BILLY JENKINS
WILD-WEST-ERZÄHLUNGEN
Band 5
711 greift ein
von Rolf Randall
1950
UTA-VERLAG / ESSEN UND UELZEN...
126 downloads
844 Views
1008KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
BILLY JENKINS
WILD-WEST-ERZÄHLUNGEN
Band 5
711 greift ein
von Rolf Randall
1950
UTA-VERLAG / ESSEN UND UELZEN
Nachdruck verboten.
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in fremde Sprachen,
Verwendung im Rundfunk und Film, vorbehalten.
Einbandgestaltung: Heinrich Berends.
Foto von Billy Jenkins: P. Vosen.
Bu-Ka-Druck Lengerich (Westfalen).
PERSONEN:
Billy Jenkins, in geheimer Mission – ein Mann, der er staunlich gut unterrichtet ist. Tom Prox, sein Freund und Begleiter – er erträgt auch die heikelsten Situationen mit Humor. Frank Tudor, ein Ölmagnat, der „Unbeugsame“, er hat ein Vorurteil gegen Rancher und Cowboys. Joe Kirby, Rancher – er hat auf den Ölmagnaten Groll. Lizzie, seine Tochter – ein Mädel, das es in sich hat. Don Alvarez, ein mexikanischer Ölkönig – er ist sehr verdächtig. Juanita, seine Tochter, sehr hübsch und sehr gefährlich. Polter, Sheriff – er kommt immer zu spät, wenn etwas passiert. Mister Zero, der Geheimnisvolle, raffiniert und zu allem fähig. Seine Tochter – sie hat viele Namen und Fähigkeiten, geschmeidig wie eine Katze. Pete, ein ganz gefährlicher Bursche. Cowboys, die ihr gutes Recht verteidigen. Ölarbeiter, die für ihren Chef durchs Feuer gehen. Revolverhelden, die sich für dunkle Zwecke anwerben lassen. Soldaten und Revolutionäre, die sich erbitterte Schlachten liefern.
Erstes Kapitel Über die weite Ebene vor Santa Madre war die Ver folgungsjagd gegangen, dann die Hügel hinauf, wo das Felsengewirr das wilde Tempo verlangsamte und wieder hinab in das breite Tal, in dem grünes, saftiges Gras wog te. Die Baumreihen längs des Grenzflusses schienen mit ihren Zweigen dem Flüchtenden zu winken. Frank Kennedy hatte Mühe gehabt, seinen Vorsprung vor den Mexikanern, die ihn verfolgten, zu vergrößern. Noch immer war er auf Flintenschußweite, und das Sin gen der Geschosse, die rechts und links von ihm durch den Salbei flogen, bewies, wie sehr die Verfolger bemüht waren, ihn noch vor der Grenze abzufangen. Im Grunde wäre es Kennedy nicht darauf angekom men, sein Pferd zu zügeln, den Schutz eines Felsens zu suchen und die Verfolger der Reihe nach aus ihren Sät teln zu schießen. Es gab im ganzen Grenzgebiet kaum jemanden, der besser mit dem Karabiner oder Revolver umzugehen wußte, als diesen Mann, den ein hartes und abenteuerreiches Leben gestählt und tausend Gefahren gehärtet hatten. Doch Kennedy hatte Eile, nach Tudor zu gelangen – und unter seinen Verfolgern war ein Mann mit einer blutroten Narbe auf dem linken Handrücken. Diesem Manne wünschte er nicht zu begegnen, noch nicht, und es hatte auch keinen Sinn, ihn in Selbstvertei digung zu töten. Zero, der Geheimnisvolle, durfte nicht sterben, ehe seine Identität festgestellt, seine Maske ge lüftet war. Obwohl das Pferd, das Kennedy ritt, ein ausgezeich neter Renner war, wäre es seinen Feinden beinahe ge lungen, ihn einzukreisen. In der Talsenke hinter der me xikanischen Ölstadt Santa Madre warteten bereits ein 7
Dutzend Reiter, als Kennedy noch glaubte, freie Bahn zu haben … ein Zeichen dafür, mit welcher Raffinesse Zero seine Fallen zu stellen pflegte, und wie haargenau er es verstand, die Bewegungen seiner Gegner im voraus zu berechnen. Die beiden Raufbolde, die in der Kantine des Öllagers Streit anfingen, waren zweifellos Zeros bezahlte Kreatu ren gewesen. Zero wußte, daß Kennedy nicht töten muß te, als man ihn zwang, in Selbstverteidigung den Revol ver zu ziehen. Er wußte, daß Kennedys schnelle Hand sich damit begnügen konnte, den Krakeelern die Waffe aus den Fingern zu schießen. Und er hatte einen seiner Mordschützen aufgestellt, der im geeigneten Augenblick den tödlichen Schuß auf Kennedys Gegner durchs Fens ter abgab. Ein halbes Dutzend bestochener Zeugen hätte beschworen, daß der Todesschuß aus dem Revolver des Amerikaners stammte … und die unvermeidliche Folge wäre gewesen, daß die wütende mexikanische Bevölke rung Kennedy gelyncht hätte. Es war bezeichnend für Zero, daß er seinen Gegner gelyncht oder gehenkt sehen wollte … Kennedy wendete sich im Sattel um und schätzte die Entfernung zu den Verfolgern. Sie bogen gerade vom Wege ab und kamen einer nach dem anderen aus der rie sigen Staubwolke zum Vorschein, die am Hügelhang schwebte. Ihre heiseren Schreie drangen seltsam abge rissen herüber. Das dünne Knallen der Flinten hörte sich harmlos an, aber der Kugelregen, der auf den steinigen Boden aufschlug, war dicht wie ein Hagelunwetter. Der Flüchtling gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte längs der dichten Büsche am Ufer des kleinen Flusses bis er eine lichte Stelle fand und Ausblick auf das andere Ufer hatte. 8
Die große Furt mußte weiter westlich sein, während die Grenzbrücke, die natürlich scharf bewacht war und daher für diesen illegalen Grenzübertritt nicht in Frage kam, stromaufwärts gelegen war. Kennedy hörte das Ge schrei der Verfolger näher kommen und zögerte nicht, seinen Gaul in die Fluten zu treiben. Die Mexikaner hat ten das Schießen eingestellt und jagten in voller Karriere über die Steppe, Sie teilten sich fächerförmig und presch ten ohne Rücksicht auf die Pferde, deren Flanken blutig gerissen wurden, in die Büsche, um den Verfolgten in letzter Minute noch zu erwischen. Aber schon hatte Ken nedys Pferd Grund gefunden und watete ans amerikani sche Ufer. Einige gefährliche Sekunden waren noch zu überstehen, als Kennedy, das Pferd am Zügel hinter sich herziehend, das steile Ufer erklomm. Die Kugeln der Mexikaner von der anderen Seite des Flusses her waren gut gezielt, trieben direkt vor den Füßen Kennedys kleine Staubwölkchen in die Höhe, ließen Steine springen und zerfetzten das Blattwerk des Weidengestrüpps auf der Böschung. Atemlos erreichte der Flüchtling den oberen Rand der Uferböschung. Er trieb das Pferd in eine kleine Senke, so daß es dem Geschoßhagel nicht mehr ausgesetzt war, und schritt dann noch einmal zurück, um sich zu „verab schieden“, wie er es im stillen nannte. Er trat auf einen Felsen hinaus, nahm den Karabiner von der Schulter und entsicherte ihn. Von drüben knatterte eine wütende Flin tensalve herüber. Kennedy kümmerte sich nicht um das Pfeifen der Kugeln. Er legte an und zielte sorgfältig. Zero, dessen hohe, militärisch straffe Gestalt aus der Reiterschar abstach, schob gerade den Sombrero in den Nacken, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, als die Kugel Kennedys über das Wasser pfiff. Der Som 9
brero flog, wie von Zauberhand angerührt, durch die Luft und segelte zu Boden. Die breite Krempe zeigte ein run des Loch. Zero hob drohend die Faust und schrie eine Verwünschung herüber. Er wußte, daß der Mann, den er am meisten zu fürchten hatte, ihn ebensogut in den Kopf hätte schießen können. Kennedy war kein Zufallsschütze. Er traf, wonach er zielte – – und diesmal hatte er auf den Hut gezielt. „Adios Señores“, scholl Kennedys grimmige Stimme hinüber. Dann war er zwischen den Zweigen verschwunden. Und sein Gegner, dem es auf eine Grenzverletzung nicht angekommen wäre, hielt es aus bestimmten Gründen für geraten, den Rückzug anzutreten. Zero war fest davon überzeugt, daß Frank Kennedy dem ihm zugedachten Schicksal nicht entgehen würde. Santa Madre jedenfalls war dem verhaßten „Gringo“ dank Zeros Klugheit ein für alle Male versperrt. Noch heute würde jede mexikanische Grenzstation den Steckbrief erhalten und wissen, daß Kennedy ein von mexikanischen Behörden gesuchter Mörder war … Auch in Todur und Bilford, den beiden kleinen Grenzstädten auf amerikanischer Seite, würde Kennedy feststellen, daß der „geheimnisvolle Mister Ze ro“ einen erstaunlich langen Arm hatte – – . Indessen hatte Kennedy sein Pferd durch das Erlen gestrüpp geführt und den Weg erreicht. Er nahm eine Karte aus der Satteltasche und orientierte sich. Drüben, der spitze Hügel mit der einsamen Pappel mußte auf der Karte des Grenzgebietes verzeichnet sein. Links begann der Wald, hinter dem Bilford lag, und rechts war die Steppe mit der grünen Flut wogender Grashalme. Am Horizont konnte Kennedy die Bohrtürme der Ölstadt Tu dor erkennen. Die Kirby-Ranch lag in der Mitte zwischen 10
den beiden Städten, deren Bewohner sich gegenseitig nicht leiden mochten, weil sie so verschiedene Lebens aufgaben hatten. Tudor war die Stadt des Öls, der Bohr türme und Raffinerien, Arbeiter und Glücksritter. Mit ihrem lauten, ungezügelten Treiben war Tudor den Ran chern der Umgegend seit jeher ein Dorn im Auge. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ein Prospektor Öl gefunden, und die unvermeidliche Folge seiner Entdeckung war, daß eine aus Bretterbuden und Blockhäusern bestehende Stadt mit fiebriger Eile aus dem Boden wuchs. Mit den Ölarbeitern und Ingenieuren zog allerlei Gesindel in das neue Eldorado, die Hyänen des leicht verdienten Geldes. Immer weitere Ölquellen wurden angebohrt, neue Bohr türme entstanden, neue Arbeiterkolonnen rückten an. Die vorher stille, idyllische Grenzgegend wandelte sich. Schwarze, scheußliche Rohrleitungen wuchsen wie die Fangarme eines Polypen durch das Weideland, von dem ein Rancher nach dem anderen verdrängt wurde. Betrun kene Ölarbeiter belästigten die Rancherstöchter und Mägde, prügelten sich in den zahllosen obskuren Knei pen und Spielhöllen. Revolverhelden und Falschspieler, Diebe und Hehler, Strolche und zweifelhafte Frauen bil deten einen wesentlichen Bestandteil der Bevölkerung. Erst, als der noch verhältnismäßig junge, schneidige Ölkönig Frank Tudor die Quellen aufkaufte und das ÖlEldorado dem Konzern seines Oheims angliederte, kam etwas Ordnung in das wilde Leben der Stadt, die seinen Namen erhielt. Tudor pflegte scharf durchzugreifen und hatte bald erkannt, daß Sheriff Polter nicht fähig war, dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Er organisierte eine eigene Ordnungstruppe, eine Art Spezialpolizei, die aus den draufgängerischsten und gleichzeitig anständigsten Arbeitern zusammengestellt wurde. Hatte es vorher häu 11
fig Reibereien zwischen den Cowboys der umliegenden Ranchs und den Ölarbeitern gegeben, so stiftete die dis ziplinierte Ordnungstruppe Tudors bald Frieden und man konnte sogar im benachbarten Rancher-Städtchen Bilford zum Reiterfest oder Tanz erscheinen, ohne – wie das frü her regelmäßig der Fall gewesen war – verprügelt zu werden. Denn die Einwohner von Bilford waren verbit tert über das Vordringen und die Anmaßung der Ölleute. Die besten Weiden waren von Bohrtürmen verseucht oder konnten wegen der Ölrohre nicht mehr erreicht werden. Die früheren Ölfürsten hatten zum Teil niederträchtige Methoden angewendet, um das Land an sich zu bringen. Rancher, die sich geweigert hatten, den Bohrtürmen zu weichen, wurden in endlose Prozesse verwickelt und schließlich enteignet. Amerika brauchte Öl – das flüssige Gold, das Automobile und Kriegsschiffe, Traktoren und Panzerwagen in Bewegung hielt. Frank Kennedy wußte um diese tiefgehende Anti pathie zwischen den beiden Städten – und er wußte noch mehr: daß es bestimmte Leute gab, welche ein Interesse daran hatten, das Grenzland nicht zur Ruhe kommen zu lassen! Der Groll der Rancher und Farmer auf die Ölleute war nicht unberechtigt, aber übertrieben, und die Abnei gung der rauhen und ungeschlachten Ölarbeiter gegen die flinken, sehnigen und schießgewandten Cowboys äußerte sich in oft gehässiger Weise, ohne daß die Ölleute wirk lich, wie sie sich zum großen Teil einbildeten, den „Kuh hirten“, wie man die Cowboys verächtlich nannte, irgend etwas voraus hatten. Die Kirby-Ranch, mitten zwischen den feindlichen Städten gelegen und daher häufig Schauplatz von Rei bereien zwischen Weidereitern und herumvagabundie renden Ölarbeitern, war das Ziel des erschöpften Reiters. 12
Nachdem Kennedy den Mexikanern, die ihn verfolgt hat ten, entkommen war und eigentlich illegal amerikani schen Boden betreten hatte, war er nur im Schritt geritten und hatte seinem Pferd Ruhe gegönnt. Er wollte eigent lich sofort den Weg nach Tudor einschlagen, überlegte sich dann aber, daß es ratsam war, zunächst einmal Er kundigungen einzuziehen. Der Weg wandte sich jetzt um eine Hügelkette im Halbkreis und führte über eine morsche hölzerne Brücke, die einen kleinen Bach überspannte. Das Gewässer hatte eine tiefe, schmale Schlucht gegraben und schien es an dieser engen Stelle eilig zu haben, in den Grenzfluß zu kommen. Schon sah Kennedy sein Ziel vor sich: ein großes, massiv gebautes Ranchgebäude, dessen rotes Dach ihm aus einer Gruppe hoher Fichten entgegenleuchtete, als er raschen Hufschlag auf dem Wege hinter sich hörte. In der kleinen Staubwolke, die sich zwischen den Hügeln er hob, leuchtete eine helle Bluse. Blondes, lockiges Haar flatterte im Luftzug des scharfen Rittes, aber erst, als sich die Wolke teilte, sah Kennedy, daß er ein junges Mäd chen vor sich hatte – eine Amazone, wie sie im Herren sitz angaloppiert kam, mit geröteten Wangen und blit zenden Augen. Sie fiel in Trab, als sie den wartenden Reiter auf dem Wege bemerkte. Ihrer Haltung war anzumerken, daß sie mißtrauisch war. Kennedy sah, wie sich ihre kleine Hand zum Gürtel tastete und den Hahn des Revolvers spannte. Der abgehetzte, verstaubte Mann auf dem ermüdeten Pferd mochte keinen besonders vertrauenerweckenden Anblick bieten; jedenfalls lenkte sie ihr Pferd zur Seite und versuchte, ihn zu umreiten. „Hallo, Mädchen“, rief Kennedy fröhlich. 13
Sie zügelte ihr Pferd und blickte herüber. „Hallo, Fremder“, scholl ihre helle, aber zurück haltende Stimme zur Antwort. „Warum reißen Sie denn vor mir aus?“ Das Mädchen zog den Rock über die Knie und stemm te die Hand in die Seite. „Ich reiße vor niemandem aus“, sagte sie nachdrück lich. „Sie stehen ja mitten auf dem Wege – und ich hab’ keine Zeit.“ Kennedy lachte. Sein offenes, energisches Gesicht und das lustige Blinzeln seiner Augen gefielen ihr. Sie hatte erst geglaubt, einem der herumtreibenden Ölarbeiter zu begegnen, aber mit dem geübten Blick der Rancherstoch ter, die unter echten Männern und wilden Pferden groß geworden war, erkannte sie in ihm den ehemaligen Cow boy. Die ganze Art und Weise, wie der Mann im Sattel saß, seine etwas vornüber geneigte Haltung und seine Sprache zerstreuten ihren Verdacht. Sie ritt langsam her an und musterte ihn mit einem neugierigen, freimütigen Blick. „Sie sind fremd in der Gegend?“ fragte sie. „Wollen Sie zu uns?“ Der Reiter schmunzelte. „Das sind zwei Fragen auf einmal“, sagte er. „Aber ich will Sie nicht auf die Folter spannen: Die Gegend kenne ich wie meine Tasche – bin aber trotzdem fremd hier. Und ich will zu Ihnen, vorausgesetzt, daß Sie Kirby hei ßen.“ Er lüftete den Hut. „Ich heiße Kennedy.“ „Freut mich“, antwortete sie. „Ich bin Lizzie Kirby, die Tochter des Ranchers. Suchen Sie Arbeit?“ Sie blick te ihn prüfend von Kopf bis Fuß an. Die Musterung war sehr gründlich und schien zu ihrer Befriedigung aus zufallen. „Wir können Weidereiter gebrauchen.“ 14
Kennedy setzte sich an ihre Seite. Sie ritten langsam weiter. „Ich bin kein Cowboy“, erklärte er leichthin. „Um ehr lich zu sein: Mal bin ich hier, und mal bin ich dort. Es hält mich nirgendwo lange.“ Sie blickte aufmerksam auf seine rechte Hand, mit der er die Tabakspfeife stopfte. Diese war mehr von der Son ne gebräunt als die Linke. Er trug an der rechten Hand nie einen Handschuh. „Und wieviel Leute haben Sie schon umgebracht?“ Die plötzliche, freimütige Frage verwirrte ihn. „Wie kommen Sie darauf?“ fragte er verdutzt. Lizzie lachte leise. „Das kann doch jedes Kind sehen“, sagte sie bedäch tig; sie fühlte sich zu einer näheren Erklärung verpflich tet: „Der Unterschied Ihrer Hände fällt sofort ins Auge … Sie sind ein Revolvermann!“ Die letzten Worte waren wie eine Anklage. Kennedy entzündete mit ruhiger Bewegung seine Pfeife, blies den Rauch von sich und nickte. „Stimmt auffallend“, bemerkte er. In seinen grauen Augen glomm ein heiteres Licht. „Können Sie einen Re volvermann gebrauchen? Ich habe gehört, daß es ziem lich lebhaft in dieser idyllischen Gegend geworden ist. Für ein gutes Wort und ein Stück Brot bin ich zu allen Untaten bereit.“ Er hatte spaßhaft gesprochen, aber irgendwie war aus dem Tonfall seiner Worte zu hören, daß er es ernst mein te. Lizzie zügelte ihr Pferd und sah ihn voll an. Sie schien zu überlegen. „Sind Sie ein … ein schlechter Mensch?“ fragte sie in ihrer überraschenden Art. Als er lächelte, setzte sie rasch hinzu: „Ich meine … ob Sie … gesucht werden! Viel 15
leicht haben Sie etwas ausgefressen?“ sagte sie nach denklich. „Der Sheriff besucht uns häufig und würde Sie sofort erkennen.“ Kennedy tat, als müßte er überlegen. „Ach nein“, meinte er dann. „Ich glaub’ nicht, daß ich in dieser Gegend gesucht werde – jedenfalls nicht vom Sheriff.“ Er lachte, als wäre ihm ein spaßhafter Zu sammenhang eingefallen, wurde aber sofort wieder ernst. „In Bilford sagte man mir, daß Kirby Leute sucht, die Tod und Teufel nicht fürchten, reiten und schießen kön nen, und dreinzuschlagen verstehen. Okay, so einer bin ich – kein Strolch und kein Desperado, ein Kerl, der sich nur wohlfühlt, wo es lebhaft zugeht.“ Das Mädchen setzte ihr Pferd wieder in Gang. Sie er reichten das Gattertor und ritten auf den freien Platz zwi schen den Fichten. Ein Cowboy schlenderte heran und nahm ihnen die Pferde ab. „Der Vater ist leider nicht zu Hause“, erklärte Lizzie, als sie ihm voran ins Haus ging. Sie führte ihn ins Wohn zimmer und bot ihm Platz an. „Doch habe ich in jeder Beziehung freie Hand. Offen gesagt, Sie gefallen mir nicht schlecht, Mister Keny .“ „Kennedy“, verbesserte er. „Danke für das Kompli ment. Wo ist der Teufelsfuß?“ „Welcher Teufelsfuß?“ Sie runzelte die Stirn und blickte ihn aus ihren dunkelblauen Augen befremdet an. „Meinen Sie, daß ich Sie zu einer unehrenhaften Hand lung verleiten will?“ „Um Himmels willen“, lachte Kennedy. „Aber ich wette, daß Sie in irgendeiner Hinsicht sehr im Druck sind. Dazu brauchen Sie einen Mann wie mich, habe ich recht? Man sagte mir in Bilford, daß Sie Revolver leute suchen. Well, da bin ich – und nun sprechen Sie 16
frei von der Leber weg. Ich kann eine hübsche Portion vertragen.“ Er hatte nicht gelogen. Allerdings war es schon drei Wo chen her, daß er durch Bilford gekommen war. Aus be stimmten Gründen mußte er rasch über die Grenze und hat te auch eigentlich nicht die Absicht gehabt, Kirby aufzusu chen. Die Tatsache jedoch, daß Kirby unterwegs war – mit ten in der arbeitsreichen Zeit – erschien ihm merkwürdig. „Wo ist denn Ihr Vater?“ erkundigte er sich. „In Tudor“, erwiderte sie kurz. „Ich komme ebenfalls daher. Wir haben … Schwierigkeiten. Und Sie können uns dabei helfen, wenn Sie wollen. Wir brauchen ein Dutzend tüchtiger Leute, um einen Mann zu retten, der ermordet werden soll. Haben Sie Mut?“ Kennedy zeigte beim Lachen seine blendendweißen Zähne. „Nein, Durst“, sagte er bittend. „Entschuldigen Sie“, Lizzie errötete und rief nach der Köchin. Sie bestellte kalten Tee. „Sicher haben Sie auch Hunger?“ Als Kennedy nickte, ließ sie eine Mahlzeit bringen. „Sie können ruhig essen, ich erzähle Ihnen in zwischen, worum es sich handelt.“ Der Besucher ließ es sich schmecken und lauschte mit immer größerem Interesse dem Bericht des Mädchens. Lizzie, die erst einen so selbstsicheren und gelassenen Eindruck gemacht hatte, schien äußerst besorgt, ja, er glaubte, aus ihrer Stimme Angst zu hören. Sie erzählte, daß die Ölleute von Tudor ihren Vater im Verdacht hat ten, die große Ölleitung von Lager drei angebohrt zu ha ben, weil die Leitung neuerdings den Zugang zu einem Wäldchen versperrte, das Kirby gehörte und aus dem sich seine Leute Holz zu schlagen pflegten. „Selbstverständlich hatte mein Vater damit nichts zu 17
tun“, sagte sie erregt. „Aber wir konnten uns in Tudor nicht mehr sehen lassen, ohne angepöbelt zu werden. So kam es zu dem Unglück und dazu, daß der Verdacht auf Jack fallen mußte.“ Kennedy kaute langsamer. „Ist der besagte Jack Ihr … Bräutigam?“ Lizzie schüttelte traurig den Kopf. „Mein Bruder – und ich fürchte, die Ölleute werden ihn hängen.“ Nach dieser überraschenden Erklärung legte Kennedy zunächst einmal Messer und Gabel weg. Er trank einen Schluck Tee und ließ dabei das Mädchen nicht aus dem Auge. Wie sie so schlank und geschmeidig dasaß, mit blitzenden Augen und förmlich sprungbereit, erinnerte sie ihn an eine Wildkatze. Ja, das war der Typ Mädchen, die den Bruder nicht im Stiche ließen, ganz gleich, was er angestellt haben mochte. Und wenn die Ölleute Jack Kirby hängen wollten, mußte er zumindest einen Mord be gangen haben. Wegen angebohrter Ölleitungen wurde auch in Tudor niemand gehängt. „Hat Ihr Bruder jemanden niedergeschossen?“ fragte er ernst. Zu seiner Überraschung schüttelte das Mädchen den Kopf. „Man fand ihn neben der Leiche eines ermordeten Wächters“, sagte sie leise. „Und der Verdacht fiel auf ihn, obwohl ein anderer den Mord begangen hat. Das schlimme ist, daß er nachts zu den Bohrtürmen schlich, obwohl ihm Sheriff Polter die Stadt verboten hatte.“ Lizzie unterbrach sich und sah Kennedy zu, der mit flinken Fingern eine Zigarette drehte. Er zündete sie an und rauchte nachdenklich. Glaubte er ihren Worten? Sein Gesicht war undurchdringlich. 18
„Ich versichere Ihnen, daß es sich so verhält, wie ich es Ihnen erzähle“, sagte sie eindringlich. Sie empfand Vertrauen zu diesem seltsamen Manne, der ein Etwas in seinem Wesen hatte, das ihn als Helfer in der Not ge eignet erscheinen ließ. Lizzie stellte die Teller zusam men. „Wollen Sie uns helfen?“ fragte sie. „Vorausgesetzt, daß Sie mich von der Unschuld Ihres Bruders überzeugen – gern“, nickte Kennedy. „Jack ist kein Mörder. Und wenn er den Mann er schossen hätte, so würde er es uns gesagt haben – wir konnten ihn heute morgen im Gefängnis sprechen. Er ist ein Mann und kein Waschlappen, und würde zu seiner Tat stehen. An allem ist das Mädel schuld …“ „Welches Mädel?“ „Juanita – wie sie weiter heißt, habe ich nicht in Erfah rung bringen können. Sie ist sehr hübsch und hat Jack völlig den Kopf verdreht. Eine Mexikanerin – stellen Sie sich das vor …“ „Hm … kann’s mir vorstellen. Wieso ist Juanita schuld?“ „Weil sie Jack den Kopf verdreht hat.“ „Das ist doch kein Verbrechen?“ brummte Kennedy. „Nennen Sie es, wie Sie wollen. Jack durfte die Stadt nicht betreten – es hatte da eine Schlägerei mit einem Ölingenieur wegen der angebohrten Leitung gegeben – und schlich sich trotzdem mitten in der Nacht nach Tu dor, um das Mädel zu treffen. Er sagte uns zwar heute früh, Juanita wollte ihm verraten, wer die Ölleitung an gebohrt hat, aber ich glaube das nicht so recht. Warum schweigt sie denn jetzt, wo er verurteilt werden soll, die Katze?“ Kennedy rieb sich die Nase. „Vielleicht fürchtet das Kätzchen, sich die Pfoten zu 19
verbrennen?“ riet er. „Wie hat sich denn alles zu getragen?“ „Ich habe Juanita im Verdacht, daß sie mehr von den geheimnisvollen Sabotageakten auf die Ölleitungen weiß, als mancher ahnt“, erklärte sie sachlich. „Sie hat Augen und Haar, schwarz wie die Nacht … und vermutlich eine ebenso schwarze Seele. Warum lockte sie meinen Bruder nach Tudor? Um ihm die Schuld an dem Verbrechen ei nes ihrer Komplizen In die Schuhe zu schieben! … Nein, nein, ich habe Beweise! Schauen Sie nicht so ungläubig! Warum leugnet sie denn ab, daß sie sich mit Jack in jener Nacht treffen wollte? Nun also – Jack kam zur verabre deten Stelle, sah einen Kerl längs der Baracken zum Bohrturm schleichen und rief ihn an. Der Mann zuckte zusammen und ließ ein großes Bündel fallen. Mein Bru der, In der Annahme, einen der Saboteure vor sich zu haben, rannte zu ihm hin. In dem Augenblick mußte wohl einer der Privatpolizisten Tudors Lunte gerochen haben und kam ebenfalls angerannt. Er war noch rascher bei der Baracke als Jack … dann krachte ein Schuß. Der Polizist fiel um und der andere Mann flüchtete, ehe Jack zur Stelle war. Mein Bruder stellte fest, daß der Wächter tot war. Gerade, als er die Mordwaffe vom Boden auf nahm, stürzten zwei andere Wächter herbei und überwäl tigen Jack so rasch, daß er nicht einmal eine Erklärung geben konnte. Nun überlegen Sie: man fand die Mord waffe in seiner Hand und den toten Polizisten vor ihm. In dem Bündel, das der wirkliche Mörder geschleppt hatte, befand sich genügend Dynamit, um drei Bohrtürme in die Luft zu sprengen. Mord und Sabotageversuch … un ter dieser Anklage wurde mein Bruder festgenommen. Heute nachmittag war die Gerichtsverhandlung. Mein Vater ist in der Stadt geblieben, um zu sehen, wie sie 20
ausgeht – und ich bin hergeritten, um unsere Leute zu mobilisieren. Wir werden morgen früh das Gefängnis stürmen!“ Sie schwieg und blickte Kennedy durchdringend an. Dieser rieb sich das Kinn und überlegte. „Sollen wir meinen Bruder, der doch unschuldig ist, von den Ölleuten ermorden lassen?“ sagte ihre bebende Stimme. „Stellen Sie sich das nicht so einfach vor – das Ge fängnis stürmen!“ bemerkte er ruhig. „Ich kenne die Ge fängnisse an der Grenze von … hm … vom Hören und Sagen her, und ich habe mir ein paar davon bei einer In spektionsreise angesehen.“ „Sie wollen sagen, daß Sie schon darin gesessen ha ben“, bemerkte sie. „Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht verletzen …“ „Keine Ursache. Jedenfalls sind die meisten Gefäng nisse hier in der Gegend von mexikanischen Handwer kern gebaut … und das sind sozusagen Spezialisten dar in. Die mexikanischen Verbrecher sind wahre Genies in der Kunst des Ausbrechens. Die Gefängnisse sind so ge baut, daß zwei Wächter vollauf genügen. Dicke Mauern, starke Gitter und ein Labyrinth von Gängen, aus denen es nur einen einzigen Ausgang gibt – denjenigen, der von den Wächtern bewacht wird. Da kommt keine Maus un geschoren hinein oder heraus. Die schwere eiserne Tür können Sie nicht einfach ‚stürmen’, Mädel! Die Leute haben eine Luke in der Tür und lassen keinen herein. Sie sitzen wie in einer Festung.“ „Was sollen wir denn bloß machen?“ stöhnte Lizzie verzweifelt. „Ich bin überzeugt, daß sie Jack zum Tode verurteilt haben und morgen früh hängen werden …“ Kennedy räusperte sich. 21
„Ich verspreche Ihnen“, sagte er feierlich, „daß ich Ih ren Bruder heute nacht noch heraushole. Ich könnte dies auf sehr einfache und leichte Art und Weise tun, bin dazu aber aus bestimmten Gründen jetzt nicht in der Lage. Also muß ich ihn gewaltsam befreien … und dazu müs sen Sie mir eine Gesichtsmaske aus schwarzem Stoff nähen.“ Lizzie blickte ihn hoffnungsvoll an. „Werden Sie es auch schaffen?“ „Natürlich“, brummte Kennedy. „Und wenn es schief gehen sollte, dann können Sie ja mit Ihren Cowboys morgen früh noch das Äußerste versuchen. Wozu ich allerdings nicht raten möchte. Mit Ölarbeitern ist, wenn sie gereizt sind, nicht gut Kirschen essen …“ Er blickte das Mädchen merkwürdig an. „Ich muß Sie allerdings um einen Gegendienst bitten.“ Lizzie deutete seinen Blick falsch und errötete vor Scham und Zorn. Sie kämpfte die Erregung nieder. „Ich hoffe, Sie werden –“, begann Sie würgend, „– nicht die Situation ausnützen und – – und –“ Kennedy lachte vergnügt. „Nein, kleines Mädchen“, sagte er dann ruhig, nach dem er seine Verdutztheit überwunden hatte. „Kennedy ist kein so schlimmer Kerl! Ich möchte nur, daß Sie ei nem gewissen Tom Prox, wenn er sich hier blicken läßt, einen Brief von mir übergeben. Das ist alles.“ „Tom Prox?“ sagte sie erfreut. „Das ist ja ein alter Freund meines Vaters … er war früher bei uns Cowboy, ehe er in die Dienste der Bundespolizei trat. Ich glaube, er ist jetzt beim Geheimdienst und arbeitet mit dem be rühmten Billy Jenkins zusammen. Kennen Sie Billy Jen kins?“ „Billy Jenkins?“ sagte er gedehnt. „Oh ja – hab’ von 22
dem Kerl schon viel gehört. Ich kenne aber jemanden, der noch tüchtiger ist als Billy Jenkins.“ Lizzie funkelte Ihn an. Sie schwärmte von Billy Jen kins und Kennedys Bemerkung wurmte sie. „So, so, – wen denn?“ erkundigte sie sich kühl. „Kennedy ist tüchtiger“, sagte er schmunzelnd. Sie hatte das Empfinden, daß er sich über sie lustig machte … *
* *
Frank Tudor hatte den alten Rancher nicht warten lassen, sondern sofort vorgelassen. Der breitschultrige schwer fällige Kirby wirkte vor der schlanken, elastischen Figur des Ölkönigs wie ein Stier, der die Hörner an einer jun gen Birke wetzen will. Tudor war etwa Dreißig, hatte eine straffe Haltung und sprach mit ruhiger Be stimmtheit. Er unterstrich seine Erklärungen mit Gesten, die zeigten, daß er gewohnt war, Befehle zu erteilen, oh ne jedoch damit rechthaberisch und anmaßend zu wirken. Er achtete den Standpunkt des anderen. Joe Kirby war in den Sechzigern, sein graues Haar und der Schnurrbart gaben ihm ein grimmig-ehrwürdiges Aussehen. Das wetterharte Gesicht war trotzig verhärtet, zeigte aber eine Spur von Unsicherheit, als er dem weit aus jüngeren, gewandteren Manne gegenübertrat. Er hatte den Ölkönig noch niemals gesehen, stutzte aber, als er in die klugen, keineswegs feindseligen Augen blickte. War das wirklich Frank Tudor, der „Unbeugsame“, wie ihn die Rancher nannten? War dieser energische, aber gleichzeitig sympathische junge Mann der Kerl, den sie haßten? Die beiden Todfeinde maßen sich mit Blicken – 23
Kirby finster und traurig, Tudor zurückhaltend, jedoch nicht ohne Mitgefühl. Der Ölkönig bot dem Rancher Platz an. „Ich kann mir denken, warum Sie kommen, Mister Kirby“, sagte er bedauernd und deutete auf einen Stuhl. „Danke, ich stehe lieber“, sagte Kirby. „Mein Sohn ist unschuldig. Verdammte Intriganten haben ihn als Mörder hingestellt. Ich verlange, daß der Prozeß wiederholt, das Urteil widerrufen wird. Sie können nicht einen Un schuldigen hinrichten lassen.“ Der Ölkönig schwieg. „Ihre Polizisten haben falsch geschworen“, schrie Kirby. „Mein Sohn ist kein Mörder. Er wollte sich mit dem Mädel treffen. Sheriff Polter lügt, alle lügen. Sie haben sich gegen uns Rancher verschworen, seit langem. Aber jetzt ist das Maß voll. Wir lassen uns von dem Pack, Ih ren Arbeitern, nicht zu Mördern stempeln …“ „Schreien Sie nicht so“, sagte Tudor ruhig. „Ich ver stehe und achte Ihre Erregung. Es ist für mich schmerz lich, ebenso wie für Sie, daß der Fall eine so unglückli che Wendung nahm. Ich will Ruhe in meinen Camps, Frieden mit den Ranchern und Farmern. Wir wollen Öl bohren, Öl, das unser Land nötig braucht …“ „Blutsauger“, schrie Kirby. Die Adern schwollen auf seiner Stirn. „Landdiebe seid ihr … und nun wollt ihr meinen Sohn töten, he? Er ist unschuldig!“ Tudor schritt zum Fenster des elegant eingerichteten Arbeitszimmers und blickte hinaus. Sein Blick schweifte über die Ölfelder, über Bohrtürme und Rohrleitungen, Baracken und Tanks. „Euer Land und eure Weiden sind überall. Ringsum, wohin ich sehe, ist grünes, saftiges Weideland, ist frucht barer Boden. Wir nehmen euch nichts weg, was nicht zu 24
ersetzen wäre. Aber nicht überall ist Öl in diesem Land und in dieser Erde …“, er sprach versonnen, suchte nach Worten. „An einigen wenigen Stellen dieses Landes nur fließt der Born, der Amerikas Wirtschaft wie ein Blut strom am Leben erhält, Automobile treibt, Schiffe in Bewegung hält … Erdöl! Ihr seid ungerecht, Kirby, seht nur die Bohrtürme und nicht das Herz, das sie zum Schlagen bringen, nicht den Körper, den sie am Leben erhalten, den Körper, von dem auch ihr ein Teil seid.“ Kirby stampfte mit dem Fuß auf. Er hatte den Colt am Gürtel und es juckte ihn nach der Waffe. Aber Frank Tu dor war unbewaffnet und wendete ihm den Rücken zu … „Ihr habt uns unser bestes Weideland genommen“, sag te er. „Abgekauft, he? Abgepreßt, enteignet, gestohlen …“ „Der Staat braucht Öl, und der Staat kann auf das flüs sige Gold nicht verzichten, dem letzten Endes Amerikas Weltgeltung zu verdanken ist.“ Kirby knurrte wie ein gereizter Tiger. „Ich pfeife auf das Öl und auf die Weltgeltung“, schnappte er. „Und ich pfeife auf die Vertreter eines Staates, der einen Unschuldigen nicht vor den Intrigen von Mordgesindel schützen kann. Meine Geduld ist er schöpft, hüten Sie sich, Frank Tudor …“ Der Ölkönig lächelte schmerzlich. „Denkt Ihre Tochter ebenso wie Sie?“ „Was geht Sie meine Tochter an.“ Tudor fuhr sich über die Augen. Er dachte an die Be gegnung mit Lizzie Kirby … das hübsche Mädchen, das wie eine Amazone im Sattel saß … er hatte sie bei einem Inspektionsritt längs der großen Rohrleitung getroffen … Sie waren ein Stück zusammengeritten, ohne einer vom anderen zu wissen, wer er war … zwei junge Menschen kinder, die vom ersten Augenblick an wie füreinander 25
bestimmt waren. – Einmal war er nicht Frank Tudor ge wesen, sondern irgendein junger Mann namens Frank, ein sympathischer Gesellschafter. Ihr hatte seine jungen hafte Unbekümmertheit gefallen und sie hatten sich wie der getroffen. Es war ein herrlicher Abend gewesen, zum Abschied hatten sie sich geküßt. Und dann hatte er sie gefragt, ob sie seine Frau werden wolle. Er sei Frank Tu dor und – – ja, in diesem Augenblick war es vorbei ge wesen. Sie hatte ihn entsetzt angesehen, Tränen stürzten aus ihren Augen – und sie war geflohen, vor ihm geflo hen wie vor einem Aussätzigen. „Ich traf Ihre Tochter“, sagte Tudor leise. „Und ich liebe sie.“ Er hörte hinter sich das Keuchen des stiernackigen Man nes, rührte sich aber nicht. Dicht vor seinem Rücken blieb Kirby stehen und hob in ohnmächtiger Wut die Fäuste. „Meinen Sohn … zum Tode bringen … am Halse … aufhängen … bis daß er tot ist …“, würgte er, die Formel des Richters beim Urteilsspruch wiederholend. „Und Sie … Sie Schuft … wollen meine Tochter …“ Tudor wendete sich um und sah Kirby traurig an. „Ich habe mich für Ihren Sohn eingesetzt, mein mög lichstes getan, glauben Sie mir! Doch vor dem Gesetz hört mein Einfluß auf. Ich kann über das Wohl und Wehe von Tausenden Arbeitern bestimmen … aber nicht über Leben und Tod, wenn es sich um Mord handelt. Verste hen Sie denn nicht? Es ist völlig gleichgültig, unwesent lich, ob ich persönlich an die Schuld oder Unschuld Ihres Sohnes glaube. Der Schein ist gegen ihn, die Richter glauben, genügende Beweise zu haben … ich bin macht los!“ Er schwieg erschüttert; denn der Ausdruck auf dem Gesicht Kirbys war kaum zu ertragen. „Fassen Sie sich doch, Kirby …“ 26
Kirby war wie gelähmt. Seine wuchtige Gestalt schien einzuknicken. Mit wankenden Schritten ging er zur Tür. Er wendete sich noch einmal um. „Kampf!“ röchelte er. „Kampf bis aufs Messer .“ Krachend fiel die Tür ins Schloß. *
* *
Drei Schritte hin, drei Schritte her … wie ein gefangener Tiger schritt Jack Kirby in seiner Zelle auf und ab. Ein dünner Licht streifen, der sinkenden Sonne verirrte sich durch das starke Gitter des kleinen Fensters und malte blutigrote Kringel auf die hölzerne Pritsche. Jack war groß und kräftig wie sein Vater, aber ge schmeidiger und überlegter. Er war im Grunde ein gro ßer Junge, und das ehrliche Gesicht, die Unbekümmert heit seiner ganzen Art, sich zu geben, verstärkte diesen Eindruck. Doch jetzt war er bedrückt und wütend zugleich. Er hatte den vielen neugierig starrenden Gesichtern im Gerichtssaal sein „Unschuldig!“ entgegengeschrien. Die ganze Verhandlung war wie ein Alptraum an ihm vor übergeglitten. Das grimmige, verzerrte Gesicht des Va ters im Zeugenstand. Die Polizisten, die gehässig gegen ihn aussagten. Sheriff Polter, der ihn als einen „üblen Raufbold und jähzornigen Charakter“ darstellte. Der mickrige Ingenieur, den er niedergeschlagen hatte, weil er behauptete, die Kirbys hatten die Rohrleitung ange bohrt – auch er sagte aus und zeigte mit zitterndem, an klagenden Finger auf ihn. Die sensationslüsternen, teils gehässigen Fratzen der Frauen und Männer. Die erregten Zwischenrufe der Ölarbeiter – und das geschäftsmäßige 27
Gerede des Verteidigers, von dem man den Eindruck hat te, daß er bedauerte, einen so berüchtigten Gesellen ver teidigen zu müssen. „Schuldig!“ hatte der Vorsitzende den Spruch der Ge schworenen verkündet. Jack hatte wütend aufbegehrt, hatte zu erklären versucht. Das Mädchen hatte doch auf ihn gewartet – wo war sie denn nur? Warum sagte sie nicht für ihn aus? Er wußte nicht, daß sie im Gerichtssaal war. Sie hatte ihre Aussage, mit der sie ihn verriet und dem Galgen aus lieferte, schon vorher gegeben. Und diese Aussage war bei der Verhandlung nicht erwähnt worden … zum Schutz der Zeugin, die ja die Rache der Angehörigen Kirbys zu fürchten hatte. „… daß er am Halse aufgehängt werde, bis er tot ist …“, dieser eine Satz hatte sich in sein halb betäubtes Bewußtsein eingeätzt. „… am Halse aufgehängt werde … aufgehängt werde … aufgehängt werde …“ Während er in seiner Zelle auf und ab schritt, auf und ab, erschienen ihm immer wieder diese beiden furcht baren Worte, wie in den Lichtkegel eines Scheinwerfers geschrieben. Jack war keine ängstliche Natur, und er fürchtete auch den Tod nicht. Aber, daß man ihn er hängen wollte … o, Gott … er hatte als Kind einmal von weitem zugesehen, wie ein Straßenräuber von wütenden Cowboys aufgeknüpft wurde. Das Schreckensbild hatte sich tief in sein Unterbewußtsein eingefressen und trat nun wieder in sein Bewußtsein … „Ich … will … nicht … hängen …“, er trommelte wie wahnsinnig gegen die schwere eiserne Tür, schlug sich die Fäuste blutig. Dann kam er durch den Schmerz zur Besinnung und starrte auf das Blut, das von seinen Fin gern tropfte. 28
War es denn möglich, daß man für ein Verbrechen ge henkt wurde, das ein anderer begangen hatte? Eine dumpfe Verzweiflung hatte sich seiner bemäch tigt. Er hockte auf der Pritsche und hielt das Gesicht in den Händen verborgen, als die Tür in ihren rostigen An geln kreischte. Waren das die Henker? Nein – er hatte ja noch eine Nacht vor sich. Im Morgengrauen sollte es ge schehen … Er sah auf und runzelte die Stirn. Ein junges Mädchen stand auf der Schwelle, dahinter der Wächter mit dem schußfertigen Revolver. Jack starrte Juanita wortlos ent gegen, er fand erst Worte, als sie die Tür hinter sich ge schlossen hatte und sie beide allein waren. „Sie wagen es, hierher zu kommen?“ fragte er lang sam. Er packte ihr Handgelenk mit einem so harten Griff, daß sie vor Schmerzen zusammenzuckte und in die Knie brach. Aber sie schrie nicht. „Töten Sie mich, aber glauben Sie nicht, daß ich Sie hintergangen habe“, stöhnte sie. „Es hätte nichts genützt, wenn ich für Sie ausgesagt hätte. Der Tod war für Sie bestimmt, drei der fünf Geschworenen waren bestochen … auch mir ist der Tod zugedacht.“ Jack Kirby ließ sie betroffen los und ihre schlanke Ge stalt, auf das plötzliche Nachlassen des Griffes nicht ge faßt, fiel zurück. Ihr Kopf schlug hart gegen die Pritsche. In ihren dunklen Augen glomm Verzweiflung. Das lange, schwarze Haar hatte sich gelöst und umrahmte ihr oval förmiges, dunkles Gesicht. Sie mochte eine Madonna sein oder eine Teufelin – jedenfalls war sie hinreißend schon. „Was sagen Sie da?“ fragte er rauh, mit belegter Stimme. „Die Geschworenen waren bestochen?“ 29
„Natürlich“, sie richtete sich auf. „Ich kann es Ihnen nicht sagen, woher ich es weiß. Bei meiner Mutter – ich belüge Sie nicht! Ich bin unschuldig an Ihrem Unglück. Verderbliche Mächte haben ihre Hand nach dieser Stadt ausgestreckt … und es mußte ein Opfer gefunden wer den, um den Haß zwischen Tudor und Bilford zu schü ren. Hier, nehmen Sie, versuchen Sie, zu entkommen … Ich werde ein Pferd bereithalten … rasch, verstecken Sie es, ehe der Wächter kommt.“ Sie blickte ihn flehend an und er nahm schweigend die Metallsäge, die sie aus ihrem Kleidausschnitt geholt hat te. Als der Wächter die Tür öffnete und grinsend herein blickte, hatte Jack das Instrument bereits versteckt. „Genug geliebkost“, sagte der Wächter anzüglich. „Sie müssen jetzt gehen, Fräulein.“ Juanita blickte Jack noch einmal flehend an, dann fiel die Tür ins Schloß. Jack Kirby stand wie erstarrt. Meinte sie es ehrlich? Hatte sie nur eine Rolle gespielt? Er holte die Säge aus dem Versteck und begann am Gitter zu feilen. Er wollte keine Zeit verlieren. Es mochte Stunden dauern, ehe er soviel herausgesägt hatte, daß er sich durch die schmale Fensteröffnung zwängen konnte. Mit aller Kraft, die ihm zur Verfügung stand, arbeitete er an den Gitterstäben und war so beschäftigt, daß er das leise Knarren der Tür nicht hörte. „Ach, sieh mal an“, sagte plötzlich die harte, un freundliche Stimme des Wächters. „Das Mädel hat dir eine Metallsäge gebracht, wie? Heult mir vor, sie wär’ deine Braut und ich Esel fall’ darauf herein! Na, gib mal das Ding her und bleib hübsch in deiner Zelle, bis du ge beten wirst, herauszukommen. Aus diesem Gefängnis ist noch keiner entwischt, mein Junge.“ Er hielt den schußbereiten Revolver so vorsichtig, daß 30
Jack keine Möglichkeit sah, etwas zu unternehmen. Er hätte es, unter der Gefahr, erschossen zu werden, trotz dem gewagt, den Wächter anzugreifen, wenn er nicht eine stille Hoffnung gehabt hätte: seinen Vater! Der alte Kirby würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, ihn zu befreien … Wieder schloß sich die Tür mit leisem Knarren und Jack Kirby war allein … stützte den Kopf in die Hände und stöhnte leise. *
* *
Etwa um diese Zeit galoppierte Frank Kennedy durch die schlafenden Straßen der Ölstadt dem Gefängnisgebäude zu, einem massiven steinernen Gebäude, dessen ungefü ge Mauern an eine Festung erinnerten. Der Bau war auf Anregung des Ölkönigs entstanden und hatte viel Geld gekostet, aber wesentlich dazu beigetragen, dem ungezü gelten Treiben gewisser Elemente unter seinen Arbeitern Einhalt zu gebieten. Leute, die einmal mehrere Wochen in dumpfen, engen Zellen zugebracht hatten, kamen nie dergeschlagen und geduckt wieder zum Vorschein. Kennedy blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um, ehe er aus dem Sattel stieg und dem Pferd einen leichten Klaps versetzte. Er brauchte den Rappen nicht anzu binden, das Tier war gut dressiert und trabte, ohne daß Kennedy einen Befehl dazu gegeben hatte, in den Schat ten der Mauer, als habe es schon mehrfach so geheimnis volle Abenteuer mitgemacht und wüßte aus Erfahrung, wie sich ein kluges Pferd in gefährlichen Augenblicken zu verhalten hatte. Vom „Goldenen Stern“ her, einer berüchtigten Wirt 31
schaft auf der anderen Seite des Platzes, tönte wüster Lärm. Betrunkene Ölarbeiter taumelten randalierend heimwärts. Auf der linken Seite des Platzes war ein freier Platz, auf dem Holz gelagert wurde. In dem bleichen Schein des Mondes glaubte Kennedy den dunklen Umriß einer Gestalt zu sehen, und einmal hörte er das leise Schnauben eines Pferdes. Kennedy zögerte. Heimliche Beobachter konnte er bei seinem Vorhaben nicht ge brauchen, also ging er in der entgegengesetzten Richtung davon, bog um die Ecke des Gefängnisses und eilte in raschem Lauf an die Seite des Lagerplatzes. Er über kletterte den Bretterzaun geräuschlos und schlich sich wie ein Indianer durch das Gewirr der Bretterstapel. Jetzt hörte er dicht vor sich das Scharren eines Hufes und eine gedämpfte weibliche Stimme, die mit dem Pferd sprach. „Still, Grauer … du verrätst uns ja“, sagte die Stimme. Kennedy sah eine schlanke Gestalt, die zwei gesattelte Pferde am Zügel hielt. Als die Gestalt einmal in das volle Mondlicht hinaustrat, um die unruhig werdenden Tiere zurückzudrängen, sah der Beobachter, daß es sich um ein sehr junges Mädchen handelte. Nach dem Umriß ihrer Gestalt zu urteilen, mußte sie recht hübsch sein. Er glaubte zuerst, Lizzie Kirby zu erkennen … aber die Un bekannte war etwas kleiner, knabenhafter, und sie hatte schwarzes Haar. Auch sprach sie mit fremdem Akzent, sie mußte eine Mexikanerin sein. Leise trat er hinter sie und räusperte sich. Sie fuhr mit einem erstickten Schrei herum. „Guten Abend“, sagte er höflich. „Herrlicher Mond schein, heute Nacht. Und wenig Leute auf der Straße.“ Das Mädchen hatte sich gefaßt. Ihre Antwort kam kühl und abweisend. 32
„Ich wünsche nicht, mich mit Ihnen zu unterhalten“, sagte sie kurz. „Aber ich habe den Wunsch, mit Ihnen zu reden“, er widerte er gelassen. „Worauf warten Sie hier?“ Sie funkelte ihn an. „Was geht das Sie an? Ich warte hier auf jemanden …“ „Auf jemanden, der im Gefängnis wohnt?“ erkundigte er sich. „Nein, auf meinen Bräutigam, Und er ist sehr eifer süchtig, werter Herr. Es ist besser, Sie gehen, ehe er kommt.“ Kennedy lachte. „Bange machen gilt nicht“, sagte er vergnügt. „Übri gens glaube ich, daß wir auf denselben Herrn warten.“ „So … auf wen denn?“ fragte sie spöttisch. „Jack Kirby?“ riet er und sah, wie sie zusammen zuckte. „Woher –“, begann sie verwirrt, unterbrach sich aber sofort. „Was fällt Ihnen denn ein? Was habe ich mit ei nem verurteilten Mörder zu schaffen …“ „Das würde ich mich auch fragen, wenn – Jack Kirby ein Mörder wäre“, brummte er. „Wissen Sie was – legen wir die Karten auf den Tisch. Wir halten uns nur gegen seitig auf, obwohl wir wahrscheinlich das gleiche Ziel haben. Sie warten auf Jack Kirby, nicht wahr?“ Das Mädchen nickte. „Vielleicht ist es eine große Dummheit von mir, das zu zugeben. Sie können ja ein Spitzel sein. Vielleicht aber …“ „Das Letztere trifft zu“, unterbrach er. „Glauben Sie, daß sich der Gefangene allein befreien kann?“ „Ich habe ihm eine Metallsäge in die Zelle ge schmuggelt.“ „Dann sind Sie die geheimnisvolle Juanita, nicht 33
wahr? Nun gut – schließen wir ein Bündnis. Das mit der Metallsäge ist viel zu umständlich und wenig erfolg versprechend. Ich hole Jack heraus und nehme ihn mit. Sie reiten wie der Teufel mit den beiden Pferden in ent gegengesetzter Richtung, um die etwaigen Verfolger auf eine falsche Fährte zu locken, Oder nein, das ist zu ge fährlich für Sie. Verschwinden Sie besser …“ „Ich will helfen“, sagte sie schlicht. „Und werden dabei erschossen. Das hat keinen Sinn. Man wird Sie sofort mit der Befreiung in Zusammenhang bringen. Erschweren Sie mir nicht meine Aufgabe und verschwinden Sie.“ Juanita zögerte. „Und was gibt mir die Gewähr, daß Sie es ehrlich meinen?“ fragte sie ungewiß. „Mein Name – ich heiße Frank Kennedy“, erwiderte er und sah, wie Juanita zusammenzuckte. „Sie sind – Kennedy?“ flüsterte sie. „Der Mann, der wegen Mordes gesucht wird – –?“ Kennedy lachte. „Mord ist das wenigste, was ich verbrochen habe“, sagte er fröhlich. „Und nun, auf Wiedersehen, schöne Mitverschworene –“ Sie hielt ihn auf. „Wenn Sie – wenn Sie Glück haben –“, sagte sie sto ckend. „Wo kann ich Jack Kirby wiedersehen?“ „Vorausgesetzt, daß er den Wunsch hat, Sie wieder zusehen“, erwiderte er gelassen. „Wo kann er Sie dann erreichen?“ Juanita biß sich auf die Lippen. Sie kämpfte einen in nerlichen Kampf. „Ich bin Juanita Alvarez, die Tochter des mexikani schen Öl-Industriellen. Und wir wohnen in Santa Madre.“ 34
Kennedy pfiff durch die Zähne. „Jetzt wird mir Verschiedenes klar“, sagte er nach denklich. „Was ich nicht begreife: Wie kann es Ihr Vater verantworten, Sie mit einer derart gefährlichen Aufgabe zu betrauen. Wenn die Tudor-Leute auf Ihre Identität kommen, sind Sie geliefert.“ Juanita seufzte. „Mein Vater weiß nicht, daß ich hier bin. Er glaubt mich in San Fernandez bei meinen Großeltern. Ich habe diese Aufgabe übernommen – aus Vergnügen.“ „Vielleicht lügen Sie“, sagte er langsam. „Vielleicht treiben Sie ein gefährliches Doppelspiel. Ich werde Sie im Auge behalten …“ Er nickte ihr zu und schritt davon. Sein Pferd stand noch an der alten Stelle. Als er sich umblickte, führte Juanita gerade die beiden Pferde auf die Straße, saß auf und ritt davon, ohne sich umzublicken. Kennedy lachte leise vor sich hin und stieg die Stufen hinauf, die zur Pforte des Gefängnisgebäudes führten. Er donnerte mit der Faust gegen die schwere Tür. Schlurfende Schritte ertönten, dann öffnete sich eine Luke in der Tür. Der Wächter blickte mißtrauisch heraus, konnte aber den spä ten Besucher nicht erkennen. Kennedy hielt die schwarze Gesichtsmaske in der Hand und stellte sich so, daß der Mann sein Gesicht nur undeutlich erkennen konnte. „Wer sind Sie?“ fragte die dumpfe Stimme miß trauisch. „Das tut nichts zur Sache“ erwiderte Kennedy lustig. „Ich komme, um einen Gefangenen mit Gewalt zu be freien. Mach auf, Bruderherz, und zeig, daß du Mut hast.“ Der Wächter lachte vergnügt. 35
„In dem Fall“, erwiderte er spaßhaft, „will ich lieber genau nachschauen, wer du bist … komm mal näher.“ Kennedy holte ein Papier aus der Tasche und hielt es dem Wächter hin. „Ich komme vom Distrikts-Attorney“, sagte er. „Und hier ist meine Legitimation. Ich muß den Falschspieler verhören, der bei euch sitzt.“ „Jetzt, mitten in der Nacht?“ staunte der Wächter. „Außerdem haben wir zur Zeit keinen Falschspieler –“, er unterbrach sich und starrte Kennedy mißtrauisch an. Um sich zu vergewissern griff er durch die Luke nach dem Papier, das ihm Kennedy einladend entgegenhielt. Er schrie auf. Kennedy hatte seinen Arm gepackt und in der ganzen Länge aus der Luke gezogen. Er beugte den Arm zur Seite, daß der Wächter aufstöhnte. „Wenn du schreist, breche ich dir den Arm“, zischte Kennedy. Er wußte, daß der Mann drinnen furchtbare Schmer zen empfand, konnte aber nicht humaner verfahren. „Los, öffne die Tür“, forderte er. „Verdammter … Kerl …“, stöhnte der Wächter. Von Schmerzen gepeinigt, legte er den Riegel um und Kennedy zog ihn mitsamt der Tür nach außen. Er setzte, den Arm seines Opfers noch immer festhaltend, die Ge sichtsmaske auf und lugte dann vorsichtig um die Türkante, um sich zu vergewissern, ob der Mann drinnen nicht den Revolver gezogen hatte. Aber der Wächter war mit den Schmerzen in seinem Arm zu sehr beschäftigt, um an Gegenwehr zu denken. Kennedy trat rasch ein und nahm ihm den Revolver ab. Dann schloß er die Tür, fesselte den Wächter mit des sen eigenen Handschellen und bohrte ihm den Revolver in die Seite. 36
„Vorwärts, marsch“, befahl er grimmig. „Wo sind dei ne Kollegen?“ Der Mann zuckte die Achseln und ging voraus. Es ging durch einen langen Gang, bis sie an eine zweite Ei sentür kamen. „Wer kommt“, fragte jenseits der Tür eine miß trauische Stimme. „Ich bin’s – Wilton“, sagte der Wächter, der den Druck der Revolvermündung spürte. Die Tür öffnete sich und ein kahlköpfiger Mann schaute heraus. Er hob sofort die Hände. Kennedy nickte beifällig. „Ich sehe, daß ich es mit lauter netten Menschen zu tun habe“, sagte er höflich und rückte an seiner Maske, um die Männer besser beobachten zu können. „Seid ihr die einzigen?“ Wilton nickte sofort, machte aber ein dummes Ge sicht, als Kennedy ihn anfuhr. „Schwindele gefälligst nicht so unverschämt, Bruderherz – ich kenne die mexikanisch gebauten Gefängnisse gut ge nug, um zu wissen, daß da noch ein Aufenthaltsraum ist, durch den jeder hindurch muß, wenn er das Gefängnis betreten oder verlassen will. Los, kehrt und marsch!“ Die fünf Leute, die in dem Aufenthaltsraum saßen und Karten spielten, gehörten zu Tudors Lagerpolizei. Sechs andere lagen auf den hölzernen Pritschen zu beiden Sei ten des Raumes und schliefen. Für ein gewöhnliches Provinzgefängnis war das eine achtbare Wachtmann schaft; denn sonst pflegten bestenfalls vier Wächter in einem solchen Gefängnis zu sein, die sich gegenseitig ablösten. Man hatte die Wächter verdreifacht, da damit zu rechnen war, daß Kirbys Cowboys einen Handstreich auf das Gefängnis versuchen würden. Daß ein einzelner 37
Mann es fertigbringen würde, die beiden eisernen Ein gangstüren samt ihren Wächtern zu überwinden, hätten sie niemals für möglich gehalten. So blickten sie Kenne dy dumm entgegen, als er seine beiden Gefangenen in den Raum jonglierte. „Ich gehöre zu den unangenehmen Menschen, die es fertig bringen, zwölfmal zu schießen und zu treffen ehe jemand bis drei zählen kann“, erklärte er höflich. „Wie ich sehe, haben es sich die Gentlemen bequem gemacht und die Revolvergurte an die Wand gehängt … eins … drei … sechs … elf …“, zählte er und nickte befriedigt. „Sie sind waffenlos, meine Herren. Und daher bin ich außerordentlich im Vorteil. Ich bitte also freundlich, sich zu meiner Begrüßung zu erheben –“, die Männer standen zögernd auf. „– und die Schläfer zu wecken. Aber bitte hübsch langsam, daß sie nicht erschrecken.“ Die Schläfer standen benommen auf und starrten verblüfft auf den Vorgang, den sie nicht verstanden. „Es tut mir leid, euch aus süßen Traumen geweckt zu haben, aber ich muß euch bitten, mit mir einen kleinen Umzug durch das Gefängnis zu veranstalten … los, vorwärts!“ Er deutete mit dem Revolver – er hielt in jeder Hand einen – auf die Tür, die in den Zellengang des Gefäng nisses führte. Die verdutzten und wütenden Leute folgten seinem Befehl zögernd. Er schloß sie nacheinander in die verschiedenen Zellen ein, wünschte ihnen freundlich eine gute Nacht, erkundigte sich noch, wieviele Eier sie zum Frühstück wünschten – hart oder weich gekocht? – und begab sich dann zur Zelle Jack Kirbys. Der junge Mann schlief wie ein Murmeltier. „He, aufstehen …“, rief Kennedy scharf. Jack Kirby fuhr auf die Beine und blickte sich verstört um. 38
„Was … was ist los?“ fragte er benommen. „Ist es … schon so weit?“ „Wenn Sie noch lange warten, ist es bald so weit“, brummte Kennedy. „Los, kommen Sie heraus, bewaffnen Sie sich und stehen Sie nicht so herum wie Lots Weib, nachdem sie zur Salzsäule erstarrte … meinen Sie, ich hätte Lust, mich Ihretwegen einfangen und ebenfalls auf knüpfen zu lassen.“ Kirby kam zögernd heraus und blickte sich mißtrau isch um. Die eingesperrten Wächter rasselten an den Git terstäben ihrer Zellentüren und knurrten vor Wut. „Wie im Zoologischen Garten, nicht wahr?“ schmun zelte Kennedy. Er drückte Jack Kirby einen Revolver in die Hand. „Gute Nacht, Kinder“, verabschiedete er sich von den Wächtern, die sofort ein gewaltiges Geschrei er hoben, als die beiden Männer durch den Gang eilten. Als Kennedy die Pforte des Gefängnisses öffnete und mit dem befreiten Gefangenen ins Freie trat, rannte er gegen einen Karabinerlauf. „Hände hoch“, sagte eine dumpfe Stimme. Etwa zwanzig finstere Männer standen im Halbkreis und hielten ihre Flinten angeschlagen. Der erste Ge danke, den Kennedy hatte, war, daß Juanita ihn verraten hatte. Er faßte sich sofort und suchte fieberhaft nach ei ner Möglichkeit, zu entkommen. „Ah, guten Abend …“, sagte er, verdutzt tuend, und hob die Hände. „Was macht ihr denn hier?“ Die Antwort des finsteren Mannes vor ihm verblüffte ihn. „Mach’ keine Flausen und laß’ uns vorbei, wenn du dein Leben lieb hast“, sagte der Mann. „Wir holen Jack Kirby, gutwillig oder mit Gewalt …“ Kennedy lächelte. 39
„In diesem Falle“, sagte er vorsichtig, „weiche ich na türlich der Gewalt und gebe ihn euch freiwillig heraus …“ Er trat zur Seite und ließ Jack Kirby vorbei, der, im Hintergrund stehend, natürlich längst die Stimme seines Vaters erkannt hatte. Zwei Minuten später donnerte ein Reitertrupp durch die schlafende Stadt, vorbei an dem Hause des Sheriffs. Sheriff Polter wälzte sich unruhig in seinen Kissen. Er träumte, daß eine Handvoll unverschämter Cowboys Jack Kirby aus dem Gefängnis befreiten. Der Traum war so echt, daß er mit einem Schrei auffuhr. Dann schüttelte er über sich selbst den Kopf und legte sich mit behaglichem Kichern wieder hin. Aus diesem Gefängnis würde nicht einmal der Teufel entwischen können … Und er schnarchte weiter. Zweites Kapitel Die Befreiung Jack Kirbys hatte in Tudor wie eine Bom be eingeschlagen. Es gab Leute, die Frank Tudor ver dächtigten, er habe die Flucht Kirbys begünstigt. Sheriff Polter, der hinter diesen Gerüchten stand, erzählte öffent lich, wie sehr er es dem Ölkönig nahegelegt habe, die Wachmannschaft des Gefängnisses zu verzehnfachen. Jemand wußte zu berichten, daß Frank Tudor sich mehr mals mit Lizzie Kirby heimlich getroffen habe, aber dem Erzähler fielen, kaum, daß er den Mund zugemacht hatte, etliche Zähne heraus. Die Ölleute verstanden in Dingen, die ihren Chef betrafen, keinen Spaß … Die Erregung in der Ölstadt erreichte im Laufe des nächsten Vormittags ihren Höhepunkt, als sich heraus stellte, daß in der vergangenen Nacht unbekannte Übeltä ter die große Ölleitung von Lager sieben angebohrt hat 40
ten. Das konnte nur ein Racheakt der Cowboys sein! Am frühen Nachmittag explodierte plötzlich mit lautem Kra chen ein kleiner abseits gelegener Öltank, dessen bren nender Inhalt gleich feurigen Schlangen durch die nähere Umgebung sickerte. Und als ein Ölarbeiter, der seine Familie in Mexiko hatte, zurückkehrte und erklärte, er sei dicht hinter der Grenzbrücke von einem Reitertrupp be schossen worden, zogen brüllende und heulende Gruppen von aufgebrachten Ölarbeitern durch die Stadt und war fen einigen Ranchern, die in Tudor ihr Haus hatten, die Fensterscheiben mit Steinen ein. Sheriff Polter, der schon seit langem den Ruf genoß, überall zu spät zu kommen, wo etwas passierte, machte seinem Ruf heute alle Ehre. Er war, wenn es in einem Stadtteil zu Zusammenrottungen kam, unfehlbar am an deren Ende der Stadt, und seine Hilfsbeamten schienen plötzlich blind und taub zu sein. Viel fehlte nicht, daß drei ahnungslose Cowboys, die in die Stadt gekommen waren, neues Sattelzeug zu kau fen, auf der Stelle gelyncht worden wären. Es half nicht viel, daß der Ölkönig seine Lagerpolizei alarmierte und zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in die Stadt schickte. Die tausende Ölarbeiter schrieen nach Rache. Sie waren wie kleine Kinder, denen man ein Ver gnügen versprochen, aber vergessen hat, es einzuhalten. Die angebohrte Leitung und der explodierte Tank wurm ten sie nicht so sehr wie die gelungene Befreiung Kirbys. Und selbst die Lagerpolizei, sonst eine recht disziplinier te Mannschaft, war nur mit halbem Herzen bei der Sache – einer der ihren war ja nach ihrer Ansicht von Kirby erschossen worden. Erst als Frank Tudor auf seinem Schimmel durch die Straßen ritt und alle randalierenden Ölarbeiter von sei 41
nem Oberingenieur zur sofortigen Entlassung notieren ließ, kehrte einigermaßen Ruhe zurück. Die Leute murrten, zerstreuten sich aber … Etwa um die gleiche Zeit waren in der benachbarten Stadt Bilford, dem Zentrum der Rancher und Farmer, ähnliche Vorgänge zu beobachten. Geheimnisvolle At tentäter hatten in der vergangenen Nacht zwei Ranch gebäude in der näheren Umgebung von Bilford in Brand gesteckt. Im Laufe des Tages sickerten weitere alarmie rende Nachrichten durch. Eine Gruppe übel aussehender Kerle in den Kleidern von Ölarbeitern hatten ein einsa mes Ranchgebäude überfallen, den Besitzer erschlagen und seine Tochter belästigt. So erregt die Einwohner von Bilford waren, mochten sie doch nicht an ein planmäßiges Vorgehen der Ölleute glauben. Reibereien hatte es zwischen den beiden Städten Tudor und Bilford ja schon immer gegeben. Die Brand stiftungen und Übergriffe der verschiedenen Banden von Ölarbeitern lösten nun doch eine immer wachsende Em pörung aus. Sheriff Harper, der kaltschnäuzige, allgegenwärtige und unbestechliche Hüter des Gesetzes in Bilford, beo bachtete diese Entwicklung mit einiger Sorge. Im Grunde seines Herzens war er parteiisch und sympathisierte na türlich mit den Einwohnern seiner Stadt – aber er war ein Mann, der seinen eigenen Bruder verhaftet hätte, wenn gegen diesen eine Anklage erhoben worden wäre. Die Vorgänge, die jetzt die Öffentlichkeit erregten, suchte er von der objektiven Seite zu nehmen und hielt sich mit peinlicher Sorgfalt an die Buchstaben des Gesetzes. Er beschwichtigte, glättete und warnte vor Unbeson nenheiten. Zwischen Harper und seinem Kollegen in Tudor, She 42
riff Polter, bestand kein gutes Einvernehmen. Polter, der alle Augenblicke Beschwerden über Beschwerden gegen die Cowboys losließ, die angeblich in Tudor Streit ge sucht hatten oder Diebstähle begingen, war äußerst zu rückhaltend, wenn es darum ging, einen Ölarbeiter zur Verantwortung zu ziehen. Harper war darin sachlicher und korrekter. Er konnte offen gegen die Ölleute fluchen, war aber unnachsichtlich in der Verfolgung von Delikten, die von Cowboys begangen wurden. Seinem Einfluß war es zuzuschreiben, daß die empör ten Rancher nicht sofort eine starke Streitmacht nach Tu dor warfen, um mit den „Ölkerlen“ aufzuräumen, wie sich einige der empörtesten Wortführer ausdrückten. Im Gasthaus „The Digger“, wo sich einige erregte Rancher versammelt hatten und die Gründung einer Art „Si cherheits-Truppe“ berieten, meldete sich Sheriff Harper zum Wort: „Ich verbiete hiermit“, sagte er scharf, „daß irgendeine Zusammenrottung Bewaffneter stattfindet, mit Ausnah me der Aufgebote, die ich selbst zusammenstelle und deren Teilnehmer ich bestimme. Es bleibt selbstverständ lich jedem Rancher unbelassen, sein Besitztum zu schüt zen und seine Cowboys zu diesem Zweck zu bewaffnen. Sobald aber mehrere Rancher oder Farmer eine bewaff nete Truppe zusammenstellen, um Vergeltungsmaßnah men zu treffen oder Ölarbeiter anzugreifen, werde ich den Kommandeur des Militärdistrikts telegrafisch ver ständigen und um Verhängung des Ausnahmezustandes nachsuchen. Dann werden Truppen geschickt und dort einquartiert, wo ich den Unruhestifter vermute.“ Dieser mannhaften und objektiven Beurteilung der Lage durch den Sheriff Harper war es zu verdanken, und nicht zuletzt der Beliebtheit und dem Einfluß seiner Per 43
sönlichkeit, daß es vorläufig noch nicht zu ernsthaften Zusammenstößen kam. Doch schon am nächsten Tage sollte die Entwicklung der Dinge zeigen, daß der von Sheriff Harper befürchtete Bürgerkrieg nicht aufzuhalten war – – . *
* *
In den Hügeln von Santa Madre, zwischen Vascale, dem kleinen mexikanischen Grenzort, und der Stelle, wo der Grenzfluß eine große Schleife machte, war mitten im Walde, in einer abgelegenen Talsenke ein geheimnisvol les Zeltlager errichtet. Abenteuerliche Gestalten schritten zwischen den spärlich brennenden Lagerfeuern dahin, sangen leise zur Guitarre oder putzten ihre Gewehre. Das rätselhafte Waldlager, das man nicht erkennen konnte, wenn man weiter als zweihundert Schritte ent fernt war, wurde von regelmäßig auf– und abpatrouil lierenden Posten bewacht. Die Art, wie sich die Posten gegenseitig anriefen und wie pünktlich sie ihren Rund gang machten, ließ erkennen, daß der größte Teil von ihnen aus ehemaligen Soldaten bestand. In der Mitte der Waldlichtung war ein besonders gro ßes Zelt errichtet, vor dem ein Lagerfeuer nach india nischer Art brannte … ein Feuer, das wenig Qualm und nur spärlichen Lichtschein erzeugte. Vier Wachtposten, die sogar Handgranaten im Gürtel stecken hatten und mit modernen Maschinenpistolen bewaffnet waren, hielten an den Ecken des quadratischen Zeltes Wache, ein Fünf ter und ein Sechster standen zu beiden Seiten des Zelt eingangs. In dieser Nacht herrschte ein lebhaftes Kommen und 44
Gehen in dem Lager. Geheimnisvolle Reiter tauchten auf den finsteren Waldwegen auf, wurden angerufen, nann ten ein Kennwort und durften passieren. Einer nach dem anderen verschwanden sie in dem großen Zelt und kamen nicht wieder zum Vorschein. Als zwölf Leute kurz nach einander, aber aus verschiedenen Richtungen, eingetrof fen waren, wurde der Zelteingang geschlossen und die Wachtposten riefen jeden der Herumgehenden scharf an, wenn er zu dicht in die Nahe des großen Zeltes kam. Am Ende des langen Tisches im Zelt, auf dem alle möglichen Papiere und Karten lagen, saß eine be merkenswerte Persönlichkeit: Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann in mexikanischer Kleidung, mit einer auffallend straffen Haltung und einer Stimme wie aus Stahl. Über den Rücken der linken Hand, die er lässig auf der Tischplatte hielt, lief eine lange, blutrote Narbe. Bemerkenswert war, daß dieser Mann, der den Oberbe fehl über das Lager zu führen schien, ebenso maskiert war wie die beiden Leute an seiner rechten und Unken Seite, – ein schmächtiger, offenbar sehr junger Mann mit einer hellen, fast weiblichen Stimme, und ein kleiner, stämmiger Kerl, dem man es ansah, daß er dreinzuschla gen verstand und häufigen Gebrauch von seinem Revol ver machte, denn die Innenseite seiner Hand, zwischen rechtem Zeigefinger und Daumen, war wie poliert von der dauernden Berührung des Revolvergriffes. Tatsäch lich war dieser Mann, den die anderen „Pete“ nannten, einer der gefährlichsten Revolverhelden Mexikos. Er war so etwas wie ein Adjutant und Leibwächter seines Chefs und jeder wußte, daß er täglich zwei Stunden mit dem Revolver trainierte, um die Flinkheit im Ziehen der Schußwaffe beizubehalten. Der zweite Adjutant, den die anderen „Juan“ nannten, 45
trat weniger in Erscheinung. Er hielt sich die meiste Zeit in Santa Madre auf, oder war mit geheimnisvollen Auf trägen unterwegs. Wegen seiner hellen Stimme wurde er manchmal verspottet, aber nachdem der „Chef“ einen der Spötter kurzerhand durchpeitschen ließ, machten die Leute einen großen Bogen um „Juan“, von dem sie wuß ten, daß er mit dem Revolver sehr gut umzugehen verstand. Die zwölf Leute, die nacheinander gekommen waren, um an der Besprechung teilzunehmen, machten einen desperaten Eindruck. Sie waren nicht maskiert und blick ten neugierig auf die drei Vermummten am Ende des Ti sches. Besonders vor dem großen Mann in der Mitte schienen sie einen mächtigen Respekt zu haben; denn als dieser sich räusperte, verstummte ihre Unterhaltung so fort. Die drei Petroleumlampen, die von der Decke des Zeltes herabhingen, verbreiteten ein helles Licht, in dem ein halbes Dutzend Nachtfalter herumsummte. „Ich habe eure Meldungen erhalten“, begann der Chef mit tiefer, dröhnender Stimme, „und habe euch gerufen, um die weiteren Maßnahmen mit euch zu beraten. Wie steht die Situation im Raum Tudor?“ Sheriff Polter, der an dieser Unterredung teilnahm, fühlte die Blicke auf sich gerichtet. Er erhob sich. „Alles geht planmäßig. Ich habe ein Dutzend verwe gener Gesellen angeworben …“ „Sie selbst?“ fragte der Chef scharf. „Nein, Mister Zero, natürlich nicht“, schrak der She riff zusammen. „Niemand darf ja wissen, daß ich mit Ih nen zusammenarbeite. Die Leute sind der Meinung, daß sie von …“ „Keinen Namen“, unterbrach Zero wieder. „Sagen Sie: ‚Mister X’ – das genügt.“ 46
„… daß sie von Mister X angeworben wurden. Ich werde die Kerle, nachdem sie unseren Zweck erfüllt ha ben, der Reihe nach festnehmen und sie im Kreuzverhör zum Geständnis bringen. Es ist dafür gesorgt, daß genü gend belastendes Material bei ihnen gefunden wird.“ Zero nickte befriedigend. „Handeln Sie nicht, ehe Sie ausdrücklichen Befehl da zu haben. Einer meiner Adjutanten –“, er wendete un merklich den Kopf zu Juan, dem schmächtigen jungen Manne an seiner Linken, „wird den Fortgang der Opera tionen in Tudor laufend kontrollieren und Ihnen das Zei chen geben. Jedoch nicht, ehe der Ölkrieg zwischen Tu dor und Bilford auf dem Höhepunkt ist. Im nämlichen Augenblick ist Frank Tudor zu erledigen. Suchen Sie sich eine für die Aufgabe geeignete Kreatur und stellen Sie ein paar von Ihren Leuten auf, welche den Attentäter nach Ausführung der Tat sogleich erschießen. Sorgen Sie dafür, daß im Besitz des Toten genügend Material gefun den wird, das beweist, daß … hm … Mister X den Mord angestiftet hat. Aber Vorsicht mit diesen Beweisen! Die Sache nicht zu auffällig und eindeutig machen, sonst er reichen wir das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollen. Es muß den Anschein erwecken, als sei es Ihrem Spürsinn und Ihren unermüdlichen Bemühungen zu ver danken, daß die Verschwörer und ihre Hintermänner ent larvt werden konnten. Da Sie eitel sind, wird Ihnen dies sicher Vergnügen bereiten.“ Sheriff Polter biß sich auf die Lippen und blickte wie ein geprügelter Hund zur Seite. Er war froh, daß der Chef nicht auf die gelungene Flucht Jack Kirbys zu sprechen kam. Der geheimnisvolle Mister Zero wendete sich jetzt an einen anderen. „Wie weit sind Sie mit Ihrer Karawane gekommen?“ 47
wendete er sich an einen verschlagen aussehenden Mann, der den Eindruck eines ehemaligen Soldaten machte. „Der Wagenzug“, antwortete dieser militärisch, „ist unangefochten bis in die Wälder von Burrel gelangt. Es sind vierundzwanzig zweispännige Wagen. Unsere Ware ist gut getarnt. Wir haben Dachziegel geladen, welche die eigentliche Ladung gut verdecken. Eine Militärpatrouille, die uns anhielt, glaubte ohne weiteres, daß die Ziegel für das neue Regierungsgebäude in Santa Madre bestimmt sind. Natürlich müssen wir illegal über die Grenze – an die amerikanischen Zollbeamten ist nicht heranzukommen.“ „Gut“, sagte Zero. „Wir entfesseln morgen nacht an der Grenze bei Bilford einen kleinen Zwischenfall … eine wilde Knallerei zwischen einer Grenzpatrouille und angeblichen Schmugglern. Es genügt, wenn ein paar Grenzpolizisten angeschossen werden, mindestens einer von ihnen muß aber entkommen, damit die übrigen Grenzstationen alarmiert werden. Sander, das ist Ihre Aufgabe!“ – Der Angeredete nickte und hob die Hand. Zero fuhr fort: „Die Schießerei wird solange fortgesetzt, ganz gleich, ob da überhaupt Leute sind, die zurückschie ßen oder nicht, bis ganz Bilford auf den Beinen ist. Man wird die Besatzungen der benachbarten Grenzstationen alarmieren und an die Grenze bei Bilford werfen … in zwischen gehen Sie –“, er blickte den Karawanenführer wieder an, „bei Burrel mit den Wagen über die Grenze. Da ist vier Meilen oberhalb der Klippen eine kleine Furt. Der Abschnittskommandant wird um zwei Uhr nachts auf der anderen Flußseite genügend Pferde bereitstellen, die sofort mit angespannt werden, wenn Wagen stecken bleiben sollten. Ferner werden Sie, Miranda, mit dreißig Mann bereitstehen, um jeden Angriff auf die Karawane abzuwehren. Nehmen Sie ein Maschinengewehr mit.“ 48
Der Angeredete nickte und machte sich eine Notiz, während Zero den übrigen Leuten, von einem Blatt Pa pier ablesend, der Reihe nach die verschiedensten Befeh le und Aufträge gab. Die Leute machten durchweg einen intelligenten, wenn auch verkommenen Eindruck. Sie mußten früher verantwortungsvolle Positionen in Mexiko bekleidet haben – oder bekleideten sie noch, wie ihre selbstbewußte Haltung bewies. Sie fragten nicht viel, gaben kurze und präzise Antworten auf Fragen, und nur in zwei Fällen mußte Zero diese oder jene Einzelheit bei der Durchführung zurückliegender Aufträge beanstan den. Auf Kleinigkeiten, die den Gesamtplan nicht störten, legte er niemals großes Gewicht. Seine Mitverschwore nen, besonders die zwölf hier Versammelten, besaßen ausnahmslos weitgehende Freiheit des Handelns und kleine Schnitzer wurden großzügig übersehen. Nur einen von Ihnen behandelte Zero herablassend: Sheriff Polter, den einzigen Amerikaner in der Versammlung, dessen unterwürfiges Wesen ihm Abscheu einflößte, obwohl er seine Tüchtigkeit und Verschlagenheit durchaus zu wür digen wußte. Als die Unterredung beendet war, und jeder der An wesenden seine Aufzeichnungen noch überprüfte, ließ Zero seinen Adjutanten zu Wort kommen. Pete, dessen Stimme dumpf unter der Maske hervordrang, sprach wie ein General zu seinen Stabsoffizieren. Er beklagte sich über die zunehmende „Disziplinlosigkeit“ in den Lagern. Man könne, so sagte er, verstehen, daß die Leute sich langweilten und auf verrückte Gedanken kämen. Doch dürfe es nicht wieder vorkommen, daß sich die Leute bis zur Besinnungslosigkeit berauschten. Ja, es sei sogar zu Prügeleien und Schießereien gekommen. Dem hätten die „Capitanos“ energisch entgegenzuarbeiten. Und er werde 49
jeden „Lagerkommandanten“ zur Verantwortung ziehen, der nicht streng genug durchgreife. Zero erhob sich und beendete die Besprechung. Minu ten später donnerten Pferdehufe durch die Nacht. Die Leute ritten in verschiedenen Richtungen davon … Der geheimnisvolle „Mister Zero“ war mit seinen bei den Adjutanten allein im Zelt zurückgeblieben. Pete öff nete eine der Kisten, die im Hintergrund des Zeltes auf gestapelt waren, und brachte eine geheimnisvolle Flasche zum Vorschein, die er mit feierlicher Bewegung nebst drei Gläsern auf den Tisch stellte. Er öffnete die Flasche. „Ein Geschenk unseres New Yorker Freundes – uralter Hennessey“, sagte er genießerisch und schenkte die Glä ser voll. „Trinken wir auf Billy Jenkins, unseren verehr ten Feind … daß er von einer Viper gestochen werde, sobald er, seinem Auftrag gemäß, in diese Gegend kommt, um uns zuzusetzen.“ Die drei nahmen die Masken ab, lächelten sich an und tranken die Gläser leer. Der Mann, der draußen vor dem Zelt, dicht neben dem verschlafenen Wachtposten, regungslos am Boden lag und aufmerksam lauschte, lächelte vor sich hin. „Prost“, sagte er in Gedanken. „Danke für den guten Wunsch, … möge euch dieser Kognak vorläufig noch wohl bekommen. Wenn es an der Zeit ist, packe ich euch schon!“ Der Posten regte sich gerade und der Lauscher ringelte sich, wie eine Schlange dahingleitend, durch das Gras davon. Auch, wenn es nicht so finster und heller Mond schein gewesen wäre, hätte selbst ein Indianer nicht die geringste Bewegung der Grasbüschel, nicht den leisesten Laut feststellen können. Der Mann, der den letzten Teil der Unterredung im Zelt belauscht hatte – er war leider 50
etwas zu spät gekommen, um das Wichtigste mitzuhören – war ein Meister in der Kunst des Anschleichens. Er glitt über die Lichtung, wie eine Katze im Dunkeln sehend, und verschwand im dichten Unterholz des Wald randes. Nach wenigen Minuten hatte er den kleinen Pfad erreicht und sein Pferd wiedergefunden. Er prüfte nach, ob sich die wollenen Tücher, mit denen die Hufe des Tie res dicht umwickelt waren, nicht gelockert hatten. Dann stieg er in den Sattel und trabte davon … das Pferd machte auf dem sandigen Wege nicht das geringste Ge räusch. Der geheimnisvolle Reiter verschwand in der Nacht, ebenso gespenstisch, wie er gekommen war. – – Im Zelt Zeros waren die Zurückgebliebenen in fröh licher Unterhaltung. Zero selbst, der mit seinem schloh weißen Haar und den buschigen Augenbrauen einen ehr würdigen, imponierenden Eindruck machte, schien sehr guter Laune zu sein. Er rieb sich wiederholt die Hände und nur das eigenartige Glitzern in seinen dunklen Augen verriet, daß seine äußere, patriarchalische Erscheinung täuschte und in ihm eine Bestie verborgen war. Mit den beiden Adjutanten war eine merkwürdige Veränderung vorgegangen. Pete hatte mit der Maske sein rauhes Wesen abgestreift. Hatte er vorher einem „Räu berhauptmann“ geglichen, so kam jetzt ein kultivierter junger Mann zum Vorschein. Sein glattes, kurz geschnittenes dunkles Haar war sorgfältig geölt und glänzte im Schein der Petroleumlampen. Er hatte flei schige, aber gepflegte Finger und sprach gewählt. Sein breites Gesicht mit den kühlen, dunklen Augen war gut geschnitten und die hohe Stirn deutete auf Intelligenz. Nur paßte das brutale Kinn nicht dazu, auch die Mund winkel, die zynisch herabgezogen waren und die haken förmig gebogene Nase, die auf Egoismus und Brutalität 51
schließen ließen, verrieten seinen wahren Charakter. Je denfalls war er ein Mann von Bildung und Wissen. Noch eigenartiger war die Verwandlung des zweiten Adjutanten: Juan hatte mit der Maske auch den Hut ab genommen, den er während der Besprechung als einziger getragen hatte. Und unter dem Hut war – – eine dichte Fülle lockigen, schwarzen Haares zum Vorschein ge kommen. Die helle Stimme war noch heller geworden und in den schwarzen, leidenschaftlichen Augen war ein schelmisches Funkeln. Juan – – war ein Mädchen! Dem Gesichtsschnitt nach eine Mexikanerin, der Redeweise nach aus guter Familie, wahrscheinlich spanischer Her kunft. Die beiden Männer behandelten sie respektvoll, als Dame. Sie unterhielten sich in der mexikanischen Mund art, die dem spanischen so verwandt war. „Politik“, sagte Zero und prostete dem Mädchen zu, „Politik ist ein schmutziges Geschäft. Nicht immer ge winnt der Stärkere. Oft trägt der Listenreichere den Sieg davon.“ „Wir sind stark und listenreich“, erwiderte das Mäd chen. „Eine glückliche Kombination. Übrigens würde ich an deiner Stelle die politische Seite unserer Mission nicht zu sehr in den Vordergrund stellen.“ „Sehr richtig, meine Liebe“, ließ sich Pete vernehmen. Er lächelte das Mädchen an. „Im Vordergrund steht das Geschäft. Es ist sozusagen der wirtschaftliche Zweck, der hinter den politischen Mitteln steht. Was nützt uns eines Tages die Macht, wenn wir vor lauter Idealismus und politischer Überzeugung vergessen haben, für den recht zeitigen Rückzug vor der mit Macht verbundenen Ver antwortung zu sorgen? Mit anderen Worten: Wir brau chen ein ansehnliches Bankkonto im Ausland und einen scharfen Blick für die entscheidende Minute, in der es 52
ratsam ist, den Gewinn zu zählen und das Weite zu su chen. Ich habe eine Abneigung gegen steinerne Mauern, an denen die Idealisten dann, weil sie dumm genug wa ren, mit einem Hoch auf das Vaterland erschossen wer den. Es lebe das Bankkonto!“ Zero lächelte dünn. „Wenn man euch so sprechen hört, ist unsere Schlacht schon verloren, ehe sie begonnen wurde“, sagte er sarka stisch. „Wir hätten dann ebensogut in Rio bleiben können – – im ‚Exil’, wie es so schön heißt. Es wäre schade um das schöne Geld, das wir in dieses Unternehmen bereits gesteckt haben.“ „Pete ist ein unverbesserlicher Materialist“, sagte das Mädchen. „Ich glaube, er will mich nur heiraten, um dann die Ölquellen und die Staatskasse an den meist bietenden Gringo zu verkaufen.“ Pete goß die Gläser erneut voll und lächelte überlegen. „Geschäft ist Geschäft“, sagte er trocken. „Und weil ich dieser Überzeugung bin, daß man nur dort Kapital und Mühe investieren soll, wo sie sich bezahlt machen, bin ich seinerzeit aus der Armee geflogen und mit Mühe und Not dem Standgericht entgangen – vierhundert Ge schütze, zweitausend Maschinengewehre und etliche zehntausend Soldaten, die nur auf dem Papier standen – und das zuwege zu bringen, muß man …“ „Ich hoffe“, unterbrach ihn Zero kühl, „daß deine wundervolle Organisationsgabe sich dieses Mal im um gekehrten Sinne auswirkt, mein Bester. Es würde mich schmerzlich berühren, wenn die Karawane morgen wirk lich nur eine Ladung von Dachziegeln enthielte und wenn gewisse Waren auch diesmal nur auf dem Papier ständen.“ Pete lachte unangenehm. 53
„Wie alle Materialisten, ist mir mein Leben sehr teu er“, bemerkte er. „Und ich möchte es noch erleben, daß sich das diesmal angelegte Kapital bezahlt macht. Wie gesagt: Geschäft ist Geschäft!“ Das Mädchen richtete ihre dunklen Augen auf Pete. Sie sah ihn mit merkwürdigem Ausdruck an. „Und die Liebe?“ fragte sie. „Ist die Liebe auch ein Geschäft?“ Pete trank sein Glas leer und wischte sich die Lippen. „Alles im Leben ist Geschäft. Würde ich mich hier in diese blödsinnige Gegend verirrt haben, und den Wild westmann spielen, wenn nicht dabei ein Gewinn zu er zielen wäre? Ich denke nur an diese scheußlich strapa ziösen Ritte auf widerspenstigen Gäulen, das Kampieren im Freien. Warum habe ich mich zu euch geschlagen – natürlich, um einen Vorteil zu haben –“, er bemerkte das unheimliche Funkeln in ihren Augen und verbesserte sich sofort: „Der Vorteil liegt hier natürlich nicht auf der ma teriellen Ebene. Ist die Liebe eines bezaubernden Mäd chens aber kein Gewinn? Schönheit und Charme, die man für sich allein erobert … die Zuneigung eines Her zens …“ „Die Ölquellen ihres Vaters, seinen Geldbeutel und seinen Einfluß“, versetzte Zero trocken. „Du bist unver besserlich, Pete! Entweder mache ich dich zu meinem Wirtschaftsminister, oder – –“ „Oder?“ fragte Pete unbehaglich. „Oder ich lasse dich hängen“, beendete Zero den Satz. „Es hängt ganz davon ab, wie du dich benimmst – .“ *
* * 54
Die Ölstadt lag m tiefem Schlaf. Nur in vereinzelten Kneipen brannte noch Licht, grölten betrunkene Stim men. Es war eine sehr finstere Nacht. Fahrende, schwar ze Wolkenfetzen verbargen den Mond und die Wacht posten der Lagerpolizei stolperten über die Zäune, wenn sie ihre Runde machten. Im Lager vier, wo ein halbes Dutzend Bohrtürme dicht nebeneinander standen, war das Licht in den Baracken längst verlöscht. Das Lager war etwas abgelegen, und da der Waldrand nahe war, hatten die Posten Anweisung, sofort zu schießen, wenn sich etwas Verdächtiges zeigte. Frank Tudor, der Ölkönig selbst, hielt das Lager unter strenger Kontrolle und hatte mehrmals mitten in der Nacht die Posten revidiert. Weniger, weil er den mit ei ner Sabotage verbundenen Schaden fürchtete, als viel mehr, weil der große Öltank und die Bohrtürme auf einer leichten Anhöhe gelegen waren. Flog einer der Bohrtür me oder der Tank in die Luft, so mußte das brennende Öl in die beiden anderen Camps am Fuße der Anhöhe flie ßen und diese in Brand setzen. Schließlich würde das brennende Öl in die Stadt eindringen und in eine einzige Hölle von züngelnden Flammen verwandeln. Als Sicherheitsmaßnahme hatte Tudor daher sofort nach den ersten Sabotageakten tiefe Gräben ziehen las sen, die im Ernstfalle das brennende Öl in den kleinen Bach ableiten würden. Was aber, wenn diese Gräben von den Attentätern an einer Stelle verschüttet würden? Dann würde das brennende Öl sehr bald – von den ergiebigen Quellen gespeist – die Gräben überfluten und seinen Zer störungslauf antreten … eine höllische Flut … Das sicherste war daher, die Wachtposten zu verdop peln, was am Vortage auch geschehen war. Eine Reihe von Arbeitern, die neue Türme zu bohren und Rohrlei 55
tungen zu legen hatten, waren, weil sie unzuverlässig erschienen, in dem besonders gefährdeten Camp vier durch andere, vertrauenswürdigere Leute ersetzt worden. Und der Vorarbeiter Simson, ein rothaariger Ire von dem Typ, wie sie in New York den Polizeidienst versehen, war von jeglicher Arbeit befreit worden. Er hatte nun die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Camp vier vor etwaigen Angriffen sicher war. In dieser dunklen Nacht, wie geschaffen für finstere Absichten, schloß der Vorarbeiter Simson kein Auge. Schon lange vor Mitternacht fluchten die Wachtposten, weil Simson wie ein Indianer umherschlich. Hatten sie vorher gelegentlich ein heimliches Pfeifchen rauchen können – obwohl dies auf dem Ölgelände streng verboten war – machte das Umherschleichen dieses bissigsten al ler Wachhunde das jetzt unmöglich. Simson hatte ein unheimliches Gefühl. Eine Vorah nung sagte ihm, daß schlimme Ereignisse bevorstanden. Ruhelos schlich er durch die Finsternis, wurde von Wachtposten angerufen und einmal sogar beinahe ange schossen, als er nicht rechtzeitig geantwortet hatte. Die Finsternis war einfach scheußlich. Man mußte schon auf größere Entfernung das Kennwort rufen … und das be deutete, daß jeder Schurke, der sich im Dunkeln an schlich, das Kennwort hören konnte, wenn er die Ohren spitzte. Der Vorarbeiter tappte über den freien Platz vor den Baracken, stieg über das Rohr der Ölleitung und er reichte das Pumpenhaus. Dumpf klang das rhythmische Stampfen der Pumpen und das Gurgeln aus den Sauglei tungen durch die Nacht. Die Pumpen dienten dazu, aus den großen Tanks das rinnende Erdöl durch die Rohrleitungen in die HauptTanks, die weiter unten im Tal verstreut lagen, zu leiten. 56
Aus den Bohrtürmen schoß das Öl von selbst in die Hö he. Die Quellen waren frisch angebohrt und standen, von der Ölader her, unter gewaltigem Druck. Explodierte ei ner der Bohrtürme, so mußte eine viele hundert Meter hohe Feuersäule in die Luft steigen … flüssiges Feuer würde vom Himmel regnen … Simson sprach ein paar Worte mit dem Wachtposten am Pumpenhaus und kletterte dann über den Drahtzaun. Als er die Bohrtürme erreichte, fiel ihm auf, daß der Wachtposten still an einem der Pfosten lehnte. Der Mann rief ihn nicht an. Schlief der Kerl etwa? Der Vorarbeiter versetzte dem Mann einen wütenden Stoß und fuhr erschrocken zusammen, als dieser plötzlich in sich zusammensackte. Wie niedergeschlagen, stürzte der Posten zu Boden und rührte sich nicht. Simson bück te sich, um ihn aufzurichten, aber als er den Rock des Mannes berührte, spürte er klebrige Feuchtigkeit … B l u t! Der Mann war tot, erstochen worden … „A l a r m!!!“, gellte die Stimme des Vorarbeiters durch die Nacht. Das war sein letztes Wort. Und der letzte Eindruck, den er mit sich hinüber nahm in das ewige Dunkel, war ein entsetzlicher Knall, begleitet von einem stichflam menartigen Blitz, und sengende Glut, die sich über seinen Körper ergoß – – . W w w u u m m . die Erde bebte unter der Detonation. Splitternd brachen die Pfosten des Bohrturmes, mit stäh lernem Klirren zerknickte die Rohrleitung. Ein scharfes, sausendes Zischen wie von ausströmendem Gas, dann ein stärker werdendes, heulendes Brausen und ein zweiter, dumpfer Knall von einem kugelförmigen Blitz begleitet. Wie ein gespenstischer, aus der Hölle in die Höhe 57
wachsender Zeigefinger erhob sich eine Säule heulender Flammen, stieg kerzengerade in die Luft … mehr als hundert Meter, hoch … und teilte sich, einen feurigen Regen nach allen Seiten versprühend. Das brennende Öl, von dem Druck der Quelle rasend schnell in die Luft ge schleudert, bildete einen grellroten Flammenstrahl, der im Winde schwankte und glühende Feuerarme nach allen Seiten versprühte. Überall regnete es Flammen, detonier ten Gase … W w w u u m m m … der zweite Bohrturm war in die Luft geflogen, die zweite Flammensäule stieg in den Himmel, teilte sich und regnete Tod und Verderben. Die Nacht war taghell erleuchtet. Die Baracken brannten. Schreiende, sterbende Menschen taumelten durch die aufgebrochene Hölle, wälzten sich am Boden, versuch ten, dem niederregnenden, feurigen Tode zu entrinnen. Ein Vulkanausbruch … Das ganze Camp war von brennendem Öl überflutet, ein einziges Meer züngelnder Flammen, ein feuriger Fluß, der sich den Hang abwärts bewegte. Das Pumpen haus brannte nun und bald schwiegen die Pumpen. Die sich retten konnten, liefen den Hang aufwärts, suchten rasch Deckung … Ein gellender Krach … eine feurige Flut, die sich wie ein glühender Ball vergrößerte … eine Detonationswelle, die Bäume entwurzelte und die Baracken mit einem Luft druckhieb einebnete … Der große Druckkessel und die beiden ÖlspeicherTanks waren in die Luft geflogen, Noch standen die an deren vier Bohrtürme, die etwas oberhalb gelegen waren, unversehrt. Das brennende Öl sickerte talabwärts und zum Glück stand der Wind ebenfalls talwärts, so daß der Feuerregen die restlichen Bohrtürme nicht erreichte. A 58
ber die beiden brennenden Quellen genügten … die Abflußgräben strömten über … und gleich den Fangar men eines riesenhaften, unheimlichen Polypen schossen wabernde Feuerströme über den Boden in Richtung der anderen Lager im Tal … Im Tal war es lebendig geworden. Unablässig heulte die Alarmsirene vom Dach des Verwaltungsgebäudes. Fluchende Vorarbeiter und Ingenieure teilten die er schrockenen, zur Flucht neigenden Arbeiter in Gruppen ein, bewaffneten sie mit Spaten und Schaufeln. Mit wahnsinniger Hast wurden neue Sicherungsgräben aus geworfen, um der heranströmenden Todesflut Einhalt zu gebieten. In letzter Minute gelang es, die Katastrophe aufzuhalten. Der Feldherr dieser Schlacht um Sein oder Nichtsein, um Hunderte Menschenleben, das Wohl und Wehe einer ganzen Stadt … war Frank Tudor. Seine knappen, präzisen Befehle, seine kaltblütige Ge lassenheit, die Ruhe und Überlegenheit, mit der er seine Anordnungen traf, imponierten den Leuten mehr denn je. Im Augenblick äußerster Gefahr zeigte sich die Intelli genz und gleichzeitig die seelische Stärke des jungen Ölkönigs, der in der vordersten Reihe seiner Arbeiter mit Hand anlegte, als es nichts mehr zu befehlen gab, als sich der wirre Haufen der entsetzten Arbeiter geordnet und um die erschrockenen Ingenieure gesammelt hatten. Um die großen Speichertanks wurden tiefe Gräben ge zogen, ebenso wurden die Bohrtürme gesichert. Die La gerpolizei wachte mit entsicherten Schußwaffen darüber, daß niemand den gefährdeten Punkten nahe kam … der Saboteur konnte ja unter den hier beschäftigten Leuten selbst sein. Aus der Stadt trafen jetzt die ersten Verstärkungs mannschaften ein. Hunderte Bürger, die eigentlich mit 59
dem Ölkönig nichts zu tun hatten, stellten sich freiwillig zur Verfügung, ergriffen Spaten und Schaufel und arbei teten wie besessen, um die gefährdete Stadt zu retten. Der ganze Hügelhang war ein Flammenmeer, gekrönt von den Feuersäulen der brennenden Quellen, die unauf hörlich ihre heulende Flut in die Luft jagten. Es knatterte, zischte und brauste … sickerte heran wie tückische Schlangen … versickerte in den Gräben … tauchte wie der auf im Bachgrund und wurde vom Wasser weiterge tragen … Der ganze Bachgrund war kilometerweit, bis an den Waldrand, ein glühendes, rot leuchtend es Band. Das leich te Öl schwamm auf dem Wasser und brannte weiter … An der Spitze der Rettungsmannschaft drang Frank Tudor, nachdem im Tal die Gefahr gebannt war, zu den brennenden Quellen vor. Sie umgingen den Hügel, er kletterten ihn von der Seite her und waren jetzt über der brausenden Flammenhölle. Hier und dort wurden Verwundete aufgelesen und ver bunden, bis das ganze Gelände, so weit man vordringen konnte, abgesucht war. Dann rief der Ölkönig Freiwillige auf: Es galt, die brennenden Quellen mit Nitroglyzerin zu löschen. Die Arbeiter wichen stumm zurück. Nitro war eine gefährliche Sache … ein Sprengstoff, der abseits von den Lagern aufbewahrt wurde … ein tückisches Zeug, das vor Stunden eine leichte Erschütterung erhal ten haben konnte und in dem Augenblick erst in die Luft ging, da man den Kanister in die Hand nahm … „Zwei Freiwillige?“ fragte Tudor nochmals. „Kerls, soll ich allein gehen –?“ Aus dem Kreis der Arbeiter löste sich ein schlanker, sehniger Mann. Er war in Cowboytracht und gehörte au genscheinlich nicht zum Lager. Tudor, der fast jeden sei 60
ner Arbeiter vom Sehen kannte, sah ihm erwartungsvoll entgegen. „Mein Name ist Kennedy“, sagte der Fremde gelassen. „Ich habe zwar mit der Geschichte hier nichts zu tun und einen anstrengenden Ritt hinter mir, will Ihnen aber gern helfen.“ „Sind Sie Rancher?“ fragte Tudor vorsichtig. „Sie können mir vertrauen“, meinte Kennedy. „Ich kam zufällig hier vorbei. Zu zweit werden wir es schon schaffen.“ Tudor drückte dem Fremden die Hand. „Das soll ein Wort sein“, sagte er anerkennend. Zwei Arbeiter schleppten jetzt das große stählerne Schutzschild heran. Bei ähnlichen Gelegenheiten wurde dieses Schutzschild mit Wasser berieselt, aber das war jetzt nicht möglich. Hier oben gab es kein Wasser. Tudor und sein Helfer zogen die Asbestanzüge an, setzten die Schutzhelme auf und arbeiteten sich zu den Flammen säulen vor. Keuchend trugen sie das Schutzschild Meter für Meter voran. Die Hitze wurde immer unerträglicher. Das stählerne Schild wurde unerträglich heiß und in dem Feuerregen, der unaufhörlich niederregnete, glaubten sie, am lebendigen Leibe verbrennen zu müssen. Bis auf vierzig Meter arbeiteten sie sich an die beiden höllischen Säulen heran. Das donnernde Brausen des un aufhörlich emporsteigenden Öls machte jede Verständi gung unmöglich. Sie wanden sich in der wahnsinnigen Glut und waren halb erstickt, als sie die „Schleuder“ end lich am Drahtseil herangezogen hatten. Die „Schleuder“ war ein Spezialgerät, um den Sprengstoff-Kanister die restlichen vierzig Meter weit in die Glut schleudern zu können: ein Stahlgerüst mit einem langen Schleuderarm. Die starke Feder mußte mit Kurbelwinden angespannt 61
werden. Eine Leine, die sich hundert Meter weit nach rückwärts ausrollen ließ, betätigte die Abzugsvorrich tung, welche den Schleuderarm herumschwenken ließ. Tudor schätzte die Entfernung und stellte den Mecha nismus ein. Dann kam der gefährlichste Teil: das Heran holen des Sprengstoffs. Die mit Grauen zusehenden Ar beiter hatten sich weit zurückgezogen, als ein beherzter Ingenieur den großen Nitro-Kanister heranschleppte und auf einem schlittenähnlichen Gestell befestigte. Er legte das Drahtseil an und entfernte sich, so schnell er konnte. Man konnte nie wissen, wann Nitroglyzerin in die Luft flog … Keuchend vor Erschöpfung, von der Hitze ausgedörrt, halb erstickt – so zogen die beiden todesmutigen Männer hinter dem Schutzschild den Schlitten mit der unheim lichen, durch Asbestplatten notdürftig geschützten Last langsam zu sich heran. Jede Bodenunebenheit konnte den Sprengstoff in die Luft jagen, genug, um im Umkreis von hundert Metern jedes Lebewesen allein durch den un geheuren Luftdruck zu töten … Meter um Meter glitt der „Schlitten“ heran. Jetzt reg nete das brennende Öl auf die Asbestplatten, mit der der Kanister abgedeckt war. Würde die Hitze den Spreng stoff zur Detonation bringen –? Unter normalen Um ständen wurde der Kanister mit Wasser berieselt, aber jetzt ging es auf Biegen oder Brechen … das Leben der beiden Männer hing an einem seidenen Faden … Kennedy sah, wie Tudor schlaff zusammenklappte. Der Ölkönig war ohnmächtig geworden. Auch vor Ken nedys Augen flimmerte es, seine Kehle war ausgetrock net, in seinen Schläfen hämmerte der Tod … Mit letzter Kraftanstrengung zog er den Schlitten her an, schob den Kanister in die Schleudervorrichtung. Er 62
hob den Ohnmächtigen auf – mehrmals mußte er anset zen, weil seine Kräfte versagten. Dann hatte er den Mann auf seinen Schultern und trug ihn durch den Feuerregen taumelnd zurück. Am Ende der Zugleine hatten die Ar beiter eilig eine Grube ausgehoben, die zur Deckung die nen mußte. Kennedy ließ den schlaffen Körper Tudors in das Erdloch gleiten und fiel mehr, als er sprang, in die Tiefe. Einen Augenblick ruhte er sich mit keuchenden Lungen aus, dann riß er an der Leine. Er sah, wie der Hebelarm des Schleuderapparates herumflog … gleich einer Kano nenkugel flog der viereckige Nitro-Kanister durch die Luft … würde er sein Ziel erreichen? Jetzt – – jetzt flog der Kanister mitten zwischen die Feuersäulen, schlug auf den Boden auf – – K r r a c h … ein ohrenzerreißendes Krachen. Eine Detonationswelle, die den Körper wie ein furchtbarer Stockhieb traf … und Stille … und plötzli che Finsternis … Die Feuersäulen waren wie durch Zauberei weggebla sen. Im ganzen Umkreis hatte der ungeheure Luftdruck der Nitroexplosion die Flammen ausgeblasen. Die plötzliche Finsternis war erschreckend, weil die ge blendeten Augen nun sich nicht an das Dunkel gewöh nen konnten. Brausend schoß noch immer das Erdöl in die Höhe, aber es brannte nicht mehr – – . Im Morgengrauen arbeitete sich ein Trupp von Inge nieuren und Arbeitern, in Spezialanzügen, zu den Quel len vor und vollendete das Werk. Mitten in den aufstei genden Strahl des Öls wurden hölzerne Keile getrieben, die den Strahl ableiteten und das Aufsetzen der Verschlußkronen ermöglichten. Andere verlegten eine 63
neue Rohrleitung und nach Stunden floß das wieder ge bändigte Erdöl ungefährdet einem Reservetank zu. Als der Ölkönig sich an diesem Morgen bei seinem Lebensretter und kühnen Helfer bedanken wollte, war dieser verschwunden. In seiner Rocktasche fand er einen kleinen Zettel, den ihm Kennedy zugesteckt haben muß te. „Verhindern Sie den drohenden Bürgerkrieg mit Bil ford“, las er erstaunt. „Hinter der Sabotage stecken ande re Leute als die Cowboys.“ Drittes Kapitel Über den sonnendurchglühten Weg nach Bilford bewegte sich eine kleine Wagenkarawane. Es waren drei Fahrzeu ge von der Art, wie sie einst – zur Zeit der Indianerkriege – von den Pionieren des Westens benützt wurden: „Prä rieschoner“ nannte man die plumpen, mit Segeltuch halbkreisförmig abgedeckten Gefährte. Die Räder der schweren, vierspännigen Wagen wirbelten riesige Staubwolken auf, und der Reiter, der sie in gestrecktem Galopp zu überholen trachtete, tauchte so plötzlich neben dem Lenker des ersten Wagens aus der Dunstwolke auf, daß dieser im ersten Schrecken auf die Pferde einhieb. „He, du Staubfresser“, rief der Reiter erstaunt, „warum reißt du denn aus?“ Er setzte sich, sein Pferd zu einigen raschen Sprüngen zwingend, neben den nun schneller dahinpolternden Wagen. Wie beruhigend schwenkte er seinen breitkrempigen Cowboyhut. „Ihr habt wohl Gold geladen, daß ihr so ängstlich seid, wie?“ Der Lenker hielt noch immer seine Flinte schußbereit, und der Mann neben ihm auf dem Bock hatte die Hähne seiner beiden Revolver gespannt. Die ermüdeten Pferde 64
des Wagens waren wieder in Schritt gefallen und der Lenker trieb sie nicht an. Er schien beruhigt zu sein, weil er sah, daß es sich nur um einen einzelnen Reiter han delte, der da so überraschend aufgetaucht war. „Schätze, daß es dich nichts angeht, was wir geladen haben“, sagte der mit der Flinte im schleppenden Tonfall des Texaners. „Und wenn ich dir ‘nen Rat geben darf, Freundchen, dann sieh zu, daß du aus der Reichweite meiner Flinte kommst.“ Der Reiter hob das linke Bein über den Sattel und saß jetzt gemütlich dem Wagen zugewendet. Er drehte sich mit erstaunlicher Geschicklichkeit eine Zigarette, riß ein Streichholz an der breiten Lederhose an und nahm sich Feuer. Der ganzen Kleidung nach machte er den Ein druck eines Cowboys … das grobe Hemd und der breite Ledergürtel, der mit kleinen silbernen Metallknöpfen verziert war … alles deutete auf einen Mann hin, der schon jahrelang den Beruf eines Weidereiters ausübte. Nur war etwas in seiner ganzen Haltung, in seinem Blick, was stutzig machte. „Erstens“, erwiderte der Cowboy freundlich, „ist die ser Weg für jeden da.“ Er blies den Rauch von sich und grinste. „Zweitens hole ich dich von deinem Bock und geb’ dir eins auf die Nase, wenn du deine Flinte nicht in eine andere Richtung bringst.“ Er wurde ernst, seine Stimme schneidend: „Und drittens, lieber Freund, bringst du jetzt sofort den Wagen zum Halten. Denn ich bin äu ßerst interessiert, zu erfahren, was ihr geladen habt.“ Er unterbrach sich und ließ sich blitzschnell rücklings aus dem Sattel fallen. Krach… Unvermittelt hatte der Wagenlenker die Flinte ge hoben und geschossen. Das reiterlose Pferd machte einen 65
Satz und galoppierte über den Weg, vor dem Wagen her, um dann – wie durchgehend – über die Prärie zu rasen. Minuten später war es in den Büschen am Bachufer un tergetaucht. „Er muß hier irgendwo liegen“, knurrte der Mordschütze. Er hatte den Wagen zum Stehen gebracht und zu sammen mit seinem Begleiter suchte er den Weg ab. Dann sahen sich die beiden Männer betroffen an. „Zum Henker, ich wette, daß ich ihn getroffen habe. Ich zielte doch mitten in seine grinsende Fratze. Er fiel aus dem Sattel und –“ „Aber, wo ist er denn geblieben –?“ stotterte der mit der Flinte. „Der Sattel war doch leer, als der Gaul durch ging.“ „Ja, der Sattel war leer – aber hast du nicht gesehen, daß das rechte Bein des Kerls im Steigbügel hing, als er sich fallen ließ, he? Das ist ‘n alter Cowboytrick, mein Junge. Der Kerl hing mit einem Bein im Steigbügel, ne ben dem Bauch des Gauls, und hielt sich an der Mähne fest. Nun haben wir den Salat. Ich wette, in spätestens einer Stunde ist uns die Grenzpolizei auf dem Hals, ver folgt unsere Spur … und wir verraten dadurch den gro ßen Treck. Teufel noch eins, das kostet uns den Kragen.“ „Wir müssen eben sehen, daß wir so über die Grenze kommen … oder die Wagen in die Luft sprengen.“ Die Lenker der anderen Wagen waren abgestiegen und scharten sich jetzt um die beiden. „Das ist ‘ne schöne Schweinerei“, knurrte ein großer, hagerer Kerl. „Du bist schuld, Joe, daß wir den Anschluß an die Karawane verloren haben. Und jetzt, wo es darauf ankommt, läßt du dich von einem verdammten Cowboy düpieren.“ 66
„Der Kerl ist sicher über alle Berge“, brummte ein an derer. „Und der Sheriff von Bilford ist so ‘ne Art Blut hund. Der läßt nicht locker, bis er – –“ Er unterbrach sich und starrte mit offenem Munde auf den Mann, der mit freundlich lächelndem Gesicht hinter der Ecke des einen Wagens hervortrat. Nur die beiden Revolver in seinen Händen redeten eine unmiß verständliche Sprache. „Na also“, sagte der junge Mann. „Da sind ja alle meine Kinderchen hübsch beisammen. Nur nicht nervös wer den, ihr lieben Kleinen und macht euren guten Papa nicht böse.“ Es war der Cowboy von eben. Er mußte sich von den Büschen her angeschlichen haben, während die Leute zusammenstanden, um zu beraten. Sein Gesicht strahlte Wohlwollen und Zufriedenheit aus, nur die Augen waren etwas verkniffen und ließen keinen der Männer un beobachtet. „Wir wollen ein kleines Spielchen machen“, schlug der Cowboy vor. „Es heißt: ‚Alle Händchen in die Höhe’ – und ich zähle bis drei. Wer dann seine süßen Patsch händchen nicht oben hat, der hat verloren und muß zur Strafe auf den Boden … eins …“ Die Männer sahen sich betreten und wütend gegen seitig an. Sie wagten es nicht, an den Gürtel zu greifen. „Zwei … und dr…“ Die Hände flogen hoch. Der Cowboy grinste. „Fein habt ihr das gemacht. Ihr habt alle gewonnen. Dafür will euch der gute Papa auch ein neues Spielchen zeigen. Stellt euch in eine Reihe, Kinderchen …“ Die Kinderchen machten alles andere als erfreute Ge sichter. Sie musterten den Mann, der sie in Schach hielt, mit dem Gesichtsausdruck hungriger Wölfe. Der hagere Mann griff plötzlich mit einem Fluch zum Revolver. 67
K r a c h … fast ohne zu zielen, hatte der Cowboy ge schossen. Der Revolver flog in hohem Bogen in den Staub und sein Besitzer starrte mit offenem Munde auf seine leere Rechte, an der die Kuppe des Zeigefingers fehlte. „Unartig, unartig“, schalt der Cowboy. „Du alter Spiel verderber willst doch nicht einen Erwachsenen lehren, wie man schießt? Los, Kinderchen, stellt euch auf …“ Seine lustige Rede war begleitet von unzweideutigen Bewegungen mit den Revolvern, und die Männer stellten sich zähneknirschend aber brav in eine Reihe. „Umdrehen“, befahl der Cowboy. Er schritt die Reihe ab, scharf beobachtend, ob die Hände auch oben blieben, und zog einem der Leute nach dem anderen die Waffe aus dem Holfter. Die Revolver steckte er sämtlich in seinen Gürtel, und als sich die vor Wut keuchenden Männer endlich umdrehen durften, glich der Cowboy einem wandelnden Waffenarsenal. „Wer sind Sie denn überhaupt?“ schrie Joe, der Mann mit der Flinte. „Ich bin der Staatspräsident von Mexiko“, grinste der Cowboy. „Ein gemeiner Straßenbandit bist du“, schnaufte der andere. „Und das sage ich dir – –“, er heulte fast vor Wut, doch ließ ihn der Cowboy nicht ausreden. „Sag es deiner Großmutter“, schlug er freundlich vor. „Und mach’ den Mund zu, sonst fliegt dir eine Kugel hinein.“ Er baute sich vor den entwaffneten Männern auf und überlegte einen Augenblick. Dann erhellte sich sein Gesicht. „Der zweite Teil dieses hübschen Spiels“, sagte er fröhlich, „heißt: ‚Hasch mich, – ich fang dich doch.’ Es geht folgendermaßen: Wenn ich bis drei gezahlt habe, lauft ihr alle weg … möglichst rasch und ohne euch um 68
zusehen in dieser Richtung …“, er deutete über die offe ne Prärie zur Linken. „Und in Gedanken werde ich wei terzählen. Wenn ich bei ‚zehn’ bin, ihr lieben Kinder chen, werde ich zum Spaß ein Schnellfeuer auf euch er öffnen. Den Letzten von euch lege ich auf die Nase. Ich habe heute“, sagte er, und sein Tonfall wurde traurig, „nämlich eine furchtbar schlechte Laune. Und wer nicht mitspielen will – –“ „Halt mal, Fremder“, meldete sich die dumpfe Stimme eines bärtigen Mannes, der nervös mit den Augen blin zelte. „Was haben Sie davon, wenn Sie uns davonjagen? Ich biete Ihnen tausend Dollars, wenn Sie uns in Frieden ziehen lassen.“ Der Cowboy lächelte gefährlich. „Das ist gegen die Spielregeln, oller Bestecher“, sagte er grimmig. „Eigentlich sollte ich euch ja nicht laufen lassen – aber ihr werdet früher oder später doch gehenkt. Und wenn ihr heute abend zu meinem lieben Freund Ze ro kommt und ihm sagen müßt: ‚Ein böser Bube hat uns unsere Wägelchen und Pferdchen abgenommen’ – dann könnt ihr ihm einen schönen Gruß von T o m P r o x aus richten. Und nun wißt ihr, mit wem ihr es zu tun habt, verstanden?“ Die Kerle waren merklich bleich geworden und starr ten sich verstört an. „Na“, murmelte der eine. „Wenn das Tom Prox ist, dann möcht’ ich erst mal sehen, wie Billy Jenkins loslegt. Brüder, ich denke, wir machen, was der Gentleman da sagt und nehmen die Beine in die Hand.“ Tom Prox nickte beifällig. „Das Spiel geht weiter. Ihr kennt die Regeln“, sagte er. „Ich zähle jetzt . eins . . zwei … drei …“ Die Leute wendeten sich und rannten davon. Sie liefen 69
so rasch, daß sie beinahe außer Schußweite waren, als Prox, der noch immer weiterzählte, bei „zehn“ war. Befriedigt vor sich hinbrummend, holte Tom Prox die Wagen heran und befestigte die Deichseln jeweils an dem vorderen Wagen. Dann pfiff er seinem Pferd, das fröhlich wiehernd herantrabte, und schwang sich auf den Kutschbock des ersten Wagens. Er ließ die Peitsche knal len. Dann sang er mit seiner lauten, fröhlichen Stimme, während er die Richtung nach Bilford einschlug, ein Kinderlied, wie es in den Ortschaften längs der Grenze gesungen wurde … *
* *
Auf die erste alarmierende Botschaft hin – ein atemloser Bote hatte über die Vorgänge auf der Raffkins-Ranch berichtet – brach Sheriff Harper sofort die Treibjagd auf den Rinderdieb ab, der in der vergangenen Nacht zwei Rinder gestohlen hatte. Mit seinen beiden Gehilfen preschte er in die bedrohte Stadt zurück. Bilford glich einem Ameisenhaufen. Überall standen erregte Rancher und Cowboys in Gruppen zusammen. Auf dem Marktplatz hatten sich einige Hundert wütender Männer versammelt und lauschten den Worten Raffkins, der mit seinem durchschossenen Arm und der bösen Stirnwunde über dem blutüberströmten Gesicht wie ein Dämon wirkte. Langsam ging der Sheriff durch die Rei hen. Kein Wort, keine gemurmelte Bemerkung, kein Fluch entging seinen hellhörigen Ohren. „Es wird Zeit“, scholl die grollende Stimme des Ran chers über den Platz, „daß diesen verdammten Ölniggern 70
einmal gezeigt wird, was die Glocke geschlagen hat. Sol len sich ehrliche Rancher von dem Gesindel in Brand stecken lassen, was in jahrzehntelanger, mühseliger Ar beit gebaut wurde?“ „Nieder mit Tudor – an den Galgen mit dem Öllumpen“, scholl es im Chor. Sheriff Harper schritt mit gesenktem Kopf und ein gezogenen Schultern durch die dichtgedrängten Männer wie ein Keil, der sich in eine lebende Mauer eindrängt. „Wir haben“, hob Raffkins wieder an, „den Kerlen ei nen warmen Empfang bereitet. Ich will euch nicht gegen das Gesindel aufhetzen, Freunde, weil meine Ranch zu fällig der Ölstadt am nächsten liegt. Irgendein Halunke hat denen heute Nacht die Ölquellen in Brand gesteckt, und ich mußte die Geschichte ausbaden? Meine Ranch ist niedergebrannt, morgen geht es euch an den Kragen. Ich bin den Schurken mit Mühe und Not entronnen und konnte Frau und Tochter in Sicherheit bringen. Drei meiner Leute tot, die anderen mehr oder weniger übel zugerichtet. Und rund vierhundert bewaffnete Ölarbeiter sind hierher unterwegs – sie wollen Bilford in Brand stecken …“ Er unterbrach sich; denn Sheriff Harper war neben ihn auf den Wagenbock geklettert und flüsterte ihm etwas zu. Der Rancher biß sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Die Erregung unter den Leuten wuchs. „Sollen wir unsere Stadt anzünden lassen? Zum Teufel mit den Ölleuten …“, schrie eine erregte Stimme. Harper wendete sich um und blickte über die Menge. Seine kalte Ruhe und der unpersönliche harte Blick sei ner Augen ließen Stille eintreten. „Ich bin überzeugt, daß Frank Tudor mit den Über griffen seiner Leute nichts zu tun hat und daß er die Ver 71
antwortlichen zur Rechenschaft ziehen wird“, sagte er ver nehmlich. „Ihr seid wohl allesamt verrückt geworden? Es können doch nicht zwei amerikanische Grenzstädte einen frisch-fröhlichen Privatkrieg beginnen … Überlegt euch doch mal, Leute, was daraus entsteht: B ü r g e r k r i e g! Ausnahmezustand für den ganzen Distrikt und Militärauf gebote – –“ „Sollen wir uns abschlachten lassen?“ kreischte eine Stimme. Der Sheriff schüttelte den Kopf. „Was zu eurem Schutz notwendig ist, wird getan“, rief er laut über den Platz. „Aber ich dulde keinerlei An griffshandlung, kein selbständiges Vorgehen, keine Ra cheakte. Die Ölleute sind verhetzt. Ich bin fest überzeugt, daß die Ölquellen von gewissenlosen Schurken in Brand gesetzt wurden, um Unfrieden zwischen Tudor und Bil ford zu stiften. Murrt nicht, ich habe Beweise! Man will die Ölleute auf uns hetzen … und wir sollen gegen die Ölleute losschlagen. Und wißt ihr, wer der lachende Drit te ist? Ich will es euch sagen, es ist – –“ Irgend woher aus dem Fenster eines der Gebäude ne ben dem Marktplatz, ertönte der dünne Knall eines Flin tenschusses. Die Leute hörten das schrille Pfeifen des Geschosses und duckten sich unwillkürlich. Als sie wie der aufblickten, hockte Sheriff Harper in seltsam ver krümmter Haltung auf dem Kutschbock. Er preßte die Hand auf die linke Brustseite und sank langsam in sich zusammen. Der Rancher neben ihm hielt mit der unver wundeten Hand den Rock fest und verhinderte, daß Har per in die Tiefe stürzte. Kaum hatten die versammelten Leute begriffen, was geschehen war, als sie mit Wutgebrüll in die Richtung stürzten, aus welcher der Schuß gefallen war. Einer be 72
zeichnete das Haus, der andere wollte gesehen haben, daß sich die Flügel eines bestimmten Fensters bewegt hatten. Wie die Brandungswoge des Meeres rollte die erregte Flut der Männer über Zaun und Garten hinweg, stürmte gegen die Haustür, die unter dem Anprall krachend zer splitterte … „Da reitet er …“, brüllte eine Stimme von der Rück seite des Hauses her. Zwanzig, dreißig Männer rannten zu den Pferden. Zwei Minuten später donnerte die wilde Jagd über Zäune und Hecken hinweg in die Prärie hinaus. Ganz in der Ferne jagte ein Reiter dahin, tief auf den Rücken des Pferdes gebeugt, unaufhörlich die Peitsche schwingend. Der Mordschütze floh in Richtung auf Tudor – – . Inzwischen wurde Bilford mehr und mehr zu einem aufgeschreckten Bienenschwarm. Wer bisher noch ruhig und gleichgültig seiner Arbeit nachgegangen war, griff zur Waffe. Aufgeregte Frauen versuchten, ihre Männer zurückzuhalten, Mütter schrien nach ihren Kindern, durch die staubigen Straßen jagten Reitertrupps und hat ten Mühe, aus der Stadt zu kommen; denn überall stan den Gruppen erregt diskutierender Männer und ver sperrten den Weg. Ein Rancher namens Powell, den die Ölleute von sei ner Ranch verdrängt hatten, weil Öl auf seinem Gelände gefunden wurde, war einstimmig zum Vertreter des schwer verwundeten Sheriffs bestimmt worden. Powell, der lange Jahre bei der Armee gedient und es dort bis zum Obersten gebracht hatte, war ein ruhiger, beson nener Mann. Er erklärte, daß er die Wahl nur anerkennen und den Sheriffposten nur übernehmen werde, wenn sei nen Anordnungen bedingungslose Folge geleistet würde. 73
In aller Eile wurden Aufgebote zusammengestellt, und Powell suchte bedächtig und ohne Hast die besonnensten Leute heraus, welche die Führung dieser Aufgebote über nehmen sollten. Die größten Krakeeler faßte er in einem besonderen Trupp zusammen und übertrug ihnen, den Schutz der Stadt zu übernehmen. Die Leute murrten, mußten aber wohl oder übel gehorchen. Weitaus lieber waren sie den Ölleuten entgegengezogen – doch Powell wußte nur zu gut, daß der erste Schuß, der bei einem Zu sammentreffen der gegnerischen Gruppen fallen würde, über die Schuldfrage an diesem unsinnigen Bürgerkrieg entschied. Dennoch kam es in den Nachmittagstunden bei der Ersky-Farm zu dem ersten blutigen Zusammenstoß. Po well, an der Spitze eines kleinen Trupps ausgesuchter Reiter, hörte aus der Ferne das Knattern der Schüsse und jagte herzu. Die Farm wurde von einem halben Hundert Kerlen, die wie Ölarbeiter gekleidet waren, belagert. Rings auf den Maisfeldern hockten die Belagerer hinter Felsblöcken und in Bodensenken und feuerten wie rasend auf die Fenster des Farmgebäudes, dessen hölzerne Wän de von Kugeln bereits wie zersiebt waren. Als Powells Leute in donnernder Karriere anrückten und sich auf seinen Befehl fächerartig teilten, um den Be lagerern der Farm den Rückzug abzuschneiden, näherte sich plötzlich von links, aus dem Walde hervorbrechend, ein starker Reitertrupp … Powell zählte mit einem Blick, daß es mehr als dreißig Mann waren, die da angaloppiert kamen. An den blauen Overalls und den grünen Hemden der Leute erkannte Powell sofort, daß es sich um Ölarbei ter handelte … wie merkwürdig? Woher hatten die Öl leute soviel Pferde? In einem großen Gebüsch in der Talsenke waren wei 74
tere Dutzende Pferde angebunden … auch die Belagerer waren beritten. Dieser Umstand gab Powell zu denken. Er wußte, daß die Ölarbeiter keine Pferde hatten. In ganz Tudor waren bestenfalls fünfzig Pferde aufzutreiben. Hatten sich die Kerle von den Ranchen bereits so viele Gäule zusammenstehlen können? Die nahenden Reiter eröffneten bereits aus der Ferne das Feuer, auch die Leute, welche die Farm belagerten, wendeten sich um und schickten den anstürmenden Cow boys ihren bleiernen Gruß entgegen. Während Powell rasche Befehle schrie und das Feuer erwidern ließ, mu sterte er die Pferde der Gegner … Nein, das waren keine Rancherpferde! Kleine, struppige Gäule, wie sie nur in Mexiko gezüchtet wurden. Und für „Ölarbeiter“ saßen die Leute da viel zu gut im Sattel. Ein waschechter Öl mann würde bei dem Tempo und in dem schwierigen Gelände längst auf dem Boden gelandet sein … die Kerle dort hingen aber wie die Indianer auf dem Rücken ihrer Pferde und feuerten aus dem vollen Galopp, wobei sie verteufelt gut zielten. Zu weiteren Überlegungen war keine Zeit. Die Kugeln pfiffen jetzt so dicht, daß man den Verstand zusammen behalten mußte. Powell schoß drei, vier, der Anstürmen den aus dem Sattel, dann sah er ein, daß die Übermacht zu groß war und schrie seinen Leuten zu, sie sollten über den Weg in die Felsen. Die kleine Schar fegte über die staubige Straße und den Hang hinauf. Dann mußten sie absteigen, denn das Felsengeröll wurde zu dicht. Von den zwanzig Leuten Powells waren sieben mehr oder weniger schwer verwundet. Die Leute erreichten die Kuppe des kleinen Hügels in dem Augenblick, da unten der gegnerische Reitertrupp die Straße erreichte. Ein wil des Feuergefecht entspann sich. Auch die Belagerer der 75
Farm waren herangekommen und verteilten sich kreis förmig um den Hügel, hinter Felsen und Gebüschen De ckung suchend. Es waren weit über achtzig Mann, sämt lich mit den kurzen, großkalibrigen mexikanischen Mili tärkarabinern bewaffnet. Und die Art und Weise, wie sie abwechselnd schossen, bewies, daß es sich um eine gut einexerzierte Truppe handelte. Powell gab Befehl, das Feuern einzustellen und nur noch zu schießen, wenn sich ein sicheres Ziel bot. Man mußte Munition sparen – – . Auch die Belagerer unten schossen immer spärlicher, arbeiteten sich aber, von Felsen zu Felsen springend, langsam heran. Die Verteidiger konnten die Straße, die hinter den Felsen durch eine Schlucht führte und einen scharfen Knick machte, nicht überblicken. So war Powell sehr überrascht, als aus der Schlucht plötzlich eine merk würdige Wagenkolonne hervorrollte. Auf dem Kutschbock des ersten Wagens saß ein Mann in Cowboytracht, schwang fröhlich die Peitsche und re dete laut mit dem Reitpferd, das, ohne angebunden zu sein, nebenher lief. Die beiden anderen Wagen folgten so dicht, daß sie aneinandergebunden sein mußten. Je denfalls war auf den Sitzen der folgenden Wagen kein Kutscher zu sehen. „Wenn ich mich nicht irre, Brauner“, so sagte die ver nehmliche Stimme des Cowboys, der jetzt dicht unter dem Hügel war – zwischen den feindlichen Parteien – und mit dem Pferd redete: „Wenn ich mich nicht irre, ist hier irgendwo Krieg ausgebrochen. Das Schießen muß hier ganz in der Nähe gewesen sein und ich wette meinen Hut, wenn – – oh, verdammt, was wollen denn die?“ Die letzten Worte bezogen sich auf ein halbes Dutzend Männer, die hinter den Felsen hervorgesprungen kamen 76
und sich drohend auf den Weg stellten. Powell, der ober halb der Straße die Szene beobachtete, hob die Hand und die Leute legten an. „Runter vom Bock“, befahl einer der Kerle, der wie ein Ölarbeiter gekleidet war. „Steig ab, du verdammter Cowboy und ergib dich …“ Der Cowboy pfiff durch die Zähne und erhob sich ge horsam. „Olalala“, stotterte er. „Was – was wollt denn ihr?“ Der Bandit, der das Wort zu führen schien, kam lang sam näher. „Was hast du in den Wagen, he?“ fragte er drohend. Der Cowboy machte eine beschwichtigende Geste. „Das will ich dir gern zeigen“, antwortete er bereitwil lig. Ehe der andere ihn daran hindern oder etwas sagen konnte, hatte er die Zeltplane hinter dem Kutschbock angehoben und war in das Innere des Wagens geklettert. Als er wieder zum Vorschein kam, hielt er einen merk würdigen Gegenstand – ein durchlöchertes, schweres Stahlrohr mit einer großen Trommel – im Arm. Ringsum waren dutzende Banditen hinter den Felsen hervor gekommen. Sie hatten Miene gemacht, die Wagen zu stürmen, blieben aber schreckgelähmt stehen. „So“, sagte der Cowboy langsam, „nun werde ich’s euch zeigen …“ Sein Zeigefinger krümmte sich, während sein linker Arm, auf dem der Lauf des Maschinengewehrs ruhte, eine kreisende Bewegung machte. Rrrrrrt … Rrrrrr … Rrrrrrt … Eine Kette, von Staubwölkchen, so dicht, wie die Ku geln der Schußgarbe einschlugen, stieg vor den Füßen der entsetzten Leute auf, die mit wildem Geheul davon 77
rannten. Das Belfern des Maschinengewehrs, das un heimliche Singen der Geschosse und das Kreischen der Querschläger tönte den Flüchtenden wie Teufelsmusik in den Ohren. Von einem der Felsen zur Linken der Straße wurde geschossen. Dem Cowboy flog der Hut vom Kopf. Er wen dete sich ärgerlich zur Seite, hob den linken Arm etwas an und jagte eine Kugelgarbe gegen den Schützen. Dann streu te er die Hänge ab und verschwand einen Augenblick, um eine neue Trommel aus dem Wagen zu holen. Als er wie der zum Vorschein kam, riß er die Waffe hoch … „Nicht schießen“, rief Powell warnend. „Ich gehöre nicht zu den Burschen, die Sie belästigten. Wir wurden von den Kerlen belagert, und ich fürchte, daß uns auch Ihr schönes Maschinengewehr nicht nützt. Es sind zu viele, und wenn sie sich erst gesammelt haben …“ Tom Prox lachte vergnügt. „Was das betrifft“, sagte er gemütlich, „könnten mei nethalben tausend Mann anrücken. Ich bin nämlich so zusagen ein wandelndes Waffenmagazin. Wieviel Leute haben Sie bei sich?“ „Ohne die Verwundeten – dreizehn.“ „Gut“, brummte Prox vergnügt. „Dann holen Sie sich dreizehn Maschinengewehre von den Wagen … aber vorsichtig, es sind auch Handgranatenkisten, Karabiner und Dynamitpatronen unter der Ladung. Das reinste Pul vermagazin …“ Er lachte fröhlich. „Was? – so viele Maschinengewehre?“ staunte Powell. Prox zuckte gleichmütig die Achseln. „Insgesamt zwanzig“, sagte er leichthin. „Ich würde ja gegen den gemeinsamen Feind gern ein paar Granat werfer in Stellung bringen, – aber leider ist die Munition auf den anderen Wagen.“ 78
„Auf welchen Wagen?“ „Die heute nacht vermutlich schon über die Grenze sind“, sagte Prox. „Aber das verstehen Sie nicht. Meinen Sie, daß die Kerle nochmals angreifen?“ Statt einer Antwort deutete Powell auf den Weg. Weit hinten hatten sich Reiter gesammelt … ein großer Trupp, der, als er abrückte, eine gewaltige Staubwolke hinter ließ. „Das sind sie – sie reißen aus“, sagte er grimmig. Tom Prox lächelte. „Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen“, sagte er und holte einen blitzenden Metallgegenstand aus der Tasche seines Hemdes – eine silberne Medaille, die eine eingravierte Nummer unter den Schwingen des Ad lers trug. „Kennen Sie das hier –?“ Er hielt Powell die Medaille unter die Nase. Der nahm unwillkürlich eine straffe Haltung ein. „Ich bin James Powell, Oberst außer Dienst“, sagte er. Prox hob grüßend die Hand. „Nun, dann wissen wir ja beide Bescheid, Oberst. Ich habe eine Bitte: Können Sie mit Ihren Leuten dieses rol lende Waffenarsenal, das ich einer Bande von Waffen schmugglern abnehmen konnte, nach Bilford schaffen?“ „Recht gern, nur ist hier in der Nähe eine Farm, die von den Banditen überfallen wurde. Ich möchte zuvor dort nach dem Rechten sehen.“ „Tun Sie das“, nickte Prox. „Ich habe es eilig und möchte vorerst in diesen verdammten Bürgerkrieg nicht verwickelt werden. Nehmen Sie ein paar Maschinen gewehre und räumen Sie unter den Kerlen auf, wenn sie sich noch einmal blicken lassen.“ Powell lächelte breit. „Worauf Sie sich verlassen können.“ 79
„Aber achten Sic darauf“, meinte Prox, während er in den Sattel stieg und sein Pferd herumwendete, „daß Sie nicht die Unrechten treffen. Die Leute von eben waren nicht aus Tudor …“ „Hab’s gemerkt.“ „Okay“, Prox winkte ihm zu. „Viel Spaß noch … und wenn ich Sie mal brauche, schicke ich einen Boten. Mein Name ist Prox, Tom Prox.“ *
* *
Der Weg wurde immer enger und die Zweige der Bäume ragten so weit hervor, daß sich Prox über den Rücken des Pferdes beugen mußte. Der Braune war von selbst in Schritt gefallen. Plötzlich erweiterte sich der Waldpfad und eine Lichtung lag vor ihm. Gefällte Bäume bildeten längs des Waldrandes ein wirres Durcheinander. Tom Prox zügelte den Braunen und drehte sich ge dankenverloren eine Zigarette. Er musterte alles genau. „Es hat sich vieles verändert“, murmelte er. „Die Lich tung war früher nicht vorhanden. Möcht’, zum Teufel, wissen, warum der ‚Alte’ den schönen Wald umlegt.“ Sein Auge fiel auf eine Reihe gestapelter, in bestimmter Weise an den Enden eingekerbter Pfähle. „Aha“, sagte er zu sich selbst. „Gatterpfähle … aber gleich so viele, daß der ganze Wald abgeholzt wird? Hm – schätze, der alte Kirby wird seine Herden verdreifacht haben. Na, der wird Augen machen, wenn er mich sieht … Hat mich nicht gern ziehen lassen, damals“, er lachte leise vor sich hin und stieg ab. Er zog das Pferd hinter sich her, wäh rend er den Waldrand entlangschritt. „Hier muß es irgendwo sein“, brummte er und spähte 80
in das Unterholz. „Der große Felsen mit der Höhle, in der wir damals gehockt haben, als das Unwetter aufkam. Mein Gott, was hatte das Mädel für ‘ne Angst. Die Liz zie! Muß nun ‘ne richtige junge Dame geworden sein. Ob sie mich wiedererkennt? Ah, da Ist der Felsen ja …“ Er ließ den Zügel fahren und arbeitete sich durch die Zweige. Ein hoher, dicht mit Moos bewachsener Felsen tauchte vor ihm auf. Tom Prox arbeitete sich durch ein Gebüsch, erreichte den Felsen und lugte um die Ecke in die Höhle – – . Das erste, was er sah, war die runde Mündung eines Revolvers. Dahinter ein Paar grimmig funkelnder Augen und ein bärtiges Gesicht. „Keinen Mucks, Bruderherz“, sagte eine kühle, ge lassene Stimme. „Hupp“, machte Prox verblüfft. Er schluckte und hob die Hände. „Wer bist denn du … Waldgeist oder … ?“ „Das Andere“, scholl die grimmige Stimme. „Und ich rate dir, keine Dummheiten zu machen, sonst –“, er sprach nicht aus, aber der drohende Tonfall seiner Worte besagte genug. Tom Prox lauschte mit seltsamem Gesichtsausdruck der Stimme des Mannes. Dann lachte er plötzlich. „Schau mich mal richtig an, Jacky“, sagte er vergnügt. „Erkennst du mich nicht?“ Jack Kirby ließ den Revolver sinken und starrte offe nen Mundes Prox an. Dann war er mit einem Satz aus der Höhle und umarmte ihn. „Mensch, Tommy – du bist es wirklich?“ „Tom Prox. Ex-Cowboy und Vorarbeiter der KirbyRanch, zur Zeit in besonderem Auftrag – habe die Ehre“, sagte Tom feierlich. Er blinzelte Jack zu. „Und was treibst du hier, alter Knabe? Bist du unter die Einsiedler 81
gegangen, he? Ernährst dich von Wurzeln und wilden Beeren, wie?“ Jack Kirby schmunzelte. „Von Schinken und Wurst“, sagte er. „Warum ich mich hier verkrochen habe? Das ist ‘ne blödsinnige Ge schichte. Die Tudor-Leute sind hinter mir her. Man hat mir einen Mord in die Schuhe geschoben, und seit ein paar Tagen kommt dieser verrückte Sheriff Polter aus Tudor alle Augenblicke mit ‘nem Riesenaufgebot her über und sucht nach mir. Die Kerle sind gerade wieder auf der Ranch, so zog ich es vor, mich zu verkriechen. Vater ist hinter einer gewissen Person her – Juanita Al varez – sie weiß, wer hinter der Teufelei steckt. Wenn wir den Mörder haben, kann ich mich wieder sehen las sen.“ „Juanita Alvarez – die Tochter des mexikanischen Öl königs?“ sagte Prox erstaunt. Jack nickte. Er berichtete Tom, was sich bisher zuge tragen hatte. Als die Rede auf Frank Kennedy kam, horchte Tom auf. „Kennedy? Und er hat einen Brief für mich hinter lassen?“ „Ja, Lizzie hat ihn … meine Schwester, du wirst sie kaum wiedererkennen; sehr hübsch und schlau wie eine Katze. – Kennst du Kennedy?“ Tom nickte gedankenvoll. „Er soll ein richtiger Revolverheld sein“, bemerkte Jack. „Die Mexikaner suchen ihn … ich glaube, er hat da drüben einen von den Kerlen erschossen.“ „Daß sie ihn suchen, kann ich mir lebhaft vorstellen“, grinste Tom. Er überlegte und runzelte plötzlich die Stirn. „Dein Vater ist unterwegs, wie? Und Lizzie ist al lein mit den Kerlen auf der Ranch?“ 82
Er blickte den alten Freund besorgt an. Jack Kirby machte eine beruhigende Bewegung mit der Hand. „Es sind genug von unseren Leuten da“, meinte er. „Wenn’s anders wäre, hätte ich mich hier nicht ver krochen.“ „Na, dann ist’s ja gut. Ich sehe auf alle Fälle mal nach dem Rechten. Komme gegen Abend noch einmal vorbei. Wiedersehen, alter Junge.“ Als Tom Prox einige Minuten später über die Lichtung ritt und den breiten Pfad erreichte, der zur Ranch führte, ahnte er nicht, wie sehr seine Besorgnis berechtigt war … Auf der Kirby-Ranch hatten sich in den letzten Stun den einige böse Ereignisse abgespielt. Sheriff Polter war in den frühen Morgenstunden mit einem starken Auf gebot erschienen und hatte die Ranch bis auf den letzten Winkel durchsucht. Jack war gerade noch durch die Hin terpforte entwischt. Kirbys Leute murrten, verhielten sich aber ruhig; denn das Gesetz war auf der Seite des She riffs und der alte Kirby hatte strikt untersagt, mit den Leuten des Aufgebots anzubandeln. Zu dumm, daß Kirby ausgerechnet eine halbe Stunde vor Erscheinen des Auf gebots fortgeritten war. Er wollte eine gewisse Hütte im Walde untersuchen, dicht an der Grenze, von der es hieß, daß sich dort die Schmuggler trafen. So wußten die Leute nicht recht, wie sie sich gegen den Sheriff verhalten soll ten. Sie hielten ein wachsames Auge auf die unerwünsch ten Besucher, die sich vorläufig ganz anständig benah men. Dann hatte es aber eine Überraschung gegeben. She riff Folter war den ganzen Tag herumgelaufen, als warte er auf irgend etwas – – und wirklich, am Nachmittag jag te plötzlich ein starker Reitertrupp über den Weg … vier zig Leute mit Karabinern. Eine gewaltige, hoffnungslose 83
Übermacht gegen das Dutzend Cowboys, da auch Polters Leute zu den Gegnern rechneten und sich so aufgestellt hatten, daß die Kirby-Leute im Nu überwältigt werden konnten. Die Neuankömmlinge waren wie Ölarbeiter gekleidet, an ihren mexikanischen Flüchen hörte man aber, daß sie von jenseits der Grenze kamen … ausnahmslos wilde, verwahrloste Gesellen, die unter der Fuchtel eines stier nackigen, brutalen Kerls standen, dem ein Auge fehlte. Die Leute redeten ihn mit „Señor“ an, nur einige von ih nen durften sich herausnehmen, den Anführer mit seinem Vornamen, „Manuel“, anzureden. Die entwaffneten Cowboys – keiner von ihnen hatte Zeit gefunden, zur Waffe zu greifen – wurden zu sammengetrieben und in den Stall gesperrt. „Zwei Mann vor die Tür – ein Mann vor jedes Fenster. Und wenn sie die Nase hervorstrecken, dann gebt ihnen eins drauf“, befahl der einäugige Manuel. Er wendete sich um und schritt auf das Ranchgebäude zu. Sein Fuß trat gegen die verriegelte Tür. Dann warf er sich mit seinem wuchtigen Oberkörper dagegen und die Tür sprang auf. Auch die Stubentür hielt seinem Ansturm nicht stand. Der breitschultrige Kerl stand auf der Schwelle und starrte mit zynischem Grinsen auf das jun ge Mädchen, die sich in die äußerste Ecke des Raumes geflüchtet hatte und mit zitternder Hand einen Revolver hielt. Aber ihre Stimme war ohne Furcht. „Zurück, oder ich schieße“, sagte sie entschlossen mit funkelnden Augen. Der Einäugige lachte stoßartig. Er musterte ihre schlanke Gestalt mit einem unverschämten Blick und trat langsam näher. „Warum so garstig, kleines Fräulein“, sagte er mit sei 84
ner unangenehmen Stimme. „Ist das eine Art, einen Gast zu empfangen?“ Er blieb vor ihr stehen und beobachtete ihren Zeige finger, der hart am Druckpunkt der Waffe lag. Er wich einen Schritt zurück. „Wenn du schießt“, krächzte er, „wird es für dich nur noch schlimmer. Draußen sind vierzig Mann … Vierzig, mein Täubchen. Und das ist ‘ne Zahl, die dich umbringt. Kannst ruhig etwas netter zu mir sein. Ich hab’ die Kerle an der Kandare.“ Lizzie blickte schaudernd in sein mitleidloses Auge, das mit seltsamem Ausdruck auf ihr ruhte. Die andere Augenhöhle war leer und scheußlich anzusehen, aber der Ausdruck dieses sehenden Auges war noch schlimmer: Das Auge einer Schlange, die ihr Opfer hypnotisiert … ein kaltes, blaßblaues Auge, ohne jede menschliche Re gung, starr und wässrig. Nie zuvor hatte das junge Mäd chen einem menschlichen Auge eine ähnliche abgrund tiefe Gemeinheit, Rohheit, abgebrühte Niedertracht, ab gelesen. „Bleiben Sie, wo Sie sind“, sagte sie bebend. „Ich schieße Sie nieder … wie einen … Hund …“ Manuel zögerte. „Ah, du wirst doch nicht schießen?“ knurrte er böse. „Keinen Schritt weiter –“, rief Lizzie mit flammenden Augen. Ihr Zeigefinger krümmte sich und der einäugige Bandit wich wieder zurück. „Verdammte Katze“, zischte er. „Schau zum Fenster, siehst du nicht, daß du jeden Augenblick erschossen werden kannst?“ Lizzie warf einen erschrockenen Blick zum Fenster, erkannte aber zu spät den Trick. Am Fenster war nie mand, aber Manuel machte einen Tigersatz und hatte ihr 85
Handgelenk umklammert, ehe sie feuern konnte. Mit ei nem Schmerzensschrei ließ sie die Waffe fallen. Die groben Hände des Mannes packten ihre schlanke Gestalt und hoben sie hoch. Sie strampelte mit den Bei nen und schrie wild auf. Manuel trug sie durch den Raum, stieß mit dem Fuß die Tür zum Nebenzimmer auf. Der Schrei des Mädchens gellte durch das Haus – – . *
* *
Tom Prox sah schon von weitem, daß auf der Ranch et was nicht in Ordnung war. Die Kerle, die da zwischen den Gattern herumlungerten, gehörten bestimmt nicht zu Kirbys Leuten. Es waren mehr als fünfzig Leute, die da im Haus der Weidereiter herumstöberten, in den Stallun gen und auf dem Hof herumhockten, Schnapsflaschen kreisen ließen und laut grölten. „Auf zum Tanz“, murmelte Tom, während er sein Pferd abseits im Gebüsch anpflockte. „Jetzt kann ich meinen Grips anstrengen, wie ich mit der Bande fertig werde … das ist ja ‘ne ganze Kompanie Gesindel. Tom my, halt die Ohren steif“, redete er sich selbst zu, „und zeig den Kerlen, was ‘ne Harke ist.“ Er schlich wie ein Indianer durch die Büsche, kroch auf allen Vieren längs eines Zaunes, blieb minutenlang liegen, als eine Gruppe betrunkener Kerle ein bockendes Pferd über die Wiese hinter dem Hause schleppten. Dann machte er ein paar Sätze und gelangte ungesehen in den Spalt zwischen Holzschuppen und Ranchgebäude. Er wußte von früher, daß hier eine kleine Tür direkt in die Küche führte. 86
Die Tür war zum Glück unverschlossen, und als er in die Küche huschte, hörte er den wilden Schrei Lizzies. Tom überlegte nicht lange. Er rannte in den Flur … wieder schrie das Mädchen gellend auf … Die Tür zum benachbarten Zimmer war nur angelehnt. Tom hörte das Keuchen der Rancherstochter und öffnete die Tür lautlos. Mit ersterbenden Kräften rang das Mädchen gegen die brutale Kraft des stiernackigen Mannes, der sie mit nie derträchtigem Lachen hinter sich herzerrte. „Ah, wehr dich nur, mein Täubchen“, krächzte der Bandit. Er blickte sich erstaunt und ärgerlich um, als die ge lassene Stimme Tom Prox’ ertönte. „Entschuldigen Sie die Störung“, sagte Prox freund lich. Wenn Tom Prox scheinbar freundlich, ja, fast liebens würdig sprach, war er am gefährlichsten. „Mir scheint, die Dame kann Sie nicht leiden“, fuhr Tom langsam fort. Der Einäugige ließ das Mädchen verdutzt los und starrte Prox an. Er glotzte auf den jungen Mann wie auf eine Spukerscheinung. Es war ihm unerklärlich, wie Prox ungesehen ins Haus gekommen war. „He?“ krächzte er verblüfft. „Ich sagte, Sie sollen Ihre dreckigen Finger von der jungen Dame nehmen und sich verteidigen“, bemerkte Tom höflich und fügte sachlich hinzu: „Denn ich werde Sie jetzt verdreschen, wie Sie noch nie zuvor in Ihrem Leben verdroschen worden sind.“ „Tommy“, jubelte das Mädchen auf. „Du bist’s wirk lich.“ Sie blickte angstvoll zum Fenster. „Sei vorsichtig – der ganze Hof ist voller Schurken.“ 87
„Hab’ sie gesehen“, erwiderte Tom gemütlich. Er hielt den Revolver auf die Brust des Gegners gerichtet und Manuel starrte ihn aus seinem Auge haßerfüllt an. „Nimm ihm den Revolver weg, Lizzie“, befahl Tom. „Sieh aber zu, daß du nicht in die Feuerlinie kommst …“ Das Mädchen entwaffnete den Mann und Prox diri gierte ihn mit der Schußwaffe vor sich her in die Küche. „So, hier können wir ruhig etwas Lärm machen“, sagte Tom befriedigt. „Lizzie, du nimmst den Revolver und hältst den Gang frei, sollte jemand kommen. Und wenn dieses Schwein von Mensch hier auch nur einen Laut von sich gibt, schießt du ihm die Seele aus dem Leib. Ich möchte ihn möglichst geräuschlos vermöbeln …“ Der Bandit hatte seine Verdutztheit überwunden. „Komm doch her, du Zwerg … wenn du mit den Fäus ten so gut arbeiten kannst wie mit dem Mund.“ Tom schnallte seelenruhig den Revolvergurt ab und reichte ihn Lizzie. Dann krempelte er sich die Hemds ärmel in die Höhe, rieb sich die Hände und machte einen Satz. Manuel holte zu einem furchtbaren Schwinger aus. Klatsch! Ein sauberer Kinnhaken Prox’, scheinbar ohne be sondere Kraft geführt, hob den schweren Körper des Mannes etwas … klatsch … klatsch … zwei blitzschnel le Boxhiebe, die gegen die Kinnladen des Banditen prasselten. Dann trat Tom einen Schritt zurück. Manuel wankte und ruderte benommen mit den Armen in der Luft. „Wenn er schreit“, bemerkte Tom ruhig zu dem Mäd chen, „dann schieß ihn in den Bauch …“ Manuel hatte das Gleichgewicht wiedergefunden. Er grinste scheußlich. 88
„Ah, du Mistkerl“, fluchte er. „Deinetwegen schreien, he? Ich schlag dich zusammen, daß dich deine eigene Großmutter nicht mehr wiedererkennt …“ Er machte einen Satz, um Tom Prox mit seinen ge waltigen Armen zu umschlingen. Seltsamerweise wich Prox nicht zurück, sondern wartete, bis der schwere Kör per des Gegners beinahe auf ihn prallte, dann packte sei ne Linke blitzschnell zu und ergriff die Krempe von Ma nuels breitrandigem Hut. Mit heftigem Ruck hatte er dem Manne den Hut über die Augen gezogen, während seine Rechte mit der geballten Faust aufwärts fuhr … Klapp, die Zähne des Banditen krachten aufeinander und – – . Klatsch … klatsch … klatsch … Eine Serie mörderischer Boxhiebe regnete auf das Ge sicht des Mannes nieder. Wie Dampfhämmer arbeiteten die Fäuste Prox’. Er schlug so rasch zu, daß der durch den Hut geblendete Mexikaner keine Abwehrbewegung machen konnte. Er wollte schreien, aber ein Schlag in die Herzgrube nahm ihm den Atem. Manuel drohte zu stür zen, aber jedesmal, wenn ihm die Knie wegsackten, trieb ihn ein Aufwärtshaken Prox’ wieder in die Höhe. Er war von Prox an die Wand gedrängt worden und bezog Prü gel, wie sie selten jemals zuvor ein Mann bezogen hatte. Atemlos würzte Prox seine Erziehungsarbeit mit freundlichen Bemerkungen. „Nur nicht weich werden, mein Junge … da, das hilft dir wieder auf die Beine … das … und das … und das … hoppla, bleib doch stehen … bist doch’n Kerl wie aus Eisen … hier, nimm das … nun noch ein bißchen trom meln … nimm die Flossen weg und heul nicht so … hast du die Handgelenke des armen Mädels gesehen, Kerl? … hier, und hier, und hier … Die sind blau von dem Druck deiner verdammten Finger … und das, und das … aber 89
du wirst morgen ebenfalls blau wie ein Veilchen sein … und nimm das als Zugabe, es kommt von Herzen …“ Der Bandit brach wimmernd in die Knie – der Riesen kerl heulte, wahr– und wahrhaftig … er winselte wie ein Hund. „Gnade, Gnade“, röchelte er. Ein letzter, furchtbarer Schwinger Prox’ warf ihn auf den Rücken. Er drehte sich aufwinselnd zur Seite und lag dann still. „Haben Sie ihn … totgeschlagen?“ flüsterte Lizzie entsetzt. Tom rieb sich die schmerzenden Knöchel und schüt telte den Krampf aus den Handgelenken. „Der Kerl ist knockout, bewußtlos für ein Weilchen“, brummte er. „Habe lange genug dazu gebraucht – ein Mensch wie aus Eisen, wahrhaftig. Der ist in einer hal ben Stunde wieder auf den Beinen … aber ich wette, daß ihn seine eigenen Leute nicht wiedererkennen. – Hat er dir sehr wehe getan, Lizzie?“ Das Mädchen schauerte. „Dieses Vieh“, flüsterte sie. „O Gott, wenn du nicht gekommen wärst …“ Tom Prox lauschte. Draußen rief jemand nach Manuel. Eine Weile war al les ruhig, dann wieder die dröhnende Stimme. „He, Manuel, komm ‘raus … die Jungens besaufen sich und wir wollen noch weiter …“ Prox flüsterte dem Mädchen etwas ins Ohr. Sie lächel te und nickte. Dann blinzelte sie Tom zu und – – schrie gellend auf. „Fassen Sie mich nicht an, Sie Unmensch“, rief sie laut. Der Rufer draußen verstummte. 90
„Verdammt nochmal“, scholl nach einer Weile seine wütende Stimme. „Mir soll’s recht sein … aber du trägst die Verantwortung, Manuel.“ Er stapfte davon. Prox spähte aus dem Küchenfenster. Der Platz hinter dem Hause war frei. Die Abenddämmerung war weit fortgeschritten und Dunkelheit breitete sich aus. Aus dem Halbdunkel des Raumes drang das erstickte Röcheln des Banditen. „Wo sind eure Leute eingesperrt?“ fragte Tom leise. „Ich sah es durchs Fenster – sie sind in dem Pferde stall hinter dem Holzschuppen.“ „Sind die Pferde im Stall?“ „Sechzehn.“ „Das langt für uns. Wir müssen zunächst einmal ab rücken und Verstärkung holen. Hoffentlich zünden die nicht inzwischen die Ranch an.“ „Meinst du denn wirklich, daß wir herauskommen?“ „Laß mich nur machen.“ Prox schnallte den Revolvergurt um und zog Lizzie hinter sich her in den Hof. Die Tür zum Holzschuppen war nur angelehnt. Als Tom durch die Lücke spähte, sah er im Dunkel vor sich den Rücken eines Mannes, der das Fenster auf der dem Holzschuppen zugewendeten Seite des Stalles bewachte. Wie eine Schlange schlüpfte Prox durch die Öffnung. Seine Finger legten sich so rasch um den Hals des Pos tens, daß dieser nur ein leises Gurgeln hören ließ. Ein dumpfes Klatschen … und ein Körper, der nur langsam zu Boden glitt, weil starke Fäuste ihn festhielten. „Nummer eins“, flüsterte Tom. „Ist er tot?“ hauchte Lizzie. „Mindestens eine Stunde lang“, brummte Prox. „Hast 91
du den Revolver? Ja? Schieß nur, wenn es unbedingt nö tig wird … Warte jetzt hier.“ Er tauchte in der Dunkelheit unter. Lizzie wartete ei nige bange Minuten, dann hörte sie von der Vorderseite des Stalles einen halblauten Ruf und ein dumpfes Klat schen, dem sofort ein zweites Klatschen folgte. Sie eilte um die Stallecke und sah die undeutliche Ge stalt Toms, der, über einen reglosen Körper gebückt, da stand. Etwas weiter seitlich lag ein zweiter Mann auf dem Gesicht und rührte sich nicht. Tom öffnete den Riegel an der Stalltür, die leise knarrend nach innen schwang. Er wisperte etwas und ein überraschtes und erfreutes Flüstern antwortete. Dann ergriff Tom das Mädchen bei der Hand und zog sie her ein. Drinnen herrschte eifriges Treiben. Die aufgescheuch ten Cowboys sattelten so geräuschlos wie möglich die Pferde. Endlich war es so weit, gerade als aus dem Hause ein wütendes Gebrüll klang und es auf dem Hof lebendig wurde. Donnernd brach die kleine Reiterschar aus dem Stall tor ins Freie. Die Revolver Toms fegten den Hof frei, dann jagte die Reiterschar über den Weg da von – – . Viertes Kapitel In den Grenzgebieten wird man noch lange an die un heilvollen Geschehnisse jener Tage zurückdenken. Der Aufruhr, der nach der Sprengung der Ölquellen in der Ölstadt Tudor ausgebrochen war, griff auch auf die ent fernter liegenden Öldistrikte über. Seit langem glimmte schon eine versteckte Feindschaft zwischen den ortsan sässigen Ranchern und Farmern und den Industriellen – 92
es war daher nur ein kleiner Anstoß nötig, um die Fackel des Hasses durch das Land zu tragen. Auf die ersten Gerüchte hin, wonach zwischen Tudor und Bilford ein regelrechter Bürgerkrieg ausgebrochen war, erinnerten sich längs der ganzen Grenze zehn tausende Rancher und Farmer der vielen, oft nur ein gebildeten, Ungerechtigkeiten, die sie von den Ölleuten ertragen mußten. Landenteignungen, bei denen die Ran cher meist ein gutes Geschäft gemacht hatten, wurden auf einmal als „Diebstahl“ gebrandmarkt. Jeder Öl arbeiter war ein Dieb und die Ingenieure der großen Öl gesellschaften waren die Hehler. Umgekehrt betrachteten die Ölleute alles, was zur Landbevölkerung gehörte, als „dumme Rinderknechte“ und „Mordgesindel“, kurz, die gegenseitige Abneigung der beiden großen Berufsgrup pen wuchs ins Ungeheuerliche. Allenorts kam es zu blutigen Zusammenstößen und unerquicklichen Auseinandersetzungen. Wohl fehlte es nicht auf beiden Seiten an besonnenen und ruhigen Män nern, welche verhinderten, daß die örtlichen Fehden sich zu einem regelrechten Krieg auswuchsen; doch nahmen die Ereignisse sehr bald Ausmaße an, welche verschie dentlich an die Geschehnisse während der Se zessionskriege erinnerten. Damals zog der fortschrittli chere Norden gegen die „Sklavenhalter“ des Südens zu Felde, und auch damals hatte es mit kleinen, unbedeu tenden Schießereien angefangen. Erst viel später lernte man einsehen, daß es niemals zu dem großen Blutver gießen jener Jahre gekommen wäre, wenn nicht gewisse Drahtzieher im Norden und Süden die Antipathien ge schürt hätten. Der Ölkrieg zwischen Tudor und Bilford, und die Un ruhe längs der mexikanischen Grenze wurden von der 93
Regierung mit Besorgnis beobachtet. Doch eigen artigerweise war die amerikanische Öffentlichkeit nicht in dem Maße alarmiert, wie es die Ereignisse eigentlich forderten. Vorerst sah man in Washington nicht ohne Beunruhi gung, aber gelassen, den Geschehnissen von Tudor und Bilford zu. Die Haltung der amerikanischen Regierung war vor allem den Berichten des Geheimdienstes zuzu schreiben und dem Umstand, daß man die Unruhen vo rausgesehen hatte und sogar genau abzuschätzen wußte, was sich in Zukunft ereignen würde. Man hatte den fähi gen „Geheimagenten 711“ in die gefährdeten Gebiete entsandt und wußte daher schon Tage vor dem wirkli chen Eintreten, daß sich „Grenzzwischenfälle“ ereignen würden. Zwischen dem Chef des amerikanischen Geheim dienstes und dem „Agenten 711“ einerseits, und dem Washingtoner Auswärtigen Amt und dem mexikanischen Außenministerium andererseits wurden dringende Depe schen gewechselt. Washington wollte ursprünglich Trup pen einsetzen, um die Ruhe und Ordnung in den Grenz gebieten wieder herzustellen und auf die erwarteten „Grenzübergriffe“ vorbereitet zu sein. Doch versicherte der Geheimagent, daß die Drahtzieher der Unruhen diese Truppenzusammenziehungen gerade auslösen wollten, um einen politischen Trumpf von unübersehbarer Trag weite in die Hand zu bekommen. Die Truppen, so melde te „711“, würden auf alle Fälle zu den Unruhen zu spät eintreffen, aber frühzeitig genug, um in die Grenzzwi schenfälle verwickelt zu werden. Er empfahl, zunächst auf die Entsendung von Ordnungstruppen in die Grenz gebiete zu verzichten. 94
*
*
*
An dem Nachmittag, der den Geschehnissen auf der Kir by-Ranch vorausgegangen war, kam es in den aus gedehnten Wäldern und auf der Steppe zwischen Tudor und Bilford zu regelrechten Schlachten zwischen Cow boys und Ölarbeitern. Viele dieser Gefechte begannen auf eine höchst seltsame und mysteriöse Weise … So geschah es, daß eine Gruppe von über dreißig Öl arbeitern, die unterwegs waren, um die ersten besten Cowboys, die ihnen über den Weg liefen, zu verprügeln, auf einen atemlosen Reiter stießen. Der Mann, in der Kleidung eines Ölmannes, tat furchtbar aufgeregt und erklärte, daß einige Dutzend Cowboys drei Ölarbeiter gefangen hätten und beabsichtigten, die armen Kerle bei den „Drei Pappeln“ zu erhängen. Wütend machten sich die Ölleute auf den Weg, ihren gefährdeten Kameraden zu Hilfe zu eilen. Etwa um die gleiche Zeit galoppierte ein Mann in der Kleidung eines Cowboys auf schwitzendem Gaul über den Weg zur Wilkie-Ranch. Er übersprang einen Gatter zaun und zügelte sein Pferd vor dem erstaunten Rancher, der gerade aus dem Stall kam. „Eine Horde betrunkener Ölkerle ist bei den ‚Drei Pappeln’“, rief der Bote. „Sie haben zwei Mädel abge fangen, Rancherstöchter, die auf dem Wege in die Stadt waren. Ich kam zufällig vorbei und entkam mit Mühe und Not … Los, Wilkie, alarmieren Sie Ihre Leute!“ Der Rancher zögerte nicht lange. Er rief seine Leute zusammen, in aller Eile wurden die Pferde gesattelt und dann preschte der Trupp davon, geführt von dem un bekannten Boten. Zur gleichen Zeit näherten sich die von 95
dem anderen Boten alarmierten Ölarbeiter den drei Pap peln. Die beiden Trupps prallten aufeinander. Niemand wußte später zu sagen, wer die ersten Schüsse abgefeuert hatte, aber man vermutete wohl nicht zu Unrecht, daß es die beiden geheimnisvollen Reiter waren – der eine, der sich als Ölarbeiter und der andere, der sich als Cowboy verkleidet hatte – welche die ersten Schüsse abgaben. Die Cowboys, maßlos erbittert, und die ergrimmten Ölarbeiter lieferten sich ein wildes Gefecht, bei dem es auf beiden Seiten Tote und Verwundete gab. Erst, als Sheriff Powell an der Spitze eines starken Aufgebotes erschien und seine Cowboys den Kampfplatz so herme tisch abgesperrt hatten, daß sich die Ölarbeiter ergeben mußten, stellte es sich heraus, daß die beiden feindlichen Parteien einem niederträchtigen Trick zum Opfer ge fallen waren. Die drei Ölarbeiter, die angeblich gehängt werden sollten, existierten nicht – und die beiden Ran cherstöchter waren nie gefangen genommen worden. Natürlich hatten sich die beiden Kerle, welche die Bot schaften überbracht und die gegnerischen Parteien auf gehetzt hatten, rechtzeitig aus dem Staube gemacht. – Zum ersten Male dämmerte es den Leuten auf beiden Seiten, wie sehr der schwerverwundete Sheriff Harper recht gehabt hatte, als er erklärte, daß hinter dem Ölkrieg geheimnisvolle Drahtzieher standen. Darum war Harper wohl auch aus dem Hinterhalt niedergeschossen worden – – . Diese langsam aufdämmernde Erkenntnis änderte aber vorläufig nichts. Bereits in den Mittagsstunden hatte ein Trupp von Reitern, nach der Kleidung Cowboys, eine Arbeiterkolonne aus Tudor angegriffen. Die Ölarbeiter waren im Begriff, eine während der Nacht angebohrte Ölleitung zu reparieren. Nur zwei der Arbeiter waren bewaffnet und konnten natürlich gegen die gewaltige 96
Übermacht nichts ausrichten. Die Arbeiter wurden gna denlos zusammengeschossen. Merkwürdig war, daß die Angreifer einen von ihnen offenkundig absichtlich am Leben ließen, damit er die Nachricht von dem Überfall nach Tudor bringen konnte. Etwas später gingen Feldscheunen verschiedener Far mer in der Umgebung von Tudor in Flammen auf. Leute in der Tracht von Ölarbeitern erschossen Cowboys in der Prärie und jagten die von den Leuten bewachten Rinder herden auseinander. Eine abgelegene Ranch wurde meh rere Stunden von grölenden Ölleuten belagert. Auf ein zeln reitende Cowboys wurde mehrfach aus dem Hinter halt geschossen. In den Abendstunden gab es in Bilford große Auf regung. Die Stadt war im Tal gelegen und daher äußerst bedroht, als drei große Feuerkugeln sich von dem Hang eines Hügels abwärts bewegten. Zuerst blieb man im un klaren, worum es sich bei den Flammenkugeln handelte, die immer rascher talab rollten und schließlich gegen verschiedene Holzgebäude prallten. Es gab drei dumpfe Detonationen … die ersten Häuser brannten … und nur mit äußerster Mühe gelang es schließlich, des um sich greifenden Feuers Herr zu werden. Große Erregung ent stand, als sich herausstellte, daß die Feuerkugeln nichts anderes gewesen waren, als große Öltonnen, die ge wissenlose Schurken heimlich auf den Hügelhang ge schafft, in Brand gesteckt und ins Tal gerollt hatten … natürlich Ölarbeiter! Während die Einwohner von Bilford nach diesem heimtückischen Attentat auf ihre Stadt erbittert berat schlagten, was zu unternehmen sei, wurde Tudor durch eine heftige Explosion erschreckt. Am südlichen Stadt rande waren die großen Vorratskessel der Ölraffinerie 97
plötzlich in die Luft gegangen. Das brennende Öl lief durch die Straßen und setzte mehrere Häuser in Brand. Immer weitere Explosionen erfolgten. Die Nacht war taghell erleuchtet und spukhaft eilten zwischen zischen den und wabernden Stichflammen die Männer der Ret tungskolonnen umher, um zu retten, was noch zu retten war. Die Flammen in Tudor und Bilford waren nieder gebrannt, aber aus glimmenden Ruinen stiegen noch im mer die Funken … Funken in das Pulverfaß des Bürger krieges. Das feurige Element war besiegt, aber jetzt lo derte der Haß der Menschen auf, die Rache, der Wunsch nach Vergeltung und Abschreckung. Frank Tudor, der Ölkönig, für den seine Leute sonst durchs Feuer gingen, war der aufflackernden Empörung gegenüber machtlos. Es half nichts, daß er mit Entlas sung und Bestrafung drohte. Seine Werkpolizei, die zum Schutz der Ölquellen gebraucht wurde, konnte nicht ge gen die aufrührerischen Ölarbeiter eingesetzt werden. Tudor war nicht mehr Herr in der Stadt, die seinen Na men trug … Er wußte, daß im Laufe des Tages geheimnisvolle Leute in die Ölstadt gekommen waren, Kerle, wie dem Zuchthaus entsprungen, Verbrechervisagen, Revolver helden – solche Elemente, die noch vor kurzem die Öl stadt gemieden hatten, weil sie sehr rasch im Gefängnis gelandet waren, sobald sie sich in irgend einer Weise mißliebig machten. Jetzt waren diese Elemente tonan gebend. Alle Mahnungen halfen nichts. Überall standen die geheimnisvollen Hetzer und wiegelten die Arbeiter auf. Sie verteilten Freibier und Tabak, hielten großartige Reden und hetzten zum Bürgerkrieg. Wo kamen diese Kerle her? Wer bezahlte sie? 98
Sheriff Polter war natürlich nirgends zu sehen. Er hatte alle seine Gehilfen mobilisiert, um die Verfolgung eines jungen Mannes aufzunehmen, der – welch ein Hohn – am Nachmittag zwanzig Dollars aus der Kasse einer Arbei terkantine gestohlen hatte … Und in Bilford? Auch in dieser Stadt führten geheim nisvolle Leute das große Wort. Leute, die wohl Cowboy tracht trugen, denen man aber auf meilenweite Ent fernung ansah, daß sie nicht zu denen gehörten, die sich durch ehrliche und harte Arbeit ihr Brot verdienen: Zer lumpte und schmutzige Gesellen, schweigsame und düs tere Gestalten, Raufbolde und Messerhelden … sie alle hatte die Hölle überraschend ausgespieen, um auf dem Höhepunkt der Krise Unfrieden zu stiften. Nun waren die Rancher und ihre Leute nicht so leicht aufzuwiegeln. Sie verstanden zwischen „Schwarz“ und „Weiß“ sehr gut zu unterscheiden. Aber dieses oder jenes Wort, scheinbar unabsichtlich in eine erregte Diskussion geworfen – diese oder jene alarmierende Botschaft von Übergriffen der Ölleute (Botschaften, die sich niemals sofort nachkontrollieren ließen) genügten, um die Em pörung zur Siedehitze zu treiben. Noch vor Mitternacht stampften, von Bilford und Tu dor kommend, tausende Pferdehufe die Wege zwischen den feindlichen Grenzstädten. Viele Hunderte Cowboys und Ölarbeiter stießen ungefähr in der Mitte des Weges zwischen beiden Städten aufeinander und lieferten sich eine blutige Schlacht. Der Kampfplatz war nur spärlich erhellt vom Licht der Sterne und vom bleichen Schein des Mondes. Durch die Finsternis brachen die Flammenblitze der Gewehrsalven. Dieses Gefecht war nicht organisiert, der Zusammen prall erfolgte wie etwas Unvermeidliches, wie eine Na 99
turkatastrophe. Mit dem Instinkt des Hasses hatten sich die feindlichen Parteien in der Dunkelheit gefunden und wie durch Hexenspuk war eine regelrechte Frontlinie zwischen den Felsen entstanden. Es war bemerkenswert, daß weder die Cowboys, trotz ihrer überlegenen Feuerkraft und Treffsicherheit, noch die weitaus mehr er grimmten Ölarbeiter versuchten, Boden zu gewinnen. Keine der Parteien ging eigentlich zum Angriff über. Es genügte ihnen, daß sie zusammengeprallt waren, daß sie sich gegenüberlagen und nun nach Herzenslust aufeinan der losballern konnten. Das Knallen beruhigte die Ner ven, kühlte den Haß, reichte aus, um die Empörung abzu reagieren. Dort war der Feind, dem man die Leviten le sen wollte … und das genügte vollständig zur Entladung des aufgestauten Ingrimms. So kam es, daß die „Ölschlacht“ eine erstaunlich ge ringe Anzahl Opfer forderte, wie es sich allerdings erst am nächsten Morgen herausstellen sollte … Natürlich hatten sowohl der Ölkönig Frank Tudor als auch Oberst Powell, der in Bilford die Verantwortung trug, an die nächstgelegenen Stationen der Grenzpolizei telegrafiert und um Truppenhilfe gebeten. Doch nur die ersten alarmierenden Depeschen erreichten ihr Ziel. Als die Situation wirklich bedrohlich wurde, schwiegen auf einmal die Telegrafenleitungen. Unbekannte Täter hatten die Leitungen an verschiedenen Stellen zerstört. Die Kommandanten der Grenzstationen hatten ihre ei genen Sorgen an diesem Abend und besonders in der fol genden Nacht. Eine kleine amerikanische Grenzpatrouille war in der Höhe von Bilford von mexikanischer Seite beschossen worden und hatte das Feuer erwidert. Bald stellte es sich heraus, daß ein starker Trupp geheimnis voller Bewaffneter versuchte, mit Gewalt die amerikani 100
sche Seite des Grenzflusses zu erreichen … Grenz schmuggler? Auf die ersten Nachrichten von dem Grenzzwischen fall hin wurden starke Abteilungen Grenzpolizei sofort in Marsch gesetzt und sofort bei Eintreffen in ein wildes Feuergefecht verwickelt. Die unbekannten, sehr zahl reichen Gegner hatten sich längs der Uferböschung auf amerikanischer Seite festgesetzt und empfingen die be rittenen Polizeikräfte mit einem rasenden Schnellfeuer. Eilige Reiter forderten von den amerikanischen Grenzstationen Verstärkung an. Alle verfügbaren Kräfte wurden mobilisiert, um die Angreifer abzuwehren. Vorü bergehend waren durch diese Maßnahme östlich und westlich des Kampfplatzes große Grenzabschnitte von Polizeikräften entblößt. Und als sich dann endlich die mysteriösen Angreifer unter Verlusten auf die mexi kanische Flußseite zurückzogen … da hörte man aus der Ferne das Knattern der „Ölschlacht“. Jetzt erst trafen be rittene Boten ein. Die erschöpften Abteilungen der Grenzpolizei machten kehrt und jagten an den Schauplatz des Gefechtes zwischen Ölarbeitern und Cowboys, um den unsinnigen Kampf zu beenden. Inzwischen überquerte etliche Meilen ostwärts eine große Wagenkarawane unangefochten den Grenzfluß. Der Übergang der geheimnisvollen Wagenkolonne nahm, weil die Furt sehr sumpfig war, mehrere Stunden in An spruch. Und als eine kleinere Grenzpatrouille endlich zur Stelle war, wurde sie von einem mörderischen Kugelre gen empfangen. Der letzte Wagen des unheimlichen „Mister Zero“ hatte die Grenze passiert … *
* * 101
Als Tom Prox die hübsche Lizzie Kirby aus den Klauen des Banditenführers befreit hatte und zusammen mit den ebenfalls befreiten Cowboys der Kirby-Ranch davonga loppierte, wurde er von zwei Sorgen bewegt: Die eine, geringere, Sorge war, ob die zurückgebliebenen, wüten den Schurken die Ranch anzünden würden. Der einäugi ge Manuel hatte durch Prox so heftige Prügel bezogen, daß er wahrscheinlich die Ranch vollständig verwüsten würde. Dieser Gedanke bereitete Tom Prox Kummer. Er hatte lange Jahre mit dem alten Kirby zu sammengearbeitet und die Zeiten, da er noch als ein facher Cowboy und schließlich als erster Weidereiter mithalf, die kleine Ranch emporzubringen, gehörten zu seinen schönsten Erinnerungen. Noch größere Sorgen aber machte er sich um Jack Kirby, der ja noch immer in der Felshöhle im Walde ver steckt war und die Schüsse gehört haben mußte. Jack war kein Feigling. Er würde sofort annehmen, daß seine Schwester Lizzie bedroht war und ihr zu Hilfe eilen. Da bei mußte er unweigerlich der Übermacht der Banditen zum Opfer fallen. Leider war es nicht möglich gewesen, Jack Kirby zu warnen. Ein starker Reitertrupp hatte sofort die Ver folgung der Flüchtlinge aufgenommen und, obwohl es bereits ganz dunkel war, so bedrohlich aufgeholt, daß Tom, der jeden Fußbreit Weges von früher her genau kannte, einige raffinierte Haken schlagen mußte, um die Verfolger irrezuführen. Dies war schließlich geglückt, aber als die kleine Rei terschar aus dem Dunkel des Waldes auf die offene Prä rie hinausdonnerte, entstand unvermittelt eine bedrohli che Situation. Tom Prox, der seine ganze Aufmerksam keit nach hinten auf die etwaigen Verfolger richtete, ü 102
bersah den großen Reitertrupp, der über die mondbe schienene Ebene dahergefegt kam. Blitzartig teilte sich der Trupp und jagte fächerför mig daher, wobei die an den Seiten daherpreschenden Reiter ihre Geschwindigkeit zu voller Karriere erhöh ten, was bei dem herrschenden ungewissen Licht ein halsbrecherisches Wagnis war. Nur äußerst geübte, tollkühne Reiter konnten das Kunststück zuwege brin gen, über eine grasbewachsene, von den Erdlöchern wilder Kaninchen übersäte Ebene bei Dunkelheit derart dahinzujagen. Als Tom seine kleine Schar zum Halten gebracht hatte und den Rückzug in den Wald befahl, war es zu spät. Die seitlich vorbrechenden Reiter schwenkten ein und waren am Waldrand, ehe die Bedrohten ihre Pferde herumwer fen konnten. Der Rückzug war abgeschnitten und sie wa ren umzingelt. Tom Prox erkannte die Aussichtslosigkeit eines Wi derstandes. Seine Begleiter waren nicht bewaffnet. Nur Lizzie hatte den Revolver des einäugigen Manuel noch am Gürtel, und seine beiden eigenen Colts waren wie Kinderspielzeuge gegen die Karabiner, mit denen die fremden Reiter ausnahmslos bewaffnet waren. Sein eige ner Karabiner hing ja noch am Sattel seines Braunen, den er im Walde versteckt hatte, ehe er sich in die KirbyRanch geschlichen hatte. „Was wollt ihr von uns?“ fragte er laut. Aus der finsteren, schweigenden Schar der Reiter, die jetzt einen engen Kreis um sie geschlossen hatten, klang drohendes Gemurmel. Ein starkgebauter, riesenhafter Kerl, der in der vorderen Reihe hielt – man konnte bei dem ungewissen Licht sein Gesicht nicht erkennen – er hob seine dröhnende Stimme. 103
„Gebt das Mädel heraus, das ihr bei euch habt, oder wir schießen euch zu kleinen Fetzen.“ Also Kampf! – dachte Prox und wollte blitzschnell zu den Waffen greifen, aber Lizzie, die dicht neben ihm war, fiel ihm in den Arm. „Die Stimme solltest du kennen, Tommy – es ist doch mein Vater!“ wisperte sie vergnügt. Tom schlug sich gegen die Stirn und lachte. Natürlich, das war der alte Kirby mit seinen Leuten … daß er die Stimme nicht gleich erkannt hatte! Er beschloß, die Ko mödie ein wenig fortzusetzen. Die Cowboys in seiner Begleitung grinsten; denn sie hatten natürlich ihren Chef sofort erkannt. „Die Dame“, sagte Tom laut, „ist freiwillig mit gegangen und hat keine Lust, zu ihrem Vater zurück zukehren. Nicht wahr, Lizzie, mein Goldschatz?“ „Affe!“ zischte der Goldschatz, um aber laut zu er klären: „Ja, es ist wahr, Vater.“ Kirbys Stimme tönte wie die Posaune des jüngsten Gerichtes. „He?“ brüllte er. „Ungeratene Tochter, du willst . So fort kommst du her …“ „Nur über meine Leiche“, rief Tom pathetisch. Die Cowboys lachten und der Rancher drohte schon, zu explodieren, als Lizzie der Komödie ein Ende setzte und mit raschen Worten erklärte, was vorgefallen war. „Tom Prox?“ brüllte Kirby jetzt begeistert. „Komm an meine Brust, du Schlingel … einen alten Mann so hinter das Licht zu führen. Und die Lumpen wollen die Ranch anzünden, he? Na, denen werden wir heimleuchten. Los, Leute, ran an den Feind …“ Die ersten Flammen züngelten schon aus dem Ge bälk der Kirby-Ranch, als die wilde Jagd daherbrauste 104
und die Brandstifter mit einem mörderischen Kugelre gen überschüttet wurden. Die überraschten Banditen kamen kaum zur Gegenwehr. Mit Gewehrkolben und Revolver arbeiteten die ergrimmten Cowboys rasch und gründlich. Im Nu war der Vorplatz leergefegt. Ei nige der Weidereiter rissen die brennenden Holzteile aus den Wänden der Scheunen und Ställe, löschten das Dach des brennenden Hauptgebäudes, andere verfolgten die flüchtenden Banditen, von denen viele auf der Strecke blieben. Im Wohnzimmer der Ranch fand man Jack Kirby. Er hatte tatsächlich auf die Schüsse hin seiner Schwester zu Hilfe eilen wollen. Aufmerksame Posten hatten ihn je doch überwältigt und der einäugige Manuel, den man unter den Toten auf dem Vorplatz fand, hatte Befehl ge geben, den gefesselten Rancherssohn im brennenden Ge bäude zulassen … Die Kirby-Ranch war wieder in den Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer. Die vier Hauptpersonen: Kirby, Jack, Lizzie und Tom saßen im Wohnzimmer zusammen und stärkten sich an heißem Tee, als sich das Mädchen an etwas erinnerte. „Es ist nur schade, daß wir diesen schuftigen Sheriff Polter nicht erwischt haben“, sagte Kirby gerade. „Ich bin fest überzeugt, daß Polter mit den Banditen ge meinsame Sache machte.“ In diesem Augenblick tat Lizzie einen kleinen Schrei. „Der Brief“, sagte sie atemlos. „Welcher Brief denn?“ erkundigte sich Tom Prox er staunt. „Ich erzählte dir doch von Frank Kennedy, der meinen Bruder aus dem Gefängnis befreite? Nun, Mister Ken nedy hat einen Brief für dich hinterlassen, Tommy …“ 105
Sie kramte in einer Schublade und holte einen Brief hervor, den Tom öffnete und aufmerksam las. Schließlich blickte er auf und grinste, als er die Spannung in den ihn umgebenden Gesichtern sah. „Ihr seid wohl sehr neugierig, was so ein berüchtigter Revolver-Mann wie Frank Kennedy einem hochehren werten Geheimagenten namens Tom Prox mitzuteilen hat, wie?“ „Ja“, sagte Lizzie ehrlich. „Nun, ich kann es euch ja ruhig sagen; denn ich weiß, daß ihr dicht haltet: ‚An Tom Prox’“, las er die Botschaft vor und deutete mit spitzem Finger auf sich selbst. „In Tudor und Bilford wimmelt es von Zero-Agenten. Emp fehle äußerste Vorsicht. Sofort nach Eintreffen versu chen, mit mir Kontakt zu bekommen. Bin, wenn nicht verhindert, täglich in Tudor im Gasthaus ‚Leopard’ zu erreichen. – Frank Kennedy.“ Tom Prox blickte auf. „Nun, was haltet ihr davon?“ Rancher Kirby rieb sich die Nase, sein Sohn wiegte bedenklich den Kopf und Lizzie schüttelte ihre blonden Locken. „Auf keinen Fall darfst du in den ‚Leoparden’ gehen“, rief sie aus. „Das ist die übelste Kneipe im ganzen Grenzgebiet. Du hast sechs Kugeln im Leib, noch ehe du den zweiten Whisky bestellt hast …“ Tom lachte vergnügt. „Mithin ein Lokal, das zu betreten mich außerordent lich reizt. Was meinst du, Jack?“ Der Sohn des Ranchers verzog das Gesicht. „Ich hab’ im ‚Leoparden’ mal ein kleines Gastspiel gegeben“, brummte er. „Und wenn ich nicht hinaus geflogen wär’ und mir dabei fünf Rippen gebrochen hät 106
te, wär’ ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Wenn mir dieser Frank Kennedy nicht kürzlich das Leben ge rettet hätte, würd’ ich sagen, er ist dein Feind, Tommy, und will dich in die Falle locken.“ Tom lachte starker. Er blickte den alten Rancher an. „Ja, der alte Kennedy ist schon ein schlimmer Kerl. Was halten Sie von der Geschichte, Kirby?“ Der Rancher räusperte sich. „Kennedy hin und Kennedy her“, knurrte er. „Ich weiß nur, daß der Kerl in Mexiko wegen Mordes gesucht wird. Meinen Sohn hat er gerettet und dafür drück’ ich Ihm bei Gelegenheit noch mal die Hand. Aber in den ‚Leoparden’ würde ich an Ihrer Stelle auf keinen Fall gehen, Tom. Bei aller Hochachtung vor Ihren Fähigkeiten … aber mit dem ‚Leoparden’ ist selbst Frank Tudor nicht fertig geworden. Und Tudor ist so ‘ne Art Respektsperson in der Ölstadt.“ „Also“, sagte Tom Prox, „gehe ich hin. Und was Frank Kennedy anbetrifft –“, er lachte schaden-froh, „– seid ihr alle auf dem Holzwege. Kennedy ist der tüchtigste Geheimagent der Staaten, mein Freund und Vorgesetzter. Wißt ihr, wie Kennedy in Wirklichkeit heißt? – B i l l y J e n k i n s. – Ja, da macht ihr Augen wie Ölsardinen …“ Er blinzelte Lizzie Kirby lustig zu, die leicht errötete. „Kennedy – ich meine: Mister Jenkins“, verbesserte sie sich rasch, „hat vom ersten Augenblick an einen gu ten Eindruck auf mich gemacht“, erklärte sie. „Und er hat mich gerettet“, bemerkte Jack. „Und er ist ein Kerl, das habe ich schon immer ge sagt“, betonte der alte Kirby und erhob sich, um eine Fla sche Whisky aus dem Keller zu holen. *
* * 107
Der Mann, um den sich dieses Gespräch drehte, Billy Jenkins alias Frank Kennedy, befand sich um diese nächtliche Stunde in einer ebenso eigenartigen wie un gemütlichen Situation. Er lag, den Kopf nach unten, auf dem schrägen Dach eines Geräteschuppens und hielt sich mit beiden Händen an der kleinen Leiste fest, mit welcher die Dachziegel am äußersten unteren Rande befestigt waren. Rechts erhob sich die große steinerne Front des Verwaltungsgebäudes. Das einsame Licht, das da noch brannte, kam aus dem Arbeitszimmer des Ölkönigs. Billy Jenkins hielt den Atem an, als der bewaffnete Posten der Werkpolizei um die Ecke des Schuppens bog und gemächlich den Platz überquerte. Es war genau zwei Uhr nachts, und Jenkins wußte, daß der Mann ‚Buller’ hieß und ein Schuft war. Drüben, wo die beiden Stallun gen aneinander stießen, in dem schmalen Spalt zwischen den Lehmgebäuden, lauerten zwei weitere Werkpolizi sten, die eigentlich dort nichts zu suchen hatten. In genau drei Minuten würde eine dunkle Gestalt über den Weg zur Linken kommen und sich in den Schatten des Geräte schuppens drücken, genau unterhalb der Stelle, wo Billy Jenkins auf der Lauer lag. Und dieser Mann würde der Mörder des Ölkönigs Frank Tudor sein. Der Werkpolizist Buller, von dem mysteriösen ‚Mister Zero’ bestochen, hatte die Aufgabe, Frank Tudor aus dem Hause zu locken. Während Tudor noch mit Buller sprach, sollte der Mordschütze aus dem Hinterhalt den tödlichen Schuß abfeuern … ohne allerdings zu wissen, daß er im nächsten Augenblick, von den Kugeln der Werkpolizisten zersiebt, die er für seine Komplizen hielt, sein Leben lassen würde. Während Billy Jenkins in seiner anstrengenden Posi 108
tion auf dem schrägen Dach verharrte, überdachte er noch einmal die Geschehnisse dieses Tages … Nachdem er in der letzten Nacht geholfen hatte, die brennenden Ölquellen zu löschen, hatte er keine Minute verloren, den Plänen seines großen Gegenspielers, des ‚Mister Zero’, weiter nachzuspüren. Er hatte gehofft, sei nen Freund Tom Prox im ‚Leoparden’ anzutreffen, sah sich aber enttäuscht. Dafür machte er in dem be rüchtigten Lokal die Bekanntschaft eines geheimnis vollen Mexikaners, der ‚unerschrockene Männer für waghalsige, aber gut bezahlte Aufgaben’ suchte. Frank Kennedy, beziehungsweise Billy Jenkins, gefiel dem mysteriösen Werber, und Billy tat, als sei er nicht ab geneigt, seine Haut zu verkaufen. Der Mexikaner gab Billy Jenkins ein ‚Handgeld’, und riet ihm, zu einer bestimmten Stunde an der Stelle zu sein, wo sich die Wege Tudor-Clifford und Tudor-Rocky gabelten. An dieser Stelle traf Jenkins auch wirklich einen Mann namens Marivelli, hielt sich aber nicht mit langen Vor reden auf, sondern packte den schmierigen Mexikaner, warf ihn zu Boden und fesselte ihn so gründlich, daß der Kerl eine Vorahnung von den ihn erwartenden Freuden bekam. „Ich werde dich jetzt“, so sagte Jenkins durch die Zähne und deutete auf die niedrigen Zweige einer nahen Eiche, „an den Füßen aufhängen –“, der Gefesselte schauderte, „– und schließlich“, fuhr Jenkins mit gut ge spielter Grausamkeit fort, „schließlich werde ich ein kleines Feuerchen unter deinem Schädel anzünden und dich langsam rösten, wenn du mir nicht sofort die Wahr heit sagst …“ Der Umstand, daß Jenkins genau über das geplante At tentat auf Frank Tudor unterrichtet schien, war ent 109
scheidend für den Mexikaner. Er gehörte zu der Art ab gebrühter Schurken, die im Grunde ihres Wesens feige sind, und der Gedanke an das ‚Feuerchen’ bereitete ihm so starkes Mißbehagen, daß er bereitwillig jede Einzel heit des geplanten Mordanschlages auf den Ölkönig preisgab. Jenkins ließ ihn, gründlich gefesselt, zurück. Der Bandit brauchte nicht zu befürchten, daß er verhungern mußte; denn an dieser Stelle würden sich im Laufe der Nacht verschiedene Mitglieder seiner Bande treffen … Nun also lauerte Billy Jenkins an dem einzigen Ort, der wirksames Eingreifen möglich machte – auf dem schrägen Dach des Schuppens – und hob von Zeit zu Zeit vorsichtig den Kopf, um den lästigen Blutandrang aufzu heben. Er hätte ja ebensogut dem Ölkönig eine Warnung zukommen lassen können, legte aber aus bestimmten Gründen Wert darauf, die bezahlten Meuchelmörder im Augenblick des Tatversuches zu entlarven. Der Wachtposten Buller stand jetzt unmittelbar unter der Stelle, wo Billy Jenkins auf dem Dach lag. Buller blickte auf die Uhr und murmelte etwas vor sich hin … fast im gleichen Augenblick löste sich aber eine dunkle Gestalt aus den Schatten der Bäume längs des Weges und trat auf den Platz hinaus. „Wer da?“ rief der Posten leise. Gleichzeitig verschwanden drüben zwischen den Stäl len die glühenden Pünktchen der Zigaretten. „Alvarez“, hauchte der Ankömmling. Der Posten senkte den Lauf des Karabiners und ließ den anderen herankommen. „Du kommst eine Minute zu spät“, flüsterte Buller är gerlich. „In solchen Sachen muß man pünktlich sein, Mann. Na, ich ruf jetzt Tudor und verschwinde. Was du dann zu tun hast, weißt du ja …“ 110
Der andere nickte und klopfte bedeutsam auf den Holfter, in dem sein Revolver steckte. „Und wie ist’s mit der Bezahlung?“ flüsterte er arg wöhnisch. Buller grunzte böse. „Erst die Arbeit, dann’s Vergnügen“, knurrte er. „Das weißt du ganz genau. Morgen mittag kannst du im ‚Leopar den’ deinen Lohn holen. Hast du auch die Papiere bei dir?“ Der Mann nickte, aber irgend etwas schien ihm Sorgen zu bereiten. „Was sind denn das für Papiere?“ fragte er in plötz lichem Mißtrauen. „Wollt ihr mich auch nicht herein legen?“ Buller lachte leise. „Nein, du Idiot“, brummte er, aber sein Ton war nicht echt. „Was haben wir denn für ein Interesse daran, dich hereinzulegen, he? Du sollst den Briefumschlag mit den Papieren morgen mittag vorlegen, damit unser Ge währsmann auch weiß, daß du es bist, der den Ölkönig umgelegt hat, kapiert?“ „Na, dann ist’s ja gut“, nickte der andere. Er drückte sich in die Schatten des Schuppens, wäh rend Buller seinem Auftrag gemäß handelte. „Mister Tudor, Mister Tudor!“ rief er zu dem er leuchteten Fenster empor. Das Fenster oben öffnete sich und die angenehme Stimme des Ölkönigs wurde laut. „Was gibt es denn?“ Buller trat in die Mitte des Vorplatzes. Er war im Mondlicht deutlich zu erkennen. „In Camp eins ist eine Höllenmaschine gefunden wor den, Sir“, meldete Buller, getreu seiner Rolle. „Ingenieur Sanders bittet Sie, sofort herüber zu kommen.“ 111
„Ich komme sofort“, rief Tudor herunter. Das Fenster wurde zugeschlagen. Buller ging raschen Schrittes zum Ende des Schuppens, nicht, ohne dem Meuchelmörder vorher aufmunternd zuzuwinken. Der Mann grinste und zog den Revolver, den er auf die Tür des Verwaltungsgebäudes anschlug. Billy Jenkins hielt sich jetzt nur noch mit einer Hand an der Leiste fest, die andere langte nach den Schlingen des Lassos, das er griffbereit auf dem Dach niedergelegt hatte. Behutsam ließ er die Schlinge soweit in die Tiefe, daß sie der wartende Meuchelmörder nicht sehen konnte. Sein feines Ohr hörte die Schritte auf der Treppe des Ge bäudes, und als die Tür leise in ihren Angeln quietschte, machte Jenkins Rechte eine rasche Bewegung … Die Lassoschlinge zog sich blitzschnell um die Hand mit dem Revolver und zog an. Gleichzeitig feuerte Jen kins einen Schuß in die Luft ab. Dieselbe Hand, die das Lasso hielt, betätigte auch den Revolver, ein Kunststück, das nur ein Mann wie Billy Jenkins fertig brachte. Es hörte sich an, und sah so aus, als habe der Mann unten einen Schuß auf Tudor abgegeben, der in dieser Sekunde auf der Schwelle erschien und sich vor dem Schuß zurückwarf. In Wirklichkeit wurde jedoch die Hand des Mordschützen nach oben gerissen und in der Lassoschlinge festgehalten. Die drei Werkpolizisten – Buller, am Ende des Schup pens, und die beiden anderen, die zwischen den Ställen lauerten – ließen sich täuschen. Sie eröffneten, wie es der Plan vorschrieb, ein Schnellfeuer auf den Attentäter, der von vielen Kugeln getroffen in sich zusammensank. Die Polizisten eilten über den Vorplatz und beugten sich über den tödlich Getroffenen. Ehe sie das Lasso be merken konnten, war Frank Tudor zur Stelle. Die Polizis 112
ten starrten ihn erschrocken an. Sie hatten nicht geglaubt, daß er noch am Leben war. „Was geht hier vor?“ fragte die scharfe Stimme Tudors. „Der Kerl …“, stotterte Buller, „… der Kerl versuchte, Sie zu erschießen, Sir …“ Er unterbrach sich; denn in diesem Augenblick fiel ein dunkler Körper förmlich vom Himmel, landete federnd auf dem Boden und hielt den drei überraschten Werk polizisten einen Revolver vor die Nasen. „Hände hoch, ihr Schurken!“ sagte Billy Jenkins grimmig. Und zu Tudor gewendet, fuhr er erklärend fort: „Der Mann, den Sie hier liegen sehen, hatte den Auftrag, Sie zu ermorden, Mister Tudor … und diese drei Leute wußten es. Sie sollten abwarten, bis der Meuchelmörder seinen Auftrag ausgeführt hatte, um dann den Mörder selbst zu erledigen. Doch ich täuschte die Schurken.“ Billy nahm den Burschen die Waffen ab. Tudor blickte erst die drei Posten, die angstschlotternd die Hände in die Höhe hielten, dann seinen Retter ernst an. „Wer sind Sie wirklich, Frank Kennedy?“ fragte er ru hig. Billy Jenkins neigte sich zum Ohr des Ölkönigs und flüsterte ihm etwas zu, und Tudor nickte ernst. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Mister … Kennedy“, sagte er. „Und was Alvarez betrifft, weiß ich ja nun Be scheid und werde mich danach richten.“ Er rief laut nach der Wache, die zögernd herankam. „Diese drei Polizisten sind sofort einzusperren“, ord nete Tudor an. Er wendete sich um und wollte Billy Jen kins etwas fragen – aber dieser war zum zweiten Male ebenso überraschend wieder verschwunden, wie er auf getaucht war. 113
*
*
*
Im Gasthaus „Zum Leoparden“ herrschte um die späte Nachtstunde Hochbetrieb. Wer Augen hatte, zu sehen, und Ohren, das Richtige zu hören, konnte feststellen, daß die größten Krakeeler und Hetzer, welche während des Tages die Scharen der Ölarbeiter gegen die Rancher auf gewiegelt hatten, jedenfalls nicht zu der Art Leute gehör ten, die dann auch in der vordersten Linie kämpfen. Während die ergrimmten und haßerfüllten Ölarbeiter ausgezogen waren, ihr Mütchen zu kühlen, zogen es die Hetzer vor, in aller Ruhe und Sicherheit ihren Whisky zu trinken. Sie hatten ihren Zweck erreicht, dafür waren sie bezahlt worden – und nun sollten die anderen, die Dum men, die Kastanien aus dem Feuer holen … Genau genommen hatten dreiundzwanzig üble Kerle während des Tages Hetz– und Brandreden geführt. Und haargenau dieselben dreiundzwanzig lichtscheuen Krea turen hatten sich jetzt im „Leoparden“ versammelt, um sich über die „dummen Kerle“ lustig zu machen, die um die gleiche Zeit irgendwo zwischen Tudor und Bilford einen wütenden Krieg gegen die ebenso aufgehetzten Cowboys führten. Wie überall in der Weltgeschichte be wies sich auch hier, daß diejenigen, die das große Wort zu führen pflegen, die von „Ehre“ und „Nichtgefallen lassen-dürfen“ reden, die dazu auffordern, „Gewalt gegen Gewalt zu setzen“ – daß diese großmäuligen Hetzer stets weit vom Schuß sind, wenn es ernst wird und es gilt, an die Stelle tönender Phrasen die Tat zu setzen. Und hinter diesen Hetzern, die sich jetzt, weit vom Schuß, über ihre dummen Opfer amüsierten, standen wieder andere … die eigentlichen Drahtzieher des Ölkrieges … und lachten 114
nicht. Ebenso leidenschaftslos, wie sie dieses irrsinnige Blutbad organisiert hatten, ebenso kaltblütig nahmen sie auch die Meldungen über dessen Gelingen entgegen – wie Schachspieler, denen eine raffinierte Kombination geglückt ist. Grölendes Lachen scholl Billy Jenkins entgegen, als er die Tür zum „Leoparden“ öffnete. Der große Raum war von Zigarettendunst vernebelt. In der Mitte zwischen den Tischen tanzten leichtgeschürzte, geschmacklos ge schminkte Mädchen einen frechen Tanz nach den Klän gen eines automatischen Klaviers. Die Tänzerinnen machten einen gelangweilten Eindruck. Sie gaben sich keine besondere Mühe, und die übermüdeten, grauen Ge sichter wirkten durch die dicke Puderschicht maskenhaft starr. An den Tischen räkelten sich Männer, unter denen nicht ein einziger war, dem man auf dunklem Wege hätte begegnen mögen … Galgenvogelgesichter von der Art, die jeder einsichtige Sheriff auf der Stelle festnimmt, oh ne im Augenblick der Festnahme zu wissen, ob sich eine Anklage überhaupt erheben läßt. Einige von ihnen hielten die Beine auf die Tischplatte, andere stampften mit ihren schweren Stiefeln im Takt der Musik den Boden, wieder andere vergnügten sich damit, nach den gelangweilt vorüberstampfenden Tänzerinnen zu angeln oder unflätige Bemerkungen zu machen. Pedro, der dicke Kneipwirt – ein waschechter Mexi kaner – lehnte mit undurchdringlicher Miene hinter dem Schanktisch und beobachtete Lucky, einen langen texani schen Lümmel, dessen sommersprossiges Gesicht vom ungewohnten Alkoholgenuß bereits stark gerötet war. Dieser Lucky war keine Zierde seiner Heimat gewesen, darum hatte man ihn auch mit Schimpf und Schande da 115
vongejagt. Er verstand es, mit teuflischer Schnelligkeit den Revolver zu ziehen und Leute, die er nicht leiden mochte, zum Krüppel zu schießen. Einen Mord hatte er noch nicht begangen, aber die Zahl derer, die am Stock gehen mußten, nachdem Lucky mit ihnen Streit angefan gen hatte, ging in die Dutzende. Soweit war Lucky ein ganz brauchbarer Komplize. Er hatte während des vergangenen Tages diesen verdamm ten Ingenieur Roscoe, dem es beinahe gelungen wäre, die randalierenden Ölarbeiter an die Arbeit zurückzubringen, durch die Hüfte geschossen – und er war es auch gewe sen, der den übereifrigen Werkpolizisten Smith knockout schlug, gerade als er den murrenden Ölarbeitern eine Mitteilung machen wollte, die unter Umständen den gan zen schönen Aufruhrplan ins Wasser fallen lassen konn te. Nun gehörte aber Lucky zu den Menschen, die nicht allein gegen Bezahlung, sondern aus lauter Liebhaberei Krakeel schlagen … und darum hielt der dicke Pedro sein Auge auf den mageren Kerl, der aus stieren Augen um sich blickte und herausfordernd nach irgendeinem Opfer suchte. Der Mann, der da gerade durch die Tür hereinkam, mußte auf einen Mann wie Lucky wirken wie das rote Tuch auf den Stier … ein hochgewachsener, gutausse hender Mensch, mit einem offenen, ehrlichen Gesicht, selbstbewußt und geschmeidig – und ein Fremder. Lucky hatte eine Abneigung gegen Leute, die er nicht kannte (wie übrigens alle seiner Komplizen) und er war ein Aus bund an Häßlichkeit. Wenn jemals irgendwo eine Welt meisterschaft in männlicher Häßlichkeit ausgetragen würde, käme Lucky als erster Bewerber auf die Liste … So dachte Pedro, der dicke Schankwirt, als der Fremde 116
eintrat. Aber er war nicht mehr beunruhigt. Hätte Lucky, der Lümmel, einen der Anwesenden angegriffen, so wür de ihn Pedro, ohne mit der Wimper zu zucken, niederge schossen haben. Diesen Fremden aber … der schon seit ein paar Tagen hier herumschnüffelte … sollte der ver rückte Texaner ruhig von seiner Neugier heilen – – . Mit gelangweiltem Interesse sah Pedro der Entwick lung der Dinge zu, ja, er war sogar überraschend freund lich, als Billy Jenkins an den Schanktisch trat und einen Drink bestellte. „Na, Fremder, noch immer in der Stadt?“ erkundigte er sich mit süßlichem Interesse. Er blinzelte Lucky, der mit stieren Augen herüberblickte, verstohlen zu. „Wenn ich nicht irre, waren Sie noch gestern in Cowboyklei dung“, fuhr der Mexikaner mit verstecktem Hohn fort. „Und jetzt tragen Sie auf einmal ‘nen Overall … sind wohl Ölarbeiter geworden, wie?“ Jenkins setzte sich so, daß er durch den Spiegel hinter dem Schanktisch den Raum überblicken konnte, ohne sich umzudrehen. Er trank das Glas mit einem Zug leer und wischte sich die Lippen. „Das“, sagte er gelassen, „geht Sie einen Dreck an, Pedro Gonzalez.“ Die Worte kamen ruhig und gleichmütig, aber der di cke Schankwirt erbleichte. Niemand wußte in Tudor, wie Pedro wirklich hieß. Daß der Fremde ihn unter dem Na men „Gonzalez“ kannte, bedeutete äußerste Gefahr … Entlarvung und Gerichtsverhandlung, schließlich den Strick. Pedro schluckte nur einmal, im übrigen bewahrte er die Fassung. „Sie sind erstaunlich gut unterrichtet, Fremder“, sagte er langsam, mit tückischem Funkeln seiner Augen. „Darf ich wissen, wer Sie sind? Soviel ich weiß, wurden Sie 117
heute von Alvarez Leuten angeworben und dürften sich nicht hier herumtreiben …“ Jenkins lächelte unfroh. „Erstens“, sagte er leise, „steht noch gar nicht fest, ob es Alvarez ist, der diese Mörderbanden zusammenstellt. Und zweitens“, bemerkte er spöttisch, „dürften sich ver schiedene Leute für die Doppelrolle, die Sie spielen, sehr interessieren, Gonzalez.“ Pedro Gonzalez lächelte verzerrt. Sein Gesicht war grau geworden, aber seine Hand zitterte nicht, als er Jen kins erneut einschenkte. „Sie sind gefährlich“, sagte er durch die Zähne. „Wie viel?“ „Was – wieviel?“ erkundigte sich Jenkins. „Wieviel verlangen Sie“, erklärte Gonzalez gemütlich, „damit Sie den Mund halten?“ „Nichts – Sie sind fällig“, sagte Jenkins freundlich. „Also Kampf?“ Gonzalez blickte ihn schief an. „Dazu sind Sie zu feige“, erwiderte Jenkins gelassen. „Und mit solchen Kreaturen werde ich schon fertig … Geben Sie nur das Zeichen.“ Der dicke Wirt grinste scheußlich, hob die Hand und schnalzte mit dem Finger. Billy Jenkins sah mit freund lichem Interesse zu und nickte beifällig. „Sie armer Idiot“, sagte er nur mitleidig. Dann wendete er sich blitzschnell um und versetzte dem athletisch gebauten Mischling, der dicht hinter ihm stand und mit einem langen Messer gerade zum Stoß ausholte, einen heftigen Fußtritt. Der Mann knickte zu sammen und rollte, von dem Schwung des Trittes ge trieben, seitwärts durch den Raum, bis die Beine eines Tisches ihn aufhielten. Jenkins wendete sich ruhig, als sei nichts geschehen, 118
wieder um, lächelte Pedro zu und bestellte einen neuen Drink. Die Hand des Mexikaners zitterte leicht, als er jetzt einschenkte. „Haben Sie sonst noch etwas auf Lager?“ erkundigte sich Jenkins. Der Wirt schluckte und grinste verlegen. „Sie alter Spaßvogel“, sagte er falsch. „Ich werd’ mir meine Finger an Ihnen nicht verbrennen. Trinken Sie nur ruhig Ihren Schnaps und lassen Sie anständige Leute in Ruhe.“ Während er dies sagte, schielte er aus dem Augen winkel auf Lucky, der sich mit den sturen Bewegungen des Betrunkenen, der einen Vorsatz gefaßt hat, langsam erhob und leicht schwankend auf Jenkins starrte. Dieser trank seelenruhig seinen Gin und stellte das leere Glas sorgfältig beiseite. Er wußte ganz genau, daß die Toten stille in dem Raum seinetwegen entstanden war und daß zwei Dutzend Augenpaare jede seiner Bewegungen ver folgten. Die Kerle an den Tischen betrachteten sein Auf treten als einen willkommenen Spaß, als eine vergnüg liche Abwechslung. Sie waren samt und sonders ge spannt, wann, wie und wo der unerwünschte Eindringling von wem erledigt werden würde. Aller Augen richteten sich auf Lucky, der sich jetzt mit automatenhaften Bewe gungen voranschob, bis er dicht hinter dem Manne stand, der scheinbar gedankenlos und lässig am Schanktisch hockte. Lucky hob die Faust, um sie mit fürchterlicher Wucht auf die Schulter des Fremden, der ihm den Rücken zu gekehrt hielt, niedersausen zu lassen. In Gedanken sahen die Zuschauer dieser Szene das Opfer von Luckys Bruta lität bereits aufbrüllend mit zerschmetterter Schulter zu Boden fallen … 119
Ein wütender Schrei … Aber er kam nicht aus der Kehle Jenkins. Dieser hatte eine winzige, kaum sichtbare Bewegung zur Seite ge macht, gerade soviel, um dem furchtbaren Fausthieb des Betrunkenen auszuweichen. Luckys Faust schmetterte auf die Kante des Schanktisches, und Lucky selbst, von dem Schwung des Hiebes mitgerissen, gefoltert von dem plötzlichen Schmerz, brach aufbrüllend in die Knie. Jenkins blickte nicht einmal zur Seite. Seine ruhige Stimme scholl durch den Raum. „Pedro … noch einen Gin“, sagte er gelassen. Die Leute hinter ihm saßen starr und blickten aus of fenem Munde auf diesen merkwürdigen Kerl, der über haupt nicht bemerkt zu haben schien, welcher Gefahr er gerade entgangen war. Jeder wußte, daß Lucky einer der gefährlichsten Schützen des Grenzgebietes war, und nun war man ge spannt, wie sich diese Affaire weiter entwickeln würde. Daß der Fremde das Gasthaus nicht lebend verlassen würde, das stand für alle, die Pedros Gehtimzeichen ge sehen hatten, felsenfest. Die Frage war nur, ob Lucky den tödlichen Schuß abfeuern würde … Lucky war wieder auf die Füße gekommen und kne tete seine Hand. Die Finger waren unverletzt und be weglich geblieben. Die Art und Weise, wie er probeweise blitzschnell die Hand öffnete und wieder schloß, besagte genug … er wollte sehen, ob seine Fähigkeit, den Re volver zu ziehen und abzufeuern, nicht gelitten hatte. Erst, nachdem diese Prüfung zu seiner Befriedigung aus gefallen war, wendete er sich Jenkins wieder zu, der in Seelenruhe einen Drink schlürfte und Pedro Gonzalez nicht aus den Augen ließ. Nach der ersten peinlichen Erfahrung, die Lucky mit 120
dem erstaunlichen Fremden gemacht hatte, war er tü ckisch geworden. Er beschloß, dem Gegner jede Chance zur Verteidigung zu nehmen. So wartete er, bis Jenkins’ Rechte das Glas zum Munde führte … eine bedenkliche Handstellung, die ein rasches Ziehen des Revolvers un möglich machte. Wohl hatte Jenkins auch auf der Unken Körperseite eine Schußwaffe hängen, war also beidseiti ger Schütze, doch lag die Linke weit auf dem Schank tisch. In Luckys Augen wohnte Mord. Er hatte bisher seine Gegner nur verwundet, aber die Niederlage, die ihm Jen kins beigebracht hatte, ließ ihn rot sehen. Er verletzte ein ungeschriebenes Gesetz des Westens und griff zur Waffe, ohne den Gegner zu warnen … Blitzschnell fuhr seine Hand an den Gürtel, und schon hatte er den Revolver aus dem Holfter gerissen, als – – . Scheinbar ohne Hast nahm Jenkins in diesem Augen blick das Glas vom Mund und vollführte mit der Rechten eine rasche Bewegung. Der Inhalt des Glases – hoch prozentiger Alkohol – schwappte durch die Luft und traf die Augen des Angreifers, der mit einem Schmerzens schrei zurückfuhr und den Revolver fallen ließ. Er rieb sich aufheulend die Augen. Der scharfe Alkohol hatte ihn augenblicklich geblendet und die furchtbaren Schmerzen peinigten ihn, daß er wimmernd zusammenbrach. Jenkins blickte Gonzalez, der – wenn möglich – um noch eine Spur bleicher geworden war, mit gut gespielter Verwunderung an. „Warum schreit denn der junge Mann so?“ fragte er vernehmlich. Er ließ kein Auge vom Spiegel und beobachtete jede Bewegung der Leute, die hinter ihm im Raum saßen. Gonzalez räusperte sich. 121
„Jemand muß ihm Gin in die Augen geschüttet ha ben“, erwiderte er mit belegter Stimme. Jenkins lächelte spärlich. „Sofern man das Teufelszeug, daß Sie hier ausschen ken, ‚Gin’ nennen kann“, meinte er trocken. „Sie vergif ten Ihre Gäste, Pedro Gonzalez. Na, in ein paar Tagen wird ohnehin ein gewisser Herr mit einem gewissen Strick kommen und einen gewissen Pedro hängen … und das wird ein Feiertag für ganz Tudor sein, schon wegen dem Gin. Ich werde mir zu diesem Festtage die Stiefel wichsen und ein frisches Hemd anziehen.“ Pedro grinste. „Und das wird ‘ne gute Idee sein“, bemerkte er höh nisch, „weil das Hemd, das Sie jetzt anhaben, bald ‘ne Menge unschöne Löcher haben wird.“ Er erhob die Stimme zu einem haßerfüllten Kreischen: „Gebt’s ihm, Jungens …“ Die Jungens aber saßen starr und steif auf ihren Plät zen. Keiner rührte sich; denn Billy Jenkins war so rasch herumgefahren, daß niemand die Bewegung sehen konn te, bevor sie ausgeführt war. Wie durch Zauberei waren in den beiden Händen Jenkins’ Revolver aufgetaucht. „Na, wie ist’s, Jungens?“ fragte Jenkins gelassen. Ohne sich umzuwenden, als habe er hinten Augen im Kopf, steckte er rasch die rechte Hand mit dem Revolver durch die linke Achselhöhle und Gonzalez, der gerade mit einer Whiskyflasche nach Jenkins Kopf zielte, starrte entsetzt in die Mündung der Waffe. Er ließ die Flasche sinken und hob mit ergebenem Gesicht beide Hände. „Der Kerl kann nach hinten sehen“, tönte seine kla gende Stimme. „Noch ein Gin gefällig, Sir?“ „Whisky“, bestellte Jenkins. „Aber ohne Rattengift, wenn’s geht.“ 122
„Whisky ohne“, wiederholte der Wirt und seufzte wie ein Mensch, dem ein Herzenswunsch versagt blieb. Er schenkte ein, und während er einschenkte, ent schleierte sich ihm das Geheimnis, wieso der seltsame Gast hinten im Kopf Augen hatte. An den vorgestreckten Armen Jenkins, der noch immer die Revolver drohend auf die Tische gerichtet hielt, gewahrte Gonzalez ein leichtes Funkeln. Und als er näher hinblickte, erkannte er an jedem Arm Jenkins’ einen kleinen Metallspiegel von der Größe eines Dollarstücks. Die kleinen Spiegel waren mit Gummibändern so um den Unterarm befestigt, daß Jenkins aus den Augenwinkeln jederzeit alles beobachten konnte, was hinter seinem Rücken geschah. Im „Leoparden“ herrschte Totenstille. Jene berühmte Stille, von der es in Romanen immer so schön heißt, daß man „eine Nadel zu Boden fallen hören konnte“. Ganz so still war es nun wieder nicht; denn die Kerle an den Ti schen schnauften vor unterdrückter Wut und Staunen, der Mischling, der den ersten Angriff mit dem Messer auf Jenkins gemacht hatte, saß noch immer auf dem Boden und hielt sich stöhnend den Bauch und außerdem polterte es an der Tür, die von einem schweren Stiefel aufgesto ßen wurde. Aller Augen wendeten sich zu dem Eintre tenden, der eine schlanke Gestalt hinter sich herzog. „Good evening, gentlemen“, sagte Sheriff Polter und versetzte Juanita Alvarez einen Stoß, daß sie in den Raum taumelte. „Hier bringe ich euch – –“, er hielt inne; denn erst jetzt entdeckte er Billy Jenkins und sah die bei den Revolver in den Händen des Mannes, der ihm unter dem Namen „Frank Kennedy“ bekannt war. Er wußte, daß Kennedy in diesem Augenblick an allen möglichen Orten sein durfte, nur nicht im „Leoparden“ und war eingebildet genug, der Anwesenheit des Mannes keine andere Bedeu 123
tung beizumessen als die, daß der verflixte Kennedy eben gegen einen ihm gegebenen Befehl gehandelt hatte. Er fixierte Jenkins scharf und herrschte ihn an: „Revolver weg und raus aus dem Lokal, aber dalli!“ Billy Jenkins kniff ein Auge zu. Er antwortete in der gleichen Schärfe und Kürze, aber sein Tonfall war weit aus echter und befehlsgewohnter. „Schnabel gehalten, Mädel losgelassen und Hände hoch, Lumpenkerl!“ Der Sheriff glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dür fen. Er hielt die linke Hand ans Ohr, als habe er nicht richtig gehört, und packte das Handgelenk seiner Gefan genen fester. „Du bist wohl verrückt geworden, Kennedy?“ er kundigte er sich höhnisch. „Scheinst nicht zu wissen, wer hier in Tudor zu bestimmen hat, he?“ Jenkins verzog leicht das Gesicht. „Doch – ich!“ antwortete er. „Ich habe hier zu be stimmen, Polter. Und wenn du deine dreckigen Flossen nicht von der jungen Dame nimmst, gebe ich dir eine Medizin gegen Schwerhörigkeit. Du hast wohl nicht ver standen, was ich gesagt habe.“ „Nein“, erwiderte Polter frech und griff zum Colt. Krach … Jenkins hatte aus der Hüfte geschossen, scheinbar ohne zu zielen, und Polter ließ mit einem Auf schrei den Revolver fallen und griff sich ans Ohr. Seine Finger röteten sich von Blut. „Der Lump hat mir das Ohrläppchen abgeschossen“, brüllte der Sheriff. Er blickte sich hilfesuchend im Kreise um, aber die Kerle saßen noch immer wie versteinert an ihren Tischen und rührten sich nicht. „Was ist denn los, ihr Ölgötzen?“ rief Polter wütend. 124
„Bin ich versehentlich in ein Panoptikum geraten? Seid ihr aus Wachs – oder seid ihr Kerle, he? Zieht die Knar ren und macht’n Sieb aus dem Halunken.“ Einer der Männer räusperte sich. „Nach Ihnen, Sheriff, nach Ihnen“, sagte er heiser. „Und wenn Sie Lust haben, mit dem leibhaftigen Satan anzubinden, dann tun Sie Ihren Gefühlen keinen Zwang an. Denn ein Satan ist der Kerl, das können Sie mir glau ben.“ Juanita, die etwas zerzaust aussah, warf Jenkins einen bewundernden Blick zu. Auch sie kannte ihn unter dem Namen „Kennedy“, und es wunderte sie, daß die Leute einen derartigen Respekt vor ihm hatten. Sheriff Polter, der sich immer noch das blutende Ohr hielt, blieb bei seiner alten Regel, andere für sich die Haut zu Markte tragen zu lassen. „Ein Satan soll der Mensch sein? Ein hergelaufener Strauchdieb ist er, Jungens. Laßt euch nicht verblüffen durch seine Tricks … los, zieht vom Leder und knallt ihn zusammen.“ Der Mann, der schon eben dem Sheriff geantwortet hatte, ließ sich wieder vernehmen. „Ich trinke gerne Whisky“, sagte er trocken. „Wenn man aber ‘n Loch im Bauch hat, läuft der schöne Stoff vorzeitig wieder heraus und man hat keinen Spaß daran. In der Beziehung bin ich komisch und laß’ mich nicht überreden. Natürlich möcht’ Ich dem jungen Mann da ganz gern eins aufbrennen. Aber ich bin ein bescheidener Mensch und laß’ anderen gern den Vortritt. Hat jemand Interesse?“ Er blickte sich aufmunternd im Kreise um, aber die Gesichter seiner Komplizen verrieten alles andere als Interesse. 125
„Man kann nämlich nie wissen“, fuhr er gelassen fort, und deutete auf Jenkins, der ruhig dasaß und ein un beteiligtes Gesicht machte, „man kann nämlich nie wis sen, ob sich der Herr Kennedy ausgerechnet auf Ohr läppchen spezialisiert hat. Er könnt’ ja mal daneben schie ßen und aus Versehen den Kopf treffen. Für meine Person danke ich der freundlichen Aufforderung, Sheriff Polter, und rat’ Ihnen, zu tun, was der Gentleman da verlangt.“ Sheriff Polter, weiß vor Wut, hob zögernd die Hände. Er warf einen gehässigen Blick auf das Mädchen, die verächtlich lächelnd neben ihm stand. In ihrem kurzen Reitkleid, das schmale Gesicht von tiefschwarzem, bis auf die Schultern niederflutendem Haar eingerahmt, war sie hinreißend schön. Ihre blitzenden, dunklen Augen musterten spöttisch die Männer an den Tischen, die vor einem einzigen Manne soviel Respekt hatten, daß sie keine Bewegung wagten. „Ihre Unverschämtheit wird Ihnen teuer zu stehen kommen“, sagte sie mit ihrer hellen, klingenden Stimme zu Polter. „Sie wollten mich festnehmen? Wissen Sie denn nicht, wer ich bin –?“ Polter grinste scheußlich. „Sie sind die Tochter des Mannes, der für den Ölkrieg verantwortlich ist“, zischte er. „Ich habe Beweise dafür, Juanita Alvarez. Ihr Vater, der mexikanische Ölkönig, hat die Leute gemietet, welche unsere Ölquellen in Brand gesteckt haben …“ „Sie lügen“, rief das Mädchen mit blitzenden Augen. „Sie schmieriger Schurke wollen es wagen, Don Alvarez zu verdächtigen? Wir wissen ganz gut, welches Spiel Sie treiben … und ich habe in den letzten Tagen genügend Beweise gegen Sie gesammelt. Sie sind es, der mit Zero zusammenarbeitet.“ 126
Jenkins, der bis hierhin aufmerksam zugehört hatte, schaltete sich mit ruhiger Stimme ein. „Wenn ich auch noch etwas sagen darf“, sagte er ge lassen, „so möchte ich zunächst darum bitten, daß die gegenseitigen Beschuldigungen auf später verschoben werden. Kommen Sie bitte zu mir, Señorita Alvarez … doch bleiben Sie aus der Schußlinie!“ Die letzten Worte hatte er blitzschnell hinzugesetzt, doch zu spät. Juanita machte einige unbedachte Schritte – geradenwegs in die Schußlinie von Jenkins Waffen. Im gleichen, verhängnisvollen Augenblick ging das Licht aus … Der Schankwirt, der diesen Augenblick abgewartet hatte, drehte einen versteckten Schalter … Juanita schrie gellend auf … und dann brach die Hölle los. Krach … krach … krach … krach … Ohrenbetäubend donnerten die Schüsse in dem ge schlossenen Raum. Von allen Tischen blitzte das Mün dungsfeuer der Revolver auf und die Kugeln prasselten wie ein Hagelunwetter in das Holz des schweren Schank tisches. Minutenlang dröhnten die Schüsse so schnell hintereinander, daß es sich wie Maschinengewehrfeuer anhörte. Die Leute schossen die Trommeln ihrer Re volver leer … dann entstand Stille, plötzliche Stille, die nach dem vorhergehenden Donnern fast beängstigend wirkte. Noch rieselten die Scherben zerschossener Scheiben und Flaschen nieder. Das Geräusch wurde abgelöst durch das stete Tropfen ausfließender Flüssigkeit aus den zer brochenen Gefäßen. Und dann erhob sich schreckhaft deutlich das röchelnde Atmen eines Sterbenden. „Licht!“ rief eine scharfe Stimme. Und als es noch immer dunkel blieb, tastete sich einer 127
der Männer hinter den Schanktisch und legte den Schal ter um. Die Ölstadt hatte elektrisches Licht, und die star ken Lampen über dem Schanktisch beleuchteten gespens tisch den unförmigen Klumpen, der halb über dem Tisch lag und noch vor Minuten ein Mensch gewesen war. „Wir haben Kennedy erwischt“, sagte der Mann, der das Licht angeknipst hatte. Er wendete den Toten auf die Seite und verschluckte sich. Jeder konnte sehen, daß der Tote nicht Kennedy war. Die gebrochenen Augen, die anklagend in die Lam pen starrten, gehörten – – Pedro Gonzalez, dem dicken Wirt des „Leoparden“. In einer Ecke, weit hinten, hervor unter einem um gestürzten Tisch hob sich das verstörte Haupt des She riffs. Er hatte, sobald es dunkel wurde, blitzschnell seine Haut in Sicherheit gebracht … Fünftes Kapitel In dem Augenblick, als es dunkel wurde, hatte sich Jua nita Alvarez direkt in der Feuerlinie befunden. Eine Se kunde lang stand sie vor Schrecken wie gelähmt, als ein sehniger Körper – wie ein Tigerleib im Sprung – gegen sie schnellte und sie zu Boden warf. Zwei unheimlich starke Arme umklammerten sie … und sie schrie auf, wollte empor, dem Klammergriff dieser fürchterlichen Arme entrinnen. Aber die kräftigen Fäuste hielten sie nieder, eng an den Boden gepreßt, während die höllische Schießerei ihren Anfang nahm. Juanita, von Entsetzen gelähmt, spürte förmlich die Geschosse, wie sie dicht über ihrem zitternden Körper durch den Raum fuhren. Ein, zweimal fühlte sie den Luftzug einer tief gezielten Kugel. Sie hör 128
te das Splittern von Glas und das Knattern der ein geschlagenen Kugeln im Schanktisch. Wie eine Katze kroch der Mann, der sie gepackt hielt, am Boden dahin … nein, er schlängelte sich gleich einer Schlange voran, und seine Hände, die Eisenklammern glichen, drückten das Mädchen dabei dicht an den Bo den und rollten ihren schlanken Körper weiter. Sie woll te schreien, aber eine schwere Hand legte sich auf ihre Lippen … nicht würgend . soviel konnte sie trotz des Schreckens, der sie gepackt hielt, erraten … sondern warnend … Jetzt spürte sie den Luftzug der halboffenen Tür, sah einen schmalen Streifen des Sternenhimmels. Der Mann, der sie mit sich geschleppt hatte, zog sie auf die Füße und drängte sie vorsichtig durch den Türspalt. Sie lief wie von Teufeln gejagt über den freien Platz vor dem Wirtshaus. Hinter sich hörte sie die schnellen Sprünge des Mannes … und die Schüsse, die noch immer aus dem „Leoparden“ drangen. Der Verfolger hatte sie mühelos eingeholt und rief ihr etwas zu. Als sie seine Stimme erkannte, blieb sie er leichtert stehen und sank an seine Brust. Billy Jenkins klopfte ihr beruhigend die Schultern. „Für derartige Abenteuer“, sagte er leise, „eignet sich eine Frau nun einmal nicht. Wie kamen Sie auf die selt same Idee, sich ausgerechnet in die Höhle des Löwen zu wagen … nach Tudor … obwohl Sie genau wissen, was hier gespielt wird.“ Sie schritten langsam weiter und Jenkins führte sie zu der Stelle, wo er sein Pferd gelassen hatte. „Ich dachte nicht, daß man mich erkennen würde“, antwortete sie niedergeschlagen. „Und dann bin ich die einzige, die ‚Pete’ kennt. Er organisiert den Waffen 129
schmuggel nach Mexiko und steckt auch hinter den At tentaten auf die Ölquellen.“ Jenkins blieb stehen und blickte sie aufmerksam an. „Wissen Sie, wer Zero ist“, fragte er gespannt. „Nein“, kam ihre trotzige Antwort. „Sie glauben viel leicht, daß mein Vater …“, sie stockte. „Aber das ist ja Unsinn.“ Jenkins schüttelte den Kopf. „Es kommt nicht darauf an, was Unsinn ist und was nicht“, erwiderte er ernst. „Es müssen Beweise her, Se ñorita. Woher kennen Sie übrigens Pete? Er ist ge wissermaßen Zeros Generalstabschef, und die Tatsache, daß Sie ihn kennen, spricht nicht gerade zu Ihren Guns ten …“ „Ich traf ihn in New York, wo er Geldleute für die Re volution suchte. Ein Vertrauensmann meines Vaters machte mich auf ihn aufmerksam und ich spionierte ihm nach. Dann kam er mir aus den Augen.“ Jenkins sah sie durchdringend an. „Sind Sie vielleicht mit ‚Juan’ identisch, dem weib lichen Adjutanten Zeros?“ fragte er. Die Frage kam so überraschend, daß Juanita stehen blieb, als wäre sie auf eine Mauer gestoßen. „Sie sind gut unterrichtet – wissen aber nicht alles“, war ihre zweideutige Erwiderung. „Die Frage ist jetzt: Wie komme ich weg von hier?“ Jenkins nahm sein Pferd am Zügel und führte sie einige Schritte weiter, wo ein einzelnes Pferd angebunden war. „Wir werden dieses Pferd, das einem der Spitzbuben im ‚Leoparden’ gehört, einfach stehlen“, erklärte er. „Passen die Steigbügel?“ Sie maß die Länge und nickte. Im nächsten Augen blick war sie oben. Es war die Minute, wo die Leute im 130
„Leoparden“ das Fehlen Jenkins und des Mädchens ent deckt hatten und auf die Straße stürzten. Die Männer eil ten zu ihren Pferden. „Reiten Sie links herunter – den Weg entlang bis zum Stadtrande, dann rechts die Hügel hinauf. Wir treffen uns am ‚Teufelsstein’. Ich lenke die Verfolger von Ihrer Spur ab.“ „Einverstanden“, rief Juanita. Sie gab ihrem Pferd die Sporen und donnerte davon. Einen Augenblick später hatte sie die Dunkelheit ge schluckt. Jenkins wartete, bis die herangaloppierenden Verfolger dicht genug waren, um ihn zu erkennen, dann feuerte er einen Schuß in die Luft ab und trabte nach rechts in den Weg ein, der zum Ölcamp führte. Als die Reiter aufholten, ging er zum Galopp über, setzte in voller Karriere über einen Zaun … und noch einen Zaun … und war eine Minute später wieder vor der Eingangstür des „Leoparden“, wo Sheriff Polter auf den Stufen stand und sich noch immer das blutende Ohr hielt. Polter erkannte ihn nicht, bis er dicht vor ihm das Pferd zügelte. Jenkins beugte sich etwas herüber und ver setzte dem verdutzten Manne einen blitzschnellen Kinn haken, der Polter zu Boden warf. „Nehmen Sie das als kleine Anzahlung auf die große Summe, die ich Ihnen noch auszahlen werde, Polter“, bemerkte Jenkins. Dann feuerte er auf die nahenden Verfolger und ga loppierte in entgegengesetzter Richtung davon, nicht ü bertrieben hastig, gerade so schnell, daß die Leute ihn nicht aus den Augen verloren. Die wilde Jagd ging durch die Stadt, über eine Brücke, dann in die offene Ebene hinaus. Hier ließ Jenkins sein Pferd aufgreifen und hatte nach 131
kurzer Zeit mühelos die Verfolger weit hinter sich ge lassen. Er schlug einige Haken und kehrte auf Umwegen zur Stadt zurück, wählte aber einen Weg, der nur den äußersten Stadtrand berührte und direkt zu dem kleinen Wäldchen führte, wo sich der „Teufelsstein“ – ein Fel sen, der die Form eines Teufelskopfes hatte – befand. Schon von weitem hörte er das leise Wiehern eines Pferdes. Juanita war also schon an Ort und Stelle? Er stieg ab und führte das Pferd am Zügel hinter sich her. Der schmale Pfad war finster, aber bald hatte Jenkins die kleine Lichtung erreicht. Drüben, auf der anderen Seite, scharrten Pferdehufe. Jenkins erkannte die dunklen Um risse einer Gestalt, die auf einem umgestürzten Baum stamm saß, und trat näher. Irgendwie hatte er die dunkle Ahnung einer drohenden Gefahr, konnte sich aber über dieses Gefühl nicht klar werden. Er blieb stehen und lauschte. Der Nachtwind raschelte leise in den Blättern. In der Ferne schrie dumpf und klagend ein Waldkauz. Jenkins war beruhigt, denn in den Umrissen der schlanken Gestalt erkannte er Juanita. Sicherheitshalber rief er sie an. Es konnte ja sein, daß sie ihn selbst verkannte und auf ihn feuerte; denn Sheriff Polter hatte seiner Gefangenen den kleinen Revolver nicht abgenommen. Er hatte sich wohl völlig überlegen gefühlt … „Sind Sie das, Señorita?“ fragte Jenkins. „Ja“, hauchte sie. Etwas in ihrer Stimme machte Jenkins stutzig. Er trat vorsichtig näher, aber als er erkannte, daß das Mädchen gefesselt war, – da war es zu spät. Mit leisem Zischen fielen von rechts und links Schlingen über seinen Ober körper und wurden sofort angezogen. Die Lassowerfer zogen so fest an, daß Jenkins’ Arme an den Oberkörper 132
gepreßt wurden. Trotzdem versuchte er, seine Revolver zu ziehen, wurde aber von einem halben Dutzend flinker Gesellen, die wie aus dem Boden wuchsen, zu Boden geworfen. Ein wuchtiger Hieb über den Kopf betäubte ihn halb. Seine kämpfenden Bewegungen wurden matter … und schon schlangen sich Stricke um seine Glieder. Jenkins hörte die traurige Stimme des Mädchens. „Oh, Mister Kennedy, nun ist alles vorbei …“ Hatte das Mädchen ihn in die Falle gelockt? Oder war sie selbst eine Gefangene? Undeutlich sah er, wie sich hinter Juanita ein Mann erhob, der bis dahin auf dem Bo den gelegen und sie wahrscheinlich mit einem Revolver bedroht hatte. Eine dumpfe Stimme sagte etwas – eine Stimme, die Jenkins sofort erkannte. „Wollen doch einmal sehen, was für ein Vögelchen wir da gefangen haben“, sagte die Stimme. Ein Streichholz wurde angerissen und vor Jenkins Ge sicht gehalten. Zwei spöttische Augen funkelten durch die Schlitze einer Maske. „Ei, der Teufel“, sagte der Maskierte. „Das ist tat sächlich unser lieber Freund Kennedy, alias Billy Jen kins. Na, der Chef wird sich freuen!“ Er versetzte dem Gefangenen einen Tritt. „Weißt du, wer ich bin?“ „Du bist Pete, und das ist ein schöner Name für ein Rindvieh“, erwiderte Jenkins gelassen. Pete knurrte einen mexikanischen Fluch. „Vor dir steht der zukünftige Kriegsminister Mexi kos“, sagte er wütend, aber Jenkins blieb ihm die Ant wort nicht schuldig. „Vor mir steht ein Esel – der erste Esel der Welt geschichte, der gehängt wird“, bemerkte er trocken. Der Mexikaner schnaufte vor Wut. 133
„Ich werde dir schon Respekt beibringen lassen, du wi dersetzlicher Hund. Eigentlich sollte ich dich ja auf der Stelle zerquetschen wie eine Wanze … aber ich möchte jemanden haben, den ich täglich prügeln kann. Du kommst in meinen Palast, an die Kette vor die Hundehütte, und jedesmal wenn ich mit der Peitsche in deine Nähe komme, wirst du ‚Schön’ machen und um Gnade winseln.“ „Oder dich in die Wade beißen … wau!“ sagte Jen kins. „Vorausgesetzt, daß du dir regelmäßig die Füße wäschst, was ich bezweifle.“ Pete versetzte ihm einen Tritt und wendete sich Juani ta zu. „Ihr könnt das Mädel jetzt losbinden“, befahl er seinen Leuten. „Bringt sie in die Stadt … ihr wißt schon, worum es sich dreht.“ Jenkins versuchte, mit den Blicken die Finsternis zu durchdringen. War Juanita eine Gefangene – oder hatte sie ihn verraten? Instinktiv vermutete er das erstere, aber er konnte bei der herrschenden Dunkelheit nicht erken nen, ob die vier Männer das Mädchen gewaltsam abführ ten … oder nur begleiteten. Wenn Juanita Alvarez keine Gefangene war – wenn sie wirklich mit „Juan“, dem Adjutanten Zeros identisch war – dann fielen alle bisherigen Kombinationen Billy Jenkins über die Persönlichkeit des geheimnisvollen Dunkelmannes in sich zusammen. Er hätte viel darum gegeben, wenn er diese ent scheidungsvolle Frage schon jetzt hatte beantworten können … *
* * 134
Bis in die frühen Morgenstunden hatte der Ölkrieg getobt, aber es war kein Plan und kein System in der wilden Knal lerei gewesen. Längs der zufällig entstandenen Frontlinie zwischen den Felsen wurden die Schüsse immer spärli cher, als der Himmel den grau-violetten Schimmer an nahm, der den nahenden Morgen ankündigte. Die Ölarbei ter, zuerst eifrig bei der Sache, waren der blödsinnigen Knallerei langst müde. Die Kühle der Nacht und der un gewohnte Aufenthalt im Freien ließen den so frischfröh lich begonnenen Krieg uninteressant werden, umsomehr, als man den verhaßten Gegner nicht einmal sehen konnte. Die Cowboys, denen die Sache auch langsam lang weilig wurde, stellten das Schießen ganz ein und be gnügten sich damit, Schimpfworte herüberzurufen. Den wetterharten Weidereitern, die von Berufs wegen den nächtlichen Aufenthalt im Freien gewohnt waren, machte die Kälte wenig aus, aber auch ihre Wut war verraucht. Beide Parteien zeigten weder Neigung, anzugreifen, noch sich zurückzuziehen. Man zählte auf beiden Seiten die Verwundeten – Tote hatte es wie durch ein Wunder überhaupt nicht gegeben – und hüben wie drüben kam man zu der erstaunlichen Er kenntnis, daß der „Ölkrieg“ bis jetzt ziemlich unblutig verlaufen war. Die Ursache lag vor allem darin, daß man bei Dunkelheit wohl darauflos knallen, aber weniger gut treffen kann … einfach, weil man ein Ziel sehen muß, um es treffen zu können. So wartete man nun auf den anbrechenden Morgen, der diese Voraussetzung mit dem Aufgehen der Sonne bieten würde. Hier wie dort war die Mordlust im Schwinden, und eigentlich blieben die feindlichen Partei en nur auf ihren Posten, weil sich keiner vor dem anderen zuerst zurückziehen wollte. 135
Es kam jedoch zu keinem weiteren Schußwechsel. Mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne schmetterte ein Trompetensignal über die Ebene und eine große Rei terschar preschte durch das ausgetrocknete Flußbett her an. Der „Dead River“ duckte sich förmlich unter den vie len Pferdehufen und die Weiden schüttelten verwundert ihre Wipfel. Ein Aasgeier, um seine Beute betrogen, strich mit mißtönigem Kreischen ab, als wieder die Trompete schmetterte. Wie im Manöver schwenkten die Kavalleristen ein, bildeten zwei Reihen und trabten in das Niemandsland zwischen den „Fronten“. Ein neuer Trompetenstoß … die Reiter fielen in Schritt und zügelten ihre Pferde, um – die einen nach links, die anderen nach rechts – herum zuschwenken. Jetzt nahmen die Grenzpolizisten ihre Karabiner her unter, und ein metallisches Klirren ging durch die Rei hen, als die Waffen gleichzeitig durchgeladen wurden. Auf der einen Seite die Cowboys und auf der anderen Seite die Ölarbeiter starrten mit offenem Munde staunend auf das militärische Schauspiel, das hier – offenkundig ihretwegen – vorexerziert wurde. „Legt an!“ scholl ein schneidender Befehl. Ein kurzes Klappen ging durch die Reihen der Sol daten und im nächsten Augenblick zeigten ein halbes Hundert Karabinermündungen auf der einen wie auf der anderen Seite drohend in die Gegend. „Ich zähle bis zehn“, erklang die schneidende Stimme wieder. „Und bei ‚zehn’ wird geschossen … Schnellfeuer … auf jede Nasenspitze, die sich zwischen den Felsen zeigt … Eins …“ Die Cowboys auf der einen und die Ölarbeiter auf der anderen Seite hoben verdutzt die Köpfe. 136
„Z w e i …“ Hüben wie drüben standen ein paar Leute unent schlossen auf. „D r e i …“ Jetzt hatten sich alle hochgerappelt und blickten er schrocken auf die Soldaten, die grimmig über Kimme– und Korn visierten. Jeder Soldat schien bereits ein Ziel im Auge zu haben, und jeder der Leute hatte das Empfin den, daß gerade auf i h n gezielt wurde. „V i e r …“ Die ersten setzten sich in Bewegung und die anderen folgten ihnen zögernd. „F ü n f …“ Aus dem zögernden Rückzug wurde auf beiden Seiten Flucht, die sich bei dem gebrüllten „Sechs“ in Panik auf löste. „Sieben“ und „Acht“ hörte niemand mehr. Bei „Neun“ lagen die Felsen still und verlassen. „Sichern!“ tönte die befriedigte Stimme des Obersten der Grenzpolizei über das Schlachtfeld des Ölkrieges. Es ging „Klickklickklickklick“ und die Polizisten setzten die Kolben ihrer Karabiner auf den Sattel. „Karabiner umhängen! … Rrrrechts um! … Terrr rab! …“ Wie nach einer Übung schwenkten die Soldaten ein und trabten davon, der aufgehenden Sonne entgegen. Nur je sechs Mann waren abgeordert worden, den Rückzug der feindlichen Parteien zu beobachten und notfalls zu beschleunigen. Müde und niedergeschlagen kehrten die Leute nach Bilford und Tudor zurück. Der „frischfröhliche Ölkrieg“ hatte ein schmähliches Ende gefunden – schmählich, weil viel Munition verpufft worden war, ohne die Fehde wirk lich auszutragen, und ein Ende, weil an diesem kommen 137
den Tage es die Drahtzieher des Ölkrieges für richtig hielten, ihre Taktik zu wechseln und durchblicken zu las sen, daß die Ölarbeiter den Cowboys und diese den Ölar beitern unrecht getan hatten … und daß der wirkliche Feind, auf den jetzt beide Parteien gehetzt werden muß ten, jenseits der Grenze war – – . *
* *
Als Tom Prox an diesem herrlichen Vormittag in Tudor einritt, hatte sich der Ausgang des „Ölkrieges“ schon he rumgesprochen. Um nicht gleich als „Cowboy“ verspäte ten Rachegelüsten zum Opfer zu fallen, hatte Tom seine Kleidung etwas verändert. Mit seinem blauen Arbeiter kittel über den ledernen Reithosen stellte er so etwas wie eine Kreuzung zwischen Ölarbeiter und Cowboy dar. Um gar nicht aufzufallen, hängte sich Tom in einer unmögli chen Haltung auf das Pferd, ließ sich bei jedem Schritt des Gauls im Sattel von einer Seite auf die andere rut schen und vergaß beim Traben den Schenkeldruck, so daß er wie ein Dampfhammer auf und niederhüpfte … ein Anblick, der jeden mittelmäßigen Reiter zu mitleidi gem Kopfschütteln bringen und jedem Weidereiter das Herz im Leibe herumdrehen mußte. Tom selbst hätte zu der Zeit, als er noch „Erster Weidereiter“ auf der KirbyRanch war, jeden Cowboy auf der Stelle notgeschlachtet, der es gewagt hätte, auf so schändliche Weise ein Pferd zu reiten. Er war innerlich froh, daß ihn seine ehemaligen Kameraden in dieser unwürdigen Rolle nicht sehen konn ten – sie wären glatt vor Lachen gestorben. Selbst der Braune, dem in seinem ganzen Pferdeleben niemals ein derartiger Reiter zugemutet worden war, 138
schnob erstaunt durch die Nüstern und blickte seinen Herrn, den Kopf seitlich wendend, vorwurfsvoll an. Das Tier zog die Luft ein, wie um sich zu vergewissern, ob Tom etwa zuviel getrunken habe. Dann schüttelte das verwunderte Tier den Kopf, daß die Mähne flog, und – bockte plötzlich, genau vor dem Eingang des „Leopar den“, wo eine Anzahl übel aussehender Burschen herum lungerten und dem ankommenden Reiter mißtrauische Blicke schenkten. Tom, der das „Bocken“ des Braunen durch ein schein bar unabsichtliches, scharfes Zügeln verursacht hatte, stieß einen entsetzten Schrei aus und rutschte über den Hals und gesenkten Kopf des Pferdes hinweg. Obwohl er sich scheinbar verzweifelt an der Mähne festklammerte, vollführte er einen tollpatschigen Salto und landete im Staub. Die Zuschauer belachten den ungeschickten Sturz grö lend, und ihr Gelächter wurde zu einer wahren Salve, als sich Tom tolpatschig aufrappelte und auf das Pferd ein zuschimpfen begann. Der Braune spitzte augenscheinlich verblüfft die Ohren. Obwohl die Frage noch nicht einge hend geklärt ist, ob Pferde einen Sinn für Eitelkeit besit zen und daher beleidigt sein können, wenn man sie be schimpft, darf festgestellt werden, daß jedenfalls Tom Prox’ Brauner ausgesprochen „beleidigt“ durch die Nüs tern schnob und seinen Herrn aus klugen Augen vor wurfsvoll anschaute. „Scher dich weg, störrischer Esel“, schimpfte Tom, und als der Braune tatsächlich einen Satz machte, fiel er ihm in die Zügel, verfehlte diese aber und landete wieder der Länge nach auf dem Boden. Als er endlich das Pferd an einem Pfosten angebunden hatte und sich den Staub aus den Kleidern schüttelte, wa 139
ren die zuschauenden Leute fast krank vor Lachen. Tom fuhr gereizt herum und fauchte die Männer an. „Warum lacht ihr so blöd?“ Eine neue Lachsalve brach los und ein Kerl mit dem Gesicht einer Bulldogge und Händen wie Müllschaufeln trat auf Prox zu und klopfte ihm stöhnend vor Heiterkeit auf die Schulter. „Mach das noch mal, Kleiner“, keuchte er vergnügt. „Du kriegst zwanzig Dollar, wenn du uns das Kunststück noch mal zeigst … ich meine, den Salto vorwärts ohne Anlauf.“ Tom tat, als müsse er sich diesen Vorschlag überlegen. Sein Gesicht zeigte einen Widerstreit zwischen Geldgier und Beleidigtsein. Schließlich siegte, dank seiner aus gezeichneten Schauspielkunst, die beleidigte Seite seines Wesens. „Stecken Sie sich Ihre Dollars an den Hut“, sagte er in dem Tonfall eines Mannes, der vor seiner eigenen Cou rage Angst hat, „Was bilden Sie sich ein … ich bin doch kein Zirkusaffe. Außerdem täuschen Sie sich ja nicht in mir, wenn Sie ‚Kleiner’ sagen, sonst heb’ ich Sie aus den Stiefeln und mach’ Beefsteak aus Ihnen.“ Er warf sich in die Brust. „Ich bin nämlich der beste Reiter im ganzen Grenzgebiet und kann nichts dafür, wenn meine Mähre die Masern hat.“ Die brüllende Lachsalve, die sich jetzt erhob, ließ die Fensterscheiben klirren. Tom lachte scheinbar verlegen mit und zwängte sich an den Leuten vorbei in die Wirts stube. Die Kerle folgten ihm auf dem Fuße. Sie waren neugierig, was der komische Vogel noch alles anstellen mochte. Natürlich stolperte Tom über die Schwelle. Als er den zerschossenen Schanktisch und die nur oberflächlich be 140
seitigten Blutspuren sah, tat er, als schüttle ihn ein Schauder. Ein großer, bleicher Mann mit leidendem Ge sichtsausdruck hatte die Rolle des Wirtes übernommen und schenkte Tom aus einem Tonkrug – die Flaschen waren sämtlich in der vergangenen Nacht zerschossen worden – den bestellten Whisky ein. Tom trank und verschluckte sich prompt. Für die Ker le, die ihn umlagerten, war er so etwas wie eine Variete nummer, und es war schon jetzt abzusehen, daß die Leute früher oder später zu handgreiflichen Späßen übergehen würden. Es lag in der Art dieser rohen Kerle, einen au genscheinlich Schwächeren, hilflosen und tolpatschigen Mann zum Zielpunkt roher Späße zu nehmen. Tom hörte mit seinen scharfen Ohren, wie zwei der Kerle bereits darüber tuschelten, ob sie ihn „teeren und federn“ sollten oder ob es ein besserer Spaß wäre, wenn sie ihm eine Lassoschlinge um den Hals legten und im Adamskostüm durch die Straßen führten. Tom grinste heimlich in sich hinein und spielte seine Rolle weiter. Dabei erkundigte er sich vorsichtig nach seinem Freunde Jenkins. „So ein Mann von deiner Größe, blond, blaue Au gen?“ fragte der Kerl, an den er die Frage gerichtet hatte. „Meinst du etwa Kennedy?“ Etwas im Tonfall des Mannes machte Tom stutzig und er schüttelte prompt den Kopf. „Nein, mein Freund heißt Hyronimus Bix“, sagte er treuherzig. „Er ist Methodistenprediger und will Licht in diese finstere Oase des Lasters bringen.“ Der andere starrte ihn mißtrauisch an. Er war sich nicht ganz klar darüber, ob sich Prox über ihn lustig machte. „Und ich heiße Jack Raft“, knurrte er. „Und jeder weiß, daß ich schon einen Mann mit diesen meinen Hän 141
den umgebracht habe – nur weil er sich einen Witz mit mir erlauben wollte.“ Er hob seine klobigen Hände, die Tom mit sichtlichem Schaudern betrachtete. „Sie denken doch nicht, daß ich spaße, Mister Raft?“ sagte er erschrocken. „Nein, mein Freund heißt wirklich Bonifazius Pux und – –“ „Ich denke, er heißt Hyronimus Bix?“ fragte Jack Raft drohend und packte Tom bei der Brust. „Ich trommle dir das Gehirn aus dem Schädel, du lächerlicher Zwerg …“ Tom ließ sich ruhig schütteln und stieß erstickte Laute aus. Der Grobian ließ ihn plötzlich fahren, in der Erwar tung, daß Tom, vom Schwung der Bewegung getrieben, hinstürzen würde. Aber dieser stand plötzlich wie ein Felsblock auf den Beinen. Seine gespielt ängstliche Stimme stand in seltsamem Kontrast zu seiner straffen Haltung. „Machen Sie das nicht noch einmal, junger Mann“, sagte er von oben herab, „sonst leg’ ich Sie auf die Na se.“ Jack Raft stieß einen Fluch aus und griff mit beiden Händen zu … aber seine Finger griffen in die leere Luft. Tom hatte sich blitzschnell gebückt und den Kopf zwi schen die gespreizten Beine des Angreifers gesteckt. Wie eine Stahlfeder schnellte er hoch und warf den schweren Körper Rafts über seinen Rücken hinweg. Raft machte einen eleganten Hechtsprung und landete klatschend – auf der Nase, wie Prox angedroht hatte. Die Kerle starrten den „komischen“ jungen Mann, der auf einmal so erstaunliche Körperkräfte entfaltete, ent geistert an. Raft hatte sich mit einem Wutschrei aufgerappelt und kam jetzt brüllend auf Tom losgestürzt. Dieser kletterte 142
blitzschnell auf einen Tisch, wendete sich um und sprang, elastisch wie ein Gummiball, über den anstür menden Riesen hinweg. Er landete federnd auf dem Bo den, fuhr wie der Blitz herum und riß Raft die Beine weg. Der Mann, der durch den Anprall halb über den Tisch gefallen war, überkugelte sich. Ein Stuhl zerbrach unter der Last seines aufprallenden Körpers. Jetzt hatten sich die anderen Kerle von ihrer Ver blüffung erholt und gingen auf Tom los. Es waren im merhin außer Raft sieben Gegner – und durchaus keine Schwächlinge. Tom war in seinem Element. Er schlug dem ersten Angreifer die flache Handkante auf die Halsschlagader. Der Mann knickte zusammen und sah dem weiteren Kampf aus verschwommenen Au gen zu. Der zweite Angreifer erhielt einen Tritt gegen das Schienbein und, gewissermaßen als Gratis-Zugabe, einen saftigen Kinnhaken, der ihn vorübergehend außer Ge fecht setzte. Den dritten und vierten der anstürmenden Kerle, die gleichzeitig in die Reichweite seiner Fäuste gelangten, überschüttete Tom mit einem Hagelfeuer blitzschneller Boxhiebe, die ihm Luft verschafften, damit er den An greifer Nummer Fünf unterlaufen und durch die Luft schleudern konnte. Nummer Sechs hielt es für geraten, ein Messer zu zie hen und einen mörderischen Stich gegen Toms Brust zu führen. Toms Brust befand sich aber gerade in dieser Se kunde tief unten am Boden – und im nächsten Augen blick waren die Beine des Angreifers dort, wo eigentlich der Kopf hingehörte. Der siebente Gegner hatte mehrfach versucht, Tom zu packen, mußte aber feststellen, daß dieser aalglatte Bur 143
sche sich niemals da befand, wo man zupackte. Des langweiligen Spieles müde, griff Nummer Sieben zum Colt, kam aber nicht zum Schuß, weil er zuvor einen Sal to machte, um krachend auf dem Boden zu landen und ein ausgerenktes Armgelenk zu beweinen. Der Kampf ging noch ein bißchen weiter. Dieser oder jener Gegner besann sich, daß die Reihe an ihm wäre … und wurde sorgfältig abgefertigt. Als der Boden des Wirtshauses mit Leuten angefüllt war, die fluchend und wimmernd alle möglichen Gebrechen beklagten, klopfte sich Tom gelassen die Fingerspitzen, entfernte ein un sichtbares Stäubchen vom Rockärmel und schritt ge lassen zum Schanktisch, wo das bleiche, entsetzte Ge sicht des neuen Wirtes zu sehen war. Wäre er soeben Zeuge eines Vulkanausbruches gewesen, hätte der Mann nicht entsetzter sein können. Tom hatte die Elite der Raufbolde von Tudor verprügelt … *
* *
Auf der Suche nach seinem Freund hatte Tom Prox einen Bummel durch sämtliche Wirtshäuser der Stadt gemacht. Nach und nach, durch vorsichtiges Herumfragen, erhielt er ein Bild über die Vorgänge der vergangenen Nacht, auch soweit sie den „Leoparden“ betrafen. Ein Mann namens Kennedy, also Billy Jenkins, hatte – jedenfalls nach den Darstellungen verschiedener Leute – im „Leoparden“ Krakeel geschlagen und schließlich den ehrwürdigen Sheriff Polter bedroht, als dieser auf dem Wege war, eine Verbrecherin in das Gefängnis einzu liefern. Der ahnungslose Sheriff war mit seiner Gefan genen in das Wirtshaus gekommen, um noch rasch einen 144
Whisky zu trinken, weil er von der langen Verfolgungs jagd durstig war, und geriet mitten in die Schießerei, in deren Verlauf der allseits beliebte Schankwirt Pedro er schossen worden war. Natürlich von Frank Kennedy, der nun wegen Mordes gesucht wurde. Kennedy war mit der Gefangenen, einer gewissen Juanita Alvarez, die wegen verschiedener Verbrechen den Tod verdiente, in dem entstehenden Durcheinander entkommen, weil die anwe senden anständigen und ruhigen Bürger dem berüchtigten Revolverhelden und Raubmörder nicht gewachsen gewe sen waren. Tom, der gerade eben einige dieser „anständigen und ruhigen Bürger“ von ihrer friedlichsten Seite her kennen gelernt hatte, lauschte den Darstellungen, die ihm gegeben wurden, mit freundlichem Interesse und verfehlte nicht, darauf hinzuweisen, daß auch er alle Ursache habe und den sehnlichen Wunsch verspüre, einen gewissen Frank Kennedy zu treffen, um mit ihm „einige Worte zu reden“. „Na“, sagte der mickrige Sheriffs-Vertreter, mit dem er gerade sprach, „da nehmen Sie sich nur in acht, junger Mann. Kennedy ist der gefährlichste Bursche, der sich je in unsere friedliche Stadt verirrte.“ „Ja, er ist ein schrecklicher Lümmel“, nickte Tom und seufzte. „Und wenn Sie ihn je fassen sollten, würde ich mich freuen, wenn Sie mir Bescheid sagen. Ich könnte Ihnen Dinge über den Mann erzählen, daß Ihnen die Haa re zu Berge stehen …“ Er machte, daß er davonkam; denn einer der „fried lichen Bürger“, die Tom im „Leoparden“ verprügelt hat te, hinkte gerade heran. Tom überlegte, daß er seinen Freund vorläufig in Tudor nicht zu Gesicht bekommen würde. Wenn man ihm die Erschießung des Schankwirtes in die Schuhe schob – und die Zeugen der Schießerei 145
würden natürlich falsch schwören – so konnte sich Billy Jenkins vorerst nicht in der Stadt zeigen. Tom Prox muß te also den Teil ihrer gemeinsamen Aufgabe selbst erle digen, der sich auf die Stadt Tudor bezog: Er mußte ver suchen, Verbindung zu den Leuten zu bekommen, die im Auftrage des geheimnisvollen Mister Zero Revolverhel den anwarben. Dieses draufgängerische Gesindel, bei dessen Auswahl die geheimen Werber sehr wählerisch vorgingen, wurde gut bezahlt. Es galt, herauszufinden, welche Aufgaben die so zusammengefaßten Gruppen hatten, die es – wie der Geheimdienst ermittelt hatte – bereits im gesamten Grenzgebiet gab. Während Tom durch die Straßen schlenderte und die bunten Schilder betrachtete, die vor den Holzhäusern und Bretterbuden hingen, beschloß er, gegen Abend einen erneuten Streifzug durch die Wirtshäuser zu machen. Dort würden die Agenten Zeros nach neuen Leuten für ihre geheimen Zwecke Ausschau halten … Aber Tom brauchte nicht so lange zu warten. Als er sich einmal, einer plötzlichen Ahnung folgend, umblick te, sah er hinter sich einen in braunes Leder gekleideten Mann, der sofort stehen blieb und scheinbar interessiert den Text eines Reklameschildes studierte. Bald hatte Tom herausgefunden, daß der Mann ihm folgte – doch nicht heimlich, sondern ganz offen, als suchte er nur eine diskrete Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Tom betrat eine mexikanische Teestube und nahm an einem der primitiven Tische Platz. Ein zerlumpter Land streicher saß in der Ecke und verzehrte ein kärgliches Mahl. Sonst war der kleine Raum leer. Als die Wirtin den bestellten Tee gebracht hatte, den Tom sich hütete, anzurühren, fiel ein Schatten über die Türschwelle und der Ledergekleidete trat ein. Er schien 146
hier bekannt zu sein; denn er nickte der Wirtin kurz zu und nahm dann ohne Gruß an Toms Tisch Platz. „Fremd in der Gegend?“ fragte er gemächlich und dreh te sich mit seinen tabakbraunen Fingern eine Zigarette. „Mmm … Mmmm“, machte Tom. „Keine Arbeit?“ – der andere blickte ihn durchdrin gend an. Tom grinste. „Nein – und das ist ‘n wahres Glück“, bemerkte er. „Ich mache nämlich Ferien. Ehrlich gesagt: seit ich Lau fen lernte.“ Er runzelte die Stirn. „Warten Sie mal … nein, ich hab’ inzwischen ein paarmal Holz gehackt. Und, weiß der Teufel, das hat mich jedesmal krank ge macht. – Ich bin nämlich eine sehr zarte Natur!“ fügte er grinsend hinzu. Der Ledergekleidete schien zu überlegen. „Brauchen Sie Geld?“ erkundigte er sich dann und blickte ihn lauernd an. Tom lachte. „Wenn ich welches brauche, hole ich es mir schon“, sagte er gelassen. „Warum fragen Sie so dämlich?“ Der andere räusperte sich. „Ich hab’ gehört, wie Sie im ‚Leoparden’ aufgeräumt haben, junger Mann“, sagte er anerkennend. „Schätze, das ist so die Arbeit, wie sie Ihnen liegt, was? Vielleicht hab’ ich ‘ne Beschäftigung für Sie …“ Tom tat uninteressiert. „Ich hab’ keine Lust, für irgendwen – irgendwas zu tun. Ich bin beschäftigt.“ „Ah – und was tun Sie gerade?“ „Nichts“, grinste Tom. „Ich beschäftige mich mit Nichtstun … und das ist sozusagen die beste Beschäfti gung, die es gibt.“ 147
„Nun“, erwiderte der Versucher. „Wie wäre es mit hundert Dollars für die Arbeit eines Nachmittags?“ Tom kniff ein Auge zu. Er schien zu überlegen. In sei nem Gesicht stritten, jedenfalls sah es so aus, Geldgier und Mißtrauen. Schließlich siegte die Geldgier. „Soll ich … jemanden verprügeln?“ fragte er langsam. „Nein, Sie sollen schwören“, erklärte der Fremde. „Todeinfache Sache. Sie treten in den Zeugenstand, heben die rechte Hand und schwören einen Eid … das ist alles.“ „Und dafür bekomm’ ich hundert Dollars?“ „Hundert Dollars.“ „Und ich werde dafür dann eingesperrt, was?“ „Ach wo“, sagte der Lederne. „Eingesperrt wird das Mädel.“ „Welches Mädel?“ „Juanita Alvarez, die Tochter des mexikanischen Öl königs. Wir haben sie eingefangen, aber es fehlt noch an eindeutigen Beweisen, daß ihr Vater hinter den Sabo tageakten steckt. Sie verstehen? Jedes Kind weiß, daß der ganze Ölkrieg nur von Alvarez vom Zaun gebrochen wurde. Der schmierige Mexikaner will die amerikanische Konkurrenz ausschalten und hat daher die Cowboys ge gen die Ölleute gehetzt. Nun, das wissen wir – und wir wissen auch, daß das Mädel die ganzen Attentate organi siert hat. Aber es fehlt an einwandfreien Zeugen …“ Tom nickte begeistert. „Ach, jetzt verstehe ich“, sagte er, „es geht darum, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. Na, das ist im Grun de ‘ne Sache, die mir nicht liegt. Und ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die einem anderen Spitzbuben das Genick brechen. Was aber diese schmutzigen Mexikaner anbetrifft, da mach’ ich gerne mit. Was soll ich denn schwören?“ Der Lederne blickte ihn durchdringend an. 148
„Sie sollen schwören“, sagte er eindringlich, „daß Jua nita Alvarez Ihnen fünfhundert Dollars geboten hat, wenn Sie die Ölquellen von Camp vier in die Luft spren gen. Das ist alles.“ „Und das ist ‘ne Menge; denn es ist Meineid“, brumm te Tom, scheinbar zögernd. „Aber überlegen Sie doch“, geriet der Ledergekleidete förmlich in Ekstase. „Es handelt sich darum, Schurken, deren Untaten man genau kennt, denen man aber nichts beweisen kann, ans Messer zu liefern. Dieses Mädel ist ‘ne wahre Hexe … und Sie tun ein gutes Werk. Außer dem verdienen Sie hundert Dollars bei der Geschichte. Das ist doch schon ‘ne kleine Mühe wert, wie?“ „Zweihundert“, sagte Tom, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Lederne schluckte. „Sagen wir: hundertdreißig“, schlug er vor. „Zweihundert und keinen Cent weniger.“ „Also schön“, der andere seufzte, „dann kriegen Sie eben hundertfünfzig.“ „Zweihundert“, bemerkte Tom und erhob sich, wie um die Unterredung abzubrechen. Der Mann legte ihm die Hand auf den Arm. „Sie sind ein verdammt hartnäckiger Teufel … also gut, zweihundert.“ „Abgemacht“, brummte Tom. „Wann findet die Ver handlung statt?“ „Heute nachmittag im Gerichtsgebäude gegenüber dem Gefängnis. Wie heißen Sie eigentlich – ich muß nämlich Ihren Namen angeben.“ „John Smith“, sagte Tom. „Aber Papiere hab’ ich keine.“ „Ist schon recht, das bringen wir leicht in Ordnung. Wollen Sie eine Anzahlung?“ 149
Tom schüttelte den Kopf. „Ich bin ein anständiger Mensch“, sagte er anzüglich, „und will erst bezahlt werden, wenn die Arbeit getan ist. Werden Sie der Verhandlung beiwohnen?“ „Klar“, lächelte der Lederne. „Ich bin nämlich der Hauptbelastungszeuge gegen Juanita Alvarez …“ *
* *
Es hatte eine große Sensation gegeben, als Sheriff Polter in den Morgenstunden die mit Handschellen gefesselte Juanita Alvarez durch die Straßen von Tudor führte. Tom Prox erfuhr dies nach und nach durch Befragen der ver schiedensten Leute. Die Ölarbeiter waren außerordentlich erbittert; denn nach den Angaben des Sheriffs war der „Ölkrieg“ völlig unnötig gewesen, weil – so behauptete der Sheriff nun beweisen zu können – die Attentate auf die Ölquellen nicht von Cowboys verübt worden waren. Polters In telligenz und Tüchtigkeit sei es nun zu verdanken, daß man das Geheimnis um die Attentate endlich lüften und die wahren Schuldigen zur Verantwortung ziehen könne. Polter hatte überall herumerzählt, wie es ihm – nach vielen Mühen und Gefahren (nach seinem Bericht war er ein wahrer Held im Dienste der Gerechtigkeit) – ge lungen sei, die Spur der geheimnisvollen Attentäter zu verfolgen, und diese Spur führte … In das Lager des me xikanischen Ölkönigs Alvarez. Mit vieler Mühe gelang es Polter, seine Gefangene mit heilen Gliedern ins Gefängnis zu bringen. Die erregten Ölleute hatten das Mädchen auf der Stelle lynchen wol len. 150
Um die Mittagstunde war der Platz vor dem Gefängnis schwarz von Menschen. Brüllende, fluchende, gestiku lierende Arbeiter, welche wüste Drohungen ausstießen und die Herausgabe der Gefangenen forderten. Ein Mann, der öffentlich erklärt hatte, er glaube nicht an die Schuld des Mädchens und nach seiner Ansicht sei Sheriff Polter ein Schuft, der seine eigenen Untaten nur vertu schen wolle, wurde niedergeboxt und mußte da vongetragen werden. „An den Ast mit der mexikanischen Hexe“, brüllte, tobte und heulte die Menschenmenge. Sheriff Polter, der alle diese Vorkommnisse aufmerk sam beobachtete und durch seine Agenten die Erregung laufend schüren ließ, rieb sich vergnügt die Hände. Er hätte absolut nichts dagegen gehabt, wenn die wütende Menge Juanita aus dem Gefängnis geholt und gelyncht hätte. Aber Frank Tudor hatte eine starke Abteilung sei ner Werkpolizei zum Schutz des Gefängnisses entsandt, und Polter hielt es für richtiger, den Ölkönig, dessen Einfluß er nicht unterschätzte, nicht herauszufordern. Die Werkpolizisten hatten Mühe, eine schmale Gasse freizuhalten, durch welche die Gefangene zum Gerichts gebäude geführt wurde. Das Mädchen, mit klirrenden Handschellen an den Händen, schritt hoch aufgerichtet, ohne nach links oder rechts zu sehen. Sie war bleich, aber ihre Augen blitzten unerschrocken. Um ihren feinen ro ten Mund lag ein verächtliches Lächeln. Sie machte kei ne Bewegung der Abwehr und bückte sich nicht, als die ersten Steine flogen. Ein schwerer Kiesel traf sie an der Schulter. Aber sie wendete nicht einmal den Kopf. Der Gerichtsraum war schwarz von Menschen, deren Gemurmel augenblicklich erstarb, als die schöne Gefan gene hereingeführt wurde. Die Zuhörer waren erstaunt, 151
ein so junges Mädchen vor sich zu sehen. Juanita fühlte, wie die brennenden Blicke der Männer ihre schlanke Ge stalt abtasteten. Sie hörte die anzüglichen Bemerkungen und errötete leicht. Richter Johnson eröffnete die Verhandlung und ließ die Zeugen aufmarschieren. Der Ankläger, ein finsterer Mann mit einem Magenleiden, machte es kurz und ver schwendete kein überflüssiges Wort. Ein Mann in Leder kleidung machte Aussagen, die Juanita verblüfften. Einer der Belastungszeugen nach dem anderen marschierte auf … Leute, wie aus einem Verbrecheralbum entwichen, meineidige Schurken, welche die ungeheuerlichsten Be schuldigungen erhoben. Juanita stand mit gesenktem Kopf und schien völlig geistesabwesend. Diese ganze Gerichtsverhandlung war eine einzige Komödie … ein Trick, mit dem Ziel, ihren Vater als den Schuldigen hinzustellen. Nur einmal, als einer der Zeugen, ein schmieriger kleiner Kerl mit einem Ratten gesicht, eine ganz besonders niederträchtige Behauptung aufstellte, blickte das Mädchen auf und sah den Verleum der durchdringend an. Vor diesem Blick begann der Mann zu stottern, haspelte aber seine Aussage herunter. „Bisher“, verkündete Richter Johnson und wendete sich an die Geschworenen, „ist es der Verteidigung trotz äußerster Bemühungen“, er lächelte fein, „nicht gelun gen, einen Entlastungszeugen für die Beklagte zu finden –“, der Verteidiger zuckte grinsend die Achseln, „– je doch ist in letzter Minute noch ein Belastungszeuge er schienen, ein gewisser John Smith. Mit der Einvernahme dieses letzten Zeugen können wir die Beweisaufnahme schließen und der Verteidiger hat dann das Wort.“ „John Smith“, rief der Gerichtsdiener in den Saal. Juanita blickte müde auf. Sie runzelte die Stirn, als sie 152
diesen Zeugen, der gegen sie aussagen sollte, musterte. John Smith machte keinen schlechten Eindruck. Er hatte ein offenes, ehrliches Gesicht, seine freimütige Haltung und sein ganzes Wesen ließen nicht darauf schließen, daß er zu den Menschen gehörte, die gegen Bezahlung mein eidig werden … John Smith, alias Tom Prox, trat in den Zeugenstand und antwortete auf die Fragen des Richters, seine Per sonalien betreffend. Dann hob er die Rechte und schwor, „die reine, lautere Wahrheit zu sagen, nichts zu ver schweigen und nichts hinzuzufügen …“ „Nun also“, begann der Richter das Verhör, „was ha ben Sie gegen die Angeklagte Juanita Alvarez vorzu bringen?“ Der Mann in Leder, der auf der vordersten Zeugen bank saß, neigte gespannt den Oberkörper vor und schien Tom zu hypnotisieren. Dieser lächelte leicht. „Gegen die Angeklagte – nichts!“ lautete seine über raschende Erwiderung. „Ich habe geschworen, die reine Wahrheit zu sagen, und das will ich gerne tun: Dieser Mann da –“, er deutete auf den Ledergekleideten, den Hauptbelastungszeugen, „– hat mich vor genau zwei Stunden bestechen wollen, einen Meineid zu Ungunsten der Angeklagten zu schwören …“ Der Lederne sprang auf. „Er lügt!“ schrie er in den Saal. Eine Sekunde herrschte betretenes Schweigen, dann tobte wüster Lärm durch den Saal. Der Richter war eben so betroffen wie erschrocken. Sollte in letzter Minute alles schief gehen? Vor Tagen war ihm schon seine Sus pendierung vom Amt mitgeteilt worden – morgen sollte er bereits mit einem ansehnlichen Geldbetrag unterwegs sein … Er fuhr den Zeugen scharf an: 153
„Sind Sie betrunken?“ „Nein, ehrlich“, erwiderte Tom gelassen. „Wahr scheinlich bin ich – außer der Angeklagten – der einzig ehrliche und anständige Mensch hier im Saal.“ Der Höllenlärm, der nun losbrach, war unbeschreib lich. Mit Mühe konnte Johnson die Ruhe wieder her stellen. Der Verteidiger meldete sich zum Wort, aber statt die unverhoffte Gelegenheit zur Entlastung seiner Man dantin wahrzunehmen, wendete er sich an Tom. „Die Verteidigung“, sagte er, „legt keinen Wert auf die Aussagen eines Zeugen, der entweder betrunken oder verrückt ist.“ Damit war die Maske gefallen. „Dieses Gericht“, rief Tom in den Saal, „ist ein schließlich der Verteidigung befangen, wenn nicht besto chen. Die Verhandlung ist eine Affenkomödie. Ich erklä re kraft meines Amtes die Verhandlung für geschlossen, die Angeklagte ist sofort auf freien Fuß zu setzen. Mister Johnson“, er wendete sich zu dem verdutzten Richter, „Sie sind bereits seit Tagen von Ihrem Amt suspendiert, Sie halten sich zu meiner Verfügung.“ Eine Sekunde herrschte atemloses Schweigen, dann brach wildes Gelächter los. Auch der Richter lachte, aber ihm war nicht ganz wohl dabei. „Wer sind Sie denn überhaupt, daß Sie eine solche Sprache wagen?“ erkundigte er sich. Tom Prox ließ seine Blicke durch den Saal schweifen. Er griff in die Tasche und holte ein zusammengefaltetes, mit vielen Stempeln versehenes Papier heraus und eine kleine, silbern glitzernde Medaille. „Geheimagent 803, mit besonderen Vollmachten in Tudor“, sagte er vernehmlich. „Hier ist meine Legiti mation, die mich ermächtigt, jede geeignet erscheinende 154
Maßnahme zu treffen und jede Verhaftung vorzunehmen, welche dem Intrigenspiel ein Ende setzen kann.“ Der Richter war totenblaß geworden. Er überlegte fie berhaft das Für und Wider, dann entschloß er sich, das Äußerste zu tun. „Das ist in der Tat überraschend“, sagte er vorsichtig und griff nach Papier und Medaille. Er warf nur einen kurzen Blick auf die Legitimation, von der er wußte, daß sie echt war. Dann zwang er sich zu einem Lachen und – zerriß blitzschnell das Papier. Die Medaille steckte er in die Tasche. „Nehmt diesen Kerl fest“, rief er den Ge richtsdienern zu. „Ein ganz unverschämter Dokumenten fälscher und Schwindler …“ Der erste Gerichtsdiener flog über den Richtertisch und riß Johnson von seinem Stuhl. Den zweiten An greifer feuerte Tom in die Barriere, wo er zwischen zer splitterten Holzstreben stöhnend liegen blieb. Tom hob den Fuß und trat den dritten Gegner in den Leib. In die sem Augenblick erhielt er einen furchtbaren Hieb rück lings über den Kopf, der ihn augenblicklich zu Boden warf. Als er wieder zu sich kam, hatte sich die Verwirrung im Gerichtssaal geordnet und die Verhandlung ging wei ter. „Wir haben jetzt“, erklärte der Anhänger, „an Stelle einer Angeklagten … deren zwei, und ich höre soeben von dem ehrenwerten Sheriff Polter, daß es sich bei die sem John Smith ausgerechnet um die Person handelt, welche nach seinen Ermittlungen die Raffinerie in die Luft gesprengt hat.“ Erregtes Gemurmel erhob sich. „Sheriff Polter“, wendete sich der Ankläger mit feier licher Stimme an den Sheriff, „sind Sie in der Lage, diese 155
gegen John Smith erhobene Beschuldigung zu bewei sen?“ „Natürlich“, sagte Tom trocken. Vereinzeltes Gelächter, dann, auf den Wink des Rich ters hin, trat wieder Ruhe ein. Sheriff Polter trat in den Zeugenstand. „Ich wollte“, sagte er vernehmlich, „nur sehen, wie weit die Frechheit dieses John Smith ging. Die Zeugen habe ich mitgebracht …“ „Pro Stück hundert Dollar“, brummte Tom. „Und dieser John Smith“, fuhr der Sheriff unbeirrt fort, „ist In gleichem Maße schuldig wie Juanita Alvarez.“ Es ging wie auf der Bühne eines Schmierentheaters zu. Tom Prox wurde angeklagt, der Verteidiger redete zehn Minuten lang wirres Zeug, dann zogen sich die Ge schworenen zurück. „Schuldig der vorsätzlichen Brandstiftung, der vor sätzlichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, des vielfachen Mordes, der Anstiftung zum Bürgerkrieg …“, las Richter Johnson den „Wahrspruch“ der Geschwo renen vor und sprach anschließend, nach kurzer Beratung mit seinen Beisitzern das Urteil: „Todesstrafe durch Er hängen.“ In diesem Augenblick öffnete sich die Saaltür und Frank Tudor trat ein. Der Ölkönig blickte sich mit blit zenden Augen im Saal um und seine schneidende Stim me füllte den Raum. „Ich habe gehört“, sagte er laut, „daß hier Todesurteile ausgesprochen wurden von einem Richter, der suspen diert ist. Das ist gegen das Gesetz. Ich protestiere gegen den Urteilsspruch und werde nichts unversucht lassen, die Vollstreckung zu verhindern.“ Richter Johnson blickte Tudor feindselig an. 156
„Sie befinden sich hier vor den Schranken eines ordent lichen amerikanischen Gerichtes“, sagte er gelassen. „Und da Sie nicht auf der Zeugenliste stehen, ersuche ich Sie, den Saal zu verlassen, sonst lasse ich Sie festnehmen.“ „Gericht?“ schrie der Ölkönig grollend. „Es wird Zeit, daß über dieses Gericht – zu Gericht gesessen wird. Ich werde den Militärgouverneur verständigen …“ Richter Johnson erhob sich. Er wechselte mit den Bei sitzern ein paar geflüsterte Bemerkungen, dann blickte er Frank Tudor böse an. „Frank Tudor“, sagte er mit zynischem Lächeln. „We gen Verächtlichmachung des Gerichtes, wegen Störung einer Gerichtsverhandlung, wegen Drohung und Nöti gung verurteile ich Sie im Schnellverfahren zu einer Geldbuße von dreitausend Dollar. Die Verhandlung ist geschlossen.“ Die beiden Gefangenen wurden abgeführt. Auf dem Wege zum Gefängnis hagelte es Steine und Verwünschungen. Tom Prox war schwer gefesselt. Man sperrte ihn in die Zelle neben Juanita. Sie konnten sich durch das Gitter unterhalten. „Ich danke Ihnen für ihr tapferes Eingreifen“, sagte Juanita; „doch nun sitzen wir beide in der Klemme.“ Tom rieb sich die Nase. „Ja, scheußlich“, sagte er brummig. „Dachte nicht, daß Johnson soviel wagen würde. Ich wette, morgen ist der gesamte sogenannte Gerichtshof über die mexikanische Grenze.“ Juanita blickte ihn traurig an. „Und wir?“ sagte sie leise. Tom antwortete nicht; denn er wußte, daß die öffent liche Hinrichtung in zwei Stunden erfolgen sollte … 157
Sechstes Kapitel Es war in den Morgenstunden, die Sterne funkelten am wolkenlosen Himmel nur noch vereinzelt und matt. Wei ße Nebel ballten sich gespenstisch über dem feuchten Erdboden. Billy Jenkins hatte eine ungemütliche Nacht verbracht. Petes Leute hatten ihn so gründlich gefesselt, daß er nicht die geringste Bewegung machen konnte. Bei der Kühle der Nacht war das sehr unangenehm. Die Beine schliefen ihm ein und er konnte nicht verhindern, daß die Zähne vor Kälte klapperten. „Hast wohl Angst?“ fragte im Morgengrauen einer der Wächter. Jenkins lächelte. „Sei still, du mexikanischer Waldzwerg“, sagte er ge lassen. „Mir ist kalt.“ Der Wächter schmunzelte. „Besser kalt, als kalt gemacht“, sagte er philosophisch. „Für einen Mann in deiner Situation bist du verdammt frech. Pete hat heute nacht erfahren, daß du Billy Jenkins bist … und ich möchte nicht in deiner Haut stecken, mein Junge.“ „Die dir wahrscheinlich auch gar nicht zu Gesicht ste hen würde“, bemerkte Billy. „Wie hat er’s heraus gefunden?“ „Zero weiß alles, nichts entgeht ihm! Und du warst nicht so unverschämt, wenn du nicht wüßtest, daß der Chef dich lebend in die Finger bekommen will. Aber das wird kein Vergnügen für dich sein. Neulich hat er einen unserer Leute, der auf Posten geschlafen hatte, bis auf die Knochen peitschen lassen. Du kannst dir vorstellen, was d i r blüht …“ 158
„Ich kann’s mir vorstellen“, sagte Billy. Hufschlag klang durch den Nebel und Pete erschien. Er brachte sein dampfendes Pferd zum stehen. „Los, auf die Pferde, ihr faules Gesindel“, befahl er. „In Tudor geht alles planmäßig. Wir werden hier nicht mehr gebraucht.“ Die Leute rannten durcheinander und pflockten die Pferde los. Jemand band Jenkins Beine los und befahl ihm, aufzustehen. Die Füße versagten ihm den Dienst, aber nach kurzer Zeit war der Blutkreislauf wieder in Gang. Man legte ihm eine Lassoschlinge um die Brust und einer der Reiter nahm das Ende des Seils in die Hand. Die Pferde trabten an. Wohl oder übel mußte Jen kins laufen. Fiel er hin, so wurde er nachgeschleift … und das war bei dem steinigen Boden der sichere Tod. Also nahm er alle seine Kräfte zusammen und bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er achtete darauf, daß das Seil leicht angespannt blieb, so daß er nur die Beine zu bewegen brauchte, während das Seil ihn vor wärts zog. Das sparte Kräfte. Zum Glück galoppierten die Leute nicht, sondern trabten gemächlich über den Weg, der zur Grenze führte. Er war stark erschöpft, als sie das Lager erreichten, das er schon einmal nachts aufgesucht hatte, um Zero zu belauschen. Vor dem großen Zelt des Banditenfüh rers hielt die Kavalkade und Pete rief laut nach Zero. Jenkins wunderte sich, warum Pete auch hier die Ge sichtsmaske trug. Auch Zero war maskiert, als er vor das Zelt trat. „Ich hab dir ein kleines Geschenk mitgebracht, Chef“, sagte Pete selbstgefällig. „Schau dir’s mal an.“ Die dunklen Augen des Bandenführers blitzten durch die Sehschlitze der Maske. Er brummte erfreut. 159
„Ah, Mister Kennedy“, sagte er. „Das ist aber eine Freude …“ „Nicht wahr?“ erwiderte Billy trocken. Pete warf sich in die Brust. „Die Freude wird noch größer sein, wenn du hörst, wer dieser Kennedy in Wirklichkeit ist … Billy Jenkins.“ Zero stand einen Augenblick schweigend. Dann stieß er hörbar den Atem aus. „Wenn das so ist“, sagte er langsam, „dann wollen wir uns ein kleines Fest machen. Hängt ihn zunächst mal auf, an einer Hand, wie es die Indianer machen, damit er ei nen kleinen Vorgeschmack der Freuden bekommt, die ihn erwarten.“ Zero beobachtete mit satanischer Genugtuung, wie seine Leute Jenkins packten und zu einer nahen Eiche schleppten, dem einzigen Baum der Lichtung. Rasch war ein Strick über einen Ast geworfen. Man löste den linken Arm Jenkins’ aus den Fesseln und legte eine Schlinge um sein Handgelenk. Dann wurde er in die Höhe gezogen. Mit gestrecktem Arm hing er nun, die Füße dicht über dem Boden. Die ersten Minuten bereiteten keine be sondere Pein, aber allmählich erlahmten die Armmuskeln und die Schmerzen begannen, die sich zu ungeheuren Qualen steigerten. Billy Jenkins hatte nach fünf Minuten das Empfinden, als würde ihm der Arm aus den Gelenken gerissen. „Laßt ihn eine Stunde so hängen“, befahl Zero, „dann hängt ihn am anderen Arm auf. Inzwischen könnt ihr das Feuerchen anzünden und die Pflöcke einschlagen …“ Mit diesen freundlichen Bemerkungen entfernte sich der Mann, der den Ehrgeiz hatte, Präsident von Mexiko zu werden. Jenkins biß die Zähne aufeinander und unterdrückte 160
ein Stöhnen. Die beiden Wachtposten unter ihm spielten Karten und blickten gelegentlich grinsend herauf. Er hielt ihnen das Gesicht zugekehrt. Der rechte Arm war ihm auf den Rücken gefesselt, und als Jenkins – der in bezug auf Entfesselungskünste ein Meister war – wechselweise die Muskeln anspannte, spürte er zu seiner Erleichterung, wie sich die Schlingen langsam lockerten. Der linke Arm schmerzte teuflisch, aber die Möglich keit zur Befreiung, die sich da wunderbarerweise bot, verdoppelte die Kräfte des Gefangenen. Nach drei Minu ten hatte er den rechten Arm aus den Schlingen. Er griff in die hintere Tasche seiner Reithose, wo er ein kleines Taschenmesser wußte, daß seine Gegner, als sie ihn über wältigten, nicht bemerkt hatten. Jenkins blickte aufmerksam über die Lichtung. In ei ner Mulde waren drei Kerle damit beschäftigt, Pflöcke einzuschlagen und Brennholz zusammenzutragen. Längs des Waldrandes saßen kleine Gruppen von Männern beim Kartenspiel. Niemand schaute her. Er hob blitzschnell die Rechte und schnitt das Seil durch. Federnd landete er auf dem Boden. Da sein linker Arm wie gelähmt war, mußte er die beiden Wächter mit der Rechten erledigen … und tat das rasch und gründlich. Den einen der Wächter legte er durch einen Kinn haken auf den Rücken, den anderen packte er bei der Kehle und stieß ihn zu Boden. Ein Hieb an die Schläfe beendete das Strampeln des Mannes. Auf der Lichtung hatte man die Geschehnisse noch immer nicht bemerkt. Langsam geriet das Blut in dem schmerzenden Arm wieder in Wallung und Billy konnte die Finger bewegen. Er entdeckte an einem der Wächter seinen Revolvergurt und schnallte ihn um. Dann nahm er dem Bewußtlosen das Lasso ab, fesselte ihn – wobei er 161
die Lichtung scharf beobachtete – und warf das Ende des Lassos über den Ast, an dem er noch eben gehangen hat te. Rasch war eine Schlinge um das Handgelenk des Me xikaners gelegt und Jenkins zog den Mann, nachdem er ihn geknebelt hatte, in die Höhe. Als die Leute, die das Feuer entzündeten, einmal he rübersahen, schöpften sie keinen Verdacht … denn noch immer hing da eine Gestalt an dem Baum, die sie natür lich für Jenkins hielten. Jenkins knebelte nun auch den anderen Wächter. Als er aufblickte, sah er Zero vom Zelt her quer über die Lichtung kommen. Der Bandenführer war in Be gleitung Petes, der sein Pferd am Zügel mit sich führte … Jenkins Pferd. „Du wirst“, waren die an Pete gewendeten Worte des Bandenführers deutlich zu hören, „in Tudor bleiben, bis die Grenzzwischenfälle planmäßig ihren Anfang nehmen. Wir werden die Regierung zwingen, Truppen an die Grenze zu werfen … und dann schlagen wir los. Sieh zu, daß du Tudor erledigen kannst. Er ist uns im Wege – .“ Er bog um das Gebüsch und blickte in die Mündung von Jenkins Revolver. Die beiden Männer hoben zögernd die Hände. „Setzt euch ein wenig zu mir“, sagte Billy gemütlich, aber sein Finger spannte sich am Abzugsbügel. Die beiden gehorchten augenblicklich. „Wir wollen ein wenig plaudern“, erklärte Billy. „Zu nächst einmal meinen verbindlichen Dank, bester Pete, daß du mir mein Pferd brachtest. Wirklich zu auf merksam!“ Zero betrachtete seinen Widersacher durch die Schlit ze der Maske nicht ohne Anerkennung. „Es ist schade, daß Sie unser Gegner sind, Mister Jen 162
kins“, sagte er dumpf. „Wirklich schade – bei Ihren Fä higkeiten. Aber, vielleicht läßt sich ein Arrangement tref fen? Ich biete Ihnen zwanzigtausend Dollar, wenn Sie in meine Dienste treten und ernenne Sie bei einem Jahres gehalt von elftausend mexikanischen Dollar zum Leiter meines Geheimdienstes.“ Jenkins schmunzelte. „Besten Dank für das Angebot, doch ich bin schon vergeben. Wie wäre es, wenn ich Sie jetzt niederschieße und damit die mexikanische Revolution ihres Führers beraube?“ „Schlechte Idee“, brummte Zero. „Sehr schlechte Idee.“ „Es genügt mir aber“, fuhr Jenkins ruhig fort, „einen Blick in Ihr Gesicht zu werfen, bester Herr … nehmen Sie die Maske ab.“ „Schön“, sagte Zero. „Also fünfzigtausend Dollar.“ „Ich bin nicht käuflich. Nehmen Sie die Maske ab.“ „Hunderttausend.“ „Meinetwegen zehn Millionen“, erwiderte Jenkins. „Maske herunter, oder es knallt …“ Er griff nach dem Gesicht Zeros, aber in diesem Au genblick bohrte sich eine runde Mündung in seinen Na cken, und als sich Jenkins vorsichtig umwendete, sah er hinter sich einen Mexikaner stehen. „Ich fürchte“, sagte Zero seufzend zu Jenkins, „daß Sie es bedeutend billiger machen werden. Der nette Herr hinter Ihnen heißt Miranda und ist einer meiner besten Schützen.“ „Zur Seite treten – Revolver fallen lassen“, forderte Miranda. Jenkins trat zur Seite und ließ den Revolver fallen. Aber im gleichen Augenblick warf er sich vornüber zu Boden, seine gespreizten Beine umklammerten die 163
Fußgelenke Mirandas … eine rasche Drehung des Kör pers – und der Mexikaner flog kopfüber in das Ge büsch. Krach… Noch im Fallen hatte Miranda geschossen. Zero und Pete warfen sich in Deckung. Jenkins ergriff den Colt und mit einem Tigersatz war er im Sattel seines Pferdes und gab ihm die Sporen. Im Lager wurde es sofort lebendig. Ein Posten legte den Karabiner an und eröffnete ein wildes Schnellfeuer auf Jenkins. Dieser trieb das Pferd über die Lichtung und war im nächsten Augenblick auf dem Waldpfad … *
* *
„Sachte, sachte“, brummte Tom Prox. Die rohen Fäuste, die ihn vorwärts stießen, rissen ihm das Hemd von der Schulter. Ein Gewehrkolben fuhr schmerzhaft in seine Seite, und die beiden Leute, die sei ne Arme gepackt hielten, fluchten auf die johlenden Männer zu beiden Seiten der schmalen Gasse zwischen der Menschenmenge. Prox biß die Zähne zusammen und bemühte sich, nicht auf Juanita zu sehen, die vor ihm durch die Gasse des Hasses geführt wurde. Gierige Finger hatten, über die Wächter hinweglangend, Bluse und Rock zerrissen. Eine blutige Kratzspur zog sich über ihre Schulter. Das dunkle Haar war zerzaust. Auf der Mitte des Platzes war ein Doppelgalgen er richtet worden, der aus zwei hohen Pfählen bestand, über welche ein schwerer Balken genagelt war. Von starken Haken hingen zwei Stricke herab, die schon in die rich 164
tige Länge gebracht waren. Die Schlingen baumelten im leichten Windzug. Unter den Schlingen wurden zwei Pferde von starken Fäusten gehalten … Wie im Traum hörte Juanita die höhnischen Bemer kungen und zweideutigen Zurufe, halb betäubt von Scham und Empörung spürte sie den eisenharten Griff ihrer Wächter, die Berührung der aus der Menge hervor langenden krallenartigen Finger, welche die letzten Fet zen ihrer Bluse herunterreißen wollten. Jetzt führte man sie unter das Gerüst. Sie warf einen Blick auf die heulende, tobende Menge, aus der gierige Augen auf sie starrten, und schloß schaudernd die Au gen, als sie die Schlinge sah, die man ihr zugedacht hat te. „Na“, sagte die grimmige Stimme Toms, der soeben neben sie gestoßen wurde. „Das ist ja eine schöne Lum perei.“ Er flüsterte dicht an ihrem Ohr: „Haben Sie keine Angst . . es ist nicht das erstemal, daß ich Handschellen aufbekommen habe. Wenn ich ‚jetzt’ sage, schlagen Sie auf das Pferd ein und reiten mit mir zusammen mitten unter die Menge … aber halten Sie sich fest, damit Sie nicht aus dem Sattel gezogen werden …“ „Was gibt’s denn da noch zu flüstern?“ fragte die scharfe Stimme des Henkers, eines stiernackigen Kerls. „Darf ich noch eine Zigarette rauchen?“ „Genehmigt“, sagte Richter Johnson, der neben dem Gerüst wartete. Tom Prox blickte Juanita bedeutungsvoll an. „Schätze, die junge Dame hat ebenfalls Appetit auf ‘ne Zigarette“, sagte er vernehmlich. Juanita nickte. Sie wußte zwar nicht, was Tom Prox damit bezweckte, weil er aber ein Auge unmerklich zu 165
sammenkniff, spürte sie eine leichte Hoffnung, alles könne sich noch zum Guten wenden. Bald sollte sie sehen, was ihr Leidensgefährte be zweckte: man nahm ihnen die Handschellen ab, damit sie rauchen konnten. Da ringsum der Platz von Menschen angefüllt war, konnte man das riskieren, obwohl Tom schon einmal bewiesen hatte, daß er über außergewöhn liche Kräfte verfügte. „Hängen, hängen, hängen …“, schrien wütende Stim men aus den hinteren Reihen. „Wir können ja nichts se hen … auf die Pferde mit den beiden …“ Tom kletterte in den Sattel und Juanita folgte seinem Beispiel. Sie konnten jetzt die Menge gut übersehen. Ei genartig, daß Menschen so vergnügt, geradezu in Fest tagsstimmung auf den Tod zweier Mitmenschen warten konnten … angeekelt schloß das Mädchen die Augen, und als sie wieder öffnete, hielt man ihr eine Zigarette hin. Tom gab ihr Feuer, dann hob er sich etwas im Sattel, um eine merkwürdige Ansprache zu halten. „Geschätzte Anwesende“, rief er laut über den Platz, und das Gemurmel erstarb. Man war gespannt, was die ser freche Kerl noch zu sagen hatte … dieser seltsame Bursche, der noch angesichts des Todes mit sichtlichem Vergnügen eine Zigarette rauchte. „Werte Bürger von Tudor“, klang Toms schneidende Stimme über den Platz. „Spitzbuben, Halunken und Dummköpfe – in meinem ganzen Leben hab’ ich nicht so viele dämliche Gesichter auf einem Haufen gesehen wie hier“ – drohendes Gemurmel erhob sich – „aber in einer Beziehung muß ich euch meine Anerkennung ausspre chen: Es ist eine verdammt tüchtige Leistung von euch, ein junges, hilfloses Geschöpf wie dieses Mädel hier“, er deutete auf Juanita, „vom Leben zum Tode zu bringen. 166
Alle Hochachtung – ihr seid tapfere Kerls, daß ihr so et was zuwege bringt.“ Er unterbrach sich und seine Augen verengten sich. Er hatte am äußersten Rande der Menschenmenge etwas gesehen, was ihn gleichzeitig verblüffte und mit einer wilden Hoffnung durchzuckte. Von seinem erhöhten Standort im Sattel aus konnte er sehen, was den meisten entging, und was sie nur an dem lauter werdenden Flu chen und Schreien hören konnten. Ein einzelner Reiter war in voller Karriere in die Men ge eingebrochen und hatte sein Pferd hochgerissen, das, mit den Vorderhufen wild auskeilend, sich im Kreise drehte. „J e t z t …“, rief Tom dem Mädchen zu. Gleichzeitig schlugen sie auf die Pferde ein, die mit einem Satz mitten in der Menge waren. Tom riß seinen Gaul auf die Hinterhand und ließ ihn auskeilen. Das Pferd, durch die wilden Schreie aus der Menge scheu ge worden, keilte wütend vorn und hinten aus. Juanita, eine vorzügliche Reiterin, hatte die Chance erkannt und folgte seinem Beispiel. Sie ließ ihren Gaul auf der Hinterhand kreisen und hatte im Nu einen Kreis geschaffen. Die vor Wut rasenden Männer ringsum hatten ihre Schußwaffen gezogen, wagten aber nicht zu schießen, weil sie unfehlbar ihre eigenen Leute treffen mußten. Der fremde Reiter, der von außen in die Menge eingebrochen war, schwang einen schweren Knüppel und schlug rück sichtslos auf die Leute ein, die nicht zurückweichen woll ten oder konnten. Sein Pferd wirkte wie ein Keil und trieb, dauernd aufbockend und sich drehend, die Menge auseinander. Das ganze spielte sich so rasch ab, daß die Masse der Männer kaum begriff, was sich eigentlich abspielte. Die 167
auf der anderen Seite standen, sahen zwar die Pferde, die sich aufbäumten, konnten aber nichts unternehmen. Und die in der Nähe stehenden waren den schlagenden Hufen ausgesetzt, drängten also, um ihre Haut zu retten, nach außen, während die anderen, in dem Bestreben, die Flucht der Gefangenen zu verhindern, nach innen dräng ten. So gab es ein wildes Durcheinander von Leibern, ein Brüllen und Schreien – die von den Hufen Getroffenen heulten auf vor Schmerz und Wut … und Billy Jenkins, der von außen in die Menge eingebrochen war, schlug unaufhörlich mit seinem Knüppel auf die Leute ein. Der Masse wurde ihre Zahl zum Nachteil. Keiner der Leute konnte sich frei bewegen. Es wäre ein leichtes ge wesen, die Reiter aus dem Sattel zu ziehen … weil die Männer aber so brüllten, waren die Pferde wild ge worden. Sausende Hufe sind wie Schmiedehämmer. Je der versuchte sich zu schützen. Prox hatte Juanita, so gut es ging, Hilfe geleistet. Fast gleichzeitig erreichten sie die Gasse, die Jenkins gebahnt hatte und kämpften sich zum äußeren Rande der Menge durch. Sie setzten über gestürzte Leiber hinweg. Der gefährliche Teil war die Flucht über die Straße, wo vereinzelte Kerle, die schlau genug gewesen waren, mit angeschlagenem Colt bereit standen, um die Flüch tenden, sobald sie vorbeiritten, niederzuschießen. In der Richtung der Menschenmenge konnten sie nicht feuern, ohne ihre eigenen Leute zu treffen … aber in dem Augenblick, da die Fliehenden vorbeiritten, hatten sie freies Schußfeld. Während sie die Straße erreichten, hatte Jenkins dem Freunde mit rascher Bewegung zwei Revolver zugewor fen, die Prox geschickt auffing und sofort in Tätigkeit setzte. Die Colts in den Fäusten der beiden Männer spie 168
en so schnell die Kugeln heraus, daß es sich wie Maschi nengewehrfeuer anhörte. Sie nutzten die Situation aus, daß die Wartenden nicht eher schießen konnten, ehe sie vorbei waren . und setzten die Schützen durch blitzschnelle Schüsse außer Gefecht. Als in dem wilden Durcheinander endlich ein paar Dutzend Reiter die Verfolgung der Flüchtenden auf nahmen, war es zu spät. Jenkins, Prox und Juanita Alva rez jagten längst über die Ebene in Richtung zur KirbyRanch … *
* *
Etwa um die gleiche Zeit hatte Frank Tudor auf völlig ausgepumptem Pferd Bilford erreicht. Der Ölkönig war erbittert und niedergeschlagen. Wie ein entthronter Fürst hatte er sein Reich auf geheimen Wegen, von einer klei nen Schar Getreuer begleitet, verlassen müssen. Die letzte Hoffnung, telegrafisch Soldaten herbeirufen zu können, war gescheitert. Das Postoffice war von ge heimnisvollen Leuten besetzt, die ein wildes Feuer auf Tudor eröffneten, als dieser in Begleitung zweier In genieure die Straße entlanggeritten kam. Mit Mühe und Not waren sie dem Kugelregen entkommen. Noch zweimal an diesem Nachmittag wurde auf den Ölkönig geschossen, und jedesmal entging er wie durch ein Wunder der Kugel. So hatte er sich entschlossen, ei nen reitenden Boten nach Bilford, der nächsten Tele grafenstation zu schicken, aber der Mann war, noch ehe er den Stadtrand erreichte, aus dem Sattel geschossen worden. Jetzt entschloß sich Frank Tudor zu raschem Handeln. 169
Er sammelte ein Dutzend seiner zuverlässigsten Leute und erkämpfte sich gewaltsam den Weg aus der Stadt. Nach einem erbitterten Feuergefecht auf der Straße ge lang die Flucht – – und nun hatten die erschöpften Reiter Bilford erreicht. Es war um die Minute, da die zum Tode Verurteilten in der Ölstadt zum Hinrichtungsplatz geführt wurden. Oberst Powell, der neue Sheriff von Bilford, war ge rade in der Telegrafenstation, als Tudor eintrat. Er sah dem Ölkönig verwundert entgegen. „Das ist aber ein seltener Besuch“, sagte er verblüfft. „Der Ölfürst persönlich … Wollen Sie uns Waffen stillstand anbieten? Das ist nicht mehr nötig. Wir haben schon gehört, daß die verdammten Mexikaner den Ölkrieg entfesselt haben.“ „Ich komme, um eine Depesche aufzugeben“, erklärte Tudor. „In meiner eigenen Stadt bin ich nämlich meines Lebens nicht mehr sicher.“ Er berichtete Oberst Powell über die Ereignisse des Tages und über die seltsame Gerichtsverhandlung. Der Oberst schwieg merkwürdig lange. Dann blickte er Frank Tudor voll an. „Es ist ein niederträchtiges Spiel, das da im Gange ist“, sagte er. „Aber ich fürchte, wir können nichts unter nehmen.“ „Warum denn?“ begehrte Tudor auf. Powell zuckte die Achseln. „Weil seit heute nachmittag drei Uhr sozusagen Kriegszustand zwischen Amerika und Mexiko besteht“, sagte er finster. „Starke Abteilungen mexikanischer Truppen haben bei Vascale die Grenze überschritten und stoßen in diesem Augenblick in Richtung auf Bilford vor. Eine Schwadron Grenzpolizisten leistet den ersten Wi 170
derstand, wird aber zurückweichen müssen. Ich habe Dutzende reitender Boten unterwegs, um so etwas wie eine Bürgerwehr auf die Beine zu bringen.“ Der Ölkönig war entsetzt. „Und was sagt Washington dazu?“ Oberst Powell biß sich auf die Lippen. „Hier lesen Sie selbst die Antwortdepesche der Re gierung auf meinen telegrafischen Bericht. Die Depesche kam soeben an …“ Völlig verstört las Frank Tudor von dem Papierstreifen des Fernschreibers ab: „An Sheriff Powell, Bilford STOP Bestätigen Ihre Depe sche betreffs Grenzverletzung und Angriffshandlungen durch Truppen der mexikanischen Armee STOP Ähnli che Grenzzwischenfälle finden gegenwärtig längs der gesamten mexikanischen Grenze statt STOP Unterstüt zung durch Einheiten der Grenzpolizei daher vorerst fraglich, da Stützpunkte gesichert werden müssen STOP Organisieren Sie bis zum Eintreffen von Verstärkungen eine Bürgerwehr STOP Ernenne Sie zum provisorischen Militärkommandanten des Distrikts Tudor-Bilford mit allen Vollmachten STOP Verhängen Sie Ausnahmezu stand und werfen Sie wenn möglich angreifende mexika nische Truppen über die Grenze STOP Hutchinson, Ma jor-General.“ Frank Tudor blickte auf und schüttelte den Kopf. Er ließ den Papierstreifen auf den Tisch fallen. „Das ist ja unglaublich … Krieg mit Mexiko?“ „Krieg mit Zero“, erwiderte Powell. „Ich esse meinen Hut, wenn die Bande, die über die Grenze gekommen ist, wirklich eine reguläre Truppeneinheit ist. Das sind Revo lutionäre, Herr … und wenn mich nicht alles täuscht, se hen wir unruhigen Zeiten entgegen.“ 171
„Was haben Sie zurücktelegrafiert?“ fragte Tudor. „Nichts – der Draht ist unterbrochen. Wir müssen uns un serer Haut wehren. Kommen Sie mit ins Hauptquartier …“ Als sie auf die dunkle Straße hinaustraten, donnerten die ersten Reitertrupps in die Stadt. Von allen umliegen den Ranchs und Farmen hatte Powell Hilfe angefordert. Und die Rancher und Farmer schickten alle Leute, die sie irgendwie entbehren konnten. Das „Hauptquartier“, das Haus des Sheriffs, war von Berittenen umlagert. Powell hatte ein Dutzend zuver lässiger Leute kurzerhand zum „Colonel“ befördert und diese wiederum hatten rasch einen Stab von Unterführern ernannt. Es mußte schnell gehen, daher wurde auf zeit raubende Formalitäten verzichtet. Ein Adjutant Powells verteilte die eintreffenden Trupps der Cowboys auf die einzelnen Colonels, die wiederum Gruppen bildeten. Keine zwei Stunden waren vergangen, als schon eine ansehnliche Streitmacht ver sammelt war, die nun bewaffnet wurde. Powell war froh über die Maschinengewehre … die Waffen der Schmuggler, welche Tom Prox beschlagnahmt hatte. Zwanzig Maschinengewehre nebst der dazu gehörigen Munition stellten eine gewaltige Feuerkraft dar. Bald hatte Powell über zweihundert Reiter zusammen und bildete zwei große Gruppen. Er übernahm den Ober befehl der einen Gruppe und ernannte Frank Tudor zum Befehlshaber der zweiten. Irgendwoher tauchte eine Trompete auf, deren schmetternder Ruf Bewegung in die Reiter brachte … *
* * 172
Zwischen Washington und Mexiko-City summten die Drähte. Dringende Depeschen flogen hin und her, Noten wurden gewechselt, bis sich schließlich die amerikani sche Regierung entschloß, ultimative Forderungen zu stellen. Daraufhin antwortete die mexikanische Regierung: „Die Regierung der mexikanischen Republik drückt ihr außerordentliches Bedauern und ihre Bestürzung aus über die eigenmächtigen und unverantwortlichen An griffshandlungen gewisser Garnisonen der mexika nischen Armee, betont aber, daß es sich bei den be waffneten Banden, welche die amerikanische Grenze überschritten haben, nicht um reguläre Truppen handelt, sondern um offensichtlich in aller Eile zusammengeraffte Verbände des unter dem Namen ‚Zero’ bekannten mexi kanischen Revolutionärs. Angesichts der …“ Dann schwiegen die Drähte zwischen USA und Mexi ko. Die Revolutionäre hatten die wichtigen Kabel verbindungen durch Sabotage unterbrochen. Die verein zelten alarmierenden Meldungen, die aus Mexiko – stark übertrieben – durchsickerten, sprachen bereits von einem Sturz der Regierung, von offener Empörung in den Grenzgebieten und von einer gewaltigen Armee der Re volutionäre, welche im unaufhaltsamen Vormarsch auf die Hauptstadt sei. Die amerikanischen Stellen beschränkten sich darauf, die Grenze zu sichern und schickten eiligst Verstärkun gen in die bedrohten Gebiete. Als die Verstärkungen eintrafen, war die Ruhe und Si cherheit in jenen Gebieten jedoch schon wiederher gestellt. Der geheimnisvolle Mister Zero hatte eine Re volution vorgetäuscht, die in Wirklichkeit erst im Ent stehen begriffen war. Er hatte erreicht, daß die gegenwär 173
tige mexikanische Regierung in aller Eile starke Trup penverbände an die Grenze warf … und diese ein treffenden Truppen wurden sofort in mörderische Ein zelgefechte verwickelt. Zero war ein ausgezeichneter Stratege. Er wußte, daß seine Revolutions-Armee nicht stark genug war, die Staatsgewalt zu brechen … aber er konnte sie langsam unterminieren – – . Zug um Zug handelte er nach seinem großangelegten Plan. Er griff längs der Grenze amerikanische Städte an und lockte die Verteidiger, welche die Angreifer ver folgten, über die Grenze … wo sie mit den gerade ein treffenden Regierungstruppen zusammenprallten, und nicht mit den Revolutionären, die sich seitlich aus dem Staube machten. Die Grenzzwischenfälle erhielten ein bedenkliches Bild. Überall war die Bürgerwehr von amerikanischer Seite unterwegs, um die mexikanischen Banden zurück zuschlagen. Nicht so diszipliniert und überlegt wie rich tige Offiziere, scheuten die Führer der Bürgerwehr die Grenzverletzung nicht … und rasselten mit den echten mexikanischen Truppen zusammen, die ihrerseits im Recht waren, wenn sie die amerikanischen Angreifer auf amerikanisches Gebiet zurückwarfen. Es zeugte für die teuflische Organisationsgabe Zeros, daß dieses Vorhaben in den verschiedensten Grenzgebieten gelang. Wie ein schwelender Brand fraß sich die Flamme der Empörung durch Mexiko. Ganze Provinzen, über raschend von den Regierungstruppen entblößt, fielen kampflos in die Hände der Aufständischen, die auch von Süden her und besonders im Gebirge an Boden ge wannen. In jenen Tagen waren die Nachrichtenverbindungen nicht so dicht wie heute, konnten durch einfaches Durch 174
schneiden von Drähten unterbrochen werden. Dieses Fehlen von Nachrichten ließ den Überblick verloren gehen und es geschah, daß man in der Hauptstadt des Landes noch mit Garnisonen rechnete, die in Wirklich keit längst nicht mehr bestanden. Besonders das Gebiet längs der amerikanischen Gren ze glich einem Hexenkessel, in dem es nur einen ruhigen Pol gab: Santa Madre, die Ölstadt. Don Alvarez, der me xikanische Ölkönig, war wie ein Fels in der Brandung der Revolution. Es fehlte nicht an Stimmen, die diesen undurchdringlichen Großindustriellen mit der Revolution in Verbindung brachten. Aber es war eine Tatsache, daß Santa Madre frei von Revolutionären war, nachdem die von Don Alvarez gebildete Miliz rasch und gründlich aufgeräumt hatte. Nach den sinn– und zwecklosen Zusammenstößen mit mexikanischer Bürgerwehr, endlich den teuflischen Trick Zeros erkennend, hatten sich die Einheiten der mexikani schen Regierungstruppen auf Santa Madre zu rückgezogen. Es hatte zum großen Revolutionsplan Ze ros gehört, daß diese Truppen von Hunderten Agenten der Revolution zersetzt, aufgewiegelt und zum Überlau fen in die Reihen der Revolutionsarmee gebracht wurden. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Die Armee war stabiler, als der Revolutions-General angenommen hatte. Zero wurde durch diese Entwicklung nicht überrascht. Er hatte, als alter Schachspieler auf politischem und mili tärischem Gebiet, mit allen Eventualitäten gerechnet. Nicht umsonst war die Hauptstreitmacht seiner Re volutionsarmee im Nordabschnitt auf diese Provinz kon zentriert worden. Er ließ die Regierungstruppen unangefochten Santa Madre besetzen, ohne diese Truppenkonzentrierung ir 175
gendwie zu beunruhigen. Wenn seine Streitkräfte nun längs des Tales vorstießen und die Hügel südlich und südwestlich Santa Madre besetzten, war das Ölzentrum abgeschnitten. Santa Madre war ja in einer Einbuchtung mexikani schen in amerikanisches Gebiet gelegen. Zwei Seiten dieses großen Gebiets-Dreiecks wurden durch die ameri kanische Grenze gebildet … wo die durch die planmäßig erzeugten „Grenzübergriffe“ alarmierten amerikanischen Truppen verhindern würden, daß die Regierungstruppen Mexikos über amerikanisches Gebiet hinweg einen Aus fall machten. Das war das eigentliche Motiv für die Aus lösung des „Ölkrieges“ von Tudor und Bilford durch Ze ros Agenten gewesen. Die dritte Seite des Dreiecks konn te, da sich die Revolutionäre der Hügel bemächtigten, mit geringfügigen Kräften und starken Waffen lange gehalten werden, während die Regierungstruppen in Santa Madre sehr bald Schwierigkeiten haben würden, ihre Verpfle gung sicherzustellen. Das war die Situation im Großen, wie sie an jenem Tage, da in Bilford der Ausnahmezustand verhängt wur de, eigentlich nur von zwei Persönlichkeiten in vollem Umfange und mit allen Konsequenzen erkannt wurde: Zero selbst und – Billy Jenkins. Der letztere aber hatte keine Möglichkeit, seine Re gierung telegrafisch zu verständigen, da alle Telegrafen leitungen im Grenzgebiet unterbrochen waren. Und er selbst war ein Gehetzter. Starke Aufgebote aus Tudor, von Sheriff Polter auf die Beine gebracht, suchten nach dem tollkühnen Manne, der Juanita. Alvarez und Tom Prox vor dem sicheren Tode gerettet hatte. Polter war im strategischen Schachspiel Zeros eine wichtige Figur geworden. Wenn es ihm auch nicht ge 176
lungen war, Frank Tudor völlig auszuschalten, so war Polter immerhin in jenen entscheidenden Stunden Herr der Ölstadt. Seine planmäßige Hetze, der Theaterprozeß gegen Juanita Alvarez und Tom Prox, und seine ziemlich glaubwürdigen „Enthüllungen“, wonach der mexi kanische Ölkönig Don Alvarez für die Attentate auf die amerikanische Ölstadt verantwortlich war, bereiteten den Boden für die weiteren Absichten Zeros vor. Die aufgewiegelten Ölarbeiter würden, wenn Zero ei nige Abteilungen seiner Truppen über die Grenze gegen Tudor warf, ihrem Haß gegen Don Alvarez Luft machen und zum Gegenangriff übergehen … und bestimmt nicht vor der Grenze haltmachen. Dann würden sie statt mit den Revolutionären, mit Regierungstruppen zusammen prallen … Alles war bis in die kleinste Einzelheit organisiert und durchdacht. Und dafür, daß in Tudor alles klappte, würde letzten Endes Pete sorgen, sein geschickter Adjutant, der in der Ölstadt alle Maßnahmen Polters mit kritischem Auge beobachtete. Nur in einer Weise hatte sich der Stratege Zero etwas verrechnet … in Bezug auf Bilford. In dieser Stadt hatte er durch einen heimtückischen Schuß aus dem Hinterhalt seinen gefährlichsten Gegenspieler, Sheriff Harper, vor übergehend ausgeschaltet, aber nicht damit gerechnet, daß an die Stelle Harpers ein anderer, noch gefährlicherer Gegner treten könnte … Oberst Powell, der alte Hau degen, der seine Bürgerwehr so rasch aus dem Boden stampfte, wie es Zero niemals für möglich gehalten hätte. Und diese Bürgerwehr war, was Zero ebenfalls nicht wissen konnte, mit Maschinenwaffen versehen, die aus Zeros eigenen, geschmuggelten und von Prox abgefange nen Beständen stammten. 177
Statt die Landbevölkerung vor sich herzutreiben, wie es geplant war, und sich erst dann zurückzuziehen, wenn reguläre amerikanische Truppen eintrafen, stießen die mexikanischen Banden überraschend auf harten Wider stand. Vor Bilford erlebte Zeros Revolution ihre erste emp findliche Schlappe – – . Siebentes Kapitel Im Wohnzimmer der Kirby-Ranch war in dieser Nacht eine ernste Unterredung im Gange. Jenkins, am Tisch vor einer großen Karte des Grenzgebietes, Tom Prox, der sich flüsternd mit Jack Kirby unterhielt und ihm be richtete, wie man sich fühlt, wenn man die Schlinge bei nahe um den Hals hat, die beiden Mädchen auf der Ofen bank, Juanita und Lizzie Kirby, in der Unterhaltung über die erlebten Abenteuer, und der alte Rancher, der am Fenster stand und aufmerksam in die Nacht hinausstarrte, um das Lichtzeichen der letzten Posten in der ausgestell ten Postenreihe nicht zu übersehen. Sobald Gefahr im Verzuge war, würde dieser letzte Posten ein Streichholz anreißen … und das war das Zeichen für die Anwesen den, sich fluchtartig zurückzuziehen. Tom sprang auf und stellte sich neben Jenkins. „Heute abend beginnt der Angriff der Revolutions truppen auf amerikanisches Gebiet. Ich habe heute ein kleines Gastspiel in Zeros Hauptquartier gegeben und weiß daher, daß ‚Phase II’ der Operation Zeros nunmehr beginnt,“ sagte Jenkins ernst. „Der Zeitpunkt ist gekommen, da unser sofortiges und rücksichtsloses Eingreifen ohne Rücksicht auf die Person erforderlich wird. Die Angriffe der Revolutionäre dienen 178
dazu, Unfrieden längs der Grenze zu stiften. Ich vermute, daß es heute in allen Grenzabschnitten knallt. Der Sinn ist der, einmal zwischen der regulären mexikanischen Regierung und Washington künstlich Spannungen zu erzeugen, zum zweiten aber durch diese Grenzzwischen fälle zu erzwingen, was auf meinen Rat hin bisher tun lichst vermieden wurde: Die Zusammenziehung regulärer amerikanischer Truppen längs der Grenze.“ „Was soll denn das für einen Sinn haben?“ erkundigte sich Prox. „Ganz einfach den Sinn“, erklärte Jenkins, „daß die amerikanische Grenze hermetisch geschlossen wird. Schau dir mal die Karte an: Santa Madre, das mexikani sche Ölzentrum, liegt innerhalb eines Landzipfels, der in amerikanisches Gebiet vorstößt … ein ‚strategisches Dreieck’ für die Absichten Zeros. Was meinst du, was Zero vorhat?“ „Ich bin kein Hellseher“, erwiderte Tom. „Jedenfalls hat er nichts Gutes vor.“ Billy Jenkins nickte und unterstrich seine Erklärungen durch entsprechende Bleistiftstriche auf der Karte. „Zeros Truppen greifen amerikanisches Gebiet an … und zwar in den Uniformen der regulären mexikanischen Armee. Was geschieht?“ „Eifriger Notenwechsel zwischen Washington und Mexiko-City. Ultimatum, Ausnahmezustand und an marschierende Truppen von amerikanischer Seite“, kom binierte Tom Prox. „Sehr richtig“, nickte Jenkins. „Doch die Zero-Leute ziehen sich zurück, ehe unsere Truppen eintreffen. Die inzwischen überall mobilisierte Bürgerwehr ist wütend und setzt nach, ihre Führer verstehen nichts von der ho hen Politik. Da ist ein Grenzfluß und eine Bande, die sich 179
über den Grenzfluß zurückzieht … die Bande wird ver folgt.“ „Peng … Grenzverletzung durch amerikanische Zivil truppen“, brummte Prox. „Mexiko wirft echte Regie rungstruppen an die Grenze, wenn diese nicht schon un terwegs sind. Die Bürgerwehr stößt auf die echte mexi kanische Armee … puff, puff, puff … fertig ist der Salat. Der Krieg ist in vollem Gange.“ Billy Jenkins lachte leise. „Ganz so schlimm ist es nun wieder nicht, mein Junge. Aber so ungefähr hat sich Zero die Geschichte schon aus gerechnet. Er will die anrückenden mexikanischen Re gierungstruppen zum Teil zersetzen, zum Teil zwingen, in die vorbereitete Falle zu gehen. Wohin werden sich die Regierungstruppen zurückziehen, wo werden sie sich sammeln, nachdem es an der Grenze ruhig geworden ist?“ „Santa Madre“, sagte Prox prompt. „Wichtiges Öl zentrum, das den Revolutionären nicht in die Hände fal len darf.“ „Ja, darauf können wir wetten“, bestätigte Jenkins. „Die mexikanischen Regierungstruppen sind in der Falle, können bald ausgehungert werden; denn das Ölgebiet produziert so gut wie gar keine Lebensmittel.“ „Verdammt raffiniert eingefädelt“, sagte Prox aner kennend. „Ich fürchte nur, wir können da gar nichts ma chen. Wir dürfen doch als amerikanische Staatsbürger nicht in innerpolitische Geschehnisse Mexikos eingreifen.“ Billy Jenkins lächelte seltsam und blickte Juanita Al varez ermunternd an. „Jetzt haben Sie das Wort, Señorita Alvarez.“ Aller Augen richteten sich auf das junge Mädchen. Juanita erwiderte Jenkins Lächeln und gab in feier lichem Ton eine kurze Erklärung ab. 180
„Kraft meines Amtes als Beauftragte der Abteilung ‚Ausland’ des mexikanischen Geheimdienstes ernenne ich hiermit die amerikanischen Staatsangehörigen Billy Jenkins und Tom Prox zu Spezialagenten der ordentli chen mexikanischen Regierung zur Erledigung eines be sonderen Auftrages und …“ „Dürfen wir das annehmen?“, fragte Tom zweifelnd Jenkins. „Es ist auch im Interesse unseres Landes – ich übernehme die Verantwortung“, sagte Jenkins und Juani ta fuhr fort: „Ich erteile Ihnen die Vollmacht, weitere amerikani sche Staatsangehörige zuzuziehen, wenn es die Verhält nisse erfordern und die Hilfe der ordentlichen mexikani schen Behörden in Anspruch zu nehmen. Der Auftrag, den ich Ihnen, meine Herren, erteile, lautet: ‚Bekämp fung der revolutionären Bestrebungen in Mexiko und Vernichtung des Führers der Revolution, der sich unter dem Namen ‚Zero’ verbirgt’. – Hier ist meine Legitima tion, meine Herren. Ich bitte um Feder und Papier für die schriftliche Bestätigung.“ Fassungslos reichte ihr Prox Federhalter und Papier, und fassungslos studierte er das Dokument, das Juanita aus einer eingenähten Tasche ihres Kleides geholt hatte. „Sie sind … tatsächlich … die berühmte Martina Go mez, die Meisterspionin?“ stotterte er. Juanita schüttelte den Kopf. „Martina Gomez ist vor vier Monaten plötzlich ver schwunden. Man vermutet, daß diese geheimnisvolle Frau, die lange Zeit in der ‚Abteilung Ausland’ unseres Geheimdienstes arbeitete, insgeheim für die Revolutio näre spionierte. Mein Vater deckte verschiedene Fäden auf, aber ehe er endgültige Beweise hatte, ist die Go mez – die übrigens diesen Namen nur angenommen 181
hat, man kennt ihren wirklichen Namen nicht – geflüch tet.“ „Dann ist sie mit der geheimnisvollen Frau identisch, die jetzt im Hauptquartier Zeros ist“, mutmaßte Jenkins. „Sie bewegt sich in Männerkleidung und ist unter dem Namen ‚Juan’ als Adjutant Zeros tätig.“ „Das kann schon sein“, nickte Juanita. „Ich wurde je denfalls Martinas Nachfolgerin … trotz meiner Jugend“, sie lächelte. Mit schwungvoller Handschrift schrieb sie die Legiti mationen für Jenkins und Prox, ließ sich Siegellack ge ben und siegelte die Schriftstücke. Auf die noch heißen, kreisrunden Siegel drückte sie die Platte ihres Ringes mit dem Wappen der Alvarez und der Inschrift, die jedem mexikanischen Polizisten als Legitimation des Geheim dienstes geläufig war. „Damit haben wir freie Hand“, sagte Jenkins be friedigt. „Und nun, Tom, alter Mexikaner, schreibe auf, was wir zur Durchführung unseres Feldzugplanes be nötigen: Erstens …“ – Tom schrieb eifrig – „… erstens brauchen wir dreißig unerschrockene Leute …“ „Meine Leute“, sagte Joe Kirby vom Fenster her. „Einverstanden, und dankend angenommen. Zweitens brauchen wir rund fünfunddreißig Anzüge mexikanischer Machart … mit allem Drum und Dran, so daß unsere Leute von waschechten Mexikanern nicht mehr zu unter scheiden sind …“ „Lassen sich von meinem Nachbarn, dem Farmer Rodfeld, besorgen. Er beschäftigt mehr als fünfzig mexi kanische Landarbeiter, die gegen gute Bezahlung gern ihre Sonntags-Reitanzüge hergeben.“ „Ferner brauchen wir“, fuhr Jenkins fort, „ein Ma schinengewehr nebst Munition.“ 182
„Wird aus den geheimen Waffenbeständen der KirbyRanch sofort bewilligt“, warf Jack Kirby vergnügt ein. „Woher haben Sie denn das Maschinengewehr?“ frag te Jenkins erstaunt. Der Rancherssohn grinste und zeigte auf Tom Prox, der schuldbewußt errötete. „Ich hatte doch drei Wagen der Waffenschmuggler an gehalten und die Ladung Oberst Powell übergeben“, ge stand Tom. „Und da habe ich … hm … ein kleines Ma schinengewehrchen eigenmächtig … hm … abgezweigt und für alle Falle im Walde versteckt. Jacky holte es spä ter. Es ist in der Felsenhöhle unter dem Heulager ver steckt.“ Tom schluckte verlegen. „Soll ich sonst noch etwas aufschreiben?“ „Ja – Verpflegung für die dreißig Mann. Sagen wir für acht Tage. Es müssen Packpferde mitgenommen werden. Das Maschinengewehr ist nachzusehen und in schießfertigen Zustand zu bringen. Das ist alles.“ Kirby rief einen seiner Leute herbei und gab rasch nach der Liste die entsprechenden Anweisungen. Der Mann eilte davon. Einige Minuten später jagten fünf Rei ter in die Nacht davon, um dreißig mexikanische Señores zu bewegen, ihre Sonntags-Anzüge herzugeben. *
* *
Langsam feuernd zogen sich die Grenzpolizisten in Rich tung auf Bilford zurück. Sie setzten sich immer wieder fest und die lange Linie, die sie gebildet hatten, täuschte eine größere Truppenmacht vor, als eigentlich zur Verfü gung stand. 183
Gespenstisch leuchteten die Feuerstrahlen der Kara binerschüsse durch die Nacht. Die Mexikaner hatten zwei Maschinengewehre in Stellung gebracht und spritzten die Hügel mit einem mörderischen Kugelregen ab. Sergeant Bolton, der die Schwadron in Vertretung des verwunde ten Leutnants führte, fluchte laut auf die Mexikaner, die er auf eine Stärke von dreihundert Mann schätzte. Es waren jedoch weit mehr; denn Zero hatte Verstär kungen geschickt. Der Angriff ging zu langsam von statten. Bilford sollte brennen, ehe die amerikanischen Truppen eintrafen. Eine starke Abteilung der Revolutionäre, über hundert Mann, die über drei Maschinengewehre verfügten, war zur Umgehung der Polizeischwadron von Capitano Mi randa durch den Wald geführt worden und sollte die Stadt von Westen angreifen. Alle diese Leute waren in Uniformen der regulären mexikanischen Armee … eine Glanzleistung Petes, der die Beschaffung der Uniformen organisiert hatte. Miranda hatte das Pech, mit seinen Leuten ausgerech net dem alten Haudegen Powell in die Arme zu laufen. Und Oberst Powell wiederum hatte das Glück, daß sich unter seinen ‚Colonels’ ein alter Waldläufer befand, ein Fallensteller, der sonst in seiner abgelegenen Blockhütte lebte und auf Berglöwen Jagd machte, wenn er nicht ge rade anderen Pelztieren nachjagte. Dieser Waldläufer war ein ausgezeichneter Späher und hatte die anrückende Truppe schon ausfindig gemacht, als diese sich noch mit ten im Walde befand. So kam es, daß Miranda mit seinen Leuten in eine Fal le lief, die ihm ein alter militärischer Fuchs gestellt hatte. Als Powells Maschinengewehre ihren Hexensabbat begannen, schickte Miranda eiligst zwei Boten zu Zero. 184
Der eine Bote kam nur bis an den Waldrand, wo ihn eine Lassoschlinge aus dem Sattel warf. Der zweite Bote erreichte die Grenze, wo Zero sein „vorgeschobenes Hauptquartier“, wie er es nannte, auf geschlagen hatte. Und Zero fluchte auf mexikanisch, daß die Nadeln von den Fichten fielen. ,,Caramba – Bilford muß brennen“, knirschte er. „Die Maschinengewehrabteilung soll aufsitzen. Sechzehn Ma schinengewehre … es wäre gelacht, wenn wir es nicht schaffen. Presto, presto … tummelt euch, Leute.“ Indessen hatte sich in den Hügeln vor Bilford ein Ge fecht entwickelt, das man beim besten Willen nicht mehr „Grenzzwischenfall“ nennen konnte. Der Um stand, daß beide Seiten über Maschinenwaffen verfüg ten – wenn es sich auch um sehr alte Modelle handelte, die ersten Maschinengewehre, die in jenen Jahren ge baut wurden – gab der nächtlichen Schlacht ein kriegs mäßiges Bild. Frank Tudor war mit seiner Truppenmacht der be drängten Polizeischwadron zu Hilfe geeilt. Der Mond war aufgegangen und erleuchtete die Hügel. Gerade, als die Mexikaner erkannten, wie schwach die Abteilung war, die vor ihnen lag, brachen Tudors Leute mit Gebrüll aus der Schlucht zwischen den Hügeln und versuchten, die Linie der Mexikaner seitlich aufzurollen. Tudor ließ einschwenken, als er erkannte, daß der Ku gelregen zu dicht wurde. Die Cowboys saßen ab und ar beiteten sich zu Fuß vor. Als die Maschinengewehre in Stellung gebracht wurden, zogen sich die Mexikaner zu rück. Mit einer so starken Feuerkraft ihrer Gegner hatten sie nicht gerechnet. Miranda hatte indes über die Hälfte seiner Leute ver loren. Es war höchste Zeit, daß die Verstärkung kam … 185
Doch die Verstärkung erreichte niemals ihr Ziel. Ein gewisser Herr namens Billy Jenkins, der in solchen Din gen keinen Spaß verstand, hatte sich die Freiheit ge nommen, entscheidend in die Schlacht einzugreifen. Im Morgengrauen zog sich Miranda zähneknirschend mit dem Rest seiner Leute auf die Grenze zurück, wo die von Frank Tudor zurückgeworfenen Reste der anderen mexikanischen Abteilung ihn schon erwarteten. Niedergeschlagen erstattete der Capitano seinem O berhäuptling Bericht, und Zero quittierte diese Niederla ge mit einem mexikanischen Fluch, der aus siebenund sechzig Worten bestand, worunter keines war, das man in Anwesenheit einer Dame hätte aussprechen dürfen. *
* *
Billy Jenkins hatte die Maschinengewehrabteilung Zeros unschädlich gemacht. Um den Weg abzukürzen, hatte die Abteilung den Waldpfad gewählt, auf dem ausgerechnet die Schar Jenkins der Grenze zustrebte. Das feine Ohr Jenkins’ hörte das Klirren und Klappern der Waffen auf den Packpferden schon von weitem. Er ließ seine Leute rechts und links der Schlucht aus schwärmen und blieb mit Juanita und fünf Cowboys, die jetzt in mexikanischer Tracht waren, auf dem Wege. Im Trab zuckelte die Abteilung in die Schlucht. „Qui vene?“ rief Jack Kirby. Ein mexikanischer Fluch war die Antwort; denn die Leute hatten ein Paßwort verabredet und wußten daher, daß sie auf Gegner gestoßen waren. Ein paar Schüsse knallten, dann krachte es in den Zweigen der Gebüsche zu beiden Seiten der Schlucht. Geschmeidig wie die In 186
dianer warfen sich die Cowboys auf die überraschten Mexikaner und rissen sie von den Pferden. Es war ein harter, aber kurzer Kampf. Ein unblutiger Kampf, bei dem es nur Beulen und blaue Flecken setzte; denn die Cowboys verstanden zuzuschlagen, und wo ihre Fäuste trafen, wuchs so rasch kein Haar mehr. Die Mexi kaner wählten den anderen Teil der Tapferkeit … sie er griffen die Flucht und ließen dreißig Pferde und eine An zahl Maschinengewehre in Händen des triumphierenden Feindes. Jenkins rief befehlend: „Zwei Maschinengewehre und zwei Packpferde nehmen wir mit … Der Rest wandert in den Fluß. Anpacken Leute, die Nacht ist kurz …“ Eine halbe Stunde später versanken zwei Meilen ober halb der Stelle, wo ein gewisser Señor Zero ungeduldig auf Botschaft von dem Fortschreiten der Kampfhand lungen wartete, der Waffenbestand einer Maschinenge wehrabteilung in der düsteren Flut des Grenzflusses. Vierunddreißig Pferde mit den dazugehörigen Reitern durchschwammen den Fluß, der auf der einen Seite „Green River“ und auf der anderen „El Combo“ genannt wurde. Sie ritten über die Steppe, die jetzt im hellen Mond licht lag, und erreichten die ersten Häuser des kleinen Grenzdorfes. Vascale lag in tiefem Schlaf. Ein Dorfköter bellte heiser und aus einem der Lehmställe wieherte ein Pferd, dem andere antworteten. Jenkins, der an der Spitze des Zuges ritt, zügelte sein Pferd und betrachtete den mit Hufspuren übersäten Weg. Ein starker Reitertrupp mußte das Dorf passiert haben. Der Hufschlag schien nicht unbemerkt geblieben zu sein. In einem der größeren Holzhäuser öffnete sich ein Fenster und eine verschlafene Stimme fragte etwas auf mexikanisch. 187
„Er sagt, er wundere sich, daß wir schon zurück sei en“, wisperte Juanita. „Und fragt, ob wir die verdammten Gringos zum Teufel gejagt hätten.“ Zu ihrer Überraschung antwortete Jenkins dem Mann sofort in seiner Sprache … fließend und ohne Akzent. Sie hatte gar nicht gewußt, daß Jenkins die Landessprache beherrschte. „Du scheinst uns zu verwechseln“, erwiderte Jenkins wahrheitsgemäß. „Wir sind eine Spezialtruppe.“ „Ah – und welche Abteilung?“ fragte der Mexikaner. „Gehört ihr zu Pete? Ich bin Capitano Marco del Fer nandez el Salamando.“ „Wir kommen aus dem Landesinneren und suchen den Chef. Aber auf diesen verdammten Wegen kennt man sich ja nachts nicht aus.“ „Sie müssen geradeaus reiten, dann an der Weggabe lung links, und wieder rechts, wenn Sie in die Felsen kommen.“ Die Schar setzte sich in Bewegung. Sie trabten jetzt über den Weg und erreichten die Fel sen. Jenkins suchte den Weg, der nach rechts führen soll te und merkte sich die Stelle. Es ging durch ein steiniges Tal, dann in Windungen über einen Hügelrücken und wieder ins Tal hinab. Achtes Kapitel Nachdem die kleine Karawane zwei Stunden ausgeruht hatte, wurde der Ritt fortgesetzt. Die Hügel traten etwas zurück und ließen den Blick auf die Ebene frei. Die wei ßen Häuserfronten von Santa Madre leuchteten in der hellen Sonne freundlich herüber. Nur die Öltürme, hin ter der Stadt unregelmäßig über die Ebene verteilt, 188
machten einen düsteren Eindruck und störten das Land schaftsbild. Der Ritt durch das „Feindesland“ war zweifellos ein großes Wagnis gewesen. Dreißig Mann waren keine gro ße Streitmacht, wenn man bedachte, daß Zero über einige tausend bestens bewaffneter Revolutionäre allein in die ser Gegend verfügte. Während Juanita die Gesamtzahl der Aufständischen in der Provinz auf fünf– bis acht tausend Mann schätzte. Es war bezeichnend, daß Zero diese starke Streitmacht mit eiserner Disziplin in Lagern zusammengefaßt hielt, ohne einen eigentlichen „Putsch“ durchzuführen. Er wollte den günstigsten Moment ab warten, für den auch außenpolitische Momente ent scheidend waren. Einmal, als sie einen großen Umweg machten, um ei ner großen Reiterschar auszuweichen, die sich ihnen von Santa Madre her näherte, waren sie beinahe in ein Zelt lager der Revolutionäre geritten. Tom Prox, der einen Felsen erklettert hatte, um Ausschau zu halten, sah die Zelte und warnte seine Gefährten. Nach beschwerlichem Marsch über die Hügel hatten sie die Gefahr umgangen. Als sie jetzt den sanften Hügelrücken hinabritten, tauchten die Umrißlinien eines palastartigen Hauses vor ihnen auf, und sie waren erstaunt über die Schönheit die ses Anwesens. Selbst aus der Ferne konnte man die Pracht der Gärten und Terrassen ahnen, die sich nach oben und unten in mehrfachen Abstufungen um das Haus zogen. Eine massive steinerne Mauer begrenzte die Ter rassen und erweckte den Eindruck einer Festung, wäh rend das in maurischem Stil erbaute Hauptgebäude einen heiteren und prunkvollen Eindruck machte. Juanita richtete sich in den Steigbügeln auf und deute te mit ihrer schmalen Hand auf den Palast. 189
„Wir sind da – es ist das Haus meines Vaters. Merk würdig, daß niemand zu sehen ist“, fügte sie nachdenk lich hinzu. „Sonst herrscht um diese Zeit immer reges Treiben in den Gärten.“ Als sie das große Mauertor erreichten, reckte sich plötzlich ein Gewehrlauf durch eine Schieß-Scharte. Ü berall hoben sich die tellerförmigen Hüte der Peone über die Mauer und ein wahres Waffenarsenal ragte ihnen ent gegen … Ein Mann kletterte auf das Dach des niedrigen Pferde stalles, der längs der Mauer gebaut war und starrte her über. Dann hatte er Juanita Alvarez erkannt und stieß einen Ruf aus. Sofort senkten sich die Waffen. Das Tor öffnete sich. Die Leute, bisher hinter der Mauer unsichtbar, ström ten herbei und umringten freudig ihre Herrin. Jenkins ließ seine Männer absitzen und die Pferde versorgen. Die Cowboys machten es sich auf dem Rasenplatz be quem. In der Nähe war das weiße Gebäude noch viel schöner als aus der Ferne. Kletterrosen umrankten die Mauern. Die Veranda ruhte auf weißen Säulen und eine große, ganz aus buntem Glas bestehende Eingangstür führte in die geräumige, lichte Eingangshalle, in deren Mitte ein Springbrunnen seinen glitzernden Strahl bis fast unter die Decke emportrieb, die ebenfalls aus buntfarbigem Glas bestand und das Licht des Tages durchließ. Als sie eintraten, erhob sich aus einem der Korbsessel am Springbrunnen ein schlankes, blondes Mädchen und stieß einen kleinen Freudenschrei aus. Sie eilte Juanita mit leichten Schritten entgegen und umarmte sie. Er leichterung war in ihrer hellen Stimme. „Madre santissima – du bist am Leben“, sprudelte sie 190
hervor. „Ach, wir dachten schon das Schlimmste …“ Ihr Blick fiel auf die drei Männer und sie unterbrach sich. „Das sind Mister Jenkins … Mister Prox … Mister Kirby“, stellte Juanita vor. „Diese Señorita ist Eva Ca stellane … die Tochter unseres Nachbarn. Sie kamen vor einigen Monaten in diese Gegend und kauften das Besitz tum des verstorbenen Don Pardos. Wir sind … befreun det.“ Eva nickte eifrig. Sie war einige Jahre älter als Juanita, aber ebenso schlank und geschmeidig. Ihre dunklen, et was schräg Hegenden Augen hatten etwas katzenhaftes. Der dunkle Teint ihres ebenmäßigen Gesichtes stand in seltsamem Gegensatz zu dem dunkelblonden Haar. Ihre Bewegungen waren graziös, von verhaltener Kraft, be tont selbstsicher. „Oh, Himmel“, sagte sie in ihrer eigenwilligen Art. „Wir hörten, du seist in Tudor gefangen genommen wor den. Dein Vater ritt sofort mit achtzig Leuten los, dich zu befreien.“ Eine würdevolle, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt zeigte sich auf der Treppe. Der Majordomus beschleu nigte seine Schritte, als er die Hausherrin erkannte. Er mochte Freude empfinden, ließ es sich aber nicht an merken. „Bringen Sie diese drei Herren unter“, befahl Juanita. „Es sind gute Freunde des Hauses. Wir speisen in einer halben Stunde. Eva, du begleitest mich wohl auf mein Zimmer, ja? Ach, ehe ich es vergesse … wir haben ja noch mehr Gäste, Fernando. Es sind dreißig amerikani sche Gentlemen. Sie haben es sich im Garten bequem gemacht. Sorgen Sie dafür, daß es ihnen an nichts fehlt.“ Die Zimmer, welche ihnen Fernando anwies, waren im ersten Stock des Hauses gelegen, geschmackvoll einge 191
richtet, nur die Fenster waren, wie in den meisten mau rischen Häusern, mit Gittern versehen. Die drei Freunde ließen die Verbindungstüren offen und unterhielten sich, während sie sich wuschen. „Was hältst du von Eva?“ fragte Tom durch die Tür. „Entzückend“, rief Jack. „Gefährlich“, sagte Jenkins. „Wieso gefährlich?“ erkundigte sich Tom. „Sie ist schon und charmant.“ Jenkins trat auf die Schwelle. „Ich habe ein Vorurteil gegen Frauen, die sich die Haare färben“, sagte er. „Wenn mich nicht alles täuscht, erleben wir noch heute abend eine Überraschung …“ *
* *
Nach dem Essen hatten sie sich in dem großen Salon ver sammelt. Der saalartige Raum war modern eingerichtet. Sie machten es sich in den Sesseln bequem. „Ich mache mir große Sorgen um meinen Vater“, er klärte Juanita. „Er ritt gestern abend los und müßte längst zurück sein. Es war ein großes Wagnis für einen Mann in seiner Position. Wenn man ihn in Tudor erkannt hat … es ist nicht auszudenken.“ „Ja, eigenartig“, nickte Eva. Sie schlug die schlanken Beine übereinander. „Vierzig unserer Leute sind dabei … aber auch von ihnen keine Nachricht.“ Jenkins betrachtete die Asche seiner Zigarre. „In Tudor ist der Reitertrupp nicht eingetroffen“, sagte er langsam. „Und er hat, meines Wissens, auch die Gren ze nicht überschritten.“ Eva Castellane blickte erstaunt auf. 192
„Woher wollen Sie das denn wissen?“ fragte sie un ruhig. Jenkins lächelte seltsam. „Kombination“, erklärte er. „Und Beobachtungsgabe.“ Er erläuterte nicht näher, worauf sich seine Vermu tungen stützten. Der Hausmeister erschien und meldete einen Besuch. Juanita blickte den Majordomus erstaunt an. „Und er hat seinen Namen nicht nennen wollen?“ fragte sie. Der Hausmeister schüttelte den Kopf. „Der Señor“, sagte er, „nannte nur seinen Vornamen, und er meinte, das genüge. Ich solle Señorita Alvarez ausrichten, ‚Pete’ wünsche sie zu sprechen.“ Juanita erbleichte. „Pete“, hauchte sie. „Ich … ich lasse bitten.“ Ein freundlich lächelnder junger Mann trat auf die Schwelle, verneigte sich artig und blickte sich strahlend um. Er eilte auf Juanita zu wie auf eine alte Freundin. Es war das erste Mal, daß sich Pete, der Adjutant Ze ros, seinen Gegnern ohne Maske zeigte. Jenkins prägte sich das energische Gesicht des jungen Mannes genau ein. Auffallend war das glänzende, schwarze Haar. „Meine liebe, junge Freundin“, sagte er zu Juanita, die vor Ärger errötete. „Ich bringe Ihnen schlechte Nach richten, … leider, leider“. Erst jetzt fiel sein Blick auf Eva Castellane und er schien zu stutzen. Dann faßte er sich und fuhr fort, die drei Amerikaner geflissentlich ü bersehend: „Ihrem Herrn Vater, Don Alvarez, ist leider ein kleines Unglück zugestoßen … Darf ich mich set zen?“ Juanita deutete wortlos auf einen Sessel. Pete setzte sich, entfernte mit spitzem Finger ein Stäubchen von sei 193
nem Rockärmel und blickte nicht auf, während er weiter sprach. „Ich weiß nicht recht, ob ich in Anwesenheit der Her ren …“, er unterbrach sich bedeutungsvoll und blickte nun voll auf Jenkins. „Es sind gute Freunde von mir“, sagte Juanita. Pete verzog leicht das Gesicht. „Nun gut – Ihr Vater geriet in Gefangenschaft. Um es kurz zu machen: Ich komme als Unterhändler und habe Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.“ „Sprechen Sie.“ „Eine Million mexikanische Dollars“, sagte Pete in dem Tonfall eines Mannes, der den Preis einer unbedeu tenden Ware bekannt gibt. „Unverschämter Lump“, sagte Eva Castellane ver nehmlich. Sie blitzte Pete feindselig an und dieser schenkte ihr ein aufreizendes Lächeln. „Wieviel sind Ihnen Ihre Leute wert?“ erkundigte er sich höflich. „Vierzig Ihrer Leute sind ebenfalls in unse rer Hand.“ „Achten Sie darauf, daß Sie lebend hier herauskom men“, bemerkte Eva ruhig. Juanita blickte Jenkins fragend an. „Darf ich weiter verhandeln?“ fragte Jenkins. Als sie nickte, faßte er den Mexikaner scharf ins Auge. „Eine Million Dollars sind als Lösegeld für Don Alvarez ak zeptiert“, sagte er ruhig. Juanita wollte Einspruch erheben, aber etwas in der Haltung Jenkins veranlaßte sie, zu schweigen. Pete rieb sich die Hände. „Also abgemacht“, nickte er befriedigt. „Ich bin noch nicht fertig“, setzte Jenkins fort. „Sie 194
scheinen nicht zu wissen, daß sich zwei wichtige Persön lichkeiten aus dem Stabe des Rebellengenerals in unserer Hand befinden?“ „Was meine Wenigkeit anbetrifft“, sagte Pete rasch, „bin ich keine Zehntausend wert.“ „Sagen wir Zwanzigtausend“, erklärte Jenkins. „Sie sollten sich nicht unterschätzen, Pete. Und für Martina rechne ich ganz bescheiden eine Million Silberdollars. Bleibt ein Saldo von Zwanzigtausend zu unseren Gun sten, die Sie freundlich noch im Laufe des Tages an uns entrichten wollen.“ Pete starrte ihn mit offenem Munde an. Seine Ge sichtsfarbe wechselte in Grün über. Er biß sich auf die Lippen und war vorübergehend sprachlos. In die entstandene Stille hinein klang Eva Castellanes überraschende Frage. „Martina? Sie meinen Martina Gomez?“ Jenkins nickte. „Ja – sie ist die Tochter Zeros und befindet sich in un serer Gewalt. Pete wußte das nicht, beziehungsweise, er rechnete nicht mit dieser interessanten Möglichkeit. Zwanzigtausend, sagte ich, junger Mann. Und Sie wer den Ihrem Begleiter, der sicher irgendwo draußen war tet, eine entsprechende Weisung mitgeben. Don Alva rez befindet sich in spätestens fünf Stunden unversehrt hier im Hause, mitsamt der besagten Geldsumme … oder meine Leute werden Martina durchpeitschen und dann aufhängen. Die Unterredung ist beendet. Tom du bist so freundlich – und Jack, Sie gehen vielleicht auch mit? – Señor Pete zu bewachen. Er soll einen Boten zu Zero senden. Aber achtet darauf, daß er uns nicht durchgeht.“ Pete schien förmlich in sich zusammenzufallen. Er 195
warf einen verstörten Blick in die Runde und erhob sich zögernd. „Mister Jenkins“, sagte er, schweratmend. „Sie sind ein intelligenter Bursche. Aber die Revolution werden Sie nicht aufhalten.“ Jenkins verzog keine Miene. „Wenn der junge Mann noch weiter große Reden schwingt“, sagte er gelassen, „dann gebt ihm eins auf die Nase. Hinaus mit ihm.“ Pete wurde abgeführt. Als sie allein waren, stieß Eva Castellane einen lang gezogenen Seufzer aus. Sie blickte Jenkins bewundernd an. „Fein, wie Sie das gemacht haben, Mister Jenkins. Aber, sagen Sie, stimmt denn das … haben Sie Martina Gomez wirklich gefangen?“ Jenkins lächelte fein. „Sie weiß es selbst am besten“, lautete seine dunkle Erwiderung. *
* *
In den Abendstunden hörte man Huf schlag auf dem We ge, der zum Palast des mexikanischen Ölkönigs führte. Die Wächter an der Mauer riefen den ankommenden Rei ter barsch an, öffneten aber sofort das Tor, als sie die Antwort hörten und den Ankömmling an der Stimme erkannten. „Zero hat den größten Fehler seines Lebens begangen, daß er mich freiließ“, sagte Don Alvarez zu Billy Jen kins. Sie saßen im Salon zusammen und tranken Tee. Al 196
varez war ein weißhaariger, ziemlich großer Mann mit buschigen Augenbrauen und befehlsgewohnter Stimme. „Tatsache ist, daß sie mich und meine Leute sofort freiließen, als ein berittener Bote eintraf. Sie übergaben mir sogar einen größeren Geldbetrag. Mir ist das ein ab solutes Rätsel.“ „Die zwanzigtausend Dollar wurden also mitge schickt?“ schmunzelte Jenkins. „Nun wohl – wir stellten das als Bedingung.“ Er wendete sich an Prox, der ver blüfft zugehört hatte. „Ihr könnt Pete freilassen. Ge schäft ist Geschäft … man muß halten, was verabredet wurde.“ Juanita erklärte ihrem verblüfft lauschenden Vater die Zusammenhänge. Don Alvarez schüttelte verwundert den Kopf. „Das ist allerdings toll“, sagte er anerkennend. „Und wo ist diese geheimnisvolle Martina Gomez?“ Jenkins antwortete nicht; denn in diesem Augenblick wurde der leicht zerzauste Pete hereingeführt. Er hatte einige ungemütliche Stunden im Keller des Palastes zu gebracht. „Ich hoffe, daß Sie nun auch Martina freilassen?“ frag te er lauernd. Jenkins nickte gleichmütig. „Sie kann gehen, wann es ihr beliebt.“ Eva Castellane lachte silberhell. „Bei der Gelegenheit“, bemerkte sie, „möchte ich mich dann gleich verabschieden. Es war mir ein Ver gnügen, Mister Jenkins.“ „Ganz meinerseits“, erwiderte Billy artig. „Auf Wiedersehen, meine Herren …“ Sie schritt graziös zur Tür und wendete sich noch ein mal um. 197
„Nun kommen Sie schon, Pete“, sagte sie zur Über raschung der Anwesenden – nur Jenkins lächelte. Die beiden verließen das Haus und ließen eine ver blüffte Gesellschaft zurück. „Ja, um Himmels willen“, sagte Juanita entsetzt. „Ist Eva Castellane … etwa …“ „Martina Gomez!“ ergänzte Jenkins gelassen. „Und sie dachte wohl nicht, daß einer von uns sie erkennen würde, da sie ja noch niemand von uns zu Gesicht be kommen hat. Sicherheitshalber färbte sie das Haar blond. Wahrscheinlich wollte sie hier spionieren. Nun, ich er kannte sie an der Stimme … und sie konnte nicht wissen, daß ich einmal eine Unterredung zwischen ihr und Zero belauscht habe. Eine einmal gehörte Stimme vergesse ich nie …“ Don Alvarez berichtete jetzt, wie er gefangen genom men wurde. Nun war ihm auch verschiedenes klar ge worden. Wenn Eva Castellane die Tochter des Rebellen generals war, dann war Castellane selbst … mit Zero i dentisch. Und seine vierzig Leute, die er Don Alvarez mitgegeben hatte, waren daher nicht zufällig vom Wege abgekommen und plötzlich verschwunden, als kurz vor der Grenze ein Überfall erfolgte. Es war überhaupt keine Möglichkeit zur Gegenwehr gegeben. Die plötzlich auf tauchende Übermacht der Gegner war so groß, daß es sinnloses Blutvergießen bedeutet hätte, sich zu wehren. „Señor Castellane wird natürlich inzwischen über alle Berge sein“, mutmaßte der Ölkönig. „Ich hätte Lust, ein Regiment Soldaten aus Santa Madre anzufordern und Castellanes Haus, das knapp eine Meile von hier in den Hügeln liegt, auszuräuchern … aber wir kommen sicher zu spät und außerdem möchte ich das Ölgebiet nicht von Truppen entblößen.“ 198
„Wieviel Soldaten stehen Ihnen zur Verfügung?“ er kundigte sich Jenkins. „Zwei Regimenter. Sie trafen heute nacht ein. Ich habe ein Regiment sofort an die Grenze bei Tudor nachkom men lassen. Wie ich während der Stunden meiner Gefan genschaft hören konnte, hat es blutige Zusammenstöße mit Ölarbeitern aus Tudor gegeben, die die Grenze ver letzten.“ „Dann hat Zero also einen gewünschten ‚Zwischen fall’ tatsächlich zustande gebracht“, warf Prox ein. Jenkins klärte Alvarez über alle bisherigen Vorkomm nisse und über die Hintergründe von Zeros Absichten auf. „Entweder, Sie bekommen erhebliche Verstärkungen aus dem Landesinneren“, meinte Jenkins, „oder Sie müs sen das Ölgebiet, das eine Falle ist, preisgeben und sich hinter die Linie des Combo-Tales zurückziehen. Zero kann jeden Augenblick losschlagen und wird Ihre kleine Truppenmacht einfach hinwegfegen. Daß er dies bisher nicht tat, und sogar eine Million Silberdollars Lösegeld für Ihren Kopf verlangte, erscheint mir widersinnig. Es wird eben noch nicht so weit sein mit der Revolution. Zero spielt nicht Vabanque, sondern will erst losschla gen, wenn er seines Erfolges ganz sicher ist. Dazu braucht er Geld.“ Don Alvarez blickte düster vor sich hin. „Verstärkungen?“ sagte er geistesabwesend. „Im gan zen Lande herrscht Aufruhr. Verschiedene Provinzen sind von den Aufständischen bereits völlig abgeschnitten. Auch wir haben keine Verbindung zur Hauptstadt mehr. Es kommt kein Bote durch – –“ „Wieviel Mann hat nach Ihrer Schätzung Zero zur Verfügung, Señor Alvarez?“ 199
Der Gouverneur dachte einen Augenblick nach. „Zwischen vier– bis sechstausend Mann.“ „Und wieviel Soldaten haben Sie?“ „Zwei Regimenter“, sagte Don Alvarez. „Das sind rund tausend Mann. Dazu kommt eine Ziviltruppe von vielleicht vierhundert Mann, die ich bereits rekrutieren ließ. Nur fehlt es uns an Munition und Waffen, da der Nachschub aus dem Landesinnern unterbrochen ist.“. „Während Zero gewaltige Waffenlager anlegen konn te“, nickte Jenkins. „Wieviel Maschinengewehre haben Sie?“ „Etwa dreißig“, sagte Alvarez mutlos. „Auch für die Maschinenwaffen ist zu wenig Munition vorhanden.“ „Dann müssen Sie unverzüglich die Provinz preis geben und versuchen, sich zur Hauptstadt durchzu schlagen.“ „Nie und nimmer.“ „Auf alle Fälle müssen Sie dieses Haus hier verlas sen“, erklärte Jenkins. „Noch in dieser Nacht. Zero wird im Morgengrauen angreifen, das ist völlig sicher.“ Der Stolz des Gouverneurs bäumte sich dagegen auf, vor seinem Feinde zu fliehen, aber er konnte sich den Argumenten Jenkins nicht verschließen. Der Palast muß te preisgegeben werden. Er, als militärischer Befehls haber gehörte nach Santa Madre. „Ich werde“, sagte Jenkins abschließend, „das einzige in dieser Situation Vernünftige tun und sofort mit zehn Leuten aufbrechen, um Waffen zu holen. Auch muß ich meiner Regierung über die Lage Bericht erstatten. Jack Kirby, Sie gehen bitte mit mir; denn Sie sind wege kundiger als ich. Tom, du bleibst mit dem Rest der Leute hier und sorgst dafür, daß ein ordentliches Spähernetz aufgezogen wird“, er blickte den Gouverneur fragend an: 200
„Vorausgesetzt, Exzellenz, daß Sie die Vollmachten auf recht erhalten, die Ihr Fräulein Tochter uns erteilte.“ Don Alvarez lachte gezwungen. „Juanita hat in diesen Dingen mehr zu befehlen, als ich“, sagte er bitter. „Ich fürchte, ich bin kein guter Sol dat. Mein Metier ist das Öl. Mexiko hat einen schlechten Gouverneur in dieser Provinz.“ Er seufzte. „Selbstver ständlich haben Sie völlig freie Hand, Mister Jenkins. Von welchen Waffen sprechen Sie übrigens?“ „Wir konnten eine kleine Karawane Zeros abfangen … Maschinengewehre nebst Munition. Da es sich um mexikanisches Eigentum handelt, gebe ich Ihnen diese Waffen heraus. Sie sollen noch heute nacht geholt wer den. Wollen Sie mir einen großen Gefallen erweisen?“ „Genehmigt“, sagte Don Alvarez. „Hören Sie erst, was ich verlange. Es … könnte Ihren Stolz verletzen“, sagte Jenkins zögernd. „Tatsache ist jedenfalls, daß mein Freund Prox, der bei Ihnen bleibt, über außerordentlich gute Erfahrungen auf militärischem Gebiet verfügt. Wenn Sie ihn zu Ihrem ersten Stabsoffi zier ernennen würden, so wäre meiner Ansicht nach schon viel getan. Sie sagten ja selbst, daß Sie von Strate gie wenig verstehen … hm …“ Der Gouverneur feuchtete die Lippen. Stolz und Ein sicht kämpften einen kurzen Kampf. Dann wendete er sich Tom Prox zu. „Mister Prox, ich ernenne Sie hiermit zu meinem per sönlichen Adjutanten im Range eines Obersten. Die Re giments-Obersten unterstehen Ihrem Befehl. Ich lasse jeden erschießen, der sich Ihrem Befehl widersetzt.“ Als Billy Jenkins, von Jack Kirby begleitet, etwas spä ter den gefährlichen nächtlichen Ritt mitten durch das vom Gegner besetzte Gebiet antrat, schmunzelte er lange 201
Zeit vor sich hin. Er amüsierte sich köstlich über den Fa talismus dieses Gouverneurs, der seelenruhig in seinem fast ungeschützten Palast saß, anstatt etwas zu unterneh men, um der Revolution zu begegnen. War das Bequem lichkeit? In Mexiko, das war bekannt, mahlen die Müh len sehr langsam … und daher kam es auch, daß immer wieder Revolutionen das Land erschütterten. Auch Zero war kein Draufgänger im eigentlichen Sin ne. Er war ein vorzüglicher Intrigant – aber viel zu un entschlossen. Eine merkwürdige Geschichte war das schon, daß tausende Revolutionäre sozusagen friedlich in Zeltlagern kampierten, unmittelbar vor der Nase der Re gierungstruppen, ohne daß ein Schuß zwischen den feindlichen Parteien gewechselt wurde. Jenkins wußte auch, daß die mexikanische Armee eine Reihe hervorragender Köpfe hatte. Aber Ölindustrielle, und deren Töchter, boten nun einmal nicht die Vor aussetzungen für ein so schwieriges Handwerk. Die zehn Leute seiner Begleitung hatten die Hufe ihrer Pferde mit Tüchern umwickelt. So machten sie kaum ein Geräusch, als sie das besonders gefährliche Gebiet er reichten. Während sie, gleich Gespenstern, lautlos durch die Nacht ritten, überlegte Jenkins seine weitere Verhal tungsweise. Es gehörte natürlich zu dem Auftrag, den er erhalten hatte, daß er in die mexikanische Revolution, soweit es in seinen Kräften stand, eingriff – sonst hätte er sich niemals Don Alvarez zur Verfügung stellen dür fen. Der Auftrag lautete knapp und präzise: „An Ge heimagent 711. – Begeben Sie sich in das Grenzgebiet bei Tudor und bringen Sie einen unter dem Namen ‚Ze ro’ bekannten Rebellengeneral mexikanischer Staatsan gehörigkeit in dem Augenblick zur Strecke, da seine I 202
dentität feststeht. Greifen Sie unverzüglich und mit allen Mitteln ein, wenn die bevorstehende Revolution in Me xiko an Boden gewinnt. Sie haben außerordentliche Vollmachten und völlig freie Hand, können jedoch nicht mit der Hilfe der US-Regierung rechnen, wenn Sie ame rikanisches Territorium in Verfolg Ihrer Aufgabe verlas sen müssen.“ Das war der Auftrag – und Geheimagent 711 hatte eingegriffen. Es war einer der schwierigsten und gefähr lichsten Aufträge, die Billy Jenkins je erhalten hatte … Wer war dieser geheimnisvolle Zero – –? Wer war dieser Mann, der wie ein gewöhnlicher Banditenhäupt ling in Zeltlager kampierte, dem aber offensichtlich viele Millionen Dollars zur Verfügung gestanden hatten, um diese Revolutionsarmee aus dem Boden stampfen zu können? „Agent 711 greifen Sie ein!“ lautete der Auftrag. Und Billy Jenkins griff ein, ohne an das Für und Wi der viele Gedanken zu verschwenden. Neuntes Kapitel Ein atemloser Bote war von der Grenze gekommen und hatte dem Gouverneur berichtet, daß das Regiment Re gierungstruppen, welches Don Alvarez leichtsinniger weise in das von Zero besetzte Gebiet geschickt hatte, aufgerieben worden war. „Wieviel sind von den vierhundert Soldaten übrig geblieben?“ erkundigte sich Tom Prox. „Rund zweihundert!“ „Rund zweihundert – das ist hübsch gesagt, junger Mann, aber damit kann ich nicht viel anfangen. Lehnen Sie sich nicht auf meinen Tisch, nehmen Sie eine re 203
spektvollere Haltung ein und überlegen Sie genau, ver standen? Ich brauche Zahlen und keine Vermutungen.“ Der „Capitano“ blickte den Amerikaner wütend an. Der „Gringo“, wie er Prox verächtlich bei sich nannte, nahm sich allerhand heraus. „Wieviel Leute haben Sie also übrig behalten?“ fragte Tom Prox freundlich, seinen Ton ändernd. „Einhundertdreiundsiebzig“, kam prompt die Antwort. „Sehen Sie“, nickte Tom, „das ist schon weitaus prä ziser als ‚rund zweihundert’. Nämlich genau siebenund zwanzig Mann weniger, und so etwas muß man genau wissen, wenn man Krieg führen will. Wann trifft die Ab teilung ein?“ „Sie ist schon hier vorbei. Die Leute sind müde und wollten sich nicht aufhalten. Sie sind sofort nach Santa Madre weitergeritten.“ „Nicht schlecht“, sagte Tom trocken. „Ein Regiment wird aufgerieben, die Leute sind müde und möchten ger ne schlafen. Der Herr Regimentsführer reitet am Haupt quartier seines Vorgesetzten vorbei und ist wenigstens so freundlich, jemanden zu schicken, um darauf hinzuwei sen, daß die verfolgenden Revolutionäre jeden Augen blick eintreffen können. Nicht schlecht, aber … ver dammt noch einmal! Jetzt will ich Ihnen mal zeigen, wie das bei uns geht … wohlgemerkt, die Leute, die Sie jetzt sehen, sind Zivilisten, einfache Weidereiter.“ Tom steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen durchdringenen Trillerpfiff aus. „A l a r m …“, gellte eine Sekunde später eine schnei dende Stimme unten im Garten. Rasches Getrappel von schweren Füßen, leichtes Klir ren – und knapp zwei Minuten nach dem Pfiff war die gesamte Mauer von dunklen Gestalten besetzt. Ein Mann 204
hastete herbei und wartete schweigend und respektvoll auf Befehle. „Fünf Mann zum Satteln der Pferde, ein Mann alles wecken und zum sofortigen Abmarsch bringen. Zwei Leute als Späher auf den Weg bis eine halbe Meile weit. Die Späher werden durch Pfiff zurückgerufen.“ „Allright“, knurrte der Mann und sauste davon. Der Mexikaner sah dem Treiben mit offenem Munde zu. Es war ihm anzusehen, daß er über die Eile, welche die Leute entwickelten, nahezu erschüttert war. Der Gouverneur trat auf die Veranda in den Mond schein hinaus und blickte erstaunt auf das Treiben. Auch Juanita kam heraus. „Was ist denn los?“ erkundigte sich Don Alvarez. „Eine kleine Nachtübung, Exzellenz“, grinste Tom. „Geordneter Rückzug vor dem anrückenden Feind.“ Don Alvarez machte keine weitere Bemerkung und ließ seine Leute wecken. Die Abteilung rückte ab. Zehn Minuten später kamen ein paar hundert Revolutionäre mit mehreren Maschinengewehren in kriegsmäßiger At tacke über die Hügel angedonnert … *
* *
Don Alvarez hätte den Rückzug auf Santa Madre etwa folgendermaßen organisiert: Jeder Mann bestieg sein Pferd, gab ihm die Sporen und trachtete, möglichst schnell davonzukommen! – Diese einfache Taktik, so belehrte ihn Tom Prox, war nicht unbedingt die richtige. Man konnte es besser machen. Vor allem mußte man weiter denken. So gab Tom der Exzellenz einen möglichst zart und 205
schonend vorgetragenen kleinen Lehrgang über moderne Taktik. Der Gouverneur war darüber ganz begeistert: „Sie sind ein wahres Genie, Oberst Prox. Ich ernenne Sie hiermit zum Generalleutnant.“ „Danke“, sagte Tom und holte gemütlich einen Stern aus der Tasche seines Uniformrocks, den er sorgfältig an den Kragenspiegel heftete. „Ich habe noch fünf Sterne in Vorrat“, wisperte er Ju anita zu. „Für vorkommende Fälle …“ Dann rief seine grimmige Stimme durch die Nacht. Zehn seiner Leute sonderten sich ab und brachten die beiden Maschinengewehre in Stellung. „Laßt euch nicht überrennen und setzt euch rechtzeitig ab“, gab er die letzten Anweisungen. „Vorsicht vor allem vor Umgehung. Jesse Smith, du hast das Kommando …“ „Okay“, sagte Jesse, ein baumlanger Kerl mit Armen wie Dreschflegel. „Sollen nur kommen …“ Die Leute des Gouverneurs rissen Mund und Augen auf. So etwas hatten sie noch nicht erlebt, daß zehn Män ner den Auftrag erhielten, in Seelenruhe auf eine mehr als fünfzigfache Übermacht zu warten, um diese aufzu halten. Tom Prox gab noch ein Paßwort für die Nacht be kannt, dann setzte sich die Kolonne in Marsch. Nach fünfhundert Metern ließ Tom weitere fünf seiner Leute mit dem dritten Maschinengewehr zurück. Sie soll ten, wenn sich die erste Nachhut zurückziehen mußte, den Weg so lange freihalten, bis sich die zehn Mann er neut festgesetzt hatten. Kurz vor Santa Madre holten sie die müde Kavalkade des aufgeriebenen Regimentes ein. Die Leute tränkten ihre Pferde in einem Bach und waren sehr erstaunt, den Gouverneur zu sehen. 206
„Es ist Ihre Schuld“, sagte Prox zu dem Gouverneur, „daß die Leute so sorglos sind. Sie sind immerhin der Oberbefehlshaber. Und die Sorglosigkeit, mit der Sie in Ihrem Palast saßen, täuschte die Leute. Sie vermuteten keine Gefahr.“ Seine dröhnende Stimme brachte Leben in die Soldaten. „John Wolfe – du übernimmst das Kommando dieser Kompanie; denn ein ‚Regiment’ kann man das ja nicht mehr nennen. Der Capitano da macht mir einen ganz gu ten Eindruck. Er bleibt im Amt, ist dir aber unter geordnet.“ „Allright“, nickte John Wolfe. Tom Prox hatte einen Mann gewählt, der sich mit den Soldaten in ihrer Landessprache verständigen konnte. John war ein knochiger, scheinbar nur aus Haut und Seh nen bestehender Bursche. Prox gab ihm Befehl, mit sei ner Streitmacht den Talausgang zu besetzen und erst zu weichen, wenn der Druck des Feindes zu stark wurde. „Ihr fangt die zurückweichende Nachhut auf“, gab Tom die letzten Anordnungen. „Behaltet die Packpferde mit der Reservemunition hier und verteilt die Munition auf drei Stellen, wo etwas Deckung ist, so daß die Ma schinengewehre der Nachhut dort nur in Stellung zu ge hen brauchen. Wenn ihr euch bis Morgengrauen halten könnt, wäre es gut – wenn nicht, einen Melder voraus schicken, damit wir die euch nachsetzenden Truppen in die Zange nehmen können. Lockt sie in die Richtung, wo ich am Stadtrande ein Feuer anzünden lasse. Kapiert?“ „Kapiert“, sagte John Wolfe. In diesem Augenblick begannen in der Ferne Ma schinengewehre zu rattern … „Berührung mit dem Feinde“, sagte Tom ernst. „Der Tanz geht los … alles aufsitzen … Galopp …“ 207
*
* *
Es kam genau so, wie es Tom Prox berechnet hatte. Die Truppenmacht Zeros rückte in regelloser Ordnung über den Weg vor. Man rechnete überhaupt nicht damit, daß die Leute Don Alvarez’ eine Nachhut zurückgelassen haben könnten. So waren die in dichten Haufen daherja genden Revolutionäre peinlich überrascht, als ihnen plötzlich wütendes Maschinengewehrfeuer ent gegenschlug. Die vordersten Gruppen stürzten, die nachfolgenden rissen ihre Gäule zurück und brachten dadurch Un ordnung in die Reihen. Ein wildes Durcheinander ent stand, zu dem die beiden Maschinengewehre zum Tanz aufspielten. Es dauerte lange, ehe die Anführer sich mit ihren Be fehlen durchsetzen konnten. Eine Viertelstunde lang bal lerten hunderte Gewehre auf die Stelle, wo man die Geg ner vermutete. Dann wurden starke Reitertrupps nach rechts und links ausgeschickt, um den Feind zu umgehen. Aber der Feind war längst nicht mehr da. Durch diese Erfahrung gewitzigt, schickten die Re volutionäre eine Vorhut aus, die prompt auf die fünf Mann mit dem Maschinengewehr prallte. Und als diese sich zurückzogen, hatte sich die andere Gruppe schon wieder festgesetzt. Jedesmal, wenn die Streitmacht Zeros ihre eigenen Maschinenwaffen aufgebaut hatte … war der Feind längst nicht mehr dort, wo man ihn vermutete. Am Talausgang begann dann eine richtiggehende Schlacht, die bis zum Morgengrauen dauerte. 208
Und als die ersten Sonnenstrahlen über die Ebene huschten, zogen sich die Verteidiger so überraschend zurück, daß die Verfolger Mühe hatten, ihnen auf den Fersen zu bleiben. Aus den mehr als sechshundert Revo lutionären, welche Santa Madre im Handstreich hatten nehmen sollen, waren über Nacht knapp fünfhundert ge worden … und diese gingen in die Falle, die ihnen Tom Prox sorgfältig gestellt hatte. Sie ließen sich von den fliehenden Soldaten, die unter dem energischen Befehl des John Wolfe standen, bis unmittelbar vor die Stadt locken und waren grenzenlos verwirrt, als sie plötzlich einen frisch ausgeworfenen Schützengräben vor sich sahen, aus dem ihnen ein mör derisches Feuer entgegenknatterte. Sie versuchten, nach rechts und links auszuschwär men, aber eigenartigerweise waren auf den Geländeerhe bungen zur Rechten und Linken ebenfalls Schützengrä ben, aus denen salvenweise geschossen wurde. Die To desfalle war so schmal, daß es für Zeros Leute wenig Sinn hatte, Maschinenwaffen auf dem ungedeckten Feld in Stellung zu bringen. Sie suchten Ihr Heil in der Flucht und ließen die Hälfte ihrer Leute tot oder verwundet auf dem Schlachtfeld. Auch an die Flucht hatte Tom Prox gedacht. Kaum hatten sich die Revolutionäre zum ungeord neten Rückzug gewendet, als aus einer mit dichtem Ge büsch bestandenen Mulde zwischen der Stadt und den Hügeln eine starke Reiterschar hervorbrach und mitten in die fliehenden Haufen einritt. Die Gruppen wurden zer sprengt und verfolgt. Tom Prox, der die Verfolgung persönlich leitete, setzte den fliehenden, demoralisierten Revolutionären hart nach. Sie waren immer noch in entsetztem Galopp, als 209
Tom mit seinen Leuten in Santa Madre längst gemütlich frühstückte. Jetzt war ein richtiges „Hauptquartier“ entstanden. Noch während des Frühstücks, mit vollen Backen kau end, diktierte Tom einem Schreiber seine Befehle. Santa Madre – eine Stadt etwa von der Größe Tudors – hatte mehr als tausend Einwohner. Daraus ließ sich eine zusätzliche Bürgerwehr von hundertfünfzig eini germaßen brauchbaren Leuten zusammenstellen. Weite re, weniger zuverlässig aussehende Leute wurden für Schanzarbeiten eingesetzt. Der Belagerungszustand wur de verhängt und öffentlich verkündet. Tom Prox ordnete eine Rationierung der Lebensmittel an und ließ die Vorräte sammeln und in bestimmten La gerschuppen streng bewachen. Trupps wurden ausge schickt, in den umliegenden kleinen Ortschaften Vieh zu requirieren und in einen großen Korral am Stadtrande zu treiben. Die Ernährung der Stadt mußte sichergestellt werden; denn es war mit einer langwierigen Belagerung zu rechnen. Die Munitionsvorräte wurden gezählt und verteilt. Die Regierungstruppen neu eingeteilt und neuem Kommando unterstellt. Ein raffiniertes Verteidigungssystem wurde angelegt. Schützengräben und Barrikaden besonders zum Schutz des Ölkamps hergerichtet. In dem großen zweistöckigen Verwaltungsgebäude der Ölgesellschaft richtete Tom sein „Hauptquartier“ ein. John Wolfe wurde „Kommandant“ der Stadt und hatte unter der Zivilbevölkerung für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Jesse Smith wurde mit einer Abteilung von drei hundert Reitern ausgeschickt, Störungsangriffe im Gebiet des Feindes zu unternehmen. 210
Es war damit zu rechnen, daß Zero, wütend über die erlittenen Schlappen dieser Nacht, seine Streitkräfte a larmieren und Santa Madre angreifen würde. Jesse Smith sollte in die sich sammelnden Verbände hineinstoßen und mit seiner „Gespensterabteilung“ – unter Vermeidung von Verlusten und ernsthaften Gefechten – die Revoluti onäre beunruhigen, beobachten und beschäftigen. Gleichzeitig sollte er nach Billy Jenkins Ausschau halten und ihm gegebenenfalls zu Hilfe kommen. Im „Hauptquartier“ war ein ständiges Kommen und Ge hen. Juanita hatte einen Schreibtisch im Zimmer Toms erhalten und bewies, daß sie auf ihrem Gebiet außer ordentlich tüchtig war. Sie organisierte das Spitzelnest, das die Bewegungen der Revolutionäre zu beobachten hatte. Don Alvarez, den man nicht ganz beiseite schieben konnte, hatte eine Aufgabe erhalten, die ihm das Gefühl gab, alle diese intelligenten Anordnungen seien in seinem Gehirn entstanden … er hatte die Befehle zu unter zeichnen, die Tom diktierte. Die Bewohner von Santa Madre bekamen einen ge waltigen Respekt vor ihrem Gouverneur; denn nur die wenigsten wußten, daß hinter allen diesen Anordnungen der energisch aussehende Amerikaner steckte, der selt samerweise die Uniform eines mexikanischen General leutnants trug und gelegentlich wie ein Fuhrknecht flu chen konnte, wenn etwas nicht klappte. Toms zwanzig Cowboys hatten jeder ihren Spezial auftrag in erstaunlich kurzer Zeit ausgeführt. Sie organi sierten den Aufbau der Verteidigungslinien, die Anhäu fung von Lebensmittelvorräten. Sie teilten die Truppen neu ein, sonderten die Verdächtigen aus, von denen man annehmen konnte, daß sie mit den Revolutionären sym pathisierten. 211
Gegen Mittag war Santa Madre, die Stadt, die noch vergangene Nacht von zwei Kompanien verwegener Ker le im Handstreich hätte genommen werden können, eine Festung geworden, aus der keine Maus ungesehen hin aus, geschweige denn hinein gelangen konnte. Zehntes Kapitel Billy Jenkins war noch nicht weit in den Hügeln vor wärtsgekommen, als er vor sich fernes Gewehrfeuer hör te, zu dem sich bald die dumpfen Abschüsse von Kano nen gesellten. Santa Madre wurde belagert. Die kleine Reiterschar hatte einen beschwerlichen Ritt hinter sich. Besonders die Packpferde waren durch das Klettern in den Hügeln ausgepumpt und erschöpft. Sie hatten einen großen Umweg durch die Wälder bei Vas cale gemacht, und nur der überlegenen Führung Jenkins war es zu verdanken, daß sie immer wieder rechtzeitig ausweichen konnten, wenn sie den Horden Zeros be gegneten. Jenkins ritt der kleinen Karawane mit dem Spürsinn des Waldläufers voraus und witterte förmlich jede auf tauchende Gefahr. Es war keine Kleinigkeit, mit so vie len schwerbepackten Pferden – die eine Verfolgung nicht mehr ertragen konnten – mitten durch das Gebiet des Feindes zu marschieren. Der eilige Depeschenwechsel zwischen Jenkins und seiner vorgesetzten Dienststelle – die Telegrafenleitung war wieder instand gesetzt worden und Bilford voller Truppen – hatte interessante Neuigkeiten gebracht. Die Revolution im Süden Mexikos war zusammengebrochen. Nach einer heftigen Schlacht, die vierundzwanzig Stun den lang bei den Pässen von Barrabas und Cortez tobte, 212
hatten die Revolutionäre den Regierungstruppen weichen müssen. Sie ließen brennende Dörfer zurück, ein Zei chen, daß sie vorerst keine Möglichkeit sahen, das verlo rene Gebiet zurückzuerobern. Drei Provinzen waren allerdings noch fest in der Hand der Aufständischen, und die Landeshauptstadt blieb nach wie vor bedroht. Besonders die Lage im Norden war be denklich. Würde Santa Madre fallen, so war Zero un umschränkter Herr im ganzen Grenzgebiet und konnte seine Invasion auf das Landesinnere vorbereiten. Billy Jenkins hatte angesichts dieser Mitteilungen fol gende Depesche abgeschickt: „Ersuche um Vollmacht, eine Freiwilligen-Legion über die Grenze werfen zu kön nen“. Und man hatte diplomatisch geantwortet: „Voll macht kann Ihnen aus außenpolitischen Gründen nicht gegeben werden. Offizielle Einmischung nicht statthaft. Im übrigen haben Sie Befugnis zu selbständigem Handeln nach Situation“. – Das hieß mit anderen Worten: „Mach’, was du für richtig hältst, verlange aber keine Vollmachten, da wir offiziell nicht Partei ergreifen dürfen“. So hatte Billy Jenkins beschlossen, Jack Kirby zurück zulassen, damit dieser – als Privatmann – eine Legion zusammenstellen konnte. Und es fanden sich in der Um gebung von Bilford hunderte Cowboys, welche darauf brannten, den Rebellengeneral eins auszuwischen, weil dieser den Ölkrieg vom Zaun gebrochen hatte. Auch in Tudor hatten die eintreffenden Truppenver bände Ordnung geschaffen. Sheriff Polter, nebst einer großen Zahl seiner Komplizen, war von der Werkpolizei des Ölkönigs in dem Augenblick verhaftet worden, als er versucht hatte, über die Grenze zu entwischen. Richter Johnson wurde ebenfalls festgenommen. In der Ölstadt kehrte Ruhe und Frieden ein. Der Haftbefehl gegen Jack 213
Kirby wurde aufgehoben, und als der junge Mann auch in der Ölstadt erschien, um Freiwillige für die „Aktion Ze ro“ zu werben, wurde er begeistert aufgenommen. Billy Jenkins, der mit siebzehn verpackten Maschinen gewehren auf neun Packpferden und zehn Mann über versteckte Saumpfade ritt, hörte mit Besorgnis, wie das Gewehrfeuer in der Ferne starker wurde. Einmal, als sie über einen langgestreckten Hügelrücken ritten und sich im Schutz der Bäume hielten, sahen sie tief unter sich im Tal eine lange Kolonne marschierender Fußtruppen. Durch den Feldstecher erkannte Jenkins, daß es sich um die berüchtigte „Fremdenlegion“ Zeros handelte … die Elite der Revolution. Die Söldner waren mit moder nen Gewehren ausgerüstet und trugen nur leichtes Ge päck. Auf kleinen, zweirädrigen Karren, die von flinken Pferden gezogen wurden, waren Maschinengewehre auf montiert. Es waren etwa vier Regimenter, die aus der Richtung des Combo-Tales anmarschiert kamen, und obwohl die Truppen einen langen Marsch hinter sich ha ben mußten, schienen sie in bester Stimmung zu sein. Zu jeder Kompanie gehörte ein Verpflegungswagen und ein schweres Gefährt, das von vier Pferden gezogen wurde und offenbar Munition geladen hatte. Gegen diese Übermacht konnte sich Santa Madre kei ne vierundzwanzig Stunden halten, und die paar Maschi nenwaffen, welche Jenkins zur Verstärkung der Feuerkraft den Verteidigern brachte, konnten daran nichts än dern. Die Ölstadt war unrettbar verloren, wenn nicht Kir bys Freiwilligen-Legion rechtzeitig zur Stelle war … Jenkins schickte einen seiner Reiter mit einer eiligen Botschaft über die Grenze und versuchte, die „Fremden legion“ Zeros seitlich zu überholen, was den ausgepump ten Pferden viel Energie abforderte. 214
So gelangte die Schar unangefochten bis an die Hügelgrenze, von wo aus die Ebene vor der Ölstadt zu über blicken war. Überall verteilt im Gelände lagerten starke Gruppen der Revolutionäre. Santa Madre war hermetisch abge sperrt und wurde fortwährend durch flinke Scheinangrif fe beunruhigt. Jenkins hatte seine Leute in einer kleinen Schlucht versammelt. Sie bereiteten ein bescheidenes Mahl und beobachteten indes die Entwicklung auf der Ebene. Auf einem erhöhten Platz außer Schußweite der Verteidiger, befand sich ein großes Zelt – – das „Feldquartier“ des Rebellengenerals. Posten schritten auf und ab, Melder eilten auf flinken Pferden nach allen Seiten davon. Als Jenkins den Feld stecher ansetzte, sah er sogar einmal die schlanke Gestalt Martinas, die gerade vor das Zelt trat und mit einem der Unterführer redete. Der Mann deutete mit ausge strecktem Arm auf den Talausgang, und als sich Jenkins wendete, sah er die Spitzen der Fremdenlegion aus dem Tal kommen und die Richtung auf das Quartier Zeros einschlagen. Die Legionäre sammelten sich in einer langgestreckten Mulde, wo Essen empfangen wurde. Indessen wurden die Munitionswagen unterhalb des erhöhten Platzes ange fahren. Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte Jenkins … Aufmerksam studierte er das Gelände und ließ keine Bo densenke, kein Gebüsch außer acht. Als er sich alles ge nau eingeprägt hatte, stand sein Entschluß fest. Er würde im Schutze der Dunkelheit heute abend versuchen, Zero einen kleinen „Besuch“ abzustatten … Die Art und Weise, wie die Legionäre drüben lagerten … ohne eigentlich ein „Lagerleben“ zu beginnen, deutete 215
darauf hin, daß Zero entschlossen war, die ermüdeten Truppen noch an diesem Nachmittag zum Ent scheidungsangriff auf Santa Madre anzusetzen. Die Leu te errichteten keine Zelte, ruhten sich nur aus, während Munition ausgeteilt wurde. Es war höchste Zeit, daß die Verteidiger der Stadt die zusätzlichen Waffen in die Hand bekamen. Jenkins entschloß sich zu einem waghalsigen Vorge hen: Er ließ die Packpferde in langer Reihe zusammen binden und befahl seinen Leuten, sich in den dichten Bü schen zu verstecken. Er wollte allein, weil dies unauffäl liger war, die Packpferde über die Ebene treiben. Zwanzig Minuten später sahen vereinzelte Gruppen von Revolutionären, wie eine Schar offenbar wild ge wordener Packpferde, vor einem fluchenden und gestiku lierenden einzelnen Reiter ausriß. Der Reiter schnitt den durchgehenden Gäulen mehrfach den Weg ab, aber die Tiere trabten immer wieder – scheinbar störrisch – in die Richtung zur belagerten Stadt. Es sah täuschend so aus, als wäre der schwitzende und sehr erboste Reiter ängstlich bemüht, die Packpferde wieder einzufangen. In Wirklichkeit trieb Jenkins die Pferde unmerklich immer näher an den Belagerungsring heran, bis die vorderste Linie erreicht war. Hier ver suchten Revolutionäre, den Gäulen in die Zügel zu fallen, aber Jenkins erhob ein so wildes Geschrei, das die Tiere durchbrachen und auf die ersten Häuser der Stadt zu galoppierten. Er sauste an den verdutzten Rebellen vorbei. War nende Rufe klangen an sein Ohr. Er sollte sich in acht nehmen, denn da vorn sei ein Schützengraben und die Regierungstruppen würden nicht mit Pfannkuchen schießen … 216
Wie in dem verzweifelten Unterfangen, die „durchge henden“ Pferde in letzter Minute noch aufzuhalten – – jagte Jenkins die Tiere in Wirklichkeit mit spitzen Schreien vor sich her. Dann ließ er sich aus dem Sattel fallen, als ihm eine Gewehrsalve entgegendonnerte. Er hing, wie ein Indianer, an der Seite des Pferdes und hielt sich an der Mähne fest. Dann setzte sein Pferd über den Schützengraben und donnerte über die Straße. Aus den Fenstern der Holzhäuser zu beiden Seiten ragten Flinten läufe. Vor einer Barrikade kamen die Packpferde zum Halten. Eine barsche Stimme befahl Jenkins, sich zu er geben. „Es gibt nichts“, rief Jenkins zurück, „was ich lieber täte.“ Er sprang auf den Boden und hob die Hände, aber ein freudiger Schrei ertönte von der anderen Seite der Barri kade. John Wolf trat hervor und begrüßte Jenkins herzlich. „Fein haben Sie das gemacht … weiß der Teufel, wir dachten wirklich, denen drüben seien bloß ein paar Gäule durchgegangen.“ *
* *
Der Großangriff der Revolutionäre begann in den späten Nachmittagsstunden. Zero versammelte eine starke, be rittene Streitmacht im Süden der Stadt und ließ am West rande seine aus „Fremdenlegionären“ bestehende „In fanterie“ ausschwärmen. Er bewies damit eine kluge Strategie: denn die zahlreichen Bodenwellen ermöglich ten es den Fußtruppen, in guter Deckung bis dicht an den Verteidigungsring heranzukommen, während die freie 217
Ebene im Süden den Reitertrupps rasches Vorankommen ermöglichte. Tom Prox hatte die Abwehr der Reiterscharen über nommen, während Jenkins dem Angriff der Fußtruppen entgegensah. Frauen und Kinder waren in den stärksten Gebäuden des inneren Verteidigungsringes untergebracht worden und der einzige Arzt der Ölstadt, hatte ein not dürftiges Lazarett einrichten lassen. Die siebzehn Maschinengewehre, die Jenkins in letzter Minute gebracht hatte, waren eine willkommene Verstär kung der Feuerkraft der Verteidiger, umsomehr, als die Packpferde genügend Munition mitgeschleppt hatten. Zehn Minuten nach dem Beginn des Angriffs trom melten Zeros Kanonen die südlichen Verteidigungslinien ab und verlagerten dann ihr Feuer auf den Stadtkern, während achthundert Reiter in vier großen Gruppen kon zentrisch angaloppierten, um ausgeschwärmt mit wildem Geheul wieder davonzujagen, ehe die Maschinengewehre der Verteidiger große Verheerungen anrichten konnten. Die letzte Gruppe wendete sich scheinbar ebenfalls zur Flucht, schwenkte aber plötzlich ein und setzte so rasch über den Schützengraben, daß die Verteidiger völlig ü berrascht wurden. Etwa fünfzig der Angreifer saßen blitzschnell ab und begannen, die Gräben aufzurollen. Gleichzeitig kehrten die anderen drei Gruppen um und jagten in voller Kar riere heran … Aber Tom Prox hatte mit dieser Möglichkeit, daß der Graben überrannt werden konnte, gerechnet und war da her nicht überrascht. Seine Hauptstreitmacht lag hinter den Fenstern der ersten Häuser, und aus den Dachluken be gannen die Maschinenwaffen ihren Hexentanz. In ein stündigem harten Ringen wurde der Angriff abgeschlagen. 218
Die Lage im Westen der Stadt war bedeutend ernster. Die angreifenden Legionäre arbeiteten sich langsam und verbissen vor, stürmten nicht blindlings an, sondern sprangen von Deckung zu Deckung und hatten nur gerin ge Verluste, als sie den Stadtrand erreichten. Ihre Ma schinenwaffen mähten die Verteidigungslinie mit überle gener Feuerkraft ab. Es hätte so gut wie keine Aussicht bestanden, den An griff dieser überlegenen Streitkräfte abzuwehren, wenn nicht – – Jenkins zwei Stunden vor Beginn des Angriffes eine Idee gehabt hätte. Er wußte, daß das un übersichtliche Gelände im Westen der Stadt wahrschein lich zum Hauptausgangspunkt des Angriffes auserwählt werden würde. Die Ölstadt hatte eine „Geheimwaffe“ zur Verfügung … das E r d ö l. In aller Eile ließ Jenkins von Ölarbeitern eine Druck leitung vom Pumpenhaus bis in die vorderste Verteidi gungslinie legen. Das Gelände fiel hier etwas ab, bis über eine Bodenwelle, hinter der ein langgestreckte Mulde war, die vierhundert Meter weit parallel der Ver teidigungslinie führte. In dieser Mulde würden sich zweifellos die Angreifer zum letzten entscheidenden Stoß sammeln … Und wirklich, in der Mulde war jetzt ein Gewimmel von Leibern. Maschinengewehre wurden in Stellung ge bracht. Immer neue Gruppen sprangen über die kleine Anhöhe und verschwanden in der Mulde, welche ihnen Deckung bot. Jenkins, der vom Dach des Verwaltungsgebäudes aus mit dem Feldstecher die ganze Verteidigungslinie über blickte, schwenkte ein rotes Tuch, das Zeichen für den Stoßtrupp, die Mündung des Ölrohres über den Graben rand zu wuchten. 219
Die Pumpen im Pumpenhaus begannen zu summen und ein gewaltiger Ölstrahl schoß aus der Rohrmündung. Das Öl ergoß sich über den Hang, breitete sich aus und sickerte in die Mulde. Immer neues Öl schoß in weitem Strahl aus dem Rohr, tausende Liter … mehr und mehr. Bald wateten die erschrockenen Angreifer in Öl. Jenkins hob wieder das rote Tuch, und augenblicklich verstummten die Pumpen. Dafür schoß aber ein greller Feuerschein über den Hang. Man hatte das Öl angezün det … und im Nu war die ganze Mulde ein Meer von Flammen, aus dem brüllende, taumelnde Gestalten die Flucht ergriffen. Munitionskisten gingen in die Luft, Maschinengeweh re, gerade in Stellung gebracht, wurden von den Angrei fern zurückgelassen und waren verloren. Auf einer Stre cke von vierhundert Metern hatte sich eine zischende Feuerwand zwischen Angreifer und Verteidiger gelegt. Der Angriff war abgeschlagen … *
* *
Prox schnallte sich den Revolvergürtel um. Jenkins schüttelte den Kopf. „Du bleibst hier. Einer von uns muß die Verteidigung leiten.“ „Ich weiß schließlich, wo die zehn Leute versteckt sind, die mit mir waren. Ich muß mit ihnen Verbindung aufnehmen. Achte darauf, daß ich nicht angeschossen werde, wenn ich zurückkomme.“ Jenkins merkte sich die Stelle genau, wo er den Schüt zengraben übersprang. Die Posten erhielten genaue An weisung, nur nach Anruf zu schießen. 220
Und dann schlich Jenkins durch die Finsternis feind wärts … Die Rebellen hatten keine zusammenhängende Front linie gebildet, sondern nur Vorposten-Stellungen besetzt. Sie fühlten sich wegen ihrer Übermacht völlig sicher und rechneten nicht mit der Möglichkeit eines Ausfalles der Verteidiger. So gelangte Jenkins unangefochten durch die Linien und erreichte nach etwa einstündigem Fußmarsch die Stelle, wo er die Cowboys zurückgelassen hatte. Bei dem matten Sternenlicht war das ein Kunststück für sich ge wesen, da ein Hügel wie der andere aussah und bei Nacht die Umrisse der Sträucher zu undeutlich erkennbar wa ren, um Anhaltspunkte für die Orientierung zu geben. Während Jenkins durch die Büsche schlich, hörte er einen leisen Anruf und er meldete sich sofort. Die Leute waren noch auf ihrem Posten. Sie hatten den Angriff auf die Stadt beobachtet und tauschten mit Jenkins ihre Er fahrungen aus. Mehrfach waren sie in Gefahr gewesen, entdeckt zu werden. „Hat es im Lager Zeros Unruhe gegeben? Sind Schüs se gefallen?“ Die Leute hatten nichts gehört. „Habt ihr Lust, ein Indianerstück mitzumachen?“ Begeistert stimmten die Cowboys zu. Jenkins Plan war ein tollkühnes Unterfangen, es sah diesem unerschrocke nen Manne so ganz ähnlich. Um keinen Preis der Welt hätten die Leute darauf verzichtet, daran teilzunehmen. Aus den Satteltaschen der Pferde wurden Dynamit patronen geholt und mit Zündschnüren versehen. Dann setzte sich der kleine Stoßtrupp in Bewegung, Jenkins an der Spitze. Sie kletterten den Hügelhang hinab und gelangten in die Ebene. Der Mond war hinter den 221
Wolken versteckt, aber das spärliche Sternenlicht genüg te für die Orientierung. Wäre es Tag gewesen, hätten sie es niemals wagen können, die von Feldlagern der Rebellen dicht übersäte Ebene zu überqueren. Einmal schritt ein Doppelposten so dicht an ihnen vorbei, daß sie fast entdeckt worden wä ren. Sie lagen eng an den Boden gepreßt und hielten den Atem an, bis die Posten vorüber waren. Irgend eine dunkle Gestalt wanderte durch die Nacht und wurde von den Posten angerufen. „Mercatore“, rief der Mann und die Posten gingen be ruhigt weiter. Sie ahnten nicht, daß sie soeben das Lo sungswort verraten hatten. Die Anhöhe, auf der das große Zelt des Rebellenfüh rers stand – und natürlich auch die aufgefahrenen Muni tionswagen in der Mulde – waren außerordentlich scharf bewacht. Blitzartig durchzuckte Jenkins ein Gedanke … ein un glaublicher Plan, aus dem Augenblick geboren. Dieser Gedanke tauchte, während sie im Grase lagen und auf die Schritte der Posten lauerten, immer wieder auf, krallte sich in sein Gehirn wie eine fixe Idee: den Rebellenfüh rer aus seinem Zelt, mitten aus seinen Leuten herausho len! Das wäre ein Indianerstück … Jenkins teilte dem Manne, der neben ihm lag, flüsternd seinen Plan mit, und dieser gab die Mitteilung weiter. Der eine oder andere mochte das Vorhaben bedenklich finden, aber zum Ratschlagen war es zu spät. Jenkins kroch voraus und die anderen folgten, wie die Schlangen im Grase dahinkriechend. Sie glitten über den Hang und erreichten die große Mulde, wo die Munitionswagen in gewissem Abstand von einander aufgestellt waren. Jenkins flüsterte seinen 222
Getreuen zu, sie sollten unbeweglich liegen bleiben. Er kroch durch die Finsternis davon. Es dauerte über eine halbe Stunde, ehe er zurückkehrte. Er hatte die ganze Talsenke umschlichen. „Es sind acht Posten ausgestellt, die unaufhörlich am Rande der Mulde kreisen. Eigentlich unverantwortlich, nicht mehr Posten aufzustellen. Na, für uns ist es gut. Wißt ihr noch alle das Kennwort?“ „Mercatore“, wisperte es zurück. „Richtig. Mir nach …“ Sie krochen durch das Gras und erreichten die Mulde gerade, als der erste Posten auftauchte. Ahnungslos schritt der Mexikaner heran, als plötzlich dicht neben ihm Jenkins aus dem Boden wuchs. Ein leises Gurgeln … Augenblicklich hatte einer von Jenkins Leuten das Ge wehr des überwältigten Postens ergriffen und marschierte seelenruhig in der Rolle des Wächters weiter. Der zweite Posten erschien, erreichte das kleine Ge büsch, hinter dem Jenkins sprungbereit lauerte und stieß einen unterdrückten Schrei aus, als sich die schattenhafte Gestalt über ihn warf. Ein Cowboy übernahm seine Rolle, wurde aber sofort von dem dritten, nahenden Posten angerufen. „Mercatore“, brummte der Cowboy zurück. „Warum hast du eben geschrieen?“ fragte der Mann und kam näher. Er wurde rasch überwältigt, noch ehe er einen Laut von sich geben konnte. Auch die übrigen Pos ten wurden sang– und klanglos erledigt. Anstelle der Wächter pendelten jetzt acht von den zehn Leuten Jen kins um die Talsenke, während Jenkins mit den restli chen beiden Leuten in der Mulde von Wagen zu Wagen schlich und die Dynamitpatronen anbrachte. 223
Die Arbeit war getan … Billy Jenkins hinterließ seinen Leuten genaue Instruk tionen und setzte eine Zeit fest, zu der die Sprengung vorgenommen werden sollte. Nach genau zwanzig Minu ten sollten sie die Zündschnüre in Brand setzen und so fort abrücken. Sie würden sich im alten Versteck wieder treffen. „Hals– und Beinbruch“, zischte Jenkins. Er tauchte in der Nacht unter. Die Zurückbleibenden sahen ihm mit gemischten Empfindungen nach. Es waren alles tollkühne Burschen, aber was Jenkins vorhatte, war das Tollste, was man sich vorstellen konnte … *
* *
Im Zelt des Rebellengenerals brannte noch Licht. Draußen ertönten die gleichmäßigen Schritte der Wachtposten, aus der Ferne, von der Stadt her, scholl vereinzeltes Gewehrfeuer. Zero saß an dem breiten Tisch über eine Karte gebeugt und unterhielt sich mit seinen beiden Adjutanten: Marti na und Pete. Das Mädchen sah übernächtigt aus, schien aber bester Laune, während Pete irgendeinen Ärger herumtrug. Er schritt im Zelt auf und ab, brummte vor sich hin und schüttelte wiederholt den Kopf. „Lauf nicht so viel herum“, sagte Zero barsch. „Den Angriff von heute nachmittag hast du verdorben, daran ist nichts zu ändern. Du bist eben kein Soldat.“ Pete zerbiß einen Fluch. „Diesen Jenkins möchte ich hier haben … auf der Stel le würde ich ihn erwürgen. Spritzt Öl auf meine Leute 224
und läßt sie wie lebende Fackeln durch den Kugelregen seiner Maschinengewehre laufen“, knurrte er. „Wer eine Ölstadt angreift“, meinte Martina gelassen, „muß auf solche Überraschungen gefaßt sein. Aber wir werden uns im Morgengrauen weidlich revanchieren. Santa Madre muß morgen mittag brennen.“ Zero runzelte die Stirn. „Wenn ihr fertig seid mit eurer Privatunterhaltung, könnt ihr gelegentlich auch mal einen Blick auf die Karte werfen“, sagte er böse. Die beiden traten herzu und folgten seinem zeigenden Finger mit den Augen. „Ihr überquert das Combotal an dieser Stelle und folgt der Schlucht bis fast zum Ende. Hier etwa“, er markierte einen Punkt, „befindet sich ein großer roter Felsen. Da müßt ihr nach dem Aufstieg suchen. Es wird eine mühselige Kletterei für die Regimenter ge ben, aber dafür habt ihr die Möglichkeit, völlig unge sehen auf die Hochebene zu kommen. Ich bin mir nicht sicher, rechne aber damit, daß die Hauptstraßen be wacht werden.“ Pete verzog das Gesicht. „San Fernandez ist von den Regierungstruppen nur schwach besetzt. Meinst du wirklich, daß die soweit Spä her ausschicken?“ „Man kann es nicht wissen – und ich will sicher ge hen“, sagte Zero kurz. „Gegen Abend habt ihr das Städt chen erreicht, und ich hoffe, daß ihr im Handumdrehen mit der Besatzung fertig werdet. Achtet darauf, daß kei ner entkommt, sonst gerät die ganze Nachbarprovinz in Aufregung und wir stoßen auf Widerstand. Wir wollen so rasch wie möglich vorwärts kommen … die Über raschung spielt dabei eine große Rolle.“ 225
„Tausend Mann genügen als Vorhut. Die Leute“, er blickte auf die Uhr, „haben sich gerade versammelt; Pe te, du weißt wo. Ich zeigte dir den Ort heute nachmit tag.“ „Bin im Bilde“, nickte Pete. „Und wann kommst du mit dem Gros der Truppen nach?“ „Morgen mittag. Wir marschieren in zwei Säulen … die eine unter Miranda über die alte Karawanenstraße, die andere über Miguele und Cantbro nach San Fernan dez, wo ich euch allerdings nicht mehr anzutreffen hof fe. Ihr marschiert weiter in der Richtung auf Presca, nehmt die Stadt im Handstreich und zerstört die Telegra fenlinie rechtzeitig genug, ehe Verstärkungen angefordert werden können. Das ganze Hinterland wird uns wie eine reife Frucht in den Schoß fallen. Unsere Agenten haben den Boden vorbereitet. Wenn alles gut geht, ist in drei Wochen die Landeshauptstadt erreicht, und etwa um die gleiche Zeit wird General Textor aus dem Süden anrü cken. In spätestens vier Wochen sind wir unumschränkte Herren über Mexiko.“ „Ich hoffe“, brummte Pete. „Und wie ist es dann mit einem netten Pöstchen für den alten Pete?“ „Darüber können wir später noch reden“, sagte Zero, gut gelaunt. „Mach’s gut, alter Herr“, sagte Pete respektlos. Die drei nickten sich zu und Martina öffnete den Zelt vorhang. Die Pferde wurden herangeführt. Zero trat in den Zelteingang, als sie aufsaßen und winkte ihnen zu. „Viel Glück …“ Pete und Martina raten in die Nacht davon. Bald er reichten sie das Tal, wo schon eine große geordnete Rei terschar in mehreren Gruppen auf sie wartete. 226
*
* *
Der Mann, der Martinas Steigbügel gehalten hatte, war plötzlich aus dem Dunkel aufgetaucht, aber der Posten hatte keinen Verdacht geschöpft, weil er eine solche Frechheit nicht für möglich hielt. Es war ja undenkbar, daß jemand, der nicht ins Lager gehörte, einfach ankam und ausgerechnet Martina Gomez den Steigbügel hielt. Hätte sie einen Blick unter die breite Krempe des Hutes geworfen, der das Gesicht beschattete, so wäre sie wahr scheinlich augenblicklich zu Stein erstarrt. Billy Jenkins sah den Davonreitenden nach und blickte dann auf die Uhr. Noch fünf Minuten … Er hatte das kühnste getan: sich nicht etwa heimlich angeschlichen, sondern er war ganz unbekümmert und in aller Offenheit an den Postenring getreten, hatte das Kennwort genannt und erklärt, er habe dem „Chef“ eine wichtige Meldung von Miranda zu überbringen. Daß Miranda unter Zero eine wichtige Position be kleidete, hatte er bei früherer Gelegenheit, als er Zero schon einmal belauschte, erfahren. Und jetzt wirkte der Name, der Posten ließ ihn durch … was sollte ein ein zelner Mann auch schon ausrichten? Jenkins war gerade noch zurecht gekommen, Martinas Steigbügel zu halten. Er sah Zero im Zelteingang stehen und wendete sich zur anderen Seite. Wenn der Rebellen general ihn jetzt erkannte, war er verloren. Aber Zero hätte eher erwartet, einem Eisbären direkt vor seinem Zelt zu begegnen, als ausgerechnet dem Manne, den er am meisten haßte. Er wendete sich zurück ins Zelt. Gemütlich widmete 227
er sich wieder dem Studium seiner Karte, als er den Wortwechsel hörte. „Du kommst von Miranda?“ fragte der Posten. „Du Esel, warum hast du das nicht gleich gesagt?“ „Wenn du“, sagte Jenkins mit verstellter Stimme auf mexikanisch, „noch einmal Esel zu mir sagst, schlag ich dir den Schädel ein, du Lümmel. Los, scher’ dich und sag dem Chef Bescheid.“ „Soll ‘reinkommen“, befahl Zero von drinnen. Er empfand Sympathie für Leute, die so energisch wa ren, wie der Sendbote Mirandas. Als Jenkins eintrat, stand Zero mit dem Rücken zum Eingang über die Karte gebeugt und maß mit einem Win kelmesser Entfernungen ab, die er mit einem Zirkel auf den Maßstab übertrug. Jenkins blickte auf die Uhr … die Explosion hätte längst stattfinden müssen. Er war beunruhigt und befürchtete schon, daß irgend etwas verkehrt gegangen wäre. Er konnte nicht wissen, daß in diesem Augenblick in der Mulde gera de ein heftiger Kampf tobte, der aber zu Gunsten seiner Leute rasch und schmerzlos entschieden wurde. Womit nämlich Jenkins nicht gerechnet hatte: die Posten wurden zur ungeraden Stunde abgelöst, und seine Leute hatten nun alle Hände voll zu tun, die Leute unschädlich zu machen. Zero unterbrach seine Meßarbeit und fragte über die Schulter: „Nun, was gibt’s … ?“ „Señor Miranda läßt fragen, ob der Angriff auf die Stadt zum festgesetzten Zeitpunkt erfolgt“, sagte Jenkins, der nicht wußte, daß Miranda bereits genaue Instruk tionen hatte. „Blödsinnige Frage“, schnappte Zero und wendete sich um. 228
Aus weit aufgerissenen Augen starrte er in die Revol vermündung Jenkins’, dann in das steinerne Gesicht des Mannes, dem er die letzten Schlappen zu verdanken hat te. „Wo kommen Sie denn her?“ fragte er mehr verdutzt als erschrocken. „Direkt aus der Hölle“, sagte Jenkins leise. „Und ich soll Ihnen ausrichten, daß dort schon ein Platz für Sie reserviert ist, Señor C o n s a l v o.“ Zero zuckte zusammen. „Sie kennen … meinen Namen?“ fragte er stockend. Sein Gesicht überzog sich mit Leichenblässe. Die Augen begannen, von unterdrückter Erregung zu funkeln. „Ich habe lange gebraucht, ehe ich einen Blick in Ihr Gesicht werfen konnte, General“, sagte Jenkins halblaut. „Heute begegne ich Ihnen zum ersten Male ohne Maske … und ich kenne Ihr Gesicht. Sie sind kein anderer als Consalvo. Um das festzustellen, bin ich Ihnen nachge jagt. Meine Regierung wird hocherfreut sein, zu hören, daß der mexikanische Ex-General und Hauptaktionär großer Rüstungsbetriebe in lateinamerikanischen Staaten höchstpersönlich seine Finger in diesem schmutzigen Spiel hat.“ Zeros bleiches Gesicht überzog sich jetzt mit Röte. Seine Schläfenadern schwollen an. Er sah alles, was er mühsam und mit großen Opfern aufgebaut hatte, das ganze fein gesponnene Intrigennetz, vor dieser kleinen runden Revolvermündung eines energischen und zweifel los erbarmungslosen Mannes zusammenfallen. In den Augen Jenkins sah er den Tod. „Wenn Sie mich niederschießen, sind Sie verloren“, sagte er rasch, um Zeit zu gewinnen. „Ich gebe die Be lagerung der Stadt auf, wenn Sie sich zurückziehen.“ 229
Jenkins ließ sich nicht anmerken, daß er mit fieberhaf ter Spannung auf die Explosion wartete. Er lächelte spöt tisch. „Zwischen Agent 711 und General Consalvo gibt es keine Kompromisse“, sagte er hart. „Auch werde ich Sie nur niederschießen, wenn Sie den Versuch unternehmen, die Posten zu alarmieren. Sie sollen hängen, Consalvo!“ „Ich bin gespannt“, erwiderte Zero trocken, „wie Sie mich vor den Augen meiner Leute hängen wollen. Was kümmert Sie überhaupt Mexiko? Warum mischen Sie sich in unsere Angelegenheiten?“ Billy Jenkins sah auf die Uhr. Er war beunruhigt über das Ausbleiben der Detonation. Wenn das Munitions lager nicht in die Luft ging, kam er mit Zero nicht aus dem Lager … „Warum ich eingreife?“ wiederholte er. „Weil Sie ein niederträchtiger Lump sind, Consalvo. Weil Sie Revolu tionen anzetteln, tausende Menschenleben opfern, ein Land ins Chaos stürzen … nur um Ihren Geldbeutel zu füllen. Wir kennen Ihre schmutzigen Waffengeschäfte nur zu gut. Wo immer der Tod reiche Ernte hält, haben Ihre Agenten die Voraussetzungen geschaffen. Sie sind ein Großkaufmann des Todes. – Ihr Spiel ist zu Ende. Ich habe Auftrag, Sie zu vernichten … jetzt, da ich das Ge heimnis Ihrer Identität gelüftet habe, ist es so weit.“ Zero lächelte verbissen. „Wie haben Sie mich erkannt?“ „Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter. Damals, als Sie mit Schimpf und Schande aus der mexikanischen Armee gejagt wurden, erschien Ihr Bild in einer New Yorker Zeitung.“ „Ach, daher …“ „Wissen Sie, was jetzt geschieht?“ 230
„Da bin ich aber gespannt“, sagte Zero höhnisch. „Jetzt fliegt Ihre gesamte Munitionskarawane in die Luft – und das bedeutet …“ Jenkins konnte nicht aussprechen. Blitzschnell hatte Zero erkannt, daß Jenkins nicht bluffte. Wenn die Mu nitionswagen vernichtet wurden, war alles verloren. Der Gegner hatte seine Achillesferse erkannt und tollkühn ge handelt. „Alarm“ brüllte Zero, die Todesgefahr nicht achtend. Aber ehe die Posten hereinstürzen konnten, hatte Jen kins den Rebellengeneral niedergeschlagen. R r r r u m m m s … eine donnernde Explosion er schütterte den Erdboden – das leichte Zelt wurde von einem gewaltigen Luftdruck hochgewirbelt und brach in sich zusammen. Rrrrummras … Rrrrummms … weitere Detonatio nen in rascher Reihenfolge. Feurige Pilze, die in den nächtlichen Himmel stiegen. Wildes Geknatter aus den brennenden Wagen … Krachen, Bersten, Heulen, Zi schen … Die Maschinengewehrmunition verknatterte unter den sengenden Flammen. Granaten detonierten. Dynamitkis ten rissen gewaltige Krater in den Erdboden. Die ganze Mulde unterhalb des Hügels war eine einzige Hölle. Jenkins hatte sich unter dem eingestürzten Zeltleinen hervorgearbeitet und lugte ins Freie. Die entsetzten Pos ten bemühten sich von der anderen Seite, die Zeltbahn aufzuheben. Jenkins griff nach innen und zog den be wußtlosen General hervor, dessen schlaffe Gestalt er sich über die Schulter wart. Ein Posten reckte ihm das Gewehr entgegen, aber Jen kins fuhr ihn scharf an. „Wo ist der Arzt? Der Chef ist verwundet …“ 231
Zitternd zeigte der Posten auf ein kleines Zelt in der Nähe. Er wollte ihm folgen, aber Jenkins befahl ihm barsch, auf seinem Posten zu bleiben. „Im Zelt befinden sich wichtige Dokumente, du Esel“, sagte er scharf. „Daß du niemanden in die Nähe läßt …“ Er schleppte Zero zu dem kleinen Zelt und blickte sich vorsichtig um. Der Posten starrte zur anderen Seite, in das Flammenmeer der Mulde. Rasch eilte Jenkins am Zelt vorbei und tauchte in der Nacht unter. Im Lager herrschte Panik. Die entsetzten Rebellen wußten nicht, was sie zur Rettung der Munitionswagen unternehmen sollten. Sie liefen schreiend und gestiku lierend am Rande der Mulde umher, wagten sich aber nicht in die Nähe der brennenden Wagen, die einer nach dem anderen in die Luft flogen. Auch die Posten hatten ihre Pflicht vergessen. Die Katastrophe lähmte jedes Denkvermögen … In dieser Verwirrung gelang es Billy Jenkins, mit sei nem Gefangenen zu entkommen. Er schlug einen großen Bogen und verschnaufte sich in einer Gebüschgruppe, als er raschen Hufschlag hörte. Über den Weg kam ein Reiter und zügelte unmittelbar vor Jenkins das Pferd, als er den Feuerschein gewahrte. „Alle Teufel … es ist doch im Lager“, fluchte der Me xikaner und wollte seinem Gaul die Sporen geben, als eine harte Faust ihn aus dem Sattel warf. Jenkins kniete auf der Brust des Mannes und setzte ihm das Messer an die Kehle. „Wo kommst du her … sprich, wenn dir dein Leben lieb ist.“ „Von … Pete …“, stotterte der geängstigte Mann. Jenkins holte alles Wissenswerte aus ihm heraus. Er erfuhr, daß Pete und Martina mit der tausend Mann star 232
ken Vorhut unterwegs waren, um San Fernandez zu nehmen … „Dafür sollst du am Leben bleiben“, sagte er befrie digt. Er fesselte den Mann mit seinem eigenen Lasso und schnitt noch ein langes Stück ab, mit dem er den General der gerade wieder zu sich kam, die Hände auf den Rü cken fesselte. *
* *
Billy Jenkins erreichte nach einigen Aufregungen und Gefahren – die ganze Ebene wimmelte jetzt von aufge scheuchten Rebellen – das Versteck, wo seine Leute schon auf ihn warteten. Das Unglaubliche war vollbracht: Ohne einen Mann zu verlieren, hatten sie den Munitionsvorrat der revoluti onären Nordarmee in die Luft gejagt und den Anführer der Revolution lebend aus seinem eigenen Hauptquartier geholt. Natürlich hatten die Revolutionäre hier und dort in der Provinz noch versteckte Munitionslager … aber wer kannte sie? Der ganze, minutiös zusammengestellte Auf ruhrplan war im Gehirn des Generals Consalvo entstan den. In seiner Hand liefen die Fäden zusammen. Wer sollte an seine Stelle treten? Wer kannte die Hintergründe dieses Intrigenspiels um die Macht, und wer konnte jetzt noch Ordnung in den Feldzugsplan bringen, nachdem er einmal in Verwirrung geraten war? Selbst, wenn sich ein Nachfolger für Zero fand, war der geplante Vormarsch auf die Landeshauptstadt um Wochen verzögert … Wochen, die über den Ausgang der 233
Revolution entscheiden mußten; denn General Textor, der aus dem Süden anrücken sollte, würde vergeblich auf das Eintreffen der Nordarmee warten … Zero war halb wahnsinnig vor Wut und Enttäuschung, als man ihn, in sicherem Versteck, so gründlich fesselte, daß er nicht einmal mit der großen Zehe wackeln konnte. Billy Jenkins hielt es für ratsamer, in dem Versteck zu bleiben. Zero durch die feindlichen Linien nach Santa Madre zu bringen, wäre zu waghalsig gewesen. Sie durf ten nicht im letzten Augenblick dieses wichtige Unter pfand des Sieges aufs Spiel setzen. Im Morgengrauen waren die Munitionswagen in der Mulde völlig ausgebrannt. Jenkins beobachtete durch sein Fernglas das Treiben im Lager und auf der Ebene. Irgendein Unterführer Zeros mußte den Oberbefehl über nommen haben; denn Melder sausten hin und her, und Suchtrupps jagten über die Ebene, offenbar auf der Suche nach ihrem vermißten General. Man hatte den gefesselten Boten Petes im Gebüsch ge funden, und Jenkins war froh, daß er bei dem Rückzug zuerst die andere Richtung eingeschlagen hatte … in die ser Richtung wurde jetzt das Gelände abgesucht. Als es ganz hell war, hatten die Leute die Suche auf gegeben. Sie vermuteten wohl, daß der General nach Santa Madre entführt worden war – – und daher sammel ten sich jetzt die tausende Rebellen zum Sturm auf die Stadt. Der jetzige Anführer war jedenfalls kein Stratege. Er ließ die Sturmgruppen wahllos aufmarschieren, behielt keine Reserven zurück, sondern setzte die ganze Streit macht zugleich ein. Es war klar, daß die Rebellen bei dem Angriff furcht bare Verluste haben würden … aber ebenso sicher, daß 234
es ihnen gelingen mußte, die zahlen- und waffenmäßig unterlegenen Verteidiger zu werfen. Für diesen Sturm war sicher noch genügend Munition vorhanden. Aber, als der Aufmarsch fast beendet war und Jenkins besorgt den Feldstecher hob, um die Bewegungen des Feindes zu verfolgen, fiel ihm eine große Staubwolke auf, als er einmal zurückblickte. Über die Talsohle zur Linken donnerte eine große Reiterschar heran. Und Jenkins wußte, daß es die Leute waren, die Jack Kirby in Bilford und Tudor angeworben hatte. Noch ehe der Angriff der Rebellen auf die Ölstadt be gann, brachen die Reiter aus dem Tal hervor und donner ten in voller Karriere auf die Ebene hinaus. Erst im letz ten Augenblick erkannten die Rebellen, die ihre Auf merksamkeit natürlich nach vorn richteten, die Gefahr … aber schon brachen die Reiter in die hinteren Reihen ein und rollten die ganze Front auf. Tom Prox hatte vom Dach des Verwaltungsgebäudes aus das Nahen der Reiterschar beobachtet. Er hielt sie zu erst für Verstärkungen Zeros und wollte den Mut sinken lassen … als er sah, wie sich die ersten Gefechte ent wickelten, schrie er laut vor Freude. In aller Eile ließ er die Verteidiger aus ihren Stellun gen kommen, die nur noch mit schwachen Kräften be setzt blieben. Die Regierungstruppen, an der Spitze Prox’ Cowboys, saßen auf und machten einen Ausfall auf die Belagerer. Wie die wilde Jagd donnerten die Verteidiger von Santa Madre unter die in Verwirrung geratenen An greifer. Noch war das Kräfteverhältnis ungleich, doch wirkte sich die zahlenmäßige Überlegenheit der Rebellen mangels einer ordentlichen Führung und wegen der ent standenen Verwirrung nicht mehr aus. Um die Mittagszeit waren die Rebellen hoffnungslos 235
zerstreut. Der Feldherr fehlte, der befehlsgewohnte, mili tärisch erfahrene General Consalvo … Zwei Stunden später zogen sich die Reste der Rebel lenarmee, in einzelne verstörte Gruppen aufgesplittert, in die Hügel zurück … Elftes Kapitel Martina und Pete lächelten sich zu, als die beiden Re bellenregimenter in den Mittagsstunden zum ersten Male rasteten. Das Combo-Tal war durchquert und die Schlucht fast bezwungen. Ehe die Truppen den schmalen Saumpfad zur Hochebene empormarschierten, ließen sie ihre Pferde ausruhen. Zero war nicht nur ein geschickter Organisator … er hatte seine Truppen auch vorzüglich ausgerüstet. Das schwierigste Problem, die Verpflegung und Versorgung mit Munition, war auf die einfachste Weise gelöst wor den. Überall im Lande befanden sich geheime Lebens mittel– und Munitionsdepots, deren Orte allerdings nur drei Personen kannten: Zero selbst, Pete und Martina. Die vormarschierenden Revolutionäre wurden nach einem intelligenten Plan von Stützpunkt zu Stützpunkt geschickt. Und erst, wenn sie den einen Stützpunkt er reicht hatten, erfuhren sie den Standort des nächsten. Vor allem war an die Anhäufung von Lebensmitteln gedacht worden, während die Munition in der Hauptsache auf Wagen mitgeführt wurde. Auch hier in der Schlucht befand sich ein solches Depot, das sich in einer versteckten Felsenhöhle befand und nach den Anweisungen Petes geöffnet und ausgeräumt wurde. Hufschlag ertönte auf dem Wege und ein staubbedeck ter Reiter sprengte heran. Er riß vor Pete das Pferd so 236
brutal zurück, daß es auf die Hinterhand niedersank. Der Mann sprang aus dem Sattel und keuchte eine Weile, ehe er seine Hiobsbotschaft hervorsprudelte. „Was?? – Zeros Streitmacht zerschlagen?“ fragte Pete entsetzt. „Und der General gefangen? Zum Teufel, bist du betrunken. Kerl?“ Der Bote hob beschwörend die Hände. „Ich sage die Wahrheit, Señor. Die ganze Munitions kolonne … in die Luft gesprengt. Starke berittene Kräfte fielen uns in den Rücken, die reinen Teufel, als wir Santa Madre dem Erdboden gleichmachen wollten. Keine Mu nition mehr, Señor, unsere Truppen in alle Winde ver sprengt. – Es ist Hexerei, Señor, aber die Regierung hat acht Regimenter auf den Marsch gesetzt, um die Nord armee anzugreifen. General Textor ist im Süden vernich tend geschlagen worden, der Bote brachte die Nachricht mit. Das ganze Land zwischen Miguele und San Fernan dez gleicht einem aufgescheuchten Ameisenhaufen. Ü berall sind Bürgerwehren gebildet worden …“ Pete blickte Martina totenbleich an. „Das ist das Ende der Revolution“, sagte er tonlos. „Alles umsonst …“ Er faßte sich an die Stirn. „Die Mu nitionskolonne vernichtet, Santa Madre nicht genommen, der General gefangen …“ „Miranda hatte den Oberbefehl übernommen, aber er wurde bei den Rückzugskämpfen schwer verwundet“, berichtete der Unglücksbote weiter. „Murillo führt jetzt die Reste der Armee.“ „Murillo ist ein Esel“, sagte Pete. „Und die Armee ist ohne Munition ein armseliger Haufen armseliger Kerle. Nur ich und Martina kennen den Standort der Reserve depots … aber dazu ist es jetzt zu spät. Wieviel Regimen ter Regierungstruppen sind im Anmarsch, sagtest du?“ 237
„Acht, Señor.“ „Wir müssen sehen, daß wir wegkommen“, sagte Pete und sah zu Martina. Sie warf ihm einen seltsamen kalten Blick zu. „Willst du so schnell kapitulieren?“ fragte sie. „Jetzt ist jeder Widerstand sinnlos geworden. Wir können nur noch versuchen, unser Leben zu retten“, er widerte er tonlos. Martina stand wie erstarrt. Dann gellte seine Stimme über die Schlucht und brachte Leben in die rastenden Ko lonnen. Pete rief die Unterführer heran. Er schilderte ihnen mit knappen Worten die letzten Ereignisse und die Aussichtslosigkeit ihrer Situation. Die Männer starrten ihn an, feindlich; einige schienen Lust zu haben, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Da rief Pete mit schneidender Stimme: „Die Truppe ist aufgelöst! – Jeder rette sich so schnell und gut er kann!“ Martina hatte nicht mehr gewagt, einzugreifen. Sie hatte die Pferde satteln lassen und hielt etwas abseits. Pete hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als ein baumlanger, übler Bursche einen Schritt nach vorn trat und zum Colt griff. Ein Schuß krachte. – Der Hüne brach zusammen. Mar tina hatte geschossen und sie hielt nun mit dem Colt die Unterführer im Schach. Pete sprang zurück, schwang sich in den Sattel und sie galoppierten davon. *
* *
238
„Hier haben sie gerastet“, sagte Billy Jenkins und deutete auf die zahlreichen Spuren auf dem Grunde der Schlucht. Er hielt mit Tom Prox an der Spitze der Abteilung, die die Verfolgung der Streitmacht Petes aufgenommen hat te. Jenkins stieg ab und untersuchte die Spuren. Es dauer te nicht lange, bis er herausgefunden hatte, daß die Ver folgten über den Saumpfad auf die Hochebene entkom men waren. Die Abteilung erkletterte den steilen Hang und als sie die Ebene erreichten, sah Jenkins, was er schon lange vermutet hatte: Auch Petes Truppe hatte sich aufgelöst. Die Spuren liefen nach allen Richtungen auseinander. Die Rebellen hatten sich getrennt und suchten in kleinen Gruppen ihr Heil in der Flucht. Die letzte große Einheit der Nordarmee war zersprengt. Wo aber waren Pete und Martina geblieben? Wie soll ten aus den hunderten Spuren die richtigen herausgefun den werden? Ein sinnloses Unterfangen. Billy Jenkins machte sich schweigend an die Unter suchung der zahlreichen Fährten. Unter so vielen Spuren war nichts herauszufinden. Man mußte Hellseher sein, um zu erraten … Halt! – lag da nicht ein Handschuh? Jenkins sprang aus dem Sattel und reichte Prox den leichten Handschuh, der nur von einer Frauenhand stam men konnte. Prox roch daran. „Martina Consalvo“, sagte er kurz. „Der Handschuh ist parfümiert – und es ist das Parfüm, das Martina be nutzt. Ich weiß es, seit wir im Palast des Gouverneurs mit ihr zusammensaßen.“ „Ehre deiner Nase“, erwiderte Jenkins. „Wir haben die Spur. Es sind nur zwei Reiter hier entlanggekommen …“ Jenkins rief einen der Cowboys zu sich heran. 239
„Butler, Sie übernehmen den Oberbefehl über die Ab teilung. Lassen Sie nach allen Seiten Reitertrupps die Ver folgung der flüchtenden Rebellen aufnehmen. Es genügt, wenn die Kerle im Laufen bleiben. Wir treffen uns später hier in der Schlucht wieder. Mein Freund Prox und ich nehmen die Verfolgung einer ganz bestimmten Spur auf.“ *
* *
Pete und Martina waren zuerst im Galopp, dann im Trab in westlicher Richtung fortgeritten. Es ging über einige Bodenwellen und kleine Hügel, dann hatten sie den Hochwald erreicht – ein riesiges Waldgebiet, das sich bis nach Pasquale erstreckte. Pete mußte wohl mit Verfolgern rechnen; denn er schlug mehrfach Haken und ritt längere Zeit über eine langgestreckte Felspartie, obwohl diese in entgegenge setzter Richtung führte. Dann schlug er wieder westliche Richtung ein und wählte einen schmalen, gewundenen Pfad, der so eng war, daß die Zweige zu beiden Seiten des Weges Ihre Gesichter peitschten. Sie erreichten eine Lichtung. Mehrere Male ritt Pete den jenseitigen Waldrand ab, ehe er einen Pfad entdeckt hatte, der – wie er wußte – zu der verlassenen Hütte eines Waldläufers führte, der früher einmal in dieser Gegend gehaust hatte. Bei dieser Hütte befand sich eines der ge heimen Lebensmitteldepots der Rebellen. Es wurde langsam dunkel, als sie endlich diese Hütte erreichten: ein kleines, halbverfallenes Blockhaus, ohne Fensterscheiben, mit einer aus rohen Brettern gezimmer ten Tür. Pete half Martina vom Pferd und öffnete die Hütte. 240
Dann versperrte er die Tür und Juanita sah durch das Fenster, wie er die Pferde versteckte. Während Pete die Pferde im Wald versteckte, unter suchte Martina die Hütte. An den geheimen Zeichen er kannte sie, daß das Versteck nicht wieder betreten wor den war. Bald prasselte ein kleines Feuer. Sie nahmen sich aber nicht die Zeit, ein Essen zu bereiten, sondern studierten die Karte und beratschlagten lange. Ein Geräusch vom Fenster her ließ Martina aufsehen – sie schaute genau in die Mündung eines Revolvers. „Hebt mal gleich die Händchen in die Höhe“, sagte Tom Prox lachend. Die Tür knarrte leise und mit einem raschen Schritt stand Billy Jenkins im Raum. Es war kein Kunststück, die beiden „Adjutanten“ Ze ros innerhalb einer Viertelstunde so sicher zu verpacken, daß sie, gut verschnürt, auf ihren eigenen Pferden trans portiert werden konnten. Drei Tage später schickte Billy Jenkins von Tudor aus eine lange Depesche ab, in der er Bericht erstattete. In einem Teil der Depesche hieß es wörtlich: „… So war die Situation recht aussichtslos, als Santa Madre von überlegenen Streitkräften belagert wurde. Ich entschloß mich daher, den Rebellenführer aus seinem Hauptquartier zu holen, während einige tapfere Leute, die sich mir angeschlossen hatten, das Munitionslager der Rebellen in die Luft sprengten. General Consalvo wurde gestern abend auf Befehl seiner Exzellenz des Gouver neurs öffentlich gehenkt. Auftragsgemäß wurde die Iden tität des Rebellenführers festgestellt und dieser ver nichtet. Ich betrachte meine Aufgabe als gelöst und bitte um Bestätigung. 711.“ 241
Die Antwort war ganz unkonventionell gehalten. Sie umfaßte nur fünf Worte: „Sie sind ein Mordskerl, gratu liere!“ Verschiedene Tageszeitungen aber überschrieben ih ren Bericht: „711 greift ein!“ ENDE
242