Warnung im roten Nebel Ein Jim-Parker-Zukunftsroman von Bert Horsley
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Warnung im roten Nebel Ein Jim-Parker-Zukunftsroman von Bert Horsley
„Nicht mal während der Flitterwochen läßt man dich in Ruhe!“ schmollte Elsy, während wir mit einer Taxe von Harold Knox’ Villa nach Hause fuhren. „Sei doch froh, daß wir überhaupt vierzehn Tage Urlaub ohne Unterbrechung nehmen konnten!“ neckte ich sie. „Ach du! Jetzt sind wir seit Wochen verheiratet, bekommen endlich einen Monat Ruhe, und dann muß dieses dumme Telegramm uns stören!“ „Dieses dumme Telegramm“, sagte ich ernst, „teilt uns mit, daß unsere Kameraden in höchster Gefahr sind. Es ist doch ganz klar, daß wir helfen müssen. Außerdem bin ich selbst scharf darauf, dieses leidige Kapitel zum Abschluß zu bringen.“ „Ich bin auch nicht gerade gut auf die Leute zu sprechen“, bestätigte sie. Ich glaubte es ihr auf das erste Wort, denn ich wußte ja, wie man sie während ihrer Gefangenschaft in Guerra behandelt hatte. Die beiden Hauptakteure des Dramas waren tot, es fehlte uns nur noch Ferdinand Leasing, der Mathematiker, der mir schon so viele Sorgen verursacht hatte. Wahrscheinlich saß er jetzt auf Venus, hatte vermutlich unsere Kameraden von der „Adastra III“ in Schwierigkeiten gebracht und 3
bereitete nun alles für unsere Ankunft vor. Nein, eine Vergnügungsreise würde es sicher nicht werden! Abgesehen davon, daß es keine Karten von der Venusoberfläche gab, weil sie noch niemand erforscht hatte, daß wir nach einem bisher unentdeckten Planeten suchen mußten, den noch nicht einmal Dr. Laurec errechnet hatte, würden wir auf einen Gegner treffen, der verzweifelt war, und von dessen Skrupellosigkeit wir schon verschiedene Proben zu spüren bekommen hatten. Der Inder Szibougadz war auch skrupellos, aber auf eine ganz andere Art. Für ihn empfand ich eine Achtung, die ich nicht erklären konnte. Er war mehr als ein gewöhnlicher, gewinnsüchtiger Gauner. Szibougadz kämpfte als letzter Vertreter einer unglaublich alten Kultur um eine Renaissance der Papauos. Er mußte scheitern, weil er in seiner Rechnung das Menschliche am Menschen, das seinem eigenen Charakter völlig mangelte, einzusetzen vergaß. Gut. Lensing aber war nur sein williger Handlanger und trachtete nach nichts als nach seinem eigenen, kleinen Vorteil. Szibougadz hatte ihn als „brauchbares Werkzeug“ bezeichnet – trotz seines überragenden Könnens als Mathematiker war er nur das. Der Inder zeigte wirkliche Größe, als er besiegt wurde. Wie aber würde sich Lensing benehmen? All diese Fragen drangen jetzt auf uns ein und ließen uns unsere bevorstehende Aufgabe nicht gerade in rosigerem Licht erscheinen. Natürlich würde Elsy wieder als Schiffsarzt mitfliegen. Sie gehörte einfach zur Besatzung. „Von wo aus schickte Kapitän Yo Tseu eigentlich seinen Notruf? Ist er auf dem Planeten selbst oder nur auf diesem eigentümlichen Trabanten?“ fragte Elsy nach einer Weile. „Nach den Berichten ist sein Schilf im Nebel in einen Sumpf geraten“, erinnerte ich mich. „Also muß er schon auf Venus selbst sitzen. Natürlich ist der Funkspruch nur verstümmelt angekommen. Wir haben noch keine genaue Lagemeldung und 4
werden deshalb ziemlich suchen müssen. Ich hoffe, daß uns der Metalldetektor dabei hilft.“ „Ja, wenn die Venus auch aus Metall bestünde wie der Mond Deimos, könnten wir einen Planeten von der Größe der Erde Meter um Meter absuchen und unsere Urenkel bitten, die Aufgabe vielleicht einmal zu Ende zu führen.“ „Wir werden sie finden“, versprach ich ihr, „und wir werden auch den feinen Kollegen Lensing mitsamt seiner Mannschaft finden. Dann wird es ihm nicht sehr gut gehen, fürchte ich. Besonders nicht, wenn Dick dabei ist. Der scheint eine gehörige Wut auf ihn zu haben.“ „Lensing hat uns wahrhaftig auch nicht gerade nobel behandelt“, sagte Elsy leise und wurde ein wenig rot dabei. „Aber Dick hat mir viel geholfen. Du brauchst deshalb nicht gleich eifersüchtig zu werden, Jim!“ Sie lächelte mich an. Ich schüttelte den Kopf. „Quatsch! Eifersucht! Ich hoffe, daß …“ „Aber, Jim, du wirst doch nicht wirklich eifersüchtig?“ lachte sie, als ich zögerte. Was sollte ich sagen? Ich muß gestehen, daß ich ihren Vorwurf tatsächlich nicht zu weit von mir weisen durfte, wenn ich bei der Wahrheit bleiben wollte. Auf der anderen Seite wußte ich natürlich ganz genau, daß es Unsinn war. Aber schließlich waren wir erst kurze Zeit verheiratet, und da kann man schon über ein wenig Eifersucht hinwegsehen! Damit waren wir auch schon zu Hause angelangt. Das heißt, ein richtiges Zuhause war es wohl nicht. Ich erzählte ja schon früher, daß ich meine Wohnung direkt im Hauptquartier der Internationalen Astronautischen Union habe. Jetzt hatte man mir ein größeres Appartement gegeben, und Elsy wohnte bei mir. Wir fuhren im Aufzug zum achten Stockwerk hinauf und fielen sofort ins Bett. Es war noch nicht sehr spät, aber ich muß gestehen, daß wir bei Knox tüchtiger gefeiert hatten, als ich eigentlich sonst am Tage vor einem Start zulasse. War aber 5
auch eine Ausnahme, denn schließlich feierten wir ja das Gelingen unseres letzten Abenteuers. Der folgende Morgen war wunderbar sonnig und warm. Fast ein wenig zu warm. Auf dem Weg vom Hafengebäude zum Raumschiff schwitzten wir tüchtig in den dicken Raumuniformen. Im Schiff selbst herrschte eine angenehme Temperatur. Die Besatzung war genauso zusammengestellt wie bei unserem letzten Unternehmen. Finn Morcel fuhr als Zweiter Pilot mit. Er war zwar auch schon längst Kapitän und hätte eigentlich selbst ein Raumschiff führen sollen, aber er ließ es sich nicht nehmen, bei meiner Mannschaft zu bleiben. Rich Delbourge war wieder unser Funker, Melon und Clark, die beiden Veteranen, bildeten den Rest unserer regulären Besatzung. Sie kontrollierten als IngenieurMatrosen die Antriebsaggregate, die hydroponischen Tanks und die übrigen Anlagen. Elsy fungierte als Schiffsärztin und kümmerte sich gleichzeitig um unser Labor. Eine Erweiterung erfuhr die Mannschaft durch Oberleutnant Crimsey von der Sicherheitspolizei und drei Mann seiner Truppe. Brandy hatte darauf bestanden, mir diese nicht ganz erwünschte Verstärkung an den Hals zu hängen. Ja, Dick Beer nicht zu vergessen. Er flog selbstverständlich als Faktotum und rasender Reporter mit. Seit ich vor langer Zeit einmal übersehen hatte, ihn rechtzeitig wieder hinauszuwerfen, hatte sich die Gewohnheit eingebürgert, daß er mich auf meinen Fahrten begleitete. Inzwischen gehörte er inoffiziell zu meiner Besatzung. Die Bonzen in der Sicherheitsabteilung – bei diesem respektlosen Ausdruck nehme ich Präsident Giraud ausdrücklich aus – zerbrachen sich immer noch die Köpfe über eine Änderung unseres strengen Reglements, die Beer die Teilnahme an unseren Unternehmungen erlauben würde. Vorerst blieb seine Teilnahme jedoch illegal, was uns alle aber wenig störte. 6
Ich muß hier gleich anführen, daß unser Schiff während der vergangenen zwei Wochen nicht nur überholt und sauber poliert worden war, sondern auch ein paar Neuerungen eingebaut bekommen hatte. Unsere Radaranlage war wesentlich verbessert worden, die Funkeinrichtung verstärkt und die Bewaffnung durch Ultraschallkanonen ergänzt. Als Antrieb dienten uns immer noch unsere drei Elektronen-Atom-Aggregate, die ich schon früher beschrieben habe. Auch hier hatten die Physiker Verbesserungen angebracht, die erstens unser Reaktionsvermögen wesentlich erhöhten, zweitens die Reisedauer abkürzten und drittens den im Verhältnis zum Gesamtgewicht des Schiffes ohnehin geringfügigen Treibstoffbedarf weiter herabsetzten. Also waren wir aufs beste für eine große, gefährliche Fahrt gerüstet. Jeder lag auf seinem Sitz und wartete den starken Andruck der ersten Beschleunigung ab. Für die vier Polizisten, die noch nie im Raum gewesen waren, bedeutete jede Einzelheit eine unangenehme Umstellung, aber sie waren kräftig, und hatten gute Nerven. Sonst wären sie nicht von Kommissar Brandy ausgesucht worden. Der Start verlief ereignislos. Ich beschleunigte nur mit 2 g, weil ich vor Verlassen unserer Kreisbahn noch die Station „Einstein“ besuchen wollte. Eigentlich hätte ich auch die anderen drei Außenstationen schon längst einmal wieder inspizieren müssen, aber dazu fehlte mir vorerst einfach die Zeit. . Mit der „Adastra I“ dauerte der Flug zur Station nur wenig mehr als zwei Stunden. Mühelos näherten wir uns dem rotierenden Riesenrad, das in der harten Sonne metallen glitzerte. „Kannst du dich noch erinnern, wie wir uns bemühten, bei unserer letzten Rettungsaktion an die eingeschlossene Besatzung heranzukommen?“ sagte Finn. „Damals klafften weite Risse in der Bordwand. Heute scheint alles wieder intakt zu sein.“ 7
„Sind ja inzwischen auch einige Monate vergangen!“ brummte ich und konzentrierte mich auf das Anlegemanöver. Wie immer begrüßte uns der Kommandant in der Luftschleuse. Nur Elsy und ich stiegen aus, weil wir höchstens dreißig Minuten Aufenthalt hatten. Dr. Petrovich streckte uns herzlich die Hand entgegen. „Ich konnte Ihnen noch nicht persönlich gratulieren, Herr und Frau Commander Parker!“ sagte er. „Das geschieht dafür jetzt um so herzlicher. Es freut mich, daß ich Sie beide wieder gesund hier sehen darf. Wir haben immer die Funkberichte verfolgt, da hatte ich doch Sorgen!“ „Schönen Dank, Doktor!“ sagte ich und trat ein. Die innere Schleuse öffnete sich. Wir begaben uns in den Kommandantenraum. „Oh“, wunderte sich Elsy nach einem raschen Blick, „hier hat sich aber allerhand verändert!“ „Ich lege Wert darauf“, erklärte Petrovich ernst, „daß die Umgebung, in der wir arbeiten, möglichst angenehm und ansprechend ist. Während der ersten Zeit, wo hier noch alles sehr primitiv zuging, beobachtete ich bei den Leuten mehrere Anfälle von Raumkoller. Eine Art Claustrophobia, sehr unangenehm und mitunter gefährlich. Mir selbst ging es damals nicht sehr viel besser. Wäre ich nicht so labil gewesen, hätte ich vielleicht viel Ärger und unter Umständen sogar die Gefahr vermeiden können, in die Sie sich jetzt wieder begeben müssen.“ „Darüber machen Sie sich bitte keine Gedanken mehr!“ wehrte ich ab. Der Russe hatte also seine Schlappe von damals noch nicht ganz verwunden! „Es ist bisher alles gut abgelaufen. Damals standen Sie unter dem Einfluß von Lensing und Miller. Übrigens“, änderte ich das Thema, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, „was halten Sie von Miller?“ „Ich war mehr als erstaunt – und dann auch wieder nicht“, sagte er abwägend. „Wir kannten ihn alle nur sehr oberfläch8
lich. Ich bewunderte seinen Scharfsinn, seine unheimliche Kombinationsgabe, die sich beim gelegentlichen Schachspiel zeigte. Um so. mehr erstaunt war ich, als er nachher in die Irrenanstalt eingeliefert wurde. Wenn jemand logisch und klar denken konnte, war es bestimmt Professor Miller.“ „Sie haben doch von seinen Absichten und seiner wirklichen Identität gehört?“ „Ja, ich verfolgte natürlich regelmäßig die Berichte unseres Freundes Dick Beer. Erstaunlich, wie ich bereits sagte – und doch wieder nicht.“ Er sprach in Rätseln. Aufmerksam blickte ich ihn an. Wußte Petrovich am Ende noch mehr über den Inder? „Mißtrauen Sie mir bitte nicht, Commander“, sagte er ein wenig unsicher. Er hatte meinen forschenden Blick bemerkt. „Ich kannte Miller, oder Szibougadz, wie er wohl richtig hieß, nicht näher. Leider nicht. Wissen Sie, wir Asiaten – ich bin meiner Abstammung nach ebenfalls Halbasiate – haben eine etwas andere Denkweise als die Mitteleuropäer. Wir leben intensiver, wenn ich es so ausdrücken darf.“ „Intensiver?“ fragte ich ungläubig. Er berichtigte mich sofort: „Nicht in materieller Hinsicht, sondern in geistiger Beziehung. Vielleicht haben wir ein älteres Erbe mitbekommen. Unser Geist zeigt andere Veranlagungen als zum Beispiel Ihrer.“ Er fuhr nach einer Pause fort: „Ich kann Szibougadz sehr gut verstehen. Deshalb billige ich seine Absichten keinesfalls, o nein! Aber ich kann seinen Empfindungen und seinen Gedankengängen folgen. Ich hätte an seiner Stelle ähnlich handeln können, wenn ich auch nur einen Teil seiner Persönlichkeit besessen hätte.“ „Sie bewundern ihn also?“ fragte Elsy offen heraus. Er blickte sie lange forschend an. Dann nickte er: „Ja, ich bewundere ihn. Ich sehe in ihm nicht das Einzelwesen, sondern 9
das Endglied einer langen Reihe. Das Endglied einer geschichtlichen Entwicklung, die abgebrochen wurde. Sie haben schicksalhaft in eine Evolution eingegriffen, die mehr war als ein Komplott.“ „Jetzt müssen Sie nur noch erklären, daß sie meine Handlungsweise falsch finden“, entfuhr es mir vielleicht etwas zu scharf. Er wurde sofort sichtlich unsicher, aber in seinen Augen lag die Bejahung meiner Frage. „Sie dürfen nicht alles persönlich auffassen, Parker. Ich fühle mich ebenfalls für die Geschicke unserer Union, unserer Zivilisation mitverantwortlich, genau wie Sie. Auch wenn ich schon einmal versagt habe!“ wiederholte er betont bitter. „Aber ich sehe weiter in die Vergangenheit und weiter in die Zukunft. Vielleicht haben Sie die kleinere Gefahr ausgemerzt und damit die Waffe gegen eine größere Gefahr weggeworfen. Um das deutlicher zu machen: Sie haben ein Messer weggeworfen, weil man sich damit verletzen könnte, und stehen nun plötzlich unbewaffnet einem Einbrecher gegenüber.“ „Wieviel wissen Sie von diesem sogenannten Einbrecher?“ fragte ich ihn offen und behielt ihn dabei genau im Auge. „Nichts!“ entgegnete er ruhig und hielt meinem Blick stand. Er log nicht. Petrovich war lange Zeit Elsys direkter Vorgesetzter gewesen. Sie fühlte sich bei diesem Wortwechsel sichtlich ungemütlich. Deshalb wechselte sie das Thema: „Haben Sie inzwischen weitere Nachrichten von der ‚Adastra III’ aufgefangen?“ Zu meiner Überraschung nickte Petrovich, wobei er ihr einen dankbaren Blick zuwarf: „Ja, gerade vor einer Stunde hatten wir wieder Kontakt mit der Besatzung des Schiffes. Es scheinen noch alle am Leben zu sein. Eine unmittelbare Bedrohung besteht wohl nicht, aber – sehen Sie selbst! Ich habe alles festhalten lassen.“ 10
Er drückte eine Taste der Sprechverbindung nieder und wies den Funker an, das Blatt herüberzubringen. Ich nahm es dem Mann hastig aus der Hand. „Standort einige hundert Meilen vom sonnenfernen Pol“, las ich. „Besatzung gesund, keine unmittelbare Gefahr. Luft unangenehm, aber für kurze Zeit atembar. Filteranlage intakt. Sitzen mit dem Heck einige Meter tief in zähem Schlamm und kommen nicht los, da Triebwerk defekt. Bisher keine Berührung mit dem Gegner. Beim Eintauchen in Venusatmosphäre Warnung folgenden Wortlauts aufgenommen: ‚Verbieten euch Landung auf unserem Territorium. Sofort umkehren. Gehen sonst mit Waffengewalt gegen euch vor.’ Haben seitdem keine Nachricht mehr aufgefangen. Funkstille des Gegners beunruhigend. Wahrscheinlich Aktion gegen uns im Gange. Wir bitten dringend um sofortige Hilfeleistung. Kapitän Yo Tseu.“ Ich gab das Blatt an Elsy weiter und(wartete ruhig, bis sie gelesen hatte. Dann blickten wir wie auf Kommando zu Dr. Petrovich hinüber. Er hatte seine Unsicherheit überwunden. Unbefangen hielt er unserem Blick stand und wartete seinerseits, was wir sagen würden. „Ja“, meinte Elsy schließlich, „eine genauere Lagebestimmung werden wir nicht bekommen können. Ich schlage vor, wir starten sofort und versuchen es auf der Venus mit dem Detektor.“ „Wird wohl das Beste sein“, stimmte Petrovich zu. „Darf ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein? Kann ich Ihnen noch etwas mitgeben, was Ihnen fehlt?“ „Danke sehr, Petrovich, wir sind gut ausgerüstet. Aber Sie werden natürlich wie bisher unsere Meldungen weitergeben. Wir benutzen nur noch die abgeschirmten Infrawellen. Ich glaube nicht, daß Lensing in der Lage ist, sie abzuhören. Wie weit ist Ihre Funkstation ausgebaut?“ 11
„Wir haben noch manche Verbesserung daran vorgenommen. Das Kraftfeld ist wesentlich verstärkt worden, weil wir einen zweiten Sonnenspiegel in Betrieb genommen haben. Dadurch werden wir vermutlich ohne Schwierigkeiten Ihre Rufe auch bei größerer Distanz so verstärken können, daß ein Durchschalten nach Astra auch dann möglich sein wird, wenn sich die Stadt auf der abgewandten Erdseite befindet. Wir benutzen dann die Station ‚Sputnik’ als Relais.“ „Das ist gut“, sagte ich zufrieden, „ich möchte Sie bitten, mir auf jeden Fall die direkte Sprechverbindung nach dem Hauptquartier offenzuhalten. Unter Umständen kommt es einmal auf schnelle Nachrichtenübermittlung an, wenn wir auch keine weiteren Reserven mehr zur Verfügung haben.“ „Ja, ich hörte, die A II ist zum Mars unterwegs.“ „Dürfte längst gelandet sein“, sagte ich. „Aber Sie haben doch auch mit diesem Schiff dauernd Verbindung, nicht wahr?“ „Das schon“, wich er mir sichtlich aus, „aber ich kümmere mich weniger um die Weitergabe der routinemäßigen Meldungen der Wissenschaftler. Sie laufen über unsere Funkstation, ohne daß ich mich selbst einschalte. Ich habe auch sonst noch genug hier zu tun.“ „Wir wollen jetzt starten“, bemerkte ich kurz und erhob mich. „Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und hoffe, daß auch weiterhin alles so glatt gehen wird. Auf Wiedersehen, Petrovich!“ „Auf Wiedersehen! Und viel Erfolg!“ kam es ohne rechte Begeisterung zurück. Er reichte uns beiden die Hand und begleitete uns zur Schleuse. Der Abschied war etwas kühler als die Begrüßung. Während Finn die Führung des Schiffes übernommen hatte, unterhielt ich mich mit Elsy in unserer Kabine. „Dr. Petrovich schien mir heute irgendwie verändert zu sein“, sagte ich, „ist dir das nicht aufgefallen? Du kennst ihn ja noch besser als ich.“ 12
„Ich habe das unbestimmte Gefühl, er billigt unser Unternehmen nicht mit ganzem Herzen. Sonst war er anders. Offener, unbekümmerter, wenn auch seit der Katastrophe ein gewisses Maß an Hemmungen in ihm steckt.“ „Ja, meinst du, wir hätten einen Fehler begangen, damals, als wir ihm die Leitung der Station doch wieder anvertrauten? Wäre es möglich, daß Petrovich enger mit Miller in Verbindung gestanden hat, als wir wissen?“ „Ich glaube nicht, daß er Verrat üben würde“, entgegnete Elsy bestimmt. „Dazu fehlen ihm die psychologischen Voraussetzungen.“ „Aber wie erklärst du dir dann sein Benehmen?“ Sie überlegte eine Weile und zählte dann erst einmal die Symptome auf: „Er ist in seiner ganzen Natur ein wenig labil. Das haben wir bereits bemerkt, Nicht so labil, daß er nicht ein guter Kommandant wäre. Aber Ereignisse von schwerwiegender Bedeutung können ihn doch beeinflussen. Dann ist er eine Mischung zwischen asiatischer und europäischer Kultur. Das macht ihm verschiedenes zugänglich, was wir nur undeutlich begreifen. Beispielsweise die Gedankengänge dieses Szibougadz. Petrovich wird in ihm etwas wie einen Propheten sehen, obgleich ihm sein Wissen als Techniker und seine Erziehung zu wissenschaftlichem Denken den Glauben an metaphysische Kräfte eigentlich verbieten. Ich möchte ihn einen Grenzfall nennen. Nur bin ich mir nicht klar, welcher Seite er näher steht: der westlichen oder der östlichen.“ „Geheimnisvoll ausgedrückt!“ spottete ich. „Aber was können wir damit anfangen? Wir müssen doch zunächst einmal wissen, ob der Mann sicher ist oder nicht.“ „Was heißt hier ‚sicher’?“ fragte sie erregt. „Ihr Raumflieger neigt dazu, komplizierte Dinge gewaltsam vereinfachen zu wollen. Die Psyche eines Menschen läßt sich nicht mit einer einzi13
gen Formel ausdrücken. Schon gar nicht die Psyche einer Kulturrichtung.. Ich möchte kein abschließendes Urteil über Petrovich abgeben, dazu müßte ich ihn noch genauer studieren. Aber ich bin davon überzeugt, daß er zumindest eine Ahnung von der ‚Sendung Szibougadz’ hat und ihm in manchen Dingen recht gibt.“ „Vielen Dank für die Belehrung, Fräulein Doktor – das heißt, Frau Doktor wollte ich sagen. Meinst du, Lensing oder Miller – ich weiß noch nicht, wer damals die Hauptrolle spielte – ihm etwas ausgemacht hat?“ „Miller war klug genug, damals nur als Regisseur aufzutreten. Die Kleinarbeit besorgte bestimmt Lensing und unten in Astra sein Sohn ‚George’. Nein, damals hat Petrovich den angeblichen amerikanischen Professor mit dem Geheimauftrag noch nicht durchschaut, dessen bin ich gewiß. Er hätte dich sonst nicht unterstützt.“ „Du erinnerst dich, daß er mich auch einmal angegriffen bat“, erinnerte ich sie. „Damals, als ich mit Dick zusammen das Labor ausräumen wollte …“ „Das schon, aber da hat er unter Lensings Einfluß gehandelt. Heute wäre er unter Umständen noch leichter gefügig zu machen. Er weiß jetzt mehr von den Hintergründen – und die wiegen für einen Mann wie Petrovich schwer. Ich bin kein Asiate, und trotzdem hat mich die Warnung des Inders und seine Lebensgeschichte mehr als nachdenklich gemacht.“ „Wie soll ich das verstehen?“ fragte ich verwundert. „Du bist doch sonst ein so nüchtern denkendes Mädchen!“ „Hat damit nichts zu tun, mein Lieber! Ich begehe nur nicht den Fehler, die Dinge übermäßig zu vereinfachen. Hätten wir das Nest auf den Paumotus nicht ausgehoben, wäre Szibougadz morgen schon zur Weltmacht gekommen. Du weißt das auch, willst dich nur nicht dazu bequemen, es dir einzugestehen. In diesem Manne steckte eine un14
heimliche Macht. Er reagierte kaum noch menschlich. Nenne es ‚übersinnlich’ oder ‚primitiv’ – das spielt hier keine Rolle. Er bezog seine Macht aus einer Erkenntnis, von der wir bisher nur eine leise Ahnung haben. Und hoffentlich droht uns die Gefahr von außen, von der er sprach, auch wirklich erst dann, wenn wir reifer geworden sind.“ „Hm“, mehr konnte ich nicht sagen. Sie hatte recht! Hier standen wir vor einem Problem, mit dem wir uns wahrscheinlich in Zukunft noch eingehend auseinandersetzen müßten. „Hallo, ihr beiden!“ ertönte Dicks Stimme aus dem Lautsprecher. „Störe ich sehr, oder darf ich euch nach vorn bitten? Hier ist nämlich allerhand los.“ Das brachte unsere Gedanken wieder auf die näherliegenden Dinge. Ich wischte mir über die Augen und fragte: „Was gibt es denn? Ist dir ein Mondkalb begegnet?“ „Ich würde dir vorschlagen, dich mal selbst herzubemühen! Den Mond haben wir längst hinter uns. Aber Rich hat ein wenig mit der Rechenmaschine gespielt und dabei etwas gefunden.“ „Gut, ich komme!“ „Hier, Jim, sieh dir mal diese Kurven an!“ sagte Rich und reichte mir ein Blatt, als ich den Pilotenraum betrat. „Dick meinte, unsere beiden Messungen stimmten, während ich an einen Rechenfehler glaubte. Aber so gibt es nur eine Möglichkeit …“ „Ihr klugen Kinder“, unterbrach ich ihn, „wie wär’s denn, wenn ihr mir zuerst mal sagen würdet, was ihr eigentlich mit solcher Sorgfalt gemessen habt? Ich bin im Gedankenlesen noch zu ungeübt.“ „Womit wir uns beschäftigt haben?“ fragte Dick beleidigt, „natürlich mit dem noch unentdeckten Mond der Venus!“ „Was?“ entfuhr es mir. „Und das sagt ihr mir nicht gleich? Ich könnte euch …“ „Erspar dir technische Einzelheiten und hör lieber zu“, 15
schnitt mir Dick das Wort ab. „Die rote Kurve stellt unsere erste Messung der Venusbahn in einem bestimmten Sektor dar. Die blaue Kurve ist zwar fast genau kongruent, aber eben nur fast Es gibt eine kleine Abweichung, etwas wie eine milde Zacke. Verzeih mir den laienhaften Ausdruck, aber ich möchte, daß selbst du mir folgen kannst!“ Finn und Rich grinsten. „Weiter!“ brummte ich und überhörte die Anzüglichkeit. „Dick war der Ansicht“, holte Rich noch einmal aus, „daß diese Zacke unter Umständen auf den minimalen Gravitationseinfluß eines winzigen Himmelskörpers, nämlich auf die Venus zurückzuführen sei.“ „So ist es“, bestätigte der Presseknabe, der sich zum Astronavigator entwickelte, trocken und fügte hinzu: „Jetzt kommst du dran.“ „Danke!“ quittierte ich die Aufforderung und versuchte, mir die Sache vorzustellen. Man hatte bisher vergeblich nach einem Trabanten des Abendsternes gesucht. Auch jetzt, wo ich Hinweise auf das tatsächliche Existieren eines Venusmondes hatte, wo wir sogar den Namen kannten, fand man trotz verzweifelter Suche nichts. Wieso konnten wir als Laien mit unseren schwachen Geräten ihn auf einmal finden? Irgend etwas stimmte da nicht! Ich brachte diesen Zweifel zum Ausdruck. Dick zuckte die Achsel und meinte: „Dann versuchen wir’s eben noch einmal!“ Gemeinsam wiederholten wir die beiden Messungen. Wieder ergab sich die winzige Verschiebung! Kein Zweifel möglich: Irgend etwas beeinflußte den Planeten. Und dieses Irgendetwas konnte logischerweise nur ein Trabant sein. „Wie kann man aus dieser Zacke jetzt den Standort und die Umlaufbahn des ‚Regala I’ errechnen?“ fragte mich Rick. „Keine Ahnung“, mußte ich zugeben. „Berechnen kann man es schon, aber mit unserem kleinen Elektronenhirn würden wir 16
Tage dazu brauchen. Rich, du nimmst die genauen Werte, läßt dich mit Dr. Jim Laurec verbinden und bittest ihn um eine schnelle Untersuchung. Wir müssen das Ergebnis in zwei Stunden haben.“ „In zwei Stunden haben wir das Wendemanöver hinter uns“, bemerkte Finn. „Wann kannst du mich wieder ablösen? Ich habe da eine Idee, die ich gern selbst durchrechnen möchte, wenn du erlaubst.“ „Gut, dann übernehme ich für die nächsten vier Stunden. Rechnet, so viel ihr wollt!“ Ich hatte mir da eine Besatzung an den Hals geladen, die mehr Ehrgeiz besaß als eine Kompanie Raumkadetten im ersten Ausbildungsjahr, mußte ich innerlich befriedigt grinsen. Wenn Laurec den Trabanten nicht findet, würde es uns sicher selbst gelingen! Laurec versprach uns, sein möglichstes zu tun, aber nach drei Stunden war noch kein Ergebnis da. Auf unsere nochmalige Anfrage hin teilte er uns verzweifelt mit, er käme mit den Berechnungen nicht zurecht, es müßte ein Meßfehler vorliegen. „Er soll es aufgeben“, lästerte Finn von der Rechenmaschine her, „wir bekommen es schon noch selbst heraus, und wenn ich bis zur Landung rechnen muß. Ich glaube, wir kommen dem Ergebnis langsam näher.“ „Paßt mir auf, daß die Maschine keinen Nervenzusammenbruch bekommt!“ sagte ich vergnügt. „Dick, nimm ihr lieber etwas Arbeit ab und streng dein eigenes Köpfchen an.“ Er war viel zu tief in seine Arbeit versunken, als daß er etwas gehört hätte. „Verdammt, das ist doch nicht möglich!“ rief er dann unbeherrscht. „Was ist nicht möglich?“ „Die Bahn, die wir hier ausrechnen, ist eine genaue Kreisbahn. Wo kommt die aber in der Natur vor?“ stöhnte nun auch 17
Finn. „Außerdem dürfte der angebliche Trabant nur wenig Masse besitzen, aber ein gehöriges Volumen hat er. Gasförmig ist er nicht, denn dann würde er leuchten. Wie soll ich mir das zusammenreimen? Ich bin mit meinem Latein am Ende.“ „Versucht doch mal, ob Radar nichts anzeigt. Wir sind jetzt bald auf halbem Wege.“ Die beiden machten sich am Radar zu schaffen, das nach dem Umbau vielleicht bis zur Venus reichte. Es war eine wahre Freude, dieses Schiff zu führen! Der Flug von der Station zur Venus, beim gegenwärtigen Stand des Planeten etwa 84 Millionen Kilometer entfernt, würde höchstens sechs Tage dauern. Dazwischen legte ich aber eine Verzögerungsperiode ein, um genauer beobachten zu können, sobald wir aus dem Bereich des Mondes heraus waren. Danach wollte ich wieder voll beschleunigen und für den Rest der Reise eine durchschnittliche Geschwindigkeit von mindestens 170 Sekundenkilometern erreichen. Das würde für uns alle eine aufreibende Kraftprobe bedeuten, aber obgleich wir keinen direkten Schutz gegen die Gravitation besaßen, hatte das Schiff doch eine neuartige elastische Druckangleichung. Damit konnten wir die Spitzengeschwindigkeit um mehr als das Doppelte erhöhen. Der Antrieb war an sich imstande, noch viel mehr herzugeben. Wir würden es aber nicht aushalten können. Solange es noch kein wirksames Schutzmittel gegen die Fliehkraft gab, war uns die Überwindung weiterer Entfernungen unmöglich. Wie mir Giraud in Astra angedeutet hatte, arbeitete man zwar bereits an den sagenhaften Antigravitationsplatten, hatte jedoch bisher noch keine verwertbaren Ergebnisse erzielen können. Dick und Finn saßen immer noch am stark vergrößernden Radarschirm und peilten die Venus an, die vor uns in großer Helligkeit strahlte. Der Planet selbst ist zwar nicht größer als 18
Mutter Erde, aber seine Wolkenhülle reflektiert so viel Licht von der nahen Sonne, daß ein ungewöhnlicher Leuchteffekt hervorgerufen wird. „Da!“ schrie Finn aufgeregt. „Jim, sieh dir das mal an – schnell!“ Ich stellte die Hebel fest und rückte vor den Radarschirm. Die Venus füllte beinahe drei Viertel der Fläche aus. Auf der einen Seite der helleuchtenden Scheibe erschien etwas wie eine winzige Blase, die etwas dunkler vor dem hellen Vordergrund stand. Sollte das der Mond sein? „Nein!“ Ich schüttelte den Kopf. „Das Ding, das wir hier sehen, ist für die errechnete Masse zu groß! Meßt doch einmal den Radius!“ Dick stellte an einigen Skalen, während Finn die Werte ablas. „Donnerwetter!“ rief er. „Das Ding ist fast so groß wie Deimos. Etwa 9 Kilometer Durchmesser. Dabei anscheinend nicht reflektierend und – ja, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, woraus er gemacht sein sollte.“ Gemacht? ging es mir durch den Kopf. Gemacht? Sollte der Regela I etwa eine Art Station sein? Vielleicht kein natürlicher Mond? Ich wagte es nicht, diesen Gedanken auszusprechen, denn er schien mir doch zu unwahrscheinlich. Die absolute Kreisbahn sprach dafür, ebenso die eigenartige Zusammensetzung; da der Trabant nicht leuchtete und auch kein Licht reflektierte, konnten wir natürlich auch keine Spektralanalyse davon machen. Aber ich behielt meine Ansicht lieber für mich. Finn koppelte den Metalldetektor mit dem Radargerät und meinte dann trocken: „Mich wundert jetzt überhaupt nichts mehr. Dieses federleichte Ding da vorn besteht doch zum guten Teil aus Metall. Brat mir einer einen Storch, ich stelle keine Fragen mehr.“ Fröhlich grinsend erklärte Rich: „Ich funke den ganzen Quatsch jetzt an den ehrenwerten Dr. Laurec. Mag er sich wei19
ter den Kopf darüber zerbrechen. Bisher hat er uns noch nicht viel Brauchbares geliefert.“ . Er gab einen Bericht durch, der direkt an das WilsonObservatorium weitergegeben wurde. In der Zwischenzeit legte die Adastra I Tausende und aber Tausende Kilometer zurück. Die Venus rückte uns mit ihrem hellen Schein immer näher. „Jim, er will dich selbst sprechen! Komm doch mal rein!“ rief Rich. „Finn, übernimm du den Rest des Wendemanövers und gleiche den Kurs aus. Ich will doch mal sehen, was die Herren herausgefunden haben.“ Jim Laurec war mehr als aufgeregt. „Hallo, Parker!“ begrüßte er mich und fuhr im selben Atemzug fort: „Habt ihr eigentlich nur Idioten an Bord?“ „Wie kommen Sie darauf, Doktor?“ fragte ich ein wenig befremdet. Laurec gebrauchte sonst nicht diese Tonart. „Sie haben eigentlich nur meine eigenen Berechnungen bestätigt“, sagte er dann. „Es sind Ergebnisse herausgekommen, die ich für so verrückt halte, daß ich die Weitergabe verboten habe. Nun kommen Sie mit demselben Quatsch. Wir suchen nach einem Venustrabanten und finden etwas, was sich genau benimmt wie eine fast leere Blechbüchse. Und trotzdem kreist das Ding um einen ausgewachsenen Planeten. Können Sie mir das erklären?“ „Nein, sonst hätten wir nicht Ihren Rat eingeholt“, sagte ich, um ihn zu versöhnen. Er schien fürchterlich durcheinander zu sein. „Außerdem sind wir natürlich noch mehr als Sie daran interessiert, die wahre Natur dieses seltsamen Himmelskörpers zu erfahren. Halten Sie es für möglich …?“ Ich zögerte. „Was?“ fragte er sofort „Woran denken Sie? Sagen Sie es schon!“ „Daß es sich um einen künstlichen Satelliten der Venus handelt“. Jetzt war das Wort heraus. Ich bemerkte, wie mich Rich, 20
der neben mir saß, entgeistert anstarrte. Einerlei. Ich wollte es jetzt wissen. Schweigen war auf der anderen Seite, Dann stöhnte Laurec auf. „Sie also auch, Parker! Ja, wenn Sie es wissen wollen: Ich halte das Ding nicht für einen natürlichen Mond, denn dann müßte er sich anders benehmen. Aber sagen Sie mir einmal, wer sollte der Venus einen Satelliten gegeben haben? Sind wir denn schon so weit? Handelt es sich um ein geheimes Projekt der Sicherheitsabteilung? Das war mein letzter gedanklicher Ausweg aus diesem Irrsinn.“ „Nein“, antwortete ich langsam, „wir haben ihn nicht gebaut Das muß schon jemand anders gewesen sein. Und Szibougadz hatte während der paar Monate auch keine Zeit, die Venus mit einem künstlichen Mond zu versehen.“ „Also“, fuhr Laurec fort, und seine Stimme war plötzlich wieder kalt und ohne Gefühlsregung, „also muß jemand anders vor uns und vor dem Inder auf der Venus gewesen sein. Vielleicht finden Sie schon andere dort vor. Man kann es nie wissen. Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, sondern nur Ihre Beobachtungen bestätigen. Fliegen Sie hin und finden Sie heraus, was dort gespielt wird.“ Ich nickte, obgleich er das natürlich nicht sehen konnte. Eine andere Rasse auf der Venus! Und wir flogen geradewegs darauf zu! Warum hatte die A III in ihren Funksprüchen nichts davon verlauten lassen? „Hallo, Parker, sind Sie noch da?“ Seine Stimme klang ungeduldig. „Ich habe Sie gehört, Doktor. Vielen Dank für Ihre Auskunft. Alles weitere werden wir sehen. Wir werden das Geheimnis der Venus herausfinden, verlassen Sie sich darauf!“ versprach ich ihm und bat ihn noch: „Bitte, geben Sie doch eine entsprechende Meldung nach Astra durch. Ich, halte es für besser, wenn wir von jetzt an Funkstille bewahren.“ 21
„Mache ich, Parker. Und viel Glück! Teilen Sie uns bald mit, was Sie finden! Unsere Abteilung bleibt ununterbrochen besetzt bis wir wissen, was für ein komisches Ding da um die Venus kreist.“ „Gut. Ende.“ Ich rief die Besatzung zusammen. Nur Finn blieb an den Kontrollen, denn von jetzt ab wollte ich mich keinen Augenblick mehr auf die automatische Kontrolle verlassen. Erwartungsvolle Gesichter sahen mir entgegen. Besonders Oberleutnant Crimsey und seine Leute hatten noch keine Ahnung, worum es ging. Ich erklärte in kurzen Worten, was wir herausgefunden. Dann hing nachdenkliches Schweigen über dem Aufenthaltsraum. Jeder versuchte sich vorzustellen, was wir wohl in der geheimnisvollen Welt antreffen würden, der wir uns rasend schnell näherten. „Wie wollen wir nach der Landung vorgehen?“ fragte Crimsey kurz. Ich war ihm dankbar, daß er nicht an die Gefahr erinnerte, die uns erwartete. „Wir werden so landen, daß wir dem ‚Regela I’ vorerst nicht zu nahe kommen. Unsere Freunde sitzen auf der Venus, und die müssen wir zuerst finden. Dann können wir uns um alles andere kümmern. Kapitän Yo Tseu bat uns die ungefähre Position des gestrandeten Schiffes durchgegeben. Danach haben wir in einer Kreisbahn zu suchen, deren Mittelpunkt der Sonnenferne Pol ist. Dabei müssen wir sie verhältnismäßig schnell finden, weil wir den Metallsucher einsetzen können. Wir werden neben unseren Kameraden landen und sie erst einmal aus ihrer unangenehmen Lage befreien.“ „Welche Gefahr besteht dabei?“ „Erstens können wir ebenso im Schlamm versacken, wie es Yo Tseu passierte“, erklärte ich, „zweitens könnte die Adastra III inzwischen Feindberührung haben und uns bei der Landung unversehens in ein Gefecht hineinziehen. Drittens könnte es 22
außer den beiden Gruppen noch andere Lebewesen auf der Venus geben, oder doch zumindest auf der Regela I, die ja allem Anschein nach ein künstliches Gebilde ist.“ „Und viertens“, ergänzte Dick ruhig, „könnte uns die Tierwelt der Venus bedrohen, etwa in Form von riesigen Dinosauriern, die ich dann sofort auf ihre eigene Gefahr fotografieren würde.“ Dicks Bemerkung täuschte keinen über die große Gefahr hinweg, in die wir uns begeben würden. Ich wies noch einmal auf die Warnung hin, die unser Schwesterschiff vor der Landung erhalten hatte. „Die Warnung stammt von Lensing und ist durchaus ernstzunehmen. Lensing wird das letzte Bollwerk unter allen Umständen halten wollen, besonders jetzt, wo die eigentlichen Herren des Unternehmens tot sind und er praktisch die Stelle des Diktators eingenommen hat.“ „Du hast recht“, stimmte Elsy zu. „Wir werden also landen und das Schiff erst verlassen, nachdem ich eine sorgfältige Untersuchung der Lebensverhältnisse vorgenommen habe. Vielleicht gelingt es uns auch, die Position Lensings zu orten, wenn er uns seinen Funkspruch entgegenschickt.“ „Auf jeden Fall“, ordnete ich an, „werden jetzt schon alle Stationen ununterbrochen besetzt gehalten. Besonders die Kanonen und Schnellfeuerwaffen werden bereit gemacht, damit uns niemand überraschen kann. Gleichgültig, ob Lensing oder sonst wer.“ Nach dieser Besprechung näherten wir uns der Venus. Weitere Zwischenfälle gab es zunächst nicht Über den „Mond“ erfuhren wir nicht mehr, als wir schon wußten. Direkt sehen konnte man ihn immer noch nicht, weil seine Oberfläche keine Spur von Licht reflektierte. Die Spannung an Bord erreichte einen Grad, der uns nicht mehr ruhig schlafen ließ. Wer kann auch schon Schlaf und Ruhe finden, wenn er einem so unge23
wöhnlichen Abenteuer entgegengeht, bei dem er nicht einmal weiß, wer der Angreifer sein wird. Gespannt durchforschte Rich den Äther, während unser Schiff in die obersten Schichten der Venusatmosphäre eintauchte. Atmosphäre ist vielleicht zu wenig gesagt für das, was wir hier vorfanden. Selbst da, wo die Luft noch ziemlich dünn war, saßen wir so dick in der Waschküche, daß wir nur noch blind steuern konnten. Bei den hervorragenden Navigationsgeräten unseres Schiffes spielte das jedoch keine große Rolle. „Hier ist es!“ rief Rich aus dem Funkraum und schaltete tun. Krächzend und ein wenig verzerrt ertönte eine befehlende Stimme aus dem Lautsprecher: „Verbieten euch Landung auf unserem Territorium! Sofort umkehren! Wir gehen sonst mit Waffengewalt gegen euch vor!“ Ich dachte, das wäre eine automatische Sendung. Zu meiner Überraschung wurde der Spruch aber fortgesetzt: „Achtung! Jim Parker! Ich rufe Jim Parker! Hier spricht Lensing. Ich verbiete Ihnen noch einmal, sich unserem Gebiet weiter zu nähern. Wir werden in Kürze eure Kameraden gefangengenommen haben. Mit Ihnen habe ich etwas anderes vor! Bleiben Sie weg, wenn Ihnen das Leben lieb ist! Ich sage es nicht noch einmal! Sie sind zwar mit Miller fertiggeworden – bei mir wird Ihnen das nicht gelingen!“ Ein höhnisches Lachen ertönte, das uns anwiderte, Dann sagte er zynisch. „Aber wenn Sie unbedingt wollen, kommen Sie ruhig! Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen!“ „Ich mich auch, du Halunke!“ knurrte ich und rief dann Rich zu: „Nicht antworten, Rich! Er soll uns nicht anpeilen können. Außerdem antworte ich auf eine solche Begrüßung nicht.“ „Sollte man sich nicht doch mit ihm in Verbindung setzen?“ schlug Crimsey vor, der im selben Moment die Pilotenkabine betreten hatte. „Warum denn?“ fragte Dick und blickte den Polizisten eisig an. 24
„Nun“, Crimsey wurde offensichtlich etwas unsicher. „Ich möchte wenigstens fair bleiben und meinen Gegner erst einmal zur Waffenübergabe auffordern, bevor ich gegen ihn vorgehe.“ Damit kam er ausgesprochen schlecht an! Dick erhob sich langsam, und Finn stand plötzlich an seiner Seite. „Nein, Crimsey“, erklärte Dick kalt. „So mögen Sie es an der Polizeischule gelernt haben! Hier haben wir ganz andere Verhältnisse. Wir werden einen Herrn wie Leasing nicht erst dreimal anrufen, bevor wir schießen. Da Sie auf der Insel Guerra mit dabei waren, können Sie sich ja denken, warum ich vorsichtiger bin.“ „Dick hat recht“, stimmte ich ihm von meinem Platz aus bei. „Hier im Raum gelten andere Gesetze als auf der Erde. Wir werden unser Leben nicht noch einmal aufs Spiel setzen, um die Nerven Lensings oder auch die Ihren zu schonen.“ „Na“, meinte er beleidigt, „so hart brauchen Sie mich deswegen auch nicht gleich anzufassen. Es war ja nur ein Vorschlag. Ich denke immer noch, wir sollten …“ „Und ich denke“, fuhr Finn dazwischen, „daß Commander Jim Parker dieses Schiff und seine Besatzung befehligt!“ Ich sagte schon früher, daß auf Raumschiffen andere, zum Teil ungeschriebene Gesetze gelten. Crimsey täte besser, dachte ich, es sich mit der Besatzung nicht zu verderben. Dick war schon so sehr Teil meiner Mannschaft geworden, daß er sich genau nach diesen Gesetzen richtete. Die anderen rechneten ihm das hoch an. Aber jeder Neuling muß sein Lehrgeld zahlen, ich hatte das früher auch einmal gemußt. Raumflieger sind harte Burschen. Hatte man aber ihr Vertrauen erst gewannen, konnte man sich hundertprozentig auf sie verlassen. Rich kam dazu. Er hatte den letzten Teil des Gesprächs gehört und wartete offensichtlich darauf, sich in die Debatte einschalten zu können. Crimsey sah sich unsicher und ein wenig verwundert um. 25
Ich beschloß, nun doch einzugreifen, weil ich natürlich kein Interesse daran hatte, mit einer in zwei feindliche Lager gespaltenen Besatzung zu einem so gefährlichen Unternehmen zu starten. Zur Entwicklung offener Feindseligkeiten bedurfte es nicht viel. Noch war es Zeit, Schlimmeres zu verhindern. „Paßt mal auf“, sagte ich. „Oberleutnant Crimsey machte einen Vorschlag, der von seinem Standpunkt aus durchaus richtig ist. Unser Standpunkt ist ebenfalls verständlich. Wir kennen Lensing besser und wissen, daß er im Zweifelsfalle ohne jede Skrupel handeln würde. Wir müssen ihm mit seinen eigenen Waffen begegnen. Wir werden nicht unverantwortlich brutal vorgehen, ihn aber auch keinesfalls mit Samthandschuhen anfassen. Dazu ist er einfach zu gefährlich. Crimsey macht jetzt seine erste größere Raumfahrt. Ich möchte, daß wir alle zusammenhalten und eine wirkliche Einheit bilden, wenn es zu handeln gilt. Deshalb bin ich dafür, daß ihr jetzt keine Streitigkeiten aufkommen laßt, sondern euch wieder vertragt. Euren Standpunkt habt ihr ja vertreten. Okay?“ „Natürlich!“ brummten Finn und Rich, und Dick nickte dazu. „Aber wir wollen nur klargestellt haben, daß wir …“, er schwieg ein wenig verlegen und streckte dann dem Polizeimann impulsiv die Hand entgegen. „War nicht so gemeint, Oberleutnant! Sie müssen sich damit abfinden, daß wir anders sind als der Durchschnitt, und manchmal vielleicht ein wenig überempfindlich.“ „Aber nachtragend ist hier wenigstens keiner!“ ergänzte Rich und zog sich mit einem freundlichen Nicken in sein elektrisches Reich zurück. Crimsey konnte immer noch nicht recht verstehen, daß er wegen eines bloßen Vorschlags so behandelt worden war. Er mußte noch eine Menge über die Psychologie der Raumfahrer lernen! 26
„Kommen Sie, ich erkläre Ihnen etwas“, sagte Dick kameradschaftlich und zwinkerte mir zu. Gut, Dick verstand es wohl am besten, ihm unsere Eigenarten klarzumachen. Nachdem der Burgfriede wiederhergestellt war, kümmerte ich mich um die Landung. Der Metalldetektor schlug an einer ganz bestimmten Stelle aus, das heißt, auf dem Radarschirm zeigte sich eine dunkle Form, die wir bald als Raumschiff erkannten. Es lag 120 Kilometer vom Pol entfernt. Ich ging von der Kreisbahn in eine Spirale über und ermahnte die ganze Besatzung zu erhöhter Aufmerksamkeit. „Lensing sendet immer noch denselben Quatsch!“ meldete Rich. „Kannst du feststellen, wo er sitzt?“ fragte ich zurück. „So ungefähr! Die Signale kommen von einer Stelle etwa 50 Kilometer südlich der Absturzstelle. Dort scheint auch Lensings Schiff zu sein.“ Mir kam eine Idee: War Lensing etwa bei der Landung ebenfalls zu Bruch gegangen? Wie konnte er uns dann aber gefährlich werden? Warum die Warnung? Bluffte er nur? „Finn, richte den Metalldetektor rund 50 Kilometer nach Süden“, forderte ich. Richtig, da sahen wir einen großen dunklen Schatten, der unbeweglich blieb und nur das Schiff Lensings sein konnte. Aber vorerst galt es, die Adastra I heil zum Boden zu bringen. Rich, Finn und ich arbeiteten bei der schwierigen Landung eng zusammen. Das Radarlot meldete überall unter uns recht unsicheren Grund, viel Wasser, keinen festen Landeplatz. Meter um Meter sank der Riesenleib der Adastra I, während Finn sich nach einem geeigneten Platz zum Landen umsah. In einer Höhe von nicht mehr als 2000 Metern wurde es um uns auf einmal klarer. Wir konnten nun nach Sicht steuern. „Donnerwetter!“ rief Dick erstaunt und machte auch schon die ersten Aufnahmen. „Da unten sieht es wüst aus! Sumpf, 27
Dschungel, Wildnis. So könnte es vor ein paar hunderttausend Jahren auf der Erde ausgesehen haben!“ Er hatte recht. Eine wilde Vegetation reichte bestimmt zweihundert Meter hoch in den milchigen Himmel, der sich nie in der gewohnten Bläue zeigte. Dazwischen Lichtungen, die von hier aus wie Krater aussahen. Die gewaltigen Bäume standen glücklicherweise einzeln. Aber das wuchernde Buschwerk mochte immer noch die Höhe unserer normalen Fichtenwälder erreichen. „Wie ist die Lage draußen?“ fragte ich Elsy durch die Rundsprechanlage. „Viel Wasserdampf, wie zu erwarten war. Zusammensetzung der Atmosphäre fast wie bei uns, nur daß der Gehalt an CO2 höher ist. Es sieht so aus, als ob die Pflanzen die Assimilation nicht im gleichen Maße durchführten wie auf der Erde. Luft dürfte zwar atembar, aber für längere Zeit nicht verträglich sein.“ „Was sind das für Pflanzen?“ fragte ich zurück. „Kannst du schon etwas feststellen?“ „Habe es versucht, Jim. Farbe ist bräunlichgelb. Wahrscheinlich geringerer Chlorophyllgehalt als bei uns. Durch den hohen Kohlendioxydgehalt herrscht hier ein richtiges Treibhausklima. Temperaturen werden auf der anderen Seite wieder durch die dichte Wolkenschicht gemäßigt. Sie liegen etwa bei 50 Grad Celsius. Mehr kann ich im Augenblick noch nicht feststellen.“ „Höhe noch 1400 Meter“, meldete Finn. Dann sagte er fragend: „Dort unten zwischen den Bäumen muß die ‚Adastra III’ liegen. Warum melden die sich wohl nicht?“ „Keinerlei Funkzeichen von Yo Tseu“, meldete Rich, der mitgehört hatte. „Aber auch Lensing schweigt seit einigen Minuten.“ „Verdammt, das könnte gefährlich werden!“ Ich rief Melon an: „Melon! Clark! Ist bei euch alles klar?“ 28
„Alles klar!“ kam es prompt zurück. „Von uns aus können sie kommen. Wir werden die Herrschaften warm oder noch wärmer empfangen!“ Nach unseren Geräten mußte die A III genau unter uns liegen. Ich blickte angespannt durch die untere Sichtluke, die wir jetzt von den schützenden Metallplatten befreit hatten. Direkte Sicht ist mir unter gewissen Voraussetzungen lieber als das beste Radargerät, auch wenn es ein noch so natürliches Bild gibt. Ich konnte außer Zweigen und wogenden Blättern nichts entdecken – oder doch? „Finn, siehst du dort unten etwas?“ fragte ich und deutete nach unten. Er strengte seine Augen an. „Ja, das scheint doch wahrhaftig eine kleine Rauchfontäne zu sein. Vielleicht ist ihr Funkgerät ausgefallen, und sie wollen sich auf diese Weise bemerkbar machen.“ „Kann sein. Alles fertigmachen, ich suche jetzt einen Landeplatz. Angurten, weil es sein könnte, daß wir sofort durchstarten müssen. Elsy, bitte weitere Meldungen, sobald die Messungen sich verändern.“ „Draußen alles unverändert. Luftdruck etwa 920, hoher Feuchtigkeitsgehalt. Keinerlei giftige Gase, außer CO2.“ Wir hatten uns dem Boden inzwischen bis auf einige hundert Meter genähert. Fast bewegungslos hing unser braves Schiff in der Luft. Die Reaktoren reagierten wunderbar auf den leisesten Hebeldruck. Wie viel angenehmer war doch das Fliegen mit diesen neuen Schiffen im Gegensatz zu den alten Raketenpötten! Durch das Blattgewirr schimmerte es feucht. Soviel konnten wir schon mit bloßem Auge erkennen. Dick saß jetzt an dem Fernrohr und meldete: „Zwischen den Zweigen sehe ich ein metallisches Schimmern. Das Schiff scheint von Blattwerk überwuchert zu sein. Nicht ganz hundert Meter daneben sieht der Boden sicherer aus. Wollen wir es dort versuchen?“ 29
„Schalte mal die Vergrößerung auf meinen Schirm um“, forderte ich ihn auf. Vor mir erschien das vergrößerte Bild des Grundes unter uns. Da gab es offensichtlich nur Sumpf. Anscheinend keinen tiefen, denn soweit ich durch die Blätter erkennen konnte, war der Rumpf des gesuchten Schwesterschiffes nicht mehr als höchstens acht Meter eingesunken. Dick drehte das Bild etwas weiter. Dort war das Blattgewirr weniger dicht. Stellenweise konnte ich bis auf den Boden sehen. Der Grund war hier von braunen, pilz- oder moosartigen Gewächsen bedeckt und machte einen festeren Eindruck als an der Landestelle der A III. „Wir wollen es versuchen! Achtung!“ rief ich durch und senkte die A I mit ausgefahrenen Stützen vorsichtig zwischen den Bäumen hindurch, die hier weit auseinander standen und keine Gefahr boten. Wenige Meter über dem Boden fing ich ab und manövrierte uns dann mit unglaublich winzigen Steuerbewegungen bis zum Boden hinunter. Da – ein dumpfer Ruck. Ein weiches Wegsacken. – Als ich schon den Beschleuniger nach vorn reißen wollte, standen wir sicher und fest auf dem Grund. Ich nahm den Antrieb fast ganz weg und stellte erleichtert fest, daß der Grund nicht weiter nachgab. „Gelandet!“ gab ich unnötigerweise bekannt. „Großartige Leistung, Jim!“ murmelte Finn anerkennend. „Ich hätte es nicht so gekonnt, das muß ich neidlos zugeben.“ „Danke, Finn.“ Ich freute mich über das Lob, denn die Landung war eine verteufelt schwierige Angelegenheit gewesen. Dick stellte die Preisfrage: „Fein, da wären wir also. Was nun?“ „Wie sieht es draußen aus, Elsy?“ fragte ich. „Unverändert, Jim. Wasserdampf etwas zurückgegangen, CO2 ebenfalls etwas schwächer. Luft für kurze Zeit atembar. Mit Luftfiltern können wir ohne Gefahr aussteigen. Ich möchte 30
gern wissen, was für Kräuter hier wachsen. Darf ich mit hinaus?“ „Nein, mein Kind!“ sagte ich und mußte lachen. „Die Biologin bleibt vorerst im Schiff, weil wir den Schiffsarzt vielleicht noch brauchen. Zu Untersuchungen wird später noch Zeit sein, erst müssen wir uns mal um die Kollegen kümmern. Die warten bestimmt schon sehnsüchtig auf unseren Besuch.“ „Unverschämter Kerl!“ schimpfte sie, gab sich aber damit zufrieden. Ich rief Crimsey und seine Mannen herbei und wies sie an, die leichten Schutzanzüge mit Luftfiltern anzulegen. Die Filter waren so beschaffen, daß sie im Notfall Stickstoff und andere schädliche Bestandteile der Luft fernhielten und nur durchließen, was atembar war. Nach zehn Minuten waren wir fertig zum Aussteigen. „Wieder abspringen?“ fragte Dick trocken. Er hatte sich ohne besonderen Befehl ebenfalls fertiggemacht. Sollte er von mir aus mitkommen! Vielleicht konnte ich ihn gebrauchen. Ich zog mir rasch den Schutzanzug über, den mir Rich aus meiner Kabine holte. Dabei sagte ich grinsend zu Dick: „Von mir aus kannst du wieder abspringen. Du wirst zwar ähnliche Schwerkraftverhältnisse wie zu Hause antreffen, da der Boden aber weich und schlammig ist, dürftest du dich dabei nicht einmal gefährlich verletzen.“ „Dann spring du zuerst!“ grollte er und ging voran zur Schleuse. Die anderen folgten ihm. „Wir wollen uns auf alle Fälle ausschleusen wie im leeren Raum“, sagte ich. „Die Luft im Schiff muß möglichst rein erhalten bleiben. Es könnte sein, daß gewisse Bestandteile der Venusluft unseren Algen schaden könnten. Dann wären wir für die Rückfahrt geliefert. Also: Äußerste Vorsicht beim Aussteigen!“ Die Innentore der Schleuse öffneten sich, ließen uns ein und 31
schlossen sich wieder. Dann öffnete ich den Ausstieg und ließ die Leiter hinunter. „Vorsicht beim Aussteigen!“ meinte Dick trocken. „Zurücktreten von der Bahnsteigkante!“ Wir mußten lachen. Selbst Crimsey lachte mit und wäre beinahe hinuntergefallen. Inzwischen hatten er und Dick Freundschaft geschlossen. Dick schien ihn gründlich in die Gewohnheiten der Raumfahrer einzuweisen. Durch die Filter konnten wir ganz gut atmen. Unangenehm war nur die Schwüle, die wie eine Mauer auf uns zukam und uns schon nach Sekunden den Schweiß aus den Poren trieb. Das war schlimmer als in den Tropen! „Puh!“ stöhnte Dick und wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen, was natürlich wegen der Maske mit dem Luftfilter nicht möglich war. „Gleich sind wir gebadet.“ „Wirst du schon noch eine Weile aushalten müssen“, sagte ich und trat vorsichtig auf den Venusboden. Der Grund unter meinen Füßen fühlte sich zwar weich und schwammig an, hielt aber unser Gewicht. Vom Boden selbst war nichts zu sehen, weil alles, jeder Zentimeter Land, überwuchert war. Hier bestand die Oberfläche zum Beispiel aus dichten, kleinblättrigen Moosen und winzigen Pilzgewächsen. Eine Lebensaufgabe für ein Heer von Biologen, das alles, was hier wucherte, zu klassifizieren! „Dort drüben liegt die A III!“ rief ich und deutete nach rechts. Der Rumpf des Schiffes erhob sich hoch zwischen den Bäumen, war aber von vielen Schlinggewächsen fast vollkommen überwuchert. Die Luke stand offen. In der Luke entdeckte ich ein paar Arme, die uns entgegenwinkten. Dann hörten wir auch die Rufe. „Soll das etwa eine Warnung sein?“ fragte Crimsey. Ich hörte jetzt genauer hin. Die Entfernung betrug rund hundert Meter, aber einmal schien die Luft aus irgendeinem Grunde den Schall 32
nicht so gut zu leiten wie auf der Erde, und zum anderen wirkte das Blattgewirr natürlich schalldämpfend. „Vorsicht,“ verstand ich jetzt. „Aufpassen, falls Lensing wieder angreift! Boden rund um uns nicht sicher! Achtung, es wimmelt hier von Wasserschlangen.“ Wieder angreift? überlegte ich und rief zurück: „Hallo! Ist bei euch alles in Ordnung? Hat Lensing angegriffen?“ „Wir haben zwei Tote!“ wurde geantwortet. „Lensing hat uns zweimal beschossen, wir konnten ihm aber nichts anhaben. Unsere Funkanlage wurde dabei kaputtgeschossen. Seid vorsichtig!“ „Okay, beobachtet die Umgebung, wir kommen!“ rief ich zurück und setzte mich langsam in Bewegung. Dreißig Meter weit ging es ohne Schwierigkeit. Es war ein Gefühl, als ob wir in der Heimat über das dichte Nadelpolster eines Tannenwaldes liefen – nur noch weicher. Aber dann stockte mein Fuß. Der Boden begann feucht zu glänzen, und die Oberfläche war von einer anderen Art Pflanzen bewachsen. Offensichtlich begann hier der Sumpf, in dem unser Schwesterschiff steckengeblieben war. Von beiden Schiffen aus wurde unser Vordringen aufmerksam beobachtet. Beide Schiffe behielten außerdem den Himmel im Auge, oder besser gesagt, das, was hier auf der Venus unseren blauen Himmel ersetzte. Ich betastete den Boden prüfend mit einem Fuß. Ohne Widerstand sank mein Fuß ein. Zugleich schrie Dick warnend auf. Ein schmaler, glitzernder Schlangenkörper fuhr auf die Stelle los, wo ich eben den Sumpfboden getestet hatte. Schnell sprang ich zurück. Nein, so ging es nicht. „So kommen wir nicht hin“, sagte nun auch Crimsey. „Wir müßten versuchen, über die Bäume voranzukommen, ohne den Boden zu berühren.“ 33
„Ja“, meinte Dick trocken, „um irgendwelchen fleischfressenden Schlingpflanzen oder anderen listigen Geschöpfen die Ernährung zu erleichtern! Nein, da müssen wir uns schon etwas Besseres einfallen lassen. Wir könnten ja bei unserem verehrten Freund Lensing anfragen, wie er hier vorankommt, denn der hat bestimmt mit der hiesigen Flora und Fauna größere Erfahrungen als wir. Also erst überlegen und dann …“ Von beiden Schiffen her unterbrachen ihn laute Warnrufe. Im selben Augenblick hörte ich auch schon ein scharfes Sausen, das von oben her kam. Ohne zu überlegen schrie ich: „Schnell zurück ins Schiff!“ Im Laufschritt legten wir die dreißig Meter zurück, die wir so vorsichtig hierhergekommen waren. Atemlos erreichten wir die Metalleiter und hetzten daran hoch – „wie die Affen!“ meinte Dick später. Bumm – schloß sich die Schleuse hinter uns, und schon hörten wir scharfe Knalle draußen. „Lensing greift an!“ schrie ich. „Gebt es ihm! Feuer frei!“ Als ich den Steuerraum erreicht hatte, war das ganze Theater schon wieder vorbei. „Wir haben kaum so viel zu sehen bekommen, daß wir unsere Geschütze darauf richten konnten“, berichtete Finn. „sicher haben wir ins Leere geballert. Er hat uns einmal getroffen, wie mir scheint. Muß gleich mal nachsehen, was er kaputtgemacht hat. Auch drüben scheint es Treffer gegeben zu haben. Dann war er auch schon wieder verschwunden.“ „Habt ihr gar nichts gesehen?“ fragte ich enttäuscht. „Gesehen? Doch, aber nur sehr flüchtig. Er scheint uns mit einem Beiboot angegriffen zu haben.“ „Sauberer Guerillakrieg hier!“ fluchte Crimsey wütend und schien jetzt davon überzeugt zu sein, daß er Lensing gegenüber wirklich nicht nobel zu handeln brauchte. „Der vordere und linke Radarschirm sind abgerissen!“ mel34
dete Finn. Im Augenblick gab es wohl niemand an Bord, der an Lensing mit besonders liebevollen Gefühlen gedacht hätte. Mich selbst nicht ausgenommen. „Wenn wir uns nur mit denen drüben irgendwie in Verbindung setzen könnten!“ meinte Rich. „Dann könnten wir doch zumindest ein gemeinsames Vorgehen beraten und feststellen, was ihnen fehlt, ohne uns selbst immer wieder in Gefahr zu begeben.“ „Funkgerät drüben ist kaputt“, erklärte ich ihm. „Sind auch von Lensing angegriffen worden, Haben zwei Tote im Schiff. Aber …“ mir kam ein Gedanke. „Rich, du kannst dich doch sicher mit ihnen durch Blinklicht in Verbindung setzen?“ „Natürlich!“ begeistert sprang er auf. „Daß ich nicht früher daran dachte! Jeder Funker muß das lernen. Mein Kollege drüben wird mich also verstehen. Aber wie kommen wir damit weiter?“ Seine Begeisterung schwand schnell wieder. Elsy kam herein. Für sie gab es unten im Augenblick nichts mehr zu tun. Ich erklärte ihr mit ein paar kurzen Worten die Lage. Sie zog die Stirn in Falten. „Warum verwenden wir nicht auch unser Beiboot?“ fragte sie dann. „Wir können nicht gut von Baum zu Baum springen.“ „Natürlich nicht! Aber wie sollen wir mit dem Boot in dem Dickicht manövrieren? Dazu ist es immer noch zu groß. Wir würden vermutlich im Sumpf steckenbleiben. Was dann?“ „Das Boot ist nicht so schwer wie ein ausgewachsenes Schiff“, verteidigte sie ihren Plan. „Fragt doch drüben an, ob die Möglichkeit besteht und wie tief der Sumpf ist.“ Rich wurde an die Schleusentür kommandiert und gab die Lichtzeichen. Offenbar verstand man ihn schnell, denn drüben trat ebenfalls ein Mann in die Öffnung und signalisierte, wahrscheinlich benutzte er eine starke Taschenlampe. Wir fanden auf diese Weise heraus, daß es rings um die A III von Schlangen und ähnlichem Viehzeug wimmelte. Man mußte 35
von Zeit zu Zeit mit Hitzestrahlern die Umgebung des Schiffes säubern, damit die Tiere nicht ins Innere vordrangen. Dabei wurden natürlich auch die Pflanzen verbrannt. Sie wuchsen aber schon in wenigen Stunden wieder nach. „Hier könnte man ein paar Dutzend Ernten im Jahr erzielen!“ sagte Elsy nachdenklich, als Rich uns von dem Inhalt seiner „Unterhaltung“ verständigte. „Wir werden bald darauf zurückkommen“, setzte sie ernst hinzu. Natürlich hatte sie recht. Die Erde war hoffnungslos übervölkert. Zwar gab es natürlich immer noch genügend Möglichkeiten, die acht Milliarden Menschen zu ernähren – aber woran es am meisten mangelte, das war der Ackerboden! Die vordringenden Städte beanspruchten wertvolles Anbauland, und der landwirtschaftlich genutzte Boden wurde regelrecht überfordert. Mit modernsten wissenschaftlichen Methoden rang man ihm steigende Erträge ab und sah dabei zu, wie der Boden sich unwiderruflich erschöpfte. Die Natur läßt sich nicht zwingen! Mein Gott, ja, das waren Zukunftsaussichten! Aber zunächst lagen andere Dinge näher. Wir befanden uns in Rufweite unserer Kameraden und konnten ihnen nicht helfen! Eigentlich eine beschämende Situation. Der Ausweg kam von einer unvermuteten Seite. Einer der Polizisten, der bisher alles schweigend mit angehört hatte, schlug leise und bescheiden die rettende Lösung vor: „Wie wäre es, wenn wir aus unseren Ersatzplatten – ich habe genug davon gesehen – eine Art Floß bauten? Dann schießen wir eine Leine nach dem anderen Schiff hinüber und lassen uns über den Sumpf ziehen. Die Schlangen und das andere Zeug könnten wir doch mit Strahlern von uns fernhalten.“ Wir schauten ihn überrascht an, dann erhob sich anerkennendes Gemurmel. Crimsey schien um einige Zentimeter zu wachsen und warf mir einen Blick zu, in dem zu lesen stand: Ganz umsonst habt ihr uns doch nicht mitgenommen! 36
Etwas verlegen fuhr sich der Mann mit zwei Fingern hinter den Uniformkragen und meinte entschuldigend: „Nun, ich meine ja nur, daß es so ginge! Ich habe schon mehrere Einsätze mitgemacht, wo wir Leute aus überschwemmten Gebieten herausgeholt haben. Da machten wir es ähnlich.“ „An die Arbeit!“ kommandierte ich erleichtert „Halt! – Clark und Melon halten die Kanonen besetzt. Unser Freund könnte wiederkommen. Rich, gib denen da drüben unseren Entschluß bekannt. Wir bauen rasch das Floß und sehen dann weiter!“ Die Teile des leichten „Gefährtes“ waren in einer knappen Stunde zusammengeschweißt. Wir schleppten das eigentümliche Wasserfahrzeug bis zum Rande des Sumpfes und verwendeten eine entladene Signalrakete dazu, das Leinenende zur Luke der A III hinüberzuschießen. Dreimal schossen wir vorbei, und mehrmals verwickelte sich das Seil in den Zweigen. Dann gelang es uns, mit der dünnen Deine ein dickes Tau vom Schiff herüberzuziehen und an unserer Arche zu befestigen. Leasing ließ sich glücklicherweise vorerst nicht wieder sehen. Sechs Mann bestiegen nun vorsichtig das unsichere Gefährt und machten ihre Strahler bereit. Richtig schossen auch schon viele der widerlichen Leiber auf uns zu. Während sich das Zugtau straffte und wir uns langsam in Bewegung setzten, richteten wir unter dem Ungeziefer ein gewaltiges Sterben an. Wir mußten die Waffen jedoch die ganze Zeit über in Tätigkeit halten, denn für jede getötete Schlange schienen mehrere neue aufzutauchen. Die schwierige Aktion dauerte zwar nur dreißig Minuten, aber ich muß bekennen, daß wir danach alle erledigt waren. Unsere Hitzestrahler trugen nicht gerade zur Abkühlung der tropischheißen Umgebung bei, außerdem war der Anblick des wimmelnden Sumpfes alles andere als erfreulich. Der Reihe nach wurde uns übel. Dann war die Leichtmetalleiter erreicht, die zu dem Schleusentor der A III führte, das sich schräg über uns erhob. 37
Mit lautem Hallo begrüßten uns die Kameraden. Es ist schließlich auch kein Vergnügen, in einer solchen Gegend tagelang mutterseelenallein und bewegungsunfähig festzusitzen. Kapitän Yo Tseu, der kleine japanische Kommandant des verunglückten Schiffes, erwartete uns im Steuerraum. Als wir eintraten, kam er uns entgegen und bemühte sich, seine Bewegung zu verbergen. Ein Japaner darf nicht zeigen, was er empfindet! „Commander“, meldete er vorschriftsmäßig, „Raumschiff Adastra III auf Venus havariert! Versuche der Eigenhilfe erfolglos. Funkgerät zerstört. Zwei Mann Verluste durch Feindeinwirkung. Antrieb bei Landung stark beschädigt. Sonst alles in Ordnung!“ Ich mußte unwillkürlich lächeln. Wie wollte er auf einem Raumschiff diesen Ton aufrechterhalten? Noch dazu in einer solchen Lage. War er wirklich so unerfahren? Aber ich hatte mich geirrt Als ich ihm für die Meldung dankte, wurde er plötzlich anders. „Parker“, sagte er, „ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind! Wir haben es während der vergangenen Tage nicht leicht gehabt. Trotzdem hat meine Besatzung sich großartig gehalten.“ Na also! So steif war er gar nicht. Ich legte ebenfalls meine gezwungene Haltung ab, die er mir unwillkürlich aufgezwungen hatte, und reichte ihm die Hand. „Sie haben sich fein gehalten!“ sagte ich anerkennend. „Jetzt müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir hier wieder rauskommen.“ Dann fiel mir auf, daß hier niemand Filter trug, obgleich die Schleusen offenstanden. Ich fragte ihn deswegen. „Unsere Lufterneuerungsanlage ist ebenfalls kaputt, die hydroponischen Tanks nur noch zum Teil einsatzbereit. Aber die Venusluft läßt sich ganz gut atmen, wenn man sich ein wenig daran gewöhnt hat Zuerst ist es allerdings unangenehm, wegen 38
des hohen CO2-Gehalts. Die Filter kann man bei der Hitze aber auch nicht für unbegrenzte Zeit vertragen. Wir haben etwas anderes entdeckt – kommen Sie mit!“ Ich folgte ihm erstaunt nach unten. Er führte mich zu der Tür des Treibstofflagers, die eigentümlicherweise offenstand. Er blieb stehen. „Sehen Sie sich das an!“ forderte er mich auf. Ich warf einen Blick hinein und schrak zurück. „Was ist das denn?“ Ich war verblüfft. „Das sind Teile unserer geretteten Algenkolonie“, erklärte er ruhig. „Als die Tanks zerbrachen, kamen einige Pflanzen mit der Venusluft in Berührung. Sie entwickelten sich unheimlich rasch und erreichten bald diese Größe“, er deutete in den grünen Wirrwarr im Laderaum. „Seitdem dient uns der Laderaum als einzige, große Lufterneuerungsanlage. Die großen Blattoberflächen dieser mutierten Algensorte gedeihen in der kohlendioxydgeschwängerten Atmosphäre offensichtlich besonders gut. Sie spalten das CO2, verwenden den Kohlenstoff für die eigene Ernährung, und geben dafür Sauerstoff in großen Mengen frei. Nehmen Sie ruhig die Atemmaske ab, Commander!“ forderte er mich auf. Ich tat es zögernd, mußte jedoch feststellen, daß mir aus dem Laderaum eine frische, sauerstoffreiche Luft entgegenkam, die von hier aus das ganze Schiff durchzog. „Sie haben da etwas entdeckt, Kapitän“, sagte ich und atmete dabei tief, „was wahrscheinlich noch einmal sehr große Bedeutung erlangen wird.“ Er nickte nur. „Ja, ich weiß“, sagte er bescheiden, „man könnte weite Teile der Venusoberfläche damit bepflanzen. Die Algen erreichen nur eine bestimmte Größe und wuchern nicht weiter wie die hiesigen Schmarotzergewächse. Vielleicht würde nach einiger Zeit der Planet bewohnbar.“ 39
„Wissen Sie, was Sie da sagen?“ schrie ich ihn unbeherrscht an und packte ihn fest beim Arm. „Wissen Sie, was das für die Erde bedeutet?“ „Ja, Commander, ich weiß es“, erwiderte er, ruhig wie zuvor. Beschämt ließ ich seinen Arm fahren und beschloß, mich von jetzt an zu beherrschen. „Ich weiß es besser als Sie, Parker“, sagte er ernst, „denn meine Heimat ist in noch viel stärkerem Maße überbevölkert als Ihr Land.“ Schweigend standen wir noch eine Weile vor der Algenwildnis, dann drehte ich mich um. „Kommen Sie, Kapitän! Über das hier“ – ich deutete zurück – „können wir später noch sprechen. Jetzt warten andere Aufgaben auf uns.“ Er blickte mich eigenartig an und folgte mir mit leichtem Neigen seines Kopfes. Auch ein Asiate! durchfuhr es mich. Blitzartig erkannte ich Parallelen im Benehmen Tseus zu Szibougadz und Petrovich. Aber andere Sorgen verdrängten diesen Gedanken wieder. Wir hatten unser Ersatzfunkgerät mitgebracht und stellten die Verbindung mit meinem Schiff her. Als sich Rich zum erstenmal meldete, war die wichtigste Brücke zwischen den Schiffen geschlagen. Nun berief ich eine „große Konferenz“ ein, an der die Besatzungsmitglieder in der Adastra I über Funk teilnahmen. Wir besprachen unsere augenblickliche Lage und berieten, was zunächst zu tun sei. Daß wir die A III nicht so rasch flottbekommen würden, lag auf der Hand. Aber sie zurücklassen? Die ganze Besatzung konnte ich nicht aufnehmen, denn dann wäre die A I nicht mehr in vollem Umfang manövrierfähig gewesen. Ruhig und bestimmt schlug Kapitän Yo Tseu vor, was keiner von uns auszusprechen wagte: „Wenn Sie uns bestimmte Ersatzteile hierlassen, könnten wir drüben auf festem Boden etwas wie eine Station errichten. Es 40
wird uns gelingen, mit Hilfe Ihres Schiffes die A III nach drüben zu schleppen, damit wir sie als Zuflucht verwenden können. Während Sie weiter nach Lensing fahnden und ihn unschädlich machen, könnten wir hier schon wertvolle Forschungsarbeit leisten. Das Zurückbleiben wird selbstverständlich freiwillig erfolgen. Ich werde hierbleiben.“ „Ich habe Ihren Arzt nicht gesehen“, bemerkte Elsy und sah ihn forschend an. „Er ist tot“, erklärte Tseu. „Er versuchte, einen Mann zu retten, der bei Lensings plötzlichem Überfall in der offenen Schleuse stand.“ „Dann werde ich bei Ihnen bleiben – falls unser Kommandant das erlaubt.“ Elsy war sehr ernst geworden. Sie können mir glauben, daß mir dieser Gedanke nicht gerade sehr angenehm war. Erstens wollte ich Elsy nicht schon wieder neuen Gefahren aussetzen. Zweitens hatten wir ohnehin wenig genug voneinander. Drittens konnte es gut sein, daß wir im weiteren Verlauf unseres Unternehmens selbst dringend einen Arzt gebrauchen konnten. Auf der anderen Seite konnte ihre Anwesenheit hier viel zu einer besseren Moral der zurückgebliebenen Station beitragen, weil sich die Männer bestimmt nicht von einer Frau an Mut übertreffen lassen würden. Die Station war ohne Arzt verloren, wenn plötzlich irgendeine noch unbekannte Krankheit ausbrach Untersuchungen waren anzustellen, die von großer Wichtigkeit waren. Wir konnten uns unterwegs schon irgendwie helfen. Und außerdem wollten wir ja nur gegen Lensing ins Feld ziehen und dann wieder zurückkehren – was bestimmt nicht ungefährlicher war als der Aufenthalt im ziemlich sicheren Schutz des Schiffsrumpfes. Diese Überlegungen bewogen mich dazu, ihr zwar mit gemischten Gefühlen, aber ohne allzuviel Sorgen meine Erlaubnis zu geben, nicht als ihr Mann, sondern als der Kommandant des 41
Unternehmens. Hätte ich gewußt, wie lange wir fortbleiben würden, würde ich vielleicht anders gehandelt haben. „Ich werde ebenfalls hier bleiben“, schloß sich Dick Beer zu meiner Erleichterung an. „Hier kann ich endlich einmal eine Reportage nach meinem Herzen schreiben, die keiner vor mir jemals geschrieben hat“, grinste Dick. „Gut, einverstanden. Wer bleibt sonst noch hier?“ fragte ich. Die gesamten Besatzungen beider Schiffe meldeten sich dazu. Ich hatte es nicht anders erwartet. „Ich kann natürlich nicht mit ein oder zwei Mann Besatzung einen Krieg gegen die Gangster anzetteln“, sagte ich und war dabei stolz auf unsere Jungens. „Hier ist nur eine kleine Stationstruppe erforderlich, die sich aus Leuten mit bestimmten Fähigkeiten zusammensetzen muß. Alle anderen nehme ich mit.“ Nach einigem Hin und Her war die Besatzung der ersten irdischen Station auf der Venus ausgewählt. Kapitän Yo Tseu sollte die Gruppe leiten, die aus Elsy, seinem Funker Jose Lamarez, Dick Beer, dem geschicktesten Techniker der A III mit dem wundervollen Namen Waldemar Würfelzucker sowie zwei der Polizisten unserer Sicherheitsabteilung bestand. Meine dezimierte Besatzung wurde durch den Zweiten Piloten der A III und die drei restlichen Besatzungsmitglieder ergänzt, die beinahe weinten, als sie hörten, sie würden ihr Schiff verlassen müssen. Es ging aber nicht anders. Als dieser Fall ausgehandelt war, gab ich weitere Anweisungen. „Beide Schiffe haben jetzt erhöhte Alarmbereitschaft, damit Lensing uns nicht während der Arbeiten am Floß noch einmal überraschen kann. Sobald wir damit fertig sind, kümmern wir uns um den Burschen, aber vorher wollen wir in aller Eile die neue ‚Station Venus I’ begründen. Wir helfen alle mit, ausgenommen die Bemannung der Bordgeschütze.“ 42
Das nun folgende Manöver war ein wahrer Alptraum. Wir lösten das Problem schließlich mit einiger Mühe in der Weise, daß wir ein Dutzend unserer haltbarsten Kunststoffseile an dem Wrack befestigten und es mit unserer Maschine einfach Zentimeter um Zentimeter aus dem Schlamm freischleppten. Wider Erwarten gelang der riskante Versuch ohne Schwierigkeiten. Die Adastra III wurde da aufgesetzt, wo wir vorher gestanden hatten. Wir setzten unser Schiff unmittelbar daneben. „Wir entwickeln uns langsam zu Akrobaten!“ behauptete Finn und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Habe mir nie träumen lassen, daß ich einmal auf der Venus Abschleppdienste tun würde.“ „Ich bin froh, daß die Schiffe dabei nicht zu Bruch gegangen sind“, sagte ich erleichtert. Als Nächstes brachten wir das leicht beschädigte Beiboot der Adastra III in Ordnung. Sie würden es zur Erforschung der Venus, besonders ihrer unmittelbaren Umgebung, noch gut gebrauchen können. Treibstoff dafür war ja für einige Jahre vorhanden, weil das Schiff selbst seine Vorräte kaum noch würde brauchen können. Inzwischen brach, viel langsamer als auf der Erde, die Dämmerung herein und tauchte die ganze Umgebung in ein unwirkliches, nebelhaftes Licht, dessen Farbe unbeschreiblich war. Ich will es nicht gerade rot nennen, aber die ganze Nacht hindurch geisterten rötliche Schatten durch die schwarze, mond- und sternenlose Finsternis. Da wir von Leasing noch nichts wieder gehört hatten, beschloß ich, uns eine Nacht lang richtige Ruhe zu gönnen und den Angriff auf den nächsten Morgen zu verlegen. Ich will hier noch vorwegnehmen, daß Tag und Nacht auf der Venus nur etwa eine Stunde länger dauerten als auf der Erde. Elsy und ich nahmen wieder einmal ausführlich Abschied voneinander. 43
„Weißt du, Liebes“, sagte ich und war etwas traurig, „Ehe kann man das nicht gerade nennen, was wir führen.“ „Aber, Schatz“, blinzelte sie mich vorwurfsvoll an, „du bist doch in ein paar Stunden, höchstens Tagen, wieder zurück. Inzwischen kann ich hier mehr leisten als bei dir im Schiff, Wir bleiben in Funkverbindung miteinander, und wenn irgend etwas eintreten sollte, was die Anwesenheit eines Arztes …“ „Unsinn!“ unterbrach ich sie. „Ich spreche jetzt nicht zu Fräulein Doktor Eltkin, sondern zu meiner mir rechtmäßig angetrauten Ehefrau!“ „Na, bitte“, entgegnete sie spitzbübisch, „und wie hätte sich die Frau des berühmten Raumfahrers Commander Jim Parker deiner Ansicht nach verhalten sollen, als es hieß ‚Freiwillige vor’? Als kein anderer Arzt in 60 Millionen Kilometer Umgebung zur Verfügung stand? Als eine Venuskolonie gegründet werden sollte und jene kleine Frau der einzige Biologe in der Nähe war?“ „Natürlich hast du recht“, mußte ich zugeben, „aber …“ „Ich weiß schon, Jim“, schmeichelte sie mir, „ich wäre auch lieber mit dir zusammen. Aber es ist besser, wenn ich erst mal hierbleibe, das siehst du doch ein. Wenn du in ein paar Tagen wieder hier bist, holen wir alles nach, was wir jetzt versäumen, ja?“ Ich gab ihr schon mal einen recht ausgedehntem Kuß als Vorschuß und versprach ihr, vorsichtig zu sein. Wir waren gerade eingeschlafen, da wurden wir durch ein wildes Geknalle geweckt. Ich war mit einem Satz aus dem Bett und oben im Steuerraum, aber da kam ich nur noch zurecht, um in das laute Fluchen von Crimsey und Dick mit einzustimmen, die gerade Wache hatten. „Dieser Schweinehund!“ schimpfte der gut erzogene Oberleutnant ungehalten. „Wenn ich ihn zwischen die Finger bekomme, bleibt kein Knochen heil!“ 44
„Was ist denn los? Seht ihr Gespenster?“ fragte ich und zog mir einen wütenden Blick aus zwei Augenpaaren zu. „Ja, Gespenster!“ höhnte Dick und zeigte auf die Bildschirme. „Die beiden Radarantennen sind jetzt zum zweitenmal kaputt, nachdem wir sie mit so viel Mühe repariert haben! Das Boot kam einfach aus dem Nichts und verschwand wieder, obwohl wir sofort aus allen Rohren draufhielten. Auch die A III hat eine volle Breitseite abgegeben. Vermutlich genauso nutzlos wie wir auch.“ „Verdammt!“ schimpfte ich jetzt auch und setzte nicht einmal Crimsey damit in Erstaunen, so sehr hatte er sich schon akklimatisiert. „Jetzt fangen wir wieder von vom mit der Reparatur an, und Lensing hat einen weiteren Vorsprung.“ „Metalldetektor zeigt auch nicht mehr an!“ meldete Rich, indem er aus seiner Bude heraufkam. „Wir hätten doch gestern abend noch aufbrechen sollen.“ „Vielleicht. Ich hoffte, eine Nacht in Ruhe gelassen zu werden. Aber wir kennen ja seinen Standort. Beim ersten Morgengrauen sind wir dort und verpassen ihm ein paar freundliche Grüße. Jetzt gehen Rich und ich gleich dran, die Antennen wieder in Ordnung zu bringen!“ entschied ich und war selbst zu allerlei entschlossen für den Fall, daß ich den sauberen Mathematikprofessor zwischen die Finger bekommen sollte. Wir arbeiteten den Rest der Nacht wie Sklaven an den Antennen. Unsere Lampen konnten die tiefe Dunkelheit kaum durchdringen, weil sich nachts die Wolkendecke bis dicht auf den Boden herunterzog. Erschöpft von der Arbeit in den luftgefilterten Schutzanzügen – die Temperatur betrug immer noch 20 Grad über Null, vielleicht mehr – taumelten wir am frühen Morgen wieder ins Schiff und ließen uns erst einen starken Kaffee brauen. Dann wurde der vereinbarte Besatzungswechsel vorgenommen und das Schiff klar gemacht. Ohne große Vorsichtsmaßnahmen hielten wir direkt auf den Platz zu, an dem wir das Schiff der Gauner bei unserer Landung 45
entdeckt hatten. Unser Metalldetektor war zwar wieder in Ordnung, zeigte aber nichts an. „Kannst du irgend etwas ausmachen?“ fragte ich Rich, der an den Geräten hantierte. „Nein, Jim, rein nichts. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.“ „Finn, geh noch tiefer. Ich nehme das Fernrohr!“ befahl ich. Auch mit dem Fernrohr konnte ich nichts sehen als dichtes Buschwerk und naßglänzende Stellen dazwischen. Wir kreuzten über dem auf unserer Karte markierten Punkt – nichts! „Jetzt will ich es genau wissen“, sagte ich wütend. „Rich, wir steigen mit dem Boot aus und untersuchen die Gegend. Finn, paß auf, daß uns niemand in die Quere kommt.“ „Möchte ich niemandem raten“, brummte er erbittert. Unsere Stimmung war keineswegs rosig zu nennen. Ohne die geringste Vorsichtsmaßnahme landeten wir mit dem kleinen Gleiter genau da, wo sich das Schiff Lensings befinden mußte. Es waren auch keine Vorsichtsmaßnahmen mehr nötig. Lensing war nicht mehr da! Wir sahen wohl noch an verschiedenen Beschädigungen der Vegetation, daß an einer Stelle ein großer Körper gelegen haben mußte. Schlingpflanzen waren zerrissen und der Boden zerstampft. Aber schon überwucherte die teuflische Vegetation dieses Planeten die Stelle, wo gestern noch ein so reger Flugverkehr geherrscht hatte. „Der Vogel ist ausgeflogen!“ stellte Finn fest. „Du merkst auch alles!“ knirschte ich und gab Rich Anweisung, unsere Feststellung an Tseu zurückzufunken. Dann kehrten wir zur Adastra I zurück. Unterwegs legte Ich mir bereits den weiteren Aktionsplan zurecht. Wenn meine Vermutungen stimmten, hatte Lensing folgendes getan: Er versuchte zunächst, uns so empfindlich wie möglich zu 46
stören. Als er merkte, gegen zwei Schiffe unserer Größe keinen entscheidenden Schlag anbringen zu können, schon gar nicht mit dem Beiboot, das er für die Angriffe benutzt hatte, war er geflohen. Wohin? Wo lag wohl der nächste Stützpunkt der Bande? – Auf dem Regela I natürlich! Also hieß unser nächstes Ziel Regela I! „Wir suchen weiter!“ befahl ich. „Ich möchte schwören, daß Lensing zur Station auf dem Regela I geflohen ist und uns dort ein herzliches Willkommen bereitet. Deshalb, Finn, rechnest du sofort den augenblicklichen Standort des künstlichen Trabanten aus und steuerst ihn an.“ Ich kann nicht beschreiben, welche Aufregung uns jetzt ergriff! Der geheimnisvolle künstliche Mond, der in einer fehlerlosen Kreisbahn den Nebelplaneten umkreiste, war schon während des Herflugs das Gesprächsthema Nummer eins gewesen. Jetzt sollten wir ihn mit eigenen Augen zu sehen bekommen! Ich war nicht minder gespannt als die übrigen Mitglieder unserer Expedition. Finn war die Ruhe selbst. Er nannte mir seine Ergebnisse, und ich rechnete aus, daß wir bis zum günstigsten Startmoment noch rund 40 Minuten Zeit hatten. Ich schaltete die Radarschirme um. Genau an der vorberechneten Stelle fand ich einen runden Schatten, der sich nach Einschalten des Metallsuchers noch vertiefte. Lensing mußte die Nacht dazu benutzt haben, unbemerkt zu entkommen. Wie würde er uns empfangen? War der Satellit vielleicht eine gut ausgebaute Verteidigungsstellung? Wir wußten so gut wie nichts über den Trabanten. Während Finn sich auf den Start vorbereitete – ich überließ ihm die Steuerung – stellte ich die Radarwiedergabe schärfer ein, um möglicherweise Einzelheiten zu entdecken. Zuerst sah ich nichts als einen glatten Globus, ohne besondere äußere Merkmale, dann auf einmal … 47
„Finn, schnell, sieh doch einmal hierhin!“ rief ich hastig. Er fuhr herum und starrte ebenfalls auf den Schirm. Ein kleiner, zigarrenförmiger Schatten löste sich von der Kugel und strebte, in leicht gewölbter Bahn hinaus in den Raum. „Was soll denn das wieder? Ich fürchte, er ist uns schon wieder durch die Lappen gegangen!“ grollte Finn. „Jedenfalls scheint das ein Raumschiff zu sein. Und da es hier in der Gegend meines Wissens nur drei Schiffe gibt, eins davon abgewrackt, eins unter unseren vier Buchstaben, bleibt nur die Vermutung übrig …“ „Ich könnte ihn …“, unterbrach mich Finn und schnellte wieder auf seinen Platz hinüber. Mit wenigen Griffen ließ er die Reaktoren warmlaufen. Er verstand auch ohne Anweisung, was jetzt geschehen mußte. „Anschnallen! Schnellstart!“ kommandierte ich. Fünf Minuten später brausten wir los. Lensing – wir glaubten fest, daß er es sei – hatte einen großen Vorteil vor uns: Während er von dem Trabanten starten konnte, der nur eine minimale Schwerkraft besaß, mußten wir uns erst aus dem Anziehungsbereich der Venus losringen. Sein Vorsprung war also zunächst einmal nicht so schnell einzuholen, und das wußte der kühle Rechner Lensing offenbar auch. Wir zogen drei Kreisbahnen, bevor wir freikamen. Finn kümmerte sich um die Navigation, während Rich und ich alles taten, um das flüchtende Schiff nicht aus den Augen, beziehungsweise aus unseren Schirmen zu verlieren. Dreimal lag die Venus zwischen uns und unserem Ziel, und beim drittenmal hatten wir den rasch kleiner werdenden Strich ganz aus den Augen verloren. „Jetzt sind wir genauso schlau wie zuvor!“ ärgerte sich Finn. „Nicht ganz“, widersprach ich ihm mit einem Funken Hoffnung, „wir können seine bisherige Bahn rekonstruieren und daraus vielleicht das Ziel ableiten, das er ansteuert.“ 48
„Falls er uns nicht an der Nase herumführt“, zweifelte Rich. „Dazu wird er wohl zu wenig Zeit haben.“ Die Adastra I jagte mit höchster Beschleunigung dem Punkt entgegen, an dem wir Leasings Schiff zum letztenmal gesehen hatten. Unterdessen rechnete ich, bis mein eigener Kopf und das Elektronengehirn kurz vor der ersten Rauchentwicklung standen. Punkte, Zahlen und Winkel bedeckten zwei große Bogen Papier. Aber schon die Verbindung einiger Punkte miteinander schuf ein klareres Bild. Das flüchtende Schiff beschrieb zunächst aus der Regelaund Venusbahn heraus eine flache Parabel, die zum Schluß so flach wurde, daß ich sie ohne großen Fehler einer Geraden annähern konnte. Diese Tatsache sprach für eine große Entfernung, die überbrückt werden sollte. Die Verlängerung der Geraden führte nicht zur Erdbahn – das konnte ich auf den ersten Blick sehen. Als ich die Marsbahn einzeichnete, wußte ich Bescheid. „Finn“, sagte ich ruhig, „wir fliegen mal wieder zum Mars!“ „Wohin, bitte?“ fragte er ungläubig. „Richtig verstanden! Zum Mars. Die Herren sind bereits unterwegs dahin, und wir werden ihnen wohl oder übel folgen müssen.“ „Aber auf dem Mars haben wir doch eine Station! Das wird Lensing nicht wagen.“ „Erstens weiß er vermutlich nichts davon“, entgegnete ich, „und zweitens ist der Mars zwar nicht so groß wie die Erde, aber immer noch ausgedehnt genug, um einem flüchtigen Verbrecher Unterschlupf zu gewähren. Wenn auf der Erde ein Gauner im Amazonendschungel verschwindet, kann er ziemlich sicher sein, nicht von der Polizei entdeckt zu werden, die am Nordpol stationiert ist.“ „Leuchtet ein“, brummte er unzufrieden. „Wir werden Jenssen warnen müssen.“ 49
Jetzt, wo ein klares Ziel vor uns lag, waren wir alle wieder ruhiger. Ich ging selbst zu Rich in die Funkstube und teilte erst einmal Yo Tseu unsere Beobachtungen mit. Elsy würde nun doch noch viel länger auf mich warten müssen, als wir beim Abschied angenommen hatten. Aber für die Besatzung der Venusstation bestand keine unmittelbare Gefahr, und der Japaner machte auf mich den Eindruck eines fähigen Kommandanten. Dann stellten wir eine Verbindung mit Station Einstein her. Nach zehn Minuten wurde uns mitgeteilt, daß eine direkte Sprechverbindung mit Astra wegen starker Störungen in der Erdatmosphäre nicht möglich sei. Ich setzte also einen langen Bericht an Präsident Giraud auf, verschlüsselte ihn vorsichtshalber noch, und ließ ihn von Rich durchgeben. Eine halbe Stunde später stand die Einstein so günstig, daß für ein paar Minuten eine direkte Verbindung mit der Adastra II auf dem Mars über eine gerichtete Infrawelle zustandekam. Ich ließ mir Kapitän Kurt Jenssen geben. Die Verbindung war schwach, aber verständlich. „Hallo, Parker“, ertönte Kurt Jenssens Stimme erfreut, „gut, von Ihnen zu hören! Wo sind Sie jetzt?“ „Wir haben wenig Zeit, Jenssen“, sagte ich knapp, „die Verbindung kann nur ein paar Minuten gehalten werden. Wir sind gerade von der Venus gestartet und jagen hinter Lensing her – wieder einmal. Er ist in einem Schiff unterwegs zum Mars. Wahrscheinlich wird er in wenigen Tagen dort eintreffen, weil sein Kahn wesentlich schneller ist als unserer. Ich nehme sogar an, daß er zunächst einen der beiden Monde anfliegen wird. Wir selbst brauchen für den Flug bei höchster Beschleunigung mindestens 18 Tage.“ „Was sagten Sie – Lensing? Was will der denn hier?“ „Auf dem Venustrabanten Relega I hat er eine Station. Vermutlich wird er eine weitere irgendwo im Gebiet des Mars haben. Die beiden Monde kenne ich ziemlich genau.“ Ich gab ihm 50
die Stelle an, an der wir das erstemal mit ihm zusammengetroffen waren. „Ich bitte Sie, Jenssen, ab sofort Ihre Beobachtungsposten zu verstärken, damit wir genau wissen, wo er landet. Wir haben ihn unterdessen aus den Augen verloren.“ „Ich habe eine Beobachtungsstation auf Deimos errichtet. Ist ja mit dem Beiboot leicht zu erreichen“, erwiderte er. „Also kann er uns eigentlich nicht entgehen. Übrigens haben wir bereits erstaunliche Ergebnisse erzielt …“ „Glaube ich gern“, unterbrach ich ihn, „darüber können Sie mir später noch berichten. Wir haben noch zwei Minuten. Passen Sie auf: Verbergen Sie Ihre Station und Ihr Schiff. Rechnen Sie damit, daß Lensing mit einem Metallsucher ausgerüstet ist, der noch besser funktioniert als unserer. Er darf nichts von Ihrer Anwesenheit ahnen. Ich möchte ihn vollkommen in Sicherheit wiegen, bis wir auch dort sind.“ „Ja, gut, ich werde alles sofort tarnen lassen“, gab er ein wenig zögernd zurück. „Aber warum sollen wir nicht inzwischen selbst schon versuchen …“ „Jenssen, ich weiß nicht, wie stark Lensings Mannschaft ist und welche Bewaffnung sein Schiff hat. Ich will die Marsstation nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. Deshalb sollen Sie warten, bis wir zur Verstärkung dort sind. Und vor allen Dingen: Wenn Sie ihn gesichtet haben, sofort Meldung an mich. Wir bleiben in ständiger Verbindung, jeden Tag um dieselbe Zeit. Nur Infrawellen benutzen, keinen direkten Funkverkehr mehr, auch nicht auf dem Mars selbst! Unser Freund soll sich vollkommen sicher fühlen.“ „Wir können nicht weiterarbeiten, wenn wir uns so verbergen müssen. Die Wissenschaftler hier behaupten ohnehin schon, daß alles viel zu langsam ginge.“ „Die Wissenschaftler unterstehen immer noch dem Befehl der Sicherheitsabteilung, deren Commander ich bin. Wenn sie Schwierigkeiten machen sollten, berufen Sie sich auf meine 51
Anweisung. Jenssen, ich muß mich auf Sie verlassen können. Er darf uns nicht wieder entwischen!“ „Okay, Commander“, kam es noch schwächer zurück, „ich werde für alles sorgen. Melden Sie sich regelmäßig auf Band …“ Damit verschwand die Stimme, und Einstein teilte uns mit, daß die Verbindung nicht mehr länger aufrechterhalten werden konnte. Ich bedankte mich. Es war ja alles Wichtige gesagt worden. Nun lagen fast drei Wochen eintönigen, abwechslungslosen Einerleis vor uns. Auch mit unserem hervorragenden Atomantrieb ließ sich die Flugdauer nicht noch weiter verkürzen. Noch vor einem halben Jahr hätten wir für dieselbe Strecke – ganz abgesehen davon, daß kein früheres Schiff genügend Raketentreibstoff für so riesige Flüge schleppen konnte – mehrere Monate gebraucht! So rasch schreitet die Entwicklung voran. Vermutlich hatten wir unsere Erfolge zum guten Teil der Angst zu verdanken, die unsere Regierungen vor dem Eingreifen der Bande in die irdische Wirtschaft hatten. Jetzt hatte ich genug Zeit zum Nachdenken. Wie würde es werden, wenn diese Gefahr endgültig beseitigt war? Würde man uns noch entsprechende Mittel bewilligen, um die Raumforschung im gleichen Maße voranzutreiben? Oder würde sich die Union auf den Standpunkt stellen: Die Gefahr ist vorbei, jetzt können wir langsam tun? Wenn wir das Raumschiff Lensings unbeschädigt bekommen könnten, wären wir wieder einen gewaltigen Schritt weiter. Der geheimnisvolle Antrieb, von Professor Miller-Szibougadz entwickelt, war um ein Vielfaches selbst unseren Atomtriebwerken überlegen. Auf welcher Grundlage mochte er wohl arbeiten? Wir wechselten uns im Flugdienst ab und hielten trotz geringer Hoffnung, etwas zu entdecken, die Radarschirme extra besetzt, obgleich der Pilot sie gut mit. überblicken konnte. Drei 52
Tage lang geschah nichts. Noch nicht einmal ein Meteor kreuzte unsere Bahn, um uns ein wenig Abwechslung zu bringen. Am vierten Tage meldete Jenssen die Annäherung eines unbekannten Raumschiffs. „Du hast recht gehabt“, gab Finn nun zu. Sie können sich vorstellen, wie froh ich war! „Aber womit fliegen die Brüder eigentlich?“ setzte er erstaunt hinzu, „wie werden sie mit der unheimlichen Beschleunigung fertig? Wo bekommen sie überhaupt ihren Treibstoff her, was immer sie verwenden mögen?“ „Weiß ich genausowenig wie du“, mußte ich zugeben, „Aber ich hoffe, wir werden es bald herausfanden.“ „Ja“, meinte er skeptisch, „falls uns Lensing seinen Kahn freundlicherweise unbeschädigt als Morgengabe überreicht!“ „Sei nicht zynisch, Finn. Wir werden ihn uns nehmen. Oder willst du noch monatelang hinter ihm herjagen?“ Er schob sein Kinn vor und antwortete mit einem herzlich gemeinten Wunsch für Lensing und Genossen, den ich hier nicht wiederholen möchte. Dann kamen wieder viele Tage, von denen einer dem anderen glich. Sie glauben nicht, wie lang vierzehn Tage werden können, wenn man einem Ziel entgegenfiebert und es doch nicht schneller erreichen kann! Einmal sind alle nötigen Berechnungen gemacht und zehnmal überprüft, dann gibt es nichts weiter zu tun als das Schiff auf dem Kurs halten, die Reaktoren überwachen, die Waffen in Ordnung halten, die hydroponischen Tanks pflegen, essen, schlafen und Karten spielen. Oder als Abwechslung einmal Schach, wobei ich immer wieder an Szibougadz denken mußte. Unser Schiff war so großzügig eingerichtet, daß man unter normalen Voraussetzungen trotz des erhöhten Andrucks, unter dem wir nicht wenig litten, einen wochenlangen Flug bequem aushalten konnte. 53
Aber das Bewußtsein, vielleicht wieder zu spät zu kommen, störte uns gewaltig. Auch die allgemeine Stimmung litt darunter. Glücklicherweise erhielten wir täglich recht erfreuliche Nachrichten von Jenssen. Offenbar war die Station bisher unentdeckt geblieben, denn Lensing benahm sich auf dem Mars wie zu Hause. Er war, entgegen meiner Annahme, nicht auf Deimos gelandet, sondern in der Nähe des marsianischen Südpols. Er unternahm tägliche Beobachtungsflüge mit dem Beiboot und richtete sich wahrscheinlich auf dem roten Planeten häuslich ein. Ich zweifelte nicht im geringsten daran, daß er sich auch auf unseren früher oder später doch zu erwartenden Angriff vorbereitete. Da ich so viel freie Zeit zur Verfügung hatte, nahm ich mir eine Arbeit vor, die ich schon lange in Angriff nehmen wollte. Ich verbrachte den größten Teil meiner dienstfreien Stunden in meiner Kabine und arbeitete eine Empfehlung an den Verwaltungsrat der Union aus. Die Menschheit stand jetzt an der Schwelle des Raumfluges und war praktisch in der Lage, das eigene Sonnensystem jetzt schon zu erobern. Wenn auch der Hauptanlaß für die ersten Schritte die Verfolgung einer Verbrecherbande war, durfte nach Erledigung dieser Aufgabe auf keinen Fall ein Stillstand eintreten. Diesen Gedanken wollte ich den Männern nahebringen, die über die Geschicke der Erde zu bestimmen hatten. Ob ich sie würde überzeugen können? Ich erinnerte mich dabei auch oft an die letzten Worte des Inders Szibougadz. Und je länger ich darüber nachdachte, um so mehr war ich davon überzeugt, daß wir dieser „Gefahr von außen“, von der er sprach, und von deren Existenz auch Petrovich überzeugt war, tatsächlich eines Tages gegenüberstehen würden. 54
Mein Exposé war natürlich nicht viel mehr als eine Skizze. Mir fehlten genaue Berichte der beiden Stationen auf Mars und Venus. Diese Berichte waren andererseits erst wieder nach längeren Untersuchungen zu erwarten. Aber immerhin – die Arbeit half mir über die Tage hinweg, die uns so endlos lang erschienen, weil wir durch den Raum rasten und nichts zu tun hatten. Damals wußte ich noch nicht, welche Lawine ich mit meinem Bericht in Bewegung setzen würde. Vielleicht hätte ich sonst die Finger davon gelassen. Wie es nicht anders sein konnte, näherten wir uns schließlich doch dem Mars und standen während der drei letzten Tage unseres Anflugs in direkter Funksprechverbindung mit Jenssen. Ich konnte das wagen, da ich sicher war, daß niemand unsere Infrawellen abhören konnte. Wir bemühten uns nicht erst, unseren Anflug geheimzuhalten. Lensing mußte uns so oder so kommen sehen. Er konnte aber nicht ahnen, daß wir bereits Genaueres über ihn wußten, und das wurde schließlich sein Verderben. Das Lager, das er in der Nähe des Südpols aufgeschlagen hatte, war sorgfältig in unserer Karte eingetragen. Kurt Jenssens Lager war nur dreihundert Meilen davon entfernt, in nördlicher Richtung an demselben Hauptkanal, an dem sich auch Lensing niedergelassen hatte. Wie aus den Funksprüchen hervorging, wurde in beiden Fällen eine vorgefundene Pumpstation – oder was die viereckigen Sandhügel auch immer gewesen sein mochten – als Hauptquartier verwendet. Diesmal erhielten wir beim Einflug keine Funkwarnung. Der Gegner verhielt sich still und war auch gegen unsere Metallsucher gut gedeckt. Wir taten ganz harmlos und ließen uns in der Nähe des Pols auf die Marsoberfläche hinuntergleiten. Dadurch hatten wir ihn fast genau in der Mitte zwischen uns und den Freunden. 55
Schon längst war das gemeinsame Vorgehen aufeinander abgestimmt. Alle Geschütze der A II, besonders die gefährlichen Ultraschallkanonen, richteten sich auf Lensing. Er nahm vermutlich indessen uns aufs Korn. Ganz wohl war mir bei diesem Gedanken nicht, das muß ich zugeben. Die Nervosität in der A I war wie weggewischt, als unter uns die schmutziggelben Wüsten des Mars größer wurden und schließlich den ganzen Heckbildschirm einnahmen. Wir trieben darüber hinweg, bis die Oberfläche des Planeten graublau und schließlich milchigweiß zu schimmern begann. Dann setzte ich zur Landung an. Unser Landeplatz würde in einer halben Stunde dunkel sein – so hatten wir es uns ausgerechnet. Genau in dem Augenblick, wo die Nacht hereinbrach, wollten wir gemeinsam losschlagen. Die Landung verlief glatt. „So, da wären wir wieder“, seufzte Finn ergeben. „Es ist mir, als ob ich nach längerer Abwesenheit einen alten Bekannten wiedersähe.“ „Ganz so schlimm wird es wohl nicht sein“, schwächte ich seinen Gefühlsausbruch ab. „Aber zumindest wissen wir, was wir hier zu erwarten haben. Nur dürfen wir nicht vergessen, daß auch Lensing den Mars kennt und zwar besser als wir selbst.“ Schweigend warteten wir die letzten Minuten bis zum Eintreten der Dunkelheit ab. Zu besprechen gab es nichts mehr, wir waren bereit zum letzten großen Schlag. Jenssen meldete kurz und bündig, daß auch auf seiner Seite alles vorbereitet sei. Fast augenblicklich wurde es dunkel, als die Tageslinie auf unseren Standort zuwanderte. Die dünne Atmosphäre gestattete keine allmähliche Dämmerung. Ich muß sagen, daß ich mich hier fast noch wohler fühlte als auf der Venus, obgleich diese dem Menschen lange nicht so abweisend gegenübertrat wie der trockene, kalte Mars. 56
Ich biß die Zähne zusammen und beobachtete das Vorrücken des Sekundenzeigers. Jenssens Uhr war genau mit meiner abgestimmt. „Los!“ kommandierte ich. Ich drückte auf den Startknopf. Mit einem Riesensatz schoß die A I in die Höhe und wurde gleich darauf wieder von der Sonne beschienen, während unter uns alles dunkel lag. Dies war natürlich ein eindeutiger Vorteil für den Gegner! Aber wahrscheinlich auch der einzige, denn das Überraschungsmoment war auf unserer Seite. Wir stoppten in tausend Meter Höhe ab und beobachteten, wie unter uns gewaltige, blaugrün schimmernde Sandwolken aufgewirbelt wurden. Die Druckwelle war bis zu uns herauf zu spüren. Jenssen hatte genau im richtigen Augenblick seine Ultraschallkanonen abgefeuert und außerdem noch eine mittlere Atombombe hinterhergejagt. „Dort lebt nichts mehr!“, meinte Finn, und ich konnte etwas wie Erschütterung in seiner Stimme hören. Wir jagten unsere volle Salve in das Zentrum des durch Ultraschall aufgewirbelten Sandes, um ganz sicher zu gehen. „So“, stöhnte ich erleichtert, „das wäre erledigt.“ Ich hatte kaum ausgesprochen, da erhielt die Adastra I einen harten Stoß. „Verdammt, was ist denn?“ schrie ich. „Schießt der Idiot jetzt noch auf uns?“ „Hallo, Jenssen!“ rief ich vergebens in die Funkanlage. Nichts war zu hören. „Ausgefallen!“ meldete Rich lakonisch. „Treffer am Lagerraum drei!“ ertönte Clarks Stimme von unten. „Ziemliche Verwüstung, Kammer A des Kontrollraums ohne Luft. Melon durch Splitter am Oberschenkel verletzt.“ „Ich hab ihn!“ schrie Finn von seinem Platz aus und deutete auf den oberen Schirm. Ein weißblauer Blitz schoß in Richtung Osten davon. 57
„Das kann nur sein Beiboot sein“, stellte ich fest und kommandierte dann: „Mit voller Kraft hinterher! Jenssen sofort ebenfalls das Beiboot hinterherschicken und zugleich A II schnellstarten und auf Kurs Ost gehen.“ „Was kann geschehen sein?“ fragte mich Finn, „Dieses Trommelfeuer überlebt doch kein Mensch!“ „Ich kann es mir nur so vorstellen, daß er genau gleichzeitig mit uns gestartet ist, um uns bei Einbruch der Dunkelheit zu überfallen. Das Schiff haben wir vermutlich erwischt – Lansing aber sitzt im Beiboot und flieht schon wieder. Weit kann er damit allerdings nicht kommen.“ „Nee“, knurrte Finn böse, „das wird er auch nicht.“ „Beiboot gestartet, A II folgt in zwei Minuten“, meldete Jenssen ruhig und exakt. „Müssen erst die Tarnung beseitigen“, fügte er erklärend hinzu. Lensing machte einen Fehler: Er versuchte, nach der Seite zu entkommen, statt sich vertikal zu entfernen. Außerhalb der Atmosphäre war nämlich sein Beiboot mit dem geheimnisvollen Miller-Antrieb (in Gedanken nannte ich ihn immer noch so) auf jeden Fall schneller als unsere Schiffe. In der Atmosphäre wurde dieser Nachteil dadurch ausgeglichen, daß er nicht mehr Reibung riskieren konnte als wir. Blitzschnell kombinierte ich und jagte dann die A I noch um tausend Meter höher hinauf. Ich mußte unbedingt über ihm bleiben und ihn notfalls nach unten drücken. Da! Weit vorn versuchte er einen Durchbruch nach oben! Ich hatte richtig geschätzt. Mit ein paar Strahlenschüssen hetzte ich ihn wieder zurück in Bodennähe. Dort kam er sich zwar im Augenblick sicher vor, aber schon war das Beiboot der A II zur Stelle und brannte ihm ein paar Hitzestrahlen auf den Pelz. Vermutlich war er durch den Angriff von zwei Seiten gleich58
zeitig mehr als überrascht. Er fegte in wildem Zickzack-Kurs über den Mars dahin, wir immer dicht hinterher. Die dünne Atmosphäre wurde bei der irrsinnigen Geschwindigkeit gefährlich dicht und pfiff an dem Schiff entlang. Die Außenwände begannen heiß zu werden. Wollte er uns müde machen? Einmal hatten wir den Mars bereits umkreist, und immer noch nahm die wilde Jagd kein Ende. Lensings Boot lag mehrere Kilometer vor uns und zog auf einmal steil nach oben, uns entgegen. Vor uns tauchte nämlich, für ihn völlig unerwartet, ein neuer Feind auf: Die A II! „Jetzt ist er erledigt!“ jubelte Finn. Zu früh! Von schräg unten raste er mit irrsinniger Geschwindigkeit und halsbrecherischen Flugmanövern plötzlich auf uns zu und löste im Abdrehen ein Projektil aus. „Achtung!“ schrie Finn, aber ich hatte es auch schon gesehen. Mit hartem Griff schob ich den Steuerhebel von mir weg und stürzte, Nase nach vorn, in die Tiefe. Wenige Meter nur rauschte das gefährliche Geschoß an uns vorbei. Mit knapper Not fing ich die schwere Maschine, die natürlich nicht für solche Manöver gebaut ist, wieder ab und strebte erneut nach oben. Die raschen Wendungen zerrten an uns. Ich konnte mir ausrechnen, wie lange der menschliche Organismus diese Tortur noch aushalten konnte. Aber Lensing konnte es auch nicht besser gehen! „Zähne zusammenbeißen, wir kommen wieder!“ rief ich aufmunternd ins Mikrophon und sah mich nach dem gesuchten Boot um. Nanu?! Verschwunden? „Jenssen, wo ist Lensing geblieben?“ „Habe ihn im Visier!“ antwortete Jenssen atemlos. „liegt fast in direkter Schußweite vor mir. Peilt mich an!“ Er gab uns einen Peilstrahl. Ich drückte auf die Tube und flog hinterher, so schnell es das 59
gequälte Material erlaubte. Wer kümmert sich in solchen Situationen um Sicherheitsvorschriften! Nach fünf Minuten sah ich ihn wieder. Als er mich entdeckte, schien sich seine Geschwindigkeit zunächst etwas zu verzögern. Vielleicht war er verblüfft, es immer noch mit zwei Schiffen zu tun zu haben, nachdem er meinen mußte, eins abgeschossen zu haben. Mut hat der Bursche! dachte ich gerade, als er praktisch auf der Stelle wegtauchte. Sowohl Jenssen als auch ich rasten darüber hinweg und drehten gleich darauf enge Schleifen, um ihn wiederzufinden. Unter uns lag jetzt eine hellerleuchtete Wüstenfläche. Wie oft wir den Planeten umrundet hatten, wußte ich nicht mehr zu sagen. Aber ich sah, wie Lensing inmitten der gelben Fläche landete. „Vorsicht! Er igelt sich ein!“ rief ich zu Jenssen hinüber. „sicher ist er jetzt zu allem fähig. Nicht zu nahe rangehen, wir bekommen ihn schon!“ „Finn“, setzte ich hinzu und brachte unsere Adastra I zum Halten. „Schick ihm doch eine S 7 auf den Pelz.“ Das waren unsere neuen Fernlenkraketen, die auch über weite Entfernungen mit tödlicher Sicherheit ins Ziel trafen. Clark und Melon machten das Abschußrohr fertig, Finn schaltete die Lenkung ein. Elegant zischte das fünf Meter lange Ding aus dem Rohr. Gespannt verfolgte ich die Flugbahn. Finn lenkte es absichtlich in einigen Bogen zur Oberfläche hinunter, wo ich inmitten der Wüste einen metallisch leuchtenden Funkt erkannte. Kurz vor dem Ziel explodierte die S 7. „Verdammt, er hat ein Abwehrmittel!“ schimpfte ich. „Laß es uns anders versuchen, Jim“, schlug Finn vor, „Sturzflug und Ultrastrahlen drauf!“ Ja, das war wohl das Richtige! Also los! Wir neigten unsere 60
Nase nach unten und schossen selbst wie eine Granate auf das verschwindend kleine Ziel los. Das war das letzte, was ich von diesen Minuten weiß. – Als ich wieder zu mir kam, blickte ich erstaunt umher. Ich hatte einen Helm auf, ebenso Finn und Clark, die sich in der Steuerkabine aufhielten. „Was ist denn das für eine Maskerade?“ fragte ich wütend. „Wie lange war ich weg?“ „Nur fünf Minuten“, antwortete Finn gepreßt. Er hatte einen Lappen um die Linke gewickelt, aber aus dem unzureichenden Verband strömte Blut. Die dünne Atmosphäre und der niedrige Druck … „Sind wir denn gelandet?“ fragte ich und mühte mich, aufzustehen. Mein noch nicht ganz ausgeheiltes Handgelenk schmerzte dabei so, daß ich die Zähne zusammenbeißen mußte. „Ja, ich bin gelandet“, preßte Finn hervor. „Bleib liegen, Jim, du hast dir dein Handgelenk wieder gebrochen, als er uns erwischte. Dachte nicht, daß wir noch runterkommen würden. Da vorn ist er! Jetzt wird er uns gleich den Rest geben.“ „Nein!“ sagte ich und war auf einmal vollkommen klar. Ich stand auf und ließ den lahmen Arm, der gräßlich weh tat, einfach baumeln. „Nein, das wird er nicht! Clark!“ Er schaute mich verdutzt an. „Kümmere dich lieber um Finn, damit er nicht verblutet! Hier müssen auch kleinere Wunden sofort abgebunden werden. Finn, raus aus dem Sitz!“ In der Seitenwand klaffte ein meterlanges Loch. Was für ein Ding mochte uns getroffen haben? Scheinbar hatten die Jungens aber noch rechtzeitig reagieren können. „Danke für den Helm!“ sagte ich kurz. Ohne ihn wäre ich in kurzer Zeit erstickt. Zum Atmen ist die Marsluft doch zu dünn. Die Schirme arbeiteten nicht mehr, aber durch das Loch konnte ich nach draußen sehen. Auch die Funkanlage war an61
scheinend zum Teufel, denn Rich bemühte sich vergeblich, mit Jenssen Kontakt zu bekommen. Zweihundert Meter vor uns stand, ein wenig schräg, aber unversehrt, das verdammte Boot Lensings! Warum schoß er nicht? Wir boten doch wahrhaftig eine prächtige, unbewegliche Zielscheibe! Glaubte er uns alle tot? Fühlte er sich so sicher? Ich kann heute nicht mehr erklären, was, ich eigentlich vorhatte, als ich mich durch das Loch in unsere Kabine zwängte. Die A I lag natürlich auf dem Bauch, so daß ich nicht sehr tief hinunterspringen mußte. Wäre mit der gebrochenen Hand auch ungemütlich gewesen, trotz der geringeren Schwerkraft. Vor Wut fühlte ich keine Schmerzen mehr. Nur mit meinem kleinen Hitzestrahler ging ich langsam auf Lensings Boot zu. Meine Kameraden hielten mich vermutlich für verrückt. Vielleicht waren sie zu überrascht, um mich zurückhalten zu können. Finn erzählte mir später, er hätte es zwar versucht, ich hätte ihn jedoch kurzerhand niedergeschlagen. Unterwegs dachte ich nicht etwa daran, daß der Verfolgte mich ohne viel Umstände über den Haufen schießen konnte – ich war sicher, daß er es nicht tun würde. Diese unerklärliche Sicherheit gab mir zugleich ein Gefühl der Überlegenheit. Gibt es Gehirnstrahlen? Fragen Sie mich nicht! Ich könnte Ihnen nicht darauf antworten. Vielleicht habe ich damals auf meinem einsamen Weg wirklich etwas ausgestrahlt, was Lensing erreichte? Deshalb war ich nicht überrascht, als sich in dem Bootskörper eine Luke öffnete, als ich noch hundert Meter entfernt war. Nein, ich wußte damals, daß er aus seinem Schlupfwinkel herauskommen würde. Langsam, ein wenig unsicher taumelnd, kam die Gestalt auf mich zu. Ich setzte meinen Weg wie ein Automat fort. Warum hob Lensing keine Waffe? 62
Mit halbem Bewußtsein erkannte ich, daß sich einer der gefürchteten Sandstürme des Roten Planeten zusammenzog und mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu raste. Jeden Augenblick konnte er uns erreichen. Alles in mir war Konzentration, unbeirrt ging ich auf Lensing zu, meine Waffe drohend erhoben. „Nein!“ ertönte jetzt ein gellender Schrei in meinem Kopfhörer. Er hob abwehrend die Hände und starrte mich angstvoll an. „Nein, gehen Sie fort!“ schrie er noch einmal. Dreißig Meter vor seinem Schiff standen wir einander gegenüber. Er war mir so nahe, daß ich den Haß in seinen Augen leuchten sah. Und noch etwas anderes. Irrsinn, nicht genial gespielter Irrsinn war es, wie damals bei Miller, sondern echter, gequälter, offener Irrsinn. Das brachte mich wieder zu mir. Wahrscheinlich war ich damals selber nicht sehr weit von seinem geistigen Zustand entfernt. Aber er saß in der Falle. Ich nicht. Um den Bruchteil einer Sekunde reagierte ich schneller als er. Erst wollte ich schießen, aber als er seine Waffe hochriß und sich krampfhaft bemühte, von einer unsichtbaren, seinen Geist umklammernden Fessel freizukommen, schleuderte ich ihm meinen Strahler ins Gesicht. Er stolperte und fiel mit einem Schrei vornüber, der nichts Menschliches mehr hatte. Wut, Entsetzen, Angst lagen in diesem Aufschrei. Ich warf einen raschen Blick nach oben, in den drohenden, dunkelgelben Himmel, hetzte dann mit weiten Sprüngen – auf dem Mars eine Leichtigkeit – zu dem verlassenen Beiboot Lensings und erreichte die offenstehende Schleuse. Ich warf mich hinein, schloß sie hinter mir und ließ mich einfach zu Boden fallen. Da ging es auch schon los. Von einem gewaltigen Stoß wurde das kleine Boot wie ein Spielzeug umgeworfen. Es lag aber nicht genau im Zentrum der tödlichen Windhose. Dieses Zentrum mochte dreißig Meter von mir entfernt sein. Es tobte genau da, wo sich Lensing jetzt zu spät von meinem Schlag erholte. 63
Wortlos befreiten mich Janssen und seine Männer eine halbe Stunde später aus meinem umgestürzten, halb zugewehten Gefängnis. Von Lensing war nichts mehr zu sehen. Ein fünf Meter hoher, gleichmäßig konischer Sandhügel erhob sich über seinem Grab. Er wollte den Mars erobern und ausbeuten. Der Mars hatte sich an ihm gerächt. Die beschädigte A I ließen wir vorerst liegen und kehrten, dicht zusammengedrängt, im Beiboot der A II zu dem Platz zurück, wo wir die Reste von Lensings Raumschiff vermuteten. Als wir landeten, stand die A II schon neben den verbogenen Metalltrümmern, die einst das schnellste Raumschiff der Erde gewesen waren. Clark, Finn und ich zogen noch einmal die Schutzanzüge an und stiegen aus. Die Ultraschallstrahlen und die A-Bombe hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Acht Leichen fanden wir in den Trümmern. Von den Geräten war keines mehr zu bergen. Eine herausgebrochene Metallplatte mit dem Namen des Schiffes – „Papauo“ – schleppten wir in unseren Laderaum, um ein Andenken mitzunehmen. „Damit wäre dieser Akt abgeschlossen, Jim“, bemerkte Finn und zog mich am Ärmel. Er sah sehr blaß aus. Der starke Blutverlust hatte ihn sichtlich mitgenommen. „Komm jetzt“, fügte er hinzu, „wir müssen uns verarzten lassen.“ Er hatte recht. Mein gebrochenes Handgelenk schmerzte jetzt, wo mich nichts mehr davon ablenkte und ich es mir wieder erlauben konnte, an mich zu denken, beinahe unerträglich. Wir schleppten uns hinüber zur Adastra II und ließen uns an Bord helfen. Die letzten paar Meter mußte man mich regelrecht tragen. Trotz der Schmerzen erfüllte mich eine große Befriedigung. Die Sicherheit in unserem Sonnensystem war endgültig wiederhergestellt. 64
Jenssen brachte uns in die Krankenstation. Zu meiner Überraschung hatten sie auch hier eine Ärztin. „Dr. Khenanen, hier bringe ich Ihnen Commander Jim Parker und Kapitän Finn Morcel, unsere beiden Patienten“, stellte uns Jenssen vor. „Unsere Ärztin, Rola Khenanen.“ Rola Khenanen war vielleicht dreißig Jahre alt, klein, nicht besonders hübsch, ihre Figur unter dem weißen Doktormantel beinahe ein wenig plump. Aber die grauen Augen unter fast weißen Augenbrauen blickten uns ruhig und selbstsicher an. „Ich habe von Ihrem Leichtsinn gehört, Commander“, sagte sie, „mit einer gebrochenen Hand geht man nicht auf den Kriegspfad.“ Zu ihrem Glück waren weder Finn noch ich zur Zeit in der Lage, etwas zu erwidern. Aber ihr energisches Eingreifen tat mir gut. Ich war schon fast bewußtlos, als sie mir die Morphiumspritze in den Arm drückte und ihr Werkzeug bereitlegte. Mit einer leichten Benommenheit im Kopf, aber ohne Schmerzen – wie wohltuend nach den vergangenen Stunden! – wachte ich wieder auf. Finn lag im Bett neben mir und rauchte eine Zigarette. „Auch wieder da?“ fragte er gemütlich. „Mir ging es sofort besser, als ich in eine Umgebung mit vernünftigem Luftdruck kam. Sie haben mir eine kleine Bluttransfusion gemacht und den Arm ordentlich verbunden. Du hast noch die Linke frei, ich die Rechte. Wenn wir uns zusammennehmen, geben wir zusammen fast einen ganzen Piloten ab, Darüber habe ich eben nachgedacht.“ Ich blickte auf meinen rechten Arm, der unbeweglich in einer steifen Plastikpackung ruhte. Gips verwendete man natürlich schon lange nicht mehr. Durch den durchsichtigen Verband konnte ich sehen, daß mein Handgelenk längst nicht mehr so geschwollen war wie vorher. 65
Die finnische Ärztin trat ein und fragte ohne das geringste Lächeln: „Wie fühlen Sie sich, Mr. Parker?“ „Ausgezeichnet!“ lachte ich sie an. Sie verzog keine Miene. „Aber sagen Sie mir, Rola, wie sieht mein Handgelenk aus? Wie lange wird es wohl dauern …“ „Glücklicherweise können Sie vorerst mit Ihrem Schiff ohnehin nicht viel anfangen, wie ich gesehen habe. Ihr Handgelenk wird wieder in Ordnung kommen, nur wird es diesmal länger dauern als beim ersten Bruch. Ich kann Ihnen nur versprechen, daß es nicht steif bleibt. Mit vier Wochen müssen Sie rechnen.“ „Nein!“ protestierte ich. „Wir haben nicht so viel Zeit.“ „Auf der Marsstation bin ich verantwortlicher Arzt“, stellte das Mädchen ohne Erregung fest. „Hier bestimme ich, wann ein Patient arbeitsfähig ist und wann nicht. Ich bestimme das auch bei Patienten im Range eines Commanders.“ „Können Sie eigentlich auch lächeln?“ fragte Finn und grinste sie an. „Natürlich.“ Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Nur habe ich augenblicklich keine Veranlassung dazu. – Commander, Sie dürfen aufstehen, wenn Sie die Hand dabei ruhig halten. Aber natürlich nur hier innerhalb der Abteilung.“ „Danke schön, Madame Äskulap!“ versuchte ich sie erfolglos zu necken. „Darf ich wohl auf den Schrecken auch eine Zigarette rauchen?“ Als Antwort holte sie eine Zigarette aus der Tasche, reichte sie mir und gab mir Feuer. „Vielen Dank“, murmelte ich, „kann ich wohl Kapitän Jenssen sprechen? Ich frage ja auch schon wie ein artiger Junge.“ „Ich werde es ihm bestellen, Commander. Er darf sich aber nicht lange aufhalten, weil Sie in spätestens einer Stunde wieder schlafen müssen.“ Ich versuchte noch nicht einmal, zu widersprechen. 66
„Was für ein Mädchen!“ lachte Finn, als sie gegangen war. „Ich möchte sie gern mal aus ihrer Reserve herauslocken. Sie ist zwar keine Schönheit, aber irgendwie interessant. Ob sie hier jeden so bevormundet?“ „Das mit den vier Wochen wird doch wohl nur ein Witz sein“ überlegte ich laut. „Wie ich unsere gestrenge Gouvernante beurteile, wirst du auf Schwierigkeiten stoßen, wenn du vorher einen Ausbruchsversuch machst!“ „Da haben Sie recht!“ rief Jenssen von der Tür her. Er hatte unser Gespräch gehört. „Rola ist ein feiner Kerl und der tüchtigste Arzt, den ich mir für die Station wünschen kann. Aber wenn es um die Gesundheit geht, ist sie unerbittlich. Ich bewundere das Mädchen. Rola ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Ihre Hand, Parker, sah schlimm aus. Ich glaube, unser Doktor hat sie aber wieder ganz manierlich zusammengeflickt.“ „Was ist mit der A I?“ fragten wir beide wie aus einem Munde und mußten gleich darauf lachen. „Ihr bleibt noch ein Jahr lang zusammen!“ stimmte Jenssen mit ein. „Seltener Fall von Übereinstimmung.“ „Wie schrecklich“, lästerte Finn. Wie auf Vereinbarung wurde nicht über Lensing gesprochen. Der Fall war für uns erledigt Wenn ich an den riesigen Sandhaufen dachte, der ihn bedeckte, spürte ich einen bitteren Geschmack im Mund. Aus. Schwamm darüber. In Astra würde ich die ganze Sache ohnehin noch einmal breittreten müssen, deshalb war ich Kurt dankbar, daß er von sich aus nicht mehr darauf zu sprechen kam. „Übrigens, Sie sehen fabelhaft aus, Kurt! Bekommt Ihnen die dünne Marsluft so gut?“ „Will ich meinen!“ sagte er zufrieden. „Das ist endlich mal ein Kommando nach meinem Herzen. Etwas anderes als immer auf der vergessenen und altmodischen Station I zu hocken. Seit 67
die drei neuen Kreisel fertig sind, bekommen wir von dem ganzen Betrieb nicht mehr viel zu sehen.“ „Dann sind Sie also zufrieden?“ forschte ich weiter. „Ich danke Ihnen aufrichtig für das neue Kommando“, sagte er ernst, „Ich habe ein paar schlimme Dinge erlebt und mich daraufhin auf der Erdstation vergraben wollen. War nicht richtig. Aber bitte, fragen Sie nicht nach diesen Dingen. Ich spreche nicht gern darüber. Jetzt bin ich jedenfalls wieder der Alte.“ „Freue mich darüber“, sagte ich herzlich und meinte es auch. Damit wurde nichts mehr erwähnt, was Kurt anging. „Was Ihren Kahn betrifft“, änderte er ein wenig hastig das Thema, „muß ich Sie enttäuschen. Ich weiß nicht, ob wir ihn wieder flugtüchtig bekommen. Es wird jedenfalls sehr lange dauern.“ Ich wußte, daß Jenssen früher einmal bei einer der ersten Mondumkreisungen einen Unfall gehabt hatte und seitdem nicht im Flugdienst beschäftigt wurde. Er schien an Raumangst zu leiden. Um so mehr freute es mich, daß dieser tüchtige Mann, der mich einmal aus einer mehr als unangenehmen Lage befreit hatte, nun wieder mit einer Aufgabe betraut war, die ihm Freude machte. „Wie lange wird die Reparatur dauern?“ wollte ich wissen. „Nun“, zählte er auf, „die Bordwand mitsamt allen Dichtungen hat einen langen Riß, von dem ich nicht weiß, ob wir ihn mit den vorhandenen Mitteln schließen können. Die Funkanlage ist so ziemlich kaputt. Ein Ersatzgerät haben Sie anscheinend nicht an Bord.“ „Haben wir unseren Leuten auf der Venus gelassen“, erklärte Finn. „Ach so. Die Hydroponischen müssen neu verankert und überholt werden. Darum wird sich Rola kümmern, die hat eine gute Hand für Pflanze und Tier.“ 68
„Zu welcher Gruppe rechnen Sie uns?“ fragte Finn mit todernstem Gesicht dazwischen. „Fragen Sie Dr. Khenanen danach“, parierte Jenssen und fuhr fort: „Außerdem haben Sie ein Loch im Laderaum. Ein Teil der ohnehin äußerst knappen Treibstoff-vorräte der A I ist dahin. Ob der Rest noch brauchbar ist, wird sich herausstellen. Der zweite Reaktor ist beschädigt. Das sind die Hauptfehler, die mir bei einer flüchtigen Überprüfung aufgefallen sind. Alles andere, also die Kleinigkeiten …“ „Schönen Dank, Jenssen, das genügt eigentlich schon“, unterbrach ich ihn und wurde ziemlich hoffnungslos. Innerhalb kurzer Zeit hatten wir auf der Jagd nach einem Mann zwei Schiffe verloren – das waren genau zwei Drittel unserer stolzen Raumflotte! „Wie steht es eigentlich mit der A III?“ fragte Jenssen und sah mich prüfend an. „Auch ziemlich erledigt. Der Antrieb ist kaum mehr in Ordnung zu bringen. Wenn ich mir überlege, was die Pötte gekostet haben, muß ich mich auf ein gehöriges Donnerwetter gefaßt machen, sobald ich wieder in Astra bin.“ „Na, so schlimm wird es schon nicht werden!“ tröstete Jenssen. „Sie bringen immerhin einige Ergebnisse zurück, die den Schaden mehr als aufwiegen.“ Ich horchte gespannt auf. „Was haben Sie gefunden? Danach haben wir bisher überhaupt noch nicht gefragt.“ „Ich wartete auf das Stichwort“, gab Jenssen zu, „um endlich mit meinem Bericht zu beginnen. Natürlich haben wir während der vergangenen Wochen die Hände nicht in den Schoß gelegt. Kranke gab es hier kaum, deshalb hatte Rola Zeit, sich mit Analysen und Erkundungen der Lebensbedingungen zu beschäftigen. Die Ergebnisse sind interessant. Ich zeige Ihnen morgen die Unterlagen. Ingenieur Hans Heimer, unser Metallurg, hat 69
auch etwas herausgefunden, was sich mit Geld nicht bezahlen läßt. Dann noch die Aufzeichnungen von Randon Lerk …“ „Wer ist Randon Lerk?“ „Unser Alienologe, wie er sich nennt. Ein Fachmann zur Erforschung fremder Kulturen, der sich unserer Expedition angeschlossen hat.“ „Was es nicht alles gibt!“ stöhnte Finn. „Als ich noch auf der Raumakademie saß, gab es diesen Wissenszweig noch nicht. Und das ist schließlich erst fünf oder sechs Jahre her.“ „Ja“, nickte Jenssen ernst, „die Menschheit ist auf dem Wege, die Erde zu verlassen und in den Raum vorzustoßen. Die Entwicklung macht wesentlich raschere Fortschritte, als selbst die Optimisten unter den Zukunftspropheten angenommen haben. Und zum guten Teil haben wir das Tempo unserem Freund Lensing und seinen Kollegen zu verdanken.“ „Kapitän“, hörten wir die Stimme der Ärztin vom Eingang her, „es ist genug. Commander Parker muß wieder schlafen. Ich habe Ihnen nur eine Stunde zugestanden. Sie ist abgelaufen.“ Jenssen stand sofort auf. „Wenn unser gestrenger Doktor das sagt, werde ich gehorchen müssen. Bis später, also!“ Er verließ rasch den Raum. Rola sah nach unseren Verbänden und gab mir ein mildes Schlafmittel. Sehr viel frischer und gut erholt wachte ich zehn Stunden später wieder auf. Die Wirkung des Morphiums war jetzt ganz verflogen, dafür spürte ich wieder Schmerzen im Handgelenk. Sie waren aber erträglich. Ich setzte mich in meinem Bett auf und stellte fest, daß Finn die Krankenabteilung verlassen hatte. Eine Klingel oder sonst eine Möglichkeit, nach „Bedienung“ zu läuten, fand ich nicht. Deshalb machte ich mich erst mit wahrem Bärenhunger über das kalte Frühstück her, das ich auf einem Tischchen neben meinem Bett fand. Zu meiner größten Verwunderung stand eine kleine Vase mit Astern auf dem Tischchen. 70
Man stelle sich vor: Frische Astern auf dem Mars! Ich hatte so lange schon keine richtigen Blumen mehr gesehen, daß ich die Blüten viel genauer betrachtete als irgendeine Blume früher in meinem Leben. „Sie lieben Blumen?“ fragte Rola Khenanen, als sie hereinkam und mich mit der Vase in der Hand ertappte. Ihre Stimme klang eine Spur weniger unpersönlich. „Da Sie es so genau wissen wollen: Ja!“ sagte ich betont kalt und blickte sie dabei fest an. „Außerdem habe ich seit vielen Wochen keine Blumen mehr gesehen. Vielleicht sind das die ersten Blüten, die ich seit Jahren mit Bewußtsein betrachte.“ Sie überhörte meine versteckte Herausforderung und setzte sich an den Bettrand. Einen Augenblick betrachtete sie mich prüfend, dann meinte sie: „Die Astern sind draußen im Freien gewachsen. Sie scheinen eine der wenigen Blumen zu sein, die hier gedeihen. Blumen sind für den Menschen wichtig. Ich habe dafür gesorgt, daß die Männer hier immer etwas Frisches, Blühendes um sich haben. Sie wissen, welchen Einfluß die Umgebung auf den Menschen hat.“ „Nein, das weiß ich nicht!“ erklärte ich. „Sie können mich nicht verletzen, wenn Sie das beabsichtigen sollten“, ein rasches Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich halte es für besser, wir bleiben sachlich.“ „Entschuldigen Sie“, sagte ich etwas beschämt. Ich hatte sie wirklich unterschätzt. Mit einer Handbewegung wischte sie den ganzen Vorfall weg. „Macht nichts. War ja nur meine Ansicht. Ich habe mich auch bemüht, andere Gewächse zu finden, die auf dem Mars angepflanzt werden können. Der Sand ist keineswegs unfruchtbar, wenn er genügend Wasser bekommt.“ „Aber die Temperatur! Nachts friert es doch selbst in der Jahreszeit, die man mit Sommer bezeichnen könnte.“ 71
„Es gibt eine Möglichkeit, den Nachtfrost zu mildern: Nebel! Außerdem haben die Russen zum Beispiel Pflanzen gezüchtet, die selbst in Polargegenden wachsen.“ „Voraussetzung für Nebel ist aber Wasser. Und Wasser gibt es hier nicht“, warf ich ein. Ich freute mich, daß sie so bereitwillig mit ihrem Bericht begann. „Da sind Sie im Irrtum, Commander“, sagte sie zu meiner Überraschung. „Es gibt genügend Wasser auf dem Mars. Wir sind mit den geringen Kräften unserer kleinen Station nur noch nicht in der Lage, es auszunutzen.“ „Wie soll ich das verstehen? Soweit ich gesehen habe, besteht die Marsoberfläche mit Ausnahme kleiner Regionen an den Polen aus dürrem, absolut unfruchtbarem und trockenem Sand.“ „Wenn Sie sich draußen erst einmal genauer umgesehen haben, wird Ihnen die Beantwortung dieser Frage von selbst kommen“, erklärte sie geduldig. „Da Sie aber vorerst noch Hausarrest haben, will ich Ihnen sagen, was wir in dieser Hinsicht unternommen haben.“ „Haben Sie bei Ihrem früheren Aufenthalt auf dem Mars Gelegenheit gehabt; eine der uralten Konverterwerke genauer zu untersuchen?“ „Konverterwerke?“ fragte ich verdutzt. „Meinen Sie etwa damit diese viereckigen Sandhügel an bestimmten Stellen der Kanäle?“ Ich saß jetzt aufrecht im Bett und konnte meine Spannung kaum noch meistern. „Ja, die Sandhügel!“ nickte sie. „Die früheren Einwohner des Mars …“ „Wer, bitte?“ „Lassen Sie mich doch ausreden! Die früheren Einwohner des Mars haben uns ein großartiges, beinahe unversehrtes System von Konvertern in die Hand gegeben, von denen wir einen schon wieder zum Funktionieren gebracht haben. Sie wissen doch, woraus Sand besteht?“ 72
„Na“, gab ich kleinlaut zu, „ich möchte nicht behaupten, ein Experte in Fragen der Chemie zu sein. Das habe ich immer anderen überlassen.“ „Na, gut! Der Sand ist reich an einer auf der Erde in natürlicher Form nicht vorkommenden Kieselsäure, die ihrerseits wieder Wasser in größeren Mengen bindet. Wir gewinnen mit Hilfe der aufgefundenen Konverter Wasser direkt aus dem Sand!“ „Aber dazu ist doch bestimmt in großem Umfang Energie nötig!“ „Natürlich, die haben wir aber auch. Was denken Sie denn, wie die Marsianer das früher gemacht haben? Sie nutzten natürlich die Sonnenenergie aus.“ „Natürlich“, bestätigte ich unbeholfen, obgleich mir die ganze Sache keineswegs so klar erschien. „Weiter! Was haben Sie noch entdeckt?“ „Ich habe mich mit diesem Problem ein wenig beschäftigt. Die Konverter haben eine eigene Kraftstation. Bei Tage wird ein Mast – oder so etwas Ähnliches – ausgefahren und sammelt die einfallende Sonnenenergie, die in fast unverminderter Stärke ankommt, weil …“ „… die Atmosphäre sehr dünn ist, weil die abschirmende Ozonschicht fehlt, weil die oberen Luftschichten nicht in so hohem Maße ionisiert sind wie auf der Erde und so weiter“, prahlte ich mit meinen geringen Kenntnissen. „Ja, so etwa ist es. Die gesammelte Energie genügt, um dem Sand ein gewisses Quantum an Wasser zu entziehen – natürlich nur jeweils auf der Sonnenseite des Planeten. Die Kanäle leiteten das gewonnene Wasser dann zu dem entgegengesetzten Pol, wo es gespeichert wurde. Die Polkappe wuchs so lange an, bis für diese Halbkugel die wärmere Jahreszeit kam und das Wasser von den schmelzenden Polkappen allmählich in die zweifellos früher vorhandenen Anbaugebiete geleitet wurde. Inzwi73
schen wurde auf dieser Halbkugel neues Wasser gewonnen und zu dem anderen Pol transportiert. Ein Teil der Kanäle führte so immer Wasser, das sich einmal zum Nordpol, einmal zum Südpol hin bewegte. Weite Flächen des Planeten wurden zugleich bewässert.“ „Einfach phantastisch!“ rief ich. „Ist dieses System denn jemals wieder in Betrieb zu nehmen?“ „Die Energiemasten sind zum guten Teil nicht mehr intakt. Sie können aber ersetzt werden. An Metall besteht kein Mangel – aber darüber wird Ihnen später unser Ingenieur noch berichten. Ich befasse mich mehr mit den lebenden Dingen, Ich halte es für durchaus möglich, zumindest Teile des Mars wieder zu bepflanzen und so nutzbar zu machen.“ Ich schloß die Augen. Das waren unheimliche Perspektiven! Hier hatten wir das so lange gesuchte Ventil für den ständig anwachsenden Bevölkerungsüberschuß der Erde! Hier konnte man große Kolonien – reiche Kolonien! – anlegen. Und wir hatten den Grundstein dazu gelegt! Rola sah mir meine Traumschlösser vermutlich am Gesicht an und dämpfte meine Begeisterung: „Natürlich wird es nicht gelingen, dem Mars jemals normale Lebensbedingungen zu verleihen. Wir können nicht einem ganzen Planeten eine Atmosphäre wiedergeben, die er einmal verloren hat. Wahrscheinlich sind die ursprünglichen Marsbewohner auch deshalb ausgestorben, weil ihnen nach und nach die Luft ausging. Der Mars ist nun mal ein sterbender Planet und wird es auch bleiben. So lange er aber noch vorhanden ist, können wir ihn ausnutzen!“ „Hm, wenn man dem Sand Wasser entziehen kann, kann man dem Wasser doch auch Sauerstoff entziehen! Außerdem haben wir bereits früher festgestellt, daß die Marsoberfläche einen guten Teil Kohlendioxyd besitzt, wenigstens in den unteren Schichten. Auch hieraus läßt sich der Sauerstoff absondern, 74
zum Beispiel durch bestimmte Algenarten, die wir auch in den Raumschiffen verwenden.“ „Richtig“, nickte sie, immer noch geduldig erklärend, „das ist möglich. Man würde aber enorme Mengen Sauerstoff brauchen, und so viel Wasser können wir einfach nicht gewinnen. Das CO2 in der Atmosphäre brauchen wir, um wenigstens ein wenig Wärme hier festzuhalten. Wir dürfen es also auch nicht restlos ausbeuten. Natürlich wird der Sauerstoffgehalt etwas steigen, aber niemals eine Dichte erreichen wie zum Beispiel auf der Erde. Es wird nach Jahren einmal so sein, daß ein Mensch auf dem Mars nicht sofort ersticken muß, wenn ihm unterwegs ein Malheur mit dem Schutzanzug passiert. Das und nicht mehr können wir bestenfalls erreichen.“ „Das ist aber doch schon eine ganze Menge“, sagte ich hoffnungsvoll. „Wenn wir außerdem noch riesige Glaskuppeln bauen – genug Sand gibt es ja – dürften die Lebensbedingungen hier doch erträglich werden.“ „Sicher, Mr. Parker, solche Kolonien werden bewohnbar sein. Man kann aber nicht den ganzen Planeten überdachen. Auf dem Mars wird immer nur für wagemutige, harte Pioniere Platz sein.“ „Sie haben mir da Dinge erzählt, Miß Khenanen, die viel wichtiger sind, als Sie jetzt denken. Wir werden in den kommenden Jahren schwere Aufbauarbeit zu leisten haben. Ich danke Ihnen dafür. Kann ich jetzt auch noch mit den anderen Mitgliedern der Expedition sprechen?“ „Wenn Sie sich stark genug fühlen, werde ich Ihnen zunächst mal Herrn Heimer herschicken, der meinen Bericht ergänzen möchte.“ „Gern. Und Randon Lerk muß ich auch sehen! Außerdem …“ „Morgen, Commander“, lächelte sie. „Nicht zu viel an einem Tag. Ich fühle mich dafür verantwortlich, daß meine Patienten bald gesund werden. Wenn Sie schon unbedingt etwas 75
tun müssen – ich sehe ja ein, daß ich Sie nicht au vollständiger Tatenlosigkeit verurteilen kann – dann doch nur in kleinen Portionen!“ Der Bericht Hans Heimers, des jungen, aber gewandten deutschen Metallurgen, war fast noch interessanter. Er hatte einen Großteil der vergangenen Wochen auf dem Mond Deimos zugebracht und festgestellt, daß der Trabant tatsächlich ein Fremdling in unserem Sonnensystem sei. Die Untersuchungen der mitgebrachten Metallproben waren zwar noch nicht abgeschlossen, sie berechtigten aber zu den größten Hoffnungen. Es handelte sich um ein sehr leichtes, fast rein vorkommendes Metall mit unglaublichen Eigenschaften. Trotz des geringen spezifischen Gewichtes besaß es eine größere Härte und Widerstandsfähigkeit als Iridium oder Wolfram. „Ich habe das neue Metall ‚Deimon’ getauft“, schloß er zögernd. „Vorausgesetzt natürlich, daß die Behörden auf der Erde mit diesem Namen einverstanden sein werden. Ich wollte, ich hätte ein umfangreicheres Labor. So komme ich mit meinen Versuchen leider nur langsam voran.“ „Ich glaube, ich kann Ihnen noch mehr als ein übliches Labor versprechen“, versicherte ich ihm, „wenn Ihr Bericht erst einmal auf der Erde bekanntgeworden ist. Menschenskind, an Ihrer Stelle wäre ich nicht so bescheiden! Stellen Sie sich vor …“ Er lauschte mit leuchtenden Augen, als ich ihm ein Bild von der Zukunft des toten Mars entwarf, wie es mir vorschwebte. Gott sei Dank, daß wir in unseren vordersten Reihen noch begeisterungsfähige Männer stehen hatten, die sich für ein Ideal einsetzten! Vielleicht brauchte die Erde wieder eine Generation von Pionieren, um aus ihrer vollgefressenen, satten, zufriedenen, wunschlosen Blasiertheit zu erwachen! Wenn ich gewußt hätte, was sich auf der Erde während meiner langen Abwesenheit alles anbahnte, hätte ich vielleicht nicht so sehr an diesen ausgeglichenen Zustand hochgezüchte76
ter Kultur geglaubt! Aber darauf komme ich später noch zurück. Am folgenden Tage hielten Finn, Jenssen und ich eine allgemeine Lagebesprechung ab, in der wir uns überlegten, wie es nun weitergehen sollte. Präsident Giraud wartete mit Recht auf einen seit Tagen fälligen ausführlichen Bericht, und für unser zurückgelassenes Häufchen auf der Venus mußte ebenfalls dringend etwas unternommen wenden. Die Adastra I war im augenblicklichen Zustand nicht in der Lage, uns nach Hause zu bringen, noch weniger einen Flug zur Venus zu wagen. Daß die Adastra III im besten Falle noch als Unterschlupf für die Venusstation zu benutzen war, stand auch fest. Blieb uns als einziges intaktes Schiff die A II Kapitän Jenssens. Wir beschlossen deshalb, meinen stark beschädigten Kahn zunächst nur sorgfältig abzudichten, Lufterneuerungs- und Funkanlagen sowie alle lebensnotwendigen Einrichtungen zu reparieren, was mit den Ersatzteilen der genau gleich gebauten A II leicht möglich war. Die stolze Adastra I sollte dann zum Stationsgebäude oder besser gesagt, zum Hauptquartier der Marskolonie degradiert werden, während Jenssen mir zum Rückflug sein Schiff lieh. Bis dahin hatten wir aber noch drei Wochen Zeit. Mein Handgelenk mußte zumindest teilweise in Ordnung gebracht werden, und die übrigen Arbeiten erforderten ebenfalls Zeit. Ich beschloß, zunächst entsprechende Meldungen an Astra und Yo Tseu abzufassen und dann meinen erzwungenen Aufenthalt dazu zu verwenden, meinen Bericht zu vervollständigen, den ich auf dem Herflug begonnen hatte. Fast täglich hielt ich zu diesem Zwecke Konferenzen mit den verschiedenen Fachleuten und Wissenschaftlern. Finn bekam mich so wenig zu sehen, daß er draußen bei den Reparaturarbeiten half, um seine Langeweile zu überwinden. 77
An eine der Besprechungen erinnere ich mich noch besonders deutlich. Sie war vielleicht die wichtigste meines ganzen Marsaufenthalts. Ein sehr nachdenklicher Randon Lerk saß mir gegenüber. Er druckste an etwas herum und legte schließlich einen Stapel Fotos auf den Tisch. Die Krankenabteilung war für mich etwas umgeräumt worden, damit ich sie als Arbeitsraum verwenden konnte. Da ich alles auf Mikrospulen sprach, kam ich trotz meiner steif verpackten rechten Hand gut ohne Sekretärin aus. Ich hätte hier ja auch keine finden können! „Sagen Sie, Jim“, begann er zögernd – wir redeten uns inzwischen natürlich längst mit Vornamen an – „was halten Sie von diesen Aufnahmen? Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, aber es gibt eben Dinge, die ich einfach nicht verstehe.“ Ich griff nach den Blättern und warf zunächst einen gleichgültigen Blick darauf. Dann aber verschlug es mir fast den Atem. „Menschenskind“, entfuhr es mir ungewollt, „wo haben Sie das gefunden?“ Es bandelte sich um teilweise stark verwischte, an einigen Stellen aber noch deutlich lesbare Schriftzeichen. Schriftzeichen! „Können Sie das lesen, Randon?“ fragte ich erregt. „Hier halten wir unter Umständen den Schlüssel zum Rätsel der Marsbewohner in der Hand!“ „Soviel habe ich mir auch gedacht“, nickte er nachdenklich, „aber lesen kann ich die Zeichen nicht. Noch nicht!“ „Wieso noch nicht?“ „Dazu muß ich weiter ausholen. Ich habe bisher eines herausbekommen: Die Schriftzeichen haben eine frappante Ähnlichkeit mit den sogenannten ‚Kalendern’ aus der Vor-InkaZeit, die man in Mittelamerika gefunden hat. Wie alt diese Kalender wirklich sind, weiß man ja heute noch nicht. Teilweise 78
kann man sie jetzt lesen – das gibt mir einige Hoffnung. Auch sind Abbildungen von Köpfen dabei, die eine seltsame, längliche Form haben. Hohe Stirn, starkes Kinn, vorspringende Augenbrauenpartie. Ebensolche Köpfe hat man auf der Osterinsel gefunden. Aber auch nur auf der Osterinsel! Sie sind noch älter als die Kalender. Und das, was ich hier gefunden habe, ist wiederum älter als die Statuen der Osterinsel. Sehen Sie einen Zusammenhang?“ „Ich bin zwar kein Archäologe, Lerk“, sagte ich sehr nachdenklich, „aber so ganz allmählich wird mir einiges klar. Kennen Sie Dick Beers Berichte über unsere Unternehmen auf den Paumotus?“ „Nein, natürlich nicht“, lächelte er. „Eine Tageszeitung erscheint auf dem Mars leider noch nicht.“ „Richtig, verzeihen Sie! Wenn Dick Sie hört, wird er schnellstens diesem Übel abhelfen und eine gründen. Aber zum Thema: Wir hatten vor einiger Zeit eine höchst interessante Unterhaltung mit dem Häuptling von Lensings Bande, einem Inder namens Szibougadz – alias Professor Miller – die mir jetzt wieder einfällt. In dieser Unterhaltung war die Rede von einer gewissen Gefahr, die unserer Erde von außen her drohen soll. Was wichtig daran ist: Szibougadz behauptete, die ‚Papauos’ seien die älteste Rasse der Erde und hätten früher eine großartige Kultur besessen. Sie stammten von einem Kontinent, der sich im Stillen Ozean befunden haben soll, da, wo jetzt Polynesien liegt. Ich habe das Gefühl, daß hier Zusammenhänge bestehen. Soweit ich mich erinnern kann, wurden auch die Steinfiguren der Osterinsel erwähnt.“ „Was?!“ schrie Lerk erregt und sprang auf. „Parker, Sie haben die Lösung des Rätsels, über das ich mir seit Wochen den Kopf zerbreche! Natürlich, das muß es sein! Ich muß den ganzen Kram völlig neu aufrollen und von dieser Seite her noch einmal bearbeiten! Vielleicht stellen die Inschriften, die wir hier 79
vorliegen haben, ebenfalls eine Art Warnung dar. Das muß ich herausfinden, und wenn ich mit meinen Fotos zu Fuß zur Erde marschiere!“ Er packte schon bei den letzten Worten seine Aufnahmen zusammen und ließ mich allein. Ich sah ihm sinnend nach. Es war gut möglich, daß nun etwas Licht in die reichlich dunkle Angelegenheit kam. Wenn einer imstande war, etwas Positives herauszufinden, dann sicher Randon Lerk! Obgleich die erzwungenermaßen auf dem Mars verbrachten Wochen unglaublich viel Neues brachten, hatte ich doch bald keine Ruhe mehr. Meine Arbeit kam nicht so recht voran, weil ich in Gedanken immer mehr auf der Venus weilte. Wie mochte es Elsy gehen? Lebten die Zurückgelassenen überhaupt noch? Wir wußten ja so gut wie nichts über den Wolkenplaneten, als wir abflogen. Seit drei Tagen war kein Funkspruch mehr angekommen. Wahrscheinlich war ihnen die Energie für den ohnehin nicht sehr starken Ersatzsender ausgegangen. Woher sollten sie auf der Venus auch neue Energie bekommen? Später stellte ich fest, daß ich mit dieser Vermutung recht hatte. Vorerst blieben mir aber doch die Sorgen, weil auch Petrovich mir mitteilte, daß die Station Einstein ebenfalls seit drei Tagen nichts mehr von der Venus gehört hatte. Hinzu kam noch, daß Erde und Venus sich zur Zeit immer mehr voneinander entfernten. So verging die Wartezeit. Ich sah mir zunächst einmal die nähere Umgebung an. Der viereckige Sandhügel war tatsächlich eine Art Fabrik, in der früher einmal das Kostbarste hergestellt wurde, das der sterbende Planet aufzuweisen hatte: Wasser! Die Einrichtung – den Sinn der verschiedenen, zum Teil sehr komplizierten Geräte verstand ich nicht so rasch – bestand vollständig aus dem Metall, das Hans Heimer „Deimon“ getauft hatte. Einige andere Einrichtungsgegenstände, wie zum Bei80
spiel Möbel, Wandbelag, Fußbodenverkleidung und verschiedene Gefäße, bestanden aus Glas. Oder besser gesagt, aus glasartigen Kunststoffen, die vermutlich alle aus dem reichlich vorhandenen Marssand gewonnen waren. Auch dafür mußte es also einmal Fabriken gegeben haben, irgendwo auf dem roten Planeten. Ich will hier nicht alles beschreiben, was ich während der drei Wochen kennenlernte. Eins wurde mir jedoch klar: Die Station mußte unter allen Umständen schnellstens weiter ausgebaut werden. Der Planet mußte erforscht und besetzt werden. Wir brauchten ihn! Die paar Männer, die hier lebten, hatten zwar in der kurzen Zeit Übermenschliches geleistet, aber ihre Hilfsmittel waren eben mehr als beschränkt, und deshalb kannten wir nicht viel mehr als die paar Quadratkilometer rings um unseren Stützpunkt. Das Flußbett führte zwar noch kein Wasser, weil die geringen Mengen, die man gewinnen konnte, in Röhren direkt ihrer Bestimmung zugeführt wurden. Aber zwischen dem Landeplatz der beiden Schiffe und dem Werk gab es schon eine kleine Oase, in der richtige Blumen und andere Pflanzen gediehen. Als ich Rola fragte, was sie hier denn angebaut hätte, zeigte sie mir stolz ein paar Proben. Sie hatte Samen gesät, die Lerk im Konverter gefunden hatte. Abgesiegelt in dicke Glasbehälter, hatten sie die Jahnmillionen überstanden und waren jetzt zu neuem Leben erweckt worden. Staunend stand ich vor dem offensichtlichen Wunder, als sie sagte: „Wissen Sie, Jim, ich glaube nicht, daß diese Samen länger als ein paar tausend Jahre hier gelegen haben. Meiner Ansicht nach war der Mars noch teilweise bewohnt, als sich auf der Erde zivilisiertes Leben zu entwickeln begann. Vielleicht sind wir sogar die Nachfahren der Menschen, die hier einmal lebten. Alle Gegenstände lassen darauf schließen, daß sich die Marsianer nicht wesentlich von uns unterschieden haben.“ 81
Ich blickte sie zweifelnd an. „Warum sind sie dann ausgestorben, wenn ihr Planet noch Lebensmöglichkeiten bot?“ „Ich weiß es nicht, da müssen Sie schon Randon fragen. Für mich ist das auch nicht so wichtig. Wesentlich erscheint mir aber, daß sie beim Verlassen ihrer Heimat anscheinend mit einer Rückkehr gerechnet haben. Alles läßt darauf schließen: Die Kanäle sind so angelegt, daß sie betriebsbereit blieben, ebenso die Werke. Die Masten lassen sich leicht ersetzen. Und sogar Samen lagen zur Aussaat bereit. Sie entwickeln sich unter den wesentlich intensiveren Sonnenstrahlen unglaublich rasch. In vierzehn Tagen werden wir vermutlich die erste ‚Ernte’ haben.“ „Wie nennen Sie das Zeug, das hier wächst?“ „Die Namen zu erfinden, überlasse ich Leuten mit mehr Phantasie. Alle Pflanzen, die ich gesät habe, sind für uns ohne weiteres genießbar. Besonders eine ist interessant: Eine Getreideart, die nicht nur einen hohen Proteingehalt aufweist, sondern auch noch eine fast vollständige Liste der wichtigsten Vitamine! Ohne Zweifel das Produkt sorgfältigster Züchtung.“ „Fassen Sie einen ausführlichen Bericht über alles ab“, bat ich sie, „ich verspreche Ihnen, daß ich wiederkomme! Den Bericht möchte ich morgen gern mitnehmen.“ Sie sagte es zu und ging, wie das ihre Art war, sofort an die Arbeit. Ja, und morgen wollten wir wieder starten! Meine Hand steckte zwar immer noch in der ulkigen Verpackung und war kaum zu gebrauchen, aber Finn konnte das Schiff lenken. Ich muß sagen, der Abschied fiel mir leicht, weil ich erstens nicht gut lange auf einem Fleck sitzen kann, und zweitens wußte, daß meine Berichterstattung vor dem Aufsichtsrat keinen Aufschub mehr duldete. Leider waren wir gezwungen, erst nach Astra zurückzukehren, bevor wir uns um die Freunde auf der Venus kümmern konnten. Das war nicht leicht für mich, wirklich nicht! 82
Eine Aufgabe blieb uns noch: Wir opferten unser bei dem Absturz heil gebliebenes Beiboot und nahmen dafür Lensings Fahrzeug mit zur Erde. Warum? Wir mußten unbedingt hinter das Geheimnis seines Antriebs kommen, von dem wir in dem Boot jetzt endlich ein kleines, leistungsfähiges Modell besaßen. Dann starteten wir, von tausend guten Wünschen und einer Menge verschiedenen Materials begleitet. Der genaue Termin unserer Ankunft war in Astra bekannt. Sie können sich vorstellen, mit welcher Spannung wir erwartet wurden, nachdem unsere spärlichen Funkberichte auf der ganzen Erde eine Riesenaufregung hervorgerufen hatten. Daß sie aber auch zu unheilvollen politischen Entwicklungen führen würden, wußte ich damals noch nicht. Diese elf Tage des Rückfluges war die letzte einigermaßen ruhige Periode meines Lebens für viele Jahre. Dick, unser „Sternenreporter“, der jetzt keine Verbindung mit der Zeitung hatte, verstand es ja schon ausgezeichnet, die Reklametrommel zu rühren. Aber ich muß sagen, daß Harald Knox, der Verleger des „Sunday Star“, ihm in der Vorbereitung großer Empfänge in nichts nachsteht. Er hatte sich dieser Aufgabe persönlich gewidmet, und entsprechend war auch das Aufgebot, das uns bei der Landung in Astra erwartete. Ersparen Sie mir die Einzelheiten! Wir landeten am frühen Nachmittag und wurden sofort von Presse, Fernsehen und Funk mit Beschlag belegt. Präsident Giraud gelang es kaum, uns zur Begrüßung die Hand zu reichen. Er wurde sofort wieder zur Seite geschoben. Die ganze Welt wollte die Rückkehr des übriggebliebenen Raumschiffs miterleben, und gegen die Öffentlichkeit gab es einfach keine Auflehnung! Als wir nach vier Stunden endlich hofften, uns zurückziehen zu können, erwischte mich Giraud am Ärmel. „Tut mir leid, Parker“, sagte er bedauernd, „aber der Aufsichtsrat ist bereits versammelt, um Ihren Bericht zu hören. Ich 83
konnte die Sitzung nicht auf morgen verschieben, weil die Ereignisse uns aus der Hand zu gleiten drohen. Man hat Ihren sofortigen Bericht verlangt, noch heute nacht und ohne Aufschub.“ „Was ist denn eigentlich los?“ fragte ich erstaunt und etwas verärgert. „Jetzt werden die Herren doch auch noch ein paar Stunden warten können!“ „Kommen Sie mit, Parker“, sagte er ernst, „betrachten Sie es als eine persönliche Bitte von mir. Nehmen Sie Ihr Material mit. Vielleicht kann uns das noch retten. Sie werden selbst sehen, was los ist!“ Ich sah ihn genauer an und stellte erschrocken fest, daß der kleine, sympathische Franzose, dem ich persönlich so viel zu verdanken hatte, um Jahre gealtert aussah. Natürlich entsprach ich seiner Bitte, holte die Aktentasche mit den Tonbändern meines Berichts aus dem Schiff und folgte ihm. Immer noch in meiner Raumuniform – nicht einmal umziehen konnte ich mich – trat ich eine halbe Stunde später in den Sitzungssaal, wo die hohen Herren vollzählig versammelt waren. Ein lautes Stimmendurcheinander schlug mir entgegen. Der Meinungsaustausch schien recht heftig zu sein! Ich muß sagen, daß ich von dem Verhalten der Volksvertreter sehr befremdet war. Zur Erklärung darf ich hier einfügen, daß sich die Internationale Astronautische Union aus Vertretern aller Staaten zusammensetzte, die an der Entwicklung der Raumfahrt interessiert waren. Nur einige ganz kleine Länder waren hier nicht vertreten. Eigentlich hatte die Aufgabe der Abgeordneten im Aufsichtsrat der Union bisher nur darin bestanden, die Arbeit des Präsidenten zu beaufsichtigen – der zugleich die Exekutive darstellte, weil es kein weiteres Organ gab – und die für die Raumforschung benötigten Mittel zu genehmigen. 84
Blitzartig kam mir die Schwierigkeit meiner Lage zum Bewußtsein! Diese Versammlung hier war überhaupt nicht imstande, Entscheidungen zu treffen, die über rein finanzielle oder organisatorische Dinge hinausgingen! Niemals konnten sie sich kompetent mit den Fragen befassen, die ich aufwerfen mußte. Die Entwicklung war zu rasch fortgeschritten. Wir hatten zwei Planeten erobert – wir, das heißt die Sicherheitsabteilung der Union – und dabei eine politische Krise hervorgerufen, weil es keine Institution gab, die mit den entstandenen Problemen fertigwerden konnte! Mein Gott, was sollte ich machen? Ich muß gestehen, daß ich die Dinge bisher noch nie von dieser Seite aus betrachtet hatte. Während ich noch krampfhaft überlegte, folgte ich Giraud zum Präsidentensitz, In einem Seiteneingang erblickte ich Kommissar Brandy, der mir ermutigend zunickte. Ich kam mir vor wie ein Delinquent, der zur Aburteilung geführt wird. Zur Aburteilung vor einem Gericht, das sich aus blutigen Laien zusammensetzt. Der Lärm legte sich nur langsam, als Präsident Giraud seine Hand hob. Ich sah, wie er sich zusammennahm, und richtete mich ebenfalls entschlossen auf. Mit einem Schlag wußte ich genau, was ich tun mußte! „Meine Damen und Herren!“ schrie Giraud den fast hundert Menschen im Saal zu. „Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!“ Er faßte nach einer Glocke, klingelte und wartete, bis sich auch das letzte Murmeln gelegt hatte. „Auf Ihr besonderes Verlangen“, fuhr er mit fester Stimme fort, „ist Commander Parker heute abend noch zur Berichterstattung hier erschienen. Ich möchte zuvor darauf hinweisen …“ „Den Bericht, den Bericht!“ unterbrach ihn eine Stimme aus der Versammlung, und dann schrie wieder alles durcheinander. Giraud benutzte erneut seine Glocke. 85
„Ich bitte um etwas mehr Ruhe!“ forderte er jetzt mit eisiger Stimme. Alle Verbindlichkeit war von ihm abgefallen. Ich setzte mich vorerst einmal und legte die Tasche vor mich hin. „Ich möchte darauf hinweisen, daß ans selbstverständlich noch keine Auswertungen des gesammelten Materials vorliegen. Commander Parker hat aber unterwegs bereits einen weitläufigen Bericht zusammengestellt, der die bruchstückhaften Meldungen ergänzen soll, die wir bisher erhalten haben. Er wird Ihnen …“ „Ich verlange restlose Auslieferung des Materials!“ schrie jemand. Jetzt wurde es ernst! „Die Union wird das Material untersuchen lassen und Ihnen laufend darüber beirichten“, antwortete Giraud ruhig. „Im Übrigen fordere ich Sie zum letztenmal dazu auf, etwas mehr Ruhe zu bewahren!“ Der Vertreter Chinas stand auf und sagte: „Herr Präsident! Wir sind seit Wochen mit unzureichenden Andeutungen abgespeist worden! Meine Regierung fordert endlich die volle Wahrheit. Wir werden das auf dem Mars und der Venus gesammelte Material untersuchen und Ihnen dann weitere Anweisungen erteilen, die sich auf die eventuelle Einrichtung von Stationen auf beiden Planeten beziehen. Parker hat uns so lange warten lassen, daß unsere Geduld zu Ende ist!“ Die Mehrheit der Anwesenden klatschte Beifall. Giraud sah sich hilfesuchend um, erhielt jedoch keine Unterstützung. Im Saal kochte es! „Wodurch Commander Parker an einer rascheren Berichterstattung gehindert wurde, habe ich Ihnen verschiedentlich erklärt. Seine Aufgabe war nicht einfach. Er hatte dabei nicht nur …“ „… nicht nur uns unverantwortlich lange warten lassen, sondern außerdem noch zwei der drei kostbaren Raumschiffe verloren, für die unsere Regierungen das Geld bewilligten, wofür 86
er sich noch wird verantworten müssen!“ unterbrach ihn eine Stimme in schneidendem Hohn. Jetzt stand ich auf. „Herr Präsident, ich bitte um das Wort!“ „Bitte!“ „Ich bin hierhergekommen, um Ihnen einen erfreulichen Bericht zu bringen.“ – Höhnisches Lachen – „Weiterhin stelle ich fest, daß die Sicherheitsabteilung der Union bereits auf der Venus und dem Mars je eine feste Station unterhält.“ Lautes Geschrei unterbrach mich schon wieder. Giraud läutete. Ich fuhr unbeirrt fort: „Ich habe aber nicht die Absicht, meine Damen und Herren, hier gegen eine Horde von Wilden anzuschreien!“ Das war zuviel! Erstarrt saßen die Repräsentanten der Nationen auf ihren Plätzen. Es wurde so still, wie ich es haben wollte. Um Girauds warnenden Blick kümmerte ich mich nicht. „So ist es besser!“ Ich sprach jetzt so leise, daß man still sein mußte, um mich zu verstehen. Offensichtlich braute sich aber ein fürchterliches Unwetter über mir zusammen. Doch das war mir einerlei. „Die Sicherheitsabteilung ist dabei, die Frage der Nutzbarmachung von Mars und Venus zu prüfen. Was bisher an Ergebnissen vorliegt, kann als ermutigend bezeichnet werden. Den Beweis für meine Behauptungen habe ich in dieser Tasche. Es handelt sich um eine Reihe von Projekten, die nicht einzelne Nationen, sondern die Erde als Gesamtheit angehen. Diesen Bericht wollte ich Ihnen vorlegen.“ Ich machte eine Pause und erhob dann meine Stimme: „Leider wird mir erst jetzt klar, daß Sie – der Aufsichtsrat einer wissenschaftlichen Organisation – dabei Problemen gegenübergestellt würden, die weit über Ihre Kompetenzen hinausgingen. Ich habe mich deshalb entschlossen, meinen Bericht nicht abzugeben.“ Ruhig setzte ich mich wieder und blickte fest in die erstaun87
ten Augen des Präsidenten. Giraud wischte sich über die Stirn und schien das Schlimmste zu fürchten. Trotzdem nickte er mir leicht zu. Dann brach es los! Was sich nun hier abspielte, entsprach in seiner Heftigkeit durchaus den Gepflogenheiten früherer Landtage, von denen man noch hin und wieder liest. Einzelstimmen waren nicht mehr zu verstehen. Jeder drängte nach vorn. Es sah aus, als wollte man mich umbringen. Es sah aber auch nur so aus. Denn wie ein Spuk stand auf einmal Brandy mit mindestens fünfzig schwerbewaffneten Polizisten zwischen dem Präsidententisch und der schreienden Menge. Dieser Kordon war nicht zu durchbrechen. Glücklicherweise fiel kein Schuß – das muß ich den erregten Gemütern hoch anrechnen. Im Grunde konnte ich sie gut verstehen. Sie waren durch die Neuigkeiten, die plötzlich auf sie einstürmten, einfach überfordert. „Wenn nicht augenblicklich Ruhe eintritt“, hallte Brandys Stimme drohend, „lasse ich den Raum mit Gewalt räumen!“ Das wirkte! Unter immer leiser werdenden Drohungen zog sich jeder auf seinen Platz zurück. Die Polizisten behielten ihre Posten. Ich erhob mich wieder. „Ich will meinen Bericht nicht für mich behalten“, erklärte ich, „sondern nur weitere Verwirrungen verhindern. Ich bin bereit, mich jederzeit vor einer Versammlung bevollmächtigter Vertreter Ihrer Länder zu verantworten und bitte Sie, dies Ihren Regierungen mitzuteilen.“ Mit haßverzerrtem Gesicht erhob sich hoch einmal der Chinese: „Sie werden Ihre Eigenmächtigkeit noch zu bereuen haben, Parker!“ zischte er. „Mit roher Gewalt können Sie uns nicht einschüchtern. Wir werden uns die geforderten Informationen zu beschaffen wissen, nehmen Sie das zur Kenntnis! Ich fordere den Präsidenten auf, Commander Parker wegen Gehorsams88
verweigerung seines Amtes zu entheben und ihn zugleich festzunehmen!“ Ich war gespannt Wie würde Giraud reagieren? Überraschenderweise geschah aber noch etwas anderes. Der englische Abgesandte stand auf und fragte kalt: „Wie soll ich das verstehen, Herr Kollege? Ihre Regierung will sich in den Besitz von Dokumenten setzen, die eine Abteilung unserer internationalen Organisation gesammelt hat?“ „Sie haben mich richtig verstanden!“ gab der Gelbe zu. „Wir sind entschlossen, die neu erschlossenen Gebiete für unser übervölkertes Land zu beanspruchen.“ Rufe der allgemeinen Überraschung wurden laut. „Wir werden Ihnen zuvorkommen!“ schrie der russische Vertreter. „Mein Land war auf ein Scheitern der Union vorbereitet und wird ab jetzt selbständig handeln.. Ich erkläre hiermit den Austritt der russischen Staaten aus der Union!“ Ein blitzartiger Verdacht kam mir. Petrovich? Ich hatte keine Zeit zu weiterem Überlegen. Im Laufe von zwanzig Minuten erklärten alle Nationen ihren Austritt aus der Organisation. In einer knappen halben Stunde löste sich ein Apparat auf, der zu seiner Konstitution viele Jahre gebraucht hatte! „Bedauerlicherweise haben die nationalen Interessen wieder die Oberhand gewonnen“, schloß Giraud die letzte Versammlung der nicht mehr bestehenden Union. „Wir haben uns bemüht, den ersten Schritt zu einer internationalen Einigung zu tun, um gemeinsam den Weltraum zu erobern. Sie, Vertreter der Nationen der Erde, haben eine Entwicklung abgewürgt – ich gebrauche dieses Wort absichtlich – die unsere Erde von drohenden Problemen befreien könnte und alle Nationen gleichzeitig zum Wohlstand führen würde. Ihre Kurzsichtigkeit wird bald schwerwiegende Folgen haben, das garantiere ich Ihnen! Sollten Sie Ihre Ansicht nach ruhiger Betrachtung der Lage noch ändern, so stehe ich Ihnen bis morgen abend, 18 Uhr, in 89
meinem Büro zur Verfügung. Für den Fall, daß Sie bei Ihren Austrittserklärungen bleiben, werden ich morgen abend um die angegebene Zeit dem Justitiar Anweisung zur Auflösung der Vermögenswerte der Gesellschaft geben. – Die Sitzung ist geschlossen!“ Nach zehn Minuten lauten Tumults waren nur noch Giraud, die Polizisten und ich im Saal. Da es sich um eine geheime Besprechung handelte, waren glücklicherweise keine Pressevertreter anwesend. Nur aus dem hintersten Sitz löste sich eine schwere Figur, die ich bisher ganz übersehen hatte. Harald Knox! „Eine schöne Bescherung!“ meinte er grollend, während er sich nach vom wälzte. „Wie sind Sie hier hereingekommen?“ fragte ihn Giraud ärgerlich. „Ich hatte doch ausdrücklich Anweisung gegeben …“ „Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Giraud“, brummte der Alte und schob sich zwischen den Polizisten durch. „Der dicke Knox hat so seine Verbindungen. Außerdem dachte ich mir schon halb, daß Sie mich noch heute abend brauchen würden!“ Ich sah ihn überrascht an. Wenn Knox mit seiner Macht auf unserer Seite blieb … „Ich habe eine gute Idee, Giraud“, fuhr Knox fort und packte den Ex-Präsidenten beim Ärmel. „Dieser Platz scheint mir aber für ruhige Erörterungen nicht geeignet zu sein. Ich möchte Sie und Parker zu einem verspäteten Abendessen einladen. sagen Sie nicht nein!“ Ich gab Giraud einen verzweifelten Wink. Knox konnte die letzte Rettung sein! Brandy beeilte sich, die letzten vorwitzigen Polizisten aus dem Raum zu bugsieren, die sich interessante Neuigkeiten versprachen. Wir gingen gemeinsam zum Ausgang. „Hallo, Brandy!“ rief Knox über die Schulter. „Jetzt, da Sie 90
Ihre Cerberusse verstaut haben, bitte ich Sie, ebenfalls mitzukommen! Und wenn es nur als Leibwache wäre.“ Zu viert fuhren wir zu der pompösen Villa hinaus, in der wir den Abend vor unserem Start verbracht hatten. Nur daß diesmal Dick und Elsy fehlten. An Elsy durfte ich überhaupt nicht denken. Sie wußte glücklicherweise noch nichts von dem Geschehenen. Ein doppelstöckiger Whisky von der besten Sorte, den selbst Giraud diesmal nicht ablehnte, erwärmte unsere trüben Gedanken etwas. „Sie haben es richtig gemacht, Parker“, begann Knox anerkennend, „hätte genauso gehandelt. Wenn Sie Ihre Perlen vor die Säue geworfen hätten, ich weiß nicht, was dann geschehen wäre.“ „Die Lage ist auch so ernst genug“, sagte Giraud müde. „Die Union aufgelöst, nationale Interessen haben wieder Überhand gewonnen, ein Rückschlag auf der ganzen Linie.“ „Mußte kommen!“ Knox nickte vor sich hin. „War zu schweres Zeug, was die kleinen Figuren da verdauen sollten. Ich kann Parker nur den Vorwurf machen, daß alles zu schnell gegangen ist. Und das ist ja im Grunde genommen kein Vorwurf. Außerdem war er wochenlang weg und weiß noch nicht einmal, was sich inzwischen auf der Erde getan hat. Dick hat mir dabei gefehlt!“ Ohne weitere Aufforderung unterrichtete mich Giraud. Meine Augen wurden immer größer. Gleich nach unserem Start hatte ein indischer Vertreter in der Internationalen Völkerversammlung, der Nachfolgeorganisation der Vereinten Nationen, das Wort ergriffen und einen zwar etwas gefärbten, aber in der Hauptsache zutreffenden Bericht über die katastrophale Überbevölkerung gewisser Länder hingewiesen. Das hatte eine wahre Lawine zum Rollen gebracht. Selbst Nationen, denen es noch verhältnismäßig gut ging, 91
fühlten sich plötzlich beengt. Hungersnöte gab es ja praktisch nicht mehr, aber man bekam auf einmal das Gefühl, schon bald nicht mehr genug zu essen zu haben. Die europäischen Länder schlossen sich der indischen Forderung nach einer gleichmäßigen Verteilung des vorhandenen Bodens entsprechend der Bevölkerungsdichte an. Umfangreiche Pläne für Neufestsetzung der Grenzen und Umsiedlung von Millionen Menschen wurden eilig angefertigt und diskutiert. Damit brach sich auf der ganzen Erde ein gewaltsam übersteigerter Nationalismus Bahn. Man erinnerte sich plötzlich wieder, daß ein Volk seinen Boden gegen alle äußeren Einflüsse verteidigen müsse. Eine bedrohliche Krise in der Internationalen Völkerversammlung war die natürliche Folge. Seit Wochen stritt man sich nun um jedes Zipfelchen Land, und die Nationen, deren Gebiet noch nicht so stark übervölkert war, begannen mit dem Bau von Grenzbefestigungen. Die internationale Vereinbarung gegen den Bau von Atomwaffen geriet ins Schwanken. In verschiedenen Staaten wurde eine hastige Aufrüstung betrieben, wodurch wiederum die lebensnotwendige Herstellung von Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern vernachlässigt wurde. Als Ergebnis des an verschiedenen Stellen auftauchenden Mangels setzte ein allgemeines Horten ein, wodurch die Lage mit einem Schlag noch gefährlicher wurde. Nur bei gewaltigsten Anstrengungen und reibungslosem Zusammenspiel aller Beteiligten konnte eine ausreichende Versorgung von weit über neun Milliarden Menschen garantiert werden. Diese Zusammenarbeit war jedoch ernstlich gestört, die Weltversorgung war im Begriff, den verantwortlichen Männern aus der Hand zu gleiten. Wer konnte das Chaos noch kontrollieren? Dann trafen die Meldungen vom Mars ein. Gerüchte verbreiteten sich mit Windeseile, nach denen es fruchtbares, herrenloses Land auf den beiden Nachbarplaneten der Erde geben sollte. 92
„Sie können sich vorstellen, wie sich diese übertriebenen Gerüchte auswirkten. Gesellschaften wurden gegründet und verkauften Flugkarten zur Venus oder zum Mars. Sie haben dabei Millionen verdient. Rußland deutete sehr offen an, mindestens einen der beiden Planeten für sich zu beanspruchen. Die anderen Großmächte folgten mit ähnlichen Erklärungen. Wir haben wie auf einem Pulverfaß gelebt. Es schien oft nicht mehr zu ertragen.“ „Kann sich denn innerhalb von wenigen Wochen alles so gründlich ändern?“ fragte ich benommen. „Lieber Freund“, antwortete mir darauf Knox, „Sie wissen nicht viel über die Mentalität der Massen, wenn Sie so fragen. Natürlich kommen solche Entwicklungen nicht aus blauem Himmel. Im Laufe von Jahren wird der Boden für einen Umschwung vorbereitet – dann jedoch genügt ein winziger Anlaß, um Lawinen ins Rollen zu bringen. Ich habe allerdings nicht vor, sie tatsächlich rollen zu lassen.“ „Was wollen Sie dagegen tun?“ fragte Giraud nicht sehr hoffnungsvoll. „Die Massen ablenken, mein Lieber!“ erwiderte der Alte freundlich. „Ihnen ein wenig Zirkus vormachen. Ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken. Und daneben, ganz nebenbei, eine Gesellschaft gründen.“ „Eine Gesellschaft gründen? Gerade jetzt, in einer solchen Lage, wo wir …“ „Passen Sie auf“, grinste Knox. „Zunächst einmal sage ich Ihnen voraus, daß keine einzige Nation es wagen wird, ihr Gesicht zu verlieren und den Rücktritt aus der Union ungültig zu machen. Dann …“ Er umriß uns einen so kühnen Plan, daß mir angst und bange wurde. Bis in die Morgenstunden hinein arbeiteten wir dann an Einzelheiten, wobei endlich meine eigenen Unterlagen zu ihrem Recht kamen. Als ich sie vorlas, bekam Knox vor Begeisterung 93
blanke Augen und verabschiedete uns dann siegessicher, um uns mit seinem Fahrer nach Hause zu schicken. Wie Old Harold es vorhergesagt hatte, saß Giraud den ganzen Tag vergebens wartend in seinem Büro. Um 18 Uhr erklärte er die offizielle Auflösung der Internationalen Astronautischen Union. Zur gleichen Stunde wurde jedoch die „Mars-Venus-Gesellschaft AG“ gegründet. In Gegenwart des verblüfften Justitiars der Union, der mit monatelangen, schwierigen Verhandlungen gerechnet hatte, unterschrieb Harald Knox seinen Kaufvertrag. Alle beweglichen und unbeweglichen Gegenstände, alle Ansprüche und Rechte der Union gingen damit in seinen Besitz über. Die Mittel dazu hatte er zum Teil aus eigenem Besitz, zum Teil mit Hilfe einflußreicher Freunde bereitgestellt. In der gleichen Nacht noch setzte eine Presse- und Rundfunkkampagne ein, in der das Weiterbestehen der Union unter dem neuen Namen bekanntgegeben wurde. Knox ging noch weiter. Jeder Privatmann auf der Erde konnte Aktien der neuen Gesellschaft erwerben! Seine Agenturen, die er in allen Ländern unterhielt, bekamen Anweisungen, diese Riesentransaktion abzuwickeln. Ein Stab von erfahrenen Fachleuten wurde im Hauptquartier der Mars-Venus-Gesellschaft eingesetzt und begann unmittelbar mit einer fieberhaften Tätigkeit. Am ersten Tage reagierten die verblüfften NationalRegierungen vor Schreck überhaupt nicht auf den unerwarteten Coup des Alten. Dann fing es an, Proteste zu regnen. Von allen Seiten wurden Vorwürfe laut, ein Kapitalist wollte sich zur Weltmacht emporschwingen, so sagten die einen. Ein verkappter Sozialist versuche, eine Diktatur des Proletariats aufzubauen und berechtigte nationale Interessen zu unterminieren. Das behaupteten die anderen. Harold Knox ließ alle Stellungnahmen – sie waren durch die Bank feindlich – sammeln und im Archiv unterbringen. Aber weiter kümmerte er sich nicht darum, sondern arbeitete wie ein Pferd. 94
„So“, erklärte er prustend am dritten Tage nach fast ununterbrochener Arbeit, „für das, was jetzt kommt, brauche ich meinen guten Dick Beer! Wir werden ihn uns also holen müssen!“ „Meinen Sie das im Ernst?“ fragte ich ihn, denn im Augenblick schien es sowohl für ihn als auch für irgendeinen anderen von uns unmöglich, hier abzukommen. „Ja, Sie und ich müssen natürlich hierbleiben, weil die Situation noch zu undurchsichtig ist. Aber Finn Morcel soll sich schleunigst auf die Socken machen und die Schiffbrüchigen herholen.“ „Sollten wir nicht lieber unser Hauptquartier zur Venus verlegen?“ schlug Giraud vor. „Hier wird es für uns doch von Tag zu Tag schwieriger werden, uns durchzusetzen.“ „Wir werden das durchboxen, sage ich Ihnen!“ brüllte Harold Knox zornig. „Und wenn es jemandem zu gefährlich wird, kann er gehen. Ich halte keinen! Aber was Harold anpackt, führt er auch zu Ende!“ Es blieb dabei: Finn startete zur Venus, um die Zurückgebliebenen abzuholen. Inzwischen tauchten für uns neue Schwierigkeiten auf. Harold Knox hatte die Union aufgekauft, wie sie bestand. Dazu gehörten natürlich auch die SR-Kreuzer, die Flugplatzanlagen, Montagewerke sowie die vier Raumstationen. Die Stationen „Kopernikus“ und „Einstein“ verweigerten uns – das heißt der Gesellschaft – jetzt plötzlich den Gehorsam. Sie stellten sich unter die Verfügungsgewalt der Internationalen Völkerversammlung, die nicht recht wußte, was sie mit dem plötzlichen Besitzzuwachs anfangen sollte. Wem gehörten die Stationen nun? Rechtlich der Mars-Venus-Gesellschaft. Knox hatte sie ja gekauft. Aber sowohl von der Versammlung als auch von verschiedenen nationalen Stellen wurde die Rechtmäßigkeit des Kaufs angegriffen. 95
Harold Knox mußte ein Heer von Rechtsanwälten beschäftigen, um die einzelnen Vorwürfe zurückzuweisen. Tagelange Debatten spielten sich darüber ab, ob und wie man die neue Gesellschaft enteignen könnte. „Solange die Herren diskutieren“, meinte Harold geringschätzig, „ist mir um unseren Verein nicht bange. Wir müssen nur etwas schneller arbeiten. Was wir hier machen, ist ein Wettlauf mit der Stupidität. – Wer ihn gewinnt, hat das ganze Spiel gewonnen!“ Ein paar Tage später sah es so aus, als würden die anderen endgültig gewinnen. Knox wurde vor ein internationales Gericht beordert – zufällig war man sich einmal einig – und sollte auf Grund eines bestimmten Paragraphen verurteilt werden, den man nach vielem Suchen ausfindig gemacht hatte. Ein Gesetz besagte, daß es keiner Einzelperson gestattet sei, die kontrollierende Mehrheit einer Gesellschaft zu besitzen, die sich mit der Beförderung von Gütern, Personen, der Herstellung und Verteilung von Energie oder der Ausbeutung von anderen Rohstoffen befasse, falls der Einfluß dieser Gesellschaft einen genau abgegrenzten Rahmen sprenge. Sie dachten, sie hätten ihn gefangen. Harold Knox – ich will es kurz machen, weil ich mich gleich wieder anderen Dingen zuwenden möchte – kehrte als Sieger heim. Zu ihrer größten Verblüffung mußten die Richter feststellen, daß der Hauptinhaber der Mars-Venus-Gesellschaft längst nicht mehr Harold Knox hieß. Die Bevölkerung der Erde, Menschen aus allen Nationen, hatten während weniger Tage so viele Kleinaktien erworben, daß ihr gemeinsamer Anteil längst die Mehrheit dieser größten Firma ausmachte, die auf Erden jemals bestanden hatte. Old Harold lachte sich ins Fäustchen. Er war jetzt der rechtmäßig Präsident einer Macht, gegen die vorzugehen sich auch 96
große Staaten reiflich überlegen würden! Und immer neue Milliarden strömten herein – die Zahl der Aktionäre war kaum noch zu zählen. Natürlich wurde weiter verhandelt und geredet. Aber mit dem Eintreffen meines Freundes Dick Beer in Astra begann der zweite Teil des Unternehmens. Ich erwartete die Adastra II draußen im Raumhafen. Nach so langer Trennung konnte ich das Wiedersehen mit Elsy kaum noch erwarten. Das Schiff senkte sich herab und landete vorschriftsmäßig. Das Geräusch der Reaktoren verstummte. Natürlich brauste ich sofort mit meinem Wagen zum Landeplatz. Die Schleuse öffnete sich, Finn winkte mir zu. Hinter ihm erschien Dick. Dann die anderen Besatzungsmitglieder: Clark und Melon. Danach kam niemand mehr. Ich fühlte, daß ich vor Schrecken weiß wurde wie eine Wand. Ich mußte mich krampfhaft festhalten. Was war mit den übrigen los? Warum kam Elsy nicht mit? War Dick der einzige Überlebende? – Bei diesem Gedanken fühlte ich eine Sekunde lang einen unbeschreiblichen Haß gegen meinen Freund. Dies Gefühl verging wieder. Dick riß mir zur Begrüßung fast den Arm aus. Sein Gesicht war etwas bleich, wahrscheinlich eine Folge der mangelnden Sonnenbestrahlung auf der Venus. „Na“, rief er übermütig, „alter Haudegen, wie geht’s dir? Hier muß ja allerhand los sein, wie ich hörte!“ „Wo ist Elsy?“ stieß ich atemlos hervor. „Sie ist doch nicht etwa …“ „Reg dich nicht auf, Junge“, lachte er. „Sie ist nur deshalb nicht mitgekommen, weil sie dort oben gebraucht wird. Das Mädchen ist unabkömmlich. Ich erzähle dir nachher alles.“ „Dann ist sie gesund?“ 97
„Genauso gesund wie alle anderen Bewohner der aufblühenden Venuskolonie! Junge, das wird noch eine Sache!“ Er schwang sich neben mich in den Wagen. Wir überließen es den anderen Platzfahrzeugen, Finn, Clark und Melon abzuholen und rasten zum Hauptquartier. Dick sah sich prüfend um. „Hier ist ja alles unverändert!“ staunte er. „Natürlich – das heißt, unverändert stimmt nicht ganz“, langsam erholte ich mich wieder. „Du wirst gleich bemerken, daß sich vieles geändert hat. Aber die meisten Leute sind bei uns geblieben. Nur einen anderen Chef haben wir.“ „Ist ein Teufelskerl, der Alte,“ sagte Dick stolz. „Sieht ihm ähnlich, was er da gedreht hat. Finn berichtete uns schon. Wo ist Knox jetzt?“ „Wir fahren sofort zu ihm hin.“ Die Begrüßung zwischen Knox und seinem besten Reporter war ungemein herzlich, so freundschaftlich, wie ich es dem knurrigen Alten niemals zugetraut hätte. Er unterbrach für eine halbe Stunde seine Arbeit, befahl, ihn nicht zu stören, und forderte Dick dann auf, ihm zu berichten. „Ist eigentlich mit wenigen Worten gesagt“, sagt er. „Wir haben uns den Planeten ein wenig genauer angesehen. Waschküche ist dort überall. Man muß ganz niedrig fliegen, um überhaupt etwas sehen zu können. Außerdem gibt es viel unangenehmes Viehzeug. In der Nähe unserer Station haben wir allerdings ziemlich damit aufgeräumt.“ „Ist alles gesund? Warum sind die Funkberichte abgebrochen?“ forschte Knox. „Uns ging die Energie aus“, erklärte Dick. „Aber das Übel werden wir in ein paar Tagen behoben haben, wenn das neue Kraftwerk fertig ist. Jawohl, wir haben begonnen, ein regelrechtes Kraftwerk zu bauen. Sonnenenergie ist zwar knapp, dafür gibt es aber genug Vulkane und heiße Quellen. An Nahrungs98
mitteln haben wir keinen Mangel, weil auf der Venus alles wächst, was man auf der Erde anbauen kann, nur natürlich sehr viel schneller. Alle paar Tage gibt es eine Ernte! Stellen Sie sich das vor! Außerdem erzielen wir einen unglaublichen Ertrag pro Quadratmeter, weil das Zeug nur so wuchert. Die Luft um unser Camp herum wird auch so langsam angenehmer, weil Elsy die Algen aus unseren Tanks ins Freie verpflanzt hat. Kapitän Tseu hatte das vorher schon ausprobiert. Elsy hat irgendwie – keine Ahnung, wie so etwas gemacht wird – zwei Sorten gekreuzt und eine neue Algenart bekommen, die in größeren Mengen CO2 spaltet und Sauerstoff freimacht. Rund um unser Lager kann man es schon ganz gut aushalten.“ „Was haben Sie denn herausgefunden?“ drängte Knox. „Nun, nicht viel in der kurzen Zeit. Es gibt Stellen auf der Venus, wo man es besser aushalten könnte als da, wo wir gelandet sind. Nicht überall ist der Boden so sumpfig. Ein paar Riesenschlangen und greuliche Sechsfüßler haben wir gesehen, aber keine intelligenten Lebewesen, Wir scheinen tatsächlich die ersten zu sein. Das wäre alles.“ Wir sahen uns an, wortlos vor Freude. Ich dachte an die Möglichkeiten für die Zukunft. – Aber zunächst war die Gegenwart wichtiger. Knox umriß in groben Zügen Dicks neue Aufgabe und entließ uns dann. Dick arbeitete ein paar Tage lang fast ohne Pause und verbrauchte dabei Hunderte von Zigaretten sowie pfundweise Kaffee. Dann starteten in den von Knox kontrollierten Zeitungen und Radiostationen eine Fotoreportage in Fortsetzungen, die alle Einzelheiten unseres Unternehmens erzählte. Nur die Sache mit der Warnung ließen wir weg. Eine solche Enthüllung hätte die Erde im gegenwärtigen Zustand der Verwirrung nur noch mehr beunruhigt. Zum größten Ärger der verschiedenen Regierungen – die 99
jetzt den „geheimen“ Bericht in der Zeitung lesen durften – griffen auch die Fernsehstationen und Sender, die nicht Knox gehörten, die Reportage auf. Überall auf der Erde begann man nachzudenken. Dick wies auf die Schwierigkeiten hin, übertrieb sie aber nicht. Er beschönigte aber auch nichts. Gerade diese Ehrlichkeit beeindruckte die Menschen und überzeugte sie. Auf die erste Berichtswelle folgte sofort eine zweite. Die Lage auf der Erde wurde geschildert. Genaue Zahlen bewiesen, daß die Erde ihre beiden Nachbarplaneten brauchte. Die Zahlen deckten aber auch schonungslos den Irrsinn der verschiedenen nationalen Aufrüstungspläne auf. Sie zeigten, wie lange die Menschheit noch zu essen haben würde, wenn so weitergearbeitet wurde wie bisher. Die Erfolge zeigten sich auf verschiedene Weise. Im Arbeitszimmer Dick Beers platzte eine Handgranate. Dick war zum Glück nicht im Zimmer. In seiner nächsten Reportage brachte er Bilder von der angerichteten Verwüstung. Von da an „verschrieb“ ihm Kommissar Brandy eine eigene Leibwache, die wir anderen schon längst hatten.. Natürlich betrachteten uns die National-Regierungen mit sehr mißtrauischen Augen, fanden aber keine Handhabe, gegen die Gesellschaft vorzugehen. Durch einen Bericht, welche Schätze uns bei der Ausnutzung von Mars und Venus zufließen mußten, brach der ganze Verwaltungsapparat zusammen und mußte in tagelanger Kleinarbeit völlig neu organisiert werden. Dabei zeigte Giraud, welch tüchtiger Verwaltungsfachmann in ihm steckte. Wir wußten natürlich auch, daß die Erschließung der geschilderten Reichtümer noch viele Milliarden verschlingen würden. Aber die Bevölkerung der Erde war wohlhabend. Sie hatte jetzt wieder ein festes Ziel. Die Gegenstimmen wurden mit der Zeit schwächer. Als nächstes wurde die französische Regierung gestürzt. Die 100
neue Regierung fragt bei Knox an, ob die Möglichkeit einer Zusammenarbeit bestünde. Knox versprach, den Fall der Vollversammlung vorzulegen. Italien, Deutschland, England und Indien folgten. Die übrigen Regierungen begannen ebenfalls zu wanken, entschlossen sich aber rechtzeitig zu einem Kurswechsel. Nur Nordamerika und Rußland verfolgten weiterhin eigene Programme. Knox ging mit Achselzucken darüber hinweg und rief eine allgemeine Aktionärsversammlung ein. Es war die eigenartigste Versammlung, die jemals auf der Erde stattgefunden hatte. Zur Lösung ungewöhnlicher Probleme hatte man ungewöhnliche Wege gehen müssen. Alle Fernsehgesellschaften der Welt arbeiteten zu diesem Zweck zusammen. Weil mich der technische Ablauf der Versammlung sehr interessierte, will ich Ihnen hier den ganzen Vorgang kurz beschreiben. Wer diese Beschreibung nicht lesen möchte, kann die Seiten ja überblättern! Wir ließen zunächst feststellen, ob jeder Aktionär einen Fernsehapparat besaß und erhielten ein hundertprozentig positives Ergebnis. Radios waren inzwischen so selten geworden, daß gesonderte, bildlose Programme kaum noch gesendet wurden. Dann wurden alle Sendestationen mit Meßgeräten ausgerüstet, die speziell für diesen Zweck ausgearbeitet wurden und unglaublich fein registrierten. Jetzt konnten wir mit ziemlicher Genauigkeit ermitteln, wieviel Prozent der Hörerschaft ihre Geräte angeschlossen hatten. Diese neuen Einrichtungen waren zwar teuer, konnten aber auch später noch für ähnliche Zwecke verwandt werden. Sie erlangten schon ein Jahr danach, nämlich bei der Errichtung der Zentralen Weltregierung, neue Bedeutung. Weiterhin erhielt jeder Aktion eine gestanzte Hollorithkarte, auf der er durch Eindrücken von Löchern sein Ja oder Nein abgeben konnte. 101
Im Sitzungssaal wurde nun eine bestimmte Frage vorgelegt und von den anwesenden Delegierten besprochen. An der darauffolgenden Abstimmung beteiligten sich jedoch alle Aktionäre! Waren sie für ein Ja, ließen sie die Apparate einfach eingeschaltet. Waren sie gegen den Vorschlag, wurde für ganz kurze Zeit abgeschaltet. Die Fernsehstationen registrierten dann die feinen Schwankungen in der Sendeleistung und gaben uns das ermittelte Ergebnis sofort nach Astra durch. Wenige Minuten nach der Frage teilte eine große Leuchttafel an der Stirnwand bereits den Mitgliedern der Versammlung mit, welches Ergebnis die Abstimmung der Aktionäre brachte. So einfach war das! Als zusätzliche Kontrolle galten die Hollorithkarten. Es konnte ja sein, daß ein Teil der Hörer – besser gesagt der Zuschauer – vergaß oder zu faul war, das Gerät abzustellen. Deshalb wurden alle Antworten nachträglich an Hand der gelochten Karten kontrolliert. Der große Sitzungssaal unserer Hauptverwaltung faßte 5000 Menschen. Unter jedem Sitz war eine einfache Anlage mit zwei Knöpfen angebracht, die zur Abstimmung gedrückt wurden. Das Ergebnis erschien zugleich mit dem gefunkten Ergebnis auf einer zweiten Leuchttafel. Auf diese Weise erfuhr jeder unmittelbar nach der Frage die Antwort der Wahlberechtigten, und doch war die Abstimmung geheim! Die Delegierten wurden sorgfältig ausgewählt. Alle Regierungen, mit Ausnahme von Nordamerika und Rußland, waren vertreten. Ferner je ein Aktionär aus den zahlreichen KnoxAgenturen, die unsere „Wahlbezirke“ darstellten. Ich muß sagen, daß ich auf das Funktionieren der neuen Wahlmethode sehr gespannt war. In den meisten Ländern bestanden nämlich so komplizierte Wahlvorschriften, daß die Wahlbeteiligung kaum über 60 Prozent hinausging. Um es gleich zu sagen: Wir hatten einen durchschlagenden 102
Erfolg. Die direkten Antworten, durch Ausschalten der Geräte gegeben, waren natürlich positiver als die endgültigen Resultate, weil mancher Zuschauer, der zwar seinen Apparat eingeschaltet ließ, nachher doch für ein Nein stimmte. Am endgültigen Ergebnis änderte das jedoch nichts. Die Sitzung war sehr viel anstrengender als alles, was ich in dieser Art bisher erlebt hatte. Sie dauerte von morgens 9 Uhr (Uhrzeit von Astra, an anderen Orten mußten die Zuschauer die ganze Nacht über aufbleiben) bis fast Mitternacht. Als Harold Knox die Abschlußworte sprach, brachen sicher in manchen großen Fernsehstationen die Techniker vor Erschöpfung zusammen. Der Versammlung wurden klare, präzise Fragen vorgelegt. Wir erhielten ebenso klare Antworten. In großen Zügen wurde das vorgeschlagene Programm gebilligt. Die Aktionäre stimmten sogar – wenn auch nur mit kleiner Mehrheit – dafür, daß die Regierungen Aktien erwerben durften. Allerdings wurde bestimmt, daß kein Staat mehr Aktien besitzen sollte, als die Gesamtheit seiner Bürger. Man strebte damit ein Gleichgewicht der Macht an. Harold Knox trat zur allgemeinen Überraschung als Vorsitzender der Gesellschaft zurück. Er wollte sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe widmen. Sein Rechenschaftsbericht wurde einstimmig akzeptiert Roland Giraud wurde Präsident der Aktiengesellschaft, je ein Vertreter der Regierungen, eine gleiche Anzahl von Kleinaktionären und ein auserwähltes Gremium von Wissenschaftlern bildeten den sogenannten Kontrollrat, der wichtige Entscheidungen zu billigen hatte. Ich bekam wieder die Leitung der Sicherheitsabteilung, mit Kommissar Brandy als Stellvertreter. Meine Abteilung sollte erheblich ausgebaut werden, weil ich mahnend darauf hinwies, daß die Erde und unser Unternehmen im Notfall eine starke Verteidigung brauchen könnte. Um die Schiffe, die mir bewil103
ligt wurden, in ruhigen Zeiten nicht nutzlos liegenzulassen, koppelte man mit der Sicherheitsabteilung noch die Aufgabengebiete Raumforschung und Transport. Es war also nachher wieder alles so, wie es vor der Auflösung der Union gewesen war. Fast dieselben Leute saßen in denselben Ämtern, nur mit dem Unterschied, daß wir jetzt die mächtigste Organisation der Erde, die täglich noch an Macht zunahm, im Rücken hatten. Damit will ich den theoretischen Teil aber endgültig abschließen, weil es manchen Lesern sicher schon zu langweilig geworden ist. Mir übrigens auch. Ich wollte wieder hinaus! Die Arbeit draußen, die vielen Aufgaben, die vor uns lagen, brannten mir auf den Nägeln und ließen mich nicht mehr ruhig hinter dem verhaßten Schreibtisch sitzen. Während sich also ein Stab von Wissenschaftlern und Technikern mit der Untersuchung des erbeuteten Lensingschen Beiboots befaßten, bestiegen Finn Morcel, Dick Beer, Rich Delbourge, Clark, Melon und Harold Knox die gute alte Adastra II, um uns zunächst um die Venuskolonie zu kümmern. Unser Laderaum war vollgepackt mit Dingen, die dort gebraucht wurden. Dick hatte mir eine sechsseitige Wunschliste des Kapitäns Tseu mitgebracht. Old Harold ließ es sich nicht nehmen, selbst einen Blick auf den Außenposten des Reiches zu werfen, das er mit seinem waghalsigen Handstreich gegründet hatte. Unterwegs erledigten wir noch eine recht unangenehme Aufgabe. Die beiden rebellierenden Stationen „Kopernikus“ und „Einstein“ mußten neu besetzt werden. Ich legte also wieder einmal am Wagenrad der großen Außenstation an, die ich schon so gut kannte. Diesmal erschien niemand, um mich zu begrüßen. Wir – das heißt, Knox, Clark und ich – standen in der Schleuse und warteten darauf, hineingelassen zu werden. Wir 104
warteten zwanzig Minuten, dann befahl ich Rich, den Kommandanten Petrovich noch einmal zum Öffnen aufzufordern. Fünf Minuten später öffnete sich das Tor. Petrovich erschien selbst. Hinter ihm standen sechs oder acht bewaffnete Männer in der Uniform der russischen Armee. „Was soll dieser Unsinn, Petrovich?“ fragte ich scharf. „Es tut mir leid, Parker“, erwiderte er. Seine Stimme klang ein wenig unsicher. „Wir sind auf die Russischen Staaten vereidigt und unterstehen nicht mehr Ihrem Befehl. Wir haben Anweisung, Ihnen den Zutritt zur Station zu verweigern.“ „Aber Sie wissen doch, daß die Station Einstein wie auch die drei anderen der Mars-Venus-Gesellschaft gehört?“ „Die Übernahme der Station ist rechtswidrig erfolgt. Ich sagte Ihnen schon, daß ich Anweisungen meiner Regierung habe und fordere Sie auf, sofort abzulegen, weil ich Sie sonst dazu zwingen müßte.“ „Ich will mit Ihnen sprechen, Petrovich!“ Er sah mich eine Weile nachdenklich an, dann nickte er. „Gut, aber nur Sie allein. Und unbewaffnet, bitte! Ich garantiere Ihnen sicheres Geleit.“ Er gab seinen Soldaten einen Wink. „Bitte, Parker, setzen Sie sich!“ forderte mich Petrovich im Kommandoraum auf. Er schickte die beiden Aufpasser, die bis hierher gefolgt waren, hinaus und legte demonstrativ eine Feuerwaffe vor sich auf den Tisch. „Weil ich Sie und Ihre rasche Handlungsweise kenne“, lächelte er. Das Lächeln war nicht echt. Es paßte nicht zu seinem Gesicht. „Ist es Ihnen wirklich ernst mit Ihrer Weigerung?“ fragte ich, ohne viel Umschweife zu machen. „Ja, es ist mir ernst“, nickte er und sah mich dabei seltsam an. „Und Ihre Gründe? Sie sind sich doch darüber im klaren, daß die Mars-Venus-Gesellschaft eine gewisse Macht verkörpert, 105
wenn auch zwei Staaten sich bisher nicht angeschlossen haben.“ „Sie fangen am verkehrten Ende an, Parker. Wir haben den wesentlichen Kernpunkt schon bei einem früheren Gespräch gestreift. Sie werden sich erinnern, daß ich damals zumindest innerlich auf seiten des Inders Szibougadz stand, wenn ich es auch noch nicht laut sagen durfte. Sie haben – für meine Begriffe ungerechtfertigt – in den natürlichen Ablauf der Dinge eingegriffen, indem Sie den einzigen Mann vernichteten, der unserem Planeten noch hätte helfen können. Er besaß die Macht dazu. Die Papauos waren auch Asiaten, oder, richtig ausgedrückt, wir sind die Abkömmlinge dieser ältesten Rasse. Ich …“ „Sie wollen also so etwas wie eine alte Tradition verteidigen, Petrovich?“ fragte ich ungläubig. „Aber Sie sind doch bisher immer Realist gewesen?“ „Ich überschätze meine Stärke nicht, wenn Sie das meinen sollten“, entgegnete er ruhig. „Weil Sie immer offen mit mir geredet haben, fühle ich mich verpflichtet, es jetzt auch zu tun. Die Russischen Staaten sind entschlossen, sich nicht von einer kapitalistischen Organisation überrennen zu lassen. Lassen Sie mich erst ausreden! – Ich verteidige meinen Posten nicht nur deshalb, weil ich in meinem Herzen mehr Russe bin als Weltbürger, nein. Ich bin davon überzeugt, daß wir die Sendung Szibougadz’ weiter fortsetzen müssen. Deshalb stoßen Sie bei mir auf Widerstand. Vielleicht“, setzte er zögernd hinzu, „erkenne ich jetzt, was er gewollt hat!“ „Und das wäre?“ Beinahe wäre mir die Geduld ausgegangen. „Natürlich die Erde retten! Das ist doch ganz offensichtlich. Auch wenn er dieselbe Erde dazu hätte erst gewaltsam einen müssen. Sie haben ja dasselbe getan, mir mit dem Unterschied, daß Ihnen die tiefe Einsicht fehlt, die nur uns Nachkommen der Papanos zu eigen ist.“ „Petrovich, sind Sie verrückt geworden?“ fragte ich barsch. 106
„Sie glauben doch nicht im Ernst daran, daß Rußland sich nur aus idealistischen Gründen geweigert hat, an der Gesellschaft mitzuarbeiten!“ „Es mag auch in Rußland Männer geben, die andere Ziele damit verbinden“, sagte er vorsichtig, „aber in der Hauptsache kämpfen wir um etwas Grundsätzliches. Halten Sie es für krankhaften Nationalismus, wenn Sie wollen! Ich werde mich jedenfalls nicht ergeben!“ „Wer hat Ihnen denn diesen Unsinn eingeredet? Denken Sie doch einmal vernünftig nach, Mann – Sie …“ „Ich betrachte diese Unterhaltung als beendet, Parker, und möchte Sie bitten, meine Station jetzt zu verlassen. Entfernen Sie sich mit Ihrem Schiff unverzüglich, denn obgleich ich Ihnen eben schon sagte, daß die Station nicht gegen die Erde, sondern lediglich zu ihrem Schutz eingesetzt werden soll, müßte ich sonst auf Sie feuern lassen.“ Er erhob sich steif. Ich stand ebenfalls auf und stieg schnell wieder in das Schiff zurück. Ohne ein weiteres Wort ließ ich ablegen. Dabei dachte ich krampfhaft nach, was ich tun sollte. Die Wissenschaftler der ehemaligen Union schienen nicht mehr in der Station zu sein. Wahrscheinlich hatte man sie nach Rußland gebracht. An ihre Stelle war eine militärische Besatzung getreten, die sich nur aus Russen zusammensetzte. Also bauten die Russen jetzt ebenfalls Raumschiffe, die in der Lage waren, wenigstens die Station zu erreichen. Eine gefährliche Sache! Ich ließ die Verbindung mit Astra herstellen und sprach mit Giraud persönlich. Der war natürlich bestürzt über meine Meldung. Seine erste Reaktion war, angreifen. „Präsident, ich möchte dabei zu bedenken geben, daß wir nur dieses eine Schiff vom Adastra-Typ besitzen und ich mich dringend um die beiden Kolonien kümmern muß. Anscheinend ist die Station in der Zwischenzeit in eine Festung umgewandelt worden.“ 107
„Hm“, überlegte er, „das ist natürlich wahr! Aber auf der anderen Seite könnte man von der Station aus kinderleicht jeden beliebigen Punkt auf der Erde bombardieren, wenn es den Russen einfiele. Das dürfen wir doch nicht riskieren.“ „Ich glaube nicht, daß Petrovich das tun würde“, widersprach ich ihm. „Ich halte Petrovich für das Opfer eines religiösen Wahnsinns. Er bildet sich ein, das Werk des indischen Professors fortsetzen zu müssen. Ich glaube, er meint es bei allem ehrlich.“ „Ein schwieriger Fall! Wir haben noch 32 betriebsbereite SR-Schiffe …“ „Ich würde die Station genau beobachten lassen und im übrigen erst einmal verhandeln. Sie wissen selbst, unsere internationalen Beziehungen sind immer noch sehr gespannt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Bombe, die wir nicht vollkommen entschärfen konnten, doch noch losgeht.“ „Glauben Sie ernsthaft, daß sich daraus internationale Verwicklungen ergeben könnten?“ „Ganz bestimmt! Die Russen werden sich die Station nicht freiwillig abnehmen lassen. Sie werden notfalls Petrovich durch einen tatkräftigeren Kommandanten ersetzen lassen, der weniger Idealismus, dafür aber auch weniger Skrupel besitzt.“ „Gut“, beschloß Giraud, „setzen Sie Ihre Reise fort. Ich werde mich mit dem Internationalen Gerichtshof in Verbindung setzen und auf Herausgabe unseres Eigentums klagen. Die Station gehört der Gesellschaft, sie wurde rechtmäßig erworben.“ „Meine ich auch!“ knurrte Knox hinter mir. „So schnell läßt sich Harold nichts abnehmen! Und wie ist es mit der ‚Kopernikus’?“ Ich fragte Giraud. Er schien lange zu überlegen und ordnete dann an: „Fliegen Sie zuerst zur Venus. Ich schicke jemand anders, wahrscheinlich Brandy, mit einer SR hin. Jetzt, wo Japan sich uns angeschlossen hat und selbst Aktionär bei der Gesellschaft 108
wurde, wird sich diese Angelegenheit wahrscheinlich sogar mit Hilfe der japanischen Regierung beilegen lassen.“ „Danke“, empfahl ich mich. „Sobald es etwas Neues gibt, melden wir uns wieder!“ „Wollen Sie die Brüder auf der Kopernikus ungeschoren lassen, damit sie etwas gegen uns aushecken können?“ fragte mich Knox unzufrieden. „Wir müßten doch erst nach dem Rechten sehen, bevor wir uns ein paar Millionen Kilometer weit entfernen. Sie kennen doch die Geschichte von der Katze und den Mäusen!“ „Ich würde hier gern erst Ordnung machen“, gab ich zu. „Aber erstens lautet unsere Anweisung anders, und zweitens wird es höchste Eisenbahn, daß wir unseren Leuten auf Venus Hilfe bringen. Abgesehen von meinen persönlichen Interessen scheint mir die Kolonie doch wichtiger zu sein als eine Station, die wir im äußersten Notfall abschießen können. Vergessen Sie nicht, daß wir nur noch ein raumtüchtiges Schiff besitzen!“ „Das muß sich auch bald ändern!“ grollte der Alte. „Vielleicht hätten wir den Bau einer Flotte vorantreiben sollen, bevor wir starteten.“ „Das wäre unklug gewesen, Knox!“ widersprach ich ihm, „Wir werden erst die Untersuchungsergebnisse von Jepitz und Simew abwarten, die sich intensiv mit dem rätselhaften MillerAntrieb beschäftigen. Warum sollen wir mit riesigen Kosten eine Flotte bauen, die garantiert noch vor ihrer Fertigstellung wieder überholt sein wird?“ „Versprechen Sie sich etwas von der Erfindung?“ fragte er zweifelnd. „Sehr viel sogar. Unsere Adastra-Boote sind ja ganz schön, aber sie können den Miller-Schiffen nicht das Wasser reichen. Vielleicht gelingt es Jepitz, nebenbei noch ein paar Verbesserungen anzubringen, damit wir endlich weitere Strecken in kürzerer Zeit überwinden können.“ „Geht es denn immer noch nicht schnell genug?“ 109
„Mir nicht, Knox! Zum Beispiel, wenn Erde und Venus ungünstig zueinander stehen, sind wir viele Wochen unterwegs und vergeuden Zeit und Betriebsstoff. Oder wir müssen die nächste günstige Konstellation abwarten. Bei Mars kann das unter Umständen zwei Jahre dauern! Nein, da muß ein besserer Weg gefunden werden! Wir haben schieres Glück gehabt, daß Mars, Erde und Venus im Augenblick nahe zusammen stehen. Andernfalls würden wir das gewagte Spiel zweifellos verloren haben!“ „Leuchtet mir ein!“ sagte er. „Rufen Sie Jepitz an und lassen Sie sich doch über seine Arbeit unterrichten!“ Wir warteten auf die Verbindung, während Finn wieder Kurs auf Venus nahm und stetig die Geschwindigkeit erhöhte. An Bord herrschten jetzt konstant 2 g, was noch einigermaßen erträglich ist für Männer, die kräftig gebaut und daran gewöhnt sind. Knox mit seinem überdurchschnittlichen Gewicht hatte natürlich jetzt schon Schwierigkeiten. Zu meiner Freude erfuhr ich von Jepitz, daß die Untersuchungen schon in vierzehn Tagen abgeschlossen sein würden. Man war bereits dabei, einen kleinen Modellmotor nach dem gefundenen Muster zu bauen, um die Basis genauer zu ermitteln, auf der das Funktionieren des Antriebs aufgebaut war. „Es scheint fast so“, schloß Dr. Jepitz, „daß der Motor – der übrigens für seine Leistungen bemerkenswert wenig Raum einnimmt – ähnlich wie die Aggregate der Adastra-Schiffe arbeitet. Nur entnimmt er die zur Materialisierung der Strahlen erforderliche Elektrizität aus einem noch nicht völlig analysierten Element. Er benutzt dazu direkte Lichtenergie. Auch kosmische Strahlen spielen eine Rolle. Wir werden die letzten Untersuchungen auf einer Raumstation durchführen müssen, weil die Raumstrahlung hier unten zu schwach ist. Verlassen Sie sich darauf, Parker, daß wir Tag und Nacht arbeiten und sicher in zwei Wochen unsere Pläne fertig haben werden.“ 110
„Und dann werden neue Schiffe gebaut!“ „Wie bitte?“ fragte Jepitz zurück. „Harold Knox steht neben mir“, erläuterte ich, denn er konnte das ja nicht wissen, „und ist der Ansicht, wir müßten bald mit dem Bau der neuen Flotte beginnen.“ Aber das fiel nicht mehr in Dr. Jepitz’ Ressort. Darum mußten sich die Konstrukteure bemühen, zusammen mit den Finanzfachleuten. Der Bau der geplanten 100 ersten Schiffe kostete viele Milliarden! Als wir die Mondbahn passierten, war Knox nicht von den Fernrohren wegzubringen. „Hier müssen wir die nächste Station einrichten!“ sagte er bestimmt. „Ziemlich dünne Luft dort drüben, Mr. Knox!“ lachte Finn herüber. „Wir haben sie ausprobieren dürfen. Brrr!“ Er schüttelte sich beim Gedanken an unsere unfreiwillige Landung auf dem Mond. „Was wollen Sie?“ bellte Knox ungeduldig los. „Alles ist möglich! Wir bauen Glaskuppeln und füllen sie mit Luft! Stellen Sie sich vor, was wir da alles ausgraben können: Mineralien, Erze, wahrscheinlich sogar Edelmetalle und Uran!“ „Uran? Wie kommen Sie darauf?“ fragte ich erstaunt. Davon hatte ich noch nichts gehört. „Nun“, erklärte Knox, „ich weiß es natürlich nicht genau, aber man spricht von großen Uranlagern auf dem Mond. Bei der fast vollkommenen Umstellung auf atomare Energiequellen werden wir auf der Erde bald nicht mehr genug Erze haben.“ „Wir werden sie auch nicht mehr brauchen!“ stellte ich fest. „Glauben Sie mir, Knox, in wenigen Jahren wird die ganze Energieerzeugung auf Hydrogen-Basis umgestellt sein. Wasser ist billiger und leichter zu haben als Uranerz.“ „Das wird noch lange dauern“, zweifelte er. „Seit 1956 pfuscht man nun schon an diesem Problem herum. 1958 be111
hauptete man, die H-Bombe gebändigt zu haben. Und wie sieht es wirklich aus? Sicher, man kann den Zerfall der H-Kerne jetzt kontrollieren. Aber die entstehende Kraft ist so riesig, daß man sich nie an großzügigere Versuche herangewagt hat. Noch fehlen uns die geeigneten Stoffe zum Bau von Maschinen, die diesen Energien standhalten können. Sobald wir den Rohstoff haben, ist es gut!“ „Aus einem Glas Wasser die Energie von ein paar hunderttausend Tonnen Kohle!“ träumte Finn weiter. „Einfach enorm! Der Strom würde nichts mehr kosten.“ „Du wirst bald noch viel größere Wunder erleben“, beruhigte ich ihn und wandte mich an Knox: „Haben Sie das Deimon vergessen?“ „Was ist damit?“ fragte er und blickte mich scharf an. „Nun“, sagte Ich leichthin, „Sinew behauptet, es schmilzt erst bei 370 000 Grad Celsius.“ „Mensch“, er schüttelte mitleidig den Kopf, „wie wollen Sie das Zeug denn dann bearbeiten?“ „Das untersucht man gerade. Unter einer ganz bestimmten Spannung sinkt der Schmelzpunkt auf wenige tausend Grad herab. Dann ist die Bearbeitung kein Problem mehr.“ „Hm!“ Sehr nachdenklich verließ er unsere Kabine. Ich kümmerte mich noch einmal um unseren Kurs, gab Finn einige kleinere Korrekturen durch und ging ebenfalls nach unten. Ich wollte noch an meinem halbfertigen Bericht weiterarbeiten. Die ersten 400 Seiten waren fertig, aber immer neue Möglichkeiten fielen mir ein, so daß es beinahe aussah, als ob ich mit der Arbeit überhaupt nicht mehr fertigwerden würde. Ich war aber mit meinen Gedanken nicht bei der Sache. Was würde Elsy wohl machen? überlegte ich. Noch immer hatten wir keine Funkverbindung mit der Venus, obgleich sich Rich täglich stundenlang damit abmüht. Bald konnte ich das Warten nicht mehr aushalten. Die Kraftanlage, von der Dick 112
berichtet hatte, mußte doch längst fertiggestellt sein! War etwas dazwischengekommen? Wenn mich nicht mein bei 2 g Schwerkraft recht unangenehm hohes Körpergewicht daran gehindert hätte, wäre ich sicherlich in meiner Kabine unruhig auf und ab gelaufen. So legte ich mich hin und dachte nach. Das heißt, ich wollte nachdenken. Als Rich aber kurz darauf in meiner Kabine kam, besorgt, weil ich auf sein Klopfen nicht reagierte, hatte ich wohl ein wenig geschlafen. „Was gibt es?“ fragte ich unwirsch. „Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert“, atmete er erleichtert auf. „Du hast auf mein Klopfen nicht geantwortet. – Ich habe einen Funkspruch aufgefangen.“ „Funkspruch? Von wem denn?“ „Von wem! Von der Venus natürlich!“ Mit einem Satz war ich hoch. „Gib her!“ Ich riß ihm das Blatt aus der Hand. Es enthielt viele Lücken. „Konnte nicht alles entziffern“, entschuldigte sich Rich. „Auf Venusstation alles w – rator – ellt – schwach für – Astra – pfangen seit Tagen eure Rufe und kön – ffentlich habt ihr – an Bord und au – landet ihr? – uns auf Wiedersehen – kundungen schreiten – an. Kraft – öpft – wieder. Tseu.“ Ich las den verstümmelten Text mindestens zwanzigmal durch. Die fehlenden Stellen waren mit einiger Phantasie leicht zu ergänzen. Rich betrachtete mich ungeduldig und nahm mir dann das Blatt aus der Hand. „Ich habe ihnen den Empfang bestätigt und unseren Standort bekanntgegeben. Wenn sie ihren Strahl besser richten, können wir unter Umständen morgen oder übermorgen Sprechverbindung bekommen, obgleich ich das nicht versprechen kann.“ „Nur gut, daß bisher alles in Ordnung zu sein scheint!“ sagte ich erleichtert. Meine Gedanken eilten A II weit voraus. „Ein 113
Dampfgenerator ist zwar billig, aber dafür auch nicht besonders leistungsfähig. Versuche aber trotzdem weiter!“ Nach drei Tagen – die Hälfte der Entfernung hatten wir beinahe zurückgelegt – gelang es uns zum erstenmal, Sprechverbindung zu bekommen. Allerdings nur für wenige Minuten und sehr schwach und unklar. Kapitän Tseu meldete, daß er unsere Landung dringend erwarte und daß auf der Station alles gesund sei. Der Dampfgenerator sei so schwach, daß die nötige Sendeenergie jeweils nur für Minuten gesammelt werden könne. Sein Gerät sei jedoch dauernd auf Empfang geschaltet. Wir möchten also ausführlich berichten, er höre die Botschaften, auch wenn er sie nicht bestätigen könne. Damit war die zum Schluß fast unverständlich gewordene Stimme wieder weg. Rich saß nun stundenlang an seinem Gerät und funkte einen genauen Bericht über die jüngsten Ereignisse auf der Erde. Das war wohl die erste Nachrichtenübermittlung, die jemals auf der Venus empfangen wurde. Zumindest die erste seit vielen Jahren. Dick Beer verfaßte die Meldungen und legte seinen ganzen Ehrgeiz in die sorgfältige Ausarbeitung des Textes. Schließlich war sein Chef an Bord! „Wenn wir schon einen Nachrichtendienst einrichten, muß es zumindest fachmännisch geschehen! Es muß Spannung und Aktualität drin sein. Vielleicht werden wir demnächst einen regulären Sender auf der Venus haben. Dann sollen die Radioleute nicht sagen, die erste Nachrichtensendung der VenusGeschichte sei Stümperei gewesen!“ „Du wirst dich noch mit Ruhm bekleckern!“ neckte ich ihn und bückte mich sofort, weil er mir irgendein schweres Stück seiner griffbereit liegenden Raumuniform an den Kopf warf. „Ich meine es ernst“, beteuerte ich und verzog keine Miene, „und du behandelst mich ungerecht.“ „Halt den Mund, Jim, ich muß arbeiten!“ Damit wandte er sich wieder seinen Texten zu, die er altmodischerweise auf der 114
kleinen Reiseschreibmaschine tippte, redigierte und erst dann an Rich weitergab. Die Schreibmaschine war sein ständiger Begleiter. Dann wuchs uns die leuchtende Riesenkugel der Venus wieder entgegen. Diesmal dauerte die ganze Reise nur neun Tage, weil wir einen kürzeren Weg zurückgelegt hatten und außerdem unser Schiff wieder um einiges schneller geworden war. Aus der Nähe gesehen, bekam der weiße Glanz der Wasserstoff- und kohlenstoffreichen Venusatmosphäre einen rötlichen Schimmer. Gespenstisch huschten schon in großer Höhe die ersten Schwaden an unserem Schiff vorbei, das seine Geschwindigkeit längst stark gedrosselt hatte. Dann war für Stunden nichts mehr zu sehen. Ich wies die Station an, uns der Einfachheit halber einen Peilstrahl zu senden. Dadurch wurde das Landemanöver verhältnismäßig einfach. Wir drehten noch drei Bremsspiralen um den Planeten und senkten uns dann auf die Hochebene – ich will es einmal so nennen – nieder, auf der das Lager stand. Wie beim letztenmal wurde es zweihundert Meter über dem Boden wieder hell. Auf den Radarschirmen konnten wir natürlich die ganze Zeit hindurch die Landschaft sehen, die unter uns vorbeiflitzte, und waren stark beeindruckt von der Lebenskraft, die in dem jungen Planeten steckte. Dicht wucherte überall die Vegetation, an vielen Stellen überflogen wir rauchende und in Feuerschein gehüllte Vulkane, dampfende Flüsse suchten ihren Weg zu einem Meer, das wir noch nicht entdeckt hatten. Daß es draußen hell wurde, maßen nur unsere Instrumente. Noch gab es kein Glas, aus dem man Luken für Raumschiffe hätte bauen können. Wozu auch? Wir hatten die Schirme und die Fernrohre mit den abgeschirmten Speziallinsen, das genügte. Jede Luke, jede noch so kleine Scheibe in einem Raumschiff würde im freien Weltraum eine unermeßliche Gefahr darstellen. 115
Finn landete die Adastra II, immer dem jetzt deutlich hörbaren Peilstrahl folgend, direkt neben der A III, die wir beim letzten Besuch zurückgelassen hatten. Regelmäßig wirkende Flächen erstreckten sich weit nach allen Seiten. Sie können sich vorstellen, wie gespannt wir auf den Augenblick warteten, in dem wir die Schleuse öffnen konnten! Harold Knox äußerte den Wunsch, als erster auszusteigen. Ich packte ihn, Dick und mich selbst in die Schutzanzüge mit den Filtermasken und ließ ihm den Vortritt. Die Leichtmetalleiter wurde ausgefahren, dann öffnete sich langsam das Schleusentor. Im ersten Augenblick vergaßen wir auszusteigen. So sehr hatte sich die Gegend in wenigen Wochen verändert. „Donnerwetter!“ rief Knox, und das war zweifellos die höchste Anerkennung, die seit langem aus seinem Munde kam. So weit das Auge blicken konnte, war die Gegend kultiviert. Regelmäßig angelegte Felder erstreckten sich viele hundert Meter im Umkreis, getrennt durch breite Streifen eines grünen Dickichts, in dem ich eine vergrößerte Ausgabe unserer Algen wiedererkannte. Dazwischen wuchsen kleine Citrusbäume, die vermutlich eine Kreuzung von Apfelsine, Zitrone und Pampelmuse darstellten. Jedenfalls wirkten die Früchte irgendwie fremd. Außerdem sah ich weiter draußen große Flächen mit einer Getreidesorte, die ich noch nicht kannte. In dem „Garten“, der rings um das Hauptquartier der Station, sprich A III, angelegt war, blühten in üppiger Fülle alle möglichen Blumen und Sträucher, von denen ich nicht ein einziges Exemplar jemals zuvor gesehen hatte. Den Sumpf gab es nicht mehr. Das Dickicht war abgebrannt worden, obgleich ich mir nicht vorstellen konnte, wie die Kerle das nasse Zeug überhaupt zum Brennen brachten. Der Boden war geebnet, und quer über den ehemaligen Sumpf führte eine Kabelleitung, an rohen Masten befestigt, aus unserem Blick116
kreis weg. Wahrscheinlich lag dort hinten irgendwo das ominöse Kraftwerk. Als ich mich umdrehte, um etwas zu sagen, starrte ich direkt in Dick Beers Fotoapparat. Er war schon die ganze Zeit über emsig beim Knipsen. „Das wird eine Reportage!“ stöhnte er begeistert. „Schnell, aussteigen, ich will die Begrüßung filmen. Dort unten warten sie schon auf euch.“ Am Fuß der Treppe standen zwei Figuren. Ich erkannte Kapitän Tseu und – Elsy! Sie trugen keine Schutzanzüge sondern nur ihre Raumuniformen, die allerdings recht mitgenommen aussahen. Keine Filtermasken! Wie konnten sie nur atmen? Elsy winkte uns mit beiden Armen zu und rief etwas, was ich aber durch meinen Lederhelm nicht verstehen konnte. Wir drei hier oben konnten uns mit Hilfe der eingebauten Sprechanlagen verständigen. Ich riß mir die Schutzmaske vom Gesicht und hörte als erstes Elsys Stimme. Sie rief meinen Namen. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie ich mich darüber freute, ihre Stimme wieder zu hören. Nach so langer Zeit zum erstenmal. „Jim, Jim, komm doch endlich runter! Komm doch, beeil dich!“ So schnell ging es aber nicht, weil mir das Atmen Schwierigkeiten machte. Es war ein Gefühl, als ob ich ziemlich verbrauchte, stickstoffhaltige Luft atmen müßte. Und so war es ja auch! Trotzdem kletterte ich schnell die Leiter hinunter und vergaß dabei ganz, daß ich eigentlich Knox dieses Vorrecht versprochen hatte. Aber der Alte grinste verständnisvoll und begnügte sich mit Rücksicht auf die besonderen Umstände mit dem zweiten Platz. Selbstverständlich dauerte es eine ganze Weile, bis ich wieder so viel von mir aus Elsys Armen herauswickeln konnte, wie ich brauchte, um Kapitän Tseu zu begrüßen. 117
„Guten Tag, Commander!“ meldete er mit eisernem Gesicht. „Ich habe Ihnen zu berichten, daß auf der Venus-Kolonie der Mars-Venus-Gesellschaft alles in Ordnung ist. Die Besatzung ist vollzählig und gesund. Unsere Projekte wurden so weit vorangetrieben, wie es mit den vorhandenen Hilfsmitteln möglich war. Besondere Vorkommnisse traten nicht ein!“ So war er! Keine besonderen Vorkommnisse! Und dabei hatten er und seine Leute sicher tagtäglich einen harten Kampf gegen Schlangen, Pflanzen, Morast, Sumpf, Lebensmittelknappheit und alle möglichen anderen Faktoren geführt, ehe sie einigermaßen erträgliche Lebensbedingungen schaffen konnten. Ein bemerkenswerter Mann, dieser Japaner! „Ich danke, Ihnen, Kapitän!“ ging ich im gleichen Ton auf ihn ein. Ich kannte das schon, und nach dem „offiziellen Teil“ änderte er auch sofort die Tonart. Wir drückten uns herzlich die Hände. Dann stellte ich ihn dem Zeitungskönig vor, der dem wackeren Japaner ebenfalls die Hand schüttelte. Knox und Dick hatten, meinem Beispiel folgend, auch ihre Masken abgenommen und keuchten ein wenig in der ungewohnten Luft. „Das geht schnell vorüber“, tröstete uns Elsy, die meinen Arm nicht losließ. „Wir haben uns alle so daran gewöhnt, daß uns auf der Erde von dem höheren Sauerstoffgehalt schnell schwindelig würde. Die Luft ist unschädlich und auf die Dauer gut atembar.“ „Wie habt ihr das bloß fertiggebracht?“ fragte ich erstaunt. Tseu antwortete für sie: „Unser kleiner Doktor hier hat die Algenkulturen angelegt. Die Pflanzen vermehrten sich so rasch, daß wir aus dem geringen Bestand der Adastra III diese riesigen Flächen bepflanzen konnten. Täglich kommen ein paar Quadratmeter hinzu, und mit jedem neuen Algenfeld wird die Luft natürlich besser.“ „Das stimmt nicht ganz, Yo“, protestierte Elsy. „Sie und Ihre Leute haben …“ 118
„Nun“, lächelte er, „wir waren glücklich, dabei einige Handlangerdienste leisten zu dürfen.“ „Immer diese falsche Bescheidenheit!“ schimpfte Elsy. Ich lächelte nur. Die Stimmung unter den Zurückgelassenen schien gut zu sein! „Das ist also der erste Grundstock einer neuen Kultur!“ sagte Knox langsam und schaute sich um. „Ja, Mr. Knox!“ bestätigte Elsy mit berechtigtem Stolz. „Wir haben einen kleinen Anfang gemacht.“ Wir blieben stehen, und ich wunderte mich, daß von der übrigen Besatzung nichts zu sehen war. Sie fuhr fort: „Ich habe ein paar wildwachsende Pflanzen entdeckt, die eßbar und zum Teil sogar sehr schmackhaft sind. Eine davon wächst auf diesen Bäumen. Sie schmeckt wie Pampelmusen, nur viel süßer. Auch eine Kartoffelart und verschiedene Gemüsesorten gibt es. Dort drüben auf den Feldern – es sind schon bald drei Hektar! – wächst eine hochwertige Getreidesorte, besser als unser Weizen, mit Ähren von der Größe eines Maiskolbens. Alle zehn bis zwölf Tage wird geerntet. Die übrigen Männer sind gerade dabei. Wir haben es so eingerichtet, daß der Kapitän und ich heute zu eurem Empfang hier blieben. Sonst ist unser Dienst sehr streng, weil wir eben noch zu wenige sind und keine Maschinen oder Geräte zur Verfügung haben. Eins von unseren zwei Beibooten haben wir als Speicher eingerichtet, weil das Zeug hier zwar schnell wächst, aber auch schnell verdirbt. Wir haben eine Kühlung eingebaut, die an unser Kraftwerk angeschlossen ist. Jedesmal, wenn wir funkten, mußten die anderen Motore abgeschaltet werden, was mir große Sorgen machte. Es ist aber glücklicherweise nichts kaputtgegangen. Ein paar Tonnen könnt ihr schon mitnehmen. Dann …“ Ich horchte auf. „Könnt ihr mitnehmen? Was soll das heißen? Wir sind gekommen, um euch hier wegzuholen, weil wir uns ernste Sorgen um euch machten!“ 119
„Sorgen?“ Sie lachte. „Nun, manchmal war es ziemlich ungemütlich in der Umgebung. Aber jetzt sind wir über das Schlimmste hinweg. Entschuldige, daß ich ‚ihr’ sagte, aber ich fühle mich schon sehr hier zugehörig. Selbstverständlich werde ich wieder mit dir zurückkehren und dir in Astra helfen.“ „Ich werde nicht viel in Astra sein“, erklärte ich, etwas erleichtert. „Aber mein Schiff braucht nach wie vor einen tüchtigen Arzt und Biologen. Da kann ich dich nicht entbehren. Tseu“, fragte ich scherzend, „geben Sie die Kleine heraus, wenn ich Ihnen tüchtigen Ersatz dafür besorge?“ „Ungern“, lächelte er, und die Anerkennung in seinen Worten machte mich sehr stolz auf meine Frau. „Der Ersatz muß schon sehr tüchtig sein, wenn er unseren kleinen Doktor aufwiegen will!“ Unterdessen waren wir zum „Stationsgebäude“ hinübergegangen. Das Schiff war nicht wiederzuerkennen. Es schimmerte sauber und poliert in der Sonne – äußerste Sauberkeit und Ordnung war überall festzustellen. Alle Achtung! Der Schiffskörper hatte sich etwas verändert. Ich stellte fest, daß feste Verstrebungen angebracht worden waren. Ein improvisierter Lift führte zur Schleuse hinauf. Ringsumher waren kleine, verglaste Fenster in das Metall hineingeschnitten worden und aus den Resten hatten sie Blumenkästen gebaut. Das Ganze sah nicht mehr wie ein nüchternes, tüchtiges Raumschiff aus, sondern eher wie ein eigenwillig geformtes Wochenendhaus. Yo Tseu bemerkte meinen Blick. „Ich muß bekennen“, sagte er entschuldigend, „daß die A III wohl nie mehr flugtüchtig gemacht werden kann. Wir mußten zu vieles daran verändern, um uns das Leben hier zu erleichtern. Aber –“ er lächelte wieder, „wir können den Schaden leicht durch den Erlös der Ladung ersetzen, die wir Ihnen bei der Rückkehr mitgeben!“ 120
„Wie meinen Sie das?“ fragte ich ihn. „Natürlich denkt niemand im Ernst daran, Ihnen einen Vorwurf wegen der Umbauten am Schiff zu machen!“ „Sehen Sie selbst!“ forderte er mich auf. Knox und Dick folgten uns, während Elsy mit dem Aufzug zum Eingang hinauffuhr. „Wo kommt das bloß alles her?“ rief ich erschüttert, als wir das hundert Meter entfernt aufgebaute Beiboot – das war es jedenfalls früher einmal – erreicht hatten. Tseu öffnete das Schleusentor des aufrecht verankerten Fahrzeugs. Von unten bis oben war der Raum, aus dem uns angenehme Kühle entgegenströmte, mit Kisten, Ballen und Säcken vollgeladen. Alles zusammen lagerten hier mindestens zwanzig Tonnen Ware. „Hier ist die Lagerliste!“ Tseu händigte mir ein Papier aus. Sorgfältig, wie es sich in einer ordentlich geführten Firma gehört, waren hier alle Bestände der Reihe nach aufgeführt. Harold Knox brummte die ganze Zeit über und schüttelte ununterbrochen den Kopf. Dann platzte er heraus: „Und ich Narr habe mir immer wer weiß was darauf eingebildet, die Gesellschaft gegründet zu haben! Dachte, das wäre ein Kunststück gewesen. Was Sie hier in der gleichen Zeit geleistet haben, ist mehr, weitaus mehr! Verdammt, was war ich doch für ein Narr! Kommen Sie, meine Herren, wir wollen hineingehen und die erste Transaktion mit der Venuskolonie tätigen! Tseu, Ihnen braucht niemand etwas zu schenken! Wahrhaftig, Sie können zahlen. Das ist hier das lohnendste Unternehmen, das mir jemals in die Finger gekommen ist. Ich sage euch: Jetzt fängt eine neue Zeit an!“ Er war ganz beim Geschäft und redete sich in eine Begeisterung hinein, die seine sonst immer mürrisch und kritisch blickenden Augen hell strahlen ließ. Selbst – Dick stieß mich in die Rippen: Er kannte seinen alten Chef nicht wieder. 121
„Gut“, sagte Tseu ruhig, „dann wollen wir erst das Geschäftliche erledigen. Ich darf die Herren zu einem Whisky einladen, der zwar …“ „Whisky?“ rief ich, ehrlich erstaunt. „Wo bekommen Sie denn den her? Haben Sie bereits illegale Handelsbeziehungen mit irgendwelchen fernen Welten angeknüpft?“ „Nein, Parker. Elsy hat es fertiggebracht, den Whisky aus einer Pflanze, die wir auf unserem Gelände kultivieren, zu destillieren. Natürlich nur in kleineren Mengen, denn was wir bisher geerntet haben, diente entweder unserer eigenen Ernährung oder wurde für den Export gelagert.“ „Wie das klingt: Export!“ träumte Knox. „Ja, die Venus wird einen riesigen Export treiben! Ich sehe schon Tausende von Raumschiffen hier starten und landen, beladen mit Ihren Gütern. Ich sehe riesige, reiche Städte aus dem Boden schießen, Fabriken und Formen entstehen …“ „Und massenhaft Gesindel hereinströmen, das sich eine Scheibe vom allgemeinen Reichtum abschneiden will!“ ergänzte ich trocken. Er blieb wie angewurzelt stehen. Aus dem sorgenvollen Gesicht des Japaners konnte ich ablesen, daß er sich über diese Frage auch schon Gedanken gemacht hatte. Unser Rückflug zur Erde würde das Paradies hier gefährden. Viele, viele Menschen würden die übervölkerte Erde verlassen und sich hier ansiedeln – nicht immer nur die besten. Aus der Kolonie würde eine Provinz, aus der Provinz ein Staat werden – Ausbeuter würden ihre Chance wahrnehmen und … „Ich verspreche Ihnen, Tseu“, sagte Knox zwischen zusammengebissenen Zähnen, „daß kein Gauner diesen Planeten betreten wird! Die Venus gehört rechtmäßig der Gesellschaft, und die Gesellschaft wiederum gehört der großen Masse von Aktionären aus allen Nationen! Wir werden jeden einzelnen, der nach hier kommen will, prüfen, prüfen, nochmals prüfen und dann 122
wieder nach Hause schicken, wenn wir den geringsten Verdacht einer unsauberen Einstellung finden! Parker, der Sicherheitsdienst muß diese Aufgabe übernehmen, und solange er nicht so weit ausgebaut ist, daß er sie bewältigen kann, kommt kein Auswanderer hier her! Keiner!“ Damit drehte er sich um und stapfte entschlossen auf den primitiven Lift zu. Zwischen drei Metallstangen bewegte sich eine schmale Plattform auf und ab, die von einem Elektromotor an vier Seilen hochgezogen wurde. Vier Mann hatten auf der Plattform Platz, aber da Knox für zwei zählte, mußten wir vorsichtshalber zweimal fahren. Elsy blieb immer noch verschwunden, während wir drei uns in den engen Duschraum zurückzogen, der eigentlich nur für eine Person bestimmt ist. Wirklich, was Elsy da zurechtgenäht hatte, war für Venusverhältnisse weitaus praktischer als unsere dicke Uniform. Der Dreß bestand aus einer bequemen, kurzen Hose und einem noch kürzeren, weit offenen Hemd. Nach dem Brausebad fühlten wir uns wesentlich wohler und betraten erfrischt den Aufenthaltsraum. Tseu benutzte das Bad nach uns und entschuldigte sich für ein paar Minuten. Meine Augen wurden groß wie Wagenräder, als ich in den Saal kam, der trotz der Enge eines Raumschiffs immerhin recht geräumig war. In der Mitte prangte eine weißgedeckte Tafel, mit Riesenportionen exotisch anmutender Genüsse beladen. Dabei zog uns ein so lockender Duft entgegen, daß Knox, der schon lange keine kultivierte Mahlzeit mehr zu sich genommen hatte, in ein langgezogenes „Ahhhh“ ausbrach. Dick und ich stimmten ein. Während wir uns setzten, trat Elsy ein. Ich blickte zweimal hin, weil ich sie nicht gleich wiedererkannte. Sie hatte sich wahrscheinlich deshalb früher von uns getrennt und an der Inspektion nicht teilgenommen, weil sie sich vorher noch erfrischen und alles hier vorbereiten wollte. Sie trug jetzt 123
eine ähnliche Uniform – wenn man unseren abenteuerlichen Aufzug so nennen darf – wie wir. Nämliche weiße Shorts und ein buntes Oberteil, das sie sich irgendwie malerisch unter den Armen umgeschlungen hatte. Als ihr rechtmäßig angetrauter Ehemann empfand ich etwas wie einen gelinden Eifersuchtsanfall, wenn ich daran dachte, daß sie die ganze Zeit in diesem reichlich dürftig angezogenen Zustand herumgelaufen war. Aber – ich konnte es ihr nachfühlen! Ich warf einen forschenden Blick zu Dick. Der schien sich nichts dabei zu denken, denn er war ja selbst lange genug hier und kannte die ortsübliche Kostümierung zur Genüge. Knox kniff die Augen zusammen und betrachtete Elsy mit prüfendem Blick. Dann nickte er zufrieden und bemerkte trocken: „Steht Ihnen gut, Elsy!“ „Hier möchte ich euch einige Proben unserer hiesigen Küche vorführen“, erklärte Elsy resolut, ohne auf den Einwurf einzugehen. „Das Brot ist aus ‚Locramehl’, die Fruchtschnitten und das Tischgetränk bestehen aus dem Saft der ‚Rangosen’, zum ‚Pico’-Braten gibt es frisches ‚Ragas’-Gemüse und ‚Potetten’. Danach …“ „Hör auf!“ stöhnte ich. „Das hört sich wie ein fernöstliches Menu an! Ich kann mir diese Namen doch nicht alle merken. Hast du sie etwa erfunden?“ „Ja, zusammen mit den Leuten, die jeweils die betreffende Pflanze fanden. Sie bringen mir von ihren Streifzügen immer ein paar Fleisch- oder Pflanzenproben mit. Ich untersuche sie dann auf ihre Brauchbarkeit. Wenn wir etwas besonders Geeignetes finden, wird der ordnungsgemäße Anbau beschlossen.“ Yo Tseu trat ein. Ihm stand der Venus-Tropenanzug wesentlich besser als dem dicken Knox, dessen Schmerbauch sich gequält in breite Falten legte. „Bitte, meine Herrschaften“, lud er mit einer wahrhaft königlichen Gebärde ein, „wir wollen Platz nehmen und uns erst mal 124
stärken. Ich habe eben noch kurz Ihre Ankunft hier bestätigt – ich meine, an Ihren Funker Delbourge gefunkt – und mitgeteilt, daß Sie zunächst eine bis zwei Stunden hier zu tun haben würden. Die Jungens drüben können es vor Neugier bald nicht mehr aushalten.“ „Gesegneten Appetit!“ wünschte Knox und griff vorsichtig nach den aufgetischten Kostbarkeiten. Ich empfand ebenfalls ein gelindes Mißtrauen gegenüber der exotischen Pracht, aber schon die ersten Bissen ließen meine Zweifel schwinden. „Das Zeug schmeckt ja herrlich!“ stellte ich erstaunt fest. „Hast du jemals an meinen Kochkünsten gezweifelt?“ fragte Elsy gespielt beleidigt. „Daß hier noch jedermann am Leben ist, beweist doch, daß es damit nicht so schlimm sein kann!“ „Nein, mein Kompliment, Elsy“, sagte Knox energisch, „wem diese herrlichen Delikatessen nicht schmecken, der möge sie zu meinen Gunsten meiden. Tseu, ich gedenke mich bei der Rückfahrt mit einem entsprechenden Vorrat einzudecken. Können Sie mir bitte Preise nennen?“ Damit kam das Gespräch wieder auf geschäftliche Dinge. Knox bat den Kapitän um Schreibzeug. Es sollte ein regelrechter Handelsvertrag abgeschlossen werden. Man stelle sich das nur vor! Elsy brachte nach dem Essen auch den versprochenen Whiskyersatz, der nicht einmal übel schmeckte. Ich beschloß jedoch, sehr vorsichtig damit zu sein. Zwar wußte ich, welche Wirkung vier Gläser „Black Lady“ auf meinen Geisteszustand haben, nicht aber vier Gläser von diesem Zeug. Die Diskussion war schon in vollem Gange. Knox, der geborene Geschäftsmann, warf Zahlen aufs Papier. Manche erreichten eine schwindelnde Höhe. Aber auch Knox erwies sich als ein kühler, überlegener Rechner. „Wenn ich die Sache richtig übersehe“, meinte Knox aufat125
mend, „braucht diese Kolonie selbst für den Anfang kaum Subventionen. Sie kann sich gut selbst unterhalten. Wir können jetzt hier natürlich keine gültigen Verträge abschließen, aber wenn wir ins einzelne gehende Vorschläge ausarbeiten, bin ich sicher, daß die Gesellschaft diese Pläne annehmen wird.“ „Als offizieller Beauftragter der Gesellschaft bin ich befugt, Ihnen, Kapitän Tseu, das ständige Kommando über die VenusKolonie anzubieten“, schaltete ich mich ein. „Falls Sie diese Aufgabe übernehmen wollen, werde ich Ihnen eine Urkunde ausstellen, die Sie zum Gouverneur der Venus ernennt.“ „Ich werde das Amt gern annehmen“, sagte Tseu mit einer Verbeugung. „Dieser Punkt ist also klar“, sagte Knox befriedigt. Daß er einverstanden war, sah ich aus seinem Blick, den er mir zuwarf. „Ich betrachte mich selbst hier als eine Art Wirtschaftsberater und werde versuchen, einen Weg zu finden, daß die Kolonie bei meinem Vorschlag so günstig wie nur möglich wegkommt.“ Er entwickelte in großen Zügen seinen Plan. Vor allen Dingen mangelte es augenblicklich an Transportraum. Wir stellten fest, daß als nächstes eine genügende Anzahl von raumtüchtigen, schnellen Schiffen gebaut werden müsse. Dann fehlten hier die Möglichkeiten, die Produktion von Nahrungsmitteln in genügend großer Menge voranzutreiben. Die Venus sollte in erster Linie die Kornkammer der Erde werden. „Ich betrachte diesen hübschen Planeten“, erklärte er folgerichtig, „nicht als eine Ausweichmöglichkeit für die überschüssigen Menschenmassen der Erde. Dort haben dreimal so viel Menschen Platz – ausreichend Platz, wenn wir auf irgendeine Art und Weise ihre Ernährung und Versorgung sichern können. Diese Aufgabe wird den Kolonien zufallen, wobei wir noch prüfen müssen, welche Rolle der Mars dabei spielen wird. Die Venus-Kolonie wird also unmittelbar der Mars-VenusGesellschaft unterstellt. Ich bin für einen ordnungsgemäß arbei126
tenden kaufmännischen Betrieb und freue mich darüber, daß unser neuer Gouverneur genauso zu denken scheint. Ein ordentlicher Anfang ist bereite gemacht. Gut! Die Gesellschaft braucht für verschiedene andere Zwecke so immense Gelder, daß die Kolonie sich selbst finanzieren muß. Kann sie aber auch. Passen Sie auf!“ Er entwickelte einen Anbauplan für die verschiedenen Nahrungsmittel, wobei Elsy immer wieder mit fachmännischem Rat einsprang. Wir wurden von der Heimkehr der anderen Besatzungsmitglieder unterbrochen. Ich begrüßte sie und bemerkte, daß sie zwar müde waren, aber fröhlich und ohne Murren ihre Arbeit taten. Zunächst stellte ich die Frage, wer wieder mit nach Hause kommen wollte. Es meldete sich keiner! Dann wurden sie kurz über den bisherigen Stand unserer Besprechungen informiert, zogen sich um, duschten, aßen und nahmen anschließend an unserer Diskussion teil, die um so heftiger wurde, je weiter die Nacht voranschritt. Um zehn Uhr erhielt ich einen besorgten Funkanruf von Rich, der befürchtete, uns sei etwas zugestoßen, weil wir uns nicht mehr meldeten. Ich beruhigte ihn und wies ihn an, die Besatzung der A II sollte sich zunächst einmal gründlich ausschlafen. Gegen Morgen saßen wir ziemlich erschöpft, aber mit leuchtenden Augen immer noch rund um den Tisch. Seiten um Seiten füllten sich. Dick hatte es übernommen, Protokoll zu führen. Später entdeckten wir, daß die von ihm aufgeschriebenen Vorschläge noch weit über das hinausgingen, was wir besprachen und vorschlugen! Er hatte sie stillschweigend so ergänzt, daß nach unserer Rückkehr nach Astra ein fast fertig ausgearbeitetes Vertragswerk vorlag. Während am Morgen die müde Besatzung der Station schlafenging, lud ich mit meinen ausgeruhten Männern zunächst 127
einmal die mitgebrachten Geräte aus und stapelte sie sauber in Reihen auf. Yo Tseu stand mit eiserner Miene dabei und hakte am Lieferschein jeden einzelnen Artikel ab. „Damit ich nachher die Rechnung prüfen kann, die ich bekommen werde“, erklärte er mir. So ernst nahmen wir die Sache! Als Nächstes luden wir die Vorräte aus dem „Lager“ in unser Schiff und erhielten dafür ebenfalls einen Lieferschein. Als wir die Rechnungsbeträge verglichen, stellten wir fest, daß nur noch ein kleiner Überschuß zugunsten der Zentrale in Astra blieb! Befriedigt legte sich Knox schlafen, als die erste Transaktion zwischen zwei Planeten abgeschlossen und unterschrieben war. Auch Tseus Leute waren jetzt wieder auf den Beinen. Gemeinsam schafften wir mit unserem Beiboot die zwei Turbinen zum „Kraftwerk“ hinaus. Die Montage überließen wir den hiesigen Technikern, die bestimmt drei bis vier Tage damit zu tun haben würden. Jetzt würde die Energie sicher ausreichen, um mit den Erdstationen eine Verbindung herzustellen. Während Elsy und ich die neuen Geräte in ihrer Kammer installierten, überließ ich es Dick, einen ausführlichen Bericht über die Lage an Giraud abzufassen. Via Station „Sputnik“ wurde der Bericht nach Astra weitergefunkt. Die beiden anderen Stationen meldeten sich immer noch nicht, sie streikten weiter. Und die Funkstation der kleinen Station I war für solche Entfernungen ungeeignet. Alle übrigen Kisten kamen ins Lager der früheren A III. Es handelte sich um Geräte des täglichen Bedarfs, Medikamente, Konserven und Rauchwaren. Einen entsprechenden Ersatz für Tabak hatte Elsy bisher noch nicht gefunden, deshalb herrschte an diesem begehrten Artikel seit Wochen ein akuter Mangel. Jedes Besatzungsmitglied bekam bis zu unserer Ankunft pro Tag zwei Zigaretten zugeteilt. Nun hatten Elsy und ich zum erstenmal seit vielen Wochen 128
ein paar Stunden für uns allein. Wir zogen uns in meine Kabine in der A II zurück, wo wir ungestört waren. Nur Rich war an Bord; er hatte Funkdienst. Ich muß sagen, daß es uns kaum störte, daß meine Kabine nur für eine Person eingerichtet war. Es gab so viel zu erzählen – aber wir wußten unsere Zeit besser zu verbringen. Dann schliefen wir achtzehn Stunden an einem Streifen, wobei Finn wie ein Wachhund darauf achtete, daß uns ja niemand störte. Frisch und ausgeschlafen, sah ich die Welt nach einem kräftigen Frühstück wieder mit ganz anderen Augen an. „Elsy, du siehst heute morgen noch viel hübscher aus!“ begrüßte uns Dick mit vielsagendem Grinsen. Nach Ortszeit war es mindestens drei Uhr nachmittags. „Wie weit seid ihr inzwischen?“ fragte ich. „Wir haben nur euer holdes Erwachen abgewartet, um zu einem kleinen Rundflug zu starten. Finn meint, wir sollten vorsichtshalber das Schiff und nicht das Boot nehmen, weil wir uns den immer noch ziemlich unbekannten Trabanten näher ansehen wollen.“ „Gut. Elsy, du wirst dich erst mal wieder um deine Gärten kümmern müssen. Wir suchen nach der seltsamen Metallkugel, die uns hier umkreist!“ sagte ich gut gelaunt. Sie wollte erst protestieren, fügte sich dann aber und verabschiedete sich mit einem langen Kuß. Endlich war ich wieder verheiratet! „Rich, sag eben noch Tseu Bescheid, daß wir in einer halben Stunde starten wollen. Wir sind in ein bis zwei Tagen wieder zurück.“ Neues Leben kam in die Bude. Da ich mit meiner verletzten Hand immer noch nicht selbst zupacken konnte, saß Finn wieder am Steuer. Ich rechnete ihm den Kurs aus, was bei der Dürftigkeit der Angaben über Regela I sehr kompliziert war. Pünktlich zur festgesetzten Zeit schossen wir in die Höhe. 129
„Wir müssen uns diesmal auf alles mögliche gefaßt machen“, rief ich in die Rundsprechanlage, „da wir so gut wie nichts über die Regela I wissen. Wir müssen sogar damit rechnen, noch eine zurückgelassene Besatzung von Lensing zu finden. In drei Stunden landen wir, weil ich den Trabanten erst ein paarmal umkreisen will.“ „Alles klar“, erhielt ich die Meldungen. „Drück auf die Tube, Finn!“ Ich saß am Radarschirm. Nach einer halben Stunde schob sich von links eine aus dieser Nähe riesengroß wirkende Kugel in das Bild. Eine Probe mit dem Metallsucher bewies, daß die Kugel wirklich größtenteils aus Metall bestand. Ich war unheimlich gespannt, was wir hier wohl finden würden. Dick machte seine Fotoeinrichtung bereit und koppelte sie mit dem Fernrohr. Er schoß eine Aufnahme nach der anderen. Nach einer Stunde konnte ich bereits Einzelheiten auf der Oberfläche ausmachen. Das heißt, ich stellte fest, daß es auf der Oberfläche so gut wie keine Einzelheiten gab. Alles war glatt und rund – nein, doch nicht! „Ein Turm!“ rief Dick aus. Ich stellte schärfer ein. Dick war jetzt mit den starken Fernrohren im Vorteil. „Und oben auf dem Turm steht noch ein Mast!“ schrie er mir aufgeregt zu. Während wir die Regela I umkreisten, fanden wir noch drei weitere Mastentürme von genau derselben Konstruktion. Die Landung erwies sich als einfach. Obgleich der Himmelskörper fast die Größe des Mondes Deimos hatte, betrug die Schwerkraft auf ihm nur ein Neuntel von der Deimosanziehung. Jeder von uns wog höchstens fünf Pfund. „Seht euch vor!“ warnte ich vor dem Aussteigen. „Es könnte euch passieren, daß ihr mit einem zu gewaltigen Sprung bereits das Schwerefeld des Klümpchens hier verlaßt und hinaussegelt! Außerdem sagte ich bereits, daß der Turm besetzt sein könnte.“ 130
Finn, Clark und ich stiegen aus. Das konnte ich jetzt riskieren, weil ja Kapitän Tseu nahe genug war, um zur Not die anderen holen zu lassen, falls uns beiden Piloten etwas zustieß. Clark wollte losspringen. „Halt“, rief ich ihn zurück, „erst einmal anketten! Und vorsichtig hüpfen!“ Wir machten es ähnlich wie auf den Marsmonden. Schon nach fünf Sprüngen standen wir am Fuße des künstlichen Berges. „Das ist ja der reinste Wolkenkratzer!“ bemerkte Finn und hatte recht damit. Ich mußte den Kopf weit in den Nacken legen, um die Spitze des Turmes zu sehen. Der Boden unter unseren Füßen gab bei jedem Sprung einen eigenartigen Klang, als ob er hohl wäre. Zweifellos bestand er aus reinem Metall. Ich befühlte den Boden mit dem Handschuh und stieß einen überraschten Ruf aus, „Was ist los?“ fragte Finn. „Seht euch mal dieses Metall an. Kommt es euch nicht sehr bekannt vor?“ Sie bückten sich und strichen ebenfalls über den Boden hin. „Deimon!“ schrie da Finn. „Jawohl“, nickte ich, „Deimon! Dieser Trabant ist zweifellos künstlich und wurde aus dem Material gebaut, aus dem der natürliche Mond Deimos besteht. Da besteht also ein enger Zusammenhang. Meines Wissens gibt es diesen Stoff in unserem Sonnensystem nur an einer einzigen Stelle: nämlich auf dem Marsmond Deimos. Der Mars war früher von hochzivilisierten Lebewesen bewohnt. Was folgt daraus?“ „Daß die Marsbewohner diesen künstlichen Satelliten gebaut haben müssen!“ antwortete Clark höchst erstaunt. „Aber, was wollten sie auf der Venus? Warum fand Tseu auf dem Planeten selbst keine Spuren?“ Ich hatte schon eine Idee und erklärte: „Ich stelle mir die Sache so vor: Der Mars erkaltet, und seine Bewohner müssen sich darauf vorbereiten, den ungastlichen 131
Planeten eines Tages zu verlassen. Dazu haben sie aber noch viele Jahrtausende lang Zeit. Sie treffen also ihre Vorbereitungen in Ruhe. Als erstes errichten sie große, künstliche Satelliten, die ihre Nachbarplaneten umkreisen und genaues Material über die Lebensbedingungen sammeln.“ „Meinst du etwa, um die Erde kreise auch so ein Ding?“ „Es könnte einmal vorhanden gewesen sein. Ich bin nicht einmal sicher, ob es einen solchen künstlichen Satelliten nicht sogar noch gibt. Seit vielen Jahren mehren sich die Stimmen, die behaupten, in großer Nähe der Erde, nur ein paar tausend Kilometer darüber, gäbe es einen zweiten, sehr kleinen und sehr rasch umlaufenden Mond. Selbst wenn man diese Annahme eines Tages schlüssig widerlegen würde, möchte ich immer noch glauben, daß auch die Erde einst einen künstlichen Trabanten von der Art der Regela I besaß.“ „Und was ist daraus zu schließen? Wo sind die Leute geblieben?“ „Geduld, Clark! – Jahrhundertelang werden Venus, Erde und vielleicht noch andere Planeten beobachtet. Man findet heraus, daß die Erde am besten geeignet ist. Jetzt aber, bevor die Vorbereitungen noch abgeschlossen sind, tritt irgendein gewaltsames Ereignis ein, das die Marsianer an der Ausführung ihres Planes hindert. Ein überstürzter Aufbruch wird notwendig, nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kann fliehen. Sie kommen zur Erde und vermischen sich allmählich mit der Urbevölkerung. Das ist alles.“ „Nein“, widersprach Finn, „es ist nicht alles. Die Theorie klingt ziemlich phantastisch und hat ein paar Haken. Was für ein plötzliches Ereignis könnte den ordnungsgemäßen Abtransport eines Volkes verhindern, das so technisiert war, daß es künstliche Satelliten wie diesen hier bauen konnte?“ „Ja“, mußte ich zugeben, „das weiß ich allerdings nicht. Aber ich habe das Gefühl, als müßten wir gerade nach dieser Frage forschen.“ 132
„Denkst du dabei an Szibougadz?“ „Ja, Finn.“ Er hatte meine Gedanken erraten. „An seine Warnung denke ich. Der Mars ist nicht plötzlich ausgetrocknet. Er ist auch nicht explodiert oder durch eine Seuche entvölkert worden. Das verhängnisvolle Ereignis muß also von außen gekommen sein. Und die Bestätigung dieser Befürchtung hoffe ich auch noch zu finden.“ „Hier?“ fragte Clark. „Vielleicht sogar hier.“ Wir bemühten uns lange Zeit und fanden nichts außer glatten Metallwänden. Keine Fugen, keine Mechanismen, nur glatte Metallwände, ähnlich wie die glatten Sandwände bei dem Konverterwerk auf dem Mars. Das brachte mich auf eine Idee. Auf dem Mars befand sich der Eingang oben auf der Plattform – vielleicht konnten wir hier auch hinaufgelangen. Bei dieser Gelegenheit fiel mir ein, daß die Wachhütte auf der Insel Guerra im Stillen Ozean ebenfalls ihren Eingang von oben hatte. Die Zusammenhänge traten immer klarer zutage. Hinauf konnten wir aber nur mit dem Beiboot, weil ich trotz meines geringen Gewichts nicht einen Sprung von 150 Metern Höhe zur Plattform des Turms hinauf wagen wollte. „Finn“, ordnete ich an, „Hol doch einmal das Beiboot herüber und versuche, ob du nicht den Eingang von oben auf der Plattform finden kannst. Wir bleiben weiter in Verbindung, und du rufst uns sofort, wenn du etwas bemerken solltest. Clark und ich sehen uns inzwischen ein wenig auf der Oberfläche um.“ „In Ordnung, Jim“, sagte er und machte sich von unserem Seil los. Dann kehrte er mit eine paar Sprüngen zum Schiff zurück und verschwand in der Schleuse. Mit der Zeit bekamen wir eine ganz schöne Übung darin, Entfernungen richtig abzuschätzen und unsere Sprünge danach einzurichten. Clark und ich setzten unseren „Känguruhtrab“ fort und hielten 133
uns in Richtung auf den nächsten Turm, den wir beim Anflug beobachtet hatten. Er lag rund 20 Kilometer entfernt, unserem jetzigen Standort fast genau entgegengesetzt. Da wir bei jedem „Schritt“ über hundert Meter bewältigten, waren wir nach einer halben Stunde angekommen. „Bin gerade dabei, das Beiboot zu starten“, meldete Finn über Funk. Bei Verwendung der Infrawellen waren wir glücklicherweise in der Lage, uns auch dann noch zu unterhalten, wenn wir hinter der Krümmung des Trabanten, also hinter dem Horizont verschwunden waren. Der Boden leitete die Wellen ganz hervorragend, weil er ja aus Metall bestand. „Gut“, sagte ich. „Hier sieht es genauso aus wie beim Turm Nummer eins. Sieh mal zu, ob du dort eine Öffnung finden kannst. Wir kehren inzwischen auf dem schnellsten Wege zurück.“ Unterwegs stellten wir fest, daß die ganze Oberfläche des geheimnisvollen, künstlichen Himmelskörpers glatt war und aus rissigem, angekratztem Deimon bestand. Wenn Meteoriteneinschläge und andere äußere Einflüsse das unglaublich harte Metall derartig zerschrammt hatten, mußte dieser Satellit schon sehr lange bestehen. Er war jedenfalls wesentlich älter als das Konverterwerk auf dem Mars. Ich machte mir aber über die archäologische Seite des Problems vorerst keine großen Sorgen. Was mich viel mehr interessierte, waren praktische Fragen. Befanden sich noch irgendwelche menschliche Wesen auf dem Satelliten? Hatte Lensing Spuren zurückgelassen, aus denen ich schließen konnte, welchen Zwecken die Station, die er hier zweifellos unterhalten hatte, in Wirklichkeit diente? Waren noch irgendwelche Spuren von den früheren Bewohnern, also den Marsmenschen, vorhanden? War der Globus hohl, wie es den Anschein hatte, und was befand sich im Innern? Wie konnten wir die Regela I für unsere eigene Venusstation nutzbar machen? Das ungefähr waren die Fragen, die ich mir auf dem Rückweg vorlegte. 134
„Soeben auf der Plattform gelandet“, hörten wir Finns Stimme. „Im Augenblick suche ich nach irgendeinem Mechanismus, um in den Turm hineinzugelangen. Der Mast, der sich über dein Turm erhebt ist anscheinend aus einem hohlen Metallrohr gebaut, Durchmesser etwas mehr als dreißig Meter. Noch kann ich nichts finden. Der Boden ist fugenlos wie die Wände auch. Suche weiter.“ „Der Eingang muß oben sein, Finn, warte einen Augenblick, wir sind in wenigen Minuten bei dir.“ „Los, Clark, ich bin gespannt, ob wir hineinkommen“, munterte ich meinen Gefährten auf. Fünf Minuten später standen wir am Fuße des ersten Turmes. Ich rief Finn herunter. Er holte uns mit dem Beiboot nach oben. Aus 150 Meter hatten wir einen guten Rundblick und konnten in der Ferne gerade noch die Spitze des Turms Nummer drei entdecken. „Die Dinger scheinen so gebaut zu sein“, bemerkte Clark, „daß gerade eben noch Sichtverbindung besteht. Warum? Haben die Marsianer keine Infrawellen gekannt? Oder gibt es hier etwa sogar Fernsehsender?“ „Weiß ich nicht“, gab ich kurz zurück und konzentrierte mich auf die Suche nach einem Eingang. Jeden Quadratzentimeter tasteten wir ab – es war nichts zu finden. „So kommen wir nicht weiter!“ rief Finn schließlich verzweifelt. „Hallo, Jim“, ertönte Melons Stimme vom Schiff herüber, „ich habe euer Gespräch mit angehört und dabei mein Spatzengehirn ein wenig angestrengt. Der Mast ist doch ziemlich umfangreich, sicher dreißig Meter im Durchmesser. Er wird nach oben nicht enger. Könnte der Eingang nicht noch weiter oben liegen? Vielleicht an der Spitze?“ Wir drei klugen Forscher sahen uns gegenseitig an. Natürlich, das war doch die naheliegendste Möglichkeit! 135
„Auf, ins Boot!“ rief ich. „Natürlich, Jim“, sagte Finn und schlug sich mit der Hand vor den Kopf, „sieht ganz aus wie ein Kanonenrohr!“ „Vielleicht haben sie ihre Raumschiffe durch diese Röhre abgeschossen. Also eine Art Katapultvorrichtung für schnelle Starts.“ Ganz vorsichtig kletterten wir nach oben und hielten schließlich in gleicher Höhe mit der Mastspitze. Hier gab es einige Vorrichtungen, die für uns ganz und gar böhmische Dörfer waren. Vielleicht waren es Antennen, es konnte aber auch etwas anderes sein. Die obere Seite der Röhre war mit einer Art Deckel zugemacht.“ „Wir versuchen, direkt oben auf dem Deckel zu landen“, entschloß ich mich. „Seid bloß vorsichtig!“ mahnte uns Melons Stimme aus dem Schiff. Ganz langsam setzte Finn in schwindelnder Höhe auf dem „Deckel“ auf. Wir blickten 450 Meter tief auf den Boden hinunter. Unter uns lag Regela I, fast schon als Halbkugel zu sehen, und über die Ränder hinweg blickten wir ins absolute Nichts hinaus. Links von uns leuchtete riesengroß der Nebelball Venus. Ein schauerlichschöner Anblick. Aber ich hatte keine Zeit zur Bewunderung von Naturschönheiten, denn im gleichen Augenblick setzte Finn auf. Oder hätte eigentlich aufsetzen müssen. Ich hörte ein kurzes, hartes Knacken, als ob sich ein schon lange nicht mehr benutzter Mechanismus zum erstenmal wieder in Bewegung setze. Dann sanken wir weiter – in den Mast hinein! Plötzlich war alles um uns schwarze Nacht. Mit einem Schlag war alles totenstill. Totenstill? Warum arbeiteten unsere Aggregate nicht mehr? „Die Maschinen sind tot, Jim!“ schrie Finn zu mir herüber. „Wir sind in eine wunderbare Falle für naseweise Greenhorns geraten!“ 136
„Kein Grund zum Verzweifeln, viel kann nicht passieren“, tröstete ich ihn, „Wir fallen sehr langsam und werden unten wohl kaum zerschmettern. Vielleicht tritt ein immer noch funktionierender Landemechanismus in Aktion!“ „Schwacher Trost“, murmelte er, „genausogut ist es möglich, daß uns irgendwer einfach herunterholt, um uns zu erledigen. Ich halte auf jeden Fall meine Waffen bereit und empfehle euch, dasselbe zu tun.“ Er stand taumelnd von seinem Sitz auf, wo er ohnehin nichts mehr ausrichten konnte, und griff nach seinem Strahler. Wir taten es ihm nach, sicher ist sicher! Aber da stieß Clark einen Schrei aus. „Heh! Unser letzter Rest von Schwerkraft scheint ebenfalls verschwunden zu sein!“ Tatsächlich waren wir vollkommen schwerelos, „wir fallen mit genau der gleichen Geschwindigkeit, die unsere Schwerkraft aufhebt“, sagte ich ein wenig gepreßt und machte mir dabei allerhand Gedanken. „Hallo, Jim!“ schrie es da aus meinem Kopfhörer. „Wohin seid ihr verschwunden? Wir sehen euch auf einmal nicht mehr! Meldet euch bitte! Sollen wir nachkommen?“ Was, die Verständigung funktionierte noch?! Ich hatte wieder einmal vergessen, daß praktisch der ganze Metallplanet die Infrawellen gleichmäßig leitete und war durch die Tatsache, daß immer noch eine Verbindung mit dem Schiff bestand, doch ein wenig beruhigt. „Wir sinken ins Innere des Turms“, erklärte ich. „Unternehmt vorerst nichts!“ „Hm“, brummte Finn und schaute auf seine Uhr, „die Sache gefällt mir nicht! Ich will doch mal …“ Gespannt sah ich ihm zu, wie er ein paar Zahlen aufs Papier warf. „Wir sind in diesem komischen Fahrstuhl bisher genau 640 Meter tief gesunken“, sagte er ruhig. 137
„Menschenskind, dann wären wir ja …“, stotterte Clark und riß die Augen weit auf. „Ja“, nickte Finn, „wir sind nicht mehr im Mast und auch nicht mehr im Turm. Wir sinken geradewegs in das Innere dieses eigenartigen Mondes hinein.“ Ich rechnete rasch nach. Inzwischen hatten wir schon über tausend Meter zurückgelegt und sanken immer noch tiefer. „Wenn wir so weitermachen“, meinte ich mehr neugierig als erschüttert, „dann haben wir in rund fünfzehn Minuten den Mittelpunkt dieses Metallhaufens erreicht. Damit können wir praktisch nicht weiter sinken. Vom Mittelpunkt aus gibt es keine Schwerkraft mehr, die uns weiter herunterholen könnte. Ich bin gespannt, was dann passieren wird!“ „Ist bei euch noch alles in Ordnung?“ fragte jetzt Dick Beer vom Schiff aus. „Bis jetzt ja“, gab ich zurück, „wir sind unterwegs nach dem ‚Mittelpunkt der Erde’ und eifern damit unserem alten Freund Jules Verne nach.“ „Schickt mir einen Kartengruß, wenn ihr unten seid“, gab er trocken zurück. Finn berechnete laufend die erreichte Tiefe. „Jetzt müssen wir eigentlich ‚gelandet’ sein, wenn dieser Ausdruck hier noch zutrifft“, meinte er nach einer Weile. Klick! sagte es und Clark, der zufällig gerade ein paar Zentimeter über dem Boden unserer Maschine schwebte – er hatte vergessen, sich anzuschnallen – fiel sanft auf sein gut gepolstertes Hinterteil. „Was soll denn das?“ schrie er erstaunt. Ich war nicht weniger überrascht. Ein Blick auf die Geräte sagte mir, daß wir unter dem Einfluß von 0,3 g Schwerkraft standen. „Kann ich mir nicht erklären!“ brummte Finn und schüttelte den Kopf. „Hier kann es keine Schwerkraft geben!“ 138
„Warum gerade 0,3 g?“ überlegte ich laut „Das ist doch ähnlich wie auf dem Mars?“ Wir stiegen einer nach dem anderen aus und standen auf einem vollkommen glatten Metallfußboden von dreißig Meter Durchmesser, Ich leuchtete die Umgebung mit meiner Helmlampe ab und entdeckte an einer Seite eine viereckige Öffnung. Vorsichtig ging ich darauf zu und blickte hindurch. Ein langer Gang mündete hier, einen Meter breit und zwei Meter hoch. Der Gang endete nach achtzig Schritten vor einer Wand. Suchend blickte ich mich um. Keine Tür, die weiterführte! „Hier, auf dem Fußboden!“ rief Clark und leuchtete nach unten. Es war, abgesehen vom Schein unserer Lampen, stockfinster. Wir standen auf einer quadratischen Platte, die uns gerade allen Platz bot, wenn wir uns zusammendrängten. Sie war fest mit dem Gang verbunden, schien aber aus einem anderen Metall gemacht zu sein. „Soll das einen Aufzug darstellen?“ fragte Finn. „Werden wir gleich sehen!“ gab ich zurück. An der Wand hatte ich zwei Knöpfe entdeckt. Ich drückte auf den oberen Knopf und hielt gleich darauf erschrocken den Atem an. Wir segelten nämlich, fest aneinandergeklammert, sanft nach oben! Schon nach wenigen Metern hörte die Bewegung der Schachtwände nach unten auf, und wir schwebten regungslos in der Luft. Dabei drehten wir uns um unsere gemeinsame Achse, weil ich nichts sah, an dem wir uns hätten festhalten können. Auf einer Seite des Schachtes wanderte dabei eine zwei Meter hohe Öffnung an meinem Blick vorbei. „Dort müssen wir hinein!“ rief ich und hielt mich bei der nächsten Drehung am Rande des Ganges fest. Wir faßten wieder Fuß und schritten weiter. Dieser Gang war viel heller und wurde zusehends heller, je weiter wir vordrangen. Bald konnten wir unsere Lampen aus139
schalten. Woher die Helligkeit kam, war nicht zu erkennen. Die Wände selbst strahlten in einem angenehmen Schimmer. Der Gang mündete in einen großen Saal. Wir standen in der Zentrale eines großen Kraftwerkes! So jedenfalls wirkte der Raum auf uns, denn rundherum entdeckten wir Hebel, Skalen und unbekannte Instrumente. Eklige Lampen glühten rot oder grün. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Clark. „Uns zunächst einmal hier näher umsehen“, entschied ich. „Hallo, Rich, hast du noch Verbindung mit uns?“ fragte ich ins Helmmikrophon. „Jawohl, Jim“, kam es ein wenig dumpf zurück, „wir verfolgen gespannt jedes eurer Worte. Sag mal, wie sieht es eigentlich …“ „Du, wir haben jetzt keine Zeit für lange Erklärungen“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Wir werden nacheinander alles genau beschreiben, was wir sehen. Du nimmst im Schiff alles auf Band auf, damit die Angaben später zur Auswertung bereitliegen.“ „In Ordnung, Jim“, gab er zurück, „ich schalte sofort auf Aufnahme.“ Wir setzten daraufhin unsere Erkundung fort. Die Helligkeit war hier überall gleichbleibend. Wenn wir nur irgendwo einen Plan der ganzen Anlage finden könnten! dachte ich und verwarf diesen Wunsch gleich wieder als unsinnig, denn welche Veranlassung hätten die alten Marsianer schon gehabt, uns einen Lageplan ihrer Station zu hinterlassen! Nach knapp dreißig Metern stockte ich – entsetzt. Ich stand im Eingang eines kleineren Raumes, der mit vollkommen irdischen Möbeln eingerichtet war. Primitiv eingerichtet, aber einwandfrei irdischen Ursprungs. Und zwar waren es zeitgemäße Möbel, also das, wonach ich suchte! Acht Betten standen entlang der einen Wand, in der Mitte ein Tisch mit ebensovielen Stühlen. Der Raum machte einen unordentlichen Eindruck, weil Geschirr, Gläser, Flaschen und ungeleerte Aschenbecher herumstanden. 140
Auf jedem Bett lag eine regungslose Gestalt. – Ich gab sofort einen genauen Bericht zu Protokoll. Da Finn und Clark alles mithören konnten, waren sie sehr schnell ebenfalls zur Stelle. Vorsichtig näherte ich mich den Betten. Nichts bewegte sich. Die acht Männer schliefen nicht, sie waren tot! Obgleich wir durch unsere Helme natürlich nichts riechen konnten, sahen wir auf den ersten Blick, daß die Leichen bereits seit vielen Tagen hier liegen mußten. Ich machte eine entsprechende Bemerkung. „Riechen?“ fragte Finn erstaunt. „Wie willst du denn im luftleeren Raum etwas riechen können?“ „Die Toten tragen keine Atemgeräte und sind auch offensichtlich nicht erstickt“, stellte Clark fest, „außerdem hat Jim volle Aschenbecher hier gefunden – dort stehen sie. Rauchen kann man aber nicht mit Raumanzügen, und wer raucht, ist nicht tot.“ „Also mußte es atembare Luft geben.“ Ich machte langsam den Verschluß meines Helms los und hob ihn dann versuchsweise ganz leicht an. Jawohl, Luft war vorhanden. Ich sah mich um und riskierte dann einen genaueren Blick auf die nicht sehr schöne Szene. Keine Speisereste, nicht die geringste Spur von irgend etwas Eßbarem waren zu sehen. „Sie sind zweifellos verhungert“, schloß ich und bewegte mich rasch in Richtung Tür. „Lensing hat sie wohl zurückgelassen, um später mit einem Nahrungsmitteltransport zurückzukommen. Da er nicht mehr kam, sind ihnen die Lebensmittel ausgegangen.“ Finn meinte zweifelnd: „Ich glaube nicht, daß eine so große Station ganz ohne ausreichende Nahrungsmittelvorräte zurückgelassen wurde. Ob sie das Zeug vor ihrem Ende aufgegessen haben?“ „Vielleicht wurden die ursprünglichen Vorräte von den Lensing-Leuten nicht gefunden. Außerdem ist es sehr unwahr141
scheinlich, daß selbst hervorragend präparierte Lebensmittel nach so langer Zeit noch genießbar sein sollten“, sagte Clark. „Wir suchen weiter!“ beschloß ich. Ohne die lästigen Schutzanzüge konnten wir uns viel unbeschwerter bewegen. Wir ließen sie in der Halle zurück, von der wir ausgegangen waren, und setzten die Untersuchung fort. Finn fand einen großen Raum, der bis zur Decke mit tiefen Regalen ausgestattet war. In den Regalen standen und lagen, nach irgendeinem Schema geordnet, Bücher, Drahtrollen, Mappen aus papierähnlichem Stoff und große, bemalte Pappen. Wir hatten durch Zufall das Archiv gefunden, daran bestand kein Zweifel! „Hier liegt die Lösung vieler Rätsel!“ meinte Finn gedankenvoll. Wir tasteten uns zu dem großen Eingangsschacht durch, wo wieder völlige Finsternis herrschte. Dann überlegten wir, wie wir das Boot an die Oberfläche befördern könnten, ohne etwas zu beschädigen. „Wir könnten ganz einfach die Aggregate einschalten und starten“, schlug Finn resolut vor. „Ich glaube nicht, daß du damit Glück haben würdest“, zweifelte ich. „Du weißt doch, daß unsere Maschinen bei der Landung an einem gewissen Punkt stehenblieben, und zwar kurz nach dem Eintauchen in die Röhre. Durch die Fernschaltung sollte vermutlich verhindert werden, daß die Anlage hier durch Gase oder Strahlungen beschädigt wurde.“ „Vielleicht funktioniert der Hauptschacht genauso wie die kleineren Aufzüge“, meinte Clark und hatte damit das Richtige getroffen. Eine nähere Untersuchung der Umgebung förderte zwei ähnliche Knöpfe zutage, wie sie jeder der seltsamen Aufzüge besaß. „Bleibt noch das Problem, wie wir hier wegkommen“, sagte Finn nachdenklich und kratzte sich am Kopf. „Es müßte einer von uns zurückbleiben und den oberen Knopf drücken.“ 142
Clark packte die Sache von der praktischen Seite her an. Er schlug vor: „Ich bleibe an der Schleuse und nehme ein langes Rohr, mit dem ich die Wand des Aufzugs und damit die Knöpfe erreichen kann. Wenn Finn fertig ist, drücke ich den oberen Knopf mit der Stange ein und mache die Schleuse dicht. Das Boot wird sich dann – hoffentlich – langsam in Bewegung setzen und euch Zeit lassen, den Antrieb einzuschalten, sobald wir den Punkt erreicht haben, an dem er sich auch ausschaltete. Wollen nur hoffen, daß die Klappe oben auf dem Mast uns ebenso automatisch hinausläßt, wie sie uns hereingelassen hat.“ „Fertig!“ rief Finn nach einer Weile, und Clark betätigte seine selbsterfundene „Fernsteuerung“. Richtig, mit einem Ruck schwand die bisherige Schwerkraft, und ganz langsam, fast zögernd, setzte sich unser Boot in Bewegung. Immer schneller werdend, glitten wir dem oberen Teil der Röhre zu. Mit einem leisen Klick öffnete sich die Klappe. „He, wo wollt ihr denn hin?“ schrie eine Stimme in meinem Kopfhörer. Es war Rich. „Laß gut sein“, knurrte Finn ungnädig, „haltet euch lieber bereit, wir legen gleich an. Natürlich kenne ich mich mit diesem Spukzeug noch nicht so genau aus, um einen eleganteren Start hinzulegen.“ Das Ziel dieser zweiten, etwas besser vorbereiteten Expedition war lediglich die Bergung von Unterlagen aus der „Bibliothek“. Deshalb begleitete mich nur Dick Beer in seiner Eigenschaft als „Schriftgelehrter“. Acht Stunden lang durchwühlten wir die Mappen und Kartons und schleppten zentnerweise Papier – ich will das unbekannte Material der Einfachheit halber so nennen – zu unserem Boot. Dick betätigte den Knopf am Aufzugschacht und schloß dann die Schleuse. Eine halbe Stunde später waren wir wieder „zu Hause“ im Schiff. Wir ahnten nicht, welch wertvolle Ladung wir mitbrachten, 143
und wie viele ungelöste Fragen die reichhaltige Literatur einer untergegangenen Rasse beantworten würde. „Ist dir schon aufgefallen“, fragte Dick nachdenklich beim Anlegen und deutete zurück zu dem Turm, „daß dieser Turm in seiner leicht konischen Form an eine Pyramide erinnert, deren Kanten zu spitz zulaufen, bei der aber dafür die Spitze abgeschnitten wurde?“ „Ja“, antwortete ich müde, „das ist mir auch schon aufgefallen. Aber reden wir später darüber. Ich kann jetzt nicht mehr.“ „Du zeigst aber ein gewaltiges Interesse an deinen eigenen Entdeckungen“, schimpfte er und gähnte dabei, „aber mir soll es recht sein. Wir sind nicht das letztemal hier. Beim nächsten Besuch lasse ich mich aber nicht mehr als Kuli zum Bücherschleppen verwenden. Dann will ich ein paar ordentliche Bilder mit nach Hause bringen.“ „Sollst du haben, Dick. Du siehst aber doch ein, daß es wichtiger war, erst einmal das Zeug in Sicherheit zu bringen, damit geeignete Leute es in die Hand bekommen. Wer weiß, ob nicht wichtige Dinge drin stehen. Wir starten sofort zu unserem Rückflug zur Venus.“ „Seid ihr drin?“ fragte Finn durch die Anlage. „Alles klar“, gab ich zurück. „Ihr könnt sofort starten. Keine Zeit verlieren! Und noch während des Rückflugs, solange wir uns außerhalb der Venusatmosphäre befinden, bitte eine Verbindung nach Astra herstellen, Rich.“ „Wird gemacht, Jim. Ich versuche es schon eine ganze Weile. Die Station ‚Kopernikus’ hat sich soeben gemeldet und ist bereit, uns mit Astra zu verbinden.“ Ich horchte auf. „Wer hat sich gemeldet?“ fragte ich ungläubig. „Ich glaubte es auch erst nicht, aber Kopernikus scheint wieder mitzumachen“, kam es zurück. „Soll ich …“ „Warte einen Moment, wir sind gleich bei euch!“ rief ich und 144
beeilte mich, aus dem Boot zu klettern. Beim Aussteigen spürte ich den Stoß des Starts. „So“, sagte ich aufatmend, als wir drin waren, und riß Stück für Stück des Schutzanzuges vom Leib, wobei mir Melon half. „Jetzt noch einmal, Rich. Was sagtest du eben von Kopernikus?“ Ich trat in die Funkkabine. „Die Station Kopernikus teilt uns mit, der Kommandant Tiu Ykuro gebe seinen Widerstand gegen die Mars-VenusGesellschaft auf und sei bereit, unsere Verbindung herzustellen.“ „Das ist eine Falle, Rich“, sagte ich, „versuche lieber, mit der Station Sputnik Verbindung aufzunehmen’.“ „Die Sputnik steht sehr ungünstig“, erwiderte er, „Wir müßten über eine halbe Stunde warten, und dann sind wir bereits wieder in der Venusatmosphäre, wodurch die direkte Sprechverbindung unmöglich wird. Wollen wir es nicht doch mit dem Japaner versuchen?“ „Also gut“, sagte ich zu Rich, „von mir aus soll Ykuro es machen!“ Rich drehte an verschiedenen Knöpfen, bis sich aus dem Krachen und Knattern schwach, aber deutlich eine Stimme abhob: „Hier Mars-Venus-Gesellschaft, Hauptquartier in Astra. Bitte durchstellen auf Direktverbindung mit der Adastra II. Achtung, wir schalten Verstärker ein.“ Gleich darauf war Präsident Giraud selbst am Gerät. Ich berichtete kurz von unseren Entdeckungen und dem bedeutsamen Fund. Sehr dringlich schloß ich den Wunsch an, die mitgebrachten Bücher möglichst schnell entziffert zu bekommen. „Lerk könnte es am besten machen“, schloß ich meinen Bericht, „aber der sitzt ja noch auf dem Mars. Es ist zum Weinen, daß wir in der ganzen Gesellschaft nur ein einziges Schiff zur Verfügung haben!“ 145
„Darin irren Sie sich, Parker“, sagte Giraud. „Sinew ist es gelungen, den Millerschen Antrieb nachzubauen und das Geheimnis restlos zu lösen. Wir haben das ganze Ding in eine der SR-Raketen eingebaut und schon die ersten Probeflüge damit gemacht.“ „Und wie funktioniert es?“ fragte ich gespannt. „Unbeschreiblich“, kam es zurück. „Rundflug Erde – Mond – Erde bei halber Kraftausnutzung in 34 Stunden, stellen Sie sich das vor! Wir sind schon dabei, die Pläne für eine Serie großer Schiffe vorzubereiten.“ „Warten Sie damit bitte unsere Rückkehr ab“, bat ich ihn, „Knox und ich haben hier ein paar Empfehlungen ausgearbeitet, die wir vorher anbringen möchten. Aber ist es denn möglich, mit der umgebauten SR zum Mars zu fliegen?“ „Ohne Schwierigkeiten“, sagte er zu meiner Erleichterung. „Wenn Sie es für nötig halten, lasse ich Randon Lerk sofort nach Astra holen und berufe auch ein Gremium weiterer Fachleute ein. Wenn Sie zurück sind, werden alle hier auf Sie warten.“ „Wunderbar! Tun Sie das bitte“, sagte ich erleichtert. „Wir werden auf der Venus nur kurz zwischenlanden und sind in etwa 14 Tagen wieder in Astra.“ „Ich will Sie nicht ärgern, Parker“, sagte Giraud, „aber wenn Sie die umgebaute SR hätten, würden Sie es spielend in fünf Tagen schaffen. Viel Glück für den Rückflug!“ verabschiedete er sich. Vier Stunden später landeten wir auf der Venus. Man erwartete uns bereits mit Ungeduld, und besonders Elsy war begierig zu erfahren, was wir gefunden hatten. „Sie haben recht, Parker“, ließ sich Knox vernehmen, „was Sie da gefunden haben, muß eiligst nach Astra zurückgebracht werden.“ „Nur müssen wir die A II vorher beladen“, schaltete sich der neue Gouverneur ein. 146
Am nächsten Morgen waren unsere Laderäume voll und alles vorschriftsmäßig verstaut. Ich nahm zusammen mit Finn die ganze Ladung ab und stattete dann Tseu meinen Abschiedsbesuch ab. Der Rückflug war langweilig und wir waren froh, als wir auf dem weiten Flugfeld von Astra aufsetzten. Wir wurden von einigen Wagen der Flugplatzverwaltung abgeholt. Die Schriftwerke wurden von einer Spezialmannschaft unter Dicks Aufsicht verpackt und zur Hauptverwaltung hinübergefahren. Zuerst begrüßte ich Giraud, der diesmal wegen eines vorübergehenden Beinleidens nicht zum Flugplatz kommen konnte. „Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen!“ rief ein braungebrannter, hagerer Mann vom Eingang her. Es war Randon Lerk, der Alienologe. „Fast hätte ich Sie nicht wiedererkannt, Randon“, sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen. „Sie haben sich sehr verändert.“ „Jeder verändert sich, wenn er sich länger auf dem Mars aufhält“, lachte er mir entgegen. „Mir ist das dünne Klima gut bekommen, wie Sie sehen. Aber ich würde ebensogern auch auf der Venus arbeiten!“ „Brauchen Sie nicht, Lerk“, lächelte Giraud, „Commander Parker hat Ihnen gleich alles mitgebracht!“ „Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie gespannt ich bin!“ versicherte mir Randon. „Seit mich diese winzige Konservendose von einer SR abholte und mit atemberaubendem Tempo nach hier brachte, habe ich keine Nacht mehr ruhig geschlafen. Haben Sie tatsächlich die Bibliothek der Marsianer entdeckt? Ich hatte nicht solches Glück!“ „Zumindest einen anständigen Teil davon“, schränkte ich ein, „wie weit sind Sie mit der marsianischen Sprache gekommen?“ „Mit ein paar Kollegen habe ich während der vergangenen 147
drei Tage hier die letzten Probleme gelöst, so daß ich glaube, jetzt alles ziemlich geläufig lesen zu können.“ „Fein“, sagte ich, „dann möchte ich Ihnen den ganzen Kram gleich übergeben – falls Sie, Herr Präsident, damit einverstanden sind.“ „Laßt euch von einem alten, kranken Mann nicht aufhalten“, lächelte er und verabschiedete uns. „Ich bin auf das Ergebnis sehr gespannt.“ Dick hatte die kostbaren Schätze bereits in einen größeren Raum des Hauptgebäudes bringen lassen, der für die „Kommission Lerk“, wie die Gruppe offiziell bezeichnet wurde, zur Verfügung stehen sollte. Lerk stürzte sich auf den nächsten Bücherstapel und hatte im Nu meine Gegenwart vergessen. Ich hatte natürlich Verständnis für seinen Eifer und ließ ihm mit seinem Schatz allein. In meinem Büro saßen Elsy, Dick, Finn, Clark und Melon und warteten auf mich. „Wie soll es jetzt weitergehen?“ fragte mich Dick. „Welche Anweisungen hat der hohe Meister für uns?“ „Zuerst wird ausgeruht!“ sagte Elsy resolut. „Du hast recht“, sagte ich, „morgen ist auch noch ein Tag! Für heute ist Schluß!“ Wir verabschiedeten uns und fuhren mit dem Lift in unsere Wohnung hinauf. „Jetzt feiern wir einmal einen gemütlichen Abend zu Hause, ganz für uns allein – nur du und ich!“ jubelte Elsy und ging in die Küche. „Dinner ist gleich fertig, mein Herr!“, rief sie fröhlich. Ich ließ mich behaglich nieder und zündete mir eine Zigarette an. Plötzlich schrillte das Visifon in die verträumte Stille hin. Ich sprang ärgerlich auf und schaltete mich ein. „Jim, ich habe etwas ungeheuer Wichtiges gefunden“, keuch148
te Randon. „Ich habe den ausführlichen Text der Warnung gefunden! Sie müssen sofort herunterkommen!“ „Welche Warnung?“ fragte ich überflüssigerweise, denn natürlich wußte ich, worum es ging. „Gleich im ersten Buch, das wir aufschlugen, fanden wir es – Sie müssen es sofort sehen, bitte!“ „Gut, ich komme,“ sagte ich kurz. Elsy war natürlich mehr als traurig, aber da sie eine vernünftige Frau ist, versuchte sie obendrein noch meinen Zorn zu besänftigen. Im Arbeitszimmer der Kommission Lerk schien dicke Luft zu herrschen. „Meine Herren!“ versuchte sich Randon bei meinem Eintritt durchzusetzen. Es gelang ihm erst beim zweiten Versuch. „Meine Herren, dies ist Commander Parker von der Sicherheitsabteilung. Sie alle kennen ihn bereits aus Funk, Presse und verschiedenen Berichten. Er hat uns diese unschätzbare Ladung vom Trabanten der Venus mitgebracht. Ich habe Commander Parker hergebeten, um ihn sofort über unsere erste Entdeckung zu informieren.“ Es wurde still im Raum. Nachdem ich alle Hände gedrückt hatte, nahm ich neben Randon Platz. „Wie immer bei Wissenschaftlern“, fuhr er fort, „entstand bei uns zunächst eine Meinungsverschiedenheit über die Art unseres Vorgehens. Wir mußten vor Beginn der Arbeit eine brauchbare Methode entwickeln, um das ungeheure Material innerhalb kürzester Zeit zu ordnen und zu klassifizieren, damit die wichtigsten Dinge wirklich am Anfang behandelt wurden. Ich nahm also, um während unserer Diskussion meinen Standpunkt zu bekräftigen, das erstbeste Buch in die Hand. Es war dieser kleine, rot eingebundene Band hier. Ein großes Zeichen in der Schrift der alten Marsianer, das ich am besten mit ‚Achtung!’ übersetzen kann, leuchtete mir auf dem Umschlag entgegen. Ich schlug das Buch erwartungsvoll auf, und nachdem 149
ich die ersten Sätze übertragen hatte, waren alle Meinungsverschiedenheiten vergessen. Wir waren uns darin einig, daß dieser Band zuerst bearbeitet werden müßte.“ „Und was stand darin?“ fragte ich gespannt. Lerk las die Übersetzung vor: „Einen Gruß an die Generation, die unser Testament finden wird. Es wird eine solche Generation geben. Es hat auch uns gegeben, deshalb muß unser Testament eines fernen Tages gefunden werden. Es werden Äonen darüber vergehen, aber unsere Freunde werden zurückkehren und den Nachlaß ihrer Ahnen finden. Wir haben Wichtiges zu sagen, solange wir es noch können. Unsere Kultur und damit auch unsere Schrift wird vergessen sein, an dem Tage, da dieses Buch zum erstenmal wieder von Menschenhand aufgeschlagen wird. Aber die Finder werden Intelligenz und Wissen besitzen, um die alten Bilder zu verstehen. Wir wollen es euch, den Findern, leichter machen und so schreiben, wie wir es einst für unsere Kinder taten. Die nach uns kommen, werden somit den Weg zur Erleuchtung leichter fänden können. Wir sind die letzten Flüchtlinge. Ein Schicksal steht uns bevor, das unseren Nachbarplaneten, den fünften des heimatlichen Systems, vor Millionen Jahren schon erreicht hat. Der Planet, einst ein blühendes Land, zerbarst in viele tausend Teile, die ewig als Mahnung an unser Schicksal ihre Kreise ziehen werden. Nun ist die Reihe an uns. Unser Sonnensystem war einst ein friedliches System. Unser aller Leben entstand in der allgewaltigen Sonne, im lebenspendenden Zentralgestirn. Die Kraft des Lichtes trug das Leben in seiner ersten Form nach draußen und siedelte es in den gemäßigten äußeren Planeten an. Als die mächtige Sonne erkaltete, zog sich das Leben nach innen zurück, um sich vor dem kalten Tod in immer größere Nähe der Wärme zu flüchten. Auch wir sind einst von draußen 150
gekommen, aber selbst unsere ältesten Aufzeichnungen wissen darüber nur noch in Legenden zu berichten. Wir sind Kinder der Sonne und werden wieder zur Sonne zurückkehren. Einmal wird die Sonne uns in ihrem letzten, gewaltigen Aufbäumen wieder aufnehmen, das sind unvermeidliche Entwicklungen. Sie haben nicht zur Aufgabe der äußeren Planeten geführt. Von außen droht uns die größere Gefahr. Deshalb wurde dieses Testament geschrieben, damit der Finder vielleicht unserem Schicksal und dem Schicksal derer, die vor uns waren, entgehen kann. Als der Feind den fünften Planeten zerstörte und zersplitterte, flohen wenige unserer Vorfahren zu unserem Heimatplaneten, dem vierten unseres Systems. Wir lebten unermeßliche Zeiten und entwickelten eine hohe Kultur. Damit beschworen wir unbewußt wiederum die Gefahr herauf, vor der dieses Buch nicht eindringlich genug warnen kann. Immer, wenn die Menschheit nach gewaltigen Rückschlägen die Stufe erreicht hat, wo der Heimatplanet die wachsende Bevölkerung nur noch mit Schwierigkeiten zu ernähren vermag, sucht und findet sie den Weg zu den Sternen. Als unsere Welt kälter und trocken wurde, wußten wir, daß auch wir einst einen Ausweg finden mußten. Nur ungenau kannten wir die Gefahr, die von außen drohte. Wir errichteten künstliche Trabanten, die den zweiten und dritten Planeten unseres Zentralgestirns umkreisten. Die Stationen beobachteten und berichteten. Der zweite Planet war heiß und unbewohnbar. Die Station, die ihn umkreiste, nannten wir ‚Regela’. Sie war der Ausgangspunkt verschiedener Expeditionen, die wertvolle Mineralien vom zweiten Planeten holten. Der dritte Planet aber bestand aus blühender Vegetation, aus brodelnden Sümpfen, riesigen Gebirgen und feuerspeienden 151
Bergen. Das Land begann, sich zu festigen, das Leben entwickelte die ersten höheren Formen. Deshalb wurde auch der dritte Planet zu unserer nächsten Heimat erkoren. Wir bereiteten Jahrtausende lang alles zur großen Wanderung vor, während die Stationen immer neuere und immer günstigere Berichte nach Hause sandten. Auf dem dritten Planeten entwickelte sich eine primitive Menschenrasse, wie das nicht anders zu erwarten war. Denn alle Planeten erhielten ja vom Muttergestirn die Keime des gleichen Lebens. Auch der zweite Planet erkaltete während der Dauer der Beobachtungen, obgleich er uns noch nicht die Voraussetzungen bot, unsere künftige Heimat zu werden. Nichtsdestoweniger wurde die Besatzung der Station ständig vergrößert. Das war unsere Rettung. Das wird auch eure Rettung sein, wenn ihr diese Bücher findet. Noch lange war unsere Heimat nicht bereit, die große Wanderung zu beginnen. Es wurden große Schiffe gebaut und immer bessere Instrumente ersonnen. Schon erforschten die ersten Sternenschiffe ferne Welten. Da kam das Verhängnis. Der Feind brach über uns herein und vernichtete die Bewohner meiner Heimat. Er nahm die Schiffe mit sich und alle Schätze unserer Kultur. Nur weniges blieb auf unserer kälter werdenden Welt zurück, um Zeugnis von unseren Vorfahren abzulegen. Obgleich meine Heimat fast nur noch aus Sand bestand, dem wir mühsam alles Lebensnotwendige abringen mußten, waren wir doch stolz darauf und liebten diese Welt. Sie wurde uns mit einem Schlag genommen. Aber die erhabenen Bauwerke unserer Ingenieure werden noch viele Jahrtausende überdauern. Wir, die Besatzung der Station des zweiten Planeten, mußten zusehen, wie unsere Welt entvölkert wurde. Beraubt und getötet von einem Feind, der von außen kam und keine Barmherzigkeit kannte. Wir konnten nichts unternehmen, weil wir nur kleine, schwache Schiffe besaßen. Dann zerstörten die Feinde unsere Station des dritten Plane152
ten, der unsere neue Heimat hätte werden sollen. Er stürzte ab und versank im großen Wasser. Wir allein waren übriggeblieben, ein paar tausend Menschen, verzweifelt und erbittert, auf einer Station, die ihre einsamen Kreise um einen noch nicht bewohnbaren Planeten zog. Außer uns gab es nur noch eine Menschheit, die auf dem dritten Planeten die ersten Stufen ihrer Entwicklung durchlebte. Was blieb zu tun? Wir hinterließen euch, die ihr diese Station einst finden werdet, unser reiches Wissen und unsere ernste Warnung und wandten uns dann dem Planeten zu, den wir zu unserer Heimat bestimmt hatten. Wir werden in Zukunft mit den einfachen Menschen leben und nach und nach unsere eigene Kultur vergessen. Wenige werden sich in späteren Jahren noch dunkel daran erinnern, woher sie gekommen sind. Wir werden versuchen, in unserer neuen Heimat Hinweise auf unsere Vergangenheit zurückzulassen, aber im Lauf der Jahrtausende müssen wir unweigerlich in der Urbevölkerung aufgehen. Mitten im großen Wasser gibt es einen Kontinent, auf dem wir landen werden. Unsere kleine Station wird dann allein ihre Kreise ziehen und darauf warten, daß die Menschheit sich aus neuen Anfängen wieder zur früheren Stufe der Kultur emporarbeitet. Wir wissen, daß dies dereinst geschehen muß. Dann wird auch dem dritten Planeten die große Gefahr drohen. Er wird viele Milliarden Menschen tragen und den Weg zu den Sternen suchen, den auch wir gegangen sind. Damit werden die Feinde wieder kommen. Damit sie nicht noch einmal ihr Vernichtungswerk wiederholen können – sie kennen nur die Vernichtung – hinterlassen wir euch diese Warnung. Unsere Bücher und Aufzeichnungen weisen euch die Wege, diese Gefahr vielleicht noch in letzter Minute abzuwenden. Wenn ihr unsere vereinsamte Station findet, lest schnell, was wir für euch geschrieben haben. Lest schnell! Es könnte sonst zu spät sein. 153
Wenn ihr unsere Station findet, habt ihr die gefährliche Stufe eurer Entwicklung erreicht, den Zeitpunkt, da der Feind angreifen wird. Ihr, werdet Streit und Hader untereinander haben und vernichtende Kriege. Auch wir haben sie früher gehabt. Aber jede andere Gefahr ist lächerlich im Vergleich zu der Gefahr, die euch von außen droht. Vier Welten unseres eigenen Systems hat sie bisher schon vernichtet. Zum erstenmal geht eine Kultur bewußt – mit unseren Aufzeichnungen versehen – dieser Gefahr entgegen. Wir beschwören euch, seid einig! Folgt unserem Rat, damit ihr nicht noch einmal ganz von vorn anfangen müßt. Auch der zweite Planet wird einmal ein eigenes Leben tragen und entwickeln. Es wird aber nicht mehr die Stufe erreichen, die wir erreicht haben und die ihr erreichen könnt. Diesen letzten Planeten werden die Feinde nicht mehr angreifen. Das Zentralgestirn selbst wird ihn mit allem, was darauf lebt, in den Tod reißen, wenn die Lebewesen des zweiten Planeten ohne unser Wissen von vorn anfangen müssen. Wenn ihr ihn euch aber nutzbar macht, wird er sich in ein blühendes Leben entwickeln. Es wird viele Millionen Jahre so bleiben. Und lange vor dem Tage, da unser sterbendes Zentralgestirn alle Planeten wieder in sich aufnehmen wird, werden eure Nachfahren die Weisheit und die Macht errungen haben, sich eine neue Heimat zu suchen. Nicht aber, wenn die Kultur des dritten Planeten genau so vernichtet wird, wie die Kulturen der anderen Planeten vorher. Ohne eure Hilfe wird die Welt, um die wir mit unserer Station noch einige Umläufe vollenden werden, bevor wir sie endgültig verlassen, in der Zeit bis zur letzten Katastrophe nicht reif genug sein, sich selbst zu helfen. Von euch hängt es ab! Nehmt unsere Warnung ernst! Bereitet euch vor! Wir geben euch die Waffen in die Hand, mit denen ihr den Feind abhalten könnt. 154
Wir wünschen euch, unseren Kindern ferner Zeiten, alles, was wir selbst nicht mehr sehen konnten.“ * Diese Warnung lieferte alle fehlenden Steine des unvollständigen Mosaiks unserer bisherigen Entdeckungen. Wie aber sollten wir der Menschheit jemals klarmachen, was wir gefunden hatten? Konnten wir die Panik meistern, die nach einer solchen Enthüllung auf der Erde ausbrechen mußte? Und was viel wichtiger war, wie sollten wir uns auf den Angriff dieses unbekannten Feindes vorbereiten? Ich war ratlos und beschloß, Präsident Giraud, Harold Knox und Dick Beer sofort ins Vertrauen zu ziehen.
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint 14täglich im Erich Pabel Verlag, Rastatt Baden), Pabel-Haus, (Mitglied des Remagener Kreises e. V.). Einzelpreis: 60 Pf. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 6. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Osterreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7 Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 07/2011
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