Uwe Wolff
Alles über die gefallenen Engel Aus dem Wörterbuch des Teufels scanned by unknown corrected by KoopaOne
Geister, Hexen, Dämonen und Magier sind allgegenwärtig - Harry Potter und Halloween, Herr der Ringe und Satansmessen stehen hoch im Kurs. In der Kirche und im Religionsunterricht dagegen ist seit Jahrzehnten nicht mehr von Geistern und Teufeln die Rede. Das vorliegende Buch gibt in lexikalisch gegliederten Stichworten Auskunft über die »gefallenen Engel«. Es erhellt die Hintergründe des Geister-, Hexen-, Dämonenund Teufelsglaubens, verfolgt ihre Entstehungsgeschichten und erzählt kenntnisreich und hintergründig, welche Vorstellungen im Volksglauben lebendig waren und heute noch sind.
ISBN 3 7831 2152 3 © 2002 Kreuz Verlag GmbH & Co. KG Stut tgart, Zürich Umschlagbild: Hugo Simberg, Der verwundete Engel, 1903 Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Über das Buch: Über 60 Prozent der Deutschen glauben an Schutzengel. Mit der Wiederkehr der Engel rücken aber auch die gefallenen Engel wieder in den Blick. Sind sie eine Erfindung der Kirche? Gibt es sie wirklich? Fördern die Lektüre von »Harry Potter« oder das Hören von Death- und Heavy Metal-Musik indirekt die Hinwendung zum Okkultismus oder Satanismus? Gibt es Geister auch in außerchristlichen Religionen? Was steckt hinter dem Glauben an Hexen? Was ist ein Teufelspakt? Erscheinen Tote als Geister wieder? Können gefallene Engel wieder zu richtigen Engeln werden? Was unterscheidet den kriminellen Satanismus vom Protestsatanismus der Kunst, der Dichtung und der Pop-Musik? »Alles über die gefallenen Engel« macht Eltern, Erziehern, Lehrern, Schülern und allen, die mit Jugendlichen zusammenarbeiten, Mut, den Hintergrund des Geister-, Hexen-, Dämonen- und Teufelsglaubens zu erhellen.
Der Autor
UWE WOLFF, geboren 1955, Dr. phil., ist Studiendirektor, Publizist und Autor von Romanen und Sachbüchern. Er schreibt regelmäßig für überregionale Zeitungen, u.a. Neue Zürcher Zeitung, Die Zeit, Welt am Sonntag, und veröffentlichte schon mehrere erfolgreiche Bücher über Engel.
»Gerade im Blick auf das Böse ist uns die sich selbst so nennende Aufklärung eine radikale Aufklärung schuldig geblieben. Auch die Theologie ist sie der Zeit bisher schuldig geblieben. Böse ist trotz der ungeheuren Exzesse von Bosheit, die das zu Ende gegangene Jahrhundert kennzeichnen, noch immer eine bourgeoise, eine verbürgerlichte und insofern auch schon verharmloste Kategorie.« (Eberhard Jüngel in der FAZ vom 18. Januar 2000)
Für Heimo Schwilk
Inhalt Einführung: Harry Potter und die Wiederkehr der Magie ............8 Angst ....................................................................................10 Antichrist ..............................................................................12 Apokalypse ...........................................................................14 Beelzebub .............................................................................17 Behemot und Leviathan..........................................................18 Belial....................................................................................19 Besessenheit ..........................................................................20 Blocksberg ............................................................................22 Das Böse...............................................................................25 Böser Blick ...........................................................................28 Aleister Crowley....................................................................29 Dämonen...............................................................................34 Eheteufel...............................................................................35 Elementargeister ....................................................................36 Engelsturz.............................................................................39 Erscheinungsbild des Teufels..................................................41 Exorzismus............................................................................43 Der Exorzist (Film) ................................................................49 Farben des Teufels .................................................................50 Fatima ...................................................................................51 Faust.....................................................................................54 Fegefeuer..............................................................................57 Franz von Assisi....................................................................61 Sigmund Freud ......................................................................64 Gebet....................................................................................66 Geister ..................................................................................66 Georg, der Drachentöter.........................................................71 Gnosis ...................................................................................75 Gog und Magog .....................................................................77 Gothic-Szene .........................................................................79
Halloween.............................................................................83 Hell's Angels .........................................................................84 Hexen...................................................................................85 Hexenring .............................................................................90 Hiob......................................................................................91 Hirnforschung .......................................................................94 Hölle .....................................................................................95 Homosexualität.................................................................... 103 Internet ............................................................................... 105 Islam................................................................................... 107 Jesus ................................................................................... 110 Judas................................................................................... 114 Judentum............................................................................. 123 Carl Gustav Jung ................................................................. 127 Kain und Abel ..................................................................... 132 Katholizismus ...................................................................... 133 Krimineller Satanismus ........................................................ 137 Leiden................................................................................. 140 Jakob Michael Reinhold Lenz ............................................... 144 Liebeszauber ....................................................................... 149 Lilith................................................................................... 152 Lucifer ................................................................................ 152 Martin Luther ...................................................................... 154 Magie.................................................................................. 156 Manichäer ........................................................................... 159 Charles Manson................................................................... 161 Marilyn Manson .................................................................. 162 Heilige Margarete ................................................................ 164 Mephistopheles.................................................................... 165 Moloch ............................................................................... 166 Musik ................................................................................. 167 Mutterschwein ..................................................................... 169 Neosatanismus ..................................................................... 170 Neutrale Engel..................................................................... 174 Okkultismus ........................................................................ 176
Heiliger Patrick.................................................................... 178 Pentagramm ........................................................................ 183 Poltergeister ........................................................................ 183 Protestsatanismus................................................................. 186 Rangordnung unter Teufeln .................................................. 191 Redensarten......................................................................... 194 Rolling Stones ..................................................................... 196 Rosemary's Baby (Film) ....................................................... 200 Der Fall Ruda ...................................................................... 202 Satan, Diabolos und Teufel................................................... 207 Satanskirche ........................................................................ 208 Schwarze Messe .................................................................. 209 Schwarzer Mann.................................................................. 216 666 ..................................................................................... 217 Sexualität ............................................................................ 218 Spukorte.............................................................................. 224 Sündenbock......................................................................... 225 Sündenfall........................................................................... 226 Sündenstufen....................................................................... 230 Taufe .................................................................................. 231 Teufelspakt.......................................................................... 232 Das große Tier..................................................................... 234 Vampire .............................................................................. 234 Versöhnung ......................................................................... 237 Versuchungen...................................................................... 237 Vorgeburtliches Trauma ....................................................... 242 Wiedergänger ...................................................................... 247 Zarathustra.......................................................................... 249 Zombies .............................................................................. 251 Zum Schluß: Was ist ein gefallener Engel, und warum interessieren sich gerade junge Menschen für dieses Thema?.. 252 Literatur in Auswahl ............................................................ 258
»Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen, verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum doch seine Macht nicht über uns.- Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.« Lessing
Einführung: Harry Potter und die Wiederkehr der Magie Nicht nur Kinder lieben spannende Geschichten von magischen Welten mit Zauberern, Wiedergängern, Unholden und bösen Geistern. Das Geheimnisvolle und Verborgene zieht uns an. Warum eigentlich? Wir wissen doch, daß es Professor Snape, Rubeus Hagrid, Voldemort, die Hobbits oder Orks, die ganze Welt von »Harry Potter« oder von Tolkiens »Herr der Ringe« nicht wirklich gibt. Der Grund für unsere Faszination hat vielleicht einen einfachen Grund: Wir erkennen in ihm die andere Seite unserer eigenen Natur wieder. Wir sind wie eine alte Burg mit vielen dunklen Geheimgängen. Wir haben eine helle und eine dunkle Seite. In der Burg unserer Seele gibt es von Licht erfüllte Räume und Türme, die sich den warmen Strahlen der Sonne entgegenstrecken. Das Licht der Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis leuchtet in ihnen. Doch niemals wissen wir vollständig, wer wir wirklich sind. Viele Geheimgänge unserer Seele sind noch zu entdecken, andere bleiben uns vielleicht ein Leben lang verborgen. Die lichte und die dunkle Seite unserer Seele finden in der Welt der guten und bösen Geister ihr Spiegelbild. Licht und Schatten, Engel und Teufel, Gutes und Böses sind in uns selbst. Auch Jugendliche spüren dies. Daher rührt ihr Interesse an -8-
Magie, Okkultismus, Spiritismus und Satanismus. Über 60 Prozent der Deutschen glauben an Schutzengel. Mit der Wiederkehr der Engel rücken aber auch die gefallenen Engel wieder in den Blick. Sind sie eine Erfindung der Kirche? Gibt es sie wirklich? Fördern die Lektüre von »Harry Potter« oder das Hören von Death- und Heavy Metal Musik indirekt eine Hinwendung zum Okkultismus oder Satanismus? Gibt es Geister auch in außerchristlichen Religionen? Wo tauchen sie auf? Welche Gefahren gehen von ihnen aus? Was steckt hinter dem Glauben an Hexen? Was ist ein Teufelspakt? Erscheinen Tote als Geister wieder? Können gefallene Engel wieder zu richtigen Engeln werden? Was unterscheidet den kriminellen Satanismus vom Protestsatanismus der Kunst, der Dichtung und der Pop-Musik? »Alles über die gefallenen Engel« will Eltern, Erzieherinnen, Lehrern, Schülern und Schülerinnen und allen, die mit Jugendlichen zusammenarbeiten, Mut machen, den Hintergrund des Geister-, Hexen-, Dämonen- und Teufelsglaubens zu erhellen. Ich schreibe dieses Buch als Vater von drei Kindern, als Ausbilder von Lehrern und als Autor von sechs Engelbüchern. Mit diesem Wörterbuch will ich Licht in die Welt der gefallenen Engel bringen. Es ist ein Kommentar zum Zeitgeist, zu dem, was zur Zeit »abgeht«. Manchmal ernst, gelegentlich heiter im Stil, doch stets informierend und aufklärend über jahrtausende alte Vorstellungen, die noch immer lebendig sind. Ich denke, Goethe hat Recht, wenn er sagt: »Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen und flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn er einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt.«
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Angst »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« Mit dieser Frage beginnt ein altes Kinderspiel. Die Antwort darauf mußte lauten: »Niemand!« Dann hatte der »schwarze Mann« die nächste Frage zu stellen: »Wenn er aber kommt?!« - »Dann laufen wir!« Der schwarze Mann oder kurz »der Schwarze« war der Teufel. Offenbar gibt es eine Scheu, seinen Namen direkt auszusprechen. Warum eigentlich? Irgendwann verdunkelt der schwarze Schatten der Angst jede Kindheit. Der zweijährige Golo Mann sieht in allem Unheimlichen das Wirken eines geheimnisvollen Wesens. Er gibt ihm den Namen »Mämä«. Unbekannte Geräusche im Haus, Hämmern in der oberen Etage, ein unvorhersehbares Geschehnis - immer ist es die Mämä, die ihm Angst in die Seele jagt, so daß sich das Kind verkrampft und fortbegehrt. »Heut nacht hab ich einen Zweerg geträumt, daß er bees war«, notiert die Mutter des Dreieinhalbjährigen ins ledergebundene Tagebuch. Sie verlangt nach genauerer Auskunft, doch Golo entgegnet vieldeutig verschmitzt: »Beese, beese Sachen.« Niemand redet den Kindern die Angst vor den dunklen Kräften ein. Sie brechen auch in die behütetste Kindheit ein, wie die Schlange ins Paradies. Das Kind gibt die Furcht vor den Dämonen der Nacht zu. Es kommt zu den Eltern ins Schlafzimmer, weint, wird getröstet und darf vielleicht neben der Mutter einschlafen, so als wäre ihm für eine Nacht die Rückkehr in die Geburtshöhle gestattet. Doch wenn es neun oder zwölf Jahre alt ist: Wer singt dann gegen die Angst, wer kuschelt sie weg? Die Furcht vor den Schatten der Nacht gilt jetzt als kindisch und unbegründet. Auch Golo Mann gibt den Mächten einen anderen Namen. Was ihn ängstigt, heißt nicht mehr »Mämä«, sondern »Mörder« oder »Einbrecher«. Das -10-
klingt rationaler und zählt in der Welt der Erwachsenen als realistische Bedrohung. Golos Zimmer lag im zweiten Stock. Wenn er nachts die Toilette aufsuchte, pflegte er niemals die Kettenspülung zu ziehen. Seine Mutter befremdet die unzureichende Hygienemaßnahme, und sie fragt nach dem Grund des seltsamen Verhaltens. Golo erklärt, er habe es vermeiden wollen, durch laute Geräusche Einbrecher anzulocken. Das war eine Notlüge. »Der wahre Grund war ein anderer: die Angst, durch das Rauschen des Wassers die Stille der Nacht zu durchschneiden und Kräfte zu wecken, die besser ungeweckt blieben.« Welche Kräfte und Energien sind gemeint? Nicht die naheliegenden, nicht die Ungeduld des Vaters oder der Mutter, überhaupt nichts Sagbares, eher das namenlose Unheimliche. Längst berühmt geworden durch seine Arbeiten, weilt Golo Mann als Gast der Prinzessin Margret von Hessen auf einem Jagdschlösschen. Für den Historiker ist es eine Freude, im so genannten Zarenzimmer schlafen zu dürfen. Doch in der Nacht holt ihn die »Mämä« ein. Namenloser Schauder erfasst ihn am Waschtisch, es läuft dem Historiker eiskalt über den Rücken. Die Haare sträuben sich, das Blut in den Adern gerinnt. Was greift nach ihm? Dem wortgewandten Mann fehlen die Worte, er rettet sich in Redewendungen, weil sich nicht anders sagen läßt, was die Nacht durchdringt und nach ihm greift. Wer kennt den Schatten der Angst und des hilflosen Ausgesetztseins, wer kennt seinen Namen? Die Angst steht im Zarenzimmer, sie sitzt dem Historiker im Nacken: »Zweimal erfuhr ich es in Augenblicken höchster Erregung oder tiefster Erschütterung: ein mit nichts Anderem zu verwechselndes heißes ›Kribbeln‹ im ganzen Körper.« Er könnte den Ort verlassen, durch die Flure des Schlosses eilen, an die Zimmertür der Prinzessin klopfen. Doch was sollte er ihr sagen? Etwa, daß er sich vor Gespenstern fürchte? Die Angst, sagt der Philosoph Martin Heidegger, gehört zu -11-
den Grundmustern unseres Lebens. Wer lebt, hat Angst. Niemand muß den Teufel an die Wand malen. Die Angst ist auch ohne ihn in unserer Seele. Angst vor der Finsternis, Angst vor Selbstverlust, Angst vor Liebesentzug, Angst vor dem Tod. Im Teufel werden diese Ängste personifiziert. Sie erhalten einen Namen und eine Gestalt. »Angst fressen Seele auf« heißt es treffend in einem der Filme von Rainer Werner Fassbinder. Ängste kann man nicht wegreden. Sie sind da. Selig, wer ihnen eine Gegenmacht zur Seite gestellt weiß: »In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.« (Johannes 16.33)
Antichrist Das Auftauchen des Antichristen galt als sicheres Zeichen für das bevorstehende Ende dieser Welt (1. Johannes 2.18) und den Beginn eines neuen Lebens in ewigem Frieden. In der Apokalypse des Johannes (Apk 13.11-18) wird der Antichrist beschrieben: Er verführt die Christen zum Glaubensabfall. Mit geschickter Propaganda und durch Gewalt zwingt er alle Menschen zur Anbetung des großen Tieres (siehe dort). Wer sich den Anweisungen dieses Diktators nicht beugt, wird getötet. Alle Menschen bekommen unter der Herrschaft des Antichristen ein Erkennungszeichen an der Stirn oder der Hand. Dieses Zeichen ist die Zahl 666 (siehe dort). Der Antichrist ist also das Urbild eines totalitären Herrschers, der rücksichtslos über Leichen geht. Das Wort »Antichrist« bedeutet »Gegenchristus«. Jesus selbst hatte seine Gemeinde gewarnt: Es werden zahlreiche falsche Propheten kommen und sich als Christus ausgeben (Matthäus 24.5). Deshalb wird der Antichrist auch als »falscher Prophet« bezeichnet. Auf dem Haupt trägt er die Hörner eines Schafsbockes. Obwohl seine Macht groß ist, steht doch sein ewiges Schicksal schon jetzt fest: Er wird in den -12-
Flammen der Hölle schmoren (Apokalypse 20.10). Da der Antichrist nicht nur ein Urbild des Schreckens war, sondern auch ein Zeichen für die unmittelbar bevorstehende Erlösung, hielten viele Christen Ausschau nach ihm. Martin Luther (siehe dort) wollte in Papst Paul III. (1534-1549) den Antichristen erkannt haben. Das Papsttum selbst sah er als Erfindung des Teufels an, wie er in seiner Kampfschrift »Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet« (1545) bekennt. Unter dem Titel »Der Antichrist. Fluch auf das Christentum« (1888) hat Friedrich Nietzsche gegen den Glauben an Jesus Christus und die christliche Moral gewettert. Mit der Vollendung der Niederschrift am 30. September 1888 will er die neue Zeitrechnung eines nachchristlichen Äons begonnen wissen. Er verkündigt einen »Todkrieg gegen das Laster: das Laster ist das Christenthum«. Nietzsches Gedanken haben den Satanisten Aleister Crowley (siehe dort) beeinflusst. Wie viele Menschen, die sich in Abgründiges hineingedacht haben, ist auch Nietzsche wahnsinnig geworden. Ob dies auch das Schicksal des Sängers Marylin Manson (siehe dort) sein wird, bleibt abzuwarten. Auf seiner CD gibt er sich selbst den Titel »Antichrist Superstar« (2001). Im Zeitalter der elektronischen Datenübertragung hat der Antichrist selbstverständlich eine eigene Website (www.ANTICHRIST.com/acim.htm). Doch wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch: Arnold Schwarzenegger nimmt in dem Film »End of Days« (1999) den Kampf gegen den Antichristen auf. Der Film beginnt 1979 in New York City: In einem Krankenhaus in Manhattan kommt ein Kind zur Welt, ein wunderschönes kleines Mädchen. Gleichzeitig, 10000 Kilometer entfernt, wispert ein junger Priester dem Papst zu, daß sich eine geheimnisvolle Prophezeiung erfüllt habe. Das kleine Mädchen trägt den Namen Christine. Es ist auserwählt, sich im Jahre 1999 mit dem Satan zu vermählen, um den Antichristen zu empfangen. Arnold Schwarzenegger, der sonst als Terminator -13-
eine moderne Version des Teufels verkörperte, hat in diesem Film die Aufgabe, die Zeugung des Antichristen zu verhindern. In der Rolle des heruntergekommenen Ex-Polizisten Jericho Cane versucht er, Christine Beistand zu leisten. Doch woran ist ein moderner Teufel zu erkennen? Sicher nicht an Pferdefuß und Schwefelatem. Er tritt vielmehr in der Gestalt eines seriösen Geschäftsmannes auf. Gabriel Byrne verkörpert im Film die Rolle des Teufels. Er kommentiert: »Ich wollte bei dem Gedanken bleiben, daß der Teufel schon immer in Menschengestalt unter uns weilte. Er könnte der Typ sein, der neben dir in der Bar oder in einem Flugzeug sitzt. Du würdest nicht zweimal hinschauen. Er ist ein ruhiger, überlegter Geschäftsmann. Es gefällt ihm, wieder lebendig zu sein. Es gefällt ihm in dieser wahnsinnigen Welt.« Jericho Cane besiegt den Teufel nach klassischem Muster: Er opfert sich selbst, gibt sein Leben für das Christines.
Apokalypse Unter dem Titel »Apocalypse Now« (1976-79) verfilmte der Regisseur Francis Ford Coppola seine Sicht des VietnamKrieges. Mit dem Wort »Apokalypse« verbinden wir Bilder vom Weltuntergang: Umweltzerstörung und atomare Verstrahlung der Erde, das wachsende Ozonloch über der Antarktis, das Aussterben ganzer Tierarten, zunehmende Gewalt in den Großstädten, Hungersnöte in der »dritten« Welt, militärische Konflikte. In allen Religionen gibt es Apokalypsen. Ihr Thema ist nicht nur das Ende der Welt, sondern vor allen Dingen die Zeit nach dem Weltuntergang. Apokalypsen sind Enthüllungen einer geheimnisvollen Wirklichkeit hinter dem Schleier der sichtbaren Welt. Sie gehen zurück auf eine Offenbarung in Bildern (Visionen) und Worten (Auditionen). Diese geheime -14-
Offenbarung wird für einen begrenzten Leserkreis aufgeschrieben. Nur er soll in das Geheimwissen eingeweiht werden. Fünf typische Merkmale kennzeichnen eine Apokalypse: 1. Zwei-Äonen- Lehre: Die Weltgeschichte ist in zwei Zeitalter oder Äonen eingeteilt. Dieser Äon ist vergänglich, der kommende Äon ist ewig. 2. Jenseitshoffnung: Der gegenwärtige Äon wird vom Teufel regiert. Es herrscht ein sittlicher und religiöser Niedergang, doch in der Zukunft wird alles besser werden. Mit dem neuen Äon kommt das Paradies. Alle Menschen, die im ersten Äon unter dem Satan gelitten haben, werden in der kommenden Welt für ihre irdischen Leiden entschädigt werden. 3. Weltgericht: In den neuen Äon gelangt der Mensch nur durch ein Gericht. Hier werden die Guten von den Bösen getrennt. 4. Vorherbestimmung: Das Schicksal der Menschen ist vorherbestimmt (prädestiniert). Schon jetzt steht fest, wer im Weltgericht nicht bestehen wird. Gott hat das Schicksal des Menschen im »Buch des Lebens« verzeichnet. 5. Naherwartung: Das Ende der Welt und der Beginn des neuen Zeitalters sind nahe. Die Gegenwart ist eine Zeit des Umbruchs. Zwischen den alten und den modernen Apokalypsen gibt es einen wesentlichen Unterschied: Während wir mit der Apokalypse ausschließlich den Untergang unserer Welt verbinden, dachten fromme Juden an den Beginn einer neuen friedlichen Zeit. Die ersten Christen hatten geglaubt, sie würden noch das Ende dieser Welt und den Anfang des neuen Lebens im Himmel erleben. Doch es kam anders. Die Wiederkehr Christi und die Vollendung der Erlösung verzögerten sich. Im römischen Reich wurden die Christen sogar wegen ihres Glaubens verfolgt und ermordet. Erst unter Kaiser Nero, dann -15-
unter Domitian (95 n. Chr.), der als »wiedergekehrter Nero« bezeichnet wurde. In den römischen Arenen wurden die Christen in Tierfelle eingenäht und von Hunden zerfleischt, ans Kreuz geschlagen, zum Zweck nächtlicher Beleuchtung mit Pech bestrichen und verbrannt. Wie hält ein Mensch diese Situation äußerster Bedrohung aus? Wie schafft er es, jetzt seinem Glauben nicht abzuschwören? Eine Antwort auf diese Fragen versucht die Apokalypse des Johannes zu geben. Inmitten der Aussichtslosigkeit irdischer Verhältnisse richtet Johannes einen Blick hinter den Schleier der Zeit. Was die Gemeinde in diesem Äon erlebe, sei Teil eines kosmischen Ringens zwischen den guten und den bösen Mächten, zwischen dem Erzengel Michael und dem Satan. Im Kernstück der Apokalypse (Apk 12-14) steht die bekannte Teufelszahl 666 (siehe dort), hier tauchen auch die berühmten Widersacher Christi auf: Der Satan (siehe dort), der Antichrist (siehe dort) und das große Tier (siehe dort). Im modernen Satanismus werden diese Widersacher Christi positiv gewertet. Auch schreiben ihnen Satanisten eine größere Macht als Gott zu. Aus Sicht der Apokalypse des Johannes zeugt dieser Glaube an die Macht Satans von einer groben Unkenntnis der wahren Machtverhältnisse. Denn Teufel, großes Tier und Antichrist werden im kommenden Äon keine Macht mehr haben. Ihr Ende ist vorherbestimmt: Michael hat den Teufel bereits aus dem Himmel verstoßen. Jetzt sind seine Tage gezählt. Deshalb heißt auch einer der zentralen Sätze der Apokalypse: »Denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.« (Apokalypse 12.12) Während einer Friedenszeit von eintausend Jahren, dem so genannten tausendjährigen Reich, wird der Satan in der Unterwelt angekettet. Anschließend wird er ein letztes Mal losgelassen. Zusammen mit anderen teuflischen Mächten, Gog und Magog, dem Antichrist und dem großen Tier werden sie für alle Zeit »geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel«, wo sie -16-
»gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit.« (Apokalypse 20.10) Dann endlich wird es keine Verfolgung mehr geben, weder Leid, Schmerz noch Tod, denn mit dem neuen Himmel und der neuen Erde ist der zweite Äon des ewigen Friedens angebrochen. Die Vorstellungswelt der Apokalypse des Johannes zeigt deutlich, warum der Satanismus eine moderne Erscheinung ist, denn solange die Menschen an eine jenseitige Welt glaubten, wäre niemand auf die Idee gekommen, im Teufel den wahren Machthaber zu sehen. Der Satanismus ist ein Kind der modernen aufgeklärten Welt. Er entsteht erst im 18. Jahrhundert. Die Leser der Apokalypse fürchteten sich vor dem Teufel. Gestärkt durch die Lektüre, blickten sie durch den Schleier einer bösen Zeit auf die kommende Erlösung.
Beelzebub Der Titel »Beelzebub« kommt aus der hebräischen Sprache. Er bedeutet »Herr der Fliegen«. Da Fliegen sich gern auf Kot und Aas niederlassen, ist Beelzebub ein Schmähtitel. In Goethes »Faust« stellt sich Mephistopheles (siehe dort) als »Herr der Ratten und der Mäuse/Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse« (V. 1516ff.) vor. Der englische Schriftsteller William Golding beschreibt in seinem Roman »Herr der Fliegen« (Lord of the flies), wie sich das Böse in den Seelen einer Gruppe von Kindern ausbreitet. Das Buch gehört zu den klassischen Lektürestoffen an unseren Schulen. »Beelzebub« leitet sich von dem Wort »Baal-Zeebub« ab. Es ist eine Verballhornung des Fruchtbarkeitsgottes Baal, dem einige Juden im Tal BenHinnom (Gehenna) Kinderopfer gebracht hatten (Jeremia 32.35). Wer den Teufel mit Beelzebub austreibt, der macht alles nur noch viel schlimmer. Dem Exorzisten Jesus (siehe dort) wurde -17-
vorgeworfen, er stehe mit Beelzebub, dem Obersten aller Dämonen, im Bund (Matthäus 12.24). Denn anders konnten sich die jüdischen Schriftgelehrten seinen Einfluss auf die bösen Geister nicht erklären. Jesus korrigierte diesen Irrtum. Mit dem Teufel kann man nicht erfolgreich paktieren. Wer ihn besiegen will, der muß einen Stärkeren an seiner Seite wissen.
Behemot und Leviathan Behemot und Leviathan waren ursprünglich Monster, die Gott geschaffen hatte. Sie werden im Buch Hiob (40.15-41.26) ausführlich beschrieben. Thomas Hobbes (1588-1679) benutzte sie, um seine Philosophie vom bösen Wesenskern des Menschen zu entfalten. Bekannt ist Hobbes' Satz: »Der Mensch ist des Menschen Wolf.« Der Behemot ist ein Urvieh. Seine äußere Erscheinung gleicht dem Nilpferd. Allerdings hat er einen langen Schwanz. Er ist Vegetarier. Seine Nahrung findet er auf den Bergen und im Wasser. Wie die Elementargeister (siehe dort) ist er friedlich, wenn man ihn in Ruhe läßt. Am liebsten döst er unter Lotosbüschen und im Uferschlamm unter Weidenbäumen. Der Leviathan trägt einen Schuppenpanzer, den weder Speer noch Schwert durchstechen können. In seinem Maul blitzen Reihen von spitzen Zähnen. Sein Atem verbreitet Feuer, und seine Augen glühen leuchtend rot. Der Leviathan si t der König der Tiere. Beide Monster kennen keine Furcht und sind für Menschen unbesiegbar. Für Gott allerdings sind sie wie Spielzeugdrachen. Die Beschreibung ihrer schrecklichen Größe soll also keine Angst verbreiten, sondern eine Ahnung von der unvorstellbaren Größe ihres Schöpfers vermitteln. Wenn Behemot und Leviathan schon von so überwältigender Erscheinung sind, wie groß muß dann Gott sein! Diese Analogie gilt auch für die Rede vom Teufel. Was immer er in der Welt an -18-
Zerstörung anrichtet, Gott ist und bleibt mächtiger. Der Religionsforscher Rudolf Otto hat daher Gott selbst als ein faszinierendes und zugleich Ehrfurcht gebietendes Wesen (mysterium tremendum et fascinosum) beschrieben. Die Leser des Buches Hiob rätselten vor allen Dingen über einer merkwürdigen Stelle, in der es von Behemot heißt: »Er ist das erste der Werke Gottes« (Hiob 40.19). In den Schöpfungsberichten wird allerdings sein Name nicht erwähnt. Als erstes Werk Gottes wird dort die Erschaffung des Lichtes mit der anschließenden Trennung von Licht und Finsternis beschrieben. Das Licht des ersten Schöpfungstages aber sind die Engel. Demnach wäre auch der Behemot ursprünglich ein Engel gewesen. Engel in Tiergestalt sind durchaus nicht ungewöhnlich. Warum der Behemot aus den himmlischen Chören der Engel fiel, bleibt wie so Vieles ein Geheimnis. Doch eins ist gewiss: Kein Teufel kommt als Bösewicht auf die Welt. Auch die beiden Unholde Behemot und Leviathan wurden erst im Laufe der Geschichte zu Verkörperungen Satans.
Belial Belial ist der Name eines Teufels, vor dem Paulus die Gemeinde in Korinth besonders warnt. »Belial« bedeutet »Nichtsnutz«. Nomen est Omen: Das gilt auch bei diesem Teufelsnamen. Der Pakt mit dem bösen Belial bringt nichts Gutes ein. Deshalb sollen Christ und Christin den Belial meiden: »Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Wie stimmt Christus überein mit Belial?« (2. Korinther 6.14f.), so fragt Paulus. Die Antwort liegt auf der Hand: Nichts!
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Besessenheit Dämonen sind Geister der Luft. Sie besitzen keinen eigenen Körper. Doch können sie blitzschnell eine Gestalt annehmen. Dabei sind sie durchaus wählerisch, denn sie bevorzugen die eines schwarzen Pudels oder Katers, eines Ziegenbockes oder einer Schlange. Dieser Körper existiert jedoch nicht wirklich. Er ist eine Sinnestäuschung, ein Trugbild und Gaukelspiel der Dämonen. Gern benutzen Dämonen den Körper eines Menschen als Wohnstätte. Die Vorstellung, daß Menschen oder Tiere vom Teufel in Besitz genommen werden, ist in vielen Religionen verbreitet. Es gibt mancherlei Gründe, warum der Mensch nach katholischer Auffassung ein Opfer der Dämonen werden kann. Der 1925 in Modena geborene Don Gabriele Amorth, Mitglied der Internationalen Päpstlichen Marianischen Akademie und seit 1985 beauftragter Exorzist der Diözese Rom, gilt neben dem 1930 in Sambia geborenen Erzbischof Emmanuel Milingo (Arluno bei Mailand) auf diesem Gebiet als Spezialist. Don Gabriele nennt vier mögliche Gründe für dämonische Besessenheit: 1. Wie bereits im biblischen Buch Hiob nachzulesen, kann Gott selbst den Teufel beauftragen, einen Menschen zu versuchen. Dieser Fall gilt als äußerst selten. Jesus wurde allerdings vom Satan in der Wüste versucht. 2. Oftmals sind Verwünschungen (Flüche) Ursache eines dämonischen Angriffs. Während in den ersten beiden Fällen das Opfer unschuldig ist, gibt es zwei selbstverschuldete Ursachen für dämonische Nachstellungen: 3. Der Mensch verharrt ohne Reue im Zustand der Sünde. 4. Er sucht bewußt den Kontakt zu Zauberern, Satanskulten oder schließt sogar einen Pakt mit dem Teufel. -20-
Dämonische Anfechtungen, so der Exorzist Pfarrer Franz Knothe (Diözese Fulda), machen sich unterschiedlich bemerkbar durch körperliche oder seelische Leiden, Misserfolge im Berufsleben, Pessimismus, Verzweiflung und Selbstmordgedanken. Treten diese Beeinträchtigungen nur zeitweilig auf, so spricht der Exorzist von einer Umsessenheit (circumsessio). Zu ihrem Bild gehören auch körperliche oder seelische Störungen, etwa von unsichtbarer Hand ausgeführte Schläge oder Geißelungen. Die Umsessenhe it gilt als Vorstufe der Besessenheit (obsessio). Der Besessene ist von dem Dämon vollkommen in Besitz genommen. Dieser spricht durch ihn in unbekannten Sprachen. Er weiß über entfernte und verborgene Dinge Bescheid, verursacht in Kopf und Magen körperliche Beschwerden und verbreitet einen »höllischen Gestank«, besonders Brandgeruch. Zuweilen kann er sein Opfer über dem Boden oder Bett schweben lassen. Medikamente sind ihm gegenüber unwirksam. Aggressiv dagegen reagiert der Dämon auf alles Heilige und Geweihte: Weihwasser, Kreuze, Reliquien, Medaillen, Jesusbilder, Gebete und Hostien. Der Theologe Kurt Koch hatte zahllose Begegnungen mit Menschen, die als besessen galten. Auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen nennt er vier Hauptkriterien für Besessenheit: 1. Das Resistenzphänomen: Geisteskranke, so hatte er beobachtet, wurden durch sein Gebet beruhigt. Im Besessenen jedoch bewirkte das Gebet einen Widerstand gegen den Beter. Der Besessene schrie, tobte und griff den Beter an. 2. Besessene fielen beim Gebet in Trance, zeigten 3. hellsichtige Fähigkeiten und sprachen 4. in der Trance manchmal Fremdsprachen, die sie nicht gelernt hatten. Als wichtigstes Kriterium zur Beurteilung der Besessenheit gilt jedoch nach Kurt Koch: »Die Menschen, die von sich sagen, sie seien besessen, sind -21-
es nicht. Die wirklich Besessenen wissen es nicht und sagen es nicht.« Und noch eine Warnung gibt Koch seinen Hörern und Lesern mit auf den Weg: »Es gibt auch eine durch plumpe oder auch schwarmgeistige Seelsorge aufsuggerierte Besessenheit. Hier muß ein neuer Warnschuss losgelassen werden. Es gibt extreme Kreise, vor allem in überspannten ›Pfingstkreisen‹, in denen suggestiv herbeigeführte Besessenheitsfälle geradezu hochgezüchtet werden. Vor solchen Kreisen ist zu warnen. Vor allem sollte niemals ein okkult Belasteter oder gar ein wirklich Besessener solchen Kreisen zur Betreuung übergeben werden. Das verschlimmert nur den Zustand dieser armen geplagten Menschen. (...) Extreme religiöse Kreise sind Brutstätten für Neurosen und Depressionen aller Art.« Die moderne Psychiatrie kennt keine Besessenheit, wohl aber Krankheitsbilder wie Epilepsie oder Schizophrenie. Unsere Sprache dagegen ist konservativ: In Panik geraten, schreien einige wie besessen. Wer mit dem Auto wie ein Besessener fährt, ist sich und anderen Menschen eine Gefahr. Er wird vom Teufel geritten. Einige arbeiten wie besessen. Anderen sitzt der Teufel im Nacken. Sind sie von Ideen oder gar Ideologien besessen, dann können sie gefährlich werden. Mit der Besessenheit wird ein Zustand der Unfreiheit und des Selbstverlustes bezeichnet. Der Besessene gilt als nicht mehr zurechnungsfähig. Er ist nicht mehr frei in seinen Entscheidungen. Er ist sich und anderen fremd geworden.
Blocksberg Bibbi Blocksberg heißt eine der vielen Hexen, deren Abenteuer unsere Kinder vor dem Schlafengehen in den Bann ziehen. Zum Glück haben sie noch keine Ahnung, was auf dem Blocksberg wirklich getrieben wurde. Erst im Deutschunterricht -22-
der Oberstufe werden sie mit den unsittlichen Spielen der Hexen konfrontiert. Seit dem 17. Jahrhundert wurde der Brocken als Berg der Hexen und Blocksberg bezeichnet. Der Name »Blocksberg« wurde vom Harz aus auf andere deutsche Verwünschungsberge und Sammelpunkte von Unholden übertragen. Zur Walpurgisnacht, aber auch zu Joha nnis, am Michaelisfest, zu Weihnachten und Neujahr kamen sie hier zu einer schwarzen Messe (siehe dort) zusammen. Die weiten Wege zum Blocksberg legten sie fliegend auf ihren Hexenbesen zurück. Dazu benutzten sie eine spezielle Flugsalbe. Johannes Praetorius beschreibt die Herstellung in seinem Buch »Blockes-Berges Verrichtung« (1668): Die Hexen nahmen das Fleisch von neugeborenen Kindern, kochten es zu Brei und mischten Mohn, Schierling und Sonnenwedel darunter. Dann schmierten sie sich mit dieser Flugsalbe ein und sprachen: »Oben aus und nirgends an!« - und schon flogen sie zum Fenster oder Schornstein hinaus. Neben dem Besen dienten Böcke, Ziegen, Katzen, Mutterschweine (siehe dort), dreibeinige Pferde oder Mistgabeln als Fortbewegungsmittel. Gegen das Hexentreiben hilft ein einfacher Abwehrzauber: Wenn sich Kinder als Hexen verkleiden und auf Besen reitend durch die Straßen toben, so soll dies die Hexen fernhalten. Besen, Ziegen und Böcke werden am besten versteckt. In die Fenster kann man ein Kräuterbüschel hängen und vor die Haustür zwei gekreuzte Eggen stellen. Wer die fliegenden Hexen sehen möchte, muß sich einen Kranz von Tausendgüldenkraut aufsetzen, eine Schlangenhaut um den Hals hängen oder den Kopf mit Baldrian einreiben. In Goethes »Faust« wird das derbe Treiben der Hexen auf dem Blocksberg offen geschildert. Er folgt dabei dem klassischen Ablauf eines Hexensabbats: Huldigung des Teufels, Küssen von Satans Hinterteil (Homagialkuss), Satansdienst, Bergpredigt, Hexentanz, Orgie. Daß sich die satanische -23-
Gemeinde auf einem Berg trifft, ist natürlich kein Zufall. Der Satanskult ist immer eine Parodie christlicher Riten, und auch die Wahl des Ortes will eine Gegenwelt zur christlichen errichten. Da Jesus seine Bergpredigt auf einer Erderhöhung hielt, predigt auch der Satan auf dem Brocken. Vor allen Dingen aber steht die sexuelle Enthemmung im Zentrum der schwarzen Messe. Goethe läßt daher den Satan sagen: »Für euch sind zwei Dinge Von köstlichem Glanz: Das leuchtende Gold Und ein glänzender Schwanz Drum wißt euch, ihr Weiber, Am Gold zu ergötzen Und mehr als das Gold Noch die Schwänze zu schätzen! (...) Seid reinlich bei Tage Und säuisch bei Nacht! So habt ihr's auf Erden Am weit'sten gebracht.« Goethes »Faust« gehört zur klassischen Schullektüre. So le gt niemand in Deutschland die Reifeprüfung ab, ohne in die Geheimnisse der schwarzen Magie eingewiesen worden zu sein. Warum dieser Sachverhalt noch nicht die Kultusministerkonferenzen beschäftigt hat, bleibt rätselhaft.
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Das Böse Drei Kinder dürfen mit Erlaubnis ihrer Eltern die Nacht im Zelt verbringen. Um Mitternacht sind sie noch nicht müde, wollen etwas unternehmen, wissen aber nicht was. Die Zeit wird lang, die Herzen und Köpfe sind leer. Nichts ist los. Lähmende Langeweile. Plötzlich reitet sie der Satan: Ist nicht eine Schrebergartenanlage in der Nähe? Und befinden sich dort nicht Kaninchen- und Hühnerställe? Die Kinder schleichen sich auf das Gelände, brechen die Ställe auf und holen drei Kaninchen und acht Hühner heraus. Sie wissen nicht, warum, und denken nicht darüber nach. Die Tiere werden hin- und hergeworfen. Dann wird mit ihnen Fußball gespielt. Sie werden getreten und durch die Luft geschossen, bis sie tot sind. Des bösen Spiels ist damit noch kein Ende. Die Kinder werfen die Tierleichen vor fahrende Züge. Fälle wie dieser finden sich jeden Tag in den Zeitungen. Das Böse gehört zu unserem Alltag. Das Böse ist nicht der Böse, doch auch ohne Teufel bleibt das Böse rätselhaft. »Den Bösen sind sie los, das Böse ist geblieben«, sagte schon Goethe. Doch woher kommt es? Hier gibt es sechs klassische Antworten: 1. Das Böse ist der Preis der Freiheit. 2. Das Böse ist eine Folge verfehlter Erziehung. 3. Das Böse ist eine Folge sozialer Ungerechtigkeit. 4. Das Böse entsteht aus ungelebter Liebe. 5. Das Böse gehört als Aggressions- und Todestrieb zum Wesen des Menschen. 6. Das Böse ist unser Schatten. Alle Lebewesen sind äußeren Gefahren ausgesetzt. Beim Menschen jedoch kommen die größten Bedrohungen aus dem Inneren. Kein Tier überfrisst sich bis zur Herzve rfettung, kein -25-
Tier missbraucht den natürlichen Sexualtrieb im perversen Treiben, kein Tier eignet sich ein größeres Revier an, als es zum Nahrungserwerb braucht, oder tötet absichtlich im Rivalenstreit das Brudertier. Völlerei, Unzucht, Neid, Zorn und Habsucht sind einige Namen für das Böse in uns. Fast unwillkürlich personifizieren wir sie. »Es war das Wort des Onkels, das mir die Augen geöffnet hatte.« Mit eben diesen Worten erinnert sich Erwin Wickert (*1915) an böse Streiche aus seiner Kindheit. Im Dorf Bralitz am Rand der Alten Oder wird Hochzeit gefeiert. Der siebenjährige Knabe soll Blumen auf den Weg des Brautpaares streuen. Von der anderen Seite des Hofes hatte er Kinderstimmen vernommen. Dorfjungen spielten in der alten Ziegelei. Sie »fingen Frösche aus den Becken, steckten ihnen einen Strohhalm in den After, bliesen sie auf, daß sie ganz rund waren, und warfen sie ins Wasser, daß sie aufklatschten und wie Bälle schwammen, mit den Beinen ruderten, aber zu unserem Gaudium nicht vorwärtskamen. Auch ich ließ mir einen Strohhalm geben und beteiligte mich an dem Spiel.« Der Knabe hatte nicht gehört, wie er zur Hochzeitsgesellschaft gerufen wurde. Ein Stallknecht brachte ihn ins Haus und berichtete, was er gesehen hatte. Onkel Martin »fragte mich, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn jemand mich so aufblasen würde wie die Frösche«. Das saß und war schlimmer, als jeder Vorwurf es hätte sein können. Der Knabe schämte sich und verließ das Zimmer. »Erst da, erst in dem Augenblick, als ich die Forderung des Onkels anerkannte, die Tiere nicht als Sachen, sondern als mir verwandte Wesen erkannte und ihre Schmerzen mitfühlen konnte, erst da entstand das Böse.« Was gut oder böse ist, lernen Kinder von den Eltern. Aber die Stimme des Gewissens ist mehr als die Verinnerlichung dessen, was die Eltern einst sagten. Sie ertönt unvermittelt und kann durchaus gegen die Konventionen der Familie oder der -26-
Gesellschaft sprechen. Unter der Dorfjugend in Reuden war es jedes Frühjahr üblich, die Nester von Sperlingen und Krähen auszunehmen. Das galt im Dorf als gute Tat, das war nicht böse, wie das Aufblasen der Frösche. Die Bauern ermunterten die Jungen dazu, und schon der Dorfschullehrer hatte sie die heimische Fauna in gute und böse Tiere einzuteilen gelehrt. Gute Tiere waren die nützlichen, böse Tiere die schädlichen. Böse waren Mücken und Fliegen, Krähen und Spatzen, Habichte und Bussarde, Füchse und Marder, gut dagegen alle Haustiere, Schwalben, Regenwürmer, Singvögel. Onkel Martin hatte die Knaben die Achtsamkeit gegenüber den Fröschen gelehrt. »Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie Du den Schmerz.« Nun hätte der Knabe wissen können, was gut und was böse ist. Böse ist die Unachtsamkeit gegenüber dem Brudertier, böse die fehlende Anerkennung des fremden Schmerzes. Doch es bedurfte einer weiteren Erfahrung. Vom Vater hatte der Neunjährige ein Luftgewehr geschenkt bekommen. Schießübungen im Garten zeigten, wie wenig treffsicher der Knabe war. Eine Flasche auf einem Pfahl bildete das Ziel. Doch die Kugeln pfiffen vorbei. Vielleicht war das tote Objekt auch keine genügende Herausforderung für den jungen Schützen, denn als er auf den Vogel im Kirschbaum zielt und abdrückt, flattert dieser herab mit einem schleppenden Flügel. Mit Entsetzen sieht das Kind, daß es kein »böses«, sondern ein »gutes« Tier getroffen hat, ein Rotkehlchen. Das Rotkehlchen wird umhegt, in einen Korb gesetzt. Ein Wassernapf wird geholt, Körner werden vor das Brudertier gelegt. Das Herz klopft. »Ich wollte wiedergutmachen, aber was ich auch tat, es war vergeblich.« Am Abend ist das Rotkehlchen tot. Im Garten wird es begraben. Ein kleines Holzkreuz kennzeichnet die Stelle. Es markiert auch eine Wende im Wissen des Kindes um Gut und Böse. Die böse Tat weist über den Tag hinaus, ja über den Rand des Lebens in die Ewigkeit. Gut und Böse, Leid und Sterben, -27-
Tod und Schuld gehören auf geheimnisvolle Weise zusammen. Das Gewehr wird in eine Ecke des Speichers gestellt und nie mehr benutzt. Die Erinnerung an den Tod des Rotkehlchens begleitet untergründig den Knaben durch ein langes Leben. Noch siebzig Jahre später denke er nicht gerne an die Tat zurück: »Ich bitte die Frösche und die Vögel, die ich misshandelt oder umgebracht habe, um Verzeihung.«
Böser Blick Die Augen werden auch als Fenster der Seele bezeichnet. Menschen können einen klaren, freundlichen, einen trüben oder traurigen Blick haben. Wer ein schlechtes Gewissen hat, der senkt den Blick. Wer sich freut, dessen Augen lachen. Einem bösen Hund soll man so lange fest in die Augen schauen, bis er den Blick senkt. Blicke können hypnotisierend, verletzend, niederschmetternd, ja sogar tödlich sein. Schlangen wird ein lähmender Blick nachgesagt. Im Mittelalter war es streng verboten, den Blick des Königs zu erwidern. Die Zauberkraft des Auges erstreckt sich sogar auf leblose Gegenstände. Uri Geller, heute einer der Betreuer von Michael Jackson, hat in Fernsehshows der Siebziger Jahre allein durch den Blick seiner Augen Gabeln verbogen und Kompassnadeln bewegt. Mit dem Wort »böser Blick« wird die zerstörerische Kraft dämonischer Menschen bezeichnet. Ihre Seele ist voller Neid, Eifersucht und Zorn, eben jener Laster, die auch den Teufel kennzeichnen. Deshalb wird der böse Blick auch »neidischer Blick« oder »Neidstrahlen« genannt. Die Angst vor dem bösen Blick ist in allen Ländern der Welt zu finden. In Tadschikistan schützt man sich vor den Folgen des bösen Blicks durch das Bärenkissen, ein stacheliges Gewächs, das über jedem Hauseingang zu finden ist, oder durch eine Kette mit schwarzweißen Perlen. Überall auf der Welt verbreitet sind -28-
Augenamulette. Im Christentum gilt das Augensymbol Gottes als apotropäisches Mittel: Zur Abwehr des bösen Blicks wird es über den Türen angebracht. Jesus hat bekanntlich Blinde geheilt. Er öffnete diesen Menschen wieder das Fenster der Seele, damit das Licht des Glaubens in sie einströmen kann. So gibt es neben dem bösen Blick den guten Blick. Es ist der Blick der Liebe, unter dem die dunklen Mächte weichen.
Aleister Crowley Edward Alexander Crowley (1875-1947) wurde in Leamington Spa in der Nähe von Shakespeares Heimatstadt geboren. Er hielt sich für den größten Dichter seiner Zeit. Der Vater verdiente als Brauereibesitzer ein Vermögen. Zugleich zog er als Laienprediger der stark fundamentalistischen Sekte »Plymouth Brethreu« durch das Land und predigte strikte Abstinenz vom Alkohol. Sein Sohn Edward Alexander wuchs als Einzelkind auf. Sehr früh kam es zu großen Spannungen zwischen ihm und seinen Eltern. Die Mutter soll ihn während einer Auseinandersetzung als »Das große Tier« bezeichnet haben. Eine größere Verunglimpfung war in dem Kreis der Sekte nicht denkbar, denn »Das große Tier« (siehe dort) ist eine zentrale Gestalt aus der Apokalypse, ein Verbündeter des Teufels, ein eitler Widersacher Christi und Christenverfolger. Das Zeichen des Tieres war die Zahl 666. Als die Verhältnisse zu Hause unerträglich wurden, schickten die Eltern ihren Sohn in ein Internat der Sekte. Der Vater stirbt früh an Zungenkrebs. Er hinterläßt seinem Sohn ein großes Vermögen. Finanziell unabhängig, hat Crowley ausreichend Zeit und Geld für ausgedehnte Reisen, Wanderungen in den Alpen und Bergbesteigungen im Himalaja. Er experimentiert mit Drogen, wird alkohol- und heroinabhängig, schreibt unablässig, -29-
wird aber wenig gelesen. Das Interesse an Okkultismus (siehe dort) und Satanismus liegt in der Luft der Zeit. Neue okkulte Ordensgemeinschaften entstehen. Am 18. November 1898 tritt Crowley einem der zahlreichen Geheimorden bei, dem »Hermetic Order of the Golden Dawn« (Hermetischer Orden der Goldenen Dämmerung). Wie andere Geheimorden bildet auch er ein Gegenmuster zu den christlichen Ordensgemeinschaften. Die Mitglieder tragen wie die Mönche den Titel »Frater« (Bruder), und wie in jeder katholischen Ordensgemeinschaft bekommt auch hier das neue Mitglied (Novize oder Neophyt) beim Eintritt einen Ordensnamen. Crowley heißt nun »Frater Perdurabo«. Die Ordenssprache ist Latein. Nach dem Vorbild der katholischen Kirche ist das Leben in einer klaren Hierarchie gegliedert. Sie ist durch unterschiedliche Weihestufen geprägt. Der »Hermetic Order« kennt zehn Grade der Einweihung, und wie die Kirche, so hat auch der Geheimorden eine »Heilige Schrift«. Ein gemeinsames Merkmal aller Geheimorden ist die Berufung auf alte außerchristliche Traditionen und Geheimschriften. Besonders der Mythos von den verborgenen (apokryphen) und von der Kirche angeblich bewußt unterdrückten Geheimschriften gehört zu den Gründungslegenden. Die »Heiligen Schriften« des »Hermetic Order« wurden bei einem Londoner Antiquar gefunden. Crowley erreicht nur den sechsten Grad in der Ordenshierarchie, denn kurz nach der Weihe zum Adeptus Minor (16. Januar 1900) verlangt er einen vollständigen Einblick in die Geheimschriften der Ordensleitung. Da ihm dieser verweigert wird, kommt es zum Bruch. Sieben Jahre später wird Crowley seinen eigenen Orden gegründet haben. Er nennt ihn »Argenteum Astrum«. Die notwendigen Geheimschriften schrieb Aleister Crowley während seines Aufenthaltes in Kairo 1904 selbst. Sie sind unter dem Titel »Liber Legis« (Buch des Gesetzes) bekannt. In ihm -30-
befinden sich auch die berühmten Worte, die jeder mit dem Namen Crowley verbindet: »Do what you want shall be the whole of the law« - »Tu was du willst sei das ganze Gesetz.« Hier heißt es weiter: »Es gibt keinen Gott außer dem Menschen. Der Mensch hat das Recht, nach seinen eigenen Gesetzen zu lebenzu leben, wie er will: zu arbeiten, wie er will: zu spielen, wie er will: zu ruhen, wie er will: zu sterben, wann und wie er will. Der Mensch hat das Recht, zu essen, was er will: zu trinken, was er will: zu wohnen, wo er will: sich auf dem Antlitz der Erde umherzubewegen, wie er will. Der Mensch hat das Recht, zu denken, was er will: zu sagen, was er will: zu schreiben, was er will: zu zeichnen, zu malen, schnitzen, ätzen, formen, bauen, was er will: sich zu kleiden, wie er will. Der Mensch hat das Recht, jene zu töten, die ihm diese Rechte streitig machen wollen.« Zu neuen Offenbarungen gehören neue Zeitrechnungen. Das gilt auch für Crowleys ägyptische Offenbarung des Jahres 1904. Crowleys Kalender rechnet in Zeiteinheiten von 22 Jahren. Eine Zeiteinheit wird mit dem großen römischen Buchstaben I (Eins) bezeichnet. Die Zahlenfolge IIII (Vier) bezeichnet 88 (4 mal 22) Jahre. Alle anderen Zahlen bis 22 werden mit klein geschriebenen römischen Zahlen ausgefü hrt. Zehn Jahre wären also ein »x«. Die Zeitangabe beginnt immer mit den Buchstaben »AN«. AN IIIIx bezeichnet also das Jahr 2002, in Crowleys Chronologie als »gemeine Zeitrechnung« oder »era vulgari«, abgekürzt »e.v.« bezeichnet. Diese wird der Zeitangabe gerne beigefügt: AN IIIx, 2002 e.v.. Die Mystifikation gehört zu Crowleys Selbststilisierung. Seine Vornamen ändert er von Edward Alexander zu Alick und später zu Aleister, der gälischen Form des Namens »Alexander«. Zur Selbststilisierung -31-
gehört auch ein ausschweifendes Sexualleben mit Männern und Frauen, durch das Crowley bald den Ruf bekommt, der ihn bis heute zum liebsten Kind der Medien macht. Fortan ist sein Lebensweg von Opfern begleitet: Nervenzusammenbrüche, Selbstmorde. Seiner Tochter gibt er den Dämonennamen »Lihth«. Sie stirbt früh. Sein Sohn verkommt. Im Jahr 1912 wird Crowley durch Karl Kellner zum Mitglied des Ordens Ordo Templi Orientis (O.T.O.) berufen. Aus diesem Orden ist auch Ron Hubbard, der Gründer der Scientology Church, hervorgegangen. Während des Ersten Weltkrieges hält sich Crowley in Amerika auf. Er verdient sein Geld als Ghostwriter von astrologischen Büchern und schreibt prodeutsche Kriegspropaganda. Auch während der Zeit des Nationalsozialismus steht er auf deutscher Seite. Die geistige Verwandtschaft vieler seiner Ideen mit Hitlers Gedanken ist ihm selbst aufgefallen. Aleister Crowleys Mutter hatte ihren Sohn im Zorn als »Das große Tier« bezeichnet. In Amerika nimmt Crowley diesen Namen an. »Das große Tier« oder »To Mega Therion« ist fortan sein Titel. Unverhohlen bricht der Hass gegen das Christentum aus ihm hervor: »Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz. Siehe, Jesus von Nazareth, wie bist du mir in die Falle gegangen. Mein Leben lang hast du mich geplagt und beleidigt. In deinem Namen wurde ich - wie alle freien Seelen im Reich der Christenheit in meiner Jugend gemartert; mir war jede Freude untersagt; alles, was ich hatte, wurde mir genommen, und das, was sie mir schuldig sind, bezahlen sie nicht - in deinem Namen. Nun endlich habe ich dich; der Sklavengott ist in der Gewalt des Herrn der Freiheit. Deine Stunde ist gekommen, wo ich dich vom Antlitz dieser Erde auslösche, so sicher wird die Finsternis hinweggenommen werden; und Licht, Liebe, Leben und Freiheit sollen einmal me hr das Gesetz der Erde sein. Mach Platz, o Jesus, für mich; dein Äon (= Zeitalter) ist vorbei; das Zeitalter -32-
des (ägyptischen Gottes) Horus ist angebrochen durch die Magick (=Magie) des Meisters, des Tieres, das der Mensch ist; und seine Zahl ist sechshundertundsechsundsechzig. Liebe ist das Gesetz, Liebe unser Willen. Ich, To Mega Therion, verurteile dich, Jesus, den Sklavengott, daher dazu, daß du verhöhnt und angespieen und gegeißelt und hernach gekreuzigt werdest.« Der Wille des Menschen ist sein Gesetz, sagt Crowley, und der Wille des »Großen Tieres« Crowley ist das Gesetz seiner Ordensmitglieder. Aus Amerika zurückgekehrt, gründet er am 2. April 1920 in Cefalù auf Sizilien ein Ordenshaus. Er nennt es Abtei Thelema. Mönche wohnen in einem Kloster oder einer Abtei. Die Abtei wird von einem Abt geleitet. Dieser verfügt auch über die Gerichtsbarkeit des Klosters. Das griechische Wort »Thelema« bedeutet »Wille«. Crowley gibt sich selbst den höchsten Ordenstitel eines »Ipsissimus«. »Er selbst ist gottgleich« - so könnte die Bedeutung umschrieben werden. Drei Jahre später verweist die italienische Regierung den »Gottgleichen« des Landes. Als in den Sechziger Jahren der Protestsatanismus aufkam, wurde Crowley auch in der Musikszene populär. Sein Bild findet sich auf dem berühmten Platten-Cover der Beatles »Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band« (1967). Es gab auch Pläne, sein Leben zu verfilmen. Mick Jagger sollte dabei die Hauptrolle spielen. Die Rolling Stones ließen sich auf ihrer LP »Their Satanic Majesties Request« (1967) von Crowleys Gedanken inspirieren. Das Lied »Sympathy for the devil« wurde zur Protesthymne einer ganzen Generation. Ozzy Osbourne von der Gruppe Black Sabbath komponierte ein Lied mit dem Titel »Mr. Crowley«, und Jimmy Page von der Gruppe Led Zeppelin erwarb sogar Crowleys Haus in Boleskine. Aleister Crowley verdankt seinen Nachruhm den Mystifikationen und Gerüchten von grausamen Tabubrüchen, von denen sein Leben begleitet war. -33-
Dämonen Wer die erste Seite der Bibel aufschlägt, findet dort den Mythos von der Erschaffung des Lebens. Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut! So lautet der Refrain der Schöpfung. Also waren auch Dämonen ursprünglich gut. Ihr gewaltiges Heer setzt sich aus ehemaligen Engeln sämtlicher neun Chöre zusammen. Während die himmlischen Heerscharen eine heilige Ordnung bilden, sind die Dämonen eine reine Chaostruppe oder - wie Bonaventura lehrte - eine »perversitas«, eine verkehrte Ordnung. Unter den Dämonen findet man ehemalige Cherubim, Seraphim, Erzengel, Mächte und Gewalten. Dämonen sind geradezu besessen von ihrem Hass gegen die göttliche Ordnung. Deshalb stellen sie auch den Gläubigen nach und versuchen, sie gegen Gott aufzuhetzen. So schärft der Apostel Paulus seiner Gemeinde in Ephesus (6.11 f.) ein: »Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.« Das Wort »Dämon« ist aus dem griechischen »Daimon« abgeleitet. Dämonen dürfen nicht mit Elementargeistern (siehe dort) verwechselt werden, denn die Naturgeister bilden ein eigenes Reich. Sie interessieren sich nicht für religiöse Fragen, sie streben nicht nach Gnade und Gotteserkenntnis, sie wissen nichts von Sünde. Die meisten Elementargeister wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden. Als körperlose Geister suchen sich die Dämonen eine Wohnung. Sie bevorzugen den menschlichen Körper, fahren zur Not aber auch in Schweine als Wirtstiere ein (Markus 5.12). Da Dämonen gern in Rotten auftreten, können sie im Körper des Menschen eine verheerende Wirkung auslösen. Die Bibel nennt Seh- und Hörstörungen, Stummheit, Epilepsie, Lähmung, soziale Isolation und autoaggressive Handlungen. Jesus hatte -34-
den Kampf gegen die Dämonen aufgenommen und den Anbruch einer neuen Zeit verkündet: »Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.« (Lukas 11.20) Und weiter: »Blinde sehen, und Lahme gehen, Aussätzige werden rein, und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.« (Matthäus 11.5) Aus Maria von Magdala hatte Jesus sieben Dämonen ausgetrieben, aus dem Besessenen von Gerasa sogar 6000. Dämonen kehren jedoch gerne an den Ort ihres unheilvollen Wirkens zurück. »Wenn der unreine Geist von einem Menschen ausgefahren ist, so durchstreift er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; dann spricht er: Ich will wieder zurückkehren in mein Haus, aus dem ich fortgegangen bin. Und wenn er kommt, so findet er's gekehrt und geschmückt. Dann geht er hin und nimmt sieben andere Geister mit sich, die böser sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie darin, und es wird mit diesem Menschen hernach ärger als zuvor.« (Lukas 11.24-26). An Agnostikern und Atheisten gehen die Dämonen achtlos vorüber. Der Grund liegt auf der Hand, denn was gäbe es bei ihnen noch zu holen? Dämonen selbst sind jedoch niemals Ungläubige, Skeptiker oder Zweifler. Sie können keine Atheisten werden. Das unterscheidet sie von den Menschen. Sie glauben an den einen Gott (Jakobusbrief 2.19).
Eheteufel Wenn die Ehe zur Hölle wird, muß nicht gleich der Teufel seine Hand im Spiel haben. Auch bei drastisch zunehmenden Scheidungsraten in der westlichen Welt sollte nicht gleich der Teufel an die Wand gemalt werden. Ehekrisen können höchst irdische Ursachen haben. Auch ist es unfair, Frauen zu verteufeln, wie es Elvis Presley mit den Versen »You... walk -35-
like an angel..., but... you're the devil in disguise« getan hat. Wie überall, so schützen auch im Fall des Eheteufels Wissen und Aufklärung vor Mystifikationen. Der Eheteufel Asmodi (Asmodäus) ist aus dem biblischen Buch Tobit bekannt. Hier wird eine Geschichte vom Erwachsenwerden zweier Jugendlicher erzählt. Sie heißen Tobit und Sara. Der Schutzengel Raphael will sie zum Bund der Ehe zusammenführen. Dabei stellen sich ihm einige Widerstände in den Weg. Einer erscheint in der Gestalt des Eheteufels Asmodi. Der Name leitet sich aus der Religion Zarathustras (siehe dort) ab. Hier heißt der Bösewicht Dev Aeschma. Er kommt in der Brautnacht und versucht, die Männer vor dem Vollzug der Ehe zu töten. Der Eheteufel ist also ein eifersüchtiger Geist. Doch mit Hilfe des Schutzengels kann er leicht vertrieben werden. Das Buch Tobit empfiehlt zur Vertreibung Asmodis zwei Mittel: 1. Ein magisches Räucherwerk aus Lebertran (Tobit 6.20) und 2. eine Zügelung der Triebe, denn Sara und Tobit schlafen drei Nächte keusch nebeneinander, ehe sie die Ehe vollziehen. Dieses Keuschheitsritual war auch unter den jungen Gralsrittern verbreitet. So schlafen Parzival und Condwiramurs erst drei Nächte nach der Hochzeit miteinander. Verständlich, daß bei diesen hohen ethischen Auflagen zur Bannung von Eheteufeln viele Paare heute ohne Trauschein zusammenleben wollen. Eheteufel sind also Eheverhinderungsteufel. Ihrer nun gibt es viele im 21. Jahrhundert.
Elementargeister Wenn Häuser, Städte und Länder ihren eigenen Geist haben, dann noch mehr die Natur. Jeder Wanderer im Gebirge oder am Meer und jeder Waldgänger spüren diese Naturkräfte. In den -36-
Elementargeistern werden sie seit Urzeiten personifiziert. Elementargeister sind trotz ihres hohen Alters wieder populär, denn sie verkörpern heute ein ökologisches Bewußtsein. Ihr Name leitet sich aus den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft ab. Jedem Element werden bestimmte Elementargeister zugeordnet. In der Luft schweben die Sylphen. Sie sind sterbliche Geister weiblichen Geschlechts. Im Feuer wohnen die Salamander. Im Wasser die Undinen, Nixen, Meerjungfrauen, Nymphen und die Lorelei. Der Erde sind die Gnome, Bergwerksdämonen, Zwerge, Schrate und Trolle zugeordnet. Die Elementargeister sind älter als das Christentum. Teilweise stammen sie aus der griechischen und der nordischen Mythologie. Sagen und Märchen, aber auch die Dichtung berichten von ihnen. Ob damit die Elementargeister ein reines Produkt der Fantasie sind, darüber streiten sich die Geister. Trotz großer Unterschiede in Erscheinungsbild und Wesensart haben alle Naturgeister gemeinsame Charakterzüge: 1. Sie wollen nicht von Menschen beobachtet werden. 2. Sie besitzen keine Seele. 3. Viele von ihnen haben ein starkes erotisches Verlangen. Elementargeister sind deutlich von Dämonen zu unterscheiden. Dämonen (siehe dort) sind gefallene Engel (siehe Engelsturz), also ehemalige Himmelsbewohner. Dämonen stellen der Seele des Menschen nach, wollen sie zum Bösen verführen und in die Hölle hinabziehen. Da Elementargeister keine Seele besitzen, sind sie für einen Teufel ohne Interesse. So könnte man denken, doch ist das Verhältnis zwischen Elementargeistern, Teufel und Mensch vertrackter. Während viele Erdgeister wie Trolle und Schrate, aber auch der Feuergeist des Salamanders glücklich über ihre Lebensform sind, drängt es Zwerge, Sylphen und Undinen zuweilen nach mehr. Sie haben Sehnsucht nach einer eigenen Seele. Wenn -37-
dieses Verlangen in ihnen auftaucht, kann es für den Menschen gefährlich werden. Die plumpen Zwerge bedienen sich dazu eines üblen Tricks. Sie tauschen das neugeborene Menschenkind gegen ein Zwergenkind aus. Dies wird Wechselbalg genannt. Die ersten sechs Wochen nach der Entbindung gelten als die gefährlichste Zeit für Säuglinge. Der Glaube an Wechselbälger hat sich in einer tiefen Schicht der Seele bis auf den heutigen Tag erhalten. Denn besonders in Krisenzeiten taucht bei Jugendlichen gelegentlich die Fantasie auf, sie wären auf der Säuglingsstation vertauscht worden. Wie immer, so ist auch hier die Frage nach Geistern mit der Frage nach der menschlichen Identität eng verbunden. Als böser Seelenräuber gilt bekanntlich der üble Zwerg mit Namen Rumpelstilzchen. Das Märchen der Brüder Grimm verrät auch, wie diesen Burschen beizukommen ist: Man muß sie nur beim Namen nennen, dann weicht der Spuk. Obwohl Elementargeister keine Dämonen sind, kann sich der Teufel ihrer dennoch bedienen. So sah es jedenfalls Martin Luther: »Wechselbälger und Kielköpfe legt der Satan an der rechten Kinder statt, damit die Leute geplaget werden. Etliche Mägde reißt er oftmals ins Wasser, schwängert sie und behält sie bei ihm, bis sie des Kindes genesen, und legt darnach dieselben Kinder in die Wiegen, nimmt die rechten draus und führet sie weg. Aber solche Wechselbälge sollen, wie man sagt, über 18 oder 19 Jahre nicht leben.« Besonders gefährlich sind die Wassergeister. Die neben der Lorelei bekannteste Nixe der Welt ist die kleine Seejungfrau, das Wahrzeichen der Stadt Kopenhagen. Sie ist klein und zierlich. Ihr offenes Haar ist lang. Schöne Brüste zieren den nackten Oberkörper. Der Unterleib mündet in einen Fischschwanz. Die Meerjungfrau sitzt auf einem Stein am Hafen. Niemand möchte bei ihrem Anblick glauben, daß sie ein Wässerchen trüben könnte, doch schon Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Seejungfrau offenbarte -38-
abgründige Charakterzüge und ein starkes Verlangen nach der Seele des Menschen. Wassergeister sind ein beliebtes Motiv der Romantik. Teilweise haben die Autoren Mitleid mit den Nixen, teilweise warnen sie vor ihnen. Oft mischen sich bei den Männern Angst und Lust am Untergang. Die erotische Ausstrahlung der Nixe ist jedoch immer teuflisch. Denn wie die femme fatale verspricht sie alles und gibt nichts. In seiner Ballade »Der Fischer« (1778) hat Goethe diesen Charakterzug der Meerjungfrauen beschrieben: »Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, Und würdest erst gesund. Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Netzt' ihm den nackten Fuß, Sein Herz schwoll ihm so sehnsuchtsvoll, Wie bei der Liebsten Gruß. Sie (die Nixe) sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war's um ihn geschehen: Halb zog sie ihn, halb sank er hin Und ward nicht mehr gesehen.«
Engelsturz Teufel sind gefallene Engel. Doch warum stürzten sie aus dem Himmel? Zur Beantwortung dieser Frage sind ganze Bibliotheken geschrieben worden. Von allen Erzählungen über den Engelsturz sind drei besonders beliebt gewesen. Sie heißen: »Das Leben Adams und Evas«, »Die Schatzhöhle« und »Das Henochbuch«. Über Jahrhunderte waren diese äußerst populär und haben die Kunst nachhaltig beeinflusst. Wer nach dem Grund für den Engelsturz fragt, bekommt durch sie zwei verschiedene Antworten: 1. Der erste Versuch einer Antwort lautet: Eifersucht auf den -39-
Menschen und Rebellion gegen Gott führten zum Engelsturz. So erzählt die Geheimschrift »Das Leben Adams und Evas«: Satan und seine Engel wollten sich nicht vor dem Menschen verbeugen. Darüber wurde Gott zornig. Satan reagierte mit Trotz. Sein Herz verhärtete sich. Es kam zum offenen Widerspruch. Satan verstieg sich mit Worten immer mehr, wurde übermütig und verlor jedes Maß. Schließlich gab er vor, Gott gleich sein zu können. Gott verwies ihn des Himmels. Seitdem gilt die Hybris (Übermut) als höchste Sünde. 2. Der zweite Versuch einer Antwort lautet: Sexuelle Leidenschaft führte zum Engelsturz. Einige »Gottessöhne« (Genesis 6.1-4) verliebten sich in die ersten Frauen auf Erden, verließen ihre Plätze im Himmel und vollzogen auf Erden den Beischlaf. Diese Überschreitung der von Gott gezogenen Grenze zwischen Enge l und Mensch hatte die unwiderrufliche Verbannung aus dem Himmel zur Folge. Hielt sich der Bericht der Bibel mit Namensnennungen und Zahlenangaben noch diskret zurück, so wusste das Henochbuch von exakt zweihundert männlichen Engeln, die mit irdischen Frauen Verkehr gehabt haben sollen. Der Anführer hieß Semjasa. Die anderen gefallenen Engel trugen Namen wie: Urakib und Arameel, Sammael und Akibeel, Tamiel und Ramuel, Danael und Erzeqeel, Saraqujal und Asael, Armers und Batraal, Anani und Zaqebe, Samsaveel und Sartael, Tumael und Turel, Jomjael und Arasjal. Sie schwängerten die Frauen und lehrten sie dämonische Künste wie Abtreibung, Erstellung von Zaubermitteln und Beschwörungsformeln, das Schneiden von heilkräftigen Wurzeln und Pflanzen, Astrologie und Wolkenkunde, Zeichendeutung an Erde, Sonne und Mond, Herstellung von militärischem Gerät, Schlachtmesser, Waffen, Schilde, Brustpanzer, Gebrauch von Augenschminke und Verschönerung der Augenlider, Färbetechniken und Goldschmiedekunst. Der Engelsturz war die Folge der Engelsünde des Neids und -40-
des Ungehorsams. Mit Blick auf den Sündenfall (siehe dort) der ersten Menschen bildet er das »Vorspiel« im Himmel. Die Folge des menschlichen Sündenfalls war die Erbsünde, die nach kirchlicher Lehre durch das Sühnopfer Chr isti überwunden wurde. Menschen können also die freien Plätze im Himmel einnehmen. Adam, Eva und andere Menschen aus der Zeit vor Christi Geburt sind sogar schon durch die Höllenfahrt Christi aus der Vorhölle (siehe Fegefeuer) befreit worden. Die Engelsünde aber hat die ewige Verdammnis zur Folge. Durch den Aufstand Satans und seiner Engel waren natürlich alle Engel vor die Entscheidungsfrage gestellt worden. Der größte Teil von ihnen blieb Gott treu. Wie groß ihre Zahl war, läßt sich nicht fassen. Die Enge lforschung kann hier nur mutmaßen. Martin Luther (siehe dort) sagte einmal, wo 20 Teufel aufträten, da seien gewiss auch 100 Engel sonst wäre es auf Erden gar nicht auszuhalten. Der Reformator geht also von einem Verhältnis von 1:5 aus. So dürften 80 Proze nt der Engel Gott treu geblieben sein. Ob es neben den beiden Gruppen der gefallenen und der treuen Engel eine dritte Gruppe neutraler Engel (siehe dort) gegeben hat, wird unter Engelforschern kontrovers diskutiert.
Erscheinungsbild des Teufels Früher war es leicht, den Teufel an seinen markanten äußeren Merkmalen zu erkennen. Wenn ein finster blickender fremder Mann mit schwarzer Kleidung und einem roten Umhang (siehe Farben des Teufels) durch das Dorf zog, so wusste jedes Kind: Das könnte der Teufel sein. Letzte Zweifel beseitigte ein Blick auf Füße und Kopf. Kleine Hörner zwischen den Haaren, ein lahmes Bein oder ein Pferdefuß waren unverwechselbare Kennzeichen Satans. Wer sich näher an den Schwarzen herantraute, konnte den Teufel an seinem Schwefelatem -41-
erkennen. Auch in einer Kröte, einem schwarzen Pudel, einem Affen, einem Wolf oder einer Schlange konnte sich Satan verbergen. Das Erscheinungsbild des Teufels wurde durch Künstler und Märchenerzähler immer weiter ausgeformt. Sie griffen dabei auf Geschichten der Bibel, die Legenden von der Versuchung des heiligen Antonius (siehe Versuchungen) oder auch heidnische Vorbilder zurück. Besonders beliebt waren Mischwesen wie der Minotaurus und der Hirtengott Pan. Beide trugen Hörner. Der Minotaurus hatte den Unterleib eines Menschen und den Oberkörper eines Stieres. Sein Gegner war der Held Theseus. In christlicher Zeit wurden Theseus mit Christus und der Minotaurus mit dem Teufel gleichgesetzt. Pan besaß den Oberkörper eines Menschen, trug Ziegenhörner auf dem Kopf und hatte den Unterleib eines Bockes. Der Bock war ein Symbol der Geilheit (siehe Sexualität), die man dem Teufel nachsagte. Auch die Bibel beeinflusste das Erscheinungsbild des Teufels. Satan war die Schlange, die Eva verführt hatte, der brüllende Löwe und der böse Drache aus der Apokalypse (siehe dort). Vor allen Dingen die zahlreichen Dämonen, die Jesus (siehe dort) aus den Besessenen vertrieben hatte, bestimmten das Bild vom Teufel. So sind die ersten Teufelsdarstellungen aus dem 6. Jahrhundert Schattenbilder von Dämonen, die aus den Besessenen fahren. Das Erscheinungsbild Satans in der Kunst ist vielfältig: Er ist der Seelenverschlinger beim Jüngsten Gericht, der Höllenfürst, der große Versucher der Heiligen oder der Besiegte beim Abstieg Jesu in die Hölle. Hieronymus Bosch und Pieter Breughel gehören zu den bekanntesten Höllen- und Teufelsmalern. Teufel und Dämonen erscheinen auch als Wasserspeiher an romanischen Kirchen und auf Säulenaufsätzen. Die Kirche war nicht immer glücklich über die Darstellungen des Teufels. Der Grund lag auf der Hand: Wer sich ein bestimmtes Bild vom Teufel machte, der war zugleich -42-
Gefangener dieses Bildes. Oft fühlte man sich unter ganz normal aussehenden Menschen sicher - niemand weit und breit mit Pferdefuß oder Schwefela tem - und übersah dabei, daß der Teufel mal wieder im Detail steckte. Er ist ein großer Verwandlungskünstler und geht seit der Aufklärung weitgehend inkognito durch die Welt. Denn im Gegensatz zu den Schönen und Reichen dieser Welt legt er überhaupt keinen Wert darauf, erkannt zu werden. Schon die alte Hexe (siehe dort) in der »Hexenküche« von Goethes Faust erkennt den Teufel nicht, weil sie ausschließlich auf das traditionelle Erscheinungsbild fixiert ist. Deshalb klärt sie Mephistopheles (siehe dort) auf: »Auch die Kultur, die alle Welt beleckt, Hat auf den Teufel sich erstreckt; Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen; Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?« (Faust 2495ff.) Selbst die Anrede »Junker Satan« verbittet sich der Teufel. Der Satan gehöre ins Reich der Fabel. Allerdings: »Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.« (Faust 2509) Das ist nicht nur ein Kernsatz zum Erscheinungsbild des Teufels, sondern ein Kommentar zum Bösen in der modernen Welt. Es hat keinen Namen und kein Gesicht mehr. Das macht es umso bedrohlicher, wie der moderne Terrorismus zeigt.
Exorzismus Wie die Engel, so sind auch die Dämonen für das menschliche Auge unsichtbar. Doch können beide eine Gestalt annehmen oder in den Körper eines Tieres oder Menschen schlüpfen. Wenn der Dämon von einem Menschen Besitz ergriffen hat, dann spricht man von Besessenheit (siehe dort). Die Austreibung von Dämonen aus dem Menschen wird Exorzismus -43-
genannt. Exorzismus ist in allen Religionen verbreitet. Er gehört zu den Aufgaben des Schamanen und Medizinmannes. Im osteuropäischen Judentum ist der religiöse Meister (Zaddik) für die Teufelsaustreibung zuständig. Sein Hauptgegner ist der Dibbuk, ein Aufhocker und Umklammerer, der aus der Totenwelt hinaufsteigt, um die Seele eines Menschen in Besitz zu nehmen. Weihrauch, Gebet (siehe dort) und das Blasen des Schofarhornes vertreiben ihn. Da Jesus (siehe dort) ein großer Exorzist war, fühlen sich auch die Priester zur Teufelsaustreibung berufen. Die katholische Kirche hat sogar ein eige nes Ritual für den Exorzismus entwickelt. Das »Rituale Romanum« oder »Römisches Ritenverzeichnis« von 1614 ist ein klassisches Handbuch für Exorzisten, nach dem noch heute gearbeitet wird. Es enthält Gebete, Bibelzitate, Litaneien und Beschwörungsformeln. Woran kann ein katholischer Priester einen Besessenen erkennen? In den Richtlinien (»Normae observandae circa exorcizandos a daemonio«) zur Durchführung des Exorzismus werden vier Maßstäbe zur Enthüllung des Teufels benannt: 1. Der Mensch muß eine ihm unbekannte Sprache sprechen oder verstehen, 2. hellseherische Fähigkeiten besitzen, Gedanken lesen oder Auskunft geben können über Geschehnisse an einem fernen Ort und 3. über außergewöhnliche Körperkräfte verfügen. 4. Beim Verhör durch den Exorzisten muß der Dämon in dem Menschen wahrheitsgemäße Auskunft geben. Die Vorschriften aus dem Römischen Ritenbuch warnen den Priester ausdrücklich vor einer Überschreitung seiner Befugnisse. »Der Exorzist hüte sich, dem kranken Besessenen irgendeine Arznei zu verabreiche n oder anzuraten. Diese Sache überlasse er den Ärzten.« Auch soll er nicht leichtfertig -44-
annehmen, jemand sei vom Teufel besessen. Der Teufel sei ein mit allen Wassern gewaschener Lügner, der voll List und Heimtücke den Exorzisten zu irritieren versuche. Mal gebe er sich für einen Heiligen, mal für einen Engel aus, dann verhalte er sich ruhig, so daß der Exorzist glaube, der Kranke sei nicht besessen. Vor allen Dingen lasse sich der Geistliche nicht auf Gespräche mit dem Teufel ein, sondern »vollziehe die Exorzismen mit befehlender Macht, voll Glaube, Demut und Eifer«. Nach Möglichkeit solle die Austreibung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber im Beisein von Angehörigen in einer Kirche vorgenommen werden. Der Geistliche habe stets ein Kruzifix zur Hand oder in Reichweite. Auf Brust und Kopf des Besessenen solle er Reliquien legen. Der Exorzist beruft sich auf die Vollmacht des Gottessohnes. »Im Namen unseres Herrn Jesus + (Priester macht das Kreuzzeichen) Christus, beschwöre ich dich, unreiner Geist, jede feindliche Macht, jedes Gespenst: reiße dich los und weiche von diesem Geschöpf Gottes + » (»Exorcizo te, immundissime Spiritus, omnis incursio adversari, omne phantasma, omnis legio, in nomine Domini nostri Jesu + Christi eradicare, et effugare ab hoc plasmate Dei.«). Bei den Dämonenaustreibungen Jesu genügte ein mächtiges Wort, und die bösen Mächte gaben ihr Opfer frei. Das Rituale Romanum jedoch ist eine endlose Beschimpfung des Teufels und seiner Dämonen: »Höre es also und fürchte dich, Satan (›Audi ergo, et time, satana‹), du Glaubensfeind, du Widersacher des Menschengeschlechtes, du Mörder und Räuber des Lebens, du Verächter der Gerechtigkeit, du Wurzel aller Übel, du Herd aller Laster, du Verführer der Menschen, du Verräter der Völker« - so geht es in einem fort, unterbrochen von schwersten Beschuldigungen: »Du bist schuldig vor dem allmächtigen Gott, dessen Gebot du übertreten hast. Du bist schuldig vor seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn, den du zu versuchen wagtest und in deiner Vermessenheit gekreuzigt -45-
hast. Du bist schuldig am Menschengeschlecht, dem du mit deiner Überredung den tödlichen Gifttrank dargereicht hast.« Dramatischer Höhepunkt des Rituals ist die Aussprechung ewiger Verdammnis in den Flammen der Hölle: »Weichet von mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bestimmt ist!« (»Discedite a me, maledicti, in ignum aeternum, quae paratus est diabolo et angelis eius.«) »Dich, du Gottloser, und deine Engel werden Würmer peinigen, die niemals sterben. Dir und deinen Engeln ist ein unauslöschliches Feuer bereitet. Denn du bist der Urheber verfluchten Mordens, der Anstifter der Blutschande, der Anführer der Religionsfrevler, der Lenker schändlicher Taten, der Lehrmeister der Irrlehrer, der Erfinder jeglicher Unzucht.« Jeder katholische Priester ist zur Ausübung des Exorzismus befugt. Der Jesuit Adolf Rodewyk (1894-1989) ist der bekannteste und umstrittenste deutsche Exorzist des 20. Jahrhunderts. Nach eigenen Angaben soll er über 500 Teufelsaustreibungen vorgenommen haben. Seine Bücher »Dämonische Besessenheit heute« und »Dämonische Besessenheit in der Sicht des Rituale Romanum« wurden zu Klassikern. Dem Aschaffenburger »Main-Echo« (9. Oktober 1974) gab der achtzigjährige Rodewyk ein ausführliches Interview zum Thema »Besessenheit«. Auf die Frage, wie er eine körperliche oder seelische Abnormität von einer Besessenheit unterscheide, gab er zur Antwort: Er spreche bei begründetem Verdacht einen Probeexorzismus. Wenn der Mensch daraufhin keine Reaktion zeige, sei er nicht besessen. Falle er jedoch in Trance, spreche oder verstehe fremde Sprachen, entwickle übernatürliche Kräfte, könne hellsehen oder reagiere aggressiv auf geweihte Gegenstände, so erhärte sich der Verdacht. Der Besessene spüre den Unterschied zwischen einem geweihten und einem ungeweihten Rosenkranz. »Er stürzt sich auf ihn und zerreißt ihn in Stücke. Unter Umständen reagiert er auch körperlich, -46-
bekommt Brandblasen.« Besessenheit sei für den Teufel selbst eine Strafe. »Das ist gar kein Vergnügen für ihn, an einen anderen Menschen gebunden zu sein.« Aber warum läßt Gott die Heimsuchung des Menschen zu? Besessenheit könne eine Strafe Gottes sein oder die Auswirkung eines Fluches. Aber es gebe auch das unschuldige Opfer, vergleichbar mit einem Mann, der »ein Kind aus einer Gruppe herausgreift und es anständig verprügelt. Er überfällt also einen völlig Harmlosen.« Gott schicke den Blitz, zerstöre und bringe alles wieder in Ordnung. Er brauche sich nicht zu rechtfertigen. Manchmal sei Besessenheit eine erzieherische Maßnahme Gottes, nämlich wenn »Gott einmal zeigen will, was ein Teufel aus einem Menschen machen kann. Das kann pädagogisch sehr gut sein. Der Mensch kann ja hinterher alles wieder gutmachen. Es ist ein Lehrbeispiel. Wenn Gott hilft, die Besessenheit zu überwinden, dann ist das auch für die Umwelt lehrreich.« Rodewyk arbeitete während des Zweiten Weltkrieges als Seelsorger in einem Standortlazarett in Trier. Hier begegnete er 1941 einer dreißigjährigen Krankenschwester, die nach seiner Diagnose von sieben Teufeln besessen war. Magda hatte eine tiefe Abneigung gegen alles Heilige, stahl geweihte Oblaten (Hostien) und stach mit einer feinen Nadel den Namen »Judas« hinein. Sie fügte sich tiefe, lange Schnittwunden zu und griff auch ihren Exorzisten an. Mehrfach hatte sie versucht, ihrem Seelsorger mit einem Rasiermesser oder Skalpell Arme und Gesicht zu zerschneiden oder ihn mit Strychnin zu vergiften. Sie setzte ihm mit Besenstiel, Beil, Schere oder Messer zu. Ein Schnitt mit dem Rasiermesser verletzte Rodewyk am rechten Zeigefinger, ein weiterer tiefer Schnitt mit dem offenen Rasiermesser auf dem linken Handrücken zerschnitt eine Ader, durchtrennte eine Sehne und riss eine weitere an. Sich selbst fügte Magda über 87 Wunden zu. Der Exorzist führte ein genaues Protokoll: Die Größe der Schnitte schwankte zwischen 2 und 10 cm Länge und 0,5 bis 2,5 cm Tiefe. Im ersten Jahr der -47-
Besessenheit stellte ein Arzt mit dem Stechzirkel die Länge der Narben fest. Die Schnittlänge der Wunden an Armen und Händen ergab zusammen 57,9 cm, an Brust und Leib 43,9 cm, an den Beinen 99 cm, zusammen also 200,7 cm. Rodewyk deutet die Schnitte als Sühneleiden. Als verantwortlich für die autoaggressiven Tendenzen und antiklerikalen Affekte galten die sieben Teufel, die Magdas Persönlichkeit in Besitz genommen hatten. Nach einiger Zeit konnte Rodewyk ihre Namen ausfindig machen. Sie lauteten Beelzebub, Lucifer, Judas, Nero, Kain, Herodes, Barabbas und Abu Gosch. Magda war ein NSDAP-Spitzel, Rodewyk gehörte der bedeutenden Gesellschaft Jesu an, die Hitler verboten hatte. Vor seinem Eintritt in den Orden (1918) war Rodewyk aktiver Kriegsteilnehmer im Rang eines Offiziers. Den Zweiten Weltkrieg mußte er aus der Etappe erleben. Die Teufelsaustreibungen im Trierer Standortlazarett waren sein Kampf gegen die satanischen Mächte der Zeit. Deshalb verstand er den »Fall Magda« als Gleichnis für die religiöse Lage der Gegenwart, den kleinen Kriegsschauplatz ihres Leibes als ein Abbild des großen besessenen Volkskörpers. Beelzebub spricht den Zusammenhang direkt an: »Was du an Magda siehst, ist Symbol der Zeit. An ihr siehst du im Kleinen, was draußen im Großen vorgeht. Die Teufel, die dir in ihr begegnen, beherrschen mit ihrem Geist das Zeitgeschehen, jeder in seiner Weise.« Besessenheit bedeutet nach Rodewyks Auffassung für die Teufel eine schreckliche Bestrafung. Sind sie doch in den Menschen wie in ein Gefängnis gesperrt. Der Exorzist gilt dabei als Gefängnisaufseher und Chefankläger. Er stellt den Teufeln Fragen, die sie wahrheitsgemäß beantworten müssen. Was der angebliche Teufel Judas mitteilt, wirkt jedoch wenig überzeugend, denn Magda zeigte keine Anzeichen von Geldgier oder Besitzstreben. Eingefahren war Judas in Magda drei Tage vor der ersten -48-
heiligen Kommunion, und er blieb in ihr bis zum Lebensende (15. Dezember 1954). Rodewyk gelang es, Magda von vielen Teufeln zu befreien. Warum wollte ausgerechnet Judas nicht weichen? Vielleicht, weil er Ausdruck der heimlichen Liebe zwischen dem Priester und der Krankenschwester war? Denn Magda trug einen Ehering, den ihr Rodewyk geschenkt hatte. Exorzismen offenbaren manchmal ganz weltliche Abgründe.
Der Exorzist (Film) Am 26. Dezember 1973 kam der Film »Der Exorzist« von William Friedkin in die amerikanischen Kinos. Der Regisseur hatte sich von Jesuiten beraten lassen. Seine Filmerzählung von dem zwölfjährigen Mädchen Regan (Linda Blair) ist eine Pubertätsparabel. Sie beschreibt die Angst vor dem Erwachsenwerden, die in vielen Fällen von Besessenheit eine wichtige Rolle spielt. Fremde Mächte haben von Regan Besitz ergriffen und ihr Wesen verändert. Der Film deutet diese Inbesitznahme nach dem klassischen Muster der Besessenheit (siehe dort): Regan spricht in veränderter Stimmlage, redet in einer fremden Sprache. Paranormale Phänomene tauchen auf. Sie würgt grünen Brei hervor, ihre Gesichtshaut verändert sich. Levitationen geschehen: Sie selbst schwebt über dem Bett, Gegenstände fliegen durch die Luft. Sie stößt sexuelle Obszönitäten hervor, während sie mit einem Kruzifix masturbiert: »Lass Jesus dich ficken!« Regans Welt bekam einen Riss, als ihre Mutter eine neue Bindung zu einem Mann einging. »Der Exorzist« wurde ein Welterfolg. Warum? Studentenunruhen in Paris und Berlin, AntiVietnamdemonstrationen, Kaufhausbrände, Bombenanschläge, Überfälle auf Botschaftsgebäude, Flugzeugentführungen, der Watergate-Skandal, der Sturz Allendes in Chile, die -49-
Bombenattentate der PLO bei den Olympischen Spielen in München: Vom Tod Benno Ohnesorgs (2. Juli 1967) bis zum Selbstmord der Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe (28. April 1977) und der anschließenden Eskalation des Terrors in Deutschland zog sich ein Riss durch die Gesellschaft. Im Spiegel des Einzelschicksals der besessenen Regan fand sich eine vaterlose Generation wieder, die auch zwischen den Zeiten leben mußte. Die Welt drohte auseinanderzubrechen.
Farben des Teufels Farbgebungen bleiben nicht ohne Wirkung. Das lehren die asiatische Kunst des Feng Shui ebenso wie die moderne Farbpsychologie. Auch der Teufel besitzt Signalfarben. Klassische Teufelsfarben sind rot, schwarz, blau, gelb, grün und grau. Kein Maler käme auf die Idee, einen weißen Teufel zu malen. Wenn etwa die Bibel von Männern in weißen Kleidern spricht, so weiß jeder: Das können nur Engel sein. Weiß ist auch die Farbe der Friedenstaube und der Feste Weihnachten, Epiphanias, Gründonnerstag und Ostern. Bei der roten Farbe denken wir an die Flammen der Hölle und den feuerroten Drachen der Apokalypse des Johannes. Rot ist die Farbe der Verführung. Deshalb gehören rote Farben auch in jedes Bordell. Im Mittelalter wurden den von der Kirche verurteilten Ketzern rote Kreuze auf die Kleidung genäht. Rot scheint also eindeutig eine Teufelsfarbe zu sein. Doch auch in der Farbpsychologie steckt der Teufel im Detail. Denn Rot ist zugleich die Farbe der Liebe und die liturgische Farbe der Märtyrer. Deshalb ist jedes vorschnelle Urteil unangebracht. Auch hilft eine genaue Kenntnis der Farbskala zu einem differenzierten Urteil: Rot ist von purpurrot zu unterscheiden. Rot trägt der Teufel, purpurrot der Kardinal. -50-
Weil Satan der Affe Gottes ist, ahmt er auch die schwarze Kleidung der Priester nach. Deshalb sollte man sich hüten, in jedem schwarzgekleideten Priester oder Gothic-Fan einen Anhänger Satans sehen zu wollen. Schwarz ist die Farbe des dritten apokalyptischen Reiters, des Todes und der Unterwelt. Auch bei der Farbe blau muß man genau hinsehen, um den Teufel nicht mit der Muttergottes zu verwechseln. Dunkelblau gilt als Teufelsfarbe, hellblau ist dagegen eindeutig eine heilige Farbe. Maria trägt ein himmelblaues Gewand. Grau ist nicht nur alle Theorie, sondern auch die Farbe der Ketzer. Hexen mußten ein graues Gewand anziehen. Auch die Farbe gelb ist des Teufels. Im Mittelalter trugen die zum Tod verurteilten Ketzer ein ärmelloses gelbes Bußgewand mit einer aufgemalten Teufelsfigur. Gelb ist aber auch der »Judenstern«. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie gefährlich und fragwürdig die alten Signalfarben des Teufels sind. In der modernen Welt helfen sie bei der Identifizierung Satans nicht mehr weiter.
Fatima Mit dem Namen des portugiesischen Wallfahrtsortes Fatima verbinden Katholiken Höllenvisionen, die Ankündigung eines großes Strafgerichtes und die Ermordung eines Papstes. Am 13. Mai 1917 war hier die Muttergottes erschienen. Am 3. März 1917 hatte Zar Nikolaus II. (1868-1918) nach der Februarrevolution abdanken müssen. Im November 1917 besiegelte die Oktoberrevolution den Sieg der Bolschewiki und den Triumph des Kommunismus. Die Stadt Fatima liegt etwa 190 Kilometer nördlich von Lissabon. In Fatima hüteten die zehnjährige Lucia Santos, ihr neunjähriger Vetter Francisco und ihre sieben Jahre alte Cousine Jacinta Marrto jeden Tag die Schafe. Die drei Hirtenkinder hatten nie eine Schule besucht. Am 13. Mai 1917 erschien ihnen Maria als Lichtgestalt über -51-
einer Steineiche schwebend. »Habt keine Angst, ich tue euch nichts zuleide«, sagt sie. »Woher seid Ihr?«, fragt Lucia. »Ich komme vom Himmel«, lautet die Antwort. Dann folgt eine lange Erklärung: »Ihr sollt sechs Mal nacheinander zur gleichen Stunde wie heute, am dreizehnten jedes Monats, hierher kommen bis Oktober. Im Oktober werde ich euch sagen, wer ich bin und was ich von euch will. Ich werde dann noch ein siebtes Mal kommen. Wollt ihr euch Gott schenken, bereit, jedes Opfer zu bringen und jedes Leid anzunehmen, das er euch schicken wird, als Sühne für die vielen Sünden, durch die die göttliche Majestät beleidigt wird, um die Bekehrung der Sünder, von denen so viele auf die Hölle zueilen, zu erlangen und als Genugtuung für die Flüche und alle übrigen Beleidigungen, die dem unbefleckten Herzen Mariens zugefügt werden?« Die Kinder von Fatima gehen nun, wie es die Lichtgestalt befohlen hatte, jeden 13. des Monats zu der Steineiche. Die ihnen folgende Menschenmenge wird immer größer. Am 13. Oktober 1917 sind es mehr als 50000 Menschen, die in strömendem Regen an der Steineiche auf die Erscheinung warten. Da blitzt es, und die Madonna erscheint. Sie stellt sich als Rosenkranzkönigin vor und fordert alle zum regelmäßigen Beten des Rosenkranzes auf. Anschließend öffnet sie ihre hell strahlenden Hände. Die Wolken teilend, geht die Sonne auf. Am Himmel beginnt ein seltsames Schauspiel, das zehn Minuten währt: Wie ein Feuerrad rotiert die Sonne und taucht die Talmulde in ein farbiges Lichtspektakel aus blauen, roten, gelben, grünen und violetten Farben. Dann erscheint neben der Sonne die Heilige Familie: die Jungfrau im weißen Gewand mit himmelblauem Mantel und neben ihr der Namenspatron vieler katholischer Bischöfe, der Heilige Josef mit dem Jesuskind. Drei geheime Botschaften vermittelt Maria über die Kinder. -52-
Die ersten beiden Offenbarungen werden schnell bekannt. Im Jahr 1930 ist Fatima bereits offiziell als Wallfahrtsort anerkannt. Das so genannte erste Geheimnis von Fatima, eine Höllenvision, lautet: »Ein großes Feuermeer, und in ihm versunken schwarze, verbrannte Wesen, Teufel und Seelen in Menschengestalt, die fast wie durchsichtige glühende Kohlen aussahen. Sie wurden innerhalb der Flammen in die Höhe geschleudert und fielen von allen Seiten herab wie Funken bei einer großen Feuersbrunst, gewichtlos und doch nicht schwebend; dabei stießen sie so entsetzliche Klagelaute, Schmerzens- und Verzweiflungsschreie aus, daß wir vor Grauen und Schrecken zitterten. Die Teufel hatten die schreckliche und widerliche Gestalt unbekannter Tiere, waren jedoch durchsichtig wie glühende Kohle.« Das zweite Geheimnis von Fatima kündigt den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges an und fordert zur Verehrung des Unbefleckten Herzens der Gottesmutter auf: »Wenn ihr eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, es ist das Zeichen von Gott, daß die Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist: Krieg, Hungersnot. Um das zu verhindern, will ich bitten, Russland meinem Unbefleckten Herzen zu weihen und die Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats einzuführen. Wenn man meine Bitten erfüllt, wird Russland sich bekehren, und es wird Friede sein. Wenn nicht, so wird es seine Irrtümer in der Welt verbreiten, Kriege und Verfolgungen der Kirche hervorrufen; die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben.« Das dritte Geheimnis aber sollte im Jahr 1960 bekannt gegeben werden. In einem versiegelten Brief wurde es deshalb nach Rom geschickt. Veröffentlicht wurde es jedoch erst am 26. Juni 2000. Das Attentat auf den Papst hatte sich inzwischen ereignet- ausgerechnet am »Fatimatag«, dem 13. Mai 1981. Johannes Paul II. hatte seine wunderbare Rettung auf die Hilfe der Muttergottes von Fatima zurückgeführt. Die Kugel, die ihm -53-
Ärzte aus dem Leib operierten, wurde zum Dank in die Krone der Gottesmutter eingelassen.
Faust Alle Menschen, die mit dem Teufel paktiert haben, befanden sich in einer Krisensituation. Das gilt auch für den berühmtesten Teufelsbündler, dessen Geschichte Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) erzählt. Goethe kannte sie seit seiner Kindheit in Frankfurt. Siebzig Jahre Autorschaft widmete er der Gestaltung des Stoffes. Wie kommt ein Mann dazu, mit dem Teufel zu paktieren? Heinrich Faust ist ein kluger, gelehrter Arztsohn, vielfach studierter Doktor, ausgebildeter Mediziner, Jurist, Philosoph und Theologe, von den Bürgern geachtet und von seinem Assistenten bewundert. Niemand ahnt, daß er todunglücklich ist. Bis zur »Midlife-Crisis« hatte er sein Leben ausschließlich den Wissenschaften gewidmet. Zu religiösen oder familiären Bindungen war er unfähig. Jetzt wird er alt, die Lebenssäfte fließen träger. Viel Wissen hat Faust erworben, aber keine Weisheit erlangt. Ein entwurzelter Mensch. Seine »esoterische Phase« hat er hinter sich. Jetzt spielt er mit Selbstmordgedanken. Das ist die Bühne innerer Leere, auf der Satan in Gestalt eines schwarzen Pudels erscheint. Faust schließt einen Pakt und besiegelt ihn ganz traditionell mit seinem Blut (siehe Teufelspakt). Der Preis kümmert ihn nicht. Er hat nichts zu verlieren. Der Teufel (siehe Mephistopheles) bietet ihm seinen Dienst auf Erden an, im Jenseits müsse ihm dafür Faust zu Diensten stehen. Für Faust zählen die Gegenwart und das Leben auf der Erde. Der gefallene Engel und der entwurzelte Mensch schließen einen Pakt, eine Solidarität der Außenseiter. Der Teufel vermittelt Faust eine Verjüngungskur und entfacht seine Libido. Schnell ist ein -54-
Mädchen zur Stelle und wird ins Unglück gestürzt: Verführung, Schwangerschaft, Kindsmord, Brudermord, Muttermord folgen einander. Dazu kommen Experimente am Menschenleben, Machtstreben und Wirtschaftskriminalität, kühne Deichbaumaßnahmen, Expansion des Besitzes und die heimtückische Ermordung eines alten Ehepaares. Wer mit dem Teufel paktiert, gehört in die Hölle. So hatte es die Kirche seit Jahrhunderten gelehrt, und so glaubte es das Volk. Wirklich? Bleibt nicht im Menschen ein Rest vom Traum der Versöhnung und Erlösung, die auch dem schlimmsten Sünder zuteil werden kann? Hat nicht der Böseste eine schwache Stimme des Gewissens, die ihm sagt: »Es ist nicht richtig, was Du tust!« Faust kennt Momente der Gewissensanwandlung und der Verzweiflung, sie führen ihn aber nicht von seinem Höllenweg ab. Als er im Alter von beinahe hundert Jahren stirbt, will der Teufel seine Seele schnappen. Doch da kommen Engel und retten sie. Langsam steigt Faustens unsterbliche Seele in den Himmel hinauf. Hier kommt es zu einem Wiedersehen mit der Geliebten. Am Ende steht bei Goethe die Allversöhnung und Wiederherstellung der gefallenen Schöpfung. Alles ist im Himmel vereint, so wie es der junge Goethe beim Kirchenvater Origenes gelesen hatte. Das menschliche Leben hat ein Vorspiel und ein Nachspiel im Himmel. Auch über Faust hatten Gott und Teufel im Himmel gesprochen. Der Teufel war als Widersacher und Querulant mitten in den Gesang der Engel geplatzt. Michael, Gabriel und Uriel sangen von der Herrlichkeit der Schöpfung und ihrem wunderbaren Geheimnis. Satan widersprach, stellte die Harmonie des Weltganzen in Frage und spielte sich dabei als Anwalt des Menschen auf. Als Gegenbeispiel brachte Gott ausgerechnet Faust ins Spiel, keinen frommen Christen, keinen Zufriedenen, sondern einen zerrissenen Menschen, einen Zweifler und Selbstmordkandidaten. Ein völlig anderer Typus als Hiob, der fromme Dulder. Ein Mensch voller Unruhe, rastlos -55-
strebend nach neuer Erfahrung. Gerade er soll den Beweis der harmonischen Schöpfung erbringen. Am Ende, da ist Gott gewiss, werde der Mensch aus der Dunkelheit der Welt und des Irrtums in die Klarheit der Erkenntnis geführt sein. Nicht die Frömmigkeit, das Gebet und die Tugendhaftigkeit führen zur Erlösung, sondern das Streben. Die Engel (Verse 11934-41) singen von diesem »Stairway to heaven«: »Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen, Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen. Und hat an ihm die Liebe gar Von oben teilgenommen, Begegnet ihm die selige Schar Mit herzlichem Willkommen.« Zu den Skeptikern an diesem Konzept der Allversöhnung gehörte Thomas Mann (1875-1955). Als er seinen Roman »Doktor Faustus« (15. März 1943-29. Januar 1947) niederschrieb, erlebte er aus dem sicheren kalifornischen Exil den Höllensturz Deutschlands, die Befreiung der Konzentrationslager und die erste Atombombenexplosion in Hiroshima. Deutschland hatte mit dem Teufel paktiert, es war zum Land der Dämonen geworden. Beispiellose Verbrechen waren verübt worden. Da konnte es kein Erbarmen geben! Und »was nur immer auf deutsch gelebt hat, steht da als ein Abscheu und als Beispiel des Bösen«. Die Bevölkerung von Weimar, der Stadt Goethes, Herders, Schillers, wird von amerikanischen Soldaten vor die Krematorien des nahe gelegenen Konzentrationslagers auf dem Ettersberg geführt, »Bürger, die in scheinbaren Ehren ihren Geschäften nachgingen und nichts zu wissen versuchten, obgleich der Wind ihnen den Gestank verbrannten Menschenfleisches von dorther in die Nasen blies«. Seinen »Doktor Faustus« versteht Thomas Mann deshalb als pädagogische Maßnahme und Aufklärungsbuch über das Böse in und außerhalb des Menschen. Deutschland war nicht der verführte Unschuldsengel. Das Dämonische gehörte vielmehr zu seinem Wesen. Vor ihm erschaudert der Dichter und sucht Michelangelos Weltgericht in der Sixtinischen Kapelle vor -56-
Augen - Zuflucht im Gebet: »Deutschland, die Wangen hektisch gerötet, taumelte dazumal auf der Höhe wüster Triumphe, im Begriffe, die Welt zu gewinnen kraft des einen Vertrages, den es zu halten gesonnen war, und den es mit seinem Blute gezeichnet hatte. Heute stürzt es, von Dämonen umschlungen, über einem Auge die Hand und mit dem ändern ins Grauen starrend, hinab von Verzweiflung zu Verzweiflung. Wann wird es des Schlundes Grund erreichen? Wann wird aus letzter Hoffnungslosigkeit ein Wunder, das über den Glauben geht, das Licht der Hoffnung tragen? Ein einsamer Mann faltet seine Hände und spricht: Gott sei euerer armen Seele gnädig, mein Freund, mein Vaterland.«
Fegefeuer Über Himmel und Hölle (siehe dort) gab es in der Bibel eindeutige Aussagen. Die Gerechten kamen in den Himmel, die Sünder in die Hölle. So weit schien die Sachlage klar. Doch schon Augustinus empfand die Alternative als zu schroff. Schließlich war der Kirchenvater in seiner Jugendzeit selbst ein großer Sünder gewesen und hatte später Frau und Kind verlassen. Der Tod seiner geliebten Mutter Monika wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis. Monika war eine fromme Christin, gewiss. Aber war sie soweit frei vom Makel der Sünde, daß sie Gott unmittelbar nach ihrem Tod zu sich in den Himmel aufnehmen würde? Wer, außer wenigen Heiligen und Märtyrern, konnte überhaupt sicher sein, daß er vor Gott Gnade fände? Die endgültige Scheidung der Menschheit in Höllen- und Himmelbewohner war zu radikal, als daß sie nicht eine Kompromisslösung gefordert hätte. So entwickelte Augustinus vier Typen des Sünders: Typ 1: Gottlose, Ungläubige, Todsünder und ungetaufte Kinder kamen nach ihrem Tod auf direktem Weg in die Hölle. -57-
Jede Fürbitte durch die Lebenden war hier sinnlos. Typ 2: Märtyrer, Heilige und Gerechte kamen direkt in den Himmel. Sie bedurften der Fürbitte der Lebenden nicht, konnten aber ihrerseits die Christen auf Erden durch ihr Gebet unterstützen. Typ 3: Nicht ganz Schlechte erlitten eine entschärfte Form der Hölle. Durch die Fürbitte der Lebenden konnte ihre Qual gemildert, aber nicht aufgehoben werden. Typ 4: Nicht ganz Gute konnten durch ein reinigendes Feuer geläutert werden und somit auf einem Umweg in den Himmel gelangen. Ihnen diente die Fürbitte der Kirche. Augustinus zählte seine Mutter zu diesem vierten Typus. Im Laufe der Zeit entwickelte die Kirche eine Topografie des Jenseits. Die Unterwelt, von der Thomas von Aquin annahm, sie liege im Zentrum der Erde, wurde in vier Bereiche gegliedert: 1. Die eigentliche Hölle. Sie ist eine Dauereinrichtung und wird bis in alle Ewigkeit bestehen bleiben. Wer hier gefangen ist, hat keine Chance auf Befreiung. Die Hölle ist auch der Bestrafungsort für die gefallenen Engel. Satan ist der »Fürst der Hölle«. 2. Auch die ungetauften Kinder hatten keine Chance, in den Himmel zu kommen. Andererseits wollte man sie nicht wie noch Augustinus - an einem Ort mit den Todsündern sehen. Ihnen konnte keine persönliche Sünde vorgehalten werden. In den Himmel oder in das Fegefeuer konnten sie dennoch nicht kommen, weil sie mit der Erbsünde belastet waren. So erfand man im Jenseits einen eigenen Ort für sie. Diese »Kinderhölle« wurde »limbus puerorum« genannt. Wie die Hölle wird sie in alle Ewigkeit bestehen. Allerdings werden die Kinder nicht von Teufeln gequält. Deshalb wird sie auch »Vorhimmel« genannt. 3. Einen Problemfall bildeten aus kirchlicher Sicht auch die Männer und Frauen des Alten Testaments. Abraham und Sara, Adam und Eva, Moses und Miriam konnten aufgrund der -58-
Erbsünde gleichfalls nicht ohne weiteres in den Himmel gelangen. Sie hielten sich in der »Vorhölle« auf. Dieser Ort wurde auch »Abrahams Schoß« oder »limbus patrum« genannt. Teufel hatten zu diesem Teil der Unterwelt keinen Zutritt. Schließlich hatte es ja auch in dem Gleichnis vom armen Lazarus und dem reichen Mann (siehe Hölle) geheißen, die Engel hätten die Seele des verstorbenen Lazarus in Abrahams Schoß getragen. Der limbus patrum galt daher als Ort der Engel. Allerdings durften die Teufel diesen Ort der Erbsünder in einer Art Belagerungsring umgeben. In ihn war Christus am Karsamstag hinabgestiegen, um die Gerechten nachträglich zu taufen und von der Erbsünde zu reinigen. Der limbus patrum war also nur ein zeitweiliger Aufenthaltsort. Seit der Höllenfahrt Christi steht er leer. 4. Ein zeitweiliger Aufenthaltsort ist auch das Fegefeuer (Purgatorium). Das Fegefeuer ist ein Bestrafungsfeuer. Es dient der Vorbereitung des Eintritts in den Himmel. Teufel sind hier nicht in den Dienst genommen. Die noch heute verbindliche katholische Lehre vom Fegefeuer wurde im Hochmittelalter entwickelt. Schon Augustinus sprach von »reinigenden Strafen« (poenae purgatoriae). Doch erst Anselm von Canterbury klärte die genauen Voraussetzungen für den Eintritt in diesen Läuterungsort. Er unterschied zwei Typen des Sünders: 1. Todsünder, die wissentlich gesündigt hatten, kamen in die Hölle. 2. Nur Christen, die unwissentlich gesündigt hatten, bekamen die Chance der Reinigung im Fegefeuer. Ihre Sünden wurden auch lässliche Sünden genannt. Sünden waren jedoch nicht einfach aus der Welt zu schaffen. Für sie galt folgendes System der Tilgung: Sie mußten a) bereut, b) gebeichtet, c) gebüßt und d) bestraft werden. Die Bewohner des Fegefeuers wurden folglich in zwei Gruppen unterteilt: Wer zu Lebzeiten seine Sünden bereut, gebeichtet und gebüßt hatte, wurde im Fegefeuer -59-
nur noch bestraft, weil er durch die Buße bereits gereinigt war. Wer allerdings seine Sünden auf Erden noch nicht vollständig gebüßt hatte, weil er beispielsweise vor Vollendung der Buße gestorben war, der wurde im Fegefeuer bestraft und gereinigt. Die Büßer im Fegefeuer werden auch »Arme Seelen« genannt. Durch Gebet, Ablass und Pilgerfahrten können ihnen die Lebenden beistehen. Der 2. November, Allerseelen, ist der Hauptfeiertag dieser unerlösten Toten. Dante Alighieri (12651321) hat in seiner »Göttlichen Komödie« die ausgefeilten Vorstellungen von einem jenseitigen Reinigungsort festgehalten. Im Zentrum des Fegefeuers steht bei Dante der Berg der Läuterung. Nach alter Lehre lag das Paradies auf einem Berg, und Adam und Eva mußten nach dem Sündenfall diesen Paradiesberg hinabsteigen. Hier knüpft Dante an: Über sieben Stufen steigt die Seele wieder in das Paradies hinauf. Dabei helfen ihr körperliche Strafen, Meditation und das Gebet. Das Fegefeuer aber war vor allen Dingen der einzige Ort im Jenseits, auf den die Kirche Einfluss ausüben konnte. Denn einmal half das Gebetsgedächtnis der Lebenden den Seelen im Fegefeuer, zum anderen war die Kirche bei der wichtigen Unterscheidung zwischen lässlicher Sünde und Todsünde gefragt. Mit dem Fegefeuer entstand die Ohrenbeichte. Nach ihr entschied der Priester, welche Art der Sünde vorlag und welche Form der Sühne zu vollziehen war. Es gab Sündenablässe in vielfältiger Form, und seit 1300 feiert man alle 25 Jahre das »Heilige Jahr«. Das letzte rief Papst Paul II. für das Jahr 2000 aus. Das Fegefeuer ist gültige katholische Lehre bis auf den heutigen Tag. Innozenz IV. und das Erste Konzil von Lyon (28. Juni - 17. Juli 1245) definierten: Hier werden die Seelen von kleinen und geringfügigen Sünden gereinigt, »die nach dem Tode auch dann belasten, wenn sie im Leben vergeben wurden. Wer aber ohne Buße in einer Todsünde dahinscheidet, der wird ohne Zweifel auf immer von den Gluten der ewigen Hölle -60-
gepeinigt.« (Denzinger 838f.) Das Zweite Konzil von Lyon (7. Mai - 17. Juli 1274) unter Gregor X. ergänzte: »Und zur Milderung derartiger Strafen nützen ihnen die Fürbitten der lebenden Gläubigen, nämlich Messopfer, Gebete, Almosen und andere Werke der Frömmigkeit, die von den Gläubigen entsprechend den Anordnungen der Kirche für andere Gläubige gewöhnlich verrichtet werden.« (Denzinger 856) Evangelische Christen glauben nicht an die Existenz des Fegefeuers. Martin Luthers Reformation hatte sich am Widerspruch gegen den Ablasshandel entzündet. Zudem, so Luther, gäbe es keinen biblischen Beweis für einen dritten Ort neben Himmel und Hölle. Die Katholiken beriefen sich auf die Rede des Apostels Paulus, von einer Rettung »wie durchs Feuer hindurch« (1. Korinther 3.15). Luther war dieses Wort zu dunkel, als daß es die Wirklichkeit eines Reinigungsortes im Jenseits bewiesen hätte.
Franz von Assisi Franz von Assisi hatte eine Heidenangst vor der Hölle. Er sah das Ende der Zeit kommen und das Gericht Gottes. Schrecklicher als der erste, der leibliche Tod, werde der zweite Tod sein. Der zweite Tod aber war die Verurteilung zu ewiger Höllenqual. Franz glaubte, jeder Mensch werde eines Tages vor Gott stehen, und Gott werde jeden einzelnen fragen: »Was hast Du aus Deinem Leben gemacht?« Franz hatte somit schreckliche Angst vor diesem Augenblick, und er bezog einen großen Teil seiner Energie aus dem Glauben, alles dafür tun zu müssen, daß kein Mensch dem Zorn Gottes begegnet. In seinem berühmten »Sonnengesang« (Cantico di frate Sole) lobt er Gottes Schöpfung, doch eindringlich erklingt auch die Warnung vor der Hölle (siehe dort): »Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben. -61-
Selig, die er finden wird in deinem heiligsten Willen, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.« In zahlreichen Legenden wird vom Kampf des Heiligen Franz von Assisi (1182-1226) gegen die Welt des Bösen erzählt. Es ist stets die gleiche Geschichte in anderer Form: Drei Raubmörder, also drei mögliche Kandidaten der ewigen Verdammnis, kommen zu einem Kloster der Franziskaner auf dem Monte Casale. Der Leiter (Guardian) heißt Bruder Angelo, aber seine Reaktion auf die Bitte der Raubmörder um eine Mahlzeit ist wenig engelhaft. Er weist sie mit den Worten ab, sie seien nicht wert, noch weiterhin von der Erde getragen zu werden: »Denn ihr habt keinerlei Achtung, weder vor den Menschen noch vor Gott, der euch erschuf. Hebt euch weg um eurer Missetaten willen, und kommt mir nie mehr vor die Augen!« So muß man mit Wölfen umgehen, wird sich Bruder Angelo gedacht haben. Die Keule schwingen und zuschlagen! Franz ist da ganz anderer Meinung. Als er von dem Vorfall erfährt, tadelt er den Bruder heftig und belehrt ihn, Sünder würden eher durch Sanftmut als durch hartes Schelten zu Gott zurückgeführt. Bruder Angelo muß hinter den drei Räubern herlaufen, sie für seines Herzens Härte um Verzeihung bitten, ihnen Brot und Wein überreichen und sie im Namen des Heiligen auffordern, keine Untaten mehr zu begehen. Sollten sie dazu bereit sein, so verspreche er, täglich für ihre leiblichen Bedürfnisse aufzukommen. Während sich Bruder Angelo auf den Weg macht, bittet Franz, Gott möge die Herzen der Räuber zur Buße bekehren. Da passiert es. Die Räuber erkennen ihr ewiges Schicksal und bekennen: »Wir aber sind Söhne des ewigen Verderbens, welche die Strafen der Hölle verdienen, und jeden Tag wachsen wir unserer Verdammnis entgegen.« Aber vielleicht gibt es Hoffnung für sie. Die Räuber folgen Bruder Angelo und suchen den Rat des Heiligen. Der sagt: »Und wenn wir auch unermesslich viele Sünden hätten, Gottes Barmherzigkeit ist -62-
noch größer als unsere Sünden.« Angespornt von dieser Hoffnung des Heiligen, entsagen die drei Raubmörder dem Teufel und seinen Werken und werden von Franz in den Orden aufgenommen. Auf seinen Wanderungen durch Italien kommt der Heilige Franz zur Stadt Agobbio. Hier leben die Menschen in Angst und Schrecken vor einem ungeheuren Wolf, der Tiere und Menschen reißt. Die Städter hausen wie Gefangene und treten nur schwer bewaffnet aus den Mauern hervor. Franz hat Mitleid mit den Menschen. Er will ihnen helfen, verläßt die Stadt und sucht den Wolf. Alle haben ihm abgeraten, der Fall sei hoffnungslos. Niemand könne den Wolf überwinden. Doch Franz macht das Zeichen des Kreuzes und zieht mit Gottvertrauen des Weges. Heimlich folgen ihm die Bürger. Da erscheint das Untier und rennt mit offenem Rachen auf Franz zu. Der Gottesmann macht erneut das Zeichen des Kreuzes und umarmt den Wolf. Sanft wie ein Lamm sitzt der Wolf zu seinen Füßen und läßt sich belehren. Wenn er in Zukunft seine räuberischen Angriffe auf Mensch und Tier unterlasse, sagt Franz zum »Bruder Wolf«, werde er zwischen ihm und den Städtern Frieden stiften und dafür sorgen, daß er von ihnen bis an sein Lebensende mit Nahrung versorgt werde. Zum Erstaunen der Gaffer folgt der Wolf wie ein sanftmütiges Lamm. Franz klärt die Städter auf. Gott habe sie wegen ihrer Sünden durch den Wolf heimgesucht. Sie hätten Angst vor dem Rachen des Wolfes gehabt, obwohl der Wolf nur den Leib zu töten vermöge! Viel mehr sei dagegen der Rachen der Hölle zu fürchten, wo die Verdammten ewige Qualen zu leiden hätten. Deshalb fordert Franz die ungläubigen Städter auf, sich zu bekehren: »Kehret euch also, ihr Lieben, zu Gott und tut gerechte Buße wegen eurer Sünden; und Gott wird euch befreien von dem Wolf in diesem und von dem Feuer der Hölle im künftigen Leben.« Franz schließt Frieden zwischen den Städtern und dem Wolf. Bis an sein Lebensende wird er unter ihnen wohnen, und alle -63-
werden ihn bei seinem natürlichen Tod betrauern. Franz von Assisi glaubte an die Möglichkeit der Verständigung zwischen Christen und Muslimen, er glaubte an den Frieden zwischen Mensch und Natur, er glaubte an die Gemeinschaft zwischen Kranken und Gesunden, er glaubte an die Bekehrung der Sünder, er glaubte an eine Erneuerung der Kirche. Er glaubte: Es gibt die Hölle, aber niemand muß hier enden. Draußen vor dem westlichen Tor seiner Heimatstadt Assisi befand sich eine Hinrichtungsstätte für Verbrecher, die Höllenhügel genannt wurde. Wer hier starb, dem war nach Meinung der Städter die ewige Verdammnis sicher. War es ein Wink Gottes, wie damals mit dem Wolf von Agobbio, daß der Heilige Franz ausgerechnet hier begraben wurde? Zwei Jahre nach seinem Tod schenkte Papst Gregor IX. das Land vor dem westlichen Stadttor den Brüdern. Am 17. Juli 1228 erfolgte die Grundsteinlegung für die Grabeskrypta der Kirche San Francesco, dort, wo einst der Höllenhügel gewesen war.
Sigmund Freud Alle modernen Therapieformen weisen zurück auf Sigmund Freud (1856-1939), den Urvater der Psychoanalyse. Wie Jesus bannte Freud die Schattenmächte der Seele allein durch das Wort. Die Kunst der Heilung durch das Wort hatte Freud bei dem berühmten französischen Nervenarzt Jean Martin Charcot (1825-1893) gelernt. Charcot war Klinikchef der Salpétrière in Paris. »Nach manchen Vorlesungen gehe ich fort wie aus NotreDame, mit neuen Empfindungen vom Vollkommenen«, berichtet der junge Freud (24. November 1885) seiner Verlobten Martha Bernays. Charcot hatte reich geheiratet, das verschaffte ihm Ansehen in der mondänen Gesellschaft. »Charcot war ein armer Teufel, ihr Vater soll ungezählte Millionen besitzen«, -64-
heißt es in einem weiteren Brief an die Verlobte (20. Januar 1886). Martha Bernays (1861-1951), Enkeltochter eines Oberrabbiners aus Hamburg, war wie Sigmund Freud ohne Vermögen. In seinem berühmten Salon am Boulevard Saint Germain empfing Charcot die Pariser Prominenz. Dienstagvormittags fanden öffentliche Vorlesungen und Demonstrationen von Patienten statt, darunter Auftritte der jungen Hysterikerin Augustine, die unter dem hypnotischen Einfluss ihres Arztes sämtliche Phasen eines großen Anfalls vor dem Publikum zeigen konnte. Guy de Maupassant und andere Schriftsteller, Schauspieler oder Journalisten ließen es sich nicht entgehen, Charcot eine gelähmte Nonne mit den biblischen Worten »Steh auf und wandle!« heilen zu sehen. Vor ihren Augen vollzog sich ein grundlegender Wandel in der Deutung und Behandlung schwerer seelischer Leiden. An die Stelle des Priesters trat der Nervenarzt. Die Aura des heiligen Mannes wurde auf den »Gott in Weiß« übertragen. Selbst der Atheist Freud vergleicht den Vorlesungssaal mit einer Kathedrale und die äußere Erscheinung seines verehrten Lehrers mit der eines Weltgeistlichen. Charcot hatte mit Hilfe der Hypnose geheilt, Freud dagegen kehrte zur alten Verhörmethode der Teufelsaustreiber zurück. Tief verborgen im Menschen lag das Geheimnis der Krankheit. In Gespräch und freier Assoziation auf der Couch des Therapeuten konnte es ergründet werden, vorausgesetzt, der Heiler kannte die Namen der Teufel. Freuds Dämonen heißen Kastrationsangst, Ödipuskomplex, Todestrieb und Aggressionstrieb. Seine Psychoanalyse wurde zum Exorzismus des 20. Jahrhunderts.
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Gebet Es gibt keine bessere Waffe gegen die Anfechtungen und Anfeindungen des Teufels als das Gebet. Darauf weist Jesus (Markus 9.29) ausdrücklich hin. Auch in dem von Jesus für die tägliche spirituelle Praxis empfohlenen Vaterunser, dem bekanntesten Gebet der Christenheit, wird auf den Teufel Bezug genommen. In der dritten Bitte heißt es: »Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.« Engel und Mensch sollen sich dem göttlichen Willen beugen und nicht wie der Satan gegen die himmlische Ordnung rebellieren. Und in der siebten Bitte des Vaterunsers heißt es: »Sondern erlöse uns von dem Bösen.« Damit ist der Teufel gemeint. »Denn dieser ist's, der all das, was wir bitten, unter uns verhindern will: Gottes Namen oder Ehre, Gottes Reich und Willen, das tägliche Brot, das fröhliche, gute Gewissen«, erläutert Martin Luther in seinem »Großen Katechismus«. »Darum haben wir auf Erden nichts zu tun, als ohne Unterlass gegen diesen Hauptfeind zu beten. Denn wenn uns Gott nicht hielte, wären wir keine Stunde vor ihm sicher.«
Geister Zu allen Zeiten haben die Menschen geglaubt, daß es neben der sichtbaren Welt eine unsichtbare Welt der Geister gibt. In den Naturreligionen war es die Aufgabe des Schamanen, den Kontakt zu den Geistern zu pflegen. Noch heute gibt es unter den Indianern Amerikas, den Nomadenstämmen des AltaiGebirges und in Sibirien Schamanen. Der bekannteste Schamane der Gegenwart ist der mongolische Schriftsteller Galsan Tschinag. Seine Lehrzeit als Geisterbeschwörer beschreibt er in den Romanen »Die Graue Erde« (1999) und -66-
»Der weiße Berg« (2000). Die sibirischen Schamanen waren unter der Herrschaft des Diktators Stalin grausam verfolgt worden. Der englische Reiseschriftsteller Colin Thubron beschreibt die Aufgabe des Schamanen in seinem Buch »Sibirien: Schlafende Erde - erwachendes Land« (2001): »Er war der Hüter der Erinnerungen seines Volkes, der Geschichte und Überlieferungen des Stammes und seiner eigenen ererbten Geheimnisse. Er hatte Einblick in den Tod. Er kannte die Ahnengeister und konnte sie in der Trance als Helfer gewinnen oder vertreiben. Manchmal befriedete er sie. Doch er lebte von seiner Gemeinschaft getrennt und war oft gefürchtet. Er wurde nicht nur zur Behandlung normaler Krankheiten gerufen, sondern auch um tiefere Leiden zu heilen, etwa wenn Patienten von feindseligen Toten gefressen wurden, oder um ein widriges Schicksal des Stammes zu wenden. Wenn er ein›weißer Schamane‹war, bediente er sich der guten Geister, war er ›schwarz‹, wehrte er das Böse ab oder bezwang es.« Der Schamane wird von einem Lehrer oder einer Lehrerin in die geheimen Künste eingeweiht. Doch kann niemand zum Schamanen werden, der nicht von den Geistern selbst berufen worden ist. Der Geisterglaube ist älter als die Weltreligionen. In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit sind sie erst spät entstanden. Der alte Geisterglaube wurde von Juden, Christen und Muslimen zwar offiziell verboten und als Aberglaube (Gegenglaube) abgewertet, er hat sich jedoch überall auf der Welt als »Volksglaube« erhalten. Selbst im Islam, der sich als Religion des strengsten Monotheismus (Eingottglaube) bezeichnet, ist der Glaube an Geister weit verbreitet. Überall zwischen Peshawar und Marrakesch können Muslime Geschichten von Geistern (Dschin) erzählen. Der muslimische Geisterglaube ist auch in den Märchen aus 1001 Nacht überreich dokumentiert. Geister bevölkern auch den modernen Film, Horrorromane und die Fantasy-Literatur, die Kinderzimmer und zu Halloween (siehe dort) die Gärten und Hauseingänge. Der -67-
Geisterglaube hat alle Versuche der Aufklärung überlebt. Selbst in Menschen, die keiner Glaubensgemeinschaft mehr angehören, lebt zuweilen der Geisterglaube weiter fort. Die Welt der Geister ist so vielfältig wie die Welt der Menschen, der Tiere und Pflanzen. Nicht jeder Geist ist gut, nicht jeder Geist ist böse. Auch in der Geisterwelt gilt es zwischen den Holden und den Unholden zu unterscheiden. Wie in der Menschenwelt dürften die Mischformen am häufigsten auftreten. Selten ist ein Geist ein reiner Unhold. Geister sind auch von den Dämonen (siehe dort) zu unterscheiden. Dämonen sind immer böse. Sie lassen sich auch nicht zum Guten bekehren. Dämonen gehören in die Welt der Religionen. Der Glaube an Geister ist nicht nur älter als die großen Weltreligionen, er ist auch unabhängig von der Frage, ob es einen Gott gibt. Das macht ihn für viele Menschen des 21. Jahrhunderts wieder attraktiv. Dagegen ist die Rede vom Teufel immer an den Gottesglauben gebunden. Denn Satan ist ja der Widersacher Gottes. Geister bevölkern die vier Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft (siehe Elementargeister). Als Hausgeister sind sie meist unsichtbare Mitbewohner menschlicher Wohnstätten. Schon die Römer verehrten diese Hausgeister als Schutzgeister der Familie. Für den Personenschutz waren die Penaten zuständig, für die Wohn- und Wirtschaftsgebäude die Laren. Sie galten den Römern als Geister der Ahnen der Familie. Zu jedem römischen Haus gehörte ein Altar, wo dem Schutzgeist (Genius) des Familienoberhauptes, den Penaten und Laren täglich geopfert wurde. Neben diesen Familiengeistern (lares familiares) gab es auf dem Land und in den Städten auch öffentlich verehrte Laren (lares compitales). Sie galten als Schutzgeister der Stellen, wo Menschen zusammenkamen, etwa Kreuzungen von Ländereien und Stadtbezirken. Auf fröhlichen Nachbarschaftsfesten feierte man das segensreiche Wirken dieser Laren. Ihre dunklen Gegenspieler sind die bösen Totengeister der -68-
Lemuren. Hausgeister sind auch die Heinzelmännchen aus Köln. Das sind kleine unsichtbare Kobolde, die beinahe engelgleich im Haus segensreich wirken. Im Gegensatz zu den Menschen verlangen sie für ihre Dienste keine Gegenleistung. Ein Schüsselchen mit Milch genügt. Kobolde wohnen gern im Keller, auf Dachböden, in Scheune, Stall oder im Gartenhäuschen. Sie lieben Diskretion und wollen nicht, daß man von ihrer Anwesenheit irgendein Aufsehen macht. Auch erwarten sie keine Geschenke. Wer meint, seinem Hausgeist etwas Gutes tun zu müssen, der wird ihn verärgern. Hausgeister dienen immer umsonst. Wer dies nicht beachtet oder gar versucht, seines Hausgeistes ansichtig zu werden, der verscheucht ihn auf alle Zeit. Nicht jeder Geist wurde als Geist geboren. So sind die Übergänge zwischen Mensch und Geist fließend. Ein Mensch kann nach seinem Tod zu einem unruhigen Geist werden. Er erscheint dann als Wiedergänger (siehe dort) oder Untoter (siehe Vampire) und verfolgt seine noch lebenden Familienangehörigen oder hält sich an Spukorten auf. Diese Geister werden von Schamanen, Hexen (siehe dort) oder Magiern (siehe Magie) beschworen. Das berühmteste Beispiel für die Beschwörung eines Totengeistes findet sich in der Bibel. Unter den Juden war jede Form von Geisterbeschwörung bei Todesstrafe verboten. »Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen« (Exodus 22.17) hieß es. »Wenn ein Mann oder eine Frau Geister beschwören oder Zeichen deuten kann, so sollen sie des Todes sterben; man soll sie steinigen; ihre Blutschuld komme über sie.« (Leviticus 20.27) »Wenn sich jemand zu den Geisterbeschwörern und Zeichendeutern wendet, daß er mit ihnen Abgötterei treibt, so will ich mein Antlitz gegen ihn kehren und will ihn aus seinem Volk ausrotten.« (Leviticus 20.6) Wie weit der alte Geisterglaube trotz dieser drastischen Mahnungen im Judentum verbreitet war, zeigt die stete Wiederholung der Verbote. Einige Juden verbrannten sogar -69-
ihre Kinder als Brandopfer, um den bösen Geist Moloch zu besänftigen. Daher heißt es: »Daß nicht jemand unter dir gefunden werde, der seinen Sohn oder seine Tochter durch das Feuer gehen läßt oder Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste oder Zauberei treibt oder Bannungen oder Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt.« (Deuteronomium 18.10f.) Trotz dieses Verbotes suchte der jüdische König Saul eine Totenbeschwörerin auf. Die so genannte Hexe von Endor besaß die Gabe, die Geister der Ahnen zu befragen (1. Samuel 28). Sie beschwörte den Geist des verstorbenen Propheten Samuel aus der Unterwelt. Die Stelle ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich für den Geisterglauben. Sie ze igt, daß sich der Geisterglaube als Alternative zur offiziellen Religion anbietet. Denn Saul hatte zuerst die Geisterbeschwörer verfolgt und getötet, ganz so, wie es die jüdischen Gesetze vorschreiben. Erst als er selbst keine Gotteserfahrungen mehr macht, wendet er sich an die Totenbeschwörerin. Die Begegnung mit dem Geist endet jedoch für Saul tödlich. Wenige Tage später nimmt er sich das Leben. Geisterbeschwörungen finden auch auf spiritistischen Sitzungen (siehe Okkultismus) statt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie zu einer Modeerscheinung. 1862 tauchten in Boston sogar angebliche Geisterfotografien auf: Bilder mit Doppelbelichtungen, die bald in ganz Europa Mode wurden. Der Spiritismus ist heute eine nicht immer ungefährliche Freizeitbeschäftigung vo n Jugendlichen. Dennoch wird es den Glauben an Geister auch deshalb immer geben, weil er einer tiefen menschlichen Urerfahrung entspricht. Mit dem Wort »Geist« wird die Atmosphäre bezeichnet, die in einem Haus, einem Land oder einer bestimmten Epoche herrscht. Früher wurde das Dienstmädchen als »guter Geist des Hauses« bezeichnet. Wir sprechen vom Geist der Antike, dem Zeitgeist, dem Weltgeist, dem Geist einer Schule oder Universität - und bezeichnen damit den Wesenskern. Ohne es zu wollen, hat -70-
unsere Sprache aus ihm eine Person gemacht.
Georg, der Drachentöter In Asien ist der Drache ein Glückssymbol. Niemand käme auf die Idee, einen Drachen töten zu wollen. In der christlichen Tradition gilt dagegen der Drache als ein Symbol für den Teufel. Denn in der Apokalypse des Johannes (siehe dort) wird der Satan als »großer Drache« und »alte Schlange« (Apk 12.9) bezeichnet. Sein Gegner ist der Engel Michael. Er hat ihn im Kampf aus dem Himmel auf die Erde gestoßen. Hier bedroht nun der Drache die Menschen. Doch wie Michael im Himmel, so setzt der Ritter Georg auf Erden den Kampf gegen den Teufel fort. Die Georgslegende gehört zu den beliebtesten Heiligenlegenden der Christenheit. Georg, ein Christ aus kappadozischem Geschlecht, kam einst in die Nähe der Stadt Silena. Hier hatten sich Menschen aus Angst vor einem gefährlichen Drachen hinter Stadtmauern verschanzt. Draußen in der Wildnis wohnte der Unhold in einem tiefen Wasser. Die helle Welt der Städter und die dunkle Welt des unergründlichen Sees stehen sich gegenüber wie Unbewußtes und Bewußtes. Tief unten im Wasser ist die böse, todbringende Macht verborgen. Vergeblich war man mit Waffengewalt gegen sie zu Felde gezogen. Der Drachen hatte die Städter mit seinem Gifthauch in die Flucht geschlagen. Vielleicht hätte er für Jahrhunderte tief unten im Wasser des Unbewußten geschlummert, hätte man den Kampf nicht herausgefordert. Langsam steigert sich die Tyrannei. Die Städter verkennen das Wesen des Bösen. Sie meinen, mit ihm paktieren zu können, und bieten dem Drachen ein tägliches Opfer an. Jeden Tag, wenn er vor die Stadt gekrochen kommt, wirft man ihm zwei Schafe zum Fraß vor. So nimmt die Zahl der Schafe rapide ab, -71-
und die Städter kommen überein, dem Drachen jeden Tag abwechselnd ein Schaf und einen Menschen zu opfern. Längst haben sich alle mit dieser Diktatur abgefunden. Niemand denkt an Widerstand. Täglich bestimmt das Los ein neues Menschenopfer, bis der Höhepunkt erreicht ist: Die einzige Tochter des Königs soll dem Drachen zum Fraß vorgeworfen werden. Das Königsopfer markiert den Höhepunkt. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Jetzt steht alles auf dem Spiel: die Seele der Stadt, die Königstochter. Der Vater klagt voller Ohnmacht: »O weh, liebe Tochter, ich gedachte königliche Kinder von deinem Schöße zu erziehen; nun wirst du von dem Drachen verschlungen. Ich dachte, zu deiner Hochzeit edle Fürsten zu laden, das Schloss mit Perlen zu schmücken, Pauken und Trompeten zu hören; nun gehst du hin, daß dich der Drache essen soll.« Die Stunde des Abschieds kommt. Noch einmal küsst der Vater seine Tochter. Die Königstochter kennt keine Angst. Sie ist bereit, ihr junges Leben zu opfern. Mit einer Rettung rechnet sie nicht. Aus der Welt der Städter steigt kein Stern der Hoffnung auf. Der Erlöser kommt von außen. Nur einer, der sich nicht von dem Drachen beeindrucken läßt, kann die Seele befreien. »Da kam Sankt Georg von ungefähr dahergeritten, und da er sie weinen sah, fragte er, was ihr wäre.« Viele Tränen, lange Reden, das kennzeichnet die Welt der Städter. Ganz anders trit t der Retter auf. Er ist voll geistiger Präsenz und Tatendrang, erkundigt sich nach dem Grund der Tränen. Mit sicherem Blick erkennt er die Lage. Im Rücken die starren Blicke der Städter, vor sich den Erlöser, fordert ihn die reine Seele zur sofortigen Flucht auf, andernfalls werde er mit ihr sterben müssen. Georg bleibt beharrlich und erfährt die Vorgeschichte des Opferganges. Seine Anrede wird väterlich. »Liebe Tochter, sei ohne Furcht«, antwortet er und verweist auf die Kraft des Glaubens, die ihm Unerschrockenheit und Siegesgewissheit schenkt. »Ich will dir -72-
helfen in dem Namen Christi.« Die königliche Seele spürt sofort, ihr Retter handelt selbstlos. Kein Abenteurer steht vor ihr. Georg ist nicht auf Brautschau, er sucht nicht ein halbes Königreich und eine schöne Prinzessin dazu. Seine uneigennützige Hilfe ist reine Barmherzigkeit im Namen Christi. Von diesem Gottessohn hatte die Seele noch nichts vernommen. Der Name Christi sagte ihr nichts, und so wehrt die Prinzessin das Angebot ab. Georg solle fliehe n, es reiche, wenn sie heute sterben müsse. Damit ist auch der edle Charakter der Prinzessin genügend deutlich geworden, daß endlich der altböse Feind aus dem See des Unbewußten auftauchen kann. Schon zittert die Jungfrau vor Schrecken, vergeblich mahnt sie den Ritter zur Flucht. Der weiß, wer vor dem Teufel flieht, ist bald verloren, springt auf sein Ross, bekreuzigt sich, legt die Lanze an, befiehlt sich Gott und stößt den Drachen mit einem Stoß zu Boden. Undramatischer kann ein Drachenkampf nicht verlaufen. Die Bestie ist niedergestreckt, doch nicht getötet. Georg fordert die Königstochter auf, ihren Gürtel zu lösen und dem Drachen um den Hals zu legen. Die gute Seele bindet den Unhold an ihren Gürtel, das Symbol ihrer Keuschheit. Der Drache scheint gewandelt. Zahm wie ein Hund läßt er sich führen und folgt der Königstochter in die Stadt. Das Volk erschrickt, flieht auf Berge und in Höhlen. Was hat der fremde Ritter vor? Will er mit dem Drachen die Herrschaft über das Reich übernehmen? Georg hat ein pädago gisches Meisterstück inszeniert. Ihm wäre es ein Leichtes gewesen, den Teufel mit einem Streich zur Strecke zu bringen. Das Volk hätte gejubelt, der König seine Tochter in die Arme geschlossen und dem fremden Ritter zur Ehefrau angeboten. Königliche Hochze itsgewänder trug sie ja bereits. Auch Georg hatte ein Hochzeitsfest im Sinn, an dem das ganze Volk aktiv teilnehmen sollte. Jetzt gibt er sich zu erkennen, nennt seinen Auftraggeber und das Ziel seines Einsatzes: »Fürchtet euch nicht, denn Gott der Herr hat mich zu -73-
euch gesandt, daß ich euch erlöse von diesem Drachen.« Nun gut, mögen die Städter gedacht haben, warum macht er dem bösen Treiben kein Ende? Georg will nicht den Drachen bekehren. Er glaubt nicht daran, daß die Macht der Liebe die Diktatur des Te ufels brechen kann. Der alte Drache ist abgrundtief böse, das hatte er durch seine Opfergier unzählige Male bewiesen. Nicht der Teufel soll bekehrt werden, sondern die ungläubigen Städter. Was hülfe es ihnen, wenn Georg den Drachen erschlüge und sie nicht zu neuem Glauben kämen? In einer anderen Gestalt würde sie der Teufel kurz über lang wieder in Angst und Schrecken versetzen. Nein, sie mußten neue Menschen werden ohne Furcht vor diesem und allen anderen Drachen, die aus der Tiefe des Sees in Zukunft erscheinen mochten. Deshalb ließ Georg den Unhold am Gürtel der Keuschheit in die Stadt führen. Das Herz der Königstochter hatte er bereits gewonnen, jetzt galt es, die Herzen aller Stadtbewohner zu dem Gott zu bekehren, der Georg Urvertrauen, Kraft und Mut geschenkt hatte. »Darum glaubet an Christum und empfanget die Taufe allesamt, so will ich diesen Drachen erschlagen.« Gesagt - getan. Der König läßt sich taufen, 20.000 Männer und ungezählte Frauen werden ihm im Laufe des Tages folgen. Georg erschlägt den Drachen, vier Paar Ochsen ziehen ihn aus der Stadt auf ein großes Feld. Zu Ehren des Ritters und der Muttergottes läßt der König eine Kirche bauen. Georg aber reitet weiter zu neuen Taten. Er hat die wahren Quellen der Fruchtbarkeit erschlossen, die Prinzessin und das ganze Volk zur Hochzeit mit dem himmlischen Bräutigam geführt, dem sie sich in der Taufe vermählten. Wie jede Legende, so erzählt auch diese von den Vorzügen und Folgen des Glaubens. Ihr Bildervorrat ist so tief, daß ihn Jahrhunderte nicht auszuschöpfen vermochten. Deshalb gehört die Legende vom Ritter Georg zu den beliebtesten ihrer Art. Georg, der ritterliche Held, wurde in Deutschland seit dem 9. -74-
Jahrhundert verehrt. Bischof Hatto von Mainz brachte im Jahr 896 die vermutete Schädelreliquie auf die Insel Reichenau. Im größten Volksbuch aller Zeiten, der »Legenda Aurea« des Jacobus de Voragine (1230-1298), wird die Erinnerung an den Drachenkampf bewahrt. Georg ist der Schutzpatron vieler Städte und Bistümer, seit der Synode von Oxford (1222) ist er der Patron Englands, er gab dem Land Georgien seinen Namen und wird als einer der vierzehn Nothelfer verehrt. An ein 500 Jahre altes bayerisches Brauchtum erinnert die Sondermarke »Drachenstich in Furth im Wald« vom 9. August 2001. Im Jahre 1415 schickte das Konstanzer Konzil den böhmischen Kirchenreformer Jan Hus auf den Scheiterhaufen. Seine Anhänger fielen darauf in Bayern ein. Sie raubten, brannten und mordeten. In der Grenzstadt Furth galt fortan der Drache aus der Georgslegende als Symbol für die Anhänger von Jan Hus. Im Ritterspiel des »Further Drachenstichs« werden jene schrecklichen Zeiten erinnert.
Gnosis Gott ist gut. Er ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Das lehren alle Religionen. Woher aber kommt das Böse? Hat Gott auch das Böse geschaffen? Die Christen sagten: Nein! Sie führten das Böse auf den doppelten Sündenfall der Engel und der Menschen zurück. Die Gnostiker glaubten, daß der gute Gott weder diese Welt noch den Menschen erschaffen habe. Woher kommen wir dann? Wer rief die Welt ins Leben? Daß wir Menschen existieren, führten die Gnostiker auf einen kosmischen Unfall zurück: Ein teuflisches Wesen versuchte sich als Schöpfer. Dabei kamen eine unvollkommene Welt und ein zu allem Bösen fähiger Mensch heraus, sagten sie. Die Gnostiker verstanden sich selbst als Wissende, wo andere nur blind Gläubige waren. Christliche Gnostiker unterschieden -75-
zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem Gott des Neuen Testaments. Ein Blick auf den Zustand der Welt zeigte ihnen, daß der Schöpfergott nur ein Dilettant gewesen sein konnte. Die Welt war unvollkommen, Mensch und Tier litten, überall wütete das Böse. Zu billig erschien den Gnostikern die christliche Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen. Für sie war es nicht der sündhafte Mensch, sondern der unvollkommene Gott selbst, der für alles Übel und Leid die Schuld trug. Wer dies erkannt hatte, der kam zu einer Umwertung der negativen Helden der jüdisch-christlichen Tradition. Kain, Eva und der Schacher am Kreuz wurden zu positiven Helden, zu Vorbildern des Protestes, weil sie sich nicht unter die Ordnung des Schöpfergottes gebeugt hatten. Eva hatte mit der Schlange paktiert, weil sie den Riss in der Schöpfung erkannt hatte. Die Gnostiker trugen die Namen ihrer Helden. Sie nannten sich Kainiten oder Ophiten, nach dem griechischen Wort für Schlange (»ophis«). Es gab Gnostiker, die ein asketisches Leben führten. »Gnosis« hieß für sie, jeden Kontakt mit Irdisch-Körperlichem soweit wie möglich zu vermeiden und sich ausschließlich auf das Geistige zu konzentrieren. Am besten wäre es, niemals in diese Welt geboren worden zu sein, gut war, sie möglichst schnell zu verlassen. Deshalb zeugten sie keine Kinder. Jenseits der missratenen Schöpfung wussten sie eine reine Lichtwelt des Geistes. Aus ihr stammten ihre Seelen, in sie sollten die göttlichen Funken möglichst rein zurückkehren. Andere zogen aus dem gleichen Weltbild gegenteilige Schlüsse: Man müsse das Böse in der bösen Welt noch steigern, damit endlich die alte Schöpfung zugrunde gehe: Diese libertinistischen Gnostiker sind die Ahnherrn des Marquis de Sade. Der Kirchenvater Epiphanius (* um 315) berichtet von gnostischen Spermakulten und schwarzen Messen, in denen das christliche Abendmahl verspottet würde. Die Gnostiker seien zu Fress- und Saufge lagen zusammengekommen, um wild -76-
kopulierend übereinanderzusteigen. Weil sie die Zeugung von Kindern aus religiösen Gründen ablehnen, verhüten sie durch einen Coitus interruptus. Der Mann ejakuliert in die Hände der Frau. Anschließend erheben sie den Blick zum Himmel, strecken die geöffneten Arme aus und sprechen: »Wir bringen dir diese Gabe, den Leib des Christus.« Dann lecken sie das Sperma auf und sagen: »Dies ist der Leib Christi, und dies ist das Passa, um deswillen unsere Leiber leiden und gezwungen werden, das Leiden Christi zu bekennen.« Mit dem Monatsblut der Frauen gehen sie auch kultisch um, bezeichnen es als »Blut Christi«. Ungewollt Schwangeren wird der Fötus aus dem Leib gerissen. Dann, so Epiphanius, »stoßen sie ihn in dem Mörser mit einer Keule, mischen Honig und Pfeffer und einige andere Gewürze und Myrrhen darein, um sich nicht zu erbrechen, es kommen alle zusammen, und dann nehmen alle Mitglieder der Herde von Schweinen und Hunden, jeder mit dem Finger, von dem zerstoßenen Kind.« Christentum, Judentum, Islam und auch die Gnosis glauben an den einen allmächtigen Gott. Erst hier wird die Wirklichkeit des Bösen zu einem echten religiösen Problem. Die Gnosis wollte Gott nicht in die Schuldfrage verstricken und führte alles Böse auf den stümperhaften und eifersüchtigen Teufel zurück. Sie übersah dabei, daß auch ihr reiner Lichtgott sich die Frage stellen lassen mußte: Warum hast Du das böse Tun des Teufels nicht verhindert?
Gog und Magog Ein Teufel kommt selten allein. Diese Erfahrung wird in der Apokalypse des Johannes beschrieben. Ihr großes Weltuntergangsszenario beginnt mit einem Kampf im Himmel. Der Engel Michael vertreibt den Teufel und seine Anhänger. Nun verfolgen sie die Christen auf der Erde. Mit dem Antichrist -77-
(siehe dort) und dem großen Tier (siehe dort) stellen sich dem Teufel weitere böse Geister hilfreich zur Seite. Ihr Ziel ist die Auslöschung des Glaubens und die Errichtung einer Weltdiktatur. Während einer tausendjährigen Zeit des Friedens, dem so genannten tausendjährigen Reich, liegt der Satan an Ketten geschmiedet in der Unterwelt. Dann erfolgt der letzte Kampf zwischen den guten und bösen Mächten. »Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan losgelassen werden aus seinem Gefängnis und wird ausziehen, zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde, Gog und Magog, um sie zum Kampf zu versammeln; deren Zahl ist wie der Sand am Meer.« (Apokalypse 20.7-8) Mit Gog und Magog tritt der Endzeitkampf in wahrhaft apokalyptische Dimensionen. Das Böse, das hier von den Enden der Erden erscheint, zielt auf die Vernichtung der zivilisierten Welt. Gog und Magog, das ist ein unvorstellbarer Terror, das ist ein Anschlag auf die Schöpfungsordnung und deshalb eine Herausforderung Gottes. Im Buch des Propheten Hesekiel (38.2ff.) taucht der Name Gog zum ersten Mal auf. Hier ist Gog der König des Landes Magog. In der Apokalypse wird er zum Gehilfen des Teufels. Gog und Magog, das große Tier, der Antichrist und der Teufel lassen sich nicht bekehren. Sie sind das Böse schlechthin. Gog und Magog werden in einem Feuerregen vernichtet. »Und der Teufel, der sie verführte, wurde geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel, wo auch das Tier und der falsche Prophet waren; und sie werden gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit.« (Apokalypse 20.10)
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Gothic-Szene Die Gothic-Szene ist eine Jugendkultur, die ihr Lebensgefühl durch Kleidung und einen eigenen Musikstil zum Ausdruck bringt. »Gothic ist ein Lifestyle«, sagt Mike Kanetzky von der Bochumer Szenedisko »Matrix«. Gothic-Fans fallen durch schwarze Kleidung, bleiche Haut, grell geschminktes Gesicht, rot oder violett gefärbtes Haar auf. Frauen tragen gern ein mit Nieten, Stacheln oder Noppen besetztes Hundehalsband und erotisch stimulierende Kleidung mit tiefen Ein- und Durchblicken. Sowohl schwarz als auch rot sind bewußt gewählte Signalfarben der Gothics. Die Farbe »rot« steht für Sexualität, Blut, Vampirismus (siehe Vampire) und Satanismus, »schwarz« für die Nachtseiten des Lebens, alles Dunkle, Unbewußte und Verbotene. Gothic ist eine typische Gegenkultur zur bürgerlichen Welt der Erwachsenen. Wegen der dunklen Kleidung und des Interesses an Geisterwelten wird sie auch »schwarze Szene« genannt. Das Wort »Gothic« kommt aus der englischen Sprache. Es verweist auf die Gespenstergeschichten (gothic novel) des 19. Jahrhunderts. In ihnen mischen sich Faszination und Grauen, wie auch in den Erzählungen des amerikanischen Autors Edgar Allan Poe. Die deutsche Band »The House of Usher« hat ihren Namen einer Geschichte Poes entlehnt. Die Themen der Gothics sind Traum und Alptraum, Melancholie und Suizid, die Nachtseiten des Lebens und das Tabu, Gräberwelten und Geister, der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, Sex und Tod, Dämonen, Teufeln und Engeln. Kultorte der Gothic-Szene sind Friedhöfe wie etwa der Johannisfriedhof (13. Jahrhundert) in Nürnberg oder der Friedhof im irischen Glendalough. GothicFans sehen aber genauso gerne Kindervideos aus der Serie »Der kleine Vampir«. Die »Grufties« haben eine eigene Musikkultur. -79-
Zu ihr gehören Gruppen wie »Das Ich« (Stefan Ackermann) mit den Musiktiteln »Gottes Tod«, »Blasses Kind«, »Im Rausch der Tiefe« oder die Bands »Sepultura«, »Wolfsheim«, »Paradise Lost«, die Hannoveraner Band »Cherubim Inc.« oder »Saints of Eden«. Die Szene hat ihre eigenen Magazine und Festivals. Die bekanntesten sind das »Zillo Festival« und das Hildesheimer »Mer'a Luna Festival«. »Mer'a Luna« heißt »schöner Mond«. Der Mond steht für die Nachtseite des Lebens, das Dunkle, Geheimnisvolle und Verborgene. Die Gothic-Festivals stellen auch ein Missionsfeld für freikirchliche Gemeinden dar. So warnte die »Gemeinde der Christen ›Jesus lebt‹« aus Hildesheim vor den Gefahren der anderen Seite. Auf dem »Mer'a Luna Festival« im September 2001 verteilte sie folgendes Flugblatt: »Begreife doch endlich: Nimmt Satan Deine Probleme weg? Oder löst er sie? Können Menschen Dir vielleicht helfen? Oder die großen Engel im Himmel? Findest Du aus der Unterwelt Hilfe? Hast Du Angst, Jesus Christus anzurufen? Denn er allein hat alle Macht über Mächte und Gewalten!« Viele Gothics spielen gern mit satanischen Motiven. So heißt ein Titel der CD »Im Beichtstuhl der Begierde« der Band »Die Untoten«: »Ficken und Töten«. Eine andere CD trägt den Titel »Schwarze Messe«. Auf einem T-Shirt, das die Band vertreibt, sind drei Satanskreuze abgebildet. Damit wird die für satanische Messen (siehe dort) typische Mischung aus Gewalt, Sex und Demütigung der Frau zu sadomasochistischen Spielen bis hin zum Ritualmord beschworen. Die Gruppe »Engelsstaub« zitiert sogar den berüchtigten »Hexenhammer«, ein übles Machwerk -80-
der Hexenverfolger (siehe Hexen). Ihre CD heißt »Malleus Maleficarum«. Das englische Ehepaar Candia und Tony McCornack nennt ihre Band »Inkubus Sukkubus«. Der Incubus ist unter Satanisten als männlicher Teufel, der Succubus als Teufelin bekannt. Neben Satanismus und Geisterglauben spielen aber durchaus auch romantische Motive wie Sehnsucht, Schönheit und Tod eine Rolle. Die Gruppe »Silke Bischoff« hat sich nach einer jungen Frau benannt, die in Köln tödliches Opfer einer Geiselnahme wurde. Auf ihrer CD »Phoenix from the Flames« ist Diana, ein bleiches junges Mädchen in durchsichtigen Dessous, zu sehen. Auf ihrem Minislip steht der Name der Band. Die erotische Ausstrahlung lenkt zuerst vom Blick auf die Armgelenke ab. Beide Pulsadern sind aufgeschnitten. Gothic ist ein Spiel mit dem Feuer, wie alles, was sich mit Faszination den Nachtseiten der Wirklichkeit hingibt. Wie beim Protestsatanismus (siehe dort) oder im »Fall Sandro Beyer« (siehe Neosatanismus) ist der Übergang fließend. So ermordeten im Juli 2001 die Gothic-Fans Manuela und Daniel Ruda (siehe dort) einen Mann mit 66 Messerstichen. Nach der Festnahme gaben sie an, Satan habe ihnen den Auftrag zu dem Mord gegeben. Das Ehepaar Ruda hatte das Opfer in seiner Wittener Wohnung umgebracht. Hier fand die Polizei schwarz gestrichene Wände mit SS-Runen und Hakenkreuzen und einen Sarg. Auch die Kleidung der beiden Täter wies szenetypische antichristliche und sadomasochistische Symbole auf. Aus dem Spiel mit dem Bösen war blutiger Ernst geworden. Lieblingsbands des Mörderpaares wie »Das Ich« und »Wumpscut« wurden schnell als geistige Brandstifter angeklagt. In der Szene-Zeitung »Zillo« (9/2001) versuchte Bruno Kramm von der Band »Das Ich« klarzustellen: »Zwei einzelne schwarze Schafe töten im krankhaft deformierten Satanswahn einen braven Bürger, und schon waren wir's alle.« Dann geht er aber gleich zum Angriff über: »Wenn man all die Blutopfer, die im Namen Jesu Christi gefoltert und gerichtet wurden, -81-
zusammenzählen würde und den Taten verirrter Jugendlicher gegenüberstellen würde, dann würde so mancher jetzt den Zeigefinger hebende Hobbytheologe schnellstens um Ablass bitten.« Rudy Ratzinger von »Wumpscut« kommentiert die Frage, ob er Schuldgefühle habe: »Nein, ich wüsste auch nicht, warum. Ich kann nichts (oder nur sehr wenig) dazu, wenn sich jemand derartig versteigt, wie es bei den Rudas der Fall war.« Nicht jede Gothic-Band ist ein Ideenlieferant für die Satanistenszene. Doch fehlt vielen von ihnen ein Bewußtsein für die psychologischen Folgen der Beschwörung von Geistern, Vampiren, Teufeln und Dämonen. Das berüchtigte AltamontFestival der Rolling Stones (siehe dort) hat deutlich gemacht, wohin die Sympathie für Satanisches führen kann. Wie die Rock-Musik der sechziger und siebziger Jahre verstehen sich jugendliche Gothics als Gegenkultur. So schreiben etwa die Szene-Autorinnen Tania Krings und Kirsten Borchardt: »Die Gotik bezeichnet eine mittelalterliche, nicht nur architektonische Kultur, die von der Abkehr oder zumindest dem Infragestellen der christlichen Kirche geprägt ist. Vereinfacht übertragen auf das Heute: die Abkehr und das Infragestellen einer Welt, in der alles, aber auch alles kommerzialisiert wird und der Mensch mit Konsum, auch primitivem Fernsehkonsum, zugeschüttet wird, um nicht zu sagen, vom Nachdenken abgehalten wird.« Ähnlich formulieren es Stefan Großmann und Tilo Ladwig von der Gruppe »Absurd Minds« in einem Interview: »Die größten Lügen, die wir verabscheuen, sind die Lebenslügen, die nicht gerade vo n Nutzen für uns sind: 1. Desinteresse und Unaufgeschlossenheit, 2. absolutes Wissen zu erlangen, indem man nur Dinge zu beweisen versucht, anstatt sie zu fühlen, 3. Fanatismus in jeglicher Form, 4. sich selbst für einen geistig Gerechten zu halten.« Gothic gilt als Suche nach Lebenssinn und Wahrhaftigkeit. Dabei werden Symbole, Gestalten und Mythen der Geister-, Vampir- und Dämonenwelt unkritisch aufgenommen und -82-
miteinander zu Phantasiewelten vermischt. Diese Art des ahistorischen Umgangs mit überlieferten Glaubensinhalten wird Synkretismus oder Mischreligion genannt. Der Synkretismus ist ein typisches Kennzeichen von Krisenzeiten. Das Spiel mit satanischen Symbolen dürfte in den seltensten Fällen auf einen echten Satansglauben verweisen. Die Gothic-Szene hat sich der satanischen Symbole bedienen können, weil sie von der Kirche »freigegeben« worden sind. Diese Jugend ist in einer Zeit aufgewachsen, wo vom Teufel und den Dämonen weder in Familie, Schule noch in den Kirchen mehr die Rede war. So haben die Verdrängung und die Tabuisierung des Teufels indirekt seine Wiedergeburt in der Jugendkultur gefördert. Satanische Symbole auf Schüleretuis, East-Packs oder T-Shirts werden kaum ernst genommen. Im Gegensatz zum 19. und 20. Jahrhundert scheint der Satanismus des 21. Jahrhunderts seine provozierende Kraft verloren zu haben. Das aber macht ihn gefährlich.
Halloween Halloween geht zurück auf ein keltisches Fest zu Ehren des Todesfürsten Samhain. Im keltischen Kalender zeigte es die Jahreswende vom 31. Oktober auf den 1. November an. Die Toten wurden verehrt und zugleich gefürchtet, denn besonders in der dunklen Winterzeit konnten sie als Wiedergänger (siehe dort) aus der Unterwelt hervorsteigen und den Lebenden zur Bedrohung werden. Wie viele andere vorchristliche Feste verschmolz auch Halloween mit christlichen Vorstellungen, besonders mit den Festen Allerheiligen und Allerseelen. Allerheiligen ist ein Gedenktag für die Märtyrer und Heiligen. Ursprünglich feierten die Christen am 13. Mai das Allerheiligenfest. Papst Gregor III. verlegte es Anfang des 10. Jahrhunderts auf den 1. November. In Irland wurde es 998 durch -83-
Abt Odilo von Cluny eingeführt. Im Mittelalter kam am 2. November das Fest Allerseelen dazu. Aus »All Saints Day« oder »All Hallows« (Allerheiligen) soll der »All Hallows' Even«, der Abend vor Allerheiligen, entstanden sein. Von Irland breitete sich Halloween nach Amerika aus. In Deutschland ist es mittlerweile als Kostümfest heimisch geworden. Schon Anfang September, wenn das Weihnachtsgebäck in die Regale der Supermärkte kommt, bieten die Spielzeugabteilungen der Kaufhäuser Gespensterkleider, Kürbismasken, Hexenfiguren, Vampirkostüme und Skelette für eine gruselige Dekoration an. In den irischen Pubs fließt wie immer das schwarze Guiness. Doch statt fish and chips gibt es »Paddy's Kürbissuppe« oder »Georgina's Guiness Heart of Halloween-Kuchen«. Die Agentur »Luzifer« bietet »Luzifers Halloween« für den Hausgebrauch: einen gemütlichen Abend mit Kürbislaternen, einen Überraschungsbesuch von einem Vampir oder ein Horrorwochenende für die ganze Familie (www.luzifer.at/event/hallow.html). Die Kürbismasken hatten ursprünglich die Aufgabe, Geister (siehe dort), Vampire (siehe dort) und Wiedergänger (siehe dort) zu vertreiben. Heute sind sie nur noch Dekoration. Halloween ist ein Klaumauk. Selbst der Liebeszauber (siehe dort) funktioniert nicht mehr.
Hell's Angels Die Hell's Angels verstehen sich selbst als eine Bruderschaft, die bereit ist, füreinander zu kämpfen und zu sterben. Der Anlass spielt keine Rolle. Die »Engel der Hölle« wurden in Kalifornien gegründet. Zu ihrem äußeren Erscheinungsbild gehören Harleys, Chopper, Full Dressers und gestohlene Motorräder. »Wir von den Hell's Angels unterscheiden uns von all den anderen Motorradfahrern durch unsere Maschinen und -84-
die Art und Weise, wie wir sie fahren«, schreibt Sonny Barger. »Unsere Bikes - das sind wir.« Der Hell's Angels Motorcycle Club veranstaltet etwa fünf Pflichtfahrten pro Jahr und 15 bis 20 Partys. Auch diese gehören zum Pflichtprogramm der Höllenengel. Der Männerbund wurde im April 1957 von Sonny Barger gegründet. Der Name stammt von Don Reeves. Er hatte ihn von einer Gruppe Weltkriegsveteranen übernommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhren sie mit ihren Maschinen durch Kalifornien. Die verängstigten Bürger sollen ihnen gelegentlich nachgerufen haben: »Da fährt wieder einer von diesen Höllenengeln!«
Hexen Das zentrale Buch in der Geschichte der europäischen Hexenverfolgung war der »Hexenhammer« (Malleus Maleficarum) von Heinrich Kramer. Mit über dreißig Auflagen zwischen 1486 und 1669 hatte es eine lange und unheilvolle Wirkungsgeschichte. Friedrich von Spees »Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse« (1631) dagegen versuchte der Verfolgung Einhalt zu gebieten. Seine Antwort auf die Frage, ob es wirklich Hexen gebe, war dennoch ein klares »Ja«. Von Spee kannte viele Fälle von angeblicher Hexerei aus eigener Anschauung. Das Gespräch mit den Angeklagten ließ ihn skeptisch und im Urteil vorsichtig werden. Die Hexenverfolger mahnte er zu Weisheit und Besonnenheit. Heute gelten Hexen als weise und emanzipierte Frauen. Hexen zeigen »Frauenpower«. Sie wissen: Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse dagegen überall hin. Im Harz sind die Hexen ein wichtiger Teil der Tourismusindustrie geworden. Gutmütig ist die Hexe in Otfried Preußlers beliebtem Kinderbuch »Die Kleine Hexe«. Ihre Zauberkraft setzt sie ausschließlich zu guten Zwecken (weiße Magie) ein. Die -85-
russische Hexe Baba Yaga ist nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch unter modernen Hexen ein Symbol für die Kraft der Natur. In den Märchen der Brüder Grimm und in weiten Teilen des Orients und in Afrika hat sich dagegen der alte Glaube an die teuflische Macht der Hexe erhalten. Diese wird besonders deutlich im »bösen Blick« (siehe dort), mit dessen Hilfe die Hexen Menschen und Tieren Schaden zufügen können. Fünf Merkmale kennzeichnen eine Hexe im traditionellen Sinn: 1. Sie hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und vollzieht mit ihm den Geschlechtsverkehr. 2. Sie hat dem christlichen Glauben abgeschworen (Apostasie). 3. Sie kann Schadenszauber ausüben. 4. Sie kann durch die Luft fliegen und 5. sich in ein Tier verwandeln. Hexen gelten als Meisterinnen in der Ausübung schwarzer Magie. Zu ihren Spezialitäten gehört der Schadenszauber: Sie können die Ernte schädigen, einen Brand entfachen, jemandem eine Krankheit anhexen, einen »Hexenschuss« ins Kreuz jagen oder Männern die Potenz rauben. Auch die »Hexenmilch«, die manchmal aus der Brust eines Neugeborenen fließt, gilt als ihr Werk. Diese bösen Taten werden als »maleficia« bezeichnet, die Hexen selbst als »malefici« oder »maleficae«. Das Wort »Hexe« leitet sich aus dem Althochdeutschen »hagzissa« ab. Es bedeutet »Zaunreiterin«. Die moderne Vorstellung von der Hexe als weiser und emanzipierter Frau deutet das Bild von der Zaunreiterin so: Wenn die Hexe auf dem Zaun sitzt, dann hat sie a) einen größeren Überblick als andere Menschen und kann b) nach zwei Seiten schauen. Hexen sind also Frauen mit einer erweiterten Perspektive, Frauen mit Überblick und Durchblick, denn das Bild des Zauns steht auch für die Grenze zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt. Normalsterbliche »blicken« hier nicht durch. Die Hexe aber hat -86-
einen freien Blick über die Grenze hinweg. Sie sieht auf den Grund der Wirklichkeit. Früher galten Hexenbesen und Zaunlatte als ein Symbol für den Phallus des Teufels. Als Incubus (siehe Sexualität) hat dieser sexuellen Verkehr mit der Hexe. Da sein Sperma kalt und zeugungsunfähig ist, kann der Teufel mit der Hexe keine Kinder zeugen. Allerdings verstehen sich beide auf die Erzeugung von Trugbildern. Durch den Kräutertrank einer Hexe entstehen im Mann sexuelle Phantasien und täuschend echte Bilder. Auch bringt der Trunk die volle Manneskraft zurück, wie noch die alte Hexe in der Sze ne »Hexenküche« beweist, als sie Faust verjüngt, damit »sich Cupido regt und hin und wider springt« (V. 2598). Die paranormalen Fähigkeiten der Hexe gelten aus christlicher Perspektive als Teufelswerk. Sie ergeben sich aus dem Teufelspakt (siehe dort). Die Hexe schwört ihrem christlichen Glauben ab. Zur Besiegelung des Vertrags küsst sie das Hinterteil des Teufels und erhält von ihm ein Zeichen, ähnlich einer Tätowierung oder einem Piercing. Das Hexenmal wird an einer nicht sichtbaren Stelle angefertigt. Be liebt sind der Genitalbereich, die Achselhöhlen oder die Pobacken. Wie bei der schwarzen Messe (siehe dort), so werden auch beim Hexensabbat typische Elemente der katholischen Eucharistiefeier parodiert. Die Christen essen den »Leib des Herrn«, die Hexen kleine Kinder oder abgetriebene Föten. Der christliche Priester liest während der Messe aus der Heiligen Schrift, die Hexen studieren am Hexensabbat die schwarzmagischen Zauberbücher. Da ihre Versammlungsorte aus Sicherheitsgründen meist in großer Entfernung von den Wohnorten liegen, haben die Hexen eigene Flugtechniken zur Überwindung räumlicher Distanzen entwickelt. Mit Hilfe von Hexensalben aus Tollkirsche, Johannis- und Bilsenkraut verwandeln sie ihren Hexenbesen in ein Fluggerät. Zentraler deutscher Versammlungsort ist der Brocken oder Blocksberg -87-
(siehe dort) im Harz. Goethe hat ihn drei Mal besucht. Französische Hexen bevorzugen einen Platz in Neufundland. Neben der Walpurgisnacht (30. April) gelten Weihnachten, Ostern und Pfingsten als Hauptfeiertage. Die Hexenversammlung auf dem Blocksberg ist eine Art Generalkonvent. Das bedeutet für die Hexen Teilnahmepflicht und pünktliches Erscheinen. Wer zu spät kommt, den bestraft hier wahrlich der Teufel. Alte Hexen erstatten Bericht über ihre Tätigkeiten, neue werden vom Teufel in ihr Amt eingewiesen. Wer im Teufelsglauben rückfällig geworden ist und sich wieder dem Christentum zugewandt hat, erhält hier die Chance der Buße. Anschließend besprengt der Teufel, der gern im Kardinalspurpur auftritt, die satanische Gemeinde mit Weihwasser. Selbstverständlich wird auch eine Anwesenheitsliste geführt. Wer also glaubt, eine Hexenversammlung erschöpfe sich in orgiastischem Treiben, der verkennt den buchhalterischen Charakter des Teufels. Gotteslästerung und sexuelle Ausschweifungen bestimmen das weitere Programm eines Hexensabbats. Hexen lieben vor allen Dingen einen ausgelassenen Tanz in unbekleidetem Zustand. Das christliche Glaubensbekenntnis sagen sie rückwärts auf und werden anschließend vom Hexenmeister mit der Formel gesegnet: »Gehet hin im Namen des Teufels«. Bekanntlich können sich Hexen und Teufel in Tiere verwandeln. So nimmt der Teufel gern die Gestalt eines schwarzen Pudels, Bockes oder Hahnes an. Hexen erscheinen als Bär, Eidechse, Eule, Katze, Rabe, Kröte, Ratte, Schlange, Spinne oder Ziege. Die Unterscheidung zwischen einem echten Haustier und einem verhexten ist gar nicht so schwer. Hexenkatzen haben einen längeren Schwanz. Auch wenn eine Katze zu sprechen beginnt, liegt eindeutig ein Fall von Hexerei vor. Tanzende Katzen sind gleichfalls des Teufels. Frauen werden nicht als Hexen geboren, sondern zu Hexen gemacht. Gleiches gilt auch für die »Hexenpädagogik«. Der -88-
Pakt mit dem Teufel ist der Abschluss des Noviziates unter der Anleitung einer erfahrenen Hexe, der Novizenmeisterin. Jede Hexe ist verpflichtet, junge Hexen auszubilden. Die Ausbildung dauert 21 Jahre. Erst nach ihrem Abschluss erhält die Hexe das Teufelsmal. Die ersten sieben Lebensjahre gelten dabei als entscheidende Grundlage für den Erwerb von magischen Fähigkeiten. Eine solche »schwarze Pädagogik« deckt sich teilweise mit Erkenntnissen der modernen Lernpsychologie. Kinder über sieben Jahre können das Hexen nicht mehr erlernen, heißt es. Das erklärt, warum Hexen kleine Kinder stehlen. Eltern können ihre Kinder durch eine Haube schützen, auf die ein Kreuz und ein Stern gestickt sind. Moderne Hexen sind nicht gleich an ihrem äußeren Erscheinungsbild zu erkennen. Das war früher anders: Hexen blinzeln aus leuchtenden Augen. Ihr Haar ist ungeordnet. Über der Lippe tragen sie einen Damenbart und am Kinn dicke lange Stoppeln. Sie sind mager, hinken gelegentlich oder haben einen Buckel. Ihre Finger sind krumm. Darüber hinaus tragen Hexen immer zwei verschieden farbige Strümpfe, meist einen roten und einen schwarzen. Die dunklen Flecken auf ihren Armen sind die Fingerspuren des Teufels. Auch an typischen Gewohnheiten ließ sich früher eine Hexe eindeutig erkennen. Sie sammelt gern Kräuter, isst fett, weicht bei einer Begegnung nach links aus und beschenkt Kinder mit Spielsachen und Süßigkeiten. Hexen können auch durch die Weihwasserprobe leicht erkannt werden. Wie der Teufel, so fürchtet die Hexe das Weihwasser. Während des Messopfers oder wenn der Priester die Monstranz hochhält, muß sich die Hexe abwenden. Hexen erkennen ist gefährlich, denn eine erkannte Hexe wird sich rächen und einen Schadenszauber ausüben. Gut, wenn man den Gegenzauber kennt. Ein Besen vor die Haustür gelegt oder aufrecht hinter die Tür gestellt, verhindert den Eintritt der Hexe. Erfolgreich gegen Hexen darüber hinaus sind die Ausrufung des Namens Gottes, Jesu, des Schutzengels oder ein Stoßgebet. Als -89-
absolut zuverlässiger Abwehrzauber gilt das Stricken, weil dabei die Nadeln gekreuzt werden und jede Hexe und jeder Teufel den Anblick des Kreuzes meidet. Kinder, die ein kleines Kreuz um den Hals tragen, und Häuser, über deren Eingang sich ein Kreuz befindet, sind daher vor allem Bösen sicher geschützt. Der moderne Hexen- oder Wicca-Kult bestreitet jeden Zusammenhang zwischen Hexenwesen und Teufelspakt. Aus ihrer Sicht bewahren Hexen das geheime Wissen einer uralten heidnischen Magie. Da die Worte »Magie« und »Heidentum« negativ belastet sind, bezeichnen sich moderne Hexen als »Pagans« und ihre Hexenkunst als »Magick«. Die fünf Zacken des Pentagramms deuten sie als Symbol für die vier Elemente und den Geist.
Hexenring Hexen schließen mit dem Teufel einen Pakt. Als Siegel dieses Vertrags tragen sie das Hexenmal. Satan erhält dafür einen Kuss auf den Hintern. Dieser wird in der Fachsprache Homagialkuss genannt. Eigentlich wäre zu erwarten, daß die Hexen einen Ehering tragen, denn der Satanismus und alle Hexenriten parodieren bekanntlich den christlichen Glauben. Nonnen tragen einen Ehering. Sie sind die »Bräute Christi«. So müssten folgerichtig die Hexen als »Bräute Satans« einen Ring als Zeichen ihrer Vermählung tragen. Merkwürdigerweise herrscht hier eine gewisse Inkonsequenz im Hexenglauben. Der Hexenring ist also kein Schmuckstück oder Ehering der Hexe. Vielmehr entstehen Hexenringe an den Stellen im Wald und auf Lichtungen, wo die Hexen in der Nacht getanzt haben. Mit dem Wort »Hexenring« wird eine große Zahl von Pilzen in kreisförmiger Ordnung bezeichnet. Meist sind diese Pilze besonders schön anzusehen, doch giftig wie der rote Fliegenpilz (Amanita muscaria) mit seiner weiß gepunkteten Kappe. In -90-
einigen Gegenden Lapplands und Sibiriens wurde er früher getrocknet und dann unter Anleitung des Schamanen gegessen. Flugträume und Visionen sollen die Folge gewesen sein. Für den Pilzsammler, der giftige, ungenießbare und essbare Pilze nicht eindeutig unterscheiden kann, gilt eine einfache Regel: Hände weg von allen Pilzen, die im Hexenring wachsen! Auch der netzstielige Hexenröhrling (Boletus luridus) sollte gemieden werden. Er ist zwar gekocht essbar, kann jedoch Bauchschmerzen verursachen. Vom Satansröhrling (Boletus satanas) sollte man unbedingt die Finger lassen. Sein großer weißer Hut täuscht nur Unschuld vor. Er ist giftig, wie alles, was vom Teufel kommt.
Hiob Der Teufel hat viele Gesichter. Im Buch Hiob erscheint er als eine Art Staatsanwalt im Himmel. Sein Name deutet zugleich seine Aufgabe an: Er heißt Satan und bedeutet Widersacher. Dieser Satan (siehe dort) ist nicht der gefallene Engel, nicht der trotzige Rebell gegen Gottes Ordnung. Im Gegenteil! Er gehört zur himmlischen Ordnung. Als Staatsanwalt achtet er auf die Einhaltung der göttlichen Gesetze. Er ist eine Art Präfekt der himmlischen Glaubenskongregation. Der berühmte Streitfall, an dem sich sein Widerspruch gegen Gott entzündete, war die »Akte Hiob«. Bekanntlich hat diese Goethe zu dem »Prolog im Himmel« in seiner Tragödie »Faust« inspiriert. Gott hatte Hiob mit Wohlstand und Fruchtbarkeit reich gesegnet. Sieben Söhne und drei Töchter zählte Hiob. Er besaß siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, eintausend Rinder, fünfhundert Esel und sehr viel Gesinde, kurzum, er war der reichste Mann im Lande Uz. Das Familienleben war harmonisch, und der fromme Hiob galt als Vorzeigebeispiel für -91-
alle Menschen, die fragten: Was habe ich denn davon, wenn ich an Gott glaube? Die Antwort lautete: Sieh den Gottesmann Hiob! Wer auf den Wegen Gottes wandelt und seine Gebote hält, der lebt in Wohlstand, so wie Hiob! Gott und Hiob, beide bildeten eine Einheit. Wie stolz Gott auf Hiob war, das zeigte der Lobpreis, der sich auf das weitere Schicksal Hiobs verhängnisvoll auswirken sollte. Eine himmlische Ratsversammlung war anberaumt worden, zu der auch Satan erschien. Der Staatsanwalt war soeben von einem Kontrollgang auf der Erde zurückgekehrt. Gott kam sogleich auf Hiob zu sprechen. »Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist Seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.« Hiobs Frömmigkeit sei nicht echt, lästerte Satan. Wer so reich wie Hiob sei, der habe allen Grund, den Gottesfürchtigen zu spielen. Der Herr solle die Probe machen, den Besitz antasten und sehen, wie Hiob seinem Glauben abschwören werde. Glaubensprüfungen gehören zur Geschichte aller großen Religionen. Aber diese Prüfung scheint völlig sinnlos. Das Leiden der Märtyrer beweist die Macht des Glaubens. Es führt viele Menschen zur Bekehrung. Wer aber soll im Fall Hiobs bekehrt werden? Etwa Satan selbst, damit er einstimmt in den Lobgesang der Engel? Wäre das eine Rechtfertigung dafür, daß Gott dem Teufel erlaubt, Hiobs Söhne und Töchter, seine Knechte und seinen gesamten Viehbestand von elftausendfünfhundert Stück zu töten? Nach der ersten Attacke kehrt Satan in den Himmel zurück. Gott hat die Wette gewonnen. Hiob ist in allem Leid treu geblieben. »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt!«, waren seine Worte. Warum ist jetzt der unerträglichen Prüfung kein Ende? Was soll noch bewiesen werden? Der Satan läßt nicht locker, sein Misstrauen kennt keine Grenzen. Hiob habe zwar keine Kinder -92-
und keinen Besitz mehr, aber er sei noch bei guter Gesundheit. Wenn es ihm Gott erlaube, daß er diese antaste und Hiob mit Geschwüren vom Scheitel bis zur Sohle peinige, so werde er es binnen kurzem erleben, wie sein angeblich frommes Kind ihm den Rücken kehre. Am Ende ist alles wieder gut. Nach langer Leidenszeit wird Hiob geheilt, er kommt zu neuem, noch größerem Wohlstand und vielen Kindern. Davon werden aber die ermordeten zehn Kinder und elftausendfünfhundert Stück Vieh nicht wieder lebendig. Vom Satan ist nicht mehr die Rede. Er ist an Hiob gescheitert, wie es ihm prophezeit worden war. Gott und Hiob sind weiterhin Freunde. Aber Hiob ist »erwachsen geworden«. Seine Vorstellung von Gott hat sich gewandelt: Gott ist der Allmächtige, aber nicht der Gute. Er hat die Welt erschaffen, er ist Herr der Zeit und des Raumes, selbst die schrecklichen Ungeheuer im Ozean, der Behemot und der Leviathan (siehe dort) sind sein Werk. Vor ihm verstummt alle Gottesgelehrsamkeit, alles Verstehenwollen. Das Rätsel dieses Schöpfers von Himmel und Erde wird nicht enthüllt. »Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen«, spricht Hiob zu Gott, »aber nun hat mein Auge dich gesehen« (Hiob 42.5). Gott erkennen heißt in sein Geheimnis einkehren und schweigen. Im Jahr 1952 tritt der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung (1875-1961) mit einer »Antwort auf Hiob« an die Öffentlichkeit. Auch Jung (siehe dort) stellt sich die Frage, warum Gott dem Satan so große Macht zugesteht. Seine Antwort lautet: Gott kann nicht anders, denn der Satan ist sein eigener Widerspruch, der Schatten an seiner Seite. In Gott herrsche ein ständiger innerer Zweikampf zwischen Licht und Dunkelheit. Der schuldige Mensch aber sei erwählt, die Gegensätze von Gut und Böse miteinander zu versöhnen. Die Erlösung des Menschen werde zugleich eine Erlösung Gottes sein. »Seit der Apokalypse wissen wir wieder, daß Gott nicht nur zu lieben, sondern auch zu fürchten ist. Er erfüllt uns mit Gutem und mit Bösem, sonst wäre er ja nicht zu fürchten, und weil er Mensch werden will, muß die -93-
Einigung seiner Antinomie im Menschen stattfinden. Das bedeutet für den Menschen eine neue Verantwortlichkeit. Er kann sich jetzt nicht mehr mit seiner Kleinheit und Nichtigkeit ausreden, denn der dunkle Gott hat ihm die Atombombe und die chemischen Kampfstoffe in die Hand gedrückt und ihm damit die Macht gegeben, die apokalyptischen Zornschalen über seine Mitmenschen auszugießen. Da ihm sozusagen göttliche Macht geworden, kann er nicht mehr blind und unbewußt bleiben. Er muß um die Natur Gottes und um das, was in der Metaphysik vorgeht, wissen, damit er sich selbst verstehe und dadurch Gott erkenne.«
Hirnforschung Nicht immer, wenn es spukt, muß gleich ein Geist dahinterstehen. Das gilt auch für den Verdopplungsspuk. Schon Fjodor Dostojewski erzählt in seinem Roman »Der Doppelgänger« von der Begegnung mit dem eigenen Schattenbild. Dieses merkwürdige Phänomen wird auch in dem Film »Being John Malkovich« beschrieben. Menschen sehen plötzlich ihr Double. Sie stehen ihm gegenüber, starr sitzt es am Schreibtisch oder hängt tot an einem Baum. Die Hirnforschung spricht von Heautoskopien. Unter ihnen leiden besonders Epileptiker, suizidgefährdete Menschen, Schizophrene und Depressive. Aber auch emotionaler Stress, Erschöpfungszustände und Ängste können das Bild des Doppelgängers erzeugen. Britische Hirnforscher geben folgende Kennzeichen des Doppelgängerspuks: Die geisterhaften Figuren erscheinen meist in der Morgen- und Abenddämmerung. Wenn man versucht, mit den Händen nach ihne n zu greifen, so verschwinden sie. Sie reden nicht und stehen als stumme Beobachter im Zimmer. Ihre Gestalt ist grau und schemenhaft, ihr Erscheinen geschieht ohne -94-
Vorankündigung. Der Doppelgänger wirft keinen Schatten. Eine neurologische Erklärung des Doppelgängerspuks ist bisher noch nicht gelungen. Alle Merkmale dieser Halluzinationen findet man seit Jahrhunderten im Geisterglauben bezeugt. Morgenund Abenddämmerung sind klassische Tageszeiten für die Begegnung mit Geistwesen, wie Jakobs Kampf mit dem Engel zeigt. Geister können nicht mit den Händen »begriffen« werden, sie werfen keinen Schatten und sind als so genannte Wiedergänger (siehe dort) im Volksglauben bezeugt.
Hölle Der Bildhauer Auguste Rodin hatte einen prophetischen Blick in das 20. Jahrhundert geworfen, als er ein Relief mit dem Titel »Das Höllenportal« (1880) entwarf. Über den leidenden Menschen sitzt kein Teufel, sondern eine kleine Nachbildung der berühmten Figur des Denkers. Um von der Hölle zu reden, braucht es den Teufel nicht. Mensche n haben sich Höllen ausgedacht und mit den Vernichtungslagern Höllen von beispielloser Grausamkeit geschaffen. In seiner Rede zum fünfzigsten Jahrestag der Auschwitz-Befreiung spricht Samuel Pisar in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem von dem »unaussprechlichsten Bösen« und der »größten Tötungsstätte aller Zeiten, an denen Eichmanns grauenvolle Wirklichkeit die Höllenvision Dantes noch an Düsternis übertraf«. Das Leben kann zur Hölle werden. Die Hölle der Angst (siehe dort) und die Hölle, die Menschen den Menschen auf Erden bereiten, sind schreckliche Wirklichkeit. Aber ist die Hölle auch ein Ort des Jenseits? Auf Tausenden von Bildern setzten Maler die Hölle ins Bild. Steinmetze meißelten den Rachen der Hölle über die Kirchenportale des Mittelalters. Dante (»Die göttliche Komödie«, 1311-1321) und andere Dichter haben die sieben Kreise der Hölle beschrieben, mittelalterliche Philosophen sie -95-
sogar vermessen. Nach katholischer Lehre ist die Sachlage eindeutig: »Wir definieren zudem«, schreibt Benedikt XII. (20. Dezember 1334-25. April 1342), »daß nach allgemeiner Anordnung Gottes die Seelen der in einer aktuellen Todsünde Dahinscheidenden sogleich nach ihrem Tod zur Hölle hinabsteigen, wo sie mit den Qualen der Hölle gepeinigt werden« (Denzinger 1002). Selbst das als liberal geltende Zweite Vatikanische Konzil hält Ende des 20. Jahrhunderts an der Existenz der Hölle fest. »Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die sehr wohl wissen, daß die katholische Kirche von Gott durch Jesus Christus als eine notwendige gegründet wurde, jedoch nicht in sie eintreten oder in ihr ausharren wollten.« (Denzinger 4136) Wer kommt in die Hölle? Die Antwort lautet: Alle Christen, die aus der katholischen Kirche austreten oder nicht in sie eintreten. Der Abfall vom wahren katholischen Glauben, Apostasie genannt, gilt noch heute als Todsünde (siehe Sünde). Das Wort »Hölle« bezeichnet in den germanischen Sprachen ein verborgenes Totenreich (»hel«). In den romanischen Sprachen wird dieser unterirdische Bereich »infernum« genannt. Die Griechen sprechen vom Hades. Einen jenseitigen Strafort kannten auch die Ägypter. Höllenvorstellungen sind im Judentum und im Islam verbreitet. Die Hölle ist also keine Erfindung der Priester. Sie ist im Neuen Testament an zentraler Stelle verankert. Christen glauben, daß Jesus gekommen ist, um die Menschheit von der Macht der Sünde und des Teufels zu befreien. Eines Tages, so hatte er vor seiner Himmelfahrt prophezeit, werde er mit seinen Engeln wiederkommen und die große Scheidung der Menschheit in Gute und Böse, Erlöste und Verworfene vollziehen. »So wird es auch am Ende der Welt gehen: die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.« (Matthäus 13.49-50) Die Lehre von der Wiederkehr Jesu (Parusie) zum Jüngsten Gericht -96-
über die Lebenden und Toten ist im Glaubensbekenntnis fest verankert. Dort heißt es: »Von dort (dem Himmel) wird er (Jesus) kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.« Die christliche Vorstellung von Fegefeuer und Hölle ist auch durch das berühmte Gleichnis vom Reichen Mann und Armen Lazarus (Lukas 16.19-31) nachhaltig bestimmt worden. Im irdischen Leben erging es dem Reichen bestens. Er trug feine Kleidung aus Purpur und kostbarem Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Nicht, daß er seinen Wohlstand genoss, wird ihm zum Verhängnis. Der reiche Mann dachte nur an sich, er hatte nicht zu teilen gelernt und verschloss die Augen vor dem bejammernswerten armen Mann, der vo n Geschwüren bedeckt vor seiner Tür lag und auf ein paar Abfälle von der reichgedeckten Tafel hoffte. Nur die Hunde haben Mitleid. Sie lecken seine Wunden. Nach dem Tod wird Lazarus von den Engeln in Abrahams Schoß (siehe auch Fegefeuer) getragen. Der reiche Mann aber fährt zur Hölle. Soweit erzählt die Geschichte von einer Wiedergutmachung oder ausgleichenden Gerechtigkeit. Zwischen Himmel und Hölle ist ein Blickkontakt möglich. In seiner Qual hebt der Reiche hilfesuchend die Augen und sieht in der Ferne das Bild der Geborgenheit. Die gerechte Trennung der Menschheit in Himmel- und Höllenbewohner wird von dem Reichen so wenig bestritten wie die Berechtigung seiner Verurteilung. Er bittet Abraham nicht um eine Befreiung aus der Hölle, sondern allein um einen kleinen Liebesdienst: Lazarus solle kommen, »damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen«. Dieses Bild von den ewigen Flammen der Hölle, die brennen, ohne die Sünder zu verbrennen, ha t nachhaltig auf die Jenseitsvorstellungen der Menschen gewirkt. Darf man dem Reichen die kleine Bitte abschlagen? Ist es nicht unbegreiflich grausam, dem Verurteilten keine Verringerung seiner Qual zu gewähren? Doch auch die -97-
umgekehrte Frage stellt sich: Darf es Lazarus zugemutet werden, jetzt den Mann zu pflegen, der sich zu irdischen Lebzeiten in keiner Weise um sein erbarmenswertes Schicksal gekümmert hatte? Soll ausgerechnet das Opfer zum Krankenpfleger des Täters werden? Abraham antwortet dem Reichen: »Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt.« Eine Ewigkeit in der Hölle für sechzig oder siebzig Jahre angenehmen Lebens auf Erden, da scheint mit ungle ichen Gewichten gewogen zu werden. Doch nicht weniger beunruhigend ist die zweite Antwort, die Abraham dem Reichen gibt: »Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, daß niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber« (Lukas 16.26). Niemand könne ihn heilen, niemand könne den tiefen Abgrund zwischen Himmel und Hölle überwinden, weder Abraham, Lazarus noch einer der Höllenbewohner. Gilt das auch für Gott? »Daß die Parabel vom reichen Prasser und dem armen Lazarus nichts weiter sein will als eine ernste Warnung an die Lebenden, sich des Armen vor ihrer Tür zu erbarmen, ist klar.« Ist das wirklich so »klar«, wie Hans Urs von Balthasar behauptet? So müsste es sein, und auch der Reiche bittet, daß Abraham wenigstens den Lazarus zu seinen noch lebenden fünf Brüdern schicke, damit sie gewarnt seien und »nicht auch kommen an diesen Ort der Qual«. Abraham entgegnet, die Brüder des Reichen hätten Moses und die Propheten als Mahner der Nächstenliebe. Und selbst »wenn jemand von den Toten auferstünde«, ergänzt er in Anspielung auf Christus, »so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen« (Lukas 16.31). »Die große Seelenwahrheit des Infernos erfasst keiner so leicht vor seinem vierzigsten Jahr«, sagt Hans Carossa. Das Rätselhafte ist weniger die Vorstellung eines jenseitigen -98-
Strafortes als die dunkle Erfahrung, daß sich Menschen trotz besseren Wissens der Stimme der Wahrheit und der Menschlichkeit verschließen. Deshalb sind nicht wenige große Heilige mit ihrem Liebeseifer Sturm gegen die Pforten der Hölle gelaufen. Katharina von Siena sagt: »Wie könnte ich denn, Herr, mich damit abfinden, daß ein einziger von denen, die Du wie mich nach Deinem Bild und Gleichnis geschaffen hast, verlorenginge und Deinen Händen entglitte? Nein, auf gar keinen Fall will ich einen einzigen meiner Brüder zugrunde gehen sehen, einen einzigen derer, die mir durch eine gleiche Geburt zur Natur und zur Gnade geeint sind. Ich will, daß sie alle dem alten Feind entrissen seien, daß Du sie alle zur Ehre und zur größeren Verherrlichung Deines Namens gewinnst.« Neben der offiziellen Kirchenlehre über die Hölle gab es von Anfang an eine alternative Entwicklung. Das schreckliche Entweder - Oder von Himmel und Hölle wurde schon von den frühen Christen gelockert. Die Antike kannte verschiedene »Höllenfahrten«. Odysseus war in das Totenreich gestiegen, der Sänger Orpheus hatte versucht, Eurydike aus dem Reich des Hades zu befreien. In apokryphen Evangelien wie den Pilatusakten (auch Nikodemusevangelium genannt) erzählen sie vom Abstieg Christi in die Hölle, wo er die Seelen aus der Gefangenschaft befreite. Auch diese Höllenfahrt Christi (descensus ad inferos) wurde Teil des Glaubensbekenntnisses, wenn es heißt: »Hinabgestiegen in das Reich des Todes«. Die Erzählung von der Höllenfahrt Christi wurde so beliebt, daß sie in die Märchenwelt einging. Das bekannte Grimmsche Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren erzählt von einem unerschrockenen Knaben, der in die Hölle hinabsteigt und dort den Teufel überlistet. Zur Entschärfung der Hölle trug auch die irische Legende von Brandan (484-576), dem Seefahrer, bei. Der Heilige hatte viele Klöster in Kerry, Clare und Galway sowie auf den Inseln des Shannon gegründet. Clonfert (Clúainferta) war das größte und -99-
zählte zeitweilig 3000 Mönche. Irland lag weit entfernt von Rom, und die offene See blies frischen Wind in geistliche Gelehrtenstuben. Brandan war auch als Seefahrer wagemutig. Er segelte mit ausgewählten Mönchen bis an die Ränder der damals bekannten Welt, in jene Zonen, wo Geographie und Mythologie ineinander verschmolzen. Auf offenem Meer entdecken sie eine kleine felsige Insel, gerade so groß, daß eine Person darauf sitzen kann. Der Mann, dem sie hier begegnen, leidet eine unsägliche Pein. Sein Leib ist schwarz von Pech und Harz, das ihn glühend umhüllt. Die Flammen haben ihm große Löcher in den Körper gefressen. Vor den Augen hängt zur Linderung der Schmerzen ein kleines Tüchlein, und vom Himmel fällt kühlender Hagel auf ihn. Brandan erkundigt sich nach dem Schicksal und der Herkunft des Gepeinigten und erfährt, der Gequälte komme aus der Hölle. An jedem Samstagabend erhalte er bis Sonntagmittag einen halben Tag Höllenurlaub. Dann führten ihn die Teufel wieder zurück in großes, unsägliches Leid. Brandan kann sich nicht vorstellen, daß ein noch größeres Leiden möglich sei, als es dem Mann bereits jetzt zugefügt wird. Da unten in der Hölle, erklärt der Mann, werfen ihn die Teufel in waberndes Pech. Da ist die Hitze so groß, daß ein stählerner Berg darin schmelzen würde. Der Heilige erkundigt sich nach dem Namen des Gefolterten, und dieser antwortet: »Ich bin der arme Judas.« Brandan kann den Anblick nicht ertragen. Voller Mitleid fragt er Judas, ob ihm nicht geholfen werden könne. Immerhin sei es Lehre der Kirche, daß Christen und besonders die Heiligen durch ihre Fürbitten Gottes besondere Gnade für die Sünder erwirken können. Er und seine Mönche seien bereit, mit allem Eifer für das Seelenheil des Gemarterten zu beten. Judas erwidert: »Alles Bitten für mich ist gar verloren, denn Gott will sich nimmermehr meiner erbarmen.« So lehrt es auch die römische Kirche. Der Ire Brandan beugt sich ihrer Lehrmeinung nicht. Die ganze Nacht harrt er neben Judas aus -100-
und leidet mit ihm bis Sonntagmittag. Dann kommt die Stunde der Teufel. Judas schreit so jämmerlich, daß es einen Stein erbarmen könnte: »Oh weh, ach und weh, muß ich aber in die große, unsägliche Pein!« Sein Fall ist aussichtslos, an seinem Schicksal gibt es nichts zu ändern. Alle glauben das, auch Judas selbst. Brandan ist da anderer Meinung. Er hat eine andere Vorstellung von Gott. Deshalb schaut er nicht resigniert zu, wie Judas vor Angst zittert. Wer damals eine Reise unternahm, der führte Reliquien, Überreste von Heiligen mit sich. Unter ihrem Beistand konnte man sich sicherer fühlen. Brandan läßt den ganzen Reliquienschatz an Deck holen zur Unterstützung des Gebetskampfes gegen die Teufel, den er und seine Mönche jetzt aufnehmen. Da brausen die Höllendiener in einem großen Feuergewitter he ran, daß es scheint, als brennten Meer und Luft. Die Teufel Umschweifen das Schiff, spucken Feuer, Rauch, Pech und Schwefel aus ihren Mäulern. Ein Bruder will verzagen, doch Brandan läßt sich nicht von den Angriffen der Teufel irritieren, auch dann nicht, als sie brennende Schwefelstücke ins Meer fallen lassen. Er bittet Gott, daß er Judas noch eine weitere Nacht Höllenurlaub gewähre. Was niemand für möglich hielt, geschieht. Gott schenkt Judas sein Erbarmen. Die Teufel jaulen auf und drohen Judas, sie werden ihn am nächsten Tag desto stärker peinigen. Doch auch hier weicht Brandan nicht zurück und verbietet den Teufeln im Namen Gottes, die Pein bei der Rückkehr zur Hölle zu steigern. Warum hatte Brandan nicht gebeten, daß Gott dem Judas die Höllenqual gänzlich erspare? Wer so fragt, übersieht die Provokation der offiziellen kirchlichen Meinung, die darin lag, daß Brandan es erreicht hatte, Judas einen weiteren halben Tag der Befreiung von den Höllenqualen zu erwirken. Noch wichtiger war der Einbruch in das als unerschütterlich gerecht geltende Gottesbild, den Brandan vollzogen hatte. Gott zeigt Erbarmen. Das war Brandans große Wiederentdeckung. Der -101-
maßgebliche Theologe der katholischen Lehre war da anderer Meinung. Wie läßt sich der Glaube an die Güte Gottes mit der Vorstellung von einem Strafort vereinbaren, wo die Sünder ewig gequält werden? Der Dominikanermönch Thomas von Aquin (gestorben 1274) hat diese und andere Fragen seiner Zeitgenossen aufgegriffen. Gott ist gerecht, sagt Thomas. Ziel aller Höllenstrafen sei die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung. Wer sich auf Erden seiner Barmherzigkeit gegenüber als unwürdig erwiesen habe, erhalte im Jenseits die gerechte Strafe. Gläubige, die vom Glauben abgefallen sind, werden stärker bestraft als Ungläubige, denn im Gegensatz zu den Ungläubigen wussten die Gläubigen ja, was sie erwartet. Nach dieser Logik ist es für Thomas auch selbstverständlich, daß zwischen den Himmels- und Höllenbewohnern Blickkontakt herrscht. »Damit nun den Heiligen ihre Seligkeit noch erfreulicher sei und sie Gott dafür noch reichlicher danken, wird es ihnen verliehen, die Strafe der Gottlosen vollkommen zu schauen.« Mitleid gegenüber den Verdammten kennen sie nicht, allerdings weiden sie sich auch nicht an ihrer Qual. Vielmehr freuen sie sich an der Wiederherstellung der göttlichen Ordnung und ihrem eigenen seligen Zustand. Thomas weiß auch, wo sich die Hölle befindet, nämlich in der Erdmitte. Das dort brennende Feuer versteht er als Bild für die äußerst schmerzhaften seelischen und körperlichen Qualen. Auch über die Art der Bestrafung ist der größte Theologe der katholischen Kirche unterrichtet: In der Hölle wird nach dem Grundsatz »Womit jemand sündigt, damit wird er auch gestraft« (per quae peccat quis, per haec et torquetur) gehandelt. Zur Steigerung ihrer Qual haben auch die Verdammten Blickkontakt zu den Erlösten. Das schürt ihren Hass: »Daher wollen sie, alle Seligen seien verdammt.« Mit dem Tag des Jüngsten Gerichtes wird der Blickkontakt jedoch ein Ende haben. »Doch wird ihre Pein deswegen nicht geringer, sondern größer werden; denn sie -102-
werden die Erinnerung an die Herrlichkeit der Seligen behalten, die sie während des Gerichtes oder vor dem Gericht sahen; und das wird ihnen zur Qual gereichen.«
Homosexualität Jahrhundertelang wurde die Homosexualität verteufelt. Zur Rechtfertigung diente eine Überlieferung der Bibel, nach der sich die Einwohner von Sodom und Gomorra an zwei männlichen Engeln sexuell vergehen wollten (Genesis 19.5). »Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Greuel« (Leviticus 18.22), so heißt es in einer jüdischen Gesetzsammlung. Als tragisches Opfer der Verteufelung homoerotischer Neigung gilt heute der Fall des Jürgen Bartsch. Der Metzgergeselle hatte Anfang der sechziger Jahre vier Jugendliche in eine Höhle gelockt, sich an ihnen sexuell vergangen und sie anschließend ermordet. Jürgen Bartsch erlebte eine weitgehend typische Kindheit im Nachkriegsdeutschland. Der Wiederaufbau läßt wenig Zeit für Kinder. Sie wachsen neben den vielbeschäftigten Eltern auf. Jürgen Bartsch verbringt das erste Lebensjahr in einem Heim. Die leibliche Mutter hat ihn nach der Geburt verlassen. Er wird von einem kinderlosen Metzgerehepaar adoptiert. Materiell geht es ihm gut, allerdings haben die Eltern kaum Zeit für ihn. Das Geschäft fordert die ständige Anwesenheit beider. Die Erziehung ist streng, die Reinlichkeitserziehung übertrieben. Noch im fünfzehnten Lebensjahr übernimmt die Metzgergattin beim wöchentlichen Bad die Körperpflege ihres Adoptivsohnes. Jürgen Bartsch wird von seinen Mitschülern als Außenseiter behandelt. Die Eltern geben ihn in ein Kinderheim. Es wird eine glückliche Zeit. Später im Knabeninternat »Don Bosco« der Salesianer drückt -103-
Bartsch mit fünfzig Mitschülern die Schulbank. Hier ist die Erziehung streng, Prügelstrafen sind wie an sämtlichen deutschen Schulen jener Jahre üblich. Onanie gilt als schwere Sünde. Sexualität ist vom Teufel. Jungenfreundschaften werden nicht gern gesehen, denn allzu große Vertrautheit könnte der Verfehlung Vorschub leisten, heißt es. Schnell verliere sich die Knabenhand unter fremder Bettdecke. Die Geistlichen sind zugleich Lehrer. Im Beichtgespräch gilt ihr besonderes Interesse den pubertären Regungen des erwachten männlichen Geschlechts. Auf der einen Seite wird die geschlechtliche Liebe verteufelt (siehe auch Sexualität), andererseits macht der Erzieher Pater Pütz homoerotische Annäherungsversuche, schmust mit seinen Lieblingen, küsst sie und greift ihnen in den Schritt. Jürgen Bartsch flieht mit einem Freund aus dem Internat. Sie laufen über die Eisenbahnschienen rheinaufwärts. Da, für Jürgen Bartsch selbst »wie aus heiterem Himmel«, überfällt ihn der Wunsch, den Freund auf die Schienen zu werfen, damit er von dem anrollenden Zug überfahren wird. Gewalt und der Wunsch nach sexuellem Kontakt verbinden sich in dieser Attacke. Niemand sei erschreckter gewesen als er selbst, erinnert sich Bartsch später. Hier auf der Flucht bricht zum ersten Mal die Verflechtung von Sexualität und Sadismus aus ihm hervor, die zum Muster der später erfolgten vier Morde wird. Die Stiefeltern schicken ihn ins Internat zurück. Niemand kennt seine geheimen Wünsche, niemand weiß, daß er unter Freisetzung sadistischer Phantasien onaniert. Nach dem Hauptschulabschluss arbeitet Jürgen als Metzgerlehrling bei seinem Adoptivvater in der Wurstküche. Er verdient sein erstes Geld und kauft sich einen VW-Käfer. Durch finanzielle Freigebigkeit erwirbt er auf Jahrmarktbesuchen die Gunst männlicher Jugendlicher. Dann erfolgt wie unter Zwang der erste Sexualmord an einem gleichaltrigen Jungen. Er habe das »Gefühl gehabt, du mußt das -104-
tun«. Anschließend sei er geschockt gewesen über seine Untat, habe nächtelang geweint und sein Kopfkissen umklammert, als wäre es der Ermordete. »Lieber Gott, wenn Du mich von dieser Scheiße befreist, baue ich Dir eine Kapelle!«, betet er. Eine Woche später erfolgt der zweite Mord. Jürgen Bartsch wünscht sich, gefasst zu werden. Noch zwei weitere männliche Jugendliche werden sein Opfer, bis dieser Wunsch in Erfüllung geht. Bartsch hatte das Böse als Einbruch einer höheren Macht erlebt. Er entschuldigte sich nicht mit einer verfehlten Erziehung. Er selbst fühlte sich schuldig. Der Wunsch zu lieben und der Drang zu töten waren in ihm auf rätselhafte Weise miteinander verbunden. Am 27. November 1967 begann der Prozess. Das Urteil des Landesgerichtes Düsseldorf lautete auf zehn Jahre Jugendstrafe mit anschließender Einweisung in die Psychiatrie. In der Begründung vom 6. April 1971 hieß es: »Gut und Böse kämpften in seinem Inneren. Brüsk entschied er sich für das Böse.« Im Gefängnis erwägt Jürgen Bartsch eine Hirnoperation, weil er sich davon eine Zerstörung des aggressiven Potentials verspricht. Eine Krankenschwester sorgt für Pressewirbel, als sie Jürgen Bartsch einen Heiratsantrag macht. Sie glaubt, seine sadistischen Neigungen heilen zu können. Schließlich entscheidet sich Bartsch freiwillig für eine Kastration. Er stirbt bei der Operation. Das Leben in der Hölle auf Erden hat für ihn ein Ende gefunden.
Internet Früher flogen die Hexe n (siehe dort) in Gedankenschnelle zum Blocksberg. Heute surfen sie mit gleicher Geschwindigkeit im Internet. Auch der Teufelspakt (siehe dort) muß nicht mehr während der Walpurgisnacht auf dem Brocken unterschrieben -105-
werden. Auf der Auktionsseite der Website »eBay« hatte Adam Burtle aus Woodinville im Bundesstatt Washington die »kaum benutzte Seele eines 20jährigen Jungen aus Seattle« angeboten. Mindestgebot waren fünf Cents. Die Bieter sollen sich ein regelrechtes Gefecht geliefert haben. Den Zuschlag erhielt schließlich eine Frau aus Iowa für 400 Dollar. Den Anbieter brachte sie in Schwierigkeiten: »Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wie sie meine Seele kriegen soll«, gestand Adam Burtle. »eBay«-Sprecher Kevin Pursglove verbot schließlich den Handel mit der Begründung: »Man sollte schon etwas anbieten, was der Verkäufer dem Käufer auch wirklich liefern kann.« (FAZ vom 12. Februar 2001) Nicht nur der Teufel, auch seine bekennenden Anhänger haben eine eigene Homepage. Die kalifornische Church of Satan kommentiert auf den Websites Satan2000.com und SatanicRituals.com das Weltgeschehen. Unter der Adresse SatanShop.com findet der Satanist das komplette Zubehör für satanische Messen (siehe dort): Kleidung, Schwerter, Kelche, Dolche, Statuen und anderes »Home decor«. Beim Surfen auf dieser Homepage hat man zuerst den Eindruck, das Angebot eines Kostümverleihs für Karneval zu sehen. Doch bald hört der Spaß auf. Da wird der Live-Mitschnitt einer satanischen Messe angeboten, ein Kruzifix mit dem Corpus Christi, Weihwasser und gewandelte Hostien. Im Angebot wird ausdrücklich betont, daß die Oblaten und das Wasser von einem Priester gewandelt worden sind. In der schwarzen Messe werden Kreuz, Hostie und Weihwasser geschändet. Das Angebot verführt also zum Tabubruch und ist in hohem Maße bösartig. Eigene Homepages haben auch satanistische Bands wie Slayer. Ihr Album »God hates us all« (September 2001) wird unter www.slayer.net vorgestellt. Gerade durch das Internet findet eine gefährliche Verbreitung satanischer Texte und Musik statt.
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Islam Teufel und Dämonen sind im Volksglauben der islamisch geprägten Welt weit verbreitet. »Dschin« genannte Naturgeister können in vielerlei Weise den Menschen plagen. Überall in den Dörfern zwischen Kabul und Kairo wissen die Menschen vom Treiben der Dschin zu erzählen. Die Dschin sind älter als der Islam, aber sie haben Eingang in das heilige Buch der Muslime gefunden. In der Sure 72 des Koran wird ihr Wesen beschrieben. Nach muslimischem Glauben sind sie aus dem Element Feuer geschaffen worden. Auch aus der islamischen Lehre ist der Teufel nicht wegzudenken. So gehört zu den verbindlichen Ritualen einer Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch) die »Steinigung des Satans«. Jeder Pilger hebt dazu dreimal sieben Steinchen vom Boden auf und wirft sie gegen die so genannten Teufelssäulen. Diese symbolisieren den Satan und die Dämonen. Die größte Säule trägt den arabischen Namen »Dschamarat«. Aus der christlichjüdischen Tradition übernimmt der Koran die traditionelle Darstellung und Wertung der Gestalt Satans. Auch hier ist er ein gefallener Engel. In der zweiten Sure, genannt »Bakara« (Die Kuh), berichtet der Koran vom Wunsch Gottes, den Menschen zu erschaffen und ihn als seinen Statthalter auf Erden einzusetzen. Die Engel protestierten: Gott solle sich weiterhin allein an ihrem Lobpreis ergötzen und nicht das Risiko einer zweiten Welt neben der himmlischen Welt der Engel eingehen. »Willst du auf ihr einen einsetzen, der auf ihr Verderben anstiftet und Blut vergießt?«, warnen sie den Schöpfer. Die Engel meinen kommendes Unheil zu spüren. Gott aber läßt sich von ihren düsteren Ahnungen nicht beirren. Mögen die Engel auch viele Erkenntnisse besitzen, letztlich ist er allein der Allwissende, der weiß, was er mit der Erschaffung des Menschen bewirkt. »Siehe, ich weiß, was ihr nicht wisset«, -107-
heißt es im Koran. Schließlich beugen sich die Engel vor Gottes Schöpferwillen und verbeugen sich vor Adam, dem ersten Menschen. Damit erkennen sie Gottes unerforschlichen Ratschluss an. Doch ein Engel leistet Widerstand. Er ist aus der jüdischchristlichen Überlieferung bekannt. Im Koran heißt er »Iblis« oder »Schaitan«. Aus eitler Selbstüberschätzung habe er sich geweigert, Gottes Werk anzuerkennen. So wurde er aus dem Himmel verstoßen. In der siebten Sure, »A'raf« (Der Wall), kommt der Koran erneut auf Satans Verweigerung zu sprechen. Von Allah direkt gefragt, warum er sich nicht wie die anderen Engel vor Adam niedergeworfen habe, bekennt Satan offen seine Eifersucht und Eitelkeit: »Ich bin besser als er. Du hast mich aus Feuer erschaffen, ihn aber erschufst du aus Ton.« Für das heilige Buch ist die Lage eindeutig: Der himmlische Rebell wurde zu Recht bestraft. Er war ungehorsam und mußte aus den Chören der Engel entfernt werden. Wie das Christentum, so geht auch der Islam davon aus, daß der gefallene Engel weiterhin dem Menschen nachstellt. Er kann Körper und Geist in Besitz nehmen (siehe Exorzismus), um ihn mit sich in den Abgrund der Hölle zu reißen. Im Koran spricht Satan zu Gott: »Weil Du mich hast abirren lassen, werde ich, ich schwöre es, ihnen auf Deinem geraden Weg auflauern. Dann werde ich zu ihnen treten von vorn und von hinten, von ihrer rechten und von ihrer linken Seite.« (Sure 7,16-17) Folgerichtig gilt der Prophet Mohammed als großer Exorzist. Wie Jesus heilt er die Besessenen durch sein mächtiges Wort. Seine Exorzismen sind von Ahmad ibn Hanbai aufgezeichnet worden. Die Muslime bezeichnen sich selbst als die reinsten und konsequentesten Monotheisten. Gott ist für sie der Eine allein. Er hat keinen Sohn an seiner Seite, ist nicht in Gestalt eines Menschen Fleisch geworden, gilt auch nicht als Dreieiniger Gott (Trinität). Neben Gott darf es keinen zweiten Gott geben! An dieser Stelle haben die islamischen Mystiker weitergedacht und -108-
kamen dabei zu einer überraschenden Umwertung von Satans Verhalten: Niemand hatte Gott so sehr geliebt, niemand sich ihm so bedingungslos hingegeben wie Satan. Gott war für ihn der Eine, ihn allein wollte er anbeten. Deshalb weigert er sich aus Liebe zu Gott, Gottes Willen zu folgen und vor Adam niederzuknien. Er wollte Gott allein anbeten. Von allen Monotheisten war Satan der entschiedenste, so konsequent, daß er dabei Gottes Zorn und seine eigene Verbannung von der Liebe Gottes riskierte. Der berühmte Mystiker Husain ibn Mansur al-Hallaj (* 858, hingerichtet am 26. März 922) rechtfertigt Satans Ungehorsam als wahres Liebesbekenntnis zu dem heiligen Gott: »Mein Aufruhr heißt: Dich heilig zu erklären!« Für seine Liebe wird Satan verbannt, für seine Gottesliebe stirbt der Mystiker den Märtyrertod. »Geh, lerne die Methode des echten Dienstes von Satan, erwähle eine Gebetsrichtung und wirf dich vor nichts sonst nieder!«, fordert der Sufi Sarmad (hingerichtet 1661) die Gläubigen auf. Das Ziel der absoluten Gottesliebe war für Hallaj die Einswerdung des Geliebten mit Gott. »Tötet mich, o meine Freunde«, rief er, »denn im Tod nur liegt mein Leben.« Im Gefängnis hatte ihn ein Derwisch nach dem Wesen der Liebe gefragt und von Hallaj die Antwort erhalten: »Du wirst es heute sehen und morgen sehen und übermorgen sehen!« Am gleichen Tag wurde er getötet, am nächsten verbrannt, und am dritten Tag verstreute man seine Asche. Gott lieben und leiden sind für den Mystiker eins. Satan wollte lieber von Gott verflucht sein und unter seiner Verwerfung leiden, als aufzuhören, Gott allein die Ehre zu geben. Aus mystischer Sicht war er ein Anwalt der Heiligkeit Gottes, die durch nichts in der Welt getrübt werden durfte und für die kein Opfer zu hoch schien. In der islamischen Mystik ist der Satan auch ein Bild für den Schatten der Seele. Der Mensch hat die Freiheit, sich von Gott abzuwenden. »Schaitan« bezeichnet diese Kraft des Widerspruchs gegen den Willen Gottes. Für Rumi (1207-1273), -109-
den Gründer des Ordens der tanzenden Derwische, war Satan das Sinnbild eines Menschen, der auf den Augen der Seele blind ist und folglich nur einen Teil der göttlichen Wirklichkeit sieht. Satan wird bei Rumi und anderen Mystikern gleichgesetzt mit der niederen Seele (nafs). Sie ist blind für die Herrlichkeit Gottes. Doch können ihr die inneren Augen durch die verwandelnde Kraft der Liebe geöffnet werden. Satan muß nicht auf alle Zeit der ewige Widersacher Gottes bleiben. Sein Wesen kann geläutert werden. Das gilt auch für den Widerspruchsgeist des Menschen. Mohammed selbst soll, nach Rumi, bezeugt haben: »Mein Schaitan ist Muslim geworden.«
Jesus Jesus war der größte Exorzist aller Zeiten. Das klingt reißerisch, ist aber nichts als die Wahrheit. Teufel austreiben konnten damals viele (vgl. Apostelgeschichte 19.13f.). Menschen aber wieder Glaube, Hoffnung und Liebe schenken und den Riss in der Schöpfung heilen, das konnte eben nur Jesus allein. Erinnern wir uns: Einige Engel waren aus den himmlischen Chören gestürzt (siehe Engelsturz). Gott hatte daraufhin bestimmt, daß die Menschen einst die freigewordenen Plätze im Himmel einnehmen sollten. Dies wiederum erregte den Neid des Teufels. Mit seinen Dämonen stellte er den Menschen nach. Doch nun tritt ihm Jesus entgegen. Seine Exorzismen haben einen kosmischen Hintergrund: »Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen« (Matthäus 12.28). Der Besessene aus der Stadt Gerasa, dessen Heilung Markus (5.1-20) überliefert, haust in Grabhöhlen bei den Dämonen, schreit ohne Unterlass und schlägt sich selbst mit Steinen. Ihm ist die Mitte abhanden gekommen. Vergeblich hatten die Städter den Kranken durch Fesselung zu schützen versucht. Mit -110-
übernatürlicher Kraft zersprengte er selbst eiserne Ketten. Ein Mensch mit einem unreinen Geist sei von den Gräbern herkommend auf Jesus zugelaufen, berichtet Markus. Wer läuft? Es läuft! Er wird getrieben. Es läuft in ihm. Er fällt vor Jesus nieder. Alte Gegner treffen aufeinander, Versucher und Versuchter, Satan und Christus. Kampfstimmung herrscht. Hier wird nicht diskutiert und nicht verhandelt. Kompromisse gibt es nicht. Erlösung naht. Entweder Du oder ich! Gott oder Satan. Der Mensch ist ohne Alternative. Von Ferne hatten sich die unversöhnlichen Gegner erkannt. Jesus hatte dem unreinen Geist zugerufen, er solle sofort das Haus der Seele räumen. Deshalb kommt der Gegner gelaufen und schreit: »Was willst Du von mir, Jesus, Du Sohn Gottes, des Allerhöchsten? Ich beschwöre Dich bei Gott: Quäle mich nicht!« Jesus fordert ihn auf, seinen Namen zu nennen, denn Name ist Macht. »Legion heiße ich; denn wir sind viele«, antwortet die Stimme. Jetzt wird das Ausmaß der Entfremdung des Besessenen deutlich. Sechstausend römische Soldaten zählt eine Legion, sechstausend Mann stark ist die Besatzungsarmee im Haus der Seele. Wer hält das aus? Gerasa ist eine römische Garnisonsstadt in Israel. Zur Versorgung dieser Besatzungsarmee werden hier Schweine gehalten. Sie gelten aus jüdischer Sicht als unrein. Die Innenwelt des Kranken spiegelt die Außenwelt. Der Riss in den sozialen, politischen und religiösen Beziehungen wird von dem Besessenen besonders stark empfunden, er leidet seelisch und körperlich unter einer Zeit, die aus den Fugen geraten ist. Jesus erlöst den Mann aus Gerasa. Bekleidet, bei vollem Bewußtsein, ruhig und zufrieden neben Jesus sitzend, finden ihn die Städter. Der Geheilte will Jesus nachfolgen. Jesus verwehrt es ihm mit dem Hinweis, er solle hier vor Ort von der Befreiung erzählen. Es war etwas geschehen, das alle Menschen erschüttert hatte. Die Dämonen ha tten Jesus um Erlaubnis gebeten, beim -111-
Ausfahren aus dem Mann einen neuen Zufluchtsort in einer Schweineherde nehmen zu dürfen. Jesus hatte es ihnen erlaubt. Am Berghang oberhalb des Sees durchwühlten zweitausend römische Säue den Boden. Die Dämonen fuhren in sie. Die Säue stürmten den Abhang hinunter, stürzten in den See und ersoffen. Zur Unterstützung seiner Teufelsaustreibungen in den Dörfern und Städten Galiläas hatte Jesus einen Kreis von zweiundsiebzig Jüngern ausgesandt. Jeweils zu zweit zogen sie über das Land, predigten und trieben Dämonen aus. Als sie zurückkehrten und von gelungenen Heilungen berichteten, stieß Jesus einen Jubelruf aus: »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz« (Lukas 10.18). Aber es gab auch andere Erfahrungen mit dem satanischen Gegner. Mancher Fall erwies sich als so hartnäckig, daß die Jünger scheiterten. Nichts aber ist schlimmer als eine misslungene Dämonenaustreibung. Wie bei einer nicht auskurierten Krankheit oder abgebrochenen Penicillinbehandlung folgt ein Infekt dem anderen. Ständig muß die Dosis erhöht werden. Im schlimmsten Fall droht eine Resistenz gegen das Medikament. Ist ein unreiner Geist ausgetrieben, so bleibt das geheilte Haus der Seele anfällig. Der Dämon »nimmt mit sich sieben andere Geister, die böser sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie darin; und es wird mit diesem Menschen hernach ärger, als es vorher war« (Matthäus 12.45). An einem besonders schweren Fall von Besessenheit waren die Jünger gescheitert. Später werden sie wissen, daß hier nur das Gebet geholfen hätte. Aber mit dem Glauben haperte es bei allen Beteiligten, dem Vater des Besessenen wie den Heilern. Der besessene Knabe (Markus 9.14-29) zeigt klassische Symptome des großen hysterischen Anfalls der Epileptiker, wie sie Jean-Martin Charcot (siehe Freud) beschrieben hat: Starke Bewegungen des gesamten Körpers unter schrecklichen Verrenkungen der Gliedmaßen, Atemstillstand, verquollenes Gesicht, verdrehte Augen, Zerreißen der Kleidung, Zerkratzen -112-
von Gesicht und Körper, Abwehr jeder Hilfe durch Beißen und Schlagen mit Kopf und Fäusten, Halluzinationen, Grimassenschneiden, Muskelverkrampfungen, markerschütternde Schmerzensschreie, die selbst dem abgehärtetsten Nervenarzt erschütternd nahegehen. Petrus, Jakobus und Johannes durften auf dem Berg Tabor Zeugen der Verklärung Jesu sein. Nach dem Abstieg stießen sie auf den restlichen Jüngerkreis, umringt von einer aufgebrachten Menge. Während ihrer Abwesenheit mußte sich etwas Schreckliches ereignet haben. Es war den Gesichtern anzusehen. Vergeblich hatten die Jünger versucht, einen besessenen Knaben zu heilen. Jetzt tritt der Vater vor Jesus und schildert das entsetzliche Schicksal seines Kindes. Während der Anfälle, die ihn seit frühester Kindheit plagen, leide der Sohn unter Sprachlosigkeit, von unsichtbarer Hand werden ihm Schläge verpasst, er werde auf den Boden niedergerissen, Schaum trete ihm vor den Mund, er knirsche mit den Zähnen und falle in eine Starre. Dann versuche der Dämon, das Kind in den Selbstmord zu stürzen, werfe es ins Feuer oder Wasser. Jesus gerät über den missglückten Exorzismus in Zorn und verurteilt seine Jünger vor aller Öffentlichkeit wegen ihres schwachen Glaubens: »O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?« (Markus 9.19) Dann wird der Knabe vorgeführt. Sofort bäumt sich der Widersacher auf und zwingt sein wehrloses Opfer mit einem epileptischen Anfall zu Boden. »Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund« (Markus 9.20). Jesus möge sich der Familie erbarmen, wenn er Macht über die Geister besitze. Alles sei dem möglich, der glaubt, erwidert Jesus. Der Vater schreit auf, denn der Sohn ist ja während des Anfalls taub und stumm. Beide sind eins, der Vater und der Sohn, beider Glaube liegt danieder, beide sind zermürbt von dem, was sie gefangen hält. »Ich glaube; hilf meinem Unglauben!« (Markus 9.24). Ein Wörtchen kann den Satan -113-
fällen, wird später Martin Luther (siehe dort) sagen. Als der Dämon weicht, zeigt er noch einmal seine zerstörerische Kraft, so daß die Umstehenden glauben, der Knabe sei während der Austreibung gestorben, denn für eine Zeit liegt er da wie tot. Doch wie Gott den Adam ins Leben rief, so reicht Jesus jetzt dem Knaben die Hand und richtet ihn zu neuem Leben auf. Die lange Krankheit der Gottesferne ist geheilt.
Judas Der Fall »Judas« galt über Jahrhunderte als eindeutig gelöst. Judas sollte seinen Herrn aus niedrigen Motiven verraten haben. Der »Judaslohn« betrug 30 Silberlinge. Der Jünger Jesu führte das Verha ftungskommando in den Garten Gethsemane am Ölberg. Als Erkennungszeichen hatte er mit den Soldaten einen Kuss, den »Judaskuss«, verabredet. Nach katholischer Auffassung muß Judas zur Strafe für diesen Verrat in den ewigen Flammen der Hölle (siehe dort) schmoren. Aus heutiger Sicht erscheint der Fall »Judas« jedoch einer Revision bedürftig. Schon das überaus harte Urteil will nicht überzeugen, denn schließlich hatte auch der erste Papst seinen Herrn drei Mal verraten. Petrus und Judas: Beide haben Jesus geliebt, beide haben ihn verraten. Der eine wird später in Rom der erste Papst, den anderen verdammt die Kirche zur ewigen Feuerqual in der Hölle. Der eine hat die Macht, Menschen von Sünden zu erlösen, der andere ist der ewig Unerlöste. Der eine ist erwählt, der andere verflucht. Wer war Judas wirklich? Ein Verführer oder der Verführte? Täter oder Opfer? Handelte er frei, oder war er lediglich Handlanger Gottes? War seine Tat Ausdruck abgrundtief boshaften Verrates oder geheimnisvolles Instrument der Gnade? Die Gestalt des Judas ist bereits in den biblischen Berichten schillernd. So viel aber ist gewiss: Am Anfang war die Liebe. -114-
Judas liebte Jesus mehr als alles andere auf der Welt. Ihm folgte er nach, für ihn wurde er ein Wanderer, für ihn gab er allen Besitz und sämtliche Bindungen auf. Sein vollständiger Name lautete Judas Iskariot, Sohn des Simon. Wie aber kam es zum Bruch mit Jesus? Vor dem letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen zwölf Jüngern feiert, vor dieser geheimnisvollen Verschmelzung von Leben und Tod im Mysterium des Neuen Bundes hatte Judas bereits seinen Herrn an die Hohenpriester und Schriftgelehrten verraten. Die jüdische Obrigkeit, so will Lukas wissen, habe Jesus gefürchtet und deshalb nach seinem Tod getrachtet. Jahrhundertelang sind die religiösen Führer zur Zeit Jesu als blutrünstig dargestellt worden. Ihnen wurde die Schuld am Tode Jesu zugesprochen. Das hat dem Antisemitismus und AntiJudaismus einen schrecklichen Nährboden verschafft. Wer die Schuld am Tod Jesu auf jüdischer Seite sucht, der verurteilt sie zu Unrecht. Jesus wurde auch nicht das Opfer eines tragischen Justizirrtums oder seines politischen Engagements für die Armen. Immer wieder verteufeln christliche Gottesdenker den Menschen, um Gott zu entlasten. Doch wie bei dem frommen Gottesknecht Hiob steht auch das Leiden Jesu in einem rational nicht vollständig aufzuhellenden Zusammenhang mit dem Willen Gottes, in dessen Plänen Satan wieder eine Rolle spielt. Warum hat Judas seinen Herrn verraten? Wer den Bericht des Lukas liest, erhä lt auf die Frage eine klare Antwort: Judas sei ein Opfer des Teufels geworden. In der Sprache der Religionen wird diese Entmachtung des Menschen, die ihn zum Ausführungsorgan eines fremden, bösen Willens degradiert, »Besessenheit« (siehe dort, Exorzismus) genannt. Judas, so Lukas' Behauptung, sei vom Satan besessen gewesen. »Es fuhr aber der Satan in Judas, genannt Iskariot, der zur Zahl der Zwölf gehörte. Und er ging hin und redete mit den Hohenpriestern und mit den Hauptleuten darüber, wie er ihn an sie verraten könnte. -115-
Und sie wurden froh und versprachen, ihm Geld zu geben. Und er sagte es zu und suchte eine Gelegenheit, daß er ihn an sie verriete ohne Aufsehen.« (Lukas 22.3-6) Die jüdische Obrigkeit wollte also Jesus, der öffentlich predigte und jederzeit festzunehmen war, heimlich verhaften, damit seine Gefangennahme keinen Skandal auslöste. Dazu brauchte sie die Mithilfe eines Informanten, der mit den Gewohnheiten des Nazareners vertraut war. Zu diesem Plan der Geheimhaltung der Verhaftung will jedoch die später erfolgte öffentliche Kreuzigung nicht passen. Widersprüchlich scheint auch die zweifache Begründung des Verrates. Erst heißt es, Judas sei vom Satan verführt worden, dann berichtet Lukas von einem Geldangebot der Juden. Schon an dieser Stelle durchdringen sich die Motive. Der Verrat soll Werk des Teufels und zugleich Ausdruck der Geldgier gewesen sein. Aber ist dies glaubwürdig? Judas hatte ja, um Jesus nachzufolgen, allen Besitz aufgegeben. Gerade er, der auf Reichtum und alle Schätze der Welt nichts gab, gerade er soll aus diesem niedrigen Motiv seinen Herrn verraten haben? Andere spekulierten über Judas' persönliche Motive und vermuteten, er sei ein Zelot, ein jüdischer Widerstandskämpfer gegen die römische Besatzungsmacht gewesen, der von Jesus eine politische Befreiung Palästinas erwartet und sich nun enttäuscht von ihm zurückgezogen habe. Das sind hilflose Versuche einer Rationalisierung des Geheimnisses der Lebenshingabe Jesu, in die Judas verstrickt wird. Festzuhalten ist: Der Tod Jesu war eine bei Gott beschlossene Sache. Ohne Gottes Erlaubnis hätte Satan niemals Judas zum Verrat treiben können. Der Teufel war in Judas gefahren. Ist also Satan der Schuldige? Wohl kaum! Denn welches Motiv sollte ausgerechnet er gehabt haben, das Werk der Erlösung voranzutreiben? Satan war der Feind des Menschen. Wegen des Menschen war er aus dem Himmel gefallen. Jesu Opfertod sollte das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen wieder heilen, -116-
die Sünde überwinden und einen neuen Menschen schaffen. Die Erlösung war ein Werk gegen die Macht Satans. Wenn Satan mit Hilfe von Judas den Gang der Passion vorantreibt, dann tut er dies gegen seine eigenen Interessen. Er handelte also wohl kaum freiwillig, sondern im Auftrag Gottes. Wer trägt also die Schuld an der Passion? Judas ist der Verführte und der Verführer. Er ist schuldlos schuldig. Sein Handeln ist frei und vorherbestimmt. Jesus selbst spricht dieses Paradox vor seinen zwölf Jüngern beim Abendmahl aus: »Denn der Menschensohn geht zwar dahin, wie es beschlossen ist, doch weh dem Menschen, durch den er verraten wird!« (Lukas 22.22) Die Jünger sind entsetzt über diesen Ausspruch, wollen auch wissen, wer unter ihnen der Verräter ist. Jesus enthält sich einer klaren Antwort. Seine Andeutungen werden noch geheimnisvoller. Vor Petrus enthüllt er das Ergebnis seines Gespräches mit Gott und dem Teufel: »Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht aufhöre« (Lukas 22.3132). Was sollen die Rätselworte bedeuten? Offenbar hatte es im Himmel Verhandlungen über den Ablauf der Passion und die Zeit danach gegeben. Satans Mithilfe beim Tod Jesu konnte nur als Strafe angesehen werden, weil hier der Teufel gegen seine eigenen Interessen handeln mußte. Hatte es zwischen Gott und Teufel einen Handel gegeben? »Ich verführe Judas, damit er Dein Erlösungswerk vorantreibt - Du gibst mir dafür seine Seele.« Davon ist nicht die Rede. Seit seinem Sturz aus dem höchsten Engelchor (siehe Engelsturz) hatte der Te ufel den Menschen nachgestellt. Nun sollte eine neue Epoche beginnen, die Zeit der Erlösung. Die besondere Aufmerksamkeit des Satans würde fortan den Menschen gelten, die sich als Christen bezeichneten. Der Teufel hatte es auf die christliche Kerngemeinde, den Jüngerkreis, abgesehen. Der Ankläger vermutete, daß sich viele schwankende Geister und spirituelle Leichtgewichte unter den Jüngern befänden. Er wollte nach dem -117-
Tod Jesu die Wahrheit ans Licht bringen, Gläubige von Scheingläubigen, den Weizen von der Spreu trennen. Ja, die Zeit des Siebens hatte eigentlich schon begonnen. Gott hatte Satan dazu die Vollmacht erteilt. Jesus dagegen hatte als Verteidiger der Menschen Gott gebeten, er möge ihre Glaubenskraft stärken, daß sie nicht zum Opfer des Teufels würden. Petrus ist schier entsetzt über Jesu Enthüllungen. Wie könne Jesus nur annehmen, er würde jemals schwach im Glauben werden? Er sei bereit, mit Jesus ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Großspurige Worte eines Mannes, der bei der ersten Anfechtung umgeworfen wird. Jesus prophezeit ihm einen dreifachen Verrat. Im Garten Gethsemane erscheint Judas mit den Häschern und identifiziert Jesus mit einem Kuss. Nach der Gefangennahme Jesu wird Petrus als einer seiner Jünger erkannt. Wie vorhergesagt, verleugnet er drei Mal seinen Herrn. Auf dem Hof vor dem Haus des Hohenpriesters, wo Jesus gefangengehalten wurde, hatte Petrus gewartet, war identifiziert worden und hatte seinen Herrn verleugnet. Dann verließ er den Hof »und weinte bitterlich« (Lukas 22.62). Von einer Versöhnung zwischen Petrus und Jesus ist nicht die Rede. Nach Jesu Auferstehung war Petrus plötzlich zum Oberhaupt der Jüngergruppe aufgestiegen, vom Verräter zum Führer geworden. Judas dagegen hatte sich von dem Geld, das er für den Verrat erhalten haben soll, einen Acker gekauft und verunglückte hier tödlich, so daß seine Eingeweide hervorquollen (Apostelgeschichte 1.18). Dieses Ende ist wenig glaubwürdig. Was in aller Welt wollte ein ehemaliger Jünger Jesu mit einem Acker vor den Toren Jerusalems? Wein anbauen? Mit Grundstücken spekulieren? Wahrscheinlicher ist das Ende, von dem Matthäus berichtet. Bei diesem Evangelisten wird zudem deutlich, daß Judas selbst nicht mit dem Tod Jesu gerechnet hatte und schon gar nichts von der göttlichen Vorherbestimmung seines Tuns -118-
wusste. Als er erfährt, daß Jesus zum Tod verurteilt worden ist, bereut er seine Tat. Er geht mit den dreißig Silberlingen zu den Hohenpriestern und Ältesten und will ihnen das Geld zurückgeben. Hoffte er, er könne Jesus wieder freikaufen, den Verrat rückgängig machen? Im Gegensatz zu Petrus gesteht er sogar öffentlich seine Schuld: »Ich habe Unrecht getan, daß ich unschuldiges Blut verraten habe.« Die Priester lassen sich von den Gewissensproblemen des Mannes nicht beeindrucken: »Was geht uns das an? Da sieh du zu!« (Matthäus 27.4) Auch die Kirche wird später diese öffentliche Beichte in ihrem erbarmungslosen Urteil über Judas nicht berücksichtigen. Judas fällt durch die Maschen des Gnadennetzes in den Abgrund der Hölle. Einen Grund für seine ewige Verdammnis sah die Kirche in dem Selbstmord. Nachdem Judas seinen Herrn nicht auslösen konnte, warf er »die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich« (Matthäus 27.5). Selbstmord galt später als Todsünde. Daß Judas keinen Ausweg mehr sah, wurde ihm nicht verziehen. Niemand hatte Mitleid mit dem Mann, der seine Schuld nicht mehr ertragen konnte und seinem Herrn in den Tod nachfolgte. Judas hatte Jesus geliebt. Er hatte ihn verraten. Vielleicht aus enttäuschter Liebe. Jesu Tod aber hatte er nach dem Bericht des Matthäus nicht gewollt. Auch die Priester wollten mit dem Blutgeld nichts zu tun haben. Für sakrale Zwecke war es nicht mehr zu gebrauchen. So kauften sie davon einen Acker zum Begräbnis für Nichtjuden vor den Toren Jerusalems. Bei Matthäus tritt die menschliche Seite des Judas in seiner Verzweiflung am stärksten hervor. Lukas weiß Judas als schuldlos schuldiges Instrument in der Hand Satans. Er ist das »Bauernopfer« der Erlösung, erwählt zum Verrat und nach dem Abschluss des Erlösungswerkes niedergestreckt durch ein Gottesurteil auf dem Blutacker Hakeldamach. Johannes überbietet die Vorstellung von der absoluten -119-
Vorherbestimmung des Verrates. Nach einer langen Predigt vor einer großen Jüngerschar spricht Jesus im Johannesevangelium deutliche Worte über den wirklichen Glauben derjenigen, die vorgeben, ihm treu ergeben zu sein. Niemand solle ihm oder sich selbst etwas vormachen. Der Herr kenne die Herzen der Menschen. »Es gibt einige unter euch, die glauben nicht.« (6.64a) Das sind die Wölfe unter den Schafen. Und nach den harten Worten Jesu verlassen sie die Herde. Zurück bleibt der harte Kern, unter ihnen Judas. »Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde.« (6.64b) Jesus wusste folglich auch, daß in dem Zwölferkreis ein Verräter verborgen war. Den Jüngern gegenüber spricht er es offen aus: »Einer von euch ist ein Teufel.« (6.70b) Wusste Judas zu diesem Zeitpunkt, daß er Jesus verraten würde? Hatte er sich bewußt mit der Absicht des Verrates in den Kreis geschlichen? Wohl kaum. Jesus hatte ihn wie alle anderen Jünger berufen. »Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt?« (6.70a) Es gibt hier keinen Zweifel und keine Deutelei: Der Verräter Judas hatte sich nicht heimtückisch an Jesus herangeschlichen. Als Jesus der großen Masse Unglauben vorwarf und sich von da an viele ehemalige Jünger von ihm abwandten, war Judas nicht darunter. Er hatte keine Zweifel. Er liebte seinen Herrn, und er wusste nicht, daß er der Verräter sein würde. Niemand hat jemals die Frage gestellt, wie Gott es zulassen konnte, daß Judas zum Verräter wurde. Unter allen Denunziationen und Halbwahrheiten, die über Judas gehäuft wurden, sind sein wahrer Charakter und seine Empfindungen kaum auszumachen. Auch Johannes unterstellt ihm Geldgier. Judas war im Zwölferkreis der Finanzexperte. Er verwaltete die gemeinsame Reisekasse der Jünger. Als Jesus in Betanien von Maria mit einem Pfund kostbaren Salböls von reiner Narde an den Füßen gesalbt wurde, erregte sich Judas über die -120-
Geldverschwendung. Man hätte das Öl für dreihundert Silbergroschen, also den Wert von zehn großen Ackern, verkaufen und das Geld den Armen geben können. Johannes zerstört diesen sympathischen sozialen Charakterzug sofort mit dem Kommentar, Judas habe sich in Wahrheit überhaupt nicht um das Schicksal der Armen gekümmert, sondern hätte als Verwalter des gemeinsamen Geldbeutels der Gruppe, aus dem auch die Almosen gespendet wurden, Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet: »Er war ein Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben war« (Johannes 12.6). Judas wird hier das Klischee vom geldgierigen Juden angeheftet. Es bleibt für die kommenden Ereignisse jedoch ohne Bedeutung. Der Verrat ist Sache des Teufels. In zwei Angriffen nimmt er Judas in Besitz. Zuerst ist Judas vom Teufel umsessen, dann besessen. Vor dem Pessachfest beim gemeinsamen Abendessen gab Satan Judas den Gedanken ins Herz, Jesus zu verraten. Auch bei Johannes weist Jesus darauf hin, daß unter den Zwölfen ein Verräter sei. Die Jünger blicken sich gegenseitig an und sind entsetzt. Wer von ihnen könnte es sein? Niemand wagt, den Herrn direkt zu fragen. In der Zwölfergruppe gibt es nur einen, der dies wagen könnte. Es ist der Lieblingsjünger Johannes. Bei Tisch liegt er an der Brust Jesu, ein Bild zärtlicher Männerfreundschaft und geistlicher Nähe. Petrus bittet Johannes, er möge nachfragen, wer unter ihnen der Verräter sei. Johannes kuschelt sich an Jesu Brust und fragt: »Herr, wer ist's?« Jesus flüstert Johannes die Antwort ins Ohr. Die übrigen Jünger erfahren also den Namen nicht. »Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe.« Der dem Jünger überreichte Bissen gilt als Zeichen besonderer Zuwendung des Meisters, als ein Liebesdienst. Niemand merkt auf, als Jesus Judas den Bissen reicht. Sollte es eine Trübung ihres Verhältnisses gegeben haben, so war diese äußerlich nicht bemerkbar. Entscheidend ist, was mit der Übergabe des Bissens -121-
unsichtbar geschieht. Auch Johannes weiß nicht, was hier eigentlich gespielt wird. Als Judas »den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn«. Aus der Umsessenheit ist eine Besessenheit geworden. Eine Transsubstantiation des Bösen hat sich ereignet, ein diabolisches Gegenstück zum Abendmahl. Jesus wusste, was geschehen würde. Er fordert Judas auf: »Was du tust, das tue bald!« (Johannes 13.27) Keiner der Jünger versteht, was gemeint ist. Judas steht auf und verläßt den Raum. Die anderen denken, Jesus habe ihn zum Einkauf von Festzutaten für das Pessachfest geschickt. Der wahre Judas liegt unter den drei Charakteren, die Johannes, Lukas und Matthäus von ihm zeichnen, verborgen. Rivalitätskräfte und Streit um die Rangordnung hatte es unter den Jüngern bereits zu Jesu Lebzeiten gegeben. Vielleicht war Judas, und nicht Johannes, der Lieblingsjünger Jesu. Er war zuverlässig, sonst hätte ihm Jesus nicht die Reisekasse anvertraut; er war voller Fürsorge für die Armen. Warum fuhr der Satan in ihn und nicht in einen anderen der Zwölf? Denkbar ist, daß er, den die Jünger verwerfen, der Erwählte gewesen war. Und genau diese Erwählung stieß bei den Jüngern auf völliges Unverständnis. Judas stellte sich in den Dienst des Erlösungswerkes, das so unbegreiflich war, daß selbst die Jünger die Notwendigkeit des Todes am Kreuz nicht verstanden. Sie flohen und verleugneten ihren Herrn, sie standen nicht unter dem Kreuz und glaubten den Frauen nicht, als sie von der Auferstehung berichteten. Sie waren Zweifler. Einer mußte Jesus an die Obrigkeit ausliefern, und es konnte nur ein zuverlässiger Jünger sein, der mehr von dem Geheimnis des Kreuzes begriff als alle anderen. Vielleicht war Judas ein Liebesmystiker, der glaubte, daß Gott auch in der Nacht der Gottesferne zu finden ist. Dann hätte er letztlich einen Liebesdienst ausgeführt, weil er mit Jesus den Zusammenhang von Liebe, Opfer und Versöhnung begriffen hatte. Sollte tatsächlich zwischen Jesus und Judas dieses tiefe -122-
Einverständnis geherrscht haben, dann erhält auch die letzte Begegnung im Garten Gethsemane eine hintergründige Bedeutung. Judas war mit den Soldaten in den Garten gekommen und hatte Jesus mit einem Kuss identifiziert. Warum wählte er den Kuss als Erkennungszeichen? Er hätte den Häschern ebensogut ins Ohr flüstern können, welcher der Männer Jesus war, oder er hätte mit dem Finger auf ihn weisen können. Der Kuss ist ein Zeichen der Liebe und eine Abschiedsgeste. In der Mystik gilt der Kuss als Hinweis auf die Vereinigung von Gott und Mensch. Wenn dies der Sinn des Kusses zwischen Jesus und Judas gewesen war, dann hatte ihn niemand verstanden.
Judentum Warum läßt Gott die Verfolgung des jüdischen Volkes zu? Das ist die Frage, die sich im Jahr 70 nach Christus der jüdischen Gemeinde stellt. Zum zweiten Mal ist der Tempel Salomons in Jerusalem zerstört worden. Ein Jude mit Namen Esra sucht nach einer Antwort. Denkt Esra über das Schicksal seines Volkes nach, dann stößt er auf unlösbare Probleme. Gott hat sein Volk den Römern preisgegeben. Er hat zugelassen, daß Jerusalem dem Erdboden gleichgemacht und das erwählte Volk über den Erdkreis zerstreut wurde. Warum handelte Gott so? Sind Antisemitismus und Verfolgung eine Strafe Gottes für die Sünden des Volkes Israel? Gott ist gerecht. Er straft nicht ohne Grund. So denkt Esra, so glauben viele Fromme. Esra hat das römische Leben vor Augen. Die Römer sind keineswegs frommer und gottesfürchtiger als sein Volk. Also stimmt der Zusammenhang von Tun und Ergehen nicht, nach dem der Fromme gut, der Sünder dagegen schlecht leben werde. »Denn ich habe die Völker hin und her durchwandert und sie im Glück gesehen, obwohl sie deine -123-
Gebote vergessen hatten.« Dreißig Jahre versucht Esra über den Widerspruch nachzudenken. Überall auf der Welt leben Sünder, in Jerusalem ebenso wie in Rom. Warum aber wird das Volk Israel von Gott bestraft, die anderen Völker jedoch nicht? Eines Tages liegt Esra auf dem Bett. Er denkt wieder über Gottes Gerechtigkeit nach, vor den inneren Augen erscheinen Rom mit seinen vielen Göttertempeln und die zerstörte Gottesstadt Jerusalem. Da überfällt ihn Bestürzung, sein Herz erzittert. Eine heftige Erregung ergreift seine Seele und eine namenlose Angst. Jetzt bricht es aus Esra hervor. Er fordert Gottes Antwort heraus. Er hadert mit Gott. Esra spricht von der Geburt des Menschen im Garten Eden, von der Kindheit und der besonderen Erwählung Israels. Warum hat Gott seine Kinder ins Unglück laufen lassen! Gott bleibt nicht stumm. Er schickt den Engel Uriel. Der tritt geschäftsmäßig auf: »Dein Herz entsetzt sich über diese Welt, und du wünschst, die Wege des Höchsten zu begreifen?« Die Antwort fällt nach dem Muster der Rätselfragen aus, vor denen Hiob (siehe dort) in die Knie ging. Uriel stellt Gegenfragen: Wie schwer ist das Gewicht des Feuers? Wie lang ist der Wind? Wo ist der gestrige Tag geblieben? Esra solle ihn zurückholen, wenn er's vermag. Esra läßt sich nicht einschüchtern. Niemand unter den Sterblichen kann diese Fragen beantworten. Esra wirft Gott vor, er habe seinen Kindern kein ausreichendes Maß an Vernunft und Weisheit gegeben, um die großen Fragen des Lebens zu beantworten. Als ob es nötig wäre, vermehrt Uriel noch die Probleme und stellt Fragen nach der Geographie der außerirdischen Welt, den Toren der Hölle und den Wegen ins Paradies. Seine Absicht ist klar. Esra soll zum Schweigen gebracht werden wie Hiob. Er soll erkennen, daß kein Mensch die Geheimnisse der Schöpfung ergründen kann, und sich mit seiner Begrenztheit zufrieden geben. Esra soll an einen Gott glauben, den seine Vernunft nicht zu denken vermag. Das kann er nicht akzeptieren. »Herr, ich -124-
flehe dich an, weshalb ist mir dann überhaupt das Licht der Vernunft gegeben?« Ja, er geht noch tiefer und stellt den Sinn seiner Existenz grundsätzlich in Frage: »Besser wäre es, wir wären nie auf die Welt gekommen, als nun in Sünden zu leben und zu leiden und nicht zu wissen, weshalb!« Deshalb läßt Esra nicht locker. Der Engel hatte ihm gesagt, er solle sich mit der Begrenztheit seiner Vernunft zufrieden geben. Die Erdenbewohner könnten nur das Irdische erkennen, nicht aber die himmlischen Ordnungen Gottes. In ergreifenden Worten entgegnet Esra, es seien die elementaren irdischen Fragen, die einer Antwort harrten. Sie beträfen das Überleben seines Volkes: »Denn ich wollte dich nicht über Dinge fragen, die uns zu hoch sind, sondern über solche, die uns selber betreffen, jeden Tag aufs Neue. Weshalb ist Israel den Heiden hingegeben zur Schmach, dein geliebtes Volk den gottlosen Stämmen? Das Gesetz unserer Väter ist vernichtet, die geschriebenen Satzungen sind nicht mehr, wir schwinden aus der Welt wie Heuschrecken, unser Leben ist ein Rauch.« Jeder Leser nach der Shoah hört in Esras Worten das Grauen der Lager mitschwingen und die Klagen derer, die in den Krematorien verbrannt wurden. Wie kann nach diesen Katastrophenerfahrungen noch von Gott gesprochen werden? Der Engel Uriel möge endlich verstehen: Der Ruf Gottes stehe auf dem Spiel. Esra will nicht, daß die Satanisten und Sadisten das letzte Wort haben und über den Glauben triumphieren. Dann endlich erhält er aus dem Mund des Engels eine konkrete Antwort. Diese Welt, dieser Äon sei so verderbt, die Menschheit so krank, daß sie nicht mehr geheilt werden könne. Es gäbe nur eine Hilfe, und die bestünde in der Zerstörung der alten Welt. Esra werde erstaunt sein, »denn der Äon eilt mit Macht zu Ende«. Die Apokalypse (siehe dort) dämmere am Horizont, die Endzeit sei angebrochen. Der Weltuntergang steht bevor. Wird Esra selbst ihn noch erleben? Und wie wird das Ende der Zeit sein? Schreckliche -125-
Katastrophen kündigt der Engel an: Das Land werde in Wüste verwandelt werden, die Sonne bei Nacht scheinen und der Mond am Tag. Blut werde von den Bäume n träufeln, und die Steine werden schreien. Eine Diktatur werde errichtet. Aus dem Meer ertöne ein fürchterliches Brüllen, an vielen Stellen öffne sich die Erdkruste und Lavamassen quöllen hervor. Wilde Tiere träten aus den Urwäldern und Savannen, Frauen gebarten verkrüppelte und geistig behinderte Kinder. Es herrschten Anarchie und Willkür. Eine Welt nach dem Supergau, an deren Ende der Messias erscheine, um alle Menschen zu richten und Gerechtigkeit herzustellen. Nur die wenigsten Menschen werden gerettet werden. An ihnen solle er sich freuen, wie der Herr im Himmel, entgegnet der Engel, und »keine Trauer hegen über die Menge derer, die verlorengehn«. Die »massa damnata« werden sie später von den mittelalterlichen Theologen genannt werden. Esra wollte, daß sich Gott für das Böse in der Welt rechtfertige. Jetzt ist die Diskussion an dem Punkt angelangt, wo die meisten Versuche, Gott verantwortlich zu machen, enden: Dem Menschen wird die ganze Last des Bösen aufgebürdet. Er trägt die Schuld. Erneut widerspricht Esra: »Dies bleibt mein erstes und letztes Wort: Besser wäre es, die Erde hätte Adam nie hervorgebracht oder sie hätte ihn wenigstens von der Sünde ferngehalten. Denn was hilft es uns allen, daß wir jetzt in Trübsal leben müssen und nach dem Tode noch auf Strafe zu warten haben?« Offenbar gibt es im Himmel keine Antwort auf Esras Fragen, und so versucht ihn der Engel auf eine andere Weise mundtot zu machen. Er teilt ihm sein eigenes ewiges Schicksal mit: Esra gehöre zu den Erwählten, den wenigen Geretteten. Er solle sich hinfort nicht mehr mit dem Schicksal der verlorenen Masse plagen und die quälenden Fragen beiseite lassen. Die bösen Menschen hätten aus freiem Willen gesündigt und erhielten zu Recht ihre Strafe. Er aber forsche nach der Herrlichkeit des Paradieses und dem Leben der Geretteten. -126-
Weil ein unbestechlicher Mann wie Esra nicht zum Schweigen gebracht werden kann, wird er auf andere Weise aus dem Verkehr gezogen. Der fromme Rebell wird »befördert« und bei lebendigem Leibe in den Himmel entrückt, so wie einst die Gottesmänner Henoch und Elia. Die Frage nun, warum Gott das Böse in der Welt und im Menschen zulasse, hat keine Antwort erhalten. Nach dem Holocaust stellt sie sich umso dringlicher. Wie lassen sich Gottes Gerechtigkeit und seine Güte mit dem beispiellosen Völkermord vereinbaren? Im Sommer 2000 erhitzte Rabbi Ovadia Josef die Gemüter in Israel. Er sagte, die Opfer des Holocaust seien wiedergeborene Sünder gewesen. Der Rabbi berief sich dabei auf eine Theorie der Kabbalisten. Nach ihr werden Sünder wiedergeboren, um in einem zweiten Leben für ihre Sünden zu sühnen. Sünden, so lehrt das kabbalistische »Buch Bahir«, werden nicht durch eine Strafe im Jenseits, sondern durch Wiedergeburt vergolten. Die Frage, wie sich der Glaube an einen guten Gott angesichts des Leidens rechtfertigen läßt, wird »Theodizee-Frage« oder »Frage nach der Rechtfertigung Gottes« genannt. Die Theodizee-Frage jedoch hat weder im Christentum noch im Judentum jemals eine überzeugende Antwort gefunden. Die Belastung der Opfer des Holocaust ist keine Entlastung Gottes. Das Rätsel des Bösen bleibt.
Carl Gustav Jung In seiner Autobiografie erinnert sich Carl Gustav Jung an ein Schlüsselerlebnis aus seiner Kindheit: Die Sonne scheint. Ihre Lichtstrahlen werden glitzernd von den neuen, buntglasierten Ziegeln des Baseler Münsters widergespiegelt. Ein Bild der Harmonie von Himmel und Erde ergreift die Seele des Knaben. »Die Welt ist schön, und die Kirche ist schön, und Gott hat das alles geschaffen und sitzt darüber, weit oben im blauen Himmel, -127-
auf einem goldenen Thron und... « - jäh brechen die Gedanken des Knaben ab. Er spürt in sich einen Widerstand. Er will seine inneren Bilder unterdrücken, aber es gelingt ihm nicht. »Vor meinen Augen stand das schöne Münster, darüber der blaue Himmel, Gott sitzt auf goldenem Thron, hoch über der Welt, und unter dem Thron fällt ein ungeheures Exkrement auf das neue bunte Kirchendach, zerschmettert es und bricht die Kirchenwände auseinander.« Vom Schulweg heimgekehrt, bemerkt seine Mutter die Verstörung. Der Knabe kann sich ihr nicht offenbaren. Drei Nächte schläft er schlecht, dann droht der innere Widerstand zusammenzubrechen. Ein verzweifelter Aufschrei folgt. Das Kind klagt Gott an. »Woher kommen solche Dinge? Es ist passiert ohne mein Zutun. Wieso?« Woher das Böse und die bösen Gedanken? Vielleicht waren sie des Teufels? Nein, ihren Ursprung auf den Teufel zu schieben, wäre allzu bequem. Hatte Gott nicht den Teufel geschaffen? Jung will sich über den Bösen informieren. Sein Vater ist Pfarrer. In der Bibliothek des Vaters studiert er die dogmatischen und systematischen Lehrbücher. Doch was wussten die Theologen über den Teufel! Die Wissenschaft hatte ihn verbannt. Ihm aber saß er im Nacken. Wenn Gott der Urheber von allem war, dann auch der Gedanken, die er auf dem Münsterplatz nicht zu denken wagte. Hätten Adam und Eva sündigen können, wenn es Gott nicht gewollt hätte? Das Böse kam von Gott. Der Kirchenvater Augustinus sei nicht tief genug ins Geheimnis der Gottheit vorgedrungen, als er das Böse als bloße Minderung des Guten (»privatio boni«) definierte. Jung kam zu dem Ergebnis, daß auch Gott eine Schattenseite habe. »Ich war in etwas Übles hineingestoßen, in etwas Böses oder Finsteres, und es war doch zugleich wie eine Auszeichnung.« Konnte das neue Gottesbild mit dem lieben Gott des reformierten Schweizer Pfarrhauses vereinbart werden? Jungs Gott war Licht und Schatten, unergründliches Geheimnis. -128-
Mütterlicherseits zählte Jungs Familie sechs, väterlicherseits drei Pfarrer. Von nun an wohnte der Dreizehnjährige den Predigten, theologischen Diskussionen und religiösen Gesprächen mit dem Bewußtsein der Überlegenheit bei. »Ja, ja, das ist ganz schön. Aber wie verhält es sich mit dem Geheimnis? Es ist ja auch das Geheimnis der Gnade. Ihr wisst nichts davon. Ihr wisst nicht, daß Gott will, daß ich sogar das Unrecht tue, das Verwerfliche denke, um seine Gnade zu erleben.« Während der Konfirmation vollzieht sich der endgültige innere Bruch mit dem Vater und der Kirche. »Zur ›Gotteswelt‹ gehörte alles ›Übermenschliche‹, blendendes Licht, Finsternis des Abgrunds, die kalte Apathie des Grenzenlosen in Zeit und Raum und das unheimliche Groteske der irrationalen Zufallswelt. ›Gott‹ war für mich alles, nur nicht erbaulich.« In der großen Selbstanalyse während des Ersten Weltkriegs entdeckt Jung das Mandala als therapeutisches Mittel, den Gegensatz von Licht und Schatten in ein Gleichgewicht der Kräfte zu bringen. Es entsteht das Mandala »Systema mundi totius« (1916) mit dem gnostischen Gott Abraxas als Herrn der Welt (siehe Gnosis). Gleichzeitig versucht Jung eine literarische Verdichtung seiner inneren Erfahrungen mit dem Traktat »Septem Sermones ad Mortuos«. Die sieben Belehrungen im Stil des »Zarathustra« werden dem Gnostiker Basilides in den Mund gelegt. In ihnen fungiert Abraxas als Symbol der Lebenskraft. »Der Abraxas zeugt Wahrheit und lüge, gutes und böses, licht und finsternis im selben wort, und in derselben tat. Darum ist der Abraxas furchtbar. (...) Er ist das Volle, das sich mit dem Leeren einigt. Er ist die heilige begattung, Er ist die liebe und der mord, Er ist der heilige und sein verraten Er ist das hellste licht des tages und die tiefste nacht des -129-
Wahnsinns. Ihn sehen, heißt blindheit, Ihn erkennen, heißt krankheit, Ihn anbeten, heißt tod, Ihn fürchten, heißt Weisheit, Ihm nicht widerstehen, heißt erlösung.« Carl Gustav Jung hatte den Schatten nicht erfunden, sondern eine alte jüdischchristliche Weisheit wiedergefunden. Hinter dem Brudermörder Kain lauert überlebensgroß der Schatten der Sünde, Christus hat einen dunklen Begleiter, der ihn in der Wüste versuchen darf, Mephistopheles (siehe dort) ist Faust als Schatten zur Seite gestellt. Auch Gott, so meint Jung, besitzt einen Schatten. »Dem Licht folgt der Schatten, die andere Seite des Schöpfers.« Gott und Mensch bilden eine Schicksalsgemeinschaft, beide sind vor die Aufgabe einer Arbeit an der Bewußtwerdung des Schattens gestellt. Im Anfang, so spekuliert Jung, geschah eine zweifache Abspaltung des Schattens aus Gott. Die Schlange weckte im Adam den Drang nach Wissen und Grenzüberschreitung, die gefallenen Engel zeugten mit den Menschentöchtern ein Geschlecht von Riesen (Genesis 6.1-4) und setzten damit den technischen Entwicklungsprozeß in Gang, der mit dem Turmbau zu Babel schon bald unbegrenzte Möglichkeiten erreichte. »Es kommt jetzt nur noch darauf an, ob der Mensch eine höhere moralische Stufe, das heißt ein höheres Niveau des Bewußtseins, zu erklimmen vermag, um der übermenschlichen Macht, die ihm die gefallenen Engel zugespielt haben, gewachsen zu sein.« Mit der Inkarnation, der Menschwerdung Christi als dritter Stufe des Wandlungsprozesses, hat das Zeitalter der Fische begonnen. Die schöpferische Auseinandersetzung im Wesen der Gottheit finde nun auf der Bühne der menschlichen Seele statt. Hier soll sich eine -130-
Bewußtwerdung der Gegensätze von Licht und Schatten vollziehen. Auf der vierten Stufe dämmert die Hoffnung, daß Mensch und Gott wie Licht und Schatten in Harmonie wieder vereint sein werden. Im Dogma der »Assumptio Mariae« (1950) sah Jung einen zeitgemäßen Ausdruck dieser eschatologischen Perspektive. Jung verdeutlicht die Gefahren einer Verdrängung des Schattens unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem Aufsatz »Nach der Katastrophe« (1945) am deutschen Beispiel. Die Deutschen hätten eine »völlige Blindheit für den eigenen Charakter«, »eine erstaunliche Unwissenheit in Bezug auf den Schatten« und ein »Nichtwissen um die andere Seite«. Daraus folge eine »große innere Unsicherheit: man weiß nicht recht, wer man ist, man fühlt sich irgendwo minderwertig, und wünscht doch nicht zu wissen, wo, und vergrößert durch diese neue Minderwertigkeit die schon bestehende. Aus dieser Unsicherheit ergibt sich die Prestigepsychologie der Hysterischen, das›Eindruckmachen‹, das Vorführen und Einhämmern der Verdienste, die nie gestillte Sehnsucht nach Anerkennung, Bewunderung, Bestätigung, Geliebtwerden. Aus dieser Unsicherheit ergibt sich auch die Großmäuligkeit, Anmaßlichkeit, Arroganz, Frechheit und Taktlosigkeit, durch welche viele Deutsche, die zu Hause hündisch zu Kreuz kriechen, im Ausland ihrem Volke für eine schlechte Reputation sorgen.« Die Frage, die am Ende bleibt, hat Jung sich selbst gestellt: »Wie lebe ich mit diesem Schatten? Welche Einstellung braucht es, um trotz dem Bösen leben zu können?« Aus Jungs Welt von Licht und Schatten gibt es keine Erlösung. Keine Gnade kommt hier dem Menschen zu Hilfe.
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Kain und Abel Kain war der erste Mörder auf Erden. Er verdiente seinen Unterhalt durch Ackerbau. Sein Bruder Abel lebte als Nomade von der Schafzucht. Da waren Spannungen vorprogrammiert, wenn Abel mit seinen Herden an Kains Feldern vorbeizog. Kain und Abel glaubten beide an Gott. Beide brachten ihm Opfergaben. Doch Kain mußte erleben, daß sein Opfer von Gott abgewiesen wurde. Abels Opfer dagegen nahm Gott an. Kain war sich keiner Schuld bewußt. Deshalb empfand er Gottes Verhalten als ungerecht, und darüber geriet er in so großen Zorn, daß er seinen Bruder Abel erschlug. Kains Tat hat sich seitdem hunderttausendfach wiederholt. Warum hatte Gott Kains Opfer abgelehnt? Sollte er lernen, sich in Geduld zu üben? Sollte er lernen, Vertrauen zu haben? Sollte er seine eigene Schattenseite kennenlernen? »Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie« (Genesis 4.7), spricht Gott zu ihm. Kain versagt vor der Aufgabe der Freiheit. Er läßt dem Dämon der Habgier und des Neides Zutritt zu seinem Herzen und tötet seinen Bruder. Eifersucht, am Ende auch Selbstmitleid mögen ihn und seine Tat bestimmt haben. Die Folgen des Brudermords sind verheerend. Durch die Habgier hat sich die Sünde Zugang zu Kains Seele verschafft. Von ihr wird gesprochen wie von einem Menschen. Sie lauert vor der Tür des Herzens. Dann nimmt sie es in Besitz. Kain ist wie ein Besessener. Die Sünde zerstört den Lebensraum, vernichtet die berufliche Existenz, trennt Freundschaftsbande. Kain ist entwurzelt. Aus dem sesshaften Bauern ist ein heimatloser Wanderer geworden. Erst als er ganz unten ist, hebt er wieder den Kopf. Wie soll er weiterleben können, unstet und flüchtig -132-
als Zigeuner unter den Sesshaften, als Gesetzesloser unter den Nomaden? Soll er sich für den Rest des Lebens vor den Menschen verbergen, die ihn totschlagen werden wie die Schlange? »Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände.« (Genesis 4.15) Jeder sollte Kain als einen von Gott geschützten Menschen erkennen. Das Siegel zeigte es allen, die ihm Böses wollten. So wurde aus Kain, dem Mörder, Kain, der Erwählte. Er war schuldig und doch geliebt.
Katholizismus Bekanntlich läßt der Satan die Atheisten und Agnostiker links liegen. Warum sollte er auch ein Interesse an Menschen haben, die nicht an Gott glauben? Doch warum haben Katholiken mehr Probleme mit dem Leibhaftigen als evangelische Christen? Liegt es an der Frömmigkeit? Als Luther (siehe dort) auf der Wartburg die Bibel übersetzte, war auch der Teufel anwesend. Doch heute? Wo hat man in den letzten 50 Jahren einen evangelischen Theologen ernsthaft vom Teufel reden hören? Vielleicht unter den Evangelikaien und schwäbischen Pietisten. Aber sonst? Auch Papst Paul VI. (1963-1978) hatte sich darüber Gedanken gemacht, warum gerade Katholiken den Nachstellungen des Teufels in besonderer Schärfe ausgesetzt sind. Er hatte nämlich beobachtet, wie »durch eine Ritze der Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen« war. Im Osservatore Romano (Nr. 150, 30. Juni/l. Juli 1972) schrieb er: »Da qualche fessura sia entrato il fumo di Satana nel tempio di Dio.« Was war geschehen? Einer Eingebung des Heiligen Geistes folgend, hatte Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) nach Rom einberufen, um über eine weltweite Erneuerung der Kirche zu beraten. Frischer Gottesbraus sollte -133-
die alten Gemäuer durchwehen und neuer Glaubenseifer einkehren. Die Kirche war aufgefordert, sich vorsichtig der modernen Welt zu öffnen, ohne sich ihr anzupassen. Durch diese Öffnung sollten die Ausbreitung des Christentums und eine Vertiefung der Einheit gefördert werden. Johannes XXIII. starb am 3. Juni 1963. Er hatte nur die erste von vier Sitzungsperioden des Konzils miterlebt. Jetzt trat Paul VI. seine Nachfolge auf dem Stuhl Petri an. Unter den würdigen greisen Erzbischöfen und Kardinalen saßen auch junge, modern denkende Geistliche. Einer vo n ihnen war der Schweizer Theologe Hans Küng. Nach dem Ende des Konzils glaubte Paul VI. feststellen zu müssen, daß mit Theologen wie Hans Küng der Widersacher selbst unter den Vätern des Konzils gesessen habe. Denn kaum war das Konzil beendet, zeigte es Wirkungen, die der Papst so nicht gewünscht hatte: Liberale Kräfte in der katholischen Kirche beriefen sich in einer Weise auf das Konzil, daß sich der Vatikan zu drastischen Korrekturen genötigt sah. Der Rauch des Satans war in den Tempel Gottes eingedrungen: Das glaubten auch konservative Gegner des Konzils, die seine Reformen, besonders die Abschaffung der lateinischen Liturgie und die Einführung der Handkommunion, als Teufelswerk verdammten. Statt ökumenischer Einheit hatte das Konzil Unruhe in die weltweite Gemeinde gebracht. Wissenschaftliche Theologen pochten auf das Recht einer rationalen, von Rom und seinen Dogmen freien Auslegung der Bibel. Ultrakonservative, wie der Erzbischof Marcel Lefebrve, beharrten auf dem Althergebrachten. Den einen gingen die Reformen des Konzils zu weit, den anderen nicht weit genug. Die große Einheit der weltumspannenden großen Mutter Kirche drohte zu zerbrechen, der »Durcheinanderbringer« schien erfolgreich Verwirrung gestiftet zu haben. Es begann die Zeit der großen Lehrprüfungsverfahren und Abgrenzungen gegen Traditionalisten und allzu liberale -134-
Theologieprofessoren. Marcel Lefebrve wurde die Befugnis, Priester zu weihen, entzogen. Er hielt sich nicht an das Verbot. Offener Ungehorsam gegen Rom an allen Fronten: Das Buch »Abschied vom Teufel« (1969) des Tübinger Theologieprofessors Herbert Haag wurde abgelehnt, dann kamen die Werke von Hans Küng, später der »Fall Drewermann«. Küngs Bücher »Die Kirche« (1967) und »Unfehlbar? Eine Anfrage« (1970) wurden Gegenstand eines römischen Lehrverfahrens, das am 15. Februar 1975 mit dem Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis endete. Mit der Erklärung »Mysterium ecclesiae« (24. Juni 1973) hatte die Glaubenskongregation die Unfehlbarkeit der Kirche erneut betont und Küng widersprochen. Außerhalb der kirchlichen Mauern begann die Zeit der PapstSchelte. Paul VI., den die Medien gern wegen seiner Enzyklika »Humanae vitae« (25. Juli 1968) als »Pillen-Paule« verspotteten, hatte am Nachmittag des 29. Juni 1972 aus doppeltem Anlass eine Messe im Petersdom gefeiert. Es war das Fest der Apostel Petrus und Paulus, also der Grundpfeiler der katholischen Kirche, und zugleich der elfte Jahrestag (21. Juni) seiner eigenen Ernennung zum Papst. Er blickte zurück auf das Konzil und erinnerte an die Hoffnungen, die es begleitet hatten. Zweifel und Unsicherheit hätten sich jetzt unter Christen ausgebreitet. Der Papst sah den Widersacher Christi und der Kirche am Werk, und er war überzeugt, »daß etwas Außernatürliches in die Welt gekommen ist, gerade um die Früchte des Ökumenischen Konzils zu stören und zu ersticken, und um zu verhindern, daß die Kirche in den Hymnus der Freude ausbreche, das Bewußtsein ihrer selbst in Fülle wieder erlangt zu haben«. Knapp fünf Monate später vertiefte Paul VI. diese Einsichten in die düstere Lage der Kirche durch eine Pilgeransprache im Rahmen der Mittwoch-Generalaudienzen (15. November 1972). Sie wurde in deutscher Übersetzung am 24. November 1972 im -135-
»Osservatore Romano« veröffentlicht und fand weltweite Aufmerksamkeit. Die Ansprache beginnt mit einer Frage: »Was braucht die Kirche heute am dringendsten?« Ein Drittes Vatikanisches Konzil mögen viele Gläubige darauf antworten. Oder eine Reform der Sexualethik, die Freigabe der Pille, die Aufhebung des Pflichtzölibats, die Frauenordination. Der Papst weiß, daß er eine unpopuläre Antwort geben wird, und macht deshalb eine vermittelnde Einleitung. »Unsere Antwort soll euch nicht erstaunen, nicht einfältig oder geradezu abergläubisch und unrealistisch vorkommen: Eines der größten Bedürfnisse der Kirche ist die Abwehr jenes Bösen, den wir den Teufel nennen.« Da sind die Reaktionen der Öffentlichkeit vorweggenommen: Unverständnis, Kopfschütteln, Vorwurf des dunklen Aberglaubens, anti-aufklärerischen Denkens, der Dummheit und Ignoranz. Anfang der siebziger Jahre kennt man den Teufel aus der Rockmusik, aus Horrorfilmen und Romanen. Deshalb erinnert Paul VI. ausführlich an die biblischen Aussagen vom Wesen und Wirken des Teufels, dem »Gott dieser Welt« (2. Korintherbrief 4.4), dem »Vater der Lü ge« und »Mörder von Anfang an« (Johannes 8.44-45). Die Rede vom Teufel sei keine Marginalie im Christentum, sondern ihr komme eine zentrale Rolle zu. Leider fliehe die Theologie vor der wichtigen Aufgabe, die Teufelslehre neu und zeitgemäß zu formulieren. Sie sei »ein sehr wichtiger Abschnitt der katholischen Lehre«. Immerhin wagt der Papst einige Hinweise auf die Bereiche, wo der Teufel in den siebziger Jahren sein Unwesen treibe. Sein Wirken sei überall dort anzunehmen, »wo die Leugnung Gottes radikale, scharfe und absurde Formen annimmt, wo die Lüge sich heuchlerisch und mächtig gegen die offenkundige Wahrheit behauptet, wo die Liebe von einem kalten, brutalen Egoismus ausgelöscht wird, wo der Name Christi mit bewußtem und aufrührerischem Hass bekämpft wird, wo der Geist des Evangeliums ins Reich der Märchen verbannt und verleugnet wird, wo die Verzweiflung das letzte Wort behält.« Wie kann -136-
sich die Christenheit gegen die Versuchungen des Teufels verteidigen? Die päpstliche Antwort lautet: »Die Gnade ist und bleibt die entscheidende Verteidigung.« Am 13. August 1986 nimmt der Nachfolger Pauls VI. direkten Bezug auf die Ansprache. Johannes Paul II. (seit 16. Oktober 1978 im Amt) zitiert ausführlich dogmatische und biblische Aussagen über den Teufel, unter anderem den ersten Johannesbrief: »Die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen« (5.19), und beschreibt die Lage der Kirche in den achtziger Jahren. Der »Zustand des Kampfes« gehöre »zum Leben der Kirche«. Ihr Gegner, der Teufel, zähle zu jenen Geistern, »die radikal und unwiderruflich Gott und sein Reich zurückgewiesen, sich Gottes Herrscherrechte angemaßt und versucht haben, die Heilsökonomie und die Ordnung alles Geschaffenen umzukehren.« Der Teufel sei also da am Werke, wo der Mensch in die »Haltung der Rivalität, der Widersetzlichkeit und der Opposition gegen Gott« verfallen sei, wo die Wahrheit Gottes abgelehnt werde. Der Papst erinnert daran, daß der Teufel gerne unerkannt bleiben will. »Der Einfluss des bösen Geistes kann ganz tief im Dunkeln verborgen am Werk sein; es entspricht ja seinen Interessen, unerkannt zu bleiben. Die besondere Gewandtheit des Teufels in dieser Welt besteht darin, die Menschen dazu zu verführen, seine Existenz zu leugnen, und zwar im Namen des Rationalismus und eines jeden derartigen Denksystems, das alle möglichen Ausflüchte sucht, um ja nicht das Wirken des Teufels zugeben zu müssen.«
Krimineller Satanismus Der Satanist wendet sich von der Kirche und dem christlichen Gott ab. Doch nicht jeder Satanist ist damit zugleich ein Krimineller. Vielleicht ist er psychisch gestört, vielleicht benutzt er den Namen Satans als Metapher für einen Protest gegen die -137-
überlieferten Vorstellungen von Moral (siehe Protestsatanismus), vielleicht ist er auch nur ein armseliger Spinner und Wichtigtuer. Erst die Verbindung von Satanismus und Sadismus ist ein strafwürdiges Vergehen. Zum kriminellen Satanismus gehören Friedhofs- und Leichenschändung, die Tötung von Tieren und der rituelle Missbrauch (siehe Schwarze Messe) von Kindern und jungen Frauen. Diese Form des sadistischen Satanismus geht auf Marquis de Sade (1740-1814) zurück. Es sind Männerfantasien übelster Art. Alles ist böse, alles ist Satans Werk, so lautet der Wahlspruch von Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade. Seine Romane wollen die Absurdität des christlichen Glaubens vor Augen führen. »Ich sage mir: Es gibt einen Gott; was ich erblicke, hat eine Hand geschaffen, aber um des Bösen willen. Ihr gefällt nur das Böse; das Böse und ihr Wesen; was immer sie uns an Verbrechen begehen läßt, ist für ihre Pläne unerlässlich. Der Schöpfer des Alls ist das boshafteste, grausamste, fürchterlichste aller Wesen. Er wird also auch nach den Geschöpfen existieren, welche diese Welt bevölkern. Und in ihn werden sie alle zurückkehren, um andere, noch bösartigere Wesen hervorzubringen.« De Sades Welt ist sozial-darwinistisch, sie kennt keine Moral. Das tugendhafte Leben führt ins Elend, das Laster in den Wohlstand. »Warum habt ihr euch auf die Pfade der Tugend verirrt, da ihr doch wissen mußtet, daß alles auf Erden Laster und Verbrechen ist?«, so läßt de Sade den Gott-Teufel sprechen. »In welcher meiner Taten habt ihr mich denn als Wohltäter wirken sehen? Habe ich euch nicht Pest, Bürgerkrieg, Krankheit, Erdbeben, Unwetter gesandt? Habe ich nicht unaufhörlich über euren Häuptern die Nattern der Zwietracht ausgeschüttet? Etwa um euch zu überzeugen, das Gute sei mein Wesen?« Die Frage, warum Gott das Böse in der Welt zuläßt, existiert nicht im satanistischen Kosmos des Marquis de Sade. Es gibt keinen guten Gott. Dennoch braucht de Sade die unschuldigen -138-
tugendhaften Mädchen, die an das Gute glauben, um immer wieder neu die Triumphzüge des Lasters, der Wollust und des satanischen Verbrechens inszenieren zu können. Wie die Gnostiker (siehe dort) glaubt auch er, daß wir in eine teuflische Welt geboren wurden. Er leidet aber nicht unter dieser Geworfenheit und sucht sie nicht zu überwinden. Im Gegenteil: Er weidet sich wie ein KZ-Wächter am grausamen Schicksal der Menschen. Da Marquis de Sade den größten Teil seines Lebens in Gefängnissen und Irrenanstalten verbrachte, konnte er seine kriminellen Fantasien nicht ausleben. Heute tauchen in den Medien vermehrt die Themen »Satanismus« im Zusammenhang mit »sexuellem Missbrauch« auf. Parallel dazu wird die Polizei zunehmend mit Verdachtslagen wie Störung der Totenruhe und Verdacht von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung konfrontiert. Der Nachweis des satanischen Hintergrundes von kriminellen Taten fällt jedoch schwer. So gibt es laut Information des Landeskriminalamtes Niedersachsen keinen kriminalpolizeilichen Meldedienst für Straftaten im Zusammenhang mit dem Satanismus. Auch sind keine objektiven Feststellungen zu der tatsächlichen Existenz einer Satanismus-Szene in Niedersachsen vorhanden. »Bekannt gewordene Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Delikten wie Störung der Totenruhe, Sachbeschädigung, Diebstahl z.B. sakraler Gegenstände durch junge Menschen dürften, obwohl die Sachverhalte im weitesten Sinne einen satanischen Hintergrund haben könnten, weitestgehend als jugendtypisches Fehlverhalten zu bezeichnen sein und eher episodenhaften Charakter haben. Demzufolge sind entsprechende Hinweise in kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren mit der gebotenen Sensibilität zu bewerten.« In den USA hat der Soziologe Jeffrey S. Victor über 60 angebliche Fälle von kriminellem Satanismus untersucht. Dabei -139-
fand er keinen einzigen echten Vorfall. Diese moderne Satanshysterie nennt er »Satanische Panik« (Satanic Panic). Er führt sie auf wachsende ökonomische Unsicherheit zurück. Der Satanismus-Verdacht sei wie im Mittelalter und zur Zeit der Hexenverfolgung eine Art Sündenbock für die Probleme der Gegenwart.
Leiden Eine der schrecklichen Krankheiten des Mittelalters war die Mutterkornvergiftung. Die befallenen Hände und Füße wurden schwarzfaulig und fielen allmählich ab. Die Krankheit wurde auch Antoniusfeuer genannt. Einmal wegen der brandartigen Schmerzen, zum anderen wegen des Heiligen, durch dessen Hilfe man eine Linderung des Leidens erbat. Der im 11. Jahrhundert gegründete Antoniterorden widmete sich besonders der Krankenpflege. Im Jahr 1330 betraute ihn Papst Johannes XXII. ausschließlich mit der Verehrung des Heiligen Antonius. Eine wichtige Einnahmequelle der Bruderschaft war die Schweinezucht. Die »Schweine des heiligen Antonius« bekamen das Antoniuskreuz (den griechischen Buchstaben Tau, der wie ein »T« aussieht) eingebrannt und trugen eine Glocke um den Hals. In der Schweiz heißt der Heilige Antonius deshalb noch heute »Süüli-Toni« (»Sau-Toni«). Die Spanier verehren ihn als Schutzpatron der Haustiere. Sein Festtag ist der 17. Januar. Für das Antoniterkrankenhaus im elsässischen Isenheim schuf Matthias Gothart Nithard, genannt Grünewald, einen Altar, auf dem auch der von Teufeln geplagte Antonius dargestellt ist. Wie Rogier van der Weydens Weltgerichtsaltar im Hospices de Beaune, so stand der Isenheimer Altar (1512-1516) des Matthias Grünewald ursprünglich in einem Krankensaal. Der Leidende hatte das Bild des Heiligen Antonius stets vor Augen. Der von Teufeln gepeinigte Antonius liegt auf dem Boden. Ein Teufel -140-
zerrt an seinen Haaren, ein anderer am Mantel. Einer versucht, seinen Rosenkranz zu stehlen, ein anderer schlägt mit dem Knüppel und einem Eselskinnbacken auf Antonius ein. Im Vordergrund ist ein zweiter Le idender dargestellt. Er hat Schwimmfüße, sein Körper ist von Wunden und Pusteln übersät. In einem zerrissenen Sack hält er das Buch des Heiligen. Ihm gegenüber befindet sich ein Pergamentblatt gegen einen Baumstumpf gelehnt. Die lateinische Inschrift lautet übersetzt: »Wo warst Du, guter Jesus, warum bist Du nicht gekommen, um meine Wunden zu heilen?« Die Leidensgeschichte des Antonius führt in die Zeit der frühen Christenheit zurück. Am 23. Oktober 1992 berichtete die Neue Zürcher Zeitung von den Ausgrabungen österreichischer Forscher in Abu Fana, einer frühchristlichen Klosteranlage in Mittelägypten. Unter 1,90 Meter Wüstensand legten sie den einbalsamierten Leichnam eines Erwachsenen frei. Untersuchungen ergaben, daß der etwa 1,70 Meter große Mann im Alter von rund vierzig Jahren gestorben war. Die Mumie ließ einen Körper von robuster Statur mit ausgeprägten, spornartigen Muskelansätzen erkennen. »Hätte sich diese Person hingelegt, wäre sie nicht mehr auf die Beine gekommen«, urteilten die Forscher. Es war der Körper von Apa Bane, den die Wissenschaftler unter den Sandmassen entdeckt hatten. Die Zeitung berichtet weiter: »Die Wissenschaftler stellten außerdem gravierende, schmerzhafte Veränderungen an den Wirbelgelenken, insbesondere an der Halswirbelsäule, fest, die vermutlich von einer Einschränkung der Bewegungsfunktion stammen. Ernährungsbedingter Zahnabschliff und dessen Folgeerscheinungen müssen dem Mann ebenfalls quälende Schmerzen bereitet haben.« Es war kein Zufall, daß Antonius in die Wüste ging, denn zu seiner Lebenszeit entwickelte sich das Christentum unter Kaiser Konstantin zur römischen Staatsreligion. Da wollten Männer wie Antonius nicht mitmachen. Sie zogen sich in die Wüste -141-
zurück und nannten sich daher Eremiten (»eremos«, griechisch für »Wüste«), Mönche (»monazein«, griechisch für »einzeln leben«) oder Anachoreten (»anachorein«, griechisch für »sich zurückziehen«). Antonius trug ein Untergewand aus Haaren und ein Obergewand aus Fellen. Der Sohn reicher Bauern wurde um 250 in dem Dorf Coma in Mittelägypten geboren. Antonius hatte im Alter von zwanzig Jahren Jesu Wort an den reichen Jüngling vernommen und das Gesagte auf sein eigenes Leben bezogen. Damit fing alles an: »Willst Du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was Du hast, und gib's den Armen, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben; und folge mir nach!« (Matthäus 19.21) Der Weg zur Vollkommenheit ist nicht nur steinig. Er ist ein Leidensweg. Antonius beginnt einen schrittweisen Rückzug aus der Gesellschaft. Zuerst lebt er unter Anleitung eines erfahrenen Mannes ein enthaltsames Leben am Rand menschlicher Siedlungen. Er will sensibler werden für Gottes Stimme, die Achtsamkeit für das Heilige üben, sich reinigen und im Kampf gegen die Leidenschaften bewähren. Fünfzehn Jahre lebt er als Eremit und kämpft gegen sein eigenes Herz, wie er vor einem Besucher bekennt: »Wer sich in der Abgeschiedenheit befindet und zur Ruhe kommt, hält sich aus einem dreifachen Kampf heraus: aus dem Kampf des Hörens, des Sprechens und des Sehens, und er wird nur noch gegen eines kämpfen müssen: gegen sein Herz.« Antonius entdeckt die Wüstenstürme der Seele und den Taifun des Herzens. Schwarze Vögel überschatten sein Gemüt, und die Schatten der Unkeuschheit, der Verzweiflung, des Zornes und der Trägheit suchen ihn heim. Wer vollkommen werden will, sagt er, müsse den Kampf gegen sie aufnehmen. Antonius zieht deshalb noch tiefer in die Einöde, um die innere Wüste zu entdecken und zu bezwingen. Über Jahre hockt er einsam in einem Felsengrab, dem Ort, wo nach Meinung seiner Zeitgenossen ganze Heere von Teufeln hausen. Der Mensch ist ein Wesen, das Versuchungen ausgesetzt ist. Antonius stellt sich -142-
ihnen. Er nimmt den Kampf gegen den Teufel auf. In Jahrzehnten der Stille, des Gebets und der Enthaltsamkeit hat sich sein Blick für die Schattenwelt geschärft. Er sieht Mächte und Gestalten, die anderen Menschen verborgen bleiben. In der Grabeshöhle sind die Teufel so leibhaftig anwesend, wie sie Grünewald auf seinem Isenheimer Altar malt und Hieronymus Bosch, Martin Schongauer oder Salvador Dali ins Bild setzen. Die Teufel greifen Antonius auch körperlich an, schlagen ihn so heftig, daß er vor Qualen sprachlos zu Boden fällt. Ein anderes Mal wird er ohnmächtig. In wildem Geschrei toben die Teufel und suchen ihn zu bezwingen. Dann erscheinen sie in der Gestalt von Löwen, Tigern, Stieren, Wölfen und Schlangen und verwunden den Heiligen mit ihren Zähnen, Hörnern und Krallen auf grausamste Weise. Als nach diesen schrecklichen Attacken endlich eine wunderbare Helligkeit die Höhlendecke durchdringt und die bösen Geister vertreibt, hat Antonius eine Christuserscheinung. »Wo warst Du, mein guter Jesus? Wo warst Du? Warum bist Du nicht von Anfang an hier gewesen, um mir zu helfen und meine Wunden zu heilen?«, fragt Antonius. Jesus antwortet: »Antonius, ich war hier. Aber ich wartete ab, um deinen Kampf zu sehen.« Menschen können im Leiden wachsen. Der Glaube an den Sinn des Lebens kann aber auch im Leiden zerbrechen. Darin liegt die Versuchung, in die der Leidende geführt wird. In Gustave Flauberts (1821-1880) Roman »Die Versuchungen des Heiligen Antonius« (1874) spricht der Teufel: »Bete mich an! und verfluche das Phantom, das du Gott nennst!« Weil Antonius die ganze Wirklichkeit des Lebens kannte, konnte er vielen Menschen ein Ratgeber sein. Sie ließen ihn nicht in Ruhe, als er sich nach Jahren des Ringens mit den Teufeln noch tiefer in die Wüste zurückziehen wollte. Antonius bewohnte nun ein verlassenes Kastell nilaufwärts in einer Oase -143-
am Fuß des Berges Pispir. Hier vollbrachte er Wunderheilungen im Gebet und gab den Pilgern Ratschläge. Einige hörten wie Antonius den Ruf Jesu zur extremen Nachfolge und siedelten sich in seiner Nähe an. Andere kamen nur auf einem Pilgermarsch in die Wüste, um sich Rat zu holen. Ein Ratschlag des Heiligen lautete: Überspanne den Bogen nicht, sonst zerbricht er! Das bezog Antonius auch auf das Streben nach Vollkommenheit. »Wenn wir uns über das rechte Maß hinaus anstrengen wollten, dann würden wir ziemlich schnell zerbrechen. Es ist also angebracht, die Anspannung dann und wann zu lockern.«
Jakob Michael Reinhold Lenz Die berühmteste Geschichte einer Besessenheit ist mit dem Namen Jakob Michael Reinhold Lenz verbunden. Sie ist in vielen deutschen Gymnasien Pflichtlektüre. Lenz war ein Dichter ohne den ge wünschten Erfolg, ein unzufriedener Lehrer, ein Mann, der seinen Freund Goethe vor den Kopf gestoßen und mit seinem Vater gebrochen hatte. Als Mensch voller Ängste und Selbstzweifel kommt der mittellose Lenz (1751-1792) am 20. Januar 1778 im Vogesendorf Waldbach (Valdersbach) bei Pfarrer Johann Friedrich Oberlin an. Schweizer Freunde hatten ihm die Adresse empfohlen. Der fortschrittliche und rastlos tätige Gottesmann Oberlin war für seine sozialreformerischen Ideen weithin bekannt. Selbst der atheistische Pariser Revolutionskonvent vom 9. Dezember 1795 (19. Frimaire des Jahres III) zollte ihm seine Anerkennung. Viele Zeitgenossen suchten bei Oberlin Rat und Hilfe. Lenz aber erwartete Übermenschliches von ihm. Er wollte im Steinachtal zur Ruhe kommen und gehe ilt werden. Das Gegenteil wird der Fall sein. Am 8. Februar 1778 führen ihn drei starke Männer in Ketten gelegt aus dem Dorf. Oberlin hat über den Aufenthalt berühmt -144-
gewordene Aufzeichnungen gemacht, in denen er seine Sicht der schrecklichen Ereignisse festhält. Lenz wird im Schulhaus untergebracht. Oberlin kennt seine Dichtungen. Lenz will auf sie nicht angesprochen werden. Hier im Steinachtal sucht er keine Anerkennung als Dichter. In der Nacht hört ihn Oberlin laut reden, dann vernimmt er die Stimme des Schulmeisters. Er steht auf und erfährt, Lenz habe sein Zimmer verlassen und sich in den Brunnentrog gestürzt, wo er wie eine Ente geplanscht hätte. Er sei es gewohnt, erklärt der unheimliche Gast, im kalten Wasser zu baden. Als Oberlin einige Tage später ahnungsvoll eine Reise in die Schweiz abbricht und ins Pfarrhaus zurückkehrt, erfährt er eine weitere seltsame Geschichte, die sich während seiner Abwesenheit ereignet hat. Lenz, am Fuß verletzt von seiner Wanderung über die Vogesen, sei in den Nachbarort Urbach (Fouday) gehumpelt, um ein totes Kind wieder aufzuwecken. Er habe sich dazu durch eine Bußübung, eintägiges Fasten und die Bestreichung seines Gesichtes mit Asche vorbereitet. Das Kind hieß Friedericke, so wie Goethes Sessenheimer Geliebte, die Pfarrerstochter Friedericke Brion, die auch Lenz liebte. Lenz war Pfarrerskind und hatte Theologie studiert. Jesus hatte den toten Lazarus ins Leben zurückgerufen. Vom ranghöchsten Apostel wird berichtet, man hätte Kranke auf die Straßen hinausgetragen, »damit, wenn Petrus käme, wenigstens sein Schatten auf einige von ihnen fiele. Es kamen auch viele aus den Städten rings um Jerusalem und brachten Kranke und solche, die von unreinen Geistern geplagt waren; und alle wurden gesund« (Apostelgeschichte 5.15-16). Als in Joppe die Jüngerin Tabita an einer unbekannten Krankheit starb, ging Petrus in ihr Haus, kniete allein im Sterbezimmer nieder, betete, wandte sich dem Leichnam zu und rief die Tote wieder ins Leben zurück: »Tabita, steh auf!« (Apostelgeschichte 9.40) Lenz identifiziert sich mit Petrus. Er betet, wirft sich über die -145-
Tote und versucht eine Stunde lang vergeblich, das Kind wiederzubeleben. Dann verläßt er den Raum, geht zur Mutter und gibt ihr die Schuld an der misslungenen Totenauferweckung. Wenig später jedoch behauptet er, er habe das Kind vergiftet, und entschuldigt sich bei der Mutter. Nachts springt er in den Brunnentrog, tagsüber ist er ruhig, beschäftigt sich mit Zeichnen und Malen, liest in der Bibel und bereitet eine Predigt vor. Oberlin sucht das seelsorgerliche Gespräch, Lenz gesteht seine Sünden, glaubt aber nicht an die Möglichkeit der Vergebung. Im gleichen Moment blickt er händeringend zum Himmel und ruft: »Ach! Ach! Göttlicher Trost - ach - göttlich, o - ich bete - ich bete an! « Ein lebender Widerspruch. Im nächsten Augenblick bezichtigt er sich des Mordes an seiner Geliebten und seiner Mutter. Oberlin redet von Bekehrung. Lenz betritt das Dienstzimmer mit Gerten, fordert Oberlin auf, ihn auszupeitschen. Diese Form der Buße ist dem Pfarrer fremd. Er gibt ihm einige Küsse auf den Mund. Mit Schlägen, sagt er, könne man keine Sünden tilgen, das vermöge nur der Glaube an Jesus Christus, an ihn solle er sich wenden. Lenz verläßt den Raum. In der Nacht rennt er mehrfach aus seinem Zimmer, springt in den Trog, kehrt ins Haus zurück. Dienstmägde, die unter seinem Zimmer schlafen, berichten von jämmerlichem Winseln während der ganzen Nacht. Lenz ist zerrissen von Schuldgefühlen. Er kann darüber nicht sprechen, nur Zeichen geben, die niemand versteht. Christus nimmt hinweg die Sünden der Welt. Das weiß er, glaubt es aber nicht. Deshalb sucht er den Freitod. Lenz springt aus dem Fenster und verrenkt sich dabei den Arm, er besucht Friedenckes Grab. Oberlin läßt ihn bewachen und fesseln. Lenz bricht aus, rennt erneut nach Urbach, verlangt, ins Gefängnis geworfen zu werden, da er der Mörder Friederickes sei. Oberlin bittet ihn, wenigstens eine Nacht ruhig im Bett zu bleiben und nicht in den Trog zu springen. Gesinde, Kinder und Ehefrau seien beunruhigt, völlig erschöpft und wollten sich -146-
einmal ausschlafen. Lenz verspricht es, betet aber die ganze Nacht hindurch so laut, daß die Mägde wieder keine Ruhe finden. Er liest in der Apokalypse des Johannes. Dort ist die Rede von sieben schrecklichen Engeln. Mit ihren Posaunen verkündigen sie den Weltuntergang. Sterne fallen vom Himmel, die Brunnen des Abgrunds öffnen sich, Skorpione und Heuschrecken fallen über die verfluchten Menschen her und quälen sie so sehr, daß sie sich den Tod wünschen. »Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden, sie werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor ihnen fliehen.« Worte des Unheils, in denen sich der arme Lenz wiederfindet. König der schrecklichen Mächte ist der »Engel des Abgrunds; sein Name heißt auf hebräisch Abaddon« (Apokalypse 9.11). Zuerst hatte sich Lenz mit Goethe identifiziert, dann mit Petrus, jetzt schreibt er nach Weimar, er sei Abaddon, der Engel des Abgrunds. Wieder springt Lenz aus dem Fenster. Eine Zeichenhandlung, ein Höllensturz. Seht den Engel des Abgrunds! Völlig verdreckt sitzt Lenz in seinem Dienstzimmer. In einem unbeobachteten Moment rennt er wieder hinaus und stürzt sich in den Trog. Oberlin weiß nicht mehr weiter. Er wird wütend, will Lenz unter scharfe Bewachung stellen. Lenz spürt dies. Beim Abendessen steht er auf, bittet, ins Dienstzimmer gehen zu dürfen, um dort etwas zu lesen. Oberlin folgt ihm. Er schreibt, Lenz blättert unkonzentriert und mit großer Schnelle in der französischen Bibel. Als Oberlin für einen Augenblick das Zimmer verläßt, will sich Lenz mit einer Schere erstechen. Die Pfarrersgattin kommt dazwischen. Jetzt ist das Maß für Oberlin voll. Er wirft Lenz Undankbarkeit vor. Der springt auf, wirft sich Frau Oberlin zu Füßen, bittet um Verzeihung. Sie aber flüchtet voller Angst. Lenz jammert, er hätte die Frau umgebracht wie das Kind. »Alles, alles bring' er um, wo er hin käme.« Endlich kommt die Bewachung. Aber Lenz findet keine Ruhe. Übernatürliche Kräfte werden in ihm wach. Trotz Aufsicht -147-
durch zwei starke Männer gelingt es ihm, mit dem Kopf gegen die Wand zu rasen. Oberlin stürzt ins Zimmer, bittet die Männer, Lenz freizugeben. Der sitzt inzwischen ruhig auf seinem Bett. Oberlin solle für ihn beten. Während des Gebetes wiegt sich Lenz mit dem Oberkörper hin und her, aber der Friede täuscht. Lenz kommt nicht zur Ruhe. Mit großer Wucht und ohne Vorankündigung donnert er seinen Kopf gegen die Wand. Oberlin läßt einen dritten Wächter rufen. Lenz sieht ihn und spottet, die drei stämmigen Männer wären nicht stark genug, ihn zu bändigen. Noch in der Nacht wird die Abreise vorbereitet. Lenz will alle um Vergebung bitten. Die Mägde und Frauen halten sich vor ihm versteckt. Dann bricht er auf. Ein rätselhafter, unlösbarer Fall. Für einige Tage kommt er bei seinem Freund Johann Gottfried Röderer in Straßburg unter. Gemeinsam suchen sie Pfarrer Stuber auf. Lenz wirft sich vor ihm nieder und bittet um sein Gebet. Doch wieder will kein Frieden in seine Seele einkehren. Der Weg zum Glauben bleibt versperrt. Vor Schmerz und Erschöpfung gibt der Pfarrer das Gebet auf. Lenz geht mit Tränen in den Augen fort. Nachdem sämtliche geistlichen Versuche einer Heilung gescheitert sind, resigniert auch der Freund Röderer. Der Engel des Abgrunds wird zu Goethes Schwager Johann Georg Schlosser nach Emmendingen in Pflege gegeben. Wieder plagen ihn schwere Anfälle. Ketten fesseln ihn ans Bett. Die Freunde versuchen, ihm mit einer Kältetherapie zu helfen, und bringen ihn nachts an einen Fluss. Zehn Minuten lang badet er hier im kalten Wasser. Ein Anfall folgt dem nächsten. Wieder herrscht Ratlosigkeit. Lenz rennt mit dem Kopf gegen die Wand, wird in Ketten gelegt, schreit laut, weint, zerfetzt die Kissen und zerkratzt sich die Haut. Nach zehn Tagen ist sein Wille gebrochen. Dann kommt eine Phase der Hyperaktivität. Er schreibt pausenlos. Ihn plagen Schuldgefühle. Tagelang kann er nicht sprechen. Schüttelkrämpfe im Kopf und am ganzen Leib durchzucken ihn, er schlägt drei Minuten lang in -148-
atemberaubender Geschwindigkeit mit dem Kopf auf die Kissen. Manchmal redet er dabei unverständliche Worte. Dann ist er wieder heiter und vergnügt. Wohin mit dem Mann, dem niemand helfen kann? Schlosser will ihn ins Frankfurter »Tollhaus« bringen, überlegt es sich anders, richtet einen langen Brief an Lenz' Vater, mit dem er die Heimkehr des verlorenen Sohnes vorbereitet. Der Sohn selbst fügt dem Schreiben nur ein Zitat aus der berühmten biblischen Parabel bei: »Vater! Ich habe gesündigt im Himmel und vor Dir und bin fort nicht wert, daß ich Dein Kind heiße.« Lenz kehrt ins Vaterhaus zurück. Er wird keine Heilung finden. Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbringt er als Lehrer in Moskau, wo er im Elend stirbt. Kein Mensch kennt sein Grab. Georg Büchner hat seine Geschichte in der Novelle »Lenz« zu einem Gleichnis verdichtet.
Liebeszauber »Du siehst heute Abend zauberhaft aus!« Wer hört nicht gern Komplimente, auch wenn er weiß, sie sind ein wenig übertrieben? Unser ganzes Wesen fühlt sich beschwingter, ja wie verzaubert. Dann tritt vielleicht ein echtes Wunder ein: Dem Zauberwort folgt ein zauberhafter Abend mit einer bezaubernden Stimmung. Auch hartgesottene Realisten, die alle Zauberei für ein Blendwerk halten, werden nicht bestreiten, daß von der Liebe eine magische Wirkung ausgeht. Zaubersprüche sind wieder »in«. Sie versprechen Lebensfreude und Glück. Sie zeigen, wie man den Familienfrieden bewahrt, die Fruchtbarkeit erhöht, böse Geister aus dem Haus vertreibt, die körperliche und spirituelle Energie stärkt, ein gebrochenes Herz heilt und den Geliebten verzaubert. In dem Buch »Rituale, Amulette, Zaubersprüche aus aller Welt« gibt Nicola de Pulford Ratschläge, wie Mann und Frau -149-
ihren Wunschpartner betören können. Neben einem Spiegel, einer rosafarbenen Kerze, einem rosa Blatt Papier, einem Federhalter und einem Foto von sich wird ein rosafarbenes Band gebraucht. Dann geht der Zauber los: »Zünden Sie in einem dämmrigen Zimmer die Kerze an, so daß Ihr Spiegelbild von ihr erleuchtet wird. Konzentrieren Sie die Gedanken auf Ihre guten Eigenschaften und Ihren Wunsch, eine neue Beziehung einzugehen. Holen Sie tief Luft, und atmen Sie Ihre Ängste und Zweifel aus. Malen Sie anschließend das Bild Ihrer neuen Liebe auf das rosafarbene Papier. Legen Sie es neben Ihr Foto, und verschnüren Sie beides mit dem Band. Vereinen Sie die Bilder auch gedanklich. Halten Sie die vereinten Bilder vor den Spiegel, so daß sie darin reflektiert werden, und sprechen Sie bei diesem Ritual folgende Worte: Von innren Zweifeln bin ich frei, Mein Herz ist offen, komm herbei! Lass die Zukunft sich entfalten, Lass Glück und Liebe ewig walten. Pusten Sie die Kerze aus, und sehen Sie nach, ob sich im Spiegel irgendwelche Bilder zeigen; vielleicht sehen Sie eine andere Person als die, an die Sie denken. Falten Sie die Bilder zusammen, und bewahren Sie sie an einem sicheren Ort auf.« Im späten Mittelalter konnte es passieren, daß sich beim Blick in den Spiegel der Hintern des Teufels zeigte. Denn Liebeszauber galt als Satans Werk. Faust bekommt von den Hexen (siehe dort) einen Verjüngungstrunk (Faust 2348ff.) und von Mephistopheles (siehe dort) einen Liebestrank. Dieser führt zu einer sexualisierten Optik: Denn mit dem Zaubertrank im Leibe, sieht er Miss Universum in jedem Weibe (vgl. Faust 2603ff.). Früher galt der Andreastag (30. November) als gut geeignet für Liebeszauber. Heute wird Halloween (siehe dort) für -150-
Liebesmagie empfohlen. Die Irish Emigrant Publications aus Galway (
[email protected]) raten jungen Mädchen, in der Halloweennacht ein Büschel Rosmarin unter das Kopfkissen zu legen, dann werde es von seinem zukünftigen Ehemann träumen. Wer sich nicht zwischen zwei Liebhabern entscheiden kann, soll zuerst einen Apfel essen und anschließend jeweils einen Apfelkern auf die rechte und linke Wange legen. Jeder Apfelkern erhält einen Namen, beispielsweise Patrick und Myles. Nun muß man nur noch so lange warten, bis einer der Kerne von der Wange fällt. Stürzt Myles zuerst ab, weiß man, daß Patrick der richtige Partner ist. Aus Sicht der Engelforschung ist Liebeszauber kein harmloses Spiel. Schließlich kam es durch übermächtige Liebesreize zum Engelsturz (siehe dort). Auch bedienen sich Incubi und Succubi der menschlichen Sexualität (siehe dort), um sie zum Beischlaf zu verführen. Liebeszauber endet immer tragisch: Faust verliebt sich in Gretchen. Die Folgen sind zwei Tote, ein abgetriebenes Kind und Gretchens Tod durch den Henker. Das berühmte Liebespaar Tristan und Isolde wurde durch einen Liebestrank verzaubert - was für alle Beteiligten tragische Folgen hatte. Schon die Bibel kennt Techniken des Liebeszaubers mit Hilfe von »Liebesäpfeln« (Genesis 30.14-16). Rahel benutzt eine Alraune (Mandragora), um Jakob zu betören und von ihm ein zweites Kind zu empfangen. Bei der Geburt dieses Kindes wird sie sterben. Vom Liebeszauber sollte man also die Finger lassen, und sei es nur, um sich nach dem Ritual beim Blick in den Spiegel die Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild zu ersparen.
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Lilith Lilith ist ein Succubus, also eine Teufelin. Wie alle Succubi sucht sie Männer in der Nacht auf und gaukelt ihnen erotische Bilder vor. Die Folge ist eine sexuelle Erregung. Diese hat manchmal eine Pollution zur Folge. Lilith gilt daher als »Samenräuberin«. Die jüdischen Sagen kennen Lilith als Adams erste Frau. Wie alles, was Gott geschaffen hatte, so war auch Lilith ursprünglich gut. Erst als Adam sie verstieß, wurde sie böse. Ihre äußere Erscheinung muß noch immer verführerisch sein, denn während der Walpurgisnacht auf dem Brocken hält Faust sogleich inne, als er Lilith unter den Hexen sieht. Mephistopheles (siehe dort), der Teufel, beschreibt sie mit folgenden Worten (Faust 4129ff.): »Adams erste Frau. Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren, Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt. Wenn sie damit den jungen Mann erlangt, So läßt sie ihn so bald nicht wieder fahren.«
Lucifer Lucifer (Luzifer) ist einer der bekanntesten Namen des Teufels. Im Internet hat Lucifer eine eigene Homepage (www.Luzifer.at/event/hallow.html). Dort bietet er seine Dienste als Partylöwe für Halloween an und zeigt sich besorgt über die Kinder, die in der herbstlichen Dunkelheit als Gespenster und Monster verkleidet durch die Straßen ziehen. Lucifers Tipp für Eltern lautet: »Informieren Sie Ihre Kinder über ungefährliche Wege in der Nachbarschaft und wählen Sie ein Kostüm mit -152-
reflektierenden Augen oder Streifen. Katzenaugen vom Fahrrad, Schultaschenreflektoren oder einfache weiße Gespensterlaken machen Ihre Kinder deutlicher sichtbar.« Wer diese fürsorglichen Hinweise im Internet liest, gewinnt von Lucifer ein positives Bild. Und genau das ist schon immer die Ansicht des großen Verführers gewesen. Die größte List des Teufels besteht darin, die Menschen glauben zu machen, es gäbe ihn nicht. Aber Lucifer ist kein Gespenst auf einem Halloweenfest (siehe dort). Der Name »Lucifer« (luciferus) bedeutet »Lichtträger«. Damit wird für die Engelforschung sofort deutlich, daß Lucifer ein gefallener Engel ist. Denn die Engel sind das Licht des ersten Schöpfungstages, wie Augustinus gelehrt hatte. Sie sind von Gott als gute Wesen geschaffen worden. Unter dem Oberbefehl von Lucifer stürzte ein Fünftel der Engel aus den himmlischen Chören auf die Erde und treibt hier sein Unwesen. Im Hebräischen heißt Lucifer »helal«. Das Wort bezeichnet den Planeten Venus. Er wird auch Morgenstern oder Lichtstern genannt. Beim Propheten Jesaja (14.12ff.) findet sich ein Spottlied auf Lucifer: »Wie bist du vom Himmel gefallen, du Lichtstern (Lucifer), Sohn der Morgenröte, wie wurdest du in Stücke geschlagen zur Erde hin, der du die Völker schwächst! Du freilich sprachst in deinem Herzen: Zum Himmel will ich aufsteigen, noch über den Gottessternen will ich meinen Thron errichten... will mich gleich wissen dem Höchsten. Doch in die Unterwelt wirst du hinuntergeführt werden, in die allerunterste Grube!« Ursprünglich war »Lucifer« ein Codewort für den babylonischen König. Erst in christlicher Zeit hörte man aus den berühmten Versen Jesajs einen Hinweis auf den Ursprung des Teufels, den Engelsturz (siehe dort) und sein ewiges Schicksal in der Hölle (siehe dort) heraus. Man kombinierte die Sätze mit dem so genannten Jubelruf Jesu: »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz!« (Lukas 10.12) -153-
Mit dem Aufkommen des Protestsatanismus (siehe dort) kam es zu einer neuen Bewertung von Lucifers Sturz. Wie Prometheus in der griechischen Myt hologie galt Lucifer unter Künstlern, Dichtern, Malern und Musikern als kreativer Rebell gegen die göttliche Ordnung. Er rief »Nein!«, wo die Engel immer nur »Ja und Amen!« sagten. Neben Ahriman ist Lucifer in der Anthroposophie eine Hauptkraft des Bösen. Er steht für das Licht der Aufklärung, das Feuer der Inspiration und die Glut der Leidenschaft. Sein ambivalenter Charakter bringt also nicht nur die hohe Kunst hervor, sondern auch Eitelkeit, Hochmut und Selbstüberschätzung.
Martin Luther Auf der Wartburg wird der schwarzblaue Fleck an der weißen Wand noch heute regelmäßig erneuert. Jedes Kind weiß, daß Luther mit dem Tintenfass nach dem Teufel geworfen hat. Wie alle Legenden, so ist auch diese hintergründig und verliert ihren Reiz, wenn sie nur wörtlich genommen wird. Die Tinte steht für das geschriebene Wort Gottes. Dies vertreibt alle Teufel der Welt. Katholiken setzen beim Exorzismus auf die Macht des Rituals, Lutheraner auf das reformatorische Kampflied »Ein feste Burg ist unser Gott«: »Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie saur er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht'. Ein Wörtlein kann ihn fällen.« Beim Studium des Römerbriefes entdeckte Martin Luther (1483-1546): Alles ist Gnade. Alles, was der Gnade -154-
entgegensteht, alles, was Christus widerspricht, alles, was den Glauben in Zweifel zieht, kommt dagegen vom Teufel. Gott oder Teufel! Es gibt für den Menschen keinen dritten Weg. Luther erläuterte diesen Gedanken mit dem berühmt gewordenen »Reittiergleichnis«: Der Mensch gleiche einem Reittier. Entweder werde er von Gott oder von Satan geritten. Kein Theologe der Christenheit hat so deutlich die Rolle des Teufels betont wie Luther. Seine Ängste hat er rückblickend in dem Kirchenlied »Nun freut euch liebe Christengemein« beschrieben: »Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren, mein Sünd mich quälte Nacht und Tag, darin ich war geboren. Ich fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am Leben mein, die Sünd hat mich besessen.« Mit der Erlösung hört die Versuchung aber nicht auf. Im Gegenteil! Anfechtungen, Glaubenszweifel, Beunruhigungen des Gewissens plagen Luther ein Leben lang. So ruft die Übersetzung der Bibel den Teufel auf den Plan. Leben heißt in Versuchung sein. Niemand wirft seine alte Lebensgeschichte einfach über Bord, wenn er durch Anfechtungen zu neuem Glauben geschritten ist. Die Menschen, so Martin Luther in seiner Deutung der sechsten und siebten Bitte des Vaterunsers (»Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen«), »tragen den alten Adam am Hals«. Der reize sie täglich zu Unzucht, Faulheit, Hass, Neid, Feindschaft, Untreue, Fressen, Saufen, Geiz und Hinterlist. Dur ch diese Empfänglichkeit für Laster und Bosheit versuche der Teufel, Macht über den Menschen zu gewinnen und ihn zur Verachtung der göttlichen Gnade zu führen. Keine weltliche Macht kann gegen den Teufel helfen. »Darum haben wir auf Erden nichts zu tun, als ohne Unterlass gegen -155-
diesen Hauptfeind zu beten. Denn wenn uns Gott nicht erhielte, wären wir keine Stunde vor ihm (dem Teufel) sicher.« Der Teufel schläft niemals. Für Luther richten sich sämtliche Bitten des Vaterunsers gegen diesen Hauptfeind des Menschen. »Denn dieser ist's, der all das, was wir bitten, unter uns verhindern will; Gottes Namen oder Ehre, Gottes Reich und Willen, das tägliche Brot, das fröhliche, gute Gewissen.« Auch Luthers Morgen- und Abendsegen dienen der Abwehr des Teufels. Trotz aller Teufeleien in der Welt besteht also kein Anlass zur Panik. Denn auch zahlenmäßig sind die himmlischen Mächte den teuflischen Gegenkräften überlegen. Wo zwanzig Teufel auftreten, sagt Luther, da sind gewiss auch einhundert Engel. Sonst wäre es auf Erden gar nicht auszuhalten. Das Verhältnis von Teufel und Engel beträgt also 1:5. Gott sei Dank!
Magie Zum Zirkus gehört ein Zauberer. Er kann Kaninchen aus dem Hut zaubern, Jungfrauen in zwei Hälften zersägen, und, wenn er sehr gut ist, einen weißen Tiger, der an einem Käfig unter der Decke hängt, verschwinden lassen. Wer diesen Trick beherrscht, der bekommt in Las Vegas eine eigene Show. Kein Zauberer aber kann aus dem Nichts ein Kaninchen zaubern. Und genau darum ist alle Zauberei letztlich nur ein Gaukelspiel. Wahre Wunder kann nur Gott vollbringen, auch nicht die Engel. Weil aber der Teufel ein Affe Gottes ist und alles nachäfft, will auch er Wunder vollbringen. Darm ist er teilweise so geschickt, daß es für einen Laien gar nicht leicht ist, den Unterschied zwischen einem echten Wunder und einem teuflischen Zaubertrick herauszufinden. Zauberer sind Magier. Die Worte »Magie« und »Magier« sind als Lehnworte aus der persischen in die griechische Sprache gekommen. Daß Magie nicht grundsätzlich böse sein muß, zeigt -156-
das Beispiel der Heiligen Drei Könige aus Persien. Sie werden auch Magier (Zauberer) genannt. Im Gegensatz zur schwarzen Magie des Teufels üben sie eine weiße Magie aus. In ihrem Fall ist dies ganz einfach zu erkennen, denn sie stellen ihre Künste in den Dienst des neugeborenen Christuskindes. Deshalb wurden ihre Gebeine im Kölner Dom beigesetzt. Der Kampf zwischen weißer und schwarzer Magie ist uralt. Schon Josef hatte ägyptische Konkurrenten, als er die Träume Pharaos deutete (Genesis 41.8). Moses und sein Bruder Aaron führen einen regelrechten Zauberwettbewerb gegen ägyptische Magier durch (Exodus 7-14). Jedes Kind kennt die Geschichte von den berühmten zehn Plagen, die Moses' Gott über die Ägypter kommen läßt: Das Wasser des Nils wandelt sich in Blut, eine Frosch-, Stechmücken- und Stechfliegenplage kommt, Viehpest bricht aus, Blattern, Hagel, Heuschrecken, eine Sonnenfinsternis, der Tod der erstgeborenen Kinder und schließlich als Höhepunkt der Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer. Moses und Aaron bedienten sich in diesem Wunderwettbewerb eines Zauberstabes. Ihre Werke werden in der Magie als Straf-, Wetter-, Krankheits- und Naturzauber bezeichnet. Aaron konnte seinen Zauberstab sogar in eine Schlange verwandeln. So etwas vermochten seine ägyptischen Konkurrenten auch. Dann aber verschlang Aarons Stab die Stäbe der Magier, wodurch der Beweis der Echtheit seines Wunders vollbracht war. Die Juden haben offiziell jede Form von Magie verboten, ja sogar die Todesstrafe für Magier (Exodus 22.17; Leviticus 20.6; 20.27) festgesetzt. Erfolgreich waren sie damit nicht, wie das Beispiel von Moses und Aaron zeigt. Der Magierwettstreit am Nil wird seit Thomas von Aquin als Beispiel für wahre Wunder und Scheinwunder herangezogen. Der Heilige nennt drei Erkennungsmerkmale für dämonische Scheinwunder: 1. Sie haben eine schändliche Absicht. 2. Sie sind nicht seriös. 3. Sie erzeugen nur einen kurzen Effekt. Auch -157-
zur Zeit Jesu (siehe dort) war man von der Existenz schwarzer Magie überzeugt. So wird dem Wundertäter Jesus (Matthäus 12.24) vorgeworfen, er betreibe mit Hilfe Beelzebubs (siehe dort) schwarze Magie. Wie unsinnig der Verdacht war, das zeigt eine Anwendung der drei Maßstäbe für echte Wunder des Heiligen Thomas, denn Jesus hatte 1. nur gute Absichten. Er wollte Menschen an Leib und Seele heilen und dachte dabei nicht an seinen Ruhm. 2. Seine Wunder waren absolut seriös und 3. keine kurze Effekthascherei, wie man schon daran erkennen kann, daß sie noch heute erzählt werden. Dennoch bleibt ein Problem. Da Dämonen Wunder vortäuschen können, fragt man sich natürlich, wie ihre schwarze Magie funktioniert. Der Heilige Thomas bringt auch hier Licht ins Dunkel: 1. Scheinwunder beginnen mit einer Anrufung der Dämonen (invocatio). 2. Ihr folgen die Beschwörung (incantatio ) und schließlich 3. der Teufelspakt (siehe dort). Der Magier hat allerdings niemals Macht über den Teufel, mit dem er den Pakt geschlossen hat, sondern nur über einen niedrigeren Dämon. Der Kampf zwischen echten Wundertätern und Schwarzmagiern, den Moses und Aaron in Ägypten geführt haben, setzt sich in der Kirche fort. Aus heutiger Sicht war er nicht immer fair und frei von Vorurteilen gegenüber alten heidnischen Heilungskünsten und Ritualen. Die gesamte Missionsgeschichte des Christentums ist dafür voller Beispiele. Schon Petrus und Paulus kämpften mit magischen Waffen gegen Zauberer aus anderen Kulturen und Religionen. Als Paulus wahrend einer Missionsreise auf Zypern dem Magier Elymas begegnet, verflucht er ihn kurzerhand als »Sohn des Teufels« (Apostelgeschichte 13.10) und läßt ihn durch einen Schadenszauber erblinden: »Du sollst blind sein und die Sonne eine zeitlang nicht sehen!« In Samarien war es bereits zu einem Streit zwischen Petrus und Simon Magus gekommen. Simon trug den Beinamen »Große Kraft Gottes« (Apostelgeschichte -158-
8.10). Er hatte einige spektakuläre Wunder des Apostels Philippus miterlebt: Unreine Geister waren mit großem Geschrei aus den Besessenen gewichen, und viele Gelähmte und Verkrüppelte wurden geheilt. Der Magier Simon war von diesen Taten beeindruckt und ließ sich taufen. Als dann Petrus und Johannes den Neugetauften die Hände auflegten, um ihnen den Heiligen Geist zu verleihen, war Simon erneut beeindruckt. Er bot den Aposteln Geld an, damit auch er die Gabe des Händeauflegens bekäme. Dieser Versuch des Ämterkaufes wird seitdem Simonie genannt. Zur Zeit Martin Luthers erfuhr auch die Magie eine Wiedergeburt und neue Bewertung. Paracelsus (1493-1531), Agrippa von Nettesheim (1486-1536) und Marsilio Ficino (1433-1499) beeinflussen Goethes Vorstellungen von Magie. Heinrich Faust hat Medizin, Jura, Theologie und Philosophie studiert. Doch in seinem Wunsch, das Geheimnis des Lebens zu ergründen, ist er keinen Schritt weitergekommen. So übt er sich in Magie. Von Amuletten, sozialer Magie, Venusmagie, schwarzer Magie bis zur Wortmagie finden sich alle magischen Formen im »Faust« - mit einem Resultat: Sie bringen Faust ebenso wenig weiter wie alle Gelehrsamkeit. Auch die nächste Stufe, der Teufelspakt (siehe dort), wird letztlich zur Enttäuschung. Faust erlangt die ewige Seligkeit weder durch sein Wissen, die Magie noch den Teufelspakt, sondern allein durch die Gnade. Doch Gelehrsamkeit, Magie und Pakt waren für ihn Stufen der Erkenntnis, notwendige Umwege im Labyrinth des Lebens.
Manichäer Der Religionsstifter Mani (*216 n. Chr.) lebte zur Zeit der Sassanidenherrscher (226-642 n. Chr.). Die Religion Zarathustras (siehe dort) war Staatsreligion. Man begann die -159-
heiligen Texte neu zu ordnen und niederzuschreiben. Da trat Mani auf, berief sich auf eine Engeloffenbarung und behauptete, alle echten Worte Zarathustras seien verloren gegangen. König Bahram I. verstand dies als einen Angriff auf die Ordnung des Staates und ließ Mani am 26. Juni 277 kreuzigen. Doch Manis Lehren lebten weiter und beeinflussten viele Christen. Mani war davon überzeugt, daß sich seine Botschaft weiter verbreiten werde als die Worte Jesu oder Buddhas: »Wer seine Kirche im Westen erwählt hat wie Jesus, dessen Kirche ist nicht nach Osten gelangt; wer seine Kirche wie Buddha im Osten gewählt hat, dessen Auslese ist nicht zum Westen gekommen. Meine Hoffnung aber wird nach dem Westen gehen und auch nach dem Osten.« Der bekannteste Anhänger Manis war Aurelius Augustinus (354-430). Zwischen 376 und 384 gehörte er der manichäischen Kirche an. Allerdings erhielt er nur den niedrigen Weihegrad eines »Hörers« (auditor). Später wurde er zu einem ihrer schärfsten Gegner, wie es oft bei Konvertiten geschieht. Mani lehrte, daß in der Welt und im Menschen ein ewiger Gegensatz zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel, Licht und Schatten herrsche. Gott habe sich in Abertausend kleine Lichtfunken aufgeteilt. In jedem Menschen sei ein kleiner Lichtfunke verborgen. Gott und die Seele seien folglich eins. Der Mensch, der das Licht in sich entdeckt, erkennt zugleich Gott. Selbsterkenntnis ist also Gotteserkenntnis. Mani lehrte, daß jeder Mensch die Aufgabe habe, den Weg des Lichtes zu gehen. Dadurch erlöse er den göttlichen Funken in seiner Seele. Mit Augustinus hat auch die katholische Kirche diese Lehre vom göttlichen Seelenfunken als Irrlehre oder Häresie verdammt. Der Erfolg jedoch war gering, denn Manis Ideen lebten auf dem Balkan unter den Bogomilen und in Oberitalien und der Provence unter den Katharern weiter. Im Osten drangen sie bis nach China vor, wo sie unter dem Uigurenfürsten Bugug -160-
Khan (760-780) zur Staatsreligion wurden. Die weltberühmten Höhlenmalereien von Bazaklik in Turfan wurden von Manichäern gemalt. Heute kämpft das Volk der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang um religiöse und politische Unabhängigkeit. Aber auch in der Literatur der Gegenwart, etwa bei Paolo de Coelho, leben Manis Krieger des Lichtes weiter.
Charles Manson Charles Manson (* 12. November 1934) glaubte, er sei eine Inkarnation von Satan und Christus zugleich. Aus seinem Namen wollte er eine Anspielung auf den »Menschensohn« Christus heraushören: man son - son of man. Charles Mansons Bild von der Zukunft war düster. Eine Endzeit sei angebrochen, die letzten Tage der Menschheit dämmerten am Horizont, bald werde es große apokalyptische Kämpfe zwischen der weißen und der schwarzen Rasse geben. Die Schwarzen werden die Weißen ausrotten, alle Reichen töten, aber unfähig sein, die Weltführung zu übernehmen. Für diesen Augenblick hielt sich Charles Manson mit seiner satanischen Familie (»The Family«) als neuer Erlöser und Führer bereit. Sie lebten am Rand der Wüste und suchten von hier aus durch gezielten Terrorismus das Ende der alten Zeit und den Anbruch des Endkampfes (siehe Apokalypse) zu beschleunigen. Was rückblickend wie eine Horrorvision aus den Romanen von Stephen King klingt, war brutale Wirklichkeit. Charles Manson und seine »Familie« mordeten in der Absicht, den Rassenhass zu schüren. Wie bei allen satanistischen Verbrechen bildeten auch diese Morde den Höhepunkt einer Entwicklung. Zuerst feierte man Kultorgien im eigenen Kreis. Manson ließ sich auf ein Kreuz binden und von ihm hörigen Frauen beweinen. Tiere wurden geschlachtet, man trank ihr Blut als erotische Stimulanz und goss es über kopulierenden Paaren aus. Zu Mansons »Familie« -161-
gehörte auch ein ehemaliger Mitarbeiter des UndergroundFilmers Kenneth Anger. Bobby Beausoleil hatte die von Mick Jagger abgelehnte Rolle des Teufels in »Lucifer Rising« gespielt und war dann nach einem Streit mit einem Teil des Filmmaterials untergetaucht. 1969 wurde er inhaftiert, nachdem er in einem Ritualmord den Musiker Garry Hinman grausam zu Tode gequält hatte. In Mansons Folterkammer wurden die Opfer auf einen Holztisch geschnallt. Über ihnen befand sich eine Halterung mit sechs unterschiedlich langen Messern, die langsam auf die gefesselte Person gesenkt wurde. Das letzte, kürzeste Messer durchstach das Herz. Am 7. August 1969 drangen Mansons Anhänger in die Villa des Regisseurs Roman Polanski ein, ermordeten auf bestialische Weise die schwangere Sharon Tate und vier weitere Personen (Abigail Folger, Voityck Frykowski, Jay Sebring, Steve Parent). Zwei Tage später wurden der Großaktionär und Rennstallbesitzer Leno La Bianca und seine Ehefrau Rosemary unter dem Schlachtruf »I am the devil here to do the devil's work!« getötet. Monate vergingen, bis der »schwarze Messias« mit dem Hakenkreuz auf der Stirn hinter Gitter gebracht werden konnte. Bis heute sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis von San Quentin ein.
Marilyn Manson Eltern werden ihren Kindern nicht von Teufeln und Dämonen erzählen, sondern von der Liebe Gottes und der Fürsorge ihrer Schutzengel. Sie schützen ihre Kinder vor der Begegnung mit dem Abgründigen. Daß die Welt und ihre eigene Seele auch eine dunkle Seite hat, werden sie früh genug erfahren. Die Erkenntnis des Schattens ist eine Aufgabe der Jugendlichen. Spätestens in der Pubertät entdecken sie, daß die Welt auch eine Schattenseite hat. Das Interesse an Gegenhelden erwacht. Der Musiker Marilyn Manson verkörpert diese dunkle Seite -162-
der Wirklichkeit. Er stilisiert sich zum Antihelden. Der Name ist ein Pseudonym von Brian Warner (*1969). Er wuchs in der amerikanischen Provinz von Canton/Ohio auf. Seine musikalischen Helden waren KISS, Alice Cooper und Ozzy Osbourne, also die Antihelden der ersten Generation satanischer Musiker (siehe Musik). Marilyn Manson ist in allem ein Epigone. Sein Vorname verweist auf Marilyn Monroe, der Nachname auf den Satanisten Charles Manson (siehe dort). »Die Beiden verkörpern die Extreme unserer zerrissenen Gesellschaft: das Schöne und das Entsetzliche«, kommentiert Brian Warner. »Gott und Satan sind die beiden Seiten eines jeden Menschen.« Schon diese Erläuterung zeigt, wie wenig stimmig die künstliche Welt dieses Musikers ist, denn Marilyn Monroe nahm sich durch eine Überdosis Schlaftabletten das Leben. Der Musiker Manson liebt das Spiel mit dem Bösen und die Inszenierung einer satanischen Gegenwelt. Besonders die Verunglimpfung des christlichen Kreuzes zieht sich als ein Leitmotiv durch seine letzten Produktionen. Auf dem Cover der CD »Holy Wood« ist er selbst als Gekreuzigter abgebildet, eine ausgekoppelte Single zeigt einen ans Kreuz genagelten menschlichen Embryo. Das Begleitheft zur CD zeigt Marilyn Manson auf verschiedenen Tarot-Karten. Auf der fünfzehnten Karte ist unter einem Pentagramm der Teufel abgebildet. Höhepunkt dieser antichristlichen Selbstinszenierung ist die CD »Antichrist Superstar«. Der Antichrist (siehe dort) ist einer der Endzeitgegner Christi. Wie gefährlich dieses Spiel mit der dunklen Seite der Wirklichkeit ist, das zeigen der Fall Sandro Beyer (siehe Neosatanismus) und das berüchtigte AltamontFestival. Hier setzten sich die Rolling Stones (siehe dort) mit ihrem Lied »Sympathy for the devil« in Szene. Die Folgen waren eine Massenschlägerei und ein Todesfall.
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Heilige Margarete Neben dem Engel Michael und dem Ritter Georg (siehe dort) hat es auch berühmte Drachenkämpferinnen wie die Heilige Martha gegeben. Die bekannteste Drachenbändigerin aber ist die Heilige Margarete. Ihr Name leitet sich von dem griechischen »Margarita« (Perle) ab. Wasser, Tiefe und Taufe schwingen in ihm mit. Margarete war bereits getauft, als sich zur Zeit der diokletianischen Christenverfolgung der heidnische Statthalter Olybrius in sie verliebt. Die Fünfzehnjährige verweigert sich ihm, wird schrecklich gefoltert und ins Gefängnis geworfen. Nachts erscheint im Kerker ein feuriger Drache und will sie verschlingen. Der Drachenkampf findet hier auf dem Schauplatz der Seele statt. Die Jungfrau hatte sich in der Taufe mit Christus vermählt. Jetzt wollte sie der weltliche Freier zur Untreue verführen. Ihr Glaube wurde durch die Folter schwersten Prüfungen ausgesetzt, und in der einsamen Stunde der Nacht greift sie der Glaubensfeind mit aller Macht an. Margarete kämpft um ihre Seele, ihre Identität, ihren Glauben. Sie richtet das Schwert des Glaubens gegen den Schatten an ihrer Seite, macht mit den Fingern ein Kreuzzeichen, das den Drachen vertreibt. In dieser Nacht vor ihrer Hinrichtung hat sie den Teufel besiegt. Als der Morgen dämmert, stirbt sie, um neu geboren zu werden und an die Seite ihres himmlischen Bräutigams zu treten. Die berühmteste Nacherzählung dieser Legende findet sich in der Kerkerszene von Goethes »Faust«. Hier kämpft Margarete kurz vor ihrer Hinrichtung gegen den Drachen an Fausts Seite und seinen verheerenden Einfluss. Am Ende hat sie Mephistopheles besiegt und tritt aus dem Dunkel der Welt ins reine Licht des Himmels. Mit der Heiligen Barbara und der Heiligen Katharina wird Margarete zu den drei »Virgines Capitales« (Die Drei Heiligen -164-
Jungfrauen) gezählt. Ihre Symbole sind der Turm der Gefangenschaft, das Rad der Folter und der Drache (Wurm): »Barbara mit dem Turm, Margareta mit dem Wurm, Katharina mit dem Radl, das sind die heiligen drei Madl.« Auf dem Gnadenaltar der Basilika Vierzehnheiligen wird Margarete mit Kreuzstab und angekettetem Drachen abgebildet. Standhaftigkeit, Beharrlichkeit, Entschiedenheit, Uneigennützigkeit, Opferbereitschaft und Fürsorglichkeit heißen die Tugenden, die Georg und Margarete verkörpern.
Mephistopheles Der Teufel in Goethes »Faust« (siehe dort) heißt Mephistopheles. Dieser Name taucht zuerst im Volksbuch vom »Doktor Faustus« (1587) auf. Als Goethe von seinem Freund Zelter gefragt wurde, was denn der Name Mephistopheles bedeute, mußte er passen: »Woher der Name Mephistopheles entstanden ist, wüßte ich nicht direkt zu antworten.« (Brief vom 20. November 1829 an Zelter) Andere haben spekuliert und hörten aus dem Namen die griechischen Worte für »Licht« (phos) und »Freund« (philos) heraus. Die Negationspartikel »me« sollte dann Mephistopheles als den Feind des Lichtes erkennbar machen. Ableitungsversuche aus der hebräischen Sprache wollen hier die Worte für »Verbreiter« (mefiz) und »Unsinn« (tiflus) heraushören. Mephistopheles wäre also der Verbreiter von Unsinn. Der Sprachforscher Yehuda T. Radday wiederum führt den Namen auf Mephiboschet, einen Enkel des Königs Saul, und Achitofel, den königlichen Ratgeber, zurück. -165-
Mephiboschet lahmte auf einem Fuß, was zu dem Bild vom Teufel passen würde. Wahrscheinlich klingt in allen diesen Erklärungsversuchen Richtiges an. Denn Dämonennamen haben einen magischen Klang, sie verzaubern uns. Vielleicht haben deshalb manche ein höllisch gutes Gefühl beim Wandern, wenn sie die Schuhmarke »Mephisto« tragen.
Moloch Moloch ist der Name eines Gottes mit satanischen Charakterzügen. Im Tal Ben-Hinnom nah der Stadt Jerusalem besaß er ein Heiligtum, in dem einige Juden ihre eigenen Kinder opferten (Jeremia 32.35). Diese Opferung der Kinder stand unter strengstem Verbot (Leviticus 20.2f.): »Wer unter den Israeliten oder Fremdlingen in Israel eines seiner Kinder dem Moloch gibt, der soll des Todes sterben; das Volk des Landes soll ihn steinigen. Und ich will mein Antlitz kehren gegen einen solchen Menschen und will ihn aus seinem Volk ausrotten, weil er dem Moloch eines seiner Kinder gegeben und mein Heiligtum unrein gemacht und meinen heiligen Namen entheiligt hat.« Das Wort »Moloch« gehört noch heute zu unserer Sprache. Wir benennen mit ihm bodenlose Zustände oder unübersichtliche Verhältnisse: den Moloch der Unterwelt oder den Moloch der Großstadt. Leider werden dem Moloch noch immer Kinder geopfert: dem Moloch des väterlichen Ehrgeizes, dem Moloch der Karriere, dem Moloch der Medien, dem Moloch des Fanatismus.
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Musik Die Engel im Himmel musizieren und singen einen ewigen Lobgesang auf den Schöpfer. Das Gloria und das Sanctus gelten als ihre Lieblingslieder. Die alten Griechen glaubten, daß die Sterne einen himmlischen Klang verströmten. Auch irdische Sänger erleben ein Gefühl der Leichtigkeit und des Getragenseins durch die Musik. Martin Luther (siehe dort) war überzeugt, daß die Musik jeden Teufel vertreibe. Als David am Hof des depressiven Königs Saul lebte, da verscheuchte er mit seinem Lautenspiel die dunklen Schatten der Melancholie. Der Sänger Orpheus konnte so wunderbar musizieren, daß die Bäume näherrückten, wilde Tiere zahm wurden und das Wasser in seinem ewigen Fluss innehielt. Musik ist eine große Kraft der Wandlung. Wie alles auf der Welt, so hat aber auch die Musik eine Schattenseite. Der Gesang der Loreley betört die Seefahrer auf dem Rhein, Odysseus und seine Gefährten sind den gefährlichen Klängen der Sirenen ausgesetzt. In Hameln benutzt der Rattenfänger seine musikalische Begabung zum Bösen, als er durch sein Flötenspiel die Kinder aus der Stadt lockt. Satanische Musik gibt es nicht erst seit der Erfindung von Heavy Metal oder Death Metal. Ein Musiker, der durch Auftreten und Virtuosität eine dämonische Aura erworben hatte, war der »Teufelsgeiger« Niccolo Paganini. Von Giuseppe Tartinis »TeufelstrillerSonate« kursiert die Legende, der dreißigjährige Meister habe im Traum einen Pakt mit dem Teufel (siehe Teufelspakt) geschlossen und seine Seele für eine genialische Begabung eingetauscht. Tartini überreicht dem Teufel eine Geige, damit dieser seine Künste zeige. Mit höchster Meisterschaft spielte der Teufel eine Sonate, deren außergewöhnliche Schönheit die -167-
kühnsten Höhenflüge der Phantasie Tartinis übertroffen haben soll: »Ich fühlte mich entzückt, entrückt, verzaubert, mein Atem stockte - und ich erwachte.« Sogleich griff der Meister nach seiner Geige und versuchte, die Klänge des Teufels erneut hervorzubringen. So entstand die »Teufelstriller-Sonate.« Obgleich das Beste, was er als Komponist hervorgebracht habe, sei sie doch nur ein schwacher Nachhall der teuflischen Virtuosität gewesen. In der klassischen Musik ist der Teufel eine Metapher für Virtuosität. Die Rockmusiker der Sechziger und Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts dagegen setzen den Satan in Szene. Er ist Leitbild einer jugendlichen Gegenwelt. Satan ist der Antiheld schlechthin. Die Gruppen nennen sich AC/DC (»Antichrist/Death for Christus«), Black Sabbath, Venom, Dio, Mercyful Fate, KISS (»Ritter im Dienste Satans«) und W.A.S.P. (»Wir sind Satans Leute«). Ihre Bekenntnisse lauten: »In Lord Satan we trust« (Slayer), »Heart of the Devil« (Danzig), »The number of the Beast« (Iron Maiden), »We have a deal with Satan« (Tankard) oder »Your God is dead« (Nine Inch Nails). Black Metal oder Death Metal heißt diese Musikrichtung, die sich durch knallharte Rhythmen, metallisches Hämmern, verzerrte Stimmen, Röcheln, Würgen und enorme Sprechgeschwindigkeit auszeichnet. Led Zeppelin, Lucifers Friend und The Doors gelten als Ahnherren der satanischen Musik. Auf dem Cover der legendären LP »Sergeant Peppers« ist der Satanist Aleister Crowley (siehe dort) abgebildet, und in dem Song »Revolution No. 9« des berühmten weißen Doppelalbums sollen die Beatles eine Anspielung auf Satan versteckt haben. Allerdings muß die Platte rückwärts gespielt werden, will man die Botschaft hören. »Backward-Masking« wird diese Abspieltechnik genannt. Sie dient zur satanischen Mystifizierung großer Teile der Rockgeschichte. Angeblich befinden sich teuflische Botschaften in den Liedern der Gruppen Pink Floyd, The Beatles und Led -168-
Zeppelin. Als berühmtestes Beispiel gilt der Song »Stairway to heaven«. Denn rückwärts gespielt, enthält der Led ZeppelinTitel die Botschaft: »Listen, I will sing, because I live with Satan« (»Höre, ich werde singen, weil ich mit Satan lebe«). Man muß nicht die Nadel oder den Diamanten seines Plattenspielers unnötig strapazieren, um des Teufels Stimme zu hören. Unverhohlen bezeugten die Rolling Stones (siehe dort) bereits 1968 ihr Mitgefühl für den Teufel: »Sympathie for the Devil« wurde in den späten Sechziger Jahren zur Hymne der Gegenkultur. Es spiegelt das Lebensgefühl einer Generation, ihre Träume und Alpträume. Vom Teufel sprachen damals die »Hell's Angels« (siehe dort), La Vey gründete die Satanskirche (siehe dort), Roman Polanski drehte »Rosemary's Baby« (siehe dort), Charles Manson (siehe dort) glaubte, er sei der neue satanische Messias, Kenneth Anger plante einen Undergroundfilm »Lucifer Rising«, in dem Mick Jagger die Hauptrolle spielen sollte. Die satanischen Gruppen der Achtziger und Neunziger Jahre heißen Marduk, Gehenna, Thirst, Capricornus, Carpathian Forest, Abigor, Zyklon B, Graveland, Darkthrone, Ildjarn, Veles, Burzum, Mayhem, Dark Funeral, Baltam und Satyricon. Wie schnell aus einer musikalischen Beschwörung dunkler Mächte böser Ernst werden kann, zeigt das Beispiel der Gruppe Absurd. Mit ihrem Namen ist die Ermordung des Schülers Sandro Beyer verbunden (siehe Neosatanismus).
Mutterschwein Jeder weiß, daß Schweine äußerst intelligente Tiere sind. Sie gehören zu den Begleitern des Heiligen Antonius, der darum auch »Sau-Toni« genannt wird. Doch in der religiösen Welt der Juden und Muslime gelten sie als unrein. Kein frommer Bürger Jerusalems oder Ankaras käme auf die Idee, Schweinefleisch zu -169-
essen. Der Teufel aber liebt nicht nur alle Schweinereien, er benutzt Schweine sogar als Reittiere oder versteckt sich in ihrem Körper (Markus 5.1-20). Mutterschweine sind daher keine Zuchtsauen, sondern flugfähige Schweine, auf deren Rücken auch Hexen durch die Luft fliegen. Goethe beschreibt den Flug der alten Hexe Baubo (Faust 3962ff.): »Die alte Baubo kommt allein, Sie reitet auf einem Mutterschwein. So Ehre denn, wem Ehre gebührt! Frau Baubo vor! Und angeführt! Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf, Da folgt der ganze Hexenhauf.«
Neosatanismus Jede Form des Satanismus ist mit einer Umwertung traditioneller christlicher Werte verbunden. Satanismus ist »verkehrte Welt«: Aus dem Bösen wird der Gute, aus dem Guten das Böse. Doch nicht jeder, der vom Teufel spricht, glaubt wirklich an seine Existenz. Jugendlicher Protestsatanismus (siehe dort) benutzt das Wort »Satan« und satanische Symbole wie das Pentagramm zur Provokation. Der Protestsatanismus ist von einer kultischen Verehrung des Teufels zu unterscheiden. Diese zeigt sich in den neosatanischen Gruppen. Hier findet nicht nur eine satanische Selbststilisierung durch dunkle Kleidung, Musik und Symbole statt, hier wird tatsächlich die Macht des Bösen in schwarzen Ritualen gefeiert. Wie gefährlich solcher Neosatanismus ist, das zeigt der Selbstmord von drei Jugendlichen. Im August 2001 nahmen sie sich durch einem Sprung von der 78 Meter hohen Göltzschtalbrücke im sächsischen Vogtland das Leben. Okkultismus sei die Metaphysik der dummen Kerle, sagte -170-
einmal Theodor W. Adorno. Über dieses Urteil läßt sich streiten. Doch gewiss ist der Neosatanismus die Religion der Psychopathen. Wer sonst käme auf die Idee, Gräber zu schänden, Kaninchen zu töten, ihr Herz zu essen und ihr Blut zu trinken, wie es eine fünfköpfige Gruppe von Neosatanisten aus dem schweizerischen Richterswil gemacht hatte. Beim Prozess vor dem Zürcher Obergericht im Mai 2001 wurde deutlich, wie fließend der Übergang vom Protestsatanismus zum Neosatanismus ist. Dies zeigt auch der Fall Sandro Beyer. Zehn Jahre nach Mick Jaggers Teufelshymne (siehe Rolling Stones) wird im thüringischen Kreisstädtchen Sondershausen Sandro Beyer geboren (12. April 1978). Ganz in der Nähe hatte sich im Jahr 1925 der Satanist Aleister Crowley (siehe dort) zum Weltenerlöser ausrufen lassen. Sandro Beyers Mörder kommen aus wohlbehüteten bürgerlichen Familien. Ihre Eltern sind Lehrer, ein Vater ist CDU-Kreistagsabgeordneter. In Sondershausen kennt jeder die satanischen Obsessionen der Jugendlichen. Doch niemand nimmt sie ernst. Die Videotheken präsentieren Hunderte von Horrorfilmen, das Böse springt dem Leser aus jedem Roman von Stephen King entgegen. Selbst die öffentliche Ankündigung der Ermordung Sandro Beyers in einer Schülerzeitung findet keine Beachtung. Sandro liebt die Musik der schwarzgekleideten Grufties wie »Relatives Menschsein«, »Goethes Erben«, »The Cure«. Er übt sich im Verfassen düsterer Verse. Aus der Videothek entleiht er sich grausame Filme, in denen die Gewalt an Menschen bedenkenlos verherrlicht wird. Einige der Filme sind so brutal, daß sie nur im Postversand oder unter der Ladentheke gehandelt werden. Ihre Titel lauten »Evil Dead«, »Tanz der Teufel«, »Augen des Todes« oder »The Texas Chainsaw Massacre«. Sandro spielt mit dem Gedanken, einen eigenen Horrorfilm mit der Videokamera seines Freundes zu drehen. Gefilmt werden soll die Ausweidung eines Leichnams. Arbeitstitel: »Das Großvater-Massaker.« Sandro ist beeindruckt von einer Gruppe Jugendlicher, die -171-
sich um den siebzehnjährigen Gymnasiasten Sebastian Schauseil gebildet hat. Er möchte in ihren Kreis aufgenommen werden und wirbt vergeblich um Sebastians Gunst. Die Mitglieder der Gruppe »Kinder des Satans« haben Hunderte von Stunden vor dem Videorecorder verbracht und sich in aberhundert Stunden die Ohren von der schwarzen Musik der Heavy- und DeathMetal-Szene volldröhnen lassen. Ihre Identifikation mit den Antihelden aus Film, Musik und Buch geht so weit, daß sie deren Namen übernehmen. Sebastian nennt sich Dark Mark Doom, sein Bruder Ronald hat sich das Pseudonym Hannibal the Cannibal (»Das Schweigen der Lämmer«) zugelegt. Andreas wird Chuck Daniels gerufen, Thoralf heißt außerhalb der Familie Judas oder Norman Bates nach dem Film »Psycho« von Alfred Hitchcock. Damien Thorn (»Omen«) ist das Vorbild für Udo, und Hendrik Möbius trägt gleich vier Namen: Joe Ramone, Messiah, Jarl Flagg Nidhögg und Randall Flagg nach dem bösen Helden des apokalyptischen Romans »Das letzte Gefecht« (»The Stand«) von Stephen King. Sebastian und seine Bewunderer lassen sich von dem Gesehenen und Gehörten zu eigenen sadistischen Phantasien anregen. Auch sie dichten und singen von der Macht Satans. Im Januar 1992 gründen sie eine Band mit dem Namen »Absurd«. Ein Jahr später bespielen und vertreiben sie ihre erste eigene Musikcassette mit dem Titel »Death From The Forest«. Im Wald werden sie Sandro Beyer erdrosseln. Das Bekenntnis zur Mordlust geschieht öffentlich. Mit Erscheinen der Cassette veröffentlicht die Schülerzeitung des Scholl- Gymnasiums dann eine Selbstanzeige von Sebastian. Darin schreibt er: »Die ABSURD-Werke handeln von Lucifer, Hölle, Dämonen, Barbaren, Tieren (welche die Teufelsanbeter mit genialem Geheul gar schrecklich durch jeden Hymnos begleiten), Blutbädern, gefallenen Engeln und ähnlichen schönen ›Dingen‹ .« Die Schulleitung, zu deren Dienstpflichten die Lektüre von Schülerzeitungen gehört, reagiert nicht auf dieses öffentlich -172-
ausgesprochene Bekenntnis der »Teufelsanbeter«, die von der Ermordung Sandro Beyers singen: »Niemand weiß, wer ich wirklich bin. Niemand hält das Böse auf. Niemand weiß, daß ich ein Werwolf bin. Und das Grauen nimmt seinen Lauf. Im Wald hört niemand der Opfer Schrei. Wieder ist die graus'ge Tat vollbracht! Ha! Der Toten letzte Worte waren: Gott, steh' mir bei! Und der Vollmond scheint in finstrer Nacht. Aarrr...! « Im CVJM-Heim von Sondershausen treten Sebastian und die Gruppe mehrfach öffentlich auf und provozieren die jungen Christen mit ihrem Bekenntnis zum Teufel. Sebastian bezeichnet sich selbst als Sohn der Hölle, berichtet von satanistischen Blutritualen und zeigt seine vernarbten Arme. Er sei zu jedem Opfer bereit, auch zu Menschenopfern. Crowleys Imperativ »Tu, was Du willst, soll sein das ganze Gesetz« gelte auch für sie. Satan beherrsche die Welt, sagt Sebastian, und er stehe in seinem Dienst. »Lucifer ist mein Meister, und ich bin ein Sohn der Hölle.« Am 3. Juli 1992 hat Sebastian seinen großen Auftritt beim Kirchentag in Erfurt. Vor dem Forum der Arbeitsgruppe Sekten und Okkultismus bekennt er sich zum Satanis mus. »Wir sind überzeugte Satanisten und beten Lucifer an. Eine Katze oder einen Hund zu opfern macht uns gar nichts aus.« Auch Menschenopfer seien möglich. Unzensiert von der Schulleitung darf im November 1992 ein Interview mit Hendrik Möbius in der Schülerzeitung »Kurz und Gut« erscheinen. Hendrik charakterisiert seine Gruppe. Sie verehre »Lucifers Anti-Religion. Wir glauben an das Böse; an den Tod, an das Fleisch; an die Lust; an die Macht; an die Finsternis; an die Schlacht; an den Sieg; an die Seelen; an die -173-
Dämonen; an Lucifer, unseren Vater und Meister; an das Blut; an die Zerstörung.« Weiter heißt es: »Wir wünschen den Tod!!! Und zwar aller Lebewesen.« Auch die perverse Lust an sadistischen Filmen wird öffentlich bekannt. Auf die Frage nach ihrer Freizeitbeschäftigung antwortet der Sohn aus gutbürgerlichem Hause: »Also, wir schauen recht oft Video, am liebsten Splatter- und Actionfilme, wo die Menschen auf das Grausamste getötet werden. Lesen tut auch jeder, bevorzugter Autor ist Stephen King.« Hendrik Möbius berichtet von dem Waldgelände auf dem Berg Göldner, wo sich die Gruppe regelmäßig trifft, und er spricht eine klare Morddrohung gegenüber Sandro Beyer aus. »Sandro B. gehört definitiv nicht zu uns, auch wenn er so etwas in der Art behaupten mag. No Chance! Falls irgendwer auf den Gedanken kommen sollte, uns besuchen zu wollen, so sei er gewarnt. Unser Verhalten hängt sehr stark vom Verhalten unseres Gastes ab. Im tiefen Wald hört dich niemand schreien.« Am 29. April 1993 wird Sandro Beyer von den jugendlichen Satanisten in einer Waldhütte mit einem Kabel erdrosselt. Niemand hört seine Todesschreie. Vor Gericht zeigen die Täter keine Reue. Es kommt sogar heraus, daß eine Videoaufnahme von der Ermordung Sandro Beyers geplant gewesen war. Für den vorsätzlich geplanten Mord bekommen Sebastian und Hendrik eine Haftstrafe von acht Jahren, Andreas geht für sechs Jahre ins Gefängnis. Inzwischen sind sie alle wieder auf freiem Fuß.
Neutrale Engel Neutralität gilt vielen Menschen als eine große Tugend. Neutralität bedeutet für sie, keine Vorurteile zu haben, Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben und wie der Schiedsrichter beim Fußballspiel unparteiisch zu sein. Doch -174-
gegenüber der Wahrheit kann es keine Neutralität geben. Der Schiedsrichter ist zwar gegenüber beiden Mannschaften der »Unparteiische«, aber sein Urteil ist nicht neutral. Es richtet sich nach den Fußballregeln. Auch in allen Fragen der Wahrheit und der Menschlichkeit kann es keine Neutralität geben. Wenn ein Mensch verletzt auf der Straße liegt, dann ist von allen Vorbeigehenden Parteilichkeit gefordert. Nicht anders waren die Verhältnisse, als es vor Urzeiten im Himmel zur Rebellion Satans und seiner Engel kam. Da war die Wahrheitsfrage gestellt. Etwa 80 Prozent der Engel (siehe Engelsturz) stellte sich auf Gottes Seite, etwa 20 Prozent auf die Seite Satans. In der Engelforschung gab es allerdings auch immer Stimmen, die von einer Gruppe neutraler Engel sprach. Diese soll sich weder für Gott noch für den Teufel entschieden haben. Da nun Gott aber die Wahrheit ist, galt diese Form der Neutralität als Sünde des Zweifels. Prominentester Vertreter der Lehre von den neutralen Engeln ist der Dichter Wolfram von Eschenbach. Sein Erlösungsdrama »Parzival« (ca. 1210) erzählt von der Gralssuche. Wolfram nennt die Tempelritter (gegründet um 1118) als Hüter des Grals. Mit ihrem Dienst haben sie die neutralen Engel abgelöst: »Jene edlen und erhabenen Engel, die im Kampf zwischen Lucifer und der göttlichen Dreieinigkeit für keine Seite Partei ergreifen wollten, wurden zur Strafe auf die Erde verbannt, um den makellos reinen Stein zu hüten. Ich weiß nicht, ob Gott ihnen verziehen hat oder ob er sie endgültig verworfen hat. Wenn es seine göttliche Gerechtigkeit zuließ, hat er sie vielleicht wieder in Gnaden aufgenommen. Seitdem hüten den Stein die Menschen, die Gott dazu berufen und denen er seinen Engel geschickt hat.« (Parzival 471,12ff.) Auch Dante kennt die neutralen Engel. In seiner »Göttlichen Komödie« gibt es einen »Vorhof der Hölle«, in dem sich neben den neutralen Engeln die Menschen befinden, die in Glaubensdingen unentschieden waren: -175-
»Vermischt sind die Lauen mit jenem feigen Chore Der Engel, welche nicht Empörer waren, Noch Gott getreu, für sich gesondert bleibend. Nicht seinen Glanz zu trüben, stieß der Himmel Sie aus, noch nimmt sie auf die tiefe Hölle.« Menschen, die sich weder für noch gegen Gott entscheiden, werden auch Agnostiker genannt. Der Atheist sagt: Ich bin überzeugt, daß es keinen Gott gibt. Der Agnostiker dagegen sagt: Ich kann weder beweisen, daß es Gott gibt, noch kann ich beweisen, daß es ihn nicht gibt. Beides ist möglich. Ich weiß es einfach nicht. Ein Agnostiker ist ein »Nichtwissender«. Viele gebildete Menschen sind Agnostiker. Doch kann es unter den Engeln Agnostiker geben? Engel leben im Licht Gottes, sehen ihn von Angesicht zu Angesicht. Wie können sie da Nichtwissende sein? So dürften die neutralen Engel eine Projektion menschlicher Zweifel auf die Engelwelt sein.
Okkultismus »Können wir nicht mal das Thema ›Okkultismus‹ behandeln?«. Das werden Religionslehrer und -lehrerinnen immer wieder gefragt. Aberglaube, Spiritismus und Okkultismus gehören neben dem Satanismus zu den beliebtesten Themen der Jahrgänge 6-9. Ursache dafür ist nicht nur ihre starke Präsenz in den Jugendzeitschriften. Warum sich Jugendliche für okkulte Welten interessieren, liegt auf der Hand: Das lateinische Wort »occultum« bezeichnet das Geheimnisvolle, Verborgene, eine andere Seite der Wirklichkeit, über die in kirchlicher Jugendarbeit, am Familientisch und in der Schule selten gesprochen wird. Zu den okkulten Praktiken gehören Geister- und Totenbefragung, Gläserrücken, Magie, -176-
Pendeln und Wahrsagen. Im Licht der Vernunft betrachtet, werden sie leicht als bewußte Täuschung oder einfach Spinnerei abgetan. Doch kennen die meisten Menschen auch Momente, in denen sich der Schleier über dem Geheimnis einer anderen Welt zu lüften scheint. »Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen«, sagt Goethe. »Er flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn er einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt.« Doch auch zum christlichen Glauben gehört die Verehrung des Geheimnisvollen. Gott ist das Geheimnis der Welt. Wenn in der Kirche nicht mehr von dem »mysterium tremendum et fascinosum« (Rudolf Otto) gesprochen wird, dann suchen es die Menschen an einem anderen Ort. Der Okkultismus entsteht immer dort, wo das Christentum an spiritueller Kraft und Lebendigkeit verliert. Wenn der Glaube verschwindet, dann hinterläßt er eine Lücke. Der Okkultismus besetzt sie. Er bietet einen »Ersatz« für den alten Glauben an. Das zeigt auch ein Blick in die Geschichte: Okkulte Weltanschauungen wie Theosophie, Anthroposophie und moderne Rosenkreuzer entstehen Ende des 19. Jahrhunderts im Zeitalter der Naturwissenschaft und der Krise des christlichen Glaubens. Damals wurde auch der christliche Glaube an eine leibhaftige Auferstehung und ein Leben im Jenseits immer schwächer. Hier bot der Spiritismus einen Ersatz an. Der Spiritismus geht davon aus, daß es hinter der sichtbaren Welt ein Reich der Geister (»spiritus«=Geist) gibt. Zu diesen können besonders begabte Menschen Kontakt aufnehmen. Solche Mittler zwischen Diesseits und Jenseits werden auch Medien oder Vermittler genannt. Mit dem Mediumismus beschäftigten sich die Ärzte Justinus Kerner und Heinrich Jung-Stilling, die Philosophen Schelling und Schopenhauer, Pfarrer Oberlin, Carl Freiherr du Prel und der Münchener Arzt Albert Freiherr von SchrenckNotzing, an dessen Münchener Séancen auch Thomas Mann -177-
(»Okkulte Erlebnisse«) teilnahm. In seinem Roman »Der Zauberberg« erzählt er von einer spiritistischen Sitzung, auf der ein Geist mit dem Namen »Spirit Holger« beschworen wird. Hilfe aus dem Geisterreich will auch Michael Ende bei der Niederschrift der Bestseller »Momo« und »Die Unendliche Geschichte« erhalten haben. Eine beliebte Literaturgattung sind darüber hinaus Gespräche mit den Seelen berühmter Verstorbener. So gibt es postmortale Werke von Thomas Mann und Carl Gustav Jung und das Curiosum eines Interviews mit Rudolf Bultmann. Zu Lebzeiten war dieser der berühmteste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts. Von ihm stammt das Wort: »Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparate benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben.« Am 6. August 1983 wurde Bultmanns Geist auf einer spiritistischen Sitzung beschworen. Aus dem Jenseits widerrief er seine kritischen Äußerungen gegen die Geisterwelt und bekannte, »daß ich in meiner Auffassung falsch gehandelt habe«.
Heiliger Patrick Wo immer auf der Welt zwei oder drei Iren an einem 17. März zusammenkommen, da singen, beten und trinken sie zu Patricks Gedächtnis. In New York feiern sie auf der 5th Avenue, in Dublin tragen selbst Bankangestellte grüne Plastiknasen, und nicht nur Punks färben sich die Haare grün. Aus dem Brunnen der Anna Livia Plurabelle auf der O'Connell Street fließt grünes Wasser, und die Pizzen sind mit grünem Farbstoff eingefärbt. Nur das Guinness-Bier ist torfbraun wie immer. Nach dem Gottesdienst um 11 Uhr versammeln sich alle Dubliner am St. Stephen's Green zur Parade. Jeder Teilnehmer trägt mindestens -178-
ein grünes Kleidungsstück und ein dreiblättriges Kleeblatt (Shamrock). Nachmittags geht es zum Pferde-, Kanu- oder Windhundrennen, abends ins Pub zum »Ertränken des Kleeblatts« (»Drowning of the Shamrock«). Der Mann, zu dessen Ehre die ganze irische Welt am 17. März singt, betet und trinkt, heißt Padraig (385-461). Die Engländer rufen ihn Patrick. Padraig ist Irlands Nationalheiliger. Nach ihm sind heilige Berge, Inseln, Kirchen, Schiffe, Straßen und der »Paddy«, die beliebteste Whiskeysorte des Landes, benannt. Bei kalter, nebliger Witterung genießen die Iren ihren »Paddy« mit einer nelkengespickten Zitronenscheibe und einem Schuss kochendem Wasser als »Hot Toddy«. Im fünften Jahrhundert war Padraig von Gott berufen worden, die keltischen Stammesfürsten der grünen Insel zum christlichen Glauben zu bekehren. Auf einem Berg im Westen Irlands und einer Insel im Lough Derg hatte er mit dem Teufel gerungen. Das Kind aus einer römischbritischen Familie wuchs im Grenzland zwischen England und Schottland auf. Seeräuber entführten ihn und viele andere Kinder nach Irland, wo Padraig sechs Jahre lang als Sklave arbeitete. Als ihm die Flucht zurück in seine Heimat gelang, schwor er bei Gott, er werde eines Tages an den Ort seiner Peiniger zurückkehren, um sie zum christlichen Glauben zu bekehren. Im Jahr 431 begann er seine Glaubensverkündigung in Tara, wo der König Laoghaire residierte. Hier hatte er die Macht des neuen Gottes in zahlreichen Wettkämpfen mit dem keltischen Druiden Lucamael unter Beweis zu stellen. Nach einer erfolgreich bestandenen Wasser- und Feuerprobe durfte Padraig dem König von Gott erzählen. Gott sei Vater, Sohn und Heiliger Geist, sagte der Heilige, und Laoghaire schüttelte den Kopf. Ihm wolle Padraig den alten Glauben an die vielen Götter ausreden, dabei verkünde er nicht s Neues, denn er glaube selbst an drei Götter. Nein, erwiderte Padraig, es gebe nur einen Gott, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde. Vorhin habe er behauptet, -179-
sagte der Kelte, der christliche Gott habe neben sich einen Sohn und einen Heiligen Geist. Also lehre er drei Götter. Wie sollte Padraig dem König erklären, daß sein Gott drei und doch eins war, eben dreieinig? Da fiel sein Blick auf ein Kleeblatt, das Shamrock. Er pflückte es und legte es Laoghaire in die geöffnete Hand. Der König blickte verdutzt auf das Kleeblatt, dann in die wasserblauen Augen des Heiligen. Was hatte der Gottesmann vor? Der König konnte dem gewöhnlichen dreiblättrigen Kleeblatt keine Bedeutung entnehmen. Es enthielt keine Botschaft. Wenn es wenigstens vierblättrig ge wesen wäre! Aber vielleicht werde Padraig im Namen seines Gottes ein Wunder vollbringen und aus dem dreiblättrigen ein vierblättriges Kleeblatt zaubern. Der König fragte nach, ob dies Padraigs Absicht sei. Der Heilige lächelte. Das Wunder liege bereits offen in der Hand des Königs, er müsse nur noch lernen, die Zeichen Gottes zu deuten. »Sage, was Du siehst, König Laoghaire!« »Ein Shamrock.« »Richtig. Ein Kleeblatt«, wiederholte der Heilige. Jetzt solle der König ihm sagen, wie viele Blätter es habe. Welche Frage! mag der König gedacht haben, aber er gab die richtige Antwort. Padraig wartete, bis Laoghaire das Geheimnis des Shamrock selbst entdeckt hatte. »Ein Kleeblatt mit drei Blättern, ein Gott in drei Personen. Dreifaltig, dreieinig, dreiblättrig! Komm, Padraig, lass uns die alten Götter im Whiskey ertränken!« Padraig war nicht der erste Missionar. Kirchen werden nicht an einem Tag erbaut, und selbst die Insel der Heiligen wurde nicht von einem Mann allein bekehrt. Padraig war ein Vollender. Andere Gottesmänner hatten Vorarbeit geleistet. Ihre wohlklingenden gälischen Namen sind überliefert: Ibarus von Begerin, Declan von Ardmore, Ailbhe von Imlech, Iubhair und Ciaran von Saighir. Von Tara aus durchwanderte Padraig den Norden und den Westen der Insel. Am Ende seines Lebens hatte er Gottes Auftrag erfüllt. Der Satan hatte ihm nachgestellt, -180-
besonders dann, wenn sich der Heilige in die Einsamkeit zurückgezogen hatte. Vierzig Tage und Nächte fastete er auf Station Island im Lough Derg. Das »Fegefeuer des Heiligen Padraig« (»Saint Patrick's Purgatory«) wird dieser heilige Ort genannt. Hierher kommen noch heute Menschen, um drei Tage in Gebet und Schweigen bei Tee und einem halben Laib Brot zu verbringen. Beim Betreten der Insel ziehen sie sich wie Moses vor dem brennenden Dornbusch die Schuhe aus. Wer zu Gott finden will, dem hilft ein Ausstieg aus dem Alltag. Padraig hatte die magischen Orte der grünen Insel mit sicherem Gespür entdeckt. Gottes Gegenwart hatte er auf einem 765 Meter hohen Berg an der Westküste gesucht und dafür vierzig Tage und Nächte in der Osterzeit gefastet. Das war im Jahr 440. Heute ist der Berg nach dem Heiligen benannt. Der Croagh Patrick ist irisches Nationalheiligtum, ein Heiliger Berg, den der Pilger barfuß besteigt. Am Fuß des Berges wird er von einer weißen Statue des Heiligen begrüßt. Das kühle Wasser eines Bergbaches plätschert vorbei und mündet schließlich ins nahe gelegene Meer. Ein weißes Hinweisschild mit schwarzer Schrift erinnert den modernen Pilger und die Touristen an die Würde des Ortes und bittet um angemessene Beachtung. Der Weg führt direkt auf den steilen Berg. Er ist steinig, und die flachen Steine rutschen unter den Füßen hinweg. Auch wer mit Schuhen den Pilgerpfad besteigt, kommt selten ohne Schrammen oben an. Der Aufstieg soll Mühe bereiten. Das Hinweisschild am Fuß des Berges ruft den religiösen Sinn in Erinnerung: Dies ist eine Reise des Gebetes und der Buße (»This is a Journey of Prayer and Penance«): »Christ with me Christ before me Christ behind me Christ in me -181-
Christ beneath me Christ above me Christ on my right Christ on my left Christ where I lie.« Auch der heilige Padraig war von Anfechtungen nicht verschont geblieben, als er ein vierzigtägiges Osterfasten auf dem Berg hielt. Kurz vor dem Ziel tauchten schwarze Vögel in so großer Zahl auf, daß Himmel und Erde verdunkelt wurden. Sie stießen schreckliche Schreie aus und verbreiteten einen stinkenden Geruch. Ihr Ziel war die Verunsicherung des Gottesmannes. Er sollte sein Missionswerk aufgeben und nach England zurückkehren. Padraig wehrte sich durch einen zähen Gebetskampf. Er betete Psalmen und machte gegen die schwarzen Vögel der Seele das Kreuzzeichen. Dann läutete er mit seiner kleinen Eisenglocke und warf sie nach den Dämonen. Beim Sturz auf den Boden bekam sie einen Riss. Die Satansvögel aber flohen in die Meereswüste. Nun stellten sich Vögel mit strahlend weißem Gefieder ein. Es waren Engel, die Padraig dienten. Mit einem der Engel Gottes hatte der Heilige ein langes Gespräch, in dem es über die Zukunft Irlands ging und damit um den Bestand von Padraigs Lebenswerk. Sein Weg war lang und mühselig gewesen. Jetzt saß er hoch oben auf dem Berg. Wie aber würde es weitergehen? Padraig erbat von Gott die Gnade, daß sämtliche Iren den christlichen Glauben annehmen und daß sie ihn niemals verlieren werden. Dieses Geschenk wurde ihm gewährt und noch ein zweites. Gott versprach ihm, daß am Tag des Weltgerichtes, wenn die Lebenden und die Toten vor Gottes Richterstuhl treten werden, kein Ire zur Hölle (siehe dort) verurteilt werde. Wer diesen Gipfel des göttlichen Wohlgefallens erreicht hat, der steigt den steilen Berg freudig hinab. Kein Teufel stellt sich ihm mehr in -182-
den Weg.
Pentagramm Der Drudenfuß oder das Pentagramm ist ein fünfzackiger Stern. Mit Kreide auf den Boden gezeichnet, auf Türschwellen, Stalltüren oder Kinderbetten gemalt oder als Amulett getragen, dient er der Abwehr des Bösen. Besonders unter den Anhängern der Gothic-Szene (siehe dort) ist der Drudenfuß beliebt. Doch schon Goethes Faust benutzt ihn, um den Teufel zu bannen. Das deutsche Wort »Drudenfuß« geht auf die Drude zurück. Druden sind erfahrene Hexen in der Lebensmitte, die es verstehen, ihre Opfer mit schweren Albträumen und Albdrücken heimzusuchen. Diese einer Angina pectoris vergleichbaren Herzattacken führen zu Atemnot und Angstzuständen. Die Drude ist auch als Toggeli oder Doggi, Mahr und Alb (Alf) bekannt. Sie versteht es, die sexuelle Fantasie in Träumen zu erregen. Moderne Hexen (siehe dort) oder Wicca deuten die fünf Zacken des Pentagramms als Symbole für die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft. Die oberste Spitze ist ein Symbol für den Geist.
Poltergeister Poltergeister machen sich durch laute Klopfgeräusche, Rumpeln und Pumpein bemerkbar. Wenn im Wohnzimmer plötzlich Bilder von den Wänden fallen oder Gläser zerspringen, dann könnte hinter diesem Spuk ein Poltergeist stehen (siehe Spukorte). Besonders in Familien mit pubertierenden Kindern kommen Poltergeistphänomene vor. Poltergeister schlagen laut mit den Türen, drehen die Musik bis zum Anschlag auf, verrücken Tisch und Bett, behindern durch Dauertelefonate die -183-
Kommunikation oder besetzen das Internet. Parapsychologen sehen in diesen Poltergeistphänomenen einen Ausdruck der inneren Spannungen der Jugendlichen. Poltergeister treten auch als nächtliche Ruhestörer in katholischen Pfarrhäusern auf. So ist bezeugt, daß Pater Pio und der Pfarrer von Ars regelmäßig von Poltergeistern heimgesucht wurden. In mancher Nacht wurden sie aus dem Bett gezogen und grün und blau geschlagen. Zuweilen haben es Poltergeister auf eine ganze Familie abgesehen. Zu ihnen gehört die so genannte »Beil- Hexe«, benannt nach der Familie Bell aus einem Ort in Tennessee. Drei Jahre lang suchte dieser Quälgeist durch lautes Poltern den Farmer Jack Bell, seine Frau und ihre acht Kinder heim. Nachts zog er sogar den Kindern die Bettdecke weg. Poltergeisterscheinungen haben häufig einen familiären Hintergrund. Sie sind ein Hinweis auf unerlöste Familienbeziehungen. Deshalb können sie auch Familiengeister genannt werden. Im Fall der Familie Bell entpuppte sich der Poltergeist als Wiedergänger (siehe dort) einer Verwandten. Einmal gab der Poltergeist seine Identität preis: »Ich bin niemand anders als die Hexe der alten Kate Bell, und ich bin entschlossen, den alten Jack Bell, solange er lebt, heimzusuchen und zu quälen.« Kurze Zeit später brach der Farmer, beinahe in den Wahnsinn getrieben, tot zusammen. Das Haus wurde dem Erdboden gleich gemacht. Das deutsche Wort »Poltergeist« wurde 1848 in die englische Sprache überno mmen. 1982 drehte Steven Spielberg einen Film mit dem Titel »Poltergeist«. Auch Carl Gustav Jung und Ernst Jünger berichten von Erfahrungen mit Poltergeistern. So enervierend ein Poltergeist im Haus sein kann: Im Grunde ist er harmlos. Martin Luther (siehe dort) berichtete nicht nur als erster von Poltergeistern, er gab auch heute noch wirkungsvolle Ratschläge für den Umgang mit ihnen. Luther hatte auf der Wartburg in Thüringen erste Kontakte mit Poltergeistern. Auf der Rückkehr vom Wormser Reichstag (1521) ließ ihn sein -184-
eigener Landesfürst in Schutzhaft nehmen, denn der päpstliche Bannstrahl hatte Luther getroffen, und die Reichsacht war über ihn verhängt worden. Mit seinen kritischen Fragen an die Kirche hatte sich der Augustinermönch Martin Luther zwische n alle Stühle gesetzt und mußte um sein Leben bangen. Da zog ihn sein Gönner vorübergehend aus dem Verkehr und versteckte ihn auf der Wartburg in Eisenach. Niemand durfte von seinem Aufenthalt wissen, nur der Schlosshauptmann Hans von Berlepsch und zwei Ed elknaben, die Luther zweimal am Tag Essen und Trinken in die Kammer brachten. Von ihnen erhielt er auch einen Sack mit Haselnüssen, die er in Übersetzungspausen knackte. Aus Schutz vor Mäusen wurde der Sack in einem Holzkasten verschlossen. Dann kam die Nacht. Luther hatte sich gerade entkleidet, das Kerzenlicht ausgeblasen und sich zu Bett gelegt. Er wird Vaterunser, Glaubensbekenntnis und den Abendsegen gebetet haben. Möge Gott ihn im Namen Jesu Christi in der kommenden Nacht gnädig behüten, seinen heiligen Engel neben das Bett kommandieren, damit der böse Feind ihn nicht bedrängen kann! Dann lag er allein. Wirklich? Nacht herrscht und eine Stille, daß er das Ohrensausen in seinem Kopf hört, als läuteten die Glocken der Burgkapelle. Da plötzlich spürt Luther: Er ist nicht allein in seinem Zimmer. Jemand macht sich an der Holzkiste zu schaffen, greift nach den Nüssen und donnert eine nach der anderen gegen den Deckenbalken, daß sie, von dort zurückprallend, durch das Zimmer springen. Dann wird Luther samt seinem Bett durcheinandergerüttelt. Wie reagiert der Gottesmann auf diese schaurigen Vorkommnisse? »Aber ich fragte nichts darnach«, erinnert er sich fünfundzwanzig Jahre später. Er läßt sich nicht aus der Ruhe bringen und schläft ein. Später in der Nacht sei er durch ein fürchterliches Poltern auf der Treppe geweckt worden. Ein Eisenschloss und eine Kette sicherten den Weg zu seinem Zimmer. Niemand konnte hinaufgelangen. Doch das Poltern wollte kein Ende nehmen, so -185-
als würfe jemand sechzig Fässer die Treppe hinab. Luther erhebt sich aus dem Bett und sieht nach. Die Tür ist verriegelt, die Treppe frei. Niemand ist zu sehen. Wieder will Luther gelassen reagiert haben. »Bist du es, so sei es!«, habe er gesagt, sich dem Herrn Jesus Christus befohlen und wieder ins Bett gelegt. Einige Tage später kommt die Frau des Schlosshauptmannes Berlepsch von einer Reise zurück. Sie hat eine gute Nase für atmosphärische Veränderungen. So wittert sie Luthers Anwesenheit auf dem Schloss und begehrt ihn zu sehen. Es wird ihr verwehrt. Luther ist inzwischen ein neues Zimmer zugewiesen worden. Berlepschs Frau übernachtet in der Kammer mit dem Poltergeist. Der läßt nicht lange auf sich warten. »Da hats die Nacht über ein solch Gerumpel in der Kammer gehabt, daß sie gemeint hätte, es wären tausend Teufel drinnen.« Wie man sich gegen diese unruhigen Geister zur Wehr setzt, zeigt Luther durch sein Verhalten: Der Christ befehle sich Gott und lasse sie poltern! Kein Exorzismus, kein Ritual der Teufelsaustreibung ist nötig. »Aber das ist die beste Kunst, ihn zu vertreiben, wenn man Christum anruft und den Teufel veracht; das kann er nicht leiden.« Luther kommt immer wieder auf diese Methode der Nichtbeachtung zu sprechen. Auch in seiner Klosterzelle sei er durch lautes Poltern mitten in der Nacht geweckt worden. Als er die Quelle des Kraches erkannt hatte, sei er sogleich beruhigt gewesen. »Aber da ich vermarkt, daß ers war, acht ichs nichts und schlief wieder ein.«
Protestsatanismus Unser Bild von einem Menschen kann sich im Lauf der Jahre wandeln. Wir entdecken neue, bisher unbekannte Seiten an ihm. Vielleicht schwindet mit der Zeit der positive Eindruck, den wir zu Beginn einer Freundschaft hatten. Wir entdecken die -186-
Schattenseiten. Vielleicht bewerten wir aber auch bestimmte Charakterzüge neu. Satans Charakter war über Jahrhunderte ausschließlich negativ beurteilt worden. Er galt als stolz, überheblich und rebellisch. Spätestens mit der Aufklärung allerdings erfuhr er eine Umwertung. Während die Engel im Himmel zu allem »Ja und Amen« sagten, hatte er den Mut zum Widerspruch. Satan wurde zu Lucifer, dem Lichtträger mit der Fackel der Aufklärung. Schon John Milton (1608-1674) preist die herrliche Gestalt des himmlischen Rebellen. Im Kampf gegen Gott hatte er zwar eine Niederlage erlitten, doch war sein Wille zum Widerspruch ungebrochen: »Unser Kampf mit ihm war ruhmlos nicht, wie schrecklich auch der Ausgang.« »Hier endlich sind wir frei; hier baute der Allmächtige nicht; hier wird sein Neid uns nicht verjagen. Es herrscht sich unbedrängt, und mir will scheinen, zu herrschen ist ein wertes Ziel, sei's in der Hölle: Lieber Herrscher dort im Schwefelpfuhl als auf den Knien im Himmel.« Ein Jahrhundert nach John Milton verherrlichen deutsche Schriftsteller den Rebellen Satan als Genie und Freiheitskämpfer. Allen voran der junge Friedrich Schiller. Er war gerade selbst in Konflikt mit der Obrigkeit geraten. In seinem Drama »Die Räuber« stellt er die rhetorische Frage: War Satan nicht »jener, der es nicht dulden konnte, daß einer über ihm war, und sich anmaßte, den Allmächtigen vor seine Klinge zu fordern, war er nicht ein außerordentliches Genie?« Schiller und einige seiner Zeitgenossen sahen in dem Protest Satans einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt. In der schwarzen Romantik dichten Lord Byron (1788-1824), Charles Baudelaire (1821-1867) und Giosé Carducci (18351907) Hymnen auf Satan. Wahrscheinlich hat keiner von ihnen -187-
mehr an die leibhaftige Existenz Satans geglaubt. Das Aufkommen des Protestsatanismus geht parallel mit dem Bedeutungsschwund des Christentums. »Gott ist tot!« Auf diese Formel wird Friedrich Nietzsche den Trend bringen. Anfang des 20. Jahrhunderts war Nietzsche vor allen Dingen der Philosoph der jungen Generation. Die Jugend ist eine Zeit der Umwertung der Werte. Vorbilder sind jetzt Helden des Widerstands gegen die väterliche Welt. Auf der Suche nach neuen Vorbildern stehen die Antihelden bereit. Sie heißen Prometheus und Lucifer, Kain und Eva, Rebellen gegen überholte Traditionen, Provokateure, Erneuerer und Befreier. Ihr Urbild ist jener strahlende Engel, der als erster gegen den Willen des göttlichen Vaters protestierte und dafür aus dem himmlischen Familienkreis verbannt wurde. Jugendzeiten sind in vielen Autobiographien beschrieben worden, bei Hermann Hesse (1877-1962) jedoch wird jener schmerzhafte Prozess der Selbstwerdung zum Lebensthema. Das Missionarskind wuchs in einer pietistischen Welt auf, die ein pessimistisches Bild von der sündigen Natur des Menschen lehrte: Erst wenn der böse Wille des Kindes gebrochen sei, werde es offen für die Liebe Gottes. Schon der vierjährige Hermann hatte gegen das Elternhaus protestiert. Der Schüler des Eliteinternates Maulbronn erwies sich als so sperrig, daß ihn die Eltern von der Schule nehmen und ins Zentrum der Erweckungsbewegung der Herrnhuter Brüdergemeinde nach Bad Boll bringen mußten. Hier lebte und lehrte Pfarrer Christoph Blumhardt (1842-1919), Sohn des legendären Exorzisten Johann Christoph Blumhardt (1805-1880). Der Geistliche war jedoch unfähig, dem pubertierenden Jüngling inneren Halt zu geben. Kaum vierzehn Tage nach seiner Ankunft in Bad Boll unternimmt Hermann Hesse einen Selbstmordversuch (20.6.1892). Blumhardt tobt, donnert von Bosheit und Teufelei, beschuldigt die Eltern der schlechten Erziehung und verweist -188-
Hermann des Hauses. Die Familie solle ihren gefallenen Sohn in die Nervenheilanstalt Stetten einweisen. Hier lebt der Vierzehnjährige für einige Zeit unter Geisteskranken. Jahrzehnte später gestaltet er seinen Bruch mit den Werten des Elternhauses in dem Roman »Demian«. Emil Sinclair, die Hauptfigur, fühlt sich als schwarzes Schaf im reinlichen Stall seines pietistischen Elternhauses. Wie Lucifer ist er ein Verstoßener, bis ihm eines Tages Max Demian begegnet. Der ältere Mitschüler entwickelt sich während der Pubertät zu einem Seelenführer des unglücklichen Sinclair. Nach dem Religionsunterricht führen beide ein Gespräch über die Geschichte vom ersten Brudermord. Demian deutet Kains Tat als Protest gegen die fromme Ordnung des Vaters und kommt so zu einer Umwertung christlicher Werte. Kain ist der Antiheld, er ist emanzipiert, kein Herdentier wie die anderen Menschen. Er ist gezeichnet, er gehört zu den Erwählten. Der Böse ist der Gute: Sinclair hilft diese Umwertung bei seiner Befreiung aus dem Elternhaus, zumal weitere Demontagen des christlichen Wertgebäudes folgen. Aus dem Religionsunterricht kennt er die Geschichte von der Kreuzigung Jesu neben zwei Verbrechern, von denen der eine in der Todesstunde seine Untaten bereut und dafür ins Paradies eintritt, der andere aber in Verstockung sein böses Herz vor der Gnade verschließt. Wieder weiß Demian der Geschichte eine andere Deutung zu geben: Der reumütige Verbrecher ist für ihn ein Feigling, der standhafte dagegen ein Mann von Charakter, ein Nachfahre Kains, der zu seiner Tat steht und nicht zu Kreuze kriecht. Sinclair lernt eine neue Moral kennen und ein neues Gottesbild. Der Gott, den Max Demian verkündigt, umschließt beide Hälften der Welt und der Seele. In seinem Namen soll alles verehrt und heilig gehalten werden. »Also müssen wir dann neben dem Gottesdienst auch einen Teufelsdienst haben. Das fände ich richtig. Oder aber, man müsste sich einen Gott schaffen, der auch den Teufel in sich einschließt.« Dieser neue -189-
Gott eines ganzheitlichen Menschen- und Weltbildes trägt den Namen Abraxas. »Und nun war also Abraxas der Gott, der sowohl Gott wie Teufel war.« In einem Gespräch mit seinem Vater erfährt Sinclair etwas über eine christliche Sekte, die Kainiten (siehe Gnosis). Diese hätte behauptet, der Gott der Bibel sei in Wahrheit nicht der echte Gott, sondern ein stümperhafter Dämon. Allerdings sei die Ketzerei der Kainiten schon lange aus der Menschheit verschwunden. Welch ein Irrtum! »Uralte Geschichten sind immer wahr«, hatte Demian erklärt. Der Gott Abraxas, das Symbol der Einheit von Gut und Böse, Gott und Teufel, stammt aus der gnostischen Lehre des Basilides. Sinclairs Weg der Selbstfindung steht unter dem Zeichen des gnostischen Gottes Abraxas (siehe Jung). Langsam wächst er in eine Gruppe hinein, in deren Mitte Demians Mutter steht. Bezeichnenderweise trägt sie den Namen der Urmutter und ersten Antiheldin Eva. Allen steht das Kainszeichen unsichtbar auf der Stirn. Sie fühlen sich als Erwählte, Erwachte in einer Welt der Schlafenden, als wahrhaft Wissende und neue, höhere Menschen. Am Ende der Jugendzeit hat sich der ängstliche, von Schuldgefühlen gebeugte Sinclair zu einem stolzen jungen Mann mit elitärem Bewußtsein gemausert. Die gespaltene Welt des Elternhauses mit ihrer Polarität von Gut und Böse war in einer neuen Einheit überwunden worden. Gott und Teufel bildeten keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern eine Ganzheit. Ohne die Kräfte des Bösen gäbe es keine Erneuerung, keine Umgestaltung der Welt, keinen Fortschritt. So begrüßt Sinclair wie viele seiner Zeitgenossen den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Jugendliche, die heute mit satanischen Symbolen Häuserwände beschmieren oder ein Pentagramm auf ihr Etui malen, kennen diese Ahnherren des Protestsatanismus nicht mehr. Ihr Protestsatanismus ist nur noch Provokation und -190-
Zerstörung der vorherrschenden Normen und Werte. Er hat aber kein kreatives Potential mehr. Neben diesem Protestsatanismus gibt es den okkulten Neosatanismus (siehe dort) mit blutigen Ritualen. Hier werden aus den Theoretikern Täter.
Rangordnung unter Teufeln Satan ist der Herr des Chaos, doch wäre es ein Irrglaube anzunehmen, es gehe unter Teufeln chaotisch zu. Im Gegenteil! Unter Teufeln herrschen eine strenge Ordnung und eine klare Hierarchie. Darauf weist auch Jesus hm (Matthäus 12.25f.). Das griechische Wort »Hierarchie« bedeutet »heilige Ordnung«. Hierarchische Ordnungen finden wir beim katholischen Klerus, beim Militär, unter deutschen Beamten, aber auch bei der Mafia oder unter Terroristen. »Selbst die Hölle hat ihre Rechte!«, staunte bereits Goethes Faust. In der Tat! Doch woher kommt das Bedürfnis der Teufel nach einer Rangordnung? Die Antwort finden wir, wenn wir uns an den Ursprung der Teufel (siehe Engelsturz) erinnern. Teufel waren einst Engel unter Engeln gewesen. Im Himmel lebten sie in einer Hie rarchie von neun Engelchören. Der erste Chor ist der höchste. Je näher ein Engel an der göttlichen Mitte sitzt, desto bedeutender sein Rang. Die himmlische Hierarchie der Engel gliedert sich nach der Lehre des Mystikers Dionysios von Areopagita in Engel, Erzengel, Throne, Herrschaften, Fürstentümer, Gewalten, Mächte des Himmels, Cherubim und Seraphim. Nun weiß jeder psychologische Laie, daß in der frühen Kindheit Prägungen stattfinden, die den Charakter des Kindes maßgeblich beeinflussen. Nicht anders ist es unter Teufeln. Ihr Bedürfnis nach einer heiligen Ordnung stammt aus der Prägephase im Himmel. Die Teufel hatten sich zwar von Gott abgewendet, doch konnten sie in einigen Punkten ihre Erziehung doch nicht leugnen. -191-
Evangelische Christen haben sich für Rangordnungsfragen nicht interessiert. Der Grund liegt auf der Hand, denn Martin Luther lehrte das Priestertum aller Gläubigen. Er lehnte die Lehre von der heiligen Ordnung der Engel im Himmel ebenso ab wie die katholische Hierarchie mit dem Papst an der Spitze. Wer also Auskunft über die Rangordnung unter den Teufeln erhalten möchte, der muß sich an einen Katholiken wenden. Spezialist für diese Fragen ist der Jesuit und Chefexorzist Adolf Rodewyk. Als aktiver Kriegsteilnehmer und Offizier des Ersten Weltkriegs hat er zudem eine besondere Beziehung zu Ordnungsfragen. Er lehrt: Ein Teufel vom Range Lucifers stammt aus dem ersten Chor. Seine Rebellion war eine »Chefsache«, sie glich einer Palastrevolution, weshalb Gott den Engel Michael auf ihn ansetzte. Je höher der ehemalige Rang unter den Engeln, desto größer die Strafe für den gefallenen Engel. Ein kleiner Teufel hat nach dieser Logik weniger zu leiden als Lucifer. Noch in der Hölle ist der ehemalige Rang des gefallenen Engels erkennbar. General bleibt General - auch in der Gefangenschaft. Der Exorzist Rodewyk nennt daher die Hölle die »Strafkompanie der Ewigkeit«, und »Lucifer, der degradierte General, leitet sie auf Grund seiner Fähigkeiten; er gibt Befehle, weist Aufgaben zu«. Lucifer war als Bewohner des ersten Chores ein Seraphim. In der Hölle gibt es eine entsprechende Rangordnung, gegliedert nach sieben Gruppen. Rodewyk spricht von sieben höllischen Kampftruppen, sieben Legionen der Teufel. In der ersten Legion kämpfen die bösesten Teufel, in der siebten die harmloseren. Lucifer steht als Höllengeneral der ersten Legion vor und hat zugleich das Oberkommando über die Gesamttruppe. Dem priesterlichen Befehl des Exorzisten aber muß selbst er Gehorsam zollen. Name ist Macht, und wenn der Priester Rodewyk zum Rapport ruft, dann steht der kommandierende Oberbefehlshaber der satanischen Legionen stramm und nennt ordnungsgemäß seinen Namen, den einstigen -192-
Rang unter den Engeln und derzeitigen Rang in der höllischen Legion: »Lucifer, einst erster himmlischer Chor, jetzt erste höllische Legion!« Dem Eingeweihten sagt die Nennung der Legion zugleich etwas über die Zuständigkeitsbereiche des jeweiligen Teufels aus. Denn jede Legion widmet sich der besonderen Verbreitung eines der sieben Laster: Stolz, Habsucht, Unkeuschheit, Neid, Unmäßigkeit, Zorn und Trägheit. Unter Berücksichtigung seines Zuständigkeitsbereiches lautet Lucifers Visitenkarte: »Lucifer, einst erster himmlischer Chor, jetzt erste höllische Legion. Grund des Aufenthaltes in der Hölle: Stolz.« In militärischer Kurzform: »Lucifer, l/l.« Zum Verrat Jesu hatte der Teufel Judas entscheidend beigetragen. Dabei handelte es sich nicht um eine kleine Gemeinheit, sondern um eine Bosheit im großen Stil, eine »Chefsache« wie bei Lucifers stolzem Aufbegehren. Im exorzistischen Verhör durch Rodewyk gesteht Kain, »daß er gegenüber Judas nur ein kleiner Gefreiter sei. Judas sei wie ein mächtiger General, auf dessen Wort hin sich Armeen in Bewegung setzten, er als Gefreiter könne höchstens nur ein paar Mann befehligen«. Der vollständige Rang des Teufels, der Jesus verraten hatte, lautete: »Judas, einst dritter himmlischer Chor, jetzt zweite höllische Legion. Grund des Aufenthaltes in der Hölle: Habsucht.« In militärischer Kurzform: »Judas, 3/2.« Satanismus ist immer verkehrte Welt, Umkehrung, Parodie, Nachäffung der göttlichen Ordnung ohne einen Funken Kreativität. Satanisten und Exorzisten sind meist kleinbürgerliche Ordnungsfanatiker. Genau das aber macht sie so gefährlich.
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Redensarten Wer den Satan im Nacken sitzen hat, der wird bekanntlich vom Teufel geritten. Dann ist der Teufel los. Wer aber den Teufel im Leibe hat, der ist wahrlich des Teufels. In zahlreichen deutschen Sprichwörtern wird der Teufel nicht nur an die Wand gemalt, er steckt oft im Detail oder hat sogar seine Hand im Spiel. Die Redewendungen zeigen eine erstaunliche Gegenwart des »Leibhaftigen« in unserer Sprache. Mit den Redewendungen werden uralte Vorstellungen vom Wesen und Wirken des »Gottseibeiuns« transportiert. Zum Beispiel über seine Ernährungsweise: Während die Engel sich ausschließlich vom Himmelsbrot und dem Anblick Gottes ernähren, ist der Teufel nicht wählerisch. Denn in der Not frisst der Teufel Fliegen. Warum gerade Fliegen? Weil er der »Herr der Fliegen« (»Beelzebub«) ist. Deshalb kann man den Teufel auch nicht mit Beelzebub austreiben (Matthäus 12.24-27). Das macht die Sache nur schlimmer. Manche Menschen sind hinter dem Geld her, »wie der Teufel hinter einer armen Seele«. Er will sie fassen und in die Hölle hinabziehen. In der Hölle brennt bekanntlich ein ewiges Feuer. Die Heizmethoden des Teufels sind traditionell. Er verbrennt Holz, das er selbst gespalten hat. Wer den Teufel Holz machen hört, hat Angst, in die Hölle zu kommen. Trotz aller Obsessionen des Teufels ist die Vorstellung eines rastlos tätigen Höllenfürsten falsch. Der Teufel kennt durchaus Freizeitbeschäftigungen wie etwa das Kartenspiel. Deshalb heißt dieses im Volksmund auch »Des Teufels Gebetbuch«. Weil der Teufel ein großer Zocker ist, hat er nicht selten seine Hand im Spiel. Wer Karten spielt, der trinkt auch gern. So wundert es nicht, wenn es im Lied heißt: »Der Teufel hat den Schnaps gemacht, um uns zu verderben!« -194-
Besonders in Grenzsituationen wie Krankheiten, Unfällen und in der Todesstunde ist der Teufel gegenwärtig, um den Augenblick abzupassen, wo die Seele den Leib verläßt. Das ist seine Stunde. Wer sie besteht, der ist dem Teufel von der Schippe gesprungen und ins Leben zurückgekehrt. Gott sei Dank! Denn was einmal zum Teufel gegangen ist, das kommt nicht wieder. Die Frage, ob der Teufel an Gott glaubt, findet auch durch das Sprichwort eine klare Antwort: Während es unter den Menschen Atheisten und Agnostiker gibt, zweifelt der Teufel nicht an der Existenz Gottes. Im Gegenteil! Er kennt die wahren Machtverhältnisse. Der Teufel ist los (Apokalypse 20.3), aber er weiß, daß seine Stunden gezählt sind und er wenig Zeit hat (Apokalypse 12.12). Affen machen alles nach. Deshalb heißt der Teufel bei Martin Luther auch »Gottes Affe«. Wo eine Kirche ist, da baut der Teufel eine Kapelle daneben. Und manchem legt der Teufel ein Ei ins Haus oder nach Art des Kuckucks ein Teufelsei ins Nest. Deshalb ist der Kuckuck auch ein Hüllwort für den Teufel. »Scher dich zum Kuckuck!« meint »Scher dich zum Teufel!« Niemand sollte aber in aller Teufels Namen schwören und keinen Menschen »Zum Teufel!« jagen oder noch direkter »Der Teufel soll dich holen!« zu ihm sagen. Solche Verwünschungen sind ebenso unangebracht wie eine Beteuerung in aller Teufels Namen. »Der Teufel soll mich holen!« gilt zwar als Unschuldsbeteuerung und Bekräftigung der Wahrheit, doch kann man bei dieser Redeweise schnell in Teufels Küche kommen. Die Küche des Teufels aber ist nichts anderes als die Hölle. Hier hausen auch die Hexen und Zauberer, weshalb sie auch Hexenküche heißt. Wer es mit dem Teufel aufnehmen will, wie so viele Helden der Grimmschen Märchen, der muß ein »Teufelskerl« und »Teufelsbraten« sein. Die Techniken des Kampfes gegen den Teufel sind unterschiedlich: Während evangelische Christen auf -195-
das Wort Gottes vertrauen, setzen Katholiken mehr auf die Macht der Kirche. Ein Wörtlein kann ihn fällen (EG 362.3), wusste Martin Luther. Evangelische Christen brauchen daher zur Vertreibung des Teufels kein Ritual (siehe Exorzismus). In katholischen Gegenden wird der Teufel mit Beschwörungen, geweihten Rosenkränzen, einem Bild des Engels Michael, Reliquien und Weihwasser vertrieben. Daraus hat sich der Spruch »Etwas fürchten wie der Teufel das Weihwasser« entwickelt. Wer fest im Glauben steht, braucht sich vor dem Teufel nicht zu fürchten. Gegen Gott hat der Teufel keine Chance. Dennoch gibt er seinen Kampf um die Seele des Menschen nicht auf. Ein dummer Teufel! Oder müsste man ihn nicht treffender einen armen Teufel nennen?
Rolling Stones Die Rolling Stones setzen sich selbst als Bürgerschreck in Szene. Sex, Drogen, Rock 'n' Roll - damit konnte man Eltern, Erzieher und Politiker schockieren. Als »härteste Band der Welt« mußten sie ständig neue Skandale produzieren, um in der Konkurrenz zu den Beatles nicht auf den zweiten Platz heruntergespielt zu werden. Weil aus anfänglichen Provokationen schnell Moden werden, hatte auch Michael Philipp (Mick) Jagger (* 26. Juli 1943) ständig an der Anstößigkeit seiner Erscheinung zu arbeiten. Lange Haare, freakige Kleidung trugen inzwischen die meisten Jugendlichen, man zog sich einen Joint rein oder warf einen Trip, übte sich im Gruppensex oder erprobte die Bisexualität. Der Whiskykonsum von Janis Joplin und Joe Cocker konnte so wenig überboten werden wie die Zerstörungswut der WHO, deren Konzerte mit einer rituellen Zertrümmerung der Musikinstrumente endete. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis in dieser Welt der -196-
Gegenkultur von Haight Ashbury bis Gremmendorf, von Woodstock bis zum Lengeder Steinbruch die Gestalt Satans als höchste und letzte Form des antibürgerlichen Protestes wiederentdeckt wurde. Die Rolling Stones hatten keine okkulte Beziehung zum Satanismus. Jagger entdeckte jedoch zwischen sich und Satan eine Wahlverwandtschaft. In seinem Bekenntnis »Sympathie for the Devil« tritt der vertraute Antiheld, der Umwerter bürgerlicher Werte, hervor. Jagger kannte die kalifornische Satanskirche, er hatte auch den berühmten antistalinistischen Teufelsroman »Der Meister und Margarita« von Michael Bulgakow (1891-1940) gelesen. Im Dezember 1967 hatten die Stones zum ersten Mal mit der Teufelsidentifikation gespielt, als sie ihrem neuen Album den Titel »Their Satanic Majesties Request« gaben. Michael Cooper, Fotograf des berühmten Covers von »Sergeant Pepper«, gestaltete auch das Album der Stones, das allerdings an den Erfolg der Beatles nicht anknüpfen konnte. Ein Jahr später erschien Jaggers Teufelsbekenntnis. »Jeder Bulle ist ein Krimineller und jeder Sünder ein Heiliger. Kopf oder Zahl ist alles eins, also nennt mich einfach Lucifer.« Keine große Lyrik im Stile Baudelaires oder Byrons und auch keine Visionen flössen aus Jaggers Feder, eher ein Sammelsurium klassisch satanistischer Aktivitäten. Der Teufel stellt sich als wohlhabender Mann vor mit internationalen Beziehungen. Er handelt unabhängig von politischen oder religiösen Einstellungen. Jesus senkte er bei der Versuchung in der Wüste den Glaubenszweifel ins Herz, er verstockte das Herz des Römers Pilatus, als Kommunist kämpfte er gegen den Zaren, auf jüdischer Seite leitete er im Rang eines Panzergenerals die Eroberung des Sinai. Auch trug die Ermordung der Kennedys seine Handschrift. Die Provokation des Lieds bestand in der Zustimmung zu Greueltaten und vor allen Dingen in der Art, wie sich Jagger als Teufel in Szene setzte. -197-
Für das Altamont-Konzert vom 6. Dezember 1969 hatte er sich ein schwarzrotes Teufelskostüm anfertigen lassen, und während er auf der Bühne »Jumpin' Jack Flash« und »Sympathy for the Devil« sang, schlugen Mitglieder der Rockerbande Hell's Angels mit abgesägten Billardstöcken auf die Zuschauer ein. In Altamont soll es auch zu einer Begegnung zwischen Mick Jagger und Charles Manson (siehe dort) gekommen sein. 350 000 Menschen hatten sich vierzig Meilen östlich von San Francisco zu einem Festival versammelt, das nach den Wünschen der Stones den Erfolg von Woodstock überbieten sollte. Es wurde jedoch zu einem schwarzen Tag der Rockgeschichte. Für fünfhundert Dollar in Bier waren die Hell's Angels zur Aufsicht engagiert worden. Die Angels kontrollierten den größten Teil des Drogengeschäftes in der Bay Area und in Kalifornien. Sie waren gefürchtet und bewundert, sie wurden zu romantischen Helden und unerschrockenen Gegnern der herrschenden Politik verklärt. Tatsächlich aber hatte Sonny Barger, der Präsident der Hell's Angels von Oakland, an Präsident Johnson telegraphiert: »Dear Mr. President: In meinem und im Namen meiner Kameraden biete ich eine Gruppe loyaler Amerikaner als Freiwillige für den Dienst hinter den Linien in Vietnam an. Wir glauben, daß eine schlagkräftige Gruppe trainierter Gorillas den Vietcong demoralisieren und die Sache der Freiheit vorwärtsbringen würde. Wir sind zum Training und zum Dienst sofort einsatzbereit.« Sonny Barger führte auch die Hell's Angels in Altamont an. Jagger unterbrach »Sympathy for the Devil«, als die Krawalle eskalierten. Die Schlägereien hatten sich bis auf die Bühne ausgeweitet. Vergeblich versuchte Jagger, die aufgebrachte Masse zu beruhigen. »Okay, nehmen wir uns noch 'ne halbe Minute, bis wir die Puste wieder haben. Kühlt euch alle mal ab. Ist da jemand verletzt? Okay, I think we're cool, we can groove. Uns passiert immer was Komisches, wenn wir das Lied -198-
anfangen.« Die entfesselten Mächte lassen sich nicht mehr zurückdrängen. Wieder wird »Sympathy for the Devil« angestimmt. Einige Fans versuchen, die Bühne zu stürmen, und werden von den Angels niedergeprügelt. Jetzt spricht Keith Richard und droht mit dem Abbruch des Konzertes. »Ich stand neben ihm, drückte ihm den Lauf meiner Pistole zwischen die Rippen und zischte, er solle seine Gitarre spielen, ansonsten würde ich abdrücken«, erinnert sich Sonny Barger. »Dann spielte er wie ein Motherfucker.« Anschließend herrscht wieder für eine Weile tödliche Stille an den Mikrophonen. Jagger schluchzt ohnmächtig. Sonny Barger: »Nachdem die Situation völlig außer Kontrolle geraten war, quatschten die Stones diese Hippie-Scheiße von›Brüdern und Schwestern‹. Jeder, der die Bühne zu stürmen versuchte, wurde von uns heruntergeschmissen.« Dann wird vor Jaggers Augen der achtzehnjährige Schwarze Meredith Hunter von dem Hell's Angel Alan Passaro erstochen. »Wir brauchen hier einen Arzt, jetzt!«, schreit Jagger ins Mikrophon. »Lass doch bitte den Arzt durch. Wir versuchen, an einen ran zu kommen, der verletzt ist.« Für Meredith Hunter jedoch kommt jede Hilfe zu spät. Der Mord war vor laufenden Kameras geschehen. Dennoch wurde der Täter in der späteren Gerichtsverhandlung freigesprochen. Vier Tote und viele Schwerverletzte waren die Bilanz von Altamont. Das Festival fand am Erscheinungstag des vierzehnten Stones-Albums mit dem prophetischen Titel »Let It Bleed« statt. Sonny Barger schreibt rückblickend auf das blutig satanische Festival von Altamont: »Die Stones-Tour Let It Bleed war wahrhaftig blutig zu Ende gegangen. Egal, was die Leute erzählen: Meiner Meinung nach waren die Stones selbst schuld an dieser Scheiß-Szene. Sie hatten die Fans in Rage gebracht, die Bühne war viel zu niedrig, und dann hatten sie auch noch uns benutzt, um die Volksseele am Kochen zu halten. Sie hatten bekommen, was sie schon immer ge wollt hatten - ein düsteres, -199-
gefährliches Umfeld, um ›Sympathy for the Devil‹ zu spielen.«
Rosemary's Baby (Film) Roman Polanskis Film »Rosemary's Baby« (1967) ist ein Klassiker unter den Teufelsfilmen. Die Vorlage bildet der gleichnamige Roman von Ira Levin. Erzählt wird die Geschichte von Rosemary und Guy Woodhouse. Sie ist Hausfrau, er ein wenig erfolgreicher Schauspieler. Das kinderlose Ehepaar besitzt eine Vierzimmerwohnung im »Bramford«, einem verrufenen viktorianischen Mehrfamilienhaus, über dessen ehemalige Bewohner die seltsamsten Gerüchte kursieren. Hier sollen die kannibalistischen Schwestern Trench gewohnt haben und der Hexenmeister Adrian Marcato; auch wird von ungewöhnlichen Selbstmorden gesprochen. Kurz nach dem Einzug des Ehepaars Woodhouse stürzt sich ein Mädchen aus dem Fenster. Rosemary und Guy lernen ihre unmittelbaren Nachbarn Minni und Roman Castevet kennen. Damit ändern sich ihre Lebensumstände. Guy erhält eine Rolle im Theater, Rosemary wird schwanger. Die Zeugungsnacht erlebt sie halb bewußtlos, wie einen Alptraum. Ein Mann, von dem sie zuerst glaubt, es sei Guy, steigt über sie, zerkratzt ihren Leib mit langen Fingernägeln und dringt gewaltsam in sie ein. Rosemary öffnet ihre Augen und blickt in gelbglühende Katzenaugen, sie riecht Ta nniswurzel und Schwefel, fühlt feuchten Atem auf ihrer Haut und vernimmt das schwere Keuchen von Zuschauern. Da dämmert es ihr: »Das ist kein Traum. Das ist Wirklichkeit, das geschieht.« Erst später wird Rosemary erfahren, daß sie tatsächlich nicht geträumt, sondern ein Kind Satans in dieser Nacht empfangen hat. Die Nachbarn sind Anhänger einer Teufelssekte. Sie feiern Schwarze Messen (siehe dort), lästern über Gott und die Kirche. Ihre Kultpflanze ist die Tanniswurzel. Rosemary trägt sie in -200-
einem Amulett um den Hals und trinkt täglich ihren Saft. Während der Schwangerschaft entwickelt sie unheimliche Gelüste. Ihr Heißhunger richtet sich auf blutrotes Fleisch. Eines Tages ertappt sie sich, wie sie selbstvergessen auf einem blutigen Hühnerherzen kaut. Mit fortschreitender Schwangerschaft gerät sie immer tiefer in die Fänge der Sekte, zu der auch ihr neuer Frauenarzt gehört. Schließlich kommt sie nieder. Man sagt ihr, das Kind sei bei der Geburt gestorben. Sie wird mißtrauisch, dringt in die Wohnung der Nachbarn ein und entdeckt einen Kinderwagen, an dessen Dach ein umgekehrtes Kruzifix baumelt. Dann sieht sie ihr Kind, eingehüllt in eine schwarze Decke, mit kleinen schwarzen Fausthandschuhen. Das Neugeborene ist der leibhaftige Sohn Satans. Seine Augen sind goldgelb mit einem senkrechten Pupillenschlitz, an den Händen trägt es Krallen, an den Füßen Hufe und über dem After einen Schwanz. Auf der Stirn knospen Hörner. Rosemary will das Teufelskind mit einem langen Messer erdolchen. Der Traum war Wirklichkeit gewesen. Roman kommentiert: »Satan ist sein Vater, er kam aus der Hölle und zeugte einen Sohn mit einer sterblichen Frau.« Rosemary hebt verzweifelt den Blick nach oben und fleht Gott um Hilfe an. Vergeblich. Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Sie ist zur Satanspriesterin erwählt worden, als Gefäß für Adrian, den leibhaftigen Höllensohn. Wie bei Aleister Crowley (siehe dort) und in den kalifornischen Satanskirchen La Veys und Aquinos, so beginnt auch hier mit der neuen Offenbarung eine andere Zeitrechnung. Polanski faßt das Bekenntnis der Gruppe zusammen: »Gott ist tot, und Satan lebt! Es ist das Jahr Eins, das erste Jahr unseres Herrn! Es ist das Jahr Eins, und Gott ist tot! Es ist das Jahr Eins! Adrians Jahr hat begonnen! « Anton Szandor La Vey, dessen »Church of Satan« (siehe Satanskirche) in Kalifornien zu einer offiziell anerkannten Kirche gehört, hatte Polanski bei den Dreharbeiten beraten und -201-
selbst die Rolle des Teufels gespielt. War es ein Zufall, daß Roman Polanskis Ehefrau Sharon Tate nach Abschluß des Teufelsfilms von Charles Manson (siehe dort) ermordet wurde?
Der Fall Ruda Daniel Ruda war ein Schulversager und Außenseiter dazu. Er fühlte sich innerlich leer. Zum ersten Mal sei ihm Satan mitten im Unterricht erschienen, gab er später vor Gericht zu verstehen. Ein großer Mann mit langen schwarzen Haaren und leichenblassem Gesicht. Aus den Fingerkuppen seien die blanken Knochen hervorgetreten. Satan stellte sich mit dem Namen Samiel vor und überbrachte dem Schüler Daniel eine Botschaft: Seine Einsamkeit werde ein Ende haben. Daniel solle sich aufmachen, um den anderen Teil seiner Seele, seine »verlorene Hälfte«, zu suchen. Daniel Ruda verläßt das Gymnasium, macht den Realschulabschluß und schließt eine Lehre als Autoverkäufer ab. Bei der Bundeswehr kommt er mit rechtsradikalem Gedankengut in Berührung, schließt sich einer Gruppe von Skinheads an und besucht Schulungskurse der NPD. Arbeit findet er bei Autoteile Unger in Datteln. In der Freizeit zieht er über die Friedhöfe und fant asiert vor Freunden. Er träumt von blutigen Orgien der Gewalt, plant, ein Einkaufszentrum in Oberhausen in die Luft zu sprengen oder mit dem Maschinengewehr ein Blutbad unter den Teilnehmern der Love Parade anzurichten. Ein richtiger Amoklauf fange erst bei 100 Toten an, sagt er. Rudas Vorbild ist Charles Manson (siehe dort). Niemand nimmt seine Fantasien ernst. Auch in der Gothic-Szene (siehe dort) gilt er als Spinner. Dann wird er für kurze Zeit Mitglied einer Black-Metal-Band. Im Herbst 2000 gibt er eine Kontaktanzeige in der Szenezeitung »MetalHammer« auf: »Pechschwarzer Vampir sucht Prinzessin der Finsternis, die alles und jeden haßt.« Einer der Antwortbriefe ist -202-
mit dem Namen Allegra unterschrieben. Hinter diesem Pseudonym steht die drei Jahre jüngere gelernte Kellnerin Manuela. Das Einzelkind aus Witten schockte Eltern und Lehrer zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren. Manuela trug einen bunt gefärbten Irokesenschnitt und Sicherheitsnadeln im Gesicht, sie schwänzte die Schule und fuhr zu den Chaostagen nach Hannover. Doch trug die neue Identität als Punk nicht lange. Nach der zehnten Klasse bricht sie das Gymnasium ab und fährt nach Schottland, wo sie den Sommer über in einem Hotel arbeitet. In den Highlands kommt sie in Kontakt mit einem »Vampir-Club« (siehe Vampire). Die Mitglieder nächtigen auf Friedhöfen, lassen sich probeweise eingraben und saugen sich gegenseitig das Blut aus. Um besser zubeißen zu können, läßt sich Manuela die Eckzähne mit »Vampirzähnen« Überkronen. Sie lernt einen Aussteiger kennen. Der 62jährige Tom lebt in einer Grotte. Er hat sich den ganzen Körper mit einem Leopardenmuster tätowieren lassen. Der schottische Winter ist kalt. Weihnachten ist Manuela wieder in Witten. Nun beginnt ihre Zeit als Gruftie oder Gothic. Ihre schwarze Kleidung ist aus Samt, Lack, Leder und Latex. In der GothicSzene an der Ruhr wird sie zum Star. Sie ist jetzt 16 Jahre alt. Manuelas Mutter fährt ihre Tochter zu Fototerminen, wo sie sich abwechselnd als Sadistin oder Masochistin (siehe krimineller Satanis mus) ablichten läßt. Auch Manuela will eines Tages die Stimme Satans vernommen haben. Sie sagt: »Take care! Tritt in den fünften Stern ein, und warte auf Befehle.« Der Stern ist das Pentagramm (siehe dort). Mit ihrer Berufung zur Satansjüngerin wechselt Manuela den Namen. Sie nennt sich Allegra. So hieß die Tochter des Dichters Lord Byron, eines der Ahnherrn des modernen Satanismus. Manuela hat Blutfantasien. Sie schneidet sich selbst in die Haut, trinkt das eigene Blut oder läßt es von Freunden aufsaugen. »Cuttings« werden diese masochistischen Rituale genannt. Die Narben gelten als Auszeichnung. Offenbar sind die Satans- und Vampirfantasien Ausdruck einer tiefen -203-
Sinnkrise. Manuela ist psychisch krank. Anfang 2001 läßt sie sich Antidepressiva verschreiben und beginnt eine Psychotherapie. Als Manuela die Anzeige von Daniel Ruda liest, antwortet sie: »Die Schönheit der Nacht. Verfallene Ruinen. Vom Vollmond erleuchtete Friedhöfe. Ich hasse die Menschheit und verabscheue das Licht.« So kommt es zu der unheilvollen Begegnung. Daniel Ruda glaubt seine«verlorene Hälfte« wiedergefunden zu haben. Nun trinken sie gegenseitig ihr Blut. Doch die innere Leere bleibt. Ein gemeinsamer Selbstmord wird geplant. Daniel Ruda ist nicht der erste Mann, den Manuela über eine Kontaktanzeige kennenlernt. Über zwei Jahre pflegte sie eine Brieffreundschaft mit einem 14 Jahre älteren Hotelier aus Köln. Hier lebt sie ihre blutrünstigen Vampir-Fantasien aus: »Der Moment des Bisses, der finale Akt, der zwei schwarze Herzen als eines schlagen läßt.« Und: »Umso schmerzhafter sind demzufolge die Sommertage, an denen jeder Sonnenstrahl, der mich versehentlich trifft, wie ein Giftpfeil erscheint. Glücklicherweise kann ich es weitgehend vermeiden, während des Tages das Haus zu verlassen.« Manuela und Daniel heiraten nicht aus Liebe. Sie verbinden der Hass auf das Leben, die Erfahrung von Sinnverlust und die Sehnsucht nach Selbstauslöschung. Sie beschließen zu heiraten, um gemeinsam Suizid zu begehen. Im Frühling vernimmt Daniel Ruda wieder eine Stimme. Deutlich hört er zwei Zahlen: die »Satanszahl« 666 (siehe dort) und die Sieben. Am 6. Juni, so schließt er, solle er Manuela heiraten, und am 6. Juli würden sie gemeinsam Selbstmord begehen. Vor dem Standesamt erscheinen sie ganz in Schwarz und mit frischen Schnittwunden im Gesicht. Statt eines Eheringes haben sie sich einen Stacheldrahtring um den Ringfinger tätowieren lassen. Im Dachgeschoss eines Wittener Mietshauses hat das Paar eine gemeinsame Wohnung bezogen. An die Wohnungstür heften die beiden ein Schild »Kadaververwertungsanstalt Bunkertor 7«. »Bunkertor 7« - so lautet ein Titel von Daniel Rudas Lieblingsgruppe »Wumpscut«. -204-
In dem Lied wird der gemeinsam begangene Mord an Frank H. (»Hacki«) vorweggenommen, denn hinter dem »Bunkertor 7« liegt die »Kammer der Not«, eine Todesfalle wie die Wohnung der beiden: »Winsel um Gnade oder schreie es hinaus, es gibt keine Hoffnung, du kommst niemals mehr raus. Denn hier ist dein Ende, und ich werde es lieben, zu weiden dich aus am Bunkertor 7.« Rückblickend liest sich der Text wie eine Regieanweisung für den Mord: »Ich sorge mich nicht, ein neues Opfer zu seh'n, denn auch sie sind so blind, mit mir hierher zu geh'n.« Daniels Arbeitskollege Frank H. ist der einzige Hochzeitsgast, der am 6. Juli die »Kadaververwertungsanstalt Bunkertor 7« betritt. Die Rollläden dort sind heruntergelassen. Lampen funktionieren nicht. Die Wände im Schlafzimmer sind blutrot gestrichen, der Teppich ist schwarz (siehe Farben des Teufels). Über dem Bett eine Teufelsfratze, unter dem Schrank eine Peitsche. Im Badezimmer ein Poster mit erhängten Frauen. Skalpelle mit Blutresten. Im Wohnzimmer finden sich Hakenkreuze, Pentagramme, Handschellen, ein Totenschädel, Grablichter, Bocksgehörn und Sense. In der Mitte ein Sarg mit dem Satanskreuz. Hier wird Frank H. mit einem Zimmermannshammer und wiederholten Stichen in den Oberkörper bestialisch ermordet. Zum geplanten Suizid kommt es nicht. Später findet die Polizei die Leiche und an der Wand 15 Namen von ehemaligen Arbeitskollegen und Freunden. Daneben die Warnung: »Freut euch - ihr seid die Nächsten.« Das Paar flüchtet über Hannover nach Thüringen. Auf ihrem Wagen befindet sich ein Aufkleber des CD-Titels »Bunkertor 7«. Sie suchen das Grab des Schülers Sandro Beyer (siehe Neosatanismus) auf dem Friedhof von Sondershausen. 1993, vier Jahre nach der »Wende«, wurde Sandro Beyer das Opfer einer Gruppe von Schülern, die sich mit Videofilmen und -205-
satanischer Musik zu Gewaltfantasien hinreißen ließen und schließlich ihren Mitschüler ermordeten. Wie der »Fall Ruda«, so hatte sich auch der »Fall Sandro Beyer« weitgehend unter den Augen der Öffentlichkeit entwickelt: Durch Kleidung, Worte und Taten waren die Obsessionen der Mörder bekannt. Arbeitskollegen, Besucher der Szenediskotheken, Mitschüler, Eltern, Lehrer oder Vorgesetzte hätten den Anfängen wehren müssen. Im »Fall Sandro Beyer« wurde der Mord sogar in der Schülerzeitung angekündigt. Auch Gruppen wie »Wumpscut« gehören zu den geistigen Brandstiftern. Bandleader Rudy Ratzinger komponierte nach der Festnahme des Ehepaares sogar einen Titel »Ruda«. Daniel und Manuela Ruda finden das Grab nicht. Am 9. Juli 2001 kauft Daniel im »Obi«-Baumarkt eine »Dolmar«-Kettensäge. Das »Kettensägenmassaker« gehörte zu den Lieblingsfilmen der Thüringer Satanisten. Manuela Ruda nimmt Schlaftabletten und versucht, sich die Pulsadern zu öffnen. In einem Abschiedsbrief an die Eltern schreibt sie: »Ich passe nicht in diese Welt. Ich muß meine unsterbliche Seele von dem sterblichen Fleische befreien... Schiebt es bitte nicht auf Dani. Den Gedanken auszubrechen trage ich länger, als ich ihn kenne... Ihr seid viel zu schade für das dreckige Gewürm, das sich Menschheit nennt. Ich hoffe, daß sich dieses Pack irgendwann gegenseitig zerstört.« Mit Satanismus hat der »Fall Ruda« nur an der Oberfläche etwas zu tun. Vom Bochumer Schwurgericht werden Daniel und Manuela Ruda zu 15 beziehungsweise 13 Jahren Haft verurteilt und ihre Einweisung in die Psychiatrie auf unbestimmte Zeit beschlossen. Auch der Vorsitzende Richter Arnjo Kerstingtombroke sagt: »Es handelt sich nicht um Satanismus, sondern um ein Verbrechen von zwei schwer gestörten Menschen.«
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Satan, Diabolos und Teufel Warum wird der Teufel nicht gern beim Namen genannt? Warum benutzt man Umschreibungen wie »der Bock«, »Gottseibeiuns«, »Kukuck«, »der Schwarze«, »der Böse« oder »Hämmerlein«? Die Ursache liegt in dem alten Aberglauben, daß allein eine Nennung seines Namens zugleich den Teufel herbeirede. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Mit Schweigen und Verdrängung werden bewußte und unbewußte Ängste nur verstärkt. Den Bösen muß man beim Namen nennen. Das deutsche Wort »Teufel« hat sich aus den alten Sprachformen »tiuvel«, »diuvil« und »düwel« entwickelt. Es ist ein Lehnwort aus dem griechischen »diabolos«. Auch andere europäische Sprachen haben ähnliche Lehnwörter gebildet: »diabolus« (lateinisch), »diavolo« (italienisch), »diabolo« (spanisch), »diable« (französisch) und »devil« (englisch). Im Neuen Testament wird der Diabolos 53 Mal beim Namen genannt. Er ist der Gegenspieler Christi. Sein Ziel ist die Zerstörung der göttlichen Ordnung. Sein sprechender Name entlarvt zugleich das Wesen des Teufels: »Diabolos« bedeutet »Durcheinanderbringer«. Das griechische Wort »Diabolos« wiederum ist eine Übersetzung des hebräischen Wortes »Satan« (Ankläger). Als »shaitan« ist es in die arabische Sprache und in den Koran eingegangen. Der Satan war ursprünglich eine Art Staatsanwalt im Himmel (Hiob 1.6), vergleichbar dem Präfekten der Glaubenskongregation im Vatikan. Zu seinen Dienstpflichten gehörte die Überprüfung des Glaubens. Diese Aufgabe nahm er zu genau. Er wurde »päpstlicher als der Papst«, ein Fanatiker der reinen Lehre, ein Störenfried und Durcheinanderbringer. Wo Gott in seiner Güte Gnade walten ließ, da pochte er auf die Einhaltung der Gesetze. Kein Wunder, daß der Satan im Neuen -207-
Testament als Widersacher Christi auf den Plan tritt. »Weg mit dir, Satan!« (Matthäus 4.10), ruft ihm Jesus zu, und auch Petrus schleudert er den Bannspruch »Geh weg von mir, Satan!« (Matthäus 16.23) entgegen. Teufel, Diabolos, Satan: Immer geht es um die Benennung der Macht, die Menschen vom Weg des Glaubens abbringen will.
Satanskirche Anton Szandor La Vey (* 1930) gründete in der Walpurgisnacht des Jahres 1966 die »Kirche Satans«. Diese hat ihren Sitz in San Francisco. La Veys wirklicher Name ist Howard Levi. Er hatte im Alter von fünfzehn Jahren Elternhaus und Schule verlassen. Der junge Aussteiger verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Hilfskraft für Tierbändiger in einem Zirkus. Er lernte die Kunst der Hypnose und des Zauberns und wurde später Polizeifotograf in San Francisco. Aus der »Church of Satan« ging wiederum der »Temple of Seth« hervor, benannt nach dem dritten Sohn Adams, unter dessen Namen bereits alte jüdische und christliche Geheimschriften mit dem Anspruch einer neuen Offenbarung kursierten. Der Tempel Seths wurde am 21. Juni 1975 von dem ehemaligen Leutnant für Gegenspionage und Desinformation, Michael A. Aquino, ins Leben gerufen. La Vey betrieb unter der Sonne Kaliforniens ein höllisches Showgeschäft und diabolisches Spiel. Für ihn war Satan ein Symbol. Aquino dagegen glaubte an die leibhaftige Existenz des Teufels. Nach einer Anrufung Satans will er »The Book of Corning Forth by Night«, einen schmalen Text von drei Seiten Umfang, als Offenbarung erhalten haben. Wie Crowley nannte sich auch Aquino »Tier 666«. La Veys Satanskirche war seit ihrer Gründung ein Medienereignis und ein Spielzeug für die Stars aus dem nahe -208-
gelegenen Hollywood. Es gehörte zur Aura bekannter Showgrößen wie Sammy Davis oder Jane Mansfield, im satanistischen Dunstkreis von La Vey zu stehen. Fünftausend, nach eigenen Angaben zwanzigtausend Mitglieder soll die »Kirche Satans« zu ihrer besten Zeit gehabt haben. La Vey war auch publizistisch tätig und veröffentlichte neben einem Hexenbuch mit sexualmagischen Praktiken und einer Schrift mit teuflischen Ritualen die Satansbibel. Bekannt sind auch die neun satanischen Erklärungen (»9 Satanic Statements«), in denen der Symbolgehalt des Wortes »Satan« entschlüsselt wird. »Satan« steht hier für ungezügelte Befriedigung von Begierden, die Verkörperung vitaler Existenz, Weisheit. Er verkörpert Rachegefühle, das Recht des Stärkeren und die Lust an der Sünde. So heißt es in Artikel 1: »Satan repräsentiert Zügellosigkeit anstelle von Abstinenz!« Symbol der Kirche Satans ist der fünfzackige Stern mit dem Kopf eines Ziegenbocks. Wie die Gnostiker, so besitzen auch La Veys Teufelsfreunde ein Erkennungszeichen, das sie sich zum Gruß entgegenstrecken. Sie heben die geballte Faust, lösen dann den kleinen Finger und den Zeigefinger, so daß eine Figur entsteht, die an den gehörnten Teufel erinnern soll. Heute gehört der teuflische Gruß zum Erscheinungsbild jedes Heavy-MetalKonzerts. Im Internet findet sich eine Selbstdarstellung der Satanskirche unter ChurchofSatan.com.
Schwarze Messe Medien leben von Sensationen. So füllen Berichte über Schwarze Messen immer wieder die Seiten von Zeitungen und Zeitschriften. Da ist zu lesen: In Minneapolis sei ein Sonderdezernat zur Aufklärung seltsamer Straftaten eingerichtet worden. Man habe auf den Kopf gestellte Kreuze, Überbleibsel ritueller Tierschlachtungen, Ziegenköpfe, enthäutete Hunde, -209-
abgeschnittene Ohren und Brüste gefunden, die möglicherweise im Zusammenhang mit satanischen Ritualen standen. Bekannt wurde auch eine deutsche Sekte mit dem Namen »Kinder Satans«, die sich in zwanzig Gruppen über Deutschland ausgebreitet haben soll. Sie verführe besonders Jugendliche im Alter zwischen 16 und 25 Jahren zu kriminellen Taten. Zu ihren Ritualen, so berichteten ehemalige Mitglieder, gehörten Tieropfer, Trinken von Urin und Essen von Kot, Einbrüche in Gotteshäuser, Leichenschändungen und Orgien. Auch im Internet finden sich Darstellungen von satanischen Messen. Der SatanShop.com bietet sogar offen Hostien und Weihwasser für satanische Rituale an. Die berühmteste Darstellung einer Schwarzen Messe bildet das Zentrum des Romans »Là-Bas« (»Tief unten«) von JorisKarl Huysmans (1848-1907). Er wurde 1891 zu einem Skandalerfolg. Es wird angenommen, daß Huysmans Darstellung der Teufelsmesse auf authentischem Quellenmaterial beruht. Durtal, die Hauptperson des Romans, ist ein Kind des positivistischen 19. Jahrhunderts. Auf der Suche nach neuen Mysterien beginnt er sich für die okkulte Welt des Satanismus zu interessieren. Durtal bekommt durch Hyacinthe Chantelouve die Möglichkeit zur Teilnahme an einer Satansmesse. Durtal und Hyacinthe Chantelouve fahren in eine schäbige Gegend von Paris, wo im Keller eines ehemaligen Ursulinenklosters die Schwarze Messe zelebriert werden soll. Häßliche Menschen gehören zu den Teilnehmern, eine entsprungene Nonne, ein Medizinprofessor, ein alternder Schwuler. Frauen sind in der Überzahl. Ängstlich und ernst wirkt ihre Unterhaltung, kein Lachen ist zu vernehmen. Das Kellergewölbe durchzieht ein Geruch aus Feuchtigkeit, Schimmel, verbrannten Kräutern und Harzen. Die Wände sind rissig und ohne Farbe. Dann tritt ein rotgewandeter Messdiener an den Altar mit dem Bild Christi. »Er war nackt, und wo zuvor das Leinentuch seine Lenden gegürtet hatte, ragte aus einem -210-
Bündel Rosshaar das erregte männliche Schmutzteil.« Raute, Bilsenkrautund Stechapfelblätter, getrocknete Nachtschattenpflanzen und Myrrhe werden Satan als Räucheropfer gebracht. Bewegung unter den Frauen signalisiert die Ankunft des satanischen Zelebranten der Messe. Kanonikus Docre, auch er ein ehemaliger Priester wie viele unter den okkulten Satanisten, erscheint. Unter seinen Messgewändern geht er nackt - bis auf die schwarzen Strümpfe mit hochsitzenden Strumpfhaltern, unter denen sein fettes Fleisch hervorquillt. In den Kellergewölben des ehemaligen Klosters hausen verkrachte Existenzen und lassen ihren antiklerikalen Affekten in gotteslästerlicher Weise freien Lauf, erfüllt von blindem Hass auf die Kirche, der sie einst dienten. Kanonikus Docre vollzieht das Messopfer, dann wendet er sich im Gebet zuerst an Satan. »Herr der Ärgernisse, Spender der Wohltaten des Verbrechens, Walter der prachtvollen Sünden und der großartigen Laster, Satan, dich beten wir an, du Gott der Logik, du Gott der Gerechtigkeit!« In Teufels Namen preist der ehemalige Priester Abtreibung und Fehlgeburten, Heuchelei, Undank, Hochmut, Racheakte, Morde, Manneskraft und Vergewaltigung. Dann ergeht eine lästerliche Litanei über Christus. Wie sehr der Teufelspriester auch den Gottessohn schmäht, dem alten Glauben an die priesterliche Macht der Wandlung der Hostie (Konsekration) bleibt er treu. Im Messopfer wird nach katholischer Lehre Christus leibhaftig gegenwärtig. Deshalb ist die Hostie heilig. Docre vollzieht die Wandlung, um Christus selbst im anschließenden Ritual zu schänden. »Und du, du, den ich in meiner Eigenschaft als Priester zwinge, magst du wollen oder nicht, herabzusteigen in diese Hostie, Fleisch zu werden in diesem Brot, Jesus, Handwerksmeister der Täuschungen, Huldigungenräuber, Zuneigungsdiebhöre!« Ein Glöckchen der Messdiener signalisiert den Moment der Wandlung (Transsubstantiation). Die Gemeinde antwortet mit -211-
einer Orgie. Frauen lösen ihre Röcke, Chorknaben heben das Priesterkleid, die Kasel, und der Zelebrant uriniert auf die Hostie. Während die Chorknaben das Glied des Priesters beweihräuchern, stürzen sich die Frauen auf das Brot und essen es. Dann steigern sich die Satanismen zur Sakralhurerei. Ein weinendes Mädchen wird in die Kellergewölbe geführt. Dies ist der Moment, wo Durtal seine Begleiterin bittet, mit ihm den perversen Schauplatz zu verlassen. Hyacinthe Chantelouve ist sexuell so erregt worden, daß sie Durtal in eine schäbige Absteige führt, wo sie sich entkleidet, Brocken einer Hostie auf dem Bett verteilt und ihre Begehrlichkeit offen gesteht: »Ich will dich haben!« Das Grauen hat jetzt Durtal endgültig gepackt. Beide verlassen das Zimmer. Der Teufel gilt als der »Affe Gottes«. So folgen Satansmessen der Logik des Widerspruchs: Sie verkehren die katholische Messe in ihr Gegenteil. Die »weiße Messe« der Kirche wird in der »schwarzen Messe« verspottet. Der Ablauf einer Satansmesse und die Rolle des einzelnen Teilnehmers ergeben sich aus der Gegenüberstellung von Kirche und Satanskirche: Dem Priester steht der Satanspriester gegenüber. Der eine spendet die sieben Sakramente der Kirche, der andere die Sakramente des Teufels. Die katholische Messe führt zur Anbetung des Erlösers Jesus Christus, die Satansmesse zur Anbetung seines Widersachers, des Teufels. In satanischen Riten spielen Blut und Sexualmagie eine zentrale Rolle. Auch sie sind aus der Parodie der katholischen Messopferfeier zu verstehen. Der Priester verwandelt den Wein in das Blut Christi, der Satanspriester setzt ihm das Blut eines Zie genbockes entgegen. Dem reinen Opfertisch des Altars steht der unkeusche Leib der Satansanhängerin gegenüber, auf dem die satanischen Sakramente bereitet werden. Als authentisches Dokument aus der satanischen Unterwelt der Gegenwart gilt der Bericht von Ricarda S. (1988). In ihm sind die wesentlichen Merkmale des okkulten Jugendsatanismus -212-
zu finden: pubertäre Suche nach extremer Erfahrung, sexuelle Neugierde und Hörigkeit, Prostitution und Kriminalität. Der junge Mann, in den sich die unerfahrene Ricarda S. im Alter von fünfzehn Jahren verliebt, trägt als Tätowierung eine Schlange. Ihr Kopf ist auf dem nackten Bauch zu sehen, ihr langer Leib führt hinab unter die Hose. Die Kölner Schülerin ist von dem zehn Jahre älteren Krischan fasziniert. »Vorne aus der Hose ringelte sich eine Schlange, die bei mir immer dieses Kribbeln auslöste. Dieses Kribbeln, das so neu für mich war.« Krischan erzählt von Dämonen und Geistern. Auf einer spiritistischen Sitzung im Wald führt er magische Spielchen vor. Während Ricarda und ihre Freunde einen Kreis bilden, zeichnet er Symbole auf den Waldboden, die keiner der Jugendlichen kennt, und er murmelt unverständliche Worte. Dann stellt auch er sich in den Kreis, zittert und stöhnt, schreit plötzlich auf und zeigt der Clique seine blutige Hand. Ricarda erliegt der Inszenierung, Krischan hat sein Opfer gefunden. Für die nächste Sitzung im Birkenwäldchen sollen sie und ihre Freundinnen Schreibheft, Füller und vier Kerzen besorgen. Wieder versteht es Krischan, eine geheimnisvolle Atmosphäre aufzubauen, an deren Ende Ricarda erfährt, sie sei zur Dienerin des Teufels erwählt, denn Satan hätten die Rituale im Wald gegolten. Faszination und Grauen erschüttern Ricardas Seele, Angstträume suchen sie heim. Aufgewachsen in einer rationalen Welt ohne religiöse Bindung, hat sie wie viele Menschen ihrer Zeit eine geheime Sehnsucht nach dem Irrationalen, der anderen, dunklen Seite der Wirklichkeit. Der sexuell wenig erfahrenen Ricarda redet der Verführer einen Zusammenhang von Satanismus und Sexualität ein. Er führt sie in sein Zimmer. Die satanischen Requisiten verfehlen ihre Wirkung auf Ricarda nicht: Auf dem Boden liegt ein Totenschädel, daneben eine Peitsche. Ein Papstbildnis mit herausgeschnittenen Augen, ein Poster von Karl Marx und ein umgedreht es Kruzifix hängen an der Wand. Besonders -213-
beeindruckt zeigt sich das Mädchen von der großen Matratze mit ihrer schwarzseidenen Bettwäsche und den vier Kerzenständern an jeder Ecke. Krischan ist ein autoritärer Charakter. Sie folgt willenlos seiner Aufforderung zur Entkleidung und legt sich mit gespreizten Armen und Beinen auf die seltsame Kultstätte. Dann läßt Krischan die Hose herunter, und zum Vorschein kommt der Leib der Schlange, tiefblau eintätowiert tritt sie aus den Schamhaaren hervor. »Die Schlange ist ein Symbol SATANS!«, kommentiert er, greift nach der Peitsche und schlägt sich selbst damit. Symbole sind vielschichtig. Das Symbol der Schlange verweist auf den Teufel und zugleich auf Gewalt, auf Lust an der Zerstörung, Sexualität und Macht über andere Menschen. Krischan erklärt die Bedeutungsschichten des satanischen Symbols nicht, sondern er inszeniert sie und setzt damit ihre unheimliche Wirkung frei. Diese zieht auch Ricarda in den Bann. Auf dem schwarzseidenen Bett zwischen den vier Kerzen wird Ricarda brutal entjungfert. Jetzt liegt sie in ihrem Blut. Gewalt, Blut, Sex, Krischan. »Bist Du SATAN!???«, so schreit sie. Er verneint, nennt sich einen Priester Satans, greift in Ricardas Blut, beschmiert damit ihren Leib und ernennt sie zur Satanspriesterin. Was dies für ihr weiteres Leben bedeutet, spricht Krischan direkt aus: »Was SATAN will und von uns fordert, das ist der Hass. Das, und nur das, ist das einzige ehrliche Gefühl.« Damit wehrt er Ricardas Liebesgefühle ab. Das Mädchen führt jetzt ein Doppelleben zwischen Schule, Elternhaus und Satanssekte. Ricarda lernt den inneren Kreis der Mitglieder kennen, absolviert ein Ekeltraining, schläft mit anderen Männern, zieht schließlich aus dem Elternhaus aus und erlebt zum ersten Mal eine Schwarze Messe, bei der eine geweihte Hostie im Blut eines Huhnes aufgelöst und getrunken wird. Dann kommt der Höhepunkt ihrer Verstrickung in die Machenschaften der Sekte, ein öffentlich vollzogener Geschlechtsverkehr mit Benno. Weil Ricarda in ihrer Kindheit -214-
wie viele Mädchen eine besondere Zuneigung zu Zwergkaninchen besaß, wird von ihr jetzt die rituelle Tötung eines schwarzen Kaninchens verlangt. Wieder wird das Blut in einer Opferschale aufgefangen, eine Hostie darin aufgelöst und getrunken. Anschließend schneiden sich Benno und Ricarda ihre Arme auf, trinken ihr Blut, werden von Krischan mit einem Blutmal an der Stirn gezeichnet und fallen übereinander her. »Töten, Blut trinken, Orgien feiern, Drogen, Saufen, ohne Schranken und Grenzen sich fallenlassen, seine Brutalität voll ausleben, das war alles Dienst an SATAN.« Die Gruppe finanziert ihren Lebensunterhalt durch Kriminalität und Prostitution. Ricarda arbeitet als Domina. In schwarzer Korsage, hautenger Satinhose, Stiefeletten, Nietenmanschetten und stacheligem Hundehalsband empfängt sie ihre masochistisch veranlagten Kunden und läßt über deren Rücken die neunschwänzige Katze kreisen. Tagsüber besucht sie das Gymnasium, nachts spielt sie die höllische Hure im Satanskeller. Krischan, ihr Zuhälter, hat sie systematisch auf die Rolle als Domina vorbereitet. Ihre Kunden gehören durchaus zur Oberschicht der Stadt Köln, Herren, die alles besitzen, alles ausprobiert haben und das Extrem zur Stimulierung ihrer Lust brauchen. Bis zu vier Kunden gleichzeitig sind Teilnehmer der Schwarzen Messen. Als Ricarda schwanger wird, zwingt Krischan sie gegen ihren Willen zur Abtreibung. Er droht, falls sie seinem Willen nicht folge und das Kind austrage, werde er es nach der Geburt bei einer Schwarzen Messe opfern. Einer von Ricardas Kunden nimmt die Abtreibung ohne Narkose vor, nicht ohne sie vorher missbraucht zu haben. Ricarda kommt in die Psychiatrie, kehrt zur Gruppe zurück, wird wieder schwanger, löst sich von Krischan, erhält Drohbriefe, wird auf offener Straße zusammengeschlagen, erleidet eine Fehlgeburt und findet durch den Kontakt zu einer katholischen Patientin im Krankenhaus wieder neuen Halt. Jetzt glaubt sie ihr wahres Problem erkennen -215-
zu können: Es ist die Angst vor dem Leben. Damit wandelt sich auch ihr Bild vom Teufel. Der gefallene Engel wird zu ihrem fernen Bruder im Geiste, der ihr Schicksal teilt. »Ich habe Angst, allein zu sein. Ich habe Angst, nichts wert zu sein. Wie Satan.« Im Morgendämmer der Schöpfung wurde Satan eifersüchtig auf den Menschen. Er fühlte sich ausge grenzt, weil er die Liebe Gottes mit anderen Geschöpfen teilen mußte. Aus Angst vor Liebesverlust wurde er böse: So sieht Ricarda ihr Schicksal in seinem gespiegelt.
Schwarzer Mann Jeder kennt die Wirkung von guten Worten. Sie bauen uns auf, bestärken uns, schenken uns neuen Mut in Krisenzeiten. Andererseits können Worte auch verletzen. So ist Sprache mehr als nur Mitteilung: Sprache ist Magie. Wenn man den Teufel beim Namen ruft, heißt es im Volksmund, ist er auch schon da. Deshalb wird die direkte Benennung des Teufels vermieden. Sein Name wird umschrieben. Zu den bekanntesten Umschreibungen gehören »der Schwarze« oder »der schwarze Mann«. Als Kinderschreck taucht der Teufel in dem beliebten Fangspiel »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« auf. Ein Kind ruft die Frage, die anderen antworten laut im Chor: »Niemand!« Die Angst vor dem Teufel kann nur dort entstehen, wo die dunkle Wirklichkeit verdrängt wird. Die Kinder spüren noch unmittelbar die Magie des Wortes. In der Tat: Niemand braucht Angst vor dem Teufe l zu haben. Ein Wörtlein kann ihn fällen. Deshalb lebt die Figur des Teufels auch in Kinderspielen, im Kasperletheater und in den Märchen. In den Star Wars-Filmen hat Darth Vader (schwarzer Vater) die Rolle des schwarzen Mannes übernommen.
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666 Unmittelbar nach Abschluß des Bochumer Satanistenprozesses (siehe Der Fall Ruda) kam der Film »666 Traue keinem, mit dem du schläfst« in die Kinos. Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Rainer Matsutani hatten am 21. Februar 2002 nach München zur Premiere geladen, und von Bons Becker bis Claudia Schiffer stellte sich die Prominenz ein. Bernd Eichingers Film spielt locker mit dem Faust-Motiv (siehe Faust): Ein schwuler Sohn des Teufels (Armin Rohde) schließt mit Faust (Jan Josef Liefers) einen Pakt. Er wird Faust he lfen, seine Freundin Jennifer (Sonsee Ahran Floethmann) zurückzugewinnen, dafür erhält er Fausts Seele. Seit Gustaf Gründgens den Mephistopheles (siehe dort) spielte, ist diese Rolle auf deutschen Bühnen mit dem Hauch des Homoerotischen (siehe Homosexualität) besetzt. Ein schwuler Teufel ist also so wenig originell wie die vermeintliche Anspielung auf die Position »666« in der Satanszahl. Jeder weiß, daß die Zahl 666 in satanischen Kreisen einen hohen Symbolwert besitzt. Am 6.6. 2001 vollzogen Daniel und Manuela Ruda einen Ritualmord, am 6.7.2001 planten sie einen gemeinsamen Selbstmord. Die Verwendung der »Satanszahl« 666 für eine Komödie erscheint auf diesem Hintergrund doch sehr fragwürdig. In dem Lied »The number of the beast« der Gruppe »Iron Maiden« wird der Ablauf einer schwarzen Messe (siehe dort) beschrieben. Darin heißt es: »666 die Zahl des Tieres - Hölle und Feuer schienen los zu sein. Fackeln flackerten, und heilige Gesänge stiegen empor. Als sie zu schreien begannen, streckten sie die Hände gen Himmel. In der Nacht brennen die Feuer hell, das Ritual begann, Satans Werk ist getan. 666 die Zahl des Tieres.« In der mittelalterlichen Polemik gegen den Islam galt das Jahr -217-
666 als Todesjahr Mohammeds. Die bekannte »Satanszahl« 666 stammt aus der Apokalypse des Johannes (siehe dort). Sie ist ein Zeichen der Diktatur des großen Tieres (siehe dort). In Satans Reich muß jeder Mensch sie gut sichtbar tragen. Warum gilt gerade 666 als Zahl des Teufels? In der Zahlenmystik wird jedem Buchstaben ein bestimmter Zahlenwert zugeordnet. Bei der Zahl 666 werden Zahlenwerte der hebräischen Buchstaben zugrunde gelegt. Vokale haben allerdings im hebräischen Alphabet keinen Zahlenwert. Die Ermittlung der Zahl 666 wird beispielsweise so hergeleitet: K = 100, (E), S = 60, (A), R = 200, N = 50, (E), R = 200, O = 6, N = 50. Bildet man die Quersumme des Namens von Kaiser Nero (Kesar Nero), so soll sich die Zahl 666 ergeben. Die Rechenbeispiele überzeugen jedoch wenig. Wahrscheinlicher ist, daß die Zahl 666 eine Parodie der sechs Tage der Schöpfung ist. Das große Tier untersteht dem Teufel. Die Welt des Teufels aber ist immer Gegenwelt zum Christentum.
Sexualität Gespräche über das Papsttum enden beinahe unweigerlich bei Fragen der Sexualmoral. Warum ist künstliche Empfängnisverhütung verboten? Warum lehnt die Kirche schwule und lesbische Lebensgemeinschaften ab? Die Begründungsversuche leuchten nur den wenigsten deutschen Katholiken ein. Oft scheinen sie auch nur vordergründig. Man könnte den Eindruck haben, als werde der wahre Grund nicht ausgesprochen, denn er ist irrationaler Art. Seit Jahrhunderten lehrt die katholische Kirche, daß der Teufel mit Hilfe von sexualmagischen Techniken Einfluß auf die Libido des Menschen nimmt. Dazu gehören Onanie, Pollution, Perversionen, Homosexualität und Impotenz. Das Wesen dieser Sexualmagie erklärt sich aus dem Schicksal -218-
der gefallenen Engel: Gott hatte sie wegen ihrer Sünde aus den Chören der Engel verstoßen. Die frei gewordenen Plätze im Himmel sollten durch die Menschen besetzt werden. Die Ehe und das Zeugen von Kindern dienten also der Wiederherstellung der himmlischen Ordnung. Mit jedem Neugeborenen, das getauft und im christlichen Geist erzogen wurde, trat ein neuer Thronanwärter und Himmelserbe hervor. Der Jüngste Tag und damit das Ende dieser Welt aber würden kommen, wenn so viele Menschen geboren worden waren, daß durch sie die Lücken im Himmel geschlossen werden konnten. So erkläre sich der Zeitdruck, unter dem die Dämonen arbeiteten, und ihr besonderes Interesse an der Sexualität der Menschen. Die Zeugung von Kindern etwa durch künstliche Verhütungsmethoden zu verhindern, bedeutet nach dieser Logik, den Zeitpunkt des Jüngsten Tages hinauszuschieben. Kondome, Pessare und Pille sind daher des Teufels. Auch Selbstbefriedigung und Homosexualität, ganz zu schweigen von Sodomie oder Päderastie, verhinderten ebenfalls die Zeugung von Himmelserben. Dämonen sind wie die Engel reine Geister ohne Fleisch und Blut. Zur Verhinderung der Erlösung des Menschengeschlechts können Dämonen jedoch eine weibliche (Succubus) oder eine männliche Gestalt (Incubus) annehmen. So versuchen sie, die Menschen zu verführen, denn im Schoß eines Succubus fällt das Sperma auf unfruchtbaren Boden. Succubus und Incubus verursachen auch sexuelle Erregungen im Traum oder verleiten zur Onanie. Nach Ansicht der katholischen Kirche gibt es jedoch ein sicheres Mittel, den dämonischen Scheinkörper zu entlarven: Das Geschlechtsorgan eines männlichen oder weiblichen Teufels verströmt eine eisige Kälte. Der Grund liegt auf der Hand, denn der Teufel besitzt kein Blut. Nach katholischer Lehre ist auch die Abtreibung ein Werk des Teufels. Die Verhinderung der Geburt liegt in seinem Interesse. Da das abgetriebene Kind nicht getauft werden kann, hat es keine Chance, einen Platz im Himmel unter den Engeln zu -219-
bekommen. Der Ausdruck »Engelmacherin« ist daher ein Euphemismus, denn ungetaufte Kinder gelangen in die » Kinderhölle«, den limbus puerorum (siehe Fegefeuer). Auch dämonische Impotenz verhindert das Werk der Erlösung. Komplizierter zu beurteilen ist der nächtliche Samenabgang (Pollution), besonders bei Priestern. Der päpstliche Geheimkämmerer Egon von Petersdorff kommentiert: Geschieht die Pollution unfreiwillig, so kann der Geistliche am nächsten Morgen ohne Probleme die heilige Kommunion feiern. Hat er aber willentlich einer Verführung des Teufels nachgegeben, dann liegt eine Sünde vor. Auf diesem dämonischen Hintergrund der katholischen Sexualmoral stellt sich natürlich die Frage, ob der Zölibat im Sinn der Erlösung und Vollendung der Welt ist, denn wer die Fortpflanzung des Menschen verhindert, der schiebt das Ende der Welt hinaus: Ist nach dieser Logik die Ehelosigkeit der Priester nicht selbst ein Teufelswerk? Mitnichten, denn, so heißt es, durch ihr Gebet zeugen sie ja geistliche Kinder für das Himmelreich. Der homosexuelle Schriftsteller Julien Green (1900-1998) hat wie kein zweiter Autor des 20. Jahrhunderts die Welt von Sexualität, Glaube und Dämonie beschrieben: Das Kind schläft in einem Bettchen direkt neben der Zimmertür. Es erwacht mitten in der Nacht. Jemand hatte den Türknauf bewegt. Julien ist noch nicht einmal fünf Jahre alt. Viel Unbekanntes und Unverstandenes geschieht im Elternhaus. Er schläft sofort wieder ein und macht sich erst Gedanken über das Ereignis in der Nacht, als er am nächsten Morgen seine Schwestern Eleonore und Lucy über den Vorfall reden hört. Eltern und Schwestern hatten die Geräusche vernommen, obwohl sie in Nachbarzimmern schliefen. Während Julien sogleich wieder in den Schlaf gesunken war, hatten sie lange wach gelegen. Am Morgen wird das Unbekannte und Unbeachtete bedeutsam durch das Gespräch der Eltern und Schwestern. Kein Name fällt, nur eine Bemerkung, die signalisiert, daß alle Bescheid wissen. -220-
»Heute nacht haben sie es ganz schrecklich getrieben.« Ein Satz, mehr nicht. Keine Erklärungen. Die dunklen Mächte, die Julien bedrängen, sind anderer Natur. Kaum fünf Jahre alt, steht er in seinem Zimmer und weist mit dem Finger auf eine Ecke. Er glaubt sich unbeobachtet und spricht mit einer unsichtbaren Person in lautmalerischer Sprache. Wieder ist es nicht der Knabe, der mit Angst reagiert. Die Schwestern waren unbemerkte Zeugen des Gesprächs, hörten ihm eine Weile zu und verließen fluchtartig das Zimmer. Vom Teufel war noch nicht die Rede, und bevor Julien auf die Idee kam, seinen Namen ins namenlose Dunkel zu rufen, mußte etwas anderes geschehen. Wie üblich lag der Fünfjährige um sieben Uhr abends im Bett. Durch die geöffnete Tür drang schwaches Kerzenlicht ins Kinderzimmer, murmelnde Stimmen und zuweilen das Lachen der Mutter. In dieser Dämmerstunde ertasten die kleinen Hände den Körper, haben stilles Vergnügen an der Erforschung der unbekannten Region. Wieder stand ein unbemerkter Beobachter im Zimmer. Die Schwester Mary greift nach dem Betttuch, schlägt es bis zu den Füßen auf und ruft nach der Mutter. Diese erscheint mit dem Kerzenleuchter in der Hand, blickt auf ihren Sohn, der wie gebannt noch immer sein Glied umklammert hält. Das Kind versteht nichts, ist sich keiner Schuld bewußt. Schnell wird der Leuchter abgestellt, die geliebte Mutter rennt aus dem Raum und kommt mit einem langen Brotschneidemesser aus der Küche zurück. Inzwischen hat sich auch die Köchin eingefunden. Sie kann ein Lachen kaum unterdrücken, die Schwestern murmeln, der Knabe bricht in Tränen aus, die Mutter schwingt das Messer und schreit: »I'll cut it off!« Dann beruhigen sich alle. Der unsichtbare Schnitt in der Seele des Fünfjährigen sitzt tief. Viele Jahre später, bald ein halbes Jahrhundert nach dem Tod der Mutter, will es dem Dichter scheinen, als sei sie durch hellseherische Gabe zu dem übertriebenen Verhalten verleitet -221-
worden. Nicht das Spiel mit dem eigenen Leib habe sie empört und das Messer aus der Küche holen lassen, sondern der Blick auf die im Unsichtbaren verborgene Zukunft. Die Kastrationsdrohung galt den erotischen Leidenschaften des Kindes, das erst fünfzehn Jahre später die homosexuelle Neigung an sich entdecken sollte, die in jener Nacht vor den inneren Augen der Mutter gestanden haben mußte. Die Nacht des langen Messers ist die Geburtsstunde eines Lebensthemas. In ihr entdeckt Julien Green die Dämonie der Geschlechtlichkeit, die sein Werk in vielen Gestalten beschwört und die er mit seiner Konversion zum Katholizismus vergeblich zu bannen suchte. Das Unsichtbare, das Verbotene, das Geschlechtliche und die starke Mutterliebe verschmolzen zu einer dunklen Macht. Sie hatte noch keinen Namen, wohl aber einen Wohnort. Das süße Grauen verbarg sich im großen Wandschrank der Mutter. Kinder lieben geräumige Kleiderschränke, die so weit sind, daß man in sie wie in einen zweiten Mutterleib hineinkriechen kann. Julien, nun sieben Jahre alt, steht vor dem geöffneten Kleiderschrank der Mutter. Schwarz und tief ist er. Unwiderstehliche Neugierde zieht den Knaben an. Er wagt nicht, einzutreten und die dichtgedrängten Kleidungsstücke zur Seite zu schieben, um das verborgene Geheimnis zu schauen. Mit klopfendem Herzen ruft er den Teufel an. Wie kam er auf die Idee, der Teufel wohne im Kleiderschrank der Mutter? Er wusste es nicht. Die Angst vor der Kastration saß noch in seiner Seele, der Zwang, immer wieder den Kleiderschrank der Mutter zu öffnen, mochte Ausdruck einer erotischen Neigung sein. Die Beschwörung des Teufels steht in einem untergründigen Zusammenhang mit der verbotenen Mutterliebe. Dreimal hatte der Siebenjährige mit klopfendem Herzen den Teufel angerufen, »und daraufhin trat das Unvergeßliche ein. Die Kleider bewegten sich. Sie schoben sich sacht auseinander, um jemandem Durchgang zu gewähren.« Wer war es? Der -222-
Teufel? »Heute bedauere ich, daß ich niemals den Mut fand, abzuwarten, anstatt laut schreiend davonzustürzen.« Julien flüchtete sich in die Arme der Mutter. Seine Schwestern kommentierten, der Bruder habe sicher wieder Gesichte gehabt. Es waren aber keine visuellen Eindrücke. Die Kleider hatten sich geteilt, dann war Julien geflohen, weil er glaubte, den Anblick nicht ertragen zu können. Jahrzehnte später, als sich der Dichter dieser Urszene erinnert, greift unaussprechliches Grauen wieder nach ihm. Kein Zweifel, daß da etwas im Kleiderschrank der Mutter war und ans Licht treten wollte. Sieben Jahre später zieht der Teufel aus dem Kleiderschrank der Mutter aus und wohnt im Zimmer des pubertierenden Knaben. Der Dämon des Geschlechts tyrannisiert ihn. Unter der Bettdecke wiederholen sich die frühen Spiele der Kindheit. Jetzt droht keine Mutter mit dem wellengeschliffenen Brotmesser, jetzt blickt ein sittenstrenger Christus vom Kreuz auf den Jüngling hinab. Täglich spricht Julien noch immer das Abendgebet und liest ein Kapitel aus der Bibel. Alle Liebe gilt Christus, doch unten in seinem Körper hat der Dämon sein lüsternes Streitlager errichtet. Julien haßt die Macht des Geschlechts, beugt sich ihr aber und nimmt in der Stunde des Dämons das Kruzifix von der Wand. »Wenn ic h jedoch, wie ein Ermordeter auf mein Bett hingestreckt, das Böse tat, so unterlag ich einer Art von Zauber, der von dem schwarzen Engel ausging.« Der schwarze Engel der Onanie hatte bald das gesamte Zimmer erobert. Mit dem Geschlecht regt sich in dem jungen Mann der literarische Trieb. Er beginnt, eine Geschichte Frankreichs zu schreiben, allerdings nicht an seinem eigenen Schreibtisch, denn »dieser Raum war für mich zu sehr vom Bösen heimgesucht«. Das literarische Werk entsteht im sonnendurchfluteten Zimmer der Mutter. Hier fühlt sich Julien sicher vor sich selbst.
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Spukorte Zu jedem Schloß in Schottland und zu jedem Schauderroman gehört ein Gespenst. Doch auch im Kinderbuch, in den Geisterbahnen der Jahrmärkte und auf Hörspielkassetten spukt es mächtig. Die Anwesenheit eines Gespenstes spüren wir an unserer Reaktion. Wo sich diese Geister aufhalten, da wird es unheimlich. Wir bekommen eine Gänsehaut, die Nackenhaare sträuben sich. Beliebte Spukorte sind Keller, Dachböden, Friedhöfe, Mordstätten, Kreuzwege und Ruinen. Spukorte können in drei Kategorien eingeteilt werden: 1. Sie sind Erfindungen der Filmemacher, Schriftsteller und Märchenerzähler. Echte Geister gibt es nicht, also kann es auch keine echten Spukorte geben. Dennoch überfällt viele Menschen ein Gruseln. Dies hat psychologische Ursachen. 2. Spukorte sind Stätten, wo sich Poltergeister (siehe dort) oder Elementargeister (siehe dort) aufhalten. Am besten meidet man sie, um keinen Ärger zu bekommen. Auch sollte man nachts nicht mehr durch Wald und Heide wandern, denn plötzlich kann sich die ganze Landschaft in einen Spukort verwandeln. Die Sagen berichten von Kobolden, die dem Wanderer auf Schulter oder Rücken springen und ihn bis zum Morgengrauen quälen. Diese Druckgeister oder Aufhocker verschwinden jedoch beim ersten Glockenläuten. 3. Spukorte sind »Besessene Ort« (loca infesta), wo der Teufel und die Dämonen ihr Unwesen treiben. Nur die echten besessenen Orte können dem Menschen wirklich gefährlich werden, denn hier sucht der Teufel nach neuen Opfern. Meist kehrt er dazu an Stätten zurück, wo er schon einmal Erfolg gehabt hat. Noch bis weit in das 19.Jahrhundert galt der Gipfel des Brocken als ein solcher Spukort, weshalb man seine Besteigung mied. Besessene Orte sind also Spukorte, wo Menschen einen Pakt mit dem Teufel -224-
geschlossen haben oder in anderer Weise den Dämonen dienten. Zu den loca infesta gehören auch Wüsten, abgelegene Orte, leer stehende Gebäude, Höhlen und vor allen Dingen katholische Pfarrhäuser und Klöster. Wo der Mensch eine Kirche errichtet, da baut der Teufel eine Kapelle daneben, heißt es im Sprichwort. Gerade Priester, Mönche und Nonnen sind den Nachstellungen des Teufels ausgesetzt (siehe Versuchungen). Viele Pfarrhäuser sind daher Spukhäuser, wie das Beispiel des Pfarrers von Ars zeigt. Über 35 Jahre dauerte der Teufelsspuk in seinem Pfarrhaus. Der Satan warf Stühle um, schob Zimmermöbel hin und her und heulte wie ein Tier. Auch Don Bosco, Begründer des Salesianer-Ordens, wurde immer wieder vom Teufelsspuk angegriffen. Als er die Ordensregel niederschrieb, kam der Teufel und warf das Tintenfass um. Die Geschichte der Heiligen ist voller Spukerfahrung. Dem Laien stellen sich natürlich viele Fragen. Auch die, warum Heilige, wie der Pfarrer von Ars, nicht einfach ein anderes Haus bezo gen haben. Der Grund liegt im Wesen des Spuks. Neben dem ortsgebundenen Spuk gibt es einen personengebundenen Spuk. In diesem Fall ist es völlig sinnlos, den Spukort zu verlassen, denn der Teufel weicht nicht von der Person. Niemand ist jedoch dem Spuk ohnmächtig ausgeliefert. Psychologie und Parapsychologie bieten eine Hilfe bei der Aufklärung an. Wenn der Spuk aber echt dämonischen Ursprungs ist, helfen auch sie nicht weiter. Als bewährtes Mittel gegen die böse Aura von Spukorten hat sich zu allen Zeiten das Gebet (siehe dort) bewährt.
Sündenbock Wenn jemand zum Sündenbock für die Schuld anderer Menschen gemacht wird, dann ist das eine üble Sache. Jede Lehrerin und jede Mutter, die erlebt, wie ihr Kind zum -225-
Sündenbock gemacht wird, schreitet sofort ein. Ursprünglich bezeichnete der Sündenbock ein Opfertier, durch dessen Tod die Schuld des Menschen vor Gott gesühnt wurde. Der Sündenbock ist eine jüdische Erfindung. Er gehört seit uralter Zeit zu den Riten des Versöhnungstages. Wie Juden mit Sündenböcken umgehen, das ist im Buch Leviticus (16.5-10) nachzulesen. Am Versöhnungstag werden zwei Ziegenböcke als Opfertiere ausgesucht. Einer wird Gott direkt geopfert, ein anderer bekommt symbolisch alle Sünden aufgeladen und wird dann in die Wüste getrieben. Dort haust der Dämon Asasel. Er war einer der Anführer unter den gefallenen Engeln. Ihm wurde der Sündenbock zum Fraß geschickt. Dieses Opfer für den Dämon läßt Rückschlüsse auf die Macht zu, die man ihm beimaß, denn warum sollte man dem Asasel sonst ein Opfer darbringen? Die Vorstellung, daß der Mensch seine Schuld vor Gott nicht aus eigener Kraft sühnen kann, hat auch das Christentum beeinflusst. Hier wird Christus zum Sündenbock. Er ist das »Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt«. Auch sein Opfer ist eine Art Unterpfand für die Dämonen. Zugleich markiert es das Ende aller Sündenböcke, denn durch das Opfer Christi gilt die Sünde als gesühnt. Er ist der neue Adam. Die Folgen des Engelsturzes (siehe dort) und des Sündenfalls (siehe dort) sind durch ihn aufgehoben.
Sündenfall Wie Mutter und Kind, so bildeten Gott und Mensch ursprünglich eine Einheit. Nach dem Paradiesmythos der Bibel wurde der Mensch aus »Erde vom Acker« geschaffen. Der Mensch (hebräisch: Adam) wurde aus Erde (hebräisch: adama) gemacht. Das ist mehr als ein Wortspiel. Damit wird angedeutet: Der Mensch ist ein Kind der Erde. Doch in ihm ist auch der -226-
»Odem des Lebens«, die Seele. Gott setzte den Menschen zum Herrscher über die Tiere ein und gab ihm damit eine besondere Verantwortung. Er wies ihm aber ebenso eine deutliche Grenze: Alles gehörte ihm, nur nicht die heilige Lebensmitte, wo die beiden Bäume standen, der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Der Teufel tritt in Gestalt einer Schlange auf den Plan. Im Gegensatz zu allen anderen Tieren kann sie sprechen. Mit Gott und dem Menschen teilt sie das Geheimnis der Sprache. Sie lockt Wünsche hervor, sie spricht die geheimen Sehnsüchte an. Sie bringt die Welt des Gartens Eden durcheinander. Sie verführt Eva und Adam zum offenen Widerspruch gegen Gott. So kommt es zum Sündenfall. Nach dem Engelsturz (siehe dort) ist der Sündenfall das folgenreichste Ereignis der Urgeschichte. Durch ihn kommt das Böse in die Welt. Was ist die Sünde? Der mittelalterliche Theologe Petrus Lombardus lehrte: »Vor dem Sündenfall hinderte den Menschen nichts am Guten und nichts trieb ihn zum Bösen an.« Thomas von Aquin begründet diesen Zustand der Harmonie zwischen Gott, Mensch und Natur: »Denn die Gnade wirkte überreich, da sie in der menschliche n Natur keinen Widerstand fand.« Wie konnte es dennoch zum Sündenfall kommen? Wer war schuld am Sündenfall? Gott, weil er den Menschen geschaffen hatte? Der Teufel, weil er den Menschen verführte? Die klassische Antwort der Theologen lautet: Der Mensch hat die Freiheit, zwischen dem Guten und dem Bösen zu wählen. Die Fähigkeit zur Sünde ist eine Folge der Freiheit. Der Mensch ist also allein schuld am Sündenfall. Wo kommt die Schlange her? Was sind ihre Absichten? Das Motiv des Teufels ergibt sich aus der Engelsünde. Er hatte aus Neid (invidia diaboli) offen gegen Gott rebelliert. So kam es zum Engelsturz und seiner Verbannung aus den himmlischen Chören der Engel. Nun wollte er verhindern, daß die Menschen eines Tages die freien Plätze der Engel im Himmel einnehmen -227-
werden. Warum der Teufel zuerst Eva verführte, das erklärt Thomas von Aquin so: »Das Weib diente ihm nur als Werkzeug zur Verführung des Mannes, weil das Weib, schwächer als der Mann, leichter verführt werden konnte.« Der Sündenfall des Menschen ist also eine Wiederholung des Sündenfalls der Engel. Beide haben weitreichende Folgen. Die gefallenen Engel werden für alle Zeit fern von Gott leben müssen. Ihre Sünde kann nicht vergeben werden. Der Sündenfall des Menschen hatte die Erbsünde zur Folge, mit der seit Adam und Eva jedes Neugeborene belastet ist. Allerdings gibt es für die Sünde der Menschen eine Sühne. Nach christlicher Lehre wurde diese durch das Sühnopfer Christi vollbracht. In den Sakramenten, besonders dem Taufsakrament, kann der Mensch an diesem Opfer Anteil haben. Ein großes Problem unter den Theologen war die Erörterung der Frage, wie weit die Folge der Erbsünde reichte. Hatte sie die ursprünglich gute Natur des Menschen vollständig zerstört? War der Mensch noch fähig, Gutes zu tun? In der Beantwortung dieser Frage unterscheiden sich evangelische und katholische Christen grundlegend. Da Katholiken die Bedeutung der Kirche und der Sakramente besonders betonen, haben sie eine mildere Auffassung von den Folgen des Sündenfalls. Die ursprünglich gute Natur wurde nicht verändert, sondern nur verwundet, lehrte Thomas von Aquin. Auch nach dem Sündenfall sind die Menschen nicht von Gott verlassen. In ihnen schlummern noch eine natürliche Liebe zum Schöpfer und die Fähigkeit, Gott zu erkennen durch die Stimme des Gewissens und das Licht der Vernunft (»lumen naturale«). Anders sah es Augustinus. Für ihn war die gesamte Menschheit in der Folge von Adams und Evas Sündenfall gänzlich verdorben und verdammt (»massa damnata«). Die Geschichte vom Sündenfall wird immer wieder mit dem Verzehr eines Apfels in Verbindung gebracht. Der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen war jedoch kein -228-
Apfelbaum, wohl eher ein Feigenbaum, denn unmittelbar nach dem Sündenfall bedecken Adam und Eva ihre Blöße mit Schürzen aus Feigenblättern (Genesis 3.7). Die weitverbreitete Vorstellung von einem Apfelbaum ergab sich durch eine Stelle aus dem Hohenlied Salomos, wo es heißt: »Unter dem Apfelbaum weckte ich dich«. (Hohelied 8.5) Daß sich der Teufel in der Schlange verbirgt, ist gleichfalls dem Text nicht unmittelbar zu entnehmen. Doch hat kein Kirchenvater diese Deutung auch nur ansatzweise bestritten. Für Augustinus war durch das Neue Testament mehrfach bewiesen, daß der Teufel von Menschen und Tieren (siehe Besessenheit) Besitz nehmen konnte. Warum sollte er nicht auch in Gestalt einer Schlange erscheinen können? Auch eine andere Stelle der Bibel gab Anlass zu Spekulationen. Gott hatte nach dem Sündenfall von einer Feindschaft zwischen Mensch und Schlange gesprochen. Der Mensch werde mit dem Fuß nach der Schlange treten (Genesis 3.15). Diesem Wort entnahmen Theologen den Hinweis auf die zukünftige Erlösung, eine erste frohe Botschaft von der Sündenvergebung. Deshalb sprach man auch von dem ersten Evangelium oder Proto-Evangelium und einer »glücklichen Schuld«, der »felix culpa«. Die Verheißung des Schlangentreters bezog Martin Luther auf die Erlösung durch Christus. Ihm folgten der Engel Michael (siehe dort) und der Heilige Georg (siehe dort). Im Katholizismus wird Maria als Schlangenzertreterin dargestellt. In jedem Fall aber, so lehrt Anselm von Canterbury, verlangte die Ursünde der ersten Menschen eine Sühne (Satisfaktionslehre). Die Folgen des Sündenfalls waren jedoch so gewaltig, daß kein Mensch sie aufheben konnte. Sie betrafen auch die himmlische Ordnung, denn nach dem Sündenfall konnten die leeren Plätze der gefallenen Engel im Himmel nicht mehr besetzt werden. Deshalb konnte das Problem letztlich nur durch Gott allein gelöst werden. Er schickte Jesus Christus (siehe dort) auf die Erde, um dieses Sühnopfer zu erbringen. -229-
Verständlich, daß mit dem Erscheinen Jesu auch der Satan wieder auf den Plan tritt, denn es ist sein ureigenes Interesse, die Erlösung von der Sünde und damit die Wiederherstellung der himmlischen Ordnung zu verhindern. Daß diese Versuche alle scheitern werden, ist unbestrittene christliche Glaubenslehre.
Sündenstufen Nicht jede Sünde wiegt gleich schwer. Es gibt läßliche Sünden und die Todsünden: Hochmut, Neid, Maßlosigkeit, Wollust, Zorn, Habgier und Trägheit. Läßliche Sünden sind »heilbar« (curabile, remediabile), Todsünden werden mit ewiger Höllenstrafe geahndet. Zur genauen Unterscheidung der Verfehlungen entwickelten Augustinus und Bernhard von Clairvaux Sündenstufenlehren. Die fünf Sündenstufen (modi peccati) lauten: 1. Verführung zur Sünde (suggestio) 2. Gefallen finden an der Sünde (delectatio) 3. Zustimmung zur Sünde (consensus) 4. Vollbringen der Sünde (opus oder factum) 5. Gewohnheitssünde (consuetudo). Die Unterscheidung zwischen läßlicher Sünde (peccatum veniale) und Todsünde (peccatum mortale) vollzieht sich nach der zweiten Stufe. Noch nicht das sündige Tun, sondern erst die Zustimmung zur Sünde haben die Höllenstrafe zur Folge. In mittelalterlichen Kommentaren wird die Wirkung der Sünde immer wieder mit dem Feuer verglichen und die Seele mit einem Stück Holz. »Der Teufel entzündet das dürre Holz und schwärzt es zunächst mit der suggestio. Dann entflammt es aus der delectatio. Dann erglüht es wie Zunder aus dem consensus. Dann wird es zu Asche durch das opus. Die Asche wird durchfeuchtet von der consuetudo. So wird der Mensch in einen -230-
einfachen Schmutz verwandelt.« Die Sündenstufen sind ein Gegenbild zu jener Himmelsleiter, von der einst Jakob träumte. Die Leiter der Tugend führt in den Himmel, die Leiter der Sünden in die Hölle. Beide Leitern oder Stufenfolgen sind ein Bild für den Lebensweg. Sie rufen zu einer Entscheidung für das Gute oder das Böse. Himmel oder Hölle liegen in unserer Hand.
Taufe Kinder werden heute nicht mehr »automatisch« getauft, nur weil es der Brauch so will. Eltern haben sich bewußt für die Taufe ihres Kindes entschieden. Aber wissen sie eigentlich, was sie tun? Ahnen sie, daß sie ihr Kind einer Art Teufelsaustreibung aussetzen? »Darum solltest Du bedenken, wie sehr es kein Scherz ist, gegen den Teufel zu handeln und diesen durch die Taufe nicht nur von dem Kind wegzujagen,... sondern es auch stärke, daß es gegen ihn ritterlich im Leben und Sterben bestehen möge«, schrieb Martin Luther in seinem »Taufbüchlein«. Immer, wenn Luther unter Anfechtungen, Zweifeln und Ängsten litt und wenn er die Gegenwart des Schwarzen zu spüren meinte, dann berief er sich auf seine eigene Taufe: Ich bin ein getauftes Kind Gottes! Ich stehe unter dem Schutz Christi! Als Bonifatius in Germanien missionierte, gehörte zum Ritual der Taufe auch eine Absage an die alten Götter Wotan, Donar und Saxnot. In dem altsächsischen Taufbekenntnis werden sie als Teufel bezeichnet. Das sehen wir heute mit anderen Augen. Man muß die Vergangenheit mit ihren Göttern nicht gleich verteufeln, wenn eine neue Zeit beginnt. Doch dem Feind des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zu widerstehen, bleibt ein Leben lang unsere Aufgabe. Mit der Taufe ist der Anfang gemacht. »Sie wirkt Vergebung der Sünden, erlöst vom Tode -231-
und Teufel«, schreibt Luther in seinem »Kleinen Katechismus«.
Teufelspakt Einer der vielen sprechenden Namen des Teufels lautet »Der alles durcheinanderbringt« (Diabolus). Der Teufel ist ein Sohn des Chaos. Doch in der Buchführung ist er äußerst penibel wie ein Beamter. Ohne Vertragsbasis arbeitet Satan mit niemandem zusammen. Warum schließen Menschen einen Vertrag mit dem Teufel? Und welche Vorteile sieht der Teufel seinerseits in einem Vertrag mit dem Menschen? Das Wesen des Teufelspaktes erklärt sich aus der Rolle des gefallenen Engels. Satan und seine Engel waren aus dem Himmel verstoßen worden. Ihre Plätze in den himmlischen Rängen sollten durch gläubige Menschen ersetzt werden. Daß Satan dies aus Eifersucht verhindern will, leuchtet ein. Sein Interesse am Teufelspakt besteht darin, Menschen zu sich in die Hölle hinabzuziehen. Als Urbild aller Teufelspakte gilt die Verführung von Eva und Adam im Paradies (siehe Sündenfall). Gegenstand des Paktes ist die menschliche Seele. Der Mensch erhält als Gegenleistung alles, was der Teufel zu bieten hat: Erkenntnisse, materiellen Wohlstand, schöne Frauen (bzw. Männer) und sexuelle Freuden, Erfolg im Beruf und Ansehen unter den Menschen. Bei diesem Angebot merkt man gleich, wer potentieller Kandidat oder Kandidatin für einen Teufelspakt ist: alle Menschen, die nicht ernsthaft daran glauben können, daß sie eines Tages unter den Engeln weilen werden, denn nur sie würden einen ewigen Platz im Himmel gegen das zeitliche materielle Gut tauschen. Der Kern des Teufelspaktes ist folglich der Glaubenszweifel oder der Abfall vom Glauben (Apostasie). Nur ein Ungläubiger käme auf die Idee, das ewige Gut gegen ein zeitliches einzutauschen. Einmal unterzeichnet, kann ein Teufelspakt auch nicht einfach -232-
widerrufen werden. Auch darin unterscheidet er sich nicht von anderen weltlichen Verträgen. Der Vertrag ist bindend. Nur durch Reue, Buße und eine Bekehrung kann die Seele gerettet werden. Diesen Vorgang beschreibt die Theophilus-Legende aus dem 6. Jahrhundert. Unter Abschwörung der Muttergo ttes und Christi schließt Theophilus einen Teufelspakt. Später reut ihn die Tat, und durch Buße und Vermittlung der Muttergottes bekehrt er sich und erhält den Vertrag wieder ausgehändigt. Die Theophilus-Legende wurde ein Vorbild der Faustsage. Ohne Widerruf des Paktes kann es keine Erlösung geben! Das ist katholische Lehre. Goethe war da anderer Meinung. Sein Faust (siehe dort) wird ohne Widerruf unter die himmlischen Chöre der Engel gehoben. Die Lehre vom Teufelspakt ist keine Erfindung des Mittelalters. Schon Augustinus (354-430) führte sämtliche magischen Bräuche auf ihn zurück. Thomas von Aquin (12251274) entwickelte Augustinus' Lehre. Er unterschied zwischen einem ausdrücklichen (pacta expressa) und einem stillschweigenden (pacta tacita) Teufelspakt. Der Pakt konnte mit Blut unterschrieben und durch einen »Steißkuß« besiegelt werden. Wie bei der schwarzen Messe (siehe dort) gehörte die Verunglimpfung christlicher Bräuche zum Ritual des Teufelspaktes: Das Kreuz Christi wurde getreten oder bespuckt, man schwor dem Glauben ab und ließ sich auf den Namen des Teufels taufen. Des Teufels Gegengabe waren materieller Gewinn und sexuelle Vergnügungen. Besonders deutsche Hexen (siehe dort) bevorzugten diese Art der Vertragsunterzeichnung in der Walpurgisnacht (30. April) bei ihrem jährlichen Treffen mit dem Teufel. Auf dem Brocken oder Blocksberg wurden dem Teufel auch die »Novizinnen« vorgeführt und mit ihnen der Hexensabbat gefeiert.
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Das große Tier Der Satanist Aleister Crowley nannte sich »Das große Tier«. Dieses Ungeheuer ist aus der Apokalypse des Johannes (siehe dort) bekannt. Auf dem Haupt trägt es sieben Häupter und zehn Hörner. Jedes Horn ist mit einer Krone geschmückt. Auf den Häuptern befinden sich Tätowierungen mit gotteslästerlichen Namen. Das große Tier ist ein Mischwesen. Es untersteht dem Teufel (Apokalypse 13.1-18). Wie Hitler einen Goebbels, so hat auch das große Tier einen »Reichspropagandaminister«, den Antichristen (siehe dort) oder falschen Propheten. Alle Menschen müssen »die Zahl des Tieres« (Apokalypse 13.18) gut sichtbar tragen. Die Zahl ist 666 (siehe dort). Das große Tier ist ein großer Volksverhetzer. Ziel seines satanischen Auftrags ist die Verführung zum Glaubensabfall (Apostasie). Dazu bedient es sich magischer Kräfte und diktatorischer Gewaltausübung. Sein Schicksal wird das ewige Feuer der Hölle (Apokalypse 20.10) sein. Bis dahin taucht es wie in der Gestalt Crowleys als Wiedergänger (siehe dort) auf.
Vampire Vampire gibt es als fruchtige Mischung von Lakritz und Weingummi der Firma Haribo. Die Abenteuer des kleinen Vampirs sind ein beliebtes Kinderbuch. Vampire geistern auch durch zahlreiche Filme. »Nosferatu - Eine Sinfonie des Grauens« (1922) von Friedrich Murnau, die Parodie »Tanz der Vampire« (1967) von Roman Polanski oder Werner Herzogs »Nosferatu - Phantom der Nacht« (1978) bilden in dieser Reihe wichtige Stationen. Doch existieren diese Blutsauger und Untoten (Nosferat) außerhalb der menschlichen Fantasie -234-
wirklich? Im Bild des Vampirs mischen sich uralte Motive von Teufeln, Wiedergängern (siehe dort) und anderen Untoten mit Nachrichten über den blutrünstigen Grafen Vlad (1431-1477), dem man den Beinamen Tepes (der Pfähler) gab. Vlad Tepes war Vojevode in der ungarischen Walachei. Im Krieg schlug er die Türken und Bulgaren erfolgreich und spießte sie auf Pfähle. Als Mehmed der Eroberer die Hauptstadt der Walachei stürmen wollte, mußte er eine halbe Stunde lang an über 20000 Gepfählten vorbeiziehen. Da verließ ihn der Mut. Doch nicht nur Türken und Bulgaren lehrte Vlad Tepes das Gruseln. Jeder, der sich nicht seinem diktatorischen Willen fügte, wurde mit dem Anus auf einen Pfahl gespießt, wo er langsam und unter grausamen Qualen starb. Die Leichen wurden ein Fraß der Vögel. Bekannter ist der Massenmörder mit dem Namen Dracula. Vlad Tepes' Vater wurde 1431 von Kaiser Sigismund in den Drachen-Orden berufen. Daher trug er den Titel »der Drache«. Dracula ist die Verkleinerungsform von Dracul. Vlad Tepes, der Sohn, war also der »kleine Drache«. In seinem Roman »Dracula« (1897) mischt Bram Stoker (1847-1912) geschichtliche Informationen über Dracula mit dem alten Glauben an Wiedergänger. So entsteht die Figur des Vampirs. Vampire sind seelenlose Blutsauger und wollen immer nur das Eine: Blut, den roten Saft des Lebens. Warum sie so grenzenlos durstig nach Blut sind, das erklärt sich aus einer alten Vorstellung des Judentums, nach der die Seele des Menschen ihren Sitz im Blut hat (Deuteronomium 12.23). Aus diesem Grund lehnen beispielsweise die Zeugen Jehovas im Krankheitsfall eine Bluttransfusion ab. Das Wort »Vampir« soll makedonischen Ursprungs sein. Aus »opyr« (fliegendes Wesen) wurde in den slawischen Sprachen »vanpir«. 1725 taucht in der deutschen Sprache zum ersten Mal das Wort »Vanpiri« auf. Vor Bram Stokers Roman »Dracula« verstand ma n unter Vampiren -235-
ausschließlich blutsaugende Wiedergänger, die nachts ihre Gräber verließen. Seit Bram Stoker gelten zur Unterscheidung zwischen gefallenen Engeln und Vampiren drei Merkmale: 1. Vampire sind sterblich. 2. Sie wurden nicht wie die Engel vor den Menschen geschaffen. 3. Sie unterstehen nicht der Herrschaft des Teufels. Auf der anderen Seite teilen sie wesentliche Charakterzüge mit den gefallenen Engeln: 1. Zwar sind sie sexuell aktiv, doch unfruchtbar. 2. Ihr Körper ist kalt, weil blutleer. 3. Sie reagieren äußerst empfindlich auf alle geweihten Gegenstände wie Kruzifixe oder Hostien. 4. Sie geben niemals ihren bösen Willen auf und lassen sich nicht bekehren. Vampire sind auch ein Spiegel des Unerlösten in jeder menschlichen Seele. Deshalb macht sie der vierte Charakterzug zu einem Grenzfall der menschlichen Selbsterkundung, denn in jedem Menschen, auch dem größten Verbrecher, dürfte wohl tief unten in der Seele die Sehnsucht nach Liebe und Versöhnung schlummern. Teufel und Vampire aber lassen sich nicht bekehren. Wohl deshalb beschäftigen sie unsere Fantasie. In ihnen bricht der Abgrund auf, aus dessen Tiefe die Bilder von Menschenschändern wie Vlad Tepes, Hitler oder Stalin leuchten. Im Gegensatz zu den Hexen (siehe dort) und Magiern (siehe Magie), die freiwillig einen Teufelspakt (siehe dort) geschlossen haben, sind die Opfer des Vampirismus völlig unschuldig. Der Biss des Vampirs kommt wie der Dieb in der Nacht ohne Vorwarnung. Wenn ein Mensch von einem Blutsauger gebissen wurde, verwandelt er sich selbst in einen Vampir. Auf Erden ist dieses unschuldige Opfer verloren, für den Himmel jedoch keineswegs, wenn es gelingt, die Seele zu retten, bevor sie sich restlos aufgelöst hat. Die Methode zur Seelenrettung erscheint uns jedoch als äußerst brutal: Dem schlafenden Vampir wird ein Holzpfahl durch das Herz getrieben. Anschließend werden der Leichnam geköpft und der Mund mit Knoblauch gefüllt. -236-
Versöhnung Durch den Sündenfall (siehe dort) war das Verhältnis zwischen Gott und Mensch schwer belastet worden. Doch das ist alles Vergangenheit, denn durch Christus sind Gott und Mensch wieder versöhnt worden. Jetzt stehen die Pforten des Himmels offen. Für jeden? Nein. Die Bibel spricht immer wieder von dem ewigen Feuer der Hölle (siehe dort), als Strafe für die gefallenen Engel. Der Kirchenvater Origenes (185-254) war da anderer Meinung. Er glaubte, daß Christus noch ein zweites Mal auf die Erde kommen werde, um die gefallenen Engel zu erlösen. Am Ende der Zeiten werden Gott, Engel und Mensch wieder in Harmonie miteinander leben. Seine Lehre ist unter dem Begriff »Wiederherstellung aller Dinge« (Apokatastasis panton) bekannt geworden und gehört zu den großen Utopien der Menschheit. Gott hat alles gut geschaffen, so lautet der Grundsatz aller Juden, Christen und Muslime. Gott wird alles Böse zum Guten wenden, das glaubte Origenes. Seine Lehre wurde jedoch 543 auf der Synode von Konstantinopel mit dem Verdammungsurteil (Anathema) belegt.
Versuchungen Folgt man der Darstellung des Lukas (4.1-13), so wurde Jesus direkt nach seiner Taufe vom Heiligen Geist in die Wüste geführt. Niemand hielt sich in dieser Todeswelt freiwillig auf. In der Wüste heulten die Schakale und Dämonen, in die Wüste wurde der Sündenbock getrieben. Aber die Wüste war auch der Ort der Läuterung. Vierzig Jahre hatte Moses das erwählte Volk durch den Sinai geführt, damit es mit gereinigter Seele das gelobte Land beträte. Es war eindeutig Gottes Wille, daß sich Jesus hier aufhielt. Welche Motive dabei eine Rolle -237-
spielten, das wird nicht mitgeteilt. Warum wird der Sohn Gottes vom Teufel versucht? Auch diese Stelle der Bibel gehört zu den großen Geheimnissen der Offenbarung, die keine Gelehrsamkeit vollständig erhellen kann. Soviel aber wird deutlich: Lukas hat nicht irgendeinen kleinen Teufel vor Augen, sondern den Herrn der Welt. Die Welt ist des Teufels, und Jesus ist gekommen, der Herrschaft des Teufels ein Ende zu bereiten. Das ist aber offensichtlich nicht in einem einmaligen Kampf möglich. Johannes der Täufer hatte seiner Gemeinde am Jordan Jesu Kommen mit drastischen Worten angekündigt. Nicht der sanfte Prediger stand ihm vor Augen, sondern der Mann mit der Worfschaufel, der kommen werde, die Tenne zu fegen. Den Weizen werde er aufsammeln und in die himmlischen Kornkammern tragen, die nutzlose Spreu dagegen werde er im unauslöschlichen Feuer der Hölle verbrennen. Die Versuchung Jesu ist der Auftakt zum großen Werk der Trennung von Spreu und Weizen, das bis auf den heutigen Tag anhält. Nach der Begegnung in der Wüste wird Jesus in der Synagoge von Kafarnaum seine erste Teufelsaustreibung vornehmen (Lukas 4.33-35). Vierzig Tage und Nächte fastete Jesus in der Wüste. Dann wurde er vom Teufel versucht. Drei Angriffe hat Lukas mitgeteilt. Sie zeigen deutlich: Es geht jedesmal ums Ganze, um eine Verhinderung der Erlösung. Der Teufel versucht es auf zweierlei Weise. Zuerst fordert er Jesus auf: Besinne Dich auf Deine göttliche Natur! Bleibe, was Du bist, bleibe Gott, handle wie ein Gott! Was hungerst Du hier in der Wüste? »Bist du Gottes Sohn, so sprich zu diesem Stein, daß er Brot werde.« Jesus wird später einige Wunder dieser Art vollbringen, um den Ungläubigen Gottes Macht zu demonstrieren. Hier verweigert er sich. Nicht aus Bescheidenheit, und auch nicht, um zu beweisen, daß er frei von Hochmut oder Eitelkeit ist. Hier steht mehr auf dem Spiel: nämlich die Ernsthaftigkeit und Echtheit der -238-
Menschwerdung. Wenn der allmächtige Gott sich in einem echten Menschen - und nicht einem Scheinleib - hier auf Erden zeigt, dann macht dies nur Sinn, wenn es unter allen Umständen durchgehalten wird. Kein Mensch kann Steine in Brot verwandeln. Gott kann es. Für ein Wesen, das eine Welt aus dem Nichtsein ins Leben gerufen hat, wäre dies eine Kleinigkeit. Auch Gottes Sohn hätte auf solche Weise seinen Hunger stillen können. Aber dann wäre die Echtheit der Menschwerdung in Frage gestellt gewesen. Nichts Geringeres hat der Teufel im Sinn. Jesus sollte in der Wüste Gott spielen. Darin lag die erste Versuchung. Sie wiederholt sich am Kreuz, als Jesus aufgefordert wird, hinabzusteigen. Der Teufel gibt niemals auf. Man kann mit ihm keine Kompromisse schließen. Jesus wollte nicht Gott spielen, er wollte konsequent in allem Mensch sein. Irdisch sein unter den Bedingungen dieser Welt. Zum Leben in der Welt aber gehört das Versuchtsein. Deshalb wird Jesus versucht. In einer Zeitreise führt ihm der Teufel alle Reiche dieser Welt vor Augen und bietet ihm die Weltherrschaft an. »Alle diese Macht will ich dir geben und ihre Herrlichkeit; denn sie ist mir übergeben, und ich gebe sie, wem ich will.« Die Sache hat nur einen Haken: Jesus soll den Teufel anbeten, auf seine Seite treten, Gott und den Himmel verraten. Es ist ein Drahtseilakt in der Wüste. Spiele Gott!, so lautet der erste Akt. Sage Gott ab!, der zweite, und der dritte Akt ist überschrieben: Versuche Gott! Der Teufel führt Jesus auf eine Zinne des großen Tempels von Jerusalem, erinnert ihn an das Psalmwort von den Schutzengeln und fordert ihn auf, sich von dem Tempel in die Tiefe zu stürzen, sollte er tatsächlich Gottes Sohn sein. Jesus aber will weder Gott spielen, noch dem Teufel dienen, noch Gottes Macht im gewagten Luftsprung beweisen. Er will Mensch sein unter allen Bedingungen. So weicht der Teufel von ihm, nicht für immer, sondern wie Lukas ausdrücklich betont, nur »eine Zeit lang« (Lukas 4.13). -239-
Der Bericht von der dreifachen Versuchung Jesu hat zu Diskussionen darüber geführt, wie realistisch die Anfechtungen gewesen sein könnten. Johann Kaspar Lavater (1741-1801) deutete in seinen »Predigten über die Existenz des Teufels und seine Wirkungen« (1778) den Sinn der Versuchung Jesu als Aufhebung eines Erfahrungsmangels Gottes. »Das Haupt der Menschen, der Herr der Menschen sollte menschliche Versuchungen erfahren; erfahren, was die allerhöchste Gottheit in ihrer unbeschränkten allgegenwärtigen Wirksamkeit ohne Menschheit nicht erfahren kann.« Ein Gott, der am eigenen Leib erfahren hat, was es heißt, von Anfechtungen heimgesucht zu sein, wirke auf den Menschen vertrauensvoller als ein allmächtiger Herrscher. »Sie, die kranken sterblichen Menschen, brauchten nicht nur einen geschickten Arzt, sondern auch einen, der durch eigene Krankheitserfahrung zutrauenswürdig geworden wäre.« Das Wesen jeder Versuchung im christlichen Sinn bringt Lavater auf den Punkt, wenn er schreibt: »Satanische Versuchung ist das, was uns von Gott abführen will.« Alles, was von Gott wegführt, alles, was Zweifel, Zwietracht und Zorn ins Verhältnis des Menschen zu Gott sät, ist vom Teufel. Der Schweizer Gottesmann stellt keine konkreten Sündenkataloge auf, er sagt nicht: Dieses Verhalten ist vom Teufel, jenes nicht. Er denkt an Augustinus' großes Wort: »Liebe Gott, und tue, was Du willst!«, und bestimmt auf diesem Hintergrund das Wesen der Verführung und des Verführers. »Thu alles, was du willst; - wenn es dich auf keine Weise von Gott abführt; es ist keine Sünde. - Unterlass alles, alles, was dich von Gott abführt; und wenns noch so unschuldig, noch so erlaubt, noch so gut scheinen möchte; es ist Sünde, es ist Versuchung Satans, es ist Verderben.« In der Weitabgeschiedenheit eines Karmelklosters der Normandie wird die Wüstenerfahrung Jesu von einer vierundzwanzigjährigen Nonne gemacht. Thérèse von Lisieux erfährt drei Monate vor ihrem Tod (30. September 1897) die -240-
Nacht des Glaubens, in der ihr der Blick auf die himmlische Heimat verdunkelt wird. In einem Brief an Mutter Marie de Gonzague (Juni 1897) ringt sie um eine sprachliche Annäherung an diese im Letzten unsagbaren Versuchungen. »Doch plötzlich verdichten sich die Nebel um mich her, sie dringen in meine Seele ein und umhüllen sie derart, daß ich in ihr das liebliche Bild meiner Heimat nicht mehr wiederzufinden vermag, alles ist entschwunden! Suche ich Ruhe für mein durch all die Finsternisse ringsum ermattetes Herz in der Erinnerung an das lichtvolle Land, nach dem ich mich sehne, so verdoppelt sich meine Qual; die Stimme der Sünder annehmend, scheint die Finsternis mich zu verhöhnen und mir zuzurufen:›Du träumst von Licht, von einer mit lieblichsten Wohlgerüchen durchströmten Heimat, du träumst von dem ewigen Besitz des Schöpfers all dieser Wunderwerke, du wähnst eines Tages den Nebeln, die dich umfangen, zu entrinnen! Nur zu, nur zu, freu dich über den Tod, der dir gegeben wird. Nicht, was du erhoffst, sondern eine noch tiefere Nacht, die Nacht des Nichts.« Es ist der Teufel, der hier die Gläubige bedrängt. Noch hat das 20. Jahrhundert nicht begonnen, und doch wird in der Weltabgeschiedenheit der Klosterzelle die Stimme vernommen, die über dem kommenden Jahrhundert schweben wird und ruft: Gott ist eine Einbildung, der Himmel ist pures Wunschdenken! Religion ist Illusion! Wenn wir tot sind, sind wir tot. Was kommt? Nichts kommt! Es gibt keine Auferstehung! Das Grab war nicht leer! »Es ist eine bis zum Himmel ragende Mauer, die das gestirnte Firmament verdeckt«, so beschreibt Thérèse ihre Versuchung. »Manchmal freilich erhellt ein ganz kleiner Sonnenstrahl meine Finsternis, dann hört die Prüfung für einen Augenblick auf, aber nachträglich läßt die Erinnerung an diesen Lichtstrahl, statt mir Freude zu bereiten, meine Finsternis nur noch dichter werden.« Worin bestand die Versuchung der Heiligen Thérèse? Sie fühlte sich in ihrem Innersten angegriffen, sah den Kern ihrer -241-
Berufung in Frage gestellt. Noch vor ihrem Eintritt in den Orden hatte sie die Erfahrung gemacht, daß sie allein durch ihr Vertrauen auf das Gebet Menschen wie den dreifachen Mörder Pranzini für Gott und den Himmel gewinnen konnte. Der Karmeliterorden ist ein reiner Gebetsorden. Die Schwestern aus dem Karmel in Lisieux widmeten sich besonders dem Gebet für die Priester. »Für die Sünder beten, das begeisterte mich, aber für die Priester beten, von denen ich meinte, sie seien reiner als Kristall, das fand ich erstaunlich!«, erinnert sich Thérèse. Erst auf einer Romreise habe sie ihre Berufung zum Gebet für die Seelen der Priester verstanden. »Während eines Monats lebte ich mit vielen heiligmäßigen Priestern zusammen und sah, wenn ihre hohe Würde sie auch über die Engel erhebt, daß sie dennoch schwache und gebrechliche Menschen bleiben. Wenn nun heiligmäßige Priester, die Jesus im Evangelium›das Salz der Erde ‹nennt, in ihrem Verhalten zeigen, daß sie der Fürbitte dringend bedürfen, was soll man da erst von den lauen sagen? Hat Jesus nicht auch gesagt: ›Wenn aber das Salz schal wird, womit soll man es würzen?‹ «
Vorgeburtliches Trauma Keine Kindheit ohne Ängste. Diese sind auch ohne greifbaren Anlaß da. »Es hatte mir niemand von der kalten Hand erzählt«, erinnerte sich Golo Mann, »die innerhalb des Klosettbeckens auf mich lauerte, vielleicht mich gar herunterziehen würde; sie war ein Produkt ausschließlich der eigensten Phantasie des Drei- und Vierjährigen, und schon der würde sich geschämt haben, irgend jemandem seinen Kummer einzugestehen.« Kinder haben Angst vor der Dunkelheit, sie ängstigen sich, wenn ein enges Sweatshirt über den Kopf gezogen wird, sie haben Angst vor der Eisenbahnfahrt, vor Fahrstühlen und Tunneln. Sie haben Angst, -242-
daß die Eltern sterben oder vom Theaterbesuch nicht mehr nach Hause kommen. Ist der Grund solcher Ängste immer nur die Wiederholung der Angst, geboren zu werden? Wiederholt sich bei allen neurotischen Atembeschwerden wie Asthma, bei Migräneanfällen, bei Würgegefühlen im Hals, Luftnot, Verspannungen im Nacken und in den Schultern ein Leben lang das Trauma der Geburt? Kristina kam als kräftiges und gesundes Kind zur Welt. Das Neugeborene lehnte die Brust der Mutter ab. Eine Flasche mit Fertigmilch trank es ohne Probleme. Weitere Versuche, das Kind an die Mutterbrust zu legen, blieben erfolglos. Die Anekdote von Peter Fedor-Freybergh, einem bedeutenden Erforscher der vorgeburtlichen Lebenswelt, gibt keine Auskunft darüber, wer auf die Idee kam, Kristina an die Brust einer Amme zu legen, und was mit diesem Versuch bezweckt war. Das Neugeborene hatte keine Nahrungsprobleme, es war gesund und trank aus der Flasche. Aus unerfindlichen Gründen lehnte es die Brust der Mutter ab. Damit nun kann sich ein pränataler Psychologe nicht zufriedengeben, zumal wenn er die Entdeckung macht, daß Kristina mit aller Macht an der Brust einer Amme zu saugen beginnt. Warum lehnt das Kind die Muttermilch ab, die Milch einer anderen Frau dagegen nicht? Der Arzt gibt die Frage an Kristinas Mutter weiter. Wie jede Mutter weiß sie mehr, als sie zu wissen vorgibt. Sie könne das merkwürdige Verhalten ihrer Tochter nicht erklären. Krank sei sie während der Schwangerschaft nicht gewesen. Der Psychologe überlegt. Wenn Kristina so offensichtlich den Hautkontakt zur Mutter verweigert, hat dies vielleicht die Ursache darin, daß sich das Kind im Mutterleib abgelehnt gefühlt hat. Jetzt will er die Beziehungsebene klären und fragt Kristinas Mutter direkt: »Wollten Sie das Kind eigentlich?« Darf eine Mutter auf Fragen wie diese eine ehrliche Antwort geben? Kristinas Mutter sagt die nackte Wahrheit: »Nein, ich wollte abtreiben, aber mein Mann wollte das Kind. Deshalb -243-
habe ich es bekommen.« Und jetzt? Wie geht es weiter? Was rät der Spezialist für vorgeburtlichen Streß der jungen Mutter? Wie soll Kristina einst weiterleben, wenn sie erfährt, daß sie ein unerwünschtes Kind war? Die Frage stellt sich noch dringender im Fall der fünfundzwanzigjährigen Renate. Diese leidet unter Ängsten, Depressionen und Hitzewallungen. Kein Arzt kann die Ursache ihrer Leiden klären. Renate vermutet einen Zusammenhang mit dem Leben vor der Geburt. Sie besucht einen Therapeuten, der sie mit Hilfe von Hypnose in den Erlebnisraum vor der Geburt zurückführt. Glücks- und Schreckmomente aus den ersten neun Monaten des Lebens steigen aus der Tiefe der Seele empor. Renate erlebt die einzelnen Phasen ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung nach. Dann, als ihr Therapeut sie in den sechsten Monat ihres Werdens zurückversetzt, sind plötzlich die Symptome da, unter denen Renate leidet: Herzrasen, Hitzegefühl, Atemnot und der Drache auf ihrer Brust. Sie weint, schreit, glaubt sich an heißes Wasser zu erinnern. Der Hypnotherapeut führt Renate tiefer zurück in eine frühere Entwicklungsphase. Die Ängste verschwinden augenblicklich. Er führt sie über den sechsten Monat hinaus. Wieder ist Renate angstfrei. Nach dieser Umkreisung der traumatischen Erfahrung legt der Therapeut erneut den Finger auf die Wunde. Renate weint und schreit: »Es wird immer heißer, ich kann es nicht mehr ertragen, mein Herz rast immer mehr!« Zurückgeführt in den normalen Bewußtseinszustand, beginnt die Deutungsarbeit zwischen Renate und ihrem Therapeuten. Der Riss in Renates Leben ist entdeckt und damit die vermutliche Ursache ihrer quälenden Ängste. Irgend etwas Schreckliches ist passiert, als Renate noch im Mutterleib war. Heiß war es, und das Herz raste. Es war die Hölle. Bei Therapieformen dieser Art ist die Zusammenarbeit zwischen Kind und Mutter üblich. Das vom Kind erinnerte Leben vor der Geburt wird von der Mutter kommentiert oder mit ihrem -244-
Erlebnisbericht verglichen. In Renate hatte sich ein Erklärungsmuster für das böse Erlebnis gebildet. Sie war ein ungewolltes Kind, die Mutter hatte sie töten wollen! Ein ungeheurer Verdacht, doch der Leidensdruck war so groß, daß er in einem Telefonat mit der Mutter direkt geäußert wurde. Verschärfter stellt sich die alte Frage, ob eine ehrliche Antwort auf Fragen wie diese gegeben werden darf. Die Mutter zögert und gibt schließlich zu, mehrere Abtreibungsversuche unternommen zu haben, heiße Sitzbäder seien darunter gewesen. Die Wurzeln des Bösen, das Menschen erleiden oder anderen Menschen zufügen, reichen tief hinab in die Geschichte unserer Herkunft. Das gilt für die Entwicklung der Menschheit wie des Einzelnen. Wer hinabsteigt zu den Wurzeln des Bösen, berührt auch das Problem der Freiheit. Ist der Mensch nur ein Produkt guter oder böser Urerfahrung? Wo bleiben da seine Verantwortlichkeit, seine Freiheit, seine Schuldfähigkeit und die Möglichkeit, Buße zu tun? Vor allen Dingen: Welches Bild vom menschlichen Leben entsteht, wenn die Zufälle unserer Selbstwerdung so katastrophale Folgen für unser Empfinden und Handeln haben sollten? Die bösen Folgen eines im Mutterleib erlittenen Traumas und der verzweifelte Versuch einer Selbsterlösung von dem Bösen bilden das Thema einer Erzählung von E. T. A. Hoffmann (1776-1822), die jeder Gymnasiast gelesen hat. Es ist die Geschichte vom Goldschmied René Cardillac, einem Meister seines Faches, der den Verkauf eines seiner Geschmeide nicht ertragen kann und daher alles in Bewegung setzt, um wieder in seinen Besitz zu kommen. Er schreckt, den Einflüsterungen einer teuflischen Stimme folgend, auch vor der Ermordung seiner Kunden nicht zurück. Der satanische Verführer flüstert ihm ins Ohr: »Ho ho, dein Geschmeide trägt ein Toter!« Oder: »Es ist ja dein es ist ja dein nimm es doch was sollen die Diamanten dem Toten!« Die Mordtat ist nur noch die Inszenierung dieser düsteren Visionen. Cardillac leidet unter -245-
seinem Trieb, und er sucht Erlösung, indem er einer hochangesehenen und verehrten Dame, dem Fräulein von Scuderi, anonym einen Goldschmuck schenkt. Er hofft, der böse Trieb werde sich in diesem Fall nicht regen. Woher kommt das Böse in Cardillac? Auch hier liegt der Ursprung des Bösen in der Vorgeschichte des Lebens begründet. Die Mutter geht im ersten Monat mit René schwanger. Als Zuschauerin nimmt sie an einem glänzenden Hoffest teil. Hier begegnet ihr ein Kavalier »mit einer blitzenden Juwelenkette um den Hals, von der sie die Augen gar nicht mehr abwenden konnte. Ihr ganzes Wesen war Begierde nach den funkelnden Steinen, die ihr ein überirdisches Gut dünkten.« Der Mann hatte schon einmal vor Jahren Renés Mutter ohne Erfolg nachgestellt. Die gierigen Blicke der Frau deutet er falsch, wittert jetzt seine Chance, lockt sie an einen einsamen Ort und schließt sie mit Leidenschaft in seine Arme. Der Mann greift nach der Unschuld der Frau, die Frau nach der Diamantenkette: ein doppelter Sündenfall. Der Kavalier spürt die kriminelle Energie, sinkt zu Boden und reißt die Schwangere mit sich. Er ist tot, hält aber die junge Mutter im Todeskrampf umklammert, die hohlen Augen auf sie gerichtet. Ein Augenblick des Grauens, der sie für lange Zeit ans Krankenlager fesselt. Die Geburt war zwar glücklich, aber »die Schrecken jenes fürchterlichen Augenblicks hatten mich getroffen. Mein böser Stern war aufgegangen und hatte den Funken hinabgeschossen, der in mir eine der seltsamsten und verderblichsten Leidenschaften entzündet.« Die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen dem bösen Tun und der vorgeburtlichen bösen Tat der Mutter dient dem Goldschmied zur Erklärung, nicht aber zur Entschuldigung seiner Mordgier. Er sucht Erlösung von dem Riss, der sich durch sein Leben zieht. Sein Trauma begann lange vor der Geburt, und niemand konnte die Wunde schließen.
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Wiedergänger Die Wiederbegegnung mit Toten wird auch heute noch bezeugt. So berichten Angehörige von Verstorbenen, daß ihnen der Tote im Wohnzimmer oder einem anderen Ort, wo er sich gern aufgehalten hatte, erschienen ist. Wie bei allen Erscheinungen aus der Geisterwelt, so stellt sich auch hier zuerst die Grundfrage: Habe ich mir die Erscheinung eingebildet? Neurologie, Psychologie und Parapsychologie geben darauf Antworten aus ihrer Blickrichtung. Die klassische Antwort der Religionen lautet: Unter dem Wiedergänger oder Revenant versteht man die Seele eines verstorbenen Menschen, die noch einmal auf die Erde kommt. Die Begegnung mit ihr kann höchst unterschiedlich erlebt werden, je nachdem, wie das Verhältnis zu Lebzeiten war. Bei einer unerlösten Beziehung kann die Begegnung mit dem Wiedergänger Angst und Schrecken auslösen. Sie bietet aber auch die große Chance einer Versöhnung über den Tod hinaus, ein Abschiednehmen, Loslassen alter Bindungen und eine Erlösung von alten Schuldgefühlen. Wie immer, so ist auch hier die Welt der Geister ein Spiegel menschlicher Konflikte, Ängste und Sehnsüchte. Die Gestalt des Wiedergängers ist uralt und wird je nach religiösem Standpunkt unterschiedlich beschrieben. Schon die Römer verehrten die Geister ihrer Ahnen. Sie kannten aber auch böse Totengeister. Diese Lemuren waren ruhelos umherstreifende Seelen, vor deren Zugriff man sich schützen mußte. Die Juden gingen davon aus, daß Totengeister durch ein Medium beschworen werden können (1. Samuel 28), stellten jedoch diese Kunst unter Strafe. Auch das große Tier (siehe dort) aus der Apokalypse des Johannes ist ein Wiedergänger. Der Satanist Aleister Crowley (siehe dort) bezeichnete sich selbst als »großes Tier«. -247-
Weit verbreitet ist auch heute noch der Glaube, daß unerlöste Seelen als Wiedergänger auf Erden erscheinen. Diese Vorstellung ist typisch katholisch und mit dem Glauben an die Existenz eines jenseitigen Ortes der Läuterung (siehe Fegefeuer) verbunden. Drei Gruppen von Wiedergängern lassen sich hier unterscheiden. 1. Im Fegefeuer sitzen die so genannten Armen Seelen. Das sind Sünder, die ihre Schuld zu Lebzeiten bereut und gebeichtet haben. Bevor sie in den Himmel aufgenommen werden können, müssen sie für eine gewisse Zeit im Fegefeuer für ihre Sünden büßen. Diese Seelen können als Wiedergänger erscheinen, um bei ihren Verwandten um Mithilfe durch Gebet, Fürbitte, Wallfahrten oder Messen zu werben. Arme Seelen unterstützen somit die Funktion der katholischen Kirche als Heilsmittlerin. 2. Von diesen Wiedergängern ist eine zweite Gruppe zu unterscheiden. Es sind dies die Seelen der ungetauft verstorbenen Kinder, die in der Vorhölle (limbus puerum) wohnen. Hier ist eine Hilfe nicht möglich. 3. Die dritte Gruppe der Wiedergänger setzt sich aus all jenen Seelen zusammen, die nur Böses im Sinn haben. Dazu gehören Selbstmörder wie Judas (siehe dort), Ertrunkene oder Ermordete, die als Rachegeister auf die Erde zurückkommen. Da diese mit dem Teufel im Bunde stehen, ist eine Fürbitte sinnlos. Die Geister der Untoten werden durch einen Exorzismus vertrieben. Auch Vampire (siehe dort) können zu dieser Gruppe gerechnet werden. Im Volksglauben werden die Irrlichter mit den Wiedergängern in Verbindung gebracht. Irrlichter sind kleine bläuliche Flämmchen, die zur Herbstzeit in Mooren aufflackern. Sie entstehen aus sich selbst entzündenden Faulgasen. In der religiösen Fantasie werden sie als die brennenden Seelen der Selbstmörder und der ungetauften Kinder gedeutet. Der Glaube an Wiedergänger ist auch in zahlreichen Sagen bezeugt. Er steht darüber hinaus im Hintergrund der -248-
Geschichten von Graf Dracula und anderen Vampiren (siehe dort). Magie und Spiritismus (siehe dort) sind Versuche der Kontaktaufnahme mit diesen Geistern. Die berühmteste Darstellung einer Begegnung mit Wiedergängern ist der Roman »The Turn of the Screw« (1898) von Henry James.
Zarathustra Jeder hat den Namen Zarathustra schon einmal gehört, meist im Zusammenhang mit Friedrich Nietzsches berühmtem Buch »Also sprach Zarathustra« oder mit Mozarts Oper »Die Zauberflöte«. Dort taucht der Zauberer Sarastro auf. Sein Name leitet sich von Zarathustra ab. Eine andere Namensform lautet »Zoroaster«. Zarathustra gehört zu den großen Religionsstiftern der Menschheit. Informationen über seine Person sind jedoch äußerst spärlich. Er soll im Norden Afghanistans, nahe der Stadt Mazare-Sharif, geboren worden sein. Niemand kennt das Geburtsjahr. Die Angaben schwanken zwischen 1000 und 600 v. Chr. Zarathustra bestritt seinen Lebensunterhalt durch den Karawanenhandel. Sein Name ist zugleich eine Berufsbezeichnung, denn er bedeutet »Der Mann mit den hellbraunen Kamelen«. Zarathustra glaubte, es gäbe zwei mächtige Götter: den guten Gott Ahura Mazda (»weiser Herr«) und den bösen Gott Angra Mainyu. Beide ringen miteinander. Ihr Kampf ist ein Gleichnis für Licht und Schatten in der Seele des Menschen. Der Mensch soll durch die Dunkelheit zum Licht streben. So läßt auch Mozart den Magier Sarastro künden: »Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht, Vernichten der Heuchler erschlichene Macht.« Bei den Anthroposophen ist aus Angra Mainyu der Teufel Ahriman geworden. Er gilt als Gegenspieler Lucifers (siehe dort). Im Buch Tobit taucht er als Dämon Asmodäus (Tobit 3.8 -249-
und 17) auf. Asmodäus (Asmodi) ist ein Eheteufel (siehe dort). Das zentrale Symbol der Anhänger Zarathustras ist das Feuer. Deshalb werden die Zoroastrier bis auf den heutigen Tag irrtümlich als Feueranbeter bezeichnet. Ihr Heimatland ist Persien. Unter der stürmischen Mission des Islam (642 n. Chr.) wurden sie verfolgt, später geduldet. Ihre heiligen Schriften sind in einer alten Sprache aufgezeichnet, die nur speziell ausgebildete Priester lesen können. In langen Ritualen rezitieren sie die Gesänge vom Kampf des Guten gegen das Böse. Nach dem guten Gott Ahura Mazda wird ihre Religion auch Mazdaismus genannt. Der Gegensatz zwischen Gut und Böse, so lehrt Zarathustra, bestehe seit Urzeiten: »Ich will reden von den beiden Geistern zu Anfang des Lebens, von denen der heiligere also sprach zu dem argen: Nicht stimmen unser beider Gedanken noch Leben noch Absichten noch Überzeugungen noch Werke noch Individualitäten noch Seelen zusammen.« Der Glaube an zwei unversöhnliche Gegensätze wird auch Dualismus genannt. Das Problem des Bösen bereitet den Priestern einer dualistischen Religion weniger Kopfzerbrechen als Juden, Christen und Muslimen. Denn wenn Gott und Teufel beide gleich alt und gleich stark sind, dann stellt sich nicht die Frage, warum Gott das Böse in der Welt zuläßt. Gott kann für das Böse nicht verantwortlich gemacht werden. Juden, Christen und Muslime aber glauben, daß es nur einen Gott gibt. Dieser ist gut und hat nur Gutes geschaffen. Woher kommt dann das Böse? Die Antwort lautet: Der gefallene Engel hatte die Freiheit der Wahl. Er hat das Böse gewählt.
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Zombies Zombies werden auch »lebende Tote« genannt. Sie gehören zum Voodoo-Kult der Karibik. Die Wurzeln der VoodooZeremonien liegen in Schwarzafrika. Der berühmteste Zombie ist Clairvirus Narcisse aus Haiti. 18 Jahre galt er als verstorben. Dann tauchte er wieder auf und behauptete, als Zombie verkauft worden zu sein. Wade Davies, ein Biologe aus Harvard, hat den Fall in seiner Doktorarbeit »Die Ethnobiologie des haitianischen Zombies« (1986) erforscht. Sein Ergebnis: Zombies sind keine lebenden Toten. Sie wurden durch ein Zombie-Pulver (Tetrodotoxin) aus dem Gift des Kugelfisches in einen totenähnlichen Zustand versetzt und später durch den VoodooPriester mit Hilfe von Halluzinogenen wieder ins Leben zurückgeholt. Der Zombie ist eine beliebte Spukfigur in zahlreichen Filmen. Der Zuschauer kann sich dem Grusel unbesorgt aussetzen. Zombies sind keine echten Wiedergänger (siehe dort).
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Zum Schluß: Was ist ein gefallener Engel, und warum interessieren sich gerade junge Menschen für dieses Thema? Einzeller wie die Amöbe, rote Blutkörperchen, selbst Gene kann man unter dem Mikroskop sichtbar machen, einem gefallenen Engel ist mit den Methoden der Wissenschaft nicht beizukommen. Deshalb wissen Biologen, Soziologen, Neurologen und Psychologen nichts von gefallenen Engeln. Doch wer würde deshalb behaupten, es gäbe sie nicht? Wer würde behaupten, die Weltreligionen hätten Lügenmärchen erzählt? Die Künstler hätten reine Fantasiegebilde gemalt? Der gefallene Engel ist ein Symbol. Ein Symbol ist kein Zeichen. Zeichen gehören zur rationalen Seite unseres Lebens, Symbole zur irrationalen. Zeichen sind eindeutig. Symbole sind vieldeutig. Das erklärt die große Breite der Bedeutung dieser Figur. Der gefallene Engel ist eben nicht immer nur der Böse. Gerade deshalb müssen Eltern, Erzieher, Lehrer und Seelsorger sehr genau hinhören, was jeweils gemeint ist, wenn von gefallenen Engeln geredet wird. Nicht jeder Schüler, der schwarz gekleidet und mit einem Pentagramm um den Hals den Klassenraum betritt, ist ein Satanist, auch nicht jeder Künstler, der den Teufel an die Wand malt. Doch weder Wegschauen noch grenzenlose Toleranz sind angebracht. Wir müssen vor allen Dingen auf die Signale reagieren, die unsere Kinder setzen, wenn sie sich mit diesen Themen beschäftigen. Die Artikel dieses Buches wollen dieses Licht verbreiten helfen. Denn wie Alter, Krankheit und Tod, wie das Schreckliche, Unheimliche und Böse, so gehört der gefallene Engel zur anderen Seite der Wirklichkeit, deren Kenntnis zu -252-
einem reifen Menschsein gehört. Alle Religionen der Welt sprechen von Dämonen, dunklen Gestalten und bösen Wichten. Den Helden und Heiligen, den Propheten und Lehrern stellen sie Widersacher entgegen. Wo Religionen ihre Ideale ins Licht setzen, da erscheint neben diesen leuchtenden Vorbildern zugleich der Schatten. Selbst die friedliche Religion des Buddhismus kommt ohne Teufel nicht aus. Doch nur im Judentum, Christentum und Islam, den drei großen Geschwisterreligionen, wird der Teufel als gefallener Engel bezeichnet. Was also ist ein gefallener Engel? Auf diese Frage antworten die jüdischchristlichen Ursprungsmythen in einer Bildsprache. Der gefallene Engel war ursprünglich gut, wie alles, was Gott erschaffen hatte. Seine Heimat war der Himmel, wo er unter den Chören der Engel den schönsten Platz besessen hatte. Er leuchtete wie die Sonne. Deshalb wurde er auch Lichtträger oder Lucifer genannt. Doch eines Tages wandte er sich von Gott ab und wurde zu seinem Widersacher. Warum? Wie kam es zu dieser Abkehr? Auf den ersten Seiten der Bibel lesen wir: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis« (Genesis 1.1-4). Von Engeln und gefallenen Engeln scheint hier nicht die Rede zu sein. Der Teufel aber steckt immer im Detail. Das wußte schon der Kirchenvater Augustinus und lehrte, zwischen den Zeilen zu lesen: Die Engel sind das Licht des ersten Schöpfungstages, sagte er. Mit der Finsternis aber sind die gefallenen Engel gemeint. Als Gott am Anfang Himmel und Erde schuf, kam es zu dem folgenreichsten Zwischenfall der Weltgeschichte: Unter der Führung des schönsten aller Engel rebellierte ein Teil der Himmelsbewohner gegen den Schöpfer. Deshalb wurde er aus -253-
den himmlischen Chören der Engel vertrieben. In Goethes »Faust« spricht daher der Teufel: »Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar.« (Verse 1349f) Was aber war der Grund für den Engelsturz (siehe dort)? Michael hatte im Namen Gottes die ganze Engelgemeinschaft aufgefordert, den Menschen anzubeten. Das war die so genannte Engelprüfung, die einige nicht bestanden. Denn der höchste aller Engel rief empört: »Ich werde doch den nicht anbeten, der geringer und jünger ist als ich! Ich bin vor ihm erschaffen worden. Ehe er erschaffen ward, war ich erschaffen. Er sollte mich anbeten.« Michael versuchte ihn zu besänftigen. Dann drohte er mit dem Zorn Gottes. Der höchste aller Engel jedoch wurde nur noch wütender: »Wenn er über mich in Zorn gerät, werde ich meinen Sitz erheben über die Sterne des Himmels und Gott dem Höchsten gleich sein.« Mit dieser Engelsünde war sein Fall besiegelt. Der Grund für den Engelsturz ist die Eifersucht. Andere Geschichten sprechen von einer sexuellen Leidenschaft der Engel (Genesis 6.1-4) für die Frauen auf Erden. Wie auch immer: Eifersucht und Sexualität sind zwei elementare Triebkräfte der menschlichen Natur. Im Bild des gefallenen Engels werden sie gespiegelt. Doch bleibt das Wesen des gefallenen Engels letztlich so geheimnisvoll wie das Leben selbst. Die drei abrahamitischen Weltreligionen sind sich einig: Gott hat neben der sichtbaren Welt der Lebewesen, neben Pflanzen, Tieren und Menschen eine unsichtbare Welt guter Geister geschaffen. Diese werden Engel genannt. Das hebräische Wort für Engel lautet »malak« (Plural »malakim«). Es bedeutet »mit einem Auftrag senden«. Unser deutsches Wort »Engel« leitet sich aus dem griechischen »Angelos« ab. Es bedeutet »Bote«. Bildhaft gesprochen sind Engel also Spezialisten für drahtlose Nachrichtenübermittlung und reibungslose Übertragung von Energien. Engel sichern die Kommunikation. Deshalb sind sie -254-
uns so sympathisch. Deshalb glauben über 60 Prozent der Deutschen an sie. Eine Welt ohne Engel wäre wie eine Welt ohne Internet, Telefon, Fernsehen und andere elektronische Medien. Wir reagieren verärgert, vielleicht sogar verschreckt, wenn plötzlich der Computer ausfällt, die mailbox leer bleibt, der Anrufbeantworter streikt. Wir spüren: Jetzt bin ich allein. Niemand kann mich erreichen. Bleiben wir weiter bei dem gewählten Bild: Wenn Engel Nachrichtenübermittler sind, dann sind gefallene Engel Störungen in der Datenübertragung: Die SMS kommt nicht mehr an, das Computerprogramm stürzt ab. Engel sind Energieträger, gefallene Engel sind eine Störung des Energieflusses. Wenn Energie aber nicht fließen kann, dann werden wir krank. Das lehrt uns nicht erst die Psychologie, davon erzählen bereits die alten Mythen der Menschheit. Warum also interessie ren sich viele junge Menschen so brennend für das Thema? Ich möchte einige Thesen zur Diskussion aufstellen: 1. Wir leben in einer totalen Mediengesellschaft. Gefallene Engel befriedigen Neugier und Sensationslust. 2. Gefallene Engel gehören zur okkulten Seite der Wirklichkeit. Das Geheimnisvolle und Unbekannte aber fasziniert. Von dieser verborgenen Seite wird in der Kirche nicht mehr gesprochen. So wird das Mysterium an anderen Orten gesucht. 3. Gefallene Engel sind ein Symbol der dunklen und verdrängten Seite der Seele. Jugendliche erfahren ihre eigene Seelengestalt in bisher unbekannter Tiefe. Sie entdecken in sich neue Träume, Sehnsüchte und verbotene Bedürfnisse. Eine Tiefendimension der Seele ist aufgebrochen. Die andere Seite wird sichtbar. Zu ihr gehören Freiheit und Selbstbestimmung, aber auch Angst, Scham und Schuldgefühle. 4. Jugendliche müssen sich zumindest auf Zeit von der traditionellen Religion und ihren Eltern abgrenzen. Gefallene -255-
Engel sind ein Symbol der extremen Steigerung des Bedürfnisses, durch Kleidung, Musik und Verhalten sein Anderssein zu inszenieren. 5. Das Grundmotiv der Jugendzeit ist die Wahrheitssuche. Genau dies verkörpert der gefallene Engel in vielen Geschichten aus der religiösen Überlieferung. Er hinterfragt die Wirklichkeit. Er läßt sich nicht von oberflächlicher Frömmigkeit blenden. 6. Gefallene Engel signalisieren eine Störung im Energiefluss des Lebens. Störungen zeigen eine Krise an. Der Alltag wird unterbrochen. Es geht nicht so weiter wie bisher. Wir werden zur Auseinandersetzung gezwungen. 7. Woher kommt das Böse? Und warum läßt Gott das Böse zu? Hinter dem Interesse an den gefallenen Engeln steht der Versuch einer Auseinandersetzung mit dem Bösen in der Welt. 8. Was ist richtig? Was ist falsch? Welche Werte und Normen haben jetzt Gültigkeit? Jugendliche befinden sich in einer Phase der Umwertung der Werte, die ihnen in der Kindheit vermittelt wurden. Die Welt der gefallenen Engel ist »verkehrte Welt«. Was in der christlichen Tradition als gut gilt, ist hier böse. Was böse ist, gilt hier als gut. Im Spiegelbild der gefallenen Engel entdecken Jugendliche: Werte und Normen sind nicht absolut. 9. Der junge Mensch ist kein Kind mehr. Er hat vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen. Er weiß auch, daß sein Leben endlich ist. Hinter dem Interesse an der Welt der gefallenen Engel steht das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit dem Tod und den letzten Dingen. 10. Das Bild der gefallenen Engel ist äußerst vielschichtig. Sie sind eben nicht nur die Bösen. Sie verkörpern Helden des Widerstandes. Gefallene Engel sagen nicht nur »Ja und Amen«. Sie sind ein Symbol des Protestes gegen die Welt, in der sie leben müssen. 11. Jugendliche sind auf der Suche nach sich selbst. Die großen Fragen des Lebens brechen auf: Wer bin ic h? Was ist der -256-
Sinn des Lebens? Was kommt nach dem Tod? In Konflikten mit Elternhaus und Schule erleben sich viele Jugendliche als fremd. Sie haben das Gefühl, nicht mehr dazu zu gehören. Sie stehen hinter der Tür des »Paradieses der Kindheit«. Deshalb fühlen sie sich dem gefallenen Engel verwandt. 12. Die Pubertät ist ein Hinweis auf die Schwierigkeiten und Nöte, die ein Mensch mit sich haben wird. Das Grundmuster der Seele tritt hervor, der Klang der Lebensmelodie wird vernehmbar. Wer bin ich? Ich bin ich. Aber ich bin nicht allein auf der Welt. Ich bin Leben inmitten von Leben, das auch leben möchte. Der gefallene Engel spiegelt das Identitätsproblem. 13. Gefallene Engel tragen die schwarze Kleidung der Trauer. Hinter den Jugendlichen liegt die Kindheit, vor ihnen das Tor zum Leben der Erwachsenen. Manchmal haben sie das Gefühl: Ich gehöre nirgendwo mehr so richtig hin. Ich fühle mich heimatlos und unbehaust wie die gefallenen Engel. Daher rühren die Traurigkeit und der Leidenszug, den sensible Eltern und Erzieher im Gesicht ihrer Kinder manchmal wahrnehmen. 14. Gefallene Engel haben einen guten Wesenskern. Sie warten darauf, daß jemand kommt und das erlösende Wort spricht.
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Literatur in Auswahl Gabriele Amorth. Ein Exorzist erzählt. Maria aktuell Verlag 1994. Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.). Lexikon des deutschen Aberglaubens. Nachdruck Walter de Gruyter. Berlin 1987. Sonny Barger. Hell's Angels. Mein Leben. Europa Verlag. Hamburg 2000. Die Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche. Bearbeitet von Horst Georg Pöhlmann. Gütersloher Verlagshaus. Gütersloh 1986. Frank Berger (u.a.). Ahriman. Profil einer Weltmacht. Verlag Urachhaus 1996. Frank Berger (u.a.). Luzifer. Facetten eines Verführers. Verlag Urachhaus 1998. Norbert Borrmann. Lexikon der Monster, Geister und Dämonen. Lexikon Imprint Verlag. Berlin 2000. Anton A. Bucher (Hrsg.). Das Böse - Tabu oder Herausforderung? Otto Müller Verlag 1999. Ingolf Christiansen. Satanismus. Faszination des Bösen. Quell Verlag. Gütersloh 2000. Bernd J. Ciaret. Geheimnis des Bösen. Zur Diskussion um den Teufel. Tyrolia Verlag 1997. Frank Close. Luzifers Vermächtnis. Eine physikalische Schöpfungsgeschichte. Beck Verlag 2002. Carsten Colpe (Hrsg.). Das Böse. Eine historische Phänomenologie des Unerklärlichen. Suhrkamp Verlag 1993. Josef Dvorak. Satanismus. Geschichte und Gegenwart. Eichborn Verlag 1989. Gregor Eisenhauer. Scharlatane. Zehn Fallstudien. Eichborn -258-
Verlag. Frankfurt a.M. 1994. Norbert Esser (Hrsg.). Dem Schönen und Heiligen dienen, dem Bösen wehren in Liturgie, Lebensschutz und Volksfrömmigkeit. Sankt Meinrad Verlag 1997. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (Hrsg.). Themenhefte »Dämonische Besessenheit« (1. Juni 1987), »Auf den Spuren des Satanismus I und II« (1.Juni 1992). Michael Fürgut. Interview mit der Gruppe »Absurd Minds«. In: Gothic. Magazine for Underground Culture. No.33/2001. S. 36. Jacques Le Goff. Die Geburt des Fegefeuers. Klett-Cotta Verlag. Stuttgart 1984. Guido und Michael Grandt. Schwarzbuch Satanismus. Innenansicht eines religiösen Wahnsystems. Pattloch Verlag 1995. Hansjörg Hemminger/Bernd Harder. Was ist Aberglaube? Bedeutung, Erscheinungsformen, Beratungshilfen. Quell Verlag. Gütersloh 2000. Johann Heinrich Jung-Stilling. Theorie der Geisterkunde oder was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müßte. Nachdruck der Ausgabe von 1808 bei Franz Grenol987. Kurt Koch. Heilung und Befreiung. Seelsorgerliche Hilfe für kranke, angefochtene und okkult belastete Menschen. Heidelberg 1969. Heinrich Kramer (Institoris). Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum. Kommentierte Neuübersetzung. Hrsg. von Günter Jerouschek und Wolfgang Behringer. Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv 30780). München 2000. Tanja Krings/Kirsten Borchardt. Wir sind keine Mörder! Der »Satansmord« von Witten und die Folgen für die Gothic-Szene. In: Zillo. Musikmagazin 9/2001. S. 10-13. Landeskriminalamt Niedersachsen. Information -259-
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Frumentius Renner. Im Kampf gegen Magie und Dämonie. Sankt Meinrad Verlag 1998. Adolf Rodewyk. Dämonische Besessenheit heute. Tatsachen und Deutungen. Pattloch Verlag 1966. Alfons Rosenberg. Engel und Dämonen. Gestaltwandel eines Urbildes. Kösel Verlag 1986. Gustav Roskoff. Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert. Nachdruck der Ausgabe von 1869 im Greno Verlag 1987. Florian Rotzer (Hrsg.). Das Böse. Jenseits von Absichten oder Tätern oder: Ist der Teufel ins System ausgewandert? Steidl Verlag 1995. Hans-Jürgen Ruppert. Okkultismus. Geisterwelt oder neuer Weltgeist? R. Brockhaus Verlag.Wiesbaden 1990. ders.: Satanismus. Zwischen Religion und Kriminalität. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Heft Nr. 140/1998. ders.: Umgang mit dem Okkulten IV. Teufels-, Hexen- und Dämonenglaube. Studienbrief Seelsorge Nr. 24. Ed Sanders. The Family. Die Geschichte von Charles Manson. Rowohlt Verlag. Reinbek 1995. Friedhelm Schneidewind. Das Lexikon von Himmel und Hölle. Lexikon Imprint Verlag. Berlin 2000. Alexander Schuller (Hrsg.). Die andere Kraft. Zur Renaissance des Bösen. Akademie Verlag 1993. Thomas Schweer. Stichwort Satanismus. Wilhelm Heyne Verlag 1997. Georg Siegmund (Hrsg.). Der Exorzismus der katholischen Kirche. Christiana Verlag 1989. Friedrich von Spee. Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. 6. erweiterte Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv 30782). München 2000. Peter Stanford. Der Teufel. Eine Biographie. Insel Verlag 2000. -261-
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