Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 578 Zone-X
Zone-X von Hubert Haensel Gefangen im Nichts In den mehr als 200 Jahren i...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 578 Zone-X
Zone-X von Hubert Haensel Gefangen im Nichts In den mehr als 200 Jahren ihres ziellosen Fluges durch die Tiefen des Alls haben die Bewohner und Crewmitglieder des Generationenschiffs SOL mannigfaltige Gefahren und Abenteuer bestehen müssen. Doch im Vergleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit der Zeit ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangt ist, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt, im Jahre 3804 Solzeit, geht es bei den Solanern nicht mehr um interne Machtkämpfe – sie wurden mit dem Amtsantritt von Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, gegenstandslos –, sondern um Dinge von wahrhaft kosmischer Bedeutung. Da geht es um den Aufbau von Friedenszellen im All und um eine neue Bestimmung, die die Kosmokraten, die Herrscher jenseits der Materiequellen, für die Solaner parat haben. Und es geht um den Kampf gegen Hidden-X, einen mächtigen Widersacher, der es auf die SOL abgesehen hat. Jetzt glaubt man, den großen Gegenspieler endgültig stellen zu können. Denn zusammen mit den Vulnurern erreicht die SOL das Gebiet, in dem sich Hidden-X aufhalten soll. Dieses Gebiet ist die ZONE-X …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide besucht die Vulnurer. Lichtquelle-Jacta - Oberpriesterin der Vulnurer. Shema - Jactas Gegenspielerin. Ferrunger-Mono - Kommandant der Heimatschiffe der Vulnurer. Oggar und Insider - Das Multibewußtsein und der Extra stoßen wieder zur SOL.
Hapeldan war unfähig zur Einsicht in die wirkliche Tragweite kosmischer Geschehnisse. Seine Strafe für alle Verfehlungen war sein Tod. Soll ich die Empfindungen auskosten, seine Angst und Flucht vor Oggar, dem er letztlich nicht entrinnen konnte, weil ich es nicht mehr wollte? Hapeldan war nur ein Diener von vielen. Nie hätte er sich meinen Unwillen zuziehen dürfen. Er ist unbedeutend. Ich vergesse nichts, doch seinen Namen werde ich aus meinem Gedächtnis tilgen wie eine böse Erinnerung. Es gibt anderes, dem ich mich jetzt zuwenden muß. Ich fühle die Feinde, diese lächerlichen Zwerge, die sich für stark genug halten, mir gegenüberzutreten">mir, dem tausend Völker tausend verschiedene Namen gegeben haben. Ich, Hidden-X, bin der Herrscher! Atlan wähnt sich seinem Ziel nahe. Er fühlt sich sicher im Schutz der SOL und in Begleitung der Bekehrer. Soll er nur kommen... Er wird erfahren, wie sehr er sich irrt!
1. Nacheinander verließen sie den Linearraum – zuerst die SOL und dann die drei Heimatschiffe der Vulnurer. Im selben Sekundenbruchteil beschleunigten die Schiffe erneut bis auf die erforderliche Eintauchgeschwindigkeit. Die angespannte Atmosphäre an Bord der SOL wollte dennoch nur zögernd weichen. Man hatte den von Sanny berechneten Zielpunkt erreicht. Zu verschieden waren allerdings die Vorstellungen von diesem Raumsektor gewesen.
»Eigentlich typisch für Hidden-X«, sagte die Moolatin wie beiläufig. »Es gibt nichts in diesem kosmischen Abschnitt, weder Sterne noch irgendwelche Besonderheiten.« »Gerade deshalb sollten wir auf Überraschungen gefaßt sein«, warnte Atlan. »Unser Beschleunigungsmanöver ist nichts als ein Vorsichtsmaßnahme.« Die Koordinaten umfaßten einen Raumsektor von ungefähr einem Lichtmonat Durchmesser. Geradezu lächerlich gering nahm sich die Zahl von 800 Milliarden Kilometern im Vergleich zu den zurückgelegten Entfernungen aus, trotzdem würde man zur genauen Erforschung selbst dieses vermeintlich leeren Raumes Zeit benötigen. Spätestens nach den Erfahrungen mit dem Weißen Loch im Sternenuniversum war den Solanern bewußt, daß auch das scheinbar absolute Nichts Leben bergen konnte. Punksprüche wechselten zwischen der SOL und der HEUTE, auf der Lichtquelle-Jacta sich aufhielt. Die Ortungen der Vulnurer schwiegen ebenfalls. Atlan, der die Blicke von Hayes und Breiskoll auf sich ruhen fühlte, wandte sich zögernd von den Bildschirmen ab. »Ich bin überzeugt davon, daß wir dort draußen Dinge von großer Tragweite vorfinden werden«, sagte er. Bjo Breiskoll zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht …« »Kannst du etwas wahrnehmen?« »Das ist es eben. Wenn da wirklich etwas wäre, sollte es einen gewissen Einfluß auf den umgebenden Raum ausüben. Aber Zone-X scheint in allem der Norm des intergalaktischen Leerraums zu entsprechen.« »Zone-X?« machte Breckcrown Hayes überrascht. »Warum nicht«, meinte Atlan. »Oder hat jemand einen treffenderen Namen für das, was vor uns liegt?« Es blieb dabei. Mit nunmehr halber Lichtgeschwindigkeit und in Keilformation fliegend, steuerten die vier Raumschiffe den
innerhalb fiktiver Grenzen kugelförmigen Sektor an.
* Die Paramathematikerin Sanny und SENECA stimmten nahezu in sämtlichen Punkten überein. Unklarheiten oder Meinungsverschiedenheiten, zu denen es aufgrund unterschiedlicher Betrachtungsweisen gekommen war, schienen ausgeräumt. Demnach durfte man davon ausgehen, daß Zone-X identisch war mit dem Flekto-Yn oder vielmehr dessen Standort. Auch glaubte man zu wissen, daß das Flekto-Yn jenes Objekt war, für das HiddenX gewaltige Nickelmengen von den Ysteronen hatte rauben lassen. »Wo soll diese Massenansammlung sein?« fragte Curie van Herling gereizt. »Ich kann nicht mehr aus den Geräten herausholen.« »Niemand macht dir deshalb einen Vorwurf«, beschwichtigte der High Sideryt. »Wir müssen die Möglichkeit eines perfekten Ortungsschutzes in Betracht ziehen. Wenn ich daran denke, welche Schwierigkeiten Hidden-X uns schon bereitet hat, erscheint es mehr als nur wahrscheinlich, daß gerade sein Sitz mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abgesichert ist.« »Womit wir bei der leidigen Frage einer Erkundung angelangt wären«, warf Uster Brick ein. »Selbstverständlich stehe ich für ein derartiges Unternehmen zur Verfügung. Vorlan kann ja auf der SOL bleiben. Seine Nerven würden die Anspannung ohnehin kaum durchstehen.« »Wieso?« Herausfordernd stemmte sein Zwillingsbruder die Fäuste in die Hüften. Uster Brick schürzte die Lippen, erwiderte aber nichts. »Auf der Stelle will ich wissen, was diese Anspielung zu bedeuten hat, Kleiner. Immerhin bin ich der bessere Pilot von uns beiden.«
Weit beugte Vorlan sich vor, doch Uster Brick brachte sich vor seinen zupackenden Händen mit einem blitzschnellen Sprung in Sicherheit. »Du bist ganz einfach zu groß, Bruder. Folglich sind deine Nerven dünner als meine und halten einer Belastung weniger stand. – Und wenn du jetzt wild wirst, ist das nur ein deutlicher Beweis.« Uster Bricks Stimme überschlug sich förmlich, als Vorlan ihn mit zwei weit ausgreifenden Schritten einholte und an den Schultern packte. »Ich bin der Bessere, das wirst auch du einsehen müssen.« Vorlan wandte sich an Hayes: »Wenn eine Expedition vorgesehen ist, bitte ich darum, fliegen zu dürfen.« Hayes' Lächeln wirkte säuerlich. »Tragt eure Zwistigkeiten anderswo aus. Es geht schließlich nicht darum, wer hundert Lichtjahre in der kürzeren Zeit und mit geringerem Energieaufwand zurücklegt.« »Ich weiß«, nickte Vorlan Brick ernsthaft. »Unsere Aufgabe ist es, Hidden-X' Versteck ausfindig zu machen. Ich bin genau der Richtige dafür.« »Weil deine Augen 22 Zentimeter höher sitzen?« begehrte Uster lauthals auf. »Du bildest dir auf deine Größe viel ein. Meine Güte, weshalb gehen dir denn alle Frauen aus dem Weg?« »Ich erlaube mir, mit allem Nachdruck festzustellen, daß gewisse Herren nahe daran sind, endgültig vom Thema abzuschweifen.« Blödel, Hage Nockemanns beweglicher Laborroboter verschränkte seine ausfahrbaren Arme ineinander und richtete sein einziges Auge erst auf Vorlan und dann auf Uster. »Willst du behaupten, daß es unwichtig ist, einen Erkundungsflug durchzuführen?« fragten die Zwillinge wie aus einem Mund. »Ich habe die gegebenen Voraussetzungen keineswegs angezweifelt, sondern nur meine Meinung …« »Ach was«, Uster Brick winkte scheinbar wütend ab. »Sehr richtig«, pflichtete Vorlan bei. »Diese Blechkiste scheint nicht zu wissen, was Anstand ist.«
»Wenn du damit jene Ausdrucksweise typisch menschlichen Verhaltens meinst, die sich in einer gewissen Zurückhaltung dem jeweiligen Partner gegenüber äußert …« »Natürlich«, nickte Uster. »Du weißt also, daß man sich nicht einfach in ein Gespräch einmischt, noch dazu, wenn es sich um heikle Dinge handelt, von denen ein Roboter ohnehin nichts versteht. Oder kannst du eine Korvette fliegen?« »Nnnein«, brachte Blödel zögernd hervor. »Meine Programmierung versetzt mich leider nicht in die Lage, ohne zusätzliche Daten …« »Schon gut«, sagte Uster gönnerhaft. »Wo waren wir stehengeblieben?« »Hidden-X!« erinnerte Vorlan Brick. »Ich sollte ein Beiboot zur Erkundung starten.« Wahrscheinlich wären sich die beiden Chefpiloten nun endgültig in die Haare geraten, hätte der High Sideryt sich nicht zwischen sie gestellt. »Keine Expedition!« bestimmte er. »Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.« Die Brick-Zwillinge blickten einander erstaunt an. »Wir müssen uns vorher darüber klar werden, was wir von unserem noch immer unbekannten Gegner zu halten haben«, gab Sanny zu bedenken. »Wir wissen, wie Hidden-X vorgeht. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf sein ganzes Wesen ziehen.« »Hidden-X bedient sich im wesentlichen zweier grundverschiedener Methoden, um zum Erfolg zu gelangen«, sagte Atlan. »Einerseits ist es die Unterdrückung von Einzelwesen oder ganzer Völker durch einen starken mentalen Druck. Wir haben das vor allem im Ysterioon zu spüren bekommen. Andererseits dient die Anwendung von Spiegelungstechniken zur Erzeugung bestimmter Faktoren, die Hidden-X für seine Zwecke nutzt. Reale oder nur scheinbar reale Gebilde wie die Landschaft im Nichts können uns zum Verhängnis werden. Auch das Roxha-
System war mit Hilfe dieser Technik verborgen.« »Roxha und Zone-X haben, soweit wir das bisher feststellten, nichts miteinander gemeinsam«, gab Breckcrown Hayes zu bedenken. »Noch sehen wir die umliegenden Galaxien auf den Schirmen und sind doch unendlich weit von ihnen entfernt.« »Das ist es nicht, worauf ich anspielte«, sagte Sanny. »Auch der geistige Druck wurde durch Spiegelungen erzeugt oder zumindest verstärkt und weitergeleitet. Ich behaupte, daß Hidden-X in seiner ureigensten Erscheinung etwas Ähnliches sein muß, wie sich aus seinen Handlungen ergibt – ein Mentalwesen also, das aus Spiegelungen entstanden sein könnte.« »Sind das Vermutungen oder die Ergebnisse durchgeführter Berechnungen?« »Beides, Atlan, aufeinander nach logischen Gesichtspunkten aufbauend.« Was meinst du dazu? fragte der Arkonide in Gedanken seinen Extrasinn. Sanny scheint durchaus auf dem richtigen Weg zu sein. Hidden-X ist gefährlich, es jagt einem Ziel nach, dessen Erreichen Leid und Verderben über diesen Abschnitt des Kosmos bringen kann. Du weißt mehr, als du jetzt eingestehst. Heraus mit der Sprache! Ein leises Lachen erfüllte Atlans Gedanken. Ich ahne die Zusammenhänge, und Sannys Folgerungen sind mir eine Bestätigung. A ber ich würde dich damit nur verwirren. Noch ist die Zeit nicht reif für die ganze Wahrheit. Was ist Hidden-X? Wirklich eine Spiegelung? Von wem? Schweigen.
* Sie war eine Ketzerin. Obwohl niemand es
wagte,
diese
Anschuldigung
offen
auszusprechen, wußte Lichtquelle-Jacta doch, daß viele so dachten. Sie brauchte nur in die Gesichter einiger zu schauen, um zu frösteln. Ablehnend reckten sich ihr die Kieferzangen entgegen, und die Fühler vibrierten vor erhaltener Erregung. Lichtquelle-Jacta ging mit dem Großmut der Oberpriesterin darüber hinweg, die wußte, daß ihre Stellung unantastbar war. Immerhin hatte sie mit der Tradition gebrochen, als sie es wagte, die Anonymität der Priesterinnen zu lüften. Erst vor kurzem hatte sie heimlich das Quartier im Großkessel einer Lebensmittelfabrik verlassen, um ihre Bewährungsprobe zu bestehen, heute dachte sie nicht mehr daran, sich wieder dorthin zurückzuziehen. Zweifellos war der Kontakt mit den Fremden schuld, die sich Solaner nannten. Sie waren das erste Volk neben den Vulnurern, dessen Heimat in den unermeßlichen Weiten der Schöpfung lag. Aber ihre Führungsschicht war anders aufgebaut, weitaus handlungsfähiger, wie es Lichtquelle-Jacta schien. Sie kannten keine Kasten mit streng spezialisierten Aufgabenbereichen, viele von ihnen waren gar in der Lage, jede Tätigkeit auszuführen. Jacta bewunderte die Solaner deshalb. Insgeheim fühlte sie sich seit dem ersten Zusammentreffen mit den fremden Raumfahrern in ihren Ansichten bestätigt. Von Anfang an war sie der Meinung gewesen, daß die starre Ordnung an Bord der Heimatschiffe jede wirkliche Bekehrung von Planetenbewohnern zu einem Leben im All nahezu unmöglich machte. Das kratzende Geräusch, das entstand, als Lichtquelle-Jacta ihr unteres Armpaar aneinander rieb, ließ etliche der Anwesenden aufsehen. Mit ruckartigen Bewegungen ihrer Fühler schickte sie die Männer und Frauen an die Arbeit zurück. Selbst als Angehörige der oberen drei Kasten, Piloten, Techniker, Mechaniker und Forscher, hatten sie sich streng unterzuordnen. Auch für den Kommandanten, Ferrunger-Mono, waren Jactas Worte Befehl. Die Oberpriesterin dachte an die GESTERN, jenes Schiff, auf dem
sie aus dem Ei geschlüpft war. Dort, in der Kammer ihres Puppenstadiums, hatte sie sich wohl gefühlt. Dort war Wärme gewesen und Geborgenheit. Die nüchterne, kahle Technik in der Hauptzentrale der HEUTE hingegen wirkte kalt. Fast bedauerte sie es, als Vulnurerin geboren zu sein, und allein das waren ketzerische Gedanken, für die ihr schlimmste Bestrafung drohte, wurden sie offenbar. Aber von einem der Solaner hatte sie erfahren, daß deren Lebensspanne gut das Fünfzehnfache der eines Vulnurers betrug. Lichtquelle-Jacta nahm sich vor, jenen mit den hellen Haaren danach zu fragen. Atlan schien an Bord des fremden Schiffes eine Funktion innezuhaben, die zwischen der einer Oberpriesterin und eines Kommandanten lag. Über die Vergangenheit der Bekehrer existierten keine Aufzeichnungen. Möglich, daß dort das Geheimnis der kurzen Lebensspanne zu suchen war. Jacta glaubte nicht an die Unabänderlichkeit eines vorherbestimmten Schicksals. Was unterschied Solaner und Vulnurer voneinander? Sicherlich nicht ihr Äußeres. Jacta hatte nie geglaubt, daß es auf das Aussehen eines Wesens ankommen könnte oder auf dessen Hautfarbe. Wichtig war einzig und allein der Geist, der in einem Körper steckte. Gedankenverloren blickte sie auf den Sichtschirm, der die Hauptzentrale in Augenhöhe umlief. Die GESTERN und die MORGEN zogen mit flammenden Triebwerken ihre Bahnen durch die ewige Nacht. Ihnen voraus flog die SOL, jenes selbst im Vergleich zu den Heimatschiffen riesige Gebilde aus Stahl. Die Entfernung zur nächsten Galaxis betrug beachtliche 36,7 Millionen Lichtjahre. Eine solche Distanz an sich war schon ungewöhnlich, daß die Solaner aber inmitten dieser intergalaktischen Leere einen kugelförmigen Sektor von nur einem Lichtmonat Durchmesser ansteuerten, irritierte Jacta. Unbemerkt war Ferrunger-Mono neben sie hingetreten. Die
Oberpriesterin wurde auf den Kommandanten erst aufmerksam, als seine Kieferzangen hart aufeinanderschlugen. »Was gibt es?« fragte sie. »Überlichtspruch.« »Von der SOL?« Der Mono vollführte eine bejahende Geste. »Gut. Ich will mit den Fremden reden.« Mit seinen vier Greifzangen schaltete Ferrunger-Mono. Lichtquelle-Jacta war nicht sonderlich überrascht, Atlan als Gesprächspartner zu sehen. Der Höflichkeit entsprechend wartete er, bis sie das Wort an ihn richtete. »Du erwartest einen Angriff?« wollte Jacta wissen. Flüchtig verzog Atlan die Mundwinkel. »Wir folgen nur dem Gebot der Vorsicht«, sagte er. »Wozu unser unbekannter Gegner fähig sein kann, hast du erlebt.« Lichtquelle-Jacta dachte an jenes Wesen, das die Solaner Hapeldan nannten. Der Schalter hätte zur ernsthaften Bedrohung werden können. »Ganz durchschaue ich dich noch nicht, Atlan, dazu bist du mir zu fremd. Aber du trägst ein ungelegtes Ei mit dir herum.« »Bitte?« Er schien erstaunt. Lichtquelle-Jacta rieb die Fühlerenden aneinander. »Du hast Probleme, wollte ich sagen. Wahrscheinlich betreffen sie unser weiteres Vorgehen.« »Ich schlage vor, daß wir uns zusammensetzen, um gemeinsam zu beschließen.« »Einverstanden«, stimmte die Oberpriesterin zu. »Unser Zentraletransmitter ist empfangsbereit.«
* Kurze Zeit später traten der Arkonide und der High Sideryt
gemeinsam aus dem Transmitterbogen. Viele Vulnurer nahmen nicht einmal Notiz von den Fremden. Die anfänglichen Feindseligkeiten waren eingestellt worden, als man erfahren hatte, daß auch die Solaner ein Leben im Weltraum dem planetengebundenen Dasein vorzogen. Zum Zeichen der Freundschaft streckte Lichtquelle-Jacta alle vier Arme von sich. »Gemeinsam sind wir stark«, gab sie zu verstehen. »Folgt mir. Ich habe einen Raum für die Besprechung vorbereiten lassen.« Zwischen Schaltpulten und einem großen Kartentisch hindurch führte sie die beiden in eine angrenzende Halle, in der gut hundert Mann Platz gefunden hätten. Doch nur ein einziger Vulnurer wartete dort. »Das ist Ferrunger-Mono«, sagte die Oberpriesterin. Atlan hatte den Kommandanten der drei Heimatschiffe bereits erkannt, für Hayes hingegen schienen noch immer die meisten der ameisenhaften Bekehrer einander zum Verwechseln ähnlich zu sein. »Haben wir wirklich unser Ziel erreicht?« begann Jacta. »Knapp 400 Milliarden Kilometer trennen uns vom Zentrum«, erklärte der High Sideryt. In dem harten Sessel, in dem er Platz genommen hatte, fühlte er sich merklich unwohl. »Du hast mich falsch verstanden«, sagte die Oberpriesterin. »Lichtjahreweit im Umkreis ist nichts. Dabei würde selbst ein Kleinerkunder unseren Ortungen nicht verborgen bleiben. Worauf beruhen eure Koordinaten?« »Auf Berechnungen Sannys. Mit Hilfe ihrer Paramathematik hat sie versucht, den Ausgangspunkt des verfälschten Kontaktimpulses zu berechnen.« »Ich habe die Molaatin kennengelernt«, meinte Jacta. »Sie erscheint mir zuverlässig. Ferrunger-Mono, was ist deine Meinung?« »Die Möglichkeit besteht, daß Hidden-X sich mit Deflektorfeldern umgibt. Außerdem muß der Impuls keineswegs aus unserem Raum-
Zeit-Kontinuum gekommen sein.« »Wir sollten im Linearflug zum Mittelpunkt der Zone-X vorstoßen«, sagte Atlan. »Möglicherweise erwarten uns dort grundlegendere Erkenntnisse.« Lichtquelle-Jacta verschränkte ihre beiden Armpaare. »Eine unmittelbare Gefahr scheint nicht zu drohen. Außerdem ist die gemeinsame Feuerkraft unserer Schiffe hoch genug einzuschätzen. Den Gegner möchte ich sehen, der einen Angriff erfolgreich durchsteht.« »Sei vorsichtig«, warnte Atlan. »Hidden-X verfügt über Möglichkeiten, die wir nur ungenügend kennen.« »Jemand, der eine so lange Lebensspanne besitzt wie du, wird seine Existenz nicht achtlos wegwerfen. Also fühle ich mich in deiner Nähe sicher.« »Woher weißt du …?« Die Oberpriesterin winkte ab. »Ich benötige dich nicht mehr, Ferrunger-Mono«, wandte sie sich an ihren Kommandanten. »Du wirst die Vorbereitungen für den Linearflug treffen. Stimme die Flugdaten mit der SOL ab.« »Ich habe Anweisung gegeben, den Funkkanal offenzuhalten«, nickte Hayes. »Unsere Positronik überwacht die Angleichung.« Du glaubst, daß Jacta über deine relative Unsterblichkeit informiert ist, wisperte Atlans Extrasinn. Was sonst sollte ihre Bemerkung bedeuten? gab der Arkonide lautlos zurück. Bist du dir über die möglichen Folgen im klaren? Tief atmete Atlan ein. Jacta kann es normalerweise nicht wissen. Nur … Allmählich wird es zur Manie, Hidden-X für alles verantwortlich zu machen. Jacta wirkt ärgerlich. Ich glaube, ihre Äußerung in Ferrungers Gegenwart war ein Fehler. Inzwischen hatte der Mono den Raum verlassen. »So«, sagte die Oberpriesterin. »Was unterscheidet unsere Völker?
Die technische Errungenschaft kann es nicht sein und ebenfalls nicht unsere Lebensweise. Vielleicht eine Strahlungsart, die den Vulnurern bislang unbekannt blieb?« Breckcrown Hayes schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich muß dich enttäuschen, Lichtquelle-Jacta. Wir Solaner sind genauso dem Gesetz des Todes unterworfen wie jedes andere Lebewesen. Nur Atlan ist dank seines Zellaktivators nahezu unsterb …« Jäh unterbrach er sich im Bewußtsein, einen Fehler begangen zu haben. Aber es war bereits zu spät. Jacta zeigte deutliche Zeichen von Erregung. Ihre Fühler wirbelten wie wild durcheinander, und ihre kurzen Kieferzangen öffneten und schlossen sich. »Unsterblich!« ächzte sie. »Ist … ist das wirklich wahr? Kaum auszudenken, welch herrliches Leben wir führen könnten. All jene, die aufgebrochen sind, das Geheimnis der Wiedergeborenen Lichtquelle zu entdecken, würden ihren Triumpf eines fernen Tages in der Zukunft noch erleben.« Ihre Überraschung ist echt, bemerkte Atlans Extrasinn. Du kannst ihr vertrauen. Die Aussicht auf einen Zellaktivator hat schon andere zu Verrätern und Mördern werden lassen. Weiß ich, was in der Oberpriesterin vorgeht? Ich kann ihre Empfindungen verstehen. Auch ein Trost. Atlan nickte kaum merklich. »Es stimmt«, sagte er dann. »Ich bin unsterblich. Aber glaube nicht, daß dies wirklich die Erfüllung eines Lebens bedeutet. Weißt du, was es heißt, einsam zu sein? Einsam, weil die Freunde altern und dich im Lauf der Jahre zu fürchten beginnen, nachdem sie dich anfangs beneideten. Vielleicht schlägt ihre Bewunderung sogar in Haß um. Selbst eine Liebe stirbt mit der Zeit.« »Ihr seid ein seltsames Volk.« Lichtquelle-Jacta ächzte leise. »Weshalb weiß man immer das nicht zu schätzen, was man besitzt. Unsere Lebensspanne beträgt nur zehn Jahre eurer Zeitrechnung. Ist
es da nicht erstrebenswert, den Tod hinauszuzögern?« »Es kommt nicht darauf an, wie lange jemand in dieser Welt weilt«, gab Atlan zu bedenken. »Wichtig ist, was der einzelne aus seinem Leben macht. Du kannst mir glauben, daß manche in zehn Jahren mehr vollbringen als andere in zweihundert.« »Schöne Worte, doch leider ein schwacher Trost.« Lichtquelle-Jacta vollführte eine weitschweifende Bewegung. »Ich werde darüber nachdenken.« Glaubst du mir nun? wisperte der Extrasinn. Sie wußte nichts von deinem Zellaktivator, sondern ihr ging es einzig und allein um die unterschiedliche Lebensspanne. Eine biologisch oder evolutionär bedingte Tatsache. Ich fürchte aber, Jacta sieht es von einer gänzlich anderen Seite und macht eine Philosophie daraus. Die Oberpriesterin hatte sich erhoben. »Kommt!« sagt sie, während das Schott zur Zentrale aufglitt. »Ihr sollt den kurzen Flug nicht versäumen.«
2. Der Übertritt in den Linearraum vollzog sich keineswegs unbemerkt. Ein Wimmern hallte durch die HEUTE, das von den überbeanspruchten Triebwerken herrührte. Sekundenlang sah es so aus, als würde das Heimatschiff der Vulnurer entstofflicht; Wände wurden erst transparent und verschwanden schließlich, blieben aber ein unsichtbares Hindernis, das zu durchdringen unmöglich war. Die Bildschirme zeigten ein eintöniges Grau. Alarm heulte auf. Ein wenig hilflos stand Breckcrown Hayes dem entstandenen Durcheinander gegenüber. Ihm fehlte die Möglichkeit eines treffenden Vergleichs, doch Atlan fühlte sich spontan an das
Gewimmel innerhalb eines Ameisenhaufens erinnert. »Was ist geschehen?« Lichtquelle-Jacta mußte schreien, um sich gegen den aufbrandenden Lärm verständlich zu machen. Ferrunger-Monos Antwort erfolgte in der zirpenden Sprache der Vulnurer und blieb unverständlich. Schwere Erschütterungen durchliefen die HEUTE. Plötzlich stand der Boden schräg; die künstliche Schwerkraft setzte aus. Gleißende Helligkeit sprang von den Bildschirmen herab. Atlan glaubte, ein riesiges, funkelndes Gebilde zu sehen, aber zu flüchtig war die Erscheinung, als daß er sie bewußt hätte aufnehmen können. Vielleicht eine Sonne, die mit flammenden Eruptionen nach dem Schiff griff. Wir haben unseren Standort innerhalb des Einsteinraums nicht verlassen, behauptete der Extrasinn. Irgend etwas hindert uns daran, in die Librationszone vorzudringen. Ob es nur uns so ergeht? Wahrscheinlich sind auch die SOL und die beiden anderen Heimatschiffe der Vulnurer davon betroffen. Obwohl Atlan wußte, daß nur wenige Sekunden vergingen, erschien ihm die verstreichende Zeit wie eine kleine Ewigkeit. Ihm war, als vernehme er die mentale Stimme von Hidden-X, die wie ein Orkan über ihn hinweg brauste. Es sind die Maschinen der HEUTE, behauptete der Logiksektor. Ihr Dröhnen wurde lauter, bedrückender. Gewaltige Energiemengen wurden freigesetzt, ohne das Schiff jedoch bewegen zu können. Ringsum begann das All zu glühen. Wie ein Atombrand fraß dieses grelle Leuchten sich weiter, verzweigt in hundert zuckende Stränge, die ein irrlichterndes Eigenleben entwickelten. Dann, schlagartig, trat Ruhe ein. Besatzungsmitglieder, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, der ungewohnten Schwerelosigkeit zu trotzen, wurden
durcheinandergewirbelt. Mehrere Bildschirme gingen dabei zu Bruch, doch gab es glücklicherweise keine Verletzten. Auf den optischen Wiedergaben zeigte sich die gewohnte Schwärze. Nichts hatte sich außerhalb des Schiffes verändert. »Wir sind nicht um einen Meter vom Kurs abgewichen«, meldete Ferrunger-Mono. »Die Auswertungen laufen noch, aber es hat den Anschein, als würde eine unbekannte Kraft jeden Linearflug verhindern.« »Schadensmeldungen von der GESTERN und MORGEN?« »Dort sieht es ähnlich aus wie bei uns. Reparaturarbeiten sind im Gange.« Lichtquelle-Jacta stellte eine Verbindung zur SOL her. Gallatan Herts' Stimme klang aufgeregt und ließ nichts mehr von seiner ansonsten zur Schau gestellten Ruhe erkennen. »Sämtliche Überlichtantriebssysteme versagen einheitlich«, sprudelte es aus ihm hervor. »Das legt den Verdacht eines gezielten Eingriffs nahe. SENECA rät, im Normalflug weiter zu beschleunigen.« »Was sagt Bjo?« »Nichts. Er spürt nur die deutliche Erregung der Vulnurer. Zum Teil lasten sie uns die Geschehnisse an.« »Das sind Angehörige der vierten Kaste«, warf Jacta ein. »Ihr müßt es verstehen. Sie wurden überrascht, ohne richtig begreifen zu können, was geschah.« »Schon gut.« Atlan wirkte in diesem Moment zu allem entschlossen. »Ich will, daß die SOL weiter beschleunigt.« »Sollen wir den Transmitter …?« »Hayes und ich werden von hier aus beobachten, was geschieht. Die Verbindung zwischen unseren beiden Schiffen bleibt bestehen, wenn Lichtquelle-Jacta keine Einwände hat.«
*
In den folgenden dreißig Minuten führte die SOL verschiedene Flugmanöver aus, wobei mit höchstmöglicher Leistung versucht wurde, die Geschwindigkeit des Schiffes zu steigern. Das Ergebnis war niederschmetternd. »Eigentlich habe ich es erwartet«, gestand Atlan ein. »Immerhin sitzen wir nicht gänzlich fest wie innerhalb der Dunkelwolke.« Breckcrown Hayes' Worte waren aufmunternd und vor allem für die Vulnurer gedacht, aber sie klangen trotzdem deprimierend. »In zwei Monaten werden wir unser Ziel erreicht haben.« »Falls Hidden-X uns so lange gewähren läßt. Nein, mit annähernd halber Lichtgeschwindigkeit zu fliegen, ist keine annehmbare Lösung.« »Ich schlage vor, daß unsere Wissenschaftler sich eingehend mit dem Phänomen befassen«, sagte Lichtquelle-Jacta. »Gemeinsam sollte es möglich sein, brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Was immer dort draußen ist, es hindert die Protonenstrahlen der Antriebssysteme daran, ihre volle Wirkung zu entfalten.« Auf den umlaufenden Bildschirmen waren die SOL und die Heimatschiffe der Vulnurer deutlich zu erkennen. Entweder Sanny oder SENECA mußten inzwischen zu dem Schluß gelangt sein, daß jeder weitere Beschleunigungsversuch sinnlos war, denn die Triebwerke der SOL wurden abgeschaltet. Die Bekehrer setzten ihre Bemühungen weiter fort, doch die Distanz zwischen den Schiffen verringerte sich nur unmerklich. »Es ist sinnlos«, sagte Atlan zu Lichtquelle-Jacta. »Ferrunger-Mono soll den Befehl zum Abbruch geben.« Warnanzeigen blinkten auf. Im Nu huschte ein Reigen bunter Lichter in sich wiederholender Folge über die Schaltpulte des Monos und der Oberpriesterin. »Wir verlieren an Fahrt«, machte Jacta überrascht. Gruppen fremdartiger Schriftzeichen und Symbole verrieten dem
Arkoniden, daß auch die anderen Schiffe langsamer wurden. Innerhalb von Minuten wurde der Pulk ohne ersichtliche Ursache auf weniger als 25 Prozent der Lichtgeschwindigkeit abgebremst. Ein erneuter Versuch der SOL, die Lineartriebwerke zu aktivieren, endete damit, daß rund um das Fernraumschiff der Weltraum zu brennen schien. »Gegenschub!« sagte Atlan. Die Schiffszelle vibrierte unter der Belastung, während ein lauter werdendes Knistern und Knacken bedrohliche Ausmaße annahm. »Du verlangst zuviel«, begann Ferrunger-Mono. Die Oberpriesterin achtete nicht darauf. Langsam, beinahe träge, schwenkte die HEUTE herum. Die Schutzschirme flackerten und brachen zusammen. Für eine Weile schwebten verblassende Energieschleier neben dem Schiff. Dann sah es so aus, als würden sie von etwas Unsichtbarem förmlich aufgesogen. Die Geschwindigkeit der HEUTE sank weiter. Irgendwo im Schiff gab es eine Explosion. Das Flackern der Beleuchtung fiel mit dem fernen Aufheulen einer Sirene zusammen. Vor Lichtquelle-Jacta flammte ein gutes Dutzend Kontrollen in warnendem Schwarz auf. Wütend hieb die Oberpriesterin mit ihren vier Greifklauen auf die Schalter der Triebwerkskontrolle. Wimmernd erstarb daraufhin das Rumoren der überlasteten Konverter. Die folgende Stille schien um so schmerzlicher. »Aus!« sagte Lichtquelle-Jacta und warf den Kopf zurück. Ihre Facettenaugen richteten sich auf Atlan. »Noch dürfen wir nicht aufgeben. Wir finden einen Weg.« Atlan legte ihr seine Hand auf die Schulter, was Ferrunger-Mono mit Verwunderung bemerkte. Kein Vulnurer hätte es sich erlauben dürfen, der Oberpriesterin ungebeten derart zu nahe zu kommen. »Was du sagst, Atlan, klingt nicht überzeugend«, meinte Jacta. Wie beiläufig schob sie seine Hand von ihrer Schulter. »Ich nehme
an, du und Hayes wollen jetzt an Bord der SOL zurückkehren.« Atlan nickte. »Ich wäre dir dankbar, könntest du uns ein Beiboot zur Verfügung stellen.« »Was versprichst du dir davon?« »Zumindest die Erkenntnis, ob das Versagen der Antriebssysteme massebedingt ist.« »Du bekommst einen Kleinerkunder«, entschied die Oberpriesterin. »Zwei Mann Besatzung genügen, um euch zur SOL zu bringen. Bis ihr den Hangar erreicht habt, sind die Startvorbereitungen abgeschlossen.« Breckcrown Hayes wandte sich dem Schaltpult zu und zog die energetische Ringmembrane des Hyperfunks mit den Fingerspitzen zu sich heran. Der überlichtschnelle Funkverkehr war nicht beeinträchtigt. »Gallatan«, sagte er, »du hast alles mitgehört.« »Das Wichtigste.« »Gut. Dann lasse Vorbereitungen treffen, falls etwas schiefläuft. Wie weit ist die SOL entfernt?« »Genau 19,8 Kilometer. Die gehe ich notfalls zu Fuß.«
* Die Hangaranlage mit den Kleinerkundern lag mittschiffs und war von der Zentrale aus auf geradem Weg zu erreichen. Insgesamt achtzig dieser sechzehn mal elf Meter messenden linsenförmigen Beiboote hatte jedes Heimatschiff an Bord. Bei einer Höhe von rund dreihundert Metern erstreckte sich der Hangar über mehrere Hauptdecks. Auf ringförmigen Galerien standen die Kleinerkunder startbereit, während im Zentrum jeweils ein durchlaufender Antigravschacht startende oder zurückkehrende Boote aufnahm.
»Unpraktisch«, bemerkte Breckcrown Hayes, während Atlan und er die ihnen zugewiesenen Plätze einnahmen. »Der Schacht ist so eng, daß er jeweils nur einen Erkunder aufnehmen kann.« Unmerklich hob das Beiboot von seiner Warteposition ab und glitt durch den Schacht nach unten. An den vorüberhuschenden Etagen erkannten Atlan und Hayes, wie groß ihre Sinkgeschwindigkeit wirklich war. Sekunden später verließen sie den Hangar über dem trichterförmig verbreiterten Heck der HEUTE und glitten seitlich davon. Jetzt erst zündeten die Triebwerke. Mit bloßem Auge war die SOL als Ansammlung winziger Lichtpunkte auszumachen. Zwar stand die MORGEN wesentlich näher, wegen ihrer geringeren Größe aber blieb sie fast zur Gänze in der Schwärze des Alls verborgen. Langsam fiel das Mutterschiff unter dem Beiboot zurück. Die geringe Entfernung zur SOL machte es unmöglich, mit höheren Werten zu beschleunigen. Aber auch so würde man, Start und Landung mit einbezogen, kaum länger als drei Minuten unterwegs sein. Schon war die Hälfte der Entfernung zurückgelegt. »Deine Theorie scheint sich zu bewahrheiten«, sagte Hayes zögernd, an Atlan gewandt. »Vielleicht ist es sogar möglich, einen Leichten Kreuzer zu fliegen.« Doch manchmal ist es besser, die Dinge nicht beim Namen zu nennen. Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein schrilles Heulen den Kleinerkunder durchlief. Gleichzeitig begann der Antrieb unregelmäßig zu arbeiten; das Boot kam zum Stillstand. Einer der Piloten drosselte die Leistung der Konverter. Das Heulen wurde schlagartig leiser. »Zurückgelegte Entfernung 14,22 Kilometer«, stellte er fest. »Wir kommen nicht weiter.« Sie wurden von der SOL aus angerufen. »Was ist los bei euch?« wollte Gallatan Herts wissen. »Curie hat
einen erhöhten Energieausstoß angemessen.« »Wir sitzen fest.« »Oh«, machte der Leiter der Hauptzentrale im Mittelteil. Im Hintergrund erklang aufgeregtes Stimmengemurmel. »Uster und Vorlan streiten schon wieder.« Herts zog bedauernd die Schultern hoch. »Ich fürchte, sie werden sich diesmal endgültig in den Haaren liegen.« »Sie sollen bleiben, wo sie sind.« »Mach ihnen das klar, Atlan. Sie brennen förmlich darauf, dich und Breckcrown abzuholen.« Abrupt wechselte das Bild auf dem Monitor. Lichtquelle-Jacta redete auf die Piloten ein. »Das Gespräch der Oberpriesterin hat Vorrang«, sagte einer der beiden entschuldigend. Endlich wandte Jacta sich auch an den Arkoniden. »Ich habe befohlen, mit allen Mitteln einen Rücksturz zu versuchen. Wir haben seltsame energetische Erscheinungen angemessen, unmittelbar bevor der Kleinerkunder zum Stillstand kam.« »Ortung!« rief Breckcrown Hayes. »Von der SOL ist soeben eine Space-Jet gestartet. Das kann nur einer der Brick-Zwillinge sein.« »Oder alle beide«, stellte Atlan fest. Das Diskusschiff kam schnell näher, umrundete den Kleinerkunder der Vulnurer und verharrte schließlich nur wenige Zentimeter über dessen Polkuppel. »Eine Glanzleistung«, nickte der High Sideryt anerkennend. »Wer immer die Jet fliegt, er übertreibt.« Atlan zeigte sich weit weniger begeistert. »Wir steigen um«, ließ er die Vulnurer wissen. Zwischen den beiden Schiffen bildete sich ein flimmernder Schlauch. Die Energiefelder verhinderten das Entweichen der Atemluft ins Vakuum. In der geöffneten Schleusenkammer des Kleinerkunders stieß Atlan sich kräftig ab und schwebte »hinauf« zur Space-Jet.
Sekundenlang wurde das Gefühl übermächtig, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Hilfreiche Hände streckten sich dem Arkoniden entgegen und zogen ihn an Bord. »Uster Brick«, sagte Atlan scharf. »Du solltest an Bord der SOL bleiben.« »Wirklich?« Die wulstigen Lippen des Kleinen verzogen sich zu einem spitzbübischen Lächeln. »Davon ist mir nichts bekannt.« »Laß es gut sein«, meinte Hayes, der soeben in die Schleuse schwebte. »Hauptsache ist, Uster bringt uns heil zurück.« »Aus diesem Grund bin ich geflogen und nicht Vorlan.« Sprach's, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in Richtung Zentrale. Die Jet gehorchte den leichtesten Korrekturschüben. Als sie mehrere hundert Meter entfernt war, nahm auch der Kleinerkunder wieder Fahrt auf. Erstaunt pfiff Uster Brick durch die Zähne. »Die schaffen es tatsächlich bis zur HEUTE zurück. Möchte bloß wissen, was das für eine komische Barriere ist. Ich wurde davon nicht beeinträchtigt.« Ehe Atlan es verhindern konnte, hatte er den Beschleunigungshebel weit durchgedrückt. Die Space-Jet schnellte förmlich nach vorne. »Festhalten!« lachte Uster. In einer weiten Kurve zog er die Jet herum, schoß zwischen den beiden SOL-Zellen hindurch und peilte die GESTERN an, die am weitesten entfernt war. »Vorsicht!« Atlans warnender Ausruf kam zu spät. Das Boot stoppte so abrupt, daß die Absorber nur einen Teil der auftretenden Beharrungskräfte abfangen konnten. »Verdammt!« schimpfte Uster Brick inbrünstig. »Entfernung zur SOL?« wollte Atlan wissen, ohne auch nur ein Wort über den Zwischenfall zu verlieren. »14,22 Kilometer«, las Breckcrown Hayes die Anzeige der Distanzortung ab.
»Kommt mir bekannt vor«, murmelte Brick. »Mir ebenfalls«, nickte Atlan. »Man sollte …« Uster Brick schnippte mit den Fingern und begann zu schalten. »Die Raumgeister mögen mich holen, wenn ich nicht recht behalte.« Gegenschub riß die Space-Jet herum; mit voller Beschleunigung raste sie zurück, tauchte unter der SOL hindurch und entfernte sich in die entgegengesetze Richtung. Die dringenden Funkanrufe vom Mutterschiff ließ Brick unbeachtet. Ehe Atlan oder Hayes auf Empfang schalten konnten, hatte er das Schiff schon wieder gestoppt. Alles in allem eine Sache von nicht einmal zwei Minuten. Mit geringer Restfahrt glitt die Space-Jet weiter. »14 Kilometer«, bemerkte Uster Brick. »Ich bin gespannt, was geschieht.« Auch Atlan beobachtete die Entfernungsangaben. Dann war es erneut, als pralle der Diskus auf ein unsichtbares Hindernis. »Unser ganzer Pulk ist regelrecht im Raum eingefroren«, sagte Brick. »Es bleibt zwar die Möglichkeit, das Dimesextatriebwerk zu aktivieren, aber damit wäre den Vulnurern nicht geholfen, ganz zu schweigen davon, was uns eventuell erwartet. Auf jeden Fall kommen ausgeschleuste Beiboote nicht sofort zum Stillstand.« »Daraus müßten sich Rückschlüsse ziehen lassen«, fuhr der High Sideryt fort. »Wir können also zwischen den Heimatschiffen der Vulnurer und der SOL eine Verbindung aufrechterhalten. Mag sein, daß die Transmitter ebenfalls nicht betroffen sind.« Endlich nahm Uster Brick den Anruf vom Mutterschiff entgegen. »Warum meldet ihr euch nicht«, sprudelte Gallatan Herts heraus, bevor das Bild sich stabilisieren konnte. »Die Bekehrer haben inzwischen eine überraschende Feststellung getroffen.« »Wahrscheinlich dieselbe wie wir«, nickte Brick. »Öffnet den Hangar, damit ich zurück kann.«
* »Sich vorzustellen, worauf alles hinausläuft, ist nicht schwer. Lichtquelle-Jacta hat in unzumutbarem Maß mit der Tradition gebrochen. Ich frage euch, weshalb?« Aufgeregt blickte die Priesterin in die Runde. »Jacta ist jung«, wurde ihr entgegengehalten. »Kannst du nicht verstehen, daß sie Fehler macht?« »Einen Fehler nennst du, was unser Ansehen schwer geschädigt hat. Keine Priesterin soll sich vor den unteren Kasten bloßstellen, Jacta aber hat es getan und ging sogar so weit, ihren Aufenthalt in die Zentrale zu verlegen.« »Das ist der Einfluß der Fremden«, erklang es von der anderen Seite her. »Jacta glaubt, ihnen nacheifern zu müssen.« »Für uns gelten eigene Gesetze. Und die Solaner haben bisher nur Unheil gebracht.« Zustimmendes Murmeln bei den einen, verhaltener Protest bei den anderen. Bislang hatten drei der fünf Priesterinnen auf der Seite von Lichtquelle-Jacta gestanden. Inzwischen sah es immer mehr so aus, als würden auch sie ihre Zuversicht verlieren. »Sie sind nicht unsere Feinde. Wer vergißt, daß die Fremden die falsche Oberpriesterin entlarvten, sollte nicht lautstark nach Gerechtigkeit rufen.« Triumphierend hob die Älteste unter ihnen einen kleinen Speicherkristall hoch. »Ein Techniker hat die Aufzeichnung für mich angefertigt. Seht sie euch an und entscheidet dann.« Die Bildwiedergabe zeigte Lichtquelle-Jacta, Ferrunger-Mono und zwei Solaner. Das Gespräch drehte sich um Probleme der Schiffsführung und des derzeitigen Aufenthalts. »Und?« meinte eine der Priesterinnen. »Was ist daran frevelhaft, wenn die Lichtquelle sich des Aufgabenbereichs von FerrungerMono annimmt?« Der empörte, einstimmige Aufschrei wenige Augenblicke später
war Antwort genug. Unsterblichkeit … »Jacta lästert ihre Vorgängerinnen!« »Nur Wesen, die auf der Oberfläche teuflischer Planeten hausen, besitzen eine längere Lebensspanne als das Volk der Bekehrer. Wenn die Lichtquelle sich mit ihnen auf eine Stufe stellt, ist sie nicht besser. Und alle, die untätig zusehen, laden selbst einen Teil der Schuld auf sich.« »Die Autorität der Oberpriesterin ist unantastbar«, kam es erschrocken. »Jacta wurde durch die Wahl bestimmt; wir müssen uns fügen.« »Niemand will ihr das Recht streitig machen. Lichtquelle-Jacta soll nur solange an der Ausübung ihres Amtes gehindert werden, bis die Solaner verschwunden sind. Sicher wird sie sich danach besinnen.« »Ein Unfall?« »Das läßt sich arrangieren.« Die drei Priesterinnen, die auf Jactas Seite gestanden hatten, beratschlagten. »Einverstanden«, sagte dann eine von ihnen. »Wenn LichtquelleJacta keinen bleibenden Schaden erleidet.«
* »Wir sind blindlings in die Falle hineingetappt.« Nicht nur Lyta Kunduran, die ihren Standpunkt mit Nachdruck vertrat, war dieser Überzeugung. Sofort nach der Rückkehr der Space-Jet mit Atlan, Hayes und Uster Brick an Bord waren die während des Fluges gespeicherten Daten und Meßergebnisse an SENECA überspielt worden. Fünf Stunden lag das inzwischen zurück, doch die Hyperinpotronik hatte sich während dieser Zeit nicht ein einziges Mal geäußert. Anfragen autorisierter Personen hatte sie mit mehr oder weniger
durchschaubaren Ausflüchten beantwortet. »Jede Falle hat eine gewisse Funktionsweise«, sagte Gallatan Herts. »Sie gilt es herauszufinden. Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist unumstößlich.« »Leider nicht«, erwiderte Atlan. »In der galaktischen Geschichte gibt es mehrere Beispiele, bei denen die Ursache erst durch die Wirkung bedingt wurde.« »Das ist mir zu hoch«, meinte Lyta Kunduran. Blödel tippte mit kurzen Schritten auf sie zu und blieb unmittelbar vor ihr stehen. Dann fuhr er seinen rechten Arm zur vollen Länge aus und wickelte ihn sich mehrmals um den Kopf. »Siehst du«, versuchte er zu erklären, »das ist ungefähr so, als würde ich mein Auge schließen, weil ich weiß, daß ich ohnehin nichts mehr sehen kann, sobald der Arm vor der Linse liegt.« Die Stellvertreterin von Gallatan Herts starrte den Roboter verblüfft an, schließlich platzte sie lauthals heraus. »Kein Grund zur Heiterkeit«, kam Hage Nockemann seiner Schöpfung zu Hilfe. »Im Prinzip hat Blödel durchaus recht.« »Ich kann mich allein verteidigen«, bemerkte der Roboter und kratzte sich ausgiebig den aus grünen Plastikhaaren bestehenden Bart, den er einer Laune des Galakto-Genetikers zu verdanken hatte. »Wie du meinst«, sagte Hage nur. Blödel beugte seinen Oberkörper nach vorne und tippte Lyta Kunduran vorsichtig auf die Schulter. »Im Prinzip habe ich durchaus recht, oder? Das mußt du doch zugeben.« Die Frau seufzte ergeben. Es war schade um jede Erwiderung. »Soviel zur Aufheiterung der Gemüter, nun zurück zum Ernst der Lage.« Atlan zeigte auf die Bildschirme, auf denen seit Stunden unveränderte Ortungsergebnisse zu lesen waren. »Eindeutig steht fest, daß kein Schaden an den Triebwerken vorliegt. Sämtliche Überprüfungen haben Grünwerte ergeben. Bei den Vulnurern ist es
dasselbe, wie Lichtquelle-Jacta mir noch einmal versicherte. Kein technischer Defekt. Sämtliche Aggregate arbeiten störungsfrei.« »Also unterliegen wir einem äußeren Einfluß«, stellte Breckcrown Hayes fest. »Was sich durchaus mit unseren Beobachtungen deckt. Energetische Absorptionserscheinungen, ein unerklärliches Leuchten, als würde das All brennen … Zu Zeiten der christlichen Seefahrt nannte man elektrische Entladungen an den Mastspitzen Elmsfeuer und verband damit die abergläubische Befürchtung, dem Schiff würde Schlimmes widerfahren.« »Willst du Prognosen über unsere Zukunft anstellen?« Atlan schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur klarstellen, daß es zwei Möglichkeiten äußerer Einflüsse geben kann. Wahrscheinlich ist, daß Hidden-X uns hier festhält. Wir sollten deshalb aber nicht die Suche nach einem physikalischen oder hyperphysikalischen Phänomen vernachlässigen.« »Sannys diesbezügliche Berechnungen bewegen sich immer wieder im Kreis«, sagte der High Sideryt. »Und Bjo Breiskolls kosmischer Spürsinn scheint ebenfalls zu versagen.« Der Katzer, der bislang unbeteiligt das Gespräch verfolgt hatte, sah kurz auf. »Es tut mir leid. Noch tappe ich völlig im dunkeln. Allerdings vermeine ich zu spüren, daß dort draußen an verschiedenen Stellen etwas ist, was sich geschickt verbirgt.«
3. »Vieles von dem, was uns im Larvenstadium gelehrt wurde, erweist sich nachträglich als falsch«, behauptete Lichtquelle-Jacta. »Wissen wir überhaupt, ob die wenigen Überlieferungen in dieser Hinsicht die Wahrheit sagen? Erst das Erscheinen der Solaner hat mir die
Augen geöffnet.« »Du solltest mit deinen Äußerungen vorsichtig sein«, warnte Ferrunger-Mono. »Ach was.« Jactas Fühler krümmten sich spöttisch zusammen. »Niemand wird es wagen, meine Autorität anzugreifen. Aber jemand muß etwas unternehmen. Die Priesterinnen denken in festgefahrenen Bahnen, sie sind unfähig, wirkliche Änderungen einzuleiten.« »Du willst dir die Aufgabenstellung der SOL zu eigen machen«, vermutete Ferrunger-Mono. »Im Prinzip muß ich zustimmen, doch bin ich auch skeptisch.« »Du fürchtest, ich könnte darüber die Suche nach der Wiedergeborenen Lichtquelle vernachlässigen? Läßt sich nicht beides miteinander verbinden, und verspricht nicht gerade das einen schnelleren Weg zum Erfolg?« »So meinte ich es nicht.« Ferrunger-Monos Blick schweifte ab, während seine Fühlerenden wie zufällig die der Oberpriesterin berührten. Überrascht schreckte Jacta zurück. »Ich bin skeptisch, weil du die Veränderungen allzu schnell vornehmen willst«, beeilte er sich zu erklären. »Selbst ein Volk mit einem derart raschen Generationswechsel wie das unsere, wird sich das nicht gefallen lassen. Wir müssen erst lernen, mit dem Neuen vertraut zu werden.« »Jede Dekade, die wir zögern, ist verlorene Zeit«, erwiderte Jacta heftig. Flüchtig sah sie sich um, aber da war niemand in der Nähe, der ihr Gespräch hätte belauschen können. »Haben wir je ein Volk davon überzeugt, daß es besser ist, auf unsere Art zu leben? Ich will endlich von dem unsinnigen Bekehrertum ablassen – es gibt Wichtigeres zu tun. Vielleicht sollten wir uns sogar mit dem Gedanken anfreunden, Planeten zu erkunden und zu besiedeln. Sobald die augenblicklichen Ereignisse vorüber sind, werde ich offen zu den Vulnurern sprechen.« Ferrunger-Mono erschrak sichtlich.
»Tu's nicht, Lichtquelle-Jacta. Glaube mir, ich kenne unser Volk besser und weiß, daß du Zeit brauchst, um deine Ideen zu verwirklichen, viel mehr Zeit, als du es dir jetzt vorstellst.« »Mein Amt gibt mir die Macht dazu, meinen Willen durchzusetzen«, erwiderte die Oberpriesterin. »Wenn die Begegnung mit den Solanern eine Fügung des Schicksals war, kann mir nichts geschehen.« Indem sie sich erhob, gab sie zu verstehen, daß die kurze Unterredung für sie beendet war. Ihr Entschluß stand fest. »Hoffentlich mußt du dein Vorgehen nicht eines Tages bereuen«, sagte Ferrunger-Mono. Lichtquelle-Jacta wirbelte herum und starrte ihn verblüfft an. »Soll das eine Drohung sein?« fragte sie. »Eine Warnung«, versetzte der Kommandant scheinbar ungerührt. »Ich würde es zutiefst bedauern, einer anderen Oberpriesterin dienen zu müssen.« Wieder neigten seine Fühler sich herab, doch Jacta wich ihm aus. Eine intime Bindung einzugehen, daran hatte sie bisher nicht gedacht. Ohne sich noch einmal umzuwenden, verließ sie die Zentrale. Vulnurer, denen sie begegnete, traten ihr mit Scheu und Ehrerbietung gegenüber. Trotzdem mußte sie immer wieder an Ferrunger-Monos Worte denken. Diese waren nicht bloß flüchtig dahingesagt. Je mehr Jacta sich damit beschäftigte, desto mehr wollte ihr scheinen, daß der Kommandant echte Besorgnis empfand. Er mag mich, durchzuckte es die Oberpriesterin. Nur deshalb hält er zu mir. Die Erkenntnis traf sie zutiefst. Immerhin mußte sie dann mit weitaus größerem Widerstand in den Reihen der Vulnurer rechnen, als anfangs angenommen. Von der Zentrale zu dem Großkessel der Nahrungsmittelfabrik, in dem das Quartier der Priesterinnen versteckt lag, war es nicht weit. Als Lichtquelle-Jacta das Schott der Fabrik hinter sich schloß, war
sie allein. Nur selten kamen Vulnurer in diesen Bereich, da die Produktion vollautomatisch ablief. Ein Antigravlift brachte Jacta in die oberen Etagen. Auf den schmalen Stegen zwischen den Tanks der Wiederaufbereitungsanlage eilte sie weiter. Gut sechzig Meter tiefer lag der Hallenboden, und von dort erklang auch das Echo ihrer Schritte. Aus den nach oben offenen Behältern der Synthoanlage quoll steter Dunst, der erst unmittelbar unterhalb der Decke abgesaugt wurde. Dahinter lagen die Großkessel. Die Sicht reichte kaum mehr drei Meter weit. Es roch nach frisch geschnittenen Pflanzen und chemischen Beimengen. Sich vorzustellen, daß daraus wohlschmeckende Nahrungsmittel wurden, fiel schwer. War da nicht ein Schatten, eine flüchtige Bewegung inmitten des aufsteigenden Brodems? Lichtquelle-Jacta hielt inne. Ein plötzliches Zischen erschreckte sie. Irgendwo mußte ein unter Druck stehendes Leitungsrohr geplatzt sein. Schon fühlte sie den heißen Dampf, der sich in winzigen Tropfen auf ihrem Panzer niederschlug. Das Zischen wurde lauter, bedrohlicher. Jeden Augenblick konnte das Leck explosionsartig aufreißen. Jacta bekam kaum noch Luft. Es war, als schnürten eiserne Bande sich eng um ihren Leib. Blindlings taumelte sie vorwärts. Der Steg unter ihren Füßen überzog sich mit Feuchtigkeit. Sie glitt aus, fand am Geländer aber sicheren Halt. Die Umgebung begann vor ihren Augen zu verschwimmen. Jacta wußte, daß es die Gase verschiedener Gärungsprozesse waren, die sie jetzt einatmete. Weshalb die Sicherungseinrichtungen nicht ansprachen, war ihr ein Rätsel. Doch gerade deshalb mußte sie so schnell wie möglich fort von hier. Eine heftige Detonation riß sie von den Beinen. Lichtquelle-Jacta
fand keine Zeit mehr, sich abzufangen. Hart schlug sie auf. Die Sinne drohten ihr zu schwinden, aber auf allen vieren schleppte sie sich weiter. Da war dieser Schatten wieder. Die Oberpriesterin nahm ihn nur flüchtig wahr. »Halt!« krächzte sie. Die Einwirkung der ätzenden Stoffe lähmte ihre Stimmbänder. Sie fühlte die Schwäche, die von ihr Besitz ergriff und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Eine einzige Stunde in diesen Dämpfen konnte ihren Tod bedeuten. Von jäher Panik erfüllt, versuchte sie sich aufzurichten. Aber die Beine versagten ihr den Dienst, und sie schlug der Länge nach hin. Dann war nichts mehr außer dem Gefühl, in die Unendlichkeit zu stürzen.
* Fünfhundert Meter vom SOL-Mittelteil entfernt, verharrte die Korvette in relativem Stillstand. Zögernd bauten sich ihre Schutzschirme auf, deren Anblick anders war als gewohnt. Erscheinungen gleich großflächigen Schlieren durchzogen die HÜFelder. »Energieverbrauch um 50 Prozent überhöht«, meldete Vorlan Brick von Bord der DISCOVERER, wie er die Korvette mit einem Lächeln auf den Lippen getauft hatte. »Weiter beobachten, aber nichts unternehmen.« Sein Zwillingsbruder war gezwungenermaßen in der Hauptzehtrale zurückgeblieben. »Ich beschleunige mit Höchstwerten. Countdown minus sechzig.« »Hm. Sämtliche Systeme auf Aufzeichnung.« »Sonst hast du nichts zu sagen, Uster?« »Ich wüßte nicht.«
Schweigen. Dann, bei minus fünfzehn: »Du könntest wenigstens meiner Besatzung viel Erfolg wünschen, wenn du schon auf mich sauer bist.« »Hals- und Beinbruch«, brummte Uster Brick. »Liebenswürdig wie immer«, konterte Vorlan. Auf dem großen Panoramabildschirm war die DISCOVERER in allen Einzelheiten zu sehen. Jener Punkt ihrer programmierten Flugbahn, der genau 14,22 Kilomter entfernt lag, wurde symbolisch hervorgehoben. »Start erfolgt – jetzt!« dröhnte SENECAs Stimme überlaut durch die Zentrale. Im selben Sekundenbruchteil verdunkelten sich die Schirme, dämpften die Filter die Lichtflut der Impulsstrahlen auf ein erträgliches Maß. Die Korvette raste davon. Zeit für eine direkte Beobachtung des Geschehens blieb nicht. Dafür ging alles viel zu schnell. »Fehlschlag!« meldete SENECA. »Wiederholung eingeleitet.« Doch auch diesmal wurde jeder Versuch eines Durchbruchs schon im Keim erstickt. Flackernd brach der Schutzschirm um die DISCOVERER zusammen. »Schäden?« fragte Atlan. »Keine, soweit dies bereits abzusehen ist«, antwortete Vorlan Brick stockend. »War ein verdammt harter Schlag. So geht es jedenfalls nicht. Habt ihr eure Daten?« »Ich denke schon«, nickte Uster. »Gut, dann will ich es wissen. Die Energiereserven reichen aus.« »Keine Husarenstücke, Vorlan«, mahnte Atlan. »Was hast du vor?« »Ich werde mit Minimalgeschwindigkeit in den Linearraum gehen. Mag sein, daß ein Übertritt infolge der geringeren Masse der Korvette im Vergleich zur SOL und den Heimatschiffen der
Vulnurer möglich ist.« »Du wirst die DISCOVERER zu Schrott fliegen«, behauptete Uster Brick. »Hoffentlich macht deine Besatzung dabei mit.« »Keine Angst, Bruderherz, von denen ist keiner ängstlich. Wir schaffen es.« »Einen Versuch scheint es wert zu sein«, nickte der High Sideryt. Was meinst du dazu? wandte Atlan sich an seinen Extrasinn. Die vorliegenden Fakten sind für eine Beurteilung unzureichend. »Ich warte«, kam es drängend von der DISCOVERER. Lyta Kunduran, die zu diesem Zeitpunkt für Herts Dienst tat, hob zustimmend die Hand. »Wir sind gezwungen, größere Risiken einzugehen«, sagte sie. »Wenn Hidden-X hinter allem steckt, müssen wir es provozieren.« »Also gut«, stimmte Breckcrown Hayes zu. »Vorlan, versuch dein Glück.« Die folgenden Minuten waren erfüllt von erwartungsvoller Spannung. Jeder hing irgendwie seinen eigenen Gedanken nach. Die meisten aus Atlans Team weilten ohnehin in ihren Kabinen in SOLCity. Bjo Breiskoll suchte allein schon deshalb die Abgeschiedenheit, um sich besser auf seine Wahrnehmungen konzentrieren zu können. Ebenso Sanny, die in Ruhe ihre Berechnungen über Zone-X und die mögliche Anwesenheit von Hidden-X abschließen wollte. Hage Nockemann wiederum und Blödel versuchten gemeinsam, auf wissenschaftlicher Basis dem Phänomen auf den Leib zu rücken, obwohl beider Spezialgebiet die Galakto-Genetik war. Vorlan Brick hätte jedem an Bord der Korvette freigestellt, auf die SOL zurückzukehren. Zu seiner Befriedigung war jedoch niemand auf dieses Angebot eingegangen. »Ich fahre jetzt die Lineartriebwerke hoch«, meldete er. »Was geschieht, wenn die DISCOVERER dabei zerstört wird?« wollte Curie van Herling wissen. »Sämtliche Defensivsysteme bereit zur Aktivierung«, antwortete SENECA. »Ernsthafte Beschädigungen der SOL oder der beiden
Zellen können ausgeschlossen werden.« Im nächsten Augenblick brach die Bildübertragung von Bord der Korvette zusammen. Das letzte, was man zu sehen bekam, war Vorlan Bricks verzerrtes Gesicht. Alarm gellte durch die Zentrale. »Energieausbruch in Raumsektor A2!« Das waren die Koordinaten der DISCOVERER. »SENECA baut HÜ- und Paratronschirme auf«, rief Hayes überrascht. Niemand blieb Zeit, sich zu besinnen. Ein greller Blitz zuckte auf, sprang von den Bildschirmen herab und tauchte die Zentrale sekundenlang in blendende Helligkeit. Einmal mehr bewies Lyta Kunduran ihre Umsicht, die sie zur Stellvertreterin von Herts gemacht hatte. Noch war nicht zu erkennen, was aus der Korvette geworden war, als sie bereits die Rettungsmannschaften alarmierte. Im Notstart verließen mehrere Space-Jets die Hangars. Der Rumpf der DISCOVERER war aufgerissen, Teile des Ringwulsts fehlten völlig. Tief im Innern des Schiffes loderten atomare Gluten. »Meine Güte«, stöhnte der High Sideryt entsetzt auf. »Hoffentlich hat es keine Todesopfer gegeben.« Die Funkverbindung war zusammengebrochen. Wahrscheinlich hatte die Explosion die Energieversorgung lahmgelegt. »Ich glaube nicht, daß die Zentrale in Mitleidenschaft gezogen ist«, meinte Uster Brick. »Seht!« Lyta Kunduran deutete auf den Bildschirm, auf dem eine Gestalt im Raumanzug zu erkennen war. Sie löste sich aus einer Schleuse im oberen Drittel der Korvette, die weit von den rasch um sich greifenden Gluten entfernt war. Zwei weitere Personen folgten, stießen sich kräftig ab und schwebten auf die SOL zu. Inzwischen hatten die Rettungsmannschaften die DISCOVERER erreicht. Medoroboter drangen in die Korvette ein, während andere
versuchten, das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Minuten später stand fest, daß die zehnköpfige Besatzung mit dem Schrecken davongekommen war. Leichte Verletzungen wie Hautabschürfungen und offene Wunden würden mit aufgesprühtem Plasma sehr rasch wieder heilen. Vorlan Brick meldete sich von Bord einer Space-Jet. »Tut mir leid«, sagte er, mehr nicht. In seinem Gesicht stand Erschöpfung geschrieben. Breckcrown Hayes winkte ab. »Den Verlust der Korvette können wir verschmerzen. Hauptsache ist, wir haben keine Menschenleben zu beklagen.« Die Löschversuche der Roboter führten mittlerweile zum Erfolg. Ganze Segmente der Außenhülle der DISCOVERER wurden einfach abgesprengt und verglühten im All. Zugstrahlen holten das Wrack schließlich zur SOL zurück, wo sofort mit der Auswertung sämtlicher Aufzeichnungen begonnen wurde.
* Die Hitze war schier unerträglich. Ein lodernder Feuerball gigantischen Ausmaßes hielt Jacta in seinem Bann gefangen, und sie unternahm nicht einmal den Versuch, ihre Lage zu verändern. Sie stürzte, fiel der Ewigkeit entgegen. Glutfinger griffen nach ihr und schossen weit hinaus ins All, wo sie, ein letztes Mal aufflammend, vergingen. Schlagartig erkannte Jacta ihren Irrtum. Nicht ein Funke, und mochte er noch so winzig sein, ging verloren. Nach allen Richtungen stoben sie davon, verblassend und in der endlosen Schwärze kaum mehr auszumachen. Viele von ihnen ballten sich zusammen, begannen um gemeinsame Schwerpunkte zu kreisen. Kugelförmige Gebilde wurden so geboren
und Scheiben, die sich zu ihren Rändern hin verjüngten, Balken und lockere Haufen ohne sichtlichen Zusammenhalt. Galaxien! Aus der Tiefe des Vergessens stieg jäh dieser eine Begriff in Jactas Bewußtsein empor. Er bereitete ihr Unbehagen, war er doch mit so viel anderem verbunden, dessen Bedeutung ihr fremd schien. Die Helligkeit wurde schier unerträglich. Sie vertrieb die Schwärze der Nacht und die Kälte der Empfindungen. Zugleich wirkte sie weder bedrohlich noch furchteinflößend. Schauer freudiger Erregung durchflossen Jacta. Zum erstenmal seit sie aus dem Ei geschlüpft war, fühlte sie sich wirklich wohl. Ihr war, als hätte sie das Ziel ihrer Wünsche erreicht. Die Wiedergeborene Lichtquelle! Was anderes konnte dieser riesige Feuerball, größer als Tausende von Galaxien, sein? Plötzlich schien es Jacta, als schiebe ein Schatten sich zwischen sie und die Wiedergeborene Lichtquelle. Sie wollte schreien, doch nur ein klägliches Krächzen drang über ihre Lippen. Eine eisige Berührung ließ sie erschaudern; zugleich vernahm sie seltsam verzerrt eine Stimme, die beruhigend auf sie einredete. Jacta wehrte sich dagegen, schlug mit Händen und Füßen um sich, aber vier kraftvolle Klauen drückten sie unnachgiebig zurück. »Das geht vorbei«, hörte sie. Die Stimme weckte neue Erinnerungen in ihr. »Es sind die Auswirkungen des Gases, die dir zu schaffen machen.« Bruchstückhaft erwachte die Vergangenheit zu neuem Leben. Jacta vernahm wieder das gräßliche Fauchen des Rohrbruchs, spürte erneut die heißen Dämpfe, die ihr schließlich die Besinnung raubten. Übergangslos fand sie in die Wirklichkeit zurück. Über ihr brannte eine kleine, grelle Kunstsonne. Und da war auch das besorgt blickende Gesicht von Ferrunger-Mono. Fahrig fuhr Jacta sich mit einer Klaue über die Fühler. »Allmählich erinnere ich mich wieder«, ächzte sie. »Wo bin ich?«
»Ich habe dich in den Regenerationsraum gebracht«, sagte der Kommandant. »Wie … hast du mich gefunden?« »Ich bin dir gefolgt«, gestand er. »Zehn Minuten länger, und der Anschlag hätte für immer dein Bewußtsein getrübt.« Unwillkürlich fuhr Jacta auf. Aber die Schmerzen, die wie flüssiges Blei durch ihre Adern pulsten, waren stärker als ihre Überraschung. »Du meinst … Nein, ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand meine Autorität antastet.« »Denke darüber nach«, riet Ferrunger-Mono. »Wer sollte dazu fähig sein?« »Die Priesterinnen!« Ungläubig starrte Lichtquelle-Jacta ihren Kommandanten an. »Deine Offenheit kann dich den Kopf kosten.« »Weil die Wahrheit unbequem ist«, erwiderte er heftig. »Es gibt keinen anderen logischen Schluß.« Jacta schwieg lange. Als sie endlich wieder aufsah, schien sie die körperliche Schwäche überwunden zu haben. »Wenn du wirklich recht hast«, sagte sie, »werde ich mich durchsetzen. Die Roboter gehorchen nur meinem Befehl. Ich …« Das Summen der Bordsprechverbindung unterbrach sie. »Ich habe in der Zentrale hinterlassen, wo ich zu erreichen bin.« Ferrunger-Mono nahm das Gespräch entgegen. Als er sich wieder umwandte, zuckten seine Fühler. »Man sucht dich.« »Wer?« »Ich weiß nicht. Jedenfalls sollst du einen bestimmten Anschluß herstellen.« Ferrunger-Mono nannte die betreffenden Kodezahlen. Lichtquelle-Jacta tippte die Verbindung. Der Bildschirm blieb leer, aber eine bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Stimme begann zu reden: »Du hast unsere Warnung verstanden, Jacta? Hüte dich davor, das
Erbe der Vulnurer zu verraten, sonst wirst du wünschen, nie die Eihaut gesprengt zu haben.« »Ich muß zur Zentrale«, rief die Oberpriesterin. »Glaubst du nicht, daß deine Gegner mit den Robotern rechnen? Sie werden entsprechende Vorkehrungen getroffen haben.« Lichtquelle-Jacta winkte ab, dann eilte sie davon. Nichts war anders als sonst, und doch mußte sie hinter jedem, der ihr begegnete, einen potentiellen Gegner vermuten. Ihre Aufmerksamkeit war angespannter. Aber niemand schien auch nur eine Ahnung von den Zwischenfällen zu haben. Lichtquelle-Jacta schickte ihre Schwarzen Roboter mit eindeutigen Befehlen aus. Die gesamte Produktion der Nahrungsmittelfabrik wurde, sofern dies wegen der erforderlichen Reparaturarbeiten nicht ohnehin schon geschehen war, stillgelegt. Ein zweiter Trupp suchte die Anschlußstelle des Bordkommunikationsnetzes auf, von der aus die Warnung überspielt worden war. Ferrunger-Mono zeigte sich skeptisch. »Du wirst keine Spuren finden«, sagte er. Lichtquelle-Jacta sah ihn fragend an, und ihre Fühler bogen sich dabei weit zurück. »Deine Worte klingen, als würdest du mit den Verschwörern gemeinsame Sache machen«, fauchte sie. Erschrocken wehrte der Kommandant ab. »Ich vestehe nur, mich mit ihnen zu identifizieren. Manchmal ist es gut, die Schritte des Gegners nachzuvollziehen.« Eine Spur von Mißtrauen wollte dennoch nicht aus Jactas Miene weichen.
* Vor zwei Stunden hatte seine Freischicht begonnen. Eigentlich hätte Uster Brick sich jetzt in seiner Kabine befinden und sich einem
erholsamen Schlaf hingeben sollen. Aber obwohl die letzten Ereignisse mehr an seinen Nerven gezehrt hatten, als er sich einzugestehen bereit war, fühlte er keine Müdigkeit. Ziellos schlenderte er durch die Korridore der SOL. Kaum jemand begegnete ihm. Uster war das nur recht. Ihm war nicht nach Unterhaltung zumute. In der Nähe des Dimesextatriebwerks verhielt er kurz. Hinter den weitläufigen Maschinenhallen lagen die Hangars der 60mKorvetten. Dort stand auch der Wrack der DISCOVERER. Sekundenlang schwankte Uster in seinem Entschluß, dann machte er auf dem Absatz kehrt. Innerhalb der zerstörten Korvette wimmelte es bestimmt von Wissenschaftlern und Robotern. Er sprang in einen Antigravschacht und ließ sich von den gerichteten Feldern etliche Decks weit nach unten tragen. Auf der Höhe der Notkraftwerke verließ er den Lift wieder und wandte sich in Richtung Außenhülle. Hier war er allein mit sich und seinen Gedanken. Die Tatsache, daß sein Zwillingsbruder Vorlan in Lebensgefahr geschwebt hatte, machte ihn nervös. Auch wenn es nicht gerade so schien, als hingen sie aneinander, ein Leben ohne den anderen hätten beide sich nicht vorstellen können. Den roten Warnbereich der Fusionsmeiler umging Uster. Ein Transportband brachte ihn zu den Lagerräumen für Nugaskugelbehälter. Nur flüchtig nahm er zur Kenntnis, wo er sich befand, verließ das Band und betrat einen Seitenkorridor, der gut hundert Meter geradeaus führte, ehe er vor einem Schott abzweigte. Überrascht las Uster Brick die übergroße Aufschrift: RINGWULSTHANGAR 37 Sektion B/3 Schon wollte er sich abwenden und seine ziellose Wanderung fortsetzen, als ein plötzlicher Impuls ihn innehalten ließ. Hinter diesem Schott lag einer der seitlichen Zugänge zu den Ausrüstungskammern der Lightning-Jets. Kurz entschlossen preßte er seine Handfläche auf das
Wärmeschloß. Minuten später stand Uster Brick mit einem Raumanzug angetan, vor den kleinen wenigen Jägern, und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Mit einem Mal wußte er, daß er nur dieses eine Ziel gehabt hatte. Was Vorlan nicht geschafft hatte, er würde den Beweis erbringen, daß es möglich war. Die Lightning-Jets forderten ihn geradezu auf. Spontan entschied Uster sich für eine der Maschinen. Jede war gewartet und startbereit. Die früheren katastrophalen Zustände an Bord der SOL gab es nicht mehr – alles machte einen gepflegten Eindruck. Uster brauchte sein Vorgehen nicht zu überlegen. In Gedanken hatte er es sich längst zurechtgelegt. Die Panzerplastscheibe der Kanzel klappte langsam hoch. Uster konnte es kaum erwarten, sich in den Pilotensitz zu schwingen. Daß der Lightning-Jäger zwei Mann Besatzung erforderte, kümmerte ihn nicht. Was sollte er mit einem Kopiloten? Die zurückzulegende Distanz war lächerlich genug. Uster Brick checkte die wichtigsten Kontrollen. Darauf, das Impulstriebwerk im Leerlauf hochzufahren, verzichtete er. SENECA würde ohnehin frühzeitig erfahren, daß ein nicht genehmigter Flug bevorstand. Er fühlte die Ruhe in sich aufsteigen, die einen wirklich guten Piloten auszeichnet. Jeden Handgriff beherrschte er im Traum, egal ob es sich um die Startvorbereitungen für einen Leichten Kreuzer oder nur einen kleinen Jäger handelte. Zuletzt gab er den Impuls zum Öffnen des Außenschotts. Solange dieser Vorgang lief, waren die inneren Zugänge automatisch verriegelt. Gleichzeitig leuchteten in der Hauptzentrale entsprechende Kontrollen auf. Alles dauerte viel zu lange. Da war der erwartete Anruf über Interkom. »Zentrale an den Piloten der Lightning-Jet in Hangar 37. Jeder
Start ist untersagt.« Uster zögerte mit seiner Antwort, um Zeit zu gewinnen. »Melde dich! Es besteht striktes Startverbot!« Gallatan Herts klang ärgerlich. Uster setzte sein anzüglichstes Grinsen auf, als er die Bildübertragung aktivierte. »Nur ein kleiner Probeflug, Gallatan«, sagte er. »Nichts von Bedeutung.« »Wissen Hayes oder Atlan …« Das Gesicht des Arkoniden erschien auf dem Schirm. »Was immer du vorhast, Uster«, rief er. »Ich kann nicht zulassen, daß du dich unnötig in Gefahr begibst.« Spontan fuhr Uster Brick die Triebwerke hoch. Die Lightning-Jet rollte an. Das Schott begann sich wieder zu schließen. Entweder SENECA oder jemand in der Zentrale hatte entsprechend reagiert. Noch dreißig Meter … Uster beschleunigte weiter. Indem er die Korrekturdüsen zündete, zog er den Jäger herum. Dann schwebte er zwischen Wandung und zugleitendem Schott hindurch, kaum mehr als einen Meter Luft zu beiden Seiten. Das Fahrwerk wurde eingefahren. Uster ließ die Maschine über die rechte Tragfläche abkippen. Die SZ-1 kam näher. Dicht zog er über die Schiffshülle hinweg. Einige Buhrlos blickten ihm verwundert nach. Er lachte leise. Die Empfindung, mit der Jet zu verschmelzen, war überwältigend. Auch wenn der gewohnte Anblick der Sterne fehlte, blieb das Gefühl, als öffne sich die Ewigkeit. Der winzige, verwaschene Fleck mochte Pers-Mohandot sein oder eine andere, ebenso weit entfernte Galaxis. »Ich weiß nicht, was du beabsichtigst«, meldete sich Atlan über Funk. »Aber noch ist Zeit, umzukehren.« Uster schüttelte den Kopf und schloß demonstrativ den Helm
seines Raumanzugs. »Ich bin mir selbst einen Beweis schuldig, Atlan. Gerade du wirst das verstehen können. Außerdem kenne ich das Risiko. Das Schicksal der DISCOVERER ist mir Warnung genug.« »Dann viel Glück.« »Danke. Ich werde es brauchen.« Damit unterbrach Uster die Verbindung. Fünf Kilometer hatte er sich von der SOL entfernt. Es wurde Zeit, die Zielerfassung einzurichten. Gleichzeitig programmierte er den Ladevorgang der Transformkanone, deren Abstrahlkraft nach drei Bomben mit je 20 Gigatonnen Sprengkraft erschöpft sein würde. Sieben Kilometer Distanz … Uster drückte den Feuerknopf. Fast im selben Sekundenbruchteil schien vor ihm eine Nova aufzuflammen. Die Lightning-Jet beschleunigte stärker. Der Glutball zweier weiterer Explosionen wuchs aus dem verblassenden Lodern hervor. Der Hochenergie-Überladungsschirm des Jägers baute sich auf. Schon drang die Maschine in die Ausläufer des atomaren Infernos ein. Das starr im Bug eingebaute Impulsgeschütz begann zu feuern. Uster Brick war praktisch blind; die Ortungsanzeigen spielten verrückt. Aber solange das grüne Leuchten des HÜ-Schirms Bestand hatte, konnte nicht sehr viel geschehen. Nacheinander flammten Kontrollen im Warnbereich auf. Der Fusionsreaktor drohte kritisch zu werden. Mit einem wütenden Faustschlag schaltete Uster das Impulsgeschütz ab. Inzwischen mußte er die unsichtbare Grenze überschritten haben. Die Distanzortung lieferte nur wirre Werte. Als würde sie von fremden Kraftfeldern beeinflußt, durchzuckte es den Piloten. Aber da war nichts außer der SOL und den Heimatschiffen der Vulnurer in unmittelbarer Nähe. Die Sicht wurde wieder besser. Nicht allzu weit entfernt huschten winzige Lichtpunkte vorüber. Es war ein sich stetig wiederholender
Reigen. Uster Brick brauchte verhältnismäßig lange, um zu begreifen, daß diese Lichter zur HEUTE gehörten und daß nicht sie sich bewegten, sondern daß die Lightning-Jet sich überschlug. Vergebens versuchte er, die Maschine wieder unter Kontrolle zu bringen, aber die Triebwerke reagierten nicht. Langsam näherte er sich der HEUTE auf Kollisionskurs. Uster Brick aktivierte den Hyperfuhk. Der Empfänger blieb tot, ließ nicht einmal das charakteristische Hintergrundrauschen kosmischer Störungen vernehmen. Ein kurzer Reflex weckte Usters Aufmerksamkeit. Etwas zog dicht über die Kanzel hinweg. »Wenn es nicht Unsinn wäre«, murmelte er leise vor sich hin, »würde ich sagen, daß mein eigenes Triebwerk mich soeben überholt hat.« Kurz entschlossen öffnete er die Kanzel und stieß sich ab. Unmittelbar hinter dem Sitz des Kopiloten war der Rumpf der Lightning-Jet auf einer Länge von mindestens dreizehn Metern aufgerissen. Eine Tragfläche sowie Höhen- und Seitenruder für den atmosphärengebundenen Flug fehlten völlig. Und vom Impulstriebwerk zeugten nur noch Verstrebungen, die anklagend nach allen Richtungen davonstanden. »Schrott«, sagte Uster zu sich selbst. »Verdammt.« Wie Vorlans Reaktion ausfallen würde, wußte er leider zu genau. Schon jetzt konnte er sich auf spöttische Reden gefaßt machen. Zum Verlust des Materialwerts kam die Erkenntnis, daß es keinen Ausweg aus der Falle gab, in der man gefangen war. Drüben bei der HEUTE blitzte es auf. Selbst die Tatsache, daß jemand kam, um ihn aufzufischen, konnte Uster Brick nicht so recht froh stimmen.
4.
Lichtquelle-Jactas Hoffnungen wurden enttäuscht, als die Schwarzen Roboter zurückkehrten. Der Speicherkristall mit dem Ultimatum war ein Exemplar ohne jegliche Besonderheit, wie sie an Bord der Heimatschiffe zu Tausenden Verwendung fanden. Doch der Bruch des unter Überdruck stehenden Rohres in der Nahrungsmittelfabrik schien nicht auf Verschleißerscheinungen zurückzuführen. Jemand hatte sich an dem betreffenden Stück zu schaffen gemacht. »Wer kann geahnt haben, daß du die Fabrikhalle betreten würdest?« fragte Ferrunger-Mono. Lichtquelle-Jacta machte die Geste des Nichtwissens. »Ich werde die Priesterinnen fragen. Sie wissen mehr über die Vorgänge an Bord unserer Schiffe als manch anderer.« Aber die Sprechverbindung, die sie herstellen wollte, kam nicht zustande. Jacta beauftragte daraufhin zwei Roboter, sich der Angelegenheit anzunehmen. Ferrunger-Monos Aufmerksamkeit wurde vom Geschehen außerhalb des Schiffes abgelenkt. Seit Stunden hatte sich nichts Nennenswertes mehr ereignet. Erstmals versuchte ein einzelnes Beiboot der SOL, mit Waffengewalt die unsichtbare Sperre zu durchbrechen. Von den Bildschirmen sprang die Lichtflut atomarer Explosionen herab. Das schlanke, flugzeugförmige Boot war plötzlich verschwunden. Nur auf den Ortungen zeichnete es sich noch als flackernder Reflex ab. Dann schoß es aus den verwehenden Energieschleiern hervor. Ferrunger-Mono erkannte sofort, daß er ein Wrack vor sich hatte. »Holt es an Bord!« befahl er. »Vielleicht lassen sich Rückschlüsse ziehen.« »Daß Atlan uns sein Vorhaben verschwiegen hat«, machte Lichtquelle-Jacta überrascht. »Möglicherweise wurde die Meldung nicht weitergeleitet.«
Jacta verschränkte beide Armpaare ineinander, was Ablehnung symbolisierte. »Zu wem darf ich dann noch Vertrauen haben?« fragte sie. »Ich halte es für angebracht, wenn von nun an ständig einige Roboter in deiner Nähe sind«, erwiderte Ferrunger-Mono besorgt. »Solange wir nicht herausgefunden haben, wer hinter dem Anschlag steckt, ist deine Sicherheit weiterhin bedroht.« »Sollen wir die Bergungsaktion abbrechen?« kam ein Ruf vom Leitstand. »Wieso?« »Ein Solaner hat das Wrack verlassen. Er bewegt beide Arme auf und ab.« Das hieß, er wollte nichts von ihnen wissen. Lichtquelle-Jacta zuckte kurz zusammen. Waren auch die Fremden an der Verschwörung beteiligt? Sie fühlte sich verunsichert. »Holt ihn her!« befahl sie dennoch. Das Beiboot der SOL näherte sich ohnehin der HEUTE. Mehr oder weniger um sich abzulenken, verfolgte Jacta den Fortgang der Aktion. Erst als zwei Kleinerkunder das Wrack fast erreicht hatten, hielt der Solaner in seinen Bewegungen inne. Aus welchem Grund gab er nun seine ablehnende Haltung den Vulnurern gegenüber auf? Barg das Schiff Geheimnisse, die keiner sehen durfte? Lichtquelle-Jacta war überzeugt davon, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kehrten ihre Roboter zurück. »Das Quartier der Priesterinnen ist verlassen«, meldete sie. »Sämtliche transportablen Gegenstände wurden entfernt.« »Irgendwelche Hinweise, wohin sie gegangen sind?« »Keine. Selbst die Infrarotortung versagt. Die Priesterinnen haben sich alle Mühe gegeben, ihre Spuren zu verwischen.« In Jacta keimte ein schrecklicher Verdacht auf. Doch wagte sie
nicht, ihn auszusprechen. »Du hast sie dir zu Feinden gemacht«, sagte Ferrunger-Mono. »Deine Vorstellungen von unserer Zukunft laufen allem zuwider, was seit Generationen gelehrt wird.« »Sie werden sich damit abfinden müssen.« Jactas Reaktion fiel heftig aus. »Niemand kann von mir verlangen, daß ich einen Weg beschreite, den ich als falsch erkannt habe.« »Zumindest sollte dein Vorgehen mehr vom Gefühl bestimmt sein.« »Gefühl? Als Sterblicher bleibt mir nicht die Zeit, einen langwierigen Prozeß des Umdenkens einzuleiten. Was sind schon zehn Jahre?« »Eben«, meinte Ferrunger-Mono. »Überlichtspruch!« meldete ein Funker aufgeregt. »Von der SOL?« »Der Ausgangspunkt ist nicht zu bestimmen. Es handelt sich um einen Blitzaufklärer. Kontakt wird durch die Positronik hergestellt.« »Durchstellen!« befahl sie. Zu ihrer Überraschung meldete sich ein Wesen, das sich Oggar nannte. Wie sich herausstellte, hatte Oggar den erbeuteten Blitzaufklärer in Schlepp genommen. Die augenblicklichen Koordinaten der SOL und der Heimatschiffe waren schnell genannt. Oggar erfuhr von Lichtquelle-Jacta und dem Mono, was geschehen war. Als Jacta ihm mitteilte, daß nicht nur sein Freund Atlan, sondern sie alle Opfer einer unerklärlichen Falle geworden waren, die wohl Hidden-X aufgebaut habe, zeigte er sich zutiefst entsetzt. Gleich darauf brach die Verbindung schlagartig zusammen. »Oggar?« sagte unvermittelt eine fremde Stimme. Lichtquelle-Jacta fuhr herum. Den Solaner hatte sie völlig vergessen. Sie nickte, wie sie es von den Fremden gelernt hatte. »Atlan muß sofort erfahren, was vorgefallen ist.«
Jacta ging nicht darauf ein. »Wer bist du?« fragte sie. »Uster Brick«, erwiderte er. »Du kannst mich Uster nennen.« »Welchen Auftrag hast du?« »Ich?« Der Solaner gab sich überrascht. »Keinen.« »Immerhin wolltest du nicht, daß wir dich retten. Deutlicher hättest du deine Verachtung kaum zeigen können.« Uster Brick seufzte ergeben. »Ich habe gewinkt, daß ihr mich an Bord nehmen sollt. So …« Wieder hob er die Arme. Ein einstimmiger Aufschrei der Empörung wurde laut. »Du beleidigst die Oberpriesterin«, kreischte Ferrunger-Mono. Mitten in der Bewegung hielt Uster inne. »Vielleicht besitzt jemand die Freundlichkeit, mir zu verraten, wie … Ach.« Er stutzte. »Bei uns ruft man so Hilfe herbei oder grüßt einen Freund über weite Entfernung hinweg. Winken nennt man das. Tut mir leid, wenn ich euch damit gekränkt habe.« Lichtquelle-Jacta ließ ein schrilles Geräusch vernehmen, das wohl ein Lachen sein sollte. »Wir sind einander so ähnlich«, sagte sie, »trotzdem können Kleinigkeiten zu den schlimmsten Mißverständnissen führen. Ich denke, wir sollten nun Atlan verständigen.« Aber die Hyperfunkverbindung kam nicht zustande. »Es hat keinen Sinn«, stellten die Vulnurer nach einer Weile fest. »Die SOL schweigt.« »Versucht, die GESTERN oder die MORGEN zu erreichen«, befahl Lichtquelle-Jacta daraufhin. Das Ergebnis blieb unverändert. »Sende- und Empfangsanlage überprüft und ohne Defekt.« Erst auf Normalfunk reagierte die SOL. »Ich wußte, daß du dich melden würdest, Lichtquelle-Jacta«, sagte der High Sideryt. »In den letzten Minuten haben wir erfolglos versucht, mit dir zu sprechen.« Die Oberpriesterin überhörte den stummen Vorwurf geflissentlich.
»Wir haben dem Gespräch mit Oggar absoluten Vorrang eingeräumt«, versuchte einer der Funker, sich zu rechtfertigen. Jacta winkte ab. »Niemanden trifft ein Vorwurf.« »Wie geht es Uster Brick?« wollte der High Sideryt wissen. »Ausgezeichnet.« Der Pilot trat vor die Optik hin und grinste. »Ich denke, es gibt interessante Neuigkeiten.« »Brick wird euch alles berichten«, sagte Jacta. »Ist ein Transmitter empfangsbereit?« Breckcrown Hayes bestätigte. Wenige Minuten später befand Uster sich wieder auf der SOL. Er trug eine Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Oggar und der HEUTE bei sich.
* »Es ist wie verhext. Wir können nichts, aber auch gar nichts unternehmen.« Gallatan Herts wirkte verbissen. Ruhelos wanderte er vor dem großen Panoramabildschirm auf und ab. »Wie war es denn im Mausefalle-System?« rief Curie van Herling. »Schon damals mußten wir die Dinge auf uns zukommen lassen.« Nervös trommelte Vorlan Brick mit den Fingerspitzen auf eine Konsole. »Uster und ich haben alles versucht, was irgendwie erfolgversprechend war«, sagte er. »Wir sitzen fest. Das ist unwiderruflich.« »Bleibt nur der Einsatz des Dimesextatriebwerks.« »Nein.« Breckvrown Hayes hatte inzwischen mehrfach zu verstehen gegeben, was er davon hielt. »Wir lassen die Vulnurer nicht im Stich.« »Deine Einstellung ehrt dich«, erwiderte Gallatan Herts. »Aber ist es nicht wahrscheinlicher, daß wir ihnen erst dann helfen können, wenn wir uns aus der Falle befreit haben?«
»Wenn Hidden-X für unsere Manövrierunfähigkeit verantwortlich ist, wird es auch einen Weg gefunden haben, das Dimesextatriebwerk lahmzulegen.« SENECAs Einwand klang plausibel. »Was vergeben wir uns wirklich, wenn wir einige Tage abwarten?« »Sehr viel, Breck. Womöglich benötigt Hidden-X genau diese Zeitspanne, um irgendeine neue Teufelei auszuhecken.« »So kommen wir jedenfalls nicht weiter. Bjo, du schweigst dazu?« Bedauernd hob der Katzer die Schultern. »Was soll ich sagen? Da draußen ist etwas, aber wo und was – tut mir leid, ich kann nicht einmal Vermutungen anstellen.« »Und wenn wir Usters Beispiel folgen?« »Ein Feuerschlag der SOL und vielleicht auch der Vulnurer? Gegen welches Ziel? Der Raumsektor, in dem wir festsitzen, durchmißt nach Sannys Angaben immerhin einen Lichtmonat. Das wäre ungefähr so, als würde jemand versuchen, eine Panzerechse mit einer Stecknadel zu erstechen.« Sie reden um das eigentliche Thema herum, bemerkte Atlans Extrasinn spöttisch. Haben deine Barbaren noch immer nicht gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Und das wäre? Hidden-X will die SOL. Daran dürfte sich seit den Geschehnissen auf der Landschaft im Nichts kaum etwas geändert haben. Du hältst das für einen Ansatzpunkt? Soll ich 90.000 Menschen evakuieren? Auf den alten Trick fällt Hidden-X bestimmt nicht mehr herein. Aber es kennt die Angst, zu versagen. Gerade nach Hapeldans Ende muß ihm das richtig bewußt sein. Nachdenklich geworden, schwieg Atlan. Viel Handlungsspielraum war nicht geblieben. Es sah so aus, als würde die Auseinandersetzung mit Hidden-X ihrem Höhepunkt zustreben. Ein einziger Fehler konnte
entscheidend sein. Und solange er den Gegner, dessen Fähigkeiten und Mittel nicht annähernd kannte, war Atlan nicht gewillt, irgend etwas zu tun, was sich später als verhängnisvoll erweisen mochte. »Oggar weiß, was geschehen ist«, sagte er. »Das Multibewußtsein wird versuchen, uns zu helfen.« »Hoffen wir, daß er nicht in die gleiche Falle rennt wie wir«, meinte Gallatan Herts.
* Lichtquelle-Jacta fühlte sich unbehaglich. Ein beklemmender Druck hatte sich vor wenigen Minuten auf ihre Atemwege gelegt und wurde zunehmend stärker. Die Oberpriesterin erhob sich von ihrem Ruhelager und überprüfte die Anzeigen der Luftumwälzung. Sie hatte sich getäuscht. Möglich, daß sie die Auswirkungen der letzten Geschehnisse erst jetzt richtig zu spüren bekam. Jacta hatte sich in ihre Räume zurückgezogen, um ungestört zu sein. Sie dachte über ihr Verhältnis zu den Solanern nach, ihre Einstellung den Traditionen gegenüber und den Priesterinnen, von denen manche wirklich nicht zu begreifen schienen, daß es Zeit war für Veränderungen. Das Zusammentreffen mit der SOL hatte die Vulnurer endlich aus ihrer strengen Lebensweise aufgeschreckt, deren Eintönigkeit und Lethargie zweifellos der erste Schritt hin zur Bedeutungslosigkeit waren. Vor allem die Angst davor prägte Jactas Handlungen. Aber nur sie selbst wußte dies, nicht einmal Ferrunger-Mono war informiert. Wie all die anderen, nahm auch er die herrschende Ordnung als gegeben hin, suchte ihre Wurzeln mit der Vergangenheit zu erklären, über die es keine Aufzeichnungen gab und an der zu rütteln das größte Sakrileg war, das die Vulnurer kannten. Woher kommen wir? fragte Jacta sich immer wieder. Unsere
Existenz muß einen Sinn haben. Ihr Chitinpanzer überzog sich allmählich mit Feuchtigkeit. Egal, was die Kontrollen anzeigten, die Luftzusammensetzung hatte sich verändert. Lichtquelle-Jacta warf sich den langen Umhang der Oberpriesterin um und öffnete das Schott. »Begleitet mich!« befahl sie ihren Robotern. Während sie selbst ein Gleitband benutzte, das sie rasch an der Zentrale vorbei zum nächsten Hauptantigravschacht brachte, schwebten die schwarzen Maschinen auf ihren Prallfeldern neben ihr her. Jactas Ziel waren die Lebenserhaltungssysteme, die sich bis unmittelbar an die oberen Wohnbereiche erstreckten. Als der letzte Durchlaß vor ihr aufglitt, gewahrte sie die schweigende Menge, die den Zugang blockierte. Unverkennbar war die Feindseligkeit, die ihr entgegenschlug. Viele Leiber bewegten sich im Rhythmus einer uralten Melodie, die von Freiheit kündete und von der Suche nach der Wiedergeborenen Lichtquelle. Unwillkürlich fühlte Jacta sich von dem monotonen Klang mitgerissen. Sie kam nicht weiter als wenige Schritte. Dann hatte die Menge sie umringt. Der Gesang wurde lauter, zerrte an den Nerven. »Laßt mich durch!« »Du wirst mit uns sterben.« Ein Aufschrei der Empörung hallte von allen Seiten wider. Aber noch wagte niemand, die Oberpriesterin anzugreifen. »Wer unser Volk verrät, hat jedes Recht verwirkt. Nie werden wir uns den bösen Mächten ausliefern, die auf den Planeten lauern.« Sie hatten das Lebenserhaltungssystem besetzt und die Sauerstoffzufuhr unterbrochen. Rund 22.000 Männer und Frauen bildeten die Besatzung der HEUTE. Lichtquelle-Jacta konnte sich
ausrechnen, daß in weniger als einer Stunde die meisten von ihnen nicht mehr am Leben sein würden, wenn es ihr nicht gelang, die verhängnisvollen Schaltungen rückgängig zu machen. Auf ungefähr 100 schätzte sie die Zahl derer, die ihr scheinbar zu allem entschlossen gegenüberstanden. »Ich weiß nicht, wer euch aufgewiegelt hat, aber ich nenne ihn einen verdammten Lügner.« »Du selbst bist die Lügnerin. Niemand kann uns zwingen, jemals die Füße auf einen Planeten zu setzen.« »Ich warne euch«, fauchte Jacta gereizt. »Gebt den Weg frei.« »Du hast nichts mehr zu befehlen.« Etliche Vulnurer reckten in unmißverständlicher Weise die Beißzangen nach ihr. »Die Priesterinnen haben dich durchschaut.« Daher also. Lichtquelle-Jactä fröstelte plötzlich. »Was ihr vorhabt, ist Wahnsinn. Zum letzten Mal: gebt den Weg frei, oder ich befehle den Robotern, auf euch zu schießen.« Noch zweifelte sie daran, daß es wirklich soweit kommen könnte. Sie wurde rasch eines anderen belehrt. »Haltet mir die Meute vom Leib!« Die Schwarzen Roboter hoben ihre unteren Armpaare. Paralysatorstrahlen lichteten die Reihen der Angreifer, und die mikroskopisch kleinen Bolzen mit technischhypnotischer Wirkung raubten den Getroffenen jede Erinnerung an das Auftreten der Maschinen. Sie würden später, sobald sie aus ihrer Betäubung erwachten, nicht mehr darüber reden können. Es kam zu panikartigen Szenen. Einige Vulnurer wollten fliehen, wurden aber von anderen gehindert. So fielen sie übereinander her und den Lähmstrahlen zum Opfer. »Laßt keinen entkommen«, forderte Jacta ihre Roboter auf. »Ich will nicht, daß sie den Keim des Aufstands verbreiten.« Nur noch mit Mühe konnte sie sich auf den Beinen halten. Ungelenk stieg sie über die Körper der Bewußtlosen hinweg. Die Roboter öffneten den verriegelten Zugang zum
Lebenserhaltungssystem. Lichtquelle-Jacta war überrascht zu sehen, wie dilettantisch die Aufrührer vorgegangen waren. Es fiel ihr leicht, die unterbrochene Sauerstoffversorgung wiederherzustellen. Innerhalb weniger Minuten besserten sich die Luftverhältnisse merklich. Jacta fühlte die Benommenheit weichen wie einen bösen Traum. »Meine Anerkennung«, sagte eine heisere Stimme. »Du hast gut reagiert, aber deshalb noch lange nicht gewonnen.« Da stand ein kleiner, tragbarer Bildempfänger zwischen den Leitungssystemen. Lichtquelle-Jacta erkannte sofort, wen sie vor sich hatte. »Shema«, entfuhr es ihr. »Also doch.« »Glaubst du, wir würden untätig zusehen, wie du alles zunichte machst?« fragte die Priesterin. Jactas Gesicht verzerrte sich. »Ich werde dich hetzen lassen, Shema, dich und die anderen, bis ihr nirgendwo mehr Zuflucht findet.« Übergangslos wurde die Priesterin ernst. Die Haltung ihrer Fühler drückte Überlegenheit aus. »Ich nenne nur zwei Namen: Melis und Ventarko.« »Was haben meine Eltern damit zu tun?« »Noch geht es ihnen gut. Was weiter geschieht, hängt von dir ab und deinem Willen zur Zusammenarbeit.« In diesem Moment begriff Lichtquelle-Jacta erst richtig, woran die Gesellschaftsordnung der Vulnurer krankte. Jahrtausendelang hatten nur die Priesterinnen die Macht ausgeübt, ohne daß jemals Zweifel an der Richtigkeit ihres Tuns laut geworden wären. Und wenn, dann hatten sie es verstanden, jeden Widerstand schon im Keim zu ersticken. Einer jähen Eingebung folgend, schmetterte Jacta zwei Greifzangen auf das Funkgerät, das krachend zerbarst.
* »Sämtliche Auswertungen führten zu keinem brauchbaren Ergebnis«, meldete SENECA, nachdem Breckcrown Hayes ihn zu einem Zwischenbericht aufgefordert hatte. »Der Verdacht liegt nahe, daß es sich um Fesselfelder uns unbekannter energetischer Erscheinungsformen handelt. Allein aufgrund der gegebenen Tatsachen sind Rückschlüsse sowohl auf Art als auch Ausgangspunkt nicht möglich. Eine detaillierte Zusammenarbeit mit den Vulnurern wird deshalb nahegelegt.« »Kann Hidden-X definitiv als Verursacher des derzeitigen Zustands erkannt werden?« »Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei 72,08 Prozent.« »Das ist nicht überwältigend viel«, machte der High Sideryt überrascht. »Wurden Sannys Berechnungen miteinbezogen?« »Nein«, sagte SENECA. »Unter Berücksichtigung dieser fiktiven Daten ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 98,32 Prozent für ein Wirken von Hidden-X innerhalb dieses kosmischen Abschnitts.« »Welche Möglichkeiten besitzen wir nach dem derzeitigen Stand, der Falle zu entrinnen?« »Keine.« Ein Raunen ging durch die Zentrale im Mittelteil der SOL. SENECAs Antwort hätte eindeutiger nicht sein können. »Das ist kein Grund, uns geschlagen zu geben«, rief Atlan. »Ganz richtig«, nickte Gallatan Herts. »Wir haben schwierigere Situationen gemeistert. Aber darum geht es im Endeffekt nicht einmal so sehr. Worauf ich hinaus will ist, daß wir Hidden-X gegenüber härter auftreten müssen. Es muß erkennen, daß auch wir zuschlagen können. Die SOL, richtig eingesetzt, stellt einen nicht zu unterschätzenden Machtfaktor dar.« »Mit anderen Worten«, fuhr Breckcrown Hayes fort, »wir haben es nicht nötig, uns passiv zu verhalten.« »Wir sollten mit allem, was wir haben, angreifen, ehe wir dazu
nicht mehr in der Lage sind.« Gallatan Herts unterstrich seine Worte mit unmißverständlichen Gesten. »Ich kann deine Idee der Bildung von Friedenszellen verstehen, Atlan, und heiße sie auch gut. Aber du mußt zugeben, daß eine solche Friedenszelle in größerem Ausmaß nur in Flatterfeld entstanden ist. Wie es in Pers-Mohandot aussieht, der wohl bedeutsameren Galaxis in diesem Teil des Universums, wissen wir nur sehr bruchstückhaft. Und wir sollten nicht unberücksichtigt lassen, daß Hidden-X sehr wohl die Möglichkeiten besitzt, praktisch hinter unserem Rücken erneut Zwietracht zu säen.« »Immerhin hat sich mit All-Mohandot das Ziel erfüllt«, wandte der Arkonide ein. Zugleich wußte er, daß er den Argumenten Gallatan Herts nichts entgegenzusetzen hatte. »Moralisch gesehen ist die Befriedung einzelner Planetensysteme wie das der Roxharen oder im Sternenuniversum zweifellos eine gute Sache. Von Friedenszellen, die eine wirksame Pufferwirkung haben, kann man dabei jedoch auf keinen Fall sprechen. Ich weiß«, sagte der Kommandant, »daß die jüngsten Ereignisse in der Auseinandersetzung mit Hidden-X bei vielen zu einer Veränderung der inneren Einstellung geführt haben. Auch du, Atlan, dürftest von dieser Entwicklung nicht verschont geblieben sein.« Der Arkonide fühlte die Blicke aller auf sich ruhen. Gestehe schon ein, daß du gar nicht anderer Auffassung bist, wisperte sein Extrasinn. Manchmal läßt sich der Friede kaum anders erreichen als mit Gewalt. Diese Einstellung vertrat schon die Menschheit des 20. Jahrhunderts, gab Atlan zynisch zurück. Wohin das beinahe geführt hätte, weißt du genauso gut wie ich: zur Vernichtung des Planeten Erde. Die Solaner heute sind reifer und verständiger, als viele es damals waren. »Was ist nun?« drängte Gallatan Herts. Atlan nickte flüchtig. »Wir werden einen härteren Kurs einschlagen. Erstes Ziel muß
eindeutig die Ausschaltung des negativen Machtfaktors Hidden-X sein. Allerdings sollten wir seine Hilfsvölker weitgehend schonen und von den Zwängen befreien, denen sie unterliegen.« »Ich denke«, sagte Gallatan Herts, »daß wir in den Vulnurern tatkräftige Helfer gefunden haben. Dieses Volk befindet sich in einer ähnlichen Situation wie wir vor wenigen Jahren. Was sie brauchen, ist ein verständliches Lebensziel, eine Aufgabe.« »Rufen wir Lichtquelle-Jacta einfach an«, schlug Curie van Herling vor. »Es gibt vieles zu besprechen, worüber bislang kein Wort gefallen ist.« Die Verbindung über Normalfunk kam sofort zustande, allerdings erreichte sie nur Ferrunger-Mono. »Die Oberpriesterin ist derzeit verhindert«, sagte der Kommandant der drei Heimatschiffe. »Ich bitte sie und dich, an Bord der SOL zu kommen.« Breckcrown Hayes trat in den Aufnahmebereich der Optik. »Es tut mir leid«, erwiderte Ferrunger-Mono. »Lichtquelle-Jacta wünscht, ungestört zu bleiben.« »Will er nicht oder kann er tatsächlich nicht?« fragte Herts zögernd, nachdem Curie van Herling die Verbindung wieder unterbrochen hatte. »Auf jeden Fall ist es seltsam«, pflichtete die Chefin des Funk- und Ortungspersonals bei. »Uster Brick hat schon davon berichtet, daß ihm die Atmosphäre auf der HEUTE gereizt vorkam.« »Vielleicht gibt es interne Schwierigkeiten«, meinte Hayes. »Jacta ist noch nicht lange Oberpriesterin, um mit Problemen auf Anhieb fertig zu werden.« »Ich fürchte, darum geht es gar nicht«, sagte Atlan. »Zumindest einige der Priesterinnen sind mit Jactas Verhalten alles andere als einverstanden.« »Dann bleibt die Frage, ob wir mit den Vulnurern als Verbündete rechnen dürfen.« »Ich kann und will mich von der SOL aus nicht einmischen«, gab
Atlan zu verstehen. »Die Bekehrer sind ein Volk, das seit Generationen zwischen den Sternen lebt und nun selbst zu einem neuen Weg finden muß.«
5. Lichtquelle-Jacta hatte ihren Kommandanten über die Geschehnisse informiert und sich anschließend mit einigen nun als Leibwache fungierenden Schwarzen Robotern auf dem Transmitterweg zur GESTERN begeben. Wie nicht anders zu erwarten, fand sie das Quartier ihrer Eltern verlassen vor. Alles war kahl und unpersönlich und wirkte so, als hätte in den letzten Monaten niemand hier gelebt. Die wenigen Habseligkeiten von Melis und Ventarko waren verschwunden. »Verständige die Roboter der GESTERN!« befahl Lichtquelle-Jacta einem ihrer Leibwächter. »Sie sollen eine großangelegte Suchaktion starten und jede Priesterin sofort paralysieren.« Vor der Kabine wurden Stimmen laut. Jacta konnte nicht verstehen, was sie riefen, aber auch so war ihr klar, was sie erwartete. »Verteilt euch!« rief sie den Robotern zu. »Beim geringsten Anzeichen feindseliger Handlungen macht ihr von den Waffen Gebrauch.« Dann ließ sie das Schott aufgleiten. Sofort drängte die Menge herein. Es waren überwiegend Angehörige der unteren Kasten, aber einige von ihnen verfügten über Lähmwaffen. Und alle machten sie einen entschlossenen, gereizten Eindruck. Jacta breitete die Arme aus. »Gebt Ruhe!« verlangte sie mit leiser, fordernder Stimme. Unsicherheit war ihr in diesem Moment fremd. »Ich weiß nicht, was euch so aufgebracht hat, aber ihr werdet dorthin zurückkehren, von wo ihr gekommen seid.«
»Wir gehen erst dann, wenn du den Umhang der Oberpriesterin abgelegt hast«, sagte ein Techniker. »Es gibt andere, die fähiger sind, Unheil von uns abzuwenden.« »Wer?« machte Jacta zornig. »Shema womöglich?« Der Techniker schwieg. »Glaubt ihr Narren wirklich, ich wäre Oberpriesterin geworden, wenn ich unserem Volk schaden wollte? Nennt mir die Gründe, die …« Das Fauchen eines Lähmschusses unterbrach Jacta. Zu spät hatte sie die Gefahr erkannt und kam nicht mehr dazu, auszuweichen. Eine Welle des Schmerzes durchflutete ihren Unterleib bis hinauf zum Brustpanzer. Sie wollte einen Schritt zur Seite machen, doch die Beine versagten ihr den Dienst. Als sie hart auf den Boden aufschlug, fühlte sie schon nichts mehr. Lichtquelle-Jacta wußte, daß sie für die nächsten Stunden bis hinauf zum unteren Armpaar gelähmt war. Aber sie konnte noch erkennen, was um sie herum vorging, und sich verständlich machen. Schützend stellten die Roboter sich vor sie. Sie ließen niemanden entkommen, und später würde keiner sich an das Vorgefallene erinnern. Nur – Jacta mußte darauf gefaßt sein, daß in Kürze einige Priesterinnen im Wohnbereich der GESTERN erschienen, um sich vom Erfolg oder Mißerfolg der aufgewiegelten Menge zu überzeugen. »Bringt mich auf die HEUTE zurück!« befahl sie deshalb. »Die Suche nach meinen Eltern wird auf allen drei Schiffen zugleich fortgeführt.« Plötzlich fürchtete sie sich vor der Zukunft. Wie es schien, hatte sie die Macht der Priesterinnen unterschätzt. Wenn es Shema gelang, mehr als nur einige hundert Besatzungsmitglieder aufzuhetzen, würde es zweifellos zu ernsthaften Auseinandersetzungen kommen. Und nichts war Jacta mehr zuwider als die Vorstellung, daß
Vulnurer gegen Vulnurer kämpften. Das wäre der Beginn des Untergangs gewesen. Sie fühlte nicht, daß die Schwarzen Roboter sie aufhoben und mit sich trugen. Auch der flüchtige Entzerrungsschmerz des Transmittersprungs ging unbemerkt an ihr vorüber.
* »Funkspruch!« meldete Jeanne Mandruga, die während der Nachtzeit in der Zentrale Dienst tat. »Von der HEUTE?« fragte Lyta Kunduran schläfrig. In den letzten Stunden war nichts Bedeutendes vorgefallen, und es sah auch nicht so aus, als würde sich daran in absehbarer Zeit sehr viel ändern. »Nein«, sagte Jeanne. »Die Impulse sind mehr oder minder unverständlich.« »Schalte die Verstärker dazwischen und einen Translator. Auf welcher Frequenz kommt der Spruch herein?« Jeanne Mandruga nannte die betreffenden Werte, woraufhin Lyta erstaunt durch die Zähne pfiff. »Normalfunk. Das ist überraschend, wenn man bedenkt, daß die nächste Galaxis über 36 Millionen Lichtjahre entfernt ist.« Zu hören war nur ein unverständliches, von Störungen überlagertes Murmeln, als Jeanne auf die Lautsprecher umschaltete. Aber es wurde allmählich deutlicher. »Die Eingangsleistung steigt rapide an. Weit entfernt kann der Sender nicht stehen.« Die Stimme sprach Interkosmo. Erste Satzfetzen wurden verständlich. »Du meine Güte«, ächzte Lyta Kunduran. »Das muß Oggar sein.« Mit fliegenden Fingern stellte sie eine Rundspruchverbindung nach SOL-City und zur Klause des High Sideryt her. »Atlan, Breck, bitte sofort in die Zentrale kommen. Wir haben
Verbindung mit Oggar.« Keine Minute später standen beide neben ihr. Der eintreffende Funkspruch wiederholte sich in gleichbleibendem Wortlaut. Mittlerweile war er ohne Schwierigkeiten zu verstehen. »… ich habe die SOL und drei weitere Schiffe in der Ortung. Um nicht in dieselbe Falle zu geraten, werde ich mich weiterhin vorsichtig nähern. Über Hyperfunk ist keine Verbindung zu bekommen, seit mein Gespräch mit Lichtquelle-Jacta unterbrochen wurde. Der HORT steht derzeit rund sechs Lichtstunden entfernt. Ich weiß, daß meine Nachricht dementsprechend lange unterwegs sein wird und wegen des erforderlichen hohen Energieaufwands fraglich ist, ob sie euch überhaupt verständlich erreicht. Aber ich vertraue darauf, daß Funkverkehr in diesem Wellenbereich möglich ist. Meine ersten Beobachtungen hinsichtlich des betreffenden Raumsektors haben keine außergewöhnlichen Feststellungen ergeben. In den kommenden zwölf Stunden werden Insider und ich weitergehende Nachforschungen anstellen. Vorher kann uns eine Antwort ohnehin nicht erreichen.« »Was tun wir nun?« fragte Breckcrown Hayes. »Zweifellos ist diese Art der Verständigung zeitraubend. Und hoffentlich ist das Ganze nicht ein neuer übler Trick von Hidden-X. Sechs Lichtstunden, das sind sechseinhalb Milliarden Kilometer Entfernung. Unsere Ortungen müßten den HORT längst erfaßt haben.« »Wo Hyperfunk ausfällt, können auch überlichtschnelle Masseund Energie taster versagen«, meinte Jeanne Mandruga. »Beides zusammen erscheint nicht ungewöhnlich.« »Also wissen wir noch immer nicht, womit wir es wirklich zu tun haben«, sagte Lyta Kunduran. »Die Störung des Gesprächs zwischen Oggar und der HEUTE vor zwei Tagen mag Zufall gewesen sein.« »… oder eine verspätete Reaktion von Hidden-X. Darüber sollten wir uns jetzt nicht die Köpfe zerbrechen.«
»Jeanne«, befahl Atlan, »übermittle Oggar die Koordinaten von Zone-X. Er muß wissen, wie weit ein ungefährdeter Anflug möglich ist. – Und dann gib mir eine Verbindung zur HEUTE. Ich will mit Lichtquelle-Jacta sprechen. Hoffentlich ist sie nun zu erreichen.« Auch wenn es für einen Menschen schwer war, den Gemütszustand eines Vulnurers nach dessen Gesichtsausdruck zu beurteilen, der Arkonide erkannte sofort, daß die Oberpriesterin bedrückt und niedergeschlagen wirkte. Ihre Fühler und Kieferzangen waren in unruhiger Bewegung begriffen. »Oggar steht nur noch sechs Lichtstunden entfernt, LichtquelleJacta«, begann Atlan. »Ich will nicht über sein weiteres Handeln entscheiden, ohne mit dir darüber gesprochen zu haben.« »Was können wir anderes tun, als ihm Daten zu übermitteln«, erwiderte Jacta barsch. Der Arkonide nahm es verwundert zur Kenntnis. »Ich bitte dich und Ferrunger-Mono, Gäste an Bord unserer SOL zu sein.« »Es tut mir leid, Atlan, ich kann deinem Wunsch nicht nachkommen.« »Warum nicht?« platzte Breckcrown Hayes heraus. Über Jactas Gesicht huschte ein Schatten. »Ich werde hier dringender gebraucht.« »Dann ist es wahr, daß an Bord der Heimatschiffe Unruhen ausgebrochen sind? Wenn du Hilfe benötigst, Lichtquelle-Jacta, laß es uns wissen.« Die Oberpriester in der Vulnurer wirkte sichtlich überrascht. »Damit werde ich selbst fertig. Es ist nur …«, sie stockte, »ich bin für einige Stunden gelähmt. Eine Unachtsamkeit mit der Waffe, du verstehst?« Atlan nickte. »Oggar hat den Blitzaufklärer der HEUTE im Schlepp«, fuhr Lichtquelle-Jacta fort. »Er soll die Positronik so programmieren, daß das Beiboot in einer Linearflugetappe bis zum Zentrum der Zone-X
gelangt.«
* Oggars Antwort traf bereits nach wenig mehr als neun Stunden auf der SOL ein. Demnach mußte er mit ungefähr 15 Prozent der Lichtgeschwindigkeit weitergeflogen sein, was gleichzeitig bedeutete, daß er in diesem Augenblick etwa vier Lichtstunden entfernt stand, vorausgesetzt, er hatte die übermittelten Daten nicht dazu genutzt, mit einem kurzen Linearsprung den Randbereich von Zone-X anzufliegen. In seinem Funkspruch war davon jedenfalls keine Rede. Noch immer zeichneten die Ortungen der SOL nicht. Eine Funkpeilung war mangels weiterer Bezugspunkte ohnehin wenig erfolgversprechend. »Mir ist bei der ganzen Sache nicht recht wohl«, gestand der High Sideryt. »Hidden-X hat wiederholt versucht, uns zu täuschen, weshalb also nicht auch diesmal?« »Welchen Grund sollte es dafür haben? Wir sind ohnehin zur Untätigkeit verurteilt.« »Um uns von Wichtigerem abzulenken, vielleicht.« Atlan zuckte mit den Schultern. »Das läßt sich feststellen«, sagte er. »Fragen wir Oggar nach Sternfeuer und Insider. Falls wir falsche oder überhaupt keine Daten erhalten, wissen wir wenigstens, woran wir sind.« Auch ohne offizielle Verlautbarung verbreitete sich die Nachricht von der Annäherung Oggars wie ein Lauffeuer über die SOL und die beiden Zellen. In den vergangenen Tagen war die allgemeine Stimmung lustlos geworden. Allein die Hoffnung auf ein baldiges Erscheinen des HORTs weckte neue Zuversicht. Nach sechseinhalb Stunden traf Oggars Erwiderung ein. Die Eingangsleistung war mittlerweile so groß, daß Störungen keine
Rolle mehr spielten: »Patsch-uuh, es hat den Anschein, als würdet ihr uns mißtrauen, oder zumindest einer von euch, nämlich Atlan. Wahrscheinlich hat sein Extrasinn ihm den Floh ins Ohr gesetzt. Ist es ein Fluch der Unsterblichkeit, allem und jedem mit Vorsicht zu begegnen? Aber wenn ihr es genau wissen wollt, Insider ist nur 1,66 Meter groß, und alles an ihm ist grün, teils heller, teils dunkler, und er legt Wert auf die Feststellung, unheimlich schnell zu sein. Nicht einmal Bjo Breiskoll kann an Geschmeidigkeit mit ihm mithalten. Und Sternfeuer sagt, sie sei eine symbiontische Mutantin, die keine spezielle Begabung besitzt, sondern parapsychische Impulse aufspeichert. Durch Bjo Breiskoll hat sie die Telepathie erlernt.« »Ich denke, das genügt«, stellte Atlan fest. »Sind deine Zweifel beseitigt, Breckcrown?« Der High Sideryt nickte. »Es ehrt mich, daß Oggar dir das Mißtrauen in die Schuhe schieben wollte.« »Wartet!« rief Curie van Herling überrascht. »Da kommt noch eine Meldung.« Oggars Lachen tönte durch die Zentrale. »Ich muß mich berichtigen«, sagte der Körperlose vom Planeten Vasterstat. »Sternfeuer meint, daß nicht Atlan sondern Hayes das Mißtrauen gegen uns hegt. Nun, wir werden es herausfinden, sobald wir uns gegenüberstehen. Das Mnemodukt hat eure Angaben überprüft. Demzufolge ist eine kurze Linearetappe bis auf eine Lichtminute an die nicht feststellbare Grenze der Zone-X ungefährlich.« Atlans Mienenspiel verhärtete sich schlagartig. »Du fürchtest dasselbe wie ich?« vermutete der High Sideryt. »Irgend etwas muß geschehen sein. Hoffentlich steckt der HORT nicht inzwischen in ähnlichen Schwierigkeiten wie wir.« »Ich verstehe nicht«, machte Curie van Herling. »Oggar weiß genau, worauf er sich einläßt. Er wird sich melden, sobald er die
neue Position erreicht hat.« »Genau das ist es«, stellte Atlan fest. »Die Mitteilung, die wir eben gehört haben, wurde vor ungefähr drei Stunden abgesandt. Was glaubst du, wieviel Zeit Oggar benötigt, um im Linearraum drei Milliarden Kilometer zurückzulegen – minus die Distanz, die wir bereits in Zone-X vorgedrungen sind.« »Je nachdem, auf welche Eintauchgeschwindigkeit er beschleunigt, zehn bis zwanzig Minuten.« »Eben«, nickte Atlan. »Die Nachricht, daß Oggar am Ziel eingetroffen ist, hätte uns weit eher erreichen müssen, als seine Meldung über den Abflug.« »Daran habe ich nicht gedacht«, machte Curie betroffen. »Wir müssen Federspiel verständigen«, meinte Breckcrown Hayes. »Hoffentlich kann er gedanklichen Kontakt zu seiner Schwester herstellen.« Das Warten wurde zur Qual. Mit jeder Minute, die verstrich, wuchs die Gewißheit, daß Oggar nicht mehr helfen konnte. »Wenn wir jemals wieder von hier fort kommen«, versprach der High Sideryt, »dann soll Hidden-X die Waffen der SOL kennenlernen. Wir haben keinen Grund, ihm gegenüber nachsichtig zu sein.« Federspiel betrat gerade die Zentrale, als Curie einen freudigen Aufschrei vernehmen ließ. Der Funkempfang sprach wieder an. »Der HORT steht unmittelbar an der Grenze zu Zone-X. Distanz zur SOL und den drei anderen Schiffen knapp eine Lichtstunde. Wir sollen uns mit ihm über unser weiteres Vorgehen unterhalten.« Breckcrown Hayes lachte leise. »Oggar hat Humor, das muß man ihm lassen. Mit zwei Stunden Unterbrechung eine Unterhaltung zu führen, ist nicht gerade jedermanns Sache.« »Es hätte schlimmer ausfallen können«, sagte Atlan. »Curie, gehe auf Sendung.« Er ließ sich in den nächstbesten Kontursessel sinken. »Die SOL ruft
Oggar. Ich würde gerne wissen, ob du Schwierigkeiten hattest. Deine Bestätigung über das Eintreffen wurde weit früher erwartet. Zum anderen: wir wissen nicht mehr über Zone-X, als dir bereits bekannt ist. Seit Tagen kommen wir in dieser Hinsicht nicht weiter. Sämtliche Antriebssysteme und Ortungen versagen. Vorschlag: Blitzaufklärer so programmieren, daß dieser in einer einzigen Linearetappe von außen her ins Zentrum von Zone-X vorstößt. Ende.« »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, ein unbemanntes Beiboot loszuschicken«, bemerkte der High Sideryt. »Egal, welche Gegebenheiten den Blitzaufklärer am Ziel erwarten, wenn der Hyperfunk weiterhin versagt, werden wir erst nach zwei Wochen Einzelheiten erfahren.« Atlan erwiderte nichts auf die offensichtliche Vorhaltung. Was hätte er auch sagen sollen? Wenn Hayes gereizt reagierte, war das mehr ein Ausdruck der allgemeinen Stimmung. Selbst SENECA war machtlos. Die zwei Stunden bis zum Eintreffen von Oggars Antwort vergingen überraschend schnell. »Keine Probleme«, meldete das Multibewußtsein. »Zeitverzögerung war durch den Abschluß mehrerer Meßreihen bedingt. Leider alle ergebnislos. Der Vorschlag hinsichtlich der Verwendung des Blitzaufklärers wird aktzeptiert. Jedoch soll der Vorstoß nicht allein durch die Bordpositronik gesteuert werden. Insider hat sich freiwillig bereit erklärt, an Bord zu gehen. Er meint, das steht ihm zu. Einverstanden?« »Das Risiko für Zwo ist zu groß«, lehnte Atlan ab. Zwzwko war der richtige Name des Extras. Unbewußt benutzte Atlan die früher scherzhaft geprägte Abkürzung Zwo. Insiders heftige Reaktion kam keineswegs unerwartet. Nicht Oggar meldete sich nach zwei Stunden, sondern er selbst. »Du kannst mich nicht daran hindern, Atlan, das zu tun, was
getan werden muß. Ich fliege mit dem Blitzaufklärer. Glück wünschen darfst du mir. Oder lieber nicht. Bis deine Antwort eintreffen würde, habe ich hoffentlich schon alles hinter mir.«
* Die Verhältnisse an Bord der vulnurischen Heimatschiffe steuerten unweigerlich einem Machtkampf entgegen. Immerhin schürten die fünf Priesterinnen mit allen Mitteln den Widerstand gegen Jacta, nachdem sie vorerst untergetaucht waren. Dabei wurden selbst jene vom Strudel der Ereignisse mitgerissen, die anfangs für ein gemäßigtes Vorgehen eingetreten waren. Shema, die Älteste unter ihnen, ließ den anderen keine Wahl. Gelassen hörte sie sich alle Vorwürfe an. »Du hast es fertig gebracht, Shema, daß die Schwarzen Roboter nach uns suchen. Jacta wird zuschlagen, sobald sie herausgefunden hat, wo wir uns aufhalten.« »Jacta kann uns nichts anhaben, solange wir nicht unvorsichtig werden.« »Du sprichst, als würde es bald zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommen. Das war nicht vorgesehen.« »Jacta ist eine Verräterin. Sollen wir sie wirklich gewähren lassen? Du hast miterlebt, daß sie auf Besatzungsmitglieder schießen läßt, um ihre Ziele durchzusetzen.« »Unsere Absprache war anders. Es ging nur darum, zu vermeiden, daß die Oberpriesterin sich weiterhin von den Solanern beeinflussen läßt.« »Ach.« Shemas Kieferzangen schlugen vernehmlich laut aufeinander. »Willst du mir Vorwürfe machen für das, was geschehen ist? Weshalb haben wir uns hier zusammengefunden? Um gemeinsam zu beschließen, aber nicht um uns gegenseitig zu beschuldigen.«
»Trotzdem. Solange Jacta Lichtquelle ist, werde ich gewiß nicht die Klauen gegen sie erheben.« »Dann verkrieche dich wieder in deinem Versteck auf der MORGEN und warte ab, was geschieht.« »Du willst Jacta stürzen? Ich kenne dich gut genug, Shema, um zu erkennen, daß du mehr verschweigst, als du zugibst. Aber laß dich warnen – jede Auseinandersetzung wird zwangsläufig tragisch enden.« Shema lachte nur. Als schon nach kurzer Zeit die Priesterinnen wieder aufbrachen, wußte sie, daß sie gewonnen hatte. Sie besaß ihren eigenen, vielversprechenden Plan, von dem niemand auch nur das geringste ahnte. Lichtquelle-Jacta würde darauf hereinfallen.
* Im Raumanzug schwebte Insider hinüber zum Blitzaufklärer der HEUTE, der an Größe Oggars HORT nur wenig nachstand. Die Positronik war bereits mit den entsprechenden Flugdaten programmiert. Insider würde diesen Teil des Fluges mehr oder minder teilnahmslos über sich ergehen lassen. Seine eigentliche Aufgabe begann erst am Ziel, und sein Verhalten würde sich nach den Gegebenheiten richten, die er dort antraf. Der Extra beschleunigte den Blitzaufklärer mit Höchstwerten, dann lehnte er sich abwartend im Pilotensessel zurück. Er öffnete nicht einmal den Helm seines Anzugs, was er als reine Vorsichtsmaßnahme betrachtete. Schon nach wenigen Minuten hatte er die erforderliche Eintauchgeschwindigkeit erreicht. Auf den Bildschirmen verschwand die Leere des intergalaktischen Raumes und machte dem gewohnten Anblick der Librationszone Platz. Die Ortungen ließen die SOL und die drei Heimatschiffe der Vulnurer deutlich erkennen. Außer ihnen gab es keine anderen Objekte im Umkreis.
Mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit überwand der Blitzaufklärer die imaginäre Grenze von Zone-X. »Alles unverändert«, murmelte Insider. Nichts deutete auch nur entfernt auf das Vorhandensein einer Falle hin. Einfallende Strahlungen waren vernachlässigbar gering. Und doch mußte da etwas sein … Der Blitzaufklärer erreichte die Koordinaten der SOL … und drang weiter vor. Insider erhöhte die Fluggeschwindigkeit. Auf einmal war da ein Dröhnen, das von überallher zugleich zu kommen schien und heftige Schwingungen auslöste. Die Schiffszelle begann zu virbrieren. Die Ortungen spielten verrückt, lieferten völlig irreale Werte. Wenn Insider ihnen glauben durfte, drehte der Aufklärer sich rasend schnell um seine Längsachse. Die Neutralisatoren ließen allerdings keinen Andruck aufkommen. Insider überließ die Steuerung des Schiffes der Positronik, die wesentlich genauer reagierte, als er selbst es je vermocht hätte. Qualmwolken stiegen aus einigen Aggregaten auf und wurden von der Luftumwälzung abgesaugt. Trotzdem breitete sich ein intensiver Ozongeruch aus. Der Blitzaufklärer hatte jede Fahrt verloren. Bewegungslos hing er im Raum zwischen den Dimensionen. Aus den Empfängern drang nur ein unverständliches Krächzen. Insider versuchte, abermals zu beschleunigen. Obwohl die Reaktorkontrollen eine stark erhöhte Energieabgabe anzeigten, blieben die Triebwerke tot. Und dann drang etwas Unheimliches, Unerklärliches in den Blitzaufklärer ein. Der Extra konnte es weder sehen noch hören, aber er fühlte die Veränderung, die ihm eisige Schauer über den Rücken jagte. Warnlichter blinkten auf; die Reaktoren drohten kritisch zu werden. Insider drosselte die Energieerzeugung. Täuschte er sich, oder war da wirklich ein dünner Nebelschleier, der träge durch die
Zentrale strich? Schlagartig wechselte dann die Umgebung. Der Blitzaufklärer war in den Normalraum zurückgeschleudert worden. Viel früher, als vorgesehen. Insider wußte, daß er längst nicht das Zentrum von Zone-X erreicht hatte, sondern nur wenige Lichtminuten von der SOL entfernt stehen konnte. Die Ortungen fielen aus. Ebenso schwieg der Hyperfunkempfänger. Über Normalfunk gab Insider die Meldung weiter, daß er sein Ziel nicht erreicht hatte. Wieder spürte er das Fremde, das lautlos näherkam. Selbst der geschlossene Raumanzug konnte ihn nicht davor schützen. Es war, als dringe etwas in seine Gedanken ein. Insider fror plötzlich. Vor seinen Augen begann das Schaltpult zu verschwimmen; die Dunkelheit auf den Bildschirmen sprang ihn an und verursachte stechende Kopfschmerzen. Er stöhnte, wollte sich abwenden, aber das Unheimliche gab ihn nicht frei. Insider spürte nun deutlich, daß da eine fremde Macht war, die ihn abdrängen und von seinem Körper Besitz ergreifen wollte. Und er wußte, daß er sterben würde, wenn es ihm nicht gelang, sich zu widersetzen. Sonderbarerweise erzeugte dieses Wissen weder Angst noch Panik in ihm. Mit aller Kraft seiner Gedanken setzte Insider sich zur Wehr. Aber das Fremde lachte nur, lachte über den Zwzwko, der sich leer fühlte und ausgebrannt, und schürte dessen Wut. Insider taumelte durch die Zentrale. Blutige Schleier wogten vor seinen Augen. Er konnte seine Umgebung kaum noch wahrnehmen, stieß gegen Sessel und Konsolen und fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen. Das Fremde bedrängte ihn heftiger. Insider schrie. All seine inneren Qualen lösten sich in diesem Aufschrei. Er stürzte und blieb sekundenlang benommen liegen, zog sich
dann aber wieder in die Höhe. Unter seinen Fingern bewegten sich Kippschalter. Ein Dröhnen hallte durch den Blitzaufklärer. Undeutlich nahm Insider wahr, daß er halb über dem Feuerleitstand hing und zitternd die Sicherheitssperren löste.
* Lichtquelle-Jacta hatte die Folgen des Lähmschusses längst überwunden. Von einem kleinen, unmittelbar neben der Zentrale der HEUTE gelegenen Raum aus leitete sie die Einsätze ihrer Roboter bei der Suche nach den Priesterinnen. Bislang war ihr kein Erfolg beschieden gewesen. Ferrunger-Mono stand ihr helfend zur Seite. Noch hatte es bei der Zentralbesatzung keinen Widerspruch gegeben, wenngleich inzwischen zwei weitere Aufstände von den Schwarzen Robotern niedergeschlagen worden waren. An Bord der Heimatschiffe gärte und brodelte es, was zweifellos dem Wirken der Priesterinnen zuzuschreiben war. Sie verstanden es, vor allem die unteren Kasten gegen Jacta aufzuhetzen. »Du sollst wissen, daß ich zu dir stehe«, sagte Ferrunger-Mono. »Gerade das Verhalten der Priesterinnen beweist, daß es in der Tat Zeit ist, manches an Bord zu verändern.« Lichtquelle-Jacta sah ihn erstaunt an. »Und ich begann, an meiner eigenen Einstellung zu zweifeln. Vielleicht wollte ich doch zuviel auf einmal.« »Darüber nachzudenken ist müßig.« »Ja«, machte Jacta. »Meine Eltern wurden die ersten Opfer, obwohl sie sich nicht mehr erinnern können, daß ihre Tochter von den Schwarzen Robotern geholt wurde, um zur Priesterin zu werden.« »Trotzdem hast du ihnen gegenüber eine Verpflichtung«, meinte Ferrunger-Mono. »Und Shema und die anderen wissen das. Sie
wollen dich, Jacta.« »Sollen sie es versuchen, ich werde ihnen zuvorkommen. Meine Eltern lebten auf der GESTERN. Wahrscheinlich befinden sie sich nicht mehr dort.« »Du meinst, man ist das Risiko eingegangen, sie auf die HEUTE oder die MORGEN zu schaffen?« Lichtquelle-Jacta vollführte eine Geste der Zustimmung. »Ich werde sämtliche Transmittersprünge der letzten Tage überprüfen lassen. Ebenso liegen Aufzeichnungen über die Flüge von Beibooten vor. Es dürfte nicht schwer sein, wenigstens die Hälfte als in diesem Zusammenhang unbedeutend auszusondern.«
6. Vergeblich versuchte Bjo Breiskoll, telepathischen Kontakt zu Oggar oder Insider zu bekommen. Er ahnte, daß der Zwzwko inzwischen mit dem Blitzaufklärer der Vulnurer gestartet war, konnte eine Bestätigung dafür aber nicht erhalten. Lang ausgestreckt lag er in seiner Kabine in SOL City, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Augen halb geschlossen. Er spürte die Hoffnungen der Solaner und die Aufregung und das Durcheinander an Bord der drei Heimatschiffe. Aber weiter vermochte er seine Sinne nicht auszuschicken, als gäbe es irgendwo zwischen ihm und Oggars HORT eine unüberwindbare Sperre. Daß es Federspiel ähnlich erging, hatte er bei einem kurzen Treffen mit Atlan und Hayes erfahren. Immer deutlicher wurden seine Ahnungen, daß außerhalb der Schiffszelle an vielen Stellen etwas war, was sich geschickt verbarg. Bjo Breiskoll begann, sich mehr und mehr darauf zu konzentrieren. Hidden-X fragte er sich. Doch das war nur eine Vermutung von vielen. Beweise gab es nicht.
Noch nicht … Bjo fühlte die Müdigkeit, die ihn schläfrig machte. Die ständige Anspannung zehrte an den Nerven. Aber gerade jetzt durfte er nicht nachlassen, denn da war etwas wie ein ferner, flüsternder Ruf. Bilder aus der Vergangenheit irritierten ihn: Das Ysterioon … Roxha … Immer wieder wurde er abgelenkt. Oder nahm er etwas wahr, was ihm vertraut erschien und ihn unbewußt daran erinnerte? Bjo Breiskoll wußte es nicht. Auch fiel es ihm schwer, gegen die beginnende Unruhe anzukämpfen, die von ihm Besitz ergreifen wollte. Schlagartig zuckte er zusammen. »Insider«, kam es tonlos über seine Lippen. Flüchtig glaubte er, die Anwesenheit des Extras in allernächster Nähe zu spüren. Aber da war noch mehr. Die Wucht des mentalen Angriffs, obwohl dieser sich nicht gegen ihn richtete, schmerzte selbst den Katzer. Stöhnend preßte er die Handflächen auf seine Schläfen. Bjo vernahm einen telepathischen Hilferuf und wußte, daß nur Insider ihn ausgestoßen haben konnte. Taumelnd kam er auf die Beine und schaltete eine Interkomverbindung zur Zentrale. Hidden-X' Anwesenheit war mehr als nur bedrückend. »Gebt mir Atlan – schnell!« stöhnte der Katzer. Er schaffte es nicht, seine telepathischen Fühler zurückzuziehen. Zu stark war der Einfluß des Fremden, das sich seines Sieges sicher fühlte. Das Gesicht des Arkoniden erschien auf dem Bildschirm. »Insider …« Bjo Breiskoll begann am ganzen Körper zu zittern. »Er hat es nicht geschafft. Hidden-X greift ihn mental an …« Atlan rief etwas, was der Katzer nicht verstehen konnte. Bjo fühlte die Schwäche in seinem Körper und sträubte sich mit aller Kraft dagegen. Dicke Schweißperlen traten auf seine Stirn.
»Bjo!« Wie aus weiter Ferne vernahm der Katzer den entsetzten Ausruf. Er wollte antworten, brachte aber nicht viel mehr als ein heiseres Krächzen hervor. Jemand rief nach einem Medoroboter. Das gilt dir, durchzuckte es Breiskoll. Langsam sackte er in die Knie und preßte seine Stirn gegen die Wand. Die Kühle des Materials wirkte belebend auf ihn. Das Schott seiner Kabine öffnete sich. Atlan und Hayes stürmten herein, von zwei Robotern gefolgt. Bjo Breiskoll fühlte wie im Traum – die Bewegungen der Freunde waren merkwürdig langsam. Ein Hauch von Unwirklichkeit haftete allem an. Erst das kurze Zischen einer Hochdruckinjektion brachte den Katzer zur Besinnung. Das dumpfe Murmeln, das ihn eben noch umgeben hatte, wich verständlichen Tönen. »Du hattest telepathischen Kontakt?« Er nickte schwer. »Hidden-X ist da draußen – irgendwo. Ich habe seine Nähe nie deutlicher gefühlt als diesmal. Insider ist ihm genauso in die Falle gegangen wie wir.« »Dann«, sagte Hayes, »gibt es für uns ein neues Problem.« Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als der Alarm aufheulte. Distanzortung … Bedeutete das einen Angriff auf die SOL?
* Seine Finger fanden die Feuerknöpfe und drückten sie tief in ihre Fassungen. Ein dumpfes Grollen hallte durch den Blitzaufklärer, dann erbebte die Schiffszelle unter den im Salvenakt feuernden Geschützen. Glutende Explosionen rissen die Schwärze des Weltraums auf. Die
lichtschnellen Strahlbahnen der Desintegratoren und Impulsgeschütze hingegen wurden nur auf den Schirmen der Bordpositronik sichtbar. Je mehr der Aufklärer sich in ein feuerspeiendes Ungetüm verwandelte, desto ruhiger wurde Insider. Er war nicht mehr in der Lage zu erkennen, daß nur ein schmaler Grat ihn noch vom beginnenden Wahnsinn trennte. Seine Welt war inzwischen eine andere – nicht die der SOL und des HORTs. Seine Welt hieß Zwzwko. In seiner Vorstellung kämpfte er gegen die bestienartigen Nachkommen seiner Vorfahren, denen die kochende Lava der Planetenoberfläche nichts anhaben konnte. In einem unsinnigen atomaren Inferno hatten sie sich selbst jeder Grundlage für eine bessere Zukunft beraubt. Insider verstand das alles noch immer nicht – begriff nicht, wie denkende Lebewesen zu solchem fähig sein konnten. Aber er wollte Rache, und das höhnische Gelächter, das aus seinem tiefsten Innern zu kommen schien, spornte ihn an. Erste Überlastungskontrollen flammten auf. Insider beachtete sie nicht. Flackernd erstarb die Beleuchtung. Das Glühen auf den Bildschirmen wurde um so intensiver. Insider spielte ein virtuoses Stakkato auf dem Instrumentarium der Vernichtung. Rings um den Blitzaufklärer schien der Weltraum zu brennen.
* »Wir haben sie!« Triumphierend schwenkte Jacta den Datenstreifen mit der Endauswertung. Ihre Roboter hatten ganze Arbeit geleistet; nicht der kleinste Transmitter an Bord der Heimatschiffe war
unberücksichtigt geblieben. »Die Priesterinnen können sich nur auf der HEUTE und der MORGEN aufhalten.« »Wahrscheinlich fürchten sie nach der Entführung deiner Eltern eine großangelegte Suchaktion auf der GESTERN«, meinte Ferrunger-Mono, der Jacta in jeder Hinsicht unterstützt hatte. Als seine Fühler diesmal zögernd die ihren berührten, ließ sie ihn gewähren. »Was wirst du nun unternehmen?« fragte er dann. Jacta ruckte herum. Der Blick ihrer Facettenaugen brannte sich an ihm fest. »Sämtliche Transmitterstationen sind von Schwarzen Robotern besetzt. Sie lassen niemanden durch, der nicht meine persönliche Einwilligung vorweisen kann. Die Hangars werden ab sofort gesperrt. Du gibst Befehl, jedes Beiboot ohne Vorwarnung abzuschießen, das trotzdem einen Startversuch unternimmt.« »Mit welcher Begründung willst du das Verbot verhängen?« »Ich brauche keinen Vorwand.« »Aber du wirst die Priesterinnen auf deine Vorbereitungen aufmerksam machen.« »Glaubst du wirklich, sie würden nicht auch so erfahren, was geschieht? Vielleicht gelingt es mir, sie aus der Reserve zu locken. Wenn nicht, die Roboter stehen bereit, um jeden Winkel auf beiden Schiffen zu durchsuchen.« »Das kann Wochen dauern …« »Hier!« Lichtquelle-Jacta reichte dem Kommandanten den Datenstreifen. Noch während er ihn überflog, begannen seine Kieferzangen zu zucken; ein deutlicher Beweis für seine Erregung. »Diese Eingrenzung ermöglicht eine gezielte Aktion, die in weniger als einer Stunde abgeschlossen ist«, stellte er überrascht fest. »Genau das habe ich vor.« Lichtquelle-Jacta winkte einen der beiden am Eingangsschott postierten Roboter zu sich heran. »Jeweils
vier Einsatzgruppen sollen aufmarschieren, und zwar an den festgelegten Orten der Notenergiesysteme, der Andruckneutralisatoren, rings um die Flüssigkeitsaufbereitungsanlage und in der Nähe des Überlichtantriebs. Die anderen verteilen sich an den neuralgischen Punkten möglicher Fluchtwege. Insbesondere sämtliche Zugänge zu den kleineren Außenschleusen sind zu überwachen.« »Wann willst du losschlagen?« fragte Ferrunger-Mono. »Sobald die Roboter ihre Positionen eingenommen haben. Je weniger Zeit den Priesterinnen zur Verfügung steht, sich auf einen Angriff vorzubereiten, desto besser für uns. Ich nehme an, daß sie ebenfalls ihre Vorkehrungen getroffen haben. Wahrscheinlich müssen wir mit erneutem Widerstand von Seiten der unteren Kasten rechnen. Komm jetzt.« Lichtquelle-Jacta ließ das Schott zur Zentrale aufgleiten. Ihr Ziel war der Kartentisch, auf dem sie die Projektion eines kompletten dreidimensionalen Grundrisses der HEUTE abrief. Die jeweiligen Standorte der Schwarzen Roboter wurden eingespiegelt. Ferrunger-Mono klickte anerkennend mit den Zangen. »Ich möchte dich nicht zur Gegnerin haben«, sagte er. »Deine Planung läßt keinen Ausweg offen.« Eine Zeitlang sahen sie schweigend zu, wie die Schwarzen Roboter ihre jeweiligen Zielgebiete einkreisten. Doch dann flackerte ein einzelner Lichtpunkt auf und erlosch. »Das ist der Weg zu einer der bordinternen Transmitterstationen«, stellte der Kommandant überrascht fest. »Es sollte mich wundern, wenn zufällig jetzt ein Roboter durch einen Defekt ausfällt.« Lichtquelle-Jacta ließ eine neue Karte mit Ausschnitten des betreffenden Schiffssektors entstehen. »Dort können sie sich verborgen haben, oder auch auf diesem Deck.« Sie zeigte auf dicht beieinander liegende Abschnitte der Projektion. »Dann haben sie deine Absicht durchschaut. Wenn sie in Richtung Hauptdeck fliehen …«
»Nein«, sagte Jacta. »Wir dürfen Shema nicht unterschätzen. Ich nehme an, daß sie sich in die andere Richtung wendet. – Das ist es … Hier werden sie ihre Gefangenen festgehalten haben. Der Raum liegt geradezu ideal und sichert freien Zugang zu mehreren Geschützkuppeln. Von dort aus können sie ebenfalls in den Weltraum gelangen.« »Ortung!« rief jemand. Lichtquelle-Jacta achtete nicht darauf. Sie wandte sich zu den beiden Robotern um, die mehrere Schritte hinter ihr standen. »Einer von euch ist ausgefallen. Konnte er noch eine Meldung absetzen?« »Keine Feststellung möglich«, erwiderten die Maschinen gleichzeitig. »Dann haben die Priesterinnen ihn zerstört. Du solltest sofort alle verfügbaren Kräfte dort zusammenziehen.« »Oh nein«, wehrte Lichtquelle-Jacta ab. »Wenn Shema den Roboter entdeckt hat, ist sie wahrscheinlich über die meisten meiner Schritte informiert. Ich werde selbst …« »Es ist unser Blitzaufklärer!« schrie der Mann hinter den Ortungen erregt. »Distanz knapp fünf Lichtminuten. Da – er … er feuert aus allen Rohren!« Seine Stimme überschlug sich förmlich. »Alarmbereitschaft!« ordnete Ferrunger-Mono an. »Waffenleitstand: Zielerfassung!« »Der Angriff gilt nicht uns«, bemerkte Lichtquelle-Jacta knapp. Tatsächlich verlor sich die Feuerkraft des Blitzaufklärers in alle Richtungen. Wer immer sich an Bord befand, es sah ganz so aus, als kämpfe er gegen ein Dutzend unsichtbarer Gegner gleichzeitig. »Funkspruch«, ordnete die Oberpriesterin an. »Die Besatzung soll sich identifizieren. Ferrunger-Mono, du hast volle Befehlsgewalt.« »Aber …« »Es gibt anderes, was mir wichtiger erscheint, als ein aus allen Rohren feuernder Aufklärer.«
Bevor Lichtquelle-Jacta in Begleitung ihrer Roboter die Zentrale verlassen konnte, veränderte die Situation sich schlagartig.
* Die kurze Strecke bis zur Hauptzentrale rannten Atlan und Hayes zurück. »Ich weiß nicht, wieso«, empfing Gallatan Herts sie, »aber wir haben plötzlich Insiders Schiff auf den Schirmen. Er schießt wie ein Verrückter um sich.« Optisch war nichts auszumachen. Das Licht benötigte noch mindestens zwei Minuten, um die SOL zu erreichen. »Wieso funktioniert die Hyperortung wieder?« fragte der High Sideryt. »Keine Ahnung«, erwiderte Curie van Herling. »Der überlichtschnelle Funkverkehr ist nach wie vor behindert.« »Der Einsatz aller Waffensysteme des Blitzaufklärers mit dem zeitlichen Zusammentreffen der ersten Ortung läßt einen Zusammenhang als möglich erscheinen«, meldete SENECA. »Was schlägst du vor?« »Solange Schlußfolgerungen nur auf emotioneller Basis beruhen, wird von einer Empfehlung Abstand genommen.« »Da – seht …!« fuhr Curie auf. »Das … das ist riesig.« Wo eben noch das Nichts gewesen war, zeichneten sich plötzlich die Umrisse eines Planeten ab. … einer Dunkelwelt. Mehrere Schüsse des Blitzaufklärers hatten ihre Oberfläche getroffen und dabei wahrscheinlich schützende Energiefelder überlastet. Abwehrforts des Planeten begannen ebenfalls zu feuern. Es war gespenstisch anzuschauen, wie aus einer sich langsam stabilisierenden Erscheinung heraus glutende Strahlenfinger nach
dem Blitzaufklärer griffen. Nicht den Bruchteil eines Augenblicks zu früh bauten dessen Defensivschirme sich auf. »Hyperfunkspruch. Es ist Oggar.« »Da habt ihr die Ursache eurer Falle«, begann das Multibewußtsein im Androidenkörper übergangslos. »Insider hat den Ortungsschutz zumindest teilweise zum Erliegen gebracht. Ich werde meine Annäherung nun fortsetzen.« Atlan reagierte schnell, als aus den Triebwerken des Blitzaufklärers lange Flammenzungen hervorschlugen. »Brick«, befahl er, »mit Höchstwerten beschleunigen! Wir stehen Insider bei.« Tatsächlich war es der SOL möglich, ihre Position zu verlassen. Schwerfällig ruckte das mächtige Raumschiff herum. Atlan übernahm selbst den Hauptleitstand der Funkkontrollen. Schon wurden die ersten Transformsalven abgestrahlt, und die Glutbälle der Explosionen entstanden in unmittelbarer Nähe des deutlicher sichtbar werdenden Planeten. Ein orbitales Abwehrfort verging in grellen Lichterscheinungen. Daß Gallatan Herts jeden seiner Handgriffe beobachtete, fiel dem Arkoniden erst auf, als dieser ihn unvermittelt ansprach: »Du hast dich verändert, Atlan. Daß du jemals bereit sein würdest, derart kompromißlos zuzuschlagen, hätte ich nie geglaubt.« »Es ist nötig«, erwiderte Atlan nur, ohne von den Kontrollen aufzusehen. Man brauchte kein geschulter Psychologe sein, um feststellen zu können, wie es um ihn stand. Der Arkonide focht mit sich selbst einen schwereren Kampf aus, als es nach außen hin den Anschein hatte. Die zur Schau gestellte Entschlossenheit war nichts als Fassade, hinter der Atlan seine Unsicherheit verbarg. »Wir müssen diese Welt zerstören«, bekräftigte Herts deshalb. »Ob zufällig oder bewußt, Insider hat uns den richtigen Weg gewiesen. Von dort geht alles aus, was uns bislang zu schaffen machte.« »Weißt du, wieviel intelligente Wesen wir dabei ungewollt dem Tod ausliefern?« fragte Atlan tonlos. »Wesen, die von Hidden-X
gezwungen wurden, ihm zu dienen.« »Würden sie an die Vernichtung der SOL auch nur einen solchen Gedanken verschwenden? Entweder wir oder sie, Atlan. Nur wenn wir überleben und Hidden-X besiegen, können wir weit größeres Leid verhindern.« »Du hättest schon vor Jahren Prediger werden sollen«, stellte Atlan fest. »Das Körnchen Wahrheit in deinen Worten läßt sich nicht leugnen.« Mit steigender Geschwindigkeit näherte die SOL sich dem Planeten. Insiders Flugmanöver, mit denen er den Strahlbahnen der Abwehrgeschütze zu entkommen suchte, wurden immer gewagter. Nach wie vor griff der Blitzaufklärer mit sämtlichen Waffensystemen an. Auf der Planetenoberfläche zeigten sich erste Glutpilze. »Ich bin überzeugt davon, daß die Positronik den Aufklärer fliegt«, murmelte Breckcrown Hayes. »Insider muß allein mit den Geschützen alle Hände voll zu tun haben.« Die Hälfte der Distanz hatte die SOL bereits überwunden, als auch die Heimatschiffe der Vulnurer eingriffen. Nacheinander vergingen zwei weitere Abwehrforts. Bislang unsichtbare Feldlinien rund um die Dunkelwelt reflektierten Teile der auftreffenden Energien. Rasend schnell weiteten sie sich aus und griffen mit Glutfingern nach den Raumschiffen. Was da irrlichternd entstand, schien das Segment einer abschirmenden Kugelschale … »Zone-X wird sichtbar«, stieß Lyta Kunduran ungläubig hervor. »Sanny hat also recht.« Mehrere dicht aufeinander folgende Treffer ließen die Schutzschirme der SOL aufflammen. Eine Strahlsalve, die sich zu Punktbeschuß vereinte, wirbelte den Blitzaufklärer vor sich her, dessen Außenhülle an vielen Stellen aufbrach. Die Vergrößerung zeigte deutlich, daß das Beiboot der HEUTE schwer angeschlagen
war. Die entweichende Atmosphäre riß Installationen und Wrackteile gleichermaßen mit sich. »Hoffentlich hat Insider überlebt«, sagte Vorlan Brick entsetzt. Die Reaktoren des Blitzaufklärers mußten beschädigt sein. Wie anders war es zu erklären, daß ein rasch um sich greifender Atombrand in dem Wrack wütete. Zumindest im Augenblick konnte von der SOL keine Hilfe kommen. Die Belastungsanzeige ihrer Schutzschirme näherte sich der ersten Rotmarkierung. Schuld daran waren vor allem die reflektierten Energien, die kaum noch absorbiert werden konnten. »Messungen ergeben, daß die betreffenden Umformer unter der Planetenoberfläche verborgen sind«, meldete SENECA. »Wirkungsbeschuß wird zur Beseitigung der Gefahr dringend empfohlen.«
* »Helft der SOL!« befahl Lichtquelle-Jacta, als das erste Abwehrfort scheinbar von innen heraus verglühte. Vorübergehend ließ sie sich von ihrem Vorhaben abbringen und folgte gebannt dem Geschehen in einigen Lichtminuten Entfernung. Zögernd erhob sie sich dann. »Wohin gehst du?« wollte Ferrunger-Mono wissen. Sie lachte spöttisch. »Hast du es schon vergessen? Der Zeitpunkt dafür war nie so günstig. Auch Shema und die anderen werden sich vom Geschehen ablenken lassen.« »Du solltest warten, Lichtquelle-Jacta. Jetzt geht es darum, daß wir die volle Handlungsfähigkeit wiedererlangen. Die SOL beschleunigt bereits …« »Willst du mir einreden, welches Ei das bessere ist?« Die Oberpriesterin reagierte ungehalten. »Ich bin nicht bereit, die innere
Gefahr zu verharmlosen. Also stelle dich nicht gegen mich, wenn die Berührung deiner Fühler ehrlich gemeint war.« »Dann werde ich mit dir gehen.« »Bleib!« fauchte Jacta. In ihrer Hand lag plötzlich eine kleine Lähmwaffe, und die Mündung zielte auf den Kommandanten. Die folgende Stille ließ der Oberpriesterin ihren Fehler erst richtig bewußt werden. Kaum jemand war in der Zentrale, der sie nicht betroffen anstarrte. Und Ferrunger-Mono stand nur da und lächelte. Mit einemmal war Jacta sich ihrer Gefühle nicht mehr sicher. Hätte er in diesem Moment nur irgend etwas gesagt … Aber gerade sein Schweigen war bedrückend. Er steht auf Shemas Seite, durchzuckte es die Oberpriesterin. »Du läßt dich von deinem Haß leiten«, sagte Ferrunger-Mono unvermittelt. »Alles andere ist dir unwichtig, wenn du nur eine Bestätigung deiner Stärke findest. Das Volk der Vulnurer hat Generationen lang im Frieden gelebt.« Eben noch wollte sie seine Stimme hören – die Vorwürfe, die er ihr machte, wirkten wie ein eisiger Schock. Das war nicht mehr der Ferrunger-Mono, den sie gerne an ihrer Seite gesehen hätte. Ihre Hand mit der Waffe begann zu zittern. Jacta merkte nicht, wie sie sich in etwas hineinsteigerte, das der Widersprüchlichkeit ihrer Gefühle entsprang – etwas, was sie später möglicherweise bereuen würde, wenn sie Zeit fand, über alles nachzudenken. Hatte der Kommandant am Ende gar nicht so unrecht? Ging es ihr weniger darum, Melis und Ventarko zu befreien, sondern wollte sie vielmehr Shema als unbequeme Widersacherin ausschalten? Wütend wandte Lichtquelle-Jacta sich um. Die beiden Roboter folgten ihr auf dem Fuß.
* Jäh auftretende Beharrungskräfte schleuderten ihn quer durch die
Zentrale. Der Aufprall war so hart, daß Insider vorübergehend die Besinnung verlor. Als er wieder zu sich kam, trieben Rauchschwaden dicht über dem Boden dahin. Der Geschmack schalen Blutes auf den Lippen würgte ihn. Und da war ein gräßlicher Schmerz in seinem Schädel. Insider schrie auf. Seine Hände fuhren hoch – und prallten gegen die Sichtscheibe des Helmes. Taumelnd kam der Extra auf die Beine, sah sich suchend um. Vor ihm lagen die Kontrollen des Feuerleitstands. Irgendwie wußte Insider, daß der Blitzaufklärer angegriffen worden war. Der schreckliche Druck wich langsam von ihm und machte es leichter, eigenen Gedanken zu folgen. Nur die Notbeleuchtung brannte noch. Dem Grollen einer Detonation folgten heftige Erschütterungen der Schiffszelle. Insider mußte sich festhalten, um nicht zu stürzen. Dann stand alles Kopf. Die künstliche Schwerkraft hatte sich umgepolt. Sekunden später setzte sie völlig aus. Endlich begriff Insider, daß der Blitzaufklärer nur mehr ein Wrack war. Er schrak zusammen. Wieviel Zeit ihm noch blieb, bevor das Beiboot endgültig verging, wußte er nicht. Auf jeden Fall galt es, schnell zu handeln. Die Kuppel über der Zentrale war unbeschädigt. Da er keine Waffen besaß, um sich den Weg freizusprengen, mußte er nach einem anderen Fluchtweg suchen. Das Hauptschott ließ sich ebenfalls nicht öffnen. Entweder war es von außen her verklemmt oder die Notenergieversorgung unterbrochen. Bedrohlich nahe klang das Geräusch einer erneuten Explosion. Die Sensoren seiner Handschuhe vermittelten dem Extra Hitze. Auf der anderen Seite schien der Stahl zu glühen. Von aufkommender Panik getrieben, stieß Insider sich ab. Der heftige Schwung ließ ihn gegen die Decke stoßen. Krampfhaft suchte er nach neuem Halt, begann sich dabei aber zu überschlagen. Endlich, nach endlos langen Augenblicken, erreichte er einen der
seitlichen Zugänge. Hier gab es die Möglichkeit manueller Bedienung. Mit aller Kraft stemmte Insider sich gegen das Schott, als es unvermittelt aufbrach. Er hatte dem ihn mitreißenden Sog nichts entgegenzusetzen, mit dem die Luft aus der Zentrale in das dahinterliegende Vakuum expandierte. Mehrmals prallte der Extra gegen aufgerissene Wände und Verstrebungen und hoffte nur, sein Raumanzug möge der Belastung standhalten. Dann fühlte er die Ruhe, die von ihm Besitz ergriff. Er trieb im freien Raum. Noch immer scheinbar zum Greifen nahe dem brennenden Blitzaufklärer. Weit über ihm wölbte sich die Rundung einer düsteren Welt, deren Oberfläche von flackernder Glut durchzogen wurde. Und da war ein Stern, der sich ihm näherte, ein Komet auf elliptischer Bahn … Aus dem einen Lichtpunkt wurden in Sekundenschnelle mindestens zwei Dutzend. Die Umrisse eines Raumschiffs schälten sich aus der Dunkelheit. Oggar war gekommen, um ihn zu retten. »Insider«, vernahm der Extra die leise Stimme des Androiden in seinem Helmempfänger, »du hast gute Arbeit geleistet.« Unsagbare Erleichterung erfaßte ihn, als er von einem Traktorstrahl auf die Hauptschleuse des HORTs zu gezogen wurde.
7. Das Geräusch des zuschlagenden Schottes klang überlaut in Ferrunger-Monos Ohren. Sekundenlang starrte er benommen hinter Jacta her, dann erst wurde ihm bewußt, daß die Lichtquelle tatsächlich den Raum verlassen hatte. Er durfte sie nicht gehen lassen, nicht so wütend, wie sie war. Was er gesagt hatte, war nur der Absicht entsprungen, sie
zurückzuhalten. Er hätte wissen müssen, wie Lichtquelle-Jacta reagieren würde. Aber noch zögerte er, ihr zu folgen. Die Raumschlacht wurde immer erbitterter geführt und mit kompromißloser Härte. Hier prallten zwei grundverschiedene Welten aufeinander. Vorübergehend konnte Ferrunger-Mono vergessen. Seine Befehle veranlaßten die Besatzungen der GESTERN und der MORGEN, ihre Schiffe in einer zangenförmigen Bewegung zu beschleunigen. Die SOL war ihnen bereits weit voraus, aber sie war dem Abwehrfeuer des Planeten auch in weitaus stärkerem Maß ausgesetzt. Der Blitzaufklärer der HEUTE wurde getroffen. Nach einer Weile erschien ein anderes Schiff, das wohl nach Überlebenden Ausschau hielt. Ferrunger-Mono vermutete, daß es sich dabei um Oggars HORT handelte. Doch über all dem ließen seine Gedanken an Jacta sich nicht gänzlich verdrängen. Es war, als spüre er noch immer ihre Fühler. Irgendwie hatte sie Abschied genommen. Ferrunger-Mono empfand eine stärker werdende Furcht vor der Zukunft, die kaum Gutes bringen konnte. Jacta war im Zorn gegangen und verbittert. Ihre Augen hatten verraten, was sie dachte. »Nein«, murmelte der Kommandant leise vor sich hin. »Ich stehe gewiß nicht auf Shemas Seite.« Es fiel ihm schwerer, sich auf das Geschehen außerhalb der HEUTE zu konzentrieren. Ferrunger-Mono ertappte sich dabei, daß er die Bildschirme anstarrte, ohne wirklich wahrzunehmen, was geschah. Kurz entschlossen übergab er dann die Befehlsgewalt über die drei Heimatschiffe einem Untergebenen. Ohne auf die offensichtliche Verwunderung der Anwesenden zu achten, verließ er die Zentrale. Ferrunger-Mono wußte, wohin er sich zu wenden hatte. Im Bereich des Notenergiesystems war der Roboter zerstört worden. Mit Sicherheit war Lichtquelle-Jacta dorthin unterwegs. Der Mono benutzte den nächstbesten Antigravschacht, um in die
Bugregion zu gelangen. Viel zu langsam trug der Lift ihn in die Höhe. Er fürchtete plötzlich, daß Jacta in eine Falle geraten könnte. Hier, in der Nähe des Wohnbereichs, waren die Korridore belebter als in anderen Sektionen. Ferrunger-Mono achtete nicht auf die Vulnurer, die ihm erstaunt hinterher blickten. Er war froh, als er endlich einen Seitensprung erreichte, der ihn unmittelbar an der Zentralpositronik vorüberführte. Nur einige Roboter hielten sich hier auf, die ihn aber ungehindert passieren ließen. Kaum waren sie hinter einer Biegung verschwunden, als der Kommandant zu rennen begann. Die Ahnung, Lichtquelle-Jacta nie wiederzusehen, hetzte ihn vorwärts. Im Laufen zog er seinen Strahler aus der Kombination hervor. Allein die Anwesenheit der Männer und Frauen, denen er begegnet war, hatte ihn nervös gemacht – die nun herrschende Stille war aber ebenso wenig dazu angetan, ihn zu beruhigen. Keuchend erreichte Ferrunger-Mono den Hauptzugang zum Notenergiesystem. Kurz blieb er stehen, lauschte und wandte sich nach links. Der Korridor verlief halbkreisförmig; alle vierzig Meter gab es Einmündungen. Plötzlich prallte der Kommandant zurück. Seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Da stand Jacta – regungslos, hilflos. Ihr unmittelbar gegenüber ein Roboter und eine Priesterin. Das muß Shema sein, schoß es Ferrunger-Mono durch den Kopf. Ungeheuerlich war, daß der Roboter eine Strahlwaffe auf Lichtquelle-Jacta richtete. Er schien nicht ihr, sondern Shema zu gehorchen. »Verschwinde!« zischte die Oberpriesterin. »Das geht dich nichts mehr an.« Der Klang ihrer Stimme erschütterte den Kommandanten. Jacta hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen. In dem Moment, als Ferrunger-Mono seine Waffe hochriß, schoß
der Roboter.
* Aus einer Entfernung von nur noch zweihunderttausend Kilometern griff die SOL die Dunkelwelt mit allem an, was sie aufzuweisen hatte. Ein gigantisches, feuerspeiendes Ungeheuer, vor dem es keinen Schutz gab. Transformsalven wühlten die Planetenoberfläche auf, die Glutstrahlen der Impulsgeschütze rissen tiefe Furchen. An unzähligen Stellen brach die Kruste auf, schoß Magma aus der Tiefe empor und wälzte sich über Kontinente hinweg. Das Feuer der Abwehrforts schien allmählich schwächer zu werden. Dann brach die Bastion von Hidden-X auseinander. Wo Wolken eben gnädig das beginnende Chaos verhüllt hatten, schossen nun glühende Fontänen weit in den Raum hinaus. Eine Welt der Finsternis starb. Ihr Ende vollzog sich schnell und lautlos. Was blieb, war ein langsam auseinandertreibendes, kosmisches Trümmerfeld, das sich in wenigen Jahrtausenden in der endlosen Weite verloren haben würde. In der Kugelschale aus reflektierten Energien bildete sich eine unregelmäßige Öffnung, deren Ränder in ständiger, fließender Bewegung begriffen waren. Noch schien eine gegenseitige Wechselwirkung zwischen den Bruchstücken der Welt und dieser Erscheinung zu bestehen. »Was hältst du davon?« fragte Breckcrown Hayes. Atlan zögerte. »Worauf wartet ihr?« meldete sich Oggar über Hyperfunk. »Auf eine Einladung von Hidden-X?« Der HORT steuerte auf die Öffnung zu. Atlan schürzte die Lippen, schließlich nickte er zustimmend.
»Also vorwärts!« meinte Hayes. »Zeigen wir unserem unbekannten Gegner, was eine Harke ist.« Auf den überraschten Augenaufschlag des Arkoniden schien er förmlich gewartet zu haben. »Wer einen Unsterblichen als Gast hat«, sagte er, »sollte sich hin und wieder mit dessen Vergangenheit befassen. War das Sprichwort richtig?« »Du hättest unsere Absicht nicht besser verdeutlichen können.« Die SOL auf den neuen Kurs zu bringen, war eine Aufgabe nach dem Geschmack der Brick-Zwillinge. Das immerhin sechseinhalb Kilometer in der Länge messende Trägerschlachtschiff mußte zwischen den Trümmern des zerstörten Planeten hindurch. Ständig flammten die Schutzschirme auf. Es galt vor allem, größeren Felsbrocken auszuweichen, die sowohl HÜ- als auch Paratronschirme hätten durchschlagen können. Oggar hatte es da wesentlich einfacher; fast noch mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit manövrierte er seinen HORT zwischen den Asteroiden hindurch. Auch hinter der SOL war ein leichtes Flimmern wahrzunehmen. Dort begann nach Sannys Berechnungen die Zone-X. Existierten in diesem Bereich gestaffelte Abwehreinrichtungen? Das zweite, allmählich verblassende Energiefeld ließ dies vermuten. Die entstandene Lücke begann sich wieder zu schließen. Keine fünf Minuten nach dem HORT stieß die SOL hindurch. Manchem war diese Zeitspanne wie eine kleine Ewigkeit erschienen.
* Zu spät erkannte Lichtquelle-Jacta ihren Fehler. Erst als die beiden Roboter an ihrer Seite im konzentrierten Feuer zweier Strahlwaffen vergingen, ohne überhaupt eine Chance zu haben, reagierte sie. »Keine hastige Bewegung.« Shema trat aus einer Nische hervor und zeigte auf den Schwarzen Roboter, der langsam auf Jacta
zuglitt. »Er gehorcht mir. Wie du siehst, ist es gelungen, ihn umzuprogrammieren.« »Die Waffe weg!« befahl Lichtquelle-Jacta. Sie erreichte nichts damit. Shema lachte nur. »Es war nicht leicht, einen deiner Roboter zu überwältigen. Außerdem mußtest du glauben, daß er zerstört worden sei.« Schritte näherten sich. Wie ein Schatten glitt Shema in den Schutz der Nische zurück. Ferrunger-Mono schrak sichtlich zusammen, als er Jacta und den Roboter gewahrte. Dann fiel sein Blick auf die Priesterin. Jacta wußte sofort, weshalb der Kommandant ihr gefolgt war. Shema würde nicht zögern, auch ihn als lästigen Mitwisser auszuschalten. »Verschwinde!« zischte sie deshalb. »Das geht dich nichts mehr an.« Aber Ferrunger-Mono hörte nicht auf sie. Jäh riß er seine Waffe hoch. Der Roboter schoß. Ferrunger-Mono sprang gleichzeitig vorwärts, und der nadelfeine Energiestrahl, der Jacta gegolten hatte, bohrte sich in seinen Leib. Schreiend stürzte er zu Boden, seinen Strahler auslösend. Fahle Energien umspielten den Roboter, rissen seine Fühler ab und ließen die Kieferzangen schmelzen. Dann barst der Schädel in einer dumpfen Explosion. Lichtquelle-Jacta schoß ebenfalls. Unmittelbar vor Shema glühte der Bodenbelag auf. »Du hast verloren, Priesterin!« ächzte Jacta. »Wirf deine Waffe her.« Mit einer unmißverständlichen Bewegung unterstrich sie ihre Forderung. Shema erkannte die Entschlossenheit in Jactas Augen und fügte sich. Dann erst beugte die Lichtquelle sich über Ferrunger-Mono. Der Kommandant lag zusammengekrümmt auf der Seite. Krampfhaft
hielt er die Arme auf die halb verbrannte Wunde gepreßt. Als Jacta nach seiner Verletzung sehen wollte, schüttelte er den, Kopf. Durchdringend blickte er sie an, aber weder Vorwürfe noch Trauer drückten sich darin aus. »Ich weiß, daß ich sterben muß«, kam es tonlos aus seinem Mund. »Ich fühle keine Schmerzen; mir ist nur so leicht, als schwebte ich irgendwo zwischen den Sternen. Du hast gesiegt, Jacta.« Sanft strich sie über seine Fühler. Sie schwieg. Doch gerade darin offenbarte sich, was sie fühlte. Und er war ihr dankbar dafür. Ferrunger-Mono schloß die Augen. Er fiel in eine grenzenlose Tiefe, aus der es kein Zurück mehr geben würde. Nur ein leises Summen schreckte ihn auf. Roboter waren es, und sie hatten die anderen Priesterinnen überwältigt. Jactas Triumph wurde damit vollkommen. Jetzt konnte sie darangehen, ihre Träume zu verwirklichen. Aber allein war sie hilflos. Er, Ferrunger-Mono, hatte geglaubt, ihr helfen zu können. Nun mußten andere an seine Stelle treten. Laut schlugen seine Kieferzangen aufeinander. Lichtquelle-Jacta half ihm, den Oberkörper aufzurichten. Er durfte sein Wissen nicht mit in den Tod nehmen. »Was ich zu sagen habe«, brachte er leise hervor, »ist für alle bestimmt.« Krampfartiger Husten schüttelte ihn. Erst nach einer ganzen Weile konnte er wieder frei atmen. »Mir bleibt nicht viel Zeit, doch ihr sollt wissen, was ich erkannt habe. Niemand an Bord der Heimatschiffe auch die Priesterinnen der Lichtquelle nicht – weiß um die ursprüngliche Bedeutung, die dieser Begriff für unser Volk hatte … Deshalb, Jacta, half ich dir … und nicht nur deshalb. Ihr dürft euch nicht gegenseitig bekämpfen. Tut alles, um die Wiedergeborene Lichtquelle zu …« Seine Stimme wurde so leise, daß niemand ihn mehr verstehen konnte. Der Blick seiner Augen verlor sich in weiter Ferne. »Jacta«, erklang es noch einmal. »Ich … ich will mit dir …« Ferrunger-Mono war tot. Lichtquelle-Jacta gab sich keine Mühe,
ihre Erschütterung zu verbergen. Auch die Priesterinnen, die sich inzwischen alle eingefunden hatten, wirkten nachdenklich. »Kannte er das Geheimnis der Wiedergeborenen Lichtquelle?« fragte Shema schließlich. »Oder waren es die Phantasien eines Sterbenden?« »Wir sollten trotzdem auf ihn hören«, sagte eine der Priesterinnen, die den Einsatz von Waffen jetzt noch weniger guthieß als zuvor. Aber Shema hatte sie alle mehr oder minder überrumpelt. »Ferrunger-Mono hat uns eine neue Aufgabe gestellt«, nickte Jacta. »Wir müssen vergessen, was war, müssen uns anderem widmen als einem unsinnigen, erfolgslosen Bekehrertum. Wer sagt uns wirklich, daß von den Planeten alles Böse kommt?« »Wir sollten uns aber auch von den Solanern abwenden. Erst ihr Erscheinen hat uns entzweit. Ihr Kampf gegen eine andere böse Macht ist nicht der unsere.« »Müssen wir überhaupt darüber verhandeln?« gab LichtquelleJacta zu bedenken. »Licht in unsere Vergangenheit zu bringen, ist eine Aufgabe, der alle zustimmen werden. Wer sich dagegen stellt, soll es sagen, hier und jetzt.« Auffordernd blickte sie in die Runde. Selbst Shema hatte keine Einwände. »Gut«, nickte Jacta. »Unser Mono ist tot, ich werde der neue Mono sein.« Damit erklärte sie sich selbst praktisch zur Alleinherrscherin über die Heimatschiffe. Und noch immer regte sich kein Widerstand. Lichtquelle-Jacta hatte das Gefühl, erst in diesem Augenblick wirklich gewonnen zu haben.
* »Warum folgen sie uns nicht?« Atlan deutete auf den Panoramaschirm, auf dem die Schiffe der Vulnurer deutlich zu erkennen waren.
»Vielleicht warten sie ab, was geschieht«, erwiderte Breckcrown Hayes. »Sie haben ebenfalls ihre volle Bewegungsfreiheit zurückerlangt, weshalb sollten sie uns länger beistehen?« »Aber Jacta …« »Du scheinst die Vorgänge an Bord der Heimatschiffe zu vergessen. Was ist los mit dir?« »Ach, nichts.« Fast schon ärgerlich winkte Atlan ab. Die Lücke, durch die Oggars HORT und die SOL geflogen waren, schloß sich wieder. Ob es trotzdem einen Rückweg gab, blieb abzuwarten. Man hatte die Flucht nach vorne angetreten. Niemand konnte vorhersagen, wie Hidden-X reagierte. Nur eines war sicher, und SENECA und Sanny stimmten darin überein: Die Vulnurer waren ausgeschlossen; sie vermochten der SOL nicht mehr zu folgen. »Kurs Zentrum der Zone-X!« bestimmte Breckcrown Hayes. Nichts schien sich verändert zu haben. Der Raum vor den beiden Schiffen war wieder leer und ruhig. Die SOL beschleunigte weiter. Wenigstens wußte man nun, daß der Gegner überall sein konnte. Und viele glaubten, darauf vorbereitet zu sein. Keineswegs unerwartet kam dann der Anruf von Bord der HEUTE. Lichtquelle-Jacta wirkte um Jahre gealtert. »Lebe wohl, Atlan«, begann sie übergangslos. »Unsere Ziele sind zu verschieden voneinander, deshalb werden wir uns trennen. Die Bekehrer haben eine große Aufgabe vor sich – die Suche nach der Wahrheit der Wiedergeborenen Lichtquelle.« »Das kommt zu plötzlich«, erwiderte der Arkonide. »Was ist geschehen?« Jactas Fühler krümmten sich. »Ferrunger-Mono ist tot«, sagte sie. »Wahrscheinlich hat es so sein müssen. Und vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, Atlan; ich wünsche es mir sogar. Aber das All ist groß …« Abrupt wurde die Verbindung von der HEUTE aus unterbrochen. »Die Vulnurer drehen ab«, meldete Curie van Herling.
»Sie lassen uns also tatsächlich im Stich«, bemerkte Gallatan Herts ungehalten. »Wir hätten uns denken können, daß auf solche Freunde kein Verlaß ist.« »Du urteilst vorschnell«, wies Atlan ihn zurecht. »Ohne das Eingreifen der Bekehrer wäre Insider sicherlich nicht mehr am Leben. Solange wir nicht wissen, was vorgefallen ist, sollten wir uns hüten, über jemanden den Stab zu brechen.« Die drei Heimatschiffe beschleunigten mit Höchstwerten. Schließlich traten sie in den Linearraum über, ohne daß sie noch einmal von sich hören ließen. Ihr Ziel war so ungewiß wie ihre Herkunft. Minuten später wurde die SOL erneut aus dem Nichts heraus angegriffen. Auch die Schutzschirme des HORTs bauten sich in Gedankenschnelle auf. Die Positronische Zielerfassung lieferte keine Werte. »Das sind weitere Dunkelwelten«, behauptete Atlan. »Wenn meine Vermutung richtig ist, stehen sie in Form einer Kugelschale am Rand der Zone-X.« Sowohl die SOL als auch der HORT erwiderten das Feuer. Jeder wußte aber auch, daß die beiden Schiffe allein keine Chance hatten. »Bis jetzt fünf räumlich festgelegte Ziele«, meldete SENECA. »Wir müssen unsere Beiboote einsetzen«, verlangte GallatanHerts. »Breckcrown, ich brauche Alarmorder für sämtliche Kreuzer und Korvetten.« »Abgelehnt«, sagte der High Sideryt. »Bei einem solchen Angriff kämen wir zweifellos in die Reichweite weiterer Raumforts. Außerdem erscheint es mir angebracht, wenigstens einen Trumpf zurückzuhalten.« »Also Flucht?« »Du kannst es ausdrücken, wie du willst, Gallatan. Ich nenne es Vorsicht.« Die SOL und der HORT setzten sich in Richtung Zentrum ab. Obwohl die Ortungen auf Hochtouren liefen, lagen keine
verwertbaren Daten vor. Die Belastung der Schutzschirme ging rasch zurück. Einen deutlicheren Beweis für die begrenzte Reichweite der planetengebundenen Festungen konnte es kaum geben. Atlan war überzeugt davon, dem Geheimnis der Zone-X und des Flekto-Yns endlich auf die Spur zu kommen.
* Zwei kurze Linearetappen verliefen ereignislos. War dies die Ruhe vor dem Sturm, oder hatte Hidden-X sich zurückgezogen? Niemand zweifelte daran, daß jeden Augenblick ein neuer Angriff erfolgen konnte doch gerade das Ausbleiben jeglicher Reaktion machte nervös. »Allmählich glaube ich, daß wir nichts finden werden«, sagte der High Sideryt. »Selbst Sanny scheint sich ihrer Berechnungen kaum mehr sicher zu sein.« Atlan wollte etwas erwidern, aber ein jäher Kopfschmerz ließ ihn verstummen. Ihm war, als bohrten sich glühende Nadeln in seinen Schädel. Auch die anderen zuckten zusammen. Breckcrown Hayes preßte sich die Hände auf die Schläfen; ein Ausdruck von Verwunderung trat in seine Augen. Die Männer und Frauen des Personals sanken stöhnend in die Knie. Atlan schüttelte die Schmerzen von sich ab wie einen Alptraum. Was blieb, war ein dumpfer Druck, dem er sich jedoch mühelos widersetzen konnte. Was hast du erwartet? spottete sein Extrasinn. Hidden-X meldet sich endlich wieder. Der Arkonide war ebenso mentalstabilisiert wie Hayes und die Stabsspezialisten. Fast ein wenig fassungslos sah er zu, wie beinahe die halbe Zentralbesatzung ausfiel. Keiner der Betroffenen schien
mehr wahrzunehmen, was um ihn herum vorging. Aus allen Sektionen der SOL trafen erregte Anfragen ein und Ausfallmeldungen. Schon war abzusehen, daß die Folgen eines länger andauernden mentalen Angriffs verheerend sein würden. SENECA aktivierte die Schutzschirme, die eine gewisse Milderung bewirkten, und leitete gleichzeitig eine weitere lineare Kurzetappe ein. Etwa 100 Milliarden Kilometer vom Ziel entfernt, fielen die SOL und Oggars HORT in den Einsteinraum zurück. Der mentale Druck war verschwunden. Gleichzeitig aber wuchs die Unsicherheit unter der Besatzung, die die Hilflosigkeit am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte. Niemand konnte wirklich sicher sein, ob nicht schon im nächsten Augenblick ein neuer Überfall erfolgte. Hidden-X hatte die Solaner deutlich gewarnt. Und ein Großteil von ihnen plädierte für eine sofortige Umkehr. Schon bildeten sich einzelne Gruppen, die lautstark ihre Meinung vertraten. Die Mentalstabilen, die den geistigen Druck zwar ebenfalls gespürt hatten, sich ihm aber problemlos widersetzen konnten, wollten davon nichts wissen. Sie sahen nicht ein, weshalb man so kurz vor dem Ziel aufgeben sollte. Es war einmal gelungen, dem mentalen Angriff zu entkommen, also mußte es auch ein zweitesmal möglich sein. Trotzdem war es weder Atlans Art noch die des High Sideryts, die Meinung selbst einer Minderheit unbeachtet zu lassen. Jeder weitere Vorstoß mochte neue Gefahren mit sich bringen. Man einigte sich aber darauf, nicht die ganze SOL einem unkalkulierbaren Risiko auszusetzen. Die Ortungen schwiegen nach wie vor. SENECA behauptete, daß da nichts war, räumte jedoch gleichzeitig ein, daß man das Ziel inzwischen erreicht hatte. Von einem offensichtlichen Widerspruch zwischen beiden Aussagen wollte die Hyperinpotronik nichts wissen. Bjo Breiskoll und Sanny gaben sich nicht minder orakelhaft. Der
Katzer glaubte, mit seinem Gespür für den Weltraum feststellen zu können, daß die kosmische Umgebung der SOL sich verändert hatte. »Das Flekto-Yn ist in unserer Nähe«, sagte er. »Vielleicht stecken wir auch schon mitten drin.« Irgend jemand lachte. Aber dieses Lachen klang gekünstelt. »Wir sind am Ziel«, bekräftigte Sanny. »Meine Berechnungen ergeben einwandfrei, daß Hidden-X hier auf uns wartet.« »Weißt du auch, wie die Auseinandersetzung enden wird?« fragte Gallatan Herts. Die Molaatin bemerkte den spöttischen Unterton in seiner Stimme. »Ich bin Mathematikerin«, antwortete sie. »In den Sternen zu lesen vermag ich nicht.« »Wenn man davon ausgeht, daß beide recht haben«, sagte Atlan, »dann ist Hidden-X' Versteck vermutlich in einer anderen Existenzebene zu suchen. Selbst SENECAs Aussage kann dahingehend interpretiert werden.« »Das würde manches erklären«, nickte Breckcrown Hayes. »Endgültige Gewißheit kann aber nur ein gezielter Vorstoß bringen.« »… an dem ausschließlich Mentalstabile teilnehmen dürfen.« »Also eine Expedition ins Ungewisse«, rief Oggar, der durch eine Konferenzschaltung mit der Hauptzentrale der SOL verbunden war. »So kann man es nennen«, pflichtete der High Sideryt bei. »Die Mannschaft für eine Korvette auszuwählen, dürfte nicht schwerfallen.« »Weshalb fliegen wir nicht mit dem HORT?« wollte Oggar wissen. Für ihn schien bereits festzustehen, daß er an dem Vorstoß teilnehmen würde. Du könntest keinen Besseren finden, wisperte Atlans Extrasinn. Und wir werden ebenfalls mit von der Partie sein. Gedankenverloren blickte der Arkonide auf die Bildschirme. Irgendwo in dieser Schwärze gab es Planeten. Auch ohne die
anscheinend versagenden telepathischen Kräfte Bjo Breiskolls würde man sie zu finden wissen. Ich kann ihn meinen ärgsten Feind nennen. Er ist hartnäckig wie kein zweiter und hat es geschafft, bis in meine Nähe vorzudringen. Er glaubt, dies seien Erfolge. Welch ein Narr er in Wirklichkeit ist. Weder er noch andere werden den Ort, an den ich mich zurückgezogen habe, entdecken. Außerdem warten im realen Gebiet um das Flekto-Yn einige Überraschungen auf die Eindringlinge. Am liebsten würde ich selbst in den Kampf eingreifen, würde sie meine Macht spüren lassen und sie samt ihrer vielgepriesenen Technik aus dem All hinwegfegen. Leider verhindern dies meine selbstgewählten Schutzmaßnahmen. Zumindest werde ich in Ruhe beobachten können, wie die SOL und Oggars HORT untergehen. Ich, der Mächtige … … Hidden-X!
ENDE
Tage des Beobachtens und Sondierens vergehen, ohne daß man auf der SOL etwas Bemerkenswertes feststellen kann. Dennoch ist man eingedenk der Macht von Hidden-X vorsichtig, und so dringt nicht die SOL zum Zentrum der Zone-X vor, sondern der HORT, mit Oggar, Atlan und dessen Team. Die Erkunder von der SOL besuchen DIE DUNKELWELT … DIE DUNKELWELT – unter diesem Titel erscheint auch Atlan-Band 579. Autor des Romans ist Hans Kneifel.