Jane Toombs
Zärtliches Verlangen
Fay Merriweather gerät in einen heftigen Schneesturm! Mitten im tiefen Waldgebiet Mi...
4 downloads
340 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Jane Toombs
Zärtliches Verlangen
Fay Merriweather gerät in einen heftigen Schneesturm! Mitten im tiefen Waldgebiet Michigans hat ihr Baby es plötzlich eilig, auf die Welt zu kommen. Mit ihren Kräften am Ende findet Fay die einsam gelegene Hütte des attraktiven Detective Dan Sorenson. Tatkräftig steht er ihr zur Seite, als sie ihr kleines Mädchen Danielle bekommt. In den nächsten Tagen kümmert er sich rührend um die erschöpfte Mutter und das zarte Baby. Auch als Fay nach Archer zurückkehrt, um wieder in ihrem erfolgreichen Beraterbüro zu arbeiten, besucht Dan sie häufig. Aber geht es ihm wirklich nur um die Kleine, wie er ständig versichert. Oder hat er, der sich nach seiner Scheidung doch nie mehr binden wollte, nicht schon längst sein Herz an Fay verloren?
2004 by Jane Toombs
Originaltitel: „Detective Daddy“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
in der Reihe: SPECIAL EDITION
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam
Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1441 (23/2) 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Juni Meyer
Fotos: Mauritius – Die Bildagentur GmbH
1. KAPITEL Dan Sorenson hielt inne und horchte auf den Sturm, der um seine Jagdhütte auf Michigans Upper Peninsula heulte. Er legte noch ein Holzscheit ins Feuer und stocherte im Kamin herum, um das Holz richtig zu platzieren. Wie gut, dass ich hier drinnen warm und trocken sitze, dachte er. Diese Frühjahrsstürme dauerten gewöhnlich drei Tage. Drei schlimme Tage, in denen es abwechselnd regnete und schneite, bis das Unwetter sich schließlich ausgetobt hatte. Ausgeschlossen, mit dem Auto zu fahren oder sich überhaupt ins Freie zu wagen. Zum Glück hatte er genügend Brennholz im Schuppen gelagert, bevor der Aprilsturm begonnen hatte. Er ließ den Blick durch die gemütliche Hütte schweifen, die vor zwei Generationen mitten in der Wildnis errichtet und von seinem Großvater auf den Vater vererbt worden war. Finnische Einwanderer hatten die Hütte aus Zedernbalken gezimmert. Bis jetzt hatte sie Wind und Wetter mühelos getrotzt, und daran würde sich in den nächsten Jahrzehnten garantiert nichts ändern. Dan ging zum Fenster hinüber und schonte dabei sein linkes Bein so gut wie möglich. Zwecklos, hier draußen was zu erkennen, dachte er, während er angestrengt in die Dunkelheit starrte. Kopfschüttelnd kontrollierte er den Schalter für das Licht auf der Veranda, das immer noch angeknipst war. Die Gewohnheit hatte er von seiner Mutter übernommen, die das Licht auch hatte brennen lassen, wenn es draußen stürmte und schneite. „Man kann nie wissen, ob nicht doch ein Mensch auf ein Licht in der Dunkelheit angewiesen ist“, hatte sie immer gesagt. In dieser gottverlassenen Gegend ganz bestimmt nicht, schoss es Dan durch den Kopf. Aber irgendwie brachte er es trotzdem nicht fertig, es auszuschalten, und setzte sich in seinen bequemen Lehnstuhl neben dem Kamin. Plötzlich schrak er heftig zusammen. Was war das für ein Geräusch? War da jemand an der Tür? In einer grauenhaften Nacht wie dieser? Mitten in der Wildnis? Ausgeschlossen. Doch obwohl der Sturm gewaltig um die Hütte heulte, war er sich sicher, dass er ein kratzendes Geräusch gehört hatte. Sieh lieber nach. Unwillkürlich griff er nach seinem Gewehr, bevor er zur Tür ging. Einmal Cop, immer Cop, dachte er amüsiert. Natürlich trug er die Waffe nicht bei sich. In dieser verlassenen Gegend war das vollkommen überflüssig, ganz besonders während eines Aprilsturmes. Dan öffnete die Tür. Ihm stockte der Atem. Vor ihm stand eine Frau, die von Kopf bis Fuß mit Schnee bedeckt war. Sie schwankte und schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Entschlossen zog er sie in die Hütte und stemmte sich gegen die Tür, um sie zu schließen. „K… kalt“, flüsterte sie zähneklappernd. Er führte sie zum Kaminfeuer und half ihr aus dem durchnässten Mantel. Du lieber Himmel – die Frau war hochschwanger! Sie zitterte vor Kälte und schlug sich mit den Armen auf den Oberkörper, um sich zu wärmen. „S… so… k… kalt“, flüsterte sie wieder. Dan brachte sie dazu, die Strickjacke auszuziehen, aber er musste helfen, so klamm waren ihre Finger. Besorgt stellte er fest, dass ihr Hemd und die Hose ebenfalls durchnässt waren. „Du musst unter die Dusche“, ordnete Dan an. „Und zwar auf der Stelle.“ Sie starrte ihn so erschrocken an, dass er befürchtete, es könnte an der Unterkühlung liegen. „Komm mit“, sagte er und führte sie ins Bad. „Ich stelle das Wasser an.“ Als er ihre Hand losließ, blieb sie dort, wo er sie
stehen gelassen hatte. Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Eigentlich hatte er das Bad verlassen wollen, damit sie sich die nasse Kleidung ausziehen konnte, aber sie rührte sich nicht einen Millimeter von der Stelle. „Kannst du dich allein ausziehen, oder brauchst du Hilfe?“ fragte er sie ohne Umschweife. Die Frau schwieg. Er seufzte genervt. „Hör zu“, meinte er. „Ich heiße Dan, und ich werde dir jetzt beim Duschen helfen. Okay?“ Er drehte den Wasserhahn auf und prüfte die Temperatur, bis sie angenehm warm war, und zog ihr dann das Hemd über den Kopf. Keine Reaktion. Also schob er ihr die elastische Hose über den gewölbten Bauch, klappte den Klodeckel zu, half ihr beim Hinsetzen und zog ihr Schuhe und Strümpfe aus. Sie trug nur noch den Slip und ihren BH, die trocken geblieben waren. Als Dan ihr den BH öffnete, bemerkte er an ihrer kalten Haut, dass die Frau halb erfroren war. Was zum Teufel hat sie da draußen zu suchen? fragte er sich insgeheim, streifte ihr den Slip herunter, half ihr beim Aufstehen und manövrierte sie unter die Dusche. Weil er Angst hatte, sie könnte zusammenbrechen, blieb er im Bad und passte auf sie auf, während sie das warme Wasser über den Körper rinnen ließ. Schließlich drehte er die Hähne wieder zu, nahm ihre Hand und ließ sie aus der Wanne heraustreten. Er trocknete sie ab und hüllte sie in das Badelaken ein. Danach führte er sie zum Kamin, eilte in das Obergeschoss der Hütte und durchwühlte die alte Kommode nach trockener Kleidung. Flanell. Genau richtig, dachte Dan. Er half ihr in den alten Flanellpyjama seines Großvaters und achtete darauf, nicht ihre vollen Brüste zu berühren, während er die Jacke zuknöpfte. Sein Großvater war ein Hüne gewesen, so dass ihr die Jacke bis an die Knie reichte. „Ich helfe dir beim Hinsetzen. Dann kannst du dir die Filzpantoffeln anziehen“, meinte Dan, während er ihr die Ärmel hochkrempelte. Zu seiner Überraschung reagierte sie plötzlich. „Es kommt“, erklärte sie mit schmerz verzerrtem Gesicht und strich sich mit der Hand über den Bauch. „Es?“ „Das Baby.“ Dan schluckte schwer. „Bist du sicher?“ Sie nickte. Mist, fluchte er unhörbar in sich hinein. Sieht so aus, als sei ich der einzige Mensch weit und breit, der ihr helfen kann. Nein, stimmt nicht, korrigierte er sich. Sein Bruder war Arzt in Evergreen Bluffs. Hinfahren konnte er zwar nicht, aber anrufen und ihn fragen, was er tun sollte. Erst mal brachte er sie zum Sofa gegenüber dem Kamin. „Keine Aufregung“, beruhigte er sie und eilte zum Telefon. Just in dem Moment, als er es erreichte, verlosch das Licht. Nervös hob er den Hörer. Kein Wählton. Die Telefonleitung war so tot wie die elektrische, und sein Handy bekam in dieser verlassenen Gegend kein Netz. „Bloß keine Aufregung“, wiederholte er, diesmal aber mehr zu sich selbst als zu der Frau. „Ich werde ein paar Laternen anzünden.“ Das Kaminfeuer leuchtete hell genug, und schon kurz darauf hatte er zwei Kerosinlampen angezündet. Eine platzierte er auf dem Esstisch und die andere auf dem Beistelltisch neben dem Sofa. Jetzt konnte er sehen, dass die Frau die Hände über dem Bauch zusammengekrampft hatte. „Tut höllisch weh“, stieß sie hervor. Verdammt. Er kniete sich neben die Couch auf den Boden und versuchte sich
daran zu erinnern, was er im Grundkurs Medizin bei der Archer City Police Force
gelernt hatte. Auch Geburten hatten sie kurz durchgenommen.
„Wie ich schon gesagt habe, ich heiße Dan“, stellte er sich nochmals vor. „Dan
Sorenson. Wie heißt du?“
Sie schaute ihn direkt an, als ob sie ihn überhaupt zum ersten Mal wahrnahm.
„Fay. Fay Merriweather. Danke für…“ Hilflos hob sie die Hände. „… dass du mich
reingelassen hast und so weiter.“
Er lächelte sie an. „Hallo, Fay. Und jetzt verrate mir, ob heute der errechnete
Geburtstermin für das Baby ist.“
„Nicht ganz. Zwei Wochen zu früh.“
Dan gab sich Mühe, seine Erleichterung zu verbergen. Wenigstens bekam er es
nicht mit einem dieser zarten und zerbrechlichen Frühgeborenen zu tun.
„Fay, bist du in ärztlicher Behandlung gewesen?“
„Ja.“ Sie seufzte. „Er wollte nicht, dass ich nach Duluth fahre. Ich hätte auf ihn
hören sollen. Du bist nicht zufällig Arzt?“
„Nein, tut mir Leid. Ich bin Polizist.“
Sie schien erleichtert. „Dann ist es wenigstens nicht deine erste Geburt.“
Er nickte, verschwieg ihr aber, dass er nur ein einziges Mal Geburtshelfer
gewesen und dass das Baby mehr oder weniger allein zur Welt gekommen war.
Außerdem war der Notarzt ziemlich schnell angekommen und hatte Mutter und
Kind ins Krankenhaus gebracht.
Fay stöhnte auf. „Wieder eine Wehe.“
„Vielleicht solltest du dich hinlegen“, schlug Dan vor.
Sie schwieg für einen Augenblick, setzte sich dann auf und atmete tief durch.
„Bei der Geburtsvorbereitung hat man uns erzählt, dass wir uns auf eine
Plastikunterlage legen sollen, wenn es zu einer Notfallgeburt kommt. Plastik und
ein paar alte Tücher. Irgendwas, was man anschließend wegschmeißen kann.“
„Ich suche nach einer Decke“, erwiderte er und wünschte sich sehnlichst, die
Sache schon hinter sich zu haben.
„Eine alte“, rief sie ihm nach, während er in Richtung Schuppen eilte.
Mit einer alten Decke und einem Haufen ebenso alter, aber sauberer Handtücher
unter dem Arm ging er zurück in die Hütte. Dann stieg er ins Obergeschoss und
holte eine alte Steppdecke aus der ZedernholzKommode. Als er wieder ins
Wohnzimmer kam, ging Fay gerade ein paar Schritte auf und ab.
„Fertig“, verkündete er ihr schließlich. „Du kannst dich hinlegen.“
„Danke. Ich soll so lange wie möglich in Bewegung bleiben. Aber ich bin wirklich
erschöpft.“ Sie streckte sich auf der Couch aus und stopfte sich ein paar Kissen
unter den Kopf, ließ die Steppdecke aber zusammengefaltet auf der Lehne liegen.
Ihr Blick fiel auf Dan. „Wenn ich das Licht nicht gesehen hätte…“ Ihre Worte
verloren sich, und sie atmete tief und betont langsam.
„Eine Wehe?“
Sie nickte. Dan kniete sich wieder neben sie und legte seine Hand beruhigend auf
ihren Bauch. Noch durch den weichen Flanell hindurch fühlte die Bauchdecke sich
so hart an wie ein Brett. Mit einem Blick auf die Uhr kontrollierte er die Abstände
zwischen den Wehen. Noch bevor er seine Hand wegziehen konnte, stieß
irgendetwas gegen sie. Hat das Baby mich getreten? fragte er sich überrascht
und lächelte.
Fay musste ebenfalls lächeln. „Den Tritt hast du bestimmt gespürt.“
„Soll ich dich zudecken?“
„Das Feuer hält mich warm genug“, meinte sie und wandte den Blick in die
Flammen. „Ich liebe Kaminfeuer.“
Dan hielt den Moment für gekommen, nach einem Messer und nach einer Kordel
zu suchen, mit der er das Baby abnabeln konnte. So gut es ging, reinigte er das Messer mit Alkohol. Er musste es zur Hand haben, wenn er es brauchte. Sie muss ja nicht wissen, dass ich keinen blassen Schimmer habe, was ich tun oder lassen soll, dachte er insgeheim. Je mehr sie mir vertraut, desto weniger Angst wird sie haben. Komisch, dass die Leute immer dachten, Cops hätten jede Menge Ahnung von Geburtshilfe. „Was ist da draußen passiert? Hast du dich im Sturm verlaufen?“ fragte er. „Als es richtig schlimm wurde, muss ich falsch abgebogen sein.“ „Kommt vor. Du bist ziemlich weit von Duluth entfernt.“ „Ich bin mit dem Wagen ins Schleudern gekommen und gegen einen Baum geknallt“, erklärte sie. „Der Airbag hat den Aufprall abgefangen.“ Sie strich sich über den Bauch. „Dem Baby scheint aber nichts zugestoßen zu sein.“ „Solange sie treten kann, geht es ihr gut.“ Fay hob die Augenbrauen. „Sie?“ „Keine Ahnung, wie ich darauf komme“, erwiderte er schulterzuckend. „Die meisten Männer hätten wohl von einem Jungen gesprochen. Sie wollen alle nur Söhne“, meinte Fay. Dan wollte weder Söhne noch Töchter. Er hielt es für bodenlosen Leichtsinn, ein Kind in die heutige Welt zu setzen. „Oder sie wollen weder Söhne noch Töchter“, korrigierte sie sich. Als ob sie Gedanken lesen kann, dachte er unwillkürlich. Aber die Bitterkeit, mit der sie die Worte aussprach, gab ihm zu verstehen, dass ihr Kommentar nichts mit ihm zu tun hatte. „Dein…“, begann er und brach ab. Allein erziehende Mütter waren schließlich keine Seltenheit. „Der Vater des Kindes?“ „Tot.“ „Das tut mir sehr Leid.“ Die Situation war ihm äußerst unangenehm, und er beschloss, keine persönlichen Fragen mehr zu stellen. „Wir brauchen etwas, wo wir sie reinlegen können, wenn sie da ist.“ Fay freute sich. „Schon wieder sie. Ich habe ein Körbchen dabei. Eines, das man im Auto befestigen kann. Aber es liegt noch eingekeilt im Wagen, zusammen mit den anderen Babysachen. Und meinen.“ Kopfschüttelnd schaute sie aus dem Fenster. „Unmöglich, jetzt einen Fuß vor die Tür zu setzen. Wir brauchen Ersatz.“ Sein Blick fiel auf die handgearbeitete Holzkiste, in der sein Großvater das Kaminholz aufgeschichtet hatte. Er stand auf, ging hinüber und kippte den Inhalt der Kiste aus. „Ich muss sie noch sauber machen“, erklärte Dan. „Dann haben wir unseren Ersatz.“ „Sieht gut aus. Und was ist mit den Windeln?“ Windeln? Hatte er natürlich nicht. Aber soweit er informiert war, benutzte man heutzutage Wegwerfwindeln. Nur half ihm das jetzt auch nicht weiter. „Oben in der Kommode liegen ein paar alte Flanelllaken. Ich werde die Kiste damit auspolstern, einen Teil als Babydecke behalten und den Rest klein schneiden“, schlug er vor. „Dann haben wir auch Windeln.“ „Prima.“ Er gab ihr seine Uhr, damit sie selbst den Abstand der Wehen überprüfen konnte, während er die Tücher aus der Kommode holte. Nachdem er zurückgekommen war, säuberte er die Kiste sorgfältig und polsterte sie mit dem Flanell aus. Zwei weitere Tücher legte er zusammengefaltet über den Rand. Während der Arbeit warf er ab und zu einen besorgten Blick auf Fay, und als er fertig war, stellte er die Kiste neben den Kamin, um sie aufzuwärmen. Angestrengt versuchte er, sich ein neugeborenes Baby darin vorzustellen. Es
gelang ihm nicht. Unwillig schüttelte er den Kopf, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mit den verbliebenen Tüchern zu Fay an die Couch. Gerade hatte er sie fragen wollen, wie sie sich fühlte, als er bemerkte, dass sie mit angespannter Miene auf die Uhr schaute und die Dauer der Wehe zählte. Schließlich seufzte sie auf und entspannte sich wieder. Ein paar Minuten lang schaute sie schweigend zu, wie er die Stoffstücke auf dem Beistelltisch aufstapelte. „Kann mir vorstellen, dass ich dich ganz gewaltig störe“, meinte sie schließlich. „Wozu sind Cops da, wenn nicht für Notfälle“, erwiderte er lakonisch und lächelte sie an. Sie brauchte jetzt allen Beistand, den sie nur bekommen konnte. „Ich bin sehr froh…“ Sie brach ab und zuckte zusammen. „Wieder eine Wehe. Ziemlich heftig.“ „Dan?“ fragte sie nach einer kurzen Weile. „Was ist?“ „Ich habe niemanden, der mir bei der Geburt assistiert. Wenn ich dir sage, was du machen sollst, würdest du dann meine Hand halten und mich bei der Atmung unterstützen?“ Zwischen den Wehen erklärte sie ihm seine Aufgabe. Er rückte mit dem Stuhl näher zu ihr heran, nahm ihre Hand und atmete gemeinsam mit ihr. „Fay, du machst es großartig. Gemeinsam werden wir es schon überstehen.“ „Gemeinsam“, murmelte sie und stöhnte laut auf. Eine Wehe durchzuckte sie, von der sie den Eindruck hatte, dass sie niemals enden würde. „Atme weiter“, redete er auf sie ein. „Atme mit mir.“ Verdammt. Er hatte das unabweisbare Gefühl, dass er in allerkürzester Zeit mehr tun musste, als ihr nur beruhigend die Hand auf den Bauch legen, und er hatte eine Höllenangst davor. Der Kopf des Kindes kommt zuerst, rief er sich ins Gedächtnis zurück. Normalerweise mit dem Gesicht nach unten. Das ist der Moment, in dem du sie auffordern musst zu pressen. Dann aber fiel ihm ein, dass die Mutter nicht zu stark pressen sollte, um sich selbst nicht zu verletzen. Wie soll ich das nur verhindern? fragte er sich und biss tapfer die Zähne zusammen. Soll ich ihr sagen, dass sie nicht pressen soll? Oder doch? Als die Wehe zu Ende war, eilte er zum Telefon und nahm den Hörer ab. Immer noch tot. So würde es zweifellos auch bleiben, bis der Sturm vorüber war. Okay. Er straffte die Schultern. Es kommt auf dich an. Du kannst es. Bis jetzt hatte er noch bei keinem Einsatz versagt. Obwohl sie auch noch nie so kompliziert gewesen waren wie dieser. „Du ziehst das linke Bein nach“, bemerkte Fay. „Es ist schon fast wieder verheilt“, gab Dan zurück. Ihre Wehen kamen in immer kürzeren Abständen. „Ich glaube, es schiebt sich raus“, erklärte sie nach der letzten Kontraktion. Sie hatte die Knie schon angezogen und lag mit gespreizten Beinen flach auf der Couch. „Es fühlt sich an, als ob ich pressen müsste“, stieß sie hervor. Fay atmete nur noch hechelnd, während sie presste. Er sah den Kopf des Babys und ließ es auf seine Hand gleiten, als es herausrutschte. Aber irgendetwas war nicht in Ordnung. Sie schrie nicht. Atmete sie? Die Stimme seines Kursleiters ging ihm durch den Kopf. „Halten Sie das Neugeborene mit dem Kopf nach unten und entfernen Sie den Schleimpfropf, der die Atemwege des Babys möglicherweise blockiert.“ Mit angehaltenem Atem befolgte er die Anordnung. Ein dicker Schleimpfropf floss aus dem Mund des Babys, es hustete und begann zu weinen. Dan fiel ein riesiger
Stein vom Herzen.
„Es ist ein Mädchen“, sagte er zu Fay und legte ihr das Baby auf den Bauch.
Überglücklich schaute Fay ihre Tochter an. „Ist sie nicht wundervoll?“
„Das schönste Baby von allen“, stimmte er abwesend zu und betrachtete die
blutgetränkten Handtücher. Viel zu viel Blut, dachte er unwillkürlich.
„Bei der Geburtsvorbereitung hat die Kursleiterin erzählt, dass die Hebamme
nach der Geburt meinen Bauch massiert, damit ich die Nachgeburt ausstoße“,
sagte Fay erschöpft.
Dan tat, wie ihm geheißen. Er legte ihr das Baby auf den Oberkörper und
massierte, ihr den Bauch.
„Du musst kräftiger massieren“, erklärte Fay.
Er erhöhte den Druck. Die Nachgeburt trat aus ihrem Bauch. Der Blutstrom
versiegte langsam. Trotzdem war er immer noch der Meinung, dass sie eine
Unmenge Blut verloren hatte. Viel mehr als die Frau, der er früher bei der Geburt
ihres fünften Kindes geholfen hatte.
„Jetzt hast du es geschafft“, meinte Dan zufrieden.
Nachdem er die Nabelschnur durchtrennt und abgebunden hatte, wickelte er das
Kind in die kleine Decke, die er zurechtgeschnitten hatte, und hob es vorsichtig
hoch. Rücken und Kopf des Babys stützte er mit dem linken Arm, während er es
mit rechts festhielt und langsam in die Kiste legte. Dann wandte er sich an Fay.
„Ich muss sie waschen“, kündigte er an. „Am besten, ich lasse die Lehnen von
meinem Sessel herunter und lege dich hinein, solange ich die Couch sauber
mache. Vom Lehnstuhl aus kannst du auch ins Bettchen schauen.“
Sie nickte. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich einen solchen Stuhl schon mal
gesehen habe“, meinte sie. „Sieht aus wie ein Liegestuhl, ist aber aus Holz.“
„Und ziemlich alt. Er hat mal meinem Großvater gehört.“
„Leg doch erst eine Decke drauf, bevor ich mich setze“, schlug sie vor.
Dan gehorchte. Wie leicht sie ist, dachte er überrascht, als er sie aufhob.
Während sie in seinem Lehnstuhl lag, räumte er die Couch auf.
„Es wäre schön, wenn ich genügend Kraft hätte, mein Baby selbst zu baden“,
bemerkte sie. „Aber im Moment bin ich einfach total erschöpft.“
„Mach dir keine Sorgen. Du hast jetzt nichts weiter zu tun, als zur Ruhe zu
kommen. Nach allem, was du durchgemacht hast.“
Zum ersten Mal begegnete er ihrem Blick. Schöne grünbraune Augen, stellte er
fest. Die Blässe in ihrem Gesicht beunruhigte ihn.
„Was wir durchgemacht haben“, korrigierte sie. „Vorhin hast du gesagt, dass wir
es gemeinsam durchstehen wollen. Das haben wir auch.“
Ihre Worte freuten ihn. Konzentriert richtete er die Couch wieder her und legte
schließlich eine Flanelldecke auf die Plastikfolie.
„Wenn du mir eine Schlüssel mit Wasser bringst“, meinte Fay, „kann ich mich ein
bisschen waschen, bevor ich mich wieder hinlege.“ Sie deutete mit einem
Kopfnicken auf die Handtücher, die ungebraucht auf dem Beistelltisch lagen. „Leg
sie doch bitte auf die Couch. Dann habe ich sie zur Hand, wenn ich sie später
brauche.“
Sanft und vorsichtig wusch Dan das Baby, während Fay sich selbst reinigte. Als
sie fertig war, trug er sie zurück zur Couch. Erleichtert seufzte sie auf und
streckte sich wohlig aus, während er sie mit der Steppdecke zudeckte. Kaum war
er fertig, begann das Baby zu schreien.
„Bestimmt hat sie Hunger“, meinte Fay. „Wenn du sie mir gibst, dann kann ich
sie stillen.“
Fay hatte die Brust schon entblößt, als er ihr das Baby brachte. Fasziniert
schaute er zu, wie das zarte kleine Mädchen die Brust suchte und fand und
instinktiv zu saugen begann. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er die Frau
unverwandt anstarrte. „Entschuldige“, stieß er hervor und drehte sich weg.
„Keine Ursache“, entgegnete sie. „Es ist eine völlig natürliche Angelegenheit, ein
Kind zu stillen. Wie eine Geburt.“
Dan strich leicht über die Stirn des Babys. „Sie ist wirklich wunderschön“,
murmelte er leise.
Als er sich erschöpft in den Lehnstuhl setzte, stellte er fest, dass Fay ebenfalls
sehr hübsch war. Aber sie war immer noch unnatürlich blass. Sie trug kein Make
up, und das dunkelbraune Haar hing ihr strähnig ins Gesicht. All das spielte keine
Rolle. Schönheit ist keine Frage der richtigen Kleidung, dachte er insgeheim.
Oder der passenden Frisur oder der Schminke.
Mit dem Baby auf den Armen hatte er vor kurzem zum ersten Mal begriffen,
warum seine Exfrau unbedingt ein Kind hatte haben wollen. Der warme und
hilflose kleine Körper hatte irgendeinen schwachen Punkt in seinem Innern
berührt. Ja, sogar in ihm. In dem Mann, der sich geschworen hatte, niemals ein
Kind in diese gefährliche und üble Welt zu setzen.
2. KAPITEL Nach der Mahlzeit trug Dan das schläfrige Baby zurück in die provisorische Wiege und warf dann einen Blick auf Fay. Sie hatte die Augen geschlossen. Was braucht sie jetzt dringender als Ruhe, dachte er insgeheim. Offensichtlich kommen die beiden allein zurecht. Das war die Gelegenheit, kurz hinauszuschlüpfen und das Notstromaggregat anzuwerfen. Schließlich brauchten sie den Strom nicht nur für das Licht, sondern auch für die Wasserversorgung. Das Baby musste gebadet werden, und dafür war warmes Wasser notwendig. Er zog sich die Winterjacke an, schlang sich einen dicken Schal um den Hals und machte sich auf den Weg in den Schuppen. „Geh nicht weg!“ schrie Fay entsetzt auf, als er die Tür nach draußen öffnete. Erschrocken wandte Dan sich um und entdeckte, dass sie sich auf der Couch aufgerichtet hatte und ihn anstarrte. „Ich würde euch niemals im Stich lassen“, gab er zurück und merkte, dass seine Stimme mehr indigniert als zuversichtlich klang. „Du wagst dich nach draußen in diesen schrecklichen Sturm“, klagte sie. „Was, wenn du nicht mehr zurückfindest?“ „Ich gehe doch nur in die Garage, um das Notstromaggregat anzuwerfen“, erklärte er. „Wir brauchen Strom. Die Garage ist direkt neben dem Schuppen. Glaub mir, ich kann nicht verloren gehen.“ Dan verließ die Hütte. Fay sank zurück auf die Couch. Nachdenklich verschränkte sie die Hände über ihrem Bauch, der inzwischen deutlich flacher geworden war. Sie fühlte sich so müde wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Daniel Sorenson war ihr Rettungsanker. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie und ihr Baby ohne ihn kaum würden überleben können. Ich muss stark sein, beschwor sie sich leise. Ich werde stark sein. Für mich. Und für mein Baby. Aber das war leichter gesagt als getan. Natürlich zweifelte sie nicht daran, dass Dan zurückkommen würde. Schließlich hatte er es fest versprochen. Ihr Blick fiel auf die Holzkiste, in der ihre Tochter lag. Unwillkürlich musste sie lächeln. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Fay hatte ihre Tochter immer Marie nennen wollen. Aber sie war unter ganz besonderen Umständen auf die Welt gekommen, und deshalb hatte sie ihre Meinung geändert. Marie sollte nur der zweite Vorname des Babys sein. Fay fielen die Augen zu. Im Dämmerzustand hörte sie, dass E)an wieder die Hütte betrat. Erleichtert seufzte sie auf und überließ sich dem Schlaf. Das Weinen des Babys weckte sie. Wo bin ich? Wem gehört das Baby? Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. Dann hörte sie eine leise Männerstimme. Sie drehte den Kopf und sah Dan mit einem Baby im Arm. Ihrem Baby. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es bereits helllichter Tag war, aber der Sturm tobte nach wie vor mit ungehinderter Kraft. „Du bist ja vollkommen nass“, flüsterte Dan dem Baby zu. „Wie gut, dass der Notstrom funktioniert. Dann kann ich wenigstens die Waschmaschine benutzen. Du weißt, wir haben nur ein paar Windeln. Und noch weniger Babydecken. Und nur zwei Sicherheitsnadeln.“ Fay beobachtete, wie er das Baby auf den Tisch legte. Unbeholfen wechselte er die Windel, wickelte das Kind in eine Decke, hob es auf und drehte sich in Richtung Couch. „Guten Morgen“, grüßte Fay. „Stimmt sogar“, erwiderte Dan. „Wir haben Glück gehabt, obwohl der Sturm über der Upper Peninsula immer noch heftig wütet.“ Marie weinte wieder. „Vermutlich hat sie Hunger.“ Er ging zu ihr hinüber und reichte ihr das Baby.
„Sie heißt Marie“, sagte Fay, während sie das Kind an die Brust legte. Ein paar Minuten lang war sie vollkommen damit beschäftigt, Marie saugen zu lassen. Als ihr Bauch sich verkrampfte, zuckte sie schmerzhaft zusammen. Ihr Blick fiel auf Dan, und sie bemerkte, dass er sich schamhaft abgewandt hatte. „Alles okay?“ fragte er. „Ja. Man sagt, dass die Wunden der Geburt abheilen, wenn man das Baby stillt“, erklärte sie. „Du musst nicht demonstrativ wegschauen.“ „Stillen ist eine ganz natürlich Sache, ich weiß“, spulte er mechanisch ab. „Aber für mich ist es neu.“ Sie lachte kurz auf. „Für mich auch. Was für ein Glück, dass ich Marie nicht beibringen muss, wie es geht.“ Nachdem sie das Baby gestillt hatte, fühlte Fay sich wieder unglaublich erschöpft. „Marie muss ihr Bäuerchen machen“, meinte sie. „Ich bin einfach wahnsinnig müde. Könntest du vielleicht…?“ „Bäuerchen? Was ist das?“ „Du musst sie auf den Arm nehmen, ihren Kopf auf deine Schulter legen und ihr sanft über den Rücken streichen, damit sie aufstoßen kann. Die Luftblasen aus ihrem Magen müssen raus, sonst bekommt sie fürchterliche Bauchschmerzen.“ Fay sah zu, wie er das Baby vorsichtig in die richtige Position brachte. Sein Umgang mit ihr wird jedes Mal selbstverständlicher. Dan lächelte stolz, als die Kleine unüberhörbar aufgestoßen hatte. Als er das Baby wieder in die Armbeuge legte, entdeckte Fay die Folgen. „Oh, sie hat auf dein Hemd gespuckt…“ „Macht nichts. Sie kann ja nichts dafür.“ Dan brachte das Kind zurück zur Kiste. Fay schlug die Decke zurück, mit der sie sich zugedeckt hatte, setzte sich auf und griff nach einem der beiden alten Handtücher auf der Lehne. Sie stellte die Füße auf den Boden, aber als sie aufstehen wollte, wurde ihr plötzlich schwarz vor Augen. Verdammt. Ich schaffe es nicht allein. Es lag auf der Hand, dass sie den Weg zum Bad und wieder zurück ohne Dans Hilfe nicht bewältigen konnte. „Brauchst du Hilfe?“ fragte er aufmerksam und kam zu ihr ans Sofa. „Ich fürchte ja. Tut mir Leid.“ „Muss es nicht. In den letzten beiden Tagen hast du eine Menge durchgemacht.“ Seine starken Arme stützten sie, als sie wieder zum Sofa zurückwankte. Sie war ihm unendlich dankbar, als er sie mit der Steppdecke zudeckte. Sofort schloss sie die Augen und schlief tief und fest. Inzwischen sammelte er die durchnässten Windeln und die verschmutzten Decken ein und stopfte sie in die Waschmaschine. Was für ein Glück, dass Dad bei der Renovierung die Maschine und den Trockner installiert hat, dachte er unwillkürlich. Wenn mir jemand erzählt hätte, dass ich während meiner Beurlaubung Windeln wasche, ich hätte ihn glatt in die Psychiatrie überwiesen. Er wusch den Fleck aus, den Marie auf seinem Hemd hinterlassen hatte. Seine Fingerspitzen klebten. Milchreste. Fays Milch. Dan atmete tief durch. Der Anblick mit dem Baby an ihrer Brust hatte Gefühle in ihm wachgerufen, die er bisher nicht gekannt hatte. Mit Sex oder Leidenschaft hatten sie nichts zu tun. Womit dann? Verdammt noch mal. Leise fluchte er in sich hinein. Du hast das Baby nur ein paar Mal auf dem Arm gehabt, aber du tust so, als meinte es das Schicksal besonders gut mit dir. Was auch immer diese seltsamen Gefühle zu bedeuten hatten, er versuchte, sie durch vernünftige Gedanken zu verscheuchen. Die beiden hilflosen Wesen brauchen mich einfach. Das ist alles. Er war Cop, und es passierte ihm nicht zum
ersten Mal, dass andere Menschen seine Hilfe brauchten. Kein Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Plötzlich musste er an seine Exfrau denken. Unter denselben Umständen hätte Jean sich nicht so tapfer verhalten wie Fay. Aufmerksam musterte er Fay. Die dunklen Wimpern lagen auf ihrem viel zu blassen Gesicht. Das braune Haar war ziemlich durcheinander geraten. Dass die Farbe ihrer Augen zwischen grün und braun changierte, wusste er bereits. Im Schlaf sah sie noch hilfloser aus als im wachen Zustand. Dan hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis eine Frau sich von den Strapazen einer Geburt erholt hatte. Vielleicht geht es ihr morgen schon viel besser. Marie weinte leise, wachte aber nicht auf. Eilig ging er zur Holzkiste. Der Kopf der Kleinen war von einem blonden Haarflaum bedeckt. Blond. Genau wie ich. Erschrocken schüttelte er den Kopf. Marie ist nicht deine Tochter. Das war einer der Gründe, warum er und Jean sich getrennt hatten. Sie hatte Kinder gewollt, er nicht. Sein Herz krampfte sich zusammen, als sein Blick wieder auf das schlafende Wesen im Bettchen fiel. Was für eine grausame Welt, in die Marie hineingeboren worden war. Hinter jeder Ecke lauerte die Gefahr. Es war kein Zufall, dass er sich für die Polizei entschieden hatte. Niemand wusste besser als er, mit welchen Problemen Kinder tagtäglich konfrontiert waren. Grund genug, keine eigenen zu bekommen. Umso mehr beunruhigte es ihn, dass er Marie keine Hilfe sein konnte. Am nächsten Morgen konnte Fay bereits allein aufstehen und allein ins Bad gehen, wenn sie sich an den Möbeln und den Wänden abstützte. Aber trotzdem fühlte sie sich immer noch unglaublich schwach auf den Beinen. „Es tut mir Leid, aber ich muss dich bitten, dich noch einen Tag länger um Marie zu kümmern“, bat sie ihn auf dem Rückweg zur Couch. „Keine Sorge, es ist nur ein vorübergehender Schwächeanfall.“ Hoffen wir das Beste, flehte sie innerlich. „Hat der Sturm schon nachgelassen?“ Dan schüttelte den Kopf. „Diese Frühjahrsstürme dauern normalerweise drei Tage. Vielleicht auch vier, aber länger sicher nicht. Wir werden es noch eine kleine Weile miteinander aushalten müssen“, meinte er, während er das Frühstück auf dem Beistelltisch platzierte. „Aber du kannst dich ruhig noch länger als ein oder zwei Tage ausruhen. Die Zufahrt zur Hütte liegt auf Privatgelände. Die Sturmschäden werden nicht von der Stadt beseitigt. Auch die Schneepflüge kommen hier nicht her. Ich muss selbst dafür sorgen, dass wir zur Hauptstraße gelangen, und den Highway werden sie erst räumen, wenn der Sturm voll und ganz abgeklungen ist. Wenn das Unwetter nachlässt, kann ich dein Auto suchen und dir deine Sachen bringen. Kannst du dich erinnern, wo der Unfall ungefähr passiert ist?“ Fay hatte sich hungrig über das Rührei auf Toast hergemacht. Jetzt legte sie die Gabel hin. „Keine Ahnung. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis ich das Licht gesehen habe.“ Sie erschauderte bei dem Gedanken, dass ihr Baby nicht überlebt hätte, wenn er das Licht ausgeschaltet hätte. Er berührte sie tröstend an der Schulter. „Hey, du hast es ja geschafft. Iss auf, du brauchst Kraft.“ Sie nickte und nahm die Gabel wieder auf. „Danke. Ein paar frische Sachen könnte ich wirklich gut gebrauchen. Außerdem habe ich eine Packung Wegwerfwindeln mitgenommen. Und Babysachen. Sag mal…“ Unwillkürlich hielt sie inne. „Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum du das Licht auf der Veranda eigentlich angelassen hast. Bei diesem Unwetter. Hast du jemanden erwartet?“
Die Frage war ihm sichtlich unangenehm. „Eine Angewohnheit. Noch aus der Kindheit.“ „Aus der Kindheit? Weil deine Mutter immer das Verandalicht für dich angelassen hat?“ „Könnte man sagen.“ Seine Unbehaglichkeit weckte ihre Neugier. „Habe ich was Falsches gesagt?“ „Immerhin war ich so vernünftig, das verdammte Licht anzulassen“, murmelte er unwillig in sich hinein. Herzlichen Glückwunsch. Da hast du voll ins Schwarze getroffen, schoss es ihr durch den Kopf, ohne dass sie genau begriffen hatte, was eigentlich los war. „Das Rührei wird kalt“, meinte er abweisend. Stimmt. Wortlos griff sie nach der Gabel und aß weiter. Wenn Fay nicht ihr Baby stillte, schlief sie. Die Zeit verging wie im Flug, und sie wunderte sich, dass es draußen schon wieder dunkel wurde. Dan hatte Wäsche gewaschen und getrocknet, so dass Marie wieder saubere Windeln und Decken hatte. Nach dem Abendessen und dem Abwasch setzte er sich zu Fay an die Couch. „Wie kommt es, dass du ausgerechnet hier gelandet bist?“ fragte er sie. „Was ist denn passiert?“ „Aber halten Sie sich strikt an die Fakten, Ma’am“, ergänzte sie amüsiert. „Das ist aus Dragnet“, meinte er lachend. „Mein Vater hat sich die Serie auch immer angeschaut. Die Polizei muss damals ziemlich wortkarg gewesen sein.“ „Mein Dad hat Dragnet auch gesehen.“ „War er auch bei der Polizei?“ Fay schüttelte den Kopf. „Er war Vorarbeiter im Automobilwerk, bevor er in Rente gegangen ist.“ Was hätte er nicht alles sein können, seufzte sie innerlich. Zum Glück habe ich sein Phlegma nicht geerbt. „Es liegt auch an meinem Dad, dass ich jetzt hier bei dir in der Hütte bin. Er wollte nicht, dass ich das Kind bekomme.“ „Warum den nicht? Weil… weil der Vater des Babys tot ist?“ wollte Dan wissen. Warum fragt er nicht nach dem Ehemann? schoss es Fay verwundert durch den Kopf. „Du hast Recht, wenn du damit andeuten willst, dass ich mit Maries Vater nicht verheiratet war“, meinte sie. „Meine Mutter ist vor fünf Jahren gestorben. Mein Vater und ich waren zerstritten, und deshalb habe ich beschlossen, dass das Kind in einer Umgebung aufwachsen soll, in der es willkommen ist. Ich hatte ja noch zwei Wochen bis zur Geburt. Also hatte ich beschlossen, die Schwester meiner Mutter in Duluth zu besuchen und das Baby dort zu bekommen. Aunt Marie und ich waren uns immer sehr nahe.“ „Und jetzt macht sie sich große Sorgen, weil du immer noch nicht bei ihr aufgetaucht bist.“ Fay schüttelte den Kopf. „Bei Aunt Marie bin ich immer willkommen. Sie hat gesagt, dass sie in den nächsten Monaten nicht verreisen will und dass ich sie besuchen kann, wann immer ich will. Genauso meint sie es auch. Ich wollte sie anrufen, um ihr zu sagen, dass ich zu ihr fahre, aber als der Anrufbeantworter ansprang, habe ich aufgelegt.“ „Hast du ihr keine Nachricht hinterlassen?“ „Nein. Ich dachte, ich rufe sie von unterwegs an. Du hältst das bestimmt für leichtsinnig, aber so bin ich nun mal.“ „Das lässt sich nicht abstreiten.“ „Und dann war der Akku meines Handys leer“, fuhr sie ungerührt fort, obwohl sie sich über seine Bemerkung ärgerte. „An der nächsten Tankstelle gab es zwei Telefone. Eines war stundenlang besetzt, das andere funktionierte nicht.“
„Kurz und knapp, Aunt Marie weiß gar nicht, dass du auf dem Weg zu ihr bist.“ „Genau so ist es“, seufzte Fay und schaute ihn direkt an. „Dann hatte ich mir vorgenommen, sie anzurufen, sobald ich die MackinacBrücke überquert hatte. Aber dann fing es so heftig an zu regnen, dass ich mich entschlossen habe, gleich durchzufahren.“ Eigentlich hatte sie gar keine Lust, ihm die ganze Geschichte haarklein zu erzählen. Als er fragend die Augenbrauen hob, versuchte sie es mit einem Themenwechsel. „Welchen Rang hast du bei der Polizei?“ „Sergeant.“ „Dann bist du Detective?“ Er nickte. „Und nachdem du Mighty Mac überquert hattest, ist der Regen immer schlimmer geworden.“ „Ja. Aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass es so schlimm werden würde.“ Ihr Blick fiel auf die Kiste. „Oder dass die Wehen einsetzen.“ „Das Telefon hier in der Hütte funktioniert immer noch nicht“, erklärte Dan. „Zum Glück weiß deine Tante nicht, dass du zu ihr fährst. Was ist mit deinem Vater?“ „Ich habe ihm auf den Anrufbeantworter gesprochen, dass ich die Stadt verlasse und nicht weiß, wann ich zurückkomme. Nicht dass es ihn interessiert.“ Sie fing Dans zweifelnden Blick auf. Klingt komisch, dachte sie, aber schließlich kennt er Dad nicht. Kurz entschlossen versuchte sie wieder, das Thema zu wechseln. „Gibt es niemanden, der sich um dich sorgt?“ „Bruce, Will und Megan. Meine Brüder und meine Schwester. Aber sie wissen, dass ich gut allein zurechtkomme. Sie wohnen in Evergreen Bluffs. Das ist die Stadt, die der Hütte am nächsten liegt. Sobald wir die Hauptstraße wieder benutzen können, werden wir hinfahren. Bruce ist Arzt. Er soll dich und Marie untersuchen.“ „Oh. Danke.“ Sie schwieg für einen Moment. „Wohnst du das ganze Jahr über in dieser Hütte?“ „Nein. Ich wohne in Archer.“ „Archer!“ schrie sie auf. „Ich auch. Was für ein Zufall!“ Überrascht schauten sie einander an. Zum ersten Mal bemerkte sie, dass er blaue Augen hätte. Ebenso schön wie ungewöhnlich. Jetzt erst entdeckte sie die dünne Narbe, die sich von seinem Haaransatz zur linken Schläfe hinzog. Unwillkürlich wollte sie mit den Fingern darüber streichen, hielt sich aber im letzten Augenblick zurück. Spinnst du? schalt sie sich erschrocken. Hat dir die Geburt das Hirn vernebelt? Marie begann zu weinen. Dan sprang auf und brachte ihr das Baby, damit sie es stillen konnte. Am nächsten Morgen fiel zwar noch ein unangenehmer Schneeregen vom Himmel, aber der Wind hatte endlich nachgelassen. Dan vergewisserte sich, dass es Fay und Marie gut ging, und machte sich dann auf die Suche nach dem verunglückten Auto. Er war schon fast am Fluss angekommen, bevor er die schneebedeckte Karosserie entdeckte. Mühsam arbeitete er sich durch die Schneemassen, um zum Wagen zu gelangen. Auf dem Weg stellte er fest, dass die Brücke beschädigt war. Das Schmelzwasser hatte den Fluss über die Ufer treten lassen und die Stützpfeiler an dem Ende der Brücke frei gespült, das zur Hauptstraße führte. Großartig. Wirklich großartig. Auf keinen Fall durfte er die Brücke überqueren, bevor sie nicht repariert war. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass Fays Wagen wenigstens auf der richtigen Seite der Brücke zurückgeblieben war. Immerhin konnte er die Sachen für sie und das Baby aus dem Auto bergen. Nachdem er den Schnee notdürftig entfernt hatte, stellte er fest, dass er den Wagen durchaus noch abschleppen
konnte, wenn die Straße wieder befahrbar war. Zwei Mal legte er den Weg zum Auto zurück* um all ihre Sachen in die Hütte zu transportieren. Es hätte nicht viel gefehlt, und Fay und das Baby wären im Sturm erfroren, dachte er insgeheim. Wenn er nicht das Licht auf der Veranda angezündet hätte. Wie seine Mutter es immer getan hatte… Obwohl er jeden Gedanken an seine Mutter sorgfältig vermied, musste er zugeben, dass das Licht Leben gerettet hatte. Er sprach niemals über seine Mutter. Noch nicht einmal mit seinen Geschwistern. „Wie gut, dass du den Wagen mit Babysachen voll gepackt hast“, erklärte er Fay, als er wieder drinnen war. „Sieht so aus, als müsstest du noch länger hier bleiben.“ Besorgt erzählte er ihr, dass die Brücke unbefahrbar war. „Wir können nichts dagegen tun“, meinte Fay und seufzte auf. „Es hilft nichts. Wir müssen uns von deinen Vorräten ernähren. Marie wird gestillt. Außerdem haben wir die Sachen aus dem Auto. Wir werden es schon schaffen, wir drei.“ Wir. Wir drei. Ihre Worte wärmten sein Inneres. Unwillkürlich verscheuchte er das Gefühl. Ich bin nur so lange für Fay und ihr Baby verantwortlich, bis ich die beiden in Sicherheit bringen kann, nahm er sich vor. Dan Sorenson war nicht der Mann, der sich mit Verpflichtungen belastete. „Du siehst besorgt aus.“ Fay riss ihn aus seinen Gedanken. „Es geht schon.“ „Verstehe. So geht’s mir auch manchmal“, meinte sie. „Am besten, man vergräbt sich dann in die Arbeit.“ „Was arbeitest du denn?“ Sie stopfte sich ein paar Kissen in den Rücken und richtete sich auf. „Ich bin Beraterin.“ „Beraterin… das kann alles heißen.“ „Stimmt. Ich habe Wirtschaft studiert. Nach dem Examen habe ich für ein Unternehmen gearbeitet, das mich in verschiedenen Filialen eingesetzt hat. Irgendwann war ich der Meinung, dass ich genug Erfahrung gesammelt habe. Ich habe gekündigt und mich selbstständig gemacht. Es läuft bestens.“ „Du bist also eine hoch qualifizierte Unternehmensberaterin“, fasste er zusammen. „Und Maries Vater?“ „Genau wie ich. Nur angestellt und nicht selbstständig. Mir gefallen Männer, die Karriere machen wollen. Aber Ken…“ Ihre Worte verloren sich. „Leider habe ich viel zu spät festgestellt, dass Ken und ich überhaupt nicht zusammenpassen. Es war ausgeschlossen, ihn zu heiraten. Und genau das habe ich ihm auch gesagt.“ Dan war vollkommen überrascht. „Und dann ist er gestorben?“ Fay biss sich auf die Lippe. „Nein, ich hatte mich schon von ihm getrennt. Damals wusste ich noch nicht, dass ich schwanger bin. Andererseits hätte das nichts an meinem Entschluss geändert. Es kam alles so plötzlich. Er war völlig ahnungslos, als der Arzt ihm aus heiterem Himmel erklärt hat, dass er an Leukämie leidet. Ken ist praktisch über Nacht gestorben.“ Sie atmete tief durch. „Natürlich kann ich nichts für seinen Tod. Aber trotzdem fühle ich mich manchmal schuldig.“ Dan rückte mit seinem Stuhl näher ans Sofa und nahm ihre Hand. „Du kannst wirklich nichts für seine Krankheit“, tröstete er sie. Sie seufzte gequält. „Ich weiß. Kurz darauf habe ich bemerkt, dass ich von ihm schwanger bin. Trotz Verhütung. Mein Vater hat Ken immer gehasst, und deshalb hat er von mir verlangt, dass ich abtreibe. Er hat es nie verwunden, dass ich mich für Kens Baby entschieden habe.“ Die Tränen rollten ihr über die Wangen. Er nahm sie in die Arme und strich ihr beruhigend über den Rücken. Wie wohlig und warm sie sich anfühlt. Nachdem die Tränen versiegt waren, drehte sie sich weg und wischte sich die
Augen mit einem Taschentuch ab. „Bitte entschuldige. Eigentlich wollte ich mich bei Aunt Marie ausheulen.“ „Ist schon in Ordnung“, erwiderte er. „Solange ich dir helfen kann.“ Erst später fiel ihm auf, dass es ihn tatsächlich gefreut hatte, sie trösten zu können. Kommt nicht in Frage, dachte er harsch. Wir sind hier nur vorübergehend zusammengepfercht. Sobald wir die Hütte verlassen können, wird sie ihrer Wege gehen und ich meiner. Ohne Anhang, soweit es ihn betraf. Einsam und allein.
3. KAPITEL Am nächsten Tag fühlte Fay sich kräftig genug, ihre kleine Tochter selbst aus der
Krippe zu heben, ihr die Windel zu wechseln und sie auf dem Sofa zu stillen.
Trotzdem musste sie Dan bitten, das Baby wieder zurückzulegen. Im Grunde
genommen war sie nur ein paar Minuten lang auf den Beinen gewesen, und sie
fragte sich insgeheim, ob es normal war, dass sie sich so schnell erschöpft und
abgeschlagen fühlte.
„Die Schneepflüge räumen schon den Highway“, verkündete Dan am Nachmittag.
„Aber ich habe keine Ahnung, an welcher Stelle die Strom und Telefonleitungen
zusammengebrochen sind. Wir müssen es hier aushalten, bis ich jemanden
benachrichtigen kann, dass die Brücke nicht passierbar ist.“
„Machen deine Geschwister sich gar keine Sorgen um dich, jetzt, wo der Sturm
vorüber ist?“ fragte Fay.
„Bruce nicht. Und Will ist gar nicht in der Stadt. Aber Megan kommt bestimmt um
vor Sorge“, erklärte er ihr. „Wir amüsieren uns köstlich darüber, dass sie sich
offenbar berufen fühlt, sich um die ganze Welt zu sorgen. Ehrlich gesagt, ich bin
auch vor ihr nach hier draußen in die Einsamkeit geflüchtet. Es hat mich verrückt
gemacht, dass sie mich in unserem alten Haus in der Stadt rund um die Uhr
bemuttern wollte. Als ob ich noch ein kleines Kind wäre.“
Das erinnerte sie daran, dass er sein linkes Bein leicht nachzog. „Bist du
verwundet worden?“
Beiläufig zuckte er die Schultern. „Ein Schuss ging ins Bein. Nur eine
Fleischwunde. Ist schon fast verheilt.“
„Deshalb hast du Archer verlassen und dich nach hier oben auf die Upper
Peninsula zurückgezogen?“
„Auch deshalb, ja“, antwortete er ausweichend.
Fay war überzeugt, dass die Wunde schlimmer war, als er zugeben wollte.
Insgeheim brannte sie darauf zu erfahren, was ihn noch bewogen hatte, sich vom
Dienst befreien zu lassen. Aber sie wollte ihn nicht bedrängen. „Dein Job scheint
ziemlich aufregend zu sein.“
„Manchmal sogar zu aufregend“, platzte er heraus. „Jean…“ Abrupt brach er ab.
„Jean?“ wiederholte sie.
„Meine Ex.“
„Oh.“ Sie erschrak kurz über ihre Ungeschicktheit. „Und… warum bist du
geschieden?“
„Nicht ungewöhnlich für eine PolizistenEhe“, entgegnete er unwirsch. „Es kommt
vor, dass wir erschossen werden.“
„Kann ich mir vorstellen. Aber…“
„Polizisten machen oft Überstunden, und können ihrer Frau noch nicht einmal
sagen, um welche Uhrzeit sie nach Hause kommen“, unterbrach er sie. „Und die
Ungewissheit, ob ihr Mann tot ist oder nur schwer verletzt im Krankenhaus liegt,
scheint für viele Frauen unerträglich zu sein.“
„Okay, aber…“
„Und in meinem Fall kam noch die Kinderfrage dazu.“
„Die Kinderfrage?“
„Ich will keine Kinder“, erklärte er kategorisch. „Nicht in dieser mörderischen
Welt. Jean sah das anders.“
Fay musste daran denken, wie sanft und zärtlich er mit Marie umging. Irgendwie
hatte sie das Gefühl, dass er auf ihre Tochter sogar ein bisschen stolz war. Dan
würde ein wundervoller Vater sein.
„Schade“, meinte sie. „Aber du solltest nicht vergessen, dass es schon immer
riskant war, ein Kind großzuziehen.“
„Du hast dich entschieden, das Risiko auf dich zu nehmen.“
Sie lächelte. „Ich habe schon immer riskant gelebt.“
Dan grinste. „Das merkt man dir an.“
„Um noch mal auf deine Scheidung zurückzukommen… Hast du das Gefühl, dass
du schuld bist? Weil ich das anders sehen würde. Jean hat doch gewusst, dass du
Polizist bist, als ihr geheiratet habt.“
„Sie hatte geglaubt, mich überzeugen zu können, dass ich mich auf einen Posten
versetzen lasse, den sie für sicher hielt. Aber ich mag meinen Job. Durch meinen
Einsatz kann ich die Welt vielleicht sogar ein bisschen besser machen. Nein, ich
gebe mir nicht die Schuld an unserer Scheidung“, meinte er nachdenklich,
„sondern daran, dass wir überhaupt geheiratet haben. Cops sollten die Finger
davon lassen. Besonders ich.“
Fay empfand seine Worte als bitter, und sie vermutete, dass mehr dahinter
steckte, als er preisgeben wollte. Aber sie entschied sich, ihn mit ihren Fragen
nicht weiter zu bedrängen. „Wir haben beide Vorbehalte gegenüber der Ehe“,
lenkte sie ein. „Man kann schließlich nicht wissen, ob man an den Richtigen
geraten ist.“
„Doch. Wenn man sich vorher gründlich kennen lernt.“
„Sind dein Bruder und deine Schwester verheiratet?“ hakte sie nach.
Dan schüttelte den Kopf. „Bruce wartet noch auf die Richtige. Und Megan
behauptet, dass sie sich als Single pudelwohl fühlt.“ Er zögerte einen Moment.
„Hast du schon mal Solitär gespielt?“
Offenbar wollte er das Problem nicht weiter diskutieren. „Solitär kenne ich“,
sagte sie, „aber ich wusste nicht, dass man es auch zu zweit spielen kann.“
„Nicht zu zweit. Eher wie Gegner. Nur einer kann gewinnen. Aber du kannst ja
kaum noch aus den Augen gucken.
Leg dich doch erst mal schlafen. Ich erklär’s dir dann später.“
Seine Bemerkung führte ihr vor Augen, dass sie schon wieder müde geworden
war. Sie gähnte. Später. Klingt gut, dachte sie und schlief ein.
Als Fay am nächsten Morgen aufwachte, zog der Duft von frischem Kaffee durch
die Hütte. Die Sonne schien hell, und das Kaminfeuer prasselte gemütlich. Ein
sichereres Zeichen, dass Dan schon aufgestanden war. Nach dem Gang ins Bad
zog sie sich die elastische Hose an, die sie während der Schwangerschaft
getragen hatte, streifte sich ihr Sweatshirt über und schaute nach Marie. Ihre
Tochter lag friedlich in ihrem Bettchen und schlief. Damit war Fays Energieschub
schon fast verbraucht, aber trotzdem setzte sie sich an den Küchentisch, anstatt
sich wieder hinzulegen. Sie wollte langsam wieder ein normales Leben führen.
Mit großem Appetit aß sie den honigsüßen Haferbrei, den Dan gekocht hatte.
„Stillen ist praktisch“, meinte sie schließlich ironisch. „Man kommt wieder zu
Kräften, weil man hinterher immer einen Bärenhunger hat.“
„Gut, dass der Sturm vorbei ist. Wir haben nämlich keinen Honig mehr“,
verkündete Dan. „Ab morgen gibt es nur noch weißen Zucker.“
„Horror“, stieß sie hervor und rollte theatralisch mit den Augen.
„Der Highway ist bestimmt schon komplett geräumt“, fügte Dan hinzu. „Ich gehe
jede Wette ein, dass Megan heute jemand schickt, der nach uns schaut.“
„Aber die Brücke ist doch beschädigt“, hielt sie dagegen. „Ach, ich verstehe. Man
wird feststellen, dass der Fluss unpassierbar ist, die Brücke reparieren, und
schon sind wir gerettet. Stimmt’s?“
„Mehr oder weniger. Wir können von Glück reden, wenn wir morgen Abend oder
übermorgen hier rauskommen. Bevor wir uns von Bohnen und Dosenfleisch
ernähren müssen.“
Nachdem Fay ihre Tochter noch mal gestillt hatte, legte sie sich wieder hin und schlief gleich ein. Sie wachte erst wieder auf, als sie das Horn eines Trucks in der Ferne hörte. Dan schlüpfte bereits in seine Jacke. „Ich gehe unsere Retter begrüßen“, erklärte er ihr. Nachdem er gegangen war, erhob sie sich mühsam und schaute aus dem Fenster. Aber der Pfad schlängelte sich zwischen den Pinien hindurch und entzog sich ihrem Blick. Sie konnte unmöglich erkennen, was draußen passierte. Der Schnee war im Regen zwar geschmolzen, und in der Sonne würde der Rest in ein paar Tagen getaut sein, aber unter den schattigen Bäumen dauerte es länger als gewöhnlich. Ihrem Blick bot sich eine Winterlandschaft. Mitten im April. Nervös setzte sie sich an den Tisch. Wenn ich wenigstens meinen Computer dabeihätte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn bei ihrer Tante würde brauchen können, aber jetzt hätte sie sich gern ins Internet eingeloggt, um zu erfahren, was draußen in der Welt eigentlich vor sich ging. Die Tür ging auf, und Dan steckte den Kopf herein. „Ich habe dafür gesorgt, dass die Brücke repariert wird“, erklärte er ihr. „Frank hat den Highway vom anderen Ende her geräumt und meint, dass sie sich morgen früh um den Pfeiler kümmern können. Ich räume den Schnee von hier bis zur Brücke. Jetzt gleich. Dann können wir sofort in die Stadt fahren, wenn die Reparatur erledigt ist.“ Er war wieder verschwunden, bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte. Frank. Das muss der Mann sein, den Megan geschickt hat, überlegte Fay. Morgen können wir die Hütte verlassen. Wir alle drei. Sie seufzte auf und wunderte sich ein wenig, warum die Vorstellung gar kein Hochgefühl in ihr wachrief. Es muss an der Müdigkeit liegen. Allein der Gedanke an die Fahrt nach Hause verursachte Müdigkeit und Erschöpfung. Zuerst musste sie sich um einen Wagen kümmern. Dan hatte ihr gesagt, dass ihr Auto Totalschaden hatte und abgeschleppt werden musste. Er wollte sich darum kümmern. Aber Fahren musste sie schließlich allein. Es freute sie, bald bei ihrer Tante zu sein, aber kräftiger fühlte sie sich dadurch nicht. Was, wenn Dr. Bruce entdeckte, dass auch sie an einer gefährlichen Krankheit litt, wenn er sie morgen untersuchte? Nein! Erschrocken wehrte sie den Gedanken ab. Mach dir keine Sorgen wegen der Untersuchung. Schließlich ist es dein erstes Kind. Bestimmt ist alles ganz normal. Dan kam wieder herein und zog sich den Schneeanzug aus. Fay lag auf dem Sofa. Das Baby schlief in ihrem Schoß. „Alles in Ordnung“, sagte er und beugte sich zu ihr hinunter. „Deine Tochter wird von Tag zu Tag hübscher.“ Sein Blick fiel auf sie. „Kommt ganz nach dir.“ „Nettes Kompliment, Sergeant“, erwiderte Fay. „Ich bin nicht der Typ, der nette Komplimente macht. Wenn ich was sage, meine ich es auch so.“ Ausgeschlossen, dachte sie. So wie ich im Moment aussehe. Dan wechselte das Thema. „Ich habe keinen Fotoapparat in deinem Wagen gefunden. Aber morgen in der Stadt können wir eine billige Sucherkamera kaufen, damit du das Baby fotografieren kannst.“ „Ich würde gern ein Foto von dir mit Marie auf dem Arm machen“, gestand sie ein. „Ich kann ihr dann später erklären, wer du bist.“ Während sie sprach, wurde ihr bewusst, dass sie das Bild gern für sich selbst behalten wollte. Als Erinnerung an ihn. Nicht dass sie Dan jemals vergessen würde. „Wenn wir hier raus sind, möchte ich gern zu meiner Tante nach Duluth fahren“, fügte sie hinzu. „Du bist überhaupt nicht in der Lage, allein Auto zu fahren“, widersprach er sofort. „Warte doch erst mal ab, bis mein Bruder dich untersucht hat, bevor du
deine Entscheidungen triffst.“
„Früher oder später muss ich…“
„Später.“ Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Er nahm Marie aus ihrem
Schoß und legte das Baby in die Kiste.
Fay war viel zu müde, um sich mit ihm zu streiten. Seufzend kuschelte sie sich in
ihre Decke und schloss die Augen.
Das Abendessen war beileibe kein Festmahl, aber genießbar. Fays Gesicht war
immer noch erstaunlich blass, aber ihr Appetit ließ nicht zu wünschen übrig.
Während er die Küche aufräumte, warf er ab und zu einen Seitenblick auf sie und
das Baby. Er genoss das warme Gefühl, das durch ihn hindurchrieselte, wenn sie
Marie stillte.
Nachdem das Baby wieder im Bettchen lag, setzte Fay sich zu ihm an den Tisch.
„Schau mal, was ich in deinem Schrank gefunden habe“, meinte sie und klopfte
mit der Hand auf ein ScrabbleSpiel.
Dan hatte seit seiner Kindheit nicht mehr gescrabbelt, und selbst damals hatte er
sich einen schöneren Zeitvertreib vorstellen können. Aber warum nicht? dachte
er jetzt.
Dan grinste, als er ein X umdrehte. Bringt acht Punkte, dachte er fröhlich.
Außerdem hatte er ein S und ein E. Kurz entschlossen legte er SEX.
Das Grinsen verging ihm, als sie ein Y hinzufügte und YAZOO buchstabierte. „Das
soll ein Wort sein?“
„Natürlich. Ein Yazoo ist eine Person, die am Yazoo River in Mississippi lebt.“
„Dann muss das Wort großgeschrieben werden.“
„Wirklich? Nein, glaub ich nicht“, lächelte sie verschmitzt.
„Zugegeben, einem sexy Yazoo bin ich noch nie über den Weg gelaufen“, gestand
Dan ein. „Aber ich war auch noch nie am Mississippi.“
Als Nächstes legte er das Wort BRUST. Verstohlen ließ er seinen Blick über Fays
TShirt schweifen. Der Anblick der Kurven, die sich unter dem Stoff
abzeichneten, weckte plötzlich das Begehren in ihm. Erstaunt fragte er sich,
warum es ihn nicht erregte, wenn er zusah, wie sie Marie stillte.
Du verlierst, Sorenson. Du leidest unter dem Trapperfieber. Am Ende gewann Fay tatsächlich, aber der Abstand war klein.
„Du bist mir dicht auf den Fersen, aber trotzdem meilenweit entfernt, wie mein
Vater zu sagen pflegte“, bemerkte sie, während sie das Spiel wegräumte.
„Glaubst du eigentlich, dass wir unseren Eltern im Lauf der Jahre immer
ähnlicher werden? Meine Mutter war ja ganz okay, aber mein Vater…“ Sie brach
ab.
„In meiner Familie ist es genau andersrum.“ Zu spät, dachte er, kaum hatte er
den Satz zu Ende gesprochen. Aber ihre Neugier war geweckt.
„Darf ich nachfragen, oder tut es dir Leid, weil du schon zu viel verraten hast?“
wollte sie wissen.
„Es gibt nicht viel zu erzählen“, entgegnete er kurz angebunden. „Meine Mutter
ist mit einem anderen Kerl abgehauen, als ich im College war. Dad hat sich
scheiden lassen. Er hat niemals ein Wort darüber verloren. Aber es hat ihn fast
zu Grunde gerichtet.“
„Leben deine Eltern noch?“
„Mein Dad. In Florida. Er hat sich dort ein Haus gekauft, weil er von kalten
Wintern die Nase voll hat. Keine Ahnung, wo meine Mutter steckt.“
„Traurig.“
Dan zuckte die Schultern. Sein Mitgefühl hatte immer nur seinem Vater gegolten.
Jahrzehntelang hatte er mit seiner Frau Seite an Seite gelebt, und dann war sie
ihm von einem Tag auf den anderen davongelaufen. Ohne Vorwarnung.
„Ist das der Grund, weshalb Bruce und Megan nie geheiratet haben?“
„Ja, es spielt eine Rolle. Mein älterer Bruder Will hat eine gescheiterte Ehe hinter
sich. Ich auch. Das hat dazu beigetragen, dass wir überzeugt sind, die Sorensons
sollten besser allein bleiben.“
„Verstehe. Aber es würde mich schon interessieren, was deine Mutter zu der
ganzen Sache zu sagen hat.“
Erschrocken starrte er sie an. Warum um alles in der Welt hielt sie es für nötig,
mit seiner Mutter zu sprechen?
„Es gibt immer zwei Seiten der Medaille“, erklärte sie. „Hast du jemals nach ihr
gesucht?“
„Nein!“ Er schrie förmlich auf.
„Verzeihung. Es tut mir ehrlich Leid“, antwortete sie leise und stand auf. „Ich
wollte nicht in einer offenen Wunde herumstochern. Oder mich in
Angelegenheiten einmischen, die mich nichts angehen.“
Als er sah, dass sie sich mit beiden Händen an der Lehne festklammern musste,
um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, sprang er auf und legte einen Arm
stützend um ihre Hüften und begleitete sie zum Sofa.
„Morgen kaufe ich eine Kamera“, versicherte sie ihm, nachdem sie sich hingelegt
hatte. „Ich möchte unbedingt, dass du ein Foto von Marie behältst.“
„Das würde mich sehr freuen.“
„Aber ich werde darauf achten, dass ich nicht drauf bin“, schränkte Fay ein.
„Normalerweise sehe ich besser aus als jetzt.“
„Du siehst gut aus“, versuchte er es wieder. „Ein bisschen blass, aber sonst…“
„Du bist wirklich süß.“
„Es gibt haufenweise Leute, die dir bestätigen können, dass ich ganz bestimmt
nicht süß bin“, meinte er unwirsch. „Natürlich möchte ich auch ein Foto von dir.
Und von Peanut.“
„Peanut? Nennst du sie so?“ Fay lächelte vergnügt. „Stimmt, sie ist ziemlich zart.
Vielleicht kann dein Bruder oder deine Schwester sogar ein Foto von uns dreien
machen. Als Erinnerung an stürmische Tage im April.“
Megan würde sich sofort dazu bereit erklären. Eine Erinnerung. Mehr würde nicht
bleiben.
Dan strich ihr sanft eine widerspenstige Locke von der Wange und ließ seinen
Finger eine winzige Sekunde lang auf ihrer weichen Haut ruhen. „Ja“, sagte er.
„Als Erinnerung.“
4. KAPITEL Am nächsten Mittag war die Brücke so weit repariert worden, dass Dan sie gefahrlos mit dem Pickup überqueren konnte. Er und Fay hatten das Baby mit seinem Sitz hinten in der Kabine festgeschnallt und machten sich auf den Weg nach Evergreen Bluffs. „Ich weiß, wir fahren zuerst zu Dr. Bruce“, bemerkte Fay. „Aber treffen wir uns auch mit Megan?“ „Sie würde mir den Hals umdrehen, wenn ich dich ihr nicht vorstelle“, erwiderte Dan. „Sie ist Lehrerin an der High School. Nachmittags ist sie zu Hause. Wie fühlst du dich?“ „Wenn du wissen willst, ob ich zusammenbreche, sobald ich aussteige – nein. Aber ich werde mich wohl bei dir abstützen müssen. Wie üblich.“ „Du bist willkommen.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Ich war schon viel zu lange bei dir willkommen. Kann mir gut vorstellen, dass dir ein Stein vom Herzen fällt, wenn wir endlich verschwunden sind.“ Ich werde dich vermissen. Die Worte lagen ihm auf der Zunge, aber er verkniff sie sich. Nicht weil er hätte lügen müssen, sondern weil er es nicht zugeben wollte. Vor ihr. Und vor sich selbst. Als sie bei der Praxis seines Bruders angekommen waren, holte er Marie aus dem hinteren Teil der Kabine und half Fay vom Beifahrersitz. Auf dem Weg in die Praxis stützte sie sich auf seinen Unterarm. Wendy, die rothaarige Arzthelferin am Empfang, veranstaltete ein Riesentheater um das Baby. „Wie süß!“ rief sie entzückt und schaute Dan verschmitzt an. „Hätte es niemals für möglich gehalten, dass du eines Tages ein Baby anschleppst. Bring die Kleine doch nach hinten ins Zimmer. Bruce möchte zuerst die Mutter untersuchen.“ Dann wandte sie sich an Fay. „Der Doktor hat gerade noch eine Patientin, aber Sie können schon mal im Untersuchungszimmer Platz nehmen. Ich bringe Ihnen ein paar Formulare, die Sie ausfüllen müssen.“ Bei einem der Formulare handelte es sich um den Geburtsschein für das Baby. Sie lächelte, als sie den Namen eintrug. Danielle Marie Merriweather. Vermutlich ist Dan nicht einverstanden, dass ich meine Tochter nach ihm nenne, hatte sie überlegt. Weil sie kein Risiko eingehen wollte, hatte sie es ihm verschwiegen. Nachdem sie alle Formulare ausgefüllt hatte, betrat eine ungefähr vierzigjährige Frau das Zimmer und legte ein Tablett auf dem Schrank ab. „Mein Name ist Ellen, ich bin die Krankenschwester“, stellte sie sich vor. „Ich möchte Ihr Gewicht kontrollieren und Ihren Blutdruck messen. Außerdem möchte Dr. Sorenson, dass ich eine Blutprobe entnehme.“ Routiniert erledigte Ellen ihre Aufgaben. „Geht es Ihnen gut? Sie sind sehr blass.“ „Nur ein bisschen müde“, meinte Fay. „Früher oder später müssen Sie sich sowieso für die Untersuchung ausziehen. Ich schlage vor, dass Sie das jetzt machen, sich ein Flügelhemd überstreifen und sich einen Moment zugedeckt auf der Liege ausstrecken, bevor es losgeht.“ Ellen zeigte in die Ecke mit einem Regal, das durch Vorhänge verdeckt war. „Hemden und Decken sind dort drin.“ Sie griff nach dem Tablett und den ausgefüllten Papieren, bevor sie wieder verschwand. Fay folgte dem Vorschlag der Krankenschwester. Erleichtert seufzte sie auf, als sie sich auf der Liege ausstreckte. Diese verdammte Erschöpfung. Krampfhaft versuchte sie, die Augen offen zu halten, aber es gelang ihr nicht. Plötzlich hörte sie, dass der Arzt anklopfte und eintrat. Unter Tausenden hätte sie erkannt, dass es sich um Dans Bruder handeln musste. Er war ihm wie aus dem Gesicht
geschnitten, obwohl seine Statur schmaler war und seine Augen in hellerem Blau leuchteten. „Hallo, Fay“, grüßte er. „Ich bin Bruce Sorenson. Dans Bruder.“ Er schüttelte ihr die Hand. „Danke, dass Sie so schnell einen Termin für mich haben“, erwiderte Fay. Er ließ ihre Hand nicht los, sondern drehte sie um und betrachtete ihre Finger. „Kein Problem. Dan hat mir erzählt, was mit Ihnen passiert ist, nachdem Sie sich im Sturm verfahren haben und in der Hütte gelandet sind. Ihre Tochter werde ich nachher untersuchen. Erst sind Sie dran.“ Bruce ließ Fays Hand los und beugte sich zu ihr hinunter. „Ich ziehe Ihr Augenlid herunter“, sagte er und kontrollierte beide Pupillen. „Dan hat berichtet, dass Sie viel Blut verloren haben, bevor die Nachgeburt ausgestoßen wurde. Seitdem irgendwelche Blutungen?“ „Nein, kaum.“ „Es sieht alles danach aus, als hätten Sie Anämie. Höchstwahrscheinlich ist das der Grund für Ihre andauernde Erschöpfung. Aber ganz sicher bin ich mir erst, wenn ich Ihr Blut unter dem Mikroskop angeschaut habe.“ „Anämie? Oder Leukämie?“ hakte Fay erschrocken nach. „Anämie. Kommt öfter vor und kann mit Medikamenten und richtiger Ernährung leicht behandelt werden. Anämie ist ein ganz anderes Krankheitsbild als Leukämie. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. In ein paar Wochen werden Sie sich wieder so frisch und munter fühlen wie früher.“ „So lange dauert es?“ „Kein Grund zur Panik. Sie brauchen Ruhe, gute Ernährung und ein paar Medikamente, um wieder zu Kräften zu kommen“, erklärte Bruce. „Das braucht eben seine Zeit. Ich schlage vor, dass Sie irgendwohin fahren, wo Ihnen jemand mit dem Baby helfen kann.“ „Meine Tante in Duluth. Ich kann sie anrufen.“ Es klopfte an der Tür. Ellen schaute herein. „Ich bin so weit“, nickte Bruce ihr zu. „Wir können mit der Untersuchung anfangen.“ Fay konzentrierte sich mehr auf die Frage, wie sie in ihrem Zustand von Evergreen Bluffs nach Duluth gelangen sollte als auf Bruce und Ellen, die ihren Körper nach allen Regeln der Kunst betrachteten, betasteten und abhorchten. „Sieht alles sehr gut aus“, meinte Bruce zufrieden. „Keine Anzeichen einer Infektion. Die Gebärmutter hat sich normal zurückgebildet. Wie alles andere auch. Abgesehen von dem Verdacht auf Anämie geht es Ihnen blendend. Ich empfehle, mindestens vier Wochen lang enthaltsam zu leben. Kein Sex.“ Fay spürte, dass sie knallrot wurde. Wie konnte er annehmen, dass sie Sex im Kopf hatte? „Ich hatte nicht vor, mit jemandem ins Bett zu gehen.“ „Dann ist ja alles bestens.“ Bruce lächelte ihr zu und verließ den Raum. Ellen half Fay von der Liege herunter. „Ziehen Sie sich erst mal wieder an. Ich bringe Sie dann zu Marie. Der Arzt möchte mit Ihnen sprechen, nachdem er Ihr Baby untersucht hat.“ Dan wartete vor dem Untersuchungsraum. „Alles okay?“ „Bruce vermutet, dass ich unter Anämie leide“, gestand sie ihm. „Deshalb bin ich dauernd müde. Sonst geht es mir gut. Wenn sich der Verdacht bestätigt, muss ich Pillen schlucken, gut essen und einen Monat lang jede Anstrengung meiden. Ist aber kein Problem, sobald ich bei meiner Tante in Duluth bin.“ „Ruf sie an.“ Dan deutete auf das Telefon. Nach dem vierten Klingeln schaltete sich der Anrufbeantworter ein. „… Sie erreichen mich unter 619…“, hörte Fay anstelle der erwarteten Ansage und hatte
die letzten Zahlen schon vergessen, während sie nach einem Stift und einem Schmierzettel suchte. Zum Glück wiederholte ihre Tante die Nummer am Ende ihrer Ansage noch mal, und sie notierte eilig. „Das ist die Vorwahl von San Diego“, erklärte sie Dan erstaunt. „Bestimmt besucht Aunt Marie ihre Tochter. Komisch, sie hatte gar keine Reisepläne.“ Für den Anruf nach Kalifornien benutzte Fay ihre Telefonkarte. Aunt Marie war gleich am Apparat. „Fay, was für eine Überraschung“, grüßte sie. „Wie schön, dass du anrufst. Gwen hatte einen schrecklichen Autounfall. Um ein Haar hätten wir sie verloren. Ich bin sofort hierher geflogen, nachdem man mich benachrichtigt hatte. Jetzt kümmere ich mich um die Jungen und natürlich auch um Roger. Der arme Mann, er ist außer sich vor Sorge. Zum Glück erholt sie sich langsam wieder. Die Ärzte gehen davon aus, dass sie bald ganz wiederhergestellt wird. Natürlich bleibe ich bei ihr, bis es so weit ist. Wie geht es dir?“ Fay wollte ihrer Tante nicht auch noch ihre Sorgen aufbürden. „Es tut mir sehr Leid, dass Gwen so schwer verunglückt ist. Ich wollte dir nur sagen, dass du eine kleine Nichte bekommen hast. Uns beiden geht es ausgezeichnet.“ „Ein kleines Mädchen! Fantastisch!“ Aunt Marie redete noch eine Weile weiter und verabschiedete sich dann, weil sie in die Klinik zu ihrer Tochter fahren wollte. „Duluth hat sich damit wohl erledigt“, meinte Dan. Fay nickte ratlos. „Du bist noch lange nicht kräftig genug, um nach Hause fahren zu können“, fuhr Dan fort. „Und ich bin im Mai noch beurlaubt. Es wäre doch am besten für uns beide, wenn wir uns in der Hütte einrichten. Da kannst du dich erholen, bis deine Blutwerte sich normalisiert haben. Ich helfe dir mit dem Baby.“ „Habe ich richtig gehört?“ Bruce trat aus der Tür und hob fragend die Augenbrauen. „Du bietest an, dich einen ganzen Monat lang um ein Baby zu kümmern?“ „Ich habe sie schließlich auch entbunden“, murmelte Dan grimmig. „Weil du keine andere Wahl hattest“, hielt Bruce dagegen. „Obwohl ich zugeben muss, dass du deine Sache ziemlich gut gemacht hast.“ Er lächelte Fay an. „Ellen wird Ihnen Ihr Baby gleich bringen. Es wiegt 3540 Gramm und misst dreiundfünfzig Zentimeter. Marie ist ein propperes gesundes Baby.“ Jetzt erst bemerkte Fay, dass sie den Atem angehalten hatte, während Bruce sprach. Erleichtert seufzte sie auf. „Das Blutbild der Kleinen ist normal“, fügte Bruce hinzu. „Aber Sie haben ganz sicher Anämie. Ich gebe Ihnen gleich eine Spritze. Außerdem bekommen Sie ein Rezept. Holen Sie sich die Medikamente aus der Apotheke, bevor Sie sich in die Hütte zurückziehen. Rufen Sie mich an, wenn sich die Symptome verändern. Und bevor Sie nach Hause zurückfahren, möchte ich Sie noch mal untersuchen.“ „Danke“, stimmte Fay zu. Bruce zog die Spritze auf, und die Nadel drang ihr durch die Haut. Es piekste für einen Moment, aber sie nahm den Schmerz kaum wahr. Stattdessen grübelte sie darüber nach, warum Dan ihr angeboten hatte, sich um sie und Marie zu kümmern. Eigentlich müsste er froh sein, uns endlich loszuwerden, überlegte sie. Nach all den Umständen, die wir ihm bereitet haben. Aber gleichzeitig war sie heilfroh, dass er Hilfe angeboten hatte, selbst wenn es aus einem falschen Gefühl der Verpflichtung heraus geschah. Ich bin ihm verpflichtet, nicht umgekehrt, dachte sie, während Bruce injizierte. „Das sollte vorerst reichen“, meinte Dr. Bruce. „Wenn keine unvorhergesehenen Umstände eintreten, sollte es Ihnen in spätestens einer Woche wieder besser gehen. Nehmen Sie trotzdem die Tabletten ein.“ Fay bedankte sich wieder und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass er Dan
einen ärgerlichen Blick zuwarf, bevor sie die Praxis verließen. Sie fuhren zu dem Haus, in dem Dan seine Kindheit verbracht hatte, um Megan zu besuchen. Es war ein weiß gestrichenes, zweistöckiges Gebäude mit einer langen Veranda an der Frontseite und mehreren Ahornbäumen, die das erste Grün zeigten. Megan öffnete die Tür, bevor sie klingeln konnten. Sie umarmte Fay, führte sie herein und bestand darauf, dass sie sofort auf dem Sofa Platz nahm. „Du siehst ziemlich blass aus. Bist du immer noch so erschöpft?“ fragte sie und wandte sich an Dan. „Dass du ein Baby im Arm trägst… ich hätte niemals gedacht, dass ich das noch erleben darf.“ „Das musste ich mir von Wendy auch schon anhören.“ Dan klang verstimmt. „Darf ich sie mal halten?“ fragte Megan und wandte sich an Fay. Fay nickte müde. Megan setzte sich neben sie und nahm Marie auf den Schoß. Das Baby schaute verunsichert umher und begann zu weinen. „Ich hole die alte Wiege vom Dachboden“, kündigte Dan an. „Steht sie noch da?“ „Nein, bei mir im Schlafzimmer. Ich habe sie poliert und gewienert, mit einer neuen Matratze ausgestattet und meine Puppen hineingelegt. Es war nicht zu erwarten, dass einer meiner drei Brüder jemals heiratet oder lange genug verheiratet bleibt, um Kinder in die Welt zu setzen.“ Wortlos verließ Dan das Wohnzimmer. „Besser, ich hätte mir meine Bemerkung verkniffen“, meinte Megan selbstkritisch. „Zumal ich auch auf keinen Fall heiraten will.“ „Willkommen im Club“, erwiderte Fay. „Mir geht’s genauso.“ „Aber du hast ein Kind bekommen.“ „Marie war nicht geplant.“ Fay lächelte ihre Tochter an. „Umso mehr freue ich mich über sie.“ Megan seufzte wehmütig. „Was für ein hübsches Kind. Sag mal, was hältst du eigentlich von Dan?“ „Ich bin ihm natürlich sehr dankbar. Wenn er mich nicht gerettet hätte…“ Sie brach ab, als ihr durch den Kopf ging, wie die Sache dann ausgegangen wäre. „Ich habe mich ziemlich leichtsinnig verhalten, obwohl es gar nicht danach aussah, als ich losgefahren bin. Wenn der Sturm nicht ausgebrochen wäre, hätte ich es ganz sicher bis zu meiner Tante geschafft. Nur… Während ich unterwegs war, hat sie einen Notruf von ihrer Tochter erhalten. Bei meiner Ankunft hätte sie im Flieger nach Kalifornien gesessen.“ Fay erklärte Megan genau, was sie ursprünglich geplant hatte und warum ihre Tante Duluth so plötzlich verlassen musste. „Zum Glück ist Dan Polizist und kann mit Notfällen umgehen.“ „Dan ist ein großartiger Mann“, stimmte Megan zu. „Wie alle meine Brüder. Sogar Bruce. Er ist der Jüngste und mir altersmäßig am nächsten.“ Sie zögerte. „Manchmal denke ich, wenn Mutter… wenn die Dinge sich anders entwickelt hätten, hätte Bruce das Problem in der High School nicht gehabt.“ „Dan hat erzählt, dass eure Mutter die Familie verlassen hat, als er im College war.“ Megan starrte sie fassungslos an. „Das hat er dir erzählt? Dan, der sonst den Mund nicht aufkriegt?“ Bevor Fay eine passende Antwort einfiel, kam Dan zurück. „Wie gefällt sie dir?“ fragte er Fay und stellte die Wiege neben die Couch. „Eine wundervolle Handarbeit“, stimmte Fay zu. „Schau nur das Holz. Man sieht auf den ersten Blick, dass es von einem begabten Handwerker bearbeitet worden ist.“
„Von unserem Großvater“, platzte Megan heraus. „Dad konnte auch ganz gut tischlern, aber Will ist der Einzige, der Grandpas Talent geerbt hat. Und mir hat Großvater das Schnitzen beigebracht.“ „Wenn du nichts dagegen einzuwenden hast, nehme ich die Wiege mit in die Hütte“, schlug Dan vor. „Für das Baby. Fay wird noch ein paar Wochen bei mir verbringen. Ärztliche Anweisung. Sie braucht Ruhe und jemanden, der ihr mit Marie zur Hand geht.“ „In der Hütte?“ schrie Megan entsetzt auf. „Gütiger Gott, hier hat sie es doch viel bequemer. Wir haben massenhaft Platz und…“ „Du unterrichtest an fünf Tagen in der Woche“, unterbrach Dan. „Ich habe Zeit. Du nicht.“ Seine Stimme klang kalt und vernünftig. Marie stieß vernehmlich auf und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. Dan nahm Fay das Baby aus dem Arm. „Die Windel ist wieder nass“, meinte er leise. „Macht nichts. Dein alter Dan wird’s schon richten.“ „Dein alter Dan?“ wiederholte Megan fassungslos. „Ich leide unter Anämie“, erklärte Fay. „Deshalb bin ich so lethargisch. Dan kümmert sich um das Baby.“ Kopfschüttelnd schaute Megan zu, wie ihr Bruder mit geübten Griffen die Windel wechselte und das Kind vorsichtig in die Wiege legte. „Bemerkenswert.“ „Nicht wahr? Ein bemerkenswertes Baby“, strahlte Dan. Wortlos warf Megan einen Blick auf Fay. Fay zuckte mit den Schultern. „Ich muss dringend einkaufen, bevor wir wieder zur Hütte fahren“, kündigte Dan an und verließ das Haus. Megan ergriff das Wort, nachdem er verschwunden war. „Vielleicht solltest du doch lieber hier bleiben“, schlug sie vor. „Die Hütte ist sehr rustikal ausgestattet.“ „Ist schon okay“, wandte Fay ein und versuchte vergeblich, das Gähnen zu unterdrücken. „Entschuldige. Ich will nicht mit dir streiten, wenn du müde bist. Und ich habe das Gefühl, dass es Dan gut tut, wenn du da bist. Du weißt wahrscheinlich, dass er der mittlere Junge ist.“ „Der mittlere Junge?“ „Ja. Will ist der älteste, Bruce der jüngste. Beide haben besondere Aufmerksamkeit genossen. Das mittlere Kind nicht. Will war Dads Liebling. Bis ich geboren wurde. Bruce war Moms Liebling. Dan gehörte zu niemandem. Hoffentlich denkst du nicht, dass ich Unsinn rede. Meine drei Brüder werfen mir immer vor, dass ich zu viel rede. Wahrscheinlich haben sie Recht“, schloss Megan. Fay lächelte. „Ich bin nicht deine Brüder.“ „Du glaubst gar nicht, wie überrascht ich bin, dass er sich um Marie kümmert“, fuhr Megan fort. „Er hat sich noch nie was aus Babys gemacht. Ich lerne ihn von einer ganz anderen Seite kennen. Eine Seite, die mir sehr gefällt.“ „Ja, er ist sehr geduldig“, sagte Fay irritiert. „Geduldig und freundlich.“ „Für den Bruder, den ich kenne, ist Geduld ein Fremdwort“, konterte Megan. „Freundlich ist er nur, wenn er nicht anders kann. Ich will nur sagen, dass die Geschichte ihn positiv verändert hat.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber das ganze Gerede lässt dich überhaupt nicht zur Ruhe kommen. Wenn du irgendwas brauchst, ruf mich einfach. Ich bin in der Küche.“ Als Fay mit ihrem schlafenden Baby allein war, versuchte sie, sich einen Reim auf Megans Worte zu machen. Mit ihr und dem Baby war Dan mehr als geduldig gewesen. Sie konnte ihn sich kaum anders vorstellen. Megan scheint mich zu mögen, überlegte sie weiter. Anders als Dr. Bruce hatte sie sich nicht aufgeregt,
als Dan erklärte, dass er sich um das Baby kümmern wollte, während sie sich bei
ihm erholte. Megans Einwände hatten sich nur auf die Hütte selbst bezogen. Sie
hielt ihr Haus einfach für komfortabler.
Sie seufzte auf. Warum zerbrichst du dir eigentlich den Kopf wegen der
Angelegenheit? Sie wollte nichts weiter, als mit Dan in die Hütte zu fahren.
Warum auch immer. Meine Zeit mit ihm ist knapp genug.
Der letzte Gedanke beunruhigte sie plötzlich. Aber im Moment war sie viel zu
schläfrig, um ihm auf den Grund zu gehen.
5. KAPITEL Fay wachte auf. Sie setzte sich auf und schaute sich neugierig in der Hütte um.
Seit sie den Grund für ihre dauernde Erschöpfung erfahren hatte und wusste,
dass der Zustand bald ein Ende haben würde, betrachtete sie ihre Umgebung mit
ganz anderen Augen.
Wo Dan wohl steckt, fragte sie sich, als sie ihn nirgends entdecken konnte. Sie
ging zum Fenster und schaute raus. Die Sonne wärmte ihr Gesicht und ihre
Schultern. Dan hatte sich neben einen Baum gehockt und fingerte am Stamm
herum. Offenbar entfernte er einen Gegenstand, den er dort befestigt hatte. Er
trug keine Jacke. Das rote Sweatshirt leuchtete hell in der grünen Landschaft.
Plötzlich fiel ihr auf, wie sehr sie es genoss, ihm zuzuschauen. Beim Arbeiten.
Beim Dasitzen. Wenn er Marie im Arm hielt.
Als ob er ihren Blick gespürt hätte, erhob er sich und sah sie beim Fenster
stehen. Sie errötete, weil es ihr so vorkam, als hätte er ihre Gedanken erraten.
Dann winkte sie ihm zu. Er winkte zurück und lief zur Hütte.
Megan hatte ihr ein altes geblümtes Flanellnachthemd mitgegeben, das bis auf
den Boden reichte. Fay fand, dass sie dezent genug gekleidet war, und erwartete
ihn an der Tür.
„Neue Garderobe“, bemerkte er.
„Nicht ganz“, widersprach sie. „Megan hat erzählt, dass das gute Stück aus der
Kommode eurer Großmutter stammt, die auf dem Dachboden steht.“
„Hält bestimmt gut warm“, meinte Dan und grinste. „Aber irgendwie passt es
trotzdem nicht zu dir. Soll ich schon mal das Frühstück machen, solange du dich
umziehst?“
„Ich helfe dir.“
„Ausgeschlossen“, lehnte er ab. „Es ist viel wichtiger, dass du wieder Farbe ins
Gesicht bekommst.“
Während sie sich abtrocknete, warf Fay einen prüfenden Blick in den
Badezimmerspiegel und seufzte auf. Sie sah immer noch blass und abgespannt
aus.
„Was hast du draußen eigentlich gemacht?“ fragte sie ihn beim Frühstück.
„Ich habe die Zielscheibe für meine Schießübungen an einen anderen Baum
gehängt. Weiter weg vom Haus, damit ich meine Übungen machen kann, aber
dich und das Baby nicht störe.“
„Du hast eine Waffe hier in der Hütte?“
Er nickte und deutete auf das Obergeschoss. „Sie ist immer in meiner Nähe.“
„Als ich mich draußen im Sturm verirrt hatte, ist mir gar nicht aufgefallen, dass
es hier im Wald Wildtiere gibt. Sind sie gefährlich?“
„Nein. Vielleicht eine Bärin, die ihr Junges schützen will.“
Fay ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen. „Bären? Ich habe gehört, dass
auf der Upper Peninsula Wölfe leben.“
„Ja, sogar ein paar Rudel. Und Kojoten, Elche, Hirsche, Füchse, Luchse, Marder
und Wildschweine. Wenn dir ein Wildschwein begegnet, solltest du auf der Stelle
kehrt machen. Erwarte nicht, dass es dir aus dem Weg geht.“
„Hoffentlich bin ich bald kräftig genug, um spazieren gehen zu können“,
überlegte Fay. „Wie groß sind die Chancen, dass wir dann einer Bärin mit ihrem
Jungen begegnen?“
„Ziemlich klein. Schwarzbären sind nicht besonders aggressiv, es sei denn, sie
fühlen sich in die Ecke gedrängt. Es ist viel wahrscheinlicher, dass ein
Streifenhörnchen an uns vorbeiflitzt. Übrigens, ich habe versucht, mir Peanut mit
dem Tragetuch umzubinden, das du mitgebracht hast. Es funktioniert. Ich kann
sie nehmen, wenn wir rausgehen wollen.“ „Klingt verdammt gut.“ Draußen war es schon längst dunkel. Marie schlief friedlich in ihrer Wiege. Fay wünschte Dan eine gute Nacht und kuschelte sich in ihr Sofa. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Was war das? Es wurde lauter und wieder leiser. Schaurig und unwiderstehlich. „Was ist das?“ wisperte sie in die Stille hinein. „Wölfe.“ Dan war auf dem oberen Treppenabsatz erschienen und kam ebenfalls zum Fenster. „Hört sich an, als seien sie schon ziemlich nah. Vielleicht können wir sie sogar sehen.“ Als er neben Fay am großen Fenster stand, war das Geheul schon erstorben. Der Mond war aufgegangen. Es war beinahe Vollmond. Das silbrige Licht zeichnete die Konturen der Pinien scharf nach. Sie traute ihren Augen kaum, als ein Tier nach dem anderen wie auf Samtpfoten auf eine mondhelle Lichtung trat, bis es schließlich fünf waren. Sie trabten bis zur Hütte und verschwanden dann wieder im Gehölz. „Wölfe“, flüsterte sie. „Das waren echte Wölfe.“ Dan legte ihr einen Arm um die Schultern. „Ein Rudel“, stimmte er zu. „Ich habe sie zwar schon gehört, aber noch nie gesehen.“ Fay fühlte sich wie verzaubert und starrte immer noch in das Mondlicht. „Diesen Augenblick werde ich nie vergessen.“ Sie schaute ihn an. Überrascht entdeckte sie, dass er den Blick längst nicht mehr auf die Lichtung gerichtet hatte. „Unvergesslich“, wisperte er und schaute ihr direkt in die Augen. Für einen Moment hielt sie die Luft an. Gleich wird er mich küssen, schoss es ihr durch den Kopf. Gleich. Bevor sie entscheiden konnte, ob sie es wollte oder nicht, nahm er den Arm von ihrer Schulter. „Gute Nacht.“ Verwundert sah sie ihm nach, als er die Stufen ins Obergeschoss hinaufging. Wie hätte es sich wohl angefühlt? fragte sie sich. Schon in der nächsten Woche fühlte sie sich stark genug für einen kleinen Spaziergang. Dan hatte sich Danny Marie mit dem Tragetuch umgebunden. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. In der Sonne war es bereits warm, obwohl noch ein kühler Wind wehte. Im Schatten war Fay froh, dass sie ihre dicke Jacke angezogen hatte. In der Nähe der Hütte lag kein Schnee mehr, aber im Wald fanden sich hier und da zwischen den Bäumen noch ein paar weiße Flecken. „Wir haben Mai“, meinte sie. „In Archer wird schon alles grün sein. Bestimmt blüht der Flieder bald. Als wir in der Stadt waren, ist mir gar nicht aufgefallen, dass schon Blätter an den Bäumen sind.“ Sie fragte sich, wohin die Wölfe sich zurückgezogen hatten. Dan hatte ihr versichert, dass die Wölfe keine Bedrohung darstellten. Normalerweise mieden sie die menschliche Gesellschaft. Es grenzte an ein Wunder, dass sie sich ihnen überhaupt gezeigt hatten. Erst als sie ein Motorengeräusch hörte, bemerkte Fay, dass sie einen Rundweg gemacht hatten und fast wieder vor der Hütte standen. „Megans Wagen.“ Er klang enttäuscht. „Mir war klar, dass sie früher oder später hier auftauchen wird.“ „Ich mag deine Schwester“, meinte Fay. „Ich auch, aber…“ Er zögerte, als ob er nach den richtigen Worten suchte. „Sie macht immer alles so kompliziert.“ Megan entdeckte Fay und Dan, sobald die beiden aus den Bäumen hervortraten, winkte ihnen zu und begrüßte sie. „Der Wagen der Telefongesellschaft parkt auf
dem Highway neben der Auffahrt zur Hütte.“
„Wird aber auch Zeit“, murmelte Dan in sich hinein, löste das Tragetuch mit dem
Baby ab und gab es Fay. „Ich schau mal nach, was da los ist.“
Fay und Megan betraten die Hütte. Das Baby begann zu weinen, als Fay es in die
Wiege legte, beruhigte sich aber schnell wieder.
„Möchtest du einen Kaffee? Oder einen Tee?“ bot Fay an.
„Nein danke. Ich bin nur mal schnell vorbeigekommen, um nachzusehen, wie es
euch geht. Zum Glück wird das Telefon repariert, dann kann ich euch anrufen
und fragen, ob ihr irgendwas braucht.“ Sie deutete auf ihren Picknickkorb. „Ich
habe einen Braten mitgebracht und Brownies. Für dich und Dan.“
„Danke, das freut mich“, meinte Fay. „Es geht mir zwar schon besser, aber Dan
lässt mich immer noch nicht an den Herd. Er kocht gut, aber langsam gehen ihm
die Rezepte aus.“
„Er ist ein alter Sturkopf, wie alle Männer in der Familie. Nach der
Schussverletzung habe ich ihm in unserem großen Haus helfen wollen, sich zu
erholen, aber er hat es vorgezogen, sich hier in der Hütte zu verkriechen“,
erklärte Megan. „Er zieht das Bein immer noch nach, oder?“
„Ja, ein bisschen. Aber es scheint ihn nicht weiter zu stören. Ich glaube, sie
wollen, dass er seinen Dienst so schnell wie möglich wieder aufnimmt.“
„Er ist freigestellt. Das heißt, er darf erst wieder zurück, wenn die Dienststelle für
interne Ermittlungen festgestellt hat, dass er den Dealer in Notwehr erschossen
hat. Der Kerl hatte zuerst gefeuert und Dan ins Bein getroffen.“
„Bei Schusswechseln mit Todesfolge wird immer ermittelt“, gab Fay zu bedenken.
„Das sagt Dan auch. Die Zeitung von Archer hat ihn zum Helden gekürt. Und das
war er auch. Über ein Jahr lang hat die Sonderkommission versucht, diesen Kerl
zu fassen.“
Fay fragte sich, warum sie von der ganzen Geschichte nichts mitbekommen
hatte. „Dan ist auch mein Held“, erklärte sie. „Meiner und der meiner Tochter.
Wir verdanken ihm unser Leben.“
Megan nickte. „Ich sollte mich nicht länger beklagen. Es war eine gute Idee, dass
er darauf beständen hat, hier draußen zu bleiben. Ich hatte gehofft, dass er
jemanden findet, der anders ist als Jean…“
Fay hob die Hand. „Das kann ich nicht sein. Dan hat mir erklärt, dass er nie
wieder heiraten will. Ich glaube ihm aufs Wort. Und mir geht es nicht anders.
Zumal so kurz nach der Geburt. Etwas anderes als Freundschaft kommt
überhaupt nicht in Frage. Außerdem bin ich mir nicht sicher, dass ich den
Richtigen jemals treffen werde“, schloss sie.
Die beiden Frauen waren so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie nicht hörten,
wie Dan eintrat. Sie erschraken, als seine Stimme plötzlich an ihr Ohr drang.
„Das nenne ich eine kluge Frau.“ Grinsend hängte er seine Jacke an den Haken.
„Ich wollte nur mal kurz bei euch vorbeischauen“, meinte Megan und erhob sich.
„Auf dem Weg zum Kuchenbasar zu Gunsten des Museums. Du hast Glück,
großer Bruder, weil du heute Abend nicht kochen musst.“
Dan umarmte seine Schwester. „Wie gut, dass es dich gibt. Danke“, meinte er
freundlich. „Das Telefon soll wieder funktionieren, bevor es dunkel wird.“ Dan
warf einen Blick in den Korb. „Mmmhh, Brownies. Megan kocht ausgezeichnet.“
Er biss herzhaft in das Gebäck. „Die Männer machen ihr dauernd Heiratsanträge.“
„Bis jetzt hat sie sich noch in keinen Mann verliebt. Davon abgesehen, welche
Frau will schon einen Mann heiraten, der ihre Kochkünste mehr liebt als sie?“
hielt Fay lachend dagegen.
„Hast du nicht gerade zu Megan gesagt, dass du stark daran zweifelst, dem
Richtigen jemals über den Weg zu laufen?“ entgegnete Dan. „Obwohl deine
Tochter dringend einen Vater braucht.“
„Schlägst du vor, dass ich heiraten soll, nur damit Marie einen Vater hat?“ Fay
starrte ihn fassungslos an. „Vielleicht ist das noch nicht einmal die schlechteste
Begründung für eine Ehe, aber doch schon ziemlich dicht an er braucht mich. Ich
kenne eine Frau, die beschlossen hatte, dass der Mann ohne sie nicht leben
kann. Er braucht mich hat es unentwegt geheißen. Eines Tages stellte sie fest,
dass er nur einen passenden Ersatz für seine gute alte Mom gesucht hatte. Reine
Zeitverschwendung.“
„Dir muss es wieder viel besser gehen“, meinte er. „Wir haben unseren ersten
Streit.“
„Ja, es geht mir tatsächlich besser. Dir ist bestimmt aufgefallen, dass ich längst
nicht mehr so viel schlafe.“
„Sag mal… wenn es dir wirklich besser geht, hättest du Lust, am Freitagabend
auszugehen? Die Black Bear Lodge serviert köstliche Fish & Chips. Aus dem
PanoramaFenster hat man einen tollen Blick auf die Landschaft. Du ahnst nicht,
was du da zu sehen bekommst. Das Lokal ist nicht weit von der Stadt entfernt.
Wir könnten Marie für ein oder zwei Stunden bei Megan lassen.“
„Hm. Wir haben Da… Marie noch nie allein gelassen“, gab Fay zu bedenken.
„Was, wenn sie zwischendurch Hunger hat?“
„Versuch es doch mal mit der Milchpumpe“, schlug Dan vor. „Wir könnten Marie
ein Fläschchen dalassen.“
Fay dachte nach. „Du hast Recht“, meinte sie schließlich. „Ich sollte es
wenigstens mal versuchen. Und ich muss zugeben, dass mir der Gedanke gefällt,
endlich mal wieder rauszukommen. Ein Date.“
„Unser erster Abend in der Stadt.“
„Und was hat es mit dem Blick aus dem PanoramaFenster auf sich?“
„Eine Überraschung. Du wirst dich gedulden müssen.“
„Ich hasse Überraschungen, die auf sich warten lassen“, meinte sie lachend. Er
grinste von einem Ohr zum anderen. „Pech gehabt.“
Dan schrieb gerade eine Einkaufsliste, als Fay auf eine Nische im Zimmer zeigte.
„Ich wollte dich schon längst fragen, was das für ein Gerät ist“, meinte sie
unschlüssig. „Das Ding da drüben aus Eichenholz.“
Er hob den Blick. „Ein alter Phonograph. Mit Handkurbel. Man muss ihn
aufziehen.“
„Du liebe Güte. Wie funktioniert er denn?“
Dan kam zu ihr und betrachtete den alten Phonographen, den er von seinem
Großvater oder sogar von seinem Urgroßvater geerbt hatte. Er öffnete die
Schranktüren und zeigte ihr die Plattensammlung. Willkürlich zog er eine
SchellackPlatte heraus, legte sie auf und positionierte den Tonarm über der
ersten Rille. Dann drehte er an der Kurbel an der Seite des Geräts. Als er sie
gespannt hatte, senkte er den Tonarm ab und legte den Starthebel um.
„Paul Whiteman und die Cliquot Club Eskimos“, kündigte er an, als die Musik
spielte. Er bot ihr seine Hand an. „Miss Merriweather, darf ich um diesen Tanz
bitten?“
„Sie dürfen, Sir.“
Nach einem kurzen Moment hatte Dan den Takt gefunden. Mit Fay im Arm
schwebte er durch die Hütte, an der Wiege vorbei, ohne dass Marie sich durch
die Musik gestört fühlte.
„Toll.“ Fay war begeistert. „Ich habe so lange nicht mehr getanzt, dass ich gar
nicht mehr weiß, wann es das letzte Mal war.“ Enttäuscht seufzte sie auf, als die
Musik zu Ende war.
Dan blätterte durch die Plattensammlung. „Wie wäre es mit einem Walzer?“ Er
legte An der schönen blauen Donau auf und kurbelte, bis er den Tonarm absenken konnte. Als er den Arm um Fay legte, blitzte die Erinnerung in ihm auf. Seine Mutter hatte mit ihm getanzt, als er ein Teenager gewesen war. „Dein Vater wird es nie lernen, aber ich will sichergehen, dass alle meine Söhne tanzen können.“ Plötzlich vergaß er alles um sich herum. Für ihn gab es nur noch Fay. Der Klang aus alten Zeiten erfüllte den Raum. Sie duftete ganz zart nach Rosen, und der Duft vernebelte ihm langsam, aber sicher die Sinne. Er verlor jeden Gedanken aus dem Kopf und wirbelte mit ihr über den Boden. Ihr warmer Körper schmiegte sich eng an ihn und erhitzte ihn nur noch mehr. „Walzer sind Romantik pur“, flüsterte Fay. „Stell dir vor, wir sind in einem Ballsaal im alten Wien. Ich trage keine Jeans, sondern ein wundervolles Ballkleid. Und du steckst in einer dieser schmucken österreichischen Uniformen.“ Er schaute zu ihr hinunter und schmiegte seine Wange an ihre. Sie schloss die Augen und wünschte sich, dass dieser Augenblick niemals vorübergehen möge. Der Walzer war zu Ende. Sofort öffnete sie die Augen und schaute ihn an. Und bevor er wusste, was er zu tun im Begriff war, beugte er sich hinunter und küsste sie. Ihre warmen Lippen hießen ihn willkommen, aber es war der falsche Zeitpunkt. Als sie sich schließlich zurückzog, ließ er sie langsam los. Ein paar Sekunden lang standen sie einander gegenüber und schauten sich in die Augen. „Macht man das so, wenn der Walzer zu Ende ist?“ murmelte sie. „Sicher. Wir sind schließlich im alten Wien.“ Es kostete ihn Mühe, möglichst beiläufig zu klingen. „Nein, wir sind wieder in der Gegenwart gelandet“, widersprach sie und warf einen Blick in die Wiege. Er wusste, dass sie den Kuss genossen hatte. Vielleicht empfand sie sogar wie er und verlangte nach mehr. Aber unter den gegebenen Umständen – ausgeschlossen. „Ich würde dich gern mal in einem prächtigen Ballkleid sehen“, erklärte er ihr. „Stimmt. Bis jetzt ist mein Aufzug nicht besonders attraktiv. Noch nicht einmal normal“, stimmte sie ihm zu. „Ich bin immer noch zu dick für meine alten Kleider.“ Ihre Stimme zitterte während des letzten Satzes. „Wirst du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich dich gern habe?“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich dich auch, Dan Sorenson.“ „Freut mich zu hören.“ Er streckte ihr die Hand entgegen. „In dieser Welt ist es wichtig, Freunde zu haben, stimmt’s?“ Mit festem Griff nahm sie seine Hand. Trotzdem fühlte sie sich immer noch zerbrechlich an. Das Baby begann zu weinen. Fay nahm es hoch. „Der Trip nach Wien hat Spaß gemacht.“ Als sie Marie stillte, fühlte er sich plötzlich reichlich fehl am Platz. Der Kuss hatte sein Verhältnis zu ihr komplett verändert. Ihre nackte Brust wirkte auf einmal ganz anders auf ihn. Verdammt. Leidenschaft war ein ungebetener Gast in seiner Hütte. Keine Küsse mehr, Sorenson, beschwor er sich. Keine Reisen ins alte Wien. Wir müssen mindestens noch eine Woche hier auskommen. Sie ist eine Freundin. Weiter nichts. Eine Frau, die gerade entbunden hat und ihr Baby stillt. Lust hat hier keinen Platz. Denk dran, Sorenson.
6. KAPITEL Dan hatte Marie wieder ins Tragetuch geschnallt, als sie am Nachmittag im Wald spazieren gingen. Schweigend liefen sie nebeneinander her, als Dan abrupt stehen blieb. „Sieh mal“, flüsterte er und zeigte auf eine Hirschkuh, die nur ein paar Meter von ihnen entfernt zwischen zwei Pinien stand, die Lauscher spitzte und sie anstarrte. Schließlich hob sie den weißen Spiegel und sprang aus dem Blickfeld. „Was für ein prächtiges Tier“, brachte Fay atemlos hervor. „Es war ein gutes Jahr für das Rudel“, stimmte Dan zu. „Sie haben Futter im Überfluss gehabt und sehen alle sehr kräftig aus.“ „Aber sie mussten den schrecklichen Sturm ohne Unterstand überleben“, meinte Fay. „Mir läuft es kalt über den Rücken, wenn ich nur daran denke.“ „Hirsche haben alles, was sie brauchen, um auf .freier Wildbahn überleben zu können“, meinte Dan und lachte verhalten. Danach schwiegen sie wieder für eine Weile. Warum eigentlich? fragte sich Fay. Normalerweise haben wir uns doch so viel zu erzählen. Hat der Kuss am vergangenen Abend unser Verhältnis wirklich so sehr verändert? Oder liegt es nur daran, dass wir die Stille im Wald nicht stören wollen? Egal. Mit einem Lächeln auf den Lippen erinnerte sie sich daran, wie die Schüler in der SpanischKlasse der High School mit solchen Problemen umzugehen pflegten. „Basta!“ hatten sie einander zugerufen. Ja, genau. Basta. Sie atmete entschlossen durch. „Was meinst du, wie lange das gute Wetter noch anhält?“ Er ließ seinen Blick über den Himmel schweifen. „Die ersten Wolken zeigen sich schon. Könnte sein, dass es bald anfängt zu regnen“, antwortete er. „Lass uns zurück zur Hütte gehen. Du musst dich ausruhen.“ Verärgert verzog sie das Gesicht. „Ich weiß doch wohl selbst am besten, ob ich Ruhe brauche oder nicht.“ „Wir gehen auf der Stelle zurück“, befahl er in dem Ton, den er anschlug, wenn er jemanden verhaften wollte. Sie murmelte eine passende Antwort in sich hinein und marschierte schweigend mit ihm zur Hütte. Als sie angekommen waren, ergriff er wieder das Wort. „Hör mal zu“, begann er. „Kurz nach unserer ersten Begegnung habe ich dir doch gesagt, dass du keine Angst vor mir zu haben brauchst. Daran hat sich nichts geändert, und daran wird sich auch nichts ändern.“ „Wer sagt, dass ich Angst vor dir habe?“ zischte sie beleidigt. „Was ist nur los mit dir?“ Unwillkürlich war er laut geworden. Marie lag noch immer im Tragetuch und begann zu schreien. Dan nestelte sie aus dem Tuch und wiegte sie im Arm zärtlich hin und her. „Verzeih, Süße, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen“, meinte er, bevor er sie an Fay weiterreichte. Fay nahm ihm das Baby ab, das sofort nach ihrer Brust suchte. Die beiden setzten sich auf die Couch, und Dan machte sich in der Küche zu schaffen, solange Fay stillte. Später, als er nach ihr schauen wollte, entdeckte er, dass Fay eingeschlafen war. Das Baby lag in ihrer Armbeuge und schlief ebenfalls. So vorsichtig wie möglich nahm Dan die Kleine vom Sofa und strich ihr über den Rücken, damit sie aufstoßen konnte. Fay rührte sich nicht. Dan beugte sich hinunter und verdeckte die nackte Brust mit der Bluse. Für den Bruchteil einer Sekunde flatterten Fays Lider. Dan strich Marie so lange über den Rücken, bis sie aufgestoßen hatte. Dann
wechselte er ihr die Windeln, wickelte sie in eine Decke und nahm sie mit nach draußen. Er setzte sich auf die Veranda und platzierte sie auf seinen Knien, so dass sie ihn anschauen konnte. Leise begann er mit ihr zu sprechen. „Du schaust mich mit deinen großen blauen Augen an, als würdest du jedes Wort verstehen“, meinte er schließlich. In ihren Mundwinkeln zeigte sich ein zaghaftes Lächeln. Sein Herz schmolz dahin. Kurze Zeit später fielen ihr die Augen zu. Sanft schaukelte er sie hin und her und sang leise vor sich hin. „Schlaf, Kindchen, schlaf… dein Vater…“ Plötzlich erinnerte er sich genau. Es war das Schlaflied, das seine Mutter immer gesungen hatte, als Megan noch ein Baby war. Erschrocken brach er ab, trug Marie eilig in die Hütte und legte sie in die Wiege. Seit vielen Jahren hatte er jeden Gedanken an seine Mutter entschlossen unterdrückt. Bis Fay aufgetaucht war. Besser, du verkneifst es dir, Marie Schlaflieder vorzusingen und dich zu allem Überfluss auch noch Vater zu nennen, schalt er sich ärgerlich. Du bist nicht ihr Vater. Und denk dran: Das Baby und seine Mutter werden in ein paar Wochen sowieso verschwunden sein. Voller Panik wachte Fay auf. Wo ist Marie? Ich habe sie gestillt, und dann… Beruhigt stellte sie fest, dass das Baby in der Wiege lag und schlief. Aber wer hat sie dort hineingelegt? Es muss Dan gewesen sein, überlegte sie, wenn ich aufgestanden wäre, hätte ich den BH geschlossen und die Bluse zugeknöpft. Schluss mit der Grübelei. Sie setzte sich auf. Dan war nirgends zu sehen. Sie lauschte angestrengt und hörte, dass draußen jemand Holz hackte. Prima, dachte sie. Was geht es ihn an, dass ich mich geärgert habe. Über mich selbst. Weil er Recht gehabt hat, mich schlafen zu lassen. Sie lächelte Dan an, als er mit Feuerholz unter dem Arm die Hütte betrat. „Du hattest Recht. Es tut gut, ein bisschen geschlafen zu haben. Danke, dass du Marie vor mir gerettet hast. Wer weiß, vielleicht hätte ich sie mit meinem Gewicht erdrückt. Es war das erste Mal, dass ich mit ihr im Arm eingeschlafen bin.“ „Sie lag sicher zwischen deinem Bauch und der Sofalehne“, erklärte er. „Aber ich glaube, es hat ihr trotzdem gefallen, dass ich sie erlöst habe. Ich habe zwei Belohnungen bekommen. Zuerst hat sie prächtig aufgestoßen.“ Er warf das Feuerholz in die Kiste neben dem Kamin. „Zweitens hat sie gelächelt. Erzähl mir nicht, dass ich es mir nur eingebildet habe“, wehrte er ab, bevor sie ein Wort sagen konnte. „Ich weiß, wann jemand lächelt und wann nicht.“ „Das darf nicht wahr sein“, jammerte Fay, „ich habe ihr erstes Lächeln verpasst!“ „Jetzt wo die Kleine weiß, wie man es macht, wird sie dir ihr zweites Lächeln schenken“, tröstete Dan. Fay war froh, dass ihr Ärger sich in Luft aufgelöst hatte. „Ich muss zugeben, dass Marie eine gute Wahl getroffen hat“, meinte sie. „Ein Laie, der sie entbindet, der sie badet, ohne dass sie Wasser schluckt, und ihr die Windeln wechselt, ohne sie mit der Nadel zu pieksen… kein Zweifel, der Mann hat ihr erstes Lächeln verdient.“ Nach dem Abendessen schlug Dan vor, ein Gesellschaftsspiel zu spielen. „Scrabble“, sagte Fay. „Heute ist mein Tag. Ich werde haushoch gewinnen.“ „Das klingt ja ziemlich überzeugt“, meinte Dan und lachte spöttisch, während er das Spiel auspackte. Sie ignorierte seinen Spott, sortierte ihre Buchstaben und legte das Wort LOVER. Aus dem L machte Dan LUST. Ihre Blicke kreuzten sich. Verschmitzt grinsten sie sich an. Sie spielten noch eine Weile. Mal übernahm Dan die Führung, mal lag sie vorn, aber als er die Punkte schließlich zusammenzählte, hatte sie eindeutig mehr als
er. „Ja!“ jubelte sie und sprang auf. „Gewonnen!“ „Genau wie du vorhergesagt hast“, stimmte er zu, stand ebenfalls auf und ging zu ihr hinüber. „Du hast dir deine Belohnung verdient.“ Stürmisch schlang sie die Arme um ihn, und er erwiderte ihre Umarmung. „Du musst dich auf den Bauch legen, um deine Belohnung zu bekommen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Sein warmer Atem an ihrem Ohr löste ein angenehmes Prickeln in ihr aus. Rasch gehorchte sie ihm und legte sich hin. „Rück ein bisschen zur Seite, so dass ich mich auf die Kante setzen kann.“ Plötzlich spürte sie, wie seine Hände über ihren Rücken glitten. „Du hast eine erstklassige Rückenmassage verdient.“ „Du bist nicht nur Cop, sondern auch noch Masseur?“ fragte sie erstaunt. „Nein. Aber im College hatte ich eine Freundin, die eine Ausbildung als Physiotherapeutin gemacht hat“, erklärte er. „Sie hat mir ein paar Dinge beigebracht. Wusstest du zum Beispiel, dass es unterschiedliche Rückenmassagen gibt?“ Seine Daumen ruhten ganz leicht auf ihrer Wirbelsäule, während die Handflächen sanft an den Muskeln rechts und links der Wirbel entlangfuhren. Schließlich war er bei den Schultern angekommen und strich dann die Muskeln nach den Seiten aus. „Das hier ist eine Entspannungsmassage. Eine schwedische Massage zum Beispiel ist dazu da, den Muskeltonus zu erhöhen.“ Dans Streicheleien fühlten sich unglaublich gut an. Nach ein paar Minuten hatte sie das Gefühl, sich in einem Zustand vollkommener Entspannung zu befinden. Sie fühlte sich so leicht und schwerelos, dass sie fast schon befürchtete, von der Couch zu rollen, ohne es zu bemerken. „Wenn ich das nächste Mal gewinne, bekomme ich dann wieder eine Rückenmassage?“ murmelte sie. „Ich könnte dir auch den Fuß massieren“, schlug er vor. Sofort stellte sie sich vor, wie Dans Finger über ihre Zehen und über ihre Knöchel strichen, um dann langsam ihre Unterschenkel hinaufzugleiten. Über ihre Knie und ihre Oberschenkel… Obwohl die Vorstellung nicht ganz passte, denn die Rückenmassage hatte keinerlei Lustgefühle in ihr ausgelöst. Bis jetzt, als sie sich ihrer Fantasie hingab. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie kurz davor er war, ihre Brust zu berühren, wenn er die Muskeln nach den Seiten hin ausstrich. Und wie wohlig es sich anfühlte, wenn er die Hände kurz auf ihrem Po liegen ließ, bevor sie sich wieder an der Wirbelsäule entlangtasteteten. Wenn das so weitergeht, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf, dann bin ich in null Komma nichts rettungslos verloren. Sie nahm alle Willenskraft zusammen. „Danke, Dan. Ich glaube, ich bin jetzt entspannt genug.“ Er nahm seine Hände fort, setzte sich auf den Stuhl neben der Couch und schaute sie herausfordernd an. „Die Abmachung gilt auch umgekehrt. Das nächste Mal gewinne ich, und dann musst du mir den Rücken massieren.“ Fay schüttelte den Kopf. „Ob du gewinnst oder nicht, es käme aufs Gleiche heraus. Ich habe nämlich noch nie im Leben jemandem den Rücken massiert. Außerdem…“ Sie zögerte, entschloss sich dann aber doch, die Karten auf den Tisch zu legen. „Es fällt mir schwer, andere Menschen zu berühren.“ „Auch Freunde?“ „Klingt blöd, ich weiß“, gestand sie ein. „Es muss daran liegen, dass meine Eltern auch nicht besonders körperfreundlich waren. Als Kind habe ich nie gelernt, dass manche Berührungen einfach harmlos und schön sind.“ „Dann kannst du gern an mir üben“, erklärte Dan verständnisvoll. „Es ist wirklich
nichts dabei, einem Freund den Rücken zu massieren. Wo wir gerade davon sprechen… vorhin hast du mich stürmisch umarmt. Zählt das denn gar nicht?“ „Nein, das ist was anderes. Wenn ich mich über irgendwas riesig freue, dann umarme ich auch den Menschen, der zufällig neben mir steht. Ganz spontan.“ „Das geht mir nicht anders“, bestätigte er. „Ich überlege auch nicht lange vorher, ob ich meinem Freund auf die Schulter klopfe oder ob ich es besser bleiben lasse.“ „Ich würde mich wohler fühlen, wenn ich auch so damit umgehen könnte wie du“, seufzte Fay schließlich. „Vielleicht gab es zwischen deinen Eltern mehr Zärtlichkeit.“ Unvermittelt schoss Fay durch den Kopf, dass Dans Mutter ihren Ehemann von heute auf morgen ohne ein Wort verlassen hatte. Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen, aber das würde auch nichts mehr helfen. Also wechselte sie das Thema. „Morgen gehen wir essen, stimmt’s?“ Dan nickte. „Hoffentlich muss ich mich nicht schick machen“, meinte sie nachdenklich. „Meine alten Kleider passen mir immer noch nicht. Ein hoffnungsloser Fall. Ich leide unter Anämie und habe immer noch ein paar Pfund zu viel auf den Rippen. Ich war mal richtig schlank…“ „Schlank?“ unterbrach er. „Schlank heißt dürr. Schrecklich.“ „Ich war nicht dürr. Bei Gelegenheit zeige ich dir Fotos.“ Sie hielt inne, als ihr einfiel, dass sie die Fotos zu Hause in Archer aufbewahrte. „Wir müssen den Film in der Kamera zu Ende knipsen. Wie viele Bilder sind eigentlich noch drauf?“ „Sechs. Morgen soll es regnen. Lass uns doch warten, bis wir bei Megan sind, sie kann dann ein paar Aufnahmen von uns beiden machen, wenn wir Marie bei ihr abliefern.“ Das Baby weinte. Dan stand auf, nahm Marie aus der Wiege und flüsterte beruhigend auf sie ein, während er sie zum Tisch trug und ihr die Windeln wechselte. Sie musste daran denken, dass sie in ein paar Wochen nicht mehr bei ihm sein würde. Obwohl Dan und sie in derselben Stadt leben würden, würde ihr Verhältnis sich vollkommen verändern, sobald sie aus der Hütte auszog. Der Gedanke machte ihr Angst. Was war das? Nistete sich die Sehnsucht in ihrem Herzen ein?
7. KAPITEL War es wegen des Regens oder trotz des Regens, dass Fay sich am Freitag auf das Dinner freute? Dan hatte ihr versichert, dass sie sich nicht schick zu machen brauchte. Die Kleider, die sie vor der Schwangerschaft getragen hatte, waren ihr zwar immer noch zu eng, aber sie fühlte sich schon viel besser. Ein Blick in den Badezimmerspiegel verriet ihr, dass die Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt war, und der ausgestellte goldgelbe Kragen ihrer Bluse verdeckte, dass sie noch immer Schwangerschaftsmode trug. Mit ein bisschen Makeup sah sie schon fast so aus wie früher. . Dan warf ihr einen bewundernden Blick zu, als sie das Wohnzimmer betrat. „Hoffentlich hast du nicht geschwindelt, als du von dem fantastischen Blick aus dem PanoramaFenster berichtet hast“, warnte sie ihn. „Ich verspreche mir viel davon.“ Es nieselte nur noch, als sie bei Megan ankamen und Marie bei ihr ablieferten. Fay hatte Bedenken, das Baby einen Abend lang in fremde Hände zu geben, aber sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass Megan immer noch Dr. Bruce anrufen konnte, wenn es Schwierigkeiten gab. Auf der Fahrt zum Restaurant beschäftigte sie sich unablässig damit, dass ihrem Kind etwas zustoßen könnte. Stopp! schalt sie sich schließlich. Wie willst du jemals wieder arbeiten gehen, wenn du überzeugt bist, dass außer dir nur Dan sich um die Kleine kümmern kann? Sie hoffte, dass der Blick aus dem PanoramaFenster des rustikalen Restaurants ihre Sorgen zerstreuen würde. Das Gebäude lag versteckt unter hohen Nadelbäumen. Wie alle Häuser in der Wildnis war es aus Holz gezimmert. Es war noch früh, als sie ankamen, aber die Plätze in der Gaststube waren trotzdem schon zur Hälfte besetzt. Dan bestellte ein Bier, nachdem sie sich hingesetzt hatten. Fay hielt sich an Mineralwasser, solange sie stillte. Das PanoramaFenster erstreckte sich fast über die gesamte Rückwand des Restaurants. Draußen strahlte mildes Scheinwerferlicht den dichten Baumbestand an und gab die Lichtung zu erkennen. Fay hob fragend die Augenbrauen. „Noch nicht. Warte ab“, meinte Dan. Der Fisch war köstlich. Das galt auch für die Chips. Sie hatte schon fast aufgegessen, als sie glaubte, draußen vor dem Fenster einen Mann gesehen zu haben, der etwas hinwarf und schnell wieder verschwand. Sollte das die Überraschung sein? Sie trank das Glas Milch aus. Erschrocken verschluckte sie sich, als eine riesige schwarze Gestalt aus den Pinien heraustrat und auf die Hütte zustapfte. „Ein Bär“, stieß sie hustend hervor. „Das ist ein Bär.“ Dan nickte. „Ist er zahm?“ wollte sie wissen. Das Tier war unglaublich groß, wirkte aber zugleich unbeholfen und tapsig. In der Mitte der Lichtung hielt es inne und verschlang das, was der Mann dort hingeworfen hatte. „Nein. Nicht die Spur. Aber der Besitzer hat eine Art Vertrag mit ihm geschlossen. Jeden Abend um dieselbe Zeit wirft er ihm die Reste an die gleiche Stelle. Zum Ausgleich verschont der Bär seine Wohltäter. Bedingte Konditionierung nennt man das. Bären sind sehr intelligent, wenn es ums Futter geht.“ Der Anblick des fressenden Bären faszinierte Fay. Das Tier schien seine Umgebung vollkommen vergessen zu haben und nahm nur noch das Futter wahr. „Was für eine tolle Überraschung“, freute sie sich. Als der Abend schließlich vorüber war und sie Danny Marie wieder bei Megan abholten, versicherte Dans Schwester, dass das Baby sich rundum wohl gefühlt
hatte. „Zuerst mochte sie den Schnuller an der Flasche nicht“, berichtete Megan. „Aber sie hat sich schnell daran gewöhnt. Was für ein süßes Baby.“ „Es war ein schöner Abend“, meinte Fay, als sie mit Dan wieder bei der Hütte angekommen war. „Danke für das Essen. Und für die Überraschung.“ „Freut mich, dass es dir gefallen hat“, meinte Dan. „Für eine Frau wie dich muss es verdammt hart sein, hier in der Hütte zu wohnen.“ Seine Worte gingen ihr noch durch den Kopf, als sie schon längst auf der Couch lag. Offenbar hatte Dan keinen Schimmer, was sie wirklich dachte und fühlte. Aber wie sollte er auch, wenn sie es selbst noch nicht einmal wusste? Nach ein paar Tagen hatte es endlich aufgehört zu regnen. Die Sonne schien, und Tag für Tag wurde es wärmer. Dan hatte einen Abschleppwagen organisiert, der Fays Schrottauto auflud und entsorgte. Danach war die Zeit für Fay wie im Fluge vergangen. Sie war völlig überrascht, als Dan sie eines Tages an den Termin zur Nachsorgeuntersuchung bei seinem Bruder Bruce erinnerte. „Ist es schon so weit?“ platzte sie heraus. „Hast du in letzter Zeit gar nicht in den Spiegel geguckt?“ fragte er zurück. Doch, dachte sie. Aber sie hatte nicht wahrhaben wollen, dass sie wieder gesund und kräftig aussah. Weil sie wusste, dass ihre Zeit bei Dan dann unwiderruflich abgelaufen war. Sogar das Bett ihrer Fingernägel schimmerte wieder rosarot. Ein untrügliches Zeichen, dass ihr Blut wieder in Ordnung war. Wenn ihre Prognose stimmte, dann musste sie abreisen. Nach Hause. Nicht zurück in die Hütte, sondern in ihre Wohnung in Archer. Es war eine schöne gemütliche Wohnung in einem großen alten Haus in der Stadt, das einer freundlichen verwitweten Dame gehörte. Clara Monroe bewohnte den übrigen Teil des Hauses. Fay liebte ihre Wohnung, und sie verstand sich ganz ausgezeichnet mit Clara. Trotzdem bedrückte sie der Gedanke, Dan verlassen zu müssen. „Du bist ziemlich still heute“, meinte er auf dem Weg in die Stadt. Sie entschied sich, ihm den wahren Grund zu verschweigen. „Du hast mir gar nicht verraten, ob mir die Abschleppfirma einen Leihwagen zur Verfügung stellt. Wie soll ich nach Hause kommen, wenn dein Bruder mich wieder gesundgeschrieben hat?“ „Mit meinem Pickup. Ich fahre dich nach Archer.“ „Aber… ist dein Urlaub schon zu Ende?“ Unschlüssig zuckte er die Schultern. „Solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, kann ich auch irgendwelchen Schreibkram erledigen. Lange kann es nicht mehr dauern. Es ist jedenfalls nicht nötig, dass du dein Schicksal herausforderst, indem du mit einem Baby über den Highway jagst, wenn ich in dieselbe Stadt fahre.“ Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Schweigend gestand sie sich ein, dass sein Angebot sie sogar erleichterte. Bei Dr. Bruce stellte sich heraus, dass Fay mit ihrer Prognose richtig gelegen hatte. „Es freut mich, dass es Ihnen wieder viel besser geht“, begann der Arzt. „Ihr Blutstatus befindet sich wieder innerhalb der Grenzwerte. Wenn Sie mir den Behandlungsschein unterschreiben und sich einverstanden erklären, schicke ich den Bericht über Sie und Ihre Tochter an Ihren Hausarzt in Archer. Sie sollten Ihren Arzt so schnell wie möglich aufsuchen und mit ihm besprechen, wie lange Sie Ihr Kind stillen wollen und wann Sie wieder Sex haben dürfen. Habe ich richtig verstanden, dass Dan Sie nach Archer bringt?“ Missbilligend zog Bruce die Augenbrauen hoch. Sie nickte und fragte sich insgeheim, was er dagegen einzuwenden hatte. Bruce lächelte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich. „Dan hat Ihnen bei der Geburt assistiert wie ein Profi. Ich
habe ihn gebeten, darüber nachzudenken, ob er seinen Job bei der Polizei nicht besser an den Nagel hängt und Medizin studiert. Wissen Sie was? Er ist einverstanden. Wenn ich den Arztkittel an den Nagel hänge und zur Polizei gehe.“ Fay lächelte ebenfalls. „Dan hat mir das Leben gerettet“, betonte sie. „Und das meiner Tochter auch. Wenn ich nur wüsste, wie ich mich dafür revanchieren kann.“ Bruce warf ihr einen rätselhaften Blick zu. „Am besten, Sie versuchen es gar nicht erst.“ Wollte er sie warnen? Fay dachte immer noch über die Worte nach, als Dan mit ihr zu Megan fuhr, damit sie sich von seiner Schwester verabschieden konnte. „Ich habe gerade einen neuen Film eingelegt“, meinte Megan. „Ich würde gern ein Erinnerungsfoto von euch beiden mit dem Baby machen. Kaum zu glauben, wie sehr sie schon gewachsen ist!“ Schließlich wollten Dan, Fay und Marie sich verabschieden. Megan strich Marie über die Wange, umarmte Fay und zum Schluss auch Dan. „Mach dir keine Sorgen wegen der Hütte“, meinte sie zu ihm. „Ich fahre am Wochenende hoch und putze sie gründlich. Ich habe ja einen Schlüssel.“ Fay wollte protestierten, aber Dan schaute sie an und schüttelte energisch den Kopf. Sie bedankte sich nochmals und ging mit Dan zum Wagen. Dan ergriff das Wort. „Es macht überhaupt keinen Sinn, ihr zu widersprechen, wenn sie die Hütte putzen will“, erklärte er. „Ihre fürsorgliche Ader geht manchmal mit ihr durch. Schon seit…“ Unvermittelt brach er ab. „Megan nervt uns alle damit, aber sie regt sich fürchterlich auf, wenn man ihr widerspricht.“ Schon seit eure Mutter verschwunden ist? ergänzte Fay und seufzte leise. Die arme Megan. Sie fühlte sich gezwungen, ihnen die Mutter zu ersetzen, obwohl sie selbst ihre Mutter vielleicht noch mehr vermisst hat als ihre Brüder. Schließlich war sie das einzige Mädchen. „Es wird Zeit, dass ich mein altes Leben wieder aufnehme“, meinte Fay mehr zu sich selbst als zu Dan. „Das Leben in der Hütte kommt mir vor wie das Leben auf einem anderen Stern. Es ist eine Traumwelt.“ Dan schwieg eine Weile. „Manchmal glaube ich auch, dass die Upper Peninsula nicht von dieser Welt ist.“ „Ja, genau…“ Sie wusste nicht genau, wie sie sich ausdrücken sollte. „Trotz allem freue ich mich darauf, bald wieder zu arbeiten.“ Entsetzt schaute er sie an. „Und wer kümmert sich um Peanut?“ „Meine Vermieterin Mrs. Monroe. Sie hat sich schon angeboten, als ich noch schwanger war.“ „Wie alt ist sie denn?“ wollte Dan wissen. „Kann sie überhaupt mit einem Säugling umgehen?“ Was für eine Anmaßung, schoss es ihr durch den Kopf. Wie kommt er dazu, meine Entscheidung anzuzweifeln? „Clara Monroe hat drei Kinder erfolgreich großgezogen. Jetzt ist sie fünfundsechzig und platzt vor Energie und Tatkraft.“ Dan schimpfte leise vor sich hin, verkniff sich aber jeden weiteren Kommentar. Für das letzte Abendessen in der Hütte wärmten sie die Reste auf, die im Kühlschrank lagen. Anschließend stillte Fay ihre Tochter und legte sie dann zum Schlafen in die Wiege. Wie üblich hatte Dan sich zurückgezogen, während sie stillte. Seit der Nacht, in der sie Walzer getanzt hatten, war die Stimmung zwischen ihnen angespannt geblieben. Natürlich waren sie immer noch Freunde, aber es war etwas Neues hinzukommen. Abgesehen von der Rückenmassage hatte er sie nicht mehr angefasst. Das galt umgekehrt genauso. Es ist besser so, dachte sie, aber das hinderte sie nicht daran, es zu bedauern.
Nachdem sie Danny Marie versorgt hatte, suchte sie Dan. In der Hütte war er nirgends zu finden. Sie trat auf die Veranda und sog die Nachtluft tief in die Lungen. Der Duft erinnerte sie an die rosa blühende Kriechheide, die Dan ihr bei einem ihrer Waldspaziergänge gezeigt hatte. Keine Waldspaziergänge mit Dan mehr, dachte sie wehmütig. Nie wieder wird es so schöne Spaziergänge geben. Eine dunkle Gestalt trat aus dem Gehölz heraus. Im Mondlicht konnte sie erkennen, dass es sich um Dan handelte. Sie beobachtete, wie er schweigend auf die Veranda zukam und die Stufen hinaufstieg. Die ganze Zeit über ging ihr durch den Kopf, dass sie zum letzten Mal auf der Veranda stand und ihn auf sich zukommen sah. Trotzdem rührte sie sich nicht von der Stelle und sagte kein Wort. Er stellte sich hinter sie. So dicht, dass sie seinen Atem in ihren Haaren spürte. So dicht wie möglich, ohne ihn zu berühren. Aber sie wollte, dass er sie berührte. Sie brauchte es. Ein letztes Mal. Absichtlich machte sie einen Schritt nach hinten und schloss die Augen, als seine Arme sich um ihre Hüften schlangen und sein Körper sich gegen ihren lehnte. Schweigend harrten sie aus. „Du hast die Upper Peninsula eine Traumwelt genannt“, murmelte er schließlich. „Dieser Abend kommt mir wirklich vor wie ein Traum.“ Mit aller Macht bekämpfte sie den Impuls, sich umzudrehen und ihm in die Augen zu schauen, seine Lippen auf ihren zu spüren und ihn… ihn zu begehren. Nichts anderes wollte sie in diesem Moment. Erregt schmiegte er sich an sie, und sie wusste, dass das Verlangen sie beide überwältigen würde, wenn sie sich nicht schleunigst von ihm entfernte. „Ich wünschte…“, begann sie, sprach aber nicht zu Ende. „Ich auch“, flüsterte er ihr ins Ohr. Zärtlich schmiegte sie sich an ihn. Er trat zurück, ohne sich von ihr zu lösen. Ein paar Sekunden später strich er über ihre Schultern, drehte sie herum und bat sie stumm, sich zu ihm auf die Verandatreppe zu setzen. Gedankenverloren saßen sie nebeneinander, bis Fay das Schweigen brach. „Ab morgen gehen wir wieder jeder unseren eigenen Weg.“ „Es ist ein Jammer, dass du so schnell schon wieder arbeiten willst“, meinte er und hielt den Blick stur auf die Bäume gerichtet. „Marie ist doch noch so klein. Du könntest mehr Zeit mit ihr verbringen.“ „Ich werde nur Teilzeit arbeiten“, versicherte sie. „Aber vergiss nicht, ich bin selbstständige Unternehmensberaterin. Es wäre fatal, wenn der Kontakt zu meinen Kunden abreißt.“ „Das streite ich gar nicht ab“, erwiderte Dan und schaute sie an. „Aber Babys brauchen nun mal ihre Mutter.“ Langsam kroch der Ärger in ihr hoch. „Deswegen werde ich so viel Zeit wie möglich mit meiner Tochter verbringen“, schnappte sie. „Aber ich bin nun mal allein erziehend und kann es mir nicht leisten, meine Firma zu vernachlässigen.“ Als er schwieg, spielte sie ihren höchsten Trumpf aus. „Manchmal bist du wie mein Vater.“ „Ach, wie dein Vater?“ Seine Stimme war zwar ruhig, aber sie wusste, dass sie ihn getroffen hatte. „Na ja, nicht ganz“, schwächte sie ab. „Aber mein Erfolg beruht auf Mundzu MundPropaganda. Denk dran, dass mir nicht jeden Monat ein Gehaltsscheck ins Haus flattert.“ „Wie könnte ich vergessen, dass ich eine erfolgreiche Karrierefrau vor mir habe.“
Das klang harmloser, als es gemeint war. Der Ton macht die Musik, dachte sie.
Der nächste Satz kam ihr wütender über die Lippen, als sie beabsichtigt hatte.
„Es gibt nun mal Menschen, die wollen aus ihrem Leben das Beste machen.“
„Und es gibt Menschen, denen ist es wichtiger zu wissen, wo sie zu Hause sind“,
entgegnete er eisig.
„Wie mein Vater?“
„Fängst du schon wieder an, mich mit deinem Vater zu vergleichen?“
Der Kerl ist unmöglich, dachte sie grimmig. „Höchste Zeit, endlich ins Bett zu
gehen.“ Kurzerhand schnitt sie das Gespräch ab. „Getrennt.“
„Wie sonst?“ Er stand auf, trat hinaus in das Mondlicht und ließ sie allein auf der
Veranda zurück.
Schweigend saßen sie am nächsten Morgen am Tisch und frühstückten
gemeinsam. Dan hat Recht, dachte Fay. Es gibt nichts mehr zu sagen. Nach dem
Frühstück stillte sie Marie, während er die Küche aufräumte. Anschließend wurde
es Zeit, die restlichen Sachen einzupacken und sie in den Pickup zu laden. Als
Dan mit der Küche fertig war, trug er die Wiege zum Wagen.
„Fahren wir noch bei Megan vorbei, um die Wiege abzuliefern?“ wollte Fay
wissen.
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Wir wollen sie dir schenken. Bruce und Megan sind
einverstanden.“
„Aber es ist ein Familienstück“, wandte sie überrascht ein. „Es gehört den
Sorensons.“
„Wir möchten es an dich weitergeben“, beharrte er.
„Was für ein wundervolles Geschenk.“ Rasch drehte sie sich zur Seite, damit er
nicht sehen konnte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Marie war hinten im Wagen festgeschnallt, und Fay saß auf dem Beifahrersitz und
wartete. Dan gönnte sich noch eine Minute, sog den frischen Pinienduft tief in die
Lungen und ließ den Blick gedankenverloren durch die Gegend schweifen, bevor
er sich hinters Steuer klemmte.
„Wir sind unterwegs“, meinte er, nachdem er das Grundstück verlassen hatte.
Fay schwieg, bis sie schon fast in Evergreen Bluffs waren. „Die Fotos“, platzte sie
dann heraus. „Wir haben die Fotos vergessen.“
„Nein, ich habe gestern dran gedacht. Sie stecken noch im Handschuhfach.“
Sie klappte das Fach auf und zog zwei Umschläge heraus. „Schön“, meinte sie.
„Für jeden ein Umschlag.“
Großartig, schimpfte er insgeheim. Megan wird meinen Umschlag postwendend
zurückbekommen.
Fay sah die Bilder durch. „Ist sie nicht süß?“ entfuhr es ihr, und: „Hier siehst du
aber ziemlich grimmig aus.“ Dan verweigerte jeden Kommentar, bis auch sie
verstummte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sie die Fotos traurig in
den Umschlag zurücksteckte und ins Handschuhfach stopfte.
Als sie in Archer ankamen, war er so mürrisch, dass er sich nicht traute,
überhaupt noch den Mund aufzumachen. Fay bat ihn in seine Wohnung, und
nachdem sie Marie mit ihrem Sitz sicher abgestellt hatten, half er ihr beim
Ausladen. Auf dem Weg in Fays Wohnung begegnete er Mrs. Monroe.
„Mr. Sorenson ist ein guter Freund“, erklärte Fay ihrer Vermieterin.
Er grüßte die grauhaarige alte Dame freundlich und trug die letzten Sachen in die
Wohnung. Mrs. Monroe war bereits wieder gegangen. Krampfhaft unterdrückte
Dan das Bedürfnis, das Baby noch ein letztes Mal im Arm zu halten, und wandte
sich an Fay. „Auf Wiedersehen“, presste er heiser hervor.
Sie schaute ihn aus ihren braunen Augen an. Das Bedürfnis, sie zu umarmen, sie
an sich zu ziehen, wurde schier unerträglich. Wortlos verließ er ihr Apartment.
Und auch ihr Leben. Davon war er felsenfest überzeugt.
8. KAPITEL Warum ruft Dan nicht an? fragte Fay sich in den nächsten Tagen, während sie überlegte, zu welchem ihrer Stammkunden sie zuerst wieder Kontakt aufnehmen sollte. Ein Anruf ist doch wohl nicht zu viel verlangt. Sie ärgerte sich schwarz, dass er in der Lage war, ihre gemeinsamen Wochen in der Hütte so schnell zu vergessen. Glaub ja nicht, dass ich dich vermisse, wenn du es noch nicht einmal für nötig hältst, dich nach dem Baby zu erkundigen, schimpfte sie wütend vor sich hin. Höchste Zeit, endlich wieder in den Beruf zurückzukehren. Sie entschied sich, den Unternehmer anzurufen, dessen Auftrag sie in den letzten Schwangerschaftswochen hatte ablehnen müssen, weil der Termin zu knapp gesetzt worden war. Wenn er mich noch engagieren will, überlegte sie, es wäre ideal, zumal seine Firma nicht weit von hier entfernt liegt. „Gratuliere zur Geburt Ihrer Tochter“, meinte er, „nein, ich habe noch niemanden mit Ihrer Qualifikation gefunden. Und mit Ihrem Ruf. Sie arbeiten schnell und zuverlässig. Ich freue mich, dass Sie mich anrufen. Der Job gehört Ihnen.“ „Siehst du“, sagte Fay zu Danny Marie, nachdem sie aufgelegt hatte, „deine Mommy ist immer noch die Nummer eins.“ Anschließend rief Fay bei Clara Monroe an, um die Betreuung für das Baby zu organisieren. „Ich brenne darauf, die Kleine zu versorgen“, freute Clara sich. „Meine Enkel sind schon lange aus dem Säuglingsalter heraus. Mir fehlt das sehr. Komm doch einfach rüber zu Kaffee und Kuchen, dann können wir alles Weitere besprechen.“ Obwohl Fay ihrer Vermieterin hundertprozentig vertraute, hatte sie doch Bedenken, als sie zwei Tage später in das nahe gelegene Unternehmen fuhr. Drei Flaschen Milch standen im Kühlschrank. Das war also kein Problem. Aber was, wenn Danny Marie plötzlich krank wurde? Clara besitzt eine Liste von Kinderärzten, beruhigte sie sich. Außerdem ist sie mit den Krankheiten ihrer eigenen Kinder und Enkel auch gut zurechtgekommen. Aber wenn Danny Marie merkt, dass sie von einer fremden Person versorgt wird, und in Panik gerät? Unwahrscheinlich. Sie hat Clara vom ersten Moment an akzeptiert. Aber was, wenn… Stopp! befahl sie sich. Clara ist eine liebenswerte und aufmerksame alte Dame. Es wird nichts schief gehen. Danny Marie wird nichts fehlen. Als sie das nächste Mal zur Arbeit fuhr, fiel es ihr schon leichter, das Baby bei Clara zu lassen. Aber im Lauf der Zeit stellte Fay fest, dass ihr die Arbeit bei weitem nicht so viel Befriedigung verschaffte wie früher. Sie vermisste ihr Baby. Und sie vermisste Dan. Er hatte immer noch nicht angerufen. Ihr Vater hatte sich gemeldet und sie gefragt, ob es ihr gut ginge. Sie hatte die Nummer von Aunt Marie auf der Ansage hinterlassen. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass sie nicht zu Hause war. Fay war sich sicher, dass er gar nicht versucht hatte, sie bei ihrer Tante zu erreichen. Bestimmt glaubte er, dass sie sich in Duluth aufhielt. Kein Grund, ihn zurückzurufen. Sie war noch nicht bereit dazu. Vielleicht würde sie das auch niemals sein. Und auf gar keinen Fall hatte sie die Absicht, jemals wieder zu Dan Kontakt aufzunehmen. Am zehnten Tag im Büro wurde Dan langsam verrückt. Sein Chef hatte ihm hinter vorgehaltener Hand berichtet, dass die internen Ermittlungen zu seinen Gunsten abgeschlossen worden waren und dass er ab Montag wieder in den regulären Dienst zurückkehren durfte. Nichts hatte er sich sehnlicher gewünscht.
Er hatte noch nie gern auf der Wache gearbeitet. Aber das war nicht sein größtes Problem. Wenn die Arbeit interessanter war, musste er nicht so viel an Fay und das Baby denken. Wenn er nur im Geringsten geahnt hätte, dass die beiden ständig in seinem Kopf herumspuken würden… Wegen seiner Rückkehr in den regulären Dienst am Montag hatte er eine Menge Papierkram zu erledigen. Er brauchte die Notizen, die er sich damals über den Fall gemacht hatte, bevor er in die Schießerei verwickelt worden war. Aber er konnte sie einfach nicht finden. Fieberhaft durchsuchte er sein Büro, sein Apartment und das Polizeiauto, das er immer benutzte. Nichts. Am Mittwoch fiel ihm plötzlich ein, wo die Notizen waren. Er hatte sie in das Handschuhfach des Pickups gesteckt, mit dem er zur Upper Peninsula gefahren war. Nach Dienstschluss schaute er nach. Das Notizbuch fand er tatsächlich im Handschuhfach, und als er es herausziehen wollte, fielen die Umschläge mit den Fotos zu Boden. Er hob sie auf, und die Bilder fielen heraus. Fay lächelte ihn an. Fluchend griff er nach den Fotos und dem Notizbuch, eilte in sein Apartment und schlug die Tür krachend zu. Er hatte sich fest vorgenommen, die Bilder sofort zu zerreißen und die Schnipsel in den Papierkorb zu werfen, aber stattdessen saß er am Küchentisch und breitete sie vor sich aus. Hier hat Fay behauptet, dass ich ziemlich grimmig dreinschaue, dachte er, als er seinen Blick über die Bilder schweifen ließ. Und sie hatte Recht. Immer wieder musste er hinschauen. Wie süß das Baby ist… Seufzend griff er zum Telefon. Mrs. Monroe ging an den Apparat. „Oh, ich erinnere mich gut an Sie“, grüßte sie freundlich. „Sie sind der Mann, der Fay wieder nach Archer gebracht hat. Sie ist noch zur Arbeit, aber sie muss jeden Augenblick wieder hier sein. Ich glaube, sie ist schon an der Tür…“ Gleich darauf kam Fay ans Telefon. „Dan?“ „Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht“, meinte er. „Wie ich höre, gehst du wieder arbeiten?“ „Du weißt ja, wie der Laden läuft“, entgegnete Fay kurz angebunden. „Ohne Arbeit kein Geld. Außerdem hat es mich nervös gemacht, immer nur zu Hause rumzuhocken.“ „Wie geht es dem Baby?“ „Marie kommt mit Clara gut zurecht.“ Ihr schnippischer Tonfall verriet ihm, dass sie sich über ihn ärgerte. „Schönes Wetter, findest du nicht?“ „Rufst du mich an, um mit mir über das Wetter zu diskutieren?“ „Wenn das Wetter nicht schön wäre, könnten wir uns nicht zu einem Picknick verabreden“, hielt er dagegen. „Irgendwo im Park. Marie findet es bestimmt toll.“ „Da… Marie ist noch viel zu klein, um zu begreifen, was passiert.“ „Falsch. Schon in den ersten Lebensmonaten nehmen Babys ihre Umgebung sehr aufmerksam wahr“, widersprach er wieder. „Im Moment arbeite ich montags, mittwochs und freitags. Dienstags und donnerstags brauche ich für den Haushalt. Und Sonntag soll es regnen.“ Verdammt, fluchte er in sich hinein. Du hättest dir die Wettervorhersage anschauen sollen. Aber Aufgeben kam nicht in Frage. „Dann am Samstag. Ich hoffe, dass ich nicht kurzfristig für einen Kollegen einspringen muss, hier auf der Wache.“ Sie zögerte. „Ich… ich bin ein bisschen überrascht, dass du mich anrufst.“ „Ich auch.“ Er hörte, wie sie auflachte. „Wenigstens bist du ehrlich.“ Fay verabschiedete sich und legte auf.
Fröhlich pfeifend schob er die Pizza in die Mikrowelle und befestigte ein Foto von
Fay und dem Baby mit einem Magneten an der Kühlschranktür.
Am Samstagmorgen wurde ihm gleich bei Dienstbeginn klar, dass er keine
Chance hatte, pünktlich Feierabend zu machen. Sobald er es einrichten konnte,
rief er Fay an. Wieder meldete sich Mrs. Monroe. „Fay ist Einkaufen gegangen.
Das Baby schläft, und ich passe so lange auf. Wenn Sie wüssten, wie
anstrengend es ist, mit einem Baby im Schlepptau…“
„Würden Sie ihr was ausrichten? Ich kann heute unmöglich hier weg…“
„Was für ein Jammer. Morgen soll es regnen… aber wissen Sie was?“ meinte Mrs.
Monroe. „Ich hasse es, allein zu essen, besonders am Sonntag. Sonntag ist
Familientag. Ich werde uns ein Hähnchen braten, und Sie und, Fay sind herzlich
eingeladen. Verlegen Sie Ihr Picknick doch einfach zu mir in die Wohnung…“
„Sehr freundlich, Mrs. Monroe, aber…“ Dan versuchte angestrengt, zu Wort zu
kommen.
„Sagen Sie einfach Clara“, unterbrach die Vermieterin wieder. „Jetzt weiß ich
endlich, woher Sie mir so bekannt vorkommen. Sie sind der Polizist, der von
diesem Dealer angeschossen worden ist. Ihr Foto war in der Zeitung. Ich würde
mich sehr freuen, wenn Sie zu mir zum Dinner kommen. Das ist doch das
Mindeste, was ich für Sie tun kann.“
Dan hatte keine Wahl und nahm die Einladung an.
„Gut. Ich erwarte Sie nachmittags um vier.“
Kopfschüttelnd legte er auf. Eigentlich hatte er Fay nur Bescheid sagen wollen,
dass er heute unabkömmlich war – und jetzt hatte er eine Einladung von Clara
Monroe zum Sonntagsdinner in der Tasche. Warum nicht?
Am verregneten Sonntagnachmittag war es Fay, die anstelle von Mrs. Monroe die
Tür öffnete. Sein Herz machte einen Hüpfer vor Freude, aber er überspielte seine
Gefühle dadurch, dass er ihr einen Blumenstrauß überreichte.
„Oh, die sind bestimmt für Clara“, freute sie sich. „Wie lieb von dir.“
Eigentlich waren sie für Fay gewesen, aber das behielt er jetzt besser für sich.
Clara kam aus der Küche und nahm die Blumen in Empfang.
„Mmmhh, das duftet ja köstlich“, meinte Dan freundlich. „Mir läuft direkt das
Wasser im Munde zusammen.“
„Komm, ich zeig dir das Baby“, sagte Fay und zog ihn fort.
Er folgte ihr ins Nebenzimmer, wo Marie in der Wiege lag und schlief. „Sie ist ja
schon wieder gewachsen!“ rief er erstaunt aus.
„Das haben Babys so an sich, musst du wissen.“
„Ja, aber so schnell?“
Krampfhaft versuchte er, seinen Blick von Fay zu lösen. Auch sie hatte sich in
den vergangenen zwei Wochen verändert. Noch nie hatte er sie in einem Kleid
gesehen, und ihre Haare hatte sie ebenfalls anders frisiert. Sie sah einfach toll
aus. Sexy.
„Und?“ fragte sie neugierig.
„Ich bin überwältigt.“ Das kam der Wahrheit jedenfalls sehr nahe.
Sie lächelte. „Das darf ich bezweifeln.“
„Wie wäre es mit beeindruckt?“ Er grinste.
„Kann man wohl sagen.“
Clara hatte sich in die Küche verzogen und kam mit einem Tablett wieder zurück,
auf dem drei geschliffene Gläser und eine Flasche Sherry standen. „Sherry“,
erklärte sie und stellte das Tablett auf den Tisch. „Vor dem Sonntagsdinner hat
meine Mutter immer Sherry serviert. Als die Kinder kamen, habe ich es mir
abgewöhnt, aber ich finde, heute ist eine wunderbare Gelegenheit, sich daran zu
erinnern. Oder möchten Sie etwas anderes?“
Dan verneinte. Die drei erhoben die Gläser und prosteten sich zu. „Auf das
Sonntagsdinner.“ Weil Fay noch stillte, tat sie nur so, als würde sie am Glas
nippen. Dan machte sich nichts aus Sherry, wollte Mrs. Monroe aber das
Vergnügen gönnen.
Marie begann leise zu weinen. Bevor Fay sich erheben konnte, sprang Dan auf
und eilte zur Wiege. Mit dem Baby auf dem Arm kam er zum Tisch zurück. „Hi,
meine Süße“, murmelte er leise. „Du hast mir sehr gefehlt. Ich dir auch? Du
warst einfach fort und bist ohne mich ein Stück gewachsen…“
Das Baby lächelte, als ob es jedes Wort verstanden hätte. „Ist das nicht süß?“
meinte Clara Monroe erfreut. „Die meisten Männer haben Angst, ein Baby auf
dem Arm zu halten. Wenn ihr mich entschuldigen wollt, ich muss nach den
Kartoffeln schauen.“
„Ich kann dir helfen“, bot Fay an.
Clara winkte ab. „Nicht nötig. Ich rufe euch, wenn ich das Essen auf den Tisch
stelle.“
Marie fing an zu schreien, und Dan gab sie an Fay weiter. „Hat sie Hunger?“
Fay schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe sie gestillt, bevor du gekommen bist. In
den letzten Tagen nimmt sie viel mehr Kontakt zu ihrer Umwelt auf. Wenn sie
Stimmen hört, will sie unbedingt mit von der Partie sein.“
Dan setzte sich aufs Sofa neben Fay und nahm das Baby wieder. „Was für ein
kluges Baby. Manchmal kommt es mir so vor, als würde sie sich an mich
erinnern.“
„Vergiss nicht“, erwiderte Fay, „du bist der erste Mann, den sie nach ihrer Geburt
gesehen hat.“
„Wie könnte ich das vergessen.“ Dan sprach leise und vermied Fays Blick. „Oder
dass wir…“
Fay schnitt ihm das Wort ab. „Es ist vorbei. Lass uns über was anderes reden.“
„Willst du die Akten schließen? Würdest du es so nennen?“
„Vielleicht“, meinte sie ausweichend.
„Wenn die Polizei einen Fall nicht lösen kann, dauert es Jahre, bis sie die Akten
schließt“, erklärte Dan. „Und damit haben wir beide es zu tun. Mit einem
ungelösten Fall.“
„Essen ist fertig!“ rief Clara aus der Küche.
Abrupt sprang Fay auf und rannte so schnell fort, dass er den Eindruck hatte, sie
wollte vor ihm flüchten.
Beim Essen erzählte Clara ihm die Geschichte des Hauses, das sie bewohnte, und
die Geschichte des Stadtviertels.
Als sie fertig waren, klingelte das Telefon. Clara stand auf und kam nach ein paar
Minuten mit geröteten Wangen ins Wohnzimmer zurück. „Das war meine
Freundin Yvonne Tousignant“, sagte sie. „Ich habe vollkommen vergessen, dass
ich heute Abend mit ihr zum Kino verabredet bin. Ich kann sie nicht enttäuschen,
weil ich genau weiß, dass sie nie allein gehen würde.“
„Kein Problem“, meinte Dan verständnisvoll. „Treffen Sie sich ruhig mit Ihrer
Freundin.“
„Aber ich lasse Sie und Fay mit dem ganzen Abwasch allein“, klagte Mrs. Monroe.
„Das bisschen Abwasch“, wehrte Dan ab. „Dann habe ich gleich eine Gelegenheit,
mich für die Einladung zu revanchieren. Der Schokoladenkuchen ist der beste,
den ich je gegessen habe.“
Fay nickte. Mrs. Monroe ließ ihren Blick zwischen den beiden hin und
herschweifen und lächelte Dan verschmitzt an. „Schon verstanden“, murmelte sie
leise. „Sie haben ja angenehme Gesellschaft.“
Kurz darauf traf Mrs. Monroes Freundin ein und holte sie ab. Fay und Dan waren
allein. Dan begrüßte die unverhoffte Situation, aber Fay stürzte sich sofort auf
das schmutzige Geschirr und trug es in die Küche.
„Warum diese Eile? Kann es sein, dass es dich nervös macht, mit mir allein zu
sein?“
Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. „Wie kommst du darauf? Zwischen uns ist
alles geklärt.“
„Falsch. Ich schlage vor, dass wir uns zuerst um den Abwasch kümmern und uns
dann die andere Angelegenheit vornehmen. Was hältst du davon?“
Statt einer Antwort drückte sie ihm einen Stapel Geschirr in die Hand.
Gemeinsam räumten sie ab und füllten die Spülmaschine. Nach kurzer Zeit sah
auch die Küche wieder sauber und aufgeräumt aus.
„Soll ich uns noch einen Kaffee kochen?“ bot Fay an. „Vielleicht möchtest du auch
noch ein Stück Kuchen.“
„Nein, danke. Obwohl er wirklich köstlich war. Aber ich möchte gern wissen, ob
du dir vorstellen kannst, dass wir uns regelmäßig sehen.“
Sie ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. „Es würde nicht funktionieren.“
„Warum nicht?“
„Wir sind viel zu verschieden. Wie auch immer unsere Beziehung aussehen
würde, sie würde niemals für immer halten.“
„Na und?“ entgegnete er. „Was hält schon für immer.“
Empört starrte sie ihn. „Was schwebt dir denn vor? Ein OneNightStand?“
„Woher sollen wir das wissen, wenn wir uns nicht sehen?“
Plötzlich stieg die Wut in ihr hoch. Fay atmete tief durch und schob ihre Gefühle
beiseite. „Wir können Freunde bleiben.“
Dan musste unwillkürlich lachen. „Natürlich können wir das. Aber du weichst mir
aus.“
Das Baby begann zu weinen, und Fay sprang auf, um nach ihm zu sehen. Dan
folgte ihr ins Wohnzimmer und schaute zu, wie sie die Kleine aus der Wiege
nahm.
„Marie hat Hunger“, meinte Fay und schaute demonstrativ auf die Uhr. „Es ist
schon bald wieder Montag.“
„Wer wollte das abstreiten“, antwortete Dan verärgert. „Danke für den kleinen
Tipp. Ich habe begriffen.“
Fay konnte nicht entscheiden, ob es sie freute oder frustrierte, als er sich erhob
und sie ihn zum Ausgang begleitete. „Bitte ruf mich nicht an. Ich melde mich bei
dir.“
„Okay.“ Er beugte sich vor. Atemlos wartete sie auf einen Abschiedskuss, der
nicht kam.
Stattdessen straffte er die Schultern und tippte mit der Fingerspitze auf ihre
Lippen. Anschließend öffnete er die Tür und trat nach draußen. „Das soll dich nur
daran erinnern, dass es noch lange nicht vorbei ist.“ Er war fort, bevor sie ihm
auch nur ein Wort entgegnen konnte.
9. KAPITEL Wie gut, dass du die Tage nicht mitgezählt hast, dachte Fay, obwohl sie genau
wusste, dass Claras Dinner zwei Wochen zurücklag. Genau seit zwei Wochen
hatte Dan sich nicht mehr gemeldet. Sie hatte ihn gebeten, sich nicht mehr bei
ihm zu melden, und offenbar war er entschlossen, sich an ihre Anweisung zu
halten. Vermutlich denkt er, dass die Zeit alle Wunden heilt, überlegte sie.
Fays Vater hatte ebenfalls nicht angerufen. Das ärgerte sie, obwohl sein
Schweigen höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen war, dass er sie in
Duluth vermutete. Warum versucht er dann nicht, Aunt Marie anzurufen? Dann
wüsste er, dass sie in Kalifornien steckt. Oder hatte er dort angerufen und
glaubte jetzt, dass seine Tochter mit dem Baby nach Kalifornien gereist war?
Es interessiert mich nicht im Geringsten, was mein Vater denkt. Er kümmert sich
nicht um mich, warum also sollte ich mir über ihn den Kopf zerbrechen? Er hat
doch diese Frau kennen gelernt, die ihm Gesellschaft leistet. Die Witwe, die er
mir vorstellen wollte, bevor er von meiner Schwangerschaft erfahren hat.
Marie begann zu schreien. Eilig schob Fay ihre Gedanken zur Seite und stürzte
sich in die Arbeit, bevor einer ihrer kostbaren freien Tage nutzlos verstrichen
war.
Eine Stunde später hatte sie das Baby gestillt und gewickelt, die Waschmaschine
gefüllt und eine Einkaufsliste geschrieben. Sie stand im Schlafzimmer vor dem
Spiegel und legte sich Lipgloss auf, als es klingelte.
Fay öffnete die Tür. Erschrocken starrte sie Dan an, der in ausgewaschener Jeans
und im blauen TShirt vor ihr stand. Mühsam unterdrückte sie den Impuls, sich
ihm an den Hals zu werfen.
„Darf ich reinkommen?“ fragte er schließlich.
„Äh, ja, natürlich.“
Er schloss die Tür und warf einen Blick auf die Sicherung. „Keine Vorlegekette“,
kritisierte er. „Ich werde eine anbringen. Einbrecher lassen sich davon zwar nicht
unbedingt abschrecken, aber immerhin kannst du durch einen Spalt nach
draußen schauen und nachsehen, wer vor der Tür steht.“
Inzwischen hatte sie sich von der Überraschung erholt. „Nie im Leben hätte ich
mit dir gerechnet.“
„Gar nicht dumm von mir, dich zu überfallen“, meinte er und grinste. „Heute ist
Dienstag, und wir haben beide frei. Außerdem habe ich noch ein Geschenk für
Peanut im Wagen.“ Mit einer Handbewegung deutete er aus dem Fenster. „Die
Sonne scheint. Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang? Du und ich und
Marie?“
„Ich muss Wäsche waschen“, hielt sie dagegen und ärgerte sich insgeheim
darüber, dass er glaubte, sie würde ihm sofort zur Verfügung stehen, wenn er
auftauchte. „Außerdem muss ich einkaufen, und ich muss…“
„Kein Problem“, unterbrach er sie. „Du weißt, dass ich ziemlich geschickt im
Wäsche legen bin. Und Einkaufen kann ich auch. Wo ist der Trockner?“
Er grinste von einem Ohr zum anderen. Unwiderstehlich. „Ich muss zugeben,
dass ich nicht gern Wäsche lege.“
Gemeinsam brachten sie die Arbeit hinter sich. „Und jetzt zum Einkaufen.“
„Wir müssen meinen Wagen nehmen“, meinte Fay. „Du hast keinen Babysitz.“
„Irrtum“, widersprach er. „Ein Freund hat mir seinen Sitz geschenkt. Sein Baby
ist rausgewachsen.“
Sie war so überrascht, dass ihr der Mund offen stand. „Was? Du hast einen
Babysitz im Auto?“
„Ja. Nimm deine Liste. Ich kümmere mich um Peanut.“
Fay musste zugeben, dass es Spaß machte, mit Dan einzukaufen. Marie freute sich sehr über die rote Rassel, die er ihr geschenkt hatte. Oder vielleicht auch nur darüber, dass er in der Nähe war. In kürzester Zeit war das Einkaufen erledigt, und sie hielten bei einem Eisenwarenladen, wo er eine Vorlegekette für die Haustür erstand. Dan trug Marie, während Fay ein paar Tüten ins Haus schleppte. „Es ist Mittag“, meinte sie. „Willst du niqht zum Essen bleiben? Du hast es dir redlich verdient.“ „Nur wenn ich helfen darf“, stimmte er zu. „Es fällt mir schwer, dich allein arbeiten zu lassen.“ „Aber ich bin wieder vollkommen gesund“, wandte sie ein. Dan half ihr trotzdem, und es erinnerte sie an die letzten Wochen, die sie gemeinsam in der Hütte verbracht hatten. Jetzt kam ihr die Situation noch viel intimer vor. Jedes Mal, wenn er sie in der engen Küche beinahe berührte, schoss ihr Puls in die Höhe. Schließlich setzten sie sich hin und machten sich über den Salat und das Sandwich her. „Ich habe dich gewarnt“, begann Dan, „es war nicht das letzte Mal, dass du mich gesehen hast.“ Fay legte die Gabel hin und dachte kurz nach. „Ich glaube, du vermisst das Baby.“ „Ich vermisse… die Hütte.“ Und ich erst, dachte sie unwillkürlich. Aber vorbei ist vorbei. „Wir müssen beide in die Zukunft schauen.“ „Manchmal ist es klug, den Blick in die Vergangenheit zu richten“, hielt er dagegen. „Und die ganze Geschichte noch mal aufzurollen. Vielleicht stoßen wir auf Spuren, die uns bisher entgangen sind. Möchtest du einen Nachtisch?“ Seine Frage machte deutlich, dass er das Thema nicht weiter vertiefen wollte. Fay deutete auf die eulenförmigen Kekse, die sie auf dem Schrank abgelegt hatte. „Clara hat mir ein paar Kekse geschickt. Sandkekse heißen sie bei ihr, und sie schmecken köstlich.“ Dan langte nach dem Glas, öffnete es und schüttete die Kekse auf einen Teller, den er zwischen sich und Fay stellte. „Clara ist eine ausgezeichnete Köchin“, meinte er und biss in den Keks. „Du kannst froh über deine Vermieterin sein.“ „Wo wohnst du eigentlich?“ wollte Fay wissen. „Riverview Apartments. Was hältst du davon, wenn wir nach dem Abwasch mit Marie in den County Park fahren? Die Wege sind jetzt gepflastert. Mit dem Kinderwagen dürfte es keine Probleme geben.“ „Ich bin noch nie mit ihr dort gewesen“, erwiderte Fay. „Aber als ich selbst noch ein Kind war, bin ich immer über die Trampelpfade geschlichen. Damals waren sie noch nicht gepflastert. Später dann…“ Sie brach ab. „Später dann hast du mit deinem Freund im Auto dort geparkt, und ihr habt wild rumgeknutscht“, ergänzte er lachend. „Als ich noch Streife gefahren bin, haben wir ein waches Auge auf die Lover’s Lane gehabt. Aber heute kümmert es die jungen Frauen nicht mehr besonders, was der Kerl im Kopf hat, zu dem sie ins Auto steigen.“ Das Baby weinte, und Fay eilte aus der Küche. „Warte“, hielt Dan sie zurück, „lass mich die Windeln wechseln. Kümmere du dich um den Abwasch.“ „Ich bin froh und dankbar, wenn ich mal nicht die Windeln wechseln muss“, gestand Fay. „Drüben steht der Wickeltisch. Windeln liegen im Schrank.“ Dan hob das Kind aus der Wiege und murmelte sanft vor sich hin, während er es ins Kinderzimmer trug. „Weißt du was, meine Kleine“, meinte er, „deine Mommy
ist eine ganz besondere Frau. Du bist noch viel zu jung und darfst das eigentlich gar nicht wissen. Die Einzelheiten behalte ich besser für mich.“ Marie lächelte. „Du erkennst mich wieder, stimmt’s?“ Vorsichtig legte er sie auf den Wickeltisch. „Bleibt zu hoffen, dass deine Mommy dir nicht allzu viele andere Männer vorstellt.“ Bei dem Gedanken, dass Fay sich mit einem anderen Mann traf, schoss die Eifersucht in ihm hoch. Fay schloss gerade die Spülmaschine, als er wieder in die Küche kam. „Sie ist wieder trocken“, verkündete er und reichte ihr das Baby. „Das Bettchen steht im Kinderzimmer, aber ich vermute, dass du sie immer noch in der Wiege schlafen lässt.“ „Sie wächst so schnell, dass ich sie vermutlich bald ins Kinderbett legen muss“, meinte Fay. „Wenn die Wiege neben meinem Bett nur nicht so bequem wäre. Ich gehe nur noch schnell ins Kinderzimmer mit ihr, um sie zu stillen, und dann können wir losfahren.“ Kurze Zeit später setzten sie sich in seinen Wagen. „Dein Nummernschild ist leicht zu merken“, sagte Fay. „Lauter Sechsen.“ „Der Wagen ist mir auch noch nie abhanden gekommen.“ „Außerdem kann man nicht erkennen, dass es ein Polizeiwagen ist.“ „Er gehört mir, obwohl ich ihn auch dienstlich nutze“, korrigierte Dan. „Ein unauffälliger älterer Wagen. Niemand weiß, dass eine nagelneue Maschine unter der Haube steckt. Vollkommen unverdächtig. So wie ich es mag.“ Als sie im Park angekommen waren und ausluden, bestand er darauf, den Kinderwagen zu schieben. Fay spazierte an seiner Seite und genoss den Sonnenschein und die Blumen am Wegesrand. Die Bäume waren gewaltig in den Himmel geschossen, seit sie hier als Teenager gewesen war, aber sie waren bei weitem nicht so mächtig wie die Bäume auf der Upper Peninsula. Im Vergleich mit der Wildnis konnte der County Park einfach nicht bestehen. „Vermisst du nicht manchmal die Landschaft, in der du aufgewachsen bist?“ fragte Fay. „Doch, natürlich.“ „Konntest du in Evergreen Bluffs keinen Job finden, der dir gefällt?“ Er seufzte auf. „Wenn es da nicht einen Sorenson gegeben hätte…“ Er hielt inne und begann aufs Neue. „Vor langer Zeit hat einer meiner Brüder etwas angestellt, was uns den gesamten CrosswellClan zu Feinden gemacht hat. Auf ewig. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Sherm Crosswell nicht der Sheriff in meinem Heimatbezirk Nonesuch wäre. Es war undenkbar, dass ich in Nonesuch unter ihm als Deputy arbeite. Die niederen Dienstgrade haben kein Mitspracherecht über ihren Einsatzort.“ „Nonesuch ist doch nicht der einzige Bezirk, in dem du hättest arbeiten können.“ „Aber es ist der größte auf der Upper Peninsula, und deshalb wird man dort am besten bezahlt“, hielt er dagegen. „Du legst Wert darauf, ordentlich zu verdienen?“ hakte sie erstaunt nach. „Wie kommst du darauf, dass es anders sein könnte?“ fragte er ebenso erstaunt zurück. Ihre Frage war ihr sichtlich peinlich. „Ich dachte, dass du Abstriche beim Gehalt ohne weiteres in Kauf nimmst, wenn du dafür in der Nähe deiner Heimat arbeitest.“ „Ja, vielleicht“, gestand er ein. „Als Deputy unter Crosswell hätte ich garantiert weniger verdient. Vielleicht wäre es das wert gewesen.“ „Eine Familienfehde“, sagte sie nachdenklich. „Es ist das erste Mal, dass ich
davon höre. Einzelne Menschen können einander hassen, aber eine ganze Familie
eine andere? Schrecklich. Hassen die Sorensons die Crosswells auch?“
Er schüttelte den Kopf. „Um die Wahrheit zu sagen, mein Bruder ist tatsächlich
schuld an der Sache. Aber es ist kein bleibender Schaden entstanden. Mir
persönlich ist es ein Rätsel, warum die Crosswells uns immer noch hassen. Am
Ende muss man sich damit abfinden. So ist eben das Leben in der Kleinstadt.“
Ein Eichhörnchen schimpfte vom Ast einer Eiche auf sie herab. Es war sichtlich
verärgert, weil Dan und Fay in sein Revier eingedrungen waren. „Das ist wohl das
wildeste Tier, dem wir hier begegnen werden“, meinte Fay und lächelte. „Ich
muss immer noch an den Augenblick denken, als wir der Hirschkuh
gegenüberstanden. Und den Wölfen.“
„Schweifen die Gedanken ab in die Vergangenheit?“ spottete er liebevoll. „Du
weißt, das ist streng verboten.“
„Gegen die Erinnerung an außergewöhnliche Ereignisse in der Vergangenheit ist
nichts einzuwenden“, entgegnete Fay.
„Ich merke es mir für die Zukunft.“
Plötzlich stellte sie fest, dass sie den Spaziergang mit Dan mehr genoss, als die
Sache selbst es eigentlich hergab. Aber warum auch nicht? Schließlich sind wir
Freunde, überlegte sie. Wirklich nur Freunde? Fay straffte die Schultern. Ja. Nur
Freunde. Und das werden wir auch bleiben, beschloss sie.
Andererseits wäre gegen eine kleine Affäre eigentlich nichts einzuwenden,
überlegte sie weiter. Lange würde sie ohnehin nicht dauern. Schließlich glaubte
keiner von beiden an die große Liebe oder wollte heiraten. Sie wagte einen
Seitenblick auf Dan, der sie ebenfalls anschaute. Abrupt blieb er stehen, ohne
seinen Blick von ihr zu lösen.
„Ich…“, stieß sie hervor.
„Ich…“, meinte er im selben Atemzug.
Beide lachten krampfhaft und setzten ihren Weg fort. Was hatte er gerade sagen
wollen? grübelte sie. Und du selbst? Nimm mich, ich bin dein? Nein, sicher nicht.
Obwohl es genau das war, was sie im Kopf gehabt hatte.
„In den nächsten Tagen werde ich die Wiege ins Wohnzimmer stellen“, sagte sie
unvermittelt.
Verständnislos hob er die Augenbrauen. „Wie kommst du ausgerechnet jetzt
darauf?“
„Äh, ja, ich will Marie bald im Gitterbettchen schlafen lassen. Die Wiege kann ich
dann in meinem Schlafzimmer nicht mehr gebrauchen.“
„Jedes Mal, wenn du deinen Satz mit Äh anfängst, schwindelst du mich an“,
unterstellte Dan.
„Gar nicht wahr!“ protestierte sie.
„Warum wirst du dann rot?“ meinte er und grinste.
„Weil wir an der frischen Luft spazieren gehen“, erklärte sie.
„Okay“, lenkte er ein. „Dann lass uns die Wiege ins Wohnzimmer stellen, sobald
wir wieder bei dir sind. Mal sehen, was passiert.“
„Aber wenn Da… wenn das Baby gar nicht im Bett schlafen will?“
Dan fuhr mit dem Kinderwagen auf einen großen Baum zu, unter dem eine Bank
stand, und hielt an. „Erzähl mir nicht, dass es dir ums Baby geht.“
Sie schaute ihm direkt in die blauen Augen. „Nein“, gab sie zu. „Aber ich bin mir
nicht sicher…“
„Wer ist sich schon sicher.“ Während er sprach, schwebte eine rosafarbene
Kirschblüte vom Baum herunter und landete sanft in seinem Haar. Fay streckte
die Hand aus, um die Blüte zu pflücken, und fand sich unversehens in seinen
Armen wieder.
Sein Mund bedeckte ihre Lippen, und sie gab sich seinem leidenschaftlichen Kuss
hin. Weder Ken noch irgendein anderer Mann war in der Lage gewesen, mit
einem einzigen Kuss eine solche Leidenschaft in ihr zu entfachen. Warum um
Himmels willen bist du dir nicht sicher? schalt sie sich. Sie wollte Dan, kein
Zweifel. Warum lässt du dich nicht einfach treiben, selbst wenn es nicht für
immer ist?
Er presste sie an sich. Es war deutlich zu spüren, dass er sie begehrte. Sie
klammerte sich an ihn und genoss den Augenblick. Insgeheim sehnte sie sich
danach, ihrer Lust freien Lauf zu lassen. Aber nicht hier. Nicht jetzt.
Er löste die Umarmung und hob ihr Gesicht. „Immer noch unsicher?“
„Wir können ja einfach mal sehen, wie es weitergeht“, murmelte sie.
Dan ließ sie vollends los und sammelte ein paar Blüten aus ihrem Haar. „Es
regnet förmlich gute Wünsche auf uns herunter“, sagte er leise.
„Im Grunde deines Herzens bist du hoffnungslos romantisch.“
„Das hat mir noch nie jemand vorgeworfen“, entgegnete Dan trocken. „Marie,
was meinst du dazu?“
Das Baby schaute ihn mit großen Augen an und schwieg.
„Du hast immer noch blaue Augen“, stellte er fest.
„Der Kinderarzt meint, wenn die Farbe sich bis jetzt nicht geändert hat, bleibt es
dabei.“
„Noch jemand in deiner Familie mit blauen Augen?“
„Mein Vater“, gab Fay zögernd zu und schaute auf die Uhr. „Wir müssen zurück.
Ich muss noch arbeiten.“
„An deinem freien Tag? Kannst du die Arbeit nicht so einteilen, dass du nur drei
Tage in der Woche beschäftigt bist?“ Sein Ton klang vorwurfsvoll.
„Nein“, entgegnete sie verärgert. „Mein guter Ruf ist mir nicht geschenkt worden.
Ich habe ihn mir bestimmt nicht in einer DreiTageWoche verdient.“
Schweigend fuhren sie zu Fay nach Hause.
„Soll ich dir noch helfen, die Wiege umzustellen?“ fragte Dan.
„Ja, bitte.“ Das klang beleidigt, obwohl sie es nicht wollte, aber sie konnte nichts
dagegen ausrichten. Dan begriff einfach nicht.
Als er fertig war, legte Dan den Säugling ins Kinderbett und schaute auf ihn
herunter. Fay stand auf der anderen Seite. „Jetzt sieht sie kleiner aus als in der
Wiege“, stellte er fest.
Fay nickte. „Vielleicht ist es zu früh.“
Er schaute sie an. „Wie du meinst.“
„Wir reden über meine Tochter.“
„Wirklich?“
Es stimmte, und es stimmte nicht. Während Fay nach den richtigen Worten
suchte, unterhielt er sich mit Danny Marie.
„Ich muss jetzt gehen, meine Süße“, verabschiedete er sich. „Mach weiter so,
dann bist du bald groß.“ Er beugte sich hinunter und strich dem Kind über die
Stirn.
„Danke für das Mittagessen“, meinte er zu Fay. „Ich weiß zwar nicht, wann ich
das nächste Mal vorbeikomme, aber es war ganz sicher nicht das letzte Mal, dass
wir uns gesehen haben.“
Fay begleitete ihn nicht nach draußen. Als sie die Haustür zuschlagen hörte, eilte
sie zum Fenster und sah gerade noch, wie sein Wagen um die Ecke bog.
Verdammter Kerl, fluchte sie leise in sich hinein.
Bei jeder Begegnung weckte er Gefühle in ihr, für die sie überhaupt noch nicht
bereit war. Körperlich vielleicht, aber nicht psychisch. Manchmal kam es ihr so
vor, als hätte sie Angst, eines Tages mehr für Dan zu empfinden, als sie
eigentlich wollte.
10. KAPITEL Kurz nachdem Fay am Montag darauf von der Arbeit nach Hause kam, rief ihr Kunde an. „Es tut mir Leid, dass ich Sie stören muss, aber hier ist ein Problem aufgetaucht. Ich muss Sie dringend sprechen, bevor ich am Mittwoch nach New York fliege. Können Sie morgen für ein paar Stunden zu mir kommen? So gegen zehn? Sie müssen sich ein paar Papiere anschauen.“ „Okay“, meinte Fay, „der Termin steht. Mit einem kleinen Vorbehalt. Wenn irgendwas dazwischen kommt, muss ich vielleicht absagen. Sie hören dann aber rechtzeitig von mir.“ Seufzend legte Fay auf. In den vergangenen Tagen hatte sie bemerkt, dass ihr Verhältnis zur Arbeit sich sehr verändert hatte, seit Danny Marie geboren worden war. Es regte sich Widerwillen bei dem Gedanken, an ihrem freien Tag arbeiten zu müssen. Früher hätte sie sich begierig auf den Einsatz gestürzt. Das Telefon klingelte. Was ist denn jetzt schon wieder los? dachte sie genervt. „Du hast bestimmt bemerkt, dass ich gestern just in dem Augenblick aus dem Haus gestürzt bin, als du ankamst“, meinte Clara. „Lass mich erklären.“ Fay verschwieg lieber, dass sie gar nicht darauf geachtet hatte. „Kurz nachdem du zur Arbeit gegangen bist, musste ich fürchterlich niesen und husten. Ich gehe jede Wette ein, dass ich mir eine Grippe eingefangen habe.“ „Ein kleiner Husten macht noch lange keine Grippe“, entgegnete Fay. „Ich weiß, meine Liebe“, stimmte Clara zu und nieste zwei Mal. „Aber jetzt sind Halsschmerzen dazugekommen, und die Nase läuft wie verrückt. Am Wochenende war ich bei meiner Cousine zum Lunch. Ich glaube, ich habe mich dort angesteckt. Hoffentlich ist Danny Marie verschont geblieben.“ „Du klingst wirklich ziemlich erkältet“, meinte Fay. „Es tut mir Leid, dass du meinetwegen deine Pläne über den Haufen werfen musst. Aber ich halte es für besser, mich vom Baby fern zu halten, bis die Sache ausgestanden ist. Ich habe meine Freundin Yvonne Tousignant gefragt, ob sie für mich einspringen kann. Sie hat zugestimmt, aber nur für Mittwoch und Freitag. Morgen hat sie einen Zahnarzttermin, den sie nicht verschieben kann.“ „Tausend Dank, dass du dich erkundigt hast.“ Fay freute sich. „Mach dir wegen morgen keine Sorgen. Komm erst mal zur Ruhe und kurier deine Grippe aus. Mir fällt schon was ein.“ Nachdem sie aufgelegt hatte, zog Fay sich um und stillte Danny Marie. Wenn der Kunde mich morgen unbedingt sehen will, überlegte sie, dann muss er sich eben damit abfinden, dass ich Danny Marie mitbringe. Eine bessere Lösung fiel ihr einfach nicht ein. Das Telefon klingelte wieder, als Fay am nächsten Morgen die Babysachen einpackte. Was ist jetzt wieder los? „Wir müssen reden“, sagte Dan. „Ich…“ „Ich kann jetzt nicht reden“, unterbrach Fay. „Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Clara ist krank, deshalb muss ich das Baby mitnehmen.“ „Warte fünf Minuten“, erwiderte er sofort, „ich bin gleich da.“ Keine fünf Minuten später parkte Dan seinen Wagen vor ihrem Haus. Fay öffnete, bevor er klingeln konnte. Sie trug schon ihr dunkelblaues BusinessKostüm. „Du siehst schick aus“, begrüßte Dan sie. Sie beäugte ihn misstrauisch. „Warum rast du wie verrückt zu mir, wenn ich dir sage, dass ich zur Arbeit muss?“ „Vor dir steht der perfekte Babysitter. Heute ist mein freier Tag. Sag mir nur, wie ich Marie füttern soll, und du kannst verschwinden. Steht die Milch im Kühlschrank?“
„Ja. Ich denke, es ist in Ordnung“, sagte sie, aber ihre Stimme war immer noch voller Zweifel. „Denk dran, wer sich in der Hütte um sie gekümmert hat.“ Fay nickte. „Marie ist besser bei dir aufgehoben als bei mir im Büro, so viel ist sicher. Vermutlich bin ich gegen eins wieder zurück. Danke, Dan. Ich schulde dir einen Gefallen. Im Notfall hängt meine Telefonnummer am Kühlschrank.“ „Mach dir keine Sorgen“, rief er ihr nach, während sie aus dem Haus eilte, „Marie und ich werden es uns gut gehen lassen.“ Sobald Dan allein war, nahm er Marie aus dem Bettchen. „Ich bin’s, dein alter Freund Dan“, erklärte er ihr. „Ich bin da, um heute wieder auf dich aufzupassen. Du kannst mich noch nicht verstehen, aber ich weiß, dass du mir sehr aufmerksam zuhörst.“ Mit dem Baby auf dem Arm spazierte er durch die Wohnung und schaute sich die Bücher, die CDs, die Bilder an den Wänden und die Fotos auf den Regalen an. Eines erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Ein kleines Mädchen stand zwischen zwei Erwachsenen. Fay mit ihren Eltern, dachte er. Der blonde Mann ist sicher ihr Vater. Er schaute auf seine Tochter herunter und lächelte, während die Mutter stur geradeaus in die Kamera blickte. Lange betrachtete er das Foto. Fays Berichten zufolge hätte er eher von ihrem Vater erwartet, dass er ausdruckslos in die Kamera starrte. Aber auf Grund eigener Erfahrung wusste er, dass Eltern immer unberechenbar waren. Gibt es eigentlich ein Foto von meiner Mom, auf dem sie lächelt? fragte er sich. Letztes Jahr zu Weihnachten hatte er mit seinen Geschwistern alte Familienfotos betrachtet, und Megan hatte bemerkt, dass das Lächeln ihrer Mutter immer irgendwie wehmütig wirkte. Seufzend stellte er das Foto zur Seite. Später setzte er sich mit Marie in den Sessel und fütterte das Baby. Leise summte er ein Schlaflied vor sich hin, bis ihn ein seltsames Gefühl beschlich. Ja, Marie gehört zu mir, dachte er unwillkürlich. Ihre Mutter auch. Obwohl ich gar kein Recht auf sie habe… Er ließ Marie aufstoßen, setzte sie auf seine Knie und schaute sie an. „Bist du müde?“ fragte er. „Der alte Dan braucht ein bisschen Ruhe, um die Vorlegekette an der Haustür deiner Mommy anzubringen.“ Marie fuchtelte mit den Händen herum und strampelte. „Okay, du bist also nicht müde.“ Er nahm sie wieder auf den Arm und wollte gerade eine CD einlegen, als es klingelte. „Wer ist da?“ rief er unwirsch. „Hank Merriweather“, antwortete eine Männerstimme. „Wer zum Teufel sind Sie? Und wo ist Fay?“ Fays Vater? Der Mann, der sein eigenes Enkelkind nicht akzeptieren wollte? Draußen vor der Tür stand tatsächlich der stämmige blonde Mann, den Dan kurz zuvor auf dem Foto gesehen hatte. Er war nur ein bisschen älter geworden. Dan ließ ihn eintreten. Merriweather starrte ihn an. Unwillkürlich streckte Dan ihm das Baby entgegen. „Ihre Enkelin“, erklärte er. „Fay ist zur Arbeit.“ Merriweather zögerte. Schließlich nahm er das Baby auf den Arm. Prompt spuckte Marie ihm einen Rest Milch aufs Hemd. Zu Dans Überraschung grinste Merriweather über das ganze Gesicht und musterte das Baby. „Offenbar kommt die Kleine ganz nach meiner Tochter und nicht nach ihrem unsäglichen Erzeuger“, meinte Merriweather. „Ich weiß, man soll über Tote nichts Böses sagen, aber vom Lebenden gab es auch nichts Besseres zu berichten. Und wer sind Sie?“ Fays Vater wandte sich an Dan. „Der Babysitter“, hatte Dan antworten wollen, aber Hank unterbrach ihn kurzerhand.
„Warten Sie. Irgendwo habe ich Sie schon mal gesehen. Auf einem Foto in der Zeitung… Langsam dämmert es mir. Drogen. Cops. Ich hab’s! Sie sind der Held, der diesen Bastard erschossen hat. Dan irgendwas. Sorenson. Dan Sorenson. Wie geht’s Ihrem Bein?“ „Fast wieder normal.“ Dans Ärger über den Mann verflüchtigte sich nach und nach. Merriweather nahm das Baby auf den anderen Arm und streckte Dan die Hand entgegen. „Freut mich zu hören, Dan. Aber ich weiß immer noch nicht, was um alles in der Welt Sie in der Wohnung meiner Tochter zu suchen haben.“ „Das ist eine lange Geschichte, Mr. Merriweather“, meinte Dan. „Heute zum Beispiel bin ich als Babysitter hier.“ „Sag doch einfach Hank zu mir.“ Merriweather ließ seinen Blick wieder über Marie schweifen. „Was für ein süßes kleines Ding. Fay hatte schon immer ihren eigenen Kopf. Und jetzt geht sie also wieder arbeiten.“ Hank schüttelte den Kopf. „Wie oft habe ich ihr gesagt, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht. Sie gönnt sich viel zu wenig Vergnügen. Gibt’s hier Kaffee?“ Dan konnte den Mann schlecht rauswerfen. Also führte er ihn in die Küche. Hank setzte sich an den Tisch. Dan brühte Kaffee auf, und Hank goss zwei Becher ein. „Du spielst also Babysitter“, fuhr er fort. „Muss langweilig sein für einen Cop. Übrigens, ich habe jede Menge Zeit. Warum bist du hier? Erzähl mir mal die lange Version der Geschichte.“ Kurz und schmerzlos ist besser, dachte Dan. „Fay ist aus Archer geflüchtet und wollte zu ihrer Tante nach Duluth. Weil sie wusste, dass du ihr Baby nicht akzeptieren würdest. Sie wollte ihr Kind dort bekommen, wo es erwünscht ist.“ Hank verzog das Gesicht. „Dachte ich mir, dass sie in Duluth steckte. Aber ich weiß immer noch nicht, was du hier zu suchen hast.“ „Fay ist gar nicht in Duluth angekommen. Sie ist in einem Frühjahrssturm auf der Upper Peninsula stecken geblieben. Inzwischen war ihre Tante Marie nach Kalifornien geflogen, weil ihre Tochter einen schweren Unfall hatte. Fay ist mit ihrem Wagen gegen einen Baum geprallt und kam zu mir in die Hütte, wo ich mich von der Verletzung habe erholen wollen.“ „Welche Hütte? Wo liegt sie?“ „Nonesuch County.“ „Ich war dort mal zum Jagen. Pure Wildnis, dort oben. Willst du damit sagen, dass mein kleines Mädchen sich mitten in einem Blizzard in dieser gottverlassenen Gegend rumgetrieben hat?“ „Als sie bei mir in der Hütte ankam, hatten die Wehen schon eingesetzt. Wir waren eingeschneit. Sie musste bei mir bleiben. Dann brach die Stromversorgung zusammen. Telefonieren konnten wir sowieso nicht mehr.“ Hank starrte ihn entsetzt an. „Guter Gott!“ „Das hab ich damals auch gedacht“, meinte Dan beiläufig. „Aber zum Glück ist alles gut gegangen. Abgesehen davon, dass Fay anschließend mit einer Anämie zu kämpfen hatte.“ „Mein armes Mädchen.“ Hank kniff die Augen zusammen, um die Tränen zu vertreiben. „Das hab ich alles nicht gewollt. Ich wollte sie nicht verjagen. Ich konnte nur diesen Kerl nicht ausstehen und dachte, es wäre eine viel zu große Last für sie, wenn sie sein Kind auch noch allein erziehen soll. Glaub mir, ich hatte immer nur das Beste für sie im Sinn. Wie geht es ihr jetzt?“ „Mein Bruder ist Arzt und hat sie untersucht, sobald wir wieder in die Stadt fahren konnten. Er hat ihr ein paar Medikamente verschrieben. Es ist alles wieder okay.“ „Hoffentlich, wenn sie schon wieder arbeitet. Aber ich weiß immer noch nicht,
warum du hier bist… Lebst du mit ihr zusammen?“
Dan hatte genug von dem Verhör. „Selbst wenn, was ginge dich das an?“
Hank wandte den Blick ab und seufzte auf. „Ich bin eben ein alter Dickschädel.
Womöglich liegt es daran, dass ich sie für immer weggejagt habe. Das war nicht
meine Absicht. Schon der erste Blick auf meine Enkelin hat mir gesagt, dass ich
verdammt Unrecht hatte.“
„Du hast Fay zutiefst verletzt.“
Hank nickte. „Vermutlich ist sie immer noch stinkwütend auf mich“, meinte er
und lächelte verhalten. „Sie hat immer ihren eigenen Kopf gehabt. Meinst du,
dass sie mir verzeihen kann?“
„Keine Ahnung. Das kann nur sie allein entscheiden“, erwiderte Dan
schulterzuckend.
„Wann kommt sie denn nach Hause?“
„Gegen eins vermutlich.“
Hank schaute auf die Uhr. „Bald Mittag. Ich warte besser. Magst du Pizza?“ Ohne
die Antwort abzuwarten, zog er ein Handy aus der Tasche und betrachtete es
lächelnd. „Fay hat es mir vorletztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Sie meinte,
alle hätten jetzt so ein Ding. Ich sollte nicht durch die Gegend laufen wie der
letzte Idiot. Meine Tochter glaubt immer, ich sei ein bisschen zurückgeblieben.“
Er drückte auf die Tasten. „Ich kenne einen ausgezeichneten PizzaService.“
Nachdem er die Bestellung aufgegeben hatte, legte er das Handy zur Seite und
musterte Dan aufmerksam. „Im Grunde genommen war sie nie nachtragend“,
meinte er. „Ich kann mir also realistische Chancen ausrechnen, dass sie mir
verzeiht. Sag mal, du und Fay, ihr seid nur Freunde?“
„Ja“, bestätigte Dan, obwohl ihm Hanks bedeutsamer Unterton auf die Nerven
ging. „Nur Freunde.“
Die Pizza wurde geliefert, und Hank bestand darauf, auch Dans Anteil zu
bezahlen. Hungrig machten sie sich über die Mahlzeit her. Als Fay schließlich
wieder eintraf, stand eine leere PizzaSchachtel auf dem krümeligen Küchentisch.
Fassungslos blieb sie im Türrahmen stehen und schaute von einem zum anderen.
Dad und Dan vertilgen zusammen eine Pizza. Und reden wie alte Freunde miteinander? Hank erhob sich. „Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen“, erklärte er.
„Du hattest Recht. Ich war im Unrecht. Können wir reden, wenn ich dich anrufe?“
„J… ja, ich denke schon“, stammelte sie überrumpelt.
„Gut. Ich melde mich dann bei dir.“ Er kam auf sie zu, als ob er sie in die Arme
schließen wollte. „Du siehst wirklich gut aus, meine Liebe. Ich lasse euch beide
jetzt besser allein.“
Mit offenem Mund schaute Fay ihm nach. „Was hat das alles zu bedeuten?“ fragte
sie Dan und deutete auf die leere Pizzaschachtel.
„Du meinst, dass er dich um Verzeihung bittet? Grandpa Hank hat sich in seine
kleine Enkelin verliebt, als sie ihn angespuckt hat.“
„Als sie ihn angespuckt hat?“
„Ja. Es hat ihn an dich erinnert. Du musst ihn auch öfter mal angespuckt haben,
als du ein Baby warst. Tut mir Leid, dass keine Pizza mehr für dich übrig ist.“
„Macht nichts. Mein Boss hat Sandwichs kommen lassen. Hast du dich von
meinem Dad aushorchen lassen?“
„Hätte ich ihm erzählen sollen, dass ich nach Kräften versuche, seine Tochter zu
verführen?“ erwiderte Dan und lachte. „Ich habe dich heute Morgen angerufen,
weil ich dir sagen wollte, dass ich es mir nicht länger leisten kann, deine
Wohnung zu überwachen. Ich muss dringend die Kette an der Tür anbringen. Am
besten, ich kümmere mich gleich darum.“
Fay zog sich ins Schlafzimmer zurück und zog sich um, während er sich an der Tür zu schaffen machte. Normalerweise trug sie Jeans und TShirt, entschied sich jetzt aber für einen grünen Baumwollrock und ein blassgrünes Hemd. Bevor sie es überstreifte, fiel ihr ein, dass sie seit vier Stunden nicht mehr gestillt hatte, öffnete ihren BH und pumpte die Milch ab. Anschließend schaute sie nach Danny Marie, die friedlich in ihrer Krippe lag und schlief. Auf dem Weg ins Wohnzimmer sah sie, dass die Kette jetzt angebracht war. Dan packte gerade das Werkzeug weg. „Wie kommst du eigentlich darauf, dass du Chancen hättest, mich zu verführen?“ fragte Fay. Er stellte die Werkzeugkiste im Flur ab, kam ins Wohnzimmer und deutete auf die Wiege. „Deswegen.“ „Ich hätte sie bestimmt nicht so schnell aus der Wiege genommen, wenn ich nicht gemerkt hätte, dass sie im Bettchen ebenso gut schläft“, wandte Fay ein. Dan kam einen Schritt auf sie zu. „War das wirklich der einzige Grund, die Wiege vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer zu transportieren?“ „Äh…“ Grinsend kam er zwei Schritte auf sie zu, dicht genug, um sie mit ausgestreckter Hand berühren zu können. „Gib auf. Wir beide wissen, was das zu bedeuten hat. Weißt du was? Wir legen einfach eine CD ein und tanzen.“ Der Gedanke gefiel ihr. „Du hast auch Walzermusik“, meinte er leise, nahm sie bei der Hand und führte sie zum CDRegal. „Musik aus Wien.“ „Vienna Nights“, stimmte sie zu, zog die CD aus dem Regal, schob sie ein und drückte auf Start. „Ich habe leider keine Uniform dabei“, erklärte er und verbeugte sich tief. „Darf ich trotzdem um diesen Tanz bitten?“ „Mein Rock ist viel zu kurz für einen Ball“, antwortete sie und legte einen formvollendeten Hofknicks hin. „Es ist mir eine große Ehre.“ Er legte den Arm um sie und wirbelte mit ihr zur Musik im Wohnzimmer herum. Sie schmiegte sich eng an ihn. Plötzlich schien es ihr, als würde der vertraute Duft aus der Hütte ihr wieder in die Nase steigen, und in ihren Ohren klang die Musik aus dem Phonographen, der mit der Handkurbel angetrieben werden musste. Sie dachte an den ersten Walzer und an ihren ersten Kuss. „Dan“, murmelte sie leise. „Erinnerst du dich noch?“ „An jedes Detail“, flüsterte er ihr ins Ohr. Sein warmer Atem kribbelte auf ihrer Haut. Sie schaute ihm in die Augen. „Blau wie das Meer“, murmelte sie, während er seine Lippen auf ihre senkte. Sanft strich er über ihren Mund, bis sie seinen Kuss erwiderte. Obwohl sie sich seit einer kleinen Ewigkeit nach diesem Kuss gesehnt hatte, zögerte sie einen Moment. Aber bald fand seine Zunge ihre zu einem leidenschaftlichen Spiel, so dass es keinen Sinn mehr machte, so zu tun, als würden sie tanzen. Er presste sich an sie, zeigte ihr, wie erregt er war. Ihre heimlichen Vorbehalte gegen ihn schmolzen dahin wie der letzte Schnee in der Frühjahrssonne. Ich will ihn lieben, schoss es ihr durch den Kopf. Warum sonst hätte ich ihn die Wiege aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer schleppen lassen sollen? Um ehrlich zu sein, seit ihrem ersten Kuss in der Hütte hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt.
11. KAPITEL Der Walzer klang langsam aus. Dan hob Fay auf die Arme und trug sie ins Schlafzimmer. Vorsichtig setzte er sie auf dem Bett ab, beugte sich hinunter und streifte ihr die Sandalen von den Füßen. Dann setzte er sich neben sie und zog sich ebenfalls Schuhe und Strümpfe aus, bevor sie sich beide ins Bett fallen, ließen. Fordernd senkte er seine Lippen auf ihre, und sie antwortete ihm so leidenschaftlich, dass er alles um sich herum vergaß. Aber erst, als seine Zunge in ihren Mund eindrang, bemerkte er, wie unbändig sein Verlangen nach ihr war. Sofort schrillten sämtliche Alarmglocken in seinem Kopf. Dan ignorierte die Warnungen. Für ihn zählte nur noch Fay. Er wollte sie streicheln, sie küssen, ihre Leidenschaft entzünden, bis sie so heftig brannte wie seine. Die Kleidung störte. Mit ihrer Hilfe riss er sie sich hastig vom Leib, bis sie beide nackt nebeneinander lagen. Sein Körper verlangte nach schneller Befriedigung, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. Wie lange hatten sie auf diesen Augenblick gewartet! Er sollte so perfekt werden wie möglich. Dan strich mit der Hand über ihre Hüften, drängte sich an sie. Fay stöhnte erregt auf und feuerte ihn nur noch mehr an. „Dan…“, flüsterte sie heiser. „Bitte…“ Er streichelte sie mit den Fingern zwischen den Beinen, drang aber nicht sofort in sie ein. Ihr Stöhnen klang atemlos und gequält. Dan griff nach der Hose und nestelte in der Tasche nach den Kondomen, aber Fay hielt ihn zurück und flüsterte ihm zu, dass sie die Pille nahm. Sie umschlang ihn zärtlich mit ihren Beinen, als er sich schließlich über sie schob, und hieß ihn in ihrer Wärme willkommen. Ihre Körper bewegten sich im uralten Rhythmus der Leidenschaft, bis eine Welle der Lust und des Verlangens durch ihre Adern rieselte, die beiden förmlich den Verstand raubte. In dem Augenblick, in dem er die Kontrolle über sich verlor, spürte er, wie ihre Muskeln sich zusammenkrampften. Leise schrie sie auf. Dans Stöße wurden härter und schneller, bis auch er sich aufbäumte und schließlich zitternd auf ihr lag. Erschöpft hielten sie sich in den Armen und genossen die unglaubliche Entspannung, die sich in ihnen ausbreitete. Schweigend stützte Dan sich mit dem Ellbogen auf der Matratze ab und betrachtete Fay. Er legte die freie Handfläche auf ihre Wange, drehte ihren Kopf zu sich hin und küsste sie. Zuerst waren es nur kleine Zärtlichkeiten, aber die Leidenschaft kam schnell zurück. Plötzlich drang ein Geräusch an sein Ohr. Nein, keine Musik, dachte er. Die CD ist längst zu Ende. Es ist das Baby. Ja, das Baby. Als sie aufstehen wollte, hielt er sie zurück. „Nein, bitte bleib. Ich möchte sie dir bringen.“ Barfuß tappte er ins Kinderzimmer, nahm das schreiende Baby aus dem Bett, wechselte die Windel und brachte Fay das Kind. Sie saß bereits aufrecht und hatte sich die Kissen in den Rücken gestopft. „Ich habe dich noch nie nackt gesehen“, meinte sie und lächelte. „Anders als du mich. Bei unserer ersten Begegnung in der Hütte. Und ich hätte nie damit gerechnet, dass ich eines Tages einem nackten Mann dabei zuschaue, wie er mir mein Baby bringt.“ Fay legte das Baby an die Brust. Ihre Brüste waren schön und prall und die Spitze groß und immer noch ein bisschen erregt. Unwillkürlich fuhr er mit dem Zeigefinger über die Knospe. Es faszinierte ihn, dass er einen intimen Moment mit Fay teilte. Sieh zu, dass du hier wegkommst, Sorenson, mahnte seine innere Stimme
plötzlich. „Was ist los?“ wollte Fay wissen. „Du verziehst so komisch das Gesicht.“ Sag ihr, dass du jetzt gehen musst, hämmerte es in seinem Kopf. Denk dir irgendwas aus. Ein Meeting, das du vergessen hast. Stattdessen schloss er die Augen, um das Bild der blühenden Fay, die ihr Baby stillte, aus dem Gedächtnis zu verbannen. Eine kleine Weile später ergriff Fay wieder das Wort. „Hat mein Vater mit dir über seine Freundin gesprochen?“ „Nein.“ „Bestimmt will er, dass ich sie kennen lerne. Eine Witwe mit einer erwachsenen Tochter. Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie ich dazu stehe.“ Überrascht riss Dan die Augen auf. „Warum nicht?“ „Mom ist schon seit ein paar Jahren tot. Und Dad hat alles Recht der Welt, sich eine neue Partnerin zu suchen.“ Fay zögerte. „Aber ich weiß nicht, ob ich ihm so schnell schon wieder verzeihen kann. Und wenn ich ihm verzeihe, muss ich mich mit dieser Neil Yates treffen.“ „Stimmt genau.“ Ratlos seufzte sie auf. Als sie mit Marie fertig war, stand er auf und brachte das Baby wieder zurück ins Kinderzimmer. Anschließend legte er sich wieder hin und schmiegte sich an Fay. Plötzlich beschlich sie das Gefühl, dass sie in seinen Armen zu Hause war. Sie gehörte zu ihm. Sex mit Dan hatte ihre heißesten Träume wieder aufleben lassen. Einmal ist kein Mal, dachte sie unwillkürlich. Er schlug die Decke zur Seite, so dass nichts mehr zwischen ihnen war. „Hab ich dir nicht schon mal gesagt, dass du wunderschön bist? Damals hast du mir nicht geglaubt.“ „Ich erinnere mich. Es war die Zeit in der Hütte. Da war ich alles andere als schön.“ „Du warst es, und du bist es. Ich schaue dich gern an“, beharrte er, strich zärtlich über ihre Brüste und liebkoste dann ihre Hüfte. „Aber noch lieber fasse ich dich an.“ „Mmhhh“, murmelte sie leise und rieb sich an ihm. Ihre Hand fuhr sanft über seinen Bauch. Sie spürte das Spiel seiner Muskeln und glitt tiefer, bis sie seine Erregung spürte. „Großartig“, wisperte sie und grinste. „Heute Morgen war ich noch felsenfest überzeugt, dass dieser Dienstag total verkorkst ist. Inzwischen…“ Sein Kuss erstickte ihren Satz. Ihre Gedanken verloren sich, und der Atem stockte. Wie konnte es sein, dass ein einziger Kuss so viel Macht über sie gewann, dass sie sich als hilfloses Opfer ihrer eigenen Leidenschaft fühlte? Sie brannte darauf, ihn wieder in sich zu spüren. Wieder und wieder und wieder. Lag es daran, dass sie so lange gezögert hatte, mit Dan ins Bett zu gehen? Fürchtete sie sich vor ihren eigenen Gefühlen? Immerhin gehörte sie zu den Menschen, die stolz darauf waren, ihr Leben voll im Griff zu haben. Kein Wunder, dass sie Angst gehabt hatte. Aber es war viel zu überwältigend, um darauf zu verzichten. Fay ließ ihre Hände zärtlich über seine Haut gleiten und überschüttete ihn ebenfalls mit Zärtlichkeiten. Auch ohne Worte wusste sie, was für einen Wirbel der Gefühle ihre Berührungen in ihm auslösten. Als sie schließlich zueinander fanden, war sie mehr als bereit für ihn. Rhythmisch schaukelten sie sich höher und höher, bis es nicht mehr weiterging und sie sich der Ekstase überließen. Schweißnass umklammerten sie einander, genossen die Erschütterung und entspannten sich langsam. Fay wollte sich gerade ihren Träumen überlassen, als die Wirklichkeit sich eindringlich bemerkbar machte. Dans Pager schrillte.
Er sprang aus dem Bett, suchte in seinen verstreuten Sachen nach der Hosentasche, schaute auf das Display und schaltete das Gerät aus. „Muss dringend das Büro anrufen“, hörte sie ihn leise fluchen. Fay setzte sich auf. Jetzt erst bemerkte sie, dass es inzwischen Abend geworden war. „Ich muss los“, stieß Dan hervor. „Wenn sie mich an meinem freien Tag anrufen, dann ist es wirklich wichtig.“ Er beugte sich vor, drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, zog sich hastig an und stürzte aus dem Schlafzimmer. „Leg die Kette vor!“ hörte sie ihn noch rufen, bevor die Wohnungstür zuschlug. „Ihr Vater hat angerufen“, verkündete Yvonne Tousignant, als Fay am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam. „Er bittet Sie, ihn zurückzurufen, sobald sie Zeit haben.“ „Danke. Gibt es außerdem noch Neuigkeiten?“ Yvonne schüttelte den Kopf. „Ich habe nachgeschaut, wie es Clara geht. Sie ist wirklich schlimm erkältet. Falls sie kommenden Montag Ihr Baby wieder nicht betreuen kann, ich übernehme das gern.“ Fay bedankte sich bei Yvonne für ihre Hilfsbereitschaft. Nachdem Claras Freundin gegangen war, dachte sie kurz über die Nachricht ihres Vaters nach. Warum hat Dan nicht angerufen? fragte sie sich insgeheim und rief sich ins Gedächtnis, dass er arbeiten musste und bestimmt keine Zeit hatte. Seufzend griff sie nach dem Telefon und wählte die Nummer ihres Vaters. Mehrere Minuten lang erklärte er, dass er ein alter Dickschädel wäre und dass es ein Riesenfehler gewesen sei, als er von ihr verlangt hatte, das Kind nicht zur Welt zu bringen. „Dauernd nehme ich mir vor, mich nicht länger in dein Leben einzumischen“, schloss er. „Aber dann passiert es wieder. Das wird sich ändern. Versprochen.“ Fay spürte, wie ihr Ärger verrauchte, während sie ihm zuhörte. Die Entspannung hielt nicht lange an. „Dieser Cop… Dan Sorenson“, stieß er hastig hervor. „Wirklich ein anständiger Kerl…“ „Hast du nicht gerade versprochen, dass du dich nicht mehr in mein Leben einmischen wirst?“ unterbrach sie ihn halb aufgebracht, halb belustigt. „Wer will sich einmischen?“ erwiderte ihr Vater betont unschuldig. „Er und du… ihr seid wie geschaffen füreinander. Das pfeifen doch längst die Spatzen von den Dächern.“ Er wird es nie lernen, dachte Fay verzweifelt. „Wenn ich einen Rat geben darf, dann verkneif dir bitte in Zukunft solche Bemerkungen. Vor allem vor Dan.“ „Okay, okay. Ich ruf dich bald wieder an“, meinte Hank Merriweather versöhnlich und legte auf. Dan rief nicht an, auch nicht am Donnerstag oder am Freitag. Freitagabend meldete sich ihr Vater wieder, bedankte sich nochmals, dass sie ihm verziehen hatte, und lud für Samstag zum Mittagessen ein. Oh, es geht los, schoss es ihr durch den Kopf. Jetzt will er mir Neil aufdrängen. „Ich weiß nicht“, begann sie vorsichtig, „ich muss mich erst daran gewöhnen, dass wir wieder Kontakt haben. Und denk dran, wenn ich dich besuche, ist das Baby dabei.“ „Hoffentlich“, sagte Hank. „Neil möchte unbedingt meine süße Enkelin kennen lernen. Und dich auch. Außerdem ist meine Neil eine großartige Köchin.“ Fay atmete tief durch. Irgendwann wirst du dich den Tatsachen stellen müssen. „Gesetzt den Fall, ich besuche euch, wann soll ich da sein?“ „Gegen zwölf.“ Dann habe ich morgen wenigstens noch Zeit, gründlich über die Sache nachzudenken, dachte Fay, nachdem sie aufgelegt hatte. Aber schon am selben
Abend hatte sie entschieden, die Einladung auf jeden Fall anzunehmen. Sie wollte ihrem Vater nicht für den Rest ihres Lebens mit unterschwelligen Vorwürfen begegnen. Außerdem brauchte Danny Marie einen Großvater. Kurz entschlossen rief sie ihren Vater an und sagte zu. Hank Merriweather stürzte aus dem Haus, bevor Fay den Motor abgestellt hatte. Es war kurz nach zwölf. „Lass mich meine Enkelin in mein Haus tragen“, meinte Hank, nachdem er seine Tochter begrüßt hatte. „Du brauchst den Babysitz nicht mit ins Haus zu bringen, ich habe das alte Bettchen vom Dachboden geholt und gründlich poliert. Sieht aus wie neu.“ Neil wartete an der Haustür. Ihre Haare waren kurz, lockig und grau. Mit einem Lächeln hieß sie Fay willkommen. „Wie schön, dich endlich kennen zu lernen, Fay“, grüßte sie. „Ich darf doch du sagen? Lass dich umarmen.“ Sie breitete die Arme aus. Ihr Vater strahlte über das ganze Gesicht. Offensichtlich freute er sich, dass die erste Begegnung so unkompliziert verlief. „Das ist also die Kleine“, sagte Neil und wandte sich dem Baby zu. „Du liebe Güte, Hank, die Augen hat sie von dir.“ Sie schaute Fay an. „Darf ich sie mal halten?“ „Ja, natürlich.“ Fay hatte wirklich nichts dagegen. Wie freundlich und offen diese Neil ist, dachte sie insgeheim. Marie lächelte Neil nach Leibeskräften an, und nach ein paar Minuten gab Hanks Freundin das Kind an ihn zurück. „Was für ein süßes, kleines Mädchen“, meinte sie zu Fay. „Dein Vater ist sehr stolz auf seine Enkelin. Aber warum setzt ihr zwei euch nicht endlich?“ Sie zeigte ins Wohnzimmer. „Ich habe in der Küche noch ein paar Dinge zu erledigen.“ Hank saß bereits in seinem gemütlichen Sessel, als es wieder klingelte. „Gehst du hin?“ bat er sie. Dan grinste über das ganze Gesicht, als sie öffnete. „Pünktlich“, stieß er atemlos hervor. „Hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe. Nett von deinem Dad, mich einzuladen.“ Sprachlos trat sie zur Seite, damit er ins Haus gehen konnte. Neil grüßte kurz aus der Küche und verschwand gleich wieder. Hank streckte ihm das Baby entgegen, als er das Wohnzimmer betrat. „Du bist dran, Dan. Maries Windel muss gewechselt werden.“ Mit der Windeltasche in der Hand führte Fay ihn in das kleine Zimmer, das ihre Mutter früher als Nähzimmer genutzt hatte. Die Nähmaschine stand immer noch an ihrem alten Platz im Schrank. Der Nähtisch war mit einer Steppdecke bedeckt, auf dem er Marie ablegte. Unter dem Tisch stand sogar ein Abfalleimer mit Deckel. Das ist garantiert Neils Werk, schoss es Fay durch den Kopf. Dad hätte nie daran gedacht. „Du warst überrascht, mich zu sehen“, begann Dan. „Dad hat vergessen, mir seine Gästeliste zukommen zu lassen“, erklärte Fay und gab ihm den warmen Waschlappen, damit er Marie abwischen konnte. „Du hast nicht angerufen.“ „Ein neuer Fall. Hängt vermutlich mit dem alten zusammen. Der, bei dem ich angeschossen worden bin. Hat mich die ganze Zeit über in Atem gehalten. Außerdem brauchen wir beide ein bisschen Zeit für uns allein, oder?“ Er verschloss den Klebestreifen der Windel und hielt Marie hoch. „Wieder besser, meine Kleine?“ Zeit wofür? Um sich voneinander zu verabschieden? Vielleicht gar keine schlechte Idee, dachte sie. Bevor es zu spät ist. „Verstehe.“ Mehr brachte sie nicht hervor.
„Meinst du, dass sie müde ist? Soll ich sie ins Bettchen legen und ein bisschen schaukeln?“ „Warum nicht. Ich habe sie schon gestillt“, erwiderte Fay. Dan legte das Baby zum Schlafen und deckte es zu. „Mach brav die großen blauen Augen zu, meine Süße“, murmelte er leise, während er die Krippe auf den Rollen ein wenig vor und zurückschob. Fay summte ein Schlaflied, und nach ein paar Minuten fielen Danny Marie tatsächlich die Augen zu. Sie traten aus dem Zimmer. „Gerade rechtzeitig“, rief Neil von der Küchentür aus. „Das Essen steht auf dem Tisch.“ Neil ist tatsächlich eine ausgezeichnete Köchin, stellte Fay fest, obwohl sie überhaupt keinen Appetit hatte. Es lag mit Sicherheit an Dans Gegenwart. Außerdem brauchen wir beide ein bisschen Zeit für uns allein, oder? hatte er ihr gesagt. Was hatte er damit gemeint? Sie brannte darauf, endlich eine Erklärung zu bekommen. Nach dem Nachtisch und dem Kaffee erhob sich ihr Vater und bat um Ruhe. „Ich habe euch etwas mitzuteilen. Zunächst einmal möchte ich mich bei Neil für das köstliche Essen bedanken.“ Dan und Fay schlossen sich dem Kompliment an. Hank räusperte sich vernehmlich. „Ich habe meine Neil endlich überzeugen können, einen Hochzeitstermin festzulegen. Wir werden am fünfzehnten August heiraten. Nichts Großes, nur ein familiärer Empfang nach der Trauung in der Kirche. Ihr beide werdet in Kürze die offizielle Einladung bekommen, aber ich wollte, dass ihr es schon vorher erfahrt.“ Sein Blick ruhte auf Fay. „Ich hoffe, du wünschst uns Glück.“ Fay schluckte. Die Ankündigung hatte sie vollkommen überrumpelt. Aber sie riss sich zusammen und stand ebenfalls auf. „Natürlich.“ Neil eilte auf sie zu und umarmte sie stürmisch. „Danke, meine Liebe. Vielen Dank.“ Als sie wieder losließ, bemerkte Fay, dass Neil die Tränen über die Wangen rollten. Fay rang immer noch um Fassung, als Dan ihrem Vater seine herzlichsten Glückwünsche aussprach. Neil umarmte auch Dan. „Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass ich zu einem Verlobungsessen eingeladen worden bin“, meinte Dan und lachte. „Übrigens das beste, was mir je serviert worden ist.“ Erleichtert hörte Fay, dass Marie im Nebenzimmer weinte, und stürzte davon. „Ich schaue nach meiner Tochter.“ Wäre sie auch nur zwei Sekunden länger bei den anderen geblieben, wäre sie mit Sicherheit in Tränen ausgebrochen. Niemals hätte sie gedacht, dass ihr Vater heiraten würde. Wie dumm von dir, schalt sie sich. Er ist der Typ, der Sicherheit braucht. Und ein harmonisches Zuhause. Dan steckte den Kopf zur Tür herein, als sie gerade stillte. „Ich kann nicht länger bleiben“, erklärte er. „Muss zurück zu meinem Job. Aber ich komme später vorbei. Ich bin so schnell wie möglich bei dir.“ „Siehst du, meine Kleine“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme, „am besten, du lernst es so früh wie möglich. Auf Männer ist kein Verlass.“ Mit Danny Marie auf dem Arm gesellte sie sich wieder zu Neil und Hank. Erst jetzt ging ihr durch den Kopf, dass Dan vorhin eine Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Fall erwähnt hatte. Wenn es diese Verbindung gab, dann schwebte er möglicherweise in Gefahr. Beruhige dich, ermahnte sie sich. Dan ist Polizist. Und Polizisten sind immer in Gefahr. „Keine Sorge“, flüsterte sie ihrer Tochter zu. „Ihm wird schon nichts passieren.“ In diesem Moment wurde Fay unmissverständlich klar, wie viel er ihr bedeutete. Und das versetzte sie mehr in Angst und Schrecken als jede Gefahr, in die er geraten konnte.
12. KAPITEL Als sie wieder zu Hause war, dachte Fay über die Zukunftspläne ihres Vaters nach. Er hatte ihr anvertraut, dass er und Neil die Häuser verkaufen wollten, in denen sie mit ihren Ehepartnern gelebt hatten. „Wir wollen unsere Ehe nicht mit der Vergangenheit belasten“, hatte Hank gesagt. „Selbst wenn es gute Erinnerungen sind.“ „Klingt gut“, hatte Fay geantwortet, und sie meinte es auch so. Aber erst jetzt fiel ihr ein, dass Neils Tochter es auch begrüßen würde, wenn Hank Merriweather nicht in ihrem Elternhaus wohnen würde. Ihr wurde bewusst, dass sie Neils Tochter bei der Hochzeit kennen lernen würde. Wie heißt sie doch gleich? grübelte Fay. Ach ja. Jonell, genannt Jo. „Du bekommst also eine Aunt Jo“, erklärte sie ihrer Tochter. Nachdem Danny Marie eingeschlafen war, füllte Fay die Waschmaschine und brachte den Müll zu den großen Containern im Hof. Kommt überhaupt nicht in Frage, dass du hier rumsitzt und Däumchen drehst und darauf wartest, dass der Kerl anruft, mahnte sie sich insgeheim. Schließlich hatte sie aufgeräumt, setzte sich an den Schreibtisch und überflog die Papiere ihres Kunden. Das Klingeln an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Vom Wohnzimmerfenster aus sah sie, dass Dans Wagen vor dem Haus geparkt war. Sie öffnete und bat ihn herein. „Gut, dass du vorbeikommst“, grüßte sie ihn. „Wir müssen reden. Was hast du gemeint, als du gesagt hast, dass wir beide Zeit für uns selbst brauchen?“ Dan seufzte auf. „Musst du immer jedes Wort auf die Goldwaage legen?“ „Komm doch erst mal ins Wohnzimmer“, lud sie ihn ein. „Da ist es ein bisschen gemütlicher als im Flur. Aber bitte nicht zu gemütlich werden. Ich will erst eine Erklärung haben.“ „Dein Wunsch ist mir Befehl“, erwiderte er und legte sich theatralisch die Hand aufs Herz. „Wie kommt es nur, dass ich dir das nicht abkaufen kann?“ Dan setzte sich auf die Couch. „Weil dein Vater dir beigebracht hat, dass man Männern wie mir nicht über den Weg trauen darf?“ Fay setzte sich im gebührenden Abstand neben ihn. „Das spielt hier überhaupt keine Rolle. Ganz egal, was mein Vater mir beigebracht hat, ich habe nicht die Absicht, dich zu heiraten. Oder irgendeinen anderen Mann.“ „Dann sind wir uns ja einig. Und weil wir beide nicht heiraten wollen, dachte ich, dass es nicht schaden kann, wenn wir eine Zeit lang darüber nachdenken, was wir eigentlich voneinander wollen.“ „Das wäre?“ „Sag du zuerst.“ Lust. Begierde. Nein, dachte sie dann. Es ist viel komplizierter. „Ich kann es nicht sagen“, erwiderte sie schließlich. „Unsere Beziehung ist irgendwie… unbeschreiblich.“ „Du hast also auch keine Antwort.“ Er zog sie näher zu sich heran. „Dann können wir ja zum gemütlichen Teil des Abends übergehen. Steht der Babypuder noch im Kinderzimmer? Kann man ihn auch anders verwenden als für zarte Babypopos?“ „Ich benutze ihn gar nicht“, meinte Fay und grinste. „Es war ein Geschenk.“ „Ich weiß etwas damit anzufangen. Rückenmassagen.“ „Nimmt man dafür nicht besser Öl?“ „Geht beides“, erklärte Dan und lachte auf. „Besonders wenn man sich an die Grundregel hält. Erst ausziehen.“ Er stand auf, nahm sie bei der Hand und führte sie ins Schlafzimmer. Dort zog er ihr das Hemd über den Kopf.
„Wir ziehen uns gegenseitig aus?“ stieß sie hervor, streckte zögernd die Hand aus und nestelte an seinen Hemdknöpfen. Sie hatte noch nie einen Mann ausgezogen, aber als sie ihm das Hemd über die Arme streifte, fand sie es plötzlich ausgesprochen erregend. Er brachte sie dazu, sich auf die Bettkante zu setzen, kniete sich hin und zog ihr Schuhe und Strümpfe aus. Dann war sie dran. Seine Füße waren natürlich breiter und länger als ihre und wirkten genauso kräftig wie seine Hände. „Bevor wir weitermachen…“, bemerkte er, griff nach der Puderdose, schraubte sie auf und stellte sie neben das Bett. „Kann sein, dass wir nachher nicht mehr klar denken können.“ Fay konnte schon jetzt nicht mehr klar denken. Sie atmete tief durch, während er den Puder auf den Nachttisch stellte. „Der Traum eines jeden Mannes“, flüsterte er. „Ein BH mit Vorderverschluss.“ Als er ihre nackten Brüste sah, schüttelte er den Kopf. „Nein, das hier ist der Traum eines jeden Mannes.“ Ein wohliger Schauder rann durch ihre Nervenbahnen, als sie seinen Blick auffing. „Du trägst bestimmt kein Unterhemd…“ Ihre Stimme erstarb, als sie seinen Gürtel löste und seine Jeans aufknöpfte. Genüsslich tastete sie nach dem Reißverschluss und zog ihn langsam und vorsichtig hinunter. Schließlich streifte sie ihm die Hose über die Beine, bis sie zu Boden fiel. Der Slip folgte. Dan öffnete ihren Rock. Sie richtete sich auf. Der Rock rutschte an ihr hinunter. Sein bewundernder Blick verursachte heftiges Herzklopfen. „Wie gut, dass ich den Puder schon vorbereitet habe“, flüsterte er heiser und streifte ihren Slip ab. „Jetzt wäre es garantiert zu spät. Leg dich ins Bett… auf den Bauch.“ Fay schlug die Decken zurück und legte sich hin. Er hockte sich neben sie und verteilte den Puder auf ihrem Rücken. Der zarte blumige Duft kitzelte ihre Nase. Plötzlich spürte sie, wie seine Handflächen den hauchfeinen Staub sanft auf ihrer Rückenmuskulatur verteilten. Er zögerte und hielt schließlich inne, als er in die Nähe ihrer Brüste geriet. Auf dem Rückweg den Rücken hinunter liebkoste er ausgiebig ihren Po und fuhr dann an ihren Beinen entlang bis zu ihren Fußsohlen. Es schien ihr, als würde sie sich langsam, aber sicher auflösen, so sehr entspannte die Massage ihre verkrampfte Muskulatur. Die Anspannung in ihrem Innern wich einem Gefühl vollkommener Wohligkeit, während seine Bewegungen ihre Erregung unerbittlich in die Höhe trieb. Er überschüttete sie förmlich mit Zärtlichkeiten, bis sie sich danach sehnte, ihn genauso hilflos und erregt zu sehen, wie sie es war. „Ich bin dran“, murmelte sie atemlos und drehte ihn auf die Seite. Sie schüttete sich Puder in die Handflächen, kniete sich neben ihn und gab ihr Bestes, ihn nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Überrascht stellte sie fest, dass es sie nicht weniger erregte, als selbst auf dem Bauch zu liegen und sich massieren zu lassen. Wie lange soll ich das noch aushalten? fragte sie sich insgeheim. Ihre Hände glitten über seinen festen Po, an den Schenkeln hinunter bis zu den Fußsohlen und wieder hinauf, genau so, wie er es ihr gezeigt hatte. Abrupt ließ er sich auf den Rücken fallen und zog sie über sich. „Das war doch erst der Anfang“, murmelte sie, schob ihre Schenkel rechts und links neben seinen Körper und setzte sich auf. „Sitz still, oder ich komme in ernsthafte Schwierigkeiten“, stieß er hervor. Mit der Hand brachte sie ihn in die richtige Position, als er versuchte, in sie hineinzugleiten. Spielerisch deutete sie an, dass sie sich zurückziehen wollte,
beugte sich wieder vor, wieder zurück und noch mal vor, bis sie sich schließlich
ihrer Leidenschaft hingab. Er drang tiefer und tiefer in sie ein, zog sie an sich,
bäumte sich auf, hielt sie fest und ließ sie vorsichtig nach hinten kippen, so dass
er über ihr lag. Sofort bedeckte er ihren Mund und küsste sie heiß und
leidenschaftlich.
„Fay…“, flüsterte er.
Seine raue Stimme gab ihr den Rest. Leise schrie sie auf, als sie den Höhepunkt
erreichte. Er verlor ebenfalls die Beherrschung, und sein Stöhnen erschien ihr als
Echo ihrer eigenen Lust.
Sobald sie sich wieder in der Lage fühlte, überhaupt einen Ton hervorzubringen,
erzählte sie Dan, was für eine großartige Rückenmassage er ihr geschenkt hatte.
Erstaunt stellte sie fest, dass er eingeschlafen war.
Soll ich ihn bei mir übernachten lassen? fragte sie sich. Er wäre der erste Mann,
dem sie es gestattete, in ihrem Bett die Nacht zu verbringen. Ken hatte sich
immer darüber geärgert, aber trotzdem hatte sie sich durchgesetzt. Aber Dan?
seufzte sie. Hast du in der Hütte nicht viele Nächte mit ihm in ein und
demselben Zimmer verbracht? Was ist jetzt anders daran?
Fay konnte sich nicht entscheiden. Weil sie ihn nicht wecken wollte, drehte sie
ihm den Rücken zu und wartete, bis er selbst die Sache ansprach. Er murmelte
ein paar Worte in sich hinein, kuschelte sich an sie und legte einen Arm um sie.
Sie genoss die Nähe seines warmen Körpers in vollen Zügen.
„Mmmhhh“, murmelte er und wachte langsam auf. „Nette Überraschung.“ Er war
schon wieder erregt. Er drehte sie mit dem Gesicht zu sich.
Sein Kuss war lang und leidenschaftlich, und seine Hände entdeckten immer
neue Stellen an ihrem Körper, die er bisher noch nicht erkundet hatte. „Es macht
süchtig, dich zu streicheln“, flüsterte er. „Ich bin schon richtig abhängig
geworden.“
Wieder fanden sich ihre Lippen. Wie fantastisch er schmeckt, schwärmte sie
insgeheim, ich würde ihn unter Hunderten wieder erkennen.
Dan sog ihren Duft tief in sich hinein. Sie roch lieblicher als Rosen. Hauptsache,
sie liegt in meinen Armen, dachte er, mehr brauche ich nicht.
Fay zitterte vor Erregung. Sie sehnte sich nach nichts anderem als er auch, und
sie vergaß alles um sich herum, als er schließlich in sie eindrang und ihre
Gedanken und Gefühle in einen wilden Strudel gerissen wurden.
Eine Weile später sehnte er sich danach, neben ihr im Bett liegen bleiben und
einschlafen zu dürfen. Aber er durfte nicht schlafen. Die Stunden mit ihr hatten
schon viel zu viel von der Zeit geraubt, die er eigentlich seinem Fall hätte
widmen müssen. Er musste dringend noch die Kneipe in der Huron Street in
Augenschein nehmen, bevor der Laden zumachte.
Dan drückte Fay einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. „Ich kann leider nicht
bleiben“, verkündete er.
„Der neue Fall?“ fragte sie.
„Stimmt.“ Er rollte sich aus dem Bett und suchte sich in der schwachen
Schlafzimmerbeleuchtung seine Klamotten zusammen.
„Äh, ich wollte dir sowieso noch sagen, dass es mir lieber ist, wenn du nicht hier
übernachtest“, stammelte Fay.
Er hielt inne. Wenn sie Äh sagte, hieß das immer, dass sie nicht die ganze
Wahrheit erzählte. „Wegen der Nachbarn?“
„Nein.“
Dan hatte keine Zeit mehr, der Sache auf den Grund zu gehen. „Ich muss mich
beeilen“, wehrte er ab. „Vergiss die Kette nicht.“
Auf der Fahrt in die Huron Street versuchte er mühsam, sich auf seine Aufgabe
zu konzentrieren. Noch nie im Leben hatte er sich von seinem Job ablenken lassen. Fay hatte die besten Chancen, die erste Ausnahme von der Regel zu werden. Sonntag war nicht Fays Tag. Nicht nur, dass sie kaum geschlafen hatte, Danny Marie war den ganzen Tag über nervös und unruhig. Fieber hatte sie nicht. Was fehlt ihr bloß? überlegte Fay, als das Telefon klingelte. Vielleicht der erste Zahn? „Hallo, Dad“, grüßte sie. „Schön, dass du gestern Mittag bei uns warst“, sagte er. „Neil hat sich sehr gefreut, dass du es einrichten konntest. Sag mal, schreit da das Baby? Ist es krank?“ Ohne jede Vorwarnung brach Fay plötzlich in Tränen aus. Sie war selbst überrascht. Als sie schließlich wieder sprechen konnte, versicherte sie ihrem Vater, dass ihre Tochter vermutlich nur den ersten Zahn bekam. „Du hörst dich trotzdem nicht gut an“, widersprach ihr Vater. „Am besten, Neil und ich kommen mal rüber.“ Das hat mir gerade noch gefehlt, schoss es ihr durch den Kopf. Ein schreiendes Baby, ein Vater, dem ich notdürftig verziehen habe, und eine Stiefmutter, die ich kaum kenne. Zwanzig Minuten später standen die beiden bei Fay vor der Tür. „Was ist los mit dir?“ wollte ihr Vater sofort wissen. „Hast du dich mit Dan gestritten?“ Wütend biss Fay die Zähne zusammen. „Lass Dan aus dem Spiel.“ „Als ob sie nicht schon genug Ärger hat“, schaltete Neil sich ein. „Ein Baby, das Schmerzen hat, ist Stress genug für eine Mutter.“ Sie wandte sich an Fay. „Auf dem Weg zu dir haben wir bei einer Apotheke angehalten und eine Salbe gekauft, mit der du den Gaumen der Kleinen einreiben kannst. Ganz harmlos. Wie heißt sie eigentlich?“ Mit dieser Frage hatte Fay schon längst gerechnet. Sie war gut vorbereitet. „Ihr Name ist Danielle Marie, und ich rufe sie Danny Marie. Aber Dan weiß nicht, dass ich sie nach ihm benannt habe. Er glaubt, dass sie Marie heißt und ruft sie Peanut. Mir wäre es recht, wenn ihr ihm seinen Glauben lasst.“ Hank Merriweather warf seiner Tochter einen missbilligenden Blick zu. „Dan wäre stolz, wenn er wüsste, dass du dein Kind nach ihm genannt hast.“ „Dad, ich habe gerade gesagt…“ „Weder dein Vater noch ich werden Dan ein Sterbenswörtchen verraten“, unterbrach Neil. „Stimmt’s, Hank?“ „Nein, natürlich nicht.“ „Und jetzt lass uns versuchen, die Salbe auf den Gaumen des Babys aufzutragen“, schlug Neil vor. „Hank, reich mir doch bitte die Tube. Fay, soll ich sie halten, während du sie einreibst?“ Fay nahm das Medikament von ihrem Vater und las sich den Beipackzettel durch. Die Inhaltsstoffe waren ungefährlich, aber trotzdem wirksam. Von Minute zu Minute freute Fay sich mehr darüber, dass Neil ihren Vater begleitete. Als die beiden wieder weggefahren waren, legte sie das schlafende Baby in die Krippe und machte sich selbst bettfertig. Es war noch früh, aber sie fühlte sich wahnsinnig erschöpft. Neil ist ein echter Schatz, dachte sie gerade, Dad kann von Glück sagen, dass er ihr über den Weg gelaufen ist. Wieder klingelte das Telefon und riss sie aus ihren Gedanken. „Wie geht es Peanut?“ wollte Dan wissen. „Besser?“ Hatte Dad nicht versprochen, sich nicht mehr einzumischen? schoss es ihr durch den Kopf.
„Sie schläft. Neils Salbe hat geholfen.“
„Schön. Sag mir Bescheid, wenn irgendwas passiert.“
Aus dem Hintergrund drangen verschiedene Geräusche an ihr Ohr. In der Ferne
heulten die Polizeisirenen. „Hier ist gleich die Hölle los.“ Dan schnitt das
Gespräch ab. „Keine Zeit mehr.“
Er legte so schnell auf, dass sie kein Wort mehr sagen konnte. Zugegeben, er ist
beschäftigt, schoss es ihr durch den Kopf. Aber es hätte ihn nur zwei Sekunden
gekostet, sich danach zu erkundigen, wie es mir eigentlich geht.
Wenigstens hatte er unmissverständlich klar gemacht, was ihm das Wichtigste im
Leben war.
13. KAPITEL Bevor sie am nächsten Morgen zur Arbeit ging, fuhr Fay mit der Fingerkuppe über Danny Maries wunden Gaumen und entdeckte, dass der zweite Zahn durchbrach. Das Baby war aber wesentlich weniger aufgeregt als beim ersten Mal. Fay entschied sich, sie in Yvonnes Obhut zu lassen. Außerdem hatten Neil und Hank versprochen, nach Marie zu schauen. Fays Kunde erwartete, dass sie die Reise nach New York mit ihm durchsprach, und er wollte, dass sie ihn auf der nächsten Reise in der letzten Augustwoche begleitete. Fay konnte nicht ablehnen, aber bei dem Gedanken, ihr Baby mehrere Tage allein zu lassen, krampfte sich ihr der Magen zusammen. Was, wenn dem Baby etwas zustößt, wenn ich unterwegs bin? fragte sie sich sofort. Clara war durch und durch vertrauenswürdig. Hank und Neil hatten Unterstützung für den Notfall zugesagt. Aber Danny Marie war noch so klein und so zart. Unwichtig, dass der Kinderarzt ihr beste Gesundheit bescheinigte. Mittwoch war der zweite Zahn komplett durchgebrochen. Danny Maries gute Laune kehrte zurück. Clara hatte die Betreuung wieder übernommen. Fay konnte ruhigen Gewissens zur Arbeit fahren. Aber trotzdem grübelte sie den ganzen Tag darüber nach, was sie tun sollte, wenn ihrer kleinen Tochter etwas zustieß. Ihre Sorge war umsonst. Danny Marie ging es prächtig. „Eigentlich wollte ich deinen jungen Freund auch dabeihaben, aber ich konnte ihn einfach nicht erreichen“, klagte Clara, als Fay am Sonntag zum Lunch bei ihr war. „Ich habe eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen, aber er hat sich nicht bei mir gemeldet. Ist er überhaupt noch in der Stadt?“ „Keine Ahnung“, erwiderte Fay. „Ich habe auch die ganze Woche über nichts von ihm gehört.“ Vielleicht hat er Clara nur deshalb nicht zurückgerufen, weil er wusste, dass er dann unweigerlich mir begegnen würde, überlegte Fay. Sieh den Tatsachen endlich ins Auge. Du bedeutest ihm nichts. Oder hatten Hanks Bemerkungen ihn in die Flucht geschlagen? Wenn das wirklich wahr ist, grübelte sie weiter, dann wird er mit Sicherheit nicht zu Dads und Neils Hochzeit am fünfzehnten August auftauchen. Einen Vorteil hat die Sache. Ich brauche mir keine Gedanken mehr über unsere Beziehung zu machen. Weil wir uns nie wieder sehen werden. Sonntagabend lief Dan in seinem schmutzigen Hotelzimmer irgendwo in der Stadt unruhig auf und ab. Die Einsamkeit nagte an ihm. Eigentlich hatte er gegen einen Undercover Einsatz nie etwas einzuwenden gehabt. Schon deshalb nicht, weil es ihn nicht viel Mühe kostete, sein Äußeres zu verändern. Aber diesmal war es anders. Sein Foto war durch die Presse gegangen, und der Chef war der Meinung gewesen, dass Dan viel zu bekannt war. Dan musste seine Haare dunkelblau färben, durfte sich nicht mehr rasieren und trug neuerdings einen Ohrring. Billige verschlissene Kleidung und ein zerdrückter Hut kamen hinzu – und schon hatte er sich in Lon Kingery verwandelt. Es war bewiesen, dass der Fall tatsächlich mit dem ersten zusammenhing. Bisher hatten sie angenommen, dass der Mann, den Dan erschossen hatte, der Kopf der Bande gewesen war. Aber es gab zwei Anführer, und der zweite dealte immer noch im großen Stil. Dan hatte die Aufgabe, im UndercoverEinsatz die Identität des Mannes und dessen Operationsbasis zu ermitteln. Die Sache unterlag strengster Geheimhaltung. Am darauf folgenden Donnerstag hatte Dan sein Ziel erreicht. Es war ihm sogar gelungen, einen Sender im Wagen desjenigen anzubringen, der den Aufenthaltsort meldete. Endlich konnte er das heruntergekommene Hotel
verlassen und wieder in seine Wohnung ziehen. Sofort versuchte Dan, Lons Spuren an seinem Körper auszulöschen. Anders als angekündigt ließ sich die dunkelblaue Tönung nicht komplett auswaschen. Seine Haarfarbe changierte zwischen blassblau und blond, aber immerhin durfte er sich wieder rasieren und den hässlichen Ohrring abnehmen. Als er den Anrufbeantworter abhörte, merkte er, dass er Claras Einladung verpasst hatte. Fay hatte sich nicht gemeldet. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es zu spät war, um sie noch am selben Abend anzurufen. Morgen ist die Hochzeit, tröstete er sich, dann sehe ich sie und kann ihr erklären, was los war. Das ist auf jeden Fall besser als jeder Telefonanruf. Wenn ich persönlich mit ihr spreche, kann sie nicht einfach auflegen. Am nächsten Nachmittag wartete die MerriweatherYatesHochzeitsgesellschaft vor der St.DunstanKirche darauf, dass ein anderes Paar die Kirche verließ. Jetzt bemerkte auch Dan, dass die schönste Erklärung nichts nutzte, wenn der Betreffende sie nicht hören wollte. In ihrem zarten birkengrünen Sommerkleid sah Fay wunderschön aus. Aber sie hatte ein ausgesprochenes Geschick entwickelt, immer gerade dann zu anderen Gästen zu wechseln, wenn er sich ihr näherte. Schließlich gelang es ihm, neben ihr in die Kirche zu gehen. „Warum flüchtest du vor mir?“ „Warum sollte ich?“ entgegnete sie mit schneidender Kälte. „Hör mich wenigstens an“, bat er. „Das bist du mir schuldig.“ „Ich schulde dir nichts“, erwiderte sie mit erhobener Stimme. Einige Gäste wurden aufmerksam. Sie biss sich auf die Lippe. „Ich musste untertauchen“, stieß Dan hastig hervor, „aber ich durfte es dir nicht erzählen. Es gehört eben zu meinem Job.“ „Dein Job ist mir vollkommen…“ Mitten im Satz brach sie ab, als ob sie die Bedeutung seiner Worte jetzt erst begriffen hatte. „Ich verstehe. Deshalb die blauen Strähnen in deinem Haar.“ „Es war ausgeschlossen, dich anzurufen oder dich zu besuchen. Und gestern Abend, nachdem der Einsatz beendet war, war es schon zu spät dazu. Aber…“ Er zögerte. „Ich habe dich vermisst.“ Langsam ließ er seinen Blick über sie schweifen. „Du siehst toll aus. Das grüne Kleid lässt deine Haare fast golden schimmern.“ Krampfhaft unterdrückte sie ein Lächeln. „Schmeichelei hilft dir jetzt auch nicht weiter.“ Erleichtert stellte Dan fest, dass ihre Stimme wieder wohlwollend klang. „Wo steckt Peanut?“ „Bei Clara, bis der Empfang zu Ende ist“, antwortete Fay. „Warst du wirklich undercover?“ „Glaubst du, ich würde mir die Haare blau färben, weil…“ „Braut oder Bräutigam?“ unterbrach der Platzanweiser. Dan zuckte erschrocken zusammen und ließ Fay antworten. „Bräutigam“, erwiderte sie und folgte den Anweisungen des Mannes. Dan stellte sicher, dass Fay von ihrem Platz in der Kirche aus die ganze Zeremonie beobachten konnte, und setzte sich dann neben sie. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in St. Dunstan’s entspannte er sich. Fay ist bei mir, dachte er. Alles andere interessiert mich nicht. Er bemerkte, dass sie angestrengt die Bankreihen musterte, in der die Verwandtschaft der Braut platziert worden war. „Neils Tochter Jo ist auch erst gestern spätabends angekommen“, erklärte Fay. „Aus Chicago. Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Ist dir eigentlich schon mal durch den Kopf gegangen, dass Jo jetzt meine
Stiefschwester ist?“ Der Organist spielte eine bekannte Hochzeitsmelodie, und Hank Merriweather führte seine Braut zum Altar. „Neil sieht fantastisch aus, findest du nicht?“ flüsterte Fay. „Das silbergraue Kostüm steht ihr einfach ausgezeichnet.“ Nachdem ihr Dad und Neil sich erklärt hatten, beugte Hank sich hinunter und küsste seine Ehefrau. Für den Bruchteil einer Sekunde driftete Fays Aufmerksamkeit beiseite, und ihr schwebte ein ganz anderes Bild vor Augen. Es waren nicht Hank und Neil, die vor dem Altar standen und sich küssten, sondern Dan und Fay… Erschrocken schüttelte sie die Vision von sich ab und atmete tief durch. Was ist in dich gefahren? Sie war selbst überrascht, dass ihr plötzlich die Tränen in die Augen stiegen. „Warum müssen Frauen bei Hochzeiten immer weinen?“ fragte Dan leise, während sie sich die Tränen mit dem Taschentuch aus den Augenwinkeln wischte. „Warum müssen Männer immer ungemütlich werden?“ zischte sie, obwohl sie sich eigentlich mehr über sich selbst ärgerte. „Ich bin nicht ungemütlich, sondern ungeduldig“, hielt er dagegen. „Zum Glück ist es vorbei. Aber wahrscheinlich müssen wir noch den Empfang hinter uns bringen.“ Langsam fragte sie sich, ob er etwa die ganze Zeit über daran denken musste, wie seine eigene Hochzeit verlaufen – und wie die Ehe schließlich gescheitert war. „Ja. Wie du weißt. Also lass uns gehen.“ Nach zwei Gläsern Champagner hatte Fays Laune sich spürbar verbessert. In der Nähe des Brautpaares entdeckte sie eine junge Frau, die Neil sehr ähnlich sah. Es konnte sich nur um Jo handeln. Fay stellte sich und Dan vor. Als Jo lächelte, erstrahlte plötzlich ihr ganzes Gesicht. „Was für ein wundervolles Lächeln du hast“, meinte Fay. „Das höre ich oft“, entgegnete Jo. „Aber das heißt wohl auch, dass ich nicht besonders hübsch bin. Der Ärger fängt an, wenn mir nicht nach Lächeln zu Mute ist.“ Dan grinste. „Betrachte es doch einfach aus einer anderen Perspektive“, meinte er. „Erst ohne dein hinreißendes Lächeln haben die Leute Gelegenheit, dich richtig schätzen zu lernen.“ Die Band spielte. Sie begann mit Musik aus Neils und Hanks Jugendzeit, und Dan schnappte sich Fay, um mit ihr über den Tanzboden zu wirbeln. „Meinst du, sie spielen auch Walzer?“ Schon beim nächsten Tanz bedauerte sie, zwei Gläser Champagner getrunken zu haben. Sie hatte sich nie etwas aus Alkohol gemacht, und das zweite Glas war eindeutig zu viel gewesen. Plötzlich fühlte sie sich so unwohl, dass sie sich bei Dan entschuldigte und überstürzt zu den Toiletten eilte. Gerade rechtzeitig. Kurz nach der Erleichterung fühlte sie sich wieder besser. Sie wusch sich das Gesicht kalt ab, erneuerte ihr Makeup und ging zurück zur Party. Oscar Miles, ein alter Freund ihres Vaters, bat sie um den nächsten Tanz. Sie stimmte zu, weil sie Dan noch nicht hatte entdecken können, und sie wollte auf der Hochzeit ihres Vaters nicht das Mauerblümchen spielen. Oscar schien unbedingt beweisen zu wollen, dass er es locker mit Fred Astaire aufnehmen konnte. Fay konnte seinen komplizierten Schrittfolgen und Kapriolen kaum folgen. Just in dem Augenblick, als er zur Höchstform auflief, entdeckte Fay, dass Dan mit Jo tanzte. Sie lachten und scherzten und schienen sich prächtig zu amüsieren. Fays Aufmerksamkeit war dahin. Sie stolperte, rutschte aus und war drauf und dran, zu Boden zu fallen. Im letzten Moment rettete Oscar
sie vor dem Sturz, aber sie verstauchte sich den Knöchel. Oscar musste sie von der Tanzfläche führen. Fay setzte sich auf den nächsten Stuhl und legte den verletzten Fuß auf einem Schemel ab, den ihr Tanzpartner aufgetrieben hatte. „Soll ich den Arzt rufen?“ „Nein, nein, mir geht es gut“, wehrte sie ab. „Ich muss mich nur eine Weile ausruhen.“ Aber Oscar gab erst nach, als sie versuchte, ihn mit einer Handbewegung zu verscheuchen. „Sie müssen wirklich nicht bleiben.“ Schließlich hatte sie ihre Ruhe. Mit einem pochenden Schmerz im Knöchel saß sie allein am Tisch, bemitleidete sich und war zugleich wütend auf Dan. Nie und nimmer wäre ich gestolpert, wenn er sich nicht so unverschämt benommen hätte, schimpfte sie lautlos. Und plötzlich wurde ihr klar, was sie empfand: Eifersucht. Du liebe Güte. Fay Merriweather, die sich noch nie so sehr auf einen Mann eingelassen hatte, um eifersüchtig zu werden, hatte es erwischt. Neil und Hank kamen zu ihr. Besorgt betrachtete Neil den geschwollenen Knöchel. „Das muss verdammt wehtun“, meinte sie mitleidig. „Geht schon“, wehrte Fay ab. „Ich habe mir den Fuß verstaucht, aber gebrochen ist nichts. Zu Hause habe ich elastische Bandagen, die ich anlegen kann. Mit einem eiskalten Gelkissen wird es dann schon gehen.“ „Dan soll dich nach Hause bringen“, schlug Hank vor. „Nein, ich will nicht…“ Es war zwecklos. Ihr Vater war schon davongeeilt und kam mit Dan im Schlepptau zurück. „Was ist passiert?“ fragte Dan. „Nur verstaucht“, wiederholte Fay. „Du musst sofort mit Eis kühlen“, erwiderte Dan. „Gib mir die Autoschlüssel. Ich bringe dich nach Hause.“ Fay gehorchte. Dan gab die Schlüssel an Hank weiter. „Am besten, ihr bringt Fays Wagen nach Hause, wenn die Party zu Ende ist“, schlug er vor. „Jetzt nehmen wir meinen Wagen.“ Hank klopfte Dan freundschaftlich auf die Schulter. „Prima Idee.“ „Herzlichen Gruß an Jo“, meinte Dan zu Neil. Kurzerhand hob er Fay auf seine Arme und trug sie aus dem Saal. Sein Auto stand in der Nähe des Eingangs. Er setzte sie auf den Beifahrersitz und klemmte sich hinter das Steuer. „Vielen Dank“, begann Fay schließlich, „und bitte entschuldige, dass ich dir den Spaß verdorben habe.“ Irritiert schaute er sie an und schwieg. „Eigentlich“, fuhr sie fort, „hättest du Jo auch meinen Wagen fahren lassen können. Sie wäre uns dann gefolgt, und du wärst mit ihr zusammen zur Party zurückgefahren. Wie praktisch, denn dann hättest du dich noch nicht mal von ihr verabschieden müssen…“ Er unterbrach sie. „Ich habe verstanden. Es geht dir also um Jo! Warum auch immer…“ „Ich bin nicht eifersüchtig!“ stieß sie wütend hervor. „Wow! Hat das irgendjemand behauptet?“ Fay wusste genau, dass sie sich um Kopf und Kragen redete, aber sie konnte einfach nicht den Mund halten. „Ich hatte den Eindruck, dass ihr zwei euch prächtig amüsiert habt.“ Dan zog es vor zu schweigen. Krampfhaft überlegte sie, was sie ihm außerdem noch hätte vorwerfen können, aber ihr fiel beim besten Willen nichts ein. Über das Handy benachrichtigte er Clara. Sie hatte Fays Wohnungstür schon geöffnet, als der Wagen vorfuhr. Er trug Fay ins Haus und setzte sie vorsichtig auf dem Sofa ab.
„Du liebe Güte“, jammerte Clara, „was für eine dumme Sache. Kann ich
irgendwie helfen?“
„Eis“, ordnete Dan an.
„Ich hole schnell meine altmodischen Gelkissen“, meinte Clara und verschwand.
„Du kannst auch gehen.“ Fay klang müde und erschöpft. „Mir geht es gut.
Wirklich. Und ich bin dir sehr dankbar, dass du mich nach Hause gebracht hast.“
„Dankbar, aber schlecht gelaunt?“
„Ich möchte mich nicht noch mehr blamieren“, erklärte sie.
„Wer will das schon? Sei ehrlich. Dich quält nicht die Angst, dass du dich noch
mehr blamierst. Es geht dir um was ganz anderes.“
Sie vermied seinen Blick.
„Falls du auf eine Entschuldigung wartest“, fügte er hinzu, „da kannst du lange
warten. Es gibt nichts zu entschuldigen.“
Fay seufzte auf. „Eigentlich bin ich nur wütend auf mich selbst“, erklärte sie
schließlich. „Eifersucht ist ein hässliches Gefühl.“
„Das kann man wohl sagen. Ich habe es selbst ein paar Mal erlebt.“
„Wegen Jean?“
Dan schüttelte den Kopf. „Deinetwegen. Komplett verrückt. Aber so ist das
Leben.“
Erstaunt riss sie die Augen auf. „Aber ich habe doch nie…“ Sie brach ab. „Ich
verstehe. Du hast ja auch nie den Mund aufgemacht.“
Er lächelte, holte sich einen Stuhl und setzte sich neben die Couch. „Ein wildes
und leidenschaftliches Wiedersehen wäre mir lieber gewesen, aber so ist es auch
okay“, meinte er, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft. „Ich bleibe
über Nacht hier, nur für den Fall, dass ich dir das Baby bringen soll. Wie in der
Hütte.“
„Wild und leidenschaftlich wäre mir auch lieber“, gestand sie seufzend.
„Ja. Das Leben mit einem Cop ist eben kein Zuckerschlecken. Oder warst du etwa
nicht wütend, dass ich mich zwei Wochen lang nicht bei dir gemeldet habe?“
„Ich war überzeugt, dass du dich trennen wolltest.“
„Es hat doch gerade erst angefangen“, wandte er ein und strich ihr zärtlich über
den Rücken.
„Ja, aber…“ Ihre Worte verloren sich. Sie hatte schon viel zu viel von ihren
Gefühlen preisgegeben. Für heute ist es genug, dachte sie insgeheim.
14. KAPITEL Fay hatte Recht behalten. Der Knöchel war nicht gebrochen. „Die Schmerzen deuten auf einen ganz normalen Heilungsprozess hin“, erklärte Dr. Morse am Montag. „Achten Sie darauf, dass Sie das Bein in den nächsten Tagen so wenig wie möglich belasten.“ Auf der Fahrt nach Hause besprachen Neil und Hank mit ihr, wie sie sich möglichst schonen konnte. Hank plädierte dafür, dass sie die ganze Woche zu Hause blieb, aber Fay war strikt dagegen. Sie einigten sich darauf, dass die Großeltern die Betreuung des Babys übernahmen, falls Fay sich bis Ende August so weit erholt hatte, dass sie mit ihrem Auftraggeber wie geplant nach New York fliegen konnte. „Was für ein Glück, dass ich euch habe“, gestand Fay seufzend. „Gut, dass du das auch endlich einsiehst“, grinste ihr Vater. „Besser spät als nie. Uns verschafft das die Gelegenheit, unsere Enkelin ausgiebig zu sehen.“ Fay ahnte, dass Dan an seinem neuen Fall arbeitete und deshalb vermutlich nicht über Nacht bei ihr bleiben konnte. Bevor ihr Dad am Abend nach Hause fuhr, bat sie ihn, die Wiege wieder neben ihr Bett im Schlafzimmer zu schieben. Neil verstaute die Windeln und Waschlappen in der Kommode, so dass sie das Baby ohne Probleme auch nachts versorgen konnte. Clara wollte am nächsten Morgen nach Fay sehen. Es tat höllisch weh, als sie den Fuß am nächsten Morgen belastete. Fay merkte, dass die Heilung wohl länger dauern würde als ursprünglich geplant. Wie gut, dass Dad und Neil mir helfen, dachte sie insgeheim. Sie schaffte es zwar, am Mittwoch zur Arbeit zu fahren, aber der Knöchel schmerzte ungemein, als sie wieder zu Hause war. Donnerstag schaute Dan kurz vorbei. Seine Zeit reichte nur für eine Umarmung und für einen flüchtigen Kuss. Er konnte nicht bleiben. „Ich versuche, am Sonntag wieder bei dir zu sein“, erklärte er ihr. „Aber rechne lieber nicht damit. Wir sind drauf und dran, den Fall abzuschließen.“ Irgendwie überlebte sie den Freitag und das Wochenende. Obwohl Neil und Hank jeden Tag bei ihr waren, wartete sie den ganzen Sonntag sehnsüchtig auf Dan. Kurz nach neun Uhr abends traf er endlich ein. Sie umarmte und küsste ihn stürmisch. Er beobachtete, wie sie ins Wohnzimmer humpelte. „Dauert länger, als du vermutet hast, stimmt’s?“ Fay seufzte genervt. „Sieht alles danach aus. Aber immerhin ist die Schwellung zurückgegangen.“ Das Baby weinte. „Sie liegt in der Wiege im Schlafzimmer“, rief Fay ihm nach, als er ins Kinderzimmer eilte. Er machte auf dem Absatz kehrt und nahm das Baby auf den Arm. „Dan ist da, meine Süße“, sagte er beruhigend. Sofort hörte sie auf zu weinen und schaute ihn erstaunt an. „Du kennst mich doch, oder? Und du magst deinen alten Dan, das weiß ich.“ Der Gedanke wärmte ihm das Herz, und lächelnd brachte er Fay das Baby. „Du kannst sie füttern“, schlug Fay zu seiner Überraschung vor. „Seit einer Woche habe ich sie abgestillt. Der Arzt hat mir Medikamente verschrieben, die die Milchproduktion stoppen. In der Küche steht ein Fläschchen, ich habe es aufgewärmt, kurz bevor du eingetroffen bist.“ „Du stillst nicht mehr?“ „Wenn du wüsstest, wie anstrengend das ist, seit sie Zähne hat“, erklärte Fay. „Stimmt, du hast Recht“, meinte er, nahm das warme Fläschchen und setzte sich
zu Fay auf die Couch. „Hab ich noch nie drüber nachgedacht.“ Wie schön es ist, neben Fay zu sitzen und das Baby zu füttern, dachte Dan insgeheim. Entspannt lehnte er sich zurück. In den letzten Wochen hatte er nur selten Zeit dazu gefunden. „Lass mich nicht einschlafen“, murmelte er leise vor sich hin. „Ich kann nicht so lange bleiben.“ „Aber ich dachte…“ „Ich auch“, seufzte er. „Vielleicht nächste Woche.“ Unvermittelt deutete Fay auf ihren Knöchel. „Das zweite Glas Champagner ist schuld.“ Er hob fragend die Augenbrauen. „Mir ist übel geworden von diesem zweiten Glas. Also musste ich kurz weg. Und als ich wiederkam, warst du nicht mehr da. Oscar hat mich um den Tanz gebeten.“ „Wer ist Oscar?“ hakte Dan nach. „Ein auferstandener Fred Astaire. Er ist wie wild auf dem Tanzboden herumgehüpft, und ich hatte alle Mühe mitzuhalten“, berichtete Fay. „Dann habe ich dich und Jo gesehen. Ihr zwei habt euch prächtig amüsiert. Für ein paar Sekunden war ich abgelenkt und bin gestolpert. Wenn PseudoFred mich nicht aufgefangen hätte, wäre ich glatt hingeknallt. Den Rest kennst du.“ Er lachte aus vollem Hals. „Es ist nicht komisch“, murrte sie, musste dann aber lächeln. „Nächste Woche fliege ich mit meinem Auftraggeber und dessen Ehefrau nach New York. Shopping für sie, Business für uns. Ich bin erst am Donnerstagabend wieder zurück.“ „Was? Mit diesem Knöchel?“ stieß er besorgt hervor. Fay straffte den Rücken und setzte sich auf. „Ich kann meine Entscheidungen selbst treffen. Ich kann… oh, Marie hat den Sauger ausgespuckt. Sie ist satt. Hilf ihr beim Aufstoßen.“ Plötzlich piepte sein Pager. „Kümmere du dich darum“, meinte er, gab ihr das Baby und stand auf. „Ich muss los.“ „Sehen wir uns am Donnerstag?“ „Ich würde es dir sagen, wenn ich es wüsste. Aber ich habe keine Ahnung. Wenn ich Zeit habe, auf jeden Fall.“ Dan eilte zur Tür und verschwand. Irgendwie hat Dan Recht gehabt, überlegte Fay, als sie an Bord des Fliegers nach New York humpelte. Aber trotzdem hat er sich in meine Entscheidungen nicht einzumischen. Es ist ein wichtiges Meeting für meinen Mandanten und für mich. Fay war erschöpft, als sie am Donnerstagabend wieder auf dem Heimatflughafen landete. Ihr Knöchel schmerzte zwar nicht schlimmer als vorher, aber es tat immer noch weh, wenn sie ihn belastete. Das Meeting war anstrengend gewesen. Jetzt wollte sie nur noch so schnell wie möglich nach Hause, sich überzeugen, dass es Danny Marie an nichts fehlte, und anschließend ins Bett fallen und schlafen. Ihr Vater holte sie am Flughafen ab und versicherte ihr, dass es dem Baby gut ging. Aber Neil und er brauchten dringend Ruhe. „Deine Mutter hat sich immer um dich gekümmert, solange du klein warst“, erklärte er. „Ich hätte niemals gedacht, dass ein Baby so viel Aufmerksamkeit verlangt. Wir haben es in vollen Zügen genossen, aber rund um die Uhr brauchen wir das nicht.“ „Ich weiß gar nicht, wie ich mich bedanken soll“, seufzte Fay und küsste ihren Vater auf die Wange. „Bist du so weit?“ fragte er Neil, sobald er Fays Koffer in die Wohnung gebracht hatte. „Im Kühlschrank steht noch kalter Braten“, erklärte Neil in aller Eile. „Danny
Marie geht es ausgezeichnet. Im Augenblick schläft sie. Tut mir Leid, dass alles so schnell geht, aber wir müssen wirklich los.“ „Kein Problem. Ihr zwei seid einfach großartig.“ Fay umarmte Neil herzlich. „Danny Marie hat eine tolle Großmutter. Gut, dass es dich gibt.“ Nachdem die beiden verschwunden waren, fragte sie sich, wann sie Dan wohl wieder sehen würde. Heute Abend bestimmt nicht, vermutete sie, er ist mit seinem Fall beschäftigt. Macht nichts, ich bin sowieso fix und fertig. Fay schaute nach ihrer Tochter und machte es sich dann auf der Couch gemütlich. Endlich Zeit für mich, stöhnte sie erleichtert auf, griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an. Ihr Vater hatte den lokalen Sender eingestellt, den sie sonst gar nicht schaute. Aber die Nachrichten liefen gerade, und deshalb schaltete sie nicht gleich um. Brandaktuell flimmerte in grellen Buchstaben über den Bildschirm, wiederholte sich immer wieder. Kurz darauf erschien ein chaotisches Durcheinander von Blaulicht, Polizeiwagen und Notärzten. Schüsse fielen, aber Fay konnte nicht erkennen, wer schoss und wer getroffen wurde. „Heff Gaines, Ihr Reporter direkt vom Einsatzort“, meldete sich ein Mann zu Wort. Die Kamera zoomte ihn heran. „Wir berichten mitten aus einer Schießerei. Mindestens zwei Männer sind schwer verwundet.“ Fay starrte angestrengt auf den Bildschirm, als die Kamera in die Totale ging und den ganzen Schauplatz zeigte. Heff sprach weiter. „Hier links liegt ein Mann auf der Straße. Auf der anderen Seite hinter dem Auto liegt ein zweiter Verwundeter. Aus unserer Perspektive können wir Ihnen leider nicht mehr zeigen.“ Atemlos suchte sie den Bildschirm ab. Nein, das kann nicht wahr sein! Fay kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Doch, es stimmte. Auf dem Nummernschild des Wagens, vor dem Heff Gaines stand, prangten lauter Sechsen. Dans Wagen. Entsetzt schlug sie die Hände aufs Gesicht, als sie einen regungslosen Körper auf der Straße liegen sah. Heff fuhr mit seiner Reportage fort. Sirenen heulten auf, Polizeiwagen schossen heran. „Aus gut unterrichteter Quelle habe ich erfahren“, sagte er, „dass einer der Verwundeten ein Polizist ist.“ Fay schloss die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Nicht Dan. Bitte, nicht Dan. Als sie die Augen wieder öffnete, stellte sie fest, dass der regungslose Mann auf der Straße keine Uniform trug. Das bedeutete nicht, dass er nicht von der Polizei war. Im Gegenteil. Es konnte sich nur um einen Detective handeln. „Gerade wird mir berichtet, dass die Notärzte bei dem Verwundeten angekommen sind“, fuhr Heff fort, „die Polizei hat die Gegend weiträumig abgesperrt, um an den Mann ranzukommen. Wir wissen leider nicht, welcher von beiden der Cop ist.“ Zehn Sekunden später raste der Notarztwagen davon. „Sie bringen den Verwundeten jetzt ins City Hospital.“ Ohne den Blick vom Bildschirm zu reißen, tastete Fay nach ihrem Handy und wählte Claras Nummer. „Ich muss sofort weg“, stieß sie aufgeregt hervor, als Mrs. Monroe sich meldete. „Kannst du auf Danny Marie aufpassen?“ Heff berichtete immer noch vom Tatort, als Clara eintraf. „Du liebe Güte!“ rief sie erschrocken. „Heff Gaines, der Polizeireporter. Eine LiveReportage?“ Fay nickte. Ein uniformierter Polizist bahnte sich seinen Weg über den Schauplatz und war fast bei dem reglosen Körper in der Nähe von Dans Wagen angekommen. Fay verkrampfte sich, weil sie befürchtete, dass er jeden Augenblick von einer Kugel
getroffen werden könnte. Als der Polizist beim Opfer angekommen war, breitete er eine Decke aus, rollte den leblosen Mann vorsichtig hinein und schloss die Decke über ihm. Mit kräftigem Griff fasste er das Bündel an einem Ende, schleppte es hastig aus der Gefahrenzone und blieb hinter Dans Wagen stehen. Eine Ambulanz raste heran. „Was, wenn Dan verletzt ist?“ Fays Stimme klang panisch. „Ich muss dringend zum City Hospital. Ich muss einfach Klarheit haben.“ „Ich hoffe das Beste“, stöhnte Clara entsetzt, während Fay nach ihrer Handtasche griff. „Aber sag mal, willst du dir nicht wenigstens Schuhe anziehen?“ Fay kam zurück, schlüpfte in ihre Sandalen und rannte zur Tür hinaus. Sie parkte ihren Wagen so dicht wie möglich neben dem Eingang zur Notaufnahme, humpelte an einem Ambulanzwagen vorbei ins Krankenhaus. Der Empfang war nicht besetzt. Was nun? Einfach die Tür aufmachen und in den Behandlungsbereich eindringen? Fay entschloss sich, vorerst im Wartezimmer Platz zu nehmen. „Sie haben gerade jemanden im Rollstuhl reingefahren“, erklärte ein Mann im Wartezimmer. „Die Ärzte haben gesagt, dass er angeschossen worden ist.“ Ein uniformierter Polizist rannte ins Wartezimmer, schaute sich hastig um und rannte wortlos in den Behandlungsbereich. Fay humpelte ihm so schnell wie möglich nach. Vor der ersten Bucht war der Vorhang zugezogen. Der Polizist riss ihn fort, murmelte eine Entschuldigung und lief weiter. Plötzlich versperrte eine Krankenschwester in grüner Kleidung den Weg. „Kann ich Ihnen helfen?“ fragte sie Fay, während sie den Polizisten passieren ließ. „Wie heißt der Mann, der eben eingeliefert worden ist?“ stieß Fay hervor. „Er ist angeschossen worden.“ „Tut mir Leid. Vertrauliche Informationen darf ich nicht weitergeben. Setzen Sie sich ins Wartezimmer, bis der Kollege am Empfang Ihnen hilft.“ „Da ist niemand!“ rief sie verzweifelt. „Dann müssen Sie warten. Setzen Sie sich ins Wartezimmer.“ Die Krankenschwester drängte Fay unerbittlich aus dem Bereich, bis sie wieder in der Eingangszone angekommen war. Aus den Augenwinkeln erhaschte Fay den Anblick eines Mannes in Grün, der sich an den Empfang setzte. Sofort humpelte sie zu ihm. „Sagen Sie mir bitte, wie der Mann heißt, der gerade eingeliefert worden ist“, bat Fay. „Er ist angeschossen worden.“ George Cox stand auf dem Namensschild des Pflegers, der einen Stapel Papiere auf dem Schreibtisch ordnete. „Sind Sie mit ihm verwandt?“ „Woher soll ich das wissen, wenn ich nicht weiß, wie er heißt?“ rief Fay fassungslos. „Wenn er Dan Sorenson heißt, ja, dann bin ich mit ihm verwandt. Ich bin… äh… seine Schwester.“ George blätterte durch den Stapel Papiere und schüttelte den Kopf. „Nein, ein Dan Sorenson ist nicht bei uns in Behandlung. Jedenfalls nicht, seit ich heute um drei den Dienst übernommen habe.“ Er neigte den Kopf zur Seite, als würde er einem entfernten Geräusch lauschen. Fay hörte eine Sirene, die schnell näher kam. George drehte sich weg. „Dringlichkeitsstufe Rot kommt!“ rief er einem Kollegen zu, den Fay nicht sehen konnte. Vielleicht das zweite Opfer, schoss es Fay durch den Kopf. Vielleicht Dan. Die Sanitäter würden ihn nicht durch die Eingangszone einliefern, in der sie sich jetzt aufhielt. Sie würden den hinteren Eingang mit den Automatiktüren benutzen. Es war nicht zu erwarten, dass die Notärzte ihr den Namen des Patienten verrieten.
Wenn ich mich draußen postiere, überlegte sie blitzartig, kann ich vielleicht einen Blick auf die Trage werfen, wenn sie an mir vorbeirollt. Dann wüsste ich endlich Bescheid. Genau im richtigen Moment schlüpfte sie aus der Tür. Der Rettungswagen kam gerade an. So unauffällig wie möglich humpelte sie neben den hinteren Eingang zur Notaufnahme und hielt sich dicht an der Wand. Aber die Tarnung half nichts, das Gelände war taghell ausgeleuchtet. Sie konnte nur darauf hoffen, dass man sie für zu unwichtig hielt, um sie wegzujagen. Ein Polizeiwagen stoppte mit quietschenden Reifen neben dem Rettungswagen. Zwei Cops sprangen heraus und eilten sofort auf sie zu. „Miss“, begann der erste, „verschwinden Sie. Sofort.“ „Aber ich muss wissen, wer…“ Sie brach abrupt ab, als der zweite Polizist nach ihrem Arm griff und im Laufschritt mit ihr zum Wartezimmer eilte. „Setzen Sie sich hier hin und warten Sie.“ „Aber ich muss wissen…“, versuchte sie es wieder, gab aber auf, als der Polizist die Tür hinter sich schloss. Nach ein paar Minuten wagte Fay einen Blick auf den Flur. George war nirgends zu sehen. Vorsichtig öffnete sie die Tür zur Behandlungszone und linste durch den Spalt nach innen. Ein Rettungssanitäter schob die Trage gerade durch den hinteren Eingang hinein. Das ist deine Chance. Leise fluchte sie in sich hinein, als die beiden Polizisten heraneilten und die Trage zu beiden Seiten flankierten, während sie über den Flur rollte. Einer der beiden versperrte komplett den Blick auf das Gesicht des Verwundeten. Zwecklos, sie noch mal nach dem Namen des Mannes zu fragen, seufzte Fay frustriert. Just in dem Augenblick, als sie sich wieder zurückziehen wollte, stieß ein Mann die Türen zum hinteren Eingang auf und rannte über den Flur. Fay erstarrte vor Schreck. Ihr Herz überschlug sich fast. „Dan!“ schrie sie, riss die Tür auf, rannte auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. Er fing sie auf und schloss sie ein paar Sekunden fest in die Arme. „Was machst du hier?“ „Ich habe die Schießerei im Fernsehen verfolgt. Sie haben gesagt, dass ein Cop verwundet wurde, und ich dachte…“ Sie wusste, dass sie hilflos vor sich hinstammelte, konnte sich aber trotzdem nicht beherrschen. „Ich bin hergefahren, weil ich wissen wollte, ob du… aber sie haben mir nicht…“ „Beruhige dich, Fay. Mir ist nichts passiert.“ „Dein Wagen… ich habe dein Nummernschild gesehen…“ „Ja, ich war am Tatort“, erklärte Dan. „Aber jetzt beruhige dich wieder und fahr nach Hause. Ich bin immer noch im Dienst und kann im Moment nichts für dich tun.“ „Wenn du mir versprichst, dass du sofort zu mir kommst, wenn du deinen Job hier erledigt hast. Was auch immer es ist“, presste Fay hervor. „Es wird spät werden“, gab er zu bedenken. „Bestimmt nach Mitternacht.“ „Egal“, beharrte sie. „Versprich es mir.“ Er nickte und ließ ihre Schultern los. Fay atmete tief ein und ließ die Luft langsam aus der Lunge entweichen, bevor sie aus dem Krankenhaus humpelte. Dan lebt, redete sie sich auf dem Weg nach Hause immer wieder ein. Er lebt, und er ist noch nicht einmal verletzt. Sie zitterte immer noch vor Aufregung, als sie bei ihrer Wohnung ankam. Sie versicherte Clara, dass Dan unverletzt war, und bedankte sich bei ihr für den schnellen Einsatz. Nachdem ihre Vermieterin gegangen war, schaute Fay nach Danny Marie. Das
Baby schlief tief und fest. Leise schloss Fay die Tür, ging ins Bad und ließ sich warmes Wasser in die Wanne laufen. Das Zittern ließ langsam nach, als sie in die Wanne glitt. Nach dem Bad fühlte sie sich vollkommen entspannt. Und erschöpft. Sie schlüpfte in ihren Bademantel, streckte sich auf dem Bett aus und schlief auf der Stelle ein. Sie schlief so lange, bis Danny Marie sie weckte, setzte sich auf und schaute auf die roten Leuchtdioden ihres Weckers. Fast drei. Ein neuer Tag. „Weißt du was, meine Kleine?“ meinte sie zu ihrer Tochter, als sie kurz darauf im Sessel saß und Danny Marie fütterte. „Andere Kinder in deinem Alter schlafen nachts durch. Wie wär’s, wenn du dich auch langsam mal mit dem Gedanken anfreundest?“ Nach der Mahlzeit zeigte Marie keine Anzeichen von Müdigkeit. Fay unterdrückte ein Gähnen und nahm das Baby auf den Schoß. „Vielleicht wird deine Mommy ein bisschen weniger arbeiten, wenn dieser Job erledigt ist“, erklärte sie ihrer Tochter. „Was hältst du davon? Und wenn deine Mommy ihre Beziehung zu Dan geklärt hat, wirst du ihn auch öfter sehen. Ich weiß, dass du ihn magst. Ich auch. Er wäre ein großartiger Vater, nicht wahr?“ Fay hielt inne und dachte über ihre letzten Worte nach. Wie soll er Danny Maries Vater werden, wenn er nicht heiraten will? Aber du willst ihn doch auch nicht heiraten, wandte ihre innere Stimme ein. Nachdem sie die Verlobung mit Ken gelöst hatte, hatte sie sich geschworen, nie wieder eine feste Bindung einzugehen. Und sein Tod hatte ihre Auffassung nur noch bestärkt. Fühlst du dich immer noch schuldig? fragte sie sich plötzlich und schüttelte heftig den Kopf. Nein. Ich habe gute Gründe, allein zu bleiben. Und kann sie der Reihe nach aufzählen. Plötzlich schoss ihr der Vers eines berühmten Dichters durch den Kopf. War es Shakespeare, Hamlet? „Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel.“
15. KAPITEL Dan verließ das Krankenhaus und schaute auf die Uhr. Nach drei. Soll ich noch zu Fay fahren? Um diese Uhrzeit? überlegte er. Einerseits habe ich es versprochen. Andererseits will ich nur noch nach Hause. Zu Fay. Nach Hause zu Fay? Da stimmt was nicht, grübelte er weiter. Er wollte einfach nur ein paar Minuten mit ihr allein sein. Trotzdem wurde er den Gedanken nicht mehr los, dass Fay und Zuhause zusammengehörten. Als er den Wagen aus der Parklücke manövrierte, rief er sich den Moment in Erinnerung, als sie ihm in der Notaufnahme in den Armen gelegen hatte. Es war offensichtlich, dass sie sich riesige Sorgen gemacht hatte. Aber inzwischen hatte sie sich bestimmt wieder beruhigt. Und sie hatte Zeit gefunden, darüber nachzudenken, was sie durchgemacht hatte. Wird sie mich mit offenen Armen empfangen? Oder wird sie mich zum Teufel jagen, weil sie das nicht noch einmal erleben will? Es sah alles danach aus, als ob sein Partner Gary durchkommen würde. Gary war der beste Mann in seinem Team. Wenn die Kugel auch nur einen einzigen Zentimeter höher gelandet wäre… Noch mal gut gegangen. Als Dan in die Straße einbog, in der Fay wohnte, entdeckte er, dass das Licht auf der Veranda noch brannte. Das konnte nur heißen, dass sie ihn erwartete. Aber hieß es auch, dass er willkommen war? Beunruhigt stieg Dan aus dem Wagen. Der Adrenalinspiegel in seinem Blut war höher als heute Nachmittag beim Einsatz. Er klingelte und nannte ihr seinen Namen, als sie danach fragte. Sie trug immer noch den Bademantel, aber an ihrer unordentlichen Frisur konnte man erkennen, dass sie geschlafen hatte. Marie saß auf ihrem Arm und schaute ihn an. Kaum hatte er die Tür mit dem Fuß zugestoßen, als Fay ihm auch schon das Baby überreichte. „Ich hatte stundenlang Zeit, darüber nachzudenken“, verkündete Fay. „Und ich habe eine Entscheidung getroffen. Danny Marie braucht einen Vater.“ Erschrocken starrte er sie an. „Danny Marie?“ „Ja. Ihr voller Name ist Danielle Marie. Ich habe es dir verschwiegen, weil ich mir nicht sicher war, ob du einverstanden bist.“ „Du hast sie nach mir genannt?“ Dan schaute abwechselnd Fay und das Baby an. Es fehlte nicht viel, und er hätte angefangen zu weihen. „Nach wem denn sonst? Wenn du nicht gewesen wärst, würde es weder das Baby noch mich geben. Sie verdankt dir dein Leben und ich dir meines. Weißt du, was die Chinesen sagen, wenn ein Mensch einem anderen das Leben gerettet hat?“ Dan zögerte, weil er nicht wusste, worauf sie hinauswollte. „Der Retter ist sein Leben lang für den Menschen verantwortlich, den er gerettet hat“, antwortete er schließlich. Fay nickte. „Du hast Danny Marie und mich gerettet. Mit anderen Worten, uns beide wirst du nicht mehr los.“ Sie machte eine kleine Pause. „Danny Marie und ich, wir brauchen dich. Außerdem bist du bereits ihr Vater. In vielerlei Hinsicht. Und was mich betrifft…“ Seufzend brach sie ab. „Ich bin fast gestorben vor Angst, als ich deinen Wagen mitten in dieser Schießerei entdeckt habe. Aber ich bin nicht wie Jean. Ich kann damit leben, weil ich sonst mein Leben garantiert ohne dich verbringen müsste. Besser, du schlägst es dir aus dem Kopf, dass ich nicht mit einem Detective zusammen sein möchte. Ich… ich…“ Wieder brach sie ab. Sie nahm ihm das Kind aus den Armen und eilte ins Kinderzimmer. Dan folgte ihr. Er wusste immer noch nicht, was sie im Schilde führte, und schaute zu, wie sie ihre Tochter hinlegte. Eine kleine Weile standen sie beide
neben dem Bettchen und betrachteten das Baby. „Was wolltest du sagen?“ hakte Dan leise nach. „Ich wollte sagen, dass ich dich so sehr liebe, wie ich nie einen anderen Mann lieben werde“, stieß sie beinahe wütend hervor. „Es kann nur dich geben. Für jetzt und für immer. Willst du mich heiraten?“ Er traute seinen Ohren nicht. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie ihn fragte, ob sie sich nicht zusammen eine Wohnung suchen wollten. Aber heiraten? „Also?“ forderte sie ihn auf. „Oder hat es dir die Sprache verschlagen?“ „Aber ich habe niemals damit gerechnet, dass…“ „Es ist mir egal, womit du gerechnet hast“, unterbrach sie ihn kurzerhand, sprach aber leise, um das Baby nicht zu wecken. „Antworte.“ „Aber ich wollte doch nur sagen, dass ein redlicher Detective wie ich nicht unbedingt dem Mann deiner Träume entspricht“, gab Dan zu bedenken. „Ich bin nicht besonders ambitioniert oder karrieresüchtig.“ „Mach dich nicht lustig über mich. Es geht hier um mein Leben. Und um deines.“ Dan legte seine Handfläche auf ihre Wange und schaute sie direkt an. „Ich mache mich nicht lustig. Vermutlich habe ich mich schon in dich verliebt, als ich dich damals in meine Hütte gezerrt habe. Nass und durchgefroren und hochschwanger. Von diesem Tag an sind meine Gefühle für dich immer intensiver geworden. Und wenn du schon über dein und mein Leben redest… ich habe wahnsinnige Angst davor, dir zu sagen, dass ich dich liebe. Weil ich mich dann lebenslang binde. Als ob wir verheiratet wären.“ „Hast du wirklich zu viel Angst?“ „Fay, du weißt nicht, worauf du dich einlässt.“ „Doch, das weiß ich“, widersprach sie. „Aber du hast mir immer noch nicht geantwortet.“ Er beugte sich so nah an sie heran, dass sein Atem sich mit ihrem vermischte. „Ich liebe dich. Ich will, dass du meine Frau wirst. Für immer.“ Dann küsste er sie mit aller Leidenschaft, die er aufbringen konnte. Der Gedanke an die Ehe ängstigte ihn zwar noch immer, aber er wusste, dass er niemals mehr auf Fay verzichten wollte. Sie sollte zu ihm gehören. Für immer und ewig. „Du duftest nach Rosen“, raunte er ihr zwischen zwei Küssen auf dem Weg ins Schlafzimmer zu. „Und du bist die schärfste Frau, die ich kenne.“ „Und du bist der schärfste Mann, den ich kenne.“ „Warum sonst solltest du mich heiraten?“ meinte er und grinste. Als er so weit war, dass er sich aus seiner Kleidung geschält und ihr den Bademantel von den Schultern gestreift hatte, konnte er sein Verlangen kaum noch kontrollieren. Trotzdem nahm er sich die Zeit, ihre Brüste ausgiebig zu verwöhnen. In der Stillzeit hatte er dazu keine Gelegenheit gehabt, aber jetzt streichelte und schmeckte er sie, bis sie vor Lust aufstöhnte. Schließlich suchte sie seinen Mund und küsste ihn lang und leidenschaftlich. Er unterbrach den Kuss nicht, während er zwischen ihre Schenkel glitt. Er tauchte ein in ihre Wärme, und er versprach ihr, sie auf eine Reise mitzunehmen, die sie nie wieder in ihrem Leben vergessen würde. Es konnte losgehen. Im uralten Rhythmus glitt er vor und zurück, und er verschmolz mit ihr, bis es nur noch ihn und Fay gab. Entspannt und glücklich schlief Dan in ihren Armen ein. Bei hellem Tageslicht wachte er auf. Fay lag immer noch neben ihm. Sie hatte sich mit dem Ellbogen aufgestützt und schaute ihn an. „Überlegst du gerade, ob ich es wirklich wert bin?“ fragte er schläfrig. „Ich bewundere den Mann, dem es gelungen ist, als Erster die Nacht in meinem Bett zu verbringen“, meinte sie grinsend. „Aber diese Nacht ist zu Ende. Danny
Marie schreit.“ Dan eilte schnell ins Bad und kuschelte sich dann wieder unter die Bettdecke. Er schloss die Augen. Was bist du doch für ein Glückspilz, dachte er und grinste von einem Ohr zum anderen. Ein paar Minuten später war Fay mit dem Baby und einem Fläschchen wieder bei ihm. Sie stopfte sich die Kissen in den Nacken und bat ihn, von seinem Fall zu erzählen. „Was ist denn eigentlich passiert?“ „Gary Livinsky war der Einzige, der den Dealer richtig erwischt hat. Aber mit seinem gezielten Schuss hat er seine Position verraten“, berichtete Dan. „Der Komplize hat auf ihn geschossen und ihn erwischt. Ist entkommen. Aber nicht für lange. Noch bei Gary im Krankenhaus habe ich erfahren, dass er festgenommen werden konnte. Mehrere Stunden lang hing Garys Leben am seidenen Faden. Ich bin bei ihm geblieben, bis ich sicher war, dass er durchkommt.“ „Freut mich, dass es deinem Freund wieder besser geht.“ „Seine Frau und seine zwei Kinder auch“, bestätigte Dan. „Meinst du, dass dein Bruder sich ärgern wird, weil wir heiraten?“ Ihre Bemerkung überraschte ihn. „Bruce? Warum sollte er?“ „Es hat ihm nicht in den Kram gepasst, dass ich bei dir in der Hütte bleibe.“ Er lachte erleichtert auf. „Ach so. Es hatte nichts mit dir zu tun. Er hat sich Sorgen gemacht, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe. Weil eine Frau, die gerade entbunden hat, strikt auf Sex verzichten soll.“ Danny Marie war satt. Fay legte das Baby zwischen sich und Dan. „Hi, Kid“, grüßte er. „Glaubst du, dass du dich mit deinem neuen Dad anfreunden kannst?“ Das Baby drehte den Kopf zu ihm hin und schaute ihn eine Weile ernst an, bevor es den Mund zu einem Lächeln verzog. Er beugte sich hinunter und küsste das Mädchen auf die Stirn. „Mag sein“, meinte er schließlich zu Fay, „dass ich eine Weile gebraucht habe, bis ich in der Lage war, dir meine Gefühle zu offenbaren. Aber Peanut… Danny Marie hatte ich vom ersten Moment an ins Herz geschlossen.“ Vier Monate später, kurz vor Weihnachten, führte Fays Vater sie in St. Dunstan’s zum Altar. Es war dieselbe Kirche, in der Neil geheiratet hatte. Als sie Dan am Altar stehen sah, erinnerte sie sich an die Vision, die sie vor ein paar Monaten gehabt hätte. Unwillkürlich musste sie lächeln. Damals war ihr noch nicht bewusst gewesen, dass sie Dan tatsächlich hatte heiraten wollen. Aber manchmal werden eben auch ungeträumte Träume wahr. Alle Sorensons waren zur Hochzeit erschienen, auch Will, der Bruder, den Fay bisher noch nicht kennen gelernt hatte. Dans Vater war extra aus Florida angereist. Seine Mutter war nicht erschienen. „Du machst den Eindruck, als ob du irgendwie unzufrieden bist“, meinte sie zu Dan, als sie endlich in der Limousine saßen und zur Party fuhren. „Es ist alles viel zu schnell gegangen. Ich habe noch nicht einmal Zeit gehabt, dir, zu sagen, wie wundervoll du aussiehst.“ „Das soll ich einem Mann glauben, der mir schon in seiner Jagdhütte billige Komplimente gemacht hat?“ erwiderte sie und lachte. „Als ich Anämie hatte und so blass aussah? Direkt nach der Entbindung?“ „Du warst schön, und du bist schön.“ „Habe ich dir eigentlich jemals erzählt, dass ich unsere Hochzeit vorhergesehen habe? Damals als Neil und Hank geheiratet haben“, gestand sie ein. „Die Vision hat mich so erschüttert, dass ich zwei Gläser Champagner hinunterstürzen musste, um mich davon zu erholen.“ „Bist du immer noch eifersüchtig auf deine Stiefschwester?“ wollte Dan wissen. „Du kannst mit Jo tanzen, solange du willst“, entgegnete sie lachend.
„Hauptsache, du vergisst nicht, mit welcher der beiden Schwestern du in die
Flitterwochen fahren willst.“
Er zog sie zu sich heran, und sie küssten sich, bis sie beim Hotel angekommen
waren, wo die Hochzeitsparty stattfinden sollte.
„Da!“ Danny Marie war vierzehn Monate alt und zeigte fordernd auf den Türknauf
der Jagdhütte. Zum Glück war sie noch nicht groß genug, um die Tür selbst zu
öffnen.
„Warte, meine Liebe“, bat Dan. „Es mag ja sein, dass inzwischen überall Sommer
ist, aber bis Juli müssen wir hier auf der Upper Peninsula noch damit warten.
Ohne Jacke gehst du nicht raus.“
Fay zog sich selbst und dann Danny Marie eine Jacke über, und zu dritt
wanderten sie durch den sonnigen, aber kühlen Nachmittag im Wald.
„Als du noch ein ganz kleines Baby warst“, erklärte Fay ihrer Tochter, „da sind
dein Vater und ich immer hier spazieren gegangen. Dein Daddy hat dich im
Tragetuch geschleppt.“
„Daddy…“, wiederholte Danny Marie und wollte auf den Arm genommen werden.
Kaum hatte er sie hochgehoben, wollte sie wieder hinunter und lief glücklich und
zufrieden zwischen den Bäumen umher.
Nie im Leben hätte er es für möglich gehalten, dass sie ein Jahr später zu dritt
durch den Wald wandern würden. Als richtige Familie.
Später in der Hütte war Danny Marie so müde, dass sie einschlief, sobald Fay sie
hingelegt hatte.
„Lust auf Solitär?“ fragte Dan leise.
Sie schüttelte den Kopf. „Scrabble.“
„Oder wir vertrödeln den Abend.“
„Das ist der beste Vorschlag, den du mir in dieser Hütte jemals gemacht hast“,
erklärte sie ihm feierlich.
Er hob sie vom Boden auf und trug sie ins Obergeschoss. Langsam und
genüsslich machten sie sich auf die Reise, bis ihr Verlangen gestillt war.
„Das Schicksal hat dich in meine Hütte geführt“, erklärte er anschließend.
Fay hatte Dan schon lange ein Geständnis machen wollen. Aber bisher hatte sie
es immer vor sich hergeschoben. Jetzt hatte er ihr die perfekte Vorlage geliefert.
„Apropos Schicksal“, begann sie. „Es war nicht unbedingt Schicksal, aber woher
hätte ich wissen sollen, dass die Packung, die ich aus der Schublade gekramt
habe, längst abgelaufen war? Ich hebe gern allerlei Sachen auf und vergesse oft,
wie alt sie eigentlich schon sind.“
„Und?“
„Kannst du dich noch daran erinnern, dass ich aufgesprungen und zum Telefon
gerannt bin und Dr. Morse gebeten habe, mir ein neues Rezept auszustellen?“
Dan schüttelte den Kopf.
„Hat er prompt gemacht“, fuhr sie fort, „kurz nach dem Anruf bei ihm habe ich
die alte Packung weiter benutzt. Bis sie leer war. Dann erst habe ich festgestellt,
dass die Pille längst abgelaufen war. Seit zwei Jahren schon! Wie konnte ich nur
so dumm sein!“
Dan wurde aufmerksam. „Pille? Welche Pille?“
„Die zur Empfängnisverhütung.“
Er stützte sich auf dem Ellbogen ab und starrte sie entsetzt an. „Was soll das
heißen? Willst du mir schonend beibringen, dass du schwanger bist?“
Fay biss sich auf die Lippe. „Ich habe mir gedacht, dass du sehr wütend wirst,
aber es war wirklich keine Absicht. Es betrifft ja vor allem mich. Ich muss
überlegen, ob ich aufhöre zu arbeiten.“
Dan atmete tief durch. „Habe ich richtig begriffen? Danny Marie wird kein
Einzelkind bleiben?“ „Zugegeben, nach unserer Hochzeit hatte ich sowieso an ein zweites Kind gedacht. Aber bitte glaub mir, ich habe dich niemals hintergehen wollen…“ Ihre Stimme zitterte. Wortlos zog er sie in seine Arme. „Du bist mir nicht böse?“ Er schmiegte sich dicht an sie und drückte die Lippen auf ihren Nacken. Böse? Nein. Ängstlich? Ja. Immer noch machte es ihm Angst, ein Kind in diese Welt zu setzen. Aber Danny Marie hatte ihn gelehrt, dass es ein Glück gab, das alle Sorgen aufwog. „Das Schicksal hat uns zusammengeführt“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Warum sollte ich dem Schicksal böse sein, wenn es wieder einen kleinen Trick anwendet, um mich zum zweiten Mal Vater werden zu lassen? Nein, meine Liebe. Ich freue mich für uns.“ Er lehnte sich zurück, schaute sie an und lächelte. „Aber bitte richte es so ein, dass ich das Baby diesmal nicht entbinden muss.“ ENDE