TERRA ASTRA 89
Welten in Not von Harvey Patton
„In dreißig Minuten Beginn der Bremsperiode“, klang eine Automaten-Sti...
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TERRA ASTRA 89
Welten in Not von Harvey Patton
„In dreißig Minuten Beginn der Bremsperiode“, klang eine Automaten-Stimme durch die Zentrale der KOSMOS III. Captain Ralf Neumann nahm den Plastikstreifen, den der Steuerautomat gleichzeitig auswarf, aus dem Auffangkorb. Er überflog die darauf eingestanzten Symbolgruppen und nickte dann Dick Walker zu, der neben ihm im Pilotensessel saß. „Es ist endlich soweit. Dick. Wir müssen die anderen wecken und alle Stationen besetzen lassen. Wenn die Triebwerke anlaufen, müssen alle Checks durchgeführt sein.“ Er drückte einige Sekunden lang auf den Knopf der Alarmklingeln, nahm dann das Mikrofon der Bordsprechanlage zur Hand und unterrichtete die Besatzung. Ein freudiges Lächeln spielte um seine Lippen, als er die Anlage wieder abschaltete. „Mensch, wie froh bin ich! Nur noch knapp sieben Tage, dann liegt die Erde vor uns, wir können landen und endlich wieder einmal etwas anderes sehen als unser Schiff. Frische, natürliche Luft atmen, Sonne und Wind spüren, Vögel singen und wieder einmal Mädchen lachen hören ...“ Dick Walker nickte. „Ich fühle genauso. Es ist schon ein hartes Los, vier Jahre unterwegs zu sein.“ „Vier Relativjahre“, korrigierte der Captain. „Auf der Erde sind inzwischen alle Menschen um mehr als zweiundzwanzig Jahre älter geworden.“
Das Hauptschott glitt auf, und die übrigen Mitglieder der Zentralebesatzung fanden sich ein. Die routinemäßigen Checks wurden vorgenommen, und nach zwanzig Minuten war alles bereit. Die Schiffsreaktoren liefen an, Plasma für die Triebwerke wurde aus den Tanks gepumpt und die Düsenkammern wurden vorgewärmt. Als der Steuerautomat die letzten zwei Minuten abzuzählen begann, kam auch Dr. Jenkins in die Zentrale. Er war der Chef des kleinen Teams von Wissenschaftlern, die diesen Flug zum System 61 Cygni mitgemacht hatten, ein schlanker, ruhiger Mann von vierzig Jahren. Sein Fachgebiet war die Astrophysik. Bereits vor rund vierzig Jahren hatte man bei verschiedenen, der Erde relativ nahe stehenden Sonnen dunkle Begleiter festgestellt, die vermutlich riesige Planeten waren. Der Gedanke lag nahe, daß diese Sterne weitere Trabanten aufzuweisen hatten, und so hatte man kurz vor der Jahrtausendwende die derzeit modernsten Fernraumschiffe der Erde dorthin auf den Weg geschickt. Sie trugen die Bezeichnungen KOSMOS I bis III und flogen in dieser Reihenfolge Alpha Centauri, Barnards Stern und 61 Cygni an. Die KOSMOS III hatte den weitesten Weg zurückzulegen, denn ihr Zielstern war mehr als elf Lichtjahre vom solaren System entfernt. Die übrigen Schiffe waren vermutlich bereits vor Jahren wieder auf Terra eingetroffen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus war diese Expedition ein voller Erfolg gewesen. Außer dem bereits bekannten Riesenplaneten besaß 61 Cygni noch fünf weitere Begleiter, darunter einen, der weitgehend der Erde glich. In einer gut atembaren Sauerstoffatmosphäre hatte sich pflanzliches und tierisches Leben entwickelt. Exemplare aller festgestellten Tierarten, die großen Meeresbewohner ausgenommen, ruhten ebenso in den dafür vorgesehenen Tiefkühltruhen wie Proben der dortigen Flora. Die Wissenschaftler auf Terra würden auf Jahre hinaus mit ihrer Erforschung zu tun haben. Unbekannte Krankheitserreger waren nicht festgestellt worden, und
da auch das Klima angenehm war, hätten auf 61 Cygni II unbedenklich Menschen leben können. Ob die Behörden auf der Erde diese Möglichkeit ausnutzen würden, blieb offen. An sich gab es keinen Grund dafür, Kolonisten zu fremden Welten zu senden. Zwar lebten auf Terra siebeneinhalb Milliarden Menschen, womit die oberste Grenze bereits erreicht war, doch diese Zahl würde infolge umfassender Geburtenregelung konstant bleiben. Aber auch im gegenteiligen Fall hätten die wenigen tausend Menschen, die man per Schiff zu fernen Systemen schicken konnte, nicht die Spur einer Besserung bringen können. So würde es vielleicht allein die Wißbegierde sein, die ein solches Unternehmen vorantrieb. Bei diesem Gedanken war Dr. Jenkins angekommen, als der Automat die letzten Sekunden abzählte. Dann ging eine leichte Erschütterung durch das Schiff, als die Triebwerke anliefen, die seit rund zwei Jahren geschwiegen hatten. Die KOSMOS III wurde mit fünfzig Gravos pro Sekunde abgebremst, verlor also pro Minute rund dreißig Kilometer von ihrer Fahrt. Noch fast sieben Tage, dann würde das heimatliche Sonnensystem vor dem Schiff liegen und mit ihm die Erde, auf die sich alle zwanzig Männer an Bord freuten. * Der Radarspezialist Dick Walker war es, der die bestürzende Entdekkung , machte. Das Schiff war mit Hyperradar ausgerüstet, das mit hundertfach lichtschnellen Impulsen arbeitete. Bisher war es nur sporadisch benutzt worden, um etwaige Hindernisse in der Flugbahn feststellen zu können. Nun, da sich die KOSMOS III dem Sonnensystem näherte, mußte das Gerät ständig in Betrieb bleiben, weil es in den Außenbereichen eine ganze Anzahl sogenannter vagabundierender Asteroiden gab, denen das Schiff gegebenenfalls ausweichen mußte.
Zuerst glaubte Walker, einen dieser Asteroiden entdeckt zu haben. Als er dann aber die Laufzeit der Radarimpulse ausgerechnet hatte, begann er sich zu wundern. Der ausgemachte dunkle Körper stand nicht vor, sondern hinter dem solaren System! Er gab die Daten in den Hauptcomputer des Schiffes, der die entsprechenden Berechnungen innerhalb weniger Sekunden vornahm. Die Auswertung besagte, daß der betreffende Körper, etwas seitlich zum System versetzt, etwa einen Lichtmonat von diesem entfernt war. Sein Durchmesser betrug etwa siebenhunderttausend Kilometer, und er bewegte sich langsam auf die Sonne zu. Wenn er diese Richtung und Geschwindigkeit beibehielt, mußte er in etwa fünfzig Jahren mit dem solaren System kollidieren ... Dick Walker unterrichtete sofort den Kommandanten, der seinerseits Dr. Jenkins hinzuzog. Nachdem alle Daten nochmals nachgerechnet und verglichen worden waren, stand es fest: Der gesichtete Körper war ein dunkler Stern, dessen Masse und Gravitation in etwa der der Sonne gleichkamen. Sobald er sich dieser so weit genähert hatte, daß sich beide Gravitationsfelder berührten, mußte es zu katastrophalen Störungen im solaren Planetensystem kommen. Alle Planeten würden aus ihren Bahnen gerissen werden, und wenn beide Sterne kollidierten, würde eine Nova entstehen, die sie alle verschlang! Die Männer in der Zentrale der KOSMOS III waren bleich geworden. „Dann erlebt die Erde also in spätestens fünfzig Jahren ihren Untergang“, kommentierte Rex Farrell, der hünenhafte schwarze Pilot des Schiffes. „Wir kehren demnach mit der traurigen Gewißheit heim, daß wir diese Heimat in absehbarer Zeit wieder verlieren werden ...“ „Ob man es dort schon weiß?“ fragte Neumann den Astrophysiker. Dr. Jenkins hob die Schultern. „Möglich, aber wenig wahrscheinlich“, gab er zur Antwort. „Der Dunkelstern liegt in einem Gebiet, das wenig Anreiz für astronomi-
sche Beobachtungen bietet. Zudem ist er mit den normalen Teleskopen überhaupt nicht zu entdecken, weil er kein Licht aussendet.“ „Vielleicht hat man ihn von einem Raumschiff aus entdeckt“, warf der Bordfunker Tino Baruzzi ein. „Zwar ist die irdische Raumflotte nicht sehr groß, aber immerhin sind alle Schiffe mit dem Hyperradar ausgestattet wie wir auch.“ „Wir müssen jedoch von der Voraussetzung ausgehen, daß die Existenz dieses Körpers noch nicht bekannt ist“, sagte Neumann. „Somit haben wir die Pflicht, möglichst bald Funkverbindung mit der Erde aufzunehmen und diese Unheilsnachricht weiterzugeben.“ „Dann waren unsere Forschungen auf 61 Cygni II also praktisch umsonst“, seufzte der bärtige Biologe Dr. Grimsby, mit fünfundfünfzig Jahren der älteste Teilnehmer der Expedition. Ralf Neumann schüttelte den Kopf und lächelte leicht. „Im Gegenteil, lieber Doktor! Was die beiden anderen Schiffe erreicht haben, wissen wir nicht; wir aber haben der Erde auf jeden Fall etwas Erfreuliches zu bieten: Einen Planeten, auf den wenigstens ein Teil der Menschheit auswandern kann, ehe es zur Katastrophe kommt!“ * Endlos schienen sich die Tage zu dehnen, bis die KOSMOS III nahe genug an das solare System herangekommen war, um eine Funknachricht absetzen zu können. Zwar arbeitete auch das Raumfunkgerät im Bereich der Hyperwellen, aber seine Reichweite war auf sechs Milliarden Kilometer begrenzt. Und so hatte das Schiff fast die Plutobahn erreicht, als Baruzzi seinen ersten Ruf in Richtung Erde schickte. Für diese Strecke hätten normale Funkwellen mit einfacher Lichtgeschwindigkeit rund sechseinhalb Stunden gebraucht, und eine Antwort hätte noch einmal dieselbe Zeit benötigt. Mit den hundertfach schnelleren Hyperfunkwellen verkürzte sich diese Zeit auf etwas
über dreieinhalb Minuten. Doch diese Frist verstrich. Und weitere Minuten vergingen, ohne daß eine Antwort kam. „Auf Kap Kennedy ist doch jetzt heller Vormittag“, sagte der Funker ärgerlich. „Außer ungewöhnlich starken statischen Störungen bekomme ich aber kein Wort herein.“ Er preßte die Kopfhörer gegen die Ohren und wiederholte seinen Ruf. Keine Antwort. Captain Neumann gab die Anweisung, auf der allgemeinen Notfrequenz für Raumfahrzeuge zu senden, die nie geändert wurde. Als auch darauf keine Verbindung zustande kam, weder mit der Erde, noch mit anderen Raumschiffen, waren die Männer ratlos. Die KOSMOS III stieß in das System hinein. Pausenlos versuchten die Raumfahrer, Funkverbindung mit irgendeiner Station zu erreichen - vergebens. Nur die energetischen Störgeräusche nahmen immer mehr zu und erreichten bald eine Heftigkeit, die die menschlichen Trommelfelle überforderte. „Vielleicht ist dies der Grund dafür, daß nichts hereinkommt“, meinte Tino Baruzzi erschöpft. „Doch woher kommen diese Störungen? Haben wir vielleicht gerade ein Sonnenflecken-Maximum, Dr. Jenkins?“ Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. „Ist erst in drei Jahren wieder an der Reihe; dieser Zyklus dürfte sich kaum geändert haben. Außerdem beeinflussen diese Emissionen normalerweise die Hyperwellen kaum, denn die von der Sonne ausgehende fünfdimensionale Strahlung ist relativ gering. Ich kann Ihnen auch keine Erklärung für dieses Phänomen geben.“ Schließlich näherte sich das Schiff der Marsbahn. Auf dem Mars hatte es bereits vor dem Abflug der KOSMOS III eine kleine menschliche Ansiedlung gegeben. Dort lebten vor allem Wissenschaftler, die sich mit der Erforschung des roten Planeten beschäftigten. Außerdem hatte man einen kleinen Raumhafen ausgebaut, der für Nachschubzwecke und als Nothafen für eventuell havarierte Schiffe diente.
Der Planet stand günstig zur Flugbahn, und deshalb beschloß der Kommandant, ihn zuerst anzufliegen. Die entsprechendenKursberechnungen wurden durchgeführt, dann ließ der Pilot die KOSMOS III mit Hilfe der seitlichen Steuerdüsen herumschwenken und ging auf neuen Kurs. Das Schiff besaß nur noch eine Geschwindigkeit von zehntausend Stundenkilometern, als es bis auf fünf Millionen Kilometer an den Mars herangekommen war. „Geschwindigkeit bestehen lassen. Rex“, befahl Ralf Neumann. „Wir gehen zuerst auf eine Kreisbahn, dann sehen wir weiter.“ Als die KOSMOS III schließlich in den Planetenschatten eintrat, hörten die Störgeräusche im Empfänger plötzlich auf. „Also scheint dieser Krach doch von der Sonne auszugehen“, stellte Baruzzi fest. Er hatte inzwischen auf Normalfunk umgeschaltet und versuchte nun, Verbindung mit der Ansiedlung auf dem roten Planeten zu bekommen. Das gelang überraschend schnell, allerdings mußte der Sender unten auf dem Planeten nur sehr schwach sein. „Mars City ruft KOSMOS III“, klang es kaum verständlich aus dem Lautsprecher. „Woher kommen Sie? Wir benötigen dringend Hilfe.“ Der Kommandant zog die Brauen hoch. Daß man dort unten nach der Herkunft des Schiffes fragte, war verständlich. Schließlich war die KOSMOS III über zweiundzwanzig Jahre unterwegs gewesen, und man konnte von den Menschen nicht verlangen, daß sie sich nach dieser Zeit noch an den Abflug des Schiffes erinnerten. Doch was konnte dieses Hilfeersuchen zu bedeuten haben? Er griff selbst nach dem Mikrofon. „Hier spricht Captain Neumann“, sagte er betont akzentuiert. „Unser Schiff kehrt soeben von einer Expedition nach Cygni zurück. Wir versuchen die ganze Zeit vergeblich, Verbindung mit der Erde zu bekommen. Deshalb haben wir den Mars zuerst angeflogen in der Hoffnung. Sie könnten uns über die seltsamen Störungen aufklären, die den Funk beeinträchtigen. Wenn wir Ihnen irgendwie helfen können, soll das selbstver-
ständlich gern geschehen.“ Zur Antwort meldete sich ein anderer Sprecher. Die Verständigung war inzwischen besser geworden. „Hier spricht Dr. Ishiga. Ich bin der Leiter der Marsstadt. Captain, in unserem System sind schreckliche Dinge geschehen! Sie dürfen auf gar keinen Fall versuchen, die Erde anzufliegen. Erstens liegt zwischen dem Mars und der Sonne ein Störfeld, das alle atomare Energie aufsaugt; wären Sie nur ein paar Millionen Kilometer weitergeflogen, wären Sie verloren gewesen, weil Ihre Reaktoren versagt hätten. Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Machen Sie sich auf einen grausamen Schock gefaßt: Auf der Erde gibt es keine Menschen mehr! Eine weltumfassende Seuche ist dort vor etwa zwei Jahren ausgebrochen - innerhalb weniger Tage hat sie die Menschheit ausgerottet ...“ Seine Stimme versagte. Eine eisige Hand schien nach dem Herzen des Kommandanten zu greifen. Er sah in erstarrte, schrekkensbleiche Gesichter. Er mußte einige Male ansetzen, ehe er wieder sprechen konnte. „Captain Neumann an Dr. Ishiga. Eine größere Ironie des Schicksals kann man sich wohl kaum vorstellen. Da kommen wir, um die Erde vor einer Katastrophe zu warnen, und inzwischen hat sich eine weit schlimmere ereignet ... Doch darüber können wir später noch reden. Ich vermute, daß Sie seit langem von jedem Nachschub abgeschnitten sind und es Ihnen an vielem fehlt. Da wir noch über ausreichende Vorräte verfügen, werden wir auf Ihrem Raumhafen landen. Können Sie veranlassen, daß man uns einen Peilstrahl sendet, da wir die genaue Lage Ihrer Stadt nicht kennen?“ Dr. Ishiga schien sich wieder gefaßt zu haben. Er erklärte sachlich: „Ich bedaure sehr, Captain, die Anlagen auf dem Hafen sind längst außer Betrieb. Wir mußten alle Energieerzeuger in die Stadt holen, um zu überleben. Ich werde aber veranlassen, daß die Warnlichter auf der Stadtkuppel eingeschaltet werden, damit sie Ihnen als Orientierungshilfe dienen. Der Hafen liegt einen Kilometer weiter nördlich, Sie können ihn dann kaum verfehlen.“
„Danke, das genügt“, sagte Captain Neumann. „Wir kommen. Ende.“ * Die KOSMOS III war sicher gelandet. Die Morgendämmerung brach gerade an, als sich der Captain mit einigen Begleitern anschickte, zu der Ansiedlung aufzubrechen. Mars City lag, durch die für Menschen viel zu dünne Atmosphäre bedingt, unter einer großen Kuppel aus Fiberglas, die nur durch Luftschleusen betreten und verlassen werden konnte. Die Besatzung hatte eines der Kettenfahrzeuge ausgeschleust, die bereits zur Erforschung von 61 Cygni II benutzt worden waren: Es wurde von starken Elektromotoren getrieben und besaß eine drucksichere Personenkabine. Das Steuer hatte Dick Walker übernommen, die anderen Mitfahrer waren Dr. Jenkins und der Biologe Grimsby. Die Männer sprachen nur das Notwendigste, denn sie hatten den Schock der doppelten Hiobsbotschaft noch nicht überwunden. Obwohl sie über die Art der verheerenden Seuche nichts wußten, war ihnen klar, daß die Erde nun als verbotener Planet galt. Leise surrend rollte das Fahrzeug über den roten Marsboden, den Jahrmillionenlange Erosion eingeebnet hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie die Kuppel erreicht hatten. Diese besaß einen Durchmesser von fünfhundert Metern. Die mit rötlichem Glanz aufsteigende Sonne spiegelte sich in den wabenförmigen Segmenten, aus denen sie zusammengesetzt war. Sie kamen vor der großen Luftschleuse an, deren Außentür im gleichen Moment geöffnet wurde. Walker lenkte das Fahrzeug hinein und hielt es an. Das Außenschott schloß sich, das Zischen einströmender Luft wurde hörbar, und als der Druckausgleich hergestellt war, glitt das innere Tor auf.
Die vier Männer stiegen aus und sahen sich einer größeren Gruppe von Menschen gegenüber, die sie mit erwartungsvollen Gesichtern anblickten. Hunger und Entbehrung standen in ihnen geschrieben. Kein Wunder, dachte Ralf Neumann automatisch. Die kleine Marsstadt war nie autark gewesen, sondern immer auf regelmäßigen Nachschub angewiesen. Wenn dieser nun seit mindestens zwei Jahren ausgeblieben war, so war es fast ein Wunder, daß sich die Menschen überhaupt noch am Leben gehalten hatten. „Willkommen in Mars City“, sagte ein zierlicher älterer Japaner, „ich bin Dr. Ishiga. Sie können sich kaum vorstellen, wie wir uns über Ihr Kommen freuen, denn wir sind tatsächlich fast am Ende. Wir haben alles versucht, um unsere siebenhundert Leute zu ernähren, aber wir leben seit einem halben Jahr praktisch nur noch von Kartoffeln. Getreidesaat hatten wir nicht zur Verfügung, weil uns von der Erde stets fertige Nahrungsmittel geliefert wurden, und auch kein Vieh, das wir hatten züchten können. Fragen Sie mich nicht, wo unsere Hunde und Katzen geblieben sind, Captain ...“ Ralf Neumann nahm die dargebotene Hand. „Mit Ihrer Energieversorgung scheint es auch nicht mehr weit her zu sein“, bemerkte er. Es war kalt unter der Kuppel, die Temperatur mochte höchstens zehn Grad über dem Gefrierpunkt liegen. Dr. Ishiga hob die Schultern. „Unser Reaktor liegt in den letzten Zügen, seine Füllung müßte längst erneuert werden. Wir nehmen ihn nur noch in Betrieb, wenn es gar zu kalt wird, die übrige Zeit muß die Sonne ausreichen, die Kuppel zu erwärmen. Und Hunger läßt einen die Kälte doppelt spüren ...“ „Das wird sich bald ändern“, versprach der Captain. „Wir können Ihnen einen Reaktor aus dem Schiff zur Verfügung stellen, und auch zu essen haben wir noch für eine ganze Weile, wenn wir sparsam damit umgehen.“ Der Japaner lachte bitter auf.
„Wissen Sie, was uns am dringendsten gefehlt hat? Nichts weiter als ein kleines Raumboot, mit dem wir den Mond Deimos hätten anfliegen können - denn dort gibt es alles in Fülle, was uns hier fehlt! Dort hat man vor zehn Jahren eine Werft eingerichtet, in der drei Schiffe eines neu entwickelten Typs gebaut wurden, und dort leben jetzt noch sechzig Männer wie die Maden im Speck. Sie hätten uns auch gern geholfen, aber wie sollten sie hierherkommen?“ Ralf Neumann horchte auf. „Drei neue Raumschiffe, sagten Sie. Warum um alles in der Welt sind die Männer dann nicht zu Ihnen gekommen?“ Der Japaner schüttelte den Kopf. „Das war leider nicht möglich, Captain. Diese Raumer sind noch nicht flugfähig, obwohl man an ihnen ständig weitergearbeitet hat. Schließlich wollten die Techniker da oben auch nicht ihr Leben lang auf dem Marsmond bleiben. Sie besaßen ein kleines Schiff, aber das war gerade zur Erde unterwegs, um neue Leute zu holen, als sich das Saugfeld zwischen uns und die Sonne legte. Von da an war jede Verbindung zwischen uns und Terra unterbrochen.“ „Wie haben Sie dann überhaupt vom Ausbruch der Seuche erfahren?“ fragte Dr. Grimsby. „Durch die Insassen eines Schiffes, das von der Erde floh“, berichtete Dr. Ishiga. „Es war ein uralter Typ mit Raketenmotoren, die durch das Feld in ihrer Funktionsweise nicht beeinträchtigt werden konnten. Die Insassen wollten zu uns, haben es aber nicht geschafft - zu unserem Glück, muß ich sagen, denn auch sie waren bereits infiziert. Die letzten noch lebenden Männer brachten den Raumer wieder auf Gegenkurs, vermutlich wird das Schiff längst in die Sonne gestürzt sein. Immerhin kamen sie uns nahe genug, um uns über das traurige Schicksal der Menschheit berichten zu können.“ Ralf Neumann überlegte eine Weile. „Sind die Werftanlagen auf Deimos geräumig genug, um alle Marsbewohner darin, unterzubringen?“ erkundigte ersieh dann. Dr. Ishiga nickte.
„Ich war einmal oben und kann das mit gutem Gewissen bejahen. Man hat im Innern des Mondes einen großen Hohlraum gefunden und erweitert und darin großzügige Anlagen untergebracht. Später sollten darin auch die Mannschaften für die drei Schiffe Platz finden. Die Unterkünfte sind bereits fertiggestellt. Die Raumer waren für eine Expedition zum Sirius vorgesehen, die man starten wollte, nachdem die von Alpha Centauri und Barnards Stern zurückgekehrten Forschungsschiffe keine positiven Resultate erzielt hatten.“ „Dann hat man dort also keine bewohnbaren Planeten gefunden“, schlußfolgerte der Kommandant der KOSMOS III. „Nun, wir hatten mehr Glück, denn 61 Cygni hat einen solchen Planeten. Die Erde ist entvölkert, und hier auf dem Mars können wir es nur für eine sehr begrenzte Zeit aushalten. Wäre es da nicht das beste, wenn wir den kläglichen Rest der Menschheit in diese drei Schiffe auf Deimos laden und mit ihnen zum System 61 Cygni fliegen würden, um uns dort eine neue Heimat aufzubauen?“ Die Augen des Japaners leuchteten auf. „Das wäre eine gute Lösung“, stimmte er freudig zu. „Im Moment sollten wir aber erst einmal das nächstliegende Problem in Angriff nehmen, und das ist unsere katastrophale Ernährungslage.“ „Selbstverständlich“, sagte Captain Neumann. „Wir werden uns also nicht länger aufhalten, sondern sofort zum Schiff zurückfahren, um Proviant für Sie zu holen. Wir besitzen insgesamt vier Kettenpanzer, und wenn wir die voll beladen, dürfte Ihnen fürs erste geholfen sein. In ein paar Stunden sind wir wieder hier, und dann sehen wir weiter.“ * In der kleinen Marsstadt herrschte Freude. Endlich hatten sich die halbverhungerten Menschen wieder einmal sattessen können. Man hatte bei der Verteilung der Lebensmittel sehr
vorsichtig vorgehen müssen, denn die entwöhnten Mägen konnten nicht von einem Moment zum anderen plötzlich vollgestopft werden. So hatte man den Leuten als erste Ration nur Zwieback und fettarme Milch aus Trockenpulver verabreicht. Das aber war bereits von ihnen als wahres Festessen empfunden worden. „Diese armen Teufel“, flüsterte Rex Farrell dem Kommandanten zu, als sie den großen Speisesaal verließen. „Ich habe mit dem Koch gesprochen, und dieser erzählte mir, daß man die kleine Kartoffelplantage Tag und Nacht bewachen mußte, damit die Knollen nicht vor der Reife aus dem Boden gestohlen wurden. Zum Glück hatte man den sterilen Marsboden unter der Kuppel schon früher kultiviert, sonst wäre hier längst niemand mehr am Leben.“ Ralf Neumann nickte düster. „Zwanzig Menschen sind trotzdem vor Hunger gestorben, meist Mütter, die auf ihr Essen verzichteten, um es ihren Kindern zukommen zu lassen. Wir hatten keine Ahnung, wie gut es uns bisher ging, und wir können von großem Glück sagen, daß wir den Mars zuerst angesteuert haben. Anderenfalls wären wir mitten in dieses vertrackte Störfeld hineingeflogen, unsere Reaktoren hätten ausgesetzt und wir wären ebenso verloren gewesen wie die Leute hier ohne unsere Hilfe.“ „Ist es dein Ernst, alle Überlebenden nach 61 Cygni II zu bringen?“ fragte der Schwarze. „Mein Fernziel“, berichtigte der Captain. „Zuerst müssen wir einmal zum Deimos fliegen und uns an Ort und Stelle vom Zustand der neuen Schiffe überzeugen. Dann werden wir auch sehen, ob es möglich ist, alle siebenhundert Bewohner von Mars City dort unterzubringen. Es wäre wenig sinnvoll, ständig Lebensmittel von dort hierherzubringen, zumal hier die Energieversorgung ohnehin am Ende ist. Auf Deimos gibt es keine solchen Probleme, und ein Teil der Marsbewohner könnte dann mithelfen, die drei Schiffe zu vollenden. Die brauchen wir unbedingt, wenn wir die Auswanderung vollziehen wollen.“
„Wann fliegen wir nach Deimos?“ forschte Farrell. Ralf Neumann winkte ab. „Das eilt noch nicht so, Rex. Dr. Ishiga hat die Männer dort oben über Funk von unserer Ankunft verständigt, sie sollen wahre Freudentänze aufgeführt haben. Jetzt können sie ein paar Tage warten; erst einmal möchte ich hier eine Konferenz der maßgeblichen Männer einberufen lassen, damit wir uns über die weiter zu treffenden Maßnahmen klar werden. Außerdem möchte ich unbedingt Näheres über die Seuche und das Störfeld erfahren.“ Sie hatten inzwischen den Mittelpunkt der kleinen Stadt erreicht und standen vor dem Verwaltungsgebäude, in dem sie Dr. Ishiga erwartete. Ein halbwüchsiger Junge, dem die Kleider um die dürren Glieder schlotterten, stand davor und führte sie zu dem Japaner. Außer diesem waren in dem geräumigen Büroraum im zweiten Stock noch drei weitere Männer anwesend: Egon Carstens, Ingenieur und Leiter des kleinen Kraftwerks; Dr. Halloran, ein älterer Physiker, und der Arzt Dr. Parker. „Ich habe vorausgesehen, daß Sie eine Menge Fragen an uns haben werden und deshalb schon die in Frage kommenden Männer herangeholt“, sagte Dr. Ishiga lächelnd. „Nehmen Sie bitte Platz, mehr kann ich Ihnen leider nicht anbieten.“ „Kommen wir gleich zum Hauptproblem“, begann der Captain. „Warum nehmen Sie an, daß es auf der Erde keine Menschen mehr gibt? Für gewöhnlich verschont doch auch die schlimmste Epidemie immer einen gewissen Prozentsatz von Menschen, die aus irgendwelchen Gründen immun gegen die Krankheit sind.“ Dr. Parker räusperte sich. „Das scheint diesmal nicht der Fall gewesen zu sein. Die Männer, von denen wir die Nachricht bekamen, hielten sich ursprünglich auf einer Orbitalstation auf, die zu astronomischen Forschungszwecken um die Erde kreiste. Sie konnten sich dort über das Fernsehen und den Rundfunk von den Zuständen überzeugen, und diese müssen grauenvoll gewesen sein.
Als dann kein Sender mehr in Betrieb war, taten diese Männer das Verkehrteste, was sie nur tun konnten: Sie benutzten die alte Rakete, die ihnen zur Verfügung stand, dazu, hinunter auf die Erde zu fliegen. Dort haben sie sich zwei Tage lang umgesehen, ohne noch Überlebende zu finden. Anschließend starteten sie in den Raum, aber sie hatten die Erreger bereits im Blut ...“ „Eine Infektionskrankheit also“, stellte Rex Farrell fest. „Wie waren die Symptome und der Krankheitsverlauf?“ „Es muß sich um eine Art von Superscharlach gehandelt haben“, berichtete der Arzt. „Als Erreger wurde ein bisher unbekanntes oder mutiertes Virus festgestellt. Dieses erwies sich gegen alle Arten von Medikamenten immun, auch gegen die neuesten Antibiotika. Das war aber auch alles, was man darüber herausfinden konnte. Die Ärzte, die sich damit beschäftigten, starben schneller, als sie arbeiten konnten. Die Inkubationszeit scheint ziemlich lang gewesen zu sein, deshalb waren die Viren auch schon über die ganze Erde verbreitet, als die ersten Fälle gemeldet wurden. Quarantänemaßnahmen waren unter diesen ,Umständen natürlich wirkungslos. Drei Tage mit hohem Fieber und rotem Ausschlag am ganzen Körper, dann trat unweigerlich der Exitus ein. Innerhalb von einer Woche muß die Menschheit praktisch ausgestorben gewesen sein.“ Der Kommandant nickte nachdenklich. „Kommen wir zum zweiten Punkt“, sagte er, „dem Störfeld zwischen Mars und Sonne. Dr. Ishiga hat es einmal auch als ‚Saugfeld’ bezeichnet. Können Sie uns etwas darüber sagen, Dr. Halloran?“ Der Physiker nickte. „Die Bezeichnung trifft den Kern der Sache, Captain. Dieses Feld, das fünfdimensionaler Natur ist, baute sich innerhalb weniger Wochen in einem Radius von etwa zweihundert Millionen Kilometern um die Sonne auf. Es hat die Eigenschaft, alle atomare Energie an sich zu ziehen und irgendwie abzuleiten, so auch die von der Sonne ausgestoßenen aufgeheizten Gase, deren größter Prozentsatz zwischen Erde und Mars zur Ruhe kommt. Es zehrte auch die Schutzschirme
unserer Raumschiffe auf und legte deren Reaktoren lahm, was eine ganze Reihe von Schiffskatastrophen herbeigeführt hat. Als das Feld seine volle Stärke erreicht hatte, war jede Raumfahrt unmöglich geworden, und auch der Funkverkehr brach zusammen.“ „Hat die Erde auch darunter zu leiden gehabt?“ erkundigte sich der Pilot der KOSMOS III. Dr. Halloran verneinte. „Offenbar scheint das Feld unwirksam zu werden, sobald es auf stärkere Gravitationskräfte trifft. Andernfalls hätte es wohl auch die Sonne angezapft, was aber nicht der Fall war.“ „Gibt es eine Erklärung für sein Entstehen?“ fragte Ralf Neumann. Der Wissenschaftler hob die Schultern. „Man hat versucht, eine solche zu finden, aber mit wenig Erfolg. Die Art seiner Wirkung widerspricht eigentlich allen Naturgesetzen. Deshalb neigte ein großer Teil der Fachleute auch dazu, dieses Feld als nicht natürlichen Ursprungs anzusehen. Eine Definition, die auch ich bejahe“, schloß er. „Sie meinen, das Feld könnte von fremden Intelligenzen künstlich aufgebaut worden sein?“ forschte der Kommandant erregt. Halloran nickte zögernd. „Ich weiß, daß es unglaublich klingt, aber auszuschließen ist diese Möglichkeit nicht. Was wissen wir denn schon, was alles in unserer Milchstraße vor sich gehen mag? Wir haben ja kaum die Nase vor unsere Tür gesteckt - die elf Lichtjahre, die Sie zurückgelegt haben, waren nur ein kleiner Schritt.“ „Das allerdings“, räumte Ralf Neumann ein. „Nun, dieser Schritt hat sich immerhin gelohnt, denn wir haben eine Welt entdeckt, die dem kläglichen Rest der Menschheit Asyl bieten kann. Dieses System ist ohnehin verloren, weil es in etwa fünfzig Jahren mit einem Dunkelstern kollidieren wird, den wir auf dem Rückflug entdeckt haben.“ Die vier Männer starrten ihn ungläubig an. „Ist das Ihr Ernst?“ fragte Carstens schließlich. Der Captain nickte.
„Das Dunkelgestirn ist jetzt noch ungefähr einen Lichtmonat von der Erde entfernt, aber seine Bewegungsrichtung weist eindeutig auf unser Sonnensystem hin. Wir haben alle Daten mit unserem Schiffscomputer durchgerechnet und nachkontrolliert - in spätestens fünfzig Jahren ist die Katastrophe da.“ Der Arzt lachte bitter auf. „Als ob wir mit der ersten nicht schon ausreichend bedient wären! Unter diesen Umständen ist es tatsächlich am besten, wenn wir zu dem von Ihnen gefundenen Planeten auswandern.“ „Bis dahin haben wir aber noch ein schönes Stück Arbeit vor uns“, warf Dr. Halloran ein. „Die drei Schiffe oben in der Werft müssen erst einmal fertiggestellt werden, ehe wir abfliegen können. Das kann noch Jahre dauern, denn was sind schon sechzig Techniker für drei große Schiffe!“ Ralf Neumann nickte. „Da haben Sie vollkommen recht. Deshalb habe ich Dr. Ishiga auch schon den Vorschlag unterbreitet, alle Bewohner von Mars City nach Deimos zu evakuieren. Erstens gibt es dort genügend Vorräte für alle, und zweitens kann ein Großteil Ihrer Männer mit bei der Ausrüstung der Schiffe eingesetzt werden. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe, wie man so sagt.“ „Eine gute Idee“, bestätigte Egon Carstens. „Hier sind ohnehin alle Anlagen ziemlich verkommen, obwohl wir uns alle Mühe gegeben haben, sie in Schuß zu halten. Es fehlte eben an Ersatzteilen, und ewig kann man nicht improvisieren. Ich habe aber eine ganze Anzahl gute Techniker hier, die bei den Schiffen mit Hand anlegen können.“ „Erzählen Sie uns etwas über Ihren neuen Planeten, Captain“, bat Dr. Ishiga. Der Kommandant kam dieser Aufforderung gern nach. Dann wurden noch Einzelheiten bezüglich der geplanten Umsiedlung besprochen, und so war draußen schon die Dämmerung angebrochen, als sich die beiden Raumfahrer wieder auf den Rückweg machten.
„Da haben wir aber allerhand Arbeit vor uns, Ralf“, bemerkte Rex Farrell nachdenklich. „Meinst du, daß das alles zu schaffen ist?“ Captain Neumann nickte entschlossen. „Wir werden es schaffen, verlaß dich darauf.“ * „Stimmt etwas nicht, Mr. Manzoni?“ Enrico Manzoni, der Werftleiter von Deimos, fuhr zusammen und sah von seinen Papieren auf. „Ach, Sie sind es, Captain, ich habe Sie gar nicht kommen gehört. Doch, es ist soweit alles in Ordnung, ich tüftele nur gerade an einer Verbesserung. Meiner Ansicht nach läßt die Koordination zwischen Antrieb und Andruckabsorbern unserer Schiffe noch zu wünschen übrig. Die letzten Probeläufe der Triebwerke haben gezeigt, daß bei plötzlicher Erhöhung der Schubleistung zuweilen die Absorber zu spät reagieren, so daß der Andruck nicht schnell genug abgefangen wird. Dann kommen für einige Sekundenbruchteile mehrere Gravos Andruck durch. So kurz diese Zeit auch ist, es kann trotzdem passieren, daß Menschen stürzen und zu Schaden kommen oder daß nichtbefestigte Gegenstände sich selbständig machen und Unheil anrichten.“ Ralf Neumann beugte sich über die Konstruktionszeichnungen. Als Schiffskommandant hatte er eine umfassende Ausbildung erhalten und war mit derartigen technischen Problemen vertraut. Sein Finger glitt über das Papier und hielt schließlich an einer Stelle an. „Der Fehler könnte eventuell hier liegen, denke ich, wo die beiden Relais eingebaut sind. Wenn, sie ihr natürliches Trägheitsmoment nicht schnell genug überwinden, kann es durch sie zu dieser Fehlleistung kommen. Wäre es nicht vielleicht besser, an ihrer Stelle Trystoren einzusetzen, bei denen jede Verzögerung entfällt?“ Das Gesicht des Technikers hellte sich auf.
„Das dürfte tatsächlich die Lösung sein! Da sitze ich schon zwei Stunden und grüble, und Sie kommen kaum herein und haben schon den wunden Punkt entdeckt. Vielen Dank, Captain.“ „Danken Sie mir nicht zu früh, Manzoni“, lachte der Kommandant der KOSMOS III. „Noch steht es nicht fest, daß diese Relais tatsächlich die Übeltäter sind, meine Idee kann auch falsch sein. Gibt es sonst noch etwas?“ Manzoni schüttelte den Kopf. „Alles läuft ganz zufriedenstellend. Unsere Mitarbeiter aus Mars City sind mittlerweile so gut eingearbeitet, daß sie einen großen Teil der Arbeit selbständig durchführen können; und es ist schon ein Unterschied, ob sechzig Mann an drei Schiffen arbeiten oder zweihundert. Wenn wir das bisherige Arbeitstempo beibehalten können, müßten die Schiffe in etwa vier Monaten soweit sein, daß wir mit den Probeflügen beginnen können.“ „Ausgezeichnet“, lobte Ralf Neumann. „Wir kommen mit der Schulung des künftigen Schiffspersonals auch gut voran, also können wir alle zufrieden sein. Wie geht es Ihrer Familie jetzt?“ Manzonis Frau mit ihren drei Kindern hatte sich in Mars City befunden und dort ebenso hungern müssen wie alle anderen. Der Captain erfuhr, daß sich alle vier gut von den Strapazen erholt hätten, verabschiedete sich von dem Werftleiter und begab sich in sein eigenes Büro. Seit der Übersiedlung aus der Marsstadt waren sechs Monate vergangen. Die KOSMOS III und ihr Beiboot hatten insgesamt zehn Flüge durchführen müssen, bis die siebenhundert Menschen und ihre persönliche Habe nach Deimos gebracht waren. Sie wohnten nun wohl etwas beengt, hatten aber sonst alles, was ihnen so lange gefehlt hatte. Alle Männer, die dazu geeignet waren, wurden nun bei der Endausrüstung der drei neuen Schiffe eingesetzt. Nach den unvermeidlichen Anlaufschwierigkeiten hatte sich alles eingespielt, und der
Kommandant hoffte, nach Ablauf eines halben Jahres den Aufbruch zum System 61 Cygni einleiten zu können. Es hatte sich ganz von selbst ergeben, daß er mit der Oberleitung des Gesamtprojekts betraut worden war. Dr. Ishiga verstand als Archäologe zuwenig von Technik, um hier Entscheidungen treffen zu können, und Carstens und Manzoni wurden für praktische Arbeiten gebraucht. Auch Farrell, Walker und Baruzzi, sowie die technische Besatzung der KOSMOS III waren voll ausgelastet, denn ihnen oblag die Unterweisung jener Männer, die einmal die neuen Schiffe fliegen sollten. Der Summer des Bildtelefons meldete sich. Neumann tastete das Gerät ein, und auf der kleinen Bildfläche erschien das Gesicht von Sheila Brendon, die für die Verpflegung der Deimosstation verantwortlich war. Sie war eine schlanke, graziöse Blondine von sechsundzwanzig Jahren, die aus ihrer Verehrung für den Captain kein Hehl machte. Auch Neumann mochte sie gern, aber noch hielt er die Zeit nicht für gekommen, sich irgendwie zu binden. Das hatte noch Zeit, wenn der neue Planet erreicht war. „Was haben Sie auf dem Herzen, Sheila?“ fragte er lächelnd. Das Mädchen lächelte zurück. „Reden wir lieber nicht davon, das könnte zu persönlich werden ... Eigentlich wollte ich mit Ishiga sprechen, aber der ist gerade beim Zahnarzt und für die nächste Zeit nicht zu erreichen, deshalb wende ich mich direkt an Sie. Wir brauchen Nachschub an Wasser, Ralf, Sie werden jemand zum Mars hinunterschicken müssen.“ Die Wasservorräte der Station waren längst aufgebraucht worden, denn sie waren für eine viel geringere Kopfstärke vorgesehen gewesen und seit zwei Jahren nicht mehr aufgefüllt worden. Etwa alle zwei Wochen mußte nun ein Kommando zum Mars hinunterfliegen und für Nachschub sorgen. Der Captain nickte. „In Ordnung, ich werde das veranlassen. Leider sind meine Leute momentan nicht abkömmlich, aber ich werde mich um ein paar Frei-
willige vom Werftpersonal bemühen, die jetzt frei haben. Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?“ Das Mädchen wiegte den Kopf. „Dienstlich nicht, aber privat schon. Wie wäre es, wenn Sie einmal so etwas wie eine Tanzparty für die Leute organisieren würden? Wer die ganze Zeit über angestrengt arbeitet, braucht auch zuweilen etwas Entspannung. Hinterher geht die Arbeit meist viel besser von der Hand.“ „Das ist keine schlechte Idee“, räumte Ralf Neumann ein. „Ich werde Ihren Vorschlag Dr. Ishiga unterbreiten, vielleicht können wir die Party schon am Sonntag starten.“ „Werden Sie dann auch mit mir tanzen?“ fragte Sheila Brendon kokett. Der Kommandant lachte leise auf. „Vermutlich würden Sie nicht viel Spaß daran haben, denn erstens bin ich vollkommen aus der Übung, und zweitens dürften sich die Tänze in den letzten dreiundzwanzig Jahren erheblich verändert haben. Aber wenn Sie trotzdem Wert darauf legen ...“ „Natürlich lege ich Wert darauf“, erwiderte das Mädchen lächelnd. „Ich werde Sie schon beim Wort nehmen, verlassen Sie sich darauf. Auf Wiedersehen.“ „Wiedersehen, Sheila“, sagte Neumann und schaltete das Gerät ab. Nicht nur die Tänze haben gewechselt, auch die Mädchen haben sich verändert, dachte er. Die Emanzipation der Frauen hatte gewaltige Fortschritte gemacht, jetzt fand niemand mehr etwas dabei, wenn die Frau um den Mann warb, statt umgekehrt. Vielleicht macht Sheila mir demnächst einen Heiratsantrag ... Ein durchaus angenehmer Gedanke, aber der Captain schob ihn beiseite. Er wählte die große Werfthalle und ließ sich mit dem aufsichtführenden Techniker verbinden, dem er sein Anliegen vortrug. Der Mann sagte ihm prompte Erledigung zu. Ralf Neumann wollte gerade abschalten, als in der Werfthalle andere Stimmen laut wurden. Sekunden später erschien das Gesicht Rex Farrells auf der Bildfläche.
„Eine gute Neuigkeit, Ralf“, sprudelte der Schwarze hervor. „Eben haben wir festgestellt, daß das Saugfeld um die Sonne nicht mehr existiert. Es war in den letzten Tagen schon zu Intensitätsschwankungen gekommen, und jetzt ist es plötzlich ganz verschwunden.“ Der Kommandant wiegte den Kopf. „Damit dürfte wohl die Theorie hinfällig geworden sein, daß es von dem Dunkelstern ausgehen könnte, der sich unserem System nähert. Wenn das so wäre, müßte es stärker werden, statt zu verschwinden.“ Diese Theorie war von Dr. Jenkins aufgestellt worden und wurde von einigen Wissenschaftlern vom Mars unterstützt. Sie basierte auf Messungen, die diese Männer durchgeführt hatten, wobei sie eine Polarisation des Saugfeldes in Richtung Dunkelstern festgestellt haben wollten. Natürlich war es möglich, daß sie damit recht hatten, aber der Mars lag zu nahe an dem Feld, um absolut zuverlässige Messungen durchführen zu können. Rex Farrell war enttäuscht. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“ fragte er gedehnt. „Denke doch nur daran, daß uns jetzt wieder der Weg zur Erde offensteht! Vielleicht gibt es dort doch noch Überlebende, mit denen wir wenigstens Funkverbindung aufnehmen können.“ Ralf Neumann zog ein skeptisches Gesicht. „Das ist natürlich nicht ausgeschlossen, aber in diesem Fall werden die Leute anderes zu tun haben, als Funkgespräche zu führen. Nach dem Zusammenbruch jeglicher Zivilisation werden sie um ihr nacktes Leben kämpfen müssen. Vermutlich haben sie nicht einmal mehr Energie, um ein Funkgerät betreiben zu können. Und selbst wenn - wir könnten ihnen ja doch nicht helfen, weil sich eine Landung auf der Erde ganz von selbst verbietet! So gesehen, ist es für uns wie für sie relativ uninteressant, ob das Feld weiterbesteht oder nicht.“ Der Captain konnte nicht ahnen, welche Konsequenzen diese für ihn zweitrangige Entdeckung noch haben sollte.. *
Das Wasserholkommando setzte sich aus den Technikern Lund, Mytschenko, Roberts und Lintorf zusammen. Im allgemeinen war es so, daß sich die Männer nicht um die Versorgungsflüge zum Mars rissen, weil dabei ihre ohnehin knappe Freizeit verlorenging. Einem aufmerksamen Beobachter wäre daher vielleicht die Eile aufgefallen, mit der die Männer sich gemeldet hatten, als Freiwillige gesucht wurden. Doch die anderen Techniker der Freischicht waren froh, daß sie nicht fliegen mußten und machten sich daher keine Gedanken. Daß es hier einen Zusammenhang mit dem Verschwinden des Störfeldes geben konnte, kam keinem in den Sinn ... Die Nachricht war schnell herumgegangen, ohne aber besonderes Aufsehen zu erregen. Die meisten Männer hatten sich längst damit abgefunden, die Erde als für sich verloren zu betrachten. Nicht so diese vier. Sie lagen im gleichen Quartier und hatten sich oft gemeinsam ausgemalt, wie schön es sein müßte, ihre Heimat einmal wiederzusehen. Als sie nun plötzlich diese Möglichkeit in greifbare Nähe gerückt sahen, handelten sie, ohne lange zu überlegen. Als Fahrzeug diente ihnen das Beiboot der KOSMOS III, das genügend große Tanks besaß. Das Schiff selbst war augenblicklich nicht flugfähig, da man dabei war, einige technische Neuerungen an ihm vorzunehmen, um es dem Standard der drei anderen Raumer anzupassen. Die Schotten des Hangars hatten sich geschlossen, und die Pumpen waren dabei, die kostbare Atemluft ins Innere der Deimosstation abzuziehen. Erik Lund saß im Pilotensitz und beobachtete ungeduldig die Instrumente, die ihm die Druckminderung im Hangar anzeigten. Endlich war das Vakuum hergestellt, Lund drückte auf einen Knopf am Armaturenbrett, und das dadurch ausgelöste Funksignal ließ die Außenschleuse aufschwingen. Ein weiterer Griff, und zwei Hilfsdüsen traten in Aktion und ließen das Boot langsam durch die Schleuse
schweben, bis es sich über dem natürlichen Boden des kleinen Mondes befand. Als es genügend Abstand von der Station gewonnen hatte, schaltete der Techniker das Haupttriebwerk ein. Ein kurzer Schub genügte, und schon blieb Deimos hinter ihm zurück. Das kleine Schiff fiel nun antriebslos dem Mars entgegen, dessen riesige Wölbung unmittelbar hinter dem nahen Mondhorizont auftauchte. „Soweit wären wir also“, meinte Erik Lund zufrieden und brannte sich eine Zigarette an. Noch gab es Rauchwaren aus den Beständen der Werft, aber die Vorräte waren klein und ihr Ende trotz Rationierung bereits abzusehen. „Ich möchte die Gesichter auf Deimos sehen, wenn die Herrschaften morgen vergeblich auf ihr Wasser warten werden!“ grinste Mytschenko. „Auf die Idee, daß wir mit dem Boot zur Erde fliegen könnten, ist bestimmt kein Mensch gekommen ...“ Die anderen stimmten in das Gelächter ein, obwohl ihnen nicht ganz wohl in ihrer Haut war. Sie wußten, daß sie mit ihrem Flug ein Risiko eingingen, daß dieses Unternehmen ihren Tod bedeuten konnte, doch sie scheuten sich, das selbst untereinander zuzugeben. Schließlich waren über zwei Jahre vergangen, seit die Seuche über die Erde hinweggerast war! Die Männer bedachten nicht, daß Zeit für ein Virus wenig Bedeutung hatte. Mikroben konnten jahrelang im Zustand völliger Stagnation verharren und dann ganz plötzlich wieder aktiv werden, wenn sich ihnen der entsprechende Nährboden bot ... Lund behielt die Richtung zur Marssiedlung bei, bis das Boot dem Sichtbereich des schnellaufenden Mondes entkommen war. Erst in der Deckung durch den Planeten ließ er den Antrieb wieder anlaufen und stieß mit voller Kraft in den freien Raum hinaus. Weit vor dem Schiff stand neben der Sonne ein heller Körper mit bläulichem Licht - die Erde! *
Wie vorausgesehen, fiel anfangs in der Deimosstation niemand etwas auf. Normalerweise dauerte die Wasserübernahme auf dem Mars rund fünfzehn Stunden, denn die Förderleistung der Pumpen in der Siedlung war nur gering. Man hatte von der Pumpstation aus, die das kostbare Naß aus großer Tiefe holen mußte, eine Leitung bis vor die Luftschleuse gelegt, die nun offenstand, seit die Kuppelstadt aufgegeben war. Erst als das Schiff am Abend des zweiten Tages immer noch nicht zurückgekehrt war, fragte Sheila Brendon beim Werftleiter an, wo denn das Wasser bliebe. Enrico Manzoni verwies sie an Captain Neumann, der aber vorschlug, noch einige Stunden zu warten. Es war schon vorgekommen, daß die ausgeleierten Pumpen versagten und repariert werden mußten, was naturgemäß viel Zeit kostete. Niemand dachte aber an etwas Böses, und erst kurz vor Mitternacht gab Ralf Neumann Order, das Boot über Funk anzurufen. Tino Baruzzi rief zwanzig Minuten lang, doch er bekam keine Antwort. Natürlich fing Lund im Raumboot die Rufe auf, aber er zog es vor, keine Antwort zu geben. Sollte man auf Deimos ruhig herumrätseln - jede Stunde, die er so gewann, zählte für ihn und seine Begleiter. Zweifellos würde der Captain sie mit der KOSMOS III verfolgen, wenn ihm der wahre Sachverhalt erst einmal bekannt war. Da die Schubleistung des Schiffes erheblich größer war als die des kleinen Bootes, konnte er es ohne weiteres einholen, solange es keinen entsprechenden Vorsprung besaß. „Was mag auf dem Mars wohl passiert sein?“ fragte Dr. Ishiga, der in die Funkstation gekommen war. Ralf Neumann hob die Hände. „Ich weiß ebensoviel wie Sie, Doc. Vielleicht haben die Männer wieder an den Pumpen herumbasteln müssen und sich jetzt im Boot zur Ruhe gelegt, während die Tanks vollaufen. Das würde die Nichtbeantwortung der Funkanrufe erklären. Allerdings hätten sie uns davon verständigen können, dann brauchten wir uns hier keine Sor-
gen zu machen. Zugestoßen kann ihnen kaum etwas sein, also warten wir bis morgen früh und funken sie dann wieder an.“ Doch auch am nächsten Morgen kam keine Antwort, und nun machte sich der Captain ernstliche Sorgen. Er ließ die Arbeiten an der KOSMOS III einstellen und das Schiff startbereit machen, um an Ort und Stelle nach dem Rechten zu sehen. Er flog mit Rex Farrell und einer kleinen Besatzung zur Marssiedlung und landete das Schiff dicht neben der Kuppel. Mit Befremden stellte er fest, daß von dem Beiboot weit und breit nichts zu sehen war. Auch der Zustand der Pumpanlage verriet, daß hier seit langem niemand gewesen war. „Ich habe eine schlimme Ahnung“, sagte der Captain zu dem Piloten, als sie die Kuppel wieder verließen. Der Schwarze nickte schwer. „Ich weiß, was du denkst“, sagte er. „So absurd das auch klingen mag: Lund und Genossen haben uns übers Ohr gehauen und sind zur Erde geflogen!“ Ralf Neumann nickte ebenfalls. „Es ist wohl absurd, aber nicht mehr zu bezweifeln - oh, diese Narren ...“ * Die nächsten Stunden brachten ihm viel Arbeit und eine Menge Probleme. Er hatte nicht vor, die vier Männer blindlings ins sichere Verderben fliegen zu lassen. Andererseits war es ihm unmöglich, ihre Verfolgung sofort aufzunehmen. Die Deimosstation benötigte dringend Wasser, und die KOSMOS III war das einzige Fahrzeug, das es herbeischaffen konnte. So blieb ihm nichts weiter übrig, als gleich an Ort und Stelle mit der Wasserübernahme zu beginnen. Während die Pumpen liefen, nahm er Funkverbindung mit der Station auf und ließ den Raum zwischen Mars und Erde mit dem Hyperradar absuchen. Das Beiboot war bald gefunden. Es entfernte sich
mit Vollschub vom Mars und hatte bereits mehr als zwanzig Millionen Kilometer zurückgelegt. Rex Farrell stieß einen Fluch aus, als diese Nachricht durchgesagt wurde. „Eigentlich hätten die Brüder ja nichts Besseres vordient, als daß wir sie ihrem Schicksal überließen. Kaum ist das Störfeld weg, spielen sie uns diesen Streich. Aber trotzdem müssen wir versuchen, sie noch vor Erreichen der Erde einzuholen und irgendwie an einer Landung dort zu hindern. In der jetzigen Situation sind Menschenleben viel zu kostbar, als sie durch Leichtsinn umkommen zu lassen.“ „Außerdem wäre dann auch das Beiboot verloren“, meinte der Captain düster. „Ist es einmal gelandet, dürfen wir es nicht wieder aufsteigen lassen, denn es würde Milliarden von Viren mitbringen. Auch wenn die Männer scheinbar gesund zu uns zurückkämen - die Inkubationszeit der Seuche ist nicht bekannt, sie könnte erst nach Wochen bei uns ausbrechen und uns alle auslöschen ...“ Neumann ließ durch seine Männer eine zweite Leitung verlegen und durch die schiffseigenen Pumpen zusätzlich Wasser fördern. Auf diese Weise gelang es ihm, die Übernahmezeit auf sechs Stunden herunterzudrücken. Dann startete das Schiff sofort und flog den Mond an. Weitere sechs Stunden vergingen, bis die Wassertanks in die Reservoire der .Werftstation entleert waren. Erst dann konnte der Kommandant daran denken, die Verfolgung der Flüchtlinge aufzunehmen. Seine Männer hatten inzwischen ein paar Stunden schlafen können, er selbst war jedoch nicht zur Ruhe gekommen. Für ihn gab es noch eine Menge Dinge zu regeln, denn die KOSMOS III würde mindestens zehn Tage für den Hin- und Rückflug zur Erde brauchen, unvorhergesehene Aufenthalte nicht einkalkuliert. Rex Farrell beschleunigte sofort mit Höchstwerten. Die Erde stand dem Mars zur Zeit ziemlich nahe, da sich der Rote Planet fast in Oppositionsstellung befand. Trotzdem waren noch fünfundsiebzig Mil-
lionen Kilometer zurückzulegen, von denen das Beiboot inzwischen etwa dreißig Millionen überwunden hatte. Ralf Neumanns schmales Gesicht wurde immer finsterer, je weiter sie sich vom Mars entfernten. Er zog den Computer zu Rate und gab ihm alle bekannten Daten über das Beiboot ein. Auf diese Weise ließ sich bis auf die Stunde genau vorausberechnen, wann dieses die Erde erreicht haben würde. Als er dann die Daten des eigenen Schiffes zum Vergleich heranzog, zeigte sich, daß die Flüchtlinge ungefähr acht Stunden vor ihm dort sein würden. Der Captain versuchte nun, an die Vernunft der vier Männer zu appellieren, indem er sie über Hyperwelle anrief. Doch seine ersten Kontaktversuche wurden einfach ignoriert. Erst nach zwei Tagen ließ sich Lund dazu herab, Verbindung mit ihm aufzunehmen. Plötzlich leuchtete der Bildschirm des Hyperfunkgerätes auf und brachte sein Abbild in die Zentrale der KOSMOS III. Sein Gesicht war ausdruckslos. „Was wollen Sie eigentlich von uns, Captain?“ fragte er aggressiv. „Mit welchem Recht wollen Sie uns verbieten, die Erde aufzusuchen, wenn es uns so gefällt?“ „Sie sind schließlich immer noch Angehörige der Raumflotte und unterstehen als solche meinem Befehl“, erinnerte ihn Ralf Neumann. Erik Lund lachte auf. „Finden Sie es nicht selbst etwas lächerlich, was Sie da sagen? Die gesamte ‚Raumflotte’ besteht zur Zeit aus Ihrem und unserem Schiff was gibt es da noch zu befehligen? Wir sind es jedenfalls leid, uns noch Vorschriften machen zu lassen und haben es deshalb vorgezogen, unsere eigenen Wege zu gehen.“ Der Kommandant lächelte bitter. „Haben Sie dabei auch bedacht, wohin es führte, wenn alle unsere Männer so dächten? Nichts gegen Individualismus, in normalen Zeiten habe ich Verständnis dafür. Leider haben wir jetzt aber durchaus keine normalen Zeiten! Wir haben dafür eine Aufgabe, und sie besteht darin, die Menschheit vor dem restlosen Aussterben zu bewah-
ren. Ist das nicht ein Ziel, dem sich jeder unterzuordnen hat? Ihm gegenüber werden alle persönlichen Wünsche bedeutungslos - können Sie das wirklich nicht einsehen ...?“ Der Techniker hob die Schultern. „Das ist Ihr Standpunkt, Captain! Wir haben den unseren. Wir sind nun einmal nicht daran interessiert, eine jahrelange Reise zu einem fremden System mitzumachen. Wir wollen zurück zur Erde, auf der wir geboren und aufgewachsen sind.“ „Auf der Sie aber wahrscheinlich dann auch sterben werden“, hielt ihm Ralf Neumann entgegen, „so, wie vor zweieinhalb Jahren über sieben Milliarden Menschen gestorben sind. Meinen Sie, die Viren werden ausgerechnet Sie vier verschonen und am Leben lassen?“ Lund schüttelte den Kopf. „Captain, wir haben uns die Sache gut überlegt und sind zu der Ansicht gekommen, daß die Seuche längst als erloschen anzusehen ist. Wir glauben aber, daß es auf der Erde noch eine gewisse Anzahl von Überlebenden geben muß. Mit diesen zusammen könnten wir uns ein neues Leben aufbauen, ohne erst zu Ihrem fremden Planeten auswandern zu müssen.“ Der Kommandant sah ihm ernst in die Augen. „Wollen Sie klüger sein als unsere Ärzte und Biologen, Lund? Diese erfahrenen Experten sind übereinstimmend der Ansicht, daß die Seuche nach wie vor eine tödliche Gefahr für jeden Menschen darstellt! Die Viren dürften sich in latentem Zustand noch überall auf der Erde befinden und sofort wieder aktiv werden, sobald neue Befallsobjekte auftauchen. Ich warne Sie eindringlich - wollen Sie wirklich mit offenen Augen in Ihr Verderben fliegen?“ Erik Lund zeigte ein hämisches Grinsen. „Wie wollen Sie uns daran hindern - davon abgesehen, daß wir an diese Gefahr nicht glauben? Ich finde Ihre Sorge um uns direkt rührend, aber Sie werden uns von dem einmal gefaßten Entschluß nicht mehr abbringen. Wir werden die Erde vor Ihnen erreichen, unser Vorsprung ist groß genug. Übermorgen werden wir dort landen, zu-
erst in Moskau, wo Mytschenko zu Hause ist. Später werden wir meine Heimat Bornholm aufsuchen, dann das Rheinland, wo Lintorf herkommt, und Exeter in England, von wo Roberts stammt. Sollten wir wirklich auf keine Überlebenden mehr stoßen, werden wir uns einen Ort suchen, wo es noch einigen Komfort gibt, und es uns dort gemütlich machen. Wenn die Seuche noch existiert, so werden wir das eines Tages bemerken, aber das ist dann unser persönliches Pech. Immerhin sterben wir in dem Falle auf unserer Erde statt auf einer fremden Welt.“ Rex Farrell schob sich nun vor die Aufnahmeoptik. „Jetzt reden Sie noch große Töne, aber die werden Ihnen bald vergehen, Lund! Spätestens nach ein paar Tagen dürften Sie zur Besinnung kommen, darauf gehe ich jede Wette ein. Das wird dann sein, wenn Sie erst das beklemmende Gefühl verspüren, die einzigen Menschen auf der Welt zu sein ... Dann werden Sie es bald nicht mehr aushalten. Sie werden Ihre Sentimentalitäten über Bord werfen und nur noch den einen Wunsch haben, die Erde möglichst schnell wieder zu verlassen. Das aber werden wir auf jeden Fall verhindern! Wir können es einfach nicht zulassen, daß Sie zum Deimos zurückkehren und auch uns die Seuche bringen. Jetzt ist es noch nicht zu spät, umzukehren. Tun Sie es, und niemand von uns wird Ihnen etwas nachtragen.“ Der Techniker winkte unwirsch ab. „Wir werden es nicht tun - das ist mein letztes Wort!“ * „Wie können Menschen nur so uneinsichtig sein!“ rief Tino Baruzzi ärgerlich. Das Temperament ging mit dem kleinen schwarzhaarigen Italiener durch, und er führte einen wütenden Lufthieb. „So können eben nur Menschen sein“, meinte der Captain resigniert. „Wenn ich von ihnen verlangen würde, zur Erde zu fliegen, würden sie wahrscheinlich entrüstet ablehnen und behaupten, ich
wolle sie in den sicheren Tod schicken. Da es aber ihre eigene Idee ist, halten sie diese für unfehlbar, wie sich selbst ...“ Die Verfolgung ging weiter, aber das Beiboot war nicht mehr einzuholen. Mit einem Vorsprung von vier Millionen Kilometern erreichte es die Erde und drang in ihre Lufthülle ein. Im Gebiet von Moskau war Mittagszeit, als das Raumboot, vom Antigravfeld gehalten, langsam dem Boden entgegenfiel. Seine Anflugrichtung hatte es über Asien hinweggeführt, und das Bild der dortigen Zustände war deprimierend genug gewesen. Spuren von menschlichem Leben waren nirgends mehr festzustellen, nur vereinzelt größere Herden verwilderter Rinder. Außerdem zeigten sich riesige Vogelschwärme, die auf der Suche nach Nahrung durch die Gegend streiften. Leer und verlassen lagen die einst von Menschen wimmelnden Städte, dem allmählichen Verfall preisgegeben. Westlich des Urals tobte ein riesiger Waldbrand. Er hatte bereits viele Quadratkilometer Wald vernichtet und breitete sich noch immer weiter aus. Endlich kam Moskau in Sicht, und Boris Mytschenko starrte wie gebannt auf den Bildschirm. Die ehemalige russische Metropole, seit dem Zweiten Weltkrieg unaufhaltsam gewachsen und zuletzt von sechzehn Millionen Menschen bewohnt gewesen, bot einen trostlosen Anblick. Sie war völlig ausgebrannt, und die zahlreichen Hochhäuser ragten wie gespenstische Riesenfinger in die Luft. Mytschenko hatte in einem der westlichen Vororte gewohnt und ließ Lund diesen ansteuern in der Hoffnung, er wäre verschont geblieben; doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. „Sollen wir landen, Boris?“ fragte Lund leise, der nun schon viel von Optimismus und Überheblichkeit verloren hatte. Der Russe schüttelte den Kopf. „Was soll ich dort unten?“ fragte er resigniert zurück. „Wenn es irgendwo Überlebende gibt, sind sie bestimmt nicht in den Ruinen zu finden, sondern irgendwo auf dem Lande, wo sie sich Nahrungsmit-
tel beschaffen können. Dort aber könnten wir jahrelang suchen, wenn wir Pech haben ... Fliege nur am besten gleich nach Deutschland weiter.“ Lund beschleunigte wieder und ließ das Boot der Sonne nachfliegen. Minsk kam in Sicht, später Warschau, Posen, Frankfurt an der Oder - alle Städte scheinbar unversehrt, aber ausgestorben, Berlin war abgebrannt. Magdeburg und Hannover standen noch, aber nirgends gab es auch nur die geringsten Anzeichen von menschlicher Aktivität. Das Ruhrgebiet mit seinen zahlreichen ineinander verschachtelten Städten war zum großen Teil ein riesiger Brandherd gewesen. Der Rhein blinkte mit seinem silbernen Band in der Ferne auf - doch dort, wo einst Düsseldorf gelegen hatte, befand sich nur noch ein riesiger wassergefüllter Krater. Das nahegelegene Atomkraftwerk war, als die Kontrolle durch Menschen ausblieb, in die Luft geflogen und hatte die gesamte Umgebung verwüstet. Die Meßgeräte im Boot zeigten auch jetzt noch eine hohe Radioaktivität in diesem Gebiet an. Lintorf stammte aus dieser Gegend. Erik Lund warf seinem Kameraden einen Blick zu, aber dieser schüttelte nur stumm den Kopf. Auch ihm lag unter diesen Umständen nichts an einer Landung, zumal weit und breit keine Anzeichen von Leben zu entdecken waren. Der Pilot nahm nun Kurs nach Nordwesten. Holland wurde überflogen, die westliche Nordsee, dann kam die englische Küste in Sicht. Die ehemalige Weltstadt London war das nächste Ziel; doch die vielen im Unterlauf der Themse liegengebliebenen Schiffe ließen schon von weitem ihr Schicksal ahnen. Wohl standen noch die zahlreichen historischen Gebäude, aber auch hier hatte die Seuche kein Erbarmen gekannt. Total verwildert waren die früher sorgsam gepflegten Landschaftsgebiete Südenglands, die das Boot anschließend überquerte. Zwiespältig waren die Gefühle Edward Roberts, aber als schließlich Exeter in Sicht kam, kannte er keine Bedenken mehr.
„Ganz egal, wie es da unten aussehen mag, Erik - wir landen auf jeden Fall.“ Erik Lund nickte wortlos, obwohl jetzt auch in ihm die bisher sorgsam unterdrückte Furcht vor dem Ungewissen langsam die Oberhand zu gewinnen begann. Am liebsten hätte er jetzt aufgegeben und wäre umgekehrt. Dann aber hätte er sich eine Blöße geben müssen, und so ließ ihn falscher Stolz gegen die Einsicht handeln. Er war die Triebfeder zu diesem - wie er sich jetzt selbst eingestand - Wahnsinnsflug gewesen ... Exeter besaß einen Flughafen, auf dem auch jetzt noch zahlreiche Flugzeuge herumstanden, und diesen wählte er als Landeplatz. Von dort aus war es nicht weit bis zu Roberts' früherem Wohnhaus. Langsam senkte sich das Boot auf den Boden hinab, die Landestützen fuhren aus. Dann erloschen die Düsenflammen, und das kleine Schiff setzte auf dem freien Platz vor dem ehemaligen Kontrollturm auf. Lund verharrte noch auf seinem Sitz und beobachtete den Bildschirm des Ortungsgerätes. Der langsame Flug über Asien und Europa hinweg hatte sie den Vorsprung gegenüber der KOSMOS III gekostet. Nun stand das Schiff Captain Naumanns ebenfalls schon über Exeter, allerdings außerhalb der vermutlich virenverseuchten Atmosphäre. Brüsk schaltete Erik Lund das Radar ab und erhob sich, aber im selben Moment sprach das Normalfunkgerät an. Äußerlich zögernd, innerlich aber froh über diesen Aufschub, schaltete der Techniker den Apparat ein, und das Abbild Ralf Neumanns erschien auf dessen kleiner Bildfläche. „Wir bedauern, daß Sie es doch gewagt haben, Lund“, sagte der Kommandant ernst. „Leider gab es für uns keinen Weg, Sie an der Landung zu hindern, und jetzt muß das Schicksal über Sie entscheiden. Wir haben aber eine Bitte an Sie. Nehmen Sie doch ein kleines transportables Funkgerät mit, und berichten Sie uns zuweilen, was Sie da unten vorfinden. Wir können nicht viel erkennen und wollen nicht riskieren, tiefer als hundert Kilometer zu gehen. Natürlich in-
teressiert es uns, ob Sie noch Menschen finden werden und auch, ob die Seuche noch immer grassiert. Sollte das entgegen allen Erwartungen nicht mehr der Fall sein - Sie werden es ja am eigenen Leibe erfahren -, ließe sich nach einer gewissen Zeit über eine Rückkehr Ihrer Gruppe nach Deimos reden.“ Erik Lund lächelte ironisch. „Das war eben ein ausgesprochen schlechter Witz, Captain. Wenn wir gesund bleiben, wäre es ja geradezu absurd, wenn wir zum Mars zurückkehren wollten! Dann ist nämlich klar erwiesen, daß auf der Erde wieder Menschen leben können, folglich bleiben wir dann erst recht hier ... Gut, wir werden ein Funkgerät mitnehmen und uns zweimal täglich melden, obwohl es mir wenig Freude macht, als Versuchskaninchen für Sie zu fungieren. Hoffentlich wird Ihnen da oben inzwischen die Zeit nicht zu lang“, setzte er hämisch hinzu, ehe er abschaltete. * Die Sonne strahlte, bereits am Westhimmel stehend, vom mattblauen Septemberhimmel, als die vier das Beiboot verließen. Sie trugen leichte Raumfahrerkombinationen, an deren breiten Gürteln Behälter mit Wasser und Verpflegung für den Fall befestigt waren, daß sie außerhalb des Bootes übernachten mußten. Außerdem besaß jeder eine moderne Thompson-Maschinenpistole, aus der hochbrisante Geschosse mit einer Raketen-Treibladung verschossen wurden. Edward Roberts betrat als erster den Boden seiner Heimatstadt. Hier hatte er zwanzig seiner sechsundzwanzig Lebensjahre verbracht, und die Freude, die Stätten seiner Jugend wiederzusehen, wallte in ihm auf. Aber zugleich war da auch schon ein Bangen -, das Bangen, nur noch die Stätten allein vorzufinden, doch nicht mehr die Menschen, die sie einst bevölkert hatten, und ohne die die ganze
Stadt nichts weiter als eine unnütze Ansammlung sinnloser Gebilde aus Beton und Glas bleiben mußte ... Mytschenko, der als nächster folgte, hob die Nase in den leichten Westwind und schnupperte in der Luft umher. „Hier stinkt es“, stellte er nüchtern fest. Roberts warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Gleich darauf mußte er ihm aber recht geben. Ein seltsamer, undefinierbarer Geruch lag in der Luft, und unwillkürlich dachten alle an verwesende Leichen, obwohl das natürlich unsinnig war. Seit dem großen Sterben auf der Erde waren zweieinhalb Jahre vergangen, und von den Toten konnte weiter nichts mehr übrig sein, als ... Lund sah zuerst, was von ihnen geblieben war. Er stieß Roberts an und wies auf etwas, das im Schatten eines unweit stehenden Stratoclippers lag. „Das fängt ja gut an!“ murmelte er. Was sie dort sahen, war ein menschliches Skelett mit grinsendem Totenschädel, teilweise noch von halb zerfallenen Kleidungsstücken umgeben, die einmal eine Fliegeruniform dargestellt hatten. Wahrscheinlich hatte dieser Mann zur Besatzung des Clippers gehört und war in treuer Pflichterfüllung bis zuletzt bei seiner Maschine geblieben, obwohl er schon krank gewesen war. Die Europäische Zentralregierung hatte alle Flughäfen angewiesen, unbedingt Maschinen startklar zu halten für den Fall, daß man ein Mittel gegen die Seuche fand, das dann schnellstens transportiert werden mußte. Das Mittel war nie gefunden worden, doch der Pilot hatte bei dem Flugzeug ausgehalten, bis er schließlich neben ihm zusammengebrochen und gestorben war. Dort war er auch liegengeblieben, denn es hatte niemand mehr gegeben, der sich um seine Bestattung hätte kümmern können. Der nüchtern denkende Russe brach als erster das bedrückende Schweigen. „Nitschewo“, sagte er, „macht euch nichts daraus, Leute. Hattet ihr vielleicht etwas anderes erwartet? Wo Milliarden gestorben sind,
kann es gar nicht anders aussehen. Diesen Anblick werden wir wohl noch oft erleben müssen. Also los, gehen wir!“ Staub und Unrat, vom Wind zusammengeweht, lagen auf der Betonfläche des Flugplatzes und raschelten bei jedem Schritt, was bei der herrschenden Stille unnatürlich laut klang. Sie waren aber kaum zwanzig Meter weit gekommen, als sie ein anderes Geräusch zusammenfahren ließ. Unwillkürlich blieben alle vier stehen. An der Ecke des Flugleitungsgebäudes war ein Lebewesen zum Vorschein gekommen- ein Hund! Es war ein großer, deutscher Schäferhund, fast schwarz, mit gelber Brust; doch sein Fell befand sich in einem jämmerlichen Zustand, und das Tier war entsetzlich mager. Lang hing die Zunge aus seiner Schnauze, und zwischen den hochgezogenen Lefzen blinkte das scharfe Gebiß. Unstet wanderten seine Augen zwischen den Menschen hin und her, und ein drohendes Knurren kam aus seiner Kehle. „Für diese Tiere muß es nicht leicht sein, ohne die Menschen zurechtzukommen“, meinte Lintorf, der offenbar Hundeliebhaber war. „Wir sollten ihm etwas zu fressen geben.“ Er hatte kaum ausgeredet, als es neben dem Tier lebendig wurde. Sieben weitere Hunde kamen um die Ecke gerannt, hielten dort an und starrten auf die kleine Gruppe, die sich noch etwa fünfzehn Meter von ihnen entfernt befand. Es waren durchweg große und kräftige Tiere, aber der Hunger hatte sie alle gezeichnet. „Ich fürchte, für die alle reichen unsere Lebensmittel nicht aus“, bemerkte Lund mit hochgezogenen Brauen. Zu einer Fortsetzung seiner Worte kam er nicht mehr. Hatten die Hunde eben noch regungslos dagestanden und beobachtet, so änderte sich das von einer Sekunde zur anderen. Die deutsche Dogge ließ ein leises Jaulen hören, und das war das Signal für die anderen. Sie folgten umgehend dem Befehl ihres Leittieres und setzten sich in Bewegung. Lautlos sprangen sie nach allen Seiten davon, schlugen einen Bogen um die vier Menschen und kreisten sie regelrecht ein. Und was dann kam ...
Mytschenko hatte es zuerst begriffen. „Die MP's herunter und schießen!“ brüllte er. „Diese Biester greifen uns an!“ Jetzt bewährte sich die Ausbildung durch die Raumflotte bei den Männern. Instinktiv formierten sie sich zu einem Karree, die Waffen flogen von ihren Schultern, und schon ratterten die Maschinenpistolen los. Laut aufjaulend brachen die zuerst getroffenen Tiere zusammen, doch die übrigen Bestien sprangen rücksichtslos weiter auf die Menschen zu, bis der Tod auch sie ereilte. Schweigend verharrten die Männer. Erik Lund warf schließlich die Waffe wieder über die Schulter und lachte heiser auf. „Hattest du eben etwas von Füttern gesagt, Rolf?“ fragte er sarkastisch. „Wären wir ohne die MP's losgegangen, hätten sie uns als Futter verwendet ... Ich dachte mir schon so etwas, als diese Meute um die Ecke gebogen kam. Bestimmt gibt es weitere solcher Rudel hier in der Nähe, und sollte es wirklich noch Überlebende gegeben haben, dann ist es sehr fraglich, ob sie gegen diese Bestien bestehen konnten. Ich glaube, unter diesen Umständen verzichten wir wohl besser auf den Besuch deines Vaterhauses, Edward.“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Jetzt sind wir einmal so weit gekommen, nun will ich auch nach Hause, und wenn es nur für eine Viertelstunde ist. Solange es hell ist, haben wir nicht viel zu befürchten, denke ich. Wir haben noch genug Munition und können uns diese Tiere gut vom Leibe halten. Anschließend sehen wir dann weiter.“ * Auf dem nahegelegenen Parkplatz stand eine größere Anzahl von Hovercrafts, Luftkissenwagen, die seit längerem das allgemein gebräuchliche Fortbewegungsmittel gewesen waren. Soweit verschlossen, hatte ihnen die Witterung nicht allzuviel anhaben können. Deshalb schlug der praktisch denkende Mytschenko vor, unter ihnen ein
noch betriebsklares Fahrzeug auszusuchen und den Weg in die Stadt damit zurückzulegen. Die anderen stimmten zu, und sie fanden auch bald einen Wagen, der sich noch fahren ließ. Sie hatten gerade darin Platz genommen, und der Russe wollte das Fahrzeug starten, als Lintorf nach draußen wies. „Da, seht nur! Eben erscheint die nächste Sorte von lieben Tierchen ...“ Ratten waren es, große Tiere, weit größer, als sie die Menschen von früher her in Erinnerung hatten. Mindestens fünfzig dieser widerlichen Tiere kamen unter schrillem Pfeifen herbeigehuscht. Sie nahmen von den Menschen überhaupt keine Notiz, sondern stürzten sich gierig auf die Hundekadaver. „Der Blutgeruch wird sie angelockt haben“, meinte Lund angewidert. Mytschenko nickte und zog den Starthebel. Summend setzte sich der Wagen in Bewegung und wirbelte eine große Staubwolke auf. Die Zufahrtsstraße zur Stadt war noch vollkommen in Ordnung, aber von Blättern und Zweigen übersät, die der Wind im Laufe der Zeit herangeweht hatte. Rechts und links, wo einst sorgsam gepflegte Anlagen gewesen waren, erstreckte sich nun eine üppig wuchernde Wildnis, was Roberts mit sehr gemischten Gefühlen zur Kenntnis nahm. Die ersten Wohnhäuser kamen in Sicht, scheinbar noch in bestem Zustand. Erst bei näherem Herankommen konnte man sehen, daß doch überall schon allmählich der Verfall einsetzte. Durch zerbrochene Fensterscheiben wehten Gardinenfetzen, Putz war abgebröckelt, und einzelne Dachziegel waren herabgefallen. Sie bildeten auf der Straße zusammen mit Papierfetzen und sonstigem Unrat einen Belag, der stellenweise vom Regen, der durch die längst verstopften Gullis keinen Abfluß mehr fand, zu unregelmäßigen Haufen zusammengespült worden war. Überall standen die Wagen der ehemaligen Anwohner geparkt, als hätten diese sie nur für kurze Zeit verlassen; aber
allmählich begannen auch sie unter der Einwirkung von Wind und Wetter erste Anzeichen von Verfall zu zeigen. Roberts wies Mytschenko ein, und mit zusammengebissenen Zähnen steuerte der Russe den Schwebewagen weiter. Einmal war der Weg durch ein Feuerlöschauto blockiert, das mitten auf der Straße stand, die Leiter noch ausgefahren, die Schläuche wirr herumliegend. An der nächsten Kreuzung bogen sie nach rechts ab. Die Haustür der Regents Road 208 stand weit offen, und auf den Stufen, die zum Haus führten, saß behäbig eine Katze in der Sonne. Sie sah gut genährt aus und verlor auch nichts von ihrem Phlegma, als der Wagen dicht vor ihr anhielt. Sie machte keinerlei Anstalten, davonzulaufen und räumte ihren Platz erst unter mißmutigem Fauchen, als Roberts mit dem Fuß nach ihr stieß. „Die hat mich schon immer nicht leiden mögen“, sagte er mit düsterem Blick. „Sie hat Miß Finch gehört, einer alten Jungfer im Nebenhaus.“ Er wandte sich zu seinen Gefährten um. „Wartet bitte hier draußen, bis ich wiederkomme. Ich weiß nicht, was mich in unserer Wohnung erwartet, aber ich möchte da drinnen allein sein.“ Seine Kameraden nickten und lehnten sich an die Hauswand. Lund gab Zigaretten aus, und schweigend sogen sie an den rar gewordenen Stäbchen. Dabei ließen sie ihre Augen wachsam umherwandern, um nicht erneut eine unliebsame Überraschung erleben zu müssen. Es dauerte nur ungefähr zehn Minuten, dann kam Roberts wieder zum Vorschein. Obwohl man hätte meinen sollen, daß ihn das Wiedersehen mit den vertrauten Räumen bedrücken müßte, sah er irgendwie erleichtert aus. Auf Lunds fragenden Blick hin schüttelte er den Kopf. „Nichts, es ist alles leer. Es muß meine Eltern ziemlich am Anfang erwischt haben, denke ich, so daß sie noch beerdigt werden konnten. Alles ist total verstaubt, aber so gut aufgeräumt, als wäre Mutter nur eben zum Einkaufen weggegangen ... Fahren wir weiter“, setzte er mit müder Stimme hinzu.
Sie fuhren noch eine Viertelstunde kreuz und quer durch die Vorortstraßen, die überall das gleiche Bild boten. Vereinzelt nur sah man Ratten umherhuschen, die vor dem ungewohnten Wagengeräusch rasch die Flucht ergriffen. Einmal hörten sie auch in der Ferne wütendes Hundegekläff. Als sie aber in die betreffende Richtung fuhren, war schon wieder alles still geworden. Eines stand jedenfalls fest: Menschen gab es auch hier bestimmt nicht mehr. Nach einiger Zeit kehrte Mytschenko um, denn der Treibstoff des Wagens ging zur Neige. Alle vier atmeten auf, als sie wieder den Flugplatz erreicht hatten und das Raumboot sahen. „Was tun wir jetzt?“ fragte Lintorf leise. Lund zuckte mit den Schultern und warf einen Blick zum Himmel hinauf. „Die Sonne geht schon unter, also schlage ich vor, daß wir uns etwas zu essen machen und uns im Boot hinlegen. Heute noch nach Bornholm zu fliegen, ist sinnlos. Morgen früh sehen wir dann weiter.“ Die Luft im Schiff erschien ihnen nach all den undefinierbaren Gerüchen draußen köstlich rein, und sie waren froh, als sie sich ausgiebig waschen konnten. Sie aßen schweigend, und dann gab Lund über Funk einen Bericht über ihre Erlebnisse an Captain Neumann. Der Kommandant hörte schweigend zu und nickte dann mitfühlend. „Das ist alles nicht sehr schön, aber wir haben Sie ja oft genug gewarnt, weil wir voraussahen, was Sie erwarten würde. Werden Sie nun morgen nach Bornholm weiterfliegen?“ „Auf jeden Fall, Captain“, sagte Lund gewollt barsch, um seine Niedergeschlagenheit zu verbergen. „Vielleicht sieht es dort auch nicht anders aus als hier, aber mich zieht es ebenso nach Rönne, wie es Roberts hierher nach Exeter gezogen hat. Nennen Sie es meinetwegen Sentimentalität, mir ist das vollkommen gleich. Anschließend werden wir wohl aufs Geratewohl losfliegen und uns über dem übrigen Europa umsehen, vielleicht auch noch anderswo. Wir werden so niedrig wie möglich fliegen und genau beobachten,
damit wir nichts übersehen, was auf die Anwesenheit von Menschen hindeuten könnte. Ich kann noch immer nicht glauben, daß von siebeneinhalb Milliarden Menschen niemand mehr übriggeblieben sein soll.“ Ralf Neumann hob die Schultern. „Es würde mich für Sie freuen, wenn Sie jemand finden sollten und wenn die Seuche Sie verschont. Rufen Sie uns auf jeden Fall immer wieder an, wir bleiben in Ihrer Nähe und warten auf Nachricht. Ende.“ * Boris Mytschenko erwachte aus einem unruhigen, von wirren Träumen erfüllten Schlaf und mußte sich erst darauf besinnen, wo er eigentlich war. Er betätigte den Lichtschalter, und die Flächenleuchten glommen auf, bis sie die volle Helle von Tageslicht erreicht hatten. Er warf einen Blick auf seine Uhr, die er nach der Ortszeit gestellt hatte. Es war 7.30 Uhr, also erhob er sich. Lund hatte die Zeit für den Weiterflug für acht Uhr morgens angesetzt. Er begab sich in den zentral im Mitteldeck gelegenen kleinen Waschraum, machte Toilette und kleidete sich an. Erst dann fiel ihm auf, wie still es noch im Boot war. Mytschenko beschloß, die anderen mit einem kalten Guß zu wekken. Er nahm eine Karaffe voll Wasser mit und begab sich auf den Weg zu den Kabinen seiner Kameraden. Er öffnete die Tür zu Dolf Lintorfs Kabine möglichst geräuschlos, um sich den Spaß nicht vorzeitig zu verderben. Dann aber blieb er erschrocken im Eingang stehen. Das Licht brannte, und daß mit seinem Gefährten etwas nicht in Ordnung war, konnte selbst ihm als Laien nicht verborgen bleiben. Lintorf war wach, aber unnatürlich rot im Gesicht, und seine Augen glänzten fiebrig „Mir ist gar nicht gut, Boris“, brachte er mühsam hervor. „Hole mir doch bitte etwas zu trinken, ich habe einen furchtbaren Durst.“
Mytschenko zuckte zusammen, denn er hatte schlagartig die Wahrheit über Lintorfs Zustand erfaßt. Man hatte ihnen ausführlich die Symptome der grauenhaften Seuche geschildert - so sah ein Erkrankter im ersten Stadium aus! Er beherrschte sich eisern und brachte mühsam ein aufmunterndes Lächeln zustande. Die Karaffe erfüllte nun einen besseren Zweck, als vorgesehen war, aber das war ihm kaum ein Trost. Er riet Lintorf, vorerst liegenzubleiben und noch einige Zeit zu ruhen, das würde ihm bestimmt guttun. Fast fluchtartig verließ er dann den Raum, stürmte über den Gang und klopfte an die Tür zu Lunds Kabine. Hastig riß er sie auf und sah sich dem Anführer des Quartetts gegenüber, der erst halb angekleidet war und ihn mißbilligend ansah. „Nicht so stürmisch, Boris, ich bin ja gleich soweit. Ich habe verschlafen, aber das ist ja nicht weiter schlimm. Ob wir eine halbe Stunde früher oder später in Rönne ankommen, dürfte wohl kaum eine Rolle spielen.“ Mytschenko atmete auf. „Gott sei Dank, du bist noch in Ordnung! Ich hatte schon befürchtet, du wärest etwa auch krank geworden.“ Lund kniff die Brauen zusammen. „Was soll das heißen: auch ...? Ist denn jemand von uns nicht in Ordnung?“ Der Russe nickte niedergeschlagen. „Es sieht ganz so aus, als sollte Captain Neumann doch recht behalten, Erik - ich fürchte, Dolf hat bereits die Seuche! Er hat Fieber und großen Durst, und damit fängt es ja immer an, wie es heißt.“ Erik Lund blieb vorerst skeptisch. „Das allein braucht noch gar nichts zu besagen, Boris, das Fieber kann auch andere Ursachen haben. Wir werden ihm ein Mittel aus der Bordapotheke geben und abwarten, wie er darauf reagiert. Geht das Fieber daraufhin zurück, ist die Sache harmlos, und du hast dir unnütze Sorgen gemacht. Schlägt das Mittel aber nicht an, müssen wir allerdings damit rechnen, daß es wirklich die Seuche ist. Das von ihr hervorgerufene Fie-
ber läßt sich bekanntlich durch nichts mehr senken. Was macht übrigens Edward?“ Mytschenko hob die Schultern. „Ich habe nicht nach ihm gesehen, er ist aber auch noch nicht wach. Von Dolf aus bin ich direkt zu dir gekommen.“ Lund hatte inzwischen seine Toilette beendet und schob den Russen zur Tür. Gemeinsam gingen sie zu Lintorfs Kabine. Der Kranke war unterdessen wieder eingeschlafen, aber sein Gesicht glühte im Fieber, und auf seiner Stirn standen dicke Schweißtropfen. Lund ließ ihn weiterschlafen, und sie begaben sich nun in die Kabine des Engländers. Roberts erging es nicht besser als Lintorf, das sahen die beiden auf den ersten Blick. Er war wach und lächelte ihnen mühsam entgegen. „Ihr braucht mir nicht erst etwas vorzumachen, ich weiß auch so, was mit mir los ist. Ich habe mir eben selbst die Temperatur gemessen, sie steht bei 39,8 - vor einer Stunde waren es noch 38,7! Das kann kein gewöhnliches Fieber sein. Ich fühle mich völlig ohne Kraft, und mein Kopf schmerzt, als hätte mich jemand niedergeschlagen. Seid ihr wenigstens noch in Ordnung?“ Der Schwede nickte. „Bis jetzt haben wir beide noch nichts gemerkt, die Krankheit mag sich bei jedem anders auswirken. Lintorf dagegen geht es ähnlich wie dir. Trotzdem sollten wir vorläufig noch nicht das Schlimmste befürchten. Schließlich haben wir jetzt jahrelang in einer künstlichen, fast sterilen Atmosphäre gelebt. Es ist also durchaus möglich, daß ihr euch bei dem gestrigen Ausflug eine harmlose Infektion zugezogen habt, auf die der Körper jetzt ungleich stärker reagiert als früher. Ihr bekommt jetzt beide eine Ampulle Kombiserum und ein Fiebermittel, und dann werden wir weitersehen.“ * „Ist das ganz sicher?“ fragte Ralf Neumann. Boris Mytschenko nickte niedergeschlagen.
„Es gibt keinen Zweifel mehr, Captain. Lintorf und Roberts zeigten heute morgen die ersten Symptome. Wir haben jedem eine Spritze mit kombiniertem Serum und Fiebermittel verabreicht, es hat aber nicht geholfen. Sie haben immer wieder schwere Anfälle mit Spitzentemperaturen von über vierzig Grad, dann sinkt das Fieber wieder etwas, und nach ein paar Stunden kommt der nächste Anstieg. Lund hat uns trotzdem hierher nach Bornholm geflogen und einen Besuch in seiner Heimat gemacht. Von dort kam er nur noch mit Mühe zurück und liegt jetzt ebenso danieder wie die beiden anderen. Eben habe ich allen eine Dosis Morphin gegeben, denn ich konnte nicht mehr länger zusehen, wie sie sich quälen. Auch kann ich nicht bei allen zugleich sein, wie es eigentlich nötig wäre. Zum Krankenpfleger hatte ich ohnehin noch nie Talent.“ „Sie selbst fühlen noch nichts?“ forschte der Kommandant gespannt. Der Russe schüttelte den Kopf. „Nein, ich fühle mich vollkommen gesund, abgesehen davon, daß mir der Zustand der anderen aufs Gemüt schlägt. Es ist schon ein scheußliches Gefühl, so etwas mit ansehen zu müssen, ohne helfen zu können.“ Ralf Neumann schwieg eine Weile. Er schluckte die Vorwürfe herunter, die ihm auf der Zunge lagen, denn nun waren sie fehl am Platze. „Ihren Kameraden kann niemand mehr helfen“, sagte er schließlich. „Roberts und Lintorf haben noch etwa anderthalb Tage zu leben, Lund etwas länger, denn den Berichten nach dauert es etwa drei Tage, bis ein Kranker stirbt. Was soll dann aber aus Ihnen werden, Mytschenko- haben Sie schon daran gedacht, daß Sie möglicherweise immun sind? Was wollen Sie anfangen, wenn es tatsächlich so sein sollte und Sie als einziger übrigbleiben?“ Mytschenkos Gesicht war ratlos. „Nein, Captain, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, gestand er. „Ich habe die anderen betreut, so gut ich konnte, und eigentlich die ganze Zeit nur darauf gewartet, daß ich auch an
die Reihe komme. Meinen Sie wirklich, ich könnte dieses unwahrscheinliche Glück haben?“ Der Kommandant lächelte trübe. „Ich hoffe und wünsche, daß Sie es überstehen mögen, ob das aber ein Glück für Sie sein wird, ist sehr fraglich. Sie werden dann Ihr Leben lang allein sein, so allein, wie kaum ein Mensch je zuvor- der vermutlich einzige Mensch auf der ganzen Erde! Sie werden wissen, daß wir noch für einige Monate relativ nahe sind, bis wir unseren Flug nach Cygni antreten, aber für Sie führt jetzt kein Weg mehr zu uns zurück. Selbst wenn Sie aus einer unbegreiflichen Laune des Schicksals heraus immun gegen die Seuche sein sollten, Sie werden sie doch immer mit sich herumtragen. Wir können Sie nicht mehr bei uns aufnehmen, wenn wir selbst überleben wollen ...“ Boris Mytschenko nickte langsam. „Das sehe ich ein. Im Grunde bin ich ja an meinem Schicksal selbst schuld, wenn ich auch vielleicht meinen Leichtsinn nicht so hart werde büßen müssen wie die anderen. Vielleicht wäre es doch das beste, wenn mich die Seuche auch noch packte“, schloß er resigniert. „Wenn Sie aber doch überleben, was wollen Sie dann tun?“ fragte Neumann. Der Russe hob die Hände. „Hier auf Bornholm zu bleiben, halte wenig Sinn, denn der Winter ist nahe. Wahrscheinlich werde ich Europa ganz verlassen. Ich könnte mit dem Boot nach Amerika fliegen, in Florida oder Kalifornien ist es warm genug.“ „Das wäre eine akzeptable Lösung“, stimmte ihm der Captain zu. Zwei Tage später war alles entschieden. Lund, Roberts und Lintorf waren gestorben, aber Mytschenko verspürte keinerlei Krankheitssymptome. Er begrub seine Gefährten sorgfältig, um sie vor dem Zugriff hungriger Tiere zu sichern, dann begab er sich in das Beiboot und nahm Kurs auf Amerika. Zwei Stunden später setzte er auf dem Flughafen von Miami auf und rief dann die KOSMOS III an, die ihm außerhalb der Atmosphäre gefolgt war.
„Ich möchte mich nur noch von Ihnen verabschieden, Captain“, sagte er mit unbewegtem Gesicht. „Ich gehe jetzt hinaus und nehme alles mit, was ich voraussichtlich brauchen werde, um über die erste Zeit hinwegzukommen. Draußen werde ich wohl noch genügend Hilfsmittel finden, um mich auch später behaupten zu können. Eine Sorge möchte ich Ihnen noch nehmen: Ich werde die Triebwerke des Bootes sprengen, damit ich später nicht mehr auf dumme Gedanken kommen kann! Sie brauchen also nicht zu befürchten, daß ich eines Tages auf Deimos auftauche und Ihnen die Krankheit bringe. Leben Sie wohl - viel Glück bei Ihrem Flug zu den Sternen!“ Damit unterbrach er die Verbindung. Die Männer im Schiff sahen sich an, und in ihren Augen stand Bewunderung für diesen Mann. „Ob er wohl überleben wird?“ fragte Rex Farrell schließlich. Ralf Neumann nickte überzeugt. „Er scheint wirklich immun zu sein und ist auch robust genug, um den Tod seiner Kameraden zu überwinden. Ich denke, daß er auch mit den Tieren fertig werden wird, die es zweifellos auch hier reichlich gibt. Amerika ist groß, und er wird den Sinn seines Lebens darin sehen, nach anderen Überlebenden zu suchen. Unter anderen Umständen wünschte ich mir, ihn begleiten zu können“, schloß er leise. Eine halbe Stunde später entfernte sich ein Hovercraft vom Flughafen Miami; Boris Mytschenko hatte seine einsame Wanderung begonnen. Wenig später registrierten die Meßgeräte der KOSMOS III eine Reihe von Explosionen im Beiboot - der Russe hatte sein Wort gehalten. Ein ganzer Kontinent lag nun vor ihm, einst von vierhundert Millionen Menschen bevölkert, nun aber leer und verlassen. Oder gab es nicht doch vielleicht noch irgendwo Menschen? Menschen, immun gegen die Seuche wie er, die überlebt hatten und denen er vielleicht sogar Hilfe leisten konnte? Was wäre der Mensch ohne die Hoffnung ... *
Die Männer und Frauen auf Deimos atmeten auf, als das Schiff wieder zurückkehrte. Neumann hatte zuerst den Mars angeflogen und dort alle Tanks der KOSMOS III mit Wasser gefüllt. Eine vordringliche Maßnahme, denn sie waren länger als vorgesehen ausgeblieben, und man hatte in der Deimosstation das kostbare Naß schon rationieren müssen. Nun nahm der Alltag wieder seinen Lauf. Die Ausrüstung der neuen Schiffe ging zügig voran, und der Captain hätte vollauf zufrieden sein können. Er war es aber nicht. Es gefiel ihm nicht, an einem Schreibtisch zu sitzen und den Tag mit langweiligen Routinearbeiten zu verbringen, die ein anderer ebensogut hätte ausführen können. Sheila Brendon war es, die ihn dann für einige Zeit von nutzlosem Grübeln ablenkte. Die Tanzparty war mit einiger Verspätung abgehalten worden, und er war Sheila beim Tanz öfters auf die Zehen getreten, ihr dafür aber in anderer Hinsicht wohltuend nahegekommen, Es stand nun fest, daß sie heiraten würden, sobald der Zeitpunkt geeignet erschien. Dann aber baten ihn eines Tages die Wissenschaftler Jenkins und Halloran um eine Unterredung. Das war ungewöhnlich, denn er hatte sie lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er wußte nur, daß sie den großen Computer der Station seit Wochen immer wieder benutzt hatten, um irgendwelche Berechnungen durchzuführen. „Was haben Sie auf dem Herzen?“ erkundigte er sich verwundert. Dr. Jenkins ergriff das Wort. „Wir sind gekommen, um Sie über die Resultate unserer Arbeit in den letzten Wochen zu unterrichten, Ralf. Da wir uns beim Schiffsbau nicht nützlich machen konnten, haben wir uns eine andere Beschäftigung gesucht. Uns interessierte der von Ihnen entdeckte Dunkelstern, und da jetzt die Störungen durch das Saugfeld wegfallen, konnten wir ihn mit dem Hyperradar der Station anmessen. Wir haben diese Messungen über vier Wochen hinweg täglich vorgenommen und alle
Resultate vom Hauptcomputer auswerten lassen. Es sieht nun ganz so aus, als hätte sich diese Arbeit gelohnt.“ „Wir haben deutliche Bahnschwankungen dieses Gestirns festgestellt“, fuhr Dr. Halloran fort. „Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß der Dunkelstern ein Planetensystem besitzt! Bestimmt erinnern Sie sich noch daran, daß wir die These aufgestellt hatten, das Saugfeld um unsere Sonne könnte von ihm ausgegangen sein?“ Ralf Neumann nickte. „Natürlich entsinne ich mich. Wenn ich Ihre Einleitung richtig interpretiere, wollen Sie nun wohl zum Ausdruck bringen, daß es auf diesen Planeten irgendwelche Wesen gibt, die dieses Feld erzeugt haben. Stimmt es?“ Jenkins nickte eifrig. „Genau das wollen wir, Captain. Sie kennen mich ja nun lange genug, um zu wissen, daß ich keinerlei leichtfertige Behauptungen aufstelle. Das Gestirn selbst ist bereits inaktiv, von ihm kann das Feld also nicht ausgegangen sein. Somit bleibt nur die Schlußfolgerung, daß es auf einem der sechs Planeten erzeugt worden sein muß. Auch diese Sonne hat einst ihr System mit ihrem Licht erwärmt und damit die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben geschaffen. Daß unsere Erde in dieser Hinsicht kein Ausnahmefall war, haben wir ja bei 61 Cygni II feststellen können. Wenn auf einem der Planeten sich eine uns vergleichbare intelligente Rasse entwickelt hat, muß sie schon sehr alt sein, denn das Gestirn ist bestimmt schon vor Jahrtausenden erloschen. Dann dürfte sie aber auch über eine Technik verfügt haben, die es ihr ermöglichte, ihr Weiterleben auch ohne die wärmende Sonne zu gestalten. Dazu benötigte sie natürlich sehr viel Energie, aber vielleicht kannten diese Wesen eine Methode, sie sich von den Sternen in ihrer Nachbarschaft zu verschaffen. Das würde auch die Tatsache erklären, daß sich das Saugfeld konstant auf den Bereich unseres Systems konzentrierte, wo es reichlich freie Energie in Gestalt der von der Sonne ausgestoßenen atomar aktiven Gase gibt.“
„Das klingt alles so schön plausibel, Doc“, meinte der Kommandant. „Was ist nun aber davon zu halten, daß dieses Feld plötzlich nicht mehr existiert? Wie sollten Ihre hypothetischen Wesen dann noch weiterbestehen können?“ Seine Skepsis war unüberhörbar, aber Dr. Halloran wußte auch hierauf eine Antwort. „Es ist wohl kaum anzunehmen, daß man dort die gesamte abgezapfte Energie direkt verbraucht hat. Captain. Wenn diese Intelligenzen imstande waren, sie über Lichtmonate oder gar Lichtjahre hinweg heranzuholen, müssen sie auch über leistungsfähige Speicheranlagen verfügen. Es ist somit also gar nicht notwendig, das Feld dauernd in Betrieb zu halten.“ „Das würde bedeuten, daß sie es jederzeit wieder anschalten können, wenn es notwendig wäre“, überlegte Ralf Neumann. „Ich sehe nur nicht ein, warum mich das interessieren sollte, meine Herren. Da wir auf jeden Fall außer seiner Reichweite bleiben, solange wir hier sind, haben wir weder einen Schaden noch einen Nutzen davon.“ Dr. Jenkins seufzte. „Lassen wir doch endlich die Spiegelfechterei, Captain! Ich kenne Sie gut genug, um zu wissen, daß Ihnen dieses Thema gar nicht so gleichgültig ist, wie Sie vorgeben. Sie haben sich immer gewünscht, mit fremden Intelligenzen zusammenzutreffen und waren bitter enttäuscht, als es auf Cygni II wohl Leben, aber keine hochentwickelte Rasse gab. Wollen Sie mir jetzt vormachen, daß Sie nicht daran interessiert sind, mit den Wesen aus dem System des Dunkelsterns Kontakt aufzunehmen? Das nehme ich Ihnen einfach nicht ab.“ Der Kommandant lachte leise. „Das ist der Nachteil, wenn man jahrelang zusammen auf einem Schiff ist, Doc Halloran - zuletzt kennt man sich fast zu gut ... Ich gebe also zu, daß ich durchaus nicht uninteressiert bin. Andererseits ist es aber so, daß wir jetzt keine Zeit für solche Kontaktversuche haben. Über Funk können wir die Fremden nicht erreichen, dazu ist die Distanz noch viel zu groß, ganz abgesehen davon, daß es fraglich ist, ob
sie überhaupt über Hyperwellensender verfügen. Der einzige Weg wäre, zu ihnen zu fliegen, und wer sollte das tun? Unsere Leute sind vollauf mit den Arbeiten an den neuen Schiffen beschäftigt, das wissen Sie doch.“ Jenkins lächelte leicht. „Nicht alle, Captain. Sie zum Beispiel wären durchaus abkömmlich, unsere Techniker kommen ganz gut allein zurecht. Auch die Ausbildung der künftigen Besatzungen ist so weit vorangekommen, daß es an der Zeit wäre, zum praktischen Teil der Schulungen überzugehen, das weiß ich von Tino Baruzzi. Dazu wäre doch so ein kleiner Flug über einen Lichtmonat hinweg geradezu ideal. Die KOSMOS III ist ja jetzt wieder voll flugtauglich, nachdem die Verbesserungen abgeschlossen sind.“ „Und Sie beide möchten selbstverständlich auch gern mitfliegen, nicht wahr?“ forschte Ralf Neumann. Die beiden Wissenschaftler nickten begeistert. „Natürlich“, sagte Halloran, „was haben wir denn hier schon zu tun? Hätten wir uns nicht in der letzten Zeit mit dem Dunkelstern beschäftigen können, wären wir praktisch überflüssig gewesen. Wenn Sie nur wollen, bekommen wir ohne weiteres genügend Männer zusammen, um diesen Flug antreten zu können.“ „Gut, ich will mir die Sache überlegen“, gab der Captain nach. „Zuvor muß ich allerdings noch mit meinen Mitarbeitern sprechen. * Der Flug zum Dunkelstern war beschlossene Sache. Besonders die Besatzungsmitglieder der KOSMOS III hatten sich dafür ausgesprochen. Da nun ein voll taugliches Schiff zur Verfügung stand, sahen sie keinen Grund, einen solchen Flug, nicht anzutreten. „Außerdem müssen wir immer damit rechnen, einmal mit fremden Intelligenzen zusammenzutreffen“, hatte Rex Farrell geäußert. „War-
um soll das nicht schon jetzt sein? Es kann nicht schaden, wenn wir Erfahrungen sammeln, die uns später einmal zugute kommen können.“ Der einzige Einwand war von Dick Walker gekommen. „Diese Erfahrungen könnten aber auch unangenehmer Art sein“ hatte er zu bedenken gegeben. „Schließlich haben wir keine Ahnung, wie es um die Mentalität der vermutlich dort beheimateten Wesen bestellt ist. Wir sollten also keinesfalls ohne eine wirksame Bewaffnung losfliegen.“ Ralf Neumanns Lächeln fiel gequält aus. „Mit dieser Forderung habe ich gerechnet, so unsympathisch sie mir ist. Man soll mir aber nicht nachsagen können, daß ich nicht alles getan hätte, um das Leben meiner Leute zu schützen. Die KOSMOS III verfügt ja nun über viel stärkere Schutzschirme als früher, nur an Waffen fehlt es noch. In dieser Hinsicht möchte ich aber den Schwarzen Peter den Initiatoren für diesen Flug zuschieben. Dr. Jenkins und Dr. Halloran - Sie beide erhalten den Auftrag, eine Art von taktischen Atomwaffen zu bauen! Diese müssen so beschaffen sein, daß sie sich durch die Ausstoßrohre für Signalraketen an der KOSMOS III abfeuern lassen. Ihre Sprengkraft braucht nicht besonders groß zu sein, mir kommt es mehr auf die moralische Wirkung bei Freund und Feind an.“ Die beiden Physiker waren nicht sonderlich erfreut gewesen, aber sie hatten ihr Bestes getan, und das in einer unwahrscheinlich kurzen Zeit. Bereits zwei Wochen später verfügte die KOSMOS III über zwölf umkonstruierte Signalraketen mit kleinen Atomsprengköpfen. Mehr hatten die beschränkten Vorräte spaltbaren Materials nicht zugelassen, deren Hauptteil für die Reaktorfüllungen der neuen Schiffe gebraucht wurde. Nach Ansicht des Captains waren auch diese zwölf Raketen schon zuviel ... Dann war das Schiff startbereit. An Bord waren vier Männer der Stammbesatzung, der Kommandant, Rex Farrell, Tino Baruzzi und Dick Walker, dazu Jenkins und
Halloran. Die übrigen gehörten zum Kreis der Piloten- und Radarfunk-Neulinge. Achtzehn Männer von Erde- und Mars brachen auf, um den Start ins Ungewisse zu wagen. Rasch versank der kleine Marsmond hinter dem Schiff, das mit Höchstbeschleunigung startete, und bald war auch der Mars zu einer kleinen roten Kugel zusammengeschrumpft. Der schwarze Abgrund des leeren Raumes lag vor ihnen, denn die KOSMOS III war um dreißig Grad nördlich zur Ekliptik gestartet. In dieser Höhe lag das Dunkelgestirn, das ihr Ziel war. Sechs Tage Bordzeit vergingen, aber diese Zeit war nur relativ zu werten, weil die KOSMOS III der Zeitdilatation unterlag. Sie hatte inzwischen bereits Dreiviertel ihres Weges zurückgelegt - das bewies das stetige Anwachsen der Dunkelsonne auf den Bildschirmen. Nun waren auch die sechs Planeten des Systems bereits deutlich zu erkennen. Am Morgen des siebenten Tages nach Bordzeit begann die Bremsperiode. Lange zuvor waren bereits die dazu erforderlichen Berechnungen durchgeführt worden. Die Steuerautomatik wurde programmiert und genau zum vorberechneten Zeitpunkt eingeschaltet. Noch zwei Relativtage, dann mußten die Grenzen des fremden Systems erreicht sein. Alle an Bord fieberten diesem Zeitpunkt entgegen und atmeten erleichtert auf, als die Triebwerke endlich schwiegen und die KOSMOS III im freien Fall der Dunkelsonne entgegenfiel. * Es war soweit. Nur noch zwei Milliarden Kilometer lagen zwischen dem Schiff und dem System der Dunkelsonne, das auf dem Frontbildschirm nur noch zum Teil zu überblicken war. Die KOSMOS III flog aus etwas überhöhter Position zur Ekliptik ein und nahm vorerst Kurs auf den dritten Planeten. Dieser Körper umkreiste das Zentralgestirn in rund
einhundertsiebzig Millionen Kilometer Entfernung und besaß einen Durchmesser von etwa achtzehntausend Kilometern. Auch seine beiden Nachbarn nach innen und außen differierten in den Maßen nicht sehr. Der innerste Planet dagegen war nur wenig größer als der Erdenmond, die beiden äußeren dagegen Riesen der Saturnklasse. Sie waren auch die einzigen, die Monde besaßen, wenn auch nur drei und vier. „Die Natur scheint mit diesem System etwas stiefmütterlich umgegangen zu sein“, bemerkte Rex Farrell. „Sechs Planeten und sieben Monde sind nicht viel, und die Energie der Sonne hat auch nicht allzuweit gereicht.“ „Einige Astronomen haben unserer Sonne auch nur noch eine Lebensdauer von einer Milliarde Jahren prophezeit“, entgegnete Ralf Neumann. „Was ist diese Zeit aber schon im Verhältnis zum Alter des Universums? Dieser Stern wird früher entstanden sein als Sol und hat sich demzufolge auch früher verausgabt. Da wir ihm noch einen Namen geben müssen, schlage ich vor, ihn aus diesem Grunde MISFIT zu nennen.“ Da niemand einen besseren Vorschlag hatte, blieb es bei dieser Namensgebung. Die Zeit erschien den Männern nun unnatürlich lang, verglichen mit dem Zustand während der Zeitdilatation. Die Sterne, während des lichtschnellen Fluges nur als verwischte Schemen sichtbar, glänzten nun wieder in ihrer vertrauten Pracht, die Konstellationen der Sternbilder hatten sich nicht merklich verändert. Nur hinter dem Schuft stand ein neuer Stern erster Größe mit ruhigem gelben Lichtdie Sonne Sol. Bisher hatte sich die Besatzung der Zentrale in einem achtstündigen Turnus abgelöst. Nun aber hatte der Kommandant mit seinen alten Gefährten allein die Führung übernommen, die Neulinge fungierten nur als Beobachter. Das Hyperradar war mit dem Hauptcomputer gekoppelt worden, um eine Auswertung neuer Fakten in kürzester
Zeit zu gewährleisten. Vier Männer befanden sich bei den Abschußanlagen für die Raketen, denn der Captain wollte für alle Eventualitäten vorbereitet sein. Doch nichts ereignete sich. Der Raumer ging wie vorausberechnet in eine Kreisbahn um den dritten Planeten, die in hunderttausend Kilometer Höhe über die Pole hinweg verlief. Leise surrten die Kameras der Bildaufzeichner und hielten das vom Hyperradar erfaßte Bild fest. Infolge der totalen Dunkelheit war keine optische Erfassung möglich, und wegen der eisigen Kälte versagten auch die Infrarotgeräte. Dick Walker beobachtete den Radarschirm mit voller Konzentration, während das Schiff mit zehntausend Kilometer pro Stunde seine Bahn zog. Nach drei Umkreisungen war eine vollständige Übersicht von der Oberfläche des Planeten gewonnen. Misfit III war eine öde und tote Welt, und der Computer bestätigte diese Tatsache. Dicke Schichten von Trockeneis, aus der früheren Atmosphäre entstanden, bedeckten ihn ringsum, nur stellenweise von Bergformationen überragt, die den Charakter von Mittelgebirgen besaßen. „Hier brauchen wir Ihre Intelligenzen jedenfalls nicht zu suchen, Doc“, wandte sich Neumann an Jenkins. „Die Anlagen für die Erzeugung des Saugfeldes müßten so umfangreich sein, daß sie auch aus dieser Höhe nicht zu übersehen wären, und auch die Energiemeßgeräte zeigen nicht die kleinste Reststrahlung an. Hier hat sich in den letzten Jahrhunderten niemand mehr aufgehalten, das steht fest.“ „Könnte es nicht unter dem Eis noch Leben geben?“ fragte Tino Baruzzi. Der Captain schüttelte den Kopf. „Wer sich dort behaupten wollte, brauchte dazu unbedingt atomare Anlagen, die allein genügend Energie für eine ausreichende Wärmeerzeugung bieten. Da die Energiemeßgeräte nicht ansprechen, kann das nicht der Fall sein. Wir werden also anderswo weitersuchen müssen.“ „Auf dem zweiten Planeten?“ meinte Dr. Halloran. Neumann verneinte.
„Misfit II ist nur knapp hundert Millionen Kilometer von seiner früheren Sonne entfernt. Wenn wir hier unsere Venus als Analogie heranziehen, dürfte er noch nicht fähig gewesen sein, höheres Leben hervorzubringen. Wir werden uns also an den vierten Planeten halten müssen, der zwar weiter entfernt ist, aber infolge seiner Größe seine Lufthülle festhalten konnte. Die Verhältnisse dort müssen in normalen Zeiten weit besser als auf unserem Mars gewesen sein.“ „Immer diese Umstände“, maulte Rex Farrell. „Der zweite Planet steht fast in Opposition und ist nur knapp achtzig Millionen Kilometer von uns entfernt. Der vierte dagegen steht hinter der Sonne. Bis dorthin sind es etwa dreihundertfünfzig Millionen Kilometer, und wir verlieren eine Menge Zeit.“ Sein Einwand blieb unbeachtet. Die KOSMOS III nahm wieder Fahrt auf und schlug eine Bahn um den Dunkelstern ein. Die Steuerautomatik übernahm die Führung, und Neumann schickte bis auf Farrell und Walker alle Besatzungsmitglieder in ihre Kabinen. Er war überzeugt davon, in diesem System keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. * Die Annäherung der KOSMOS III an den vierten Planeten glich weitgehend der an Misfit III. Die Nervosität, die damals vorhanden gewesen war, hatten die meisten überwunden, obwohl die Spannung eher noch gestiegen war. Dick Walker machte die erste Entdeckung, als das Schiff bis auf eine Distanz von zweihunderttausend Kilometern an Misfit IV herangekommen war und Farrell bereits das Kreisbahnmanöver eingeleitet hatte. Er machte sofort den Captain darauf aufmerksam, und gemeinsam versuchten sie herauszufinden, was da plötzlich auf dem Radarschirm aufgetaucht war.
Es handelte sich dabei um einen runden Körper, der für einen Mond jedoch viel zu klein war. Es hätte ein kleiner Asteroid oder ein großer Meteor sein können, der vom Planeten eingefangen worden war. Da die Männer aber aus Erfahrung wußten, daß es solche Körper mit vollkommen gleichmäßig rund geformter Oberfläche nicht gab, blieb nur der eine Schluß übrig: Dieses Gebilde konnte nicht natürlichen Ursprungs sein! „Wofür hältst du dieses Ding, Ralf?“ fragte Tino Baruzzi, der zusammen mit Jenkins und Halloran vor den Radarschirm getreten war. „Könnte es so etwas wie eine Raumstation sein?“ Der Kommandant nickte. „Ein künstlicher Satellit auf jeden Fall, das steht für mich fest. Er läuft nämlich genau parallel mit der Rotation des Planeten, steht also immer über dem gleichen Punkt von dessen Oberfläche. Außerdem befindet er sich genau über dem Äquator, und das kann einfach kein Zufall sein.“ Dick Walker wertete die Meßdaten des Computers aus und verkündete gleich darauf das Resultat. „Der Durchmesser dieses Körpers beträgt ungefähr zweihundertvierzig Meter. Seine Kugelform ist vollkommen, und er besitzt eine gebundene Rotation, wendet also dem Planeten immer dieselbe Seite zu. Seine Oberfläche besteht aus einem Metall mit einer Dichte von rund 8,5, also aus einem ziemlich hochwertigen Material. Eine Strahlenemission ist nicht festzustellen.“ „Wir sollten heranfliegen und ihn untersuchen“, meinte Dr. Jenkins, der vor Erregung kaum sprechen konnte. Der Captain wehrte jedoch ab. „Zuerst umrunden wir den Planeten wie vorgesehen. Dieser Satellit steht nur fünfzigtausend Kilometer über seiner Oberfläche, und so nahe möchte ich vorerst nicht herangehen. Jetzt steht fest, daß es hier Intelligenzen geben kann, also müssen wir doppelt vorsichtig sein.“ Die KOSMOS III fiel weiter auf den Planeten zu und steuerte dessen Nordpol an, über dem die Kreisbahn eingeleitet werden sollte.
Noch vor Erreichen dieser Position konnten die Männer zwei weitere künstliche Satelliten entdecken. Sie glichen dem zuerst gefundenen bis ins letzte Detail, befanden sich in der gleichen Höhe und bildeten zusammen ein gleichwinkliges Dreieck, in dessen Mittelpunkt der Planet stand. „Das erinnert genau an die Fernsehsatelliten über der Erde“, bemerkte Rex Farrell nachdenklich. „Wenn man ihre Höhe in Beziehung zur Größe des Planeten setzt, stehen sie gerade richtig, um seine gesamte Oberfläche bestreichen zu können.“ Die KOSMOS III war indessen in die Kreisbahn eingeschwenkt, und nun richtete sich das Hauptaugenmerk der Männer auf die Beobachtung der Oberfläche von Misfit IV. Das Polargebiet unterschied sich in seiner Beschaffenheit kaum von dem des dritten Planeten, doch schon wenige tausend Kilometer weiter fiel ihnen eine Änderung ins Auge. Die Eisschicht über dem natürlichen Boden wurde zusehends dünner, und schließlich ragten auch kleinere Bodenerhebungen bereits über sie hinaus. Etwa tausend Kilometer weiter hörte sie ganz auf, und nackt und schwarz breitete sich freies Land nach allen Himmelsrichtungen aus. „Das ist mehr als seltsam“, murmelte Dr. Jenkins vor sich hin. „Misfit III steht vierzig Millionen Kilometer näher an der Sonne als diese Welt und ist schon seit langem total vereist. Hier aber liegen scheinbar etwa achtzig Prozent der Oberfläche frei, obwohl man annehmen sollte, daß dieser Planet noch früher und gründlicher hätte einfrieren sollen ...“ Die Lösung des Rätsels fand sich bald darauf. Es war erstaunlich, aber wahr: Misfit IV besaß immer noch eine gasförmige Atmosphäre, die den Planeten bis hinauf zu einer Höhe von rund zweihundert Kilometern umgab! Die sofort durchgeführten Temperaturmessungen zeigten, daß die Bodentemperatur in Höhe des 60. Breitengrades nur etwa sechzig Grad minus betrug und weiter zum Äquator hin langsam noch mehr anstieg. Das sofort befragte Rechengehirn kam zu dem Ergebnis, daß
bei einem kontinuierlichen Verlauf dieser Kurve in dessen Umgebung eine Tiefsttemperatur von nicht mehr als dreißig Grad minus herrschen mußte. „Ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht gegenüber dem dritten Planeten“, bemerkte Jenkins hochbefriedigt. „Dieser Zustand steht so klar im Widerspruch zu den Naturgesetzen, daß ihn nur eine Manipulation denkender Lebewesen herbeigeführt haben kann. Wenn man sich vorstellt, welch ungeheure Energiemengen für einen derartigen Warmhalteprozeß notwendig gewesen sein müssen, kann man sich eine ungefähre Vorstellung von der Technik der Planetenbewohner machen.“ „Jetzt wird auch erklärlich, wozu man hier die riesigen Energiemengen verwendet hat, die durch das Saugfeld aus unserem Sonnensystem abgezogen wurden“, sagte Ralf Neumann. „Es dürfte wohl feststehen, daß diese Erwärmung durch die drei Satelliten gesteuert wurde, die wir vorhin entdeckt haben. Sie müssen die Energie in Wärmestrahlung umgewandelt und auf den Planeten hinunter abgegeben haben. Dieser Prozeß muß seit vielen hundert Jahren ständig im Gange gewesen sein, scheint jetzt aber unterbrochen ...“ Seine Rede stockte, denn Dick Walker hatte einen Laut der Überraschung ausgestoßen. Flink huschten seine Finger über die Bedienungsräder und -knöpfe des Hyperradars, das allein Licht in die ewige Dunkelheit über dieser Welt zu bringen vermochte. Dann wies seine Hand auf das Bild, das der große Schirm nun gestochen scharf wiedergab. „Da haben wir die nächste Spur dieser Lebewesen-eine Stadt!“ * Sie hatten alle damit gerechnet, und doch war es für die meisten von ihnen ein kleiner Schock. Es war das erste Mal, daß Menschen außerhalb ihres gewohnten Lebensraums nicht nur auf animalisches Leben, sondern sogar auf die
Spuren fremder, vermutlich völlig anders gearteter Intelligenzen stießen. Man wußte nichts über sie, nur die Tatsache, daß sie über eine hochstehende Technik verfügen mußten. Oder doch wenigstens verfügt hatten, falls es sie nicht mehr geben sollte. Und das bereits vor Jahrtausenden, als der Mensch sich noch am Anfang seines zivilisatorischen Weges befand. Jahrtausendealt mußte auch die Stadt unter ihnen sein, wie sie bald erkannten. Vielleicht traf die Bezeichnung Stadt nicht ganz das Richtige. Es handelte sich um recht unregelmäßige Ballungen von verschiedenartigen Gebäuden auf einer Fläche von vielleicht fünf Kilometern im Quadrat. Dick Walker verstärkte die Vergrößerung. Auch das Hyperradar war nach den neuesten Erkenntnissen verbessert worden, und nun schienen die fremden Gebäude förmlich zu dem Schiff emporzuschießen, das Rex Farrell inzwischen abgebremst hatte. Der Bildschirm zeigte nun eine Gruppe von etwa dreißig Bauwerken. Da gab es große, kreisrunde Gebäude, die sich nach oben hin verjüngten und deren stumpfe Spitzen bis zu fünfzig Meter hoch in den dunklen Himmel von Misfit IV stachen. Direkt nebenan standen mehrere kastenförmige Gebilde wie riesige Pilze auf hohen und dikken Stielen. Andere wiederum erschienen wie von Titanenfäusten hingeschleuderte Felsbrocken, aus denen schlanke, minarettartige Türme emporragten. Auf die Menschen wirkte das alles wie ein wirres, unbegreifliches Durcheinander fremder Stilarten. Nur die Existenz von dunklen Öffnungen unterschiedlicher Größe deutete darauf hin, daß es sich bei diesen Bauwerken um Wohngebäude gehandelt haben mochte. „Fällt jemand etwas Besonderes auf?“ fragte Captain Neumann nach einer Weile. Alle Augen wanderten umher und suchten gespannt, bis Tino Baruzzi schließlich einen leisen Pfiff ausstieß.
„Ich glaube, ich weiß, was du meinst, Ralf. Überall dort, wo ein menschlicher Baumeister Treppenaufgänge angebracht hätte, gibt es statt dessen abgeschrägte Flächen, die hinauf zu den Eingängen führen. Richtig?“ „Genau das habe ich gemeint“, bestätigte der Kommandant. „Doch welche Schlußfolgerung läßt sich daraus ziehen?“ Der Funker schwieg ratlos. Dafür meldete sich Dr. Halloran zu Wort. „Wären die Erbauer dieser seltsamen Häuser Menschen oder doch zumindest aufrechtgehende zweibeinige Wesen gewesen, hätten sie wahrscheinlich auch Treppen angebracht wie wir. Diese Schrägen lassen aber eher darauf schließen, daß sie Vier- oder Mehrbeiner sein müßten. Vielleicht sogar Wesen, die sich nur kriechend fortbewegten“, erklärte er. Ralf Neumann nickte zustimmend. „Damit haben wir einen ersten Hinweis auf ihre Körperform. Ein zweiter Hinweis ist die Größe der Eingänge zu den Gebäuden. Sie sind uneinheitlich geformt. Nimmt man den Durchschnitt von allen, so zeigt sich, daß die Erbauer nicht viel größer als wir Menschen gewesen sein können.“ Dick Walker lachte kurz auf. „Das ist eine etwas kühne, zumindest aber voreilige Theorie, Ralf. Läuft ein Bär auf allen vieren, reicht er dir bis zur Brust. Stellt er sich aber auf seine Hinterbeine, ist er schon ein gutes Stück größer als du ... Vielleicht konnten auch diese Fremden beides? Wenn sie sich jedoch kriechend oder schlängelnd fortbewegt haben sollten, könnten sie ebensogut zwei wie auch zwanzig Meter lang gewesen sein.“ Rex Farrell grinste spöttisch. „Deine Phantasie in allen Ehren, Dick, aber das letzte Beispiel erscheint mir indiskutabel. Ein solches Wesen verfügt nämlich gemeinhin über keinerlei Greifwerkzeuge. Ohne Hände oder ähnliche Gebilde wäre es ihnen aber nicht möglich gewesen, derart komplizierte Dinge wie die Bauwerke da unten oder gar die Satelliten zu schaffen, das siehst du doch wohl ein.“ Der Kommandant beendete diese fruchtlose Debatte.
„Kommen wir zum eigentlichen Thema zurück, Leute. Es steht auf jeden Fall fest, daß alle diese Bauwerke verlassen sind, wahrscheinlich schon seit vielen Jahrtausenden. Es gibt dort unten - die lebensfeindlichen Umweltbedingungen ganz außer acht gelassen - keine Spur von Leben, dafür aber genügend Verfallserscheinungen.“ Seine Finger wiesen auf bestimmte Stellen des Radarbildes. „Bei diesem Kegelbauwerk ist die Spitze zerbröckelt, dort drüben ist ein Türmchen umgestürzt, bei diesem Kastenbau gibt es deutliche Senkerscheinungen. Das will schon etwas heißen, denn die Materietaster haben das Baumaterial als eine Art von ungemein festem Plastikbeton definiert. Zu einer schnellen Erosion gehören aber bekanntlich Wasser und Wind, und eben sie gibt es auf diesem Planeten kaum. Das Wasser ist längst zu Eis geworden, und Wind kann nur dort aufkommen, wo gewisse Temperaturunterschiede existieren, die erst eine Virulenz der Atmosphäre verursachen. Auf Misfit IV differiert die Temperatur vom Pol bis hier kaum um fünfzehn Grad und bleibt selbst in der Äquatorgegend noch weit unter dem Gefrierpunkt.“ „Weil du eben die Atmosphäre erwähnt hast“, warf der Schwarze ein, „wie ist diese eigentlich zusammengesetzt?“ Ralf Neumann schlug sich vor den Kopf. „Da habe ich über der Entdeckung der Stadt doch tatsächlich das vergessen, was sonst immer zuerst an die Reihe kommt. Dr. Jenkins, würden Sie bitte eine Spektralanalyse der Lufthülle anfertigen?“ Der Wissenschaftler lächelte. „Bereits geschehen, Captain. Unser Schlaumeier muß das Ergebnis jeden Moment bekanntgeben.“ Er wies auf das kleine Rechengehirn für sekundäre Aufgaben, das sich in Betrieb befand. Sekunden später kam bereits eine Plastikfolie heraus und fiel in den Auffangkorb. Wieder einmal bestätigte sich hier die alte wissenschaftliche These, daß die Entstehung von Leben nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich ist, die nicht wesentlich von der irdischen Norm
abweichen. Die Atmosphäre von Misfit IV enthielt fast zwanzig Prozent Sauerstoff, fünfundsiebzig Prozent Stickstoff und kleine Mengen anderer Gase, die ebenfalls auf der Erde vorkamen. „Normal für einen Planeten dieser Größe“, sagte Jenkins. „Die kleineren können ihre Lufthülle nicht auf die Dauer festhalten, die großen umgeben sich mit Methan und Ammoniak, ihrer Gravitation entsprechend. Hier muß es einmal eine beachtliche Vegetation gegeben haben, wie der hohe Prozentsatz von Sauerstoff beweist.“ Der Kommandant gab Dick Walker Anweisung, das gesamte Stadtgebiet systematisch mit dem Radar zu bestreichen. Sie beobachteten noch eine halbe Stunde lang, ohne aber etwas Neues zu entdecken. Dann gab Neumann dem Piloten das Zeichen- zum Weiterflug. „Was zu sehen war, haben wir gesehen, mehr können wir nicht herausfinden. Die KOSMOS schwenkt jetzt endgültig in die Kreisbahn ein. Nach der dritten Umkreisung in etwa acht Stunden werden wir weitersehen. Ich mache jetzt Pause, du übernimmst das Kommando, Rex, zusammen mit Tino und unseren Neulingen Martini und Glowacz. Ich schlage vor, daß ihr beim Überfliegen der Äquatorgegenden den Normalfunkbereich abhört. Dorthin könnten sich die Fremden am ehesten zurückgezogen haben. Alle anderen begeben sich jetzt in ihre Kabinen, es ist bereits einundzwanzig Uhr, und morgen warten neue Aufgaben auf uns. Sollte sich etwas Besonderes ereignen, bin ich natürlich sofort zu wecken.“ Dreißig Minuten später herrschte an Bord der KOSMOS III vollkommene Ruhe. Nur die vier Männer in der Zentrale wachten, während das Schiff im freien Fall den Dunkelplaneten umrundete. Welche Überraschungen dieser noch für die Männer bereithielt, konnte niemand ahnen ... * Jig 19 war nahe daran, zu verzweifeln.
Seit drei Hauptzeiten bereits war der Mechanismus des großen Koordinators defekt, ohne daß es ihm oder einem der ihm unterstellten Techniker gelungen war, die Fehlerquelle zu finden. Jig 19 tat, was er konnte. Er hielt sich seit zwei Großzeiten nur noch mit Hilfe von Stimulanzien wach, doch sein Eifer allein genügte nicht. Zu kompliziert waren die Anlagen, die die längst vergangenen Vorfahren einst geschaffen hatten, und zu gering sein Wissen um die Konstruktion derselben. Jig 19 war überdurchschnittlich intelligent und hatte alle Schulungen mit den höchsten Prädikaten absolviert, aber diese Aufgabe ging über seine geistigen und physischen Kräfte. Siebentausend Umlaufzeiten waren seit der Erschaffung der lebensspendenden Maschinen vergangen, und nie hatte es seit dieser Zeit ernsthafte Störungen gegeben. Die Baupläne des großen Koordinators wie auch der übrigen Anlagen waren irgendwann vor langer Zeit verlorengegangen. Wann und wie, das wußte kein Moganer mehr. Niemand hatte auch je ernsthaft mit einem Versagen dieser Mechanismen gerechnet, denn sie schienen für die Ewigkeit gebaut. Auch der Vater von Jig 19 war Techniker gewesen und hatte die fünfzig ihm unterstellten Gehilfen beaufsichtigt. Ob er ein guter oder schlechter Techniker gewesen war, hatte sich nie erwiesen, weil sein Wissen niemals ernsthaft auf die Probe gestellt worden war. Der große Korrdinator wachte für ihn und zeigte alle auftretenden Mängel der Maschinen auf das Genaueste an. Jig 18 hatte sich darauf beschränken können, das Auswechseln verbrauchter Einzelteile anzuordnen und zu überwachen, wie es viele Großtechniker vor ihm getan hatten. So war er alt geworden, hatte die planmäßigen zehn Umlaufzeiten der vorbereitenden Ruhe genossen und anschließend ebenso planmäßig den Umwandler betreten, der seinen Geist freigab, seinen Körper aber der Umwandlung zum Wohle aller Moganer unterzog. Jig 19 als sein gesetzlicher Sohn war dann an seine Stelle getreten. Er hatte seine Schwester Jyg 19 zur Gefährtin genommen, wie es seit
ewigen Zeiten Sitte war, und mit ihr die beiden vom Gesetz gestatteten Kinder Jig 20 und Jyg 20 gezeugt. Beide waren soeben dem Kinderheim entwachsen und zur ersten Schulung gekommen, Jyg 20 ins Frauenheim und Jig 20 ins Technikerheim. Dort mußten sie nun fünfzig Umlaufzeiten lang bleiben, bis sie gründlich auf ihre kommenden Aufgaben vorbereitet waren. Bis dahin würde Jig 19 seine hundert Umlaufzeiten Dienst als Großtechniker beendet haben. Er würde den Sohn als Nachfolger empfangen und einige Umlaufzeiten lang im Dienst unterweisen. Dann kam die Reihe an ihn, die vorbereitende Ruhe zu genießen und anschließend den Gang zum Umwandler anzutreten, während Jig 20 Jyg 20 zur Gefährtin nahm und sich so der Kreis schloß. Nie hatte Jig 19 daran gedacht, an diesem vorbestimmten Ablauf der Geschehnisse zu zweifeln. So war es in der Unterwelt von Moga immer gewesen, und so hätte es auch bleiben sollen - doch nun stellte der große Koordinator diese Rechnung ernstlich in Frage. Und nicht nur sie, sondern noch eine Menge mehr ... Der große Koordinator, dieser gewaltige Komplex aus Vakuumröhren, Leitkristallen, Wissensspeichern und zahllosen Kabeln unter dem blinkenden Gehäuse, das größer war als das gesamte Technikerheim, funktionierte nicht mehr. Er hatte das Notsignal gegeben, nachdem aus seinem Innern grelle Blitze aufgezuckt und dunkle Rauchschwaden aufgestiegen waren. Dann hatte er sich selbst abgeschaltet und dadurch die lebensspendenden Maschinen lahmgelegt. Das hatte es noch nie gegeben, so weit der älteste Moganer zurückdenken konnte! Jig 19 hatte nicht gezögert, das Gehäuse des Koordinators zu öffnen und seine Reparatur in Angriff zu nehmen. Je weiter er aber mit seiner Überprüfung fortschritt, um so mehr sank sein Mut. Diesmal fand er keine Hilfe mehr, denn die Störung war so plötzlich über den Automaten gekommen, daß er keinerlei Angaben über ihre Art mehr hatte machen können. Er konnte sich nur noch abschalten, um der völligen Zerstörung zu entgehen; doch in welchen Sektoren
seines Komplexes die Fehlerquellen lagen, das war sein Geheimnis geblieben ... Großtechniker Jig 19 hätte nun einiges darum gegeben, seinen Vater um Rat fragen zu können. Doch Jig 18 hatte schon vor mehr als fünfzig Umlaufzeiten den Umwandler betreten und sein Wissen mit sich genommen. Jig 19 gestand sich ein, daß auch sein Vater ihm wahrscheinlich nicht allzu viel hätte helfen können, aber zu ihm hatte er wenigstens als Gleichgestellter sprechen können und so eine gewisse psychische Erleichterung erfahren. Seinen untergebenen Technikern gegenüber war das nicht möglich. Er stand im Wissen turmhoch über ihnen und hätte sich lieber freiwillig vorzeitig in den Umwandler begeben, als ihnen seine Sorgen vorzutragen. Immerhin hatte er es trotzdem fertiggebracht, einige zerstörte Sektoren des großen Koordinators zu entdecken und deren Wiederherstellung anzuordnen. Seine Untergebenen hatten gute Arbeit geleistet, aber der Automat versagte weiterhin den Dienst und demonstrierte damit, daß noch weitere wichtige Teile seiner Anlagen defekt waren. Jig 19 suchte unverdrossen weiter, doch bald schon wurde ihm klar, daß er wohl nie an sein Ziel kommen würde. Der Koordinator trug die Bezeichnung „groß“ nicht zu Unrecht, denn in den vergangenen drei Hauptzeiten war es Jig nicht gelungen, mehr als ein Hundertstel seines Komplexes zu überprüfen. Was ihm an Wissen fehlte, ersetzte er vielfach durch Intuition, aber auch damit konnte er nie zu seinem Ziel gelangen. Nur ein Zufall hätte ihm helfen können, in diesem ausgedehnten Labyrinth unzähliger ineinander verzahnter Einzelteile die richtigen innerhalb von zwei Großzeiten herauszufinden. Doch zwei Großzeiten waren das äußerste Maximum, das ihm noch verblieb! Seit dem Ausfall des Automaten ruhten alle lebenswichtigen Maschinen in der Unterwelt von Moga. Jig 19 hatte pflichtgemäß stets dafür gesorgt, daß sie auch die großen Energiespeicher voll aufgela-
den gehalten hatten. Diese allein waren es nun, die die gesamte Rasse der Moganer noch am Leben erhielten. Sie lieferten noch genug Kraft für die Nährmittelfabriken, für die Wasserpumpen und die Sauerstofferzeugung. Sie waren fast ebenso umfangreich wie der große Koordinator, aber nun neigte sich auch ihr Energievorrat dem Ende entgegen. Genau zwei Großzeiten lang würden sie noch durchhalten - dann aber mußte es mit der Rasse zu Ende gehen. Jig dachte niedergeschlagen an seine beiden Kinder, auf deren lange, schlanke Hälse er immer stolz gewesen war. Sie hätten einmal an seine Stelle treten und die Familie Jig weiter fortpflanzen sollen, die nun bereits seit sechzehn Generationen die Großtechniker von Moga stellte. Daran aber glaubte er nun schon nicht mehr. Doch da waren um ihn die fünfundzwanzig Techniker, die soeben ihre Kollegen abgelöst hatten und nun auf seine Anweisungen warteten. Jig 19 hob seinen Geist für einen Augenblick empor zum Großen Geist der Oberwelt, um ihn um neue Kraft anzuflehen. Dann griff er entschlossen nach dem schon fast leeren Kästchen mit Energietabletten und schluckte eine neue Dosis Stimulans. Gleich darauf wies er seine Untergebenen mit fester Stimme in ihre Aufgaben ein. So stand es um die Unterwelt von Moga und ihren obersten Techniker Jig 19, als diesen der Ruf zum Großen Moga erreichte. * Der Große Moga war uralt, viel älter, als ein normaler Bewohner der Unterwelt je geworden war. Wie lange er schon lebte, wußte wahrscheinlich nur er allein. Er war dagewesen, solange Jig 19 zurückdenken konnte; und Jig wußte von seinem Vater, daß er auch in dessen Jugend schon als der älteste Einwohner anzusehen gewesen war. Man sprach zwar nicht darüber, aber jeder Bewohner der Unterwelt nahm an, daß es irgend-
eine Wunderdroge war, die dem jeweiligen Oberhaupt der Moganer ein vielfach verlängertes Leben verlieh. Tatsache war, daß der Große Moga die Geschicke der Unterwelt bereits seit sechshundert Umlaufzeiten leitete. Er würde auch, sofern die augenblickliche Krisis gut vorüberging, noch weitere zweihundert Umläufe regieren können, denn die wahre Lebenserwartung eines Moganers betrug etwa tausend Umlaufzeiten. Daß kein Bewohner jemals dieses Alter erreichte - ausgenommen das Oberhaupt - lag an den besonderen Umständen ihres Daseins. Früher einmal, vor undenklichen Zeiten, hatten die Moganer die Oberfläche ihres Planeten bewohnt, hatte sich ihr Leben im Freien abgespielt, im hellen Licht der wärmenden Sonne. Sie hatten Großes geleistet, hatten eine hochstehende Kultur und eine bewundernswerte Technik entwickelt. Ihre Raumschiffe waren bis weit zu den Sternen der Milchstraße vorgestoßen, hatten Verbindung zu anderen Rassen aufgenommen und Kolonisten auf weit entfernte Planeten getragen. Dann aber war das Unheil über den Planeten hereingebrochen: Die Sonne des Systems begann zu erlöschen. Dieses Gestirn hatte von Anfang an eine viel zu hohe Dichte besessen. Viele Elemente befanden sich im Innern, aber nur ein verhältnismäßig niedriger Prozentsatz von Wasserstoff. Trotzdem war auch in der Sonne einst der Wasserstoff-Helium-Zyklus angelaufen, der sie zum Aufglühen gebracht hatte. Doch gerade, als das Leben auf Moga seine höchste Blüte erreicht hatte, war der Wasserstoffvorrat aufgebraucht. Der Zyklus erlosch, die Sonne fiel in sich zusammen und schrumpfte bis zur Hälfte ihrer ursprünglichen Ausdehnung. Dunkelheit breitete sich über das Planetensystem. Bestürzt hatten die Astronomen von Moga die Anfänge dieser Entwicklung registriert und ihre Erkenntnisse dem Großen Rat von Moga unterbreitet. Vierhundert Umläufe Zeit blieben den Moganern, um eine Rettung ihrer Rasse vor dem drohenden Untergang
herbeizuführen. Mehr nicht, denn die letzten Kräfte des ausgebrannten Gestirns verzehrten sich schnell. Als der am leichtesten gangbare Weg bot sich ihnen die Flucht in den Weltraum an, die Umsiedlung auf die bereits von Moganern kolonisierten Welten. Bald aber mußten die verantwortlichen Moganer erkennen, daß auf diese Weise nur die Rettung eines Teils der Bevölkerung herbeizuführen war. Lang waren die Wege zwischen den Sternen, und die Aussiedler mußten alles mit sich führen, was sie zum Überstehen der großen Reise benötigten. Das bedeutete, daß jedes Schiff nur eine beschränkte Anzahl von Bewohnern aufnehmen konnte; und ausreichend Schiffe zu bauen, um alle drei Milliarden Moganer zu evakuieren, erwies sich als unmöglich. Die Techniker taten, was sie konnten. Als aber die Sonne in das letzte Stadium ihrer Entwicklung eintrat und in düsterrotem Glanz verlosch, als das letzte Sternenschiff abgeflogen war, waren noch zweihundert Millionen Moganer zurückgeblieben ... Aber auch sie wollten überleben, und so wühlten sie sich tief ins Innere ihrer Welt, bauten Städte unter der Oberfläche und zogen sich dorthin zurück. Das aber erforderte Zeit, viel mehr Zeit, als ihnen das Gestirn noch zubilligte. Darum schufen sie drei große Satelliten und schickten sie auf stationäre Umlaufbahnen. Diese waren mit gewaltigen Aggregaten ausgerüstet, die die Kraftfelder benachbarter Sonnen anzapften und die so herangeholte Energie als Wärme auf den Planeten abstrahlten. Die Sonne erlosch, aber auf Moga,blieb es noch erträglich warm, bis auch der letzte Bewohner die schützende Unterwelt erreicht hatte. Dieses Labyrinth, zog sich rings um den Äquator, und nach seiner Fertigstellung übernahmen die drei Satelliten die Energieversorgung. Die Wärmeabgabe zur Planetenoberfläche wurde auf ein Minimum beschränkt, aber sie genügte, um das Einfrieren der Atmosphäre zu verhindern, die nach wie vor lebensnotwendig für die Moganer war.
Zweihundert Millionen Bewohner mit Atemluft zu versorgen, erwies sich als eine Unmöglichkeit, denn Moga war schon immer eine verhältnismäßig trockene Welt mit nur wenigen Binnenmeeren gewesen. Es war ausgeschlossen, dem Boden neben dem notwendigen Wasser auch noch genügend Feuchtigkeit für eine Sauerstoffgewinnung durch Elektrolyse zu entziehen. Zweihundert Umlaufzeiten vergingen, bis sich das Leben in der Unterwelt von Moga restlos eingespielt hatte. Die Moganer waren gerettet, doch dafür hatten sie drastische Umstellungen all ihrer Lebensgewohnheiten in Kauf nehmen müssen. Sie hatten es getan und sich angepaßt, denn sie wollten überleben. Eine strenge Geburtenkontrolle sorgte dafür, daß die Anzahl der Bewohner beschränkt blieb; doch hier erwies sich die Langlebigkeit der Moganer schließlich als sehr nachteilig. So sah sich der erste Große Moga nach weiteren hundert Umläufen genötigt, auch hier rigoros einzugreifen. Die Lebensdauer aller Bewohner wurde durch Gesetz auf hundertsiebzig Umlaufzeiten begrenzt. Davon entfielen notwendigerweise sechzig auf Kindheit und Ausbildungszeit, die nächsten hundert dienten der Arbeit zum Wohle der Allgemeinheit. Die letzten zehn Umlauf Zeiten konnte dafür jeder in Muße im Zustand der „vorbereitenden Ruhe“ verbringen. Dann aber kam unweigerlich für jeden der Gang zum Materieumwandler - der Gang in den Tod. So geschah es, daß der normale Moganer in der Unterwelt des Planeten sein Leben bereits nach Ablauf eines Sechstels seiner tatsächlichen Lebenserwartung im besten Alter beenden mußte. Doch davon wußte nun, nach siebentausend Umläufen, niemand mehr, einige Wissenschaftler ausgenommen. Nur der jeweilige Große Moga durfte sein Leben voll zu Ende leben. Die Last seines Amtes wog schwer, und es ging nicht an, alle hundertsiebzig Umläufe einen neuen Moga einzusetzen, der sich die nötigen Erfahrungen erst wieder mühsam hätte erarbeiten müssen.
Sechzig Millionen Bewohner waren es noch, geleitet vom achten Großen Moga, die in der Unterwelt lebten und von der Oberfläche ihres Planeten so gut wie keine Vorstellung mehr hatten. Diese Zahl blieb nun konstant, denn jeder Bewohner nahm seine Schwester zur Frau und hatte mit ihr die zugelassenen zwei Kinder, die später ein neues Paar bildeten. Es gab diesbezüglich keinerlei nachteilige Auswirkungen auf die Nachkommenschaft, denn Inzuchterscheinungen kannte diese Rasse nicht. Ihre gesamte Existenz hing aber letzten Endes von den drei Satelliten ab, die fünfzigtausend Kilometer über dem Planeten stationär im Raum standen und drahtlos ihre Energie herabstrahlten, vom großen Koordinator gesteuert, einem mächtigen Elektronengehirn. Ständig wachten die Techniker über dessen Funktion, aber in Wirklichkeit waren sie längst zu Wächtern ohne Waffen geworden. Ihr Wissen war nur noch Stückwerk, nur noch ein Schatten von dem der Erbauer dieser Anlagen. Wie gering es wirklich war, hatte noch nie so richtig zum Vorschein kommen können, da bisher der große Koordinator einwandfrei gearbeitet und für sie alle gedacht hatte. Nun war aber das eingetreten, was irgendwann einmal hatte kommen müssen. Durch jahrtausendelange Dauerbeanspruchung war das Material der Elektronik ermüdet. Die Kabel waren brüchig geworden, die Vakuumröhren ausgeglüht, die Transistoren verbraucht. Der große Koordinator hatte sein mechanisches Leben beendet, und niemals konnte es je wieder einem Techniker gelingen, ihn zu neuer Tätigkeit zu bringen. Was die Versorgung der Unterwelt mit Nährmitteln, Wasser und Sauerstoff betraf, war dieser Ausfall zu verschmerzen. Für diese Produktion hatten die Fabriktechniker Erfahrungswerte, nach denen sie die Anlagen selbst programmieren konnten. Außerhalb ihres Einflußbereiches aber lagen die Energiesatelliten, die nur dann zu arbeiten vermochten, wenn sie vom großen Koordinator die entsprechenden Steuerimpulse erhielten.
Die Elektronik aber war nun tot, ganze Sektoren waren ausgeglüht, die übrigen zum größten Teil altersschwach und verbraucht. Kein Impuls ging mehr hinauf zu den Satelliten, und daraufhin hatten diese automatisch ihre» Tätigkeit eingestellt. Nie wieder würden die lebensspendenden Anlagen arbeiten, und wenn kein Wunder geschah, waren alle sechzig Millionen Bewohner von Mogazum sicheren Untergang verurteilt, sobald die geringen noch vorhandenen Energien in den Stromspeichern versiegt waren ... Das konnte Jig 19 wohl ahnen, aber noch nicht in voller Konsequenz begreifen, als er das Laufband betrat, das ihn dem Regierungsgebäude des Großen Moga entgegentrug. Ehrfurchtgebietend ragte das riesige Standbild des Xantra vor Jig auf. Der Techniker entbot ihm den vorgeschriebenen Gruß, indem er den langen Hals beugte und die beiden oberen Arme dahinter verschränkte. Die Figur bestand aus Steinplastik, dem Universalbaustoff der Moganer, und war fast so alt wie die Unterwelt selbst. Xantra und seiner Tatkraft war es zu verdanken gewesen, daß die Moganer ihre Zuflucht unter dem Boden gefunden hatten. Er war seinerzeit ihr Oberhaupt, zugleich auch ein erfahrener Baumeister gewesen und hatte einen Großteil der Pläne für die untermoganischen Siedlungen selbst geschaffen und deren Entstehung veranlaßt. Nach der Umsiedlung hatte er die Geschicke der Bevölkerung noch über zweihundert Umläufe lang geleitet, ehe er starb und vom Großen Moga l abgelöst wurde. Dieser hatte ihm zu Ehren dann das Denkmal errichten lassen. Wie auf den Straßen, so war auch in der Umgebung des Regierungsgebäudes kein Bewohner zu sehen, denn die Schlafperiode hatte bereits vor zwei Teilzeiten begonnen. Nur zwei Wachen standen einsam vor dem Bau auf Posten; sie ließen den Techniker anstandslos passieren. Jigs Kleidung raschelte leise, als er sich auf die beiden unteren Hände niederließ, um den schrägen Aufgang zu überwinden. Diese Schrägen waren noch ein Relikt aus der Zeit, da die Moganer sich
noch auf vier Gliedmaßen bewegten. Das lag nun schon viele zehntausend Umläufe zurück. Lange schon hatten sie gelernt, aufrecht zu gehen - doch noch immer war niemand darauf gekommen, die Treppe zu erfinden, wie man sie auf der Erde kannte. Unbeholfen erklomm Jig 19 den Aufgang, betrat die Vorhalle und bewegte sich, nun wieder nur die Beine benutzend, dem Amtsraum des Großen Moga zu. Bei seinem Eintritt mußte er feststellen, daß er nicht der einzige war, den der Moga zu sich gerufen hatte. In seiner Gesellschaft befanden sich bereits Mayn 21, der die Aufsicht über die Nährmittelproduktion führte, Ming 23, der Experte für die Luftversorgung, und Gern 18, der Cheftechniker der Wasseraufbereitungsanlagen. Offenbar hatte man nur noch auf ihn gewartet, denn als Jig nach der rituellen Verbeugung Platz genommen hatte, begann der Große Moga übergangslos zu sprechen. „Ich habe euch vier zusammengerufen, um gemeinsam zu beraten, was uns in unserer schwierigen Lage zu tun bleibt, um die Rasse vor dem Tode zu bewahren. Mayn, wie steht es um unsere Lebensmittelproduktion?“ Der Angesprochene hob die beiden oberen Arme. „Die größten Schwierigkeiten sind überwunden, Großer Moga. Meine Techniker haben die Anlagen nach den vorhandenen Unterlagen selbst neu programmiert. Es war eine ungewohnte und schwierige Arbeit, aber sie haben es geschafft, und die Produktion ist wieder angelaufen. Die Stockung von einer Großzeit hat zwar unsere Nährmittelreserven auf die Hälfte zusammenschrumpfen lassen, doch das ist jetzt kaum noch von Bedeutung.“ Ähnliche Angaben konnten die beiden anderen Versorgungschefs machen. Sie waren sichtlich stolz auf die Leistungen ihrer Untergebenen, aber der Große Moga nahm nicht weiter dazu Stellung. Er schwieg für eine Weile und wandte sich dann an Jig 19.
„Wie steht es um den großen Koordinator, Bewohner Jig? Besteht Aussicht, daß er ebenfalls in nächster Zeit wieder funktionieren wird?“ Der Großtechniker wiegte verneinend den Kopf. „Ehrlich gesagt - ich glaube es nicht, Großer Moga. Wir haben wohl einige der unbrauchbar gewordenen Sektoren lokalisieren und ersetzen können, aber ich befürchte, daß die Zerstörungen noch ein weit größeres Ausmaß besitzen. Sie sind meistens erst nach langwierigen Messungen festzustellen, und dann braucht es wieder einige Zeit, bis wir die Schäden behoben haben, soweit das überhaupt noch möglich ist. Meist muß der gesamte Sektor ausgebaut und ersetzt werden, aber unser Vorrat an Ersatzteilen ist nur noch sehr gering.“ Resigniert verschränkte er seine vier Arme vor der Brust und schwieg. „Demnach besteht also kaum Hoffnung, die Maschine wieder herzustellen, ehe die Energie in unseren Speicheranlagen aufgebraucht ist?“ forschte der Große Moga weiter. Jig 19 mußte auch das verneinen. „Ich tue, was ich kann und habe seit mehr als zwei Großzeiten nicht mehr geschlafen, Großer Moga. Es müßte aber geradezu ein Wunder geschehen, wenn uns innerhalb dieser Zeit eine völlige Instandsetzung gelingen sollte. Wenn das Ausmaß der Zerstörungen überall den gleichen Umfang aufweist, müßten wir mindestens einen halben Umlauf Zeit haben, ehe der große Koordinator wieder intakt wäre. Vorausgesetzt, daß unsere Mittel dazu überhaupt ausreichen ...“, setzte er leise hinzu. Eine Weile lang herrschte Stille im Raum. Der Große Moga hatte den Kopf überlegend auf die oberen Arme gestützt, und niemand wagte ihn zu stören. Schließlich richtete er sich wieder auf und ließ seine Augen von einem zum anderen wandern. „Ihr wißt alle, wie verzweifelt unsere Lage ist, Bewohner. Gewiß, die lebensspendenden Anlagen funktionieren wieder, doch sie alle verbrauchen Energie. Viel Energie, die wir nicht mehr ersetzen kön-
nen, solange die Satelliten über der Oberfläche außer Betrieb sind. Es kommt also für uns darauf an, daß wir den Energievorrat soweit wie möglich strecken, und deshalb sehe ich mich gezwungen, ab sofort einschneidende Sparmaßnahmen anzuordnen. Wir müssen auf allen Gebieten des lebenswichtigen Verbrauchs eine strenge Rationierung einführen. Das heißt, daß von jetzt ab jeder Bewohner nur noch so viel an Nährmitteln und Wasser bekommt, wie er ohne Schaden für seine Gesundheit leben kann. Die Herstellung aller anderen Güter wird eingestellt, die übrige Produktion entsprechend gedrosselt. Damit können wir erreichen, daß der Energieverbrauch der Anlagen nur noch etwa ein Drittel des Normalen beträgt. Wenn wir das konsequent durchführen, können wir es ermöglichen, daß die Speicher noch für vier Großzeiten ausreichen statt nur für zwei. Die entsprechenden Maßnahmen sind umgehend einzuleiten.“ Damit entließ er die drei Versorgungschefs, während er Jig bedeutete, noch zu bleiben. Die Pause, die durch den Abschied der anderen entstand, gab diesem Zeit, die neue Situation zu überdenken. Er würde nun also vier Großzeiten für die Reparaturen am großen Koordinator zur Verfügung haben anstatt zwei, aber das vermochte seine Hoffnungen nicht zu beleben. Je länger obendrein die Arbeit andauerte, um so schwieriger wurde alles für ihn, denn er benötigte dringend Schlaf. Schon jetzt fühlte er, wie die Wirkung der Stimulanzien auf seinen Körper immer geringer wurde - es war Zeit für ihn, eine Pause einzulegen, sonst würde er plötzlich zusammenbrechen. Jede Pause bedeutete aber zugleich eine neue Verzögerung der Reparaturarbeiten, denn die ihm unterstellten Techniker vermochten kaum selbständig zu arbeiten. Im Endeffekt würde es also nur darauf herauskommen ... Der Große Moga unterbrach seine Überlegungen. „Bewohner Jig, ich erkenne deine Leistungen voll an; zugleich aber sehe ich, daß wir auf diese Weise nicht zu einem guten Ende kommen können. Ich Verstehe zwar nichts von den Anlagen dos Koordinators,
aber meine langen Erfahrungen sagen mir, daß sich ein Zusammenbruch, wie er bei ihm stattgefunden hat, nicht innerhalb einiger Großzeiten wieder beheben läßt. Ich habe nun eine andere Idee, und ich möchte von dir erfahren, ob und innerhalb welcher Zeit sie zu realisieren ist.“ Er machte eine Pause, und Jig 19 stellte erwartungsvoll die spitzen Ohren auf. Der Große Moga war für seinen dem hohen Alter entsprechend geschärften Verstand bekannt. „Ich habe mich mit Horg 20 besprochen, meinem Berater, der schon oft wertvollen Rat für mich wußte und der unsere Gedanken zu lesen versteht, als wären sie auf Schreibplastik festgehalten. Er stimmt mit mir darin überein, daß es kaum einen Zweck hat, die Instandsetzung des großen Koordinators weiter fortzusetzen. Nicht immer hat die große Maschine für uns gedacht! Ganz am Anfang des Lebens in der Unterwelt gab es eine kleinere Anlage, die zwar nur einen Teil der Kapazität des großen Koordinators erreichte; aber sie hat immerhin etwa hundert Umläufe lang die Funktionen der Energiesatelliten zu steuern vermocht. Dieser kleine Koordinator, wie ich ihn nennen möchte, ist nie defekt gewesen. Er wurde lediglich außer Betrieb gesetzt, als die große Maschine betriebsbereit war. Er existiert noch heute, und es dürfte zweckmäßiger sein, einen Versuch zu seiner Neuaktivierung zu machen, als die Arbeiten am großen Koordinator weiterzuführen, deren Erfolg sowieso recht zweifelhaft ist. Glaubst du, daß du das mit deinen fünfzig Technikern in der verlängerten Frist von vier Großzeiten schaffen könntest?“ Jig 19 mußte erst einmal überlegen. „Meinst du die Anlagen bei der Stadt Widu, Großer Moga? Mein Vater hat mir einmal davon erzählt.“ „Ganz recht, Bewohner Jig. Ich schlage vor, daß du jetzt erst einmal zwei Perioden lang schläfst, um neue Kräfte zu sammeln. Dann kannst du dich mit deinen Technikern nach Widu begeben, um dort die Arbeit aufzunehmen. Du brauchst dabei auch nicht mit Energie
zu sparen - wenn dieses Vorhaben fehlschlägt, sind wir Moganer so oder so zum Tode verurteilt ...“ * Die KOSMOS III hatte die vorgesehenen Umkreisungen des Planeten Misfit IV vollendet. Rex Farrell hatte diese Zeit dazu benutzt, das Wissen über diese fremde Welt zu vervollständigen. Teils durch visuelle Beobachtung, teils durch Berechnungen ermittelt, lagen nun genaue astronomische Daten vor. Misfit IV rotierte innerhalb von zwanzigeinhalb Stunden einmal um seine Achse, die um knapp zwölf Grad gegenüber seiner Bahnebene geneigt war. Seine Entfernung zu der erloschenen Sonne betrug im Mittel zweihundertzehn Kilometer und differierte im Aphel und Perihel jeweils um etwa zehn Millionen Kilometer. Die Stellung des Planeten kam damit ungefähr der des Mars im solaren System gleich. Seiner bedeutend größeren Masse entsprechend, war aber seine Bahngeschwindigkeit höher. Er brauchte für einen Sonnenumlauf nur knapp eineinhalb Erdenjahre, während der Mars fast zwei benötigte. Die topographische Erfassung ergab, daß die ausgedehnten Eiskappen um Nord- und Südpol rund ein Viertel des Gesamtglobus bedeckten. Offenbar waren sie hauptsächlich durch den Niederschlag des früher in der Atmosphäre enthalten gewesenen Wassers entstanden. Dort hatte die Vereisung naturgemäß zuerst eingesetzt. Sonst gab es auf Misfit IV nur einige kleine, inzwischen längst bis auf den Grund eingefrorene Binnenmeere, die nur zwanzig Prozent der gesamten Oberfläche ausmachten. Als sich am nächsten Morgen die Besatzung wieder vollzählig in der Zentrale eingefunden hatte, zeigte der Schwarze seine Aufzeichnungen über einen Monitor, wozu er die nötigen Erläuterungen gab. Es war deutlich erkennbar, daß diese Welt einstmals ziemlich dicht besiedelt gewesen war. Immerhin konnte das Vorhandensein von
mindestens siebzig größeren Städten festgestellt werden, zwischen denen sich zahlreiche kleinere Ansiedlungen befunden hatten. Aber nirgends fanden sich noch Spuren von Leben. Alle Städte boten das gleiche Bild der Verlassenheit und lagen tot und nutzlos in der Landschaft. „Die Bewohner müssen aber auch nach dem Erlöschen der Sonne noch weiterexistiert haben, das beweisen die Energiesatelliten“, erklärte Rex Farrell. „Ich habe euch auch noch etwas anderes zu zeigen, das ich mir absichtlich bis zum Schluß aufgespart habe, um euch zu überraschen.“ Er legte ein neues Magnetband auf und ließ den Schirm des Projektors wieder aufleuchten. Er zeigte zuerst nur leeres Land, dann eine Kette niedriger Berge, hinter denen eine mittelgroße Stadt auftauchte. Von ihr aus zog sich, auch jetzt noch gut erkennbar, eine breite Straße ins Hinterland, die am Rande eines weiten, offenbar künstlich geebneten Areals von etwa sechs Kilometer im Quadrat endete. Der Pilot hielt das Bild an und lächelte mit dem berechtigten Stolz des erfolgreichen Entdeckers. „Nun, was sagt ihr jetzt - ein ziemlich großer Raumhafen, nicht wahr?“ „Zweifellos ein Raumhafen“, bestätigte Ralf Neumann. „Die Gebäude ringsum mögen Werft- oder Lagerhallen gewesen sein, und die runden Gebilde auf den Kegelbauten dazwischen sind unverkennbar Parabolantennen für Funk oder Radar. Bedauerlicherweise fehlt aber die Hauptsache, die das Bild erst abrunden würde: Raumschiffe.“ „Demnach könnte man tatsächlich annehmen, daß die Bewohner des Planeten ausgewandert sind“, warf Dr. Jenkins ein. „Oder haben Sie noch weitere Überraschungen auf Lager, Farrell?“ Der Schwarze schüttelte den Kopf. „In dieser Hinsicht nicht, Doc, wenn man davon absieht, daß es an anderen Stellen noch fünf weitere Häfen von der gleichen Größenordnung gibt. Von den dazugehörigen Raumfahrzeugen ist aber auch
dort nichts zu entdecken. Nur auf einem der Häfen steht ein Gebilde, über das ich mir nicht recht klarwerden konnte. Daß es auch Raumschiffe in Kugelform geben könnte, scheint mir doch reichlich unglaubwürdig.“ Der Wissenschaftler lächelte leicht. „Nichts kann so phantastisch sein wie die Wirklichkeit. Warum nicht auch einmal Raumschiffe von runder Form? Es gibt eigentlich nichts, was dagegen spricht, eine Form ist so gut wie die andere, wenn man über leistungsstarke Triebwerke verfügt. Schließlich hat man ja auf der Erde auch schon Schiffe in Diskusform gebaut, und sie sind vorzüglich geflogen.“ „Vielleicht sollten wir uns das Gebilde einmal aus der Nähe ansehen“, schlug Tino Baruzzi vor. Der Captain nickte. „Das habe ich mir eben auch vorgenommen, Tino. Die Städte dieser Intelligenzen dürften uns nicht viel sagen. Unser Archäologe Dr. Ishiga sitzt auf Deimos, was sehr bedauerlich ist. Ein Schiff dieser Fremden könnte dagegen für uns recht interessant sein. Vielleicht finden wir darin oder irgendwo auf dem Hafen Anhaltspunkte über den Verbleib der Wesen.“ Er wandte sich dem Piloten zu. „Gib mir bitte die Koordinaten des betreffenden Hafens, Fred, ich werde das Schiff hinbringen. Du kannst mit deiner Wache jetzt Schlafengehen.“ Er sah das leicht enttäuschte Gesicht Farrells und gab ihm einen leichten Hieb auf die Schulter. „Du wirst wieder geweckt, wenn wir unten sind, keine Sorge. Du hast diese Kugel entdeckt, also sollst du auch dabei sein, wenn wir sie untersuchen.“ * Nach vielen Jahrhunderten absoluter Dunkelheit trafen erstmals wieder Lichtstrahlen auf die Oberfläche von Misfit IV. Es waren die Düsenflammen der KOSMOS III, als das Schiff zur Landung ansetzte.
Diese ging glatt vor sich, und Neumann brachte den Raumer nur fünfzig Meter von dem kugelförmigen Gegenstand entfernt auf den Boden. Dann war es wieder so dunkel wie zuvor, aber nicht für lange. Bald schon öffnete sich die Lastenschleuse, ein Laufkran wurde ausgefahren und ließ einen Kettenwagen in die Tiefe gleiten. In diesem befanden sich neben Captain Neumann Rex Farrell, Tino Baruzzi, Dick Walker und Dr. Jenkins. Weitere Bewerber waren abgelehnt worden, denn mehr Menschen faßte das Fahrzeug nicht. Da es hier eine Atmosphäre gab, blieb die Kabine des Wagens geöffnet. Trotzdem trugen die fünf Männer Raumanzüge zum Schutz gegen die Kälte. Sie hätten den kurzen Weg auch zu Fuß zurücklegen können, aber sie brauchten Licht, und das lieferten ihnen die starken Scheinwerfer des Wagens. Rex Farrell blendete diese auf, schwenkte sie und ließ sie über die Kugel spielen. Jetzt war einwandfrei zu erkennen, daß sie hier tatsächlich ein Raumschiff vor sich hatten! Es mochte einen Durchmesser von etwa hundert Metern besitzen und stand auf acht Teleskop-Landebeinen. Seine Hülle bestand aus einem bläulich schimmernden Metall, das aber an verschiedenen Stellen größere stumpfe Flecke aufwies. „Eindeutig Korrosionserscheinungen“, stellte Dr. Jenkins dazu sachverständig fest. „Eigentlich merkwürdig, denn bei der anhaltenden Kälte hier sollte das Material überhaupt nicht gelitten haben.“ Ralf Neumann hob die Schultern. „Wahrscheinlich steht das Schiff schon seit der Zeit hier, als es noch wärmer war. Vielleicht ist es defekt, sonst hätte man es bestimmt nicht als einziges zurückgelassen. Jetzt müssen wir versuchen, einen Zugang zu ihm zu finden; vielleicht gibt es darin Aufschlüsse über die Rasse, die es gebaut hat.“ Farrell ließ den Wagen anrollen und lenkte ihn um das Schiff herum. Bald schon hielt er wieder an, denn im Scheinwerferlicht zeigte sich eine Rampe, die vom Boden zum Schiff hinaufführte. Sie ragte in
einem Winkel von fast vierzig Grad auf, war völlig eben und endete im unteren Drittel des Kugelschiffes in einer offenstehenden Luftschleuse, die quadratische Form besaß. „Sehr zuvorkommend, diese Fremden“, sagte der Captain erfreut. „Ein gewaltsames Eindringen ins Schiff hätte uns wahrscheinlich erhebliche Schwierigkeiten bereitet, zumal sein Südpol immerhin fünf Meter über dem Boden liegt.“ Rex Farrell fuhr einen Bogen und ließ den Kettenwagen dann langsam auf die Rampe rollen, bis die Schleuse in etwa zehn Meter Höhe hell ausgeleuchtet war. Dann hielt er an, von einem leisen Knirschen gewarnt, das nicht von den Laufketten des Wagens herrühren konnte. Diese waren aus Hartplastik und liefen fast geräuschlos. „Ermüdungserscheinungen des Materials, aus dem die Rampe besteht“, kommentierte Tino Baruzzi. „Immerhin hält es noch einiges aus, der Wagen wiegt rund zwei Tonnen. Wir können also beruhigt nach oben steigen.“ Sie verließen das Fahrzeug und erklommen die Rampe; nicht ohne Schwierigkeiten, denn sie war für ihre Begriffe reichlich steil und bot den Füßen keinerlei Halt. Ralf Neumann siegte bei dieser halsbrecherischen Partie und setzte als erster seinen Fuß in die Schleuse. Sie maß in Höhe, Breite und Tiefe jeweils etwa zwei Meter. Auch das Innenschott stand offen. Ein kurzer Gang führte bis zur 'Schiffsmitte und fand dort seine Fortsetzung in zwei schrägen Aufgängen, die aber längst nicht so steil wie die Rampe waren. Sie führten zur Decke empor und verschwanden dort in dunklen rechteckigen Öffnungen. Alle Wände waren mit einer plastikartigen Masse verkleidet, in der Kabel und Rohre verlegt waren, die ebenfalls nach oben führten. „Nicht wesentlich anders als bei uns“, meinte Dick Walker, „nur diese dummen schrägen Aufgänge gefallen mir .nicht. Eine Rasse, die so weit fortgeschritten war, sollte eigentlich auch irgendwann das Prinzip der Treppe oder wenigstens die Leiter entdeckt haben.“
„Wer weiß, wie diese Wesen ausgesehen haben mögen“, bemerkte Jenkins nachdenklich. „Vielleicht konnten sie sich wirklich nur auf schrägen Flächen nach oben bewegen. Welchen Aufgang nehmen wir, Captain?“ Neumann entschied sich für den rechten und ging voran. Oben angekommen, betrat er einen Raum, in dem früher einmal irgendwelche Maschinen gestanden haben mochten. Jetzt war er vollkommen leer, nur niedrige Sockel am Boden und verstreut herumliegende Bolzen oder Stifte wiesen noch auf deren einstiges Vorhandensein hin: Rex Farrell murmelte mißmutig. „Es sieht so aus, als sollten wir in diesem Schiff nicht mehr allzuviel finden. Es war nicht mehr flugfähig, und so hat man hier alles ausgebaut, was noch anderswo irgendwie zu verwenden war. Aber vielleicht ist es weiter oben besser, da ist die nächste Rampe.“ Ein weiterer schräger Aufgang führte sie in einen Raum, der auch jetzt noch unschwer als die Zentrale des Schiffes zu erkennen war. Da die Männer nur noch auf das Licht ihrer Helmscheinwerfer angewiesen waren, fiel es ihnen schwer, die Ausmaße der Zentrale richtig abzuschätzen. Sie war rund und durchmaß mindestens fünfzig Meter bei etwa fünf Meter Höhe. Was aber sofort ins Auge fiel, war das Kommandopult, noch komplett mit allen Armaturen, die den Männern allerdings nichts sagten. An den Wänden gab es eine Anzahl von verschieden großen, rechteckigen Bildschirmen, aber auch hier war alles ausgebaut worden, was noch anderweitig verwendbar war. Selbst von den Sitzgelegenheiten für die Besatzung fanden sich nur noch Relikte, die keine Schlüsse auf die Gestalt der Fremden zuließen. Mitten im Raum aber stand eine Anlage, die etwa acht Meter im Quadrat durchmaß und bis hinauf zur Decke reichte. Auf sie konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Männer. „Ganz ohne Zweifel war das einmal ein Rechengehirn“, stellte Captain Neumann fest, „die Analogien zu unseren Geräten sind unver-
kennbar. Hier scheint es aber einen gewaltigen Kurzschluß gegeben zu haben, man sieht deutlich, wie die Außenwände überall angeschmort sind. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, daß die Fremden das Schiff hier zurückgelassen haben. Eine Reparatur war nicht mehr möglich, und um ein neues Gehirn aufzubauen und zu programmieren, hat es ihnen wohl an Zeit gefehlt.“ „Du meinst also, daß diese Rasse restlos von Misfit IV ausgewandert ist?“ fragte der Pilot. Ralf Neumann nickte. „Es spricht alles dafür, Rex. Ich kann sie gut verstehen- wir haben ja dasselbe vor, nachdem uns in unserem System die Lebensgrundlagen entzogen sind. Sie besaßen sechs große Raumhäfen, also wohl auch eine entsprechende Menge von Schiffen.“ „Dieser Exodus muß dann aber schon vor langer Zeit stattgefunden haben, wenn man vom Allgemeinzustand des Planeten ausgeht“, überlegte Dr. Jenkins. „Wie verträgt sich das dann mit der Tatsache, daß die drei Satelliten noch bis vor kurzem gearbeitet haben. Captain? Irgendwie muß die von ihnen gezapfte Energie doch verwendet worden sein, sonst wären sie zweifellos explodiert.“ „Das ist richtig“, räumte Neumann ein, „aber die Energie muß ja nicht unbedingt von Lebewesen verbraucht worden sein. Die Satelliten wurden geschaffen, um den Planeten zu erwärmen, und ich denke, daß sie auch nach dem Auszug der Planetenbewohner automatisch weiterfunktioniert haben, bis eine Störung auftrat. Misfit IV ist ja auch jetzt noch viel wärmer, als er es sein dürfte. Doch darüber wollen wir uns weiter keine Gedanken mehr machen. Wir sehen uns noch alle weiteren Räume an und sollten vor allem darauf achten, ob wir etwas an schriftlichen Aufzeichnungen finden. Wenn wir ihm genügend Material liefern, müßte der Hauptcomputer auf Deimos imstande sein, die Schriftzeichen zu klassifizieren und eine Übersetzung anzufertigen.“ Die Hoffnung des Kommandanten, auf diese Weise etwas über die fremde Rasse herauszufinden, erfüllte sich nicht. Auch alle übrigen
Räume des Schiffes waren praktisch leer, und so beschloß Neumann nach Ablauf von zwei Stunden die Rückkehr zur KOSMOS III. Sie verließen das Kugelschiff, das nur noch eine leere Hülle darstellte, denn selbst die Antriebsanlagen rings um seine Mitte hatte man demontiert. Entmutigt kehrten die Männer zu ihrem Schiff zurück, berichteten dort und berieten sich mit der übrigen Besatzung. Diese stimmte dafür, möglichst bald den Rückflug zum Marsmond anzutreten. Auch der Schiffscomputer, dem man alle Daten eingegeben hatte, errechnete ein Resultat, das mit einer Wahrscheinlichkeitsquote von siebenundneunzig Prozent für eine totale Auswanderung der Intelligenzen, von Misfit IV zu anderen Systemen sprach. Die letzte Entscheidung lag beim Kommandanten. Ralf Neumann aber zögerte noch, ohne zu wissen, warum. Er ließ die KOSMOS III aufsteigen und nochmals in eine enge Kreisbahn gehen, um von dort aus persönlich letzte- Beobachtungen der fremden Welt vorzunehmen. Sollten auch sie nichts Neues mehr erbringen - und damit rechnete nun niemand an Bord mehr - würde das Unternehmen nach zwölf Stunden endgültig abgebrochen werden ... * Jig 19 fühlte sich so wohl wie seit langem nicht mehr. Die zwei Perioden Schlaf, die er hinter sich hatte, waren ihm gut bekommen. Nach dem Erwachen war er frisch und ausgeruht; kein Vergleich mit dem Zustand künstlicher Wachheit, in der er sich zuvor so lange befunden hatte. Er genoß den Luxus eines warmen Bades, den er sich erlauben konnte, denn er hatte während seines langen Schlafes weder Wasser noch Energie verbraucht. Jyg 19 hatte ihn geweckt und sorgte nun für eine reichliche Mahlzeit. Der Große Moga hatte ihn und seine Techniker ausdrücklich von der inzwischen eingeführten strengen Rationierung ausgenommen. Im Augenblick waren sie die wichtigsten aller Bewohner der Unterwelt, wichtiger sogar als der Moga selbst.
Als er am Treffpunkt ankam, waren seine Untergebenen, ebenfalls gut erholt, vollzählig zur Stelle. Jig 19 begrüßte sie und ließ dann Werkzeug und eine Auswahl verschiedener Ersatzteile holen, die eventuell für die Inbetriebnahme des kleinen Koordinators notwendig sein würden. Er hatte diese Anlage nie gesehen, aber schon das Bewußtsein, daß er sich bei ihr nicht mit langwierigen und wahrscheinlich doch zwecklosen Reparaturen würde aufhalten müssen, gab ihm Anlaß zu einem gewissen Optimismus. Wenig später setzten sich die sechs Elektrowagen in Bewegung, die die Arbeitsgruppe zur Nachbarstadt Widu bringen sollten. Jig 19 benutzte die Fahrt über die dreißig Kilometer lange Strecke in einem engen dunklen Tunnel dazu, seine Hilfskräfte zu instruieren. Im Grunde konnten sie zwar nicht mehr als seine Handlanger sein, aber er wollte ihnen die Leistung vor Augen führen, die er, ihr Vorgesetzter, zu vollbringen hatte. Im Grunde war es Wichtigtuerei, mit der er sich selbst Mut machte- aber wenn sein Werk gelang, würde man ihn zum Retter aller Moganer ausrufen; ihn, den Großtechniker Jig 19! Vielleicht würde man ihm dann sogar ein Standbild errichten wie einst dem verehrungswürdigen Xantra ... Der „kleine“ Koordinator besaß die Ausmaße eines irdischen Bungalows, war also trotzdem noch eine sehr imposante Maschine. Er befand sich in einem Stadtteil von Widu, der schon seit langem verlassen und stockdunkel war. Statt sofort mit der eigentlichen Arbeit beginnen zu können, mußte Jig 19 erst einmal für die Installierung von Leuchtflächen sorgen, um das Gewölbe zu erhellen, in dem das Steuergehirn stand. Auch die Stormleitungen hatten in der langen Zeit erheblich gelitten, und so nahmen allein diese Vorarbeiten zwei volle Arbeitsperioden in Anspruch. Anschließend begab sich Jig mit seinem Team in die Stadt, wo sie sich vom Staub vieler Jahrhunderte säuberten. Sie übernachteten in einem Wohnheim, das ihnen der Stadtvater von Widu auf Anwei-
sung des Großen Moga für die Dauer ihres Aufenthalts zur Verfügung gestellt hatte. Dann ging es wieder zurück in die Halle. Das Gehirn hatte die lange Zeit relativ gut überstanden. Nicht umsonst hatten die Techniker aus der grauen Vorzeit viel Sorgfalt darauf verwendet, die Maschine vollständig mit einer luftdichten Plastikhülle zu umgeben. Diese zu entfernen, war kein Problem; doch die Staubmassen, die sich inzwischen darauf angesammelt hatten, bereiteten den Technikern viel Verdruß. Jig blieb nichts weiter übrig, als auch noch eine Absaugvorrichtung zu bauen, um der Staubschicht Herr zu werden. Erst dann konnte er sich an die Überprüfung des Koordinators begeben. Vieles an der Anlage war ihm fremd, denn beim Bau der großen Maschine hatte man sich teilweise bereits neuer Techniken bedient. Daß er schließlich doch die Elementarfunktionen herausfand, war größtenteils das Verdienst der längst vergangenen Techniker aus der Anfangszeit. Sie hatten vorsorglich auch einen Schaltplan hinterlassen, der wenigstens in großen Zügen einen Überblick über die Arbeitsweise dieses Rechengehirns gab. Die Elementarfunktionen zu begreifen, war aber noch längst nicht gleichbedeutend mit einer Beherrschung des Koordinators. Jig wußte das und hütete sich, an der Maschine herumzumanipulieren. Erst mußte er die Feinheiten, auf die es letzten Endes ankam, wirklich verstehen. Er ging daran, mit Hilfe der mitgebrachten Meß- und Kontrollinstrumente jeden Sektor des Gehirns genau zu überprüfen. Im Vergleich zu einem perfekten Elektroniker, war sein Wissen gering. Doch das hatte Jig längst begriffen und ersetzte das, was ihm an Kenntnissen fehlte, durch- doppelte Sorgfalt bei all seinen Arbeiten. Er schätzte, daß - ein Minimum an Ruhepausen vorausgesetzt- allein diese Vorarbeiten mindestens zehn Teilzeiten beanspruchen würden. Er beschäftigte das Gros seiner Untergebern mit weiteren Aufräumungs- und Installierungsarbeiten. Dann zog er sich in die schmalen Gänge zwischen den einzelnen Sektoren der Maschine zu-
rück und konzentrierte sich voll und ganz auf seine Aufgabe. Von ihm hing der Fortbestand aller Moganer ab, und Jig 19 war sich seiner ungeheuren Verantwortung voll bewußt. Wie alle seine Zeitgenossen, hatte er nie die Oberfläche von Moga gesehen. So waren auch die so ungemein wichtigen Energiesatelliten für ihn eigentlich nur ein abstrakter Begriff. Wie hätte eierst ahnen sollen, daß schon seit mehreren Teilzeiten ein Erkundungsschiff einer fremden Rasse seine Welt umkreiste, vergebens bemüht, etwas über die scheinbar verschollenen Bewohner herauszufinden ? Das zu erfahren, war ein anderer ausersehen. * An Bord der KOSMOS III war Schlafenszeit. In der Zentrale befanden sich nur Captain Neumann und Dr. Jenkins. Alle anderen hatte der Kommandant zur Ruhe geschickt. Solange sich das Schiff im freien Fall um den Planeten befand, waren die Leute überflüssig, während der bald beginnende Rückflug wieder hohe Anforderungen an sie stellen würde. Ralf Neumann beobachtete immer noch die Oberfläche von Misfit IV auf dem Radarschirm, aber längst nicht mehr mit der anfänglichen Sorgfalt. Inzwischen neigte auch er zu der Auffassung, daß es auf dieser Welt keine lebenden Wesen mehr gab. Doch er war es, der darauf bestanden hatte, noch zu bleiben - nun, die wenigen Stunden würden auch vorübergehen. Jenkins sah von dem Buch auf, mit dem er sich die Zeit vertrieb, und stopfte sich seine Pfeife. Unvermittelt fragte er dann: „Sagen Sie, Captain - was halten Sie davon, wenn wir vor unserem Abflug noch wenigstens einen dieser drei Satelliten anfliegen und untersuchen würden? Auch wenn sie, wie zu vermuten ist, vollrobotisch gearbeitet haben, sollte es doch Möglichkeiten geben, hineinzukommen. Vielleicht könnten wir darin einige der Hinweise finden, nach denen wir bis jetzt vergeblich gesucht haben.“
Der Kommandant lächelte. „Diesen Vorschlag machen Sie doch bestimmt nicht ohne Hintergedanken, Doc! So wie ich Sie kenne, hoffen Sie, dort unversehrte technische Anlagen der ehemaligen Planetenbewohner zu finden und in Augenschein nehmen zu können. Ich gebe zu, daß ich mit diesem Gedanken auch schon gespielt habe, aber ich habe ihn längst wieder verworfen. Wahrscheinlich haben sich die fremden Intelligenzen, die einst diese Kugeln erbaut haben, einer entsprechend fremden Technik bedient, die wir, wenn überhaupt, erst nach langwierigen Untersuchungen verstehen könnten. So viel Zeit steht uns aber nicht mehr zur Verfügung, und außerdem haben wir doch alles, was wir brauchen. Wir haben also außer Ihrer gewiß verständlichen Wißbegierde keinen Grund, uns mit zusätzlichen Aufgaben zu belasten. Viel haben wir auf diesem Flug ja nicht erreicht, aber unsere neuen Leute haben wertvolle Erfahrungen sammeln können, und dabei wollen wir es bewenden lassen.“ „Natürlich haben Sie recht“, räumte der Wissenschaftler ein. „Aber schön wäre es doch gewesen ...“ Ralf Neumann nickte nur verstehend und wandte sich wieder dem Radarschirm zu, auf dem gerade eine weitere verlassene Stadt der einstigen Planetenbewohner in Sicht kam. Er konnte sie ausgiebig betrachten, denn die KOSMOS III flog, kaum tausend Kilometer hoch, mit nur fünfhundert Kilometer pro Stunde. Doch auch hier gab es nichts zu entdecken. „WER BIST DU, FREMDER?“ Der Captain schreckte auf. „Was haben Sie gesagt, Doc?“ Jenkins sah ihn verwundert an. „Warum fragen Sie? Ich habe gelesen und kein Wort gesagt.“ „Merkwürdig“, murmelte Neumann, „ich war fest der Meinung, Sie hätten ...“ In diesem Moment vernahm er erneut den Ruf :
„WER BIST DU, FREMDER? WO BIST DU, UND WOHER KOMMST DU?“ Der Kommandant erblaßte, denn er hatte Jenkins angesehen und diesem hatte tatsächlich die Lippen nicht bewegt. Trotzdem hatte er aber eine Stimme gehört, die ihn etwas fragte. Aber - war es überhaupt eine Stimme gewesen ...“ Er hatte etwas wahrgenommen, und sein Gehirn hatte das sozusagen automatisch als akustische Anrede klassifiziert. Wie aber war diese Wahrnehmung nur zustande gekommen? Außer ihm und Dr. Jenkins befand sich niemand in der Zentrale, und der Wissenschaftler hatte mit Sicherheit geschwiegen. Die Bordsprechanlage, über die sich jemand hätte melden können, war nicht eingeschaltet - welche Möglichkeiten gab es sonst noch? Keine! Er zog dieses Fazit und wußte doch, daß er etwas gehört hatte. Oder war „gehört“ vielleicht gar nicht der richtige Ausdruck? Telepathie? Sehr unwahrscheinlich. Die irdische Wissenschaft hatte seit Jahrzehnten alle möglichen Versuche angestellt, aber ohne konkrete Erfolge. Die Telepathie war etwas, das zwar theoretisch als möglich befunden, zugleich aber als unbeweisbar eingestuft worden war. Verdammt, ein nüchterner Mann wie er konnte doch nicht an Halluzinationen leiden! Er sah wieder zu Jenkins hinüber, aber der hatte sich wieder in sein Buch vertieft. Der Captain lehnte sich zurück und schloß die Augen, um sich ganz zu konzentrieren. Und da klang der „Ruf“ auch schon wieder auf: „FREMDER, HÖRE MICH! ANTWORTE MIR!“ Das war eine kategorische Aufforderung, und Ralf Neumann war nun sicher, daß er sie nur mit seinem Gehirn wahrgenommen hatte, nicht aber mit den Ohren. Es mußte also tatsächlich so etwas wie eine direkte Gedankenübermittlung sein, so unglaublich das auch schien.
Wer sollte es aber sein, der ihn auf diese Weise anrief? Die gedankliche Assoziation Rufer — Planet Misfit IV - drängte sich ganz von selbst auf. War diese Welt also doch nicht völlig öde und ohne alles Leben, wie es schien? Neumann sah nur einen Weg, das zu erfahren. Er unterdrückte die in ihm aufgestiegene Erregung, hielt die Augen weiterhin geschlossen und dachte intensiv: „Ich höre dich und antworte dir. Ich bin Ralf Neumann, Führer eines Raumschiffes aus einem anderen System, das um den vierten Planeten dieser toten Sonne kreist. Bist du ein Bewohner dieses Planeten? Gibt es noch mehr von deiner Art, und wo befindet ihr euch?“ Die Antwort kam schnell, und der Captain glaubte das Empfinden einer ungeheuren Erleichterung zu spüren, das mit ihr kam. „Endlich hat dich mein Ruf erreicht; ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben. Ja, ich bin ein Bewohner dieser Welt, die wir Moga nennen, mein Name ist Horg 20. Unsere Sonne erlosch vor siebentausend Umlaufzeiten, und der größte Teil unseres Volkes wanderte zu fernen Gestirnen aus. Ein Teil mußte jedoch zurückbleiben, und wir, die Nachkommen, leben nun in Städten tief unter der Oberfläche. Wir sind noch viele Millionen, aber unsere Existenz ist bedroht. Um leben zu können, brauchen wir Energie. Wir bezogen diese bisher von den drei Kugeln, die hoch über Moga schweben, nun aber nicht mehr arbeiten können, weil der große Koordinator versagt. Unsere gespeicherte Energie reicht nur noch für kurze Zeit- dann müssen wir zugrunde gehen, wenn kein Wunder geschieht. Unsere Techniker sind nach der langen Zeit arm an Wissen und können wahrscheinlich nichts mehr daran ändern. Dürfen wir dich um Hilfe bitten, wenn du sie uns geben kannst?“ „Worin sollte diese Hilfe bestehen?“ fragte Ralf Neumann zurück. „In meinem Schiff befinden sich nur wenige Personen, und wenn die Aufgabe zu groß ist, werden wir nicht viel ausrichten können, fürchte ich.“
Horg 20 übermittelte etwas, das sich wie der Seufzer eines Menschen anhörte. „Ich selbst verstehe so gut wie gar nichts von diesen Dingen, aber vermutlich benötigen wir die Hilfe einiger guter Techniker, da es sich ausschließlich um technische Probleme handelt. Vielleicht genügte es schon, wenn ihr unseren Technikern euer Wissen übermittelt, damit sie die erforderlichen Arbeiten auszuführen imstande sind.“ Unwillkürlich lächelte der Captain bei dem Gedanken an diese Möglichkeit. Dieser Horg mußte wirklich ein blutiger Laie sein, wenn er solche Vorstellungen hegte. Vermutlich unterschieden sich die Maschinen der Moganer von denen der Menschen sehr erheblich, und wenn es, wie er annahm, hier um einen Computer ging, mußten die Schwierigkeiten doppelt groß sein. Die KOSMOS III hatte keinen ausgesprochenen Elektronikspezialisten an Bord. Außerdem mußte er diese Angelegenheit erst einmal den anderen Besatzungsmitgliedern unterbreiten. In gemeinsamer Beratung mußte dann festgestellt werden, ob und wie man den Fremden helfen würde. Er entschloß sich also, Horg 20 vorläufig hinzuhalten. „Wenn wir helfen können, werden wir es gern tun“, übermittelte er ihm. „Doch darüber muß ich erst noch mit meinen Gefährten beraten, die zur Zeit schlafen. Sie werden sehr überrascht sein, denn wir mußten annehmen, dieser Planet wäre nicht mehr bewohnt.“ Er überlegte einige Sekunden und fügte dann hinzu: „Kannst du mir etwas Näheres über deine Rasse sagen? Wie seht ihr aus?“ Horg 20 schien etwas verwirrt zu sein. Wenigstens glaubte Neumann die ihm zuströmenden ungeordneten Ausstrahlungen des Moganers so deuten zu können. Offenbar hatte dieser überhaupt nicht in Erwägung gezogen, daß es sich bei den fremden Besuchern um Wesen von einer gänzlich anderen Art handeln könnte. Der Kommandant watete gespannt, bis sich der Moganer wieder gesammelt hatte. Erstaunt stellte er dann fest, daß das, was das Gehirn des Planetenbewohners nun ausstrahlte, nichts mehr mit den
pseudoakustischen Übermittlungen der vergangenen Minuten gemein hatte. Statt dessen wurde nun sein Gesichtssinn angesprochen. Er sah mit geschlossenen Augen ... In seinem Bewußtsein formte sich das Abbild eines Bewohners von Moga, wie es ihm Horg 20 gedanklich übermittelte. Ralf Neumann sah einen schlanken, reptilhaften Körper, bräunlich und mit feinen Schuppen bedeckt, mit zwei starken Beinen und je zwei langen und kürzeren Armen. Unterhalb war das Rudiment eines Schwanzes zu erkennen, während aus den oberen Schultern ein langer schlanker Hals aufragte. Auf diesem saß ein ovaler Kopf mit zwei großen seitlichen Augen und zwei vermutlich als Nase dienenden Öffnungen, der vorn in einer halbrunden Mundöffnung auslief. Ein völlig fremdartiges Wesen also, doch der Captain hatte sich längst darauf vorbereitet, eines Tages irgendwo im All mit andersartigen Intelligenzen zusammenzutreffen. So akzeptierte er dieses Bild, denn er wußte, daß es nicht auf das Aussehen, sondern auf den schöpferischen Geist ankam, der ein Wesen vom Tier unterschied. Zudem gingen auch diese Fremden aufrecht und besaßen an jedem Arm vier Finger, die sie zweifellos zu geschicktem Arbeiten befähigten. In diesem Augenblick wurde die Verbindung mit Horg merklich schwächer. Neumann begriff, daß sich die KOSMOS III offenbar von dem Wohnort des Moganers entfernte, dessen geistige Kapazität wohl nur über eine bestimmte Entfernung hinwegreichte. Rasch griff er nach den Steuerhebeln, ließ das Schiff einen Bogen beschreiben und steuerte es dann zurück in Richtung der verlassenen Stadt. Der Erfolg zeigte sich bald, denn das Gedankenbild des Moganers gewann wieder an Intensität. Schließlich stand der Raumer genau über der Stadt, und der Captain hielt ihn nun mit Hilfe des Antigravs in dieser Position. Gleich darauf stellte Horg 20 seine Übermittlung ein, und nun war es an Neumann, dem Moganer das Bild eines Menschen zu vermitteln. In dieser Art von geistiger Betätigung unerfahren, nahm er ein Grup-
penfoto zu Hilfe, das er bei sich trug. Er konzentrierte seine Augen auf das Abbild von Dick Walker, das ihm am geeignetsten erschien, weil sein Gesicht keine extremen Züge aufwies. Über den geistigen Kontakt hinweg konnte er die Überraschung von Horg 20 fühlen, die aber nicht sehr lange anhielt. „Ihr seht anders aus als wir“, stellte der Moganer telepathisch fest, „aber euer Geist gleicht dem unseren, also haben die körperlichen Unterschiede nichts zu besagen. Auch hier auf Moga gab es einst viele Formen organischen Lebens, allerdings nur eine intelligente Rasse. Gut, wir kennen uns nun ungefähr- wie wird es weitergehen?“ „Warte bitte ab, bis ich dich wieder anrufe“, gab Ralf Neumann zurück. „Es wird einige Zeit dauern, bis ich meine Gefährten informiert habe.“ „Ich werde warten“, entgegnete Horg 20, Tief aufatmend lehnte sich der Kommandant zurück, und sein Blick fiel auf Dr. Jenkins, der inzwischen aufgestanden und neben den Pilotensitz getreten war. Sein Blick zeigte teils Verwunderung, teils Interesse. „Haben Sie etwas entdeckt, weil Sie zurückgeflogen sind?“ forschte er. „Die Stadt da unten sieht doch leider genauso uralt und verlassen aus wie alle anderen auf diesem Planeten.“ Neumann lächelte fein. „Lassen Sie sich überraschen, Doc, wenn ich gleich vor der ganzen Mannschaft meinen Bericht abgebe. Ich möchte diese fast unglaublichen Dinge nicht zweimal erzählen müssen.“ Dann drückte er auf eine Taste, und in der ganzen KOSMOS III schrillten die Alarmklingeln auf. * Schweigen herrschte in der Zentrale des Schiffes, als der Captain seinen Report beendet hatte. Ralf Neumann steckte sich eine Zigarette an und ließ den Blick über die Gesichter der anderen Expeditionsteil-
nehmer gleiten, um ihre erste Reaktion auf das fast Unglaubliche festzustellen. „Warum sagt eigentlich niemand etwas?“ fragte er schließlich, als alle stumm blieben. „Meint ihr etwa, ich hätte das alles nur geträumt? Dr. Jenkins kann bezeugen, daß ich die ganze Zeit über wach gewesen bin.“ Der Wissenschaftler nickte. „Ich habe zwar die meiste Zeit gelesen, aber ich bin sicher, daß der Captain nicht geschlafen hat, folglich auch nicht geträumt haben kann. Dafür sprechen auch die Manöver, die er mit dem Schiff durchgeführt hat. Ich finde es nur etwas seltsam, daß ich selbst von dieser geistigen Unterhaltung nichts mithören konnte.“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern. »Man kann den Kontakt mit Horg 20 wohl am besten mit der Funktion eines Richtstrahlsenders vergleichen, der auch nur an bestimmten Punkten zu hören ist. Horg hatte sich auf mich konzentriert, und so habe nur ich allein ihn ‚hören’ können. Aber das ist ja im Grunde sekundär. Ich weiß, daß ich diese gedankliche Unterhaltung mit ihm geführt habe! Ich weiß, wie diese Intelligenzen aussehen und daß es dort unten auf dem Planeten Millionen von ihnen gibt, .die dringend unsere Hilfe brauchen. Ob wir ihnen helfen können, ist fraglich oder zumindest ungewiß. Ich bin aber auf jeden Fall dafür, daß wir den Versuch dazu unternehmen.“ Er wandte sich an den Piloten. „Wie ist deine Meinung dazu, Rex?“ Der Schwarze wiegte den Kopf. „Natürlich bin ich auch dafür, ihnen diese Hilfe zu geben, wenn wir dazu in der Lage sind. Andererseits dürfen wir darüber auch nicht zuviel Zeit verlieren, Ralf. Schließlich warten auf Deimos siebenhundert Menschen auf unsere Rückkehr. Dort könnte auch etwas Unvorhergesehenes geschehen, das unsere Anwesenheit erforderlich macht.“
„Außerdem sind die Probleme der Fremden weitgehend technischer Natur“, meinte Dr. Halloran, „und daß ihre Technik uns unbekannt sein dürfte, haben Sie selbst schon erwähnt. Was könnten wir dann in den paar Wochen ausrichten, für die ihre Energie noch reicht?“ Ralf Neumann hob die Hände. „All diese Gedanken habe ich mir selbst schon durch den Kopf gehen lassen. Wenn man weiter weiß, daß die Moganer mit ihrem ganzen System ohnehin in fünfzig Jahren untergehen müssen, erscheint einem der Versuch, ihnen zu helfen, noch viel problematischer. Und trotzdem - ich würde nie wieder ruhig schlafen können, wenn wir sie einfach ihrem Schicksal überließen.“ „Ein wahres Wort“, sagte der kleine Tino Baruzzi. „Wir dürfen auch nicht vergessen, daß wir später einmal irgendwo zwischen den Sternen selbst in Not geraten könnten - vielleicht finden wir dann auch jemand, der uns beisteht. Ich glaube immer noch, daß sich jede gute Tat irgendwann einmal bezahlt macht.“ „Machen wir es kurz, und stimmen wir darüber ab“, erklärte der Captain. „Wer ist dafür, daß wir den Moganern zu helfen versuchen?“ Manche Hand ging nur zögernd hoch, aber sämtliche Besatzungsmitglieder waren sich einig. Vor allem die Männer vom Mars hatten nicht vergessen, daß sie sich lange in fast auswegloser Lage befunden hatten, bis die KOSMOS III bei ihnen erschienen war. Wenig später schloß Ralf Neumann die Augen und konzentrierte sich, um wieder Verbindung mit Horg 20 zu bekommen. Die erste Begegnung zwischen Menschen und nichthumanoiden Intelligenzen bahnte sich an. * Die KOSMOS III war auf einem freien Platz innerhalb der alten Stadt gelandet. Horg hatte dem Captain telepathisch den Weg dorthin ge-
wiesen, denn in der Nähe befand sich der Eingang zu einem Schacht, der auch jetzt noch die Unterwelt von Moga mit der Oberfläche verband, wenn er auch schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr benutzt worden war. Die Menschen konnten nicht ahnen, .welchen Aufruhr ihre bevorstehende Ankunft unter den Reptilwesen ausgelost hatte. Horg 20 hatte den Großen Moga unterrichtet, dieser seine Mitarbeiter, die etwa die Funktionen von Ministern ausübten; diese wiederum die einzelnen Stadtoberhäupter. Nun erwarteten sechzig Millionen Moganer voll banger Hoffnung das Eintreffen der Fremden, die so ganz anders aussehen sollten als sie selbst. Schwierig war und blieb natürlich das Verständigungsproblem zwischen beiden so ungleichen Rassen. Horg 20 war augenblicklich der einzige lebende Telepath auf Moga und würde die ganze Last allein tragen müssen; ein Umstand, den er freudig akzeptiert hatte. Neumann, Walker, Baruzzi, Jenkins und Halloran verließen das Schiff und legten den Weg zum Schachteingang wieder mit dem Kettenfahrzeug zurück, um genügend Licht zu haben. Rex Farrell hatte trotz seiner Proteste zurückbleiben müssen. Man wußte nicht, wie die Fremden auf seine dunkle Hautfarbe reagieren würden, und der Captain wollte kein Risiko eingehen. Über dem Eingang zur Unterwelt war eine Kuppel aus Steinplastik errichtet, die auch jetzt noch unversehrt war. Ihr großes Tor ließ sich mit einiger Mühe öffnen. Dahinter fanden die Männer einen Schleusenraum, dessen Türen nach Umlegen eines Sicherheitshebels relativ leicht aufgingen. Dann lag ein dunkler Gang vor ihnen, halbrund und am Scheitelpunkt etwa sieben Meter hoch, der in sanfter Neigung nach unten führte. „Wenn ich Horg richtig verstanden habe, werden wir etwa siebenhundert Meter zu fahren haben“, erklärte Ralf Neumann. „Die Stadt liegt zwar nur zweihundert Meter unter dem Boden, aber man hat den Schacht sehr flach abgeschrägt, weil man durch ihn zahlreiche Transporte nach unten führen mußte. Der Große Moga wollte uns ein
Empfangskomitee heraufschicken, aber ich habe abgelehnt, weil uns diese - hm, Leute doch nur im Wege wären. Auf ihr Aussehen habe ich euch ja vorbereitet, laßt euch also nicht anmerken, wie ungewöhnlich euch der Anblick aufrechtgehender Echsen mit vier Armen ist. Vielleicht werden wir ihnen auch nicht sonderlich gefallen ...“ Die aus dem Stollen aufsteigende Luft war relativ warm, und die Männer konnten ihre Raumhelme öffnen. Sie nahmen einen stark muffigen Geruch wahr, konnten aber ohne Beschwerden atmen. Der Stollen war fast staubfrei und wurde vom Licht der Scheinwerfer gut ausgeleuchtet. Neumann ließ das Kettenfahrzeug langsam vorwärts rollen, und nach knapp einer Minute hatten sie die schnurgerade Strecke überwunden und standen vor einem weiteren Tor. Der Captain hatte gerade angehalten, da öffnete es sich vor ihnen und gab ihnen den Weg in die Unterwelt von Moga frei. Der Wagen glitt hindurch, mußte aber gleich wieder halten, weil der weitere Weg von einer Schar von Moganern versperrt war. Ralf Neumann gab das Zeichen zum Aussteigen, und dann standen sich erstmals die intelligenten Geschöpfe verschiedener Sonnensysteme gegenüber, vom hellen Licht quadratischer Deckenleuchten angestrahlt. Hinter dem Fahrzeug schlössen einige Moganer das Tor, und sekundenlang überkam Neumann das Gefühl, nun praktisch ein Gefangener der Fremden zu sein. Obendrein auch noch waffenlos, denn selbstverständlich hatte man auf die Mitnahme von MP's verzichtet. Diesen Gedanken mußte wohl auch Horg 20 aufgefangen haben, denn schon vernahm der Captain dessen telepathische Botschaft: „Deine Besorgnis ist unbegründet, Ralf Neumann. Ihr seid als Freunde und Helfer gekommen, und wir haben keinen Moment lang daran gedacht, in euch etwas anderes zu sehen. Wir sind uns zwar fremd, aber das darf kein Grund zum Mißtrauen zwischen uns sein.“
Für den Augenblick überkam Neumann eine gewisse Verlegenheit, aber er fing sich rasch wieder. Interessiert betrachtete er ebenso wie die anderen die vor ihm stehenden Moganer. Es überraschte ihn, wie genau deren Aussehen dem Bild entsprach, das Horg ihm hinauf zum Schiff übermittelt hatte. Dem menschlichen Auge erschienen sie, von geringen Größenunterschieden abgesehen, vorerst alle gleich; das Fehlen jeder Bekleidung trug dazu bei, diesen Eindruck noch zu verstärken. Eine Ausnahme machte allein der linke der beiden in erster Reihe Stehenden. Er trug um den Halsansatz ein Band aus rotem Plastikmaterial, das mit unverständlichen bunten Zeichen bedeckt war. Das mußte wohl der Große Moga sein, das Oberhaupt dieser Wesen, der andere war dann vermutlich Horg 20. Er sandte einen fragenden Gedanken aus, und Horg nickte in durchaus menschlich anmutender Gestik mit dem Kopf, der sich in gleicher Höhe mit dem des Captains befand. Die Echsenwesen besaßen zwar lange Hälse, aber verhältnismäßig kurze Beine, wodurch der Größenausgleich zustande kam. Der Große Moga öffnete den breiten Mund und ließ eine kurze Folge dumpfer Kehllaute hören, deren Sinn Horg 20 umgehend telepathisch weitergab. Jetzt hatte er sich offenbar auf die Hirne aller fünf Menschen eingestellt, denn alle empfingen die Botschaft klar und deutlich zum gleichen Zeitpunkt. „Ich grüße euch im Namen aller Bewohner von Moga, Besucher aus dem System Sol. Wir sind in Not und hoffen auf eure Hilfe, soweit ihr sie uns geben könnt. Kommt mit uns hinüber in die Stadt, dort können wir beraten, was weiter zu tun ist.“ * Jig 19 ahnte nichts von der Ankunft der fremden Wesen. Seine Gruppe arbeitete außerhalb der Stadt Widu, und der Große Moga hatte absichtlich darauf verzichtet, sie über das außergewöhnliche Ereignis informieren zu lassen. Er hatte ganz richtig gefolgert,
daß dies Jig erheblich von seiner Arbeit ablenken würde. Der Anführer der Fremden hatte ihm aber durch Horg 20 offen mitgeteilt, daß er die Möglichkeiten für eine Hilfeleistung nicht allzu günstig beurteile. So war es besser, wenn Jig 19 inzwischen mit seinen Arbeiten fortfuhr, bis man klar sah. Der Großtechniker hatte gewissenhaft alle Sektoren des kleinen Koordinators überprüft. Hier oder dort hatte er nicht mehr ganz einwandfreie Einzelteile ausgewechselt, im ganzen aber alles als gut erhalten und durchaus funktionsfähig befunden. Er verließ nun das Gehäuse des uralten Robotgehirns, entschlossen, die Probe aufs Exempel zu wagen. Seine Untergebenen hatten inzwischen die früher unterbrochenen Zuleitungen zum Energienetz wieder hergestellt. Nun mußte die Praxis über Wert oder Unwert seiner Arbeit befinden. Jig gönnte sich eine kurze Erfrischungspause und nahm eine kleine Mahlzeit zu sich. Dann begab er sich entschlossen hinüber zum Steuerpult des Koordinators. Sorgfältig ging er noch einmal die Beschreibungen der Techniker aus Xantras Zeit durch, korrigierte die Einstellung eines nicht genau justierten Bedienungshebels - dann war er bereit zur Tat. Er zögerte unbewußt noch einige Augenblicke, bis er sich der erwartungsvollen Blicke seiner Untergebenen bewußt wurde, die sich vorsichtshalber etwas zurückgezogen hatten. In den vergangenen Teilzeiten hatte er - teils, um sich selbst Mut zu machen - so oft und so laut sein Können beteuert, daß er nun schnell handeln mußte, wenn er sich keine Blöße geben wollte ... Wenigstens habe ich ein gutes Gewissen, dachte er. Ich habe getan, was ich konnte, und mehr kann niemand von mir verlangen. „Möge Xantras Geist mir beistehen!“ Mit diesem inbrünstigen Wunsch streckte Jig seine linke Oberhand nach dem Haupthebel des Steuerautomaten aus und schob diesen langsam bis zum Anschlag nach oben. Sekundenlang geschah nichts. Dann aber klang ein dumpfes Summen aus dem Innern des Gehirns auf. Kontrollzeiger wurden leben-
dig und kletterten über ihre Skalen. Jig 19 wartete unbewußt darauf, daß nun gleich die gesamte Anlage aufglühen oder in die Luft fliegen würde; doch nichts Derartiges geschah. Jig hatte das geschafft, woran er in seinem Innersten selbst nicht hatte glauben wollen: Der kleine Koordinator arbeitete wieder! Obwohl längst veraltet und als überholt abgetan, erfüllte das Steuergehirn seine Pflicht noch ebenso wie vor siebentausend Umlaufzeiten. Noch standen seine Sendeantennen irgendwo auf der Oberfläche von Moga, und durch sie liefen nun die Befehlsimpulse, die die Energiesatelliten hoch über dem Planeten wieder zur Tätigkeit erweckten. Auch sie erwachten nun zum Leben und bauten wieder das Saugfeld auf, das seit dem Versagen des großen Koordinators lahmgelegt gewesen war. Automatisch richteten sie sich wieder zum System Sol hin aus, das die nächstgelegene und ergiebigste Energiequelle der Nachbarschaft darstellte. Das konnte Jig 19 nicht feststellen, und so mußte er noch einige bange Unterzeiten lang warten. Dann ertönte der Summer des Fernsprechgerätes, das ihn mit der Energiezentrale in der Hauptstadt verband. Als er den Hörer wieder weglegte, war er sich seines endgültigen Triumphes bewußt. Er hatte das Leben von sechzig Millionen Bewohnern gerettet! * Die fünf Menschen staunten, und das zu Recht. Gewaltig war das Ausmaß der Wohnanlagen unter der Oberfläche, und sie mußten anerkennen, daß die Moganer ihnen in mancher Hinsicht überlegen waren. Dabei war deren Technik bereits jahrtausendealt und hatte seit Xantras Zeit nur noch wenige Verbesserungen erfahren. Anlagen wie etwa die Energiesatelliten hatte man auf der Erde überhaupt noch nicht gekannt. Hier unten fehlte allerdings die
Vielfalt der architektonischen Spielereien, wie sie auf der Oberfläche des Planeten zu sehen gewesen waren. Der Zwang, praktisch und rationell Zu bauen, hatte zur Folge gehabt, daß alle Bauten in der zweckmäßigen Kastenform ausgeführt worden waren. Sie waren zwar durchweg nicht höher als vier Stockwerke, denn die Ausmaße der künstlich geschaffenen Unterwelt ließen ein Mehr nicht zu; was den Städten aber an der Höhe fehlte, ersetzten sie durch ihre Ausdehnung. Kilometerlang erstreckten sich die Häuserfronten zwischen den Straßen, immer wieder durch Zwischenräume unterbrochen, in denen die gewaltigen Pfeiler aufragten, die die Decke des riesigen Gewölbes stützten. Leise surrend glitten Elektrowagen heran, die den Großen Moga mit seinen Begleitern und die fremden Gäste aufnahmen, um sie zum Regierungsgebäude zu bringen. Die Gehsteige auf beiden Seiten waren dicht mit Moganern bevölkert, die ihre langen Hälse reckten, um die seltsamen Ankömmlinge sehen zu können. Die Luft war hier unten nicht wärmer als 15 Grad Celsius, aber überraschend rein. „Die Moganer scheinen doch noch nicht so degeneriert zu sein, wie ich angenommen hatte“, bemerkte Dr. Jenkins zu Ralf Neumann. Der Captain hob seine Schultern. „Was die Lebensfähigkeit angeht, vielleicht nicht, aber um ihr Wissen ist es nicht sonderlich gut bestellt, wie Horg 20 mir erklärt hat. Mit jeder Generation geht etwas davon verloren, und heute wissen selbst die Spezialisten der Technik gerade noch so viel, daß sie die Anlagen hier in Betrieb halten können. Zum Glück scheinen die alten Moganer für die Ewigkeit gebaut zu haben, der Ausfall des Steuergehirns war das erste Ereignis dieser Art. Daß ihre Techniker nicht mehr in der Lage sind, es zu reparieren, sagt genug. Wenn wir nicht gemeinsam einen Weg aus dieser Misere finden, ehe ich schwarz für die Echsenabkömmlinge.“ Sie hatten das Ratsgebäude erreicht. Die Posten davor grüßten mit ausgestreckten Armen, als die Gruppe von dreißig Moganern und fünf Menschen die Wagen verließ und dem Eingang zustrebte. Er-
staunt bemerkte Ralf Neumann, daß die Fremden sich aller sechs Gliedmaßen bedienten, um den üblichen schrägen Aufgang zu erklimmen. Er stellte Horg 20 die Frage, warum es denn hier keine Treppen gebe, die doch um vieles praktischer wären. Horg verstand ihn nicht, weil es in seiner Begriffswelt kein Äquivalent für die Bezeichnung Treppe gab. Der Captain gab ihm die nötigen Erklärungen und übermittelte ihm das Gedankenbild einer solchen Treppe, während er sich wie seine Gefährten abmühte, die Steigung von fast vierzig Grad auf seinen zwei Beinen zu bewältigen. Horg begriff bald und war erfreut, daß ihm hier eine ungemein praktische Lösung für ein altes Problem seiner Rasse geboten wurde, die er nun den Baumeistern weitergeben konnte. Die Männer waren überrascht, als sie das Innere des Gebäudes erreicht hatten. Die sprichwörtlichen Spartaner hätten nicht anspruchsloser leben können als die Moganer, denn überall sah man nur ein Minimum fremdartiger Möbel und anderer Gebrauchsgegenstände. Nichts wies darauf hin, daß man sich hier in einem Regierungsgebäude befand. Lediglich das Amtszimmer des Großen Moga war etwas reichhaltiger ausgestattet, aber auch hier war jeder Gegenstand streng zweckgebunden. Das Oberhaupt der Moganer nahm hinter einem Möbel Platz, das in etwa einem Schreibtisch entsprach. Die fünf Menschen bekamen niedrige Hocker aus Kunststoff als Sitzgelegenheiten angeboten. Horg 20 stand neben ihnen, um wieder als Übersetzer zu fungieren, während sich die übrigen Fremden im Hintergrund des großen Raumes aufhielten. Die Beratungen konnten beginnen. Auf Anweisung des moganischen Oberhauptes gab nun Horg den Menschen einen ausführlichen Einblick in die bedrohliche Situation, in der sich sein Volk infolge des Ausfalls des großen Koordinators befand. Er schilderte ihnen die vergeblichen Versuche des Technikerteams, das Steuergehirn wieder zu reparieren. Ralf Neumann fand seine Befürchtung bestätigt, daß durch die Bitte um Hilfe in dieser
Angelegenheit die Kräfte der Besatzung der KOSMOS III weit überfordert wurden. Sie konnten mit Elektronengehirnen umgehen und im Notfall auch kleinere Schäden selbst beheben, aber unter ihnen befand sich nicht ein einziger ausgebildeter Elektroniker. Nur ein solcher hätte hier helfen können, vorausgesetzt, daß er sich in die moganische Technik einzufühlen verstand. Anderenfalls hätte auch er hier auf verlorenem Posten gestanden. Als der Moganer geendet hatte, bat ihn der Captain um eine Pause, um sich mit seinen Gefährten beraten zu können. Sie hatten alle „mithören“ können, und ihre pessimistischen Gesichter sagten ihm schon, daß sie seine Befürchtungen teilten. Neumann war froh, daß die Echsenwesen aus dieser ihnen unbekannten Mimik keine verfrühten Schlüsse ziehen konnten. „Kann Horg unsere Unterhaltung verfolgen?“ fragte Dr. Jenkins vorsichtig. Neumann schüttelte den Kopf. „Er versteht uns nur, wenn wir uns bewußt auf ihn konzentrieren, weil wir keine aktiven Telepathen sind.“ „Dann können wir ja offen reden“, sagte der Wissenschaftler. „Captain, ich fürchte sehr, daß wir diesen armen Teufeln nicht helfen können. Wir verstehen nun einmal nichts von praktischer Elektronik, und dies wäre die fundamentale Voraussetzung. Oder ist jemand anderer Meinung?“ Tino Baruzzi hob die Hände. „Wenn es sich um ein Funkgerät handelte, könnte ich vielleicht helfen, in diesem Fall aber bestimmt nicht. Was die Moganer brauchen, ist meiner Meinung nach ein vollkommen neues Steuergehirn. Ein solches könnten wir ihnen schon beschaffen, aber wir müßten es von Deimos holen! Das dauerte aber mindestens zwei Monate, und die Montage und Programmierung würden noch einmal dieselbe Zeit in Anspruch nehmen. Und bis dahin wären die Moganer längst umgekommen ...“ Dr. Halloran meldete sich zum Wort.
„Genaugenommen geht es doch weniger um das Gehirn an sich, sondern um die Energie, die infolge seines Ausfalls fehlt. Läßt es sich nicht vielleicht ermöglichen, daß wir ihnen einen unserer Schiffsreaktoren überlassen. Captain? Den könnten wir allein ab- und aufbauen, und das Schiff käme auch mit den anderen Meilern für die Rückkehr aus.“ „Das ließe sich ohne weiteres machen“, gab Ralf Neumann zu, „aber es wäre auch keine entscheidende Hilfe für die Fremden. Die Kapazität des Reaktors würde vielleicht für die Versorgung dieser Stadt hier ausreichen, eventuell auch noch für eine zweite- es gibt aber auf Moga mindestens hundert solcher unterirdischer Siedlungen!“ „Ich verstehe“, sagte Dr. Jenkins. „Im Grunde wäre es ebenso unmenschlich, ihnen den einen Reaktor zu geben, wie sie ganz ihrem Schicksal zu überlassen. Auf diese Weise könnte nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gerettet werden, die große Masse aber hätte den sicheren Tod vor Augen. Da aber jedes Individuum am Leben hängt, wäre die Folge ein Sturm auf diese Stadt, ein Kampf der preisgegebenen Mehrheit gegen die wenigen, die Privilegierte wären. Es gäbe einen Bürgerkrieg größten Ausmaßes, jeder würde gegen jeden stehen, und der Schlußakt wäre vermutlich die Zerstörung des Reaktors, der ihnen eine Hilfe sein sollte ...“ „Dessen Explosion würde dann wohl den Rest besorgen“, bemerkte Dick Walker düster. „Man kann es also drehen, wie man will, mehr als unsere moralische Unterstützung können wir den Moganern nicht geben, und die wird ihnen kein großer Trost sein. Wie wallst du das dem Großen Moga beibringen, Ralf ...?“ Der Kommandant kniff die Lippen zusammen, denn er wußte es selbst nicht. Seine Antwort mußte zwangsläufig einem Todesurteil für die Echsenrasse gleichkommen, auch dann, wenn er ihnen den entbehrlichen Reaktor überließ. Am besten war es, wenn er diese Möglichkeit überhaupt nicht erwähnte. Aber auch dann war die Lage der Menschen
vielleicht nicht gerade gut. Neumann kannte die Mentalität der Moganer nicht, aber er mußte in Betracht ziehen, daß ihre Enttäuschung wegen der ausgebliebenen Hilfe sie zu spontanen Angriffsreaktionen gegen ihn und seine Gefährten hinreißen könnte. Dabei konnten sie leicht umkommen, und ob dann die KOSMOS III mit ihrer unerfahrenen Restbesatzung den Rückweg zum Deimos finden würde, war sehr fraglich. Und das konnte dann wieder große Auswirkungen auf die letzten Menschen dort haben, die vergeblich auf sie warten würden ... Ein leises Schnarren, das auf dem Tisch vor dem Großen Moga aufklang, unterbrach sein Grübeln. Der alte Moganer griff nach einem Gerät, das entfernt an ein irdisches Telefon erinnerte, nahm dessen Oberteil auf und sprach hinein. Die Antwort konnten die Männer nicht hören, aber sie sahen, daß der Moga aufsprang und mehrmals dieselben Worte ausstieß. Und dann rissen alle anwesenden Moganer spontan alle vier Arme hoch, sprangen umher und stießen unartikulierte Laute aus ... Ihre starren Echsengesichter -waren nicht imstande, Gefühlsbewegungen widerzuspiegeln, aber die Art, in der sie ihre Begeisterung äußerten, verriet den Menschen, daß eben eine gute Nachricht durchgekommen war Der Große Moga allein beherrschte sich, aber dafür glaubte Ralf Neumann in seinen großen braunen Augen Tränen zu sehen- Freudentränen? Gleich darauf erreichte ihn die Telepathische Botschaft von Horg 20: „Freut euch mit uns, Menschen! Eben haben wir erfahren, daß es unserem Großtechniker gelungen ist, den kleinen Koordinator wieder in Betrieb zu nehmen, der seit etwa siebentausend Umlaufzeiten stillgelegen hat. Die Energiesatelliten arbeiten bereits wieder- unser Volk ist gerettet!“ Es war schwer zu entscheiden, wer bei dieser Nachricht mehr erleichtert war, die Moganer oder die fünf Menschen .. *
Drei Tage später arbeitete das kleine Steuergehirn immer noch, und die Lage in der Unterwelt von Moga hatte sich weitgehend normalisiert. Die fünf Männer befanden sich noch immer bei den Echsenwesen. Ralf Neumann hatte die KOSMOS III über Funk von den Ereignissen verständigt und beschlossen, den Aufenthalt auf fünf Tage auszudehnen. Es gab so viel zu sehen, und die mitgeführten Filmkameras fanden immer neue lohnende Ziele. Die Wissenschaftler Jenkins und Halloran hatten sich abgesondert und die Gesellschaft von Jig 19 gesucht. Dieser war jetzt der erklärte Held der Moganer und beeilte sich, ihnen auf dem Umweg über Horg 20 seine Arbeit am kleinen Koordinator zu erklären. Der Telepath erwies sich als eine Person mit einem großen Allgemeinwissen, was er zum Teil seiner ungewöhnlichen Begabung verdankte. Dr. Jenkins interessierte sich für die alten Dokumente, auf denen die Pläne und Funktionen des Steuergehirns festgehalten waren, und Horg übersetzte ihm alles, was nicht zu abstrakt für seine Begriffe war. Plötzlich stieß er Dr. Halloran an der sich gerade für andere Dinge interessiert hatte. „Dieser sogenannte Koordinator ist weit mehr als ein simples Steuergehirn, Kollege! Eben habe ich herausgefunden, daß er zu einem großen Teil aus Speicherelementen besteht, in denen die alten Moganer ihr Wissen für künftige Generationen festgehalten haben. Dieser Jig hätte das allein nie herausgefunden. Er ist zwar sehr intelligent, aber ihm fehlt eben die gründliche Ausbildung, die ein guter Elektroniker braucht. Nun, Speicherdaten kann man abrufen, wenn man das Prinzip kennt, und ich glaube es erkannt zu haben. Wollen wir gleich einmal die Probe darauf machen?“ Dr. Halloran war einverstanden, und nach einigen vergeblichen Versuchen erschienen die ersten, für das menschliche Auge wirren und krausen Schriftzeichen der Moganer auf einem zum Gehirn gehörenden Monitor. Horg 20 erklärte den beiden Wissenschaftlern ihre Bedeutung, und die beiden Männer waren fasziniert.
Sie arbeiteten pausenlos weiter, und Horg 20 mit ihnen. Als die Schlafperiode anbrach, hatte Jig 19 Mühe, sie zur Rückfahrt zu veranlassen. Er hatte sich eifrig bemüht, die vom Gehirn erhaltenen Daten zu verstehen, aber es war ihm nur zum Teil gelungen. Immerhin hatte er jetzt begriffen, daß die Maschine eine weit größere Bedeutung für die Unterwelt besaß, als er bisher angenommen hatte. Nach ihrer Rückkehr begaben sich die beiden Wissenschaftler sofort zu Ralf Neumann. „Wir haben eine weittragende Entdeckung gemacht, Captain“, berichtete Dr. Jenkins. .“Die alten Moganer haben sich nicht umsonst die Mühe gemacht, das stillgelegte Elektronengehirn sorgfältig zu konservieren. Es dient nämlich neben seiner Regelfunktion für die Satelliten als ein Wissensspeicher, in dem so ziemlich alles festgehalten ist, was man zu Xantras Zeit hier wußte. Theoretisch wäre es möglich, daß die Moganer sofort wieder neue Raumschiffe bauen könnten, um ihren todgeweihten Planeten zu verlassen!“ „Praktisch steht dem allerdings der allgemeine Rückgang an Elementarwissen entgegen“, ergänzte Dr. Halloran. „Selbst dieser Jig 19, der noch ihr bester Techniker ist, begreift nur wenig von diesen Dingen. Hier müßte schon ein großer Wandel eintreten, wenn die Echsen ihren ursprünglichen Wissensstand wieder erreichen sollten.“ Der Kommandant der KOSMOS III nickte lächelnd. „Er wird eintreten, verlassen Sie sich darauf. Ich habe mich schon am zweiten Tage mit dem Großen Moga unterhalten und ihm die Lage erklärt. Er weiß jetzt, daß dieses System verloren ist und unseres ebenso. Ich habe ihm auch klargemacht, daß wir einfach nicht die Zeit haben, eine großzügige Hilfe für Moga in die Wege zu leiten, weil wir selbst flüchten müssen. Nachdem jetzt die Energiesatelliten wieder arbeiten, liegt erneut das Saugfeld in unserem System, und es dürfte höchstens ein halbes Jahr dauern, bis sich der Mars innerhalb desselben befindet. Sie wissen ja, daß seine Bahn elliptisch verläuft, und er ist jetzt dabei, sich dem Perihel zu nähern. Wenn wir Deimos
nicht rechtzeitig verlassen, kommen wir überhaupt nicht mehr von da weg, weil das Feld unseren Schiffen die Energie entzieht. Der Große Moga hat mir durch Horg 20 mitgeteilt, daß er volles Verständnis für unsere Lage hat und einsieht, daß sein Volk sich selbst wird helfen müssen. Über welchen Weg, wollten wir noch beraten, aber den kann ich ihm jetzt zeigen. Wenn die Echsen alle Kräfte einsetzen, um das Wissensgut des kleinen Koordinators auszuwerten, werden sie es zweifellos schaffen, den Planeten zu verlassen, ehe das System untergeht. Fünfzig Jahre sind eine lange Zeit, und an Intelligenz fehlt es dieser Rasse jedenfalls nicht. Bisher waren die Moganer auch dadurch gehandicapt, daß sie schon in den besten Jahren aus dem Leben scheiden mußten, weil das Gesetz es so befahl, um eine Übervölkerung zu verhindern. Ihre wirkliche Lebenserwartung beträgt nach unserer Rechnung ungefähr sechshundert Jahre, aber das weiß hier außer ihrem Oberhaupt kaum noch jemand.“ „Ich habe mich schon gewundert, daß er so viel älter erscheint wie alle anderen“, sagte Dick Walker. „Aber davon abgesehen: Wie steht es hier auf Moga mit Rohstoffen? Wenn die Moganer genügend Schiffe bauen wollen, um auswandern zu können, werden sie vor allem Unmengen an Metallen aller Art brauchen, dazu noch Uran für die Reaktoren der Schiffe.“ „Das ist kein großes Problem“, erklärte Ralf Neumann. „Moga besitzt noch große Metallvorkommen, die teilweise bereits von den unterirdischen Städten aus ausgebeutet werden. Auch umfangreiche Lager von uranhaltigem Erz sind bekannt, wurden aber nie abgebaut, weil man alle Energie von den Satelliten bekam.“ „Trotzdem haben die Echsen eine unwahrscheinliche Arbeit vor sich“, sagte Dr. Jenkins. „Das Wissen des Koordinators wird ihnen nur die Theorien bringen, die Praxis aber werden sie sich selbst erarbeiten müssen. Sind Sie einverstanden, Captain, daß wir morgen unsere Arbeit an dem Gehirn fortsetzen? Schließlich müssen wir Jig 19 die nötigen Anhaltspunkte für seine spätere Tätigkeit geben. Er ist
der einzige, der hier mit einem Computer notdürftig umzugehen versteht.“ „Selbstverständlich“, erwiderte der Kommandant. „Wir werden unseren Aufenthalt hier auch entsprechend verlängern, falls sich das als notwendig erweist. Sie müssen mir nur Bescheid sagen, wie Sie vorankommen.“ * Für Jig 19 tat sich eine völlig neue Welt auf. Anfangs hatte er nicht begriffen, was diese seltsamen Fremden mit dem kleinen Koordinator alles anfingen. Doch sie hatten es ihm über Horg 20 immer wieder erklärt, und dann war das Verstehen gekommen. Schließlich war er so weit, daß die Wissenschaftler ihm erlauben konnten, selbständig Fragen an die Maschine zu stellen. Natürlich klappte das nicht gleich auf Anhieb, aber Jig machte rasche Fortschritte, als er das Prinzip einmal erfaßt hatte. Bald schon huschten die Finger seiner vier Hände mit ansehnlicher Geschwindigkeit über die Tastatur der Speicheranlage. Sinnvolle Antworten erschienen auf dem Monitor und konnten von ihm und Horg 20 auf Schreibplastik festgehalten werden. Bald begriff er, wie gering sein Wissen bisher gewesen war, aber zugleich erwachte auch sein Ehrgeiz. Schon einmal hatte er sein Volk aus großer Not errettet - jetzt wollte er alles tun, um ihm auch weiter auf dem Weg zu helfen, den die Fremden wiesen. „Dieser Moganer ist ein Phänomen“, bemerkte Dr. Halloran während der Mittagspause zu Dr. Jenkins. „Ich hatte noch nie einen Schüler, der so schnell begriffen hätte wie er.“ „Er ist auch noch im besten Lernalter“, gab Jenkins zurück. „Nach unseren Begriffen ist er erst knapp über zwanzig, und mit etwas über dreißig hätte er trotzdem schon sterben müssen ...“ „Das dürfte jetzt vorbei sein“, meinte Halloran. „Der Große Moga hat dem Captain erklärt, daß er das Gesetz abschaffen will, das den
Moganern einen vorzeitigen Tod diktiert. In etwa fünfzig Jahren werden sie auf eine andere Welt umsiedeln, und dort werden sie solche Maßnahmen nicht mehr nötig haben.“ Erstmals hatten die beiden Wissenschaftler wieder mit Behagen eine warme Mahlzeit zu sich genommen. Am Morgen war Ralf Neumann mit Walker zur KOSMOS III gefahren, hatte dort die Lage erklärt und Essen für einige Tage mitgebracht. Sie setzten ihre Arbeit fort und hatten am Abend einen umfassenden Überblick über das Wissensgut des moganischen Computers gewonnen. Die Techniker aus Xantras Zeit hatten nichts außer acht gelassen, was für ihre Nachkommen von Wichtigkeit sein konnte. Selbst komplette Baupläne von großen Raumschiffen waren eingespeichert worden, dazu alle Einzelheiten über Antriebsanlagen. Reaktoren und Steuersysteme. Sobald die nötigen Voraussetzungen geschaffen waren, konnten die Moganer darangehen, sich eine Flotte zu bauen und ihren unwirtlichen Planeten zu verlassen. „Ab morgen können wir Jig 19 allein am Koordinator arbeiten lassen“, berichtete Jenkins dem Captain, als sie beim Abendessen in ihrer Unterkunft zusammensaßen. „Er besitzt neben einem vorzüglichen Gedächtnis eine sehr ausgeprägte Intuition, die ihm hilft, Fehler zu vermeiden. Wir werden ihm noch einen Tag auf die Finger sehen, dann wird unsere Arbeit so gut wie beendet sein.“ „Wer hätte das gedacht, als wir hier ankamen?“ meinte Tino Baruzzi sinnend. „Zuerst glaubten wir, diese Welt wäre vollkommen verlassen, dann wieder, daß wir die Moganer ihrem Schicksal überlassen müßten. Und jetzt haben wir sogar die Gewißheit, daß die Echsenwesen sich aus eigener Kraft werden helfen können, ehe ihr System mit unserem kollidiert.“ Ralf Neumann erhob sich. „Ich muß noch zum Großen Moga, kommen Sie bitte mit, Doc Jenkins. Wir werden ihm die Lage erklären, und Sie müssen ihm auseinandersetzen, welche Maßnahmen er in welcher Reihenfolge zu treffen hat, damit seine Leute sinnvoll und rationell arbeiten können.“
Jenkins nickte. „In Ordnung, Captain. Mir tut nur der arme Horg 20 leid, der andauernd übersetzen muß - ich glaube, er wird als einziger froh sein, wenn wir wieder abfliegen ...u Gewandt lenkte Neumann den Elektrowagen durch die Straßen. Jetzt herrschte in der Stadt wieder ein lebhafter Verkehr, nachdem die Beschränkungen des Energieverbrauchs aufgehoben waren. Der Große Moga erwartete die Menschen bereits, zusammen mit dem unentbehrlichen Horg 20. Die beiden Männer brauchten etwa eine Stunde, bis alles bis ins letzte Detail geklärt war. Die Übermittlung durch Horg hatte sich inzwischen vorzüglich eingespielt, wobei diesem zustatten kam, daß er auch die Gedankengänge von Jig 19 kannte, was manche Rückfrage erübrigte. „Wir haben euch Menschen sehr zu danken“, bemerkte der Moga anschließend. „Ohne euch wären wir niemals darauf gekommen, daß wir unsere Rettung auch aus eigener Kraft bewerkstelligen können. Wir hätten zwar noch die nächsten Umläufe überstanden, aber dann wäre das Ende für uns doch gekommen. Und das, ohne daß wir es geahnt hätten, denn seit Jahrhunderten hat kein Moganer mehr die Oberwelt betreten ...“ Der Captain nickte. „So unberechenbar kann das Schicksal manchmal sein. Wäre euer großer Koordinator nicht ausgefallen, so wären wir nie auf den Gedanken gekommen, dieses System aufzusuchen. Jetzt aber sind wir froh, daß wir als die Letzten unseres Volkes eurer Rasse noch eine Hilfe sein konnten.“ „Vielleicht begegnen wir uns einmal im Weltraum“, sagte das Oberhaupt der Moganer. „Es können Jahrhunderte darüber vergehen, denn die Welten, auf die unsere Vorfahren ausgewandert sind, liegen in entgegengesetzter Richtung wie euer Zielstern. Ich werde aber dafür Sorge tragen, daß unser Volk euch nie vergessen und stets als Freunde in Erinnerung behalten wird.“
Der Abflug der KOSMOS III wurde, einen glatten Ablauf aller Dinge vorausgesetzt, auf den Morgen des dritten nun folgenden Tages angesetzt. * Der Auszug der fünf Menschen aus der Unterwelt wurde förmlich zu einem Triumphzug. Ein letztes Mal fuhren sie durch die Straßen, die dicht von Moganern umsäumt waren. Auch die Fenster der Häuser waren dicht besetzt, ein Wald von Armen reckte sich ihnen entgegen, und gutturale Laute aus den Kehlen der Echsenwesen verschmolzen zu einer fast urweltlich anmutenden Geräuschkulisse. „Sie danken uns und wünschen uns Glück“, erklärte Dr. Jenkins, der sich inzwischen einige Worte der Moganersprache angeeignet hatte. Die fünf Männer winkten zurück, bis die Stadt hinter ihnen lag und der Stollen begann, der zur Planetenoberfläche führte. Drei Wagen mit Moganern waren ihnen gefolgt, darunter auch der Große Moga, seine Berater und sonstigen Würdenträger, sowie Horg und Jig. Sie wollten erstmals die Oberfläche aufsuchen und hatten deshalb Kleidung angelegt, um sich vor der Kälte zu schützen. Normalerweise gingen sie unbekleidet, abgesehen von denen, die eine besondere Arbeitskleidung brauchten. Die Männer stiegen in einen Kettenwagen um, und Dick Walker wendete ihn auf der Stelle. Inzwischen hatte man bereits die Tore geöffnet, Walker ließ das Fahrzeug durch die Schleuse rollen, und die Wagen der Moganer folgten ihm. Dann standen alle Fahrzeuge draußen vor dem großen Tor des Kuppelbaues. Die Echsenwesen stießen erregte Rufe aus, als sie nun die öde, vom Scheinwerferlicht nur schwach erhellte Landschaft ihres Planeten vor sich sahen. Dann aber verstummten sie, als sie die Blicke hoben und über sich das Lichtermeer der fernen Sterne erblickten.
Noch schreckten sie instinktiv vor dem Unbekannten zurück, aber diese Scheu mußten sie überwinden lernen. Viele Tausende würden die Unterwelt verlassen müssen, um draußen im Licht von Scheinwerfern jene Schiffe zu bauen, die sie einst in die Tiefe des Alls führen sollten. Ralf Neumann streckte den Arm aus und wies auf einen hellen Stern, der in halber Höhe am Himmel stand. „Dort liegt unsere Heimat“, erklärte er den Moganern. „Dieser Stern wird für euch laufend größer werden, weil ihr ihm immer näher kommt. Wartet nicht zu lange mit eurer Abreise, sonst könnten euch gravitatorische Störungen eures Systems um die Früchte eurer Arbeit bringen, und das wäre wirklich der Untergang für euch.“ „Wir werden tun, was wir können“, übersetzte Horg 20 die letzten Worte des Großen Moga, und Jig 19 nickte bekräftigend dazu. Dann verneigten sich alle Moganer und verschränkten die oberen Arme hinter dem Hals, eine Geste der Verehrung, wie sie sonst nur dem Standbild Xantras erwiesen wurde. Dann rollte der Kettenwagen davon, der KOSMOS III entgegen. Zwei Stunden später startete das Schiff. „Wie fühlen Sie sich jetzt, Captain?“ fragte Dr. Jenkins, als der Planet auf dem Schirm des Hyperradars immer kleiner wurde. Sehr deutlich waren schwach schimmernde, von den drei Satelliten zur Oberfläche hinabführende Strahlbahnen zu sehen - die Energie aus dem Solsystem, die von ihnen umgeformt und als Arbeitsstrom in die Unterwelt geschickt wurde. „Sehr zufrieden, Doc“, sagte Rah Neumann leise. „Wie gut, daß ich damals auf Sie gehört habe, denn Sie waren ja der Initiator für diesen Flug. Aber von jetzt an heißt es, wieder vorwärts zu blicken! Bis zum System 61 Cygni ist der Weg erheblich weiter ...“