Zwei Herzen im Frühling
Barbara McMahon
Bianca Exklusiv 120-1 – 12/03
Gescannt von suzi_kay Korrigiert von briseis
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Zwei Herzen im Frühling
Barbara McMahon
Bianca Exklusiv 120-1 – 12/03
Gescannt von suzi_kay Korrigiert von briseis
1. KAPITEL Es war wie ein Traum. Melissa ließ die warme Sonne auf ihr Gesicht scheinen und spürte das weiche Gras unter ihren nackten Füßen, während sie über die Wiese schlenderte. Glücklich lächelnd schaute sie zum blauen Himmel und beschloss, diesen herrlichen Tag voll und ganz zu genießen. Die felsigen Gipfel der österreichischen Berge waren noch immer schneebedeckt, während auf den Bergwiesen bereits bunte Wildblumen in voller Blüte standen. Die Wiese, auf der sie gerade spazieren ging, hatte sie am Vortag entdeckt und sofort ins Herz geschlossen. Die Kiefern und Tannen des angrenzenden Waldes sahen im Kontrast zur weiten Wiesenlandschaft geradezu dunkel und mysteriös aus, doch zum Tal hin bot sich ein atemberaubender Blick. Melissa gab sich so sehr der überwältigenden Schönheit der Umgebung hin, dass sie nicht den Mann bemerkte, der im Schatten des Waldes saß und sie beobachtete. Zu ihrer Linken lag die Stadt Salzburg mit ihren alten Steinhäusern aus der Barockzeit. Die vielen Kirchtürme sahen aus wie Sandburgen am Strand. Die Salzach, die sich friedlich durch das idyllische Tal schlängelte, glitzerte sanft im Sonnenlicht. Melissa hatte das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein -und ihr war sehr wohl dabei. Als sie bei ihrer ausgebreiteten Decke ankam, setzte sie sich. darauf und legte sich dann auf den Rücken. Sie betrachtete den tiefblauen Himmel über sich und dachte zufrieden daran, dass sie noch einen ganzen freien Tag zur Verfügung hatte, bevor sie wieder ihren beruflichen Verpflichtungen nachkommen musste. „Wissen Sie nicht, dass das Betreten dieser Wiese verboten ist?" fragte plötzlich jemand auf Deutsch. Melissa glaubte zu träumen und richtete sich abrupt auf. Dann sah sie den Mann auf dem herrlichen fuchsfarbenen Pferd. Er lenkte es nur mit dem Druck seiner Schenkel und hielt wenige Schritte von ihr entfernt an. Ihr erster Gedanke war, dass der Mann wie ein altnordischer Gott aussah. Sein blondes Haar glänzte im Sonnenlicht, und der Blick seiner dunkelblauen Augen war kühl wie ein Alpensee. Über eine seiner Wangen zog sich eine schmale Narbe, die sein gutes Aussehen jedoch nicht im Geringsten beeinträchtigte. Melissa fragte sich, woher sie stammen könnte. Seine harten, kantigen Gesichtszüge sahen aus, als wären sie aus den zerklüfteten Felsen der nahen Berge gemeißelt worden. Auch seine breiten Schultern und die kräftigen Schenkel passten in die urwüchsige, gewaltige Landschaft. Melissa stand auf und klopfte einige haften gebliebene Gräser von ihrem Hemd und den Shorts. Dann betrachtete sie den Fremden selbstbewusst. Er schien ungewöhnlich groß zu sein. Und er sah nicht aus, als wäre er über ihren Anblick erfreut. Aber Melissa wollte sich ihre gute Laune durch nichts und niemanden verderben lassen. „Sprechen Sie Englisch?" fragte sie. Sie sprach zwar fließend Deutsch, hoffte aber, dass er einer ausländischen Touristin gegenüber nachsichtiger sein würde. „Ja. Aber das ändert nichts daran, dass Sie dieses Grundstückwiderrechtlich betreten haben", erwiderte er auf Englisch mit britischem Akzent. „Sie sind ja Engländer", sagte sie. „Gehört die Wiese Ihnen? Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass sie in Privatbesitz sein könnte, aber eigentlich hätte ich es wissen müssen. Sie ist viel zu schön, als dass sich keine Interessenten für sie fänden." Ihr freundliches Lächeln machte keinen Eindruck auf den Mann. Er sah sie schweigend an. Sein kurz geschnittenes Haar trug ebenso wie die zusammengepressten Lippen und das kantige Kinn zur Härte seines Ausdrucks bei. Melissa fragte sich, was wohl geschähe, wenn er lächelte. Würden seine Gesichtszüge dann weicher werden? „Ich will nicht, dass Touristen meine Wiese zertreten", erklärte er. „Wenn Sie ein Picknick machen wollen, können Sie in einen Park gehen. In Salzburg gibt es genug davon."
„Ja, das kann ich verstehen", meinte Melissa. „Wenn hier viele Touristen herumlaufen würden, wäre die Wiese bald ruiniert. Aber macht es wirklich so viel aus, wenn eine Landsmännin von Ihnen sich hier ein wenig erholt?" „Wenn ich es Ihnen gestatte, werden andere folgen." In diesem Moment fegte eine Böe durch die Gräser und Blumen der Wiese. Eine Serviette wurde vom Wind erfasst und flatterte davon. Melissa lief hinterher und war froh, sich dem durchdringenden Blick des Wiesenbesitzers für einen Moment entziehen zu können. Als sie die Serviette zu fassen bekam, zerknüllte sie diese und steckte sie sich in die Tasche. Dann ging sie wieder zu dem Fremden zurück. „Verstehen Sie jetzt, was ich meine?" fragte er. „Nie und nimmer würde ich hier Abfälle liegen lassen", verteidigte sie sich empört. „Darf ich Sie zu einem Becher Limonade einladen?" Sie hoffte, ihn dadurch etwas gnädiger zu stimmen. „Ich habe keinen Durst", erwiderte er jedoch unbeeindruckt. Sein Pferd vertrieb mit dem Schwanz eine Fliege und stampfte mit einem Huf auf. „Jetzt nehmen Sie endlich Ihre Sachen, und gehen Sie." Wie ein Krieger aus dem Mittelalter, dachte sie und blickte bewundernd zu ihm auf. „Nun steigen Sie schon ab. Die Limonade ist wirklich gut. Ich habe sie in der Pension bekommen, in der ich wohne", erklärte sie freundlich und war gespannt, wie der Fremde auf ihre Hartnäckigkeit reagieren würde. Die Unterhaltung mit ihm machte ihr allmählich Spaß. Sein Blick wurde finster, als er sich bedrohlich vorbeugte. „Sie haben dieses Grundstück widerrechtlich betreten, und ich will, dass Sie verschwinden. Und zwar sofort." Melissa fuhr sich übers Haar und überlegte, was sie tun sollte. Schließlich holte sie tief Luft und ließ den Blick über die herrliche Landschaft streifen. „Es ist so schön hier. Ich mache einige Tage Urlaub in Salzburg und wollte hier nur ein wenig die Stille und Natur genießen. Ich richte auf Ihrem Land ganz bestimmt nichts an, Herr ...?" Sie wandte sich dem Mann wieder zu und schaute ihn fragend an. „Wahrscheinlich sollte ich Sie besser mit ,Mister' anreden, nicht wahr?" „Terrell, Brian Terrell." Er lenkte das Pferd näher und sah sie durchdringend an. „Und jetzt gehen Sie." Als Melissa seinen Namen gehört hatte, war sie kaum merklich zusammengezuckt. Er war also der Mann, wegen dem sie nach Österreich gekommen war. Am Montagmorgen würde sie mit ihm am Verhandlungstisch sitzen. Und ausgerechnet ihm begegnete sie an ihrem freien Tag. Sollte sie ihm sagen, wer sie war? Vielleicht würde er ihr dann erlauben, auf der Wiese zu bleiben. Andererseits hatte sie immer Wert darauf gelegt, Freizeit und Berufsleben zu trennen. An diesem und am nächsten Tag wollte sie nichts anderes sein als eine einfache, anonyme Touristin. Sie betrachtete ihn prüfend. Er schien immer ungeduldiger zu werden. Offenbar war er gewöhnt, seinen Kopf durchzusetzen. „Wenn Sie die Limonade probiert haben, gehe ich", sagte sie mit weicher Stimme. Dann kniete sie sich auf die Decke und öffnete die Thermosflasche. Sie hatte gerade den Becher mit Limonade gefüllt, als Brian Terrell plötzlich neben ihr stand. Sie hatte nicht bemerkt, dass er abgestiegen war. Mit einer Hand hielt er die Zügel seines Pferds, mit der anderen Hand nahm er Melissa am Arm und zog sie hoch. Vorsicht, sonst verschütte ich die Limonade", warnte sie ihn, als sie sich langsam zu ihm umdrehte. Dabei stieß sie mit der Hand gegen seine Brust und war überrascht, wie muskulös sich diese anfühlte. „Ich will keine Limonade. Ich will nur, dass Sie endlich verschwinden. Muss ich Sie etwa eigenhändig von meinem Land werfen?" fragte er kühl. Er hielt Melissa noch am Arm, aber
nicht so fest, dass es ihr wehtat. Sie fühlte die Wärme seiner Finger und spürte plötzlich ein verwirrendes Prickeln. „In amerikanischen Westernfilmen bleiben die Pferde regungslos stehen, wenn die Cowboys die Zügel loslassen", meinte Melissa mit einem Seitenblick auf das Tier, um von ihrer seltsamen Nervosität abzulenken. „Wir sind nicht in Amerika. Wenn ich das Pferd loslasse, geht es zum Stall zurück." Er tat, als spräche er mit einem ungezogenen Kind. Offenbar hatte er Mühe, seine Ungeduld zu zügeln. Doch Melissa kümmerte es nicht, dass sie widerrechtlich ein fremdes Grundstück betreten hatte. Schließlich richtete sie keinen Schaden an. Sie hatte sich auf die wenigen Urlaubstage gefreut und wollte sie sich von niemandem verderben lassen. Auch nicht von Brian Terrell. Melissa wusste nicht, wie lange sie sich schweigend ansahen. Es war, als hätte sie sich im Blick seiner tiefblauen Augen verloren. Der Bann wurde erst gebrochen, als das Pferd plötzlich schnaubte und seinen Herrn mit den Nüstern anstieß, worauf dieser die Limonade verschüttete. Brian fluchte leise und ließ Melissas Arm los. Dann versuchte er vergeblich, sein Hemd abzuwischen. „Bei diesem schönen Wetter wird es schnell trocknen", versuchte Melissa ihn zu beruhigen. „Sogar das Gras ist warm." Er sah auf ihre nackten Füße. Dann ließ er den Blick langsam über ihren Körper gleiten. Als er ihr schließlich wieder in die Augen schaute, war sein Gesichtsausdruck entspannter geworden. Offenbar gefiel Brian Terrell, was er gesehen hatte. Melissa füllte den Becher wieder. Diesmal vermied sie jede Berührung mit Brian, als sie ihm die Tasse reichte. „Sie geben wohl nie auf, was?" Zu ihrer Überraschung nahm er den Becher und trank die kühle Limonade in einem Zug aus, wobei er Melissa keinen Moment aus den Augen ließ. „Gehen Sie jetzt?" fragte er, als er ihr den Becher zurückgab. Seine weiche, schmeichelnde Stimme machte Melissa wieder eigenartig nervös. „Würden Sie mich mit Gewalt fortbringen, wenn ich bliebe?" Schon der bloße Gedanke daran genügte, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen. Ob er sie zu sich aufs Pferd ziehen und mit ihr durch den Wald reiten würde, wie es die alten Ritter getan hätten? „Wenn es sein muss, ja", drohte er, doch seine Stimme klang leicht resigniert. „Das wäre sicher sehr lustig", erwiderte sie frech. Dann sammelte sie ihre Picknicksachen zusammen und verstaute sie im Rucksack. „Fertig." Sie lächelte Brian herausfordernd an. „Dort entlang." Er zeigte auf den Pfad, der zur Straße führte. „Oh nein, Mr. Terrell. Sie müssen mich schon gewaltsam von hier fortbringen. Ich gehe nicht freiwillig." „Das ist kein Spiel", sagte er drohend. „Natürlich ist es das. Dadurch wird das Leben doch erst richtig lustig." „Das Leben ist nicht lustig. Ich könnte die Polizei rufen." Melissa wusste, dass es eine leere Drohung war. „Da Sie kein Funkgerät dabeihaben, müssten Sie erst zum nächsten Telefon reiten. Glauben Sie allen Ernstes, ich würde hier seelenruhig auf die Polizei warten?" Sie stand auf und streckte ihm einen Arm entgegen. „Vielleicht ist es unverfroren, Mr. Terrell, aber ich würde gern auf Ihrem Pferd reiten." Brian drehte sich um und stieg aufs Pferd. Kaum war er im Sattel, nahm er ihren ausgestreckten Arm und zog sie zu sich hinauf. Sie hatte nicht erwartet, dass er so schnell nachgeben würde. Als sie hinter ihm saß, ließ sie den Blick zum letzten Mal über die Wiese schweifen.
Sie legte Brian die Arme um die Taille, fühlte seinen warmen, muskulösen Körper hautnah an ihrem und verspürte großes Verlangen, die Finger unter sein Hemd zu schieben. Melissa holte tief Luft, doch als ihr bewusst wurde, wie sehr sie die Brüste dabei gegen seinen Rücken presste, atmete sie erschrocken aus. Wieder hatte sie dieses erregende Kribbeln im Magen. Was war nur mit ihr los? Sie war schließlich die Tochter eines Pfarrers. Sie durfte sich nicht von einem Mann, der ihr gerade zum ersten Mal begegnet war, zu unmoralischen Gedanken hinreißen lassen, und war er noch so sexy und verführerisch! Brian brachte sein Pferd in langsamen Galopp, und Melissa hielt sich stärker an ihm fest. Sie genoss, während sie die Wiese wie im Flug überquerten, jeden Moment. Dann wechselte das Pferd in eine langsamere Gangart. Sie ritten in den Wald, wo nur noch wenig Sonnenlicht durchdrang und es merklich kühler war. Melissa war froh, dass sie sich an Brians Körper wärmen konnte. Leider war alles viel zu schnell vorbei. Als sie neben Melissas Mietwagen hielten, drehte Brian sich im Sattel um und steifte mit dem Arm leicht ihre Brust. Es ging Melissa durch und durch. „Sie können jetzt absteigen. In Zukunft sollten Sie sich auf die Bereiche beschränken, die für Touristen vorgesehen sind." Er reichte ihr die Hand und half Melissa hinunter. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, hielt sie sich noch für einen Moment bei ihm fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Warum sollte ich? Gerade das Unerwartete bietet oft die größten Freuden im Leben. Ich habe das Picknick auf Ihrer Wiese genossen, Mr. Terrell. Vielleicht sehen wir uns ja morgen wieder." Sie blickte erwartungsvoll zu ihm auf, aber er schwieg. Schließlich drehte sie sich um und ging zum Wagen. Als sie kurz darauf davonfuhr, sah sie, dass er ihr nachblickte. Lächelte er, oder bildete sie es sich nur ein? Sie war schon zu weit entfernt, um es mit Sicherheit sagen zu können. Das war also Brian Terrell, der Mann, den sie in Österreich treffen wollte. Sie fand es interessant, dass sie ihn als Privatmann kennen gelernt hatte. Ob sie geschäftlich gut mit ihm auskommen würde? Wenn nicht, wäre es zumindest eine interessante Herausforderung. Aber das hatte noch zwei Tage Zeit. Lächelnd dachte sie an den nächsten Tag, auf den sie sich bereits freute. Am nächsten Morgen stellte Melissa den Wagen an der gleichen Stelle wie am Vortag ab. Sie sah sich um, doch zu ihrer Enttäuschung war Brian weit und breit nicht zu sehen. Sie hatte gehofft, er würde ihr den Weg versperren. Nach einem kurzen Fußmarsch durch den Wald erreichte sie die idyllische Wiese, wo sie sich eine schöne Stelle mit Blick auf das ferne Salzburg aussuchte. Dort breitete sie ihre Decke aus, wobei sie darauf achtete, keine Wildblume zu zertreten. „Betreten verboten", hörte sie plötzlich eine Stimme auf Englisch sagen. Er ist also doch gekommen, dachte sie erfreut und drehte sich lächelnd zu ihm um. Brian Terrell lehnte lässig an einem Baum und betrachtete sie. Offenbar war er diesmal zu Fuß gekommen. Er sah sie durchdringend mit seinen blauen Augen an, ließ den Blick über ihr Gesicht, den Körper zu den Shorts schweifen, dann weiter abwärts zu den langen, wohl geformten Beinen. Schließlich sah er wieder hoch und ihr in die Augen. „Guten Tag, Mr. Terrell. Wollen Sie mich wieder verjagen?" fragte sie provozierend. Er setzte sich neben sie auf die Decke. „Ich fürchte, es wäre sinnlos. Sie kommen ja doch zurück." Um seinen Mund zuckte es, aber es gelang ihm, einen ernsten Gesichtsausdruck zu bewahren. „Es ist ja nur noch heute. Morgen ist mein Urlaub zu Ende." Melissa war sich bewusst, dass sie gut aussah. Sie hatte ihre Haare sorgfältig gebürstet, um die widerspenstigen Locken zu bändigen, die ihr nun leicht gewellt über die Schultern
fielen. Das sorgfältig aufgelegte Make-up betonte Melissas blaue Augen, aber sie fürchtete, dass ihre Wangen Brians wegen etwas zu rot geworden waren. „Haben Sie Ihr Pferd heute zu Hause gelassen?" fragte sie, während sie ein Lunchpaket aus dem Rucksack zog. „Ja. Ich dachte, dass ich diesmal vielleicht beide Hände brauche." Melissa stellte sich blitzartig vor, was er damit alles hätte tun können. Zum Beispiel ihr Gesicht umfassen und küssen. Oder ihr übers Haar streichen. Oder sie am ganzen Körper liebkosen. Sie schloss die Augen und versuchte, sich zu beherrschen. Sie wollte an ihren Vater denken, doch stattdessen tauchte Brians Gesicht vor ihren geschlossenen Lidern auf. Vielleicht hätte ich nicht zurückkommen dürfen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie öffnete rasch wieder die Augen und reichte Brian ein Sandwich. „Ich habe Ihnen ein Roastbeefsandwich mitgebracht." „Waren Sie so sicher, dass ich kommen würde?" „Nein, aber ich hoffte es. Heute ist schließlich Sonntag. Ich dachte mir, dass Sie freihaben und vielleicht Lust hätten, den Tag mit einer Landsmännin zu verbringen. Übrigens, wenn Sie lieber ein Schinkensandwich mögen, können wir tauschen." Er schüttelte den Kopf. „Danke, dies hier ist genau richtig." Melissa hätte ihm gern einige Fragen gestellt, wollte aber nicht den Frieden gefährden, der für einen Moment zwischen ihnen zu herrschen schien. „Sie haben mir gestern nicht verraten, wie Sie heißen", fuhr er nach einer Weile fort. „Melissa. Möchten Sie Limonade? Heute habe ich zwei Becher mitgebracht." „Ja, gern. Woher kommen Sie eigentlich, Melissa?" „Aus London." Als sie ihm den Becher reichte, wünschte sie sich, er würde ihre Finger berühren, was er aber nicht tat, und sie bereute ein wenig, dass sie zwei Becher mitgebracht hatte. Es wäre viel aufregender gewesen, wenn sie aus einem getrunken hätten. Sie fand diesen Gedanken so aufregend, dass sie verlegen den Blick auf die Landschaft richtete. „Machen Sie hier Urlaub?" fragte er. „Ja. Leider ist heute mein letzter freier Tag. Morgen muss ich wieder arbeiten. Aber es war ein wundervoller Urlaub. Ich habe mir die Stadt angesehen, war auf Schloss Hohensalzburg und entdeckte dieses herrliche Fleckchen. Ich liebe diese Aussicht." Sie lächelte ihn fast schüchtern an!' Brian lehnte sich zurück und stützte sich auf die Ellbogen. Er betrachtete Melissas Gesicht, während sie begeistert ihre Eindrücke schilderte. „Wenn ich reich wäre, würde ich Ihnen die Wiese abkaufen und ein großes Haus darauf bauen lassen." Sie suchte die Abfälle zusammen, um sie dann in ihrem Rucksack zu verstauen. „Eine Wand des Hauses würde ganz aus Glas sein, damit ich jeden Tag diese Aussicht genießen könnte." „Vorausgesetzt, ich würde Ihnen die Wiese verkaufen", erwiderte Brian lächelnd. „Ich würde Ihnen so viel Geld bieten, dass Sie nicht widerstehen könnten." Sie lachte ausgelassen. „Sie könnten sich dafür hundert andere Wiesen kaufen." „Sie sind offenbar ein wenig verrückt." Er lächelte noch immer, schien jedoch nicht so recht zu wissen, was er von ihr halten sollte. „Sie sind nicht der Erste, der das sagt. Dabei versuche ich doch nur, mein Leben zu genießen. Ich liebe das Leben. Es kann so aufregend und voller Überraschungen sein." „Das sieht man." Seine Stimme klang nicht mehr warm und freundlich, sondern ausgesprochen distanziert. Er war plötzlich ernst geworden und wandte den Blick ab. Melissa wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte. „Erzählen Sie mir etwas von sich. Sie leben offenbar hier. Was tun Sie in Österreich?" Melissa verheimlichte ihm, dass Sie in Wirklichkeit sehr viel über ihn wusste. Sie kannte
seinen Lebenslauf von der Schulzeit bis zur Führungsposition in der Austerling GmbH. Außerdem wusste sie, dass er Witwer war und ein Kind hatte. „Ich leite eine Elektronikfirma." „Ein Engländer als Manager einer österreichischen Firma?" fragte Melissa. „Wie kamen Sie denn dazu?" „Das ist eine lange Geschichte." „Erzählen Sie mir von Ihrer Firma", schlug sie vor und schaute ihn kokett an. Brian lächelte und schüttelte den Kopf. „Vielleicht ein anderes Mal." „Wohnen Sie weit von hier?" „In einem großen, alten Haus ganz in der Nähe. Man hat dort zwar eine andere Aussicht als hier, aber sie ist beeindruckend." „Auch so schön wie diese?" fragte Melissa. Brian richtete den Blick auf ihren Mund. Ihre Lippen wurden plötzlich so trocken, dass sie sie mit der Zunge befeuchtete. Dabei lächelte sie ihn so herausfordernd an, als wolle sie ihn verführen, sie zu küssen. Während sie auf seine Antwort wartete, trafen sich ihre Blicke. Ihr Herz pochte schneller, und, sie hatte das Gefühl, auf irgendetwas zu warten. Aber auf was? „Fast so schön." Er beugte sich langsam zu ihr, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Im nächsten Moment lag Melissa auf dem Rücken und sah Brians Gesicht ganz nah über sich. Sie fühlte den sanften Druck seiner Hände auf ihren Schultern. Er betrachtete sie lange, dann senkte er den Kopf. Melissa schloss die Augen. Seine warmen, fordernden Lippen reizten ihre, bis sie nachgab und den Mund leicht öffnete. Ihr Herz pochte wie rasend und jagte das Blut durch ihre Adern. Als seine Zunge ihren Mund eroberte, weckte er in Melissa unglaubliche Gefühle. Er ließ die Hände durch ihr weiches Haar gleiten. Sie genoss es, wie er mit den schlanken Fingern sanft ihre Kopfhaut massierte. Sie umarmte ihn und fühlte den Druck seines muskulösen Oberkörpers an ihrer Brust. Der Zauber des wundervollen Tages, die herrliche Landschaft und Brians sinnliche Berührungen hatten ihre Sinne betört. Ihr ganzer Körper schien so unter Spannung zu stehen, dass sie kaum noch atmete. Sie hatte vergessen, wo sie war und warum sie gekommen war. Es existierten nur noch Brians heiße Lippen, sein kräftiger Körper unter ihren forschenden Händen und das sinnliche Spiel ihrer Zungen. Brian ließ eine Hand langsam zu ihren Brüsten gleiten. Melissa erschauerte, als er eine umfasste und sie sanft massierte. Er liebkoste die Knospe, bis sie hart wurde und sich aufrichtete. Dann ließ er die Hand unter Melissas Bluse gleiten. Plötzlich wurde Melissa bewusst, was geschah, und sie geriet in Panik. Sie schob Brian von sich und wandte den Kopf ab. „Nein", flüsterte sie. Gütiger Himmel, was hatte sie getan? Am nächsten Morgen würde sie diesem Mann am Verhandlungstisch gegenübersitzen. Wie sollte sie ihm dann in die Augen sehen? Brian sah sie an. Seine Gesichtszuge waren härter geworden. „Nein?" Sie schüttelte den Kopf und hoffte, dass Brian den Ausdruck des Bedauerns in ihren Augen nicht bemerken würde. „Es tut mir Leid. Es geht wirklich nicht", flüsterte sie und wandte den Blick verlegen ab. Brian zog langsam die Hand unter ihrer Bluse hervor und richtete sich auf. „Was für ein Spiel spielen Sie, Melissa?" fragte er mit fester, beherrschter Stimme und schaute sie finster an. Melissa setzte sich auf. Ihr war bewusst, dass er wütend war, und sie fand die Situation unbeschreiblich peinlich. „Ich habe das nicht gewollt. Ich wusste nicht..."
„Das können Sie mir nicht weismachen", unterbrach er sie barsch. „Frauen sind mit allen Wassern gewaschen, insbesondere englische Frauen. Ist das so etwas wie Rache dafür, dass ich Sie gestern aufgefordert habe zu gehen?" „Natürlich nicht. Schließlich habe nicht ich Sie geküsst, sondern Sie mich", widersprach sie erbost. Wie konnte er nur so schlecht von ihr denken? Offenbar hatte der Kuss ihm nichts bedeutet. „Sie benehmen sich wie ein unreifer Teenager. Und jetzt verschwinden Sie. Sie sollten in Zukunft nichts anfangen, was Sie nicht zu Ende führen wollen", sagte er sarkastisch und blickte sie verächtlich an. „Ich bin kein unreifer Teenager. Ich habe schließlich nicht angefangen. Außerdem dachte ich, es würde bei einem Kuss bleiben." „Sie müssen ganz schön naiv sein, wenn Sie das allen Ernstes geglaubt haben. Sie sind doch nur hierher zurückgekommen, weil Sie wussten, dass ich nach Ihrem herausfordernden Verhalten gestern zurückkehren würde." „Zugegeben, ich hoffte es. Aber ich wollte nur einen schönen Tag mit Ihnen verbringen. Sie wirkten zu ernst, und ich dachte, ein wenig Abwechslung würde Sie aufmuntern." Melissa war vor Scham rot geworden. Hatte er sie wirklich für so leichtfertig gehalten, dass sie sich ihm nach der ersten kurzen Begegnung hingeben würde? „Sie kennen mich doch gar nicht. Dass ich einen Eindringling von meinem Land weise, heißt noch lange nicht, dass ich ein ernster Mensch bin." Melissa konnte ihm nichtigen, "wie viel sie in Wirklichkeit über ihn wusste. Nach allem, was sie von ihm gehört hatte, lebte er nur für seine Arbeit. Aber niemand hatte ihr gesagt, wie attraktiv er war. Sie hatte nicht geahnt, dass sie ihn so anziehend finden würde, nicht geahnt, wie erregend seine Berührungen waren. Sie strich sich mit einem Finger über die Lippen, die noch immer leicht angeschwollen waren. Als Melissa sie mit der Zunge befeuchtete, schmeckte sie noch immer Brians Lippen. Er sah sie nach wie vor spöttisch an. Melissa konnte es, nicht ausstehen, dass er sie wie ein dummes kleines Mädchen behandelte. „Ich bin siebenundzwanzig", sagte sie empört, als wolle sie damit ihre Reife beweisen. „Ich bin vierunddreißig. Im Vergleich zu mir wirken Sie aber wie ein unerfahrener Teenager. Leben Sie wirklich in London?" Er betrachtete sie mit seinen eisig blickenden blauen Augen skeptisch. „Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass ich mit einem Mann Liebe mache, den ich gerade erst kennen gelernt habe." Melissa nahm ihren Rucksack und stand auf. Die Decke konnte sie nicht zusammenlegen, da Brian noch immer darauf saß. „Es ist besser, wenn ich jetzt gehe." Die Freude am herrlichen Sonnentag war ihr gründlich vergangen. Sie wünschte, nicht gekommen zu sein, und wollte so schnell wie möglich fort. „Laufen Sie nur weg wie ein kleines Mädchen. Wenn Sie genug Erfahrungen gesammelt haben und die Spiele der Erwachsenen mitmachen wollen, können Sie jederzeit zurückkommen." Der spöttische Klang seiner Stimme war einfach unerträglich. Melissa warf ihm noch einen Blick zu, dann drehte sie sich um und ging schnellen Schritts davon.
2. KAPITEL Am Montagmorgen wachte Melissa früh auf. Sie dachte an die vier erholsamen Urlaubstage in Salzburg und fand, dass sie viel zu schnell vorbeigegangen waren. Dann tauchte vor ihrem geistigen Auge Brian Terrells Bild auf, und sie erinnerte sich seufzend daran, wie sie sich auf der blühenden Bergwiese geküsst hatten. An diesem Tag würde sie ihn in einer völlig anderen Umgebung treffen. Sie fragte sich, ob Brian Andeutungen über ihre Begegnung machen oder ob er so tun würde, als kenne er sie nicht. Würde er fragen, warum sie ihm nicht gesagt hatte, dass sie seinen Namen kannte? Ihren Nachnamen hatte sie sicherheitshalber verschwiegen. Aber hätte Brian damit etwas anfangen können? Sie war schließlich nur ein Mitglied des Teams, das ihre Firma vertrat, Brian dagegen in seiner Firma der Geschäftsführer. Sie versuchte sich vorzustellen, wie die Dinge sich entwickelt hätten, wenn sie ihn an ihrem ersten Tag in Salzburg kennen gelernt hätte. Vielleicht würde er ihr die Stadt gezeigt haben und wäre mit ihr essen oder tanzen gegangen. Sie dachte noch immer an ihn, als sie sich ein dunkelblaues Kostüm anzog. Würde er sie im Anschluss an die heutige Sitzung privat treffen wollen? Ob er sich wohl bei ihr gemeldet hätte, wenn er ihre Adresse gekannt hätte? Melissa kämmte sich die Haare und flocht sie zu einem französischen Zopf. Mit der etwas strengen Frisur wirkte sie älter und seriöser. Sie legte nur wenig Make-up auf, da ihr Chef, Mr. Millan, altmodische Ansichten hatte und nicht viel von Schminken hielt. Melissa hatte sich ihm seit langem angepasst. Schließlich setzte sie sich noch eine leicht getönte Brille auf, die ihrem Aussehen den letzten Schliff gab. Sie betrachtete sich kurz im Spiegel. War das wirklich Melissa Carmichael? Eine erfolgreiche Karrierefrau, die sich mit Ehrgeiz und harter Arbeit in einer großen Firma hochgearbeitet, hatte? Oder war die wirkliche Melissa die lebensfrohe Frau, die die vergangenen freien Tage so genossen hatte? Sie hatte sich in ihrem von Männern beherrschten Beruf durchgesetzt - dank ihres Willens. Schließlich nahm sie ihren Aktenkoffer und ging hinaus, ohne diese Gedanken weiterzuverfolgen. Derek Millan war etwa Mitte fünfzig und der stellvertretende Geschäftsführer von Larbard Industries, dem Unternehmen, in dem Melissa arbeitete. Er war nach Österreich gekommen, um mit Brian Terrell über den Erwerb von Geschäftsanteilen und den Kauf von elektronischen Bauteilen zu verhandeln, für die Terrells Firma bekannt war. Die Hauptverhandlungen waren bereits abgeschlossen, aber zahlreiche Details mussten noch ausgearbeitet werden. Mr. Millan hatte auf Melissas Teilnahme an dieser Geschäftsreise bestanden. Sie war im Vorfeld der Verhandlungen für die Finanzanalyse des Geschäfts mit der Austerling GmbH verantwortlich gewesen. Außerdem waren ihre Deutschkenntnisse von Vorteil. Melissa kam als Letzte in die geschmackvoll eingerichtete Empfangshalle der Austerling GmbH. Sie blickte sich interessiert in dem großen Gebäude um, das noch aus der Zeit der Monarchie stammte. Die Außenfassade des Sandsteinbaus war reichlich mit Ornamenten verziert und hatte große Fenster, im Innern herrschte eine stille, würdevolle Atmosphäre. Melissa fand es viel angenehmer als das Betonhochhaus in London, in dem sie normalerweise arbeitete. „Ich habe mich schon gefragt, wo Sie bleiben", sagte Derek statt einer Begrüßung. Sein graues Haar gab ihm ein seriöses Aussehen. Er sah für sein Alter sehr gut aus, und sein Auftreten flößte Respekt ein. Melissa nickte und versuchte, ein Lächeln zu verbergen. Derek Millan gehörte zu den Menschen, die, ohne viele Worte zu verlieren, gleich zur Sache kamen.
„Wir haben noch fünf Minuten Zeit", erwiderte sie. „Ich habe alle Unterlagen dabei, die Sie angefordert haben. Haben Sie Mr. Terrell schon gesehen?" „Nein. Wir haben nur miteinander telefoniert. Gerry, haben Sie an die Statistiken über die Gewinnentwicklung gedacht?" fragte er einen der jüngeren Angestellten. „Ja, Mr. Millan. Wir können ihm zeigen, wie ..." „Ein klares ,Ja' genügt." Mr. Millans barsche Art wurde von allen seinen Untergebenen akzeptiert. Er stellte zwar harte Anforderungen und arbeitete hart, war andererseits aber auch fair, und man konnte viel von ihm lernen. „Dann können wir ja jetzt hinaufgehen." Mr. Millan ging mit seiner Privatsekretärin voraus. Melissa folgte ihm lächelnd. Das Ganze erinnerte sie irgendwie an eine militärische Aktion. Sie sah ihrem Wiedersehen mit Brian Terrell mit unguten Gefühlen entgegen. Ob er sie durch eine Bemerkung über die Begegnung auf der Wiese bloßstellen würde? Außerdem war sie gespannt darauf, wie er sich im Berufsleben benahm. Mr. Millan hatte allen Teilnehmern des Teams Informationen über Brian gegeben, die Melissa im Flugzeug aufmerksam gelesen hatte. Mr. Millan glaubte, dass es vorteilhaft war, wenn man seinen Verhandlungspartner genau kannte. Auf der Chefetage wurden sie von einer Sekretärin empfangen und in ein Sitzungszimmer geführt. Es war ausgesprochen luxuriös eingerichtet. Der dunkle weiche Teppich, die kostbaren Mahagonimöbel und Tapeten mit den dezenten kastanienbraunen Streifen gaben dem Raum etwas Würdevolles, Konservatives. Durch die großen Fenster fiel helles Sonnenlicht in den Raum. Man sah auf den Fluss und die Berge im Umland mit dem strahlend blauen Himmel darüber. Für einen Moment wünschte Melissa, wieder auf der Wiese zu sein, die Sonne auf ihrer Haut zu spüren, den würzigen, frischen Duft des nahen Waldes zu genießen und sich an der wunderbaren Aussicht auf die Stadt zu erfreuen. Aber sie war gekommen, um zu arbeiten. Sie setzte sich mit den anderen an den Tisch und wartete auf ihre Verhandlungspartner. Nach einer Weile wurde die Tür auf der anderen Seite des Sitzungszimmers unvermittelt geöffnet, und Brian erschien mit seinen Angestellten. Er ging festen Schritts auf sie zu, wie ein General, der mit seinen Truppen gerade die Stadt eingenommen hatte - selbstsicher, dynamisch und nahezu arrogant. Keiner der anderen Männer im Raum konnte es mit seiner kraftvollen Ausstrahlung und seinem Aussehen aufnehmen. Seine Körpergröße war ebenso beeindruckend wie sein Auftreten. Melissa schaute ihn fasziniert an. Sein dunkler Nadelstreifenanzug, das hellblaue Hemd und die Krawatte mit den silbernen und dunkelblauen Streifen standen ihm ausgezeichnet. Durch das helle Hemd wirkte sein Teint noch dunkler als sonst. Wieder erinnerte er sie an einen germanischen Gott. Er machte jetzt eine ebenso gute Figur wie auf der Wiese. Sogar Mr. Millan schien beeindruckt zu sein. Melissa senkte den Blick, um ihre Faszination vor ihren Kollegen zu verbergen, und zog ihre Unterlagen hervor. Als sie wieder aufblickte, gab Brian ihrem Chef gerade die Hand. „Ich freue mich, Sie kennen zu lernen", begrüßte Mr. Millan ihn. „Darf ich Ihnen meine Mitarbeiter vorstellen?" „Ich habe bereits eine Liste von allen: Miss Stromford, Mr. Toliver, Miss Carmichael, Mr. Ross und Sie", erwiderte Brian gewandt. „Ich gehe davon aus, dass Ihnen die Liste meiner Mitarbeiter ebenfalls vorliegt." Brian wollte die Begrüßungsformalitäten offenbar schnell beenden und zum Punkt kommen. Er nickte den anderen kurz zu, dann setzte er sich. „Ich denke, die Vorarbeiten sind so weit abgeschlossen, dass wir nur noch eine Gesamtstrategie ausarbeiten müssen", fuhr er fort. „Die Ausarbeitung der erforderlichen Grundlagen für die weiteren Verhandlungen, ich denke an Informationsbeschaffung,
Ausarbeitungen und Berichte, sollten uns jetzt nicht interessieren. Dafür sind unsere Mitarbeiter zuständig, von denen uns beiden genug zur Verfügung stehen." Damit gab er die Richtung an und erwartete, dass alle anderen ihm folgen würden. Mr. Millan sah für einen Moment ziemlich verloren aus. In England war er es immer, der die Dinge in die Hand nahm. Hier jedoch war er von seinem Gastgeber geschickt ausmanövriert worden. „Ich habe Miss Carmichael mitgebracht, da sie die Finanzanalyse für den geplanten Erwerb der Geschäftsanteile durchgeführt hat. Außerdem spricht sie Deutsch", erklärte er und wandte sich Melissa zu. Brian warf ihr einen kurzen Blick zu, stutzte und sah sie dann durchdringend an. Sekundenlang war es absolut still im Raum. Brians eisiger Blick machte Melissa verlegen, und sie fühlte, dass die anderen sie neugierig betrachteten. „Miss Carmichael, ja?" Seine Stimme klang weich, doch Melissa spürte, dass er sich ärgerte. Sie nickte und versuchte zu lächeln. Ihr Herz pochte in schnellem Rhythmus. Würde er jetzt eine anzügliche Bemerkung machen? Brian ließ den Blick zu ihrem Mund gleiten, dann tiefer zu ihren Brüsten. Erinnerte er sich daran, wie er sie am Vortag gestreichelt hatte? Sie tat es nur zu gut und errötete tief. „So, sie spricht also Deutsch", fuhr er fort. „Schön, dann kann sie die Ansprechpartnerin der Gruppe sein und einspringen, falls es nötig sein sollte. Da nicht alle meiner Mitarbeiter fließend Englisch sprechen, werden wir auf Miss Carmichaels Fähigkeiten sicher zurückkommen." Er nickte höflich, doch das Glitzern in seinen Augen sagte Melissa, dass die Angelegenheit für sie noch nicht beendet war. Ihre Kollegen betrachteten sie noch immer verwundert, und sie war froh, dass Brian keine Anspielungen auf ihre vorausgegangenen Begegnungen gemacht hatte. Dann begann die Sitzung. Die Vertreter von Larbard Industries legten ihre Statistiken, Bilanzen und einige Prognosen der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens vor. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen mussten die Unterlagen von Brians Angestellten ausgewertet und der Vertrag von beiden Parteien genau durchgearbeitet werden, um strittige Punkte zu klären. Es war abzusehen, dass die Verhandlungen längere Zeit dauern würden, bis Brian den Vertrag unterschreiben würde. An den folgenden beiden Tagen versammelten die Verhandlungspartner sich jeweils um zehn Uhr morgens im Sitzungszimmer. Brian sah Melissa dabei oft forschend an, sprach sie jedoch nie an. Sie unterhielt sich nur mit Mr. Millan und Brians Abteilungsleitern, Erich Meyer und Karl Müller. Melissa ärgerte sich darüber, dass er sie ignorierte. Manchmal stellte sie ihm Fragen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber jedes Mal antwortete er nur kurz, ohne weiter auf Melissa einzugehen. Wenn sie ihm in die blauen Augen sah, erinnerte sie sich an seinen Blick kurz vor dem Kuss auf der Wiese. Manchmal schien in Brians Augen ein Ausdruck des Verlangens aufzublitzen, aber dennoch weigerte er sich beharrlich, mit ihr zu reden. Sie fühlte sich fast wie ein Teenager mit Liebeskummer. Vielleicht war es besser, sich auf das Geschäftliche zu konzentrieren und den Mann ansonsten einfach zu vergessen. In spätestens zwei Wochen würde sie ohnehin wieder abreisen. Vielleicht würde ihr die Zeit bis dahin kürzer vorkommen, wenn sie sich ganz in die Arbeit stürzte. Am Donnerstagnachmittag musste Melissa in Brians Büro gehen. Mr. Millan hatte sie gebeten, einige Berichte zu prüfen,. die Brians Abteilungsleiter ausgearbeitet hatten. Sie betrat das Büro pochenden Herzens. Es war sehr geräumig und hatte mit dunklem Holz getäfelte Wände, was dem Raum eine Wärme und Gemütlichkeit gab, die modernen Einrichtungen im Allgemeinen fehlte. Brian saß am großen Schreibtisch und telefonierte gerade. Er richtete den Blick auf Melissa, die ihre Nervosität zu verbergen versuchte und sofort« zu Mr. Millan ging. Er saß an einem Konferenztisch, auf dem mehrere Ordner und Schriftstücke ausgebreitet waren.
„Da sind Sie ja. Setzen Sie sich, und sehen Sie sich die Unterlagen an. Sie brauchen nicht auf jeden einzelnen Punkt einzugehen. Geben Sie mir nur eine Zusammenfassung", forderte Mr. Millan sie leicht ungeduldig auf. Ein kurzer Blick auf Brian zeigte ihr, dass er sie noch immer beobachtete. Sie nahm den Bericht und überflog ihn, wobei es ihr schwer fiel, Brian zu ignorieren. Als sie fertig war, fasste sie den Inhalt für ihren Chef kurz zusammen. Sie sprach sehr leise und warf immer wieder Seitenblicke auf Brian, doch der schien sie nicht mehr zu beachten, sondern war jetzt ganz in seine Arbeit vertieft. Melissa wusste nicht, ob sie deswegen erleichtert oder gekränkt sein sollte. Schließlich wandte sie sich zu Brian um. „Fertig?" Er nahm einen dicken Ordner und stand auf. „Wir können gemeinsam hinausgehen. Ich wollte gerade in Karls Büro." Er nahm sie am Arm und führte sie zur Tür. Melissa sah ihn erschrocken an. Auf dem Flur blickte Brian erbost zu ihr herab und nahm ihr die Brille vom Gesicht. „Welches Spiel spielen Sie eigentlich, Miss Carmichael?" „Ich erledige meine Arbeit." „Wie praktisch, dass wir uns bereits vorher kennen gelernt haben." „Das war reiner Zufall", erwiderte sie. „Lassen Sie bitte meinen Arm los, Brian. Sie tun mir weh." Er lockerte den Griff, gab sie jedoch nicht frei. „War es wirklich Zufall, oder wollten Sie auf raffinierte Weise etwas über meine Firma herausfinden, das Ihnen bei den Verhandlungen nützlich sein könnte? Immerhin haben Sie mich ganz nebenbei nach meiner Arbeit gefragt." „Das habe ich nicht absichtlich getan." „Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Sie nicht wussten, wer ich bin?" „Erst nachdem Sie mir Ihren Namen nannten", gab sie zu. Sie sah ein, dass der Verdacht aus seiner Sicht begründet war. „Aber ich wollte Ihnen keine Informationen entlocken. Ich war nur neugierig, was für ein Mensch Sie sind." Er sah auf ihren Mund, als würde er sich an den Kuss auf der Wiese erinnern und noch immer nicht verstehen, warum sie gegangen war. „Und was soll die Verkleidung?" Er deutete auf die Brille in seiner Hand, dann auf ihr Haar. Melissa straffte den Körper und hob trotzig den Kopf. „So gehe ich immer zur Arbeit.“ „Und Ihre Freizeitkleidung ziehen Sie zum Spielen an?" fragte er zynisch. „Wie ich mich in meiner Freizeit anziehe, ist meine Privatsache", platzte sie heraus. Sie schob seine erhobene Hand beiseite, wobei sie unbeabsichtigt seine Finger streifte. Die zufällige Berührung machte sie verlegen. Sie blickte sich im Flur um, aber sie waren noch immer allein. „Sie haben mir auf der Wiese verschwiegen, dass Sie Deutsch können und dass wir uns am nächsten Tag wieder sehen würden." Jetzt klang seine Stimme beinahe verführerisch. „Ich muss jetzt wieder an meine Arbeit", sagte sie heiser. Er hatte natürlich Recht, und im Grunde verstand sie selbst nicht, warum sie ihm auf der Wiese nicht alles gesagt hatte. Vor allem aber verstand sie ihre Erregung nicht, die sie immer dann spürte, wenn sie in Brians unmittelbarer Nähe war. Charmante Männer waren ihr schon oft begegnet, so dass es ihr eigentlich nichts hätte ausmachen dürfen. Vielleicht würde es ihr helfen, sich von Zeit zu Zeit gewisse Erfahrungen aus der Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen. Brian schaute sie lange schweigend an. „Wie Sie wollen. Aber kommen Sie später zu mir. Ich bin in meinem Büro." Es klang eher wie ein Befehl als wie eine Bitte. Melissa zögerte.
„Wenn Sie nicht kommen, werde ich von Mr. Millan eine Erklärung über das Verhalten seiner Untergebenen verlangen." Seine Stimme klang hart, und sein Blick war unversöhnlich. „Das würden Sie nicht wagen", zischte sie, doch insgeheim zweifelte sie nicht daran, dass er es tun würde. In seiner Position konnte er sich alles erlauben. „Wollen Sie es darauf ankommen lassen?" „Also gut, ich komme gegen siebzehn Uhr dreißig." Er gab ihr die Brille zurück und sah schweigend zu, wie Melissa sie sich aufsetzte. Melissa drehte sich um und ging schnellen Schritts zum Konferenzzimmer. Bevor sie eintrat, schaute sie sich noch einmal um. Brian stand noch immer an derselben Stelle und blickte ihr nach. Sein Gesichtsausdruck verriet nicht, was er dachte. Den ganzen Nachmittag über machte sie sich Sorgen wegen des Treffens. Genau genommen hatte sie eigentlich nichts falsch, gemacht, aber es wäre höflicher gewesen, Brian schon auf der Wiese gesagt zu haben, wer sie war und dass sie für Larbard Industries arbeitete. Sie nahm sich vor, ihm alles zu erklären, damit er sie verstand. Andererseits war sie nicht einmal ganz sicher, ob sie sich selbst verstand. Die Zeit verging wie im Flug. Als Melissas Kollegen Feierabend machten und gehen wollten, erklärte sie ihnen, dass sie noch zu tun habe. Nachdem auch die österreichischen Angestellten gegangen waren, ging sie zu Brians Büro. Es war für sie, als ginge sie zu ihrer Hinrichtung. Auf ihr Klopfen hin bat Brian sie einzutreten. „Wir sind für heute fertig." Melissa blieb unschlüssig an der Tür stehen. Mr. Millan war bereits fort und Brian allein. „Kommen Sie herein." Sie schloss die Tür hinter sich und ging nervös zu ihm. Die durch das Fenster sichtbaren Gebäude standen im milden Licht der Nachmittagssonne, das von einigen Fensterscheiben reflektiert wurde. Sie sahen aus wie glitzernde Diamanten. „Das sieht aber schön aus." Sie ging zum Fenster, um mehr zu sehen - und um der Konfrontation mit Brian auszuweichen. Brian stand auf und stellte sich neben sie. „Salzburg ist schön, nicht wahr? Und nicht so hektisch wie London." „Ja. Aber London ist auch schön", erwiderte sie schnell, nervös durch seine Nähe. „Sie haben Recht. Manchmal vermisse ich London auch, aber ich werde wohl noch einige Jahre hier bleiben müssen. Sagen Sie, warum tragen Sie eigentlich Ihr Haar nicht offen? Diese Frisur steht Ihnen nicht." Er öffnete die Haarspange, so dass Melissas Haare sich lösten. „He." Als Melissa sich unvermittelt umdrehte, fand sie sich fast in Brians Arm wieder, der die Hand noch immer an ihrem Haar hatte. Melissa hielt sekundenlang den Atem an. Sie hätte sich nicht bewegen können, ohne Brian zu berühren. Er sah ihr in die Augen, dann wieder auf ihr Haar. Dann ließ er die Hand sanft in ihr kastanienbraunes Haar gleiten und breitete es behutsam über ihre Schultern aus. Schließlich nahm er ihr die Brille ab. „Ich bin keine Puppe, mit der man spielen kann." Es ärgerte sie, wie selbstverständlich er sich das Recht herausnahm, sie zu berühren. Sie wich einen Schritt zurück, um ein wenig Distanz zu gewinnen. „Nein, Sie sind keine Puppe. Aber warum tragen Sie Ihr Haar nicht offen?" „In meinem Beruf ist seriöses Aussehen wichtig. Sehe ich jetzt etwa seriös aus?" Brian betrachtete Sie lange. Dann lächelte er. „Vielleicht nicht seriös, aber dafür freundlicher." „Freundlicher? Und das sagen ausgerechnet Sie? Sie benehmen sich wie ein General, vor dem alle kuschen. Ihre Leute haben so viel Angst vor Ihnen, dass sie sich nicht einmal trauen, Ihnen Fragen zu stellen." Melissa hatte die Erfahrung gemacht, dass Angriff die beste Verteidigung war.
Brians Blick wurde finster. „Angst vor mir? Wie kommen Sie denn darauf?" „Wir brauchten heute wichtige Daten, die Ihre Manager uns nicht geben konnten. Aber statt Sie zu fragen, gingen Sie von einem Sachbearbeiter zum anderen, um die nötigen Informationen zu bekommen. Das dauerte nicht nur unnötig lange, sondern die Sachbearbeiter wurden auch unsinnigerweise bei ihrer Arbeit gestört. Bei Larbard gibt es so etwas nicht." „Und warum haben sie sich nicht direkt an mich gewandt?" fragte Brian erstaunt. „Weil sie Angst vor Ihrer barschen, abweisenden Art hatten. Ich halte Sie übrigens auch nicht für besonders freundlich." „Das war bisher nie ein Problem", erwiderte er nachdenklich. Melissa wusste nicht, ob sie mit offenen Haaren freundlicher aussah. Auf jeden Fall fühlte sie sich weiblicher. Sie warf einen Blick auf die Fensterscheibe, um ihr vage erkennbares Spiegelbild zu betrachten. Sie sah nun nicht mehr wie eine ernste, konservative Geschäftsfrau aus, sondern als wäre sie noch immer in Urlaub. „Ich möchte, dass Sie heute mit mir essen", sagte Brian. „Dann können wir in aller Ruhe über meine unfreundliche Art reden." „Aber..." Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. „Streiten Sie nicht mit mir. Kommen Sie einfach mit." Er nahm den Finger nicht von ihrem Mund, bis sie nickte. Dann strich er ihr kurz über die Lippen und ließ die Hand sinken. „Sind Sie fertig? Können wir gehen?" fragte er. „Ich hätte zwar noch einiges zu tun, aber das hat Zeit bis morgen." Sie hob die Arme, um ihr Haar wieder zurechtzumachen. „Lassen Sie es so, wie es ist. Ich mag es so." „Aber es sieht ungepflegt aus." „Das finde ich überhaupt nicht." Er kämmte ihr Haar mit den Fingern durch. „Es sieht bezaubernd aus." Wenig später betraten sie ein gemütliches Restaurant im traditionellen österreichischen Stil, das sich in einem uralten Fachwerkhaus befand. Sie wurden zu einem Tisch in einer Nische im hinteren Teil des Schankraums gebracht, wo sie ungestört waren. „Es ist wundervoll hier." Melissa lächelte Brian glücklich an. „Das Essen ist auch gut", meinte er und erwiderte ihr Lächeln. Nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatten, lehnte er sich zurück und sah Melissa ernst an. „Also heraus mit der Sprache, Miss Carmichael. Warum haben Sie mir am Wochenende verschwiegen, wer Sie sind?" Sie betrachtete ihre Hände und suchte nach einer plausiblen Antwort. „Das ist schwer zu sagen", antwortete sie schließlich und sah ihn an. „Vielleicht dachte ich, Sie würden dann Ihr Verhalten mir gegenüber geändert haben. Unsere Begegnung war ein seltsamer Zufall, aber ich wusste nicht, ob Sie es ebenso sehen würden." „Der Zufall kam Ihnen aber ganz gelegen, stimmt's?" „Ich dachte mir, dass Sie das glauben würden. Aber ich kam wirklich nur rein zufällig beim Spazierengehen zur Wiese und hatte nicht erwartet, dort jemandem zu begegnen." „Das mag für Sonnabend stimmen", wandte Brian ein. „Aber am Sonntag wussten Sie, wer ich bin. Sie kamen zurück mit dem Ziel, mich zu treffen. „Ich hoffte, dass Sie wiederkommen würden. Und zumindest teilweise hat das Picknick ja auch Spaß gemacht, finden Sie nicht?" Sekundenlang fühlte sie sich wieder auf die Sommerwiese zurückversetzt und meinte, die würzige Luft förmlich zu riechen. „Ja, teilweise hat es Spaß gemacht." Er schaute auf ihre Lippen, bis Melissa verlegen den Blick abwandte. „Aber das war beabsichtigt."
„Nein", widersprach sie heftig. „Ich wollte Sie nur in einer ungezwungenen Umgebung kennen lernen. Und ich bin froh, dass ich es getan habe. Im Büro sind Sie nämlich nicht sehr umgänglich." „Ach ja, das Thema von vorhin. Welcher von meinen Angestellten hatte denn Ihrer Meinung nach Angst, zu mir zu kommen?" „Karl Müller." „Seltsam. Er ist seit vielen Jahren in unserer Firma und weiß, dass ich immer Zeit für ihn habe. Worum ging es denn?" „Es hatte mit einer deutschen Firma zu tun, die Geschäftsanteile Ihres Unternehmens besitzt. Anscheinend haben Sie mit der Firma vor einigen Jahren ein ähnliches Geschäft gemacht wie mit uns." „Ja. Dazu bin ich berechtigt." Seine Stimme klang jetzt viel härter als vorher. „Ich habe nichts Gegenteiliges behauptet. War Karl auch gegen das Geschäft?" „Worauf wollen Sie hinaus?" „Ich habe den Eindruck, er hat etwas gegen unsere Geschäftsverbindungen mit Ihnen. Jedenfalls tut er alles, um den Vertragsabschluss zu verzögern." „Unsinn. Karl ist ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter. Er war schon in der Firma, als ich sie übernahm. Und er weiß genau, dass unsere Geschäftsverbindungen sowohl für Ihre als auch für unsere Firma gut sind. Wir müssen expandieren und erschließen uns durch die Transaktion neue Märkte in England." In diesem Moment kam der Kellner mit der Vorspeise. Nachdem er wieder gegangen war, fuhr Melissa fort. „Erich ist auch dagegen. Er und Karl zeigen wenig Bereitschaft, mit uns zusammenzuarbeiten." „Ich glaube nicht, dass Sie die Arbeit meiner Abteilungsleiter beurteilen können", erwiderte Brian barsch. „Wir sind an einem Vertragsabschluss interessiert und werden alles tun, um zu einer Einigung zu kommen. Vielleicht sind Sie zu jung, um die Art der Verhandlungen richtig beurteilen zu können." „Ich habe seit vier Jahren bei ähnlichen Verhandlungen mitgewirkt, Mr. Terrell", entgegnete Melissa kühl. „Ich weiß, was ich tue, und habe genug Erfahrung, um Verzögerungstaktiken zu durchschauen." Es ärgerte sie, dass Brian ihr nicht glauben wollte. Dachte er etwa, dass sie bewusst Zwietracht zwischen ihm und seinen Angestellten säen wollte? War es ihm etwa gleichgültig, wie die Gespräche vorangingen? Als das Hauptgericht gebracht wurde, wechselten sie das Thema, und nach einer Weile wurde die Stimmung entspannter. Melissa stellte Fragen über Salzburg, die Brian bereitwillig beantwortete. Sie sprachen über Mozart, die Geschichte der Stadt und die Probleme der Bürger in den langen verschneiten Wintermonaten. „Leben Sie eigentlich gern hier?" erkundigte sie sich vorsichtig. Plötzlich wurde er zurückhaltender. Persönliche Fragen waren offenbar nicht erlaubt. „Es geht. Ich kam hierher, als ein Geschäftsführer gesucht wurde. In den letzten zehn Jahren habe ich das Unternehmen beträchtlich erweitert. Vielleicht kann ich die Geschäftsleitung eines Tages nach England verlegen, wenn es uns gelingt, dort auf Grund des Abschlusses mit Ihnen im größeren Rahmen zu expandieren." „Lebt Ihre Familie in England?" Melissa wusste zwar einiges über sein Berufsleben, aber über sein Privatleben hatte die Marketingabteilung ihrer Firma kaum etwas in Erfahrung bringen können. „Meine Mutter und meine Schwestern leben mit ihren Familien in England." „War Ihre Frau auch Engländerin?" „Ja." Sein Blick wirkte plötzlich gequält, aber auch missmutig. „Möchten Sie noch ein Dessert, oder können wir jetzt gehen?"
Melissa war es peinlich, dass sie Brian diese Frage gestellt hatte. Soweit sie wusste, war seine Frau vor einigen Jahren gestorben. Offenbar hatte er ihren Tod noch immer nicht überwunden. „Es tut mir Leid", sagte sie sanft. „Was?" Er verzog den Mund zu einem geradezu zynischen Lächeln. „Weil Sie mein Privatleben ausspionieren wollen? Da gibt es nichts zu entdecken. Es war seinerzeit ein offenes Geheimnis, dass sie sich und mich hatte umbringen wollen. Es gelang ihr aber nur, sich selbst zu töten." Er deutete auf die lange Narbe auf seiner Wange. „Ich kam mit einer Narbe davon." Was, in aller Welt, ist damals geschehen? dachte Melissa entsetzt, doch sein finsterer Blick hielt sie davon ab, weitere Fragen zu stellen. „Ich möchte kein Dessert", sagte sie schließlich, „und würde jetzt gern zu meiner Pension gehen. Vielen Dank für den schönen Abend." Es klang wie aus dem Mund eines wohlerzogenen kleinen Mädchens. Brian zahlte die Rechnung, und kurz darauf nahmen sie ein Taxi. Melissa hatte die kleine Pension ausgesucht, weil sie es dort gemütlicher fand als in einem Hotel. Außerdem wollte sie nicht mit ihren Kollegen im selben Haus wohnen, da sie nicht auch noch nach Feierabend ständig über Geschäftliches reden wollte. . Als sie ankamen, stieg Brian mit Melissa aus und begleitete sie zur Tür. „Haben Sie Lust, morgen Abend wieder mit mir zu essen?" fragte er. Im ersten Moment hätte sie die Einladung fast freudig angenommen, doch plötzlich hatte sie Bedenken. Sie dachte an das Erlebnis auf der Wiese und an die unberechenbare Wirkung, die dieser Mann auf sie ausübte. Vielleicht war es klüger, eine gewisse Distanz zu ihm zu halten. Da Melissa sowieso bald nach England zurückkehren würde, hätte ein Verhältnis mit ihm keine Zukunft gehabt. „Leider habe ich morgen Abend schon etwas vor", antwortete sie schließlich. Allein zu essen war zwar nicht so schön wie ein Dinner mit Brian, dafür aber unverfänglicher. „Am Sonnabend gehe ich reiten. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir dabei Gesellschaft leisten würden. Möchten Sie?" „Ja, gern", platzte sie heraus, bevor sie richtig darüber nachgedacht hatte. „Ich hole Sie um neun Uhr ab. Ziehen Sie sich etwas Bequemes an. Haben Sie dafür geeignete Stiefel?" „Leider nicht dabei." „Ich werde die Reitstiefel meiner Schwester ausleihen. Sie müssten Ihnen eigentlich passen." Plötzlich beugte er sich zu Melissa herab und küsste sie sanft auf die Lippen. „Die seriöse Miss Carmichael werde ich zweifellos morgen früh im Büro treffen. Aber ich freue mich schon auf Sonnabend, weil ich dann die junge, lebensfrohe Melissa von der Wiese wieder sehe." Dann drehte er sich um und ging zum Taxi zurück. Melissa ging ins Haus und lächelte verträumt, als sie die Tür hinter sich schloss.
3. KAPITEL Als Melissa am nächsten Morgen den Aufzug verließ, kam ihr eine der Sekretärinnen der Austerling GmbH scheu lächelnd entgegen. „Mr. Terrell möchte Sie in seinem Büro sprechen, bevor Sie in den Konferenzraum gehen." Melissa bedankte sich und ging sofort zu ihm. Sie war richtig aufgeregt, weil sie die unverhoffte Gelegenheit hatte, ein paar Minuten mit Brian allein zu sein. Wahrscheinlich wollte er ihr den Aktenkoffer zurückgeben, den sie in seinem Büro liegen gelassen hatte. „Sie haben ja wieder Ihr Haar hoch gesteckt", sagte er tadelnd, als sie hereinkam. „Natürlich. Wie immer, wenn ich arbeite", erwiderte sie, und ihr pochte das Herz wie wild, als er dicht an sie herantrat. „Ich mag es lieber, wenn Sie es offen tragen." „Das tut mir Leid." Der Klang ihrer Stimme ließ jedoch das Gegenteil vermuten. „Sie haben mir übrigens noch nicht die Brille zurückgegeben, die Sie mir gestern abgenommen haben." „Ich gebe sie Ihnen zurück, wenn Sie Ihr Haar lösen." Seine Stimme klang dunkel und weich. Melissa stand dicht vor ihm und streckte ihre Hand aus. „Brian, geben Sie mir bitte meine Brille zurück." Er holte sie aus der Jacketttasche, doch statt sie Melissa zu geben, setzte er sie ihr behutsam auf. Im nächsten Moment öffnete er die Haarspange so schnell, dass Melissa keine Zeit hatte, es zu verhindern. „Brian!" protestierte sie, aber da ließ er bereits die Finger durch ihr Haar gleiten. „Bitte lassen Sie es so, Melissa. Offen steht es Ihnen viel besser", sagte er mit weicher, verführerischer Stimme. Dann beugte er sich zu ihr und küsste sie sanft auf die Lippen. „Wir sind alle von Ihren beruflichen Fähigkeiten beeindruckt, aber mit offenem Haar sehen Sie einfach nicht so reserviert aus." Sie schüttelte den Kopf und fand, dass es sich besser anfühlte, wenn ihr Haar offen war. Aber was würden ihre Mitarbeiter sagen? Andererseits wollte sie Brian die Bitte nicht abschlagen. „Na gut. Aber wenn meine Kollegen irgendwelche dummen Bemerkungen machen, stecke ich die Haare wieder hoch." „Wenn es Probleme gibt, sagen Sie es mir. Ich werde das regeln." Er deutete zur Tür. „Ich glaube, wir sollten jetzt zu den anderen gehen." Als sie wenig später den Konferenzraum betraten, waren die Blicke aller auf sie gerichtet. Melissa spürte instinktiv, dass es bezüglich ihr und Brian Vermutungen gab, aber natürlich sprach es niemand offen aus. Der Tag verging so schnell wie der vorherige, und abends war Melissa ein wenig enttäuscht, weil sie Brian nach der Sitzung nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Jetzt bereute sie, dass sie seine Einladung zum Essen nicht angenommen hatte. Vielleicht würde er es nie wieder tun. Am Sonnabend war Melissa schon früh auf den Beinen. Sie zog eine alte, bequeme Jeans an, die ihre Figur wie eine zweite Haut umschmiegte. Unter ihrem Hemd trug sie ein hautenges Lycra-Top. Das Hemd knöpfte sie nicht zu, sondern knotete die beiden vorderen Enden zusammen. Pünktlich um neun war Brian vor der Pension. Melissa lief sofort hinaus und winkte ihm freudig zu. Sie schlüpfte in den schwarzen BMW, bevor Brian aussteigen und ihr die Beifahrertür öffnen konnte. „Guten Morgen", begrüßte sie ihn fröhlich.
„Sind Sie in Eile?" fragte er spöttisch, während er sich zu ihr umdrehte und sie von Kopf bis Fuß betrachtete. Als sein Blick auf die Stelle zwischen Top und Jeans fiel, wo etwas von Melissas heller, nackter Haut zu sehen war, umfasste er das Lenkrad fester. „Ich wollte Sie und die Pferde nicht warten lassen", erwiderte sie. Brian lächelte und fuhr los. Kurze Zeit später hatten sie die Stadt verlassen, und Melissa wurde hin und her gerissen, ob sie, ihre Aufmerksamkeit mehr der herrlichen Landschaft oder dem Mann neben ihr schenken sollte. Seine blauen Jeans und das hellblaue Hemd passten wunderbar zu seinen blauen Augen. Sie tat, als blickte sie an ihm vorbei aus dem Fenster, aber in Wirklichkeit betrachtete sie sein Profil. Am liebsten hätte Melissa die Fingerspitzen über seine Augenbrauen, die Lippen und Wangen gleiten lassen. Sie stellte sich vor, seinen kräftigen muskulösen Körper an ihrem zu spüren ... Aber dann wurde ihr bewusst, wie gefährlich solche Gedanken waren. Sie wandte sich unvermittelt ab und schaute in die andere Richtung. Brian hatte für Melissa ein gutmütige braune Stute ausgesucht, die genau richtig für sie war. Nachdem Melissa die Stiefel seiner Schwester angezogen hatte, saß sie auf. Die Stute hieß ausgerechnet Blumenwiese. War Brian etwa ein Romantiker? Er prüfte gerade die Steigbügel. Als er damit fertig war, schaute er zu ihr auf und bemerkte ihren belustigten Blick. „Ist etwas?" fragte er. „Ich habe gerade darüber nachgedacht, ob Sie ein Romantiker sind. Der Name des Pferds erinnert mich an die Blumenwiese, auf der wir uns trafen." „Die Stute trägt den Namen schon seit ihrer Geburt. Aber wenn Sie etwas anderes damit verbinden ..." „Lassen Sie mir meine Fantasien. Ich bin Romantikerin und schäme mich dessen nicht." Brian stieg auf den großen fuchsfarbenen Wallach, den er schon bei ihrem ersten Treffen geritten hatte. Der Ritt führte sie erst durch den Wald, dann über die Wiese, auf der sie sich begegnet waren. Von dort aus ging es immer höher ins Gebirge. Manchmal hielten sie an, damit Melissa den Ausblick über die weite Landschaft genießen konnte. Das warme, sonnige Wetter hätte nicht besser sein können, und die klare Luft ermöglichte eine gute Fernsicht. Außer ihnen schien weit und breit niemand in der beeindruckenden Gebirgslandschaft unterwegs zu sein. Sie unterhielten sich angeregt über die ländliche Gegend und verglichen sie mit anderen Landschaften, die sie auf ihren Reisen gesehen hatten/Melissa hätte zwar gern mehr über sein Privatleben gewusst, aber auf Grund ihrer Erfahrung im Restaurant vermied sie es, ihm zu persönliche Fragen zu stellen. Sie dagegen hatte keine Scheu, das eine oder andere von sich preiszugeben. Als sie von ihren Ausritten in Wyoming erzählte, wo sie ihre Mutter besucht hatte, kam sie auf sehr private Dinge zu sprechen. „Meine Mutter fühlte sich sehr einsam, nachdem mein Vater gestorben war. Eines Tages entschloss sie sich, auf einer Ferienranch in Colorado Urlaub zu machen, und lernte Jason kennen, der dort gerade geschäftlich zu tun hatte. Sie verliebten sich und heirateten. Das Ganze geschah in nur drei Wochen." „Fanden Sie das richtig?" erkundigte Brian sich interessiert. „Als ich Jason kennen lernte, wusste ich, dass sie das Richtige getan hatte. Er ist ein toller Mann, und die beiden passen wunderbar zusammen. Ich wünsche mir, dass ich auch einmal eine solche Ehe führen kann. Ich dachte immer, dass meine Mutter mit meinem Vater glücklich gewesen sei. Aber bei ihrem neuen Mann ist sie richtig aufgeblüht." „Sind Sie und Ihre Mutter sich sehr nah?"
„Ja. Trotzdem hat sie mit ihrer Heirat nicht gewartet, bis ich kam." Melissa lachte. „Aber das macht nichts. Ich wäre dabei sowieso überflüssig gewesen. Als ich sie besuchte, lernte ich viel über das Leben auf einer Ranch." Melissa erzählte Brian amüsante Geschichten über ihre Arbeit, von ihrer Wohnung in London und ihrer Kindheit als Pastorentochter. Der Vormittag verging wie im Flug, und bevor es ihr bewusst wurde, waren sie wieder beim Pferdestall angekommen. „Es war herrlich", sagte sie, nachdem sie abgestiegen waren, und umarmte Brian. Er drückte sie an sich. Dann ließ er die Hand tiefer gleiten und berührte die Stelle zwischen Top und Jeans, die unbedeckt war. Seine Finger glitten über die weiche nackte Haut. „Du spielst mit dem Feuer, du kleines, unerfahrenes Mädchen", sagte er leise mit tiefer Stimme. Melissa sah lächelnd zu ihm auf. „So?" fragte sie herausfordernd, und ihr Herz pochte wie wild. Sie spürte die Wärme seines Körpers und fühlte sich so wohl, dass sie am liebsten den Rest ihres Lebens in seinen Armen verbracht hätte. Sie war nicht so unerfahren, wie er zu glauben schien, aber das brauchte er nicht zu wissen. Brian nickte bedeutungsvoll. Dann ließ er die Arme sinken. „Der Stall ist nicht der richtige Ort." Er deutete mit einer leichten Kopfbewegung zu den Stalljungen, die gerade die Pferde striegelten. Auf dem Weg zum Wohnhaus hatte Melissa eine unbestimmte Vorahnung. Wer hätte gedacht, dass ihr Tag mit Brian sich so entwickeln würde? Sie hatte kaum Zeit, sich im Haus umzusehen. Er führte sie in ein Arbeitszimmer, wo er sofort die Tür hinter sich schloss. Dann nahm er Melissa in die Arme und senkte den Kopf zu ihr herab. Seine warmen Lippen liebkosten ihre und verführten Melissa dazu, den Mund zu öffnen. Als ihre Zungen sich fanden, erwiderte sie den Kuss genüsslich und drückte sich fester an Brian. Es war, als hätte er ein Feuer in ihr entzündet. Sie spürte die Hitze ihres Körpers so sehr, dass sie Brians Körperwärme kaum noch wahrnahm. Melissa konnte nicht genug bekommen vom zärtlichen Druck seiner Lippen und dem leidenschaftlichen Spiel ihrer Zungen. Der Kuss wurde immer intensiver. In Brians Augen lag ein seltsamer Glanz, als er den Blick schließlich über ihr Gesicht gleiten und dann auf ihren geschwollenen Lippen ruhen ließ. „Ich glaube, du hast mich verzaubert", sagte er leise. „Und du mich auch", erwiderte sie und zog seinen Kopf wieder zu sich herab. Brian lehnte sich gegen die Tür und zog Melissa an sich. Sie schob die Finger in sein dichtes Haar und schmiegte sich an ihn. Als er eine Hand unter das weite Hemd schob und ihr sanft über den Rücken strich, seufzte sie leise vor Wohlbehagen. Sie spürte die Hitze in ihrem Unterleib und Brians Erregung. Für einen Moment genoss sie es, dass sie eine solche Macht über ihn hatte. Sie hatte seit Jahren kein solches Erlebnis mehr mit einem Mann gehabt, es aber bis dahin auch nicht gewollt. Brian überflutete sie mit Gefühlen, die ihr bis dahin unbekannt gewesen waren. Er ließ die Hand zu ihren Brüsten gleiten und umfasste eine. Melissas Atem wurde schneller. Doch plötzlich sagte ihr eine innere Stimme, dass sie sich in Acht nehmen müsse. Es war besser aufzuhören, bevor die Situation außer Kontrolle geriet. Obwohl es ihr schwer fiel, trat sie langsam, aber entschlossen den Rückzug an. Brian liebkoste noch immer sanft, aber fordernd ihre Brust mit seiner warmen Hand. Seine zärtlichen Berührungen riefen in ihr Gefühle unbeschreiblicher Wonne hervor, und es widerstrebte ihr, ausgerechnet jetzt aufzuhören. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Brian legte Melissa die andere Hand auf die Hüfte und zog sie fest an sich. Offenbar wollte er ihr zeigen, wie erregt er war und wie sehr er sie begehrte.
„Brian." Sie legte die Hände auf seine Schultern. „Hm?" Er liebkoste ihren Hals mit den Lippen. „Brian, es geht mir zu schnell." Sie versuchte, ihn sanft von sich zu schieben. Er sah hoch und sie an, nahm jedoch nicht die Hände weg. „Ich begehre dich, Melissa. Und ich fühle, dass auch du mich begehrst." „Vielleicht. Aber das bedeutet nicht, dass wir jetzt Liebe machen müssen." Wieder versuchte sie, ihn von sich zu schieben, doch er hielt sie fest. „Was für ein Spiel spielst du?" fragte er barsch. „Es ist kein Spiel. Ich wollte dich küssen. Ich mag es, dich zu berühren und mich von dir berühren zu lassen. Aber es geht mir alles zu schnell. Ich möchte, dass es beim Küssen bleibt." „Wenn ich wollte, könnte ich dich im Nu auf die Couch legen, und du würdest dich nicht wehren." Er sah sie mit festem Blick an, während er ihre Brust liebkoste. Melissa bebte vor Verlangen. „Ich würde dir sagen, dass ich nicht will", erwiderte sie tapfer, obwohl sie sich dessen nicht ganz sicher war. Er war unfair. Woher hätte sie wissen sollen, wie seine wilden Zärtlichkeiten auf sie wirkten? Sie kannte ihn schließlich erst seit kurzem. Brian ließ die Hände sinken. Melissa lehnte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen. Sie hörte das schnelle Pochen seines Herzens, und am liebsten hätte sie nachgegeben. „Warum?" Er packte sie an den Oberarmen und schob sie so weit von sich, dass er ihr in die Augen sehen konnte. Melissa senkte schweigend den Blick. Sie war vor Verlegenheit rot geworden. Sie wollte nicht, dass er glaubte, sie wolle ihn nur zum Narren halten. „Es geht einfach nicht", flüsterte sie. „Wir kennen uns doch kaum. Wir leben in zwei unterschiedlichen Welten ..." Sie sprach nicht weiter. Wie konnte sie ihm begreiflich machen, dass sie Angst davor hatte, wieder verletzt zu werden? Sie verkörperte äußerlich das Bild einer starken, unabhängigen Persönlichkeit, und dieses Bild wollte sie aufrechterhalten. „Ich will doch keine dauerhafte Beziehung", sagte er leicht verärgert. Sein Blick war kühl geworden. „Ich auch nicht. Aber ich muss einen Mann erst wirklich lieben, bevor ich mit ihm ins Bett gehe." „Und ausgerechnet du sagst mir, ich sei ein Romantiker. Was wäre, wenn du dich nie verlieben würdest?" „Dann werde ich eben mit keinem schlafen", erwiderte sie böse. Das Thema ging ihr allmählich auf die Nerven. Sie hatte Nein gesagt - was gab es also darüber noch großartig zu diskutieren? „Heutzutage würde kein Mann von einer Frau deines Alters verlangen, dass sie als Jungfrau in die Ehe geht", meinte Brian. „Spar dir deine klugen Worte. Ich habe dir bereits gesagt, was ich will: keinen Sex." Er richtete sich hoch auf und schaute verärgert zu ihr herab. „Was weißt du denn über Sex, kleines Mädchen?" „Das geht dich nichts an", antwortete sie barsch. „Ich habe das alles schon einmal erlebt. Männer benutzen Frauen doch nur als Sexualobjekte. Ich habe dir gesagt, dass ich keine Lust habe, aber du versuchst beharrlich, mich umzustimmen. Mir ist es völlig egal, welche Erwartungen du an mich hast. Ich mache keinen Sex mit dir, und damit basta." „Ich könnte dich trotzdem dazu bringen." „Wie denn? Mit Gewalt?" „Nein, ich würde niemals eine Frau dazu zwingen." Er kam ganz nah an sie heran und beugte den Kopf herab, um sie zu küssen.
Obwohl Melissa wusste, dass er sie prüfen wollte, erwiderte sie fast automatisch seinen Kuss. Ihr Widerstand drohte ins Wanken zu geraten. Doch als sie an den Lippen spürte, dass er triumphierend lächelte, kam sie abrupt wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie beugte den Kopf nach hinten und sah Brian wutentbrannt an. „Nein." Sie machte sich von ihm los und ging zur Tür. War dies das Ende des wunderbaren Tages mit ihm? „Du machst Männer scharf, aber wenn es ernst wird, läufst du weg", rief er ihr nach. „Du spielst doch nur." Melissa ging hinaus und schlug die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu. Sie hatte nicht nur gespielt. Sie war ehrlich gewesen und hatte die Küsse unendlich genossen, aber alles Weitere wäre ihr zu schnell gewesen. Hätte er nicht warten können, bis sie beide eine Freundschaft aufgebaut hatten? Warum wirkte er nur so anziehend auf sie? Ihr Leben wäre um vieles leichter gewesen, wenn sie ihm nie begegnet wäre. Brian hatte nie auch nur angedeutet, dass er an einer Freundschaft mit ihr interessiert war. Vielleicht hatte er mit seiner Frau so schlechte Erfahrungen gemacht, dass er keine enge Beziehung mehr eingehen wollte. Von ihr, Melissa, wollte er offenbar nur Sex. Dazu kam, dass sie ihren eigenen Gefühlen nicht mehr traute. Sie hatte sich schon früher einmal in einer ähnlichen Lage befunden. Was sie damals für Liebe gehalten hatte, hatte sich als große- Enttäuschung entpuppt. Jetzt hatte sie Angst davor, alte Fehler zu wiederholen. Sie wusste nicht, wie sie zu ihrer Pension zurückkommen sollte. Würde Brian sie zurückfahren, sobald er sich beruhigt hatte? Wenn nicht, würde sie eben ein Taxi nehmen. Plötzlich sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf der Treppe. Sie blickte hinauf und sah einen kleinen Jungen, der auf der Treppe saß und mit dem Rücken am Geländer lehnte. „Hallo", sagte sie lächelnd. Er betrachtete sie ernst. Melissa ging zu ihm hinauf und setzte sich neben ihn. Sie wusste instinktiv, dass es Brians Sohn war. Er sah seinem Vater Sehr ähnlich - das gleiche blonde Haar, die gleichen blauen Augen. Er sah richtig hübsch aus. „Ich bin Melissa." „Guten Tag. Ich bin Maximilian Terrell." Er gab ihr die Hand. Ein wohlerzogener kleiner Kerl, dachte Melissa lächelnd. „Das ist aber ein langer Name. Darf ich dich einfach Max nennen?" Er dachte einen Moment nach. Dann nickte er. „Ja. So nennt mich mein Vater auch. Ich hoffe, er kommt bald. An den Wochenenden unternehmen wir immer etwas zusammen, aber heute hat er etwas Wichtiges zu tun. Glauben Sie, es wird den ganzen Tag dauern?" Er schaute zur Tür des Arbeitszimmers. Melissa hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, weil sie „das Wichtige" war, das Brian zu tun gehabt hatte. Offenbar war die Zeit, die er mit ihr verbracht hatte, auf Kosten seines kleinen Jungen gegangen. Sie betrachtete ihn nachdenklich. Als sie so alt wie er gewesen war, hatte ihr Vater sich immer darauf gefreut, etwas mit ihr zu unternehmen. Ob Brian auch so war? „Er ist jetzt allein in seinem Arbeitszimmer. Warum gehst du nicht einfach zu ihm?" schlug sie vor. „Greta hat gesagt, dass ich ihn nicht stören darf." „Wer ist denn Greta?" „Mein Kindermädchen." Plötzlich kam Brian aus dem Arbeitszimmer und sah sich auf dem Flur nach Melissa um. Als er sie mit seinem Sohn auf der Treppe sitzen sah, blieb er stehen, stemmte die Fäuste in die Hüften und sah die beiden abwechselnd an.
„Siehst du? Da ist dein Dad schon. Komm, wir gehen zu ihm." Sie stand auf und reichte Max die Hand, der sie, ohne zu zögern, ergriff. Sie gingen Hand in Hand die Treppe hinunter. Melissa fragte sich, wie Brian darüber denken würde. „Du hast Max also schon kennen gelernt." „Ja, er hat auf dich gewartet. Ich sagte ihm, dass du jetzt Zeit für ihn hast." Brians Blick wurde finster. „Willst du mir etwa beibringen, wie ich mit meinem Sohn umzugehen habe?" „Nein. Ich glaube, dass du bei der Erziehung deines Sohnes ebenso erfolgreich bist wie in deiner Firma. Aber er freut sich darauf, etwas mit dir zu unternehmen, und ich wüsste nicht, was dagegen sprechen würde." „Zum Beispiel, dass ich den Tag mit dir verbringen wollte", erwiderte er. Melissa lächelte. Die Spannung der vorausgegangenen Minuten ließ allmählich nach. „Ich bleibe. Dann kannst du den Tag mit uns beiden verbringen. Nach dem Abendessen kannst du mich nach Haus fahren, wenn du willst." Brian schaute zu Max hinunter. „Was hältst du davon, mein Sohn?" Max hatte den Wortwechsel der beiden Erwachsenen aufmerksam verfolgt. „Das wäre toll. Ich kann ihr meine Spielsoldaten zeigen." Der Kleine strahlte über das ganze Gesicht. „Die würde ich mir gern ansehen." Melissa beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Ich habe als kleines Mädchen auch gern mit Plastiksoldaten gespielt." „Männer möchten ebenso gern geküsst werden wie kleine Jungen", meinte Brian herausfordernd. „Du wirst später geküsst." Sie sah ihn lange an. „Aber nur, wenn es beim Küssen bleibt." Dann wandte sie den Blick ab. „Jetzt müssen wir uns erst einmal um Max kümmern." „Versuchen Sie etwa; meinen Haushalt zu übernehmen, Miss Carmichael?" Melissa schüttelte den Kopf. „Das fiele mir nicht im Traum ein, Mr. Terrell. So, und jetzt gib deinem Sohn einen Kuss. Danach bekommst du einen von mir." Sie war plötzlich mutig geworden. Die Anwesenheit des Jungen gab ihr ein Gefühl der Sicherheit. Brian nahm Max auf den Arm und küsste ihn auf die Wange. Dann drehte er sich zu Melissa um und zog sie mit dem anderen Arm an sich. Auch ihr gab er einen Wangenkuss. „Das reicht fürs Erste", sagte er. „Später gibt es mehr." Melissa ahnte, was er meinte, und spürte ein Kribbeln im Magen.
4. KAPITEL Melissa war fasziniert, wie Brian sich in Gegenwart seines Sohnes verändert hatte. Er schien gern mit Max zusammen zu sein, und es war nicht zu übersehen, dass der Junge ihn förmlich vergötterte. „Hast du schon Mittag gegessen?" fragte Brian ihn. Da Max nickte, fuhr Brian fort: „Miss Carmichael und ich noch nicht. Ich wollte Marta gerade bitten, das Essen aufzutragen." „Miss Carmichael hat gesagt, ich darf sie Melissa nennen." Max warf ihr einen fragenden Blick zu. „Natürlich darfst du das", bestätigte sie. „Du könntest doch in dein Kinderzimmer gehen, während wir essen. Dein Dad und ich kommen zu dir, sobald wir fertig sind. Wir könnten 'Spiele machen und uns deine Spielsachen ansehen." „Kommt ihr wirklich, Daddy?" Melissas Vorschlag schien dem Kleinen sehr zu gefallen, denn seine Augen strahlten vor Begeisterung. „Wenn Melissa es sagt, wird es wohl so sein", erwiderte Brian etwas mürrisch und blickte sie drohend an. Melissa schluckte. Offenbar war er mit der Entwicklung der Dinge nicht zufrieden. Hoffte er etwa immer noch, dass er den restlichen Tag mit ihr im Bett verbringen könnte? Eigentlich hatte sie geglaubt, ihm ihre Meinung dazu unmissverständlich klargemacht zu haben. Brian sah Max hinterher, wie er die Treppe hinauf stürmte. Dann wandte er sich Melissa zu. „Eigentlich habe ich mir den Tagesverlauf anders vorgestellt", sagte er trocken. „Kleine Jungen brauchen viel Zuwendung. Er ist es gewöhnt, dass er dich an den Wochenenden für sich hat. Ich möchte nicht der Grund dafür sein, dass es plötzlich anders ist." „Große Jungen brauchen auch Zuwendung." Er warf einen viel sagenden Blick auf ihre Lippen. Melissa umarmte ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter. „Vielleicht später. Aber zuerst verbringen wir den Nachmittag mit deinem Sohn." Brian zog sie fest an sich und gab ihr einen kurzen Kuss. „Ich werde darauf zurückkommen." „Aber nur, wenn es bei Küssen bleibt." „Das sagtest du bereits." Er ließ sie los und den Arm sinken. „Was war eigentlich mit dem anderen Mann?" Melissa erbleichte. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst." „Im Arbeitszimmer hast du Andeutungen gemacht, dass es schon einmal einen Mann in deinem Leben gegeben hat. Du sagtest, das alles schon einmal erlebt zu haben und dass Männer Frauen nur benutzten. Das klingt sehr nach einschlägigen Erfahrungen." „Das geht dich nichts an", erwiderte sie barsch. „Es interessiert mich aber. Komm, erzähl schon." Melissa errötete und senkte den Blick. Sie ärgerte sich, weil ihr loses Mundwerk sie wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte. Sie hatte keine Lust, ihm von David zu erzählen. Sie wollte an David nicht einmal mehr denken. „Nun, Melissa?" Brian hob mit einem Finger ihr Kinn und sah ihr in die hellblauen Augen. „Ich dachte, es wäre Liebe, aber in Wirklichkeit wollte er nur eine andere Frau eifersüchtig machen." Plötzlich wurde die Erinnerung an die Qualen von damals wieder wach.
„Ich sage nicht, dass ich dich liebe, aber ich würde dich nie belügen. Und was du bei mir empfinden würdest, wäre absolut echt", sagte er mit weicher Stimme, während er mit dem Daumen sanft über ihre Lippen strich. Sie schüttelte langsam den Kopf. Sie konnte es nicht tun, so sehr sie sich auch nach Brians Berührungen sehnte. Und sie zweifelte nicht daran, dass Brian ihr unbeschreibliche Genüsse schenken würde. „Lass uns essen gehen." Er straffte sich und wandte sich ab. Melissa war fasziniert von Brians riesigem und stilvoll eingerichtetem Haus. Am großen Tisch in der Mitte des geräumigen Speiseraums hätten gut zwölf Personen sitzen können. Darüber glitzerten die Kristalle des Kronleuchters in allen Regenbogenfarben. Das Essen war leicht und machte doch satt. Melissa bekam kaum mit, was sie aß, da sie sich ganz auf die Unterhaltung mit Brian konzentrierte, um so viel wie möglich über ihn zu erfahren. Anfangs erzählte er von der Geschichte Salzburgs, aber später redete er unbefangen von seiner Mutter und seinen Schwestern, die alle in England lebten. Er sprach auch von seinem Vater, der bereits gestorben war. Über seine Frau sagte er jedoch nichts. Nach dem Essen wäre er am liebsten noch am Tisch geblieben, aber Melissa drängte ihn, mit ihr ins Kinderzimmer zu gehen. Sie wusste, wie endlos kleinen Kindern die Zeit vorkam, wenn sie auf etwas warteten. Das Kinderzimmer war ein heller, bunter Raum mit großen Fenstern, durch die man zum Wald sehen konnte. Die vielen Spielsachen, Bilderbücher und Spiele verrieten Melissa, dass Brian seinem Sohn alle Träume verwirklichte. Max zeigte ihr stolz seine Sachen. Er erklärte ihr ausführlich, was er von wem bekommen hatte und welches seine Lieblingsspielzeuge waren. Und er freute sich, weil Melissa für alles Interesse zeigte. Dann schlug Max vor, ein Spiel zu machen, für das sie sich die Schuhe ausziehen und auf den Boden setzen mussten. Brian machte alles bereitwillig mit. Melissa fand es erstaunlich, wie unkompliziert er sich gab, während er im Büro immer so förmlich, korrekt und autoritär auftrat. Er saß Max gegenüber im Schneidersitz auf dem Boden und stellte die Spielsteine auf. Melissa befand sich links von ihm und streckte ein Bein aus, bis ihr Fuß Brians Oberschenkel berührte. Sie streichelte ihn mit den Zehen, wobei sie völlig unschuldig ausschaute. Brian tat, als würde er sie ignorieren, und konzentrierte sich ganz auf das Spiel. Aber das Zucken an seinen Wangen zeigte ihr, dass ihre Berührungen nicht ohne Wirkung auf ihn blieben. Melissa lächelte und widmete sich dem Spiel. Sie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte, aber in Anwesenheit des Jungen fühlte sie sich sicher. Es machte ihr Spaß, Brian zu reizen. Als Max das Spiel erklärte, verlagerte Brian seine Position und legte dabei wie beiläufig die Hand auf Melissas Fuß, den er sanft zu massieren begann. Sie spürte es durch die dünnen, weichen Baumwollsocken so intensiv, dass ihr der Atem stockte. Bald konnte sie sich kaum noch auf Max' Worte konzentrieren. Brians Berührungen weckten in ihr seltsame Sehnsüchte. Sie fragte sich, ob sie an den Füßen erogene Zonen hatte oder ob es daran lag, dass dieser Mann ihre Gefühle durcheinander brachte. Wie konnte er so etwas in Max' Gegenwart nur tun? Nach einer Weile sah er sie spöttisch an und drückte den Fuß ein letztes Mal, bevor er ihn losließ. „Hast du das Spiel verstanden?" fragte er. „Ja", antwortete sie heiser, ohne zu wissen, welches Spiel er meinte. War es das, was Max gerade erklärt hatte? Oder ein anderes, an dem nur sie und Brian teilnahmen? Das Letztere verstand sie genau. Aber würde sie es auch nach seinen Spielregeln spielen?
Max war selig, weil er mit den beiden Erwachsenen spielen durfte, und sein Geplapper lenkte Melissa ein wenig ab. Wenn sein Vater sich im weiteren Verlauf des Tages anständig benahm, würde es sicher ein wundervoller Tag werden. Brian nahm jedoch jede Gelegenheit wahr, Max' Spiel für sein eigenes zu nutzen. Er berührte Melissa, wann immer es sich ergab. Seine Hand streifte ihre, wenn sie ihre Spielsteine setzen musste. Hatte Melissa einen erfolgreichen Zug gemacht, klopfte er ihr anerkennend auf die Knie. Machte sie einen Fehler, strich er ihr tröstend über den Oberschenkel. Und bei jeder Berührung vergaß sie Max' Spiel. Von Brian schien eine kribbelnde Spannung auszugehen, die sich auf Melissa übertrug. Sie hatte das Gefühl, dass er sie langsam verrückt machte. Und das schien er zu wissen. Immer wenn Melissa ihn ansah, trafen sich ihre Blicke. Oberflächlich betrachtet, schien er sich über sie lustig zu machen, aber in seinem Blick war auch ein Ausdruck von Verlangen, der ihr gefährlich und aufregend zugleich vorkam. Sie konnte kaum glauben, dass Max die knisternde Spannung zwischen ihnen nicht bemerkte. „Ich habe gewonnen", rief dieser fröhlich, als sein Spielstein als Erster das Gewinnfeld erreichte. Melissa lächelte, weil der Kleine so glücklich war. Wieder sah Brian sie an, doch diesmal hatte sein Blick nichts Spöttisches mehr, sondern einen Ausdruck unverblümten sinnlichen Verlangens. Sie spielte mit dem Feuer. „Tante Sally sagt, dass ich ein guter Spieler bin. Sie spielt immer mit meinen Cousins. Wenn ich eine Mutter hätte, würde sie auch mit mir spielen", sagte Max, als er die Spielsteine zusammenschob. „Das würde sie bestimmt." Melissa hätte gern gewusst, wie Max den Tod seiner Mutter verkraftet hatte. Ob er sich noch an sie erinnerte? „Meine Mutter ist tot." Er schaute traurig zu Melissa hoch. Dann sah er seinen Vater beinahe vorwurfsvoll an. „Aber sie hatte mich lieb." „Sicher. Du bist ja auch ein liebenswerter Junge." Melissa sah Brian an, dessen Miene starr und ausdruckslos aussah. Er wich Max' Blick beharrlich aus. „Tante Sally meint, Daddy sollte wieder heiraten und noch andere Kinder haben, damit ich nicht so allein bin. Tante Sally hat vier. Die brauchen sich nie zu langweilen." „Max ...", begann Brian, doch Melissa unterbrach ihn. „Ich weiß, was du meinst. Ich war auch Einzelkind und habe mich immer nach Geschwistern gesehnt. Ohne Brüder .und Schwestern fühlt man sich manchmal fürchterlich einsam. Ich hatte nicht einmal Cousins." „Ich hätte lieber eine Mutter", erwiderte er ernst. „Meine Cousins leben in England, und ich sehe sie nicht oft. Wenn ich eine Mutter hätte, würde sie hier bei mir und Daddy wohnen." „Max, das Spiel ist zu Ende. Hast du nicht Lust, Melissa den Garten zu zeigen?" Brian stand auf und reichte ihr die Hand. Melissa erhob sich ebenfalls. Die erotische Spannung zwischen ihnen war verflogen. Er war ernst geworden, und zum ersten Mal an diesem Tag schien eine Distanz zwischen ihm und Melissa entstanden zu sein. „Ich schaue mir gern den Garten an", sagte sie freundlich, während sie sich die Schuhe anzog. Warum war Brian plötzlich so verärgert? Es war doch ganz normal, dass ein kleiner Junge eine Mutter wollte. Brian hätte ihm erklären müssen, warum das im Augenblick nicht möglich war. Max schaute die beiden Erwachsenen abwechselnd an. Dann packte er das Spiel ein. Er fühlte offenbar, dass irgendetwas nicht stimmte, war sich aber nicht bewusst, was es war. Während des restlichen Nachmittags zeigte Melissa Max, dass es ihr Spaß machte, mit ihm zusammen zu sein. Sie lachten viel und erzählten sich lustige Geschichten über die Blumen und Statuen im Garten. Brian war die ganze Zeit bei ihnen, sprach aber kaum ein Wort. Melissa bemühte sich, ihn einfach zu ignorieren. Sie schenkte Max ihre ganze Aufmerksamkeit und spielte mit ihm bis zum Abendessen.
Danach musste Max schlafen gehen. Nachdem Melissa ihm gute Nacht gesagt hatte, hielt sie es für das Beste, zu ihrer Pension zurückzufahren. Seit Max seine Mutter erwähnt hatte, war die Stimmung auf einem Tiefpunkt. „Ich möchte jetzt lieber gehen. Soll ich ein Taxi bestellen?" Sie stand auf der untersten Treppenstufe, so dass ihre Augen mit Brians auf gleicher Ebene waren. „Und wie steht es mit der Zuwendung für große Jungen? Hast du vergessen, was du vorhin versprochen hast?" „Also wirklich, Brian. Den ganzen Nachmittag hast du schlechte Laune gehabt und kaum ein Wort gesagt. Ich finde es ein wenig seltsam, dass dir ausgerechnet jetzt nach Romantik und Schmusen zu Mute ist." „Romantik ist etwas anderes. Es geht schlicht und einfach um körperliches Verlangen", erwiderte er kühl. Dann packte er ihren Arm und zog sie mit sich zum Arbeitszimmer. Sie hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten und nicht zu fallen. Er hielt sie so fest, dass ihr keine Fluchtmöglichkeit blieb, und plötzlich hatte sie Angst. Als sie im Arbeitszimmer waren, schlug er die Tür hinter sich zu und drehte Melissa so herum, dass sie ihn ansehen musste. „Vor langer Zeit heiratete ich aus Liebe. Und was hat es mir gebracht? Die Liebe zerbrach, meine Firma stand kurz vor dem Ruin, und ich kam nur knapp mit dem Leben davon. Ich glaube nicht mehr an Liebe. Habe ich jemals behauptet, dass ich dich liebe?" Sie schüttelte den Kopf. Brian war wütend, und sie wusste nicht, wie sie ihn beschwichtigen sollte. „Hat dein früherer Freund jemals gesagt, dass er dich liebt?" Melissa nickte schweigend. Plötzlich hatte sie das Gefühl, gleich weinen zu müssen. David hatte ihr geschworen, sie ewig zu lieben, und sie hatte ihm geglaubt. .„Dann weißt du also, dass man sich auf solche Reden nicht verlassen kann. Du darfst Lust nicht mit Liebe verwechseln, Melissa. Ich habe Verlangen nach dir." „Nein", flüsterte sie. „Ich kann es nicht so ..." Brian setzte sich auf eine Ecke seines Schreibtisch und betrachtete sie nachdenklich. „Als Louisa starb, schwor ich mir, nie wieder eine enge Bindung mit einer Frau einzugehen." „Was geschah damals?" fragte Melissa vorsichtig. Er schaute sie lange schweigend an, als dächte er darüber nach, wie viel er ihr sagen sollte. „Sie arbeitete in meiner Firma. Wir verliebten uns", sagte er schließlich, „und arbeiteten wie besessen, um den Betrieb auszubauen. Wir waren beide jung und dachten, die Welt erobern zu können. Aber ihr ging alles zu langsam. Außerdem fühlte sie sich in Österreich nicht wohl. Sie wollte nach England zurück. Schließlich schlug sie vor, die Firma zu verkaufen. Damals war es noch ein kleiner Betrieb. Ich weigerte mich." Er atmete tief durch und ballte die Hände zu Fäusten. „Louisa kam mit einem deutschen Unternehmen in Kontakt, das expandieren wollte. Sie handelte einen Vertrag aus, der die Austerling GmbH fast ruinierte. Außerdem gab sie einen Teil des Geldes aus, das sie von der deutschen Firma bereits im Voraus bekommen hatte. Ich wusste von alledem nichts und erfuhr es erst am Tag vor dem offiziellen Vertragsabschluss. Gerade noch rechtzeitig, denn sonst hätte die andere Firma die Stimmenmehrheit gehabt. Ich reagierte sofort und ließ die Deutschen wissen, dass Louisa aller Posten in der Firma enthoben sei. Außerdem teilte ich ihnen mit, dass ich nicht bereit sei, den Vertrag zu unterschreiben. Trotzdem musste ich natürlich das Geld zurückzahlen, das Louisa bereits bekommen hatte." Er stand auf und ging zum Fenster. Die Sonne war schon fast hinter dem Haus verschwunden, das lange Schatten auf den Rasen warf. „Sie hatte das Geld zusammen mit ihrem Geliebten ausgegeben." Seine Stimme klang müde und verbittert. „Sie sagte es mir an jenem letzten Tag während der Fahrt vom Büro nach
Hause, kurz bevor sie mir ins Lenkrad griff. Ich fuhr mit hoher Geschwindigkeit und verlor die Kontrolle über den Wagen. Wir landeten in einem Graben. Als wir gefunden wurden, war Louisa tot." Er fasste unwillkürlich an die Narbe auf seiner Wange. Melissa war entsetzt. Sie ahnte, dass seine Seele weitaus tiefere Narben davongetragen hatte. Kein Wunder, dass er so verbittert war. Sie wünschte plötzlich, ihr Vater wäre noch am Leben und hätte sich mit Brian unterhalten können. Er hätte sicher die richtigen Worte gefunden, sie aber wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie stand schweigend da und betrachtete ihn in seinem Kummer. „Nicht alle Frauen sind wie sie", sagte sie nach einiger Zeit sanft. „Nein?" fragte er ironisch. „Meine Schwester Margaret heiratete einen reichen Mann, um sich aus unserer unsicheren Situation zu retten. Sie machte uns gegenüber kein Hehl daraus, dass sie ihn wegen des Geldes geheiratet hatte." „Und deine Schwester Sally, von der Max so viel erzählt?" Brian zuckte die Schultern und kam auf Melissa zu wie ein Panter, der sich seiner Beute näherte. Dann legte er ihr die Hände auf die Schultern. Sie fühlten sich schwer und warm an. Melissa erschauerte unter der Berührung. „Zum Teufel mit romantischen Liebesgefühlen! Du bist eine schöne, erotische Frau und erregst mich. Alles andere ist unwichtig." Melissa umfasste sein Gesicht. Ihre Gefühle für ihn waren so übermächtig geworden, dass es sie erschreckte. „Es ist mehr als pure Lust", wandte sie ein. „Nein. Abgesehen vom heutigen Tag, der nicht besonders gut war, haben wir höchstens sieben oder acht Stunden miteinander verbracht. Du darfst nicht - wie die meisten Frauen es tun - alles romantisieren. Entweder du akzeptierst, was zwischen uns ist, öder du ignorierst es. Es hängt ganz von dir ab. Aber du darfst dich nicht belügen", erwiderte er mit harter Stimme. Melissa hatte das Gefühl, in der Tiefe seiner blauen Augen zu versinken. Ob er Recht hatte? Ihre einzige Erfahrung mit der Liebe hatte gezeigt, dass sie sich geirrt hatte. Hatte sie seitdem etwas dazugelernt? War alles viel zu schnell gegangen? Vielleicht romantisierte sie nur die Tatsache, dass sie sich von Brian körperlich angezogen fühlte. Andererseits hatte ihre Mutter ihren Rancher aus Wyoming nach nur drei Wochen geheiratet. Offenbar hatte sie nicht mehr Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass sie ihn liebte. Ging es ihr, Melissa, ähnlich? Wäre es möglich, dass sie sich nach so kurzer Zeit in Brian verliebt hatte? Aber wenn es so wäre, wie sollte es weitergehen? Brian misstraute allen Frauen und wollte nicht Liebe, sondern Sex. Und darauf wollte sie sich nicht einlassen. „Ich würde mich nie belügen", erwiderte sie freundlich. Sie hielt noch immer sein Gesicht umfasst und genoss es. „Ich empfinde immer mehr für dich, Brian, und es wäre nicht gut, wenn du diese Gefühle nicht teilen kannst. Ich würde gern mit dir schmusen, aber es würde unweigerlich zu etwas führen, das ich nicht will." „Ich könnte dich dazu bringen, wenn ich wollte", sagte er spöttisch. „Warum? Um dich an Louisa zu rächen? Ich bin nicht deine Frau. Ich habe dich nicht betrogen oder anderweitig verletzt. Du darfst mich nicht für etwas bestrafen, das eine andere getan hat." Er blickte sie lange schweigend an. Dann nickte er. „Du hast Recht. Ich bringe dich zurück zum Hotel." Er nahm ihre Hände und löste sie behutsam von seinem Gesicht. Bevor er Melissa losließ, strich er ihr kurz über die weiche Haut ihrer Handgelenke. „Lass uns schnell aufbrechen, bevor ich meine Meinung ändere." Als sie vor der Pension hielten, war es schon dunkel. Melissa wandte sich Brian zu, dessen Gesichtszüge sie im matten Licht der Straßenlampe erkennen konnte. „Alles in allem war es ein schöner Tag, Brian. Unser Ausritt und das Zusammensein mit Max haben mir gut gefallen. Vielen Dank für alles." Sie hätte gern mehr gesagt, war sich aber bewusst, dass es keinen Sinn gehabt hätte. Er war nun einmal so, wie er war. Und er würde
sich nicht ändern - jedenfalls nicht innerhalb so kurzer Zeit. Außerdem würde sie sowieso bald nach Hause fahren. Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Also dann, bis Montag." Er hielt sie fest und zog sie an sich, um sie zu küssen. Sie fühlte seinen geöffneten Mund an ihren Lippen und seine Zunge, die ihren Mund erobern wollte. Trotz aller Versuchung blieb Melissa diesmal standhaft. Solange er ihr nicht mehr geben wollte als Sex, konnte sie nicht nachgeben, ohne sich selbst zu verleugnen. „Geh jetzt." Er schob sie von sich und startete den Motor. Melissa stieg eilig aus. Kaum hatte sie die Beifahrertür zugeschlagen, setzte der Wagen sich in Bewegung. Sie blickte ihm mit tränengetrübten Augen nach. Plötzlich fielen ihr die Worte ein, die ihr Vater immer gesagt hatte: „Akzeptiere, was du nicht ändern kannst." Auch damals, als David sie so sehr verletzt hatte, hatte sie sich daran erinnert. Sie musste akzeptieren, dass sie sich in einen Mann verliebt hatte, der das Lieben .verlernt hatte. Auch wenn es ihr das Herz brach.
5. KAPITEL Als Melissa am Montagmorgen in Brians Firma ging, hatte sie ihr Haar wieder zu einem ordentlichen französischen Zopf zusammengebunden. Sie wusste, dass Brian es nicht mochte, aber das war ihr egal. Er hatte klar und deutlich gesagt, dass er ihre Beziehung nicht weiter vertiefen wollte. Warum hätte sie also weiterhin auf ihn Rücksicht nehmen sollen? Sie hatte einen schönen Sonntag in Salzburg verbracht, der allerdings noch viel schöner gewesen wäre, hätte Brian sie begleitet. Derek Millan und Gerry Toliver waren bereits im Konferenzzimmer, als Melissa hineinging. „Melissa, wir haben die Stanford-Werke in Birmingham", rief Gerry, als er Melissa sah. „Das ist ja fantastisch." Sie ging zu ihrem Chef, um ihm zu gratulieren. Er hatte hart gearbeitet, um den Geschäftsabschluss vorzubereiten. Dann wandte sie sich Gerry zu, der sie freundschaftlich in die Arme nahm. Als sie über seine Schulter blickte, schaute sie direkt in Brian Terrells kühle blaue Augen. Melissa war sofort klar, dass epndie Situation falsch interpretierte. Sie machte sich langsam von Gerry los, aber Brian war bereits gegangen. In den nächsten Minuten hatte sie keine Zeit, darüber nachzudenken, da die anderen Teilnehmer des Teams sich zu ihnen gesellten und alle Gespräche nur um das Thema Stanford kreisten. „Ich muss sofort nach England zurück. Sie müssen hier ohne mich weitermachen, Melissa. Ich komme erst zur endgültigen Vertragsunterzeichnung zurück", sagte Mr. Millan. „Es gibt nicht mehr allzu viel zu tun. In ein oder zwei Wochen sind wir hier fertig. Dann hängt alles davon ab, wie Terrell entscheidet." „Kein Problem. Ich werde allein damit fertig", meinte Melissa und klang selbstbewusster, als sie in Wirklichkeit war. Würde Brian überhaupt mit ihr verhandeln wollen? Als Mr. Millan ihm die neue Lage erklärte, schien Brian nicht erfreut zu sein. Er betrachtete Melissa kühl. „Vielleicht sollten wir warten, bis Sie die Verhandlungen wieder selbst führen können", schlug er vor. „Es besteht kein Grund zur Eile." „Warum sollten wir die Verhandlungen unnötig verzögern?" fragte Mr. Millan. „Melissa kann mich durchaus vertreten, und die meisten Vorarbeiten sind sowieso erledigt. Im Übrigen bin ich immer telefonisch erreichbar." „Brauchen Sie mich im Moment noch, Miss Carmichael?" fragte Brian höflich, aber kühl. „Nein, Mr. Terrell. Falls doch, werde ich mich bei Ihnen melden." Melissa bedauerte, dass ihr Verhältnis so förmlich geworden war. Sie dachte an die schönen, unkomplizierten Augenblicke, die sie mit ihm in Max' Kinderzimmer und während des ¦Ritts verbracht hatte. Im Lauf des Tages begegneten sie sich einige Male. Brian sprach kein Wort mit ihr, sondern schaute sie nur finster an. Sie wusste, dass es besser war, Distanz zu ihm zu halten. Dennoch tat es ihr weh, dass er sie ignorierte. Sie beschloss, ihn ebenfalls zu ignorieren und nur noch auf rein beruflicher Ebene mit ihm zu reden. Sie litt sehr darunter, dass er ihr so nah und doch so fern war, sah aber keine andere Möglichkeit, das zu ändern. Er hatte seinen Standpunkt klar und deutlich dargelegt: Er war nur an Sex mit ihr interessiert, ganz gleich, was sie für ihn empfand. „Gerry, hast du den Produktionsbericht des letzten, Jahres gesehen?" fragte sie ihren Kollegen. „Ich kann ihn nicht finden, aber er ist sehr wichtig. Ich habe zahlreiche Anmerkungen an den Rand geschrieben." „Ich habe ihn nicht. Hast du ihn vielleicht im anderen Raum liegen gelassen?" „Nein, dort habe ich schon nachgesehen." Melissa sah die Papiere durch, die auf dem großen Konferenztisch lagen, aber der gesuchte Bericht war nicht dabei. „Es ist schon das vierte Mal, dass etwas Wichtiges verschwunden ist", sagte Gerry nachdenklich.
Melissa nickte. Durch Suchen oder Neuerstellen verschwundener Berichte ging viel Zeit verloren. Schon zwei Mal hatten sie Duplikate aus England anfordern müssen, wodurch die Verhandlungen erheblich verzögert worden waren. Versuchte etwa jemand, die Verhandlungen zu behindern? Wem nutzte es, wenn sie in die Länge gezogen wurden? „Ich habe den Eindruck, dass einige unserer Empfehlungen in abgeänderter Form an Terrell weitergeleitet werden", meinte Joe. „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber Erich sagte gestern etwas, das darauf schließen lässt." „Na großartig. Vielleicht sollten wir mit der Geschäftsführung von Austerling offen darüber reden." Melissa diskutierte die Vorfälle mit der Gruppe und ließ eine Zusammenstellung aller verschwundenen Dokumente anfertigen. Als sie Karl und Erich die Liste übergab, spielten diese die Vorfälle herunter. „Wenn Sie über meine Erfahrung verfügen würden, wüssten Sie, dass solche Dinge Zeit brauchen, Miss Carmichael", wiegelte Karl etwas herablassend ab. „Wir dürfen nichts überstürzen. Sie wollen schnelle Resultate und sehen Probleme, die nicht existieren." „Dass ständig Unterlagen verschwinden, ist durchaus ein Problem", erwiderte Melissa. „Vielleicht wurden die Papiere versehentlich in den Müll geworfen", warf Erich schlichtend ein. „Dann sollten Sie Ihre Putzfrau wechseln." Melissa hatte genug von der mangelnden Kooperationsbereitschaft der beiden. Sie stand auf und ging zu Brians Büro. Es war allmählich an der Zeit, dass er erfuhr, was in seiner Firma vorging. „Melissa? Was gibt es?" Brian stand auf, als sie hereinkam, und setzte sich erst wieder, als sie vor dem Schreibtisch Platz genommen hatte. „Brian, willst du den Vertrag mit Larbard Industries wirklich abschließen?" fragte sie. „Natürlich. Was soll die Frage?" „Irgendjemand in deiner Firma ist offenbar dagegen." „Wovon sprichst du eigentlich?" Er warf den Kugelschreiber, den er in der Hand hatte, auf den Tisch. Dann beugte er sich vor und blickte sie finster an. „Ich spreche von Berichten, Statistiken und Notizen, die auf mysteriöse Art verschwinden. Es begann schon vor einigen Tagen, aber es wird immer schlimmer. Dass wir die Papiere nicht verlegt haben, steht außer Frage. Als ich die Angelegenheit mit deinen Managern klären wollte, schoben sie die Schuld auf die Putzfrau. Ich glaube ihnen nicht. Irgendjemand in der Belegschaft der Austerling GmbH ist daran interessiert, die Verhandlungen zu verzögern." „Wie kommst du nur darauf? Ich bin der Geschäftsführer dieses Unternehmens und will das Geschäft mit deiner Firma abschließen. Alle anderen hier fügen sich meinen Entscheidungen. Karl meinte übrigens, dass du als Stellvertreterin von Mr. Millan überfordert seist. Warum versuchst du, hier Ärger zu machen?" Melissa glaubte, sich verhört zu haben. Sie stand auf und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch auf. „Ich mache keinen Ärger, wenn mir niemand welchen macht. Aber ich kann nicht zulassen, dass unsere Arbeit offenbar gezielt behindert wird. Wenn du kein Interesse an einem für beide Seiten günstigen Vertrag hast, sage es gefälligst geradeheraus. Wenn nicht, werde ich Maßnahmen ergreifen, damit in Zukunft nichts mehr verschwindet. Maßnahmen, die deinen windigen Managern nicht gefallen werden." „Zum Beispiel?" Brian lehnte sich zurück und sah Melissa wachsam an. „Wer Papiere zur Einsicht nimmt, muss sich in eine Liste eintragen. Bei der Rückgabe wird ein entsprechender Vermerk gemacht. Sollte dann etwas verschwinden, wissen wir, wer die Unterlagen an sich genommen hat. Außerdem könnten wir täglich eine gemeinsame Sitzung abhalten, auf der der jeweilige Stand der Dinge zusammengefasst wird. Auf diese Weise könnten wir sicherstellen, dass alle auf dem gleichen Informationsstand sind." Melissa
fragte sich, warum er ihr nicht glaubte. Lag es daran, dass sie jetzt Larbard Industries vertrat? Hätte er Mr. Millan gegenüber anders reagiert? „Ich werde mit meinen Managern darüber reden. Aber drohe mir nicht, Melissa." „Ich drohe niemandem, werde aber meine Arbeit so gut wie möglich tun. Ich bin eine loyale Vertreterin meiner Firma." „Und was springt für dich dabei heraus, Melissa?" fragte er mit täuschend weicher Stimme. „Die Zufriedenheit, gute Arbeit geleistet zu haben." Sie richtete sich kerzengerade auf. „Ich erwarte, dass zukünftig keine Unterlagen mehr verschwinden." Dann drehte sie sich um und verließ sein Büro. Erst wollte sie die Tür laut hinter sich zuschlagen, doch im letzten Moment besann sie sich eines Besseren. Sie wollte Brian nicht zeigen, wie sehr sie sich über sein Verhalten ärgerte. Wie konnte er nur glauben, dass sie vom Geschäft mit seiner Firma persönlich profitierte? Sie hatte ein gutes Einkommen, und dafür konnte ihr Boss gute Arbeit verlangen. Melissa machte an diesem Tag als Letzte ihres Teams Feierabend. Sie nahm ihren Aktenkoffer und sah sich zum letzten Mal im Raum um. Sie hatte alle Unterlagen sorgfältig überprüft, die in der Mitte des Konferenztischs gestapelt waren. Dass die Putzfrau die Papiere versehentlich mit Abfall verwechseln könnte, war praktisch unmöglich. Sollte am folgenden Tag wieder etwas fehlen, gab es keinen Zweifel mehr, dass jemand es absichtlich genommen hatte. Auf dem Weg durch die leere Eingangshalle wurde sie plötzlich von einem Wachmann aufgehalten, der sie auf Deutsch anredete und sie höflich, aber bestimmt bat, in der Eingangshalle auf Brian zu warten. Melissa spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Der Wachmann führte sie zu einem Sessel, auf dem sie Platz nahm. Wenig später öffnete sich die Tür des Fahrstuhls. Brian kam heraus und näherte sich Melissa schnellen Schritts. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. „Dürfte ich wohl einen Blick in deinen Aktenkoffer werfen?" fragte er, als er bei ihr war. „In meinen Aktenkoffer?" Melissa schaute den Wachmann an, der noch immer bei ihr stand und sie keinen Moment aus den Augen ließ. Sie verstand nicht, was die beiden von ihr wollten. „Ich glaube, ich kann das Geheimnis der verschwundenen Unterlagen aufklären." Brians Stimme klang hart und kalt. Melissa hatte plötzlich eine unerklärliche Vorahnung, die ihr Angst machte. „Du glaubst doch nicht etwa, ich hätte die Papiere genommen?" „Wenn ich einen Blick in deinen Aktenkoffer werfen darf, wissen wir vielleicht mehr." „Gut. Sieh dir an, was du willst." Sie öffnete den Koffer. Brian nahm die oben liegende Akte heraus, die für die Verhandlungen bisher nicht von Bedeutung gewesen war. Darunter lagen drei rote Akten, auf denen in Großbuchstaben VERTRAULICH gestempelt war. Melissa erbleichte. Diese Akten waren nicht ihre, sondern gehörten der Austerling GmbH. Sie sah Brian an und begriff, dass er sie verdächtigte, die Akten gestohlen zu haben. „Brian, ich weiß nicht..." „Schweig", fuhr er sie an. Er schloss den Aktenkoffer und nahm ihn an sich. Dann packte er Melissa am Arm und zwang sie aufzustehen. „Und jetzt kommst du mit mir." Er wandte sich an den Wachmann. „Danke, das ist alles, Konrad. Den Rest erledige ich allein." Brian führte sie aus dem Gebäude. „Brian, ich habe die Akten nicht genommen. Ich weiß nicht, wie sie in meinen Koffer gekommen sind."
Er ignorierte ihre Unschuldsbeteuerungen und zog sie mit sich zum Parkplatz. Sein fester Griff verriet ihr, wie wütend er war. Als sie seinen Wagen erreichten, öffnete er die Tür und schob Melissa auf den Beifahrer sitz. Kurz darauf setzte er sich neben sie auf den Fahrersitz. „Brian?" fragte sie, als er den Motor startete. „Sprich jetzt nicht mit mir", erwiderte er. „Wir reden bei mir zu Haus darüber. Wir müssen die Sache diskret behandeln, um die Verhandlungen nicht zu gefährden." Melissa schwieg und überlegte, wie wohl die Ordner in ihren Aktenkoffer gekommen waren. War es nur ein Versehen gewesen? Nein, dafür waren die Ordner zu auffällig. Die einzig mögliche Erklärung war, dass jemand sie absichtlich hineingelegt hatte. Aber wer? Und warum? Wollte man sie unglaubwürdig machen? Vielleicht, um die Verhandlungen zu beenden? Es war wie ein Albtraum, aus dem Melissa nicht erwachen konnte. Sie betrachtete Brian, der das Lenkrad so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Wie konnte er sie nur dazu fähig halten, seine vertraulichen Unterlagen an sich zu nehmen? Sie wusste, dass er seit der Erfahrung mit Louisa eine schlechte Meinung von Frauen hatte, aber das entschuldigte nichts. Als sie auf Brians Anwesen hielten, verschwand gerade die Sonne hinter dem Gebäude. Brian führte Melissa zum Haus, und sie fühlte sich, als würde man sie zum Galgen führen. Sie gingen in sein Arbeitszimmer, wo er die Tür hinter sich abschloss, den Schlüssel abzog und in seine Hosentasche steckte. „Ich habe die Ordner nicht genommen, Brian." Melissa hatte plötzlich Angst, er würde sie auf irgendeine Weise bestrafen wollen. Er war groß und stark, so dass sie sich nicht gegen ihn hätte wehren können. Brian ging zu seinem Schreibtisch und öffnete den Koffer. „Miss Carmichael, diese Akten haben nichts mit dem Geschäft zwischen Ihrer und meiner Firma zu tun. Zwei der Akten betreffen den misslungenen Versuch des deutschen Konzerns, meine Firma zu übernehmen, und meine nachfolgende Vereinbarung mit dem Konzern. Sie hätten nichts von dem Vorfall gewusst, hätte ich Ihnen am Wochenende nicht leichtfertig davon erzählt." „Ich habe die Akten nicht genommen, habe sie vorher noch nie gesehen. Und überhaupt warum sollte ich mich für alte Geschichten interessieren?" „Versuchen Sie nicht, mich von Ihrer Unschuld zu überzeugen. Der Inhalt dieser Akten könnte durchaus Einfluss auf Larbards Kaufangebot haben. Sie könnten mich zwingen, Ihnen ähnliche Konditionen einzuräumen wie der deutschen Firma. Aber der Inhalt des dritten Ordners ist weitaus gefährlicher. Er enthält die Testergebnisse unseres neuesten Produkts, das Ende dieses Jahres in die Herstellung gehen soll. Diesen Bereich meiner Firma möchte ich von Larbard getrennt halten." „Brian, ich habe die Ordner nicht genommen. Ich kam heute Morgen nur, um dir zu sagen, dass wir Unterlagen vermissen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass nicht alle Informationen an dich weitergeleitet werden." „Du bist ganz schön clever", erwiderte Brian sarkastisch. „Niemand außer dir weiß etwas von verschwundenen Papieren. Auf diese Weise wird der Verdacht von dir abgelenkt, wenn wirklich etwas verschwindet." „Nein." „Ich weiß nur allzu gut, wie hinterhältig und skrupellos Frauen im Geschäftsleben sein können." „Du irrst dich." Melissa setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Sie wusste, dass ihre Worte auf taube Ohren stießen. Er hatte sein Urteil bereits gefällt und ließ nichts
daran rütteln. Und alles nur wegen der schrecklichen Dinge, die Louisa ihm vor so vielen Jahren angetan hatte. „Ich könnte die Polizei verständigen. Die Beweislast dürfte ausreichen, um dich wegen Diebstahls verhaften zu lassen. Die Konkurrenz hätte Tausende von Dollars für die Testergebnisse gezahlt." „Glaub mir doch. Ich habe sie nicht gestohlen", flehte Melissa ihn an. „Ich könnte natürlich auch Millan anrufen und ihm sagen, dass das Geschäft mit uns geplatzt ist", sagte er nachdenklich. „Den Grund dafür würde ich ihm nicht vorenthalten." „Bitte nicht, Brian." Melissa seufzte leise. „Wir alle haben für dieses Geschäft hart gearbeitet. Du darfst es nicht einfach aufgeben. Hör mir jetzt bitte zu." „Also gut, ich höre." „Ich kann mir nicht erklären, wie die Akten in meinen Koffer gelangt sind. Irgendjemand muss sie ohne mein Wissen hineingelegt haben." „Wer?" „Ich weiß es nicht. Wer außer dir hat Zugang zu den Akten?" „Sie werden im zentralen Aktenschrank verwahrt, zu dem auch du und deine Leute Zugang hatten. Die vertraulichen Akten waren allerdings unter Verschluss. Vielleicht war das heute nicht der Fall, und du hast die unerwartete Gelegenheit wahrgenommen." „Nein", widersprach sie verzweifelt. „Aber ich wollte dich nicht unterbrechen. Du kannst fortfahren." Er gab ihr nicht die geringste Chance. Melissa fragte sich, warum sie sich ausgerechnet in diesen Mann verliebt hatte. Zugegeben, er sah gut aus, aber innerlich war er zutiefst zerrissen und verbittert. „Du hast plötzlich erkannt, welchen Einfluss du auf den Vertragsverlauf hättest nehmen können. Wahrscheinlich hast du dich insgeheim schon als eine Art Heldin gesehen, die im Triumph nach England zurückkehrt." Melissa sah nur noch eine Möglichkeit, ihn von ihrer Unschuld zu überzeugen: Sie musste herausfinden, wer die Akten in ihren Koffer gelegt hatte. Und sie musste es beweisen. Wahrscheinlich ist es derselbe, der die Unterlagen verschwinden ließ, dachte sie. Aber wer würde dafür in Frage kommen? Für ihre englischen Kollegen hätte sie die Hand ins Feuer gelegt. Andererseits wusste sie nicht, wer von Brians Leuten profitieren würde, sollte der Vertrag nicht zu Stande kommen. Sie ging zum Fenster und blickte gedankenverloren hinaus. Für Mr. Millan gehörten Ehrlichkeit und Vertrauen zu den wichtigsten moralischen Werten. Erfuhr er von Brians Verdacht, würde er sie mit großer Wahrscheinlichkeit entlassen. Selbst wenn er nicht glaubte, dass sie die Akten genommen hatte, hätte ihr Ruf Schaden genommen. Und es wäre nicht leicht für sie, eine neue Stelle zu finden. Melissa schauderte es, als sie über das ganze Ausmaß ihrer verzweifelten Lage nachdachte. Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Brian, wer hat dir eigentlich gesagt, dass die Akten in meinem Koffer sind?" Es kostete sie einige Mühe, ihre Aufregung vor Brian zu verbergen und einen ruhigen, beherrschten Eindruck zu machen. „Wer immer es war - es kann nur derjenige sein, der sie hineingelegt hat." Er zog einen Zettel aus der Jacketttasche. „Ich fand diese Mitteilung von Erich Meyer auf meinem Schreibtisch, als ich nachmittags zurückkam. Darin heißt es, dass er die Akten vermisst und vermutet, die englische Gruppe habe sie an sich gebracht. Auf Anweisung von Miss Carmichael. Erich wusste nichts vom Geschäft mit der deutschen Firma. Er fing in meiner Firma an, als der Vorgang bereits abgeschlossen war. Er hatte also keinen Grund, die Akten in deinen Koffer zu legen, Melissa." Melissa ging wieder zum Schreibtisch und las den Zettel.
„Ich habe keine Anweisungen dieser Art gegeben." „Das behauptest du." „Ich lüge nicht, falls du das meinst", erwiderte sie erregt. „Sollen wir die Polizei entscheiden lassen? Oder lieber deinen Chef?" „Sie können tun, was Sie für richtig halten, Mr. Terrell." Sie beschloss, sich mit der britischen Botschaft in Verbindung zu setzen und sich einen Anwalt empfehlen zu lassen. „Es gibt noch eine Alternative." „Und die wäre?" fragte Melissa müde. Ihr war gerade eingefallen, dass sie im Lauf des Tages einige Male das Konferenzzimmer verlassen hatte. Der geheimnisvolle Täter hatte also mehrfach Gelegenheit gehabt, die Akten in ihren Koffer zu legen. „Du könntest mich heiraten." Sie sah ihn ungläubig an. Dann ließ sie sich wieder auf den Stuhl sinken. Hatte sie gerade richtig gehört? Sekundenlang war sie unbeschreiblich glücklich. War das gerade ein Heiratsantrag gewesen? Es war absolut verrückt: Erst beschuldigte er sie einer kriminellen Handlung, dann fragte er sie, ob sie ihn heiraten wolle. Hatte er sich in sie verliebt, so wie sie sich in ihn verliebt hatte? Aber nein, ein glücklich Verliebter hätte anders ausgesehen. Er sah sie noch immer wütend an. „Warum sagst du das?" „Es wäre nur vorübergehend. Ich könnte das Geschäft mit Larbard abschließen, ohne dass ich deinen Aktendiebstahl bekannt geben müsste. Außerdem könnte ich mich auf diese Weise absichern, dass du von dem Geschäft nicht profitierst. Als meine Frau müsstest du Larbard Industries verlassen, wodurch du von den Verhandlungen ausgeschlossen sein würdest. Solltest du also weitere Diebstähle oder Sabotageaktionen geplant haben, wirst du keine Gelegenheit mehr haben, sie auszuführen." Melissa musste sich zusammennehmen, um ihn nicht vor Wut anzuschreien. „Außerdem würde es dich vor peinlichen Verhören der Polizei schützen", fuhr Brian fort. „Aber ich habe die verdammten Akten nicht genommen!" „Das sagst du. Aber die Beweise sprechen gegen dich." Seine unverhohlene Verachtung verletzte sie. „Du hast die Wahl: Entweder ich rufe Millan an, der dich entlassen würde, oder ich verständige die Polizei, die dich mit Sicherheit verhaften würde, oder du heiratest mich. Eigentlich bin ich nachsichtiger, als du es in Anbetracht der Situation verdienst." „Du hast gesagt, die Ehe wäre vorübergehend?" Es war einfach absurd, dass sie sich mit ihm gerade darüber unterhielt, ihn in den nächsten Tagen zu heiraten. „Ja, bis der Handel perfekt und der Vertrag unterzeichnet ist." „Aber das lohnt sich doch nicht, Brian. In kaum zwei Wochen wird doch sowieso alles vorüber sein." „Ich glaube, dass es länger dauern wird", erwiderte er. „Falls nicht, wäre es umso besser für dich." „Warum tust du das?" Allmählich wurde das Ganze für Melissa zum Albtraum. „Das geht dich nichts an. Ich will nur ein klares Ja oder Nein hören." Sie seufzte und schwieg, während er sie mit durchdringendem Blick betrachtete. Seine kühl blickenden blauen Augen, das markante Kinn, das blonde Haar - wieder erinnerte er sie an einen Wikingerkrieger, der es gewohnt war, zu erobern und zu siegen. Bei der Vorstellung, mit ihm verheiratet zu sein, pochte ihr Herz schneller. Es würde zwar nur eine Ehe auf dem Papier sein und nur für wenige Wochen, doch Melissa fragte sich, ob sie diese Ehe überstehen würde. „Kann ich dir meine Antwort morgen früh geben?" fragte sie. Brian atmete aus, als hätte er gerade den Atem angehalten. „Ja, aber nicht später."
Melissa stand auf und schaute zur Tür. „Bringst du mich nach Salzburg zurück, oder soll ich ein Taxi rufen?" „Oh nein, Melissa. So einfach kommst du nicht davon. Du kannst hier übernachten. Wenn du irgendetwas brauchst, wird Marta es dir bringen. Solltest du mein Angebot ablehnen, wirst du morgen früh von der Polizei abgeholt."
6. KAPITEL Die freundliche Haushälterin zeigte Melissa das Gästezimmer und brachte ihr kurz darauf das Abendessen. Während sie aß, dachte Melissa über ihre vertrackte Situation nach und überlegte vergeblich, wer ihr die Akten zugesteckt haben könnte. Es musste doch einen Weg geben, es herauszufinden. Später schloss sie sich im Badezimmer ein und nahm ein Schaumbad. Während sie sich im warmen Wasser entspannte, versuchte sie sich vorzustellen, wie es sein würde, mit Brian verheiratet zu sein. Würde sie ihn abends sehen? Vielleicht würde sich bald eine Erklärung für den Vorfall mit den Akten finden. Wenn Brian erführe, dass Melissa unschuldig war, stünde nichts mehr zwischen ihnen. Ob er sich dann in sie verlieben würde? Sie könnten Max erziehen und später eigene Kinder haben ... Es war weitaus verlockender als die Alternativen, die er ihr eröffnet hatte: eine schmachvolle Rückkehr nach England oder eine Verhaftung durch die österreichische Polizei. Aber sollte sie einen Mann heiraten, der sie nicht liebte? Und sie? Liebte sie ihn? Melissa lehnte den Kopf an die Wanne und glitt tiefer ins warme Wasser. Es war sinnlos, sich in diesem Punkt etwas vorzumachen. Sie liebte ihn. Vom ersten Moment ihrer Begegnung auf der Wiese an hatte sie sich von ihm angezogen gefühlt. Sie erinnerte sich an die schönen und aufregenden Stunden mit ihm. Wie entspannt und glücklich war er an dem Tag mit Max gewesen! Brian hatte Freude in ihr Leben gebracht, und sie war gern mit ihm zusammen. Sollte sie den seltsamen Heiratsantrag wirklich annehmen? Diese Frage beschäftigte Melissa noch immer, als sie Stunden später in ihrem Bett lag und nicht einschlafen konnte. Gegen zwei Uhr stand sie schließlich auf und zog sich an. Dann ging sie leise aus dem Zimmer. Sicherheitshalber ließ sie das Licht ausgeschaltet und tastete sich im Dunkeln über den Flur zur Treppe. Die Schuhe trug sie in den Händen, um unnötigen Lärm zu vermeiden. Langsam, ganz langsam ging sie die Treppe hinunter. Als sie die kalten Fliesen des Erdgeschosses unter den Füßen fühlte, atmete sie erleichtert auf. Sie schlich weiter zur Haustür, bückte sich dort und zog sich die Schuhe an. Melissa tastete die Tür ab, bis sie den Griff fand. Sie drückte ihn hinunter, aber wie sie erwartet hatte, war die Tür verschlossen. Sie suchte den Riegel und schob ihn zurück. Ein Laut wie ein Revolverschuss durchbrach die nächtliche Stille. Sie hielt den Atem an und wagte nicht, sich zu bewegen. Glücklicherweise blieb es im Haus still. Offenbar hatte niemand das Geräusch gehört. Doch die Tür ließ sich noch immer nicht öffnen. Ohne Schlüssel kam Melissa offenbar nicht hinaus. Ihr blieb nichts anderes übrig, als es durch eines der Fenster zu versuchen. Sie tastete sich an der Wand entlang zu Brians Arbeitszimmer und ging hinein. Nachdem sie die Tür leise hinter sich verschlossen hatte, machte* sie Licht. Ihre Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Melissas Blick fiel aufs Telefon, das auf dem Schreibtisch stand, und plötzlich hatte sie eine Idee. Sie setzte sich in den Schreibtischsessel, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer, die sie auswendig wusste. In Wyoming war es noch früh am Abend. Endlich meldete sich am anderen Ende die erhoffte vertraute Stimme. „Hallo Mom." Melissa war plötzlich zum Weinen zu Mute. „Melissa. Was ist mit dir, Schatz? Du klingst, als ob du Kummer hast." „Ich bin in einer verzwickten Lage und weiß nicht, was ich machen soll." „Kannst du nicht nach Wyoming kommen, damit wir in Ruhe über alles reden können?" „Ich fürchte, das ist im Augenblick unmöglich. Ach, Mom, es ist alles so furchtbar kompliziert. Bis morgen früh muss ich mich entscheiden. Brian hat mich gefragt, ob ich ihn
heiraten will. Aber nicht richtig." Melissa wünschte, er hätte ihr den Heiratsantrag aus Liebe gemacht. „Wer ist denn dieser Brian, Melissa? Du hast mir nie erzählt, dass du einen festen Freund hast. Findest du nicht, dass es ein wenig überstürzt ist? Und was meinst du mit ,nicht richtig'?" Melissa hörte, dass ihre Mutter mit jemandem im Hintergrund sprach. Wahrscheinlich war es Jason, Melissas Stiefvater. „Überstürzt? Und das sagst ausgerechnet du? Du und Jason, ihr habt doch auch nach drei Wochen geheiratet." „Erzähl mir von diesem Brian", bat ihre Mutter. „Er ist Engländer, lebt aber in Österreich, ist Witwer und hat ein kleines Kind. Er glaubt, dass ich ihm wichtige Geschäftspapiere gestohlen habe, und wenn ich ihn nicht heirate, will er die Polizei verständigen." „Um Himmels willen." „Natürlich habe ich die Unterlagen nicht gestohlen, Mom." „Das ist doch klar. Liebst du den Mann, Melissa?" Melissa schloss die Augen. Vor ihrem geistigen Auge tauchte sein Gesicht auf, wie sie es einige Male gesehen hatte - lächelnd und mit freundlich blickenden blauen Augen. „Ich glaube", sagte sie leise. „Und liebt er dich auch?" fragte ihre Mutter. „Ich denke nicht." „Ist es so ähnlich wie damals mit David?" „Nein, Mom. Es ist ganz anders." Melissa wurde sich plötzlich bewusst, wie sehr Brian sich von David unterschied. Brian war direkt und ehrlich. Er liebte sie nicht, sondern hatte nur Verlangen nach ihr. Aber er belog sie nicht und spielte kein falsches Spiel mit ihr. Melissa hörte, dass ihre Mutter sich wieder mit Jason beriet. Plötzlich meldete sich Jason selbst. „Melissa, deine Mutter hat mir alles erzählt. Wenn du mich fragst, heirate ihn. Kein Mann würde eine Frau heiraten wollen, die er zum einen nicht liebt und der er zum anderen auch noch ein kriminelles Delikt vorwirft. Ich habe den Eindruck, er will dich schützen." „Er ist sehr wütend." „Das spricht für meine Theorie. Meinst du, wir können rechtzeitig zur Hochzeit bei euch sein?" „Das bezweifle ich. Ich gebe euch Bescheid. Jedenfalls vielen Dank, Jason." „Viel Glück, Melissa. Ich gebe dir jetzt wieder deine Mutter." „Geht es dir jetzt besser, Schatz?" fragte ihre Mutter besorgt. Melissa wünschte, sie wäre jetzt bei ihr. „Ja, Mom. Ich rufe wieder an und sage euch, wie alles ausgegangen ist." Melissa legte auf, ließ die Hand jedoch noch auf dem Hörer liegen. Was konnte schon geschehen, wenn sie Brian heiratete? Schlimmstenfalls würde die Ehe nach einigen Wochen wieder geschieden werden. „Willst du ein Taxi anrufen?" Melissa zuckte erschrocken zusammen. Brian war leise hereingekommen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Er trug einen kurzen Bademantel, so dass seine muskulösen Beine nicht bedeckt waren. Sein blondes Haar war leicht zerzaust. Am liebsten hätte sie es mit ihren Fingern geglättet. Wie würde er wohl reagiert haben, wenn sie es getan hätte? Sie nahm die Hand vom Telefonhörer und stand auf. Dann ging sie zu Brian. „Wie ich sehe, bist du schon angezogen", fuhr er fort. „Ich habe meine Mutter angerufen." „Deine Mutter?" fragte er erstaunt. „Warum?"
Melissa dachte an Jasons Worte und trat so nah an Brian heran, dass sie ihn mit ausgestreckten Armen hätte berühren können. „Ich wollte ihr sagen, dass ich heirate." Melissa wartete gespannt auf seine Reaktion. Brian zuckte zurück, als hätte er eine Ohrfeige bekommen, doch zugleich erhellte sich sein Blick. Er zog Melissa an sich und beugte den Kopf so weit zu ihr herab, dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Ist das auch wirklich die Wahrheit?" „Ich sage immer die Wahrheit, Brian", erwiderte Melissa nachdrücklich. „Und wie hat deine Mutter es aufgenommen?" „Sie wollte zur Hochzeit kommen, aber ich fand, dass es sich nicht lohnen würde. Unsere Ehe wird schließlich nur von kurzer Dauer sein", antwortete Melissa mit fester Stimme und hoffte, dass er etwas Gegenteiliges darauf erwidern würde. Doch stattdessen betrachtete er sie nur forschend. Er schien in ihrem Gesichtsausdruck nach irgendetwas zu suchen. Melissa blieb nichts anderes übrig, als selbstbewusst seinem T31ick standzuhalten, um ihre wahren Gefühle für ihn nicht zu verraten. Dass er diese Gefühle nicht erwiderte, machte sie verletzbar und unsicher. Sie hätte es nicht ertragen, wenn er sie an diesem Abend deswegen verspottet hätte. Plötzlich fielen ihr wieder Jasons Worte ein. Vielleicht hatte er ja Recht. Als Mann verstand er die Denkweise seiner Geschlechtsgenossen viel besser als sie. Zumindest hoffte sie das. „Du hast Recht. Wir heiraten übermorgen." „Schon?" fragte Melissa überrascht. „Vorausgesetzt, dass es sich so schnell machen lässt. Ich werde dein Gepäck aus der Pension holen lassen." „Das kann ich durchaus selbst..." „Nein", unterbrach er sie, „du bleibst für die nächste Zeit hier." Er drückte sanft ihre Schulter, woraufhin Melissa hoffnungsvoll zu ihm aufsah. „Gute Nacht." Er ließ sie los und drehte sich um. Einen Moment später. hatte er das Arbeitszimmer verlassen und schaltete das Flurlicht an. Melissa seufzte und ging zu ihrem Zimmer zurück. Warum hatte er sie nicht wenigstens geküsst? Ein kleiner Kuss hätte ihr wieder Mut gegeben. Um sieben Uhr brachte ihr Marta das Frühstück ans Bett. Melissa konnte von ihrem Bett aus die Bergspitzen und den blauen Himmel darüber sehen. Es sah so aus, als würde es ein sonniger Tag werden. Nach dem Essen duschte sie, dann zog sie sich an. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Brian sie bis zur Hochzeit wie eine Gefangene behandeln würde. Da sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte, hätte er eigentlich wissen müssen, dass er ihr vertrauen konnte. Als sie die Treppe hinunterging, warf sie einen Blick in Richtung Brians Arbeitszimmer. Gedämpfte Stimmen hinter der Tür ließen vermuten, dass er Besuch hatte. Melissa ging weiter zur Haustür, die diesmal nicht verschlossen war. Draußen war es für diese Tageszeit schon ziemlich warm. Die Laubbäume hoben sich dunkel vom tiefblauen wolkenlosen Himmel ab. Links von Melissa ragten in der Ferne die Kirchtürme der Salzburger Altstadt auf, und die Salzach lag wie ein glitzerndes Band im Tal. Die Aussicht war fast so schön wie die von der Blumenwiese aus. Melissa ging zum Garten, wo sie mit Brian und Max den vergangenen Samstag verbracht hatte. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein. Wie würde Max es wohl aufnehmen, dass sie seine Stiefmutter wurde? Doch dann fiel ihr ein, dass die Ehe nur von kurzer Dauer sein würde. Ob Brian die Enttäuschung seines Sohnes bedacht hatte, wenn Melissa schon in wenigen Wochen . wieder nach England zurückginge?
„Melissa!" Brians Stimme drang vom Haus zu ihr, und Melissa ging zögernd zu ihm. Plötzlich stellte sie die Richtigkeit ihrer Entscheidung wieder in Frage. Vielleicht wäre es klüger gewesen, sofort nach England zurückzukehren und Mr. Millan von ihrer Unschuld zu überzeugen. Durch eine Ehe auf Zeit wäre nichts gewonnen - es sei denn, Brian würde sich doch noch in sie verlieben. Wenn nicht, würde sie bald Abschied nehmen müssen. Und nach dem Zusammensein mit Brian würde ihr dieser Abschied wahrscheinlich besonders schwer fallen. Brian erwartete sie bereits vor dem Haus. Er trug einen dunklen Anzug, eine blaue Krawatte und ein blütenweißes Hemd. Die typische Kleidung eines erfolgreichen Geschäftsmanns, dachte Melissa. Sie hatte noch immer das Kostüm an und hätte sich gern etwas anderes angezogen. „Ja?" fragte sie, als sie bei ihm angekommen war. „Willst du mich immer noch heiraten?" Zu ihrer Überraschung nahm er ihre Hand. „Natürlich. Was bleibt mir denn anderes übrig? Glaubst du etwa, ich will mit Schimpf und Schande aus der Firma geworfen werden oder mich mit dir vor den österreichischen Gerichten herumstreiten? Die Ehe ist das geringste Übel. Außerdem wird es nicht lange dauern." Brians Blick wurde finster, aber gleichzeitig streichelte er mit dem Daumen ihren Handrücken. Melissa spürte wieder jenes elektrisierende Kribbeln, das ihren ganzen Körper zu erfassen schien. Sie wollte ihm die Hand entziehen, aber er ließ sie nicht los. „Ich möchte, dass du anderen Leuten gegenüber so tust, als würdest du mich wirklich heiraten wollen. Das erspart uns peinliche Erklärungen, wenn wir gefragt werden, warum wir so überstürzt heiraten." „Soll ich so tun, als wäre ich unsterblich in dich verliebt?" fragte Melissa. Es würde ihr leichter fallen, als er ahnte. Brian wandte verlegen den Blick ab. „Ja. Ich möchte nicht, dass irgendjemand Verdacht schöpft." „Und Max?" hakte sie vorsichtig nach. „Er wünscht sich eine neue Mutter. Gesetzt den Fall, er wäre mit mir als Stiefmutter zufrieden - wie wird er damit fertig, wenn ich bald wieder abreise? Hast du dir das jemals überlegt?" „Das ist meine Sache und braucht dich jetzt nicht zu kümmern", erwiderte er kühl. „Na schön. Ich werde mich so verliebt geben, so gut ich es kann", sagte Melissa lächelnd. „Aber nur, wenn du es auch tust." Es war ihr leichtfertig herausgerutscht, aber als ihr die ganze Bedeutung bewusst wurde, hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen. „Ich verstehe." Brian nickte ernst. Dann führte er sie zur Haustür. „Mein Anwalt wartet in meinem Arbeitszimmer. Er hat einen Ehevertrag vorbereitet. Ich möchte nicht noch einmal wegen einer Frau alles aufs Spiel setzen." Glaubt er etwa, ich würde ihn heiraten, um ihn finanziell auszunehmen? dachte sie verärgert. Aber wenn er ihr den Diebstahl der Akten zutraute, traute er ihr wahrscheinlich noch Schlimmeres zu. Plötzlich fühlte sie sich niedergeschlagen und mutlos. Sie ahnte, dass sich durch die Ehe nichts ändern würde. Brian stellte ihr seinen Anwalt, Herrn Rollard, vor, der ihr den Vertrag überreichte. Sie fand das kalte, in sachlicher Juristensprache abgefasste Dokument einfach furchtbar. Durch ihre Unterschrift verpflichtete sie sich, auf jegliche Ansprüche an den Ehemann zu verzichten und sich aus allen Firmengeschäften herauszuhalten. Melissa wollte nichts von ihm - außer vielleicht Liebe. Dennoch empfand sie die sorgfältig formulierten Klauseln als persönliche Beleidigung. Sein Misstrauen verletzte sie, und sie fürchtete, dass ihre Ehe unter diesen Voraussetzungen zum Scheitern verurteilt war. Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen und beugte sich über das Papier, so dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. „Melissa?" fragte Brian, nachdem sie längere Zeit geschwiegen hatte.
Sie nahm einen Kugelschreiber und setzte ihre Unterschrift unter den Vertrag. Als sie Herrn Rollard das unterzeichnete Dokument zuschob, sah dieser die Tränen in ihren Augen und schaute Melissa mitleidig an. „Melissa?" fragte Brian wieder. Sie stand auf und ging zum Fenster, ohne Brian anzusehen. Am liebsten hätte sie sich sofort auf ihr Zimmer zurückgezogen, aber Brian stand zwischen ihr und der Tür. Plötzlich fühlte sie seine Hände auf ihren Schultern. Er drehte Melissa behutsam um und hob ihr Kinn. Nun konnte sie die Tränen nicht mehr vor ihm verbergen. Er nahm sie wortlos in die Arme. Sie schmiegte sich an ihn und wünschte, die Dinge hätten eine andere Wendung genommen. „Brauchen Sie mich noch?" fragte Herr Rollard. „Nein danke, Franz. Vergessen Sie nicht, den Vertrag mitzunehmen", antwortete Brian, ohne sich von Melissa abzuwenden, die sich trotz aller Demütigungen in seinen Armen wohl fühlte. Sie mochte es, wie er ihr beruhigend über den Rücken strich. Die Kraft, die von ihm ausging, gab ihr ein Gefühl von Sicherheit und Wärme. Solange er an ihrer Seite war, konnte ihr nichts geschehen. Aber er wollte keine Frau, die wie eine Klette an ihm hing. Im Grunde wollte er nicht einmal heiraten. Er dachte nur an seine Firma und tat alles, um die geschäftlichen Verhandlungen nicht zu gefährden. Melissa schob ihn von sich, woraufhin er sie sofort losließ. Ohne Brian eines weiteren Blicks zu würdigen, ging sie aus dem Arbeitszimmer. Sie hoffte, ihre Selbstbeherrschung aufrechtzuerhalten, bis sie ihr Zimmer erreicht hatte. Doch auf der Treppe brach sie in heftiges Schluchzen aus und lief weiter, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann warf sie sich aufs Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter. Am liebsten wäre sie auf der Stelle nach Wyoming geflogen, um die ausweglose Situation einfach hinter sich zu lassen. Davids Ablehnung hatte sie damals zutiefst verletzt, aber was sie jetzt durchmachte, war viel schlimmer. Es war, als geriete ihre Welt ins Wanken. Wie hatte das alles nur so schnell kommen können? Würde der Albtraum niemals enden? Plötzlich fand sie es absurd, diesen Mann zu heiraten. Es war offensichtlich, dass er sie niemals lieben würde. Wie konnte sie sich nur auf so etwas einlassen? Nach einer Weile klopfte es leise an der Tür, aber Melissa wollte mit niemandem sprechen. „Geht es dir gut?" fragte Brian. Er war hereingekommen, obwohl sie nicht geantwortet hatte. Melissa nickte und presste ihr Gesicht ins Kissen, um ihre geröteten Augen und das verschmierte Make-up vor ihm zu verbergen. Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe? Sie hörte, wie er ins Bad ging und dort den Wasserhahn anstellte. Kurz darauf setzte er sich zu ihr auf die Bettkante. „Komm, Melissa, ich wisch dir das Gesicht ab." „Lass nur, das ist nicht nötig." Brian zog sie hoch und fuhr ihr mit einem feuchten Lappen über Augen, Wangen und Stirn. „Ich muss an meine Firma denken, Melissa. Ich kann kein Risiko eingehen wie damals bei Louisa." „Ich weiß", erwiderte sie mit ausdrucksloser Stimme. Er misstraute ihr also noch immer. Eigentlich war das zu erwarten gewesen, aber es enttäuschte sie dennoch. Warum verliebte sich kein Mann in sie? War sie nicht liebenswert genug? Er reichte ihr ein sauberes Taschentuch, und nachdem sie sich die Nase geputzt hatte, fühlte sie sich besser.
„Ich war auf dem Standesamt und habe alles Nötige in die Wege geleitet. Wir werden morgen früh heiraten. Willst du dir ein Hochzeitskleid kaufen?" Melissa dachte einen Moment nach. „Ja." Sie fuhr sich mit dem feuchten Tuch über die Augen. Dann ließ sie die Hände sinken. „Du kennst dich in der Stadt nicht aus. Ich werde dich begleiten", bot er ihr an. „Zuerst möchte ich in die Pension zurück, um mich umzuziehen." „Gut. Dann kannst du gleich deine Sachen packen. Danach essen wir in Schloss Hohensalzburg. Von dort hast du eine herrliche Aussicht über die Stadt." Er strich ihr sanft über die Wange. „In dreißig Minuten brechen wir auf." Sie nickte und wich seinem Blick aus. „Ich sollte besser in deiner Firma anrufen und den Leuten von Larbard sagen, dass ich nicht komme." „Das habe ich bereits getan", erwiderte Brian. „Und ich habe ihnen auch den Grund gesagt." „Den Grund?" fragte sie entsetzt. Hatte er etwa allen erzählt, dass sie die Akten gestohlen hatte? „Ich musste ihnen doch sagen, dass wir morgen heiraten." Er stand auf und drehte sich um. Melissa sah ihm nachdenklich hinterher. Wie sollte das alles nur weitergehen? Wenn er sie zärtlich berührte, war sie glücklich, aber dass er ihr einen Diebstahl zutraute, stürzte sie in tiefe Verzweiflung. Alles in allem hielt sie die Hochzeit mit ihm für einen furchtbaren Fehler.
7. KAPITEL Brian brachte Melissa zur Getreidegasse, der größten Einkaufsstraße Salzburgs. Er kannte sich gut aus, und Melissa fand bereits im zweiten Geschäft das Richtige: ein weißes Seidenkleid mit langen Armein und einem hohen Kragen, das unten sehr weit geschnitten war. Es passte ihr so gut, als wäre es für sie gemacht worden. Und es war atemberaubend teuer, aber das war es ihr wert. Brian bestand darauf, ihr einen dazu passenden Hut zu kaufen. Melissa war froh, dass alles wie bei einer normalen Hochzeitsvorbereitung ablief. Sie errötete, als eine der Verkäuferinnen eine Bemerkung über „junge Liebe" machte. Hätte die Frau gewusst, wie es in Wirklichkeit war ... Danach fuhren sie zu Melissas Pension. Da Brian im Wagen sitzen blieb, hatte Melissa endlich Gelegenheit, ihren Kollegen Gerry Toliver anzurufen. „Was ist eigentlich los, Melissa?" fragte Gerry. „Terrell sagte, dass ihr beiden heiraten wollt und wir hier ohne dich auskommen müssen." „Das stimmt. Und wie kommt ihr zurecht?" „Wie immer. Hoffentlich ist bald alles vorbei. Kehrst du wirklich nicht zurück?" „Wahrscheinlich nicht. Sag mal, sind bei euch wieder Unterlagen verschwunden?" „Heute Morgen noch nicht." „Gerry, ihr müsst vorsichtig sein. Ich glaube, dass irgendjemand die Verhandlungen behindern will. Gestern wurden vertrauliche Unterlagen in meinen Aktenkoffer gesteckt. Offenbar wollte jemand den Eindruck erwecken, dass ich sie gestohlen habe. Hast du gestern jemanden bei meinem Aktenkoffer gesehen?" „Um Himmels willen, nein. Weiß Brian davon?" „Ja. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nicht zurückkomme." Mehr brauchte Gerry nicht zu wissen. „Auf jeden Fall müsst ihr aufpassen. Lasst eure Aktenkoffer nicht unbeaufsichtigt herumliegen." „In Ordnung", sagte Gerry. „Wenn wieder etwas verschwindet, wendet euch am besten an Brian." „Hast du einen Verdacht, wer dahinter stecken könnte?" hakte Gerry nach. „Nein. Ich rufe später noch einmal an. Vielleicht wissen wir dann mehr." „Ich halte auf jeden Fall die Augen offen. Und herzlichen Glückwunsch." „Wie? Ach ja, danke. Ich melde mich wieder. Außerdem werde ich Mr. Millan verständigen." Sie legte auf und begann, ihren Koffer zu packen. Als sie gerade fertig war, klopfte es an der Tür. Es war Brian. „Fertig", sagte sie und ging zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Sie wollte ihn nicht zu nahe kommen lassen. Laut Vereinbarung brauchte sie nur in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie in ihn verliebt war. Dennoch konnte sie sich nicht einer gewissen Faszination erwehren, als er lässig zum Bett kam. Trotz ihrer hochhackigen Schuhe war er größer als sie. Seine breiten Schultern kamen in dem maßgeschneiderten Anzug besonders gut zur Geltung. Wie immer, wenn er in ihrer Nähe war, lag eine gewisse Spannung in der Luft. Schließlich atmete Melissa tief ein und verließ vor ihm das Zimmer. Kurz darauf fuhren sie mit Brians BMW zum Schloss Hohensalzburg, dem einstigen Sitz der Erzbischöfe von Salzburg. Melissa hatte das Gebäude bereits .besichtigt, aber noch nicht im Restaurant gegessen. Es lag über hundert Meter über der Salzach und bot eine herrliche Aussicht über den Fluss und die Stadt. Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster. Melissa hätte am liebsten während des ganzen Essens nur die Aussicht bewundert, statt sich mit Brian zu unterhalten. Worüber sollte sie schließlich auch reden? Brian hatte die Weichen für die nahe Zukunft bereits gestellt.
Melissa bestellte ein Wiener Schnitzel, während Brian sich für Schweinebraten entschied. Kaum war der Ober fort, schaute sie wieder aus dem Fenster. Brian schwieg. Sie versuchte ihn zu ignorieren, aber es gelang ihr einfach nicht. Nach einer Weile wollte sie ihn nur flüchtig ansehen, doch seine kühlen blauen Augen hielten sie gefangen und zwangen sie, seinen Blick zu erwidern. „Eine tolle Aussicht", sagte sie verlegen. „Ja, fantastisch", erwiderte er, und ihr blieb unklar, ob er sich auf die Landschaft oder auf sie, Melissa, bezog. Auch während des Essens sprachen sie nur wenig. Melissa schaute immer wieder zur Altstadt mit den würdevollen Steinhäusern hinab, zwischen denen die Salzach wie ein Haufen Diamanten im Sonnenlicht glitzerte. Danach fuhr Brian sie zu seinem Haus zurück. „Ich muss jetzt ins Büro", sagte er, nachdem Melissa ausgestiegen war. „Maria wird dein Gepäck in dein Zimmer bringen." „Das schaffe ich auch allein. Übrigens ist es höchste Zeit, dass ich in London anrufe und meinem Arbeitgeber erkläre, warum ich nicht mehr an den Verhandlungen teilnehme." Brian überlegte einen Moment. Dann nickte er. „Sei vorsichtig mit dem, was du sagst. Ich werde die anderen aus deiner Gruppe genau im Auge behalten und habe Vorsorge getroffen, dass es keine mysteriösen Zwischenfälle mehr geben wird." „Schade, dass du mir nicht geglaubt hast", erwiderte sie. Sie schauten sich lange schweigend an. Dann fuhr Brian weiter, und Melissa ging ins Haus. Sie verbrachte den Nachmittag mit Max, der sich unbändig darüber freute, dass sie nun endgültig eingezogen war. Nähere Erklärungen wollte sie Brian überlassen. Sollte er seinem Sohn doch sagen, was er wollte. Sie mochte den kleinen Jungen ausgesprochen gern, der in vielen .Dingen so sehr seinem Vater ähnelte, dass ihr weh ums Herz wurde. Abends teilte Marta ihr mit, dass Brian nicht zum Abendessen kommen würde. So aß Melissa allein mit Max und brachte ihn hinterher ins Bett, wo sie ihm eine Geschichte aus einem Buch vorlas, das sie noch aus ihrer Kindheit kannte. Nachdem Max eingeschlafen war, nahm sie ein Schaumbad. Während sie sich im warmen Wasser entspannte, dachte sie an ihre Hochzeit am anderen Morgen. Niemand aus ihrer Familie und ihrem Freundeskreis würde dabei sein. So hatte sie sich ihre Hochzeit nicht vorgestellt. Die Dinge entwickelten sich in einer so absurden Weise, als geschähe das alles einer anderen Person. Sie fühlte sich wie eine Schlafwandlerin. Würde Brian sein Misstrauen Frauen gegenüber jemals überwinden? Wenn nicht, wäre der ganze Spuk vorbei, sobald der Vertrag der beiden Firmen unterzeichnet war. Dann würde Melissa wieder so leben können wie früher. Doch diese Aussicht machte sie nicht glücklich. Sie legte sich an diesem Abend früh schlafen. Als Melissa am nächsten Morgen aus dem Fenster schaute, sah sie, dass es wieder ein sonniger Tag werden würde. Sie duschte schnell, und um acht Uhr dreißig war sie fertig angezogen. Der Seidenstoff des Kleids fühlte sich auf ihrer Haut angenehm weich an. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, aber es gab kein Zurück mehr. Melissa atmete noch einmal tief ein, dann ging sie zum Esszimmer hinunter. Brian saß bereits am Tisch und hatte offenbar gerade gefrühstückt. Max saß neben ihm und redete aufgeregt auf ihn ein. Der Kleine sah einfach hinreißend aus in seinen Shorts, dem weißen Hemd und Jackett. Sein Haar war ordentlich gekämmt. Melissa blieb einen Moment an der Tür stehen und betrachtete die beiden, die von nun an ihre Familie sein würden - wenn auch nur für kurze Zeit.
„Guten Morgen, Melissa." Brian stand auf und deutete einladend auf den freien Stuhl neben sich. „Du siehst bezaubernd aus." Melissa hätte das Kompliment durchaus erwidern können. Dunkelgrauer Anzug, weißes Hemd, geschmackvolle kastanienbraune Krawatte - ein beeindruckender Anblick. „Guten Morgen, Brian", erwiderte sie leicht verlegen und ging lächelnd auf die beiden zu. „Du siehst ja so schick aus, Max. Hast du etwas vor?" Max lachte übermütig. „Ich komme mit zu eurer Hochzeit. Dann bist du meine Mama." Melissa sah Brian fragend an. „Ich finde, er sollte mitkommen." Brian stellte sich hinter den Stuhl und rückte ihn Melissa mit vollendeter Höflichkeit zurecht, damit sie sich setzen konnte. Natürlich konnten sie die Ehe vor Max nicht verheimlichen, da sie immerhin mehrere Wochen lang zusammen in einem Haus leben würden. Aber warum wollte Brian seinen Sohn bei der Trauung dabeihaben? Es würde dem Ganzen mehr Gewicht verleihen als nötig. Immerhin sollte es nur eine rein formelle Ehe auf Zeit werden. Melissa staunte noch mehr, als sie beim Standesamt auch ihre englischen Kollegen von Larbard Industries traf. Außerdem waren Marta, Greta, einige Manager der Austerling GmbH und Herr Rollard anwesend. „So viele Gäste habe ich nicht erwartet", flüsterte sie Brian zu. „Du brauchst schließlich Trauzeugen, die du kennst. Oder ist es dir nicht recht?" Er klang höflich, aber distanziert. „Ganz im Gegenteil." Melissa hakte sich verlegen bei ihm ein. Sie war gerührt, dass er trotz der ungewöhnlichen Umstände an sie gedacht hatte. Offenbar war er sehr daran interessiert, die Hochzeit so normal wie möglich zu gestalten, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Aber warum? Und warum glaubte er ihr nicht, was die Akten in ihrem Koffer betraf? Zumindest hätte er fair sein und ihr zuhören können. Franz Rollard war Brians Trauzeuge. Sandra Stomford Melissas Trauzeugin, neckte diese, weil alles so schnell gekommen war und niemand etwas von der Romanze der beiden geahnt hatte. Am liebsten hätte Melissa ihr die Wahrheit gesagt. Wenige Minuten später wurden Melissa und Brian zu Mann und Frau erklärt. Brian küsste sie kühl und flüchtig. Melissa wandte sich enttäuscht ab, um die Glückwünsche ihrer früheren Kollegen und von Brians Freunden entgegenzunehmen. Max war überglücklich. „Jetzt bist du meine neue Mama, nicht wahr?" flüsterte er, als sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihn in die Arme nahm. „Ja, Max", sagte sie gerührt. Wie würde er es verkraften, nach so kurzer Zeit zum zweiten Mal eine Mutter zu verlieren? Wusste Brian überhaupt, was er seinem Sohn antat? Brian hatte Champagner bringen lassen, und alle Gäste stießen auf das Hochzeitspaar an. Im Lauf der anschließenden Unterhaltung nutzte Melissa einen günstigen Augenblick, um mit Gerry zu sprechen. „Wie laufen die Verhandlungen?" fragte sie, ohne Brian aus den Augen zu lassen, der sich gerade angeregt mit zwei anderen Gästen unterhielt. „Gut, aber es ist schwer geworden, an Informationen zu kommen. Man könnte fast den Eindruck erhalten, dass Terrell uns verdächtigt, die Berichte absichtlich verschwinden zu lassen. Sei froh, dass du dich so gut mit ihm verstehst. Er hätte nach der Entdeckung seiner Papiere in deinem Aktenkoffer das Schlimmste von dir denken können." „Hm." Melissa sah keinen Grund, Gerry die Wahrheit zu sagen. „Habt ihr schon einen Verdacht, wer hinter alledem steckt?" „Wir wissen nichts Genaues, aber ich tippe auf Erich oder Karl. Wenn wir sie im Rahmen unserer Zusammenarbeit um Hilfe bitten, weichen sie oft aus oder verzögern den Ablauf allerdings nur, wenn Brian nicht dabei ist. Es ist mir erst aufgefallen, seit ich die Vorgänge in
der Firma Austerling besonders aufmerksam verfolge. Ich kann es einfach nicht verstehen. Erich und Karl sind hochrangige Manager und seit Jahren in der Firma und werden von allen respektiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie etwas mit den mysteriösen Vorgängen zu tun haben." „Ich auch nicht", erwiderte Melissa. „Wenn wir das Motiv kennen würden, könnten wir den Schuldigen vielleicht ausfindig machen." In diesem Moment blickte Brian verärgert zu ihr herüber. Er entschuldigte sich bei seinen Gesprächspartnern und kam zu ihr. Melissa trank einen Schluck Champagner. Brian erinnerte sie an einen Wolf, der sich seinem Opfer näherte. Warum sah er nur so wütend aus? „Hallo, Mr. Toliver", sagte Brian zu Gerry, ohne den Blick von Melissa zu wenden. „Herzlichen Glückwunsch zur Vermählung, Mr. Terrell. Sie haben eine gute Wahl getroffen. Wir werden Melissa sehr vermissen." „Das glaube ich. Hoffentlich reden Sie bei diesem festlichen Ereignis nicht über Geschäftliches", erwiderte Brian mit eisiger Stimme. Gerry ließ sich nicht einschüchtern. „Nein, wir sprachen über die Veränderungen in Melissas Leben durch die Ehe und den Umzug nach Salzburg. Sie kommen heute sicher nicht mehr ins Büro, oder etwa doch?" Melissa fühlte, dass sie errötete. Sie sah weder Brian noch Gerry an, sondern betrachtete den perlenden Champagner in ihrem Glas. Sie hätte vor Scham im Boden versinken können. „Nein, aber dafür haben Sie sicher Verständnis." Brian legte den Arm um Melissa und zog sie an sich. Sie errötete tief. Seine Anspielung gefiel ihr überhaupt nicht. Er strich Melissa sanft über die Wange und lächelte spöttisch. Melissa, Brian, Max und das Hauspersonal fuhren vom Standesamt zu Brians Haus zurück, während die anderen wieder ihrer Arbeit nachgingen. Nach dem Essen schlug Brian Melissa vor auszureiten. Sie willigte erfreut ein und ging sofort nach oben, um sich umzuziehen. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer dachte sie an die Bemerkung, die Brian Gerry gegenüber gemacht hatte. Ob Brian wirklich vorhatte, sie zu verführen? Sie ritten zur Wiese, wo sie sich zuerst, begegnet waren. Es war früher Nachmittag, und die Sonne stand hoch am Himmel. Sie unterhielten sich über alles Mögliche, vermieden jedoch Themen, die mit Brians Firma und den Verhandlungen zu tun hatten. Brian erzählte von seiner Familie in England und amüsante Geschichten aus seiner Kindheit, Melissa sprach von ihrer Kindheit im Pfarrhaus ihres Vaters. Dabei versuchten sie beide, keinen Streit aufkommen zu lassen. Melissa hätte nicht gedacht, dass ihr der Ausritt so sehr gefallen würde. Brian war freundlich und charmant, und es kam zu keinerlei Spannungen oder Peinlichkeiten. Sie wünschte sich, alle Tage mit ihm so angenehm verbringen zu können. Nach ihrer Rückkehr zog Melissa vor dem Dinner wieder ihr Hochzeitskleid an. Marta hatte ein wundervolles Essen zubereitet. Da Max schon im Bett lag, waren Melissa und Brian allein. Brian trug den Anzug, den er bei der Trauung angehabt hatte, und Melissa war ganz feierlich zu Mute. Der Tisch war festlich gedeckt. Das Kerzenlicht des großen dreiarmigen Leuchters gab dem Raum etwas Romantisches, und Brians markante Gesichtszüge sähen im gedämpften Licht viel weicher als sonst aus. „Ich habe keine Hochzeitsreise geplant", sagte er, nachdem Marta das Hauptgericht serviert hatte. „Ich habe auch nichts anderes erwartet", erwiderte Melissa. „Gibt es irgendetwas, das ich für dich tun kann?" „Was meinst du?"
„Ich weiß nicht. Blumen in Vasen stellen oder dein Arbeitszimmer aufräumen, was auch immer. Ich kann doch nicht den ganzen Tag nur herumsitzen." Offenbar hatte er darüber noch nicht nachgedacht. „In einigen Tagen sind die Salzburger Festspiele. Ich habe Karten für einige der Konzerte und Ballette besorgt. Wahrscheinlich werden wir auch zu Partys eingeladen, und ich werde wohl eine Dinnerparty geben müssen." „Das füllt mich nicht aus, Brian", erwiderte sie trocken. Sechs Jahre lang hatte sie den ganzen Tag gearbeitet und Konzerte und Partys nur während ihrer Freizeit besucht. „Du kannst dich um Max kümmern. Greta wird allmählich alt, und außerdem hat sie seit sieben Jahren kaum Zeit für sich gehabt. Sie sollte sich ein wenig Urlaub gönnen. Natürlich nur, wenn es dir recht ist." „Ja, das wäre prima." Melissa mochte Max sehr und fand es schön, dass sie, mehr Zeit mit ihm verbringen sollte. Wenigstens bis zum Ende der Ferien. Sie freute sich auch auf die Salzburger Festspiele. Alles in allem wollte sie aus ihrer kurzen Zeit mit Brian das Beste machen. Plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr und legte das Besteck aus der Hand. Später forderte Brian Melissa zu einem Spaziergang durch den Garten auf. Kleine Lampen beleuchteten die Wege und angrenzenden Sträucher, so dass der Rest des Gartens noch dunkler und geheimnisvoller wirkte. Nur das sanfte Rascheln der Blätter in den Bäumen unterbrach die abendliche Stille, und am dunklen Himmel funkelten die Sterne. Nach einer Weile blieb Brian stehen und legte Melissa die Hände auf die Schultern. „Wie geht es dir, Melissa?" Sie schaute ihn nachdenklich an. Sie liebte diesen schwierigen Mann und fühlte sich insgesamt recht wohl. Trotz der unsicheren Zukunft hoffte sie noch immer, dass sich alles zum Besten wenden würde. „Ich glaube, ich bin zufrieden", antwortete sie mit weicher Stimme. Er senkte den Kopf und küsste sie sanft auf den Mund. Sie legte ihm die Arme um den Nacken und öffnete die Lippen. Melissa genoss es, wie Brian sie immer leidenschaftlicher küsste. Ihr Herz pochte schneller, das Atmen fiel ihr schwer, und doch wollte sie nicht aufhören. Sie liebte Brians Berührungen, liebte seine Küsse. Dieser Augenblick war so wunderbar, dass sie ihn bis in alle Ewigkeit hätte auskosten können. Doch dann hob Brian plötzlich den Kopf. Melissa hatte weiche Knie bekommen und fürchtete, dass sie in sich zusammengesunken wäre, hätte er sie nicht immer noch mit seinen starken Armen gehalten. Sie lehnte sich an ihn und spürte, wie er stoßweise atmete. Ob er ihre Erregung fühlte? „Wir sollten lieber ins Haus gehen, solange wir es noch fertig bringen", flüsterte er ihr ins Ohr und streichelte dabei zärtlich ihren Rücken. „Es war ein langer Tag", sagte sie und versuchte, möglichst gelassen zu erscheinen. „Ich würde jetzt gern schlafen gehen." An der Haustür sagte sie Brian kurz gute Nacht und eilte dann auf ihr Zimmer. Nachdem sie ein Bad genommen hatte, legte sie sich ins Bett. Von dort schaute sie lange aus dem Fenster zum sternenklaren Nachthimmel und dachte über ihren Hochzeitstag nach. Sie war fast eingeschlafen^ als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Sie hob den Kopf und sah Brian auf der Türschwelle stehen. Da es im Zimmer dunkel war, konnte sie nur seine Silhouette vor dem hellen Flurlicht erkennen. „Schläfst du schon, Melissa?" Er schloss leise die Tür hinter sich. „Nein." Er kam näher und setzte sich auf die Bettkante. Melissa hörte, wie er tief einatmete. „Vorhin im Garten hatte ich das Gefühl, dass meine Berührungen dich gleichgültig lassen."
„Das stimmt nicht", erwiderte sie. „Aber nach allem, was zwischen uns gewesen ist, müsstest du das eigentlich wissen." Ob er sie noch einmal küssen wollte? Melissa wagte kaum zu atmen. „Das ist gut", sagte er zufrieden und stand auf. Melissa hörte, wie er sich auszog, und im nächsten Moment schlüpfte er zu ihr ins Bett. Sie stieß überrascht einen Laut aus und wollte von Brian fortrücken, aber er packte sie mit seinen kräftigen Armen und zog sie an sich. Abwehrend stemmte sie die Hände gegen seine warme, feste Brust. Doch da ließ er schon die Finger über ihren Rücken zum Po und dann hinunter zu ihren Beinen gleiten. Durch den dünnen Baumwollstoff ihres Nachthemds spürte Melissa die Wärme seiner Hand. „Brian?" „Pst." Er schob ihr Nachthemd langsam hoch und liebkoste ihre nackte Haut. Melissa presste das Gesicht an seine Schulter und atmete sein After Shave ein, das dezent nach frischen Kiefernnadeln roch, und seinen ihm eigenen unverwechselbaren männlichen Duft. Melissa konnte nicht mehr klar denken. Sie spürte nur noch Brians Hand, die langsam über ihre Schenkel strich - immer höher, bis seine Fingerspitzen ihren Po berührten. Melissa schloss die Augen, um das erregende Gefühl intensiver zu genießen. Glühend vor Verlangen, presste sie sich fester an seinen starken Körper. „Entspann dich", flüsterte er. „Ich kann es nicht", hauchte sie. Sie fühlte sich wie am Rand eines dunklen Abgrunds, andern ihr nur die beiden Möglichkeiten blieben, zu flüchten oder in die Tiefe zu stürzen. Als Brians Finger sanft über die weichen Haare zwischen ihren Schenkeln strichen, stöhnte sie leise. Seine Hand tastete sich höher bis zu ihren Brüsten, die er zärtlich liebkoste, so dass die Knospen hart wurden und sich aufrichteten. „Setz dich hin", forderte er sie mit rauer Stimme auf und streifte ihr, kaum dass sie es getan hatte, das Nachthemd ab. Melissa war willenlos wie eine Stoffpuppe. Erwartungsvoll lehnte sie sich gegen seine muskulöse Brust, deren gekräuseltes Haar ihre erregten Knospen streichelte. Im selben Moment fanden Brians Lippen Melissas und küssten sie sinnlich wie nie zuvor. Brian verwöhnte Melissa mit den Händen, mit heißen, leidenschaftlichen Küssen, von ihrem Hals abwärts zu den weichen Brüsten, deren Knospen er sanft zwischen die Lippen nahm, bis sie völlig die Beherrschung verlor. Melissa fuhr ihm durch das dichte Haar und streichelte seine Brust. Zu ihrer Überraschung reagierten auch seine Warzen empfindlich auf Melissas Berührungen. Sie schmiegte sich voller Begehren an ihn. Als Brian instinktiv spürte, dass sie bereit war, drückte er behutsam ihre Schenkel auseinander, und kurz darauf glaubte sie, vor Lust zu vergehen. Sie folgte seinen rhythmischen Bewegungen und versuchte, ihn dichter an sich zu ziehen. Stöhnend genoss sie das zärtliche Spiel seiner Hände und seines Mundes, bis der Wunsch nach Erfüllung ihr fast die Besinnung raubte. Und plötzlich kam es ihr vor, als löse sie sich in einem Wirbel ekstatischer Gefühle auf. Brian gab ihr alles, was sie sich jemals erträumt hatte. Erst als sie vor Wonne und Erleichterung aufschrie, gab er sich seinen Gefühlen ganz hin. Dann sank er stöhnend auf Melissa zusammen und bedeckte ihr Gesicht mit zärtlichen Küssen. Plötzlich spürte er feuchte Tränen auf seinen Lippen und sah Melissa an. „Habe ich dich verletzt?" „Nein", erwiderte sie erschöpft und schloss die Augen. Sie fühlte sich unendlich müde, warm und zufrieden. „Nein, es war wunderbar." Kurz bevor sie einschlief, flüsterte er ihr ins Ohr: „Unsere Ehe wird nicht annulliert, Melissa."
8. KAPITEL Als Melissa am nächsten Morgen aufwachte, war sie allein im Bett. Sie warf einen Blick aufs eingedrückte Kissen neben ihr und erinnerte sich, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Brian hatte sie später wieder geweckt, und sie hatten sich noch einmal geliebt. Sie räkelte sich und dachte lächelnd daran, wie wunderbar es gewesen war. Er war so rücksichtsvoll und doch so leidenschaftlich gewesen. Sie liebte ihn so sehr ... Erst beim Duschen fiel ihr ein, was er ihr vor dem Einschlafen zugeflüstert hatte. Warum wollte er die Ehe nicht annullieren lassen? Er hatte sie, Melissa, doch nur geheiratet, um sie von den Firmenverhandlungen fern zu halten. Und er traute ihr noch immer nicht. Aber warum hatte er es zu dieser stürmischen Hochzeitsnacht kommen lassen? Hatte Jason vielleicht Recht? Liebte Brian sie trotz seines Misstrauens? Wollte er in Wirklichkeit eine richtige Ehe mit ihr führen? Da es mittlerweile nach zehn Uhr war, ließ Melissa das Frühstück aus. Sie aß mit Max zu Mittag und verbrachte den ganzen Nachmittag mit ihm. Je näher der Abend rückte, desto mehr beschäftigte sie der Gedanke, wie Brian sie bei seiner Rückkehr von der Arbeit begrüßen würde. Würde er sie küssen? Würde er gleich mit ihr ins Schlafzimmer gehen oder bis nach dem Abendessen warten? Sie war etwas verunsichert und wusste nicht, ob er mit ihr zufrieden gewesen war. Melissa und Max saßen gerade im Kinderzimmer auf dem Boden und lachten über irgendeine lustige Geschichte, die Melissa dem Jungen vorgelesen hatte, als Brian hereinkam. Er blieb an der Tür stehen und schaute die beiden an. Insbesondere Melissa. Bei seinem Anblick schlug ihr Herz schneller. Am liebsten wäre sie gleich zu ihm gelaufen, um sich ihm in die Arme zu werfen und ihn zu küssen. Stattdessen schaute sie nur zu ihm auf, allerdings ohne ihre Wiedersehensfreude ganz verbergen zu können. „Hallo", begrüßte sie ihn fröhlich. Brian lächelte leicht, aber seine Augen blickten kühl. „Hallo." Er kam nicht zu ihr. Melissa war etwas enttäuscht, und es kostete sie Mühe, unbefangen zu lächeln. „Willst du dich nicht umziehen und dich zu uns setzen? Wir könnten ein Spiel machen." Sie strich Max über den Kopf. „Aber diesmal gewinne ich." Es tat ihr weh, dass Brian sich nicht besonders zu freuen schien, sie wieder zu sehen. „Es gibt bald Abendessen", wandte er ein. „Warum bittest du Marta nicht, damit noch eine Stunde zu warten? Dann hätten wir noch Zeit." Sie wandte den Blick von ihm ab und schaute Max an. „In Ordnung." Zehn Minuten später war Brian bei ihnen. Melissa hörte kaum zu, als Max die Regeln erklärte. Eigentlich ging es ihr nur darum, eine schöne Zeit mit den beiden zu verbringen. Und es war leichter, mit Brian zusammen zu sein, wenn Max dabei war. Als Brian neben Melissa auf dem Boden saß, küsste sie ihn zärtlich auf den Mund. Im ersten Moment sah er überrascht aus. Doch dann beugte er sich zu ihr und küsste sie richtig. „Warum tut ihr das?" fragte Max hinterher. „Eltern machen so etwas von Zeit zu Zeit", erklärte Melissa sanft, ohne den Blick von Brian abzuwenden. Er betrachtete ihr leicht errötetes Gesicht Und sah sichtlich zufrieden aus. „Manchmal machen sie noch mehr", fügte Brian hinzu. „Was denn noch?" erkundigte sich Max. Melissa lachte verlegen. „Sie schlagen kleine Jungen beim Brettspiel. Wer macht den ersten Zug?"
Brians Nähe lenkte sie so sehr ab, dass sie kaum etwas vom Spiel mitbekam. Sie dachte an seinen Körper, an seine muskulöse Brust und die feinen Haare, die sich darauf kräuselten. Sie hatte die Haare im Dunkeln nicht gesehen, nahm aber an, dass sie blond wie sein Kopfhaar waren. Sie sehnte sich danach, Brians festen Körper, der ihr in der vorherigen Nacht so viel Genuss bereitet hatte, bei Licht zu betrachten. Nach dem Spiel ließ Melissa die beiden allein, da sie sich vor dem Abendessen umziehen wollte. Später fragte sie Brian, worüber er sich mit Max in der Zwischenzeit unterhalten habe. „Er erzählte mir, was ihr heute alles gemacht habt. Der Tag mit dir hat ihm offenbar großen Spaß gemacht. Du seist nicht so alt und nicht so schnell müde wie Greta. Mit dir könne er spielen und Sachen erforschen. Was habt ihr eigentlich erforscht?" erkundigte Brian sich neugierig. „Wir waren nur im Wäldchen hinter den Ställen. Ach, Max wünscht sich übrigens einen Hund. Darf er einen bekommen?" „Einen Hund?" „Ja, einen Welpen, der mit ihm aufwächst. Ich glaube, es wäre sehr gut für ihn, wenn er Verantwortung für ein Tier übernehmen würde." Sie dachte an ihre Abreise. Vielleicht würde der Junge es besser verkraften, wenn er seine Liebe auf etwas anderes lenken könnte. Melissa hatte ihn gern und wollte, dass er glücklich aufwuchs. „Na gut, ich werde mich noch in dieser Woche darum kümmern. Denkst du an eine besondere Rasse?" „Nein, Hauptsache, es ist ein gesunder Welpe, mit dem er spielen und den er gern haben kann. Ich bin zwar nicht so alt wie Greta, aber auch nicht mehr so jung wie Max." Das Abendessen verlief in angenehmer Atmosphäre, bis Melissa eine verhängnisvolle Frage stellte. „Und wie war dein Tag?" Brians Gesicht wurde finster, und er sah sie misstrauisch an. „Meine Arbeit geht dich nichts mehr an", erwiderte er mürrisch. Für Melissa war es, als hätte er ihr eine Ohrfeige gegeben - umso mehr, als der Abend seit Brians Heimkehr sehr unkompliziert gewesen war. „Ich habe dich nicht nach deiner Arbeit gefragt. Ich wollte nur wissen, ob du einen schönen Tag gehabt hast. Aber da du so nörgelig bist, kann er nicht besonders angenehm gewesen sein." „Nörgelig sind Kinder, wenn sie nicht lange genug geschlafen haben", erwiderte er knurrig. „Und Ehemänner, die auf harmlose Fragen ihrer Frauen nicht antworten wollen." Melissa warf ihre Serviette auf den Teller und stand auf. „Ich gehe jetzt lieber." Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und verließ den Raum. Im Flur blieb sie einen Moment zögernd stehen und überlegte, ob sie schon so früh auf ihr Zimmer gehen sollte. Da Brian sie dort viel zu schnell gefunden hätte, beschloss sie, sich eine Zeit lang in den Pferdestall zurückzuziehen. Als sie kurz darauf durch den Futtergang ging, streckten die Pferde neugierig die Köpfe aus den Boxen. Sie strich den Tieren liebevoll über die Nüstern und ging zu Blumenwieses Stallbox, neben der sie sich auf ein Bund Heu setzte und nachdachte. Ob Brian ihr jemals glauben würde? Wahrscheinlich nicht, denn dafür waren seine Erfahrungen mit Louisa für ihn wohl noch zu lebendig. Aber wie sollte sie, Melissa, mit ihm leben, wenn er weiterhin glaubte, dass sie ihn belogen und bestohlen hatte? Sie wünschte, es gäbe einen Weg, ihre Unschuld zu beweisen. Wie lange würden die Verhandlungen noch dauern? Eine Woche? Zwei Wochen? Der Vertrag würde spätestens Mitte September unterzeichnet werden. Sie beschloss, Brian nicht mehr nach seiner Arbeit zu fragen. In den nächsten Wochen würde sie sich vor allem uni Max kümmern, Brian auf Partys begleiten und in der
Öffentlichkeit als seine verliebte Ehefrau auftreten. Privat jedoch wollte sie ihn zukünftig in Ruhe lassen. Und sie wollte herausfinden, wer die Akten in ihren Aktenkoffer gelegt hatte. Brian musste begreifen, dass sie keine Diebin war. Und nach der Scheidung würde sie wieder bei Larbard arbeiten. Allmählich wurde Melissa müde und ging zum Haus zurück. Als sie den Flur durchquerte, rief Brian sie zu sich ins Büro. „Nächste Woche finden die Salzburger Festspiele statt. Wenn du dir ein Abendkleid kaufen willst, fahre ich dich morgen in die Stadt." Da sie keine angemessene Kleidung dabeihatte, war sie einverstanden. Dann drehte sie sich um und ging auf ihr Zimmer. Sie lag lange wach in ihrem Bett. Ob Brian auch in dieser Nacht zu ihr kommen würde? Sie betrachtete den sternenübersäten Himmel und lauschte nach Geräuschen auf dem Flur. Erst gegen ein Uhr morgens wurde ihr klar, dass er nicht kommen würde. Sie grübelte über die Gründe nach. Hatte sie ihm vielleicht nicht das gegeben, was er sich erhofft hatte? Oder war er nur an einer Nacht mit ihr interessiert gewesen? Er hatte ihr nicht gesagt, dass er sie in seinem Zimmer erwarte, und sie ihn nicht zu sich eingeladen; Jetzt war sie froh, es nicht getan zu haben. Wie peinlich wäre es gewesen, hätte er ihren Vorschlag brüsk abgelehnt. Am nächsten Morgen waren dunkle Schatten unter Melissas Augen. Es gefiel ihr nicht, dass alle Welt, insbesondere Brian, sehen konnte, wie schlecht sie geschlafen hatte. Deshalb schminkte sie sich diesmal besonders sorgfältig. Als sie ins Esszimmer kam, saß Brian bereits am Frühstückstisch. Melissa begrüßte ihn freundlich und nahm neben ihm Platz. „Soll ich nach dem Einkaufen mit einem Taxi zurückfahren?" fragte sie ihn, nachdem Marta ihr ein Omelett serviert hatte. „Nein, ich bringe dich zurück. Wenn du willst, können wir in der Stadt Mittag essen." Sie nickte und begann mit dem Frühstück. „Hast du gut geschlafen?" fragte Brian ein wenig ironisch, während er sie betrachtete. „Danke, gut", erwiderte sie gereizt. „Und du?" „Nicht so gut", sagte er mit weicher Stimme. „Ich war einsam." Melissa warf ihm einen prüfenden Blick zu. Hatte Brian sie etwa in der Nacht erwartet? Er hatte sie nicht dazu ermuntert. Außerdem hätte er ebenso gut zu ihr kommen können. „Ich verstehe dich nicht, Brian." „Manchmal verstehe ich mich selbst nicht", meinte er und stand auf. „Wir treffen uns in zehn Minuten am Wagen." Dann drehte er sich um und ging hinaus. Melissa blieb allein zurück und grübelte vergeblich über seine rätselhaften Worte nach. Als sie aus dem Haus ging, lehnte Brian bereits am Wagen. Er öffnete die Beifahrertür und wartete, bis Melissa sich gesetzt hatte. Dann beugte er sich über sie, um ihr den Sicherheitsgurt anzulegen. Sie atmete tief ein und fuhr sich nervös über die Lippen. Brian hatte es offenbar bemerkt, denn er wandte ihr das Gesicht zu. Seine Lippen waren dicht an ihren, so dass sie seinen Atem spüren konnte. Sie empfand seine Körperwärme so intensiv, dass sie den Eindruck hatte, sie würde sich auf sie übertragen. Ihr wurde plötzlich ganz heiß. Ihr Mund näherte sich langsam seinen Lippen. Brian rührte sich nicht. Melissa schloss die Augen. Erst als ihre und seine Lippen sieh hauchzart berührten, öffnete er den Mund, um sie zu küssen, und sie erwiderte den Kuss leidenschaftlich. „Vielleicht sollte ich dich jeden Tag zum Einkaufen fahren", sagte er leise. Er küsste sie noch einmal, dann richtete er sich auf und ging zur anderen Seite des Wagens. In Salzburg setzte er sie in der Hauptgeschäftsstraße ab. „Du gehst am besten in die Läden, in denen wir dein Hochzeitskleid gesucht haben." „Soll ich dich gegen Mittag im Büro abholen?"
„Nein, ich sagte bereits, dass du die Firma meiden sollst. Wir treffen uns um dreizehn Uhr im Cafe Glockenspiel am Mozartplatz. Es ist nicht weit von den Läden entfernt." „Gut." Sie wandte den Blick ab. Brian sollte nicht sehen, dass er sie verletzt hatte. Glaubte er wirklich immer noch, dass sie seine Verhandlungen behindern wollte? Irgendwann musste dieses Misstrauen endlich aufhören. Sie beschloss, Kontakt mit Gerry aufzunehmen. Ob er schon etwas herausgefunden hatte? Der Vormittag verging wie im Flug. Melissa brauchte nicht lange, um das richtige Kleid zu finden. Sie entschied Sich für ein kastanienfarbenes langes Abendkleid mit einem aufregenden Schlitz an der Seite. Es war verhältnismäßig eng geschnitten, aber dennoch bequem, und passte ihr wie angegossen. Als sie sich im Spiegel betrachtete, fand sie sich unwiderstehlich und konnte es kaum abwarten, Brian das Kleid vorzuführen. Leider kostete es ein kleines Vermögen, aber damit hatte sie ohnehin gerechnet. Sie vereinbarte mit der Verkäuferin, das Kleid an Brians Adresse zu schicken, und beschloss, zukünftig in billigeren Boutiquen einzukaufen. Wenn sie so weitermachte, würde ihr Geld alle sein, bevor sie sich neues aus England überweisen lassen konnte. Sie wusste nicht einmal, wie lange so etwas dauern würde. Melissa ging kurz entschlossen zur nächsten Bank und eröffnete ein Konto. Dann telefonierte sie mit ihrer Bank in England und beauftragte den Sachbearbeiter, ihr Guthaben abzüglich zwei Monatsmieten auf das Salzburger Konto zu überweisen. Sie rechnete mittlerweile damit, dass die Verhandlungen sich bis Ende Oktober hinziehen würden. Eher könnte sie nicht wieder nach London zurückkehren, und sie bezweifelte, dass sie mit ihrem Bankguthaben bis dahin auskam.. Wenn nicht irgendetwas geschähe, wäre sie in absehbarer Zeit bankrott. Sie beschloss, notfalls ihre Mutter zu bitten, ihr etwas Geld zu leihen. Da bis zu ihrer Verabredung mit Brian noch viel Zeit war, schlenderte sie durch einige kleine Läden und schaute sich traditionelle österreichische Artikel wie Lodenmäntel, Dirndlkleider, Holzschnitzereien und Keramiken an. Sie blieb vor einer Konditorei mit verlockenden Torten im Schaufenster stehen, und es kostete sie viel Selbstbeherrschung, nicht hineinzugehen. Schließlich kaufte sie sich ein weiteres Kleid für den Fall, dass noch mehr offizielle Anlässe anstanden. Es war azurblau, auf einer Seite schulterfrei und reichte nur bis zu den Knien. Eingewobene Silberfäden ließen den Stoff matt glänzen. Mehr konnte sie sich bis zum Eingang der Geldüberweisung nicht leisten. Melissa kam kurz vor dreizehn Uhr im Cafe Glockenspiel an. Es schien sehr beliebt zu sein, denn die meisten Tische waren bereits besetzt. Auf dem weiträumigen, sonnigen Mozartplatz spazierten zahlreiche Passanten. In der Mitte befand sich ein Springbrunnen, in dessen Fontänen sich das Sonnenlicht brach und einige kleine Regenbögen bildete. Melissa fand den Anblick so hübsch, dass sie stehen blieb. Plötzlich wurde sie vom Ober angesprochen. „Kann ich Ihnen helfen?" „Ich bin hier mit meinem Mann verabredet", erklärte sie. „Dürfte ich seinen Namen erfahren?" fragte er höflich. „Brian Terrell." „Ihr Mann hat einen Tisch reserviert, Frau Terrell. Wenn Sie mir bitte folgen wollen." Er war der Erste, der sie als „Frau Terrell" angeredet hatte, und zum ersten Mal seit der Trauung wurde ihr wieder bewusst, dass sie verheiratet war. Der Ober führte sie zu einem Tisch, der einen fantastischen Blick auf den Springbrunnen und die Passanten bot. Melissa hatte fast ein schlechtes Gewissen, weil sie sich einen schönen Tag machte, obwohl sie eigentlich hätte arbeiten müssen. Und in gewisser Hinsicht verdankte sie es demjenigen, der die Akten in ihren Koffer gesteckt hatte. Erich hatte Brian auf die Akten
hingewiesen. War er für das Ganze verantwortlich? Melissas Lächeln verschwand, und ihr Blick wurde finster. „Fünf Schillinge, wenn du mir deine Gedanken verrätst." Brian zog den Stuhl zurück, der auf der anderen Seite des Tischs stand, und setzte sich. „Ich glaube, so billig verkaufe ich sie nicht. Du musst schon mehr bieten", erwiderte sie fröhlich. Sie freute sich, ihn zu sehen. Brian wurde plötzlich todernst, und Melissa hätte sich auf die Zunge beißen können. Wahrscheinlich glaubte er, dass sie nur auf Geld aus war. Hatte sie gerade seine Vorurteile bestätigt? „Weißt du was? Es ist mir egal, was du von mir denkst", sagte sie verärgert. „Und ich habe keine Lust, mir von dir diesen wunderschönen Tag verderben zu lassen." „Wovon redest du eigentlich? Ich will dir nicht den Tag verderben." „Doch, das tust du. Aber von mir aus kannst du glauben, was du willst." Sie schaute zum Springbrunnen und versuchte zu lächeln. „Ich glaube dir, wenn du die Wahrheit sagst. Aber alles spricht dafür, dass ..." Melissa drehte ihm mit einer heftigen Bewegung das Gesicht zu und hob die Hand. „Kein Wort mehr. Du wolltest nicht, dass ich darüber rede, und ich werde erst darüber sprechen, wenn ich weiß, wer mir die Sache mit den Akten eingebrockt hat. Wärst du so gut, mich nach dem Essen nach Hause zu bringen?" „Ja." Brian beugte sich zu ihr und nahm ihre Hand, führte sie an die Lippen und küsste die Handfläche. Er hielt Melissas Hand lange fest, und ein elektrisierendes, aufregend kribbelndes Gefühl breitete sich von Melissas Arm auf ihren ganzen Körper aus. Sie dachte an die vielen Leute um sie her und wurde plötzlich nervös. Warum tat Brian etwas so Intimes, Romantisches ausgerechnet in der Öffentlichkeit? Legte er es bewusst darauf an, das die anderen im Cafe dabei zusahen? Oder tat er es nur ihretwegen? Zu ihrer Überraschung war die Stimmung während des Essens sehr gut. Sie beobachteten die Spaziergänger auf dem Platz und machten sich über einige lustig. Brian erzählte von Freunden und Bekannten, die sie während der Festspiele kennen lernen würde, und beschrieb sie so lebhaft, dass sie sie sicher erkannt hätte, wenn sie ihnen zufällig auf der Straße begegnet wäre. Sie flirteten während des ganzen Essens, und im Lauf der zunehmend entspannender werdenden Unterhaltung wurde Melissa mutiger. Schließlich lachte Brian über ihre herausfordernden, frechen Bemerkungen. „Nehmen Sie sich in Acht mit Ihren Vorschlägen, Mrs. Terrell. Ich könnte darauf eingehen." Er senkte den Blick auf ihren Körper. Für einen Moment wünschte sie, er würde es tatsächlich tun. Dann wäre er mit ihr zu jener Blumenwiese gefahren und hätte sie inmitten der freien Natur geliebt. Es wäre herrlich, dort den ganzen Nachmittag mit ihm zu verbringen und alles andere auf der Welt zu vergessen. Melissa schaute auf sein weißes Hemd und die silberfarbene Krawatte. Sie stellte sich ihn nackt im Gras liegend vor, wünschte, er würde ihr alles geben, wie in der Hochzeitsnacht, und vielleicht noch mehr ... Brian umfasste ihr Kinn und hob behutsam ihren Kopf. „Du hast schon wieder diesen seltsamen, nachdenklichen Blick. Wenn ich nur wüsste, woran du gerade denkst. Willst du es mir nicht sagen?" „Ich habe mir gerade vorgestellt, wie wir uns auf unserer Blumenwiese geliebt haben", sagte sie wahrheitsgemäß und lachte, als sie seinen schockierten Gesichtsausdruck sah. „Deine Scherze könnten dich eines Tages in Schwierigkeiten bringen." Melissa stand auf und nahm ihre Handtasche. Dann bückte sie sich zu ihm und sah ihm tief in die blauen Augen.
„Brian, du wirst im Leben viel versäumen, wenn du mir nichts glaubst. In diesem Fall versäume auch ich viel, aber daran ist wohl nichts zu ändern. In einigen Wochen ist ja sowieso alles vorbei." Brian stand auf und warf eine Hand voll Schillinge auf den Tisch. Dann nahm er ihren Arm und drängte sie geradezu aus dem Cafe. „Bevor du an unserem Hochzeitstag eingeschlafen bist, sagte ich dir noch, dass unsere Ehe nicht annulliert wird. Hast du es gehört?" „Ich habe es zwar gehört, aber nicht verstanden. Eine Annullierung wäre doch viel unkomplizierter als eine Scheidung." Er holte tief Luft, bevor er antwortete. „Eigentlich sollte ich sofort nach unserer Ankunft zu Hause mit dir ins Bett gehen und dich bis morgen dabehalten. Ich wüsste gern, ob dir das gefiele", sagte er wütend. Melissa zweifelte daran nicht. „Nicht, wenn du wütend bist, Brian. So nicht." Sie waren bei seinem Wagen angekommen. Brian drehte Melissa zu sich um und drückte sie mit seinem Körper an die Wagentür. „Nicht so? Wie denn? Was erwartest du eigentlich von mir?" „Vielleicht Liebe", erwiderte sie zögernd. „Sprich nicht von Liebe, Melissa. Wir wissen beide gut genug, warum du mich geheiratet hast. Du wolltest dir Schande und großen Ärger ersparen." „Aber warum hast du mich geheiratet?" fragte sie mit weicher Stimme. Sein Körper, so dicht bei ihrem, war wie ein sicherer Hafen, der sie vorm Rest der Welt schützte. Sie hatte keine Angst vor ihm, sondern eher vor ihren Gefühlen. Sie liebte ihn, auch wenn er ihr gegenüber so feindselig war. „Um dich von den Geschäften fern zu halten. Ich wollte die Verhandlungen retten." „Das glaube ich dir nicht", entgegnete sie. „Nenn mir einen anderen Grund." „Ich weiß keinen anderen, aber man heiratet nicht aus dem Grund, den du mir genannt hast." Brian griff hinter sie und öffnete die Wagentür. Nachdem Melissa eingestiegen war, machte er sich nicht die Mühe, ihr den Sicherheitsgurt anzulegen, sondern schlug die Tür mit lautem Knall zu. Dann ging er um den Wagen und setzte sich ans Steuer. „Du kannst mir ruhig glauben", sagte er barsch. Dann legte er den ersten Gang ein und fuhr los.
9. KAPITEL Melissa machte sich für das erste Konzert der Salzburger Festspiele besonders sorgfältig zurecht. Sie hatte sich nie träumen lassen, einmal bei diesem berühmten Ereignis dabei zu sein. Das Konzert fand in der Philharmonie statt, wo schon Mozart dirigiert hatte. Je mehr Melissa über Salzburgs Geschichte erfuhr, die sich durchaus mit der Londons messen konnte, desto beeindruckter war sie. Melissa hatte die Haare so hoch gesteckt, dass lockige Haarsträhnen über Nacken und Ohren fielen. Ihre kleinen weißen Perlenstecker passten gut zur hübschen Perlenkette, die sie von ihrer Patentante zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Und das Kleid war einfach traumhaft schön. Während sie sich im Spiegel betrachtete, fragte sie sich, ob Brian mit ihrem Aussehen zufrieden sein würde. Der kastanienbraune Stoff passte wunderbar zu ihrem Teint, und ihre Wangen waren rosig, ohne dass sie Rouge aufgetragen hatte. Das Dekollete ließ die sanften Rundungen ihrer Brüste erahnen. Sie ging ein paar Schritte und genoss es, wie der Schlitz des Kleids während des Gehens den Blick auf den schwarzen Seidenstrumpf freigab. Dann setzte sie Sich auf einen Stuhl, um sich zu vergewissern, dass der Schlitz beim Sitzen nicht anstößig wirkte. Brian unterhielt sich im Flur gerade mit Marta, als Melissa die Treppe hinunterging. „Oh, Frau Terrell, Sie sehen wundervoll aus", rief Marta, als sie sie sah. „Wirklich ganz bezaubernd." Brian ging ihr einige Schritte entgegen. „Absolut perfekt." Melissa lächelte. Sie hätte ihm beinahe abgenommen, dass er wirklich meinte, was er sagte. Aber sie wusste, dass er es nur gesagt hatte, weil Marta dabei war. Marta wünschte den beiden einen schönen Abend und zog sich zurück. Als sie fort war, sah Brian Melissa genauer an. „Ich traue mich kaum, dich zu berühren. Hoffentlich verwische ich nicht dein Make-up." Er beugte sich zu ihr herab und küsste sie auf den Hals. Melissa erschauerte und konnte kaum atmen. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Körper in heiße Lava zerschmolz, und hielt sich an Brians Schultern fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Doch sie brachte es nicht fertig, ihm zu sagen, dass er aufhören solle. Er richtete sich auf und nahm ihre Hände, um beide Handflächen zu küssen. Dann ließ er die Hände sinken und ging einen Schritt zurück. Er betrachtete Melissa von Kopf bis Fuß. „Hast du ein Tuch oder etwas Ähnliches, um dir die Schultern zu bedecken? Die Abendluft ist sehr kühl." „Ja." Sie schaute sich um. Das Tuch war auf den Boden gefallen, als Brian sie geküsst hatte. Er bückte sich und hob es auf. Nachdem er es ihr über die Schultern gelegt hatte, lehnte er seine Stirn an ihre. „Vielleicht solltest du das Tuch die ganze Zeit anbehalten. Die anderen Männer wollen das Konzert hören und sich nicht von einer aufregenden Frau ablenken lassen." Melissa errötete. Sie wollte nur einen einzigen Mann ablenken. Die anderen waren ihr gleichgültig. Auf dem Weg zur Tür sah Brian, wie der tiefe Schlitz des Kleids eins ihrer langen Beine freigab, und stieß einen leisen Pfiff aus. „Ein Mann kann nur ein gewisses Maß an Aufregung vertragen, Melissa." Seine Augen glänzten vor Verlangen. „Magst du mein Kleid nicht, Brian?" fragte sie herausfordernd. Sie fühlte, dass sie ihm nur auf der sinnlichen Ebene beikommen konnte, und es machte ihr Spaß, ihre Macht über ihn auszuspielen. Als sie das Foyer der Philharmonie betraten, waren bereits unzählige Frauen in prächtigen Abendkleidern und Männer in eleganten Anzügen versammelt. Brian traf einige befreundete
Paare in der Menge und stellte ihnen Melissa vor. Da es sehr warm war, nahm sie das Tuch ab. Brian hängte es sich über den Arm und legte den anderen Melissa um die Hüfte. Melissa sah zu ihm auf und rang sich ein Lächeln ab. Sie wusste, dass seine vertraulichen Berührungen nur Show für seine Freunde waren. Und sie hatte sich einverstanden erklärt, in der Öffentlichkeit seine ihn liebende Ehefrau zu spielen. Wie gern hätte sie ihm ihre wahren Gefühle gezeigt. Und es wäre wunderbar gewesen, wenn er ihre Gefühle erwidert hätte. Als sie im Konzertsaal Platz genommen hatten, nahm Brian ihre Hand und streichelte sie, was Melissa ungeheuer nervös machte. Ein prickelndes Gefühl durchflutete ihren Körper und lenkte sie vom exzellenten Konzert ab. Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und versuchte, sich auf die wunderbare Musik zu konzentrieren, aber immer wieder schweifte sie mit ihren Gedanken ab. Sie fühlte nur Brians Berührung und dachte an ihre Hochzeitsnacht. Ihre Erinnerung daran war noch immer lebendig wie am ersten Tag. Sie lehnte sich bei Brian an. Er hob ihre Hand an seine Lippen und küsste ihre Finger. Plötzlich nahm er ihren Zeigefinger in den Mund und berührte ihn sanft mit den Zähnen. Melissa schloss die Augen. Sie hörte die Musik nicht mehr, und ihr Herz pochte immer schneller. Fast hätte sie vor Verlangen gestöhnt. Warum tat er das? In der dunklen Konzerthalle konnte niemand sie sehen. Es gab also keinen Grund, das leidenschaftlich verliebte Paar zu spielen. Melissa öffnete den Mund, weil ihr das Atmen schwer fiel. Nach dem Ende des ersten Konzertstücks ließ Brian sie los, um in den Applaus einzustimmen. Doch als der nächste Teil begann, nahm er wieder ihre Hand. Melissa drückte sie vorsorglich nach unten, möglichst weit weg von seinen. Lippen. Doch mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass ihrer beider verschränkten Hände nun genau am Schlitz ihres Kleides lagen. Sie fühlte Brians Finger über den weichen Seidenstrumpf gleiten. Vom Bein aus breitete sich ein Hitzegefühl in ihrem ganzen Körper aus. Während Musik den Konzertsaal erfüllte, riefen Brians unglaublich sanft und verführerisch streichelnde Finger bei Melissa Liebe und sinnliches Verlangen hervor. Sie konnte kaum stillsitzen. Als mit Beginn der Pause die Lichter angingen, ließ Brian ihre Hand los. „Wenn wir das nächste Mal in ein Konzert gehen, möchte ich, dass du Handschuhe und ein geschlossenes Kleid trägst", sagte er heiser. Melissa sah ihn mit glänzenden Augen an. Dann wandte sie den Blick ab und betrachtete die anderen Zuschauer, von denen die meisten aufgestanden waren und zu den Ausgängen in Richtung Foyer strömten. „Ich ziehe an, was ich will. Lass deine Hände gefälligst bei dir", flüsterte sie, um kein Aufsehen zu erregen. Brian beugte sich zu ihr. Im ersten Moment dachte Melissa, dass er sie küssen wollte, aber er schaute nur auf ihre glänzenden Lippen. „Du bist einfach zu verführerisch. Wenn hier nicht so viele Menschen wären, würde ich es auf der Stelle mit dir treiben -gleich hier und jetzt. Aber mein Wagen steht ganz in der Nähe. Es wäre zwar nicht das Bequemste, aber ..." Melissa konnte es kaum fassen. Er begehrte sie! „Benimm dich", sagte sie. Sie spürte noch immer ein Kribbeln an der Stelle, die seine Finger zärtlich gestreichelt hatten, und ihr Körper bebte noch immer vor Verlangen. Wieder nahm er ihre Hand und küsste sie, wobei er Melissa tief in die Augen sah. „Komm." Er stand auf. „Eine kleine Erfrischung wird uns ein wenig abkühlen." Melissa folgte ihm mit zitternden Beinen ins Foyer. Doch an eine Atempause im Foyer war nicht zu denken. Brian holte zwei Gläser Wein und führte Melissa anschließend zu einigen Bekannten, von denen sie einige bereits kennen gelernt hatte. Auch Karl Müller und seine Frau waren dabei. Sie nickte ihm freundlich zu und fragte sich insgeheim, ob er es gewesen war, der ihr die Akten zugesteckt hatte. Es war schrecklich, dass sie jeden verdächtigte, der mit der Austerling GmbH zu tun hatte. Ihr wurde
plötzlich bewusst, dass sie der Lösung ihres Problems noch keinen Schritt näher gekommen "war. Dennoch war sie fest entschlossen, den Fall weiterzuverfolgen. Als Brian ihr eine Hand auf die bloße Schulter legte, hätte sie beinahe ihr Glas fallen lassen. Sie versuchte vergeblich, gelassen zu bleiben. Die Berührung seiner warmen Finger war aufregend genug, doch dann strich er ihr auch noch sanft über den Hals. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass niemand von den anderen ihre Erregung spürte. Melissa ließ sich von seiner Unschuldsmiene nicht täuschen. Er wusste genau, was er tat. Sie wünschte, den Spieß umdrehen und sich in passender Weise revanchieren zu können. Als das Konzert zu Ende ging, war Melissa mit den Nerven völlig am Ende. Sie stellte sich vor, dass Brian in dieser Nacht zu ihr kommen und mit ihr schlafen würde, wie in der Hochzeitsnacht. An etwas anderes konnte sie kaum noch denken. Wegen der vielen Konzertbesucher, die aus der Philharmonie drängten, dauerte es eine Weile, bis Melissa und Brian im Wagen saßen. Dann folgten entnervende Minuten im zähflüssigen Stadtverkehr. „Ich fand es schön, deine Freunde kennen zu lernen." Vor allem einige der Frauen waren Melissa sehr sympathisch gewesen. Vielleicht boten sich Gelegenheiten, Freundschaften zu schließen. Andererseits lohnte sich das kaum, da sie ja nicht mehr allzu lange in Salzburg bleiben würde. „Wir müssen langsam anfangen, Gäste zu uns einzuladen", meinte Brian. „Ich wusste nicht, dass du Karl Müller zu deinen Freunden zählst. Ich dachte, er arbeitet für dich." Sie überlegte, ob sie ihm sagen sollte, dass sie ihn zum Kreis der Verdächtigen zählte. „Karl ist schon viele Jahre in der Firma tätig, und zwar schon als junger Mann, und war schon lange vor mir dabei. Ich betrachte ihn als Freund, obwohl wir uns kaum außerhalb der Firma treffen." Melissa schwieg lange und betrachtete die Cafes und die alten Steinhäuser, an denen sie vorbeifuhren. „Worüber denkst du nach?" fragte er. „Karl könnte einer derjenigen sein, die deine vertraulichen Akten in meinen Koffer gelegt haben", antwortete sie. „Hör endlich mit dem Unsinn auf, Melissa. Ich verstehe nicht, warum du immer wieder damit anfängst. Dadurch ändert sich doch nichts." „Ich fange immer wieder damit an, weil ich es nicht mag, dass man mich eines Diebstahls bezichtigt, den ich nicht begangen habe", erwiderte sie wütend. „Ich mache Fehler wie jeder andere Mensch auch, übernehme aber immer die Verantwortung dafür. Ich habe deine Akten nicht angerührt. Welche Vorteile hätte ich davon haben sollen?" „Deine Firma hätte Vorteile gehabt. Vielleicht wäre für dich eine Beförderung oder eine saftige Prämie dabei herausgesprungen." „Du bist engstirnig und stur, Brian Terrell. Warum gehst du nicht nur ein einziges Mal davon aus, dass ich dir die Wahrheit sage, statt immer nur Gründe für meine vermeintliche Schuld zu suchen? Es wäre besser für dich." Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute wieder aus dem Fenster. Alle ihre Hoffnungen auf eine Liebesnacht waren plötzlich verflogen. Sie war so wütend, dass es ihr in diesem Moment ganz gleich gewesen wäre, hätte er sich für immer von ihr verabschiedet. Die weitere Fahrt verlief in angespannter Atmosphäre. Als sie vor dem Haus hielten, öffnete Melissa den Sicherheitsgurt und stieg aus, ohne Brian Gelegenheit zu geben, ihr die Tür zu öffnen. Sie ging sofort ins Haus und dann gleich weiter auf ihr Zimmer. Aus Rücksicht auf Max schloss sie leise die Tür hinter sich, aber am liebsten hätte sie diese vor Wut laut zugeknallt.
Am nächsten Morgen war Melissas Zorn verflogen, doch Brian ließ sich an den beiden darauf folgenden Tagen nicht sehen. Sie vermisste ihn sehr. Es tat ihr zwar weh, dass er ihr noch immer misstraute, aber ohne ihn fehlte ihr etwas. Sie hätte ihn gern dabeigehabt, wenn sie mit Max zusammen war, und sehnte sich nach seinem Lächeln. Wo war er nur die ganze Zeit? Hatte er geschäftlich zu tun, oder ging er ihr nur aus dem Weg? Dann kam der Tag, an dem sie abends zum Ballett gehen wollten. Melissa zog das blaue Kleid an, das sie sich ebenfalls in Salzburg gekauft hatte. Die linke Schulter und der linke Arm waren frei, während der rechte Arm in einem langen Ärmel steckte. Melissa machte sich die gleiche Frisur wie im Konzert und versuchte, die dunklen Schatten unter ihren Augen zu überschminken. Seit Brian fort war, hatte sie kaum noch schlafen können. Als sie fertig war, ließ sie sich von Max bewundern. Die beiden waren sich in den vorherigen Tagen noch näher gekommen. Melissa schloss den außergewöhnlichen und liebenswerten Jungen immer mehr ins Herz. „Du siehst toll aus, Mama", sagte er ehrfürchtig, während er sie von Kopf bis Fuß betrachtete. „Danke." Sie wirbelte herum und lachte, wobei Max begeistert in die Hände klatschte. „Hat Daddy dich schon gesehen?" „Er tut es gerade", sagte Brian in diesem Augenblick von der Tür her. Melissa drehte sich überrascht um. „Ich wusste nicht, dass du schon zu Hause bist", sagte sie überglücklich. „Ich kam gerade die Treppe hoch, als du zum Kinderzimmer gegangen bist. Max hat Recht. Du siehst wirklich toll aus. Aber eigentlich siehst du immer toll aus." Sein Kompliment tat ihr gut, und sie lächelte ihn fast schüchtern an. „Ziehst du dich auch schick an, Daddy?" fragte Max. „Ja, und Melissa wird mich begleiten." Er nahm ihren linken, nackten Arm und schob sie mit sanfter Gewalt aus dem Zimmer. „Wir kommen noch einmal zu dir, bevor wir gehen, Max." Brian führte Melissa den Flur entlang und zog sie mit sich in sein Schlafzimmer. Sie hatte es noch nie betreten und schaute sich neugierig um. Das große massive Bett, das an einer Wand stand, fiel ihr besonders auf. Das Kopfende war fast zwei Meter hoch und mit Schnitzereien verziert. Offenbar brauchte Brian viel Platz zum Schlafen. An den Fenstern hingen schwere marineblaue Vorhänge, und auf dem Bett lag eine dunkelbraune Decke. Die ganze Einrichtung ließ männlichen Geschmack erkennen, und nichts deutete auf den Einfluss einer Frau hin. Ob er nach Louisas Tod alle Spuren von ihr beseitigt hatte? „Louisa und ich haben nie zusammen in diesem Raum geschlafen", erklärte Brian, als er Melissas nachdenklichen Blick sah. Sie schaute ihn überrascht an. Konnte er etwa Gedanken lesen? „Unser früheres Schlafzimmer ist gegenüber von deinem Zimmer." Er ließ den Blick von ihrem Gesicht zu der bloßen linken Schulter schweifen. „Ich habe dich einige Tage nicht gesehen", sagte Melissa, um das peinliche Schweigen zu brechen. Es machte sie verlegen, wie er sie ansah. „Ich war auf Geschäftsreise." Er drehte sich um und zog sein Jackett aus. Nachdem er es aufs Bett gelegt hatte, nahm er die Krawatte ab und warf sie dazu. Melissa befeuchtete sich nervös die Lippen. Wollte er etwa, dass sie zusah, wie er sich auszog und für den Abend zurechtmachte? Melissa konnte einfach nicht den Blick von ihm abwenden. Als er sein Hemd aufgeknöpft hatte, lehnte sie sich an die Tür. Brian rieb sich Kinn und Wangen.
„Ich muss mich rasieren. Wir können uns im Bad weiter unterhalten." Er ging ins Bad, und Melissa folgte ihm zögernd. Dort zog er sein Hemd aus und warf es in einen großen Wäschekorb. Sie blieb an der Tür stehen und beobachtete die Bewegungen seiner ausgeprägten Muskeln, als er die Bartstoppeln einseifte. Im Spiegel sah sie die gekräuselten blonden Haare auf seiner Brust. Am liebsten hätte sie seinen warmen muskulösen Körper an ihrem gespürt, wie in der unvergesslichen Hochzeitsnacht. Brian sah im Spiegel, dass sie ihn anschaute, und sah plötzlich sehr ernst aus. „Und was habt ihr beide, du und Max, in der Zwischenzeit gemacht?" „Wo warst du?" Sie trat an ihn heran, ohne den Blick von ihm zu wenden. Dieser Mann war einfach umwerfend. Wie hatte er so lange allein leben können? Wusste er nicht, welche Wirkung er auf Frauen hatte? Er war zweifellos der bestaussehende Mann, der ihr je begegnet war. Sie schaute auf seine Taille und den geöffneten Gürtel, dann wieder auf sein Gesicht. Sein triumphierendes Lächeln verriet ihr, dass er ihren Blick bemerkt hatte. „Ich musste geschäftlich nach Wien. Ich hätte es dir nach dem Konzert gesagt, wenn du dich nicht so überstürzt zurückgezogen hättest. Hast du mich vermisst?" fragte er, während er sich vorsichtig den Hals rasierte. „Ja." Sie hatte ihn noch nie belogen und wollte es auch in Zukunft nicht tun. „Aber Max und ich hatten viel Spaß. Gestern waren wir im Mirabellengarten. Max war fasziniert von den Gartenzwergen, und ich fand es schön, am Fluss spazieren zu gehen. Später waren wir in einem Cafe, und dann sind wir nach Hause gefahren." Es hatte sie ihr letztes Geld gekostet, aber das war es ihr wert gewesen. Max war zum ersten Mal dort gewesen und hatte großen Spaß gehabt. „Wir können einmal nach Schloss Hellbrunn fahren", schlug Brian vor, während er sich den restlichen Schaum vom Gesicht wusch. „Das wäre genau das Richtige für Max. Dort gibt es Springbrunnen, die in bestimmten Abständen über die Gehwege spritzen. Wenn man nicht rechtzeitig ausweicht, wird man nass." „Das hört sich gut an. Es müsste aber bald sein, da Max in einigen Tagen wieder zur Schule muss", gab Melissa zu bedenken. Brian ließ das Handtuch sinken. Er drehte sich zu ihr um und kam langsam auf sie zu. Beim Anblick seiner breiten, kräftigen Brust befeuchtete sie sich nervös die Lippen mit der Zunge. Als Brian vor ihr stehen blieb, schaute sie ihm ins Gesicht, das ihrem immer näher kam. Dann schloss sie die Augen. Seine Lippen schmeckten kühl, und der würzige Duft seines After Shaves betörte ihre Sinne. Sie drückte sich an ihn und öffnete bereitwillig die Lippen, doch Brian wich ihr einige Male aus, bevor er ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss eroberte. Seine Lippen, seine Zunge und Zähne waren für Melissa jetzt die einzige Realität, und alles andere um sie her schien zu verblassen. Sie merkte kaum, dass er den Reißverschluss ihres Kleids öffnete und es ihr bis zur Taille abstreifte. „Du liebe Güte, du trägst ja nicht einmal einen Büstenhalter." „Brian." Sie wich zurück und griff nach ihrem Kleid, während sie Brian mit der anderen Hand wegschieben wollte. Doch dann fühlte sie die Haare auf seiner Brust und konnte nicht anders, als sie sanft zu streicheln. Er schaute auf ihre Brüste und umfasste eine. Sein Daumen strich zärtlich über den dunklen, rosigen Kreis, der die langsam härter werdende Knospe umschloss. Melissa stöhnte leise. Sie wollte mehr, sie sehnte sich danach, dass er sie verwöhnte, wie er es in jener Nacht getan hatte. Er fuhr fort, bis sie ihr quälendes Verlangen kaum noch ertragen konnte. Erst jetzt nahm er die aufgerichtete Knospe in den Mund. Die Berührung war unbeschreiblich. Melissa drückte Brians Kopf an sich, und Brian legte einen Arm um sie und zog sie dicht an sich. Als
er an der Knospe saugte, hatte sie das Gefühl, rettungslos in einem Strudel aus Lust und Verlangen zu versinken. Sie presste sich hemmungslos vor sinnlicher Begierde an ihn, in dem Wunsch, Brian das lodernde Feuer löschen lassen, das er in ihr entzündet hatte. Nun widmete er sich ihrer anderen Brust, die er genüsslich mit Lippen und Zunge verwöhnte, bis Melissa es nicht mehr aushalten konnte. „Brian", hauchte sie, drauf und dran, sich auf den Boden sinken zu lassen, wenn Brian nicht sofort aufhörte. Er blickte hoch und küsste sie dann leidenschaftlich auf den Mund, wobei er sie fest an seine harte, warme Brust zog. Das Klopfen an der Tür kam für beide überraschend. Melissa machte sich langsam von Brian los. „Herr Terrell? Möchten Sie und Ihre Frau noch essen, bevor Sie aufbrechen?" rief Marta. Brian atmete tief ein, schob Melissa ins Bad und machte die Tür halb zu. Dann ging er zur Zimmertür und öffnete sie einen Spalt, um mit Marta zu reden. Melissa verstand nichts von der Unterhaltung und nutzte die Zeit, um sich wieder richtig anzuziehen und zurechtzumachen. Als sie in den Spiegel blickte, sah sie, dass ihre Lippen geschwollen waren und rosiger als sonst aussahen. Ihr Haar war ein wenig zerzaust und der Lippenstift verwischt. Ihr war noch immer weich in den Knien, und ihr ganzer Körper sehnte sich nach Brians Berührungen. Nachdem Marta gegangen war, verließ Melissa das Bad. „Ich muss in mein Zimmer zurück, um mein Make-up wieder in Ordnung zu bringen." Ohne Brian anzusehen, ging sie zur Tür. „Ich bin in zehn Minuten fertig", erwiderte er so kühl, wie sie es von ihm gewöhnt war. Nichts an ihm erinnerte noch an die aufregende Szene, die sich vor wenigen Augenblicken in diesem Zimmer abgespielt hatte. Melissa hätte beinahe geweint. Das Ballett war einfach wundervoll. Brian schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein und ließ Melissa diesmal in Ruhe, so dass sie sich ganz auf die Veranstaltung konzentrieren konnte. Hinterher gingen sie mit Freunden von ihm essen. Offenbar hatte er vergessen, dass sie in der Öffentlichkeit als verliebtes Paar auftreten wollten. Er behandelte Melissa zwar höflich und zuvorkommend, aber eher wie eine Geschäftsfreundin als wie eine geliebte Ehefrau. Auch in dieser Nacht musste sie allein schlafen. Ihr blieben nur die Erinnerungen an ihre einzige Nacht mit ihm und die Hoffnung, dass sich bald eine neue Gelegenheit bieten würde. Am nächsten Morgen fühlte Melissa sich nicht besonders wohl. Beim Essen mit den Freunden waren Brian und sie zu zwei weiteren Veranstaltungen im Rahmen der Salzburger Festspiele eingeladen worden, und Melissa wusste nicht, was sie anziehen sollte. Sie brauchte dringend neue Kleidung, hatte aber kein Geld mehr. Leider hatte Brian die Einladungen angenommen, ohne Melissa vorher zu fragen. Der Gedanke an ihre finanzielle Situation ließ sie den ganzen Tag nicht mehr los. Sie konnte sich weder auf die Spiele mit Max noch auf Martas Fragen konzentrieren. Außerdem vergaß sie, Gerry anzurufen und sich nach dem Stand der Verhandlungen zu et kundigen. Irgendetwas musste geschehen. Selbst wenn die erwartete Überweisung aus England käme, wäre ihr Problem langfristig nicht gelöst. Das Ende ihrer jetzigen Lage war noch nicht abzusehen, so dass ihre finanziellen Reserven vermutlich vor ihrer Rückkehr nach England erschöpft sein würden. Noch beim Abendessen quälten sie diese Gedanken. Es kam nur eine oberflächliche Unterhaltung zu Stande, doch Brian schien damit zufrieden zu sein. Als Melissa nach dem Essen aufstehen und sich zurückziehen wollte, legte Brian ihr eine Hand auf den Arm.
„Warte. Ich habe etwas für dich." Er zog ein schmales Päckchen aus seiner Jacketttasche und überreichte es ihr. Es war in Silberpapier eingewickelt und mit einer weißen Schleife verziert. Was kann es nur sein? dachte Melissa gespannt, während sie es neugierig auspackte. Er hatte ihr nie zuvor etwas geschenkt. Dann öffnete sie den Deckel und sah, was es war: ein wunderschönes Kollier, besetzt mit tiefblauen Saphiren und Diamanten, die in allen Regenbogenfarben funkelten. Außerdem enthielt die Schachtel zwei dazu passende Ohrringe. Melissa sah das Prachtstück lange an. Dann schloss sie die Schachtel und schob sie Brian zu. „Vielen Dank, aber ich kann es nicht annehmen", sagte sie und stand auf. „Und warum nicht?" fragte er geradezu enttäuscht. „Es geht einfach nicht." Sie senkte verletzt den Blick. Warum führte Brian sie auf solche Weise in Versuchung? „Ich möchte aber, dass du es annimmst." Er stand ebenfalls auf und kam um den Tisch zu ihr. Sie hob stolz den Kopf und sah Brian selbstbewusst an. Dass sie plötzlich wütend wurde, machte es ihr leichter, standfest zu bleiben. „Du hast darauf bestanden, dass ich den Ehevertrag unterschreibe. Offenbar fürchtest du, dass ich die Situation ausnutze und mich auf deine Kosten bereichere. Ich würde vielleicht einen Blumenstrauß von dir annehmen, aber nicht eine solche Kostbarkeit wie dieses Kollier. Es muss dich ein Vermögen gekostet haben. Ich werde dir nie einen Grund geben, mich für berechnend oder geldgierig zu halten." „Aber dieses Geschenk hat doch nichts mit dem Ehevertrag zu tun, Melissa." „So? Und wie steht es mit den Akten, die in meinem Koffer waren? Glaubst du immer noch, dass ich sie gestohlen habe?" fragte sie herausfordernd. Brian schaute auf den Schmuck. „Es hat auch nichts mit den Akten zu tun. Ich wollte doch nur, dass du das Kollier zu einem deiner neuen Kleider trägst. Es würde wundervoll zu dem Kleid passen, das du gestern Abend anhattest." „Dann ist es also eine Art Leihgabe für die Abende, an denen wir ausgehen?" „Nein. Es ist ein Geschenk für dich", erwiderte er verärgert. „Und was ist, wenn ich abreise? Wirfst du mir dann vor, dass ich mir etwas von deinem Vermögen angeeignet habe? Nein, danke." Sie wollte an ihm vorbei zur Tür gehen, doch er hielt sie fest. „Es ist doch nichts dabei, wenn ein Mann seiner Frau ein Geschenk macht." „In einer normalen Ehe vielleicht nicht. Aber in einer normalen Ehe lieben sich die Partner und haben Vertrauen zueinander. Sie unterstützen und helfen sich gegenseitig. Unsere Verbindung ist dagegen nur ein schlechter Witz. Du hast nicht einmal eine Spur von Vertrauen zu mir. Und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe." Melissa machte sich mit einer heftigen Bewegung von ihm los und eilte aus dem Zimmer. Das Kollier war wirklich herrlich, und sie hätte sich wahnsinnig darüber gefreut, wenn er es ihr aus Liebe geschenkt hätte. Wie schön wäre es gewesen, wenn er es ihr angelegt, sie sanft geküsst und ihr gesagt hätte, dass er sie liebe. Sie wollte nichts von ihm als Liebe. Aber dieses wertvollste aller Geschenke konnte er ihr nicht geben.
10. KAPITEL Am nächsten Morgen wartete Melissa, bis Brian das Haus verlassen hatte. Erst dann ging sie frühstücken. Sie wollte ohne Brians Wissen nach Salzburg fahren, und in ihrer Tasche hatte sie ihre Perlenkette. Sie beabsichtigte, sie einem Pfandleiher anzubieten, vorausgesetzt, sie bekäme genug Geld dafür, um bis zur Geldüberweisung aus England über die Runden zu kommen. Später hoffte sie, sie wieder auslösen zu können. Während sie allein im stillen Esszimmer Frühstück aß, fragte sie sich, wie lange es noch dauern würde, bis der Vertrag mit Larbard Industries unter Dach und Fach sein würde. Kurz nach der Hochzeit hatte sie Mr. Millan angerufen, um ihm mitzuteilen, dass sie kündigen wolle, worauf er ihr versichert hatte, dass sie zu jeder Zeit eine Stelle bei Larbard bekommen würde, falls sie eines Tages wieder arbeiten wolle. Was würde er wohl denken, wenn es schon einige Wochen nach der Hochzeit wäre? Melissa hatte sich mit Gerry zum Essen verabredet, um mit ihm über mögliche Schritte zur Klärung der mysteriösen Vorfälle zu sprechen, die Schuld an Melissas Misere waren. Sie war fest entschlossen, die Sache aufzuklären und Brian zu beweisen, dass sie keine Diebin war. Nach dem Frühstück bestellte sie ein Taxi, das sie in die Innenstadt brachte. Nach kurzer Suche fand sie eine Pfandleihe und ging selbstbewusst hinein. Es war schließlich keine Schande, wenn es einem einmal finanziell schlecht ging. Außerdem würde sie die Kette in einigen Tagen sowieso wieder auslösen. Der Pfandleiher war sehr freundlich, aber dennoch war ihr die Situation ausgesprochen peinlich, und es fiel ihr nicht leicht, ihm das wunderschöne Schmuckstück zu überlassen. Er versprach ihr, es erst nach zwei Wochen zu verkaufen. Bis dahin würde das Geld aus England sicher eingegangen sein. Sie hatte jedoch das unbestimmte Gefühl, dass der Pfandleiher nicht mit der Auslösung rechnete. Dummerweise hatte sie ihm ihren Namen und ihre Adresse nennen müssen. Sie hoffte, dass er sich nicht mit Brian in Verbindung setzen würde. Anschließend kaufte sie sich zwei Kleider für die anstehenden Veranstaltungen, so dass sie insgesamt zwischen vier Kleidern wählen konnte. Mehr würde sie nicht brauchen, ganz gleich, wie viel Einladungen noch auf sie zukamen. Gerry saß bereits im Restaurant, als sie dort ankam. Sie begrüßte ihn und setzte sich zu ihm an den Tisch. „Ich habe alle ungeklärten Zwischenfälle in der Firma aufgelistet", sagte er und schob ihr ein Papier zu. „Was hältst du davon?" Melissa las die Liste aufmerksam durch und versuchte, typische Merkmale und Übereinstimmungen der einzelnen Fälle herauszufinden, die auf den Schuldigen hätten hinweisen können. Nach Melissas Ausscheiden hatte es weitere Vorkommnisse gegeben, doch sie waren nicht beweisbar. Was würde Brian denken, wenn man ihm davon erzählen würde? Würde er weiterhin annehmen, dass die englische Delegation dahinter steckte? War er so verbittert und blind, dass er gar nicht erst auf die Idee kam, dass jemand aus seiner Firma der Drahtzieher der mysteriösen Vorfälle sein könnte? „Wie gehen die Verhandlungen voran?" fragte Melissa, während sie noch immer die Liste durchsah und nach Anhaltspunkten suchte, die sie weiterbringen würden. „Sie haben sich auf Grund der Umstände verzögert, aber wir sind beim letzten Verhandlungspunkt. Terrell braucht nur noch zu unterschreiben, und das Geschäft ist perfekt." Melissa lehnte sich zurück und blickte Gerry nachdenklich an. „Ich habe eine Idee. Vielleicht klappt es, vielleicht aber auch nicht. Könntest du Brian eine Mitteilung machen, ohne dass du sie ihm direkt gibst? Vielleicht so, dass ein Tag und eine Nacht dazwischenliegen?" Gerry dachte einen Moment nach.
„Ich könnte warten, bis Brian die Firma verlassen hat und ihm dann einen wichtigen Bericht hinterlegen. Er würde ihn also, erst am nächsten Tag bekommen. Glaubst du, dass der Übeltäter ihn verschwinden lässt?" „Entweder das, oder er verändert ihn inhaltlich. Vielleicht liest er ihn aber auch nur durch, um den Inhalt noch vor Brian zu kennen. Was hältst du davon?" „Das ist doch nicht alles, oder?" hakte Gerry nach. „Natürlich nicht", erwiderte Melissa lächelnd. „Ich werde dort sein, um ihn oder sie auf frischer Tat zu ertappen." „Nein, das ist viel zu gefährlich." „Warum?" „Weil der- oder diejenige wahrscheinlich um keinen Preis entdeckt werden will. Wer weiß, was dir alles passieren kann, wenn du allein dort bist." „Ich muss die Sache aber unbedingt aufklären, Gerry." „Ich komme mit dir." „Nein, das geht nicht. Die Person könnte überprüfen, wer das Gebäude verlassen hat. Du musst mir helfen, ungesehen in die Firma zu kommen. Ich schließe mich in der Damentoilette ein, und wenn es dunkel geworden ist, verstecke ich mich im kleinen Nebenraum des Konferenzzimmers. Niemand wird merken, dass ich da bin." Gerry überlegte. Schließlich nickte er. „Gut, Melissa. Aber hoffentlich weißt du, was du tust." „Ich will wissen, wer die Akten in meinen Koffer gelegt hat", sagte sie mit fester Stimme. Sie arbeiteten den Plan in allen Einzelheiten aus, und nach dem Essen nahm Melissa ein Taxi nach Hause. Den restlichen Tag verbrachte sie mit Max. Erst waren sie im Wald, später gingen sie ins Kinderzimmer. Sie spielten gerade mit Max' Spielsoldaten, als Maria hereinkam. „Frau Terrell, Ihr Mann möchte Sie sprechen. Er ist in seinem Arbeitszimmer." Melissa blickte überrascht zu ihr auf. War etwas nicht in Ordnung? Normalerweise kam Brian nie so früh aus dem Büro zurück. Sie stand sofort auf und ging zu ihm. Als sie sein Arbeitszimmer betrat, schaute er gerade aus dem Fenster. „Brian?" Er drehte sich zu ihr um und schaute sie finster an. Was war geschehen? Ging es wieder um die Akten, die man ihr zugesteckt hatte? „Was ist denn los?" fragte sie, während sie langsam auf ihn zuging. Im Vergleich zu seinem makellosen Geschäftsanzug kam sie sich in ihren Shorts und dem kurzen Top ziemlich nachlässig gekleidet vor. Brian sah sie durchdringend an. Dann fasste er in seine Tasche und holte ihre Perlenkette heraus. „Kannst du mir das erklären?" fragte er mit täuschend ruhiger Stimme. Melissa setzte sich auf den Sessel. Wie hatte er es herausgefunden? „Sie sieht aus wie meine Perlenkette", sagte sie zögernd, ohne Brian anzusehen. „Als Herr Janis sie mir brachte, habe ich sie sofort erkannt. Du hast sie einige Male getragen. Ich wüsste gern, wie er zu deiner Kette gekommen ist." „Ich habe sie ihm gegeben." „Aber du wolltest sie wieder auslösen?" „Ja." „Wann? Und wie?" fragte er mit eisiger Stimme. „In einigen Tagen. Ich erwarte eine Überweisung." „Und woher bekommst du das Geld? Ist es der Preis für neue hinterhältige Tricks, mit denen du meine Verhandlungen mit deiner Firma verzögern willst?" Melissa stand auf und warf ihm einen wütenden Blick zu.
„Nein. Wenn du es unbedingt wissen willst: Es ist mein letztes Geld von meinem Konto in London. Wovon soll ich denn leben, wenn ich keine Einkünfte mehr habe? Von Luft? Du erwartest von mir, dass ich mich angemessen für die Konzerte und Dinner kleide, aber du hast mir noch keinen einzigen Schilling gegeben. Du erwartest von mir, dass ich die verliebte Ehefrau spiele. Das würde mir schwer fallen, wenn ich in Lumpen herumlaufe. Ich habe zwar genug Kleider, aber sie sind in meiner Wohnung in London. Es würde eine Ewigkeit dauern, wenn ich sie mir schicken ließe." Melissa ballte die Hände zu Fäusten. Sie war so wütend, dass sie ihn am liebsten geschlagen hätte. Wie konnte er es wagen, sie so zu beleidigen? „Außerdem wäre es ein vergeblicher Aufwand", fuhr sie fort. „Sobald der verdammte. Vertrag unterzeichnet ist, fahre ich sowieso nach England zurück." „Hör auf zu fluchen, Melissa. Das schickt sich nicht für eine Pastorentochter", sagte Brian freundlich. Er war plötzlich wie verwandelt. „Verzeih mir. Ich habe einen dummen Fehler gemacht." Sie schaute ihn überrascht an. Hatte er sich tatsächlich gerade entschuldigt? „Ich kann nicht von dir erwarten, dass du von deinem Geld lebst, solange du meine Frau bist", fuhr er fort. „Warum hast du mir nicht eher etwas gesagt?" „Machst du Witze?" fragte sie. Brian nahm ihre Hand, und Melissa spürte wieder am ganzen Körper ein aufregendes Kribbeln. Plötzlich wünschte sie, er würde sie küssen. „Ich mache keine Witze." „Brian, nach dem Ehevertrag, den ich unterzeichnen musste, kann ich froh sein, wenn ich von dir auch nur etwas zu essen bekomme", erwiderte sie entnervt. Brian richtete sich hoch auf. „Das war doch nur eine reine Schutzmaßnahme, weil du die Verhandlungen behindern wolltest. Aber das hat nichts mit deinem Lebensunterhalt zu tun. Dass du dafür Geld brauchst, ist doch klar." „Ich werde sowieso nicht mehr allzu lange hier bleiben", fuhr sie ihn an. „Und außerdem habe ich die verdammten Akten nicht gestohlen." „Bist du hier so unglücklich?" Er blickte ihr tief in die Augen, dann zog er sie zu sich und nahm sie in die Arme. Melissa legte den Kopf an seine Brust. Das gleichmäßige Pochen seines Herzens gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und Ruhe. Sie hätte ewig in dieser Position bleiben können. „Unglücklich? Wie kommst du denn darauf? Schließlich ist jede Ehefrau glücklich, wenn ihr Mann sie für eine Diebin und Lügnerin hält." „Ich begehre dich trotzdem." Er hob ihren Kopf und beugte sich zu ihr. Seine Lippen strichen sanft über »ihre und reizten sie verführerisch. Melissa versuchte, unbeteiligt zu bleiben, Sie wollte ihm zeigen, dass sie ihm widerstehen konnte. Aber damit machte sie sich etwas vor. Sie genoss seine Zärtlichkeiten und sehnte sich nach mehr. Schließlich brach ihr Widerstand zusammen. Sie erwiderte Brians Kuss und gab sich ganz den wunderbaren Gefühlen hin, die sein Mund in ihr weckte. Sein Atem mischte sich mit ihrem, sein Herz pochte mit ihrem im gleichen Rhythmus. Sie seufzte wohlig und sehnte sich danach, noch einmal das zu erleben, was er ihr in der Hochzeitsnacht gegeben hatte. Würde er jemals wieder mit ihr Liebe machen? Ich bin ihm also doch nicht gleichgültig, dachte sie, als sie sich an ihn schmiegte und seine Erregung spürte. Er umfasste mit einer Hand ihren Po und zog sie fest an sich. Seine Hitze und sein Verlangen übertrugen sich auf sie. Sie wollte ihn ebenso wie er sie. Warum nur erwiderte er ihre Liebe nicht wenigstens ein kleines bisschen? „Daddy?"
Brian ließ die Hand schnell Melissas Rücken hinaufgleiten. Dann sah er langsam hoch. Melissa lehnte sich gegen ihn und atmete seinen für ihn so typischen männlichen Duft ein. Ihr Herz pochte noch immer wie wild. „Was ist denn, Max?" fragte Brian ruhig und blickte seinen Sohn an, der in der geöffneten Tür stand. Melissa wünschte, sie geschlossen zu haben, als sie hereingekommen war. „Kommt Mama wieder mit mir spielen?" „Ja, sie kommt gleich. Ich wollte nur ...", er suchte verzweifelt nach dem passenden Wort, „... mit ihr schmusen." Er tut sich ganz schön schwer, seinem Sohn etwas zu erklären, dachte Melissa lächelnd, gespannt, wie er die Situation meistern würde. „Ich mag es auch, wenn Mama mit mir schmust", sagte Max ernst. „Wer schmust denn besser?" fragte Brian so leise, dass nur Melissa es hören konnte. Sie machte sich von ihm los, bereute es jedoch, als sie seine Arme nicht mehr spürte. Aber wenn sie schon mit Max gehen sollte, konnte sie es ebenso gut sofort tun. „Ihr schmust beide gleich gut", antwortete sie leise. Brian zog übertrieben enttäuscht ein Gesicht. „Warte, ich habe noch etwas für dich." Er fasste in seine Hosentasche und holte ein Bündel Banknoten heraus. Einige zog er heraus und gab sie Melissa. „Damit kommst du erst einmal über die Runden. Nächste Woche gehen wir zur Bank und eröffnen ein Konto auf deinen Namen." Melissa zögerte, das Geld anzunehmen. „Nun nimm es schon, Melissa. Ich möchte nicht wieder mit dir streiten." Schließlich nickte sie und nahm das Geld. „Okay, Brian. Ich habe übrigens wegen meiner Überweisung aus England schon ein Konto eröffnet." „Daddy, kommst du mit uns spielen? Wir spielen gerade mit den Soldaten." „Ja, ich ziehe mich nur schnell um, und dann komme ich." Max war glücklich und nahm Melissa an die Hand. Als die beiden die Treppe hinaufgingen, hörte Brian seinen Sohn gerade sagen: „Seit du hier bist, ist alles viel schöner. Früher kam Daddy nie nachmittags nach Hause. Wir haben immer nur an den Wochenenden gespielt." Bald darauf gesellte Brian sich zu ihnen. Melissa freute sich, dass er tatsächlich gekommen war, was sie jedoch nicht offen zeigte. Er trug jetzt Jeans und ein altes T-Shirt, außerdem war er barfuss. Er erklärte Melissa, dass es so bequemer sei, und sie pflichtete ihm bei. Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn er auch das T-Shirt ausgezogen und seinen muskulösen Oberkörper gezeigt hätte. Während sie spielten, berührte Brian Melissa bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Wenn ihm zum Beispiel ihr Fuß ihm Wege war, schob er ihn sanft beiseite, wobei er ihn länger als nötig fest hielt und sanft streichelte. Zwei Mal strich er ihr absichtlich über die Brust, als er sich nach vorn beugte, um einen Spielsoldaten in eine neue Position zu bringen. Als Melissa ihn ansah, entdeckte sie in seinem Blick einen Ausdruck von Belustigung, aber auch von etwas anderem. War es vielleicht Verlangen? Max war ganz in seinem Element. Brian beobachtete seinen Sohn, wie er freudestrahlend die Spielsoldaten in die Schlacht schickte und glücklich wie selten zuvor aussah. Melissa setzte sich in den Schneidersitz, lehnte sich zurück und stützte sich mit den Händen auf. Brian rückte an sie heran. Als er wie beiläufig eine Hand auf ihren nackten Schenkel legte, stockte ihr fast der Atem. Plötzlich konnte sie sich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren. Seine Finger strichen sanft über die weichen Innenseiten ihrer Schenkel. Es war wie verhext - die kleinste Berührung von ihm genügte, um ihr sexuelles Verlangen zu wecken.
Sie hatte das Gefühl, dass die Zeit stehen blieb. Er ließ die Finger unendlich langsam zum Saum ihrer Shorts gleiten. Würde Brian sie dort belassen oder gar unter den Stoff schieben? Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Wahrscheinlich hätten ihre Augen ihre Begierde verraten. Brian verführte sie praktisch in Anwesenheit seines Sohns. „Du bist an der Reihe, Daddy." Max lächelte arglos. „Max, Marta hat sicher ein Glas Milch und Kekse für dich. Möchtest du nicht zu ihr gehen und sie fragen? Wir machen weiter, wenn du zurück bist." Der Kleine stand auf und lief aus dem Zimmer. Kaum war er fort, beugte Brian sich über Melissa und drückte sie auf den Boden. Sein Blick hatte einen Ausdruck hemmungsloser Begierde. Im nächsten Moment fühlte sie seine Hand auf ihrem Oberschenkel. Dann küsste er sie. „Du machst mich ganz verrückt", hauchte sie, als er sie mit glühenden Küssen liebkoste. „Dann geht es dir ebenso wie mir. Ich werde verrückt vor Begierde, wenn ich dich nur ansehe." Der Druck seiner Hand steigerte Melissas Erregung, bis ins Unerträgliche. Sie presste sich an ihn und sehnte sich danach, sich mit ihm zu vereinigen. „Daddy, Daddy." Sie hörten Max die Treppe herauflaufen. Brian richtete sich sofort auf und zog Melissa ebenfalls in Sitzposition. „Er kann seine verflixten Kekse doch unmöglich schon gegessen haben", meinte er brummig. Im nächsten Moment stürzte Max herein. „Marta bringt uns gleich Kekse. Und Limonade, weil es heute so warm ist", verkündete er freudestrahlend. „Prima. Wir werden ja richtig verwöhnt." Melissa musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen, als sie Brians verdrossene Miene sah. Sie berührte tröstend seine Hand, um ihm zu zeigen, dass sie die abrupte Unterbrechung ebenso bedauerte wie er. Warum hatte er diesen Zeitpunkt gewählt, um sie zu küssen? Warum kam er nicht einfach nachts zu ihr ins Bett, wo sie ungestört gewesen wären? Abends gingen sie zu einem Empfang bei einem Freund. Melissa fühlte sich dort sehr wohl und erfuhr ein wenig mehr über den Mann, den sie geheiratet hatte. Doch nachdem sie abends nach Hause gekommen waren, sagte Brian ihr nur gute Nacht und blieb unten, als Melissa auf ihr Zimmer ging. Nach dem Vorfall im Kinderzimmer hatte sie eigentlich gehofft, dass er zu ihr kommen würde. Doch er erschien nicht. Melissa wartete vergebens und schlief erst spät ein. Am folgenden Sonntag lud Brian Melissa und Max überraschend zu einer Fahrt nach Schloss Hellbrunn ein, das südlich von Salzburg lag. Es war ein heißer Tag, und sie trugen alle leichte Sommerkleidung. Brian und Melissa gingen Hand in Hand durch den herrlichen Park, während Max herumlief. „Dies ist die älteste Parkanlage dieser Art in Österreich", erklärte Brian. „Der Architekt hatte offenbar Sinn für Humor. Achte auf die Fontänen der Springbrunnen." Sie schlenderten weiter, doch plötzlich spritzten von beiden Seiten Wasserfontänen über den Weg, die alle Passanten nass machten. Melissa versuchte lachend, dem Wasserstrahl auszuweichen. Brian sah ihr belustigt zu. Da Max es noch einmal sehen wollte, warteten sie die nächsten Fontänen ab, bevor sie weitergingen. Sie kamen zum Tisch, der die Tafelgäste bespritzte. Es gab sogar einen Springbrunnen, bei dem Wasser aus den Hörnern eines Rentiers spritzte. „Das ist wirklich lustig", meinte Melissa, als sie sich wieder einmal bückte, um einer Fontäne zu entgehen. „Aber im Winter möchte ich nicht hierher kommen." „Im Winter fahren wir nach Innsbruck zum Skifahren."
Sie sah ihn kurz an, dann wandte sie betreten den Blick ab. Ob sie im Winter noch hier sein würde? Bis dahin wären die Verhandlungen der beiden Firmen längst beendet. Würde Brian sie nach der Vertragsunterzeichnung in Salzburg bleiben lassen? Wollte er das überhaupt? „Ist etwas?" fragte Brian. „Nein. Wo wollen wir Mittag essen? Hoffentlich nicht an dem Tisch, den wir vorhin gesehen haben." „Nein", erwiderte er lachend. „Wir fahren von hier zu einem kleinen Bauernhof, wo wir uns einen Hund aussuchen werden." „Toll. Max wird sich freuen." Sie suchten sich einen Welpen aus, von dem Max auf Anhieb begeistert war. Auch Melissa hatte den kleinen braunen Mischling mit der weißen Brust und den weißen Pfoten gleich ins Herz geschlossen. Die Mutter des Welpen war nicht besonders groß, so dass das Hündchen wohl später, wenn es ausgewachsen war, für Max gerade die richtige Größe haben würde. „Ich glaube, es ist genau der richtige Hund für ihn", meinte sie zufrieden, als sie im Rückspiegel sah, wie Max überglücklich den Welpen knuddelte. Sie war froh, dass Brian ihren Vorschlag ernst genommen hatte. Würde er doch auch in anderer Hinsicht auf sie hören. Aber falls ihr und Gerrys Plan funktionierte, würde Brian bald wissen, dass sie keine Diebin war. Der Familienausflug hatte Melissa richtig Spaß gemacht. Sie hoffte, dass sie häufiger etwas in dieser Art zusammen unternehmen würden. Als Kind hatte sie mit ihren Eltern oft Ausflüge gemacht, vor allem in die Umgebung von London und ans Meer. Einmal waren sie sogar für eine Woche nach Schottland gefahren. Brian hielt sein Wort und überwies eine beträchtliche Summe auf Melissas Bankkonto. Auf ihren Protest hin fegte er all ihre Bedenken beiseite und sagte, dass es ganz selbstverständlich sei, für den Lebensunterhalt seiner Frau aufzukommen, und er keine Lust habe, sich mit ihr über diesen Punkt zu streiten. Er blieb immer häufiger fort. Manchmal kam er nicht einmal zum Abendessen und entschuldigte sich damit, dass er arbeiten müsse. Für gesellschaftliche Verpflichtungen hatte er jedoch immer Zeit. Melissa freute sich über jede Party, weil sie nur so mit ihm gemeinsame Abende verbringen konnte - auch wenn sie bei solchen Gelegenheiten nicht mit ihm allein war. Wenn er zu Hause war, hatte er meistens zu tun oder war müde und abgespannt. Wenn Melissa nach oben ging, um sich schlafen zu legen, sah sie ihn oft noch spät an seinem Schreibtisch sitzen, wo er in irgendwelchen Papieren blätterte oder sich Notizen machte. Für Max waren die Schulferien vorbei, so dass Melissa die meiste Zeit nichts zu tun hatte. Sie schrieb lange Briefe an ihre Mutter, in denen sie ihr alle Neuigkeiten mitteilte. Doch sie teilte ihr nicht alles mit, um sie nicht unnötig zu beunruhigen. Melissa fehlte einfach etwas, das sie richtig ausfüllte. Die Arbeit im Haus wurde von Marta und anderen erledigt. Max war nur nachmittags und abends da. Kurzum, Melissa brauchte etwas zu tun. Ob Brian etwas dagegen hätte, wenn sie sich eine Stelle suchen würde? Sie hatte ihn schon einige Male darauf ansprechen wollen, doch bisher hatte sich noch keine Gelegenheit dazu geboten. Am nächsten Morgen stand sie früh auf und frühstückte bereits, als Brian ins Esszimmer kam. „Guten Morgen", sagte er überrascht. „Was machst du denn so früh hier?" „Guten Morgen. Ich wollte mit dir nach Salzburg fahren." „Einkaufen?" Er setzte sich zu ihr an den Tisch.
„Ja. Meine Mutter hat in einigen Wochen Geburtstag, und ich wollte ihr etwas schicken." Sie verschwieg ihm, dass sie sich auch nach einer Arbeitsstelle umsehen wollte. Sie wollte es ihm erst sagen, wenn sie etwas gefunden hatte. Das Risiko, dass er sich darüber fürchterlich ärgern könnte, nahm sie in Kauf. Sie hatte seinen Zorn schließlich schon öfters ertragen. „Wir könnten zusammen Mittag essen." „Das wäre schön." Melissa kaufte ihrer Mutter einige Holzschnitzereien, die für die Gegend typisch waren. Der kleine Laden übernahm sogar die Frachtabwicklung. Anschließend ging sie zum Britischen Konsulat, wo sie sich nach Arbeitsmöglichkeiten als Nachhilfelehrerin für Englisch erkundigte. Der Konsulatsangestellte war sehr nett. Er sagte, dass manchmal entsprechende Anfragen eingingen, und bot ihr an, sich einige Tage später mit ihr in Verbindung zu setzen, um ihr die Anschriften von Interessenten zu geben. Es klang sehr ermutigend, und Melissa machte sich gut gelaunt auf den Weg zu Brians Firma. Brian hatte nichts dagegen gehabt, sich mit ihr in der Firma zu treffen. Er hatte ihr gesagt, dass sie bei ihrer Ankunft von der Eingangshalle aus bei ihm anrufen solle. Stattdessen fuhr sie gleich mit dem Fahrstuhl auf die oberste Etage. Als sie ausstieg, erinnerte sie sich an den Tag, an dem sie alle unter Mr. Millans Leitung zum Konferenzzimmer gegangen waren. Sekundenlang kam es ihr vor, als wäre es erst am Vortag gewesen. Und doch war in der Zwischenzeit so viel geschehen. Melissa nickte der Empfangsdame freundlich zu und sagte ihr, dass sie zu Brian wolle. Die junge Frau erkannte sie sofort. „Er ist in seinem Büro, Frau Terrell. Sie kennen ja den Weg." Während sie den leeren Flur entlangging, warf Melissa einen Blick ins Konferenzzimmer. Als Gerry sie sah, kam er sofort zu ihr. Sein Lächeln war Balsam für ihre Nerven. „Willst du es heute versuchen?" Er warf einen Blick nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand sie hörte. Melissa schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nur mit Brian zum Essen verabredet. Es ist schwerer, als ich dachte. Ich werde in eine andere Etage fahren und heimlich über die Feuertreppe zurückkommen. Du musst dafür sorgen, dass die Tür aufgeschlossen ist." „Am besten, du rufst mich an dem Tag an, an dem du es tun willst. Ich werde die Tür zur Feuertreppe dann spätnachmittags aufschließen." „Wie viel Zeit haben wir noch?" „Vielleicht noch drei Tage. Gestern Abend sind wieder einige Berichte verschwunden. Aber wir sind fast fertig. Warum bleibt Brian in letzter Zeit eigentlich so oft zu Hause?" „Vielleicht, weil er Zeit für seine Frau haben möchte." Brians Stimme durchdrang die Luft wie ein Speer. Melissa drehte sich um. Brian war aus seinem Büro gekommen und hatte sich ihnen unbemerkt genähert. „Hallo." Sie rang sich ein Lächeln ab. Wie viel hatte er von der Unterhaltung mitbekommen? „Wollten Sie sich länger mit meiner Frau unterhalten?" Brians Stimme klang ungewöhnlich hart, und sein Blick hätte nicht kühler sein können. Gerry schüttelte den Kopf. „Nein, ich wollte ihr nur Guten Tag sagen. Sie kam hier zufällig vorbei. Also dann, bis später." Er ging schnell ins Konferenzzimmer zurück. Melissa wandte sich wieder Brian zu und hatte ein ungutes Gefühl. Was dachte er jetzt von ihr? „Ich möchte nicht, dass du zukünftig wieder in mein Büro kommst. Und meide den Kontakt mit Gerry Toliver. Ist das klar?"
Seine Stimme klang so bedrohlich, dass es Melissa kalt über den Rücken lief. Sie wusste, wie hart er sein konnte. Sie dachte plötzlich an den Tag, als er die vertraulichen Papiere in ihrem Aktenkoffer gefunden hatte. Dann nickte sie. Es gab nichts mehr zu sagen. Und sie konnte ihm schließlich nicht erzählen, was sie vorhatte.
11. KAPITEL Das Essen wurde eine Katastrophe. Melissa zählte die Minuten, bis es endlich vorbei war. Brian aß und sprach nur, wenn sie ihn etwas fragte. Sie wusste nicht, worüber er sieh so ärgerte. Jedenfalls war sie unsagbar froh, als sie endlich nach Hause fahren konnte. An diesem Abend kam Brian erst sehr spät zurück. Er ging sofort ins Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Damit gab er Melissa unmissverständlich zu verstehen, dass er sie nicht sehen wollte. Am nächsten Morgen rief Gerry an. „Er ist fort." „Wer?" fragte Melissa. „Terrell. Er ist für zwei Tage nach Innsbruck gefahren. Ich werde heute beiläufig die Nachricht verbreiten, dass ein wichtiges Gutachten aus London eingegangen ist, auf das wir schon seit längerem gewartet haben. Kannst du kommen?" „Ja. Ich bin kurz nach sechzehn Uhr in der Firma." „Prima. Das Gutachten ist in einer gelben Mappe auf dem Schreibtisch. In Wirklichkeit handelt es sich natürlich nicht um das wirkliche Gutachten, sondern um eine abgeänderte Fassung." „ Sehr gut", sagte Melissa zufrieden. „ Drück mir die Daumen." „Worauf du dich verlassen kannst. Soll ich nicht doch lieber bleiben?" „Nein, das ist nicht nötig. Ich will nur wissen, wer hinter der ganzen Sache steckt. Ich werde es zu keiner Auseinandersetzung kommen lassen." Melissa legte den Hörer auf. Endlich hatte sie die Chance, herauszufinden, wer sie hereingelegt hatte und die Verhandlungen der beiden Finnen störte. Brian musste endlich wissen, dass sie ihn nicht hintergangen hatte. Am frühen Nachmittag sagte sie Marta, dass sie mit Freunden zum Essen verabredet sei. Die einzige Schwierigkeit war, aus dem Haus zu kommen, ohne dass Marta sie in ihrer dunklen Kleidung sehen würde. Dunkle Jeans und ein dunkles Sweatshirt waren ziemlich ungewöhnlich für ein Dinner. Aber das Glück war auf ihrer Seite. Als das Taxi kam, war Marta gerade bei Max, so dass Melissa unbemerkt gehen konnte. Sie stieg sicherheitshalber zwei Straßenecken vom Firmengebäude entfernt aus, um zu vermeiden, dass sie zufällig von einem der Fenster aus gesehen wurde. Das Haar trug sie hoch gesteckt. In ihrer anfänglichen Aufregung hatte sie sich sogar überlegt, ihr Gesicht zu schwärzen, aber hinterher den Gedanken ziemlich lächerlich gefunden. Auf dem Weg über die Feuertreppe begegnete ihr niemand, und von dort gelangte sie unbemerkt in die Damentoilette. Sie schloss sich in einer der Kabinen ein und setzte sich auf das Toilettenbecken. Vorsichtshalber zog sie die Beine hoch, damit man sie nicht von unten sehen konnte. Jetzt brauchte sie nur noch zu warten. Die Zeit verging so langsam, dass Melissa wünschte, ein Buch mitgebracht zu haben. Sie und Gerry hatten abgesprochen, dass Gerry warten sollte, bis alle gegangen waren. Wer immer am Gutachten interessiert war, würde erst zurückkommen, wenn das Reinigungspersonal mit den Putzarbeiten fertig war. Er oder sie konnte keine möglichen Zeugen brauchen. Als Melissa die ersten Staubsauger hörte, schlich sie sich von der Toilette zum Treppenaufgang zurück. Sie hielt die Tür einen Spaltbreit offen, damit sie nicht ins Schloss fallen konnte. Als alles ruhig war, ging Melissa ins Vorzimmer und wartete ab. Es war absolut still auf der Etage. Still und dunkel. Nach einer Weile öffnete sie die Tür und lauschte aufmerksam nach verdächtigen Geräuschen. Es war weit und breit nichts zu hören. Sie schlich leise zur Chefetage und tastete sich über den Flur zum Konferenzzimmer.
Die Tür stand offen, aber es war so dunkel, dass sie nicht einmal die Möbel erkennen konnte. Dann tastete sie sich an der Wand entlang ins Nebenzimmer. Plötzlich leuchtete eine Taschenlampe auf und strahlte ihr direkt ins Gesicht. Melissa riss die Arme hoch und schirmte sich mit den Händen gegen das blendende Licht ab. „Was, zum Teufel, machst du denn hier?" Es war Brian. „Ich kann dir alles erklären", sagte sie verzweifelt. Aber würde er überhaupt zuhören? „Natürlich kannst du das. Du hast heute erfahren, dass das Gutachten aus London eingegangen ist, nicht wahr? Und du bist gekommen, um es verschwinden zu lassen." „Leise, Brian. Halt die Taschenlampe in eine andere Richtung. Du blendest mich." Er schaltete die Taschenlampe aus. Dann packte er Melissa so fest am Arm, dass sie fürchtete, er würde ihr die Knochen brechen. „Dafür könnte ich dich umbringen, Melissa." Seine Stimme war kalt und Furcht einflößend. „Anfangs war ich mir nicht sicher, ob du dahinter steckst, aber jetzt ist mir alles klar." „Brian, hör mich bitte an. Es ist nicht so, wie du glaubst", flüsterte sie. Sie hoffte noch immer, dass der wahre Schuldige noch auftauchen würde. „Dieses Gutachten ist nicht echt. Es ist ein Köder. Gerry und ich haben uns das ausgedacht, um die Person ausfindig zu machen, die die Verhandlungen verzögern will und die Akten in meinen Koffer gesteckt hat." „Das hast du dir fein ausgedacht. Du kannst wirklich überzeugend lügen. Aber ich glaube dir nicht. Eine Zeit lang habe ich dir geglaubt und war wachsam für den Fall, dass wirklich jemand anders die Verhandlungen behindern wollte. Aber nichts geschah. Seit du nicht mehr in der Firma bist, laufen die Verhandlungen reibungslos." „Das stimmt nicht. Gerry hat eine Liste aller Vorfälle zusammengestellt." „Ist er dein Komplize?" „Verdammt, Brian, hör mir doch zu", zischte sie ihn an. Plötzlich hielt er ihr den Mund zu und zog sie so fest an sich, dass sie sich nicht bewegen konnte. „Psst", flüsterte er ihr ins Ohr. „Ich habe gerade etwas gehört." Sie blieben regungslos stehen. Als er sicher war, dass Melissa ruhig bleiben würde, ließ er langsam die Hand von ihrem Mund gleiten. Melissa lauschte konzentriert, aber es war nichts zu hören außer Brians gleichmäßigem Herzschlag und dem leisen Hauch seines Atems. Doch dann hörte sie Fußschritte. Sie straffte den Körper und drehte sich um. Brian schob sie leise zur geöffneten Tür des Konferenzzimmers. Plötzlich fiel ein Lichtkegel hinein. Jemand ging an den Tisch und nahm die gelbe Mappe. Melissa versuchte, die Person zu erkennen. Sie wollte vorsichtig näher gehen, doch Brian hielt sie am Arm fest. Er wollte abwarten, was weiter geschah. Und es lohnte sich. Die im Licht der Taschenlampe erkennbare Hand riss eine Seite aus der Mappe, zerknüllte sie und steckte sie in eine Tasche. Nachdem die Person eine weitere Seite herausgerissen und verstaut hatte, legte sie die Mappe wieder auf den Tisch. Als die Person gehen wollte, machte Brian seine Taschenlampe an, und der Lichtkegel fiel auf Karl Müllers erschrockenes Gesicht. Melissa stieß einen Laut der Überraschung aus und blickte schockiert auf den führenden Angestellten, dessen Vertrauenswürdigkeit ihr Mann nie angezweifelt hatte. „Melissa, geh in mein Büro, und ruf den Wachmann an. Die Nummer steht auf einem Zettel neben dem Telefon. Und beeil dich." Sie ging auf den Flur und schaltete das Licht an. Nachdem sie angerufen hatte, kam sie sofort wieder zurück. In der Zwischenzeit hatte Brian Karl zur Rede gestellt, der sich gerade verzweifelt verteidigte.
„Ich habe seit meiner Ausbildung hier gearbeitet und bin mit der Firma eng verbunden. Ich wollte selbst Teilhaber werden, aber durch den Verkauf von Anteilen an eine fremde Firma wären meine Chancen gleich null gewesen. Hätte das Geschäft mit den Deutschen damals nicht so katastrophal geendet, wären dabei einige Anteile für mich herausgesprungen." „Haben Sie Louisa geholfen?" „Sie hätte es nicht allein geschafft", erwiderte Karl verächtlich. „Ich hoffte, das Geschäft mit den Engländern würde platzen, wenn Sie die vertraulichen Akten bei ihr fänden." Er warf Melissa einen spöttischen Blick zu. „Leider wusste ich nicht, dass Ihr Verhältnis zu ihr bereits über das Geschäftliche hinausging. Statt sie nach England zurückzuschicken, heirateten Sie sie." „Dann haben Sie also die Akten in meinen Koffer gelegt", sagte sie, um alle Missverständnisse ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen. „Natürlich." Karl ließ sich auf einen Stuhl fallen und wirkte plötzlich um Jahre gealtert. Er blickte auf die gelbe Mappe und holte die zerknitterten Seiten aus der Tasche. Er wusste, dass für ihn das Spiel aus war. Kurz darauf erschien der uniformierte Wachmann, der Melissa einige Wochen zuvor aufgehalten hatte, und nahm Karl in Gewahrsam. „Lassen Sie die Polizei aus dem Spiel", wies Brian den Wachmann an. „Aber achten Sie bitte darauf, dass er nie wieder das Firmengebäude betritt." Als Melissa und Brian das Gebäude verließen, sprach er kein Wort. Er hätte zumindest eingestehen können, dass er sie zu Unrecht verdächtigt hatte. Sein Schweigen war für Melissa unerträglich. Während sie über alles nachdachte, fiel ihr ein, dass sie nun keinen Grund mehr hatte, in Österreich zu bleiben. Brian wusste, dass sie nicht gegen ihn gearbeitet hatte. Aber warum sagte er nichts? Was dachte er gerade? „Ich muss mich bei dir entschuldigen, Melissa", sagte er, als sie in seinem Wagen saßen. „Es tut mir Leid, dass ich dir nicht glaubte, als du deine Unschuld beteuert hast. Aber die Fakten sprachen gegen dich, und ich war mir absolut sicher", sagte er ein wenig steif. Er machte auf Melissa einen seltsam distanzierten Eindruck. „Ich bin froh, dass sich alles aufgeklärt hat. Es ist furchtbar, wenn man ständig seine Unschuld beteuert und niemand einem glaubt." In Wirklichkeit hätte niemand, der Melissa gut kannte, ihr je so etwas zugetraut. Aber Brians Meinung war ihr wichtiger als die aller anderen. Und er hatte ihr misstraut. „Es war unverzeihlich von mir", erwiderte er. Sie berührte Brians Hand, doch er zog sie blitzschnell zurück, als hätte er sich verbrannt. Melissa wandte den Blick ab und versuchte ihre Enttäuschung über sein kränkendes Verhalten zu verbergen. „Nach deinen schlimmen Erfahrungen mit Louisa ist dein Misstrauen durchaus verständlich", sagte sie freundlich. „Du bist nicht wie Louisa. Das hast du oft genug bewiesen, aber ich war zu blind, es zu sehen. Ich hatte Angst vor meinem eigenen Urteil. Wusstest du, dass es Karl war?" „Nein, aber wir verdächtigten ihn oder Erich", erklärte sie. „Ich ging davon aus, dass sie die Einzigen waren, die Einzelheiten über das Geschäft mit der deutschen Firma und die damit verbundenen Probleme kannten. Und sie hatten die Möglichkeit, mir die Akten zuzustecken." „Wir? Wer noch, außer dir?" „Gerry Toliver. Er wusste, dass irgendjemand die Verhandlungen behinderte. Und ihm war auch klar, dass ich die Akten niemals an mich genommen hätte. Wir arbeiteten zusammen einen Plan aus mit dem Ziel, den wahren Schuldigen zu überführen." „Ich habe Karl blind vertraut", sagte Brian. „Mir war nicht bekannt, dass er Teilhaber werden wollte."
„Warum warst du heute Abend eigentlich in der Firma, Brian? Gerry sagte, du wolltest nach Innsbruck." Er blickte schweigend auf die leere Straße. „Ich musste wirklich nach Innsbruck", bestätigte er zögernd. „Ich wollte heute Nachmittag losfahren. Aber dann hörte ich von meiner Sekretärin, dass Gerry allen erzählte, das Gutachten sei angekommen. Daraufhin sagte ich den Termin ab. Ich wollte wissen, ob irgendjemand zurückkommen und das Schriftstück an sich nehmen oder ändern würde." „Aber warum?" Hoffnung ließ Melissas Herz schneller schlagen. „Wahrscheinlich war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob du die Akten wirklich gestohlen hast." „Ich hatte eher den Eindruck, dass du dir deiner Sache absolut sicher warst." „Ja, aber nur am Anfang, als ich sie bei dir entdeckte. Im Lauf der folgenden Wochen hast du bewiesen, dass du keine so berechnende, skrupellose Frau wie Louisa bist. Du hast das teure Kollier abgelehnt und, statt mich um Geld zu bitten, die teuren Kleider von deinem eigenen Geld bezahlt. Das gab mir zu denken, und ich achtete mehr als vorher auf die täglichen Ereignisse im Verhandlungsablauf. Ich wusste allerdings nichts von Gerrys Liste. Als ich dich dann heute Abend hier traf, war ich mir wieder absolut sicher, das du hinter allem steckst." „Wie Louisa." „Nein, Melissa. Ich sagte bereits, dass du mit Louisa nichts gemein hast." Er schwieg einen Augenblick, bevor er fortfuhr. „Du hast deinen Teil unserer Abmachung erfüllt, und ich werde meinen ebenfalls erfüllen. Es steht dir frei, jederzeit nach England zurückzukehren." Melissa war sprachlos vor Entsetzen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er das sagen würde. „Max hat jetzt seinen Hund und geht wieder zur Schule. Der Abschied wird ihm nicht so schwer fallen", fügte er bitter hinzu. Und was ist mit mir? hätte sie am liebsten geschrien. Interessierte es ihn nicht, wie schwer ihr der Abschied fiele? Doch sie sagte nichts, sondern nickte nur. Sie fürchtete, dass ihr die Stimme versagen würde. „Es wird sowieso allmählich Zeit, dass ich wieder arbeite. Seit Max zur Schule geht, ist es langweilig geworden", sagte sie leise. Insgeheim dachte sie jedoch daran, wie leer ihr Leben ohne Brian und Max sein würde. „Ich muss morgen nach Innsbruck und werde erst nachmittags zurück sein. Wartest du mit deiner Abreise, bis ich wieder da bin? Ich bringe dich zum Flughafen." „Natürlich." Es kostete Melissa einige Mühe, die Tränen zurückzuhalten. „Können wir jetzt nach Haus fahren?" Sie wollte allein sein und niemandem ihren Kummer zeigen. „Ja, natürlich." Er wandte sich ihr zu und legte ihr die Hand auf die Wange, wobei er den Daumen sanft über ihre Lippen gleiten ließ. „Es tut mir Leid, dass ich dir nicht geglaubt habe. Vielleicht wäre sonst alles anders gekommen." Dann beugte er sich zu ihr und küsste sie sanft, aber flüchtig auf die Lippen. Schweigend fuhren sie durch die Straßen von Salzburg. Um diese Zeit gab es kaum noch Verkehr. Als sie ankamen, stieg sie vor Brian aus und eilte ins leere, stille Haus, das nur noch wenige Stunden ihr Zuhause sein würde. Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Während sie die Treppe hinaufging, ließ sie die Hand fast zärtlich über das Geländer gleiten. Das lieb gewonnene alte Haus verschwamm vor ihren tränennassen Augen. In ihrem Zimmer angekommen, warf sie sich aufs Bett und presste das Gesicht ins Kissen, damit Brian ihr Schluchzen nicht hörte. Sie gab sich ihrem Kummer hin, der von nun an ihr ständiger Begleiter sein würde. Und Brian würde nie etwas davon ahnen. Am nächsten Morgen packte sie ihre Sachen. Als sie die Kleider zusammenlegte, die sie seit ihrer Hochzeit mit Brian gekauft hatte, wurde ihr weh ums Herz. Jedes war mit Erinnerungen verknüpft: eins mit dem Konzert, ein anderes mit der Dinnerparty bei Wolftaus
und das schulterfreie blaue mit dem Ballett. Hatte es überhaupt Sinn, diese Kleider mitzunehmen? Sie konnte sich nicht vorstellen, sie jemals wieder zu tragen, da sie sie immer mit Brian in Verbindung bringen würde. War sie ursprünglich wirklich nur wegen einer kurzen Geschäftsreise nach Salzburg gekommen? Mittlerweile war daraus über ein Monat geworden, und so vieles war geschehen. Aber in England würde sie noch genug Zeit haben, sich an all das zu erinnern. Sie ging zum Fenster und schaute auf die Landschaft. Am liebsten wäre sie zum Abschied noch einmal zur Wiese gegangen, aber an diesem Tag war es regnerisch und stürmisch. Sie dachte an die bunten Wildblumen, die sich damals im milden Wind gewiegt hatten, und an die herrliche Aussicht auf Salzburg. Aber vielleicht war es besser so, wie es war. Ihr blieben immer noch ihre Erinnerungen, und die konnte ihr niemand nehmen. Es regnete noch immer, als Max von der Schule zurückkam. Er erzählte Melissa, wie der Schulbus einige Male im Sturm geschlingert sei und dass der Regen die Sicht getrübt habe. Sie machten den Kamin im Kinderzimmer an, und es wurde richtig gemütlich. Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, der Wind heulte und rüttelte an den hohen Tannen im Garten. Wegen des Unwetters wurde es an diesem Tag früher dunkel als sonst. Während des ganzen Tages fand Melissa, dass die Zeit viel zu schnell verrann. Ihr war ganz elend zu Mute bei dem Gedanken, dass sie bald nicht mehr zu dieser Familie gehören, sondern wieder allein in ihrer kleinen Londoner Wohnung leben würde. Sie würde sie alle vermissen - Max, Marta und das Hündchen, vor allem aber Brian. Dennoch versuchte sie, sich ihren Kummer nicht anmerken zu lassen. Max sollte nicht wissen, dass sie abreiste. Sein Vater sollte es ihm gefälligst beibringen. Sie lachte viel, las Max Geschichten vor und spielte mit ihm mit den Spielsoldaten. Vielleicht würde Brian Max ja erlauben, sie zu besuchen, wenn sie ihn darum bat. Der Wind rüttelte an der Tür, und plötzlich war Melissa unwohl bei dem Gedanken, dass Brian bei diesem Sturm im Auto unterwegs war. Sie hoffte, das Wetter war zwischen Innsbruck und Salzburg besser. Plötzlich kam Marta ins Kinderzimmer. „Frau Terrell, Sie werden am Telefon verlangt." „Ist es mein Mann?" Vielleicht wollte er ihr mitteilen, dass er die Rückreise aufschieben wollte, bis das Wetter besser geworden war. „Nein, jemand von seinen Angestellten." Das nächste Telefon stand in Brians Zimmer, und dorthin ließ sie sich das Gespräch durchstellen. „Guten Tag, Frau Terrell. Hier spricht Erich Meyer. Ist Ihr Mann zu sprechen?" „Nein, er ist nach Innsbruck gefahren." Wussten seine Angestellten etwa nicht, wo er war? „Er ist schon seit einigen Stunden unterwegs nach Salzburg. Kurz vor der Rückfahrt rief er mich aus Innsbruck an. Er wollte nach seiner Ankunft kurz ins Büro kommen, aber er hat sich nicht wieder gemeldet. Ich muss ein Fax in die Vereinigten Staaten schicken und brauche vorher noch einige Informationen von ihm. Würden Sie ihn bitten, mich gleich nach seiner Ankunft anzurufen? Ich warte noch eine Weile im Büro." „Ja, ich werde es ihm ausrichten, sobald er hier ist." Melissa legte auf und machte sich plötzlich Sorgen um Brian. Doch dann sagte sie sich, dass er wahrscheinlich in einem warmen Cafe saß und wartete, bis die Wetterbedingungen besser geworden waren. Aber warum rief er dann nicht an? Sie fragte sich, warum sie sich überhaupt um ihn sorgte. Sie hatte ihm gezeigt, dass sie ihn liebte, und er hatte ablehnend reagiert. Anscheinend glaubte er, dass sie froh war, wieder nach England zurückzukehren. Konnte ein Mensch wirklich so blind sein? Melissa setzte sich aufs Bett. Sie ließ die Hand über den dunklen, weichen Bettbezug gleiten und schaute sich im Raum um. Brian hatte sie nie eingeladen, zu ihm in dieses
Zimmer zu ziehen. Hätte er es aber getan, wäre ihr der Abschied wohl noch schwerer gefallen. Schließlich seufzte sie und stand auf, um zu Max zurückzugehen. Sie wollte aus ihrem vermutlich letzten Abend mit ihm das Beste machen. Max sollte sie in guter Erinnerung behalten, so wie sie ihn. Erst nachdem sie Max ins Bett gebracht hatte, begann sie sich wieder um Brian zu sorgen. Es war schon fast einundzwanzig Uhr. Von Innsbruck nach Salzburg waren es weniger als drei Stunden. Eigentlich hätte er längst zu Hause sein müssen. War er vielleicht zuerst ins Büro gefahren, wie Erich erwartet hatte? Nach einer Weile hielt sie es nicht mehr aus und rief dort an, doch niemand nahm ab. Hatte er mit Erich gesprochen und war jetzt auf dem Nachhauseweg? Marta hatte im Kamin des Arbeitszimmers Feuer gemacht, aber Melissa konnte die behagliche Wärme im Raum nicht richtig genießen. Sie schaute lange in die Flammen und grübelte nach, wo Brian nur blieb. Sie stand auf und ging zum Fenster. Draußen war pechschwarze Nacht. Es regnete noch immer, und der Wind heulte in den Bäumen. Kurz nach einundzwanzig Uhr rief sie noch einmal im Büro an, doch wieder meldete sich niemand. Schließlich suchte sie Erichs Adresse im Telefonbuch heraus und rief ihn an. Doch auch er wusste nichts Neues. Brian war nicht gekommen und hatte sich auch nicht mehr bei ihm gemeldet. Plötzlich klingelte die Türglocke. Melissa sprang auf und lief die Treppe hinunter. War er endlich da? Vielleicht hatte er seinen Hausschlüssel vergessen. Doch als sie öffnete, standen zwei fremde Männer vor ihr. Das Regenwasser lief in Strömen von ihren dunklen Regenmänteln. „Frau Terrell?" fragte der ältere der beiden auf Deutsch. „Ja. Kommen Sie doch herein." Sie ging zur Seite, um die beiden ins Haus zu lassen. Als sie die Abzeichen der österreichischen Polizei an den Kragen der Männer sah, ahnte sie Schreckliches. „Frau Terrell, ist Ihr Mann zu Hause?" fragte einer. „Nein. Er war heute auf Geschäftsreise in Salzburg und ist noch immer nicht zurück." Was wollten die Männer? Sie wagte nicht, sie danach zu fragen. Die Polizeibeamten sahen sich schweigend an. Dann zog der ältere ein Notizbuch aus der Tasche und schlug es auf. „Fährt Ihr Mann einen schwarzen BMW mit der Nummer ..." Er sagte die Nummer des amtlichen Kennzeichens. Melissa erbleichte. Sie ging zum nächststehenden Stuhl und setzte sich. „Brian besitzt einen schwarzen BMW, aber das Kennzeichen ist mir nicht bekannt. Wir sind noch nicht lange verheiratet", sagte sie. „Es tut mir Leid, Frau Terrell", sagte der Beamte betroffen. „Der Wagen wurde mit Totalschaden neben einer besonders gefährlichen Steilkurve gefunden. Ihr Mann war nicht am Unfallort. Im Wagen fanden wir Blutspuren. Wissen Sie irgendetwas darüber?" „Nein", erwiderte sie entsetzt. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihm etwas zugestoßen war. „Ich weiß nur, dass er längst hätte hier sein müssen. Ich habe gerade einen seiner Angestellten angerufen, aber auch der hat, seitdem mein Mann Innsbruck verlassen hat, nichts mehr von ihm gehört." Es war schrecklich. Ob Brian verletzt war oder noch schlimmer? „Vielleicht geht es ihm gut, Frau Terrell. Er könnte sich aber auch verletzt vom Wagen entfernt haben und im Dunkeln die Klippe hinuntergestürzt sein. Wir suchen weiter nach ihm."
Melissa schloss die Augen und nickte. Aber hätte er überhaupt eine Chance, wenn er wirklich verletzt in diesem fürchterlichen Sturm zu Fuß weitergegangen wäre? Sie stand auf und schaute suchend um sich. Es musste doch etwas geben, das sie tun konnte. „Wir tun alles Erdenkliche, um ihn zu finden, Frau Terrell. Wenn Sie etwas von ihm hören, verständigen Sie uns bitte", sagte der Mann mitleidig. Melissa nickte und versuchte vergeblich zu lächeln. „Rufen Sie mich sofort an, wenn Sie ihn finden?" „Ja, Frau Terrell. Werden Sie in der Zwischenzeit allein zurechtkommen?" „Ja. Ich warte hier. Sein ... ich meine, unser kleiner Sohn schläft oben in seinem Zimmer." Zum ersten Mal empfand sie Max als ihren Sohn. Wenn Brian wirklich etwas Schreckliches zugestoßen war, hatte sie jetzt die Verantwortung für Max. Aber sie wollte nicht daran denken. Brian musste es einfach gut gehen. Die Polizeibeamten gingen und Melissa blieb allein zurück. Das Haus kam ihr plötzlich viel größer und furchtbar leer vor. Und das Heulen des Sturms schien stärker geworden zu sein. Sie ging zurück ins Arbeitszimmer. Das Licht war dort wärmer und freundlicher als das der hellen Flurlampen. Sie stellte sich vor, dass Brian am Fenster neben dem Schreibtisch stand. In diesem Zimmer war so viel geschehen. Sie hätte alles gegeben, um Brian jetzt bei sich zu haben. Sie blickte starr aus dem Fenster ins dunkle Nichts hinaus. Plötzlich empfand sie eine tiefe innere Leere. Doch dann sagte sie sich, dass sie die Hoffnung nicht aufgeben durfte. Sie wollte fest daran glauben, dass er bald wiederkommen würde. Und vielleicht musste sie noch einmal überdenken, was sie tun würde, wenn er wieder da war. Sie konnte nicht einfach abreisen. Sie liebte ihn doch. Sie hatten eine glückliche, unvergessliche Zeit miteinander verbracht. Von Unruhe getrieben, stand sie auf und ging im Zimmer hin und her. Sie konnte eigentlich nur noch hoffen, hoffen, dass es ihm gut ging, dass er Schutz vor dem Sturm gefunden hatte und seine Verletzungen nicht so ernst waren. Schließlich ging sie zu Max' Zimmer und öffnete leise die Tür. Im einfallenden Flurlicht sah sie ihn friedlich in seinem Bettchen liegen, die Wangen rosig und die blonden Haare ein wenig zerzaust. Sie lächelte, doch zugleich rannen ihr Tränen über die Wangen. Er war so ein liebes Kind. Sie brachte es einfach nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass seinem Daddy etwas' geschehen war. Er hatte schon keine Mutter mehr. Er durfte nicht auch noch seinen Vater verlieren. Melissa ertrug das Warten einfach nicht mehr länger. Sie ging zurück in ihr Zimmer und blieb einen Moment zögernd am Fenster stehen. Sollte sie ihrem Instinkt folgen, oder wäre das ein Fehler? Schließlich nahm sie ihren Koffer und trug ihn nach unten. Sie ging mutig in Brians Zimmer und warf den Koffer auf sein Bett. Dann packte sie alles wieder aus und verstaute ihre Sachen im Kleiderschrank, der groß genug für sie beide war. Anschließend brachte sie ihre Toilettenartikel ins Badezimmer. Als sie fertig war, machte sie die Nachttischlampe an und danach das Oberlicht aus. Sie setzte sie sich aufs Bett, und wieder war ihr zum Weinen zu Mute. Hätte sie viel eher in sein Zimmer umziehen müssen? War es jetzt vielleicht zu spät? Was wäre, wenn er nie zurückkommen würde? Plötzlich fiel Scheinwerferlicht durch das Fenster ins Zimmer, und Melissa vermutete, dass die Polizeibeamten zurückkamen. Vielleicht hatten sie etwas Neues erfahren. Sie stand auf und ging wie in Trance aus dem Zimmer.
12. KAPITEL Melissa hörte ein Klicken, ohne zunächst zu begreifen, was es war. Dann wurde die Tür geöffnet, und Hoffnung ließ Melissas Herz schneller schlagen. „Brian?" Sie stand oben auf der Treppe, als er hereinkam und die Tür hinter sich schloss. „Brian", sagte sie mit weicher Stimme. Dann lief sie zu ihm hinunter. „Brian! Brian!" Vor Freude rief sie seinen Namen immer lauter. Er schaute sie erstaunt an. In der engen Hose kamen ihre Hüften und die langen Beine gut zur Geltung, und die Konturen ihrer vollen Brüste zeichneten sich unter dem weichen Pullover ab. Er atmete tief ein und breitete die Arme aus. Melissa umarmte ihn so fest, als fürchtete sie, ihn wieder zu verlieren. Am liebsten hätte sie ihn nie wieder losgelassen. „Oh Brian, ich habe solche Angst gehabt. Ich fürchtete schon, du seist tot. Die Polizei konnte dich nicht finden, und Erich hatte nichts mehr von dir gehört. Du hast nicht angerufen, und der Sturm war so schrecklich", sagte sie schluchzend. „Melissa, Schatz, es geht mir gut." Er streichelte beruhigend ihren Rücken. „Die Polizei war hier, Brian. Die Männer sagten, dein Wagen sei mit einem Totalschaden aufgefunden worden. Man hatte Blutspuren im Wagen entdeckt." Sie sah hoch und schaute Brian an. Erst jetzt bemerkte sie die Binde an seinem Kopf und das Blut auf seinem Mantel. Außerdem sah er furchtbar erschöpft aus. Sein Mantel triefte vor Nässe. „Du bist ja völlig durchgeweicht, Brian." „Im Krankenhaus ist schon einiges abgetrocknet. Du hättest mich vorher sehen sollen." Er betrachtete sekundenlang ihre gequälten Gesichtszüge* dann küsste er sie zärtlich. Melissa schloss die Augen. Endlich war alles wieder gut. Sie küsste ihn mit all ihrer Liebe, und nach ihrer furchtbaren Angst in den Stunden zuvor war es besonders schön. Doch nach einer Weile machte sie sich von ihm los. „Du musst unbedingt die nassen Sachen ausziehen. Du solltest gleich heiß duschen und dir etwas Warmes anziehen. Bist du wirklich gesund?" „Ja, ich bin gesund." Er schaute sie liebevoll an und fuhr mit heiserer Stimme fort: „Komm mit mir nach oben." Melissa nickte. Brian küsste sie noch einmal, dann nahm er sie an die Hand, und sie gingen zusammen die Treppe hinauf. „Was ist passiert?" fragte sie. „Ich bin mit dem Kopf aufgeschlagen und etwas nass geworden, aber ansonsten geht es mir bestens. Den Wagen kann ich allerdings vergessen. Gott sei Dank ist er nicht über den Abhang gerollt. Ich bin gegen einen Baum gefahren." Melissa lief es kalt über den Rücken, als sie sich die Situation ausmalte. „War es wegen des Sturms?" „Ja. Die Straßen waren glatt und teilweise sogar überflutet. Überall lagen abgebrochene Äste auf der Fahrbahn. Ich wollte einem ausweichen und rutschte dabei über den nassen Asphalt von der Straße gegen den Baum." Er öffnete die Tür seines Schlafzimmers. Als sie hineingingen, hielt er Melissa so fest, als fürchtete er, sie würde ihm entwischen. Sie zögerte einen Moment, weil sie ihn nicht darauf vorbereitet hatte, dass sie in sein Zimmer umgezogen war. Ob er es unverschämt finden würde? Sie sah sich schnell in dem Raum um. Auf den ersten Blick deutete nichts darauf hin, dass ihre Sachen da waren. Er würde es spätestens merken, wenn er ins Bad ging. Melissa wurde nervös. Vielleicht wäre es besser, ihm alles zu erklären. Sie schaute zu ihm auf und lächelte verängstigt, doch bei seinem Anblick wurde ihr warm ums Herz. Sein blondes Haar glänzte vom Regen, und der Blick seiner dunkelblauen Augen
war freundlich auf sie gerichtet. Durch die weiße Binde wirkte sein sonnengebräuntes Gesicht noch dunkler. „Ist die Wunde genäht worden?" fragte sie besorgt. „Ja. Ich werde wohl in Zukunft eine weitere Narbe im Gesicht haben. Ein älteres Paar sah mich im Regen stehen und brachte mich nach Salzburg ins Krankenhaus. Die Verletzung ist nicht schlimm. Wegen des Sturms gab es viele Unfälle und im Krankenhaus deshalb viel zu tun. Natürlich wurden erst die schweren Fälle behandelt. Ich musste warten, bis ich an der Reihe war." Er zog seinen triefenden Mantel aus und behielt ihn unschlüssig in der Hand, als würde er nicht wissen, was er damit machen sollte. Melissa nahm ihm das Kleidungsstück ab. „Wir hängen deine Sachen am besten ins Bad. Der Anzug ist wahrscheinlich nicht mehr zu gebrauchen, aber das soll uns jetzt nicht kümmern." Er nickte und knöpfte sein Hemd auf. Erst jetzt sah Melissa, dass er zitterte. „Ich lasse Wasser ein", sagte sie und wollte zum Bad gehen. „Nein, ich dusche nur schnell. Ich bin furchtbar müde." Melissa ging dennoch ins Bad und stellte den Thermostat höher. Als sie sich umdrehte und wieder ins Schlafzimmer zurückkehren wollte, stieß sie mit Brian zusammen. Er hatte das Hemd ausgezogen, und seine breiten Schultern glänzten im Lampenlicht. Er drückte Melissa kurz an sich. „Wart auf mich, ich bin gleich fertig." Sie nickte und ging zum Fenster. Während sie nachdenklich hinausschaute, klingelte das Telefon. Ein Polizeibeamter meldete sich und teilte ihr mit, dass ihr Mann im Krankenhaus behandelt worden sei und bald nach Haus kommen würde. Melissa bedankte sich und lächelte, weil die Polizei so langsam gewesen war. Dann verständigte sie Erich und sagte ihm, dass Brian zurückgekommen sei. Nachdem alles erledigt war, setzte sie sich im Schneidersitz aufs Bett und wartete auf Brian. Wie würde er reagieren, wenn er ihre Sachen in seinem ganz persönlichen Bereich sehen würde? Nach einer Weile hörte das Rauschen der Dusche auf. Melissa wurde zunehmend nervöser. Sie beschloss, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte und nicht nach England zurückkehren wollte. Nach diesem fürchterlichen Abend war ihr klar geworden, dass sie bei ihm bleiben musste. Und vielleicht würden sie glücklich miteinander werden - mit Max. Brian öffnete die Tür und kam ins Schlafzimmer zurück. Er warf Melissa einen kurzen Blick zu, dann ging er zum Schrank. Was für ein Mann, dachte Melissa, als sie Brian betrachtete. Bis auf ein Handtuch, dass er sich um die Hüften gebunden hatte, war er splitternackt. Sie konnte es kaum abwarten, ihn zu berühren. Brian zog die Schublade auf, in der seine Unterwäsche lag und in der auch Melissa ihre verstaut hatte. Plötzlich blieb er regungslos stehen und blickte lange in die Schublade. Melissa hielt den Atem an. Wie würde er reagieren? Schließlich nahm er einen Slip heraus. Als er das Handtuch löste und fallen ließ, schluckte sie und fühlte das Blut in ihren Adern pulsieren. Seine Pobacken waren fest und straff, und als er in den Slip schlüpfte, konnte sie das Spiel seiner Muskeln sehen. Melissa sehnte sich danach, dass er ihre Brüste mit den Händen verwöhnte. Sie spürte ein erregendes Kribbeln im Magen. Brian zog eine andere Schublade auf und holte ein altes Sweatshirt hervor. Nachdem er es angezogen hatte, öffnete er die Schranktür. Er verharrte sekundenlang in der Bewegung und betrachtete schweigend Melissas Kleider, die neben seinen Jacketts hingen. Warum sagte er nichts? Er nahm eine Jeans und zog sie sich an. Dann drehte er sich um, damit Melissa sehen konnte, wie er langsam den Reißverschluss hochzog.
Sie versuchte zu lächeln und gelassen zu tun. Aber in Wirklichkeit pochte ihr Herz wie wild. Sie fürchtete, dass er ihr sagen würde, sie solle ihre Sachen zusammenpacken und gehen. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, trat er auf sie zu und setzte sich dann neben sie aufs Bett. „Was ich anhabe, ist sehr warm. Aber vielleicht brauche ich es nicht. Vielleicht wärmt mich heute Nacht ja etwas anderes." Melissa räusperte sich. „Hat dir das Duschen gut getan? Frierst du noch?" „Nein, jetzt nicht mehr", erwiderte er. Sie schaute verlegen auf ihre Hände. „In Shorts und knappen Tops gefällst du mir besser", meinte er und ließ sich aufs Bett sinken. Er nahm ihre Hand und spielte mit ihren Fingern. So lag er lange da, die Augen geschlossen. Es war offensichtlich, dass er müde war. Vielleicht hatte er auch Kopfschmerzen. Melissa fand, dass er sich endlich schlafen legen sollte. „Kannst du mir erklären, was deine Sachen in meinem Badezimmer und Schrank zu suchen haben?" fragte Brian nach einer Weile. Er hatte die Augen noch immer geschlossen und spielte weiter mit Melissas Fingern. „Ich dachte, dass ich vielleicht doch nicht nach England zurückkehren sollte", sagte sie zögernd. „Und warum nicht? Ich dachte, du langweilst dich hier." „Ich habe mir Arbeit gesucht." Brian öffnete die Augen und schaute Melissa überrascht an. „Was für eine?" „Ich gebe Englischunterricht", erklärte sie. „Und das reicht dir?" fragte er spürbar erleichtert. „Ja." Natürlich nur, bis ich ein Kind bekomme, fügte sie im Stillen hinzu. Sie wollte unbedingt eins von ihm. Noch einen so lieben Jungen wie Max. Vielleicht aber auch ein Mädchen. Oder beides. Brian zog sie zu sich aufs Bett, so dass sie ganz nah neben ihm lag. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und legte die andere Hand auf Brians Brust. Sie blieben eine Weile schweigend liegen. Melissa glaubte schon, dass er eingeschlafen war. „Ich liebe dich", sagte er plötzlich. Melissa fühlte sich wie im siebten Himmel und hätte die ganze Welt umarmen können. Jason hatte also Recht gehabt. „Oh Brian, ich liebe dich auch. Ich glaube, ich habe dich von Anfang an geliebt. Aber du hast es immer für Lust gehalten." Er zog sie noch näher zu sich, so dass sie mit dem Oberkörper auf seiner Brust lag. Mit einer Hand strich er ihr sanft durchs kastanienbraune Haar. „Ich habe mich nicht nur in diesem Punkt geirrt, sondern mich benommen wie ein Dummkopf. Wer hätte gedacht, dass Karl zu so etwas fähig sein würde? Ich hätte nie an dir zweifeln dürfen. Aber trotzdem war ich verrückt nach dir." Seine Stimme klang bitter vor Selbstvorwürfen. „Trotz allem?" Sie kuschelte sich an ihn. „Ich kam an jenem Sonntag nur auf die Wiese zurück, weil ich mich in dich verliebt hatte." „Ich war froh, dass du kamst. Ich wollte dich wieder sehen und wusste nicht, wo ich dich hätte suchen sollen." „Bis ich in deine Firma kam."
„Davon wusste ich an jenem Wochenende noch nichts." Er schwieg. Nach einer Weile fragte er: „Wie kam es eigentlich, dass du deine Meinung geändert hast und nicht nach England zurückwillst?" „Ich dachte, du wolltest, dass ich abreise." Sein Blick war ernst geworden. Melissa küsste ihn liebevoll auf die Lippen, die plötzlich nicht mehr diesen harten Zug hatten. Als er schließlich lächelte, kuschelte sie sich an ihn. Es war ein wunderbares Gefühl, sicher und geborgen in den Armen eines Mannes zu sein, der sie liebte. „Ich hatte sogar schon meine Sachen gepackt. Aber als du nicht nach Hause kamst und die Polizei von deinem Unfall berichtete, machte ich mir große Sorgen. Du hättest ja schwer verletzt oder gar tot sein können. Ich konnte einfach nicht abreisen. Dazu liebe ich dich viel zu sehr, Brian. Also habe ich beschlossen zu bleiben. Und zwar hier." „Deine Liebe zeigt sich in allem, was du tust, Schatz. Dein Interesse für Max, deine Toleranz einem Ehemann gegenüber, der sich nicht gerade als Ehrenmann erwiesen hat, indem er dir nicht glaubte, als du die Wahrheit sagtest..." „Pst, so darfst du nicht von meinem Mann reden", sagte sie streng. „Ich kenne die Geschichte von Louisa und verstehe, warum du so viel Mühe hattest, mir zu glauben. Vor allem wegen der Papiere in meinem Aktenkoffer. Aber immerhin hattest du trotzdem Zweifel an meiner Schuld. Aber ich muss gestehen, dass ich eigentlich mehr von dir erwartet hatte als nur eine Entschuldigung und den Befehl, innerhalb einer Frist von wenigen Stunden nach England zurückzukehren." „Ach, wenn du wüsstest, wie ich mich gefühlt habe. Ich kam mir vor wie der größte Schurke auf der ganzen Welt, weil ich dir misstraut hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass du mir verzeihen und bleiben würdest. Ich wollte dich nach meiner Geschäftsreise nach Innsbruck noch einmal sehen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du sofort abreisen würdest, brachte es aber einfach nicht fertig, dich zu bitten, bei mir zu bleiben." Er schob eine Hand langsam unter Melissas Pullover und sanft ihren Rücken hinauf und hinterließ auf ihrer Haut eine Spur kribbelnder Hitze. Dann ließ er die Hand zu einer Brust gleiten, die er sanft liebkoste. Melissa seufzte wohlig und genoss das herrliche Gefühl. „Und Gerry Toliver muss ich wohl auch dankbar sein", sagte er brummig. „Was hast du gegen ihn?" fragte sie leise und war überrascht, dass sie in dieser prickelnden Situation noch normal reden konnte. „Ich war eifersüchtig auf euch beide. Immer wenn ich euch zusammen sah, hätte ich verrückt werden können. Aber er hat bei Karls Überführung mitgewirkt." Melissa lachte leise und ließ die Finger durch die Haare auf seiner Brust gleiten. „Er ist nur ein guter Freund, nicht mehr. Und er hat mir geholfen." Brian schien sich damit zufrieden zu geben, denn kurz darauf wechselte er das Thema. „In den nächsten Jahren werde ich wohl noch in Österreich bleiben müssen, aber langfristig möchte ich den Firmensitz nach England verlegen. Das Geschäft mit Larbard ist ein erster Schritt in diese Richtung." Während er sprach, hörte er nicht auf, ihre Brüste zu streicheln. „Es macht mir nichts aus, in Salzburg zu bleiben. Wo du bist, will ich auch sein", flüsterte sie. „Trägst du morgen das Kollier, das ich dir geschenkt habe? Es ist für dich, und ich verknüpfe keine Bedingungen damit. Und da wir gerade bei diesem Thema sind: Morgen gehen wir zu meinem Rechtsanwalt." „Herrn Rollard? Aber warum?" „Um den verdammten Ehevertrag zu annullieren", erklärte Brian. „Vor unserer Ehe wollte ich mich absichern, aber jetzt weiß ich, wie du wirklich bist. Du bist meine Frau, und ich liebe dich. Ich möchte alles, was ich habe, mit dir teilen. Und wenn
ich vor dir sterbe, erbst du mein ganzes Vermögen." Er rollte sie auf den Rücken, um ihren Pullover hochzuschieben. Dann betrachtete er mit sinnlichem Blick ihre Brüste. „Das alles ist nicht wichtig, Brian. Mir genügt deine Liebe." Durch das zärtliche Spiel seiner Hand breitete sich in ihrem ganzen Körper ein wohliges, erregendes Gefühl aus. Melissa legte die Hände auf seine Brust und spürte Brians Kraft und Wärme durch den weichen Stoff des Sweatshirts. Sie glaubte, vor Glück zu vergehen. „Meine Liebe ist dir sicher, Schatz. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Bei Louisa war es etwas anderes. Ich glaubte, dass ich sie liebte, doch was ich für dich empfinde, ist viel stärker, viel tiefer als alles, was ich je gefühlt habe. Ich fürchtete schon, ich hätte durch meinen Zweifel an dir alles zerstört" „Nein, Brian, dafür liebe ich dich zu sehr. Ich werde dich nie verlassen, es sei denn, du schickst mich fort." „Das werde ich niemals. Du bist alles für mich und der Segen dieser Familie. Ich werde dich ewig lieben, Melissa Terrell." Er küsste sie so lange und leidenschaftlich, dass die letzten Spuren von Kälte und Zweifeln in der Glut ihrer Liebe füreinander vergingen. -ENDE-