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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
Projekt PERSEID...
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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
Projekt PERSEIDEN, das gewaltigste Unternehmen in der Geschichte der irdischen Raumfahrt, läuft an. Ein gigantisches Sternenschiff wird gebaut, das in die unerforschten Weiten der Galaxis vorstoßen soll. Mitglieder der Raumfah rerelite – unter ihnen natürlich Oberst McLane und seine ORION-Crew – bewerben sich um die Teilnahme am großen Projekt. Sie müssen sich einem harten Training unterziehen. Die späteren Besatzungsmitglieder des Sternenschiffs sollen auf den Moment vorbereitet werden, da sie unvorstellbar fremden Kulturen begegnen. Für Cliff McLane und seine Crew ist im Rahmen dieses Trainingsprogramms der Wikinger-Test vorgesehen.
Alle Romane nach der großen Fernsehserie RAUMSCHIFF ORION erscheinen als Taschenbuch im MOEWIG-VERLAG.
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Vom gleichen Autor erschienen bisher folgende Raumschiff-Orion-Romane: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Angriff aus dem All (T 134) Planet außer Kurs (T 136) Die Hüter des Gesetzes (T 138) Deserteure (T 140) Kampf um die Sonne (T 142) Die Raumfalle (T 144) Invasion (T 146) Die Erde in Gefahr (T 152) Planet der Illusionen (T 154) Wettflug mit dem Tod (T 156) Schneller als das Licht (T 158) Die Mordwespen (T 160) Kosmische Marionetten (O 13) Die tödliche Ebene (O 14) Schiff aus der Zukunft (O 15) Verschollen im All (O 17) Safari im Kosmos (O 18) Die unsichtbaren Herrscher (O 19) Der stählerne Mond (O 20) Staatsfeind Nummer Eins (O 21) Der Mann aus der Vergangenheit (O 22) Entführt in die Unendlichkeit (O 23) Die phantastischen Planeten (O 24) Gefahr für Basis 104 (O 25) Die schwarzen Schmetterlinge (O 26) Das Eisgefängnis (O 27) Bohrstation Alpha (O 28) Das Team der Selbstmörder (O 29) Der Raumpirat (O 30) Der Königspfad (O 31) Die träumende Erde (O 32) Spirale zur anderen Welt (O 33)
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HANS KNEIFEL
RAUMSCHIFF ORION
WIKINGER DER STERNE
Zukunftsroman
Deutsche Erstveröffentlichung
MOEWIG-VERLAG MÜNCHEN
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Für den Moewig-Verlag nach Ideen zur großen Fernsehserie
»Raumpatrouille«, produziert von der Bavaria-Atelier GmbH,
geschrieben von Hans Kneifel
Copyright © 1970 by Arthur Moewig-Verlag Printed in Germany 1970 Foto: Bavaria-Atelier GmbH. Umschlag: Ott + Heidmann design Gesamtherstellung: H. Mühlberger, Augsburg
Der Verkaufspreis dieses Buches enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer
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Sechs Menschen standen im runden Schatten des Raumschiffes. Sie kamen aus verschiedenen Teilen dieses rätselhaften Planeten, und sie hatten sich unabhängig voneinander zur gleichen Stunde an diesem Platz getroffen. Es war fast unheimlich – das Zusammengehörigkeitsgefühl der Crew ging so weit, daß sie mit fast telepathischer Sicherheit den Zeitpunkt erfaßt, erfühlt hatten. Dies war die Stunde des Abschieds. Die Sonne des Planeten, dessen Lage im Kosmos niemand kannte, brannte herunter; es war Mittag. Der Schatten bildete eine runde Insel unter dem Schiff, im Mittelpunkt der schwarzen Fläche ragte, knapp zehn Meter, die stählerne Säule des Zentrallifts auf. Vor der offenen Schleuse standen Kommandant Cliff Allistair McLane und das Mädchen Aradeyne. »Wir wollen es ganz undramatisch machen, ihr Wikinger des Weltraums«, sagte Aradeyne. Sie konnte die traurigen Gedanken ausgezeichnet verbergen. »War es denn dramatisch?« fragte Cliff und betrachtete sie genau; die Gefährtin langer Tage und Nächte auf diesem Planeten war, wie so vieles hier, das Ergebnis unaufhörlicher, von den riesigen Rechenmaschinen gesteuerter Auslese. Sie lächelte versonnen. »Wenn du die Rettung eines ganzen Planeten vor Inzest, Degeneration und Verblödung als ›nicht dramatisch‹ bezeichnest, möchte ich gern deine Definition von echter Dramatik kennenlernen!« Sie wußte, wie auch Cliff und seine Crew, daß in Wirklichkeit nur Minuten im Leben der Mannschaft vergangen waren. Minuten, die einmal über die Rettung von zweieinhalbtausend Menschen in Pol-City auf dem Parallelplaneten Countess bedeutet hatten, wurden hier zu Jahren. Innerhalb dieser ungleich längeren Zeit hatten die vier Männer und das Mädchen den Planeten gerettet; ihre Körperzellen garantierten das Weiterleben für Jahrtausende. Cliff sagte, überraschend weich und ohne Ironie: »Du warst die wirkliche Dramatik, Aradeyne. Und ich bin nicht sicher, ob wir uns nicht eines Tages wiedersehen.« Sie lächelte wieder; diesmal schmerzlich. »Solche Abschiede tragen den Kern des Endgültigen«, sagte sie leise. »Ich weiß, daß wir uns nicht wiedersehen. Aber ich werde deinem Sohn von dem braunhaarigen Wikinger erzählen, von seinem Vater, dem Raumfahrer.« Cliff zog sie an sich. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die mächtigen Maschinen, die langsam über den Platz rollten, auf das Schiff zu. Die ORION VIII würde in Kürze in einer riesigen Energieblase verschwinden und zurückkehren nach Countess, um dort in die Hilfsmaßnahmen eingreifen zu können. »Was wünscht man sich in solchen Minuten?« fragte Cliff an ihrem Ohr. »Ich weiß es auch nicht«, sagte sie. Mario streckte seinen Arm aus, faßte Helga an der Hand und murmelte: »Cliff ist gerade dabei, einen Abschnitt in seinem Leben zu beenden, der recht markant ist. Stören wir ihn nicht dabei.« Helga stieg mit dem Chefkybernetiker de Monti in den Lift und fuhr hinauf in den Ringkorridor des Schiffes. »Dieses Mädchen... es tut mir so leid«, sagte sie bedrückt.
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»Aradeyne braucht dir nicht leid zu tun«, erwiderte Mario. »Sie ist von den Rechenmaschinen ausgesucht worden, gerade diese Aufgabe zu übernehmen und auf die einzig mögliche Art zu lösen. Auch für sie bedeutet es nur einen kurzen Abschnitt, eine Passage ihres Lebens. Sie wird Cliff McLane vergessen können.« Helga seufzte und fuhr hinauf in die Kommandokanzel, die in den zurückliegenden Monaten von den Technikern und den Robots dieses Planeten auf Hochglanz gebracht worden war. Statt der Kunststoffbezüge der Sessel sah man jetzt wertvollstes Leder mit Platinstickereien – der Wert des Schiffes hatte sich um einen erheblichen Betrag erhöht. Natürlich waren auch sämtliche Teile der Technik, die auch nur andeutungsweise benutzt aussahen, ersetzt worden. Die Steuerkabine glänzte wie ein frischgeputzter Operationssaal. »Ein völlig neues Schiffsgefühl!« stellte die Funkerin fest. »Man glaubt, man ist in einem Thronsaal der Technik.« »Richtig!« sagte Mario de Monti und schaltete den schweren Digitalrechner ein. »Auch die Speicherkapazität hat man heraufgesetzt. Zwar sind wir hier nicht zu neuen Menschen gemacht worden, aber einige wichtige Reparaturen wurden durchgeführt.« Hasso kam in die Kabine und fragte lachend: »Auch bei dir?« »Raumschiffingenieur!« erwiderte Mario in bester Laune. »Derlei Untersuchungen sind nicht deines Amtes. Also lasse auch deinen Vorwitz!« »Ist recht«, sagte Hasso Sigbjörnson. »Cliff hat wieder einen seiner langen Abschiede durchzustehen. Ein hartes Los, berühmt und trotzdem beliebt zu sein.« Helga antwortete sarkastisch: »Nur keinen Neid, Hasso. Wo ist eigentlich Atan?« »Er unterhält sich mit den Technikern, die unser Schiff in wenigen Minuten gegen die Einflüsse der Schnittlinien zwischen den beiden Planeten und des Übergangstunnels isolieren werden.« Niemand außer dem Kommandanten, der mit einem ungewohnt ernsten und verschlossenen Gesichtsausdruck die Steuerkanzel betrat, sollte etwas über die letzten Minuten unter dem Schiff erfahren. Cliff schaltete reihenweise die Systeme der ORION VIII ein und sah auf dem großen zentralen Bildschirm wie Aradeyne langsam aus dem Schatten des Schiffes hinaustrat in die grellen Strahlen der Sonne. Sie drehte sich nicht um, aber als Atan Shubashi auf sie zulief und sich verabschiedete, sah Cliff, daß das Mädchen tapfer lächelte. »Ein Raumfahrer«, murmelte Cliff und rückte seinen Kommandantensessel in die richtige Position zurecht, »darf an Wunder glauben, aber niemals mit ihnen rechnen. Womit haben wir zu rechnen, Freunde?« Hasso Sigbjörnson sagte vom kleinen Lift her: »Damit, daß wir in wenigen Minuten wieder im vollen Einsatz auf Countess stehen.« »Faszinierend!« meinte der Erste Offizier de Monti. »Wenn ich daran denke, daß jetzt gerade – vielleicht! – die Ersatzschiffe eintreffen... und wir haben uns hier lange Monate amüsiert und ein völlig problemloses Leben geführt.« Cliff sagte hart: »Ganz so problemlos war es nicht, wenigstens nicht am Anfang und auch nicht am Schluß.« – 7 –
»Du solltest deine Probleme nicht vollständig zu unseren machen«, warnte Hasso. »Ich werde mich um meine Maschinen kümmern.« »Gut. Sie sind vermutlich auch überholt worden...« Die alte Atmosphäre innerhalb des Schiffes begann sich nur zögernd einzustellen. Die Verbindung zwischen den Mitgliedern der Crew war während der langen Zeit etwas abgerissen, und sie hatten die ORION VIII nicht benutzt. Aber als Cliff den Zentrallift einzog und das Schiff hermetisch abdichtete, kam etwas wie die alte Vertrautheit wieder. Leise Kommandos ertönten; Atan Shubashi kam in die Kanzel und setzte sich wortlos in seinen Sessel – und fuhr wieder kerzengerade in die Höhe. »Beim blauen Dschungel!« sagte er. »Welch ein Luxus!« Dann erst sah er sein erneuertes Astrogatorenpult mit all den glänzenden Schaltern, den neu gezogenen Kabeln und den liebevoll ausgebesserten Armaturen und Geräten. Kopfschüttelnd setzte er sich wieder und befestigte die breiten Sicherheitsgurte. Auch sie waren mit wertvollen Stickereien verziert. »Wir werden in der Basis 104 eine Menge Aufsehen erregen!« prophezeite er. Minuten vergingen. Schaltungen wurden durchgeführt, kleine Tests durchgenommen. Ohne daß ein einziger Ausfall passierte, konnte Cliff die gesamte Checkliste abhaken. Der Kommandant schaltete das elektronische Bordbuch ein und sagte deutlich: »Kommandant an Bordbuch – fertig zum Start nach Countess durch den Parallelwelt-Tunnel. Die Vorbereitungen laufen.« Mario schaltete seinen Block der Bordsprechanlage ein und sagte: »Mario de Monti an Kommandant – sämtliche Werte sind eingespeist. Fertig zum Start.« »Danke. Kommandant an Maschinenraum. Fertig?« Hassos konzentriertes Gesicht erschien auf den Monitoren. Seine Augen glänzten, als habe er ein mittleres Wunder erlebt. »Maschinenraum an Kommandant. Fertig. Zusatz: Sämtliche Maschinen sind generalüberholt worden. Leistungen, Energiemengen und Sicherkeitsfaktoren sind um eine Potenz gesteigert worden.« Hasso nickte zufrieden, als er Cliffs aufgeregtes Gesicht sah. »Um eine Potenz?« »Richtig. Wir werden in Zukunft etwas schneller fliegen können«, versprach der Ingenieur. Und das kam von einer Rasse, die nachweislich behauptet hatte, der Sternenflug interessiere sie nicht besonders; die Probleme des eigenen Planeten wären groß und bedeutend genug. »Wie schön!« sagte Cliff. »Im Rausch der Geschwindigkeit. Wie weit sind unsere Freunde dort draußen?« Er faßte nach der Steuerung der Linsen. Dann schaltete er das Bild des Zentralschirms auf die vier anderen CrewMonitoren um und sagte: »Der Ballon ist bereits geschlossen!« Eine mathematisch exakte Kugelhülle aus dickem Kunststoff umgab jetzt die ORION völlig. Das harte Sonnenlicht wurde gebrochen; auf dem Schirm entstand ein Bild, das an herbstliche Nebel erinnerte. Dann begannen die zahllosen Kugeln, die an den Knotenpunkten eines Netzes mit rautenförmigen Maschen saßen, dunkel – 8 –
zu glühen. Die Energie wurde erzeugt und entlang der äußeren Kugelwandung verteilt – so wie bei Cliffs Alleingang, der ihn beinahe getötet hatte. Eine Funkverbindung entstand. »Hier Schnittpunktkommando. Deine Zeit ist minus drei Minuten.« »Verstanden«, sagte Cliff. In drei Minuten mußten sie starten. Das Schiff mußte sich senkrecht nach oben bewegen und befand sich dann nach einem steilen Aufstiegmanöver im Sog des Tunnels. Minuten später würde es in der Gegend des Südpols auf Countess erscheinen. Der Ballon blieb zurück und würde beim nächsten Intervall wieder auf den Planeten hier zurückgesogen werden. »Uhr läuft!« sagte Atan unruhig. Sie nahmen ihre Medikamente ein. Diese Medikamente ebenfalls nur für diesen Augenblick entwickelt sollten die Empfindlichkeit der Nerven herabsetzen und nur für sehr kurze Zeit wirken. Cliff war skeptisch, aber er nahm die drei verschiedenfarbigen Pillen trotzdem. »Noch hundertzwanzig Sekunden!« sagte Helga nach einer Weile. Die intensiven Startvorbereitungen und die Notwendigkeit, einen einwandfreien Start zu unternehmen, beschäftigten sie. Dazu kam die Unsicherheit über die Vorgänge der nächsten Minuten. Dies alles lenkte sie von den vielen kleinen oder großen Problemen ab, die sie alle hatten – jeder nahm auf andere Weise von diesem Planeten Abschied. Die Gastfreundschaft war, abgesehen von den Attentatsversuchen, geradezu bezaubernd gewesen. »Dreißig Sekunden...« Cliff atmete tief ein und spürte bereits zu dem Zeitpunkt, als er die Hände auf die Steuerhebel legte, daß seine Nerven unempfindlich geworden waren. Er mußte also hauptsächlich durch optisch genaues Abschätzen arbeiten. Alle anderen vier Besatzungsmitglieder hatten wenige oder keine Aufgaben. »Drei... zwei... eins...« Summend erhob sich die ORION VIII. Sie nahm den Ballon mit, und für die Beobachter von außen sah es aus wie der Start eines riesigen, gasgefüllten Balles Dieser Ballon raste jetzt absolut senkrecht nach oben und wurde plötzlich unsichtbar. War der Start gelungen? Die Planetarier konnten es erst dann sagen, wenn die leere, schlaffe Hülle wieder zurückgekommen war. Aber in der ORION breitete sich mit großer Geschwindigkeit die Todesangst aus. Zuerst die farblichen Eindrücke. Die Mannschaft, zurückgelehnt und festgeschnallt in ihren großen, bequemen Sesseln, lag mit offenen Augen und halb bewußtlos da. Niemand konnte sich rühren. Sie alle befanden sich in der Lage von Gelähmten, die hilflos und schutzlos durch eine endlose, in vielen Kurven gekrümmte Röhre flogen. Der Eindruck des Fliegens war sehr konkret – hin und wieder spürten sie, wie die Wände näherkamen. Farben und Nebel erfüllten diesen Tunnel. Die Farben brannten in den Augen und bohrten sich wie glühende Drähte in die Hirne der Menschen. Die Nebel rochen nach allem, was diese fünf Leute jemals gerochen hatten. Und ein paar Gerüche kamen hinzu, als die Farben dunkler wurden. – 9 –
Der Geruch nach Tod. Und nach zerfetztem, verbranntem Fleisch. Ein Geruch nach Metall, das sie zerriß und zerfetzte. Ein Geruch, der ihnen die Besinnung zu rauben schien und die Geruchszentren peinigte. Jeder einzelne Nerv schien zu toben, schien zu brennen. Die Haut fühlte sich an, als würde ein feiner Nebel aus kaustischer Säure sie auflösen. Dazu erklangen Geräusche, die weit in beide Enden der Skala hineinreichten. Ultraschall raste durch die Körper, schien sämtliche Gelenke voneinander zu trennen, schien die Blutgefäße zu verkleinern... und Infraschall, der heftige Vibrationen hervorrief. Die Körper flogen hin und her, bäumten sich auf... Der Eindruck war falsch. Die Körper blieben ruhig, bewegten sich nicht um Millimeter, nur das Hirn registrierte dies alles. Der Flug durch den Farbentunnel, der sich jetzt zu drehen begann, ging ungehindert weiter. Die fünf Menschen wurden gefoltert, ohne daß jemand ihren Körper berührte. Sie schrien, ohne daß sich ihre Stimmbänder bewegten, ohne daß es jemand hörte. Sie wurden verbrannt, ohne daß sich Hitze entwickelte, froren, ohne daß Kälte nach ihnen griff. Und schließlich wurde der Tunnel schwarz und dunkel. Das Licht verging... Ruhe. Mit kribbelnden Fingerspitzen schob Cliff den Hebel der Steuerung nach vorn. Die ORION sackte schwer durch, hob sich wieder und blieb in dreißig Metern Höhe über der Sandfläche nahe Pol-City stehen. Automatisch schaltete ein Gerät. Die Energie in den Netzknotenpunkten erlosch, und die Ballonhülle riß von Pol zu Pol auf. Cliff erwachte langsam aus seinem Dämmerzustand und fühlte sich vollkommen erschöpft. Er erkannte das Problem und kippte das Schiff um neunzig Grad, schob es mit Hilfe der atmosphärischen Motoren nach vorn, und hinter dem Schiff sank die Hülle wie eine riesige, schlaffe Kunststoffhaut zusammen. Cliff zwinkerte, richtete sich halb auf und atmete schwer durch. Dann schwang er das Schiff wieder zurück in die Normallage und warf einen langen Blick auf den zentralen Bildschirm. »Als... als ich... das letztemal... hier war«, murmelte er mit schwerer Zunge, »da gab... es nichts anderes... als Schnee... Schneesturm...« Die Wirkung des Medikaments ließ schneller nach als gedacht. Das Schiff befand sich jetzt im Geradeausflug und fegte der Siedlung entgegen. Das Bild wurde klarer; die Schleier vor den Augen der fünf Terraner lichteten sich. »Ich sehe nicht recht!« sagte Mario de Monti. »Wir sind doch zu spät gekommen. Hier herrscht tiefster Sommer!« Hasso murmelte: »Also stimmte es mit der Zeitverschiebung...« »Nicht ganz«, sagte Cliff. »Seht genau hin!«
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Der große, runde Schirm zeigte es: Die riesigen Massen von Schnee und Eis waren verschwunden. Die Sonne stand am Himmel; es schien sehr warm geworden zu sein, denn überall lagen die erfrorenen Pflanzen flach am Boden. Zwischen ihnen befanden sich große, glitzernde Pfützen und kleine Seen, und der Bach war weit über seine Ufer getreten. Man sah wieder die merkwürdig gerundeten Steinbarrieren und die Spuren der schweren Abbaugeräte. »Das war ein verdammter Alptraum!« lallte Atan und drehte seinen Sessel herum. »Gebraten und tiefgekühlt und im Farbenrausch... es erleichtert den Abschied vom gastfreundlichen Planeten ungemein.« Helga atmete schwer und schnallte sich mit unsicheren Bewegungen los. Ihr Sessel ging langsam in die Normalstellung über. »Ich verspreche, bei erster Gelegenheit einen fabelhaften Kaffee zu kochen. Das war übrigens das einzige, was ich bei unseren Gastgebern vermißt habe.« »Stimmt!« sagte Hasso. Cliff schüttelte sich und ließ das Schiff höher steigen. Er hob die Hand und winkte zu Helga Legrelle hinüber. Die Funkerin setzte gerade ihr umfangreiches Instrumentarium in Tätigkeit und sagte: »Eine Menge Funkverkehr.« Jetzt sahen sie es auch: Rund um die ringförmige Station mit dem runden Zentralbau standen acht Raumschiffe. Sie waren eingetroffen, obwohl inzwischen durch das Eingreifen Cliffs die Gefahr des Erfrierens beseitigt war. Zwischen den Raumschiffen und der Station bewegten sich Menschen hin und her. Über den auftauenden, durchnäßten Untergrund wurden breite Kunststoffmatten ausgerollt. »Jedenfalls gibt es hier keine lebensgefährlichen Probleme mehr!« sagte Hasso zufrieden. Als sie sich kurz in den Funkverkehr einschalteten und sich identifizierten, erfuhren sie, was in den wenigen Minuten seit dem Verschwinden der ORION geschehen war. Die erste Frage galt natürlich dem kurzzeitigen Verschwinden des Schiffes. Cliff erwiderte kurz: »Wir waren nicht verschwunden. Wir haben lediglich nach dem Einschalten des Meilers wieder den Raum aufgesucht und dort versucht, die Ersatzschiffe aufzuspüren. Dann fiel unsere Funkabteilung aus. Wir reparierten sie und kamen zurück. Das ist alles – hoffentlich gab es keine Panik.« Kurz, nachdem die Energieversorgung der Station wieder auf volle Touren gekommen war, legte sich der Sturm. Eine Warmfront rollte heran, gleichzeitig klärte sich die Atmosphäre, und die Kraft des Zentralgestirns konnte sich wieder durchsetzen. Binnen einiger Stunden verschwand der Schnee, dann landeten die Schiffe und übernahmen einige Fälle von leichten Erfrierungen. Nahrungsmittel wurden ausgeladen, und die Situation wurde schnell wieder stabil. »Sie haben Ihren Einsatz ausgezeichnet geflogen, McLane«, sagte der Chef des Nachschubkommandos. »Aber wir haben da noch ein kleines Problem. Lieben Sie Soziologen?« Cliff fühlte sich inzwischen wieder soweit wohl, daß er über die Frage lachen konnte. »Kommt auf den Einzelfall an. Ich kenne selbst sehr sympathische Henker.« – 11 –
Jetzt lachte der andere Schiffskommandant. »Unsere Schiffe bleiben noch einige Tage hier und schleusen Reparaturkommandos aus. Mister Amsbary, der hier Probleme von soziologischen Strukturen in ökologischen Nischen studierte, muß sehr schnell zurück zur Erde. Möchten Sie den Transport übernehmen?« Cliff warf einen Blick in die Runde. Seine Vermutung wurde bestätigt. Auch die anderen Mitglieder der Crew schienen zu glauben, daß eine Unterhaltung mit einem Fachmann die Reise kurzweiliger gestalten würde. »Einverstanden!« sagte Cliff. »Bitte landen Sie neben der ISOTOP!« »Wenn ich das hier aus der Höhe so leicht feststellen würde, wäre ich bereits gelandet«, sagte Cliff. »Haben Sie nicht eine markante Beule auf dem Oberschiff aufzuweisen?« Leises Lachen aus den Lautsprechern. »Landen Sie bitte neben dem Schiff, das nahe an dem transportablen Meiler in der Luft hängt. Der Meiler dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, Cliff!« Cliff lächelte grimmig und erwiderte: »Nein, wirklich nicht. Ich komme – holen Sie den Fachmann!« Die ORION sank in einer leichten, sanften Kurve abwärts, umrundete einmal die sternförmige Anlage und blieb dann einige Meter von dem Diskus entfernt stehen, der Cliff sehr wohl bekannt war. Der Lift fuhr aus und berührte den durchnäßten, dampfenden Boden. Das Abenteuer auf dem Planeten auf dem eine Minute ein Tag war, ging mit diesem Kontakt zu Ende. Cliff stand auf und sagte leise: »Freunde – wir sind wieder im Einflußgebiet der Erde. Ihr erster Vertreter wird ein Soziologe sein. Ich muß gestehen, daß ich nicht genau weiß, was ein Soziologe eigentlich tut, von einigen durchaus allgemeinen Vorstellungen abgesehen. Also wird es ein informativer Flug werden.« Helga war bereits unterwegs in die Kombüse. »Wir werden ihn mit einem ausgezeichneten Kaffee begrüßen!« versprach sie. Die Gedanken an die zurückliegende Zeit, wie lange sie auch immer in Wirklichkeit war, begannen schon jetzt zu verblassen. Noch immer lag die schlaffe Hülle der schützenden Kugel auf der Sandfläche und würde beim nächsten Termin, wenn eine Verbindung zwischen den beiden Planeten stattfand, zurücktransportiert werden. Neue Eindrücke warteten auf die Mannschaft der ORION, und keiner von ihnen dachte daran, daß alles, was sie in den nächsten Monaten erleben würden, nur der Auftakt einer ungleich größeren und umfassenderen Sache sein würde. Sie begann in dem Moment, als Mister Lawrence Amsbary, fünfzig Jahre und ein paar Monate alt, das Schiff betrat und von Helga eine riesige Tasse mit einer großen Nummer Sechs darauf entgegennahm. Nur eines erfüllte die Crew mit etwas Mißtrauen. Mister Amsbary trug in einer der Taschen seiner ausgebeulten Jacke aus echtem Wildleder einen würfelförmigen Karton. Der Würfel war mit Goldfolie umkleidet und mit einer Schleife verschlossen. *
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»Danke für den Kaffee – möchten Sie eine, Kommandant?« fragte Lawrence. Cliff hob abwehrend die Hand und erwiderte: »Nicht nach dem Essen... macht dick, wissen Sie!« Lawrence griff in seinen goldenen Karton und zog eine Praline hervor, die mit Silberfolie umwickelt war. »Rum mit Walnuß«, sagte er und schnalzte genießerisch mit der Zunge. »Eine Köstlichkeit.« Helga lächelte. »Ihr Laster, nicht wahr?« fragte sie. Seit zwei Tagen waren sie unterwegs und näherten sich bereits der Erde. Lawrence hatte sich als ein höchst unterhaltsamer Mensch mit einem verblüffend weitgespannten Allgemeinwissen entpuppt – in Cliffs Herz schlich er sich ein, als e r mit dem Kommandanten zwei geschlagene Stunden lang über Bogen und Pfeile, Pfeilspitzen und Befiederung diskutiert hatte. Beide Männer bedauerten ostentativ, daß sie sich in einem Raumschiff befanden und deshalb nicht sofort ein Wettschießen veranstalten konnten. »Mein Hobby!« bestätigte Amsbary. »Ich kann nicht davon lassen.« Er wickelte die Praline aus und schob sie zwischen die Lippen. Dann schwieg e r verzückt und andachtsvoll. Die geöffnete Packung – es war die siebente seit Beginn des Rückflugs blieb vor den beiden Männern auf der zentralen Sichtscheibe stehen. »Warum interessieren Sie sich eigentlich für soziologische Probleme«, fragte Hasso, »die ausgerechnet unter zweieinhalbtausend Menschen in Pol-City auftreten können?« Lawrence sagte: »Weil PROJEKT PERSEIDEN mit einer ähnlichen Menschenmenge operiert.« Cliff und Mario sahen sich schweigend an. Ihre Blicke waren hochinteressiert. »Welches Projekt?« »Kennen Sie es nicht?« fragte Lawrence erstaunt zurück. Hasso sprang helfend ein und versicherte mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck: »Wir waren, scheint es, etwas zu lange von zu Hause fort. Das Heimweh wird unsere Erinnerungen ein wenig durcheinandergebracht haben.« Helga kicherte unmotiviert, wie es schien. »Gehen wir analytisch vor«, begann Cliff. »Sie arbeiten unter Sherkoff. Und dieser treffliche Professor ist irgendwie mit Oberst Villa in Verbindung zu bringen. Soweit richtig?« »Vollkommen richtig!« bestätigte Amsbary. Er hielt Cliff die Packung hin. »Also arbeiten Sie für die Flotte – im weitesten Sinn«, fragte Cliff weiter. »Ich danke abermals. Was hätten Sie anzubieten?« Lawrence runzelte die Stirn und entgegnete: »Hartkrokant mit Cognactrüffel. Ungemein delikat. Wir alle, die an PROJEKT PERSEIDEN beschäftigt sind, arbeiten für die Flotte. Mich wundert's, daß Sie nichts davon wissen.« »Mir schmerzen die Zähne«, erklärte der Kommandant schnell, »von diesem Krokant. Ich weiß nichts von diesem Projekt, und daher auch die Fragen. Entschuldigen Sie. Wer arbeitet noch mit Ihnen... von den Verantwortlichen, meine ich?« – 13 –
»Der Schokoladenüberzug ist das Delikate daran«, versicherte der Soziologe. »Daran sind fast alle beteiligt, die wir kennen und schätzen. Gunstone Henessey ebenso wie Villa und Wamsler, Bela Rover und alle die anderen.« Mario de Monti streckte dem Soziologen die Hand entgegen. »Geben Sie her!« sagte er. »Orange-Parfait bitte. Warum, frage ich mich jetzt laut und sehr verärgert, wissen wir nichts von diesem Projekt, Cliff?« Die Crew und ihr schokoladesüchtiger Gast saßen zusammen in der Steuerkanzel, tranken viel Kaffee und wenig Alkohol und diskutierten. Durch einen reinen Zufall war man auf den Namen dieses Projektes gestoßen, und Cliffs Unruhe übertrug sich auf die anderen Freunde. Sie witterten etwas – was es war, würde zweifellos erklärt werden. Lawrence gab Mario eine Praline und versicherte mit einem artigen Lächeln: »Sie sind Kenner und Liebhaber. Sie wissen, worauf es ankommt. Aber daß Sie nicht einmal etwas von PROJEKT PERSEIDEN wissen, enttäuscht mich fast ein wenig.« Cliff schwang seinen Sessel herum und sah in die Gesichter seiner Crew. Sie waren ebenso gespannt wie er. »Ich fasse zusammen«, sagte Cliff. »Alle wissen vom Projekt, nur wir nicht. Dies ist ein unhaltbarer Zustand. Was ist dies für ein Projekt, Lawrence?« Amsbary sagte bittend: »Nennt mich Rence, bitte. Die Erde baut das erste wirkliche Sternenschiff.« Ein lähmendes Schweigen der Überraschung breitete sich in der Kanzel aus. Nur Marios Zähne, die gegen die harte Schokolade ankämpften, verursachten kleine, nagende Geräusche. Cliff flüsterte völlig verblüfft: »Ein Sternenschiff?« »Ein solches!« bestätigte Rence. Ein Sternenschiff! Verglichen mit den Diskusschiffen der Schnellen Raumverbände vermutlich ein Flugkörper, der so groß oder zumindest ähnlich voluminös war wie das Große Schiff, das über Australien im Orbit hing. Ein Schiff, das aus eigener Kraft und mit einer hundertprozentigen Sicherheit der Rückkehr die Neunhundert-Parsek-Raumkugel verlassen konnte. Und zwar, wie die Bezeichnung andeutete, in Richtung des Perseus-Arms. »Ich werde glatt wahnsinnig!« sagte Mario de Monti. »Wir ackern uns mit allen möglichen Abenteuern ab, und Wamsler baut ein Sternenschiff.« Treuherzig plaudernd sagte Rence: »Und Rovers Pioniere bauen es im Zentrum von Australien zusammen.« »Das wird mir Rover teuer bezahlen!« versicherte der Kommandant. Helga Legrelle erholte sich, da sie von der Problematik am wenigsten beeindruckt war, am schnellsten. Außerdem sagte ihr die weibliche Intuition, oder was sie dafür hielt, daß die ORION-Crew, falls man wieder jemand brauchte, der Sonderaufgaben übernahm, ohnehin eingeschaltet werden würde. Helga fragte laut: »Ich kann mir denken, daß Ingenieure zum Bau eines Schiffes gebraucht werden. Warum aber Soziologen?« Lawrence wedelte mit der Hand und sagte sarkastisch:
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»Ein Schiff besteht, wie man an der ORION sieht, aus Schiffskörper und Mannschaft. Die Mannschaft allein ist es, die das Schiff mit Sinn, Leben und Abwechslung erfüllt.« »Habe ich da etwa Sarkasmus aus Ihrer sonoren Stimme heraushören können?« erkundigte sich Cliff. »Dafür bin an Bord einzig ich verantwortlich!« »Ich kenne Ihr Trauma«, meinte der Soziologe. »Ich habe meinen Beruf nicht erlernt, weil mir der Klang des Namens so zusagt. Ohne Spaß: Erst die Mannschaft bestimmt was ein Schiff leistet. Und dafür sind Sie alle – und Ihre jeweiligen Gäste – das beste Beispiel. Denken Sie allein an die ungeheure Menge an Publizität, die Sie durch Pieter-Paul Ibsens Romane erreicht haben. Das hätten Sie ohne Ihr Können kaum erreicht.« Mario nickte. »Kaum, Sie sagen es. Sie haben also mit der Mannschaft des Schiffes zu tun?« Wieder schüttelte Rence den Kopf, griff in die Tasche und wickelte Marzipan mit Pistazien aus der Goldfolie. »Nein.« »Aber Sie beschäftigen sich mit den vermutlich auftauchenden Problemen der Mannschaft?« wollte der Astrogator wissen. »Falsch geraten, junger Freund«, meinte der Soziologe. »Ich versuche, eine Mannschaft zusammenzustellen. Und ich kann es Ihnen nötigenfalls schriftlich geben: Es ist schwerer, eine Mannschaft zu finden, als ein Schiff zu bauen. Aber dann fangen die Probleme erst an.« Er machte eine kleine Pause. Der Kommandant überlegte die Konsequenzen, die aus dieser Information zu ziehen waren. Die Erde baute also ein Schiff, um einen ersten, prüfenden Vorstoß in Richtung auf die Außenbezirke der Galaxis zu wagen. Bisher war noch kein Schiff nennenswert weit vorgestoßen, die eigene Fahrt im Bauch des Großen Schiffes und die Rückreise ausgenommen. Das Schiff wurde bereits montiert, und die Mannschaft wurde ausgesucht. So weit, so gut. Das Sternenschiff würde sehr groß sein müssen, und das erforderte eine zahlenmäßig große Mannschaft. Da Ausfälle und Krankheiten, Heiraten und ähnliche Pannen nicht auszuschließen waren, mußte die Mannschaft mindestens das Dreifache derer betragen, die das Schiff endlich bestieg und damit startete. Mit Sicherheit war die beste Synthese der Technik gewählt worden – die Maschinen und die Anlagen des Dara-Schiffes und die terranische Raumfahrttechnik mit den wichtigsten Erfindungen und Verbesserungen von Hasso Sigbjörnson. Bis zu diesem Punkt hatte Cliff das Bild einigermaßen klar vor Augen. Trotzdem stellten sich ihm zwei Fragen. Warum erfuhr die ORION-Crew, die an der Erforschung und Entschlüsselung des Raumes jener Neunhundert-Parsek-Kugel nennenswerten Anteil hatte, erst durch einen Zufall von diesem Projekt? Zweitens: Welche seltsamen Wege beschritten die Verantwortlichen, um die Homogenität einer zukünftigen Mannschaft zu sichern? Er sollte es bald erfahren. »Rence?« fragte er mißtrauisch und drehte seinen Kaffeebecher mit der Nummer Eins darauf in den Fingern.
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Amsbarys schmales, mit zahlreichen Kerben verziertes Gesicht wandte sich ihm zu. »Sie sehen mich an, als habe ich den Weltraum und seine Rätsel erfunden.« Cliff grinste knapp und korrigierte: »Das haben Sie sicher nicht erfunden, Rence. Aber ich habe eine Menge Fragen an Sie. Sind Sie überhaupt befugt, sie mir – oder uns hier – zu beantworten?« Rence winkte lässig ab. Er trug einen fast daumengroßen Ring an der linken Hand; schwarz, mit goldenen Verzierungen, ähnlich denen in den Sesseln der ORION-Kanzel. »Es ist geheim, was bedeutet, daß sämtliche Flottenangehörigen Zutritt zu diesen Geheimnissen haben. Nicht mehr. Was wollen Sie wissen?« Cliff bat: »Definieren Sie bitte genau die Probleme und Ihre Tätigkeit und, wie ich sicher zu Recht vermute, auch die Ihrer Kollegen und Kolleginnen.« Dr. Lawrence Amsbary, der trotz der Pralinensucht eine schlanke, schmale Figur und kräftige Muskeln hatte, lehnte sich zurück und begann zu dozieren. »Wir versuchen, aus der gewaltigen Menge der Raumfahrer und Wissenschaftler etwa vierhundertfünfzig bis fünfhundert Männer und Frauen, und zwar je zur Hälfte, auszusuchen. Wir rechnen mit einer Besatzung von nicht mehr als hundertfünfzig Mann. Verzeihung – jeweils die Hälfte Mädchen und Männer. Wir haben für die Suche natürlich genaue Kriterien, die aber nicht starr sind. Wir können durchaus einen schlechten Raumfahrer aussuchen, der gut Bogenschießen kann oder ein hervorragender Geologe ist. Und auch einen miserablen Hydroponiker, der ausgezeichnet tauchen kann. Es kommt auf den Gesamteindruck an.« Atan Shubashi fragte: »Würden Sie uns nehmen, Rence?« Ohne zu überlegen, versicherte Amsbary: »Sofort! Aber dabei ist eine Gefahr. Als homogenes Team würden Sie zweifellos durchschlagend wirken und eine bestimmende Gruppe innerhalb einer größeren Gruppe bilden. Was nicht unbedingt von Nachteil wäre, denn Sie besitzen sicher die größere Erfahrung.« »Lassen Sie sich nicht durch unqualifizierte Fragen aufhalten, Rence!« sagte der Kommandant und grinste versöhnt. »Weiter, bitte.« »Gut. Wir haben ja mehrere Probleme. Wenn ein Schiff mit einer großen Mannschaft die Zivilisation verläßt, die wir alle gewohnt sind, dann taucht früher oder später die Konfrontation mit neuen Kulturen auf. Sie selbst wissen, viel besser als ich übrigens, wie schwer es ist, sich auf völlig andere Denkmuster und Traditionen, Bräuche und scheinbar sinnlose Formeln der Gesellschaft umzustellen. Wenn man dies nicht schnell genug tut, kann man dabei sterben. Irre ich?« »Keineswegs«, sagte Hasso. »Sie haben sehr recht. Wir haben dies in kleinen Ansätzen bereits innerhalb unserer eigenen kulturellen und zivilisatorischen Grenzen kennengelernt.« Der Soziologe nickte zustimmend und aß eine weitere Praline; diesmal war es Rumdessert mit Blätterkrokant. »Entschuldigen Sie meine undeutliche Sprache«, fuhr er fort. »Der Krokant ist's. Angenommen, die Mannschaft landet das Schiff auf einem Planeten, wo man – 16 –
Humanoide findet, die aber völlig andere Probleme haben und eine radikal andere Gesellschaftsstruktur. Die Raumfahrer sehen – nehmen wir ein markantes Beispiel –, wie ein junges Mädchen bestialisch gequält und geopfert wird; man nimmt übrigens seltsamerweise junge Mädchen. Wo die doch so nötig gebraucht... lassen wir das.« »Ich bitte sehr darum«, sagte Helga nachdrücklich. »Die Raumfahrer sehen und hören, wie das Mädchen geopfert wird. Sie greifen ein und befreien das Opfer. Sie haben dabei bereits den Tatbestand der Gotteslästerung erfüllt, ferner den des Menschenraubes und der Aufforderung zur Abtrünnigkeit. Und sollte es ein Opfer für einen Regengötzen sein, dann sind sie auch schuld daran, wenn es aus durchaus beweisbaren meteorologischen Gründen nicht regnet und der Stamm verhungert beziehungsweise verdurstet. Und was lehrt uns diese Geschichte?« Cliff erwiderte: »Diese Geschichte lehrt uns, daß Sie über eine sehr konstruktive Phantasie verfügen und zweitens durchaus recht haben. Ich sehe, die Verantwortlichen machen sich Gedanken. Das sollte mich freuen – wenn nur etwas Vernünftiges dabei herauskommt.« »Vernunft«, sagte Atan Shubashi voll fröhlicher Ironie, »ist stets das, was unser Kapitän gerade vertritt. Die Modifikation dieses Begriffs wird von der jeweiligen Laune besorgt.« »So ist es«, schloß Cliff. »Und du hast am meisten darunter zu leiden.« Bis zur Landung in der Basis 104 unterhielten sich die sechs Personen angeregt über das Projekt. PROJEKT PERSEIDEN würde völlig neue Maßstäbe setzen. Welche einzelnen Maßnahmen geplant waren, konnte der Soziologe allerdings nicht sagen. Er wußte nur unklare Dinge. Zwei Tage später fand die Sitzung statt.
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2
»Macht verdirbt die Menschen«, sagte Cliff McLane. »Ich will damit nicht behaupten, daß Raummarschall Winston Woodrov Wamsler ein verdorbener Mensch ist, aber ich bitte ihn, ehe wir zu diskutieren anfangen, mir eine Frage zu beantworten.« Wamsler musterte ihn drohend. »Bitte!« grollte er, aber es klang wie eine halb heruntergeschluckte Verwünschung. »Warum erfährt ausgerechnet die ORION-Crew vom PROJEKT PERSEIDEN zuletzt? Haben wir Ihnen, der Erde und uns nicht vorzügliche Dienste erwiesen, hm?« Das Knistern, das von rechts kam, lenkte ihn ab. Dieser Soziologe mit seiner Theobrominomanie machte ihn manchmal wahnsinnig. Cliff entschuldigend angrinsend, schob Rence eine Trüffelkugel in den Mund. Mit hartem Kern, korrigierte sich der Kommandant, denn es krachte, als Rence darauf biß. »Was? Sie wissen nichts von diesem Projekt?« fragte Oberst Villa. Dieser Mann, registrierte Helga Legrelle, schien alterslos zu sein. Seit sie ihn kannte, und dies war mehr als fünf Jahre her, hatte er sich nicht verändert. Er hatte nach wie vor die Angewohnheit, leise, aber diszipliniert und sehr kühl zu sprechen und hin und wieder, falls er nervös wurde oder ungehalten, einen Wirbel mit den Fingerspitzen auf dem Tisch zu schlagen. »Nein, wir wissen nichts!« stellte Hasso gereizt fest. »Jetzt wissen wir etwas, aber ohne des Soziologen entzückende Bekanntschaft wüßten wir heute noch kein Wort. So ist die Lage.« »Das tut mir wirklich sehr leid«, mischte sich Lydia van Dyke ein. Sie war in den Jahren noch reifer und fraulicher geworden. »Wir alle nahmen an, Sie hätten etwas gehört, gelesen oder gesehen.« »Haben wir nicht«, sagte Cliff. »Dann hätten Sie sich eben informieren müssen, Oberst!« sagte Michael SpringBrauner vorwurfsvoll. »Schließlich stehen Ihnen sämtliche Informationsquellen offen. Notfalls hätten Sie mich fragen können. Ich bin ziemlich gut über das Projekt orientiert.« Cliff warf ihm einen Blick zu, der ihn hätte an den Sessel nageln sollen, und strafte ihn anschließend mit Verachtung. »Haben Sie noch Fragen, Cliff?« erkundigte sich Gunstone Henessey. Cliff sah bewundernd auf die beiden Streifen gefärbten Haares auf dem kahlen Kopf des Mannes. Ihre Spitzen deuteten genau auf die Augen, die Cliff jetzt belustigt anfunkelten. »Im Augenblick nicht. Bitte, erklären Sie uns, wie die Technik des Schiffes beschaffen ist. Oder noch besser: Erklären Sie uns allen, wozu dieses Sternenschiff gebaut wird.« Er lehnte sich zurück, nahm das halbvolle Glas und trank einen Schluck. E r überlegte sich, ob er sich ärgern sollte, unterließ es aber. Zuerst sprach Marschall Wamsler. Das heißt, er hielt eine Rede, deren wichtigste Stichpunkte er von einem Blatt ablas. Er sagte, daß sich innerhalb der Raumkugel noch viele ungelöste Probleme – 18 –
befänden. Dabei stieß er auf keinerlei Widersprüche. Er führte aus, daß es Technik und Wissenschaft gelungen sei, aus dem Heimatplaneten der Rasse – mit den naturgegebenen Einschränkungen – ein Paradies zu machen, das frei von Abgasen und Hunger, von sozialer Ungerechtigkeit und Kriegen sei. Auch damit hatte er recht, wenn auch Cliff der Einwand auf der Zunge lag, aus welchem Grund es noch immer Uniformen, Orden und militärische Ränge gäbe... aber auch das war, wie die Saurier, etwas, das von selbst aussterben würde. Dann fuhr Wamsler mit erhobener Stimme und erhobenem Zeigefinger fort, daß es an der Zeit sei, richtungweisende Projekte voranzutreiben. Während die Mehrzahl der Menschen im Begriff war, die Planeten und Kolonien auszubauen und für schnelle Verbindungen zu sorgen, würde eine kleinere Gruppe versuchen, zu den entfernten Sternen vorzustoßen. Man hatte die Rassen, die man in der Raumkugel getroffen hatte, identifiziert und integriert. Sie hatten sich ausnahmslos integrieren lassen, und da sie alle exotisch genug waren, um nicht absorbiert werden zu können, verlief das Zusammenleben in geradezu biblischer Harmonie. Wamsler gebrauchte tatsächlich diese Worte. E r senkte seinen Zeigefinger wieder und sagte, leise und beschwörend: »Deswegen bauen wir das Sternenschiff. Wir rechnen damit, es in zwei Jahren auf die erste Probefahrt oder den ersten Probeflug schicken zu können. Die Mannschaft wird ausgesucht. Das besorgen«, er deutete in die Richtung, wo Professor Sherkoff und Lawrence Amsbary saßen, »unsere Fachleute. Von ihnen stammt auch der Vorschlag, dessentwegen wir hier versammelt sind. Professor, darf ich bitten?« »Sie dürfen.« Sherkoff stand auf, Wamsler wischte den Schweiß von der Stirn und warf das Papiertaschentuch in den Konverter. »Meine Damen, meine Herren«, sagte Sherkoff. »Es gibt eine Methode, unvorhergesehene Zwischenfälle aufzufangen, die uns Kommandant McLane mit seiner Crew ständig vorexerziert hat. Man kann fremde Situationen nur dann verstehen, wenn man sie oder ähnliche oder eine Mischung davon selbst erlebt hat.« »Richtig!« sagte Cliff voller Überzeugung. Spring-Brauner, der schönste Mann in der Basis 104, warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. Cliff ignorierte auch dies. »Hundertprozentig richtig!« sagte der General der Schnellen Raumverbände, Lydia van Dyke. »Fahren Sie fort, Professor.« »Die Mannschaft des Sternenschiffes muß natürlich auf eine fast unendliche Menge von absolut fremden Situationen vorbereitet sein. Aus diesem Grund müssen wir die Mannschaft trainieren. Sie muß in einer Vielzahl solcher Situationen bestehen können und auch – und das ist besonders lebensnotwendig und daher wichtig – die Situation verstehen und blitzschnell analysieren können. Bis hierher ist sicher jedem von uns alles klar.« »Stellenweise«, murmelte Atan Shubashi und zupfte an seinem Toupet, das fast überflüssig war, denn die Mediziner des gastfreundlichen Planeten hatten aufsehenerregende Hautverpflanzungen vorgenommen. »Diese Situationen sind unbekannt, aber nicht neu. Sie haben ihren Grund in der menschlichen Seele. Aber viele Situationen sind vergessen und tabuisiert, von der – 19 –
Gesellschaft aus bestimmten Gründen abgelehnt und daher verboten und – das ist ganz natürlich – daher auch unangenehm, widerlich, ekelerregend. Der Kannibalismus ist ein besonders schönes Beispiel. Sklaverei ein anderes und so weiter, in langer Reihe.« Cliff und Bela Rover sahen sich an und nickten. »Wir müssen es fertigbringen, die Mannschaft auf alle Probleme vorzubereiten, die dadurch entstehen werden, daß die Bräuche und Gepflogenheiten fremder Rassen mißverstanden werden. Und wir werden natürlich fremde Rassen treffen. Solche, die menschlich aussehen und solche, die es nicht sind. Alle Mannschaften müssen auf alles vorbereitet sein. Das ist die Forderung, die wir stellen müssen.« Professor Sherkoff setzte sich wieder. Dafür stand der Soziologe auf und steckte schnell eine Praline in den Mund. Mandelmarzipan. Lawrence Amsbary führte aus: »Das alles wurde akzeptiert, weil es sinnvoll und notwendig ist. Aber auf die Teilnehmer der zukünftigen Mannschaft kommt die Aufgabe zu, die gleichermaßen für den Weg ins All wie auch für das Verständnis der Menschheit für ihre eigene Geschichte nötig ist. Das Training wird in einer Umgebung durchgeführt, die perfekt historisch nachgebaut ist. Also keine Stahlbeile, die besonders präpariert sind und wie Steinbeile aussehen, sondern echte Steinbeile. Echte Gefahren, echte Zwangssituationen. Wir versuchen, für die Zukunft zu planen und gleichzeitig die Vergangenheit zu erforschen. Wie das vor sich geht? Recht einfach, aber immer gefährlich, gesund und sehr abenteuerlich. Wir schicken eine Gruppe ins Feldtraining. Sie wird eine bestimmte Kultur vertreten. Alles Wissen über diese Kultur wird ihr vorher in Form von hypnotischer Beeinflussung vermittelt. Gleichzeitig werden alle Erinnerungen an die Zeit, aus der sie kommen, vorübergehend blockiert und nach diesem Experiment wieder freigegeben. Dann können diese Menschen erkennen, wo sie sich befanden, was sie dort taten und wie sehr sich eine mittelalterliche Kultur von der heutigen unterscheidet, ohne daß sich die Menschen selbst viel geändert hätten. Bei diesem Training werden die Teilnehmer, ohne daß sie es merken, überwacht und beobachtet – das geschieht zu ihrem eigenen Schutz und zu unserer Aufklärung. Wir wollen an einigen Testfällen erfahren, warum eine Kultur der Vergangenheit diesen und keinen anderen Weg beschritten hatte. Einige, die als Führer der Gruppe in Frage kommen, werden mit besonders viel Informationen versehen. Gewisse Fertigkeiten, die man hatte, und zwar niedrigwertige manuelle wie auch hochwertige technische, werden behalten. Jemand, der gut schnitzen konnte, kann dies auch im Training. Jemand, der meinethalben Schiffe konstruierte, wird dies auch versuchen, wenn er nicht gerade in eine Wüste geschickt wird.« »Selten«, stimmte Cliff McLane zu, »werden in der Wüste Schiffe gebraucht.« »Außer den sogenannten ›Wüstenschiffen‹, den Kamelen«, korrigierte Gunstone Henessey milde. Atan lachte. »Dann sind wir von der ORION-Crew bei diesem Projekt ja durchaus reit am Platz. Spaß beiseite... bis jetzt habe ich alles verstanden. Die Psychotechniker wollen – 20 –
also gleichzeitig die Vergangenheit erforschen und Verhaltensmuster für die Zukunft trainieren. Richtig?« »Vollkommen richtig, Mister Shubashi«, sagte Professor Sherkoff. »Und natürlich soll die Crew der ORION an prominenter Stelle mitarbeiten.« Cliff schnappte: »Was heißt hier soll? Wir sind bisher nicht gefragt worden, ob wir überhaupt wollen!« Hasso Sigbjörnson half seinem Freund: »Und außerdem wissen wir nicht, um welche Kulturen es geht.« Raummarschall Wamsler stand auf. Dieser Umstand allein genügte, um die Gespräche zu unterbrechen und eine erwartungsvolle Stille eintreten zu lassen. Der Mann mit dem dunklen Haar, den dunklen Augen und der dunklen Uniform stützte sich mit beiden Händen schwer auf die spiegelnde Tischplatte, und von Cliffs Platz sah es aus, als sei dort eine Spielkarte aufgestellt worden; zwei Hälften eines Mannes mit würdigem Gesichtsausdruck. Herz Bube? Kaum. Eher Pik As. Wamslers Augen wanderten von einem der ungefähr fünfzehn Versammelten zum anderen. Dann sagte er: »Wir wollen das Schiff in rund zwei Jahren starten. Zeit und Geld spielen dabei die geringsten Rollen – wir haben beides, denn dieses Projekt eilt nicht. Wir sollten also nicht anfangen, ehe nicht alle Unklarheiten aus dem Weg geräumt sind. Ich habe diese kleine Konferenz einberufen. Lassen Sie mich also noch einmal die einzelnen Punkte beleuchten. Erstens: Sie scheinen interessiert, Cliff McLane. Möchten Sie und Ihre Crew mitmachen? Ob Sie allerdings zum Expeditionsleiter in zwei Jahren oder so gemacht werden, kann ich Ihnen heute nicht versichern.« »Obwohl die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß ist«, warf Lydia van Dyke ein. Cliff schenkte ihr sein schönstes Lächeln. »Ich melde mich freiwillig. Dies scheint ein Job fernab aller Routine zu sein«, sagte der Kommandant. Wie auf ein geheimes Zeichen hin begannen Sherkoff, Henessey und Amsbary zu lachen, laut und kräftig. Sie schienen eine andere Definition für PROJEKT PERSEIDEN zu kennen. »Ich auch«, sagte Helga Legrelle. »Schon allein deines Kaffees wegen!« murmelte Mario de Monti und hob die Hand. »Bekommen wir den Raguer als Haustier mit? Ich melde mich allerdings auch, wenn er nicht mitmacht.« Das war Atan Shubashi. »Vielleicht können wir ihn später einsetzen, ebenso wie die Wesen von Caernavan't. Danke für die Meldung. Mister Sigbjörnson?« erkundigte sich Wamsler. »Ich kann doch meine besten Freunde nicht im Stich lassen«, sagte Hasso. »Das wäre geklärt«, sagte Wamsler, drückte auf einen Knopf und drehte sich um. Hinter ihm fuhr eine schwarze Tafel aus der Wand. Wamsler nahm einen Stift, ließ das Licht im Saal verringern und sagte: »Was Sie jetzt sehen, gilt für sämtliche Teilprojekte des Feldtrainings. Ich zeichne es schematisch hin.« – 21 –
Er schrieb, zog Kästchen und Linien. Schweigend sahen die Versammelten zu, wie ein Schema auf der Tafel entstand. Selbstleuchtende, breite Linien und Wamslers gut lesbare Handschrift vereinigten sich zu folgender Aufstellung: Projekt Perseiden 1. Freiwillige aussuchen 2. Aufgaben grob umreißen 3. Beginn des Feldtrainings a) Erstellung sämtlicher Zivilisationseinheiten b) Löschen, beziehungsweise Stagnieren oder Einfrieren aller bisherigen Erinnerungen
c) Einspeisen mit sämtlichen Daten über die Kulturform von a)
d) Feldtraining verschieden langer Dauer
e) Beobachten, Filmen, Analysieren
f) Nötigenfalls eingreifen
g) Zurückholen der Versuchspersonen
h) Freigabe der Blockierung von b)
4. Gemeinsame Analyse (beide Erinnerungen, die des bisherigen Lebens und jene aus der entsprechenden Kultur werden integriert.) 5. Beginn des Feldtrainings an anderer Stelle in einer anderen Kultur. »Sehr beeindruckend!« murmelte Spring-Brauner. »Sie haben eine markante Schrift«, sagte der Kommandant. »Findet das Training auf der Erde statt?« Wamsler drehte sich von der Tafel weg und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Wir haben einen Planeten gefunden, der ziemlich erdähnlich ist. Er vereinigt fast alle Geländeformen, die wir auch von dem Heimatplaneten unserer Rasse kennen. Auf ihm können gleichzeitig viele kleine Gruppen ausgesetzt und beobachtet werden.« Hasso fragte leise: »Das ist doch nicht etwa Gosheen palmyra II?« Wamsler schaute den Ingenieur an, als habe er ein Staatsgeheimnis an die Presse weitergegeben. »Woher wissen Sie das?« Hasso zuckte die Schultern und sagte leicht verlegen: »Ich wunderte mich schon häufiger darüber, aus welchem Grund ein erdähnlicher Planet, dessen Jahr nur hundertdreiundzwanzig Tage dauert, während der Tag zwanzig Stunden hat, noch nicht besiedelt worden ist. Außerdem – Gosheen palmyra II liegt in Vier/West 097. Kein weiter Weg dorthin.« »Sie haben durchaus richtig vermutet«, sagte Professor Sherkoff. »Wir haben dort seit einem Jahr verschiedene Kulturen aufgebaut, für jeweils kleinere Gruppen. Und dort sind auch unterirdische, versteckte Lager, überall haben wir Kameras und Spionaugen untergebracht – außerdem besteht ein kleiner Stützpunkt, der aber so gut versteckt ist, daß ihn die ›Eingeborenen‹ niemals finden werden.« – 22 –
Cliff McLane begann sich für das Problem zu begeistern. Er las immer wieder die Aufschriften auf der Tafel und fragte dann: »Sie können uns natürlich nicht sagen, welche Aufgaben uns erwarten?« Wamsler sah zu Sherkoff hinüber und zuckte die Schultern. »Ich kann es Ihnen sagen«, erwiderte Sherkoff. »Aber es ist sicherer, wenn Sie mit Ihren Informationen inmitten der Kultur aufwachen, die für Sie und Ihre Gruppe aufgebaut worden ist.« »Thema Gruppe«, sagte Shubashi schnell. »Wie groß sind diese Gruppen?« Wamsler holte tief Luft und erwiderte: »Wir haben unterdessen mehr als fünfhundert Freiwillige gesammelt. Alles sind in ihrer Art gute Leute. Auch das Alter spielt nur eine begrenzte Rolle, und Kinder haben wir nur wenige. Aber bis zum Start werden aus den Kindern junge Mädchen und Männer geworden sein. Die Gruppen bestehen...« »... aus ganz kleinen Gruppen von zwei oder drei Mann, oder aus Großgruppen bis zu fünfzig Individuen. Diese Großgruppen setzen wir dann ein, wenn es gilt, etwa eine dörfliche Gemeinschaft zu simulieren.« Cliff fragte ein wenig beklommen: »Es bedeutet also, daß wir, wenn wir uns im Feldtraining befinden, nicht wissen, daß wir Versuchspersonen sind.« »Richtig.« »Wir sind echt. Wir benutzen alte Werkzeuge, die wir handhaben können, wir essen meinetwegen Würmer und Heuschrecken, und es wird uns nicht übel davon, weil wir ja dank unserer ›Programmierung‹ nichts anderes gewohnt sind. Wir glauben an Götter in den Regenwolken oder in Bäumen. Und während wir uns mit vergessenen und völlig ungewohnten Bräuchen aus der Vergangenheit herumschlagen, lernen wir für die Zukunft und zeigen Ihnen hier gleichzeitig auf, aus welchen Gründen sich gewisse Kulturen in gewisse Richtungen entwickelt haben.« »Genauso war es geplant.« Atan Shubashi stützte sein Kinn in die offene Hand und überlegte: Auf dem erdähnlichen Planeten Gosheen palmyra II, der überdies mit einer exotischen, teilweise recht bizarren, aber mit terranischen wissenschaftlichen Mitteln zu klassifizierenden Fauna und Flora ausgestattet war, bewegten sich ein halbes Tausend Menschen in verschiedenen Teilen des Planeten und – in archaischen Kulturen. »Wie steht es mit der Ausrüstung?« fragte Atan leise. Er war von der Größe und dem logischen Aufbau des Projektes hingerissen. Oberst Villa nickte Atan zu und sagte leise: »Alle Ausrüstungsgegenstände, von einem einfachen Faustkeil bis zu Brunnen, die für die Eingeborenen aus einer früheren Kultur zurückgelassen wurden – nein, ich drückte mich falsch aus, Verzeihung, diese Brunnen werden so angelegt oder sind so angelegt worden, daß die Eingeborenen glauben, sie stammen aus einer früheren Kultur. Alle Gegenstände wurden nach unseren Kenntnissen und nach Museumsstücken so gut wie perfekt kopiert. Einiges, das wirklich unwichtig war, ist weggelassen, nichts aber hinzugefügt worden.« »Ich verstehe.« Helga Legrelle hatte ein anderes Problem. – 23 –
»Angenommen«, sagte sie, »wir finden uns als... beispielsweise Wikinger auf dem Planeten wieder. Wir wissen dann alle, daß wir Wikinger sind. Aber diese Menschen besaßen eine genaue Terminologie, sie hatten Barden und Göttersagen, sie kannten den Schiffsbau und viele andere Dinge. Sie wußten von Menschen, die an anderen Orten wohnten... besitzen wir alle diese Dinge auch?« Sherkoff musterte die Funkerin voller Respekt; er war noch ein Wissenschaftler der alten Garde, der es noch immer nicht glauben konnte, daß die Gleichberechtigung auch ihre angenehmen Seiten haben mochte. Er sagte erklärend: »Wenn einer von Ihnen zum Barden gemacht wird, kann er vielleicht kein Schiff bauen, aber er wird die gesamte Edda von vorn bis hinten in der richtigen Betonung rezitieren können. Notfalls sogar zur Leier.« Cliff lachte. »Vortrefflich. Und es gibt natürlich auch Zauberer und Schamanen. Werden sie wirklich übernatürliche Kräfte haben?« Oberst Villa sagte: »Zu einem gewissen Teil, ja. Für übernatürliche Dinge sorgen wir von der Beobachtungsstation mit unseren Geräten. Wunder sind auch dann unmöglich. Wir haben mehr als fünfhundert lange und umfangreiche Bänder programmieren lassen. Sie enthalten alles, was der einzelne Eingeborene braucht. Einer mehr der andere weniger, einer spezialisiert, der andere umfassender. Wir müssen nur noch die Bänder mit dem Identitätsanruf versehen.« Hasso fragte: »Die geringe Anzahl der Teilnehmer schließt gewisse Kulturen oder Zivilisationen von vornherein aus. Sie können sicher eine Wikingersiedlung oder einen Wüsten-Nomadenstamm simulieren, aber nicht das Alte Reich in Ägypten. Ist diese Vermutung richtig?« Lydia van Dyke entgegnete mit wohlwollendem Sarkasmus: »Sie werden einen klugen Stammesfürsten abgeben, Hasso. Sie haben vollkommen richtig getippt.« Cliff versicherte: »Er hat nicht getippt, er hat errechnet.« »Noch besser.« Es war fast alles erörtert worden. Nur noch wenige Themen mußten behandelt werden, ehe man die umfangreichen und fein aufeinander abgestimmten Pläne aus der reinen Theorie in die Praxis umsetzen konnte. Die Schnelligkeit, in der der Planet seine Sonne umlief, garantierte dafür, daß man in das Training auch die Wechsel der Jahreszeiten einbeziehen konnte. Die Kürze der Tage würde ebenfalls mithelfen, alle Vorgänge zu beschleunigen, ohne daß die Qualität darunter litt. Wie allerdings die teilweise recht exotische Fauna integriert werden sollte, war im Augenblick noch unklar. Cliff fragte: »Wann fangen wir an?« Professor Sherkoff brauchte nicht in die Unterlagen zu sehen, die vor ihm auf der Tischplatte lagen. »In zehn Tagen geht das erste Team ins Training.« »Wo finden die psychologischen und hypnotischen Experimente statt?« erkundigte sich Helga Legrelle. – 24 –
»Bei uns in der psychokinetischen Abteilung«, sagte Sherkoff. »Wir holen das erste Team zu uns, blockieren die Erinnerungen an das bisherige Leben und programmieren die Einzelpersonen mit ihren Rollen. Rolle – das ist auch ein unklarer Begriff. Der einzelne wird nur mit einem sehr dünnen roten Faden ausgerüstet. Innerhalb der gesamten Breite seiner Kenntnisse und Fähigkeiten, Träume und Erinnerungen kann er tun, was er für richtig erachtet.« Hasso schlug ein Bein über das andere und winkte dem Soziologen. Rence grinste, holte eine Praline aus der Packung und schnippte sie Hasso über die spiegelnde Tischfläche zu. Hasso las die Aufschrift auf der roten Folie: Scotch mit Nuß und aß das Ding auf. Dann fragte er: »Wie groß ist das erste Team?« »Das erste Team, in das die ORION-Crew eingehen wird, ist genau einundfünfzig Personen groß.« Wamsler warf ein: »Das größte Einzelteam ist für den ersten und wichtigsten Versuch ausgesucht und zusammengestellt worden.« »Somit wäre alles klar«, sagte der Kommandant. »Darf ich eine persönliche Frage stellen?« »Bitte!« sagte Wamsler. »Dieses Sternenschiff. Wie sieht es aus, wer baut es, wie weit sind die einzelnen Baustufen gediehen?« »Und wie bleibt die ORION VIII auch weiterhin im Blickpunkt der interessierten Weltöffentlichkeit?« rief Atan Shubashi aufgeregt. Wamsler grinste breit, schaltete wieder, und ein Bildschirm erhellte sich. Auf ihm war eine Folge von Zeichnungen und Fotos zu sehen, dreidimensional und gestochen scharf. Das Schiff: Es war eine schlanke, stabförmige Konstruktion, die enffernt an einen der gigantischen Düsenclipper erinnerte, die noch vor einem Jahrtausend die Verbindungen zwischen den Städten der Kontinente besorgt hatten. Der Rumpf war länger und schnittiger, die Tragflächen waren zu Stummeln geschrumpft, und das Leitwerk war vergrößert worden. Dieses Schiff konnte auch atmosphärische Landungen durchführen. Zu Cliffs Freude erkannte er drei Hangars, in denen die Beiboote des Schiffes untergebracht waren. Diese Beiboote – nichts anderes als Diskusschiffe vom Typ der ORION VIII. Das war eine ausgezeichnete Synthese. »Zufrieden?« fragte Wamsler. »Leidlich«, sagte Cliff. »Ich kenne die Spezifikationen noch nicht. Aber das alles hat ja jede Menge Zeit. Bis ich Kommandant dieses Schiffes bin, werde ich alles sehr genau wissen. Schließlich hat meine Crew ein intensives Training im Bauch des Großen Schiffes der Dara hinter sich. Hat es eigentlich irgendwelche Veränderungen dort gegeben? Haben sich die Dara gemeldet?« Wortlos schüttelten Villa und Wamsler die Köpfe. Cliff erkannte, daß sie vor dieser Vorstellung gewisse Bedenken hatten. Was würden die Dara zu dem ehrgeizigen Projekt sagen oder unternehmen? Nun, notfalls hatte man die ORIONLeute – sie waren Botschafter der Dara. »Ich bin fertig«, sagte Wamsler. »Können wir die Konferenz beenden?« – 25 –
»Meinetwegen gern«, sagte Cliff. Wamsler sagte förmlich, laut und sehr deutlich: »Die Konferenz ist beendet. Professor Sherkoff und sein Team, beziehungsweise die Studiengruppe mit Dr. Lawrence Amsbary werden sich selbständig melden. Sie werden jeden Teilnehmer persönlich einladen. In der Zwischenzeit besteht für jeden Teilnehmer der ersten Gruppe bezahlter Urlaub. Danke, meine Damen und Herren.« Wamsler stand auf und hob die Hand. Es dauerte eine halbe Stunde, bis sich die letzten Gruppen, die immer kleiner wurden, getrennt hatten. Dieser Plan war, abgesehen von einigen technischen Großobjekten der letzten Jahre, wohl das Vernünftigste und Größte, das die Verantwortlichen der Erdregierung fertiggebracht hatten. Ein Vorstoß zu den fernen Sternen wurde gekoppelt mit einem ausgezeichneten Training und dem Versuch, die Vergangenheit der Erde in die Zukunft zu integrieren und aus der Vergangenheit, die man bewußt nachlebte oder als Versuchsperson erlebte, zu lernen. Cliff war hochbefriedigt. * Einige Stunden später: Cliff McLane, ohne Verpflichtungen und in Erwartung eines ausgezeichneten Abendessens in Gesellschaft von Arlene N'Mayogaa, lag in seinem schweren lederüberzogenen Sessel. Die Fersen seiner bloßen Füße ruhten auf dem großen, fast leeren Schreibtisch. Cliff betrachtete mit halb geschlossenen Augen die einzelnen Stücke seiner umfangreichen Waffensammlung, die eine ganze Wand des Arbeitszimmers ausfüllte. Cliff trug eine dünne, weiche Leinenhose und ein offenes Hemd; die Hitze des Nachmittags drang durch die Räume der Wohnung, da sämtliche Türen und Fenster weit geöffnet waren. Aus den Lautsprechern der schweren Hi-Fi-Anlage kam stereophonische Musik. Es war eine dröhnende, wilde Melodie; eine Tondichtung von Tomas Peter, nach einem Thema von Igor Strawinsky: the vikings of space. Cliff lauschte, hingerissen und in Gedanken an die nähere Zukunft. »Das ist zweifellos ein tiefer Einschnitt in unserem bisherigen Leben«, murmelte er und faßte eine Steinaxt ins Auge, die eine sehr teure Nachbildung des betreffenden Originalwerkzeugs war. Darunter hing sein schwerer Glasfiberbogen mit dem großen Köcher voller Pfeile, die verschiedenen Armschutz-Variationen – vom breiten bronzenen Band mit Scharnier bis zum ledernen Trapez mit unzähligen kleinen Schnallen. »Welches Thema wir wohl bearbeiten werden?« fragte sich Cliff. Er hatte sich lange mit Sherkoff und Amsbary unterhalten und dabei mindestens drei Pralinen gegessen. Man hatte ihm versichert, daß er gern erfahren könne, welche Kultur ausgesucht worden war. Aber sämtliche Unterlagen oder Bücher, die er über diese Kultur studieren würde, waren für ihn sinnlos – er vergaß alles und wußte es erst nach der Aufhebung der Blockierung wieder. Also ließ er es sein. Trotzdem: Überlegungen in diese Richtung waren unterhaltend und aufregend zugleich. Die Musik endete mit der rituellen Verbrennung des Fürsten; man schoß – 26 –
ihn in einem brennenden, kleinen Raumboot hinaus ins All, zwischen die fernen Sonnen. Cliff nahm die Füße vom Tisch, schwang den Sessel herum und stand auf. »Wo bleibt das Essen?« fragte er sich. Er glaubte, zwischen den Gerüchen, die aus der kleinen Küche durch die Wohnung strömten, Brandgeruch wahrzunehmen, aber sicher war dies nur auf die Vorstellungen beim Anhören der letzten Akkorde zurückzuführen. Arlene, die schwarzhäutige Schönheit, war eine zu gute Köchin. Cliff grinste plötzlich: eine vollkommen irreale Vorstellung drängte sich in seine Gedanken. Arlene in einem Stamm des frühen Afrika, wie sie am Herd des Stammesschamanen als Vorbereitung zu einem großen Juju einen Braten spickte und würzte – der Stamm huldigte dem Kannibalismus. Cliff dachte an die Steaks und verdrängte die Vorstellung gewaltsam. Er machte sich einen Drink aus viel Alkohol und wenig Eis zurecht, warf, als er durch das Wohnzimmer ging, einen Blick auf den Schaumstoffwürfel, auf dem er oft und lange meditiert hatte, und ging in die Küche. »Liebste«, sagte er leise, »nimmst du auch nicht zuviel Muskatnuß?« Arlene schaute auf. Sie saß auf einem Barhocker vor dem Radarherd und las. Cliff drehte den Lesewürfel herum und entdeckte die Überschrift: Überlebenstraining – Teil I. »Nein!« sagte er laut und verwundert. Sie fragte mit ihrer ein wenig rauhen Stimme: »Hast du etwa daran gezweifelt?« Cliff schüttelte fassungslos den Kopf. »Diese Mädchen heute«, murmelte er verblüfft. »Reichen dir die Abenteuer beim Aufbau des Camoweel-Parks nicht? Mußt du dich auch noch freiwillig zu Sherkoffs wilder, verwegener Hatz melden?« Sie lächelte ihn schmelzend an. »Liebster«, sagte sie, »ich tat es nur unseretwegen.« »Vortrefflich!« knurrte Cliff. »Erkläre, aber vergiß die Steaks nicht. Wie willst du als Herdsklavin deinen Mann respektive deine Frau stehen, wenn du nicht einmal an einem Radarherd richtig schalten kannst?« »Auf alle Fälle werden wir uns irgendwie treffen«, sagte sie. »Vermutlich bin ich eine Stammesfürstin und überfalle weiße Karawanen. Die Beute wird verzehrt. Du hast sicher etwas langfaseriges Muskelfleisch an dir?« »Brrrr!« machte Cliff. »Die gleiche Vorstellung hatte ich eben.« Es war erstaunlich, aber bei einigem Nachdenken nicht weiter verwunderlich. Alle Menschen, die in den letzten Jahren durch Einzelleistungen hervorgetreten waren, schienen gleichermaßen von dem Duft des Abenteuers angezogen worden zu sein. Sie hatten sich gemeldet, freiwillig, schnell entschlossen und mit großer Begeisterung. Der Kommandant entdeckte mehr und mehr Bekannte unter den langen Listen der mehr als ein halbes Tausend umfassenden Schar. Und jetzt sogar auch noch Arlene. Sie hatte vermutlich recht... irgendwo und irgendwann wurden sie sich treffen. Es war sehr reizvoll, darüber gewisse Überlegungen anzustellen. »Du hast nicht recht«, sagte Cliff. »Ich werde dich irgendwelchen Sklavenhändlern abkaufen und dann jeden Tag peitschen oder so etwas. In meinen Harem mit dir! Ha!« – 27 –
Sie tippte mit ihrem spitzgefeilten Fingernagel an seine Stirn. »Tick, tick«, sagte sie lachend. »Der Umstand, daß wir in primitive Kulturen versetzt werden, bedeutet nicht, daß wir armen Mädchen das gleiche Schicksal erleiden müssen wie unsere unterdrückten Vorgängerinnen vor Jahrtausenden.« Cliff grinste gemein und flüsterte: »Sherkoff und Amsbary sind Männer. Männer von hoher Kunst, großem Verstand und entsprechender Allüre. Sie werden sehr genau wissen, was Spaß macht. Und für einen archaischen Fürsten war der Handel mit weiblichen Sklavinnen schon seit jeher ein Vergnügen besonderer Art. Ich werde alle meine lange unterdrückten sadistischen Neigungen hervorkehren.« Sie scherzten auf diese makabre Art noch einige Minuten, dann gingen sie daran, auf der gewaltigen Terrasse von ORION-Island den Tisch zu decken und hinaustragen zu lassen, was sie brauchten. Der Tisch stand unter dem Sonnensegel neben dem Swimmingpool. Neben der Platte schwebten die Robots mit dem Essen, den Getränken und den Nachspeisen. Sie konnten ruhig ein paar Kilo zunehmen, dachte Cliff. Nicht die Robots, sondern das Mädchen und er. Die nächsten Monate waren dazu angetan, daß sie durch ununterbrochene Bewegung jedes überflüssige Gramm Fett herunterschwitzten. Aber mitten während des Essens kamen ihnen beiden, unabhängig voneinander, sehr schwere Bedenken. Was geschah, wenn alles viel gefährlicher und brutaler war, als sie es sich vorstellten? Wenn die Kultur, in die sie versetzt wurden, eine von jenen aufsteigenden Ästen war, die zerbrachen, umgehauen wurden... eine Kultur, von der man heute nichts anderes wußte als undeutliche Erzählungen und das, was der Inhalt von Gräbern den Archäologen mitteilte? Mitten im Sonnenlicht, auf der durchglühten Terrasse, beobachtete Cliff die Gänsehaut auf seinen Unterarmen. Als er aufschaute, sah er den Blick des Mädchens. Schlagartig wurden sie sehr ernst. Jetzt ahnten sie es deutlich: Wo immer sie sich in wenigen Tagen befanden, es würde alles andere als leicht oder lustig sein. Die Überschrift aller Kapitel, der langen wie der kurzen, hieß für die Versuchspersonen: GEFAHR!
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3
An diesem Morgen erhob sich die Sonne als eine riesige, rote Scheibe über dem schwarzen Kamm des nördlichen Gebirges. Die Strahlen kamen fast waagrecht zum Erdboden, der hier in Form eines breiten V bis zur Spitze der zwei Ausläufer des Fjordes absank. Die langen Hütten, deren Eingänge nach Osten lagen, warfen lange, stumpfe Schatten, ebenso die Nadelbäume zwischen den Häusern. Ein Hahn krähte, Ziegen meckerten, und gegen die Kiesel des Ufers schlugen die kleinen Wellen der aufkommenden Flut. Der Tag begann mit einem dünnen Nebel, der sich erst gegen Mittag heben sollte. * Jarl Kliffr gähnte, rieb sich die Augen und richtete sich auf. Auf der Haut juckte das grobe Leinen, und die Haare der Felle kitzelten. Ein roter Feuerschein schlug in sein Gesicht. Er schnupperte – in dem Haus roch es nach erstorbener Glut, nach Asche und nach dem verbrannten Fett des Bratens. »Beim Thor!« brummte Kliffr. »Sigrun!« Er schwang seine Beine zwischen den Fellen hervor; die Zehen krümmten sich, als die Berührung des kalten Lehmbodens sie erschreckte. »Ja!« Neben Kliffr bewegte sich etwas zwischen den wollenen Decken und den Fellen. Ein rundes Gesicht schob sich ins Licht, langes, blondes Haar fiel auf Kliffrs Hand. »Wasser, Braten! Brot!« murmelte Kliffr. »Wir haben einen harten Tag vor uns!« Jetzt, am Anfang des Herbstes, waren die Morgen frisch und kühl, und der Nebel aus den Wäldern wurde häufiger. Kliffr stieg in die Hose aus grobem Leinen, das mit dünnen Streifen aus Leder zusammengenäht war. Er schloß den handbreiten Gürtel mit der Bronzeschnalle, nahm ein Tuch und ging hinaus. Er fröstelte, ging über den kleinen Vorplatz bis zum Brunnentrog. Er bückte sich, steckte seinen Kopf unter den Wasserstrahl. Es war, als ob ihm ein Pferd einen Schlag versetzt hätte. Eiskaltes Wasser lief ihm in den Nacken und vertrieb den Dunst aus seinem Schädel. Nach einigen Sekunden kam ihm das Wasser direkt warm vor. Kliffr sah sich um, während er sich abtrocknete. Der Fjord. Er, der Jarl, der Fürst dieses Dorfes, hatte schwere Probleme. Er hatte drei Dinge gleichzeitig zu tun: Er mußte dieses Dorf mit seinen fünfunddreißig Bewohnern ernähren und über den harten, langen Winter bringen, er mußte den fünfzehn Männern die Jagd beibringen – sie schossen so schlecht, daß das Fleisch von Tag zu Tag knapper wurde. Und... er mußte das Schiff fertigbauen, das zwischen den beiden Fjordausläufern auf Kiel lag. »Sigrun!« schrie Kliffr laut. »Was ist los, beim Brandungskeiler?« rief die junge Frau zurück. »Ich habe Hunger!« »Das Feuer brennt nicht von allein. Bringe Holz!«
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Ein neues Problem. Alles setzte sich aus kleinen Einzelheiten zusammen. Holz für die Feuer war ebenso wichtig wie frisches Wild, wie Pelze und Leder, wie gutes Holz für das Schiff. Und die Erzählungen des Zauberers über fremde Küsten und braune Menschen, über große Wärme und Bäume, die voller Früchte hingen, waren ebenso wichtig. Langsam ging Kliffr hügelaufwärts. Er konnte, als er am Rand des Waldes angekommen war, im Norden, auf der waagrechten, ebenen Platte zwischen dem nördlichen Wald und dem Felsabsturz, die bestellten Felder sehen. Und jetzt kamen aus den Kaminen der Häuser lange schwarze Rauchfahnen, die sehr weit aufstiegen und dann erst vom Wind zerstreut wurden. Es war Ostwind. Der Tag würde hell und heiß werden. Gut für die Felle, gut für die Ernte. Sein Magen grollte – die harte Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang machte Hunger. Überall liefen Hühner umher, krähten und scharrten die Hähne. Das junge Mädchen, das fünfzehn oder sechzehn Winter alt war, sammelte Eier ein. Die Schafe liefen aus dem Pferch, und immer mehr Feuer wurden angezündet. Der Arbeitstag fing an. Sigrun brachte die Holzteller mit dem kalten Braten und den Kornfladen hinaus vor die Hütte. Kliffr setzte sich auf den Holzschemel, der mit Fell gepolstert war. Sie aßen schweigend, und der Jarl sah während des Essens den anderen Männern und Frauen zu. Der Zauberer, ein kleiner, aber junger Mann mit einem wirren, hellen Haarschopf, kam aus seinem Haus, in dem er allein lebte mit seinen Schätzen und Sagen. Er ging schnell auf den Jarl zu. »Beim Bragi, dem Gott der Dichtkunst«, sagte er. »Einen bösen Traum träumte ich nächtens!« »Setz dich, iß etwas, Adwan!« sagte Kliffr. »Heißes Essen vertreibt kalte Träume. Was gibt es?« Mit säuerlicher Miene sagte Adwan: »Wir haben nicht mehr viel Fleisch. Das Orakel sagte, daß wir immer viel Fleisch brauchen, um das Schiff bauen zu können, den feurigen Brandungseber!« Kliffr lehnte sich an die Hauswand und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. »Vielleicht kann nur das Orakel auch sagen, wie ich zum Beispiel Budli beibringen soll, den Bogen zu führen?« erkundigte sich der Jarl. Mit spitzem Finger deutete Adwan auf Kliffrs Brust und murmelte: »Meine Arbeit ist das Orakel, ist der Zauber – deine Arbeit ist die Jagd.« »Ja, ja!« brummte Kliffr. »Wir werden heute versuchen, etwas Wild zu schießen. Vielleicht lacht sich ein Elch tot, wenn er Budli schießen sieht.« Die Zone, die zum eigentlichen Wohngebiet des Dorfes gehörte, erstreckte sich in einem Dreiviertelkreis um die Häuser. Der Kreis hatte einen Durchmesser von etwa eintausend Ellen. Innerhalb dieses Kreises gab es Felder und Wiesen, Pferche und Bäume, Beeren und Pilze. Und aus diesem Gebiet mußten die Vorräte kommen, die mithelfen sollten, den bitteren Winter zu überstehen mit seinen Schneemassen und der eisigen Kälte. »Teile die Arbeiten ein!« drängte Adwan. »Wir sind in Eile. Bald kommt die Zeit der gelben Sonne!« Kliffr öffnete die Augen, stand auf und steckte noch schnell ein gekochtes, geschältes Ei in den Salzbecher und dann zwischen die Zähne. Undeutlich murmelte er: – 30 –
»Willst du mit auf die Jagd?« Der Zauberer schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bleibe beim Schiff und werfe die Runen, die uns sagen, ob wir das warme Land erreichen können.« »Gut. Ich werde dir sechs Männer geben.« In den letzten Tagen hatten sie die Form des Schiffes und die Art der Verbindungen festgelegt. Es war eine ungeheure Mühe, die Bretter aus den Stämmen zu sägen und zu bearbeiten. Es schien, als hätten die Männer seit dem letzten Winter alles vergessen, was sie in den Jahren vorher gelernt hatten. Außerdem waren ihre Muskeln schwach und weich, die Haut war weiß, die Bäuche waren zu groß. Kliffr spürte wieder, wie in der Nacht, diesen dunklen Drang, die Männer mit dem Stiel eines Beiles anzutreiben. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und sagte: »Los. Fangen wir an.« Er drehte sich so, daß sein Gesicht der Sonne entgegengestreckt war, legte beide Hände an den Mund und schrie: »Hinaus mit euch allen! Auf die Felder! Die Jagdwaffen heraus! Die Äxte und Messer geschärft! Wir fangen an!« Aus den Häusern kamen die Menschen. Sie trugen Pelze, Leder und Leinen. Kurze Bärte bei den Männern, lange Haare bei den jungen Frauen. Wenigstens brauchen wir keine Greise und Greisinnen zu versorgen, dachte Kliffr. Er deutete auf eine Gruppe von drei Frauen. »Ihr geht hinüber auf die Felder. Das Unkraut heraus, die Vögel vertreiben, Wasser auf die Pflanzen. Ihr seid zurück, wenn die Sonne dort oben steht. Dann kocht ihr für alle das Essen.« »Wir tun, was wir können, Jarl!« versprachen die Frauen. »Was tust du?« Kliffr winkelte seinen Arm an und sagte grimmig: »Ich werde versuchen, euch Frischfleisch zu bringen.« Kliffr nahm acht Männer und sagte: »Zwei von euch fügen die Bretter ein, die von euch hier«, er deutete auf sechs der besten Zimmerleute, »bearbeitet werden. Arbeitet schnell, aber genau. Das Schicksal unseres Dorfes hängt von diesem Schiff ab. Gut?« Die Männer schulterten die Äxte und die Sägen und die anderen Werkzeuge und gingen hinunter zum Schiff, das mit langem, doppelt gekrümmtem Kiel und hochgereckten Spanten wie das Skelett eines großen Fisches aussah. »Und wir gehen zur Jagd«, sagte Kliffr. »Alle anderen versorgen die Tiere, bearbeiten die Felle, spinnen und so weiter.« Fünfunddreißig Menschen begannen zu arbeiten. Kliffr beobachtete sie kurze Zeit, während er sich die Sandalen umschnallte und den Köcher überprüfte. E r steckte das breite, scharfgeschliffene Messer ein und winkte den beiden jungen Männern, die ebenfalls mit Speeren, Bogen und Köchern aus den Häusern kamen. »Höldur und Dag!« sagte Kliffr ernst. »Wir werden Wild heimbringen. Vielleicht keinen Elch, aber auf alle Fälle etwas, das Fleisch hat und Fell. Und ihr beide werdet schießen, bis euch die Fingerspitzen bluten.« Dag murmelte: »Ich weiß es nicht, Jarl – ich weiß nur, daß ich schießen kann. Aber warum treffe ich niemals etwas?« – 31 –
Kliffr grollte:
»Weil du dich nicht genügend konzentrierst!«
Sie verließen das Dorf, als die Sonne zwei Handbreit über den Wipfeln der
Nadelbäume stand. Es ging auf den schwarzen Felsen entlang, rechts von den Feldern und in den Wald. Zuerst gab es nur Büsche und hohes, duftendes Gras, dann kamen die Stämme der Bäume. Kühle Luft kam den drei Jägern entgegen. Kliffr hob den Bogen von der Schulter und bedeutete den beiden jungen Männern, es ebenso zu machen. Sie legten Pfeile ein und blieben stehen. »Dort vorn, der verfaulte Stamm!« sagte der Jarl.
Er machte es ihnen vor:
Den linken Fuß gerade gestellt, den rechten rechtwinklig dazu, den linken Arm
mit dem Bogen in Schußrichtung und dann die Sehne ausgezogen Das Ziel nicht über den Pfeil oder die Pfeilspitze anvisieren, sondern nur genau ansehen, den Körper und den Verstand mit dem Bogen eins werden lassen. Ruhe. Durchatmen. Die Sehne schnell loslassen. Drei Pfeile heulten durch die Gasse zwischen den Bäumen. Alle drei schlugen in den morschen Stamm ein. Kliffrs Pfeil steckte genau in dem grünen Stück Moos, die beiden anderen Pfeile je zwei Ellen rechts und links davon. »Besser!« sagte Kliffr.
»Langsam begreife ich!« sagte Höldur und nickte.
»Du sollst, beim Hammer Thors, schnell begreifen!« sagte Kliffr grimmig. »Der
Elch bleibt nicht solange stehen, bis du fertig bist.« Sie gingen weiter, zogen ihre Pfeile aus dem Stamm, putzten die Spitzen und schossen im Verlauf der ersten Tageshälfte mindestens einhundertmal auf verschiedene Ziele. Der Jarl korrigierte die Fehler und verbesserte immer wieder die schlechte Haltung der Beine, der Finger oder des Körpers. Unmerklich näherten sich die Einschläge der beiden anderen Pfeile dem Treffer von Kliffr, der fast jedesmal ins Ziel traf. »Gehen wir heute abend zurück?« fragte Dag. »Wenn wir etwas geschossen haben«, sagte Kliffr leise, »das sich lohnt. Einen Hasen essen wir selbst; sonst bleiben uns noch die Beeren und die Früchte. Wir bleiben solange in den Wäldern, bis wir Erfolg haben!« »Du befiehlst, Kliffr«, murmelte Höldur.
»Richtig!« sagte Kliffr.
Sie alle, Männer wie Frauen, hatten in ihren Erinnerungen noch die Feste, die
nach erfolgreichen Jagden gefeiert worden waren. Früher also war es anders – damals trafen die Männer noch, damals hatten sie auch die Hütten viel schneller und mit größerer Leichtigkeit erstellt. Warum waren ihnen die Fähigkeiten abhanden gekommen? Lag ein böser Zauber über ihnen? Kliffr wußte es nicht. Er mußte wohl Adwan fragen, der sich ständig in dunklen Rätselsprüchen erging. Und... der Eisenstein, der immer nach Norden zeigte, nach der Insel, wo die Asen hausten. Sie würden ihn später brauchen. Sie hatten Glück. Kurz nach Mittag – sie hatten Wasser getrunken und einige Beeren gegessen – sahen sie auf einer Lichtung eine Herde von Wildpferden. Wildpferde wurden nur in äußersten Notzeiten geschlachtet, damals, vor vielen Wintern, hatten sie es tun – 32 –
müssen. Jetzt konnte man sie brauchen, um auf die Jagd zu reiten und Stämme zu ziehen oder Furchen in die Äcker. Kliffr ging hinter einem riesigen Beerenbusch in Deckung und wisperte: »Ihr schleicht um die Lichtung herum und treibt die Pferde mir entgegen. Wir haben Schnüre hier – dort drüben, diese Schlucht, kennt keinen Ausweg. Wir werden einige von ihnen fangen und ihnen die Vorderfüße zusammenbinden. Dann nehmen wir sie mit, wenn wir erfolgreich waren. Los!« Die beiden Männer schlichen davon, Kliffr nahm die Speere, die sie liegengelassen hatten, und errichtete schnell und geräuschlos eine leichte, nur für die Augen wirksame Barriere. Dann band er die Schnüre los, die aus Lederriemen geflochten waren, und stellte sich dort auf, wo die kleine Herde am ehesten ausbrechen konnte. Er wartete mit der typischen, bewegungslosen Ruhe des guten Jägers. Schreie! Grelles Wiehern, trampelnde Hufe – dann kam die Herde. Kliffr zählte zwischen den reißenden Blättern und den zurückschnellenden Ästen zehn oder mehr Köpfe. Es waren zwei Fohlen darunter – sie konnten diese Tiere abrichten... später. Als die Herde, der Leithengst an ihrer Spitze, auf sein Versteck losdonnerte, stand er auf, schwenkte beide Arme mit den Riemen und begann gellend zu schreien. Der Hengst scheute, bäumte sich auf und wirbelte auf den Hinterbeinen herum. Dann fegten alle Tiere hinein in die Schlucht, scheuten vor den hellen Speerschäften zurück und blieben dichtgedrängt nebeneinander in dem spitzen Einschnitt am Ende der kleinen Schlucht stehen. Der Hengst unternahm einen Fluchtversuch, aber ein heftiger Schlag mit dem Speerschaft auf die Schnauze trieb ihn wieder zurück. Dag keuchte heran. »Herrliche Tiere!« sagte er. »Muß ich dort hinein?« Er deutete auf das Gewirr der Pferdeleiber, das sich wie ein kleiner Mahlstrom im Innern der Schlucht bewegte. »Wir alle drei!« sagte Kliffr. »Schnell, ehe sie durchbrechen!« Jeder von ihnen nahm einen Speer und drei oder vier der Schnüre. Sie tauchten wie die Schatten zwischen den Stämmen herunter. Einer warf einem Pferd eine Schlinge um den Hals, drehte sie zu und fesselte den Hals des Tieres an einen dicken Stamm, gleichzeitig bedeckte er die Augen des auskeilenden, wiehernden Tieres mit einem Teil der Kleidung. Die beiden anderen bückten sich blitzschnell, ständig fauchende Laute ausstoßend, und fesselten dem Tier die Vorderfüße aneinander, so daß es nur kleine und kleinste Schritte machen konnte. Das Tier humpelte und hinkte in einem jämmerlich bockenden Galopp aus der engen Schlucht hinaus. Das zweite Tier. Das dritte. Die beiden jungen Männer arbeiteten immer geschickter. Das Selbstvertrauen hatten sie auch bitter nötig. Einer von ihnen bekam einen Tritt gegen den Brustkorb und fing ihn ab, ehe er richtig getroffen hatte; Dag warf sich mit aller Kraft vor den auskeilenden Hinterbeinen des Tieres in einem Überschlag auf den weichen, aufgerissenen Waldboden.
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Sie fesselten drei Stuten, zwei junge Hengste, die beiden Fohlen und den Leithengst. Kliffr betrachtete das Tier genau; es sah aus, als habe es schon einmal einen Menschen getragen. Aber diese Dinge hatten Zeit bis nach der Jagd. Allerdings: es juckte ihn in den Fingerspitzen, das Tier einzubrechen und schon auf dieser Jagd als Reittier zu benutzen... er ließ es sein. Die beiden jungen Männer würden sonst nichts mehr lernen. »Die anderen brauchen wir nicht. Sie fressen sonst den Schafen das Futter weg!« sagte der Jarl. »Treibt sie weg!« Er sammelte langsam die Speere ein und überlegte. Durch den Lärm des Kampfes und das aufgeregte Schreien der anderen Tiere, die jetzt wie von Nachtgeistern gehetzt davonpreschten, war der Wald viele Stunden leer von allem großen Wild. Sie mußten also schnell eine große Strecke zurücklegen. Abends, wenn die Sonne gerade untergegangen war, gab es noch einmal eine gute Zeit für einen guten Schuß. Er richtete sich auf und gab die Waffen zurück. »Wir gehen nach Sonnenuntergang«, sagte er. »Dort ist ein wildreiches Gebiet. Die Frauen werden ja einige Fische gefangen haben.« »Einverstanden. Wir haben viel Glück gehabt!« sagte Dag. »Ihr habt euch tadellos gehalten!« stimmte Kliffr zu. Er dachte an die langen Streifen getrockneten Fleisches, die in den dunklen Teilen der Hütten hingen und im Vorratshaus. Die Säcke, in denen das Korn war, wurden leerer und schlaffer. Die Streifen Fleisch wurden kürzer und weniger. Zwar legten die Hühner tüchtig, und die Mengen an Schafskäse wuchsen, aber frisches Fleisch – das war zur Mangelware geworden. Dies ging schon seit einigen Mondwechseln so. Der einzige, der Glück hatte, war er. Deswegen hatten sie ihn auch Jarl Kliffr der Glückliche genannt. Sie liefen bis zum sinkenden Abend der Sonne nach. Dadurch verhinderte der Jäger, daß sie sich zu weit vom Dorf entfernten und der Transport des erlegten Wildes zu einem Problem wurde. Er sagte, als sie die letzte Rast vor dem Nachtlager machten: »Ihr bleibt hier, bereitet ein Feuer vor und macht alles für die Nacht zurecht. Ich werde versuchen, etwas zu schießen.« »Wir dürfen nicht mit?« Kliffr sagte leise: »Morgen, bei Sonnenaufgang, versuchen wir es gemeinsam. Vielleicht mache ich meinem Namen einige Ehre. Wotan mit euch!« Er schlich davon. Während er sich tief im Wald, am Rand der Lichtung, durch die der schmale Bach floß, entlang der Stämme voranpirschte, überlegte er. In seinem Innern, seinen Gedanken und Träumen, war so unendlich viel, das er tun wollte, ehe er die Ruhe und den Frieden des wahren Fürsten fand. Warum aber wurden die Vorräte des Feldes mehr, die der Jagd aber erschreckend weniger? Ein Jäger, der etwas schoß, für fünfunddreißig Menschen? Er zuckte die breiten Schultern. Auch er, stellte er fest, war schweratmig geworden, und über dem breiten Gürtel spannte sich die Haut nach vorn. Wurde er dick? Das hatte es doch noch nie
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gegeben? Er wußte jetzt auch, warum der Unterschied zwischen den Bewegungen der beiden jungen Jäger vor dem Erlebnis mit der Wildpferdherde so groß war. Vorher hatten sie keinen Jägerinstinkt gehabt. Aber ein Teil davon war gekommen, als sie die Pferde fesselten. Sie würden als bessere Jäger zurückkommen. Kliffr schob sich zwischen den Stämmen hervor. Er war nichts als ein Schatten in der kommenden Dunkelheit. Langsam bewegte er den Kopf, lautlos bewegten sich seine Beine. Instinktiv wichen die Füße in den fellausgekleideten Sandalen den dürren Ästen und Ästchen aus. Seine Augen musterten jede Elle der Lichtung. Dort! Drei Elche! Wenn es Geräusche gab oder einer von ihnen fiel, würden die beiden anderen auf ihrer Spur in den Schutz des Waldes zurückkehren. Sie waren, während sie ästen, zwischen den Büschen dort drüben, genau gegenüber von der Mitte der Lichtung herausgekommen. Also mußte er noch einige hundert Ellen ihnen entgegenlaufen. Drei Tiere waren es. Ein alter, zäher Bulle – sein Fleisch würde für Sandalen gut sein oder für Raubvögel. Ein erwachsenes Kalb und eine Kuh. Wenn er, so überlegte der Jäger, die Kuh gut traf, würden Bulle und Kalb flüchten. Dann konnte er versuchen, das Kalb zu treffen, weil es unsicher lief und langsamer. Langsam und geräuschlos verschwand Kliffr zwischen den Stämmen und hastete geradeaus. Seine Augen wanderten unruhig umher, und es glückte ihm, sich bis zu dem ausgesuchten Punkt zu entfernen, ohne einen Hasen oder ein Reh aufgescheucht zu haben. Dann nahm er drei Pfeile aus dem Köcher – seine besten. Er steckte zwei von ihnen leicht in den Boden, hob den dritten auf die linke Faust und holte tief Atem. Die Tiere kamen von links und würden so nahe an ihm vorbeikommen, daß er sie auf Schußweite hatte. Zwei Tiere! Fleisch für den ganzen Stamm! Fleisch für Wochen! Halbroh, gebraten und getrocknet. Kliffr spürte, wie sich die Lippen von den Zähnen zurückzogen. Der schwache Wind blies ihm den schweren, feuchtwarmen Geruch der drei großen Tiere entgegen, also stand selbst der Wind günstig. Kliffr zog den Bogen aus, beschwor die Stelle hinter den Vorderbeinen und ließ die Sehne aus. Der Pfeil heulte davon. Blattschuß! Noch bevor das Tier erschrak und sich herumwarf, lag der zweite Pfeil auf der Sehne. Das Kalb. Der Bulle polterte durch die Büsche und zerteilte die hohen Gräser vor sich wie ein Schiff die Wellen. Er rannte, die Schaufeln nach hinten und die große Nase nach vorn gestreckt, und dicht hinter ihm stolperte das Kalb. Frisches, weiches Fleisch, zart, das auf den Messern beinahe von selbst auseinanderfiel... der Jäger berührte mit der Sehne sein Ohrläppchen, starrte das Kalb an und schoß. Er wußte, daß er getroffen hatte, noch ehe er den hellen Pfeil einschlagen sah. Aber bereits jetzt lag der dritte Pfeil auf der Sehne, zwischen Daumen und Zeigefinger in der Hautfalte eingeklemmt.
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Das Kalb stürzte nach vorn, stolperte und überschlug sich. Es trieb sich während des Sturzes den abbrechenden Pfeil noch tiefer in den Körper und verendete mit schlagenden Läufen und brechenden Augen. Kliffr hörte auf die Geräusche, die der flüchtende Bulle machte und wußte, daß für zwei Mondviertel der Stamm gutes, nahrhaftes Fleisch hatte. Langsam ging er zurück. Sie schlugen die Tiere auf, weideten sie aus und brieten die Innereien, die sie deshalb aßen, weil sie voller Blut waren und gut schmeckten. Dann zogen die beiden jungen Jäger dünne Bäume herunter und kappten sie. Gegen Morgen, nach zwei Stunden Schlaf, zogen die Männer, nachdem sie alle Abfälle vergraben hatten, mit den beiden Tieren an langen dünnen Stangen zwischen sich, dem Platz entgegen, an dem die Pferde sich befinden mußten. * Sieben Stunden später, in der Zeit nach Mittag, kamen sie mit den Pferden und dem Fleisch in der Siedlung an. Aus allen Richtungen kamen die Frauen, die beiden Jungen und die Mädchen herangelaufen. Kliffr deutete auf die Pferde. »Bindet sie gut an, aber laßt ihnen genug Leine, damit sie saufen und fressen können. Die Fohlen sollen frei herumlaufen.« Die Tiere wurden in die Richtung der Schafpferche geführt und dort versorgt. Kliffr sah zu, wie die beiden Elche enthäutet und geteilt wurden; einigemal mußte er mit dem langen, zweischneidigen Beil nachhelfen. Dann legte er den Arm um Sigruns Hüften und zog sie hart an sich. »Ich habe Hunger«, sagte er. »Auf ein großes Stück Lende und auf dich, Weib!« Sie lächelte und fuhr mit ihrer schmutzigen Hand über sein Kinn. »Dein Bart sticht, Kliffr!« sagte sie. »Hasso sagt, du sollst hinunter zum Schiff kommen. Sie haben Schwierigkeiten.« Er hob den Arm, rief einige scharfe Worte, und die Frauen, machten den anderen Platz und gingen zögernd an ihre Arbeit zurück. Merkwürdig, dachte Kliffr wieder – es klappte seit einiger Zeit nicht mehr. Als ob sie alle vergessen hätten, wie wichtig es war, daß jeder ohne zu fragen seine Arbeit tat und die anderen nicht aufhielt. Aber er würde es ihnen zeigen müssen, ob sie ihn nun liebten oder nicht. »Der Kessel?« fragte er. »Hängt er über dem Feuer?« »Ja«, sagte Sigrun und flocht ihren Zopf neu. »Auch der Holzbottich ist sauber. Ich habe ihn mit Sand ausgerieben.« »Du bist ein braves Weib!« sagte Kliffr und hieb ihr mit der flachen Hand auf die Kehrseite. »Eines Tages werden wir Söhne haben. Dann werden sie dir helfen!« Sie spuckte aus und stocherte in den Zähnen. »Männer!« sagte sie. »Barbaren!« Kliffr lachte dröhnend, schlug sich auf die Schenkel und schrie: »Heißes Wasser!« Eine Zeit später saß er im lauwarmen Wasser des Bottichs, und sein Weib goß aus einer Schale ständig Wasser über ihn. Er schrubbte sich gründlich mit Sand und – 36 –
mit einem Brocken des schäumenden Steines ab, das sie gewannen, wenn sie Salz und Fett miteinander kochten. Baldur sei Dank, dachte er, daß wir in den letzten Wintern so viele Gegenstände aus Eisen angefertigt haben – der Vorrat ist groß, und er wird noch für die lange Reise in das Land des warmen Tages reichen. Kliffr sang laut und falsch vor sich hin: »Gehen sah ich in Gymirs Hof...«, er gurgelte, weil Sigrun ihm Wasser über die Augen goß, »... die ich minne, die Maid! Die Arme glänzten, von ihnen strahlten...«, wieder ein Schwall Wasser, er prustete und griff nach Sigrun, »... die Luft und das Land!« Endlich rieb er sich mit dem Leinentuch trocken, dann machte er sich daran, sein Jagdmesser zu wetzen und sich vor der polierten Bronzescheibe den Bart auszurasieren. Er fluchte wie Fenrir, aber schließlich kämmte er Bart und Haar und fand sich wieder sauber. Er stank nicht mehr nach Blut, Wald und Schweiß. »So!« sagte er laut. »Ein Drittel Fleisch wird heute abend gegessen, ein zweites Drittel wird gebraten und ist als Vorrat gedacht, und das letzte Drittel trocknen wir. Höldur und Dag haben sich ganz tapfer geschlagen – ich mache noch gute Jäger aus ihnen. Aus ihnen allen!« Er küßte Sigrun, warf sein Messer krachend in den Türpfosten und rannte hinunter zum Schiff. Hasso, Sohn des Björn, kam ihm entgegen. Er war einer der besten Männer des Stammes. Schon ziemlich alt, älter jedenfalls als die meisten und zu seiner Zeit ein ausgezeichneter Jäger. Jetzt überwachte er alle Arbeiten, die das Schiff mit sich brachte. »Sie waren glücklich?« fragte Hasso grinsend und deutete auf Dag und Höldur die sich oben vor ihren Hütten, im Licht der stechenden Sonne, rasierten. »Nicht ganz. Ich schoß die Elche!« sagte Kliffr und schüttelte Hassos Handgelenk. »Thor war mit dir!« Kliffr deutete auf das Schiff. »Und Baldur war mit euch! Männer, gute Arbeit! Heute abend bekommt ihr die besten Brocken!« Sie schlugen sich auf die Schultern und lachten grölend. Dann ging Kliffr näher an das Schiff heran. Es war ein Mittelding zwischen den schnellen, leichten Booten, mit denen sie früher die Fjorde hinauf und hinunter gesegelt und gerudert waren, und der Knarre, die seetüchtig war. Acht Männer lang, zwei Männer breit. Entlang des Kiels waren die Bretter sauber eingefügt und miteinander und mit den kühn hochgekrümmten Spanten verbunden. Die Männer bohrten Löcher, schoben Holzstäbe hinein, die man in flüssiges, heißes Harz getaucht hatte, und sägten sie dann ab. Mit dem heißen, gelben Wachs aus den Stöcken wilder Bienen wurden die Bretter an den Seiten gedichtet, und dort, wo sie gerade gegeneinanderstießen, schmierten sie eine Füllung aus Bienenwachs, Harz und verschiedenen gekochten Abfällen von Tieren hinein. Auf beiden Seiten des Kiels verliefen neue, noch feuchte Bretter, die in der Sonne knisternd sich verkleinern würden. »Wie lange werden wir noch brauchen, Hasso?« Der Mann mit dem weißen Haar und dem schmalen Gesicht schüttelte abwägend den Kopf. – 37 –
»Nicht mehr dieses Jahr. Vielleicht schaffen wir es bis zum nächsten Sommer. Deswegen ist es wichtig...« Kliffr fuhr fort, bestätigend ruckend: »... sehr viele Vorräte zu sammeln. Aber wenn wir alle Männer hier beschäftigen, dann haben wir keine Vorräte.« Hasso sagte, mit einem Holzstück spielend: »Und wenn wir nicht genügend Vorräte haben, können wir nicht in See stechen. Die Rahe ist schon fertig. Hier liegt sie. Und auch die beiden Ersatzrahen. Und die Seile. Und der Mast und der zweite Mast.« Kliffr murmelte düster: »Und das Segel liegt zusammengerollt im Vorratshaus. Es hat einen Vorteil: Im Winter, wenn der Schnee liegt, arbeitet das Holz wieder. Es trocknet auch während des Frostes aus. Wir müssen nur zusehen, daß wir das Schiff fertig haben.« Hasso sagte: »Wir tun alle unser Bestes, Jarl.« Kliffr sah den anderen Männern in die schweißüberströmten Gesichter und spürte wieder, daß sie sich anstrengten, daß aber die Griffe nicht saßen, daß sie sich verwundeten, weil sie die Werkzeuge nicht richtig halten konnten. Warum konnten aber er und einige andere Männer alles – oder zumindest viele Dinge – besser und schneller, ohne daß sie lange denken mußten? »Ich weiß« sagte er. »Trotzdem: Eile, ohne schlechte Arbeit zu tun!« Er drehte sich um und fuhr über die halbfertige Bordwand des Schiffes. Es würde, einmal fertig, ein schönes Schiff sein. Das Meisterwerk des Björnsohnes. Das Holz, noch hell und fein abgeschliffen mit den harten Steinen und senkrecht aufgesetzten Messern, mit Sand poliert und mit harten Brettern, zwischen denen man den Sand bewegte, glänzte wie die Haut einer jungen Frau. Es würde ein gutes Schiff werden, ein schnelles Schiff, ein Brandungskeiler und ein Gischtrenner. »Macht weiter!« sagte Kliffr. »Heute abend gibt es ein Fest. Wir haben zwei Elche zum Essen!« »Das wird unsere Arbeit beschleunigen!« versprach Hasso und riß seine Axt aus einem geschälten Stamm. »Los, an die Sägen!« Kliffr ging langsam zurück und überlegte, wie man die tägliche Fleischmenge auf anderem Weg beschaffen konnte. Fische gab es in riesigen Mengen im Fjord, aber sie vom kleinen Boot aus zu speeren oder mit Pfeilen zu schießen, dauerte zu lange. Man mußte sie fangen – in richtigen Fischfallen. Darüber mußten sie nachdenken. Kliffr sah nach den Feldern, den Ziegen und den Schafen. Er schaute die Pferde an, die sich langsam beruhigten und fraßen. Der Hengst hatte es ihm angetan – er würde ihn zähmen und auf ihm zur Jagd reiten. Dann konnte er die Jagdzüge weiter ausdehnen, in den Teil der riesigen Wälder, in denen das Wild noch keine Angst vor Jägern hatte. In den nächsten Tagen. Abend: Sie saßen alle, fünfunddreißig Menschen, in einem riesigen Kreis um das Feuer und um die beiden eisernen Glutkörbe. Die weißen und roten Flammen beleuchteten die Gesichter. Über ihnen erschienen die ersten Sterne, und ein Drittel des Elchfleisches drehte sich an den eisernen Spießen. Das Gelächter und die Unterhaltungen übertönten das Zischen, wenn Fett in die Glut tropfte. Becher – 38 –
wurden herumgereicht und mit dem Getränk aus vergorenem Bienenhonig gefüllt – ein öliger Trank, der die Sinne anstachelte und den Blick verschleierte. Bedächtig mischte der Jarl den Met mit kaltem Wasser und rührte mit dem Finger um. Adwan, der Zauberer, kam in den Kreis, ging langsam und nervös an den Männern und Frauen vorbei und kauerte sich vor Kliffr auf den Boden nieder. »Jarl«, sagte er. »Ich habe die Runen geworfen. Die Stunde war günstig.« Er flüsterte heiser, und Sigrun warf angsterfüllte Blicke in seine Richtung. »In deinem Gesicht sehe ich es. Die Stunde war günstig, aber die Runen lagen nicht gut, wie?« Langsam schüttelte der Zauberer den Kopf. »Nein«, sagte er. »Zuerst viele Erfolge, dann keine mehr. Der Hunger wird über uns kommen.« »Verdammt!« sagte der Jarl und schluckte seinen Met. »Wann?« »Vor dem Winter. Bevor der Eisriese über das Land rennt. Wir alle werden hungern und bleich werden.« Kliffr zwang sich zur Ruhe. »Hast du es schon den anderen gesagt?« fragte er. »Nein. Ich sage es ihnen auch nicht. Aber die Asen verlangen ein Opfer. Sie zürnen uns, weil wir das Dorf verlassen wollen.« Kliffr lehnte sich zurück, indem er seinen Becher abstellte und die Knie mit den Händen umspannte. »Das dürfen sie nicht wollen«, sagte er und dachte mit deutlichem Unbehagen an die Insel, die von Dampf umhüllt war, und auf der die Asen wohnten und alles sahen und hörten, weil Hugin und Munin dem Odin alles zutrugen und Ratatöskr es ihm ins Ohr flüsterte. Verdammt. »Was wollen die Asen? Haben es die Runen gesagt?« Scheu blickte sich Adwan um und flüsterte fast unhörbar: »Sie werden ein Opfer verlangen. Und du weißt, was es bedeutet.« »Ein Opfer, wie? Und wann?« Adwan murmelte: »Bald. Noch vor dem Winter. Sonst verhungern wir alle.« Sein Blick richtete sich wie von selbst auf das junge Mädchen. Sie war noch unschuldig; alle anderen Frauen lebten mit ihren Männern zusammen. Olrun also, das fünfzehnjährige Mädchen mit den langen, braunen Haaren und den hellen, blauen Augen. Kliffr liebte sie, als ob sie seine eigene Tochter sei. Er schüttelte sich und raunte zurück: »Wir werden die Runen noch einmal befragen. Vielleicht geben sich die Asen mit einem Fohlen zufrieden.« Adwan zuckte mehrmals mit den Schultern und sagte leise: »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was Odin beschließen wird. Aber noch hungern wir nicht.« »Noch nicht.« Da waren sie wieder, die ernsten Dinge des Lebens. Hunger und Vorräte, Freude und Orakel. Leben und Opfer. Kliffr dachte daran, daß sie dereinst, wenn sie an dem sandigen Strand waren, sehr weit von den Raben Odins entfernt waren. Dann hörten auch die Menschenopfer auf. Und er wußte, ohne daß er sagen konnte, wie es
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geschehen war, daß der Zauberer keinen Unsinn erzählte, sondern daß er die Stimme der Götter in seinen Runen las. Das Fest des Fleisches fing an, als die ersten Bratenstücke herumgereicht wurden. Obwohl dreiunddreißig Menschen ausgelassen und fröhlich und später betrunken waren, blieben Kliffr und Adwan sehr ernst und betranken sich auch nicht.
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Auf den Bildschirmen der Monitor-Kontrolle zeichneten sich die Bilder deutlich ab. Ein Teil der Gespräche war mitgeschnitten worden, und beide Männer saßen jetzt im verdunkelten Vorführraum und sahen sich die wichtigsten Szenen noch einmal an. Dr. Lawrence Amsbary steckte eine Praline in den Mund, kaute darauf herum und sagte undeutlich: »Dieser McLane ist wirklich das Beste, was wir haben. Er hat sich binnen eines einzigen Vormittages bis tief in seine Gedanken hinein mit seiner Aufgabe identifiziert. Und er schießt mit dem Bogen – einfach sagenhaft. Ich hätte glatt verloren, wenn ich mich mit ihm in ein Wettschießen eingelassen hätte. Aber wird er auch die kommenden Schwierigkeiten durchstehen?« Professor Sherkoff nickte und erwiderte: »Cliff wächst mit seinen Schwierigkeiten. Deswegen bezeichnet ihn Wamsler auch als seinen ›besten Mann!‹ Er wird ernste Schwierigkeiten bekommen – und zwar schon in der nächsten Zeit.« * Sie flochten aus Weidenzweigen, die tagelang im Wasser aufgeweicht worden waren, die Fischfallen. Es waren große Körbe mit zwei Öffnungen; einer kleinen und einer großen. Mehrere Körbe waren hintereinander befestigt; mit Ringen aus Weidengeflecht. Diese langen, schaukelnden Fallen wurden vorsichtig dort aufgestellt, beziehungsweise ins Wasser eingesetzt und an Felsen und Pfählen befestigt, wo der Bach sich über die schwarzen Felsen in den Fjord hineinstürzte. Sigar und Helgrun arbeiteten an den Reusen. Sie wateten im warmen Wasser des Fjordes, befestigten die Weidenkörbe und richteten sie dergestalt aus, daß die Fische, die hier nach Abfällen suchten, die der Bach anschwemmte, entlang der Stäbe und Felsstücke in den vordersten Korb hineinschwimmen würden. »Und von dort oben können wir den letzten Korb hochziehen«, sagte Helgrun und deutete auf einen Felsvorsprung. »Ich werde den Balken und die Seile dort befestigen«, versprach Sigar. Sie kontrollierten die Befestigungen der acht Körbe aneinander. Die Öffnung des ersten war sehr groß, und die Weidenzweige deuteten nach innen, so daß die Fische nicht mehr zurück konnten, nicht mehr zu der Öffnung hinaus, durch die sie hereingeschwommen waren. Kliffr und Adwan hatten diese Reusen hergestellt und erfunden. Sie waren wirklich große Männer. Sie machten eine Pause. »Das Fleisch wird schon wieder knapp«, sagte Helgrun leise und sorgenvoll. Sigar nickte. »Die Männer schießen viel und treffen wenig oder nichts. Und Kliffr kann nicht ununterbrochen im Wald sein und schießen. Es gibt andere Aufgaben für ihn.« Sie sahen sich um und betrachteten eine Weile lang die zehn Männer, die am Schiff arbeiteten. Jetzt waren schon zwei Drittel fertig; die Bordwand war fast höher als der Scheitel Hassos. Aber sie schafften nicht mehr als einige Planken und Bretter am Tag. Alles mußte mühsam von Hand hergestellt werden. Es war eine langsame, mühevolle Arbeit, und es war nicht abzusehen, wann der Brandungskeiler
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auf den kurzen Rollen in das Wasser des Fjordes hineinrutschen würde, um mit geblähtem Rahsegel das Land mit den warmen Ufern zu suchen. Helgrun stieß einen tiefen Seufzer aus. »Es wird bald kalt werden«, sagte sie. »Dann kommt wieder die harte Zeit mit den Schneebergen.« »Und ohne viel Fleisch!« sagte Sigar. Sie banden die letzten Leinen fest, trieben einige Stöcke in den Boden und verankerten die Reusen. Dann nahmen sie ihr Werkzeug und gingen auf einem kleinen Umweg hinauf zu den Feldern, auf denen die Ernte stattfand. Fast alle Frauen der Siedlung arbeiteten hier. Kliffr stand mit dem Gespann am Rand eines abgeernteten Feldes. Er hatte aus langen Stangen, Lederriemen, einigen Metallstäben und Seilen eine Zugvorrichtung hergestellt, mit Adwans Hilfe, der vorher die Runen geworfen hatte. In dem Geschirr standen die beiden Stuten und waren aufgeregt. Als die letzten Strohbündel weggeräumt worden waren, nickte Kliffr. »Los!« sagte er und schlug auf die Kruppe eines Pferdes. Das Gespann ging vorwärts. Der kräftigste Mann des Stammes, der große Mondi, hielt die Griffe des Pfluges in den Händen. Bisher hatten sie den Boden mit der Hacke bearbeitet, und jetzt sollten die Tiere für sie arbeiten. Die Pflugschar senkte sich in den harten, trockenen Boden. »Geht es gut?« fragte Kliffr nach hinten. »Ausgezeichnet! Nur kann ich die Pflugschar nicht richtig führen. Die Furchen werden nicht ganz gerade!« Kliffr rief: »Wir werden heute nacht einen Schlitten bauen!« Kliffr führte die beiden Pferde und trieb sie an, als sie stehenbleiben wollten. Mondi brach den Boden auf und versuchte die Furchen gerade zu halten und genau nebeneinander zu setzen. Am späten Nachmittag hielt Kliffr das Gespann zum letztenmal an und sah sich um. »Gut gemacht, Jarl!« sagte Mondi. Er war schweißüberströmt, schmutzig, aber er grinste breit. »Im nächsten Jahr wird hier viel mehr wachsen. Die Halme werden höher werden und mehr Früchte tragen!« »Und wir haben für eine Arbeit, die sonst fünf Tage und zwanzig Männer kostete, einen guten halben Tag gebraucht« sagte Kliffr. »Morgen säen wir und pflügen sie unter, die Saat.« »Einverstanden! Eine Fläche, die fast die Hälfte ihrer Felder umfaßte, lag jetzt vor ihren Augen. Furche lag neben Furche, nicht immer gerade, aber meist sehr eng nebeneinander. Die aufgebrochene Erde war schwarz und fett, und noch nie in ihrer Geschichte waren sie so tief in den Boden eingedrungen. Das Stroh und die Abfälle des Schneidens waren untergepflügt worden, und es roch kräftig und herb. Als sich Kliffr abermals umdrehte, sah er, daß Männer und Frauen die gefüllten Kornsäcke ins Vorratshaus trugen und dort auf die breiten Holzgestelle legten. Die Ernte war sehr gut gewesen, und sie würden im Winter keinen Mangel an Getreide haben. Wenigstens eine Gewißheit hatten sie. Die Arbeiten gingen weiter.
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Vier Tage später, als Helgrun und Sigar die Reusen ausleerten, stand der Mann auf dem nassen Felsen, der mit einem dünnen Moospolster überzogen war. Sigar zog langsam den schweren Korb voller glänzender, zappelnder Fischleiber hoch und grinste, als er die Menge sah und das Gewicht spürte. Sie würden einen Teil der Fische essen und einen anderen Teil einsetzen und räuchern – auch hier waren schon die Vorräte für den Winter. Helgrun schrie von unten herauf: »Vorsicht! Der Korb stößt an die Felsen!« Sigar beugte sich weiter vor, und den schweren Korb im richtigen Abstand von den schwarzen Klippen zu halten. Der Korb schwang langsam hin und her und drehte sich ein wenig, Meter um Meter schwebte er weiter hoch, und schließlich blieb er unter einem kleinen Felsvorsprung stecken. Sigar lockerte das Seil, beugte sich mehr vor und machte einen kleinen Schritt nach vorn, dann zog er wieder an. Im selben Augenblick glitt er aus, er ließ den Korb fallen, schrie auf und breitete die Arme aus. Er fiel wie ein großer Vogel abwärts, schrie ein zweitesmal gellend auf, drehte sich halb und prallte dann auf die Steine. Es gab einen dumpfen, harten Schlag, als die Knochen brachen und der Schädel in einen dreieckigen, scharfen Stein hineinschlug. Helgrun sah den Korb über die Felsen rollen, die Fische darin zuckten und schlugen mit den Schwänzen, und sie hielt den Korb mit den Füßen auf. Dann preßte sie die Hand vor den Mund, biß sich in die Finger und rannte durch das seichte Wasser, das von Tag zu Tag kälter wurde, zurück in die Siedlung. Das Mädchen kam mit fünf Männern zurück, die ein langes, breites Brett mit sich trugen. Sigar war tot. Er war gestorben, als der Felsen in seinen Schädel eingedrungen war und das Hirn herausplatzte. Hasso sagte: »Seit langen Jahren der erste Tote dieses Stammes. Warum hat er nicht achtgegeben?« Adwan murmelte düster: »Die Runen haben es gesagt. Unfrieden und Tod werden über uns kommen und Hungersnöte. Die Götter fordern ein Opfer!« Sie hoben den Toten auf das Brett und banden seine Handgelenke leicht aneinander, damit die Arme nicht seitwärts über die Kanten des Brettes hinunterhingen. Dann gingen sie schweigend und langsam zurück in die Siedlung. Vier Männer trugen das Brett mit dem Leichnam. * Zwischen den beiden großen Feuern standen Kliffr und Sigrun. Kliffr hatte seinen Arm um die Schulter der Frau gelegt. Die Gestalten waren durch den Rauch und die zuckenden Flammen in ein düsteres, rotes Zwielicht getaucht. Sie warteten darauf, daß der ablandige Wind stärker wurde. »Mehrmals hat das Orakel gesprochen«, murmelte Kliffr. »Der Herbst ist da, der Winter kommt, und wenn der Schnee geschmolzen ist, werden wir alle verhungert sein.«
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Die Feuer beleuchteten auch, schwach und schemenhaft, das unfertige Schiff. Es würde auch noch im Winter dort stehen, auf dem Kiel balancierend und gestützt von Hassos schräg in den Boden gerammten Balken. Sigrun sagte halblaut: »Was hat Adwan vom Opfer gesagt?« Kliffr zuckte die Schultern und sah zu, wie einige Männer und ein paar weinende Frauen den Leichnam in das kleine Boot betteten, das so ähnlich geformt war wie das Schiff. Sie legten Nahrungsmittel dazu und Waffen und befestigten das Segel. Der Wind von Osten wurde stärker. »Wir werden es bringen müssen«, sagte Kliffr. »Vielleicht treffen dann die jungen Jäger besser.« Kliffr war es gelungen, im Lauf des Frühherbstes den vierunddreißig Menschen klarzumachen, was sie zu tun hatten. Und daß alles nur dann getan werden konnte, wenn jeder sein Bestes gab. Das Schiff mußte gebaut werden, gleichzeitig liefen die anderen Arbeiten. Und zur Stunde sah die Lage alles andere als befriedigend aus. Die Anzahl der Ziegen und Schafe hatte nicht in dem Maß zugenommen, wie sie es alle erhofft hatten. Die Pferde hatten ihnen zwar bei vielen Arbeiten helfen können, nicht aber zu erfolgreichen Jagden beigetragen. Sie hatten Stämme aus dem Wald hierher gezogen, hatten mitgeholfen, das Erdreich zu bewegen und die Fundamente der wenigen neuen Hütten zu bauen, indem sie schwere Steine die Abhänge hinaufgezogen hatten. Aber alles andere war langsamer gegangen, als Kliffr geschätzt hatte. Die Krise näherte sich. Zwei Hirsche und ein Reh – das war die gesamte Ausbeute des Sommers gewesen: drei Tiere konnten von den jungen Jägern erlegt werden. Alles andere hatte Kliffr mit seinen Pfeilen erlegt. Der erste Tote... Der drohende Mangel an frischem Fleisch... Das Opfer... Und das Schiff, das sie erst im frühen Sommer des nächsten Jahres besteigen konnten... Kliffr schüttelte den Kopf. »Sie bringen das Boot zum Wasser!« flüsterte Sigrun. Ein Gespann von zwei Pferden zog das Boot, unter dessen Kiel die Männer dünne Rollen gelegt hatten. Vier Männer hielten das Boot im Gleichgewicht und verhinderten, daß es zu schnell abwärts rollte. Die Siedlung war ganz leer und still. Alle Bewohner trauerten schweigend um Sigar. Sie stellten sich nacheinander auf dem schmalen Grasstreifen zwischen den Klippen und den Feldern auf. Einige von ihnen trugen Fackeln, und die Frauen hielten die vier Kinder an sich gepreßt. Kliffr suchte mit den Augen seine besten Männer: Hasso Björnson stemmte sich gegen das kleine Boot und hielt mit einer Hand das flatternde Segel fest. Mondi führte die beiden Pferde, und aus seiner Hütte kam der Zauberer Adwan. Er trug den alten, rituellen Bogen und die beiden Pfeile. Ihre Spitzen waren mit Wergbündeln umwickelt, die mit Harz durchsetzt waren. Jetzt war der Wind noch stärker geworden. Er pfiff von den östlichen Bergen heran, und der lange, dreimal
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gewundene Fjord, dessen Wände höher wurden, je mehr sich das Wasser dem offenen Meer näherte, wirkte als Windbrecher. »Kliffr! Der Bogen!« sagte der Zauberer Adwan. »Ich komme!« erwiderte der Jarl. Dunkelheit erfüllte sein Herz und seine Gedanken. Er trug die Verantwortung, und er mußte etwas ersinnen, das der Siedlung eine gewaltige Menge Fleisch brachte. Das Menschenopfer? Auch das wollte nicht er – die Götter wollten es. Wenn es dem Wohl der Siedlung diente, dann mußte es sein. Alles war so unendlich mühevoll. Und es würde erst besser sein, wenn die warmen Küsten erreicht waren. Kliffr ließ die Schulter der Frau los und ging hinüber zum Zauberer. Er nahm ihm den Bogen und die beiden Pfeile aus den Händen und nickte. Er sagte: »Du hast die Runen geworfen, Adwan?« Der Zauberer verschwand in der Hütte und kam mit einer Fackel zurück. Nebeneinander gingen die beiden Männer zu einem der großen Feuer. »Ja!« sagte Adwan einsilbig. »Was sagten sie?« fragte der Jarl. »Die Asen wünschen ein Opfer. Dann wird sich alles wenden.« »Wann?« Kliffr sah, weiter vorn, das Mädchen. Es war, nach uraltem Brauch, als Opfer ausgesucht. Es war stets das älteste Mädchen, das noch keinen Mann gehabt hatte, dazu berufen. So wollten es die ungeschriebenen Gesetze der Götter. »Wenn der erste Schnee gefallen ist«, sagte der Zauberer. »Dann sollen wir den Holzstoß anzünden.« »Ich verstehe.« Adwan entzündete die schwere Fackel am Feuer, und die beiden Männer gingen bis an die steilen Klippen heran. Sie boten jetzt, im Licht der fernen Flammen, ein wunderbares Bild. Schwarz und glänzend, voller geheimnisvoller Schatten – in solchen Felsen wohnten die Gnomen und die anderen Geister der Nacht, des Waldes und der Erde. Kliffr blieb hier stehen und sah hinunter zu den Männern, die jetzt die Pferde ausschirrten und das Boot vorsichtig ins Wasser schoben. Mondi stand da und hielt ein dünnes Tau in beiden Händen. Als Hasso das Segel freigab, füllte es sich knallend mit Wind. »Du mußt es treffen!« sagte der Zauberer. »Ich weiß, Adwan«, sagte Kliffr. Er legte einen Pfeil auf die Sehne, zog den schweren Bogen probeweise ein paarmal aus und hielt dann auf das Boot, das dreißig, vierzig Meter unterhalb der Klippen an dem Tau zerrte Mondi hielt es fest, aber seine Muskeln zitterten. Erst als Hasso ihm half, konnten sie das Boot gegen den Wind halten. Kliffr nickte und rief mit dröhnender Stimme: »Schneidet das Tau durch, Männer!« Hasso schrie zurück: »Wir senden Sigar zurück zu seinen Ahnen. Er wird im flammenden Boot zu Odin fahren, zu den Nebelinseln.« Dumpfes Murmeln kam aus der Reihe der anderen Männer und Frauen. Die Fackeln blakten, Rußfetzen trieben vorüber. Kliffr drehte sich halb herum und hielt die Spitze des Pfeiles in die Flamme der Fackel. Das Werg flammte auf, zischend und knisternd brannte das Harz und tropfte brennend auf den Boden. Dann schnitt – 45 –
Hasso das Tau durch. Mit belegtem Ruder trieb das Boot schnell von der Spitze des Landes zwischen den beiden Fjordausläufern ab. Der Wind kam von achtern und würde es durch die Windungen des Fjordes sicher auf das offene Meer hinaustreiben; die Felswände wirkten wie zwei Wälle, zwischen denen der Wind passieren mußte. Kliffr preßte die Kinnbacken aufeinander und schoß. »Ja! Gut!« sagte der Zauberer. Der Pfeil, der einem fallenden Stern glich, beschrieb eine flache Kurve. E r wurde genau um den Abstand abgetrieben, den Kliffr geschätzt hatte. Dann schlug er im Heck des Bootes mit dem geschnitzten Drachenkopf ein, zu Füßen des Toten. Kliffr murmelte schmerzlich: »Der zweite Pfeil!« Während das Boot an ihm vorbeitrieb, flammte die Pfeilspitze auf. Kliffr schoß ein zweitesmal, und der Pfeil fuhr hinter dem gekrümmten Kiel in den Bug. Kleine Flammen breiteten sich hinten und vorn im Boot aus, berührten die Bordwände, sprangen auf die Taue über und brannten winzige Löcher in das Segel. Der Wind trieb das Boot weiter, bis zur Krümmung. Er entfachte die Flammen, die im Segel und im trockenen Holz Nahrung fanden. Das Fett und die Nahrungsmittel, die man Sigar auf die lange Reise mitgegeben hatte, brannten ebenfalls, so auch die Felle und die Lederweste. Als das Boot mit schäumendem Kielwasser, das durch die Flammen gespenstisch beleuchtet wurde, die Passage zwischen den beiden riesigen Felsabstürzen erreicht hatte, brannte es lichterloh. Eine Weile lang zuckten noch die Flammen auf den Steilwänden, dann wurde es wieder dunkel. Sigar war auf dem Weg zu den Nebelinseln, wo ihn die Götter empfangen würden. Als Kliffr daran dachte, knurrte er unwillig. Dort würde Sigar in diesem Winter nicht zu hungern brauchen. »Geh jetzt!« sagte der Zauberer. »Rufe morgen die Männer zusammen. Alle Männer. Ich werde einen Jagdzauber machen.« »Ich werde es tun!« versprach der Jarl. Als er zwischen den Fellen lag, den linken Arm um die Schultern der Frau, dachte er nach. Es gab einen deutlichen Unter schied zwischen dem, was er wußte und tat, und dem, von dem er ahnte. Jeder einzelne Handgriff, der nach dem langen Sommer erfolgt war, bereitete allen Männern große Schwierigkeiten. Es war, als ob sie plötzlich, über Nacht, alles vergessen hatten. Kliffr hatte dadurch, daß er sie ständig beschäftigte – was für das Weiterleben der Siedlung unumgänglich war –, ihr Fett verschwinden lassen und alle Handgriffe wieder eingeübt. Jetzt besaßen sie schwielige, harte Hände und kräftige Muskeln. Es war ihm selbst nicht anders gegangen. Aber er hatte sich sehr schnell wieder an alles erinnert. Was wußte er noch? Mindestens dreißig große Tiere mußten noch geschossen werden, damit das Fleisch über den Winter reichte. Alle anderen Nahrungsmittel reichten aus. Und die Saat war bereits unter der Erde. Wenn er alle Männer versammelte und eine Treibjagd ansetzte, dann stockten die Arbeiten am Schiff und alle anderen Arbeiten: das Gerben der Felle und das Flechten der Seile, und tausend andere Dinge – 46 –
ebenfalls. Und das Wagnis war zu groß. Bisher waren die Männer nicht nahe genug an das Wild herangekommen, oder sie hatten es verfehlt und bestenfalls leicht verwundet. Ihnen hatte, wenigstens bis jetzt, alles gefehlt, was einen guten Jäger ausmacht – jener Instinkt, der jedem erfahrenen Jäger zur richtigen Zeit sagte, was zu tun war. Sigar hatte den Instinkt nicht besessen; er war auf dem glatten, feuchten Moos ausgerutscht und hatte sich zu Tode gestürzt. Und ein großes Rätsel war: Alle Männer hatten deutlich die vergangenen Jahre in der Erinnerung. In diesen Jahren hatten sie alle gut gejagt, und jeden Abend war frisches Fleisch über den Feuern gewesen und trocknendes Fleisch an den geschälten Fichtenstangen in der frischen Luft. Und gutes Fleisch im Rauch der Feuer, die schwelten und unter deren Brennstoff man Gewürze und Kräuter aus dem Wald geworfen hatte. In der Erinnerung waren sie alle große Jäger gewesen – warum nicht hier, jetzt und heute? Voller ernster Sorgen schlief Kliffr ein. Unruhig bewegte sich neben ihm die junge Frau. Auch sie wußte, daß die Not über die Siedlung kommen würde. * Durch den breiten Eingang fiel das Sonnenlicht in den Raum. Kliffr und der Zauberer standen hinter dem niedrigen Tisch. Auf dem Tisch lagen einige Gegenstände; beide Männer hatten die Felle vor dem Eingang zurückgeschlagen und betrachteten die Stücke vor ihnen. Da waren einige lange Haare aus dem Schweif des Pferdes, ein rostig aussehender, langer Steinsplitter, ein runder Tontopf und andere Dinge. »Ich habe immer wieder versucht, den Stein zu drehen«, sagte der Zauberer. »Er deutet stets dorthin, wo die Sonne nie zu sehen ist.« Kliffr nickte. »Wir werden den Stein brauchen. Wiederholst du den Versuch?« Der Zauberer nickte. Er nahm einen Wasserkrug und goß den runden Tontopf etwa halb voll. Dann setzte er den Topf in den Sand, der auf dem Tisch aufgehäuft war. Er nahm einen Ast und band mit dem Pferdehaar den Steinsplitter daran. Er knüpfte die Schlinge genau im Mittelpunkt des Splitters, so daß er waagrecht an dem Haar baumelte. Dann nahm der Zauberer ein ganz dünnes Brettchen, legte den Splitter darauf und setzte beides auf die Wasserfläche in dem runden Tongefäß. Dann steckte er den anderen Teil des Astes zwischen die Tischbretter und richtete ihn aus. »Er schwimmt!« Auf dem Brettchen, halb im Wasser, schwamm der Steinsplitter. Jetzt straffte sich das Pferdehaar, und der Splitter begann sich zu drehen. Er zeigte zuerst nach Sonnenaufgang, dann nach Sonnenuntergang, schließlich, nach einer Reihe von langsamen Drehbewegungen, genau nach Norden. Der Splitter bewegte sich nicht mehr. »Siehst du, Jarl?« Kliffr nickte langsam. Die Möglichkeiten, die er durch dieses Wundermetall hatte, waren groß. In der Nacht und dann, wenn Wolken die Sonne verdunkelten, konnten sie die Richtungen bestimmen, wenn einmal das Schiff schwamm und sie – 47 –
die fremden Küsten suchten. Sie mußten nur diesen Splitter des Wundermetalls bei sich haben. »Gut!« sagte Kliffr. »Bewahre diesen Splitter gut auf, Adwan. Wir brauchen ihn, wenn die Sonne wieder stark wird.« Der Zauberer lachte kurz: »Wenn wir dann noch leben, Jarl!« »Und das Traurige ist, daß du vermutlich recht haben wirst!« knurrte Kliffr. »Der Nahrungsmangel wird zu einer ernsten Bedrohung werden. Wenn ich nur wüßte, was zu tun ist!« Der Zauberer knurrte düster: »Opfer!« Kliffr winkte ab. »Ich weiß. Ich will die Götter nicht beleidigen... aber vor dem Opfer versuche ich noch eine Treibjagd.« Der Zauberer murmelte: »Du willst es tatsächlich mit deinen jungen, schlechten Jägern versuchen?« »Ja. Wenn sie nicht jagen können, werden sie zumindest Feuerbrände schwingen und laut schreien können!« Kliffr schaute die Anordnung der verschiedenen Gegenstände auf dem Tisch an, warf Adwan einen langen, sorgenvollen Blick zu und ging aus der Hütte hinaus. E r holte mehrmals tief Atem; in der Hütte stank es nach alten Fellen, nach Schweiß und Kräutern, die unter dem dicken Gras des Daches hingen, als Schutz gegen Blitzschlag und Hagel. Dann ging der Jarl schnell über den Platz, blieb neben Mondi stehen und sagte hart: »Rufe alle Männer zusammen!« Mondi fragte kurz: »Jagd?« Er war einer der besten Schützen, und Kliffr überlegte kurz, ob er und Mondi vielleicht allein... er verwarf den Gedanken wieder. Es würde zu lange dauern und zu wenig bringen. »Treibjagd!« sagte er laut. »Alle vierzehn Männer dieses Dorfes. Morgen früh gehen wir los.« »Ich werde sie zusammenrufen.« »Gut so!« Kliffr ging in seine Hütte. Er war noch immer nicht ganz davon überzeugt, daß er recht hatte. Er holte seine Waffen heraus und sah sie durch. Sie waren in vorbildlichem Zustand. Kliffr blickte sich um, und seine Augen gingen entlang des Waldrandes, über die vorspringenden Klippen und den Kiesstreifen. Dann wußte er, was er zu tun hatte. Er grinste und schrie: »Sigrun! Weib!« Die junge Frau kam aus der Hütte und blickte ihn an, die Arme in die Seiten gestemmt. Sie sagte mit rätselhaftem Gesichtsausdruck: »Wenn du mich immer rufst, kann ich nicht arbeiten – was ist es diesmal wieder?« Kliffr sagte laut: »Ich brauche Essen für vier oder fünf Tage. Sage den anderen Frauen, sie sollen die gleiche Menge für ihre Männer zurechtmachen. Wir gehen auf Jagd.« – 48 –
»Endlich!« sagte sie, drehte sich um und verschwand im Eingang. Am nächsten Morgen brachen sie auf. Dreizehn Männer in einer langen Reihe. Sie trugen nicht alle Waffen. Da sie schnell sein mußten, sehr schnell, konnten sie nicht viel Gepäck mit sich nehmen. Kliffr zäumte das Pferd, legte eine Felldecke auf den Rücken und schnallte sie mit einem breiten Lederriemen fest. Dann näherte sich der Zug, kaum daß die Sonne aufgegangen war, dem Waldrand. Kliffr ritt zwischen seinen Männern und erklärte ihnen den Plan, den er entwickelt hatte. Zwei Tage lang ritten und liefen sie genau nach Norden, dorthin, wo der Steinsplitter zeigte. Überall sahen sie Wild. Hirsche und Rehrudel... Elche in größeren Familien... Bären und Wölfe... und ungeheure Mengen von Hasen und Flugwild. Keiner von ihnen machte den Versuch, etwas zu schießen. Am Morgen des dritten Tages fing die Jagd an. »Ihr auf diese Lichtung, und einen halben Tag weit. Ihr in die andere Richtung. Ihr bildet dann eine lange, weit auseinandergezogene Linie. Und ihr müßt schreien und auf die Büsche schlagen. Ihr geht nach Süden und bildet in der Nähe der Siedlung einen Halbkreis.« Mondi fragte leise: »Wir sollen die Tiere auf die Siedlung zutreiben?« »So ist es«, sagte Hasso. »Vermutlich will Kliffr, daß sie sich über die schwarze Klippe zu Tode stürzen.« Kliffr sprang vom Pferd und spähte zwischen den Baumwipfeln in den Himmel, dessen Farbe von einem fahlen Grau in ein Hellblau wechselte. »Genau so habe ich es geplant. Wir werden eine Menge Fleisch haben – aber geht den Raubtieren aus dem Weg. Außerdem... wenn Tiere aus dem Ring zu fliehen versuchen, dann treibt sie nicht zurück. Es wird, wenn wir Glück haben, mehr als genug Fleisch geben.« »Wir haben verstanden!« Der Wald hallte jetzt wider von den Geräuschen, die sich nach den ersten Strahlen des Tages ausbreiteten. Vögel flogen aufgeregt hin und her. Die Kette der Männer zog sich langsam auseinander, fast lautlos und in einer langen Reihe. Sie verschwanden zwischen den nassen Büschen und zogen breite Spuren durch das feuchte Gras. Kliffr hielt sich in der Mähne des Hengstes fest, spannte die Muskeln und sprang auf den Rücken des Tieres, dann riß er hart an den Zügeln und sprengte davon. Er bewegte sich schnell entlang der geraden Spur, die nach Süden führte. E r kam an den Resten des nächtlichen Lagers vorbei und ritt schnell in die Richtung der Siedlung. Dann zogen vor seinen Gedanken die Umrisse und die Marken des Geländes vorbei. Er wußte, daß alles davon abhing, ob die aufgescheuchten Tiere entlang eines bestimmten Streifens liefen – er führte sie geradewegs auf die schwarze Klippe zu, unter der sich die Felsen und die Kiesbank erstreckten. Er hatte in den folgenden Stunden dafür zu sorgen, daß die Tiere den ausgerechneten Weg nahmen. Wenn sie vom Weg abkamen, überrannten sie die Siedlung – und das bedeutete den Tod für alle Frauen und die Kinder. Und die Zerstörung des Schiffes.
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Kliffr hielt das Pferd an, riß einen federnden Ast von einem Haselnußstrauch und riß, während er weiterritt, die Blätter ab. Unablässig überlegte er, wie er die Tiere in der beabsichtigten Bahn halten konnte. Der Ritt wurde schneller. Schließlich, als das Pferd Schaum um das Maul hatte und stark schwitzte, als sie in die Siedlung einritten, wußte der Jarl, was zu tun war. Er sprang vom Pferd, warf die Zügel dem jungen Mädchen zu und rannte in das Vorratshaus. Er kam zurück, beide Arme voller Fackeln. Dann rief er Sigrun und Helgrun und erklärte ihnen, was sie zu tun hatten. Er selbst steckte das schwere Beil, mit dem er hin und wieder Bäume fällte, in den Gürtel, vergewisserte sich, daß seine Waffen noch vollständig und unversehrt waren, und ritt zurück, kaum daß man das Pferd trockengerieben und getränkt hatte. »Beim Thor!« murmelte er. »Es muß gehen. Sonst sterben alle meine Pläne!« Dann, einige Stunden später, stand er an der Stelle, wo sich der Boden des Waldes senkte. Die Senke wurde, je mehr sie sich der Siedlung und der Klippe näherte, schmaler und tiefer. Kliffr nahm einige der Fackeln, die er sich auf den Rücken geschnallt hatte, und rammte sie tief in den Waldboden. Sie bildeten kurze Zeit später eine Art niedrigen Zaun in zwei Teilen. Dort, wo sie offen blieben, befand sich der Eingang der Senke. Und – entlang dieser Senke steckten jetzt gerade Helgrun und Sigrun andere Fackeln in den Boden. »Jetzt heißt es warten!« Kliffr aß etwas und konnte es kaum hinunterschlucken, so aufgeregt war er. Am frühen Nachmittag hörte er den Lärm. Sie fingen an! Fern im Norden schrien die Männer und schlugen mit den Schäften ihrer Speere gegen die Baumstämme. Dadurch erzeugten sie hohl und hart klingende laute Geräusche. Diese ungewohnten Töne und die gellenden Jagdschreie der Jäger erschreckten das Wild, das sich tiefer in die Verstecke duckte. Es wurde aus den Büschen hinausgetrieben, als die Speere sich in die Blätter bohrten und peitschend auf die Äste der kleineren Bäume und der Büsche schlugen. Hasen sprangen, hakenschlagend, aus der Niederung auf und rasten davon. Rehrudel sprangen über natürliche Barrieren und hetzten nach Süden, dorthin, wo es keinen Lärm gab und wo keine Gestalten zwischen dem Grün des Waldes auftauchten, schreiend und stampfend, Stäbe schwingend und heulend. Die Männer ganz rechts und ganz links in der lockeren Kette gingen und liefen etwas schneller. Dadurch verwandelte sich die Gerade unmerklich langsam in einen leichten Kreis. Eine zangenartige Bewegung wurde durchgeführt. Der Wald begann sich mit Leben zu füllen, und die jungen Jäger sahen erst jetzt richtig, an wie vielen Tieren sie vorbeigezogen waren, ohne sie überhaupt zu sehen. Das verdoppelte ihren Eifer und ihre Geschwindigkeit. Langsam kam es wie ein Rausch über sie. Fleisch... riesige Mengen von Fleisch. Während sie schrien und um sich schlugen und über Gräben und umgestürzte Baumstämme rannten, kamen ihnen die Gedanken an die nächsten Monate und Jahre wieder.
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Sie würden wieder, durch frisches Fleisch gekräftigt, schneller arbeiten können. Das Schiff war vielleicht noch vor Einbruch des Winters fertig. Wer würde mit Kliffr segeln? Vor ihnen rannten die Tiere nach Süden, in die Sonne des Mittags hinein. Die Jagd wurde schneller. Die Männer liefen und blieben dann und wann kurz stehen, um ihre rasselnden Lungen zu beruhigen oder sich Oberkörper und Gesicht in einem kleinen See oder einem Bachlauf zu kühlen. Einmal fand ein Jäger ein Reh mit gebrochenen Läufen – er schnitt ihm den Hals durch und trank das Blut, das ihn sofort mit einer zauberischen Kraft erfüllte. Er sprang auf, nahm seine Speere und raste weiter, den Geräuschen hinterher, die von Rehen und Elchen, Hirschen und Hasen und großen, eßbaren Laufvögeln verursacht wurden. Zwölf Männer bildeten einen Drittelkreis. Dieser Kreis bewegte sich, während sich die äußeren Flügel immer mehr einander näherten, schnell von Norden nach Süden. Um jeden der zwölf Jäger hatte sich eine Zone von Lärm und Schrecken gebildet. Hunderte von großen und kleinen Tieren rannten vor diesem Lärm davon, und da die Lautstärke dem Abstand entsprach, näherten sich die Tiere immer mehr den äußersten Punkten des Zaunes aus nicht entzündeten Fackeln in deren Nähe der Jarl wartete. Stunden vergingen. Der Abend näherte sich, die Sonnenstrahlen wurden rot und fielen schräg durch die Bäume. Kliffr hörte in den Wald hinein und spannte alle seine Sinne an. Er saß neben einem kleinen Feuer, das in einem Ring hoher, flacher Steine brannte. Neben ihm lagen zwei Fackeln, und der lohfarbene Hengst war an einem Baum angebunden und äste friedlich, sammelte Kräfte für den letzten Teil des harten Rittes. Kliffr versuchte, jede Einzelheit des näherkommenden Lärms genau zu erkennen; es war wichtig, daß die Fackeln zur richtigen Zeit angezündet wurden. Brannten sie schon jetzt, bestand die Gefahr, daß sie erloschen waren, wenn die größte Masse der Tiere hier entlangpreschte. Wurden sie zu spät angezündet, dann konnte es sein, daß der Jarl von den rasenden, verängstigten Tieren überrannt und getötet wurde. Auch das bedeutete Unsicherheit und Niedergang der kleinen Siedlung. Als die ersten Hirsche röhrend und mit zurückgeworfenen Köpfen und rollenden, weißen Augen an ihm vorbei ins Zentrum der Senke sprangen, stand der Jarl auf. Er nahm die beiden Fackeln, hielt sie in die Flammen und schwenkte sie, sobald sie zu glühen anfingen, im Kreis. Flammen loderten hoch, und im dämmerigen Wald rannte Kliffr hinüber zu den in den Boden eingerammten Fackeln. Er zündete eine nach der anderen an, und wenige Zeit später ließ er hinter sich eine Reihe von spitz hochzüngelnden Flammen, von deren Kern kleine Funken nach allen Richtungen in das feuchte Moos sprangen. Breite, wolkige Rauchfahnen schlängelten sich im Zickzack hinauf zu den Wipfeln der Bäume. Mit zwei riesigen Sprüngen war der Jarl durch die Senke hindurchgetaucht, zwischen einem Rudel Rehe und einer Schar von Hasen, die halb wahnsinnig vor Angst waren, dann entzündete er eine Fackel nach der anderen. »Sie brennen... jetzt schnell zurück!« murmelte er. Er stieß das Lagerfeuer aus, warf nasses Moos darauf und Sand, kippte die Steine um und hielt dann beide Fackeln in der Hand, als er den Hengst losband und sich auf den Rücken des Tieres schwang. – 51 –
Er peitschte die Flanken des Pferdes und ritt in einem gestreckten Galopp zurück zur Siedlung. Die beiden Fackeln in seiner Hand loderten und verbreiteten lange Rauchschwaden. Jetzt kam der Hauptstrom der flüchtenden Tiere. Er lief rechts von Kliffr. Links breiteten sich die Felder, die Häuser der Siedlung und das Holzlager neben dem Schiff aus. Das Ende der Jagd kam näher, zugleich mit dem Tappen unzähliger Füße, dem Brechen von Ästen und Gesträuch und dem gellenden Lärm der Männer, die sich wie in einem Rausch befanden.
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»Sie sind jetzt fast zehn Wochen – nach der Rechnung des Planeten Gosheen palmyra II – in der für sie neuartigen Umgebung. Es ist erstaunlich, wie schlecht sich die meisten jungen Männer umstellen konnten. Sie wären, trotz des sehr umfangreichen Erinnerungsprogramms, verhungert.« Henessey nickte bekräftigend. Sie sahen jetzt auf einigen Monitoren bereits die Infrarotaufnahmen – die Helligkeit hatte zu sehr abgenommen. »Trotzdem«, sagte Professor Sherkoff, »ist die Situation im Augenblick sehr stabil, übersichtlich und, für uns hier, außerordentlich informativ. Die Fähigkeit, oder vielmehr Bereitwilligkeit des Homo sapiens stellaris, sich den finstersten Bräuchen zu unterwerfen. Wenn ich mir vorstelle, daß wir diesem jungen Raumfahrer, wie eben zu sehen war, zugemutet hätten, das heiße Blut aus der Halswunde eines Rehes zu trinken...«, er ließ den Satz unbeendet. »Hoffentlich brauchen wir nicht einzugreifen.« »Hoffentlich nicht«, sagte Dr. Lawrence Amsbary und wickelte ein Rum-AnanasDessert aus der Goldfolie. * Die beiden Frauen hatten jeweils etwa zwanzig Fackeln angezündet. Zwischen den Stämmen loderten steile Flammen und blakten Rauchsäulen. Ein breiter Strom von Tieren rannte durch die Senke. Die Tiere waren in breiter Bahn aus dem Wald hervorgebrochen und hatten sich den beiden brennenden, stinkenden Zäunen gegenübergesehen. Von beiden Seiten drängten daraufhin die stärkeren Tiere die schwächeren zusammen; aus einer breiten, ungeordneten Flut wurde ein reißender, nachdrückender Keil. Tiere, die scheuten und nach den Seiten ausbrechen wollten, wurden von der Masse der anderen vorwärtsgeschoben und weitergedrängt. Sie rannten geradeaus. Dann, als aus der Senke eine schmale Schlucht wurde, die an mehreren Stellen wieder unterbrochen war und Gelegenheit zur Flucht gab, sahen die Tiere an genau dieser Stelle die zweite Barriere aus Rauch und Feuer. Sie schreckten abermals zurück. Und dann, endgültig, nahmen sie Richtung auf die schwarze Klippe. Diese Gesteinsnase sprang vor wie der Bug des Schiffes und fiel jäh ab, etwa zwanzig, dreißig Mannslängen tief. Darunter waren Felsen, Kies, verkrüppelte Bäume und niedrige Sträucher. »Wie der Ritt der Götter!« murmelte Kliffr. Er saß auf dem Pferd, nahe der Siedlung, und betrachtete die ersten Gruppen der Wildtiere, die aus dem Wald hervorschossen, noch blind von Panik, Furcht und Feuer. Sie rannten geradeaus, liefen über die ebene Fläche und wichen vor dem Abgrund, den sie rechts und links der spitz zulaufenden Klippe zu ahnen schienen. Aber die nachdrückenden Tiere schoben und drängten. Jetzt erreichte das erste Tier, ein riesiger Elch, die Spitze der schwarzen Klippe. Er warf sich zurück, bäumte sich auf, und aus seiner Kehle drang ein seltsamer langgezogener Laut, der wie ein Husten klang. Kliffr hatte noch niemals einen solchen Schrei gehört. – 53 –
Dann rutschte das Tier auf den Hinterbeinen ab. Es fiel nach vorn, überschlug sich in der halben Dunkelheit mehrmals und krachte tief unten mit einem häßlichen Geräusch auf den Stein. Zwei Rehe folgten; sie schienen für ganz kurze Zeit im Flug stillzustehen. Dann fielen auch sie senkrecht nach unten. Einige Tiere wichen seitlich aus, liefen einen engen Bogen und kamen direkt auf den Jarl zu. »Soll ich...?« überlegte Kliffr laut. Wenn es nur ein paar erschreckte kleine Tiere waren, dann bestand für die Siedlung keine Gefahr. Aber wenn sich andere Tiere anschlossen und dieser Spitze blind folgten, dann konnte der Strom der Tiere die Siedlung überrennen, die Frauen und Kinder töten und die Häuser zerstören. Kliffr hob die beiden Fackeln, schwang sie in weiten Kreisen und schrie dabei. Das Pferd wurde unruhig, tänzelte nervös hin und her, stieg mit den Vorderbeinen hoch, und der Jarl hatte Mühe, das Tier ruhig zu halten. Er holte aus, schwang ein paar Kreise mit der aufzischenden, hellen Fackel und warf dann das brennende Gewirr von Binsen, Holz und Harz den Tieren entgegen. Hakenschlagend, übereinander springend, ausrutschend und mit angstvoll geweiteten Augen drehten die Tiere um und rasten im Zickzack wieder auf den Hauptstrom zu, der sie mit sich riß in den Tod. Der Lärm aus dem Wald kam immer näher – die Jäger waren nur noch einige hundert Mannslängen entfernt. Hundert oder mehr Tiere waren bereits tot oder lagen verendend auf einem Haufen unter der Klippe, der größer und größer wurde. Es war ein barbarisches Gemetzel, aber es würde vierunddreißig Menschen retten und sie in die Lage versetzen, dieses karge, kalte Land zu verlassen. »He!« schrie Kliffr und riß am Zügel, so stark er konnte. Sein Hengst scheute und stieg steil in die Höhe, er keilte gleichzeitig mit den Hinterbeinen aus und kippte zur Seite. Hinter ihm brach ein riesiges, dunkles Etwas zwischen den Bäumen hervor. Ein Brummen, in das sich Fauchen mischte, erscholl. Kliffr warf sich vom Rücken des Tieres, kam auf dem Waldboden auf und wirbelte herum. Noch im Fallen griff er nach einem der Speere, die klappernd um ihn herum fielen. Ein riesiger Bär kam mit ausgebreiteten Pranken auf Kliffr zu. Kliffr richtete sich auf, einen Speer in den Händen. Der Bär kam näher, gleichzeitig raste der Hengst davon, zur Siedlung hinunter. Kliffr hörte hinter sich den Lärm der vorüberrennenden Tiere und das Schreien der Jäger. Beides machte die Bestie vor ihm rasend. Als nur noch vier Meter den Bären und den Jäger trennten, sprang Kliffr nach vorn und bohrte mit aller Kraft den Speer in den Oberkörper des Tieres. Ein wütendes Brummen, fast ein Schrei, dann schlugen die Pranken des Tieres den Speerschaft zur Seite. Er brach ab, aber die Spitze steckte fest. Blitzschnell bückte sich Kliffr, hob den zweiten Speer auf und rammte ihn unterhalb der Kehle des Bären in das zottige Fell. Dann sprang er zurück und riß das schwere, lange Beil aus dem Gürtel. So erwartete er den Angriff des Tieres, das auf den Hinterbeinen herankam, den Oberkörper hin und herschaukelte und dann schnell nach dem Jäger griff. »Hier!« keuchte Kliffr, holte aus und schlug zu. – 54 –
Die lange Axt blitzte auf und landete zwischen den Augen des Bären. Der harte Schlag prellte die Waffe aus den Händen des Mannes, Kliffr stolperte nach rückwärts und fiel. Schmerzhaft schlug der Schaft des zerbrochenen Speeres gegen seine Knöchel. Der Bär, tobend vor Schmerz und Wut, ließ sich nach vorn fallen, und in der gleichen Bewegung, mit der sich Kliffr nach links abrollte, riß er das breite Jagdmesser aus der Scheide. Als der Bär auf Kliffr fiel und zu seiner tödlichen Umarmung ausholte, stieß der Jäger zu. Einmal, zweimal... dann schüttelte sich der schwere Körper über ihm und lag still. Mit der letzten Bewegung, die wie ein Blitz durch den schweren Kadaver fuhr, rissen die Krallen der mächtigen Pratze breite, blutige Spuren über die Brust des Jägers. Der stechende Schmerz machte Kliffr bewußtlos. Jetzt rannten die Jäger aus dem Wald und trieben die letzten Tiere vor sich her. Sie hielten an, als sie die Mitte der zerwühlten und zertrampelten Fläche erreicht hatten. Weit hinter ihnen im Wald waren die Fackeln abgebrannt. Der Lärm hatte aufgehört, aber jetzt schrien die Tiere, die mit gebrochenen Läufen unter der Klippe lagen. Einige von ihnen waren nicht verletzt und retteten sich schwimmend bis an die flacheren Stellen des Fjordufers. Sie verschwanden, erschöpft und naß, in dem Wald ringsum. Andere Fackeln wurden angezündet. »Wo ist Kliffr?« fragte jemand keuchend. »Ich habe ihn vorhin noch gesehen. Er ritt euch entgegen!« sagte Helgrun. »Er war dort drüben.« Mondi schaute sich um und sah den Hengst, der sich langsam beruhigte und aufgeregt die anderen Tiere umkreiste. »Sein Pferd!« stieß er hervor. »Sie haben Kliffr überrannt, zertrampelt...!« »Wir müssen ihn suchen«, rief Hasso. »Los! Fackeln und Waffen. Schnell, vielleicht verblutet er!« Der Zauberer hockte vor seiner Hütte und warf beim Licht eines riesigen Feuers die Würfel. »Tod!« murmelte er. »Tod kommt über die Siedlung.« Fünf oder sechs Männer tranken etwas Wasser, bissen von Fladenbroten ab und liefen in die Richtung, die ihnen Helgrun gezeigt hatte. Sie fanden Kliffr, dessen Arm unter dem riesigen Körper des Bären begraben war. Mit vereinten Kräften schoben und zerrten sie den Bären von Kliffr herunter, und als sie den riesigen Blutfleck sahen, erwachte der Jarl aus der Bewußtlosigkeit. »Thor sei Dank«, murmelte er schwach. »Ins Lager. Das Blut ist vom Bären... ich habe Schmerzen... hier!« Er bewegte einen Arm und deutete auf seine Brust. Sie trugen ihn langsam und vorsichtig zurück ins Lager. Sie schleppten ihn in sein Haus, und der Zauberer kam mit seinen Kräutern. Heißes Wasser wurde herbeigebracht, und bis auf wenige Frauen und Männer strömten sie alle mit scharfen Messern und mit dem Pferdegespann hinunter, durch das seichte, kalte Wasser bis zu dem riesigen Berg aus Tierleibern. Niemand würde hungern müssen in diesem Winter. Der Zauberer machte sich an die Arbeit. Einige Frauen und zwei junge Männer halfen ihm. Hasso Björnson stand hinter dem Kopf des Jarls. Sie hatten ihn auf – 55 –
weiche Felle und große Leinentücher gelegt, und behutsam zogen sie die blutgetränkten Kleidungsstücke aus. Sie wuschen den Kopf und sahen, daß, von einigen unbedeutenden Schrammen abgesehen, das Gesicht des Jarls unverletzt war. Dann kamen Hals und Brustkorb an die Reihe, und da sahen sie die tiefen Wunden. »Ist Schmutz in den Wunden?« fragte Hasso in tiefer Besorgnis. Der Zauberer warf Kräuter in das heiße Wasser, die er sorgfältig aus seinen dicken Bündeln aussuchte. Er rührte lange in dem heißen Wasser herum, fischte die Kräuter heraus und legte sie auf die langen, klaffenden Wunden quer über der Brust. Sigrun hielt Kliffrs Kopf, der sich unruhig, mit geschlossenen Lippen und aufeinandergepreßten Kiefern, herumwarf. »Sind die Wunden tödlich, Adwan?« fragte die junge Frau. Schweigend schüttelte der Zauberer den Kopf. Er beendete seine Arbeit, indem er lange, im heißen Wasser aufgeweichte Leinenstreifen nahm und sie um Kliffrs Oberkörper wickelte. Hasso und die beiden anderen Jäger hoben den Jarl vorsichtig hoch. Sorgfältig tastete der Zauberer Arme und Finger ab, die Beine und die Zehen folgten. »Sind Knochen gebrochen?« flüsterte Hasso. »Nein. Ich kann nichts erkennen«, sagte der Zauberer. Sie wuschen Kliffr von oben bis unten, rieben seine Haut trocken und deckten ihn dann zu, nachdem sie den Körper gerade ausgestreckt hatten. Adwan murmelte einige seiner Zaubersprüche und öffnete dann die Augen. »Er schläft!« sagte er. »Hasso, du bist der älteste der Jäger. Du wirst an seiner Stelle uns allen sagen, was zu tun ist.« Hasso ließ die Decke los und nickte. »Zuerst müssen wir uns um die Tiere kümmern«, sagte Hasso. »Noch heute nacht.« Sie verließen das Haus des Jarls und blieben neben dem wärmenden Feuer stehen. »Warum so eilig, Hasso?« fragte der Zauberer. Hasso überprüfte mit dem Daumen die Schneide seines großen Jagdmessers. »Weil dort viele Tiere liegen, die sich nicht das Genick gebrochen haben. Sie liegen dort mit gebrochenen Läufen, mit Wunden, die sie sich gegenseitig beigebracht haben, durch ihre Geweihe oder die Hufe. Wir müssen diese Tiere schnell töten!« »Das verstehe ich«, sagte Adwan. »Ich werde euch helfen!« Einige Zeit später war das gesamte Dorf unten am Wasser. Tote Tiere wurden, mit ledernen Riemen aneinandergebunden, mit dem Pferdegespann hinauf auf den Platz im Dorf gezogen. Andere Tiere, die sich noch bewegten, tötete man schnell. Hasen und kleines Rotwild wurden von den Frauen und den Kindern auf den Schultern nach oben getragen. Der riesige Haufen – es waren fast zweihundert Tiere verschiedener Größe und verschiedenen Alters – nahm nur langsam ab. Als der Morgen kam, drehten sich große Stücke aus den besten Teilen der Wildtiere an den Spießen, aber Hasso war unbarmherzig und verbot jedem, rohes Fleisch zu essen; e r schränkte auch die Mengen von Met und Bier ein. Alle Bewohner der Siedlung arbeiteten wie um die Wette. Sie häuteten die Tiere ab, säuberten die Felle, vergruben die Abfälle und zerteilten das Fleisch. Der hölzerne, mit Lehm ausgekleidete Turm, in dem man das Fleisch räucherte, füllte sich mit – 56 –
ausgezeichneten Fleischstücken. Feuer wurde dort angezündet. Zerkleinertes Holz und die Späne, die beim Sägen der Bretter abfielen, erzeugten einen beißenden, hellen Rauch, der später dunkel wurde. Andere Fleischteile wurden in Scheiben geschnitten und an die Luft zum Trocknen ausgehängt. Auf den Feuern drehten sich die Teile, die sich am besten zum Braten eigneten. Hasso und Mondi trieben die anderen an aber sie selbst arbeiteten wie rasend. Zwei Tage später spülte die einkommende Flut die letzten Reste der riesigen Menge von Fellstücken und Blut von den Steinen. Die Felle stanken so abscheulich, daß Kliffr aufwachte. Er war ausgeschlafen. »Sigrun!« rief er. Die junge Frau war sofort an seiner Seite. »Was ist das?« murmelte Kliffr und zwinkerte, als ihm das Licht in die Augen fiel. »Was meinst du?« fragte sie. »Dieser Gestank!« sagte er leise, richtete sich auf und zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. Sie stützte ihn und erwiderte: »Es sind über zweihundert Felle, große und kleine, gute und schlechte. Wir haben Fleisch für zwei Winter, Kliffr!« Er murmelte schwach: »Du könntest mir etwas davon bringen.« Sie lief gehorsam hinaus. Kliffr beugte sich vor und versuchte sich zu erinnern. Er sah den riesigen Bären vor sich, fühlte wieder, wie die Krallen der Pranke über seine Brust rissen. Sein Blick richtete sich nach unten, auf die breiten Streifen über seiner Brust. Er fühlte sich ausgeschlafen, aber hungrig, zugleich schwach und benommen. Als sein Blick über die Felle hinweg glitt, durch das Viereck der Sonnenstrahlen in der Hütte nach draußen, sah er das Fell des Bären ausgespannt an einem hölzernen Rahmen. Der Jarl grinste breit und stieß die Felle von den Füßen, schwang sich mit gerade gehaltenem Oberkörper halb herum und stand auf. Die Muskeln schmerzten nicht mehr, aber er mußte vermeiden, sich zu bücken oder zurückzulehnen. Langsam ging er hinaus, blinzelte und sah das gefärbte Laub an den Bäumen; er sah es jetzt zum erstenmal richtig, als ob die Farbe über Nacht in die Blätter gekommen sei. Jemand schrie: »Der Jarl! Er ist wieder aufgestanden!« Kliffr setzte sich schwer vor die Bank am Haus und ließ die Herbstsonne auf seine Haut scheinen. Es tat sehr gut, hier zu sitzen und zuzuschauen, wie alle Bewohner des Dorfes arbeiteten. Der Geruch der Felle mischte sich mit dem des Rauches und des Bratens und des Fettes, das ins Feuer tropfte. Langsam aß und trank er, dann machte er mit schwachen Knien seinen ersten Rundgang. Er redete lange mit dem Zauberer, mit Mondi und mit Helgrun, mit Hasso, der bereits wieder am Schiff weiterbaute. Hasso fragte besorgt: »Was hat der Zauberer gesagt?« – 57 –
Kliffr erwiderte, plötzlich mürrisch geworden: »Das Mißgeschick, das den Stamm betroffen hat, muß beendet werden. Die erfolgreiche Jagd war ein Zeichen der Götter, daß sie jetzt das Opfer wollen.« Hasso dachte sehr zweckmäßig und erwiderte ungehalten: »Ausgerechnet jetzt – die Arbeiten gehen so schön voran. Das Opfer wird uns wieder wichtige Tage kosten.« Langsam nickte der Jarl. »Wir werden es trotzdem bringen müssen. Wir brauchen eine Menge Holz – ist es da?« »Ja. Dort drüben. Die Abfälle vom Schiff!« Lange betrachtete Kliffr den geschnitzten Pferdekopf mit den riesigen Ohren und den großen Augen, den weit geöffneten Nüstern und den spitzen, wolfsähnlichen Zähnen. Der Bug war fertig, auch die Bretter des Bugdecks waren bereits gefügt und mit heißem, braunen Pflanzensaft getränkt. Aber... sie wurden nicht mehr vor dem Winter fertig. Kliffr sagte leise: »Hasso, ich habe einen Plan.« »Ja? Wenn es ein guter ist, höre ich ihn gern an!« Sie lachten sich ins Gesicht, dann strich Kliffr behutsam über das Holz der Reling. »Wir können im Winter am Schiff arbeiten«, sagte er. »Wenn wir ein Gerüst aufstellen, so ähnlich wie das Dach eines Hauses, wenn wir es mit zusammengenähten Fellen abdecken und hier innen kleine Feuer machen, dann haben wir das Schiff im Frühling fertig.« Hasso antwortete nach einer langen Weile: »Du hast recht. Das Gerüst ist in drei Tagen errichtet; die Frauen können die Felle zusammennähen... und dadurch gewinnen wir eine Menge Arbeitstage, in denen wir sonst in der Hütte beim Feuer gesessen wären. Ausgezeichnet! Ich werde die Stämme in den Boden rammen lassen, Und, was wichtig ist, wir brauchen im Winter nicht einmal auf die Jagd zu gehen. Höchstens für Wolfspelze.« »So ist es«, sagte Kliffr und legte Hasso kurz die Hand auf die Schulter. Dann ging er nach oben, um während der Zeit, die er zur Heilung seiner Wunden brauchte, über das Opfer nachzudenken. Es durfte erst dann stattfinden, hatte Adwan berichtet, wenn der Jarl restlos gesund war. Die Tage vergingen. Aus Tagen wurden Wochen, und nach einigen Wochen konnte Kliffr bereits wieder mit dem Bogen schießen – und treffen. Die Zeit für das Opfer war gekommen. * Es war die Nacht, in der die ersten Schneeflocken fielen und schmolzen, sobald sie den Boden berührten oder in die Nähe der vier Feuer kamen. Vier Feuer... in der Mitte des magischen Vierecks ein fünfter, riesiger Stoß aus trockenem Holz. Adwan sagte zu Kliffr: »Alles ist bereit. Auch das Mädchen!« Sie hatten vor einigen Tagen das fünfzehnjährige Mädchen aus dem Haus ihrer Mutter geholt. Kliffr und Adwan hatten ihr in einfachen, leisen Worten erklärt, daß – 58 –
sie das Opfer darstellte; warum dies geschehen mußte, erklärte Adwan, der die Runen warf. Zuerst war das Kind erschrocken gewesen und hatte geweint, hatte sich gesträubt, aber als Kliffr ihr sagte, sie würde zu den Göttern liegen, lächelte das Mädchen unter Tränen. Sie wußte jetzt daß es eine Ehre war, für den kleinen Stamm zu sterben, damit alle Vorhaben glücken konnten. Diese Vorhaben kannte das Mädchen natürlich auch. Es war die Fahrt zu den warmen Stränden, weit hinunter in den Südwesten, über das unendliche Meer, vorbei an den Nebelinseln. »In deiner Hütte?« fragte Kliffr. »Ja.« Sie hatten das Mädchen gewaschen, mit wohlriechendem Tierfett eingerieben und in die teuersten Kleider gehüllt. Dann wurden die Fesseln und die Handgelenke leicht zusammengebunden, aber immerhin so stark, daß sich das Mädchen nicht mehr selbst befreien konnte. Sie lag im Haus des Zauberers unter einem Bund von aromatischen Kräutern. Jedesmal, wenn das Mädchen atmete, sog sie ein wenig von den Duftstoffen ein. Dadurch wurde sie zuerst schläfrig, schließlich so müde, daß ihre Augen zufielen. Und auch während des Schlafes atmete sie die milden Betäubungsmittel ein, so daß sie zuerst im Rauch des kultischen Feuers ersticken und dann erst verbrennen würde. »Wann beginnen wir?« fragte Kliffr unruhig. Er fürchtete solche Zeremonien und hoffte, daß das Feuer sehr schnell die Überreste des Opfers verbrennen würde; ein solcher Vorgang verursachte ihm ein sehr schlechtes Gefühl, eine innere Unruhe und ließ ihn hoffen, daß dies das erste und einzige Opfer des Stammes sein würde. »Wenn der Vollmond über der schwarzen Klippe steht!« sagte der Zauberer. Langsam kamen alle Bewohner des Dorfes aus ihren Hütten. Sie bildeten einen unregelmäßigen Kreis um die vier Feuer. Die Frauen stimmten einen traurigen, flehenden Gesang an; die Männer fielen ein, ein Chor erscholl und wurde vom Waldrand als schwaches Echo zurückgeworfen. Dann formierte sich ein Zug von vier Frauen und vier Männern und ging langsam, Fackeln in den Händen, in die Hütte des Zauberers. Adwan umtanzte die acht Personen und murmelte einmal laut, dann wieder leiser, Zaubersprüche und langgezogene Stabreime. Kliffr lehnte sich an die Wand einer Hütte, biß die Kinnbacken aufeinander und wartete schweigend. Jede andere Situation, selbst ein zweiter Kampf mit dem Bären, wäre ihm jetzt angenehm. Aber es mußte sein. Die Schneeflocken tanzten, rötlich angeleuchtet, vom Himmel herunter, als wären sie ein Teil der Sterne. Jetzt brachte man das Mädchen heraus trug es dreimal um den Platz. Die Lieder wurden lauter und schneller; eine geheime Erregung bemächtigte sich der Menge. Die Feuer knisterten, prasselnd flogen die Funken aus den Flammen und dem Rauch, der senkrecht nach oben zog. Als der Zug Kliffr zum drittenmal passierte, sah er das friedliche Gesicht des schlafenden, fast bewußtlosen Mädchens. »Legt das Opfer auf den Holzstoß!« rief der Zauberer. Die Männer und Frauen betteten den schlanken, glänzenden Körper in der wertvollen Wildlederkleidung auf die Felle, die in der Mitte des Holzstoßes aufgelegt waren. Dann traten sie zurück, nachdem sie ihre Fackeln an den vier Feuern angezündet hatten. »Legt Feuer an den Stoß!« rief Adwan schrill. – 59 –
Er tanzte langsam und mit beschwörenden Gesängen rund um den Holzstoß, während die vier Männer herankamen und die brennenden Fackeln in die aufgehäuften Reisigbündel steckten. Flammen und Rauch entstanden. Der Rauch nahm zu, und plötzlich wurden Adwans Gesang und der antwortende Chor aus mehr als dreißig Kehlen von einem knatternden Brummen übertönt. Das Brummen kam aus den Sternen, senkrecht aus dem Himmel herunter. Dann fiel mehr Schnee, dichter und dichter. Es sah aus, als käme der Rauch wieder zurück, den die Feuer ausgestoßen hatten. Der Rauch wurde dichter und legte sich um die Flammen des Holzstoßes. Das Brummen wurde lauter... Kam immer näher... waren es Odin oder Thor, die aus den Nebeln Walhalls kamen, um ihr Opfer zu holen? Weißer, dichter Rauch, wie brodelnder Abendnebel, war jetzt um den riesigen Holzstoß. Das Brummen wurde noch etwas lauter, dann behielt es seine Stärke bei. Der Kreis der Menschen zog sich langsam, Schritt um Schritt, in den Schatten zwischen die Hütten und die ausgespannten Felle zurück. Dann zuckten Blitze auf. Sie schlugen zwischen den vier Feuern ein. Sie waren hell und blendeten jedermann. Kliffr kämpfte gegen den unwiderstehlichen Drang an, ins Innere der Hütte zu flüchten und sich dort zwischen den Decken und Fellen zu verbergen. Die Tiere in dem Pferch gerieten in helle Panik. Nur noch Adwan setzte seinen Tanz fort, bis ihn einer der Blitze traf und zu Boden schleuderte. Jetzt erreichte die Opfernacht ihren Höhepunkt. Grell wieherten die Pferde. Genau in der Zeit, als sich die volle Mondscheibe über die schwarze Klippe erhob, brandeten Garben von vielfarbigem Feuer rund um den Holzstoß auf. Das Feuer vermischte sich mit dem dicken Rauchvorhang, der die Flammen des Holzstoßes verbarg und den Mädchenkörper. Dann wurde das Brummen stärker. Kurz darauf nahm es ab. Es wurde leiser und leiser und verhallte schließlich ganz. Als es aufgehört hatte, erloschen auch die vielfarbigen Funkenregen. Der weiße Rauch lichtete sich. Und aus dem Holzstoß, der nur schwach loderte, löste sich mit einem krachenden, schmetternden Schlag, als ob der Himmel herunterstürzen würde, eine steile Stichflamme. Sie schoß senkrecht hinaus in die Sterne, zwischen den fallenden Schnee, und sie breitete sich wie Wasser, dessen Oberfläche brannte, auch zu Füßen des Holzstoßes aus. Eine der Flammenzungen erreichte beinahe den Zauberer, und das war es, was Kliffr aus seiner Starre riß. Er rannte los, achtete nicht auf das Stechen in den Brustwunden und bückte sich, um Adwan aus dem Feuer zu ziehen. Das Haar des Zauberers, seine wilde, schwarze Mähne, war halb versengt, aber sonst war nichts geschehen. Adwan atmete tief und schien zu schlafen. Als sich Kliffr umsah, bemerkte er, daß alle Hütten leer standen. Auch hinter den Fellen verbarg sich niemand mehr. Alle Bewohner der Siedlung waren in den Wald geflohen, als die furchtbaren Donnerschläge ertönt waren. »Morgen werden sie wieder nicht arbeiten können!« murmelte Kliffr, warf sich den Zauberer über die Schulter und trug ihn in dessen Hütte. Er legte ihn auf das
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unordentliche Lager, betrachtete lange sinnend die Anordnung, in der das Pferdehaar den Zauberstein nach Norden hielt, und ging in seine Hütte zurück. Er aß ein riesiges Stück kalten Braten, der auf der Zunge und am Gaumen klebte, und trank einen Becher Met. Und als er im Morgengrauen erwachte, weil es ihn fror, sah er zweierlei. Die Bewohner waren wieder in die Hütten zurückgekehrt – ihr Schrecken war also vergangen. Und in der Asche des Opferfeuers fand sich nichts – kein Knochen, kein Stück Metall, keine geschmolzenen Reste... nichts. Die Götter hatten das junge Mädchen als Opfer angenommen. Sie hatten es zu sich geholt... so, wie sie im Leben gewesen war. Alles würde von jetzt ab gut gehen. Jede Arbeit würde glücken, und in den ersten richtig warmen Tagen würde das Schiff mit stolz gerundetem Rahsegel den Fjord abwärts auf das Meer zu fahren. Er, Kliffr, würde im Heck stehen, an dem doppelten Ruder, vor sich das Segel und neben sich, im Schutz der Bordwand, das Pferdehaar mit dem EisensteinZaubersplitter, der ihm den Weg wies, Tag und Nacht, bei Wolken und Sturm. Nach Südwesten... Er ging zurück in seine Hütte, ließ die schweren Felle vor den Eingang fallen und deckte sich und die junge Frau zu. Nach einer Weile zog er an ihrem langen Zopf und brummte: »Du hast kalte Füße. Kalt wie die Füße vom Frostriesen.« Sie murmelte etwas zurück, was er nicht verstehen konnte. Zufrieden schlief e r ein zweitesmal ein. * Und drei Tage später war der Frostriese über das Land gezogen. Die Blätter hatten sich gefärbt und waren abgefallen. Der fallende Schnee schmolz nicht mehr, wenn er die Erde berührte. Die Vorräte an Brennholz wurden in die Hütten gebracht und an den Wänden der Häuser gestapelt. Ein schneidender Sturm kam von Norden heran und wirbelte Schnee und Herbstlaub zusammen, schichtete es in den Winkeln und im Windschatten auf. Die Männer und Frauen wickelten sich Felle um die Beine und schnürten sie mit Lederbändern fest. Das Dach und die Seitenwände des Hauses über dem Schiff wurden in aller Eile auf den Brettern und Latten befestigt. Man trieb die Ziegen und die Schafe in die kleinen, überdeckten Hütten hinein, die man in den letzten Tagen gebaut hatte. Die Pferde erhielten einen Stall; eines der leerstehenden Häuser wurde dazu verwendet. Dort gab es Heu und warme Laubhaufen zum Hinlegen. Die Zäune rings um die Siedlung wurden ausgebessert, denn aus den Wäldern hörte man bereits das Heulen der grauschwarzen Wölfe. Der Zauberer war bereits am nächsten Morgen aufgewacht, und die Runen, die er warf, sagten jetzt immer sehr schöne Dinge voraus. Viele warme Feuer in den Hütten... Viel Fleisch und viel Arbeit... – 61 –
Viel Schnee und gute Fortschritte beim Bau des Schiffes...
Und einen kurzen, kalten Winter.
Es schien, als habe das Opfer eine deutliche Wende gebracht. Kliffr sagte sich
zwar, daß auch seine erfolgreiche Treibjagd die Voraussetzung für einen ziemlich angenehmen Winter geschaffen hatte, aber Adwan und seine Runenhölzer hatten sicher auch recht. In Kliffrs Hütte versammelten sich, als der Schnee halb mannshoch überall lag, die ältesten und besten Männer des Dorfes. Kliffr deutete, einen Brocken fetten, geschwärzten Schinkens in der Hand, auf Hasso: »Sohn des Björn«, sagte er leise. »Wieviel Männer brauchst du?«
Hasso hob die Schultern und erwiderte:
»Alle, die mit Holz umgehen können. Und die, die es nicht können, sollten für die
Feuer sorgen, für die beizenden Säfte, für das heiße Wachs und so weiter. Ich kann dort im Haus über dem Schiff ohne Mühe zehn Männer beschäftigen.« Kliffr nickte. »Dreißig bis vierzig Tage werden wir Winter haben. Wirst du in dieser Zeit fertig sein?« »Ja. Bestimmt. Natürlich nicht mit dem beweglichen Tauwerk und mit dem Mast oder der Rahe.« Mondi zählte seine Sorgen an den Fingern auf. »Die Ziegen und Schafe... sie werden von unseren Frauen versorgt. Der Fischfang ist im Augenblick sinnlos geworden. Es ist Eis auf dem Fjord, aber das Eis ist noch nicht so dick, als daß man Löcher hineinhacken könnte. Es trägt noch nicht.« Helgrun, die die meisten Fische gefangen hatte, sagte leise: »Wir haben genug getrockneten und gesalzenen Fisch. Salz ist auch genug da; wir brauchen nicht hinauszugehen und neue Klumpen aus der Stelle zu hacken, an der sich immer das Wild einfindet, um an Salz zu lecken.« Kliffr fragte erstaunt:
»Das hatte ich ganz vergessen. Wer hat das Salz geholt?«
Helgrun zeigte auf sich und sagte:
»Die Kinder und ich. Wir haben jede freie Zeit dazu benutzt.«
»Ausgezeichnet«, lobte der Jarl.
Jetzt, da ihre Bewegungsfreiheit stark beschnitten war, überlegten sie
stundenlang, was noch alles fehlte, um den Winter gut überstehen zu können. Sie fanden dabei heraus, daß sämtliche Voraussetzungen geschaffen worden waren. Jeder hatte auch in den Hütten, wenn der Sturm heulte, seine Arbeit. Alles, was im Laufe des Sommers und des Herbstes gesammelt worden war, mußte bearbeitet werden. Die Waffen wurden durchgesehen und erneuert; neue Waffen mußten hergestellt werden. Und zehn Männer oder mehr arbeiteten fast jeden Tag an dem Schiff. Sie ließen sich Zeit und arbeiteten unter Hasso Björnsons Leitung gewissenhaft, denn der Jarl hatte ihnen klargemacht, daß sein eigenes Leben und auch das Leben der Männer die ihn begleiteten, davon abhing. Aber eines Tages kam Mondi in Kliffrs Haus, schielte mißtrauisch zu Sigrun hinüber und stotterte, bis Kliffr sagte:
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»Sie kann länger schweigen als ein Mann – und besser. Ich habe es schon oft erlebt, wenn ich sie geärgert habe. Sage, was du zu sagen hast, Mondi – und nimm zuerst diesen Becher.« Sie tranken Absud aus Würzkräutern, in den sie Honig hineintropfen ließen.
»Die Männer, die anderen Männer«, sagte Mondi. »Sie fürchten sich.«
Kliffr, der einige Tage Ruhe gehabt hatte und froh darüber war, daß die Sorgen
weniger und kleiner wurden statt, wie vor dem Opfer, mehr und größer, zuckte zusammen. »Wovor fürchten sie sich?« fragte er rauh. »Vor dem Sommer«, sagte Mondi unbehaglich. »Du redest irre!« sagte Kliffr und winkte ab. »Vor dem Sommer fürchten sich nicht einmal die Eichhörnchen!« »Sie fürchten sich nicht vor der Sonne und der Wärme, Jarl«, berichtete der Mann mit den breiten Schultern. »Sondern... sprich, bei Thor!« »Vor dem Schiff. Vor der Stunde, in der du den Fjord hinausfahren willst.« Kliffr griff nach seinem Messer, hielt es gegen den Schein der Flammen und rammte es dann mit einer wütenden Bewegung in den Balken, der die Mitte des Hauses abstützte. Das Messer drang eine halbe Handbreit tief ein und gab einen hohen Ton von sich. Kliffr flüsterte heiser:
»Fürchtet sich Hasso vor dem Meer?«
Stumm schüttelte Mondi den Kopf und drehte den Becher zwischen den Fingern.
»Fürchtest du dich vor dem Meer, Sigrun?« fragte Kliffr drohend und etwas
lauter. Die Frau zuckte mit den Schultern und sagte in gleichgültigem Tonfall: »Nicht, wenn du neben mir stehst, Jarl!« »Nenne mich nicht Jarl, Weib!« murmelte Kliffr finster. »Fürchtest du dich, Mondi?« »Nicht sehr. Vielleicht geschieht etwas, wovor ich mich dann fürchte. Eine der riesigen Seeschlangen, von denen die fremden, schwarzbärtigen Männer berichteten, die uns vor vielen Jahren besuchten.« Kliffr sagte: »Ich brauche sieben bis zehn Mann für dieses Schiff. Und wenn ich sie alle einzeln mit der blanken Waffe in das Schiff treiben muß... ich werde ihnen das Fürchten abgewöhnen! Beim Thor, so wie ich Jarl dieses Dorfes bin. Das kannst du ihnen sagen.« Mondi nickte bekümmert und dachte an den buntbemalten Pferdekopf, der an das lederne Dach des Hauses über dem Schiff anstieß. »Ich werde mit dem Brandungskeiler über die Wellen fliegen!« versprach er. »Aber nur, wenn du am Ruder bist.« Kliffr nickte, grimmig und entschlossen.
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»Der Mann birst ja geradezu vor schöpferischer Aktivität. Wir sammeln jetzt jeden Tag mehr Informationen über die frühen Wikinger«, sagte der Assistent von Sherkoff. »Nur gut, daß wir das Opfer überwacht haben! Sie hätten das Mädchen tatsächlich bei lebendigem Leibe verbrannt!« Sherkoff fand das gar nicht bemerkenswert. Er sagte ruhig, als lese er einen wissenschaftlichen Bericht ab: »Die Voraussetzungen schaffen das Ergebnis. Wären diese Frauen und Männer nicht wirklich – und in allen ihren Gedanken ist dies verankert – Wikinger, besäßen sie ein moralisches Korrektiv. Sie handeln, wie die Wikinger handelten. Deswegen ist alles so echt, unmittelbar und von keinerlei formaler Eleganz geprägt.« »Mit einer Ausnahme«, bemerkte Oberst Villa trocken. »Das Schiff!« »Richtig. Das Schiff ist ein stilistisches und funktionelles Meisterwerk dieses Björnsohnes. Wenn ich allerdings an Adwan denke, der um das Feuer herumtanzte und die Merseburger Zaubersprüche murmelte...« Sie schwiegen und sahen sich weiter die Aufzeichnungen an. An anderer Stelle wurden diese Aufzeichnungen bereits mit Hilfe von Komputern ausgewertet, in deren Speichern sämtliche Vergleichsinformationen steckten, die die Wissenschaft im Laufe von Jahrtausenden über die echten Wikinger herausgefunden hatte. Es gab überraschende Parallelen, und ebenso überraschende Korrekturen mußten durchgeführt werden. Man war dabei, ein Geheimnis der Vorzeit zu entschlüsseln. * Jarl Kliffr, achtunddreißigjähriger Fürst dieses Dorfes, stand schweigend auf der schwarzen Klippe. Er trug den schweren Pelzmantel aus dem Fell des Bären, der ihn beinahe getötet hätte. Das schmale Gesicht, braungebrannt und mit einem kurzen Bart, wurde von dem dunkelbraunen, fast schwarzen Pelz der Kapuze umrahmt. Kliffr hielt einen Speer in der Hand und betrachtete Stück um Stück alle Teile der Siedlung. »Überall liegt Schnee!« sagte er leise. Die Worte wurden ihm von dem eisigen Sturm von den Lippen gerissen. Der Sturm kam von Norden oder von Osten und hatte in den vergangenen Tagen riesige Mengen von Schnee herangebracht und über das Land geworfen. Auf den Dächern der Häuser lag er ebenso wie auf den Ästen der Bäume. Nur einige Stellen waren frei. Kliffr drehte den Kopf und sah hinunter auf das Haus, das sie über dem Schiff erbaut hatten. Hinter den Fellen und dem Leder kamen Hammerschläge hervor, erklang das Geräusch von Sägen und von Äxten. Die feinen Ohren des Mannes hörten auch den Ton, der entstand, wenn man mit einem scharfen Messer die Holzoberfläche polierte. Vom Schiff aus führte zwischen zwei Schneewällen ein breiter, ausgetretener und sauber gekehrter Weg hinauf auf den Platz der Feuer, die jetzt erloschen waren. Der Rauch aus den Kaminen der Häuser wurde nach Westen und Südwesten abgetrieben. Aus dem Wald erscholl ein wütendes, hungriges Heulen. »Wölfe!« sagte der Jarl und packte den Speer fester.
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Sie würden sich, wenn noch mehr Schnee fiel und die Kälte noch mehr zunahm, bis an die Hütten heranwagen. Die Menschen waren nicht so gefährdet wie die Tiere; die Ziegen, die Hasen, die das Massaker unterhalb der Klippe überlebt hatten, die Schafe und die Pferde. »Wir werden auf Wolfsjagd gehen müssen!« sagte Kliffr leise. Zehn Männer arbeiteten beim Schiff, also waren vier Männer für diese Jagd frei. Sie hatten noch einige Tage Zeit, und nachts würden sie Wachen aufstellen müssen. Wenn sich schon die meisten Männer vor der Seefahrt fürchteten – würden sie auch eine nächtliche Wolfsjagd im Schnee bestehen können? Kliffrs Träume waren unter Eis und Schnee begraben. Der Fjord, in den mehrere Bäche und Quellen mündeten, war zugefroren, und über die dünne Schneedecke darüber – dünn, weil der Wind den Schnee über das glatte Eis fortwehte und hinter Ecken, Kanten und Vorsprüngen zu langen Dünen ablagerte – führten die Spuren verschiedener Tiere. Es war eine unheimliche, weiße und kalte Jahreszeit, in der Märchen erzählt wurden und neue Ängste gediehen. »Zu den Tieren!« sagte sich Kliffr, hob den Speer und rückte den Bogen über seiner Schulter zurecht. Dann ging er langsam in seiner eigenen Spur zurück zum Dorf und beobachtete sorgfältig die Umgebung, suchte nach verräterischen Spuren und nach Stellen, an denen die heulenden Wölfe Tiere gerissen hatten. Er sah nichts, das ihn beunruhigen konnte. Er machte einen Rundgang und kontrollierte die kleinen Hütten, in denen die Ziegen und Schafe friedlich vor sich hin dösten und an Heu oder Strohhalmen kauten. Er griff in die Wolle der Schafe, die ihn mit lautem Blöken begrüßten. Die Pferde waren unruhig; wahrscheinlich hatte sie das Heulen aus dem Wald beunruhigt. »Ruhig... ruhig...«, sagte Kliffr und streichelte die Hälse der Tiere. Langsam wurden die Tiere wieder ruhiger, fraßen etwas und drängten sich nicht mehr zusammen. Kliffr überprüfte genau die Bretter des Schuppens und das Dach; alles war dicht und ohne Spuren der Wölfe. Bis jetzt hatten sie den Winter gut überstanden. Niemand war krank geworden, niemand hatte einen Unfall erlitten. »Ich werde die große Reise vorbereiten müssen«, sagte Kliffr. Jetzt hatte er Zeit dazu. Er kehrte zurück zu seinem Haus, schlug den Schnee aus dem dicken Mantel und hängte das Fell mit den schweren Ledernähten in die Nähe des Kamins an einen Balken. Dann nickte er seiner Frau zu, zog die Pelzweste aus und wärmte seine Füße am Feuer. Er zündete einige kleine Öllampen an und beugte sich wieder über das Pergament, das sie aus einer Tierhaut hergestellt hatten. Adwan kam herein; e r hatte wohl gesehen, wie der Jarl seinen Rundgang beendet hatte. »Du zeichnest wieder an der Karte?« fragte er und nahm den Met, den ihm Sigrun reichte. »Ja. Du kannst mir helfen – so wie du mir schon mehrfach geholfen hast«, erwiderte Kliffr. Er deutete auf die Tonnäpfe mit den verschiedenfarbigen Pflanzenabsuden, die er vom Zauberer hatte. Kliffr deutete auf die gewundene blaue Fläche am rechten Ende seiner primitiven ›Karte‹. Dort war der Fjord zu sehen mit der Gabelung an dem östlichen Ende, mit – 65 –
den Felsen und der näheren Umgebung, die einige Tagesmärsche entfernt war. Kliffr hatte alles, was in seinem Gedächtnis geblieben war, darin eingezeichnet. Jetzt mußten sie versuchen, sich an all die Dinge zu erinnern, die sie von den Handelsleuten gehört hatten – damals, vor Jahren, als deren Schiff hier angelegt hatte. Sinnend fuhr der Zauberer fort: »Du weißt, daß Hasso, Björns Sohn, sich das Schiff der Fremden sehr genau angesehen hat?« »Ja. Ich weiß, daß unser Brandungskeiler auch ein gutes, tüchtiges Schiff werden wird. Hasso versteht seine Arbeit.« Das war richtig. Sie hatten jede Einzelheit dieses inzwischen schon fast sagenhaften Besuches der braunen, fremden Händler bewußt und sehr genau in der Erinnerung. Damals: sie hatten die Form des Schiffes angesehen, sie hatten den wunderbaren Metallsteinsplitter bekommen und auf die Berichte gelauscht, die die Fremden abgegeben hatten. Kliffr und der Zauberer und noch einige Männer hatten sämtliche Einzelheiten des Weges über die See, zu den warmen Stränden, im Gedächtnis. Der Zauberer deutete auf die Stelle, an der das südliche Ende des Fjordes in die Küstenlinie überging. »Elf und sieben Buchten sind es dort«, sagte er. »Jede so groß wie unser Fjord bis zum Ende. Und geformt wie ein halber Kreis.« Langsam zeichnete der Jarl die Linie ein, die zerrissen und ausgefranst von Norden nach Süden führte. Dann maßen sie nach ihren Erfahrungen die einzelnen Strecken ab und zeichneten die Inseln ein, von denen die Fremden gesprochen hatten. Später, wenn sie selbst unterwegs waren, konnten sie die Ungenauigkeiten an Bord berichtigen. »Zweihundert Stunden«, sagte Kliffr. Er zeichnete eine runde Insel, die vom Dampf umgeben war. Dort wohnten die Asen, aber zwischen der Insel und dem Fjord, wie auch zwischen der eigenen Küste und derjenigen, von der die fremden Händler gekommen waren, gab es Seeungeheuer und andere verderbenbringende Tiere, Dämonen und Geister. Kliffr sagte: »Es werden dort nicht mehr Geister und Ungeheuer sein als hier rund um die Siedlung. Und wenigstens dieses Jahr haben sich sehr wenige davon gezeigt – so gut wie keine.« Der Zauberer erwiderte gelassen: »Ich weiß das nicht. Meine Stelle ist hier – ich bin ein Mann des Landes, nicht des Wassers.« Kliffr zog die Luft scharf durch die Nase ein; aus dem Haar und den Pelzen des Zauberers kam ein schwerer Geruch, der den Jarl irgendwie an einen Ziegenstall erinnerte. »Man merkt es«, sagte er grinsend. »Aber trotzdem muß ich dich um einen Gefallen bitten.« »Ja?« »Bis auf wenige Ausnahmen fürchten sich meine Männer. Sie sind zwar das ganze letzte Jahr nicht in der Lage gewesen, mehr als einen Schuß abzugeben, der ein Wild verwundet hat, aber jetzt fürchten sie sich sogar schon vor etwas, das sie nicht einmal genau kennen.« – 66 –
Sigrun, die neben dem Feuer saß und Kleidungsstücke ausbesserte, sah auf und bemerkte kurz: »Man fürchtet sich immer nur vor dem, was man nicht kennt, denn das, was man kennt, braucht man nicht mehr zu fürchten.« »Ein kluges Weib!« murmelte der Zauberer. »Sie kann mit dir in Wettstreit treten!« versicherte Kliffr. »Deswegen liebe ich sie auch so sehr.« »Pah!« machte Sigrun. »Was soll ich tun?« fragte der Zauberer und kratzte sich intensiv mitten am Kopf. Der Jarl rückte einen halben Meter von ihm weg und sagte leise: »Du sollst, wenn immer einer mit dir spricht, ihm sagen, wie schön es an dem warmen Strand ist, wie ungefährlich das Wasser und wie gut unser Boot ist. Und ähnliche Dinge mehr.« »Das werde ich tun. Ich glaube es nämlich selbst!« versicherte Adwan und hörte auf, sich zu kratzen. Dann rezitierte er: ein neuntes Lied kann ich, wenn mich Not auf See mein Schiff zu schützen zwingt; den Sturm auf dem Meer stille ich und besänftige die See... das werde ich tun, wenn wir reisen!« Kliffr hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Tusche aus den Schalen spritzte. Er sagte laut: »Es ziemt mir, den Zagenden den Weg zu zeigen!« »Wahr ist's!« bestätigte der Zauberer. Sie arbeiteten drei Tage lang an der Karte. Alle Erinnerungen, die sie hatten, standen jetzt auf der dünnen, fast weißen Tierhaut. Kliffr rollte die Karte zusammen und wickelte sie in ein sauberes Fell. Sigrun dachte offensichtlich praktischer und fragte: »Du hast gesagt, Kliffr, sechs bis zehn Männer sollen mit dem Schiff erst einmal zu den warmen Stränden segeln. Ist das auch jetzt noch deine Überzeugung?« Kliffr streckte seine Beine aus und bewegte in der Nähe des großen Haufens weißer Glut die Zehen unter dem feuchten Fell. »Ja. Sechs bis zehn Männer.« Die junge Frau warf ihren Zopf auf den Rücken und fragte weiter: »Wie lange braucht ihr zu den Stränden und, wenn ihr sie nicht erreicht, zurück zu uns?« Kliffr dachte an die Entfernungen der Karte und sagte: »Wir rechnen mit fünfundzwanzig bis dreißig Tagen bis zu dem anderen Strand und mit der gleichen Zeit zurück. Also mit ungefähr sechzig Tagen – höchstens.« Sigrun murmelte: »Sechzig Tage und zehn Männer... das gibt eine Menge von Vorräten, die ihr mitnehmen müßt. Fleisch ist genug da, Fische könnt ihr unterwegs fangen, aber wie steht es mit Wasser und mit Waffen?« Auch der Zauberer kannte die Konstruktion des Schiffes. Er sagte: »Wasser wird in Fellen mitgenommen Jedesmal, wenn ein Fell leer ist, wird es aufgeblasen und unter Deck gelegt, dicht über den Kiel, unter die Bodenbretter. Aber sie hat recht, Kliffr. Wie steht es mit den Waffen?« Kliffr überlegte lange, dann erwiderte er: »Wir werden genügend Waffen mitnehmen. Aber ich merke gerade, daß wir diesen Sommer wenige Bögen und Pfeile hergestellt haben. Es ist am besten, wir – 67 –
gehen und fällen noch einen Eibenbaum. Dann haben wir genügend Holz. Gut, daß du uns gefragt hast, Sigrun.« »Wir können noch mehr als kochen, flicken und Kinder gebären«, sagte Sigrun und lächelte. »Nur Runen werfen könnt ihr nicht!« sagte Adwan mit Nachdruck. »Das kann nur ich.« »Wenn du es uns beibringst, werden auch wir es können«, versicherte Sigrun und widmete sich wieder der Arbeit, Kliffrs Fellwams und die verschiedenen Gürtel zu reparieren. * Es waren sechs Männer und drei Pferde, die sich aufmachten, mit Seilen und Äxten ausgerüstet und mit den leichten Jagdwaffen, um die Eibe zu fällen und ins Dorf zu schleifen. Sie gingen und ritten an dem Tag aus der Siedlung hinaus, an dem der harte Winter in seine zweite Hälfte hinüberglitt. An diesem Tag wehte ein eisiger Sturm aus Osten, aber es fiel keine einzige Schneeflocke. Von den Ästen der Bäume fiel mit dumpfen Geräuschen der aufgehäufte Schnee. Rotwild, das den ganzen Sommer lang von der Siedlung ferngeblieben war, wurde aus Nahrungsmangel herangetrieben – die Jäger ließen die Tiere in Ruhe äsen. »Weiter. Sonst müssen wir in der Nacht zurück!« drängte Kliffr. Er ritt auf seinem Hengst, dessen Rücken und Flanken schwere Felle bedeckten. Das Tier watete bis zur Brust durch den Schnee, riß immer wieder den Kopf hoch. Die beiden Stuten dahinter schufen für die nicht berittenen Männer eine breite, bequeme Spur. Einige Stunden lang ging es geradeaus, dann entlang des Waldes, zwischen den Stämmen, wo es wärmer war, weil der schneidende Wind nicht bis hierher drang, und wo wenig Schnee lag. Sie kannten nur ein einziges Eibenwäldchen. Und sie fällten sehr selten Eibenbäume, um den Bestand der langsam wachsenden Bäume zu schonen. Mondi rief von hinten: »Siehst du Wolfsspuren, Kliffr?« »Nein!« sagte der Jarl laut. Das Tempo wurde schärfer. Die sechs Männer wußten, daß sie sich weit genug von der Siedlung entfernten, um sich einer deutlichen Gefahr auszusetzen. Ein Wolfsrudel, das sich auf sie stürzte, konnte Pferde und Männer durchaus ernsthaft gefährden: Die Anzahl der hungrigen Tiere entschied einen Kampf dieser Art. Aber bisher hatten die Jäger nur das Heulen der Raubtiere gehört, aber keine Spuren gesehen. Zudem wußte Kliffr, daß wenigstens diese sechs Männer, unter ihnen Hasso und Mondi, ziemlich gut mit Pfeilen und Bogen schossen – sie hatten den Herbst über sehr ausdauernd geübt. Entlang der Baumstämme ging es, durch trockene Büsche, nach Osten. Dann hatten sie nur noch einen Schräghang zu überqueren, dann befanden sie sich unter den Eiben. Die Hufe der Pferde sanken in dem weichen Polster tief ein. Kliffr sprang auf den Erdboden und rieb sich die Hände.
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»Wir binden die Pferde fest«, sagte er leise. »Und wir machen sehr schnell. Ich höre verdammt viel Wolfsgeheul.« »Verstanden.« Die Männer banden die Zäume der drei Tiere an einen dicken Stamm und legten je eine Schlinge um die Hälse der Pferde. Selbst wenn sie die Zäume abrissen, konnten sie nicht durchgehen. »Welcher Baum, Hasso?« fragte Kliffr. Der Baumeister ging langsam entlang der Eibenstämme und musterte die Beschaffenheit der Rinde, die Menge der abgefallenen Nadeln und die Insektenspuren an den untersten Ästen. Er entschied sich unter etwa dreißig Stämmen für zunächst vier, dann suchte er lange Zeit unter diesen vier, bis er schließlich sagte: »Dieser hier, Freunde!« Hasso wußte, welches Holz sie brauchten. Kliffr holte seine Axt und sagte zu Mondi: »Du nimmst den Bogen und eine Axt und wanderst schnell um das Wäldchen herum. Sofort schreien, wenn du Wölfe siehst oder in der Nähe hörst – beobachte die Pferde, ja?« Sie trugen heute nicht die Bärenfellmäntel; sie waren einfach zu schwer und behinderten die Männer zu sehr beim Arbeiten und notfalls auch beim Kampf. Fünf Männer schwangen ihre Äxte, und Kliffr gab das Zeichen. Abwechselnd, in einem Fünfer-Takt, schlugen die Schneiden der eisernen Äxte in den Baum, dicht über dem Erdboden. Es dauerte nicht lange, dann veränderte sich der Ton der Schläge. Eine dreieckige, rundum verlaufende weiße Bahn entstand im Stamm, dann zitterte er, schließlich rief Hasso: »Achtung!« Langsam und knarrend neigte sich die Eibe, die ineinander gehakten Äste rissen sich los, und der Stamm rutschte entlang der anderen Stämme, riß deren trockene Äste ab, schlug auf den Boden auf und federte kurz zurück. »Die Äste ab, schnell!« sagte Kliffr, sprang vorwärts und sah nach der blassen Wintersonne. Die Pferde waren wieder unruhig geworden: ein Zeichen entweder für die Anwesenheit von Wölfen oder dafür, daß sie beim Aufprall des Baumes erschreckt worden waren. Die Männer schlugen, so schnell sie konnten, die Äste von dem Stamm und achteten darauf, daß sie keine Aststummel übrigließen. Dann wurde eine zweite Rille in den Stamm geschlagen, ein Seil mit einer Schlinge darin befestigt, und die Männer zogen den abgeholzten Stamm hinaus in den Schnee. »Es wird spät werden!« sagte Höldur. »Wir erreichen die Siedlung noch während der Dämmerung«, versicherte Kliffr. Die Pferde wurden von dem Baum losgebunden, herangeführt, und man legte ihnen die Geschirre um. Drei Seile wurden in die Schlinge geknotet, und dann steckte Kliffr die Finger zwischen die Zähne und pfiff gellend. »Mondi! Wir sind fertig!« schrie er. Zwischen den Stämmen erscholl die Antwort: »Ich komme!«
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Die Pferde zogen an, die Seile strafften sich, und die drei Reiter schwangen sich auf die Rücken der Tiere. In ihrer eigenen Spur liefen die Tiere und die Männer, hinter sich den schweren Stamm, nach Westen zurück, zur Siedlung. Das Geheul unsichtbarer Wölfe begleitete sie auf ihrem langen Weg durch die endlose weiße Fläche der ausgestorbenen Landschaft. Der schneidende Ostwind blies ihnen jetzt von hinten um die Ohren. Mondi lief langsam nach vorn, bis er neben Kliffr war. Er hielt sich an Kliffrs Gurt fest und sagte halblaut: »Ich habe sie eben gesehen. Sie verfolgen uns. Dort drüben, am anderen Waldrand.« Kliffr zuckte zusammen und schätzte die Entfernung zur Siedlung ab. »Viele?« fragte er besorgt. »Etwa zwanzig«, sagte Mondi. »Sie sind hungrig, denn sie laufen sehr schnell und sind unruhig.« Kliffr schlug ihn leicht auf die Schulter und sagte: »Gehe wieder zurück, bleibe ganz hinten und sichere unseren Zug. Wenn sie angreifen, schreie laut.« Mondi nahm seinen Bogen von der Schulter, rückte die Axt im Gürtel zurecht und blieb stehen, bis der Zug an ihm vorbei war. Als der Baumstamm zitternd und schlagend wieder in die Spur glitt, folgte Mondi langsam seinen Freunden. Sie hatten noch zwei oder drei Stunden bis zur Siedlung, und die müde Sonne schien ihnen ins Gesicht. Der Wind kam schneller, er war kälter, und zwischen den Bäumen heulte er mit den Raubtieren um die Wette. Die Wölfe kamen mit dem letzten Tageslicht. Mondi blieb stehen, riß einen Pfeil aus dem Köcher und spannte den Bogen. E r versuchte, mit den Augen die Bewegungen des riesigen Leitwolfes abzuschätzen, der an der Spitze des Rudels auf die Männer und Tiere zurannte. Mondi schrie laut: »Die Wölfe. Von links!« Augenblicklich handelten die Männer. Jetzt funktionierte ihr Jägerinstinkt mit einer überraschenden Plötzlichkeit. Noch ehe Mondi seinen ersten Pfeil von der Sehne schwirren ließ, waren die drei Männer von den scheuenden Pferden gesprungen. Äxte wurden geschwungen, Pfeile flogen aus den Köchern, und die Sehnen schwirrten. Der erste Schuß Mondis traf den Leitwolf in die Vorderkeule; das Tier heulte auf, warf sich herum. Der Boden unter der Schneedecke brach den Pfeil ab, dann raste der grauschwarze Wolf auf Mondi zu. Der zweite Pfeil heulte von der Sehne und traf den Wolf ins Auge. Mondi ließ den Bogen fallen und griff nach seiner Axt. In einem langen Satz sprang der Wolf, einen halben Pfeil im Schädel, auf den Jäger zu. Mondi packte den langen Stiel der Axt mit beiden Händen, schwang die Waffe hinter sich und schlug zu. Die eiserne Schneide der Axt pfiff waagrecht durch die Luft und spaltete dem Leitwolf den Schädel. Das Tier fiel mitten im Flug senkrecht in den Schnee, der von Blut gesprenkelt war. Der zweite Wolf sprang Mondi von rechts an, und die Axt, die zurückschwang, zerschmetterte beide Vorderläufe. Mit der Waffe drehte Mondi das Tier um, dann hieb er dem Wolf das Rückgrat auseinander. Inzwischen hatte der Rest des Rudels die anderen Männer erreicht, und der tobende Angriff konzentrierte sich auf die Spitze des Zuges.
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Der Hengst bäumte sich auf, schlug mit den Hinterläufen aus und zerschmetterte einen Wolf, der im hohen Bogen, sich mehrmals überschlagend, in den Schnee fiel. Mondi hob seinen Bogen auf, steckte acht Pfeile in einem lockeren Bündel vor sich in den Schnee und zielte sorgfältig. Da die Wölfe von links angriffen und der Kampf hin und her wogte, boten die Tiere dem Jäger die Silhouetten. Ruhig verschoß Mondi einen Pfeil nach dem anderen. Er zog den Bogen bis zum Ohr aus und jagte seine Pfeile in die angreifenden, knurrenden Tiere hinein. Er traf fast mit jedem Schuß. »Helft mir!« schrie Kliffr. Drei Wölfe waren es, die ihn angegriffen hatten. Er wehrte sich zuerst mit der Axt, dann ließ er sie im Körper eines Wolfes stecken und warf sich, nur das breite Messer in der Hand, auf die anderen Tiere. Er rannte auf seinen Hengst zu, in dessen Hals sich ein Wolf festgebissen hatte. Das Tier, das seine Fänge in Kliffs Arm geschlagen hatte, konnte ihn nicht verletzen, weil der Ärmel der Felljacke zu dick war. Kliffr schnitt dem Wolf die Kehle durch, schüttelte das Tier ab. Als er sein Pferd erreichte, das am Ende des Schleppseiles tobte, heulte ein Pfeil an seinem Kopf vorbei und traf den Wolf genau in die Wirbelsäule. Kliffr drehte sich um und sah den erhobenen Arm Mondis. Hinter ihm endete der Kampf. Hasso spaltete einem Wolf den Schädel, ein anderer Jäger wälzte sich mit einem halbtoten, blutenden Tier zwischen den Hufen eines Pferdes herum. Die Jäger orientierten sich schnell und halfen zusammen. Die letzten Wölfe starben. Kliffr rief: »Wir haben gewonnen! Die Wölfe sind tot!« Sie zählten insgesamt vierundzwanzig Tiere, die zuckend oder sterbend oder tot im Schnee lagen. Drei Männer beruhigten die Pferde; die Wunden am Hals des Hengstes waren nicht tief und bluteten schon jetzt nicht mehr. Die letzten Sonnenstrahlen kamen hinter dem felsigen Fjord hervor und beleuchteten den grauen Winterhimmel. Schweratmend und schwitzend sammelten sich die Männer. »Ich habe plötzlich ungewöhnlich gut geschossen!« sagte Mondi, mehr zu sich selbst. »Und ich habe getroffen... aus mir wird doch noch ein guter Jäger.« Er zog die Axt aus dem toten Wolf, säuberte sie an dem schwarzgrauen Fell und steckte sie wieder hinter den verrutschten Gürtel. Dann sammelte er die Pfeile ein, die nicht abgebrochen waren. »Ihr alle habt wie wahre Jäger gehandelt«, sagte der Jarl. »Sonst hätten sie uns zerfleischt.« Sie sammelten ihre Waffen ein, bestiegen die Pferde und setzten den Zug fort. Als die letzten Sterne am Himmel erschienen waren, erreichten sie die Siedlung. Alle Männer und die Tiere waren restlos erschöpft, und es dauerte lange, bis der Baumstamm in der Mitte des Platzes lag, bis die Tiere versorgt und die Jäger in ihren Hütten verschwunden waren. In dieser Nacht hörten sie zum erstenmal seit langen Tagen kein Wolfsgeheul aus den Wäldern. *
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Die Tage vergingen. Einige von ihnen schienen nur Stunden zu dauern, so sehr waren sie mit Arbeit ausgefüllt. Andere wieder schlichen dahin; die Menschen mußten Schnee wegräumen, ein Hüttendach abstützen und einige Schafe einfangen, die ausgebrochen waren. Die Arbeit am Schiff näherte sich dem Ende; es war ein kleines Meisterwerk geworden, dessen einzelne Teile liebevoll und kunstfertig zusammengefügt waren. Nur noch wenige Tage, und das Schiff war fertig. Die schneidenden Winde hörten auf. Die Sonne ging früher auf und später unter. Es fiel nur noch selten Schnee. Die Vorräte an Getreide und Fleisch nahmen nur unmerklich langsam ab, und niemand hungerte, niemand erkrankte. Das Eis im Fjord brach auf, und langsam trieben die Schollen hinaus auf das freie Meer. Die riesigen Gebilde aus Eis, die an tropfendes Fett erinnerten, lösten sich an den Stellen auf, an denen Bäche und Quellen in den Fjord mündeten. Der Schnee wurde naß, er klebte, und unter ihm bildeten sich kleine Rinnsale, die gluckerten und die Erde von den Steinen wuschen. Die Kraft der Sonne nahm zu. Die Tiere schienen lebendiger zu werden und rannten immer wieder gegen die Absperrungen des Geheges an. Vögel zeigten sich, das Rotwild zog sich wieder zurück in die Tiefe der Wälder, und eines Tages war der Schnee verschwunden. Alles atmete auf. Das Haus über dem Schiff wurde abgerissen und zerlegt. Und... »Unruhe verbreitet sich unter den Männern, Adwan!« sagte Kliffr. »Was soll ich tun?« Der Zauberer zuckte mehrmals mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, Jarl«, sagte er. »Ich fahre mit dir, und ich habe keine Angst. Oder fast keine.« Kliffr zählte an den Fingern auf. »Mondi wird auch keine Angst haben, Hasso auf keinen Fall, das sind vier Männer. Ich werde versuchen, Höldur und Dag zu überreden. Sechs Männer. Sieben oder acht sollten es mindestens sein. Wen schlägst du vor?« Der Zauberer murmelte etwas, dann schaute er Kliffr offen in die Augen und sagte halblaut: »Helgrun ist ein sehr tapferes Mädchen. Warum sollen wir sie nicht mitnehmen?« »Warum eigentlich nicht?« überlegte Kliffr laut. In den langen Winternächten hatten sich die Männer immer wieder im Haus des Jarls getroffen. Sie hatten die Erzählungen der Fremden besprochen, und Kliffr hatte ihnen das neue Land mit den glühenden Farben seiner Rede geschildert. Die Begeisterung war aber stets dann abgeflaut, wenn die Männer in das Halbdunkel ihrer Hütten und zu den Frauen zurückkehrten, die Angst vor den langen Tagen der Trennung hatten. Niemand wollte sich – die Ausnahmen waren jene Männer, von denen sie eben gesprochen hatten – freiwillig melden, und eine solche Besatzung konnte nur aus Freiwilligen bestehen, nicht aus solchen, die Kliffr gezwungen hatte.
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Sie alle fürchteten weder den Sturm noch die höheren Wellen – sie fürchteten Dinge, die es nicht gab. Geister, Dämonen und Götter. »Ich werde sie fragen«, sagte Kliffr. »Und dann könnte ich auch Sigrun mitnehmen. Sie ist eine der mutigsten Frauen. Allein schon deshalb, weil sie mich liebt.« Er grinste humorlos. Dann drehte er sich wieder um und sah das Schiff an das schlank und hellbraun, mit eingesetztem Mast und sämtlichen stehenden Leinen, Schnüren und Tauen auf den Rollen stand. Hasso und seine Männer beseitigten gerade die Steine, die dem Schiff im Weg lagen. Der Zauberer sagte leise: »Noch zehn, zwanzig Tage, und dann wehen die langen sanften Ostwinde wieder. Dann müßt ihr starten.« »Ich weiß das alles sehr genau, Adwan«, sagte Kliffr. »Ich werde sie notfalls auf das Schiff prügeln.« Es ging um mehr als um die Ängste der Männer. Kliffr sah die langen Riemen an, mit denen sie rudern konnten, wenn der Wind wegblieb; das Schiff war leicht genug, um von sechs oder acht Männern mit einer ziemlichen Geschwindigkeit gerudert werden zu können. Er sah die Ausrüstungsgegenstände, die neben dem Schiff standen, die kleine Treppe, die hinauf an Bord führte. Der letzte Versuch, bei dem sie viel Wasser ins Schiff geschüttet hatten, war zur vollen Zufriedenheit verlaufen – nur wenige Tropfen Wasser waren außen entlanggelaufen, und die Fugen zwischen den Brettern und Planken waren gedichtet worden. * Und plötzlich war es soweit. Das Schiff wurde zu Wasser gelassen. Wieder arbeiteten alle Männer der Siedlung zusammen. Sie schoben die Rollen unter den Kiel, stützten das Boot ab und hielten es, während andere die Haltetaue kappten und mit Hilfe der Pferde, die langsam rückwärts gingen, den schweren Schiffskörper Meter um Meter den sanften Abhang hinunterrollen ließen. »Vorsicht!« schrie Hasso. Er war überall: unter dem Schiff, neben der Bordwand, bei den Gespannen und bei den Männern. Das Schiff rumpelte und stieß gegen die Hölzer, von denen die trockene Rinde abplatzte. Unter vielen Schreien, Befehlen und Rufen kam das Wasser immer näher. Der messerscharf zugeschliffene Bug tauchte ein, und der Pferdekopf richtete sich nach Westen aus. »Langsamer, ihr Narren! Ihr zerstört das Schiff schon auf dem Land!« brüllte der Schiffsbauer. Jetzt tauchte die Bordwand unter, die Rollen schaukelten, sich schneller drehend, im Wasser rechts und links der Bordwand. Zwei Drittel rutschten in das Wasser des Fjordes, das noch eiskalt war. Dann schwamm das Schiff frei im Wasser, schaukelte majestätisch. Die Rahe schwankte hin und her, die Seile ächzten, und der Mast vibrierte. – 73 –
Zehn straffe Taue hielten das Schiff fest. Man zog es vorsichtig nach rechts, bis an den provisorischen Steg, der aus steinerner Unterlage und Balken darüber bestand. »Ein wunderbares Bild!« sagte der Zauberer. »Ich werde die Runen über das Schiff werfen.« »Hoffentlich werden es gute Zeichen!« rief ihm Kliffr nach. »Ich glaube jetzt selbst, daß unser Stamm an die warmen Küsten übersiedeln kann, wenn ihr einmal den Weg geebnet habt!« sagte Sigrun und strahlte ihren Mann von der Seite an. Bjarki, einer der ganz jungen Jäger, fast noch ein Kind, hatte voller Freude zugestimmt, als ihn Kliffr gefragt hatte. Jetzt stand er mit leuchtenden Augen neben Hasso und sagte laut: »Mit diesem Schiff segeln wir auf allen Wassern, die es gibt Hasso!« Grinsend und mit beherrschtem Stolz erwiderte Björns Sohn: »Mir genügt es, wenn wir die warmen Ufer erreichen und wieder zurückkommen, um den Rest des Stammes zu holen.« »Mir auch!« knurrte Kliffr, aber außer Sigrun hörte es niemand. Neun Personen... Da war Kliffr als Steuermann und Kapitän des Schiffes. Helgrun und Sigrun würden für das Essen sorgen und für die Segel, falls sie im Sturm rissen. Adwan würde sie vor allen widrigen Winden und vor bösen Zaubern schützen, seine Anwesenheit an Bord war wichtig für den Glauben der Männer und der beiden Frauen. Mondi war der Steuermann Höldur und Dag setzten das Segel und bargen es wieder. Bjarki hatte den Proviant und die Ausrüstung unter sich. Jetzt schwamm das Schiff, und in ein paar Tagen würden sie mit dem Ostwind den Fjord hinunterfahren. Kliffr sagte zu den anderen Männern: »Ladet das Essen ein, das wir zurechtgelegt haben!« Alles, was sie mitnehmen wollten, war in wasserdichte Felle eingeschlagen und sehr sorgfältig ausgesucht worden. Sie stapelten es einen halben Tag lang zwischen die untersten Bretter, die über der Bilge waren. In die Bilge kam der Wasservorrat, den Kliffr für fünfzig Tage und zehn Männer ausgerechnet hatte. Und dann trugen sie die Waffen und die Felle, die Ersatztaue und alles andere in das Schiff. In den langen Winterabenden hatten sie alles errechnet, verglichen und immer wieder darüber nachgedacht. Dag murmelte: »Es kann nichts fehlen, Kliffr. Es darf einfach nichts fehlen!« Kliffr lächelte und sagte laut: »Bevor wir das Segel setzen, werden wir ein großes Fest feiern. Dann, nachdem wir alle wieder ausgeschlafen haben, verlassen wir die Siedlung.« Höldur sah hinüber zum Vorratshaus. »Es ist genügend Vorrat da, und wenn das Fleisch zur Neige geht, dann werden sie wieder eine Treibjagd unternehmen.« »So ist es, bei Thors Hammer!« schloß der Jarl. Er stand auf der Schwelle zu einem besseren Leben für seinen Stamm und für alle Nachkommen. Es würde ein großes und starkes Volk werden. Zuletzt trugen er und der Zauberer den magischen Stein an Bord und befestigten die Tonschale, das – 74 –
Haar und den Steinsplitter so, daß ihn der Steuermann immer im Auge behalten konnte, wenn er im geschützten Heck des Schiffes stand und das Ruder hielt. Abends rüsteten sie für ein großes Fest. Kliffr glückte es auch noch, ein großes Stück Rotwild zu schießen und auf dem Rücken des Hengstes noch rechtzeitig zu den Feuern zu bringen. Fast der gesamte Vorrat an Met wurde ausgetrunken, und als er noch nüchtern war, dachte Kliffr daran, wie gut es gewesen war, zwei Schläuche voll davon an Bord des Schiffes zu retten. Dann war auch er betrunken, obwohl er viel vertragen konnte.
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»Wir müssen ab jetzt die Überwachung nach zwei neuen Gesichtspunkten ausrichten«, sagte Professor Sherkoff. »Bela Rover – jetzt kommen vermutlich Ihre Männer zum zweitenmal zum Einsatz!« Rover betrachtete das Bild: Das Schiff mit dem hochgeschwungenen Vordersteven schaukelte leicht und ruhig im Wasser des Fjordes. Das Segel hing schlaff von der Rahe, die parallel zu den Bordwänden auf der Rahstütze lag. »Wie meinen Sie das?« fragte Rover. Der Professor sagte halblaut, während er auf den Bildschirmen den Zustand des Lagers nach dem Abschiedsfest betrachtete – es sah ziemlich mitgenommen aus: »Ein Team muß ständig bereit sein, um, falls etwas passiert, die neun Personen zu retten. Und ein zweites sollte, falls nötig, im Lager aufpassen. Schließlich geht Jarl Kliffr auf große Fahrt.« * »Sie glauben doch nicht etwa, daß dieser Mann ein schlechter Seefahrer ist?« erkundigte sich Marschall Wamsler sarkastisch. »Sie kommen an die warmen Strände, und wenn sie das Schiff schwimmend hinter sich herschleppen!« »Eben das sollten wir zu verhindern versuchen«, sagte Rover. »Und auch, daß jemand ertrinkt, falls er über Bord geht. Ein Toter ist schon zu beklagen – einer zuviel!« Sie widmeten sich wieder der Betrachtung. Heute war der sechsundfünfzigste Tag des Versuchs. * »Los die Leinen!« schrie Kliffr. Er stand im Heck des Bootes auf den waagrecht angeordneten und mit breiten Holzdübeln an der Bordwand verankerten Brettern. Neben ihm stand Mondi. Beide Männer hielten sich am Ruder fest. Die Leinen flogen, Schlingen bildend, ins Boot und auf die Köpfe der Mannschaft, die an den Riemen saß. Ein paar Schläge mit den Riemen – das konnten sie alle ausgezeichnet. Dann drehte sich der Brandungskeiler herum und zeigte auf die Biegung, hinter der der Fjord sich endgültig dem Meer näherten. »Setzt das Segel!« Kliffr sprang mit einem Satz nach unten, stieß Hasso leicht mit der Schulter zur Seite und griff nach dem Tau. Mit vereinten Kräften zogen sie die lange, weit ausragende Rahe hoch. Das Segel, hellgrau und grün gefärbt, mit breiten Längsstreifen, blähte sich. Dann schlug die Rahe an, und die vorderen und achterlichen Taue wurden belegt, die Zugleinen um den Mast gewickelt. Sie konnten selbst bei Wind fahren, der nicht genau von hinten kam; dazu mußten die Leinen, die an den Enden der Rahe angebracht waren, verkürzt oder verlängert werden. Die Siedlung blieb zurück. Alle neun Menschen winkten ununterbrochen, sobald sie eine Hand frei hatten. Dann erreichte der Brandungskeiler die schwarze Klippe, glitt mit gurgelndem Heckwasser und aufschäumender Bugwelle vorbei, erreichte die beiden anderen – 76 –
Felsabstürze und war jetzt voll vor dem Wind. Der Ostwind pfiff durch die Schlucht, und das Schiff wurde schneller und schneller. »Lautlos wie die Götter!« murmelte der Zauberer. »Schnell wie ein Pferd und schneller!« gab Kliffr zurück. Er war unruhig. Zwar fürchtete er nicht die Wellen, den Wind und die hölzerne Konstruktion dieses Schiffes, sondern die vielen unbekannten Vorkommnisse dieser Seefahrt. »Ihr habt sicher keinen Hunger und keinen Durst?« fragte Sigrun. Kliffr schüttelte lachend den Kopf, und wieder fuhr der leise Schmerz durch sein Gehirn. Es war ein letztes Überbleibsel von dem gewaltigen Braten- und Metfest, das sie gefeiert hatten. »Nein. Höchstens wacklige Knie!« rief er. Bjarki stand im Bug, hatte einen Arm um den Steven gelegt und spähte angestrengt ins Wasser. Er rief von Zeit zu Zeit nach hinten, daß das Wasser beruhigend tief war, so daß niemand zu befürchten brauchte, daß der Kiel schrammte oder die Ruder brachen. »Wie steuert es sich, Mondi?« rief Hasso nach hinten. Er stand neben dem Mast und beobachtete konzentriert, wie das Holz federte und arbeitete. Unterhalb von seinen Füßen stand, in einem eisernen Kessel, die Glut, die sie mitnahmen. Sie wollten dieses Feuer niemals ausgehen lassen. »Ganz leicht – hier im stillen Fjord!« rief Mondi zurück. Kliffr wanderte unruhig zwischen Bug und Heck hin und her, während die Wände des Fjordes an seinen Augen vorbeiglitten. Die Riemen wurden eingezogen und mit Schnüren aus Leder an der inneren Bordwand befestigt. Felsen blieben zurück, Bäume und lange Gewächse. Irgendwo lag ein weißes Tiergerippe. »Und draußen, auf dem offenen Meer?« fragte Höldur besorgt. Hasso gab die einzig richtige Antwort: »Wir werden es sehen. Aber wenn das Schiff der fremden Händler das offene Meer überstanden hat, wird auch unser Schiff diese Gefahren überstehen.« Stunden brauchten sie, um die gesamte Länge des Fjordes zu durchsegeln. Dann war plötzlich das Meer vor ihnen. Eine endlose Fläche, die mit dem Morgenhimmel verschmolz. Die weißen Brandungswellen rollten heran, der ablandige Wind wurde schärfer, und ein Summen und Surren ging durch das Schiff, das sie in den nächsten dreißig Tagen nicht mehr verlassen sollte. Es waren die Holzverbindungen, die leise vibrierten, die Vibrationen wurden vom Wind und vom Segel und vom Mast erzeugt und von den Tauen gedämpft. »Hier ist das Meer!« sagte Helgrun feierlich. »Nachts werden wir nichts anderes sehen als die Sterne.« Mondi sah ständig mit einem Auge auf den Zaubersplitter, der dorthin wies, wo seine rechte Hand um das Ruder geklemmt war. Sie segelten geradeaus, immer nach Westen, und der Wind kam voll von hinten. Dann erreichten sie die offene See. Aus dem Dahingleiten des Bootes wurde eine andere Bewegung. Das Deck hob sich zuerst vorn, beim Bug, dann drehte sich das Schiff etwa um die Stelle, an der der Mast eingesetzt war, und Mondi wurde in die Höhe gehoben. Hasso saß da und sah an den Spanten entlang, horchte auf jeden Ton, den das federnde Holz von sich gab. Er schloß die Augen, legte sein Ohr an die Bordwand und winkte dann Kliffr. – 77 –
»Ja?« »Wir müssen etwas tun. Schon jetzt merke ich es, und wenn die Wellen größer werden, arbeitet das Schiff so...« Er demonstrierte mit einem starken Tau, wie sich das Schiff bewegte. Der lange Kiel bog sich durch, so daß sich der Bugsteven und der ähnlich hochgeschwungene Achtersteven an ihren Spitzen zueinander hin und voneinander weg bewegten. Dazu bogen sich die Spanten nach außen und wieder zurück nach innen, analog zu den beiden hochgeschwungenen Holzbiegungen. »Ich habe verstanden«, sagte Kliffr und wußte, daß jetzt die kleinen Abenteuer anfingen und nicht mehr abreißen würden. »Was tun wir dagegen?« Hasso deutete auf die beiden Steven. »Mir haben es die Händler erzählt«, sagte er. Das Boot wurde schneller, und die schaukelnden Bewegungen nahmen zu. Aber noch immer, jetzt, da die Küste niedriger wurde und sich immer mehr entfernte, war das Schiff schnell und sicher, und der Wind riß an den Haaren der Besatzung. »Was tun wir?« wiederholte der Jarl besorgt. »Wir spannen ein dickes Tau zwischen den beiden Steven aus und stützen es auf den Rahhaltern ab. Dann spannen wir davon nach rechts und links leichtere Taue und schlagen Knoten um die Spanten. Dadurch wird das Schiff stabiler.« Kliffr nickte. Er hatte begriffen, daß man dadurch das übermäßige Arbeiten des Holzes verhindern konnte. »Jetzt gleich?« »Ja.« Sie nahmen ein dickes Tau und führten es unter den ängstlichen Blicken der Besatzung in der Mitte des Bootes nach vorn und hinten. Sie schlangen es zweimal um den Mast, ganz unten, dicht über den beiden gegabelten Rahstützen. Dann wickelten sie es um die Steven, zogen fest an und belegten die Verbindungen. Dann halfen ihnen die anderen Männer, die seitlichen Taue zu spannen. Das hatte außerdem den Vorteil, daß man die großen, zusammengenähten Lederstücke daraufbinden konnte und es darunter dunkel und trocken hatte. Zudem dienten die Taue der Sicherheit – man konnte sich daran hervorragend festhalten. Die Fahrt ging weiter. Kliffr turnte die breite, kurze Leiter hinauf und blieb neben Mondi stehen. E r sah, daß nur zwei Taue, richtig gespannt, den Steuermann sichern konnten, der auf der rechten Seite neben dem Steven stand und steuerte. »Geht es noch immer gut?« fragte er leise. Mondi lächelte und nickte. »Als ob ich es mein Leben lang getan hätte«, sagte er. »Und jetzt, nachdem ihr die Taue verspannt habt, ist das Schiff auch merklich ruhiger geworden.« »Sehr schön.« Kliffr stieg noch einmal hinunter, löste eines der dünneren Reservetaue und knotete es in zwei Geraden an die Bohlen vor und hinter dem Steuermann. Jetzt konnte Mondi bei heftigen Bewegungen des Schiffes nicht vom Ruder geschleudert werden. Kliffr spürte, daß der Wind kälter geworden war und stärker. Mit stolz geblähtem, farbigen Segel glitt das Schiff die Wellenberge hinauf, durchschnitt den Kamm und rutschte wieder hinunter. Eine unendlich sich – 78 –
wiederholende Bewegung. Auf und ab, hinauf und hinunter, hoch der Pferdekopf und wieder hinein bis fast in den Schaum auf den Wellenkämmen. Kliffr schlug den Bärenfellmantel um seine Schultern und setzte sich auf die breite Bank, die unterhalb der Füße des Steuermannes angebracht war. Ihm war nicht einmal schlecht, nur Bjarki beugte sich, von Hasso an den Schultern gehalten, über die Bordwand und übergab sich. Sigrun kam, brachte Kliffr ein Stück kalten Braten und lehnte sich an seine Schulter. Die erste Hälfte des ersten Tages war vorbei, die Sonne strahlte fast senkrecht herunter. Zwischen den Bordwänden wurde es warm, es war auch windstill hier. »Wie lange noch?« fragte die junge Frau. »Noch neunzehn volle Tage. Vielleicht einige mehr oder weniger, ich weiß es nicht so genau. In zwei Tagen kommen wir an eine Insel.« Auch das, überlegte er, war ein glücklicher Umstand. Bis dahin hatten sich alle Schwächen des Schiffes herausgestellt, falls es solche überhaupt bei einer Konstruktion Hassos gab. Dort, auf dieser Insel, konnten sie notfalls anlegen und das Schiff reparieren. Werkzeuge hatten sie mitgenommen. * Der erste Tag war vom Morgen bis zum Abend sonnig gewesen und klar. Sie hatten das Land erkennen können, bis es unter die Horizontlinie gesunken war. Und der zweite Tag begann, als die Sterne verblaßten, mit Nebel. Mit einem Nebel, der so dick war, daß sie dachten, den Bug nicht mehr vom Heck aus erkennen zu können. Nebel... Noch immer wehte Ostwind. Er trieb den Nebel und das Schiff mit sich, und das Nebelfeld schien sehr groß zu sein. »Der Splitter ist unsere Rettung!« sagte der Zauberer. »Sonst wüßten wir nicht einmal, wohin wir segeln.« Kliffr kauerte sich in dem nassen Nebel, der sich in Form von kleinen Wasserperlen überall niederschlug, auch auf seinen Händen und seinem Gesicht, neben den Steuermann. Er selbst hatte Mondi nachts zweimal abgelöst und das Ruder übernommen; er verwuchs mehr und mehr mit diesem herrlichen, perfekt reagierenden Ding aus Holz, Metall und Segel. »Hier hast du die vier Striche der großen Richtungen des Himmels«, sagte er. »Du mußt immer so steuern, daß der Splitter in diese Richtung deutet!« Mondi knurrte mit heiserer Stimme: »Ich weiß. Ich habe diesen Kurs ununterbrochen gehalten.« Sie sahen auf die Karte, schätzten die Entfernungen ab und waren noch immer in dem Nebel, der alle ihre Worte und die Geräusche der Wellen dämpfte, als ob man ein Tuch über sie legte. Die anderen sieben Personen hatten sich zu einer kleinen Gruppe zusammengefunden, die zwischen den Bordwänden um den Mast herum saß und aß. Kornfladen, Schinken und Wasser. Vorsichtig, um das Schiff nicht in Brand zu setzen kümmerte sich der Zauberer um das Feuer. Er schob kleine Holzstückchen hinein, blies vorsichtig in die Glut und warf mit bloßen Fingern weißgraue, ausgebrannte Stücke über Bord. – 79 –
Sie segelten weiter... Ebenso schnell wie am vergangenen Tag, aber mit einem wesentlich schlechteren Gefühl. Bjarki war es inzwischen nicht wieder schlecht geworden, aber sie alle hatten in der Nacht nur sehr schlecht geschlafen und waren immer wieder aufgeschreckt. Wenn Kliffr über alles nachdachte, dann fürchtete er sich vor seinem eigenen Mut, der ihn zu dieser Fahrt getrieben hatte. Und wenn sie jetzt auf die Klippen vor der Insel aufprallten, von der die Fremden berichtet hatten, starben sie alle, ohne die Botschaft von der fremden, warmen Wüste zurückgetragen zu haben. Nach der Insel mußten sie den Kurs leicht ändern. Wenn sie die Insel verfehlten, verfehlten sie auch die ferne Küste... Das alles war es, wovor sich Kliffr fürchtete. Nicht vor den Dämonen. »Kliffr!« schrie plötzlich Mondi und deutete auf die Mastspitze hinauf. Kliffr riß den Kopf hoch und sah, was der Steuermann meinte. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren; nach seiner Meinung mußte es inzwischen weit über Mittag sein. Um das Schiff herum herrschte nur eine Farbe: Grau. Grau war auch das Wasser, und sogar die neun Gesichter hatten diese Farbe angenommen. Auf der Mastspitze flatterte ein kleiner Wimpel, aus langen Stoffasern gewebt. Dieser Wimpel hatte sich jetzt fast um den Mast gelegt, und auch das Segel flatterte, und in dem glatten Schwung zeigten sich riesige Blasen, die sich wieder mit Luft füllten, dann wieder größer wurden. »Der Wind flaut ab!« rief der Jarl. »Nein! Der Wind ist unruhig!« schrie Hasso vom Bug her. Der Wimpel begann zu flattern, straffte sich und zeigte plötzlich nacheinander in drei verschiedene Richtungen. Dann blieb er gerade ausgestreckt und knatterte nur noch leise vor sich hin. Knallend füllte sich das Segel mit Wind, der Mast zerrte an seinen Verankerungen, und aus den gedrehten Tauen sprangen einzelne Fasern ab. Das Schiff machte förmlich einen Satz, schoß nach vorn und häufte wieder eine schäumende Bugwelle vor sich auf. Dann packte der Wind das Boot vollends und schob es vor sich her. Die Nebelmassen kamen in Bewegung und zerrissen in einzelne Streifen und lange, graue Felder. Die Sonne wurde sichtbar, aber an anderer Stelle, als sie es alle vermutet hatten. Sie stand schon tief im Abend, und plötzlich verschwand sie wieder – aber zu langsam, als daß der Nebel daran schuld sein konnte. »Vorsicht am Ruder, Mondi!« schrie Kliffr. Er rannte, sich unter den Tauen bückend, nach vorn an den Bug und lehnte sich neben Hasso an den Steven. Das Pferd über ihnen schien ängstlich wiehern zu wollen. Der Nebel riß weiter auf, und das Wasser wurde blau, dann grün und schließlich gelb... Gefahr! »Nach rechts steuern Mondi! Mit aller Kraft!« schrie Kliffr. Aus den Nebelmassen, die sich immer mehr zerteilten und verschwanden, tauchten vor ihnen schwarze spitze Felsnadeln auf. Mondi riß an dem langen Ruder und stemmte sich gegen das Holz. Das Schiff raste weiter auf die Insel zu, auf die Untiefen und gegen die steinernen Säulen. Dann legte es sich nach links über, Wasser spritzte herein und flutete über die Füße der Männer im Bug. Haarscharf glitt der Bug über die Felsen unter dem gelben Wasser hinweg. Vögel schrien aufgeregt. Lakonisch murmelte Hasso: – 80 –
»Vögel in der Luft! Da kann Land nicht weit sein!« Das Holz knarrte, die Männer zwischen den Bordwänden nahmen die Riemen aus den Halterungen, lösten die Schnüre und steckten die langen Schäfte durch die Stäbe an den Spanten. Das Schiff gehorchte dem Steuer. Das Segel drehte sich halb, als Hasso und Bjarki sich in die Seile warfen und daran rissen. Die schwarzen Felsen kamen näher... näher, und die Riemen wurden waagrecht ausgebracht und stemmten sich den Felsen entgegen. Das Schiff holte schwer über, und es schien, als würde die Mastspitze die schwarzen Felsentürme streifen. Dann waren sie vorbei, und der Wind faßte sie wieder. »Vorbei, Thor sei Dank!« flüsterte Hasso fast ergriffen. Kliffr nickte ernst und sah, einige fünf Meter von ihrer linken Bordwand entfernt, die Felsen vorübergleiten. Mondi stemmte sich noch immer gegen das Ruder und versuchte, das Schiff an der rechten Seite der Insel vorbeizusteuern. Die anderen Mitglieder der Besatzung hatten sich, als das Schiff zu krängen begann, auf die andere Seite geflüchtet und betrachteten erschrocken, mit weit aufgerissenen Augen und Mündern, die Insel. Einige Vögel stießen herunter, umflatterten das Segel und den Mast und kehrten dann wieder zurück zu den Felsvorsprüngen, von denen sie mißtönend herunterschrien. Kliffr sagte laut: »Die Gefahr ist fast vorbei, Mondi – halte Abstand.« Dann drehte er sich um, überließ die Tiefenanzeige seinem alten Freund Hasso und sagte zu den Frauen und Männern: »Euer Schreck war umsonst. Wir leben noch. Nichts ist geschehen, aber beinahe wären wir an den Felsen zerschellt.« Der Zauberer jammerte leise: »Das alles ist ein Werk der Götter. Wir haben sie herausgefordert.« »Unsinn!« rief Mondi. »Das war Schuld des Nebels der uns verwirrt hat. Legen wir an, oder fahren wir weiter, Kliffr?« Kliffr deutete in die Richtung, die sie jetzt einschlagen mußten. Er sagte in scharfem Befehlston: »Wir fahren weiter. Zu dem warmen Strand.« Das Schiff glitt langsam entlang der Felsenküste. Die Vögel schrien und nirgends zeigte sich die Möglichkeit, einzulaufen und Wasser oder Früchte an Bord zu nehmen. Der Steinsplitter zeigte jetzt auf einen anderen Strich; das Schiff fuhr nach Südwesten, und Mondi machte mit seinem Messer eine Kerbe in das Holz, das das runde Tongefäß umgab. Die anderen acht Menschen schwiegen und sahen die Felsenränder der kahlen Insel an. Eben noch wirkten die Felsen als Symbol der Furcht und des Unterganges, aber als der Schein der untergehenden Sonne sie traf, verwandelten sie sich in farbensprühende Wände voller geheimnisvoller Schatten, umgeben von dem weißen Ring der Brandung. Sigrun kletterte hinauf zu Kliffr und lehnte sich gegen seine Brust. »Entschuldige«, sagte sie. »Ich hatte Angst, daß unsere kühne Fahrt jetzt schon ein schnelles Ende findet.« Kliffr streichelte ihren Kopf und murmelte: »Ich habe auch Angst gehabt. Wie wird es den zurückgebliebenen Freunden in der Siedlung ergehen?« – 81 –
Bjarki lachte und rief: »Wir haben gut vorgesorgt. Es wird ihnen ausgezeichnet gehen. Ihnen – und auch uns, wenn wir erst ein paar Tage weitergesegelt sein werden. Ich habe schon jetzt keine Angst mehr.« Adwan verbarg sein Gesicht in den Händen und starrte entsetzt in die untergehende Sonne. Sie sah aus, als würde sie sich im Wasser ertränken und nie wieder auftauchen. Helgrun klappte einen Teil der Bodenbretter hoch und sagte, indem sie einen wuchtigen Schinken hochhielt: »Frauen und Männer – wir essen!« Kliffr ergänzte: »Und auf den Schrecken gebe ich einen Becher Met an jeden aus. Auch an unseren jungen Bjarki!« Das löste, zum Teil, die Starre der Menschen. Kliffr sah immer deutlicher, auf welche Männer oder Frauen die Gedanken an Dämonen und nächtliche Geister Eindruck machten. Zweifelsohne waren er, Mondi und Hasso, Helgrun und Sigrun nicht darunter. Und auch der kleine Bjarki litt keineswegs an einer unbegründeten Furcht vor dem Spuk, den Adwan heraufzubeschwören versuchte. Adwan war es, der sich wirklich fürchtete – Kliffr konnte es kaum glauben. Mondi sagte zu ihm: »Löst du mich ab, während ich esse?« »Selbstverständlich«, erwiderte Kliffr. »Ich übernehme die erste Wache, dann kommt Hasso, und dann wieder du. Gegen Morgen werde ich wieder an der Reihe sein. Der Wind ist unverändert gut und stark, wie ich sehe.« Mondi grinste kalt; sein Bart war gewachsen, sein Gesicht war wieder etwas gebräunt. Dieser Mann wuchs mit seiner Aufgabe, und er würde alle Schwierigkeiten, die ihn nicht umbrachten, meistern, als ob es sein Beruf gewesen war, jahrelang auf der See zu fahren. »Gut. Wie steht es mit deiner Karte, Kliffr?« fragte Mondi und zog den Kopf zwischen den Kragen seiner Felljacke. »Wir werden einige wichtige Änderungen durchführen und einzeichnen müssen«, sagte der Jarl nachdenklich. »Die Insel war näher, als wir sie eingezeichnet hatten.« »So. Übernimm bitte das Ruder!« Kliffr löste Mondi ab, und während er steuerte und sich nach dem Wind und dem leise pendelnden Splitter richtete, aßen die anderen acht in Ruhe. Langsam wich die Spannung von ihnen; der Met und die Müdigkeit taten ihre Schuldigkeit. Schließlich lagen sie alle in den Winkeln zwischen Deck und Bordwänden in dicke Pelze und ihre Kleidung gehüllt. Als die Sterne erschienen, hörte Kliffr das Schnarchen von Mondi und Hasso, und der Jarl grinste. Er war allein. Allein mit dem Schiff und seinen Träumen von einer besseren Zeit, von einem wärmeren Land und von den schönen Jahren, die nun für sie alle folgen würden. E r sah kleine Hütten unter fremdartigen Bäumen, umgeben von exotischen Gewächsen. Er sah ein Land, in dem die Nahrung nicht durch tödliche oder beschwerliche Jagd herbeigeschafft werden mußte.
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Es war eine herrliche Nacht, dachte Kliffr und lehnte sich zurück, das fein polierte Ende des Doppelruders in die Achselhöhle geklemmt. Seine Hände lagen fest auf dem dünnsten Ende des Ruders. Würden sie das Ufer erreichen – oder würde ihr Vorstoß ins Unbekannte scheitern? * Es war zwei Nächte später. Kliffr und Hasso saßen unterhalb des Bugdecks. Zwischen ihnen stand eine kleine Öllampe. Der Schein der zitternden Flamme, die sich hinter einem zylindrischen Schirm aus dünnem Pergament, an Weidenzweige angenäht, bewegte, beleuchtete die Karte des Jarls. Kliffr hatte ein gerades Stück dünnen Holzes vor sich liegen, daneben hielt er ein Stück verkohltes Holz. »Wir haben uns verdammt geirrt!« sagte Hasso so leise, daß es niemand außer ihnen hören konnte. »Ziemlich!« stimmte Kliffr zu. Er zog langsam und mit Bedacht gerade Linien über das Pergament. Sie bildeten die Achsen Nord-Süd. Dann zog er eine Linie quer – West-Ost. Dann trug er in Form von lauter kleinen Punkten die zurückgelegte Strecke ein und versah sie mit den Marken die jeweils einen Tag oder eine Nacht bedeuteten. Schließlich fand e r heraus, daß er und der Zauberer die Insel, die ihnen beinahe zum Verderben geworden war, um einen halben Tag zu weit nach Westen eingezeichnet hatten. Vorsichtig korrigierte Kliffr diese Position. Dann sah er Hasso an und nickte. Hasso deutete auf eine Reihe kleinerer Inseln, die rechts neben dem Kurs lagen, den das Schiff – wenn sie Wind und Bewegung richtig eingeschätzt hatten – jetzt fahren mußte. Es waren acht Inseln, dicht hintereinander, wie eine geschwungene Reihe oder eine Spur eines Wildtieres. »Diese Inseln... was haben die Fremden gesagt?« fragte der Schiffsbauer. Er sah Kliffr in die Augen. Beide Männer hatten jetzt wieder eine Haut, die in der Farbe derjenigen von der Mitte des Sommers nicht nachstand. Die Augen waren leicht gerötet; die Spiegelung der Sonne war zu viel für sie. Sie waren an das wohltuende Grün der Wälder gewohnt. Die Bärte sprossen, beide Männer waren schmutzig, aber in dem kalten Wasser der See war der Versuch, sich zu waschen, halber Selbstmord. Außerdem konnte keiner von ihnen das Schiff einholen, wenn er schwamm. Die Bewegungen des Schiffes waren ihnen allen, sogar dem Zauberer, in Fleisch und Blut übergegangen. Auf und ab, hinauf und hinunter, und eine starke Schräglage, wenn der Wind nicht mehr ganz genau aus derselben Richtung wehte. »Sie sahen auf den Spitzen einiger Inseln kleine Feuer!« sagte Kliffr. »Sagten sie wenigstens.« Hasso murmelte: »In den nächsten zwei Tagen müßten wir diese Inseln erreichen. Sie sollten dort am Horizont auftauchen, wenn wir richtig segeln.« Er deutete rechts neben dem Steven, dicht unterhalb des Pferdekopfes vorbei auf das Meer hinaus. – 83 –
Kliffr dachte an den Splitter, an die langen Stunden, in denen er am Ruder gestanden hatte, und sagte entschieden: »Wir segeln richtig! Auf alle Fälle!« Hasso knurrte: »Wir werden es sehen!« Kliffr rollte die Karte wieder zusammen, nachdem er den Kurs der vergangenen Tage ausgerechnet und festgelegt hatte. Dann lehnte sich der Jarl zurück, stemmte die Füße gegen die Bordwand und sagte: »Dein Schiff, Hasso, ist ein Meisterwerk. Es gleitet durch das Wasser, als ob Thor es zöge!« Hasso lachte kurz. »Das Meisterwerk... es wird eines sein, wenn wir wieder heil unsere Siedlung erreichen und die anderen abholen. Nachdem wir gefunden haben, wonach wir suchten.« Kliffr sagte: »Dabei tauchen eine Menge Probleme auf. Wir müssen mitnehmen, was wir können. Die Schafe, die Ziegen, die Pferde – das erscheint mir unmöglich. Was sollen wir tun, um unsere Kultur mitzunehmen?« Hasso versicherte leise: »Alles, was wir dort in der Siedlung haben, wird es auch hinter den fremden Ufern geben. Wir brauchen nur unsere Waffen und einen großen Vorrat an Werkzeugen für die ersten Tage mitzunehmen.« Kliffr drehte sich herum und sah, daß der Zauberer wieder die Runen warf. E r ordnete die weißen Knochenstäbchen und schüttelte immer wieder den Kopf. Bei dem schwachen Licht war es nur undeutlich zu erkennen, aber Adwan schien sehr besorgt zu sein. Ob er sich fürchtete oder nicht, das hatte auf die Aussage der Runen keinen Einfluß – oder doch? Hasso flüsterte: »Bis auf Adwan, der sich zwar ebenso fürchtet wie wir alle, seine Furcht aber deutlich zeigt und alles, was geschieht, den Göttern in die Schuhe schiebt, ist die Mannschaft die beste, die wir finden konnten.« »Wahr! Wahr!« sagte Kliffr. Mit dem unermüdlichen, kräftigen Mondi am Ruder segelte das Schiff leise und schnell weiter. Es hob und senkte sich, glitt zwischen den Wellen hindurch, und der hohe Bug teilte die Wellen. Sie hatten etwa ein Viertel der Reise hinter sich. * Nachts. Windstille. Das Segel hing schlaff herunter und rührte sich nicht, und der kleine Wimpel, der die Richtung des Windes anzeigte, deutete auf das Deck. Die Mannschaft schlief. Hasso erwachte als erster. Er richtete sich auf, schob die Felle und die Felldecken zur Seite und schaute instinktiv zum Heck. Mondi war über dem Ruder eingeschlafen. Nichts und niemand rührte sich. Das Schiff hielt den Kurs nicht mehr, wie Hasso nach einem langen Blick auf die Sterne feststellte. Das Feuer, die Glut im Eisenkessel unter ihren
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Füßen, roch intensiv – sonst nichts. Das Deck atmete Salzwasser aus. Acht Menschen lagen da, wie dunkle, bewegungslose Bündel – sie schliefen tief. »Eine Windstille«, flüsterte Hasso. »Das hat etwas zu bedeuten.« Er schob die Felle weg und stand auf. Langsam und vorsichtig, um niemand zu wecken, schob er sich unter den ausgespannten Tauen entlang und kletterte hinauf auf das Deck hinter dem Bugsteven. Hasso, der Sohn des Björn, der wiederum der Sohn des Sig war, sah sich lautlos um. Er sah das Mondlicht auf den kleinen Wellen und rund um sich den Himmel mit den klaren Sternen. Sie schienen Feuer zu sein, die in unendlicher Ferne über ihnen brannten. Menschen wie Adwan konnten angesichts dieser schweigenden Lichter Angst bekommen; für den Schiffsbauer hingegen waren es Zeichen, nach denen er segeln konnte. Der Mond stand, eine kaltleuchtende Scheibe, senkrecht über Hasso und dem Brandungskeiler. »Warum diese Windstille, wenn die vergangenen Tage stetiger Ostwind wehte«, sagte Hasso im Selbstgespräch. Er suchte nach einer Insel, die den Wind abfing und umleitete, aber er sah nichts. Oder doch? Was war das dort hinten, auf der rechten Seite des Schiffes, leicht voraus? Inseln? Irgend etwas verdeckte die Sterne des Horizontes. Und auf diesen dunklen Erhebungen glomm ein rotes, düsteres Licht. Als sich die Augen des Mannes an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sah er, daß ein tropfenförmiger Bereich der Sterne verschwunden war. »Das sind die Inseln, von denen die Karte sprach!« sagte Hasso, diesmal etwas lauter. Er blieb stehen und betrachtete genauer, was er zu sehen glaubte. Jetzt mischten sich Vermutungen und Beobachtungen zu einem rätselhaften Bild. Dort, wo die Fläche des Meeres in den Horizont überging, befanden sich halbrunde Hügel Das Meer war sichtbar durch die sichelförmigen Lichter des Mondes, der sich auf den kleinen Wellenkämmen spiegelte. Die Hügel, die die Sterne verdeckten, lagen andererseits im Licht einer roten Flamme, die auf der Spitze einer der Inseln sich ausbreitete. Hinter und über diesem rötlichen Licht schwang sich etwas Schwarzes, Großes in die Luft und verdunkelte die Sterne. Hassos empfindliche Nase roch etwas, das nicht aus dem Schiff kam. »Ich weiß es nicht!« sagte Hasso laut. Kliffr war aufgewacht, warf die Felle von sich und kam hinauf zu Hasso. Sein Gesichtsausdruck war fragend und neugierig und von einer stillen Sorge erfüllt. »Was weißt du nicht?« fragte Kliffr leise, gähnte und rieb sich die Augen. Hasso sagte: »Das dort müßten die Inseln sein, die wir auf der Karte eingezeichnet haben. Aber auf ihnen ist ein Licht. Ob es ein Lagerfeuer der fremden Stämme ist? Ich weiß es nicht. Das ist es, was ich nicht weiß.« Die beiden Männer lehnten sich über die Bordwand, als könnten sie dadurch, daß sie sich um einen halben Meter vorbeugten, die Inseln besser sehen. Als auch der Jarl versuchte, die Dunkelheit mit seinen Augen zu durchdringen, ertönte aus der Richtung der Inseln ein schwacher Donnerschlag. – 85 –
Kliffr fragte, alarmiert und plötzlich ganz wach:
»Ein Gewitter oder eine Trommel, Hasso?«
Hasso schüttelte den Kopf und erwiderte:
»Keine Trommel. Eine Trommel trägt nicht so weit.«
Jetzt erscholl ein gewaltiger, nachhallender Schlag, ungeheuer laut und von einem
riesigen Feuer begleitet, das sich auf der Spitze einer Insel ausbreitete. Das Feuer floß förmlich auseinander. Dann sahen beide Männer den weißen, gischtenden Streifen einer gewaltigen Welle, die von den Inseln her auf das Schiff zuraste. Kliffr erholte sich zuerst und reagierte schnell. Er sagte laut: »Wenn uns diese große Welle von der Seite packt, dann sind wir verloren. Sie wird das Schiff umwerfen.« Hasso rief: »Wecke sie alle!« »Ja. Mondi!« Kliffr schrie, so laut er konnte. Mondi taumelte aus dem Schlaf hoch, sah sich wie ein Gehetzter um und sah auch den Streifen, der sich dem Schiff näherte. Während der Steuermann sich wieder an die weiße Bohle klammerte, schreckten die anderen aus dem Schlaf hoch. Ein dritter, nachhaltiger Donnerschlag folgte, und gleichzeitig vergrößerte sich das Licht. Es wurde zu einer hellrot glühenden senkrechten Säule. »An die Riemen!« schrie der Jarl. Mit einem Satz sprang er hinunter zwischen die Bordwände. Hasso folgte ihm. Die Riemen wurden von der schlaftrunkenen Mannschaft aus den Halterungen genommen und ausgebracht. Jeweils vier auf einer Seite. Kliffr brüllte Befehle und riß an seinem Ruder; er saß jetzt auf der linken Seite des Schiffes. Sie mußten den Bug herumschwingen, so daß er in die Richtung des Brandungsstreifens zeigte. Mit Kliffr zogen die sieben anderen Menschen an den Schäften der Riemen, und das Schiff fing wieder an, sich zu bewegen. Mondi drehte das Ruder herum.
»Schneller!« rief der Jarl.
Die Riemen tauchten in dem Takt, den er ausrief, ins Wasser, und wurden
durchgezogen.
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»Es ist etwas schlecht zu sehen, aber sie scheinen sich tapfer zu halten«, sagte der Professor. »Tatsächlich! Sie haben bereits die Hälfte der langen Fahrt hinter sich.« Bela Rover drückte einen Knopf im Schaltpult und sagte dann in das Mikrophon: »Alarmstufe Eins. Die Besatzung des Schiffes ist in Lebensgefahr. Wir halten uns bereit, Schiff und Mannschaft zu bergen.« »Verstanden!« kam es aus dem Lautsprecher. Die Männer, die für dieses Projekt die Verantwortung übernommen hatten, wechselten sich ab; und der Rest der Mannschaft dieses Beobachtungspunktes setzte sich aus zukünftigen Mannschaften des Sternenschiffes zusammen. Der Versuch, der mit ›Feldtraining‹ nur schwach umschrieben war, ging langsam dem Ende entgegen. »Sie halten sich ausgezeichnet«, sagte Professor Sherkoff. »Ich habe hier den Bericht über die Großwetterlage. In wenigen Minuten wird ein Sturm das Schiff erfassen und an das Ziel treiben!« Bela Rover sagte leise und voller Besorgnis. »Wir werden einen Bergungshelikopter hinter ihnen herschicken. Er bleibt verborgen, aber er greift ein, sobald eine kritische Situation entstehen sollte.« Marschall Wamsler schien geradezu böse zu werden. Er rief: »Glauben Sie allen Ernstes, daß diese Mannschaft in wirkliche Gefahr gerät?« »Ja, das glauben wir!« sagte Dr. Lawrence ›Rence‹ Amsbary leise. * Aus der Richtung der Insel kamen ein Heulen und das Feuer, das wie eine riesige Säule gegen den Himmel schoß. Das Schiff ritt auf der Welle, dann sank es wieder herunter. Das hellrote, fast weiße Feuer schien den Glanz der Sterne überstrahlen zu wollen. Mit diesem zuckenden, hellen Schein kam ein langgezogener Donner von den Inseln herüber. »Die Götter! Sie vernichten uns!« schrie Adwan und ließ sein Ruder los. Das Schiff senkte sich wieder, mit dem Heck nach oben und dem Bug nach unten, in das erste Wellental. Heulend kam ein Wind von Norden und peitschte die Wellen. Aus der dunklen Luft fielen große Steine ins Meer. Dann folgte ein Regen aus glühenden Brocken. Es stank nach Rauch und Schwefel. »Sie vernichten uns nicht!« rief Kliffr. »Dies ist Feuer aus der Erde!« Grollend und donnernd brach der Vulkan aus. Er schleuderte ungeheure Mengen von Ruß und verbranntem Gestein in die Luft. Rauch kroch träge über die Wellen dahin, und der Sturm heulte zwischen dem Schiff und der Insel heran. Das Segel flatterte unruhig, dann knallte es – es füllte sich wieder. Langsam schwang das Schiff herum und ging wieder auf Kurs. »Dort! Ein Wolfsschädel!« schrie der Zauberer, ließ das Ruder, das er wieder ergriffen hatte, endgültig fahren und verkroch sich zitternd unter seine Pelze. Auch Dag und Höldur folgten seinem Beispiel. Die beiden jungen Jäger konnten das seltsame Schauspiel in der Dunkelheit nicht mehr länger mit ansehen. Sie duckten sich unter die Bordwände und hörten auf zu rudern. Zwei der langen Blätter wurden von den Wellen mitgerissen und trieben davon.
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Kliffr sprang auf, zog sein Ruder ein und sah, daß auch Hasso die anderen Riemen ins Schiff hineinzog und an der Bordwand wieder festband. Die beiden Frauen blickten starr auf die verschiedenen Formen, die das Feuer vor der Schwärze der Nacht bildete. Das Donnern wurde lauter, gleichzeitig hörten sie das heulende Geräusch des Windes. »Halte das Ruder fest, Mondi!« schrie Hasso von seinem Platz aus. »Keine Sorge! Der Brandungskeiler wird auf den Wellen reiten!« rief der Steuermann zurück. Und dann begann die wilde Fahrt. Das hatten sie in den langen Tagen noch nicht erlebt. Das Schiff schien sich zu heben, der Pferdekopf bog sich den Sternen entgegen. Der Bug schnitt durch die Wellen, und das Segel füllte sich. Die Fahrt wurde schneller und schneller. Keine Geräusche waren zu hören außer dem Zischen der Wellen vor dem Bug. Im Licht der Sterne, des Mondes und des fernen Feuers, das jetzt aussah wie ein Elchschädel und zwischen schwarzen Wolken zuckte, schien das breite, dreieckige Kielwasser immer spitzer zu werden. Schneller... schneller... die Fahrt ging weiter. Die Besatzungsmitglieder hockten zwischen den Bordwänden und fürchteten sich. Nur die drei Männer – Kliffr, Mondi und Hasso – erkannten die Situation und taten alles, um das Schiff zu retten. Der Sturm wurde stärker. Er trieb die Wellen vor sich her und drückte den schwarzen Rauch, der von den Inseln kam, in die Richtung des Bootes. Die Sterne wurden schwächer; ihr Leuchten nahm ab. Dann rochen sie es alle: Rauch von einem gewaltigen Feuer. Es stank abscheulich, und der Zauberer begann wieder zu wimmern und seine Götter anzurufen. Der Seegang wurde härter, und wie ein Pfeil flog das Schiff mit dem Sturm nach Südwesten. Mondi sah es, als er, während er mit dem Ruder kämpfte, die Nadel des Metallsplitters beobachtete. »Kliffr!« rief Mondi und grinste unbehaglich. Der Jarl drehte sich um; er hatte eben den letzten Riemen an der Bordwand festgeschnürt. »Ja?« Mondi deutete nach vorn, von wo die schweren Brecher hochkamen und rechts und links des Pferdekopfes zerstäubten. Die großen Tropfen schlugen knallend gegen das Segel und überschütteten die Mannschaft mit einem salzigen Regen. »Noch zwei oder drei Tage einen solchen günstigen Wind...« Hasso brüllte durch das Heulen des Sturmes zurück: »... und wir sind an den warmen Ufern. Halte aus, Mondi!« Die wahnsinnige Fahrt ging weiter, während die zitternden Frauen und die anderen Männer sich im Schiff verbargen und den langsam schwächer werdenden Donner hörten. Das Feuer wurde kleiner und undeutlicher, und langsam kamen die Sterne wieder aus den Rauchwolken hervor. Mit dieser Geschwindigkeit raste das Schiff in leichter Schräglage nach Südwesten. Weiter und weiter... der Sturm heulte, das Segel war groß und rund, und knatternd zeigte der kleine Wimpel die Richtung an, aus der der Sturm kam. Kliffr fürchtete sich während dieser rasenden Fahrt, aber er bemühte sich, es niemandem zu zeigen, nicht einmal Hasso. Wenn sie
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es schafften, dann konnten sie in kurzer Zeit ihr Ziel erreichen – durchnäßt, ungewaschen und ungepflegt zwar, aber glücklich und lebend. Der Morgen kam. Der Sturm wurde eher noch stärker, und die Fahrt des Schiffes, dessen Kiel kaum mehr das Wasser zu berühren schien, war noch so schnell wie mitten in der Nacht. Die Menschen erholten sich ein wenig, als sie die wärmende Sonne sahen. Hier schien alles wärmer zu sein, heller und farbiger. Mittag: Noch immer raste das Schiff vor dem Wind. Abend: Sie hatten es geschafft etwas zu essen und zu trinken. Hinter ihnen wehte der Sturm eine lange, graue Wolke hinter dem Schiff her, aber sie erreichte sie nicht mehr. Kleine und große Fische tauchten neben dem Schiff aus dem Wasser auf und beachteten weder die Mannschaft noch das inzwischen ausgebleichte Segel. Die Frauen und Männer wandten sich an Kliffr, und der Jarl erzählte ihnen, daß sie nicht mehr lange bis zum Ziel brauchten. Adwan machte einen Versuch, die Runen zu werfen, aber ein Wasserguß, der von der rechten Seite kam, wirbelte die Runenstäbe durcheinander und schwemmte sie in die tiefsten Stellen des Schiffes. Nacht: Es wehte jetzt nur noch ein steifer, stetiger Wind; der Sturm hatte sich gelegt. Ununterbrochen trieb das Schiff dahin, mit gleichmäßigem Wind und gleichmäßigen Bewegungen. Jetzt waren auch die Nächte viel wärmer geworden, und während im Norden einige Sterne im Meer versanken, tauchten im Süden andere Sterne und andere Sternbilder auf. Tagelang ging die Fahrt weiter. Und eines Morgens sahen sie das Ziel – ihr Ziel. Einen Berg, der sich wie ein stumpfer Kegel aus dem Meer erhob. Kliffr sah ihn zuerst. Er drehte sich auf dem Bugdeck um, legte beide Hände an den Mund und schrie: »Wir sehen Land! Wir haben die warmen Ufer vor uns!« Vorsichtig kletterte Hasso auf das Verdeck, schirmte die Augen mit der Hand ab und sagte dann in fast ehrfürchtigem Tonfall: »Tatsächlich! Wir haben es geschafft!« Von unten schrie der Zauberer hinauf: »Ein Werk der Asen! Dies ist das falsche Land – sie haben uns in die Irre segeln lassen!« »Unsinn!« murmelte Kliffr. Während die gesamte Besatzung das Bild bestaunte, wurde es deutlicher und größer. Unterhalb des grünbewachsenen Berges schob sich eine lange, niedrige Küste aus dem Meer. Merkwürdige Bäume erhoben sich über einem weißen Streifen. Alles sah wunderbar friedlich aus. Helgrun flüsterte: »Noch einen Tag – und wir sind dort. Ich freue mich schon darauf, alles zu sehen. Es wird voller Wunder sein.« Bjarki dachte an die schwindenden Frischwasservorräte und erwiderte halblaut: »Wir werden kühles, sprudelndes Wasser haben – aber gibt es dort auch Tiere zum Jagen, Kliffr?« »Niemand weiß das genau«, flüsterte Dag. »Aber wenn es eßbare Tiere gibt, werden wir sie jagen und töten.« – 89 –
Höldurs Fingernagel fuhr langsam über die Kerben, die er in den Bugsteven eingeschnitten hatte. Langsam zählte er, während ein leises, ratterndes Geräusch ertönte: »Sechzehn, siebzehn, achtzehn. Heute ist der achtzehnte Tag, Freunde.« Sigrun nickte und schloß: »Also waren die Erzählungen der fremden Händler richtig. Treffen wir dieses Schiff hier?« Hasso schüttelte den Kopf. »Kaum möglich. Lassen wir uns überraschen – und wenn Adwan wieder alles als das Werk böser Götter hinstellt, werden wir ihn an einen Stein binden und über Bord werfen.« Der Zauberer erwiderte bissig: »Meinethalben. Wenn du diesen großen Stein besorgst, Hasso!« Sie waren am Ziel. Und als sie fast einen ganzen Tag später, in den ersten Morgenstunden, in einer wunderschönen Bucht weiter südlich das Schiff auf den flachen Sandstrand setzten, es mit einer letzten riesigen Brandungswoge weiter hinaufschleppten, wußten sie alle, daß sie am Ziel waren. * »Wir haben ein Paradies gefunden, ein Walhall auf der Erde!« sagte der Zauberer. Er stand auf dem kleinen Hügel, dessen Fuß ringsum von Schwemmholz bedeckt war. Es bleichte wie die Knochen großer Tiere in der Sonne. Das Schiff lag weit unter ihm schräg auf dem trockenen Strand und wurde gereinigt und geputzt. In den wenigen Tagen, in denen die neun Menschen hier waren, hatten sie sich bereits eingerichtet – es gab alles im Überfluß. Wasser: mehrere saubere, kalte Quellen sprudelten über kleine Felsen und versickerten im Sand des Strandes. Die Bäume waren voller kleiner Tiere und großer, eßbarer Früchte. Die Jagd mit Pfeil und Bogen war hier möglich, auch gab es genügend große Tiere, die denen der Heimat sehr ähnlich waren. Das Land war überreich, warm, schön... es würde ein Leben werden, von dem sie alle immer geträumt hatten. Mittags brannte die Sonne fast senkrecht herunter; die Schatten waren ganz klein. Das Schiff, ihr kostbarster Besitz, wurde auf schadhafte Stellen untersucht, der Proviant wurde ausgeladen, und alles, was zu reparieren war, wurde ausgebessert. Der Brandungskeiler hatte seine große Prüfung bestanden. Ein Schatten störte Adwan in seinen Überlegungen. Hasso stand neben ihm. »Es gefällt dir hier, nicht wahr?« fragte der weißhaarige Mann. Adwan nickte und murmelte düster: »Bis jetzt ist alles so gegangen, wie es Kliffr geträumt und gesagt hat. Aber auf der Rückfahrt werden uns die Götter bestrafen. Sie werden uns an den Inseln des Nebels zerschellen lassen... hoch im kalten Norden!« Hasso winkte der Gruppe zu, die aus dem üppig wuchernden Waldstreifen zurückkam und zwei große Tiere bereits abgehäutet mit sich trug. Sie würden auch heute abend wieder einen riesigen Braten haben, auf dem Feuer aus Schwemmholz gedreht. Und auch der Proviant für die Rückreise war gesichert.
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»Du siehst alles viel zu düster«, sagte Hasso abschätzig. »Wir werden, wenn der Wind umschlägt, auch die Rückreise schaffen, ohne Wunden, ohne Tote, ohne Schrecken.« Adwan flüsterte heiser: »Denke an meine Worte. Ich weiß nichts anderes, als was mir die Götter berichten lassen. Heute sind wieder zwei schwarze Vögel über unser Lager geflogen!« Hasso zuckte die Schultern und ging den Hügel wieder hinunter. Er hatte die Vögel nicht gesehen, aber natürlich steckte in den Worten des Zauberers einiges, das ihn stark beunruhigte. Jedenfalls würde er die Tage genießen, die ihnen noch blieben, ehe der Wind umschlug und von West nach Ost wehte. Sie alle fühlten sich sehr wohl und scherzten den ganzen Tag. Schließlich war es soweit. Das Schiff, wieder voll ausgerüstet und mit den Beweisen vollgepackt, die auch den schlimmsten Zweifler bekehren würden, stach mit westlichem Wind wieder in See. Und am zehnten Tag der Reise, als ihre Gedanken bereits wieder voller Sorge bei den Zurückgebliebenen der Siedlung waren, packte sie ein regnerischer, wilder Südwind und trieb das Schiff vier Tage lang ununterbrochen nach Norden. Dann setzte der Wind aus. Windstille... ein zweitesmal. Drei Tage lang, in denen sie glaubten, vor Regen, Hitze und Untätigkeit wahnsinnig zu werden. Dann griff der Südwind abermals nach ihnen und trieb den Brandungskeiler nach Norden, den Nebelinseln entgegen. Sie sahen den Nebel an einem regnerischen, trüben Morgen. Sie hatten die Nacht nicht geschlafen. * Eine riesige, weiße Wolke hatte sich auf dem Wasser niedergelassen. Im Innern der Wolke brodelte und bewegte sich etwas, und die Gebete und die Schreie des Entsetzens, die Adwan pausenlos ausstieß, machten die Mannschaft vollkommen unruhig und unsicher. Kliffr und Mondi standen auf dem Achterdeck und versuchten, das Schiff an dieser Wolke vorbeizusteuern. Vergebens – der Wind jagte sie genau auf die Mitte der Wolke zu. »Die Nebelinseln... woher kommt der Nebel, Jarl?« fragte Mondi leise und schielte verstohlen hinunter auf das tieferliegende Deck, auf dem Adwan lag und sein Gesicht in den Händen verborgen hatte. Kliffr hatte sich wieder die Pelzjacke angezogen, die naß und schwer von seinen Schultern hing. Nach den Wochen, in denen sie ein Übermaß an Sonnenstrahlen gehabt hatten, waren die vergangenen Tage eine bittere Enttäuschung für sie alle gewesen. »Ich weiß es nicht«, sagte Kliffr. »Obwohl, ich überlege mir... wenn man Wasser kocht, gibt es auch einen solchen Nebel. Wir nennen ihn Dampf. Wenn das vor uns nun Dampf ist...« Mondi lachte kurz.
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»... dann kocht dort jemand eine gefährliche Suppe. Vielleicht braucht er ein paar von uns als Zugabe oder als Gewürz. Bei Thors Hammer, noch nie war ich so unruhig, Jarl!« Zwischen dem Nebel oder dem Dampf tauchten jetzt weiße, schlüpfrig-nasse Felsen auf. Kreischende Totenvögel jagten zwischen ihnen hin und her, und auf einem der Uferberge stand ein einsamer Baum, entlaubt und weiß. Es war ein drohender Anblick, der ihnen allen nichts Gutes verhieß. »Ich bin auch unruhig«, sagte Kliffr. »Der Sturm treibt uns dorthin. Nehmen wir das Segel weg, können wir überhaupt nicht mehr steuern. Mit dieser von Schrecken gelähmten Mannschaft rudern – das ist Selbstmord.« Mondi knurrte wütend: »Also mit Rückenwind hinein in den Schrecken. Kliffr?« »Thor mit uns!« sagte der Jarl kurz. »Hinein. Wir kommen auch wieder hinaus!« Als die ersten Wolken des dichten, hellgrauen Nebels das Schiff erreichten, spürten sie alle, daß dies kein Nebel, sondern Dampf war. Dieser Dampf war heiß, und aus dem Innern der Insel oder der kleinen Inseln vor ihnen ertönte ein fortwährendes Zischen und Gurgeln. »Das ist Odins Fluch! Er bringt uns alle um!« kreischte der Zauberer. Kliffr nickte Mondi zu, und als er die kurze Leiter hinuntersprang, begegnete er dem Blick Hassos, der auf dem Vorschiff stand. Alle anderen Besatzungsmitglieder saßen und kauerten bewegungslos, mit aufgerissenen Augen und weit offenen Mündern neben und vor dem Mast oder duckten sich in die Bordwände hinein. Hasso ballte die Faust und deutete auf den Zauberer. Kliffr nickte. Er blieb vor Adwan stehen und schrie: »Steh auf, du zitternde Ratte! Dies ist nicht die Insel der Götter!« Der Ton, in dem er sprach, war neu, selbst für Sigrun. Zitternd erhob sich Adwan. Kliffr sagte mit schneidender Schärfe: »Wenn noch ein Wimmern, ein Seufzer oder ein einziges Wort, das von der Götter Rache spricht, aus deinem Mund kommt, werde ich dich dort drüben auf dem Felsen aussetzen. Der Stamm wird dann künftig ohne Zauberer leben müssen. Hast du mich verstanden?« Schweigend und mit halbirrem Blick nickte der Zauberer, dann hockte er sich auf die Planken, zog ein Bärenfell über seinen Kopf und versteckte sich im Dunkel. Das Schiff trieb mit beachtlicher Fahrt zwischen messerscharfen Klippen entlang und geriet dann, noch immer umgeben von heißen Dampfwolken, in ein Gebiet, das von abgerundeten, nassen Felsen gebildet war, die aussahen wie schwarze Kiesel, nur tausendfach größer. Es war, als teile sich vor dem Schiff der Dampf, und immer tiefer ging es in einen leicht gewundenen Kanal hinein, in ein seichtes Fahrwasser. Sie rechneten alle damit, daß das Schiff in Kürze mit dem Kiel über die Felsen rammen würde, aber es geschah nichts. Totenstille. Nur das Fauchen und Gurgeln. Kein einziges Tier lebte hier. Niemand sprach. Hasso beobachtete die Wassertiefe, Kliffrs Finger krampften sich um die Bordwand, und Mondi versuchte, das Schiff zu steuern. Alles war naß, feucht und warm. Das Wasser lief aus dem Haar. Sie schwitzten, und als sie vor sich das Licht sahen und die kleinen, weißen Würfel, da wußten sie nicht, in welche Welt sie gekommen waren. Wenn es nicht die der Asen war – was war es sonst? – 92 –
Hasso zuckte zusammen, griff sich an den Hals und sank langsam auf das Deck nieder. Es sah aus, als habe ihn ein Insekt gestochen. Dann spürte Kliffr einen kurzen Stich am Unterarm, seine Sinne verdunkelten sich, er konnte sich nicht mehr bewegen, das Schiff... Mondi... die anderen... Sigrun... es wurde schwarz vor seinen Augen. Nacheinander brachen alle neun Menschen zusammen. Mondi war der letzte. Er hing schwer über dem Ruder, und das Schiff drehte sich halb, steuerte auf einen scharfen Felsen zu und... ... einige Männer in merkwürdiger Kleidung kamen an Bord, taten verschiedene Dinge, und dann gab es ein lautes, hämmerndes Geräusch. Das Schiff mit seiner Fracht wurde aus dem Wasser gehoben, durch einen Dampfschleier transportiert und verschwand hinter dem dichten Vorhang aus grauem Dampf. Die lange Fahrt war zu Ende. * »Sehen Sie sich um, Cliff!« sagte Dr. Rence Amsbary. Er betrachtete seine Fingerspitzen, die braun waren von verschmierter Schokolade. »Sie werden mir recht geben müssen, wenn ich Ihnen sage, daß dieser erste Versuch voll geglückt ist.« Cliff McLane zwinkerte verblüfft; eben war er aus dem Schlaf aufgewacht, und jetzt befand er sich in einem großen, hellen Raum, der voller Menschen war. Diese Menschen waren in die Felle der Wikinger gekleidet, aber es gab auch welche, die eine Kleidung hatten, wie sie in der Basis 104 üblich war. Er schwieg, dachte einige Minuten lang nach und versuchte, den Schock des Erkennens abzufangen. »Ich habe alle meine Erinnerungen wieder«, sagte er verblüfft. »Und Sie haben dazu alle Erinnerungen eines kurzen Lebens als Boß einer Wikingersiedlung dazu. Beides ist jetzt Ihr Eigentum!« sagte Rence. Cliff drehte sich langsam um. »Hasso!« sagte er erstaunt. »Hasso Sigbjörnson. Sohn des Björn, Enkel des Sig... Sig-björn-son! Der Raumingenieur, der ein Segelschiff baute!« Sie schlugen sich gegenseitig auf die Schultern; natürlich hatte sich Hasso, ebenso wie Cliff und alle anderen dieses Versuchs in der Reihe des Feldtrainings, an alles erinnert. Kliffr! Kliffr, der Earl, Jarl genannt. Statt Clifford: Kliffr. Ausgezeichnet, dachte McLane und grinste breit. Der sorgenvolle Ausdruck aus dem Gesicht Amsbarys schwand. Cliff wieherte vor Lachen, als er Atan Shubashi erkannte, der in seiner Rolle als Adwan der Zauberer eine solistische Darbietung großen Stils gebracht hatte. Er stank noch immer. »Adwan Shubashi. Und dann kann auch Mario de Monti nicht fern sein. Mario als Mondi, der Steuermann mit dem kühnen Verstand und den Bärenkräften. Und Helgrun, das ist Helga Legrelle.« Sie fanden sich binnen Sekunden zu einer Gruppe zusammen. Hasso und Cliff, Helga und Mario und Atan... wieder hatte sich die ORION-Crew zusammengefunden und hatte ein Schiff gebaut und bemannt. Kein Raumschiff, aber
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für die Analog-Kultur ein ebenso wichtiges Beförderungsmittel. Cliff fragte unruhig: »Alles, was wir erlebt haben, ist wahr?« »Ja. Sie stecken alle noch in Ihren... Kleidungsstücken!« sagte Sherkoff. »Wir sind so froh, daß dieser Versuch geglückt ist.« Vierunddreißig Barbaren. Sie versammelten sich in diesem Raum und erkannten ihre Doppelrolle. Warum sie gerade, instinktiv und nur zum Teil gesteuert, ihre Plätze auf diese Weise gesucht, eingenommen und verteidigt hatten, würde später zu klären sein. Cliff fragte: »Wir sind die ganze Zeit über beobachtet worden? Dann... wenn der Tod von Sigar Wahrheit war, und das war leider so, dann haben wir auch das kleine Mädchen verbrannt?« Sherkoff grinste und sagte in bester Laune: »Erstens ist die Dame nicht fünfzehn Jahre alt, obwohl sie so jung aussah. Zweitens steht sie dort hinten und hat gerade ihren dritten Drink in den Fingern, und drittens haben wir einige Rauchbomben geworfen und sie mit einem Helikopter und einigen Männern in Schutzanzügen aus dem Feuer geholt. Im Vertrauen... nur eine Haarsträhne wurde leicht versengt.« »Odin sei Dank!« sagte Cliff. Er war wieder der alte. Um Sherkoff und seine Assistenten und um die Gruppe von Amsbary versammelte sich der Kreis der Wikinger. Sie waren alle zum gleichen Zeitpunkt mit Gasdrucknadeln eingeschläfert worden. Dann hatte man sie hierher ins Zentrum gebracht und sie in diesem Saal aufgeweckt. Sie erinnerten sich an alles, aber die Fragen würden der Reihe nach geklärt werden. Hasso sagte laut: »Unsere Siedlung und ein Teil des Schiffes waren also ›massive Kulissen‹, wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf.« Sherkoff erwiderte: »Alle Waffen, Geräte, Vorräte und Kleidungsstücke waren ebenso Kulisse. Nur das, was Sie alle selbst hergestellt haben, war Ihre Arbeit. Die Kenntnisse hierzu hatten Sie im Rahmen der Bandprogrammierung bekommen.« Der ehemalige Höldur, ein junger Offizier der Flotte, schlug sich gegen die Stirn und schrie: »Deswegen waren wir alle so miserable Schützen! Wir wußten zwar, wie das alles funktionierte, aber wir hatten niemals ein Intensivtraining mit Pfeil und Bogen und den anderen Waffen gehabt. Wir mußten am Anfang vorbeischießen!« Mario sagte: »Außerdem waren wir alle körperlich nicht auf dieses Leben vorbereitet. Wie lange hat der Versuch wirklich gedauert?« »Dreiundfünfzig Tage zu je 20.173 Stunden Erdnorm. Eine Jahreszeit auf Gosheen palmyra II dauert rund dreißig Tage, das Jahr ist 123.074 Tage Erdnorm lang.« »Verstehe«, sagte der ehemalige Dag. »Die Bauten und so weiter waren echt. Echt waren auch die Tiere, war auch der Bär, der McLane beinahe getötet hatte, und echt war auch das Wissen über die Kräuter, mit deren Hilfe der Zauberer Cliff geheilt hat!« – 94 –
»Richtig.« Die ehemalige Sigrun trat lächelnd auf Cliff zu und sagte leise: »Ich freue mich, daß ich dem großen Cliff McLane ein treues, blondes Weib sein konnte. Kinder hatten wir nicht zufällig, Kliffr-Liebling?« Cliff schluckte, als sich ringsum ein halb belustigtes, halb nachdenkliches Gelächter erhob. Cliff murmelte: »Ich kann mich nicht erinnern, dich mehr als achtmal ausgepeitscht zu haben! Immerhin, dies sind sichtbare Narben, nicht die unsichtbaren. Aber Spaß beiseite: Wir hatten nette Tage, nicht?« Atan Shubashi hatte einen Spiegel entdeckt, betrachtete sich und hielt sich kopfschüttelnd die Nase zu. »Puh!« murmelte er. »Habe ich mir eigentlich diese umwerfende Rolle selbst ausgesucht, oder wie...?« Sherkoff trat auf ihn zu, wollte ihm tröstend den Arm um die Schultern legen und schreckte doch im letzten Augenblick zurück. »Ihre hohen Fähigkeiten, alltägliche Dinge in ein System der Mystifikationen einzubeziehen, haben Sie für diese Rolle prädestiniert, Atan. Sie waren großartig. Genau auf der Grenze zwischen Wahrheit und Irrealem.« Atan deutete an sich hinunter und schnaubte. »Dieses Haar! Der Aufzug! Ich stinke wie ein Ziegenbock. Ich kann mich nicht erinnern, seit meiner Jugendzeit jemals derartig verschmutzt herumgelaufen zu sein.« Sherkoff sagte dozierend und wahrheitsgemäß: »Wir haben Ihre Anlagen, die darin bestehen, sich nicht sonderlich an die herrschende Mode und an die Ansichten über Sauberkeit oder Ordnung und eine Reihe anderer Begriffe dieser Art zu kümmern, entsprechend ausgenutzt. Nehmen Sie es mir nicht übel – wir haben auch alle anderen schwachen Anlagen der anderen Menschen entsprechend verstärkt.« Mario ›Mondi‹ de Monti rief: »Wir haben gejagt, und wir haben auch, aus Not, einen dieser Tiermorde durchgeführt, von denen in archäologischen Werken über die frühesten Kulturen die Rede war. Was wäre geschehen, wenn wir ständig versagt hätten?« Die Antwort: »Das wäre nicht passiert. Nötigenfalls hätten wir Wild paralysiert und herangetrieben, ohne daß Sie etwas davon gemerkt hätten. Aber immerhin war ja Cliff McLane mit der Jagd bestens vertraut – er hätte auch im Alleingang die Siedlung versorgen können.« Cliff nahm von einem der Mädchen, die ebenfalls im Programm waren, ebenfalls in der Gruppe von rund einem halben Tausend Menschen, aus denen man hundertfünfzig aussuchen würde, um das Sternenschiff zu bemannen, ein großes Glas Cognac und trank einen mächtigen Schluck. Er stellte sich die Schlüsselszenen noch einmal vor. Dann hatte er Gründe für einige Fragen, die ihn notgedrungen beschäftigen mußten. »Eine Frage, Rence!« sagte er. »In diesen ›Kulissen‹ gab es Werkzeuge und auch andere Dinge. Es gab zum Beispiel Bier. Bier, das trinkbar war. Woher kam dieses verdammte Bier?« – 95 –
Amsbary sagte vergnügt: »Wir fanden einen uralten Braumeister, der in einer der größten Brauereien der Erde nur für unser Projekt ein schweres dunkles Bier mit sehr hohem Stammwürze-Gehalt eingesotten hat. Dieses Bier, leicht verunreinigt...« Cliff dachte an die Fliegen und an die Ameisen und schüttelte sich. »... wurde Ihnen zur Verfügung gestellt.« Hasso sagte: »Kennwort Met. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas von Met gehört zu haben. Trotzdem wußte ich, als ich ihn roch und trank, was Met war. Woher haben Sie diesen Met, und wie haben Sie es geschafft, dieses Zeug zu destillieren?« Wieder lachte Sherkoff. »Wir haben ein uraltes Rezept gefunden. Nicht wir, sondern eine andere Abteilung. Ein Rezept von einem Wachszieher und Konditor aus Europa. In diesem Rezept wurden sämtliche Zutaten, die Zubereitung und die Gärungsdauer sehr genau geschildert. Sie tranken einen ausgezeichneten und nebenbei auch sehr teuren Finsterwalder-Met aus einem Holzfaß.« »Erstaunlich!« sagte Mario. »Was Sie da alles ausgegraben haben!« Nicht ohne Stolz sagte Professor Sherkoff: »Dieses Programm, das gesamte PROJEKT PERSEIDEN, ist in einer sehr langwierigen Arbeit entwickelt worden. Wir haben weder Mühen noch Kosten gescheut. Mühen... das ist unser Job. Kosten... wir können uns, da die Erde reich und die Kolonien noch reicher sind, das alles ruhigen Gewissens leisten. Ich kann mir denken, daß Sie alle, bevor Sie sich wieder in den Normalzustand versetzen, etwas über die Schlüsselszene dieser Tage erfahren möchten.« Schweigen. »Das Opfer?« meinte Cliff. »Sicher. Dieses Menschenopfer. Das bestätigt unsere Vermutungen. Wir wollen Sie alle darauf vorbereiten, daß wir in den Weiten des Kosmos andere und verblüffende Kulturen entdecken können. Sie selbst haben inzwischen gesehen, wie schnell es gehen kann – Sie selbst wollten ein lebendes Mädchen, scheinbar fünfzehn Jahre alt, auf einem Holzstoß verbrennen, weil Sie sich von diesem scheinbar sinnlosem Opfer einen Vorteil versprachen. Sehen Sie jetzt, wie gering die Trennwand zwischen der rational erfaßbaren Welt und dem Versuch ist, mit Mitteln, die nicht unsere Mittel sind, etwas erreichen zu wollen? Wenn wir später in die Analyse gehen, werden wir Ihnen alles erklären. Sie alle hier werden, wenn Sie sich in einer neuartigen Situation befinden, vernünftiger und weniger von der eigenen Richtigkeit überzeugt, urteilen können. Aber darauf kommen wir später.« Alle anderen Fragen würden in den nächsten Tagen geklärt werden. Der Seeweg und die Inseln, das Zusammenspiel zwischen Schiff und Mannschaft, zwischen Wind und Sturm, die fremden Küsten und die Einsicht für die Historiker, welche Dinge, die auf Bändern gespeichert waren, richtig waren oder falsch. Einsichten, aus einem verwirrenden, lebensnahen Spiel in der Zukunft gewonnen, würden mithelfen, die Erfahrungen aus der Vergangenheit zu vergrößern. Sie würden den Männern, deren Beruf es war, in der Vergangenheit zu forschen und den mühevollen, steinigen und langsamen Weg der menschlichen Rasse bis zu einer gewissen Kulturstufe zu erkennen, entscheidend helfen. – 96 –
»Dabei ist«, sagte Professor Sherkoff, »vieles gleichgültig. Die Abweichungen, die der Planet diktiert hat. Schließlich kann man die Erde nicht hundertprozentig durch Gosheen palmyra II ersetzen. Wir werden einige Jahre Arbeit haben.« Cliff sagte: »Ich habe jetzt das dringende Bedürfnis, wieder einmal die Erde und alte Freunde zu sehen. Und Freundinnen. Aber ich weiß, daß der nächste Einsatz dieser Art unmittelbar bevorsteht. Wieder hier, Rence?« Amsbary murmelte: »Wieder hier auf Gosheen palmyra II. Und ein neues, faszinierendes Abenteuer. Gefährlich und aufschlußreich. Und ein Training für PROJEKT PERSEIDEN.« In den nächsten Stunden flammte die Diskussion wieder auf, schwächte sich ab und die Tage am Ende des Fjords, in den Wäldern, auf See und in der malerischen Bucht wurden langsam zur Vergangenheit, zu einem farbigen Traum. Die Gedanken aber, die alle vierunddreißig Menschen damals hatten, die Einsichten und das Bewußtsein, in entscheidenden Situationen wie echte Barbaren, fast identisch mit den frühen Wikingern gehandelt zu haben, blieben. Sie blieben und würden angereichert werden durch die festen Momente der späteren Analyse. Zuerst aber: Urlaub. Urlaub auf Terra, in ORION-Island, im hundertsten Stockwerk. Cliff Allistair McLane trank den Cognac aus und nahm Abschied von seiner Rolle als Chef einer barbarischen Kleinkultur. Er begrüßte in Gedanken bereits alle Stunden und die Geschehnisse, die ihn erwarteten. Er dachte in den letzten Stunden vor dem Abflug von Gosheen besonders an das dunkelhäutige Mädchen, das ihn in seiner Wohnung erwartete: Arlene N'Mayogaa. Er lächelte, als er die Versammlung betrachtete, die sich zu kleinen Gruppen zusammengefunden hatte. In anderen »Masken« und in einer anderen Handlung, in einer anderen Zeit, anderer Landschaft, mit anderen Werkzeugen, Waffen, Tieren, Gedanken... Cliff lächelte still, als er daran dachte. Er freute sich darauf.
ENDE
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