meinte X-RAY-3. »Es ist leicht möglich, daß an anderer Stelle der Fall neu aufflammt …« Er dachte an Iwan Kunaritschew, der in Hongkong seine Mission noch nicht beendet hatte. * Zwei Tage später hatte er die Gewißheit: der Gefahrenherd in Hongkong ist beseitigt. Iwan Kunaritschew war es gelungen, das Versteck ausfindig zu machen, wo Fin-Ma-Kho die Leiche hatte verbergen lassen. Vor dem Abtransport über die Grenze hatte er sie abfangen können. Und er befolgte den Rat, den Larry Brent ihm über die PSA-Zentrale hatte zukommen lassen: den Leichnam zu verbrennen. Der PSA unter dem geheimnisvollen Leiter X-RAY-1 ging
ein ausführlicher Bericht zu. X-RAY-1 hielt es für seine Pflicht, das Pentagon zu unterrichten. Von dort aus wiederum wurde die Nasa verständigt, die an den großen amerikanischen Weltraumexperimenten arbeitete. Für die Zukunft mußte verhindert werden, daß durch Weltraumexperimente menschliches Leben auf der Erde gefährdet wurde.