ABENDS AM TROCADERO
RUTH LANGAN
Bianca Exklusiv 100 04/02
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von claudia_L
1. KAP...
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ABENDS AM TROCADERO
RUTH LANGAN
Bianca Exklusiv 100 04/02
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von claudia_L
1. KAPITEL „Jetzt hör mir mal genau zu, Paddy!" Kate blickte ihren Vater energisch an. „Du machst mich krank mit deinen Vorhaltungen", stöhnte Patrick Halloran in seinem weißen Krankenhausbett, zog sich das Kissen über die Ohren und drehte sich auf die andere Seite. „Ich bin es leid, mir dein Klagen noch länger anzuhören. Du benimmst dich wie ein kleines Kind", herrschte Kate ihn an. So, dachte sie, vielleicht habe ich mit dieser Taktik mehr Erfolg. Ich muss ihn einfach bei seinem männlichen Stolz packen. Bisher war sie immer mitfühlend und freundlich gewesen. Sofort wandte sich Patrick Halloran wieder seiner Tochter zu, um gegen die Unterstellung lebhaften Protest einzulegen, aber die junge Frau an seinem Krankenbett ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Keine Widerrede! Dr. Simpson hat gesagt, du könntest in zwei oder drei Wochen entlassen werden, wenn du dich nur ein bisschen anstrengen und deine Krankengymnastik machen würdest. Stattdessen lässt du dich gehen und bringst das Klinikpersonal zur Verzweiflung. Wehe, wenn ich erfahre, dass du dir ab jetzt keine Mühe gibst! Verstehst du denn nicht, die ganze Therapie ist nutzlos, wenn du nicht mitarbeitest. Du willst doch deine Arme und Beine wieder richtig gebrauchen können, oder?" An der Tür erschien eine Krankenschwester. Sie blieb stehen und lauschte amüsiert der Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter. Patrick Halloran wirkte steif und ablehnend. Er hatte sich erneut in die Kissen vergraben und blickte Kate finster an. Lange kastanienbraune Haare umspielten ihre Schultern. In den haselnussfarbenen Augen blitzte es vor Ärger und Temperament. Kate war ein Energiebündel, ein wahrer Wirbelwind, sie wog wenig mehr als hundert Pfund und war nur knapp einen Meter siebzig groß. Sie hatte ihre gewöhnliche Freizeitkleidung an, in die sie am liebsten schlüpfte, wenn die Bürostunden hinter ihr lagen: Praktische Jeans, ein modisches Sweatshirt, das locker ihren Körper umspielte, und an den Füßen bequeme Slipper. So stand sie da, stemmte die Hände in die Hüften wie ein Feldwebel vor der Kompanie und gab ihrem Vater letzte Anweisungen. „Wenn mir eine der Schwestern berichtet, dass du deine Gymnastikübungen nicht konsequent durchführst, komme ich nach meiner Dienstzeit höchstpersönlich hierher, um das Trainingsprogramm zu beaufsichtigen. Und wenn ich dich die ganze Nacht lang wach halten müsste, du wirst deine Übungen machen. Es ist ganz zwecklos, dass du versuchst, dich davor zu drücken." Dann erschrak Kate aber doch über ihren energischen Ton und fürchtete, zu weit gegangen zu sein, denn Mr. Halloran ließ einen tiefen, lang gezogenen Seufzer hören. Rasch trat sie näher an das Bett heran. Sie konnte sich nicht erinnern, ihren Vater jemals mit dunklen Haaren gesehen zu haben. Schon vor ihrer Geburt, als er gerade die Zwanzig überschritten hatte, war er ergraut. Nun wurde sein ausdrucksvoller, mächtiger Schädel von dichtem schlohweißem Haar umrahmt. Die Haut, war gebräunt und ledrig und zeugte von jahrelanger harter Farmarbeit unter der gleißenden Sonne Kaliforniens. Tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht eingegraben und kontrastierten mit dem jugendlich lebhaften Blick seiner grünen Augen: Ein stattlicher Mann von noch nicht fünfzig Jahren, der es nicht begreifen konnte, plötzlich krank zu sein. Ich finde nur wenige Männer so beeindruckend wie ihn, dachte Kate. „Gönne mir eine kleine Pause und lass einen alten Mann in Ruhe", murmelte er jetzt. „Ach was, du und ein alter Mann!" Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und lächelte besänftigend. Dann wurde sie wieder energisch. „Also denk daran, Paddy. Eine Klage über dich, und ich komme her." Von Kindheit an hatte Kate ihren Vater mit Paddy angeredet, einer Abkürzung von Patrick. Alle seine Freunde nannten ihn so. Als sie als kleines Mädchen zum ersten Mal diesen Namen gebrauchte, war ihr Vater zuerst sprachlos gewesen, dann aber irr Lachen ausgebrochen. Seit damals nannte sie ihn
immer so, wenn es etwas Wichtiges, Geschäftliches zu besprechen gab, wenn es um eine Angelegenheit ging, die nicht ihre Vater-Kind-Beziehung betraf. Wie zum Beispiel heute, wo Kate ihrem Vater mehr als Freund denn als Tochter zuredete. „Lass es gut sein, Katie. Du schimpfst wie ein Rohrspatz. Ich möchte schlafen." Sanft ergriff sie seine Hand. „In Ordnung. Ich mag dich sehr, Dad. Gute Nacht." Überrascht über den plötzlichen Stimmungswechsel blickte Patrick Halloran auf. „Fahr bitte vorsichtig. Die Strecke ist lang und nicht ungefährlich." „Aber sicher. Ich fahre den Weg doch schon, seit ich achtzehn bin. Keine Sorge, ich kenne die Route." „Aber ich mache mir trotzdem Sorgen." „Es wäre besser, du würdest dafür sorgen, dass du in den nächsten Wochen auf die Beine kommst. Du fehlst zu Hause, Paddy. Ich kann schließlich nicht ewig deinen Teil Arbeit übernehmen." Ich weiß, ich bin grob, dachte Kate. Aber es ist zu seinem eigenen Besten. „Sind wir noch Kumpel, Paddy?" fragte sie nach kurzem Schweigen. Sie lächelten sich an wie zwei Verschwörer. Dieser Satz war eine Geheimformel zwischen ihnen. „Klar, Kate-Mädchen. Wir sind Kumpel." Sie warf ihm von der Tür aus eine Kusshand zu, und er freute sich darüber. Entschlossen und mit neuer Energie verließ Kate das -Zimmer und ging den Krankenhauskorridor hinunter. Die Schwestern auf der Station grüß ten sie freundlich. Drei lange Monate hindurch war sie jeden Freitag nach Büroschluss von San Jose nach Monterey gefahren, um ihren Vater zu betreuen, ihn seelisch aufzurichten und ihm Mut zuzusprechen, denn die Genesung machte nur langsam Fortschritte. Aber nun war er fast wieder hergestellt, was Dr. Simpson und die Schwestern einzig und allein auf Kates rührende Fürsorge zurückführten. Andernfalls wäre Patrick Halloran, dieser stämmige, dickköpfige Ire, mit einem ebenso stürmischen Temperament wie seine Tochter gesegnet, vermutlich ein Pflegefall geblieben. Aber Kate hatte ihn gezwungen, sich nicht aufzugeben, sondern gegen die Folgen des Schlaganfalls anzukämpfen. Jetzt hatte er sich so weit erholt, dass man hoffen konnte, ihn in einigen Wochen nach Hause zu entlassen. Patrick Halloran hatte sich im Bett aufgesetzt, um durch das Fenster auf den Parkplatz zu blicken. Im Licht der Straßenlaternen sah er die schlanke Silhouette seiner Tochter und beobachtete jede ihrer Bewegungen, bis sie ins Auto stieg und die Rücklichter in der Dunkelheit verschwanden. Dann lehnte er sich tief in Gedanken versunken zurück. Er war stolz auf Kate. Sie war intelligent und strebsam, wusste, was sie wollte, und konnte hart arbeiten. Ohne Schwierigkeit hatte sie Schule und College absolviert, immer nur gute Noten und ein ausgezeichnetes Examen nach Hause gebracht. Und das, obwohl sie ihm auch noch bei der Farmarbeit geholfen hatte! Im Alter von zwölf, dreizehn Jahren konnte sie schon besser als mancher Mann den Traktor bedienen. In der Erntezeit arbeitete sie genauso schwer wie die Landarbeiter. Nie hatte sie sich beklagt. Trotzdem machte er sich manchmal Sorgen. Seine Freunde hatten schon des Öfteren angedeutet, sie fänden Kate ein wenig halsstarrig. Das wäre nicht gut für ein junges Mädchen. Dazu wäre sie ein rechter Wildfang, und er, Patrick Halloran, wäre auch noch stolz darauf, so lauteten ihre Vorwürfe. Kate bewunderte den Vater und teilte seine Neigungen und Abneigungen. Bereits als Teenager war sie eine hervorragende Tennisspielerin und Golferin. Manchmal gelang es ihr sogar, ihn bei einem Match zu besiegen. Patrick seufzte. Etliche Verehrer hatte Kate schon gehabt. Kein Wunder, bei einem so attraktiven Mädchen stellten sich die Jungen ganz von selbst ein. Sie umschwärmten seine Tochter wie die Bienen den Honig. Aber, auch das betonten Patricks Freunde, für einen jungen Mann wäre es recht schwer, im Vergleich zu Mr. Halloran zu bestehen. Der schärfste Konkurrent für einen Verehrer war kein Nebenbuhler, sondern Kates eigener Vater. Da die Mutter früh gestorben war - Kate war damals erst acht Jahre alt gewesen -, hatte die Tochter ein besonders enges Verhältnis zum Vater entwickelt, und auch er hatte ja nur noch sie. Meine Freunde
verstehen einfach nicht, was Kate und mich verbindet, dachte er. Und ihre Selbstständigkeit rührt daher, dass sie schon so früh ohne Mutter auskommen musste. Sie hatte keine Gelegenheit, das scheue hilflose Mädchen zu spielen, wie ihre Altersgenossinnen es tun konnten. Sie musste lernen, sich durchzusetze n, und so steht sie heute mit beiden Beinen im Leben. Kate ist eine echte Halloran. Die Hallorans sind die geborenen Siegernaturen. Kate steuerte ihr kleines Auto sicher die gewundene Küstenstraße entlang. Es hatte angefangen zu regnen, Nebel kam auf. Sie warf das lange dunkle Haar zurück und massierte sich mit der Hand den Nacken, um die steif gewordenen Muskeln zu lockern. Dann gab sie Gas. Kate liebte ein schnelles Tempo, aber sie fuhr nicht waghalsig. Routiniert nahm sie mit fast unverminderter Geschwindigkeit die Kurven, denn sie kannte den Straßenverlauf. Wie oft war sie diese Strecke schon gefahren! Vor und neben ihr zeichneten sich die zackigen, steilen Küstenriffe in der Dunkelheit ab. Sie standen in scharfem Kontrast zu dem schier endlos wirkenden weißen Sandstrand auf der gegenüberliegenden Seite der Straße. Hier und da hob sichrem Stück Treibholz als dunkler Punkt im Sand ab. Einzelne Häuser schienen wie Nester an die Felswinkel geklebt. Ab und zu passierte Kate ein kleines, verschlafen wirkendes Dorf. Welch ein Gegensatz zum Lärm und zur Hektik der Großstadt! Ein volles Jahr war es schon her, dass Kate von Hause fortgezogen war. Nach Beendigung des College hatte sie zielstrebig ihre berufliche Karriere vorangetrieben. Sie war nach Silicon Valley in Kalifornien gegangen, wo sie eine Anstellung in einer großen Elektronikfirma erhalten hatte. Der Konkurrenzkampf war hart und erbarmungslos, und anfangs war sie beinahe krank vor Heimweh gewesen. Sie vermisste ihren rauen, liebevollen Vater, das große Farmhaus und die weiten Felder. Aber als echte Halloran biss sie die Zähne zusammen und erkämpfte sich einen Platz in der neuen Umgebung. Kate war über sich selbst erstaunt. Als romantischer Teenager hatte sie wie alle jungen Mädchen davon geträumt, dass ihr die Welt zu Füßen liegen würde und ein Ritter, hoch zu Ross, sie auf sein Schloss heimführen würde. Diese Träume gehörten nun der Vergangenheit an, dazu hatte sie selbst beigetragen. Je größer der Erfolg im Beruf, desto höher steckte sie sich ihr Ziel. Sie entzog sich ihren Verehrern und verzichtete freiwillig auf das harte, aber sichere und friedliche Leben, das der Vater ihr auf der Farm bieten konnte. Kate fühlte sich erschöpft. Die Woche hatte vollen Einsatz verlangt, und die Fahrt ins Krankenhaus und zurück war lang. Seit drei Monaten waren das ihre Wochenenden. Am Freitag, sofort nach Büroschluss, setzte sie sich ins Auto und fuhr zu ihrem Vater. Am Krankenbett redete sie ihm dann ins Gewissen, die Anordnungen des Arztes zu befolgen, und sprach ihm Mut zu. Er musste einfach so weit gesunden, dass er nach Hause zurückkehren und sich selbst helfen konnte. Am Sonntagabend fuhr sie dann wieder zurück nach Silicon Valley. Mit Befriedigung hatte sie heute festgestellt, dass es ihrem Vater merklich besser ging und er sich von dem leichten Schlaganfall Schritt für Schritt erholte. Für ihn, der immer gesund und kraftstrotzend gewesen war, mussten diese letzten Monate ein Albtraum gewesen sein. Patrick Halloran war Avocadofarmer, bodenständig und an schwere körperliche Arbeit gewöhnt. Im Gegensatz zu seinen gleichaltrigen Freunden, die ihr Leben schon mit mehr Muße genossen, begann sein Arbeitstag noch immer bei Sonnenaufgang und endete am späten Abend. Sein Einsatz lohnte sich jedoch, denn Mr. Hallorans Farm war für Rekordernten bekannt. Wenn er dann seine Bekannten zu einem Tennis- oder Golfmatch traf, stellte er mit Genugtuung fest, dass er sie selbst nach so intensivem Arbeitseinsatz noch immer besiegte. Bedingt auch durch den Tod seiner Frau war Patrick Halloran daran gewöhnt, mit seinen Problemen allein fertig zu werden, und fragte nie jemanden um Rat oder Hilfe. Kate war immer sehr stolz auf ihren Vater gewesen, besonders aber jetzt, da sein irischer Dickschädel und der Wille, gesund zu werden, über die Krank heit zu siegen begannen. Kate umfasste das Lenkrad fester. Ich werde dafür sorgen, versprach sie sich selbst, dass er wieder sein gewohntes Leben aufnehmen kann. Alles will ich dransetzen, dass er wieder vollkommen hergestellt wird. Kate strich mit der Hand über den linken Ringfinger. Seltsam nackt kam er ihr jetzt vor, da sie
keinen Verlobungsring mehr trug. Eine Zeit lang hatte sie sich eingeredet, es würde schön sein, sich an der breiten Brust eines Mannes auszuruhen und ihm einen Teil der eigenen Sorgen anzuvertrauen. Aber nicht einmal von einem so langmütigen Mann wie Joe konnte sie erwarten, dass er sich immer nur mit vagen Äußerungen über die gemeinsame Zukunft zufrieden gab. Kate jedoch wollte ihm nichts versprechen, solange sie nicht wusste, wie es mit ihrem Vater weiterging. „Wann wirst du dich endlich zu einem Entschluss durchringen?" hatte Joe gedrängt. „Warum kündigst du nicht, und wir heiraten? Dann kannst du, so oft es nötig ist, nach Carmel zu deinem Vater fahren." Ruhig und überlegt hatte er alle ihre Einwände zu widerlegen versucht. Aber Kate konnte ihm nicht zustimmen. „Das geht nicht, Joe. Ich kann nicht einfach kündigen und dir meine ganze Karriere opfern. Aber mach dir um mich keine Sorgen, ich schaffe es schon. Ich bin für Paddy verantwortlich und werde mich auf jeden Fall um ihn kümmern." Ihre Stimme klang heiser. Das war das letzte Gespräch gewesen. Danach waren sie auseinander gegangen. So wird es wohl immer wieder sein, grübelte Kate, niemand kann meine Einstellung verstehen. Nach der gelösten Verlobung fühlte sie sich eine Weile wie gelähmt, aber dann empfand sie seltsamerweise so etwas wie Erleichterung. Wenn Joe und ich uns tief genug geliebt hätten, dachte Kate, dann hätten wir dieses Problem gelöst. Vielleicht haben wir beide nur Halt aneinander gesucht, den wir uns aber nicht geben konnten. Die Verlobung war ein Irrtum gewesen. Dennoch empfand Kate Schuldgefühle. Ich habe die Entscheidung heraufbeschworen, gestand sie sich ein, ich, nicht Joe. Wieder und wieder habe ich ihn mit fadenscheinigen Erklärungen hingehalten, habe den Hochzeitstermin hinausgeschoben, weil ich Joe in Wahrheit gar nicht heiraten wollte. Vaters Krankheit hat mir dann den Grund geliefert, mich von Joe zu lösen. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ein Lieben mit Joe wäre ruhig, mittelmäßig, in finanzieller Sicherheit verlaufen. Also trist und eintönig. Ihre Liebe hatte sich als nicht stark genug erwiesen. Das Feuer war erloschen, bevor es recht entflammt war. Den magischen Zauber einer echten Liebe hatte es nicht gegeben. Was eigentlich hat mich zu Joe hingezogen, grübelte Kate. Vielleicht seine ruhige, abwägende Art, weil ich selbst so temperamentvoll bin wie Vater? Joe ist der besonnenste, ausgeglichenste Mann, dem ich je begegnet bin. Ein echter Gentleman. Wie stolz hatte er Kate in seine Familie eingeführt! Seine Mutter hatte sie freundlich aufgenommen und die Heirat befürwortet. Joe hatte schon Pläne gemacht, welche Art Haus sie kaufen wollten und wie die Einrichtung aussehen sollte. Ruhig und bestimmt hatte er sie auf die geschmackvollen Möbel in ihrem Apartment hingewiesen und darauf bestanden, ihr einen Innenarchitekten zu schicken. Gestritten hatten sie sich eigentlich nie, auch nicht, wenn sie gegenteiliger Meinung waren. Kate hatte herumgezankt, und er hatte stets dazu geschwiegen. In seiner stillen, festen Überzeugung, im Recht zu sein, hatte er abgewartet, dass sie ihre Meinung änderte und ihm zustimmte. Anfangs hatte Kate diese Haltung imponiert, später jedoch hatte diese Eigenart sie irritiert. Auf ihren einsamen Fahrten hatte sie immer wieder über ihr Verhältnis zu Joe nachgedacht und war doch nie zu neuen Ergebnissen gekommen. Vielleicht hatte Paddy Recht, wenn er ihr vorwarf, sie erwarte zu viel von ihrem zukünftigen Mann. Aber ich bin nun mal, wie ich bin, dachte Kate. Dad behauptet ständig, ich hätte die besten Eigenschaften meiner Vorfahren geerbt; ein Engelsgesicht, die Schlauheit eines Kobolds und den Lebensmut einer Heiligen. Meist jedoch fügte er noch hinzu, Kate sei angriffslustig wie eine Wildkatze, womit er auf ihr irisches Temperament anspielte. Hinter der nächsten Kurve tauchte die Reklame eines Motels und Restaurants auf. Kate kannte es. Man bekam dort ausgezeichneten Fisch oder Eintopf nach Hausmannsart serviert. Von hier hatte sie nur noch anderthalb Stunden Fahrt bis nach Hause. Die Serviererin im Schankraum begrüßte sie schon wie eine alte Bekannte. Kate ging zu einem kleinen Tisch in der Nähe des Kamins und zog den Trenchcoat aus. Sie traf rasch ihre Wahl, bestellte und lehnte sich dann mit einem tiefen Atemzug zurück, um zu entspannen. Sie brauchte Ruhe nach dem anstrengenden Wochenende. Der Mann an der Bar beobachtete Kate, seit sie eingetreten war. Der Abendnebel hatte sich auf ihr
Haar gelegt, die Tropfen funkelten darin wie Diamanten. Die Feuchtigkeit hatte ihre sonst welligen Haare zu Korkenzieherlocken gekräuselt. Die Augen des Mannes verengten sich, als Kate den Mantel auszog, sein Blick wanderte langsam und prüfend über ihren schlanken Körper und blieb an den weichen Rundungen ihrer Brüste haften, die sich durch das Sweatshirt abzeichneten. Kate starrte in das offene Kaminfeuer. Die Flammen ließen ihre dunklen Augen aufglänzen, sie tauchten ihr Gesicht in warmes Licht. Das Haar schien im Widerschein des Feuers rot zu glühen. Der Unbekannte nippte an seinem Drink und ließ Kate nicht aus den Augen. Er wusste, dass er im Schatten stand und sie daher unbemerkt beobachten konnte, ohne aufdringlich zu wirken. Er verfolgte jede ihrer Bewegungen. Das junge Mädchen gefiel ihm. Sie schien von jugendlicher Unbekümmertheit, offen und natürlich, es war genau das, was er heute so dringend brauchte. Mit der Geschäftswelt, den Managern, Elektronikfachleuten und technischen Beratern hatte er bis zum Überdruss zu tun. Er sehnte sich nach einer sanften weiblichen Stimme, einer gefühlvollen Frau und ihrer zarten, liebevollen Berührung - ganz ohne Hintergedanken. Die Kellnerin brachte Kate ein Glas Wein, was den Mann überraschte. War sie schon über achtzehn, dass sie Alkohol bestellen konnte? Die Bedienung servierte die heiße Suppe, und Kate empfand dankbar die Wärme. Sie streckte die erstarrten Glieder und labte sich am Eintopf. Dann wurde der Fisch gebracht. Der Mann hörte ihre melodische Stimme, als sie einige Worte mit der Kellnerin wechselte. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, der für einen Mann wie ihn ganz und gar untypisch war. Aber sie schien genauso allein zu sein wie er, und er wusste, dass sie beide in einigen Augenblicken wieder in das feuchtkalte Wetter und den Nieselregen hinaus mussten. Er winkte der Kellnerin, um ihr einen Auftrag zu geben. Kurz danach brachte diese ein zweites Glas Wein an Kates Tisch. Sie blickte erstaunt auf. „Das muss ein Irrtum sein. Ich habe nichts mehr bestellt." Er hörte ihre Stimme klar und deutlich quer durch den Raum. Die Kellnerin beugte sich flüsternd zu ihr hinab und deutete in seine Richtung. Verblüfft versuchte Kate, den Mann im Dunkeln auszumachen. Aber sie sah nur seine Umrisse, das Gesicht lag zu sehr im Schatten. Er sucht sicherlich eine flüchtige Reisebekanntschaft, dachte sie geringschätzig. „Das kann ich nicht annehmen", sagte sie ruhig. Sie schob das Glas zurück. Die Kellnerin ergriff es schulterzuckend und brachte es dem Mann an der Bar. „Tut mir Leid", murmelte sie entschuldigend und wandte sich dann einem anderen Gast zu. Der Unbekannte fuhr fort, Kate zu beobachten. Er ärgerte sich über sich selbst und kam sich wie ein Narr vor. Ich hätte mir denken können, dachte er, dass sie mein Benehmen als beleidigend empfindet und annimmt, ich hätte irgendwelche zweideutigen Absichten. Es wird jetzt aber Zeit, dass ich aufbreche. Bis in die Stadt ist es noch weit, und morgen steht mir ein anstrengender Tag bevor. Da muss ich ausgeruht sein. Aber der Fremde konnte sich nicht von Kates Anblick lösen, von ihren anmutigen Bewegungen beim Kaffeetrinken und den zarten Konturen ihres Körpers, die sich gegen den Feuerschein abhoben. Kurz danach beglich Kate die Rechnung und zog den Mantel an. Fast gleichzeitig erhob er sich auch, bezahlte und nahm seinen Regenmantel. Er durchquerte den Raum und erreichte die Tür, ohne es bewusst gewollt zu haben, im selben Moment wie Kate. Er verhielt den Schritt, trat höflich zur Seite und lächelte ihr gewinnend zu. Der Duft eines herben Parfüms umgab sie. Er sah ihre großen, ausdrucksvollen Augen auf sich gerichtet. Sie zögerte eine Sekunde, und er spürte ihre abwehrende Haltung. Offensichtlich empfand sie sein Benehmen als Provokation. Eigentlich hatte er einige erklärende Worte sagen wollen, aber er bezähmte sich, denn ihr Unmut über sein Verhalten war zu offensichtlich. Kates Wangen waren von dunklem Rot überzogen, und sie blickte ihn zornig an. Enttäuscht -verließ er das Lokal, schwang sich in seinen Porsche und setzte die Fahrt fort, ohne zu bemerken, dass die Lichter eines kleineren Autos folgten. Es war Kates Wagen, aber sie behielt das hohe
Tempo nicht bei, das der Unbekannte aus dem Restaurant vorlegte. Als Kate den Fremden plötzlich an der Tür so dicht vor sich gesehen hatte, war sie einen Augenblick wie erstarrt gewesen. Der Unbekannte hatte dunkle, durchdringende Augen und dunkle Haare. Er sah unwahrscheinlich attraktiv aus. Ein solcher Mann hat es eigentlich nicht nötig, sich eine kleine Freundin in einem Restaurant zu suchen, überlegte Kate. Seiner gepflegten Erscheinung und seinem teuren Auto nach zu urteilen ist das Verhalten auch untypisch für ihn. Vielleicht hat er nur einige freundliche Worte mit mir wechseln wollen. Aber Kate verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Das ist doch absurd, schalt sie sich. Kein Mann lädt eine fremde junge Frau zu einem Drink ein, nur weil er ein weiches Herz hat. Sie durchschaute diesen Mann. Aber sind da nicht noch andere Frauen außer mir in der Gaststätte gewesen? Warum hat er nicht eine von ihnen angesprochen? Warum, grübelte Kate, hat er seine Aufmerksamkeit gerade mir zugewandt? Sie konnte keine schlüssige Antwort auf ihre Fragen finden und war auch zu müde, weiter über die Episode nachzudenken. Noch etliche Kilometer sah sie die roten Schlusslichter des Porsche vor sich, dann hatte die Nacht ihn verschluckt. Das nächste Mal, schwor Kate sich, kaufe ich mir auch einen schnellen Flitzer. Es ist einfach langweilig, immer nur praktisch zu denken. Als sie sich damals, nach ihrem Umzug, zum Kauf eines Wagens entschlossen hatte, war ihr nur der Kostenaspekt wichtig erschienen. „Hast du schon etwas über den Mann im Vorstand gehört, der von der Computertechnik AG zu uns wechselt? Er übernimmt das Team von Mac Snowdon und hat bereits einen großen Wirbel veranstaltet. Er hat schon die Bücher überprüft und sich von jedem Mitarbeiter der Gruppe die Personalakte geben lassen. Anscheinend will er alle auf Herz und Nieren prüfen." Die auf diese Art angesprochene mollige Blondine mit Sommersprossen im Gesicht hielt überrascht im Haare kämmen inne und starrte die Kollegin ungläubig an. „Das darf doch nicht wahr sein! Die arme Kate. Ob sie wohl mit dem neuen Chef auskommt?" Die Gesprächspartnerin zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Aber ich wüsste, was ich an ihrer Stelle täte. Ich würde meine Steno- und Schreibmaschinenkenntnisse auffrischen für den Fall, dass ich den Anforderungen nicht gewachsen wäre." Die beiden Kolleginnen entfernten sich, und Kate huschte hinter einer Stellwand hervor, wo sie unfreiwillig Zeugin des Gesprächs geworden war. Das Büro-Nachrichtensystem funktioniert mal wieder ausgezeichnet, mokierte sie sich innerlich, die Nachrichten von den einschneidenden Maßnahmen des neuen Chefs haben sich also schon herumgesprochen. Kate ging zum Schminkraum, bürstete das volle Haar. Haarspangen bewirkten, dass es ihr bei der Arbeit nicht ins Gesicht fallen konnte. Sie legte ein wenig Rouge auf und betrachtete sich prüfend im Spiegel. Dann verstaute sie mit energischen Bewegungen ihre Make-up-Utensilien wieder in der Schultertasche und warf zufrieden den Kopf in den Nacken. Kate wüsste bereits Näheres über ihren neuen Chef, Andrew Carlson. Er war Hauptaktionär und Präsident der Computertechnik AG, die vor kurzem mit Kates Firma, Computer International, fusioniert hatte. Er sollte den Platz ihres bisherigen Chefs, Mac Snowdon, einnehmen. Snowdon ging in Pension. Mac hatte Kate schon darauf vorbereitet, dass mit Mr. Carlson kein leichtes Auskommen sein würde. Nach seiner Beschreibung war er ein unzugänglicher, etwas barscher Mann, der hohe Ansprüche an seine Leute stellte. Bevor er Snowdons Posten übernahm, hatte er sich ausbedungen, sich die Mitglieder seines Teams persönlich auszuwählen. Das hieß mit anderen Worten, dass sowohl Kates Arbeitsplatz als auch der aller Kollegen aus der Gruppe zur Disposition stand. Der gute alte Mac. Sie war ihm dankbar, dass er ihr einige Hinweise hatte zukommen lassen, bevor er ausgeschieden war. Er war der Einzige, der von der Krankheit ihres Vaters wusste und verstand, dass sie dadurch auch seelisch belastet war. Er rechnete es ihr hoch an, dass sie trotzdem eisern versuchte, ihre Arbeit nicht zu vernachlässigen. Kate biss die Zähne zusammen. Dieser Mr. Andrew Carlson würde bald herausfinden, dass. eine Halloran sich nicht so leicht unterkriegen ließ. Ich werde ihm beweisen, dass ich meine Arbeit verstehe und nicht kapitulieren will. Wenn sein Verhalten eine Misstrauenserklärung sein soll, dann werde ich ihn vom Gegenteil überzeugen.
Während Kate den Computerterminal in Gang setzte, überdachte sie noch einmal alles, was sie über ihren zukünftigen Chef wusste. Er war erst dreiunddreißig Jahre alt und damit das jüngste Vorstandsmitglied dieser riesigen, international bekannten Firma. Was man sich über ihn erzählte, war eindrucksvoll. Er hatte in Stanford studiert, bei den Examen als Bester seines Jahrgangs abgeschnitten und angeblich in einer alten Garage seine eigene private Computerfirma gegründet. Innerhalb von drei Jahren war das Unternehmen beträchtlich gewachsen und hatte sich mit einer größeren Elektronikgesellschaft zusammengeschlossen. Carlsons beruflicher Aufstieg war nicht zu stoppen. Noch bevor er die Dreißig überschritten hatte, kannte man in Fachkreisen seinen Namen. Als von einer Zusammenlegung der beiden Firmen die Rede war, ging man davon aus, dass Computer International die kleinere Computertechnik AG schlucken würde, aber diese Annahme erwies sich als falsch. Andrew Carlson wusste es so einzurichten, dass er den größten Profit aus dem Zusammenschluss zog und zudem auch noch das Mitbestimmungsrecht im Vorstand der großen Firma erhielt. Es War nun genau neun Uhr. Kate machte sich bereit, ihrem neuen Chef unter die Augen zu treten. Sie hörte draußen das Öffnen der Fahrstuhltür, dann wurde an ihre Tür geklopft. Erwartungsvoll blickte sie auf. Mac Snowdon trat ein und versperrte ihr die Sicht auf den Mann, der ihm folgte. Er begrüßte sie und begegnete ihrem fragenden Blick mit einem beruhigenden Blinzeln, das nur sie verstand. Dann straffte er sich und stellte sie vor. „Andrew Carlson, das ist Kate Halloran, Ihre neue Mitarbeiterin und rechte Hand." Damit trat er zur Seite. Kate erstarrte und hoffte nur, dass Andrew Carlson ihr den Schock nicht anmerkte, den sein Anblick bei ihr hervorrief. Ein Irrtum war nicht möglich. Dieses markante, arrogante Gesicht, diese selbstsichere und gepflegte Erscheinung kannte sie bereits. Sie stand dem Unbekannten aus dem Restaurant von gestern Abend gegenüber!
2. KAPITEL
Kate musterte Andrew Carlson, während sie seine Begrüßung erwartete. Sie sah, dass sich seine breiten Schultern unter einem gut sitzenden Jackett abzeichneten, bemerkte seinen vollen, sinnlich wirkenden Mund, der ernst und ohne ein Lächeln blieb. Sein dichtes, kurz geschnittenes Haar wellte sich leicht an einigen Stellen. Seine Haut war makellos braun, die dunklen Augen gaben keinen Hinweis darauf, dass er Kate wieder erkannt hatte. Kein Zeichen von Freundlichkeit. Aber ihr war nicht entgangen, dass er bei ihrem Anblick heftig den Atem eingezogen hatte und sich seine Augen für einen Moment verengt hatten. Er war also genauso perplex wie sie. Endlich streckte Carlson ihr zur Begrüßung die Hand entgegen. Fest erwiderte sie seinen Händedruck. „Willkommen bei Computer International, Mr. Carlson", begrüßte sie ihn förmlich und lächelte unverbindlich. „Danke, Miss Hadley." „Halloran", verbesserte Kate. „Richtig, Halloran." Sein Lächeln wirkte aufgesetzt, er maß sie von oben bis unten. Dann blickte er sich kurz im Raum um. Die Tür schloss sich wieder hinter den Männern. „Kate kann Ihnen helfen, sich bei uns rasch zurechtzufinden. Sie kennt alles bestens, sie ist für uns eine unersetzliche Kraft", hörte Kate Mac sagen. Die Antwort Carlsons war knapp und kalt. „Für ihre Leistung, wird sie, schließlich, wie ich aus den Unterlagen ersehen habe, auch recht gut bezahlt." Kate war empört. Wenn ihr Chef sich derart anmaßend und arrogant benahm, dann sollte er sehen, wie er in dem neuen Betrieb zurechtkam! Ich stehe anscheinend auf der Abschussliste, dachte sie, das wird durch seine Äußerung deutlich. Warum muss es auch der Fremde von gestern sein, der mich als Freundin für eine Nacht aufgabeln wollte. Und wie er aussieht! Man könnte ihn eher für einen Filmstar halten als für einen Computerfachmann. Nein, von mir hat er keine Unterstützung zu erwarten. Sie trommelte nervös mit ihren Fingern auf die Tischplatte. Ruhig, befahl sie sich selber, keine Fehler machen, reg dich ab! Wenn es ihr nicht gelang, eine befriedigende Basis der Zusammenarbeit zu finden, würde sie alsbald zurückgestuft und auf einen anderen Platz versetzt werden. Koste es, was es wolle, dachte Kate, ich muss diesen Arbeitsplatz behalten. Ich werde meine Arbeit sorgfältig wie bisher ausführen, damit es keinen Grund für eine Beschwerde gibt. Die Stellung der Assistentin des Chefmanagers war Kate nicht in den Schoß gefallen. Sie hatte viel Einsatzbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein zeigen müssen. Aber sie liebte ihre Tätigkeit, wo sie beweisen konnte, dass sie den Anforderungen gewachsen war, und hatte sich ganz ihrem Beruf verschrieben. Ich will alle Aufträge zur vollen Zufriedenheit ausführen, beschloss Kate. Mag mich Andrew Carlson nun sympathisch finden oder nicht - ich werde ihm jedenfalls keinen Grund liefern, mich zu versetzen. Die Unterredung zwischen Mac und Mr. Carlson dauerte beinahe eine Stunde. Plötzlich ertönte der Summer der Sprechanlage auf Kates Schreibtisch. Sie zuckte zusammen, obwohl sie erwartet hatte, dass man sie rief. „Bitte, Sir?" „Kommen Sie doch einmal herein, Miss Hanion." „Halloran." Ein Gefühl des Zorns überkam sie. Mit steifen Schritten ging sie zur Tür, öffnete sie und schaffte es, in vorgetäuscht selbstsicherer Haltung den Raum zu durchqueren. Sie wusste, dass Carlson sie beobachtete. Er überflog ihre Kleidung, die makellos weiße Bluse, den dunklen Rock und die eleganten halbhohen Pumps. Das Einzige, was nicht zum Stil dieser neutralen Aufmachung passte, war ein dünnes, goldenes Kettchen um den linken Knöchel. Es war ein Geschenk, das sie besonders liebte, und nur daran war die regendurchnässte Frau zu erkennen, der er gestern begegnet war. „Also, Kate, ich bin jetzt weg." Mac Snowdon erhob sich.
„Ach, Mac..." „Lass gut sein. Wir haben uns ja schon voneinander verabschiedet." Er beugte sich über sie, küsste ihr väterlich die Wange und verließ den Raum. Kate empfand diesen Abschied als zu schnell, zu überstürzt. Sie hatte gehofft, sie würden zusammen zum Lunch gehen, und Mac würde ein wenig vermitteln, damit sie und der neue Chef sich näher kämen. Aber das ist nicht Macs Art, dachte Kate. Er will Carlson nicht im Wege stehen und ihn weder positiv noch negativ beeinflussen. Er soll unvoreingenommen die Position übernehmen. Sie fühlte eine plötzliche Traurigkeit. Mac hinterließ eine Lücke. Als sie sich langsam zu Mr. Carlson umwandte, bemerkte sie, dass er sie von Kopf bis Fuß maß. Sein Blick trieb ihr das Blut in die Wangen. „Hätten Sie vielleicht die Liebenswürdigkeit, einige Berichte mit mir durchzugehen, Miss Hanley?" fragte er und zwang sie damit, sich auf die geschäftlichen Angelegenheiten zu konzentrieren. Er zog einen Stuhl heran, damit sie sich setzen konnte, und öffnete einen dicken Aktenordner. „Halloran!" berichtigte Kate. Am liebsten hätte sie frei ihren Ärger gezeigt. Carlson sah von den Papieren auf und blickte sie fragend an. „Halloran", wiederholte sie. Wie viel Missachtung lag darin, dass er sich nicht einmal der Mühe unterzog, sich ihren Namen zu merken! Jetzt schien er erstmals ihren Zorn zu bemerken. „Ja richtig, Halloran. Ich erinnere mich, dass Mac Sie so nannte." Bei diesen Worten zog er das Jackett aus und legte es beiseite. Er hat eine wirklich athletische Figur, dachte Kate. Sie schätzte sportlich aussehende Männer. „Nun setzen Sie sich endlich, Miss Halloran. Ich werde Ihnen nichts antun." „Das will ich auch niemandem raten. Ich weiß mich zu wehren." „Gut. Ich hoffe, Sie müssen es nicht unter Beweis stellen." Carlson wurde etwas verbindlicher in seiner Haltung, schaute ihr forschend ins Gesicht und fragte dann unvermittelt: „Sie haben nicht zufällig eine jüngere Schwester?" Kate errötete, denn ihr war klar, worauf er anspielte. „Nein. Ich bin ein Einzelkind." „Dann waren Sie das also gestern Abend." Der Satz war keine Frage, sondern eine einfache Feststellung. Sie nickte und wich seinem Blick nicht aus. Jetzt lächelte Andrew Carlson. „Sie haben sich fein herausgeputzt", meinte er, während er die Unterlagen auf dem Schreibtisch ordnete. Kate fühlte sich unbehaglich, deshalb wies sie betont sachlich auf die Papiere. „Mit welchem Komplex möchten Sie beginnen, Mr. Carlson? Ich kann Ihnen erklären, welche Arbeiten auf die neuen Computer umgestellt worden sind. Oder soll ich Sie kurz über die Gesellschaft informieren, die wir in Paris übernehmen wollen? “ „Wir fangen mit dem neuen System an." „In Ordnung. Wir arbeiten schon seit einem Jahr daran. Wir sind allen unseren Konkurrenten damit weit voraus." „Prächtig." Er beobachtete sie genau, während sie sprach. Aber auch Kate machte ihre Studien. Er stammt aus altem Geldadel, überlegte sie, das beweisen seine feinnervigen, unbekümmerten Gesichtszüge. Er gehört zu jenen, denen alles in den Schoß gefallen ist. Ein Mann wie er kann sich nicht vorstellen, was es heißt, nur eine kleine Provinzuniversität besucht, bis zur Erschöpfung Farmarbeit geleistet und die halbe Nacht über den Büchern gesessen zu haben, um fürs Examen zu lernen. Sie runzelte die Stirn. „Stimmt etwas nicht?" fragte er. „Nein, nein." Kate riss sich zusammen, zwang sich zur Konzentration. Die folgenden anderthalb Stunden arbeiteten Andrew Carlson und Kate die wichtigsten Unterlagen durch. Carlsons Nähe irritierte Kate, aber sie gab auf seine knappen, präzisen Fragen ebenso exakt Auskunft Sie musste zugeben, dass er viel von seinem Fach verstand und sofort den Kern eines Problems erkannte. Er fand sich schnell zurecht. „Geben Sie mir Informationen, über die Computergesellschaft in Frankreich!" Seine Anordnungen kamen kurz und bestimmt. Man spürte, dass er den Umgang mit Mitarbeitern gewohnt war. Zu seinem
Stil gehörte, dass er seine Gesprächspartner zwäng, seinem Blick zu begegnen, auch wenn sie eigentlich den Kopf abwenden wollten, und ihn offen anzusehen. Ich glaube, er hat Röntgenaugen, dachte Kate. Dieser Mann, darin war sie sich sicher, _hat Führungsqualitäten. Er delegiert die Arbeiten und erwartet, dass sie erledigt werden, aber er hat die Übersicht und trifft die Entscheidungen. Sie widmete sich wieder den Papieren auf dem Schreibtisch, um ihn umfassend über das französische Projekt zu informieren. Carlson hörte konzentriert zu, während sie sprach. Als Kate schließlich alle seine Fragen zur Zufriedenheit beantwortet hatte, Schloss er die Akten. „Wie oft waren Mac und Sie schon in Frankreich?" fragte er. „Vergangenen Monat war Mac zwei Mal in Paris. Aber bei diesen Gesprächen brauchte er mich nicht." Sie verschwieg ihm, dass Mac sie deshalb nicht mitgenommen hatte, weil er um die Krankheit ihres Vaters wusste und sich vorstellen konnte, dass Kate gerade zu diesem Zeitpunkt lieber in erreichbarer Nähe blieb. „Du meine Güte ...!" Er biss sich auf die Lippe und mäßigte seinen Ärger. Kate verstand ihn. Er war wütend, weil ihre Informationen nur von Mac, also aus zweiter Hand, stammten. Er aber hatte gehofft, in ihr eine Mitarbeiterin zu besitzen, die den Verhandlungen persönlich beigewohnt hatte. „Dann muss wohl der eine Blinde den anderen führen, wenn wir demnächst nach Paris fliegen", fuhr er etwas gefasster fort. Kate schwieg. Wenn Andrew Carlson etwas gegen sie als Mitarbeiterin einwenden wollte, dann hatte er einen Grund gefunden. Sie war in seinen Augen nicht umfassend genug eingearbeitet! „Hören Sie bitte, Miss Halloran!" Ein Lächeln überzog Kates Gesicht. Carlson hatte sich also ihren Namen gemerkt. Doch dann erstarrte sie. „Ich habe noch etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen." Er machte eine kurze Pause. „Ich weiß, wie der Klatsch in einem so großen Unternehmen blüht. Bevor Sie es von anderer Seite erfahren, will ich selbst es Ihnen sagen. Bevor ich Mac Snowdons Posten übernahm, habe ich die Bedingung gestellt, dass ich mir meine Mitarbeiter persönlich auswähle, die ich für ein Team brauche. Mac bestand darauf, dass ich es mit Ihnen versuche und Ihnen eine Chance gebe. Er versicherte mir ausdrücklich, dass Sie über alle Projekte genauestens instruiert seien und mir eine sehr wertvolle Hilfe wären." „Ich verspreche Ihnen ..." „Lassen Sie mich ausreden! " unterbrach er sie. „Ich sehe nun, dass Sie bezüglich des FrankreichProjekts ebenso wenig auf dem Laufenden sind wie ich. Meine Assistentin muss aber umfassend informiert sein, sie soll mich schließlich in meiner Arbeit unterstützen. Von jetzt an, merken Sie sich das, werden Sie sich wie ein Schatten an meine Fersen heften, egal, wohin ich reise. Was ich durcharbeite, haben auch Sie zu lesen. Ich erwarte, dass Sie jede Sitzung protokollieren, und verlange, jeden Morgen einen ausführlichen Bericht über die Untersuchungsergebnisse meiner Arbeitsgruppe vorgelegt zu bekommen sowie über alle noch anstehenden Probleme. Und sofort brauche ich die Liste der wichtigsten Verbindungsmänner unserer Europa-Abteilung. Ab sofort sind Sie mein ganz privater Computer. Haben Sie verstanden?" Kate saß sekundenlang stumm da, nur ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Dann sah sie Carlson aufgebracht ins Gesicht. „O ja, ich verstehe, Mr. Carlson. Ich verstehe völlig." Sie atmete tief durch und erhob sich. Die Tatsache, dass sie nun größer war als er, gab ihr neuen Mut. „Ich befürchte nur, der Klatsch war schneller als Sie. Die Kollegen und Kolleginnen haben schon gewettet, was bei unserer Unterredung herauskommt, ob ich versetzt werde oder nicht. Und nun, wo jeder so aufrichtig zum anderen war, möchte ich noch eine kurze Bemerkung anfügen: Ich weiß nicht, was Sie von mir halten. Tatsache ist, dass ich über beste Beurteilungen verfüge und Mac deshalb mich als Assistentin auswählte. Ich arbeitete seit einem Jahr mit ihm zusammen, und wenn Sie Ihre kostbare Zeit opfern wollten, in meine Personalakte zu sehen, dann würden - Sie feststellen, dass auch er mich für fachlich qualifiziert hielt. Von jetzt an, schlage ich vor, teilen Sie mir nur kurz mit, was arrangiert werden soll und wie Sie es ausgeführt haben wollen. Den Rest erledige ich."
„Gibt es sonst noch etwas?" setzte sie mit unterkühlter Freundlichkeit hinzu. Carlson stand ebenfalls auf. Er bemerkte, dass sie nervös mit einem Fuß wippte, nahm die feine Goldkette um den Knöchel wahr, die wohlgerundeten Hüften, die Brüste, die sich unter der Bluse abzeichneten. Dann blieb sein Blick an den vollen Lippen hängen, die sie wie ein ungebärdiges Kind aufgeworfen hatte. Kate erwartete einen Zornesausbruch von Mr. Carlson. Stattdessen antwortete er nur knapp, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. „Lesen Sie diese Akten durch, und geben Sie die Daten in den Computer ein. Morgen früh erwarte ich einen kompletten Bericht von Ihnen. Und bitte rufen Sie noch Matthew Johnson und Bill Davies aus der Forschungsabteilung an, und machen Sie einen Gesprächstermin aus. Das war's dann im Moment." Kate verließ stumm und ohne sich noch einmal umzusehen das Zimmer. So gewahrte sie nicht mehr, dass der Mann am Schreibtisch ihr mit einer Spur Bewunderung nachblickte. Auf Grund ihrer Personalakte, die er längst gelesen hatte, hatte er zwar eine ehrgeizige und einsatzfreudige junge Frau erwartet, nicht aber eine solche temperamentvolle und energische Assistentin. Die plötzliche Stille fiel ihm unangenehm auf. Ohne sie schien der Raum ohne Leben. Endlich allein - ein Gefühl der Erleichterung überkam Kate, als sie auf ihrem Stuhl zusammensank. Sie presste die heiße Stirn gegen die geballten Fäuste und spürte, wie Zorn gegen Andrew Carlson in ihr emporstieg. Am liebsten hätte sie ihren Aggressionen freien Lauf gelassen, geschimpft, getobt, etwas gegen die Wand geworfen. Warum habe ich in Gegenwart dieses Mannes so die Fassung verloren, fragte sie sich. Was soll ich nur gegen meine Gefühlsausbrüche unternehmen? Er wirkte so unterkühlt, so beherrscht, obgleich auch er sich zusammennehmen musste. Kate hatte gesehen, wie seine Kinnmuskeln arbeiteten, als sie ihm den Vortrag hielt. Während Kate die technischen Daten in den Computer eingab, kam ihr wieder Mr. Carlsons Überheblichkeit in den Sinn. Welche Unverfrorenheit, sie an die Begegnung im Restaurant zu erinnern! Und ihr dann noch offen zu sagen, was man bereits hinter ihrem Rücken munkelte: dass er sie gar nicht als Assistentin behalten wollte, sondern nur Macs Fürsprache nachgegeben hatte. Mr. Carlson meint wohl, er hätte es mit Marionetten zu tun, ärgerte Kate sich weiter. Ich wünschte, Mac wäre nicht in Pension gegangen. Tief in Gedanken versunken starrte sie vor sich hin. Carlson erwartete von ihr, dass sie ihn zu allen Verhandlungen nach Paris begleitete. Wenn sie ihre Stellung behalten wollte, gab es keine Entschuldigung, die triftig genug erschien, nicht mit ihm zu verreisen. Von jetzt an weht hier ein anderer Wind, dachte Kate, und ihr sank der Mut. Wenn ich nur einmal meinen kranken Vater erwähne, der mich braucht, sagte sie sich, wenn ich vielleicht um einen verlängerten, unbezahlten Urlaub bitte, dann hat er endlich den Grund gefunden, mich von meinem Posten zu entfernen. Dann kann er sich eine Assistentin nach seine r Wahl suchen. Wie konnte sie das nur verhindern? Nicht ein einziges Mal hatte er sie während der Besprechung angelächelt. Es war offensichtlich, dass er sie ebenso unsympathisch fand wie sie ihn. Kate suchte sich von den Grübeleien abzulenken. In letzter Zeit war ihr Computer öfter mal abgestürzt. Vielleicht ein Wackelkontakt, überlegte sie. Ich werde die Verbindungen überprüfen. Darüber vergesse ich hoffentlich Andrew Carlson.
3. KAPITEL „Mittagspause, Halloran!" Kate sprang auf, als sie Andrew Carlsons ansichtig wurde. Er lehnte im Türrahmen und blickte sie erstaunt an. Ihre Hände waren voll Staub, und als sie sich damit durchs Gesicht fuhr, um eine verirrte Haarsträhne zurückzustreichen, blieb ein schmutziger Streifen auf der Wange zurück. Einige dunkle Flecken - Spuren ihrer intensiven Reparaturarbeit - waren bereits über Stirn und Kinn verteilt. Die Bestandteile ihres Computers lagen auf dem ganzen Fußboden verteilt. „Was zum ... was machen Sie da, Halloran?" Kate musste sich zusammenreißen. Wollte Mr. Carlson sie immer so beim Nachnamen nennen? Wie unerträglich arrogant er war! Zumindest hätte er so höflich sein können, sich bemerkbar zu machen, wenn er durch ihr Zimmer wollte. Einfach so hereinzuplatzen! „Ich dachte, das sieht man. Ich repariere meinen Computer", antwortete sie fast unfreundlich. „Warum telefonieren Sie nicht nach dem Wartungsdienst?" „Das habe ich getan. Aber die können erst morgen kommen, und ich brauche das Gerät." Carlson sah belustigt zu, wie Kate schnell und sicher die Einzelteile wieder zusammensetzte, die Verkleidung zuschraubte und ein paar Flecken mit einem alten Lappen entfernte. Gerade noch rechtzeitig bemerkte sie, dass er sich zu amüsieren schien. „Was ist so komisch?" „Gar nichts. Ich habe nur nicht erwartet, dass Sie mir einen Techniker ersetzen, Halloran. Übrigens sehen Sie jetzt weitaus vorteilhafter aus als eben in meinem Büro. Welche geheimen Fähigkeiten schlummern sonst noch in Ihnen?" Kate überhörte seine Frage. Sie begann, sich die Hände abzuwischen. „Ich weiß nic ht, was Sie daran so überrascht. Computer sind schließlich unser Fachgebiet." Andrew Carlson trat näher, dabei den Sitz seiner Krawatte prüfend. „Stimmt. Aber wir bauen sie gewöhnlich nicht in der Chefetage. Übrigens, Johnson und Davies haben heute schon Zeit. Sie wollen mir beim Mittagessen einen Einblick in die neue Technik geben. Schließlich muss ich unsere Produkte ja verkaufen, unter anderem an unsere europäischen Kunden." Kate schien einen ganz bestimmten Gegenstand zu vermissen, denn sie suchte etwas unter dem Schreibtisch, fand es nicht und hockte sich schließlich hin, um genauer schauen zu können. Andrew Carlson stand derweil hinter ihr und schien über den Anblick erfreut, der sich ihm bot. „Wonach suchen Sie? Handelt es sich hierbei etwa um das?" Triumphierend hielt er die Schuhe hoch, die sie hinter dem Papierkorb abgestellt hatte. „Ja, danke." Rasch schlüpfte Kate hinein und wandte sich Carlson zu. „Ich bin gleich wieder da. Ich möchte mich nur schnell ein wenig zurechtmachen." Da er sich zu einem Arbeitsessen verabredet hatte, musste sie ihn begleiten - gerade jetzt, wo sie aussah, als ob sie Schmieröl statt Schminke verwendete! Aber das werden wir gleich haben, dachte sie kampfeslustig, in zwei Minuten werde ich ihm wieder als die gepflegte Assis tentin gegenübertreten. Es dauerte zwar etwas länger, aber das .Resultat war zufrieden stellend. Befriedigt ging sie zu ihrem Zimmer zurück. Dort hatte sich Andrew Carlson inzwischen die Zeit damit vertrieben, einen rosa Flamingo aus Plastik, der auf ihrem Schreibtisch stand, näher zu betrachten. Das etwas kitschige Gebilde diente als Aschenbecher und hatte sicher schon bessere Tage gesehen. „Ich mag Flohmärkte. Die reinsten Schätze kann man da finden. Kürzlich habe ich auf einem dieser Märkte, der in Carmel stattfand, einen ganz reizenden Türstopper aus Messing entdeckt", erklärte Kate. Carlson schien interessiert. „Fahren Sie oft nach Carmel?" Kate fühlte sich unbehaglich, wenn er sie auf diese Art musterte. Wie die Katze die Maus, ging es ihr durch den Kopf. „Ja, jedes Wochenende. Ich bin bereit." Damit wandte sie sich zur Tür. Sie will nichts von sich preisgeben, dachte Andrew Carlson. Jede persönliche Frage biegt sie sofort ab. Andrew Carlson und Kate traten aus dem Gebäude und wandten sich in Richtung Parkplatz.
„Mein Wagen steht dort drüben", wies Carlson die Richtung und dirigierte Kate, indem er ihr leicht den Arm um die Schultern legte, auf die gegenüberliegende Seite. Erschrocken entzog sie sich ihm. Eine Alarmglocke hatte in ihrem Innern zu schrillen begonnen, als sie seine Berührung gespürt hatte. Verstohlen blickte sie ihm ins Gesicht. Kein Zeichen, dass er sich bei der Geste mehr gedacht hatte, als sie sicher über die Straße zu geleiten. Sein Blick spiegelte keine tieferen Gefühle wider. „Ich habe Johnson und Davies gesagt, dass wir uns auf dem Werftgelände in Angelos Restaurant treffen." Kate war angenehm überrascht. Das war Stil! Diese Art machte ihr den neuen Chef direkt sympathisch. Mac hatte für ein Arbeitsessen immer ein gutbürgerliches und mittelständisches Restaurant in der Stadt ausgesucht. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, zum Lunch die vielen Kilometer bis nach San Francisco zu fahren. Und dann sein Auto! Begeistert schwang sie sich in Carlsons Porsche. Seit Patrick Halloran seiner Tochter zum ersten Mal erlaubte, auf den Traktor zu klettern, hatte Kate ihre Passion für alles, was Räder besaß, entdeckt. Vor allem schnelle, teure Sportwagen waren ihre Leidenschaft. Sie bewunderte die Leichtigkeit, Wendigkeit und Kraft, die diese Autos auszeichneten. Mit überlegener Sicherheit lenkte Carlson den Porsche durch den dichten Verkehr und parkte schließlich auf dem Hafengelände. „Ist es nicht romantisch hier?" Kate wandte sich ihm mit strahlendem Lächeln zu. Überall hatten Fischer ihre Stände aufgebaut und boten ihre Ware an, fangfrische Krabben ebenso wie ausgefallene Sorten Seefisch. Kate atmete tief durch. „Herrlich, wie kräftig der Wind weht. Man kann das Salz förmlich auf den Lippen schmecken. Es riecht nach Seetang und Fisch und Muscheln. Und wie freundlich die Leute sind, niemand ist missgelaunt, man kommt geradezu in Urlaubsstimmung." Sie brach ab, als sie merkte, dass sie sich von ihrem Temperament hatte hinreißen lassen. „Sie müssen aus dem Osten sein", forschte Carlson. „Nein, ich bin in Kalifornien geboren." „Und dann können Sie so ins Schwärmen geraten? Die Südländer halten sich doch für gewöhnlich vornehm zurück." Irritiert wandte sich Kate dem Restaurant zu, als ein eiliger Arbeiter sie anstieß und sie ins Stolpern geriet. Doch Carlson fasste sie bei den Schultern und hielt sie fest. Sie konnte sein Gesicht sehen und entdeckte in seinen Augen ein plötzlich aufflackerndes sinnliches Verlangen. „Miss Halloran, Sie duften betörend." Eine freudige Erregung durchfuhr sie, sie spürte, wie sie errötete. Aber schon löste Carlson sich von ihr. Kate war völlig durcheinander. Was war mit ihr los? So etwas hatte sie noch nie empfunden. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Als sie das Restaurant erreichten, hatte Kate sich jedoch wieder vollkommen in der Gewalt, Puls und Atem gingen normal. Der Kellner führte sie an den Tisch, wo man sie schon erwartete. Man sah Johnson und Davies an, dass sie auf den neuen Chef gespannt waren. Matthew Johnson war seit drei Jahren bei der Firma, er hatte an der Entwicklung der neuen Computer entscheidenden Anteil, und Kate hatte eine Zeit lang mit ihm im Konstruktionsbüro zusammengearbeitet. Johnson war eine Frohnatur, nie aus der Ruhe zu bringen. Kate stellte ihn Mr. Carlson vor. Die beiden Männer schüttelten sich freundlich die Hand, während Carlson beiläufig meinte: „Sie können mich Andrew nennen." Kate musste sich erneut zusammennehmen. Ihr hatte Carlson das Angebot nicht gemacht. Offensichtlich wollte er mit seinen männlichen Mitarbeitern auf kameradschaftlicher Ebene zusammenarbeiten, während er sich ihr gegenüber abweisend und distanziert verhielt. „Sie haben nichts dagegen, wenn wir uns alle mit Vornamen anreden?" fragte Kate ungläubig. „Warum sollte ich? Das ist doch in allen amerikanischen Betrieben üblich." Andrew warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Kate wandte sich Davies zu. „Das ist Bill Davies, er gehört Computer International seit einigen
Monaten an." Bill war ein exzellenter Fachmann auf seinem Gebiet. Die blonden Haare und die hellwachen grauen Augen verliehen ihm ein geradezu jungenhaftes Aussehen. Das Essen wurde serviert. Kate widmete sich genussvoll dem Salat mit frischen Meeresfrüchten, während ihr Chef offensichtlich gar nicht bemerkte, was er aß, so vertieft war er in das Gespräch mit Matthew und Bill über den neuen Computer. Er ließ sich jede Einzelheit detailliert erklären, hörte aufmerksam zu und schluckte währenddessen mechanisch sein Essen herunter. Der Kellner räumte ab. Andrew blickte Kate an. „Wie wäre es mit einem Nachtisch?" Als sie ablehnte, redete er ihr zu. „Sie sollten wirklich ein Dessert bestellen, wir tun es auch. Gewichtsprobleme kennen Sie doch nicht." Er schien zu wissen, wovon er sprach. Eine kleine, irritierende Pause trat ein. Was will er von mir, fragte sich Kate. Ob er glaubt, er müsse mich wegen seines rüden Benehmens heute Morgen besänftigen? Sie gab seinem Drängen nach und akzeptierte auch den Kaffee, den er als Abschluss bestellte. Dabei umspielte ein Lächeln seine Lippen. Machte er sich über sie lustig? Kates Wangen glühten, am liebsten hätte sie die Hände kühlend an die Stirn gelegt, aber sie gab dem Impuls nicht nach. Bin ich errötet? Das passiert mir doch sonst nicht, dachte sie verunsichert. Was ist nur mit mir? Ich benehme mich wie ein kleiner Teenager. Andrew goss Kate den Kaffee ein, während Bill Davies langatmig technische Einzelheiten erklärte. Andrew saß neben ihr, und als er sich vorbeugte, um das Milchkännchen zu erreichen, fühlte sie für einen kurzen Moment die Berührung seines festen, muskulösen Oberschenkels. Sie wagte nicht abzurücken, empfand es aber als unbehaglich, dass auch seine Schulter sie streifte, sobald er eine Bewegung machte. Verstohlen musterte sie ihn. Sein Profil war markant, beinahe klassisch zu nennen, die klugen, ausdrucksvollen Augen hatte er fest auf sein Gegenüber gerichtet. Kate ahnte nicht, dass Andrew zwar seinen Mitarbeiter anschaute, in Gedanken aber nur das Bild der Frau vor Augen hatte, die so aufsässig neben ihm saß. Am liebsten hätte er jede einzelne Sommersprosse auf ihrer frechen Nase geküsst. Der Gedanke erregte ihn, aber seine anerzogene Beherrschung ließ ihn sich zusammennehmen. Er zwang sich, Bills Ausführungen konzentrierter zu folgen, Kate hatte sich mittlerweile die zweite Tasse Kaffee eingeschenkt. Sie stellte fest, dass Andrew Carlson ihr während des Arbeitsessens derart viele Fragen gestellt hatte, wie sie anderen Leuten in einer Woche nicht in den Sinn kamen. Wenn er tatsächlich alles im Kopf behielt, was ihm erläutert worden war, dann musste er ein phänomenales Gedächtnis besitzen. Kurz danach zahlte Andrew. Sie gingen zu viert hinaus und verabschiedeten sich voneinander. Kate ging neben Carlson zum Auto. Andrew schien tief in Gedanken versunken und wechselte kein Wort mit Kate. Erst als sie die Ausfallstraße erreic ht hatten, begann er, Fragen zu stellen. „Erzählen Sie mir etwas über Matthew Johnson." „Er ist ein hervorragender Wissenschaftler. Intelligent und ..." sie suchte nach Worten. „Er ist auch den Vorschlägen anderer Mitarbeiter gegenüber aufgeschlossen. Wenn er überzeugt ist, dass ein Teammitglied einen besseren Lösungsvorschlag gebracht hat als er selbst, akzeptiert er das. Man kann gut mit ihm zusammenarbeiten. Er ist immer ansprechbar und nie mürrisch. Persönliche Probleme kennt er anscheinend nicht." Andrew lächelte ein wenig. „Sie bewundern ihn wohl sehr?" Sein Lächeln ließ ihn Kate auf Anhieb sympathischer erscheinen. „Vielleicht habe ich ein wenig übertrieben. Ich werde mich bemühen, in Zukunft weniger gefühlsmäßige Beschreibungen zu liefern. Aber von Matthew halte ich wirklich sehr viel." „In Ordnung, jetzt bitte Davies' Personenbeschreibung." „Seine Unterlagen bescheinigen ihm gute Qualitäten. Bestimmt ist er ebenso tüchtig wie Matthew. Intelligent, ein ausgezeichneter Mitarbeiter, strebsam. In seiner früheren Firma gehörte er zum Team einer Planungsgruppe. Vor einigen Monaten kam er zu uns." „Was wissen Sie über ihn persönlich?" „Eigentlich gar nichts." Kate maß das Profil des Mannes neben ihr. „Mit Bill Davies habe ich noch nicht zusammengearbeitet. Ich weiß nur, was in seiner Beurteilung steht."
„Warum ist er zu uns übergewechselt?" „Vermutlich wegen des besseren Gehalts. Soll ich Ihnen seine Unterlagen bringen, sobald wir wieder im Büro sind?" „Übrigens, Miss Halloran", fügte er hinzu, „versuchen Sie nicht mehr, mich zu beeinflussen. Ich bilde mir meine Meinung über Macs Team selbst." Kate registrierte genau, dass er die Gruppe als „Macs Team" ansprach, nicht als seine eigene. Jegliche Freundlichkeit war verschwunden, seine Stimme klang unpersönlich. Als sie mit dem Fahrstuhl aufwärts fuhren, meinte Carlson beiläufig: „Noch etwas ist klarzustellen. Ich habe nicht vor, Sie den anderen gegenüber zu diskriminieren. Ich sehe es gern, wenn mich alle meine Mitarbeiter mit Vornamen anreden." „Abgemacht. Also Andrew." Gegen fünf Uhr brachte Kate letzte Unterlagen ins Direktionszimmer. Damit war der Arbeitstag zu Ende. Sie fühlte sich ausgelaugt und erschöpft, es war alles anstrengend gewesen. Morgen wird es besser sein, tröstete sie sich. „Na, Kate, wie war es denn heute mit unserem neuen Wunderknaben?" Martha Grady schaute neugierig herein. Kate musste lachen. Martha war bewundernswert. Nachdem sie sechs Kinder großgezogen hatte, war sie als Sekretärin ins Berufsleben zurückgekehrt, man schätzte ihre Tüchtigkeit. Sie nannte sich selbst gern „die Mutter der Kompanie", denn um sie herum arbeiteten nur junge Mädchen. „Er ist noch nicht einmal in Ehren ergraut", ulkte Martha weiter, bemerkte dann aber, wie müde Kate aussah. „Es war wohl ein harter Tag, nicht wahr?" fragte sie mitfühlend. „Oder war das Wochenende so anstrengend?" Kate zuckte kurz mit den Schultern. Sie wusste, in den Büros zerbrach man sich den Kopf darüber, was sie an den freien Wochenenden wohl unternahm und wohin sie so regelmäßig fuhr. Mit Martha hätte sie zwar über die Krankheit ihres Vaters sprechen können, denn Martha war keine Klatschbase. Trotzdem hatte Kate Hemmungen, einer Kollegin ihre persönlichen Nöte zu offenbaren. Paddy und ich haben es noch nie nötig gehabt, einem Bekannten unsere Sorgen mitzuteilen. Das tun nur Schwächlinge. Die Hallorans kommen allein zurecht. Im Betrieb war es üblich, dass die Mitglieder eines Teams sich freitags, zum Wochenausklang, zusammensetzten, um bei einer Erfrischung noch ein wenig zu schwatzen. Aber in ihrem Bestreben, so rasch wie möglich zu ihrem kranken Vater zu kommen, hatte Kate in der letzten Zeit an diesen Treffen nicht mehr teilgenommen. Anfangs nahmen es die Kollegen hin, dann aber begannen sie, Mutmaßungen über die Gründe anzustellen, vor allem als Kates Verlobung in die Brüche gegangen war. Man tuschelte sogar, Kate habe einen geheimnisvollen Wochenend-Liebhaber, den sie immer besuche. „Wahrscheinlich komme ich in die Jahre", scherzte Kate, weil Martha auf ihre abgespannte Haltung angespielt hatte. „Warte nur, bis du erst so alt bist wie ich!" Martha lachte. Kate winkte ihr zu und lief an den geöffneten Fahrstuhltüren vorbei zum Treppenhaus. Nach dem ständigen Sitzen während des Tages nutzte sie jede Gelegenheit, sich Bewegung zu verschaffen. Sie war gerade die ersten Stufen hinuntergeeilt, als sie über sich Schritte hörte. Sie drehte sich um und sah, dass Andrew Carlson ihr folgte. „Wie ich sehe, bin ich nicht der einzige Jogger hier!" Er holte sie ein. „Machen Sie das häufig?" „Ja, meistens. Es hilft gegen lahme Knochen und Rheumatismus. Außerdem hält es schlank." Carlson überflog Kates attraktive Figur. „In Ihrem Fall scheint die Therapie hervorragend zu wirken." Kate errötete und wich einem direkten Blick aus. Carlson hatte das Jackett nachlässig über einen Arm geworfen, in der anderen Hand trug er einen Diplomatenkoffer, wo er gewiss Papiere eingepackt hatte, die er zu Hause in Ruhe durchsehen wollte. „Spielen Sie Tennis, Miss Halloran?" fragte er ganz nebenbei, während 'sie gemeinsam hinuntergingen. „Schon. Aber in letzter Zeit hatte ich kaum Gelegenheit dazu." „Nein? Ich bin auch ein wenig aus der Übung. Vielleicht könnten wir einmal ein Match zusammen
austragen?" „Vielleicht." Sie hielt ihm die Tür auf, weil ihn Jackett und Aktenkoffer an dieser Höflichkeit hinderten. „Wie wär's noch heute, vor dem Abendessen?" In der sinkenden Abendsonne erscheinen seine Augen noch dunkler, dachte Kate. „Tut mir Leid, aber ich bin zu müde nach ... nach dem anstrengenden Wochenende", wehrte sie ab. Andrew bemerkte, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. „Na gut. Es wird sich schon einmal eine Gelegenheit ergeben", meinte er. „Guten Abend." ,,Guten Abend." Kate ging zu ihrem Wagen. Ihre Gedanken überstürzten sich. Ihr neuer Chef gab ihr Rätsel auf. Von einer Minute zur anderen wechselten seine Stimmungen, eben war er kühl und distanziert, dann überaus freundlich und aufgeschlossen. Kate hasste es, dass Andrew Carlson plötzlich ihr gesamtes Denken einnahm. Zu Hause werde ich erst einmal ausgiebig baden, in Ruhe essen und früh schlafen gehen, nahm sie sich vor. Das wird meine Stimmung heben. Als sie aus der Parklücke ausscherte und in Richtung Straße fuhr, bemerkte sie nicht, dass der Mann, über den sie so intensiv nachdachte, noch immer nicht weggefahren war. Er stand im schwindenden Sonnenlicht neben seinem Auto und sah ihr nach. „Sei vorsichtig, Kate. Unser Wunderknabe hat schlechte Laune." „Das ist nichts Neues. Aber ist er tatsächlich schon im Büro?" staunte Kate. Martha nickte. „Ist es nicht herrlich, einen Pünktlichkeitsfanatiker als Chef zu haben?" ulkte Martha mit Galgenhumor. Kate beeilte sich, in ihr Büro zu kommen. Rasch schlüpfte sie aus dem Regenmantel und hängte ihn in den Schrank. Den nassen Regenschirm versteckte sie in einer Ecke. Dann schüttelte sie die feuchten Haare. Dieses Wetter kann einen auch dazu verleiten, mürrisch zu sein, dachte Kate. Seit Tagen regnete es ununterbrochen. Wahrscheinlich wirkte es auf jeden deprimierend. Na, sinnierte sie weiter, die Farmer wenigstens werden sich freuen. Paddy jedenfalls war über jeden Regenguss glücklich. Die Sprechanlage schaltete sich ein. „Ja bitte?" „Da sind Sie ja endlich, Miss Halloran." Andrews Ton ließ auch keine heitere Stimmung erwarten. „Kommen Sie bitte zu mir!" Kate zog unbewusst den Kopf ein. Andrew Carlson schien tatsächlich schlechter Laune zu sein. In den vergangenen Wochen hatten sie unter dem Deckmantel freundlicher Höflichkeit harte Kämpfe ausgetragen. Jeder versuchte, beim Gegner einen schwachen Punkt zu entdecken und ihn zu provozieren. Dabei war Andrew zu Kate einerseits betont zuvorkommend, andererseits gereizt und barsch. Er wechselte seine Haltung ständig. Kate betrat das Chefzimmer, ging zum Schreibtisch und atmete tief ein. „Bevor Sie mir die Arbeit zuteilen, möchte ich Sie darauf aufme rksam machen, dass ich pünktlich gewesen bin. Genau genommen sogar eine Minute zu früh." Andrew gab sich nicht die Mühe, seine Ungeduld zu. verbergen. „Ja, ja. Ich habe es registriert. Setzen Sie sich bitte!" Sie nahm Platz. „Ich hoffe, Sie haben ständig einen gepackten Koffer zu Hause stehen", sagte er beiläufig. Auf ihren verständnislosen Blick hin, fügte er hinzu: „Wir fliegen morgen nach Paris. Ich will die Firma inspizieren, die wir als Tochtergesellschaft übernehmen wollen. Ich muss mich an Ort und Stelle informieren. Soweit ich mich erinnere, erwähnten Sie, dass das Unternehmen in einem Pariser Außenbezirk liegt." Kate biss sich nervös auf die Lippe. Andrew musste den Termin über ihren Kopf hinweg abgesprochen haben. Morgen war Mittwoch. Bis zum Woche nende würde sie kaum zurück sein. Sicherlich war ihm die Planung schon die ganze Woche lang bekannt, doch hatte er es nicht für nötig befunden, sie von der bevorstehenden Reise frühzeitig in Kenntnis zu setzen. Andrew hörte auf, in den Papieren zu blättern. Sorge und Betroffenheit standen Kate deutlich im Gesicht geschrieben.
„Haben Sie Angst vor dem Fliegen, Miss Halloran?" fragte er grob. Kate fühlte, wie Ärger in ihr aufstieg. Er denkt nicht daran, dachte sie, ob meine Wochenendpläne dadurch tangiert werden. Meine persönlichen Umstände sind ihm so gleichgültig, dass er mir nicht einmal rechtzeitig Bescheid gibt. Er gibt nur die Anweisungen. Halloran, packen Sie den Koffer! Halloran, wir fliegen morgen nach Paris! Halloran, machen Sie die Unterlagen fertig! „Was ziehen Sie für ein Gesicht, Miss Halloran? Habe ich Ihr Rendezvous am Wochenende verdorben?" fragte Andrew. „Wird Ihnen beim Fliegen übel?" hakte er etwas rücksichtsvoller nach, da Kate noch immer nicht antwortete. „Nein, nein. Fliegen macht mir nichts aus." „Welches Problem liegt Ihnen dann auf der Seele?" „Gar keins", antwortete sie knapp, „es ist alles in Ordnung." „Na also." Damit war das Thema für ihn erledigt. Er wandte sich anderen anstehenden Problemen zu. „Diese Akten sind noch durchzuarbeiten. Ich brauche sie heute Abend zurück. Morgen lohnt es sich nicht mehr, ins Büro zu kommen. Wenn Sie mir den Weg zu Ihrer Wohnung beschreiben, hole ich Sie auf der Fahrt zum Flughafen zu Hause ab. Martha hat Auftrag, Plätze für die Drei-Uhr-Maschine zu buchen. Das heißt, Sie müssten also gegen Mittag bereit sein." Kate nahm die Akten entgegen, und nickte mechanisch mit dem Kopf, während sie voll Zorn dachte, wie schön es wäre, die Unterlagen dem eingebildeten Mr. Andrew Carlson vor die Füße zu werfen. „Sie bekommen den Report, bevor ich nach Hause gehe. Noch etwas?" fragte Kate, weil Andrew sie durchdringend ansah. „Nein. Ich habe um zehn Uhr einen Termin. Gegen vier Uhr bin ich wahrscheinlich zurück. Wenn sich die Verhandlung länger hinzieht, sehen wir uns morgen." Andrew wandte sich zur Tür, drehte sich jedoch noch einmal um. „Falls Sie noch Einkäufe zu erledigen haben, erlaube ich Ihnen, die Mittagspause zu überziehen." Kate erwiderte nichts. Untertänigsten Dank, hätte sie ihm am liebsten hinterher gerufen. Sobald Andrew verschwunden war, nahm sie das Telefonbuch, suchte nach einer Nummer und wählte dann einen Anschluss in Carmel. An diesem Wochenende sollte ihr Vater nach Hause entlassen werden. Sie hatte geplant, wie immer das Wochenende bei ihm zu verbringen und ihm alles so bequem wie möglich zu machen. Außerdem hatte sie die Gemeindeschwester genau über die gymnastischen Übungen informieren wollen, damit er in ihrer Abwesenheit nicht damit aussetzte. Kate biss sich auf die Lippe. Die Geduld ihres Vaters war durch den langen Krankenhausaufenthalt überstrapaziert. Er liebte seine Unabhängigkeit. Aber jetzt musste sie über seinen Kopf hinweg handeln. Er würde ihr sicher böse sein. Im Krankenhaus arbeitete auf der Station eine Schwester, die besonders gut mit Patrick Halloran umgehen konnte und die rechte Art hatte, ihn aufzumuntern. Während Kate wartete, dass sich der Teilnehmer melden würde, klopfte sie nervös mit dem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte. Die Pflegerin hatte sich mit „Schwester Ruth" vorgestellt, ihren Nachnamen kannte Kate nicht. Sie hoffte inständig, dass man sie sofort mit Schwester Ruth verbinden konnte. Kate hatte Glück. Zwar hatte Schwester Ruth gerade heute ihren freien Tag, doch konnte man ihr die Privatnummer nennen. Darüber hinaus informierte man sie, dass Ruth als Aushilfskraft beschäftigt, einundfünfzig Jahre, Witwe und eine ausgezeichnete Pflegerin sei. Kate wählte die angegebene Nummer. „Ich bin Kate Halloran." Die Antwort kam ohne Zögern. „Patricks Tochter? Wie geht es Ihnen?" „Sie erinnern sich also an mich?" „Aber ja. Patrick ist ein Patient von unverwechselbarer Eigenart, Ihn vergisst man nicht so leicht", lachte Ruth am anderen Ende der Leitung. Kate war erleichtert und stimmte in das Lachen ein. „Da haben Sie sicherlich Recht. Seinetwegen rufe ich an." Kate erklärte kurz, dass sie verreisen müsse. Sie erzählte von der Sorge, den Vater allein zu Hause zu wissen, und von der Befürchtung, er würde die Therapie allein nicht fortsetzen. Dann wären die
Bemühungen der letzten Monate umsonst gewesen. „Ich wende mich an Sie, Mrs. Cole, weil Sie mit Vater besser zurechtkommen als die anderen Pflegerinnen." „Nennen Sie mich nur Ruth", tönte es freundlich zurück. „Ich verstehe Ihre Befürchtungen vollkommen." Jetzt kam der schwierigste Teil für Kate. „Ich weiß, dass meine Bitte ungewöhnlich ist... Ruth. Ich suche eine Kraft, die den ganzen Tag für Vater sorgt. Er braucht jemanden, der ihn wieder ins Alltagsleben zurückführt." „Ich bin völlig Ihrer Meinung", antwortete Ruth. Kate atmete tief, denn es entstand eine kurze Pause. Dann fuhr Ruth fort. „Die Krankenhausarbeit wurde mir fast schon zu anstrengend. Aber wissen Sie, ich bin auf das Geld angewiesen ..." „Ich glaube nicht, dass es in dieser Hinsicht Schwierigkeiten geben wird", meinte Kate, von einer großen Sorge befreit. Sie einigten sich ziemlich schnell auf das Gehalt, denn Ruth stellte keine überhöhten Ansprüche. Nachdem Kate eingehängt hatte, atmete sie tief durch. Vater ist in besten Händen, beruhigte sie sich. Ich kann mit gutem Gewissen nach Paris fliegen. Aber Unbehagen beschlich sie bei dem Gedanken, dass sie nun ihren Vater informieren musste, Ruth Cole als Pflegerin gewonnen zu haben. Er hatte Ruth im Scherz einmal den „eisernen Diktator" genannt. Diesen Entrüstungsstur m werde ich auch noch überstehen, schöpfte Kate neuen Mut.
4. KAPITEL
Kate schloss den Bordcase, den sie als Handgepäck mitnehmen wollte. Der Koffer stand schon an der Tür. Es blieben ihr noch zehn Minuten, eine Tasse Kaffee zu trinken. Vor dem Einpacken hatte sie ihre Garderobe einer sorgfältigen Prüfung unterzogen. Der erste Eindruck ist entscheidend, sagte sie sich. Sie hatte sich das Haar gewaschen und zu einer dekorativen Frisur aufgesteckt. Für die Reise hatte sie ein rotes Jerseykleid mit langen Ärmeln und einem nicht zu tiefen Halsausschnitt gewählt. Der weiche Stoff umspielte ihren Körper und betonte vorteilhaft ihre weiblichen Formen. Auch nach ihrer Ankunft würde sie gepflegt aussehen, denn das Material knitterte nicht. Darüber trug sie einen schwarzen Lederblazer. Schwarze, halbhohe Pumps und eine teure, schwarze Schultertasche vervollständigten ihre elegante Erscheinung. Kate trank den Kaffee am Küchenfenster. Sie blickte hinaus: Dort unten lag Silicon Valley. Das Gelände war überwiegend von der Computerindustrie und etlichen Elektronikfirmen aufgekauft worden. Es zog sich am westlichen Küstenstreifen der Bucht von San Francisco hin, von den Vororten von Palo Alto bis nach San Jose. Eine Anlage aus der Retorte, dachte sie, nicht natürlich gewachsen, sondern bis ins Kleinste geplant. Obwohl um die Hochhäuser aus Stahl und Beton viel Grün und Blumen gepflanzt worden1 waren und saubere breite Straßen durch die Stadt führten, überwog der Eindruck von Technik und Künstlichkeit. Am Rande des Industriebereichs lagen die Wohnkomplexe, Apartments und Reihenhäuser der hier Beschäftigten. Schon von weitem bemerkte Kate den hellen Porsche. Sie schüttete den Rest Kaffee fort, reinigte flink die Tasse und stellte den Anrufbeantworter an, der eventuell anfallende Telefongespräche aufzeichnen würde. Sie eilte zur Tür und begrüßte Andrew. Dabei blickte sie absichtlich an ihm vorbei, obwohl sie ihn gern genauer betrachtet hätte. Er machte eine imponierende Figur in diesem klassischen dunklen Nadelstreifenanzug. „Hallo, ist das alles?" Andrew wies auf den Koffer und die Kleidertasche. „Ja." Wie gut ihr Rot steht, dachte er im Stillen. Ich habe nicht geglaubt, dass Rothaarige diese Farbe tragen können. Mit Kastanienbraun wäre die Schattierung des Haares nicht richtig bezeichnet. Es glänzt bezaubernd. Am liebsten hätte er ihr gesagt, wie reizend sie aussah, aber er verbot sich die persönliche Bemerkung. Sie würde ihn nur kühl anlächeln, wie schon so oft in den letzten Wochen, wenn er ihr ein Kompliment gemacht hatte. Sie war seine Assistentin, in ihre Privatsphäre ließ sie ihn nicht hineinblicken. Stets hielt sie ihn auf Distanz. Als Andrew den Koffer aufnahm, warf er einen raschen Blick in das ^immer. Kate hatte das Apartment mit viel Liebe eingerichtet, an jedem hellen Fleckchen und auf den Fensterbänken standen Pflanzen, der gemütliche Fernsehsessel passte farblich zu einer mit vielen Kissen dekorierten Liege. Das Prachtstück der Wohnung aber bildete ein großer Vogelkäfig mit einem auffallenden, bunt schillernden Papage i aus Porzellan. „Ist der Vogel auch eine Errungenschaft vom Flohmarkt?" Kate nickte bestätigend. „Ich habe mir schon immer einen Papagei gewünscht, aber ich dachte, dass sich ein echter vielleicht zu einsam fühlen würde, wenn ich den ganzen Tag im Büro bin. Da ist eben Polly mein Wohnungsgenosse geworden." „Ist es für Frauen nicht Mode, sich eine Schmusekatze zuzulegen?" „Polly reicht mir aber vollkommen", antwortete sie knapp. Andrew meinte zu verstehen, und Kate errötete unter seinem herausfordernden Blick. „Sicher wissen Sie, was Sie tun, Miss Halloran." Sie verließen das Apartment. Kate fühlte Andrews Blick auf sich ruhen, als sie vor ihm her zum Auto ging. Auf dem Weg zum Flughafen deutete er zum Himmel. „Ein guter Reisetag, herrliches Flugwetter. Es sind fast keine Wolken am Himmel." Andrew nahm wahr, dass sich Kate in die äußerste Ecke des Sitzes zurückgezogen hatte, als wolle sie die größtmögliche Distanz zwischen sich und den Fahrer legen. Was war mit ihr los? Gab es zwei Kates, eine in Jeans und Sweatshirt und eine unnahbare in
untadeliger Bürokleidung? Die Assistentin zeigte sich als kleine Kratzbürste, die ihre Rechte wohl zu verteidigen wusste, die private Kate aber war ein schüchternes junges Mädchen, das sich in die Polster verkroch. „Miss Halloran, jetzt sagen Sie mir die Wahrheit! Macht Ihnen Fliegen wirklich nichts aus?" „Das habe ich doch schon gesagt." „Ja, wenn Sie meinen ..." Gedankenvoll betätigte Andrew den Zigarettenanzünder und steckte sich eine Zigarette an. Er tat einen tiefen Zug. „Haben Sie sich erkundigt, welches Wetter uns in Paris erwartet?" Kate nickte. „Zwanzig bis dreiundzwanzig Grad. Schauermöglichkeit." Andrew lachte amüsiert auf. „Sie fangen an, mir Spaß zu machen. Ich glaube, mit Ihnen reist es sich gut." Er warf einen raschen Blick auf seine Beifahrerin. „Die meisten Frauen wären äußerst gespannt, nach Paris zu kommen." „Ich bin es auch. Merkt man mir das nicht an?" „Hm ..." Andrew manövrierte das Auto sicher durch den dichten Verkehr. Es ging nur langsam voran, Stoßstange an Stoßstange schoben sich die Wagen in mehreren Spuren vorwärts. Am Wegrand grasten einige Kühe, als ob es das Natürlichste von der Welt wäre, neben Hochhäusern zu weiden. Kate lächelte, obwohl sie sich elend fühlte, weil sie ihren Vater1 gerade an diesem Wochenende allein lassen musste. Wie gegensätzlich Kalifornien war! Es war so typisch, eben waren noch Wolkenkratzer aus Glas und Stahl zu sehen, und jetzt kamen sie an Häusern vorbei, die an die schroffe Felswand wie Schwalbennester geklebt schienen. In der Ferne glänzten Hügel im Sonnenlicht wie Gold. Obwohl in Kalifornien zu Hause, konnte Kate bei diesem Anblick immer ins Schwärmen geraten. Am Flughafen von San Francisco umfing Kate und Andrew ein Gewimmel von Menschen und ein Gewirr unterschiedlichster Sprachen. Sie gaben die Koffer auf und warteten dann, bis der Flug aufgerufen wurde. In New York, wo die Maschine zwischenlandete, hatten Kate und Andrew drei Stunden Aufenthalt. Da sie aber erst gegen elf Uhr nachts dort ankamen, nahmen sie nicht viel mehr wahr als ein unendliches Lichtermeer. Außerdem waren sie vollauf mit Papieren und Berichten beschäftigt, die Andrew mit Kate bis zur Ankunft in Paris noch durchgehen wollte. Durch die intensive Arbeit, die Aufregung über die Reise und die Sorge um ihren Vater hatte Kate die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Sie schlief schon tief und fest, kaum dass die riesige Boeing 747, der Jumbojet, abgehoben hatte. Als die Morgensonne durch die Flugzeugfenster fiel und alles in rosa Licht tauchte, drehte sich Andrew zur Seite, wo Kate noch immer schlief. Die Strahlen zauberten rötliche Lichtreflexe auf ihr Haar. Er beugte sich über Kate. Er liebte ihre frechen Sommersprossen rund um die Nase - wie Schönheitspflästerchen, dachte er. Wie gerade und zart ihre Nase war! Sie konnte den Kopf hochwerfen und diese Nase heben wie keine andere Frau. Unnahbar und kampfbereit war sie dann. Verlangen überkam ihn, Kates sanft geschwungene, im Schlaf halb geöffnete Lippen zu küssen. Mit Gewalt musste er sich von ihrem Anblick losreißen, sonst hätte ihn die Leidenschaft übermannt. Wie aufsässig sie wirken kann, wenn sie dieses kleine, feste Kinn vorschiebt, sinnierte Andrew weiter. Dann erkennt man, dass irisches Blut in ihren Adern fließt. Sie kann ein richtiges Biest sein. Wenn ich mal einen Kampf zu bestehen hätte, würde ich mir wünschen, sie stünde mir dabei zur Seite. Er bewunderte noch Kates geschlossene Augen mit den dunklen, lang geschwungenen Wimpern, als er bemerkte, dass sie ein wenig flatterten. Kate erwachte. Wie ein kleines Kind, das aus einem tiefen Traum erwacht, dachte Andrew liebevoll. Kate schlug die Augen auf. Als Erstes nahm sie seinen warmen und aufmerksamen Blick wahr, der auf sie gerichtet war. Verwirrt wurde sie vollends wach und runzelte die Brauen. Sie bemerkte die Papiere, die Andrew vor sich liegen hatte. „O je, Sie haben schon gearbeitet, während ich noch schlief." Andrew registrierte, dass Kates Stimme am Morgen, so kurz nach dem Erwachen, weicher und tiefer klang als gewöhnlich. „Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel zu Wege gebracht", antwortete Andrew fast ein wenig verlegen. Es war ihm peinlich, dass sie ihn bei seinen Beobachtungen überrascht hatte.
„Haben Sie schon meinen Report gelesen?" „Ja. Der ist in Ordnung, Miss Halloran." In Wahrheit war Andrew beeindruckt gewesen, als er die Arbeit durchgesehen hatte. Kate war tatsächlich eine fähige Frau, übertrieben hatte sie nicht, als sie von ihren guten Zeugnissen sprach. „Möchten Sie, dass wir, sobald ich mich frisch gemacht habe, weitermachen?" Kate gab sich Mühe, dienstlich zu erscheinen. „Ja, die Zeit ist kostbar." Sie reckte sich. Zu dumm, ihre Frisur hatte sich gelöst und gab ein paar vorwitzige Locken frei. Sie kräuselten sich über Stirn und Wangen. Da das Kleid im Schlaf etwas verrutscht war, musste sich Kate zu Andrew hinüberlehnen, um es wieder zurechtzuziehen. Ein kurzer Körperkontakt war dabei unvermeidlich. Dann suchte sie einen Schuh, den sie verloren hatte. Sie tastete mit dem Fuß den Boden ab, und schon berührte sie Andrews Bein. Nervös beugte sie sich vor. Wo war bloß der Pumps abgeblieben? Da hob Andrew mit unschuldiger Miene den gesuchten Gegenstand empor. „Haben Sie danach geforscht?" Triumphierend hielt er das gute Stück in die Höhe. „Hin ... danke." Flink zog Kate den Schuh an und verschwand. Zurück an ihrem Platz, begann Kate unter ihrem Sitz zu stöbern, wo sie die Aktenmappe verstaut hatte. Endlich war sie so weit. „Wir können anfangen. Was wollen Sie mir durchgeben?" „Seite sechs. Den Finanzierungsplan." Kate blätterte in den Akten, bis sie die betreffende Stelle gefunden hatte. „Warum haben Sie sich entlobt?" Seine Frage traf sie unvermittelt. Eine Sekunde später hätte sich Andrew am liebsten auf die Lippe gebissen. Wie konnte Ihm die Frage nur herausrutschen! Er hatte etwas Geschäftliches anführen wollen, aber die Worte, die ihm die ganze Zeit, während Kate schlief, im Kopf herumgegangen waren, hatten sich selbstständig gemacht. Kate war völlig überrumpelt. „Aus meinem Bericht haben Sie diese Information aber nicht", konnte sie schließlich ironisch antworten. „Leihen Sie neuerdings dem Bürotratsch Ihr Ohr?" Andrew zuckte mit den Schultern. „Nicht so laut, Miss Halloran." Dann entschuldigte er sich. „Also gut, das war ein Tiefschlag. Aber ich habe nur gehört, dass sie ein volles Jahr lang verlobt waren." Er versuchte, in ihren Augen zu lesen. „Das hat mich gewundert. Ist das nicht eine lange Zeit?" Abwehrend verschränkte Kate die Arme vor der Brust. „Ich empfand es nicht so." „Ich als Mann hätte mich beleidigt gefühlt, wenn meine Verlobte ein ganzes Jahr gebraucht hätte, um sich zu entscheiden, ob sie mich nun will oder nicht." „Sie haben sicherlich jede Menge Erfahrung auf diesem Gebiet. Jetzt sagen Sie mir ehrlich, Andrew, wie oft waren Sie schon verlobt?" fragte Kate aggressiv. „Von solchen Äußerlichkeiten habe ich nie etwas gehalten. Die modernen Frauen haben keinen Ring nötig, um zu beweisen, dass sie einen Mann fesseln können." „Wenn Sie die Angelegenheit so sehen, haben Sie die Bedeutung eines Verlobungsringes völlig missverstanden." „Ach wirklich? Wozu ist er dann eigentlich da?" Andrew zündete sich eine Zigarette an und sah den Rauchkringeln nach. Er hatte dieses Thema nicht diskutieren wollen, aber nun war er in diese Situation hineingestolpert und wünschte, sie durchzustehe n. „Der Ring bekräftigt, dass zwei Menschen sich so sehr mögen, dass sie ihr Leben miteinander teilen möchten." „Wenn ich Sie richtig verstehe, bejahen Sie eine Heirat und glauben daran, dass man glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende zusammenleben kann?" Kates Stimme sank zu einem Flüstern herab. „Natürlich meine ich das. Sie wohl nicht?" „Wenn Sie so sehr daran glauben, warum haben Sie dann Ihre Verlobung gelöst?" konterte Andrew. Kate blieb stumm. „Warum antworten Sie nicht?" Ein gefährliches Funkeln trat in Kates Augen. „Das geht Sie nichts an!"
„Da haben Sie Recht. Aber sagen Sie mir nur das eine, Miss Halloran. Gehören Sie zu diesen ach so moralischen jungen Dingern, die auf einem Verlobungsring bestehen, bevor sie mit dem armen, frustrierten Liebhaber ins Bett gehen?" Statt einer Explosion, wie zu erwarten war, trat völlige Stille ein. „Das war unfair", antwortete Kate dann mit unterdrücktem Zorn. Andrew fühlte, dass er zu weit gegangen war. „Ja, Sie haben Recht, es war ungezogen von mir. Bitte entschuldigen Sie meine Worte. Es ist wohl besser, wir kehren jetzt zum Geschäftlichen zurück." Andrew drückte die Zigarette aus. „Lesen Sie Seite sechs, dann machen wir weiter." Kate versuchte, sich auf die bezeichnete Stelle zu konzentrieren, aber sie konnte den Vorfall nicht so rasch abtun. Was in aller Welt hatte ihn dazu gebracht, derart aus der Rolle zu fallen? Er war nicht der Typ Mann, einer Frau solch indiskrete Fragen zu stellen. Sie spürte, dass auch er noch sehr erregt war. Warum beschäftigte er sich überhaupt mit ihrem Privatleben? Beide hatten sich wieder in der Gewalt. Mechanisch gingen sie die einzelnen Punkte durch und besprachen unklare Fragen. Die Zeit verrann. Die Stewardess brachte das Frühstück, und schon näherte sich die Maschine dem Pariser Flugplatz. Kate konnte es kaum glauben, dass sie ihr Ziel erreicht haben sollten, es ging so schnell. Sie hatte gerade noch Zeit, im Waschraum ihr Make-up aufzufrischen und die Frisur neu zu richten. Dann warf sie den schwarzen Blazer über. Auf dem langen Flug hatte Kate Zeit genug gehabt, über die Ereignisse der letzten Tage nachzudenken. Noch immer war sie enttäuscht darüber, dass sie verhindert war, ihren Vater nach Hause zu begleiten. Aber, so dachte sie, bei Ruth Cole ist er bestimmt in guten Händen, Sorgen brauche ich mir nicht zu machen. Sie ist eine umsichtige Frau, er findet sie sympathisch, und wenn ihn jemand wieder ins Alltagsleben zurückführen kann, dann ist es Ruth. Jetzt, wo ich in Paris bin, will ich das Beste aus dieser Reise machen und den Aufenthalt genießen. Es geschieht nicht alle Tage, dass man einen Europa-Trip von der Firma bezahlt bekommt. Andrew ist langweilig und denkt nur an seine Arbeit, so werde ich eben selbstständig etwas unternehmen und Paris erkunden. Andrew und Kate passierten die Zollkontrolle. Ein Vorstandsmitglied der französischen Firma, mit der sich das amerikanische Unternehmen zusammenschließen wollte, erwartete sie. Andrew Carlson schien sichtlich ungehalten, als sich der große, elegante Franzose mit liebenswürdiger Grandezza über Kates ausgestreckte Hand beugte. Einen Moment sah es so aus, als ob Jean Dubois - so hatte er sich vorgestellt - sie mit den Lippen berühren wollte, aber er deutete den Handkuss nur an. Lächelnd schaute er Kate an. „Ich habe nicht erwartet, eine so schöne Frau zu treffen. Mir war lediglich mitgeteilt worden, dass zwei Mitarbeiter von Computer International einträfen. Es wird mir eine Freude sein, Ihnen Paris zu zeigen. So angenehm habe ich mir meine Aufgabe nicht vorgestellt." Kate lächelte scheu. Mit einer schweren Limousine ging es quer durch die Stadt. Während sich Andrew und Jean Dubois in einer Mischung aus Englisch und Französisch unterhielten, konnte Kate gar nicht so schnell schauen, wie die Sehenswürdigkeiten vorbeiglitten. Dort hinten stand der berühmte Eiffelturm, jetzt erreichten sie den Triumphbogen. Sie freute sich über das lebhafte Treiben überall. Da kurvten zahlreiche Fahrradfahrer halsbrecherisch durch Parklücken hindurch und um abgestellte Wagen herum, und Taxifahrer überholten mit dröhnender Hupe ganze Fahrzeugschlangen, die im Stau standen. Es war ein fast fröhliches Treiben, trotz des dichten Verkehrs. Jean Dubois wandte sich fragend an Kate. „Mademoiselle Halloran, sind Sie das erste Mal in Paris?" „Ja, und ich finde die Stadt märchenhaft!" Sie blickte strahlend um sich. Jean Dubois war entzückt. „Dann müssen Sie mir erlauben, dass ich Sie so oft durch unsere Hauptstadt führen darf, wie es Ihnen Ihre Zeit erlaubt." Man sah ihm an, dass er von Kates jugendlichem Charme bezaubert war. „Ich befürchte, Miss Halloran wird kaum die Gelegenheit für Besichtigungstouren haben", machte Andrew den schönen Plänen ein Ende. „Wir sind aus geschäftlichen Gründen hier." Kate sah überrascht zu Andrew hinüber. Seine Worte klangen zurechtweisend. Was hatte er nun
wieder? Natürlich wollte sie alles sehen und so viel wie möglich erleben, wenn sie schon einmal in Paris war. Das hieß doch nicht, dass man die Arbeit darüber vernachlässigte. Schließlich konnte man nicht vom Morgengrauen bis in die tiefe Nacht hinein Konferenzen und Sitzungen abhalten. Ich bin so aufgeregt, dachte Kate, dass ich sowieso nicht schlafen kann. Wenn es sein muss, werde ich eben nachts durch, die Stadt bummeln. Zu Hause kann ich den Schlaf ja nachholen. „Heute Abend ist ein gemeinsames Arbeitsessen mit dem Vorstand angesetzt", informierte Jean Dubois die amerikanischen Gäste. Er überhörte Andrews aggressive Art, die er auf Übermüdung zurückführte. „Der morgige Abend steht zu Ihrer privaten Disposition." „Wie schön", antwortete Andrew knapp. „Miss Halloran und ich haben noch ein umfangreiches Tagesprogramm zu erledigen." Traurig sah Kate aus dem Fenster. Gerade kamen sie am Obelisken auf der Place de la Concorde vorbei. Sie hoffte inbrünstig, dass ihr wenigstens Zeit bliebe, vor dem Heimflug einmal durch die Straßen zu flanieren. Es durfte doch nicht wahr sein, dass man sich in dieser Traumstadt aufhielt und nichts von ihr zu sehen bekam! „Ich nehme an, Sie wollen sich erst ein wenig ausruhen", fuhr Jean Dubois fort. „Ich habe mir die Räume angesehen, die Sie gebucht haben. Es ist alles für Sie bereit. Wenn Sie wünschen, gebe ich dem Fahrer Order, Sie zunächst bei Ihrer Unterkunft abzusetzen. Ich werde Sie in einer guten Stunde wieder abholen lassen. Dann treffen wir den Vorstand zum Arbeitsessen. Morgen früh ist eine Besichtigung der Firma angesetzt. Sie haben die Möglichkeit, sich gründlich umzusehen und mit unseren Beschäftigten zu sprechen. Das Mittagessen erfolgt in der Kantine. Selbstverständlich werden auch die Direktoren anwesend sein. Wie schon erwähnt, steht der Abend zu Ihrer freien Verfügung, aber wenn Sie wünschen, kann ich in einem Restaurant mit ausgezeichneter französischer Küche einen Tisch reservieren lassen." Andrew dankte förmlich. „Es scheint, Sie haben alles bestens vorbereitet. Aber morgen Abend möchte ich noch offen lassen. Miss Halloran und ich haben wirklich eine Menge zu tun." Der Franzose nickte, und Kate protestierte innerlich. Bei Andrews häufigen Stimmungswechseln und seiner sprichwörtlichen Arbeitswut konnte das ja ein schöner Aufenthalt werden. Der Wagen verließ die breite Straße, die durch die Pariser Vororte geführt hatte, und fuhr nun durch eine ländlichere Gegend. Hier und da standen altertümliche Bauernhäuser, spitz- gieblig, mit rostroten Ziegeldächern, dazwischen erhoben sich die Türme einer Kirche und ein mittelalterlicher Wehrturm. Kate verhielt sich ruhig, verzaubert nahm sie dieses romantische Bild in sich auf. Wie gern hätte sie die Scheibe heruntergekurbelt und den Duft der Felder und der vielen blühenden Blumen eingesogen! Du bist nur geschäftlich hier, ermahnte sie sich. Du kannst dich nicht wie ein ausgelassenes Kind aus dem Fenster hängen. Der Wagen verlangsamte die Fahrt, denn nun ging es über ausgewaschenes, holpriges Kopfsteinpflaster. Leute saßen vor ihren Häusern, sie sahen dem pompösen Auto mit gelindem Interesse nach. Nun fuhren sie an einem romantischen, weinumrankten Gebäude vor, das den Eindruck erweckte, als gehörte es in ein anderes, längst versunkenes Zeitalter. „Ich bedaure wirklich, dass Sie sich entschieden haben, in diesem Privatquartier auf dem Lande zu wohnen. Wir hätten Sie gerne in einem modernen Hotel in Paris untergebracht", meinte Jean Dubois entschuldigend. Er bemerkte Andrews abweisende Miene und fügte hastig hinzu: „Natürlich, es ist sehr sauber hier und auch komfortabel, wenn auch ein wenig klein. Die Besitzerin kocht selber, sogar ganz ausgezeichnet, wie man mir versicherte." Jean Dubois half Kate aus dem Auto und führte sie einen mit bunten Blumen und duftendem Lavendel gesäumten Kiesweg entlang. Eine einfache Frau erwartete sie an der Haustür und knickste, als wären sie königliche Hoheiten. Sie trug ein bunt geblümtes Kattunkleid mit einer makellos weißen, gestärkten Schürze darüber. Jean Dubois führte sie zu den Arbeitsräumen hinauf, die im ersten Stock lagen. Das ganze zweite Stockwerk bestand aus zwei riesigen Schlafzimmern, von denen das vordere Kate gehörte. Der Fahrer lieferte die Koffer ab, und nun stand sie in der Mitte des großen Raums und schaute sich um.
Der Fußboden war mit Parkett ausgelegt, das auf Hochglanz poliert war. Bestimmt, dachte sie, liegt nirgendwo auch nur ein Körnchen Staub. Die Attraktion bildete ein großes Polsterbett, das so breit war, als könnte eine ganze Kompanie darin schlafen. Darüber aber, bemerkte Kate entzückt, lag eine wunderschöne, offensichtlich handgestickte Tagesdecke. In einer Ecke des Zimmers standen zwei damastbezogene antike Stühle, in einer anderen prangte ein mannshoher, goldgerahmter Kristallspiegel. Ein zierlicher Tisch vervollständigte die Einrichtung. Die freundliche Wirtin hatte ihr zur Erfrischung eine Schüssel mit Früchten und eine Wasserkaraffe mit zwei Gläsern bereitgestellt. Jean Dubois öffnete ein Paar Flügeltüren/und die Gäste standen auf einer Veranda, die rund um das gesamte Haus führte. Zu ihren Füßen breitete sich ein sorgfältig gepflegter Garten mit grünen Hecken und in allen erdenklichen Farben blühenden Rosen aus. In der Mitte stand eine uralte Eiche mit weit ausladenden Ästen, darunter ein Springbrunnen mit einer weißen Marmorfigur, die eine Schale in Händen hielt. Daraus plätscherte das Wasser ins Becken. „Ach, wie malerisch. Ich kann es gar nicht erwarten, hinunterzugehen!" Aufgeregt wandte sich Kate an Andrew, der sie mit verschlossenem Gesicht beobachtet hatte. „Wenn Sie nichts dagegen haben, packe ich aus, so schnell ich kann. Ich möchte nur ein paar Minuten durch den Garten gehen." „Sicherlich." Jean Dubois wandte sich fragend an Andrew. „Ich kann Sie inzwischen zu Ihrem Zimmer führen." Flink hängte Kate ihre Garderobe auf und verstaute den leeren Koffer an einem dafür vorgesehenen Platz. Nachdem sie sich frisch gemacht hatte, löste sie das Haar und ließ die Locken über die Schultern fallen. Sie wechselte das Reisekleid und vertauschte die Pumps mit zierlichen Sandaletten. Dann lief sie leichtfüßig die Treppen hinab und öffnete neugierig die Hoftür. Überwältigt blieb sie stehen. Ihr kam es vor, als beträte sie eine andere Welt. Betörender Rosenduft umfing Kate, der sanfte Wind umspielte ihr Haar und fächelte ihr Kühlung zu. Sie schlenderte die Kieswege entlang. An jeder Ecke stand ein rund geschnittener Busch, wie sie in französischen Parks oft zu finden sind. Etwas entfernt entdeckte sie eine altmodische, verschnörkelte Schaukel, an einem Ast befestigt. Hier, dachte Kate, schaukelten in romantischen Zeiten die französischen Kavaliere ihre Damen. Die Versuchung war zu groß, sie musste sie einfach ausprobieren. Träumerisch schloss sie die Augen und schwang sachte hin und her. Dann schaute Kate auf die Armbanduhr und erschrak. Schon so spät! Sie musste sich beeilen, duschen und sich für das offizielle Dinner umziehen. Rasch sprang sie von der Schaukel und blickte zufällig nach oben. Dort stand Andrew auf der Veranda und schaute unverwandt zu ihr hinunter. Sie fühlte, wie ihre Kehle trocken wurde, ihr Herz klopfte wild. Wie lange, fragte sie sich, hat er schon dort gestanden und mich beobachtet? Im nächsten Augenblick war er im Zimmer verschwunden. Sie musste ins Haus zurück und wäre so gern noch geblieben. Mit Freuden hätte sie auf die Abendgesellschaft verzichtet und den Sonnenuntergang in diesem Garten genossen. Noch ein letzter Blick, dann ging sie in ihr Zimmer hinauf. Rasch entkleidete sich Kate, schlüpfte in einen langen eier-schalfarbenen seidenen Hausmantel, packte die Toilettenartikel zusammen und wollte barfuss ins Bad gehen. Sie öffnete die Badezimmertür - und blieb wie angewurzelt stehen. Da stand Andrew am Waschbecken, nackt bis auf ein Handtuch, das er um die Hüften geschlungen hatte. Sein Gesicht war weiß vom Rasierschaum. Er hielt inne, als er sie bemerkte. Den Rasierapparat hielt er in halber Höhe. „Was machen Sie in meinem ...?" Verwirrt blickte Kate ihn an. „Ich verstehe nicht. Ist das nicht mein ...?" Andrew reinigte den Apparat unter fließendem Wasser. Er begegnete ihren Augen im Spiegel. „Wir haben das Vergnügen, uns das Badezimmer zu teilen", stellte er trocken fest. „Ach so ... aber warum? Ich dachte ..." „Sie vergessen, dass wir auf dem Land wohnen und nicht in einem Hotel." Er wandte sich ihr zu. Sie sah sein markantes Gesicht, die breite, behaarte Brust und das tief gerutschte Handtuch, das um die schlanken Hüften zum Knoten geschlungen war.
„Bitte entschuldigen Sie." Kate ging rückwärts wieder hinaus. „Sagen Sie mir bitte Bescheid, wenn ich das Bad benutzen kann?" „Ich brauche nur noch ein paar Minuten." Langsam wanderten seine Augen von ihrem schimmernden Haar hinunter zu den Schultern. Kate wurde unbehaglich zu Mute. Ihr wurde bewusst, dass der schmiegsame Stoff ihre Körperformen nachzeichnete. Andrew musste erkennen, dass sie nackt darunter war ... Sie wurde über und über rot unter diesem prüfenden Blick und wollte fliehen. Sie hörte noch wie er ihr ironisch lachend nachrief: „Natürlich, Miss Halloran, falls Sie mit mir zusammen duschen möchten ..." Kate schloss die Tür, so rasch sie konnte. Dann setzte sie sich konsterniert aufs Bett. Ihr erster Flug nach Europa, nach Paris! Musste sie ihn ausgerechnet mit diesem Mann zusammen unternehmen? Nebenan hörte sie das Wasser rauschen und Andrew Carlson beim Duschen singen. Von allen Männern auf der Welt hätte sie gern als ersten Andrew aus ihrem Leben gestrichen. Dann hörte das Plätschern auf. Kate huschte zur Tür und horchte. War die Luft endlich rein? Plötzlich wurde die Tür mit einem Rück auf gestoßen. Carlson stolperte fast über sie. „Du liebe Güte, was ...?" Kate stand stumm und hielt die Hand über ein Auge. Die Türkante hatte sie voll getroffen. „Halloran! Was machen Sie da? Haben Sie durchs Schlüsselloch geguckt?" „Wie gemein Sie sind!" Andrews ironisches Lächeln verschwand, als er erkannte, dass sie sich wehgetan hatte. Mit sanfter Gewalt zog er ihr die Hand vom Gesicht und schaute sich die Prellung genau an. Kate schluckte krampfhaft. Von seinem noch feuchten Haar lösten sich einige Wassertropfen und fielen auf ihre Wange. Ein männlichherber Duft strömte von ihm aus, eine Mischung aus Kräutern und Gewürzen. Seine nackte Brust war ihr so nahe, dass sie schauderte, sie fühlte die Wärme seines Körpers. Das nachlässig um die Hüften geschlungene Handtuch war das Einzige, was ihre Körper voneinander trennte, dieses halb herabgerutschte Tuch und ihr dünnes Seidengewand, das mehr verriet als es verhüllte. In plötzlicher Spannung drängten ihre Brüste seinem Körper entgegen. Er war wie ein Magnet, der sie unwiderstehlich anzog. Hoffentlich bemerkte er es nicht. Andrew berührte den roten Fleck neben dem Auge. Sie zuckte zusammen und fasste mit der Hand instinktiv danach. Doch Andrew schob sie beiseite. „Sie haben Glück gehabt. Fast hätten Sie sich ein blaues Auge zugezogen." Seine Stimme wurde weich. „Welch ein Jammer bei solchen Augen!" Er führte Kate näher ans Fenster. Dabei berührten sich ihre Körper. Seine Brusthaare strichen über ihre vibrierenden Brüste unter dem dünnen Stoff. Kate war überrascht, wie sanft er sie hielt. Sie nahm das Muskelspiel seiner durchtrainierten Arme wahr, breite Schultern kamen ihr näher, als er sich über sie beugte. „Mir scheint, Sie bekommen eine kleine Beule", meinte Andrew teilnahmsvoll. „Welche Freude!" Sie versuchte, sich ihm zu entziehen. Sie hatte Angst, Andrew könnte erkennen, wie sehr sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Sein Gesicht befand sich dicht über ihrem, sie sah seinen Mund, und seltsame Wünsche stiegen in ihr auf. Andrew bemerkte, wie Kate errötete, er sah sie aufmerksam an. Einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete sie, er könne ihre Gedanken lesen. Doch Andrew tupfte ihr nur aufmunternd unters Kinn. „Machen Sie sich nichts draus, Miss Halloran. Ich bin sicher, Ihr Franzose findet Sie auch mit einem kleinen Kratzer verehrungswürdig." Kate wurde bleich vor Zorn. „Er ist nicht mein Franzose!" „Na, na. Aber er wird es spätestens am Wochenende werden, wenn Sie ihm weiterhin solche begeisterten Blicke zuwerfen." „Oh!", stieß sie hervor und ging einige Schritte rückwärts. Sie war froh, Andrew auf Abstand zu wissen. „Hätten Sie bitte die Freundlichkeit, mein Zimmer zu verlassen? Sie sind sonst schuld, wenn ich mich verspäte." „Wie Sie wünschen, Miss Halloran." Bevor Andrew jedoch durch das Bad in seinem eigenen
Zimmer verschwand, drehte er sich noch einmal um und verbeugte sich ironisch lächelnd, die Hand in ritterlich-romantischer Manier aufs Herz gelegt. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Lady Halloran. Jetzt schaue ich mal durchs Schlüsselloch." Er zog die Tür gerade noch rechtzeitig hinter sich zu, um nicht von der Haarbürste getroffen zu werden, die Kate ihm wütend nachwarf.
5. KAPITEL
Kate musste im Badezimmer ständig über seine Worte nachgrübeln. Dieser unverschämte Mensch! Den ganze n Parisaufenthalt machte er ihr kaputt! Obwohl sie nicht glaubte, dass er sie tatsächlich durchs Schlüsselloch beobachten wollte, hatte sie vorsichtshalber ein Handtuch über die Klinke gehängt, um vollkommen sicher zu sein. Sie trocknete sich das Haar und dachte an „ihren Franzosen". Es stimmte, Jean Dubois wirkte sehr männlich und attraktiv. Er verstand es außerdem, Frauen mit passenden Komplimenten zu schmeicheln. Aber bestimmt ist er verheiratet und hat sechs Kinder. Das freundliche Angebot, ihr die Stadt zeigen zu wollen, war Teil seines Auftrags, sich um die amerikanischen Gäste zu kümmern. Kate suchte ihre Abendkleidung sorgfältig aus. Sie wählte ein smaragdgrünes Kleid mit gerafftem Ausschnitt und langen Ärmeln, darüber eine gleichfarbige, sehr elegante Jacke. Als einzigen Schmuck legte sie eine kostbare doppelreihige Perlenkette mit passenden Ohrringen an, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Abendsandaletten und eine zierliche Handtasche rundeten die festliche Abendgarderobe ab. Mit ihrem schönen dichten Haar hatte Kate nie Probleme gehabt. Sie frisierte es so geschickt, dass es schmeichelnd ihr Gesicht umrahmte. Dann legte sie frisches Make- up auf und begutachtete sich in dem großen Wandspiegel von allen Seiten. Schon klopfte Andrew an die Tür. Sie nahm den kleinen Abendbeutel und beeilte sich zu öffnen. Andrew sah Kate lächelnd an. Er trug einen dunklen, tadellos sitzenden Anzug aus italienischem Tuch, die Seidenkrawatte war sorgfältig gebunden. Bestimmt ist sein Monogramm in den Hemdkragen eingestickt, dachte Kate. Es sieht aus, als ob es eigens für ihn angefertigt wurde. Sie hatte schon einmal bemerkt, dass er solche Hemden trug, als sie bei der Arbeit nebeneinander saßen. Darauf angesprochen, hatte er nur beiläufig geantwortet: „Dann finden die Leute in der Wäscherei meine Sachen leichter wieder." Obwohl Kate diesen Habitus ein wenig snobistisch fand, mochte sie doch die eingestickten Initialen. Andrews ganze Kleidung erschien so teuer. In seiner äußeren Erscheinung stellte er perfekt den Mann von Welt dar. Sein Haar war nun getrocknet und glänzte im Licht der Flurbeleuchtung. Kate erwartete eine ironische Bemerkung, wie .Andrew sie gewöhnlich zu machen pflegte, aber er schaute sie nur unverwandt an. „Fertig?" „Ja." Kate schloss die Tür und ging neben ihm die Treppen hinunter. Unten wartete schon Jean Dubois. „Ah, Miss Halloran", begrüßte er Kate zuvorkommend, „Sie sehen wieder bezaubernd aus." „Vielen Dank für das Kompliment." Kate konnte sich nicht so recht daran freuen. Wie viel mehr hätte es ihr bedeutet, wenn es von Andrew gekommen wäre. Alle drei saßen schweigend in dem komfortablen Auto und sahen die Landschaft in der Abenddämmerung vorbeiziehen. „Ich hoffe, Mr. Carlson", begann Jean Dubois vorsichtig, „dass das Restaurant, welches wir für heute ausgesucht haben, Ihrem Geschmack entspricht. Wir haben gerade dieses gewählt, weil es den amerikanischen Stil pflegt." „Ach, ich habe nichts gegen französische Restaurants", antwortete Andrew knapp. Kate blickte aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber. Bildete sie sich das ein, oder war er absichtlich abweisend? Jean Dubois wandte seine Aufmerksamkeit jetzt Kate zu. „Zwei Herren aus dem heutigen Kreis kommen in Begleitung ihrer Gattinnen, Miss Halloran. Sie sind sehr neugierig darauf, einen weiblichen Computerfachmann aus Amerika kennen zu lernen." „Ich gehöre nicht zu den technischen Spezialisten", korrigierte Kate. „Ich bin Mr. Carlsons Assistentin und persönliche Referentin." „Trotzdem - eine verantwortungsvolle Position", ließ Dubois Kates Einwand nicht gelten. „Bestimmt erwarten unsere Damen einen ältlichen, farblosen Blaustrumpf." Erneut empfand Kate leichten Unmut bei seinen Worten.
„Ist Ihre Frau auch in unserer Runde, Monsieur Dubois?" fragte sie schärfer, als sie beabsichtigt hatte. „Ich bin nicht verheiratet. Ich liebe das Junggesellenleben viel zu sehr, um es für eine Frau aufzugeben." Bei diesen Worten beugte Dubois sich zu Kate hinüber, so dass sich ihre Schultern berührten. Kate wollte von ihm abrücken, da sah sie Andrews missmutiges Gesicht, der sich nun an dem Gespräch beteiligte. „Ich nehme an, Paris ist das rechte Pflaster für Junggesellen?" „O ja, obwohl ich gehört habe, dass man in Kalifornien auch ganz munter zu leben weiß." „Stimmt. Miss Halloran und ich machen uns ein feines Leben." Andrew lächelte Kate viel sagend an. Vor Zorn ballte sie unter ihrer Handtasche die Hand zur Faust. Am liebsten hätte sie ihm auf diese Bemerkung die passende Antwort erteilt. Auf Jean Dubois' erstaunten Blick erklärte er mit unschuldiger Miene: „Oh, ich meine nicht wir beide zusammen. Jeder für sich. Stimmt's nicht, Miss Halloran?" Sie wurde zu ihrer Erleichterung einer Erwiderung enthoben. Der Wagen rollte die Auffahrt zu einem hell erleuchteten Gebäude hinauf und hielt vor dem Eingang. Ein Portier in Livree riss den Wagenschlag auf. Im Restaurant umgab sie grelles Neonlicht. Dazwischen flackerten bunte Lampen wie in einer Disco. An der Bar drängten sich Besucher. Der Speiseraum war abgetrennt und etwas abgedunkelt. Aber man hörte den Beat, den harten Rhyt hmus der Trommeln, auch in diesem Teil des Restaurants. Man platzierte Kate zwischen Jean Dubois und einen älteren Herrn. Andrew saß ihr gegenüber, von zwei Französinnen flankiert. Kate hatte in der Schule und auf dem College etliche Jahre Französisch gelernt, aber danach keine. Möglichkeit mehr gehabt, es zu sprechen. Sie wunderte sich, wie leicht ihr die Worte und Sätze wieder ins Gedächtnis kamen. Obwohl jeder am Tisch ausgezeichnet Englisch sprach, machte es ihr Freude, ihre Gastgeber in deren Muttersprache anzureden. „Möchten Sie gerne ein Steak, Mr. Carlson?" fragte eine der beiden Damen. „Viele unserer Gäste ziehen Steak und Pommes frites der französischen Küche vor", setzte sie erklärend hinzu. Andrew zeigte sich von seiner charmantesten Seite. „Ach, amerikanisches Essen bin ich von zu Hause gewohnt. Ich liebe die französische Küche." Er bestellte in fließendem Französisch, und der Kellner nickte zustimmend. Danach war Kate an der Reihe. Sie machte es ihrem Chef nach und bestellte ebenfalls in Französisch. Jean Dubois wandte sich ihr überrascht zu. „Sie versetzen mich immer wieder in Erstaunen, Miss Halloran. Sie besitzen ungeahnte Qualitäten." Man sah ihm an, dass Kate Eindruck auf ihn machte. Als zum Abschluss der Kaffee gereicht wurde, entspannte Kate sich langsam. Der ausgezeichnete Wein, der zu den verschiedenen Gängen serviert wurde, tat ein Übriges, ihre Verkrampfung zu lösen. Der Abend begann, ihr Spaß zu machen. „Mr. Carlson", sagte eine der Damen kokett, „hat Ihre Frau eigentlich nichts dagegen, dass Sie mit einer so hübschen Assistentin verreisen?" „Ich bin nicht verheiratet", gab Andrew zurück und lächelte gewinnend. „Außerdem kann ich Ihnen versichern, dass. Miss Halloran für mich nur in beruflicher Hinsicht zur Verfügung steht. Wir sehen uns als geschäftliches Team, als Vertreter unserer Firma." Kate war erleichtert. Sie dankte ihm innerlich für die treffende Antwort. Wie sich dieser höfliche Andrew doch von dem Mann unterschied, den sie bisher kennen gelernt hatte. Es war schon sehr spät, als die Runde aufgehoben wurde. Man verabschiedete sich herzlich, dann stiegen Kate und Andrew in das Auto, das sie wieder zu dem Landhaus zurückbringen sollte. Jean begleitete sie auch diesmal und saß neben Kate. „Haben Sie Lust, sich noch ein wenig das Pariser Nachtleben anzusehen?" erkundigte er sich und schaute auch zu Andrew hinüber, um ihn in die Frage einzubeziehen. „Mich entschuldigen Sie bitte", gab der Angesprochene zurück. „Der Tag war lang und anstrengend. Ich möchte gern nach Hause. Aber wenn Miss Halloran ..."
„Es tut mir Leid", unterbrach ihn Kate. „Ich kann die Augen kaum noch offen halten. Ich bin sehr müde von dem langen Flug. Aber vielen Dank für den Vorschlag, Monsieur Dubois." Weiter ging es die hell erleuchteten Straßen entlang, dann tauchten nur noch vereinzelte Lichter auf, sie fuhren über Land. Die tiefe Dunkelheit wurde nur vom Licht der Scheinwerfer erhellt. Endlich war das Ziel erreicht. Andrew und Kate stiegen aus, dankten Dubois und beobachteten, wie der Wagen wendete und verschwand. „Wie charmant Sie sein können, Miss Halloran", meinte Andrew, als sie durch den Korridor zu den Zimmern gingen. „Sie aber auch", gab Kate zurück. „Sie haben Eindruck gemacht, besonders auf die beiden Französinnen." Sie biss sich auf die Lippe. Den letzten Satz hätte sie gern zurückgenommen. „Die Damen haben sich alle Mühe gegeben, damit wir uns wie zu Hause fühlen sollten. Denken Sie nur an das Steak mit Pommes frites." Sie lächelte zustimmend. „Andrew, ich rechne es Ihnen hoch an, dass Sie so gut über mich gesprochen haben." „Es war die reine Wahrheit." Andrew hielt Kate die Verbindungstür auf, die zum oberen Stockwerk führte. An ihrer Tür zögerte er. „Sie sprechen hervorragend Französisch. Ich wusste das gar nicht. Davon stand nichts in Ihrem Personalbogen." Kate lächelte. „Dann haben Sie ein weiteres meiner vielen Talente kennen gelernt, Mr. Carlson." „Hm. Womit Sie andeuten wollen, Sie könnten noch etliche aufweisen?" „Denken Sie daran, was Monsieur Dubois sagte: Ich bin eine Frau voller Überraschungen. Gute Nacht!" erwiderte Kate gewitzt. Er trat einen Schritt zurück. „Gute Nacht, Miss Halloran." Kate lag in dem riesigen, herrlich altmodischen Bett, das frisch gestärkte Leinenbettzeug fühlte sich angenehm kühl an auf der Haut. Sie trug schon seit Jahren kein Nachthemd mehr, auch keinen Schlafanzug. Seit wann schlafe ich eigentlich nackt, überlegte sie. Ist es seit der Zeit, als ich entdeckte, dass Paddy auch keinen Pyjama trägt? Er hat mein Leben bis ins Kleinste beeinflusst. Sie grübelte über ihren Vater nach. Wie gern hätte Sie jetzt mit ihm gesprochen. Was würde Paddy von Jean Dubois halten? Sie lächelte in der Dunkelheit und wusste die Antwort, ohne ihn fragen zu müssen. Jean Dubois war nicht der Typ Mann, der Patrick Halloran besonders sympathisch war. Er wirkte zu glatt, zu nachgiebig. Sie hatte gespürt, wie unglücklich ihr Vater über die Verlobung mit Joe gewesen war. Andrew Carlson. Bei dem Gedanken an ihn traten alle anderen Männer in den Hintergrund. Kate drehte sich auf die andere Seite und suchte eine bequeme Lage zürn Einschlafen. Andrew war temperamentvoll, arrogant, anspruchsvoll und konnte sie fürchterlich in Wut bringen. Wie Paddy, flüsterte es in ihr. Nein! Sie wies die Verbindung entschieden zurück. Niemand konnte sich mit Paddy messen. Kate veränderte erneut ihre Lage, doch war sie zu aufgewühlt, um Schlaf zu finden. Es amüsiert Andrew, mich in Zorn zu versetzen, dachte sie. Genau wie Paddy, flüsterte ihr die innere Stimme wieder zu. Sie setzte sich im Bett auf. So werde ich nie einschlafen, sagte sie sich. Der bloße Gedanke an Andrew "hat mich wieder hellwach gemacht. Sie zog den Morgenmantel über, ging zur Terrasse und schaute in den mondbeschienenen Garten hinunter. Es lockte sie, hinunterzugehen. Vorsichtig und fast geräuschlos tastete sich Kate die Treppe hinunter und öffnete die Hintertür. Minutenlang atmete sie den betörenden Rosenduft ein, dann raffte sie den langen Mantel und schritt langsam über den knirschenden Kies zum Springbrunnen. Die tiefe Stille wurde nur vom Plätschern des Wassers unterbrochen. Eine angenehme Kühle herrschte. Kate ließ sich vom Zauber der Stimmung einfangen. Sie fühlte sich in einen Feengarten versetzt. „Wie wunderschön." Eine tiefe, männliche Stimme riss sie aus ihren Träumen. Kate wirbelte herum. „Andrew! Sie haben mich erschreckt. Ich dächte, Sie schliefen längst." Andrew kam näher und stellte sich neben sie. Kate machte mit dem Arm eine ausladende Bewegung. „Sie haben Recht, es ist wirklich wunderschön."
„Ich habe nicht den Garten gemeint." „Ich habe von der Märchenfigur gesprochen, die mir da plötzlich in meinen Träumen erschien", fügte er hinzu, als sie sich mit fragendem Blick ihm zuwandte. Kate fühlte, wie seine Worte sie erregten, aber sie bemühte sich um einen leichten Unterhaltungston: „So, Sie können sogar träumen?" „O ja. Miss Halloran, was haben Sie in meinen Wunschträumen zu suchen?" Andrew griff sanft nach ihr. Die Berührung seiner Finger ließ sie zittern, seine Nähe traf sie wie ein Schock. „Habe ich es doch gewusst", murmelte er zwischen halb geschlossenen Lippen. „Du existiert nicht wirklich, du bist nicht aus Fleisch und Blut, sondern nur eine Traumfee." Vergeblich versuchte Kate, sich ihm zu entziehen, feste Hände umspannten ihre Gelenke. „Flieh nicht, schöne Fee. Wenn du auch nur eine Erscheinung aus einer anderen Welt bist, so möchte ich dich doch berühren." Er zog sie näher an sich und streichelte ihr Haar. „Seidig wie der Stoff, der deinen Körper umhüllt. Du solltest das Haar immer offen tragen, es umschmeichelt dein Gesicht und ruht auf den Schultern wie eine dunkle, weiche Flut. Du siehst aus wie ein Engel, süß und unschuldig. Das ist nicht die freche Kratzbürste, mit der ich sonst zu tun habe." Andrew fuhr mit den Fingern zärtlich durch Kates Haar. Kleine Löckchen kräuselten sic h um seine Hand und fielen wieder auf ihre Schultern herab. Es gelang ihr nicht, ihm zu entkommen. Seine Fingerspitzen berührten elektrisierend die zarte Haut an Kates Hals, und er spürte ihren Pulsschlag. „Habe ich mich geirrt?" flüsterte er leise. „Vielleicht bist du gar kein Geist. Mir war, als habe ich einen Pulsschlag gefühlt. Lass sehen!" Sanft wanderten seine Lippen ihre Kehle hinab. Die Berührung hinterließ ein Prickeln auf ihrer Haut und löste in Kate leise Schauer der Erregung aus. Andrew umschloss sie fester und zog sie an seine Brust. „O Liebling", flüsterte er ihr ins Ohr, „dein Duft berauscht mich." Sein Mund wanderte zu ihrem Ohrläppchen, in das er zart biss. Empfindungen erwachten in Kate, die sie erschreckten. Sie stieß ihn von sich, aber Andrew griff rasch nach ihren Armen und hinderte Kate am Davonlaufen. „Andrew, sind Sie verrückt?" „Ja, du machst mich verrückt. Ich habe dich ständig vor Augen, aber immer habe ich nur dienstlich mit dir zu tun. Weißt du nicht, was ich wirklich will? Ich möchte dich in die Arme nehmen und küssen." Er sah ihr in die Augen. „Ich sehe dir doch an ..." „Ich möchte ..." „Ich auch. Und ich werde es auch tun." Damit riss er sie an sich und bedeckte ihren Mund mit Küssen. Einen Moment lang war Kate wie gelähmt, zu versteinert, um zu reagieren. Sie hielt nur die Hände, zu Fäusten geballt, abwehrend vor sich. Dann plötzlich brach ihr Widerstand zusammen. Die Knie gaben nach, der enge körperliche Kontakt mit Andrew ließ sie schwindlig werden. Schauer der Erregung durchrannen sie. Andrew packte Kate an den Schultern, er hielt sie fast grob von sich ab. Er versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, ob die Küsse sie ebenso aufgewühlt hatten wie ihn. Er sah die vor Leidenschaft halb geschlossenen Lider, den entrückten Blick, der Verwirrung und Hingabe ausdrückte. Dann zog er sie, nun plötzlich sehr sanft, wieder an sich. Sein Mund nahm von ihren Lippen Besitz.' Wie weich seine Lippen sind, ging es Kate durch den Kopf. Und warm, so betörend. Zärtlich beantwortete sie seine Küsse, umspielte, streifte und ertastete mit ihrem Mund sein Gesicht. Er hielt still und ließ sie gewähren. Sie gab nach, als sie seine fordernde Zunge spürte, öffnete sie bereitwillig ihre Lippen. Nie geahnte Gefühle lösten diese Berührungen aus, Kate zitterte, die geballten Fäuste öffneten sich, und sie hielt sich wie eine 'Ertrinkende an Andrew fest. Eine Hand noch presste sie gegen die breite Brust, als müsse sie sich noch immer gegen ihn wehren.
Da spürte sie, dass auch sein Herz zum Zerspringen schlug. Andrew blickte sie an und hob Kates Gesicht empor, um ihr in die Augen zu sehen. Der Mond warf silbernes Licht auf ihre mädchenhaften Züge. Mit den Lippen berührte er vorsichtig die Schramme an ihrem Auge. „Tut es noch weh?" „Nur ein ganz klein wenig", flüsterte Kate zurück. Wie konnte etwas schmerzen, wenn Andrew sie mit solcher Zartheit küsste. Im tanzenden Schatten der Blütenzweige beobachtete Kate Andrews Züge. Sie sah, wie seine Augen leuchteten. Alles erschien so unwirklich! Kate fühlte sich in eine andere Welt versetzt. Dann gab Kate sich einen Ruck. Ein paar Minuten lang war sie seinem Charme erlegen. Nun war es Zeit, in die Wirklichkeit zurückzufinden. „Wir müssen vergessen, was geschehen ist." Es fiel ihr schwer zu sprechen. „Müssen wir das wirklich?" „Ja. Es kam ... es kam durch den vielen Wein. Und auch dieses verzauberte Landhaus und die Mondnacht haben dazu beigetragen." „Du vergisst, dass wir ein Mann und eine Frau sind." „Aber heute am frühen Abend hast du noch gesagt, dass wir nicht als Mann und Frau hierher kamen, sondern als Teamgefährten unserer Gesellschaft." „Da habe ich gelogen." Kate hörte, wie Andrew in der Dunkelheit leise lachte. „Es lag nur an der Umgebung, sie hat uns verzaubert. Sonst nichts." Langsam wurde sie wieder Herr ihrer Sinne. Kate sprach bestimmt und abweisend. „Du weißt genau, dass es nicht daran gelegen hat, mein Schatz. Ich habe mich in dich verliebt." „Nein. Das machen die Pariser Luft und dieser Garten." Ich muss Andrew diese Gefühle ausreden, dachte Kate. Und nie will ich zugeben, dass ich wie er empfinde. Sie entwand sich seiner Umarmung und ging einige Schritte rückwärts. Sein vergnügtes Lachen machte sie ärgerlich. „Ich habe gedacht, du seiest zu müde, um mit deinem Franzosen einen Nachtbummel zu machen. Was wolltest du dann hier im Garten? Du müsstest schon längst im Bett liegen." „Du wiederholst dich, Andrew. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass Dubois nicht ,mein Franzose’ ist. Ich ... ich war zu aufgeregt, um einschlafen zu können." „Dann komm und setz dich mit mir einen Augenblick auf die Schaukel." Andrew hielt Kate die ausgestreckte Hand hin. „Nur einmal im Mondlicht schaukeln, dann sind wir wieder vernünftig und gehen hinein. Ich habe dich heute Nachmittag beobachtet, es sah verlockend aus. Ich möchte es auch einmal probieren." Statt Andrew die Hand zu reichen, wich Kate ein weiteres Stück zurück. „Ich will weder schaukeln noch mit dir zusammen im Garten bleiben. Vor allem aber werde ich dich nicht noch einmal küssen. Nie mehr!" Andrew lehnte sich gegen einen alten Baumstamm und verschränkte die Arme über der Brust. Belustigt schaute er Kate an und neckte sie. „Du meinst, du magst dich nicht mehr mit mir zusammen amüsieren? Und du hast mich gar nicht gern? Aber, kleine Katie, du weißt nicht, was dir entgeht. Bleib hier und umarme mich. Ich will dich küssen wie nie jemand zuvor." Kate blieb stumm. Nur fort von hier, riet ihr eine innere Stimme. Sie wollte ins Haus zurück, trat aus dem Schatten und stand im vollen Mondlicht. „Kate, meine Traumfrau! Du hast unter deine m Seidenmantel ja gar nichts an. Weißt du, dass der dünne Stoff im Mondschein praktisch durchsichtig ist? Nicht, dass ich das beklage. Der Anblick ist ausgesprochen reizvoll." „Oh! Du bist unmöglich, Andrew: Schweig endlich!" Kate machte auf dem Absatz kehrt und schritt hoheitsvoll zur Eingangstür. Hinter ihr ertönte das warme, amüsierte Lachen Carlsons. Er löste in ihr prickelnde Spannung aus. Was nur war an diesem Mann, dass er sie so durcheinander brachte? In ihrem Schlafzimmer angekommen, ging Kate ans Fenster und blickte hinunter in den Garten. Dort
unten saß Andrew auf der Schaukel, wippte gemächlich hin und her und hielt den Kopf in ihre Richtung erhoben, als könne er sie in der Dunkelheit erkennen. Sie zog sich ins Zimmer zurück. Ruhelos ging sie auf und ab, schließlich legte sie sich aufs Bett. Da lag sie in den kühlen Kissen, doch das eben Erlebte beschäftigte weiterhin ihre Gedanken. Jedes Wort, jede Berührung, jeden Kuss rief sie noch einmal in sich wach. Kate schaute zum Fenster, das der Mond beleuchtete. Ihr wurde bewusst, dass Andrew die Erinnerung an alle Männer, die sie vor ihn gekannt hatte, ausgelöscht hatte. Sie -konnte sich nicht einmal mehr genau an Joes Gesicht erinnern. Selbst Paddys Bild verblasste. Ihr Denken und Fühlen wurde von Andrew beherrscht, der allein unten in der Dunkelheit auf der Schaukel saß. Ruhelos warf Kate sich im Bett hin und her und drückte ihren Kopf in das Kissen. Was ist los mit mir, fragte sie sich wieder und wieder. Warum muss es Andrew Carlson sein, warum von allen Männern in der Welt gerade er? Er ist der Einzige, dessen Anblick ich ersehne und der mich gleichzeitig irritiert und zornig macht. Sie waren beide temperamentvoll. Wenn sie, wie heute Abend, beide ihren Gefühlen freien Lauf ließen, erglühte ihre Leidenschaft wilder als ein Vulkan. Und wiederum kann er so sanft sein, dachte Kate. Sein Kuss auf mein verletztes Auge war so zart wie die Berührung einer Feder. Aber seine Lippen lassen meine Haut wie Feuer brennen, er reizt mich bis zum Wahnsinn. Joes Küsse haben nie solche Empfindungen in mir geweckt. Andrew Carlson erregt mich körperlich so sehr, wie ich es noch nie erlebt habe. Seiner sinnlichen Ausstrahlung kann ich nicht widerstehen. Was soll ich nur tun? Ich habe doch keine Erfahrung in solchen Dingen. Kate Halloran, du bist auf dem besten Weg, den Kopf zu verlieren. Bei dem Gedanken spürte sie, wie sie in der Dunkelheit zu zittern begann.
6. KAPITEL
Kate war noch völlig in den Empfindungen eines wunderschönen Traumes gefangen, als das Schlagen einer Tür sie jäh in die Wirklichkeit zurückholte. Die freundlichen Bilder zerrannen, nach einem unsanften Klopfen ließ sich eine Stimme im Befehlston vernehmen. „In einer halben Stunde gibt's Frühstück. Tempo, Halloran!" Kate protestierte und rollte sich auf die andere Seite. Wie konnte jemand so unfreundlich sein, sie derart unsanft zu wecken? Sie zog sich die Bettdecke über die Ohren. Einen Moment später wurde die Tür unsanft aufgestoßen, Schritte näherten sich Kates Bett, und die Decke wurde ihr vom Kopf gezogen. Ein aufgebrachtes, ihr wohl bekanntes Gesicht machte die letzten Träumereien zunichte. „Du hast nur noch zwanzig Minuten Zeit!" Kate kniff die Augen zusammen, um die Gestalt, die sich über sie beugte, nicht zu sehen. „Geh weg!" „Soll ich die Decke ganz wegziehen und dich ins Bad tragen?" Mit einem Schlag war Kate hellwach. Es schoss ihr durch den Kopf, dass sie nichts anhatte. Panik erfasste sie. „Es ist gut", bemerkte sie möglichst kühl. „Ich bin ja wach. Jetzt verlass bitte mein Zimmer." Nachdem Andrew gegangen war, tappte sie barfuss durch den Raum und lauschte an der Badezimmertür. Sie wollte sichergehen, dass sie Andrew nicht im Bad überraschte. Nach den Ereignissen der letzten Nacht war sie entschlossen, jede Situation zu meiden, die sie in einen engeren Kontakt mit Andrew führen konnte. Kate hörte, wie Andrew im angrenzenden Zimmer Schubladen öffnete und eine quietschende Schranktür schloss. Er zog sich also gerade an. Rasch schlüpfte sie ins Bad und duschte flink. Sie betrat das altmodische Esszimmer auf die Minute pünktlich. Für die heutige Besprechung hatte sie ein pinkfarbenes Ensemble gewählt, dazu eine Seidenbluse mit Schalkragen im gleichen Ton. Andrew saß am Frühstückstisch und studierte diverse Unterlagen. Er sah bei ihrem Eintritt kaum auf. Kate goss sich Kaffee ein, der dampfend frisch auf dem Tisch stand, und zog den Duft der frischen Croissants ein, der aus der angrenzenden Küche drang. „Halloran." Andrews Ton verriet keine Unsicherheit. Er schob ihr einen handgeschriebenen Notizzettel zu, schaute aber nicht auf. „Ich habe dir einige Dinge notiert, die heute erledigt werden müssen. Nach dem Rundgang durch die Firma muss jeder Punkt abgehakt sein." Ungläubig überflog sie die lange Liste. Sie stellte auf den ersten Blick fest, dass sie bis zum Einbruch der Dunkelheit zu tun haben würden. Andrew sprach nur über geschäftliche Angelegenheiten, aber er duzte sie. Kate nahm das als kleinen Hinweis, dass er in ihr nicht mehr nur eine Arbeitsmaschine sah. Nun gut, dachte sie, dann bleibe ich auch dabei. „Wie früh bist du aufgestanden, um die Punkte auszuarbeiten?" Andrew runzelte die Stirn, blickte auf und musterte sie. Kate errötete. Er blickte erneut in die Papiere, mit denen er beschäftigt war. „Ich habe es gestern Nacht niedergeschrieben, bevor ich zu Bett ging." Kate war dankbar, dass in diesem unangenehmen Moment Madame Dumas erschien, eine freundliche, ältere Dame. Sie trug ein Tablett mit heißen Croissants, frisch aus dem Ofen, und selbst gemachtem Erdbeergelee. „Fein", murmelte Kate voll Genuss und ließ die Hörnchen auf der Zunge zergehen. „Sie schmecken wundervoll." Madame Dumas nickte geschmeichelt bei Kates Kompliment, dann schaute sie missbilligend zu Andrew, der mechanisch das Gebäck verspeiste, während er einen Wirtschaftsreport las. Das ganze Frühstück über schaute er nicht ein einziges Mal auf. Er schien weder zu bemerken, was er aß, noch Kates Anwesenheit wahrzunehmen. Jedes Mal, wenn Madame Dumas den Raum betrat, blieb sie stehen und beobachtete Andrew, ob er
nicht doch endlich die Arbeit beiseite legen und sich ganz den appetitlichen Croissants widmen würde. Sie schüttelte erstaunt den Kopf und schien besorgt zu sein. „Diese Berichte lies bitte durch, sobald du Zeit dazu hast." Er reichte Kate einen Hefter über den Tisch. „Und nimm ein Klemmbrett und einen Notizblock mit, wenn, wir die Fabrik besichtigen. Dann kannst du dir Stichpunkte notieren. Du hast es so leichter, wenn du heute Abend für mich die Zusammenfassung tippst. Es darf kein einziger wichtiger Punkt übersehen werden." Erneut widmete sich Andrew den Akten, während in Kate der Zorn hochstieg. Dass er sie so vollständig missachtete und nur an die Papiere dachte! Sein eigener, ganz privater Computer. Ja, das bin ich, dachte Kate. Seine damaligen Worte waren zutreffend. Als Jean Dubois mit dem Firmenwagen vorfuhr, war Kate sichtlich froh. Jean wenigstens war ein Mann, der sie als Frau anerkannte und ein wenig hofierte. Es war gut, jemanden neben sich zu wissen, der menschlich reagierte, wenn man mit einem so selbstgefälligen, arbeitswütigen Mr. Carlson auskommen musste. „Miss Halloran, Sie strahlen wie die Sonne am Sommerhimmel." Kate hätte ihn am liebsten für das Kompliment umarmt. „Herzlichen Dank, Monsieur Dubois." Andrew dagegen warf Dubois einen alles andere als freundliche n Blick zu, bevor er in das Auto stieg. Die Firma lag in einem Außenbezirk von Paris, einem typischen Industriezentrum mit Fabriken und Bürobauten. Jean Dubois stellte Andrew und Kate den französischen Gesprächspartnern vor, und Kate registrierte erleichtert, dass jeder ein Namensschild am Jackett trug. Das würde ihr erleichtern, bei ihren Notizen Namen und Titel nicht zu verwechseln. Der Rundgang durch den Betrieb nahm mehrere Stunden in Anspruch. Zwischendurch wurde in der werkseigenen Kantine zu Mittag gegessen. Kate war dankbar für diese Unterbrechung. Andrew aß kaum etwas. Er ignorierte Kate vollständig und ging von Tisch zu Tisch, um Kontakte zu knüpfen. Hier schüttelte er einem Herrn die Hand, dort nahm er sich Zeit für einen kleinen Schwatz, beim Nächsten wiederum stellte er gezielte Fragen zur Betriebsführung.' Er wechselte vom Englischen ins Französische, je nach dem, in welcher Sprache die Verständigung besser klappte. Kate beobachtete ihn. Das hohe Maß an Konzentrationsfähigkeit rang ihr Bewunderung ab, ärgerte sie aber gleichzeitig. Wurde er denn nie müde? Sie bemerkte, wie die Angestellten über seine leicht hingeworfenen Bemerkungen lachten. Er versprüht mal wieder seinen ganzen Charme - wie ein Politiker, dachte sie, der die Menge in seinen Bann zu ziehen versteht. Und er scheint sich mit jedem gerne zu unterhalten, nur mich übersieht er vollständig. „Monsieur Carlson ist sehr ... beschäftigt." Jean Dubois beugte sich zu Kate hinüber. „Seine Art gefällt den Leuten, das merkt man an den Reaktionen." „Ja." Sie blickte unverwandt zu Andrew hin. „Sie hatten heute noch gar keine Gelegenheit, etwas anderes als das Betriebsgelände zu sehen, nicht wahr, Miss Halloran?" Gerade wandte sich Andrew auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes in ihre Richtung, und Kate fühlte Erregung in sich aufsteigen. Selbst aus dieser Entfernung, dachte sie, lässt ein einfacher Blick von ihm mein Herz stärker klopfen. „Ja", beantwortete sie dann die Frage von Jean Dubois, „wir hatten zu viel zu tun. Mir blieb keine Freizeit." „Aber Sie müssen sich Paris anschauen, bevor Sie wieder abfliegen. Ich würde Sie gerne herumführen. Haben Sie nicht heute Abend Zeit?" Kate riss sich gewaltsam von Andrews Anblick los. „Ich befürchte, Monsieur Dubois, ich kann überhaupt keine Pläne machen. Ich bin verpflichtet, Mr. Carlson jederzeit zur Verfügung zu stehen. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich heute Abend arbeiten muss." Auf Jean Dubois' Gesicht erschien ein wissendes Lächeln. „Natürlich. Ich verstehe vollkommen." Er
nickte und umfasste mit einem bewundernden Blick ihre attraktive Figur. „Es muss faszinierend sein, mit einem solchen Mann zu verreisen ... fast wie eine Belohnung." Andrew kam an den Tisch zurück und hörte die letzte Bemerkung. „Miss Halloran, ich habe etwas zu diktieren." Kate blickte rasch zu ihm auf. Sein Ton war scharf, und sie konnte erkennen, wie sich die Kinnmuskeln spannten. , „Selbstverständlich. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden." Sie lächelte Jean Dubois gewinnend zu. Als Kate neben Andrew herging, fragte er unvermittelt nach. „Was hast du ihm gesagt?" - „Nichts von Bedeutung. Warum?" „Du musst seine Äußerung doch irgendwie provoziert haben. Oder soll ich so naiv sein zu glauben, er habe das einfach nur so dahergeredet?" „Du bist ungerecht, Andrew. Er bat mich, heute Abend mit ihm auszugehen. Er wollte mir Paris zeigen. Daraufhin habe ich ihm geantwortet, meine Zusage hinge davon ab, wie lange wir zu arbeiten hätten. Als wir in Paris eintrafen, hast du doch ausdrücklich verkündet, wir wären zum Arbeiten hier und nicht zum Vergnügen." Andrew hörte an Kates Ton, wie ärgerlich sie war. „Mich zu verdächtigen, ich hätte bei Jean Dubois zweideutige Anspielungen über uns gemacht! Man kann ihn schließlich nicht daran hindern, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, ob sie nun falsch sind oder nicht. Dafür kannst du aber nicht mich verantwortlich machen." Kate stellte fest, dass sich sein Gesicht entspannte. Ihre Erklärung hatte ihn anscheinend zufrieden gestellt. Unvermittelt ging Andrew zu einem anderen Thema über. „Wie viele Punkte auf unserer Liste haben wir schon erledigt?" Kate überprüfte, ihren Notizblock und zählte. „Sechs. Wir haben noch acht durchzugehen." „Gut Dann also los." Mit großen Schritten ging er voran, sie musste förmlich hinter ihm herlaufen, um ihm folgen zu können. Andrew ging «n den Direktionstisch zurück und schlug vor, den Rundgang fortzusetzen. Die nun einsetzende Flut von Fragen, die Andrew stellte, und die Antworten, Kommentare und Erklärungen von französischer Seite ließen Kate kaum Zeit zum Atemholen. In fliegender Hast notierte sie alles Wichtige und schrieb sich fast die Finger wund. Sie fragte sich, wie sie die Fülle des Materials je in eine geordnete Zusammenstellung bringen sollte. Am Ende der Besichtigung fühlte Kate sich wie nach einem Marathonlauf. Die Füße in den hochhackigen Schuhen schmerzten vom endlosen Läufen durch die Flure. Wie viele Kilometer mochten es gewesen sein? Obwohl sie äußerlich weiterhin eine gepflegte Erscheinung bot, hatte sie innerlich den Eindruck, durch eine Mangel gedreht worden zu sein. Endlich fuhren sie zum Hotel zurück. Auf der Fahrt hatten sich Jean Dubois und Andrew offenbar nichts zu sagen. Es blieb Kate überlassen, eine unverbindliche Konversation aufrechtzuhalten. Sie unterhielt sich mit Dubois über das Wetter, die französische Küche und die Nachtklubs in Paris. Mehrmals blickte sie Andrew prüfend von der Seite an. Er war ernst, verzog keine Miene und schaute unverwandt aus dem Fenster. Er schien Kate vollständig zu übersehen. Nachdem der Chauffeur sie abgesetzt und Dubois sich verabschiedet hatte, wünschte sich Kate nichts sehnlicher, als die müden Glieder im warmen Badewasser auszustrecken. Während sie nach oben lief, suchte Andrew Madame Dumas auf, um noch etwas zu essen zu bestellen für Kate und sich. Blitzschnell entledigte sich Kate ihrer Kleider, ließ Wasser ein und gab einen tüchtigen Schuss Badelotion hinzu. Dann ließ sie sich aufatmend in das warme Wasser sinken. Langsam entspannte sie sich. Sie war völlig erschöpft. Gerade, als sie den Gürtel ihres Morgenmantels wieder zuband, klopfte es an die Tür. Sie wirbelte herum. Andrews Gesicht erschien im Türspalt. „Ich habe ein paar Sandwiches bestellt", ließ Andrew Kate wissen. „Wir können sie bei der Arbeit verzehren. Es gibt noch eine Menge Material zu sichten." „Butterbrote?" Kate versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Nun waren sie in Paris und brachten den Abend damit zu, Geschäftliches zu erledigen und dabei Sandwiches zu essen.
Die Niedergeschlagenheit war ihr anzuhören, doch Andrew nahm keine Notiz davon. „Ja. Zieh nur rasch etwas Bequemes über. Wir arbeiten bei mir. Dort steht ein Schreibtisch." „Gut. In ein paar Minuten bin ich so weit." Welch ein Unterschied zwischen dem liebevollen, leidenschaftlichen Andrew der letzten Nacht und dem schlecht gelaunten Chef heute Abend, der ständig zur Arbeit antrieb! Kate presste die Lippen zusammen. Ich habe es so gewollt, sagte sie sich. Ich habe gesagt, er solle das gestrige Erlebnis vergessen. Sie errötete, als sie an das Gelübde dachte, das sie sich gegeben hatte, nicht zuzulassen, dass er sich ihr noch einmal näherte. Wie unnötig war diese Sorge gewesen. Er hielt ganz selbstverständlich Distanz. Der Andrew, der sich jetzt zeigte, benahm sich wie ein Tyrann. Es bestand kein Grund zur Sorge, dass er persönlich werden könnte. Er machte es einem leicht, ihn unsympathisch zu finden. Wenn nur mein Temperament nicht wieder mit mir durchgeht, überlegte Kate. Und wenn ich mir die Zunge abbeißen muss, diesmal werde ich den Mund halten und nicht zornig werden. Durch das Fenster strich kühle Abendluft herein. Sie brachte Erfrischung, denn der Tag war sonnig und warm gewesen. Kate zog einen hellen Angorapullover über und einen bequemen Rock, dazu farblich passende Slipper. Dann ergriff sie die Aktenmappe und klopfte an Andrews Tür. Sein Raum war von gleicher Größe wie ihrer, hatte aber ein breites Messingbett und einen riesigen Mahagonischreibtisch statt des zierlichen Tischchens, das in ihrem Zimmer stand. Die Flügeltüren zur Veranda standen offen, so dass man den Duft der Rosen wahrnehmen konnte. Der Schreibtisch und das Bett waren mit Akten belegt. Andrew machte eine Ecke des Schreibtisches frei, auf die sie die Mappe legen konnte. „Hier. Ich bringe noch einen Stuhl. Der Platz reicht für uns beide aus." Madame Dumas klopfte und trat mit einem großen Tablett herein. Säuberlich hatte sie auf einem weißen, gestärkten Spit zendeckchen das Abendbrot ausgebreitet. Vom Gang rollte sie einen Teewagen ins Zimmer, der als Tisch für den kleinen Imbiss dienen sollte. So leise, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder und ließ Andrew und Kate allein. Sie setzten sich vor den Teewagen und genossen das rustikale Nachtmahl: hausgebackenes Krustenbrot, französischen Käse, hauchdünn geschnittene französische Salami und Ardennenschinken, und zum Nachtisch kühle, knackige Äpfel aus dem Garten. Dazu hatte ihnen die Hausherrin eine Karaffe roten Landwein gestellt. Wenn Kate auch niedergeschlagen war, weil Andrew sie den ganzen Tag hindurch so kalt und unnahbar behandelt hatte, so weckte das kräftige Mahl doch wieder ihre Lebensgeister, Vielleicht, dachte sie, ist es besser, einen aufreibenden Tag wie diesen so geruhsam zu beschließen, anstatt sich ins Pariser Nachtleben zu stürzen. Auf jeden Fall ist diese Art erholsamer. Mit dem richtigen Mann an meiner Seite könnte es ein wundervoller, romantischer Abend werden. Ach ja, mit dem richtigen Mann! Kate schlüpfte aus den Schuhen. „Ach, tut das gut", meinte sie zufrieden. Sie blickte zu Andrew auf, der bewegungslos dastand, mit einer Hand die Stuhllehne umfassend. Andrew nickte abwesend und zwang sich offensichtlich, wieder dienstlich zu werden. „Ich fühle mich auch erfrischt. Der Tag war lang und anstrengend. Wir haben diese Pause beide gebraucht." Er setzte sein Weinglas ab. „Nun komm. Die Arbeit ist noch nicht zu Ende. Wir haben eine Menge zu tun." Du bist ein Sklaventreiber, dachte Kate müde. Sie erhob sich langsam, schlüpfte in die Schuhe und ging zum Schreibtisch hinüber. Mehr als eine Stunde arbeiteten sie beide schweigend an ihren Unterlagen. Hin und wieder hatte Andrew eine Frage, die sich auf Kates Notizen bezog. Die Nacht brach herein, es wurde kälter. Kate begann zu frösteln. Andrew erhob sich sofort, um die Verandatüren zu schließen. „Diese Aufzeichnungen müssen heute noch zu einem Protokoll zusammengestellt werden." Kate atmete tief ein und lehnte sich abgespannt im Stuhl zurück. Andrew runzelte die Stirn und betrachtete sie prüfend. „In Ordnung. Gib her." Kate hielt die Hand hin, um die Papiere in Empfang zu nehmen. Andrew berührte ihre Schultern, ließ aber sofort die Hände sinken, als er spürte, wie sie sich
versteifte. „Du kannst es auch morgen erledigen, wenn du jetzt zu müde bist." Kate lehnte sein Anerbieten ab. Sie wusste, dass er die Unterlagen dringend benötigte, und zuckte ergeben mit den Schultern. „Dann muss ich morgen in aller Frühe aufstehen. Ich bringe es lieber heute hinter mich." Der Bericht schien endlos. Doch dann hatte sie endlich das letzte Wort geschrieben. Andrew las die Seiten konzentriert durch und nickte anerkennend, als er damit fertig war. Er bemerkte, wie sie vor Erschöpfung in sich zusammensank. „Du brauchst nur noch den Endbericht durchzulesen, dann haben wir es endgültig geschafft." Widerstandslos ließ sich Kate ein Aktenbündel in die Hand drücken und ging damit zu einem Lehnsessel in der Nähe des offenen Kamins. Sie zwang sich, auf den Bericht zu sehen und sich zu konzentrieren, aber die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Sie konnte nicht mehr aufnehmen, was sie las. In einem letzten verzweifelten Versuch riss sie die Augen auf, um wach zu bleiben. Kate träumte. Sie schwebte völlig schwerelos auf Wolken, die Sonne schien golden, die Erde lag weit unter ihr. „Komm, Kate. Für heute hast du genug getan. Zeit für dich, ins Bett zu gehen." Plötzlich war Andrew in diesem Traum. Seine Stimme durchdrang bestimmt, aber freundlich den zarten Schleier. Kate hob die Finger an Andrews Lippen und fühlte seinen warmen Atem. Sie berührte ihn leicht, bedeutete ihm fortzugehen, weil sie schlafen wollte, und wandte das Gesicht ab. Starke Arme hoben sie empor, und sie barg zufrieden ihren Kopf an einer männlichen Brust. Sie fühlte sich sicher und geborgen. Andrew konnte ein Lachen nicht zurückhalten, und dieser tiefe Bass ließ Kate erbeben. Sie umarmte ihren Ritter fester. Sie fühlte, wie sie in ein weiches Bett gelegt wurde und jemand ziemlich ungeschickt die Verschlüsse der Slipper zu öffnen versuchte. „Zieh die Füße aus den Schuhen, Halloran!" Ungehalten rollte Kate sich auf die andere -Seite, zu müde, um auch nur eine Anweisung auszuführen. Andrew drehte sie zurück und schaffte es endlich, ihr die Schuhe auszuziehen. Undeutlich spürte sie, dass sich jemand auf ihr Bett gesetzt hatte. Ihre Arme wurden hochgehoben und der Pullover über ihren Kopf gezogen. Sie merkte, dass ihr auch der Rock abgestreift wurde. Einen kurzen Moment lang berührte Andrew Kates samtene Haut. Dann deckte er sie sanft zu. Und Kate meinte im Traum Andrews Lippen auf ihrem Mund zu spüren. Mit einem Schauer wohliger Erregung versank sie in tiefen Schlaf. Kate räkelte sich voll Wohlbehagen im Bett. Sie wusste, dass Andrew ihr einen Report gegeben hatte, den sie unbedingt noch lesen sollte. Das war ihr noch klar im Gedächtnis haften geblieben. Aber wie war sie ins Bett gekommen? Plötzlich lag sie erstarrt da, wie vom Blitz getroffen. Langsam kehrten einzelne Erlebnisbruchstücke in ihre Erinnerung zurück. Sie schwang sich mit einem Ruck aus dem Bett und lief zum Spiegel. Sie trug nur einen fleischfarbenen Mini-Slip und einen durchsichtigen SpitzenBH. Ebenso gut hätte ich auch ganz nackt sein können, dachte Kate. Diese beiden Wäschestücke verbergen auch nichts mehr. Sie untersuchte den Schrank. Der Rock hing säuberlich auf dem Bügel, der Pullover lag ordentlich gefaltet auf einem Stuhl. Einige qualvolle Minuten lang saß Kate auf der Bettkante. Sie begrub das Gesicht in den Händen. Welche Blamage! Gab es etwas Beschämenderes, als dass ein Chef seine Assistentin ins Bett brachte wie ein kleines Kind? Ich kann ihm nie wieder in die Augen sehen, schluchzte sie leise vor sich hin. Wie dumm ich gewirkt haben muss! Wie kindisch! Am liebsten hätte sie sich verkrochen oder unsichtbar gemacht. Langsam kamen andere Empfindungen in ihr hoch, Ärger und Zorn über Andrews Verhalten. Was gab Andrew Carlson das Recht, in ihre Intimsphäre einzubrechen? Er war zwar ihr Chef, aber nicht ihr Ehemann. Er hatte sich grenzenlos ungehörig benommen.
Kate nahm den Morgenmantel vom Haken und zog ihn im Gehen über, als sie das gemeinsame Badezimmer durcheilte. Ein wütendes Klopfen, dann stieß sie die Tür zu seinem Zimmer auf und stürmte hinein. Andrew stand auf der Veranda. Er hatte nur Jeans an, kein Hemd übergezogen und war barfuss. Rauchwölkchen kräuselten sich in der Luft. Auf das laute Geräusch an der Tür hin drehte er sich um. „Wie konntest du es wagen!" Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und steckte seelenruhig die Hände in die Hosentaschen. Eine Wildkatze stand da in seinem Zimmer, mit vor Zorn blitzenden Augen, bereit, ihm die Krallen zu zeigen, so schien es ihm. „Du willst sagen, du hättest lieber die ganze Nacht im Lehnstuhl verbracht? Ich garantiere dir, Halloran, dann hättest du jetzt aber einen vollkommen steifen Hals." „Du weißt ganz genau, was ich meine. Wie konntest du dir die Dreistigkeit herausnehmen, mich zu entkleiden?" „Kannst du dir vorstellen, wie dieser Pullover und dein Bett heute Morgen ausgesehen hätten, wenn ich dich nicht ausgezogen hätte? Die Flusen wären überall im Bettzeug verstreut. Du hättest ausgesehen wie geteert und gefedert." Andrew musste bei dieser Vorstellung amüsiert lächeln. Kates Zorn dagegen war nicht zu dämpfen. „Wie kannst du nur darüber lachen! Verstehst du gar nichts? Hast du keinen Anstand? Ich fühle mich so ... so erniedrigt. Du hattest kein Recht, mir in diesem Zustand meine Kleider abzustreifen. Ich war willenlos und schlief." Andrew kam näher. Er bemerkte, dass Kate die Tränen in die Augen traten. Gleich würde sie anfangen zu weinen. Er streckte den Arm nach ihr aus, aber sie wich zurück. „Wage es nicht, mich anzurühren!" „Liebling, du regst dich über eine Bagatelle auf." „Eine Bagatelle nennst du das?" Erneut entbrannte Kates Zorn. „Meine Güte. Ich habe dich in keinem Moment so angefasst, dass du daraus eine Verletzung deiner Intimsphäre ableiten könntest. Ich habe schon eine Menge anderer Frauen vor dir gesehen, die auch nicht mehr anhatten als du ... eher weniger." Er hatte Mühe, ernst zu bleiben. Sie bemerkte es und explodierte. „Ich bin nicht irgendeine Frau. Ich .bin ich!" Konnte sie sich ihm denn nicht verständlich mache n? „Darüber hinaus bist du mein Chef. Wie, glaubst du, soll ich dir jetzt unter die Augen treten?" Sie wandte sich ab, um ihre Tränen zu verbergen. Andrew versuchte hastig, das Thema zu wechseln und sie abzulenken. „Es ist spät, ich rieche schon die frischen Croissants. Zieh dich rasch an und komm in einer halben Stunde zum Frühstück hinunter." Kate fuhr herum und schaute ihn ungläubig an. Konnte er die Angelegenheit wirklich so beiläufig abtun und sie fortschicken? Er kam auf sie zu und berührte leicht ihre Schulter. „Sieh mal, ich habe diese Nacht wirklich gedacht, ich hätte es dir recht gemacht. Es tut mir ehrlich Leid, wenn du so schockiert über mein Verhalten bist. Ich hoffe, du verzeihst mir, und wir können auch weiterhin so gut wie bisher zusammenarbeiten." Diese Entschuldigung brachte Kate vollends aus dem Gleichgewicht. Seine Worte waren völlig untypisch für ihn, so dass sie nichts darauf erwidern konnte. Sie schüttelte nur verzweifelt den Kopf und floh überstürzt aus dem Zimmer. Eine halbe Stunde später erschien Kate zum Frühstück. Sie trug ein königsblaues Lederensemble mit passender Bluse, die streng geschnitten war wie ein Herrenhemd. Die Haare hatte sie sorgfältig frisiert. Sie wich Andrews Blick aus und schenkte sich Kaffee ein. Er schien, offenbar das Frühstück zu genießen, das er nach englischer Manier mit Eiern und Speck hatte anreichern lassen. „Probier ein Croissant mit Gelee, schmeckt wunderbar." Mechanisch griff sie nach einem Hörnchen. Es mundete ihr heute überhaupt nicht, sie bekam kaum einen Bissen herunter. Andrew hatte sein Frühstück beendet. Er goss sich eine zweite Tasse Kaffee ein
und" betrachtete Kate, deren Gesicht so weiß war wie das Tischtuch. „Fertig?" Kate blickte auf, errötete und schaute wieder fort. „Das Auto ist aber noch nicht hier." „Ich habe es für heute abbestellt." Misstrauisch sah sie ihn an. „Wieso denn?" Andrew schob den Stuhl an den Tisch. In voller Größe stand er vor Kate. „Weil ich deinen ... Jean Dubois satt habe. Ich habe für heute einen Wagen gemietet. Er steht draußen." Sie nahm die Aktenmappe und folgte ihm vors Haus. Dort parkte ein schnittiger schwarzer Sportwagen, ein Roadster, wie Kate sofort erkannte. Sie warf die Tasche auf den Rücksitz. Bevor sie einstieg, strich sie mit der Hand über die glänzende Lederpolsterung. Andrew drehte den Zündschlüssel, und der Motor röhrte auf. Er bog von der schmalen Dorfstraße in eine größere Autostraße ein und beschleunigte. Kates gute Laune kehrte zurück, denn sie liebte schnelles Fahren. Er schaute zur Seite. „Du magst schnelle Autos, Kate?" „O ja," Langsam wich die Anspannung von ihr, gelöst lehnte sie sich zurück. „Das war schon immer eine Schwäche von mir." „Magst du mal selber fahren?" „Nichts, was ich lieber täte. Darf ich wirklich?" Statt zu antworten, hielt Andrew auf dem Seitenstreifen, stieg aus und ging zur Beifahrerseite hinüber. Kate rutschte hinter das Lenkrad, orientierte sich kurz am Armaturenbrett und startete dann. Der Wagen schoss davon. „Oh, da steckt Kraft dahinter. Das merkt man." Andrew lehnte sich bequem zurück. Er freute sich an dem Vergnügen, das ihr diese Fahrt bereitete. Fragend drehte sie sich ihm zu. „Welchen Weg jetzt?" „An der nächsten Kreuzung rechts." „Das ist aber nicht die Richtung zur Fabrik", protestierte Kate. „Das weiß ich auch." Andrew lachte. Wieder war sie überwältigt, wie dieses Lachen sein Gesicht veränderte. Der grimmige Ausdruck verschwand, er sah anziehend und liebenswert aus. „Halloran, wolltest du dir nicht Paris ansehen? Ich meine, die Stadt kennen lernen? Durch die Straßen schlendern, eine Weile im Cafe sitzen, den Malern am Montmartre zuschauen und in den Auslagen der Bouquinisten an der Seine kramen?" Andrew lachte ausgelassen wie ein Schulbub, der einen Streich ausgeheckt hat. „Gestern haben wir alles aufgearbeitet. Heute wird die Schule geschwänzt."
7. KAPITEL
Andrew und Kate fuhren eine geraume Weile. Kate genoss es, das schnelle Auto zu steuern, und Andrew bewunderte, dass sie so sicher damit umging. Der Wind spielte mit Kates Haar, löste einzelne Locken, die sich sanft um ihr Gesicht kräuselten. Die Morgensonne erwärmte die Luft. Andrew lohnte sich müßig zurück, ließ aber keinen Blick von Kate. Wie gerne hätte er einige dieser seidigen Strähnen genommen und durch die Finger gleiten lassen. Aber er fand es nach dem nächtlichen Vorfall ratsamer, Zurückhaltung zu üben. So überließ er sich ganz dem Eindruck, wie natürlich und ungekünstelt schön sie war. Kate verringerte die Geschwindigkeit. „Hast du genug?" Kate nickte. „Ja. Und danke, Andrew. Ich habe mir immer schon gewünscht, einmal so ein Auto zu fahren." Andrew holte eine Straßenkarte aus dem Handschuhfach, um herauszufinden, wo sie sich befanden. Dann wendete er und fuhr in Richtung Paris zurück. Sie waren schon etliche Kilometer weit gekommen, als der Motor plötzlich unregelmäßig zu tuckern begann. Dann stand der Wagen. Andrew unterdrückte eine Verwünschung. „Wir stehen hier auf der Landstraße. Keine Tankstelle weit und breit. Was jetzt?" Kate zog ihre Lederjacke aus, stieg aus und öffnete die Motorhaube. Amüsiert beobachtete Andrew, wie sie Kabel und Leitungen überprüfte und mit dem Schraubenzieher hantierte. „Alles in Ordnung. Starte mal!" meinte sie abschließend. Andrew drehte den Zündschlüssel herum. Ohne Mucken sprang der Motor an. Mit triumphierendem Blick schloss Kate die Motorhaube. „Donnerwetter, wie hast du das geschafft?" Kate lächelte. „Das war eine Probe meiner Fähigkeiten, die ich dir bei unserem ersten Gespräch versprach." „Mach mir nichts weis. Woher wusstest du so genau, was zu reparieren war?" Andrew war nun auch ausgestiegen und stellte sich neben sie. Kate musste laut lachen. Andrews Mienenspiel, schwankend zwischen verletztem Mannesstolz und fassungslosem Erstaunen, freute sie. „Na gut. Ich verrate dir das Geheimnis. Es war nur eine Sicherung defekt, und ich wusste, dass bei ausländischen Wagen oft eine Ersatzpackung unter 'der Motorhaube angebracht ist. Ich brauchte also nur nach der Reservebox zu suchen und die Sicherung auszuwechseln." Andrew wischte Kate eine Haarsträhne aus der Stirn. Seine Finger berührten ihre Wangen ein wenig länger als notwendig. „Du beeindruckst mich, Halloran." Kate strahlte vor Glück. Andrews Blick umfasste Kates reizvolle Erscheinung und blieb an den schön geformten Brüsten haften. „Ich hoffe, du hast auch Talent, Öl aus der Seide zu entfernen." Kate sah an sich herab. „Um Himmels willen, nein! Diese Flecken bekomme ich nie wieder heraus!" Sie hob die Hände. Auch an ihnen hafteten Ölspuren. Andrew suchte nach einem Lappen und reichte ihn Kate, damit sie sich wenigstens notdürftig säubern konnte. „Sei nicht traurig, in der nächsten Stadt suchen wir ein Geschäft. Ich kaufe dir eine neue Bluse. Die hast du dir redlich verdient." Nach kurzer Fahrt erreichten sie einen kleinen Ort mit malerischen Häusern und Winkeln. Es war gerade Markttag. Auf dem großen Platz vor dem Rathaus waren die Verkaufsstände aufgeschlagen, und es herrschte ein lebhaftes Treiben. Immer wieder fielen ihnen die französischen Hausfrauen auf, die Baguettes, lange Weißbrote, unter dem Arm trugen. „Sieh nur, Andrew. Ist es nicht wie im Film, so altmodisch und unwirklich? Was für ein Unterschied zu unseren Betonstädten." „Du hast Recht. Komm, wir gehen ein Stück zu Fuß." Andrew parkte den Wagen in einer engen Seitengasse. Jackett und Krawatte ließ er im Auto. Stattdessen gab er sich einen gewissen Freizeitlook, indem er den Kragen des Hemdes öffnete und die Ärmel aufrollte. Kate dagegen warf ihre Jacke über,
um die verschmutzte Bluse diskret zu verdecken. Neben Andrew wirkte sie in dem eleganten Kostüm und den hochhackigen Schuhen seltsam deplatziert. Andrew fasste nach Kates Arm. „Komm jetzt. Ich gehe nicht jeden Tag mit meinem privaten Automechaniker Hand in Hand spazieren." „Ich denke, ich bin schon dein persönlicher Computer. Und jetzt auch noch dein Mechaniker? Wie viele Berufe hast du noch für mich? „ „Einen ganz besonderen wüsste ich schon noch." Kate wurde über und über rot. Andrew warf ihr von der Seite einen vorsichtigen Blick zu. Er sagte nichts weiter. In manchen Augenblicken war es besser zu schweigen. Sie schlenderten an den Schaufenstern entlang, sahen neugierig in Läden und schnupperten den Duft frischen Gebäcks aus Bäckereien und Cafes. An einer Boutique machte Andrew Halt. „Hier sind wir richtig. Lass uns hineingehen." Die Geschäftsinhaberin kam ihnen freundlich entgegen und nickte verstehend, als Andrew auf Kates Bluse deutete und erklärte, sie suchten etwas, was sie sofort anziehen könnte. Kate sah sich um und wunderte sich, welch große Auswahl hier geboten wurde. Erstaunlich für den kleinen Ort. Kurz darauf erschien die Verkäuferin wieder mit einem wunderschönen Sommerkleid. „Das ist ein Missverständnis", erklärte Kate. „Ich suche nur eine Bluse." Aber die Frau bestand lächelnd darauf, dass Kate das Kleid wenigstens anprobierte. Weil sie gar nicht nachgab, tat ihr Kate schließlich den Gefallen. Das Kleid, im Folklorestil einer ländlichen Tracht gehalten, besaß einen schulterfreien Ausschnitt, der mit gerüschter Spitze besetzt war. Hauteng bis zur Taille, ging es in einen weit schwingenden Rock über, dessen Saumende ebenfalls mit Spitze abgesetzt war. Mit raschen Bewegungen entfernte die Verkäuferin die Spangen aus Kates Haar, so dass es ihr in lockeren Wellen auf die Schultern herabfiel. Sie blickte zufrieden, bat Kate, sich noch einen Augenblick zu gedulden, und verschwand. Sie kam mit einem großen Dreieckstuch zurück, das sie mit einer dekorativen Brosche um Kates Schultern drapierte. Schließlich musste Kate auch die Schuhe wechseln. Sie zog ihr flache Ballerinenschuhe über, deren schmale Riemchen um die Fesseln geschlungen wurden. Kate lächelte scheu, als sie sich Andrew vorstellte. Bei ihrem Anblick begannen seine Augen zu leuchten. „Kate, bist du's, oder bist du's nicht?" Andrew ging um sie herum und bewunderte sie, als wäre sie ein Standbild. Vorsichtig berührte er sie. „Wie aus dem Bilderbuch. Eine Porzellanfigur aus Viktorianischer Zeit!" Andrews Berührung elektrisierte Kate. Sie bemerkte, dass es ihm ebenso erging. Sie sah es an seinem leidenschaftlichen, verlangenden Blick und daran, dass er sie fester fasste. Rasch wurde man sich einig, dass Kate Kleid und Schuhe anbehalten und ihre anderen Sachen eingepackt werden sollten. Andrew nahm die Tüte in die eine und Kate an die andere Hand. Als sie über die Geschäftsstraße schlenderten, warf er ihr einen Blick zu, dass ihr Herz wild zu klopfen begann. Sie hielten an einem Cafe an und wählten einen Tisch, von wo aus sie gut das Leben auf der Straße beobachten konnten. „Jetzt, meine kleine Zauberfee, erklärst du mir einmal genau, wo du gelernt hast, Autos zu reparieren." Kate lächelte Andrew an. „Erinnerst du dich nicht? Es muss in meiner Personalakte stehen. Ich bin auf einer Avocado-Farm aufgewachsen. Mit zwölf Jahren konnte ich schon einen Traktor fahren. Solange ich denken kann, habe ich mich für alles interessiert, was mit Technik zu tun hatte. Auf der Schule habe ich sogar einmal einen Kurs für Automechaniker mitgemacht." Die Erinnerung brachte Kate zum Lachen. „Im ersten Halbjahr war ich das einzige Mädchen. Die Mitschülerinnen in meiner Klasse waren so neidisch auf mich, weil ich alle Jungen für mich allein hatte, dass im zweiten Halbjahr mehr Mädchen als Jungen teilnahmen. Der arme Lehrer zerbrach sich den Kopf, was bloß vorgefallen sein mochte." Andrew war fasziniert von Kate. Wie ihre Augen leuchteten! Die kleinen braunen Pünktchen um die
Pupillen ließen sie temperamentvoll und zugleich starrköpfig erscheinen - was sie ja auch war. Ihre Gesellschaft tat Andrew wohl. „Langsam bekam mein Vater es mit der Angst zu tun. Seine Freunde redeten ihm ein, ich würde bestimmt ein Blaustrumpf und könnte mit dieser unweiblichen Art nie einen Mann fesseln." Sie lachte voll Mutwillen. „Ich hörte zufällig solch ein Gespräch mit. Deshalb brachte ich am nächsten Tag zwei Jungen mit nach Hause. Ich wollte beweisen, dass ich mir meine Freude sogar aussuchen konnte." „Und was geschah dann?" Scheinbar zufällig ergriff Andrew ihre Hand. Einen Moment lang zögerte Kate. „Bald bemühten sich so viele Jungen um mich, dass Vater dachte, ich hätte ein Zeitungsinserat aufge geben." „Wie bist du sie denn alle wieder losgeworden?" Beide lachten über seine Worte. „Immer, wenn ich genug von einem Jungen hatte, schlug ich ihm einen Ringkampf vor." Andrew sah Kate ungläubig an. „Willst du dich über mich lustig machen?" „Nein. Es stimmt wahrhaftig. Ich konnte jeden Jungen im Ringkampf besiegen. Und überleg mal, Andrew. Würdest du noch mit einem Mädchen befreundet sein wollen, das dich im Ringkampf geschlagen hat?" Andrew musste so sehr lachen, dass er nicht antworten, sondern nur den Kopf schütteln konnte. Dieser kleine Kobold! Sah aus, als ob man ihn umblasen könnte, und schlug die jungen Männer im sportlichen Zweikampf. Andrew zahlte und hakte sich wie selbstverständlich bei Kate ein. „Der Kellner hat mir gesagt," dass diese Straße zum Fluss hinunterführt. Am Kai entlang gibt es einen Flohmarkt. Kennst du jemanden, der vielleicht auf einem französischen Flohmarkt stöbern möchte?" Kate lachte auf. „Vielleicht kenne ich sogar zwei Interessenten." „Schon möglich. Wir gehen also?" Kate nickte begeistert. Arm in Arm gingen Andrew und Kate die Straße entlang. Kate hätte jauchzen können vor Freude. So hatte sie davon geträumt, Frankreich zu erkunden. Mit diesem schönen Kleid und frei von allen geschäftlichen Verpflichtungen fühlte sie sich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Andrew war im Augenblick nicht ihr Chef und sie nicht seine Assistentin. Sie waren einfach ein Paar, das fröhlich und ausgelassen durch die Stadt bummelte und sich freute, beieinander zu sein. Andrew sah Kates lächelndes Gesicht. Ihr war, als müsse ihr Herz zerspringen vor Glück. Sie ging nicht, nein, sie schwebte. Jetzt möchte ich ihn küssen, fuhr es ihr durch den Sinn, hier, mitten auf dieser belebten Straße, vor allen Leuten. Dann war sie über ihren Wunsch erschrocken. Was war über sie gekommen? War es das Kleid, das sie so veränderte, oder der Mann an ihrer Seite? Besaß er magische Gewalt über sie? Konnte seine bloße Anwesenheit, sein Lächeln, sein zärtlicher Blick einen ganz gewöhnlichen Wochentag so verzaubern? Auf dem Flohmarkt stöberten Andrew und Kate in Auslagen und kauften sich jeder eine kuriose Kleinigkeit. „Sieh nur, Andrew, das Buch hier, Gedichte aus Irland. Ich muss sie unbedingt meinem Vater mitnehmen", rief Kate plötzlich. Sie streichelte mit der Hand über den alten, goldbedruckten Ledereinband. Dann kramte sie weiter, um auch Ruth, Paddys Krankenschwester, etwas mitbringen zu können. Sie entschied sich für einen zarten Spitzenschal, wie geschaffen für kalifornische Abende. Kate stöberte noch nach anderen Mitbringseln, als Andrew kurz verschwand. Er kehrte mit einem wunderhübschen Handtäschchen zurück, das aus der Zeit des Jugendstils stammen mochte. Mit einer leidenschaftlichen Verbeugung überreichte er es Kate. „Ich dachte, das ist das Tüpfelchen auf dem i für die schönste Dame in ganz Paris." „Ach, Andrew." Kate war gerührt und überwältigt von seiner Liebenswürdigkeit. Ihr fehlten die Worte. Beladen mit etlichen Päckchen und Paketen wanderten sie zum Auto zurück. Aller Ärger der letzten Tage war vergessen. Heute gab es keine gespannten Momente zwischen Kate
und Andrew. Sie scherzten und lachten ausgelassen wie Kinder, sie freuten sich, und manchmal, so schien es Kate, klang ein Gefühl der Liebe durch. Gemächlich fuhren sie durch die friedliche Landschaft, Kühe grasten zu beiden Seiten der Straße, die von Obstbäumen gesäumt war. Im Hintergrund tauchte vereinzelt auch ein einsames Bauernhaus auf. „Ich fühle mich hier richtig zu Hause", sprudelte Kate glücklich heraus. Andrew wandte sich ihr zu. „Könntest du dir vorstellen, hier zu leben?" „Bestimmt. Ich habe das Gefühl, als gehörte ich hierher. In dieser Landschaft könnte ich genauso glücklich sein wie in Kalifornien." Andrew drückte Kates Hand. Auch er war glücklich. Aber warum, fragte Kate sich, ist es ihm so wichtig zu erfahren, ob ich hier leben möchte? Er muss einen Grund haben, aber welchen? Jedenfalls scheint ihn meine Antwort erfreut zu haben. Aber heute wollte sie sich nicht weiter den Kopf zerbrechen, heute wollte sie sich nur ihren Gefühlen hingeben und den unverhofften Urlaubstag genießen. „Paris, die Weltstadt. Das Herz Frankreichs. Wir sind da." Andrew holte Kate aus ihren Träumen. Er parkte den Wagen und nahm sie bei der Hand. Kate musste lachen, als Andrew salbungsvoll wie ein Fremdenführer begann. „Heute, mein Schatz, werde ich dir zeigen, wie man die Stadt erkunden muss, um sie richtig kennen zu lernen. Wir werden die Kais entlang schlendern, über die herrlichen Pariser Brücken bummeln, du wirst die Schiffe mit bunten Wimpeln und die Lastkähne auf der Seine beobachten können, und wir werden auch zur Ile de la Cite hinüberwandern. Das ist das Paris von gestern und heute, das altertümliche und ewig junge. Schau dir die wundervollen Leute an und lerne, wie sie leben und lieben." Kate erfuhr von Andrew, dass Paris in frühester Zeit „Ort der Sümpfe" hieß, dann zu einer römischen Befestigungsanlage ausgebaut wurde und wie unter den französischen Königen der Adel sich hier seine Paläste erbaute, die heute als Botschaften, Hotels und Firmensitze genutzt werden. Kate und Andrew besuchten alle Sehenswürdigkeiten, den Montmartre und die Champs-Elysees, den Arc de Triomphe, den Eiffelturm und die eindrucksvolle Kathedrale Notre-Dame mit den wunderbaren Fensterrosetten. „Ich kann es nicht erklären, Andrew. Aber mir kommt es vor, als wenn ich schon einmal hier gewesen wäre. Kennst du dieses Gefühl?" sagte Kate plötzlich, als sie sich schließlich am Seine-Ufer ein wenig ausruhten. Andrew nickte bestätigend. „Ja. Und für einen Teil meines Ichs ist Paris immer mein Zuhause." Abrupt fasste Kate seine Hand. Sie verstand seine Worte nicht. Andrew lächelte, weil sie völlig verwirrt schien. „Habe ich dir das nicht erzählt? Ich habe hier einen Teil meiner Jugend verbracht." „Nein. Das wusste ich nicht. Kein Wunder, dass du mir so versiert Paris zeigen konntest. Was gibt es noch über dich zu berichten, das du mir verschwiegen hast?" Andrew warf Kate einen belustigten Blick zu. „Vielleicht erzähle ich dir eines Tages meine Lebensgeschichte. Aber heute bestimmt nicht, Halloran." Sie schwiegen und schauten auf den Fluss, als Kate wenig später vorsichtig anfragte: „Ich bekomme langsam Hunger. Ist es noch nicht Zeit, ans Dinner zu denken?" „Nein. Fürs Abendessen habe ich eine Überraschung vorbereitet. Aber komm! Ich weiß eine n Ausweg, damit du nicht verhungerst." Andrew steuerte auf einen Marktstand zu, kaufte Baguette, Käse und Wurst, dazu eine Flasche Rotwein. Dann suchten sie sich erneut ein schattiges Plätzchen am Ufer. „Ich fühle mich, als ob ich etwas Verbotenes täte. Wir tafeln hier mitten in der Stadt und trinken Wein am helllichten Tag", lachte Kate. „Wenn man schon in Paris ist, muss man auch ein wenig über die Stränge schlagen!" stimmte Andrew in ihr Lachen ein. Kate stützte sich auf einen Ellbogen, Andrew füllte ihren Becher mit dem Landwein, der in der Sonne blutrot aufleuchtete. Später suchten sie einen Park auf und machten es sich im weichen Gras gemütlich. Kate hatte sich
gegen einen Baum gelehnt, Andrew lag neben ihr, den Kopf in ihren Schoß gebettet. Sie beobachteten Schüler in Schuluniformen, junge Mütter, die ihre Babys in großen Kinderwagen spazieren fuhren, und alte Männer mit der traditionellen französischen Kopfbedeckung, der Baskenmütze. Kate schaute Andrew mit glänzenden Augen an. „Dank für alles", flüsterte sie. „Wofür? Der Tag ist noch nicht vorbei. Ich habe dir doch schon gesagt, zum Dinner gibt es eine Überraschung." „Schöner kann es doch gar nicht werden. Ach, Andrew, ich glaube, ich war noch nie so glücklich wie heute." Andrew setzte sich auf und sah Kate voll an. Mit den Fingern zog er vorsichtig die Konturen ihres Mundes nach, dann beugte er sich vor und küsste sie sanft. Kate fühlte die gleichen berauschenden Gefühle wie in der Nacht im Garten. Ihr Puls schien einen Moment lang auszusetzen und klopfte dann umso heftiger, der Boden schien zu schwanken. Dann nahm Andrew Kate in seine Arme und zog sie ganz fest an sich, als wolle er sie nie mehr freigeben. Und Kate empfand es als das Natürlichste von der Welt, die Hände um seine breite Brust zu schlingen und seine Küsse zu erwidern, bis ihr schwindlig vor Glück wurde. Das Herz wollte ihr zerspringen vor Liebe zu Andrew. Zwei alte Männer, die in der Nähe an einem Steintischchen Schach spielten, blickten kurz auf und sahen zu ihnen herüber. Dann setzten sie weiterhin ungerührt ihre Figuren. Sie waren an Liebespaare im Park gewöhnt. Schließlich stand Andrew auf und reichte Kate die Hand, um ihr hoch zu helfen. Gemeinsam sammelten sie die Päckchen ein, die sie unterwegs erstanden hatten, und gingen Hand in Hand zum Auto zurück. Sie fuhren heraus aus Paris, ein Stück über Land, bis sie zu einem wunderschönen alten Schloss kamen. Kate sah Andrew fragend an, aber er erwiderte ihren Blick nur mit einem geheimnisvollen Lächeln. „Komm, Schatz, lass dich überrasche n, und frag nicht weiter. Das würde dir alles verderben." Andrew und Kate gingen einen schmalen Pfad entlang, an den Gebäuden des Schlosses und den Stallungen vorbei, durchquerten den im französischen Stil angelegten Schlosspark und erreichten schließlich einen kleinen Wald. Sie kamen auf eine Lichtung, wo Kate wie angewurzelt stehen blieb: In der Mitte des Platzes, umgeben vom dichten Ring der Bäume, erhob sich ein riesiger Heißluftballon. Er war mit Schmetterlingen und Blumen in allen Farben bemalt. Am Korb stand ein Mann, der den Brenner betätigte. Hin und wieder gab es ein dumpfes, zischendes Geräusch, wenn die Flamme nach oben schoss. Der Fremde winkte ihnen lächelnd zu und bedeutete ihnen heranzukommen. Kate war fassungslos vor Staunen. „Andrew, wollen wir wirklich damit fahren?" „Wenn du magst." „Welche Frage! Ich kann es kaum erwarten!" Kate nahm seine Hand und begann zu laufen. Kate und Andrew stellten sich dem Piloten vor, der Etienne hieß. Nun bemerkte Kate Etiennes Helfer, die in der Nähe warteten. Sie kamen hinzu, um die Seile zu lösen. Langsam stieg der Ballon empor. Sie fuhren über das Dach des alten Schlosses, gewannen an Höhe und schwebten bald über den Wipfeln der Bäume. Der Ballon segelte sanft dahin, keine Erschütterung, keine Windbö störte den Flug. Nur hin und wieder war das Zischen des Brenners zu vernehmen. Unter ihnen lag grünes Land, durch das sich Flüsse wie blaue Bänder wanden, und Bauern auf den Feldern winkten ihnen freundlich grüßend zu. Andrew umfasste Kates Schultern und brachte den Mund nah an ihr Ohr. „Nach der gestrigen Hetze ist dieses Tempo hoffentlich langsam genug für dich." Glücklich drehte sich Kate ihm zu und strahlte ihn an. Andrew war mit dieser Antwort offenbar zufrieden, denn er zog sie fester an sich. Kate umarmte ihn und barg den Kopf an seiner Brust. „Andrew, die Fahrt ist das wundervollste Geschenk, das mir jemals gemacht worden ist. Einen Tag
wie diesen wird es nie mehr geben, er ist einmalig, das weiß ich. Habe Dank dafür." Zärtlich gab sie ihm einen Kuss. Etienne rief etwas und deutete nach unten. Kate und Andrew sahen, dass er abgedreht hatte und wieder in Richtung Schloss fuhr. Langsam kam die Erde näher, sanft senkte sich der Ballon und landete sicher auf dem Grasteppich der Lichtung. Etiennes Helfer standen bereit, um die Halteseile zu verankern. Ein Bauer und seine Frau kamen neugierig herbeigelaufen. Sie wollten sich das bunte, wunderbare Ding einmal aus der Nähe anschauen. Plötzlich zauberte einer von Etiennes Assistenten eine Flasche Champagner herbei. Er hatte sie aus einer Kühlbox auf dem Lastwagen geholt, der zum Abtransport des Ballons bereitstand. Wie eine große Familie setzte man sich zusammen, Kate und Andrew, Etienne und seine Mannschaft und natürlich auch das Bauernehepaar. Es wurde ausgelassen gefeiert. Es dunkelte schon, als Andrew und Kate endlich zum Schloss zurückgingen. Der Restaurantchef erwartete sie bereits zum Dinner. Er führte sie in einen Speiseraum, der auf eine Terrasse hinausging. Die alten, unbehauenen Basaltsteine der Mauern waren über und über mit wildem Wein bewachsen. Im Hintergrund glitten Schwäne lautlos über einen Teich, dessen Wasser im Mondlicht silbern schimmerte. Vor einem knisternden Kaminfeuer war ein Tisch für zwei Personen gedeckt. Edles Porzellan und erlesenes Kristall harmonierten mit dem alten Tafelbesteck aus schwerem Silber. Stolz erklärte der. Oberkellner jeden Gang, der aus der Küche hereingetragen wurde. Kate schmeckte es so gut, dass sie noch die Hälfte von Andrews Portion verzehrte. Andrew beobachtete sie lächelnd. „Halloran, wie in aller Welt schaffst du es, so dünn zu bleiben? Wo lässt du das ganze Essen?" Kate lachte. „Die Gerichte sind so hervorragend zubereitet, und ich kannte sie noch nicht. Eben alles französische Spezialitäten. Ich probiere für mein Leben gern fremde Speisen. Was meinst du gibt es als Dessert?" Andrew hatte sich, das Weinglas in der Hand, zurückgelehnt und trank einen Schluck. Er zündete sich eine Zigarette an. „Was immer dein Herz begehrt." Kate spürte, wie ihr heiß wurde. Sie wusste plötzlich, was ihr Herz wollte. Andrew soll mir gehören, mir ganz allein, dachte sie. Alles will ich von ihm wissen, über seine Kindheit soll er sprechen, seine Familie, über das, was er liebt, und das, was er verachtet. „Du hast heute Nachmittag gesagt, du hättest in Frankreich gewohnt. Wie kam es denn dazu, und wie alt warst du damals?" „Sechzehn. Es war das Jahr, als ich mit meiner Mutter zusammenlebte." Seine Stimme wurde leise, fast unhörbar. „Deine Eltern sind demnach geschieden?" Andrew nickte und ließ ein unfrohes, kurzes Lachen hören. „O ja, seit vielen Jahren. Lange Zeit lebte ich bei meiner Großmutter. Sie behandelte mich immer sehr liebevoll." Jetzt war Andrews Lächeln wieder froh. Daran erinnerte er sich gern. „Großmutter war meine einzige Zuflucht, mein fester Halt. Als ich" dachte, die ganze Welt hätte sich gegen mich verschworen, richtete sie mich wieder auf und zeigte mir, dass das Leben lebenswert ist." „Sie hat dich also großgezogen?" Andrew sah Kate über den Rand seines Glases an. „Mehr oder weniger. Ich werde ihr immer dankbar sein. Ich habe mich eigentlich selbst erzogen. Ich wuchs heran zwischen Dienstmädchen und Erzieherinnen. Ich wusste, ich musste dieses familiäre Chaos überwinden, in dem ich mich befand. Deshalb wandte ich mich beruflich einem Gebiet zu, das klar und berechenbar war, der Elektronik. Computer haben keine Gefühle und stiften keine Verwirrung, wenn man sie richtig bedient. Meine ganze Energie legte ich in das Studium, und ich bekam Freude daran, mich bedingungslos einzusetzen. Großmutter ermutigte mich darin, bis zum Umfallen zu arbeiten. So blieb keine Zeit mehr für die Trauer und den Schmerz, dass ich keine Eltern mehr hatte." Kates Mitgefühl wuchs, als sie seine Erregung bemerkte. Sie bereute es, so neugierig gefragt zu haben. Doch jetzt ermutigte sie Andrew, in seinem Bericht fortzufahren.
Vielleicht hilft es ihm, dachte sie, sich einmal aussprechen zu können. Er war heute so froh gewesen. Mit einer einzigen Frage hatte sie alles zerstört. „Danach verbrachte ich zwei Jahre bei meinem Vater und seiner zukünftigen zweiten Frau", erzählte Andrew weiter. Er sah den Rauchkringeln der Zigarette nach. Seine Augen verengten sich. „Dann wurde ich erneut abgeschoben. Diesmal zum College. Für mich bedeutete es eine Erleichterung. Vier Jahre war ich dort, die Ferien verbrachte ich mal bei meinem Vater, mal bei meiner Mutter." „Und jetzt? Wo leben deine Eltern heute?" fragte Kate leise. „Meine Mutter zieht mit einem Freund - ich weiß nicht, dem wievielten — in Europa umher. Mein Vater ist zum vierten Mal verheiratet. Seine jetzige Frau ist jünger als ich." Andrews Stimme wurde hart. „Ich besuche sie selten." „Es ... es tut mir so Leid." Andrew blickte Kate plötzlich sehr distanziert an. „Warum?" Kate hielt seinem Blick stand. Sie musste absolut ehrlich zu ihm sein. „Weil ich, als ich dich das erste Mal traf, ein falsches Bild von dir bekam. Ich dachte, du kämst aus einem reichen, wohl behüteten Elternhaus. Und ich beneidete dich darum, Wie leicht es dir gefallen sein musste, deine heut ige Position zu erreichen. Ich ... ich habe mir hie vor Augen gehalten, dass Geld nicht alles ist... dass es kein Glück garantieren kann." Andrew betrachtete Kate nachdenklich. Langsam entspannte sich seine Haltung. Er umfasste ihre Hände, und sie beantwortete den Druck. „Du kannst nichts dafür, dass ich dieses erlebt habe. Dein erster Eindruck wundert mich nicht. Viele Leute haben mich so eingeschätzt wie du. Mit diesem Vorurteil ist man mir schon oft entgegengetreten." „Aber du hast dich nicht damit abfinden können?" Andrew schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich muss damit leben." Kate rief sich das erste Zusammentreffen mit Andrew im Büro ins Gedächtnis. Sie erkannte, dass er ihr Vorurteil gespürt und mit abweisender Kälte reagiert hatte. Diese Art war sein Schutzschild gegen eine feindselige Umwelt. Der Oberkellner erschien und servierte flambierte Erdbeeren und ein riesiges Tablett mit frischem Obst und etlichen Käsesorten. Ein weiterer Kellner folgte ihm mit Kaffee und eisgekühltem Champagner. „Na, Halloran, ist das genug, oder soll ich noch nachbestellen?" neckte Andrew Kate. „Ach, Andrew. Du tust, als ob ich ein Vielfraß wäre." „Meine kleine Kate, du bist die wundervollste, liebenswerteste Frau, die ich jemals kennen gelernt habe." Als sie erschrocken die Augen niederschlug, fügte er hinzu: „Wenn du auch mehr verdrückst als drei ausgewachsene Männer zusammen." „Na warte! Jetzt esse ich deine flambierten Erdbeeren zur Strafe auch noch auf!" „Einverstanden", lachte Andrew. „Als Ersatz erzählst du mir dafür etwas von der kleinen Kate Halloran. Meine Lebensgeschichte kennst du nun. Jetzt bist du an der Reihe." „Aufregendes gibt es über mich nicht zu berichten", begann Kate zwischen zwei Löffeln Erdbeeren mit, Sahne. „Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war. Mein Vater und ich haben daraufhin fest zusammengehalten. Wir wurden unzertrennliche Freunde. Alles haben wir gemeinsam gemacht, die Feldarbeit, den Sport, das Angeln im See." „Hat dein Vater nie daran gedacht, wieder zu heiraten?" Kate schüttelte den Kopf. „Vater? Ich glaube, er hat nach Mutters Tod keine Frau auch nur angesehen. Er brauchte auch keine. Er hatte ja mich." Kate sprach mit voller Überzeugung. „Aber die Zuneigung zwischen Vater und Tochter unterscheidet sich von der Liebe zwischen Mann und Frau", gab Andrew zu bedenken. Es entging ihm nicht, dass Kates Miene sich bei seinen Worten verschloss. „Mag sein, dass es für die meisten Männer nicht ausreichend ist, nur mit einer Tochter zusammenzuleben. Aber bei meinem Vater und mir ist das etwas anderes. Wir haben nie einen Dritten gebraucht. Vater hat immer gesagt, die Hallorans brauchen nichts und niemanden auf der Welt, nur den
festen Willen, zu erreichen, was sie sich vorgenommen haben." „Und du glaubst das." „Ich bin voll und ganz davon überzeugt, dass das stimmt." Andrew drehte den Stiel seines Glases hin und her, in dem der Champagner perlte. Er suchte nach einer Erklärung, die Kate auf schonende Weise zeigen sollte, dass sie Unrecht hatte. Aber als er sie anblickte, das trotzig vorgeschobene Kinn und den starrköpfigen Augenausdruck sah, beschloss er zu schweigen. Die Nacht war zu schön, um zu streiten. „Wollen wir aufbrechen?" Kate leerte das Glas und nahm Andrews Hand. Dem Oberkellner gegenüber, der sie zum Ausgang geleitete, äußerte sich Andrew lobend über die ausgezeichnete Bewirtung. Dann gingen sie den Pfad entlang zum Auto. Im Mondlicht glänzte das feine, goldene Kettchen, das Kate um das Fußgelenk trug. Andrew öffnete die Beifahrertür und half Kate beim Einsteigen. „Ich glaube, jetzt musst du mich über dieses Kettchen aufklären." Sie lächelte ihn an. „Es hat meiner Mutter gehört. Vater gab es mir, als ich sechzehn wurde. Er sagte, er wüsste nicht, welches Geschenk er mir kaufen sollte, wollte aber etwas Besonderes für mich haben. Ich habe es seitdem nie wieder abgelegt." Andrew startete den Wagen, zog dann aber noch einmal, bevor er losfuhr, Kate zu sich herüber und küsste sie zärtlich. „Weißt du, Liebling, dass das Schmuckstück sehr attraktiv an dir aussieht? Dein Vater hat einen vorzüglichen Geschmack." An der Tür des Landhauses wandte sich Kate Andrew zu. „Das war der schönste Tag in meinem Leben." Andrew hob ihr Kinn zu sich empor und berührte ihre Lippen. „Das Schönste sollte eigentlich noch kommen", flüsterte er. Er drückte Kate sanft gegen die Tür und vergrub sein Gesicht in ihrem dichten Haar. Er umarmte sie und zog sie noch fester an sich. Hinter ihrem Rücken tastete er nach dem Türknopf, fand ihn und öffnete vorsichtig die Tür, ohne seine Lippen von den ihren zu lösen. Entschlossen hob er sie auf und trug sie in ihr Zimmer. „Andrew", schluchzte Kate erstickt, „lass mich runter." „Gleich, Liebste." Er ließ Kate voll Zärtlichkeit auf das Bett gleiten und legte sich neben sie. „Andrew ..." Sein Kuss verschloss Kate den Mund. Eine Woge der Leidenschaft überkam beide. Andrews Küsse waren ungestüm und fordernd, seine Umarmung so fest, dass Kate jede Regung seines Körpers durch das dünne Kleid spüren konnte. Ein Taumel erfasste Kate und Andrew. Andrew löste den Verschluss von Kates Kleid und streifte es ihr über die Schultern herab, so dass sein Mund ungehindert ihren Hals und den Ausschnitt hinabwandern konnte. Kate erschauerte unter seinen Berührungen, Wellen der Erregung überschwemmten sie. Sie war wie elektrisiert, Andrews Küsse ließen ihre Nerven bis zum Äußersten vibrieren. „Kate, o Kate, ich will dich haben", flüsterte er, als sein Mund ihren Brustansatz berührte. Kate wurde es gleichzeitig kalt und heiß. Auch sie spürte wachsendes Verlangen nach ihm. Seine Worte klangen wie eine Liebkosung für sie. Nie zuvor im Leben war Kate in eine Situation geraten, wo sie gegen ihre Leidenschaft ankämpfen musste. Kein Mann hatte es bisher geschafft, so viel Sinnlichkeit in ihr zu wecken. Jetzt hätte sie gern ihren sich selbst auferlegten Moralkodex durchbrochen und wäre schwach geworden. Vielleicht war es dieser besondere Tag und der Mann in ihren Armen, der sie alle früheren Argumente für dumm und nutzlos halten ließ. Wie schön wäre es, dachte Kate, sich in diesen starken Armen zu verlieren und den Schwur zu vergessen, dass ich nur meinem Ehemann angehören will. Sie versuchte, die Stimme des Verstandes zu überhören. „Andrew, ich kann nicht mehr denken. Ich ... ich will dich auch, aber bitte, nicht auf diese Art. So
soll es nicht geschehen." „Kleine Kate, grüble nicht. Komm jetzt nicht mit Argumenten. Lass mich dich lieben. Jetzt, in diesem Augenblick." Andrews Mund wanderte erneut über ihren Hals zu ihren Brüsten. Kates Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Mit einem leisen Aufstöhnen gab sie nach, als er ihre schwellenden Brustwarzen zwischen die Lippen nahm. Eine Welle der Erregung durchströmte Kate. Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten voll Hingabe, alles Denken war ausgeschaltet. Andrews Lippen, seine Hände, die ihren Körper liebkosten, sein leidenschaftliches Werben brachten sie immer mehr in Ekstase. Kate wünschte nur noch, dem wilden Drängen ihres Körpers nachzugeben, der so sehr nach Andrew verlangte. Andrew knöpfte sein Hemd auf und warf es achtlos auf den Boden. Kate streichelte seine dicht behaarte Brust, und ohne dass es ihr bewusst wurde, begannen ihre Hände seine nackte Haut zu liebkosen, seinen Körper zu erkunden. Andrew stöhnte lustvoll auf. Ungeduldig zog er Kate erneut an sich. Kate wehrte sich ein letztes Mal. „Andrew. Bitte, versteh mich doch. Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen. Du ... du bist der Erste." Er fasste sie bei den Schultern, sein Begehren spiegelte sich in seinen Augen. Als er antwortete, klang seine Stimme heiser. Es war zu hören, dass er um Beherrschung rang. „Ich dachte es mir." Andrew schüttelte den Kopf, und das Haar fiel ihm wie schwarze Seide in die Stirn. „Ich war mir sicher, es war nicht nur eine Vermutung. Ich will nichts von dir, was du nicht selbst zu geben bereit bist, Kate. Aber ich will dich. Ich begehre dich so unendlich, dass ich glaube, ich kann es nicht länger aushalten." Kate atmete tief ein. Andrew spürte, wie ein Schauer ihren Körper durchlief. „Ich will dich auch, Andrew. Aber ich will auf den Mann meiner Träume warten. Du verlangst jetzt zu viel von mir." Andrew rückte von Kate ab. Seine Stimme klang jetzt kühl und emotionslos. „Du glaubst also immer noch an das Märchen von Heirat und an das glückliche Zusammenleben, ,bis dass der Tod euch scheidet", wie es so schön heißt." Kate wandte den Kopf zur Seite, um die Tränen zu verbergen, die ihr in die Augen traten. Aber Andrew fasste sie rau am Kinn und zwang sie,' ihn anzusehen. Als er bemerkte, welche Reaktion seine Worte ausgelöst hatten, streichelte er liebevoll ihr Gesicht. „Weine nicht, kleine Kate Halloran. Das könnte ich nicht ertragen. Ich gehe. Wir wollen vergessen, was vorgefallen ist." Noch ein sanfter Kuss, dann erhob er sich, nahm, sein Hemd und verließ rasch, ohne zurückzublicken, den Raum. Kate vergrub das Gesicht im Kissen und lauschte, wie sich die Tür Schloss und wie Andrews Schritte sich entfernten.
8. KAPITEL „Halloran! Wir haben nur noch eine Stunde Zeit. Das Flugzeug wartet nicht." Andrews Stimme klang rau, als habe er zu viel Whisky getrunken. Aber Kate vermutete, dass er sich in der kühlen Nachtluft erkältet hatte. Sie hatte ihn stundenlang auf der Veranda hin- und hergehen hören. Jetzt schien er schlechte Laune zu haben. „Ich beeile mich ja schön, Andrew. Ich kann nur nicht alle meine Sachen im Koffer unterbringen." Andrew betrat das Zimmer. „Pack endlich zu Ende. Ich nehme schon mal ein Gepäckstück mit." Er hob den Koffer hoch und setzte ihn sofort wieder ab. „Was transportierst du da? Steine?" Andrew öffnete den Koffer. „Kate, was ist das für ein Trödel?" „Trödel?" Kate war entrüstet. Das ist ein Etui für Briefpapier. Sie entwand ihm das fein gearbeitete Kästchen, das mit goldenen Blättern bemalt war. „Ich habe es unten stehen sehen. Weil es mir so gut gefiel, bestand Madame Dumas darauf, es mir zu schenken." „Aber was willst du damit?" „Es wird hübsch auf meinem Schreibtisch aussehen." „Ohne Frage." Andrew griff tiefer in den Koffer. „Und das?" Kate schluckte. „Es ist ein ganz alter Einmachtopf. Ich habe gesehen, wie Monsieur Dumas ihn als Blumenvase verwendete, und er wünschte unbedingt, dass ich ihn mit nach Hause nehme, als Erinnerungsstück, wie er sagte. Ich konnte doch nicht unhöflich sein und ablehnen, oder?" „Bestimmt nicht. Mach dir keine Sorgen. Aber hat er dir auch einen Packesel angeboten, der dir alles zum Flughafen transportiert?" „Ach, Andrew, so schlimm ist es nicht. Du übertreibst. Wir werden es schon schaffen, wenn du mir ein wenig hilfst." „Nein, Halloran. Du wirst das allein schaffen. Wenn du alles mitnehmen willst, dann trage es auch. Ich werde dir nur beim Verpacken helfen. Das Übrige musst du selber erledigen." „Sehr schön." Kate drehte sich um und fuhr fort zu packen. Andrew beobachtete sie eine n Augenblick, dann ging er wieder zu seinem Gepäck hinüber. Während Jean Dubois und der Fahrer sich gemeinsam mit den Koffern abmühten, verabschiedeten sich Kate und Andrew herzlich von Monsieur und Madame Dumas und dankten ihnen für den schönen Aufenthalt. Madame Dumas presste Kate an ihren üppigen Busen. „Sie sind mir wie eine Tochter- gewesen. Das hier soll Ihr Zuhause sein, wenn Sie noch einmal nach Frankreich kommen. Sie kommen doch wieder?" Kate lächelte und küsste Madame Dumas auf die Wange. „Ich hoffe." Monsieur Dumas zog den Hut, schüttelte Kate feierlich die Hand und umarmte sie dann in plötzlicher Gefühlsaufwallung. Danach trat er beschämt ein Stückchen zurück. Andrew stand unbewegt daneben. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Sie stiegen in den Wagen und fuhren los. Kate wandte sich um und winkte, solange sie noch einen Blick von den ihr lieb gewordenen Menschen und dem romantischen Haus erhaschen konnte. Jean Dubois meldete sich zu Wort. „Es tut mir aufrichtig Leid, dass sich keine Gelegenheit ergab, Ihnen Paris zu zeigen." Kate und Andrew sahen sich an. Jeder wusste, was der andere dachte. Dann schauten sie wieder aus dem Fenster. „Aber vielleicht kommen Sie noch einmal wieder, Miss Halloran", meinte Jean Dubois. „Es ist ein Jammer, wenn man von so weit her anreist und die Schönheiten unseres Landes nicht erleben kann." Kate musste lächeln, erwiderte aber nichts. In Gedanken weilte sie bei ihrer romantischen Ballonfahrt. Wie schön alles gewesen war! Sie trafen am Flughafen ein. Kate nahm ihr Handgepäck beiseite, damit es nicht wie die Koffer durch die Routinekontrolle ging. „Diese Sachen sind zu zerbrechlich, Andrew. Beim normalen Gepäck werden sie nur herumgeworfen. Ich trage sie selbst an Bord."
Entschlossen warf sie den Kopf zurück und reckte trotzig das Kinn in die Luft. Sie ergriff die Aktenmappe und eine überdimensionale Einkaufstasche, die aus den Nähten zu platzen drohte. Andrew beobachtete stumm, wie sie mit dem Handgepäck kämpfte, entschlossen, ihr nicht zu helfen. Aber lange würde er ihrem vergeblichen Bemühen nicht mehr tatenlos zusehen können. Sie mussten sich in eine Schlange einreihen, die sich nur schrittweise vorwärts schob. Andrew fasste nach der großen Einkaufstasche. „Ich kann sie dir abnehmen." „Ich habe doch gesagt, dass ich allein zurechtkomme." Andrew neigte sich zu ihrem Ohr. „Mach hier keine Szene, Halloran. Gib mir schon die Tasche mit dem Krimskrams." Kate überließ sie ihm mit einer trotzigen Geste, als ob sie ihm einen Gefallen erweisen würde. „Es ist kein Krimskrams." „Nein, selbstverständlich nicht. Wie kann ich nur ein abgesplittertes altes Etui und einen Einmachtopf als Krimskrams bezeichnen!" Endlich entdeckte Andrew einen einzelnen freien Sitzplatz. Er hieß Kate Platz nehmen und stellte sich wartend daneben an eine Säule. Wann würde endlich der Flug aufgerufen? Dann ging es an Bord, die Maschine startete, und Kate lehnte sich aufatmend im Sitz zurück. Jetzt hatten sie ein paar Stunden zum Ausruhen. Ein Glück, dass sie in New York zwar zwischenlandeten, aber nicht das Flugzeug wechseln mussten. In San Francisco allerdings musste sie mit dem ganzen Gepäck durch den Zoll. Andrew lö ste den Sicherheitsgurt, als der Jumbo die vorgeschriebene Flughöhe erreicht hatte. Er zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und beugte sich zu ihr hinüber. „Während der letzten Nacht hatte ich eine Menge Zeit, nachzudenken. Ich weiß jetzt, was dein Problem ist, Kate." „Andrew!" Kate biss die Lippen fest aufeinander. „Wir haben doch vereinbart, die Ereignisse von gestern Nacht zu vergessen." „Ich weiß, dass ich das gestern gesagt habe. Aber wir müssen noch einmal darüber sprechen, es ist zu deinem eigenen Besten. Dein Problem liegt in dem völlig unnatürlichen Verhältnis zu deinem Vater." „Unnatürlich! Was soll das heißen?" „Mäßige dich. Die Leute werden aufmerksam, wenn du heftig wirst." Andrew beugte sich näher zu Kate und atmete den zarten Duft ein, der sie umgab. Sekundenlang konnte er nicht weitersprechen. Wie immer, wenn er so dicht bei ihr saß, überkam ihn das Verlangen, sie an sich zu ziehen. „Dein Vater ist für dich mehr als ein Vorbild, Kate. Du hast ihn auf einen Sockel gestellt und .über alle Mitmenschen erhoben. Seht her, er ist der perfekte Mann! Ein Mann, der nur noch für seine Tochter lebt. Du hast ihn mit einem Heiligenschein umgeben. In deinen Augen gibt es kein männliches Wesen, das sich mit ihm messen könnte." „Das ist doch albern." „Wirklich?" Andrew schwieg, lehnte sich zurück, zog an seiner Zigarette und blickte Kate an. Kates Augen wurden schmal, ein sicheres Zeichen für einen nahenden Zornesausbruch. „Aha. Und diese ... diese Heldenverehrung hat mich unfähig gemacht, ein tieferes Verhältnis zu einem Mann einzugehen - genauer gesagt, zu dir. Das meinst du doch?" ' Andrew nickte zustimmend. „Du bist ein kluges Mädchen. Ich wusste, du würdest meinen Standpunkt verstehen." „Ich interpretiere nur, was du dir zusammengereimt hast. Aber, Andrew, du irrst dich." Kates Stimme klang aufgebracht. Verblüfft betrachtete Andrew sie genauer. „Ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass ich mich nicht ohne ganz bestimmte Gefühle einem Mann hingebe? Wenn ich mit ihm schlafe, dann gehören dazu Liebe, Treue und Partnerschaft für immer." „Aber das ist doch altmodisch." Andrew schaute Kate ernst an. Nein, er scherzte nicht, das merkte sie ihm an. „Was meinst du, wie viele idealistische junge Mädchen so wie du denken, nur um wenige Jahre später zu erkennen, dass sie einen großen Irrtum begangen haben? Sie landen alle früher oder später vor
dem Scheidungsrichter. Wozu also diesen Ehrenkodex?" „Sei still! Ich habe genug von deiner Gefühllosigkeit." Traurigkeit und Niedergeschlagenheit schwangen in Kates Worten mit. „Du kannst einem Leid tun. Spürst du nicht, wie abgestumpft deine Lebenseinstellung ist?" Andrew versuchte zu lächeln, doch das Vorhaben misslang kläglich. „Du meinst, ich hätte auch ein Problem zu bewältigen?" „Aber ja", antwortete Kate. „Jetzt, nachdem du mir von deinen Eltern erzählt hast, verstehe ich, warum du so misstrauisch bist, wenn es sich um Liebe und Ehe dreht. Wahrscheinlich kannst du gar nicht anders und musst an diesen Werten zweifeln, nach allem, was du in deiner Jugend durchgemacht hast. Aber dadurch, dass du verbohrt bist in den Gedanken, es gäbe keine dauerhafte Liebe, lässt du dich auch nicht vom Gegenteil überzeugen. Du glaubst, man solle sich durchs Leben lieben und hier und da eine Gelegenheit mitnehmen, weil sie sich vielleicht morgen nicht mehr bietet. Das ist doch ein armseliger Ersatz für echte Liebe." Verärgert drückte Andrew seine Zigarette aus. „Danke für den Schnellkurs in Psychologie. Du hast die Holzhammermethode gewählt." „Und wie würdest du deine Vorhaltungen einstufen? Etwa als feinfühlig?" „Lassen wir das, Halloran. Vergessen wir das Gespräch. Von jetzt an steht dieses Thema nicht mehr zur Debatte." „Einverstanden." Abrupt drehte sich Kate zur anderen Seite und starrte aus dem Fenster. Ihr vorzuwerfen, sie würde ihren Vater wie ein Standbild verehren. Lächerlich! Und anzudeuten, in ihren Augen könnte sich kein Mann mit Paddy messen. Kate ballte die Hände zu Fäusten. Was, fragte sie sich, habe ich eigentlich die ganzen Jahre über getan? Habe ich nicht doch jeden Jungen und jeden Mann mit Paddy verglichen? Die Verlobung habe ich mit der fadenscheinigen Ausrede gelöst, Vater brauche mich jetzt. Aber das war nicht der wahre Grund. Es gab keine wirkliche Partnerschaft zwischen uns, auch kein Verlangen, keine Leidenschaft. Diese Gefühle bestehen zwischen Andrew und mir. Tief in meinem Herzen fühle ich mich zu ihm hingezogen wie zu keinem anderen Mann auf der Welt. Kate fühlte, dass sie Kopfschmerzen bekam. Etliche Stunden musste sie noch aushalten, bis sie wieder in ihrem kleinen, gemütlichen Apartment war ... allein und getrennt von diesem zynischen, arroganten Mann. Ist es wirklich erst einen Tag her, dass ich überzeugt war, ich liebe ihn? grübelte sie. Liebe, was ist das? Liebe verbinde ich mit Mondlicht und Rosen. Wer liebt, geht auf Wolken und spaziert mit dem geliebten Partner Hand in Hand oder eng umschlungen. Wenn ich ihn also wirklich liebte, dann fühlte ich mich nicht so elend wie jetzt. Warum ist das Leben nicht einfacher, gradliniger, unkomplizierter? Warum treffe ich nicht einen Mann, der um mich wirbt, den ich mag und der mich heiratet, um ein Leben lang bei mir zu bleiben? Warum soll ich mich einem Mann hingeben, der nicht die Absicht hat, mit mir zusammenzubleiben? Für Andrew sind Liebe, Hochzeit und ein glückliches Zusammenleben inhaltslose Worte. Eine Falle, ihn einzufangen. Kate schloss die Augen, die Kopfschmerzen verstärkten sich. Langsam ließ sie in Gedanken den gestrigen Tag noch einmal vorbeiziehen. Sie erinnerte sich der malerischen Landschaft, des schönen Kleides, in dem sie wie eine Französin aussah. Sie dachte an die Fahrt im Ballon. Das alles hatte Andrew nur für sie arrangiert. Gestern habe ich geglaubt, dass ich ihn liebe. Kate öffnete die Augen und blickte zu Andrew hinüber. Er hatte geschäftliche Unterlagen vor sich liegen. Offensichtlich war er in ihren Report vertieft. Wie sie diese Gesichtszüge liebte, die dunklen Augen, die dichten Haare und den markanten Mund. Und wie zärtlich er sie geküsst hatte! Andrew schaute auf, als ob er Kates Blick gespürt hätte. Sofort senkte sie die Augen. Nur jetzt ihn nicht ansehen. Ihre Wangen glühten. Wenn ich ihn ansehe, schoss es Kate durch den Kopf, weiß er, wie es um mich steht. Meine
Gedanken müssen von meinem Gesicht abzulesen sein. Und wenn Andrew merkt, wie viel er mir bedeutet, nutzt er das vielleicht aus. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, ist, auf rein geschäftlicher Basis mit ihm zu verkehren. Andrew musterte Kate einige Minuten. Aber er konnte nur eine Flut von langen dunklen Haaren und gesenkte Wimpern sehen, dazu einen kindlich reinen Mund. Es quälte ihn, ihn nicht küssen zu dürfen. Er wandte sich wieder seinen Papieren zu. Während des langen Fluges schafften sie es, eine Menge Akten aufzuarbeiten. Beide hatten erkannt, dass es nur einen Weg gab, sich von den quälenden Gefühlen zu befreien, und der hieß Arbeit, Arbeit bis zum Umfallen. In New York mussten Andrew und Kate nur für die Zeit der Zwischenlandung die Maschine verlassen, doch in San Francisco begann das Gedränge mit dem Gepäck. Andrew brachte Kate noch nach Hause. Als er sie in ihrem Apartment absetzte, schien sie vollkommen erschöpft. Sie ließ sich in einen Lehnstuhl fallen. Andrew betrachtete Kates schlanke Erscheinung und kämpfte den Impuls nieder, sie tröstend zu umarmen. Er wusste, er hätte auf dieser Dienstreise eine hektische Betriebsamkeit entwickelt, hatte sie erbarmungslos mit Arbeit überhäuft. Dabei hätte er nichts lieber gewünscht, als sie zu beschützen und zu umsorgen. Bei keiner anderen Frau hatte er jemals diesen Wunsch verspürt. Ironie des Schicksals: Niemals zuvor hatte er eine Frau getroffen, die so selbstständig und selbstsicher war wie Kate. Und trotzdem erweckte sie ständig in ihm das Verlangen, sie in die Arme zu nehmen, sie an sich zu pressen. Er müsste ihr jetzt die nächsten Tage freigeben, damit sie sich von der anstrengenden Reise erholen konnte. „Gute Nacht, wir sehen uns dann morgen früh", sagte er stattdessen nur kurz angebunden. Kate konnte sich nicht einmal mehr aufraffen, ihn an die Tür zu begleiten. „Gute Nacht, Andrew", war ihre müde Reaktion. Als Kate ihren Vater anrief, war sie überrascht, wie kräftig seine Stimme am Telefon klang. Er schien fröhlich und guter Dinge zu sein. Sie hatte sich auf eine lange Beschwerde über die tyrannische Krankenschwester und die verordnete fade Diät eingestellt. Aber nichts dergleichen kam. Ganz im Gegenteil schwärmte er von dem guten Essen, einer Hausmannskost, wie er betonte, und hob die guten Fortschritte hervor, die seine Genesung machte. Der Doktor hatte ihm versprochen, dass er bald wieder ganz der Alte sein würde. Kate hängte nach diesem Gespräch verwirrt auf. Sie runzelte die Stirn. Das klang gar nicht nach ihrem alten Paddy. Etwas musste sich ereignet haben. Vielleicht wollte er nur seine Niedergeschlagenheit verbergen und spielte ihr Theater vor. Nächstes Wochenende, entschied sie, fahre ich nach Carmel und finde heraus, was los ist. Die Woche verging wie im Fluge. Kate kam vor Arbeit kaum zur Besinnung. Andrew schien besessen von dem Vorhaben, die Fusion mit der französischen Firma voranzutreiben. „Halloran, komm bitte in mein Büro!" Kate setzte sich auf die äußerste Kante des Stuhls und hörte in wachsendem Zorn zu, wie er die Aufgaben delegierte. „Martha hat unsere Berichte geordnet und abgeschrieben. Jetzt möchte ich deine Stellungnahme dazu." Kate zog die Augenbrauen hoch. „Wieso ist meine Meinung wichtig?" „Du hast einen unmittelbaren Eindruck von der Firma in Frankreich bekommen. Lies dir diesen Report genau durch, Abschnitt für Abschnitt, und errechne, welcher finanzielle Vorteil sich für unsere Firma aus dem Zusammenschluss ergibt. Die Vorstandssitzung ist für Freitag angesetzt. Ich will, dass du mich begleitest." Andrew schob ihr einen umfangreichen Aktenordner zu. „Das Für und Wider einer Fusion wird ausführlich diskutiert werden. Nicht alle Mitglieder wollen in Frankreich investieren. Es gilt, sie zu überzeugen. Notiere dir während der Diskussion alle Schwachstellen, wo wir eingreifen können. Bevor ich meine Rede halte, gibst du mir die Notizen, damit ich reagieren kann. Es gibt noch einige Probleme zu überwinden. Das französische Wirtschaftsrecht muss beachtet werden, außerdem stellt die Regierung in Frankreich spezielle Bedingungen."
Kate beobachtete Andrew genau und sah, dass sich feine Linien der Erschöpfung um seine Augen abzeichneten. „Warum ist diese Fusion so wichtig für dich, Andrew?" Er zuckte kurz mit den Schultern. „Ich bin überzeugt, dass sie vorteilhaft für unsere Gesellschaft ist." Kate nahm den Aktenordner und ging zur Tür. Bevor sie noch den Raum verlassen hatte, war Andrew schon wieder in die Arbeit vertieft. Sie warf einen Blick zurück. Er schien sie völlig aus seinem Gedächtnis gestrichen zu haben. Der Konferenzraum wurde von einem ovalen Tisch mit fünfundzwanzig Sitzplätzen beherrscht. An den Wänden standen zusätzliche Stühle für Besucher oder Zuhörer. Kate belegte einen hinter Andrews Platz, um während der Besprechungen in seiner Nähe zu sein, wenn er sie brauchte. Sie war bepackt mit Notizen, Unterlagen und frisch gespitzten Bleistiften. So, dachte sie, ich bin gut gerüstet für die Schlacht, die jetzt stattfinden soll. Die Vorstandsmitglieder trafen nach und nach ein. Sie gaben sich jovial und umgänglich, begrüßten sich freundlich mit Handschlag, betrieben belanglose Konversation. Spannung lag in der Luft. Jeder erwartete, dass es im Verlauf der Sitzung zu hitzigen Auseinandersetzungen kommen würde. Der Vorsitzende begann mit der Begrüßungsrede und warf bald alle offen stehenden Fragen und Probleme auf. Für und Wider des Zusammenschlusses wurden erörtert, und Kate notierte eifrig Argumente der Redner, die ihr für Andrews Antwort von Belang erschienen. Ab und zu neigte dieser den Kopf, um zu überfliegen, was sie aufgeschrieben hatte. Bei der Rede eines Vorstandsmitglieds fand sie Ansatzp unkte, auf die Andrew eingehen konnte. Schließlich war Andrew an der Reihe. Sie schob ihm eine sauber geordnete Übersicht über die Standpunkte seiner vorherigen Redner zu und hatte besonders vermerkt, welche Punkte anfechtbar schienen. Andrew las ihre Notizen aufmerksam durch, nickte und begann mit seinen Ausführungen. Seine Rede war klar gegliedert, Seine- Argumentation einleuchtend. Hier und da bemerkte Kate, dass ein Sitzungsteilnehmer zustimmend nickte. Punkt für Punkt entkräftete Andrew die vorgebrachten Einwände. Was er sagte, war nicht zu widerlegen. Er wies auf die Vorteile hin, die eine Niederlassung auf dem europäischen Kontinent für die Firma hätte, und als es schließlich zur Abstimmung kam, zeigte es sich, dass er alle Mitglieder überzeugt hatte. Das Urteil war einmütig, man stimmte der Fusion zu. Andrews Zufriedenheit und Erleichterung waren offensichtlich. Er nahm Kate am Arm, führte sie aus dem Raum und lobte sie. „Brillant, Halloran, absolut brillant. Wenn ich deine Aufstellung nicht gehabt hä tte, wären meine Argumente nur halb so wirkungsvoll gewesen. Dank deiner Unterstützung haben wir den Antrag durchgebracht. Dafür hast du dir verdient, den Rest des Tages frei zu nehmen." Kate freute sich. „Fein. Ich möchte dringend nach Hause zu meinem Vater. Er hatte einen leichten Schlaganfall und ist noch nicht lange wieder daheim. Ich muss unbedingt nach ihm sehen." „Ich verstehe." Andrew bot ihr den Arm. „Ich fahre in Richtung Monterey. Ich lade dich, wenn du willst, bei deinem Vater ab." Kate zögerte einen Augenblick und dachte nach. Schließlich stimmte sie zu. „In Ordnung. Ich brauche aber noch eine Stunde, um meine Sachen zu packen und mich umzuziehen." Andrew war in Festtagslaune. Der Porsche brauste die Küstenstraße entlang und fraß förmlich die Kilometer. Kate lehnte sich entspannt zurück. Wie oft in letzter Zeit war sie die Strecke gefahren, voll Sorge um ihren Vater. Das gehörte nun der Vergangenheit an. Daddy war wieder zu Hause. Mit ihrer Arbeit ging es ebenfalls gut. Ein ganzes Wochenende hatte sie frei, konnte über die Farm wandern, ausruhen und in dem geschnitzten Holzbett schlafen, das ihr seit ihrer Kindheit vertraut war. Innerlich fragte sie sich, was Paddy wohl für einen Eindruck von Andrew haben würde. Nicht dass es darauf ankommt, versicherte sie sich selbst. Er ist mein Chef, das ist alles. Und mehr soll er mir auch nie bedeuten. Alles, was wir gemeinsam haben, ist unsere Arbeit. „Hast du mit deinem Vater schon gesprochen, seit du aus Paris zurück bist?" fragte Andrew beiläufig. „Ja."
„Und?" „Es scheint ihm gut zu gehen. Jedenfalls klang seine Stimme danach." Andrew sah sie nachdenklich an. „Solltest du in diesem Fall nicht glücklicher wirken?" „Bitte? Ach ja. Natürlich bin ich glücklich. Warum auch nicht?" „Ich weiß es nicht, aber du vermittelst nicht diesen Eindruck. Na, bei dir kennt man sich nicht aus." Sie erreichten einen Wegweiser, der die Grenze des Halloranschen Besitzes anzeigte. Andrew bemerkte, wie Kates Augen zu leuchten begannen. „Das hier ist unsere Farm", verkündete sie mit einem tiefen Atemzug. „An der Kreuzung geht es rechts ab auf einen unbefestigten Feldweg. Bis zu uns sind es noch ungefähr acht Kilometer." Die Straße war gesäumt von Reihen großer Obstbäume, deren Zweige sich schwach im Wind bewegten. Die Früchte waren schon reif. Als sie an einem kleinen Obstverkaufsstand vorbeikamen, winkte Kate übermütig einem jungen Mädchen zu, das hinter der Theke stand. „Machst du das sonst auch?" wollte Andrew wissen. „Ja, natürlich. Jede Farm hat mindestens einen kleinen Stand. Paddy erlaubte immer, dass ich den Verdienst mit ihm teile." „Paddy?" „Mein Vater. Meist sage ich Dad. Paddy nenne ich ihn, wenn ich mich ärgere, etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen habe oder einfach nur, wenn ich besonders liebevoll sein will." „Du, Halloran, und liebevoll?" Andrew bemerkte, dass Kate ärgerlich die Stirn runzelte, und wechselte das Thema. „Ich habe dich schon immer etwas fragen wollen: Magst du eigentlich Avocados?" Kate warf den Kopf in den Nacken. Sie lachte laut heraus. „Ich glaube, ich würde enterbt, wenn ich sie nicht mögen würde! Soll ich dir ein Rezept verraten, wie man Avocados zubereitet? Ich kenne mindestens fünfzig auswendig." Ein großes, weiß getünchtes Farmhaus kam in Sicht. Andrew fuhr die breite Auffahrt hinauf. Er hupte kurz. „Kate!" Patrick Halloran, der auf der Veranda gesessen hatte, sprang auf und eilte die Stufen hinunter, um seine Tochter zu begrüßen. „Kate! Du hast mir ja gar nicht mitgeteilt, dass du kommst!" „Ich wollte dich überraschen, Paddy." Sie trat einen Schr itt zurück, um ihn genauer zu betrachten. „Du siehst prächtig aus!" „Ich habe dir doch schon am Telefon gesagt, dass ich mich hervorragend fühle." Sein Blick fiel auf Andrew, der neben dem Auto wartete. „Dad, ich möchte dir gern meinen Chef vorstellen, And rew Carlson. Andrew, das ist mein Vater, Patrick Halloran." Die beiden Männer wechselten einen Händedruck und musterten sich dabei aufmerksam. Kate fiel wieder Andrews Vorwurf ein, sie würde alle Männer an der Person ihres Vaters messen. Was mochten die beiden Männer wohl denken, als sie sich so abschätzten? „Kate." Eine hübsche blonde Frau eilte die Stufen hinab und reichte ihr die Hand. „Hallo, Ruth. Darf ich Ihnen meinen Chef Andrew Carlson vorstellen? Ruth Cole." Andrew schüttelte auch ihr die Hand. „Na, Kate, was halten Sie von Ihrem Vater? Geht es ihm nicht ausgezeichnet?" Kate strahlte. „Ganz offensichtlich. Ich weiß nicht, wie Sie das gemacht haben, Ruth. Vater hat Fortschritte gemacht, die ich nicht für möglich gehalten habe." Ruth wandte sich an Andrew. „Sie bleiben doch zum Dinner, Mr. Carlson? Ich habe einen großen Braten im Herd. Er ist schon fertig." Kate war diese Einladung überhaupt nicht recht. Sie hatte mit ihrem Vater allein sein wollen. Andrews Bleiben machte diesen Wunsch zunichte. Was nun? „Vielen Dank, Mrs. Cole. Ich bleibe gerne." Patrick Halloran legte den. Arm liebevoll um die Schultern seiner Tochter und ging mit ihr ins Haus.
Andrews folgte ihnen, er trug Kates Wochenendkoffer. „Vielen Dank, Andrew." Kate nahm Andrew den Koffer ab und wollte damit zu ihrem Zimmer gehen. . „Ach, Kate", hielt Patrick Halloran seine Tochter zurück, „für dich nehmen wir heute das Gästezimmer." „Warum denn? Was ist mit meinem Zimmer?" „Ruth bewohnt es." Er wirkte etwas unsicher. „Ich wollte, dass Ruth nachts in meiner Nähe ist, für den Fall, dass ich etwas brauche." „Ich verstehe." Kate verließ in auffallender Hast das Zimmer, zu schnell, um den Blick zu bemerken, den Patrick und Ruth wechselten. Eine ungemütliche Stille trat ein. Andrew fand das erlösende Wort. „Ihr Braten duftet wirklich appetitlich, Mrs. Cole." Ruth lächelte dankbar und eilte in die Küche. „Das war köstlich, Mrs. Cole", lobte Andrew das Essen überschwänglich. „Mr. Halloran kann sich glücklich schätzen, eine so ausgezeichnete Köchin im Haus zu haben." „Sie ist in allem gut!" Paddy blinzelte Ruth zu, die ihm gerade Tee einschenkte. Kate beobachtete, dass sich Paddy und Ruth ohne Worte verstanden. In Gedanken versunken, lehnte sie sich zurück. Andrew zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche. „Stört es Sie, wenn ich rauche?" „Nicht im Geringsten." Patrick schob ihm einen Aschenbecher zu; „Wie lange bleibst du bei uns, Kate?" wandte sich ihr Vater an sie. „Bis Sonntag. Andrew fährt zu seinem Haus am Seventeen Mile Drive. Auf dem Rückweg kommt er wieder vorbei und holt mich ab." Aufmerksam geworden, sah sie Patrick an. „Warum, Paddy? Durchkreuze ich durch mein überraschendes Kommen irgendwelche Pläne, die du gemacht hast?" „Aber Kate, du störst nie." Ihr Vater räusperte sich. Kate fand, dass er nervös wirkte. „Es ist nur ... Ruth und ich haben für morgen Freunde eingeladen, die mit uns Karten spielen wollen. Ich hoffe nur, das wird dir nicht zu langweilig." „Was für ein Unsinn, Paddy." Nachdenklich blickte Kate Ruth an, die eben eine frisch gebackene Apfeltorte hereintrug. „Ich habe deine Freunde doch immer gemocht. Wer kommt denn? Jed und Lander? Oder Jerry?" Das waren seine ältesten Freunde. Patrick lachte. „Aber doch nicht die alten Raubeine! Sie kennen ja keine zivilisierten Kartenspiele, nur Poker. Nein, wir haben Dave und Karen Crain eingeladen." „Das junge Ehepaar, das die Adams-Farm gekauft hat?" „Ja. Es sind nette Leute. Diese Woche waren sie schon zwei Mal bei uns." „Ach, Patrick", sagte Ruth, als sie ihm ein Stück Torte auf den Teller legte, „ich habe ganz vergessen, dir zu erzählen, was Karen berichtete, als sie heute Nachmittag bei mir hereinschaute." Und Ruth gab eine ulkige Begebenheit wieder, die auf der Nachbarfarm passiert war. Kate saß ganz still. Sie bemerkte die harmonische Vertrautheit, die zwischen ihrem Vater und Ruth herrschte. Wie unter zwei alten Klassenkameraden. Oder zwei Verliebten, kam es ihr plötzlich in den Sinn. Kate wurde bewusst, dass Andrew wiederum ihren Gesichtsausdruck studierte. Was hatte er in ihren Zügen lesen können? Sie stand rasch auf und durchquerte den Raum. Einen Augenblick später entschuldigte sich Andrew und folgte ihr zum Fenster. „Ich muss jetzt fahren, Kate." „Ich begleite dich zum Auto." Andrew verabschiedete sich von Patrick Halloran und Ruth Cole. Noch war es nicht völlig dunkel. Es war die Stunde zwischen Tag und Traum, wo die Vögel aufgehört haben zu singen und der Mond gerade aufgehen will. Schweigend ging Andrew neben Kate, denn er fühlte, dass sie durcheinander und verletzt war. Gerne hätte er ihr einige tröstende Worte gesagt.
Am Auto verabschiedete er sich. „Du hattest Recht. Dein Vater ist wirklich sympathisch." Kate nickte. „Und Ruth ist sehr nett.“ Andrew nahm Kates Hand. Sie fühlte sich eiskalt an. „Kate, du hast eine Pflegerin gesucht, die deinen Vater gut versorgt. Du musst zugeben, dass er es prächtig getroffen hat. Er blüht förmlich auf, wenn sie sich mit ihm unterhält." „Stimmt. Ein Bild der Gesundheit." Er hob. Kates Kinn an. Die Furcht, die aus ihren Augen sprach, drängte ihn, sie fest in die Arme zu schließen. „Du hättest es doch nicht lieber gesehen, ihn schwach und apathisch vorzufinden?" „Natürlich nicht." „Dann lächle jetzt, wenigstens ihm zuliebe." Andrew gab Kate einen flüchtigen Abschiedskuss, denn er wusste, bei einer zärtlicheren Berührung würde wieder die wilde Leidenschaft in ihm erwachen. „Sonntagnachmittag hole ich dich ab." Lange stand Kate unbeweglich und schaute in die Richtung, in der das Auto verschwunden war. Als sie wieder ins Haus trat, half Paddy gerade Ruth beim Einräumen des Geschirrspülers. Dabei unterhielten sie sich lebhaft, lachten und schienen Kate vollkommen vergessen zu haben. Kate fühlte sich so allein wie noch nie im Leben. Sie entschuldigte sich bei Paddy und Ruth; sagte, sie wäre zu müde, um sich noch mit ihnen zusammenzusetzen, und ging hinaus. Vorbei an ihrem alten, lieb gewordenen Schlafzimmer, in dessen geschnitztem Bett nun Ruth schlief, hinüber zum Gästezimmer. Sie öffnete die Tür und schloss sich ein.
9. KAPITEL Andrews Auto kam die Auffahrt herauf. Kate, Ruth und Patrick gingen zur Eingangstür. Es war für die Jahreszeit ungewöhnlich heiß geworden. Kate hatte aus einem Schrank auf dem Speicher einige Sachen hervorgeholt, weil sie keine dieser Wärme entsprechenden luftigen Kleider mitgenommen hatte. Nun trug sie Bermudas und ein T-Shirt, dessen Aufschrift lautete: „Haben Sie heute schon eine Avocado zum Lunch gegessen?" Ihre Füße steckten in bequemen Sandalen, und ihr Haar fiel in langen Locken auf die Schultern. Das Gesicht hatte von der Sonne unzählige Sommersprossen bekommen. Sie war ungeschminkt. Andrew stieg aus. Die beiden Männer begrüßten sich und musterten sich wie schon zwei Tage zuvor. Paddy schien keine Einwände gegen Andrew zu haben. „Kate hat mir erzählt, wie verbissen Sie arbeit en und dass Sie es fertig gebracht haben, den Vorstand davon zu überzeugen, mit der französischen Firma zu fusionieren", sagte er. Andrew blickte zu Kate hinüber, bevor er antwortete. „Hat sie vergessen Ihnen zu sagen, wem ich den Erfolg ebenso verdanke? Dem Einsatz Ihrer Tochter. Sie ist mir eine unersetzliche Mitarbeiterin." Patrick und Ruth sahen Kate überrascht an. „Ich nehme an, sie hat diese Kleinigkeit vergessen zu erzählen. Erzählen Sie mir mehr darüber." „Kate hat alle Schwachpunkte notiert, die die Gegner des Projektes in ihrer Rede anführten. So konnte ich die Argumente meiner Kontrahenten hervorragend widerlegen. Als es zur Abstimmung kam, hatten wir den gesamten Vorstand auf unserer Seite." Kate war das Lob unangenehm. Sie verstaute ihre Sachen auf dem Rücksitz des Autos. „Es ist besser, wir fahren jetzt. Der Weg zurück ist lang", mahnte sie. Ruth näherte sich ihr und umarmte sie herzlich. , „Ich bin froh, Kate, dass die Geschäftsreise nach Paris so erfolgreich war. Und mach dir keine Sorge um deinen Vater. Ich verspreche, dass ich gut auf ihn aufpasse." Widerwillig duldete Kate die Umarmung. Patrick drückte seine Tochter fest an sich und boxte sie dann kameradschaftlich. „Nimm jetzt alles ein wenig leichter, Kate. Ich glaube, du arbeitest zu viel. Du siehst manchmal so abgespannt aus." „Mach dir meinetwegen keine Sorgen, Paddy", antwortete Kate streng. „Sieh zu, dass du die Anordnungen des Arztes befolgst. - Bis bald, Dad", fügte sie sanfter hinzu. Andrew und Kate fuhren ab. Kate drehte sich noch einmal um, um zu winken. Ihr fiel auf, dass Ruth dicht neben Paddy stand und ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Abrupt wandte sie sich um und schaute angestrengt aus dem Fenster. Andrew beobachtete Kate eine Weile, bevor er sich erkundigte. „War der Aufenthalt nett?" „Ja." Andrew zündete sich eine Zigarette an. „Du bist heute ungewohnt schweigsam, Halloran." „Bloß müde." „Bei Ruths guter Küche müsstest du eigentlich aufgeblüht sein. Stattdessen siehst du aus, als hättest du abgenommen." Kate schwieg. „Ich mag deine Figur, Kate. Wohlgerundet gefällst du mir besser als mager." Kate gab keine Antwort auf seine Neckerei. „Ich meine es ernst. Willst du dich nicht ein bisschen mit mir streiten?" Kate hob den Kopf ein wenig höher, und der Wind zerzauste ihre Locken. Andrew suchte einen Parkplatz, hielt an, streckte die Hand aus und griff in ihre schönen, dichten Haare. „So, Halloran. Jetzt rede. Sag mir, was schief gelaufen ist." Fast erleichtert stellte er fest, dass in Kates Augen wieder der trotzige Ausdruck zu sehen war, den er so an ihr liebte. . „Gar nichts ist los, Andrew. Ich möchte nur zurück. Ich habe viele Sachen vernachlässigt, um diesen unnützen Weg zu machen, wie ich nun feststelle. Und jetzt, wenn du nichts dagegen hast, möchte ich nachholen, was ich versäumt habe über das Wochenende." Eine Andeutung von Lachen schwang in seiner Stimme mit. „Nutzlose Fahrt, sagst du? Komm
schon. Erzähl's Papi." „Du bist nicht mein Papi! Und zu erzählen gibt es auch nichts." Kate warf den Kopf zurück. „Würdest du jetzt bitte weiterfahren?" „Erst müssen wir etwas gegen deine schlechte Laune tun." Andrew fasste sie am Kinn und hob ihr Gesicht zu sich empor. Seine Augen spiegelten sein Verlangen. „In einem hast du Recht. Ich bin wirklich nicht dein Papi." In plötzlicher Erregung riss er Kate an sich und küsste sie leidenschaftlich. Wütend versuchte Kate, sich Andrews Umarmung zu entziehen. Ihr Sträuben schien sein Begehren nur noch zu steigern, denn sein Griff wurde fester. Sein Mund wanderte zu ihrem Ohr. „Ich rate dir, Kate, dich nicht mehr zu wehren. Ich werde dich ja doch küssen, ob du es willst oder nicht", flüsterte er. Kate blieb sekundenlang regungslos. Er küsste sie ungestüm, und langsam schwand ihr Widerstand. Sie versuchte nicht mehr, ihn abzuwehren, sie ließ geschehen, was er mit ihr tat. Mit der Zungenspitze zeichnete er spielerisch und liebevoll die Konturen ihrer Lippen nach. Kate umfasste ihn. Sie spürte seinen warmen Körper. Er küsste zärtlich ihren Mund, der sich ihm jetzt öffnete. Kates Erregung wuchs. Sie öffnete sein Hemd, und ihre Hände liebkosten seinen muskulösen Körper. Andrew nahm ihr Gesicht in beide Hände. Zart küsste er Kates Augenlider, die Nase und die Lippen. Wie schön sie war! Sie wirkte so jung, so unschuldig. Aber sie war eine Frau, und er spürte, wie seine Berührungen ihre Leidenschaft steigerten. Wenn er vielleicht mehr Geduld mit ihr hätte ... Wenn er sie nicht zu sehr drängte ...? „Ich schlage dir zwei Dinge zur Auswahl vor." Erstaunt öffnete Kate die Augen und schaute Andrew groß an. „Wir können zu mir nach Hause fahren, oder wir halten irgendwo und essen zu Abend." „Bitte?" „Ich sage, wie es ist. Wähle!" „Ich soll wählen?" Kate schwieg und lachte dann plötzlich laut auf. „Ich habe schrecklichen Hunger. Lass uns zum Essen fahren." „So viel also zu meiner männlichen Ausstrahlung. Eine erotische Wirkung habe ich wohl überhaupt nicht. Also gut, Halloran. Die Entscheidung ist gefallen. Wir gehen essen." Noch ein schneller, flüchtiger Kuss, und der Wagen schoss vorwärts. Sie fanden ein gemütliches Restaurant mit Blick auf Küste und Klippen. Wo die Wellen sich an den Felsen brachen, sprühten Wasserfontänen hoch in die Luft. Andrew bestellte eine Flasche Wein. Belustigt sah er zu, wie Kate ein riesiges Steak verdrückte. „Ich verstehe nicht, wie man so hungrig sein kann, wo Ruth doch gut kocht und dich sicher das ganze Wochenende durchgefüttert hat." Kate hielt im Essen inne. „Ich hatte überhaupt keinen Hunger, erst jetzt." „Ruth ist eine ausgezeichnete Köchin, findest du nicht?" Kates Miene war verschlossen., „Ja. Sie ist eine gute Köchin." „Aber du magst sie nicht." Das war eine Feststellung, keine Frage. Kate atmete tief. „Du irrst 'dich, Andrew. Ich mag Ruth, wirklich." „Mag sein. Aber du willst nicht, dass sie bei deinem Vater wohnt." Kate zuckte zusammen. Er hatte mit seiner Bemerkung, so schien es, ins Schwarze getroffen. Andrew ergriff sanft ihre Hand. „Es ist schmerzhaft zu erfahren, dass einem die Liebe des Vaters nicht mehr ungeteilt gehört, nicht wahr?" • Kate entriss ihm die Hand. „Halloran, er ist ein Mann. Er hat ein Recht darauf, mit einer Frau zu leben." „Du machst eine Affäre daraus, Andrew." Er lächelte geduldig. „Halloran, mach dir nichts vor. Du musst dir über deine Gefühle klär werden. Sprich mit mir darüber. Sprich dich aus." Kate schüttelte den Kopf und blickte auf den Teller. „Wenn man es aussprechen will, klingt alles so dumm." „Ich verspreche dir, nicht zu lachen."
Die Kellnerin räumte ab und brachte den Kaffee. Nachdem sie gegangen war, sah Kate Andrew offen an. „Ruth hat mit schöner Selbstverständlichkeit mein Zimmer übernommen. Und mir kommt es vor, als ob sie auch meinen Platz in Paddys Leben eingenommen hat." Sie rührte geistesabwesend im Kaffee. „Sie leben ihr eigenes Leben, zu dem ich nicht mehr gehöre. Sie sind sich selbst genüg. Ach, Andrew", Kate weinte fast, „ich fühle mich beiseite geschoben." Andrew strich Kate beruhigend über die Hand. „Ich kenne dieses Gefühl. Ich war sehr viel jünger als du, als ich es kennen lernte. Ich spüre es noch, als wäre es gestern gewesen. Nach ihrer Scheidung waren meine Eltern einzig damit beschäftigt, sich neu zu verlieben, den Partner wieder wegzuschicken und sich erneut zu verlieben, so dass sie für mich keine Zeit mehr hatten. Auch ich habe mich damals überflüssig gefühlt." Er ergriff ihre Hand und drückte sie. „Ich weiß genau, wie elend einem da zu Mute ist. Es tut weh." Kate nickte, und Andrew fuhr fort. „Aber Paddys Fall liegt anders. Er hat ein Recht darauf, Ruth zu lieben. Sie passen zueinander." Noch ehe Kate protestieren konnte, fügte er rasch hinzu: „Auch wenn dich sein Verhalten jetzt verletzt, ist es gut, dass es so gekommen ist. Siehst du das nicht ein? Du bist von einer Verpflichtung befreit, frei für dein eigenes Leben. Sonst hättest du dich immer schuldig gefühlt, wenn du deinen Vater allein gelassen hättest." „Jetzt sind wir wieder beim alten Thema", stellte Kate fest und zog die Hand zurück. „Wann wirst du endlich begreifen, dass ich tue und lasse, was ich will?" Sie erhob sich ungehalten. Andrew bezahlte die Rechnung, und sie gingen zum Auto zurück, „Wir werden sehen", war sein abschließender Kommentar. Am nächsten Morgen fühlte sich Kate wie zerschlagen. Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Sie kam sich vor wie Andrews Marionette. Wenn er froh war, war sie es auch, war er mürrisch, dann war sie traurig. Martha sah von der Arbeit auf, als sie hereinkam. „Ein Lächeln kannst du dir heute sparen, Kate. Der Wunderknabe hat sich wie ein Maulwurf in die Akten vergraben. Seine Laune ist entsprechend." „Was hat er denn?" „Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich das Konzept hier in einer Stunde abgetippt haben muss." Anklagend hielt Martha ein Bündel Papiere hoch. „Das Leben mit sechs kleinen Kindern war einfacher und weniger anstrengend." Als Kate Andrews Büro betrat, schaute er vom Schreibtisch auf. Er war gerade dabei, Unterlagen in einer dicken Aktentasche zu verstauen. „Halloran, gut, dass du da bist." Er reichte ihr einen Aktenordner. „Lies bitte den Report durch. Notiere das Wesentliche in Stichpunkten. Ich selber schaffe es nicht mehr, aber ich muss die Informationen unbedingt haben, bevor ich gehe." „Wohin gehst du denn?" Andrew sah auf. „Ich fliege nach Paris. Das Flugzeug startet gegen Mittag." „Kommt diese Reise nicht ein bisschen plötzlich?" Andrew nickte. „Ich habe erst heute Morgen Bescheid bekommen. Johnson und Davies kommen mit, um einen Blick auf die französischen Prozessoren zu werfen. Sie müssen wissen, ob sie mit unserer Ausführung kombinierbar sind." „Soll ich dich begleiten?" „Nein, diesmal nicht." „Wie lange bleibst du weg?" „Schwer zu sagen. Nur kurz, hoffe ich." Andrew sah Kate nach, wie sie seltsam steif das Büro verließ. Gern hätte er sie mitgenommen, er brauchte sie dringend. Aber sie hatte im Moment mit persönlichen Problemen zu kämpfen, so dass es ihm nicht angebracht erschien, sie auch noch beruflich zu belasten. Zu viel war auf sie eingestürmt. Er wollte ihr Zeit geben.
Bedrückt starrte er einen Moment auf den Schreibtisch. Zeit. Wenn er doch auch mehr Zeit hätte! Andrew wachte schweißgebadet in seinem Pariser Hotelzimmer auf. Seine Hand zitterte, als er nach der Uhr auf dem Nachttisch suchte. Schon wieder hatte ihn derselbe Traum gequält. Er überfiel ihn jetzt immer häufiger: Kate befand sich auf einem Floß, er selbst außer Reichweite am Ufer. Böen erfassten das zerbrechliche Gefährt, warfen es hin und her und trieben es schließlich aufs Meer hinaus. Hilflos musste er zusehen, wie es sich mehr und mehr entfernte, während er wieder und wieder Kates Namen rief. Dann war sie am Horizont verschwunden. In Kalifornien war es jetzt ein Uhr nachts. Sicher schlief Kate, sie brauchte ihre Nachtruhe. Die letzte Zeit hatte sie so schmal gewirkt, so hilfsbedürftig. Ich habe kein Recht, sie zu stören, sagte er sich. Aber es drängte ihn, ihre Stimme zu hören. Nur ein paar Minuten, dachte er, nur um sicher zu sein, dass es ihr gut geht. Andrew setzte sich auf die Bettkante und wählte. Dann wartete er im Dämmerlicht eine Ewigkeit, wie es ihm schien, bis das Überseegespräch durchgeschaltet war. Er musste ihre Stimme hören. Er musste einfach. Das Telefon klingelte drei-, vier Mal. Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Endlich! „Hallo." Andrew erkannte sofort die Stimme, die ein wenig verschlafen klang. Erregung durchflutete ihn. „Kate." Er lehnte sich gegen die Kissen. Die Spannung ebbte langsam ab, der Albtraum löste sich auf. „Andrew." Die Stimme wurde kräftiger. Jetzt war Kate hellwach. „Andrew, stimmt etwas nicht?" „Ja. Nein. Ich wollte nur mit dir sprechen. Ist bei dir alles in Ordnung?" „Hier läuft alles gut. Aber es ist nach Mitternacht. Ich habe schon geschlafen." Was sie wohl beim Schlafen tragen mag, fragte er sich. Damals, als er sie in dem Seidenmantel gesehen hatte, trug sie nichts darunter. Wenn überhaupt, dann hat sie bestimmt sehr wenig an, vermutete er und musste lächeln. „Ich weiß. Und es tut mir auch Leid, dass ich dich geweckt habe. Aber ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Ich wollte nur hören, dass es dir gut geht." „Wie ... wie ist Paris?" Kates Stimme klang verträumt. Sie dachte an die Ballonfahrt und das schöne Zimmer im Schloss. „Einsam wie die Wüste." „Wo bist du abgestiegen?" „Bei den Dumas, wo ich mit dir war." Er zündete sich eine Zigarette an. „Das Zimmer nebenan ist leer." „Das freut mich." „Du freust dich, dass es leer ist?" „Ja. Mir wäre der Gedanke unerträglich, dass ein ariderer dort schlafen könnte." „Johnson und Davies habe ich in einem Hotel in der Nähe der Firma unterbringen lassen." Andrew hörte, wie Kate lachte. „Der Raum nebenan ist zu schade für sie." „Das habe ich auch gedacht. Ich vermisse dich, Halloran. “ „Ich ... ich vermisse dich auch, Andrew." Andrew sog den Rauch der Zigarette tief ein und schloss die Augen. „Ich liebe dich, Halloran." Nach all den krampfhaften Versuchen, die Gefühle zurückzudrängen, zu vergessen oder abzustreiten, brachen sie jetzt hervor. Das Geständnis enthielt nur eine einfache, nicht mehr zu leugnende Tatsache. Andrew hörte, wie Kate am anderen Ende der Leitung aufschluchzte. „O Andrew. Warum hast du so lange gebraucht, die Worte auszusprechen? Ich liebe dich auch, schon so lange." „Jetzt leg dich wieder hin und schlaf." „Glaubst du wirklich, ich könnte jetzt ein Auge schließen?" „Aber sicher. In ein paar Stunden musst du zur Arbeit. Gute Nacht, Kate. Ich liebe dich." „Ich liebe dich, Andrew. Gute Nacht." „Seit Tagen läufst du herum und lächelst wie Mona Lisa. Hat man dir eine Gehaltserhöhung
versprochen?" Kate lachte über Marthas Witz und legte ihr ein Paket mit Akten auf den Schreibtisch. „Ist es nicht ein herrlicher Tag, Martha?" Martha schüttelte verständnislos den Kopf. „Wir arbeiten wie besessen, schuften wie menschliche Computer, und du erzählst mir etwas von einem schönen Tag. Hast du ein Zauberwässerchen getrunken?" Kate eilte in ihr Zimmer, um ein Telefongespräch entgegenzunehmen. Als sie Unterlagen für Andrew vorbereitete, sah sie auf den Kalender. Eigentlich hatte er heute zurückkommen wollen. Höchstens noch einen Tag oder zwei, dachte sie mit leichtem Herzen, dann ist er wieder da, endlich bei mir! Andrew ging nervös in seinem Zimmer auf und ab. Die neuen Anweisungen der Betriebsführung hatten ihn vor ein paar Stunden erreicht, und bis jetzt hatte er es noch nicht gewagt, Kate anzurufen und sie darüber zu informieren. Er stieß die Tür zur Veranda auf und schaute zu den Sternen empor. Kate hätte jetzt eigentlich neben ihm stehen sollen. Hier wäre ihr Platz gewesen. Er brauchte sie. Es war unerträglich, dass sie unerreichbar war, am anderen Ende der Welt. Er war abhängig von ihr geworden. Sie hatte Besitz von ihm und seinem Leben ergriffen. Ohne Kate konnte er nicht denken, er brauchte sie dringender, als er seine Eltern früher gebraucht hatte. Sie nahm sein ganzes Denken ein, jede Faser seines Körpers sehnte sich nach ihr. Während der Arbeit fiel ihm plötzlich Kate ein, und dann konnte er sich nicht mehr konzentrieren. Die Telefonanrufe waren nur ein schwacher Trost. Im Grunde verschlimmerten sie seinen Zustand. Der bloße Klang ihrer Stimme verstärkte seine Sehnsucht. Er erinnerte sich, wie sie voll Verlangen in seinen Armen gelegen, i sich an ihn gedrängt hatte. Immer, wenn er in den Garten hinunterblickte, stieg das Bild in ihm auf, wie er sie dort zum ersten Mal geküsst hatte. Niemals zuvor war eine Frau zu einem Teil seines Lebens geworden. Und nun hatte Kate sein ganzes Denken erobert. Wann hatte er erkannt, dass er Kate liebte? Im Garten? Oder in der Nacht, als sie vor Erschöpfung im Sessel eingeschlafen war und er sie ins Bett getragen hatte? Damals musste er sich beherrschen, nachdem er sie entkleidet hatte, um sie nicht zu wecken. Wahrscheinlich hätte Kate, übermüdet wie sie war, seinem Drängen nachgegeben. Sie hätte ihm sicherlich nicht allzu großen Widerstand entgegengesetzt. Aber er wusste, wie verwundbar sie war. Ihre Hilflosigkeit wollte er nicht ausnutzen. Sie sollte sich ihm freiwillig hingeben, ihm ihre Liebe ohne Vorbehalte schenken. Wahre Liebe stellte keine Bedingungen. Erneut begann Andrew, auf und ab zu gehen. Er kam sich als Gefangener seiner Gefühle vor. Was hatte sie mit ihm gemacht? Sie war in seine Gedanken und Arbeitswelt eingedrungen und ließ ihn keinen Schlaf finden. Er zündete sich eine zweite Zigarette an. Kühl war es hier. In Kalifornien war es sicher warm. Er sah Kate vor sich, als er sie von der Farm abgeholt hatte, mit diesen ulkigen, ausgefransten Bermudas und dem verwaschenen T-Shirt. Sie hatte eine unbeschreiblich erotische Ausstrahlung. Dabei schien sie sich dieser Wirkung überhaupt nicht bewusst zu sein. Andrew drückte die halb gerauchte Zigarette aus. Ich brauche Kate. Dieser eine Gedanke beherrschte ihn. Andrew ging zum Telefon. Nur nicht grübeln. Je mehr ich nachdenke, desto verwirrter werde ich, sagte er sich selbst. Ich muss Kate jetzt informieren. Endlich meldete sich Kate. „Ja, hallo!" Der Hörer fiel ihr anscheinend aus der Hand. „Hallo, hallo." Er erkannte ihre Stimme. „Halloran." Andrew konnte vor Nervosität kaum sprechen. „Andrew." Man ahnte ihr Lächeln durchs Telefon. „Es ist..." Der Ton veränderte sich, sie hatte sich abgewandt, schaute wohl auf die Uhr. „Es ist drei Uhr morgens. Was ist passiert?" „Halloran. Frag jetzt nicht. Hör nur zu." Andrew atmete tief durch. „Ich habe neue Anordnungen des Vorstands bekommen. Man hat mir die Firmenleitung der französischen Tochtergesellschaft von Computer International übertragen. Ich habe angenommen."
Keine Reaktion. Es herrschte absolute Stille. „Halloran. Bist du noch da?" „Ja." Erneut eine Pause. „Kommst du wieder nach Hause, Andrew?" Kates Stimme klang niedergeschlagen. „Oder bleibst du noch in Frankreich?" „Es bedeutet, dass ich die Verantwortung für die gesamte Firma hier habe. Ich bleibe für immer hier." „Oh." Nur ein kurzer Ausruf, der dennoch die ganze Betroffenheit und Bestürzung enthielt, die sie empfand. „Hör zu, Halloran. Du musst nichts sagen. Hör mir nur zu. So kann es nicht weitergehen. Ich kann nicht mehr essen und schlafen. Ich brauche dich hier. Ich liebe dich." „Ach, Andrew ..." Seine Worte richteten sie wieder auf. „Steig ins nächste Flugzeug, egal, wann es abfliegt. Ich erwarte dich. Ich kann nicht mehr ohne dich sein. Halloran - hörst du mich? Ich will dich ... jetzt!" Am anderen Ende war es still geworden. „Halloran?" „Bist du dir im Klaren, worum du mich bittest, Andrew?" „Ich bitte nicht. Ich sage dir ganz deutlich, ich kann nicht mehr länger warten. Ich will, dass du zu mir kommst. Ich brauche dich." „Ich kann doch nicht meine ganzen Habseligkeiten zusammenpacken und morgen nach Frankreich reisen." „Doch, du kannst. Geh ans Telefon und buche einen Flug." „Wo soll ich denn bleiben?" „Halloran. Hör doch endlich auf zu fragen. Du wohnst hier bei mir. Ich brauche dich. Ich will, dass du bei mir bleibst", antwortete Andrew heftig. „Jetzt verstehe ich. Wenn du meinst, mich zu brauchen, lasse ich alles stehen und liegen und fliege zu dir." Und nach einer endlosen Pause: „Andrew, ist dir klar, was du verlangst?" „Halloran, du liebst mich doch?" „Das habe ich dir schon gesagt, Andrew. Ja, ich liebe dich. Aber was du jetzt von mir forderst ..." „Wenn du mich wirklich liebst, Halloran, dann kommst du zu mir." Andrew hörte, wie sie aufschluchzte. „Und ich gebe dir die Antwort: Ich komme nicht. Andrew, ich hänge jetzt ein." Sprachlos starrte er den Hörer an, als könnten das nicht ihre letzten Worte sein.
10. KAPITEL
Der Morgen dämmerte gerade, als Kate ihr Apartment verließ und mit dem Auto in Richtung Monterey fuhr. Noch lag Nebel über Wasser und Landschaft. Kates Augen waren geschwollen und rot vom Weinen, geschlafen hatte sie überhaupt nicht. Nachdem sie den Entschluss gefasst hatte, nach Hause zu fahren, hatte sie rasch einen Pullover und Jeans übergezogen und sich schnell das Haar gekämmt. Dann war sie geflüchtet. Als sie eine Stunde später vor einem Straßenrestaurant stoppte, um Kaffee zu trinken, merkte sie, dass sie keine Strümpfe anhatte. Doch auf dem Rücksitz des Wagens lag das weiße Kleid, das Andrew ihr in Frankreich gekauft hatte. Kate wusste, sie benahm sich wie ein Kind, das zum Vater läuft, wenn es getröstet werden will. Aber sie konnte mit ihren Problemen nicht mehr allein fertig werden. Der Zwiespalt ihrer Gefühle verwirrte sie völlig. Sie brauchte einen festen Halt," einen Anker. Paddy würde sie verstehen und ihr helfen. Nach einiger Zeit durchbrach die Sonne die Wolken. Es wurde warm, und Kate ärgerte sich über sich selbst, dass sie nicht daran gedacht hatte, unter ihrem Pullover eine Bluse anzuziehen. Jetzt konnte sie nur die Ärmel hochkrempeln, um sich ein wenig Kühlung zu verschaffen. Endlich kam das Farmhaus in Sicht. Die Haustür öffnete sich, noch bevor Kate gestoppt hatte. Ruth erschien im Eingang. Sie trug ein elegantes rosa Seidenkleid. Die festliche Aufmachung war eigentlich recht ungewöhnlich für einen Wochentag, aber Kate war zu verzweifelt, um davon Notiz zu nehmen. Sie wusste nur, dass sie endlich zu Hause war, endlich. „Ach, Ruth, ist Paddy hier?" Ruth warf einen Blick auf Kates blasses Gesicht und trat beiseite. „Natürlich ist er da. Geh nur hinein." Paddy Halloran kam aus dem Schlafzimmer. Er trug seinen Sonntagsanzug und die beste Krawatte, die er besaß. Wie angewurzelt blieb er stehen, als er seine Tochter, offensichtlich in höchster Verzweiflung, erblickte. „Kate!" Kate warf sich in seine Arme. „O Paddy!" Stumm hielt Patrick Halloran seine Tochter umschlungen und ließ sie sich an seiner Schulter ausweinen. Als sie sich etwas beruhigt hatte, gab er ihr ein Taschentuch und führte sie fürsorglich zum Sofa. Sanft, aber bestimmt legte er ihr die Hände auf die Schultern. „Jetzt ruhig, Kate. Heraus damit." Ruth trat mit Brötchen und Kaffee ins Wohnzimmer. Kate lächelte ihr dankbar zu, trank einen Schluck und bemühte sich, die Fassung wiederzugewinnen. „Ach, Dad. Als du dich verliebt hast, war das sehr schlimm?" Patrick und Ruth wechselten über ihren Kopf hinweg einen Blick. Ruth stand plötzlich auf. „Ich habe noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Wenn es euch nichts ausmacht, verlasse ich euch für eine Stunde." Patrick lächelte Ruth dankbar an. Kate hob den Kopf. „Ruth, du musst meinetwegen nicht weggehen." Ruth streichelte sie zart. „Doch, Kate. Du und dein Vater, ihr habt etwas allein zu besprechen." Sie entfernte sich. „Kate. Erzähl mir, was vorgefallen ist." Kate setzte die Kaffeetasse ab. „Andrew hat mich vergangene Nacht von Paris aus angerufen. Er hat mir erzählt, dass er die Firmenleitung in Frankreich übernommen habe. Dann sagte er, ich solle sofort die Koffer packen und zu ihm kommen." Paddy studierte eingehend das Häufchen Unglück neben sich. „Als seine Assistentin?" Langsam schüttelte Kate den Kopf. „Nein. Als seine ... als seine Geliebte. Ach, Dad!" Sie sprang auf und begann, nervös im Zimmer umherzulaufen. Ihr Vater saß stumm da und wartete, auf den Fortgang der Geschichte. „Erzähl mir alles von Anfang an, Kate." Kate wirbelte herum. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Wir arbeiten zusammen. Wir waren zusammen in Paris. Wir hatten uns dauernd in den Haaren." Sie vermied es, ihrem Vater in die Augen zu
sehen. Dann setzte sie fast unhörbar hinzu: „Ich habe mich in ihn verliebt, Dad. Ich liebe ihn so sehr, dass es schmerzt." Ihr Vater sagte noch immer nichts. Er beobachtete sie nur weiterhin. „Aber es gibt ein Problem ..." Kates Stimme sank zum Flüstern herab. „Er ist schon verheiratet", sagte Paddy ohne Umschweife. Kate warf den Kopf hoch. „Dad! Glaubst du, ich würde ... ich würde mich mit einem verheirateten Mann einlassen?" Patrick Halloran war verwirrt. „Dann verstehe ich nicht, wo dein Problem liegt." Kate versuchte, ruhig zu sprechen. „Andrews Eltern haben sich scheiden lassen. Danach haben sie sich neue Partner gesucht und sich erneut scheiden lassen. Das hat Andrew zu der Überzeugung gebracht, Ehen wären unsinnig, weil sie nie Bestand hätten. Er hat mir diese Meinung deutlich zu verstehen gegeben. Er hält nichts von einer Heirat." „Jetzt verstehe ich." Voll Mitgefühl blickte Patrick auf seine Tochter, die noch immer auf und ab. ging. Er zeigte auf- den Platz neben sich. „Komm her, Kate. Setz dich wenigstens eine Minute." Paddy liebte seine einzige Tochter. Sie hatten so viel zusammen durchgestanden und erlebt. Hoffentlich enttäuschte er sie jetzt nicht. „Kate, als du heranwuchst, habe ich mir oft Sorgen um dich gemacht. So ohne Mutter oder die Unterstützung einer Frau, die dir einiges erklären konnte, war es nicht leicht für mich. Ein Mann weiß oft nicht weiter." Kate ergriff Paddys Hand. „Dad, du hast das doch wunderbar gekonnt. Denk nur daran, wie du mit unserer Biologielehrerin ein Treffen ausgemacht und sie gebeten hast, mich aufzuklären." Patrick lächelte. „Ich kam mir dumm vor. Aber ich wusste mir keinen anderen Rat." „Es hat ja geklappt, oder?" Paddy nickte. „Aber es gab doch viele Dinge, über die wir nie gesprochen haben. Vielleicht, wenn ich es jetzt so bedenke, habe ich einfach vergessen, wie verwirrend die erste Liebe sein kann. Nachdem deine Mutter tot war, habe ich ihr Bild immer im Herzen getragen. Für mich war sie wie eine Heilige. Alles, was negativ in unserer Ehe war, hatte ich vergessen, ich erinnerte mich mir der glücklichen Stunden." Paddy sah Kate offen an. „Deine Mutter war erst siebzehn Jahre, als ich mich in sie verliebte, siebzehn. Ich war fünfundzwanzig." Er musste lachen. „Wenn ich mir das jetzt vorstelle! Ich liebte sie so sehr, dass ich nur daran dachte, sie zu heiraten. Ich konnte nicht länger warten. Dabei war sie noch ein halbes Kind." Patrick schüttelte über sich selbst den Kopf. „Kannst du dir vorstellen, wie ihre Eltern reagierten? Sie waren verzweifelt, zumindest am Anfang. Sie sagten, sie wäre zu jung, ich musste warten, bis sie älter wäre." „Und was hast du gemacht?" „Deine spätere Mutter und ich haben darüber gesprochen, aber für uns gab es nur eine Möglichkeit. Liebe entwickelt starke Gefühle. Sie verdrängt jede klare Überlegung, lässt alle Einwände unbedeutend erscheinen. Man will zusammengehören, gegen jeden Widerstand. Aber ich wollte keine Liebelei." Patrick hielt inne, weil er sich bewusst wurde, über sehr persönliche Dinge zu sprechen, die sonst nur zwei Liebende angingen. Aber Kate war erwachsen. Sie war eine /junge, unglückliche Frau. Er musste aufrichtig sein. „Weißt du, ich wollte keine flüchtige Beziehung eingehen, nur weil mir deine Mutter attraktiv erschien. Ich wollte eine dauerhafte, feste Verbindung. Deine Mutter und ich liebten uns. Wir wollten unser Leben gemeinsam gehen. Und dieser Wunsch manifestierte sich in unserer Heirat." Die Erinnerung stimmte Patrick traurig. „Es waren nicht übermäßig viele Jahre, die uns beschieden waren. Aber ich war immer dankbar für die Zeit, die wir zusammen verleben durften." ' Kate saß still neben ihrem Vater. So offen hatte sie ihn noch nie über seine Ehe sprechen hören. Er hatte alles in sich verschlossen, mit sich allein ausgemacht. „Wie hast du Mutters Eltern dazu gebracht, in die Heirat einzuwilligen?" „Ich glaube, wir waren nicht sehr originell. Wir machten das, was Generationen von Verliebten vor
uns getan haben. Wir sind einfach von zu Hause ausgerissen und haben geheiratet. Als wir zurückkamen, blieb den Eltern kein Ausweg. Es sei denn, sie hätten die Annullierung der Ehe angestrebt." „Habt ihr keine Angst gehabt?" „Glaub mir, ich hatte so viel Angst vor der Zukunft wie nie mehr später." Paddy sah Kate nachdenklich an. „Ich habe vergessen, wie viel Schwierigkeiten die Liebe mit sich bringt. Wie furchtbar alles sein kann, wenn man jung und verliebt ist und Angst hat vor dem, was kommen kann." Kate widersprach. „Ich habe keine Angst vor der Zukunft mit Andrew. Es ist die Zukunft ohne ihn, die mich in Schrecken versetzt." „Ich wünschte, ich könnte Andrew überzeugen, das Rechte zu tun. Ich verstehe nicht, wie er behaupten kann, dich tief und wahr zu lieben, dich aber nicht heiraten will", antwortete Patrick ruhig. Kate ergriff sofort Partei für Andrew. „Bei all dem, was er durchgemacht hat, verstehe ich ihn schon. Nur ... weißt du, ich glaube ... ich möchte nicht einfach ein Verhältnis mit ihm haben. Er bedeutet mir mehr." „Aber ich habe Angst, dass ich ihn verliere. Ich habe solche Angst, das Falsche zu tun", setzte sie traurig hinzu. Patrick gab seiner Tochter einen sanften Stoß. „Kate Halloran, ich habe mir eine Menge Sorgen um dich gemacht. Aber in einem bin ich absolut sicher. Ich habe eine ganz besondere Tochter, eine lebenstüchtige, wie alle Halloran-Frauen. Ich. glaube fest daran, dass du das Richtige tun wirst." „Woher soll ich das wissen?" Ihr Vater beruhigte sie. „Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du es wissen." Kate umarmte ihren Vater. „Ach, Dad. Ich habe dich so lieb. Aber als ich klein war, war alles viel leichter. Warum ist das Leben so kompliziert, wenn man erwachsen ist!" Paddy hielt Kate fest. „Wir sind durch etliche Lebensstürme gegangen, Kate. Es gibt etwas, was die Hallorans besser können als ihre Mitmenschen." „Und das wäre?" Kate sah ihn erwartungsvoll an. „Das Leben meistern." Die alte Standuhr im Wohnzimmer schlug. Paddy schaute auf. Sie hatten sich über eine Stunde unterhalten. „Kate, bevor Ruth zurückkommt, muss ich dir noch etwas mitteilen." „Ich kann es mir schon denken." Patrick Halloran sah seine Tochter überrascht an. „Ruth will fort, weil ihr ein besserer Job angeboten wurde, ist es so?" Patrick Halloran verschlug es die Sprache. „Was meinst du?" „Na, schau dich doch an, Paddy. Du siehst aus wie das blühende Leben. Du brauchst keine Pflegerin mehr. Wann will Ruth dich verlassen?" „Kate, Ruth ist der Grund, warum es mir so gut geht. Aber nicht nur, weil sie mir eine gute Krankenschwester war." Jetzt war es an Kate, verdutzt dreinzublicken. „Du sprichst in Rätseln, Dad." „Kate, Ruth ist eine wunderbare Frau. Seit sie hier ist, fühle ich mich wieder jung und stark." Endlich verstand Kate. „Ich liebe sie, Kate. Und sie liebt mich auch." Er räusperte sich. „Ruth und ich werden heiraten." „Dad! Ach, Dad, ich freue mich. Das ist wunderbar!" Kate umarmte ihn herzlich. „Wir könnten die Trauung hier arrangieren. Danach kann ich im Innenhof für die Gäste decken und ..." „Kate." Sie hielt inne. „Du verstehst noch immer nicht, Kate. Warum, meinst du, trage ich an einem normalen Wochentag meinen besten Anzug?" Die Überraschung war perfekt. „Ruth und ich waren eben auf dem Weg zur Trauung, als du auftauchtest." Patrick Halloran sah ein wenig betreten drein. „Ein bisschen dumm für einen alten Mann, auszureißen wie damals als Fünfundzwanzigjähriger, nicht wahr?" Draußen näherte sich ein Auto. Ruth kam zurück. Sie betrat das Wohnzimmer und erfasste sofort die Situation. Kate stand steif, wie vom Donner gerührt, und Patrick schien sich recht unbehaglich zu
fühlen. „Wie ich sehe, hast du unsere Neuigkeit schon erfahren, Kate", begann Ruth zögernd. Kate wandte sich ihr zu. Zum ersten Mal sah sie Ruth als Frau an. Ruth hatte weiche, blonde Haare und Lachfältchen um die Augen. In dem festlichen Kleid wirkte sie jung, schlank und froh wie ein junges Mädchen. Sie stellte sich neben Patrick Halloran. Tiefe Verbundenheit sprach aus dieser Geste. „Ach, Ruth!" Kate ging auf sie zu und umarmte sie. „Ich freue mich für dich und für Paddy. Ihr habt es verdient, glücklich zu sein." Patrick Halloran atmete erleichtert auf. Er nahm seine Tochter und Ruth, die beiden Menschen, die er am liebsten hatte auf der Welt, in die Arme. Kate und Ruth lachten und weinten zugleich. Kate wischte sich die Augen. „Ich war so in meinen eigenen Problemen befangen, dass ich gar nicht wahrnahm, was um mich herum geschah. Ich war sehr selbstsüchtig. Bitte verzeiht mir." „Es gibt da nichts zu verzeihen", erwiderte Ruth. „Patrick und ich hatten das Gefühl, jeder würde sofort er kennen, dass wir verliebt ineinander sind." „Jetzt fällt es mir endlich auf." Kate sah von Ruth zu ihrem Vater hinüber. „Wenn ich nicht so blind gewesen wäre, hätte ich es sicher eher bemerkt. Kommt ihr hierher zurück, wenn ihr verheiratet seid?" Patrick schüttelte den Kopf. „Wir wollten dich nach der Trauung anrufen und dir alles erzählen. Kate, ich mache Schluss. Ich gehe aufs Altenteil." Kate lächelte ungläubig. „Für einen Farmer ist doch nie Schluss. Wer soll sich dann um das Land kümmern?" „Die Crains - erinnerst du dich, das junge Paar, das die Adams-Farm gekauft hat - haben einen Pachtvertrag unterschrieben. Sie bearbeiten das Land und zahlen mir eine Rente. Zusätzlich werde ich am Profit beteiligt. Der Arzt meinte, ich sollte mir von jetzt an das Leben ein wenig leichter machen, und mit Ruth zusammen werde ich das auch schaffen", berichtete Patrick. „Wir wollen eine Kreuzfahrt unternehmen", ergänzte Ruth. „Danach", fiel Paddy ein, „tun wir, wozu wir Lust verspüren. Reisen, Golf spielen ... wusstest du eigentlich, dass Ruth eine hervorragende Golfspielerin ist?" „Kate, hast du eigentlich noch irgendetwas anderes an Kleidung mitgebracht?" fragte Ruth plötzlich. Kate sah an dem ausgewaschenen Pullover und den alten Jeans herab. „Nur noch ein Sommerkleid." „Ich glaube", Ruth sah Paddy an, „es würde deinem Vater bestimmt gefallen, dich als Trauzeugin zu haben, Kate. Und auch ich würde mich freuen." „Oh, das tue ich gern", stimmte Kate zu. Heißes Brennen stieg in ihr auf, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. „Ich brauche nur einige Minuten zum Umziehen. Ach, und dann musst du mir bitte ein Paar Schuhe leihen." Sie wandte sich um und lief zum Auto. Ich gehe zu einer Hochzeit, schluchzte sie innerlich. Aber nicht zu meiner eigenen ... wie ich es mir erträumt hatte ... Die Hochzeitszeremonie war kurz. Während der Standesbeamte die Trauungsformel sprach, verglich Kate ihre Liebe zu Andrew mit der vertrauten Harmonie, die zwischen Ruth und ihrem Vater bestand. Sie musste sich zwingen, nicht an Andrew zu denken, sondern sich auf die Trauung zu konzentrieren. Sie wollte den Freudentag von Ruth und Paddy nicht mit ihren Tränen belasten. Später tranken sie ein Glas Champagner auf das Wohl des glücklichen Paares. Wie unkompliziert ihre Verbindung ist, dachte Kate bewundernd. Wenn doch Liebe immer so sein könnte! „Bleib noch ein bisschen bei uns, Kate", meinte Ruth, als Kate aufbrechen wollte. „Wir haben in einem gemütlichen Restaurant einen Tisch bestellt." „Kommt nicht in Frage. Ihr zwei habt ein Recht darauf, allein zu sein", antwortete Kate und trug das Sommerkleid zum Wagen. Patrick und Ruth folgten ihr. „Ich hab dich lieb, Dad", verabschiedete sie sich von Paddy. „Jetzt werden wir uns eine Zeit lang nicht sehen, und solche Liebesbeteuerungen hörst du auch nicht oft von mir. Wir beide sind zum Kämpfen und Siegen geboren. Gefühle können uns nicht überwältigen." Patrick schien erleichtert. „Das klingt eher nach meiner kleinen, frechen Kate." „Auf Wiedersehen, Ruth. Alles Gute. Pass auf Dad auf, und seid glücklich." Ruth umarmte sie
wortlos. Bevor Kate abfuhr, der Motor lief schon, rief Paddy plötzlich: „Sind wir noch Kumpel, Katie-Mädchen?" Da war es wieder, ihr Schlüsselwort. „Klar, Paddy. Klar sind wir Kumpel." Sie warf ihm einen unsichtbaren Kuss zu, und er tat so, als finge er ihn aus der Luft auf. Kate startete. Durch einen Tränenschleier sah sie ihren Vater im Rückspiegel kleiner und kleiner werden. Kate hatte noch viel Zeit, die sie irgendwie ausfüllen musste. Nach Hause, in ihr Apartment, wollte sie nicht. So fuhr sie nach Carmel. Sie würde ein wenig die Schaufensterauslagen betrachten und sich auf dem Flohmarkt zerstreuen. Das würde sie ablenken. Es dunkelte schon, als sich Kate auf die Rückfahrt nach Silicon Valley machte. Im Kofferraum und auf dem Rücksitz hatte sie ihre Einkaufsschätze verstaut. In einer kleinen Kunstgalerie hatte sie das Bild einer französischen Landschaft entdeckt, das Erinnerungen in ihr Weckte. Sie musste es einfach erstehen. Auf dem Blumenmarkt hatte sie duftenden Lavendel erstanden, der ihr das französische Haus ins Gedächtnis zurückrief. Wenn ich schon nicht dort: sein kann, dachte sie, möchte ich wenigstens die Stimmung von damals aufleben lassen. Wenn ich die Augen schließe und den Duft einatme, fühle ich mich nach Frankreich zurückversetzt. Zum Abendessen hielt sie an dem Motel, in dem ihr zum ersten Mal Andrew begegnet war. An der Bar war das Licht abgedunkelt, und einen Moment glaubte sie, sie können Andrews hohe, schlanke Erscheinung im Schatten ausmachen. Ihr Herz setzte aus und hämmerte dann wild, als der Mann an der Bar bezahlte und sich aus dem Dunkel löste. Es war ein Fremder. Kate bestellte ihr Essen. Dann starrte sie gedankenverloren in die Flammen des Kamins. Paddy hatte gesagt, sie würde schon das Richtige tun. Wieso war er so sicher? Seit Andrew Carlson in ihr Leben getreten war, hatte Kate so viele Höhen und Tiefen durchgemacht, dass sie durchaus nicht mehr wusste, was richtig und was falsch war. Ihr war, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Als Andrew sie zum ersten Mal geküsst hätte, damals, in jenem märchenhaften Garten, da war sie sich wie Dornröschen vorgekommen, das der Prinz wach küsste. Bis dahin kannte sie diese Art Leidenschaft nur aus Büchern, und sie hatte darüber gelacht. Ob sie jemals wieder so lieben konnte? Welcher Mann kann sich überhaupt mit Andrew messen, dachte sie. Seltsam, kam es ihr in den Sinn. Früher habe ich immer geglaubt, kein Mann könne Paddy gleichkommen. Die Kellnerin brachte ihr das bestellte Steak, aber Kate hatte keinen Appetit. Es kam ihr fade vor wie das Leben ohne Andrew. Ich habe immer durch meinen Willen und harte Arbeit erreicht, was ich wollte, grübelte Kate. Aber nur in beruflicher Hinsicht, legte sie sich Rechenschaft ab, die Gefühle waren auf diese Art nicht zu meistern. Wie können wir nur zusammenfinden, Andrew und ich? Andrew, der in seiner Jugend herumgestoßen wurde und keine Liebe erfahren hat, kann meine Grundsätze natürlich nicht verstehen. Das wäre wohl auch zu viel verlangt. Kate ließ das Essen fast unberührt zurückgehen. Sie bezahlte und setzte ihre Fahrt fort. Man stirbt nicht an gebrochenem Herzen, ging es ihr durch den Kopf. Das Leben geht weiter. Man lernt, den Stürmen des Lebens zu trotzen, Hatte nicht auch Vater den Tod von Mutter verwinden müssen? Er hatte seine erste Liebe überlebt und eine neue gefunden. Kate wischte sich die Tränen aus den Augen. Das ist das letzte Mal, schalt sie sich, dass ich Andrew Carlsons wegen weine. Dieses Kapitel meines Lebens ist abgeschlossen. Plötzlich fühlte sie sich gestärkt. Er hatte sie tief verletzt, aber Paddys Worte sollten ihr Trost in ihrer Verzweiflung sein. Ich bin eine Halloran, sagte sie sich. Kate warf den Kopf in den Nacken. Und es gab etwas, was die Hallorans besser konnten als viele andere: das Leben meistern.
11. KAPITEL
Andrew schaute aus dem Fenster des Flugzeugs, ohne etwas wahrzunehmen. Seine Gedanken waren eine einzige Selbstanklage. Zeit. Nie habe ich Zeit gehabt, über mich und mein Leben nachzudenken, grübelte er. Jetzt habe ich mehr Zeit, als ich will. Der Flug nimmt und nimmt kein Ende. Und ich kann nichts tun, als mir alle Fehler vorzuwerfen, die ich gemacht habe. Wie konnte ich nur so verblendet sein? Alles, was ich gesagt und getan habe, war falsch. Kate ist so jung und unverdorben, und ich liebe sie. Und was habe ich getan? Ich habe ihre Gefühle verletzt, sie von mir gestoßen, sie aus meinem Leben verbannt. Ich hatte mir vorgenommen, auf Kate einzugehen und ihr Zeit zu lassen. Ich wollte sie umwerben. Er schloss die Augen und verabscheute sich für das, was er angerichtet hatte. Sie umwerben! Genau einen Tag seiner kostbaren Zeit hatte er ihr geopfert. Einen einzigen Tag! Und es war der glücklichste seines Lebens gewesen, wie er herausgefunden hatte. Jede Einzelheit war Andrew gegenwärtig. Kates Freude, dass sie den Sportwagen fahren durfte. Die Ölspuren auf ihrer Bluse und an den Händen, nachdem sie die Sicherung ausgewechselt hatte. Ihr Entzücken über die Geschenke. Ihre Aufregung bei der Rundfahrt mit dem Ballon. Wie schön war das Zusammensein beim Dinner gewesen! Welch Vergnügen, ihr beim Essen zuzusehen, wenn sie so heiter und glücklich war. Andrew konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so gelöst gewesen zu sein. Mit Kate zusammen hätte er die ganze Welt erobern können. Und nun hatte er sie verloren. Andrew war jetzt dreiunddreißig Jahre alt, und nun, zum ersten Mal in seinem Leben, hatte ihn Liebe überwältigt. Wenn er sich selbst charakterisieren sollte, dann würde er sich als erfolgreich bezeichnen, als leicht arrogant und erfahren im Umgang mit Frauen. Aber wenn er mit Kate zusammen war, fühlte er sich ihr ausgeliefert. Bisher hatte er bei Frauen dominiert, seinen Willen durchgesetzt. Nun war es ihm wichtig, Kates Eigenheiten und Empfindungen zu respektieren. Als Andrew sich entschieden hatte, in die Elektronikindustrie einzusteigen, hatte er so etwas wie Leidenschaft für die Aufgaben empfunden, die, sich ihm stellten. Er hatte geglaubt, dass die Liebe zum Beruf ein echter Ersatz für die Leere in seinem Leben wäre. Nach dem Scheitern der Ehe seiner Eltern, nachdem man ihn abgeschoben hatte, suchte er Beständigkeit in sein Leben zu bringen. Er wollte die Zukunft überschaubar, kontrolliert und sicher gestalten. Die Basis dafür hieß: eine erfolgreiche berufliche Karriere und persönliche Unabhängigkeit. Keiner Frau sollte erlaubt sein, in sein Leben einzubrechen und die selbst gewählte Ordnung durcheinander zu bringen. Bisher war es ihm auch nicht schwer gefallen, diesen Stil zu verteidigen. Doch nun war Kate in sein Leben getreten. Getrieben von seiner inneren Unruhen stürzte sich Andrew ins Gewühl, als er am Flughafen in New York eintraf. Er drängte an Bord der Maschine nach San Francisco. Als das Flugzeug landete, sah er übernächtigt aus. Er hätte sich dringend rasieren müssen, das Jackett war zerdrückt, und das vormals frisch gestärkte Hemd klebte ihm am Körper. Andrew trat das Gaspedal voll durch, und der Wagen schoss vorwärts. Er parkte vor Kates Haus, nahm immer drei Stufen auf einmal und klingelte. Niemand öffnete. Hatte sie ihn am Ende gesehen und wollte nicht aufmachen? Man hörte keinen Laut. Andrew ging die Treppe hinunter und ließ sich in einer Imbissstube Wechselgeld geben. Dann rief er bei Kates Vater an. Auch dort meldete sich niemand. Erneut wählte er. Noch einmal. Immer wieder. Dann gab er auf. Andrew machte einen Rundgang, klingelte, telefonierte, begab sich wieder auf die Runde, wiederholte seine Versuche. Alles erfolglos. Schließlich entschied er, vor Kates Apartment zu warten. Früher oder später musste sie ja nach Hause kommen. Diese Nacht, morge n oder übermorgen. Was machte das noch? Er würde ausharren. Bevor Andrew hinter dem Steuer einschlief, dachte er darüber nach, dass sein Wunsch, das Leben ohne Leidenschaften zu leben, erfüllt worden war. Ohne Kate gab es für ihn nur seine Karriere, den beruflichen Aufstieg. Ich werde enden wie mein Vater, überlegte er, immer auf der Suche nach einer Frau, die meinem Selbstgefühl schmeichelt, mit der einzigen Ausnahme, dass ich sie nicht, wie mein
Vater, heiraten werde. Ich werde einige Zeit mit ihr zusammenleben, bis ich ihrer überdrüssig bin. Dann werde ich sie fallen lassen. Und je älter ich werde, desto jünger wird die jeweilige Frau sein. Ich werde älter werden und verzweifelter, und immer einsamer. Das Scheinwerferlicht eines Autos ließ Andrew hochfahren. Ich habe geschlafen, wurde ihm klar. Die vergangene schlaflose Nacht und der lange Flug hatten ihn völlig erschöpft. Nun rieb er sich den schmerzenden Nacken. Wo war er? Für einen Augenblick konnte Andrew sich nicht zurechtfinden. Das Licht erlosch, erneut herrschte Dunkelheit. Eine Autotür fiel zu. Hoffentlich ist es Kate, dachte er. Kate war langsam nach Hause gefahren. Der Gedanke an ihre leere Wohnung erschreckte sie. Sie fühlte sich zerschlagen. Ein Bad wurde ihr gut tun und dann ein tiefer, traumloser Schlaf. Als sie aus dem Auto stieg, erkannte sie in der Dunkelheit einen Porsche, der ohne Licht vor dem Haus geparkt war. Stürmische Erregung packte Kate, der Puls raste. War es Andrew? Wo war er? Saß er auf den Stufen vor ihrer Wohnung? Oder im Foyer? Kate hastete zum Eingang und versuchte dabei, den Haustürschlüssel in ihrer Handtasche zu finden. Endlich hatte sie Erfolg. Doch nun zitterte ihre Hand so, dass es ihr nicht gelang, ihn ins Schlüsselloch zu stecken. Ihre Aufregung nahm zu, ihre Bemühungen wurden immer erfolgloser, als jemand den Schlüssel ergriff und aufschloss. Es war Andrew. Er sah übermüdet aus, die Haare hingen wirr in die Stirn, die Augen waren blau umschattet. Kate unterdrückte einen Schreckensruf. „Du siehst ja furchtbar aus." „Vielen Dank für das Kompliment." Andrews Stimme war rau. „Ich bin bestimmt um die halbe Welt gereist, um diese Bemerkung von dir zu hören." Sein Blick umfasste ihre Erscheinung, die Jeans, das T-Shirt und die bloßen Füße in den Sandaletten. „Und du, Halloran, siehst mal wieder ... typisch aus." Sie erreichten schweigend die Wohnung, und Kate trat ein, ohne ihn zum Mitkommen aufzufordern. Andrew folgte ihr und schloss die Tür. Er beobachtete, wie sie nervös hin und her eilte, hier etwas ordnete, dort etwas zurechtrückte. „Wie lange wartest du schon?" „Seit Stunden." „Hattest du einen guten Flug?" „Nein." „Dann eben nicht." Kate ging in die Küche, um Tee zuzubereiten. Andrew folgte ihr und ließ keinen Blick von ihr. „Deine kurzen Antworten lassen vermuten, dass du nicht hierher gekommen bist, um Konversation zu machen?" fragte Kate schließlich. „Du hast einfach den Hörer aufgelegt, Kate. Ich sah keine andere Möglichkeit, als zu dir zu kommen und dich zu zwingen, mir zuzuhören." Andrew gab sich große Mühe, beherrscht zu bleiben. „Andrew, ich glaube, du hast mich noch immer nicht verstanden. Du kannst mich nicht zu etwas zwingen, was ich nicht tun will." Er sah, dass ihre Augen blitzten, ganz wie früher, wenn Zorn in ihr hochstieg und das Temperament mit ihr durchging. „Das weiß ich. Manchmal überlege ich mir meine Worte nicht so genau", lenkte Andrew ein. „Ich würde dich nie zu etwas zwingen wollen." „Gut. Wenn du mir das sagen wolltest, dann ist es jetzt heraus. Ich habe nun genug von dem Gespräch." Andrew ging quer durch den Raum zur Tür. Kate wurde etwas versöhnlicher. „Tee?" Andrew blieb stehen. „Nein." Kate schenkte sich eine Tasse ein und setzte sich an den Esstisch. „Ich bin müde, Andrew. Es ist spät, und ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir." Ausdruckslos blickte sie ihn an. „Ist noch etwas?" „Du machst es mir nicht leicht, Kate." Sie bemerkte seine angespannte Haltung. „Das stimmt."
Andrew nahm eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Dabei beobachtete Kate, dass seine Hand leicht zitterte. „Telefongespräche können unbefriedigend sein", begann Andrew. „Ich habe dich so sehr vermisst, dass ich einfach nicht schlafen konnte. Ich habe in all den Tagen nur an dich gedacht." „Du hättest stattdessen arbeiten sollen." Scheinbar ungerührt trank Kate den Tee. Er war zu heiß, und sie verbrannte sich die Zunge. Andrew fuhr zornig auf. „Ich wusste bis heute gar. nicht, dass du grausam sein kannst." Er machte einige Schritte auf Kate zu, fasste sie am Arm und zog sie hoch. „Lassen wir das Katz- und-Maus-Spiel, Kate. Wir wissen beide, warum ich hier bin." „Nein, ich fürchte, einer von uns tappt noch im Dunkeln. Ich dachte, das Telefongespräch von gestern Nacht hat alles geklärt." Kate entzog sich seinem Griff und ging zum Fenster. Ich muss Distanz halten, dachte sie. Wenn ich fest bleiben und ihn fortschicken will, darf er mich nicht anfassen. Wenn er mich berührt, verliere ich meine Fassung. Andrew stellte sich neben Kate, vermied aber jeden körperlichen Kontakt. Ich muss ihr erst alles sagen, war ihm klar. Wenn ich ihr zu nahe komme, verliere ich die Beherrschung. Das darf nicht sein. Es ist meine letzte Chance, Kate zu überzeugen. „Ich weiß nicht, wann ich mich mit deiner Person zu beschäftigen begann, Kate. Ich hatte vor, dich während meiner Einarbeitungszeit auf deinem Posten zu belassen und mir dann eine Assistentin meiner Wahl auszusuchen. Ich hatte nicht vor, dich als Frau wahrzunehmen." Andrew bemerkte, wie sich Kates Haltung versteifte. „Komplikationen wollte ich nicht, und persönliche Beziehungen sind immer damit verbunden. Ich habe mein Leben nach meinen Vorstellungen geplant, alles vermieden, was sich meinen Berechnungen entzieht. Doch du warst unberechenbar, und so wurdest du die Komplikation meines Lebens." Aufmerksam hatte Kate zugehört. Sie sah Andrews zerzaustes Haar, das verklebte Hemd, seine gequälte Miene. Instinktiv streckte sie die Hand aus, aber Andrew wich zurück. „Nein, lass mich zu Ende sprechen. Du bist mir unentbehrlich geworden, Kate. Ich respektiere deine Gefühle und deine Ansichten über Liebe und Ehe. Zuerst habe ich dich nicht verstanden, aber versucht, deine Einstellung zu akzeptieren. Jetzt habe ich erkannt, was du meinst, und ich teile deine Überzeugung. Tiefe Gefühle auf Zeit gibt es nicht. Wenn man liebt, dann will man einen Partner für das ganze Leben." Andrew machte eine Pause. „Als ich dich anrief, war ich so einsam und allein, dass ich dachte, ich könnte es keinen Tag länger ohne dich aushalten. Als ich dir sagte, du solltest nach Frankreich kommen, meinte ich nicht, dass wir damit ein Verhältnis auf Zeit eingehen wollten. Ich wollte dich fragen, ob du mich heiratest." Kate glaubte, ihr Herz müsse vor Liebe zerspringen. Trotzdem blieb sie noch kühl. „Als du anriefst, Andrew, hast du mich keineswegs gefragt. Du hast angeordnet. Du hast befohlen, ich solle sofort packen und mit dem nächsten Flugzeug zu dir kommen." „Ich weiß nicht, was ich gesagt habe. Ich dachte, ich hätte dich gebeten. Ich wollte nicht befehlen!" „Dann frag mich jetzt", bat Kate. Fassungslos starrte Andrew sie an. „Na los. Frag mich." „Kate, willst du mich heiraten?" Kate musste lachen. „Unsere Kinder werden es später gewiss nicht glauben, wenn sie hören, welch romantischen Antrag du mir gemacht hast." „Antworte bitte!" Kate legte die Arme um Andrew. „Ach, Andrew", flüsterte sie ihm ins Ohr, „natürlich will ich dich heiraten." „Wirklich? Ganz bestimmt?" Andrew drückte sie fest an sich, spürte ihren schlanken, weichen Körper. „Ich dachte schon, ich hätte dich verloren, Kate. Ich liebe dich so sehr."
Sein Kuss sagte ihr mehr als alle Worte. Leidenschaftlich beantwortete sie seine Zärtlichkeit, ließ ihn ihre Sehnsucht, ihr Verlangen spüren. Doch plötzlich hielt Andrew Kate ein wenig von sich ab und versuchte, mit möglichst ärgerlicher Miene streng zu sagen: „Mach das nie wieder mit mir, hörst du, Halloran! Häng nie wieder den Hörer auf! Versprich mir das!" Kate passte sich dem Ton an. „Ich verspreche es hiermit feierlich, Andrew Carlson!" Dann lachte sie. „Von nun an sind wir sowieso immer zusammen. Aber eins wird sic h wohl nicht verhindern lassen. Hin und wieder werden wir sicher streiten." „Halloran, ich mag es, wenn wir uns in die Haare kriegen. Du wirkst so aufregend, wenn du zornig bist." Arm in Arm gingen sie zur Couch. „Aber es gibt noch ein Problem", sagte Kate. Andrew wurde steif vor Ablehnung. „Welches?" „Du wirst einen anderen Namen für mich finden müssen. Ich glaube, die Leute würden es komisch finden, wenn du deine Frau ,Halloran’ nennst." „Wie wäre es mit ,Liebling’?" Sie gab ihm einen leichten Stoß in die Seite. „Nein, das ist nicht deine Ausdrucksweise." Andrew küsste zärtlich die Mulde von Kates Halsansatz. „Du bestehst hoffentlich nicht auf einer Trauung mit Onkeln und Tanten und vielen kleinen Blumenmädchen?" Kate genoss seine Liebkosungen. „Keine große Hochzeit", versprach sie. „Nur wir beide." Kate war erstaunt über die Intensität ihrer Gefühle. Das war die Erfüllung ihrer Träume, ihrer Hoffnungen und Sehnsüchte. Das war die große Liebe. Andrews Verlangen wuchs, seine Küsse wurden fordernder, seine Liebkosungen eindringlicher. Mit der Hand glitt er unter Kates Pullover und streichelte ihre weiche Haut. „Sollen wir in Carmel heiraten mit Paddy als Trauzeuge?" Bei der Erwähnung ihres Vaters hob Kate den Kopf. „Ach, Andrew, du weißt ja noch gar nicht ..." Andrew küsste ihre Nasenspitze. „Was weiß ich nicht?" „Paddy und Ruth haben heute geheiratet. Ich bin gerade von ihrer Hochzeit gekommen." „Das gibt es doch nicht!" „Du hattest Recht mit Ruth. Sie ist eine wunderbare Frau. Es war Ruths Idee, dass ich Trauzeuge sein sollte. Jetzt sind sie auf eine Kreuzfahrt gegangen." „Schade, dass ich das nicht früher gewusst habe. Sonst hätten wir eine Doppelhochzeit gefeiert." „Übrigens", meinte Andrew dann, „ich habe auch eine Überraschung für dich." „Welche denn?" „Ich habe beiläufig Madame Dumas erzählt, dass ich in Frankreich bleiben werde. Sie meinte, dass du hoffentlich auch herüberkommen würdest. Du wärest der einzige Mensch auf der Welt, der das schöne alte Haus genauso liebt wie sie." Andrew wartete Kates Reaktion nicht ab. „Was hieltest du davon, wenn wir das Haus kauften? Ich bin sicher, die Dumas wären einverstanden. Sie haben keine Kinder oder nahe Verwandten. Wir könnten ihnen die Familienangehörigen ersetzen." „Andrew! Meinst du, das würden sie tun?" „Bestimmt, wo dich Madame Dumas so ins Herz geschlossen hat." „Ich würde so gerne dort wohnen. Auch ich habe das Landhaus vom ersten Augenblick an gemocht," „Kate, wir müssen sofort heiraten. Ich kann nicht länger warten." Leidenschaftliches Begehren sprach aus seinen Worten. Er griff sanft unter ihren Pullover, seine Hände umfassten ihre Brüste. „Wie lange mag die Wartefrist betragen, bis Ausländer in Frankreich die Heiratserlaubnis erhalten?" Kate knöpfte vorsichtig Andrews Hemd auf. „Was tut das? Ich kenne ein romantisches Haus, wo wir es uns gemütlich machen können bis zur Trauung." - ENDE