Weißt du, wie schön du bist? Pamela Burford
Tiffany 954
16/1 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Chase
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Weißt du, wie schön du bist? Pamela Burford
Tiffany 954
16/1 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Chase
1. KAPITEL "Oh nein, das kann nicht euer Ernst sein! Nicht er. Auf keinen Fall!" Sunny Bleecker starrte den Mann an, der gerade den Saal betreten hatte. Wegen seiner Größe war er nicht zu übersehen. Automatisch versuchte sie zurückzuweichen, aber ihre Freundinnen Raven Radley und Amanda Coppersmith hielten sie fest. Sunny umklammerte den Brautstrauß, den sie gerade aufgefangen hatte. "Lass uns ausreden", bat Raven. "Ihr müsst verrückt sein!" rief Sunny. "Ihr solltet mir einen Ehemann suchen - einen neuen Freund, jemand, den ich noch nie gesehen hatte. Aber doch nicht…" Hilflos deutete sie mit dem Kopf auf den zu spät erschienen Gast bei Charlis und Grants Hochzeit, diesem Gespenst aus der Vergangenheit, das sich nun mit suchenden Blicken durch die Menge drängte. Er trug sein weizenblondes Haar länger als früher, aber es sah noch genauso dicht und weich wie früher auf der High School aus. Damals hatte er es sehr kurz getragen; heute reichte es ihm fast bis auf die Schultern. Charli wandte sich von ihrem Bräutigam, Grant Sterling, ab und legte beruhigend die Hand auf Sunnys Schulter. Charli sah bezaubernd aus in ihrem weißen Brautkleid. Ihr langes dunkles Haar hatte sie zu einem weichen Chignon aufgesteckt, den ein
Kranz aus cremefarbenen Rosenknospen schmückte. Von den vier lebenslangen Freundinnen, die den Heiratspakt geschlossen hatten, war Carlotta "Charli" Rossi diejenige, die am wenigsten erwartet hätte, je zu heiraten. Doch nun hatte sie einen liebevollen, attraktiven Ehemann, und beide waren wahnsinnig verliebt - die neueste Erfolgsstory des Heiratspakts. Am Morgen hatten sie während einer feierlichen kirchlichen Trauung ihre Ehegelübde abgelegt, und jetzt gaben sie diesen festlichen Empfang für dreihundertzwanzig Gäste. Drei Monate zuvor hatte Raven Muldoon Hunter Radley geheiratet, die beiden hatten gerade angekündigt, dass sie ein Kinde erwarteten. Zwei der vier Freundinnen waren somit also schon verheiratet, zwei noch ledig. Sunny war gerade dreißig geworden, so dass für die anderen drei Mitglieder des Heiratspakts nun offiziell die Zeit gekommen war, ihr einen Mann zu suchen. Das war der feierliche Pakt, den sie zwölf Jahre zuvor nach Abschluss der High School geschlossen hatten, und der für alle eine ernst zu nehmende Verpflichtung war. Bei Raven und Charli hatte es geklappt. Und Sunny vermutete, dass sogar Amanda, der nach zwei gescheiterten Ehen die Vorstellung einer weiteren Ehe zuwider war, es sich anders überlegen würde, wenn sie in einigen Monaten an der Reihe war. Aber zunächst einmal war Sunny an der Reihe, und sie konnte nicht glauben, wen ihre Freundinnen für sie ausgesucht hatten. Die Regeln des Heiratspakts verlangten, dass sie sich drei volle Monate mit dem von ihren Freundinnen gewählten Kandidaten traf - oder zumindest so lange, wie er an der Beziehung interessiert war. "Ich kenne die Regeln", hatte Sunny erwidert, als Raven sie daran erinnert hatte. "Und nun sagt mir endlich, wen ihr für mich ausgesucht habt!"
Und da hatten sie ihr Kirk Larsen gezeigt, der in jenem Augenblick den Saal betreten hatte. "Das ist Betrug!" Vergeblich versuchte Sunny, sich aus dem Griff ihrer Freundinnen zu befreien. "Ich sollte einen neuen Mann bekommen. Einen neuen, unbekannten und nichts… Wiederaufbereitetes! Was soll das sein, ein Scherz?" Hunter mischte sich jetzt ein. "Sunny, ich glaube nicht, dass es ein Scherz sein soll. So viel ich weiß, wart ihr beide damals auf der High School sehr ineinander verliebt." "Die Betonung liegt auf waren!" entgegnete Sunny. "Kirk ging nach dem Abschluss dann aufs College - nach Kalifornien und ließ mich zurück. Wenn ich damals nicht gut genug für ihn war…" "Komm schon, Sunny, so war das nicht", wandte Raven ein. "Woher willst du das wissen?" Sunny errötete vor Ärger. "Es ist mir passiert, nicht dir!" Grant rieb sich das Kinn. "Vielleicht war es doch keine so gute Idee." Amanda schüttelte entnervt den Kopf. "Hör mal, Sunny, ihr wart damals wirklich beide sehr verliebt, das musst du zugeben. Und du weißt auch, dass du danach nie wieder so viel für einen Mann empfunden hast." Sie sprach ein wenig sanfter und lockerte den Griff um Sunnys Arm. "Wir möchten doch alle nur, dass du glücklich bist. Wir haben uns den Kopf zerbrochen, um den Richtigen für dich zu finden, und als Kirks Mutter meiner Mutter sagte, er sei wieder in der Stadt, da…" Bittend blickte sie ihre Freunde an. "Vom Temperament her seid ihr euch sehr ähnlich", kam Raven ihr zu Hilfe. "Ihr seid beide unbeschwert und sehr lebhaft. Wie geschaffen füreinander." "Gib ihm eine Chance", bat Charli. "Drei Monate." Amanda hob drei Finger. "Mehr verlangen wir nicht."
Sunny hatte Kirks Vorankommen durch den Saal verfolgt. Er bewegte sich mit einer Anmut, die man bei Männern selten fand. Er hatte Sunny noch nicht bemerkt. "Es ist wahrscheinlich sowieso zwecklos", sagte sie leise. "Ich meine, wahrscheinlich ist er gar nicht interessiert." "Aber falls er es doch ist?" wandte Charli ein. Sunny seufzte. Sie hatte zwölf Jahre versucht, ihre erste große Liebe zu vergessen, und erst als sie Kirk Larsen wieder gesehen hatte, war ihr bewusst geworden, dass es ihr eigentlich nie richtig gelungen war. "Weiß er, dass wir…?" Amanda verzog das Gesicht. "Ich dachte, du kennst die Regeln. Regel Nummer zwei besagt, der Mann darf nichts vom Heiratspakt erfahren." "Bis er angebissen hat und an Land gezogen ist", warf Hunter grinsend ein. "Du hast kein Recht, dich zu beklagen", gab Amanda zurück. "Du warst schließlich nicht derjenige, der geködert und an Land gezogen werden sollte. Für diese Ehre hatten wir deinen Bruder auserkoren." Raven ließ Sunny los und schmiegte sich an Hunter, den Bruder des Mannes, den ihre Freundinnen für sie bestimmt hatten. "Nun, ich bin jedenfalls froh, dass es mit eurem Kandidaten nicht funktioniert hat." "Was nur beweist", erklärte Sunny, "dass wir nicht unfehlbar sind. Für Raven hatten wir die falsche Wahl getroffen, und vielleicht ist euch ja auch bei mir ein Irrtum unterlaufen." "Pst!" zischte Charli und deutete mit dem Kopf auf ihr Opfer, das sich ihnen näherte. Kirks Blick galt ausschließlich der Braut. Er schien weder Sunny noch irgendeinen seiner anderen alten Freunde zu bemerken. "Charli!" Er umarmte sie und küsste sie auf die Wange, bevor er sie auf Armeslänge von sich abhielt. "Du bist ganz zweifellos die schönste Braut, die ich je gesehen habe."
Charli errötete. Es war für niemanden ein Geheimnis, dass sie sich immer für sehr unscheinbar gehalten hatte. Erst als sie sich in Grant verliebt hatte, war ihre aparte Schönheit in den Vordergrund getreten. Sunny wusste, dass Charlis neu gewonnenes Selbstvertrauen viel damit zu tun hatte. Sunnys Herz pochte erwartungsvoll, als Charli Kirk ihrem Bräutigam vorstellte. Kirk gratulierte Grant und entschuldigte sich für sein Zuspätkommen. "Mein Sohn hat eine Ohrenentzündung. Meine Familie kümmert sich um ihn, aber ich wollte warten, bis das Fieber sank, bevor ich ging." Sunnys Herz schien einen Schlag auszusetzen, und sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Er war verheiratet! So viel also zum Wiederanfachen der alten Flamme. Sie wagte nicht, Amanda oder Raven anzusehen. Sie wollte nicht die Enttäuschung auf ihren Gesichtern sehen und ihr Bedauern spüren, wenn sie erkannten, dass ihr Plan gescheitert war. Sie trat einen Schritt zurück, dann noch einen, und versuchte, im Gewimmel der Hochzeitsgäste unterzutauchen. Kirk und Amanda umarmten sich, dann begrüßte er Raven, die ihn Hunter vorstellte. Raven blickte sich um, sah Sunny, die verschwinden wollte, und zog sie am Arm zurück. "Sieh mal, wer hier ist." Kirks blaue Augen richteten sich auf Sunny, und sie spürte, wie ihr der Atem stockte und ihr vor lauter Aufregung ein bisschen schwindlig wurde. Er blinzelte verwirrt, dann lächelte er zärtlich. "Sunny!" Seine Hand berührte ihre Schulter, als er sich vorbeugte, um sie zu küssen - bestimmt auf die Wange, dachte Sunny, bis seine Lippen für einen winzigen Moment lang ihre streiften. Nun ja, das ist verständlich, ging es ihr durch den Kopf. Schließlich war er der Mann, dem sie vor all den Jahren ihre Jungfräulichkeit geopfert hatte. Er war ihr erste große Liebe gewesen.
Okay, ihre einzige große Liebe. Sie konnte verstehen, warum ihre Freundinnen auf die Idee gekommen waren, sie wieder zusammenzubringen. Was Amanda gesagt hatte, stimmte. Sunny hatte nie wieder etwas Vergleichbares für irgendeinen anderen Mann empfunden, seit Kirk vor zwölf Jahren nach Kalifornien gegangen war. Aber wo war Mrs. Larsen? Im sonnigen Kalifornien höchstwahrscheinlich, um den heimischen Herd zu hüten, während ihr Mann und ihr Sohn die lange Reise zu Kirks Eltern in Long Island machten. Sag etwas, befahl Sunny sich. "Kirk." Sie zwang sich zu einem Lächeln. "Es ist… lange her." Etwas veränderte sich in seinen Augen, einen Moment lang wirkte er beinahe traurig, doch das verging so schnell wieder, dass Sunny sich fragte, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Sein Körper hatte die einstige jugendliche Hagerkeit verloren. Obwohl er noch immer schlank und fit aussah, konnte sein cremefarbenes Dinnerjackett seine breiten Schultern und muskulösen Oberarme nicht verbergen. Sunny merkte, dass ihre Freundinnen sie beobachteten. Sie kam sich ziemlich dumm vor nach ihrer hitzigen Diskussion, bevor Kirk zu ihnen gekommen war. Der Mann ist verheiratet! hätte sie den anderen gern gesagt. Also hört auf damit und gebt jetzt endlich Ruhe! Der Bandleader verkündete, es sei Zeit für die StrumpfbandZeremonie. "Grant, bringen Sie Ihre schöne Braut hierher!" Die Gäste bildeten einen Kreis um die Tanzfläche, als Grant Charli zu dem Stuhl führte, der in der Mitte stand. Schüchtern zog sie den Saum ihres Kleids bis übers Knie hoch. Ein gerüschtes blaues Strumpfband kam in Sicht, was bei den männlichen Gästen begeisterten Applaus erzeugte. Grant ließ sich Zeit damit, das Strumpfband von Charlis Bein zu streifen, und flüsterte ihr etwas zu, das sie erröten ließ.
Der Bandleader forderte nun alle unverheirateten Männer auf, zu versuchen, Charlis Strumpfband aufzufangen. Sunny wartete schon gespannt darauf. Vor ein paar Minuten hatte Charli ihren Brautstrauß geworfen, und Sunny hatte alle anderen ledigen Frauen buchstäblich aus dem Weg gestoßen, um ihn in die Finger zu bekommen: Denn das bedeutete, dass sie die nächste Braut sein würde. Es mochte eine bedeutungslose Tradition sein, aber man konnte ja nie wissen… Angeblich würde der Mann, der das Strumpfband auffing, der Nächste sein, der den Bund der Ehe schloss. Als die Junggesellen sich in einiger Entfernung hinter ihm versammelten, schickte Grant sich an, das Strumpfband über die Schulter zu werfen. Hunter stieß Kirk an. "Du hast gehört, was er gesagt hat - nun geh schon!" Ist Hunter taub? fragte Sunny sich. Sie hatten alle gehört, wie Kirk seinen Sohn erwähnte. Kirk steckte die Hände in die Hosentaschen. "Nein, nein, ich will nur zusehen." Lachend stieß Hunter ihn an und schob ihn in den Kreis der Junggesellen. "So geht das nicht. Du musst versuchen, ihn zu fangen!" Kirk gab nach, behielt aber die Hände in den Taschen, als er sichtlich widerstrebend an den Rand des Kreises trat. Sunny wandte sich an Hunter. "Warum hast du das getan? Ist Kirk nicht…" Hunter legte die Hände um den Mund und schrie: "Gib dir Mühe, Grant! Versuch die Wand zu treffen!" Grant holte aus und schleuderte das Strumpfband in hohem Bogen über die Köpfe der Männer, die lachend ihre Hände danach ausstreckten. Sunny sah, wie das blaue Strumpfband direkt auf Kirk zusegelte, während die anderen Männer stolperten bei dem Versuch, es aufzufangen, und sich gegenseitig auf die Füße traten. Im letzten Augenblick hob ein sehr verblüffter Kirk die Hand und fing das Strumpfband auf.
Hunter stieß einen Triumphschrei aus. Sunny versuchte noch einmal, ihn nach Kirks Familienstand zu fragen, kam aber nicht dazu, weil Raven und Amanda sie nun zur Tanzfläche hinüberschoben, zu dem Stuhl, auf dem vorher Charli gesessen hatte. Sunny erschrak. "Wartet mal. Moment…" Sie kannte die Prozedur; sie hatte sie oft genug gesehen. Der Mann, der das Strumpfband aufgefangen hatte, musste es dem Mädchen überstreifen, das den Brautstrauß hatte. Sunny sträubte sich. "Hört mal, ich glaube nicht, dass das eine gute…" Ihre Freundinnen drückten sie einfach auf den Stuhl, als der Bandleader Kirk aufforderte, vorzutreten. Und dann waren sie allein, mitten auf der großen Tanzfläche und umringt von begeistert applaudierenden Gästen. Sunny schaute auf zu Kirk, der jetzt mit dem Strumpfband aus blauer Spitze in den Händen vor ihr stand. Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen, und wappnete sich für den Ärger, den sie dort zu sehen erwartete. Stattdessen trug er einen äußerst merkwürdigen Gesichtsausdruck zur Schau, der halb melancholisch, halb belustigt war. Kirk ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder, als wolle er ihr einen Heiratsantrag machen. Sunny spürte, wie sie jäh errötete. "Es tut mir Leid", murmelte sie und fragte sich, woher das Gefühl kam, sich entschuldigen zu müssen. Aber sie wusste schon, woher. Sie schaute zu ihren Freundinnen und ihren Ehemännern herüber, die am Rand des Kreises standen und sie mit Zurufen ermunterten. "Wirklich?" fragte er mit einem eigenartigen Lächeln in seinen unfassbar klaren blauen Augen und griff nach dem Saum ihres pastellfarbenen Chiffonkleides. Himmel, er war so attraktiv, dass es beinahe wehtat, ihn nur anzusehen. Sunnys Finger schlössen sich fester um den Brautstrauß. "Was ich meinte, ist… es liegt zu viel
Vergangenheit zwischen uns." Sie zuckte zusammen, als er den Saum ihres Kleides hochschob und lachte verlegen. "Es ist einfach komisch, das ist alles." "Du hast deine Haare wachsen lassen." Langsam schob Kirk den Saum ihres Kleides höher und blickte dabei unverwandt in Sunnys Augen. Sie hob die Hand und berührte das lange, wellige, kastanienbraune Haar, das ihr bis weit über die Schultern reichte. Früher in der Schule hatte sie es in einem glatten Pagenkopf getragen. "Du siehst aus wie eine dieser ätherischen Schönheiten auf einem präraffaelitischen Gemälde." Sunny errötete vor Freude über das Kompliment, obwohl ihre Unwissenheit sie beschämte. Sie hätte ein präraffaelitisches Gemälde nicht von einem kubistischen unterscheiden können. Dies war nicht die Art von Wissen, die man als Kellnerin in einem billigen kleinen Restaurant erwarb. "Deine Haare sind auch länger", bemerkte sie. "Es steht dir gut." Gefällt es deiner Frau? fügte sie im Stillen hinzu. Kirk hatte den Rock ihres Kleides bis zu ihren Knien hochgezogen. "Wenn du nicht die Beine auseinander nimmst, dürfte es mir schwer fallen, dir das Strumpfband überzustreifen." Er sah zu der lärmenden Menge hinüber, die sie mit Applaus und aufmunternden Rufen anspornte. "Wie lange willst du den Leuten noch eine Show bieten?" Sunny schluckte, atmete tief ein und zwang sich, ihre Muskeln zu entspannen. Zaghaft schob sie einen Fuß vor. "Keine Schuhe", bemerkte er mit einem Lächeln. "Noch immer die kleine Wilde, wie ich sehe." "Ich habe sie ausgezogen, um eine bessere Chance zu haben, den Brautstrauß zu fangen." "Die Konkurrenz war also hart?"
Sunny grinste, als ihr einfiel, wie sie fast von einer von Charlis Cousinen verdrängt worden wäre. "Ja, aber ich war härter." "Das ist ein Wort, mit dem ich dich nie beschrieben hätte. Hart." Kirk zog den mehrlagigen Chiffon noch höher, bis er etwa auf der Mitte ihrer Schenkel ruhte, worauf die Rüpelhafteren unter den männlichen Zuschauern anerkennend pfiffen. Dann hob er Sunnys Fuß und zog ihn auf das Bein, auf dem er kniete. Sein Schenkel fühlte sich hart und muskulös an unter ihrer Fußsohle. Unter schrillen Pfiffen aus dem Publikum streifte Kirk das gerüschte Strumpfband über ihre Zehen, ihren Knöchel und ihre Wade, ihr Knie und noch ein wenig höher. Sunny musste sich sehr beherrschen, um ruhig durchzuatmen. Als er das Strumpfband etwa fünf Zentimeter über ihrem Knie platzierte, glitten seine Fingerspitzen wie zufällig einen Moment lang unter Sunnys Kleid. Kirk blickte ihr in die Augen, während seine warmen Fingerspitzen, die vor den Blicken der anderen verborgen waren, über den Rand ihres Strumpfes und den schmalen Streifen Haut darüber strichen. Obwohl sein Gesichtsausdruck sich nicht veränderte, nahmen seine klaren blauen Augen einen rauchig- grauen Farbton an, der lange unterdrückte Erinnerungen in Sunny weckte. Dann zog er die Hände zurück, und Sunny rang unbewusst nach Atem. Die Gäste jubelten und klatschten. Kirk richtete sich auf und reichte Sunny seine Hand. Sie erhob sich auf unsicheren Beinen. Vage hörte sie, wie der Bandleader Charli und Grant auf die Tanzfläche zu ihnen bat. Die Band begann ein langsames Stück zu spielen. Kirk nahm Sunny den Brautstrauß ab und warf ihn Amanda zu. Dann nahm er Sunny in die Arme, und sie begannen zu der Musik zu tanzen. Er war großer, kräftiger, als sie ihn in Erinnerung hatte, aber der Duft seiner Haut war unverändert.
Sunny dachte an das erste Mal vor all den Jahren, als sie sich geliebt hatten, an dem Wochenende, das Kirks Eltern in Cambridge verbracht hatten, nachdem sie seine ältere Schwester nach Harvard gefahren hatten. Kirks Duft war wie ein Aphrodisiakum für sie gewesen, als sie nackt mit ihm auf seinem schmalen Bett gelegen und sein Haar, seinen Hals und seine Brus t geküsst hatte, brennend vor Leidenschaft, schwindlig vor Erwartung und erfüllt von tiefer Liebe zu diesem blonden jungen Mann. Sunny schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. Tu dir das nicht an, dachte sie. Hör auf, dich mit Erinnerungen zu quälen. Das war vor zwölf Jahren sinnlos gewesen, und heute, wo sie sich auf ihre Ziele konzentrieren musste, sogar ausgesprochen destruktiv. Sie war dreißig Jahre alt. Der Vergangenheit nachzutrauern würde ihr weder einen Ehemann noch Kinder bringen. "Was für ein Wiedersehen", bemerkte Kirk, während sie tanzten. Als Sunny nichts erwiderte, fügte er hinzu: "Es war nett von Charli, mich in letzter Minute einzuladen. Ich bin erst gestern in die Stadt gekommen." Sunny zwang sich zu einem Lächeln. "So. Du hast also einen Sohn." Kirks Gesichtausdruck wurde weicher. "Er heißt Ian. Er ist erst achtzehn Monate alt." Geschickt wich er den anderen Paaren aus, die nun die Tanzfläche betraten. "Hm… ich wusste, dass du Physik in Stanford lehrtest. Aber ich wusste nicht, dass du geheiratet hattest." "Vor drei Jahren." Er wandte für einen Moment den Blick ab; seine Finger verkrampften sich um ihre. "Linda starb am Neujahrstag bei einem Autounfall." Sunnys Brust zog sich zusammen. "Oh Kirk, das tut mir Leid."
Er sagte nichts, und sie kam sich schrecklich steif und förmlich vor und wünschte, sie wären irgendwo, wo sie in Ruhe reden könnten. Kirks Stimme klang angespannt. "Bis zum Ende des Semesters habe ich es noch in Stanford ausgehalten, aber jetzt bin ich endgültig heimgekehrt. Von nun an werden wir hier leben, Ian und ich." Sunny blickte ihm forschend in die Augen. "Du meinst, du ziehst hierher zurück? Nach Long Island?" Er nickte. "Das ist meine Heimat. Ich wollte schon vor ein paar Jahren zurückkehren, aber dann lernte ich Linda kennen und gab meine Umzugspläne auf. Als ich sie verlor, erkannte ich, dass es Zeit war, heimzukehren. Ian wird in der Nähe seiner Großeltern, seiner Tanten, Onkel und Cousins sein…" Die Leere in Kirks Augen ging Sunny zu Herzen. Er fügte hinzu: "Es ist natürlich nicht so, als bekäme er dadurch seine Mutter zurück, aber es wird gut für ihn sein, seine Verwandten in der Nähe zu haben." Sunny nickte, weil sie nicht wusste, was sie dazu sagen sollte. Amanda, die mit einem von Charlis vielen Brüdern vorbeitanzte, zwinkerte ihr zu. Hatten Sunnys Freundinnen gewusst, dass Kirk verheiratet und seine Frau gestorben war? Bestimmt, dachte sie. Keine von ihnen war überrascht gewesen, als er seihen Sohn erwähnte. Raven hatte Kirk als unbeschwert und lebhaft beschrieben. Offenbar hatte sie ihn so in Erinnerung, wie er auf der High School gewesen war, als er außer dem Reparieren seines ewig defekten alten Jaguars nicht die kleinste Sorge kannte. Aber der Mann, mit dem Sunny jetzt tanzte, war nicht mehr wie jener unbeschwerte Junge. "Irgendetwas sagt mir, dass .du nicht zurückgekommen wärst, ohne hier schon einen Job zu haben", bemerkte sie. "Ich werde im Herbst an der Garrison University unterrichten." Die Garrison University, ein bekanntes
Forschungsinstitut, lag an der Südküste Long Islands. "Und was ist mit dir?" "Was soll mit mir schon sein?" Verlegen wandte sie den Blick ab. "Was hast du getan in all den Jahren?" fragte er. Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: "Du bist noch immer ledig, schätze ich, wenn du den Brautstrauß aufgefangen hast." "Ja. Noch immer." Als sie sich nicht weiter darüber ausließ, fragte er: "Was tust du heute? Beruflich, meine ich." "Das Gleiche wie beim letzten Mal, als wir uns sahen." Er lachte. "Ja, klar. Hamburger und Pommes frites im Wafflemania servieren. Im Ernst, Sunny. Was machst du?" Sie hielt den Blick auf die Band gerichtet. "Das ist es, was ich die ganze Zeit getan habe, Kirk. Wirklich." Er schwieg für lange, qualvolle Sekunden. "Hör zu", sagte er dann leise, "ich wollte es nicht so klingen lassen…" Sunny setzte ein Lächeln auf und zwang sich, seinen Blick zu erwidern. "Natürlich wolltest du das. Aber mach dir nichts draus, das bin ich gewöhnt. Ich erfülle eine wichtige Funktion in meinem Freundeskreis. Ich bin die ewige Versagerin. Meine Aufgabe ist es, meinen Freundinnen das Gefühl zu geben, ihr Leben sei viel besser als das meine." "Sunny…" "Ich meine, da ist Raven, eine erfolgreiche Hypnotherapeutin mit eigener Praxis und so weiter. Dann Charli, die Musik an unserer alten High School unterrichtet. Und Amanda - sie ist Herausgeberin eines Kindermagazins! Sie alle haben einträgliche, angesehene Berufe. Aber sieh dir Sunny an. Kein Ziel, kein Ehrgeiz. Wenn die anderen mit ihrem Leben unzufrieden sind, brauchen sie nur Sunny anzusehen und…" "Hör auf, Sunny." "Ich sage dir nur, wie es ist."
Kirk atmete tief ein, blickte zu den anderen Paaren und senkte die Stimme. "Was ist passiert? Du hattest nach dem High-School- Abschluss angefangen, in diesem Schnellimbiss zu arbeiten. Um rasch ein bisschen Geld zu verdienen, vermutete ich damals. Ich hätte nie damit gerechnete, dass du dort bleiben würdest." Ich auch nicht, dachte sie. "Was soll ich dir dazu sagen? Wahrscheinlich liebe ich den Geruch gegrillter Hamburger." "Das ist kein Job, den man zu seinem Beruf macht. Oder du zumindest nicht." "He, wir können schließlich nicht alle Collegeprofessoren sein!" "Das hast du früher auch getan, Sunny - dich mit sarkastischen Bemerkungen aus der Affäre gezogen, wenn du dich in die Ecke getrieben fühltest." "Das klingt, als hätten Sie den Beruf verfehlt, Dr. Larsen. Vielleicht hätten Sie Psychologie studieren sollen." "Es funktioniert nicht, Sunny. Ich will eine Antwort von dir. Was, zum Teufel, ist geschehen? Du hattest so gute Aussichten." Sunny schluckte. "Es ist anständige, ehrliche Arbeit, was ich tue, Kirk. Nichts, dessen ich mich schämen müsste." "Das habe ich auch nicht gesagt. Es tut mir Leid, wenn du es so aufgefasst hast. Ich dachte, du brauchtest ein Jahr, um ein bisschen Geld zu verdienen, und würdest dann aufs College gehen und später mal Lehrerin zu werden. Du hast Kinder geliebt." Das langsame Stück war zu Ende, und die Band begann ein schnelleres. Sunny war froh, als Kirk sie von der Tanzfläche zog, und verblüfft, als er direkt mit ihr zum Ausgang ging. Kirk blieb erst stehen, als sie draußen vor dem eleganten Lokal angelangt waren, das in einer weitläufigen Parkanlage lag. Es war gegen zehn Uhr, ein milder Abend Anfang Juli. Kirk führte Sunny zu einer Parkbank, die vor einer Ansammlung hoher Buchsbäume stand, die kleine weiße Lampions erhellten.
Dort setzten sie sich, lauschten den gedämpften Geräuschen aus dem Innern des Gebäudes und atmeten die sommerlichen Düfte ein. Die Minuten dehnten sich, und Sunny spürte, dass Kirk sich ein wenig entspannte. Sie betrachtete sein Profil im Mondlicht das eckige Kinn, die gerade Nase, die sie immer an einen römischen Kaiser erinnert hatte. Mit dem längeren Haar und dem grimmigen Gesichtsausdruck ähnelte er jetzt eher einem Wikinger. Nein, sein Ausdruck war nicht grimmig, sondern melancholisch. Seine Frau war am Neujahrstag gestorben. Vor sechs Monaten also. Wie schrecklich es gewesen sein müsste, sie so plötzlich zu verlieren. Sunny rechnete in Gedanken nach. Ian war erst ein Jahr alt gewesen, als es geschehen war. Hatte seine Mutter ihn wenigstens noch seine erste Geburtstagskerze ausblasen sehen? Das ist vielleicht das Traurigste, dachte Sunny. Kirks Sohn wird sich nicht an seine Mutter erinnern; er war ganz einfach noch zu klein. Unwillkürlich streckte sie die Hand nach Kirks aus, die auf seinem Schenkel lag, zog sie aber dann wieder zurück. "Das war nicht nett von mir vorhin." Er klang müde. "Es geht mich nichts an, was du mit deinem Leben machst." Seine Worte stimmten Sunny traurig. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ihn alles, was sie betraf, interessiert hatte. Wie sollte sie ihm erklären, warum sie zwölf Jahre lang fettige Plastiktische abgewischt und sich mit einem bescheidenen Gehalt und mickrigen Trinkgeldern begnügt hatte? Zwölf lange Jahre, in denen ihr Leben praktisch stagniert hatte, während sie darauf gewartet hatte, dass ihr Traumprinz ins Wafflemania hereinspaziert kam und einen extragroßen Hamburger und eine Braut als Beilage bestellte. Das konnte sie Kirk unmöglich anvertrauen. Nicht ihm. Es war besser, wenn er dachte, er habe sie all diese Jahre falsch
beurteilt und in seiner jugendlichen Verblendung Möglichkeiten in ihr gesehen, die nie wirklich vorhanden gewesen waren. Er griff nach einer Strähne ihres Haars und wickelte sie sich um den Finger. Ein merkwürdiges Gefühl erfasste sie. Sie war noch immer in der Lage, seine Stimmungen zu deuten. Sie mochte ihn zwar seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen haben, aber es bestand trotzdem noch immer eine Verbindung zwischen ihnen. "Ich habe an dich gedacht", sagte er und starrte auf den dunklen Wald am Rand des Parks. Seufzend lockerte er seinen Schlips und öffnete den Kragen seines Hemdes. "Sehr oft sogar. Zu oft." Endlich blickte er sie an. "Missversteh mich bitte nicht. Ich habe Linda geliebt." "Ich weiß." Prüfend blickte er sie an. "Woher willst du das wissen?" "Ich kenne dich, Kirk. Um eine Frau zu heiraten, ein Leben mit ihr aufzubauen und ein Kind…", Sunnys Stimme brach, "… mit ihr zu zeugen, musstest du sie wirklich lieben. Du bist der aufrichtigste Mann, den ich kenne, Kirk." Er starrte sie lange an. "Menschen verändern sich", sagte er dann. "Vielleicht bin ich nicht mehr ganz so aufrichtig wie früher." Sie betrachtete ihn. "Ja, du hast dich verändert. Es ist zwölf Jahre her. Du ha st viel durchgemacht." Sie strich ihm über die Brust. "Aber tief in deinem Innern bist du immer noch derselbe." Langsam zog Kirk ihre Hand von seiner Brust und strich abwesend mit den Lippen über ihre Fingerknöchel. Es war eine Geste, an die sie sich noch gut erinnerte; er hatte es früher oft getan, wenn er tief in Gedanken versunken war. Hatte er es bei Linda auch getan? Schließlich sprach er wieder. "Bist du mit jemandem zusammen, Sunny?" Sunny schwirrte der Kopf von widersprüchlichen Gefühlen. Ihre besten Freundinnen hatten sie in einem Augenblick
erwischt, in dem sie es am wenigsten erwartet hätte. Es war zu früh. Sie brauchte Zeit; Zeit, um alles zu durchdenken und sich darüber klar zu werden, ob sie bereit war, sich wieder mit Kirk auf eine Beziehung einzulassen. Als sie nicht antwortete, sagte er ruhig: "Darf ich annehmen, dass das ja bedeutet?" "Nein." Sie räusperte sich. "Ich habe niemanden." Er zog ihre Hand auf seinen Oberschenkel. "Ich möchte dich gern wieder sehen, Sunny." Den Bedingungen des Heiratspaktes nach war sie jetzt offiziell verpflichtet, sich mit ihm zu treffen - mindestens drei Monate, falls er nicht vorher mit ihr Schluss machte. Sie hatte keine andere Wahl und wusste nicht, ob sie empört sein sollte über die Wahl, die ihre Freundinnen getroffen hatten, oder sich darüber freuen sollte. Kirk drückte ihre Hand. "Es hat seit Linda niemand mehr gegeben. Eine neue Beziehung zu beginnen wäre mir nie in den Sinn gekommen. Aber als ich dich heute Abend sah…" "Meinst du nicht, das könnte schlicht und einfach daran liegen, dass du mich so gut kennst? Schließlich bin ich jemand aus deiner Vergangenheit und verkörpere vielleicht für dich die guten alten Zeiten." Er lächelte ein bisschen traurig. "Du meinst, es sei nichts weiter als ein jämmerlicher Versuch, glücklichere Zeiten wieder aufleben zu lassen?" Er schien einen Moment darüber nachzudenken. "Vielleicht . ist es das, Sunny. Ich werde nicht so tun, als könnte ich das jetzt schon beurteilen. Ich war nicht mehr in der Lage, klar zu denken, seit…" Er ließ ihre Hand los, stützte die Ellbogen auf die Knie und legte den Kopf in seine Hände. "Du hast Recht", sagte er und richtete sich auf. "Es ist verfrüht." "Ich meinte nicht…" Was meinte sie? Hier war ihr Ausweg. Er machte einen Rückzieher, und es wäre leicht, es dabei zu belassen. "Schön, dass ihr es versucht habt", würde sie Amanda,
Raven und Charli sagen, "aber er ist nicht interessiert. Sucht mir einen anderen." Und das würden sie tun. Sie würden einen neuen Kandidaten für sie finden. Jemand ohne psychologische "Altlasten". Kirk ging zum Gebäude zurück. Er war schon fast dort angekommen, als Sunny rief: "Kirk?" Fragend blickte er sich zu ihr um. Sunny wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie wusste nur, wenn sie ihn jetzt gehen ließ… "Ich möchte dich auch gern wieder sehen." Sie stand auf. Ihr Schenkel prickelte noch an der Stelle, wo das Strumpfband saß. "Falls du das noch willst." Kirk stand da und starrte sie lange schweigend an. Schließlich hob er einladend die Hand. Sunny lief auf unsicheren Beinen zu ihm hinüber und verschränkte ihre Finger mit seinen.
2. KAPITEL "Hoffentlich bist du nicht inzwischen Vegetarier geworden." Kirk, der mit untergeschlagenen Beinen zwischen Kartons mit Büchern und Karteien auf dem Boden saß, blickte sich zu Sunny um, die in der Tür seines Büros erschienen war. Ein unverhofftes Glücksgefühl erfasste ihn, als er sie dort stehen sah, in ihrem kurzen weißen Sommerkleid, mit einem breitkrempigen Strohhut und einem altmodischen Picknickkorb in ihrer Hand. "Ich wusste nicht, dass die Leute diese Körbe heutzutage noch benutzen", bemerkte Kirk. "Ich dachte, man sähe sie nur noch in Werbespots." "Sie haben mehr Charme als eine Plastikkühlbox." Sunny schlenderte in sein Büro und betrachtete das karge Mobiliar, die gerahmten Diplome, die in einer Reihe an der Wand lehnten, und die leeren Bilderhaken. "Ich fand ihn in einem dieser Teleshopping-Kanäle. Ein echtes Schnäppchen für neunundzwanzig fünfundneunzig, nicht? Sieh ihn dir an." Sie klappte den Deckel auf. "Es war alles drin, was du hier siehst." "Auch das Essen?" "Das Essen nicht. Aber ein sechzehnteiliges Service, außerdem Bestecke und Gläser." Kirk steckte einen Ordner in die offene Ablage, schloss sie und erhob sich. "Teleshopping? Da habe ich noch nie etwas bestellt."
"Das kann ich mir vorstellen. Du siehst wahrscheinlich nur die anspruchsvolleren Kanäle…" "Wenn ich überhaupt die Zeit finde, fernzusehen, stelle ich CNN oder irgendeinen Spielfilmkanal ein. Und um deine Frage zu beantworten…" Kirk nahm Sunny den Korb ab, um einen Blick hineinzuwerfen, "ich bin kein Vegetarier. Was hast du uns denn Schönes mitgebracht?" "Roastbeefsandwiches, Kartoffelsalat, Eistee und Apfeltorte. Und auch ein bisschen Waldorfsalat, der von gestern Abend übrig war." "Alles selbst gekocht, vermute ich." Sie lächelte. "Ich koche immer noch sehr gem." Sunnys Mutter hatte ihre Arbeit als Vorschullehrerin wieder aufgenommen, als ihr jüngstes Kind, Sunnys Schwester Samantha, die Junior High School begonnen hatte/Allen vier Geschwistern waren Aufgaben übertragen worden. Sunny, die Älteste, kochte abends. Sie kochte gern, hasste es aber, für nicht vorhandene Zutaten in den nächsten Supermarkt zu laufen. Daher ihre Politik der "kreativen Resteverwertung", die einige ausgesprochen interessante Mahlzeiten zur Folge hatte. "Lass uns von hier verschwinden." Kirk legte eine Hand auf Sunnys Rücken und schob sie auf den Korridor hinaus. "Ich bin schon so lange hier drin, dass ich allmählich Platzangst kriege." Kirk lag auf der Picknickdecke und beobachtete Sunny, die mit einigen Collegestudenten und einem braunen Labrador mit einem gelben Halstuch Frisbee spielte. Kirk und Sunny hatten sich auf einem Rasen in der Nähe eines Studentenwohnheims niedergelassen und auf der Stelle mit dem Picknick angefangen. Als die Frisbeescheibe in Kirks Kartoffelsalat gelandet war, hatte er sie zurückgeschleudert wie ein Profi, und die Jungen hatten ihn aufgefordert, mitzuspielen. Er hatte automatisch abgelehnt, doch Sunny war prompt aufgesprungen, hatte Hut und Sandaletten abgelegt und sich unaufgefordert an dem Spiel beteiligt.
Die Jungen hatten einen Blick gewechselt. Damit hatten sie anscheinend nicht gerechnet. Eine Frau - und dazu noch in Sunnys fortgeschrittenem Alter - würde ihr rasantes Spiel mit Sicherheit behind ern. Aber sie kannten Sunny nicht. Mit schier unerschöpflicher Energie sprintete sie der blauen Plastikscheibe nach. Wann immer sie hochsprang, um die Scheibe einzufangen, rutschte ihr Kleid hoch, so dass man ihre nackten, braun gebrannten Schenkel sah und hin und wieder sogar einen Blick auf ihren Baumwollslip erhaschte. Ihre begeisterten Mitspieler begannen unter Konzentrationsmangel zu leiden und schafften es oft nicht, die Scheibe aufzufangen. Weit entfernt davon, Sunny die Teilnahme zu verübeln, schleuderten sie die Scheibe bei jeder sich bietenden Gelegenheit in ihre Richtung und begannen sie verdächtig hoch zu werfen. Irgendwann hörte Sunny auf zu spielen, lief zu Kirk zurück und ließ sich neben ihn auf die Decke fallen. "Ah! Das hat Spaß gemacht." Sunny fächelte sich mit ihrem Hut Luft zu und stieß Kirk scherzhaft in die Rippen. "Du hättest mitspielen sollen, Professor. Oder hältst du es für unter deiner Würde, mit deinen Studenten ins Schwitzen zu geraten?" Sie war völlig außer Atem, und ihre Wangen waren gerötet. Die Sonne schuf rötliche Reflexe in ihrem kastanienroten Haar, und ihre blauen Augen schimmerten wie Saphire. Kirk stützte einen Ellenbogen auf und beugte sich über Sunny. Die Vorstellung, mit ihr "ins Schwitzen" zu geraten, war unbestreitbar reizvoll. Das jähe Verlangen, das ihn überfiel, verblüffte ihn. Seit Monaten hatte die Trauer über Lindas Verlust dieses Gefühl in ihm erstickt. Doch plötzlich war da Sunny, seine erste große Liebe, und rief Empfindungen in ihm wach, durch die er sich wieder wie ein aufgeregter Teenager vorkam. "He, ich weiß!" sagte sie. "Du hättest eine Physikstunde für die Jungs daraus machen können - die Aerodynamik einer
Frisbeescheibe! Was tun sie eigentlich im Juli auf dem Campus? Haben sie Sommerkurse oder so etwas?" "Einige Kurse werden im Sommer angeboten, aber es ist auch möglich, dass die Studenten bloß gekommen sind, um Frisbee hier im Park zu spielen." Kirk griff an Sunny vorbei zu ihrem Teller und nahm sich ein Stückchen Teigkruste, das von ihrem Kuchen übrig geblieben war. Dabei streifte sein Arm ihre festen, warmen Brüste unter ihrem dünnen Sommerkleid, und ein prickelnder Schauer überlief seine Haut. Verlegen wandte er den Blick ab, aß die knusprige Kruste und beobachtete die Frisbeespieler - während Sunny ihn beobachtete. Er spürte ihren Blick wie eine körperliche Berührung. Schließlich sprach sie wieder. "Ich möchte Ian kennen lernen." Kirk sah ihr in die Augen. "Ich glaube, das ist keine gute Idee, Sunny." Für einen Moment erwiderte sie seinen Blick, dann wandte sie den Kopf ab. "Was ich sagen wollte…" Kirk seufzte. "Ian ist momentan in einer schwierigen Lage. Der Umzug, seine Großeltern, an die er sich gewöhnen muss… Ich möchte ihm nicht zu viele neue Menschen gleichzeitig zumuten." "Du willst nicht, dass er die falschen Leute kennen lernt." "Sunny…" "Schon gut." Sie setzte sich auf und strich ihr Kleid glatt. "Wenn ich ein Kind hätte, würde ich es auch beschützen." Sie schenkte ihm ein Lächeln, aber es sah erzwungen aus. Kirk ballte die Fäuste. "Die Wahrheit ist, dass ich gar nicht weiß, was für ihn richtig ist. Ich tue mein Bestes, aber es gibt kein Rezept dafür, wie man damit umgeht…" Er hob die Hand und ließ sie wieder sinken. "Vielleicht war es ein Fehler, hierher zurückzuziehen. Vielleicht hätte ich in Stanford bleiben und
noch ein Jahr abwarten sollen, bis sich die Wogen glätteten, bevor ich Ian aus seiner gewohnten Umgebung riss." "Du hast deinem Instinkt vertraut. Das ist in Ordnung, Kirk." "Es heißt, man soll keine wichtigen Entscheidungen nach einem tragischen Ereignis treffen. Man soll warten, bis man wieder einen klaren Kopf bekommt. Aber ich wollte einfach nur noch fliehen - anders kann ich es nicht beschreiben. Linda ist tot, und nichts wird daran etwas ändern, und in dem Haus zu bleiben, das wir zusammen eingerichtet haben…" Wieder schüttelte er den Kopf. "Ich ertrug den Gedanken einfach nicht. Ich musste weg." "Es ist ja auch nicht so, als hättest du nicht deine Gründe", sagte Sunny, "Du möchtest, dass Ian in der Nähe seiner Verwandten lebt und ihre Liebe und ihre Unterstützung hat. Das erscheint mir sehr vernünftig." Sie hob die Hand, und er spürte ihre kühlen Finger auf dem Nacken. "Es ist verständlich, dass du an dir zweifelst, nach allem, was du durchgemacht hast. Aber du darfst dich von diesen Zweifeln nicht auffressen lassen." Als er nichts erwiderte, sagte sie: "Schon gut, ich weiß, Kirk. Wie komme ich dazu, dir einen Rat zu geben? Woher soll ich wissen, wie es ist, einen Partner zu verlieren?" "Das ist es nicht. Ich weiß, du meinst es gut mit mir, Sunny, aber ich bin nicht mehr der Idealist, den du früher einmal kanntest." Sie lächelte wehmütig. "Nun, ich hoffe, dass es kein allzu großer Schock für dich ist, aber auch ich bin nicht mehr so blauäugig wie früher. Ich habe zwar keine solche Tragödie erlebt wie du, aber du kannst mir glauben, dass auch ich Veränderungen durchgemacht habe." Eine Schärfe lag in ihrer Stimme, die Kirk bis dahin nicht wahrgenommen hatte. "Was ist passiert?" fragte er leise. Säe ließ die Hand sinken. "Ich bin erwachsen geworden und habe aufgehört, an Märchen zu glauben." "Was für eine Art von Märchen?"
Sie setzte zu einer Antwort an, unterbrach sich dann aber. "Das ist nicht wichtig." "Komm schon, sag es mir." Sie zuckte mit den Schultern. "Nur die üblichen Schulmädchenfantasien. Unrealistische Träume, über die die meisten Frauen rechtzeitig hinauswachsen, um mit ihrem Leben etwas anzufangen." Er zögerte. "Du meinst den Traum vom Märchenprinzen?" Sie wandte den Blick ab. Nach kurzem Schweigen sagte sie: "Du wolltest wissen, warum ich meine Ausbildung nicht fortgesetzt habe und bei diesem dummen Kellnerinnenjob geblieben bin, wo ich keine Zukunftsperspektive habe." "Ich habe nie gesagt, es sei ein…" Sie brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. "Ich weiß, was du gesagt hast. Und du hattest Recht. Ich habe mein Leben damit vergeudet, auf den Märchenprinzen zu warten." Sanft sagte er: "Findest du nicht, du übertreibst ein bisschen?" "Tue ich das? Ich habe deinen Blick gesehen, als du erfuhrst, dass ich immer noch im Wafflemania bediene." "Ich schätze, ich verstehe einfach nicht… Ich meine, man kann doch aufs College gehen und seine Möglichkeiten ausschöpfen, Karriere machen und so weiter - und trotzdem eine Beziehung haben. Bei mir zumindest war es so." "Bei Männern ist das anders. Ich möchte Kinder, Kirk, und ich würde sie nie von Tagesmüttern aufziehen lassen. Einen netten Mann zu finden und eine Familie zu gründen ist alles, was ich mir immer gewünscht habe. Du weißt, in was für einer großen, liebevollen Familie ich aufgewachsen bin. Für mich ist sie die Basis eines glücklichen Lebens. Alles andere ist zweitrangig. Ich habe einfach keinen Sinn darin gesehen, aufs College zu gehen und Zeit und Geld auf ein Studium zu verschwenden, wenn…"
"Wenn du eigentlich nur heiraten und Kinder aufziehen wolltest." "Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass meine großen Pläne nie über die Traumphase hinausgegangen sind. Mein Märchenprinz ist leider nie erschienen. Wenn man heutzutage überhaupt noch einen soliden, arbeitenden Mann findet, der bei der bloßen Erwähnung von Heirat nicht schon die Flucht ergreift, wird er sich wohl kaum für eine dreißigjährige Kellnerin interessieren, die ihre Abende meistens nur damit verbringt, ihre schmerzenden Füße zu baden und Fettflecken aus einer scheußlichen pinkfarbenen Polyesteruniform herauszuwaschen." Kirk sagte nicht, was er dachte - dass der Typ Mann, den Sunny sich erträumte, vermutlich eine Frau suchte, die eigene Ziele und Interessen hatte; eine Frau, die ihre persönliche Erfüllung nicht nur darin sah, sich ihrem Mann und den Kindern zu widmen. Schweigend packte sie die Reste ihres Picknicks ein und klappte den Korb zu. Als sie wieder zu Kirk aufschaute, war ihr Blick sehr ernst. "Was ist mit uns geschehen, Kirk?" Er runzelte die Stirn. "Du meinst damals auf der High School?" Sie nickte. Er zuckte mit den Schultern. "Ich ging nach Stanford, Kalifornien." Als sie nichts sagte, fügte er hinzu: "Wenn ich mich recht entsinne, hatte ich dich gebeten, dich dort auch um einen Studienplatz zu bewerben." Sunny war eine gute Schülerin gewesen, aber beide hatten gewusst, dass ihre Aussichten, von einer Eliteuniversität wie Stanford angenommen zu werden, nur sehr gering waren. Aber es gab noch viele andere gute Colleges in der Nähe, die sie hätte besuchen können. "Ja", erwiderte sie lustlos. "Das sagtest du. Und ich habe dir geantwortet, ich wollte nicht aufs College."
Er atmete tief ein. "Ich weiß. Du wolltest nur mit mir nach Kalifornien ziehen." So direkt hatte sie das nie gesagt. Im Grunde hatte sie darauf gewartet, dass er sie bat, mit ihm zu gehen. Um sie in Kalifornien dann zu heiraten. Aber er hatte nie davon gesprochen. "Du dachtest, ich würde dir im Weg sein", sagte sie leise. "Ein völlig neues Leben erwartete dich in Kalifornien, mit Unmengen von Studentinnen…" "Das stimmt nicht. Du warst mir wichtiger als…" Hilflos schüttelte Kirk den Kopf. "Verstehst du denn nicht, dass es nie hätte funktionieren können? Ich war damals noch viel zu jung und finanziell von meinen Eltern abhängig. Wie hätte ich da die Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen sollen?" "Ich hätte gearbeitet!" rief Sunny. "Glaubst du etwa, ich hätte vorgehabt, mich bei dir und deinen Eltern durchzuschnorren?" "Nein, natürlich nicht - das ist nicht deine Art. Es wäre nur sehr unrealistisch gewesen. Ich dachte, das hättest du inzwischen eingesehen." "Was kann ich dazu sagen? Vielleicht bin ich zu dumm." "Sunny…" "Was war denn daran so unrealistisch? Du hättest studiert und ich hätte gearbeitet. Andere Leute haben das schließlich auch getan." Kirk rieb sich die Stirn. "Ich hatte ein schwieriges Studium vor mir, das meine ganze Konzentration erforderte. Das war meine oberste Priorität. So wie du es sagst, klingt es sehr einfach, aber ich hätte mich auf jeden Fall für dich verantwortlich gefühlt, wenn du mir nach Kalifornien gefolgt wärst." Sunny straffte die Schultern. " Das klingt ja fast, als wäre ich für dich so etwas wie ein streunender Hund gewesen, den du nicht mehr loswurdest!"
"Das ist nicht fair. Es war deine eigene Entscheidung, hier zu bleiben und als Kellnerin zu arbeiten. Ich hatte dich gebeten, dich an den Colleges in Kalifornien zu bewerben. Wir hätten dort Zusammensein können…" "Ich habe dir gesagt, warum ein Studium nicht das Richtige für mich war." "Wenn es dir ernst mit mir gewesen wäre, hättest du es getan. Du hättest eingesehen, dass es der einzige Weg für uns war." "Wenn es mir ernst mit uns gewesen wäre?" Sunnys Augen glitzerten vor Empörung. "Du hast mich verlassen, Kirk! Du hättest auch nach Columbia gehen können - das wären nur anderthalb Stunden Fahrt von hier gewesen! Selbst wenn du nach Harvard oder ans MIT gegangen wärst, wären es maximal drei oder vier Stunden mit dem Zug gewesen. Das Gleiche gilt für John Hopkins in Baltimore. Das sind alles gute Universitäten. Aber nein, du musstest ja unbedingt nach Kalifornien." "Stanford und Caltech waren meine erste Wahl. Das hatte nichts mit dir zu tun." "Ja, das hatte ich mir schon gedacht." "Nein, ich meine…" Kirk rieb sich die Schläfen. Zum Teufel damit. Sie wusste, was er meinte. "Verdammt, Sunny, warum müssen wir jetzt, zwölf Jahre später, noch darüber streiten? Es ist ja schließlich nicht so, als könnten wir die Zeit zurückdrehen und unsere damaligen Entscheidungen ungeschehen machen." Ihr Kinn zitterte. Sie wandte den Blick ab, und Kirk stellte erschrocken fest, dass sie den Tränen nahe war. Nach einem Moment schockierten Schweigens drehte er sie zu sich herum und zog sie an sich. "Sunny…" Er bettete ihren Kopf an seine Brust und legte die Arme um sie. Sunny zu fühlen - ihre Wärme, ihre feminine Weichheit - weckten längst vergessene Erinnerungen. Ihr seidiges Haar kitzelte ihn am Hals. Er drückte einen Kuss auf ihren Scheitel und atmete ihren unverwechselbaren Duft ein. An
ihren schweren, unregelmäßigen Atemzügen spürte er, wie aufgewühlt sie war. Er murmelte: "Tatsache ist, dass wir beide verantwortlich sind für das, was vor zwölf Jahren war. Wenn ich die Zeit zurückdrehen und meine Entscheidungen von damals ändern könnte…" Auf einmal sah er Lindas Bild vor seinem inneren Auge. Er sah sie, wie sie am Tag ihrer Hochzeit ausgesehen hatte, strahlend vor Glück, und dann anderthalb Jahre später, ihr schönes Gesicht gerötet und verzerrt, als sie in den Wehen lag und darum kämpfte, ihren Sohn zur Welt zu bringen. Er spür te wieder seine eigene Unruhe, die sich in Jubel und Ergriffenheit verwandelt hatte, als er das zerknitterte Gesichtchen seines neugeborenen Sohnes sah und seinen ersten schrillen Schrei hörte. Sunnys Augen waren feucht, als sie den Blick zu ihm erhob. "Sei nicht albern. Natürlich würdest du deine Entscheidung nicht rückgängig machen", sagte sie mit einem zärtlichen Lächeln. Zum ersten Mal seit sechs Monaten spürte Kirk, wie wieder Wärme in sein Herz zurückkehrte. Es war ein so ergreifendes Gefühl, dass er die Augen schloss. Wieder etwas zu empfinden für irgendjemanden außer seinem Sohn… Er war nicht sicher, ob er dem gewachsen war. Er fühlte Sunnys weiche Finger an der Wange und merkte, wie sie sich in seinen Armen drehte, um ihn anzuschauen. Als er die Augen öffnete, schaute sie mit solch unverhohlener Zuneigung zu ihm auf, dass er das Gefühl bekam, als wäre die Zeit tatsächlich zurückgedreht und ihre einstige Verbundenheit nie unterbrochen worden. Als hätte er keinerlei Geheimnisse vor dieser Frau. In diesem verzauberten Moment wünschte Kirk, es wäre so. Sunny wusste nicht alles über ihn, und wenn sie es wüsste… Nein. Es war zu früh dazu. Das konnte er nicht riskieren. Nicht, wenn diese Frau die Macht besaß, den Schleier, unter dem er seit einem halben Jahr gelebt hatte, zu lüften und ihn ins
Licht zurückzuziehen, wieder Interesse am Leben in ihm zu wecken und wieder Gefühle in ihm auferstehen zu lassen. Eine beängstigende Aussicht, aber zum ersten Mal, seit die beiden Polizisten am Neujahrstag an seiner Tür geklingelt hatten, erlaubte Kirk sich die Frage, wie es wäre, sich wieder wie ein ganzer Mensch zu fühlen. Im Geiste streckte er die Fühler aus und berührte seine schlimmsten Wunden. Der Schmerz war noch vorhanden, aber es war auch schon ein kleiner Hoffnungsschimmer da. "Es stimmt, was ich neulich gesagt habe. Ich habe an dich gedacht." Kirk legte die Hände an ihre Wangen. "Oft." Sunny lächelte wehmütig. "Ich auch an dich. Kein anderer Mann hat die Gefühle in mir geweckt, die ich dir entgegenbrachte." Sie verstummte verlegen. "Ich wollte es dir eigentlich gar nicht sagen." Die Wärme in Kirks Brust vertiefte sich, als er den Kopf senkte und mit den Lippen über Sunnys Lippen strich. Sie erschrak zunächst ein bisschen, doch dann schloss sie die Augen und seufzte leise. In diesem Augenblick erkannte Kirk, dass er von dieser außergewöhnlichen Frau niemals genug bekommen würde. Er zog sie noch fester an sich und vertiefte den Kuss. Es war, als wäre all das völlig neu für ihn, als habe er noch nie eine Frau im Arm gehalten, noch nie in seinem Leben eine Frau berührt, so intensiv empfand er alles. Sunny schlang die Arme um ihn, und ein Stöhnen stieg in Kirks Kehle auf. Plötzlich war er wieder in seinem alten Zimmer in seinem Elternhaus, an jenem Wochenende, an dem seine Eltern seine Schwester Anne nach Harvard gebracht hatten, und Sunny war bei ihm, und sie würden es endlich tun, nach endlosen Monaten der Verabredungen, des Begehrens und des Herumschmusens auf dem Rücksitz seines Wagens. Sie hatten "With or Without You" von U2 gehört, als Kirk Sunny zum ersten Mal geliebt hatte, überwältigt von der
Richtigkeit des Akts und dieser erstaunlich feuchten Hitze, die ihm das Eindringen erleichterte und seine Erregung steigerte. Sunny hatte sich an ihn geklammert und sich ihm aufstöhnend entgegengebogen, als er sie in Besitz genommen hatte. Und nun hielt er sie wieder in den Armen, auf einer Decke unter einem blauen Sommerhimmel, und irgendwie wusste er, dass es auch jetzt wieder gut und richtig war. Sie lösten sich schwer atmend voneinander. Kirk blickte auf Sunnys gerötetes Gesicht und sah, dass ihre Lippen noch feucht und geschwollen waren von seinen Küssen. "Wir können in zehn Minuten bei mir zu Hause sein", flüsterte er rau und küsste ihre Schläfe. "Komm." Er sprang auf und griff nach dem Picknickkorb. Sunny blieb sitzen. "Was ist mit Ian?" "Meine Eltern haben ihn bis drei." Er zupfte an der Decke, um Sunny zum Aufstehen zu bewegen, aber sie rührte sich nicht. "Was ist?" "Es ist… zu früh." "Zu früh? Sunny, wir sind keine Kinder mehr. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass wir zusammen schlafen." "Pst!" Warnend blickte sie zu den Frisbeespielern herüber, obwohl sie zu weit entfernt waren, um sie zu hören. Kirk hockte sich vor sie hin und sagte leise: "Mir erscheint es nicht zu früh, Sunny. Für mich ist es so, als hätte ich darauf gewartet. Als hätte ich auf dich gewartet." Sie seufzte in offensichtlicher Verwirrung. Er streichelte ihre Wange und strich mit dem Daumen über ihre Lippen. Sie legte ihre Finger auf seine und drehte den Kopf, um seine Handfläche zu küssen. "Ich weiß nicht, ob du wirklich schon bereit dazu bist, Kirk." Er wollte ihr schon lachend widersprechen, doch dann begriff er, was sie meinte, und die Worte erstarben ihm auf der Zunge. Er war bereit, mit ihr zu schlafen, aber nicht bereit, sie mit seinem Sohn bekannt zu machen. Da er wusste, dass jeder
Versuch, die ungewollte Kränkung zu erklären, sie höchstens noch verschlimmern würde, erhob er sich nur wortlos und reichte ihr die Hand. Sunny blinzelte einen Moment verwirrt, bevor sie ihm erlaubte, ihr aufzuhelfen. Sie hatten das Physikgebäude der Universität schon fast erreicht, bevor er endlich wieder sprach. "Wie schon gesagt, ich versuche noch, mir über alles klar zu werden. Unter anderem auch darüber, was das Beste für Ian ist." Mit einem schwachen Lächeln fügte er hinzu: "Wie geduldig kannst du sein?" Sunny schlang den Arm durch seinen. "Was hältst du von drei Monaten?" "Drei Monate?" Er runzelte die Stirn. "Wie kommst du auf drei Monate?" Mit einem geheimnisvollen kleinen Lächeln sagte sie: "Eines Tages wirst du das vielleicht erfahren."
3. KAPITEL "Mit Blaubeersirup." Der fünfjährige David MacLeod reichte Sunny die Speisekarte. "Ich weiß. Und Grapefruitsaft." Sunny notierte die Bestellung. "Woher wissen Sie das?" fragte David. Sein Vater lachte. "Ich glaube, Sunny kennt inzwischen deine Vorlieben, mein Sohn." Die MacLeods waren seit kurz nach der Geburt des Jungen Stammgäste im Wafflemania. Sie kamen jeden Sonntag nach der Messe. David bestellte seit langem nie etwas anderes als Waffeln mit sehr viel Blaubeersirup und ein großes Glas frisch ausgepressten Grapefruitsaft. Emily MacLeod befestigte eine Papierserviette am Hemdkragen ihres Sohnes. Als er protestierte, erklärte sie geduldig: "Wenn du groß genug bist, um dein Frühstück zu essen, ohne dich mit Sirup zu bekleckern, brauchst du kein Lätzchen mehr." "Ich bin groß genug!" David riss sich die Serviette ab. "Ich will kein Babylätzchen!" "Noch ein Hemd mit Flecken", seufzte Emily. Mit einem resignierten Lächeln fügte sie hinzu: "Wenn es bloß kein Blaubeersirup wäre." "Darf ich?" Jim MacLeod nahm sich Davids Serviette und befestigte sie an seinem eigenen Kragen.
David starrte seinen Vater mit großen Augen an. "Du brauchst kein Lätzchen!" Jim zuckte mit den Schultern. "Manchmal schon. Erinnerst du dich nicht mehr an die Hummer, die wir bei Tante Irene aßen?" Davids Daumen glitt automatisch zu seinem Mund, als er ernsthaft über diese neueste Entwicklung nachdachte. Dann schien ihm plötzlich wieder einzufallen, dass er ein großer Junge war, und er zog den Daumen rasch wieder zurück. Dieses Mal, als seine Mutter ihm eine Serviette anbot, steckte er sie eigenhändig in den Kragen und breitete sie über seiner Hemdbrust aus, wie er es bei seinem Vater gesehen hatte. Sunny verkniff sich ein Grinsen. "Ich hole deinen Saft." Sie freute sich auf die wöchentlichen Besuche der MacLeods. Für sie stellten sie die ideale Familie dar. Emily und Jim waren gute Eltern, geduldig, liebevoll und einander offenbar sehr zugetan. Sie vermittelten den Eindruck einer ungemein harmonischen Familie. Nicht, dass Sunny etwa naiv gewesen wäre. Sie vermutete, dass auch die MacLeods hin und wieder Meinungsverschiedenheiten hatten oder Momente, in denen ihr lebhafter Sohn ihnen auf die Nerven ging. Aber nachdem Sunny sie Woche für Woche, Jahr für Jahr beobachtet harte, konnte sie nicht umhin, sie als die typische glückliche Familie zu betrachten. Die MacLeods zu sehen heiterte Sunny immer auf, aber es stimmte sie auch traurig. Diese junge Familie verkörperte alles, was sie sich sehnlichst wünschte, aber bislang nicht bekommen hatte. Wenn sie Emily MacLeod ihren Sohn umarmen sah, mit diesem liebevollen mütterlichen Lächeln, das nur ihm vorbehalten war, wurden Sunnys Augen feucht. Würde sie diese Art Erfüllung jemals kennen lernen? War der simple Wunsch, einen Mann und Kinder zu haben, zu viel verlangt?
Vielleicht hatte Kirk Recht. Vielleicht hatte sie zu wenig getan, um ihre Ziele zu erreichen - oder um "ihre Möglichkeiten auszuschöpfen", wie Kirk es nannte… Sie und Kirk waren in den elf Tagen seit dem Picknick auf dem Campus mehrmals miteinander ausgegangen. Am Mittwochabend waren sie im "Stitches", Hunters Comedy-Club, gewesen, hatten Pizza gegessen und sich eine Reihe von Amateurkomikern angesehen, einschließlich Hunters Frau Raven, die sie mit herrlich komischen Geschichten über Schwangerschaft und morgendliche Übelkeit unterhalten hatte. Ein paar Tage später hatten Kirk und Sunny einen gemütlichen Nachmittag in Chinatown und Little Italy verbracht. Und am vergangenen Dienstag war er mit ihr zum Island Park gefahren, wo sie ein Motorboot gemietet harten und zum Angeln hinausgefahren waren. Sunny brachte David seinen Saft und Sirup und ging dann zu der Raucherzone weiter, zu sechs kräftigen High-SchoolFootballfans, die es geschafft hatten, sich in eine einzige Sitzecke zu zwängen. Hinter sich hörte sie Fran, ihre Kollegin, sagen: "Nur Sie beide? Raucher oder Nichtraucher?" Eine vertraute tiefe Stimme antwortete: "Wir können nicht bleiben. Wir wollten nur rasch jemand begrüßen." Sunny fuhr herum zu Kirk, der in einem weißen Polohemd und Khakishorts am Eingang stand, einen zappelnden kleinen Jungen in den Armen, der sich den Hals verrenkte, um die Desserttheke sehen zu können. Sunnys Herz schlug schneller. Das konnte nur Ian sein, Kirks Sohn. Ihre Annahme bestätigte sich, als der Kleine die Arme nach den Süßigkeiten ausstreckte und rief: "Patschen, da! Patschen!" "Ja, ich sehe die Plätzchen, Ian. Und die Kuchen und die Torten und…" "Patschen!"
Während Kirk versuchte, seinen Sohn zu beruhigen, blickte er sich nach Sunny um und lächelte entschuldigend, als er sie entdeckte. Als wäre Ian das erste nach Plätzchen schreiende Kind, das Wafflemania je gesehen hatte! Sunny steckte ihren Bestellblock ein und strich den Rock ihrer pinkfarbenen Uniform glatt, als sie zu Kirk hinüberging. Seit seiner Heimkehr hatte er sie noch nicht wieder in diesem geschmacklosen Outfit gesehen, das sie hier zu tragen gezwungen war. Es machte sie verlegen, dass er sie so sah, und wütend auf sich selbst, weil es ihr peinlich war. Als sie zu ihnen ging, las sie in Kirks blauen Augen unverhohlene Zuneigung - aber auch noch etwas anderes. Nervosität? Er küsste Sunny nicht wie üblich zur Begrüßung, sondern drehte sich ein wenig, um Ian von den Süßigkeiten abzulenken. Vergeblich. "Ian", sagte Kirk, "ich möchte dir jemand vorstellen." Er strich dem Jungen über das blonde Haar und versuchte, ihn auf Sunny aufmerksam zu machen, Ian gönnte ihr aber keinen Blick, er hatte nur Augen für die hell erleuchtete Desserttheke. "Patschen!" jammerte er. "Da! Patschen!" "Man sollte meinen, er sei kurz vor dem Verhungern", sagte Kirk. "Und dabei hat er gerade erst ein großes Stück Pizza gegessen." "Dann wäre es doch genau der richtige Moment für ein Dessert." Sunny trat hinter die Theke. "Falls es deinem Daddy recht ist?" Kirk lachte. "Das ist es." Fasziniert sah Ian zu, wie Sunny das Tablett mit den verschiedenen Plätzchensorten herausnahm. "Was für ein Plätzchen hättest du denn gern?" fragte sie den kleinen Jungen. Er zeigte auf eins mit bunten Schokodrops. "Das ist eine gute Wahl. Die esse ich auch am liebsten." Sunny reichte ihm eins auf einer Serviette. "Sag ,Danke'", wies Kirk den Kleinen an.
Krümel rieselten aus Ians Mund, als er "Anke" murmelte. "Gern geschehen." Kirk bedankte sich ebenfalls, als sie das Tablett zurückstellte. "Diese nette Dame hier heißt Sunny", sagte er zu dem Jungen. "Sie ist eine Freundin von mir." Ian starrte Sunny an, während er an dem Plätzchen knabberte. Sie sagte: "Ich hoffe, wir beide werden auch Freunde, Ian." Mike, Sunnys Chef, der an der Kasse saß, blickte zu ihr herüber und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, in das gut besetzte Restaurant zurückzukehren. "Ja, ja", murmelte sie. "Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen", sagte Kirk. "Ach, mach dir wegen dem da keine Sorgen. Er bellt, aber er beißt nicht." Sunny konnte gar nicht anders, als Ians warmen kleinen Rücken zu streicheln - und wurde von einer solch überwältigenden Sehnsucht erfasst, dass es ihr für einen Moment den Atem raubte. Rasch zog sie die Hand zurück, wandte das Gesicht ab und tat, als blickte sie sich nach ihren Gästen um. Ich könnte diesem süßen kleinen Jungen einen Halbbruder oder eine Schwester schenken - vielleicht sogar eine ga nze Schar von Stiefgeschwistern, dachte sie und lächelte. "Was ist so komisch?" fragte Kirk. "Ich freue mich nur, Ian endlich kennen gelernt zu haben." Sunny zog spielerisch am Ohr des Kleinen und entlockte ihm damit ein Kichern. "Nun?" Kirk wandte sich an seinen Sohn. "Wirst du jetzt auf dem ganzen Rücksitz Krümel hinterlassen?" Ian nickte begeistert. "He, das ist schließlich seine Aufgabe", sagte Sunny und gab dem Jungen einen letzten liebevollen Klaps. "Danke, dass du vorbeigekommen bist, um mich kennen zu lernen, Ian. Du hast mir meinen Tag versüßt."
"Wir sind vorbeigekommen, um dich zum Essen einzuladen", sagte Kirk. "Zum Essen?" "Ja, heute Abend. Ich koche Spaghetti." "Agetti!" quiekte Ian. "Juniors Lieblingsgericht", verriet Kirk lächelnd. "Und das ist auch gut so, weil es ein Essen ist, das Larsen senior zu Stande bringen kann, ohne zu viel falsch zu machen." "Ich bringe Eiskrem mit", sagte Sunny. "Eikem!" schrie Ian begeistert. Sie lächelte ihn an. "Du bist eine kleine Naschkatze, nicht wahr, Ian?" Ian strahlte. Kirk warf einen Blick zur Kasse. "Dein Chef sieht aus, als würde er gleich explodieren. Ich glaube, wir gehen besser, bevor er in die Luft geht." Auf dem Weg zur Tür winkte Kirk Sunny noch einmal zu, was Ian imitierte. "Um sechs. Und falls du Eis mitbringst - am liebsten mögen wir das mit den Schokoladesplittern."
4. KAPITEL Kirk trocknete gerade den großen Topf ab, in dem er die Spaghetti gekocht hatte, als Sunny in der Küchentür erschien und triumphierend einen Daumen hob. "Ian schläft schon?" fragte Kirk verblüfft. Sunny lächelte. "Ich hatte Scarborough Fair' noch nicht ganz zu Ende gesungen, da war er schon fest eingeschlafen." "Du hast ihn in den Schlaf gesungen?" Sie zog eine Augenbraue hoch. "Ja. Wieso?" "Hat deine Stimme während der letzten zwölf Jahre vielleicht eine drastische Veränderung erfahren?" "Das reicht." Sie schnappte sich das Geschirrtuch, das er auf den Küchenblock gelegt hatte, und schwenkte es drohend. "Jetzt wird es ungemütlich, Freundchen." Kirk wich lachend einen Schritt zurück. "Die Wahrheit schmerzt, nicht wahr?" "Nur, damit du es weißt - Larsen junior findet meine Stimme schön." Wieder lachte Kirk. "Hast du nicht bedacht, dass das Einschlafen auch eine Art Selbstschutzmechanismus sein könnte? Um das strapazierte Trommelfell des armen Kinds zu schützen?" In gespielter Empörung schlug sie mit dem Tuch nach Kirk. Aber er duckte sich, packte das andere Ende des Tuchs und zog
daran, so dass Sunny ihm immer näher kam. Lachend schloss er sie dann in die Arme. Ihre Augen funkelten vor Belustigung. "Du bist noch immer schnell, Kirk." "Das kommt davon, wenn man ständig einem Kleinkind nachjagt." Sunnys Brüste, verführerisch weich und üppig unter ihrem kurzen Jeanskleid, streiften seine Brust bei jedem ihrer Atemzüge. Er ließ eine Hand über ihren Rücken gleiten, streichelte ihren Po und blickte ihr in die Augen. Ihre Lippen teilten sich ein wenig, ihre ausdrucksvollen Augen verrieten ihre Unentschlossenheit. Diese Unentschlossenheit würde schnell vergehen, wenn es nach Kirk ging. Er streifte ihren Mund mit seinen Lippen und spürte, dass sie erschauerte. "Das habe ich vermisst." Er lehnte sich mit dem Rücken an den Küchenschrank und küsste. sie von neuem. "Ich habe dich vermisst", murmelte er. "Es hat immer einen Teil von mir gegeben, den keine andere erreichen konnte." Sunny legte die Arme um ihn und schmiegte sich an ihn, als sei sie nur für ihn geschaffen. Es war so schön, sie so zu halten, so wunderbar und richtig, dass er vor Verlangen nach ihr zu vergehen glaubte. Mit einem rauen Stöhnen schloss er sie noch fester in die Arme. Sie wehrte sich nicht, als seine Lippen ihren Mund berührten, sanft und dennoch fordernd. Als sie die Lippen teilte, begann er, mit der Zunge die warme Höhlung ihres Mundes zu erforschen, und spürte, wie eine fast schmerzhafte Erregung ihn erfasste. Ein leiser Ton entrang sich Sunny s Kehle, der fast wie ein flehentliches Wimmern klang, als sie den Kuss erwiderte. Ihre Finger Umklammerten sein Hemd, und sie presste sich sogar noch fester an ihn und bewegte herausfordernd die Hüften. Kirk konnte sich nicht entsinnen, je eine Frau so sehr begehrt zu haben. Sunny erregte ihn dermaßen, dass er befürchtete, die Kontrolle über sich zu verlieren. Mit einem unterdrückten Fluch beendete er den Kuss.
"Nicht so schnell, Kirk." Sunny lehnte sich ein wenig zurück, was Kirks Blick auf ihre Brüste lenkte, deren harte kleine Spitzen sich gegen den blauen Jeansstoff ihres Kleides pressten. Er strich mit dem Daumen über eine, und Sunny atmete schneller. Sie lächelte unsicher. "Das meinte ich nicht, als ich sagte, nicht so schnell." Sie packte sein Handgelenk, versuchte aber nicht, ihn wegzuschieben. "Uns Zeit zu lassen war deine Idee, nicht meine." Er nahm ihre Brustspitzen zwischen Daumen und Zeigefinger und zupfte sanft daran. "Wenn du willst, dass ich aufhöre, musst du gehen." Sunnys Brüste waren immer unglaublich empfindsam gewesen. Und ihren flachen Atemzügen nach zu urteilen, waren sie es auch heute noch. "Tu es nicht", flüsterte er an ihren Lippen. "Was?" Sie stöhnte, als seine Berührung noch besitzergreifender wurde. "Geh nicht." Als er sie nun wieder küsste, war es anders als vorher, mehr liebevoll und zärtlich als verlangend - als wollte er ihr auf diese Weise mitteilen, was er nicht in Worte zu fassen wagte. Noch nicht. Es mochten zwar erst zwei Wochen vergangen sein, seit Kirk Sunny bei Charlis und Grants Hochzeit wieder gesehen hatte, aber er hegte jetzt schon nicht mehr den geringsten Zweifel, dass er diese warmherzige, liebevolle, sexy Frau in seinem Leben brauchte. Aber brauchte sie ihn? Wenn sie sein Geheimnis lüftete, was sie irgendwann tun würde, wäre ihre Antwort darauf sicher Nein. Wie könnte es auch anders sein? Sie war von Anfang an vollkommen aufrichtig zu ihm gewesen und hatte von ihren geheimsten Sehnsüchten gesprochen. Und wie hatte er ihr dieses Vertrauen gedankt? Indem er sie umworben und dazu ermutigt hatte, sich zu öffnen, war er geschickt der einen kritischen
Enthüllung aus dem Weg gegangen, die sie mit Sicherheit dazu veranlasst hätte, sich auf der Stelle von ihm abzuwenden. Er hatte sie bewusst getäuscht, ja sie sogar belogen, indem er ihr etwas Wichtiges verschwiegen hatte. Aber das war nötig, denn mit etwas Glück würde sie, wenn sie es herausfand, schon so verliebt in ihn sein, dass die Wahrheit ihre zerstörerische Macht verloren hatte. Wenn er Glück hatte. Beide rangen nach Atem, als sie den Kuss beendeten. "Ich komme mir vor, als wäre ich wieder achtzehn", sagte Sunny lachend. "Du siehst auch wieder aus wie achtzehn." Er strich mit einem Finger über ihre Wange, die leicht gerötet war. Sie grinste. "Ja, klar. Ich habe aufgehört, solchen Schmeicheleien zu glauben, als der Junge an der Kasse im Supermarkt nicht mehr meinen Personalausweis verlangte, wenn ich Bier einkaufte." "Du hast Recht. Du siehst nicht mehr wie achtzehn aus", bestätigte Kirk. "Du bist heute schöner als damals. Fraulicher. Selbstbewusster. Deine Stimme ist aufregender und auch deine Art, dich zu bewegen." Er ließ die Hände sinken und umfasste lächelnd ihre Hüften. Sunny glaubte ihm, das erkannte er an ihrem scheuen Lächeln. "Erinnerst du dich noch an Halloween?" fragte er. Die Halloweennacht ihres letzten Schuljahrs war, um das Mindeste zu sagen, denkwürdig gewesen. Amanda hatte in der pompösen Villa ihrer Eltern eine Party für über hundert Gäste gegeben. Amanda, die schon damals eine hervorragende Gastgeberin gewesen war, hatte sich selbst übertroffen, mit unglaublich gutem Essen und fantasievollen Dekorationen wie Spinnennetzen, realistisch aussehenden Fledermäusen, die von der Decke baumelten, und sogar Trockeneisnebel. Von außen war das Haus nicht weniger beeindruckend gewesen, mit
falschen Grabsteinen im Vorgarten und einem Skelett, das an einer Schlinge an einem Baum hing. Der große Keller war mit viel Aufwand in ein "Spukschloss" verwandelt worden, abgetrennt in eine Anzahl kleiner, dunkler Räume, von denen einer schauriger als der nächste eingerichtet war. Amanda hatte ihre engsten Freunde zur Arbeit in diesen Räumen abkommandiert, während die anderen Partygäste begleitet von Stöhnen, Jammern und gespenstischen Schreien aus verborgenen Lautsprechern - in kleinen Gruppen von einem Raum zum anderen wanderten. Sunny trug einen hautengen schwarzen Bodysuit mit Kapuze, der mit fluoreszierenden Sternen besetzt war. Wände, Boden und Decke ihres Raumes trugen auf schwarzem Hintergrund die gleichen bunten Sterne, und die einzige Beleuchtung war ein ultraviolettes schwarzes Licht, das die Sterne glühen ließ. Sunny platzierte sich in einer Ecke, wo sie beinahe vollständig mit dem dunklen Hintergrund verschmolz: Wenn ihre Freunde in kleinen Gruppen hereinkamen und verblüfft den Raum mit den leuchtenden Sternen anstarrten, ohne Sunny zu bemerken, sprang sie aus der Ecke, um sie zu erschrecken. Kirk hörte die Schreie und das Gelächter von seinem Posten im "Exekutionsraum", wo er, in grauer Gefängniskleidung und mit einer ledernen Kapuze über dem Gesicht, an einen elektrischen Stuhl gefesselt war. Er saß so still da, dass die Vorübergehenden ihn für eine Puppe hielten. Er pflegte zu warten, bis ihn jemand ansprach, bevor er den verborgenen Knopf betätigte, der Funken und laute, zischende Geräusche aktivierte. Dann brach die Hölle los, wenn er sich aufbäumte in den Lederriemen, mit denen er gefesselt war, und in lautes Gebrüll ausbrach. "Welche Halloweennacht meinst du?" neckte Sunny ihn: "Natürlich die, in der wir beide noch in Amandas Spukschloss im Keller waren, nachdem alle anderen längst nach
oben gegangen waren, um am Kostümwettbewerb teilzunehmen." Er legte Sunny die Arme um die Taille. "Spukschloss?" Sie tat verwirrt. "Entschuldige, aber ich weiß nicht, was du meinst." "Dann erlaub mir, deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Du trugst einen mit Sternen besetzten Body, und ich hatte ein schickes Lederoutfit an." "Ich mag Männer in Lederkleidung." "Du kamst, um mich aus dem Exekutionsraum abzuholen. Ich war noch an den Stuhl gefesselt. An Armen, Beinen und der Brust. Und ich trug so eine schaurige Kapuze… Klingelt es jetzt wieder bei dir?" "Ja, ich glaube, jetzt erinnere ich mich. " Sunny tat, als überlegte sie. "Hatte die Kapuze schmale Schlitze für die Augen?" "Allerdings, die gleichen wie deine Kapuze. Ich konnte dich im schwachen Licht kaum erkennen und sah nur eine dunkle Masse Sterne, die in mein sehr begrenztes Blickfeld trat." "Du Armer, ganz im Dunkeln und an diesen großen Stuhl gefesselt." Sunny spielte mit dem Kragen seines weißen Polohemds. "Du hast mir schrecklich Leid getan." "Aber nicht genug, um mich zu befreien, was?" Ein schelmisches Lächeln spielte um Sunnys Lippen. "Ich bat dich darum. Ich sagte: ,Sunny, würdest du mich bitte losbinden?" "Es klang mehr wie: .Himmeldonnerwetter, worauf wartest du? Befrei mich endlich von dem Ding!" Kirk lachte. "Ach, dein Gedächtnis kehrt zurück. Erinnerst du dich, dass du einfach da gestanden hast und überhaupt nichts sagtest?" "Ich dachte nach." Er strich mit der Fingerspitze über den langen Reißverschluss an ihrem Kleid. "Was dachtest du?"
"Dass die Situation sehr… interessant war. Ein großer, starker Mann wie du, der mir vollkommen ausgeliefert war." Mit einem anzüglichen Lächeln schaute sie zu ihm auf. "Eine solche Situation kann eine Frau schon auf Ideen bringen." "Deine erste Idee war, den Body auszuziehen, wenn ich mich recht entsinne. Und zwar entnervend langsam." Kirk und Sunny schliefen zu jenem Zeitpunkt schon seit zwei Monaten miteinander. Sie hatten jedoch nur sehr selten Gelegenheit dazu, und wenn, dann meist in seinem Bett, wenn seine Eltern aus dem Haus waren, und einmal, aus purer Verzweiflung, in dem engen alten Jaguar, den Kirk damals fuhr. In jener Halloweennacht hatte er dagesessen, und zugesehen, wie seine Freundin ihre Kapuze abnahm, ihre kurzen Locken schüttelte und dann ihren hautengen Bodysuit abstreifte. Verblüfft hatte er gefragt, was sie da tat. Sie hatte nichts erwidert. Kirk sagte: "Meine erste Überraschung war, dass du keinen BH anhattest." "Ich wollte keine Linien unter dem Body. Und schon gar keine von einem Slip." "Ja, das war meine zweite Überraschung." Sunny war unter dem Body splitternackt gewesen. Kirk hatte beunruhigt zu den beiden Eingängen des Raums gespäht und gehorcht, ob jemand kam. "Du wolltest, dass ich mich wieder anzog", sagte Sunny und ließ die Hände über seine Brust gleiten. "Nein, ich wollte nicht, dass du dich anzogst, ich war nur sehr…" "Gehemmt." Kirk lachte. "Und du warst hemmungslos genug für beide." "Ein Teil von dir war aber gar nicht so gehemmt." Lächelnd strich sie mit den Händen über seine Schultern, seine Arme. Dieser Teil von ihm, der nicht gehemmt gewesen war, hatte seine Hose so eng gemacht, dass es schon fast qualvoll gewesen
war. Kirk hatte versucht, Sunny zur Vernunft zu bringen, und ihr vorgeschlagen, wegzufahren und irgendwo anders einen ruhigen Platz zu suchen. Schweigend hatte sie die Hände an den Innenseiten seiner Schenkel hinauf gleiten lassen und ihn an seiner intimsten Stelle berührt. "Erinnerst du dich, was du dann getan hast?" fragte Kirk und merkte, dass die Erinnerung ihn auch jetzt wieder erregte. Sunnys Augen glitzerten. "Ich habe dich befreit." Kirk lächelte. "Oder doch zumindest einen Teil von mir." Sie hatte seine Hose aufgeknöpft und ihn zärtlich mit der Hand umschlossen. Er hatte gedacht, das wäre alles, und sie würde sich damit begnügen. Aber sie hatte andere Pläne gehabt. Kirks Stimme war ein bisschen heiser, als er sprach. "Das hattest du noch nie getan… mich dort geküsst." Sunny lächelte. "Ich war neugierig. Und ich wollte etwas für dich tun. Ich wusste nicht, wie sehr es mich erregen würde, dich da zu liebkosen." Kirk zog sie an sich und ließ sie den Beweis seiner Begierde spüren. "Es war unglaublich erotisch. Noch nie in meinem Leben hatte ich so etwas empfunden. Und du warst so eifrig… Und ich konnte dich nicht einmal sehen! Ich trug noch immer diese verdammte Kapuze, die mich daran hinderte, hinabzublicken. Das machte mich nur noch…" Er stieß einen rauen Seufzer aus. "Es ist ein Wunder, dass ich nicht die Kontrolle über mich verlor, als deine Lippen mich berührten." "Es wäre nicht so schlimm gewesen, aber ich bin froh, dass es nicht so war." "Und dann hast du mir endlich die Kapuze abgenommen." Sie hatte sich über seinen Schoß gekniet, ihm die Lederhaube abgenommen und ihn mit einer Leidenschaft geküsst, wie er sie noch nie zuvor bei ihr erlebt hatte. So aggressiv, so kühn war sie noch nie gewesen, und es war eine derart lustvolle Erfahrung, dass er sich instinktiv aufgebäumt hatte, um in sie einzudringen.
Aber seine beinahe qualvolle Erregung und seine atemlosen Bitten hatten Sunny ungerührt gelassen. Um ihn zu beruhigen, hatte sie eine ihrer Brüste an seinen Mund gehoben, und Kirk, der fast den Verstand zu verlieren glaubte vor Verlangen, hatte ihre harte kleine Knospe zwischen die Zähne genommen und nicht gerade sanft hineingebissen. So grob war er noch nie zu ihr gewesen, aber sie zu fühlen, sie zu sehen, ihr so nah zu sein, ohne sie berühren zu können, hatte seine Erregung fast ins Unerträgliche gesteigert. Ihre schrillen Schreie hatten durch den kleinen Raum geschallt. Und als Kirk endlich zu Bewusstsein kam, dass er ihr möglicherweise wehtat, hörte er ihr ermutigendes Stöhnen: "Ja, oh ja, Kirk…" Und dann hatte sie sich langsam auf ihn sinken lassen und ihn in sich aufgenommen. Glücklicherweise war niemand hinuntergekommen, um nachzusehen, was los war, denn Kirk verschwendete keinen Gedanken mehr daran, ob sie Publikum hatten oder nicht. Und wenn sich alle hundert Gäste in den Raum gedrängt hätten, es wäre ihm nicht aufgefallen. Er nahm nichts anderes mehr wahr als Sunny, die rittlings auf ihm saß. Er sagte: "Es war ein derart überwältigender Höhepunkt, dass ich dachte, ich würde vor Lust ohnmächtig werden." "Mir ging es genauso." Zärtlich strich sie ihm über die Arme. Kirk küsste sie, und sie presste sich an ihn, um ihn noch intensiver zu spüren. Seine Hände glitten unter ihr kurzes Kleid, und er spürte, wie ihr Atem sich beschleunigte. Seine Finger glitten über ihre nackten Schenkel zu ihrem Slip. "Bei der Hochzeit hast du einen Strumpfgürtel getragen", murmelte er an ihren Lippen. "Du verstehst mich immer noch zu überraschen." "Ich bin eben kein Fan von Strumpfhosen." Sie seufzte leise, als er mit den Händen ihren Po umfasste und ihr Kleid bis zu den Hüften hochschob. "Keine Strapse heute?" bemerkte er.
"Es ist zu warm für Strümpfe. KÜSS mich." Er tat es und drehte sie dabei, bis sie mit dem Rücken zum Küchenblock stand. Für einen Moment unterbrach er den Kuss, um sie auf den Holzblock zu heben. Ihr Kleid rutschte noch höher hinauf und erlaubte ihm einen Blick auf ihren getupften Baumwollslip. Sunnys Augen waren halb geschlossen vor Verlangen, ihre Nasenflügel bebten. Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, griff Kirk nach dem Reißverschluss an ihrem Ausschnitt und zog ihn herab. Sie trug einen passenden BH zu dem getupften Slip. "Der Verschluss ist vorn", murmelte Kirk. "Das muss mein Glückstag sein." "Und meiner", sagte Sunny mit einem schiefen Lächeln. Die Körbchen glitten auseinander und Kirk sah, dass ihre Brüste etwas voller waren als früher. "Du raubst mir den Atem." Er drückte einen sanften Kuss auf eine der harten kleinen Spitzen, die sich unter seiner Berührung sogar noch ein wenig mehr versteifte. Nichts hätte süßer für ihn klingen können als Sunnys leises Seufzen. Aufstöhnend legte sie den Kopf in den Nacken und schob die Hände in sein Haar. Kirk schlang ihre Beine um seine Hüften, hob sie auf und trug sie durch den Korridor zu seinem Schlafzimmer. "Dad, tinken." Ians Stimme hinter der geschlossenen Tür seines Zimmers ließ Kirk erschrocken innehalten. "Tinken, Dad!" Sunny löste sich von Kirk und ordnete rasch ihre Kleider. Kirk öffnete die Tür zu Ians Zimmer, das von einer Nachttischlampe beleuchtet war. Der Kleine stand in seinem Bettchen und rieb sich schläfrig die Augen. Kirk trat ans Bett und fuhr Ian mit der Hand durch das blonde Haar. "Was ist denn, Champ? Ich dachte, du schläfst." "Tinken, Dad." "Du möchtest Wasser trinken?"
"Ich hole es", sagte Sunny von der Tür und eilte in die Küche. Ian gähnte. Kirk hob ihn aus dem Kinderbett und drückte ihn an seine Brust. "Du bist mein Champ. Ich habe dich sehr lieb", flüsterte Kirk dem kleinen Jungen zu. "Das weißt du, nicht?" Ian nickte, und sein weiches Haar kitzelte Kirk am Hals. Die Augen des Kleinen fielen zu, aber er wurde wieder munter, als Sunny mit einem Plastikbecher hereinkam. Gierig griff er danach und leerte ihn bis zur Hälfte. Sunny lächelte zärtlich. "Du hattest wirklich Durst, nicht wahr?" Ein Tropfen rann über sein Kinn, und sie wischte ihn mit dem Finger ab. "War das genug?" Ian nickte und gab ihr den Becher zurück. Kirk hob den Kleinen über das Gitter seines Bettchens und tat, als stöhnte er unter der Anstrengung. "Du bist ja wirklich schon ein richtig großer Junge." Das schien Ian zu erfreuen, denn er lächelte, als sein Vater ihn zudeckte. "Mit etwas Glück wird er jetzt schlafen", sagte Kirk. Sunny blickte sich im Zimmer um, und als sie ein gerahmtes Foto auf einer Kommode sah, nahm sie es und betrachtete es. Das Foto zeigte Linda und den etwa zehn Monate alten Ian. "Sie war schön." "Ich möchte, dass er weiß, wer seine Mutter war. Er soll nie vergessen, wie sehr sie…" Kirks Stimme brach. Sunny sah ihn mit feuchten Augen an. "Wie sehr sie ihn geliebt hat", schloss sie leise und nahm seine Hand. "Daran wird er niemals zweifeln, Kirk." Er drückte ihre Hand und warf einen Blick auf Ian, der inzwischen eingeschlafen war. "Komm." Leise gingen sie hinaus und ließen die Tür einen Spalt breit offen. "Er ist wirklich sehr gewachsen", sagte Kirk.
"Er wird bald zu groß für das Kinderbett sein", bemerkte Sunny. "Mich davon zu trennen, wird mir schwer fallen. Eine weitere Phase seiner Kindheit, die beendet ist." "Wieso, du brauchst es doch nicht wegzugeben. Du hebst es einfach für das nächste Baby auf." Sunny missdeutete den Ausdruck, der auf seinem Gesicht erschien, und berührte lächelnd seine Wange. "Ich weiß, dass du jetzt noch nicht daran denkst. Das ist verständlich. Aber du bist noch jung, Kirk. Es ist abzusehen, dass du irgendwann wieder heiraten wirst und Ian einen Bruder oder eine Schwester bekommen wird." Kirk wusste, es war ihm nicht gelungen, sein Unbehagen über dieses Thema zu verbergen, als er Sunnys Lächeln verblassen sah. "Ich hätte besser nichts gesagt…" "Nein, das ist es nicht." Hilflos schüttelte er den Kopf. "Du hast nichts Falsches gesagt, Sunny. Ich bin nur…" Er nahm ihre Hand und strich mit den Lippen über ihre Knöchel. Auf einige Fragen gab es keine leichten Antworten. Sie sah ihm prüfend in die Augen. "Woran denkst du? Was ist los?" Er konnte ihr nicht in die Augen sehen und schüttelte nur den Kopf. Sein Blick fiel auf die offene Tür seines Schlafzimmers aber er wusste, dass er die Nacht allein verbringen würde, noch bevor Sunny erklärte: "Ich glaube, ich gehe jetzt besser." Sein frustrierter Seufzer sagte alles. Ihr trauriger Gesichtsausdruck verriet, dass sie es ebenso bedauerte wie er. Doch es ließ sich nicht ändern, der Zauber war zerstört. Sunny stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. "Wirst du es mir eines Tages sagen?" Kirk nickte. Es war ihm nicht gelungen, sie zu täuschen. "Eines Tages."
5. KAPITEL "Dieses Teil gehört… hm…", Kirk warf einen Blick auf den Montageplan, "… zu diesem hier." Sunny griff nach dem Plan, aber Kirk gab ihn ihr nicht. Sie saßen auf dem Rasen in Kirks Garten und versuchten, ein Kinderzelt aus buntem Nylon aufzubauen, von dem rechts und links zwei lange Kriechtunnel abgingen. Kirks Eltern waren heute mit Ian in den Botanischen Garten gegangen. Das Zelt sollte eine Überraschung für ihn sein, wenn er zurückkam. Falls sie es je schaffen sollten, dieses komplizierte Ding aufzubauen. "Ich hoffe nur, der Kleine weiß die Mühe zu schätzen", knurrte Kirk. Sunny lachte. "Bestimmt. Außerdem war ich diejenige, die es ihm geschenkt hat." "Du und deine Teleshopping-Kanäle! Eigentlich müsste ich dich zwingen, das Ding allein zusammenzubauen." "Für einen Physikprofessor hast du erstaunlich wenig Sachverstand. Gib mir mal die Stange da. Es gehört nicht dahin." Er schob ihre Hände von der Plastikstange fort, die er gerade in eine sehr viel kleinere Stange schieben wollte. "Das Ding passt einfach nicht."
"Hm. Könnte es nicht sein, dass dieses Teil… hierher gehört?" Sunny nahm eine andere Stange und steckte sie mit Kirks zusammen. Er runzelte die Stirn und schaute wieder auf die Anweisungen. Sunny riss ihm das Blatt aus der Hand, zerknüllte es und warf es weg. "Manchmal muss man einfach bloß ein bisschen Fantasie aufbringen. Nicht alle Antworten sind im geschriebenen Wort zu finden, Herr Professor." "Sehr schlau! Wie soll ein achtzehn Monate altes Kind mit so was fertig werden? Es ist wie ein riesiger Hamsterkäfig. Das Ding ist größer als das erste Apartment, das ich hatte." "Ian wirds gefallen. Hättest du als Kind nicht auch gern so ein Zelt gehabt?" "In meiner Kindheit bauten wir uns welche aus Pappkartons und waren froh, dass wir sie hatten." "Tja, du Oldtimer, willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert. Hier, halt das mal." Mit geschickten Bewegungen stellte sie das Mittelzelt auf. Kirk staunte. "Wie hast du das geschafft?" "Hast du früher nie mit Tinker Toys gebastelt? Ach, entschuldige, ihr hattet ja nur Pappkartons." Kirk stützte die Arme auf die Knie. "Ich kann vielleicht keine Hamsterkäfige zusammenbauen, aber ein paar Talente besitze ich auch." "Ach ja?" Er hatte es vielleicht nicht so anzüglich gemeint, doch in den anderthalb Wochen seit dem Tag, als sie beinahe zusammen im Bett gelandet wären, war Sunny praktisch nur frustriert gewesen. Die wenigen Male, wenn sie und Kirk sich gesehen hatten, war es immer in Gesellschaft anderer gewesen: mit Ian im Zoo, auf einer der spektakulären Partys, die Amanda so gern gab, und im neuesten Spielberg-Film mit Charli und Grant, die gerade von ihrer dreiwöchigen Hochzeitsreise nach Italien und Griechenland zurückgekehrt waren.
Aber so wie Kirk sie jetzt ansah, war sie vielleicht gar nicht die Einzige, die frustriert war. "Was ist?" fragte er mit einem Lächeln. "Glaubst du nicht, dass ich Talente habe?" "Ich weiß, dass du welche hattest damals auf der High School. Aber das ist lange her, nicht wahr? Vielleicht haben ja die Jahre ihren Zoll gefordert - Oldtimer!" fügte sie neckend hinzu. Kirk grinste. "Das klingt wie eine Herausforderung." Sunnys Herz schlug schneller. "Ach, ich weiß nicht recht…", erwiderte sie schmunzelnd. "Ein Mann, der nicht einmal ein simples Zelt zusammenbauen kann?" Er griff nach ihr, aber sie wich ihm aus und rutschte an das andere Ende des viereckigen Zelts. Sein Lächeln vertiefte sich und erinnerte Sunny daran, dass er sehr schnell sein konnte, wenn er wollte. Sie stürzte sie sich in den nächsten Tunnel und kroch lachend auf das Fleckchen Gras an seinem Ende zu. Sie hatte es fast geschafft, als Kirks nackte Füße in der runden Öffnung erschienen und dann sein grinsendes Gesicht, als er sich vorbeugte. "Du entkommst mir nicht!" "Das ist unfair! Ich komme in dem Kleid nicht schnell genug voran." "Dann zieh es aus." "Wieso habe ich gewusst, dass das für dich die Lösung sein würde?" Während sie sprach, kroch sie rasch zurück. Es war kein Platz in dem Tunnel, um sich umzudrehen. Als sie mit dem Po den Zelteingang erreichte, schlössen zwei große Hände sich darum und versuchten, sie herauszuziehen. Aber Sunny war darauf gefasst gewesen. Rasch streifte sie die Träger ihres Kleids ab und kroch wieder vorwärts, so dass Kirk nur eine Hand voll Stoff in den Händen hielt.
Auf halbem Weg durch den Tunnel, nur noch mit BH und Slip bekleidet, spähte Sunny über ihre Schulter und sah, dass Kirk sie vom Zelteingang betrachtete. "Ein schöner Anblick", stellte er mit einem viel sagenden Blick auf ihren Po fest. "Ich hoffe bloß, dass mein Nachbar, der alte Reverend Hargity, nicht zufällig über den Zaun guckt, wenn du so zum Haus hinüberrennst." "Wer sagt denn, dass ich rennen werde? Vielleicht lasse ich mir ja Zeit und plaudere noch ein bisschen mit dem Reverend." Kirks Lachen verriet, dass er ihr das durchaus zutraute. Sie sah ihn durch die kleine Öffnung aus dem Zelt kriechen. Plötzlich bewegte sich der Tunnel, und sie sah, dass Kirk an seinem Ende zog. "Wusstest du, dass man die beiden Tunnel mit Klettverschlüssen verbinden kann?" fragte er. Nein, das hatte sie nicht gewusst. "Das stand auf der Montageanleitung, die du nicht gelesen hast." Und tatsächlich, als Sunny vorsichtig durch den jetzt gebogenen Tunnel zu der Öffnung weiterkroch, sah sie, dass sie mit dem anderen Tunnel zu einem großen Kreis verbunden worden war. Das Zelt bildete nun den einzigen Ein- und Ausgang. "Gefangen wie eine Ratte!" Sunny lachte. "Das wird dich lehren, dich nicht mit einem Physiker anzulegen." Sie hörte Kirk ins Zelt zurückkriechen. Ein nervöses Kichern unterdrückend, lauschte sie und versuchte festzustellen, welchen Tunnel er gewählt hatte, um sie zu holen, da sie sicher war, dass er nicht draußen auf sie warten würde. Sie hatte jedoch den Vorteil, dass sie kleiner war als er und sich daher schneller bewegen konnte. Kaum hörte sie ihn in dem Tunnelabschnitt hinter sich, kroch sie hastig weiter. In ihrer Eile rechnete sie natürlich nicht mit
einer Finte. Aber als das Innere des Zelts in Sicht kam, erschien Kirks Arm ganz plötzlich in der Öffnung und packte sie am Handgelenk. Sie schrie auf und versuchte zurückzukriechen. Mit einem mutwilligen Lachen packte er auch ihre andere Hand und zog sie aus dem Tunnel in das Zelt. Und dann war er auch schon über ihr und hielt mit einer Hand ihre Hände über ihrem Kopf fest. Sein atemloses Lachen war wie das Echo ihres eigenen. Ein Schauer der Erwartung durchzuckte sie, als sie erkannte, dass sie ihm diesmal nicht entkommen würde. Beide waren praktisch nackt, da auch Kirk nur Shorts trug, und das Gefühl seiner Haut an ihrer war berauschender als süßer Wein. Sonnenlicht fiel durch die farbenfrohen Zeltwände und warf in allen Regenbogenfarben Schatten ins Innere. Vorsichtig, um sie nicht mit seinem ganzen Gewicht zu belasten, schob Kirk ein Bein zwischen ihre Schenkel und presste sich an Sunny. Er küsste sie noch einmal und bewegte sich ein bisschen mehr, bis sie seine Härte an ihrer intimsten Stelle fühlen konnte. In diesem Augenblick hatte Sunny das Gefühl, Kirk mehr zu brauchen als die Luft zum Atmen. Er ließ ihre Hände los, um ihren BH zu öffnen, bevor er ihren Mund von neuem mit einem stürmischen Kuss in Besitz nahm, und sie erschauerte vor Entzücken, als seine Lippen dann über ihren Hals und den Ansatz ihrer Brüste glitten, die so unfassbar empfindsam waren. Aufstöhnend umfasste sie mit beiden Händen seine Schenkel und bog sich ihm in einer stummen Einladung entgegen. Er zog sich zurück, seine Augen waren dunkel vor Verlangen, seine Lippen feucht und seine Wangen stark gerötet. "Ich kann nicht länger warten", flüsterte Sunny. Ihr war, als ob sie zwölf Jahre auf diesen Augenblick gewartet hätte. "Bitte, Kirk, ich kann nicht länger warten." Mit zitternden Händen streifte er ihr den Slip ab. Dann folgten seine Shorts, und Sekunden später war er in ihr, heiß und
hart. Sunny biss sich auf die Lippen, um den lustvollen Schrei, der in ihrer /kehle aufstieg, zu unterdrücken. Sie schlang die Beine um ihn, als er ihre Hüften an sich zog, und plötzlich war es wieder so, als ob sie nie getrennt gewesen wären. Kirks Nähe, seine Hitze und die rhythmischen Bewegungen, mit denen er sie liebte, ließen ihre letzte Selbstkontrolle schwinden. Purer Instinkt ergriff Besitz von ihr, als sie sich seinen kraftvollen Stößen entgegenbog, seine Schultern umklammerte und ein raues Aufstöhnen nicht länger unterdrücken konnte. Kirks Augen waren jetzt so dunkel, dass sie Sunny beinahe schwarz erschienen, und glühten vor Verlangen. Mit beiden Händen ihren Po umfassend, zog er sie hart an sich und glitt noch tiefer in sie hinein. Sunnys Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Die erotische Spannung in ihr wuchs ins Unerträgliche, als Kirk im entscheidenden Augenblick für einen winzigen Moment in der Bewegung innehielt, und sie glaubte vor Wonne zu vergehen, als eine heiße Woge sie durchströmte, die nicht abebben wollte. Im selben Augenblick bewegte Kirk sich wieder, und sie hörte sein lustvolles Aufstöhnen und spürte, wie seine Leidenschaft sich in ihr entlud. Als das Beben endlich nachließ, sanken sie ermattet in das kühle Gras zurück. Irgendwann hob Kirk den Kopf und grinste sie an. Sunny hätte später nicht sagen können, wer zuerst gelacht hatte oder worüber sie gelacht hatten. Sie wusste nur, dass sie das Gefühl hatte, aus einem zwölfjährigen Winterschlaf erwacht zu sein. Kirk küsste sie, rollte sich zur Seite und zog Sunny an seine Brust. "War es so wie früher?" fragte er nach einer Weile. Sie lächelte. "Besser." Kirk war eifrig und erfinderisch als Teenager gewesen, und sehr, sehr zärtlich - praktisch alles, was ein junges Mädchen sich nur wünschen konnte. Aber der Junge von damals konnte dem reifen Mann von heute nicht das Wasser
reichen. "Dito", murmelte er und küsste ihr Haar. "Wir hatten es ganz schön eilig… Und waren auch sehr unvorsichtig", fügte sie hinzu. "Hm?" Männer! Sunny richtete sich ein wenig auf, um ihn anzusehen, und lachte über seine verständnislose Miene. "Ich rede von Verhütung, Professor. Verstehst du, was ich meine?" Kirk wurde ernster, als sie ihn je zuvor gesehen hatte. Er sah aus, als ob er etwas sagen wollte, zog sie dann aber nur stumm an seine Brust. Sein Herz klopfte schneller, aufgeregter. Vielleicht hatte er geglaubt, sie nähme die Pille. "Hör mal", sagte sie, "ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Es sind nicht meine… nun ja, meine fruchtbaren Tage." Er sagte nichts. "Okay?" Er schluckte. "Okay." "Wirst du dich darum kümmern?" "Kümmern… ? Ach so, du meinst, Kondome kaufen. Ja. Natürlich", sagte er tonlos. "Darum solltest du dich wirklich nicht kümmern müssen." Sunny lächelte und träumte schon von der Zeit, wenn sie und Kirk sich lieben würden, ohne auf Verhütungsmittel zurückgreifen zu müssen…
6. KAPITEL "Ah, da sind ja unsere Müßiggängerinnen!" verkündete Amanda Coppersmith. Sunny, die mit Raven und Charli in der Tür zum Büro ihrer Freundin stand, sah, wie Amanda sich in ihrem burgunderfarbenen Ledersessel zurücklehnte und ihren MontBlanc-Füllfederhalter auf den Stapel Papiere vor ihr legte. Der dunkelhaarige Mann, der vor ihrem Schreibtisch saß, war Brent Radley, Ravens Schwager und Verkaufsmanager des Grashopper, des Kindermagazins, das Amanda publizierte. Brent sah sich läche lnd um. "Ja, Müßiggängerinnen", bekräftigte er nach einem Blick auf die zahlreichen Einkaufstüten mit Firmenlogos wie Saks Fifth Avenue, Bloomingdale's und Lord & Taylor, die Amandas Freundinnen in den Händen trugen. Sunny schlenderte herein. "Damit ihr es wisst, ich habe heute frei. Dafür werde ich morgen und am Sonntag arbeiten, während ihr das ganze Wochenende freihabt." Raven strich ihr kinnlanges dunkelblondes Haar hinter die Ohren. "Und meine beiden Hypnotherapie-Patienten für heute haben abgesagt." "Und die Schule fängt erst nächste Woche wieder an", warf Charli ein. "So, jetzt weißt du es", erklärte Sunny. "Und wenn ich noch einmal das Wort ,Müßiggängerinnen' von dir höre, kriegst du
das hier an den Kopf." Drohend schwenkte sie eine schwere braune Tüte. Amanda richtete sich auf. "Was hast du da? Es riecht wie…" Sie schnupperte. "Griechisch!" "Gute Nase", lobte Raven. "Gyros, Spinatpita, Souvlaki und ein bisschen was Nahöstliches." Charli sagte: "Wir dachten, wir packen es im Konferenzraum aus und essen dort zusammen." "Du scheinst dich heute ja gebremst zu haben, Raven." Brent betrachtete die winzige Tüte, die seine Schwägerin und einstige Freundin in der Hand hielt. "Das wird meinen Bruder freuen." "Leider muss ich dich enttäuschen, Brent." Raven deutete auf den Stapel Einkaufstüten, die Charli und Sunny in eine Ecke gestellt hatten. "Sie wollten mich meine Sachen nur nicht tragen lassen. Und dabei bin ich erst im dritten Monat. Bei dem Wirbel, den sie um mich machen, könnte man meinen, ich stünde kurz vor der Niederkunft." "Das sieht dir ähnlich, dass du dich auch noch beschwerst." Amanda erhob sich und kam um den Tisch herum, um sich die Einkäufe anzusehen. Wie immer war sie ausgesprochen elegant gekleidet und hatte.ihr blondes Haar zu einem weichen Chignon aufgesteckt. "Wenn ich schwanger wäre, würde ich mich verwöhnen lassen bis zum Geht-nicht- mehr." "Wenn du schwanger wärst", versetzte Charli, "würde ich an einem Schock sterben." Amanda hatte der Ehe an dem Tag abgeschworen, an dem ihre zweite Scheidung rechtskräftig geworden war. Dennoch sollte sie die vierte und letzte Nutznießerin des Heiratspaktes werden, wenn sie in ein paar Wochen, am siebten Oktober, ihren dreißigsten Geburtstag feierte. Wie Sunny und die anderen sie dazu bringen sollten, mitzumachen, musste allerdings erst noch entschieden werden. Amanda hatte nicht immer eine Aversion gegen die Ehe gehabt - schließlich hatte sie es nicht nur ein Mal, sondern sogar
gleich zwei Mal versucht! Trotzdem fragte Sunny sich, wie viel von Amandas Aversion in Wirklichkeit nicht reiner Selbstschutz sein mochte, um sich noch mehr Schmerz zu ersparen. "Seht mal her", sagte Amanda und hielt einen Bikini hoch. "Sunnys Größe", fügte sie nach einem Blick auf das Etikett hinzu. "Und zum halben Preis! Gratuliere!" "Warum führst du ihn uns nicht vor?" schlug Brent vor. "Träum weiter", murmelte Sunny. Raven grinste ihren Schwager an. "Darf ich dich daran erinnern, Mr. Radley, dass du mit einem Bademoden-Model verheiratet bist?" "Ja und?" fragte Brent. "Welche ganz normal aussehende Frau wäre wohl bereit, dir einen Badeanzug vorzuführen, wenn sie weiß, was du zu Hause hast?" entgegnete Raven. "Ach, das kann doch nicht dein Ernst sein." Brent hob beschwörend die Hände. "Ihr seid alle attraktive Frauen. Und Abwechslung macht Freude, oder nicht?" Sunny biss sich auf die Lippen und vermied es, die anderen anzusehen, weil sie wusste, dass sie ein Lachen sonst nicht unterdrücken könnte. Bis vor kurzem hatte Brent in sexueller Hinsicht sogar sehr die Abwechslung genossen - bis Marina, das Bademoden-Model, auf der Bildfläche erschienen war. Als kluge Frau, die wusste, was sie wollte, hatte Marina geduldig abgewartet, bis seine zum Scheitern verurteilte Beziehung mit Raven beendet war, und hatte ihren streunenden Mann dann an die Leine genommen. Soweit Sunny wusste, hatte er das Streunen seither aufgegeben, und die beiden waren seit April glücklich verheiratet. Amanda blickte zur offenen Tür hinüber. "Haben dir die Ohren geklingelt?" Sunny drehte sich um, weil sie sehen wollte, mit wem ihre Freundin sprach. Wenn möglich, war Marina sogar noch schöner als beim letzten Mal, als Sunny sie gesehen hatte.
Marinas olivbraune Haut, ihr hüftlanges schwarzes Haar und ihre mandelförmigen Augen verliehen ihr einen exotischen Reiz, der ihr in der gnadenlosen Welt der Mode sehr zugute kam. Aber niemand brauchte Marina zu sagen, dass Schönheit mit der Zeit verblasste. In Erwartung dessen hatte sie bereits eine Ausbildung in ganzheitlicher Medizin begonnen. Brent stand auf und küsste seine Frau. Marina begrüßte alle und umarmte Raven. Die einstigen Rivalinnen waren längst Freundinnen geworden. "Bleibt und esst mit uns", schlug Raven vor. "Es ist griechisch und deshalb teilweise auch vegetarisch." Marina war eine überzeugte Vegetarierin. "Oh, dank e, aber wir haben im Sue Ann's schon einen Tisch bestellt." Sue Ann's war ein gut besuchtes Cafe für Vegetarier. Brent ließ die Schultern hängen. "Ich habe schon ewig kein Souvlaki mehr gegessen." "Bei Sue Ann gibt es fantastische gegrillte Sandwiches. Dein Gewissen - und deine Arterien - werden es mir danken." Marina nahm seinen Arm und zog ihn aus dem Zimmer. "Guten Appetit", rief sie fröhlich, während ihr Mann sich sehnsüchtig nach der fettdurchtränkten Tüte umsah. Zwei Minuten später hatten die Mitglieder des Heiratspakts das Essen auf dem großen Tisch im Konferenzsaal ausgepackt. Charli reichte Plastikteller und Servietten herum, während Raven eine Flasche Wasser öffnete. "Ist Kirk bereit, das neue Semester zu beginnen?" fragte Raven Sunny. "Ja." Sunny nahm sich etwas Kichererbsenpaste und brach sich ein Stück Spinatpita ab. "Er wird Physik unterrichten, wie ihr wisst. Er freut sich schon darauf." "Also läuft es noch gut zwischen euch?" fragte Raven. Sunny lächelte. "Sogar noch besser als auf der High School damals." Raven drückte Sunnys Hand. "Ich freue mich für dich."
Amanda nahm sich einen Heischspieß. "Und der Sex? Ist der auch besser als früher?" "Amanda!" sagte Raven strafend. Sunny lachte. "Kirk hat es auch gefragt beim ersten Mal. Ich kann nicht klagen." "Wie lange seid ihr jetzt zusammen?" fuhr Amanda fort. "Hat er dir schon gesagt, dass er dich liebt?" "Das geht dich nichts an, Amanda", sagte Raven. "Sunny, darauf brauchst du nicht zu antworten." "Es macht mir nichts aus." Sunny stocherte in ihrem Essen. "Gesagt hat er es noch nicht." Sie blickte nacheinander ihre Freundinnen an. "Aber ich weiß, dass es so ist. Ich meine, ich fühle es einfach." "Und worauf wartet er, glaubst du?" Sunny atmete tief ein. "Ich bin mir nicht sicher. Manchmal habe ich das Gefühl, dass irgendetwas ihn belastet." Charli gab Joghurtsauce auf ihr Gyros. "Hast du ihn danach gefragt?" "Ein, zwei Mal." Sunny zuckte mit den Schultern. "Aber er will nicht darüberreden." "Er hat erst kürzlich seine Frau verloren", gab Amanda zu bedenken. "Vielleicht ist es das. Er braucht Zeit, darüber hinwegzukommen." "Ja, das wäre möglich", räumte Sunny ein. "Und ich bin ja auch bereit, ihm Zeit zu lassen. Ich habe es nicht eilig." Ungläubiges Gelächter folgte dieser Feststellung. Amanda sagte: "Sunny, du hattest es schon eilig mit dem Heiraten, als du achtzehn warst!" "Okay, okay", erwiderte Sunny. "Ich meinte nur, wenn Kirk ein bisschen länger braucht, um sich über alles klar zu werden, kann ich warten." "Aber warte nicht zu lange", warf Charli mit einem mutwilligen Lächeln ein.
"Genau." Amanda tupfte sich den Mund ab. "Denn die biologische Uhr tickt weiter…" Sunny grinste. "Es ist schwer zu glauben, dass mein Traum sich jetzt nach all der Zeit doch noch erfüllen soll." Sie schüttelte den Kopf. "Nächstes Jahr um diese Zeit bin ich vielleicht diejenige, die Umstandskleider trägt und Babysachen kauft!"
7. KAPITEL Sunny murmelte: "Bist du hungrig?" Sie lag in Kirks Armen, zwischen den zerdrückten Laken ihres Betts, und hörte ihn jetzt leise lachen. "Soll das ein Scherz sein? Ich komme um vor Hunger!" Er war gegen sechs zum Abendessen zu Sunny gekommen. Inzwischen war es fast acht, und die Schwertfischsteaks lagen unangetastet im Kühlschrank. Der Tisch war halb gedeckt, der Salat halb fertig und Sunny absolut zufrieden. "Es ist nicht meine Schuld, dass das Essen noch nicht auf den Tisch gekommen ist." Sie rekelte sich genüsslich. "Jemand hat mich abgelenkt." Kirks ganz spezielle Art der Ablenkung hatte eine Spur von Kleidern von der Küche bis zu Sunnys Schlafzimmer hinterlassen. Kirks Magen knurrte, was Sunny dazu veranlasste, ihm einen spielerischen Klaps zu geben. "Ich mache dir einen Vorschlag", sagte er. "Du grillst den Fisch, und ich kümmere mich um den Salat und alles andere." "Einverstanden." Als Sunny das Licht einschaltete, fiel ihr Blick auf die angebrochene Kondompackung auf dem Nachttisch. "Ach, übrigens wollte ich dir noch sagen, dass ich mir einen Termin bei meinem Arzt habe geben lassen. Ich werde mir die Pille verschreiben lassen." Sie stieg aus dem Bett und zog ihren Morgenmantel über. Als Kirk nichts erwiderte,
schaute sie sich zu ihm um. Er hatte sich im Bett aufgesetzt und sah verärgert aus. "Keine Widerrede." Sie band den Gürtel zu. "Ich weiß, dass du nicht gern Kondome benutzt, und die Pille ist zuverlässiger. Und sie ist auch unbedenklicher als früher - die Hormondosierung ist viel niedriger." Er starrte die Familienfotos an der Wand an, aber etwas an seinem nach innen gerichteten Blick verriet Sunny, dass er sie nicht wahr nahm. Ein kalter Schauer rieselte ihr über den Rücken. Langsam ließ sie sich auf der Bettkante nieder. Kirk richtete den Blick auf sie. "Das kann ich nicht zulassen", sagte er leise. Eine böse Vorahnung beschlich Sunny. "Dass ich die Pille nehme? Wieso nic ht?" "Ich hätte es dir schon früher sagen sollen, statt dich in dem Glauben zu lassen .:." Sunny folgte seinem Blick zu den Kondomen. "Kirk, was immer es auch ist, so schlimm kann es nicht…" "Ich habe eine Vasektomie vornehmen lassen." Seine Worte trafen Sunny wie ein Faustschlag in den Magen. "Was?" "Elf Monate, nachdem Ian geboren wurde. Linda und ich hatten beschlossen, ein Kind sei genug. Ich konnte ja nicht wissen…" Sunnys Puls raste. Wie ein Roboter drehte sie sich zu dem aufgerissenen Päckchen auf dem Nachttisch um. Ihre Stimme war nur noch ein raues Flüstern. "Du hast mich getäuscht." "Sunny, ich liebe dich." Sie presste die Finger an die Schläfen, als wollte sie diese drei Worte, auf die sie wochenlang gewartet hatte, aus ihrem Bewusstsein auslösche n. "Bitte hör mir zu", bat er. "Ich hatte meine Gründe…"
Er berührte ihren Arm, und sie fuhr zurück und stand unsicher auf. "Was für Gründe könnten so etwas rechtfertigen?" Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Du bedeutest mir sehr viel." Sein gequälter Blick bat um Verständnis. "Ich wusste schon sehr früh - sobald wir wieder begonnen hatten, miteinander auszugehen - dass wir zusammengehören." "Das ist der Grund, warum… warum du mich belogen hast?" Egal, wie er es auch drehte und wendete, es war eine Lüge! Zugegeben, er hatte nie behauptet, sie könne von ihm schwanger werden, aber er hatte sie in der Annahme bestärkt, es wäre möglich. Er sah ihr in die Augen. "Liebst du mich?" Sie hob abwehrend die Hände. "Antworte, Sunny. Liebst du mich?" "Ich… ich dachte es. Aber jetzt…" Sie presste die Finger an den Mund und unterdrückte ein Schluchzen. "Verdammt, Kirk. Ja, ich habe dich geliebt. Und ich vertraute dir!" Er schloss für einen Moment die Augen. "Das ist es doch, was Liebe ist", rief sie. "Vertrauen! Ich hätte nie gedacht, dass du mich so täuschen würdest." "Ich habe dich nicht getäuscht." "Wie würdest du es nennen? Du hast mir vorgemacht, wir hätten eine Zukunft. Du hast mir meinen Traum gelassen und mich noch darin bestärkt!" "Verstehst du nicht? Deswegen konnte ich es dir nicht sagen. Weil ich deinen Traum kannte und wusste, wie sehr du dir Kinder wünschst." Er erhob sich. Sie wich vor ihm zurück. "Es ist ein schöner Traum", sagte er leise. "Und er ist ein Teil von dir. Wenn ich dir die Kinder geben könnte, die du dir so wünschst, wenn ich dir deinen Traum erfüllen könnte… ach, Liebling, glaub mir, ich würde es auf der Stelle tun. Ich hätte dich schon längst gebeten, mich zu heiraten, wenn…"
"Wenn du nicht so beschäftigt damit gewesen wärst, mich zu beschwatze n!" Kirks Gesichtszüge verhärteten sich. "Beantworte mir nur eine Frage. Wenn du Anfang Juli, als wir uns wieder sahen, gewusst hättest, dass ich keine Kinder zeugen kann, hättest du dich dann überhaupt auf eine Beziehung mit mir eingelassen? Hättest du dich dann in mich verliebt?" Sunnys Lippen zuckten. "Wenigstens wäre es meine eigene Entscheidung gewesen. Die Entscheidung hättest du mir nicht abnehmen dürfen." "Vielleicht hast du Recht. Aber ich habe es getan, weil ich dich brauche." Bittend breitete er die Arme aus. "Ich brauche dich, Sunny. Ich will nicht mehr ohne dich leben. Ich dachte, dass du, bis du es herausfinden würdest, genauso viel für mich empfinden würdest und wir irgendwie gemeinsam damit fertig würden." Sie schlang die Arme um den Oberkörper. "Du hast versucht, dir einen Vorsprung zu verschaffen. Einen unfairen Vorteil mir gegenüber." "Was hättest du an meiner Stelle denn getan?" "Ich hätte nicht dein Vertrauen missbraucht." "Ich wollte dir nicht wehtun. Bitte glaub mir das." Sunny atmete tief ein. "Ich möchte, dass du jetzt gehst, Kirk." Nach kurzem Schweigen sagte er: "Wir müssen ausführlicher darüber sprechen." "Nicht jetzt. Ich… ich kann es nicht." "Na gut, nicht jetzt, aber ich denke nicht daran, dich aufzugeben, Sunny." Sie raffte ihren Morgenrock über der Brust zusammen. "Ich kann nicht mehr mit dir schlafen", erklärte sie, "wenn es keine gemeinsame Zukunft für uns gibt." Ein Muskel zuckte an seiner Wange. "Soll das heißen, es ist aus?"
Sunny umklammerte ihren Morgenrock so fest, dass ihre Finger schmerzten. Sie wollte sagen, ja, es ist vorbei. Sie wollte Kirk so tief verwunden, wie er sie verwundet hatte. Aber wollte sie ihn wirklich für immer aus ihrem Leben vertreiben? Tatsache war, dass dies eine weitere Entscheidung war, die ihr bereits abgenommen worden war. Sie hatte geschworen, die Regeln des Heiratspaktes zu befolgen, die verlangten, dass sie der Beziehung eine dreimonatige Chance einräumte, vorausgesetzt, dass Kirk nicht vorher Schluss machte. Das bedeutete fünf weitere Wochen mit ihm. "Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Jetzt noch nicht." Kirks Schultern entspannten sich. "Also gut. Ich schätze, das ist immerhin schon etwas." Er hob seinen Slip vom Boden auf, zog ihn an und griff nach seinen Jeans. "Ich gehe jetzt, Sunny. Aber in ein paar Tagen, wenn du Zeit gehabt hast, über meine Beweggründe nachzudenken, besprechen wir das alles noch einmal."
8. KAPITEL "Was meinst du, Ian?" fragte Grant Sterling. "Bauen wir es richtig auf?" Der Junge, der auf einem kleinen Teppich auf der anderen Seite des halb fertigen Kellers saß, schaute von seiner Spielzeugwerkbank auf und betrachtete das neu errichtete Gerüst. Dann nickte er. "Ja." "Puh." Hunter Radley, der Rigipsplatten ausmaß, sah Kirk grinsend an. "Ich hatte schon Angst, wir müssten es wieder abreißen und von vorn beginnen." Die Kellerfenster standen alle offen. Es war ein so heißer Septembertag, dass die drei Männer ihre Hemden ausgezogen und den kleinen Ian aufgefordert hatten, es ihnen nachzutun. Er arbeitete auf der anderen Seite des Raums, mit Sandalen und mit roten Shorts bekleidet. Kirk befestigte die letzte Strebe am Gerüst. "Möchtest du noch einen Saft, Ian?" "Ja." "Du darfst jetzt herüberkommen und dir das Gerüst ansehen." Kirk hatte Ian eigentlich bei seinen Großeltem lassen wollen, während er mit Grants und Hunters Hilfe eine neue Wand im Keller einzog, um seinem Sohn ein Spielzimmer dort einzurichten. Ian hatte jedoch darauf bestanden, dass er bleiben wollte, um zu "helfen".
Als Kirk Ian jetzt aufhob, merkte er, dass der Kleine eine neue Windel brauchte. Außerdem war es Zeit für seinen Mittagsschlaf. Nachdem er seinen Sohn versorgt hatte, stellte er das Babyphon an und nahm den Empfänger mit in den Keller hinunter, zusammen mit drei Flaschen kaltem Bier. Grant und Hunter diskutieren gerade darüber, wie oft Rigipsplatten vor dem Schneiden abgemessen werden sollten. "Lieber zwei Mal messen und nur einmal schneiden, als umgekehrt", meinte Hunter. Grant nahm dankend eine Flasche Bier. "Das klingt nach schlechten Erfahrungen, Hunter. Ich dachte, du hättest in einem Apartment gewohnt, bevor du Raven geheiratet hast." Sorgfältig markierte Hunter die Platte, die er gerade abmaß. "Das Gebäude, in dem das ,Stitches' liegt, ist über achtzig Jahre alt", sagte er und bezog sich auf den Comedy-Club, den er seit zwei Jahren führte. "Ich habe finanziell noch immer hart zu kämpfen. Wenn ich für jede Kleinigkeit einen Handwerker bestellen würde, käme ich nie aus den roten Zahlen heraus." "Apropos rot", sagte Kirk, und die anderen sahen ihn an. "Ian möchte, dass die Wände rot gestrichen werden. Und ich bin der Meinung, dass man Kinder gewisse Dinge ruhig selbst entscheiden lassen sollte. Es ist schließlich sein Spielzimmer, nicht?" "Klar", meinte Hunter. Grinsend begann er, ein Lied aus dem Broadwaymusical zu summen, das er, Raven, Sunny und Kirk sich am Abend zuvor angesehen hatten. "Das nächste Mal, wenn wir zu viert ausgehen, bestimme ich, wohin wir gehen. Dieses Musical war ziemlich schrecklich." "Die Tortur wäre dir erspart geblieben, wenn zwischen Sunny und mir alles in Ordnung wäre." Kirk sah an den Gesichtern seiner Freunde, dass sie von seinen Problemen mit Sunny schon gehört hatten. Drei Tage waren vergangen, seit sie von seiner Vasektomie erfahren hatte. Sie musste mit ihren Freundinnen darüber gesprochen haben, und sie hatten es ihren Ehemännern
erzählt. "Sie weigert sich, sich mit mir allein zu treffen", fuhr er fort. "Es muss zu viert sein oder gar nicht. Ich weiß nicht, wie wir reden und die Dinge in Ordnung bringen sollen, wenn wir nie allein sind." "Sunny wirkte gestern Abend wirklich etwas distanziert", stellte Hunter fest. "Vielleicht braucht sie noch ein bisschen Zeit, um sich damit abzufinden." "Wenigstens hat sie nicht mit mir Schluss gemacht", erwiderte Kirk. "Nicht offiziell zumindest." Ein gespanntes Schweigen folgte, als Grant und Hunter sich der Aufgabe des Plattenabmessens widmeten. Kirk hatte das ungute Gefühl, dass sie erheblich mehr wussten als er. Aber das war natürlich Unsinn. "Sunny wollte nicht einmal ins Haus kommen, um Ian zu begrüßen, als ihr drei mich gestern Abend abgeholt habt. Habt ihr das gemerkt?" fragte Kirk. "Ja", gab Hunter zurück. "Das ist mir aufgefallen." "Ich weiß, warum sie im Wagen geblieben ist." Kirk ging in die Hocke, um die letzten Schrauben anzuziehen. "Sie will nicht, dass der Junge sich zu sehr an sie gewöhnt. Und für mich heißt das, sie weiß, dass unsere Beziehung keine Zukunft hat. Wahrscheinlich müsste ich ihr sogar dankbar sein", fügte er bitter hinzu. "Das Wohl meines Sohnes scheint ihr sehr am Herzen zu liegen." "Sie verstehen sich sehr gut, nicht wahr?" fragte Grant. "Sunny und Ian, meine ich." Kirk nickte. "Von Anfang an. Sunny kann gut mit Kindern umgehen. Sie hat einen ausgeprägten Mutter…" Seine Stimme brach. Hunter und Grant taten so, als merkten sie es nicht. "Ich habe sie enttäuscht", erklärte Kirk. "Sei nicht so streng mit dir." Hunter lehnte sich an den Pfosten am Fuß der Kellertreppe, nahm sein rotes Stirnband ab und wischte sich die schweißbedeckte Brust ab.
"Ich möchte wirklich nicht zu melodramatisch klingen", sagte Kirk, "aber die Wahrheit ist, dass Sunny mir die Freude am Leben zurückgegeben hat. Sie hat mir ihre uneingeschränkte Zuneigung geschenkt, und ich habe es ihr mit Unglück und Enttäuschung vergolten. Aus gerechnet das, was sie sich am meisten wünscht auf dieser Welt, kann ich ihr bedauerlicherweise nicht mehr geben." Grant sagte: "Kirk, niemand kann in die Zukunft schauen. Ich kenne dich erst seit zwei Monaten, aber das genügt mir, um zu wissen, dass du nicht unbedacht und auch nicht verantwortungslos bist. Ich denke, dass du dir das mit der Vasektomie sehr lange und sehr gründlich überlegt hast." Er spreizte die Hände. "Wie hättest du auch wissen sollen, was geschehen würde? Hör also auf, dir deswegen Vorwürfe zu machen." Kirk setzte sich auf die Treppe. "Ich möchte Sunny heiraten. Aber ich glaube nicht, dass das noch möglich ist." "Lässt sich eine Vasektomie nicht rückgängig machen?" fragte Grant. "Der Arzt, der meine durchgeführt hat, sprach davon, aber ehrlich gesagt, habe ich kaum darauf geachtet. Ich weiß allerdings noch, dass er gesagt hat, eine Operation, die das Ganze rückgängig macht, sei nicht immer erfolgreich." Hunter steckte sein Halstuch in die Hosentasche. "Aber wäre es nicht wenigstens einen Versuch wert?" "Wenn es derart offensichtlich ist, dass Sunny uns schon aufgegeben hat? Was soll ich ihr denn sagen? Dass eine Chance besteht, die Vasektomie rückgängig zu machen? Dass ich dann vielleicht wieder Kinder zeugen kann? Aber was ist, wenn ich mich operieren lasse und es klappt nicht? Nein, um einen so bedeutsamen Schritt auch nur in Erwägung zu ziehen, müsste ich schon wissen, dass sie hundertprozentig hinter mir steht. Und das ist leider nicht der Fall." Kirk starrte auf die Bierflasche in seiner Hand. "Gerade als mein Leben endlich wieder
Aufschwung nahm… als ich endlich wieder glaubte, es im Griff zu haben…" "Eins verstehe ich nicht", warf Hunter ein. "Du und Sunny, ihr habt doch Ian. Und hast du nicht gesagt, sie versteht sich sehr gut mit ihm?" "Sie liebt ihn. Und er vergöttert sie. Aber für sie ist es wahrscheinlich nicht das Gleiche, wie ein eigenes Kind zu haben." "Ihr könntet ein Kind adoptieren." "Ich glaube nicht, dass sie so etwas in Betracht ziehen würde", erwiderte Kirk unglücklich. "Es ist nicht das, worauf sie ihr Leben lang gewartet hat." "Ich weiß nicht", sagte Grant. "Falls sich herausstellen sollte, dass ich keine Kinder zeugen kann, würde ich mich natürlich lausig fühlen, aber als Scheidungsanwalt kann ich dir nur sagen, Kirk, dass der Mann und die Frau die Basis einer Ehe bilden. Es ist die Stärke ihrer Bindung, die ihre Ehe gelingen oder scheitern lässt. Sieh dir doch nur all die Paare an, die der Kinder wegen zusammenbleiben. Es endet für alle unglücklich, wenn kein starkes Fundament vorhanden ist, auf das sich die Familie stützen kann. Das ist, als richtete man Zwischenwände ohne das hier auf." Er klopfte auf das Holzgerüst, das sie gerade bauten. "Da kann ich dir nur zustimmen", sagte Hunter. "Bring die richtigen Partner zusammen, und gemeinsam werden sie praktisch jede Hürde überwinden." "Ich dachte, Sunny sei die ideale Partnerin für mich. Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass wir vor einer Hürde stehen, die durch nichts zu überwinden ist." Kirk blickte Hunter an. "Du hast Recht, sie war gestern ziemlich reserviert. Ich verstehe nicht, wieso sie sich überhaupt noch mit mir trifft." Er seufzte. "Ich werde sie gehen lassen - es wird wohl das Beste sein, die ganze Sache zu beenden."
Hunter und Grant wechselten einen Blick, den Kirk nicht deuten konnte. "Ich würde mir das gut überlegen. Du solltest nicht zu schnell aufgeben", meinte Grant. "Was für einen Sinn hätte es, es noch länger aufzuschieben? Es ist doch offensichtlich, dass es für Sunny sowieso schon vorbei ist." Hunter trank nachdenklich sein Bier. "Ich glaube, ich kann gut nachempfinden, was du durchmachst, Kirk. Ich weiß, wie es ist, wenn man sich fühlt, als hätte man nicht die geringste Kontrolle mehr über sein Leben." Trocken fügte er hinzu: "Den Verlobungsring zu sehen, den dein Bruder für die Frau gekauft hat, die du liebst, bewirkt so etwas. Es hat eine Zeit gegeben, da sah es ganz so aus, als würde Raven meine Schwägerin werden, und ich konnte nichts dagegen tun. Es hat mich beinahe wahnsinnig gemacht. Und wenn du dich noch mieser als der letzte Abschaum fühlen willst, dann versuch mal, mit der Frau zu schlafen, die die Verlobte deines Bruders ist." "Aber bei dir und Raven hat doch alles gut geendet", wandte Kirk ein. "Beinahe nicht. Ich hatte ein so schlechtes Gewissen dabei, Brent zu hintergehen, dass ich schließlich einfach abgehauen bin. Ich bin nach Vermont gefahren und habe niemandem erzählt, wohin ich wollte. Ich dachte, ich sei zu Hause sowieso nur im Weg und würde Brent und Raven nur alles verderben." Kirk schüttelte den Kopf. "Anstatt zu bleiben und um die Frau zu kämpfen, die du liebst, hast du die Flucht ergriffen? Du hättest um sie kämpfen sollen." "Wie du es tust?" Kirk, der die Bierflasche gerade hob, hielt in der Bewegung inne. "Das ist nicht dasselbe. Außerdem habe ich nicht die Absicht zu verschwinden. Hier bin ich, und hier bleibe ich. Und wenn es mir auch überhaupt nichts nützt." "Mit dieser Einstellung gewinnst du sie ganz sicher nicht zurück", bemerkte Grant.
Kirk fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. "Sunny weiß, was ich für sie empfinde. Was könnte ich denn sonst noch tun?" "Du meinst, außer tatenlos herumzusitzen, während sie sich langsam davon überzeugt, sie käme besser ohne dich zurecht?" versetzte Grant. "Und sie Tag für Tag in ihrem eigenen Saft schmoren zu lassen?" fügte Hunter hinzu. "Ich kann Sunny nicht zwingen, mich zu lieben", knurrte Kirk. Grant lachte. "Diese Frau liebt dich schon zwölf Jahre, du Idiot!" Kirk legte den Kopf in seine Hände. "Manchmal ist Liebe nicht genug." Er blickte auf. "Wieso liegt euch eigentlich so viel daran, dass ich mit Sunny zusammenbleibe? Was verschweigt ihr mir?" Die unschuldigen Mienen seiner Freunde konnten Kirk nicht täuschen, aber es war offensichtlich, dass, egal, was sie auch wissen mochten, er es heute nicht erfahren würde. Außerdem hatten sie Recht. Er würde Sunny nicht zurückgewinnen, wenn er hier herumsaß und sich selbst bemitleidete. Er stand auf. "Kommt, lasst uns den Rest der Wand hochziehen."
9. KAPITEL Von ihrem bequemen Platz in einem Gartenstuhl beobachtete Sunny, wie die Tür des Hauses von Charlis Eltern aufging. Sie sah Charli durch die Fliegengittertür kommen, mit einem Tablett, das mit Würstchen, Brötchen, rohen Hamburgern, Senf, Ketchup, Mixed Pickles und Sauerkraut beladen war. Sunny wartete, dass sie bemerkte, was Amanda mit Charlis Großmutter machte. "Ich hoffe, ich habe genug…" Charli brach erschrocken ab. Zwei Tüten Brötchen rutschten vom Tablett aufs Gras. "Was tust du da mit Nonni?" "Pst!" Amanda tunkte den kleinen Pinsel in das Nagellackfläschchen. "Du weckst sie auf." Amanda hatte die Picknickbank vor den gepolsterten Gartenstuhl geschoben, in dem Charlis Großmutter mit zurückgelegtem Kopf schlief und dabei leise schnarchte. Die gut gepolsterte dreiundneunzigjährige Patriarchin der Familie Rossi war wie üblich ganz in Schwarz gekleidet und trug ihr eisengraues Haar zu einem strengen Knoten frisiert. Amanda bepinselte Mrs. Rossis kurze Fingernägel mit einem Lack in einem auffallenden Korallenrot. Amanda begann gerade mit der anderen Hand, als Mrs. Rossi im Schlaf etwas in Italienisch murmelte. Charli stellte das Tablett auf den Picknicktisch und lief zu Amanda. "Das kannst du doch nicht tun!"
Amanda ignorierte ihre Freundin. "Übersetz mal. Hat sie einen erotischen Traum?" Charlis Augen verengten sich bedrohlich. "Nonni sagte: ,Wenn ich aufwache, hole ich meinen guten Freund, Dominic Giacopetti, genannt der ,Zahnarzt', damit er eine kleine Operation an diesem nichtsnutzigen Flittchen vornimmt, das mich anmalt wie…" "Wie ein nichtsnutziges Flittchen. Ich weiß." Amanda beugte sich über Mrs. Rossis plumpe Finger, die auf der Armlehne ihres Sessels ruhten. "Kennt sie wirklich solche Typen?" Sunny hob die Hand, um ihre Augen vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen, und grinste. "Wie gern möchtest du das wissen?" "Du verstehst nicht!" zischte Charli. "Nonni benutzt keine Kosmetik. Sie wird einen Herzanfall erleiden, wenn sie das hier sieht!" Sie fuhr zu Sunny und Raven herum, die sich in aller Seelenruhe sonnten. "Wie konntet ihr das zulassen?" Raven lachte. "Wer hätte es je geschafft, Amanda von irgendetwas abzubringen?" "Diese Farbe!" stöhnte Charli und ließ sich auf die Bank neben Amanda fallen. "Was gefällt dir daran nicht?" Amanda legte den Kopf schief und betrachtete ihr Werk zufrieden. "Ich finde, sie sieht sehr hübsch aus an Nonni." "Wäre es zu viel verlangt zu hoffen, dass du auch Nagellackentferner mitgebracht hast?" "Warum sollte ich Nagellackentferner mit mir herumschleppen?" "Na wunderbar. Im Haus werden wir keinen finden, da bin ich mir ganz sicher." Charli starrte ihre Freundin böse an. "Als Nonni damals wegen ihrer Herzoperation im Krankenhaus lag, habe ich sie gefragt, ob ich ihr mit farblosem Lack die Nägel lackieren sollte. Ich dachte, es würde sie freuen, ein bisschen verwöhnt zu werden. Wisst ihr, was sie sagte?"
Amanda beugte sich vor, um den Nagel des kleinen Fingers zu lackieren. "Sie sagte: ,Pack das durchsichtige Zeug wieder ein, ich will Dragonlady-Aufklebnägel!" "Ja, von wegen. Nonni blickte mich stirnrunzelnd an und sagte, sie habe in ihrem ganzen Leben noch keinen Nagellack getragen und werde jetzt nicht damit beginnen." Charli deutete auf die leuchtend roten Nägel ihrer Großmutter. "Und sieh dir an, was du getan hast! Der Schock wird sie ins Krankenhaus zurückbringen!" "Ich glaube nicht, dass deine Großmutter so schwach ist, Charli", meinte Raven. Wie Sunny und Raven kannte auch Amanda Mrs. Rossi schon seit ihrem fünften Lebensjahr. Während ihrer Schulzeit und auch später als Erwachsene hatten die Mädchen sehr viel Zeit in Charlis Elternhaus und mit Charlis Großmutter verbracht, die sie alle immer wie Familienmitglieder behandelt hatte. Als lebenslange Vertraute der vier Freundinnen war Mrs. Rossi außer Hunter und Grant die Einzige, die von dem Heiratspakt wusste, den die Mädchen im letzten Jahr auf der High School geschlossen hatten. Trotz des hin und wieder rauen Umgangstons zwischen Mrs. Rossi und der offenherzigen, zweifach geschiedenen Amanda wusste Sunny, dass Mrs. Rossi sie genauso gern hatte wie die anderen. Amanda steckte das Nagellackfläschchen in ihre Handtasche, die vor ihren Füßen lag. Sie blies leicht auf die Fingernägel der alten Dame, worauf diese sich im Schlaf bewegte. Charli fasste sich erschrocken an die Brust. Sunny erhob sich und ging zum Grill hinüber. "Ich glaube, die Holzkohle ist so weit." Während sie würzige italienische Würstchen und Hamburger auf den Grill legte, fragte sie: "Kann eine von euch schon mal den Tisch decken?" "Ich bin bereits dabei", sagte Raven und begann Pappteller abzuzählen.
Charlis Großmutter schnaubte laut und vernehmlich und bewegte sich in ihrem Sessel. Alle beobachteten sie gespannt. Sunny wusste, sie war nicht die Einzige, die den Atem anhielt. Mrs. Rossi öffnete die Augen und blinzelte im hellen Sonnenlicht. Sich umsehend, nahm sie die vier jungen Frauen wahr, die sie anstarrten. "Hm… das riecht gut. Dieser Metzger in Lynbrook macht die beste salciccia. Deliziosa!" Eine Mücke streifte ihr Gesicht, und geistesabwesend schlug sie nach ihr. Ein komisches kleine s Geräusch entfuhr Charli. Ihre Großmutter hingegen schien die kosmetische Behandlung, die sie während ihres Schlafs erhalten hatte, gar nicht zu bemerken. "Nonni…" Charli lächelte verlegen. "Du kennst Amandas Scherze ja. Sie hat etwas ziemlich Dummes…" "Sie sollte sich besser nicht so dumm anstellen, wenn sie an der Reihe ist mit einem Ehemann!" entgegnete Mrs. Rossi mit ihrem ausgeprägten italienischen Akzent. Sunny versuchte, nicht den korallenrot lackierten Nagel des Fingers anzustarren, mit dem sie auf Amanda zeigte. "Due divorzi! E un disonore!" "Ich glaube, das hatten wir alles schon einmal besprochen", entgegnete Amanda gelangweilt. "Die Ehe ist nichts für mich." An ihre Freundinnen gewandt, fügte sie hinzu: "Ich spiele jedenfalls nicht mit, wenn ihr versucht, mich zu verkuppeln. Also spart euch die Mühe." "Aber wir waren uns doch einig!" sagte Charli. "Damals, als wir noch dumme kleine Teenager ohne Lebenserfahrung waren." Amanda kramte in ihrer Tasche und zog eine Designer-Sonnenbrille heraus. "Wenn ich eins gelernt habe bei meinen beiden Ehen, dann, dass ich keinen Ehering am Finger brauche, um Erfüllung zu finden. Ein Ring kann sogar ausgesprochen störend dabei sein." Amandas Feststellung schmerzte Sunny, da sie das genaue Gegenteil der Philosophie war, der sie folgte. Amanda war eine erfolgreiche Geschäftsfrau und Herausgeberin eines beliebten Kindermagazins. Sie hatte Journalismus studiert und schon fünf
Jahre nach Abschluss ihres Studiums mit einem minimalen Etat ihre eigene Zeitschrift herausgegeben. Ihr Beruf verschaffte ihr eine enorme Befriedigung. Im Vergleich zu ihr kam Sunny sich wie eine Niete vor - die "ewige Versagerin", wie sie sich Kirk gegenüber einmal beschrieben hatte. Im Lauf der Jahre hatte Sunny mit dem Gedanken gespielt, an einem einheimischen College weiterbildende Kurse zu belegen, nicht unbedingt, um einen akademischen Grad zu erwerben, sondern mehr zu ihrer persönlichen Befriedigung und um etwas über Themen zu lernen, die sie interessierten. Sie hatte sich beispielsweise immer sehr für Long Islands Geschichte interessiert. Und für Archäologie. Einer ihrer Stammgäste im Wafflemania hatte ihr von einem Programm der Garrison University erzählt, das Laien die Möglichkeit bot, an Ausgrabungen in Nationalparks teilzunehmen. Die Idee, einer solchen Beschäftigung nachzugehen, hatte Sunnys Fantasie beflügelt, aber sie hatte sich nie für die Art Person gehalten, die so etwas tatsächlich tat. Sie war schließlich nur eine HighSchool-Abgängerin, die in einem miesen Job ausharrte, bis sie ihr eigentliches Ziel erreicht hatte - einen Ehemann zu finden und eine Familie zu gründen. Das war der Platz, den sie sich selbst zugewiesen hatte, doch sie musste zugeben, dass diese Nische im Lauf der Jahre zunehmend enger geworden war. Es war kein Raum darin für intellektuelle Neugier oder geistige Herausforderungen. Und warum eigentlich nicht? Auch wenn ihre Erfahrung mit Kirk ihr vielleicht nichts Wertvolleres gebracht hatte, hatte er sie doch immerhin gezwungen zuzugeben, dass ihr Ziel - Ehe und Kinder - nicht unvereinbar mit anderen Interessen war. Sie konnte und sollte beides haben. Morgen würde sie gleich bei der Universität anrufen und sich eine Broschüre über weiterbildende Kurse schicken lassen. Mit etwas Glück konnte sie sich dann vielleicht sogar noch für das Herbstsemester anmelden.
"Wie weit bist du, kleiner Vogel?" fragte Mrs. Rossi und sprach Raven mit dem Kosenamen an, den sie ihr schon als Kind gegeben hatte. "Im dritten Monat? Aber man sieht noch gar nichts! Wo versteckst du das bambino?" Raven legte die Hände auf die Taille und strich über ihren sanft gerundeten Bauch. "Da, Mrs. Rossi. Und es wird täglich größer." "Du musst anständig essen. Diese modernen Ärzte lassen die Mamas nicht genug Gewicht zunehmen. Ridicolo! Was wissen die denn schon?" Während dieser Tirade gestikulierte Mrs. Rossi heftig, und die korallenroten Fingernägel blitzten in der Sonne auf. Sunnys ertrug es nicht mehr. Sie musste ihren Blick abwenden. Raven schwanger zu sehen, war eine eigenartige Erfahrung für Sunny. Einerseits freute sie sich für ihre Freundin, dass sie einen guten Mann gefunden hatte und schon bald ihr erstes Kind bekommen würde. Andererseits führte Ravens Schwangerschaft ihr nur allzu deutlich vor Augen, was in ihrem eigenen Leben alles schief gelaufen war. Sie sah ihre Freundinnen an. "Ich muss aufhören, mich mit Kirk zu treffen." Sunny brauchte den Grund dafür nicht mehr zu erwähnen. Sie alle wussten, was sie vor drei Tagen über ihn herausgefunden hatte. "Mir ist klar, dass ich eigentlich drei Monate durchhalten musste, aber das könnt ihr nicht von mir verlangen, so wie die Dinge jetzt stehen." "Ich bin nicht der Meinung, dass sich dadurch etwas ändert", wandte Charli ein. "Du glaubst, das ändert nichts?" Sunny wendete mit übertriebenem Eifer die Hamburger um. "Ich habe mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen auf die Beziehung eingelassen! Kirk hat mich getäuscht! Und das setzt die Absprache ganz automatisch außer Kraft." "Zeig mir das im Buch der Regeln", verlangte Amanda.
"Es gibt kein Buch der Re geln", entgegnete Sunny. Amanda zuckte mit den Schultern. "Eigentlich ist es ganz egal, dass Kirk dir nicht die Wahrheit gesagt hat", erklärte Raven. "Er ist der Mann, den wir für dich ausgesucht haben, und deshalb wirst du dich auf jeden Fall drei Monate lang mit ihm treffen müssen." "Es sei denn, er hätte mit dir Schluss gemacht", warf Amanda ein. "Hat er das?" "Nein. Noch nicht." Charli sagte: "Und es wäre unfair, ihn dazu zu bringen, es zu tun." "Noch eine dieser praktischen Regeln, auf die wir uns nie geeinigt hatten?" warf Amanda ein. "Was?" Charli wandte sich zu Amanda um. "Du bist dafür, ihr die Möglichkeit zu geben, Kirk nicht mehr zu sehen?" "Ich doch nicht." Amanda hob beschwichtigend die Hände. "Von mir aus könnt ihr so viele Regeln aufstellen, wie ihr wollt." Raven sagte: "Wie ihr wisst, war ich die Erste, die versucht hat, sich zu drücken. Als Brent meine fehlende Bereitschaft, mit ihm zu schlafen, zum Vorwand nahm, mich zu betrügen." "Und ich habe dich damals unterstützt!" rief Sunny. "Ich sagte, da du eine Beziehung mit Hunter hattest, sei es nicht nötig, dass du dich noch länger mit seinem Bruder verabredetest." "Tatsächlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Beziehung mit Hunter", sagte Raven. "Sein ausgeprägter Familiensinn ließ das nicht zu. Was ich damit sagen wollte, war, dass ihr mich damals nicht aus dem Pakt entlassen habt. Ihr wusstet, dass die Dinge ihren Lauf nehmen müssen. Und dass sich zum Schluss alles zum Guten wenden würde." "Nicht ich", widersprach Amanda. "Ich hatte mir gleich gedacht, dass es ein aussichtsloses Unternehmen war."
Raven wandte sich Amanda zu. "Weißt du, du brauchst wirklich nicht immer alles auszusprechen, was dir durch den Kopf geht!" "Oh, schon gut, dann werde ich mich eben beherrschen", entgegnete Amanda ungerührt, brach dann aber in schallendes Gelächter über die Absurdität dieses Gedankens aus. Charli blickte auf die Hände ihrer Großmutter. "Nonni, ich möchte dir etwas sagen, damit es gleich kein allzu großer Schock für dich ist." "Ich weiß." Die alte Dame winkte ab. "Du und Grant, ihr versucht, ein bambino zu machen." Charli starrte sie mit großen Augen an. "Woher weißt du das? Hat Grant es dir gesagt?" "Niemand braucht Luisa Rossi so etwas zu sagen." Sie zeigte auf ihre Augen. "Sie sieht, wie ihr euch anseht, du und Grant, wenn ihr bei deinen kleinen Nichten seid. Glaubst du, die dreiundneunzigjährige Nonni wüsste diese Blicke nicht zu deuten?" Charli seufzte. "Ich wollte noch nicht offiziell verkünden, dass wir es versuchen, falls es eine Weile dauern sollte. Oder für den Fall, dass überhaupt nichts daraus wird." Mrs. Rossi lachte. "Wenn ich keine Arthritis hätte, würde ich schon Babysachen stricken." Während sie es sagte, rieb sie ihre knotigen Fingerknöchel. Sunny dachte, nun müsse sie Amandas Werk doch endlich sehen, aber wieder merkte sie nichts, als sie zu ihrer Enkelin sagte: "Nächstes Jahr um diese Zeit wirst du dein eigenes bambino in den Armen halten. Ich hoffe nur, dass ich dann noch da bin und es sehe." Niemand erwiderte etwas auf diese letzte Bemerkung. Mrs. Rossi beklagte ihren unmittelbar bevorstehenden Tod schon, seit Sunny und die anderen auf der Welt waren, und würde es bestimmt noch viele Jahre tun. "Sieh mal, Sunny", sagte Raven, "wir alle wissen, dass die Geschichte mit Kirk ein schrecklicher Schock für dich ist, aber
denk einmal darüber nach, was du aufgeben würdest, wenn du mit ihm Schluss machst. In jeder anderen Hinsicht ist er doch perfekt für dich." "Was hätte es für einen Sinn, das Unvermeidliche noch länger aufzuschieben?" Sunny wendete die aromatischen italienischen Würstchen auf dem Grill. "Aus dieser Beziehung kann doch sowieso nie etwas werden." "Raven hat Recht", erklärte Charli. "Du solltest dir die Zeit nehmen, dir über alles klar zu werden. Du solltest in Ruhe darüber nachdenken, statt aus einem Impuls heraus…" "Impuls?" Sunny gestikulierte entrüstet mit dem Grillbesteck. "Ihr kennt mich praktisch schon mein ganzes Leben lang. Was ist das Einzige, was ich mir je gewünscht habe? Das Einzige, was ich je wirklich wollte? Das hat doch wirklich nichts mit impulsiv zu tun!" Charli sah gequält aus. "Das meinte ich nicht. Ich…" "Ist das vielleicht zu viel verlangt?" Sunnys Stimme war schrill geworden; Tränen des Ärgers und der Frustration schimmerten in ihren Augen. "Eine eigene Familie. Kinder! Ich beneide dich, Raven. Ich bin neidisch auf das, was du hast, und möchte so etwas nicht fühlen." Ihre Stimme brach. "Ich habe dich sehr gern, Raven, das weißt du. Ich bin wirklich froh für dich und Hunter. Ich bin nur…" "Ich weiß, Liebes." Raven ging zu Sunny und umarmte sie. "Ich weiß." Nach einem Moment trat sie zurück und sah sie an. "Es gibt andere Wege." Sunny wischte eine Träne ab und atmete tief ein. "Adoption ist nichts für mich." "Hast du wirklich schon einmal darüber nachgedacht?" fragte Amanda. "Ich meine, was ich höre, klingt wie eine automatische Reaktion. Ein adoptiertes Kind wäre doch genauso sehr dein eigenes wie…" "Das weiß ich", unterbrach Sunny sie. "Und nein, ich habe noch nie richtig darüber nachgedacht, weil ich immer wusste,
was ich wollte. Ein Kind zu adoptieren, passt ganz einfach nicht in mein Konzept." Die anderen wechselten einen Blick. Charli sagte: "Vielleicht solltest du in diesem Punkt ein bisschen toleranter sein und deine Einstellung ändern, statt einen netten, anständigen Mann aufzugeben, der dich liebt." Wie sollte Sunny es ihren Freundinnen begreiflich machen? Wenn ihr lebenslanger Traum sich nie erfüllte, wäre ihr Leben bis zum heutigen Zeitpunkt pure Verschwendung gewesen. All die Jahre, in denen sie ihren Verstand auf Eis gelegt und sich im Wafflemania abgeschuftet hatte - all das wäre umsonst gewesen. Sunny glaubte nicht, dass sie das ertragen würde. Als sie die Hamburger auf eine Platte gab und dann die Brötchen auf den Grill legte, sagte sie: "Wisst ihr, egal, was ihr anderen euch je zum Ziel gesetzt habt, ihr habt alles getan, um es zu erreichen, und das ist euch auch gelungen. Ihr habt alle Karriere gemacht. Ihr habt eure Ansprüche und Erwartungen nicht heruntergeschraubt. Warum sollte ich es tun?" Mrs. Rossi erhob nun das Wort. "Wie wäre es mit einer Samenbank?" Die vier jungen Frauen starrten sie an. "Ich habe es in Dateline gesehen. Das Sperma kommt von einem Medizinstudenten, einem netten Jungen aus einer guten famiglia. Die Mama bringt das Kind zur Welt, nicht wie bei einer Adoption. Es ist ein guter…" Auf der Suche nach dem richtigen Wort schwenkte sie die Hand vor dem Gesicht, aber auch jetzt sah sie den Lack auf ihren Nägeln nicht. "Compromesso." "Kompromiss", übersetzte Charli. "Ja. Es ist ein guter Kompromiss", bekräftigte die alte Dame. "Tu das, Sunny." Was Mrs. Rossi anging, war das Thema damit offenbar erledigt und das Problem gelöst. "Ich bin Ihnen dankbar für den Vorschlag", sagte Sunny, "aber es ist nicht das Gleiche. Für mich ist ein Kind die
ultimative Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau ein Teil von mir, ein Teil von dem Mann, den ich liebe." Mit leiser Stimme fügte sie hinzu: "Wahrscheinlich bin ich einfach nicht bereit, Kompromisse zu schließen in einer Frage, die so wichtig für mich ist." Leise sagte Raven: "Ihr habt Ian." Etwas krampfte sich in Sunnys Brust zusammen. "Ian ist ein wunderbares Kind. Ihr wisst, wie gern ich ihn habe." "Und er liebt dich auch", gab Charli zu bedenken. "Das ist für niemanden zu übersehen. " Sunny mochte gar nicht daran denken, wie sehr sie Kirks Sohn schon ins Herz geschlossen hatte. Er hatte seine Mutter verloren, und nun würde er auch sie verlieren. Das Beste, was sie für Ian tun konnte, war, sich von ihm fern zu halten. Damit er sie vergessen konnte. Mrs. Rossi nahm wie üblich kein Blatt vor den Mund. "Der Junge braucht eine Mutter." "Darum geht es nicht. Ich bin nicht verantwortlich für ihn", erklärte Sunny und bemühte sich, ihrer Stimme Überzeugung zu verleihen. In diesem Augenblick hasste sie ihre Freundinnen, die sie zwangen, so etwas auszusprechen oder es auch nur zu denken. "Wenn Kirk bloß eine Ersatzmutter für seinen Sohn will, hat er sich die falsche Frau ausgesucht." "Ist es das denn, was er will?" fragte Raven. Sunny konnte ihre Freundinnen nicht belügen. "Nein. Ich glaube, er wäre sicher froh, wenn Ian wieder eine Mutter hätte, aber darum geht es ihm bei der Beziehung nicht. Er will mich um meiner selbst willen." Amanda nahm ihre Sonnenbrille ab und sah ihr in die Augen, und für einen flüchtigen Augenblick sah Sunny die Verwundbarkeit, die ihre Freundin stets so gut verborgen hielt und die das Vermächtnis zweier katastrophaler Ehen war. "Weißt du überhaupt, was für ein Glück du hast?"
"Muss Glück so schrecklich wehtun?" Sunny sah die anderen Frauen nacheinander an. "Wollt ihr mich wirklich zwingen, diese Qual noch weitere fünf Wochen zu ertragen?" Raven sagte: "Ich bin sicher, dass Kirk genauso leidet, Sunny. Wenn wir nicht der absoluten Überzeugung wären, dass ihr einander braucht, wäre es anders." "Also werdet ihr mich nicht verschonen", murmelte Sunny. "Du redest, als steckten wir dir Bambussplitter unter die Fingernägel", stellte Amanda fest. "Wir halten nur an der Absprache fest, die du freiwillig mit uns getroffen hast." "Ha!" Mrs. Rossi zeigte mit dem Finger auf Amanda. "Du warst damit auch einverstanden. Also sag jetzt nicht, du willst keinen Ehemann." Amanda lächelte gleichmütig. "Was sagen Sie zu Ihrer Maniküre, Mrs. Rossi?" Sunnys Herz setzte einen Schlag aus, als Charlis Großmutter ihre Finger spreizte, und betrachtete. In ihrem Ausdruck veränderte sich aber nichts. "Ich denke, ich werde mit der Zeit Geschmack daran finden." "Nonni!" Charli starrte ihre Großmutter verdattert an. "Du hattest es bemerkt?" "Glaubst du, ich könnte bei all diesem Gequassel schlafen? Ich habe sofort gemerkt, was die da tat", sagte sie und nickte in Amandas Richtung. "Nun, wo Sie den Schock überwunden haben…", Amanda sah grinsend in die Runde, "… wie finden Sie die Farbe?" Die alte Frau betrachtete noch einmal ihre Nägel. "Hm. Was für Farben hast du sonst noch?" "Ich glaube es nicht", murmelte Charli. "Du hast mir nicht einmal erlaubt, dir die Nägel farblos zu lackieren, Nonni!" Sunny lächelte. "Ich glaube, dein Fehler war zu fragen, Charli." Amanda griff in ihre Handtasche und legte eine bunte Auswahl von Fläschchen auf Mrs. Rossis Schoß. "Sehen Sie
sich die Farben an, während ich diese hier entferne." Sie nahm eine Flasche Nagellackentferner und einen Wattebausch heraus. "Wie finden Sie das Purpur rot?" "Du!" Charli errötete vor Empörung. "Du hast gesagt, du hättest keinen Nagellackentferner!" "Nein, hat sie nicht", korrigierte Mrs. Rossi, während sie sich die Fläschchen anschaute. "Sie sagte: ,Warum sollte ich Nagellackentferner mit mir herumschleppen?' Was sind Dragonlady-Aufklebnägel, Amanda?" "Nächstes Mal bringe ich welche mit."
10. KAPITEL Kirk verließ das Universitätsgebäude, bog vom Gehweg ab und ging quer über den Rasen auf die Zentralbibliothek zu. Jetzt, wo das Herbstsemester begonnen hatte, war der Campus ein Ort des Lärms und der Betriebsamkeit, mit Unmengen von Studenten, die zwischen Hörsälen und Labors, Schlafsälen und Speisesälen, der Studentenvereinigung und den verschiedenen Bibliotheken hin und her eilten. Es war später Nachmittag, der Tag war warm, aber bedeckt, und es roch nach Regen. Kirk hatte Bedenken gehabt, seinen Dozentenposten an der angesehenen Stanford University aufzugeben, um hier in Garrison zu unterrichten. Schließlich konnte Garrison sich nie die Art von Schenkungen oder Stiftungen erhoffen, wie sie größeren Universitäten zuteil wurden. Dennoch bemühte Garrison sich, die besten Studenten zu gewinnen, die brillanten jungen Köpfe, die in Scharen zu Eliteuniversitäten und bekannteren Forschungsinstituten strömten - Studenten, wie Kirk einst selbst einer gewesen war. Aber was Garrison an finanziellen Mitteln und Prestige fehlte, machte es in anderer Hinsicht wieder wett. Die Hörsäle waren klein; die Erstsemester wurden von Dozenten statt von Doktoranden unterrichtet und hatten ausreichend Gelegenheit, sich mit wissenschaftlicher Forschungsarbeit zu beschäftigen. Einige aufregende innovative Projekte wurden ganz im Stillen hinter diesen ehrwürdigen alten Backsteinmauern durchgeführt.
Und obwohl die Universitätsleitung die Namen der Fakultätsmitglieder nicht ungern in den wissenschaftlichen Journalen sah, legte sie doch mehr Gewicht aufs Unterrichten denn auf mögliche Veröffentlichungen. Kirks Büro lag den Hörsälen, in denen er lehrte, direkt gegenüber; seine Studenten hatten jederzeit Zugang zu ihm. Alles in allem begann sich diese große Veränderung als eine der besten Entscheidungen zu erweisen, die Kirk je getroffen hatte. Seine Gedanken wurden durch einen Blick auf langes kastanienbraunes Haar am Rande seines Blickfelds unterbrochen. Sofort dachte er an Sunny, obwohl er überzeugt war, sich geirrt zu haben. Es war bestimmt irgendein Mädchen mit ähnlichem Haar; es konnte gar nicht anders sein. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er zu der entfernten Gruppe von Studenten hinüber, verlor das Mädchen aus den Augen und schüttelte den Kopf über seine eigene Dummheit. Die Gruppe der Studenten zerstreute sich, und da war sie seine Sunny! Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie an, als sie mit raschen Schritten in die Richtung ging, aus der er gerade kam. Sie trug ein T-Shirt mit fernöstlichen Motiven, weite Jeansshorts und einen Lederrucksack über einer Schulter. "Sunny!" Sie hörte ihn nicht. Er begann auf sie zuzulaufen, formte die Hände vor dem Mund zu einem Trichter und schrie: "Sunny!" Sie ging langsamer, sah sich um und entdeckte Kirk, der rasch zu ihr hinüberkam. Er wusste, dass er grinste wie ein Idiot, aber er konnte nichts dagegen tun. Er hatte sie seit letzten Samstag nicht mehr gesehen, seit einer weiteren dieser ermüdenden Verabredungen zu viert, auf denen Sunny neuerdings bestand, um jedem sinnvollen Gespräch mit ihm von vornherein aus dem Weg zu gehen. Er und Sunny waren nicht mehr allein gewesen, seit er ihr vor zwei Wochen von seiner Vasektomie erzählt hatte.
"Du hättest mich beinahe verpasst", sagte er. "Meine letzte Vorlesung ist gerade zu Ende. Es gibt ein kleines Bistro dort drüben - komm mit, ich lade dich zu einem Capuccino und einem Stück Käsekuchen ein." Eine Hand um ihre Taille legend, drängte er sie, mitzukommen, aber sie blieb wie angewurzelt stehen. "Kirk, ich bin nicht hierher gekommen, um dich zu sehen." Es war im ersten Moment fast so, als spräche sie eine fremde Sprache. Was konnte Sunny Bleecker auf dem Campus zu tun haben, was nicht ihn betraf? Seine verblüffte Miene entging ihr nicht. Ihre Züge verhärteten sich ein wenig, und Kirk kam der Gedanke, dass er sie irgendwie gekränkt haben musste. "Ich habe mich für einen Kursus eingeschrieben", erklärte sie. "Es gibt da so ein archäologisches Projekt, wo man mithelfen kann, ein Dorf der amerikanischen Ureinwohner auszugraben." "Ich habe davon gehört." Kirk war noch immer fassungslos, aber er nahm sich rasch zusammen. "Wer leitet das Projekt?" "Monica Goldfarb." "Ich kenne sie noch nicht, aber ich habe schon viel Positives über sie gehört." Sunny blickte sich nach ihrem Zielort um - der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, die gleich neben dem Physikgebäude lag - und schien es eilig zu haben, ihren Weg fortzusetzen. "Ich muss noch Material abho len, und Dr. Goldfarbs Assistentin will mich treffen, um mich auf den letzten Stand zu bringen. Eigentlich ist es nämlich ein Sommerkurs, aber da die Ausgrabungen noch ein paar Wochen laufen und einige Leute aufhören mussten, haben sie mich so spät noch zugelassen." "Das ist ja großartig. Ich wusste gar nicht, dass du dich für so was interessierst." "Ich interessiere mich für viele Dinge."
"Nun, ja, natürlich tust du das. Ich schätze, ich war bloß überrascht, dass du… na ja, du weißt schon." Sie lächelte humorlos. "Dass ich meinen Horizont erweitern will?" "Nein. Das wollte ich damit nicht sagen." "Ich habe erfahren, dass ich auch Vorlesungen hören kann. Ohne irgendeinen Abschluss selbstverständlich. Ich habe vor, das mit einigen Geschichtskursen zu tun, falls es zeitlich passt. Ich musste meine Arbeitszeit für das Archäologieprojekt schon ändern. Mike hat es mir ziemlich schwer gemacht", sagte sie und sprach von ihrem Chef im Wafflemania, "aber mit dem werde ich schon fertig. Nach zwölf Jahren als seine zuverlässigste Kellnerin habe ich doch wohl ein Recht auf Konzessionen." "Du wirst also aufs College gehen." "Nun ja, gewissermaßen." "Vielleicht möchtest du eines Tages doch einen Abschluss machen. Das kannst du sehr gut nebenbei tun. Du brauchst deinen Job nicht dafür aufzugeben." "Ich denke, ich werde zunächst mal sehen, wie in diesem Semester klappt", sagte Sunny, aber er konnte sehen, dass die Idee ihr auch schon gekommen war. Diese Unterhaltung ist typisch für unsere Beziehung in den letzten beiden Wochen, dachte Kirk - höflich, freundlich, aber weit entfernt von jener warmen, herzlichen Vertrautheit, die uns einst verband. Es war, als hätten sie sich nie geliebt, als hätten sie nie zusammen im Bett gelegen und die halbe Nacht lang über ihre geheimsten Ängste und Wünsche miteinander diskutiert. Sie hätten zwei flüchtige Bekannte sein können. Kirk konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob dies die Beziehung war, die freundschaftlich geschiedene Ehepaare zueinander unterhielten. Während der verschiedenen Verabredungen, die sie gehabt hatten, seit Sunny sein Geheimnis kannte, hatte Kirk ihre Entscheidung, nicht über das Platonische hinauszugehen,
respektiert - nicht, dass sie zu irgendetwas anderem Gelegenheit gehabt hätten, da sie schließlich immer in Gesellschaft Dritter waren. Er war in jeder Hinsicht frustriert. Er hatte gehofft, sie habe inzwischen nachgedacht und eingesehen, dass ihre Beziehung ihr zu viel bedeutete, um sie so einfach aufzugeben. Er hatte sein Möglichstes getan, um sie dahin gehend zu beeinflussen, doch da sie es bewusst vermied, mit ihm allein zu sein, und nicht einmal länger als ein oder zwei Minuten mit ihm telefonieren wollte, hatte er mit seinen Bemühungen bisher nicht viel erreicht. "Ich begleite dich", schlug er rasch vor. "Oh, das ist nicht nötig. Ich…" "Was glaubst du denn, was ich dir hier, mit all den Leuten um uns herum, tun könnte?" Verärgert setzte er sich in Bewegung, schaute sich aber noch einmal nach ihr um und sah, dass sie resigniert das Gesicht verzog, während sie ihm widerstrebend folgte. Nach einer Weile sagte er: "Ian hat nach dir gefragt." Sie schaute auf, und in dem flüchtigen Moment, bevor sie sich wieder abwandte, sah er den Schmerz in ihren Augen, den sie nicht verbergen konnte. "Ich weiß, dass du ihn gern hast", fügte er hinzu. "Natürlich habe ich Ian gern." Sunnys erzwungene Ruhe konnte Kirk nicht täuschen. "Er ist verwirrt. Er fragt nach dir, und ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll." Kirk überlegte, ob Sunny bewusst war, wie sehr ihr Gesicht den inneren Kampf, den sie mit sich ausfocht, widerspiegelte. "Sag ihm…" Sie brach ab und seufzte. "Du brauchst ihm nichts zu sagen. Er wird mich früh genug vergessen." Kirk blieb abrupt stehen. Sunny ging jedoch weiter. "Warum, Sunny?"
Sie hielt und blieb mit dem Rücken zu ihm stehen. Nach einer Weile drehte sie sich um, und die Leere in ihren Augen verriet Kirk mehr, als er wissen wollte. Langsam, damit die Studenten, die an ihnen vorübergingen, nichts von ihrem Gespräch mitbekamen, näherte er sich Sunny. "Du willst also Schluss machen. Ich spüre, dass du das willst. Worauf wartest du dann noch? Warum hältst du mich hin und lässt mich hoffen?" "Es ist… Ich kann nicht einfach Schluss mit dir machen." "So unentschlossen kenne ich dich gar nicht", entgegnete er. Sie betrachtete das Gras vor ihren Füßen. "Ich kann es dir nicht erklären." "Nun, was auch immer diesen Schwebezustand verursacht haben mag, in dem wir uns befinden, ich scheine jedenfalls der Einzige zu sein, der nicht in das Geheimnis eingeweiht ist." Abrupt hob sie den Kopf. "Wie meinst du das?" "Es ist fast so, als gäbe es eine Art Geheimbund, der mehr über unsere Beziehung weiß als ich. Oder dachtest du, ich sei zu dumm, um die seltsamen Signale zu deuten, die ich empfange? Grant und Hunter scheinen sehr bestrebt zu sein, mich davon abzuhalten, mich von dir zu trennen." Sunnys Augen weiteten sich; Kirk hatte nicht gewusst, dass sie derart verwundbar aussehen konnte. "Du wolltest Schluss machen?" "Wenn es derart offensichtlich ist, dass du nur pro forma mit mir ausgehst? Sag jetzt nur nicht, du wärst überrascht." Nach kurzem Schweigen sagte sie: "Nein, wahrscheinlich nicht." Er blickte sich zu den Scharen von Studenten auf dem Campus um. "Lass uns irgendwo in Ruhe weiterreden." Sunny schüttelte den Kopf. Kirk packte sie am Arm und schob sie auf das Gebäude zu, in dem sich sein Büro befand. "Warum bist du so fest entschlossen, nicht mit mir allein zu sein? Fürchtest du dich davor, dass du es dir anders überlegen
könntest? Hast du Angst, dir dann vielleicht eingestehen zu müssen, wie viel wir einander bedeuten?" Sie versuchte sich loszureißen, als sie durch den Eingang des Physikgebäudes gingen. Aber Kirk gab ihren Arm nicht frei. Sie sagte: "Ich muss Dr. Goldfarbs Assistentin treffen…" "Die kann warten. Es wird nicht lange dauern. Aber da ist etwas, was wir besprechen müssen." Sunnys bestürzter Ausdruck war beinah komisch. Das Letzte, was sie wollte, war ein ernsthaftes Gespräch mit Kirk - das war ihr deutlich anzusehen. Sie wollte alles vermeiden, was es ihr erschweren würde, Distanz zu ihm zu wahren. "Wo willst du hin?" fragte sie, als er mit ihr die Treppe in den dritten Stock hinaufging. Er antwortete nicht, bis sie in dem großen Raum waren, in dem er Thermodynamik unterrichtete. Seine Anmerkungen standen noch auf der Tafe l hinter dem Labortisch und den Reihen von Tischen und Stühlen, an denen seine Studenten saßen. Er deutete auf den nächsten Stuhl. "Setz dich." Sunny blieb stehen und verschränkte ihre Arme. "Ich bin keine schüchterne kleine Studienanfängerin, Professor La rsen, also sag schon, was du mir zu sagen hast." "Ich überlege, ob ich die Vasektomie rückgängig machen lassen soll." Sekundenlang starrte sie ihn schweigend an, dann ließ sie sich auf den ihr angebotenen Stuhl sinken. Kirk setzte sich neben sie, sagte aber nichts, sondern ließ ihr Zeit, um seine Worte in sich aufnehmen. Er sah, wie Hoffnung in ihrem Gesicht erschien. Er hörte es auch in ihrer Stimme, als sie sagte: "Ich wüsste gar nicht, dass das möglich ist." "Es ist eine heikle mikrochirurgische Operatio n. Sie dauert etwa drei Stunden, sagte der Arzt, mit dem ich gesprochen habe - sehr viel länger, als die Vasektomie gedauert hat. Aber das Problem ist, dass die Operation nicht immer erfolgreich ist."
Laute Stimmen erklangen auf dem Korridor, als eine Gruppe Studenten an dem Raum vorbeikam. Kirk stand auf und schloss die Tür, bevor er sich wieder neben Sunny setzte. Sie sah ihn an. "Wie sind die Erfolgsaussichten? Hat er das gesagt?" "Ziemlich gut in meinem Fall, weil es erst zehn Monate her ist. Offenbar wird es umso schwieriger, die Vasektomie rückgängig zu machen, je mehr Zeit bis zu der Operation vergeht." Sunny biss sich auf die Lippe. "Also wird es höchstwahrscheinlich klappen, aber sicher ist es nicht." "Richtig. Und ich muss dir sagen, Sunny, dass diese Operation sehr teuer ist. Sie würde um die viertausend Dollar kosten." "Das ist eine Menge Geld." "Und meine Krankenversicherung bezahlt sie nicht. Ich müsste einen Kredit aufnehmen. Ich habe meine gesamten Ersparnisse in den Umzug und das Haus gesteckt und bin, wie man so schön sagt, pleite." "Aber falls die Operation erfolgreich ist…" "Wenn sie erfolgreich ist, dann ist sie jeden Penny wert. Ich bin bereit, mich zu verschulden und die ganze Sache durchzustehen, obwohl ich weiß, dass es vielleicht nichts nützen wird, aber ich brauche etwas von dir, bevor ich mich dazu entschließe." Sie wartete, dass er fortfuhr. Kirk nahm Sunnys Hand. "Ich muss wissen, dass wir das gemeinsam schaffen. Dass du zu mir stehst, egal, wie das Ergebnis ist." Impulsiv versuchte sie, die Hand zurückzuziehen. Er hielt sie fest. "Sunny, sieh mich an." Sie tat es. "Ich weiß, wie wichtig das für dich ist", sagte er leise. "Mutter zu werden, meine ich."
"Ich weiß, dass du es weißt. Deshalb hast du…" Ihre Züge waren angespannt vor Qua l. "Deshalb habe ich dich in dem Glauben gelassen, ich könnte Kinder zeugen. Das war falsch von mir. Ich hätte es nicht tun sollen. Der Grund, warum ich es getan habe… Sunny, ich hatte solche Angst, dich zu verlieren." Mit einem schiefen Lächeln fügte er hinzu: "Irgendetwas sagt mir, dass ich nicht der erste Mann bin, der etwas Dummes getan hat, weil er hoffnungslos verliebt war." Sunny atmete tief durch. "Ich wünschte, wir könnten sicher sein, dass diese Operation gelingen wird." "Bitte hör mir zu", sagte er. "Bei dieser Sache geht es vor allem um dich und mich. Ein Kind mit dir zu haben, wäre wunderbar, das streite ich nicht ab. Aber selbst wenn es nicht sein soll, können wir ein wundervolles Leben miteinander haben." Sie schloss für einen Moment die Augen, als sammelte sie Kraft zum Widerstand. "Ein wundervolles Leben ist für mich…" "Ich weiß, eine eigene Familie zu haben. Einen Mann, der dich liebt, und eine Schar von Kindern, die so aussehen wie du und er." Sie war überrascht, dass er es so treffend formulierte, das sah er. Offenbar erstaunte es sie, wie gut er sie verstand. "Manchmal", sagte er, "legt das Schicksal uns Steine in den Weg, und wir müssen unsere Pläne ändern." "Charli hat so etwas Ähnliches gesagt", murmelte sie. "Nimm mich zum Beispiel. Ich hatte in Kalifornien das Leben, das ich mir immer schon gewünscht hatte. Ich hatte einen großartigen Dozentenjob in Stanford, und alles war perfekt, genauso, wie ich es geplant hatte. Dann verlor ich Linda, und für mich brach eine Welt zusammen. Ich wusste, ich brauchte einen radikalen Wechsel - und ich wusste auch, dass Ian mehr brauchte, als ich ihm in Stanford geben konnte - und deshalb brach ich meine Zelte ab und kam mit ihm hierher. Ich
hatte schreckliche Angst, dass ich vielleicht den größten Fehler meines Lebens machte, aber es zeigte sich, dass es genau das war, was wir beide brauchten." Er warf ihr einen viel sagenden Blick zu. "Für mich genauso wie für meinen Sohn. Ich hätte dich nicht wieder gesehen, wenn ich in Kalifornien geblieben wäre." "Du kannst unsere Erfahrungen nicht vergleichen", wandte Sunny ein. "Du tust noch immer, was dir Freude macht - an einem College unterrichten - du tust es nur an einem anderen Ort. Niemand hat dich gebeten, neu zu definieren, was dich glücklich macht. Niemand hat dich aufgefordert, die Physik aufzugeben und fortan englische Literatur zu unterrichten. Oder für irgendeine Firma wissenschaftliche Studien zu betreiben, statt zu unterrichten. Das Einzige, was sich für dich geändert hat, ist die Umgebung." "Ich bitte dich doch nur, Alternativen in Betracht zu ziehen." "Allmählich hasse ich dieses Wort", murmelte sie. "Ich will nichts mehr hören von Alternativen wie Adoption oder künstliche Befruchtung." Er konnte nicht umhin, zu lächeln. "Raven, Charli und Amanda haben dir gute Ratschläge gegeben, nicht?" "Sie und Mrs. Rossi." "Charlis Mutter?" "Ihre Großmutter. Sie war diejenige, die mir den Vorschlag machte, zu einer Samenbank zu gehen." Kirk kannte Charlis Großmutter. Er versuchte, sich die Unterhaltung vorzustellen, aber es gelang ihm nicht. "Ich bin bereit, jeden Weg zu gehen, mit dem du einverstanden ist", sagte er. "Falls du deine Meinung änderst und es mit Adoption versuchen willst - oder was auch immer. Solange wir nur zusammen sind." "Ich glaube nicht, dass ich meine Meinung ändern werde." "Nun, dann bleibt uns immer noch die Operation." Es widerstrebte ihr, ihn anzusehen.
"Ich meinte, was ich vorhin sagte", fuhr er fort. "Bevor ich diesen Schritt tue - bevor ich mich zu einer heiklen, kostspieligen Prozedur, die möglicherweise völlig nutzlos ist, auf den Operationstisch lege - muss ich wissen, dass unsere Zukunft nicht davon abhängt, ob wir zusammen Kinder haben können." Er sah, wie sie mit ihren Emotionen rang. Je länger er auf eine Antwort wartete, desto mehr fühlte er seine Hoffnung schwinden. Sunny blickte auf ihre verschränkten Hände, und erst da bemerkte er, wie fest er ihre Hände drückte. Er ließ sie los. "Ich wünschte, ich könnte es dir versprechen", sagte sie, den Blick noch immer auf den Schoß gerichtet. "Aber das kann ich nicht." Ein bedrückendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, das nur von den gedämpften Geräuschen im Gebäude unterbrochen wurde. Kirks Kehle wurde eng. "Brauchst du mehr Zeit? Um darüber nachzudenken?" Stumm schüttelte sie den Kopf, griff dann abrupt nach ihrer Tasche und stand auf. Ihre Stimme war rau vor ungeweinten Tränen. "Ich muss gehen." Bevor er etwas entgegnen konnte, war sie fort. Sunny stand in der offenen Tür ihres Apartments. Es war kurz nach elf Uhr abends. Kirk hatte gerade von unten aus der Halle angerufen und ihr Studium der archäologischen Aufzeichnungen, die Dr. Goldfarbs Assistentin ihr heute Nachmittag gegeben hatte, unterbrochen. Sunny band den Gürtel ihres rot und weiß gestreiften Morgenrocks fester zu. Sie starrte zu den Aufzügen hinüber, als sie ein knirschendes Geräusch hörte und hinter ihr die Tür zur Feuertreppe aufging. Als sie herumfuhr, sah sie Kirk, der bis auf die Haut durchnässt war. Das Gewitter, das sich den ganzen Tag schon angekündigt hatte, hatte am frühen Abend begonnen und immer noch nicht
aufgehört. Kirk war die vier Treppen hinaufgestiegen, weil er offenbar zu ungeduldig war, um auf den Lift zu warten. "Kirk, ist etwas nicht in Ordnung?" fragte sie, als er zu ihr an die Wohnungstür trat. "Wir müssen miteinander reden", sagte er. "Wir haben heute Nachmittag geredet. Ich habe dir gesagt, ich kann dir nichts…" "Ich weiß, was du gesagt hast. Es wird nicht lange dauern." Sunny schluckte. Etwas an seiner Stimme und dem harten Zug um seinen Mund flößte ihr starkes Unbehagen ein. "Was?" "Nicht hier draußen." "Kirk, ich bitte dich, es ist schon spät. Ich… ich wollte gerade ins Bett gehen", log sie. "Du sagtest, es würde nicht lange dauern, also sag mir einfach…" Er drängte sich an ihr vorbei in das Apartment und blieb in der Diele stehen. Er war so durchnässt, dass das Wasser auf ihren Teppichboden tropfte. Sunny schloss die Eingangstür. "Was ist so wichtig, dass es…" "Es ist vorbei, Sunny." Etwas krampfte sich in ihrer Brust zusammen. Sie hätte damit rechnen müssen, hatte es auch schon erwartet, aber jetzt, wo es geschah… Sie versuchte sich zu zwingen, etwas zu erwidern, aber sie brachte kein Wort über die Lippen. Kirk wischte sich mit der Hand über das Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durch das nasse Haar. "Du weißt, dass es nicht das ist, was ich will", fuhr er fort, "aber was ich will, scheint ja leider überhaupt keine Rolle zu spielen." Sie bemühte sich, ruhig durchzuatmen und Haltung zu bewahren. "Es ist auch nicht, was ich…" Sie beendete den Satz nicht. Wie konnte sie ihm sagen, es sei auch nicht das, was sie wollte, wenn ihr Verhalten in den letzten beiden Wochen das genaue Gegenteil besagte? Wäre die Dreimonatsregel des
Heiratspaktes nicht gewesen, hätte sie mit Kirk schon in der Nacht gebrochen, in der sie die Wahrheit erfahren hatte. "Ich kann nicht mehr." Kirk breitete die Arme aus. "Ich will nicht länger Gefühle in eine Beziehung investieren, die es nicht mehr gibt. Ich habe mir nur etwas vorgemacht." "Natürlich haben wir eine Beziehung, Kirk." Er betrachtete sie prüfend. Was sah er? Sie wandte den Blick ab. "Wirklich?" fragte er. "Du hast Barrikaden um dich errichtet, Sunny. Nichts, was ich tue, dringt noch zu dir durch. Ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich dir nicht gleich die Wahrheit gesagt habe. Ich habe versucht, dir Zeit zu lassen. Zeit, den Schock zu überwinden und damit fertig zu werden. Zeit, zu begreifen, was du wegwirfst." Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, weil ihre Beine zu sehr zitterten, um sie zu tragen. Sie wisperte: "Es ist komplizierter, als du ahnst." Ein wehmütiger Ausdruck huschte über sein Gesicht. "Ja, das glaube ich allmählich auch." Donner grollte in der Ferne. Momente später zuckten Blitze am .nächtlichen Himmel auf. Sie sagte: "Das wollte ich nic ht, Kirk." "Ich weiß, was du wolltest. Du wolltest die Traumfamilie, auf die du schon als Teenager fixiert warst. Du wolltest, dass alles hübsch in dein Schema passte." "Hör auf." "Aber so ist das Leben nicht. Es teilt auch Schläge aus, und die musst du entweder zu kontern wissen, oder dir bleibt nichts." Sunnys Kinn zitterte. "Ich verlange doch wirklich nichts Besonderes. Ich möchte nur, was für alle anderen selbstverständlich ist." "Alle anderen? Weißt du nicht, dass ein beträchtlicher Prozentsatz verheir ateter Paare Fertilitätsprobleme hat? Hast du
denn gar nichts mitbekommen von all dem Aufruhr über künstliche Befruchtung, Leihmütter und…" "Du redest, als wäre es selbstsüchtig von mir, dass ich…" Schluchzend unterbrach sie sich. "Sunny." Kirk versuchte, sie in die Arme zu nehmen, aber sie versteifte sich und entzog sich ihm. Er seufzte. "Sunny, ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, dass es mich innerlich zerreißt. Wenn es in meiner Macht stünde, dir alles zu geben, was dein Herz begehrt - ein Haus voller Kinder, den Mond oder die Sterne - würde ich es freudig tun. Aber ich bin nur ein Mensch. Ich habe Entscheidungen getroffen. Entscheidungen, die ich mir gründlich überlegt hatte und damals auch für richtig hielt. Ich mag zwar keine Kinder zeugen können, aber ich kann dir ein Leben voller Liebe schenken dauerhafter, ungeteilter, bedingungsloser Liebe, Sunny." Er öffnete die Tür und drehte sich dann noch einmal zu ihr um. "Falls du zu dem Schluss kommen solltest, dass dir das reicht, weißt du ja, wo du mich finden kannst."
11. KAPITEL "Sunny, gut, dass du zu Hause bist. Gib mir bitte Kirk." Die Anruferin nannte ihren Namen nicht, aber Sunny hatte die Stimme schon erkannt. Es war Kirks Mutter. "Marianne, er ist nicht hier. Was ist denn?" "Er ist nicht da? Aber er sagte… Eine Sekunde, Schatz, Grandma versucht nur, Daddy zu finden." Marianne sprach offenbar mit Ian. Sunny hörte ihn nach seinem Vater jammern. Marianne schien ihn in ihrem freiem Arm zu halten. Etwas in Ians Stimme beunruhigte Sunny. Der Kleine klang verängstigt und gequält. "Sunny, er muss bei dir sein. Er sagte, er wäre in der Stadt verabredet. Ich habe bei dir angerufen, um eine Nachricht auf deinem Anrufbeantworter zu hinterlassen, weil ich dachte, du würdest ihn vielleicht später abhören. Dann hätte Kirk zurückrufen können." "Marianne, ich habe Kirk seit Mittwoch nicht gesehen." Seit jener Gewittemacht, in der er mit ihr Schluss gemacht hatte wovon er seinen Eltern offenbar noch nichts erzählt hatte. Das war erst vor drei Tagen gewesen, und schon ging er mit jemand anderem aus. Sunny verschob diesen deprimierenden Gedanken jedoch auf später und zwang sich, sich auf den Grund für Mariannes verzweifelten Anruf zu konzentrieren - Ian. "Er ist nicht bei dir?" fragte Marianne. "Mit wem ist er dann…" Sie verstummte abrupt.
Sunny wartete einen Augenblick. "Wir haben uns getrennt." "Oh, das wusste ich nicht. Er hat mir nichts gesagt." "Nun…" Sunny seufzte. Was sollte sie dazu sagen? "Was ist mit Ian?" Er weinte immer heftiger. "Ich weiß es nicht. Ich mache mir solche Sorgen." Marianne wandte sich an Ian. "Ja, Liebling, dein Daddy wird bald nach Hause kommen, es ist alles gut, mein Schatz." Zu Sunny sagte sie: "Es ist etwas mit seinem Arm. Er hält ihn fest und hat ganz offensichtlich Schmerzen." "Warte." Sunny bezwang ihre zunehmende Unruhe; es würde Ian keine große Hilfe sein, wenn auch sie in Panik geriet. Sie zermarterte sich das Hirn. Was waren Anzeichen für eine ernsthafte Verletzung? "Ist der Arm geschwollen?" "Nein. Er sieht normal aus. Aber der Kleine hält ihn, als hätte er Schmerzen. Es kann natürlich auch die Schulter sein, oder das Handgelenk. Ich kann es nicht genau sagen, so wie er ihn hält…" "Ist der Arm verfärbt?" Das schnurlose Telefon ans Ohr gepresst, begann Sunny unruhig durch ihr Schlafzimmer zu laufen. "Verfärbt? Nein. Das war das Erste, wonach ich gesehen habe." "Wenn er nicht geschwollen oder verfärbt ist, ist er wahrscheinlich nicht gebrochen, denke ich. Wie lange klagt Ian schon über Schmerzen?" "Etwa zwanzig Minuten. Oh, es ist alles meine Schuld! Ich hatte ihn an der Hand. Wir waren in der Bibliothek gewesen - er spielt gern mit den Puzzles dort und sieht sich gern die Bilderbücher an. Jedenfalls war er schon irgendwie komisch, als wir zurückkamen und die Verandastufen hinaufgingen. Es war bereits Nachmittag, und er hatte keinen Mittagsschlaf gehabt du weißt ja, wie er herumzappelt und versucht, sich loszureißen, wenn er übermüdet ist?"
"Ja, ich weiß. Marianne. Sag mir einfach, was geschehen ist." Geduld, ermahnte Sunny sich. Ians schrilles Rehen nach seinem "Dad" war wirklich herzzerreißend. "Nun, er ließ sich plötzlich fallen und landete direkt auf seinem Po, während ich ihn noch am Arm festhielt. Und dann begann sein Arm zu schmerzen, und deshalb ist das alles meine Schuld! Ich muss ihn zu fest gehalten oder zu stark an seinem Arm gezogen haben." "Dich trifft keine Schuld, Marianne! Ich bin sicher, dass es nichts Ernstes ist. Ist Fred da?" Fred war Kirks Vater. "Nein, er ist mit Stu Baumgarten angeln. Ich bin allein mit Ian." "Bei dir zu Hause?" "Nein, bei Kirk." "Ian muss zu einem Arzt." "Ich weiß, aber ich dachte, ich spreche lieber zuerst mit Kirk…" "Wir können nicht auf ihn warten. Ian muss sofort zum Arzt. Und ich möchte ihn lieber nicht zur Notfallambulanz bringen." "Nein, bloß nicht. Da ist am Wochenende immer sehr viel los!" "Hör mal." Sunny unterbrach ihre unruhige Wanderung durch den Raum, setzte sich aufs Bett und zog mit den nackten Füßen ihre Turnschuhe zu sich heran. "Weißt du, ob Ians Kinderarzt samstags Sprechstunde hat?" "Ich… nein, das weiß ich nicht, aber ich habe seine Nummer hier." "Gut, dann ruf ihn an und finde es heraus." Sunny klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schulter, als sie sich die Schuhe zuband. "Ich bin schon auf dem Weg zu dir. Ich bin in etwa zehn Minuten da. Warte auf mich, Marianne." "Ich kann mir ein Taxi rufen." Kirks Mutter hatte keinen Führerschein. "Nein, warte. Ich bin gleich da."
"Du hast Recht. Keine Schwellung, keine Verfärbung", sagte Sunny zu Marianne, während sie behutsam Ians Arm untersuchte. Obwohl ihre Berührung nur ganz sachte war, weinte er und wich vor ihr zurück. Er hielt den Arm ganz dicht am Körper. Den Ellbogen hatte er leicht angewinkelt und stützte ihn mit der anderen Hand. "Ian, ich weiß, dass es wehtut." Sunny setzte sich auf Kirks Wohnzimmercouch und zog den Jungen auf den Schoß. "Es macht aua, nicht?" fragte sie mitfühlend. Er nickte. "Aua." Ein überwältigendes Bedürfnis, diesen kleinen Jungen zu beschützen, stieg in Sunny auf. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie keine Ruhe finden würde, bis er wieder ganz in Ordnung war. Glücklicherweise war Ians Kinderarzt noch in seiner Praxis. Er hatte gerade gehen wollen, als Marianne angerufen hatte. Er hatte versprochen, auf sie zu warten. "Ich werde dich zum Doktor bringen", sagte Sunny zu Ian. "Zu Dr. Davidson. Du magst doch Dr. Davidson, nicht wahr?" Er schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. "Aua." Marianne erklärte es. "Ian ist vor ein paar Wochen geimpft worden." "Nun, ich glaube nicht, dass er dir heute eine Spritze geben wird. Dr. Davidson wird sich nur deinen Arm ansehen und ihn wieder heil machen." Bitte lass es wahr sein, betete sie im Stillen, als sie mit dem kleinen Jungen auf dem Arm vom Sofa aufstand. Marianne sagte: "Kirk hat Ians Kindersitz fürs Auto hier gelassen. Ich bringe ihn nach draußen." Während Marianne den Kindersitz im Fond von Sunnys Wagen anbrachte, sagte sie: "Ich habe nicht aufgehört, Kirk anzupiepen, aber er antwortet nicht. Ich verstehe nicht, warum." Sunny fiel auf der Stelle eine logische Erklärung dafür ein. Wie sollte man einen am Gürtel befestigten Piepser hören, wenn man nicht in der Nähe seiner Kleider war?
Die Vorstellung von Kirk in irgendeinem Bett mit irgendeiner Frau setzte sich wie ein Stachel in Sunnys Bewusstsein fest. Vergiss es, sagte sie sich streng. Kümmere dich jetzt um Ian. Später, wenn alles vorbei ist, kannst du dich bemitleiden, so viel du willst. "Kirk ruft immer an, wenn er aus ist, meistens sogar mehrmals", sagte Marianne. Sie befestigte Jans Sitz auf der Rückbank. "Aber das weißt du ja. Er ist immer sehr besorgt um Ian." Das stimmte allerdings. Sunny hatte ihm im Scherz oft vorgeworfen, er übertreibe es ein wenig mit der Fürsorge. "Aber heute?" fragte sie. "Heute…" Marianne schrie auf, als sie aus dem Wagen stieg, da sie sich an der Tür den Kopf gestoßen hatte. Ihre Stirn massierend, sagte sie: "Heute hatte ich ihm gesagt, er solle nicht anrufen. Ich war darin sehr unnachgiebig. ,Mach dir einen schönen Abend', habe ich gesagt. ,Du hast den Piepser. Es ist ja nicht so, als könnte ich dich nicht erreichen, falls ich dich brauchen sollte." Hilflos hob sie die Hände und ließ sie wieder sinken. "Aber ich habe x- mal versucht, ihn zu erreichen. Ohne Erfolg. Es ist alles meine…" "Ich will nichts mehr davon hören!" Sunny schnallte Ian in seinem Kindersitz an und murmelte ihm beruhigende Worte zu. Dann küsste sie ihn auf die Stirn und schloss die Wagentür. Und nun umarmte sie Kirks Mutter. "Du hast nichts falsch gemacht, Marianne, hörst du? Du hast dich richtig verhalten, und es war gut, dass du mich angerufen hast." Mariannes Augen wurden feucht. "Dem Himmel sei Dank, dass du gekommen bist. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht daheim gewesen wärst." Sie wollte die Beifahrertür öffnen. "Nein, du musst hier bleiben." Sunny setzte sich ans Steuer. "Falls Kirk sich meldet."
"Oh. Ja, natürlich. Jemand muss beim Telefon bleiben." Beunruhigt blickte sie von Sunny zu Ian. "Bist du sicher, dass du mich nicht brauchst…?" "Natürlich bin ich sicher." Sunny startete den Wagen und zwang sich, Marianne zuversichtlich anzulächeln. "Falls Kirk anruft, sag ihm, er soll sich keine Sorgen machen." "Kannst du das, Ian?" fragte Dr. Davidson und drehte sein eigenes Handgelenk, um es dem Kleinen vorzumachen. Ian, der auf dem Untersuchungstisch saß, schüttelte den Kopf. "Und das?" Der Doktor bewegte vorsichtig die Finger. "Hm." "Er kann seine Hand nicht bewegen?" fragte Sunny alarmiert. "Oh, ich bin sicher, dass er es kann, aber es tut weh, und deshalb versucht er es erst gar nicht. Aber das ist schon in Ordnung, du brauchst es nicht zu tun", beruhigte er den Kleinen lächelnd, während er fortfuhr, seinen Arm zu untersuchen. Wie zuvor schon jammerte Ian und weigerte sich, die Hand zu drehen. "Was ist mit seiner Hand?" Sunny hörte die Panik in ihrer Stimme. "Ist sie verstaucht? Gebrochen kann sie doch nicht sein, oder?" "Nein, nein, gebrochen ist sie nicht. Und es ist auch nicht die Hand, sondern der Ellbogen." "Der Ellbogen?" "Ja. Man nennt es auch .Krankenschwesterellbogen'. Er ist ausgerenkt. Einer der Armknochen ist aus seiner Position herausgerutscht. Eine Verletzung, die bei Kindern ziemlich häufig vorkommt, insbesondere in dieser Altersgruppe." "Oh." Dr. Davidsons Gelassenheit wirkte beruhigend auf Sunny. "Was kann das verursacht haben?" "Warum nehmen Sie nicht Platz?" Der Arzt deutete auf einen Stuhl und hob Ian auf Sunnys Schoß, als sie sie sich gesetzt
hatte. "Nun, Sie sagten, er habe sich plötzlich fallen lassen, während seine Großmutter ihn am Arm festhielt?" "Das ist richtig." Dr. Davidson veränderte Ians Position ein wenig. "Dann muss es da passiert sein. Sein Arm wurde überdehnt und das Band dadurch gezerrt. Wie gesagt, das kommt sehr häufig vor bei Kindern. Es kann passieren, wenn sie spielen, raufen, fallen…" Er lächelte wissend. "Es ist nicht Grandmas Schuld." Sunny konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. "Versuchen Sie das mal seiner Grandma zu sagen. Wie wird diese Verletzung behandelt?" "Ich werde den bösen kleinen Knochen wieder einrenken." Sunny machte große Augen. "Jetzt?" "Jetzt." Dr. Davidson betastete den Ellbogen. "Wenn Sie ruhig bleiben, tut Ian es auch. Er wird zwar nicht begeistert sein, aber es geht sehr schnell." Sunny antwortete mit einem schwachen Lächeln und mit einem Nicken. Sie schlang die Arme noch fester um den kleinen Jungen, der ihr in nur zwei Monaten so sehr ans Herz gewachsen war. Der Arzt hielt Wort. Mit einer schnellen Drehung renkte er den Knochen wieder ein. Ian schrie auf, aber mehr aus Überraschung, schien es, denn aus Schmerz. Ein einziges lautes Aufbrüllen, und es war vorbei. Keine Tränen, kein Wutanfall. Dr. Davidson lobte seinen tapferen Patienten. Von seinen Schmerzen offenbar befreit, begann Ian den Arm beinahe sofort wieder zu bewegen. Sunny war verblüfft. Diese eine simple Drehung hatte ausgereicht? "Muss er nicht geröntgt werden?" fragte sie. "Sieht er so aus, als wäre das nötig?" Sie wandte sich an Ian. "Was macht dein Aua?" "Aua weg." Er demonstrierte es, indem er seinen Arm schwenkte.
"Das war es also schon?" fragte Sunny Dr. Davidson. "Er ist so gut wie neu?" "Sozusagen. Kein bleibender Schaden ist entstanden, aber da das Band gezerrt wurde, besteht eine erhöhte Chance, dass es noch einmal vorkommt. Achten Sie darauf, nicht an seiner Hand zu ziehen. Wenn Sie ihn aufheben, packen Sie ihn unter den Armen oder um den Körper. Und kein An-den-ArmenHerumschwingen." "Eikem!" sagte Ian. "Du möchtest Eiskrem?" Sie lachte, ebenso sehr aus Erleichterung wie aus Belustigung über die plötzliche Verlagerung von Ians Prioritäten. "Kauft dein Daddy dir Eiskrem, wenn du beim Doktor warst?" Ian nickte heftig. "Schokoschip!" "Hm, das ist auch meine Lieblingssorte", sagte Dr. Davidson. Sunny umarmte Ian. "Wir halten auf dem Heimweg an und kaufen Schokoladensplitter-Eiskrem - und vielleicht auc h noch ein bisschen Karamellsauce und Schlagsahne."
12. KAPITEL Während Allison Hyde sich die Gemälde in der Galerie ansah, betrachtete Kirk sie von der Seite. Sie war wirklich sehr hübsch, groß, dunkelhaarig, mit einer guten Figur und hohen Wangenknochen. Ein paar Jahre älter als er, aber das störte ihn nicht. Er hatte sie schon an seinem ersten Arbeitstag an der. Universität bemerkt, aber natürlich nichts deswegen unternommen, weil er damals noch mit Sunny ausgegangen war. Allison unterrichtete Kunstgeschichte, und deswegen hatten ihre Wege sich nicht oft gekreuzt, aber wenn, dann hatte er sich bemüht, ihr Interesse auf diskrete Art zu ignorieren. Es hatte ihm geschmeichelt, klar, aber er hatte sich auch seiner aufblühenden Beziehung zu Sunny verpflichtet gefühlt. Kirk hatte Linda nie betrogen, obwohl er Gelegenheit dazu gehabt hätte, und hatte nicht vor, jetzt damit anzufangen, nur weil er keinen Ehering mehr trug. Am Morgen nach seinem Bruch mit Sunny war er Allison in der Bibliothek begegnet. Im Verlauf ihrer Unterhaltung hatte sie erwähnt, sie beabsichtigte am Wochenende einige Galerien in SoHo zu besuchen, und hatte Kirk zu verstehen gegeben, dass sie sich freuen würde, wenn er sie begleitete. Er hatte schon gerade höflich ablehnen wollen, als der vernünftigere Teil von ihm sich fragte, warum nicht? Er musste sein Leben fortsetzen. Mit ein bisschen Glück würde ein netter
Tag mit einer anderen Frau es ihm vielleicht erleichtern, die Trennung von Sunny zu verschmerzen. Und er hätte eine schlechtere Wahl treffen können als Allison, eine tüchtige, gebildete Frau, die zudem noch sehr gut aussah. Eine ehrgeizige Frau, die etwas aus sich gemacht hatte, genau die Art von Frau, die er respektieren und bewundern konnte. Allison starrte fasziniert das Bild an der Wand vor ihr an. "Er gibt mit ein paar einfachen Pinselstrichen so viel wieder", bemerkte sie mit der ganzen Autorität der Kunstexpertin, die sie war. "Hm", murmelte Kirk, zum x-ten Mal nun schon, seit er seinen Wagen in der Broome Street abgestellt hatte. Das war etwa ein Dutzend Galerien zuvor gewesen - acht oder neun mehr, als er ursprünglich hatte sehen wollen. "Was sagen Sie zu den Farben?" fragte Allison. Das Bild, von dem sie sprach, war ein großes Ölgemälde von einem bekannten zeitgenössischen deutschen Künstler namens Alvin Kraft - oder bekannt zumindest unter Kunstkennern wie Allison. Kirk hatte noch nie von ihm gehört, aber seine Werke wurden gegenwärtig in dieser Galerie ausgestellt. Das Motiv war ein weiblicher Akt in verschiedenen Schattierungen von Rot und Schwarz, in dem für Kraft so typisch explosiven Stil. "Ich glaube, da haben wir einen sehr zornigen Deutschen", sagte Kirk. Allison zog eine dunkle Braue hoch. "Interessant. Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?" Kirk wurde ungehalten. Wahrscheinlich wusste sie gar nicht, wie lehrerhaft sie klang. Er war sicher, dass sie es nicht absichtlich tat - dies war schließlich eine Verabredung und kein Seminar - doch nach mehreren Stunden begann es ihn langsam zu nerven. Und er war es auch allmählich leid, sich höflich ihrer Meinung anzuschließen und so zu tun, als gefielen ihm diese blöden Bilder.
"Es ist genau wie alle seine anderen Werke." Er deutete auf die Gemälde an den Wänden rechts und links von ihnen. "Der gleiche brüske Stil, die gleichen misstönenden Farben." "Misstönend?" "Sie wissen schon, was ich meine. Sehen Sie sich doch um. Der Mann hasst Frauen." Allisons Augen traten ihr fast aus dem Kopf. "Alvin Kraft ist ein angesehener Künstler. Er hatte erst kürzlich eine Ausstellung im Guggenheim Museum." "Allison, er kann von mir aus Ausstellungen im Buckingham Palace haben, aber das ändert nichts an seiner verdrehten Art zu denken." Kirk führte sie zu einer bemalten Pappmache-Plastik, die einen weiteren weiblichen Akt darstellte, der Krafts beliebtestes Motiv zu sein schien. Die kopflose Statue war von einer rohen, primitiven Hässlichkeit, die nur gewollt sein konnte. Die übertriebenen Brüste und Genitalien waren durch rotbraune Farbkleckser noch zusätzlich hervorgehoben worden. "Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dies sei nicht das Werk eines kolossalen Frauenhassers?" sagte Kirk. Sie lächelte selbstzufrieden. "Ihre Antwort ist voraussehbar und auf Ihr beschränktes Verständnis moderner Kunst zurückzuführen." Kirk lachte. Er konnte gar nicht anders. "Glauben Sie mir, ich verstehe genug. Ich habe schließlich Augen." Allison war gerade mehrere Punkte in seinem Ansehen gesunken, denn sie nahm genau die Haltung ein, die er hasste. Wenn es Ihnen nicht gefällt, verstehen Sie es nicht. "Wenn Sie sich besser auskennen würden mit der Philosophie, die hinter seinen Werken steckt…" "Allison, machen Sie die Augen auf!" Ein wenig unsanft schob er sie vor die Skulptur. "Wenn mein Sohn im Kunstunterricht so etwas fabrizieren würde, würde ich ihn auf der Stelle zu einem Therapeuten schleppen, noch bevor die Farbe trocken ist."
Mit einem resignierten Seufzer sagte sie: "Okay, ich habe schon verstanden. Kraft kann… aggressiv sein." Aufgeregt wandte sie sich zu Kirk um. "Aber er hat Ihnen immerhin eine Reaktion entlockt, nicht wahr? Er hat Gefühle in Ihnen geweckt. Sie sind ihm gegenüber jedenfalls nicht gleichgültig geblieben." "Ich bin auch dem Hillside-Würger gegenüber nicht gleichgültig geblieben." Allison war entsetzt über den Vergleich und blickte sich verstohlen um, um zu sehen, ob jemand seinen rüpelhaften Kommentar gehört hatte. Kirk war nervös, und das nicht nur wegen der endlosen Galeriebesuche. Er wünschte, seine Mutter hätte ihm nicht verboten anzurufen und sich nach Ian zu erkundigen. Sie hatte darauf bestanden, dass er dieses Mal darauf verzichtete. Und er verstand, warum. Er wusste selbst, dass er zur Übertreibung neigte - was vermutlich daran lag, dass ihm von einem Tag zum anderen die ganze Verantwortung für sein Kind zugefallen war. Er versuchte, dem Jungen Vater und Mutter zugleich zu sein, aber irgendwie hatte er immer das Gefühl, etwas übersehen oder versäumt zu haben. "Mach dir einen schönen Abend", hatte seine Mutter gesagt. "Du hast ja den Piepser bei dir, falls irgendetwas ist." Zur Vorsicht hatte Kirk ihr noch einmal gezeigt, was sie tun musste, um ihn über den Piepser zu erreichen. Er hatte den ganzen Tag darauf gewartet, dass das Ding vibrierte, aber es hatte sich nicht gemeldet. Was nur bedeuten konnte, dass zu Hause alles in Ordnung war. Wahrscheinlich aßen sie gerade zu Abend. Er fragte sich, ob sein Vater einen Blaubarsch geangelt hatte. Seine Mutter mochte keinen Blaubarsch. Beim Gedanken an Essen begann sein Magen zu knurren. "Hören Sie, Allison", sagte er, "das Einzige, was ich heute gegessen habe, war ein Apfel, den ich mir heute Morgen beim Hinausgehen mitgenommen hatte. Vielleicht bin ich deshalb so gereizt."
"Oh, Sie Armer! Ich hatte keine Ahnung, dass Sie hungrig waren." "Wieso, sind Sie es nicht? Ich meine, schließlich laufen wir jetzt schon seit - " er schaute auf die Uhr "- fünfeinhalb Stunden hier herum." "Wenn ich Kunst betrachte, vergesse ich alles andere. Die Wahrheit ist, dass ich nie viel esse. Um die Mittagszeit einen Joghurt, und später, wenn ich nach Hause fahre, nehme ich mir einen Salat oder eine Suppe aus einem Restaurant mit, das auf meinem Heimweg liegt. Ich könnte mühelos noch fünf weitere Stunden aushalten, das wäre kein Problem für mich." Kirk dachte an Sunny, ihren gesunden Appetit und wie gern und gut sie kochte. Ihr beim Essen zuzusehen, war eine wahre Freude. Mit Mühe unterdrückte er diesen ungebetenen Gedanken. Er hatte sich vorgenommen, während seiner Verabredung mit Allison nicht an Sunny zu denken und die beiden Frauen nicht miteinander zu vergleichen. Tapfer unterdrückte er den Wunsch, es sei Sunny, die mit ihm über den unverhohlenen Frauenhass des Künstlers staunte - denn das würde sie, da war er sich ganz sicher -, und mit ihm über die Einfalt der elitären Kunstgemeinde lachte, die diesen Frauenfeind auch noch bewunderte. Er führte Allison aus der Galerie. "Es gibt ganz in der Nähe hier ein Steakhaus." Er beobachtete ihr Gesicht, als er das Wort "Steak" aussprach, und sah die Reaktion, die er erwartet hatte. Aber das kümmerte ihn nicht. Schließlich hatten sie den ganzen Tag getan, was Allison wollte, und jetzt war er in der Stimmung für ein riesiges Rindersteak. "Sie können dort natürlich auch Salat essen", versicherte er ihr, während sie eilig die Straße überquerten. "Damals schlief Robert schon seit fast einem Jahr auf der Couch, so dass es also eigentlich kein Betrügen war." Allison spießte mit der Gabel ein Artischockenherz auf und spülte es mit
einem Schluck Chardonnay herunter. "Ich meine, wir waren ja schon auseinander - nicht nur getrennt, wenn Sie verstehen, was ich meine -, bevor die Scheidung durch war. Es ist mit enormen Kosten verbünden, zwei Haushalte zu führen, und deswegen haben wir es natürlich bis zum letzten Augenblick vermieden." Kirk merkte, dass er automatisch nickte, ohne jedoch wirklich zuzuhören, während er sich ein Stückchen von dem besten Porterhouse Steak abschnitt, das er je gegessen hatte. Er lächelte, als er sich erinnerte, was Sunny an jenem frühen Julitag gesagt hatte, an dem sie ein Picknick auf dem Campus veranstaltet hatten: "Hoffentlich bist nicht inzwischen Vegetarier geworden." Sie würde begeistert sein von diesem Restaurant; er musste unbedingt einmal mit ihr hierher kommen. Hör auf! befahl er sich. "Die Mädchen verstanden es natürlich nicht", fuhr Allison fort, "aber Kinder sind robust, sie machen sich nicht viel aus diesen Dingen. Und schließlich hat ihr Dad ja nun diese wundervolle, riesige Eigentumswohnung an der Upper West Side." Sie breitete die Arme aus, und ein bitterer Ton schlich sich in ihre Stimme. "Jennifer und Danielle haben beide ihr eigenes Zimmer, wenn sie bei ihm sind. Von einem bekannten Innenarchitekten eingerichtet, selbstverständlich." "Hm." "Und Daddys Freundin, die mit ihm die Wohnung teilt, ist ja so nett. Und altersmäßig fast wie eine große Schwester!" Allison nahm ihr Weinglas und leerte es auf einen Zug. "Also, was glauben Sie, wer die Böse ist, wenn die Mädchen mit diversen Piercings an allen möglichen Körperteilen von einem Wochenendbesuch bei Daddy und seiner zwanzigjährigen Schlampe heimkommen?" Sie winkte dem Kellner, ihr Wein nachzusehenden. Der Wissenschaftler in Kirk stellte einige schnelle Berechnungen über das Verhältnis von Alkoholkonsum und
Körpermasse an - in Allisons Fall viel zu viel des ersten Faktors und bei weitem nic ht genug vom zweiten. Er schob ihr den Brotkorb zu. "Von diesem kleinen Salat können Sie doch unmöglich satt werden. Warum bestellen Sie nicht noch gegrillte Hähnchenbrust oder irgendetwas anderes?" "Ich habe keinen großen Appetit, das sagte ich doch schon", entgegnete sie. Nicht auf Essen, dachte er, während er zusah, wie sie das inzwischen wieder volle Weinglas an die Lippen hob. Ein verschwörerischer Blick erschien in ihren Augen. "Sie kennen doch Jane Birmingham. Sie ist in Ihrer Fakultät." "Ja, natürlich. Warum?" Allison spießte ein Blättchen Salat auf ihre Gabel und beugte sich mit einem viel sagenden Grinsen zu Kirk vor. "Nun, Sie erinnern sich doch sicher an den Empfang, den Wilton in der Woche nach Beginn des neuen Semesters gab?" fragte sie. Wilton war der Präsident der Universität. "Ja…" Kirk hatte das ungute Gefühl, dass er schon wusste, worauf Allison hinauswollte, und es gefiel ihm überhaupt nicht. "Allison, das Privatleben meiner Kollegen interessiert mich nicht…" "Wussten Sie, dass Wiltons Frau an jenem Abend nicht in der Stadt war? Und keiner der Gäste kann sich daran erinnern, gesehen zu haben, dass Jane in jener Nacht sein Haus verließ." "Hören Sie, das ist nicht…" "Alle wissen, dass sie geblieben ist. Simon Arby - er lehrt Biochemie, Sie kennen ihn wahrscheinlich -, sagte mir, Hank Klines Frau habe gesehen, wie Jane und Wilton einen Blick austauschten, den man nur als heiß bezeichnen kann." "Allison…" "Aber der entscheidende Faktor ist…" Die kleine Kunstpause kündigte den verbalen Todesstoß an. "Jane trug am nächsten Morgen das Gleiche wie abends auf der Party! Einen schwarzen Hosenanzug. Sie hätte sich wirklich etwas Passenderes zu
Wiltons Party einfallen lassen können." Allison schnaubte vor Belustigung. "Aber na ja, wenn's ihn nicht störte…!" Jane Birmingham war eine fähige Physikerin, die jahrzehntelang gegen den Sexismus gekämpft hatte, der unter wissenschaftlichen Akademiemitgliedern sehr verbreitet war. Und nun machte eine ihrer Kolleginnen sich einen Spaß daraus, über sie herzuziehen und ihren guten Namen zu beschmutzen. Kirk seufzte. "Jane trägt fast immer schwarze Hosenanzüge. Sie hat eine ganze Kollektion davon." Allison blinzelte. "Woher wissen Sie das?" "Wir sind in derselben Fakultät." "Ach ja. Wahrscheinlich denkt sie, Schwarz mache sie schlanker. Kein Wunder bei den Hüften." Allison trank einen großen Schluck von ihrem Wein. "Ich will ganz ehrlich sein." Kirk legte seine Gabel nieder. "Ich hasse Klatsch über Kollegen." "Klatsch? Was ich Ihnen erzähle, das sind Fakten!" "Ich habe gesehen, wie viel versprechende Karrieren durch unbegründete Gerüchte ruiniert wurden. Meine Einstellung dazu ist, Gerüchte weder zu verbreiten noch mir welche anzuhören." "Oh, entschuldigen Sie!" sagte Allison beleidigt. "Ich dachte nur, es würde Sie vielleicht interessieren, wieso Jane Birmingham unmittelbar nach der Party zur Leiterin Ihrer Fakultät befördert wurde. Die anderen wissen es ja schließlich alle schon." "Die anderen wissen aber sicher auch, dass Bill Dünne, ihr Vorgänger, aus gesundheitlichen Gründen plötzlich in den Ruhestand gehen musste. Jane hat eine langjährige und glänzende Laufbahn hinter sich. Sie war die qualifizierteste Kandidatin und damit auch der logische Ersatz für ihn. Falls sie wirklich die Letzte war, die Wiltons Haus verlassen hat, dann vielleicht nur, weil sie in Ruhe ihre neue Position mit ihm besprechen wollte."
"Ja, klar, das wird es wohl gewesen sein", höhnte Allison. "Wie könnte es eine andere Art von Position gewesen sein, die diese zwei beschäftigte? Nein, natürlich nicht." Sie erhob sich. "Entschuldigen Sie mich einen Augenblick." Kirk sah, wie sie sich bemühte, nicht zu schwanken, als sie zur Toilette ging. Angewidert schob er seinen Teller fort und gab dem Kellner mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er zahlen wollte.
13. KAPITEL "Du hast die ganze Aufregung verpasst", sagte Kirks Mutter, als er nach Hause kam. Sie saß im Wohnzimmer, faltete Wäsche aus einem Korb, der vor ihr auf dem Boden stand, und ordnete sie in sauberen Stapeln auf dem Sofa neben sich. Im Fernseher lief eine geräuschvolle Komödie. Als Kirk hereinkam, stellte Mrs. Larsen mit der Fernbedienung rasch den Ton ab. "Mom, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du unsere Wäsche nicht zu waschen brauchst. Ich bin alt genug, um weiße Wäsche von farbiger zu unterscheiden." "Nun, die Körbe waren voll - es sah so aus, als hättest du seit Tagen nicht gewaschen. Und ich tue es ja gern. Dann bin ich wenigstens beschäftigt." Lachend schüttelte er den Kopf. In einigen Dingen war es sinnlos, seiner Mutter zu widersprechen. Er setzte sich in einen Sessel. Er hatte sich bemüht, vor Ians Schlafenszeit daheim zu sein. Aber die Tatsache, dass seine Mutter vor dem Fernseher saß und sich mit Hausarbeit beschäftigte, konnte nur bedeuten, dass sie den Jungen schon ins Bett gebracht hatte. Kirks Vater schlenderte aus der Küche herein und setzte sich zu seiner Frau aufs Sofa. "Du hast dir einen leckeren Blaubarsch entgehen lassen, Junge. Aber es ist noch genug übrig, falls du noch etwas essen möchtest." Kirks Mutter verzog das Gesicht. "Wag ja nicht, die Reste mit nach Hause zu nehmen, Fred."
"Nein danke", sagte Kirk. "Ich habe schon gegessen. Wie meintest du das vorhin, ich hätte die ganze Aufregung verpasst?" Seine Mutter faltete ein kleines blaues T-Shirt, das vorn mit einem gezeichneten Porträt von Albert Einstein bedruckt war. Kirk hatte es in einem Souvenirladen in einem Museum entdeckt und nicht widerstehen können. "Wir mussten Ian zum Arzt bringen", antwortete seine Mutter. . "Was?" Kirk richtete sich erschrocken auf. "Ist er krank?" "Nein, nein, es war nur sein Arm." Sie legte das Hemd auf den Wäschestapel, der für Ians Zimmer bestimmt war. "Aber jetzt geht es ihm wieder gut, du brauchst dich also gar nicht aufzuregen. Wie hatte der Doktor es genannt? Tennisarm? Nein, das war es nicht." "Irgend etwas mit Krankenschwester, glaube ich", sagte Kirks Vater und legte einen Arm auf die Rücklehne des Sofas. "Krankenschwesterellbogen!" rief Mrs. Larsen. "Das war es!" "Krankenschwesterellbogen?" Kirk runzelte die Stirn. "Davon habe ich noch nie gehört." "Er war ausgekugelt", sagte sein Vater. "Aber Dr. Davidson hat sich sofort darum gekümmert und ihn wieder eingerenkt. Ian geht es gut, er ist schon wieder ganz in Ordnung." "Was?" Kirk sprang auf und wandte sich zur Tür. "Wann habt ihr ihn ins Bett gebracht? Schläft er schon?" "Ich weiß es nicht", sagte seine Mutter. "Sunny ist bei ihm." Das genügte, um Kirk aufzuhalten. "Sunny? Was tut sie denn hier?" Sein Vater runzelte die Stirn. "Warum hast du uns eigentlich nicht gesagt, dass ihr euch getrennt habt?" Kirk fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. "Ich weiß nicht, ich war einfach nicht…" Seine Mutter bedachte ihn mit ihrem berühmten Mir-kannst du-nichts-erzählen-Blick.
Kirk seufzte. Warum hatte er seinen Eltern nichts von ihrer Trennung erzählt? Er entschloss sich, aufrichtig zu sein, sowohl seinen Eltern wie sich selbst zuliebe. "Wahrscheinlich hatte ich gehofft, es würde nur vorübergehend sein und wir kämen irgendwie wieder zusammen." Seine Mutter nickte verständnisvo ll. "Ich weiß, dass Sunny noch etwas für dich empfindet. Das ist nicht zu übersehen." "Ich weiß. Es ist nur etwas kompliziert. Hat sie euch gesagt, warum wir uns getrennt haben?" "Nein." Sein Vater schüttelte den Kopf. "Und wir haben sie auch danach nicht gefragt. Das geht nur euch beide etwas an. Ich kann dazu nur sagen, dass es wirklich schade ist. Ich mochte dieses Mädchen damals schon und mag sie heute noch. Sie ist gut für dich, Kirk." Mrs. Larsen fuhr fort, die Wäsche sammenzulegen, aber ihre Bewegungen wurden etwas brüsker. "Nun, du weißt, dass ich der gleichen Meinung wie dein Vater bin, aber er hat Recht, es ist nicht unsere Sache. Das musst du ganz allein entscheiden." Kirk verzog den Mund. "Die Entscheidung liegt bei Sunny. Ich kann nichts mehr tun." Er blickte über den Korridor zu Ians Zimmer. "Ihr habt mir meine Frage nicht beantwortet. Wieso ist Sunny hier?" "Ich habe sie angerufen, als ich dich nicht erreichen konnte", erwiderte seine Mutter. "Ich dachte, du wärst bei ihr." Sein Magen verkrampfte sich. "Hast du ihr etwa gesagt, dass ich eine Verabredung hatte?" "Ich dachte doch, du wärst bei Sunny!" wiederholte seine Mutter; "Wie hätte ich denn wissen sollen…" "Es ist nicht deine Schuld", beruhigte Kirk sie. "Ich war so aufgeregt", fuhr seine Mutter. "Ian hatte Schmerzen und verlangte nach seinem Daddy, und ich konnte dich nicht erreichen, und Fred war auf dem Boot. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sunny ließ alles stehen und liegen und kam sofort herüber. Sie hat sich um alles gekümmert. Ich sage
dir, dieses Mädchen blieb unglaublich ruhig und besonnen. Mehr als deine alte Mom, das steht fest", fügte sie mit einem verlegenen kleinen Lächeln hinzu. Das war eine Seite von Sunny, die Kirk noch gar nicht kannte. Aber er war nicht überrascht. Während der vergangenen zwei Monate hatte er eingesehen, dass Sunny Bleecker mehr Fähigkeiten besaß, als er bei ihr erwartet hätte. Allison Hyde, trotz ihrer Bildung und ihrer akademischen Grade, konnte Sunny nicht das Wasser reichen. "So." Dad musste erraten haben, was er dachte. "Wer war denn die Frau, mit der du ausgegangen bist?" "Ach, nur eine Kollegin aus der Uni. Sie unterrichtet Kunstgeschichte." "Und wie heißt sie?" fragte seine Mutter, der sein Mangel an Begeisterung offensichtlich nicht entgangen war. "Ihr Name ist nicht wichtig. Ich werde mich nicht mehr mit ihr treffen." Als er Allison heimgefahren hatte, hatte sie sich an ihn geklammert, als hätte ihre Debatte über Klatsch unter Kollegen nie stattgefunden. Sie hatte ihn eingeladen, noch auf einen Drink mit ihr hinaufzugehen und sich ihre Kunstsammlung anzusehen, insbesondere ihre letzte Anschaffung, eine Serie von Radierungen des neuesten Lieblings der Kunstwelt - männliche und weibliche Akte, die sie "unglaublich erotisch" nannte. Jetzt will diese Frau, dass ich mir auch noch ihre pornografischen Radierungen ansehe, hatte er ärgerlich gedacht und sanft, aber entschieden ihre Hand von seinem Arm genommen und sich mit einer lahmen Ausrede davongemacht. Kirk wandte sich an seine Mutter. "Wieso sagst du, du hättest mich nicht erreichen können? Ich hatte den ganzen Tag den Piepser an." "Ich habe tausend Mal angerufen." Als er etwas entgegnen wollte, entfuhr es ihr gereizt: "Und ja, du kannst dich darauf
verlassen, dass ich es richtig gemacht habe! Aber du hast nicht zurückgerufen." "Du warst wohl zu sehr mit der Kunstexpertin beschäftigt", warf sein Vater schmunzelnd ein. Kirk nahm den Piepser von seinem Gürtel und betrachtete ihn prüfend. Der winzige LCD-Bildschirm war leer. Er hätte eigentlich die Uhrzeit anzeigen müssen. Kirk drückte auf die Knöpfe, aber es tat sich nichts. "Na wunderbar. Die Batterie ist leer. Perfektes Timing, kann ich da nur sagen. Ich wusste ja, dass ich besser angerufen hätte, um zu fragen, wie es Ian ging!" "Fang bloß nicht wieder damit an", entgegnete seine Mutter. "Glaubst du, ich hätte mir keine Vorwürfe gemacht, weil ich dir gesagt hatte, du solltest nicht anrufen? Vor allem, da es meine Schuld war, dass Ian sich den Arm verletzt hatte." "Was hat er gesagt?" fragte Kirk. "Der Doktor, meine ich?" "Nach den Einzelheiten wirst du Sunny fragen müssen", erwiderte Mrs. Larsen. "Sie hat Ian zu Dr. Davidson gebracht." Kirk starrte seine Mutter an. "Sunny?" "Das Mädchen hat den Kleinen wirklich gern", bemerkte sein Vater. "Das weiß ich." Kirk nickte müde. "Ich weiß, dass sie ihn gern hat." "So." Seine Mutter faltete das letzte Wäschestück - ein weiteres von Ians farbenfrohen kleinen T-Shirts. "Jetzt, wo du wieder da bist, können wir ja nach Hause fahren." Nachdem er seine Eltern hinausbegleitet hatte, ging Kirk über den Korridor zu Ians Zimmer und blieb an der nur halb geschlossenen Tür stehen. Eine kleine Nachttischlampe verbreitete ein gedämpftes Licht im Raum. Es reichte gerade noch, um Sunny zu erkennen, die über Ians Bettchen gebeugt stand und seinen Rücken streichelte, während sie leise zu ihm sprach. Schließlich richtete sie sich auf und zog behutsam, um den Kleinen nicht zu wecken, die Hand zurück. Ebenso behutsam klappte sie das Gitter am Bett hoch und blieb noch
einen Moment stehe n, um Ian zu betrachten. Dann legte sie einen Finger an die Lippen und berührte damit noch einmal zärtlich seinen blonden Kopf, bevor sie sich lächelnd abwandte. Sie erschrak, als Kirk die Tür ein wenig weiter öffnete. Er legte warnend einen Finger an den Mund und berührte flüchtig ihre Schulter, als er auf dem Weg zu Ians Bett an ihr vorbeiging. Falls Ian an diesem Tag einen Schock erlitten hatte, war davon nichts mehr zu erkennen. Er schlief friedlich, seine Brust hob und senkte sich im regelmäßigen Rhythmus seiner Atemzüge. "Gute Nacht, Champ", flüsterte Kirk. Sunny wartete auf dem Korridor auf ihn, als er leise die Tür hinter sich zuzog. "Danke", sagte er und blickte ihr in die Augen, nicht nur, um ihr seine aufrichtige Dankbarkeit zu zeigen, sondern auch die anderen, noch viel tieferen Gefühle, die er ihr mit Worten nicht zu übermitteln wagte. Einen langen Moment blieben sie so stehen und blickten sich in stummer Zwiesprache in die Augen. Schließlich löste Sunny widerstrebend ihren Blick von ihm, und zusammen gingen sie ins Wohnzimmer zurück. "Du brauchst mir nicht zu danken", sagte sie. "Ich habe nichts Besonderes getan. Es war Dr. Davidson, der Ians Ellbogen in Ordnung gebracht hat." "Aber du hast ihn zu ihm gebracht. Du hast dich um meinen Sohn gekümmert, als wäre er…" Er beendete den Satz nicht, denn er wusste, dass sie schon verstanden hatte, was er meinte. Als wäre er dein eigenes Kind. Und er könnte es auch sein, hätte er ihr nun gern gesagt. Du hast eine Familie hier, Sunny - vielleicht nicht deine Traumfamilie, aber ganz gewiss die meine. "Wo sind Fred und Marianne?" fragte sie und sah sich im Wohnzimmer um. "Sind sie schon gegangen?" Er nickte. "Mom bat mich, dir noch einmal dafür zu danken, dass du so ruhig und besonnen warst."
"Sie wäre sicherlich auch ohne mich zurechtgekommen." "Was ist eigentlich genau passiert?" fragte er. Sunny schilderte ihm alles, von Mariannes Anruf bis zu der Behandlung bei dem Arzt und seinen Ratschlägen, wie sie eine weitere Verletzung dieser Art verhindern könnten. Dann blickte sie sich suchend um. "Wo habe ich meine Tasche hingelegt?" "Bleib noch", bat Kirk. "Trink noch eine Tasse Kaffee mit mir. Oder ein Glas Wein. Du brauchst nicht gleich zu gehen." "Ich hatte einen langen Tag." Ein seltsamer Ausdruck trat in ihre Augen, bevor sie den Blick abwandte und ihn auf das gerahmte Bild auf dem Kaminsims richtete, das ein Fragment des kunstvoll gesteppten Quilts enthielt, den seine Urgroßmutter vor Jahrzehnten genäht hatte. "Und du auch." Da war es, das gefürchtete Thema. Die Verabredung. "Bleib nur ein paar Minuten. Lass uns reden." "Ich muss wirklich…" "Was erwartet dich zu Hause, was so wichtig ist?" unterbrach er sie. "Musst du deine Haare waschen? Oder deine Kellnerinnenuniform bügeln?" Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. Hatte sie seine Worte als Spöttelei über ihre Arbeit aufgefasst? "So meinte ich das nicht", verbesserte er sich rasch. "Du müsstest mich inzwischen besser kennen." "Sollte ich das?" "Du weißt, dass ich dich respektiere, Sunny - alles an dir." Sie starrte ihn einen Moment an, dann wurden ihre Züge weicher, und sie lächelte ironisch. "Die Uniform ist aus reinem Polyester. Kein Bügeleisen hat sie je berührt. Ich will nur…" "Du willst nur nicht mit mir reden", unterbrach er sie. Bevor sie etwas erwidern konnte, sagte er: "Ich hatte heute einen schlimmen Tag." Seufzend ließ er sich aufs Sofa fallen und schob mit dem Fuß den Wäschekorb zur Seite. "Ich war mit einer Kollegin unterwegs, weil ich dachte, es würde mir gut tun, etwas mit einer anderen Frau zu unternehmen."
Sunny lächelte humorlos und setzte sich in den Sessel, in dem Kirk vorher gesessen hatte. "Dann war sie wohl so eine Art Therapie, diese Verabredung? In etwa so, als würde man einen Löffel bittere Medizin schlucken?" Obwohl er wusste, dass sie scherzte, zog Kirk es vor, ihre Worte ernst zu nehmen. "Ja. Ich hätte nicht mitgehen sollen. Es war nicht meine Idee - sie hatte mich zuerst gefragt." "Ist sie hübsch?" "Ja." Sunnys Blick wurde bei seiner prompten Antwort schärfer. Vielleicht hatte sie gedacht, er würde ausweichen. "Sie ist attraktiv", sagte er. "Äußerlich zumindest. Ich hatte gedacht, hinter diesem hübschen Gesicht verberge sich noch etwas anderes, Wertvolleres, das mein Interesse fesseln könnte, aber ich hatte mich geirrt." "Du mochtest sie nicht?" "Es fehlt ihr an Charakter", entgegnete er schlicht. Sunny schien einen Moment darüber nachzudenken. "Wieso hast du gedacht, sie sei mehr als nur ein hübsches Gesicht? Zu Anfang, meine ich." Er atmete tief durch. "Ihre Karriere… ihre akademische Bildung… ja sogar die Art, wie sie sich kleidet und frisiert… Ich gebe es zu - ich habe voreilige Schlüsse gezogen." Sunny schlang die Arme um ihren Oberkörper und vermied es, Kirk anzusehen. "Du hast aber nicht lange gebraucht, um sie näher kennen zu lernen." Kirk richtete sich etwas gerader auf. "Sunny, was denkst du eigentlich, was heute zwischen mir und Allison vonstatten ging?" "Allison? Ein hübscher Name." "Wir sind durch SoHo gelaufen und haben Galerien besucht. Fünfeinhalb Stunden. Das war alles. Oh, und dann waren wir noch etwas essen, aber da ich ihre Gesellschaft keine Minute länger ertragen konnte, habe ich nicht einmal den Nachtisch
abgewartet. Und du brauchst mich gar nicht erst zu fragen - ich habe sie auch nicht geküsst." Allison hatte ihn geküsst, als er sie nach Hause gebracht hatte - ein ungeschickter, schlecht gezielter Kuss, der zum Glück nur seinen Mundwinkel getroffen hatte. Aber davon brauchte Sunny nichts zu wissen. "Ich dachte…" Sunny zuckte mit den Schultern. "Als Marianne sagte, du reagiertest nicht auf deinen Piepser…" "Dachtest du, ich wäre zu beschäftigt, um darauf zu achten? Weil ich mit Allison im Bett war oder so? Bei unserer ersten Verabredung? Und unserer einzigen", fügte er rasch hinzu. Wieder zuckte Sunny die Schultern. "So etwas kommt vor." "Die Batterie in meinem Piepser war leer. Und was ich heute die meiste Zeit getan habe, war, an dich zu denken", sagte er. "Obwohl ich mir die größte Mühe gab, es nicht zu tun." Er beobachtete sie prüfend, während er hinzufügte: "Schließlich ist es ja nicht so, als könnte ich noch auf eine gemeinsame Zukunft mit dir hoffen." Sie sagte nichts. Kirks Herz klopfte schneller. Überlegte sie es sich anders? Er wusste, es war klüger, sie nicht zu bedrängen, aber trotzdem gelang es ihm nicht, sich zurückzuhalten. "Als ich dich vorhin mit Ian sah… Du kannst mir nicht erzählen, dass er dir nicht sehr ans Herz gewachsen ist. Das ist für jeden offensichtlich, der dich mit ihm erlebt." "Ich habe nie versucht, meine Gefühle für den Kleinen zu verbergen." Aber deine Gefühle für mich versuchst du zu verbergen, dachte er. Obwohl das eigentlich nicht stimmte. Sie hatte zugegeben, dass sie ihn liebte - oder, zumindest doch, dass sie ihn geliebt hatte, bevor ihre Beziehung zerbrochen war. "Komm her." Kirk klopfte einladend auf das Sofa neben ihm. Sunny schüttelte den Kopf. Er stand auf und ging zu ihr. Mit einer geschickten Bewegung zog er sie aus dem Sessel, setzte sich hinein und nahm sie auf den Schoß. Sie versuchte,
aufzustehen, aber er schloss die Arme nur noch fester um sie. Schließlich gab sie ihren Widerstand auf und seufzte nur ärgerlich. "Ich weiß, dass du verwirrt bist", fuhr Kirk fort. "Du möchtest, dass ich denke, du hättest dir dies alles sehr gut überlegt, es sei eine klare Sache, und nichts könnte an deinem Entschluss noch etwas ändern. Wahrscheinlich glaubst du es sogar selbst. Aber so ist es nicht, Sunny." "Kannst du jetzt auch Gedanken lesen?" Sie fühlte sich so gut in seinen Armen an, und sie duftete wundervoll. "Ich brauche deine Gedanken nicht zu lesen", sagte er. "Ich sehe es in deinen Augen - deine Zweifel und auch die Gefühle für mich, die du so gern verdrängen würdest." Sie wandte den Blick ab. "Du versuchst diese ganze vertrackte Situation in die strengen Parameter einzufügen, die du dir in den Kopf gesetzt hast", fuhr er fort, "aber das ist gar nicht so einfach, wenn deine Gefühle nicht kooperieren wollen, nicht wahr?" "Ich weiß nicht, wovon du redest. Definieren Sie ,Parameter', Herr Professor." "Spiel jetzt nicht die dumme kleine Kellnerin - du weißt ganz genau, wovon ich rede", entgegnete er mit einem mutwilligen Grinsen. "Wenn du noch einmal Herr Professor zu mir sagst, leg ich dich übers Knie." "Du versuchst mir zu sagen, dass ich meine wahren Gefühle verleugne Und versuche, sie hinter den künstlichen Barrieren zu verbergen, die ich angeblich vor dir errichtet habe. Wie mein Wunsch nach einer traditionellen Familie - einschließlich eigener Kinder. Wie mein Beharren darauf, dass der Mann, mit dem ich mein Leben teile, keine wichtigen Geheimnisse vor mir verbirgt. Wie eine Vasektomie zum Beispiel!" "Dafür habe ich mich schon entschuldigt", gab er zurück. "Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich würde in meinem ganzen Leben nie wieder einen Fehler machen und niemals
wieder jemanden verletzen. Aber du hast ja wahrscheinlich noch nie etwas getan, was du später dann bereut hast?" Sie ignorierte den kleinen Stich. "Das klingt, als wäre ich schrecklich verbissen. Als würde ich mir etwas vormachen. Aber das tue ich nicht, Kirk. Ich habe immer schon gewusst, was ich will." "Es ist gut zu wissen, was man will." Kirk zog sie noch fester an seine Brust, und sie versteifte sich ein wenig. "Es ist gut, ein Ziel zu haben. Aber man darf es nicht zu einer fixen Idee ausarten lassen. Dann ist man nur noch Sklave seiner Obsession." Sunny wollte etwas erwidern, aber er legte eine Hand auf ihren Mund. "Sag jetzt nur nicht wieder, alle anderen außer dir hätten ein harmonisches Familienleben. Wir beide wissen, dass es nicht so ist." Sie wartete geduldig, bis er die Hand von ihrem Mund nahm. "Ein wichtiges kleines Detail scheint dir entgangen zu sein. Du bist derjenige, der Schluss gemacht hat." "Und du bist diejenige, die die Macht besitzt, uns wieder zusammenzubringen", parierte er. "Wirklich zusammen. Nicht nur pro forma, so wie in den letzten Wochen." "Ja, ich brauche nur den Traum meines Lebens dafür aufzugeben." "Du brauchst nur auf dein Herz zu hören." Kirk legte seine Hand auf die glatte Haut ihres Halses, die der V-Ausschnitt ihrer ärmellosen hellen Leinenb luse frei ließ. "Hör auf, dich davor zu verschließen, und geh, wohin dein Herz dich trägt." Sie schloss die Augen, und er konnte erkennen, wie sehr sie mit sich rang. "Ich weiß", sagte er und streichelte ihren Rücken. "Ich weiß, wie schwer es ist und wie verwirrend. Aber gib mich nicht so einfach auf, Sunny. Gib uns nicht auf. Das ist alles, worum ich dich bitte." Sunny öffnete die Augen. Sie sah jetzt ungemein verloren und verwundbar aus. Diesmal wehrte sie sich nicht, als Kirk sie
an sich zog, sondern schmiegte sich an seine Brust und legte ihren Kopf an seine Schulter. Als sie sprach, hatte er Mühe, ihre Worte zu verstehen. "Ich gebe zu, dass die ganze Sache nicht so einfach ist, wie ich es gern hätte." Sie kuschelte sich noch ein wenig mehr an Kirk, als suchte sie Zuflucht vor dem Sturm der Emotionen, die sie so verwirrten. Kirk senkte den Kopf und strich mit den Lippen über ihr weiches Haar. "Ich mag zwar nicht in der Lage sein, dir alle deine Träume zu erfüllen, aber eins zumindest kann ich dir versprechen." Sie schaute mit feuchten Augen zu ihm auf. "Niemand könnte dich mehr lieben als ich", flüsterte er. Prüfend blickte sie ihm in die Augen. Er umfasste ihr Kinn und drückte die Lippen auf ihren Mund. Es war fast ein Schock für ihn, wie gut ihr Mund sic h anfühlte und wie sehr er Sunny vermisst hatte. Sie wehrte sich nicht gegen den Kuss. Es war, als habe Kirk irgendeine Barriere in ihr überwunden und sie gehörte wieder ihm. Zumindest in diesem Augenblick. Sunnys Lippen bewegten sich unter seinen, und als seine Zunge ihre berührte, vertiefte sie den Kuss. Sie schlangen die Arme umeinander; er zog ihre Beine an sich und strich mit einer Hand von ihrem Schenkel bis hinauf zu ihrer Hüfte. In einem atemlosen Seufzer wich die Luft aus ihren Lungen, als sie den leidenschaftlichen Kuss dann schließlich unterbrach. "Du hast mir so gefehlt", murmelte Kirk und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Ihre Brüste streiften ihn bei jedem ihrer Atemzüge, in einer stummen Einladung, seine Hände noch ein wenig höher wandern zu la ssen. Sunny schloss für einen Moment die Augen, als er ihre Brüste durch die Bluse hindurch streichelte. Automatisch suchten seine Finger die empfindsamen kleinen Spitzen. Sunny
atmete schneller; sie lehnte sich ein wenig zurück und stützte sich auf seinen anderen Arm, um Kirk mehr Spielraum für seine zärtlichen Liebkosungen zu geben. "Ich mag es, wie du mich berührst", murmelte sie. "Du hast immer schon gewusst, wie…" Sie beendete den Satz mit einem leisen Seufzer. Kirk begann die winzigen Knöpfe vorn an ihrer Bluse zu öffnen. Ihr BH kam zum Vorschein, aus Baumwolle, wie immer, und wieder aus aufreizenden halben Körbchen, wenn er auch diesmal hellblau und weiß kariert war. Zärtlich strich Kirk mit einem Finger über die weichen Rundungen ihrer Brüste. "Du hast viel Sonne abbekommen diesen Sommer. Wie weit reicht die Bräune?" Sie lächelte mutwillig. "Das verrate ich dir nicht." "Dann zwingst du mich, mein Forschungstalent einzusetzen." "Die wissenschaftliche Methode, Herr Professor?" In gespieltem Ärger runzelte er die Stirn. "Hatte ich dir nicht gesagt, was passiert, wenn du mich noch einmal so nennst?" Sie grinste schelmisch. "Du hattest versprochen, mich übers Knie zu legen, wenn ich mich recht entsinne." Er ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten. "Das klingt ja fast, als wolltest du, dass ich es tue." Er streifte Sunny die Bluse über die Schultern und warf sie auf den nächsten Sessel. "Diesen BH kenne ich noch nicht. Er gefällt mir." "Danke." Er spielte mit dem Reißverschluss ihrer weißen Jeans. "Trägst du einen passenden Slip dazu?" In ihren Augen sah er, dass sie zögerte. Ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihn daran zu hindern, öffnete er ihre Jeans, um den Slip zu enthüllen. Er hatte das gleiche Muster wie der BH und war nicht mehr als ein winziges Stück Stoff. Sunny hatte ein Vorliebe für knappe Slips. Dass sie aus Baumwolle statt aus irgendeinem seidig glatten Material waren, reizte Kirk höchstens
noch mehr. Er liebte Sunnys natürliche Sinnlichkeit; sie schaffte es immer, sexy und zugleich unschuldig aus zusehen. "Das ist keine gute Idee", sagte Sunny, als er ihr die Jeans abstreifte. "Es ist die beste Idee, die ich heute hatte." Er warf die Jeans zu ihrer Bluse auf den Sessel. Als er seine Hand auf ihren Bauch legte, fühlte er, wie ihre Bauchmuskeln sich zusammenzogen. Der nackte Ansatz ihrer Brüste hob und senkte sich ein wenig schneller, als er ganz sacht über ihren Bauch strich und die Hand dann auf ihrem Bauchnabel verweilen ließ. Während er ihr in die Augen schaute, ließ er die Hand noch tiefer gleiten, bis sie den oberen Rand des Slips berührte. "Kirk…" Sunny klang ein bisschen atemlos. "Ich habe es mir nicht anders überlegt. Ich meine, ich will noch immer nicht." Er konnte sie dazu bringen, dass sie wollte. Er kannte Sunny. Er kannte ihre Vorlieben und Schwächen. Er wusste, wo er sie berühren musste, um sie zu erregen. Er konnte sie verführen. Er sehnte sich beinahe schmerzlich danach, es zu tun. Aber er wollte auf keinen Fall, dass Sunny es bereute, wenn sie mit ihm schlief. Er beschloss, dass sie, wenn sie sich ihm das nächste Mal hingab, nicht den geringsten Zweifel hegen würde, dass es richtig war. Sie würde ihn genauso sehr begehren wie er sie. Und bis dahin… "Ich weiß", sagte er und beugte sich vor, um sie zu küssen. "Aber das heißt noch lange nicht, dass ich dich nicht… verwöhnen kann." "Oh nein, das tust du nicht." Sie lachte zitternd und ergriff sein Handgelenk. "Das ist das Gleiche." "Ja?" Seine Finger glitten noch tiefer und strichen über das weiche Haar unter dem dünnen Stoff zwischen ihren Schenkeln. "Das finde ich aber nicht. Ganz und gar nicht." Er hörte nicht auf, sie zu liebkosen, und irgendwann seufzte sie und ließ sein Handgelenk los. Ihre Beine öffneten sich ein
wenig; wahrscheinlich merkte sie es gar nicht. Sehr sacht ließ er seine Fingerspitzen über die empfindsame Stelle zwischen ihren Schenkeln gleiten. Sunny schnappte nach Luft und bewegte unruhig die Hüften. Sie klammerte sich jetzt an ihn, als hielte sie sich an einem Rettungsanker fest. "Ich mag es, wie du aussiehst, wenn ich dich berühre", murmelte er. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen halb geschlossen. "Du weißt gar nicht, wie schön du bist." Er sah, wie sie sich bemühte, den Blick auf sein Gesicht zu richten, und dass sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen - um ihn zu bitten, aufzuhören, höchstwahrscheinlich. Aber er intensivierte seine Liebkosungen, und ihre Worte erstarben in einem lustvollen Stöhnen, das wie ein Aphrodisiakum auf ihn wirkte. "Entspann dich", sagte er. "Lass mich dich verwöhnen." Kirk schob die Hand in Sunnys Slip und merkte, dass sie höchst erregt und sehr bereit für ihn war. Plötzlich war er versucht zu nehmen, was ihr Körper bot, und das Feuer zu stillen, das ihn von innen heraus zu verzehren drohte. Sie würde es ihm nicht verübeln, das wusste er; sie würde es genauso sehr genießen wie er. Aber es würde sie der wahren Versöhnung nicht näher bringen und sie vielleicht sogar noch weiter auseinander treiben. Sich in Zaum zu halten, war nie schwieriger für ihn gewesen. Nicht einmal früher als ungeduldiger Teenager, während er darauf gewartet hatte, dass Sunny ihm grünes Licht für ihre erste erotische Begegnung gab. Sie bewegte sich auf seinem Schoß, als er sie dort liebkoste, wo ihre süße Qual am größten war. Ihr lustvolles Stöhnen steigerte sein Verlangen beinahe bis ins Unerträgliche. Als sein Blick nach unten glitt, sah er seine eigene Hand, die groß und dunkel auf dem feinem Stoff wirkte, der sie kaum verhüllte. Er konnte auch das kastanienbraune Haar zwischen ihren Schenkeln sehen, da ihr Slip ein Stück hinabgerutscht war,
als sie sich im Rhythmus seiner sinnlichen Liebkosungen bewegte. Sein Blick kehrte zu ihrem erhitzten Gesicht zurück, als er langsam mit einem Finger in sie eindrang. Ihre Lippen teilten sich in einem rauen Seufzer. Er sagte: "Öffne deinen BH." Sie blinzelte. Er sah sie die Worte registrieren und sekundenlang darüber nachdenken, bevor sie den Kopf schüttelte. "Tu es", befahl er, ohne seine Liebkosungen zu unterbrechen. "Öffne ihn." Sunnys Finger zitterten, als sie gehorchte. Es war ein vom geschlossener BH. Die Körbchen teilten sich und entblößten ihre wundervollen Brüste, deren rosige Knospen sich aufgerichtet hatten. Kirk senkte den Kopf und nahm eine dieser verführerischen Spitzen zwischen seine Lippen, während er mit einem zweiten Finger in sie eindrang und seine aufreizenden Liebkosungen noch intensivierte. Sunny stöhnte auf und umklammerte seine Schultern; ihre Fingernägel bohrten sich in seine Arme. Ihr Körper versteifte sich, und sie bäumte sich mit einem heiseren Aufschrei auf, als sie den Höhepunkt erreichte. Kirk hob den Kopf und beobachtete sie, sah, wie ihr Gesicht sich vor Lust verzerrte. Er spürte, wie intensiv sie den Moment erlebte, als er fortfuhr, sie zu streicheln, Und hörte es an den erstickten Seufzern, die sich ihr entrangen. Nichts hätte süßer klingen können. Ermattet sank Sunny zusammen. Er beruhigte sie mit geflüsterten Koseworten und liebevollen Zärtlichkeiten. Ihre Lider flatterten, sie öffnete die Augen. Er lächelte sie an und ließ den Atem, den er unwillkürlich angehalten hatte, erst aus, als er ihr antwortendes Lächeln sah. Aufatmend beugte er sich vor und küsste sie auf die Lippen. "Ich nehme es zurück, Herr Professor", flüsterte Sunny. "Was nimmst du zurück?"
Sie lächelte noch breiter und rekelte sich wie eine zufriedene Katze. "Ich muss dir Recht geben. Es war deine beste Idee heute."
14. KAPITEL "Ich wünschte, ich hätte nie etwas von dem verdammten Heiratspakt gehört. Melone oder Joghurt?" Block und Stift in der Hand, blieb Sunny am Tisch stehen, während Amanda überlegte, was sie zum Frühstück bestellen wollte. Es war immer entweder das eine oder das andere für die schlanke Blondine - eine halbe Melone mit fettarmem Hüttenkäse oder fettarmer Vanillejoghurt mit Müsli und Bananenscheiben. Und dazu bestellte sie Jasmintee. Kein Coffein für Miss Coppersmith, niemals. Sunny fragte sich, wie viel rechthaberischer ihre Freundin wohl werden würde nach ein, zwei Tassen des bitteren pechschwarzen Kaffees, den sie im Wafflemania servierten, und dachte, dass es vermutlich sogar gut war, dass Amanda nur Jasmintee trank. Das Restaurant hielt ihn ausschließlich für diesen einen anspruchsvollen Gast vorrätig. "Joghurt." Amanda thronte wie eine Königin in der sonnenbeschienenen Ecknische, die sie bevorzugte, wenn sie allein zum Essen kam. Die verschiedenen Teile der Sunday New York Times lagen ausgebreitet vor ihr auf dem Tisch. Sunny war lange genug Kellnerin, um zu wissen, dass die meisten Leute es hassten, allein in einem Restaurant zu essen, und auffallend unsicher wurden, wenn sie gezwungen waren, es zu tun. Nicht jedoch Amanda, die sich immer pudelwohl fühlte in ihrer eigenen Gesellschaft, ganz gleich, in welcher Umgebung
sie sich befand. Sie hatte nicht nur keine Probleme damit, von anderen Gästen angestarrt zu werden, sondern setzte vermutlich sogar voraus, dass sie es taten. Es schien für sie selbstverständlich zu sein, dass sie die attraktivste, interessanteste Person im Raum war. Sunny empfand Mitleid mit den armen, hoffnungsvollen Männern, die sich Amanda in der Absicht näherten, sie in eine Unterhaltung zu verwickeln. Wenn ihr abweisender Blick nicht genügte, um sie abzuschrecken, erreichte sie das mit ein paar gut gewählten Worten, die garantiert jeden Mann mit gesenktem Kopf und Entschuldigungen murmelnd davonschleichen ließen. "Das mit dem Heiratspakt meinst du doch nicht so", sagte Amanda. "Und ob ich es so meine." "Nun, dann denk doch mal an Raven und Charli. Wenn der Heiratspakt nicht gewesen wäre, hätten sie Hunter und Grant nie kennen gelernt." Und wenn der Heiratspakt nicht wäre, dachte Sunny, würde ich jetzt nicht mit dieser schrecklichen inneren Leere meiner Arbeit nachgehen müssen. Nach der letzten Nacht war sie noch verwirrter als vorher. Sie hätte keine Sekunde länger in Kirks Haus bleiben dürfen, nachdem seine Eltern aufgebrochen waren - es hatte schließlich einen Grund, dass sie es vermied, mit ihm allein zu sein. Dieser Grund war ihr wieder schmerzlich zu Bewusstsein gekommen, als ihre Leidenschaft verblasste und sie sich nackt in den Armen des Mannes wieder fand, den sie für immer aus ihrem Leben hatte verbannen wollen. Des Mannes, den sie liebte. Was er gesagt hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. "Niemand könnte dich mehr lieben als ich." Sie wünschte, sie würde es ihm nicht glauben. Sie wünschte, sie könnte ihn aus ihrem Kopf und ihrem Herz verbannen und sich nach jemand anderem umsehen.
Tatsache war, dass das erotische Zwischenspiel von gestern Abend ihren Entschluss, genau das zu tun, noch weiter unterminiert hatte. Wie sollte sie auf ihrem Standpunkt beharren, wenn sie selbst Stunden später noch immer Kirks warme Hände auf ihrem Körper zu spüren glaubte? "Setz dich." Amanda deutete auf die Bank ihr gegenüber. Automatisch blickte Sunny sich nach ihrem Chef um. "Ich habe ihn gerade mit eine m Kreuzworträtsel zur Toilette gehen sehen." Amanda hob ihre Tasse an die Lippen. "Dort wird er jetzt etwa eine halbe Stunde bleiben. Und im Lokal ist sowieso im Moment nicht viel los. Also nutz die Gelegenheit, und setz dich." Sunny tat es. Nachdem Amanda praktisch ihr ganzes Leben Gast im Wafflemania gewesen war, kannte sie den Besitzer und seine Gewohnheiten fast so gut wie seine Angestellten. "Was machen die Ausgrabungen?" fragte Amanda. "Die Arbeit ist schmutzig und sehr anstrengend, aber sie macht Spaß. Und ich habe auch schon an einer Vorlesung über die Geschichte von Long Island teilgenommen." "Beides passt sehr gut zusammen, nicht? Ein bisschen hiesige Geschichte und dazu die Ausgrabung eines Dorfs amerikanischer Ureinwohner." Sunny nickte. "Ich habe mich schon immer sehr für diese Dinge interessiert. Und die Möglichkeit, bei Ausgrabungen dabei zu sein, ist wundervoll. Ich wünschte nur, ich hätte schon vor Jahren damit angefangen." "Nun, dafür tust du es ja jetzt. Schau nach vorne, nicht zurück." Amanda schwieg einen Moment und spielte nachdenklich mit ihrem Löffel. "Du hast dich übrigens geirrt." Sunny runzelte die Stirn. "Geirrt? Worin?" "Als du sagtest, ich hätte immer alles bekommen, was ich wollte." Amanda bezog sich auf das Gespräch im Garten vo n Charlis Elternhaus, als Amanda Mrs. Rossis Fingernägel lackiert hatte.
"Du weißt schon, was ich meinte", sagte Sunny. "Ja, das weiß ich, und deshalb sage ich, du irrst dich." "Aber sieh dich doch an." Sunny deutete auf ihre Freundin, die selbst an einem Sonntag eine elegante dunkle Hose und ein seidenes Polohemd trug. "Du bist schön, intelligent und hast einen Beruf, um den jeder dich beneiden würde. Du gibst ein intelligentes Kindermagazin heraus, das sich bestens verkauft." Amanda richtete einen düsteren Blick auf Sunny. Mit leiser Stimme sagte sie: "Meine zweite Scheidung… Es gab eine Zeit danach, da dachte ich, ich schaffte es nicht. Es war, als säße ich in einem bodenlosen schwarzen Loch…" "Ich weiß", murmelte Sunny. "Nein, du weißt gar nichts." Amanda richtete sich ein bisschen gerader auf und setzte ein erzwungenes kleines Lächeln auf. "Du hast nur erfahren, was ich euch sehen ließ. Das meiste habe ich für mich behalten." Sunny schluckte. Sie hatte gewusst, dass ihre Freundin litt, und vermutet, dass der Schmerz erheblich tiefer ging, als sie zu jener Zeit bereit war, zuzugeben. Aber Amanda hatte sich damals so großartig aus der Affäre gezogen, wie sie es auch mit allem anderen tat. Sunny, Raven und Charli hatten Amanda damals beigestanden, sie waren immer für sie da gewesen… Aber vielleicht hätten sie sich noch ein bisschen mehr bemühen sollen. Amanda schien zu spüren, woran Sunny dachte. "Ihr habt für mich getan, so viel ihr konntet. Es lag an mir. Ich wollte niemandem zeigen, wie deprimiert ich war. Ich hatte Angst, dass ich, wenn ich mich zu sehr gehen ließ, zerbrechen würde." Sie zuckte mit den Schultern. "Und ich habe es ja auch überstanden." Sunny griff über den Tisch und legte ihre Hand auf Amandas. "Warum erzählst du mir das jetzt?" "Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du keine Ahnung hast, was für ein Glück du hast. Wenn nur einer meiner beiden
Exmänner mich so geliebt hätte wie Kirk dich ganz offensichtlich liebt…" Amanda lächelte traurig; ihre Augen waren feucht. "Ich hätte eine Menge aufgegeben für eine solche Liebe. Sie ist nämlich sehr selten und etwas ganz Besonderes, und das ist auch schon alles, was ich dazu sagen werde." Sie zog die Hand zurück. Ihr Kinn zitterte, als beherrschte sie sich nur noch mit Mühe. Sunny wusste, dass Amanda sich nur selten jemand anvertraute, nicht einmal ihren besten Freundinnen. Dass es jetzt bei ihr tat, rührte sie. "Ich wünschte nur, die ganze Geschichte wäre nicht so…" "Kompliziert?" Sunny nickte. "Willkommen im Erwachsenenalter - der Zeit der schwierige n Entscheidungen." "Vielleicht ist das mein Problem", murmelte Sunny. "Vielleicht bin ich noch zu unreif, um zu schätzen, was ich habe." Amanda lächelte. "Niemand kann dir vorwerfen, unreif zu sein", widersprach Amanda. "Du bist eigensinnig, widerspenstig und impulsiv, aber nicht unreif." "Na vielen Dank", entgegnete Sunny trocken. "Jetzt fühle ich mich schon sehr viel besser." Amandas Blick fiel auf irgendetwas hinter Sunny. "Die Pause ist vorbei. Du hast Gäste." Sunny blickte hinter sich. Und lächelte. "M eine sonntäglichen Stammgäste, die MacLeods." Während sie sich erhob, drückte sie noch einmal Amandas Hand und sah ihr in die Augen. "Danke." Amanda zwinkerte ihr zu. "Vergiss nicht, ich möchte Joghurt, nicht Melone." "Klar." Sunny nahm Speisekarten und die Kaffeekanne und ging zu der Nische, in der Jim, Emily und der kleine David MacLeod
gerade Platz nahmen. Emily stellte irgendetwas auf die Bank neben sich. Es dauerte einen Moment, bis Sunny merkte, dass es eine Kindertragetasche war, von der Art, die man leicht zu einem Sitz umfunktionieren konnte. Und in der Tasche lag ein asiatisches Baby, das nicht älter als drei Monate sein konnte. "Wen haben Sie denn da heute mitgebracht?" Sunny verteilte die Speisekarten und schenkte Davids Eltern Kaffee ein. Ob die MacLeods heute Babysitter spielten? David, der auf der gegenüberliegenden Bank neben seinem Vater saß, schlug sich auf die Knie. "Sie ist meine neue Schwester, sie heißt Jennifer, und sie isst noch kein richtiges Essen und geht auch noch nicht auf den Topf. Sie trinkt aus einer Flasche und macht in eine Windel!" "Deine neue Schwester?" Fragend blickte Sunny von dem aufgeregten David zu den lächelnden Gesichtern seiner Eltern. "Oh. Haben Sie sie adoptiert?" Kaum hatte sie es gesagt, bereute Sunny ihre Frage, weil sie ihr so dumm vorkam. Welche andere Erklärung konnte es denn geben? "Ja", erwiderte Jim mit einem strahlenden Lächeln. Er betrachtete Jennifer, die an einem Schnuller nuckelte und mit großen dunklen Augen zu Emily MacLeod aufsah. "Wir haben lange auf diesen kleinen Schatz gewartet." "Aber nicht einmal annähernd so lange, wie wir auf David warten mussten", fügte Emily hinzu. Sunny wusste nicht, wie sie Emilys Bemerkung interpretieren sollte. Was sie sagte, konnte nur bedeuten, dass es sehr lange gedauert hatte, bis sie mit David schwanger geworden war. Dies waren schließlich die MacLeods. Die Bilderbuchfamilie, die Sunny beneidet hatte, seit der kleine David ein Säugling gewesen war. Adoption war gut und schön, aber eine Familie wie diese hier etwas ganz anderes. Sie war das einzig Wahre. Eine solche Zusammengehörigkeit erreichte man nicht durch…
"Jennifer ist adoptiert, genau wie ich", verkündete David fröhlich, "aber sie kommt bloß aus Korea. Ich kam von viel weiter, aus New Jersey!" Jim und Emily lachten, und Jim strich dem Jungen übers Haar. "David ist der beste große Bruder, den man sich nur vorstellen kann. Sag Sunny, was du heute Morgen getan hast." "Ich habe Jennifer ihr Fläschchen gegeben!" "Wirklich?" Sunnys Ton verriet ihm, wie beeindruckt sie von seiner Reife war. "Hat sie es ausgetrunken?" "Ja. Und Mommy hat mir ein Tuch umgehängt und dann Jennifer darauf gelegt, und ich habe ihr den Rücken geklopft, und sie hat gespuckt, und ein bisschen davon landete auf meinem Hemd. Igitt!" Er schlug sic h an die Stirn und überzog das Ganze noch ein wenig für sein Publikum. "Es war richtig eklig!" "Das reicht jetzt, David", sagte Emily lachend. "Die anderen Leute essen. Sie möchten nichts über Spucke hören." Jennifer begann zu weinen. Ihre Mutter griff nach ihr. Aus einem Impuls heraus sagte Sunny: "Darf ich?" "Natürlich. Ich glaube, sie möchte nur ein bisschen mehr sehen", sagte Emily, als Sunny die Kaffeekanne abstellte und Jennifer vorsichtig aus dem Bettchen hob. "Sie ist ein ausgesprochen wissbegieriges Kind", fuhr Emily fort. "Sie muss immer alles sehen, was um sie herum geschieht, und will immer mittendrin sein." "David war genauso als Baby", sagte Jim mit einem stolzen Lächeln. "Ist das wahr?" fragte Sunny das Baby, als sie es in den Armen hielt. "Bist du eine kleine neugierige Maus?" Jennifer starrte Sunny unverwandt aus ihren wachen dunklen Augen an. Dieser winzige neue Mensch erinnerte sie plötzlich sehr an Ian; nicht vom Aussehen her natürlich, aber in der unbezähmbaren Neugierde, mit der die kleine Jennifer alles um sich herum aufnahm.
"Sie ist entzückend", flüsterte Sunny, mehr zu sich selbst als den MacLeods. Beinahe ehrfürchtig streichelte sie das weiche dunkle Haar des Kindes. Und da löste sich etwas in Sunny, und eine Beklemmung, derer sie sich bis zu diesem Augenblick nicht einmal bewusst gewesen war, ließ so plötzlich nach, dass sie sich fragte, wie sie all die Jahre damit hatte leben können. Sie wusste nun, was sie zu tun hatte. Jennifer öffnete den Mund zu einem ausgiebigen Gähnen und entblößte einen zahnlosen rosa Gaumen. Sunny unterdrückte ein Kichern und merkte plötzlich, dass sie Tränen in den Augen hatte. Sie blinzelte, um sie zu verdrängen, und gab Emily ihr Kind zurück. "Sie sind ein Naturtalent mit Kindern", sagte Emily und lächelte sie wissend an. Sunny atmete tief durch. "Das hat man mir schon oft gesagt." "Ich möchte eine Waffel!" verlangte David. "Mit Blaubeersirup und Würstchen und Grapefruitsaft!" Jim lachte. "Was für eine Überraschung." Sunny fühlte sich beschwingter als seit Jahren. "Kommt sofort!"
15. KAPITEL Sunny schlüpfte durch den Hintereingang in den Hörsaal. Es war halb zehn Uhr morgens, und sie war schon für die Arbeit angezogen, obwohl sie erst mittags im Wafflemania sein musste. Etwa zweihundert Studenten füllten den Hörsaal. Kirk stand im vorderen Teil des Raums und kritzelte etwas an die Tafel. "Kraft, in Newtons", sagte er und schrieb etwas auf die Tafel, "gleich Masse in Kilogramm…" Wie langweilig, dachte Sunny, als sie die Studenten beobachtete, die gewissenhaft mitschrieben. Wie ertrugen sie das nur? "… mal Beschleunigung in Metern pro Sekunde…" Kirk ergänzte die Formel an der Tafel und wandte sich zur Klasse um. Fast augenblicklich sah er Sunny, die an der hinteren Wand des Hörsaals lehnte. Ein Ausdruck des Erstaunens huschte über sein Gesicht, was die meisten seiner Studenten veranlasste, sich neugierig umzudrehen. Sunny lächelte und winkte. "Hm…" Kirk blickte sich nach der Tafel um, als wolle er sich ins Gedächtnis rufen, dass er hier war, um zu unterrichten. "Ein Beispiel - ja?" Ein Student aus der ersten Reihe hatte die Hand gehoben und stellte eine Frage, die Sunny nicht verstand. Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu. Nach einigen kühleren Tagen hatte der Sommer sich heute Morgen wieder
durchgesetzt, und die Temperaturen waren gestiegen. Im Hörsaal war es viel zu heiß und stickig. Kirk beantwortete die Fragen der Studenten, wobei sein Blick gelegentlich zu Sunny hinüberglitt. Sie brauchen hier eine Klimaanlage, dachte sie, während sie die Hand hob, um den obersten Knopf ihrer pinkfarbenen Uniform zu öffnen. Kirk, der sie beobachtete, kam durcheinander und schaffte es nur mit Mühe, seinen Gedankengang weiterzuführen. . "Ja… Gut. Und nun ein Beispiel", fuhr er fort. "Wenn eine Kraft von fünf Newton…" Sunny öffnete den nächsten Knopf. "… auf ein drei Kilo schweres Objekt einwirkt…" Die Studenten warteten. Einige folgten Kirks Blickrichtung und drehten sich zu Sunny um, die ihre Uniform so weit aufgeknöpft hatte, wie es gerade noch vertretbar war, sich lächelnd Luft zufächelte und tief durchatmete. "… beschleunigt sich das Objekt um…" Er brach ab, als Sunny sich genüsslich streckte, den Rücken durchbog und die Schultern kreisen ließ. Einer der Studenten fasste Kirks Schweigen als Stichwort auf, die Gleichung zu vollenden. "Dreiundfünfzig Meter pro Sekunde." Kirk blinzelte den Studenten an. "Was?" "Dreiundfünfzig Meter pro Sekunde!" Der Junge hob die Hände, als wolle er sagen: Klar? "Ja." Kirk nickte hastig. "Richtig. Wir machen heute ein bisschen früher Schluss." Ein dankbares Murmeln stieg von den Studenten auf, die unverzüglich ihre Bücher und Stifte einpackten und den Saal verließen. Ein junger Mann mit teigigem Gesicht und fettigem Haar zwinkerte Sunny zu und dankte ihr, als er an ihr vorbeikam. Endlich war der letzte Student hinausgegangen, und Sunny war mit Kirk allein. Er steckte seine Notizen in seine Aktentasche und ging zu Sunny. Für einen Moment blieb er mit
unbewegter Miene vor ihr stehen. Schließlich sagte er: "Ich hatte keine Ahnung, dass du dich für Physik interessierst." "Hatte ich dir nicht gesagt, ich würde an einigen Vorlesungen teilnehmen?" "Nun, falls du vorhast, noch einmal so eine Vorstellung zu bringen, dann warn mich bitte vorher, damit ich mir die Augen verbinden kann." Er stellte die Tasche auf den Boden und knöpfte Sunnys Uniform zu. Sie fragte sich, ob er wohl das aufgeregte Pochen ihres Herzens spüren konnte, legte ihre Hände über seine und sah ihm in die Augen. Leise sagte sie: "Ich weiß, ich verdiene dich nicht, aber falls du mich noch willst…" Sein Blick war so eindringlich, dass er sie zu versengen drohte, und als er ihre Hände drückte, tat er es so fest, dass sie zusammenfuhr. Sunny schluckte. "Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen, Kirk. Ich hätte lieber nur dich und keine Kinder als mit einem anderen Mann ein ganzes Dutzend. Bitte verzeih mir, Kirk. Es tut mir so Leid…" Das letzte Wort erstarb in einem Schluchzen, und Kirk schloss sie in die Arme und drückte sie an seine breite Brust. "Es gibt nichts zu verze ihen", flüsterte er. "Ich liebe dich, Sunny." Er küsste sie, als ob er sich nie wieder von ihren Lippen lösen wölke, und Sunny war froh über Kirks starke Arme, die sie hielten, weil ihr ganz schwindlig war vor Glück. Eine Stimme in der Nähe murmelte: "Entschuldigung…" Beide wandten sich zu einem Jungen um, der mit rotem Kopf ein Buch vom Boden aufhob. "Ich habe mein Buch vergessen." Mit gesenktem Kopf lief er zur Tür. Kirk rief ihm nach: "Bringen Sie mir die heutige Aufgabe bis um drei in mein Büro, Mr. Farber!" Sunny stieß ihn lachend an. "Lass den armen Jungen in Ruhe. Er ist schon schockiert genug."
Kirk schlang die Arme um ihre Taille und zog sie an sich. "Sunny, ich weiß, wie wichtig Kinder für dich sind…" Sie legte einen Finger an seine Lippen. "Wir haben schon ein Kind. Ich könnte mir keinen besseren Sohn wünschen - auch wenn ich lange gebraucht habe, um zu begreifen, wie glücklich ich mich schätzen kann." Kirk streichelte ihren Rücken. "Es bleibt immer noch die Operation." "Und es gibt auch noch andere Wege. Aber das Wichtigste ist, dass wir zusammen sind. Ich brauche dich, Kirk. Solange wir zusammen sind, wird alles andere sich finden." Sie zog Kirks Kopf zu einem leidenschaftlichen Kuss zu sich herab, und beide rangen nach Atem, als sie ihn beendeten. Kirks Blick glitt zu den Knöpfen, die er soeben erst geschlossen hatte. "Wir sollten uns einen ungestörten Platz suchen…" Sunny sah zu, wie Kirk die Tür seines Büros abschloss und die cremefarbene Jalousie am Fenster herabließ. Das Sonnenlicht, das durch die Blenden fiel, tauchte den Raum in ein einladendes sanftes Licht. Kirk wandte sich zu ihr. "Zieh dich aus." Sunny lachte. "Du hast es aber wirklich eilig!" Kirk ging zu der Couch an der Wand und begann die Bücher und Akten, die darauf lagen, wegzuräume n. "Es ist genau achtzehn Tage her, seit wir uns das letzte Mal geliebt haben, und ich würde dich mit Vergnügen selbst auszuziehen, aber in meiner Ungeduld würde ich dir vielleicht dabei die Uniform zerreißen. Wie würdest du das deinem Chef erklären?" Sunny zupfte an dem pinkfarbenen Material. "Das ist Polyester. Das zerreißt nicht so schnell." Kirk entfernte die letzten Papiere vom Sofa und drehte sich wieder zu ihr um. "Ich würde es nicht darauf ankommen lassen." Die prickelnde Wärme, die Besitz von ihr ergriffen hatte, als er im Hörsaal ihre Knöpfe geschlossen hatte, intensivierte sich.
"Was ist, wenn jemand kommt und an die Tür klopft? Ich meine, die Hörsäle liegen doch ganz in der Nähe." Während sie sprach, begann Kirk schon sein Hemd aufzuknöpfen. "Was werden die Leute denken, wenn du die Tür nicht aufmachst?" Er streifte das Hemd ab und entblößte seine muskulöse, braun gebrannte Brust, die mit feinem blonden Haar bedeckt war. "Sie werden denken, wir trieben hier etwas unbeschreiblich Erotisches." Er öffnete seine Gürtelschnalle. "Und Sie hätten Recht." Sunny atmete tief ein. "Es hat uns sicher jemand zusammen hineingehen sehen." Kirk lächelte. "Das klingt aber sehr prüde für eine Frau, die keine zehn Minuten zuvor buchstäblich einen Striptease für zweihundert pickelige Erstsemester hingelegt hat." Sie grinste. "Ich wollte mit dir allein sein. Ich konnte nicht noch länger warten." "Jetzt hast du mich für dich allein." Er zog seine Jeans aus und schob sie mit den Füßen weg. Sein Slip folgte. "Und wie gedenkst du das zu nutzen?" Kirk stand nackt und voll erregt vor ihr - ein schöner blonder Wikinger, mit seinem hoch gewachsenen schlanken Körper. Sunny lehnte sich an Kirks Schreibtisch und lächelte, als dächte sie über die Möglichkeiten nach. Langsam kam er auf sie zu. "Es ist warm hier drinnen." "Hm… ja, das finde ich auch." Sie nahm einen Block vom Schreibtisch und benutzte ihn als Fächer. Kirk nahm ihr das Namensschildchen ab, das über ihrer linken Brust an ihrer Uniform befestigt war, und sie spürte, wie die Spitzen ihrer Brüste sich versteiften. "Du bist viel zu warm angezogen." Er schob seine Hände unter den Saum ihrer Uniform. "Was ist das denn? Ich dachte, du hasst Strumpfhosen?"
"Seidenstrümpfe und Strapse passen nicht zu Reeboks", sagte sie und deutete auf die bequemen Turnschuhe, die sie immer bei der Arbeit trug. "Ich möchte nicht, dass du an einem Hitzschlag stirbst", erklärte Kirk und öffnete die obersten drei Knöpfe ihres Kleids. Von draußen drangen die Geräusche der Studenten herein, die drei Stockwerke tiefer das Gebäude betraten und verließen. Sunny hörte auch gedämpfte Gespräche aus nahen Büros und Seminarräumen. Sunnys Angst, nicht ungestört zu bleiben, erwachte wieder, aber als Kirk den Ansatz ihrer Brüste küsste, vergaß sie sie gleich wieder. Sunnys Brüste prickelten, und ihre Kleider erschienen ihr nun wirklich viel zu warm. "Ich habe genau das, was du brauchst", murmelte Kirk. "Bleib da stehen." Er ging in eine Ecke und nahm etwas aus dem kleinen Kühlschrank, der dort stand. Als er zu Sunny zurückkam, sah sie, dass er ein Eis auspackte. Fruchteis. Orange, schien es. "Nur eins?" fragte sie. "Und du?" Kirk lächelte. "Wir teilen", sagte er und strich mit dem Eis über die erhitzte Haut an ihrer Brust. Sunny erschrak und lachte ein bisschen unsicher, als er das Eis langsam an ihrer Brust hinuntergleiten ließ, bis der Fruchtsaft schmolz und in die Mulde zwischen ihren Brüsten rann. Dann senkte er den Kopf und leckte die Tropfen mit der Zunge auf. "Na?" fragte Kirk dann lächelnd. "Ist dir jetzt ein bisschen kühler?" "Nein", entgegnete sie lachend. "Ganz und gar nicht." "Dann sag mir, was ich sonst noch für dich tun kann?" Sunny knöpfte das Oberteil ihrer Uniform auf und streifte es von den Schultern. "Mir ist überall heiß… Es macht mich ganz verrückt."
"Das klingt bedenklich." Kirk trat so nahe an sie heran, dass sie gezwungen war, sich auf den Rand des Schreibtisches zu setzen. Sie lehnte sich zurück und stützte die Hände auf die Schreibtischplatte. Kirk betrachtet sie lächelnd und schien zu überlege n, welchem Teil ihres Körpers er als Nächstes Kühlung verschaffen sollte. Sunny hielt den Atem an. Kirk bot einen unheimlich aufregenden Anblick. Ihr wurde beinahe schwindlig vor Verlangen. Kirk strich mit dem Eis über ihre Schulter und streifte ihr den Träger des BHs ab. Dann hakte er den Vorderverschluss ihres BHs auf und befreite sie von dem zarten Nichts aus dünner Baumwolle. Einen langen Moment sah er sie schweigend an, und sein eindringlicher Blick war fast wie eine zärtliche Berührung. Schließlich malte er mit dem Eis Kreise um ihre Brust. Sunny bog den Rücken durch und stöhnte. Kirk beschrieb immer kleinere Kreise, bis das nasse kalte Eis die empfindsame Spitze ihrer Brust berührte. Sunny unterdrückte einen Aufschrei, weil ihr nur zu gut bewusst war, wie dünn die Wände waren. Sie sah Kirk den Kopf senken, und im nächsten Moment nahm er ihre Brustknospe zwischen seine warmen Lippen. Gewissenhaft leckte er auch den letzten Tropfen des klebrigen Orangensaftes von ihrer Haut. Als er mit ihrer anderen Brust genauso liebevoll verfahren war, wand Sunny sich verlangend auf dem Schreibtisch, schob ihre Finger in sein Haar und zog ihn an sich. "Halt das mal." Er drückte ihr das Eis in die Hand, zog sie vom Schreibtisch und schob sie auf das Sofa zu, wo er ihr rasch die Uniform abstreifte. Sekunden später lag Sunny auf dem Rücken, nur noch mit ihrem Slip, der Strumpfhose und den weißen Turnschuhen bekleidet. Sie rückte zur Seite, damit Kirk sich auf die Sofakante setzen konnte. Er steckte das Eis in den Mund und zog ihre
Strumpfhose über ihre Hüften. Dann hielt er das Eis über ihren Nabel. Beide sahen zu, wie sich ein glitzernder Tropfen bildete, am Ende des Eisstücks hängen blieb und schließlich direkt in ihren Nabel fiel. Sunny lachte und spürte, wie sich ihre Ba uchmuskeln zusammenzogen. Geduldig ließ Kirk das Eis schmelzen, bis der Saft ihren Nabel füllte. Erst da beugte er sich vor, um das geschmolzene Eis aufzulecken. Dann richtete er sich wieder auf, gab Sunny das Eis und zog ihr Strumpfhose und Slip von den Hüften. Sekunden später lag ihre Unterwäsche bei den anderen Kleidern auf dem Boden. Wie seltsam, dachte sie, dass ich splitternackt mit Kirk hier auf der Couch liege, während das Leben in der Universität seinen gewohnten Fortgang nimmt. "So. Ist dir jetzt kühl genug?" Kirk nahm ihr das Eis ab, das nur noch die Hälfte seiner ursprünglichen Größe hatte. Sunny legte nachdenklich den Kopf zur Seite. "Also wenn ich ehrlich sein soll - je mehr du versuchst, mich abzukühlen, desto heißer wird mir. Ich brenne. Vor allem an gewissen Stellen…" "So? Das ist ein interessanter Effekt, der es verdient, gründlich erforscht zu werden." "Nun ja, wenn du darauf bestehst." "Ich kann nicht anders." "Der Wissenschaft zuliebe." "Natürlich." Kirk strich mit dem Eis über Sunnys Hüften und Oberschenkel, und sie biss sich auf die Lippen, als er den Saft von ihren Schenkeln und den empfindsamen Innenseiten ihrer Knie küsste. Ein Schauer sinnlicher Erregung durchrieselte ihren Körper. Sie brauchte ihn wie nie zuvor. Aber das verheißungs volle Glitzern in seinen Augen verriet ihr, dass er seine Studie noch nicht beendet hatte. Ihr Verdacht bestätigte sich, als Kirk sie mit dem Eis zwischen ihren Beinen berührte und sanft mit dem wässerigen Eis über ihre intimste Körperstelle strich. Sunny keuchte, lachte
und wimmerte; ein solch verblüffendes Gefühl hatte sie noch nie erfahren - es war wie Feuer und Eis zur gleichen Zeit. Kirk hielt das Eis in Bewegung und neckte, streichelte und liebkoste sie damit, so dass sie nie wusste, wo sie die nächste seiner aufreizenden Berührungen spüren würde. Sunny merkte kaum, dass Kirk schließlich den Rest des Eises in den Papierkorb warf und den Kopf senkte - bis die versengende Hitze seiner Lippen ihr einen rauen Schrei entlockte. Es kümmerte sie nicht mehr, ob sie gehört wurden, und Kirk anscheinend auch nicht, der sich mit Hingabe seiner erotischen Forschungsreise widmete. Sunny vergrub die Finger in seinem Haar und konnte einen heiseren Aufschrei nicht mehr unterdrücken. Mit seinen geschickten Fingern und den rhythmischen Bewegungen seiner Zunge versetzte er ihr Innerstes in Rammen. Es war eine unendlich lustvolle Erfahrung, als Hitzewellen sie durchfluteten und sie zum Gipfel trugen. Das Beben in ihr hatte noch nicht nachgelassen, als Kirk sie aufhob und sie auf die Sofakante setzte. Dann kniete er sich zwischen ihre Beine und drang mit einer einzigen kraftvollen Bewegung in sie ein. Beinahe augenblicklich begann wieder das Pulsieren zwischen Sunnys Schenkeln, und sie fühlte einen weiteren Höhepunkt nahen. Aufstöhnend umklammerte sie Kirks Schultern und legte die Beine um seine Hüften. Heiser flüsterte er ihren Namen und begann sich schnell und rhythmisch in ihr zu bewegen. Ihr war, als würde sie vor Glück und Lust vergehen, als es sie von neuem heiß durchströmte und sie wild erschauerte. Ein Klopfen an der Tür schreckte Sunny aus ihrer sinnlichen Verzückung auf. Kirk reagierte nicht auf das Klopfen, sondern streichelte nur zärtlich ihren Rücken. "Willst du nicht antworten?" flüsterte Sunny.
"Klar." Er gähnte und öffnete nicht einmal die Augen. "Ich springe auf und reiße die Tür auf. Zum Teufel damit! Ich brauche den Job nicht." Ein weiteres Klopfen, lauter diesmal, und dabei eine junge Stimme: "Dr. Larsen?" Eine andere sagte: "Er ist nicht da, Snider. Lass uns was essen gehen." "Larsen ist immer nach der Vorlesung in seinem Büro. Ich brauche eine Fristverlängerung für die Hausaufgabe." "Schon wieder? Komm schon. Lass uns sehen, ob sie in der Mensa noch ein paar Brötchen haben." "Mensch, Cassell, du hast schon ein Dutzend Pfannkuchen und ein Schweinesteak verschlungen - gönn deinem Magen mal ein bisschen Ruhe." Snider klopfte wieder, diesmal noch beharrlicher. "Dr. Larsen!" Cassell brüllte: "Er ist nicht im Büro!" "Anne-Marie Rasmussen hat ihn nach der Vorlesung hineingehen sehen", beharrte Snider. "Mit dieser Rothaarigen, die im Hörsaal war." "Mit dieser heißen Braut in dem pinkfarbenen Kittel?" Cassell lachte, senkte dann aber seine Stimme. "Dann ist er ganz bestimmt da drinnen - wahrscheinlich treiben sie es gerade auf seinem Schreibtisch!" Kirk öffnete die Augen und warf einen nachdenklichen Blick auf den mit Büchern und Papieren übersäten Schreibtisch. "Wann, sagtest du, musst du zur Arbeit, Sunny?" Auf der anderen Seite der Tür sagte Snider: "Du Traumtänzer! Dieser Larsen hat doch nur Physik im Kopf. Der wüsste gar nicht, was er mit so einer heißen Braut anfangen kann. Sie muss seine Schwester sein oder so etwas." "Mr. Sniders Gesamtnote hat sich gerade sehr verschlechtert", murmelte Kirk. "Ich gehe frühstücken", sagte Cassell. "Kommst du nun oder nicht?"
"Ach, ich werd ihn heute Nachmittag erwischen." Sniders mürrische Stimme wurde leiser. "Hast du schon einmal daran gedacht, deine Cholesterinwerte überprüfen zu lassen, Cassell?" Sunny strich Kirk über die Brus t. "Wirst du Snider die Fristverlängerung gewähren?" "Na klar. Sobald ich herausgefunden habe, was ich mit so einer scharfen Braut wie dir anfangen kann." "Sein hungriger Freund schien doch eine Idee gehabt zu haben." Sunny kuschelte sich an Kirk und spürte, dass er erneut bereit war, sie zu lieben. Von wegen nur Physik im Kopf! Sie lächelte. "Und übrigens brauche ich vor heute Mittag nicht zu arbeiten." "Du brauchst überhaupt nicht mehr zu arbeiten." Kirk stützte sich auf einen Ellbogen. "Du kannst aufhören. Heute noch. Und erzähl mir nicht, du liebst deinen Job, denn ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich kann für uns beide sorgen." "Nun, heute muss ich auf jeden Fall noch hin - ich kann Mike nicht von einer Minute auf die andere hängen lassen. Ich muss ihm Zeit lassen, bis er Ersatz für mich gefunden hat." Sunny war außer sich vor Freude. Endlich konnte sie ihren Job im Wafflemania aufgeben! Bisher hatte sie nicht einmal gewagt, daran zu denken. "Wir tun es wirklich, nicht?" flüsterte sie beinahe ehrfürchtig, weil sie immer noch nicht richtig glauben konnte, dass ihr lebenslanger Traum sich nun tatsächlich erfüllen würde. "Niemand soll mir nachsagen, ich hätte es nicht richtig gemacht." Kirk nahm Sunnys Hand und sah ihr lächelnd in die Augen. "Du würdest mich zum glücklichsten Mann der Welt machen, wenn du bereit wärst, meine Frau zu werden, Sunny. Ich kann keine Wunder vollbringen, aber das eine kann ich und verspreche ich: Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um auch dich glücklich zu machen." "Das hast du schon." Sunny zog ihn an sich und küsste ihn, wobei ihr ganz schwindlig wurde von der Aussicht, den Rest
ihres Lebens an der Seite dieses Mannes zu erwachen. Als sie den Kuss beendeten, waren sie beide atemlos und lachten. "Mittag, sagtest du?" Kirk warf einen Blick auf seine Armbanduhr und schenkte Sunny dann ein mutwilliges Grinsen. "Hilfst du mir, den Schreibtisch abzuräumen?"
- ENDE