Winterzauber
Kay Gregory
Julia Weihnachten 1/96
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von spacey
Nur zum Schein sol...
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Winterzauber
Kay Gregory
Julia Weihnachten 1/96
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von spacey
Nur zum Schein soll der gutaussehende Fenton Hardwick zu Weihnachten den Liebhaber der quirligen Nina spielen. In Wirklichkeit sucht sie gar keinen Mann. Das glaubt sie jedenfalls so lange, bis sie von Fentons Küssen nicht genug kriegen kann...
1.KAPITEL
Nina verabscheute das Fliegen. Deshalb hatte sie sich diesmal ein Bahnticket gekauft, als sie ihren alljährlichen Weihnachtsbesuch nach Chicago plante. Außerdem haßte sie es, zu spät zu kommen. Sie war viel zu früh am Bahnhof gewesen. Und als sie jetzt den silbergrauen Intercity bestieg, hatte sie bereits ihre Vorräte aufgegessen: Drei Schokoriegel mit Mandeln und Rosinen, zwei Brownies und die ganze Tüte mit Süßigkeiten, die sie von ihrer Mitbewohnerin für den plötzlichen Heißhunger bekommen hatte. Nina kletterte die Stufen zur oberen Etage hinauf und seufzte zufrieden, als sie ihr Schlafwagenabteil betrachtete. Ja, es war jedes Jahr dasselbe. Hier im Zug konnte sie vor den hektischen Weihnachtsfeiertagen mit der Petrov-Familie noch einmal Ruhe tanken. Sie machte es sich in ihrem Abteil bequem. Schwungvoll verstaute sie ihren Koffer unter der breiten Sitzbank und hängte ihren Mantel in einen schmalen Schrank neben der Tür. Danach spürte sie eine leichte Übelkeit. Kein Wunder, hatte sie doch in kürzester Zeit Unmengen von Süßigkeiten in sich hineingestopft. Sie ließ sich in die weichen Polster ihres Fensterplatzes fallen und beobachtete die Reisenden auf dem Bahnsteig, die nach freien Plätzen im Zug Ausschau hielten. Die Hektik nahm zu, denn in wenigen Augenblicken würde der Zug abfahren. Plötzlich wurde Nina durch irgend etwas von außen geblendet, und sie blickte neugierig aus dem Fenster. Was mochte das gewesen sein? Ein Zuspätkommer im Nadelstreifenanzug schritt den Bahnsteig in einer Weise ent lang, als ob ihm der ganze Bahnhof gehören würde. Die ersten Strahlen der Wintersonne fielen auf seine Armbanduhr und wurden reflektiert. Das war also die Ursache gewesen. Der Mann hatte keine Eile. Offenbar hielt er es für selbstverständlich, daß Menschen und Maschinen auf ihn zu warten hätten. Nina sträubten sich unwillkürlich die Nackenhaare. Diese selbstgefällige Art war ihr nur allzu vertraut! Wenn ihr Vater, Joseph Petrov III, sich irgendwann einmal dazu herablassen würde, ein einfacheres Verkehrsmittel als einen Düsenjet zu besteigen, dann würde er dieselbe Arroganz an den Tag legen. Aber in diesem Moment wollte Nina nicht an ihren Vater denken. Sie würde ihn ohnehin noch früh genug sehen, und so sicher wie das Amen in der Kirche würde er ihr auch zu diesem Weihnachtsfest wieder eine Reihe potentieller Heiratskandidaten vorstellen, deren mehr oder weniger schüchterne Annäherungsversuche sie bisher jedes Jahr erfolgreich abgewehrt hatte. Seit fünf Jahren verfolgte Joseph Petrov hartnäckig das Ziel, seine Tochter endlich unter die Haube zu bringen, und deshalb lud er über Weihnachten mehrere vielversprechende junge Männer ein, die nur zu gern über Josephs einzige Tochter an sein riesiges Vermögen kommen wollten. Aber um für Nina endlich geordnete Verhältnisse zu schaffen - darunter verstand Joseph einen Ehemann und eine ganze Kinderschar - war ihm offenbar jedes Mittel recht. Nina dachte überhaupt nicht daran, eine feste Bindung einzugehen. Aber wenn sie jemals heiraten würde, was keinesfalls sicher war; dann würde sie sich ihren Mann selbst auswählen. Für einen Augenblick vergaß Nina, daß man sie durch das Fenster beobachten konnte. Sie streckte einem imaginären Heiratskandidaten die Zunge heraus und begann heftig zu schielen. Im selben Moment blieb der Mann im Nadelstreifenanzug draußen vor ihrem Abteil stehen. Natürlich mußte er annehmen, daß sie ihm Grimassen schnitt. Er sah sie fragend an, runzelte kurz die Stirn und setzte dann seinen Weg fort. Nina zuckte ungerührt die Achseln. Um so besser, wenn er glaubt, daß ich ihm die Zunge herausgestreckt habe, dachte sie. Dieser Mann sah aus wie ein typischer, erfolgreicher Geschäftsmann, und für solche Leute bestand das Leben nur aus
Geschäften. Nein danke, auf diese Männer konnte sie gern verzichten. Sie strich mit dem Zeigefinger über einen Sprung in der Scheibe und betrachtete den Mann genauer. Zugegeben, er war attraktiv, wenngleich auch auf eine ungewöhnliche Weise. Besonders seine Lippen waren voll und sinnlich und schienen gar nicht zu einem Mann zu passen, der sich benahm, als gehöre ihm die Welt. Sein braunes und welliges Haar hatte dieselbe Farbe wie seine Augen. Das Gesicht war eckig, und sein markantes Kinn verriet Entschlossenheit und Härte. Komisch, dachte Nina. Eigentlich begegnet man solchen Typen nicht im Zug. Männer wie dieser sind immer in Eile und reisen daher per Flugzeug. Wie mein Vater. „Die Fahrkarten bitte." Ein freundlich lä chelnder Fahrkartenkontrolleur schob die Gardine an der Abteiltür zurück. Nina öffnete ihre Geldbörse, reichte ihm die Fahrkarte und dachte nicht mehr an den Mann im Nadelstreifenanzug. Einige Minuten später kam der Schlafwagenschaffner, um sie über den Zugservice zu informieren. Nina erklärte, daß sie diese Strecke schon oft gefahren sei. Der Mann nickte und ging zum nächsten Abteil. Nina war so in ihre Gedanken vertieft gewesen, daß sie gar nicht die Abfahrt des Zuges mitbekommen hatte. Nun schloß sie die Augen und freute sich auf eine ruhige und friedliche Fahrt bis zum Abendessen. Sie genoß es, daß sie allein im Abteil saß. Die ruhige und friedliche Fahrt hielt genau bis zum Abendessen an. Als sie in den Speisewagen kam, wies ihr der Ober ausgerechnet den Tisch zu, an dem der Mann im Nadelstreifenanzug saß. Inzwischen hatte er sich jedoch umgezogen und trug nun ein beigefarbenes Seidenoberhemd und einen hellbraunen Wollpullover. Selbst in dieser legeren Kleidung fällt er hier im Zug noch auf, dachte Nina. Vielleicht liegt es an seinen breiten Schultern. Sie selbst trug Jeans und ein weites, orangefarbenes Sweatshirt. Im Vergleich zu ihrem Gegenüber kam sie sich geradezu schlampig und ganz und gar ungeschäftsmäßig gekleidet vor. Aber schließlich war sie ja auch keine Geschäftsfrau. Unwillkürlich mußte sie lächeln. „So gefallen Sie mir schon besser", sagte der Mann. „Ihr Lächeln ist wesentlich hübscher als Ihre Zunge." Er musterte sie abschätzend. Auch das noch! stöhnte Nina innerlich. Ein Casanova. „Vielen Dank", gab sie steif zurück. „Aber sparen Sie sich Ihre Phrasendrescherei. Komplimente ziehen bei mir nicht. Schon gar nicht, wenn sie nicht zutreffen." Der Mann verzog für einen Moment ärgerlich das Gesicht. Er hatte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle und fragte leichthin: „Was soll daran nicht zutreffen?" „Daß ich hübsch bin", sagte Nina gereizt. „Da bin ich aber anderer Meinung." Der Mann sah sie durchdringend an, und Nina kam sich vor wie bei einer Fleischbeschau. „Ihr hellbraunes Haar gefällt mi r, und Ihre kunstvolle Frisur..." „Ich frisiere mein Haar nicht", unterbrach ihn Nina. „Es fällt einfach nur so auf meine Schultern." Der Mann lächelte amüsiert. „Dennoch mag ich Ihr Haar. Und Ihre Hautfarbe paßt so gut zu Ihrem orangefarbenen Sweatshirt." Nina hatte geahnt, daß er ihr die Phrasendrescherei heimzahlen würde. Sie lächelte kühl. „Nochmals vielen Dank. Es freut mich, daß Sie mein Sweatshirt mögen." „Ehrlich gesagt, mag ich es überhaupt nicht. Aber Ihr Gesicht... es ist oval und läuft am Kinn spitz zusammen. Erinnert mich irgendwie an eine Zitrone. Und Ihre Augen sind sehr ausdrucksvoll. Ich habe allerdings noch nicht herausgefunden, ob sie nun braun oder grün sind." „Beige", preßte Nina zwischen den Zähnen hervor. Seine Mundwinkel zuckten. „Sie scheinen sich für ziemlich langweilig zu halten. Aber ich finde Sie ganz und gar nicht langweilig, Miss. Haben Sie übrigens auch einen Namen?"
„Die meisten Menschen haben einen", sagte Nina kurz angebunden. „Sehr richtig. Ich heiße übrigens Fenton Hardwick. Meine Freunde nennen mich Fen." Er streckte ihr die Hand entgegen. Widerwillig ergriff Nina die kräftige Hand. Sein Händedruck war fest und elektrisierend. Bei der Berührung hatte Nina das Gefühl, als würden winzige Stromstöße ihren Körper durchzucken. Ob es Fenton Hardwick ebenso ergangen war? Wenn ja, ließ er sich nichts anmerken. Der Kellner servierte Salat. Das war für Nina eine willkommene Abwechslung. „Nun?" nahm Fenton das Gespräch wieder auf. Nina seufzte. „Nina Petrov", stellte sie sich zögernd vor. Die meisten Menschen fragten sie sofort, ob sie mit Joseph Petrov verwandt wäre. Und wenn sie erfuhren, daß sie die Tochter des Großindustriellen Joseph Petrov III war, dann behandelten sie Nina plötzlich sehr respektvoll. Aus diesem Grund haßte es Nina, mit ihrem berühmten Vater in Verbindung gebracht zu werden. Aber bei Fenton Hardwick war ihr das gleichgültig. Zum einen würde ihm der Name Petrov nichts sagen, und wenn doch, würde sie es begrüßen, wenn sie in der Achtung dieses zwar attraktiven, in erster Linie aber selbstgefälligen Mannes steigen würde. Es gab also keinen Grund, Fenton ihren Namen zu verheimlichen. Aber Nina hatte sich gründlich verrechnet. Fenton wußte sofort, wer sie war, und er versagte ihr auch den geringsten Respekt. „Aha", sagte er. „Das erklärt alles." „Was erklärt was?" fragte Nina betont unbeteiligt zurück. „Den Vaterkomplex natürlich. Kein Wunder bei dem Vater." Fenton begann seinen Salat zu essen. Nina legte ihre Gabel geräuschvoll auf den Teller. „Ich habe keinen Vaterkomplex", widersprach sie energisch. „Und überhaupt... wie kommen Sie eigentlich darauf?" „Ich habe meine Erfahrungen mit verwöhnten Kindern aus reichem Elternhaus, die für ihren Besitz nicht arbeiten müssen. Sie schnappen immer gleich ein, wenn jemand aus dem einfachen Volk mal Kritik an ihnen äußert. Übrigens sehen Sie bezaubernd aus, wenn Sie eingeschnappt sind, Miss Petrov." Nina öffnete den Mund, um ihrem unangenehmen Gegenüber eine passende Antwort zu erteilen. Erstens hatte er sie vollkommen falsch eingeschätzt, und zweitens mischte er sich in Angelegenheiten, die ihn absolut nichts angingen. Aber bevor sie ihn energisch zurechtweisen konnte, setzte der Ober ein Ehepaar mittleren Alters an ihren Tisch, und die Neuankömmlinge begannen sofort ein Gespräch über Reisen und die Verpflegung im Zug. Nina biß sich auf die Lippen und versuchte sich einzureden, daß es ihr doch vollkommen gleichgültig sein könne, was ein Nobody wie Fenton Hardwick von einer Nina Petrov dachte. Sie hoffte nur, daß er am nächsten Bahnhof aussteigen würde. Aber er tat ihr diesen Gefallen nicht. Als Nina später in den Aussichtswagen ging, um dort einen angekündigten Film zu sehen, entdeckte sie dort den allgegenwärtigen Fenton Hardwick. Aber er verfolgte nicht den Film auf einer der beiden Leinwände am Ende des Abteils, sondern hatte es sich in einem Ledersessel bequem gemacht und die Augen geschlossen. Nina verzog das Gesicht, als sie sah, daß alle Plätze vor der vorderen Leinwand belegt waren. Sie mußte wohl oder übel ans andere Ende des Wagens gelangen und dabei direkt an Fenton vorbeikommen. Einen Augenblick lang zögerte sie, doch dann straffte sie die Schultern und ging los. Fenton hatte sie noch nicht entdeckt. Und wenn schon, dachte Nina. Ich lasse mir doch nicht die Reise verderben von einem arroganten Gernegroß, der mich mit einer Zitrone vergleicht und ohne jeden Grund als Verwöhnt bezeichnet. Als sie an ihm vorbeischlich, öffnete er plötzlich die Augen und hielt Nina am Handgelenk fest. „Bleiben Sie hier", sagte er. „Ich will mit Ihnen reden."
Nina riß sich gewaltsam los. „Aber ich nicht", zischte sie ärgerlich und wollte weitergehen. Fenton wies auf den leeren Platz neben sich. „Setzen Sie sich." „Ich sagte bereits, daß ich nicht mit Ihnen reden will." „Das habe ich gehört. Setze n Sie sich." „Ich bin gekommen, um den Film zu sehen." „Zweifellos. Aber wenn Sie sich hier umsehen, werden Sie feststellen, daß alle besseren Plätze bis auf diesen hier belegt sind." Wieder zeigte er auf den freien Platz an seiner Seite. „Von hier aus kann ich die Leinwand nicht sehen." „Ich weiß." Fenton lächelte ein unwiderstehliches Lächeln. „Dann tauschen wir eben die Plätze." Nina machte sich steif, und Fenton fuhr leichthin fort: „Sehen Sie mich nicht so an, als hätte ich Ihnen einen unsittlichen Antrag gemacht. Zu Ihrer Beruhigung ... ich treibe keinen Sex auf öffentlichen Plätzen." Nina fiel die Kinnlade herunter. Sie war so geschockt von seiner Unverschämtheit, daß sie in der darauffolgenden Kurve ihr Gleichgewicht verlor, ins Taumeln geriet und sich plötzlich auf seinem Schoß wiederfand. Fenton lächelte herausfordernd, und Nina stellte fest, daß einer seiner Vorderzähne ein wenig hervorstand. Das gab ihm ein verwegenes Aussehen und machte ihn noch attraktiver. „Braves Mädchen", sagte er in gespieltem Ernst und tätschelte ihre Hüfte. „Aber es wäre wirklich nicht nötig gewesen, meine Einladung so Hals über Kopf anzunehmen. Wir haben doch Zeit genug." „Oh." Nina versuchte hastig aufzustehen, aber Fenton hob sie mühelos hoch und setze sie auf den freien Platz neben sich. Bei der unfreiwilligen Berührung spürte Nina seine kräftigen Oberschenkel. Sie schluckte hart und wünschte, sie könnte die Willenskraft aufbringen und sich jetzt sofort in ihr Schlafwagenabteil zurückziehen. Aber erstaunlicherweise schaffte sie es nicht. Fenton hatte eine sehr überzeugende Art. Nina zwängte sich so weit wie möglich in die andere Ecke ihres Sessels, um weiteren Berührungen mit Fenton aus dem Weg zu gehen. Sie legte die Arme eng an und legte die Hände in den Schoß. So saß sie da, kerzengerade, und starrte angestrengt in die Dunkelheit. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen", sagte Fenton mit tiefer Stimme und riß Nina aus ihren Gedanken. „Wie bitte?" Männer wie Fenton entschuldigen sich niemals, dachte Nina. „Ich sagte, daß ich mich bei Ihnen entschuldigen möchte. Weil ich Sie ein verwöhntes Kind aus reichem Elternhaus genannt habe." „Und eine Zitrone", fügte Nina ohne nachzudenken hinzu. Fenton lachte leise. „Nein. Dafür entschuldige ich mich nicht. Zitrone paßt zu Ihnen. Ich finde, daß Zitronensaft den meisten Gerichten erst die richtige Würze gibt." Sein Blick verriet eindeutig, woran er dabei dachte. Na schön, dachte Nina. Der Mann liebt Auseinandersetzungen. Das habe ich sofort durchschaut. Solchen Menschen gibt man am besten recht, um von ihnen in Ruhe gelassen zu werden. „Ich denke, Sie haben mich richtig eingeschätzt", sagte sie reserviert. „Tatsächlich?" „Wahrscheinlich bin ich ein verwöhntes Kind aus reichem Elternhaus." „Was heißt hier wahrscheinlich? Das müssen Sie doch wissen!" Fenton hatte höchst irritierende Augenbrauen. Buschig und sehr viel dichter als sein dunkles Haar. Zu allem Überfluß hatte er eine Art, die Brauen zu heben, die man nur provozierend nennen konnte
„Ich weiß nicht recht", sagte Nina und blickte starr an seinen Augenbrauen vorbei. „Es stimmt natürlich, daß mein Vater reich ist. Als Kind hatte ich alles, was sich mit Geld kaufen läßt: Die beste Kleidung, die besten Schulen, und alle Freunde waren von meinen Eltern sorgfältig ausgesucht. Ich bin Einzelkind, verstehen Sie?" Sie versuchte einen kleinen Scherz. „Mein Vater hatte kein anderes Kind, das er formen konnte." „Hm. Und was ist mit Ihrer Mutter?" Fenton schien auf einmal Probleme mit seiner Stimme zu haben. „Meine Mutter", begann Nina und strich den Saum ihres Sweatshirts glatt. „Meine Mutter ist sehr schön. Mein Vater bewundert sie. Und sie versteht es, ihm das Gefühl zu geben, daß sie sich immer genau an seine Anweisungen hält." „Ich verstehe. Und Sie wohl nicht?" fragte Fenton amüsiert. Er fand den Gedanken offenbar sehr erheiternd. „Nicht immer. Mein Vater wollte mich auf irgendwelche geistlosen Schulen nach Europa schicken. Aber ich habe meinen eigenen Kopf durchgesetzt und bin statt dessen hier aufs College gegangen." „Zum Glück für Sie. Hat Daddy denn wenigstens pflichtschuldig Ihren Lebensunterhalt bezahlt?" Nina haßte seinen spöttischen TonfalL „Er hätte es getan. Aber ich wollte sein Geld nicht", gab sie kühl zurück. Fenton hob erneut eine Braue. „Tatsächlich? Und wovon haben Sie gelebt? Haben Sie etwa Blumensträuße gebunden oder Tanzunterricht gegeben?" „Ich bin Gabelstapler in einem Baumarkt gefahren. An vier Abenden pro Woche." Nina betrachtete ihr Spiegelbild im Fenster. Ihre Wangen waren leicht gerötet, wie immer, wenn sie sich ärgerte. „Wer hätte das gedacht! Ich muß zugeben, daß ich mich geirrt habe." „Sehr richtig." Fenton lachte kurz auf. „Sie müssen für Ihren Vater ein harter Brocken gewesen sein, Miss Petrov. Bitte nehmen Sie meine aufrichtige Entschuldigung an. Ich hatte kein Recht, Sie verwöhnt zu nennen." „Und warum haben Sie es getan?" fragte Nina betont gleichgültig. „Ich wollte Ihnen einen kleinen Dämpfer verpassen. Oder auch zwei. Sie erinnern mich an eine Frau, die ich früher sehr gut kannte." Was sollte das nun wieder bedeuten? Sie ähnelte zufällig einer Frau, die Fenton enttäuscht hatte. Und jetzt streckte er seine Fühler nach ihrem Vermögen aus? Nina fühlte einen kleinen Stich in der Magengegend und wandte sich ärgerlich ab. Von dieser Sorte Männer hatte sie genug gesehen. Obwohl... Fenton war wesentlich selbstbewußter als diese vielversprechenden jungen Heiratskandidaten, die ihr Vater immer auswählte. Und sehr viel attraktiver. Wenn nur nicht... Nein. Nina unterbrach sich abrupt und wechselte das Thema. „Und Sie? Waren Sie auch so ein verwöhntes Kind?" Verstohlen beobachtete Nina, wie er in seinen Bewegungen innehielt und dabei einer Raubkatze ähnelte, die im nächsten Moment zum tödlichen Biß bei ihrem Opfer ansetzen will. „Nein. Absolut nicht." Das war alles. Mehr würde aus Fenton auch nicht herauszubringen sein, dessen war sich Nina sicher. Er hatte alles gesagt, was er zu sagen hatte, und damit war das Gespräch beendet. Kein Grund, noch länger hier zu sitzen. Und weshalb stand Nina dann nicht einfach auf und ging? Lag es daran, daß sie neugierig geworden war, weil Fenton in ihren Augen voller Widersprüche steckte? In mancher Hinsicht erinnerte er sie an ihren Vater, der einerseits zu befehlen gewohnt war und andererseits trotz seines Reichtums oberflächliche Ausschweifungen haßte. Sie überlegte, welchen Beruf Fenton wohl hatte. Und was machte ein Mann wie er in einem Reisezug? Aber sie konnte ihn kaum danach fragen,
denn er würde glauben, ihr Interesse gelte ihm als Mann. Und Nina verfolgte doch schließlich rein psychologische Interessen. Wenngleich sie sich eingestehen mußte, daß er ein Prachtexemplar von einem Mann war. Wirklich nur psychologische Interessen, Nina? fragte eine innere Stimme. Nicht physiologische Interessen? „Ich muß jetzt gehen." Abrupt stand Nina auf. „Müssen Sie wirklich gehen? Warum? Habe ich Sie verschreckt?" „Nichts dergleichen. Ich bin einfach müde. Das ist alles." „Hm." Fenton lehnte sich zurück und sah Nina durchdringend an. „Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Miss Petrov. Oder darf ich Sie Nina nennen?" „Ich kann Sie nicht daran hindern", sagte sie kurz angebunden. „Ganz recht. Und mich nennen Sie Fen." „Nein danke, Mr. Hardwick." „Wie Sie wünschen, Miss Zitrone." Wider Willen lächelte Nina. „Müssen Sie immer das letzte Wort haben?" erkundigte sie sich. „Klar. Das ist mein Lieblingssport", gab er gut gelaunt zurück. Nina ertappte sich plötzlich dabei, daß sie Fenton am liebsten das Haar zerzaust und seine vollen Lippen geküßt hätte. Ich muß schnellstens in mein Abteil zurück, dachte sie bestürzt. „Gute Nacht", verabschiedete sie sich hastig. „Wir werden uns wahrscheinlich nicht mehr sehen, deshalb wünsche ich Ihnen schon jetzt eine angenehme Weiterfahrt." „Wir werden uns wiedersehen, daran habe ich nicht den leisesten Zweifel." Nina hatte noch seine tiefe, amüsierte Stimme im Ohr, als sie schon auf dem Gang war, um in ihr sicheres Schlafwagenabteil zu fliehen. Sehr viel später - gegen drei Uhr morgens - lag Nina in dem Bett, das der Schlafwagen schaffner aus zwei zusammengeschobenen Sesseln gemacht hatte, und lauschte dem Rattern der Räder. Inzwischen hatten sie die Cascade Mountains hinter sich gelassen und fuhren nun mit Höchstgeschwindigkeit durch Columbia River Basin. Normalerweise konnte Nina im Zug immer sehr gut schlafen, denn das gleichmäßige Schaukeln hatte etwas Beruhigendes. Aber heute nacht war alles anders. Heute nacht mußte sie fortwährend an diesen arroganten Kerl denken, der zudem noch das bemerkenswerte Geschick besaß, ihr so sehr den Kopf zu verdrehen, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Nina hatte keine große Erfahrung im Umgang mit Männern - von den Heiratskandidaten, die ihr Joseph alljährlich zu Weihnachten präsentierte, einmal abgesehen - aber die zählten nicht. Nina drehte sich auf die andere Seite. Natürlich hatte sie im Laufe der Jahre auch einige Verabredungen mit jungen Männern gehabt. Doch mittlerweile war sie siebenund zwanzig und hatte sich noch niemals ernsthaft verliebt. Dann beschloß Joseph, die Herzensangelegenheiten seiner Tochter selbst in die Hand zu ne hmen. Aber Nina hatte keineswegs die Absicht, sich als Steigbügel für die Karriereleiter eines ehrgeizigen jungen Mannes benutzen zu lassen. Der Zug bremste langsam ab und hielt. Nina wälzte sieh unruhig im Bett hin und her. Ob Fenton auch so ein Mensch ist? fragte sie sich. Ein Ehrgeizling, der nach Macht und Geld strebt? Ein Mitgift Jäger? Wer weiß. Aber er scheint mich nicht besonders zu mögen. Und wenn er tatsächlich Heiratspläne haben sollte, dann verfolgt er sein Ziel auf eine merkwürdige Art. Gedankenverloren rieb sie den Bettbezug zwischen den Fingern. Nein, es war ziemlich unwahrscheinlich, daß Fenton sich ernsthaft für sie interessierte. Plötzlich kam ihr eine Idee. Zuerst war es nur ein vager Gedanke, dann nahm er immer konkretere Formen an. Nina wägte sorgfältig das Für und Wider ab. Sie würde den ganzen Plan sofort aufgeben, falls Fen bei ihr irgendwelche Annäherungsversuche machen würde.
Denn zusätzlichen Ärger konnte sie wirklich nicht gebrauchen. Als ihr am nächsten Morgen frischer Kaffeeduft in die Nase stieg, mußte sie noch immer an ihre Idee denken. Nach dem Frühstück wagte sich Nina in den Aussichtswagen. Von Fen war keine Spur zu sehen. Nina fühlte sich zum erstenmal seit letzter Nacht richtig entspannt und ausgeglichen. Vielleicht war Fen längst ausgestiegen und saß jetzt im Zug nach Whitefish oder Spokane. Nina blickte aus dem Fenster zu den majestätischen Rocky Mountains. Es war ein atemberaubender Anblick. Selbst heute, obwohl die Gipfel von schweren Wolken verdeckt waren. Nach dem Mittagessen hielt der Zug in Havre, Montana. Nina stieg zusammen mit einigen anderen Reisenden aus, vertrat sich die Beine und atmete die frische Luft ein. Dann betrachtete sie bewundernd das riesige Ungetüm von einer alten Dampflok auf dem Bahnhof - eine der letzten Lokomotiven, die noch auf der Great Northern Line eingesetzt werden. Nina war fasziniert von der urwüchsigen Kraft dieser Relikte aus der Vergangenheit. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. „Mögen Sie Dampfloks?" fragte eine leicht a müsierte Stimme. Nina sprang auf und sah Fen geradewegs in Gesicht. „Allerdings. Stört Sie das etwa?" „Überhaupt nicht. Warum müssen Sie sich denn immer gleich rechtfertigen, Miss Zitrone?" „Ich rechtfertige mich überhaupt nicht!" widersprach Nina aufgebracht. Ihr Puls raste. „Und nennen Sie mich gefälligst nicht Miss Zitrone!" „Darf ich Sie denn wenigstens Nina nennen?" Fen lächelte. Nina seufzte. „Wie weit fahren Sie, Mr. Hardwick?" fragte sie betont. „Falls Sie hoffen, daß ich im nächsten Bahnhof aussteige, muß ich Sie enttäuschen. Ich fahre nach New York, wenn es Sie interessiert." „Ihr Reiseziel interessiert mich überhaupt nicht", gab sie steif zurück. Aber das entsprach nicht der Wahrheit. Im Gegenteil. Das Wetter schien aus irgendeinem Grunde sogar aufzuklaren, nachdem Nina wußte, daß Fen noch immer im selben Zug war. Wahrscheinlich liegt es daran, daß die lange Reise durch seine provozierende Nähe erst richtig abwechslungsreich wird. „Sie wollen also gar nicht wissen, wohin ich fahre", nahm Fen das Gespräch wieder auf. „Ich habe nur aus Höflichkeit gefragt." „Gut. Führen wir das Gespräch in meinem Schlafwagenabteil fort. Kommen Sie. Der Zug fährt gleich weiter." „Mr. Fen!" rief Nina entrüstet aus. „Ich werde keinen Fuß in Ihr Abteil setzen!" „Bitte, ganz wie Sie wünschen. Streiten wir also im Aussichtswagen weiter." „Warum sollten wir denn streiten?" Fen deutete ein Lächeln an. „Tun wir das denn nicht?" Nina mußte unwillkürlich lächeln. „Doch, ich denke schon." Fen nickte. „Und deshalb dachte ich, wir können es ebensogut in gemütlicher Privatatmosphäre tun." „Nein", widersprach Nina. „Das können wir nicht." Fen seufzte. „Ich richte mich ganz nach Ihren Wünschen. Kommen Sie in den Aussichtswagen. Ich hole Ihnen einen Drink." Nina hatte zwar keine Lust auf einen Drink, aber fünf Minuten später saß sie neben Fen im bequemen Ledersessel und nippte nachdenklich an ihrem Glas Rosewein. „Warum möchten Sie mit mir sprechen?" fragte sie kampflustig. „Damit ich mir auf dieser öden Reise die Zeit vertreiben kann." Nina ließ nichts auf ihre geliebte Zugstrecke kommen. „Warum halten Sie die Reise für öde?" fragte sie gereizt. „Mir blieb leider keine Wahl. Es sei denn, ich hätte meine Schwester tödlich gekränkt
und ihr das wohlgemeinte Geschenk ins Gesicht geschleudert." „Sie meinen, daß Ihre Schwester Ihnen die Reise geschenkt hat?" Was für ein merkwürdiges Geschenk für einen Mann wie Fen, dachte Nina. „Mmm. Sie wußte, daß ich geplant habe, nach Weihnachten geschäftlich nach New York zu fliegen. Also ging sie ins Reisebüro und lud mich zu meinem angeheirateten Cousin Addison über Weihnachten nach Long Island ein." Er machte eine kurze Pause. „Ich kann mir gut vorstellen, daß Addison alles andere als begeistert war. Aber es ist nicht leicht, Christine etwas abzuschlagen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung." Fens Stimme klang beinahe resigniert. Nina sah ihn scharf an. Es fiel ihr schwer zu glauben, daß irgend jemand in der Lage war, sich gegen Fens Willen durchzusetzen. „Warum verbringen Sie Weihnachten nicht bei Ihrer Schwester?" wollte Nina wissen. „Sie ist zur Zeit in den Flitterwochen auf Hawaii. Ich hätte die Festtage allein in dem Haus zugebracht, in dem wir die letzten acht Jahre zusammen gewohnt haben. Ehrlich gesagt hatte ich mich sogar darauf gefreut. Christine ist nämlich ein ziemlich anstrengender Mensch." Er seufzte tief. „Aber sie hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß ich zu hart gearbeitet habe und dringend eine Pause brauche. Und wenn es sein muß, sogar eine erzwungene. Deshalb sitze ich nun in diesem verdammten Zug." Nina sah ihn stirnrunzelnd an. „Hätten Sie Ihrer Schwester nicht erklären könne, daß Sie das Ticket nicht brauchen und über Weihnachten lieber zu Hause bleiben wollen?" „Das hätte ich niemals getan", sagte er ernst. „Chris kennt mich gut genug. Sie hat es sogar geschafft, unseren Arzt auf ihre Seite zu ziehen. Er ist ein guter Freund von uns." „Aber Sie hätten doch ..." „Nein", gab Fen barsch zurück. „Christine hat sich ernsthafte Sorgen um mich gemacht. Und ich habe ihr soviel zu verdanken, daß ich - ihr kleiner Bruder, den sie allein erzogen hat - alles tun werde, damit sie beruhigt in die Flitterwochen fliegen kann. Deshalb bin ich hier, ein Vogel, der aus dem Nest geworfen wurde und nun seine Flügel ausbreiten möchte." Er grinste plötzlich. „Und aus diesem Grunde wünsche ich mir, daß Sie mir die Langeweile vertreiben." „Was mir bisher offenbar noch nicht gelungen ist." Nina ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie seine Worte berührt hatten. Dieses Energiebündel von einem Mann hatte be reitwillig seine eigenen Interessen zurückgestellt, damit seine Schwester unbeschwerte Flitterwochen verbringen konnte. Fenton Hardwick mochte zwar provozierend und selbstgefällig sein, aber er hatte unbestritten auch seine guten Seiten. „Sie werden überrascht sein", sagte er und ergriff Ninas Hand. „Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich in meinem Leben gern eine kleine Zitrone hätte. Sie könnten diese Lücke wundervoll ausfüllen." Nina wußte nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Deshalb schwieg sie und starrte angestrengt aus dem Fenster auf die Schneemassen von Montana. Normalerweise hatte diese Aussicht immer eine beruhigende Wirkung auf sie. Aber jetzt? Keine Spur. Ganz im Gegenteil. Fen hielt noch immer ihre Hand, und Nina wartete darauf, daß irgend etwas passieren würde. Was auch immer. „Nun?" fragte Fen mit heiserer Stimme, die Nina augenblicklich in wohlige Schauer versetzte. „Und Sie? Warum reisen Sie mit diesem rumpelnden Ungetüm aus prähistorischer Zeit?" „Weil ich Züge liebe. Ich hasse das Fliegen." „Flugangst?" hakte Fen nach. „Ja", gab sie zu und nahm einen kleinen Schluck Wein. „Einmal sind wir in ein Unwetter geraten und wären beina he abgestürzt. Deshalb fliege ich nur noch in äußersten Notfällen. Und Weihnachten kann man wohl kaum als Notfall bezeichnen."
„Nein", stimmte Fen zu. „Wohl eine Unannehmlichkeit, aber keinesfalls ein Notfall." Nina sah ihn erstaunt an. „Warum sagen Sie das? Mögen Sie das Weihnachtsfest etwa nicht?" „Doch. Weihnachten laufen die Geschäfte besonders gut. Außerdem ist es eine Zeit, in der sich arme Menschen schmerzlich darüber bewußt werden, was ihnen fehlt. Aber das können Sie wohl kaum wissen." „Wetten doch?" Am liebsten hätte sie mit einem stumpfen Gegenstand auf Fens Kopf eingedroschen. Wie kam es nur, daß er es schaffte, sie in wenigen Minuten so aggressiv zu machen? „Tatsächlich?" fragte er ungläubig zurück. „Eine Zeit des Friedens und des guten Willens. Ich wußte gar nicht, daß Ihnen soviel an Weihnachten liegt." „Früher schon." Nina wollte Fen nicht zeigen, wie erbost sie über seinen Sarkasmus war. „Als ich jünger war. Aber inzwischen gebe ich Ihnen recht, daß Weihnachten - wie Sie gesagt haben - eine Unannehmlichkeit ist." „Ach ja? Und woran liegt es?" Fen lächelte und lehnte sich bequem zurück. Nun, er hat danach gefragt, dachte Nina. „Weil mein Vater jedes Weihnachtsfest unter irgendwelchen fadenscheinigen Gründen junge Männer anschleppt, die mich schafsäugig anglotzen. Das ist der Grund", sagte sie. „Er will unbedingt, daß ich endlich heirate." „Und? Ist das so schlimm?" Fen konnte nur mühsam ein Lächeln unterdrücken. „Ja", sagte Nina. „Es sind ausnahmslos angehende Führungskräfte aus seinem Unter nehmen. Er zahlt ihnen sogar dafür." Nina versuchte einen leichten Ton anzuschlagen, aber dennoch klang ihre Stimme bitter. „Und das stärkt Ihr Selbstbewußtsein nicht gerade, oder? Kann ich mir denken. Warum muß er denn noch für Sie bezahlen?" „Muß er ja gar nicht! Aber er hat sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß ich unbedingt verheiratet sein soll. Am liebsten mit einem Geschäftsmann, denn das ist seine Welt." „Das glaube ich sofort", sagte Fen trocken. Er ließ sich mit keiner Silbe anmerken, ob er Nina bedauerte. „Und warum hat er es so eilig, daß Sie heiraten? Hat er Angst, daß Sie mit dem Milchmann durchbrennen könnten?" „Nein, das ist es nicht. Er fürchtet vielmehr, daß ich mich bei meiner Arbeit von zwielichtigen Gestalten beeinflussen lassen oder sonstwie zu Schaden kommen könnte. Und er glaubt, wenn ich erst verheiratet bin, dann werde ich meine Arbeit an den Nagel hängen und unter dem Pantoffel meines treusorgenden Ehemannes stehen." „Das halte ich für unwahrscheinlich", murmelte Fen. Plötzlich blitzten seine Augen auf. „Man sollte es vielleicht einmal ausprobieren. Schon allein des Unterhaltungswertes wegen." „Was sollte man ausprobieren?" fragte Nina argwöhnisch. „Sie unter den Pantoffel stellen." „Niemals", gab sie eingeschnappt zurück. Fen grinste. Wieder einmal hatte er Nina erfolgreich provozieren können. „Was sind Sie eigentlich von Beruf?" wollte er wissen. „Scheint ja eine sehr aufregende und gefährliche Tätigkeit zu sein. Polizistin? Privatdetektivin? Journalistin?" Nina schüttelte den Kopf. „Aha." Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Jetzt hab' ich es. Sie sind Test springerin für neuentwickelte Fallschirme." Nina mußte lächeln. „Nein", sagte sie. „So gefährlich ist mein Beruf gar nicht. Ich bin Sozialarbeiterin."
2. KAPITEL
Nina wartete auf Fens Reaktion. Wahrscheinlich würde er eine Augenbraue heben und sie spöttisch ansehen. Aber wieder verblüffte er sie. „Ich hätte von selbst darauf kommen müssen", sagte er kurz angebunden. „Warum?" fragte sie erschrocken zurück. Seine eisige Stimme ließ sie zusammenzucken. „Miss Cleethorpe." Fen spuckte den Namen förmlich aus. „Ich sagte Ihnen doch, daß Sie mich an irgend jemanden erinnern. Wahrscheinlich ist es die Kombination aus übertrie bener Fürsorge und dem Trieb, sich immer in anderer Leute Angelegenheiten einmischen zu müssen." „Miss Cleethorpe?" wiederholte Nina. „Ich kenne keine Miss Cleethorpe." Fen lachte kurz auf. „Nein. Aber Sie würden sich großartig mit ihr verstehen. Sie war eine Frau, die ich sehr gut kannte. Ihretwegen lebte ich als Kind in ständiger Angst, daß man mich von Christine wegbringen und in ein Heim für verarmte und schwererziehbare Jugendliche stecken würde. Dabei war ich überhaupt nicht auffäl liger als die anderen Kinder aus der Nachbarschaft. Sicher haben wir auch mal über die Stränge geschlagen, aber das gehörte dazu." Jetzt begann es Nina zu dämmern. „Sie meinen, Miss Cleethorpe war Ihre Sozialarbeiterin." „So nannte sie sich wohl. Wir hatten andere Namen für sie." Nina versuchte ihren Ärger zu unterdrücken. Sie war es zwar gewohnt, daß ihre Arbeit von vielen Seiten kritisiert wurde, aber deshalb fiel es ihr trotzdem nicht leichter, Fens Sticheleien zu ertragen. „Möchten Sie darüber sprechen?" fragte sie sanft. „Auch das noch! Sie haben sogar dieselben Phrasen drauf!" stöhnte Fen und starrte aus dem Fenster. Nina schwieg. Aus Erfahrung wußte sie, daß die Menschen von selbst auf ihre Probleme zu sprechen kommen, wenn ihnen danach zumute ist. Sie durfte Fen keinesfalls bedrängen, denn sonst würde er noch verschlossener sein. Das war die richtige Taktik. Nach einer Weile wandte sich Fen wieder Nina zu. „Nein", sagte er entschieden. Ich möchte nicht darüber sprechen. Aber ich denke, daß ich Ihnen nach diesem ungerechten Vorwurf zumindest eine Erklärung schulde." „Sie schulden mir gar nichts." Nina wagte ein schüchternes Lächeln. Fen nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Offenbar trank er Bourbon. „Richtig. Aber ich kann von Ihnen wohl kaum erwarten, daß Sie mir die Zeit vertreiben, wenn ich mich vor Ihnen verschließe und so tue, als sei ich der perfekte Gentleman, der ich nun einmal nicht bin." Machte sich Fen schon wieder über sie lustig? Oder hatte sie tatsächlich so etwas wie widerwillig eingestandene Reue aus seinen Worten herausgehört? Nina nickte ihm aufmunternd zu. „Gut. Dann hören Sie auf, mir zu unterstellen, daß ich mich in anderer Leute Angelegenheiten einmische. Das versuche ich nämlich unter allen Umständen zu vermeiden. Ich hasse es selbst, wenn man sich in mein Privatleben einmischt. Ich versuche nur zu helfen, und wenn meine Hilfe nicht mehr benötigt wird, dann ziehe ich mich zurück" Fen grinste plötzlich. „Ich habe verstanden. Übrigens nur zu Ihrer Information: Miss Cleethorpe war bei weitem nicht so hübsch wie Sie." Sollte das ein erneuter Annäherungsversuch sein? Oder war das als erster Schritt zur Versöhnung gemeint? „Tatsächlich?" fragte Nina gleichgültig zurück. „Sie war ziemlich häßlich. Ich halte es jetzt übrigens für denkbar, daß sie es wirklich gut gemeint hat. Aber sie konnte einen nie in Ruhe lassen." Fen machte eine kleine Pause und starrte wieder aus dem Fenster. „Meine Mutter verließ uns nach dem Tod meines
Vaters. Sie sagte, sie hätte nun ein Recht auf ihr eigenes Leben. Außerdem sei Christine alt genug, um auf mich aufpassen zu können." Nina schüttelte ungläubig den Kopf. Das war ja ungeheuerlich. „Wollen Sie damit sagen, daß sich Ihre Mutter auf und davon gemacht hat und nie wieder zu euch Kindern zurückgekommen ist?" „So ist es. Der Fairneß halber muß ich allerdings hinzufügen, daß sie der Tod meines Vaters ziemlich mitgenommen hat. In den ersten Monaten schrieb sie uns noch einige Briefe. Danach kamen keine Briefe mehr. Ich stellte Nachforschungen an und hörte, daß sie unbekannt verzogen war." Wie ist es nur möglich, daß er über dieses schreckliche Kindheitstrauma so emotions los sprechen kann? fragte sich Nina verwundert. „Lebt Ihre Mutter noch?" „Ja. Sie lebt in Texas in irgendeiner Kommune. Offenbar scheint es ihr sehr gutzugehen." „Ich verstehe. Und Sie und Christine waren ganz allein auf sich gestellt." Jetzt setzten sich die einzelnen Puzzle steine langsam zusammen und ergaben ein klareres Bild von Fenton Hardwick. Fen nickte. „Ja. Christine war siebzehn, als unsere Mutter uns verließ. Ich war sieben. Und ich sagte Ihnen ja schon, daß ich meine Schwester ganz schön auf Trab gehalten habe. Soviel also zum Thema Miss Cleethorpe." Er machte eine kurze Pause. „Nun sehen Sie mich nicht so entsetzt an, Nina. Wir haben alle überlebt. Auch Miss Cleethorpe. Und inzwischen habe ich es auch geschafft, Christine zumindest ein Teil dessen zurückzugeben, was ich ihr schuldig bin. Zum Glück hat sie jetzt endlich einen Mann gefunden, der ihr das Glück bieten kann, das sie verdient." Er sprach in nüchternem Tonfall, doch Nina ließ sich nicht täuschen. Sie wußte jetzt soviel von Fenton, daß ihr Urteil feststand: Das von seiner Mutter im Stich gelassene Kind war zu eine m harten, entschlossenen Mann gereift, der keine Gefühle zeigen konnte. Aber immerhin liebte er seine Schwester. Nina hatte keine Ahnung, welchen Beruf Fen ausübte, aber sie war sicher, daß er seine Ziele hartnäckig und rücksichtslos verfolgte. Wie ihr Vater. Doch welche Ziele verfolgte er eigentlich? Nina begann leicht zu zittern, und plötzlich kam ihr dunkel die Idee wieder in den Sinn, die ihr nachts im Schlafwagenabteil eingefallen war. „Und jetzt?" begann sie vorsichtig. „Haben Sie Ihren Platz im Leben gefunden?" „Sie erinnern mich schon wieder an Miss Cleethorpe", gab Fen zur Antwort. „Wollen Sie wissen, ob ich Heiratspläne habe? Die Antwort ist nein. Ich habe nie die Zeit gehabt, um eine Frau gut genug kennenzulernen." „Oh", machte Nina. Sie wußte nicht, wie sie seinen herausfordernden Blick deuten sollte. „Nur Arbeit und keine Freizeit..." Sie machte eine kleine Pause. „Ihr Leben muß ziemlich eintönig sein." Fen schüttelte den Kopf. „Christine ist derselben Ansicht. Aber das stimmt nicht. Ich liebe meine Arbeit. Und wenn ich mich mal vergnügen wollte, dann habe ich bisher noch immer eine Frau gefunden, die auf meiner Wellenlänge lag." Er lächelte anzüglich. „Ich kann Ihnen versichern, daß es absolut nicht eintönig war." „Ich bin keine Frau, die für oberflächliche Zerstreuungen zu haben ist." „Das habe ich befürchtet." Fen tat resigniert. „Ich merke schon, daß mir eine ebenso lange wie langweilige Reise bevorsteht." Natürlich. Jetzt fiel ihr die Idee wieder ein, von der sie geglaubt hätte, sie ließe sich nie umsetzen. Das war es! Das konnte die Lösung sein! Nina starrte in ihr Glas. Fen haßte Zugfahrten, und er fuhr nur widerwillig über Weihnachten zu seinem Cousin ... Ja, Fen suchte zwar ab und zu ein kurzes Vergnügen, aber eine feste Bindung wollte er keinesfalls eingehen. Das hatte er unmißverständlich klargestellt. Und nachdem Nina
Einblicke in seine Kindheit bekommen hatte, erschien ihr Fen nicht mehr so arrogant und unsympathisch wie zu Beginn ihrer Bekanntschaft. Es könnte klappen, dachte sie. Schließlich ist Fen ein Geschäftsmann durch und durch. Das konnte man schon an dem grauen Nadelstreifenanzug erkennen. Aber da er kaum etwas über seine Tätigkeit gesagt hatte, schien er in Ninas Augen nur ein ziemlich kleines Licht zu sein. Sicher wäre er glücklich über freie Kost und Logis zu Weihnachten. Und darüber hinaus müßte er die Festtage nicht zusammen mit seinem Cousin verbringen. Aber hätte Nina wirklich die Stirn, ihm dieses Angebot zu machen? Wie würde er reagieren? Es wäre mehr als peinlich, wenn er sie auslachen würde. Nachdenklich betrachtete sie sein Profil, seine vollen, sinnlichen Lippen. Zum erstenmal fiel ihr eine kleine Narbe auf seiner Stirn auf. Was weiß ich eigentlich über diesen Mann? fragte sie sich. Nina trank ihr Glas leer. Vielleicht bin ich tatsächlich verrückt geworden, dachte sie. Aber ich glaube, mein Plan könnte aufgehen. Ich muß noch einmal in Ruhe darüber nachdenken. Bald würde sie in Chicago bei ihren Eltern sein. Und ihr Vater würde wieder einige Heiratskandidaten einladen. Auf der anderen Seite hatte Fen absolut keine Heiratsplä ne. Es müßte also funktionieren. Nina stellte ihr Glas geräuschvoll auf den Tisch und stand auf. „Ich muß jetzt gehen", sagte sie. „Sehen wir uns später?" Fen verschränkte die Arme hinter dem Kopf und räkelte sich. „Sicher", meinte er träge. „Ich bin im Abteil A." Sie machte eine kurze Pause. War das gerade eben ein unsittlicher Antrag von Fen gewesen, oder hatte ihre Phantasie ihr einen Streich gespielt? Nina sah ihn argwöhnisch an. Als sie seinen athletischen Körper betrachtete, spürte sie in sich ein plötzliches, unwillkommenes Verlangen. Hastig wandte sie sich ab. „Das ist ein Luxusabteil", sagte sie, weil ihr nichts anderes auf die Schnelle einfiel.' Fen nickte. „Das habe ich auch schon festgestellt. Christine hat immerhin eingesehen, daß sie mich zu dieser langen Reise nur bewegen kann, wenn Sie mir ein etwas größe res Abteil spendiert, wo ich mir nicht wie eine Sardine in der Büchse vorkomme. Abgesehen davon kann sie es sich auch leisten. Sie heiratet den Besitzer einer großen Ladenkette." Das hatte Fen also gemeint, als er sagte, Christine hätte einen Mann gefunden, der ihr das Glück bieten kann, das sie verdient. In Fens Augen zählten vermutlich nur Geld und Erfolg. Aus irgendeinem Grunde war Nina von ihm enttäuscht. Sie gab keine Antwort und drehte sich zum Gang. Prompt stieß sie gegen einen älteren beleibten Herrn, der hinter seiner Zeitung ein Nickerchen hielt. „Pech gehabt", kommentierte Fen. „Vielleicht haben Sie beim nächsten Versuch mehr Glück." Der ältere Herr grunzte, Nina runzelte die Stirn, und Fen lachte. Blöder Kerl, dachte Nina. Vielleicht war ihr Plan doch nicht so gut. Beim Abendessen saß Nina mit drei Damen an einem Tisch im Speisewagen. Doch danach saß sie wieder allein in ihrem Schlafwagenabteil und dachte trübsinnig an die bevorstehenden Festtage, an denen sie wieder Mistelzweigen und schwammigen Händen ausweichen mußte. Seltsamerweise waren die Hände immer schwammig. Nina schüttelte sich bei diesem Gedanken, und nach einer Weile stand sie auf und ging in den Aussichtswagen. Fen war nicht hier, deshalb stieg Nina die Wendeltreppe hinauf in die rauchgeschwängerte Bar. Auch hier war keine Spur von Fen zu sehen. Also machte sie sich wieder auf den Weg zu ihrem Schlafwagenabteil. Vor dem Abteil A blieb sie kurz stehen. In ihrer lebhaften Phantasie stellte sie sich vor, wie Fen sie verführerisch
anlächeln, in sein Abteil hineinziehen und langsam die Tür hinter ihnen schließen würde. Und dann... Der Schlafwagenschaffner, der die Betten machen wollte, berührte Nina leicht am Arm. Sie zuckte erschrocken zusammen. „Alles in Ordnung, Miss?" erkundigte er sich. Auf einmal wurde Nina bewußt, daß sie die ganze Zeit über die Augen geschlossen hatte. „Ja. Alles in Ordnung. Vielen Dank." Sie lächelte den Schlafwagenschaffner an und eilte in ihr Abteil, um ihre Kulturtasche zu holen. Dann ging sie die Treppe hinunter in den kleinen Duschraum. Als sie zurückkam, trug sie einen schlichten, bis obenhin zugeknöpften gelben Bademantel, und das Haar hing ihr feucht ins Gesicht. Fen stand im Gang und blickte aus dem Fenster. Er hatte Nina den Rücken zugewandt und sie anscheinend noch gar nicht bemerkt. Nina blieb einen Augenblick stehen und betrachtete seine kräftigen Beine, die sich unter der engen Hose abzeichneten, als sich Fen unvermittelt umdrehte. „Ich rieche Haarshampoo und frischgeduschte Frauen", sagte er leise und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Mmm. Sehr züchtig. An dem guten Stück prallen wohl alle Annäherungsversuche ab, schätze ich." „Das ist auch gut so." Nina warf den Kopf zurück. Sie zögerte für Sekundenbruchteile, doch dann sprach sie schnell aus, was ihr auf der Zunge lag bevor sie es sich noch anders überlegen konnte. „Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen." „Na endlich", gab Fen zurück. „Ich hatte schon beinahe alle Hoffnungen aufgegeben." Er breitete die Arme aus. „Ich stehe Ihnen voll und ganz zur Verfügung." „Das habe ich nicht gemeint", sagte Nina, obwohl sie insgeheim am liebsten seinen offenkundigen Wünschen nachgegeben hätte. Fen seufzte. „Ehrlich währt am längsten, finde ich immer." Er deutete auf sein Abteil. „Macht nichts. Gehen wir in mein Abteil. Dort können Sie mir alles erzählen." „Nein, ich..." „Wollen wir lieber in den Aussichtswagen gehen?" Er blickte fragend auf ihren gelben Bademantel. „Ich kann mich umziehen." „Nun passen Sie aber mal auf." Fen konnte seinen aufsteigenden Ärger nur schlecht verbergen. „Wenn ich auch nur die leiseste Absicht hätte, Ihnen Ihre keusche Kleidung vom Leibe zu reißen, dann würde ich es hier an Ort und Stelle tun. Also stellen Sie sich nicht so an und kommen Sie endlich. Ich mag ja viele Schwächen haben, aber ich habe mich noch nie an wehrlosen Zitronen vergriffen. Übrigens finde ich Ihre Unterstellungen ziemlich unverschämt." Er lächelte zwa r, aber seine Augen blickten kalt. Nina hatte keinen Zweifel, daß seine Empörung echt war. Sie holte tief Luft. „Gehen wir." Fen öffnete die Tür zu seinem Abteil. Es duftete schwach nach männlich-herbem After shave - ein verführerischer Duft. Als Fen hinte r ihnen langsam die Abteiltür schloß, mußte sie schlucken. Fens Bett war noch nicht für die Nacht vorbereitet, und Nina stellte auf den ersten Blick fest, daß das Abteil geräumig genug für zwei Reisende war. Es hatte nicht nur ein zusätzliches Sofa, sondern auch einen Ausziehtisch und ein eigenes Bad. Für einen Augenblick bedauerte Nina, daß sie sich immer strikt geweigert hatte, sich von ihrem Vater zu der Reise einladen zu lassen. Denn Joseph hätte nur das Beste vom Besten gewählt. „Nehmen Sie Platz", forderte Fen sie auf. Nina setzte sich, und sofort bereute sie es. Fen hatte es sich auf dem gegenüberliegenden Sofa bequem gemacht, und er wirkte bedrohlich verführerisch.
„Nun?" fragte er mit dem Gesichtsausdruck einer Raub katze. „Um was für einen Vorschlag handelt es sich? Ich bin zu allen Schandtaten bereit." Daran zweifelte Nina keinen Augenblick. Sie hatte Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. „Es ist nicht, was Sie denken ...", stammelte sie und nestelte nervös an dem obersten Knopf ihres Bademantels. „Verstehen Sie mich nicht falsch... ich brauche einen Mann." Ungeschickter hätte sie es kaum anfangen können. „Nur für Weihnachten", fügte sie eilig hinzu und machte damit alles noch schlimmer. Fen streckte sich. Jetzt ähnelte er noch mehr einer Raub katze. „Interessant. Ich bin noch nie in Geschenkpapier eingewickelt worden. Aber ich denke, das ließe sich einrichten." „Nein, Sie haben mich vollkommen mißverstanden." Nina errötete vor Verlegenheit. „Ich meine, ich brauche jemanden, der vorgibt, daß er ein Mann ist..." „Vorgeben? Hören Sie mal, Miss Zitrone. Man hat mir im Leben zwar schon viele Dinge vorgeworfen, aber daß ich kein Mann..." „Lassen Sie mich gefälligst ausreden!" wies ihn Nina energisch zurecht. „Bitte." „Ich bin ganz Ohr", sagte er und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Aber das war er keinesfalls. Er war ganz Mann, kräftig, muskulös und sehnig, und sein Mund ... Nein! Nina richtete sich kerzengerade auf und atmete tief durch. Fen strich sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn und schloß die Augen. „Fen", sagte Nina vorwurfsvoll. „Ich kann nicht mit Ihnen reden, wenn Sie dabei einschlafen." Fen öffnete sofort die Augen, aber auch das irritierte Nina. „Wer behauptet hier, daß ich schlafe?" Nina schüttelte den Kopf. „Sie haben es noch immer nicht begriffen. Die Sache ist die, daß ich einen Mann brauche, der vorgibt, der Mann meines Lebens zu sein." Nun war es endlich heraus. „Dieser Mann soll meinen Vater davon überzeugen, daß er seine Truppen von Heiratskandidaten endlich abzieht. Und sobald Weihnachten vorüber ist, verschwindet er wieder. Habe ich mich jetzt verständlich ausgedrückt?" „Nicht ganz. Wäre es nicht viel einfacher, wenn Sie sich mit den Truppen Ihres Vaters arrangieren würden? „Nein. Das ist unmöglich." Sie knetete nervös ihre Finger. „Mein Vater sucht immer besonders hartnäckige Kandidaten aus. Die letzten drei haben mich bis nach Seattle verfolgt. Wohlgemerkt nach Weihnachten! Nachdem sie mir schon eine geschlagene Woche lang ihren heißen Atem in den Nacken gepustet, mich unter den Mistelzweig getrieben und mich beim Essen schafsäugig über die Reste des Puters angeglotzt hatten." Nina sah Fen fragend an. „Würden Sie es tun?" „Was? Soll ich Sie schafsäugig anglotzen?" Nina bis die Zähne zusammen. „Nein. Sie sollen sich für den Mann meines Lebens ausgeben. Sie sind zwar ungeho belt und völlig unpassend, aber wenigstens stinken Sie nicht nach Schnaps." Fen sah sie ungläubig an. „Und bei Ihnen bin ich mir ganz sicher, daß Sie mir nach Weihnachten keinen Heiratsantrag mache n werden", sagte sie hastig. „Worauf Sie sich verlassen können", stimmte Fen zu. „Also machen Sie mit?" fragte Nina aufgeregt. „Nein." Fen knipste die Leselampe über seinem Kopf aus, so daß Nina sein Gesicht nicht erkennen konnte. „Aber warum denn nicht?" hakte sie enttäuscht nach. Jetzt durfte sie nicht aufgeben. „Sie haben doch selbst gesagt, daß Sie keine Lust haben, Weihnachten in New York zu verbringen." „Richtig. Aber es reizt mich noch weniger, in Chicago einen Menschen spielen zu müssen, der ich nicht bin."
„Sie brauchen sich nicht zu verstellen. Seien Sie einfach Sie selbst. Mein Vater wird Sie wohl kaum kennen, oder?" „Sicher nicht." Dann wäre doch alles klar. Zumindest... „Fen ... was machen Sie eigentlich beruflich?" Sein Beruf war für Nina zwar ziemlich unwichtig, aber falls sie Fen doch noch umstimmen könnte, hätte sie wenigstens diese Information. „Lebensmittelimport", sagte er knapp. Vermutlich ist er Einkäufer für irgendeine Firma, dachte Nina. Das würde auch seine geplante Geschäftsreise nach New York erklären. Und mit der Lebensmittelbranche hatte Joseph Petrov nichts zu tun. Insofern war es unwahrscheinlich, daß ihr Vater schon einmal von Fen gehört hatte. Der Plan könnte klappen - wenn Fen nur mitmachen würde. „Fen." Sie unternahm den nächsten Versuch. „Ich bin sicher, daß es mit der Lebensmittelbranche keine Probleme geben wird..." „Es wird überhaupt keine Probleme geben. Ich denke nämlich nicht daran, in Ihrer kleinen Scharade mitzuspielen." Sein Tonfall war freundlich, aber bestimmt. Jeder Widerspruch war zwecklos. Das kannte Nina von ihrem Vater. Moment! Plötzlich fiel ihr etwas ein. Was Joseph nicht mit guten Worten erreichen konnte, das kaufte er einfach. Sie schloß die Augen. Ob sie Fen Geld anbieten sollte? Joseph hatte immer gesagt, daß jeder Mensch käuflich ist. Es käme bei Fen auf einen Versuch an. „Ich werde Sie natürlich für Ihre Mühen entschädigen", sagte sie hastig. „Wieviel verlangen Sie?" Nina hielt den Atem an und hoffte insgeheim, daß er ein solches Angebot ablehnen würde. Aber wie so oft hatte sie sich in Fen getäuscht. In geschäftsmäßigem Ton fragte er: „Das kommt auf die Situation an. Wieviel bieten Sie, Miss Petrov? Und was genau erwarten Sie als Gegenleistung von mir?" Seine Augen blitzten kurz auf. Was hatte das zu bedeuten? Nina schluckte. Warum benahm er sich auf einmal so distanziert? Er hatte sie sogar wieder Miss Petrov genannt. Und diesen Namen brachte er in Verbindung mit unverdientem Reichtum. Offenbar war er jetzt bereit, sich auf den Handel einzulassen. Nina fühlte sich in diesem Moment ziemlich unbehaglich. „Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich ..." Wieder nestelte sie nervös an dem obersten Knopf ihres Bademantels. „Ich möchte, daß Sie sich für einige Tage als mein Verlobter ausgeben." „Und welche speziellen Leistungen beinhaltet dieser Job?" Fen lehnte sich in sein Kissen zurück. „Wissen Sie, als Mann für gewisse Stunden bin ich noch nie bezahlt worden." Nina konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Und was die Sache noch schlimmer machte - sie war sicher, daß Fen sich seiner Ausstrahlung bewußt war. Seine Stimme war kühl wie ein Eisberg. Glaubte Fen wirklich, daß sie zu den Frauen gehörte, die einen Mann dafür bezahlten, daß er ihnen ... zu Willen war? Es hatte ganz den Anschein. Nina mußte schwer schlucken. „Wieviel?" erkundigte sich Fen. Hatte er eben ein Lächeln angedeutet? Nein, Nina mußte sich getäuscht haben. „Ich weiß nicht", stotterte sie. „Ich meine... ich erwarte ja nicht von Ihnen, daß Sie mit mir...?" „... ins Bett gehen?" beendete Fen den Satz. „Dann wird's natürlich erheblich billiger. Finden Sie nicht auch?" Du liebe Güte! Daran hatte Nina nun wirklich nicht im entferntesten gedacht. Jetzt war sie vollkommen verwirrt. Wie sollte sie aus der Angelegenheit nur wieder
herauskommen, ohne das Gesicht zu verlieren? Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Nennen Sie mir Ihren Preis." Seine Forderung war relativ bescheiden - in Ninas Augen. Aber wenn diese Summe für Fenton Hardwick viel Geld bedeutete, dann stand er wesentlich tiefer auf der Erfolgsleiter, als Nina ursprünglich angenommen hatte. Immerhin schien er nicht die Absicht zu haben, Nina als Sprungbrett für eine Karriere im Unternehmen ihres Vaters benutzen zu wollen. Im Gegensatz zu Josephs Heiratskandidaten. „Einverstanden", stimmte Nina zu. „Warten Sie, ich hole mein Scheckbuch." Wenig später hatte Nina den Scheck unterzeichnet und Fen gereicht. „Scheint in Ordnung zu sein", murmelte Fen und steckte den Scheck ein. „Gut." Sie biß sich auf die Lippen. „Morgen abend sind wir in Chicago. Deshalb sollten wir langsam ..." „... mit der Weihnachts-Scharade beginnen?" schlug er vor. „Nun, zumindest sollten wir dieselbe Geschichte erzählen", sagte Nina mit tonloser Stimme. Fen nickte. „Das macht Sinn. Besprechen wir die Details morgen beim Frühstück? Gute Nacht, Miss Petrov." „Gute Nacht." Nina blieb unschlüssig in seinem Abteil stehen. Halb erwartete sie, halb befürchtete sie, daß Fen versuchen würde, die veränderte Situation auszunutzen. Aber nichts dergleichen geschah. Er klingelte nur nach dem Schlafwagenschaffner, um sein Bett aufbauen zu lassen. Nina warf ihm einen letzten Blick zu, bevor sie ging. Fen lag entspannt auf dem Sofa. Er sah einfach unwiderstehlich aus. Als sie das Abteil verließ und die Tür schloß, bemerkte sie, daß Fens Augen teuflisch funkelten. Kopfschüttelnd machte sie sich auf den Weg in ihr Schlafwagenabteil. Sie fühlte sich wie ein Kind, das soeben erfahren hat, daß es den Weihnachtsmann nicht gibt. Du bist ein Dummkopf, Nina Petrov, schalt sie sich und ließ sich auf ihr Bett fallen. Jetzt bist du am Ziel deiner Wünsche und hast einen Mann über Weihnachten, der dich nicht mit Heiratsabsichten verfolgt und in dunklen Ecken zu küssen versucht. Obwohl es sicher eine sehr reizvolle Erfahrung wäre, sich von Fenton Hardwick küssen zu lassen, sagte eine innere Stimme. Nein! Nina schob diesen Gedanken beiseite. Sie hatte Fenton Hardwick gekauft, genau wie ihr Vater die anderen jungen Männer. Er konnte noch so attraktiv sein - er war eben auch bloß käuflich. Jedenfalls würde sie endlich ein friedliches Weihnachtsfest verleben. Hoffentlich. Dennoch fand Nina in dieser Nacht kaum Schlaf. , „Donnerwetter!" rief Fen aus, als Nina am nächsten Morgen den Speisewagen betrat. „Die Zitrone ist zur Limone mutiert." Er betrachtete sie eingehend. „Wissen Sie eigentlich, daß Ihre Gesichtsfarbe beinahe grün ist?" „Danke für das Kompliment", gab sie säuerlich zurück. „Ich habe schlecht geschlafen." „Das sieht man Ihnen an. Übrigens, was unser kleines Geschäft angeht... verfolgen Sie irgendwelche Hintergedanken?" „Nein. Und Sie? Sie können mir den Scheck jederzeit wieder zurückgeben." Nina hielt den Atem an und wartete gespannt auf seine Reaktion. Sie wußte selbst nicht, welche Antwort sie am liebsten gehört hätte. Fens Augen hatten einen boshaften Glanz. „Warum sollte ich? Wir haben eine Vereinbarung getroffen. Ich halte nicht viel von Menschen, die vertragsbrüchig werden." „Es geht Ihnen also nur ums Geld", stellte Nina sachlich fest. „Ich muß Ihre Einstellung wohl respektieren." „Das würde ich an Ihrer Stelle auch. Schließlich sind Sie durch das Geld Ihres Vaters in der glücklichen Lage, sich alles und jeden leisten zu können." „Nur zu Ihrer Information: Es ist nicht das Geld meines Vaters. Es ist mein Geld." Der
Ober kam, um ihre Bestellung, auf zunehmen. „Wir müssen uns jetzt miteinander abstimmen, damit der Plan klappt." „Sie können sich ganz auf mich verlassen. Ich werde schon dafür sorgen." Sein Tonfall gefiel Nina gar nicht. Ob Fen etwa irgend welche Hintergedanken verfolgte? „Trinken Sie Ihren Kaffee aus. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Schließlich wollen wir uns der Welt als glückliches Liebespaar präsentieren - für den Fall, daß Daddys Spione schon hier im Einsatz sind." Nina fröstelte und ging in ihr Abteil, um sich einen Mantel zu holen. Fen begleitete sie. „Brr. Kalt ist es hier", stellte sie fest. Dann legte er ihr besitzergreifend den Arm um die Schultern. „Es gehört zu den Aufgaben eines aufmerksamen Mannes, seine Zukünftige zu wärmen", sagte Fen und zog sie fest an sich. „Besser so?" Es war viel besser. Seine Nähe wärmte Nina von innen. „Ja. Vielen Dank." Sie räusperte sich nervös. „Jetzt kannst du mich wieder loslassen." „Vielleicht mag ich dich aber festhalten", sagte er äußerst liebenswürdig. Der Zug hielt in St. Paul, Minnesota. Zu Ninas großer Erleichterung ereignete sich ein Zwischenfall. Zwei kleine Jungen waren ihrer gestreßten Mutter entwischt und rannten den Bahnsteig entlang. Die Mutter, die gerade einsteigen wollte, rief vergeblich hinter ihnen her. „Entschuldige mich bitte", sagte Fen und ließ Nina los. Im nächsten Moment spurtete er nach draußen, und wenig später kam er mit je einem Jungen unter dem Arm zurück. Hier sind Ihre Ausreißer", sagte er zu der Mutter, die völlig außer Atem war. „Wo soll ich sie hinbringen?" „In einen Käfig", stöhnte die Mutter. „Am besten setzen Sie die beiden nach drinnen auf die Treppe." Fen nickte und setzte die Jungen ab. „Schluß jetzt mit dem Unsinn, Freunde. Wenn ihr eure Mutter vor der Abfahrt noch einmal ärgert, dann kriegt ihr Ärger mit mir. Ist das klar?" Die kleinen Lockenköpfe nickten und versprachen, sich in Zukunft gut zu benehmen. Und eine sichtlich erleichterte Mutter bedankte sich bei Fen. Nina lächle, als Fen zu ihr zurückkam. „Kann ich meinen Augen trauen? Ich wußte gar nicht, daß du Kinder magst." „Überrascht dich das?" fragte Fen zurück. Nina hatte geglaubt, daß Fen zu den Menschen gehören würde, die nur an ihre Geschäfte denken und weder Zeit noch Geduld für Kinder aufbringen können - wie ihr Vater. Zugegeben, er liebte Nina auf seine Weise, doch als Kind hatte sie immer das Gefühl gehabt, er sähe sie am liebsten in der Schule oder im Bett. „Ja, es überrascht mich", gab sie zu. „Nun hast du dich selbst davon überzeugen können, wie geschickt ich im Umgang mit ungehorsamen Kindern bin", sagte er leichthin und tätschelte ihre Wange. Und Nina war sich ziemlich sicher, daß sich seine Worte nicht auf die beiden Jungen bezogen. „Magst du eigentlich Kinder?" Ninas Puls begann plötzlich schnell zu rasen. Nur allzu deutlich spürte sie Fens Nähe. Sie atmete tief durch, um einen klaren Kopf zu behalten. „Ich denke schon. Meistens arbeite ich mit benachteiligten Kindern. Oder mit Problemkindern." „Wie ich?" fragte Fen trocken zurück und legte eine Hand auf ihre Hüfte. „Nein. Du bist weder benachteiligt noch ein Kind", sagte sie, ein wenig außer Atem. „Aber ein Problem." Wieder dieser spöttische Tonfall. Fen war für Nina tatsächlich ein Problem. Aber das würde sie nicht zugeben, denn darüber würde er sich diebisch freuen. „Vielleicht", sagte sie a usweichend. Sie standen jetzt vor Fens Abteil, und bevor Nina ihm erklären konnte, daß sie sich jetzt
zum Schlafen zurückziehen wollte, hatte er schon die Tür geöffnet und Nina hineingeschoben. „Moment mal!" protestierte sie. „Du kannst doch nicht einfach..." „O doch, ich kann. Schließlich hast du mich für einen Job bezahlt. Ich bin der neue Mann in deinem Leben. Erinnerst du dich?" „Schon, aber..." „Und damit wir die Rolle auch überzeugend spielen können, kommen wir nun zum praktischen Teil der Übung." „Praktischer Teil? Was soll das heißen?" fragte Nina alarmiert. „Das." Und Fen begann ihren Mantel aufzuknöpfen.
3. KAPITEL
Nina fröstelte unter Fens Berührungen. Sie wollte ihm sagen, daß er die Hände von ihr nehmen sollte - diese geschickten Hände, die einen Schutzwall nach dem anderen im Sturm eroberten, aber sie brachte kein Wort heraus. Lange würde sie Fens Verführungskünsten in diesem luxuriösen Abteil nicht widerstehen können. Was für eine Ironie des Schicksals: Sie hatte ihrem Vater weismachen wollen, daß Fen der Mann ihres Lebens sei. Und jetzt war Fen auf dem besten Wege, es tatsächlich auch zu werden. Er streifte Nina den Mantel von den Schultern und legte ihn über einen Stuhl. Sie blickte Fen fragend an. Sein Blick war zärtlich und verführerisch. Und als Fen dann den obersten Knopf ihrer gelben Bluse öffnete, kam Nina auf einmal zu Bewußtsein, daß sie eine Situation heraufbeschworen hatte, der sie nun beide nicht mehr gewachsen waren. Was für Fen als harmloser Spaß begonnen hatte, führte zu einer Entwicklung, die Fen weder erwartet noch gewollt hatte. Als er den Kopf senkte, um Nina zu küssen, spürte sie seine Zweifel. Dann schob er eine Hand unter ihre Bluse, streichelte Ninas Rücken und löste mit seinen Berührungen bei Nina Empfindungen aus, von denen sie nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Sie stöhnte tief auf, und Fen küßte leicht ihre Lippen. Aber irgend etwas stimmte nicht. Fen war zu beherrscht und kontrolliert, bei ihm fehlte das Feuer, das er in Nina entfacht hatte. Spielte er etwa nur mit ihr? Nina fiel plötzlich ein, was er eingangs gesagt hatte: „Kommen wir nun zum praktischen Teil der Übung." Sie war auf einen Schlag ernüchtert und stieß Fen von sich. Im selben Augenblick fuhr der Zug um eine Kurve, und Fen geriet ins Straucheln und schleuderte gegen das Fenster. „Alles in Ordnung?" fragte Nina. „In welcher Hinsicht?" „Ich meine, ob du verletzt bist." „Nein. Wenigstens habe ich keine sichtbaren Verletzungen", gab er zweideutig zurück. Na schön, dachte Nina. Wenn er es so haben will, dann spiele ich sein Spielchen eben mit. „Warum hast du mich geküßt?" fragte sie Und setzte sich. Sie legte ihren Mantel auf den Schoß. Fen ließ sich auf das Sofa fallen und zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid. Ich dachte, daß ich dafür bezahlt werde." Nina beschloß, diese Bemerkung zu überhören. Fen wollte ihr wohl einen Seitenhieb verpassen, weil sie ihn gekauft hatte. Einerseits nahm er das Geld von ihr an, aber andererseits schien sie gerade aus diesem Grunde in seiner Achtung gesunken zu sein. Es kann mir doch völlig gleichgültig sein, was Fen über mich denkt, dachte Nina. Aber es war ihr absolut nicht gleichgültig. „Nein", sagte sie ruhig. „Ich bezahle dich dafür, daß du das Weihnachtsfest in meiner Familie verbringst und mir die von meinem Vater angeschleppten Verehrer vom Leibe hältst." „Ich verstehe. Keine Küsse, wenn es die Situation nicht unbedingt erfordert." Fen schien für einen Moment zu überlegen. „Was muß ich alles über dich wissen, um meine Rolle vor deinen Eltern überzeugend spielen zu könne n? Ich kenne dich kaum - abge sehen davon, daß du ziemlich eigensinnig bist und eine Schwäche für Zitronen hast." „Beides falsch", fauchte Nina zurück. Sie sah Fen finster an und hätte die Vereinbarung am liebsten rückgängig gemacht. Seine Umarmung und sein Kuß hatten sie mehr durcheinandergebracht, als sie sich eingestehen mochte. Sie wartete einen Augenblick, bis sich ihr Ärger halbwegs gelegt hatte. „Gut. Du solltest vielleicht wissen, daß ich noch nie in meinem Leben ernsthaft verliebt war, daß ich in Seattle arbeite, weil es weit von Chicago entfernt ist, und daß ich meine Arbeit liebe. Zu Weihnachten gibt es
bei meinen Eltern immer Puter, Rosenkohl und Plumpudding." Fen lächelte warmherzig. Es schien, als würde er Nina fast ein wenig bemitleiden. Aber im nächsten Augenblick machte er alles wieder zunichte. „Nie ernsthaft verliebt?" fragte er spöttisch zurück. „Das kann ich gut verstehen, denn Zitronen sind schwer verdaulich und nicht jedermanns Geschmack. Ich verstehe auch, daß du aus deinem Elternhaus ausbrechen und einen anderen Beruf als dein Vater ergreifen wolltest. Aber warum zum Teufel mußtest du ausgerechnet Sozialarbeiterin werden? Was weißt du schon von den Bedürfnissen der einfachen Leute?" Nina versuchte ganz ruhig zu bleiben. Sie glaubte nicht, daß Fen sie absichtlich verletzen wollte. Er konnte nur nicht begreifen, daß man weder hungern noch leiden muß, um sich Elend und Armut vorstellen zu können. Gerade weil sie privilegiert aufgewachsen war, hatte Nina das Bedürfnis, sich für die Ärmeren zu engagieren und etwas zurück zugeben. Aber Fen hatte eine andere Kindheit erlebt, er würde Ninas Beweggründe nicht verstehen. Deshalb sagte sie schlicht: „Ich liebe Kinder und möchte ihnen helfen." „Hmm." Fen sah sie kurz an, dann starrte er aus dem Fenster und verfiel in längeres Schweigen. Nina betrachtete verstohlen seine kräftige Gestalt. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und ihm das dichte Haar zerzaust. „Es tut mir leid, daß deine Mutter euch verlassen hat", sagte sie leise. ,,Du hast es sicher schwer im Leben gehabt..." „Was?" Fen drehte sich hastig zu Nina um. Seine Miene drückte gleichzeitig Ärger und Verwunderung aus. „Wie kommst du denn darauf?" „Manchmal wirkst du auf mich verbittert. Du selbst hast erzählt, daß du zuviel arbeitest. Wahrscheinlich mußtet du auf viele Dinge verzichten. Und jetzt verfolgst du hartnäckig das Ziel, sie dir eines Tages leisten zu können ..." „Blödsinn. Ich habe nie behauptet, daß ich zuviel arbeite. Das war meine liebe Schwester. Und wieso glaubst du eigentlich, daß ich auf viel verzichten mußte? Ich habe von allem reichlich." Natürlich, dachte Nina sarkastisch. Deshalb hat er sich ja auch von mir kaufen lassen. Das einzige, was Fenton Hardwick reichlich besitzt, ist falscher Stolz. Und offenbar bastelt er sich seine eigene Wirklichkeit zurecht. Sie gab es auf. Soll er doch in seiner Scheinwelt glücklich werden! „Das freut mich zu hören", sagte sie. „Mmm." Fen grinste sardonisch. „Wenn du mich in Anwesenheit deines Vaters so wütend ansiehst, dann schmeißt er mich sofort aus dem Haus. Und ehe du auch nur einen Ton sagen kannst, bist du mit einem Mann von der Gegenseite verheiratet." Nina seufzte. Fen hatte zweifellos recht. Sie mußten sich vor ihrem Vater schon als glückliches Paar darstellen, damit der Schwindel nicht aufflog. Wenn Fen bloß mitspielen würde, anstatt sie fortwährend zu provozieren. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Wir sollten so tun, als ob wir einander mögen ...", begann sie. „Ganz recht", unterbrach Fen sie und klopfte einladend auf seine Oberschenkel. „Also komm her und fang an, mich zu mögen." „Das habe ich nicht gemeint." Nina wurde schon wieder ärgerlich. „Erzähl mir, was ich über dich wissen muß, damit unsere Geschichte glaubwürdig klingt." „Nun", sagte er langsam. „Du könntest deinem Vater beispielsweise erzählen, daß du mich im Rinnstein gefunden und abgestaubt hast..." „Klingt glaubwürdig, aber es würde ihm kaum gefallen", sagte Nina trocken. „Nein, erzähl mir von deiner Arbeit. Beschreib mir das Haus, in dem du wohnst. Nach solchen Dingen fragt mein Vater - und nicht nach deiner Lieblingsfarbe." „Verstehe." Fen verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Meine Arbeit umfaßt das Einund Verkaufen von Lebens mitteln, Geschäftsreisen, Konferenzen, Personalwesen und so weiter. Zu meiner Wohnsituation: Vor kurzem habe ich unser Haus verkauft, und bald
ziehe ich in ein Apartment in der Nähe meines Büros." „Was für Lebensmittel?" fragte Nina. Daß man Fen aber auch alle Informationen einzeln aus der Nase ziehen mußte. „Kaviar, Schnecken, Pralinen, e xotische Saucen, Käse, Pasteten." „Überflüssige Delikatessen also", sagte Nina ein wenig abfällig. „Spar dir deine ätzenden Kommentare, Miss Zitrone. Ich denke, wir sollen so tun, als ob mir uns mögen." Wenn Nina seinen Blick richtig deutete, dann brachte er ihr etwa soviel Sympathie entgegen wie einer Küchenschabe. „Aber du magst mich nicht, oder?" Sie erwartete ein nichtssagendes Achselzucken. Statt dessen sah Fen ihr direkt in die Augen. „Wenn ich das bloß wüßte. Aber manchmal würde ich dich am liebsten im hohen Bogen aus dem Zug werfen." Dann erhellte ein Lächeln seine Züge. „Aber eines weiß ich genau." „Und was ist das?" fragte Nina gespannt. „Ich würde gern mit dir ins Bett gehen. Aber das kostet natürlich extra." „Was?" rief Nina aus. Aber gerade, als sie ihm unmißverständlich erklären wollte, was sie von Callboys hielt, merkte sie, daß sie Fen wieder einmal auf den Leim gegangen war. Fen grinste herausfordernd. Und sie hatte den Köder voll geschluckt. „Was würdest du tun, wenn ich auf dein Angebot eingehe?" erkundigte sie sich betont gleichgültig, doch am liebsten hätte sie ihn mit einem kräftigen Fußtritt aus dem Abteil befördert. Fens Grinsen wurde breiter. „Probieren wir es doch einfach aus", schlug er vor. Nina schüttelte den Kopf. „Du bist einfach unmöglich", schimpfte sie und wußte nicht, ob er sich wieder über sie lustig machte oder ob sein Vorschlag tatsächlich ernst gemeint war. Dieser Fenton Hardwick erschien ihr immer widersprüchlicher. Er hatte sich zwar von Nina kaufen lassen, aber er machte den Eindruck, als habe er es nur widerwillig getan. Irgend etwas war hier faul. Nina stand auf und ging zur Tür. Hardwick... Hatte sie den Namen nicht schon einmal irgendwo gelesen? „Für welche Firma arbeitest du eigentlich?" erkundigte sie sich. „F & C Foods." Fen musterte sie intensiv, als warte er gespannt auf ihre Reaktion. „Ich glaube, ich habe schon mal davon gehört." Der Name kam ihr seltsam bekannt vor, aber sie wußte beim besten Willen nicht woher. „Gut möglich", gab er gleichgültig zurück. „Ich ziehe mich jetzt zurück", sagte Nina hastig, irritiert von seinem rätselhaften, ver führerischen Lächeln. „Ich muß noch ein wenig ausschlafen, bevor wir in Chicago sind." Eilig machte sie sich auf den Weg in ihr Abteil. Sie taumelte mehr, als daß sie ging . Dann schloß sie die Tür hinter sich und ließ sich erschöpft auf ihr Bett fallen. An Schlaf war kaum zu denken, dafür war Nina innerlich viel zu aufgewühlt und angespannt. Aber sie hatte es in Fens Nähe , einfach nicht länger ausgehalten, deshalb war sie Hals über Kopf geflüchtet. Mehr und mehr hatte sie das Gefühl, daß ihr bei dem Plan die Zügel entglitten und Fen die Oberhand gewann. Ja, sie spürte, daß sie diesem attraktiven, rätselhaften Mann einfach nicht gewachsen war. Nina seufzte und blickte hinaus auf den zugefrorenen See. Sie fröstelte. Ist es überhaupt möglich, sich in einen Mann zu verlieben, den man gerade erst seit zwei Tagen kennt? fragte sie sich hilflos. Ich habe Fen doch nur aus einem einzigen Grunde engagiert - damit ich zu Weihnachten vor Männern meine Ruhe habe. Und jetzt? Fortwährend mußte sie an Fen denken. Wenn sie ganz ehrlich zu sich war, hatte er sie schon zu Beginn ihrer Reise in Seattle beschäftigt, als er selbstbewußt im Nadelstreifenanzug über den Bahnsteig geschritten war. Aber sie konnte sich doch unmöglich mit einem Mann einlassen, der sich von ihr kaufen ließ - selbst wenn er noch so unverschämt attraktiv war.
Nina hob den Kopf und betrachtete die schweren grauen Wolken am Horizont. Es würde noch mehr schneien. Nach einer Weile griff sie nach dem ersten ihrer drei Bücher, die sie sich für die Bahnfahrt besorgt hatte. Bisher war sie noch nicht dazu gekommen, auch nur eine einzige Zeile zu lesen. Und auch daran war Fen schuld. Das Buch hatte den Titel: Nicht das Herz aufs Spiel setzen. „Nein", sagte Nina laut, als wolle sie sich selbst beruhigen. „Diese Gefahr besteht nicht." Als Nina kurz vor dem Mittagessen noch einmal in den Aussichtswagen ging und entdeckte, daß Fen sich angeregt mit einer jungen Blondine unterhielt, verspür te sie einen heftigen Stich im Herzen. Offenbar war die Gefahr, das Herz aufs Spiel zu setzen, doch weitaus größer, als Nina angenommen hatte. Ninas erste Reaktion war nur Verwunderung. Dann wurde sie ärgerlich. Als sie plötzlich aber bis über beide Ohren errötete und ihr Puls zu rasen begann, konnte sie die Wirklichkeit nicht länger leugnen. Sie hatte nicht nur ihr Herz aufs Spiel gesetzt, sondern war schon drauf und dran, es gänzlich zu verlieren. Sie preßte die Lippen zusammen und ballte ihre Hände zu Fäusten. Mach dich nicht lächerlich, ermahnte sie sich. Fen hat nichts anderes getan, als sich mit dem Mädchen zu unterhalten. Es geht mich schließlich überhaupt nichts an, wen er mit seinem unwiderstehlichen Lächeln betört. Und auch wenn er sich in der Gesellschaft der Blondine prächtig amüsiert, ist das einzig und allein seine Angelegenheit. Trotzdem... Die Blondine war sehr jung und zu allem Überfluß auch noch ausgesprochen hübsch. Sie hing förmlich an Fens Lippen und machte kein Geheimnis daraus, daß sie Fen anhimmelte. Nina mußte schwer schlucken und wandte sich ab. Als sie gerade wieder zurück in ihr Abteil gehen wollte, hob Fen den Kopf und erblickte sie. Mit einer kurzen Bewegung winkte er Nina zu sich. Nina zögerte. Sie wollte jetzt auf keinen Fall mit Fen reden, denn sie fürchtete, sie würde sich ihre Eifersucht zu sehr anmerken lassen. Ja, Nina war eifersüchtig, auch wenn sie es sich nicht eingestehen mochte. Eifersüchtig auf ein Mädchen, das mit einem Mann flirtete, den sie selbst nicht wollte. Und warum hatte Nina nichts mit Fenton Hardwick im Sinn? Weil er genau der Sorte von Männern entsprach, deren Umgang Nina seit Jahren gemieden hatte. Obwohl sie zugeben mußte, daß er anders war als die potentiellen Heiratskandidaten, die ihr Vater immer für sie auswählte. Äußerlich entsprach er zwar dem Bild eines jungen aufstrebenden Geschäftsmannes, aber... Kein Aber! Reiß dich endlich zusammen, Nina, ermahnte sie sich. Ihr Problem bestand darin, daß sie plötzlich Sehnsucht nach einem Mann hatte. Das war ihr trotz ihrer immerhin siebenundzwanzig Jahre noch nie zuvor passiert, zumindest nicht so heftig. Aber Nina war sich sicher, daß sie mit diesem Problem spielend fertig werden könnte. Sie mußte nur Fens Nähe meiden. Das bedeutete allerdings, daß sie ihren Pla n geringfügig ändern mußte, um Komplikationen zu vermeiden. Als Fen ihr erneut ein Handzeichen gab, ging sie zögernd auf ihn zu. „Hallo", sagte er. „Lucy, das ist meine Verlobte Nina. Nina, darf ich dir Lucy vorstel len? Wir sprachen gerade über die Verpflegung im Zug. Wenn man bedenkt, unter welchen Voraussetzungen die Köche ihre Gerichte zubereiten müssen, dann ist die Qualität doch bemerkenswert gut. Findest du nicht auch?" Nina hatte jetzt wirklich keine Lust, über das Essen zu diskutieren. „Ich bin nicht deine Verlobte", sagte sie laut und deutlich und strafte Fen mit einem bösen Blick. Lucy sah Nina erstaunt an und schöpfte neue Hoffnung bei Fen. „Dann eben meine zukünftige Verlobte", korrigierte Fen und zog unauffällig den Arm zurück, den er um die Rückenlehne von Lucys Sessel gelegt hatte. „Laß deine dummen Witz", sagte Nina grob. „Ich muß mit dir reden, Fen."
„Nur zu." Fen lehnte sich bequem zurück und sah Nina erwartungsvoll an. „Sprich dich aus." „Unter vier Augen." Fen hob eine Augenbraue. „Ich bin mir nicht sicher, ob das erfreuliche oder bedroh liche Aussichten sind." Er wandte sich an Lucy. „Würdest du mich bitte entschuldigen? Nina ist heute etwas säuerlich. Das liegt bei Zitronen in ihrer Natur." Nina mußte all ihre Selbstbeherrschung aufbring en, um Fen nicht an Ort und Stelle eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Lucy vergaß vor Staunen, ihren Mund wieder zu schließen, als sie den beiden nachblickte. „Wo möchtest du mit mir sprechen?" fragte Fen uninteressiert. „In deinem Abteil?" „Das ist mi r zu eng. Gehen wir zu dir." „Wir sollten uns kurz fassen." Fen blickte zur Uhr. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich möchte unter keinen Umständen das Mittagessen verpassen." „Keine Sorge. Ich werde mich kurz fassen", sagte Nina grimmig. Fen sah sie scharf an, sagte aber kein Wort. Als sie vor seinem Abteil standen, hielt er Nina die Tür mit übertriebener Höflichkeit auf. „Nun?" fragte er und schloß die Tür hinter sich. „Was ist so eilig, daß es nicht bis Chicago warten kann?" „Du fährst nicht nach C hicago", sagte Nina. „Nicht?" Fen schob die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Hose und lehnte lässig an der Tür. Er hatte Nina noch keinen Platz angeboten. „Wer sagt das?" „Ich." „Was hat das zu bedeuten? Geschäft ist Geschäft." „Mach dir keine Sorgen, du kannst das Geld behalten", sagte Nina verächtlich. „Aber ich habe meine Pläne geändert. Ich brauche deine Hilfe nicht mehr. Mit den Verehrern, die mir mein Vater zu Weihnachten präsentiert, werde ich auch allein fertig." „Aha. Eine mutige und unabhängige Frau. Mein Kompliment. Und was hat dich zu diesem plötzlichen Sinneswandel bewogen? Habe ich etwas Unpassendes gesagt?" Fast jedes Wort war unpassend, dachte Nina verzweifelt. Ganz zu schweigen von deinen feurigen Blicken, deinen zärtlichen Berührungen und deinem unwiderstehlichen Lächeln. Aber das behielt sie für sich. „Nein", sagte sie müde. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, daß der Plan klappt." „Ich verstehe." Fen sah sie prüfend an. „Hast du Angst, daß ich meine Rolle nicht glaubwürdig spielen kann?" „Nein." „Zweifelst du an deinen Fähigkeiten?" „Nein." In Wirklichkeit fürchtete Nina, daß sie die Rolle viel zu überzeugend spielen würde. „Dann verstehe ich überhaupt nichts mehr. Warum willst du jetzt plötzlich unabhängigem?" „Nachdem ich von zu Hause ausgezogen bin, war ich immer unabhängig. Ich dachte, ich hätte eine Lösung gefunden, um das Weihnachtsfest für mich erträglich zu machen. Aber ich habe mich leider geirrt." „Woran liegt es? Bin ich denn so unerträglich?" Fens Stimme war leise und eindringlich und sandte Nina wohlige Schauer über den Rücken. „Nein, natürlich nicht." Nina mußte sich plötzlich an die Wand lehnen. „Ich habe mich einfach entschieden, das Problem selbst in die Hand zu nehmen, wie ich es gewohnt bin." Fen machte es ihr wirklich nicht leicht. Aber das hätte sie eigentlich von Beginn an wissen müssen. „Warum bist du so hartnäckig und kannst dich nicht mit einer einfachen Antwort zufriedengeben?" fragte sie ärgerlich. „Ich habe dir doch bereits gesagt, daß du das Geld behalten kannst." Fen senkte den Kopf und steckte er die Hände tief in seine beigefarbene Hose. Dann
sah er Nina unschlüssig an. „Ja, dann ... danke", sagte er gleichgültig. Nina strich sich eine imaginäre Strähne aus der Stirn. „Nun, ich denke ... das ist dann wohl alles ..." Sie brach ab. Eigentlich hatte sie erwartet, daß Fen sich nicht so schnell geschlagen geben würde. Insgeheim wünschte sie sogar, er würde versuchen, sie umzustimmen. Nein. Bloß nicht. Schnell verwarf Nina diesen Gedanken wieder. Ich habe mich entschieden, redete sie sich ein. Aus. Ende. Basta. Sie litt darunter, daß ihr die Gefühle einen Streich spielten und sie sich Hals über Kopf verliebt hatte und zu allem Überfluß auch noch in einen absolut unpassenden Mann. Jetzt kam nur noch eine Lösung in Betracht, bevor dieser Fenton Hardwick ihr ganzes Herz erobert hatte: Sie mußte ihn möglichst schnell loswerden, um noch größeren Kummer zu verhindern. Das ist der einzig vernünftige Weg. Wer sagt denn, daß du immer vernünftig bleiben mußt? fragte eine eins chmeichelnde innere Stimme. Vernunft ist so fade und langweilig. Laß deinen Gefühlen einfach freien Lauf. Fens Stimme brachte sie in die Gegenwart zurück. „Mmm", meinte er. „Das denke ich auch." „Wie bitte?" Nina sah ihn verwirrt an. „Ich verstehe nicht ganz." „Du sagtest, daß dann wohl alles gesagt sei. Ich bin derselben Ansicht." Nina schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren sollte. Die ganze Angelegenheit überstieg langsam ihre Kräfte. Hatte sie denn plötzlich vollkommen den Verstand verloren? Sie mußte jetzt konsequent sein, und das bedeutete, die Beine in die Hand zu nehmen und sich in ihrem sicheren Abteil zu verschanzen, Aber statt dessen trat Nina einen Schritt auf Fen zu. Prompt geriet sie ins Taumeln, und Fen fing sie auf. „Essenszeit", sagte er. „Essenszeit?" echote sie abwesend. Sie war von seiner Berührung wie elektrisiert. „Ja. Ich habe Hunger und möchte noch vor dem Halt in Milwaukee etwas zu Mittag essen." „Was denn? Kaviar? Pralinen?" fragte Nina mit schwacher Stimme. Das waren doch die Lebensmittel, mit denen Fen handelte. „Ich hoffe nicht. Eigentlich mag ich lieber etwas Herzhaftes. Ein Sandwich zum Beispiel." „Laß dich nicht aufhalten. Ich habe keinen Hunger." Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber Nina wollte jetzt auf keinen Fall zusammen mit Fen am Mittagstisch sitzen. Sie wollte diesen Mann am liebsten vollständig aus ihrem Leben streichen. Und anschließend wollte sie sich in Ruhe eine Strategie überlegen, um die diesjährigen Verehrer In die Flucht zu schlagen und ein möglichst ruhiges Weihnachtsfest zu verbringen. Doch Fen hielt sie noch immer am Ellbogen fest und betrachtete sie aufmerksam. Es schien, als wüßte er nicht, was er mit Nina anfangen sollte. Aber er spürte, daß er jetzt handeln mußte. „Laß mich je tzt bitte los", sagte Nina atemlos. Fen reagierte nicht. Er schien ihre Worte überhaupt nicht gehört zu haben. „Wieso hast du auf einmal keinen Appetit mehr?" wollte er wissen. „Ist dir irgend etwas auf den Magen geschlagen? Bisher hast du doch immer reichlich zugelangt." Bezeichnet er mich etwa als Vielfraß? Nina starrte ihn böse an. „Bilde dir bloß nicht ein, daß du mir den Appetit verdorben hast", sagte sie, ohne nachzudenken. „Das habe ich auch nicht angenommen. Aber es wäre immerhin denkbar." Er machte eine kleine Pause. „Übrigens ist das ein reizvoller Gedanke", fügte er lächelnd hinzu. Sein amüsierter Blick irritierte Nina. Aber noch schlimmer war der heisere Klang seiner Stimme. Hastig schob sie seinen Arm beiseite. Verdammt! Was hatte dieser Mann
nur an sich, daß er in Nina Begierden wecken konnte, von denen sie nicht einmal zu träumen wagte? Und im selben Atemzug wünschte sie ihn zu Teufel! Was war nur los mit ihr? „Entschuldigung", sagte sie förmlich und warf den Kopf zurück. „Würdest du mich bitte durchlassen?" Widerwillig griff Fen hinter sich und öffnete die Abteiltür. Dann trat er einen Schritt vor, so daß Nina das Abteil nicht verlassen konnte, ohne dabei mit Fen in Berührung zu kommen. Als sie sich vorsichtig davonschleichen wollte, lächelte Fen.
4. KAPITEL Es war ein Lächeln mit verhängnisvollen Folgen für Nina. Als sie sich nämlich zwischen Fen und dem Türrahmen hindurchschlängeln wollte, fiel ihr Blick auf seine vollen Lippen. Für einen Augenblick hielt sie den Atem an und achtete nicht auf ihre Schritte. So kam es, daß sie Fen versehentlich auf den Fuß trat. Ein brauner, legerer Reiseschuh suchte vergeblich Halt auf einem schwarzen, blankgeputzten Halbschuh. Nina verlor das Gleichgewicht. Fen streckte die Hand aus, um Nina aufzufangen. Aber sie hatte es so eilig, das Abteil zu verlassen, daß zu ihrer Bestürzung plötzlich alle vier Beine ineinander verschlungen waren. Wieder wurde sie sich Fens erotischer Ausstrahlung bewußt, und das versetzte sie in panische Angst. Ich muß schnellstens aus diesem Abteil heraus! dachte sie fieberhaft. In ihrer Hast wankte sie hinaus auf den Gang, und dort stieß sie prompt mit einem schlanken jungen Mann zusammen, der nichtsahnend vor dem Abteil stand und eine bekannte Melodie pfiff. Der Mann trug Totenkopfohr ringe und sah nicht sehr vertrauenerweckend aus. Nina hielt sich instinktiv an ihm fest, um festen Halt zu bekommen. Unglücklicherweise nahm der Zug gerade eine scharfe Kurve, und der Mann wurde umgerissen und begrub Nina unter sich auf dem Boden. „Das nenne ich wirklich perfektes Timing", meinte Fen anerkennend. Nina streckte einen Arm aus und versuchte sich aufzurichten. „Das habe ich doch nicht absichtlich getan!" Erschrocken stellte sie fest, daß der junge Mann keine Anstalten machte, wieder aufzustehen. Statt dessen hielt er Nina fest, und sie konnte sich nicht aus der unfreiwilligen Umarmung lösen. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung", sagte sie entschlossen. „Es war eindeutig meine Schuld. Und jetzt sollten wir besser wieder unsere Füße sortieren und schnell aufstehen." Der Mann grinste anzüglich. „Füße interessieren mich nicht." Unauffällig legte er eine Hand auf Ninas Hüfte. „Ich stehe mehr auf das andere Ende der Beine." Und dann begann er ungeniert eine Hand unter ihren Po zu legen. „Wie können Sie es nur wagen..." Nina keuchte vor Angst, als er plötzlich ihre Kehrseite in eindeutiger Absicht zu massieren begann. Sie blickte verzweifelt nach oben zu Fen. Aber dieser dachte gar nicht daran, helfend einzugreifen und Nina aus ihrer Zwangslage zu befreien. Statt dessen lehnte er im Türrahmen, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete ungerührt die entwürdigende Szene, die sich direkt vor seinen Augen abspielte. Er schien sich sogar zu amüsieren, denn seine Mundwinkel zuckten verräterisch. Na schön, dachte Nina wütend. Wie du willst! Die Wut auf Fen verlieh ihr zusätzliche Kräfte. Ich hätte wissen müssen, daß du keinen Finger für mich rühren würdest. Sie holte tief Luft, und mit einer ruckartigen Bewegung warf sie sich auf die Seite, so daß sie sich schon halb aus den Klauen des lüsternen Mannes befreit hatte. Doch sofort wollte der Kerl nachsetzen und sich wieder auf sie stürzen. Jetzt seufzte Fen resigniert. Einen Augenblick später spürte Nina zwei kräftige Hände an ihrer Taille, und dann wurde sie hochgehoben und landete in Fens Armen. „Die Dame gehört mir", sagte er zu dem Mann auf dem Boden. „Und nun verschwinde, bevor ich richtig wütend werde." Ein prüfender Blick nach oben in Fens Gesicht genügte, und der Mann sprang hastig auf die Füße und flüchtete den Gang entlang. „Du hättest mir gern etwas eher helfen können", war Ninas erste Reaktion. „Warum denn? Wenn ich mich recht erinnere, hast du mich gerade erst gefeuert. Du meintest ja, du brauchst keine Leibwache. Außerdem hatte ich den Eindruck, daß es dir Spaß gemacht hat. Ich jedenfalls habe mich amüsiert."
„Oh! Du ... du ..." Nina unterbrach ihren Wutausbruch und holte tief Luft. Diese Unterstellung war natürlich eine unverschämte Frechheit, aber ansonsten hatte Fen leider recht. Sie hatte ihn gefeuert, weil sie unabhängig sein wollte und sich zutraute, allein mit allen brenzligen Situationen fertig zu werden. Es hatte ja auch jahrelang gut geklappt. Aber warum in aller Welt hatte sie sich sofort bei der ersten kleinen Krise hilfesuchend an Fen gewandt? Es war ihr nicht einmal bewußt gewesen. Verwirrt schüttelte Nina den Kopf. Dann starrte sie sekundenlang auf seinen weißen Hemdenknopf. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, daß Fen den Arm noch immer um ihre Taille geschlungen hatte. Und auf einmal spürte sie ein grenzenloses Verlangen in sich. Ihr wurde heiß und kalt zugleich. Langsam, ganz langsam hob sie den Kopf und sah Fen erwartungsvoll an. Fen betrachtete sie unschlüssig. Zwischen seinen Augen bildete sich eine kleine steile Falte. „Ja", ich habe dich gefeuert", sagte Nina steif. „Das ist richtig. Aber wenn du glaubst, daß ich mich eben mit diesem ekelhaften Typen vergnügt habe... wofür hältst du mich eigentlich?" Noch immer glühte ihr Körper vor Verlangen. Nina hatte ihre Situation vorhin ganz richtig eingeschätzt; sie mußte Fens Nähe unter allen Umständen meiden, um ihm nicht hoffnungslos zu verfallen. Aber jetzt war sie gerade in der denkbar ungünstigsten Lage, denn sie spürte jede Faser seines Körpers. Und sie genoß es, wenn sie ehrlich zu sich war! Sie leckte sich über die Oberlippe. „Du kannst mich jetzt wieder loslassen", brachte sie endlich hervor. „Der Kerl ist abgehauen." „Ja." Fen nickte und streichelte ihren Rücken. Dann legte er eine Hand auf ihren Po. „Und nun bin ich a n der Reihe." „Du kommst nicht an die Reihe", stöhnte Nina, als Fen mit seiner zärtlichen Massage begann. „Nicht? Soll ich aufhören?" Nein, nein. Das wollte Nina auf keinen Fall. Aber er mußte aufhören, denn sie standen mitten auf dem öffentlichen Gang. Am liebsten wäre sie mit ihm in sein Abteil gegangen, aber das durfte sie nicht zulassen - denn es war nur zu absehbar, was dann folgen würde. Wie kam es nur, daß dieser Fenton Hardwick ihr so sehr die Sinne verwirrt und Begierden in ihr geweckt hatte, die sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen für möglich gehalten hätte? Und dann noch ausgerechnet ein Mann, der sich von ihr kaufen ließ ... „Ja", sagte Nina mit tonloser Stimme. „Hör auf." Zu ihrer großen Verwunderung reagierte Fen augenblicklich. Er zog die Hand zurück und drehte Nina an den Schultern in die andere Richtung. „Gut", sagte er scheinbar unbeteiligt. „Ich gebe dir einen kleinen Vorsprung. Du gehst jetzt direkt in den Speisewagen und suchst dir einen freien Platz. Wenn du Glück hast und vor mir da bist, sitzt du vielleicht schon sicher und geborgen am Tisch der australischen Familie, die sich gerade auf den Weg macht." Nina hatte die Familie auch gesehen: Eine Mutter mit zwei großen Söhnen. Alle redeten fröhlich durcheinander. Doch nach Fröhlichkeit war Nina im Augenblick überhaupt nicht zumute. Ihr war zum Heulen. Sie wollte sich in ihr Abteil zurückziehen und dort ihren Tränen freien Lauf lassen. Und an allem war nur dieser Fenton Hardwick schuld. „Ich habe keinen Hunger", widersprach sie eigensinnig. Das war eine Lüge. „Auch gut. Ein bißchen Fasten kann dir sicher nicht schaden. Ab mit dir." Nina kam sich vor, als hätte Fen sie entlassen. Dabei war es doch umgekehrt. Sie warf den Kopf zurück und stolzierte so würdevoll wie möglich zu ihrem Abteil. Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich ärgerlich um, weil sie meinte, einen kleinen Schlag auf die Schulter bekommen zu haben. Aber Fen war längst in seinem Abteil verschwunden. Nina mußte sich den Schlag eingebildet haben. Als sie dann in ihrem Abteil erschöpft auf den Sessel sank, schlug sie die Hände vors
Gesicht. Die ganze Situation ist aberwitzig, dachte sie. Aberwitzig und hoffnungslos. Ich kenne Fen gerade zwei Tage. Ich bin nicht in ihn verliebt, und ich will mich nicht in ihn verlieben, redete sie sich ein. Sobald er aus meinem Blickfeld verschwunden ist, wird sich alles wieder normalisieren. Ich muß nichts weiter tun, als mich bis zur Ankunft in Chicago in meinem Abteil aufzuhalten. Dann steigt Fen wie geplant in seinen Zug nach New York, und das kurze Kapitel Fenton Hardwick ist erledigt. Es war ein kleiner Irrtum - mehr nicht. Aber eine halbe Stunde später, als Nina großen Hunger verspürte, mußte sie sich eingestehen, daß das Kapitel Fenton Hardwick noch längst nicht beendet war. Wenn dem so wäre, hätte sie gefahrlos in den Speisewagen gehen können, wo Fen vermutlich genüßlich ein Sandwich verzehrte. Nein, sie wollte Fen nicht mehr begegnen. Niemals mehr. Stolz und Seelenfrieden siegten über Hungergefühle. Nina blieb in ihrem Abteil und verzichtete auf das Mittagessen. Wenig später schlief sie ein und wachte nach zwei Stunden auf, als der Intercity gerade in den Bahnhof von Chicago rollte. Aufgrund des Schneefalls hatten sie Verspätung. „Ich hätte es wissen müssen", murmelte Nina, als sie den uniformierten Fahrer mit der Mütze entdeckte, der neben einer riesigen Limousine stand. „Gibt Daddy denn niemals auf?" Sie wußte nur zu gut, daß ihr Vater nie aufgab. Es war jedes Jahr dasselbe. Wie oft hatte sie Joseph schon gesagt, daß sie wie jeder andere Mensch ein normales Taxi nehmen würde. Und jedesmal hatte er sich über Ninas Wünsche hinweggesetzt und eine luxuriöse Stretch-Limousine zum Bahnhof bestellt. Trotz seiner Position weigerte sich Joseph beharrlich, einen Fahrer einzustellen. Er bestand immer darauf, selbst zu fahren. Aber aus irgendwelchen Gründen hatte er bisher niemals die Zeit gefunden, seine Tochter vom Bahnhof abzuholen. Nina ignorierte die mißtrauischen Blicke der übrigen Reisenden, ging zu dem Fahrer und stellte ihre beiden Koffer ab. „Nina Petrov", sagte sie. „Ich sehe, daß mein Vater Sie wie gewöhnlich bestellt hat." Der Fahrer verzog keine Miene und tippte sich nur kurz an die Mütze. Nina wunderte sich über sein Verhalten, aber dann stieg sie achselzuckend in die Limousine ein, ohne auf die Hilfe des Fahrers zu warten. Erleichtert ließ sie sich in die weichen Lederpolster fallen. Für einen Augenblick war sie ihrem Vater sogar dankbar, daß er seinen Kopf durchgesetzt und Nina diesen Komfort geboten hatte. Denn Taxis waren zu Stoßzeiten schwer zu bekommen. Sie schloß die Augen und lehnte sich zurück - und im nächsten Moment fühlte sie sich unendlich einsam und allein. Doch diesmal lag es nicht an dem Kampf mit ihrem Vater, der sich alljährlich zu Weihnachten abzeichnete. Damit wäre sie schon fertig geworden. Nein, schuld daran war der Mann, den sie vor zwei Tagen im Zug kennengelernt hatte. „Ich hasse dich, Fenton Hardwick", sagte sie halblaut. Im selben Augenblick wurde die Tür aufgezogen, und kalte Winterluft strömte ins Wageninnere. „Du haßt mich?" fragte eine wohlbekannte Baritonstimme. „Wie man sich täuschen kann. Ich hatte einen ganz anderen Eindruck." Nina riß die Augen auf. Draußen stand Fen - wieder im grauen Nadelstreifenanzug. Mit der größten Selbstverständlichkeit nahm er neben Nina Platz. „Verschwinde sofort aus dem Wagen", sagte Nina aufgebracht. „Ich denke gar nicht daran." Fen stellte seinen ledernen Aktenkoffer in den Fußraum. „Fahrer." Sie wandte sich an den Mann am Steuer, der gerade den Motor startete. „Warten Sie bitte noch einen Moment. Der junge Mann möchte aussteigen." „Keinesfalls." Fen verschränkte die Arme vor der Brust und legte die Beine
übereinander. „Fahren Sie los. Zur Petrov-Villa, bitte." „Fen." Nina sprach klar und deutlich, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Wenn du nicht sofort aus steigst, dann rufe ich die Polizei." „Nur zu", gab Fen gelassen zurück. „Hast du mich nicht verstanden?" Nina bleckte die Zähne. „Ich will, daß du auf der Stelle verschwindest!" „Dumm gelaufen, nicht wahr? Das ist nämlich zufällig mein Wagen, den ich bestellt habe. Warum sollte ich aussteigen?" Er lehnte sich genüßlich zurück und schloß die Augen. Nina starrte ihn fassungslos an. „Das ist unmöglich", widersprach sie energisch. „Mein Vater hat den Wagen bestellt. Wie jedes Jahr." „Möglich. Aber bei meinen Nachforschungen habe ich festgestellt, daß dein Vater und ich denselben Fahrdienst in Anspruch nehmen. Ich habe von Milwaukee aus angerufen und deinen Wagen wieder abbestellt. Glaub mir, du sitzt in meinem Wagen." Fen hatte die Augen noch immer geschlossen. Für einen Moment verspürte Nina den heftigen Wunsch, mit dem Aktenkoffer auf Fens Kopf einzuschlagen und dann seelenruhig auszusteigen. Aber vor der riesigen Limousine hatten sich bereits einige neugierige Passanten angesammelt, und außerdem hatte dieser Urlaub ohnehin schon problematisch genug begonnen. Da konnte sie gut und gern auf Schlagzeilen über ihr Liebesleben in den Klatschspalten verzichten. Zum Leidwesen aller Klatschreporter gab es über Joseph Petrovs Tochter absolut keine Männergeschichten zu berichten. Wenn Nina nun aber am Bahnhof von Chicago eine Schlägerei mit einem Mann anzetteln würde, dann wäre es natürlich ein gefundenes Fressen, und jede Lokalzeitung würde diesen Knüller groß herausbringen. Die Limousine setzte sich in Bewegung. „Wie konntest du nur?" Nina war so wütend, daß sie die Worte förmlich ausspuckte. „Wie konntest du einfach den Wagen meines Vaters abbestellen?" Fen drehte den Kopf zu Nina und öffnete ein Auge. „Ganz einfach", sagte er trocken. „Ich habe einfach den Te lefonhörer abgenommen und gewählt." Sein Lächeln war so selbstgefällig, daß Nina ihm am liebsten das Nasenbein zertrümmert hätte. Normalerweise lehnte sie gewalttätige Auseinandersetzungen ab, aber in diesem speziellen Fall war sie durchaus zu einer Ausnahme bereit... Verdammter Kerl. Sie starrte auf den Verkehr und war nur froh, daß niemand ihre wutentbrannte Miene sehen konnte. Meinetwegen soll Fen doch glauben, daß er einen Sieg davongetragen hat, dachte sie. Aber mein Elternhaus darf er nicht ohne offizielle Einladung betreten. Und auf die kann er warten, bis er schwarz wird! Nina straffte die Schultern. Für die Zwischenzeit blieb ihr keine Wahl, sie mußte Fens Gesellschaft ertragen, bis die Fahrt zu Ende war. Sie blickte aus dem Fenster und beobachtete die Schneeflocken. Und sie versuchte den Mann neben sich zu ignorieren. Fen berührte sie zwar nicht, aber Nina spürte seine Anwesenheit nur zu deutlich. Sein herber Körperduft schien das ganze Wageninnere zu füllen. Bald bogen sie in Richtung Norden auf die vertraute Uferstraße des Lake Michigan. Und Nina fühlte eine neue Anspannung in sich - und diese hatte zur Abwechslung einmal nichts mit Fen zu tun. In wenigen Minuten würde sie in ihrem Elternhaus sein, das in einer der besten Wohngegenden Chicagos lag. In dieser alten Prachtstraße wohnten nur die reichsten und vornehmsten Bürger der Stadt. Je näher sie dem Ziel kamen, desto bedrückter wurde Nina. So ging es ihr jedes Jahr zu Weihnachten. Aber in diesem Jahr war es noch schlimmer. „Warum wolltest du unbedingt mitkommen?" fragte sie Fen und brach das lange, lastende Schweigen. „Ich hatte dir doch ausdrücklich gesagt, daß ich deine Hilfe nicht
brauche." Draußen war es inzwischen dunkel geworden, und Nina betrachtete die kahlen Bäume im Laternenschein. Fen zuckte mit den Schultern. „Vielleicht brauchte ich einen Vorwand, um diesen verdammten Zug endlich verlassen zu können." „Das ergibt doch keinen Sinn." Nina ließ die Schultern hängen. Hielt er sie etwa wieder zum Besten? „Das ergibt sogar sehr viel Sinn. Christine wird mich voll und ganz verstehen, wenn sie hört, daß ich mein Reiseziel New York zugunsten einer außerordentlich sauren, aber sehr hübschen Zitrone aufgegeben habe. Sie wird garantiert begeistert sein." Fen machte sich über sie lustig. Nina wußte es. „Besonders, wenn diese Zitrone Joseph Petrov zum Vater hat", fügte sie bitter hinzu. Sein Kompliment schien sie bewußt überhört zu haben. „Richtig", sagte Fen zustimmend. Aber die Heiterkeit in seinem Tonfall war verflogen. Das fiel sogar Nina auf. „Du hattest kein Recht, meinen Wagen einfach abzubestellen", warf sie ihm vor. „Und schon gar nicht, wenn ich dir zuvor erst unmißverständlich erklärt habe, daß ich deine Hilfe nicht brauche." „Wirklich? Aber ich fälle nun einmal meine Entscheidungen selbständig, so wie ich sie für richtig halte. Das liegt doch auch bei euch in der Familie. Und wie du gerade betont hast, bist du Joseph Petrovs Tochter." Er streckte die Hand aus, hob Ninas Kinn leicht an und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. „Willst du mir etwa weismachen, daß du meinem Charme widerstehen kannst?" fragte er leise. „Welcher Charme?" Nina zuckte bei seiner Berührung zusammen. „Soll ich es dir zeigen?" Seine Stimme war eindringlich und verführerisch. „Nein." Nina rutschte zur Tür. Dann fiel ihr ein, daß sie sich besser nicht wie eine ängstliche Jungfrau aus dem Viktorianischen Zeitalter, sondern wie eine moderne junge Frau aus dem zwanzigsten Jahrhundert benehmen sollte. Sie setzte sich aufrecht hin und sah Fen direkt ins Gesicht. „Du sollst mir überhaupt nichts zeigen, Fen Hardwick. Du sollst gefälligst..." „...das Geld nehmen und verschwinden? Kommt nicht in Frage." „Aber..." Zu spät. Nina unterbrach sich, denn jetzt rollte die schwere Limousine auf die Auffahrt ihres Elternhauses. Sie warf den Kopf zurück und holte tief Luft. Sie war zu Hause. Die Villa der Petrovs lag vor ihr. Gebaut im eigenwilligen Baustil. Frank Lloyd Wrights Einfluß auf die Architektur von Chicago war nicht bis hierher gedrungen. Das Haus von Joseph Petrov trotzte eher der Natur, als daß es ein Teil von ihr war. Es war groß, rechteckig und solide gebaut und hatte drei Stockwerke. Gradlinig und schnörkellos. Wie es auch Josephs Wesen entsprach. Der Rasen war kurz gehalten und sehr gepflegt. „Mmm", murmelte Fen. „Eindrucksvoll und sachlich. Ich freue mich, die Bekanntschaft deines Vaters zu machen." „Du wirst ihn nicht einmal zu Gesicht bekommen", widersprach Nina heftig. „Hier ist für dich das Ende der Straße." Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Es ist ziemlich spät geworden. Du wirst mich jetzt entschuldigen. Gute Nacht. Und auf Wiedersehen." Sie reichte Fen zur Verabschiedung die Hand. Als Fen nicht reagierte, wandte sie sich zur Tür, die ihr der Fahrer aufhielt. Fen wartete nicht, bis ihm aufgehalten wurde, sondern öffnete seine Tür selbst und stieg aus. „Ich habe dir gesagt, daß du nicht ins Haus kommst", warnte ihn Nina. Sie wagte nicht, Fen dabei anzusehen, weil sie fürchtete, sie könnte ihren Entschluß möglicherweise doch wieder rückgängig machen. „Einen Augenblick noch." Fens Stimme war leise, aber eindringlich. „Du hast etwas
vergessen." Nina wollte ungerührt weitergehen, aber sie brachte es einfach nicht fertig und blieb stehen. Widerwillig drehte sie sich um. „Ich habe gar nichts ...", begann sie. Dann fiel ihr Blick auf das weiße Stück Papier, das Fen in der Hand 'hielt. „Was ist das?" Fen nutzte ihre Verblüffung aus und legte ihr das Stück Papier in die offene Hand, schloß ihre Finger und trat einige Schritte zurück. Diese Prozedur wurde schweigend auf der von zwei Lampen beleuchteten Auffahrt durchgeführt. Langsam öffnete Nina die Hand. Und zu ihrem Erstaunen sah sie den leicht verknitterten Scheck, den sie Fen als Ho norar ausgestellt hatte, damit er sie dieses Weihnachtsfest vor Heiratskandidaten schützte. „Was soll das?" fragte sie befremdet. „Das verstehe ich nicht. Ich habe dir doch ausdrücklich gesagt, daß du den Scheck behalten kannst. Warum gibst du ihn mir jetzt zurück?" Fen stand im Schatten eines Astes, so daß Nina sein Gesicht nicht erkennen konnte. Sie nahm nur ein schwaches Funkeln seiner Augen wahr. Diesem Funkeln konnte sie nicht trauen - das wußte sie aus Erfahrung. Aber als sie gerade weitergehen wollte, machte Fen einen großen Schritt auf sie zu und schloß sie in seine kräftigen Arme. „Deshalb", sagte er mit heiserer Stimme und gab ihr einen Kuß auf die Lippen. Im ersten Moment war Nina so überrumpelt, daß sie überhaupt nicht reagieren konnte. Regungslos stand sie da und war wie betäubt von der plötzlichen Umarmung. Es war ihr weder bewußt, daß sie in der Eiseskälte stand, noch daß der Fahrer die Szene erstaunt und interessiert beobachtete. Sie spürte nur Fens feste Lippen und den weichen Stoff seines Cashmere-Mantels. Doch als sein Kuß fordernder wurde und sie seine Zunge zwischen ihren Lippen fühlte, kam ihr langsam die Erinnerung, wo sie sich befand und wer der Mann war, der sie so hingebungsvoll küßte: Derselbe Mann, den sie vor einigen Stunden aus ihrem Leben gestrichen hatte. Nina begann zu straucheln. „Hör auf", schrie sie und drehte den Mund weg. „Laß mich in Ruhe. Was fällt dir eigentlich ein? Ich habe dir doch gesagt..." „Alles was du gesagt hast, war zitronensaures Geschwätz." Fen legte den Arm um ihre Taille und zog ihren Kopf auf seine Schulter. Es war für Nina unmöglich, sich aus dieser Umarmung zu befreien. Wenn sie keine Wintermantel getragen hätten, dann hätte sie jede einzelne Muskelfaser von ihm gespürt und wäre dahingeschmolzen. Fen Hardwick war wirklich kein Mann, der schnell aufgab. Nach einer Weile gab Nina ihren letzten Widerstand auf, denn Fen küßte sie so leidenschaftlich und feurig, daß sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sie erwiderte den Kuß mit aller Hingabe und stöhnte vor Begierde. Der Fahrer schüttelte lächelnd den Kopf und entschied, daß seine Dienste hier nicht mehr benötigt würden. Er stieg in den Wagen und fuhr los. Nina hatte nur am Rande mitbekommen, daß die Limousine abgefahren war. Aber wirklich nur ganz am Rande, über die Folgen war sie sich nicht bewußt. Und Fen? Er ließ sich jedenfalls nichts anmerken. Statt dessen küßte er sie noch heftiger und strich ihr durch das Haar. Gerade als er mit der freien Hand zärtlich ihren Po massierte, wurde Nina bewußt, daß es auf einmal sehr viel heller geworden war. Und dann erinnerte sie sich dunkel an ein schwaches Geräusch, das sie vor einigen Sekunden vernommen hatte - das Öffnen einer Haustür. Langsam kehrte sie in die Wirklichkeit zurück. Viel zu langsam. Fen reagierte schneller: Er glättete Ninas Mantel und ergriff ihre Hand . Dann drehte er ihr Gesicht vorsichtig in Richtung Haustür. Auf der obersten weißen Treppenstufe stand ein Ehepaar mittleren Alters, von dem soeben erlebten Schock wie erstarrt. Die Zeit schien für einige Sekunden stehenzubleiben.
Dann durchbrach Josephs donnernde Stimme die friedliche Stille. „Nina? Nina! Was zum Teufel machst du hier?" Dann warf Joseph einen grimmigen Blick auf Fen, der den Arm schützend um Ninas Schultern gelegt hatte. „Und wer zum Teufel ist der Kerl neben dir?" Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er brüllend fort: „Hast du eigentlich bemerkt, daß du beinahe zwei Stunden zu spät kommst? Wenn du ein Flugzeug genommen hättest wie jeder vernünftige Mensch, dann hättest du schon vorgestern hier sein können." Joseph machte eine Pause, um Luft zu holen. In diesem Moment zogen Sternsänger durch die Straße und begannen ein Weihnachtslied anzustimmen. Ein vielstimmiges und fröhliches „Friede und Freude auf Erden" erklang und hörte nicht wieder auf. Joseph und Fen sahen aus, als würden sie die Sternsänger am liebsten mit Wurfgeschossen mundtot machen.
5. KAPITEL
Fen drückte beruhigend ihre Hand, und Nina stellte überrascht fest, daß sie ihm dankbar war. Dankbarkeit gehörte eigentlich nicht zu den Gefühlen, die sie Fen bisher entgegengebracht hatte. Aber er schien zu verstehen, daß Nina es schon immer gehaßt hatte, zu spät zu kommen, und insofern hatte sie der Vorwurf ihres Vaters tief getroffen. Sie wollte den Mund öffnen und Joseph erklären, daß sie nie die Absicht gehabt hatte, schon vor zwei Tagen ankommen. Statt dessen begann sie sich zu entschuldigen. „Es tut mir leid, Daddy. Wir sind durch den Schneefall aufgehalten worden." „Genau das ist der Punkt, Mädchen"; sagte Joseph streng. „Wenn du das Flugzeug genommen hättest..." „Ich weiß, aber..." „Laß mich das regeln", flüsterte ihr Fen zu. Von Verlegenheit keine Spur - er war der Situation vollkommen gewachsen. Dabei hatten ihn Ninas Eltern erst vor wenigen Minuten in flagranti erwischt, wie er die Tochter des Hauses heftig küßte. Nina sah ihn erschrocken an, doch bevor sie reagieren konnte, sagte Fen mit unerschütterlicher Ruhe: „Nina hat den Zug genommen, weil ich sie gebeten habe, mit mir zu reisen, Sir. Ich muß am siebenundzwanzigsten Dezember geschäftlich in New York sein, und deshalb wollte ich vorher noch einige Tage mit ihr verbringen." Joseph schienen vor Verblüffung die Augen aus dem Kopf zu fallen. Nina mußte sich sehr beherrschen, um nicht laut aufzulachen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, daß es ihrem hitzköpfigen Vater schon jemals die Sprache verschlagen hätte. „Was ist daran so komisch?" Joseph sah Nina ärgerlich, an. „Friede auf Erden. Christus ist geboren!" sangen die Sternsänger. „Beruhige dich doch, Joseph." Das war Ninas Mutter. Nancy Petrov, eine zierliche blonde Dame, hatte das Geschehen bisher schweigend verfolgt. Nun trat sie einen Schritt vor und versuchte den aufkommenden Streit zwischen Vater und Tochter zu schlichten. „Du weißt doch, daß Nina lieber den Zug nimmt und die lange Bahnfahrt genießt." Joseph grunzte unwillig. „Anscheinend genießt sie auch andere Dinge." Er wandte sich zornig an Fen. „Und nun zu Ihnen, junger Mann. Was bilden Sie sich eigentlich ein? Ich mag es nicht, wenn man die Situation ausnutzt und sich an meine Tochter heranmacht." „Natürlich nicht", sagte Fen ernst. Er streichelte Ninas Wange. „Habe ich mich an dich herangemacht, Nina?" Für einen Moment war Nina sprachlos. Keine Frage, er hatte sich an Nina herangemacht und tat es auch jetzt noch. Mit bemerkenswertem Erfolg - denn Nina wußte nicht mehr , wo ihr der Kopf stand. Und soweit sie sich erinnerte, war Fen der einzige Mann, der sich nicht von Joseph Petrov einschüchtern ließ. Doch sein Selbstbewußtsein war so ausgeprägt, daß er Nina ihm einfach einen kleinen Dämpfer verpassen mußte. „Ich fürchte ja", sagte Nina. Joseph begann im Hintergrund zu grollen, und Nancy beeilte sich, ihren Mann zu beruhigen. „Wirklich?" fragte Fen zurück und blickte demonstrativ auf den verknitterten Scheck, den Nina noch immer in der Hand hielt. „Seltsam. Ich hätte schwören können, daß es umgekehrt gewesen ist." Nina fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Fen hatte ja recht. „Ich dachte, ich würde dir einen Gefallen tun. Das war alles. Ich habe mich nicht an dich herangemacht", sagte sie leise. „Ach ja? Und deshalb hast du dich von mir küssen lassen?"
„Nein, ich meine..." „Du redest von dem Scheck? Ich verstehe. Aber wenn du glaubst, mir einen Gefallen zu tun, indem du mich als überbezahlten Gigolo verpflichtest, dann bist du auf dem Holzweg." Fen hatte zwar sehr leise gesprochen, doch sein Tonfall war schneidend; „Natürlich bist du so erzogen worden, daß alles auf der Welt käuflich ist. Aber das ist ein großer Irrtum." Hatte Fen wirklich im Ernst gesprochen? Das konnte doch nicht wahr sein. Nina schüttelte den Kopf und sah Fen forschend ins Gesicht. Er klang ehrlich entrüstet. Aber verdammt noch mal, er hatte den Scheck doch angenommen! Nina spürte, wie sie langsam die Nerven verlor. „Den Schuh kannst du dir gefälligst selbst anziehen", grollte sie. „Du hast gut reden. Schließlich war es ziemlich leicht, dich anzuheuern." „Nina!" brüllte Joseph dazwischen. „Was geht hier eigentlich vor? Wenn du dem Kerl Geld schuldest, dann zahlst du ihn eben aus und jagst ihn zum Teufel. Wenn er dir Geld schuldet, dann kümmere ich mich um ihn. Aber deine Mutter und ich werden nicht hier draußen im Schnee stehen, während ihr in meiner Auffahrt verhandelt." „Mr. Petrov", unterbrach ihn Fen mit fester Stimme. „Das einzige, was ich von Nina erwarte, ist eine Entschuldigung. Und ich schulde ihr eine Erklärung. Ich bin absolut Ihrer Meinung, daß diese Dinge unverzüglich geregelt werden sollten." Gleich bekommt Daddy einen Wutanfall, dachte Nina. Joseph wurde dunkelrot und holte tief Luft. Insgeheim jedoch bewunderte sie Fens Dreistigkeit. Doch als sie sah, wie ihre Mutter angstvoll an der Unterlippe nagte und vor Kälte zitterte, regte sich ihr schlechtes Gewissen. Es war eiskalt hier draußen im Schnee. Dieses absurde Versteckspiel mußte schleunigst beendet werden. Je eher, desto besser. Selbst um den Preis, daß Fen dabei - wieder einmal - seinen Willen durchsetzen würde. Nina wandte sich an ihre Eltern. „Das ist Fenton Hardwick", sagte sie förmlich. „Fen, darf ich dir meine Eltern vorstellen? Nancy und Joseph Petrov." Joseph verengte die Augen zu Schlitzen und sah plötzlich wesentlich freundlicher aus. Er musterte Fen von Kopf bis Fuß. „Hardwick?" fragte er. „Na schön. Treten Sie ein." „Vielen Dank", gab Fen zurück. „Ich hoffe, daß ich nicht ungelegen komme." „Hat es dich jemals gestört, daß du ungelegen kommst?" murmelte Nina halblaut. Fen gab ihr als Antwort einen leichten Klaps auf den Po, und Joseph wurde auf einmal geradezu herzlich. „Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Eigentlich hatten wir ja den jungen Vickery zum Essen erwartet. Aber der Dummkopf hat sich gerade verlobt und überraschend abgesagt. Ich habe noch versucht, ihn umzustimmen, aber es war nichts zu machen..." Da bin ich Amors Pfeil ja gerade noch einmal entkommen, dachte Nina und hätte beinahe hysterisch aufgelacht. Ich habe den ganzen Ärger auf mich genommen, um mich vor unerwünschten Annäherungsversuchen zu schützen, und dann erscheint der diesjährige Heiratskandidat überhaupt nicht. Ich habe Fen völlig umsonst engagiert. „Kommt endlich rein", drängte Joseph. „Hier drauße n wird es nicht wärmer." Fen hob die Braue und sah Nina spöttisch an. „Nach dir", sagte er und bückte sich nach ihren beiden Koffern, die der Fahrer in die Auffahrt gestellt hatte. „Zitronen haben bei mir immer Vortritt." Nina starrte ihn ärgerlich an. Selbst hier machte dieser Kerl sich über sie lustig. Dazu gehörte schon einige Unverfrorenheit. Widerwillig mußte sie lächeln, und deshalb wandte sie sich hastig ab. Diesen Triumph wollte sie Fen nun wirklich nicht gönnen. Am liebsten hätte sie Fen ganz undamenhaft einen wohlgezielten Faustschlag in den Magen versetzt. Statt dessen schritt sie majestätisch die Treppen hinauf. Und die Sternsänger stimmten ein Lied über Frieden, Freude und Liebe an, als Fen
und Nina die Schwelle betraten. Kaum waren sie im Hausflur, da nahm ihnen ein schwarzgekleideter Diener das Gepäck ab. Zu Ninas Bestürzung ging Fen offenbar mit größter Selbstverständ lichkeit davon aus, daß er die Nacht im Haus der Petrovs verbringen würde. Sie mußte schlucken. Das hatte er sich ja alles fein ausgerechnet, dieser Lump. Zu viert standen sie in der riesigen Eingangshalle. Eine breite Treppe mit goldfarbenem Läufer führte in die großzügig angelegte Galerie im ersten Stockwerk. Das einzig sichtbare Zugeständnis an das bevorstehende Weihnachtsfest war eine grüne Vase mit Stechginster, arrangiert zu einem Stilleben aus bunten, künstlichen Vögeln, die auf einem antiken Tisch stand. Auf was habe ich mich bloß eingelassen? fragte sich Nina bedrückt. Als sie dann eine Hand auf ihrer Schulter spürte, sprang sie wie eine Furie auf. Dann roch sie den zarten Lavendelduft. Es war also nicht Fen. Sie schlang ihrer Mutter die Arme um den Hals. „Schön, daß du da bist, Liebes", sagte Nancy und klopfte Nina liebevoll auf den Rücken. „Dein Vater und ich sind ja so froh, daß du endlich bei uns bist. Und wir freuen uns, daß du deinen jungen Freund mitgebracht hast..." „Er ist nicht mein Freund", begehrte Nina auf. „Er ist ein..." „Vorwand?" schlug Fen plötzlich aus dem Hintergrund vor. „Alibi? Lockvogel?" „Ein Stinktier", zischte Nina wütend. „Ich muß doch sehr bitten, Nina", wies Joseph seine Tochter zurecht. „Es gibt keinen Grund, den jungen Mr. Hardwick zu beschimpfen. Als nächstes bittest du mich vielleicht noch, ihn vor die Tür zu setzen." Er lachte dröhnend, als hä tte er einen großartigen Witz gemacht. Nina ballte die Hände zu Fäusten. Hatte sich denn alles gegen sie verschworen? Nein, sie wollte Fen nicht hinauswerfen lassen. Er sollte freiwillig gehen. Dann sah sie, wie Joseph ihm vertraulich eine schwere Hand auf die Schulter legte und ihn ins Wohnzimmer führte. Ninas Hoffnungen sanken mit jeder Sekunde. Freiwillig würde Fen das Haus auf keinen Fall verlassen. „Komm, du möchtest dich sicher frisch machen, Liebes", sagte Nancy zu ihrer Tochter. „Daddy wird sich schon um deinen Mr. Hardwick kümmern." Ihre Mutter schien bester Laune zu sein, und deshalb brachte Nina es einfach nicht übers Herz, ihr die Stimmung zu verderben und sie darauf hinzuweisen, daß Fen niemals ihr Mr. Hardwick war und es auch niemals sein würde. Als sie zwanzig Minuten später die Treppe hinunterkam, hatten Joseph und Fen es sich vor dem Kaminfeuer gemütlich gemacht. Sie hielten beide einen Begrüßungsdrink in der Hand und schienen sich bestens zu unterhalten. Neben ihnen stand ein riesiger geschmückter Weihnachtsbaum, auf dessen Spitze sich ein Rauschgoldengel drehte. „Da kommst du ja, Nina", begrüßte Joseph seine Tochter. „Deine Mutter hat im kleinen Zimmer ein Kaminfeuer entfacht. Dort ist es gemütlicher, falls ihr euch zurückziehen möchtet..." „Wir brauchen uns nicht zurückzuziehen, Daddy", sagte Nina entschieden. „Mr. Hardwick und ich haben einander nicht viel zu sagen." Fen hob kurz den Kopf. „Darüber werden wir später sprechen", sagte er. Dann stellte er sein Glas ab und stand auf. „Gut so. Das ist der richtige Geist", ermunterte ihn Joseph. „Lassen Sie sich bloß nicht auf ihr unsinniges Geschwätz ein, mein Junge. Sonst tanzt sie Ihnen noch auf der Nase herum." „Ja, das habe ich auch schon festgestellt", sagte Fen und lächelte verbindlich. „Komm jetzt, Nina." Er ergriff ihren Arm und führte sie aus dem Wohnzimmer in die Eingangshalle. Nina war so überrumpelt, daß sie keinen Widerstand leistete. Sie hatte resigniert,
denn dieses Weihnachtsfest übertraf jetzt schon bei weitem ihre schlimmsten Befürchtungen. Wenn sie die Anzeichen richtig gedeutet hatte - und alles sprach dafür - dann hatten Fen Hardwicks Nadelstreifenanzug und sein unerschütterliches Selbstbewußtsein großen Eindruck auf ihren Vater gemacht. Und Joseph war zu dem falschen Schluß gelangt, daß Fen nicht nur ein möglicher, sondern sogar ein vielversprechender Heiratskandidat war. Ein würdiger Ersatz für den abgesprungenen Vickery. Für Nina gab es nur eine Lösung: Sie mußte Fen ein für allemal zu verstehen geben, daß sie sich nichts aus ihm machte. Danach würde er sicher verschwinden. „Wohin gehen wir?" fragte Feh. Sie deutete stumm auf die gegenüberliegende Tür, und Fen schob eine leicht widerstrebende Nina vor sich durch die Tür zu dem kleinen Kaminzimmer. Der Raum war gemütlich eingerichtet, und das Kaminfeuer sorgte für mildes, rötliches Licht. „Du hast mir also nicht viel zu sagen", eröffnete Fen das Gespräch. Er schloß die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, damit Nina gar nicht erst auf die Idee kommen sollte, einen Fluchtversuch zu unternehmen. „Nein, nicht viel", bestätigte sie und drängte sich in die äußerste Ecke. Fen sah ziemlich bedrohlich aus. Und das kurze Aufblitzen seiner Augen war auch nicht gerade vertrauenerweckend. „Ich verstehe." Fen verzog keine Miene. „Vielleicht ziehst du ja statt dessen eine andere Art der Unterhaltung vor." Nein, dachte Nina, als er zielstrebig auf sie zuging. Nein. Nicht schon wieder. Das war ihr letzter klarer Gedanke, bevor Fen sie in die Arme schloß und sie jeden weiteren Widerstand aufgab. Die Berührung seiner Lippen löste bei Nina dieselben Gefühle aus wie vorhin, als Fen sie auf der Auffahrt geküßt hatte. Aber jetzt trugen sie keine dicken Wintermäntel mehr. Ninas Blut geriet in Wallung, als sie jede Faser seines Körpers hautnah spürte . Und als Fen mit der Hand leicht über den Seidenstoff ihrer Bluse strich, richteten sich ihre Brustspitzen auf. Sie genossen den zärtlichen Augenblick und waren vollkommen ungestört - diesmal unterbrach sie kein brüllender Vater. „Fen" stöhnte Nina und preßte sich eng an Fen, als er sie mit geschickten Fingern reizte. „Fen..." Ihr Hunger nach Liebe war unendlich. Dabei wußte sie noch nicht einmal, was sie genau erwartete, denn nie zuvor war sie einem Mann so nah gewesen. Als sie das Gefühl hatte, nicht länger warten zu können, ließ Fen sie plötzlich los. „Na?" fragte er herausfordernd. „Das soll dir helfen, deine Zunge zu lösen." Zuerst half es nicht. Nina öffnete den Mund, brachte aber kein Wort über die Lippen. Sie brauchte eine Weile, bis sie wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt war. Und dann hatte sie ihre Sprache wiedergefunden. Ein ganzer Wortschwall aus wüsten Beschimpfungen prasselte auf Fen nieder. „Fen Hardwick, du bist doch der widerlichste, ekelhafteste und gemeinste Kerl, der mir in meinem ganzen Leben begegnet ist. Und der arroganteste und ..." „Das ist wohl kaum eine Entschuldigung", unterbrach Fen sie und stellte sich vorsorglich wieder vor die Tür. „Warum soll ich mich denn entschuldigen? Schließlich habe ich dich gekauft, oder?" „Nein. Da bist du im Irrtum." „Tatsächlich? Willst du mir etwa weismachen, daß du mich nur bis hierher begleitet hast, um mir mein Geld zurückzugeben?" „Warum denn sonst?" „Weil du den Hals nicht vollkriegen kannst und jetzt an das ganz große Geld kommen willst!" schrie Nina. Ihre Stimme überschlug sich vor Wut und Enttäuschung. „Du hast gemerkt, daß ich deinen Küssen nicht widerstehen kann. Deine Saat ist aufgegangen,
und du hast geglaubt, daß du jetzt so einfach deine Ernte einholen kannst. Du bist ledig, und ich bin die Tochter von Joseph Petrov III. Meinen Vater hast du auch schon erfolgreich um den Finger gewickelt. Das ist doch der einzige Grund, weshalb du mich verfolgt hast, oder?" Fen griff hinter sich und betätigte den Lichtschalter. Es wurde plötzlich hell, und Nina mußte blinzeln. „Sieh mir ins Gesicht und sag das noch einmal", forderte Fen sie leise auf. „Nein. Ich habe alles gesagt. Und jetzt laß mich bitte rausgehen." Fen stand noch immer vor der Tür. „Warum? Um deinem liebenswerten Vater alles brühwarm zu erzählen? Er würde dir kein Wort glauben." „Doch." Nina fröstelte trotz der Wärme, die das Feuer ausstrahlte. „Du bist nicht der erste Mitgiftjäger, den er aus seinem Haus rauswirft." „Danke für die Blumen." Fen deutete eine sarkastische Verbeugung an. „Mitgiftjäger hat man mich noch nie genannt." „Wie schön, daß ich deinen Erfahrungsschatz bereichern kann", gab sie mit honigsüßer Stimme zurück. „Läßt du mich freiwillig durch, oder muß ich erst schreien?" „Ich könnte dich zum Schreien bringen, damit du überzeugender klingst", schlug er achselzuckend vor. „Ich will nur, daß du endlich von der Tür weggehst", sagte sie wütend und ignorierte seinen herausfordernden Blick. „Bist du sicher?" „Absolut sicher." Fen verzog den Mund. Doch dann trat er einen Schri tt beiseite und öffnete die Tür. Als Nina hastig den Raum verließ, murmelte er halblaut. „Hör auf, dir selbst etwas vorzumachen, Nina. Sieh endlich der Wahrheit ins Auge." Nina blieb wie angewurzelt stehen. „Was soll das nun wieder bedeuten?" „Ich will es dir gern erklären. Anstatt auf einem hohen Roß zu sitzen, solltest du begreifen, daß es viele Männer gibt, die dich um deiner selbst willen begehren, weil du stark, unabhängig und leidenschaftlich bist. Du trägst dein Mißtrauen wie eine Tugend vor dir her und unterstellst jedem Mann, dem du begegnest, die schlimmsten Absichten. Und eines Tages wirst du feststellen müssen, daß sich niemand mehr für dich interessiert. Dein Vater hat es längst erkannt. Im Gegensatz zu dir." Nina warf den Kopf zurück und schwieg. Das war das letzte, was sie in diesem Moment hören wollte - daß Fen und ihr Vater Verbündete geworden waren. Ihre wundervollen Pläne waren zu einem Bumerang geworden und hatten sich alle gegen sie gewandt. Wirklich? Eilig ging sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer, ohne sich noch einmal nach Fen umzudrehen. „Das ergibt doch alles keinen Sinn", sagte sie halblaut und sank auf ihr Bett. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Verdacht: War ihre Begegnung mit Fen überhaupt kein Zufall, sondern eine abgekartete Sache? Arbeitete Fen etwa für Joseph? War der junge Vickery nur ein Ablenkungsmanöver gewesen? Konnte ihr Vater wirklich so hinterhältig sein, daß er dieses schändliche Spiel mit seiner eigenen Tochter trieb? Und Fen? Nina ballte die Hände zu Fäusten und drosch auf ihr blaues Kopfkissen ein. Im Augenblick traute sie es beiden Männern zu. Das würde auch erklären, weshalb Fen darauf bestanden hatte, Nina den Scheck zurückzugeben. Zu ihrer Bestürzung traten ihr Tränen in die Augen. Tränen der Wut und Enttäuschung. Nina fühlte sich schrecklich allein und ausgenutzt. Man hatte sie hintergangen. Wenn Fen tatsächlich mit Joseph zusammenarbeitete, dann war er auch nur einer der vielen berechnenden Männer, die sich über die Heirat mit Joseph Petrovs Tochter einen Karrieresprung versprachen. Ja, so mußte es sein - auch wenn sich Nina insgeheim gegen diese bittere Erkenntnis sträubte.
Ein lauter Gong ertönte in der Halle. Nina sprang auf und blickte zur Uhr. Essenszeit. Die Mahlzeiten wurden in Josephs Haus immer pünktlich serviert, und Nina mußte sich beeilen, um nicht zu spät zum Essen zu erscheinen. Würde Fen auch ...? Nein, sie wollte jetzt nicht an Fen denken. Hastig duschte sie - für ein entspannendes Bad blieb ihr keine Zeit mehr - und zog dann ein weiches, cremefarbenes Wollkleid mit langen Ärmeln an. Dazu wählte sie Rubin-Ohrringe und einen passenden Anhänger. Dann eilte sie die Treppe hinunter. Fen, Joseph und Nancy tranken ihren Aperitif aus. „Ge rade noch rechtzeitig", bemerkte Joseph. Seiner Tochter bot er keine n Drink an. „Wollen wir gehen?" Er nahm Nancys Arm, und zu viert gingen sie ins Eßzimmer. Fen machte keine Anstalten, Nina den Arm zu reichen. „Du siehst bezaubernd aus", sagte er, als sie Platz nahmen. „Hast du dich meinetwegen umgezogen?" „Nein", gab Nina böse zurück. Fens Augen leuchteten, und Nina hatte das Gefühl, als sei sie erneut in eine Falle getappt. Beim Abendessen war die Stimmung verkrampft. Man unterhielt sich im freundlichen Plauderton über die Bahnfahrt und das Wetter. Mehr nicht. Alle wirkten angespannt. Außer Fen. Nina stellte fest, daß ihr Vater Fen verstohlen beobachtete. Nancy lächelte ihn fortwährend an und konnte dabei ihre Nervosität nicht verbergen. Überlegen sie, ob Fen erfolgreicher als meine anderen Bewerber ist? dachte Nina. Wahrscheinlich prüfen sie gerade, ob er als ernstzunehmender Heiratskandidat in Frage kommen könnte. Oder hat Joseph ihn schon längst als zukünftigen Schwiegersohn akzeptiert? Fen jedenfalls war völlig entspannt. Er lachte und scherzte mit Ninas Eltern und schien sich sichtlich wohl zu fühlen. Nach dem Essen stand Joseph auf und verkündete, daß er und Nancy heute abend früh ins Bett gehen wollten. „Wir lassen euch junge Leute jetzt allein", sagte er und strahlte dabei wie ein Weihnachtsmann, der seine Ge schenke verteilt. „Dad, du gehst doch sonst nie vor zehn Uhr schlafen", protestierte Nina. „Deine Mutter ist ein wenig müde", sagte Joseph leichthin und zwinkerte Fen zu. „Mr. Hardwick, machen Sie es sich im Kaminzimmer bequem. Dort ist es gemütlich warm. Wir haben Holz nachgelegt." Bevor Nina noch weitere Einwände vorbringen konnte, war Joseph mit seiner Frau hinausgegangen. „Das hast du ja geschickt eingefädelt", sagte sie bitter zu Fen, als sie allein waren. Fen lehnte an der Wand und hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt. Sein Mund war schmal und verkniffen. Nach längerem Schweigen wies er gebieterisch mit dem Kopf in Richtung Kaminzimmer. Nina hatte inzwischen resigniert. Fen wollte offensichtlich mit ihr reden, und diesen Wunsch konnte sie ihm schlecht abschlagen. Wenn sie sich weigern würde, wäre damit auch nichts gewonnen. Sie lief voraus in das Kaminzimmer und ließ sich in den roten Brokatsessel neben der Feuerstelle fallen. Starr blickte sie in die Flammen. Nach einer Weile hörte sie Schritte. Fen war ihr gefolgt. Unschlüssig stand sie auf. „Was willst du von mir, Fen?" fragte sie müde. Als er nicht antwortete, drehte sie sich fragend um. Fen stand direkt neben ihr, und sie spürte seinen warmen Atem an ihrer Wange. „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas von dir will", sagte er und legte wie zufällig eine Hand auf ihre Brust. Gedankenverloren fuhr er fort: „Obwohl ich mir manchmal gewünscht habe, daß du in meinem Bett liegst. Am liebsten für immer." „Für immer? Ich fühle mich sehr geschmeichelt", gab Nina zurück und zuckte unter seiner Berührung zusammen. „Besonders, da du mich erst seit wenigen Tagen kennst. Aber ich verstehe natürlich auch vollkommen, daß es für dich von großem Vorteil ist, in Joseph Petrovs Fami lie einzuheiraten."
Fen zog die Hand hastig zurück. „Ja." Fens Stimme war so eisig, daß Nina eine Gänsehaut bekam. „Das hast du schon einmal gesagt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich die erforderliche Geduld habe und warten kann, bis du deinen Fehler endlich eingesehen hast." Nina drehte sich ruckartig um und versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Was hatte er damit gemeint? Aber Fen war einen Schritt ins Halbdunkel zurückgetreten. „Welchen Fehler?" wollte sie wissen. „Hat mein Vater alles arrangiert? Hat er dich dafür bezahlt, daß d u mir im Zug begegnest?" Fen ließ sich mit der Antwort so lange Zeit, daß Nina schon dachte, er hätte den Raum verlassen. „Nein, Nina." Seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. „Ich habe ihn heute zum erstenmal gesehen. Und um dir deine nächste Frage zu ersparen dein Vater weiß auch, daß ich nicht im entferntesten an deinem Geld interessiert bin." Sein Tonfall war so schneidend, daß Nina fröstelte. Und auf einmal wußte sie es. Die Erkenntnis kam ihr wie ein Blitz. Fen hatte die Wahrheit gesagt - vermutlich schon die ganze Zeit. Aber Nina hatte ihm nicht geglaubt. Sie suchte seine Hand, aber griff ins Leere. „Du solltest noch etwas erfahren, bevor ich gehe", fuhr Fen fort. „Was ist das?" flüsterte sie. Fen wollte gehen? Dabei gab es noch so viele ungesagte Worte. Nina wollte ihm sagen, daß... Sie schüttelte den Kopf, denn sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Ich werde es dir erklären", sagte Fen. „Als ich auf dein merkwürdiges Angebot im Zug einging, tat ich es nur aus Spaß, aber das hast du nicht begriffen. Ich muß allerdings zugeben, daß ich dir auch eins auswischen wollte. Ich fand es nämlich alles andere als schmeichelhaft, von dir für einen Callboy gehalten zu werden. Deshalb wollte ich dir einen kleinen Denkzettel verpassen." Langsam hob Ni na den Kopf und blickte sich um. Fen stand an der Tür und hatte die Hand schon auf der Klinke. „Ich kann dir nicht folgen", sagte sie schließlich. „Das merke ich." Fen schloß die Augen. „Vielleicht habe ich zuviel von dir erwartet." „Was hast du erwartet?" Nina war jetzt vollkommen verwirrt. „Ich dachte, du würdest begreifen, daß ich dein Geld niemals behalten hätte. Selbst wenn ich es gebraucht hätte - was aber nicht der Fall ist. Erinnerst du dich noch an den Namen F & C Foods?" Nina nickte. „Ja. Das ist die Firma, für die du arbeitest." Plötzlich hielt sie inne und überlegte. Natürlich. Jetzt fiel ihr wieder ein, woher ihr der Firmenname so bekannt vorkam. F & C Foods hatte vor Weihnachten in einer beispielhaft großzügigen Aktion Tausende von Lebensmittelpaketen an die Armen verschenkt. Nina selbst hatte der Firma geschrieben und auf einige Bedürftige aufmerksam gemacht. Es hatte sie sehr beeindruckt, daß die Pakete keine überflüssigen Luxusartikel enthielten, sondern Grundnahrungsmittel und nützliche Dinge. Die Leute von F & C hatten sich wirklich Gedanken gemacht. F & C ... F, der Direktor, hatte es sich nicht nehmen lassen, die Pakete selbst zu verteilen. Einer der Beschenkten erzählte Nina später begeistert, daß der Direktor braunes Haar und gütige dunkle Augen hatte. Und daß er unermüdlich die schweren Pakete abgeladen hatte, ohne daß man ihm die Anstrengungen angesehen hätte. F! Sollte der Buchstabe etwa für Fenton stehen? Und F & C hieß demnach Fenton und Christine? Konnte es tatsächlich angehen... Sie hob den Kopf und sah Fen ins Gesicht. Und dann war sie sich ganz sicher. „F & C gehört dir! Habe ich recht?" fragte sie, und ihre Stimme begann zu zittern. „Du bist also gar nicht bei der Firma angestellt." „Nein", gab Fen zu. „Zumindest nicht in dem Sinne, wie du angenommen hast.
Abgesehen davon wäre es auch eine ehrenwerte Beschäftigung." „Sicher. Aber du bist der Direktor. Es ist deine Firma. Deine überaus erfolgreiche Firma. Du brauchtest mein Geld gar nicht. Und aus diesem Grunde hast du mir den Scheck zurückgegeben - nicht weil ich Joseph Petrovs Tochter bin!" „Endlich hast du es begriffen." Fen sah Nina gelassen ins Gesicht und schwieg. „Aber warum hast du mir denn nicht eher reinen Wein eingeschenkt?" beschwerte sie sich. „Ich kann ja verste hen, daß du mich ein bißchen aufziehen wolltest. Wahrscheinlich hast du dich über mein merkwürdiges Angebot köstlich amüsiert. Wie du schon sagtest, wolltest du mir einen Denkzettel verpassen, damit ich begreife, wie dumm und oberflächlich ich geurteilt habe. Aber später ..." „Später warst du nur noch damit beschäftigt, die hochtrabende Lady zu spielen, die ihren Dienstboten entläßt. Warum hätte ich Worte und Zeit für Erklärungen verlieren sollen, wenn du mir doch nicht zugehört hättest? Abgesehen davon ..." Fen machte eine kleine Pause und rieb sich das Kinn. „... wäre es überaus schade gewesen, wenn ich heute deine furiose Vorstellung versäumt hätte." Nina überhörte den Spott. „Aber warum hast du den Wagen meines Vaters wieder abbestellt?" „Mmm. Ich hatte fälschlicherweise angenommen, trotz deines familiären Hintergrundes und deiner Verstocktheit endlich eine Frau gefunden zu haben, die zu mir paßt. Sobald sie über ihre fixe Idee hinwegkommen würde, daß ich nicht käuflich bin." Er zuckte mit den Schultern. „Offe nbar habe ich mich geirrt." Nina hätte es nicht für möglich gehalten, daß seine dunklen Augen so leidenschaftslos blicken konnte. Wie unnahbar Fen auf einmal war! Bin ich zu weit gegangen? fragte sie sich verzweifelt. Ich habe ihn beschimpft und ihm die schlimmsten Dinge unterstellt. Fen, der einen seltsamen Sinn für Humor und ein Herz für die Bedürftigen besaß, hatte die ganze Zeit sein Spielchen mit ihr getrieben. Er hatte dabei nicht einmal bösartig sein wollen - das war nicht seine Art. Aber er konnte natürlich nicht wissen, was es für Nina bedeutete, im Schatten von Joseph Petrov aufzuwachsen. Sie hatte als junges Mädchen hart für jeden Schritt in die Unabhängigkeit kämpfen müssen. Ganz zu schweigen von den Heiratskandidaten, die ihr Vater aussuchte und jedes Jahr zu Weihnachten in sein Haus einlud. Wie sehr sie darunter gelitten hatte, konnte sie Fen kaum begreiflich machen. Denn Fen war trotz allem ein Mann. Ein Mann, der schon die Türklinke in der Hand hielt und jeden Moment aus Ninas Leben verschwinden würde. Sie stand auf, aber da wurde die Tür schon von der anderen Seite zugeschlagen. Nina starrte auf die Klinke, hörte die Tür ins Schloß fallen und spürte, wie ihr das Herz schwer wurde. Und auf einmal wußte sie, daß sie Fen liebte. Er durfte nicht gehen. Wenn sie jetzt nicht schnell handelte, dann wäre er für immer auf und davon. Sie rannte in die Halle, aber Fen war verschwunden. Verzweifelt blieb sie stehen und blickte sich um in der Hoffnung, eine Spur von Fen zu finden. Dann hörte sie die laute, unverkennbare Stimme ihres Vaters. „Unsinn, mein Junge. Nina braucht eine feste Hand und ..." Eine leisere Stimme unterbrach Joseph. Nina starrte wie gelähmt auf die geschlossene Wohnzimmertür. Offenbar hatte Fen ihrem Vater gerade mitgeteilt, daß er Nina nicht heiraten wollte. Und Joseph wollte Fen umstimmen und gab ihm Ratschläge, wie man seine Tochter behandeln müsse. Jetzt redete Fen. Seine Stimme klang forsch und geschäftsmäßig. Nina hörte aufmerksam zu. „Sie haben ganz recht, Sir. Was Nina braucht, ist..." „...ab und zu ein wohlgezielter Tritt", vollendete Joseph den Satz. „Ich vertraue Ihnen, Hardwick. Sie sind der Mann, der mit ihr fertig werden kann." „Das ist ein verführerischer Gedanke", sagte Fen. „Aber ich habe mir die Sache
eigentlich etwas anders vorgestellt. Und da ich niemals Gewalt anwenden würde, fürchte ich..." Die restlichen Worte konnte Nina nicht mehr verstehen, weil sich plötzlich ein dicker, schmerzhafter Kloß in ihrer Kehle formte. Verdammt! Wie konnten diese beiden arroganten Männer - und gerade Fen - es wagen, über sie zu reden, als sei sie ein störrisches Pferd? Ein Pferd, das er anscheinend nicht einreiten wollte. Jedenfalls schloß Nina das aus seinem höflichen, aber bestimmten Tonfall. Aber falls Fen glaubte... Sie schluckte den Kloß herunter. Einerseits war sie tieftraurig, daß sie Fen verloren hatte. Aber andererseits wurmte es Nina, daß er und ihr Vater über sie verhandelt hatten, als sei sie eine Ware. Sie würde es Fen schon zeigen, jawohl! Er mochte sie zwar verschmähen, aber ungestraft würde er sich nicht aus dem Staub machen können. Kriechen sollte er vor ihr! Nina riß die Tür zum Wohnzimmer auf, um Fen gründ lich die Meinung zu sagen. Zu ihrem Erstaunen kroch er tatsächlich auf dem Boden und schien etwas unter dem Weihnachtsbaum zu suchen. „Weißt du, was du bist, Fenton Hardwick? Ein Stinktier! " sagte sie laut und deutlich. Fen sprang auf die Füße und ging auf Nina zu. Sie schluckte und kniff die Augen zusammen, als Fen direkt vor ihr stand. Ihr Ärger verrauchte ebenso plö tzlich, wie er gekommen war. Nein, Fen war alles andere als ein Stinktier - er war ein äußerst attraktiver Mann. Und zum Greifen nah. Nina wollte ihn am liebsten umarmen und nie wieder loslassen. „Hier ist sie, Mrs. Petrov." Fen ignorierte Nina und reichte Nancy lächelnd eine Brosche aus Topas. „Der Verschluß muß sich versehentlich geöffnet haben." „Vielen herzlichen Dank, Mr. Hardwick. Meine Augen sind auch nicht mehr so gut wie früher." Nina warf einen verstohlenen Blick auf Joseph, der neben einem mit Schnitzwerk verzierten Tisch aus dem Viktorianischen Zeitalter stand. Abwechselnd musterte er Fen und seine Tochter. „Da bist du ja, meine Liebe", sagte er freundlich. „Deine Mutter und ich wollten gerade ins Bett gehen." „Denk dir etwas anderes aus. Diese Ausrede hast du heute schon einmal gebraucht", gab Nina zurück. „Habe ich das? Nun gut." Joseph lächelte unschuldig. „Gute Nacht, liebe Tochter. Gute Nacht, Mr. Hardwick. Ich freue mich, daß wir alles geregelt haben. Komm, Nancy." „Einen Augenblick, Dad." Nina rief ihren Vater zurück. „Was soll das heißen? Was habt ihr miteinander geregelt?" Joseph räusperte sich verlegen. „Tja. Der junge Hardwick hier. Als du ihn mir vorgestellt hast, wußte ich sofort, wen ich da vor mir habe. Hat eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. Fing an als Lehrling, hat sich Stück für Stück hochgearbeitet und dann die Firma gekauft. Ich mag Menschen, die zielstrebig sind." Er kratzte sich am Kopf und sah Nina lächelnd an. „Ich habe natürlich auch sofort bemerkt, daß du keine Ahnung hattest, wer er ist." „Und warum hast du mir kein Wort gesagt?" warf Nina ihm vor. Wieder räusperte sich ihr Vater. „Ich kenne dich doch, meine Tochter. Du mochtest es nie, wenn ich große Stücke auf andere junge Männer hielt." „Aber die Männer waren anders. Sie..." Nina unterbrach sich, weil Joseph über das ganze Gesicht strahlte. „Das finde ich auch", sagte er und nickte. „Vollkommen anders." Als er Ninas wütenden Gesichtsausdruck sah, wandte er sich an seine Frau. „Komm, Nancy. Laß uns gehen." Nancy warf einen besorgten Blick auf ihre Tochter. „Joseph, ich glaube nicht, daß Nina möchte ..."
„Doch, sie möchte", schnitt ihr Joseph das Wort ab. „Verlaß dich drauf." „Meinst du wirklich...?" Aber Joseph hatte seine Frau schon aus dem Zimmer geführt, und Nina und Fen blieben allein zurück. Auch in diesem Raum brannte ein Kaminfeuer, jedoch sehr viel gewaltiger als in dem kleineren Zimmer. Fen saß in einem Ohrensessel und sah von Kopf bis Fuß aus wie ein Firmenchef, der mit strenger Miene Anweisungen erteilt. Nina hatte das Gefühl, er würde ihr gleich eine Standpauke und einen Vortrag über Anstandsregeln halten. Nina hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Noch immer ärgerte sie sich über Fen wegen der Diskussion, die er mit ihrem Vater geführt hatte. Immerhin mußte sie ihm zugute halten, daß er nicht der Wortführer gewesen war. Aber das war jetzt nicht mehr so wichtig. Für Nina zählte nur noch eines - und das wußte sie im Grunde ihres Herzens schon von Beginn an. „Zur Abwechslung hast du diesmal etwas vergessen", sagte sie leise. Komm endlich auf den Punkt, Nina, ermahnte sie sich. Sonst verlierst du noch die Nerven. „Wirklich?" fragte Fen zurück. „Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Deine Mutter sagte mir, daß mein Gepäck bereits unten im Flur steht. Ich muß nur noch ein Taxi rufen." Nina schüttelte den Kopf. „Nein, davon spreche ich nicht. Ich meine etwas anderes." Fen blickte zur Uhr. „Dann solltest du es mir besser sofort erzählen. Ich muß mein Flugzeug bekommen." Seine Augen funkelten wie die einer Kobra. Nina holte tief Luft und hob das Kinn an, um sich selbst Mut zu machen. „Du hast vergessen, daß du noch auf eine Entschuldigung von mir wartest." Er ließ sich seine Überraschung nicht anmerken, sondern hob nur fragend eine Braue. „Richtig", sti mmte er zu. „Aber ich finde nicht, daß es jetzt noch von Bedeutung ist." „Für mich schon", widersprach Nina. „Mir ist es sehr wichtig. Ich habe einen Fehler begangen. In dem Moment, als du mir den Scheck zurückgabst, hätte ich es wissen müssen. Aber ich habe alles mißverstanden." Fen schien durch sie hindurchzusehen und gab keine Antwort. Nina kämpfte mit den Tränen. „Es tut mir wirklich leid", sagte sie zerknirscht. „Du hattest vollkommen recht, als du mir vorwarfst, ich sei derartig eingebildet und mißtrauisch, daß ich nicht die Perlen von den Schweinen unterscheiden kann..." „Ich habe mich etwas anders ausgedrückt", murmelte Fen und trat einen Schritt aus dem Halbdunkel heraus. „Ja, schon." Hatte Nina da eben ein die Andeutung eines Lächelns gesehen? „Ich würde dich auch nicht unbedingt als Perle bezeichnen..." „Soweit ich weiß, hast du mich Stinktier genannt." „Fen, es tut mir leid. Ich hatte doch keine Ahnung. Du mußt verstehen, daß ich bisher mit Männern schlechte Erfahrungen gemacht habe. Alle Männer, die wußten, wer mein Vater ist, sahen in mir nicht mehr als eine begehrte Trophäe. Und als ich dich traf, habe ich nicht begriffen..." Nina schluckte. „Ich hätte sofort merken müssen, daß du and ers bist. Ich war einfach blind,.." Sie unterbrach sich, weil ihr die Worte fehlten. Fen reagierte nicht. Nina konnte nicht erwarten, daß Fen sie verstand. Selbst nachdem er ihr den Scheck zurückgegeben hatte, hatte sie sich beharrlich geweigert, die simple Wahrheit zu erkennen. Obwohl Fen ,einen seltsamen Sinn für Humor besaß, war er doch ein leidenschaftlicher und stolzer Mann - und über jeden Verdacht erhaben. Kein Wunder, daß ihn Ninas zweifelhaftes Angebot zutiefst beleidigt haben mußte. Nina seufzte und schloß die Augen. Ein frischer Holzscheit fing Feuer, und für einen Moment roch es beißend nach Rauch. Fen reagierte noch immer nicht, und ohne aufzublicken sagte Nina: „Ich rufe dir
jetzt ein Taxi." Dann stand sie auf und ging zur Tür. Sie hatte schon die Klinke heruntergedrückt, als sie plötzlich eine schwere Ha nd auf ihrer Schulter spürte. „Wohin willst du gehen?" fragte Fen. „Ich sagte dir doch, daß ich dir ein Taxi rufen werde." „Du wirst nichts dergleichen tun." „Aber ich ..." Nina schnappte nach Luft, als Fen sie umdrehte und eine Hand auf ihren Rücken legte . „Ich ...", begann sie erneut, doch als sie Fen in die dunklen Augen sah, hatte sie vergessen, was sie eigentlich sagen wollte. Plötzlich war alles im Raum nur noch verschwommen, und Nina geriet sie ins Taumeln. Zwei kräftige Hände fingen sie auf. „Hoppla . Bitte keine Ohnmachtsanfälle", sagte Fen mit leiser Stimme, die weit aus der Ferne zu kommen schien. „Wenn dein Vater das sieht, will er meinen Skalp." „Ich werde nie ohnmächtig." Nina schlug die Augen auf. „Und mach bitte keine Witze mehr über deinen Skalp. Versprochen?" „Einverstanden." Fen nickte. „Aber abgesehen davon kann ich mich wirklich nicht über deinen respekteinflö ßenden Vater beklagen. Ich mag ihn gern." Er trat einen Schritt zurück und musterte Nina von Kopf bis Fuß. So vergingen einige lange Sekunden. Nina hatte das Gefühl, als würde er ein Warenangebot prüfen. „Nur zu deiner Information - ich will nicht in dein Warensortiment aufgenommen werden", sagte sie ein wenig außer Atem und lächelte schüchtern. Fen strich mit dem Daumen über ihre Lippen. „Du kannst ganz beruhigt sein. Wir führen nur Delikatessen. Ich handle doch nicht mit Zitronen." „Oh." Der Treffer saß. Da hatte Fen es ihr wieder einmal gegeben. Nina versuchte bissig zu kontern, aber es fiel ihr auf die Schnelle kein passender Spruc h ein. „Andererseits", fuhr Fen fort. „Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich den herben Geschmack von Zitronen ab und zu ganz gern habe. Dann kommt wenigstens keine Langeweile auf." Fen hatte die Hand auf Ninas Rücken gelegt. Jetzt bewegte er sie zielstrebig nach unten, und Nina begann leise aufzustöhnen. Es war kaum noch auszuhalten. Sie wußte, daß Fen sie aus reiner Gewohnheit reizte. Aber Nina wollte mehr - ihr Körper drängte nach Erfüllung. Zu allem Überfluß wartete sie sehnsüchtig darauf, daß Fen ihr seine Liebe gestand. „Ich bin nicht hier, um deine Produktpalette zu erweitern", sagte sie und wünschte, er würde endlich mit dem zärtlichen Spiel seiner Finger aufhören. Nina konnte sich überhaupt nicht mehr auf ihren wichtigen Gedanken konzentrieren, weil Fen sie immer ablenkte. Was hatte sie eigentlich sagen wollen? Sie wußte es nicht mehr. Nina seufzte resigniert auf und versuchte sich aus der Umarmung zu befreien. Aber Fen ließ sie nicht los. Statt dessen legte er die Hand auf ihren Po und preßte Nina so fest an sich, daß sie seine Erregung deutlich spürte. Mit der anderen Hand massierte er zärtlich ihren Nacken, und Nina merkte, wie der Boden unter ihren Füßen nachgab. In diesem Augenblick wurde ihr bewußt, daß sie sich ein Leben ohne Fen nicht mehr vorstellen konnte. Ihr Herz klopfte laut, und ihr Blut pulsierte heftig in den Venen. Fens Kuß war unendlich leidenschaftlich und zärtlich - der Kuß eines Mannes, den sie von ganzem Herzen liebte. Halt, Nina! ermahnte sie sich. Immer schön langsam. Du mußt jetzt einen kühlen Kopf behalten und vernünftig bleiben. Fen küßte ihren Nacken und ihre Wangen. Doch Nina war plötzlich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt. Es roch bedenklich nach Rauch. Sie mußte nach dem Feuer sehen. „Fen", flüsterte sie leise. „Fen, wir können doch nicht einfach..."
„Wir können", widersprach Fen mit heiserer Stimme und strich Nina sanft über die Kehle. „Vielleicht nicht gerade jetzt in deinem Elternhaus, „aber ganz bald ..." „Nein. Ich möchte nicht..." Nina schluckte. „Was möchtest du nicht?" Sein Lächeln war warmherzig und verständnisvoll. „Ich möchte nicht eine von deinen vielen willigen Freundinnen sein." Fen sah sie ungläubig an. Beinahe hätte er laut aufgelacht. „Keine Sorge", sagte er trocken. „Bis jetzt warst du alles andere als willig." Nina versuchte zu lächeln, doch ihre Mundwinkel begannen plötzlich zu zittern. Fen schlang beide Arme um sie und zog ihren Kopf an seine Brust. „Komm schon", sagte er leise und strich ihr durch das Haar. „Das ist doch kein Grund zum Weinen, meine kleine Zitrone." „Ich weine nicht." Nina schniefte laut in Fens teures Jackett. „Außerdem bin ich keine Zitrone." „Und schniefen tust du auch nicht. Sieh mich an, Nina." Fen legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es leicht an. „Nina, meine Zitrone. Es tut mir leid", sagte er leise. Nina blinzelte unter Tränen. Fens Augen strahlten, und sein Mund drückte Zärtlichkeit aus. „Was tut dir leid?" fragte Nina erstaunt. „Mein Unverständnis. Ich war auch nicht frei von Vorurteilen. Ich habe einfach nicht begriffen, daß du mir aufgrund deiner schlechten Erfahrungen zunächst einmal mißtrauen mußtest und mich für einen Mitgiftjäger gehalten hast." Fen strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf. „Ich war ein Dummkopf, daß ich dir den Scheck nicht sofort zurückgegeben habe, nachdem du meine Hilfe nicht in Anspruch nehmen wolltest. An deine Gefühle habe ich dabei leider überhaupt nicht gedacht. Du machtest auf mich einen ziemlich gefühlskalten Eindruck." „Danke." Nina traute ihren Ohren kaum. Hatte sie eben richtig gehört? Bat Fen sie tatsächlich um Entschuldigung? Sie lächelte. „Hättest du denn im nachhinein anders gehandelt?" wollte sie wissen. „Um ehrlich zu sein - ich weiß es nicht." Fen wirkte ein wenig verlegen. „Wahrscheinlich nicht. Zu dem Zeitpunkt fand ich, daß du einen Denkzettel vertragen könntest. Aber der Schuß ging voll nach hinten los. Ich habe den Denkzettel bekommen." Hatte Fen im Ernst gesprochen, oder hielt er Nina schon wieder zum Besten? „Und wie kam es, daß du deine Meinung geändert hast?" fragte sie mißtrauisch. „Du hast mir die Augen geöffnet. Du hast mich als Stinktier bezeichnet. Zweimal sogar. Das ist nicht gerade ein schmeichelhafter Kosename. Aber bei deiner tapferen Entschuldigung sahst du so traurig aus, daß ich zu der Überzeugung gekommen bin, du hast eine Schwäche für Stinktiere." Fen strich langsam mit dem Finger über Ninas Rücken. „Vielleicht lernst du es ja noch, einem solchen Tier zu vertrauen." „Ich vertraue dir", sagte Nina freudestrahlend. „Und ich hatte natürlich überhaupt kein Recht, dich als Stinktier zu bezeichnen." Fen sah ihr tief in die Augen. „Nein, das hattest du nicht", sagte er zustimmend und lächelte verschmitzt. „Es wird höchste Zeit, daß ihr Zitronen uns Stinktiere mit dem gebührenden Respekt behandelt. Du könntest gleich damit anfangen, indem du mir einen Kuß gibst." Nina schüttelte den Kopf. „Das führt zu nichts", gab sie fröhlich zurück. „Nur Frösche verwandeln sich in Prinzen." „Und wenn schon. Küß mich trotzdem", forderte Fen sie auf. Seine Augen blitzten. Nina küßte ihn. Und als sie seine Lippen spürte, war sie sich ganz sicher, daß sie ihren Prinzen gefunden hatte. Für immer. Als Nina am frühen Weihnachtsmorgen ins Wohnzimmer eilte, wurde sie schon von Fen erwartet. Er stand neben dem Weihnachtsbaum und sah aufregend und verführerisch in seinem hellbraunen Pullover aus. Mit ausgebreite ten Armen empfing er sie.
„Bist du mein Weihnachtsgeschenk?" fragte Nina und lief ihm in die Arme. Statt einer Antwort gab er ihr einen langen und zä rtlichen Kuß. Der Kuß endete ziemlich abrupt, als die Tür hinter ihnen aufgerissen wurde. Für einige Sekunden herrschte Stille. Dann dröhnte Josephs triumphierende Stimme durch das ganze Haus. „Aha. Nancy! Wir haben es geschafft! Und sogar noch pünktlich zur Bescherung. Endlich haben wir einen Mann für Nina gefunden!" Nina schwieg, weil sie ihrem Vater nicht das Weihnachtsfest verderben wollte. Aber in Wirklichkeit hatte sie Fen ganz allein gefunden. -ENDE