Freder van Holk Vorhof der Unterwelt
1.
Grau, verwittert und halb zerfallen schob sich die alte Mole von Maracaibo ...
8 downloads
435 Views
835KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Freder van Holk Vorhof der Unterwelt
1.
Grau, verwittert und halb zerfallen schob sich die alte Mole von Maracaibo in die dunkle Lagune hin ein. Ein kleiner, alter Dampfer schaukelte neben ihr auf der öligen schwarzen Flut der Lagune. Das Gewirr vielfältiger Geräusche einer abendli chen Stadt drang nur als dumpfes Brausen zu dem steinernen Damm hin. Weit draußen zogen sich drei Männer an den nas sen Blöcken empor und schwangen sich auf die Mo le. Während sie die Bündel von ihren Köpfen schnallten, in denen sie ihre Kleidung über das Was ser getragen hatten, schüttelten sie die Nässe von sich ab. Zahllose Menschen hatte die alte Mole getragen, aber wohl noch nie einen Mann, der so vollkommen ebenmäßig und so wundervoll durchgebildet war wie Sun Koh. Neben ihm stand Nimba, der dunkelhäuti ge Hüne mit dem mächtigen Brustkorb und den dro henden Muskeln. Hal Mervin, der dritte im Bund, wirkte neben ihm schmächtig, obgleich er ungemein sehnig und zäh war. Sein helles, sommersprossiges Gesicht verriet, daß er seine Talente einzusetzen wußte. Über der Lagune dröhnte es auf. Die Maschine, die sie in die Lagune gebracht hatte, flog zurück. Sie waren hinter Vincente Micero her, einem 4
Freund Juan Garcias, der sich neuerdings wieder be merkbar machte. Es hieß von Micero, daß er Wissen schaftler aus aller Welt in seiner Gewalt hatte, die freiwillig oder unfreiwillig für ihn arbeiteten. Mögli cherweise zeichnete er dafür verantwortlich, daß in den letzten Jahren mancher namhafte Gelehrte spur los verschwunden war. Für Sun Koh genügte es, sich die Liste dieser Verschwundenen anzusehen. Hier ballte sich eine Gefahr für sein eigenes Werk zu sammen. Vincente Micero war nicht besser als Juan Garcia, und wenn er noch unbekannte technische Hilfsmittel in die Hand bekam, verwendete er sie be stimmt nicht zum Wohle der Menschheit. Die Nachforschungen hatten zwei Möglichkeiten ergeben. Die Wissenschaftler befanden sich vermut lich auf einer Besitzung Miceros am Rio Cascable, dem Fluß der Hornklapperschlange, doch war auch nicht ausgeschlossen, daß sie in gewissen Höhlen von Honduras festgehalten wurden. Sun Koh hatte sich entschlossen, zunächst am Rio Cascable nachzu forschen. Der Weg führte über Maracaibo, dem Zentrum der Macht Miceros. Er galt als sehr reich und beherrschte nicht nur das Öl, sondern auch die Wirtschaft, die Politik und die Behörden seines Landes. Und er war ebenso rücksichtslos wie gefährlich. Die drei auf der Mole kleideten sich an, während das Geräusch des Flugzeugs immer schwächer wurde. 5
Als sie die Pistolen in den Taschen versenkten, räusperte sich nicht weit von ihnen ein Mann. »Hallo, Gentlemen, ich hoffe, daß Sie nun fertig angezogen sind, so daß ich meine schamerfüllten Augen wieder aufmachen kann.« Die drei zuckten herum. Der Mann, der in einer Nische zwischen zwei Blöcken der Molenwand auf tauchte, hatte kaum ausgesprochen, als Sun Koh auch schon neben ihm stand. »Wer sind Sie?« »Donald Covington.« Sun Koh zog die Taschenlampe heraus und leuchte te den anderen wortlos ab. Covington war stämmig und nicht schlecht gebaut, aber die Kleider konnten selbst einen Lumpenhändler kaum noch reizen. Eine überaus schmierige, oft geflickte und ausgefranste Hose, ein verschlissenes Hemd. Unter dem Strohhut drang wir res, rötliches Haar hervor. Das Gesicht war braunrot verwettert, wirkte aber trotzdem nicht gesund. »Zufrieden?« fragte Covington während der Prü fung. »Ich sehe genauso aus wie einer, der sechs Monate Gefängnis und einige Monate Hungerleben hinter sich hat. Die sechs Monate verdanke ich unse rem gemeinsamen Freund Micero, auf den Sie ja nicht gerade gut zu sprechen sind.« Sun Koh nannte seinen Namen, worauf Covington murmelte: »Die beiden dort sind Nimba und Hal, das habe ich schon gehört.« 6
»Sie haben uns belauscht?« »Tja, das war nicht zu vermeiden, da Sie sich nun einmal unterhalten haben. Ich konnte doch nicht ah nen, daß Sie Wert auf Anonymität legen. Ich habe geschlafen und bin erst munter geworden, als Sie sich wieder angezogen haben. Hoffentlich haben Sie alles nachgezählt, damit ich nicht in Verdacht gerate, Ihre Taschen ausgeleert zu haben, während Sie im Wasser waren.« »Sie haben zwischen den Steinen geschlafen?« Covington hob die Schultern. »Nicht das schlechteste Quartier, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat. Wenn in meiner Tasche einige Bolivars steckten, würde ich natürlich lieber im Hotel schlafen.« »Waren Sie auf den Ölfeldern tätig?« »Ja, als Driller. Ich leitete die Bohrungen, wovon ich als Ingenieur allerhand verstehe. Ich habe die Pe troleumbarrels zu Millionen aus der Erde gezaubert, alles für die Universal Oil Company, also für Micero. Die Gesellschaft ist scheinbar amerikanisch, aber in Wirklichkeit hat dieser plattgesichtige Venezolaner alles in der Hand. Ich könnte ja heute noch für ihn arbeiten, aber wahrscheinlich hätte ich ihm meine Meinung auch gesagt, wenn ich gewußt hätte, wer er ist.« »Sie hatten einen Zusammenstoß mit ihm?« fragte Sun Koh. 7
»Das kann man schon sagen«, bestätigte Coving ton. »Er kam mit einigen Leuten von der Direktion, als wir gerade ein neues Feld angestochen hatten. Wie gewöhnlich ging es ein bißchen toll zu, kein Mensch hatte Zeit, sich um die feinen Herren zu kümmern. Einer von den Rohrlegern nahm sich doch die Zeit und war dafür im Handumdrehen halb zer quetscht. Micero paßte es nicht, daß wir uns deshalb ein paar Minuten aufhielten. Nun, ich habe ihm mei ne Meinung gesagt und ihm Richtung gegeben. Am nächsten Tag hatte ich meine Papiere. Ich bin schleunigst zum Verwaltungsgebäude hier in Mara caibo gezogen um dem Kerl meine Meinung noch einmal gründlich zu sagen. Das war eine Dummheit, die mir sechs Monate wegen Hausfriedensbruchs eingetragen hat. In der Ölprovinz gibt es natürlich keine Arbeit mehr für mich. Ich stehe auf der schwarzen Liste.« »Sie haben gehört, daß wir keine Freunde Miceros sind?« fragte Sun Koh. »Den Eindruck hatte ich allerdings«, sagte Co vington. »Sonst hätte ich mich nämlich gar nicht ge rührt. Ich dachte mir, Sie könnten vielleicht einen guten Ratschlag brauchen. Sagten Sie nicht, daß Sie sich erst nach einem Hotel umsehen wollten?« »Ja.« »Wenn Sie wirklich mit Micero anbinden wollen oder mit ihm was gehabt haben, müssen Sie sich 8
mächtig in acht nehmen. Micero hat seine Hände überall, davon kann ich ein Lied singen. Gehen Sie vor allen Dingen nicht in ein Hotel, denn da sind Sie gleich verkauft. Wollen Sie lange hierbleiben?« »Nicht länger, als nötig ist, um eine Ausrüstung für eine Urwaldfahrt zusammenzustellen.« Covington schob den Kopf vor. »Wieso? Wollen Sie auf die Ölsuche gehen?« »Nein. Micero hat einige Leute entführt, für die ich mich interessiere. Ich vermute, daß sie auf seiner Besitzung am Rio Cascable gefangengehalten wer den. Unsere Fahrt gilt ihrer Befreiung.« Covington stieß einen kurzen Pfiff aus. »Hm, der Rio Cascable ist ein kleiner Fluß, der in die Lagune mündet. Er ist meines Wissens überhaupt noch nicht erforscht. Sumpf und Urwald können kei nen Menschen reizen. Vor allem aber sitzen dort noch wilde Stämme der Indios Motilones. Ich glau be, den Chaparros gehört jenes Gebiet. Eine böse Gegend, in der man auf hundert Arten umkommen kann und keine anständige Möglichkeit zum Leben findet. Ich halte es für ausgeschlossen, daß Micero dort eine Besitzung hat.« »Der Rio Cascable kommt vom Gebirge herun ter.« »Wenn schon. Dort oben könnte man wohl ganz hübsch leben – in drei- bis viertausend Meter Höhe kommt man sich unter dem zehnten Breitengrad wie 9
in einem Luftkurort vor –, aber man kommt gar nicht hin, weder von dieser Seite noch vom Magdalenen strom her.« »Sie vergessen die Flugzeuge.« »Allerdings, mit Flugzeugen wäre es nicht schwer. Aber warum nehmen Sie dann nicht selbst ein Flug zeug? Haben Sie kein Geld?« »Das schon, aber unter Urwaldbäumen läßt sich zuviel verstecken. Wir wollen es lieber so versu chen.« »Na ja, aber Sie kommen überhaupt nicht hin. So bald Sie sich hier ausrüsten, erfährt er davon.« »Vielleicht nicht, wenn Sie uns helfen. Ich erwäge eben, daß Sie alles für uns einkaufen könnten. Oder wird Micero auch Sie nicht fortlassen wollen?« Covington lachte. »Er wird nichts dagegen haben, wenn ich auf Ölsuche gehe. Als ehemaliger Angestellter seiner Ge sellschaft bin ich ganz in seiner Hand. Alle Funde, die ich mache, gehören ihm, selbst wenn ich nicht mehr zur Gesellschaft gehöre. Das habe ich unter schrieben. Man darf ihm natürlich nicht gerade er zählen, daß ich zum Rio Cascable will. Also daran würde es nicht liegen, und ich will Ihnen auch gern behilflich sein, aber – wie denken Sie sich das? Sie können doch nicht mit mir von Laden zu Laden ge hen. Wenn Sie zum Rio Cascable kommen wollen, darf kein Mensch ahnen, daß ich die Ausrüstung für 10
Sie besorge. Ich werde natürlich sagen, daß ich selbst mit zwei Freunden einen Versuch machen will. Das ließe sich ordnen. Aber die Ausrüstung kostet aller hand, und auf meine schönen Augen hin wird mir kein Mensch was geben.« Sun Koh zog seine Brieftasche und nahm einige Scheine heraus. »Wird das genügen?« »Nicht, wenn Sie gute Gewehre mitnehmen wol len, was unbedingt nötig sein wird.« Sun Koh er gänzte die Summe um das Doppelte. »Sie wollen mir doch nicht etwa so ohne weiteres das Geld aushändigen? Wenn ich nun einfach durch brenne?« »Dann habe ich zweihundert Pfund verloren«, sag te Sun Koh. »Das macht nicht viel aus. Schlimmer wäre es, wenn Sie mein Vertrauen enttäuschen wür den!« Covington streckte seine Hand hin. »Sie sind mächtig anständig. Und Sie werden se hen, daß es keine größere Sicherheit gibt, als jeman dem Vertrauen zu schenken.« Sun Koh drückte die gebotene Hand. »Essen Sie sich vor allem einmal satt, und vergessen Sie auch nicht, sich einzukleiden.« »Damit werde ich vorsichtig sein«, meinte Co vington. »Die Leute werden leicht stutzig, wenn ich mich in Schale werfe. Aber essen, das ist kein Fehler. 11
Drei Mahlzeiten auf einmal, wenn es geht. Ich werde Ihnen eine Ausrüstung besorgen, die sich gewaschen hat. Aber wir müssen da noch manches besprechen. Wollen Sie wirklich in ein Hotel?« »Wissen Sie eine bessere Möglichkeit?« »Ein Bekannter von mir hat ein kleines Gasthaus, dort könnten Sie leidlich unterkommen, wenn Sie nicht zu große Ansprüche stellen. Er ist Deutscher, ein anständiger Kerl, auf den Sie sich verlassen kön nen.« »Wo wohnt er?« »Suchen Sie den Plaza Baralt auf. Wenn Sie von ihm aus den Boulevard Baralt hinuntergehen, müssen Sie in die zweite Querstraße links einbiegen, dann sehen Sie das Schild schon. Harling heißt er. Grüßen Sie ihn von mir, und sagen Sie ihm, daß Micero nichts von Ihnen erfahren soll, dann wird er schon für alles sorgen. Ich komme dann heute oder morgen nach. Auf den Straßen darf man uns nicht zusammen sehen, sonst ist die Sache gleich verraten.« »Gut«, sagte Sun Koh. »Und denken Sie daran, daß wir einige Leute suchen. Vielleicht hören Sie etwas darüber.« Covington schüttelte den Kopf. Seine Stimme klang verändert, fast feindlich. »Zwecklos, völlig zwecklos. Ich treibe mich seit Monaten in jeder Gasse herum, um jemand zu fin den, den Micero verschleppt hat. Sie sind der erste, 12
der den Rio Cascable erwähnt. Sie wissen mehr als ich.« »Ein Freund?« »Ein junges Mädchen«, antwortete Covington rauh. »Die Tochter Harlings. Wir sind verlobt. Mice ro hält es wohl für ratsam, eine Geisel in der Hand zu haben, solange er mich noch in der Gegend weiß. Soll ich vorangehen, oder wollen Sie die Mole zuerst verlassen?« »Warten Sie hier, das ist besser.« Die drei hatten die Mole kaum verlassen und den hellen Lichtfleck einer Bogenlampe durchquert, als mit hastigen Schritten ein uniformierter Guardia, ein Polizist, an sie herantrat. Er mußte im Dunkeln ge standen und die Umgebung beobachtet haben. »Einen Augenblick, Senhores«, sagte er höflich. »Kamen Sie nicht eben von der Mole her?« Sun Koh antwortete ausweichend: »Wir sind am Strand entlang spazierengegangen.« »Ah, das war leichtsinnig von Ihnen. Es gibt hier allerlei Gesindel. Aber Sie sind fremd in der Stadt?« »Wir sind heute erst angekommen«, sagte Sun Koh. »Caracas?« Sun Koh sah den Mann fest an. »Vielleicht. Wünschen Sie ein Verhör anzustel len?« Der Polizist wußte offenbar nicht recht, was er sa 13
gen sollte. Er stotterte einige Worte und platzte schließlich heraus: »Sie wohnen doch hier?« »Im Hotel Roja«, sagte Sun Koh knapp. Er hoffte insgeheim, daß dieses Hotel, dessen Namen er in Ca racas zufällig gehört hatte, für gewöhnlich auch von Ausländern besucht wurde. Gerade diese Städte mit überwiegend spanischer Bevölkerung unterschieden nämlich scharf zwischen den Hotels für Fremde und für Eingesessene. Der Name schien zu beruhigen. Der Polizist salu tierte. »Sie werden den Weg sicher wiederfinden. Diese Straße geht es hinauf, bis Sie das Almacen, das Kaufhaus, erreichen. Dort müssen Sie links abbie gen, denn rechts kommen Sie zum Plaza Baralt. Ich will Ihnen auch gern einen Wagen besorgen. An der Calle di…« »Danke«, unterbrach Sun Koh, »wir möchten zu Fuß weitergehen.« Sie entfernten sich langsam. Der Polizist blickte ihnen nach, dann setzte er sich hastig in entgegenge setzter Richtung in Bewegung. »Er beeilt sich«, stellte Sun Koh fest. »Micero wird wahrscheinlich schon in wenigen Minuten von unserer Ankunft erfahren.« »Sie denken wirklich, daß Micero den Polizisten für uns aufgestellt hat?« erkundigt sich Hal verwun dert. »Das kann ich mir gar nicht denken. Er kann 14
doch nicht einfach befehlen, daß sie Spitzeldienste für ihn leisten. Behörde bleibt doch schließlich Be hörde.« »Eben«, sagte Sun Koh. »Der Polizist wird kaum etwas anderes tun, als seinem Vorgesetzten zu mel den, daß drei verdächtige Personen gesehen worden sind. Die Nachricht wird an die Zentrale weitergelei tet, von dort aus wird Micero sie erhalten. Er kann nun seine eigenen Leute in Bewegung setzen, oder, falls ihm das besser erscheint, einen Tatbestand ge gen uns schaffen, der die Polizei zwingt, uns festzu nehmen.« »Wir können aber unsere Unschuld nachweisen.« »Vielleicht – wahrscheinlich aber nicht… Micero hat zuviel Geld. Auf alle Fälle wären wir wehrlos, solange wir uns im Gewahrsam der Polizei befänden. Wir müssen unter allen Umständen versuchen, Be wegungsfreiheit zu behalten.« Schweigend gingen sie mit schnellen Schritten weiter. Die Straßen waren noch ziemlich belebt. Lä den und Kaufhäuser zeigten beleuchtete Schaufen ster, aus Gaststätten schlugen Speisegerüche heraus. Die meisten Häuser waren zweistöckig, vom landes üblichen spanischen Kolonialstil. Dazwischen wuch teten einige neue Gebäude. In kaum unterbrochenem Strom schlenderten Menschen müßig durch die Stra ßen. Ungehindert erreichte Sun Koh mit seinen beiden 15
Begleitern die Calle die Acuaca, jene schmale Sei tenstraße, in der Harling seinen Gasthof führte. Frei lich, von einem Gasthof konnte man eigentlich nicht gut reden. Es handelte sich um eine der kleinen Bars, von denen es in der Stadt eine ganze Menge gab. Harling verabreichte nur außer den Getränken auch noch Speisen nach heimatlichen Rezepten. Schließ lich besaß er noch drei Räume, die er im Bedarfsfall Gästen zur Verfügung stellen konnte. Harling war ein ruhiger, etwas schwerer Mann, der nur noch den rechten Arm besaß. Er kam sofort an den Tisch heran, an dem sich die drei niederließen, blickte jeden einzelnen forschend an und reichte ihm die Hand. »Willkommen«, sagte er mit tiefer Stimme. »Sie sind neu in der Stadt, wie ich sehe. Wollen Sie etwas trinken oder essen?« »Beides«, erwiderte Sun Koh leise. »Vor allem möchte ich Sie von einem gewissen Covington grü ßen.« Harling zog die Brauen hoch. »Sie hätten ihn mitbringen sollen. Der Junge hat sicher seit drei Tagen nichts Ordentliches gegessen.« Sun Koh war beruhigt. »Er wird es nachholen. Ferner möchte ich Sie bit ten, uns für einige Tage aufzunehmen. Wir legen Wert darauf, daß Micero nichts von uns erfährt.« Harling blickte Sun Koh prüfend in die Augen. 16
»So steht es?« murmelte er. »Nun, ein Zimmer ha be ich frei. Wenn Ihnen das genügt?« »Es genügt.« »Dann würde ich Ihnen aber nicht raten, sich erst lange hierherzusetzen. Kommen Sie mit.« Sie folgten ihm. Harling machte sie an der Kü chentür mit seiner Frau bekannt, dann brachte er sie in ein etwas lichtarmes, aber sauberes Zimmer. »Ich schicke Ihnen alles hoch, was Sie brauchen«, sagte er. »Sie können dann unbesorgt schlafen. Sollte etwas vorfallen, was mit ihnen zusammenhängt, er halten Sie rechtzeitig Nachricht. Für alle Fälle – die se Treppe führt zum Hinterausgang, außerdem kön nen Sie über das Schuppendach leicht in den Hof kommen.« »Sie bedenken mehr als wir selbst«, sagte Sun Koh lächelnd. Harling nickte. »Ja, das mag sein. Ich weiß ja nicht, was Sie mit Micero haben, aber ich kannte einen, der von Micero gehetzt wurde. Der arme Kerl hat es mit seinem Le ben bezahlt, daß er den zweiten Ausgang nicht fand.« Sun Koh streckte ihm die Hand hin. »Wir sind gekommen, weil wir Micero stellen und ihm eine Beute abnehmen wollen.« Harling blickte verblüfft. »Bis jetzt habe ich immer nur Leute gekannt, die von Micero gehetzt wurden, weil er ihnen etwas ab 17
nehmen wollte. Sie müssen ihn entweder sehr schlecht kennen oder sehr viel Mut haben.« An der Tür drehte er sich noch einmal herum und sagte rauh: »Was auch immer geschieht, Sie können auf mich rechnen, solange es gegen Micero geht.« Damit ging er hinaus. Sun Koh fand die ganze Lage, in die er halb wider Willen geraten war, ziemlich eigenartig. Gewiß, er hatte wenig Wert darauf gelegt, daß Micero von sei ner Ankunft erfuhr, um nicht in der Handlungsfrei heit beengt zu werden, aber es lag nicht in seinem Sinn, nun wie ein Flüchtiger, in völliger Verborgen heit, versteckt zu bleiben. So gefährlich dünkte ihm Micero nun auch wieder nicht. * Das Verwaltungsgebäude der Universal Oil Compa ny war ein weißer Palast, an dem man mit Marmor nicht gespart hatte. Er galt allgemein als der bedeu tendste Bau Maracaibos. Man sprach es allgemein offen aus, daß von diesem Haus aus zumindest die Provinz regiert werde. Micero beherrschte die Stadt. Ganz abgesehen da von, daß ihm letzten Endes jeder Polizist diente, daß jeder Angestellte und Arbeiter der Company sein ge fügiges Werkzeug war, besoldete er einen ganzen Stab von Leuten, die ausschließlich für seine beson 18
deren Zwecke arbeiteten. Über das Nachrichtennetz der Company wie über seine persönlichen Nachrich tenstellen erfuhr er von jedem einigermaßen wesent lichen Ereignis und konnte dank seiner zahlreichen Untergebenen in allen Lagen schnell und wirksam den Ereignissen gemäß handeln. Er hatte in den letz ten Jahren, in denen sich die Ölgeschäfte in ruhiger Einträglichkeit langsam weiterentwickelten, von sei nen Möglichkeiten wenig Gebrauch gemacht, aber jetzt befand sich alles, was ihm diente, in Alarmzu stand. Micero wollte die drei, deren Ankunft in Maracai bo ihm gemeldet worden war, fangen und vernichten. Er wollte ihnen seine Macht zeigen. Dutzende von Leuten fahndeten nach Sun Koh und seinen Begleitern. Früher oder später mußten sie entdeckt werden. Micero selbst hatte die Beschrei bung geliefert. Sie war dürftig, soweit sie Sun Koh und Hal betraf. Aber der dritte Mann war ein schwarzer Riese. Das genügte, zumal die drei ge meinsam aufzutreten pflegten. Irgendwo in der Stadt… Miceros Leute rechneten so wenig wie Micero selbst damit, daß einer von den dreien zum Verwal tungsgebäude der Company kommen könne. So viel Nichtachtung konnte man nicht voraussetzen. Kein mißtrauischer Blick traf Sun Koh, als er am Vormittag des nächsten Tages unmittelbar vor dem 19
Eingang des Palastes aus einem Mietwagen stieg. Der Türsteher öffnete ihm höflich die Tür, ein be treßter Diener führte ihn nach oben. Dort nahm sich einer der Sekretäre Miceros seiner an. Er stellte fest, daß der Besucher weder wie ein Bittsteller noch wie ein randalierender Ölmann aussah, und erkundigte sich höflich nach seinen Wünschen. »Ich möchte Senhor Micero sprechen«, erklärte Sun Koh mit ruhiger Bestimmtheit. »In welcher Angelegenheit?« fragte der Sekretär weiter. »Senhor Micero empfängt nur in dringenden Angelegenheiten selbst.« »Ich habe meine Angelegenheit nur mit Senhor Micero selbst zu besprechen«, entgegnete Sun Koh kurz. »Sagen Sie ihm, daß ich aus Honduras komme und mit ihm über Atomgewichte sprechen will.« Der Sekretär starrte ihn verständnislos an. »Ja, aber…« »Haben Sie nicht verstanden?« erkundigte sich Sun Koh kühl. »Beeilen Sie sich. Ich glaube nicht, daß Senhor Micero Angestellte um sich duldet, die die Wichtigkeit gewisser Dinge nicht erfassen kön nen.« Das Auftreten Sun Kohs überzeugte. Der Sekretär verbeugte sich, murmelte etwas und verschwand. Nach einer Minute trat der Sekretär wieder ein. »Senhor Micero läßt bitten.« Sie durchschritten einen Raum, in dem mehrere 20
Sekretäre arbeiteten, dann wurde vor Sun Koh eine Polstertür geöffnet. Es war eine Doppeltür. Die zwei te Tür klinkte der Sekretär nur rasch auf und trat dann zurück: Die beiden Türen wurden gleichzeitig von verschiedenen Seiten wieder geschlossen. Der Fluch, den Micero beim Anblick seines Besuchers ausstieß, drang nicht mehr hinaus. Micero stand unmittelbar neben seinem Tisch und hielt die Hand auf dem Schaltbrett, von dem aus er Dutzende und Hunderte von Menschen herbeirufen konnte. Außerdem hatte er eine Pistole herausgeris sen. »Sie können Ihre Leute hereinrufen«, sagte Sun Koh, während er auf Micero zuschritt. »Aber es gibt Dinge, die man nur unter vier Augen besprechen kann. Sie würden dann niemals erfahren, warum ich zu Ihnen gekommen bin.« Hinter Sun Koh wurde die Tür schon wieder auf gerissen. Zwei Männer stürzten herein. »Sie haben gerufen, Senhor?« Micero deutete mit der linken Hand auf Sun Koh. »Dieser Mann heißt Sun Koh, ihr Schafsköpfe«, sagte er eisig. »Seht nach, ob er Waffen bei sich trägt!« »Halt!« Sun Koh wandte sich nicht nach den bei den um, sondern blickte Micero unablässig ins Ge sicht. »Sie haben entweder das Vergnügen, Ihren Be fehl ausgeführt zu sehen, oder wir unterhalten uns 21
einige Minuten. Sobald Ihre Leute mich berühren, werden Sie nie etwas über gewisse Dinge hören, die Sie stark angehen, wie zum Beispiel über die Son nenstadt.« Micero zögerte, dann machte er eine abwehrende Bewegung. »Hinaus! Verständigt die Leute in der Stadt und haltet euch für alle Fälle draußen bereit.« Hinter Sun Koh klappten Türen. Micero hob die Pistole wieder hoch, die er beim Eintritt seiner Leute gesenkt hatte. »Nun können Sie sprechen«, sagte er. »Ich brau che Ihnen wohl nicht zu versichern, daß ich bei einer verdächtigen Bewegung sofort schießen werde.« »Ich hoffe, daß Ihnen Ihre Vorsichtsmaßnahmen genügend Beruhigung verschaffen«, erwiderte Sun Koh mit einem Anflug von Spott. »Ich bin in erster Linie gekommen, um von Ihnen etwas über einige Wissenschaftler zu erfahren, die von aller Welt ver mißt werden, zum Beispiel über einen gewissen Per kins.« Micero lachte höhnisch auf. »Sie versuchen es mit Unverschämtheiten. Garcia hat Sie richtig beschrieben. Aber mich bluffen Sie nicht. Sie glauben doch nicht etwa im Ernst, daß ich in Maracaibo ein Dutzend Leute versteckt halte. Wenden Sie sich gefälligst an die Polizei.« Er ahnte nicht, daß er eine wertvolle Auskunft ge 22
geben hatte. Wenn sich die gesuchten Männer in Ma racaibo befunden hätten, wäre seine Reaktion anders gewesen. Sun Koh hatte damit praktisch schon er reicht, was er erreichen wollte. »Besten Dank für den guten Rat«, sagte er höflich. »Noch einfacher ist es, wenn Sie mir verraten, wo sich Perkins und die anderen befinden.« »Ich verstehe nicht, wovon Sie sprechen«, parierte Micero kalt. »Ich kenne diese Leute nicht, die Sie su chen. Sie wollten mir etwas über die Sonnenstadt er zählen?« »Sobald Sie die Männer freigelassen haben.« Micero blieb beherrscht. »Ich nehme an, daß ich es mit einem Verrückten zu tun habe.« Er drückte auf einen Knopf. Sun Koh hörte Geräu sche hinter sich. Die beiden Männer waren wieder da. »Bringt den Mann hinaus«, befahl Micero. »Er kann das Haus verlassen.« Damit wandte er sich ab und verschwand durch eine Seitentür. Sun Koh rechnete mit einem Überfall, aber die beiden an der Tür benahmen sich jetzt wie Diener. Sie warteten, bis er sich entschloß, und sie unterließen jede verdächtige Bewegung. Sie brachten ihn stumm bis zu dem Wagen, mit dem er gekommen war. Niemand hielt ihn auf, als er losfuhr. Die Männer 23
vom Portal sprangen allerdings in einen zweiten Wa gen und folgten ihm. Die Straße führte geradewegs in die Stadt hinein. Abbiegen war vorläufig nicht möglich. Wenn Micero seine Leute an der Straße hatte … Die ersten Häuser kamen in Sicht, verstreute Vil len. Die Straße selbst war kaum belebt. Aus einer Toreinfahrt rollte ein großer Personenwa gen quer über die Straße und blieb mitten auf ihr ste hen. Unmöglich, den eigenen Wagen, dessen Tacho meternadel auf hundert schwankte, noch zum Halten zu bringen. Die Bremsstrecke war zu kurz. Und der Wagen war kaum zufällig in den Weg gerollt. Sun Koh trat die Bremse. Kreischend minderte der Wagen seine Geschwindigkeit fast auf die Hälfte. Dann das Steuer kurz herum, Bordkanten waren glücklicherweise nicht vorhanden. Gas – der Wagen schnellte zwischen dem Hindernis und dem Zaun durch, pendelte schrammend rechts gegen den Zaun, brachte links den Wagen zum Drehen. Gas, und der Durchbruch war geglückt. Die Glasscheibe vor Sun Koh splitterte, man hatte ihm wohl einen Schuß nachgeschickt. Sun Koh fuhr mit geringerer Geschwindigkeit wei ter. Die Falle hatte er umgangen. Es würde eine Wei le dauern, bevor die Verfolger den Weg wieder frei hatten. Außerdem kam er jetzt in den Bereich stärke ren Verkehrs. 24
Das beobachtende Auge sammelte hundert Ein drücke zugleich. Eine Kreuzung. Weshalb reckte sich der Mann aus dem Fenster des ersten Stockes, als warte er auf die Annäherung des Wagens? Sun Koh blickte nach dem Fenster. Fast entging ihm, daß sich der Oberleitungsdraht der Straßenbahn ein Stück vor ihm löste. Gerade noch aus dem Au genwinkel heraus erfaßte er den fallenden Kupfer draht. Blitzschnell reagierten seine auf höchste Ge fahr eingestellten Sinne. Die Oberleitung fiel. Sun Koh trat das Gas. Wie ein scheuendes Pferd schnellte der Wagen vor, in die Kreuzung hinein. Sun Koh duckte sich, da es schien, als wolle der fallende Draht seinen Kopf streifen. Der verkrampfende Schlag blieb aus, der Wagen war gerade noch über die Gefahrenstelle hinwegge kommen. Hinter sich hörte Sun Koh einen gellenden Aufschrei und splitterndes Krachen. Sun Koh wußte nun, daß Micero sich nicht auf ei ne Falle verließ. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, daß neue Hindernisse auf ihn warteten. Deshalb hielt er die Augen offen und beobachtete sehr sorgfältig. Aber alle Aufmerksamkeit nütze nichts. Ganz überraschend hob sich der Boden mitsamt der Stra ßendecke kurz vor seinem Wagen, eine grelle Stich flamme schoß hoch, der Wagen stauchte mit fünfzig Kilometer Geschwindigkeit in ein Loch hinein. Sun Koh duckte sich im bewußtseinsfreien Instinkt 25
der Schrecksekunde zusammen. Der Stoß des abkip penden Wagens warf ihn über das Lenkrad nach vorn, der Körper prallte jenseits der Grube auf, rollte vor dem sich überschlagenden Wagen weg und schnellte auf die Füße. Einen Augenblick lang stand Sun Koh reglos, sah das Chaos eines Verkehrsun glücks wie eine Zeitlupenaufnahme zusammenflie ßen, spürte die stechende Lohe im Rücken, dachte flüchtig an den Benzintank und lief los. Tags darauf berichteten die Zeitungen, daß die Calle di Comercio von einem furchtbaren Unglück heimgesucht worden sei. Ein Hauptrohr der Gaslei tung sei undicht geworden und explodiert, wodurch mehrere Menschen getötet worden seien. Während sich das Entsetzen ausbreitete, verschwand Sun Koh in einer Nebengasse. Er vergewisserte sich, daß er nicht verfolgt wurde, und suchte sich dann ab seits von allen Hauptverkehrsadern den Weg zu der schmalen Gasse, die der Calle die Acuaca parallel lief, aber ein Stück vor der Hauptstraße blind endete. Sie war nicht mehr als ein schmaler Pfad zwischen Zäunen und Rückfronten, der den Hinterausgang des HarlingGrundstücks mit dem Straßennetz verband. 2. Der Tag brachte keine weiteren Ereignisse. In der Nacht kam Covington. 26
»Mein Gott, Sie leben tatsächlich noch.« Er seufz te, »Ich wollte es kaum glauben, als mir Harling das eben sagte. Man hat Sie für tot erklärt.« »Wieso?« Covington zog eine Zeitung aus der Tasche. »Hier haben Sie es schwarz auf weiß, daß ein Aus länder bei der Gasexplosion in der Calle di Comercio verunglückte und mit seinem Wagen verbrannte. Ich horchte ein bißchen herum und erfuhr, daß ein Mann von Ihrem Aussehen bei Micero gewesen war und vorher einige Zwischenfälle überstanden hatte. Dar auf machte ich mir meinen Vers.« »Man hat mich wohl verwechselt. Die Explosion wird verschiedene Opfer gefordert haben.« »Sie waren aber bei Micero?« »Ja.« Covington schüttelte den Kopf. »Nun, die Hauptsache ist, daß Sie es geschafft ha ben. Und nun hält Micero Sie für tot. Auch nicht schlecht.« »Unter Umständen ein großer Vorteil für uns«, sagte Sun Koh. »Er wird nicht mehr nach uns suchen lassen.« »Wenigstens nicht nach Ihnen«, schränkte Coving ton ein. »Seine Leute sind noch unterwegs und hor chen herum. Micero wird kaum locker lassen, bevor er Ihre beiden Begleiter hat.« »Wie weit sind Sie mit Ihren Vorbereitungen?« 27
»Ziemlich fertig«, erwiderte Covington voll Ge nugtuung. »Ich bin den ganzen Tag unterwegs gewe sen und habe eingekauft. Hier ist meine Liste.« Sie gingen die umfangreiche Liste durch. Sun Koh ergänzte sie noch, dann schob er Covington einige Scheine zu. »Das ist Ihr Fahrgeld nach England. Den Restbe trag, der Ihnen von den Einkäufen bleibt, können Sie dazuschlagen. Nehmen Sie das Geld für alle Fälle gleich an sich.« Covington schob es zurück. »Ich werde Sie begleiten, wenn Sie nicht allzuviel dagegen haben.« »Zum Rio Cascable?« Covington nickte. »Ja, und noch weiter. Warten Sie einen Augen blick, bevor Sie ablehnen. Ich will nicht davon reden, daß mich die Angelegenheit persönlich berührt, son dern will Ihnen nur klarmachen, daß es anders über haupt nicht geht. Die Ausrüstung nützt Ihnen näm lich gar nichts. Sie müssen auch von hier fortkom men, und zwar so, daß Micero nicht erfährt, wohin Sie wollen. Ich habe mit einem gewissen Gonjas Rücksprache genommen. Er fährt einen alten Kü stendampfer, der wie durch ein Wunder immer noch nicht auseinandergefallen ist. Sein ganzer Kasten ist Familienunternehmen, das heißt, es ist keiner an Bord, der nicht zu Gonjas’ Familie gehört. Gonjas 28
will mich mitnehmen, falls sich die Sache für ihn lohnt – mich und meine Freunde. Wenn Sie allein kämen, würde er sich auf die Hinterbeine stellen. Se hen Sie, deshalb müssen Sie mich wohl oder übel schon mitnehmen.« Sun Koh blickte ihn forschend an. »Unsere Fahrt könnte gefährlich werden.« »Eben, eben. Es ist geradezu leichtsinnig, zu dritt loszufahren. Sie brauchen unbedingt einen vierten Mann, und vor allen Dingen einen, der die Verhält nisse kennt.« Sun Koh lächelte. »Also, schließen Sie sich an, wenn Sie die Gefahr nicht scheuen.« »Ich wußte ja, daß ich Sie breitschlagen würde. Deshalb habe ich meine Passage gleich mit angelegt. Hier ist der Zettel für mich.« »Feiner Kunde!« knurrte Nimba entrüstet. »Legt unser Geld einfach an, ohne uns zu fragen.« »Laß nur«, tröstete Hal, »den Jüngling werden wir uns schon noch ziehen.« Covington grinste. »Na, da paßt nur auf, daß ihr nicht zuvor über eure kurzen Hemdchen stolpert.« »Wann können wir die Stadt verlassen?« fragte Sun Koh. »Morgen nach Sonnenuntergang fährt die ›Santa Maria‹ los. Unsere Sachen befinden sich fast alle schon an Bord oder werden im Laufe des Tages hin 29
gebracht. Ich habe sie in einer Hütte aufgestapelt, aus der sie von Gonjas’ Leuten abgeholt wurden?« »Wir gehen erst morgen abend an Bord?« »Ja, besser ist besser. Wenn schon etwas heraus kommt, so soll Micero im unklaren bleiben, wer fährt. Wir könnten aber vielleicht schon heute nacht zum Hafen übersiedeln. Man weiß ja nie, ob morgen alles klappt und ob Sie auf dem Weg durch die Stadt aufgehalten werden. Gonjas aber fährt zu seiner Zeit los, ob Sie nun da sind oder nicht.« »Wir können nicht einen Tag lang am Hafen her umlungern.« »Natürlich nicht. Gonjas hat einen Lagerschuppen mit einer anschließenden Bude. Dort läßt sich’s schon einen Tag lang leben. Man wird Sie dort kaum vermuten. Außerdem ist dort freie Sicht. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich vorschlagen, dort hin zu gehen. Wir kommen dann morgen unbeobach tet auf das Schiff.« Sun Koh nickte. »Gut, ich bin einverstanden.« * Sie waren nicht so fahrlässig, zu dritt durch die Stra ßen zu gehen, sondern nahmen so viel Abstand, daß sie den Vorangehenden gerade noch beobachten und im Notfall decken konnten. Die Schwierigkeit lag bei 30
Nimba. Seine hünenhafte Erscheinung war immerhin so auffällig, daß sie am leichtesten Aufmerksamkeit erregen konnte. Hal übernahm die Spitze. Er hatte sich als Venezo laner herrichten lassen und schlenderte so lässig los wie nur einer der verbummelten, jungen Burschen, die seinen Weg kreuzten. Nimba folgte. Er trug einen langen Mantel, der einmal Harling in dessen Jugendjahren geziert hatte. Außerdem hatte er einen breitrandigen Hut rief in die Stirn gedrückt. Sun Koh hielt sein Gesicht ebenfalls durch einen großen Hut beschattet, hatte aber sonst auf Verände rungen verzichtet. Es gab genug Leute in der Stadt, die ähnlich angezogen waren wie er. Wider alle Erwartung war es Hal, der auffiel. An der Einbiegung einer Nebenstraße standen zwei Männer, die einen Gegenstand in ihren Händen betrachteten. Als Hal an ihnen vorbeischlenderte, trat einer der Männer unerwartet zurück. Hal konnte nicht mehr ausweichen. Er stieß mit dem Mann zu sammen, worauf klirrend etwas zu Boden fiel. Viel leicht war der Gegenstand kostbar oder der Mann jähzornig, jedenfalls setzte der Mann mit einem Sprung hinter Hal her und schlug nach ihm. Hal be merkte es erst im letzten Augenblick. Er wich aus. Der Schlag traf seinen Hut, warf ihn auf die Straße und entblößte seinen hellen Haarschopf. 31
Während der Angreifer zu einem zweiten Schlag ausholte, stutzte der andere. »Donnerwetter!« rief er. »Das ist ja ein komischer Kerl! Sieht glatt nach Verkleidung aus. Das wird doch nicht…« Der Rest ging unter, denn inzwischen hatte der er ste fluchend zugeschlagen. Hal war wieder ausgewi chen und hatte ihm einen Fausthieb ins Gesicht ge setzt, so daß jener rückwärts taumelte. Nun griff der zweite Mann ein. Hal mußte sich gegen beide vertei digen. Einige hastige Ausrufe bewiesen ihm, daß es sich um Leute Miceros handelte, die in ihm genau den sahen, den sie suchten. Er drosch wütend drauflos, einmal nach vorn und einmal nach hinten, wie es gerade nottat. Seine Schläge trafen jedoch nicht hart genug, und die bei den hatten den Vorteil, von zwei Seiten angreifen zu können. Hal begann bald zu schwitzen. Da nahte Hilfe. Der eine Mann flog gegen die Wand, der andere rutschte über die Straße. Nimba hatte eingegriffen. »Danke!« sagte Hal. »Immer gut, wenn jemand in der Nähe ist.« »Kein Baby sollte ohne Amme ausgehen«, brummte Nimba. »Wer ist denn das?« »Leute von Micero.« »Dann aber schleunigst weiter.« Der Mann an der Wand keuchte. 32
»Das sind sie, die …« »Mund halten!« unterbrach Nimba. »Geh weiter, Hal, ich komme gleich nach.« Hal ging weiter. Nimba beruhigte den Mann und lehnte ihn wieder gegen die Wand, dann sprang er zu dem anderen hin, der eben eine Waffe aus seiner Ta sche ziehen wollte. Als er auch diesen gegen die Wand gelehnt hatte, kam Sun Koh heran. »Was ist?« »Zwei von Micero, Sir. Sie haben uns erkannt.« »Fort!« befahl Sun Koh. »Hinter Hal her.« Ein Trupp Männer kam auf der Straße herangelau fen. Er hielt kurz bei den beiden Betäubten an und folgte dann Sun Koh. Es konnten harmlose Leute sein, aber auch Beauftragte Miceros. Sun Koh ließ den Trupp ein Stück herankommen und bog dann in eine Gasse ab, deren Benutzung in Covingtons Plan nicht vorgesehen war. Es schien ihm besser zu sein, die Verfolger nicht auf der Spur Hals und Nimbas zu lassen. Die hastigen Bemerkungen der Männer gaben Aufschluß, um wen es sich handelte. »Das ist er!« »Das ist der große Blonde, der Anführer.« »Der ist doch tot!« »Wir kriegen ihn. Er steckt in einer Sackgasse.« Das stimmte. Nicht weit vor Sun Koh riegelte ein Haus die Gasse ab. 33
Er wandte sich um. Sie kamen zu fünft heran, aber sie scheuten im letzten Augenblick vor seiner Ruhe zurück. »Was wollen Sie?« fragte Sun Koh. »Wir haben – Sie sind doch …« »Er ist es!« »Sie sind Sun Koh?« fragte ein dritter ziemlich naiv. Sun Koh gewann mit zwei Schritten das freie Ende der Gasse. Die fünf standen jetzt zwischen ihm und dem abriegelnden Haus. »Ich bin Sun Koh.« Fünf Ausrufe klangen auf und zehn Hände griffen zu. Der Kampf war da. Sun Koh wischte den Vorder sten spielerisch gegen zwei andere, wandte sich ge gen die beiden Angreifer von links und wechselte die Front wieder. Er hatte es nicht schwer. Diese Männer waren keine Boxer und störten sich gegenseitig. Der Kampf tobte wie ein Windwirbel, der einige welke Blätter auftanzen und gleich wieder zusammensinken läßt, durch die Gasse. Als Sun Koh innehielt, däm merten fünf Männer am Boden einem schmerzens reichen Erwachen entgegen. Sun Koh setzte seinen ursprünglichen Weg fort. Niemand folgte ihm mehr. Ungehindert und unbeo bachtet erreichte er den Lagerschuppen am Strand, in dem ihn die anderen erwarteten. Die Nacht verging. Der Tag verstrich. Die Zwi schenfälle blieben aus. 34
Als sich die Nacht wieder dunkel und weich über die Lagune legte und von der ›Santa Maria‹ heiser eine Glocke herüberschepperte, gingen Sun Koh und seine Begleiter an Bord. Sie betraten jedoch nicht die Mo le, sondern bestiegen ein Boot, das sie an die Längs seite des Küstendampfers brachte, während dieser bereits in langsamer Fahrt von der Mole wegstrebte. Covington hatte nicht übertrieben, als er den Zu stand dieses Schiffes beschrieben hatte. Die Nacht deckte zwar manches mit ihrem dunklen Schleier, aber was man sah und hörte, genügte völlig für be denkliche Erwägungen. Fast war es ein Wunder, daß sich die schweren Schaufelräder noch drehten. Sie ächzten und stöhnten und kreischten und rasselten, als wollten sie im nächsten Augenblick asthmatisch und altersmüde ihren Dienst aufgeben. Im Kessel raum bullerte und zischte und fauchte eine uralte Dampfmaschine wie ein böser Geist, der Minuten später gegen die Wände springen will. Und was man sonst von der rostzerfressenen Reling bis zu den schwammigen Wandverkleidungen noch wahrnahm, konnte insgesamt nur zur Bewunderung nötigen – zur Bewunderung jener verwegenen Leute, die sich mit einem derartigen Schiff auf die offene Lagune hinauswagten, und zur Bewunderung für Kapitän Gonjas, der dieses Wrack überhaupt noch zum Fah ren brachte. Gonjas sah wie ein alter, böser Eisenfresser aus. 35
Das schmale Gesicht war verwettert, vergerbt und verrunzelt und schien nicht von Haut, sondern von schimmligem Pergament überzogen zu sein. Grau weißes Haar und ein ebensolcher Spitzbart schienen sich ständig widerborstig zu sträuben, und die Augen funkelten in den Höhlen, als kündigten sie jederzeit einen Wutausbruch an. Das täuschte aber. Er erlaubte sich keine Zornanfälle und sprach eigentlich nie laut. Freilich klang es dafür um so gefährlicher, wenn er leise sprach. Die Schiffsbesatzung, die sich aus Söh nen und Enkelkindern zusammensetzte, zog die Köp fe ein, wenn er die Stimme dämpfte. Er begrüßte seine Fahrgäste mit bissiger Freund lichkeit und hoffte, daß die »senhores pasajeros« sich wohlfühlen würden. Sun Koh und seine Begleiter hofften das auch, schreckten aber doch zurück, als sie in ihre Kabinen traten. Diese finsteren, moderduftenden Löcher mit viel Schmutz und allerlei Hausgetier war selbst für einen ausgewachsenen Optimismus eine reichlich starke Belastungsprobe. Nach fünf Minuten Aufent halt stiegen die vier wieder auf das Deck hinauf und suchten sich dort ein erträgliches Plätzchen. * In den ersten Stunden der Fahrt und mit dem begin nenden Tag hielten die vier eifrig Ausschau nach et 36
waigen Verfolgern. Es ließ sich jedoch niemand se hen. Micero hatte nichts erfahren. Die großen, hellen Tankdampfer der Universal Oil Company, die das Öl zur Raffinerie auf die Insel Curacao hinausbrachten, fuhren stolz vorüber und kümmerten sich kaum um den verdreckten Invaliden der Lagune. Nacht und Tag, Tag und Nacht verstrichen. Mit der Sorge um die Gefahr schliefen die Sinne ein. Zwischen lauer, märchenraunender Kühle der Nacht und dumpfheißer, glühender Schwüle des Tages wurde die Fahrt zu einem schier endlosen, verdäm merten Traum. Die vier Mann atmeten auf, als sich das Schiff endlich der Küste stärker näherte. Der überzitterte Streifen des Ufers wurde zu einer dunkelgrünen und schwärzlichen Wand verfilzter Mangroven, deren Luftwurzeln in phantastischem Gewirr aus dem Sumpf herausstiegen. An einer Stelle stieß ein offe ner Keil mit verschwommenen Umrissen in die grü ne Wand hinein. Nicht weit davon rasselte die Kette trocken scheppernd ins Wasser hinunter. »Der Rio Cascable!« Gonjas deutete mit der Hand. »Dort müssen Sie hinein.« Dann blickte er zum Himmel, der von einer weiß grauen, gleichförmigen Decke überspannt war. »Sie können gleich ausschiffen, das Wetter wird vorläufig so bleiben. Oder haben Sie sich’s inzwi schen anders überlegt?« 37
»Nein«, sagte Sun Koh. Gonjas nickte nur und gab dann seine Befehle. Hal stieß Nimba an und deutete auf die lehmgelbe Brühe, die der Fluß gegen das grünliche Wasser der Lagune drückte. »Feine Gegend. Die Soße müssen wir trinken, falls unser Wasser alle wird.« »Deine Sorgen«, murmelte Nimba abweisend. Da bei war ihm aber selbst nicht besonders wohl zumu te. Diese starrenden Mangrovenwände mit der ver schwommenen, weißüberdunsteten Landschaft da hinter, über der die Sonne lastend brütete, kam ihm nicht ganz geheuer vor. Etwas unsagbar Bedrückendes lag vor ihnen. Die Landschaft atmete Feindselig keit und Bösartigkeit. Sun Koh sah wohl, was Nimba und Hal bedrückte. Er drückte ihnen die Gewehre in die Hand und sagte freundlich: »Der Rio Cascable sieht nicht sehr ver lockend aus, aber denkt daran, daß er als klares Was ser aus den Bergen entsprungen ist. Verschließt euch gegen die Stimmung der Landschaft. Man muß das, was feindselig ist, aus sich herausstellen, nur dann kann man dagegen kämpfen.« Die beiden nickten und warfen die Gewehre über die Schultern. »Machen wir, Sir«, antwortete Hal mit frischen Augen. Das Boot ging zu Wasser. Die Blechkanister mit 38
Trinkwasser, die Decken, Beile und all die Dinge, die zur Ausrüstung gehörten, wurden im Boot ver staut. Fertig zur Abfahrt. Gonjas schüttelte jedem einzelnen die Hand. »Macht’s gut«, knurrte er. »Ihr seid verrückt, euch den Rio Cascable auszusuchen, aber es muß wohl solche Verrückte geben, wenn die Welt weiterkom men will.« 3. Rio Cascable – Fluß der Hornklapperschlange. Ein schmaler, vielfach gewundener Schnitt von kaum fünfzig Meter Breite, der sich zwischen einem hochrückigen Ausläufer der Anden und der Lagune von Maracaibo durch die unendliche Selva, durch den undurchdringlichen, verfilzten Urwald der Nie derung zieht, ist der Rio Cascable. Die Karte zeigte nicht mehr als seinen mutmaßlichen Lauf, denn noch wurde der Fluß nicht erforscht und vermessen. Die Weißen, die ihn auf der Suche nach Abenteuern und nach Öl aufwärts fuhren, kamen nicht zurück. Rio Cascable. Schon den dritten Tag arbeitete sich das schwer fällige Boot unter den steten Paddelschlägen schwit zender Männer flußaufwärts. Die Strömung war nicht stark, aber das manchmal lehmgelbe, manch 39
mal grünschwarze Wasser glich einer dicken Brühe, die sich nur widerwillig teilen wollte. Nimba und Donald Covington waren an den Pad deln. Gleichmäßig spannten sich ihre Körper, die Muskeln wölbten sich unter dem schweißnassen, klebenden Hemd, leise schwappend tauchten die Paddel aus dem Wasser wieder hoch und griffen nach vorn, während die Tropfen in einschläferndem Rhythmus vom Holz ins Wasser fielen. Die Gesich ter der beiden glühten rot und glänzten vom Schweiß, der salzig brennend am Gesicht herunter lief und sich in den Mundwinkeln sammelte. Es wa ren weniger die Last und die Anstrengung, die die beiden Männer mit jedem Atemzug leise keuchen ließen. Die Hitze war es vor allem, diese mörderi sche, feuchte Hitze, die den Schweiß aus allen Poren trieb, die Muskeln schlaff und weich machte, die Lunge zum quälenden Pressen zwang und um die Stirn harte, drückende Reifen legte. Dabei war die Sonne nicht zu sehen. Sie stand nur als verschwom mene weißliche Scheibe hinter unendlichen Massen von Wasserdampf über den Köpfen. Sun Koh und Hal hatten eine Viertelstunde zuvor die Paddel abgegeben. Hal hockte hinten. Das Ge wehr stand zwischen seinen Füßen, die Augen starr ten nach dem grünen Gewirr der Uferwände. Aber sie starrten ins Leere, und die Schultern Hals hingen müde nach vorn. Es war schwer, den Kopf oben zu 40
behalten, wenn man erschöpft vom Paddeln und er drosselt von der Treibhausglut nichts anderes wünschte, als sich schlaff auszustrecken. Sun Koh kniete vorn. Das Gewehr lag im An schlag, die Augen spähten unablässig an den Ufern entlang. Die Anstrengung des Paddelns war bereits von ihm abgefallen. Er sah kaum anders aus als vor zwei Tagen, Licht und einen Hauch von Kühle um sich verbreitend, höchstens etwas schärfer und ge sammelter im Ausdruck. Seine Wachsamkeit ent schied. Noch immer hatten sich die Chaparros nicht gezeigt, die dieses Flußgebiet beherrschten und bis her gegen Weiße abgeschlossen hatten. Jede Stunde, jede Minute konnte einen Überfall bringen. Es ließ sich nicht erraten, was im Urwald vorging. Man würde die Indianer erst in der letzten Sekunde be merken. Langsam schob sich das Boot vorwärts. Der Strom veränderte sich kaum, aber die Kulissen des Ufers wechselten immer einmal. Die Zone der Mangroven sümpfe mit ihrem phantastischen, spukhaften Gewirr von Luftwurzeln, mit ihren Scharen träge blinzelnder Kaimans und Millionenschwärmen von Mücken lag weit zurück. Der Boden war fester geworden, das Land lag etwas höher. Zeitweise schob sich sogar ein Stück festes Ufer aus dem Wald heraus und bis an das Wasser heran. Aber das geschah nur ganz selten. Fast immer wurde die Grenze des Wassers durch die 41
grüne, undurchdringliche Wand des Urwaldes gebil det. Süßlicher Duft drang aus dem Wald herüber. Die Luft roch nach faulendem Wasser, nach Moder und dumpfer Erde. Zeitweise trug sie den betäubenden Hauch giftiger Orchideen. Allmählich wich der Wald zurück. Schilfdickichte und weite Felder von starrem Bambus lösten ihn ab, über die graue Reiher strichen. Auf sanft verlaufen den, halb überspülten Schlammbänken lauerten Alli gatoren, kaum unterscheidbar von den halb vermo derten Baumstämmen, die der Fluß hier abgesetzt hatte. Ein Rudel schwarzer, struppiger Wildschweine wühlte zwischen Schilf und Wasser, ein Stück weiter fiel ein Schwarm wilder Enten ein. Der Wald kam wieder heran. Von neuem schlossen die hohen Schluchtwände des Urwalds den Fluß ein, gegen den schweißüberströmte, keuchende Männer das Boot trieben. »Verdammter Fluß!« schrie Covington plötzlich auf und knallte das Paddel ins Boot, daß es fast zer brach. »Das ist ja zum Verrücktwerden!« Sun Koh wandte sich um. Das rotglühende Gesicht Covingtons wirkte dunstig, seine Augen flackerten. »Ruhe, Covington«, mahnte er mit sanfter Ein dringlichkeit. »Die Hitze nimmt Sie mit. Kommen Sie vor, wir wollen ablösen.« Aber Covington hatte kein Ohr für den Vorschlag. 42
»Ablösen?« fauchte er gereizt. »Wollen Sie damit sagen, daß ich schlapp bin? Wollen Sie sich etwa als der Stärkere aufspielen?« Nimba legte das Paddel ebenfalls in das Boot und schlug seine Große Hand um Covingtons Nacken, so daß der Oberkörper des ehemaligen Drillers nach vorn schlug. »Ruhe, Bursche«, grollte er. »Das ist ein Anfall von Koller, Herr. Wird gleich vorüber sein.« Covington fluchte lästerlich, wurde aber bald ru hig. Nimba ließ ihn los. Während er sich aufrichtete, trat Sun Koh heran, um das Paddel zu übernehmen. Endlich kam die Nacht. Die graue Decke über den Köpfen wich allmählich. Der Himmel färbte sich dunkel und blau, flimmernd brachen die ersten Ster ne durch, Vorläufer der Myriaden, die wenig später als funkelndes, kaltes Geschmeide den Ausschnitt des Flusses mit schwachem Licht übersprühten. Der kleine Anker wurde mit dem Ballastsack aus geworfen. Das Boot trieb ein Stück zurück, dann straffte sich das Tau und das Boot lag fest in der Strommitte. Die Nachtruhe begann. Geröstetes Fleisch, Bratbananen, Konserven, Zwieback und ein Stück Traubenzucker sowie ein Schluck Wasser bil deten das Abendbrot der vier, das sich von den ande ren Mahlzeiten in nichts unterschied. Ein dürftiges Gespräch über Vergangenes und Zukünftiges, dann übernahm einer der Männer die Wache, während sich 43
die anderen drei ausstreckten, so gut es ging, um in den unruhigen Schlaf der Erschöpfung und der ge fahrumspülten Nerven zu sinken. * Als sich die violetten Fieberschleier aus dem Wald heraus über das Wasser schoben, als fahlhell der neue Tag aufzuckte, wurde die Fahrt fortgesetzt. Der vierte Tag. »Vielleicht kommen wir heute oder morgen zum Ziel«, sagte Sun Koh, als die ersten Tropfen von den Paddeln rannen. »Wir haben zwar große Bogen nach Süden und Norden fahren müssen, aber nach meiner Schätzung dürften wir die größere Hälfte unseres Weges hinter uns haben.« Seine Begleiter nickten nur. Sie wußten es so gut wie Sun Koh, daß es nicht mehr als eine Hoffnung war. Die Entfernung ließ sich fast ebenso schlecht schätzen wie die Geschwindigkeit. Vielleicht hatte man schon zwei Drittel des Weges geschafft, viel leicht aber auch nur ein Drittel. Die großen Windun gen, die in mühsamen Stunden ausgefahren werden mußten, machten eine sichere Schätzung fast unmög lich. »Achtung!« rief Sun Koh, der zusammen mit Hal die Paddel führte. Nimba riß vorn das Gewehr hoch und schoß in das 44
grüne Dickicht hinein. Da schnellten auch schon ein Dutzend und mehr dünne, buntgefiederte Pfeile über den Fluß. Die meisten fielen ins Wasser, zwei schlu gen ins Boot, einer blieb leicht zitternd dicht neben der Hand Sun Kohs auf dem Griff des Paddels stek ken. Covington schoß ebenfalls. »Halt das Boot in der Mitte«, sagte Sun Koh zu Hal und griff zum Gewehr. Wieder zischten Pfeile. Die Indianer schossen gut, jeder Augenblick konnte Treffer bringen. Die drei Männer feuerten in schneller Folge in das Dickicht hinein. Von dem Gegner war kaum etwas zu sehen, die grüne Wand verbarg zu gut. Wenn trotzdem zwei gellende Aufschreie kurz hintereinander Treffer mel deten, so war das mehr, als man den Umständen nach erwarten durfte. Das lebhafte Gegenfeuer half. Weitere Pfeile blie ben aus. Sun Koh griff wieder zum Paddel. Nimba, der außer ihm noch über die meisten Kräfte verfügte, mußte Hals Stelle einnehmen. Es war besser, so schnell wie möglich hier fortzukommen. Der Fluß erweiterte sich wieder, ohne seine frühe re Breite zu gewinnen. Die natürliche Verengung bei Annäherung an den Oberlauf machte sich nun doch bemerkbar. Während einer Ruhepause untersuchten die Män ner die Pfeile, die in das Boot gelangt waren. 45
»Vergiftet«, murmelte Covington und wies auf ei nen schwärzlichen Überzug an der Pfeilspitze. »Cu rare oder solches Zeug. Ein Hautritzer genügt.« »Wir müssen versuchen, ihnen einen nachhaltigen Schreck einzujagen«, erwog Sun Koh. »Jetzt waren sie durch den Wald offenbar stark im Zielen behin dert, sonst hätten sie wohl besser getroffen. Es kann leicht sein, daß sie uns zukünftig von günstigeren Standpunkten aus belästigen.« »Wollen Sie etwa gegen die Chaparros oder die Motilones angehen?« erkundigte sich Covington. Sun Koh nickte. »Man muß ihnen zeigen, daß sie dicht am Ufer nicht sicher genug sind. Wenn ein neuer Überfall er folgt, dann halten die beiden, die gerade am Paddeln sind, schnellstens auf das Ufer zu, damit wir die In dianer nachdrücklich zur Flucht zwingen können. Verstanden?« Die Männer nickten. »Ja«, fragte Hal, »wie heißen sie denn nun eigent lich? Sind es Chaparros oder Motilones?« »Beides«, gab Covington Auskunft, »wenn es nicht zufällig ein anderer Stamm ist, den man über haupt noch nicht kennt. Indios Motilones ist der Sammelname für alle Indianer um die Lagune herum. Sie unterscheiden sich nach zwei großen Gruppen, den Mapes und Chahes, diese wieder zerfallen in einzelne Stämme, die sich untereinander bekämpfen. 46
Da sind die Tucucos, die Irapes, die Pariries, die Chaparros und was weiß ich. Einige Dutzend ver schiedener Stämme wird es schon geben.« »Und wir haben es mit den Chaparros zu tun?« »Wahrscheinlich. Und wenn es ein anderer Stamm ist, so macht es für uns nichts aus. Darin sind sich die Indios nämlich alle gleich, daß sie die Weißen be kämpfen und töten, wo sie diese treffen können. Sie haben mächtig schlechte Erfahrungen gemacht.« »Kein Grund, uns dafür büßen zu lassen«, brumm te Nimba. »Fahren wir weiter«, ordnete Sun Koh an. Die Paddel tauchten ein, das Boot trieb vorwärts. Nach einer Stunde erfolgte der zweite Angriff. Er kam aber anders, als die Männer erwartet hatten. Dicht hinter einer Biegung spannte sich eine Hän gebrücke über den Fluß. Drei Lianenseile gingen in tiefem Bogen von Baum zu Baum. Dünnes Faserge spinst verband dürftig das tieferhängende Fußseil mit den Handseilen. So luftig und schwankend erschien dieses Bauwerk, daß man ihm kaum zutraute, einen Menschen tragen zu können. Und man mußte wohl ein Indio sein, um seinen Fuß auf das Seil setzen zu können, ohne abzustürzen. Den Männern blieb zu Betrachtungen nicht viel Zeit. Die Brücke war besetzt. Auf jeder Seite stand dort, wo sich die Hängebrücke vom Wald löste, rund ein Dutzend Indianer. Sie standen dicht nebeneinan 47
der, einen Fuß auf dem Tragseil, den anderen im Bindewerk eingestemmt, den Bogen zum Schuß ge spannt. Sun Koh, der vorn an der Spitze stand, bemerkte sie als erster. »Achtung!« gab er gedämpft zurück. »Nimba, das Paddel an Hal. Ihr beiden an die Gewehre. Hal, das Boot mit scharfen Schlägen im Zickzack über die Mitte treiben. Vorn …« Der Rest seiner Worte ging in ohrenzerreißendem Geheul, einer Art Kampfruf der Chaparros, unter. Es erschallte nicht nur von vorn, von der Brücke aus, sondern klang auch hinter dem Boot von zwei Ufer stellen rechts und links auf, die fünfzig Meter zu rücklagen. Ein Hagel von Pfeilen stiebte durch die Luft. Aber Hal drückte mit seinem ersten Paddelschlag das Boot gerade scharf nach rechts, so daß die Pfeile aus nahmslos links in das Wasser fuhren. Und dann rat terten die Gewehre der drei Männer. Covington schoß nicht schlecht. Nimba schoß gut und Sun Koh hätte es mit einem Kunstschützen auf nehmen können. Und die Ziele standen frei sichtbar. Die Wirkung war vernichtend. Ein stählerner Be sen fegte über die Brücke. In Sekunden war sie frei, bevor noch die Indianer dazu kamen, zum zweiten mal die Bogen zu spannen. Sun Koh wandte sich um. 48
»An die Paddel«, sagte er zu Nimba und Coving ton. »Vorwärts!« »Wollen wir nicht umkehren und die anderen …«, setzte Nimba an. »Nein«, unterbrach Sun Koh schroff. »Das hier war unvermeidlich, aber es wird genügen, um die anderen abzuschrecken. Voran!« Kurz darauf griffen die Paddel wieder gleichmäßig durch das Wasser. Die Hängebrücke blieb zurück. Von der zweiten Gruppe der Indianer war nichts mehr zu bemerken. »Und doch haben wir weiter nichts als Glück ge habt«, bemerkte Covington später. »Wenn Hal zufäl lig das Boot nach links gedrückt hätte, wären wir aus dem Pfeilhagel nicht herausgekommen. Glück muß man eben haben.« »Glück!« Hal schnaufte verächtlich. »Manchem tut der Mund weh, wenn er mal was anerkennen soll. Ich hatte eben die Lage rechtzeitig durchschaut.« »Mit den Hühneraugen vielleicht«, knurrte Nimba. »Wenn du so ein Lagendurchschauer bist, hättest du die Wasserbehälter festgebunden, bevor sie hinaus fielen.« Sie schwiegen. Die Bemerkung hatte die größte Not fast übermächtig zu Bewußtsein kommen lassen. Wasser! Was bedeuteten diese Indianer, die man mit den Gewehren verjagen konnte, gegen den Durst, der in 49
jeder Fiber brannte? Seit gestern gab es Wasser nur noch schluckweise. Sie sahen es ein, daß es sein mußte, daß es nicht anders möglich war, aber was bedeutete ein Schluck für einen Körper, der nach Eimern lechzte? Die Sonne glühte so unbarmherzig wie alle Tage durch die weißen Dunstschleier hin durch, daß der Schweiß von dem Körper triefte, aber Wasser gab es nur schluckweise. Dabei hieß es paddeln, paddeln. Sun Koh prüfte die Ufer. »Der Boden ist noch höher geworden. Wir wollen versuchen, gegen Abend an Land zu kommen. Viel leicht können wir dann Wasser destillieren.« »Vielleicht entdecken wir eine Wasserliane«, meinte Hal. Seine Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Nir gends war einer dieser Stränge zu sehen, die natürli che Wasserbehälter sind und dem verschmachtenden Selvasfahrer köstliche, wassergleiche Flüssigkeit in reichen Mengen bieten. Dafür fand man jedoch festes Land, rötlichen, schweren Boden, der das Ufer bildete. Er war mit verfilzten! Gestrüpp bedeckt, doch das machte nichts aus. Man konnte es beseitigen. »Vorsicht!« mahnte Covington, als Hal sich unbe denklich vordrängte. Da schlenkerte dieser auch schon seine Hand und wischte einen Haufen von winzigem Ungeziefer, das 50
sich auf seinem Handrücken niedergelassen hatte, herunter. Es handelte sich um eine Art Zecken. Man sah sie kaum, aber sie bohrten sich blitzschnell und unter lebhaftem Jucken in die Haut ein. »Schlange?« Sun Koh fuhr herum. »Juckpulver!« erwiderte der zurückspringende Hal. »Sie hätten auch vorher warnen können, Co vington. Das Zeug brennt wie der Teufel.« »Herzeigen«, befahl Covington. »Ich dachte mehr an Schlangen. Das sind harmlose Zecken. Halt still, da haben sich schon ein paar eingebohrt!« Hal hielt still. Er fand jedoch, daß es schönere Vergnügen gab, als sich mit einer Stecknadel einige schwarze Punkte aus der Haut polken zu lassen. Minuten später machte Sun Koh eine hastige Be wegung. Ein Schuß krachte. Covington fuhr nach träglich zurück. Dicht vor ihm lag eine kleine schwärzliche Schlange mit zerschmettertem Kopf. »Danke«, murmelte Covington, nachdem er sich die Schlange angesehen hatte. »Eine der giftigsten Vipern.« Sie arbeiteten mit doppelter Vorsicht weiter, aber außer einem giftigen Hundertfüßler trafen sie auf kein gefährliches Getier mehr. Mit den Haumessern und mit Feuer schafften sie sich bis zur Baumgrenze hin einen offenen, sauberen Platz, auf dem man es wagen konnte, sich für die Nacht niederzulassen. Nach vier Tagen Bootsfahrt war das schon eine 51
ungewohnte Köstlichkeit. Dazu kam warmes Essen und vor allem eine gründliche Lösung des Durstes. Mit Hilfe von zwei Kanistern und einem Bambusrohr wurde eine einfache Destillationsanlage gebaut. Der eine Kanister wurde mit Flußwasser aufs Feuer ge setzt. Das verdampfte Wasser gelangte durch mehrere Rohrstücke in den anderen Kanister und schlug sich dort nieder. Groß war die Ausbeute nicht und fade genug schmeckte dieses Wasser, aber der Erfolg stun denlanger Bemühungen bestand doch wenigstens dar in, daß sich jeder einmal leidlich satt getrunken hatte. Die Nacht war für den, der gerade wachen mußte, nicht leicht, aber sie verlief ohne ernstliche Störung. Die Fahrt ging weiter. Der fünfte Tag quälte sich vorwärts. Der Fluß war zwar enger geworden, sein Wasser hatte an Klarheit und Frische etwas gewonnen, aber bis zu den Bergen schien es noch weit zu sein. 4. Als die Sonne hochkam, arbeitete sich das Boot wie der auf dem Rio Cascable aufwärts. Die Gegenströ mung war etwas fühlbarer, aber die Luft auch kühler als sonst, so daß die Männer trotz des fehlenden Schlafes gut vorankamen. Sun Koh machte zuerst auf die vereinzelten Schaumbrocken aufmerksam, die auf dem Fluß schwammen. 52
»Das läßt fast auf einen nahen Katarakt schlie ßen«, sagte er. »Das Wasser ist übrigens auch bedeu tend klarer geworden.« Minuten später schon fingen die Ohren ein unbe stimmtes, fernes Brausen. Allmählich verstärkte es sich, schwoll über alle anderen Geräusche hinweg und wurde zum murrenden Dröhnen, als das Boot in eine lange, gerade Strecke einbog. Am Ende der ge raden Strecke wirbelte und schäumte es weiß in an steigender Bahn. Die Männer wechselten die Plätze. Sun Koh und Nimba nahmen die Mitte, Covington setzte sich pad delbewehrt ans Ende, Hal mußte nach vorn. Schon war das Wasser ringsum mit Schaumfetzen bedeckt. Das Boot tänzelte auf den aufgeregten, wirbelnden Wogen. Voraus drohte die lange Stromschnelle mit spitzstarrenden, dunklen Felsen, zwischen denen sich das Wasser brausend hindurchdrängte. Wolken von zerstiebtem Wasser lagen dicht über der Schnelle, in die die Sonne bunte Regenbogenfarben hineinzau berte. Mit kraftvollen Armen drückten die Männer das Boot in die beachtliche Strömung hinein. Ihre Ge sichter zeigten heitere Zuversicht. Diese Schnelle kündete ja nichts anderes, als daß die flache Fieber ebene vorüber war, daß sie sich den Bergen und da mit ihrem Ziel näherten. Die Gesichter wurden bald ernst und verbissen. 53
Die Strömung holte alle Kraft nun heraus, und die spitzen Felsen, die beim Anprall unweigerlich das Boot aufgeschlitzt hätten, erforderten schärfste Auf merksamkeit. Covingtons verzweifelter Paddeldruck rettete wiederholt in letzter Sekunde. Minutenlang schien das Boot inmitten der Strö mung stillzustehen, aber dann siegte doch die Kraft der beiden Männer. Das Boot glitt weiter. An Ruhe und Entspannung war freilich nicht zu denken. Im Wasser lagen Felsblöcke und Riffe, denen man aus weichen mußte. Eine Gegenströmung faßte das Boot und trug es rasch flußaufwärts, dann prallte die Hauptströmung auf, warf einen Wasserschwall in das Boot und drehte es halb herum. Erst danach konnten die Arme für eine Weile rasten. Aber nicht lange. Wenige hundert Meter weiter folgte eine zweite Stromschnelle. Mühsam wurde sie überwunden. Das Boot war im Verhältnis zu breit und zu schwer. Es erforderte sehr viel Kraft, um es gegen eine derartige Schnelle stromaufwärts zu brin gen. Auch die zweite Stromschnelle wurde geschafft. Die Landschaft hatte sich nun bereits bedeutend ver ändert, vor allem hatte der Uferwald viel von seiner filzigen, schwammig wuchernden Undurchdringlich keit verloren. Die Luft war weniger feucht, klarer und frischer. Der zweiten Stromschnelle folgte in geringem Ab 54
stand ein regelrechter Wasserfall von annähernd zwanzig Meter Höhe. Da half auch Kraft und Zähig keit nichts mehr. Der Fall mußte umgangen werden. Dicht am Ufer entlang zwangen die Männer das Boot durch die schäumenden Wirbel bis fast an den Absturz heran, dann zogen sie es mit vereinten Kräf ten auf eine Landzunge hinauf. Nimba und Hal blie ben als Wache beim Boot. Sun Koh und Covington beluden sich und suchten den Weg aufwärts. Der Wald war erfreulich licht, so daß man einen heim tückischen Überfall nicht zu fürchten brauchte. Die schweren Haumesser brauchten auch nicht oft in Tä tigkeit gesetzt zu werden, um einen Weg für den Transport des Bootes zu schaffen. Sun Koh und Covington drangen bis zu einer Stel le oberhalb des Wasserfalles vor, legten dort ihre La sten ab und kehrten zurück. Dann nahmen die drei Männer das Boot auf die Schultern und schleppten es fort. Es war kein leichtes Stück, sich mit dem Boot zwi schen den Stämmen hindurch den Steilhang aufwärts zu arbeiten. Sun Koh legte eine längere Ruhepause ein, als das Boot wieder am Wasser angelangt war. Das klare Wasser lockte. Es war etwas Köstliches, den Körper zu baden und all den Schweiß und Schmutz der letzten Tage herunterzuwaschen. Weiter ging’s. Der Fluß schien nur noch aus Stromschnellen zu bestehen. Drei Stück noch schaff 55
ten die vier, dann war der Tag vorüber. Der Kampf gegen die Schnellen fraß die Zeit. Dabei kam aus der Ferne schon wieder das leise Dröhnen eines neuen Falls. Covington fing mit viel Geschick Fische, die un beweglich in der Strömung standen. Die Abend mahlzeit geriet sehr üppig. Und in der Nacht holte jeder nach, was er an Schlaf versäumt hatte. Frisch und ausgeruht begannen sie die Weiterfahrt. Das war gut, denn der Fluß hatte jetzt ständig merk bares Gefälle und brachte sehr bald die erste Strom schnelle, der fast ohne Abstand eine zweite folgte. Dann tauchte, ebenfalls wieder nur in geringem Ab stand, ein Wasserfall auf. »Na, gute Nacht«, murmelte Hal unwillkürlich, als die Sicht auf diesen Wasserfall frei wurde. Die Män ner an den Paddeln hielten staunend an. Vor ihnen stieg unvermittelt das Gebirge in einer Stufe von mindestens fünfhundert Meter auf, und zwar in zwei fast gleich hohen Absätzen. Über der obersten Stufe wurden weiter zurückliegende Fels partien sichtbar. In der oberen Stufe befand sich eine tiefe Kerbe, die die Wand bis zur halben Höhe spaltete. Aus die ser Kerbe heraus schoß das weißstrudelnde Band des Flusses. Frei stürzten die Wasser in die Tiefe, zer stiebten zu sprühenden Wolken und donnerten dann in herrlichem, schmalem Fall in einen tiefen Kessel 56
hinein, der einige hundert Meter vor dem Boot lag. Minutenlang verharrten die Männer in bewunderndem Genießen. »Großartig«, sagte Covington endlich, »aber …« »Etwas hoch für unsere Waschwanne«, fiel Hal ein. »Wir müssen sie aufgeben«, sagte Sun Koh. »Es wäre sinnlos, sie über diese Höhe bringen zu wol len.« »Viel werden wir ohnehin nicht mehr zum Fahren kommen.« »Aber später, wenn wir wieder fort wollen?« »Dann wird sich ein Weg finden. Wir müssen das Boot jetzt aufgeben.« Sie zogen das Boot ans Ufer. Waffen, Macheten, etwas Mundvorrat und sonstige Kleinigkeiten nah men sie an sich, alles andere überließen sie denen, die es finden würden. Der Aufstieg ins Gebirge begann. Es war nicht möglich, einfach in der Nähe des Wasserfalls zu bleiben. Die oft senkrecht ansteigenden, pflanzenlo sen Wände zwangen zu immer weiteren Umwegen. Das Donnern des Falles blieb jedoch stets in den Oh ren. Aus der Ferne hatte das Gebirge wie eine ge schlossene Wand gewirkt. Das war eine Augentäu schung gewesen. Je höher sie kamen und je weiter sie vordrangen, um so stärker gliederten sich die 57
Massen. Die scheinbar glatte Front löste sich zu seit lich in das Massiv hineinführenden Kämmen auf, die auf den Hauptzug des Gebirges stießen. Sun Koh versuchte immer wieder, an den Fluß he ranzukommen. Wenn auch die Angabe, wonach Mi ceros Besitzung am Rio Cascable liegen sollte, viel Spielraum ließ, so blieb doch der Fluß einstweilen der einzige Anhalt. An ihm entlang mußte man zu erst suchen. Es war nicht leicht, wieder an den Fluß heranzu kommen. Alle natürlichen Wege, Schluchten und Hanglinien führten von ihm weg oder wahrten we nigstens die Entfernung. Erst nach Stunden und nach mancher Enttäuschung wurde die überraschende Form dieses Gebirgsteils richtig klar. Die Felswände, aus denen der Wasserfall heraus stürzte, schwangen im sanften Winkel zurück auf das Massiv. Wenn man zum Fluß kommen wollte, durfte man nicht den Tälern und Schluchten folgen, sondern mußte sie queren und wohl oder übel die ansteigende Wand direkt in Angriff nehmen. Covington seufzte, als Sun Koh das seinen Beglei tern eröffnete. Ihm machte die Bewegung in bergi gem Gelände den geringsten Spaß. Auf halber Höhe legte Sun Koh an einer günstigen Stelle abermals eine Rast ein und übernahm bei die ser Gelegenheit Gewehr, Machete und das Bündel, das Covington auf dem Rücken trug. 58
Sie setzten ihren Weg fort. Sun Koh führte. Er prüfte die Wand durch und suchte die besten Mög lichkeiten zum Aufstieg. Hal folgte dicht hinter ihm. Als dritter kam Covington. Nimba hielt sich unmit telbar hinter ihm. Sun Koh hatte ihm einen Blick zu geworfen. Nimba wußte, daß er zuzugreifen hatte, falls Covington fehltreten würde. Aber es ging alles gut, trotz der stechenden Hitze, trotz der manchmal abrollenden Steine, trotz der gele gentlichen scharfen Windstöße. Einer nach dem ande ren schwang sich auf den breiten Grat der Kette hinauf. Die vier blickten nicht nach der Ebene, die tief un ten sich unter Dunstschleiern in der Ferne verlor, sie blickten voraus, in das ovale Tal hinein, das sich hundert Meter und tiefer vor ihnen ausstreckte. Es war ein Hochtal, das von den beiden zurückschwin genden Felskämmen eingefaßt wurde. Ziemlich spitz setzte es dort an, wo der Fluß durch den Felsen hin durchbrach, um dann als Wasserfall in die Tiefe zu stürzen. Von der Spitze aus weitete es sich, den ein fassenden Felsen folgend, wurde immer breiter und verlor sich in der Ferne, wo es anscheinend durch aufstrebende Felswände einen Abschluß fand. Der Boden war mit saftig grünem Gras bedeckt, stellenweise aber auch mit Büschen und Baumgrup pen, im Hintergrund sogar mit einem regelrechten Hain. Fast genau durch die Mitte schlängelte sich hell der Fluß. 59
Ungemein friedlich und anziehend war das Bild dieses Hochtales. Kein Wunder, daß Hal die Redens art von dem Ort, wo man Hütten bauen solle, miß brauchte und daß Covington erklärte, auch ohne Rast gleich absteigen zu können. Auch Nimba fühlte sich stark hinuntergezogen. Sun Koh hielt die Augen beschattet und suchte sorgfältig das Tal ab. Seine scharfen Augen entdeck ten manches, was denen seiner Begleiter entging. »Ich glaube, wird sind am Ziel«, sagte er endlich leise. »Dort hinter jenem Wald, wo die Felswand in das Tal vorspringt, dürften Häuser stehen.« Nimba, Hal und Covington starrten in die gewie sene Richtung. »Nichts zu sehen«, meldeten alle drei enttäuscht. »Das Haus ist allerdings nicht zu sehen«, sagte Sun Koh. »Haltet euch weiter links an den Fluß.« »Hm«, murmelte Nimba, »recht komische Form dort. Das sieht bald aus wie ein Schwimmbad mit Sprungturm.« »Eben«, sagte Sun Koh. »Und was sich dort be wegt, dürften Menschen in hellen Sachen sein.« »Tatsächlich!« stieß Hal heraus. »Donnerwetter, dann hätten wir es doch geschafft! Aber – wenn die uns hier oben sehen?« Sun Koh schlug ihm auf die Schulter. »Wir werden uns bestimmt gut abheben.« Sie stiegen ab, trotz aller Erregung und Erwartung 60
sehr vorsichtig. Die Höhe war nicht beträchtlich, aber die Wand hatte es in sich. Endlich standen sie unten im kniehohen, saftigen Gras. Die Luft war ungewöhnlich mild hier unten, dabei wundervoll würzig. Es war schwer, sich noch der fieberdampfenden Selva zu entsinnen. Der Tag war zu Ende. Während sie zum Fluß vor drangen, senkte sich die Nacht. Der anstrengende Tag wirkte sich aus. Nachdem der Durst gelöscht und der Hunger notdürftig gestillt worden war, streckten sich die Begleiter Sun Kohs schleunigst zum Schlafen aus. Sun Koh kam nicht zur Ruhe. Als sich Nimba nach Stunden erhob und seine Wache übernahm, ver ständigte Sun Koh ihn kurz und machte sich auf den Weg, um sich noch in dieser Nacht Aufschlüsse zu holen. Er hielt sich an den Fluß, der jetzt nur wenige Me ter breit war und durch seine kristallene Durchsich tigkeit und schnelle Strömung die nahe Quelle ver riet. Es war sehr still in dem weiten Tal. Gelegentlich schreckte ein Wild auf, einmal torkelte auch ein Schwarm schwerer Bodenvögel ein Stück weg, aber sonst beherrschte das murmelnde Gurgeln des Was sers die Nacht. Die Luft war weich und würzig, von angenehmer Kühle. Der Himmel spannte sich als schwarzsamtene Wölbung über das Tal, Abertausen de von Sternen funkelten. 61
Durch das kniehohe Gras liefen dann und wann schmale Bahnen zum Fluß hin. Es ließ sich jetzt nicht feststellen, ob es Spuren von Tieren oder Men schen waren. Sun Koh erreichte ein kleines Gehölz, das sich im Halbkreis an den Fluß legte. Zwischen den Bäumen standen Buschgruppen. Die ganze Anlage wirkte wie von Menschenhand geschaffen. Natürlich. Die Bäume umschlossen ein offenes Halbrund. Darauf stand eine Bank. Langsamer und vorsichtiger ging Sun Koh vor wärts. Von Menschen war weder etwas zu sehen noch zu hören, aber dort begann schon das Wald stück, hinter dem menschliche Wohnstätten zu ver muten waren. Er verließ den Fluß, durchquerte das Gras und ging dann am Rand des Waldes weiter. Dieser Wald hatte jedoch mit dem Urwald der Selva nichts mehr gemein. Es war ein lichter Mischwald, wie er in den gemäßigten Breiten zu finden ist. Der Waldrand bog um. Der Blick auf die andere Seite dieser Talhälfte wurde frei. Sun Koh blieb stehen und sah sich die zauberhafte Landschaft an. Die schwarze Felswand schwang sich, nachdem sie das Tal eben scharf eingeschnürt hatte, in einem tiefen Bogen zurück, um später wieder etwas vorzu treten. In dieser Ausbuchtung stand, einige hundert 62
Meter von Sun Koh entfernt, ein sehr breit gelager tes, höchstens zweistöckiges Haus. Die Umrisse wa ren kaum zu ahnen, aber im unteren Stock waren nicht weniger als vierzehn breite, dicht nebeneinan derliegende Fenster, hell erleuchtet und bildeten eine festliche Front. Rechts und links davon glaubte Sun Koh einige Nebengebäude zu erkennen. Das Haus stand auf einer Terrasse. Unterhalb da von brannten – offenbar zwischen vereinzelten Räu men aufgehängt – buntfarbige Lampions, einige Dut zend mildglühende Kugeln in roten, blauen und gel ben Farben. Einschmeichelnde Musik drang durch die stille Nacht, hell klang ein fröhliches Lachen hinein. Märchenhaft! Und um so märchenhafter, als man sich in einem Hochtal befand, das ringsum durch un durchdringliche Wildnis von aller zivilisierten Welt abgeschlossen wurde. Lange betrachtete Sun Koh dieses zauberische Bild. Doch dann riß er sich zusammen und ging wei ter. Micero feierte Feste. Gefahren befürchtete man sicher nicht. Nirgends standen Wächter, nirgends befanden sich Schutzvor richtungen irgendwelcher Art. Der Wald lichtete sich immer stärker zu einem Park mit geschorenen Rasen flächen und Steingruppen. Ein Tennisplatz mußte umgangen werden. Blumenbeete dufteten. Sun Koh blieb an einem Baum stehen, an dem ihn 63
das Licht noch nicht traf, während er den lampionge schmückten Garten und die Hausfront übersehen konnte. Die Musik aus dem Lautsprecher schmolz weich in die Nacht hinaus. Durch die offenen Fenster eines Seitenflügels drang das Klappern von Geschirr. Dort befand sich eine Küche. Er konnte einen Strei fen davon einsehen. Rechts davon lag ein dunkles, niedriges Gebäude, losgelöst vom Hauptbau. Ein Schuppen oder ähnliches. Er achtete nur flüchtig darauf. Sein Hauptaugen merk galt den erleuchteten Fenstern, der Terrasse und dem Garten. Die Fenster verrieten eine lange Flucht prächtig ausgestatteter Wohn- und Gesell schaftsräume in einem neuzeitlichen, sachlichen, aber sehr geschmackvollen Stil. Langgestreckte, niedrige Schränke aus Edelhölzern, Vitrinen mit kostbarem Porzellan, seidenbespannte Wände, wuch tige Zierkamine, tiefe Sessel, Wandplastiken und exotische Zimmergärten gaben diesen Räumen ein ungemein luxuriöses Gepräge. Die Bewohner des Hauses befanden sich im Frei en. Einige wandelten über die Terrasse und hoben sich nur dunkel gegen die helle Fensterfront ab. Die meisten gruppierten sich zwanglos um einen großen Tisch, der unter den Lampions stand. Sun Koh zählte insgesamt fünfzehn Personen, sie ben Männer und acht Frauen. Die Unterhaltung hielt eine neckische, beschwingte Linie ohne Tiefen und 64
Bedeutung, wie sie sorglosen, vergnügten Menschen entspricht. Zu dieser ersten Feststellung kam die zweite, daß sich Micero nicht unter den fünfzehn Menschen be fand. Als sich die Gesellschaft erhob und plaudernd und scherzend durch die großen Glastüren in das Haus hineinging, als die Lichter verloschen und andere im oberen Stockwerk aufflammten, wandte sich Sun Koh ab und ging gedankenverloren den Weg zurück, den er gekommen war. Nimba seufzte erleichtert, als er Sun Koh vor sich sah. Er stellte eine Frage, aber Sun Koh schüttelte den Kopf und erwiderte: »Frage nichts, Nimba. Ich muß noch über manches Klarheit gewinnen. Leg dich schlafen.« »Covington ist an der Wache. Soll ich ihn wek ken?« »Nein, ich will selbst wachen. Wir brauchen auch um unsere Sicherheit nicht besorgt zu sein.« Nimba blickte ihn an, schwieg aber und legte sich nieder. Sun Koh durchwachte die Nacht. Hell und strahlend kam der neue Tag. Hal und Co vington ahnten nichts von dem nächtlichen Ausflug Sun Kohs, und Nimba schwieg sich aus. So wurden keine Fragen gestellt. Hal meinte nur vorwurfsvoll: »Sie haben mich nicht geweckt, Sir. Sicher haben Sie die ganze Nacht nicht geschlafen und allein Wache 65
gehalten, um uns schlafen zu lassen. Man sieht es Ihnen an, daß Sie nicht ausgespannt haben.« Sun Koh lächelte flüchtig. »Manche Nächte sind doppelt lang, Hal«, sagte er, »aber…« Nimba griff hastig nach seinem Arm. »Sir, dort kommt jemand!« Sun Koh blickte flußaufwärts. Nimba hatte recht. In der Nähe des Flusses bewegten sich Reiter. Pferde und Reiter wurden schnell deutlich. Fünf Menschen waren es, zwei Männer und drei Frauen. Sie näherten sich in schnellem, jagendem Ritt. Ein Stück vor den anderen ritt… »Ursula!« schrie Covington auf. »Das ist doch Ur sula!« Die vier blieben einfach stehen. Die Reiter näher ten sich so schnell, daß es keinen Zweck hatte, da vonzulaufen oder sich verstecken zu wollen. Ihre Entdeckung erfolgte prompt. Ursula Harling stutzte, wandte sich nach den anderen um und kam dann mit ihnen in langsamerem Tempo heran. Covington wink te ihr zu und rief sie an, aber ohne rechten Erfolg. Kurz vor Covington brachte sie ihr Pferd zum Ste hen. Sie war hübsch, besonders jetzt, wo ihre son nengebräunten Wangen glühten und in den Augen noch die Freude des wilden Ritts leuchtete. Covington stand unbeweglich. Kein Ton kam über seine festgeschlossenen Lippen. 66
Ursula Harling schien weder ihn noch die anderen zu kennen. »Hallo!« rief sie lachend und unbekümmert. »Das nenne ich eine Überraschung am frühen Morgen. Fremde in unserem Paradies! Wie sind Sie denn her eingekommen, und wer sind Sie?« »Ich bin Don, Donald Covington«, antwortete Co vington verwirrt. »Covington?« wiederholte sie lächelnd. »Ein schö ner Name, ich muß ihn schon einmal gehört haben.« »Gehört haben?« schrie Hal. »Er ist doch …« Zwingend und fest legte sich die Hand Sun Kohs auf seinen Mund. »Warum lassen Sie ihn nicht weitersprechen?« frag te Ursula Harling. »Und warum sind Sie alle so ernst?« Sun Koh wollte antworten, aber schon mischte sich einer der beiden Männer ein, freundlich, heiter und lächelnd. »Die Herren sind vielleicht über das Gebirge ge kommen und werden anstrengende Tage hinter sich haben, Miss Ursula«, erklärte er. »Ich halte es für vordringlich, sie vor allem zum Haus zu führen und ihnen dort Gelegenheit zu geben, sich zu erholen. Unterhalten können wir uns später noch. Meine Her ren, darf ich Sie bitten, uns zu folgen und unsere Gä ste zu sein?« Sun Koh verneigte sich kurz. »Wir nehmen Ihre Gastfreundschaft mit Dank an.« 67
Die Reiter warfen die Pferde herum. Schweigend nahmen Sun Koh und seine Begleiter ihre Gewehre auf und schlossen sich an. Ursula Harling verhielt ihr Pferd genügend, so daß Covington an ihrer Seite bleiben konnte. Sie lächelte versonnen auf ihn herab, er blickte ernst und düster geradeaus. Sie blieben dicht beieinander, aber nie war die Kluft zwischen ihnen größer gewesen als jetzt. Covington hatte das junge Mädchen gefunden, und doch war sie weiter von ihm entfernt als in den Tagen, da noch der Ur wald zwischen ihnen lag. 5. Covington stand unter der Wirkung eines Schocks. Dieses junge Mädchen, neben dem er schritt, war ge gen ihren Willen verschleppt worden. Micero hatte sie in dieses einsame Hochtal gebracht. Er, Covington, hatte den Weg durch unerforschten Urwald nicht ge scheut, um sie zu befreien, sie aus Not, Gefangenschaft und schmählicher Gefahr zu erretten. Und jetzt? Ursula Harling war heiterer und fröhlicher, als sie je gewesen war. Sie lachte und scherzte vergnügt, als habe nie Kummer ihre Seele belastet. Sie betrachtete die Menschen, mit denen sie zusammenlebte, als Kameraden und Freunde. Sie fühlte sich nicht gefan gen und nicht bedrängt, sie wartete nicht auf Retter und Befreier. 68
Das stauchte wie ein harter Sturz. Aber dafür mußte sich eine Erklärung finden las sen. Und eine Erklärung zu finden, bedeutete nichts anderes, als die Mittel zu entdecken, mit denen Mice ro dieses Verhalten bewirkt hatte. Micero. Er war der Besitzer dieses Tales, er hatte Ursula hergebracht. Das besagte alles. »So still und nachdenklich?« fragte Ursula mit freundlicher Wärme und beugte sich etwas von ih rem Pferd herunter, um Covington ins Gesicht zu blicken. »Dort ist das Haus.« Dieses sehr breitgelagerte zweistöckige Haus mit seiner breiten Fensterfront und seinen gutgepflegten Anlagen vor der Terrasse war ein Bau, der sich wir kungsvoll von der Rundkulisse der dahinter aufstei genden Felswand abhob. »Gefällt es Ihnen?« erkundigte sich das junge Mädchen. »Es ist sehr hübsch eingerichtet und ent hält eigentlich alles, was man braucht. Sogar Schwimmbad und Tennisplatz sind vorhanden, und der Blumengarten ist ganz entzückend.« »In der Tat sehr hübsch«, sagte Covington. »Sie müssen viel Personal hier haben, um das alles in Ordnung zu halten.« »Aber nein, das machen wir alles selbst. Sie soll ten uns nur einmal sehen, wenn wir arbeiten. Nur was wir nicht schaffen können, läßt Capete durch die beiden Männer mit ihren Frauen erledigen.« 69
»Ist Capete der Besitzer dieses Hauses – oder sind Sie etwa selbst die Besitzerin?« »Aber nein.« Sie lachte. »Ich nicht und Capete nicht. Er ist der Hausverwalter. Das ganze Tal hier gehört Vincente Micero. Wir sind alle nur seine Gä ste.« Covington tastete sich vorsichtig weiter. Ursula gab ihre Antworten mit größter Harmlosigkeit und Unbefangenheit. Vielleicht gab sie damit Hinweise, die der Lösung mancher Rätsel dienten. »Sie kennen Senhor Micero?« »Nur ganz flüchtig.« »Trotzdem sind Sie sein Gast?« Sie stutzte. »Ja – eben – eigentlich ist das sonderbar.« Doch schon wischte sie mit einer Handbewegung alles weg. »Aber was wollen wir uns darüber Gedanken machen. Die Welt und vor allem dieses Tal ist so schön …« »Die Welt ist nicht allein hier schön«, sagte Co vington. »Sie wohnen doch sonst sicher woanders, nicht wahr?« Ganz flüchtig huschte ein Grübeln über ihr Ge sicht, doch dann lachte sie neckend. »Vielleicht. Ich glaube, ich habe es vergessen.« Covington stellte keine weiteren Fragen mehr, da man sich schnell dem Haus näherte. Er wußte aber nun wenigstens, daß sich die Gäste dieses Hauses 70
wohl alle in dem gleichen Zustand befanden wie das junge Mädchen. Es war abzuwarten, ob das auch für diesen Capete zutraf. Und ferner wußte er, daß mit diesem eigentümlichen Zustand eine starke Schwä chung des Gedächtnisses verbunden war. Sie waren vom Haus aus bemerkt worden. Frauen und Männer kamen ihnen entgegengelaufen, grüßten sie mit lebhafter Freundlichkeit wie Kinder, die ein neues Spielzeug finden, und stellten Fragen voll harmloser Neugier. Die Frauen waren ausnahmslos junge, hübsche Geschöpfe, deren Gesichter weder durch Sorgen noch durch tiefere Gedanken gezeichnet waren. Sie machten ganz den Eindruck, als lebten sie tändelnd, scherzend und lachend in den Tag hinein. Fröhlich und gutgelaunt gaben sich auch die Män ner, aber ihr Verhalten und ihre Art paßten einfach nicht zu dem, was in ihren Gesichtern geschrieben stand. Diese jungen Frauen waren wohl oberflächliche Geschöpfe, deren Schönheit, auch unter anderen Umständen, durch irgendwelche Tiefen der Seele, nicht geformt und gefährdet worden wäre. Die hüb schen Gesichter waren glatt und leer und gaben des halb einen vollkommenen und ungetrübten Spiegel der inneren Heiterkeit ab. Die Gesichter der Männer dagegen waren ge zeichnet. 71
Nimba, Hal und Covington hielten sich dicht bei Sun Koh. Diese vier wirkten mit ihren ernsten Ge sichtern inmitten der lachenden, schwatzenden Schar recht düster. Aber das schien nicht aufzufallen. Die sen fröhlich bewegten Gemütern schien überhaupt wenig aufzufallen. Sie stellten wohl neugierige Fra gen, aber sie nahmen die Antworten leicht hin, be gnügten sich gern mit Ausflüchten und machten sich keine Sorgen über Zusammenhänge. Sie fanden es neckisch, daß die vier durch die fiebernde Hölle des Urwalds hindurch den Weg zu ihnen gefunden hat ten, aber sie besaßen offenbar keine rechte Vorstel lung von den Schrecken einer Urwaldfahrt und grü belten nicht darüber, warum ihre Besucher gekom men waren. Kurz vor der Terrasse kam hastigen Schrittes ein Mann auf die Gruppe zu, hinter dem in geringem Ab stand zwei andere folgten. »Das ist Capete«, erklärte Ursula. »Er sieht immer sehr ernst aus, aber darum brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Wir lachen viel über ihn.« Man mußte sich wohl schon in der Verfassung des jungen Mädchens befinden, um über Capete lachen zu können. Der Mann sah nicht nur ernst, sondern gefährlich und drohend aus. Er war von Mittelgröße, bewegte sich aber mit auffallender Geschmeidigkeit. Sein schwarzes Haar, die kupferbraune Haut und die stark vortretenden Backenknochen deuteten auf in 72
dianischen Einschlag hin. Der Mund war sehr groß. Die ungewöhnlich dicken Lippen ließen sogar einen Schuß Negerblut vermuten. Insgesamt wirkte das Gesicht gewalttätig und finster. Der Mann und seine beiden Begleiter, die eben falls keine erfreulichen Erscheinungen waren, stan den bestimmt nicht unter den erheiternden Einflüssen wie alle die anderen ringsum. Capete schob die Leute, die ihm im Weg standen, einfach beiseite. Dicht vor Sun Koh pflanzte er sich auf und fragte herrisch: »Wie kommen Sie hierher? Wer sind Sie?« »Ich heiße Sun Koh«, erwiderte der Gefragte ge lassen. »Das sind meine Begleiter Nimba, Covington und Hal. Wir befinden uns auf einer Forschungsreise und fanden dieses Tal. Sind Sie der Besitzer?« »Ich bin der Verwalter«, gab Capete ruhiger Aus kunft. »Ist das Ihre ganze Expedition?« »Alles, was von ihr geblieben ist.« »So? Und was wollen Sie nun hier?« »Ich hoffe, daß Sie uns für heute und morgen Un terkunft geben. Wir sind durch die Anstrengungen ziemlich mitgenommen.« Capete starrte lange auf Sun Koh und seine Be gleiter. Sein Mißtrauen war greifbar stark. Und seine Feindseligkeit war deutlich zu spüren. »Sie sind selbstverständlich meine Gäste«, sagte er mit überraschender Höflichkeit. »Bitte, folgen Sie 73
mir. Sie werden das Bedürfnis haben, zu ruhen.« Sun Koh nickte. Aber die Schar ringsum zeigte sich weniger befriedigt. Lachend und schreiend wur de Einspruch erhoben. »Hoho, das gibt es nicht, Capete. Die Herren müs sen uns erst ein bißchen Gesellschaft leisten«, sagte einer der Männer, der sich zum Wortführer machte. »So müde sind sie sicher nicht, daß sie sich gleich zu Bett legen müssen.« Capete schob die Einwände mit einer verächtli chen Handbewegung beiseite. »Was versteht ihr Narren davon«, sagte er. »Die Herren müssen vor allen Dingen ruhen.« Geste und Tonfall stellten eine grobe Beleidigung dar, aber das wurde nicht empfunden. Man gab sich freilich auch nicht zufrieden, sondern erhob neuen Einspruch. »Die Damen und Herren haben schon recht«, sagte Sun Koh. »So erschöpft sind wir denn doch nicht, um nicht wenigstens erst essen und trinken zu kön nen.« Capete warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, fügte sich aber. »Na schön, dann will ich Sie der Gesellschaft überlassen. Man wird ihnen zu essen bringen, inzwi schen werden Ihre Zimmer gerichtet.« Er wandte sich ab, gab seinen beiden Begleitern einen Wink und ging davon. 74
Sun Koh und seine Begleiter wurden von der Schar in den Garten geführt. Eine eifrige Unterhal tung setzte ein, die von Sun Koh und seinen Getreuen, denen er verstohlen eine Anweisung zugeflüstert hatte, eifrig genutzt wurde. Später wurde durch zwei einfache, etwas mürrische Frauen ein ausgiebiges Essen gebracht. Capete befand sich während dieser ganzen Zeit nicht in der Nähe. Er verließ, wenige Minuten nach dem Gespräch mit Sun Koh, das Haus, ohne sich weiter um die Gesellschaft zu kümmern. In seiner Begleitung befanden sich wieder die beiden Männer. Die drei ritten auf dem Weg fort, auf dem Sun Koh gekommen war. Während des Essens sah Sun Koh sie auf dem Berggrat stehen, von dem aus er gestern das Tal überblickt hatte. Wahrscheinlich wollte sich Capete überzeugen, daß sie tatsächlich nur zu viert und zu Fuß gekommen waren. Unmittelbar nach seiner Beobachtung regte Sun Koh durch einige Bemerkungen eine Besichtigung des Hauses an. Wenige Minuten danach führten Ur sula und einige andere die Besucher durch sämtliche Räume. Das Haus enthielt Dutzende von Zimmern. Sun Koh wollte eigentlich nur ein einziges sehen, und seine Führer waren harmlos genug, seinen Wünschen auf halbem Weg entgegenzukommen. Verhältnismä ßig schnell stand er in dem Raum, in dem Capete 75
gewöhnlich zu finden war, wenn man ein Anliegen an ihn hatte. In einer größeren Nische befanden sich Schaltta feln mit zahlreichen Hebeln und Apparaten. Von hier aus wurde offenbar die elektrische Anlage des Hau ses gesteuert. In der gleichen Nische stand der Sen der, den Sun Koh suchte. Sun Koh nahm davon Kenntnis und verließ dann mit den anderen den Raum wieder. Im nächsten Zimmer murmelte er jedoch etwas von sofortiger Rückkehr, warf Hal einen bedeutungsvollen Blick zu und verließ die Gesellschaft. Zwei Minuten später tauchte er wieder auf, überzeugt, daß der Sender in der nächsten Zeit nicht arbeiten würde. Als Capete zurückkehrte, saßen alle wieder harm los vergnügt im Garten. Capete war besserer Laune als vorhin. Er grinste sogar freundlich, als er sich er kundigte, ob die Herren immer noch nicht müde sei en. Sun Koh bejahte diesmal, worauf; Capete die An kömmlinge unverzüglich nach oben führte. Er wies ihnen zwei sehr luxuriöse Doppelschlafzimmer mit zugehörigen Bädern an, versprach, zum Abendbrot zu wecken, und ging davon. Wenig später saßen die vier zusammen und berat schlagten. Sie sprachen dabei sehr leise, weil sie nicht wußten, ob sie belauscht wurden. »Ich bin bald verrückt geworden«, gestand Hal. 76
»Was sind das überhaupt für komische Leute hier? Manchmal kamen sie mir wie Verrückte vor.« »Was habt ihr im Laufe des Gesprächs erfahren?« fragte Sun Koh. »Es handelt sich dabei vor allem darum zu erfahren, wer diese Leute sind, woher sie kommen und in welchem Verhältnis sie zu Micero stehen.« Covington antwortete als erster. »Sie sind zweifellos alle mit Micero befreundet. Einer – der Mann mit dem auffallenden Gelehrten kopf – erzählte mir, daß er seit Jahren für Micero ar beite. Er nannte dieses Tal das ›Tal des Vergessens‹ und behauptete, nicht zum erstenmal hier zu sein. Der Mann scheint überhaupt der Klarste und Ver nünftigste von allen zu sein. Andererseits meinte er freilich, daß er sonst unter der Erde lebe.« »Wo?« »Das hat er nicht gesagt.« »Geben Sie ihm das Stichwort Honduras oder noch besser Truxillo, wenn Sie wieder mit ihm spre chen. Ich bin neugierig, wie er sich dann verhält. Ha ben Sie sonst noch etwas erfahren?« Covington schüttelte den Kopf. Nimba meldete sich. »Aber ich. Die Frauen müssen schon längere Zeit hier sein, während die Männer erst vor einigen Wo chen gekommen sind. Ich hörte eine Unterhaltung an, wobei eine Frau erwähnte, daß ihr Partner da 77
mals, vor einigen Wochen, noch nicht im Tal gewe sen sei. Einer der Männer trug eine kostbare Uhr. Er zeigte sie mir. Als ich ihn fragte, ob sie von Micero sei, wies er mit Stolz auf die Widmung, die auf dem Innendeckel eingraviert war. Sie lautete: V.M. sei nem treuen Gehilfen. Übrigens sehen die Leute ganz so aus, als ob sie Micero dienten. Dann war da noch einer, der im Gesicht noch ziemlich gescheckt aus sah. Ich fragte ihn deswegen. Er erzählte mir, daß er sich in den ersten Tagen einen tüchtigen Sonnen brand geholt habe. Sie hätten sich ja alle etwas über nommen, weil sie sonst nur bei künstlichem Licht lebten, aber seine Haut sei besonders empfindlich.« »Der Hinweis auf das künstliche Licht würde zu dem passen, was der andere von einem Leben unter der Erde andeutete«, sagte Sun Koh nachdenklich. »Ist dir etwas Besonderes aufgefallen, Hal?« »Eine ganze Masse«, erwiderte Hal. »Ich hatte den Eindruck, daß die Männer nicht nur Micero, sondern auch sich untereinander schon lange kennen. Sie wi chen aber immer aus, wenn ich nach ihrer Vergan genheit fragte. Sie taten es aber nicht absichtlich, sondern es war, als hätten sie es selbst vergessen und fänden es nicht der Mühe wert, darüber nachzuden ken. Aber manches habe ich doch herausbekommen. Einige von den Männern sind sehr mit Pistolen ver traut. Einer wunderte sich sogar, daß er unbewaffnet sei, wo er doch sonst sogar mit den Waffen schlafen 78
würde. Ein anderer, dem die halbe Hand fehlte, er wähnte, die habe ihm ein blinder Riesenmaulwurf abgebissen. Er lachte aber dabei, und ich weiß nicht, ob er das ernst gemeint hat. Der gleiche Mann er wähnte, daß Miss Ursula als letzte gekommen sei.« »Das Bild rundet sich«, stellte Sun Koh fest. »Ich selbst habe manches gehört und gesehen. Ich glaube behaupten zu können, daß alle diese Männer im Dienst Miceros stehen. Sie befinden sich hier vorü bergehend zu Erholung. Micero genügt damit nicht dem Drang einer Menschenfreundlichkeit, sondern die Männer müssen für gewöhnlich unter so schwe ren Bedingungen leben – zum Beispiel unter der Er de –, daß er ein starkes Gegengewicht geben muß, um sie für dauernd an sich zu binden. Dieses Gegen gewicht ist der Aufenthalt in diesem Tal. Das Tal läßt auf irgendeine, noch unbekannte Weise alles oder fast alles vergessen und gibt eine kindliche Fröhlichkeit, die sonst in diesen Menschen nicht wohnt. Es ist durchaus denkbar, daß dieses Tal in der Erinnerung wie das Paradies selbst erscheint und daß eine unbändige, starke Sehnsucht bleibt, die wie die Gier nach einem Rauschgift alles ertragen läßt, um nur wieder in den Genuß zu kommen. Ich kann das nur vermuten. Die eigentümliche Seelenhaltung die ser Menschen steht fest. Auch Miss Harling ist den Einflüssen des Tales erlegen, Capete und seine bei den Vertrauten dagegen sind es nicht. Es besteht 79
wohl kein Zweifel, daß wir es nicht mit irgendwel chen geheimnisvollen Einflüssen der Natur zu tun haben, sondern mit sehr gewollten Veränderungen, die sicher durch Capete im Auftrag Miceros bewirkt werden.« »Sie denken an Hypnose?« fragte Covington. Sun Koh schüttelte den Kopf. »Hypnose ist ausgeschlossen. Denkbar wäre ein Gift, das mit den Speisen verabreicht wurde.« »Gibt es ein solches Gift?« »Vielleicht, aber ich glaube nicht einmal, daß diese Vermutung richtig ist. Wir haben alle gegessen und getrunken. Spürt irgend jemand Veränderungen?« »Nein«, brummte Nimba, »nur mein Magen tut mir weh.« »Du hast ja auch für drei gegessen«, erinnerte Hal. »Die Wirkung kann natürlich später eintreten«, er wog Sun Koh, »aber es hat mich stutzig gemacht, daß Capete uns sofort zum Schlafen einlud. Ein Mann in seiner Lage müßte doch vor allem versu chen, solche Neuankömmlinge wie uns in den glei chen Zustand der Harmlosigkeit zu bringen wie die anderen. Folgerichtig hätte er uns zum Essen nötigen müssen, wenn die Beeinflussung durch Beimengun gen der Speisen erfolgte. Da er uns ziemlich hartnäk kig drängte, zunächst auszuruhen, liegt die Vermu tung nahe, daß die Beeinflussung während des Schla fes erfolgt.« 80
»Spritzen?« warf Covington hin. »Strahlen«, erwiderte Sun Koh ebenso lakonisch. »Das ist Miceros Stärke. Er verfügt in noch unbe kanntem Umfang über Kräfte der Atomzertrümme rung, zugleich über Kräfte künstlich aufgebauter Stoffe. Die vielfältigen Wirkungen solcher Elemente oder Strahlungen lassen sich kaum ahnen. Der Ver mutung sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt.« »Dann sollten wir lieber nicht schlafen«, regte Hal an. »Doch«, widersprach Sun Koh, »denn sonst kön nen wir ja nicht feststellen, wie die Einwirkung er folgt. Wir sind jedoch vier Mann und können die Be dingungen vierfach verändern. Du schläfst im Bett, Hal, du nebenan auf dem Boden neben der Tür, Nimba. Sie müssen sich mit der Wanne Ihres Bades begnügen, Covington, und ich werde mir einen Stuhl neben das Fenster rücken.« »Hm«, murmelte Covington, »und wenn man uns nun mit Gas bearbeitet?« »Sie lassen das Fenster des Bades weit auf und schließen die Verbindungstür. Auf jeden Fall müßten Sie dann wenigstens verschont bleiben.« »Und wenn wir trotzdem alle auf irgendeine Wei se beeinflußt werden?« »Wir müssen die Gefahr, uns auf diese Weise der Selbstbestimmung zu berauben, in Kauf nehmen. Ich hoffe, daß selbst im schlimmsten Fall die Wirkung in 81
diesen wenigen Stunden nicht gleich so stark ist, daß wir uns selbst vergessen. Und nun auf die Plätze. Wer bei Vernunft bleibt, hat dafür zu sorgen, daß die anderen zurückfinden und vor allem nicht wieder unter den gleichen Bedingungen schlafen.« Nimba und Covington verließen vorsichtig den Raum, um sich nebenan in der vorgeschriebenen Weise niederzulegen. Hal warf sich aufs Bett, Sun Koh setzte sich in einen Stuhl. Sun Koh wachte, während Hal sehr schnell ein schlief. Nebenan wurde es still. Von unten kam gele gentlich ein Gesprächsfetzen oder ein Lachen. Den beiden Türen näherte sich nichts. Verdächtige Ge räusche blieben aus. Trotz sorgfältigster Selbstbeob achtung konnte Sun Koh keine Veränderung an sich feststellen. Nach Stunden, als die Nacht sank, erhob er sich und ging zu den beiden anderen hinüber. Sie befan den sich beide an ihren Plätzen, waren aber wach. »Wir haben vor Aufregung nicht recht schlafen können«, berichtete Nimba, während er Decken und Kissen wieder ins Bett packte. »Gemerkt haben wir beide nichts.« »Keine Veränderung?« wandte sich Sun Koh an Covington. »Nicht die Spur.« Sun Koh nahm sie beide mit in sein Zimmer hin über. 82
Hal schlief noch immer. Er lächelte im Schlaf. »Hal hat die meisten Aussichten, Wirkungen zu spüren«, sagte Sun Koh. »Das Bett hat Spiralfeder matratze, und in dem vorgebauten Betthimmel, der in allen Schlafzimmern zu finden ist, ließen sich schon dünne Drähte einbringen. Ich will ihn wecken. Sollte er sich verändert haben, so verliert kein Wort über unsere Angelegenheiten, damit er nichts ausplaudern kann.« Er rüttelte den Jungen. Hal schlug die Augen auf, blickte geistesabwesend auf die Männer und murmel te: »Wo bin ich denn?« Dann setzte er sich auf, strich sich über die Stirn und meinte zufrieden: »Ich habe gut geschlafen. Ich glaube, das macht die gute Luft. Ich habe wohl recht lange geschlafen?« »Drei Stunden«, antwortete Sun Koh. »Drei Stunden nur? Wie sind wir denn nur … Ach ja, wir waren doch im Urwald, nicht wahr? Was war doch gleich – komisch …« Er grübelte, wischte dann aber mit einer Handbe wegung alles weg und lachte. »Ach, Unsinn, es wird nicht so wichtig sein. Ha ben Sie Leibschmerzen, weil Sie so ein komisches Gesicht ziehen, Co – Co … Komisch, jetzt habe ich glatt Ihren Namen vergessen.« »Covington«, half Sun Koh nach. »Auf, wasch dich, wir wollen hinuntergehen.« 83
Während Hal im Baderaum plätscherte, sagte Sun Koh: »Hal ist also betroffen worden. Capete wird Verdacht schöpfen, wenn wir uns nicht verhalten wie Hal. Also bitte recht heiter und freundlich unten, da zu einen guten Schuß Vergeßlichkeit.« Die Männer versprachen, ihr Möglichstes zu tun. Nach einer Weile gingen sie zu viert hinunter. Unten auf dem Flur trat ihnen Capete entgegen. »Na, gut geschlafen?« erkundigte er sich lauernd. Sun Koh nickte. »Sehr gut, Mister – wie heißen Sie doch gleich?« »Capete.« »Richtig.« Sun Koh lächelte. »Hoffentlich kom men wir nicht zu spät zum Abendessen. Wir haben alle Hunger.« »Furchtbaren Hunger«, rief Hal vergnügt. »Cape te, alter Schwede, rücken Sie mit Ihren Leckerbissen heraus.« Nimba und Covington zogen schreckliche Grimas sen. Capete grinste. »Draußen sind die andern, dort gibt’s auch zu es sen. Wer hat sich denn an meinem Radio vergrif fen?« Sun Koh wunderte sich vorschriftsmäßig. »Radio? Wozu brauchen Sie Radio? Singen Sie sich doch eins!« »Wir werden ein Quartett singen«, schlug Hal eil fertig vor. 84
Nimba und Covington hoben die Mundwinkel, daß ihnen die Wangenmuskeln schmerzten. »Also nicht.« Capete grinste wieder. »Na, auch nicht schlimm. Schert euch hinaus!« Er nahm die vier nicht mehr ernst, und die waren ihm nicht böse darüber. * Nach einigen Stunden, die für die drei Männer nicht leicht waren, zog sich die ganze Gesellschaft zurück. Auch Sun Koh begab sich nach oben. Hal wollte es sich schleunigst auf dem Bett bequem machen, aber Sun Koh holte ihn schnell herunter. »Unterhalten Sie sich noch ein bißchen mit ihm, Covington«, bat er. »Ich werde bald wieder da sein. Komm, Nimba!« »Ich bin müde«, maulte Hal, der bereits einiges von seiner Heiterkeit eingebüßt hatte. »Leg dich auf den Fußboden«, riet Sun Koh kurz und ging hinaus. Capete befand sich in seinem Zimmer. »Was wollt ihr denn?« erkundigte er sich barsch, ohne sich von seinem Stuhl zu erheben. »Wird Zeit, daß ihr ins Bett kommt!« »In diesem Haus ist man besser beraten, wenn man sich nicht ins Bett legt.« Jetzt ruckte Capete herum. 85
»Was – was wollen Sie damit sagen?« Die Miene Sun Kohs verriet ihm wohl alles, denn er fuhr nach kurzer Pause fort: »Verdammt, haben Sie etwa heute nachmittag nicht geschlafen?« »Sie haben es erraten«, sagte Sun Koh. »Halten Sie bitte Ihre Hände ruhig. Ich bin bewaffnet und ziehe sicher schneller als Sie. Haben Sie Micero von unserer Ankunft verständigt?« »Nein – doch.« »Also nicht, denn der Sender ist immer noch nicht in Ordnung, soviel ich sehe. Was hier vorgeht, ist mir ziemlich klar. Welche Folgen hat es, wenn man ei nem dieser Menschen hier die Strahlen plötzlich ent zieht?« Capete blinzelte tückisch. »Glauben Sie, ich lasse mich von Ihnen ausfragen? Scheren Sie sich zum Teufel. Ich verstehe überhaupt nicht, wovon Sie reden. Sie tun ja gerade, als ob hier etwas nicht in Ordnung sei. Dabei sollten Sie doch froh sein, daß ich Sie hier als Gäste aufgenommen habe.« »Das war die einfachste Art, um uns unschädlich zu machen. Sie wissen aber eins nicht, Capete. Wir sind keine Teilnehmer einer Forschungsexpedition, sondern wir sind eigens durch den Urwald hierher gekommen, um Miss Harling zu holen, die von Mi cero entführt wurde.« »Pest«, knurrte Capete, »das hätte ich wissen sol 86
len. Aber Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß die junge Dame entführt worden ist. Sie befindet sich freiwillig hier, das müßten Sie doch inzwischen fest gestellt haben.« »Freiwillig?« Sun Koh lächelte. »Sie unterschät zen uns noch immer, Capete. Ich glaube, es ist nutz los, unser Gespräch weiterzuführen. Kommen Sie!« Er faßte den Mann bei der Schulter und riß ihn hoch. Capete hielt wohl seine Gelegenheit für ge kommen, denn er stieß mit der einen Hand wild zu und riß gleichzeitig mit der anderen die Waffe aus der Tasche. Ein kurzer, harter Schlag ließ seinen Kopf nach hinten rucken. Die Pistole fiel zu Erde. Capete lehnte benommen an der Wand. »Ich warnte Sie«, erinnerte Sun Koh. »Nimba, hol die Gardinenschnüre herunter!« »Was haben Sie mit mir vor?« Capete keuchte. »Sie werden heute nacht in meinem Bett schlafen. Morgen dürften Sie sich dann sehr heiter fühlen.« »Sie sind …« »Sparen Sie sich starke Worte«, schnitt Sun Koh ab. Capete schwieg. Er ließ sich auch widerstandslos binden. Sun Koh trug ihn nach oben, während Nimba als Wache im Flur blieb. Capete wurde auf das Bett gebunden, dann eilte Sun Koh wieder hinunter. Die beiden Gehilfen Capetes bewohnten in dem 87
Nebengebäude, das auch die Küche enthielt, mit ih ren Frauen kleine Wohnungen. Den einen traf Sun Koh kurz vor der Haustür. Er machte nicht viel Fe derlesens mit ihm. Bevor der Mann sein Erstaunen noch recht zum Ausdruck gebracht hatte, legte Sun Koh ihm die Arme fest, und Nimba hielt ihm den Mund zu. Nach einem schwächlichem Versuch gab der Mann jede Gegenwehr auf und ließ sich nach oben tragen. Sun Koh stieg zum drittenmal in Begleitung Nim bas hinunter. Er fand den zweiten Gehilfen Capetes in einer recht unglücklichen Lage. Seine handfeste, recht energisch auftretende Frau hielt ihm eine Vor lesung, in der viel von ungebührlichem Anstarren hübscher Fratzen und dessen Folgen für die häusli che Gemütlichkeit die Rede war. Sun Koh klopfte an das Fenster, worauf der Mann die günstige Gelegenheit benutzte und schleunigst hinauseilte. Sun Koh nahm ihn in Empfang und übergab ihn Nimba, der ihn weiterbeförderte. Dann trat Sun Koh in den Raum, den der Mann eben ver lassen hatte. »Was wollen Sie?« rief die Frau unwirsch. »Wie kommen Sie hier rein? Wo ist mein Mann?« »Ich möchte mit Ihnen ein ruhiges und vernünfti ges Wort reden«, erwiderte Sun Koh höflich. »Es wäre gut, wenn Ihre Nachbarin gleich mit dabei wä re. Wir könnten zu ihr hinübergehen.« 88
»Wo ist mein Mann?« beharrte die Frau. »Wir haben ihn, seinen Kameraden und Capete einstweilen gefesselt. Die drei sind unsere Gefange nen, es wird ihnen jedoch nur wenig geschehen. Ich muß vielleicht auch Sie gefangennehmen, da Sie aber einen ruhigen, vernünftigen Eindruck machen, hoffe ich einstweilen noch, mich mit einer Aussprache mit Ihnen begnügen zu können.« Die Frau sah ihn unsicher an. Schließlich nickte sie: »Kommen Sie!« Zwei Minuten später saß Sun Koh den beiden Frauen gegenüber. Sie hatten starke Ähnlichkeit mit einander. »Wir sind Schwestern«, erklärte die Frau, mit der er schon gesprochen hatte. »Ich heiße Rosita, sie Manuela. Sagen Sie, was Sie uns zu sagen haben.« »Vincento Micero hat ein junges Mädchen entführt und hierhergebracht«, begann Sun Koh. »Sie heißt Ursula Harling. Ich bin mit drei Begleitern hierherge kommen, um sie zu befreien. Selbstverständlich muß te ich vor allen Dingen die Männer unschädlich ma chen, die unseren Plänen hätten Widerstand leisten können, nämlich Capete und Ihre beiden Männer.« Rosita wandte sich lebhaft an ihre Schwester: »Ha be ich dir nicht gleich gesagt, daß das junge Mädchen gegen ihren Willen hierhergebracht worden ist? Sie zeigte ja ganz offen, was sie von Micero hielt.« »Hat Micero selbst sie hergebracht?« 89
»Nein, zwei von seinen Leuten. Sie kamen im Flugzeug, hielten sich aber nur eine Stunde auf.« Die Bereitwilligkeit der beiden Frauen, mit ihm über die Angelegenheiten dieses Tales zu sprechen, war so stark, daß Sun Koh einfach weiterfragen konnte. »Sie sind Angestellte Miceros, nicht wahr?« »Unsere Männer«, sagte die etwas schüchterne Manuela. »Wir versorgen die Küche und halten das Haus sauber.« »So ist es«, bestätigte Rosita lebhaft. »Sie dürfen nicht etwa denken, daß wir viel von Senhor Micero halten. Er ist ein großer Herr, aber ein widerlicher Kerl. Wir können ihn alle beide nicht leiden. Unsere Männer werden aber gut bezahlt, und hier ist es ganz schön, so daß es uns wenig kümmert, was er für ein Gesicht hat.« »Sie wissen aber, daß hier ungesetzliche Dinge vorgehen?« Rosita schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist doch nicht schlimm, wenn die Leute hier ein bißchen vergnügt sind. Manchmal benehmen sie sich ja mächtig albern, aber das geht uns nichts an, wenn es denen Spaß macht. Die Hauptsache ist, daß sich unsere Männer nicht darum kümmern, vor allem nicht um die Mädchen.« »Diese Menschen werden hier durch besondere Strahlen beeinflußt«, wandte Sun Koh ein. 90
»Da ist doch nichts dabei«, wunderte sich die Frau. »Das gibt es doch auch in jedem anderen – wie heißt es doch gleich – ach ja, Sanatorium. Es ist doch hübsch, wenn sich die Leute hier erholen. Sie sollten nur einmal sehen, wie sie hierherkommen, ganz blaß, ganz müde und verdrossen. Nach einigen Tagen se hen sie ganz anders aus. Und es sind doch alles An gestellte von Senhor Micero, und sie kommen frei willig her. Freilich, wenn dieses junge Mädchen ge gen ihren Willen hierhergebracht wurde, so ist das etwas anderes. Wir sind anständige, rechtschaffene Frauen und bestimmt die letzten, die ein solches Un recht dulden werden.« »Und Ihre Männer?« »Die sind auch nicht schlecht«, kam die Antwort mit Überzeugung. »Sie tun eben, was ihnen von Ca pete befohlen wird, aber sie haben nichts Unrechtes getan.« »Trotzdem werde ich sie wohl in Gewahrsam neh men müssen«, sagte Sun Koh. »Die Schwierigkeit liegt für uns darin, daß wir das Tal verlassen müssen und einige Tage Vorsprung brauchen. Es wird wohl genügen, wenn ich die Männer einige Tage lang der Kur unterwerfe, die nach Ihrer eigenen Meinung völ lig harmlos ist.« »Sie brauchen doch nur so mit ihnen zu reden, wie Sie mit uns reden. Es sind schon vernünftige Kerle.« »Capete oder Micero würden sie zur Verantwor 91
tung ziehen, wenn sie nicht alles aufbieten würden, um uns zu halten.« Die beiden Frauen schwiegen. Nach einer Weile meinte Manuela: »Der Senhor hat recht.« »Ja«, meinte Rosita, »es ist wohl besser so. Aber eigentlich müßten Sie uns dann auch einsperren.« »Nein.« Sun Koh lächelte. »Wer sollte sich dann um Küche und Haushalt kümmern? Außerdem würde es mir widerstreben, gegen eine Frau feindlich zu handeln.« »Sie sind ein Caballero«, sagte Rosita. »Wir wer den jedenfalls unsere Arbeit weiter verrichten. Ein Mann wie Sie wird unseren Männern schon nichts tun.« Sun Koh verabschiedete sich beruhigt. Capete und seine beiden Gehilfen lagen gefesselt auf den Betten. Capete schlief nicht. Er blickte böse auf Sun Koh, als dieser an ihn herantrat, und knurrte: »Da werden Sie ja morgen Ihren Spaß an mir haben, wenn ich mich wie die anderen benehme. Wahr scheinlich schließen wir Brüderschaft. Aber bilden Sie sich ja nichts darauf ein. Wenn Senhor Micero kommt…« »…sind wir längst fort«, ergänzte Sun Koh. »Vielleicht auch nicht«, grinste Capete. »Danke. Ich werde meine Vorbereitungen treffen.« »Wieso… Ach, verdammt, geht das schon los?« Er wandte den Kopf ab. 92
Sun Koh verließ das Zimmer, ging den Gang ein Stück hinunter und klopfte an die Tür, hinter der Ur sula Harling schlief. »Ja?« Ihre Stimme klang schlaftrunken. »Bitte, ziehen Sie sich an«, bat Sun Koh. »Ich muß dringend mit Ihnen sprechen. Hier ist Sun Koh.« »Mister Sun Koh?« rief sie verwundert. »Sie? Ja, was ist denn?« Er hörte einige Geräusche, dann öffnete sie be reits, nur in einen Morgenrock eingehüllt, die Tür. Sie lächelte und wollte eine Frage aussprechen, aber schon griff Sun Koh nach ihrem Arm und zog sie heraus. »Fragen Sie bitte nicht. Es ist unbedingt nötig, daß Sie heute nacht unten auf einem der Sofas schlafen. Kommen Sie!« »Aber…« Sun Koh wußte, daß Auseinandersetzungen wenig Zweck hatten. Er sagte deshalb nur: »Sie müssen Vertrauen zu mir haben. Der Aufenthalt in Ihrem Zimmer ist ungesund. Sie verstehen das jetzt nicht, aber Sie müssen sich meinen Anordnungen fügen. Bitte, vertrauen Sie mir.« »Aber ja«, entgegnete sie. »Sie sind ein sonderba rer Mensch, aber ich finde Sie sehr vertrauenswür dig.« Damit hängte sie sich in seinen Arm und folgte willig. 93
Sun Koh verständigte im Vorbeigehen Nimba, der dann auch wenig später einen Berg Betten hinunter brachte und in einem der Wohnräume ein Lager rich tete. Eine Viertelstunde später schlief das junge Mäd chen bereits unbekümmert wie ein Kind weiter. Auch die drei Gefangenen schliefen nun. Hal lag auf der bloßen Erde zu Covingtons Füßen und träum te. Sun Koh trug ihn hinunter und legte ihn auf ein Liegesofa. Covington bekam unmittelbar daneben ein zweites eingeräumt. Nimba machte es sich bei den Gefangenen bequem. Sun Koh bereitete sich ein Lager neben dem Raum, in dem das junge Mädchen schlief. 6. Der neue Morgen trug seltsame Gesichter. Als erster rekelte sich Hal. Er blickte sich um und stieß dann Covington, der neben ihm lag, herzhaft den Finger in die Rippen. »Was ist?« »Das will ich gerade von Ihnen wissen«, sagte Hal verdrossen. »Was soll das nun wieder bedeuten? Ge stern abend haben Sie mich nicht ins Bett gelassen, und jetzt liege ich hier unten. Hier geht wohl der dreidimensionale Rappel um, was?« »Bei dir gestern bestimmt.« Covington gähnte. »Wie fühlst du dich sonst?« 94
»Überhaupt nicht«, murrte Hal. »Wo ist denn der Herr? Bei mir hat Capete anscheinend Strahlen ein geschaltet, die einen melancholisch wie eine verwai ste Ölsardine machen.« »Augenblick!« Covington eilte hinaus und kam wenig später mit Sun Koh wieder zurück. »Da ist er.« Er deutete auf Hal. »Und er scheint eine Stinkwut im Leib zu haben.« »Katzenjammer wäre schon richtiger«, maulte Hal. »Dabei waren wir doch gestern abend so ver gnügt…« »Ja«, bestätigte Sun Koh, »du warst sehr vergnügt. Das machten die Strahlen. Wir ließen dich nicht ins Bett, um dich dem Einfluß wieder zu entziehen. Das scheint ja auch ziemlich gelungen zu sein.« »Heiter fühle ich mich bestimmt nicht«, sagte Hal. »Mir ist eher zum Heulen.« »Weine, mein Sohn«, regte Covington sanft an. »Quatsch«, fuhr Hal hoch. »Wenn Sie mir aus dem Horizont herausgehen, wird’s schon besser werden.« Covington grinste. »Der ist wieder gesund.« »Scheint mir auch so«, meinte Sun Koh. »Kommen Sie, Covington, Ihre Verlobte wird Sie brauchen.« Das junge Mädchen war in der kurzen Zwischen zeit munter geworden. Als Covington an ihrer Tür lauschte, hörte er hemmungsloses Schluchzen, wor auf er schleunigst eintrat. 95
Ursula Harling kauerte auf ihrem Lager, hielt das Gesicht in den Händen verborgen und weinte. Sie sah nicht auf, als Covington eintrat. Erst als er dicht vor ihr stand und sie anrief, hob sie das tränenüber strömte Gesicht. Unsicherheit ging darüber hin, dann schluchzte sie auf: »Sie – du bist es, Don?« Sie schlug die Hände wieder vor das Gesicht und weinte von neuem. Er kniete neben ihr nieder. »Nicht weinen, Ursula«, bat er sanft. »Erkennst du mich?« »Ja – du bist doch Don. Oder – ich weiß nicht – ich habe wohl geträumt – da war doch noch ein anderer … Wo bin ich eigentlich? Wie kommst du hierher?« »Ich komme aus Maracaibo, um dich zurückzuho len. Du bist eine Gefangene Miceros.« Flüchtig ging ein Schauer über ihren Körper. »Micero, ja – aber es ist doch eigentlich schön hier und …« Wild weinte sie wieder los. »Warum weinst du?« »Ich bin so traurig!« Sie schluchzte verstärkt. Er strich über ihr wirres Haar. Diese tiefe Traurig keit war wohl ein notwendiger Rückschlag gegen die künstliche Heiterkeit, ein unvermeidlicher Übergang. Das überreizte Gemüt entspannte sich. Und ihre ein setzende Erinnerung, wenn sie auch noch lückenhaft und verwirrt war, bewies doch, daß die Entziehung bald zur Heilung führte. 96
Covington redete dem jungen Mädchen tröstend zu, aber die Wirkung blieb geringfügig. Das Weinen ließ zwar nach, aber an seine Stelle trat eine dumpfe, taube Hoffnungslosigkeit, die gefährlicher wirkte als der Schmerzausbruch. Covington wußte sich keinen Rat mehr und holte lieber Sun Koh herein. Während Sun Koh nachsann, wie man das junge Mädchen über diesen Zustand hinwegbringen könne, winkte Nimba von der Tür aus. »Capete will aufstehen«, berichtete er flüsternd. »Was soll ich tun?« »Wie benimmt er sich?« »Er ist in bester Stimmung, nennt mich dauernd seinen alten Freund und lacht viel ohne Grund. Die Bestrahlung scheint gründlich gewirkt zu haben.« »Binde ihn los«, wies Sun Koh an, »beobachte ihn aber einstweilen weiter. Er wird wohl harmlos sein.« »Und die beiden anderen?« »Wenn bei ihnen die Bestrahlung auch gewirkt hat, kannst du sie freilassen. Ich überzeuge mich dann selbst noch. Jetzt schicke Hal herüber.« »Sofort, Sir!« Sun Koh wartete an der Tür. Er nahm den Jungen bei der Schulter. »Höre, Hal«, sagte er leise, »du mußt dich jetzt um Miss Harling kümmern. Du bist zwar selber nicht gut aufgelegt, aber sieh zu, daß du sie unterhältst, bis ich zurückkomme.« 97
»Was ist denn mit ihr los?« »Das gleiche wie vorhin bei dir, ein starker Rück schlag. Sie ist hemmungslos traurig.« »Traurig? Das werden wir gleich haben.« Sun Koh schloß die Tür hinter sich. Hal würde es mit seiner unbekümmerten, rauhen Kameradschaft lichkeit besser als irgendwer verstehen, den finsteren Bann zu brechen. * Sun Koh wollte erst nach Capete sehen und sich dann um die beiden Frauen kümmern, die für die Küche zu sorgen hatten. Durch eine der Türen hin durch vernahm er Schluchzen. Er lauschte. Tatsäch lich, hinter der Tür weinte eine Frau so herzzerbre chend, wie es Ursula Harling getan hatte. Kurz ent schlossen riß er die Tür auf. Die junge Frau war so in ihren Schmerz einge sponnen, daß sie nur den Kopf schüttelte, als Sun Koh sich nach der Ursache erkundigte. Und als er zum zweitenmal dringlicher fragte, schluchzte sie: »Ich bin so traurig!« Über das Gesicht Sun Kohs ging ein unruhiges Grübeln, das zunehmender Starre wich. Die Frau hat te unter unveränderten Bedingungen geschlafen. Sie hätte also so heiter und froh erwachen müssen wie all die Tage zuvor. Da das nicht der Fall war, mußte die 98
Bestrahlung – falls eine solche vorlag – bei ihr aus gesetzt haben. Die Gesamterscheinung war die glei che wie bei Miß Harling. Sun Koh horchte an einer der nächsten Türen. Da schritt jemand schwer hin und her. Sun Koh klopfte und trat auf Zuruf ein. Der Mann mit dem Gelehrtenkopf bewohnte den Raum. Er stand mitten im Zimmer und blickte ver stört auf seinen Besucher. Verstört war alles an ihm, von dem zerrauften Haar bis zur Haltung. Nichts mehr zeugte von seiner gestrigen Heiterkeit. »Was ist geschehen?« fragte er heftig. »Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und werde bald verrückt vor Melancholie. Warum arbeiten die Strah len nicht? Ist es nötig, daß man uns vor der Zeit aus dem großen Vergessen herausreißt? Genügt es nicht, daß wir bei der Rückkehr aus dem Tal diesen Über gang durchmachen müssen?« Sun Koh wollte etwas sagen, aber schon fuhr der andere gereizt fort: »Schweigen Sie! Ich bin nicht das erste Mal hier und weiß Bescheid. So etwas ist noch nicht passiert. Ich werde mich bei Micero be schweren. Ich habe die längste Zeit dieses Hundele ben unter der Erde geführt, wenn während der kur zen, glücklichen Zeit solche Dinge vorkommen. Wenn die Strömung nicht sofort beseitigt wird, kehre ich nicht nach Truxillo zurück.« Sun Koh wußte genug. 99
»Ich werde mich darum kümmern«, sagte er hastig und verließ den Raum. Er hastete durch den Gang. Hier gab es nur eine Erklärung. Die ganze Anlage war abgestellt worden. Entweder die Frauen der beiden Männer oder Ca pete selbst. Er hatte gestern immerhin Gelegenheit gehabt. In seiner Nähe hatten sich verschiedene He bel befunden, die er durch eine unauffällige Körper bewegung hatte umlegen können. Wenn die Anlage sich außer Betrieb befand, dann war aber Capete bei klaren Sinnen. Und Nimba hatte Anweisung erhalten, ihn loszubinden. Die Tür flog zurück. Da lag Nimba mitten im Zim mer. Gerade wälzte er sich schwer herum. Sun Koh kniete neben ihm nieder, riß seinen Ober körper hoch. »Nimba?« »Sie haben mich niedergeschlagen, Capete und der andere«, stöhnte Nimba, stemmte sich dabei aber schon wieder hoch. »Mein Kopf! Ich hielt sie doch für harmlos. Sie kamen von hinten.« »Komm!« Sun Koh lief weiter. Capete hatte Nimba die Waf fen abgenommen. Flüchtig blickte Sun Koh in das Nebenzimmer. Der dritte Mann fehlte natürlich ebenfalls. Capete mußte sehr schnell gehandelt haben, während Sun Koh noch unten gewesen war. Ursula Harling! Wenn Capete sie als Geißel in die 100
Hand bekam, wurde er leicht zu stark. Da – ein Ruf und dumpfer Lärm. Sun Koh lief hinunter. Auf dem Gang drängte es sich. Covington lag auf der Erde. Die beiden Gehil fen hatten rechts und links das junge Mädchen ge packt und zerrten sie fort. Ursula Harling wehrte sich stumm und verbissen. Capete selbst suchte mit Hal fertigzuwerden. Der Junge hatte ihn angesprungen, seine Beine klemmten sich um die Hüften Capetes, seine Fäuste trommelten auf den Kopf. Capete ver suchte ohne rechten Erfolg den Jungen abzuschütteln und die sicher schmerzhafte Schlagserie, die ihn ebenso wütend wie blind machte, zu stoppen. Sun Koh jagte in langen Sprüngen heran. Einer der Männer bemerkte ihn, stieß einen Warnruf aus, zog seine Pistole und schoß. Sun Koh überschlug sich nach vorn, rollte über die Schulter hinweg, kam zum Stand und schmetterte seine Faust vor, die die Wucht der Bewegung besaß. Hart kippte der Mann nach hinten. Der zweite fuchtelte mit der Waffe und such te gleichzeitig Deckung hinter dem Mädchen. Die Waffe flog unter einem Schlag weg, der Mann hob die Hände. Sun Koh drehte ihn mit dem Gesicht zur Wand. »Nicht rühren, sonst…« Immer noch schob sich Capete mit Hal hin und her. Der Junge hing an ihm wie eine Wildkatze, die sich verbissen hat. Hal trommelte mit kurzen Schlä 101
gen auf den Kopf Capetes und stieß dabei heisere, fauchende Laute aus. Capete aber glich fast einem geblendeten Büffel, wie er zusammengezogen und den Kopf tief gesenkt herumfuhr und den Jungen ab zuschütteln versuchte. »Hal!« Hal hörte einfach nicht. Sun Koh griff zu. Seine Hand schloß sich um den Nacken Capetes und drück te ihn hinunter. Die linke Hand fing die wild arbei tenden Arme Hals auf und riß den Jungen von sei nem Opfer weg. Capete lehnte sich gegen den harten Druck auf, aber die übermächtige Kraft zwang ihn. Aufstöhnend brach er in die Knie. Nimba kam heran, Covington rappelte sich auf. Sun Koh gab ein Zeichen. Nimba übernahm Capete. Hal lehnte zitternd an der Wand. »Das Schwein!« flüsterte er stoßweise. »Das Schwein! Er wollte sie verschleppen! Totgeschlagen hätte ich ihn!« Sun Koh löste die verkrampfte Rechte und drückte sie. »Tief atmen, Hal. Du bist ein Held.« »Der Kerl!« japste Hal noch, dann drückte er die Hand und seine Augen leuchteten auf. »Dem habe ich’s aber gezeigt!« * 102
Gegen Mittag des folgenden Tages standen sie zu fünft auf dem Bergrücken, der das Tal des Verges sens nach Westen zu abschloß. Hunderte von Metern unter ihnen lag das Tal. Weit entfernt, ganz am Rand des Blickfeldes, lag das Haus. Zu Fuß waren das immerhin einige Stunden Marsch. Die fünf hatten sich freilich klugerweise der Pferde bedient und wa ren so schnell an die abriegelnde Querwand gekom men. In mühsamer Kletterarbeit waren sie bis zu dem sattelförmigen Einschnitt aufgestiegen, von dem aus sie weiter nach Westen dringen wollten. Nachdenklich blickten sie zurück. Dort unten ver gnügte sich jetzt Capete inmitten einer frohen Gesell schaft. Sun Koh hatte jene Strahlen, deren Natur nach wie vor unbekannt war, wieder eingeschaltet und da mit den Leuten Miceros Frieden und Harmlosigkeit zurückgegeben, wie sie es sich wünschten. Selbst wenn die Frauen Capete und ihre Männer dem Einfluß wie der entzogen, mußte es ein oder zwei Tage dauern, bevor Capete an eine Verfolgung denken konnte. Sun Koh wandte sich nach Westen, wo jenseits des Sattels die Hauptkette des Gebirgszuges gegen den Himmel stand. »Wir wollen versuchen, noch heute auf die Haupt kette hinüberzukommen.« »Da werden uns die Beine aber wackeln«, mur melte Covington ahnungsvoll. 103
»Es wird nicht so schlimm werden«, beruhigte Sun Koh. »Die Mühe beginnt erst wieder, wenn wir in die sumpfige Niederung jenseits des Gebirges absteigen müssen.« »Zum Magdalenenstrom hin?« »Hätten wir nicht den Weg nehmen können, auf dem ihr gekommen seid?« fragte Ursula Harling. »Nein«, antwortete Sun Koh. »Er ist uns zwar be kannt, aber erstens ist er länger, und zweitens finden wir auf dem Magdalenenstrom leicht einen Dampfer, während wir an der Lagune wochenlang auf eine Ge legenheit warten müßten.« »Und außerdem«, ergänzte Nimba, »würden wir auf der Lagune oder in Maracaibo geradewegs unse rem Freund Micero in die Arme laufen.« »Er kann uns auch in Baranquillo abfangen.« »Das ist Kolumbien und nicht mehr Venezuela. Er dürfte es auf alle Fälle erheblich schwerer haben.« Sun Koh gab ein Zeichen, zu schweigen. Er horch te angestrengt. Die anderen horchten mit. Ein feines Summen, wie von einer fernen Stechmücke, lag in der Luft. Die Augen Sun Kohs suchten am Himmel, der sich weißblau über die Felsenwelt spannte. Nicht weit über dem Horizont stand ein Pünktchen in der Luft. Sie beobachteten eine Weile, dann wandte Sun Koh die Augen ab. 104
»Ein Flugzeug. Das könnte Micero sein. Vorwärts, zur Wand hinüber, dort finden wir genügend Dek kung.« Sie nahmen ihre Sachen auf und wechselten über den Sattel. An der aufsteigenden Wand konnten sie sich leicht gegen Sicht von oben schützen. »Sollten wir uns nicht lieber auf die Beine ma chen?« fragte Covington. »Je mehr Vorsprung wir gewinnen, desto besser für uns.« »Selbst die größte Anstrengung könnte uns dem Flugzeug gegenüber nicht genügend Vorsprung ver schaffen«, erwiderte Sun Koh ablehnend. »Wir müs sen vor allem feststellen, ob das Flugzeug Micero gehört.« Die nächste Viertelstunde löste jeden Zweifel dar an. Das Flugzeug flog genau auf das Tal zu, senkte sich hinein und landete in der Nähe des Hauses. »Wenn Micero selbst drin sitzt, wird er schön die Augen aufreißen«, sagte Hal grinsend. »Er wird sich kaum damit begnügen«, ergänzte Nimba trocken. »Ich denke, wir haben ihn bald auf den Fersen.« »Na wenn schon«, meinte der Junge geringschät zig. »Mit dem Flugzeug holt er uns zwar schnell ein, er kann aber nicht viel ausrichten. So groß war die Maschine nicht. Wenn er wirklich ein halbes Dut zend Männer in den Weg stellen kann, brauchen wir noch lange keine Angst zu haben. Ich denke aber, er 105
wird hier im Gebirge noch nicht einmal landen kön nen. Das Vergnügen, uns auf die Köpfe zu spucken, können wir ihm schon gönnen. Bomben wird er ja nicht gleich geladen haben.« »Dann wird er eben seine Leute nüchtern machen und hinter uns herhetzen.« »Bleiben glatt zwei Tage Vorsprung.« »Wenn er nicht einen Landeplatz voraus findet und uns mit einigen Flügen den ganzen Trupp auf den Weg setzt.« »Auch möglich. Eigentlich schade, daß wir jetzt nicht mehr dort unten sind, nicht wahr, Sir? Wir hät ten uns doch verstecken und dann das Flugzeug stürmen können.« »Du hast eine verwegene Phantasie, Hal.« Sun Koh lächelte. »Es wird übrigens nicht lange dauern, und wir bekommen das Flugzeug aus der Nähe zu sehen. Wenn Micero gekommen ist, wird er vor al lem unsere Spuren feststellen wollen. Nutzen wir al so unsere Zeit. Der Spalt dort ist breit genug, um das Nachtlager aufzuschlagen.« »Wollen wir denn bis morgen hierbleiben?« fragte Ursula Harling erstaunt. »Wenn das Flugzeug die Gegend absucht, müßten wir ohnehin stilliegen. Weit würden wir also doch nicht kommen. Da ist es schon besser, wenn wir gleich Vorsorge für die Nacht treffen.« Sie zogen sich in den Spalt, der eine Sicht vom 106
Flugzeug aus unmöglich machte, zurück. Von Vor bereitungen für ein Nachtlager konnte ja eigentlich nicht die Rede sein, dazu war ihre Ausrüstung zu ge ringfügig. Zwei Stunden später dröhnte das Flugzeug über ihnen. Es war eine sehr starke Maschine mit zwei Motoren, dabei aber ein ausgesprochenes Sportflug zeug. Mehr als ein halbes Dutzend Leute konnten sicher nicht in ihm untergebracht werden. Das Flugzeug zog immer wieder Kreise über dem Sattel und der weiteren Umgebung. Sicher prüfte man von oben her mit Ferngläsern die Landschaft. Da es unmöglich war, in den Spalt einzublicken und andererseits der Fels keine Spuren hielt, konnten sich die Suchenden höchstens wundern und Vermutungen aufstellen. Nach langer Suche kehrte das Flugzeug in das Tal zurück und landete wieder in der Nähe des fernen Hauses. Dann kam die Nacht. Sun Koh teilte die erste Wa che Nimba zu. Er selbst legte sich mit nieder. Als die anderen jedoch eingeschlafen waren, erhob er sich leise und winkte Nimba beiseite. »Du mußt die nächste Wache mit übernehmen«, sagte er. »Ich will versuchen, an das Flugzeug heran zukommen.« »Sir!« murmelte Nimba erschrocken. »Bevor die Nacht verstreicht, bin ich zurück – mit 107
oder ohne Flugzeug.« »Und – wenn Sie nicht zurückkommen?« »Dann setzt ihr euren Weg unter allen Umständen fort. Du übernimmst die Führung. Die Entscheidun gen müssen nach den Verhältnissen getroffen wer den. Aber ich glaube nicht, daß ich ausbleibe.« »Wollen Sie nicht wenigstens mich mitnehmen?« »Nein. Leb wohl.« Er drückte Nimba die Hand und glitt davon. Es war noch sehr zeitig. Das war gut, denn so lag die ganze Nacht noch vor ihm; aber es hatte den Nachteil, daß der Mond noch nicht aufgegangen war. Das Licht fehlte gerade im gefährlichsten Stück des Weges, nämlich beim Abstieg zum Tal. Sun Koh mußte sich mehr auf seine Erinnerung und auf sein Tastgefühl verlassen als auf seine Augen. Zweimal löste sein tastender Fuß kleine Steinschläge aus, aber sonst kam er sicher hinunter. Als die grasige Ebene erreicht war, begann er zu laufen. Es wäre nicht nur für den Laien, sondern auch für den Sachverständigen ein hoher Genuß gewesen, diesen Mann laufen zu sehen. Seine Beine und Schul tern bewegten sich mit der ruhigen Sicherheit und Gleichmäßigkeit einer Maschine. Er lief mit der Ge schwindigkeit eines Sprinters und der Ausdauer jener Tarahumara-Indianer der Sierra Madre, die ihre drei hundert Kilometer ohne Pause zurücklegen und dabei auch noch eine Eichenkugel vor sich herstoßen. 108
In einer Stunde hatte Sun Koh die ganze Strecke zurückgelegt, zu der andere mehrere Stunden Marsch benötigt hätten. Und als er in vorsichtigen Schritt überging, da ging sein Atem nicht heftiger als ge wöhnlich. Das Haus lag in vollem Lichterglanz. Die breite Fensterfront wirkte, mit den bunten Lampions zu sammen, geradezu feenhaft. Das Flugzeug stand etwa fünfzig Meter vor dem Haus neben dem breiten Weg, der zum Schwimmbad führte. Es stand im Streulicht des Hauses, nicht hell genug beleuchtet, um jede Möglichkeit auszuschlie ßen, aber auch nicht genügend im Dunkeln, um ein fach herangehen zu können. Außerdem standen eini ge Leute in seiner Nähe. Sun Koh nutzte das hohe Gras, um ein Stück wei ter heranzukommen. Micero stand bei der Gruppe. Seine Stimme klang laut und wütend. »Halten Sie den Mund, Capete! Ich kann Ihr dummes Lachen nicht mehr ausstehen. Ma chen Sie, daß Sie fortkommen. Morgen früh, wenn Sie nüchtern sind, werden wir weiter miteinander reden!« Capete ging zum Haus. Einer der Männer machte eine halblaute Bemerkung, worauf Micero herrisch auffuhr: »Das weiß ich selber. Aber habe ich ihn an gestellt, daß er sich übertölpeln läßt? Ich kann solche Leute nicht gebrauchen!« 109
Langsam rückte Sun Koh vor. »Ihr beide übernehmt die erste Wache«, befahl Micero. »Haltet eure Augen offen. Ich habe die Flüchtigen nicht gesehen und traue dem Frieden nicht. Dieser Kerl bringt es fertig und kehrt um.« »Das würde ihm aber verdammt schlecht bekom men«, brummte einer. »Rede nicht so albern«, fuhr ihm Micero gereizt über den Mund. »Ich habe ihn auch zu leicht ge nommen. Der Teufel soll euch holen, wenn ihr nach lässig seid. Ihr anderen könnt euch schlafen legen.« Zwei Mann steuerten auf das Haus zu. Micero ging zum Flugzeug, stieg hinein und blieb eine Weile drin. Dann kam er wieder heraus, wechselte einige Worte mit seinen beiden Wächtern und … Nein, er wandte sich nicht dem Haus zu, sondern schritt fast in entgegengesetzter Richtung davon, in der gleichen Richtung, in der Sun Koh im Gras lag. Drei Meter seitlich von Sun Koh blieb er stehen und blickte das Tal entlang. Sun Koh lag unbeweglich am Boden. Es war nicht möglich gewesen, sich zurück zuziehen. Jetzt nahm Micero doch Richtung auf das Haus. Diese Richtung schnitt aber genau den Körper Sun Kohs. Die Entscheidung fiel schneller, als Sun Koh gewünscht hatte. Drei Schritte machte Micero, dann schnellte ein Schatten vor ihm hoch. Ein Aufschrei riß im Entste 110
hen ab, dumpf krachte die Faust Sun Kohs, Micero schlug nach hinten um. »Was ist denn?« rief einer der Wächter. Die bei den reckten die Köpfe, griffen nach den Gürteln. Sun Koh flog über die kurze Strecke heran. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als alles einzusetzen. Etwas Hartes schlug gegen seinen Arm, Schüsse knallten. Die beiden schossen in der Aufregung und dank der Dunkelheit ganz erbärmlich. Eine lange Rolle brachte Sun Koh dicht an die beiden heran. Die Schultern Sun Kohs rammten gegen die Beine des einen, seine Hände griffen schnell nach den Füßen vor, so daß der Mann, wie ein Pfahl gestreckt, nach hinten schlug. Der andere wagte nicht zu schießen oder hatte sein Magazin schon geleert, er griff jedenfalls mit beiden Händen zu, bevor Sun Koh wieder hochkam. Jähes Aufschnellen beraubte ihn seines Standes, eine Arm bewegung riß die Klammer entzwei. Kurze Sekun den rollten sich die beiden Gestalten hin und her, dann wurden die Arme des zweiten Wächters schlaff. Sun Koh blieb geduckt neben dem Flugzeug hok ken. Es nützte ihm nichts, jetzt hineinzuspringen. So schnell brachte man ein fremdes Flugzeug nicht in Fahrt. Da liefen sie schon heran, die mit Micero gekom men waren, hinter ihnen das neugierige Gedränge der Hausbewohner. 111
Die beiden waren vorsichtig. Sie duckten sich hin ter Bäume. »Senhor Micero!« schrie einer. »Was ist los?« »Dort ist ein Fremder!« rief der andere. »Ein Überfall! Hände hoch!« Sun Koh zog seine Waffe. Jetzt blieb ihm schon nichts anderes übrig, als zu schießen. Die beiden schossen bereits. Die Kugeln spritzten gegen das Flugzeug. Rechte Schultern und Arme der beiden hoben sich gut gegen den hellen Hintergrund ab. Zweimal zuck te das Feuer aus der Hand Sun Kohs. Ein doppelter Aufschrei zeigte die Treffer an. Die Männer griffen nach ihren Schultern, schwankten aus der Deckung heraus und liefen verwirrt davon. Sun Koh dachte nicht mehr daran, hinter ihnen herzuschießen. Außerdem steckten die beiden schon Sekunden später in dem Haufen der anderen. Die beiden Wächter waren noch bewußtlos. Sun Koh lief zu Micero hinüber. Es war gerade die richti ge Zeit, denn Micero kam eben zu sich. Er zeigte ei ne Anwandlung, ein Handgemenge zu beginnen, aber Sun Koh hob ihn einfach auf, schlug ihm auf die Hände und trug ihn zum Flugzeug hin. Um ein Haar wäre alles schiefgegangen. Micero kam gerade an einer Stelle zu liegen, an die die Pi stole eines Wächters geflogen war. Sun Koh beachte te das nicht, aber Micero nutzte seine Gelegenheit. Er 112
griff sofort zu, riß den Arm hoch und schoß aus ge ringster Entfernung. Sun Koh wich zur Seite. Micero befand sich im Pech. Er hatte die Pistole ergriffen, deren Magazin der Wächter in toller Aufre gung leergefeuert hatte. Der Hahn klickte dünn, mehr ereignete sich nicht. Micero konnte sich aber erst viel später darüber Rechenschaft ablegen, denn Sun Koh hatte seiner Ausweichbewegung einen Schlag folgen lassen, der Micero das Bewußtsein zum zweiten Ma le nahm. Nun strömten die anderen heran, Männer und Frauen, etwas betroffen, sehr neugierig, aber im Grunde immer heiter. Sie fürchteten keine Gefahr für sich, weil sie die Lage überhaupt nicht in ihrem Ernst erfassen konnten. »Das ist doch Mister Sun Koh!« schrie eine Frau. »Mister Sun Koh?« wiederholten andere und be schleunigten ihren Schritt. »Sieh da, Mister Sun Koh«, stellte auch Capete fest, der sich mit an der Spitze befand. »Das ist ja witzig! Sie waren doch fort. Und nun haben Sie sich mit Micero …« Er brach ab und dachte nach. So ganz einwandfrei schien ihm die Lage denn doch nicht zu sein. Sun Koh wehrte die Fragen, die auf ihn eindräng ten, mit ruhiger Freundlichkeit ab. »Es tut mir leid, meine Damen und Herren«, er klärte er, »wir müssen unsere Unterhaltung auf später 113
verschieben. Nein, diesen Herren ist nichts Ernstli ches passiert, sie werden Ihnen bald Gesellschaft lei sten können. Bitte, treten Sie zurück.« Jetzt endlich stieg er in die Maschine hinein. Die Zündung war gesperrt, er mußte wieder hinaus und sich den Zündschlüssel aus einer der Taschen Mice ros holen. Die Zuschauer folgten jeder Bewegung mit wohlwollender Anteilnahme. Einige äußerten Bedenken, aber sie erschienen ihnen selbst nicht so wichtig, um daraufhin zu handeln. Sun Koh atmete auf, als das Flugzeug endlich dröhnte und wie vor Ungeduld leise zitterte. Der Streich war gelungen. Noch einmal ging er hinaus, um die Neugierigen aus der Bahn zu drängen und die drei Männer beisei te zu tragen. Der eine wurde dabei munter. »Bleiben Sie ruhig liegen«, riet ihm Sun Koh mit ernstem Nachdruck, »Sie gefährden sonst unnütz Ihr Leben. Sobald ich fort bin, können Sie sich um die anderen kümmern.« »Wer sind Sie?« ächzte der Mann. »Sun Koh.« »Sun Koh?« schnappte der andere. »Dann – dann ist es nur gut, daß der Senhor selbst mit dabei war. Aber – Sie können sich auf was gefaßt machen!« »Ich werde es mit Fassung tragen«, erwiderte Sun Koh kurz. Wenig später kletterte der Motorensang des Flug 114
zeugs höher und höher. Die Maschine kam auf Tou ren, das Flugzeug rollte langsam an, stieß schneller vor, die Motoren heulten urgewaltig auf, der Boden fiel zurück. Unten winkten Männlein wie Weiblein freundlich hinterher. Ein ganzes Stück vor der Felswand, wo der Boden noch eben und frei von großen Geröllbrocken war, landete Sun Koh. Noch war nicht alles geschafft. Mi cero und seine Leute konnten jetzt schon bei Bewußt sein sein. Wenn sie sich auf die Pferde warfen und schleunigst hierher ritten, konnten sie schnell da sein. »Nimba!« Langgezogen stieg der Ruf an der Felswand nach oben. »Sir!« »Herunterkommen!« »Wir kommen!« Sun Koh mußte wohl oder übel bei dem Flugzeug bleiben. Er legte den Kopf auf die Erde. Mit dem ei nen Ohr lauschte er, ob sich Pferde näherten. Durch den Boden hindurch mußte er das Geräusch der auf schlagenden Hufe auf größere Entfernung wahrneh men. Mit dem anderen Ohr prüfte er die Geräusche nach, die die Absteigenden verursachten. Als erster kam Hal herangestürzt. »Sie haben es, Sir!« jubelte er. »Warum liegen Sie dort unten?« 115
Sun Koh zog ihn herunter. »Hör mal, ob Pferde kommen. Dann sofort mel den!« Hal legte sich hin. Sun Koh lief den anderen ent gegen und half über das letzte Drittel hinweg. Als alle beim Flugzeug waren, stand Hal auf. »Immer noch keine Pferde, Sir, aber ein Ameisen haufen muß in der Nähe sein.« »Einsteigen«, befahl Sun Koh. »Jetzt kann Micero getrost kommen.« Micero hatte wohl von vornherein auf jede Verfol gung verzichtet. Auf der mondbeschienenen Ebene bewegte sich nichts, als das Flugzeug darüber schwebte. Das Flugzeug schoß durch die Nacht. Sun Koh blieb am Steuer. Während er sich den Arm verbinden ließ, der durch einen glatten Fleischdurchschuß ver letzt worden war, gab er einen kurzen Bericht von dem, was geschehen war. »Und wir haben geschlafen«, murrte Covington dazu. »Da hätte ich dabei sein mögen.« »Andere auch«, knurrte Nimba. Hal schüttelte mißbilligend den Kopf. »Micero haben Sie aber zu sanft behandelt, Sir. Dem hätte ich erst einmal die Hammelbeine gründ lich langgezogen.« »Du würdest dich wahrscheinlich noch jetzt mit ihm unterhalten«, sagte Sun Koh lachend. 116
»Zu sagen hätte ich ihm allerdings einiges«, mein te Hal. »Das Gesicht möchte ich sehen, das er jetzt macht.« »Ihr seid schreckliche Männer«, sagte Ursula Har ling mit lächelndem Vorwurf. »Wenn es sich um sol che gefährliche Kämpfe handelt, dann leuchten eure Augen.« »Bei Ihrem Verlobten nicht«, warf Hal ein. »Bei dem leuchten sie, wenn er Sie ansieht.« Sie lief rot an und lächelte zu Covington hin. Zwei Tage später verabschiedete sich Sun Koh von dem jungen Paar. Auf dem Rollfeld stand die Düsenmaschine, die Covington und Ursula Harling nach England bringen sollte. Er hatte Covington so gut ausgestattet, daß er es sich leisten konnte, genü gend Abstand von Micero zu nehmen. Er wollte sich immer noch bedanken, aber Sun Koh wehrte auch jetzt ab. »Sie waren ein guter Kamerad«, sagte er. »Und vielleicht werde ich Sie eines Tages brauchen. Viel Glück.« »Und Sie?« fragte Covington. Sun Koh lächelte. »Unser Weg ist noch nicht zu Ende. Wir müssen die Männer, die wir kennenlernten, noch unter der Erde besuchen.«
117
7.
»Schluß für jetzt!« Sun Koh wies auf ein schattiges Fleckchen. »Uff«, stöhnte Hal erleichtert und ließ seinen Pak ken von der Schulter gleiten. »Das nächstemal neh me ich mir einen Sonnenschirm mit.« »Ich einen Ziegenbock für diese verrückte Klette rei.« Nimba rutschte behutsam zusammen. »Mir wackeln die Knie.« »Dann bring sie nur zum Stillstand, wenn sie zu fällig gerade sind«, schlug Hal vor, »dann bist du die krummen Beine los.« »Hast du einen Sonnenstich?« fragte Nimba vor sichtig. »Vor Lachen.« Hal setzte die Flasche an. Er schluckte, dann schüttelte er sich. »Brr – das Wasser ist lauwarm. Wir hätten uns Wasser suchen sollen, Sir. Wenn Nimba noch einigermaßen einen Vortrag hält, ist es schlecht!« Nimba zuckte nur verächtlich mit den Schultern. Sun Koh kostete das Wasser. »Warm genug, aber bis zum Abend kommen wir noch hin. Länger suchen wir hier nicht.« »Wir geben auf?« »Wenigstens hier. Wenn wir unsere Ausrüstung vervollständigt haben, versuchen wir es an einer an deren Stelle.« 118
Hal pendelte mit dem Kopf. »Hm, eigentlich schade. Ich dachte, wir würden schon gestern den Zugang finden.« »Wir mußten immerhin mit einer Enttäuschung rechnen, als wir in Truxillo von dem neuen Erdrutsch hörten, den es in der letzten Zeit hier gegeben haben soll. Dabei ist der Zugang, den Morley benutzt hat, wohl mit verschüttet worden. Jedenfalls haben wir, bis auf jenes Reststück vor uns, die ganze Umgebung der Stelle abgesucht, an der vor zwei Jahren die ame rikanische Expedition verschüttet wurde.« Sie saßen schweigend. Anderthalb Tage waren sie durch Wald und Felswüste gestiegen, geklettert und gerutscht, dieses verrückte Gelände verwünschend, das eine Riesenfaust durcheinandergeschüttelt zu ha ben schien. Sun Koh suchte den Eingang zu der Höhlenwelt, die unter dem Bergland von Honduras verborgen sein sollte. Die Bewohner dieses Landes raunten seit Jahrhunderten von riesigen Höhlen, ohne jemals mehr zu tun, als zu raunen und alles Böse und Selt same auf die geheimnisvolle Unterwelt zurückzufüh ren. Vor zwei Jahren endlich hatten es Amerikaner unternommen, den Gerüchten auf den Grund zu ge hen, die Höhlen zu finden und zu erforschen. Sie meldeten der Öffentlichkeit, daß sie einen Zugang gefunden hätten, einen Tag später jedoch brach der Berg über ihnen zusammen und verschüttete sie ohne 119
Ausnahme. Niemand kehrte zurück, um zu berichten, was er gesehen hatte. Vor kurzem war dann ein Mann in New York aufge taucht, ein gewisser Morley, der behauptete, die Höh len kennengelernt zu haben. Er wollte einen Vortrag darüber halten und eine Expedition ins Leben rufen. Jetzt lag er hilflos im Bett. Zwei schwere Wunden hat te ihm sein Beginnen eingebracht, und nur dem Ein greifen Sun Kohs war es zu verdanken, daß Morley nicht ein Opfer jener Leute geworden war, die eine Erforschung der Höhlen zu vermeiden wünschten. Sun Koh hatte bereits in Venezuela auf eine Höh lenwelt geschlossen. Er hatte den Eindruck mitge nommen, daß Vincente Micero, der mächtige Vene zolaner, in Honduras, und zwar in der Nähe von Tru xillo, zahlreiche Leute in einer Höhle für sich arbei ten lasse. Schon damals war sein Entschluß geboren worden, dieser Höhle nachzuspüren. Der Schatten rückte weiter. »Auf!« Der zermürbende Klettermarsch begann von neu em. Nach einer Weile blieb Sun Koh stehen und be schattete seine Augen. Seine beiden Begleiter folgten seinem Beispiel. »Mächtig komisch!« fand Hal das, was er sah. »Eine Stiefelspitze«, stellte Nimba sachlich fest. »Dort haben sie einen zur Hälfte begraben«, ver mutete Hal. 120
»Es liegt jemand hinter dem Felsblock«, berichtig te Sun Koh. »Leise heran!« Behutsam näherten sie sich dem niedrigen Block, über den die Spitze eines ziemlich verbrauchten Schuhs ragte. Die Lage der Stiefelspitze veränderte sich auch nicht, als die drei herantraten und über den Block hinwegblickten. Zu dem Stiefel, durch dessen Sohle man stellen weise das nackte Fleisch sah, gehörte ein Fuß und alles andere, was zu einem Menschen nötig ist. Am oberen Rand des Schuhs wellte sich eine schmutzige, buntfarbige Socke, dann kam ein Stück bloße Wade, dann eine ausgefranste Hose, die durch ein ver schwitztes Hemd und eine zerknitterte Jacke abgelöst wurde. Ein Mann lag da, eigentlich mehr ein Männchen. Sein Kopf war in die tiefste Stelle des Bodens gebet tet, der Körper lag in leichter Schräge nach oben. Das rechte Bein war über das angezogene linke Knie geschlagen, so daß die Stiefelspitze neugierig über den Felsblock lugen konnte. Das Männchen schlief. Zwischen Bart und Stop peln stand der Mund wie ein Krater offen. »Man reiche mir einen Eimer kaltes Wasser«, flü sterte Hal. »Ein Landstreicher in dieser Gegend?« Nimba schüttelte den Kopf. 121
Sun Koh wies auf einen erstaunlich neuen und in mancher Hinsicht merkwürdigen Tornister mit brei ten Gurtbändern und Schnallen, der neben dem Schläfer lag. »Ein seltsamer Landstreicher. Wenn ich nicht irre, ist das ein Fallschirm.« »Donnerwetter!« »Ein Englein fiel vom Himmel.« Hal bohrte still vergnügt mit dem Finger in ein Loch des Stiefels hinein. Der Fuß wippte hoch, das Männchen riß die Au gen auf, schob sich schleunigst in sitzende Stellung und schimpfte auch schon los: »Was fällt Ihnen ein, mich an den Fußsohlen zu kitzeln? Ich kann das nicht vertragen, verstanden? Außerdem haben Sie mir meinen ganzen Schuh verdorben!« Er reckte seinen Schuh flüchtig hin und zeterte weiter: »Das kostet Sie einen Haufen Geld. Ein Paar neue Schuhe plus ein Paar seidene Socken mit Fer senverstärkung. Was fällt Ihnen ein, mich in meinen Betrachtungen zu stören?« Er schwatzte, aber seine Augen gingen wieselflink und scharf prüfend von einem zum anderen. Er sah sich seine Leute genau an. Ein Landstreicher war das sicher nicht. Die Stirn verriet ausgeprägte Klugheit, die Sprache den Amerikaner. Etwas verrückt, aber ernstzunehmen, das war Sun Kohs Eindruck. 122
»Betrachtungen? Bei uns nennt man das Schlaf.« »Schlaf!« schnaubte das Männchen verächtlich. »Sie schlafen vielleicht, während andere nachden ken. Ich schlafe überhaupt nicht bei Tag. Das Fleisch ist willig, aber der Geist ist wach. Geistig gearbeitet habe ich, geliebter, jugendlicher Flegel.« »Geschnarcht haben Sie, verehrungswürdiges Sau erkrautmännchen«, gab Hal bissig zurück. »Sauerkrautmännchen?« schnappte der Fremde. »Das muß ich mir aufschreiben! Und geschnarcht! Daß ich nicht lache! Das war die musikalische Un terstreichung meiner geistigen Tätigkeit.« »Ich bedaure, daß wir Sie im Nachdenken gestört haben«, sagte Sun Koh. »Das haben Sie nicht«, sagte der Kleine. »Ich habe regelrecht geschlafen. Aber ich konnte es doch dem Jungen nicht zugeben, wegen der Autorität, verste hen Sie. Haben Sie sich verlaufen, Mister Sun Koh?« Sun Koh beugte sich jäh vor. »Woher kennen Sie meinen Namen?« Der Fremde legte den Kopf auf die Seite und schielte belustigt zu Sun Koh hinauf. »Ja, woher?« fragte er sich. »Warten Sie, ich glau be, ich habe Ihren Namen irgendwo gehört. Ich weiß aber nicht, wo!« Der komische Kauz lud sich den Tornister auf und schnallte sich die breiten Bänder um. »Kommen Sie ein Stückchen mit?« Sun Koh nickte. 123
»Sie möchten wohl gern wissen, was hier drin ist?« fragte das Männchen. »Ein Fallschirm«, brummte Nimba. »Haben Sie denn einen Zugang zu den Höhlen ge funden?« fragte das Männchen unvermittelt. »Nein«, erwiderte Sun Koh ruhig, »ich hoffe aber, daß Sie uns den Zugang zeigen werden.« »Ich?« entrüstete sich der andere. »Was weiß ich denn von Höhlen?« »So viel, wie man bei längerem Aufenthalt in Höhlen erfährt.« »Wollen Sie etwa behaupten, daß …« »Ja.« »Und wie kommen Sie zu der Behauptung?« »Das werde ich Ihnen verraten, sobald Sie mir sa gen, wie Sie zu unseren Namen kommen.« »Gemacht. Ich habe ein Gespräch belauscht. Eini ge Leute unterhielten sich über Sie und Ihre Beglei ter. Zu dritt sollten Sie sein, ein Neger dabei. Nun, so stark ist Truxillo und Umgebung nicht mit Fremden gesegnet, daß ich nicht meine Schlüsse hätte ziehen können, als Sie auftauchten.« »Was sprachen die Leute über mich?« »Sie sorgten sich sehr darum, daß Sie keinen Zu gang zu gewissen Höhlen fänden. Im übrigen waren sie sich einig, Ihren Sterbetag zu verschieben, bis der Chef des Hauses nähere Weisungen erteilt habe.« »Wo haben Sie die Leute belauscht?« 124
»Nicht doch«, wehrte der Kleine jetzt ab, »alles mit Maßen. Jetzt sind Sie erst einmal dran. Wieso haben Sie…« »Man riecht es«, sagte Sun Koh lächelnd. »Ihre Kleider tragen den Modergeruch feuchter Höhlen an sich.« »Hm«, sagte das Männchen bestürzt. »Wie geht es Perkins?« fragte Sun Koh. »Perkins?« fragte das Männchen verwundert zu rück. »Wer ist das?« Der Tonfall war echt. Sun Koh erkannte, daß er auf dem falschen Weg war. Er stieß aber sofort wie der vor. »Ein Freund von Micero.« Das Männchen schüttelte den Kopf. »Micero? Kenne ich auch nicht. Meinen Sie etwa die Leute, die in den Höhlen … Nein, Schluß jetzt!« »Ich würde jetzt an Ihrer Stelle einiges über mich erzählen.« »Und ich würde an Ihrer Stelle schleunigst abrei sen. Es gibt keine Höhlen in der Gegend, nicht eine einzige, winzige Höhle, Sie brauchen sich also wahr haftig nicht anzustrengen.« »Warum nicht?« »Ich kann Sie hier nicht brauchen, weil sonst Ih retwegen der ganze Zauber einfach in die Luft ge sprengt wird. Ich bin aber mit meiner Arbeit noch nicht fertig. Kommen Sie in einem Jahr wieder, dann 125
können Sie tun, was Sie wollen. Aber jetzt ver schwinden Sie, ich gebe Ihnen später auch alles zu lesen, was ich hier festgestellt habe. Hand darauf, daß Sie morgen das Land verlassen?« Sun Koh lächelte flüchtig. »Ich denke nicht daran.« »Sie sind ein Narr!« schrie der Kleine. »Sie wer den die Höhlen ohnehin nicht finden.« »Früher oder später doch.« »Bis dahin sind Sie tot!« »Halten Sie es nicht für besser, wenn wir uns zu sammentun?« »Nein«, sagte der Kleine wild. Leise kam es hin terher: »Als ob ich mir das nicht gleich gedacht hätte. Eigentlich müßte ich Sie wegen Nötigung anzeigen.« »Es ist einfacher, wenn Sie mir einen Zugang zu den Höhlen zeigen.« »Glauben Sie, man kann da so einfach hineinspa zieren? Nein, das machen wir nicht. Lieber nehme ich mir das Leben und springe in den Krater hinein.« Sie schwiegen nun längere Zeit. Der Berg wurde steil und strengte an. Schließlich standen sie neben einander am Rand des Kraters, dessen Innenwände dicht vor ihnen lotrecht abfielen. Der Krater war kreisrund. Ein Ausbruch konnte, nach den umgebenden Gesteinsmassen zu urteilen, seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten nicht mehr stattgefunden haben, der Vulkan befand sich jedoch in recht beachtlicher 126
Tätigkeit. Aus dem unsichtbaren Grund drangen un unterbrochen dicke Wolken von Rauch, Schwefel dämpfen und Wasserdampf, die über den Kraterrand hinaus nach oben stiegen. Der Grund selbst war an keiner Stelle zu sehen. Die dichte Decke der Dämpfe verwehrte den Durchblick. »Hübsch, was?« fragte der Fremde, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. »Dort unten bro delt’s ganz hübsch. Haben Sie Mut? Wie wäre es mit einem Sprung dort hinunter?« »Sie vergessen, daß im Mut auch ein Stück Ver nunft liegt!« »Faule Ausrede«, sagte der Kleine. »Hier herum zuschnüffeln und mich zu ärgern, dazu reicht’s, was? Klemmt der Reißschirm eigentlich noch?« »Nein.« Der Kleine angelte nach hinten und zog den klei nen Fallschirm, der den großen schneller herausrei ßen sollte, auf, so daß er locker herunterhing. »Tatsächlich«, sagte er erfreut, »alles in Ordnung. Na, da kann’s ja losgehen. Wenn Sie nach Truxillo zurückkommen, sehen Sie sich mal die Häuser von San Martino an. Vielleicht erkundigen Sie sich bei dieser Gelegenheit einmal nach dem verrückten Sen hor Carlos. Machen Sie ihm einen Besuch, aber nur bei Nacht, wenn es niemand sieht. Sie haben ein klu ges Köpfchen, Sie werden das schon richtig machen. Gehen Sie getrost hin, und bestellen Sie ihm, Sie hät 127
ten mich in den Tod getrieben.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Sie sind ein seltsamer Kauz, Senhor Carlos.« »Was!« schrie das Männchen. »Sagte ich nicht, daß Sie ein kluges Köpfchen haben? Zu klug, viel zu klug. Sie bringen es sogar noch fertig, daß ich Ihnen die Höhlen zeige. Ich ziehe es vor, eines natürlichen Todes zu sterben.« Einen Schritt machte er vorwärts, dann sprang er mit erstaunlich großem Satz in den Krater hinein. Nimba und Hal griffen unwillkürlich nach vorn, Sun Koh ebenfalls, aber nur, um seine beiden Begleiter zurückzuhalten. Der Fremde stürzte, wenige Meter von der senk rechten Wand entfernt, jäh in die Tiefe. Der Reiß schirm wölbte sich prall über ihm und riß das lange, schmale Stoffbündel des Fallschirmes heraus. Aber es war unsinnig, hoffen zu wollen, daß der Fall schirm den Sturz abfangen könne. Die weiße Dampfdecke lag nur fünfzig Meter unter dem Krater rand, die Höhe war also viel zu gering. Der Mann schlug denn auch wie ein Stein hinein und ver schwand. Nach ihm glitt nicht weniger schnell der dünne Kegel des Fallschirms mit der winzigen Rundkuppel des Reißschirms in den Brodem hinein. Nach Sekunden verriet nichts mehr, daß ein Mann in den Krater gesprungen war. »Der ist ja wahnsinnig!« schrie Hal. 128
»Verrückt!« sagte Nimba fassungslos. Sun Koh nahm seinen Packen von der Schulter und begann ihn zu öffnen. Er bedeutete den beiden, das gleiche zu tun. »Gebt eure Schnüre heraus.« »Ja?« meinte Hal bereitwillig und zugleich fra gend. »Ich habe durchaus nicht den Eindruck, daß dieser Mann verrückt ist«, nahm Sun Koh wie im Selbstge spräch Stellung. »Seine Augen blickten viel zu klug und lebendig. Er trieb wohl seinen Scherz mit uns, aber mehr auch nicht.« Hal schüttelte lebhaft den Kopf. »Er muß wahnsinnig gewesen sein! Man springt doch nicht zum Vergnügen in den Krater.« Sun Koh nahm die Bündel, die ihm gereicht wur den. Es waren dünne Seile von der Stärke einer Gar dinenschnur, aber aus tragfähigster Seide, eine Spe zialschnur, die trotz der geringen Stärke einen Mann tragen konnte. Sorgfältig knüpfte er die drei Seile zusammen und band dann an das eine Ende einen Stein. Dabei ging das Gespräch weiter. »Vielleicht hat er uns auch damit zum Narren gehalten«, erwog Sun Koh. »Habt ihr euch den Fall schirm genau angesehen?« Nimba nickte. »Er war ziemlich neu, aber be stimmt nicht mehr fabrikneu. Er ist schon früher be nutzt worden.« 129
»Gut beobachtet. Aber wo sollte er benutzt worden sein? Wenn der Mann kein Flugzeug besitzt, stellt dieser Krater mit seinen außergewöhnlichen senk rechten Wänden eigentlich die einzige Gelegenheit dar, die er zur Verfügung hat.« Hal verzog die Lippen zum Vorwurf. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß er schon öfter in den Kra ter gesprungen ist? Dann müßte er doch schon längst tot sein.« »Davon will ich mich eben überzeugen«, erwider te Sun Koh. »Ist euch die Asche nicht aufgefallen?« »Asche?« »Ja«, sagte Hal. »Jetzt wo Sie es sagen, entsinne ich mich. In den Falten und in den Schnallenwinkeln, saß ein grauer Belag. Sei strichen vorhin darüber hinweg und sahen ihn sich an.« »Ganz recht. Ich hatte Asche am Finger. Der gan ze Schirm machte den Eindruck, als habe er in der Asche gelegen und sei abgeklopft worden.« »Das bedeutet?« Sun Koh hob die Schultern. »Warten wir noch mit der Deutung. Einstweilen dürfen wir annehmen, daß sich dort, wo der Mann den Fallschirm zuletzt benutzte, größere Aschen mengen befanden.« Hal schielte in den Abgrund hinunter. »Hm, jetzt wird weder vom Mann noch vom Fall schirm was übrig sein.« 130
»Das bezweifle ich«, erwiderte Sun Koh. »Eins steht fest, und das ist das Entscheidende: Ein Mann mit solchen Augen nimmt sich nicht freiwillig das Leben. Mir scheint es besser, an dem Krater zu zwei feln als an unserem seltsamen Bekannten.« »Sie wissen eben mehr, als Sie uns verraten wol len«, beklagte sich Hal. »Nicht mehr, als auch du wissen könntest.« »Aus dem Kerl wurde man ja nicht klug. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn erst einmal übers Knie gelegt und ihm etwas Vernunft einge trichtert. Er hätte dann schon von sich erzählt.« »Das hat er doch schon getan«, meinte Sun Koh. »Er hat sich wohl verrückt benommen, aber so sehr zurückhaltend war er eigentlich nicht. Wenn sich ein Mensch wie ein Narr benimmt, muß man eben still schweigend den Narren abziehen. Ist dir aufgefallen, daß er uns erwartet hat?« Hal blickte verdutzt. »Er schlief doch.« »Nur scheinbar. Erstens pflegt ein Mensch kaum mit derart übereinandergeschlagenen Beinen einzu schlafen, zweitens legt man sich kaum in der brütenden Sonne zum Schlafen nieder, zumal nicht auf sol chen Steinen, und drittens war der rechte untere Är mel des Mannes auffallend mit Felsstaub be schmutzt. Da sich gerade in der richtigen Höhe eine Lücke zwischen den Blöcken befand, vermute ich 131
stark, daß er unser Herannahmen beobachtet und sich erst im letzten Augenblick schlafend gestellt hat.« »Donnerwetter«, brummte Nimba, »mir ist der Ärmel auch aufgefallen, aber ich habe mir nichts da bei gedacht.« »Allerhand«, meinte Hal etwas schmerzlich, »das nächstemal werde ich besser aufpassen. Aber warum sollte er auf uns gewartet haben – und wer ist der Mann überhaupt?« »In der Vorstadt San Martino wird er wohl der verrückte Senhor Carlos heißen. Und er wird wohl auf uns gewartet haben, weil er sich nirgends unbeo bachtet mit uns in Verbindung setzen konnte. Wahr scheinlich fürchtet er allzu aufmerksame Augen und Ohren.« »Aber dann mußte er doch über uns Bescheid wis sen.« »Natürlich, er kannte ja sogar unsere Namen, un sere Absichten.« »Woher?« »Vielleicht hat er wirklich das Gespräch belauscht, von dem er sprach. Aber ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, daß Morley ihn verständigt hat. Wenn Morley längere Zeit hier gewesen ist, dürfte er diesen Mann gekannt haben.« Hal schlug sich an die Stirn. »Eben.« Sun Koh trat dicht an den Absturz heran und ließ 132
die Schnur durch die Hände gehen. Der Stein senkte sich in langen Rucken hinunter. »Sie wollen die Tiefe abloten, Sir?« fragte Hal. »Ja, Hal. Bis auf hundertfünfzig Meter kommen wir.« »Ich glaube nicht, daß der Kratergrund so tief ist. Und wenn die Fallhöhe wirklich ausreichen wür de, hätte der Mann doch unten verbrennen müssen, falls er nicht schon vorher erstickt ist, nicht wahr?« »Wenn man den Selbstmord bezweifelt, bleibt nichts übrig, als auch die Wirklichkeit dieses Kraters zu bezweifeln.« Nimba und Hal schüttelten die Köpfe. Sie verstan den Sun Koh nicht mehr. Der Stein verschwand im Brodem. Sun Koh gab mit gleichmäßigen Bewegungen das Seil ab. »Hundert Meter«, bemerkte er beim zweiten Kno ten. »Der Stein hängt noch frei.« Hundertfünfzig Meter. Sun Koh griff bis zum letzten Stück durch, dann holte er wieder auf. Seine Augen prüften sorgfältig den Strang, und Nimba und Hal halfen eifrig mit. Endlich kam der Stein in Sicht. Das Seil war an keiner Stelle verbrannt, angesengt oder verrußt. Nur feucht war es, überraschend feucht. »Hm.« »Hm.« »Also doch«, sagte Sun Koh befriedigt und löste 133
die Knoten. »Der Mann beging bestimmt keinen Selbstmord.« »Hundertfünfzig Meter sind zu wenig Sturzhöhe.« »Er hatte sicher das Mehrfache zur Verfügung. Das Seil zeigt nicht die geringste Spur von Erhit zung. Der Grund des Vulkans muß also außerordent lich tief liegen.« »Aber einmal muß er doch auf die feuerglühende Masse kommen.« »Oder auf festen Boden. Diese Wolken können harmlose, nur leicht geschwefelte Wasser dämpfe sein, die aus Spalten aufsteigen.« »Aber er fiel zu dicht an der Wand. Der Fallschirm konnte sich ja gar nicht entfalten.« »Vielleicht weicht die Wand später zurück?« Hal malte mit dem Zeigefinger eifrig Linien in seinen Handteller, dann nickte er wiederholt vor sich hin. »Jetzt hat’s aber geschnappt«, verkündete er. »In diesem Gebiet soll doch eine große Höhle liegen, nicht wahr? Wie nun, wenn dieser ganze Berg hohl ist und nichts anderes darstellt als die Kuppel einer Riesenhöhle unter unseren Füßen? Das gäbe eine ausreichende Höhe. Dieser Krater wäre dann gar kein Krater, sondern nur eine Esse, das Abzugsloch an der höchsten Stelle. Der Mann ist nicht in den Krater ge sprungen, sondern in die Höhle.« »Mitten in die Spalten und in die flüssige Lava 134
hinein, die dann unten sein muß«, wandte Nimba bis sig ein. »Das ist noch lange nicht gesagt«, verteidigte Hal seine Meinung. »Wenn es vulkanische Ausbruchstel len gibt, so können die auch seitwärts liegen, also nicht unmittelbar unter dem Krater. Die Dämpfe steigen natürlich zur Decke und ziehen durch das Loch. Das würde erklären, warum sie eigentlich alle dort drüben auf der Seite hochquellen. Was sagen Sie zu dieser Sache, Sir?« »Du hast genau meine eigenen Überlegungen ge troffen«, entgegnete Sun Koh. »Nur diese Annahmen erklären, was sonst unerklärlich bleibt. Doch nun macht euch fertig, wir wollen so schnell wie möglich nach Truxillo zurück.« »Senhor Carlos aufsuchen?« »Ja.« 8. San Martino lag im Westen von Truxillo und bildete den Übergang zwischen der Stadt und der offenen Landschaft. Es war ein ärmliches Viertel, das mehr aus Hütten als aus Häusern bestand. Viele Indianer wohnten hier, dazu viele Mischlinge, verkommenes Volk, das auf irgendwelche wunderbare Weise vom Faulenzen und Herumschlendern lebte. Sun Koh schritt in der übernächsten Nacht mit sei 135
nen Begleitern durch die schmutzigen Gassen. Er hatte außerhalb der Stadt gewartet, bis es dunkel ge worden war, um etwaige Beobachter in der Stadt nicht aufmerksam zu machen. Zwischen den Hütten gab es auch zu dieser späten Stunde allerlei Leben. Mancher abschätzende Blick traf die drei Fremden, manches Geflüster setzte hin ter ihnen ein. Sun Koh hielt einen älteren Mann an, der den Weg kreuzte. »Kennst du den Mann, den man den verrückten Senhor Carlos nennt?« erkundigte er sich in dem hierzulande gebräuchlichen Spanisch. Der Mann bekreuzigte sich. »Der verrückte Senhor Carlos? Gewiß, ich kenne ihn, ich habe ihn schon einmal gesehen.« Schon schlug er wieder das Kreuz, so daß Sun Koh fragte: »Warum bekreuzigst du dich?« Der Indianer verneigte sich unterwürfig. »Entschuldigt, Senhor, aber es ist nicht gut, von ihm zu reden. Es bringt Krankheit. Als ich ihn vor einem halben Jahr sah, bekam ich die Schmerzen im Bein, die noch nicht vergangen sind. Er ist ein böser Zauberer.« »Kannst du mir seine Wohnung zeigen?« Der Mann zögerte. »Ich weiß, wo er wohnt, Senhor, aber es ist ein schlechter Weg, und er hat schreckliche Geister mit 136
großen Flügeln, die jeden töten, der an die Hütte kommt. Ich bin ein kranker Mann und …« »Es genügt, wenn du mir die Wohnung aus der Ferne zeigst.« »Vielen Dank«, murmelte der Mann. »Ich werde Sie führen.« »Dieser Carlos scheint ja einen netten Ruf zu ha ben«, meinte Hal, während sie hinter dem Indianer herschritten. »Der Kerl wollte doch nur ein Trinkgeld schnor ren«, brummte Nimba. »Na, er scheint Carlos aber doch für einen Zaube rer zu halten.« »Na ja«, gab Nimba nun zu, »diese Leute sind eben mächtig abergläubisch. Für einen, der hier von der Neugier verschont bleiben will, ist es sicher kein schlechter Gedanke, sich durch ein bißchen Hokus pokus als Zauberer verschreien zu lassen.« Der Indianer führte sie aus den Gassen heraus ins Freie. Ein Pfad lief durch kümmerliche Felder und stieß auf den Wald. Am ersten Baum hielt der India ner an und wies in das Dunkel hinein. »Dort hinein, Senhor, vielleicht noch eine Viertel stunde lang. Wo der Pfad aufhört, steht die Hütte, in der er wohnt.« »Willst du uns nicht weiter führen?« Der Mann schüttelte den Kopf und bekreuzigte sich. 137
»Nein, nein, es ist gefährlich!« In der Abwehr lag so viel ernste Besorgnis, daß Sun Koh ihn umkehren ließ und mit seinen Beglei tern allein weiterging. Der Pfad wand sich schmal und halbüberwuchert durch den Wald. Ganz abgesehen von allem Geister spuk war es schon verständlich, daß die Bewohner von San Martino den Pfad bei Nacht scheuten. Für Menschen, die die Naturverbundenheit ihrer Vorfah ren verloren, aber alle abergläubische Scheu vor dem Undeutbaren bewahrt hatten, mußte der dunkle Wald mit seinen unbestimmten Geräuschen voll drohender Schrecken sein. Der Pfad weitete sich auf ansteigendem Gelände zu einer kleinen Lichtung, die von einer Felsterrasse abgeschlossen wurde. Dicht am Felsen stand eine baufällige Hütte. Bei Tag mochte sie leidlich roman tisch wirken. Jetzt zeigten die weißen Lichtbündel der Handscheinwerfer erbarmungslos die Kümmer lichkeit und Dürftigkeit dieser Behausung. »Schöne Bude«, meinte Nimba. »Das sieht nicht so aus, als ob hier jemand wohnt«, flüsterte Hal. Sun Koh wies auf einige Fußspuren. »Unbenutzt scheint sie aber doch nicht zu sein. Hallo!« Erschreckend laut hallte der Ruf über die Lich tung. In der Hütte rührte sich nichts. Die drei traten 138
vollends heran. Sun Koh klopfte gegen die Tür. »Senhor Carlos?« Jetzt regte es sich in der Hütte. Unbestimmbare Geräusche drangen heraus, schwaches Licht kam aus einem halbblinden Fenster, Schritte schlurften, dann fragte eine Männerstimme: »Wer ist draußen?« »Freunde von Senhor Carlos«, gab Sun Koh zu rück. »Uns schickt ein Mann, der in einen Krater sprang.« »Warten Sie bitte«, schallte es höflich durch die Tür. Wieder gingen Schritte, das Licht verschwand. »Sie ist von innen verriegelt«, stellte Hal fest, nachdem er die Tür näher in Augenschein genom men hatte. »Ein Tritt genügt«, schlug Nimba vor. »Warten wir ab.« Minuten vergingen. Endlich regte sich der Mann in der Hütte wieder. Ein Riegel wurde zurückgezo gen, die Tür ging auf. »Bitte, treten Sie ein.« Sun Koh blieb im Rahmen der Tür stehen. Er hatte das eigene Licht abgeschaltet, so daß der Raum nur durch die leicht flackernde Öllampe des Bewohners erhellt wurde. Wahrhaftig, es war kein Wunder, wenn ein Einge borener bei einem derartigen ersten Anblick in pani schem Schrecken floh. 139
Kurz hinter der Tür schwebte ein phantastisches Ungeheuer im Raum. Es war eine Art Fledermaus von riesigen Ausmaßen. Die weitgespannten Flug häute reichten, mit rund vier Meter Länge, fast von einer Wand zur anderen. Plump und schwer hing ein dickhaariger Leib zwischen ihnen. An ihm saßen zwei kurze Füße, deren einzelne Zehen jedoch mit spannenlangen, gebogenen Krallen besetzt waren. Wie scharfe, spitze Dolche waren diese Krallen, Mordwerkzeuge, die wohl einen Menschen mühelos zerfleischen konnten. Schrecklicher noch war der Kopf dieses Ungeheuers. Er saß auf einem langen, offenbar sehr beweglichen Schwanenhals. Seine Form erinnerte an den Kopf einer Hyäne. In seiner unförmigen Gedrungenheit wollte er nicht recht zu dem schlanken Hals passen. Das geschlitzte, weit aufgerissene Maul wies ein mörderisches Gebiß mit den starken Fangzähnen eines Wolfes auf. Große Augen glühten in unheimlichem, fahlem Grün. Über den Augen schwankten fast meterlange, dünne Füh ler wie vereinzelte Riesenhaare. Eine scheußliche Bestie. Und das unruhige, unbe stimmte Licht gab ihr mit den wandernden Schatten ei ne gespenstische und zugleich drohende Lebendigkeit. Sun Koh stand in der Tür und blickte auf das schwebende Ungeheuer. Es war ihm selbst kaum bewußt, daß er die Hand unwillkürlich auf den Pisto lenkolben gelegt hatte. 140
»Sie ist nur ausgestopft«, bemerkte der Mann, der die Tür geöffnet hatte. »Bitte, treten Sie ein.« Hal schüttelte sich und steckte seine Waffe, die er im ersten Schreck herausgerissen hatte, wieder weg. Sun Koh blieb noch stehen. Was sonst noch in der Hütte zu sehen war, entsprach dem äußeren Bild. Sie war innen so verwahrlost wie außen. Einiges Gerüm pel lag am Boden, zwei Regale hingen schief an den Wänden. Rechts stand ein niedriges Lager mit eini gen Decken. Der Bewohner dieser Hütte wartete seitlich neben der Tür. Das Licht der Lampe, die er in der Hand hielt, fiel voll auf sein Gesicht. Das war nicht das Gesicht jenes Mannes, der in den Krater gesprungen war. Dieser hier mochte ein Indianer oder ein Mischling sein. Zahllose Runzeln, graustruppiges Haar und die gebückte Haltung ver rieten ein ziemlich hohes Alter. In den Augen lag sehr viel Gleichmut. Die Kleidung war genauso ab gerissen und vernachlässigt, wie man von dem Be wohner dieser Hütte erwarten konnte. »Sind Sie Senhor Carlos?« »Ich bin sein Diener Zapa«, erwiderte der Alte ru hig. »Senhor Carlos erwartet Sie. Ich führe Sie gleich zu ihm, doch müssen Sie erst die Tür schließen.« Sun Koh trat ein, seine beiden Begleiter folgten. Zapa riegelte mit Sorgfalt die Tür zu. Hal griff inzwischen vorsichtig nach dem stellen 141
weise noch unter Kopfhöhe hängenden Untier. »Ausgestopft natürlich«, murmelte er. »Aber gibt es denn so etwas wirklich?« »Es scheint so.« Sun Koh hob die Schultern. »Wenn es keine Montage ist, dürfte es sich um einen unbekannten Bewohner der Höhlen handeln.« Zapa schlurfte zur Rückwand. Dort öffnete er eine Tür, die im Halbdunkel nicht sichtbar gewesen war. Sie bestand, wie Sun Koh flüchtig bemerkte, aus doppelter Holzlage. Der Hütte waren morsche Bret ter zugekehrt, auf der anderen Seite gaben gefügte, feste Bretter einen besseren Halt. Eine knapp mannshohe Öffnung gähnte dunkel. Sie war unten kaum einen halben Meter breit, bauchte weiter oben stark aus und schloß sich dann zu einer Spitze. Es handelte sich um einen Spalt im Fels, der von menschlicher Hand nicht bearbeitet worden war. Zapa ging mit seinem Lämpchen voran, die drei folgten. Nach zehn Metern klaffte seitlich ein Felsriß im weiterführenden Spalt. Ein dicker Stoffvorhang verbarg, was dahinter war. Zapa zog den Vorhang beiseite und bat höflich: »Bitte, treten Sie hier ein.« Der Raum hinter dem Vorhang war eine natürliche Ausweitung des Spalts. Er war einfach, aber recht sauber und sogar behaglich eingerichtet. Die Härte und Kahlheit der Wände wurde durch buntfarbige, große Decken, offenbar indianische Handarbeit, ge 142
mildert. Tisch und Stuhl verrieten die ungeübten Hände, aber die zahlreichen Matten auf dem Boden und die Decken auf einem breiten, niedrigen Lager wirkten anheimelnd. Die angenehmste Überraschung war der verrückte Senhor Carlos, der seine Besucher in diesem Raum erwartete. Es war der gleiche Mann, den die drei hatten in den Krater springen sehen. Er grinste über das ganze Gesicht, während er Sun Koh die Hand entgegenstreckte. »Herzlich willkommen. Also haben Sie doch her gefunden. Was sagen Sie zu dem verrückten Don Carlos?« »Ich vermutete, daß Don Carlos doch nicht so ver rückt sein würde, wie es den Anschein hatte.« »Habe ich mir gedacht«, sagte der andere. »Sie gehören zu den Leuten, die nicht einmal an den Tod glauben, wenn sie einen Knochenmann mit Sense sehen. Ah, da sind ja auch die beiden anderen, das grüne Gemüse und der schwarze Raubritter!« Hal schüttelte herzlich die Hand, die ihm der Klei ne unvorsichtigerweise hingehalten hatte. Als er los ließ, wollte Nimba zugreifen, aber Senhor Carlos winkte wehleidig ab. »Nehmen wir Platz. Die ganze Hand wird dick. Es ist wohl am besten, wenn ich Ihnen zunächst einige Aufklärungen gebe.« 143
»Bitte.« »Zunächst heiße ich natürlich nicht Carlos, son dern Montberry, Charles Montberry. Ich war Profes sor in Philadelphia und schloß mich vor rund zwei Jahren der Expedition an, die sich die Erforschung der Höhlen in Honduras zum Ziel gesetzt hatte. Sie wissen, daß die Expedition verschüttet wurde.« »Ich hörte davon.« »Die Mitglieder der Expedition wurden von Ver brechern ermordet«, fuhr Montberry ernst fort. »Nicht ein Naturereignis, sondern Sprengstoffe lö sten die Katastrophe aus. Ich entging mit Zapa, den ich mir in Truxillo als Führer und Diener angewor ben hatte, wie durch ein Wunder dem Tod. Während die andern noch in einem Spalt frühstückten, drang ich weiter vor. Die Explosion erfolgte, als wir beide eben die große Höhle gefunden hatten. Sie warf uns in die Höhle hinein, so daß wir am Leben blieben. Später fanden wir, nachdem wir fast alle Hoffnung aufgegeben hatten, wieder einen Ausgang ins Freie. Der Spalt, durch den wir uns retteten, wurde durch eine Hütte verdeckt. Wir besetzten die Hütte und le ben seitdem hier. Ich habe mich in Truxillo nicht wieder sehen lassen. Zapa besorgte allen Verkehr mit der Außenwelt. Es ist mir so gelungen, meine Exi stenz vor gewissen Leuten zu verbergen.« »Sie blieben, um die Höhlen erforschen zu kön nen?« 144
»Ja. Das Leben hier war nicht leicht, aber ich darf sagen, daß ich viel erreicht habe.« »Sie besitzen also unmittelbare Verbindung zu der Höhle?« fragte Sun Koh. »Zu der ersten Höhle, gewiß. Es besteht große Wahrscheinlichkeit dafür, daß das ganze Festland unterhöhlt ist. Daß diese erste Höhle ihre Fortsetzung findet, habe ich festgestellt, es ist mir jedoch nicht gelungen, weiter vorzudringen. Sie werden das später verstehen.« »Sie sagten vorhin, daß Sie von hier aus die Höhle erreichen könnten. Warum sprangen Sie dann mit dem Fallschirm in den Krater?« Montberry grinste flüchtig. »Der Sprung in den Vulkan? Es war jammerscha de, daß ich Ihre Gesichter nicht sehen konnte. Die Kerle hatten mir nämlich mein letztes Boot gestoh len.« »Ein Boot? Enthält die Höhle Wasser?« »Einen ganzen See. Die östliche, also die uns zu gelegene Seite, ist mit Wasser bedeckt. Ich habe im mer ein Boot benutzt. Vor ein paar Tagen lief ich um ein Haar jenen Leuten in die Hände, als ich zum Boot wollte. Sie sprachen über Sie und suchten die Wände nach Rissen ab. Ich stand am Anfang meiner Spalte. Sie werden später verstehen, warum sie diese nicht entdeckten. Aber das Boot fanden sie. Es war ja eins, das eigentlich ihnen gehörte, und sie nahmen 145
an, daß es aus Versehen liegengeblieben sei, als vor zwei Jahren die Explosion vorbereitet wurde. So blieb mir nichts übrig, als mit dem Fallschirm in die Höhle zu springen und das Boot vom anderen Ufer zurückzuholen.« »Welche Höhe besitzt die Höhle?« Am Vorhang erschien Zapa, beide Hände voll be laden. »Achthundert«, sagte Montberry und winkte sei nem Diener. »Herein, Zapa, tafle auf.« Er wandte sich wieder an Sun Koh. »Ich hoffe, daß Sie meine Gäste sein und auch etwas hier ruhen werden. Später will ich Ihnen dann die Höhle zei gen.« * Montberry ließ seine Gäste lange schlafen. Erst nach mehr als zwölf Stunden verließ der kleine Trupp die Höhlenbehausung und drang in dem Spalt weiter vorwärts. Montberry hielt die Spitze, sein Diener Za pa machte den Schluß. Der Spalt war stellenweise gerade noch breit ge nug, um einen Mann durchzulassen, stellenweise er weiterte er sich zu langgezogenen Höhlen. Er wies lange, übersichtliche Strecken auf, brach sich aber dann wieder einmal in schnell wechselnden Kurven. Eine halbe Stunde marschierten sie vorwärts, dann 146
wandte sich der Spalt in scharfem Winkel spitz zu rück und endete nach zehn Metern vor einer Wand. Der Abschluß war freilich nur scheinbar, links führte ein mannsbreiter Spalt weiter. »Jetzt vorsichtig«, gab Montberry nach hinten. »Sie brauchen zwar kein Abrutschen zu befürchten, aber der Weg führt durch das Wasser.« Sobald sie sich nach links wendeten, senkte sich der bis dahin ebene Boden schnell ab und ver schwand schon nach einem Meter in schwarzem, stil lem Wasser. Die Senkung setzte sich jedoch nicht fort. Fünfzig Meter wateten sie durch knöcheltiefes Wasser, dann traten sie wieder auf trockenen Fels. Nun kamen sie zur Umschau. Sie standen in einer riesigen Höhle, von der sie ge rade nur die Umrisse dieses Teils ahnen konnten, in dem sie sich befanden. Dort, wo der Spalt geendet hatte, bildeten schräg aufsteigende Wände einen rechten Winkel. Obgleich Sun Koh von seinem jetzi gen Standpunkt aus das helle Licht seiner Lampe da rauffallen ließ, war nichts mehr von dem Spalt zu entdecken. »Da können Sie lange suchen«, meinte Montberry, der mit der guten Laune auch den Spott wiederge funden hatte. »So haben die Leute vor einigen Tagen auch schon die Ecke abgeleuchtet, ohne den Spalt zu finden. Ein Glück, daß das Felsband unter Wasser läuft.« 147
Die Lichtbündel glitten umher. Schwarzgrau und überraschend glatt setzte überall die Wand auf dem Wasserspiegel auf, führte in leichter Wölbung nach oben und verlor sich an den Grenzen des Lichts. Nur dort, wo die Männer jetzt standen, bildete der Fels eine Plattform von etwa hundert Quadratmeter Grö ße, die langsam ins Wasser verlief. Auf ihr lag ein kleines Boot, das zur Not ein halbes Dutzend Männer tragen konnte. Die Luft war feucht und atmete den Geruch einer größeren Wasserfläche. Sie war aber vor allem au ßerordentlich kühl. In dieser Kälte einer weltabge schiedenen Gruft lag alles Erstarrende und zugleich Unheimliche, das den Besucher von Gräberhallen frösteln und erschauern läßt. Dazu kam jener unbe stimmbare Modergeruch, der überall zu finden ist, wo der Atem des Lebendigen fehlt. Beklemmend wirkte auch die Dunkelheit des ge waltigen Raumes, der sich vor den Männern streckte. Als die sinnlos in eine Unendlichkeit hinausgeworfe nen Lichtpfeile erloschen, starrten die Augen in eine absolute Schwärze hinein, die menschliche Augen sonst nicht kennenlernen. Hier fehlten selbst diese letzten Spuren von Licht. An die Wölbung der Au gen preßte sich eine pechige, tote Schwärze, die die Sinne wie den Menschen fürchterlich beengte. Und hinter dieser Schwärze schienen im Nu tausend Ge fahren zu lauern. 148
Den Ohren ging es fast ähnlich wie den Augen. Ringsum stand wie eine Mauer eine fast unbegreifli che Stille, so unbegreiflich, daß das Bewußtsein den Sinnen mißtraute. Wenn nicht die Atemzüge und ge legentliche Bewegungen hörbar geworden wären, so hätte jeder dieser Männer sich wohl für taub gehal ten. »Eine scheußliche Dunkelheit!« sagte Hal nach ei ner Weile. »Man denkt, daß man überhaupt nicht mehr da ist.« Er ließ seine Lampe aufflammen, aber Montberry legte sofort die Hand darüber. »Noch nicht. Löschen Sie wieder aus.« Hal gehorchte, und Montberry fuhr mit der hohlen Klangfärbung, die die Höhle jedem gesprochenen Wort gab, fort: »Man gewöhnt sich schnell an diese – hm – eigenartige Umgebung. Wir wollen einstweilen noch ohne Licht stehenbleiben, bis sich unsere Sinne etwas umgestellt haben. Sehen Sie ruhig geradeaus, Sie werden dann schon merken, daß wir es doch nicht mit einer hundertprozentigen Tonnenschwärze zu tun haben. Die Augen müssen nur erst nachtsich tig werden.« »Ich sehe«, sagte Sun Koh plötzlich. »In weiter Entfernung befindet sich ein schmales Lichtband. Oder ist das eine Sinnestäuschung?« »Nein«, antwortete Montberry mit einer gewissen Feierlichkeit. »Sie sehen wirklich.« 149
»Ich sehe immer noch nichts«, brummte Nimba. »Was ist das?« fragte Sun Koh. »Sie sehen das andere Ende der Höhle oder wenig stens das Licht, das jenes Ende kennzeichnet. Dort leuchten die feuerglühenden Massen, die sie im Kra ter vergeblich gesucht haben. Zwanzig Kilometer sind es bis dorthin.« »Jetzt sehe ich das Licht auch!« riefen Nimba und Hal gleichzeitig. »Zwanzig Kilometer?« wiederholte Sun Koh stau nend. »Eine einzige Höhle?« »Ja«, bestätigte Montberry. »Zwanzig Kilometer Länge und an der breitesten Stelle fast fünfzehn Ki lometer Breite. Der Boden bildet eine Ellipse von ziemlicher Regelmäßigkeit. Über ihr wölbte sich die Decke der Höhle in allmählichem Anstieg. Die Kup pelstelle ist mit rund achthundert Metern jene Kra teröffnung, die Sie bereits von außen kennengelernt haben. Sie liegt nicht in der Mitte, sondern nur zwei Kilometer vom hinteren Ende entfernt. Die Wölbung der Decke ist dort entsprechend stärker, die Decke führt auch nicht wieder zum Boden herunter. Ich sag te Ihnen ja schon, daß die Höhle weiterführt. Ich vermute, daß das gesamte Bergland von Honduras unterhöhlt ist. Sie wissen ja vielleicht, daß dieser ganz schmale Streifen Mittelamerika, von dem wie derum Honduras das Mittelstück darstellt, unter ganz ungewöhnlichen Umständen sein heutiges Gesicht 150
bekommen hat. Ich denke da nicht so sehr an die Ge staltung durch die zahlreichen Vulkane, als an die Folgen der ungeheuren Zusammenbrüche, die einst hier stattgefunden haben. Was sich heute Westindien, Karibisches Meer, Golf von Mexiko nennt, was heu te zwischen Nord- und Südamerika über oder unter dem Wasser liegt, war einst zweifellos ein ganzer Erdteil, der vor Jahrhunderttausenden oder Jahrzehn tausenden in gewaltigen Katastrophen abgebrochen ist. Die Erschütterungen jener Zeit mögen diese Höh lenwelt geschaffen haben, so daß das Bergland von Honduras heute einem Schwamm gleicht, der durch die feste, aber dünne Decke verborgen gehalten wird, durch die Decke eines Faltengebirges, das mit allzu großer Wucht gegen das durchlaufende Rückgrat ge drückt wurde und dabei die Verbindung mit dem Ur gestein verlor. Wo die Decke einbrach, sind dann Bildungen, wie der riesige Nicaragua-See, entstan den. Doch nun wollen wir weiter. Greif zu, Zapa.« Sie griffen alle zu, um das Boot ins Wasser zu schieben. Während sie einstiegen, fragte Sun Koh: »Gibt es in der Höhle nicht gefährliche Tiere?« »Nein.« »Wir sahen in der Hütte …« »Ich weiß«, unterbrach Montberry. »Sie meinen die Höhlenfledermaus, diesen interessanten Bastard von Fledermaus, Raubvogel und Hyäne. Das war ei ne gefährliche Bestie, von der mich Zapa durch einen 151
guten Schuß befreit hat. Wenn sie auch noch hätte sehen können, wäre es uns allen beiden wahrschein lich schlecht bekommen.« »Hatte sie keine Augen?« Montberry lachte kurz auf. »Künstliche. Ich habe ihr zwei phosphoreszierende Scheiben vorgebunden, wegen der besseren Wirkung auf neugierige Leute, die sich in der Hütte immer umsehen wollen.« »Es gibt also keine derartigen Tiere mehr in der Höhle?« »Ich habe nur dieses eine kennengelernt. Es muß sich aus einer anderen Höhle hierher verirrt haben. Hinter der Feuerwand der vulkanischen Risse, die diese Höhlen abschließen, muß es Höhlen mit Lebe wesen geben, die alle phantastischen Vorstellungen übertreffen.« »Dann wundert es mich, daß diese Höhle frei ist.« »Sie werden das verstehen, wenn Sie das andere Ende gesehen haben.« »Die Höhle ist demnach völlig tot?« »Tot nicht, aber was hier lebt, ist harmlos.« Sie stießen ab. Das Boot glitt über die dunkle, grenzenlose Fläche des unbewegten Wassers. Die Lampen waren abgeschaltet. Die Insassen schwie gen. Nur die Atemzüge und die Bewegungen der Ruder waren hörbar. Es lag etwas Gespenstisches in dieser Fahrt. So glitten wohl nach der Vorstellung 152
der Antike die toten Seelen in die Unterwelt hinein. Da nur zwei Ruder zur Verfügung standen, blieb es bei mäßiger Geschwindigkeit. Eine Stunde ver ging, bevor das suchende Licht, das nach oben zu schon lange keine Decke mehr erreichte, auf den Sei ten keine Wände mehr traf, auf festes Land fiel. Sie stiegen aus und zogen das Boot hoch. Der Bo den, auf den sie trafen, war Fels, aber über diesem lag eine graue Schicht, in der sich die Schuhe ab drückten. »Etwas Flugasche«, erklärte Montberry beiläufig. »Es ist so wenig, daß die Luft davon frei zu sein scheint, aber im Laufe der Jahrtausende hat es sich schon gesammelt. Später werden Sie mehr davon bewundern können.« Hal leuchtete am Ufer entlang. Plötzlich ruckte er scharf zusammen, riß seine Pistole heraus und rief: »Da!« »Nicht schießen!« schnappte Montberry hastig. »Das Tier ist völlig ungefährlich.« »Teufel noch mal«, murmelte Hal, »ich war aber erschrocken. Das Vieh sieht wahrhaftig nicht so un gefährlich aus. Aber Sie müssen es ja wissen.« Montberry schritt auf Zehenspitzen an das Tier heran, das halb auf dem Strand und halb im Wasser lag. »Es ist eine Art Molch«, erläuterte er dabei, »voll kommen blind und vermutlich auch gehörlos, aber 153
sehr empfindlich im Tastsinn. Gehen Sie nicht zu dicht heran.« Ein Molch konnte es sein, aber einer, der ins Rie senhafte übersetzt war. Das Untier, dessen glatte, kellerbleiche Haut widerlich im Lichtschein auf leuchtete, besaß fast zwei Meter Länge. An dem un förmigen Kopf, der die unmittelbare Fortsetzung des walzenförmigen Leibes darstellte, hingen rechts und links lange, stark verästelte Kiemenbüschel über dem breiten, lippenlosen Maul, wie ein verwirrter Bart, dicke und dünne Tastfäden, die unruhig nach allen Seiten gierten. Diese schlangenhaft beweglichen Tastorgane standen in gespenstischem Gegensatz zu der toten Ausdruckslosigkeit des Kopfes und der lei chenhaften Bewegungslosigkeit des farblosen Leibes. Man konnte es Hal nicht verdenken, daß er bei diesem Anblick aufgeschrien hatte. Der Molch war ungefährlich, aber er bot einen Anblick, der vor Ekel schütteln machte. »Hübsch, was?« fragte Montberry, der solchen Eindrücken gegenüber abgestumpft war. »Essen kann man das Fleisch nicht, es ist ziemlich giftig. Mir ist es jedenfalls schlecht bekommen, als ich es versucht habe.« »Pfui Teufel!« »Sie werden sich bald an den Anblick gewöhnen. Ich habe mich auch daran gewöhnt. In der ersten Zeit freilich ist es mir kalt über den Rücken gelaufen.« 154
Sie schwiegen. Sun Koh und seine Begleiter be griffen sehr wohl, was in dem unscheinbaren Männ chen steckte. Es gehörte mehr als gewöhnlicher Mut dazu, ganz allein im Grabesdunkel einer unbekann ten Riesenhöhle vorzudringen und mit Erscheinun gen dieser Art, wie überhaupt mit allen nie erlebten Schrecknissen fertigzuwerden. Mochte Montberry aussehen wie ein Landstreicher und reden wie ein Narr, er besaß den zähen Willen des echten For schers und die unerschrockene Seele eines echten Helden. Eine Bewegung machte den Molch mißtrauisch. Er wälzte sich plump herum und glitt in das Wasser, um fast sofort zu verschwinden. Montberry machte eine ausholende Bewegung nach dem fernen Lichtstreifen zu, der jetzt schon er heblich deutlicher geworden war. »Ich schlage vor, daß wir uns zunächst das andere Ende der Höhle ansehen. Hier ist das meiste bereits durch mich getan, wenigstens habe ich leidlich die Maße genommen und die Tier- und Pflanzenwelt – es gibt nämlich auch einige Pflanzen weiter vorn – festgestellt. Die entscheidende Frage ist die, ob es jemals gelingt, in die anschließenden Höhlen vorzu dringen. Ich habe es nicht fertiggebracht, aber viel leicht finden Sie eine Möglichkeit.« »Gehen wir«, sagte Sun Koh. Sie beluden sich mit den Vorräten, den Waffen 155
und was sie sonst mitgenommen hatten, dann traten sie den Marsch an. Die Feuer, die in weiter Entfer nung loderten, gaben jetzt wenigstens schon so viel Helligkeit ab, daß man die nächste Umgebung eini germaßen erkennen konnte. Sie hielten sich zunächst nach Nordwesten, schräg auf die rechte Seitenwand der Höhle zu. Die dünne Ascheschicht verlor sich bald, ihre Füße trafen glat ten Fels, der zwar etwas schleimig und schlüpfrig war, dafür aber keine Hindernisse mit Geröll oder Rissen bot. »Wir müssen erst einmal aus dem Bereich der Asche heraus«, erklärte Montberry gelegentlich. »Wenn es der Zufall will, entdecken die anderen un sere Spuren und jagen uns. Ich glaube zwar nicht, daß sie jemals wieder hierherkommen werden, aber wir sind besser vorsichtig.« »Das Land steigt an?« fragte Sun Koh. »Ja, wir überqueren einen Hügelrücken, der sich durch die Höhle zieht.« Nach einer Stunde traf das letzte Scheinwerferlicht auf die nahe Höhlenwand. Sie wechselten nun die Richtung, so daß sie stets in ungefähr gleicher Ent fernung blieben. Nach abermals einer halben Stunde hielt Montberry an und wies auf eine fahlhelle Stelle, die in weiter Entfernung hoch oben schwebte. »Das ist die Öffnung, durch die ich in die Höhle gesprungen bin, der vermeintliche Krater also. Es ist 156
das Abzugsloch für die Dämpfe, die aus dem Hinter grund der Höhle kommen. Sie spüren sicher die leichte Bewegung der Luft?« Sun Koh bejahte. Die Veränderungen waren wirk lich stark genug. Sie beschränkten sich nicht darauf, daß jetzt ein feiner Wind zu fühlen war. Die Luft war auch erheblich wärmer geworden, hatte den Keller geruch etwas verloren und dafür an einer gewissen Schärfe gewonnen. »Zwischen dem Abzugsloch und den Feuerspalten tut sich’s natürlich noch ein bißchen anders als hier am Rand«, fuhr Montberry fort. »Dort gibt es mei stens ganz hübsche Wirbel von Kalt- und Heißluft und Asche. Unter dem Schlot befinden sich ausge dehnte Aschefelder, die freilich zum großen Teil durch Pflanzenwuchs gebunden sind. Es handelt sich um eine Dornenart und eine Art Gras mit messer scharfen, sehr harten Halmen.« »Es ist erstaunlich, daß bei dieser geringen Licht zufuhr überhaupt Pflanzen bestehen können.« Montberry hob die Schultern. »Ein bißchen blaß sehen sie schon aus, aber sie le ben. Die Natur kennt so leicht keine Bedingungen, denen sich das Lebende nicht anzupassen vermöchte. Übrigens ist es dort unter dem Krater ganz hübsch hell. Nach dieser Dunkelheit würde es Ihnen taghell vorkommen. Außerdem gibt ja die Feuerwand auch Licht.« 157
Das war richtig. Die Feuerwand, die noch einige Kilometer entfernt lag, gab sogar ziemlich viel Licht. Flammen sah man freilich nirgends. Was Montberry als Feuerwand bezeichnete, war ein düsterrot über glühter Vorhang von gut zwei Kilometer Breite, der den Hintergrund abriegelte. Unten leuchtete das Rot kräftig, nach oben zu erstickte es mehr und mehr in Grau und Schwarz. Die Männer blickten sich um. Vor ihnen lag das ewige Feuer, hinter ihnen lastete schwarz und tot die ewige Nacht. Oder? Scharf beugten sich alle vor, reckten die Köpfe in die Dunkelheit hinein, aus der sie gekommen waren. War das nicht eben ein kurzer, roter Feuerblitz gewe sen, weit, weit hinten, am anderen Ende der Höhle, ein Aufzucken von Licht? »Was –was war das?« stieß Montberry heraus. »Was war denn das?« brummte Nimba. »Habe ich was gesehen oder war das eine optische Täuschung?« erkundigte sich Hal. »Ein Feuerschein dort hinten?« fragte Sun Koh sich selbst. »Wie weit sind wir von unserer Aus gangsstelle entfernt?« »Über fünfzehn Kilometer«, antwortete Montber ry. Und plötzlich schrie er auf: »Teufel noch mal, das sah bald wie eine Explosion aus. Die Kerle werden uns doch nicht unseren Ausgang gesprengt haben?« 158
»Wir wollen noch warten, ob wir etwas hören«, schlug Sun Koh vor. »Da der Schall in einer Sekunde dreihundert Meter zurücklegt, werden fünfundvierzig Sekunden vergehen, bevor er hierherkommt. Er wird uns verraten, ob dort eine Explosion stattgefunden hat.« Sie lauschten. Sie Sekunden verstrichen sehr lang sam. Doch dann murrte es dumpf aus dem gewalti gen Schalltrichter der Höhle heraus, schwoll fast zum langgezogenen Donner an und fiel prasselnd wieder ab, bis nur noch gedämpfte Unruhe wogte. »Doch eine Explosion«, stellte Sun Koh verhalten fest. »Dann gnade uns Gott«, murmelte Montberry dumpf. »Ich dachte es mir, daß Ihr Auftauchen die Kerle in Bewegung bringen würde!« »Es tut mir leid, daß wir Ihnen solche Ungelegen heiten gebracht haben.« Montberry lachte ärgerlich auf. »Unsinn! Denken Sie etwa, ich mache mir um meinetwillen Gedanken? Halten Sie mich gefälligst nicht für so minderwertig. Um Sie handelt es sich. Wenn unser Ausgang nämlich gesprengt ist, sitzen wir lebenslänglich in dieser Höhle fest. Und bilden Sie sich ja nicht etwa ein, daß es Ihnen leichtfallen wird, sich in einer anständigen Haltung an die Wand zu setzen und bloß noch dafür zu sorgen, daß irgend ein Nachfahre ein guterhaltenes Gerippe findet.« »Na, na«, meinte Hal, »so schnell setzen wir uns 159
nicht zur Ruhe.« »Wir müssen wohl erst feststellen, was geschehen ist«, erwog Sun Koh. »Ich begreife unsere Lage voll kommen, Mister Montberry, aber wir wollen auch keine Tragik vorempfinden, die noch nicht vorliegt. Unsere Vermutungen können durchaus in die Irre gehen.« »Mächtig wenig wahrscheinlich«, erwiderte Mont berry ruhiger. »Wenn gewisse Leute von Ihrer An kunft in Truxillo erfahren haben, so haben sie jeden falls nach Ihnen geforscht. Und da man Sie nicht mehr fand, hat man wohl Augen und Ohren aufge macht. Eine Kleinigkeit kann genügt haben, um die Leute zu meiner Hütte zu führen.« »Immerhin müssen wir uns erst überzeugen.« »Natürlich, vor allen Dingen, wir müssen doch wissen, woran wir sind.« »Gut, dann werde ich umkehren und Nimba mitneh men. In sechs Stunden können wir wieder da sein.« »Ja, ich will doch aber auch …« »Halten Sie es wirklich für nötig, daß wir alle um kehren? Es bedeutet eine überflüssige Anstrengung, außerdem verlangsamen wir zum Beispiel die Boots fahrt übermäßig.« Montberry ließ sich überzeugen. Hal ließ sich nicht überzeugen, aber er fügte sich selbstverständ lich der Entscheidung und blieb mit dem Professor und Zapa zurück, während Sun Koh und Nimba sich 160
auf den Rückweg machten. Vier Stunden schlichen für die Zurückbleibenden quälend hin. Sie hockten auf ihren Packen und starr ten vor sich hin. Zapa schwieg sich völlig aus. Mont berry und Hal tauschten dann und wann Bemerkun gen, aber zu einem Gespräch wollte es nie reichen. Nur als Hal die Gelegenheit zu weiterem Vordringen benutzen wollte, gab es einen heftigen Streit zuun gunsten Hals. Vier Stunden. Zapa stieß endlich einen Laut aus, die beiden an deren sprangen jäh hoch. Unter dem fahlen Fleck, der die Krateröffnung kennzeichnete, stand plötzlich ein grünleuchtender, verzerrter Punkt, der sich lang sam senkte. Von ihm ging ein schmaler Lichtkegel senkrecht in die Tiefe hinunter. »Das sind sie«, flüsterte Montberry. Die große Entfernung ließ nicht viel erkennen. Der grüne Punkt zog eine Schleife, schoß schräg nach unten in die Feuerwand hinein und kam nicht wieder. Hal faßte den Professor am Arm. »Wen meinen Sie? Was wissen Sie von diesem grünen Punkt?« Montberry machte sich frei. »Das waren eben die Leute, die selbst einen Mord nicht scheuen, um die Geheimnisse dieser Höhle zu wahren. Der grüne Punkt ist eine Art Luftschiff, nicht größer als zehn Meter, aber sehr schnell. Ich 161
habe es schon einmal gesehen, als ich mich fast unter der Krateröffnung befand. Damals kam es von dort hinten und stieg ins Freie. Damals bin ich erst richtig daraufgekommen, daß es in den anderen Höhlen noch Menschen geben muß. Es ist ein merkwürdiges Luftschiff.« Fünf Stunden. Sechs Stunden. Endlich kamen die beiden Männer zurück. Durch Lichtzeichen meldeten sie ihre Ankunft, durch Licht zeichen wurde ihnen der Weg gewiesen. Montberry lief Sun Koh ungeduldig ein Stück entgegen. »Was ist?« »Ihre Vermutungen waren richtig«, sagte Sun Koh ernst. »Es gibt jenseits des Wassers keinen Ausgang aus der Höhle mehr.« »Gesprengt?« »Ja. Das erste Stück des Spalts ist erhalten geblie ben, dann riegelt der niedergegangene Berg alles ab. Es besteht keine Aussicht, dort jemals wieder durch zukommen.« »Das – diese Schufte!« preßte er heraus. Sun Koh legte ihm die Hand auf die Schulter. »Fügen wir uns in das Unabänderliche. Da uns je ner Ausgang versperrt ist, werden wir mit entspre chend größerer Anstrengung versuchen, weiter vor zudringen.« Montberry ließ die Arme sinken. 162
»Natürlich«, sagte er leise, »nur … Nun, ich will Ihnen die Sache nicht unnötig schwermachen. Wir müssen schon tragen, was an uns herankommt.« Sun Koh erfuhr durch Hal vom Auftauchen des grünen Flugkörpers. Er sagte wenig dazu, obwohl ihm die Nachricht genauso wichtig war, wie Hal vermutet hatte. Sie holten das Essen nach, das sie bis jetzt hinaus geschoben hatten, dann drangen sie gegen die Feu erwand und gegen die schnell zunehmende Wärme vor. Bereits nach einer Viertelstunde waren sie weit genug heran, um zu sehen, was vorlag. Die Felswände schnürten die Höhle bis auf rund zwei Kilometer Breite ein, während sich gleichzeitig die Decke bis auf annähernd hundert Meter herab senkte. In dieser Enge war der Boden auseinanderge rissen. Mächtige Spalten von fünfzig bis hundert Me ter Breite lagerten sich quer vor. Diese Spalten stell ten wohl die magmaführenden Gänge vor, durch die der blinde Krater einst mit den Feuernestern der Erd rinde in Verbindung gestanden hatte. Die Verbin dung war abgerissen, jetzt brodelten feuerflüssige Massen im Grunde dieser Spalten. Sie warfen glutro ten Schein, Gase und viel Wasserdampf – irgendwo mußte Wasser einfließen – nach oben. Die ganze rie sige Toröffnung über den Spalten war ein unruhig wallender Vorhang, der sich oben an der Höhlendek ke entlangzog und mit einem spitzen Ende an der 163
Krateröffnung hing. Das Auge vermochte nicht, ihn zu durchdringen, wahrscheinlich aber nur deshalb nicht, weil es dahinter völlig dunkel war. Es handelte sich nicht um einen einzigen Querriß, sondern um mehrere Risse. Sie lagen nicht in einer Reihe nebeneinander, sondern spalteten den Boden schräg und griffen gegenseitig über, so daß für die oberflächliche Betrachtung das Feuerband keine Un terbrechung zeigte. Tatsächlich befanden sich aber zwischen den Spalten feste Gesteinsbrücken von ziemlicher Breite, die sich zwischen den Spalten hin durchschlängelten. »Dort müßten wir durchkommen«, meinte Nimba. »Nur mit Gasmasken«, schränkte Montberry ein. »Zapa hat es versucht. Es war ein Glück, daß ich ihn angebunden hatte und ihn zurückziehen konnte. Nach meinen Untersuchungen gibt es nur eine einzi ge Stelle, an der wir gewisse Aussichten hätten. Ich will sie Ihnen zeigen.« Er führte dicht an der Wand entlang weiter heran. Der letzte Spalt stieß unmittelbar auf die anstehende Wand, aber er verengte sich so stark, daß die Breite nur noch fünf Meter betrug. »Hier!« wies Montberry. »An der Wand ist nichts zu erhoffen, sie ist zu glatt. Aber ein guter Springer könnte hinüberkommen, zumal die Gase hier nicht zu fürchten sind. Sie werden schräg fortgezogen. Dicht an der Wand ist die Luft eigentlich ganz gut. Aber 164
fünf Meter sind eine ganz hübsche Entfernung, au ßerdem ist sehr die Frage, ob man drüben genügend Anlaufgelände hat.« Hal winkte groß ab. »Fünf Meter mach ich mit dem kleinen Finger. Ich denke, es ist wunder wie schwer, aus der Höhle he rauszukommen?« »Es ist sogar unmöglich für jemand, der nur vier Meter springt«, sagte Sun Koh leicht verweisend. »Gib dein Seil heraus!« »Sie wollen hinüberspringen?« fragte Montberry. »Es wird aber schwer sein, Sie rechtzeitig herüberzu ziehen, falls der Sprung mißglückt.« Sun Koh lächelte flüchtig. »Er mißglückt nicht«, erwiderte er. »Ich nehme die Leine nur mit, um eine Verbindung zu haben.« Er faßte das eine Ende der Leine, das Hal ihm reichte, nahm kurz Anlauf und federte über den glü henden Grund hinweg. Leicht und sicher landete er drüben hinter dem dünnen Vorhang der aufsteigen den Dämpfe. Seine Lampe flammte auf. Die Licht strahlen glitten über Felsboden und verloren sich im Dunkel. »Eine zweite große Höhle, die sich vorläufig in nichts von unserer unterscheidet«, rief er zu den Wartenden herüber. »Sie können gleich herüber kommen, Mister Montberry.« »Wie stellen Sie sich das vor?« 165
»Nimm die Leine auf zehn Meter Entfernung straff, Nimba«, sagte Sun Koh. »Sie legen Gepäck und Waffen ab, Mister Montberry, dann haben Sie weiter nichts zu tun, als sich in der Mitte der Leine mit Händen und Füßen festzuhalten.« Montberry begriff. »Sie wollen mit gewisserma ßen hinübertragen?« »Ganz recht. Wenn Sie den Atem etwas anhalten, kann es Ihnen nichts schaden. Die Luft ist auf meiner Seite erträglich.« Montberry klammerte sich an der angegebenen Stelle ans Seil. Sun Koh und Nimba wechselten im Laufschritt ihre Stellung um fünf Meter oder etwas mehr. Montberry sackte etwas durch und schlurfte über die jenseitige Felsenkante, aber dann stand er sicher drüben. Als zweiter folgte Zapa, dem diese Beförderung Vergnügen zu bereiten schien, denn er zeigte zum erstenmal so etwas wie ein Lächeln. Dann wurden die Packen und die Waffen eingeknotet und ebenfalls über den Spalt gebracht. Hal und Nimba sprangen gleichzeitig hinüber. Zu fünft standen sie nun nebeneinander, hinter sich das Feuerband, vor sich das ewige Dunkel einer unbe kannten Höhlenwelt. Hinter ihnen glühte noch wär mend und vertraut das Feuer der Tiefe, vor ihnen lauerte in der Grabeskälte unerforschter Bereiche das Unheimliche und die Gefahr, gespenstische und ge 166
fährliche Tiere verflossener Epochen der Erdge schichte, wie Menschen mit den technischen Mitteln kommender Jahrhunderte. Langsam tappten sie in die Unterwelt hinein. 9. Mit dem Sprung über das Feuerband, mit dem sie die erste Riesenhöhle verlassen hatten, glitt die Führung ganz von selbst auf Sun Koh über. Der kleine Profes sor Montberry und sein ernster indianischer Diener Zapa, Nimba und Hal blickten wartend auf Sun Koh, dessen edles Gesicht zwischen rotglühendem Feuer und stumpfer Schwärze seine eigene kühle Lichtheit bewahrte. Sun Koh wies voraus. »Die zweite Höhle. Wir marschieren hintereinan der. Ich nehme die Spitze, Nimba am Ende. Die Pistolen sind schußbereit zu halten. Wir halten uns in der Hauptrichtung nach Westen. Einige Stunden dringen wir noch vor, dann legen wir Schlafrast ein.« »Sie nehmen an, daß diese Höhle ebenfalls sehr groß ist?« fragte Montberry. »Jede Annahme steht in unserem Belieben«, ent gegnete Sun Koh. »Sie wissen ja besser als ich, daß wir ebensogut in einer halben Stunde wie in drei Stunden das andere Ende der Höhle erreichen kön nen. Wir haben vorerst keine Anhaltspunkte.« 167
»Am anderen Ende werden wir genau wissen, wie lange man braucht«, sagte Hal. »Wenn es hier Höh len in häßlichen Mengen gibt, so kommt es ja auch gar nicht darauf an, ob wir drei kleine oder eine gro ße vor uns haben.« »Danke.« Montberry kicherte. »Ich fühle mich durch solche Verschwendung von Geist zu meinen Gunsten schrecklich geehrt.« »Regen Sie sich wieder herunter«, sagte Hal. »Recht habe ich doch?« »Senkrecht«, antwortete Nimba. »Es kippt bald über.« Hal zuckte nur verächtlich mit den Schultern und wandte sich an Sun Koh. »Eigentlich ist das doch eine merkwürdige Sache, daß wir dort oben das Gebirge haben und daß hier unten solche großen Höhlen sind? Wahrhaftig, wenn ich mal Großvater bin und das meinen Enkelkindern erzähle, werden sie es mir nicht glauben, daß es unter der festen Erde solche Höhlen gibt.« »Deine Sorgen!« erwiderte Nimba. Sun Koh lachte. »So selten sind Höhlen denn wohl doch nicht, daß dich deine Enkelkinder für einen Aufschneider halten müssen. Es gibt in allen Erdtei len Stellen, an denen die Erde auf größere Strecken unterhöhlt ist. Kleinere Höhlengebiete kennt wohl jedes Land. Ich denke zum Beispiel an die Adelsber ger Grotten oder an die ausgedehnten Höhlengebiete 168
der Blauen Berge in Australien oder gar an die Mammuthöhlen in Kentucky, die sich ebenfalls über mehrere hundert Kilometer erstrecken.« »Also ist das hier gar nicht so außergewöhnlich?« »Nicht so außergewöhnlich, um deine Glaubwür digkeit in Zweifel zu ziehen.« »Das beruhigt mich ungemein.« »Schön, dann vorwärts.« Hal schloß sich an Sun Koh an. Montberry und Zapa reihten sich ein. Der Lichtkegel aus der Lampe Sun Kohs glitt voraus und blendete die nächsten fünfzig Meter auf. Sun Koh blickte gelegentlich nach dem Kompaß, um die Richtung zu wahren. Der Wert dieser Richtungssuche war natürlich sehr fragwürdig, da sich die Fortsetzung dieser Höhlenwelt in ganz anderer Richtung befinden konnte und außerdem ei ne Mißweisung der Kompaßnadel nicht ausgeschlos sen schien, aber man hatte doch wenigstens einen Anhalt für den zurückgelegten Weg. Die tonnenschwarze Höhlennacht stand wie eine Schale um die Wandernden herum, fast wie eine fest anliegende Haut, die die Welt unmittelbar um den Körper herum enden ließ. Die Sinne verloren mit den gewohnten Maßstäben ihre innere Sicherheit und ar beiteten unter einer Überreizung, die ihre Zuverläs sigkeit erheblich einschränkte. Das Gehör haftete sich schnell fest an die Atemzüge und die kleinen Geräusche der Körper und empfand sie bei der son 169
stigen völligen Stille des Raumes als gewaltige Ein drücke, die keine anderen mehr zuzulassen schienen. Es war, als füllte ein Atemzug, ein Wort alles rings um mit Lärm und Brausen. Und die Augen hafteten mit zunehmender Starre an dem Streifen, den das Lichtbündel jeweils der Spur voraus aufhellte, aus der absoluten Schwärze scharfkantig und ohne Streuung herausschnitt wie einen Grat, den rechts und links Abgründe begrenzen. Die Luft war kühl, aber nicht feucht. Sie trug den unbestimmbaren Geruch eines Grabmales in sich. Schaurig stark drängte sich das Bewußtsein auf, daß in dieser Luft nie ein lebendes Wesen geatmet hatte. Nach einer Stunde, in der sich die fünf mangels jedes äußeren Ereignisses peinigend stark selbst er lebten, stießen sie auf eine aufstrebende Felswand, die sich sanft zur Decke zurückwölbte. Sie hatten das Ende der Höhle erreicht. »Nur wenige Kilometer Durchmesser«, stellte Sun Koh fest. »Wir müssen die Öffnung suchen, durch die wir weiterkommen.« »Am besten wird sein, wenn wir uns teilen«, schlug Montberry vor. »Wir können dann nach bei den Seiten zugleich suchen.« Plötzlich war es nicht mehr ganz still. Irgendwo sprang ein feines Summen auf. Man konnte es für das gedämpfte Summen eines Motors halten, es klang aber auch wie Sturm. 170
Vielleicht kam dieser Eindruck nur daher, daß der Ursprung und der Ort des Geräusches nicht festzu stellen war. Es erfüllte trotz seiner Feinheit die ganze Höhle, so daß man unmöglich sagen konnte, aus welcher Richtung es kam. Eine Frage klang auf. Niemand beantwortete sie. Das Summen wurde stärker und schärfer. Es schwoll an, die Tonhöhe stieg zugleich. Ein dünner Pfeifton mischte sich ein und veränderte die Klang farbe zu einem Heulen, das von dumpfem Brausen untermalt war. Dabei blieb es vorläufig. Die Höhle war voll von diesem Geräusch, aber dabei war in der Höhle nichts zu spüren, was als Er klärung hätte dienen können. Das Brausen meldete nur ein rein örtliches Ereignis, das sich irgendwo in der Höhle oder am Rand der Höhle abspielte. Wieder kam eine Frage. »Es klingt fast wie ein Sturm«, antwortete Sun Koh. »Wir werden die Erklärung vielleicht dort fin den, wo wir den Ausgang der Höhle entdecken. Ge hen wir auf die Suche!« Er hielt sich mit seinen beiden Begleitern nach links, Montberry hielt sich mit Zapa nach rechts. Nach zehn Minuten leuchtete die Lampe Sun Kohs eine Öffnung in der Felsenwand ab, aus der das mit Pfeiftönen untermischte Brausen herausdrang. Sie be saß etwa zwanzig Meter Höhe und annähernd die glei che Breite. Der Lichtstrahl, den Sun Koh hineinschick 171
te, traf nach fünfzig Metern eine abschließende Wand. Auf den ersten Blick schien es sich um eine große Nische zu handeln. Das tastende Licht zeigte aber bald, daß die Seitenwände der Nische durchbrochen waren, und zwar von Öffnungen, die fast die Breitenund Höhenmaße der Nische hatten. Wohin diese Öffnungen führten, ließ sich nicht ab sehen. Dort, wo sie sich gegenüberstanden, war der Boden wie eine Flutrinne tief ausgehöhlt. Während Nimba durch kreisende Lichtzeichen den anderen Trupp von der Entdeckung verständigte, schritt Sun Koh langsam vorwärts, dicht gefolgt von Hal. Je weiter sie an die seitlichen Öffnungen heran kamen, um so stärker rissen Luftwirbel an ihren Sa chen. Das heulende Brausen drückte auf die Trom melfelle. Als sie ziemlich an der Rinne standen, war es ih nen, als kämen sie an eine feste Wand, die sich schnell vorschob. Durch die Seitenöffnungen der Nische glitt mit ziemlicher Gewalt ein starker Luftstrom. Diese Luft war kalt, aber frisch. Sie trug den Geruch der freien Natur. Sun Koh und Hal leuchteten in die Seitenkanäle hinein, ohne mehr zu sehen als dunklen Felsen. Als Hal in die Rinne hineinwollte, riß Sun Koh ihn zu rück und führte ihn wieder aus der Nische heraus. »Das war leichtsinnig, Hal«, sagte er ernst, als 172
seitlich der Öffnung die Verständigung wieder mög lich wurde. »Der Luftstrom hat die Kraft eines Stur mes.« »Ich wollte nur etwas mehr sehen«, entschuldigte sich Hal schwach. »Wo kommt denn die Luft her?« Sun Koh hob die Schultern. »Irgendwo aus dem Freien. Es schien mir frische Nachtluft zu sein. Von welcher Stelle sie kommt, kann ich dir natürlich nicht sagen.« »Aber wir müssen doch eigentlich weitersuchen«, machte Hal aufmerksam. »Das ist doch keine Fort setzung der Höhlen, wir kommen doch im besten Fall ins Freie.« »Eben. Wir müssen Montberry doch mindestens auf diese Gelegenheit hinweisen und ihn möglicher weise hinausbringen. Seine Ziele sind nicht unbe dingt die unseren.« Montberry, der nach einer Viertelstunde eintraf, war jedoch anderer Meinung. Entrüstet meinte er: »Sie wollen mich also gewissermaßen an die Luft setzen. Kommt gar nicht in Frage. Mich schieben Sie durch die Luftröhre ab, und Sie gehen allein auf Ent deckungen aus? Daraus wird nichts, ganz entschie den nichts.« »Ich werde mich freuen, wenn Sie bei uns blei ben«, erwiderte Sun Koh, »aber ich hielt mich für verpflichtet, Sie auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen. Das Ende unserer Expedition läßt sich 173
noch nicht absehen.« »Eben«, grinste Montberry, »eben deshalb. Sie meinen wohl, ich könnte getrost vor Neugier platzen. Ich bleibe!« »Gut«, entschied Sun Koh, »dann wollen wir wei ter nach der Fortsetzung der Höhlen forschen. Aber zunächst werden wir einige Stunden schlafen.« »Kein Fehler«, stimmte Montberry zu. »Der Tag hat doch ziemlich angestrengt.« Sie warfen ihre Lasten ab. Große Vorbereitungen waren ja nicht zu treffen. Jeder konnte sich nur in eine Decke wickeln und auf den Boden legen. Sun Koh lag kaum wenige Minuten, als er sich wieder erhob. »Es läßt mir keine Ruhe«, sagte er zu den anderen, die sich ebenfalls aufrichteten. »Ich möchte den Windkanal doch auf ein Stück hin untersuchen. Komm, Nimba, nimm dein Seil mit.« Sie folgten alle vier. Sun Koh band sich das Seil um den Leib und stieg vorsichtig in die Rinne hinein. Der Luftstrom preßte sich gewaltsam gegen seinen Körper, so daß er sich stemmen mußte. Er wählte zunächst den Weg gegen den Luftstrom. Die vier sahen ihn in dem Kanal verschwinden. Langsam, meterweise rutschte das Seil, dessen Ende Nimba in seinen starken Händen hielt, davon. Nach langen Minuten straffte es sich flüchtig, dann wurde 174
es wieder locker. Sun Koh kam zurück. Er schüttelte den Kopf, als er an der Gruppe vorüberschritt, kam nicht erst hoch, sondern verschwand nach der ande ren Seite. Dreißig, vierzig Meter glitt das Seil weg, dann blieben die Schleifen, die Nimba vor seine Füße ge legt hatte, ruhig liegen. Sun Koh drang nicht weiter vorwärts. Die vier tauschten besorgte Blicke untereinander, später schrien sie sich Bemerkungen zu, die keiner genau erfaßte, aber im Sinn wohl verstand. Warum blieb er so lange an einer Stelle? Was war geschehen? Hatte er gar das Seil abgelegt? Nimba holte vorsichtig ein. Er atmete auf, als sich das Seil straffte und ein Gegendruck kam. Dann glitt das Seil weiter ab, noch zehn, zwanzig Meter. Endlich blendete wieder Lichtschein heraus. Sun Koh wurde sichtbar. Er stieg hoch, winkte den vieren und ging in die Höhle voran. Erst am Lagerplatz machte er Halt. »Meine Vermutung war richtig«, sagte er mit au ßergewöhnlichem Ernst. »Die Fortsetzung der Höh lenwelt befindet sich hier. In einer Entfernung von vierzig Metern beginnt in der jenseitigen Wand eine ähnliche Nische wie hier. Sie mündet in eine Höhle, deren Ausmaße sich nicht übersehen lassen.« »Fein!« freute sich Montberry. Sun Koh sah mit einem merkwürdigen Blick zu 175
ihm hin. »Ich fürchte, Freund Montberry, daß Ihre Freude schlecht am Platz ist. Wir haben die Fortsetzung zwar gefunden, aber es ist sehr fraglich, ob wir durch jene Höhle wandern können.« »Warum nicht?« »Ich sah beim flüchtigen Hineinleuchten mehrere Gegenstücke von dem Untier, das in Ihrer Hütte aus gespannt war.« »Dann kann es allerdings heiter werden.« * Die Uhren wiesen den neuen Morgen an, als der Trupp aufbrach. Die Luft strömte in dem Windkanal nur noch mit mäßiger Geschwindigkeit, so daß sie ohne Sicherungen vordringen konnten und mühelos die Gegennische erreichten. Als sie die jenseitige Rinne verlassen hatten, blie ben sie zwischen Kanal und neuer Höhle unter dem Felsenbogen stehen und witterten mit allen Sinnen in das Unbekannte hinein. Die Luft war nicht mehr so kellerhaft wie bisher, sondern besaß eine spürbare Wärme. Sie wurde frei lich nur deshalb so stark empfunden, weil sich die Männer auf die stille Kühle der ersten Höhle einge stellt hatten. Wenn man aus der Außenwelt gekom men wäre, hätte man es vermutlich auch hier noch 176
recht kühl gefunden. Es ging ihnen wie Leuten, die aus frostiger Nacht in ein Zimmer treten und es brutwarm finden, obwohl es tatsächlich kaum geheizt ist. Die Luft war warm und dazu dunstig. Sie enthielt ziemlich viel Wasserdampf. Die Wände der Nische glänzten denn auch vor Feuchtigkeit. Vor allem aber trug die Luft einen beißenden, fast atemversetzenden Geruch von Kalk, Kot und tierischen Ausdünstun gen, untermischt mit dem dumpffauligen Geruch von Morast. Es war Luft, die die Ausdünstung von Le bewesen trug. Leben will Licht. In dieser Höhle war es nicht mehr so vollkommen dunkel. Weit voraus, schät zungsweise einige Kilometer entfernt, brannte eine Flamme von durchsichtiger Bläue, in die gelegent lich gelbliche Lichter hineinzuckten. Es sah aus, als stände dort eine niedrige Kerze von mächtigen Aus maßen. Die unbekannte Entfernung ließ alle Irrtümer zu, aber es sah ganz so aus, als sei diese Flamme mehrere Meter hoch und entsprechend breit. Sie vermochte den riesigen Raum ringsum nicht etwa aufzuhellen – dazu war sie im Verhältnis zu winzig und zu lichtschwach – aber sie lockerte doch die Dunkelheit etwas auf, gab einen Richtungspunkt und ließ die Augen ahnen. Freilich gab sie wohl gerade deshalb dieser Höhle etwas Geisterhaftes. Seltsam spukhaft wirkte eine Erscheinung, die sie 177
nach wenigen Sekunden zum ersten-, aber nicht zum letztenmal beobachteten. Von der blauen Flamme glitten plötzlich schmale Lichtfunken weg und zün deten in einiger Entfernung bläuliche Lichtbündel an, die unverzüglich wieder erloschen. Bald hier, bald dort zuckten in verschiedenen Abständen von der Flamme diese Lichter auf. Es sah aus, als huschten Irrlichter tanzend über eine weite Fläche. Sekunden währte dieses hüpfende Spiel, dann brannte ruhig und unbewegt allein die blaue Flamme. Nimba warf hastig seinen Arm vor. »Da!« Aus der Dunkelheit schwebte es mit nachlässigen, etwas unbeholfen wirkenden Bewegungen heran. Zwei gewaltige Flughäute schlugen lautlos, wie ge waltige Ruder, nieder. Eine Höhlenfledermaus, ein Gegenstück zu jenem Ungeheuer, das ausgestopft in Montberrys Hütte gehangen hatte. Vier Meter maß das Ungetüm ungefähr. Der dickbehaarte Leib hing wie zu schwer zwischen den grauen Flughäuten. Zwei kurze Füße streckten sich vor. An ihnen saßen lange, gebogene Krallen, die scharfgeschliffenen Dolchen glichen. Der übernatürlich lange und gar nicht fledermausähnliche Hals pendelte in leichten Schwingungen suchend hin und her. Der gedrungene Kopf einer Hyäne, mit dem weitgeschlitzten, mörde risch bewehrten Maul eines Wolfes saß auf ihm. Über dem Maul zitterten und schwankten, wie ver 178
einzelte Riesenhaare, meterlange, dünne Fühler mit knopfartigen Enden. Kurze, spitze Ohren standen seitlich weg. Die Augen waren wie trübe Scheiben, aber als das Licht der Scheinwerferlampen in sie hin eintraf, glühten sie rötlich auf wie Albino-Augen. Eine widerwärtige Bestie, ein scheußlicher Spuk war das, der kalte Schauer über den Rücken laufen ließ. Kein Wunder, daß die Männer plötzlich alle die Pistolen schußbereit in den Händen hielten. Die Fledermausbestie schien die Anwesenheit der fünf nicht zu bemerken. Sie torkelte vor der Nische auf und ab und verschwand dann wieder seitlich in dem Dunkel, aus dem sie gekommen war. Hal atmete auf. »Gut, daß ich nicht schlafe. Das Vieh würde mir bestimmt zum Alpdruck werden.« »Scheußlich«, murmelte Nimba. »Wenn es hier mehr von der Sorte gibt…« »Ich habe gestern mehrere gesehen«, sagte Sun Koh knapp. »Mister Montberry, ziehen Sie es nicht doch vor, auf die weitere Teilnahme zu verzichten?« »Nein!« bellte Montberry entschieden. »Warum gibt es diese Tiere nicht auch in den an deren Höhlen, Sir?« erkundigte sich Hal. Sun Koh deutete zurück. »Diese dauernde und meist sehr starke Luftströ mung bildet eine unüberwindbare Grenze.« »Bei diesen Flughäuten?« 179
»Es handelt sich weniger um die Kraft. Die Flug tiere sind auf ihre Tastorgane, auf ihre Fühler ange wiesen. Sie empfinden den Luftstrom noch ungleich stärker, als wie eine feste Wand, vor der sie zurück schrecken. Strömende Luft ist ein vorzüglicher Ver schluß.« Ein schriller Schrei ließ das Gespräch abreißen. Dieser Schrei setzte wie das Winseln eines jungen Hundes an und steigerte sich zu einem scharfen, hel len Kreischen. Es begann mit einer weinerlichen Klage und endete mit gehässiger Drohung. Kaum brach er ab, stieg ein neuer Schrei auf, andere misch ten sich ein, und dann schien die ganze Höhle von diesen furchtbaren, nervenzermürbenden Lauten er füllt zu sein. Es wurde wieder still. »Wir halten uns jetzt dicht zusammen«, ordnete Sun Koh an. »Sollte ein Angriff dieser Bestien erfol gen, schließen wir uns nach Möglichkeit zu einem Kreis zusammen. Kommt!« Die Augen trafen sich flüchtig, die Körper reckten sich, dann rückte der kleine Trupp in die Höhle hin ein. Vielleicht waren die Aussichten, leidlich durchzu kommen, doch größer, als es zunächst den Anschein hatte. Fünf Minuten, zehn Minuten vergingen. Der Bo den senkte sich leicht. Der Fels verschwand. Die Fü 180
ße drückten Spuren ein. Weicher, lockerer Boden fing die Schritte auf. Die Lampe zeigte schwarzen Humus. Dann und wann lief quer oder schräg eine Aufwölbung wie ein niedriger Damm durch das Land. Wenn man darauftrat, sank man tief ein. Der Boden war an diesen Stellen unterhöhlt. Irgendwo im Raum geisterten die fliegenden Wöl fe. Eine Viertelstunde. Wenige Meter seitlich sauste es weich durch die Luft. Ein dumpfer Schlag, dann stieß ein schriller, triumphierender Schrei empor. Dunkles, wütendes Fauchen mischte sich in ihn hinein, dann unbestimm te Geräusche. Da fiel der suchende Lichtschein auf die Stelle, von der die Schreie kamen. Einer der flachen Dämme zog sich dort hin. Er war zerrissen und aufgewühlt. Dicht über dem Loch schlug eine Fledermaus heftig mit den Flughäuten und bemühte sich, eine dunkle Masse her auszuziehen, in die sie die langen Krallen hineinge schlagen hatte. Die dunkle Masse war ein Tier, ein Maulwurf von mehr als einem Meter Länge. Er wälzte und schnellte sich in seiner Grube herum. Das spitze Maul mit der scharfen Kette von Zähnen schnappte verzweifelt nach dem fliegenden Feind und versuch te, den mörderischen Wolfsbiß abzuhalten. Aber die Krallen saßen wohl schon zu tief im Fleisch, und der bewegliche Hals des Flugtieres ermöglichte den An 181
griff dort, wo keine Abwehr möglich war. Ein kurzer, grausiger Kampf unter spitzen Schrei en und verzweifeltem Keuchen, dann zerrte die Fle dermaus ihr Opfer vollends heraus. »Achtung!« Der scharfe Ruf Sun Kohs zerriß den Bann, der über dem Trupp Menschen lag. Plötzlich spürten sie und sahen sie alle, daß die Höhle ringsum lebendig geworden war. Über und neben ihnen sausten die weiten Flughäute, gespenstisch groß taumelten Fle dermäuse aus allen Richtungen heran, wohl, um an dem Schmaus mit teilzunehmen. »Nieder!« Zu spät, schon hatte eine Flughaut Zapa gestreift, schon war einer der schwankenden Fühler mit Nim bas Kopf in Berührung gekommen. Zwei, drei Fle dermäuse wandten die Köpfe auf die Gruppe. Sie stießen kleine Schreie aus, worauf sich andere eben falls den unbekannten Feinden näherten. Die langen Hälse spürten wie pendelnde Schlangenleiber vor, die Fühler gierten. Die weiße Helligkeit der Lampen warf sich gegen die scheußlichen Körper. Sie bogen sich zurück, aber dann kamen sie wieder vor, immer näher. »Schießen!« befahl Sun Koh. Seine Stimme klang heiser. Aus dem Dunkel schienen Dutzende, Hunder te und vielleicht Tausende heranzutaumeln. Begann jetzt die Schlacht, die mit der letzten Patrone endete? 182
Dumpf peitschten die ersten Schüsse auf. Die Zie le befanden sich in allernächster Nähe, und die Män ner schossen gut. Die suchenden Hälse wurden jäh schlaff, die Flughäute klappten ein, die Leiber schlu gen schwer nieder. Sie fielen vor die Füße der Män ner, die die Zähne aufeinanderbissen, um nicht vor Ekel und Entsetzen zur Seite zu springen. Ringsum taumelten die anderen Bestien unsicher hin und her. Ihre Augen und Ohren vermochten wohl mit der plötzlichen Fülle des Lichts und des Lärms nichts anzufangen. Sie streckten die Fühler wieder vor in die Richtung, die ihnen gewiesen worden war, und von hinten drängten andere gegen die Stelle an, an der sie Blut witterten. Die Männer schossen weiter. Sie sahen die mörde rischen Krallen und die furchtbaren Gebisse ständig vor ihren Augen, aber sie bekamen beide noch nicht zu spüren, weil die Bewegungen dieser Fledermäuse verhältnismäßig langsam und schwerfällig waren und eigentlich kein zielbewußter Angriff erfolgte. So viele auch tot niedersackten – die anderen schienen es nicht zu fassen. So nahe sich die Gegner auch waren – die Fledermäuse schienen bis zu dem Augenblick, in dem ihre Fühler Berührung bekamen, ihre Gegner höchstens zu ahnen. Dutzende fielen, Hunderte drängten sich nach. Sun Koh erfaßte endlich das Entscheidende. »Wir verschwenden unsere Munition«, rief er 183
durch das wirre Schrillen hindurch. »Achtung, wir schießen eine Gasse nach vorn, dann laufen wir weg. Hal schließt ab. Los!« Eine Salve knatterte nach vorn, der Ring öffnete sich. »Lauft!« Die Männer schnellten sich auf, rannten hinter Sun Koh her, immer weiter in das Dunkel hinein, fünfzig, hundert, zweihundert Meter. Hinter ihnen wirrten die Leiber der Fledermäuse ineinander. »Licht aus und Ruhe!« Wie Salzsäulen standen die fünf in der bläulichen Dämmerung. Nirgends ringsum war eine Fledermaus zu sehen. Von hinten kamen unruhige Laute, unbe stimmte Geräusche mit gelegentlichen Schreien. »Gott sei Dank«, sagte Sun Koh aufatmend. »Sie sind dortgeblieben.« »Ich glaube, jetzt fressen sie ihre eigenen Toten auf«, flüsterte Hal schaudernd. »Sie konnten uns wohl nicht sehen?« »Unser Licht blendet sie. Ganz ohne Gesicht sind sie sicher nicht, da es aber dieser Dunkelheit ange paßt ist, dürfte jeder Lichtstrahl aus unseren Lampen die Reizhöhe weit überschreiten. Das gleiche wird für das Gehör dieser Tiere gelten. Es ist den geringen und feinen Geräuschen der Höhle angepaßt. Unsere Schüsse haben so ähnlich gewirkt, wie Kanonen 184
schüsse auf uns aus nächster Nähe wirken.« »Dann werden Sie uns aber immer wieder hören und sehen und neu angreifen.« »Das ist freilich leicht möglich. Ich denke mir je doch, daß bei diesen Tieren auch die Sicht- und Hörweite ziemlich begrenzt ist. Zur Gefahr werden sie jedenfalls erst, wenn sie mit ihren Fühlern an uns herankommen. Notfalls müssen wir das Verfahren, das wir eben anwandten, wiederholen.« »Was war das für ein Tier in der Erde?« fragte Nimba. »Es sah fast aus wie ein Maulwurf.« »Es war ein Riesenmaulwurf«, übernahm Mont berry die Antwort. »Weiter!« Die Lichtbahn wanderte voran. Die blaue Flamme wuchs, die irren Lichter, die dann und wann durch das Dunkel zuckten, wurden deutlicher. Sun Koh blieb plötzlich stehen und wies auf einen Abdruck im Boden. Breit, plump und massig lag da die Fährte eines großen Tieres. »Das sieht fast wie die Fährte eines Bären aus«, sagte Hal. »Bären in dieser Höhle?« Montberry schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen!« Sie schritten weiter. Knack, knack – irgend etwas schlurfte mit feinen Knackgeräuschen in der Nähe. Der Lichtkegel suchte und blieb auf einem fast meterlangen Tier haften, das 185
aus zahllosen harten Gliedern und Füßen bestand. Es glitt langsam seitlich voraus, der Kopf mit langen Fühlgliedern bewegte sich dabei sichernd nach allen Seiten. »Die Natur scheint hier außergewöhnliche Grö ßenmaße zu bevorzugen!« »Vorsicht, er könnte giftig sein!« Sie ließen das gepanzerte Untier seitlich vorüber und setzten ihren Weg fort. Der Boden wurde immer weicher und feuchter. Wieder hielt Sun Koh an. Er leuchtete auf seinen Stiefel, der eben bis zum Knöchel eingesunken war. »Wir müssen die Richtung wechseln. Was vor uns liegt, ist Sumpf.« »Meine Vermutung«, platzte Montberry heraus. »Hinterher sind auch die Dummen gescheit«, sti chelte Hal. »Manche nicht einmal hinterher«, hieb Montberry zurück. »Meinen Sie nicht, Mister Sun Koh, daß die se blaue Flamme brennendes Methan sein könnte?« Sun Koh nickte. »Sumpfgas wohl auf jeden Fall. Die Irrlichter lie ßen ja gleich auf etwas Ähnliches schließen. Wir wollen versuchen, um den Sumpf herumzukommen.« Er trat zur Seite, warf sich aber schnell wieder zu rück. Sein Fuß sank fast widerstandslos ein. An jener Stelle deckte nur eine dünne Narbe grundlosen Bo den. 186
»Auf der Spur zurück.« Behutsam schritten sie zurück, bis sie einigerma ßen festen Boden unter sich fühlten. Dann suchten sie sich den Weg am Rande des Sumpfes entlang. Das war ein Marsch, der Menschen mit schwäche ren Herzen und empfindsameren Nerven bald zer mürbt hätte. Links geisterten die fahlen Lichter über dem tückischen Sumpf, rechts dehnte sich undurch dringliche Nacht bis zu einer unendlich fernen Wand. Ringsum geisterte und spuckte grausiges Leben. Immer wieder fächelte der weiche Schlag von Flug häuten irgendwo in der Nähe, immer wieder spitzten sich die hellen, durchdringenden Schreie aus einem klagenden Winseln auf. Es schlürfte und knackte und tapste bald hier, bald dort. Unbestimmbare, gespen stische Geräusche gingen durch die Luft, die Nacht blieb unaufhörlich voll drohender Gefahren. Lebe wesen bewegten sich in der Höhle. Einige kannte man, aber welche gefährlichen und abscheulichen Bestien konnten ringsum lauern, die noch kein Licht strahl getroffen hatte? Jeder der fünf stand unter unablässiger, schärfster Anspannung aller Sinne. Essen und Trinken, Schlaf und Ruhe? Keiner dachte daran. Irgendwo mußte diese Geisterhöhle ein Ende nehmen. Irgendwo und irgendwann. Aber niemand wagte zu sagen, ob nach einer oder nach zehn Stunden. Jen seits des Scheinwerferlichts begann für alle die Un 187
endlichkeit. Es war ein Marsch durch das Grauen, das rechts und links neben der schmalen Lichtbrücke stand und in jeder Sekunde über die Männer herfallen wollte. 10. Endlos die Wanderung. »Das ist unmöglich!« stellte Sun Koh endlich un mutig fest und verhielt zugleich den Schritt. »Der Kompaß zeigt einfach nicht mehr richtig an. Wir müßten unsere Westrichtung schon längst wieder er reicht haben.« »Der Sumpf scheint ziemlich rund zu sein, die blaue Flamme blieb fast immer in gleicher Entfer nung.« »Eben, und wir haben schon ein ganzes Stück mehr als die Hälfte zurückgelegt, wenigstens nach meiner Schätzung. Nach dem Kompaß fehlen noch immer dreißig Grad. Wir müssen auf ihn verzichten und uns allein nach der Flamme richten.« »Dabei können wir uns ganz hübsch verlaufen.« »Irgendwann müssen wir die Felswand erreichen, wenn wir das Licht im Rücken lassen. Vorwärts in dieser Richtung!« Eine Stunde lang setzten sie Fuß vor Fuß. Einmal streifte eine Fledermaus dicht heran, kehrte zurück und stieß auf den Trupp zu. Ein Schuß tötete sie. Die 188
Männer eilten hastig von der Stelle weg. Nach einer Stunde tappten die Füße auf felsigen Boden. Die blaue Flamme im Sumpf lag weit zurück. Kam nun bald die jenseitige Felswand? Eine Viertelstunde verging, eine halbe Stunde. Nichts begrenzte die Höhle. Im Rücken verschwand die blaue Flamme hinter einer Bodenwelle, die sich durch die Höhle zog. Irgendwo voraus trug die Luft, die inzwischen wieder kühler geworden war, ein Rauschen. Waren sie im Kreis gelaufen und näherten sich wieder jenem Windkanal? Sun Koh schüttelte den Kopf. »Das klingt nach fallendem Wasser. So stark können wir uns auch unmöglich verirrt haben.« Und dann war die Wand da, fast zu plötzlich, fast erschreckend. Und doch atmeten alle auf, als sie nach der Grenzenlosigkeit die Begrenzung vor sich sahen. Links oder rechts? »Links!« entschied Sun Koh. »Wo Wasser fließt, befinden sich vermutlich Öffnungen. Und außerdem können wir frisches Wasser gebrauchen.« Sie gingen an der Wand entlang. Dann und wann scheuchten sie einige der fledermausähnlichen Besti en auf, aber die Tiere wurden offenbar durch den na hen Felsen irre und tasteten sinnlos daran herum. Es genügte, einfach weiterzugehen. Sie gingen dem Wasser entgegen, bis sie auf den 189
Wasserfall stießen. Wie ein breites, schimmerndes Seidentuch hing der Fall über eine Strecke von unge fähr dreißig Metern zwischen den dunklen Felsen. Er war ganz dünn. Kein dicker Schwall Wasser stürzte sich herunter, sondern ein feiner Schleier zarten Wasserstaubs glitt aus etwa fünfzig Meter Höhe in die Tiefe. Sun Koh trat unter den stiebenden Fall. Die Felswand setzte sich nicht fort. Hinter dem Wasser befand sich eine Öffnung, die zu einer neuen Höhle hinüberführte. Minuten später standen sie zu fünft auf der ande ren Seite. Die Lampen glitten über feuchte Felswän de. Die starke Krümmung verlockte, ein Stück vor zugehen und die Krümmung zu verfolgen. So kamen sie schnell zu der Feststellung, daß sie in eine sehr kleine Höhle von höchstens hundert Meter Durch messer geraten waren. Die Decke lag freilich sehr hoch. Ein Ausgang war nicht zu sehen. »Jetzt haben wir uns verlaufen.« »Hier kommen wir nicht weiter.« »Um so besser und ungestörter können wir frische Kräfte sammeln«, tröstete Sun Koh. »Wir wollen die weitere Untersuchung verschieben und vor allem ra sten. Seit vierzehn Stunden sind wir unterwegs.« Plötzlich spürten sie alle diese vierzehn Stunden. Die Spannung fiel ab, Hunger und Durst machten sich bemerkbar, die Muskeln schmerzten. Sun Koh 190
brauchte seine Aufforderung nicht zu wiederholen. Stunden bleiernen Schlafes vergingen. Als Nimba erwachte, vermißte er Sun Koh, an dessen Seite er sich niedergelegt hatte. Er richtete sich auf. »Sir?« Keine Antwort. Außer dem eintönigen Brausen des stürzenden Wassers war nichts zu hören. Nimba stand auf und leuchtete mit seiner Lampe umher. Als er Sun Koh immer noch nicht entdeckte, entschloß er sich zu einem Rundgang durch die Höhle. Sun Koh befand sich nicht in ihr. »Sir?« »Was ist denn?« Hal kam schlaftrunken hoch. »Warum schreist du denn in der Gegend herum?« »Sun Koh ist verschwunden!« »Was?« Hal sprang auf. Nun wurden auch Montberry und Zapa munter. »Ich kann ihn nicht finden«, teilte Nimba beküm mert mit. »Dabei habe ich schon die ganze Höhle abgesucht und gerufen.« »Aber er kann sich doch nicht einfach in Luft auf gelöst haben!« »Vielleicht ist er durch das Wasser zurück«, sagte Montberry. »Was sollte er denn dort? Wir wollen noch einmal rufen.« 191
Sie taten es, aber die Antwort blieb aus. Nun gin gen sie in die Höhle zurück, die sie gestern durch wandert hatten, leuchteten hinein, riefen und feuerten schließlich einen Schuß. Das einzige Ergebnis be stand darin, daß ein Schwarm Fledermäuse an den Fall heranstrich. Mit gesenkten Köpfen kehrten sie in die kleine Höhle zurück. »Ich glaube nicht, daß er die Höhle wieder aufge sucht hat«, meinte Hal. »Er hat sich jedenfalls frei willig entfernt. Und zu welchem Zweck? Nun, doch nur, um inzwischen einen Weg zu suchen, der wei terführt. Und er muß einen solchen Weg gefunden haben.« »Ja, aber durch die große Höhle hindurch.« »Dann hätte er uns mitgenommen. Hast du hier die Wände genau abgesucht?« »Ich glaube«, machte Montberry aufmerksam, »dort oben geht es weiter.« Die Lichtbündel strahlten an der jenseitigen Wand hoch. Dort befand sich, etwa dreißig Meter über dem Boden, tatsächlich eine scheunentorgroße Öffnung im Felsen. »Hm«, brummte Nimba. »Wie sollte Sun Koh dort hinaufgekommen sein?« Sie starrten auf die überhängende, glatte Wand. Es war unmöglich, sich hinaufzuarbeiten. »Dann ist er eben nicht hinauf«, sagte Hal nach ei 192
ner Weile heftig. »Es muß noch einen zweiten Aus gang geben.« »Und wenn nicht?« »Es muß einfach«, beharrte Hal. »Die einfachste Überlegung und der gesunde Menschenverstand be weisen das.« »Na, suchen wir mal.« Sie gingen langsam an der Wand entlang. So konnte ihnen der mannshohe, enge Spalt, der in den Berg hineinführte, nicht entgehen. »Also hat mein gesunder Menschenverstand doch recht behalten«, stellte Hal mit Genugtuung fest. Hal wollte in den Spalt hineinschlüpfen, aber Nimba riß ihn zurück. »Augenblick, laß mich voran.« »Spiel dich nicht so auf«, erboste sich Hal. Er konnte es aber nicht mehr verhindern, daß Nimba als erster verschwand. Der Spalt erweiterte sich schnell auf zwei Meter Breite. Er führte mit leicht abschüssigem Boden etwa zwanzig Meter waagerecht in den Felsen hinein, dann schräg in die Tiefe. Boden und Wände waren auffallend glatt. Nimba blieb an der Knickstelle stehen und wies hinunter. »Eine richtige Rutschbahn. Vielleicht ist Sun Koh dort hinunter?« »Hier ist schwer wieder hochzukommen«, sagte 193
Hal. »Aber dort unten scheint auch schon Schluß zu sein. Soll ich mal hinunterrutschen?« »Laß es dir ja nicht einfallen«, warnte Nimba. »Wenn es nun dort weitergeht?« »Wir müssen auf alle Fälle weiterforschen«, drängte Montberry. »Aber schön mit Bedacht«, wehrte Nimba ab. »Unsere Sachen haben wir natürlich draußen gelas sen. Hol die Seile, Hal!« »Schön, aber ich komme ans Seil.« »Auf deine Kräfte hätte ich mich ohnehin nicht verlassen.« Hal lief los und kam zurück. Nimba legte ihm mit aller Sorgfalt die Seilschlingen um den Leib. Dann ließ er den Jungen langsam ab. Hal rutschte über die Stelle hinaus, die wie der Abschluß des Spalts ausgesehen hatte. Fast hundert Meter liefen ab, bevor der Signalruck kam, auf den hin Nimba wieder einholte. Das Gesicht Hals war mächtig verkniffen, als er endlich wieder zwischen den anderen Männern stand. »Na?« drängte Nimba, als Hal sich Zeit nahm. »Das ist eine Rutschbahn, wie sie im Buch steht«, berichtete Hal. »Dort an dem Knick geht sie wenige Meter waagerecht, dann führt sie ohne jede Krüm mung, in einem Winkel von ungefähr dreißig Grad, in die Tiefe. Es ist eine Röhre von einem Meter 194
Durchmesser, der Boden so rund wie die Decke und alles spiegelglatt. Ich habe auf der ganzen Strecke keine Handbreit gefunden, wo man sich hätte festhal ten oder bremsen können.« »Ja und? Wo mündet sie?« »Die Mündung befindet sich an einer glatten Fels wand. Zwanzig Meter darunter ist Wasser, ein See. Der See liegt in einer neuen Höhle. Sie ist ebenfalls dunkel, aber…« »Aber?« »Einige hundert Meter entfernt habe ich am Rand des Wassers Lichter gesehen. Es waren Bogenlam pen.« »Was heißt Bogenlampen?« »Vielleicht handelt es sich auch um etwas anderes, jedenfalls sah ich leuchtende Kugeln am Ufer, die ein Stück über dem Boden unbeweglich schwebten. Sie gaben ziemlich viel Licht. Neben einer der Lam pen stand ein flaches Haus. Mir war es, als ob sich dort Menschen bewegten.« Nimba legte die Hand auf Hals Stirn. »Fieber hast du nicht? Du bist auch mit dem Kopf nicht irgendwo angeschlagen?« »Quatsch!« Hal machte sich mit heftiger Bewe gung frei. »Was ich gesehen habe, habe ich gesehen. Dort drüben befinden sich Lampen, Häuser und auch Menschen. Wir sind ziemlich am Ziel!« »Und Sun Koh?« 195
»Nichts von ihm zu bemerken.« »Wahrscheinlich ist er gleich zu lebhaft auf das Ziel zugeschossen«, meinte Montberry trocken. »Wenn er wirklich auf die Rutschbahn geraten ist, dürfte er sich jetzt schon bei diesen Leuten befin den.« »Wir müssen hinterher.« »Natürlich.« Montberry nickte. »Ich kann mir zwar kein Vergnügen dabei denken, im Eiltempo aus der Rutschbahn herauszuschießen und aufs Wasser zu klatschen, aber …« »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, unter brach Hal entschieden. »Wir wissen nicht, in welche Lage Sun Koh geraten ist. Wenn wir einfach in das Wasser plumpsen, machen wir die Leute doch auf merksam. Unseren Waffen würde ein derartiger Sturz auch nicht gerade gut bekommen. Wir müssen versuchen, unauffällig hinüberzukommen.« »Aber wie?« »Am Seil. Es reicht bis aufs Wasser. Wir befesti gen es hier oben und lassen uns daran herunter.« »Dann müssen wir die Seile aufgeben.« »Das ist nicht zu ändern.« Viel mehr war nicht zu sagen. Während Hal, Montberry und Zapa die Sachen aus der Höhle her anschafften, legte Nimba das Seil am Beginn des Spaltes um eine geeignete Zacke herum fest. Dort mochte es hängenbleiben, bis es abfaulte. 196
Sun Koh war tatsächlich aufgebrochen, um einen Ausweg aus der Höhle zu suchen. Da die anderen noch fest schliefen, stahl er sich geräuschlos davon. Er entdeckte die Öffnung in der Höhle und fand spä ter den Spalt, der in den Felsen hineinführte. In dem Bestreben, den schräg führenden Gang so weit wie möglich abzuleuchten, kam er ins Rutschen. Trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht, die Schuß fahrt zu hemmen. In sausendem Bogen glitt er aus der Rutschbahn heraus, entdeckte Lichter und Häuser und schlug dann in die Wasserfläche hinein. Als er, benommen vom Sturz und von der durch dringenden Kälte des Wassers, wieder hochkam, hielt er auf die lichtumsäumte Uferseite zu. Das war ein Fehler. Kaum fand er Grund und richtete sich auf, als die weiße Lichtfülle eines großen Scheinwerfers auf ihn stürzte, so daß er geblendet die Augen schließen mußte. Eine grobe Stimme rief: »Da ist ein Mann!« »Ein Fremder!« ergänzte eine zweite Stimme mit hartem Tonfall. »Komm heraus, Fremder. Beweg dich aber vernünftig, sonst müßte ich dich ein biß chen durchlöchern.« »Stop! Das Licht weg, John!« Der Scheinwerfer verlosch. Es blieb trotzdem hell genug, denn Sun Koh stand jetzt unmittelbar unter einer leuchtenden Kugel, die von oben herab weißes Licht warf. 197
Mehrere Männer traten auf Sun Koh zu und um ringten ihn. Sie trugen blaue, ziemlich schmutzige Overalls und runde Filzkappen, die wohl aus alten Hüten zurechtgeschnitten worden waren. Einen von diesen Männern kannte Sun Koh. Die ser Mann trat jetzt als erster auf ihn zu. »Hallo«, grüßte er mit der gleichen scharfen Stimme, die Sun Koh vorhin schon gehört hatte, »ha ben wir uns nicht schon einmal gesehen? War das nicht – natürlich, im Tal des Vergessen war es. Wie war doch gleich Ihr Name?« »Sun Koh. Sie haben recht, Baxter, wir lernten uns schon im Tal des Vergessens kennen.« Baxter lächelte dünn, während er dicht herantrat. »Nett von Ihnen, daß Sie es nicht abstreiten. Wenn ich bedenke, wie Micero hinter Ihnen hergeflucht hat, hätte ich’s vielleicht doch getan. Mir scheint, es ist Ihr Pech, daß Sie hier gelandet sind. Wie kommen Sie denn plötzlich hierher?« »Ich suchte einen Ausgang aus den Höhlen«, ant wortete Sun Koh zurückhaltend. »Irgendwo bin ich abgestürzt.« »Das haben wir gehört«, sagte Baxter. »Sie müs sen eine gute Haut haben, daß sie Ihnen nicht bei der Gelegenheit geplatzt ist. Wie sind Sie in die Höhlen hineingekommen?« »Bei Truxillo.« Baxter zog die Brauen hoch. 198
»Dann haben Sie ja allerhand hinter sich. Hieß es nicht, daß die Fremden bei der Sprengung erledigt worden seien?« »So hat es geheißen«, bestätigte einer der Männer. »Ich war schon in der ersten Höhle, als die Spren gung erfolgte«, sagte Sun Koh. »Habt ihr keinen wärmeren Fleck, an dem man sich unterhalten kann? Ich bin völlig naß.« Baxter ließ sich ablenken. Er stellte die verfängli che Frage nach etwaigen Begleitern nicht, sondern winkte. Er führte Sun Koh in die Baracke hinein. Die an deren Männer drängten neugierig nach. Der Raum, den sie betraten, war betäubend warm. An den Wänden standen elektrische Heizkörper, an der Decke brannte eine Lampe. »Setzen Sie sich«, sagte Baxter. »Nein, lassen Sie erst einmal sehen, was Sie für Waffen bei sich haben. Besser ist besser. Ihnen nützen sie so wenig, wie sie uns schaden können, aber Micero soll uns keinen Vorwurf machen.« Sun Koh legte die nasse Pistole, die ohnehin in diesem Zustand nicht zu benutzen war, auf den Tisch. »Sie können sie haben«, sagte er lächelnd. »Hof fentlich beruhigt Sie das.« Baxter winkte ab. »Von mir aus können Sie eine ganze Sammlung 199
mit sich herumschleppen. Erstens sind wir zu sechst, und zweitens würde es Ihnen nicht das geringste nüt zen, wenn Sie gegen uns angehen wollten. Aus den Höhlen kommen Sie ohne Miceros Erlaubnis doch nicht wieder heraus.« »Seid ihr die einzigen Bewohner dieser Höhlen?« »Hier sind wir die einzigen«, übernahm Baxter die Antwort, »aber drüben im Westen gibt es noch eine ganze Menge Leute, die in den Höhlen stecken. Wir haben nichts mit ihnen zu tun.« »Sie können mir trotzdem erzählen, was Sie von ihnen wissen.« Baxter hob die Schultern. »Nun, schaden kann’s ja schließlich nicht. Es ist Miceros Sache, dafür zu sorgen, daß Sie nicht reden. Schätze, er wird Ihnen wohl keine Gelegenheit ge ben. Tut mir leid, Fremder, daß ich das sagen muß, aber ich kenne Micero einigermaßen und weiß, daß er eine Stinkwut auf Sie hat.« »Machen Sie sich keine Sorgen darüber«, entgeg nete Sun Koh. »Vorläufig ahnt er nichts von meiner Anwesenheit.« »Er wird es aber erfahren. Und ich selber werde ihm Mitteilung machen. Wir haben nichts gegen Sie, aber es ist unsere Pflicht. Sie können es uns schließ lich nicht verdenken, wenn wir uns um Ihretwillen nicht mit Micero überwerfen wollen, denn dann wür den wir um unser Gold geprellt sein und vielleicht 200
für immer hier unten stecken. Ohne Micero kommen wir nämlich nicht heraus.« »Ich will euch nicht in die Gefahr bringen«, beru higte Sun Koh. »Was sind das für Leute, die in den anderen Höhlen leben?« »Tja«, gab Baxter zögernd Auskunft, »das ist nicht einmal so einfach zu sagen. Zu Micero gehören sie alle. Wir haben es nur immer mit der einen Sorte zu tun gehabt. Das sind Männer, die wie wir von Micero angestellt worden sind. Aber daneben gibt es noch andere, das sind Wissenschaftler. Sie gehören eigent lich mehr zu einem gewissen Perkins. Diese Leute arbeiten an irgendwelchen Erfindungen, elektrische Sachen, was weiß ich. Das Luftschiff, das die Ver bindung zu uns unterhält, ist auch eine Erfindung dieser Wissenschaftler.« »Habt ihr diesen Perkins schon einmal gesehen?« »Nein.« »Er soll nicht besonders gut mit Micero stehen«, mischte sich ein anderer ein. »Ich glaube, Micero haut ihn übers Ohr. Unsere Verbindungsleute erzäh len doch manches, aus dem man sich ein Bild ma chen kann. Wenn ich so ein Wissenschaftler wäre, würde ich jedenfalls nicht an einer Stelle arbeiten, wo ich praktisch Miceros Gefangener bin.« Sun Koh nickte. »Ich würde es auch nicht tun, wenn ich Goldgrä ber wäre.« 201
»Teufel noch mal, man merkt, daß Sie Micero nicht leiden können«, brummte einer. Die anderen blickten nur betroffen vor sich hin. Die Männer muß ten wohl schon mehr als einmal Befürchtungen in bezug auf Micero gehegt haben. Baxter erhob sich. »Wir müssen an die Arbeit. Ich will die Zentrale verständigen, daß Sie eingetroffen sind. Was Sie dann machen, wenn Sie allein sind, geht uns nichts an. Sollten Sie zufällig …« Er sprach nicht zu Ende. Die Tür flog auf, gleich zeitig sprang klirrend das Fenster. In der Tür wurde Nimba sichtbar, am Fenster grinste Hal hinter seiner Pistole. »Hände hoch, Herrschaften!« Die Hände der Männer gingen widerwillig in die Höhe. »Verdammt«, murrte Baxter, »wer ist denn das nun wieder?« »Nehmt die Hände wieder herunter«, wies Sun Koh ruhig an. »Die Pistolen, die ihr bei euch tragt, legt ihr neben meine auf den Tisch. Seid vorsichtig, meine Leute schießen gut.« »Ihre Leute?« ächzte einer. »Los, Nimba«, hetzte Hal vom Fenster, »fang an, die Kerle zu binden. Zapa hat Stricke. Ich halte die Brüder schon zusammen.« »Hier wird nichts gebunden«, wehrte Sun Koh ab 202
und schob die Waffen, die die Männer ablegten, auf einen Haufen. »Kommt herein. Setzt euch wieder, Leute. Wir wollen uns in aller Ruhe weiter unterhal ten.« »Weiter unterhalten?« murmelte Nimba hörbar. »Waren Sie nicht Gefangener hier, Sir?« »Nur sehr beschränkt«, sagte Sun Koh. »Bis auf eine Winzigkeit sind wir die besten Freunde.« »Kam mir genauso vor«, sagte Baxter grinsend. »Schätze, wir werden uns auch unter diesen Bedin gungen einig werden.« * Sie wurden sich einig. Baxter versprach, die An kunft Sun Kohs vorläufig nicht zu melden. Vor sichtshalber drehte Sun Koh jedoch auch noch die Lampen aus dem Apparat heraus. Baxter ging später mit seinen Kameraden an die Arbeit, Sun Koh mach te sich mit seinen Begleitern an die Erforschung der Höhle. Sie war nicht groß. Nach einigen Stunden hat ten sie einwandfrei festgestellt, daß es nur einen Ausgang gab. Eine breite, torähnliche Öffnung in über fünfzig Meter Höhe. Die Wand, die dort hinauf führte, war ziemlich senkrecht, aber nicht unbe steigbar. Da Baxter nicht über genügend zuverlässige Seile verfügte, nahm Sun Koh den Weg durch die Rutsch 203
bahn zurück, löste die eigenen Seile aus der Befesti gung und ließ sich noch einmal auf das Wasser hin ausschleudern. Mit den so geretteten Seilen stieg er dann an der jenseitigen Wand zur Felsenöffnung hin auf und holte seine Begleiter nach. Sie verzichteten auf Ruhe und Schlaf. In scharfem Marsch ging es vorwärts. Nur Montberry trippelte mit kleinen Schritten, aber mit nicht geringerer Aus dauer. Das Gelände bot so gut wie keine Schwierigkeiten. Der Tunnel erweiterte sich bald. Eine sanfte Schräg halde führte in die nächste Höhle über, die gleich durch mehrere Öffnungen mit der folgenden in Ver bindung stand. Eine Höhle reihte sich an die andere, alle gleich dunkel, gleich kühl und gleich still. Zwei Stunden, vier Stunden, sechs Stunden. Mitternacht. Sun Koh legte eine Stunde Rast ein. Weiter! Abermals zwei Stunden. Sie marschierten durch eine offenbar sehr große Höhle, deren Boden unentwegt langsam anstieg. »Baxter muß sich mächtig verschätzt haben«, murrte Hal. »Immer noch nichts zu sehen.« Da glühte es wenige hundert Meter vor ihnen auf, matt rötlich zunächst, dann sich aufhellend und im mer weißer werdend. Jetzt lag es wie eine mächtige, leuchtende Zigarre von zehn Meter Länge vor ihnen. Nicht weit davon begann ein ganz ähnlicher Körper zu glühen. Stimmen schrien auf, von irgendwoher 204
tauchten Menschen auf und liefen ziellos durch das zunehmende Licht. Sun Koh und seine Begleiter standen wie gebannt. Was dort glühte, konnte nichts anderes sein, als die geheimnisvollen Luftschiffe, deren sich Micero be diente. Aber was sollte es bedeuten, daß sie so auf brannten? Grell und blendend flutete das Licht nach allen Seiten. »Fort«, gebot Sun Koh, »wir wollen uns vorläufig nicht sehen lassen!« Sie eilten von dem nachflutenden Licht weg, seit lich auf die Felswand zu. »Dort ist ein Tor!« machte Hal aufmerksam. Sun Koh zog Nimba an den Torspalt. »Halt Wache, ich will mich umsehen.« Er lief nach hinten. Am Ende schloß ein zweiter, kleiner Raum an. Auch hier keine Menschen, obwohl alles aussah, als hätten sich noch vor Minuten hier Menschen aufgehalten. An der Seite hielt sich ein Vorhang an einem letz ten Halt, daneben gähnte ein Loch. Sun Koh beugte sich hinein. Ein senkrechter Schacht führte endlos nach oben. Die Wände schimmerten seltsam kristal lisch. Kalte Luft fiel von oben herunter. »Sir!« Der Ruf riß Sun Koh zurück. Der Vorderraum war hell geworden. Einige der Apparate glühten bereits 205
weißlich, auch aus den Nischen oder Nebenräumen drängte weißer Glutbrodem. »Hinaus!« Das Tor flog auf. Drei Männer, die eben darauf zueilten, prallten zurück. Draußen siegte bereits die Dunkelheit von neuem. Die langen Flugkörper waren nur noch rötlich glühende, formlose Massen. »Was…« Das Sehe inwerf er licht schlug auf die drei ein, Sun Koh, Hal und Nimba federten vor. »Hände von den Waffen!« »Verdammt!« würgte einer der drei verdutzt her aus. »Was soll das bedeuten? Sind Sie das, Doktor?« »Nein«, erwiderte Sun Koh, »wir sind Fremde. Was geht hier vor?« »Fremde?« entgegneten die anderen verständnislos und ließen sich dabei willig die Waffen abnehmen. »Teufel!« schrie einer. »Sie haben die Luftschiffe angebrannt!« »Das Laboratorium brennt ebenfalls!« schrie der Nachbar noch lauter auf. »Sprechen Sie leiser«, mahnte Sun Koh scharf. »Ich lege keinen Wert darauf, daß die anderen auf merksam werden. Das Licht aus, Hal. Seien Sie vor sichtig mit Ihren Bewegungen. Und nun sprechen Sie!« Dunkelheit umfing die Gruppe. »Sie sind ein Satan«, ächzte einer. »Dort drinnen 206
verbrennen ein Dutzend Menschen.« »Wer?« »Die Gelehrten, die Leute von Perkins!« »Dort drin befand sich kein Mensch. Das Feuer ist auch nicht von mir angelegt worden. Es ist überhaupt kein gewöhnliches Feuer.« »Wir müssen fort.« »Nicht rühren«, warnte Sun Koh scharf. »Wer sind Sie?« »Wir sind hier angestellt.« »Von Micero?« »Ja.« »Hier unten hat eine Gruppe von Leuten gelebt, die als Gefangene gehalten wurden?« »Vielleicht.« »Unter Führung eines Mannes, der Perkins heißt?« »Ja, aber Perkins ist schon länger unterwegs.« »Er ist der Partner Miceros?« Einer der Männer lachte kurz auf. »Partner? Na ja, so recht einig waren sie sich wohl nicht. Micero hat nicht umsonst dafür gesorgt, daß die Leute hier unten bleiben. Er hatte seinen Partner damit in der Hand.« »Und jetzt?« »Jetzt sind sie geflohen«, schnaubte der Sprecher wütend. »Und ich schätze, Micero wird von seinem Partner wohl nichts übrigbehalten als einen Haufen ausgebrannter Trümmer.« 207
»Gut. Wie kommen wir ins Freie?« »Sucht euch den Weg selber!« Rufe und Schreie dröhnten hohl durch den Raum, kleine Scheinwerfer blitzten hier und dort auf. Einer der Männer stieß einen lauten Ruf aus, während er sich gleichzeitig zur Seite warf. Nimba sprang hinter ihm her. Die anderen hielten die Gelegenheit wohl für günstig und stürzten sich auf ihre Gegner. Dumpf prallten sie zusammen. »Eins, zwei, drei«, zählte Hal ab. »Die bleiben ei ne Weile liegen.« »Vorwärts. Wir wollen versuchen, in der allge meinen Verwirrung durchzukommen. Der Ausgang muß dort drüben liegen!« Die Richtung, die sie einzuhalten hatten, wurde bald klar. Von einer bestimmten Stelle kamen Män ner gelaufen, während andere nach jener Stelle zu hielten. Taschenlampen und Fackellichter zeichneten den Weg. Dann glühte eine mäßige Helligkeit auf. Im Laufschritt hielten sie sich parallel zu der Spur der anderen. Der helle Schein rückte heran. Es war, als brenne dort ein Feuer, das in die Höhle hinein leuchtete. Seitlich tauchte eine Felswand auf. Sie drückte die Männer an die Laufrichtung der anderen heran. Von drüben kam die Gegenwand. Man befand sich in ei nem breiten Gang oder in einer engeren Höhle. »Stop!« 208
Sie preßten sich an die Wand. Ihnen entgegen kam eine Gruppe von vier Männern mit starken Hand scheinwerfern. Zwei andere, die seitlich gelaufen kamen, stießen auf die Gruppe. Zehn Meter von Sun Koh entfernt blieben die Männer stehen. Eine harte, unglaublich durchdringende Stimme, die man nur einmal hören braucht, um sie nie wieder zu verges sen, klang auf: »Steht, ihr verfluchten Narren. Was ist denn nun eigentlich los?« »Alles zum Teufel, Chef!« rief einer. »Die Flug körper sind verbrannt, das Laboratorium ist ver brannt, die Kraftzentrale ist verbrannt!« »Und das Haus draußen brennt lichterloh!« fiel ei ner, der von draußen gekommen war, ein. »Seid ihr des Teufels!« fuhr Micero wütend hoch. »Die Flugschiffe können überhaupt nicht brennen, und das andere auch nicht. Wo sind die Leute von Perkins?« »Verbrannt oder verschwunden. Im Labor ist alles ausgeglüht. Wir haben die Leute nicht gesehen. Drei von den unseren müssen beim Labor liegen, wenig stens hörten wir das noch.« Ein gräßlicher Fluch. »Das – das also?« preßte Micero, heiser vor Wut, hinterher. »Deshalb hat alles, was wichtig war, von selber zu brennen begonnen. Sie sind geflohen. Per kins hat mich überlistet!« Und dann lachte er auf, als ob er wahnsinnig ge 209
worden wäre. »Überlistet! Sie haben ganze Arbeit gemacht. Und ich – ich wollte Herr der Erde werden. Verdammt, was glotzt ihr mich an? Vorwärts, ich will sehen, was übriggeblieben ist!« Die Gruppe lief in die Höhle hinein. Wenig später setzte sich Sun Koh in entgegengesetzter Richtung in Bewegung. Zwei Männer rannten ihnen entgegen, stutzten und taumelten benommen zur Seite, bevor sie noch recht gesehen hatten. Links gloste ein länglicher Haufen, vor kurzem wohl noch ein Flugschiff. Ein heller Weg schob sich in den Hintergrund. Dort stand ein Auto, ein leichter Lastwagen. Menschen waren bei ihm nicht zu sehen, wie überhaupt nicht hier draußen. Wahrscheinlich war alles in die Höhlen gestürzt oder hielt sich jen seits des brennenden Hauses auf. Hinauf auf den Wagen. Der Starter schnurrte. Bremse frei, Gang und Gas, schon ruckte der Wagen vor. »Jetzt kann sich Micero die Beine abwetzen«, strahlte Hal, als der Wagen die abschüssige Straße hinunterrollte. »Uns kriegt er nicht mehr.« »Uns nicht mehr und die anderen auch nicht mehr«, sagte Sun Koh. »Wenn sich Perkins und seine Leute seiner Gewalt entzogen und ihn gleichzeitig aller technischen Hilfsmittel beraubt haben, muß Mi cero heute die schwerste Schlappe seines Lebens ein 210
stecken. Für uns endet dieses Abenteuer freilich auch nicht gerade erfolgreich.« »Na, hören Sie mal…« »Wir gingen in die Höhlen, um jene Männer zu finden, die heute nacht verschwunden sind. Und es dürfte uns nicht viel leichter als Micero fallen, ihre Spur wiederzufinden.« »Ach so?« dehnte Montberry. »Ich dachte …« »Was Sie auch gedacht haben«, unterbrach Hal, »Sie haben bestimmt falsch gedacht. Wohin fahren wir, Sir?« Die Antwort gab zwei Stunden später ein Orts schild: Comayagua. Von hier aus boten sich genügend Möglichkeiten, das Land zu verlassen. ENDE Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.
211
Als SUN KOH-Taschenbuch Band 32 erscheint:
Gold in den Katakomben von Freder van Holk Cora Spedding ist ein Mädchen, von dem ein Mann nur träumen kann. Das mag auch der Grund sein, warum George Macroft blind in die Falle läuft, die für ihn aufgebaut wurde. Macroft ist einer der Männer, die einen riesigen Gold schatz bewachen, den Sun Koh der Bank von Frankreich zur Aufbewahrung übergeben will. Die »Schatten« von Lissabon sind unterwegs, und wie es scheint, sitzen überall ihre Aufpasser und Mittelsmänner. Durch einen atemberaubend raffinierten Coup bringen sie Sun Kohs Geld an sich, doch sie haben nicht damit gerechnet, daß Sun Kohs Intelligenz die gefährlichste Waffe ist, mit der sie zu rechnen haben. Eine Jagd quer durch Europa nimmt ihren Anfang … Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vier wöchentlich und sind überall im Zeitschriftenund Bahnhofsbuchhandel erhältlich.