R,ai ner Krause
Allgemeine Psychoanalytische Krankheitslehre . .
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Band 1: Grundlagen ·~
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R,ai ner Krause
Allgemeine Psychoanalytische Krankheitslehre . .
CU
2000 K91
-1
Band 1: Grundlagen ·~
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LEHRBÜCHER IM W KOHLHAMMER VERLAG Alfermann , Geschlechterrollen und geschlecht typisches Verhalten Bierhoff, Sozialpsychologie, 3. Aufl. Dörner/SeJg, Psychologie, 2. Aufl . Guski, Wahrnehmen - ein Lehrbuch Köhler, Freuds Psychoanalyse. Eine Einf"Lihrung Köhler, Psychosomatische Krankheiten , 3. Aufl. Laux/Weber, Emotionsbewältigung und Selb tdarstellung Saup, Alter und Umwelt Schmidt-Atzert, Lehrbuch der Emotionspsychologie Schneewind, Familienpsychologie chwarzer, Streß, Angst und Handlungsregulation, 3. Autl . Wendt, Allgemeine Psychologie
KOHLHAMMER STANDARDS PSYCHOLOGIE (Hrsg. von T. W Hernnann I W H. Tack I F. E. Weinert)
Arnelang/Bartu ek, Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung, 3. Aufl. Basbne, Klinische Psychologie I, 2. Aufl z. Zt. vcrgr. Bastine, Klinische P ychologie Il Dörner, Problemlösen als Inforrnationsverarbeitung, 3. Aufl. z.Zt. vergr. Eckes/Roßbach, Clusteranalysen Friederici, Neuropsychologie der Sprache Gebert/Rosenstiel , Organisationspsychologie, 4. Aufl. Keller/Meyer, Psychologie der frühesten Kindheit Schneider/Schmalt, Motivation, 2. Autl . Six/Schäfer, Einstellungsänderung Toman, Tiefenpsychologie Upmeyer, Soziale Urteilsbildung Zielinski, Lernschwierigkeiten, 2. Autl.
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Rainer Krause
Allgemeine psychoanalytische Krankheitslehre Band 1: Grundlagen unter Mitarbeit von Thomas Anstadt, Jörg Merten, Evelyne Steimer-Krause, Burkhard UHrich und Joachim Wuttke Mit einem Vorwort von
Otto F. Kernberg
Verlag W Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Krause, Rainer: AJigemeine psychoanalytische Krankhe itslehre I Rain er Krause. Mit e inem Vorw. von Otto F. Kernberg.- Stuttgart; Berlin; Köln : Kohlhammer Bd.l. Grundlagen I [unter Mitarb. von Thomas Anstadt .. .]. 1997 ISBN 3-17-014542-8
Dieses Werk einsch ließl ich all er seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmun.~ des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme , daß diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeiche n oder sonstige gesetzlich geschü tzte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichner sind.
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Alle Rechte vorbehalten © 1997 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln Verlagsort Stuttgart Gesam therstellung: Druckerei W. Kohlhammer GmbH Printed in Germany 4
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Co. Stuttgart
Inhalt
Geleitwort von 0. F. Kernberg Vonvort
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7
13
Allgemeine Einführung in den Gegenstand und die Absicht des Buches.
17
1.1
Einleitung . . . . . . . .
17
1.2
Gesund und krank, psychisch und körperlich .
20
1.3
Begriffliche Klärungen . . . . . . . . . . . . . . Begriffe aus der differentiellen Neurosenlehre. Vergleich psychoanalytischer und psychiatrischer Beschreibungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
32
1.4
Historisch kulturelle Bedingtheiten der Modellvorstellungen
37
1.5
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
2
Die therapeutische Situation als Erfahrungsgrundlage für die Theoriebildung .
45
2.1
Einleitung . . . . . . . .
45
2.2
53
2.2.2
Was ist eine Beziehung? Beziehungsverhalten .. 2.2.1.1 Körperbewegungen 2.2.1.2 Die Körpermanipulatoren. 2.2.1.3 Regulatoren 2.2.1.4 Illustratoren 2.2.1.5 Embleme .. 2.2.1.6 Affekte . . . Andere klinische relevante Klassifikationen .
2.3
Was ist eine "gute" Beziehung? . . . . . . . .
69
2.4
Was ist eine psychotherapeutisch psychoanalytische Beziehung? Das Übertragungsgeschehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1.1 Das Ubertragungsgeschehen im Alltag . . . . . . . . 2.4.1.2 Das Übertragungsgeschehen in der Psychotherapie. 2.4.1.2.1 Die Fälle A und H . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
1
1.3.1 1.3.2
2.2.1
2.4.1
29
56 58 59 59 60 60 61 65
79 80 87 88 5
2.5 2.5.1 2.6
2. 7
2.7.1
2.8 2.9 2.9.1 2.10
2.11
Alltagsbeziehung und psychotherapeutische Beziehung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D as Couchsetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 101
Zusammenfassende Betrachtung der therapeutischen Situation als regelgeleitete und dennoch kreative Handhabung von Inszenierungen anband der Fälle und der Forschung . . . . . . .
102
Die therapeutische Situation aus der Sicht des Psychoanalytikers als "On-fine-Forscher" . . . . Der FallS. . . . . . . . . . . . . 2.7.1.1 Das offene Verhalten . . 2.7.1.2 Das Intentionsverstehen . 2.7.1.3 Das Aufhellen von Bedeutungen
105 106 126 129 131
Der Analytiker als "On-line-Forscher": Verallgemeinernde Auswertung des Falles S..
132
Brauchen wir eine allgemeine Psychotherapietheorie und Praxis? . Psychotherapie als soziologische Kategorie und sozialpsychologische Rolle: Die Folgen für die Theoriebildung. . . . . . . . . .
155
Empirische Gründe, die für die Erarbeitung einer Dachtheorie sprechen . . . . . . . . . . . . . . . .
163
Ethische Gründe für das Festhalten an einer Dachtheorie .
165
144
Literatur .. . ..
173
Sachwortregister
185
Personenregister
189
Inhalt von Band 2
193
6
Geleitwort von Otto F. Kernberg
Die vorliegende Arbeit ist eine orginelle Erkundung unseres gegenwärtigen Wissens über die Ätiologie, Psychopathologie, Diagnose und psychotherapeutische Behandlung von neurotischen Syndromen und dazugehörigen Persönlichkeitsstörungen, so wie wir sie in der klinischen Praxis sehen. Die Arbeit untersucht dieses weite Feld aus der Perspektive des Wissensgebietes der modernen Affekttheorie, in dem der Autor Rainer Krause in den letzten Jahren Pionierarbeit geleistet hat. Er legt eine komplexe und bahnbrechende Verbindung seiner Konzeption der Bedeutung der Affekte als relativ rezentes, phylogenetisches Kommunikationssystem, das unter anderem entwickelt wurde, um die frühen Bindungen der Säugetierspezies Mensch zu entwickeln und zu schützen, mit der gegenwärtigen psychoanalytischen Triebtheorie vor. Er untersucht die faszinierenden Beziehungen zwischen den ethologischen Instinktvorstellungen, den psychischen Motivationssystemen und Freuds dualer Triebtheorie. Er liefert dem Leser auf der Grundlage seiner empirischen Forschungen überzeugende Argumente für die Funktion der Affekte als Ausdruck von Trieben im interpersonellen Interaktionsbereich und dafür, daß diese affektiven, interpersonellen Interaktionen als Niederschlag früher, internalisierter Objektbeziehungen gesehen werden können. Seine Forschungen erhellen einen zentralen Aspekt des Übertragungsvorganges, und damit der Grundlage der psychoanalytischen Theoriebildung, nämlich die zeitgleiche Mobilisierung einer realen "Beziehung", die durch den formalen Rahmen der psychotherapeutischen, aber auch anderer Beziehungstypen bestimmt ist und, innerhalb dieser, einer unerwarteten, unbewußten Aktualisierung von verinnerlichten Objektbeziehungen der Patienten, die in der interpersonellen Transaktion Gestalt annehmen und durch die affektive Kommunikation, die ein grundlegender Teil dieser Interaktion ist, in wesentlichen Bereichen "lesbar" werden. Mit anderen Worten: unbewußte affektive Botschaften, die frühe pathogene internalisierte Objektbeziehungen reflektieren, können mit objektiven Methoden erfaßt werden, wenn man auf das affektive Ausdrucksverhalten in der Interaktion zurückgreift, das im Zusammenwirken mit der Analyse des inneren subjektiven Erlebens der Interaktion der beiden Partner eine außerordentliche Klarheit und Tiefe des Verständnisses bezüglich der verschiedenen Niveaus von internalisierten Objektbeziehungen erlaubt, so wie sie sich in der dominanten ÜbertragungsGegenübertragungsbeziehung abbilden. Rainer Krause zeigt vor allem im zweiten Band, wie durch die psychobiologische Natur der affektiven Strukturen (die hochspezifischen mimischen Ausdrucksmuster, die subjektive Erfahrungen von Lust und Schmerz, die kognitive Bewertung der Situation zusammen mit neurovegetativen Manifestationen und psychomotorischen Phänomenen) die biologische Disposition der Affektaktivierung mit den Schicksalen der frühen Objektbeziehungen, so wie sie in der Mutter-Kind-Dyade beginnen, verbunden ist. Durch den Rückgriff auf den sozialen Rahmen der frü hen Objektbeziehungen, einschließlich der psychologischen und sozialen Einflüs7
se auf die affektive Evaluierung der Realität, führt er die sozialen und kulturellen Determinanten des Affektaustausches mit ihren intrapsychischen Prädispositionen und ihren biologischen Ursprüngen zusammen. Auf diese Art und Weise schafft die allgemeine Theorie, die in dieser Arbeit entwickelt wird, einen wissenschaftlich fundierten , biopsychesoziologischen Rahmen für das Verständnis von Persönlichkeitsstrukturen, deren normale Entwicklung und Pathologie. Die theoretischen Weiterungen, die sich daraus ergeben, daß Rainer Krause das Studium der Persönlichkeitsstörungen, Psychosomatosen, der Perversionen sowie der schizophrenen Psychosen auf die Affekte und ihre Entwicklung und Aktualisierung in Beziehungen stützt, sind grundlegend. Er liefert, wie ich glaube, gewichtige Argumente für eine neue Auffassung der Triebe als hierarchisch organisierte motivationale Systeme, die sich durch die in ihrem Rahmen aktualisierten Affekte konstituieren bzw. sieht- und erlebbar werden. Affekte sind die Elemente, die die genetisch-konstitutionellen Prädispositionen mit der psychologischen Organisation der Triebe verbinden. Diese Verbindung wird in konkreten affektiven Interaktionen zwischen Selbst und Objekt hergestellt und als bewußte wie unbewußte Repräsentanzen von Subjekt, Objekt und ihrer Interaktionen dauerhaft gespeichert. Auf dieser Grundlage könnte nun endlich die Verbindung zwischen dem biologischen und psychologischen Determinismus, nach der Freud wegen des feh lenden Wissens der Biologie seiner Zeit letztendlich vergeblich suchte, auf einem neuen wissenschaftlichen Fundament hergestellt werden. Die Lösung dieser Aufgabe wird, wie ich meine, durch Krauses aufregende Forschungen und Formulierungen erle ichtert, kann er doch auf ihrer Grundlage Freuds theoretische Aussagen ebenso sorgfältig und kritisch wie sympathetisch und konstruktiv Revue passieren lassen, um sie auf die mutmaßlichen Verbindung von Trieben, Instinkten, Affekten und Objektbeziehungen zu prüfen. Wie vor allem im ersten Band deutlich wird, kann man unter Rückgriff auf das kontinuierliche, präzise "Lesen" des zeitlich hochaufgelösten, mimischen Affektausdruckes in interpersonellen Interaktionen bei gleichzeitiger Analyse der kognitiven Bedeutungen, die in der gesprochenen Sprache enthalten sind, ein außerordentlich weitreichendes Instrument entwickeln, die grundlegenden Prozesse dyadischer und speziell psychoanalytischer und psychotherapeutischer Beziehungen zu verstehen. Anhand ausführlicher, empirisch untersuchter Beispielsitzungen aus psychedynamischen Fokaltherapien kann Rainer Krause überzeugend darstellen, wie drei Beziehungstypen, die nicht ineinander überführbar sind, im therapeutischen Prozeß gleichwohl zusammenwirken und auch in der Forschung erfaßt werden müssen. Da ist einmal die extern beobachtbare manifeste Oberfläch enstruktur der Interaktion, die unter anderem aus der formalen Natur des Behandlungskontraktes abgeleitet wird. Da ist zum zweiten das durch die unbewußt aktivierte Übertragungsdisposition gesteuerte "empathische" Intentionsverstehen, das die verdrängten und dissoziierten, konfliktuösen, verinnerlichten Objektbeziehungen in der Übertragung und vor allem der Gegenübertragung aktiviert. Und da ist zum dritten die reflexive interpretative Kommunikation des Therapeuten, die die Wahrnehmung des Zusammenspiels von Übertragung und Gegenübertragung abbildet. Ausgehend von der Analyse der Verflechtungen dieser drei Interaktionsbeschreibungen nimmt Rain er Krause eine kritische Haltung gegenüber Theorien der therapeutischen Interaktion und aUgemeinen Krankheitslehren ein, die sich aus-
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T
schließlich oder vor allem auf einen der Beschreibungsmodi verlassen. Eine ausschließlich verhaltensorientierte Analyse muß die unbewußte Intentionalität, triebgebundene Konflikte und die vielfältigen Bedeutungen des Verhaltens in verschiedenen Motivationskontexten außer acht lassen. Ein ausschließlich "empathischer", intentionsverstehender, interpersoneller Zugriff auf die Übertragung/ Gegenübertragung verpaßt nur zu oft die "dritte Dimension" des intersubjektiven Feldes, die offen beobachtbares Verhalten und "empathisches" Intentionsverstehen integrieren muß. Und ein ausschließlich kognitiver hermeneutischer Ansatz verpaßt nur zu leicht den mächtigen Zugang über die subliminale affektive Kommunikation und der von ihr mobilisierten unbewußten Intentionalität des Therapeuten. Eine Beschränkung auf das manifeste Verhalten und das empathische Intentionsverstehen riskiert, die ideosynkratische Bedeutung einzelner Elemente der therapeutischen Situation zu verpassen. Durch Konzentrationen auf die ursprüngliche Stabilität der pathologischen Beziehungsmuster, die der Patient unbewußt in der Behandlungs-, aber auch in Alltagssituationen reproduziert, untersucht Rainer Krause die Grundlagen von in psychotherapeutischen Behandlungen möglichen Veränderungen. Die konfliktuöse Paradoxie der therapeutischen Si~uation sieht er darin, daß zeitgleich zur bewußten Nachfrage nach Hilfe bei der Uberwindung der Folgen dieser Muster, das Muster selbst repliziert wird. Die zu Beginn aktiven unbewußten Widerstände in allen Behandlungssituationen haben die Funktion, der pathologischen Impulsabwehrkonfiguration, die die Krankheit des Patienten ist und sie charakterisiert, Stabilität zu verleihen. Der Therapeut kann nicht vermeiden, zumindest zu Beginn in die defensiven interaktiv-affektiven Systeme der Patienten hineingezogen zu werden, die in der therapeutischen Interaktion die unbewußte verdrängte und dissoziierte Objektwelt des Patienten rekonstituieren. Der Vorgang des Intentionsverstehens ist an diese Verführung gebunden. In Behandlungen mit gutem Ausgang reagieren die Therapeuten aber nicht wie empathische Laien "reziprok", sondern nehmen eine dritte Position ein, die darauf beruht, daß er die Bedeutungen dieser affektiven Interaktionen und der in ihm induzierten Gegenübertragungsgefühle sprachlich reflektierend zurückgibt. Sein Verzicht auf die alten erwarteten reziproken Reaktionen, die technische Neutralität des Therapeuten, destabilisiert zuerst das pathologische interaktiv-affektive System. Diese Destabilisierung bringt charakteristische innere Krisen im psychotherapeutischen Prozeß zustande, die nun über das kognitiv-affektive Durcharbeitung ohne neue Inszenierungen dem Patienten erlauben, eine neue Stabilität von möglicherweise integrierteren, unbewußten Wünschen und bewußten Erwartungen zu erarbeiten. Strukturelle Veränderungen in einem psychoanalytischen Si.~ne bedeuten vor allem Änderungen in der Implantierung des vorherrschenden Ubertragungsmusters in der Beziehung und die Generalisierung dieser Veränderungen auf die Situation außerhalb des therapeutischen Settings. Für Psychoanalytiker, die an neuesten Entwicklungen der psychoanalytischen Theorie und Technik, ebenso für Psychiater und Psychologen, die an der modernen Entwicklungspsychologie und Persönlichkeitstheorie interessiert sind, haben Krauses Arbeiten eine aufregende Qualität, die von einer innovativen empirischen Basis ausgehend neue Verstehensweisen und Zugänge im Umfeld der Psychoanalyse und der psychoanalytischen Psychotherapie ermöglichen, aber auch alte endlich empirisch hart bestätigen. Die immer größere Bedeutung der Intersubjektivität im psychoanalytischen Prozeß, die Unvermeidbarkeit, ja sogar 9
Wünschbarkeil von partiellen affektiven interaktiven Implantierungen, stellen das lebendige Material für die Übertragung-Gegenübertragungsanalyse im einzelnen und die psychoanalytische Krankheitslehre im ganzen dar, die durch die affektzentrierte Untersuchung der psychotherapeutischen und von Alltagssituationen, so wie sie Krause entwickelt hat, endlich einen empirischen Zugang und damit auch eine bestätigende Fortentwicklung gefunden haben. Seine Warnungen über die Gefahren eines zu ausschließlichen Zugriffs über Verhaltens-, interpersonelle oder hermeneutische Perspektiven, aber auch seine Betonung der Wichtigkeit des hermeneutischen Zugriffs für das Verständnis individueller, ideosynkratischer Bedeutungen von Entwicklungen in den Stunden weisen zusammen darauf hin, sich in Kenntnis des Verhaltens gleichwohl nicht in die Oberflächenphänomene intersubjektiver Interaktionen hineinziehen zu lassen, sondern Kontakt zu den tieferen Bedeutungsstrukturen unbewußter Phantasien, wie sie sich im Patientenverhalten aktualisieren, zu behalten. Für den psychoanalytischen Forscher und Theoretiker sind die neuen Sichtweisen, die Rainer Krauses Arbeiten eröffnen, aufregend und fordernd. Freuds duale Triebtheorie wurde vor allem in der Theorieentwicklung der Vereinigten Staaten heftig kritisiert und vor allem in Frankreich und Großbritannien ebenso heftig verteidigt. Krauses systematische Analyse der Entwicklung der psychoanalytischen Theorie von Trieben und der biologischen Theorien von Instinkten kulminiert natürlicherweise in der Erforschung der Affekte als Brückenkonzept, das die biologischen Instinkte mit der dualen Triebtheorien verbindet, also den hierarchisch organisierten unbewußten Motiven, die die Natur der unbewußten Konflikte bestimmen und und organisieren. Der Zugang über die Erforschung der Affekte eröffnet Wege zur Erweiterung und Neugliederung unseres Wissens über die Wechselwirkungen von biologischen Dispositionen und frühen psychischen Erfahrungen. Die parallele Analyse affektiver und kognitiv-sprachlicher Kommunikation in der psychotherapeutischen und Alltagssituation weist uns darauf hin, wie wichtig es ist, empirisch beobachtende mit hermeneutischen Zugriffen zu verbinden, sowohl in der klinischen Situation als auch der Forschung; Ansätze, die ja als weit von einander, wenn nicht gar als gegensätzlich dargestellt wurden. Eine weitere faszinierende Folge von Rain er Krauses Forschungszugang über die affektive Kommunikation liegt in der Vertiefung unseres Verständnisses von Abwehrvorgängen, die im zweiten Band ausführlich dargestellt wird. Im ersten zeigt er auf, wie eng das Affektmanagement mit der klinischen Situation, aber auch der Perpetuierung der Störungen verknüpft sind. So hat z. B. seine Erforschung der affektiven Kommunikation zwischen psychisch gesunden und kranken Personen den Mechanismus der projektiven Identifikation empirisch aufgewiesen: zugrunde liegt eine körperliche, beispielsweise mimischaffektive Signalsierung von entwertenden Affekten, die von den Patienten selbst nicht, von ihren Partnern aber sehr wohl wahrgenommen werden. Letztere, die selbst nichts ausdrücken, registrieren in sich den unerträglichen Affekt, den die Patienten nicht tolerieren konnten und in ihre Partner "projiziert" haben. Die bloße Tatsache, daß solche zentralen psychodynamischen Mechanismen in ihrem Funktionieren geklärt und bestätigt werden können, sollte die Erforschung der psychoanalytischen Situation selbst bereichern. Krauses gegenwärtige Arbeit stellt, um es kurz zu fassen , einen hochbedeutsamen Beitrag zur psychoanalytischen Wissenschaft und Praxis dar sowie einen gewaltigen Anstoß für die weitere 10
Forschung entlang der neuen Blickwinkel und Wege, die er eröffnet hat. Den psychoanalytischen, aber auch den kognitiv-verhaltenstherapeutischen oder humanistisch orientierten Therapeuten werden Instrumente zur Verfügung gesteHt, die Dynamik, die ihren Techniken zugrunde liegt, zu untersuchen und besser zu verstehen. Die Arbeiten werfen ein neues Licht auf die PersönJichkeitstheorien, die sie ihren Techniken unterlegten. Schließlich sollten diese beiden Bücher das Zusammenspiel zwischen Psychoanalyse und den Nachbarwissenschaften Im sozialpsychologischen und biologischen Umfeld starken .
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Vorwort
Das Werk besteht aus zwei Bänden. Im ersten werde ich mich mit den Grundlagen der psychoanalytischen Theoriebildung beschäftigen. Darunter verstehe ich ein genaues Verständnis der Situation, aus der die Theorie entstanden ist. Diese Situation ist die Psychotherapie bzw. die Psychoanalyse als eine sehr spezielle Beziehung zwischen zwei, manchmal auch mehr Menschen. Im wesentlichen ist der erste Band um das Verständnis dieser Situation zentriert. Wir werden uns fort laufend fragen, welche Arten von Theorien man aus dieser Situation heraus entwickeln kann, welche Beobachtungs- und Verstehensmethoden in ihr implizit enthalten sind und wie sich deren Anwendung von Alltagssituationen einerseits und von der Forschung andererseits unterscheidet. Wir werden uns mit der experimentellen und teilnehmenden Beobachtung sowie der Hermeneutik beschäftigen. All dies geschieht an Fällen, die wir in Längsschnittuntersuchungen so genau wie möglich mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft erforscht haben. Ich trete selbst als untersuchter Analytiker auf, um zu erklären, wie man sich die Verbindung der Innensicht mit der d~s experimentell arbeitenden Forschers vorstellen kann. Ein großer Teil unserer Uberlegungen wird sich damit beschäftigen, welche Aussagen man von der analytischen Situation ausgehend nicht machen kann. Die meisten Modelle der Metatheorie sind aus der psychoanalytischen Situation alleine heraus nicht zu entwickeln. Wenn dies geschieht, sind sie Metaphysik. Freud hatte den Titel Metatheorie sehr bewußt zur Kennzeichnung des Spekulativen dieses Teils seiner Überlegungen gewählt. Im zweiten Band werden wir uns dann mit diesen Spekulationen, immer unter diesem Vorbehalt, beschäftigen. Dies soll exemplarisch an vier Teilmodellen geschehen. Im ersten geht es um Triebe und Affekte, mein eigentliches Forschungsgebiet. Hier können wir relativ direkt am ersten Band und der dort besprochenen Psychotherapieprozeßforschung anknüpfen. Da geht es um sehr grundlegende Fragen unserer Natur und Kultur, die ohne Rückgriff auf die Biologie nicht zu beantworten sind. Das soll dort versucht werden. Im zweiten Kapitel geht es um die Entwicklungspsychologie. Ich habe die klassische Theorie der Sexualentwicklung noch einmal genau aufgerollt, weil sie m. E. zu Unrecht nicht mehr gelehrt und verstanden wird. Dann werden wir uns mit den Babyforschern auseinandersetzen und den in ihren Arbeiten enthaltenen epistemologischen Problemen. Im dritten Kapitel geht es um die Neukonzeption der Abwehrlehre und der Gegenüberstellung der Affektabwehr, Besetzungsabwehr und der klassischen Abwehrmechanismen. Im letzten Kapitel werden wir uns schließlich mit dem Unbewußten, oder weniger literarisch ausgedrückt, dem Gedächtnis beschäftigen. Dabei geht es um sehr aktuelle Dinge, wie Trauma und Erinnerung, oder akademisch psychologisch, um das Verhältnis von En- und Decodierung, um die Affekte und die Erinnerung, und um so schwierige Dinge wie die Unterscheidung der Auswirkung verdrängter Realtraumata und unbewußter Phantasmen. Mit zwei synoptischen Modellen wird dieses Kapitel abgeschlossen werden. Dann werde ich noch ein wenig spekulieren, wohin sich die
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Psychoanalyse entwickeln sollte, wohin sie sich wahrscheinlich entwickeln wird, und was wohl aus der deutschen Psychoanalyse nach der Vereinigung werden wird. Das schließt den Versuch einer Beantwortung der Fragen ein, warum wir unsere so großen Potentiale kaum genutzt haben . Schwere, wenn auch hoffentlich professionell abgesicherte Zweifel durchzogen die Entstehung dieses Buches. Sie sind hoffentlich im Text noch erkennbar, denn sowohl als Wissenschaftler wie auch als Analytiker fühle ich mich dem Zweifeln und Hinterfragen verpflichtet. Als Analytiker haben wir es mit den Auswirkungen der teilweise unbewußten psychischen Realität unserer Patienten auf ihr Selbstverständnis und ihre Symptombildung zu tun. Wir selbst sind von ihnen nicht nur in der Behandlungsführung, sondern auch in der Theoriebildung ebenso davon betroffen. Die jüngere Geschichte der psychosomatischen Medizin läßt deutlich werden, daß die unbewußten Phantasmen der votwiegend männlichen Forscher/Therapeuten nicht weniger Einfluß auf die Theoriebildung und Epidemiologie hatten als die ebenfalls historisch wechselnden Lebensbedingungen und Traumata (Shorter 1994). Wenngleich die Psychoanalyse geltend machen kann, eben diese Zusammenhänge aufgerollt zu haben, unterliegt sie ihnen doch selbst. Aus diesem Grund habe ich im zweiten Teil des Buches -von Freuds Texten ausgehend - eine wissenschaftsgeschichtliche Einbettung unserer Theorien versucht. Dies geschah unter anderem in der Absicht, der Hybris eines Modernismus vorzubeugen. Die "moderne" Psychoanalyse, ebenso wie die "moderne" Forschung, läßt sich vor allem dadurch kennzeichnen, daß die nachfolgende Generation ihre Irtwege noch nicht aufgedeckt hat. Aus diesem Grunde möchte ich hier nicht ex cathedra als moderner Wissender schreiben, sondern als ein um Wissen Bemühter, der versucht, in einer bestimmten historischen Epoche Klarheit zu finden. Zu dieser Klarheit gehört es, die psychoanalytischen Theorien, seien sie nun Freudianischer, K.Jeinianischer oder Schultz-Henkeschianer Prägung, auch als Ausflüsse der unbewußten psychischen Realität ihrer Autoren zu sehen, d. h. man sollte sie so wenig glauben, wie man die von der psychischen Realität geformten Mitteilungen unserer Patienten so nehmen muß, wie sie getextet werden. Verstehen und Mitfühlen ist angezeigt, nicht Glauben. Unsere Theorien sind Abschnitte aus der Schöpfungsgeschichte unserer Wissenschaft und nur für bestimmte Perioden "stimmig". Dann verlieren sie ihre integrative und heuristische Kraft und werden, sofern sie "geglaubt" werden müssen, zu antiaufklärerischen toten Texten. Welchen Status unsere Theorien haben, steht nicht im Votwort der Texte. Das mühsame Ringen, das die Entstehung dieses Buches für mich bedeutet hat, ist kennzeichnend für meine Vorgehensweise. Die kann man in etwa so beschreiben: Ich finde fast alle Theorien interessant und anregend und bewege mich gerne in ihnen, wenn sie nicht gar zu trivial oder abwegig sind. Für die Abschätzung ihrer Geltungsbereiche ziehe ich allerdings die Methoden empirischer Forschung in all ihrer Begrenztheit vor und heran, wohl wissend, daß diese Methoden auch Mythen darstellen, aber, als Gegengift gegen die analytischen angewandt, erlauben sie manchmal eine vernünftige Synthese und Fortentwicklung. Gleichwohl sind meine Zweifel gegenüber der Praxis der empirischen Wissenschaft nicht geringer als die gegenüber der praktizierten Analyse. Die Neigung der ersteren, den Gegenstand mit der bevorzugten Methode zu identifizieren, hat zu galoppierenden Realitätsverlusten geführt. Man findet "moderne" Lehrbücher der Allgemeinen Psy14
chologie, in denen sich die Affekte, die Sexualität und was es da sonst noch methodisch Unsauberes gibt, aus dem Stichwortverzeichnis hinausgestohlen haben (Spada 1990). Der das Buch durchwehende kognitive Zeitgeist ist wenig geneigt, die Hardware der Symbolverarbeitung, also unsere biologische Natur, zu würdigen. Die eigentliche Grundlage stellen Computermodelle der Infomationsverarbeitung, bei denen "auf der Rechnerseite die Hardware-Ebene auch nicht direkt ins Blickfeld kommt", dar (Spada 1990, S. 12). Diese Modellbildung jenseits des Biologischen, zusammen mit ein er Methode der Wissensakkumulierung durch Aggregierung von Parametern über viele Versuchspersonen hinweg, ohne Berücksichtigung des diachronen und synchronen Kontextes der Individuen, halte ich dem Gegenstand unserer Wissenschaft, nämlich dem Menschen, kaum oder gar nicht angemessen. Durch Statistiken hat man selten Neues entdeckt. Ihre Methoden stehen im Kontext der Verifikation, nicht der Entdeckung. Dort haben sie auch ihren Platz. Meine eigenen Forschungen stammen samt und sonders aus meiner klinischen Praxis. Dort ist die Quelle der Inspiration, der Theoriebildung, aber auch des Nichtwissens. Ab einem bestimmten Punkt mußte ich immer die klinische Praxis verlassen und eine zu den Fragen der Praxis passende Methodologie und dann noch die zur Durchführung notwendigen Mittel beschaffen. Das war eigentlich die Hauptarbeit. Selten paßten die existierenden Verfahren zu meinen Fragen, und wenn es um Finanzen ging, tat man gut daran, sich eine zweite nichtanalytische Denkweise anzugewöhnen. Das hat mir keineswegs geschadet. Die analytische Sprache ist eine klinische und in ihrem Metaphernreichtum und ihrer Verwilderung keineswegs wissenschaftlich. Da ich nun selbst seit Jahren lange und kurze Analysen praktiziere, habe ich immer in dieser Spannung zwischen "Wissen" und seiner "Verifikation" gelebt. Meist hat mich diese Position bereichert, aber oft war es auch ziemlich einsam, auf jeden Fall immer ein Kraftakt. In meiner eigenen Analyse habe ich verstehen gelernt, wie intensiv diese Lebenskonstellation in meiner Kindheit und Jugend wurzelt, in der meine Eltern, beide Ärzte, mir dieses äußerst spannungsvolle Verhältnis zwischen Forschung und Praxis vorlebten. Der Vater, ein Wissenschaftler von ganzem Herzen, der der politischen Wetterlage wegen Landarzt wurde, experimentierte mit allem möglichen und unmöglichem, studierte alle ihm zugänglichen sogenannt "harten" Sachen und piesackte uns Kinder nicht gerade selten mit deren Vortrag. Meine Mutter, die Frau Doktor des Dorfes, war eine herausragende Persönlichkeit, die den Placeboeffekt fast aller wissenschaftlichen Neuerungen für überwältigend hielt, und sie eben deshalb nicht verschrieb. "Da machen wir am beschten gar nichts", war ihre Devise, wobei gar nichts natürlich ein intensives Gespräch und die Aufdeckung der seelischen Untergründe bedeutete. Ihnen beiden habe ich dieses Buch gewidmet. Ihre Beziehung, dietrotzihrer Spannungen über 60 Jahre bis zum Tode der Mutter gehalten hat, und mir fünf außerordentlich interessante, fordernde und liebenswerte Geschwister geschenkt hat, mußte ich in meinem Leben in der oben geschilderten Konstellation nachspielen, oft ungern, aber doch mit wachsendem Stolz und nie versiegender Neugier. Das viele Elend, das ich in einer so langen Laufbahn wahrnehmen mußte und in mir herumtrug, war mir immer Ansporn, uns als die Urheber eben dieses Elends besser zu verstehen, anzunehmen und zu verändern. Ich hatte das Glück, immer Menschen zu finden, die mit mir ähnliche Ziele verfolgt haben. An erster Stelle steht, wie sollte es anders sein, meine Frau, Kontorseherin und -therapeutin Dr. Evelyne Steimer-Krause. Es ist mir noch heute
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ein Rätsel, wie es sein kann, daß man mit einem soJchen Menschen beschenkt wird. Ich gedenke es nicht zu lösen, sondern dankbar anzunehmen. Die Professo ren Mühle und Maser, meine geliebten Doktorväter, die Professoren Kaminski und Bischof, deren Arbeiten und Denkweise mich tief geprägt hat, und dann meine Saarbrücker Kolleginnen und Kollegen Boesch, Eckensberger, beides Universalgelehrte, Tack und Engelkamp, scharfe Denker und harte Experimentatoren. Eine bessere Schulung und Feuertaufe als die Diskurse mit ihnen kann man sich nicht denken. Schließlich die Freunde und Kolleginnen Dr. Kessler und Dr. Schneider-Düker, die mit mir die klinische Praxis teilten und mich in den Stunden der Niederlagen aufbauten. Die vielen anglo-amerikanischen Kollegen Buck, Ekman, Emde, Feldstein, Fonagy, Friesen, Kernberg, Luborsky und Sandler haben mir ihre Methoden und Denkweisen nahegebracht, pragmatisch effizient und freigiebig, wie es dort eben so die Art ist. Von den hiesigen Kollegen, die mich beraten oder geschult haben, seien besonders erwähnt Prof. Rain er Bastine, Birgit Barth, Dr. Karin Bell, Dr. Arno von Blahrer, Prof. Peter Buchheim, Dr. Martha Eicke, Prof. Peter Fiedler, Prof. Michael Geyer, Prof. Anneliese Heigl-Evers, Prof. Franz Heigl, Prof. Horst Kächele, Prof. Fritz Meerwein, Prof. Adolf-Ernst Meyer, Dr. Berthold Rothschild, Dr. Rainer Sandweg, Prof. Siegtried Zepf, Prof. Helmuth Thomä, Prof. Klaus Wanke, Prof. Andre Haynal, Prof. Eva J aeggi, Prof. Christa Rhode-Dachser. Allen meinen Mitarbeitern, die an unseren Projekten mitgearbeitet, mich beraten, Korrektur gelesen und geschrieben haben, sei herzlich gedankt. Es sind dies die Damen und Herren Thomas Anstadt, Cord Benecke, Barabara Haack, Ute Mengele, Dr. Jörg Merten, Burkhard Ullrich, Dr. Evelyne Steimer-Krause, Joachim Wutke und vor allem meine Sekretärin Frau Elisabeth Hassankhani, die meine Neigung zu verzweifelten Wutanfällen angesichtsder Situation unserer deutschen Universitäten mütterlich wohlwollend abgefedert hat.
Rainer Krause im Winter 1996/1997
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1 Allgemeine Einführung in den Gegenstand und die Absicht des Buches
1.1 Einleitung Die allgemeine Krankheitslehre beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen psychischer Erkrankungen. Sie stellt den Versuch von Psychoanalytikern dar, eine allgemeine Krankheitslehre psychischer und psychosomatischer Störungen aufzubauen. Ein solches Vorhaben kann, sofern es wissenschaftlich sein soll, nur vorläufig und unvollkommen sein, denn es muß stets die Befunde der sich rasch ändernden Nachbarwissenschaften integrieren, als da sind Psychologie, Soziologie, Biologie und die vielen Teildisziplinen der Medizin. Von den Nachbarwissenschaften aus betrachtet, kann man soziologische oder medizinisch-somatische Krankheitslehren aufstellen, die den psychoanalytischen Vorstellungen nicht entsprechen müssen. Im besten Fall sind die Befunde des einen Systembereiches Eingangs- oder Ausgangsgrößen für den anderen. Eine somatische Theorie des Alkoholismus z. B. kann als Eingangsgröße bestimmte psychologisch zu definierende Persönlichkeitstypen haben, die sich auch in bestimmten Bereichen ihres physiologischen Reagierens unterscheiden (Rost 1987). Trinkt der eine zur Sedierung unerträglicher Affekte, tut der andere das gleiche, um ohnehin vorhandende positive Gefühle zu steigern (Tomkins 1962, Tomkins 1991, Voigtel1996). Die psychoanalytische Behandlung Drogensüchtiger zeigt, daß die spezifische pharmakologische Wirkung und die mit ihr verbundenen spezifischen Rituale der Anwendung der Drogen selektiv benutzt werden, um ebenso spezifische Phantasien zu induzieren, aufrechtzuerhalten und gleichzeitig zu kontrollieren (Hopper 1995). So werden Aufputschmittel zur Stabilisierung und Kontrolle gewalttätiger Herrschaftsphantasmen, Heroin jedoch eher zur Herstellung symbiotischer Phantasmen benutzt. Es wäre naiv anzunehmen, die pharmakologische Wirkung sei von den Phantasien, zu deren Handhabung sie eingesetzt wird, unabhängig. Sie ist ein kompliziertes Mischungsverhältnis der Wirkung der Phantasien und des mit ihnen verbundenen Affektes und des Giftes. Der Persönlichkeitstyp als Moderatorvariable ist wiederum auf soziologische Eingangsgrößen angewiesen, denn die unerträglichen Affekte, die durch das "Gift" sediert werden müssen, können aus typischen verinnerlichten sozialen Beziehungen und Normen stammen. Der eine mag trinken, um den unerträglichen Anforderungen seines Gewissens zu entkommen, das sich als Schuld und Versagensgefühl niederschlägt, der andere, um unerträglichen Leeregefühlen etwas entgegenzusetzen, welche der verinnerlichte Niederschlag fehlender Beziehungserfahrungen sein können (Wanke & Bühringer 1991). Solche überdauernden Zustände als Eingangsgrößen von Erkrankungsprozeßen kann man als den Niederschlag von Strukturen, wie Gewissen, Überich, lchideal, oder von emotional scripts verstehen (Tomkins 1991). Wichtig ist an dieser Stelle nur, daß diese Begriffe ohne eine soziologische Theorie der Verinnerlichungen keinen Sinn machen. Das gleiche gilt für die Identifizierungen genann17
ten Formen der Verinnerlichungen sozialer Geschehnisse. Man kann nicht über Transvestitismus, Perversion und Sexualität reden, ohne die kulturell definierten identifikatorischen Muster - in die die Phantasien und Handlungen eingebettet sind -zu kennen (Stoller 1991). Dies wird hier eingeführt, um dem Irrtum vorzubeugen, es gebe nur eine und dann noch eine richtige Krankheitslehre. Die Krankheitslehre muß partiell immer neu geschrieben werden, einmal wegen der neuen Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften, zum anderen wegen der sich verändernden Sozietät. Der Ansatz kann ebenso wie das biopsychosoziale Rahmenmodell (Engel1980) aus der allgemeinen Systemtheorie abgeleitet werden. Systeme sind demnach Ausschnitte der Realität, die einerseits durch das Erkenntnisinteresse ausgewählt werden und sich andererseits durch ihre Selbstorganisation von ihren Nachbarsystemen unterscheiden. Wie später zu zeigen sein wird, ist das Spezifische der psychoanalytischen Krankbeitslehre, daß sie sich mit dem Systembereich der bewußten und unbewußten inneren Abbildungen somatischen, psychischen und vor allem sozialen Geschehens und deren Auswirkung auf das Fühlen, Handeln und Interagieren, beschäftigt. Es handelt sich also in wesentlichen Bereichen um eine kognitive oder- in analytischen Begriffen - um eine Theorie der mentalen Innenwelt, die zwar im Umfeld von Erkrankungen entstanden ist, aber trotzdem Allgemeingültigkeit beansprucht. Es wird in ihr auch kein qualitativer Unterschied zwischen gesund und krank postuliert, vielmehr werden die Erkrankungen aus den Gesetzmäßigkeiten der "normalen Seelentätigkeit" abgeleitet. Am nächsten verwandt ist die Modellbildung m. E. mit derjenigen der personalen Konstrukte von Kelly (1963) einerseits und den interpersonellen Modellen andererseits (Anuchin & Kiesler 1982), die eher zirkuläre Netzwerke als lineare Kausalität beanspruchen. An zwei Formen kausaler Beeinflussung wird festgehalten. Einmal wird angenommen, daß das von Phantasien gesteuerte Verhalten der Elterngeneration in Form eines noch zu besprechenden Verinnerlichungsprozesses neben vielem anderen die Phantasien und Verhaltensweisen der nachfolgenden Generation bestimmt. Das heißt, die interpersonalen Beziehungen mit der Elterngeneration einer bestimmten Entwicklungsperiode kehren als intrapsychische Konfliktbereitschaften und damit als handlungssteuernde Phantasmen und gleichzeitig als interpersonelle Störungen wieder. Somit wäre jede psychische Störung anteilmäßig als Beziehungsstörung zu definieren, was der Theorie eine Integration der modernen Familien- und Interaktionsforschung erlauben sollte (Emde 1991, 1992, Hahlweg et al. 1988). Die zweite Kausalvorstellung geht davon aus, daß es bestimmte Typen von Konflikten im mentalen Bereich gibt, die das Erleben und Verbalten der von ihnen Betroffenen in spezifischer Weise festlegen und damit auch die Symptome beeinflussen. In diesem Sinne ist das psychoanalytische ModelJ ein "medizinisches" Modell. Die Symptome sind Folgeerscheinungen anderer Prozesse und nur beschränkt aus sich selbst heraus versteh- und vorhersagbar. Sie sind auch durch diese dahinterliegenden Prozesse determiniert. Damit ist aber nicht gesagt, daß alles Verhalten determiniert sei. Die deterministische Annahme beschränkt sich auf den pathologischen Bereich des Menschen, wobei die folgende Gesetzmäßigkeit gilt: Je schwerer die Erkrankung, desto höher ist die Vorhersagbarkeit und Determiniertheit des Geschehens. Wenn man die Theorie der personalen Konstrukte, die davon ausgeht, daß eine Person psychologisch
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dadurch, wie sie Ereignisse vorwegnimmt, gesteuert wird, als Modell nimmt, könnte man die psychoanalytischen Erklärungen von Pathologien als unbewußte Vorwegnahme von als absolut sicher eingeschätzten Ereignisabfolgen betrachten. In einem solchen Sinne funktionieren unsere Patienten streng deterministisch. In bestimmten Bereichen ihres Seelenleben gibt es 100 Prozent Gewißheiten, daß, wenn sie x tun, y passieren wird, zum Beispiel, wenn sie sich auf eine Liebe einlassen, sie unabweislich früher oder später fallengelassen werden. Die Liste dieser Gewißheiten ist nicht unendlich. Sie ist durch die Anzahl möglicher menschlicher Wünsche und deren Behandlung durch die anderen und den Kranken selbst begrenzt. Barber, Crits-Christoph & Luborsky (1990) haben unter Verwendung der üblichen clusteranalytischen Verfahren eine Liste von acht Wünschen, acht Reaktionen anderer und acht Reaktionen der Person selbst erstellt. Diese Wünsche und die möglichen Reaktionen sind wenig geheimnisvoll und originell, demzufolge sind die psychischen Störungen in ihren Gesetzmäßigkeiten auch relativ trivial. Für die Patienten bedeutet das Herausfinden der lehrbuchhaften Anteile ihrer scheinbar so chaotischen Lebensprozesse eine Entlastung und narzißtische Kränkung zugleich. In Rahmen anderer, verwandter Theorien wird an dieser Stelle mit Rollenbeziehungsmodellen (L. M. Horawitz 1994), Plänen (Curtiss, Silberschatz, Sampson & Weiss 1994) oder Schemata (Grawe 1987) operiert. Der sogenannte Wiederholungszwang ist die psychoanalytische Ausformulierung solcher Konstrukte. Eine zweite affine Modellbildung findet man in denjenigen Handlungstheorien, in denen die Handlungen selbst symbolische bewußte und unbewußte Bedeutungen haben können, die als Phantasmen beschreibbar sind. Solche Phantasmen strukturieren die Handlungsfelder nicht nach sachlichen Gesichtspunkten, sondern nach einer unbewußten, subjektiv begründeten Valenz-Topographie. Desgleichen gewinnen sogenannte Reize, seien sie äußerlich perzeptiver oder innerlich interozeptiver Art (Vaitl 1995), ihre Wirkungsmacht durch die Natur des unbewußt phantasierten Handlungsfeldes, in das sie eingebettet werden (Kaminski 1970, 1978; Boesch 1976, 1991). Um beim oben eingeführten Beispiel der Drogensucht zu bleiben, kann man feststellen, daß das Ritual der Applikation der Drogen in solche unbewußten Handlungstopographien eingebettet ist. Schnupfen, Spritzen, Trinken sind als rituelle Handlungen in ihrer unbewußten Valenz höchst unterschiedlich. Die metaphorische Gleichsetzung von "Schießen" und "Spritzen" mag dies deutlich machen. Das schließt Konditionierungsprozesse ein, in deren Verlauf ein Reiz eine solche unbewußte subjektive Valenz bekommt. Beispielsweise hatten 70 Prozent der 223 heroinabhängigen Patienten des Nordrheinwestfälischen Methadonsubstitutionsvorhabens eine weitere psychiatrische Störung aufzuweisen, die dazu führte, daß sie auf die sozialpsychologischen Rahmenbedingungen des Programms sehr stark und unterschiedlich ansprachen. Eine rein metabolische Theorie der Opiatabhängigkeit ist vor diesem Hintergrund stets reduktionistisch (Scherbaum & Heigl-Evers 1996). Wir betrachten experimentelle Ansätze, die diese von jeder Person neugeschaffene Situationsdefinition nicht berücksichtigen, als dem Gegenstand der zwischenmenschlichen Beziehung und dem der Behandlung von Erkrankungen nicht angemessen. Patienten mit somataformen und hypochondrischen Störungen scheinen mehrdeutige Körpersignale rasch als Zeichen allgemeiner körperlicher Schwäche und Krankheit zu interpretieren (Rief 1996). Man kann also in dieser spezifischen 19
Interpretationsneigung und einer erhöhten somatosensorischen Wahrnehmungsbereitschaft einen möglichen Faktor zur Verstärkung, Entstehung oder Aufrechterhaltung von hypochondrischem und somatoformem Verhalten sehen (Margraf 1989). Man kann dies möglicherweise auch als eine automatisierte erhöhte Selbstbeobachtung verstehen (Lieb und Margraf 1994). Die psychoanalytische Theorie würde sich darüber hinausgehend dafür interessieren, wie diese Neigung zu erhöhter Selbstbeobachtung mit den unbewußten und bewußten Phantasien, z. B. narzißtischer oder posttraumatischer Herkunft der Personen verbunden ist (Barsky & Wischak 1990, Rosenfeld 1984). Es ist also nicht so, daß sich die Psychoanalyse für den Zusammenhang von Hypochondrie und veränderter Introzeption nicht interessieren würde, aber sie würde den möglichen Zusammenhang zwischen Selbstwertregulation und Selbstbeobachtung zusätzlich zum Gegenstand ihrer Forschung machen.
1.2 Gesund und krank, psychisch und körperlich Ich strebe in diesem Buch nicht an, die Bedeutung von psychisch vs. somatisch einerseits und Krankheit vs. Gesundheit andererseits definitorisch festzulegen. Häufig werden Gesundheitsbegriffe angeführt, die sich an statistischen, funktionalen oder sozialen Normen orientieren. Jedes dieser Verfahren für sich ist notwendig, aber keineswegs ausreichend zum Verständnis von Krankheitsprozessen (Bastine 1990). Statistische, an Normen orientierte Krankheitsbegriffe findet man allenfalls bei geistigen Behinderungen, die manche Autoren nach dem Intelligenzquotienten in leicht (50 bis etwa 70), mäßig (35-50), schwer (20-40) und schwerst (unter 20) einteilen (Dilling, Mornbour & Schmidt 1992). Es läßt sich zeigen, daß statistische Normabweichungen allein als Bezugssystem für Erkrankungen nicht taugen. Die extreme Abweichung eines Merkmales, wie zum Beispiel der Intelligenz, um einen als Zentraltendenz definierten Wert per se ist kein Merkmal einer Erkrankung, sondern Ausfluß der natürlichen Streuung, die man bei sozialen und vielen biologischen Merkmalen findet. Vor diesem Hintergrund ist eine Intelligenzminderung ebenso wenig eine Erkrankung wie eine Hochbegabung. Aus pragmatischen Gründen mag es geeignet sein, solche Erscheinungen als psychische Störungen oder als Erkrankung zu definieren, aber solche Definitionen sind an die Rolle des Gesunden gebunden. Wenn die betreffenden Personen die "Kulturtechniken" Lesen, Schreiben und Sich-anständig-Ausdrücken beherrschen sollen, muß man die Grenze anders legen, als wenn der Umgang mit Tieren, wie z. B. bei Sennen, die wesentliche Kulturtechnik darstellt. Eine Definition von Erkrankung als Abweichung von einer wie auch immer empirisch gefundenen oder gedachten optimalen Funktion allein ist ebensowenig tragfähig wie eine Ori entierung an statistischen Nonnen. Auch bei funktional abweichendem Verh alten muß definiert werden, welche Funktionsabweichungen als gestört und welche als normal zu gelten haben. Offensichtlich sind die jeweiligen Definitionen sehr eng mit dem aktuellen Wissen in der Medizin und der Psychologie verbunden. Wenn man die Ursachen einer Funktionsabweichung einmal kennt, wird man nicht mehr bereit sein, sie als Variante des Lebens hinzunehmen. So betrachtet, sind alle für 20
unser Fach zentralen Begriffe dauernd im Fluß. Krank- und Gesundsein ist also ein biopsychosoziales Phänomen und in diesem Rahmen u. a. eine bewußte und unbewußt definierte Rolle, die in Teilen normativ gefaßt wird. Jede historische Epoche modelliert sich ihre eigenen Krankheitstheorien und Symptome, die wiederum mit den Phantasmen der Forscher und Theorienbauer zusammenhängen. Shorter (1994) zeigt dies anband der Geschichte der psychosomatischen Medizin auf. Man ist tief beeindruckt von der Abstrusität und Verrücktheit der wissenschaftlichen Theorien und entsetzt über die aus ihnen abgeleiteten weit verbreiteten Behandlungsformen. Was soll man von männlichen Wissenschaftlern halten, die entdeckt hatten, daß überreizte weibliche Geschlechtsorgane reflektorisch das Gehirn der Frauen affizieren würden und in der Folge dieser "Entdeckung" die operative Gynäkologie als psychiatrisches Behandlungsmittel einführten, um zahllose Patientinnen an Klitoris, Schamlippen oder der Gebärmutter chirurgisch oder mit Brenneisen zu verstümmeln. Solche sich wissenschaftlich gebärdende Formen kollektiven Wahnsinns sind keineswegs auf die somatischen Behandlungen beschränkt. In einem völlig überbordenden esoterischen Psychomarkt werden immer mehr Kranke und psychisch gestörte Menschen zu "Therapeuten" ausgebildet, die dann beispielsweise sexuelle Beziehungen mehr oder weniger offen als psychotherapeutisch begreifen und anbieten und eben dafür wiederum gestörte Menschen gewinnen können. Allein in einem Heft der Zeitschrift "Psychologie heute" von 1994 wurden in 99 Annoncen 219 Ausbildungsangebote für Behandlungsformen wie sky dancing tantrafür Ekstase und Liebe, die teilweise im redaktionellen Teil als Unsinn decouvriert werden, angeboten (Asmus & Hoffmann-Richter 1996). Normative Setzungen von Krankheit sind zwar manchmal aus administrativen und rechtlichen Gründen notwendig, aber sie sind selten wissenschaftlich ohne Zweifel. Für den Psychoanalytiker und den klinischen Psychologen ist diese bewußte und vor allem die unbewußte unspezifische und krankheitsspezifische Rolle von ebenso großem Interesse wie der pathogene Prozeß, so es denn einen gibt, selbst. In manchen Fällen schafft sich die Rolle ihre je eigene Pathologie, ohne daß man ein Substrat finden könnte. Darauf haben Theoretiker wie Szasz (1979) hingewiesen, die meinten, die Kategorisierung, Benennung und Behandlung von Verhalten schaffe sich erst die Erkrankungen, die sie dann später behandle. Das Problem ist zweifellos vorhanden, aber wie wir später sehen werden, haben wir Grund zu der Annahme, daß sich auch die Gesunden und die Ärzte an die psychisch Erkrankten ganz unbemerkt anpassen. Der individueUe Leidensdruck ist, wie wir später sehen werden, auch kein ausreichendes Merkmal für die Definition einer psychischen Erkrankung, weil manche Erkrankte andere leiden machen, aber selbst dabei nicht leiden, ohne sich gegen beides wehren zu können. Im Umfeld von Soziopathien findet man zweifellos solche Phänomene. Andere Patienten, wie die an einer manischen Episode erkrankten, zeichnen sich durch einen scheinbaren Exzeß an subjektivem Wohlbefinden aus, der allerdings in eine Form von sehr zerstörerischer Intentionalität einmündet. Wegenall dieser Einschränkungen scheint es sinnvoll, die bewußte und unbewußte Rolle des Krankseins einer je einzelnen Person in einer gegebenen Kultur mit dem Wissen der Experten dieser Kultur als Rahmen zu wählen. Der Soziologe Parsans (1968) z. B. definiert die Rolle des Kranken wie folgt: 21
"Eine offiziell, anerkannte verallgemeinerte Störung der Fähigkeit des Individuums zur normalerweise erwarteten Aufgaben- und Rollenerfüllung, deren Überwindung nicht durch einen Willensakt geschehen kann, und die als Grundlage zur Befreiung des kranken Individuums von seinen normalen Verpflichtungen gilt, unter der Voraussetzung, daß der Kranke den Zustand als unnatürlich ansieht und kompetente Hilfe sucht." (S.l41)
Die Legitimation der Rolle hängt daran, daß der Kranke den eigenen Zustand als nicht wünschenswert ansieht. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe von Problemen im sslzialpsychologischen Umfeld, wie die Diskussion um die höheren Beiträge der Ubergewichtigen und Risikosportler zur Krankenversicherung gezeigt haben. Diese kulturelle RoHendefinition als legitimer Zustand der Befreiung von den normalen Rollen verkoppelt den Erkrankungszustand sehr eng mit dem der "normalen" Rolle der Arbeitswelt. So übersteigen die Krankheitsabsenzen der Prüfungskandidaten der Psychologie meiner Universität den allgemeinen Krankenstand der Bevölkerung um nahezu 40 Prozent. Dies liegt- wie die Studenten selbst versichern- nicht unmittelbar an dem erkrankungsfördernden Umfeld einer Prüfung, sondern daran, daß eine vom Studenten als mangelhaft angesehene Vorbereitung vor der Prüfung nur durch die Rolle des Kranken während der Prüfung egalisiert werden kann. Daß viele dann pflichtschuldigst auch noch wirklich krank werden, läßt einen Zusammenhang zwischen Schuld/Sühne und Krankenrolle vermuten. Was die unbewußte Rolle des Krankseins betrifft, gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Viele Personen erleben Krankheit unbewußt als schuldhaft und eine wie auch immer geartete Vergeltung, andere als Zugang zu einer ansonsten verwehrten Regression und Hingabe (Hinderling 1981). Es gibt eine Gruppe von Patienten, ,Artefakt'- oder Münchhausenpatienten genannt, die sich aktiv selbst verletzen, um in die Rolle des Kranken zu geraten. Diese Gruppe von Patienten war in der Kindheit oftmals sexuellen und anderen körperlichen Mißhandlungen ausgesetzt, so daß ihr selbstzerstörerisches Verhalten auch als Fortsetzungs- und Bewältigungsversuch dieser traumatischen Erfahrungen zu sehen ist, wobei rollenwidrig dem Arzt die Rolle des körperlich besitzergreifenden Taters zukommt. Deshalb kommen die Behandler mit diesen Patienten selten klar (Nordmeyer, Freyberger & Nordmeyer 1994). Diese soziale und kulturelle Relativierung der Krankenrolle heißt nicht, daß notwendigerweise die Krankheitsbilder mit den unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften komplett wechseln müssen und wir eine unübersehbar große und schwer vergleichbare Menge jeweils neuer Krankheitsbilder hätten. Das ist gewiß nicht so, aber es macht einen großen Unterschied für Verlauf und Behandlung aus, ob ich z. B. das, was wir "psychotisch" nennen, als besonders seherisch oder als somatisch bedingte Minusvariante ansehe. Möglich ist offensichtlich beides. So kann man die Schizophrenien - ausgehend von sogenannten Basisstörungen kognitiv affektiver Art (Süllwold 1995) beschreiben, und tatsächlich schneiden die Schizophrenen in vielen kognitiv und affektiv bestimmten Wahrnehmungsfunktionen schlechter ab als die Gesunden. Geht es aber um die Wahrnehmung zwischenmenschlicher Prozesse im Bereich der negativen Emotionen, scheinen sie besonders sensibel (Lempa 1992, Larusso 1978). Wenn man also jemanden als Seher und Wahrsager haben will, der die eigenen negativen unbewußten Anteile zur Grundlage seiner Pro22
gnosen macht, sind Personen aus dem Schizophrenie-Spektrum möglicherweise überlegen (Becker 1992). Allein was das Verhältnis von Kultur, Gesellschaft und Krankheit betrifft, haben wir mindestens drei verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen, nämlich einen soziologischen im Sinne einer Rollenkonzeption, den zweiten mit dem ebenfalls durch die Kultur, aber auch die Person definierten möglichen sekundären Krankheitsgewinn durch die Übernahme der Krankenrolle und drittens die unbewußten Phantasien des je einzelnen Patienten über diese Rolle und die Erkrankung. Wie wir später sehen werden, sind die biologischen Vorgaben für Erkrankungen in weiten Bereichen als spezifische Formen von Verletzlichkeiten zu sehen, die von den familiären und/oder gesellschaftlichen Randbedingungen durch die Schaffung spezifischer zur Verletzlichkeit passender Konflikte abgerufen oder auch gegengesteuert werden (Nuechterlein 1987). So wie es Seelisches ohne körperliche Grundlage nicht gibt, kann es eine körperliche Erkrankung ohne psychische "Beteiligung" nicht geben. Schließt man in den Prozeß der Erkrankung auch die Verarbeitung des Leidens und des Schmerzes ein, wird man nicht umhin können , auch die von der Entstehung her "rein somatischen" Erkrankungen als psychosomatisch im weiteren Sinne anzusehen. Die starke Bevorzugung körperlicher Verursachungsmodelle ist durch die meßmethodischen Zugangsweisen, die im letzten Jahrhundert entwickelt wurden, bedingt. Theoretisch ist sie nicht gerechtfertigt, und es hat sie weder in der älteren europäischen Medizin noch in den nichtwestlichen Medizinsystemen je gegeben, und sie entspricht auch nicht modernen medizinischen Kriterien. Wie wir später sehen werden, gibt es leib-seelische Phänomene sui generis, wie z. B. die Gefühle und Affekte, die sehr direkt mit Beziehungen einerseits und Erkrankungen andererseits zusammenhängen (Krause 1996). Die Art der Diagnostik und Theoriebildung hängt allerdings sehr eng mit der bevorzugten Behandlung und der in einer Kultur vorgegebenen Mythologie und Abwehrstruktur, die sich um Krankheiten herum ansiedelten, zusammen. Erst in jüngster Zeit wird bemerkt, wie wenig weite Teile der Bevölkerung eigentlich bereit sind, sich auf das bevorzugte Krankheits-und Behandlungsmodell unserer Kultur einzulassen. Hielt man es für verständlich, daß z. B. 90 Prozent der brasilianischen Bevölkerung Voodooähnliche Kulte zur Heilung psychischer Gebrechen aufsuchen, scheint es doch gewöhnungsbedürftig, sich mit einer dezidiert antiwissenschaftlichen, esoterischen Massenpsychotherapiebewegung, welche die sich wissenschaftlich verstehenden Behandlungsverfahren verachtet, auseinanderzusetzen. Ganz unabhängig von jeder Krankenkassenfinanzierung spielen hier die Gesetze von Angebot und Nachfrage eine Rolle. Wie groß dieselbe ist, zeigt die Untersuchung von Asmus & Hoffmann-Richter (1996). Die mangelnde Akzeptanz der sich als wissenschaftlich verstehenden Ansätze hängt zweifellos damit zusammen, daß im Bestreben nach Objektivierung leicht übersehen wird, daß Lebewesen ihre Umgebung nach ihrem inneren Zustand als Bühne für ihr Verhalten interpretieren (Uexküll & Wesiack 1996). Ein solche Gegebenheiten einschließendes biopsychosoziales Modell wird erst langsam entwickelt und von der Fachwelt akzeptiert (Engel 1996). Die Berufsgruppe der Heilpraktiker hatte seit Beginn der modernen Medizin eine ganz andere Form von Modellbildung weitergeführt. Innerhalb der Medizin beschäftigt sich die "Compliance-Forschung" damit, ob und warum die Kranken die vorgesehene Hilfe überhaupt zu sich nehmen. Compliance
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heißt Einwilligung, Willfähigkeit Man versteht darunter den Grad, in dem das Verhalten einer Person in bezug auf die Einnahme eines Medikamentes, das Befolgen einer Diät oder die Veränderung des Lebensstils mit dem ärztlichen und gesundheitlichen Rat korrespondiert. Waren die Psychoanalytiker von Anfang an gewöhnt, mit dem Widerstand der Patienten zu rechnen, ist dies in der somatischen Medizin und in den Therapieformen, die kein befriedigendes Konfliktmodell haben, unbefriedigend axiomatisiert und praktisch kaum gelöst. So ist in der somatischen Medizin der Prozentsatz der tatsächlich angewandten Heilverfahren in Relation zu den Verschriebenen manchmal sehr gering, was vieHeicht deutlich macht, daß viele Patienten zumindest unbewußt eine andere Vorstellung von der "Rolle" des Krankseins als die Ärzte haben. Untersuchungen an diabetischen Kindern und Jugendlichen haben zum Beispiel ergeben, daß 40 Prozent in bezug auf ihre diätetischen Maßnahmen und Behandlungspraktiken schwindelten. Für bestimmte Praxeologien der Verhaltenstherapie und der humanistischen Therapien läßt sich das Fehlen eines Konfliktmodells an spezifischen Formen des Mißlingens aufzeigen. So kritisieren Grawe et al. (1994) das Fehlen des motivationalen Aspektes in der Behandlungstheorie der self-efficacy und meinen, daß die auftretenden Mißerfolge der auf Problemlösung und Bewältigung ausgerichteten Behandlungen durch die mangelnde Berücksichtigung der motivationalen Voraussetzungen zustande kämen. Implizit heißt dies die Wahrnehmung der Existenz eines Konfliktes zwischen der offiziellen Therapiemotivation, der Patient ist ja schließlich mit einem Behandlungswunsch gegenwärtig, und einer gegenläufigen, meist unerkannten Motivstruktur. (So berichtet mir ein 22jähriger Patient mit schweren sozialen Ängsten, er habe auf Kosten der Krankenkasse 1 1/ 2 Jahre ein self-assertive-training gemacht, in dessen Rahmen er unter anderem von der Therapeutin in Diskotheken begleitet wurde, um seine Ängste vor Frauen anzugehen. Weder während der Verhaltensanalyse noch während der Behandlungszeit hatte der Patient ihr seine masochistisch homosexuelle Orientierung mitgeteilt. Er hätte dies nicht für wichtig gehalten, und sie hätte nicht gefragt.) Ein solches Vorgehen ist sicher auch im Rahmen einer Verhaltenstherapie ein Kunstfehler, aber das Fehlen des Konfliktmodelles läßt diese Art von Fehlern wahrscheinlich werden. Das jahrelange "Analysieren" von manifesten Angstattacken ohne den Versuch einer Reizkonfrontationstherapie ist ebenfalls ein Kunstfehler, der sich aus der Überdehnung der Bedeutsamkeit des mentalen Modellbereiches herleitet. Auf das Problem der therapeutischen Bedeutung der Beziehung und der Behandlungstechnik in den verschiedenen Modellen komme ich noch genauer zu sprechen (Rudolf 1991, Schindler 1991). Schließt man dieneueren Kenntnisse über das "Immunsystem" in solche Betrachtungen ein, sind Gesundheit und Erkrankung in einem noch viel weiteren Sinne psychosomatisch. Man kann sich nämlich fragen, warum bestimmte Personen gesund bleiben, obgleich sie - rein äußerlich - die gleichen, ja wenn nicht gar schwerere, Erkrankungsgefährdungen in ihren Lebensgeschichten aufzuweisen haben wie die Erkrankten. Daß dies in einem, wenn auch begrenzten Rahmen auch auf die psychischen Erkrankungen und deren Entstehung zutrifft, zeigen die epidemiologischen Studien von Tress (1986). Zusätzlich deuten viele Befunde darauf hin, daß langandauernde affektive Belastungen, aber auch positive Gefühlslagen zu Veränderungen der Immunlage führen.
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Zwar sind die vielfältigen Ursachen- Wirkungsverkettungen zwischen Verhalten, psychischer Repräsentanz, Zentralnervensystem, Immunsystem und Krankheit kaum aufgedeckt, aber an der Existenz einer solchen Verbindung kann heute kein Zweifel mehr bestehen (Adler 1986, Klosterhalfen & Klosterhalfen 1996, Birbaumer & Schmidt 1996). Die beiden letzteren machen geltend, daß Immunreaktionen auf den folgenden vier Wegen zur Erkrankung führen können:
Immunreaktion zu schwach
zu stark
Pathologischer Einfluß von Außen
Infektionskrankheiten Aids
Allergien
Pathologischer Einfluß von Innen
Krebs
Autoimmunkrankheiten z. B. Multiple Sklerose
Alle vier pathogenen Vorgänge nehmen auf das ZNS und das Hormonsystem Einfluß. Da jedem psychologischen Vorgang ein Hirnprozeß zu Grunde liegt, werden solche Hirnvorgänge, die mit dem Immunsystem in Verbindung stehen, psychologisch ausgelöste Immunreaktionen bewirken. Da die Beziehungen zwischen den psychologischen und den immunologischen Prozessen in der Regel nicht linear sind, sondern das Überschreiten eines Grenzwertes schlagartig zu pathologischen Entwicklungen, z. B. Tumoren führt, müssen wohl, wie bei der Beschreibung des psychotherapeutischen Prozesses, mathematische Modelle aus dem Umfeld der deterministisch chaotischen dynamischen Systemtheorie verwendet werden (Schiepek 1994 a). Sollte diese Modellannahme für die pathogene Entwicklung gelten, kann man sie möglicherweise auch auf die Gesundung anwenden. Um nur ein eher anekdotisches Beispiel zu erwähnen, betreffen die 40 "anerkannten" Wunderheilungen von Lourdes, die aus 6000 Anträgen ausgelesen wurden, besonders häufig Krebs-, Autoimmunerkrankungen und Infektionen (Miketta 1992, S. 162). Sie folgert: "Wenn die engen Verbindungen zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem in der Tat so existieren, wie es der derzeitige Stand der Wissenschaft als wahrscheinlich erscheinen läßt, .. ., dann muß sich de r gegenseitige Informationsaustausch zwischen den Systemen auch beim Heilungsprozeß einer Krankheit nutzbar machen lassen" (Miketta 1992, S. 164).
Wir haben nun bereits drei zusammenwirkende Beeinflussungsfaktoren, nämlich erstens die objektive Gefährdung bzw. Noxe, zweitens deren psychische Verarbeitung und drittens die mögliche Veränderung der Immunlage in Folge beider Einflußgrößen. Für wenige psychische Störungen und deren Ätiologie ist das Zusammenwirken dieser drei Einflußfaktoren bekannt, und es spricht sogar viel dafür, daß eben dieses Zusammenwirken von einem Kranken zum anderen hochgradig individualisiert betrachtet werden muß. Eine weitere Relativierung aller Krankheitslehren ist notwendig, weil sie jeweils auf das Tätigkeitsfeld bezogen werden müssen, in dem sie entwickelt wurden. Die psychoanalytische Krankheitstheorie ist aus einer meist langandauernden zwischenmenschlichen Form der psychotherapeutischen Begegnung entstanden, und 25
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damit sind teilweise auch ihre Schwächen und Stärken erklärbar. Die daraus folgende meßmethodische Schwierigkeit, über die einzelne Dyade hinaus zu verallgemeinern, wird uns noch beschäftigen. Auf der anderen Seite besteht so die Möglichkeit, über dynamische innere Abläufe in der Zeit Aussagen zu machen, die anderen Verfahren verwehrt ist (Haynal1994). Damit kann man Anschluß an die Theorien dynamischer selbstorganisierter Systeme gewinnen (Höger 1992, Schiepek 1994 a). Natürlich kann und muß man verhaltensorientierte und/oder psychiatrische Krankheitslehren aufstellen. Die müssen den psychoanalytischen Vorstellungen auch nicht notwendigerweise entsprechen, ohne daß deshalb eine der Aussagengruppen "falsch" sein müßte, denn möglicherweise bilden sie andere Bereiche ab. Das begriffliche Durcheinander in der klinischen Praxis ist nicht nur der Folge unserer mangelnden denkerischen und forscherischen Bemühungen und Fähigkeiten sowie der Abbildung unterschiedlicher Systembereiche und der Benutzung unterschiedlicher Begrifflichkeiten zu verdanken, sondern ebenso der Tatsache, daß eine jede Theorie von psychischen Störungen "integrativ" sein und die jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten körperlichen, seelischen sowie sozialen Geschehens verbinden muß. Sie muß also im besten Sinne ganzheitlich sein. "Der Psychophysiologe neigt dazu, den lebendigen Organismus auf das NefVensystem und das Verhalten aufzerebrale Aktivitäten zu reduzieren" (Anzieu 1985, S. 13).
Das kann man den Fachleuten nicht übelnehmen, aber die forcierte Anwendung solcher in sich sinnvollen Modellvorstellungen auf das Gesamtgebiet der Psychologie ist therapietechnisch und für die Forschung hinderlich. Der Körper ist eine physiologische und eine imaginäre Gegebenheit. Er ist auch Instrument und Ort des Austausches mit dem anderen. Auf die Beziehung zwischen "hardware" und Programm, um eine ganz andere Metaphorik zu verwenden, werden wir später noch eingehen müssen. Im folgenden will ich versuchen, als jemand, der sowohl in der empirisch forschenden Psychologie als auch in der psychoanalytischen Praxis tätig ist, die Grundlagenforschung mit der klinischen Praxis so weit zu verbinden, als es mir zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist. Ein solches Vorhaben setzt zweierlei Einstellungen voraus, die deutlich gemacht werden müssen, ehe wir uns den eigentlichen Fragen zuwenden können. Die erste ist, daß die psychologische Grundlagenforschung von Relevanz für die klinische Praxis ist, und die zweite, daß "klinische Erfahrung mit Patienten" eine Form der empitischen Forschung ist, die die gleiche Dignität wie die experimentelle Bedingungsvariation hat. Beide Postulate sind keineswegs selbstverständlich. So spricht Kaiser (1993) der quantitativen Psychotherapieforschung jedwede Relevanz für die klinische Praxis ab. Grünbaum (1991) und andere meinen, die klinische Erfahrung sei so "kontaminiert", daß man sie nicht als Empirie betrachten könne, und Birbaurner (1991) hält die Psychoanalytiker für immun gegenüber jedweder Forschung. . ' All dem will ich nicht grundsätzlich widersprechen, natürlich gibt es diese Probleme, aber aus solchen Statements sprechen Haltungen, die der Fortentwicklung des Wissens über den Menschen und seiner Behandlung abträglich sind . Das klassische Verständnis des Wissenschaftlers und des Psychoanalytikers schloß ein, daß er stets auch deutlich werden ließ, was er nicht weiß. Aus diesem Nicht-
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wissen heraus entstanden ja schließlich seine Fragen. Diese Tugend scheint aus der Mode zu kommen. Viele Grundlagenforscher halten ihren Gegenstand für die Welt und können die Grenzen der Wissenschaft nicht sehen, ebenso wenig wie die Größe des Abstandes zwischen klinischer Praxis und Forschung. Manche Psychoanalytiker sondern zu allem und jedem Geschehen, sei es im sozialen, politischen, familiären oder ästhetischen Raum, öffentliche pseudoanalytische Statements ab, ohne auch nur zu reflektieren, ob denn die Übertragbarkeit aus dem Gegenstandsbereich "Psychoanalyse als Behandlung" auf andere Analyseeinheiten überhaupt gegeben ist (Reiche 1995). Mit solchen Apodiktikern, aus welchen Feldern auch immer, will ich mich also nicht gemein machen. Ich will allerdings auch die Unvereinbarkeit der Zugangsweisen nicht verleugnen, sondern sie im Kapitel über die verschiedenen Modi des Verstehens explizit behandeln. Fürs erste genügt die Absichtserklärung, daß der Leser nach der Lektüre in der Lage sein sollte, zentrale Modelle psychoanalytischen Denkens kritisch zu verstehen, um sie mit psychologischen integrieren bzw. sie gegeneinander abwägen zu können. Es hat 1960 einen ähnlichen Versuch von Rapaport gegeben, der den englischen Titel "The structure of psychoanalytic theory: A systematizing attempt" hatte. 1973 erschien es in deutscher Übersetzung und hat Generationen von Studenten als Versuch, die akademische Psychologie mit der Psychoanalyse zu verbinden, beeindruckt. Aber die akademische Psychologie und die Psychoanalyse von heute sind kaum noch mit denjenigen, auf die sich Rapaport stützte, identisch. In der akademischen Psychologie führen damals tragende Theoriebestandteile heute eher Randexistenzen, ich erwähne nur die nichtkognitiven Lerntheorien sensu Skinner, Hull etc. Je nach dem Blickwinkel mag man dies als den rasanten Fortschritt der akademischen Psychologie ansehen oder als eine gewisse Beliebigkeit in der Interessenlage und der Modellierung der psychologischen Grundlagenforschung. Desweiteren durfte Rapaport wegen des Ärztemonopols in der USamerikanischen psychoanalytischen Gesellschaft zwar eine Lehranalyse machen, aber nie Patienten behandeln, was ihm die Integrationsaufgabe sehr erschwert hat. Ich selbst habe seit 1973 regelmäßig Patienten behandelt. Zu Beginn meiner Tätigkeit als Leiter einer Universitätsberatungsstelle verhaltens-und gesprächstherapeutisch, dann habe ich mich auf analytische Behandlungen konzentriert, ohne den Kontakt zu den anderen Verfahren zu verlieren.
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Begriffiiche Klärungen
Die erste große Synopsis der psychoanalytischen Krankheitsvorstellungen erschien 1945 in England und stammte von dem vertriebenen österreichisch-jüdischen Analytiker Otto Fenichel. Sie hatte den Titel "The psychoanalytic theory of neurosis". Dieses Buch ist, obwohl in vielen Bereichen veraltet, bis heute als Nachschlagewerk der differentiellen Krankheitslehre unverzichtbar, aber, zumindest im deutschsprachigen Raum, leider vergriffen. Wie ich später zeigen werde, ist es in dem Bereich der traumatischen Neurosen m. E. wieder brandaktuell. Ich benutze es als Einstieg in eine historisierende Sichtweise, weil ich den Eindruck vermei27
den möcht_e, was wir heute anzubieten haben, sei -:. weiJ modern - auch richtig. Man kann 1m besten Fal1 hoffen, daß es richtiger ist. Uber das Verhältnis von Fortund Rückschritt des je gegenwärtigen Verständnisses können eigentlich erst kommende Generationen befinden. Wenn man unter Neurose mit Laplanche und Pontalis (1972, S. 325) "psychogene Affektionen, deren Ausdruck symbolischer Ausdruck eines psychischen Konfliktes sind, der seine Wurzeln in der Kindheitsgeschichte des Subjektes hat ... " versteht, kann man Fenichels Titel nicht mehr benutzen, da wir auch Krankheitsbilder abdecken soJlten, deren Symptome nicht notwendigerweise symbolischen Ausdruckswert haben, wie z. B. die somatapsychischen Erkrankungen. Desweiteren werden wir uns mit Krankheitsbildern befassen müssen, in denen die entwicklungspsychologische Herleitung aus Konflikten als Erklärungsursache nicht ausreicht, wie z. B. die Psychosen. Deshalb verwenden wir den Begriff "Allgemeine psychoanalytische Krankheitslehre". Ein neueres deutschsprachiges Buch zu diesem Gebiet ist die "Krankheitslehre der Psychoanalyse", das von Wolfgang Loch (1989) herausgegeben wurde. Obgleich als Einführung gekennzeichnet, scheint es mir für eine psychologische Leserschaft einerseits zu voraussetzungsvoLJ, weil es praktische Erfahrungen mit der eigenen Analyse, wenn auch nur implizit, erfordert, andererseits zu bescheiden, weil es die Anknüpfung an die allgemeinpsychologische Grundlagenforschung nicht versucht. Mentzos (1992) Buch "Neurotische Konfliktverarbeitung" kann man als Einführung in die Neurosenlehre verstehen. Seine Vorstellungen über den neurotischen Konflikt und dessen Verarbeitungsmodi werden in unserem Buch wieder auftauchen. Sie passen sehr gut zu unserer Theorie der epigenetischen Landschaften und ihrer diagnostischen Beschreibung. Auf der anderen Seite konnte Mentzos die Anhindung an die Psychologie von seiner Schulung und Herkunft her nicht leisten. 1985 sowie 1989 erschienen die beiden Bände des "Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie", von Thomä und Kächele. Das Werk ist mittlerweile in Englisch, Ungarisch, Portugiesisch, Spanisch und Italienisch übersetzt, eine russische Fassung ist in Vorbereitung. Der Theorieteil des Buches ist mit dem hier vorgestellten Vorhaben innerlich sehr verwandt. Das von Mertens (1996) im Kohlhammer Verlag in fünfter aktualisierter Auflage vorliegende Buch "Psychoanalyse" ist ebenfalls in gewissen Bereichen von der Intention her deckungsgleich. Die Kernbereiche der Aussagen stammen aber aus der Behandlungstechnik und der Entwicklungspsychologie psychoanalytischer Provenienz, wohingegen das vorliegende Buch versucht, sich aus der Psychotherapieforschung, der Allgemeinen Psychologie und neueren, auch eigenen Forschungen über die Affekte an die Metatheorie anzunähern. Die allgemeine Neurosen- und Krankheitslehre beschäftigt sich nicht vordringlich mit einzelnen Störungsbildern, sondern mit grundlegenden Fragen zu der Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung aller psychischen Störungen. Sie muß, wie gesagt, soziologische, sozial-, allgemein- und entwicklungspsychologische sowie neurophysiologische Forschungen heranziehen. Die differentielle Neurosenlehre beschäftigt sich mit der Beschreibung und der Ätiopathogenese einzelner Störungsbilder. Sie werden wir nur streifen können. Obwohl die Vorstellungen über psychische Erkran.~ungen aus den verschiedenen Forschungskontexten noch keine befriedigende Ubereinstimmung aufzuweisen haben, können wir auf dem Gebiet der Psychotherapieforschung und der psycho-
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therapeutischen Praxis gewisse Annäherungen beobachten (Caspar 1987, Krause
1986). Da der Entstehungsort der psychoanalytischen Krankheitslehre - und wie ich meine, aller wichtigen Vorstellungen psychischer Erkrankungen- die Behandlungssituation ist, kommt dieser Annäherung große Bedeutung für die allgemeine Krankheitslehre zu. Deshalbwerden wir auf diese Bestrebungen in den nächsten Kapiteln näher eingehen. Im Vorfeld sind allerdings einige Begriffe aus der differentiellen Neurosenlehre, die immer wieder auftauchen, zu klären. Wir werden von der ersten Systematik, die von FenicheJ (1946) stammt, ausgehen.
1.3.1 Begriffe aus der differentiellen Neurosenlehre Innerhalb dieses Nosologieschemas werden drei große Gruppen, nämlich die traumatischen, Psycho- und Charakterneurosen unterschieden. Neben den in Abbildung 1 aufgeführten vier Unterformen der Psychoneurosen wird noch einAktualneurose bzw. Neurasthenie genanntes Zustandsbild beschrieben. In ihm sind die unspezifischen Folgeerscheinungen neurotischer Konflikte wie Müdigkeit, hypochondrische Beschwerden, Ängstlichkeit, Hemmungen etc. ausformuliert. Sie gehören einerseits als Begleitsymptome zu allen vier Psychoneurosen, treten aber unter ungeklärten Bedingungen auch als relativ dauerhaftes eigenes Zustandsbild auf. Im klassischen Modell Fenichels sind die traumatischen Neurosen diejenigen Zustände, in denen unter dem Einfluß von Reizen überwältigender Intensität relativ unabhängig von der Verursachung ein Zustand auftritt, in dem die Ichfunktionen blockiert und eingeschränkt sind. Es kommt zu unkontrollierbaren Gefühlsausbrüchen, insbesondere Angst, und häufig Wutanfällen, gelegentlich Krämpfen, Schlaflosigkeit oder schweren Schlafstörungen und der Wiederholung des traumatischen Ereignisses im Traum oder als Flashback. Nach Fenichel könnTRAUMATISCHE NEUROSEN Einschränkung der Ichfunktion Affektausbrüche Schlafstörungen Wiederholungssyndrome
I
CHARAKTERNEUROSEN narzißtischer Charakter Zwangscharakter phobischer Charakter hysterischer Charakter schizoider Charakter
PSYCHONEUROSEN neurotischer Konflikt: Hemmungen, Vermeidungen (Sex .• Aggress.). Müdigkeit, Minderwertigkeltsgefühle
s
ÜBERTRAGUNGSNEUROSEN (objektgebunden) Angsthysterie Konversionshysterie Zwangsneurosen L---------------~
PERVERSIONEN u. IMPULSNEUROSEN Sadismus, Masochismus, Fetischismus etc. Spielsucht, Kleptomanie etc.
0
~--~----------~
"NARZIBTISCHE"NEUROSEN (ohne Objektbindung) Schizophrenie affektive Störungen (Depression u. Manie)
ORGANNEUROSEN Muskulatur Atmung Herz-Kreislauf etc.
L_
Abbildung 1: Nosologie nach Otto Fenichel
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I
te man in der Mehrzahl der traumatischen Neurosen dann "Heilungen" erwarten, wenn eine nachträgliche Bewältigung durch Abfuhr, Reden, aber auch durch Gefühlsausbrüche oder motorische Wiederholungen unter sicheren Bedingungen gefördert werde. Gelänge dies nicht, könnte unter bestimmten Randbedingungen die traumatische Neurose in eine sekundäre Psychoneurose, Neurasthenie oder einer Charakterneurose übergehen. Diese Vorgänge sind in unserer Abbildung durch die Pfeile angedeutet. Die Psychoneurosen werden in Übettragungsneurosen, Petversionen und Impulsneurosen sowie narzißtische- und Organneurosen unterteilt. Die gesündesten seien die sogenannten Übertragungsneurosen, die wiederum in drei relativ abgrenzbare Zustandsbilder, nämlich dieAngsthysterie, die Konversion und die Zwangsneurosen aufgeteilt wurden . In der Angsthysterie wird die diffuse Angst der Aktualneurose sekundär an bestimmte Situationen und Objekte gebunden, was es erlaubt, die Angstanfälle unter Kontrolle zu behalten, solange das sekundäre Bindungsobjekt vermieden werden kann. Die Konversion benutzt symptomatische Veränderungen physischer Funktionen, um unbewußt gewordenen Intentionen und deren Abwehr Ausdruck zu verleihen. Ein klassisches Beispiel wäre der Verlust der Stimme nach einer abgewehrten Intention, eine Person zu beschimpfen (hysterische Aphonie). Bei der Zwangsneurose würde in einer Zwangshandlung oder Zwangsvorstellung die Ursprungsintention oder der Affekt oder die Triebhandlung zusammen mit der Abwehr gegen ihn verdichtet. Je nach vorherrschenden Anteilen von Abwehr und Ursprungsintention müßten die Handlungen mehrfach wiederholt werden. Diese drei Gruppen wurden Übertragungsneurosen genannt, weil die Personen, an denen das konfliktive neurotische Geschehen reaktiviert wird, im Erleben der Patienten zwar verkannte, aber doch immerhin eigenständige Wesen seien, wohingegen die Handlungspartner der narzißtischen Neurosen als Extensionen des eigenen Selbst der Patienten funktionalisiert würden, was nur mit ganz anderen Abwehrformationen, wie z. B. Projektion, Verleugnung und Spaltung, zu bewerkstelligen sei und dementsprechend auch zu anderen Zustandsbildern führe. Diese Störungen wurden im Gegensatz zu den Übertragungsneurosen als narzißtisch bezeichnet, weil ein Teil der mißlungenen Regulation mit realen anderen Personen oder durch eine Fixierung auf die eigene Person, sei es als Körper- oder als Handlungss~_lbst, kompensiert würde (Mentzos 1992). Der Begriff Ubertragungsneurosen ist nach Sandler et al. (1992) aus heutiger theoretischer Sicht in mehrfacher Weise irreführend. Einmal "übertragen" die Patienten mit narzißtischen Störungen ebenfalls, und zum anderen ist der Vorgang der Übertragung keine Replikation des historischen Geschehens. Am angemessensten scheint - mit aus heutiger Sicht - eine Zweiteilung in Neurosen im engeren Sinne und in Selbststörungen, wobei, wie wir später sehen werden, beides natürlich kombinierbar ist. Die sogenannten Organneurosen sollten das weite Feld organischer Störungen zwischen den Konversionen und den durch physikalische und chemische Ursachen hervorgerufenen Erkrankungen umfassen (Fenichel1975, S. 66). Sie wurden nach den betroffenen Körperregionen, wie dem Gastrointestinaltrakt, der Muskulatur, dem Atmungs- und Herzkreislaufsystem, der Haut gegliedert und umfaßten beispielsweise Asthma, Bluthochdruck, Neurodermitis und vieles andere. Der von Fenichel abgelehnte Begriff der "psychosomatischen Störungen", der seiner Mei 30
nung nach einen nicht vorhandenen Dualismus unterstelle, hat sich auch innerhalb der psychoanalytischen Krankheitsmodelle durchgesetzt. Die zwingend notwendige Anhindung an das noch zu besprechende Modell des neurotischen Konfliktes wurde aufgegeben. Unter den narzißtischen Neurosen wurden alle psychotischen Erkrankungen, wie die Schizophrenien und affektive Psychosen, erfaßt. Auch bei ihnen ist aus heutiger psychoanalytischer Sicht die Unterordnung unter die Psychoneurosen und die Anhindung an einen neurotischen Konflikt herausgenommen worden. Es wird angenommen, daß relativ unabhängig von den neurotischen konfliktiven Zustandsbildern, die die Kranken auch haben können, bestimmte sog. Ich-Funktionen, die mit der Konstituierung und Wahrnehmung von Realität zu tun haben, verändert sind (Frosch 1983). Unter Charakterneurosen verstand man Personen, die, obwohl sie unter einem neurotischen Konflikt leiden, ohne manifeste Symptomatik existieren können, solange sie eine hochspezifische, zu ihrer Struktur passende Umgebung haben. Sie würden sich allerdings durch eine spezifische, sehr eingeengte Persönlichkeit auszeichnen, die beim Zusammenbruch der komplementären Sozialstruktur in eine der vier Formen der Psychoneurosen oder in eine andere schwere Störung übergingen. Der Begriff hat sich nicht halten können. Auch im analytischenUmfeldwird heute von Persönlichkeitsstörungen gesprochen, wiederum, weil die Anhindung an den neurotischen Konflikt nicht mehr so eng gesehen wird. Im Unterschied zu anderen Krankheitsmodellen ist das psychoanalytische ein dynamisches Regulierungsmodell, in dessen Rahmen das scheinbar statische Verhalten bzw. die überdauernden Symptome und Eigenschaften als Folge eines fortlaufenden Optimierungsprozesses zwischen verschiedenen Führungsgrößen in der Zeit verstanden wird. Das grundlegende Schema zeigt Abbildung 2.
Intention und/oder Impuls (Trias: Affekt-Impuls-Handlung)
t2 Abwehr
tl Affektsignal
a. Veränderung der kognitiven Repräsentation der Intention und des Impulses, z. B. Verleugnung, Projektion, Verdrängung
Schuld-Angst Scham-Angst Verletzungs-Angst
b. Veränderung des Affektsignals unter Beibehaltung der kognitiven Repräsentation, z. B. Erotisierung der Angst (kontraphobische Angstlust)
Schmerz-Angst Übelkeits-Angst
c. Hemmung des Impulses, temporärer Abbruch
Abbildung 2: Grundlegendes Schema des neurotischen Konfliktes
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Dieses Modell setzt voraus, daß der Impuls nicht aufgegeben werden kann. Für Fälle, in denen die Impulse und Intentionen, vor allem aus dem Trieb- und Affektbereich, aufgegeben werden, ist das Modell nicht mehr zutreffend. Dann kommt es zu einem Regulierungsgeschehen, das später unter Besetzungsregulierung und -abwehr dargestellt werden wird. · Das grundlegende Schema einer (neurotischen) Konfliktoptimierung ist, daß eine bewußte Intention- es kann sich dabei um die Folge eines Affekts, eines Triebprozesses oder eines anders entstandenen Wunsches handeln - , die im Verlaufe einer Lerngeschichte mit einem traumatischen neurotischen Zustand verbunden war, mobilisiert wird. Aus dieser Mobilisierung heraus wird ein Affektsignal entwikkelt, das eine weitere Verfolgung des Wunsches als indikativ für einen erneuten Zusammenbruch überprüft. Aus dieser Rückmeldung heraus werden sog. Abwehrmechanismen mobilisiert, die nun wiederum die Ursprungsintention so verändern, daß eine weitere Form einer- wenn auch pathologisch- veränderten Verfolgung des Zieles möglich ist. Die Symptomatik des Zustandsbildes wird einerseits durch die Art des Wunsches, der dem konfliktiven Geschehen unterliegt, und andererseits durch die Art der Abwehrmechanismen bestimmt, wobei die Abwehrmechanismen im allgemeinen dasjenige sind, was nach außen hin als Persönlichkeitsei.g enschaften leichter sieht- und erlaßbar ist als die Wunschstruktur selbst. Im aUgemeinen wählen die Kranken diejenigen kogniti':~affektiven Funktionen, die sie gut beherrschen, in Form einer pathologischen Obersteigerung als bevorzugte Abwehrform (Haan 1977). Es gibt keine feste Verkoppelung zwischen Wünschen und Abwehrmechanismen. Statistisch betrachtet kann man aber davon ausgehen, daß sog. ,archaische' frühe Wünsche auch mit Abwehrmechanismen, die eine primitive Form kognitiv-affektiver Regulierung beinhalten, verkoppelt sind. So wird man im allgemeinen davon ausgehen, daß die Abwehr von oraler Gier eher projektiv erfolgt, indem der Abwehrende einfach seinem Handlungspartner die Wünsche unterstellt, die er selbst hat, aber an sich nicht to.lerieren kann (Moser, von Zeppelin & Schneider 1991). Dieses einfache Regulierungsmodell des neurotischen Konfliktes, das natürlich in der klinischen Praxis außerordentlich elaboriert und im Einzelfall sehr individuell ausgestaltet sein muß, wird für die Psychosen, Charakterneurosen und die Psychosomatosen in der bestehenden Form nicht angewendet werden können. Desweiteren gibt es eine Kategorie von sog. kumulativen Traumata, in denen die Überlastung des psychischen Systems nicht die Hauptursache der dauerhaften Persönlichkeitsveränderungen ist. Wahrscheinlich kann man darunter repetitive pathologische Beziehungserfahrungen verstehen. Der Weg in die Persönlichkeitsstörung und die Organneurosen wird wohl eher über kumulative Traumata als über die traumatische Neurose im klassischen Sinne erfolgen. Doch das wird in Band 2 im Kapitel über das entwickJungspsychologische Modell näher besprochen werden (Khan 1963, Sandler 1988).
1.3.2 Vergleich psychoanalytischer und psychiatrischer Beschreibungssysteme Das psychoanalytische Modell beruht auf einer Mischung aus syndromarischer und ätiologischer Beschreibung. So wird die Schwere der Störung unter ~nderem am Zeitpunkt der vermuteten Traumatisierung festgemacht. Da die Atiologie
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nicht unmittelbar beobachtbar ist, hat dies zu einer Verringerung der Reliabilität der Diagnosen geführt, so daß die modernen psychiatrischen Systeme die Bindung an die psychoanalytische Nosologie aufgegeben haben und versuchen, jede Form ätiologischer Vorstellungen außen vor zu halten, was für die Reliabilität der Diagnosen auf symptomatischer Ebene gewiß vernünftig ist. Zwei Systeme sollen kurz erwähnt, gewürdigt und verglichen werden. Das eine ist die 10. Version der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen, das von der Weltgesundheitsorganisation in Auftrag gegeben wurde (ICD 10). Die deutsche Bearbeitung wurde von Dilling, Mombour & Schmidt 1992 herausgegeben. Das andere ist die 4. Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen, das von der American Psychiatrie Association in Auftrag gegeben und von Saß, Wittchen & Zaudig (1996) in Deutsch herausgegeben wurde (DSM IV). In der Abbil-
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e
e e
e
Achse I
Achse II
Klinische Störungen
Persönlichkeitsstörungen
Andere klinisch relevante Störungen
Geistige Behinderung
Störungen, die gewöhnlich zuerst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz diagnostiziert werden (außer geistiger Behinderung, die auf Achse li codiert wird) Delirium, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen Psychische Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen Schizophrenie und andere psychotische Störungen
e Affektive Störungen
e e e e e
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Angststörungen Somataforme Störungen
e e e e e
Paranoide Persönlichkeitsstörung Schizoide Persönlichkeitsstörung Schizotypische Persönlichkeitsstörung Antisoziale Persönlichkeitsstörung Borderline Persönlichkeitsstörung Histrionische Persönlichkeitsstörung
e e Narzißtische Persönlichkeitsstörung e Vermeidend-selbstunsichere Persön-
e
lichkeitsstörung Dependente Persönlichkeitsstörung
e Zwanghafte Persönlichkeitsstörung
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Nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung Geistige Behinderung
Vorgetäuschte Störungen Dissoziative Störungen Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen Eßstörungen Schlafstörungen Störungen der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert Anpassungsstörungen Andere klinisch relevante Probleme
Abbildung 3: Taxonomie nach dem Diagnostischen und Statistischen Manual IV der APA (ohne organisch bedingte psychische Störungen) 33
dung 3 findet man auf der 1. Achse die klinischen Störungen und auf der Achse 2 die Persönlichkeitsstörungen des amerikanischen Systems, das in einer früheren Version auch stilbildend für das ICD 10 war. So unterscheidet das Diagnostische und Statistische Manual IV die in der Abbildung 3 aufgeführten klinischen Störungen auf einer 1. Achse und die Persön.lichkeitsstörungen sowie geistige Behinderungen auf einer zweiten (siehe Abbildung 3). Auf e.i ner dritten Achse werden andere nicht psychische, medizinische Krankheitsfaktoren, auf einer vierten psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme aufgeführt. Auf einer fünften kann das psychosoziale Funktionsniveau klassifiziert werden. Das System versucht, zumindest auf der Ebene der klinischen Syndrome (Achse 1), rein beschreibend vorzugehen und unterscheidet dort, die in Abbildung 3 aufgeführten Störungen. In den Persönlichkeitsstörungen werden drei Cluster unterschieden, die nach der Exzentrizität (z. B. Schizoide Persönlichkeitsstörung), Emotionalen Wechselhaftigkeit (z. B. Borderline-Störungen) und Ängstlichkeit, Furchtsamkeit (z. B. Dependente Persönlichkeit) klassifiziert wurden. Im ICD 10 (Dilling, Mombour & Schmidt 1992) werden unter der Überschrift ,Neurotische Belastungs- und somataforme Störungen' die Angststörungen (phobische Störung und andere Angststörungen), die Zwangsstörung, die Dissoziation oder Konversionsstörung und die somataformen Störungen besprochen. Reaktionen auf schwere Belastungen sind mit der traumatischen Neurose Fenichels von der Symptomatik ebenfalls deckungsgleich. Die Schizophrenie bildet eine eigene Kategorie, ebenso die affektiven Störungen, die die Depressionen und die Manie einschließen. Die Persönlichkeitsstörungen sind ebenfalls vorhanden, allerdings nun nicht mehr zentriert um Fixierungen auf dem Entwicklungsniveau, sondern um bestimmte Arten von Symptomatiken herum. Die Impulsneurosen und Perversionen sind bei weitem stärker ausdifferenziert als im DSM IV und unter den Persönlichkeitsstörungen rubrifiziert. Bei den Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen wird die Trennung von Ätiologie und Symptomatik aufgegeben. Die aus meßmethodischen Gründen durchaus angemessene Trennung zwischen Ätiologie und Symptomatik ist bei näherer Betrachtung der Störungsbilder allerdings künstlich. Das Herausgreifen bzw. die Schaffung reliabler, symptomatischer Merkmalsverbindungen beantwortet die Frage nach den Krankheitseinheiten nicht. Möglicherweise sind z. B. die modernen Somatisierungsstörungen (F 45.0) des ICD 10 die unspezifischen Begleitsymptome eines neurotischen Konfliktes (Rief1996). Manche Bemühungen muten wie Zauberei an, die etwas Vages mit methodischen Verfahren päzise machen sollen. Diese Vorgehensweise kann man dann vertreten, wenn gleichzeitig ein Bewußtsein bleibt, daß es sich dabei um relativ willkürliche Gruppierungen handelt. Dies ist allerdings häufig nicht mehr der Fall. Wie beliebig oder politisch gewollt viele der Einteilungen sind, mag man daran sehen, daß in der dritten Version des DSM die Entwicklungsstörungen auf der Achse 2 zu verzeichnen waren. Das machte irgendwie Sinn, weil man bei ihnen, wie bei den Persönlichkeitsstörungen, die Trennung von Ätiologie und Symptomatik beim besten Willen nicht aufrechterhalten konnte. Dafür waren und sind die Achse-2-Diagnosen auch immer chronisch unreliabel, weil die Methodik der artifiziellen Scheinpräzision durch einen Gruppenkonsens nicht griff. Nun findet 34
man aus forschungspolitischen Gründen die Entwicklungsstörungen auf der Achse 1wieder, und hat damit die ganze Logik des Systems über den Haufen geworfen. Wenn man bedenkt, daß beispielsweise die narzißtische Persönlichkeitsstörung 1952 aufgenommen, 1968 gestrichen, 1980 bis heute wieder aufgenommen, dafür aber im ICD 10 1992 gestrichen wurde, muß man in bezug auf die Zeitgeist- und Kulturabhängigkeit dieser Ordnungssysteme Bedenken anmelden. Die Annahme, daß man durch diese Vorgehensweise die Forschung fördere, ist auch nicht a priori gerechtfertigt. Zum einen ist es denkbar unwahrscheinlich, daß man durch die einfach und reliabel feststellbaren Merkmale zu psycho- und äthiopathologisch relevanten Forschungen kommt. Wenn dem so wäre, wären auch die wichtigen Forschungsfragen längst gelöst. Die pathogenetisch relevanten Ordnungsfaktoren haben sich noch nie an der Oberfläche gezeigt, damit der Forscher sie dann mit seinem statistischen Netz nur einzusammeln brauchte. Das, was die Erkrankungen zusammenhält, ist sicher nicht ihre sichtbare Phänomenologie, die wichtig genug ist, sondern etwas bis anhin Unbekanntes. Implizit nehmen dies auch die Autoren der diagnostischen Systeme an, in dem sie erwarten, daß die Forschung beweisen wird, daß alle psychischen Störungen eine organische Ursache haben werden (Herrman, Holzammer-Herrmann und Stiels 1996). Die hinter dieser Vorgehensweise stehende Annahme ist, daß man durch empirisch-phänomenologische Beobachtung zu sinnvollen Krankheitseinheiten kommen könne, deren unbekannte somatische Ursache noch zu finden wäre. Diese Denkweise steht in markantem Gegensatz zu der Auffassung, daß psychische Störungen die Reaktionen der Persönlichkeit auf psychische, soziale und biologische Faktoren darstellen, wie wir sie hier in der psychoanalytischen Tradition vertreten (Weiner 1996). Ganz unabhängig von diesen Vorbehalten ist, wie später zu zeigen sein wird, eine Reliabilitätssteigerung durch eine restriktive Vereinheitlichung der Sprache, die zu allem Überfluß noch um das amerikanische Englisch zentriert ist, dem Grundgedanken einer Phänomenologie entgegengesetzt. Eine Phänomenologie seelischer Phänomene sollte auch in der verwendeten Sprache so dicht wie möglich an der Subjektivität der zu beschreibenden Personen bleiben. Unsere Patienten sprechen im allgemeinen nicht englisch, wenn es um ihre Gefühle und Probleme geht, und ihre Sprachwahl ist keineswegs a priori korrektur- und ordnungsbedürftig. Die Übersetzung der subjektiven Phänomene in den reliabel erscheinenden Sprachcode der diagnostischen Systeme ist so betrachtet ein Verlust. Viele Psychiater und Forscher, die vorwiegend mit diesen Systemen arbeiten, sind deshalb auch nicht mehr in der Lage, ihre Patienten psychopathalogisch zu explorieren, weil nämlich eine systematische Exploration, ebenso wie ein psychodynamisches Interview, zur Voraussetzung hat, daß sich der Interviewende in den kognitivaffektiven und sprachlichen Systemen des Interviewten in einem Wechselspiel von Fremdwahrnehmung und Erleben bewegen können muß. All dies geht durch die einseitige Fokussierung auf der operationalisierten, scheinreliablen Diagnostik verloren (Saß 1996). Wenn man die psychoanalytische und die deskriptiv-psychiatrische Vorgehensweise vergleicht, kann man in etwa folgende Aussagen machen: 1. Es werden keine grundsätzlich verschiedenen Störungsbilder beschrieben. Wenn neue Begriffe auftauchen, sind sie Folge der besseren Kenntnis der Krankheitsbilder, aber nicht Folge der unterschiedlichen Taxonomien. 2. In den psychiatrischen Manualen 35
wird nicht ausgeschlossen, daß es eine Ätiologiespezifizität von manchen oder gar vielen Störungen gibt. Sie wird aber der Verwendbarkeit und der Reliabilität ~.uliebe in den deskriptiven Teil der Beschreibung nicht aufgenommen. 3. Die Atiologie kann sekundär wieder eingeführt werden durch die empirisch beobachtbare, Komorbidität genannte, vorfindbare Verkoppelung von Persönlichkeitsstörungen, Entwicklungsstörungen und klinischen Syndromen. Für manche Störungen ist dies explizit ausformuliert. So werden bestimmte Persönlichkeitsstörungen zu den korrespondierenden diagnostischen Kategorien des Kindesalters in Beziehung gesetzt. So die schizoide Störung der Kindheit oder der Adoleszenz und die schizoide Persönlichkeitsstörung oder Vermeidungsverhalten in Kindheit oder Adoleszenz und hypersensitive Persönlichkeitsstörungen, Identitätsstörung und Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Bei den phobischen Neurosen heißt es unter den prädisponierenden Faktoren: Trennungsangst in der Kindheit und plötzlicher _Objektverlust prädisponie ~~n offensich.tlich zur Entwicklung einer Agoraphobie. Als Nebenmerkmale werden DepressiOn, Angst, Rituale, leichtere Kontrollzwänge und Grübeleien erwähnt. Es bleibt natürlich offen, wie diese Art von Merkmal in die Störung selbst einge~ettet ist. Unter ,Komplikationen' heißt es: "Manche Patienten versuchen, ihre Angstlichkeit mit Alkohol, Barbituraten oder Anxiolytika zu bekämpfen, sogar so intensiv, daß sie davon abhängig werden." Auch hier kann man die Frage stellen, ob nicht eine Abhängigkeitsstruktur in manchen Fällen bereits prämorbid vorhanden ist, die wieder mit der Trennungsa ngst in der Kindheit und plötzlichen:t Objektverlust in Verbindurig steht. Das gleiche gilt für die Paniksyndrome. Be1 den Zwangssymptomen werden als Neben merkmale Depression und Angst häufig erwähnt. Desweiteren ein phobisches Vermeiden von Situationen, die den Inhalt des Zwangsgedankens betreffen Auch hier ist die Frage der Vernetzung von Depression und Zwang im Rahme~ der deskriptiven Beschreibung nicht d_iskutier~ar. Man kann die gleiche ~etrach tungsweise für die anderen Störungsbilder welterverfol~en. J?urch den Embezug der psychosozialen Belastungsfaktoren und des Fun~tJO!lsmveaus besteht auch di e Möglichkeit, prognostische Aussagen zu mache?, dte s1~h auf ~as Passun~s~er hältnis vom Patienten und seiner Umgebung beztehen. Uber d1e Komorb1d1tät und die empirisch-statistische Beobachtung de r Verclusterung verschiedener Syndrome und ihre Änderung in der Zeit sowie die psychosozialen Faktoren könnte ein Zugang gefunden werden, der in sich wiederum ein dynamisches Krankheitsmodell erfordert, das die beobachtbaren syn- und diachronen Zusammenhänge interpretiert. Die psychoanalytische Neurosenlehre hat dies immer versucht, ist aber dringend auf die empirische Überprüfung an großen Stichproben angewiesen. Freilich sind die Persönlichkeitsstörungen im allgemeinen wenig rel.iabel festzustellen und bedürfen selbst einer meßmethodischen Präzisierung. Di es geschieht im Moment auf breiter Front durch Untersuchungen der Frage, wie sich die vermeintlichen Persönlichkeitsstörungen selbst aus übergeordneten Faktoren der Persönlichkeit wie Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus, Offenheit für Erfahrung zusammensetzen. Diese fünf Faktoren haben sich als relativ stabil erwiesen. Das Zusammenführen dieser dimensionalen Persönlichkeitsbeschreibung mit den Persönlichkeitsstörungen als Krankheitseinheiten ist sehr vielversprechend (Fiedler 1994, Loranger 1994, Wiggins & Pincus 1992, Arbeitskreis OPD 1996, Wittchen, Schramm, Zaudig & Unland 1993). 36
Die psychoanalytische Einteilung nach Übertragungsneurosen und narzißtischen Neurosen und die Anlehnung an den Zeitpunkt der Schädigung bzw. Fixierung ist aus vielen Gründen nicht unproblematisch. Es ist schwerlich möglich, die ganze menschliche Persönlichkeit durch Rekurs auf bestimmte fixierende Entwicklungsperioden darzustellen. Auch wer eine schwere narzißtische Schädigung erfahren hat, muß die weiteren Entwicklungsperioden und die damit verbundenen Probleme durchleben. Eine- im psychoanalytischen Sinne- "richtige" Entwicklungsdiagnose sollte deshalb die Beschreibung des gesamten Entwicklungsweges beinhalten. Eine solche Beschreibung kann man durch die Angabe des Fixierungs-bzw. Schädigungszeitpunktes nicht gewinnen. In den Kapiteln in Band 2 über die Triebe und Affekte sowie der Entwicklungspsychologie soll dies in Form einer Entwicklungsdiagnose, die vom Fixierungsmodell wegkommt, versucht werden (Krause, Ullrich & Steimer-Krause 1992).
1.4 Historisch kulturelle Bedingtheiten der Modellvorstellungen Bestimmte Störungsbilder nehmen in historischen Perioden in der Aufmerksamkeit und auch in der Häufigkeit den gesellschaftlichen Problemen folgend zu oder ab. Dies mag einerseits damit zusammenhängen, daß die mit ihm verbundenen Konflikte in bestimmten Sozietäten häufiger abgerufen werden als in anderen oder es mag d~ran ~ängen, daß die Experten die Wichtigkeit bestimmter Arte~ von Syndroma~Iken .~b~rsehe~ bzw. überdehnen. Im ersten Fall würde eine immer mehr ?der gletch hauflg vorhegende .latente Vulnerabilität, die man im psychoanalytischen J.a~gon als Struktur bezeichnen könnte, in unterschiedlichen historischen und pohti~c~en Epoch~n ~uch unterschiedlich häufig reaktiviert und unterschiedlich k~n~hs~ert. Als Bets~tel für diesen ersten Fall kann man die Verteilung der sog. Buhmt~n tn der ehemahgen DJ?R, der alten Bundesrepublik und den heutigen neuen La~dern betrachten. "Die BuJimie Nervosa ist durch wiederholte Anfälle von Heißhunger (~reßattac~en) und einer übertriebenen Beschäftigung mit der Kontrolle des Korpergewichts charakterisierbar. Dies veranlaßt die Patientinnen mit extr~men ,~aß.n~hmen, den dickmachenden Effekt der zugeführten Nahrung zu mildern (Dllhng et al. 1992). Eine davon ist das wiederholte Erbrechen, das dann sekundär zu schweren Störungen führen kann. Die in der ehemaligen DDR vormals wenig verbreiteten Bulimien haben mittlerweile den gleichen Stan? a~ Hä~fi~keit .erreicht wie in den alten Ländern, was wohl heißen muß, daß, weil d1e prad1spomerenden Faktoren für die Störung vor der Adoleszenz liegen, die dafür notwendige Struktur bereits in Vorvereinigungszeiten entwickelt wurde. Sie ist aber durch die gesellschaftlichen Randbedingungen in der nun vorliegenden Form nicht abgerufen worden. Eine sehr beeindruckende Schilderung über den Umgang mit dieser Störung in der Vorvereinigungszeit der ehemaligen DDR findet man in dem Buch von Muthesius (1981), das eine Mutter nach dem Tod ihrer Tochter geschrieben hatte. Es zeigt auf, daß das politische und soziale Umfeld in keiner Weise geneigt war, auf die Botschaft dieser Erkrankung einzutreten. Im Falle der zweiten Form der Eßstörung, der Anorexia nervosa, 37
kann man eine Kulturgeschichte bis zu den frühmittelalterlichen verhungernden Nonnen, die aber, wenn auch nicht immer, als Heilige galten, verfolgen (von Braun 1993). Das über die historischen Perioden hinweg Gemeinsame scheint die Auflehnung gegen die nicht hinterfragten jeweiligen Identitätserwartungen am Agierfeld des Körperschemas zu sein. Man sollte also die bewußte und unbewußte Einbettung der jeweils spezifischen Erkrankung in die jeweilige Kultur und ihre Geschichte berücksichtigen. Ein anderes Beispiel dieser Art, das uns unmittelbar beschäftigt, ist der rapide Anstieg der sog. schweren Persönlichkeitsstörungen in den neuen Bundesländern, die vorher in einem Leipziger Kollektiv 2 Prozent ausmachten und nun auf fast 10 Prozent angestiegen sind (Geyer 1994). "Spätestens seit der staatlichen Vereinigung im Herbst 1990 sehen meine Kollegen und ich in den psychosomatischen Kliniken ein merkwürdiges Phänomen, nämlich die Erstmanifestation einer sog. frühen strukturellen, d. h. schweren Persönlichkeitsstörung, jenseits des 40. Lebensjahres. Es handelt sich um Menschen mit häufig schweren traumatischen, oft gewalttätigen, mitunter blutrünstigen Erfahrungen in der Kindheit, die kaum die Chance hatten, verläßliche Beziehungen zu erfahren, und die unter dem Eindruck permanenter Unsicherheit einen Zugang zu eigenen aggressiven und sinnlichen Bedürfnissen nicht finden konnten. Sie funktionierten in den alten gesellschaftlichen Strukturen gut und problemlos, waren häufig sehr identifiziert mit der Partei oder dem System, konnten häufig jedoch auch in permanenter Gegnerschaft zum Regime eine zum Teil sozial wenig attraktive Nischenposition verteidigen. Ihr Umgang mit eigenen Aggressionen beschränkte sich im ersteren Fall auf die Identifikation mit staatlicher Gewalt und identifikatorischer Teilhabe an repressiver Machtausübung. Im anderen Fall gelang es, durch Einnahme einer Opferhaltung aggressive Impulse außerhalb der eigenen Person an der Gesellschaft festzumachen. Beinahe in allen Fällen führte ein äußerer Einschnitt, entweder der vertust des Arbeitsplatzes oder aber der Nische, zur Konfrontation mit eigener Wirklichkeit, die nur mit schweren sog. narzißtischen Depressionen, körperlichen- sog. psychosomatischen Krankheitsbildern- oder psychoseähnlichen Verhaltensauffälligkeiten beantwortet werden konnte. Auf einen kurzen Nenner gebracht: , Unter den jetzigen gesellschaftlichen Umständen wären diese Störungen bereits vor zwanzig Jahren manifest geworden. Daß sie es nicht getan haben, scheint etwas mit der Gesellschaftsform zu tun zu haben ' " (Geyer 1994, Seite 233).
Diese Erkrankungen können wir in den verschiedensten Epochen und Gesellschaftssystemen beobachten. Nun berichten die Ethnologen allerdings über Krankheitsbilder, die auf den ersten Blick keinerlei Äquivalente in unseren Kulturen aufzuweisen haben, wie z. B. "Koro" in der chinesischen und afrikanischen Landbevölkerung, "Malgri" bei den australischen Ureinwohnern auf den Mornington Islands, "Amok" bei den Malayen oder, um bei unserer eigenen Geschichte zu bleiben, Berserker bei unseren Vorfahren. Koro ist die von ganzen Gruppen geteilte endemisch auftretende "Wahnvorstellung", der Penis der männlichen Patienten oder seltener die Schamlippen und Brustwarzen der Frauen verkleinerten sich. Der halluzinierte Vorgang wird mit teilweise drastischen Mitteln, wie das Winden von Seilen um den Penis, bekämpft. Malgri stellt sich als heftige Übelkeit, Kopfschmerzen und Blähungen dar, wenn der spätere Patient den Übergang vom Land ins Meer ohne ausreichende Vorsichtsmaßnahmen bewerkstelligt hat. Das vom maJayisch Amok gleich Wut stammende Amoklaufen hat sich bei uns als Wort und als Zustandsbild eingebürgert. Der Amokläufer schwingt im allgemeinen nicht mehr den Kris, also den malayischen Dolch, sondern ein Schnellfeuer38
gewehr. Der Berserker, eigentlich der Bärenhäuter, war ein Mensch, der sich in einen Bären verwandelte und identifikatorisch als solcher agierte. Später waren dies Menschen, die im Zustand der Wut Bärenkräfte entwickelten. Die identifikatorische Anhindung an nichtmenschliche Wesen, wie z. B. Tiere, im Zustand einer bestimmten Emotion , z. B. Wut, ist auch unserer Kultur keineswegs fremd. Im pathologischen Rausch finden wir z. B., daß ganz geringe Mengen von Alkohol, die kaum einen gewöhnlichen Rausch auslösen können, die Menschen zum Toben gegen Personen ihrer Umgebung bringen. In diesem Zustand entwickeln sie ungeheure Kräfte. Ich selbst habe einmal erlebt, wie ein an sich nicht sehr kräftiger Mensch einen schweren Eichentisch durch einen Raum schleuderte. Die Umgebung wird unter dem Einfluß von Wut und Angst und von Illusionen des Gesichts, seltener des Gehörs, in bezug auf den Affekt verkannt. Fast immer findet man einen Kern einer reaktivierten Szene, der im pathologischen Rausch nachgesteHt wird, in dem mir bekannten Fall die Szene der Erschießung eines Freundes durch den eigenen Vater. Fast immer wird die Szene durch einen narkoseartigen Schlaf beendet, aus dem der Patient völlig zerschlagen, aber ohne Erinnerung aufwacht. Pathologische Räusche legen forensisch die Unzurechnungsfähigkeit nahe. Da man aber keine neurologischen Zeichen für den Rausch findet, was bei zwei Glas Bier auch schwerlich möglich ist, ist die Einbettung unter die alkoholischen Schäden relativ beliebig. Man könnte das Zustandsbild als identisch mit dem der Berserkerwut oder des Amoklaufs ansehen, aber es gibt keine gesellschaftlichen identifikatorischen Vorlagen wie die Bären. Die Germanen hatten diese Identifikationen benutzt, um ihre Krieger in einen gewollten aggressiven Ausnahmezustand zu bringen. Daß man den Zustand im Alkoholumfeld ansiedelt, wie dies z. B. bei Bleuler in seinem Lehrbuch der Psychiatrie getan wird (Bleuler 1969), ist sicher unsere gesellschaftliche Vorgabe, d. h., wir dürfen ein Stück weit unter der Vorgabe eines gesellschaftlich tolerierten Rauschmittels uns in solche Zustände bringen, und können dann eventuell sogar mit Straffreiheit rechnen. Bei diesen Krankheitsbildern, so fremd sie auch erscheinen mögen, kann man durch die ethnopsychoanalytischen und ideographischen Analysen doch Erklärungs- und Behandlungsansätze finden, die von den uns bekannten nicht fundamental verschieden sind (Gerlach 1995). Im DSM IV werden 25 kulturabhängige Syndrome, die auf spezifischen Gemeinschaften und/oder kulturelle Gebiete beschränkt seien, aufgeführt. Die Mehrzahl von ihnen hat aber entweder dissoziative Vorgänge mit wechselnden Identifikationen oder depressive Entwicklungen zur Grundlage (Saß, Wittchen & Zaudig 1996). Die zweite Gruppe des " Übersehens von Phänomenen durch Experten ist mit der posttraumatischen und der traumatischen Neurose recht gut zu beschreiben. Obgleich die traumatische Neurose eine zentrale Bedeutung innerhalb der psychoanalytischen Neurosenlehre hätte haben müssen, und von Fenichel in, wie ich meine, sehr moderner Weise dargestellt wurde, ist sie sehr selten diagnostiziert worden. In die psychiatrischen Krankheitsvorstellungen wurde die posttraumatische Belastungsreaktion erst unter massivem Druck der Vietnamveteranen gegen den Krieg aufgenommen. Dieselben wurden dafür geheimdienstlich überwacht und zu Beginn des Vietnamkrieges war die offizielle Lesart der Militärpsychiatrie, daß es noch nie so niedrige psychiatrische Fallzahlen in einem psychiatrisch dokumentierten Krieg gegeben habe (Tiffany 1967). Bei näherem Hinsehen stellt sich dann aber heraus, daß von Beginn an eine hohe Zahl von Vorfällen wie SchlafwanH
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dein , Angstzustände aber auch "wildes Herumschießen in Rauschzuständen" als Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, die disziplinarische Maßnahmen erforderten, eingestuft wurden (Bomann 1982). In der Version 2 des Diagnostischen und Statistischen Manuals der American Psychiatrie Association von 1968, also zeitgleich zu de n Arbeiten von Tiffany, befand sich in "bezug auf dieses Störungsbild ein blinder Fleck" (Shatan 1981). Mittlerweile wissen wir, daß ein großer Prozentsatz der rückkehrenden deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges an genau dem gleichen Syndrom litt. Es wurde aber selten auch nur ansatzweise als diagnostische Kategorie systematisiert. In der 11. Ausgabe des Lehrbuchs der Psychiatrie von Bleuler (1969) findet man weder Kriegs- noch traumatische Neurosen, wohl aber die "traumatische Begehrensneurose" (Bleuler 1969, S. 515) mit den unmittelbaren Ursachen Schreck beim Unfallereignis, Angst vor den Folgen des Unfalls, Begehren von Entschädigung oder Befreiung aus Schwierigkeiten (z. B. im Frontdienst- Begehrensneurosen). Die Prädispostition liegt in angeborenen oder e rworbenen Persönlichkeitszügen (S. 514). Begutachtungen als Begehrensneurasen erfuhren auch viele ehemalige KZ-Opfer (Niederland 1980). Desweiteren wissen wir heute, daß viele Persönlichkeitsstörungen, vor allem die sogenannten Borderline-Störungen, bei denen im DSM-111-R als prädisponierende r Faktor und familiäre Häufung "Keine Information" angegeben wird, in fast 90 Prozent der Fälle Biographien schwerster Traumatisierungen aus der Kindheit vorzuweisen haben: Mißhandlungen, Prügel, sexueller Mißbrauch, etc. (Putnam 1992, Herrmann, Perry & van der Kolk 1989, Sachsse 1987, 1995). Für die Diagnose ,Traumatische Neurose' wird im DSM-111-R vorausgesetzt, daß die traumatisierenden Erfahrungen außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrung (S. 304) liegen. Man kann aber davon ausgehen, daß Mißhandlungen und Mißbrauch durch die Eltern für ei n J(jnd in der traumatischen Bedeutung und in der Pathogenität der Wirkungen durchaus einer Fronterfahrung entsprechen können. Leider sind die entsprechenden Vorkommnisse aber keineswegs außerhalb unserer alltäglich en Erfahrung. Sowohl die traumatische Neurose in ihrer Syndromatik- nämlich durch Wiederholung- als auch die Verursachung in der Mißhandlung und in der Schwersttraumatisierung sind trotzdem jahrelang übersehen worden (Eggers 1990). Im allgemeinen gibt es in diesen Bereichen eine Koalition der Opfer und der Experten, die durchaus halb bewußt ist. Die Opfer wollen selbst nichts mehr wisse n, von den Dingen hören oder verfallen einer Art von Amnesie mit Spaltungen , und die Experten halten lieber an der weniger pathologischen Variante ihrer Weltsicht fest oder gehen eine Liason mit den jeweiligen Herrschaftssystemen ein. D as heißt aber nicht, daß es die ,traumatische Neurose' nicht gegeben hätte und daß sie nicht ein häufiges, sehr verbreitetes Phänomen gewesen sei. In bezug auf das Übe rdehnen könnte man versuchen, die "neuen" Zustandsbilder, wie Rükkenschmerzen sowie das chronique-fatigue-Syndrom (Shorter 1994), als moderne Wiedergeburt der Hysterie zu untersuchen.
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1.5 Zusammenfassung Die psychoanalytische Krankheitslehre beruht auf einem Integrationsversuch verschied ener Teilmodelle, die wir später eingehend besprechen werden. Man sollte jedes Krankheitsbild in den Termini dieser verschiedenen Teilmodelle beschreiben. Es sind dies das Entwicklungs-, Trieb-, Struktur- und Abwehrmodell sowie die Beschreibung der Ich-Funktionen des Patienten. Wenn man diese verschiedenen Teilmodelle zu den Achsen des DSM-IV in Verbindung bringt, wird man sehen, daß die Unterschiede zwischen den Systemen nicht so groß sind, wie sie erscheinen. Leider werden aber die letzten drei Achsen des DSM-IV, die die Körperlichkeit und das psychosoziale Funktionieren abbilden so11ten, selten benutzt. Eines der Probleme des nosalogischen Schemas von Fenichel besteht darin, daß man nur im statistischen Sinne davon ausgehen kann, daß die verschiedenen Teilmodelle miteinander übereinstimmen. Man wird also- um ein Beispiel zu machen - im allgemeinen davon ausgehen, daß eine sogenannt frühe Störung im Sinne einer EntwickJungsdiagnose, also z. B. eine narzißtische Neurose mit primitiven Abwehrformationen, undifferenzierten Affekten, einer Einschränkung der IchFunktionen sowie einer mangelnden Strukturbildung einhergeht. Es gibt aber recht häufig Fälle, in denen ein oder zwei Gebiete, z. B. bestimmte Formen der Ich -Funktionen, kompensatorisch überentwickelt werden, so daß ein wirkliches Verständnis des Patienten gerade aus der Nichtübereinstimmung der verschiedenen Teilmodelle stammt. Als übergeordnete Klassifikationsgesichtspunkte haben sich Begriffe eingebürgert, die aus den untergeordneten Teilmodellen stammen. So stößt man immer wieder auf das Wort "frühe Störung", was bedeuten soll, daß der Zeitpunkt der zentralen Schädigung im a1lgemeinen, "bezogen auf die psychosexuelle Entwicklung, mehr mit prägenitalen als mit ödipalen Stadien zu tun hat, sie eher dyadischen als triadischen Störungsfeldern entstammt, bei ihrer Entstehung eher Schädigungen und reale Überforderungen als innere Konflikte des Kleinkindes eine Rolle spielten, ihre klinischen Erscheinungen eher in emotionalen Defizienzen, Fehlhaltungen, Störungen des Selbstbildes und der Identität, Charakterverzerrungen und Beziehungsstörungen als in zirkumskripten, ich-fremden Symptomen mit ausgeprägtem Leidensgefühl bestehen" (Hoffmann 1986).
Solche Begriffe sind für den klinischen Alltag entstanden und entbehren einer exakten wissenschaftlichen Einteilung. Aussagen über den Zeitpunkt von Schädigungen legen nicht unbedingt eine psychogenetische Entstehung nahe, denn Traumen sind immer Folge der Wechselwirkungen von Verarbeitungskapazität d~s lernenden Organismus und den Umgebungsbedingungen. Wenn also von emer Psychose als "früher" Störung gesprochen wird, heißt dies nicht, daß erbliche Momen:e ausgeschlossen sind. Dies gilt für alle psychischen Störungen. Der Zeitpunkt der Noxe allein kann die Symptomatik nicht determinieren. Die Vielfalt der "früh gestörten" Zustandsbilder- Sucht, Perversion, narzißtische Persönlichkeitsstörungen etc. - machen deutlich, daß die Aussage ,früh' möglicherweise deckungsgleich ist mit dem Postulat, daß die Patienten ,schwer' geschädigt sind. Welche Art der Symptome sie dann aus dieser schweren Schädigung heraus entwickeln, ist aus einem entwicklungspsychologischem Modell mit den Parametern Traumatisierung und Fixierung kaum ableitbar (Krause 1994). 41
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Andere klassifikatorische Begriffe sind ödipal und präödipal sowie prägenital und genital. Präödipal bedeutet, daß von der Beziehungsstruktur der Familie her die innere Repräsentanz der Beziehungen im Kopf des Kindes noch nicht richtig triangulär ist. Das soll heißen, daß der Patient ebenfalls in einer dyadischen Welt lebt. In den ödipalen Entwicklungen kommt eine dritte Person ins Spiel. Prägenital ist eine Aussage über die psychosexueJle Entwicklung dergestalt, daß die kindliche Sexualität noch auf einem Niveau funktioniert, in dem die sogenannten Partialtriebe, also das Spielen mit dem eigenen Körper, den Faeces, das Küssen und Saugen noch nicht in ein im eigentlichen Sinne sexuell zu nennendes Organisationsprinzip eingebaut worden sind. All diese Begriffe werden auch zur Kennzeichnung von Störungsbildern benutzt. Wie wir sehen werden, sind Diagnosen, die sich vorwiegend an Fixierung und Partialtrieb orientieren, ebenfalls nicht unproblematisch. Ob dem sogenannten ödipalen Konflikt tatsächlich die Bedeutung zukommt, die Freud ihm aus verschiedenen Gründen gegeben hat, werden wir hinterfragen müssen. Freud hatte in einer Fußnote seiner Arbeit ,Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie' geschrieben: "Man sagt mit Recht, daß der Ödipuskomplex der Kernkomplex de~ Neurosen ist, ... Jedem menschlichen Neuankömmling ist die Aufgabe gestellt, den Odipuskomplex zu bewältigen . . .. der Fortschritt der psychoanalytischen Arbeit hat diese Bedeutung des Ödipuskomlexes immer schärfer gezeichnet; seine Anerkennung ist das Schiboleth geworden, welches die Anhänger der Psychonalyse von ihren Gegnern scheidet" (Freud 1905, Seite 128). "Er wird begrifflich häufig als die Hauptbezugsachse der Psychopathologie verwendet und für jeden pathologischen Typus seine Position zum Ödipuskomplex und dessen Lösungsversuch zu bestimmen versucht" (Simon 1991).
Wie wir später im entwicklungspsychologischen Kapitel sehen werden, bedarf diese Begrifflichkeit einer genaueren Präzisierung, einmal, weil die Kultur- und Geschlechtsabhängigkeit des Konfliktes nicht eindeutig geklärt ist (Rohde-Dachser 1991), zum anderen, weil noch eine ganze Reihe definitorischer Fragen- z. B. negativer und positiver ödipaler Konflikt und das Verhältnis der präödipalen und antiödipalen Konstellationen - aufgeklärt werden muß. Fürs erste tut man gut daran, den mit der Entwicklungspsychologie mitgedachten Begriffsapparat nicht zum "Schiboleth" zu machen, sondern sich damit zufrieden zu geben, daß es nach der Schwere von Erkrankungen vernünftig ist, eine Zweiteilung in Neurosen und schwerer oder unterhalb der Neurosen zu benutzen, und daß dieselbe in entwicklungspsychol.ogischen Termini ausgedrückt wird. Schwerer bedeutet allerdings keine Gradierung in bezugauf den Leidensdruck und auch nicht immer auf die Dramatik der offenen Symptomatik, sondern beinhaltet wohl eher eine Vorstellung über die noch vorhandene Entwicklungsfähigkeit der betroffenen Personen. Im Rahmen einer psychoanalytischen Krankheitslehre kann es in Abweichung von der Psychopathologie keine feste Zuordnung von Symptomen und Syndromen zur Ätiologie geben, weil ein und dieselbe Symptomatik, z. B. ein Waschzwang, in seiner Persönlichkeitsstruktur betrachtet, einmal das höchst erreichbare Niveau eines Patienten ist - er "rettet" sich also mit einem Zwang vor der Psychose -ein andermal ist das zwanghafte Verhalten ein temporäres Regredieren von einem viel höheren Niveau, wie dies von der Zwangsneurose im engeren Sinne angenom-
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men wird. Indikation und Behandlungstechnik richten sich dementsprechend nicht nach der Symptomatik allein, sondern vor allem nach der Einordnung der Symptomatik in die vorher erwähnten übergeordneten diagnostischen Teilmodelle (genetisch, strukturell, Abwehr). Aus diesem Grunde kann man weder diagnostizieren noch behandeln, wenn man die grundlegenden Modellvorstellungen nicht kennt. Die psychodynamische Diagnose muß verständlich machen, inwieweit ein Lebensereignis, z. B. ein interpersoneller Konflikt, einen intrapsychischen Konflikt und die ihn begleitenden Affekte und Abwehrmechanismen hervorruft und steuert. In der genetischen Diagnose soll versucht werden, die gegenwärtigen Konflikte in das kognitiv-affektive Entwicklungsniveau während der Traumatisierung einzubetten. Die strukturelle Diagnose muß Aussagen machen über das Wirken oder Fehlen intrapsychischer Instanzen wie Ichideal, Überich, im Wechselspiel mit den Triebwünschen und Affekten. Dazu muß man Modelle über innere Instanzen und Repräsentanzen haben. Die Abwehrdiagnose sollte Aussagen machen über das Funktionieren der verschiedenen Abwehrmechanismen, die zur Konfliktoptimierung verwendet werden, und die Ich-Diagnose über die konfliktunabhängigen Formen der Möglichkeiten des Denkens, Wahrnehmens, Handeins einer Person. All diese Modelle sollten wissenschaftlich gesichert sein und über die Grenzen der Psychotherapiesituation hinaus Geltung haben. Nur dann könnte sich die Theorie und die Behandlung wissenschaftlich fundiert nennen. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, soll uns noch beschäftigen. Die historische Entwicklung der psychoanalytischen Krankheitslehre ist den umgekehrten Weg gegangen. Die psychoanalytischen Modelle sind letztendlich der Behandlungssituation abgerungen worden (Haynal 1994). Dies geschah freilich unter Rückgriff auf die Nachbarwissenschaften als Denk- und Suchheuristiken. Wie wir sehen werden, war dieses Prozedere häufig irreführend, weil die Modelle dem Gegenstandsbereich nicht angemessen waren. Aber das weiß man immer erst hinterher. So hat es sich als recht störend erwiesen, soziale Beziehungen in Begrifflichkeiten der Physiologie zu konzipieren. Auf der anderen Seite ist die soziale Situation der Psychoanalyse und ihre mentale Repräsentanz in mancher Hinsicht von Alltagssituationen einerseits und denen anderer Behandlungsformen sehr verschieden. Sie stellt aber die Empiri.e dar, aus der die Theorie entwickelt wurde. Deshalb müssen wir uns vorweg recht ausführlich mit der "Natur" solcher Beziehungen auseinandersetzen. Dies soll in mehreren Schritten geschehen. Zuerst wird die therapeutische Situation als Erfahrungsgrundlage für Theoriebildungsprozesse diskutiert werden. Dort sollen Fragen angegangen werden, was für eine Art von Beziehung dies ist, wie sie mit dem Suggestionsproblem und der daraus folgenden Beliebigkeit der Theorien verknüpft ist. Dann wollen wir die therapeutische Situation anhand von 15 Fällen kennenlernen. Diese 15 Fälle stammen teilweise aus einem Forschungsprojekt, das wir zur Untersuchung psychotherapeutischer Prozesse von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert bekamen1. Den Einstieg wollen wir dabei nicht über die klinische Fallvignette, die ich mit
1 DFG-Projekt Kr 843/4-1/4-3 Multikanale Psychotherapieforschung.
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Meyer (1994) zur klinischen Darstellung psychoanalytischer Prozesse für unverzichtbar, für die Forschung und Supervision aber für ganz ungenügend halte, machen. Wir werden dann drei Prozeßverläufe psychoanalytischer Kurztherapien, von denen zwei im Rahmen des Forschungsprojektes mit allen Regeln "der Empirie" untersucht wurden, näher betrachten. In zwei der Verfahren war ich elb t als Therapeut Gegenstand der Forschung und werde in der Doppelrolle als psychoanalytischer "On-line"-Forscher und Therapeut (Moser 1991) und späterer Beobachter und Kommentator das Geschehen darstell en. Ich schreibe dies bereits hier, um dem Leser nicht den Eindruck zu vermitteln- oder ihn zu erschreckenich sei der Meinung, man könne Beziehungen oder gar psychoanalytisch-psychotherapeutische Beziehungen durch externe Daten vollständig abbilden. Das wäre sicher irrig. Das Verhältnis von äußerer Beschreibung und der inneren Abbildung der äußeren D aten ist aber eines der wesentlichen Probleme der Theoriebildung und der Behandlungstechnik. Dann werden wir die strnkturellen überindividuellen Rahmenbedingungen der Psychotherapie als soziologisches und sozialpsychologisches G eschehen besprechen und versuchen, die im engeren Sinne psychoanalytischen Vorstellungen von anderen Handlungsmodellen abzugrenzen. D ann erst werden wir zu den Modellen selbst kommen, und sie daraufhin abprüfen, inwieweit sie über die Rahmenbedingen, in denen sie entwickelt wurden, hinaus Gültigkeit beanspruchen können. Die Übertragung auf andere Situationen ist nämlich eine heuristisch vernünftigere Strategie, aber die Zulässigkeit der Anwendung bedarf eines zusätzlichen Nachweises, der nicht aus der psychoanalytischen Situation selbst kommen kann.
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2 Die therapeutische Situation als Erfahrungsgrundlage für die Theoriebildung
2.1 Einleitung Psychotherapie im allgemeinen und speziell Psychoanalyse findet im Rahmen einer Beziehung statt. Es können zwei oder mehrere Personen anwesend sein, aber das sine qua non von Psychotherapie scheint zumindest auf den ersten Blick die Gegenwart eines Therapeuten. Man kann sich heilsame therapeutische Settings ohne Menschen vorstellen. So mag sich ein seelisch Verletzter in die Einsamkeit der Natur zurückziehen und dort in der Beziehung zu den Pflanzen und Tieren Gesundung suchen. Diese Vorstellung ist sehr alt und gleichzeitig modern. Hildegard von Bingen, die im 11. und 12. Jahrhundert lebte, hatte für diese Form der heilsamen Beziehung zur Natur den Begriff ,viriditas' geschaffen (Ahlert & Enke 1993). Anfang des 19. Jahrhunderts verschrieb man Reisen als Mittel gegen die Melancholie. Es ist nachgewiesen, daß Haustierhaltung in mancher Hinsicht psychophysisch benevolente Wirkungen aufzuweisen hat. Gegenwärtig gibt es therapeutisches Reiten für Behinderte und Schizophrene. Die bei uns praktizierten und bezahlten Psychotherapieformen sind allerdings auf menschliche Beziehungen angelegt. In einer Überblicksarbeit haben Orlinsky und Howard (1986) 1100 Psychotherapie-Forschungsarbeiten aus einer Zeitspanne von 35 Jahren auf die Möglichkeiten der Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen und Prozeßvariablen untersucht. Eines der robustesten Resultate war, daß die Qualität der therapeutischen Beziehung über alle Prozeßperspektiven hinweg durchgängig mit guten Ergebnissen verbunden ist (Orlinsky & Howard 1986). In neuererZeithaben Schindler (1991) und Grawe (1992) diesen Befund auch für die Verhaltenstherapie geltend gemacht. Die Begründung dafür ist vielfältig. Viele psychische Störungen entstehen in Beziehungen, dort werden sie perpetuiert, aber dort sind sie auch behandelbar (Hahlweg, Müller, Feinstein & Dose 1988). Die Frage nach dem, was eine therapeutisch wirksame Beziehung ausmacht, ist keineswegs geklärt, und die Frage danach ist nicht trivial, wie viele Laien, aber auch manche ältere, kognitive und problemlösungsorientierte Therapeuten meinen (Caspar 1987 a, b, 1989). Wir haben immerhin einige Hinweise darauf, was es nicht ist. Aus der ersten Metaanalyse von Orlinsky & Howard (1986) kann man, wenn auch \ mit einiger methodischer Vorsicht, entnehmen, daß es sich dabei keineswegs um . eine im landläufigen Sinne angenehme Beziehung handeln muß, denn das Erleben negativen Affektes durch den Patienten, vor allem zu Beginn der Behandlung, ist sehr oft mit positiven Ergebniswerten verbunden und Konfrontationen auf seiten des Therapeuten ebenfalls, wohingegen Unterstützung, Ratgeben und Selbstöffnungen des Therapeuten keine Korrelationen zu irgendwelchen Erfolgsmaßen haben (S . 364). Gute alltägliche Arbeitsbeziehungen hingegen können im allgemeinen durch ein recht niedriges Niveau an negativem Affekt gekennzeichnet 45
werden. In außertherapeutischen Liebesbeziehungen gibt es eine Neigung, die Beziehung emotional symmetrisch zu gestalten und sich gegenseitig ganz praktisch zu unterstützen. Für die psychotherapeutische Beziehung gilt dies nicht. Sie sind emotional sehr asymmetrisch, mit einer hohen emotionalen Offenheit aufseitendes Patienten und ei ner sehr geringen emotionalen Selbstöffnung des Therapeuten. Daraus fol.gt im allgemeinen auch eine Macht- und lnterpretationsdifferenz, die uns im Zusammenhang mit der Theoriebildung noch beschäftigen wird. Nun will ich damit nicht sagen, daß man seinen Patienten gegenüber grob, verschlossen und trotzdem erfolgreich sein könnte. Aber es ist ganz zweifellos so, daß elementare Regeln von Alltagsbeziehungen in allen Psychetherapien außer Kraft gesetzt werden müssen. Unsere Anfängerstudenten haben große Mühe, das zu lernen , weil sie Gott sei Dank gelernt haben, "nett und höflich" zu sein. In Alltagsbeziehungen ist es zum Beispiel grob unhöflich, nichts selbst dazu beizutragen, ein Gespräch am Laufen zu halten. Wenn sich unsere Patienten nicht äußern, ist es abe r in den meisten Fällen angebracht, ebenfalls den Mund zu halten. Auf keinen Fall können wir einen netten Schwatz über die Kinder oder das Wetter anbieten. Psychotherapeuten, die nicht schweigen können , mögen nette Menschen sein, aber ihr Handwerk beherrschen sie nicht. Wenn vieles an der psychotherapeutischen Situation so unangenehm ist, taucht natürlich die Frage auf, warum so viele Personen einen so großen G ewinn aus ihr ziehen können, und meist ihre Psychotherapeuten rückwirkend als beeindruckende Personen in guter Erinnerung haben. Um sich der Lösung dieses Problems anzunähern, mag eine Einteilung aus der Fachliteratur von Nutzen sein. Dort hat man, wenn auch mit einer gewissen Willkür, das Geschehen zwischen Patient und Therapeut in eine mehr am Alltag orientierte therapeutische Arbeitsbeziehung, die eine Form von Bindung und Engagement voraussetzt, und in einen davon getrennten durch eine spezifische Behandlungstechnik gesteuerten Problemlösungsante il aufgespalten. Diese Einteilung gilt me hr oder weniger für alle Behandlungsfo rmen. Wenn man mittels Manualen, Video oder Tonbandaufnahmen überprüft, inwieweit die Therapeuten der verschiedenen behandlungstechnischen Ausrichtungen auch tatsächlich das tun, was sie gelernt haben, also z. B. "kognitive Verhaltenstherapie" oder "aufdeckende Psychoanalyse", dann schneiden diejenigen am besten ab, die auch am reinsten ihre gelernte Technik realisieren (Crits-Christoph 1992, Luborsky, Chandler, Auersbach, Cohen & Bachran 1971, Luborsky, McClelland. Woody, O 'Brien, Auersbach 1985, Schulte & Künzel , 1989). Auch das ist auf den e rsten Blick nicht unmittelbar einleuchtend, denn erstens könnte man sagen, am besten schnitte de r ab, der aus allen Verfahren die wirksamsten Bausteine herausgreifen würde, wie dies häufig in einer allgemeinen Theorie der Psychotherapie gefordert wird (Grawe, Donati & Bernauer 1994), und zweitens ist für einen Laien die Gestaltung einer Beziehung unter dem Verdikt einer Technik im allgemeinen wenig authentisch und spontan, also im Alltagssinne wiederum wenig "gut". So ist z. B. die therapietechnische Regel der Psychoanalyse, nach der der Patient alles mitteilen soiJ, was ihm durch den Kopf geht, ohne vorweg zu entscheiden, was er für irrelevant oder peinlich hält, für viele Patienten recht befremdlich und mündet in einen Konflikt ein, den man in etwa so umschreiben kann: Teile ich die pe inlichen Phantasmen nicht mit, mache ich mich schuldig, teile ich sie mit, beschäme ich mich. Vielleicht ist es so, daß die sogenannt gute Arbeitsbeziehung zwischen Psychotherapeut und Patient ein Stück weit die Voraussetzung für das
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Ertragen der unangenehmen Anteile dieser Beziehung ist. Das gilt wahrscheinlich für alle Behandlungsformen-auch für diejenigen, die sich darum im ersten Durchlauf theoretisch nicht gekümmert haben. Tatsächlich stehen und fallen auch die verhaltenstherapeutischen Erfolge, die ja häufig mit 60-80 Prozent angegeben werden, mit der ausreichenden Motivierung der Patienten, sich die Behandlungsprogramme überhaupt zuzumuten (Kanfer, Reinecker & Schmelzer 1991). Die Erfolgsziffern beziehen sich häufig auf die Klientel, die nach einem langen informellen und formellen Ausleseverfahren die Behandlungstechniken absolviert haben. Wenn wir, dem Jahresbericht der Dornier-Klinik in Münster folgend, annehmen, daß sich ca. 1000 Patienten auf Grund von Prospekten bzw. Überweisungen für eine Behandlung interessiert haben, davon ca. 300 genommen wurden und von diesen 300 im wesentlichen diejenigen 60 Prozent, die ein Motivationsprogramm, die Behandlung zu machen, überstehen, behandelt werden, kann man die Bedeutung der motivierenden Beziehung auch für die Verhaltenstherapie deutlich abschätzen. Wir können dazuhin davon ausgehen, daß die 1000 Interessierten bereits eine hoch selektierte Gruppe darstellen, die auf Grund Prospektmaterials oder Hinweisen von niedergelassenen Verhaltenstherapeuten auf die Klinik hingewiesen wurden, so daß der Anteil der durch das Verfahren wirklich erfolgreich behandelten an der Grundgesamtheit von Patienten absinken dürfte. Mir selbst ist es in zwei Fällen nicht gelungen, Angstpatienten in verhaltenstherapeutische Spezialkliniken zu überweisen, obgleich ich mir alle Mühe gegeben hatte, sie dazu zu motivieren. Auch die Verhaltenstherapeuten brauchen also eine exzellente Beziehung, damit die Patienten die Therapietechniken an sich zuzulassen. Die Notwendigkeit einer Einteilung in Beziehung und Technik legt es nahe, daß es sich bei der Integration dieser beiden Bereiche wahrscheinlich um das Grundproblem aller Psychetherapien handelt. Auf jeden Fall haben wir ein Optimierungsproblem vorliegen, das man ansatzweise so beschreiben kann: Zu viel Beziehung stört und behindert die Technik. Wenn wir mit unseren Patienten Tee trinken oder ausgehen, wird die Behandlungstechnik außer Kraft gesetzt. Tatsächlich geschehen solche Dinge nur zu häufig. Im Zwischenbericht für das Bundesministerium für Frauen und Jugend zum Forschungsprojekt "Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie" (Hecker-Fischer, Fischer, Heyne & Jerouschek 1994) wird von einem Minimalwert von 300 Betroffenen pro Jahr in der Bundesrepublik, bezogen auf die Grundgesamtheit der ca. 100 000 Patienten und Patientinnen, die eine kassenfinanzierte, psychotherapeutische Behandlung erhalten. Unter Einbeziehung der nicht von den Kassen anerkannten Therapieformen ergeben sich mindestens 600 Betroffene. Da eine mangelhafte klinische-therapeutische Ausbildung einer der Risikofaktoren aufseitender Therapeuten darstellt, dürfte die Prävalenzrate in der letzten Gruppe noch weit größer sein. Von den pseudoreligiösen Behandlungsgruppen spreche ich gar nicht. Läßt man allerdings die gute Beziehung außer acht und versucht, sich auf die Applikation einer Technik zu beschränken, gibt es erst recht keine Behandlungserfolge (Schind] er 1991, von Zeppelin 1991). Die Angstpatienten, die sich verhaltenstherapeutisch behandeln Jassen, müssen in Aufzüge steigen und von oben herunterschauen, sie finden das im allgemeinen wenig erfreulich, tun es aber auch ein stückweit ihren Therapeuten zu Liebe oder zu Gefallen. Auch die oben erwähnte psychoanalytische Grundregel, alles mitzuteilen, was einem durch den Kopf geht, macht natür47
lieh nur Sinn, wenn der Patient das Gefühl hat, vom Therapeuten so akzeptiert und gemocht zu werden, daß alle seine Ideen- und seien sie noch so "verrückt" -beim Anderen gut aufgehoben sind. Eine solche innere Haltung setzt natürlich ein großes Ausmaß an Zuneigung, Respekt und Liebe voraus. Aus dem bisherigen kann man ableiten, daß die unangenehmen und systematischen Teile einer Psychotherapie im aUgemeinen in der Technik axiomatisiert und realisiert werden, die angenehmen und bindenden .in der Arbeitsbeziehung. Spätestens jetzt sollte es klar geworden sein, daß dieUnterscheidungvon Behandlungstechnik und Arbeitsbeziehung der Komplexität des psychotherapeutischen Geschehens in keiner Weise gerecht wird, denn es scheint ja das Problem der meisten - wenn nicht gar aller Patienten- zu sein, daß sie eine jeweils spezifische Neigung haben, ihre Beziehungen nach Maßgabe ihrer psychischen Probleme zu gestalten, d. h., daß viele Patienten von ihrer Problematik her dazu gezwungen sind, solche guten Beziehungen gar nicht zuzulassen, oder so sie sich denn entwikkeln, zu konterkarieren. So haben viele Patienten mit Störungen der Selbstwertregulation eine Neigung, sehr intensive heftige, unrealistische "Beziehungen" nach dem Typus einer Idealisierung, die gleichzeitig eine vermeintliche Selbstaufgabe beeinhaltet, einzugehen. Da sie die Intensität dieser idealisierenden Beziehung gar nicht ertragen können, muß eine der wesentlichen Beziehungsregeln darin bestehen, die Intensität auf ein für den Patienten eben noch erträgliches Niveau herunterzufahren, obgleich der Patient selbst eine viel intensivere Form von Begegnung wünscht und sich bitter darüber beschwert, daß er sie nicht bekommt. Einer meiner narzißtisch gestörten Patienten, der neben vielem anderen unter schweren Wochenenddepressionen litt und sich intensiv wünschte, bei mir sein zu können, half sich so, daß er eines meiner Bücher auf den Schreibtisch stellte und sich so ein Stück idealisierte Gegenwart schuf. Das Arrangement war wie ein Altar. Er hütete sich allerdings wohlweislich davor, hineinzuschauen, weil er ahnte, daß der erste Fehler, den er entdeckte, die Idealisierung zum Einsturz bringen würde. Eine BorderlinePatientin mit ähnlicher Problematik hörte sich am Wochenende meine Stimme, die sie aus einem Radiovortrag gespeichert hatte, wieder und wieder an, ohne daß der Inhalt für sie eine Bedeutung gehabt hätte. Die Stimme der idealisierten Person konnte sie beruhigen. Es ist eines der störungsspezifischen Leiden der Psychotherapeuten, solch intensiven Idealisierungen, sogar wenn sie sie selbst gern haben, nicht nachzugeben. In der Tätertypologie der sexuellen Übergriffe findet man nicht eben selten männliche Therapeuten, die eine Idealisierung ihrer Beziehung und ihrer Sexualität mit den Patientinnen teilen und fördern. Die Probleme der Patientinnen, die das Gefühl vermittelt bekommen, sie selbst nicht mehr lösen zu können, werden über die Realisierung dieser idealisierten Sexualität scheinbar behandelt. Auf einem Niveau darunter findet man freilich intensiven Haß und Neidgefühle den Patientinnen gegenüber, die von der Phantasie gespeist werden, man bekomme nicht genügend von der Welt und den Patientinnen. Andere leiden schon an dem Vorgang der Idealisierung selbst. Es ist nicht jedermanns Sache, als Guru durch die Köpfe anderer Menschen zu wandern. Patienten mit Zwangsstörungen haben im allgemeinen große Angst vor Gefühlen und Trieben und müssen Beziehungen, in denen solches droht, abbrechen. Gleichzeitig haben sie aber eine Neigung, ganz unter der Hand bei anderen eben solche teilweise sehr heftigen Gefühle zu provozieren, so daß sie hinterher als Opfer der 48
von ihnen selbst provozierten Affekte die Beziehung abbrechen müssen. Einer meiner Patienten mit einer Zwangsstörung brachjeden Kontakt mit seinem Platznachbar in einem Chemielabor ab, nachdem dieser mehrfach Utensilien in seinen Arbeitsplatz hineingesetzt hatte. Da er ihm nicht sagen konnte, wie sehr ihn dies beschränkte, ging_er zum Institutsleiter und verlangte eine Hausordnung, nach der solche schweren Ubergriffe des Kollegen unmöglich gemacht werden sollten. Dieses neu zu schaffende Recht sollte, so seine Forderung an den Direktor, sofort und mitleidlos an seinem Nachbarn vollzogen werden. Nachdem der Direktor denselben angesprochen hatte, fragte er meinen Patienten, sehr verärgert, ob er denn verrückt sei, so einen Aufstand zu machen. Von da an brach mein Patient den Kontakt ab. Auch bei diesen Patienten ist eine spezifische Beziehungsregel notwendig, die man in etwa so formulieren könnte: Auch wenn der Patient fortlaufend Arger provoziert, gebe man dieser Tendenz im offenen Verhalten in der Beziehung nicht nach. Vielmehr arbeite man mit ihm an der Angst, selbst offenen Ärger zu empfinden und zu äußern. Daß man bei einem solchen Vorgeben teilweise außerordentliche Provokationen ertragen muß, ohne ihnen nachgeben zu können und zu dürfen, ist eines der anderen spezifischen Leiden, die diesen Beruf schwierig machen. Manche Angstpatienten lassen sich nur zu gerne führen (König 1991), andere, wie die Borderline-Patienten, "benehmen" sich ungewöhnlich abstoßend (Kernberg, Selzer, Koenigsberg, Carr & Appelbaum 1989). Wir sehen, daß eine vernünftige Indikationsstellung und die dazugehörige Behandlungstechnik auch Aussagen darüber machen muß, wie ein spezifischer Psychotherapeut mit einem spezifischen Patienten mit einem spezifischen Störungsbild die Beziehung gestalten sollte, und zwar ganz unabhängig von der angewandten Behandlungstechnik Manche Behandlungsformen, z. B. die Gesprächspsychotherapie, haben versucht, ohne solche störungsspezifische Beziehungsmodelle auszukommen, um feststellen zu müssen, daß bei Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung, z. B. Borderline-Persönlichkeitsstörungen, die Erfolgsrate niedriger liegt als bei der Gruppe der ICD-9-Diagnosen aus dem Umfeld der Neurosen (Biermann-Ratjen, Eckert & Schwartz 1995, S. 157). Dies muß nicht weiter verwundern, weil das geforderte Ausmaß von Beziehungsfähigkeit zu sich selbst und zum gesprächspsychotherapeutischen Beziehungsangebot durch die spezifische Abwehrform nicht gegeben ist. Wenn man diese komplizierten Verhältnisse in Rechnung stellt, hilft die Unterscheidung von therapeutischer Arbeitsbeziehung und Behandlungstechnik nicht sehr viel weiter. Wir müssen die Voraussetzung für eine qualitativ gute Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient präziser definieren. Wiederum technikübergreifend ist m. E. die zentrale Voraussetzung dafür die, daß der Therapeut den Patienten aus dessen inneren Bezugsrahmen, den derselbe allerdings nicht notwendigerweise selbst kennen muß, heraus versteht. Dieser Verstehensvorgang schließt ein, sich selbst mit den Augen des Patienten sehen zu können, und dieses noch gar nicht ausformulierte innere Bild in bezug auf die Kompatibilität mit dem Entwurf der eigenen Person zu prüfen. Dieser Vorgang ist schwerlich nur durch Nachdenken zu bewältigen, sondern setzt eine Teilhabe an der Gefühlswelt des Patienten und der mit ihr verbundenen Phantasien und Kognitionen voraus. Diesen Vorgang kann man dann Empathie nennen, wenn er gleichzeitig ein Wissen einschließt, daß in mir die entstandenen Gefühle vom anderen stammen, und 49
dies ist mehr ein definitorisches Erfordernis, daß das eigene Gefühl tatsächlich in systematischer mir bekannter Weise mit der inneren Welt des Anderen verknüpft ist. Ich meine, daß es definitionsgemäß keine "falsche" Empathie geben sollte. Es gibt alle möglichen fa lschen Annahmen, die wir mit dem anderen verknüpfen können, aber dann solJte man den Begriff Empathie nicht benutzen. Empathie schli eßt eine Form von Mitfühlen und meistens auch Mitleiden ein. Empathie hat aber auch einen kognitiven und einen prosozialen Handlungsanteil, der mindestens ebenso bedeutend wie der affektive ist. Das Zusammenspiel dieser kognitiv, affektiven Handlungsprozesse in einer Beziehung können wir als den Kern des psychotherapeutischen Geschehens betrachten. Der affektive Anteil besteht darin, eine emotionale Erlebnisfähigkeit, oder wenn man so wm, eine Resonanzfähigkeit aufzuweisen, die es überhaupt gestattet, die Gefühle des Patienten wahrzunehmen und even tuell zu teilen. Das muß nicht notwendigerweise das gleiche Gefühl sein, sondern kann auch die Fähigkeit sein, sich in jeweils spezifischer Weise zu ganz anderen Affekten, die der Patient eben selbst nicht haben kann, provozieren zu lassen, wie ich dies oben bei den Zwangspersönlichkeiten aufgezeigt habe. Davon unabhängig besteht die kognitive Fähigkeit darin, die Perspektive und RoHe des anderen zu übernehmen. Sie ist auch die Voraussetzung dafür, daß der empathisch miterlebende Therapeut in die Lage versetzt wird, ein in ihm induziertes Gefühl als nicht von ihm selber stammend zu erkennen. Der empathische Vorgang ist also bei weitem voraussetzungsreicher als das einfache Mitleiden. Das unterste Niveau des Mitleidens beruht wahrscheinlich auf Vorgängen der Affektansteckung (Bischof-Koehler, 1989). Die Wahrnehmung affektiver Ausdrucksmerkmale von Artgenossen wirkt nach der Art eines angeborenen auslösenden Mechanismus, so daß die entsprechenden Emotionen im Beobachter direkt induziert werden können. In diesem Sinne sind alle geäußerten Affekte wie Wut, Trauer, Freude, Angst prinzipiell hochgradig ansteckend. Dieser Prozeß setzt keinerlei kognitive Fähigkeiten voraus, außer, daß der Affekt des anderen als Schlüssel.reiz wirken kann. Das ist schon bei Kleinkindern ab dem dritten Monat nachweisbar, und dementsprechend finden wir in diesem Alter intensive Formen von zirkulären kreisförmigen Affektansteckungsprozessen. Eine meiner Patientinnen mußte ihr Haus heimlich durch die Garage verlassen, weil ihre 4jährige Tochter den Haupteingang bewachte, und die Mutter sofort durch ihr Weinen in einen (wie sie meinte) identischen Zustand bringen konnte. Auch bei Erwachsenen führen Affektansteckungsprozesse, vor allem solche von hoher Intensität, zu einem regressiven kognitiven Zustand, in dem im allgemeinen die Grenzen zwischen dem Selbst und dem Andern verschwindet. Freilich ist die Bereitschaft, solche regressiven Zustände zu ertragen, auch Voraussetzung für empathische Vorgänge. Wer sich also in diesem Bereich stets abgrenzen muß, dem fehlt die verhaltensmäßige Grundlage, sich mit dem Patienten gefühlsmäßig identifizieren und über diesen Weg vielleicht empathisch verstehen zu können. Gleichzeitig ist dieser regressive Zustand des Mitleidens für den psychotherapeutischen Prozeß hinderlich. Es bringt dem Patienten nicht viel, wenn zwei Leute traurig sind und weinen und dann möglicherweise nicht einmal wissen, warum. Im Gegenteil, solche Formen von Affektansteckung perpetuieren im allgerneinen die Leidensgeschichte der Patienten. Auch in Mutter-Kind-Interaktionen läßt sich zeigen, daß die "empathischen Mütter" zwar den Affekt des Kindes intensiv erle-
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ben, ihn aber nicht einfa<;:h im Ausdruck reduplizieren, sondern mit spezifischen Markierungen wie z. B. Ubertreibungen oder anderen zeitlichen Chrakteristika dem Kind zurückspiegeln, so daß das Kind sehr früh zweierlei entscheidende Lernprozesse machen kann, wenn es in einem empathischen Umfeld aufwächst: "das Kind erfährt, daß sein affektives Ausdrucksverhalten nicht nur ein korrespondierendes Außenereignis hervorruft, sondern auch als Folge dieses Veräußerlichungsprozesses eine positive Regulierung seiner negativen affektiven Befindlichkeit erfolgt" (Ge rgely 1995).
Wirkliche Affektansteckungen zwischen Mutter und Kind treten nur in extremen Notsituationen oder bei schweren Pathologien auf. Der professioneHe Vorgang 1 der Empathie fordert also vom Therapeuten ebenso wie von der Mutter eine Art Spaltung der eigenen Person, in einen erlebenden, beobachtenden und handelnden Anteil. Ist nur einer davon schlecht entwickelt oder geht durch die Schwierigkeiten, die das Geschehen häufig mit sich bringt, im Funktionieren zurück, ist der Therapeut in Schwierigkeiten. Nur noch erleben zu müssen bedeutet den Verlust der Steuerung. Er weiß nicht mehr, von wem was kommt, verliert den Überblick , und kann eigentlich kein Modell mehr entwickeln, wie der Patient ihn sieht. Nur \ zu beobachten macht den Patienten zum Objekt, weil die gefühlsmäßige Basis für die primäre Identifikation fehlt. Nur zu handeln verhindert das Verstehen, und 1 gar nicht zu handeln ist steril. \ In Tat und Wahrheit sind dies natürlich idealistische Forderungen, und wir alle geraten fortlaufend und ziemlich regelhaft in verschiedene Extreme hinein, um dann aber auch hoffentlich wieder aus ihnen herauszufinden. Da ein Zustand gewissermaßen als Abwehr gegen die anderen benutzt werden kann, sollte man als Therapeut innerlich sehr alarmiert werden, wenn man plötzlich nur mehr fühlt oder nur mehr bebachtet, denkt und handelt. Dann ist es Zeit für Nachdenken, aus dem Feld zu gehen oder für eine Supervision. Für die Patienten kann man wohl auch sagen, sie sollten sich vor Therapeuten, die "aus dem Bauch" heraus behandeln, ebenso hüten wie vor den "verkopften" Intellektuellen, die alles mögliche wissen mögen, aber gefühlsmäßig wenig verstehen. Alle erfahrenen Therapeuten entwickeln eine Fülle von implizitem Wissen, wie sie mit den in ihnen entstandenen Gefühlen umzugehen haben. Eine sehr einfache basale Regel gibt darüber Auskunft, ob der gezeigte Affekt des Patienten als Signal für den Status der Interaktion zu werten ist, oder ob er sich auf Ereignissephantasierte oder gedachte - bezieht, die sich außerhalb der Beziehung, also in einem symbolischen Raum, abspielen. Zeigt der Patient Wut in der Beziehung, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß der Therapeut Angst entwickelt. Solche Prozesse, die sich in der Interaktion abspielen, nennt man häufig komplementär, wobei man davon ausgehen kann, daß jeder Affekt, wie in der Farbenlehre, in der Interaktion ein Komplement hat, wie z. B. Angst und Wut, Ekel und intensive körperliche Hingabe, Verachtung und Stolz etc. Richtet sich der gezeigte Wut-Affekt aber auf ein Objekt des gemeinsam phantasierten inneren Raumes des therapeutischen Geschehens, ist Affektansteckung eher zu erwarten und sinnvoll. Der Therapeut ist empathisch mit dem Patienten zusammen empört. Solche Zustände werden reziprok genannt. Wie aber weiß ich, ob der Affekt der Beziehung oder mir oder einem inneren Objekt gilt? Diese EntschlüsseJung geschieht natürlich meistens unbewußt, aber sie beruht im wesentlichen auf dem Zusammenspiel von 51
Mimik, Blickkontakt und Sprechvorgang in der Dyade (Merten 1996). Wenn also Wut gezeigt und gleichzeitig gesprochen wird und der Sprecher Blickkontakt zum Hörer, der ihn ebenfalls ansieht, hat, geht er vorzugsweise davon aus, daß der Affekt ihm und nicht einem dritten Objekt gilt, auch wenn der scheinbar so redet, wohingegen ein negativer Affekt ohne Blickkontakt beim Zuhören, um nur ein Beispiel zu nennen, sicher dem Objekt, über das der andere spricht, gilt. Gesunde haben ein implizites Regelwissen darüber, wohingegen viele schwergestörte Patienten keinen Zugriff auf die es Wi sen haben. Für die an paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie Erkrankten gilt zum Beispiel jeder geäußerte Affekt als Aufforderung zur Interaktion. Sie meinen schon auf der Wahrnehmungsebene, allesgelte ihnen. Dementsprechend reagieren sie an den Stellen, an denen sie reziprok reagieren müßten , komplementär. Wenn man dies weiß , kann man auch die schwerkranken Patienten verstehen, obgleich es zu keinen Resonanzphänomenen wie unter Gesunden kommt. Ein weiteres schwerwiegendes Problem des empathischen Zuganges liegt darin begründet, daß die gefühlsmäßigen Resonanzphänomene in Abhängigkeit von den Störungsbildern von unseren eigenen so verschieden sein mag, daß der Zugang zum anderen im besten Falle kognitiv erfolgen kann. Im allgemeinen ist es nicht gerade leicht, gefühlsmäßige Resonanzphänomene zu analsadistischen sexuellen Praktiken oder fetischistischen Akten mit Gummjkleidungsstücken zu finden. Man kann in diesen Fällen aber wenigstens eine intellektuelle Freude und Begeisterung an den teilweise außerordentlich kreativen Konstruktionen der Patienten entwickeln. Sollte dies auch nicht möglich sein, meine ich, daß man Abstand von der Behandlung nehmen sollte. Dieses komplizierte Verhältnis von Technik und Beziehung hat erhebliche Auswirkungen auf die Theorieentstehung und deren Validierung, denn wir haben mehrere aufeinander bezogene Gegenstandsbereiche, die schwer zu entflechten sind: 1. Eine "reale Beziehung" zwischen einem Therapeuten und einem Patienten. 2. Eine im Rahmen dieser Beziehung realisierte Behandlungstechnik. 3. Die Behandlungstechnik und die damit verbundene Beziehungserfahrung münden in eine Theorie der psychischen Störungen ein, aus der dann die Theorie und die Verbesserung .der Behandlungstechnik wieder abgeleitet werden. Es ist naheliegend, daß die bevorzugte Behandlungstechnik bereits aus einem besonders geschätzten Menschenbild stammt, das dann auf dem Umweg über die tatsächlich verwendete Technik in der Theorie, die aus dem Behandlungssetting entwickelt wurde, wi.eder abgebildet wird. Die verschiedenen Behandlungsverfahren unterscheiden sich gewiß in bezug auf die von ihnen angestrebten Behandlungsziele, so daß in den Theorien auch unterschiedliche Ziele und Wertsysteme enthalten sind, die dann wiederum mit der Behandlungstechnik und der Indikationsstellung verbunden sind. Sie sollten Gegenstand einer öffentlichen Diskussion sein. Bei der Breitspektrumsverhaltenstherapie- ein Modell nach Kanfer, in dem verschiedene Verfahren kombini.ert werden- sind Patienten mit starken Autonomiewünschen schlecht aufgehoben (Grawe, Caspar und Ambühl1990), weil dies kein unmittelbares Behandlungsziel dieses Verfahrens ist. Bei der Gesprächspsychotherapie sind aus den gleichen Gründen diejenigen mit starken Abhängigkeits-
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wünschen, z. B. Suchtpatienten, benachteiligt. Auf die psychoanalytischen Behandlungsziele expliziter und impliziter Art und deren Auswirkung auf die Beziehungsgestaltung und Technik komme ich später zurück. Ob Psychotherapie selbst Ziele anbieten sollte bzw. überhaupt kann, werden wir noch zu diskutieren haben. Sicher ist, daß ein Teil aller Behandlungsbemühungen in Zielverhandlungen mit den Patienten einmündet (Greve 1993). Sicher ist ebenfalls, daß eine Beteiligung der Patienten am Bestimmungsprozeß der Ziele für den Therapieverlauf günstig ist. Sicher haben auch bestimmte Störungsbilder präferierte Behandlungsziele und -formen, die man z. B. nach dem Typus einer Anlehnung oder Unterwerfung oder Spaltung etc. interpretieren kann. Als klinisches Beispiel sei der von Stotterern häufig geäußerte Wunsch nach zupackenden Behandlungsverfahren, z. B. hypnotisiert zu werden, erwähnt. Tatsächlich kann man unter Hypnose die Störung vollständig zum Verschwinden bringen, allerdings ist bis anhin noch keine posthypnotische Suggestionswirkung bekannt geworden, die den Effekt der Hypnose aufrecht erhalten würde. Der Wunsch, hypnotisiert zu werden, ist m. E. der Niederschlag eines konfliktuösen Umgangs mit Autoritäten, der das Stottern zwar nicht verursacht, aber zweifellos sehr stark steuert und auch am Leben erhält (Krause 1981). Ein anderes Beispiel ist der Wunsch von Borderline-Patienten nach Reinkarnationstherapien und ähnlichem. Ehe wir versuchen, dieses komplizierte Knäuel aufzulösen, sollen einzelne Bestimmungsstücke der Frage analysiert werden. Wir werden uns fragen müssen, was eine Beziehung, was eine "gute" Beziehung und was eine psychotherapeutische und als Subgruppe oder in Abhebung davon- was eine psychoanalytische gute und schlechte Beziehung ist. Das Postulat, daß die psychoanalytische Situation eine Subgruppe der Psychotherapiesituationen darstelle, ist umstritten (Wallerstein 1986, 1989, 1990), einerseits wegen der immensen Schwierigkeiten, die psychotherapeutische Wirksamkeit der klassischen Psychoanalyse gegenüber von Kontrollgruppen-Behandlungen nachzuweisen, andererseits, weil manche Psychoanalytiker die klassische Psychoanalyse nicht primär als Psychotherapie betrachten, sondern eher als ein Forschungsmittel zur Untersuchung unbewußter Prozesse.
2.2 Was ist eine Beziehung? Die Frage, was eine Beziehung sei, ist schwer zu beantworten, obgleich jeder die Antwort zu kennen meint. Wenn wir aber eine Person als beziehungslos beschreiben, meinen wir im allgemeinen nicht, daß sie mit anderen nicht reden kann, sondern daß ihrer Rede etwas fehlt, das aus ihr eine "Begegnung" macht. Was aber macht eine Beziehung zu einer Begegnung? Die zusätzliche Dimension stammt nicht aus der Rede allein, sondern aus anderen Formen bezogenen Verhaltens, die gleichwohl Verhalten sind. Sympathie, Liebe, Takt etc. sind also keine metaphysischen Konstrukte, sondern sinnliche Formen bezogenen Verhaltens. Methodisch kann man Beziehung unter Rückgriff auf den Strom des äußeren Verhaltens, den zwei oder mehr Personen produzieren, beschreiben. Man kann dann aus diesem Verhalten repetitive, spezifische stabile Muster dyadischer, triadischer Art 53
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extrahieren und solche Charakteristika als spezifisch definieren. Diese kann man dann ordnen und klassifizieren. So behaupten viele sozialpsychologische Forscher, die sich am äußeren Verhalten orientieren, man fände immer wieder drei grundlegende Dimensionen in Beziehungen, nämlich 1. Macht, Dominanz, Kontrolle, 2. Nähe, Zuwendung und Sympathie und 3. Aktivität vs. Passivität, mit denen man den Strom des bezogenen Verhaltens beschreiben könne (Mehrabian 1972). Wie schon etwähnt, gibt es eine Reihe weiterer Dimensionierungsversuche dyadischen Interaktionsverhaltens, wie z. B. Komplementarität, Reziprozität usw. Einen Überblick über solche Ordnungsversuche gibt Becker-Beck (1995). Die Begrift1ichkeit im Umfeld dieser so wichtigen Phänomene ist außerordentlich verwirrend. Es gibt allein drei verschiedene, sich teilweise widersprechende Definitionen von Reziprozität und Komplementarität. Fürs erste sei dyadische Reziprozität dadurch definiert, daß das Verhalten zweier Personen, die interagieren, von außen betrachtet symmetrisch erscheint. Beide verhalten sich z. B. aggressiv. Komplementarität bezeichnet qualitativ verschiedenes und sich irgendwie sinnvoll ergänzendes Verhalten in der Dyade. Man könnte z. B. behaupten, ein Lächeln sei komplementär zu einem Aggressionsausdruck, weil es eben dieses aggressive Verhalten hemmt. Obgleich ich später zeigen werde, wie man sich solche Abhängigkeiten vorstellen kann , sind wir weit davon entfernt, diese Phänomene zu verstehen, aber sicher hat z. B. die wechselseitige Zuneigung und Empathie etwas mit dem Gleichklang der Körper, mit Komplementarität und Reziprozität des affektiven Verhaltens zu tun (Merten 1996). Einem "hölzernen" oder gar "steinernen" Menschen würde man die mitschwingende Begegnungsfähigkeit absprechen. Ein Kliniker kann sich natürlich mit solchen behavioralen Klassifikationen alleine nicht zufriedengeben. Er versucht, die inneren Bilder und Phantasien mit der gleichen Ernsthaftigkeit zu erfassen, wie die empirischen Forscher die Verhaltensdaten. Man muß eine Beziehung auch durch die inneren Bilder und Phantasien, die beide Protagonisten über sie haben, beschreiben. Daß ich jemanden sympathisch finde , ist auch eine Phantasie, ein U rteilsakt. Die beiden Betrachtungsweisen sind nur sehr beschränkt ineinander überführbar. Die kollektiven bzw. isolierten Phantasien, die z. B. ein Therapeut und sein Patient über die Beziehung entwickeln, sind keineswegs direkt aus ihrem Verhalten ableitbar. Ja, man kann sogar sicher sein, daß die Phantasien über die Beziehung, in einer Art Übersummativität über die Verhaltensweisen und die mentalen Repräsentationen der jeweils einzelnen Person hinausgehen. Es gibt z. B. unbewußte Gruppenphantasien, z. B. die, daß Neues, Fremdes gefährlich und schädlich ist, die als kleinster gemeinsamer Nenner der Identität einer Gruppe dienen können, ohne daß die einzelne Person über den Inhalt im klaren wäre (Bion 1967, 1992). Ein gewisser Teil der psychotherapeutischen Beziehung besteht in der Schaffung eines phantastischen Raumes durch zwei Personen, der eben nur teilweise durch die "reale" Beziehung- wie sie sich im Verhalten manifestiert- abgedeckt wird. Daß sich beobachtbares Beziehungsverhalten und die einzeln wie auch gemeinsam entwickelten Phantasien nicht oder nur sehr beschränkt ineinander überlei' ten lassen, hat viele Gründe, die nur kurz diskutiert werden sollen. Einmal handelt es sich um prinzipiell verschiedene Repräsentationsmodi. Darauf werden wir in Band 2 im Kapitel "Das topographische Modell" genau eingehen (Bucci 1985). Zum anderen bilden wir aus dem sinnlichen Strom unseres eigenen sowie des Ver-
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haltens unserer Beziehungspartner immer nur bestimmte Teile mental ab. Desweiteren ist die Gliederung in "bedeutungsvolle Einheiten" ein stückweit von der Intentionalität der beiden Partner abhängig, und schließlich bestimmt der situative Rahmen, der Kontext, die Interpretationsregeln für viele Verhaltensweisen. Der Rahmen einer Psychotherapie, zu mal einer psychoanalytischen, ist wie gesagt von dem einer Alltagsbegegnung sehr verschieden. Ein dort geäußerter Wunsch oder Affekt hat häufig eine völlig andere Bedeutung als im Alltag. In einem Alltagskontext würde man auf affektiv vorgetragene Außerungen wie "Ich kratze Ihnen die Augen aus!" mit einiger Heftigkeit reagieren. Im analytischen Rahmen, zumal im Liegen, sind wir weniger genötigt, dies zu tun. Wie erste mimische Studien der liegenden Analysen zeigen, laufen die teilweise sehr heftigen Affekte wegen der situativen Arrangements interaktiv in die Leere und können eben deshalb leichter ertragen werden. Gerade wegen der hier beschriebenen Botkoppelung der Phantasien von den Handlungen können wir als Therapeuten nicht darauf verzichten, unser eigenes, aber auch das Beziehungsverhalten unserer Patienten nuanciert zu beobachten und zu beschreiben, denn erst auf der sinnlichen Grundlage dieser "Verhaltensanalyse" kann man therapietechnisch intervenieren und das Verhältnis von kognitiver Repräsentanz und sinnlicher Beziehungsrealität zum Gegenstand der Behandlung machen. Nach meinen Ferien sehe ich eine Patientin zum ersten Mal wieder. Nachdem sie mich begrüßt und sich auf die Couch gelegt hat, eröffnet sie die Stunde mit der Bemerkung "Sie sehen aber schlecht aus!" Ich bin einigermaßen verblüfft, weil ich mich keineswegs so fühle, mich vielmehr auf die Stunde und den Wiederbeginn gefreut hatte. Ich frage mich, was ich an mir haben könnte, das die Patientin zu diesem Urteil bringt, und es fällt mir ein, daß ich eigentlich besonders gesund und munter aussehen müßte, ich war nämlich braungebrannt und recht gut in Schuß. Nun fä1lt mir auch wieder ein, wie bitter sie sich beklagt hatte, als ich in die Ferien ging. Nach längerem Schweigen frage ich sie, woran sie das gesehen habe? Sie sagt, sie "weiß es nicht so genau". Ich weise sie nun darauf hin, daß sie ja offensichtlich übersehen hat, daß ich braungebrannt bin und ob das vielleicht etwas damit zu tun haben könnte, daß sie wenig Neigung habe, sich damit zu beschäftigen, was ich während der Abwesenheit gemacht hätte. Nach dieser Bemerkung kann die Patientin mit einiger Heftigkeit über ihren Zorn und ihre Neidgefühle berichten, die darum zentriert sind, daß ich angeblich an Meeresstränden herumtobe, sie aber in ihrem Elend alleine zurücklasse. Dieses Spannungsverhältnis realer "Wahrnehmungen" und innerer Repräsentanzen ist für das analytische Handwerk sehr zentral. In der psychischen Realität dieser Patientin sieht ein böser Mensch einfach "schlecht" aus. Sie meint "moralisch" schlecht, in ihrem Zorn hat sie mich gleich bestraft und mich "krank" gesehen. Der Rückgriff auf gemeinsame Wahrnehmungen kann einen Einstieg in die unbewußte Dynamik der Phantasien liefern. Die Patientin hatte zeit ihres Lebens ein Neid- und Opferthema agierend zu lösen versucht, dessen Grundlage darin bestand, daß sie als älteste eine behinderte jüngere Schwester zu pflegen hatte, die auf Grund ihrer Behinderung alles tun durfte, was ihr veiWehrt war. J acobs (1993) hat in einem sehr nuancierten retrospektiven Beobachtungsbeitrag an Hand einer Stunde beschrieben, wie die sinnlichen Informationen, die ihm sein Patient, aber auch sein eigener Körper, liefert, zusammen mit den dadurch evozierten Erinnerungen und Phantasien die Beziehungsphantasien steuern, die um den zu Beginn der Stunde unbewußten Neid des Patienten auf die Praxis des Ana-
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lytikers zentriert sind, und wie sich dieses lebenslange Neidschema des Patienten mit einem ebenso alten Neidbeschwichtigungsschema des Analytikers zu einer in diesem Fall produktiven komplementären Beziehungsgestaltung verknüpft. Entlang "solcher selbstrelevanten Gefühlsdrehbücher" (Tomkins 1993) bewegen sich die mentalen und körperlichen Prozesse beider Protagonisten. Man kennt diese Drehbücher weder zu Beginn der Stunde noch der Behandlungen, und es ist die Aufgabe beider Protagonisten, sie aus dem Beziehungsmaterial herauszufinden. Baranger (1993) nennt diese unterliegende zweite Struktur, die ungewollt und unausgesprochen das sensorisch Erfaßbare steuert, das " intersubjektive Feld". Wir werden uns, dem Aufbau unseres Vorgehens folgend , in verschiedenen Fällen zuerst mit der sichtbaren sinnlichen intersubjektiven Struktur beschäftigen, und dann retrospektiv aus den Daten das phantastische intersubjektive Feld rekonstruieren. Das entspricht nicht dem Vorgehen des Analytikers und seines Patienten, wohl aber dem eines externen Forschers. Der Analytiker entwickelt von Beginn an ein intersubjektives Feld als Hypothesenraum, den er durch die realen Beziehungsangebote des Patienten moduliert, verifiziert und falsifiziert.
2.2.1 Beziehungsverhalten Einem einfachen Modell folgend, kann man die Begegnung auf der sinnlichen Beziehungsebene als einen Informationsaustausch beschreiben und in Anlehnung an Brunswik (1969), Scherer (1979), Ekman & Friesen (1969) die beiden Interaktionspartner, vorläufig einmal als Sender und Empfänger bezeichnen (siehe Eigenschaften, Affekte ' Abbildung 4). Der Sender A habe also Intentionen, .. Triebzustände, die sich in Analogie zu der Ubertragung des Lichtes wie in einer Linse in den verschiedenen Informationskanälen, wie der Stimme, den Körperbewegungen, den Händen, der Position des Körpers, den Gesichtsbewegungen "brechen". Wir gehen in diesem Modell also davon aus, daß sich Impulse, Intentionen und Affekte in verschiedenen Kanälen ausdrücken können, d. h. man Empfänger (Sender)
Sender (Empfänger) Kanäle
Stimme Handlungsintentionen Eigenschaften Affekte TriebZustände
Extremitäten
Ganzkörperbewegungen
Verhaltensklassen
->
->
<-
Korpermantpulatoren
lnferenz auf:
Taktil
Regulatoren
<->
Gesichts-
<->
Illustratoren
E•••••
Intentionen Eigenschafte Affekte Triebzustände
< -> Geruch <->
<->1 Wärme
Affektdisplay
<-> Abbildung 4: Linsenmodell des Beziehungsgeschehens
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Gehör
Sprache
<- jKörperb~wegungen < - > Gesicht
Position
bewegungen
Kanäle
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könnte einen Affekt, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Genauigkeit aus der Stimme, aus den Gesichtsbewegungen, aus den Handbewegungen erschließen. Ebenso scheint es denkbar, Triebzustände aus den Atemmustern, der Weite der Pupillen, der Hautfarbe etc. zu erspüren. Der Empfänger hat nun sensorische Kanäle, die das vielfältig in der Linse des Verhaltens gebrochene Muster wieder aufnehmen. Auf Grund seiner Erfahrung, der Einschätzung des situativen Kontextes und Rahmens "schließt" er auf die von A gemeinten Intentionen, Eigenschaften, Affekte und Triebzustände. Er kann dazu sei n Gehör, sein Gesicht, seinen Geruch, seine taktilen und Wärmesinne benutzen. Beziehungen sind vor diesem Hintergrund eine sehr sinnliche, sensorische Sache. Schließen ist also als Metapher für den kognitiven letzten Teil eines sinnlichen Prozesses zu verstehen. Dieser kognitive Prozeß muß allerdings keine höheren Funktionen beanspruchen. Das Kleinkind "weiß", was "Komplementarität" ist (Gergely 1995). Es weiß wohl auch, wie Angst aussieht (z. B. im Gesicht) und wie sie sich anfühlt, wenn der Körper steif wird. Das liegt darin begründet, daß die körperlichen Verhaltensweisen Teil der Affekte und Intentionen sind. Es ist also nicht so, wie das Mode]] es nahelegt, daß sich etwas Mentales ausdrückt, das selbst kein körperliches Substrat hat; vielmehr sind die körperlichen Verhaltensweisen wenigstens partiell die Affekte selber, damit ist diese Art von Informationsübermittlung nicht nur kalt und kognitiv, wie es die Metapher von Sender und Empfänger nahelegt, sondern heiß und affektiv, wie wir es für Menschen für eher zutreffend halten. Wieviel an peripherer "Ausdruckshitze" ein Mensch braucht, um etwas zu "erleben" , wird seit langem heiß diskutiert. Die Unterscheidung zwischen Sender und Empfänger ist nur für die Sprache sinnvoll. In den anderen Kanälen produzieren beide synchron eine ungeheure Menge kommunikativen Verhaltens. ·"Attunement" z. B. bedeutet die Aufhebung von Sender und Empfänger, weil die Abstimmung der Bewegungen in einer zeitlichen Auflösung stattfindet, die die Suche nach dem Verursacher nicht mehr gestattet. Schließlich bestimmt der Zustand des Empfängers ein Stück weit die Regeln, nach denen er das Verhalten seines Partners "verrechnet". Nicht nur der situative Rahmen bestimmt die Interpretationsregeln, sondern auch die Affekte selbst. Es gibt affektspezifische Entschlüsselungsregelungen für soziale Interaktionen: So kommt eine Person im Zustand der Angst, auf der Grundlage des gleichen Verhaltens seines Partners, zu anderen Folgerungen über dessen Motive und innere Zustände als im Zustand der Freude (Isen 1993, Schwartz 1993). Man kann die affektspezifischen Entschlüsselungen auch aus den Gesetzen der Emotionen ableiten. Frijda (1988) kann zeigen, daß, wenn eine Emotion einmal entwickelt ist, derjenige, der sie hat, zwangsnotwendig in eine bestimmte kognitive Struktur hine.ingezwungen wird, ein ärgerlicher Therapeut z. B. das Geschehen a priori in einen Kampfrahmen interpretieren muß. Ob er ihnen dann auf der Handlungsebene folgt, ist eine andere Frage. Wie man das Geschehen "inhaltlich" gliedert, hängt sehr von der Interessenlage des Forschers ab. Da wir als Psychotherapeuten unter anderem nach unbewußten Intentionen suchen, empfiehlt es sich, auf sogenannte "natürliche" Beobachtungseinheiten zurückzugreifen. Darunter seien solche zu verstehen, die unter Alltagsbedingungen von fast allen Personen benutzt und verstanden werden. Die in der Abbildung 4 benutzte Gliederung nach Verhaltensklassen ist eine solche. Sie geht auf Arbeiten von Ekman & Friesen (1969) zurück und unterscheidet den Sprach-
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produktionsprozeß im engeren Sinne von Emblemen, Regulatoren, Illustratoren, Körpermanipulatoren und Affekten. Indem ich nun diese Verhaltensgruppen definiere, werde ich auch die Vergleiche zwischen den oben eingeführten Beziehungstypen "Alltagssituationen zweier Gesunder", "Alltagssituationen, bei der einer der Interaktionspartner psychisch krank ist, der andere ein gesunder Laie, der aber von der Erkrankung nichts weiß", "Psychotherapie im Sitzen und große Psychoanalyse im Liegen" anstellen. Wir werden die einzelnen Funktionssysteme durchgehen und sie kursorisch besprechen. Die Affekte werden wir wegen der großen Bedeutung gesondert herausgreifen. Die Sprache soll vorläufig ausgeklammert werden.
2. 2.1.1 Körperbewegungen Körperbewegungen ohne nähere Spezifikation sind natürlich keine Funktionseinheit. Allerdings unterliegen Körperbewegungen in der Dyade - vor allem von Gesunden- einer unbemerkten wechselseitigen Feinsynchronisierung, die sich in einem zeitlichen Rahmen abspielt, der unter der üblichen Reaktionszeit Jiegt. Solche dyadischen Körperbewegungen haben sehr wohl eine Funktion, nämlich die der Steuerung von gemeinsamer Erregung und Intimität. Die zeitliche Reziprozität, in der eine Person unmittelbar mit demselben Verhalten antwortet, ist von hoher Bedeutung für viele Dimensionen der Beziehungsregulierung. Ein anderer Organisationsrahmen für diese dyadischen Bewegungsphänomene ist der Hörer-/ SprecherwechseL Bei den verschiedenen Krankheitsgruppen ist die Synchronisierung der Körperbewegungen mit dem anderen auf eine je spezifische Art und Weise gestört, am gewichtigsten bei den an Schizophrenie Erkrankten (Steimer-Krause 1994). Manchmal. sind nur bestimmte Partien des Körpers desynchronisiert, wie bei den Stotterern und ihren Partnern, manchmal scheint das Organisationsschema für Körperbewegungen schon auf der Ebene des Individuums desynchronisiert, so daß sich die fehlende Selbstsynchronisierung in der fehlenden dyadischen Synchronisierung fortpflanzt (Scheflen 1981). Es handelt sich dabei möglicherweise um die Fortschreibung des von Stern (1992), Schellen (1981) und anderen beschriebenen basalen Beziehungsverhaltens, das mit geglückten Bindungserlebnissen zu tun hat (Steimer-Krause 1994). Die Synchronisationsphänomene und ihre kinesthätisch visuelle Rückmeldung in der Dyade entfallen auf der Couch, zumindest für den Patienten. Er kann nicht sehen, wie der Therapeut im weitesten Sinne mitschwingt. Desweiteren fehlen die aus dem Körper stammenden Hörer-/Sprecher.ignale. Da die Feinsynchronisierung der Körperbewegungen sehr eng mit der wechselseitigen Bindungsversicherung zu tun haben, dürfte es schwierig sein, ein holding environment interaktiv auf der Couch herzustellen. Möglicherweise ist dies einer der Gründe dafür, daß schwergestörte Patienten, die eine stützende, fortlaufende Bestätigung des Gehaltenwerdens benötigen, im Couchsetting ins Leere fallen. Wie wir später sehen werden, unterscheiden sich die sitzenden Behandlungen nicht wesentlich von den Laieninteraktionen in bezug auf diese Synchronisationen und Abstimmungen von Körperbewegungen.
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2.2.1.2 Die Körpermanipulatoren Die Körpermanipulatoren sind Bewegungen eines Körperteils an einem anderen, wie streicheln, kratzen etc., die manchmal die ursprüngliche Herkunft aus einer Selbstpflege-oder Schädigungsreaktion erkennen lassen. Bei Gesunden treten sie einerseits als Indikatoren für Streß und Unwohlsein, als verhaltensmäßige Äquivalente von Kontrolle bei Täuschungsversuchen und falschem Affekt, aber auch andererseits als Teil des Werbeverhaltens in einem erotisierten Kontext auf. Scheflen (1981) nennt diese Verhaltensweisen "quasicourtship" behavior. Die Person fährt sich selbst durchs Haar, streichelt sich den Bart, leckt die Lippen ab etc. Innerhalb der Therapien spielen sie für die Erotisierung und Bindung eine große Rolle. Sie unterliegen im allgemeinen keiner bewußten Kontrolle und sind nur bei Aufmerksamkeitswechsel der bewußten Steuerung zugänglich. Das Bewußtwerden ist häufig schambesetzt Im deutschen Sprachraum hat Grammer (1988) solche Signale der Liebe sehr genau untersucht. Im liegenden settinghat der Patient natürlich wenig Möglichkeiten, solches Werbeverhalten an den Mann bzw. an die Frau zu bringen, wohingegen in den sitzenden Psychotherapien wie den Alltagsdialogen man eine Fülle solcher Verhaltensweisen registrieren kann. Die Indikatoren für Streß und Unwohlsein findet man im Couchsetting allerdings mit der üblichen Häufigkeit. Patienten, deren Verhaltensregulation sehr stark um die Erotisierung angesiedelt ist, wie die Hysterie, aber auch bei narzißtischen Selbstdarstellungen, beklagen sich häufig über das Fehlen dieser Möglichkeiten auf der Couch.
2.2.1.3 Regulatoren Dabei handelt es sich um Verhaltensgestalten des ganzen Körpers, des gestisch mimischen und vokalen Systems sowie des Kopfes, die die Hörer-/Sprechenustände in einer Dyade steuern. Bis zu 80 Prozent der Varianz der Hörer-/Sprecherregulation wird durch dieses nonverbale System geregelt. Es besteht aus zwei Regulationskontexten, den Zuhörersignalen und den Sprechersignalen (Duncan 1977). Der Vorgang des Sprechens bzw. Schweigens ist in Alltagssituationen mit der Autonomieregulierung verknüpft, weil zwei Personen nicht,gleichzeitig sprechen können, aber auch nicht gleichzeitig schweigen sollten. Mutuelle Schweigeperioden von über einer Sekunde werden in den Alltagsdyaden als emotionale Pausen codiert (Siegman 1978). Werden sie noch länger, gilt dies als indikativ für den Zusammenbruch der Kommunikation und wird im allgemeinen als aversiv erlebt. Wie wir später zeigen werden, sind solche "Zusammenbrüche" in Dyaden mit schwerstgestörten Patienten, z. B. mit Depressionen und Schizophrenien, auch in Gesprächen mit Gesunden recht häufig. Die affektive Vokalisierung erfordert keinen Hörer-/Sprecherwechsel, sondern Synchronizität. Man weint gemeinsam und nicht hintereinander. Wiederum erlaubt das Couchsetting die Benutzung der üblichen Regulatoren für den Hörer-/ Sprecherwechsel nicht, da der Patient die Zuhörer- und Sprechersignale nicht registrieren kann und der Therapeut nur einen Teil derjenigen des Patienten. Eine Folge dieser Einschränkung ist, daß die Dialogstruktur weniger um die intellektu-
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ellen Diskursebenen organisiert werden kann, denn die benötigt die geordnete Hörer-/Sprecherregul.ation. Im sitzenden Setting benutzen erfahrene Therapeuten die üblichen Hörer-/Sprecherregulationen von Laien nicht. Dies muß schon deshalb so sein, weil im allgemeinen die Redebeiträge des Patienten bei weitem höher sind als die der Therapeuten. Dies gilt zumindest für die aufdeckenden Psychotherapieformen. Von vielen Patienten werden die Nichtbeachtung ihrer Hörer-/Sprechersignale durch die Therapeuten im ersten Durchlauf als Mißachtung erlebt, o daß alle Patienten Erklärungen dafür benötigen, daß diese Art der Hörer-/Sprechergestaltung typisch für die Situation Psychotherapie ist.
2. 2.1. 4 Illustratoren Bei den Illustratoren handelt es sich um eine Kategorie von mimisch-gestischen Verhaltensweisen, die das, was zeitlich parallel gesagt wird, illustrieren, strukturieren und affektiv untermalen. Bewegung und Sprechakt sind Teil des gleichen Verhaltenssystems. Illustratoren sind ebenfalls sensible Indikatoren für den Schweregrad einer Störung: Bei den Krankheitsgruppen Schizophrenie, Depression, c.hwere somatapsychische Störungen sind die Illustratoren reduziert. Auf da Wort "Besitz", dessen Bedeutung ein Sprecher akzentuieren möchte, reißt er kurz die Augen auf und zieht die Brauen hoch. Im allgemeinen findet man dabei zusätzl ich eine Handgestik. Im allgemeinen werden die Illustratoren im Couchsetting weniger benutzt als im sitzenden. Weder der Analytiker noch der Patient gestikulieren im gleichen Ausmaß wie im sitzenden Setting. Auch dies hat wahrscheinlich damit zu tun, daß die Redebeiträge in der großen Analyse weniger intensiv um die kognitiven Prozesse des Diskurses herum organisiert sind, sondern um Aussagen über das Selbst, ergo fehlt der Rahmen für den Einsatz der IIJustratoren. Freedman (1977) konnte zeigen, daß die Kapazität für sprachlich gebundene Objektrepräsentationen sehr eng mit der Strukturierung des Denk- und Kommunikationsprozesses durch die Körperbewegungen, speziell der Hände, korreliert ist. Speziell die schizophrenen Patienten verlieren in Abhängigkeit von den Schüben diese objektbezogene strukturierende Gestik.
2.2.1.5 Embleme Bei den Emblemen handelt es sich um eine Klasse von gestischen oder mimischen Verhaltensweisen, die anstelle der Sprache benutzt werden, z. B. das Vogelzeigen, Daumendrücken etc. Diese Verhaltensweisen sind stark kultur-, geschlechts- und schichtabhängig und sind vor allem um tabuierte Themen, wie Verhöhnung, Aggressivität und Sexualität, zentriert (Niederer 1975). Ihre Benutzung ist oft mit Angst und Scham verknüpft. Eine spezielle Klasse vo n Em~_lemen sind solche, in denen ein Affekt simuliert wird, um eine verbalsprachliche Außerung zu ersetzen. Am häufigsten ist dies der Fall, um Verachtung und Indifferenz, aber auch Ratlosigkeit einem Gegenstand gegenüber zu zeigen. Die emblematische Darstellung eines Affekt~s ist nicht immer leicht vom echten Affekt zu trennen, und es gibt auch fließende Ubergänge. Die Bezeichnung eines Menschen oder einer Kultur als expressiv hängt im allgemeinen an der Größe des Repertoires solcher emblematischer Zeichen. Sie
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haben aber nur mittelbar mit den Affekten zu tun (Johnson, Ekman & Friesen 1981). Emblematische Beziehungsregulierung ist in psychotherapeutischen Situationen sehr selten zu beobachten, da ja die tabuierten Themen über den verbal sprachlichen Bereich gewissermaßen offiziell verhandelt werden und zudem psychisch ein Statusunterschied zwischen Patient und Therapeut konstruiert wird, der die emblematischen Zeichen hemmt. In den großen Psychoanalysen kann ich mich nicht erinnern, emblematische Darstellungen beobachtet zu haben.
2.2.1.6 Affekte Sie werden später genauer besprochen werden (Krause 1996). Fürs erste benötigen wir eine Kurzcharakterisierung zur Diskussion unserer Fälle. Unter Affekt verstehen wir den Prozeß, der die Motorik, Physiologie, das Denken und das kommunikative Handeln geordnet ansteuert. Ein Affekt ist so gesehen der Prozeß, ein und dieselbe Sache in verschiedenen "Readouts" darzustellen. "OCCURJNG EMOTION"
"EXPERIENCED EMOTION"
1. Motorisch-expressive Komponente
4. Die Wahrnehmung der körperlichen Korrelate
2. Physiologische Komponente 3. Motivatiot1ale Komponente (Handlungsbereitschaft in Willkürmotorik)
5. Die Benennung und Erklärung der Wahrnehmungen 6. Die Wahrnehmung der situativen Bedeutung Erlebtes Gefühl Wahrnehmung der Bedeutungsstruktur
Abbildung 5: Die sechs Komponenten des Affektsystems Ein Affekt, als Prozeß betrachtet, besteht aus wenigstens sechs unterscheidbaren Komponenten. Da gibt es erstens eine expressive Komponente innerhalb des mimischen und des Vokalisierungssystems, das dem Sozialpartner signalisiert, welches Verhalten gewünscht wird, und im gleichen Atemzug, welches folgen wird. Das Wutsignal reflektiert den Wunsch, daß der andere das Feld räumen möge, und die Ankündigung der Angriffshandlung bei Nichtbeachtung des Wunsches. In 90 Prozent der Fälle genügt die Ankündigung. So gesehen sind Affekte Zeichen für Wünsche nach veränderten Objektbeziehungen. Da gibt es zweitens eine physiologisch-hormonale Komponente, die eine Form der internen Bereitschaft zu handeln herstellt. Lange Zeit war man der Meinung, dieses physiologische Muster sei unspezifisch in bezugauf die Affekte. Diese Meinung ist umstritten (Levenson, Ekrnan & Friesen 1990). Drittens gibt es eine mehr oder weniger subliminale spezifische Innervation der Skelettmuskulatur, die eine Bereitschaft erstellt, nach außen zu handeln. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß das Zeichen von der Ausführungshandlung zu trennen ist. Wie oben dargestellt, verringert die Verwendung des Zeichens die Wahrscheinlichkeit einer Angriffshand61
lung. Diese drei Komponenten entwickeln sich weder in der Onto- noch in der Phylogenese zeitlich synchron (Krause 1983). Alle drei genannten Prozesse können ohne kognitive Repräsentation ablaufen. Deshalb beinhaltet der oben verwendete Begriff "Wunsch" keine Kognition im engeren Sinne. Es mag viertens eine Wahrnehmung dieser drei körperlichen Prozesse geben. Wie diese Wahrnehmung zustande kommt, ist unklar. Diese körperliche begründete Wahrnehmung von Affekten ist zu trennen von der wahrgenommenen situativen Bedeutungsstruktur (6), die eng mit den spezifischen Affekten verbunden ist. So hat z. B. Wut eine spezifische wahrgenommene Bedeutungsstruktur, in der ein frustierendes Obj e kt wichtige Ziele des Subjekts verhindert und von diesem Subjekt nicht gefürchtet wird. Fünftens kann es einen Namen und eine Bewertung dieser Wahrnehmung geben. Neben dieser Taxonomie, die sich am internen Aufbau des gesamten Affektsystems orientiert, ist eine weitere von Bedeutung, die sich an den sozialen Dimensionierungen der Affekte orientiert. Auf der Grundlage einer ganzen Reihe von Untersuchungen hat sich mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, daß, ausgehend von bestimmten motorisch-expressiven Konfigurationen, eine begrenzte Anzahl von Affekten in allen Kulturen auftritt und daß dieselben teilweise mit denen unserer tierischen Verwandten übereinstimmen. Gesichert ist dies für die mimischen Konfi.g urationen Glück, Trauer, Wut, Ekel, Angst, Überraschung, Interesse (Ekman & Friesen 1986, Russel1994, Ekrnan 1994). Verachtung ist umstritten. Affekte haben eine jeweils spezifische Bedeutungsstruktur in der Form einer Proposition, in der es ein Selbst, ein Objekt und eine gewünschte Interaktion zwischen dem Selbst und dem Objekt gibt (De Rivera 1977, Krause 1990, Frijda 1996). Negative Affekte sind Wünsche nach veränderter Objektbeziehung, positive nach der
Abbildung 6: Freude 62
Abbildung 7: Trauer
Abbildung 8. Ärger
Abbildung 10: Angst
Abbildung 9: Ekel
Abbildung 11: Überraschung
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Abbildung 12: Verachtung
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Fortführung einer gerade bestehenden. Man kann darin die interaktiven Komponenten von negativen und positiven Rückkopplungen sehen (Frijda 1986). So kann Freude als Wunsch, dem Objekt dadurch näher zu kommen, daß die Distanz zwischen dem Objekt und dem Selbst durch eine Lokomotion des Selbst zum Objekt verringert wird, charakterisiert werden. Im weiteren signalisiert Freude den Wunsch nach der Fortsetzung einer aktuellen Aktivität und ist demgemäß eines der mächtigsten Belohnungssysteme für andere, die wir haben. Grundsätzlich kann man zeigen, daß der motorisch-expressive Anteil aller Primäraffekte zur Konditionierung benutzt werden kann (Lanzetta & Orr 1981). Ihr Ausfall bedeutet, daß wir ein wesentliches Steuerungs- und Verführungsmittel verloren haben. Trauer repräsentiert den Wunsch, das Objekt dem Selbst näher zu bringen, ohne daß das Selbst die Lokomotion ausführt und unter der Bedingung, daß das Objekt entfernt ist. Sie setzt mentale Repräsentanz voraus. Furcht reflektiert den Wunsch, die Distanz zwischen dem Objekt und dem Selbst durch eine Lokomotion des Selbst weg vom Objekt zu vergrößern, wohingegen Wut eine Lokomotion des Objekts weg vom Selbst herbeiführen soll, indem das Objekt sich entfernt. Ekel ist der Wunsch, die Distanz zwischen dem Objekt und dem Selbst zu vergrößern, unter der Voraussetzung, daß das Objekt bereits im Selbst zu lokalisieren ist. So können die Primäraffekte als Lokomotionswünsche zwischen dem Selbst und dem Objekt beschrieben werden, wobei die physikalische Klassifikation von Selbst und Objekt sich nicht notwendigerweise mit der mentalen Klassifikation decken muß. Auf die inneren Korrelate von Affektausdruck in einer Beziehung gehen wir bei der Besprechung der Fälle sowie der sogenannt guten Beziehung ein. Hier soll die funktionale Verhaltensbeschreibung fürs erste beendet werden.
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2.2.2 Andere klinische relevante Klassifikationen Je nach diagnostischem, therapeutischem und/oder Forschungszweck kann man freilic~. auch ganz andere Arten von Klassifikationen benutzen. Einen systematischen Uberblick dazu gibt Faßnacht (1995). Für die klinische Praxis sind zwei Klassifikationen von Bedeutung, die noch kurz besprochen werden sollen. Die eine bezieht sich auf den InfOimationsgehalt von Verhaltensweisen, die andere auf die Stellung eines Segmentes in der gesamten Organisation des Verhaltens. Was den Informationsgehalt betrifft, mag das Segment bedeutunglos sein, eine Art weißes Rauschen des Nervensystems. Es mag eine ideosynkratische Bedeutung haben, die aber dem Sender selbst nicht zugänglich ist, aber durch die Regelmäßigkeit der Plazierung von einem Empfänger prinzipiell erschlossen werden kann, obgleich er ohne diesen Aufwand das Segment auch nicht versteht. Innerhalb der Behandlungen gibt es viele solcher Verhaltensweisen. Ein Patient mit einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung, die in eine homosexuelle Partnerwahl eingemündet war, pfl~gte zu Beginn seiner Behandlung in rot-braunen Schnürstiefeln mit ca. 20 Osen zu kommen. Er betrat das Zimmer, setzte sich auf die Couch und zog die Stiefel aus, legte sich hin, um sich einmal um die Längsachse zu drehen. Der Eindruck, er sei zu Bett gegangen, wurde von Mal zu Mal zwingender. Ihm selbst fiel das Verhalten nicht auf, es war für ihn bedeutungslos. Für die unbewußte Bedeutung des analytischen Rahmens war die Beobachtung dieses Verhaltens und seine Aufdeckung und Interpretation zentral. Der handelnde "Sender" kann diese Strategie auf sich selbst anwenden und so eine bedeutungsverleihende Selbstbeobachtung versuchen. Schließlich kann der Sender sein Verhalten selbst verstehen, aber niemand sonst. Ein psychotischer Patient, der während seines Zivildienstes einen Schub bekommen hatte, drehte sich nackt vor einem Spiegel und ängstigte seine Kollegen durch dieses bizarre Verhalten. Später erzählte er mir, er habe nach den Merkmalen für das Karposisyndrom gesucht, da er nach einer Umarmung durch seinen Freund sicher war, HIV-infiziert zu sein. Ist das Verhalten für beide Handlungsprotagonisten verstehbar, dann kann man es als bedeutungsvoll bezeichnen, es muß aber insofern nicht kommunikativ sein, als eine Mitteilung vom Sender nicht beabsichtigt wurde. So mögen Patient und Therapeut wissen, was es bedeutet, wenn der erstere sein Gesicht mit den Händen bedeckt, obgleich dies ganz unwillkürlich geschieht. Ist die Handlung bedeutungsvoll und intendiert, kann man von Kommunikation im engeren Sinne sprechen. Unseren eigenen Arbeiten zufolge ist wohl nur ein kleiner Prozentsatz des gesamten interaktiven Verhaltensstroms in diesem Sinne kommunikativ. Offensichtlich ist es eine Aufgabe psychotherapeutischen Handelns, den Informationswert solcher Verhaltensweisen zu verändern. Einmal ist es ein Behandlungsziel, möglichst viele bedeutungsvolle, aber nicht intendierte Akte einer kommunikativen Handlung zu unterstellen. Damit wird die Person in die Lage versetzt, nicht fortlaufend ungewollt bedeutungsvolle Akte auszuführen, die möglicherweise ihre bewußten Intentionen konterkarieren. Schließlich könnte man sich vorstellen, daß die für den Sender ideosynkratischen Akte zumindest in dem Sinne bedeutsam werden, daß er erfährt, wie sie auf andere wirken. Große Teile der sogenannten Selbsterfahrungen beziehen sich auf solche Verstehensakte. Schließlich könnte man sich noch vorstellen, daß scheinbar zufäJlige Verhaltenssegmente in eine wenn auch ideosynkratische Bedeutung verwandelt werden, dergestalt, daß
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eine Person lernen muß, daß Herzklopfen und Gänsehaut Schaudern und Angst bedeutet. Di.e "as-if-personalities" zeichen sich durch solche Bedeutungsschwächen aus. Im Grimmsehen Märchen "Von einem, der auszog, das Gruseln zu lernen" wird darauf Bezug genommen. Auf der anderen Seite zeigen die Forschungen aus dem Bereich der Interozeption, daß vor allem Panikpatienten physiologischen Körperprozessen einen Exzeß an Bedeutung verleihen. Sie hören den eigenen Herzschlag und interpretieren ihn als Vorboten der Katastrophe (Margraf 1989). Im Zusammenhang mit dieser sich an der Beziehung zwischen Bezeichnetem, Zeichen und Mitteilungsintention orientierenden Klassifikation steht eine andere, die sich an der Stellung des Verhaltenssegmentes in der Hierarchie des Verhaltensstromes orientiert (Birdwhistell 1971, Scheflen 1973). Beispielweise kann es eine hierarchisch hochliegende Verhaltensintention sein, dem Therapeuten etwas mitzuteilen; dieses hochrangige Ziel benötigt einen Sprechvorgang, der eine bestimmte Sitzposition und -Orientierung dem Zuhörer gegenüber und eine Gliederung des Verhaltens in Zuhörer- und Sprechersegmente verlangt. Spricht der Patient, muß er seine verschiedenen Körperbewegungen und Prozesse koordinieren. Man spricht beim Ausatmen und nicht beim Einatmen. Der Sprechvorgang per se verlangt eine Koordination der Atmung und Phonation mit der eigenen Gestik und den Körperbewegungen des anderen. Schließlich muß es zu einer Stimmritzen-, Atmungs- und Zungenkoordination kommen. Je nachdem, aufwelcher Ebene das Verhalten lokalisiert wird, kann man von einem Makro-, einem molaren oder einem Mikroverhaltenssegment sprechen. In unserem Fall wäre die "molare Ebene" die bewußte Mitteilungsintention. Wenn nun dieser Mitteilungsintention eine vom Sender selbst nicht gewünschte und nicht bewußte zusätzliche Motivik beigefügt wird, z. B. als besonders bewundernswert und vollkommen zu erscheinen, werden die untergeordneten Verhaltenssegmente diesem Wunsch entsprechend verändert. Dann mag der Sprecher auf der untersten Ebene den Blickkontakt während des Sprechens so verändern, daß er den Zuhörer anschaut, obgleich dies für den Denkprozeß und seine sprachliche Formulierung eher hinderlich ist. Er "fesselt " ihn aber dadurch. Ein anderes Beispiel ist ein Patient, der aus Mitteilungen interaktiv regelmäßig Fragen macht, indem er auf der untersten phonetischen Ebene auf das Satzende hin die Stimmlagenhöhe jeweils ein klein wenig anhebt, so wie es bei Fragen im allgemeinen geschieht. Regeln für die Kontextverarbeitung solcher Zeichen findet man bei Merten (1996). Interessante klinische Beispiele findet man in Streeck (1994). Der unbewußte Makroplan wird die untergeordneten Verhaltensmuster so einfärben, daß die anderen Personen diesem Plan folgen müssen. Der Sprachproduktionsprozeß selbst liegt im allgemeinen auf dem molaren, also mittleren, Niveau und läßt die unbewußte Mitteilungsintention nicht direkt erkennen. Ein narzißtisch bedürftiger Patient wird selten sprachlich mitteilen, er brauche dringend und sofort Bewunderung. Wenn dies geschieht, ist der Patient dabei, e~nen Kindheitsimpuls unmittelbar in der Gegenwart zu implantieren, was man "Ubertragung im engeren Sinne" nennen könnte. Die offene Implantierung eines solchen Wunsches wird jedoch zu Schamgefühlen und Erniedrigung führen, so daß sie dem Konfliktmodell folgend so verändert wird, daß die Weiterverfolgung ichsynton geschehen kann. Eine dieser Veränderung ist die Verlagerung auf die Mikroebene, was bedeutet, daß der Wunsch heimlich weiterverfolgt werden kann. "Heim-
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lieh" bezieht sich einerseits darauf, daß der Patient die eigenen Implantierungsversuche nicht bemerkt und andererseits damit zusammenhängend, daß der Empfänger, ohne grob unhöflich zu sein, den bemerkten Wunsch nicht metakommunikativ aufgreifen kann. Geht er unbewußt darauf ein, kann man von "Agieren" s~rec~en. Diese intentionsspezifischen Veränderungen der Mikrohandlungen, wt.e w1r uns bewegen, was für Arten von Ausdrucksphänomenen wir verwenden, k~nn man für das sogenannte "szenische Verstehen" benutzen (Argelander 1987). D1e Wahrnehmungsprozesse, die bei der Prozessierung solcher Mikroverhaltensweisen ablaufen, sind größenteils vor- oderunbewußt und vom Therapeuten rückblickend schwer objektivierbar, obgleich sie das empirische Fundament der Übertragungsprozesse, des Wiederholungszwanges und der repetitiven Geschehnisse psychischer Erkrankungen sind. Der Therapeut weiß also mehr, als er objektivieren kann (Argelander 1987, S. 62). Das ist für die Forschung und Theoriebildung fatal, weil die Schlußfolgerungen auf Grund dieses Wissens ohne objektivierende Hilfsmittel für Außenstehende recht beliebig sind. Wir werden im folgenden deshalb auf die Objektivierung solcher Prozesse eingehen, weil sie Ausgangslage jeder Behandlung, aber auch jeder Theoriebildung sein müssen. Fürs erste wollen wir festhalten, daß es eine schwer zu objektivierende Beziehung zwischen verpönten Makroplänen und deren versteckte Realisierung auf der Mikrobene des Verhaltens gibt. Die molare sprachliche Mitteilungsebene ist im allgemeinen besser kontrolliert und von der Realisierung der unbewußten Makropläne eher ausgeschlossen, obgleich es möglich scheint, aus bestimmten Strukturelementen von Erzählungen sol.che Makropläne zu erschließen (Luborsky 1977). Von diesem Blickwinkel ausgehend, sind viele unserer langfristigen unbewußten Pläne, z. B. die Gesetzmäßigkeiten der Beziehungsgestaltung hinsichtlich der oben erwähnten Dimensionen Macht, Nähe, Aktivität, Passivität, zwar deskriptiv unbewußt, aber dennoch objektivierbar und handlungswirksam. Es gibt eine lange auf Leary (1957) zurückgehende Tradition, solche meßbaren interpersonellen Vorgänge zur Persönlichkeitsdiagnose und für die Behandlungstechnik zu verwenden. Als modernere Varianten kann man das sogenannte SASB von Benjamin (1993) bezeichnen. SASB bedeutet structural analysis of social behaviour. All diese Verfahren sollen die im intersubjektiven Raum wirksamen Verhaltensweisen auf Grund von objektiven Charakteristika beschreiben. Man kann, Sandler und Sandler (1984) folgend , diese Prozesse als das "Gegenwartsunbewußte" bezeichnen. Man kann und sollte die Wahrnehmung dieses Gegenwartsunbewußten schulen, und man kann auch seine Indikatorfunktion für übergeordnete Makropläne systematisieren, wie dies Bänninger-Huber, Maser & Steiner (1990) durch die Analyse sogenannter prototypischer Mikrosequenzen versucht hat. In Alltagssituationen stellt diese Vorgehensweise jedoch eine Regelverletzung hinsichtlich der Höflichkeit und der Konvention, welches Verhalten bindend sein soll, dar. Hier hat man sich auf das gesprochene Wort zu beziehen. Vie!e der beha~dlu~gstechnischen Empfehlungen sowohl für Therapeut als auch P~tlent gehen m Richtung auf einen Wechsel der inneren Monitorierung des etgenen Verhaltens entlang dieser Hierarchie. Sowohl die freischwebende Auf?1erksamkeit,_ da~ freie Assoziieren als auch die Anweisung einer begleitenden mneren Momtonerung der Beziehung durch den Therapeuten sind solche Formen des Aufmerksamkeitswechsels innerhalb des Verhaltens- und Denkstromes ' meist nach unten. Die psychoanalytische Grundregellautet unter anderem:
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" Sie werden beobachten, daß Ihnen während Ihrer Erzählungverschiedene Gedanken kommen, welche Sie mit gewissen kritischen Einwänden zurückweisen möchten. Sie werden versucht sein, sich zu sagen: Dies oder jenes gehört jetzt nicht hierher, oder es ist ganz unwichtig, oder es ist unsinnig, man braucht es darum nicht zu sagen. Geben Sie dieser Kritik niemals nach, und sagen Sie es trotzdem, ja gerade darum, weil Sie eine Abneigung dagegen verspüren " (Freud 1913, S. 468).
Es sei auch an das Beispiel des rational-emotiven Therapeuten erinnert, der die Fokussierung von der vermeintlichen Wahrnehmung des eigenen Körpers auf die Beziehungsebene zur Mutter erreicht hatte. Wir gehen also davon aus, daß die menta le Repräsentation von Beziehungen immer nur einen geringen Ausschnitt des realen Beziehungsgeschehens abbildet. Umgekehrt wird immer nur ein Teil der Beziehungswünsche und Intentionen in einer spezifischen sozialen Situation realisiert. Die Frage, welcher zum Vorschein kommt, ist auch durch den situativen Rahmen bestimmt. Schließlich gehen wir davon aus, daß in den meisten Interaktionen mehrere Intentionen gleichzeitig implantiert und zu realisieren versucht werden. Dies geht aus der oben eingeführten Hierarchisierung bereits heiVor. Man kann also gleichzeitig über Politik sprechen, sich narzißtisch aufblähen, seinen Partner erotisierend verführen etc. Die Intentionen können konfliktfrei parallel verfolgt werden, und dies wird der Regelfall sein. Hilfreicher für den Kliniker ist das Modell des parallelen Prozessierens, wenn die Umsetzung der verschiedenen Intentionen im Handlungsraum nicht so harmonisch gelingen oder gar konfligieren. Ich will dies am Beispiel der Stotterer diskutieren, die wir recht gut untersucht haben. Da für die Stotterer Nichtsprechen a priori eine Niederlage und Beschämung bedeutet, Sprechen aber Macht und Triumph, ist der Vorgang des Sprechens auch bei ganz alltäglichen Mitteilungsintentionen von diesen Macht- und Schamvermeidungsmotiven durchsättigt Es fällt offensichtlich schwer, diese Intentionen in einer parallel prozessierten Handlung zu integrieren. Da die gesprochene Sprache sich hinsichtlich Prosodie, Atmung auf die affektive Mitteilungsintention auflagert, kommt das paradoxe Phänomen zustande, daß eine höchst gewöhnliche, wenn nicht triviale sprachliche Mitteilung vorgetragen wird, als ginge es um Leben und Tod. In Extremfällen gibt es gar keine Mitteilung mehr, und das Verhalten stellt sich nur noch als Mfekt dar, so daß es unter manchen Umständen die Stotterer schaffen, ohne irgendetwas zu sagen, das Gespräch affektiv gänzlich an sich zu reißen, obgleich sie eben diese Situation bewußt nicht wünschen und hinterher außerordentlich beschämend finden . Fast alle Selbsthilfeorganisationen schlagen den Stotterern vor, die Relevanz des Sprechaktes innerlich zu verringern (Krause 1981). Eine andere Möglichkeit, die seltener vorkommt, ist, daß sich die affektive Mitteilungsintention, die um Macht zentriert ist, durchsetzt, daß sie dann auch etwas sagen, aber es ist im allgemeinen nicht mehr das, was sie intendiert hatten, so daß der Sprecher am Ende seines affektiv modulierten flüssigen Beitrages das Gefühl hat, ein anderer hätte gesprochen. Es ist ja bekannt, daß der partielle Wechsel des Selbst, z. B. beim Theaterspielen, viele der Stotterer symptomfrei werden läßt.
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2.3 Was ist eine "gute" Beziehung? Eine solche Frage ist ohne Rekurs auf die Ziele einer Beziehung nicht zu beantworten. Die Ziele einer Psychotherapie sind gewiß anders als die einer Ehe oder eines Teams am Arbeitsplatz. Man kann, Grawe, Donati und Bernauer (1995) folgend, eine Problemlösungs- und Klärungsperspektive von Psychotherapien beschreiben. Bei der Klärung geht es um "die Frage nach dem Warum oder Wozu, um motivationale Klärung, nicht um die Frage von Können oder Nichtkönnen wie unter der Problembewältigungsperspektive (Grawe, Donati & Bernauer 1995, S. 752). Bei der Problembewältigung nimmt der Therapeut die Schwierigkeiten des Patienten als ein Nichtkönnen wahr und hilft ihm aktiv, sie besser bewältigen zu können, ohne ihnen irgendwelche Bedeutungen zu unterstellen. Grawe et al. sind der Meinung, die Problembewältigung sei zugunsten der Klärung in ihrer Bedeutung bis anhin unterschätzt worden. Ob eine solche Klassifikation vom faktischen Verhalten der Therapeuten abgedeckt wird, halte ich für fragwürdig. Selbstverständlich wird auch in Problemlösungstherapien Bedeutung vermittelt, nur geschieht dies gewissermaßen unsystematisch, so wie bei Klärungstherapien die Problemlösung, aber eben nicht systematisch, eingeübt wird. Sicher ist diese Einteilung vernünftiger als die frühere in aufdeckende und zudeckende Verfahren. l!nabhängig davon, ob es nun um Klärung im Sinne des besseren Verslehens des etgenen Erlebens und Verhaltens oder um Problemlösen im Sinne von ganz konkreter Angstbewältigung geht (Kanfer, Reinecker & Sehruelzer 1991), die Sac~ver~alte, die i.n solchen Beziehungen angegangen werden müssen, sind zu ~.egmn .Im allgememen für den Patienten unangenehm, so daß, wie schon ausgefu~rt, d1e. so~enannt "gute" Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient ein Stuck wett dte Voraussetzung für das Ertragen der unangenehmen Anteile dieser Aufgab~n ist. In der klientenzentrierten Psychotherapie ist die "gute" Beziehung theoretisch und handlungspraxeologisch ein Stück weit axiomatisiert und operationalisiert worden. Einfühlendes Verstehen kennzeichne eine Beziehung, in deren Rahmen der Therapeut versucht, den Klienten aus dessen innerem Bezugsrahmen empathisch zu verstehen und ihm das Ergebnis dieses Vestehensaktes wiederum ernpathisch mitzuteilen (Bierrnann-Ratjen, Eckert & Schwartz 1995). Operationalisiert ist dies in Form des Ausmaßes von "Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte". Die zweite rahmenhafte Beziehungsvorgabe ist die der unbedingten positiven Wertschätzung, auch wenn die Einstellungen des Patienten nicht geteilt werden, und schließlich die Echtheit des Therapeuten als Verzicht auf Abwehrhaltungen oder Ängste. Im Rahmen dieses Verfahrens wird die spezifische Gestaltung der Beziehung per se als heilsam für den Patienten und gleichzeitig als implizit modellhaftes Angebot an den Patienten verstanden, mit sich selbst ebenso "gut" umzugehen. Voraussetzung ist, daß dem Patienten das so definierte Beziehungsangebot "gefällt", was bei Personen mit starken Führungswünschen nicht unbedingt der Fall sein muß. Dazuhin ist das einfühlende Verstehen und seine Operationalisierung als Verbalisierung emotionaler Inhalte theoretisch und therapietechnisch recht unbefriedigend, denn eine reine Paraphrasierung des Gerneinten setzt ja voraus, der Patient "wisse", während er kommuniziert, schon, was er meint. Von der paraphrasierenden Verstehenshaltung grenzt Sachse und Maus (1991) deshalb ein Verstehen des "Kerns des Gemeinten" ab. Dieser Kern
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muß von der Peripherie her erschlossen werden. Die Güte dieser Schlußfolgerungsart ist mit den Kernvariablen nicht zu erfassen. Generell kann man sagen, daß auch die Gesprächstherapie die Vorstellung aufgegeben hat, man könne eine gute Beziehung unabhängig vom Patiente n oder vom Prozeß der Erkrankung auf Grund von operationalisierten Techniken definieren. Behandlungstechnisch heißt dies auch in der Gesprächstherapie, daß aus der Forderung nach empathischen Verstehen nicht notwendigerweise abgeleitet werden kann, daß vom Therapeuten die Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte generiert werden muß. Manchmal müssen auch Gesprächstherapeuten schweigen, konfrontieren und vieles andere mehr. Wann aber was geboten ist, könnte man nur auf der Grundlage eines Prozeßmodelles entscheiden. Das scheint allerdings noch nicht ausformuliert (Biermann-Ratjen, Eckert & Schwartz 1995). Im analytischen Rahmen sprechen Enke & Czogalik (1990) von einer "tragfähigen" Therapeut-Patient-Beziehung als Fundament für die Integration der neuen Erfahrungen, ohne daß Tragfähigkeit genauer definiert würde (Czogalik 1990). Tragfähigkeit orientiert sich wohl stärker an einer unterlegten prinzipiellen Konflikthaftigkeit therapeutischer Beziehungen, die die psychoanalytische Beziehungsgestaltung kennzeichnen. Tatsächlich profitierten Patienten psychoanalytischer Behandlungen, die retrospektiv angaben, daß sie auch bei Differenzen und in Klisen den Therapeuten als Partner bei der gemeinsamen therapeutischen Aufgabe sehen konnten, bei weitem mehr als die, die diese Frage verneinten (Senf & Schneider-Gramall 1990). Auf der anderen Seite wird geltend gemacht, daß regressive Beziehungserfahrungen, also solche, in denen intensive kindliche Abhängigkeiten und emotionale Erlebensweisen repliziert werden, günstig für einen Therapieverlauf wären. Solche regressiven Beziehungformen setzen aber auf der Ebene der Beziehungsgestaltung ein "Versagen in der Intimität" voraus, denn es geht ja nicht darum, defizitäre Entwicklungen rückwirkend wieder ungeschehen zu machen, sondern sie durch emotionales Verstehen von der Handlungswirksamkeit auszuschalten (Stone 1973). Die korrespondierende Beziehungssituation, z. B. das Liegen auf der Couch, würde man im Alltag nicht unbedingt als "gut" bezeichnen. "Alle Analytiker erkennen die Notwendigkeit von Entbehrungen im Verfahren der Psychoanalyse an, im Prinzip sind sie sich auch einig darin, daß der Analytiker menschlich [von mir hervorgehoben, R. K.J sein sollte. Das Problem stellt sich jedoch, wenn man definieren soll, was mit Menschlichkeit in der analytischen Situation gemeint ist und wie man dies mit dem Prinzip der Entbehrung vereinbaren soll" (Greenson 1975, 224).
Stone verlangt Höflichkeit, Bildung und Takt als beziehungsgestaltende Merkmale. Offensichtlich gibt es recht komplizierte Wechselwirkungen zwischen zum Beispiel problemlösungs- vs. klärungsorientierten Behandlungstypen, Störungsbildern der Patienten und Wertorientierungen der Therapeuten. Im allgemeinen sin.d The~apeuten , ?ie vorw.iegend im Umfeld von Klärung bzw. Aufdeckung tätig smd, mcht.. genetgt, Bez1ehungsgestaltungen, in denen sie Gewissens-, Autoritäts- und Uberichfunktionen übernehmen, für "gut" zu befinden. Solche Funktionsüb~rnahmen sind für di~ zur "Aufdeckung" notwendigen Spontanität eher hinderhch. Im psychoanalytischen Umfeld übernimmt die Stabilität des Beziehungsrahmens hinsichtlich Zeit und Ort eine wichtige Funktion (Körner 1995). 70
Die problemlösungsorientierten Therapeuten haben im allgerneinen wenig Mühe mit der Schaffung von Beziehungsgestaltungen, in denen sie ordnend und kontrollierend (bis in die Schränke der Patienten) tätig werden. Viele Patienten wünschen dies auch. Dies impliziert keine Wertung, weil es angezeigt sein kann, fehlende innere Regulierungen, sei es im Gewissens- oder ichstrukturellen Bereich, z. B. der Affektivität oder des Denkens, gestörte oder fehlende Funktionen durch die soziale Regulierung temporär, oder, wo nötig, dauerhaft zu ersetzen. Ohne Kenntnis der Störungen, der Ziele und der Wertstrukturen beider Protagonisten kann es keine übergreifende Definition von "guter" Beziehung geben. Es gibt aber einen Konsens darüber, was auf jeden Fall eine schlechte Beziehung ist, und diese Dimensionierung geht auch über den Problemlösungs- vs. Klärungsbereich hinaus. Schlecht ist, wenn der Therapeut die Wünsche und Beziehungsangebote des Patienten nicht wahrnimmt, oder wahrnimmt, aber falsch interpretiert. Da diese Art von Prozessen in allen Therapieformen auftreten, werden wir uns im folgenden mit einer elementaren Systematik der dyadischen Beziehungsregulierung beschäftigen, die wir aus unseren Forschungen heraus entwickelt haben. Aus ihr läßt sich teilweise ableiten, welche Arten von Regulierungen "gut" oder "schlecht" sind. Um die weiteren Ausführungen zu verstehen, möchte ich die Situation, auf die wir im folgenden Bezug nehmen, genauer beschreiben. Zwei Personen, ein Patient und ein Therapeut oder zwei Freunde oder zwei sich Unbekannte, sitzen einander gegenüber und unterhalten sich . Sie machen entweder psychotherapeutische Gespräche, Small-talk oder diskutieren etwas Sachliches. Während dieser Begegnung werden sie mit zwei ferngesteuerten Videokameras in ihrem affektiv mimischen und ihrem Körperverhalten registriert. Dieses Verhalten werten wir später aus und untersuchen es in bezug auf die in ihm sichtbar werdende Affektivität. Nach Ende der Begegnung bitten wir beide separat, einen Fragebogen auszufüllen, in unserem Falle die "Differentielle Affekt-Skala" (Merten & Krause 1993) mit der Aufgabe, anzugeben, wie sie sich während der Begegnung gefühlt haben und wie sie glauben, daß ihr Partner sich gefühlt hat. Dieser Fragebogen wird ausgewertet und die Ausprägung der einzelnen Emotionen, also z. B. Angst, Ekel, Überraschung, Freude, Verachtung, Trauer und Ärger wird mit dem Gesichtsausdruck des anderen und dem eigenen Gesichtsausdruck in eine rechnerische, in unserem Falle Spearman-Korrelationsmatrix, eingegeben. Diese Matrix ist sehr groß, denn im Prinzip kann jeder Wert, d. h. jeder mimische Ausdruck beider Personen mit jedem Urteilsakt über das innere Erleben, sowie das Erleben des anderen miteinander in Beziehung treten. Tatsächlich erwarten wir nicht, daß alle Werte der Matrix mit Werten, die vom Zufall signifikant abweichen, besetzt sind. Desweiteren können wir erwarten, daß manche Werte auch durch Zufall signifikant werden. Deshalb werden wir nur solche Werte interpretieren, die gesamthaft mit anderen zusammen ein sinnvolles und signifikantes Bild abgeben. Welche Arten von Zusammenhängen zwischen Erleben und Ausdruck könnte man in einer gut funktionierenden Dyade nun erwarten? Eine naheliegende, fast triviale Annahme wäre z. B., daß man zwischen dem gezeigten Affekt und der Selbsteinschätzung hinsichtlich des gleichen Affe~tes vom !-ufallswert signifikant abweichende Zusammenhänge fä~den. Das wurde vom mn~ren P~ozeß her bedeuten, daß z. B. Personen, die viel Arger während de~ Gesprachs ze1~en, ~m Ende auch angeben würden, sie hätten sich geärgert. Die Person verhielt sich selbstkongruent 71
In der Abbildung 13 haben wir einige mögliche Zusammenhänge zwischen den folgenden verschiedenen für die dyadische Regulierung relevanten Bereichen abgebildet. e Mimik der PersonA, Mimik der Person B • Selbstgefühl der PersonA • Von der Person A der Person B zugeschriebene Gefühlswelt (Fremdmodell A-B) • Selbstgefühl der Person B • Von der Person B der Person A zugeschriebene Gefühlswelt (Fremdmodell B-A) Die Abbildung 14 mit dem Beispiel des Freudenetzwerks bei Gesunden mag behilflich sein, die Vergehensweise besser zu verstehen. 1. MimikA 2. MimikA 3. MimikA 4. MimikA 5. MimikA
Mimik B Rating As Rating Ao Rating Bs Rating Bo
Ansteckung Selbstkongruenz Projektion Identifikation Empathie
6. Mimik B 7. MimikB 8. MimikB 9. Mimik B
Rating Bs Rating Bo Rating As Rating Ao
Selbstkongruenz Projektion Identifikation Empathie
Rating Ao Rating Bo Rating Bs Rating Bo
Ähnlichkeit A Ähnlichkeit B Urteilsgültigkeit A Urteilsgültigkeit B
10. 11. 12. 13.
Rating As Rating Bs Rating Ao RatiogAs
Erklärungen: s
= Selbst; o = Objekt; A = Interaktionspartner I; B = Interaktionspartner IJ
Abbildung 13: Zusammenhänge zwischen den Systembereichen Ausdruck und innerem Modell in dyadischen Regulierungen Im folgenden soll diese Systematik beschrieben werden. Enge Zusammenhänge zwischen Selbstmodell und dem Modell über den anderen kann man als subjektiv att1ibuiefteÄhnlichkeit definieren. Dies ist ein rein intrapersonaler Urteilsakt, der keinerlei Validität haben muß. Ich kann z.B der Meinung sein, ich und mein Partner hätten uns während der Begegnung beide unheimlich gefreut, wohingegen der Partner sich jegliches Freudegefühl abspricht, aber wohl erkennen mag, daß ich mich gefreut habe. Wie wir später sehen werden, taucht dies bei psychosomatischen Patienten z. B. recht häufig auf (10 und 11 in Abbildung 13). Enge Zusammenhänge zwischen dem Fremdmodell derPersonAüber Bund dem Selbstmodell des Partners B kann man als eine Art von Validitätsindex für die Modellbildung von A betrachten (12 und 13 in Abbildung 13). Ein valides Urteil über den Partner würde z. B. bedeuten, daß A angibt, B habe sich gefreut, ~.nd B "bestätigt" diesen Urteilsvorgang in seiner Selbstbeschreibung. Eine hohe Uber-
72
einstimmungsetzt eine Art von Übertragung von Information voraus, weil die beiden mentalen Modelle nicht direkt kornmunizieren können. Enge Zusammenhänge zwischen den beiden Ausdruckskonfigurationen der beiden Partner ohne notwendigerweise damit zusammenhängende innere Modelle kann man alsAffektansteckung oder ideomotorische Reaktion verstehen (1 in Abbildung 13). So stecken sich Kinder beim Weinen an, Stottern als affektiver Ausdruck ist für manche Personen nur vom Zuschauen ansteckend. Wie wir später sehen werden, gibt es in Dyaden mit schizophrenen Patienten besonders intensive Ansteckungen beim Ärgerausdruck. Enge Zusammenhänge zwischen dem Ausdruckssystem der PersonA bzw. B und ihren eigenen Selbstmodellen kann man als Echtheit, Kongruenz bezeichnen (2, 6 in Abbildung 13). Dies würde der oben eingeführten trivialen Annahme entsprechen, daß man das ausdrückt, was man innerlich fühlt. Generell hohe Zusammenhänge zwischen den Ausdrucksgestalten von A und dem Selbstmodell von B kann man einerseits als Wirkungsmacht von A oder Beeindrnckbarkeit und Empathie von B betrachten. Beide Prozesse setzen eine hohe Aufmerksamkeit auf seiten von B voraus. Wie wir später sehen werden, kann man z. B. 60 Prozent der Varianz des Erlebens der schizophrenen Patienten aus der Mimik ihrer Partner vorhersagen. Freilich würde man einen solchen Prozeß kaum als empathisch ansehen wollen, weil die Patienten gar nicht in der Lage sind, die Herkunft ihres eigenen Gefühls im Partner zu lokalisieren. Deshalb erfordert Empathie über die Affektansteckung hinaus eine Art von richtigem Wissen über die Herkunft des Urteilsaktes und des Gefühls. So würde man enge Zusammenhänge zwischen der Ausdrucksgestaltvon B und dem Fremdmodell von A über B eher als Empathie bezeichnen (5, 9 in Abbildung 13), wenngleich es durchaus möglich ist, daß diese Art von Empathie die Affektansteckung in irgendeiner Art und Weise als notwendig voraussetzt. Es könnte z. B. eine Form von "Mitleiden" im Sinne (Wallbott, Lechner & Batinic 1995) der Affektansteckung und einer hohen Beeindruckbarkeit geben, die aber gleichzeitig ein Wissen voraussetzt, daß das Gefühl von der anderen Person stammt. Hohe Übereinstimmung zwischen der Ausdrucksgestalt von Person A und dem Fremdmodell der gleichen Person bei gleichzeitig niedriger Übereinstimmung mit dem Selbstmodell kann man als projektiven Vorgang bezeichnen. A ist sicher, daß der andere das fühlt, was er selbst zeigt, aber nicht fühlt (3, 7). Über die in Abbildung 13 schematisch aufgeführten Zusammenhänge hinausgehend gibt es vielfältige Kombinationsmöglichkeiten, von denen ich nur vier kurz erwähnen möchte. Auf diejenigen Prozesse, die einen zeitlich organisierten Austauschprozeß zwischen beiden Personen voraussetzen, kommen wir später zu sprechen. Ich meine z. B. die projektive Identifikation, die eigentlich korrekterweise projektive Introjektion heißen müßte. Eine hohe systematische Nichtübereinstimmung zwischen dem Ausdruck von B und dem Modell von A über B könnte man als Abwehr verstehen. Z. B. attribuieren unsere schizophrenen Patienten immer dann, wenn ihre Partner echte Freude zeigen, besonders hohe Ausmaße von Verachtung. Wie ein solcher Prozeß zustande kommt, ist aus der Korrelationsstruktur natürlich nicht festzustellen. Es könnte sein, daß die Patienten die Gesichter ihrer Partner anders wahrnehmen, z.B halluzinatorisch in Grimassen verzerren oder daß sie anders attribuieren, nämlich daß sich die Partner im Sinne der Schadenfreude über das das Unglück der Patienten freuen würden. 73
Eine systematische hohe Differenz zwischen den attribuierten Ähnlichkeiten von A und von B könnte man als Verleugnung in der Kognition bezeichnen. Wenn A annimmt, B fühle ganz ähnlich wie er selbst, B aber der Ansicht ist, er habe ganz andere Gefühle als A, könnte es sein, daß A die Unterschiede verleugnet oder B die Ähnlichkeit. Diesen Vorgang hatten wir bereits als typisch für die Colitispatienten und ihre Partner beschrieben. Wenn J!(s Selbstmodell das abbildet, was B in seiner Ausdruckskonfiguration anzeigt und wenn A B nicht gleichzeitig ähnliche Gefühle attribuiert, kann man dies als Introjektion bezeichnen. A attribuiert das, was der andere zeigt, als Gefühl zum Selbstbereich unter Verleugnung der Herkunft aus dem Signalsystem von B. Eine Zufallsvariation zwischen den Ausdrucksgestalten von B und der Modellbildung von A über B kann man als Empathieausfall bezeichnen. DerUnterschied zur Verleugnung in der Wahrnehmung ist die fehlende, wenn auch falsche, Systematik. In den Abbildungen 14 und 15 sind typische Netzwerke von gesunden männlichen Interaktionspartnern während einer zwanzigminütigen Diskussion dargestellt. Die Korrelationswerte beruhen auf den Angaben von 20 Personen. PersonA
Person
8 F
Ekel
s
DD DCT-.40,
ü~ oo
------
F Angst
EKel
Ffeude
Ffeuda
Verachtung
Verachii.Jng
Trauer
D ~-35 l__j ~
Trauer
Atgar
-.49
S = Selbstbereich; F = Fremdbereich
Abbildung 14: Freudenetzwerk bei Gesunden
Zum Ausgangspunkt unserer A_bbildung haben wir den echten Freudeausdruck genommen (Abb.14) und den Argerausdruck (Abb. 15) beider Interaktionspartner. Links und rechts sind die über die Fragebögen gewonnenen introspektiven Anteile des Gefühlsbereiches zu finden. In bezugauf die Häufigkeit der gezeigten Affekte unter den gesunden Männern liegt Freude an erster Stelle (23 % ). In der Tabelle 1 sind die Häufigkeitsverteilungen des mimischen Ausdrucks von gesunden Frauen und Männern in der oben beschriebenen Situation dargestellt.
74
Tabelle 1: Affektives Verhalten von Männern und Frauen während einer Diskussion Frauen
Männer
Kategorien
M
MD
SD
M
MD
SD
p
Ärger
0.6
0.0
0.84
4.1
2.0
4.98
0
Verachtung
19.1
9.0
25 .75
5.2
3.5
5.59
Ekel
12.2
13.0
10.47
6.7
1.0
11.83
Angst
0.1
0.0
0.32
0.2
0.0
0.63
Trauer
3.8
1.5
4.96
2.1
0.0
4.36
Überraschung
0.2
0.0
0.42
0.2
0.0
0.63
echte Freude
35.6
33.0
20.53
11.9
12.5
7.88
**
unechte Freude
12.9
4.5
27.62
27.4
26.0
15.94
**
Bl e nden
4.6
1.5
5.13
4.1
0.5
7.87
möglicher Ärger
2.5
0.5
5.86
5.8
2.5
7.05
*
*
< .05 , ** = p < .01 Mittelwert (M), Median (MD), Standardabweichungen (SD) und signifikante Differenzen (p) zwischen den Geschlechtern der Interpretationsketegorien nach EMFACS (U-Tests nach Mann -Withney).
Anmerkung: 0 = p = .1,
= p
Wie ersichtlich, ist das Ausdrucksverhalten affektiver Art der Männer insgesamt sehr viel niedriger. Unabhängig von der Gesamthäufigkeit unterscheiden sich Männer und Frauen in der Häufigkeit echter Freude, des sozialen Lächelns und des Ärgers signifikant. Diese unterschiedlichen Häufigkeitsverteilungen reflektieren keine naturgegebenen biologischen Größen, da sie in gemischtgeschlechtlichen Dyaden recht anders verlaufen (Frisch et al. 1995). Die Männer reichem in Gesprächen mit Frauen ihr affektives mimisches Repertoir an, so daß es dann kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Man kann die Daten wohl eher so interpretieren , daß in der sozialen Situation "Diskutieren" dieMännerunter sich eine Interaktionsform, die um Kontroversen und deren Handhabung zentriert ist, wählen. Im folgenden gehe ich auf die Netzwerke der Männer ein, für diejenigen der Frauen haben wir noch nicht genügend Daten. Die so häufig gezeigte echte Freude korreliert nicht mit dem Selbstrating Freude, es gibt also keine Kongtuenz. Die gezeigte eigene Freude und die des Partners hat aber trotzdem eine sehr hohe Wirkungsmacht auf das Selbst- und Partnererleben. Wir finden zwölf substantielle negative Korrelationen zwischen der gezeigten Freude beider Personen und anhedonischen Gefühlserlebnissen der Handungspartner. Obwohl es also keine Kongruenz gibt, hat die gezeigte echte Freude eine außerordentlich mächtige Wirkung auf die Unterdrückung negativer Modellbilder über sich selbst und den Partner. Die Ähnlichkeitseinschätzung hinsichtlich der Freude bei den Gesunden ist hoch (.78). Es gibt eine leichte Ansteckung (.30).
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Man kann zwe i sich ergänzende Formen der wechselseitigen Regulierung konstatieren: Auf der einen Seite könnten sich die beiden Interaktionspartner unter dem Einfluß der wechselseiteigen Freudesignale "gutartige" Motive unterstellen, auch wenn sie unangenehme Dinge vortragen und sich streiten, auf der anderen könnte das Lachen als ein gewissermaßen kognitionsfreies, "physiologisches" Gegengift gegen "Unfreude" wirken (Schwartz 1988). Emde (1992) folgend halten wir fest, daß eine "gute Beziehung" durch eingut wirkendes Freuderegulationsystem gekennzeichnet werden kann. Wie wir später sehen werden, sind die Beziehungsregulierungen der schwer Erkrankten, z. B. der Schizophrenen, ab~r auch der Colitispatienten, in bezugauf dieses System nicht funktionsfähig. Daß die Freuderegulierung von der negativen Affektregulierung weitgehend unabhängig ist, erfährt eine gewisse Bestätigung (Emde 1992). Ehe wir eine G_~samtwürdigung der " guten" Regulierung bei Gesunden versuchen, soll nun die Argerregulierung besprochen werden. Ärger ist interkulturell der häufigst erlebte negative Affekt (Scherer & Tannenbaum 1986). Nach unseren Untersuchung,en \st fugerausdruck eher selteJ?.. (siehe Tabelle 1). Dies haben auch andere Untersuchungen bestätigt. Vor dem Arger kommen die negativen Affekte Veracht'-!_ng, Ekel und Trauer. In der Abbildung 20 ist das Argernetzwerk von zwei gesunden Männern dargestellt. Es gibt wieder keine Kongruenz zwi~_chen Ausdruck und Erleben, ebenfalls gibt es keine Ansteckung. Das Zeigen von Arger korreliert negativ mit der Zuschreibung von Angst zum Partner, positiv mit Freudeerleben beim Partner und beim Selbst. Wiederum finden wir hohe Ähnlichkeit. Person
PersonA
B
F
s
s
F
[;]GJ
DD DD GJ
Angst
Ekel
Überraschu"og
Freude Verachtung
Trauer
Arger
S = Selbstbereich; F = Fremdbereich
Abbildung 15: Ärgernetzwerk bei Gesunden
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Wenn wir die bisherigen Befunde zusammenfassen, könnte man das Grundmuster der Regulierung bei den Gesunden wie folgt charakterisieren: Wir ~aben hohe wechselseitige Attribuierungen bzw. Wahrnehmung hinsichtlich der Ahnlichkeit, aber einen niedrigen direkten Einfluß über den eigenen Affekt. Dieses merkwürdig erscheinende Ergebnis liegt darin begründet, daß die Generierung von negativem mimischem und erlebtem Affekt bei den Gesunden weniger mit der Regulierung des Selbst und der Beziehung zu tun hat als mit der affektiven Valenz der kognitiven Prozesse, über die die Personen sprechen. Aus dieser Themenzentrierung des negativen Affektes folgt, daß unter normalen Umständen der negative Affekt eine gemeinsame Form der Weltsicht reflektiert, deshalb auch der enge positive Zusammenhang zwischen Freudeerleben und Ärgerausdruck Das sind also zwei Personen, die froh und einig schimpfen und sich dabei keinen Zwang antun. Umgekehrt ist der echte Freudeausdruck nicht objektbezogen, sondern explizit beziehungsregulierend, so daß zwischen die vielen objektbezogenen Ärgerausdrücke die noch häufigeren Freudesignale gesetzt werden, die gleichzeitig signalisieren, daß der gezeigte negative Affekt nicht der anderen Person gilt, sondern dem kognitiven Objekt. Diese Art von Zuordnung verändert sich, wenn die Beziehung selbst das Problem wird, in dem zum Beispiel eine Form der Feindseligkeit auftritt, es also "Ernst" wird. Dies geschah in einer Dyade unter den Gesunden. Nun werden die affektiven Zeichen alsindikativfür den Zustand des Senders genommen, und die Kongruenz und Validität erhöht sich. Generell scheint es so zu sein, daß die Reservierung des negativen Affektes für den Selbstbereich und den Zustand der Beziehung eher selten vorkommt und auch hochgradig normiert ist. Wie wir später sehen werden, gilt dies für die psychisch Kranken nicht. Sie scheinen generell diese Form der "guten " Beziehung verloren zu haben, einmal durch die verlorene Freude und zum anderen durch die "Verernstung" der Beziehung, die eine Attachierung an die gemeinsame Objektwelt eher unwahrscheinlich macht, dafür geht es für sie immer um das Selbst und die Beziehung. Das mag damit zusammenhängen, daß jede psychische Erkrankung letztendlich mit einer negativen Einfärbung des Selbstwertes und dessen dauernder Bedrohung korreliert ist. In einer Arbeit zu Sprachpsychologie hat Bühler (1982) die drei möglichen Beziehungen des Sprachzeichens zum zu Bezeichnenden dargestellt, nämlich 1. als Indikativ für den Zustand des Senders des Zeichens, 2. als Appell für Handlungen des Empfängers und 3. als symbolische oder metaphorische Abbildung von etwas Gemeintem. Diese gleiche Einteilung muß auch für das mimische und andere Affektzeichen gelten, und wir haben aus dem Zeichen selbst keine direkten Hinweise, welche der drei Möglichkeiten gültig ist. Wie wir später zeigen werden, kann man aus dem Kontext des nonverbalen Verhaltens allerdings Regeln ableiten, welcher der drei Modi nun Gültigkeit hat. Diese Regeln sind aber nicht eindeutig und dazu noch kultur- und krankheitsabhängig, denn wie wir später sehen werden, gelten für die psychisch Kranken 1. andere Häufigkeitsverteilungen, 2. andere Kontextzeichenregeln. Fürs erste scheinen die psychisch Kranken die Form der guten Beziehungsregulierung verloren zu haben. Einmal durch die verlorene Freude und zum anderen
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durch die Verernstung der Beziehung, die eine Anhindung an die gemeinsame Objektwelt, also diese 3. Variante Bühlers eher unwahrscheinlich macht. Dafür geht es immer um das Selbst und den Appell an den Andern. Wir werden später unter Trieb und Affekt und unter den Abwehrmechanismen verschiedene solcher pathologischen dyadischen Reglierungen besprechen, z. B. die für die Schizophrenie typische Form der projektiven Identifikation oder die für die Psychosomatik typische Form der Verleugnung. Fürs erste wollen wir die Frage, was eine gute Beziehung unter psychisch Gesunden sei, wie folgt zusammenfassen: Erstens ist die Freuderegulierung von Einfluß auf die Sedierung negativen Affektes. Zweitens ist der negative Affekt im allgemeinen an die Objektwelt gebunden und damit ein Zeichen der gemeinsamen oder verschiedenen Sichtweise der Objekte, über die man sich auseinandersetzt, aber nicht der Selbststruktur bzw. der Beziehung. Drittens: Kongmenz im Sinne der Echtheit als Übereinstimmung von Ausdruck und Erleben ist selten zu erwarten und bleibt eher ernsten Situationen vorbehalten. Viertens: die verschiedenen Formen von Projektion, Verleugnung, Introjektion, auf deren Funktionen und Wirkunsgweise wir noch zu sprechen kommen, sind im allgemeinen für eine gute Beziehung wenig günstig, weil sie eine Wahrnehmung der Intentionalität des Partners sehr erschwert. Solche Fehlwahrnehmungen als Grundlage des Scheiteros von Behandlungen scheinen therapieübergreifend. Da wir davon ausgehen können, daß viele Patienten die von ihnen initiierten Beziehungsangebote auch nicht kennen, könnte es sein, daß eines der Behandlungsziele in der Möglichkeit der inneren Monitortierung der eigenen Verhaltens- und Beziehungsangebote und ihrer Motivierung bestünde. Mit diesem Phänomen werden wir uns nun näher auseinandersetzen.
2.4 Was ist eine psychotherapeutisch psychoanalytische Beziehung? Was unterscheidet eine therapeutische von einer Alltagsbeziehung? Wo steckt das kurative Moment der ersteren? Da so viele Methoden etwas bringen, kann es an der jeweiligen Behandlungstechnik alleine nicht liegen. Irgendetwas muß an der therapeutischen Beziehung sein, das über eine empathische Alltagsbeziehung e inerseits und die bloße Applikation einer Behandlungstechnik andererseits hinausgeht. Was aber ist kurativ an der therapeutischen Beziehung? Deutungen und die mit ihnen verbundenen Einsichten sind gewiß von großer Bedeutung, aber wir wissen mittlerweile, daß unsere Patienten unsere Deutungen nicht glauben können, solange sie nicht wenigstens ansatzweise sicher sind, daß wir anders reagieren als die Objekte ihrer bisherigen Inszenierungen. Worin liegt nun diese Andersartigkeit des Reagierens? Eine einfache Antwort finden wir darin, daß wir die Beziehungen zu den Patienten aufrechterhalten, obgleich sie alles mögliche tun , um sie abzubrechen. Demnach ist auch die häufigste empathische Reaktion von gesunden Laien auf psychisch Gestörte, sie alleine zu lassen und die Beziehung abzubrechen. Das tun wir also nicht, aber was tun wir dann "anders", wenn wir die Beziehung aufrechterhalten?
78
2.4.1 Das Ubertragungsgeschehen An dieser Stelle wird zumindest vo~ psychoanalytischer Seite im allgemeinen argumentiert, wir würden auf die "Ubertragung" des Patienten anders als die ~_istorischen Figuren und die rezenten Interaktionspartner reagier~n. Was aber ist Ube rtragung und was ist anders? Die klassische Auffassung von Ubertragung ist das Auftauchen kindlicher Gefühle und Einstellungen, die nun an den Analytiker anstelle der elterlichen Figuren angeheftet werden. Diese Konzeption, die Freud aufgestellt hat, ist aber nicht unwidersprochen geblieben. Sandler, Dare und Holder (1992) finden sechs verschiedene Vorstellungen von Übertragung, die man aus der psychoanalytischen Literatur exzerpieren kann. Nicht alle sind vereinbar. Da die Konzeption der Behandlungsbeziehung sehr eng mit derjenigen von der Übertragung verbunden ist, müssen wir davon ausgehen, daß wir auch innerhalb der Psychoanalyse verschiedene Auffassungen von dem, was eine Beziehung, was eine kurative therapeutische Beziehung, was Übertragung und was Gegenübertragung ist, haben. Wenn man versucht, eine Art von Tiefenstruktur der verschiedenen Konzeptionen der Übertragung herauszuarbeiten, kann man die folgenden Linien finden: Einmal gibt es einen Dissens über die Generalität bzw. Spezifizität der Übertragungsneigung. Man kann mit Sarnpson und Weiss (1986) der Meinung sein, daß die Patientenjedes Objekt darauf abtesten, ob es einem ihnen vertrauten und gefürchteten Schema folge. Die Art der Testung sei im allgerneinen so angelegt, daß unter natürlichen Randbedingungen niemand diesen Test bestehen könne. Man kann aber auch der Meinung sein, daß die Übertragung im regressiven Setting der Psychotherapie, speziell der Analyse, erst hergestellt werde, um durch diese künstliche, therapietechnisch bedingte Ubenragungsneurose die historischen Beziehungserfahrungen wieder zugänglich zu machen. Die Antwort auf diese Frage ist behandlungstechnisch nicht unbedeutend und empirisch bis anhin unbeantwortet. Auf der einen Seite kritisieren Autoren wie Thomae und Kächele (1988) Freuds Vorstellung von der Naturwüchsigkeit und Spontaneität der Übertragungsprozesse, auf der anderen Seite argumentieren Autoren wie Argelander (1979), daß das szenische Verstehen, etwas, das ja ein Inszenieren voraussetzt, fast automatisch in der ersten Interviewbegegnung schon ablaufe. Zum zweiten ist die Frage ungeklärt, wie man sich den Vorgang der Übertragung eigentlich vorstellen soll. Wie wird eigentlich übertragen? Eine Gruppe von Analytikern sieht den Vorgang als eine Form von illusionärer Verkennung und bleibt damit relativ dicht an den Wahrnehmungs- und Denkfunktionen, die andere sieht Übertragung als eine Form von Inszenierung und geht damit eher auf die Handlungsseite und den Patienten, als wenn auch unbewußten Regisseur seines Leidens über. Es ist leicht zu erkennen, daß die Vermutung der Ubiquität von Übertragungsprozessen eng mit der Vorstellung von Insenzierungen verbunden ist. Behandlungstechnisch folgt aus der Präferenz der illusionären Wahrnehmungstheorie eine Bevorzugung von Deutungen und Einsicht, aus der Inszenierung eine solche für korrigierende emotionale Erfahrungen. Die dritte Frage ist schließlich, was übertragen wird. Infantile Gefühle und Einstellungen zu vergangenen Objekten allein können das Verhalten unserer Patienten nicht bestimmen. Sowohl im Verhalten als auch im inneren Erleben sind unsere Patienten nur in Teilen kindlich, also muß die Übertragung, ehe sie wirksam wird, getarnt werden.
79
Manche dieser Hypothesen sind testbar, andere nicht. Man kann zum Beispiel die Ubiquität von Übertragungsneigung überprüfen. Ich meine auch, man könne die Frage des Wie überprüfen. Was nicht gelingen kann, ist die Frage, zu beantworten, was übertragen wird. Da wir prinzipiell die Kindheit der Patienten nur aus ihren eigenen Berichten und Inszenierungen kennen, ist uns die Vorlage für ihre Drehbücher nur in Teilen zugänglich. Desweiteren richten sich die Drehbücher häufig nicht nach realen Objekten und deren Handlungen, sondern bilden die Beziehungen zwischen inneren Strukturen, z. B. Überich und Ich, ab, die auf die gegenwärtige Beziehung "übertragen" werden. Hier wäre Übertragung eine Form der Externalisierung. Gleichwohl muß man sich als Therapeut Gedanken darüber machen, welche Anteile am Denk- und Verhaltensstrom unserer Patienten regressiv und welche erwachsen sind. Die Fragen, die wir im folgenden diskutieren werden und unter Rückgriff auf unsere verschiedenen Forschungsprojekte zu lösen versucht haben, lauten also schärfer ausformuliert wie folgt: 1. Gibt es spezifische Beziehu ngsm uster, die für Patienten mit spezifischen psychischen Störungen charakteristisch sind, die sie, mit wem auch immer, realisieren? 2. Wenn dem so ist, welche Charakteristika der Patienten bestimmen die Beziehungsmuster? Es könnte z. B. die Schwere einer Erkrankung- ganz unabhängig von der inhaltlichen Diagnose - sein, es könnten strukturelle Muster, wie die Unterscheidung von narzißtischer vs. neurotischer Persönlichkeitsorganisation, sein, oder es könnte die Symptomatologie oder möglicherweise eine Kombination der verschiedenen Merkmale sein oder etwas, das wir noch gar nicht kennen. 3. Reagieren gesunde Handlungspartner in spezifischer Weise in ihrem Verhalten und in ihrem Empfinden und ihren Phantasien auf diese Angebote, wenn sie mit den Patienten interagieren, ohne zu wissen, daß es sich um solche handelt? 4. Wenn dem so wäre, wie kriegen die Patienten es hin, das Verhalten und die Phantasien der Gesunden zu beeinflussen? 5. Welc~e Teile der spezifischen Muster kann man als Wiederholung im Sinne von regressiven Ubertragungsphänomenen definieren?
Nachdem wir die Fragen beantwortet haben, werden wir uns wieder den Spezifika der psychoanalytischen, psychotherapeutischen Situation zuwenden.
2. 4.1.1 Das Übertragungsgeschehen im Alltag Für die Untersuchung der ersten vier Fragen haben wir das auf Seite 71 bereits beschriebene Setting benutzt: Zwei Personen des gleichen Alters, Geschlechtes und in etwa gleichen Bildungsgrades, die einander nicht kannten, trafen sich in unserer Forschungseinrichtung und diskutierten miteinander 20 Minuten über Politik, speziell sollten sie sich darauf einigen, welche der vier wichtigsten Probleme im nächsten Jahr in Deutschland gelöst werden sollten. Einer der Partner war entweder gesund oder litt an Schizophrenie, an Colitis ulcero.~a oder einer funktionellen Wirbelsäulenbeschwerde mit einer neurotischen Atiologie im Sinne einer Konversion. Die Kontrollgruppe bestand aus Gesunden, die miteinander interagierten. Da die Patienten einschließlich der Schizophrenen nicht offen psychotisch agierten, realisierten ihre Partner tatsächlich nicht, daß sie mit jemand krankem sprachen. Im ersten Durchlauf werde ich hier als Meßgröße für die Beziehungs- und Interaktionsmuster die Affekte, so wie sie sich im Gesichtsaus-
80
druck äußerten, wählen. Tatsächlich haben wir natürlich viele andere Meßgrößen vetwendet, aber als Einstieg sind die Affekte wegen ihrer Sichtbarkeit günstig. In der Abbildung 16 finden Sie die Mimikwerte der verschiedenen Patientengruppen.
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Abbildung 16: Summen aller Affektausdrücke: Klinische Gruppen und Kontrollgruppen
Die erste Frage nach der Spezifizität kann man wie folgt beantworten: Die Männer, die an Schizophrenie paranoid-halluzinatorisch ohne offene Exarzerbation und an Colitis ulcerosa leiden, haben eine schwere Reduktion der mimischen Affektivität aufzuweisen, wenn man sie mit neurotischen Patienten auf der einen Seite und mit gesunden Personen, die mit Gesunden sprechen, auf der anderen Seite vergleicht (Krause, Sänger-Alt & Wagner 1989; Steimer-Krause, Krause & Wagner 1990, Frisch, Schwab & Krause 1995). Diese Reduktion ist hauptsächlich die Folge des Verschwindens der echten Freude, des sozialen Lachens wie auch von sprechbegleitenden Frontalisbewegungen, die im allgemeinen als Zeichen intensiver Besetzung betrachtet werden können. Wahrscheinlich sind all diese Merkmale indikativ für Anhedonie, also ein Leben ohne Freude und Besetzung. Für die schizophrenen Patienten ist dies nur teilweise Folge der neuroleptischen Medikation.
81
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Freude Verachtung Ekel
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Abbildung 17: Summen aller Affektausdrücke: Partner der klinischen Gruppen und die Kontrollgruppen
Die zweite Frage über die möglichen organisierenden Merkmale dieser Spezifizität können wir vorläufig in folgender Weise beantworten. Diese generelle Reduktion ist nicht typisch für die neurotischen Patienten, die signifikant mehr mimischen Ausdruck als die Schizophrenen und die Colitis-Patienten zeigen. Der Affekt ist nicht in der Besetzung und der Hedonie reduziert, aber es gibt einen Exzeß von verschiedenen negativen und positiven Affekten, die kaufligierender Natur sein können, z. B. Verachtung/Freude, Verachtung/Wut zur gleichen Zeit. Innerhalb der verschiedenen Gruppen von schwer gestörten Patienten bleibt ein negativer Affekt prominent vorhanden. Diesen Affekt haben wir Leitaffekt genannt und wir werden in der Besprechung der Psychotherapie auf diesen Leitaffekt zurück kommen. Für die Schizophrenen ist der Leitaffekt eindeutig Verachtung, für die Colitis-Patienten - zumindest die männlichen - scheint es Ekel zu sem. Was die dritte Frage nach der Spezifizität der Reaktion der Handlungspartner auf dieses "Angebot" betrifft, kann man feststellen, daß die Gesunden eine fast perfekte Anpassung an die Quantität der Affektivität der Patienten leisten, so daß nur
82
im Fall der hospitalisierten Schizophrenen eine signifikante Differenz zwischen den Kranken und ihren gesunden Interaktionspartnern gefunden werden konnte. Die nächste Frage war, wie man sich vorstellen soll, daß die Patienten ihre Partner beeinflussen können. Diese Frage ist natürlich die bei weitem am schwierigsten zu lösende, weil, wie zu erwarten, die Art der Beeinflussungen in den verschiedenen Krankheitsgruppen eben anders sind. Ich werde als Beispiel zwei Interaktionen herausgreifen, die ich für den neurotischen und den psychosomatischen Typus der Beziehungsgestaltung für charakteristisch halte. Das erste Beispiel ist ein männlicher Patient mit einer funktionellen Wirbelsäulenbeschwerde und einer Neurose, der mit einem gesunden unbekannten Mann spricht. Die beiden kannten sich nicht. Wir stellen in Tabelle 2 ein Segment von drei Minuten dar, das in verdichteter Weise einen Einstieg in die gesamte Interaktion darstellt. Ähnliche Interaktionsmuster wiederholen sich während des Gespräches. Der Partner hatte eben gefragt, ob er, der Patient, politisch engagiert sei, was er verneint hatte, um nun folgendes zu sprechen (siehe Tabellen auf den nächsten Seiten). Die Tabellen sind wie folgt zu lesen: Links steht der Affektausdruck, der im Gesicht eindeutig zu sehen ist. In der Mitte steht der Text des Patienten, rechts der seines Partners. Diejenigen Textpassagen, auf die der Affekt gezeigt wird, sind unterstrichen. Rechts steht der Text des Partners. Sofern dort Unterstreichungen zu finden sind, zeigt er einen Affekt oder ist zeitgleich ein Affekt des Patienten zu sehen. Wenn man die Affektivität alleine betrachtet, findet man in der neurotischen Interaktionssequenz eine sehr klare Phaseneinteilung mit einem hohen Ausmaß an Wut und Ekel, dann eine radikale Veränderung zu einem extremen Werbeverhalten, das in der Form unter Männern sehr ungewöhnlich ist. Der sprachliche Teil des Interaktionsgeschehens des ersten Teils widerspricht dem Affektausdruck Der Patient sagt, er sei kein Kämpfer, er würde normalerweise hinausgehen anstatt zu kämpfen, er betrachte alles als halbernst und er würde nicht hart arbeiten. Nachdem der Partner seiner verbalen Definition der Situation zustimmt und die affektive negiert, ist der Patient eine gewisse Zeit bereit zu kooperieren und wechselt in dieses verführerische Verhalten über, das der Partner unbewußt aufnimmt, indem er die Metaphorik des Einschiagens eines Pflocks für politische Diskussionen benutzt und andere hier nicht berichtete Liebesangebote macht. Diese Bereitschaft zur Kooperation hält allerdings nur kurz an; dann folgt eine ähnliche Sequenz, so daß die Partner eigentlich nicht zur Sache selbst kommen. Der Wechsel von "paranoiden" und "homoerotischen" Interaktionssequenzen zieht sich durch die Diskussion und wird auch - wenn auch metaphorisch- zum wichtigsten Thema: Der Kanzlersturz. Wir können also zusammenfassen, daß ein unbewußter Konflikt recht dramatisch in einer hohen Dichte inszeniert wird, und der Partner sehr schnell in diesen Konflikt eingezogen wird. Das zweite Beispiel ist eine Patientin mit einer Colitis Ulcerosa.
83
Tabelle 2: Interaktionsmuster (s. Text) Affektausdruck im Gesicht des Patienten
Ärger Ärger/ Ekel
Gesprochener Text d. Patienten
Partner
Ich habe schon meine Meinung zu bestimmten Dingen + und
ja +
wenn's mir nicht paßt würd ' ich normalerweise dann hier rausgehen, weil ich bin kein so 'n verfechtervon irgendwas, + ne. ja +
Ärger/Ekel
das zieht sich also bei mir durch alle Bahnen, ähm alles bei mir nur halbemst, das darf also net anstrengend werden für mich, + ne das + ist richtig, +der Meinung bin ich auch.
Partner/Freude Ärger Ärger Ärger
ne und + dann hör' ich damit auf, kann jeder seine Meinung haben, tolerier' ich, aber nicht! mit m1r, ne, und wenn einer schimpft und brüllt dann ist's für mich sowieso die + Sache
hm +
erledigt. sag ich auch immer, + wenn einer brüllt, dann geh 'n ihm echt die Argumente aus.
Partner/Freude
Emblematische Würgegeste Freude und
ne,ja, hm + ,ja, ja wenn das bei lhnen auch so ist, dann also kriegen wir die zwanzig Minuten ohne uns an ((die Gurgel zu gehen)) + rum (wird nicht ausgesprochen) Seh + , seh ich an sich kein Problem drin - es kommt eben nur darauf an also dann kann ich auch gleich mal den ersten Pflock einschlagen,
Extremes Werbeverhalten und Freude
hm echte Freude beide lachen
84
ähm
rein damit als ah nä ich würd' erstmal deden Pflock Umwelt einschlagen.
Tabelle 3: 2. Interaktionsbeispiel (s. Text) 070567-083245
Patientin
Partnerin
Ekel
das kenn ich nicht, ich hab also + noch
hm +
nie an so Demos teilgenommen!,ne hmhm, Ekel
und da kenn ich mich also gar nicht aus ne, ich krieg da auch also relativ wenig mit, weil ich ja auf so nem kleinen Dorf wohne, + ne und
Ekel
Ekel Ekel
hm +
da . . . kriegt man also in der Richtung überhaupt nichts mit + ne ich kriegsjetzt so in der Kur
ja
nicht so richtig mit, ich hab + irgendwann
hm +
mal im Radio gehört, daß er krank ist
Ja
und daß man gar nicht mehr ähm ja sieht und den Stellver-
treterwohl auch nicht, + ne Ekel
hm +
mehr hab ich da nicht + mitgekriegt
Die Darstellung ist gleich strukturiert wie in Tabelle 2. Die Textpassagen sind diejenigen Ausschnitte, bei denen während der 20 Minuten Affekte aufgetreten sind, was heißt, daß die Patientin und ihre Partnerin wenig gezeigt haben. In diesem Interaktionsbeispiel gibt es keine affektive Variabilität. Wir haben nur Zeichen von Ekel. Der Kontext der Ekel-Reaktionen beschränkt sich auf Aussagen der Patientin, daß sie nichts weiß. Die überdauernde affektive Konstellation der Patientin wird auf der thematischen Ebene wiederholt. Die Patientin spricht davon, daß sie nichts weiß, nichts kann, und ihr affektives Ausdrucksgeschehen reflektiert ihren Ekel eben darüber. Bei den Dyaden mit schizophrenen Patienten laufen die Zusammenhänge wiederum anders. Um sie zu verstehen, braucht man sechs Parameter, nämlich die Mimik beider Partner, ihr Blickverhalten und ihre Hörer-Sprecherzustände (Merten 1996). Welche Anteile regressiv sind, kann man mit dieser Art der Forschungen nicht aufkJären. Wir kennen ja die Patienten als Kinder nicht. Deshalb möchte ich damit erst nach der Besprechung der Therapien darauf zurückkommen. Fürs erste kann man aber die folgende Faustregel aufstellen: Bei Gesunden, die miteinander sprechen, ist die Text-Affektverbindung im allgemeinen so, daß der Affekt die kogni-
85
tive Struktur des Textes reflektiert. Die Besetzung ist also an die Kognition angeheftet. Im aJigemeinen ist der Gegenstand des Sprechens ein drittes Objekt und nicht die Personen selbst. Wenn der Affekt indikativ für den Zustand des Selbst sein soll, haben wir andere Blick-, Sprach- und Mimikverknüpfungen in der Dyade. So ist beispielsweise ein Ärgersignal bei gleichzeitigem mutuellem Blickkontakt im allgemeinen nicht an ein kognitives Objekt gebunden, sondern an die Beziehung und somit auch an den Zustand des Selbst. Die dritte Möglichkeit der Anheftung des Affektes ist, daß der Affekt indikativ für den Zustand der Beziehung ist. Die Trennungen sind natürlich nicht sauber zu machen, aber wie schon gesagt schei nen wir ein exquisites Regelbewußtsein für diese Zuordnung zu haben. Die Anheftung von Affekten an die Selbststruktur und an den Zustand der Beziehung ist im allgemeinen regressiver und taucht nur in sehr ernsten Situationen auf. Der "Normalfall" ist die Anheftung des Affektes an die kognitive Struktur, die in der Dyade verhandelt wird. Das kann natürlich in manchen Bereichen der Patient selbst sein, aber dann behandelt er sich eben als distanzierte kognitive Einheit. Fassen wir an dieser Stelle zusammen: 1. Offensichtlich ist die Übertragungsneigung ein sehr ubiquitäres Phänomen,
sie ist meßbar, und wahrscheinlich ist sie die Störung. Wir wissen, daß die besten Rückfallprädiktoren für viele Erkrankungen spezifische emotionale Interaktionsstile sind, wie der High-Expressed-Emotion-Stil der Angehörigen ehemals psychotisch, manisch und depressiv Erkrankter (Olbrich 1994). Die Psychoanalyse bringt diese Phänomene also nicht hervor, sie entstehen von selbst. Wenn es gut geht, läßt die Psychoanalyse diese Beziehungsfiguren anders ausgehen. 2. Der Patient überträgt nicht illusionär auf Personen, sondern er inszeniert Szenen oder Stücke. Diese Szenen beinhalten wenigstens drei Bestimmungsstücke, nämlich den Autor der Szene, einen Handlungspartner und eine Abfolge von Interaktionen zwischen beiden. Diese Abfolge von Interaktionen kann man als Austausch von affektiven Signalen und Sprechakten verstehen. Es werden also vor allem Gefühle in Szenen ausgetauscht. Gefühle sind für die Inszenierungen vorzüglich geeignet, weil sie eine Doppelfunktion der Wahrnehmungsveränderung nach Innen und der inszenierenden Kraft nach Außen haben. Die Existenz dieser Szenen und ihre Realisierungsart ist den Autoren meist unbewußt. 3. In der inszenierten Form kann Übertragung keine Neuauflage einer historischen Beziehungserfahrung sein, denn damit wäre sie ja in ihrer Infantilität unmittelbar und vollständig durchschaubar und hätte auch ihre manipulative verführerische Kraft verloren. Die rezenten Szenen schließen also sämtliche Abwehrmechanismen ein, so wie wir sie später beschreiben werden, zum Beispiel die Vertauschung von Subjekt und Objekt, die Verkehrung des Affektes ins Gegenteil, die Verschiebung auf andere Objekte etc. Sie schließen vor alJem die Externalisierung von inneren Strukturen ein, so daß ein Handlungspartner gar nicht eine reale historische Person spielen muß, sondern eine "Instanz", z. B. das strafende Gewissen, oder das beschämende Ichideal, oder ein unerschöpfliches narzißtisches Füllhorn, das unentwegt Bewunderung generiert.
86
2.4.1.2 Das Übertragungsgeschehen in der Psychotherapie Mit diesem Wissen ausgestattet, wollen wir uns nun erneut der Frage zuwenden, was eigentlich die therapeutische, speziell die analytische Beziehung so radikal von den Beziehungsszenen, die mit empathischen Laien geschaffen werden, unterscheidet. Da dies letztlich eine empirische Frage ist, haben wir sehr erfahrene Psychotherapeuten der Richtungen kognitive Verhaltenstherapie, Psychoanalyse und Gesprächspsychotherapie gebeten, Patienten ihrer Wahl vor dem Video, das das gesamte affektive und sonstige Geschehen beider Handlungspartner registrierte, in Kurztherapien 15 Stunden lang zu behandeln. Die Patienten, die unsere Therapeutinnen und Therapeuten aussuchten, waren sehr krank. In Tat und Wahrheit waren alle schon in Vorbehandlung. Die von uns aufgezeichneten Behandlungen unterschieden sich ausreichend hinsichtlich ihrer Erfolge, und zwar unabhängig von der therapeutischen Ausrichtung. In Zusammenhang mit unserer Frage der Andersartigkeit der therapeutischen Inszenierung haben wir die mimische Affektivität von Therapeut und Patient aus der 1. Stunde benutzt, um den Erfolg nach Ende der Behandlung vorherzusagen. Ein Maß, das wir dyadischen Leitaffekt genannt hatten, korrelierte zur .69 hochsignifikant mit der Erfolgseinschätzung durch Patient, Therapeut und auch externen Meßgrößen für den Erfolg. Als Leitaffekt wird der mimische Ausdruck definiert, der prozentual den höchsten Anteil am Ausdrucksgeschehen der jeweils einzelnen Person hat. Nach der Valenz können die Ausdrücke Wut, Trauer, Ekel, Verachtung, Angst als negativ, die echte Freude und die Überraschung als positiv zusammengeiaßt werden. In den von mir verwendeten Beispielen hatten die Patientirr A und der Patient H die in Abbildung 18 dargestellte prozentuale Verteilung in der ersten Stunde. Wenn man das gleiche Verfahren für die Therapeuten anwendet, kann man ein dyadisches Leitaffektmaß verwenden, das wie folgt definiert wurde: 70
60
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Freude
O
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O
Ekel
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30
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20
HcrrH
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Überrasch.
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Abbildung 18: Verteilung und Häufigkeit der mimischen Verhaltensweisen der I. Behandlungsstunde der therapeutischen Dyaden A und H
87
1. Beide Protagonisten zeigen in der ersten Stunde einen Leitaffekt mit positiver
Valenz. In unserm konkreten Fall wäre dies, daß in der 1. Stunde Patient und Therapeut als häufigsten Affekt echte Freude und/oder Überraschung zeigen. Wir nennen diesen Zustand reziprok hedonisch. 2. Beide Leitaffekte von Therapeut und Patient der 1. Stunde sind negativ valent. Inhaltlich müssen das nicht die gleichen Affekte sein. Der Therapeut kann z. B. vorwiegend Ekel und Verachtung zeigen, der Patient Wut. Wichtig ist, daß beide negativ sind. Wir nennen diesen Zustand reziprok anhedonisch. 3. Einer der Protagonisten hat einen Leitaffekt mit negativer, der andere mit positiver Valenz, wobei positiv echte Freude wie Überraschung einsch1ießen kann. Wer dies ist, ob der Therapeut oder Patient, ist gleichgültig. Diese Interaktionsform haben wir komplementär genannt. Die komplementäre Form ist prognostisch am günstigsten, die positiv reziproke am ungünstigsten. Diese Einstufung erbrachte die erwähnten prognostischen Werte. Daß diese Art der Klassifikation kein Artefakt ist, können wir daran sehen, daß die Ausgeprägtheit eines Leitaffektes beim Therapeuten in der 1. Stunde zu -.67 mit seiner eigenen Erfolgseinschätzung nach Ende der Behandlung korreliert. Das heißt, unsere Therapeuten haben ganz unabhängig von ihrer theoretischen Orientierung bereits in der 1. Stunde ein vorbewußtes Wissen über das Mißlingen, das sich daran aufhängt, inwiefern sie selbst in der 1. Stunde einen einzigen mimischen Affekt präferiert haben, bzw. in ihn hineingezogen wurden. Die Veränderung der mimischen Affektivität der Patienten in den hedonischen Bereich hinein korreliert mit .75 mit der Erfolgseinschätzung durch dieselben, wiederum ein Indiz für die Validität der affektiven Meßgrößen der 1. Stunde. Werte in dieser Größe über die verschiedenen Therapierichtungen hinweg lassen deutlich werden, daß es sich um mächtige Beeinflussungsparameter handeln muß. Um die Andersartigkeit der therapeutischen Beziehung und ihre Spezifika näher und besser zu verstehen, haben wir nun die beste und die schlechteste Behandlung psychoanalytischer Prägung herausgesucht und den gesamten Verlauf über die Zeit hinweg untersucht. Tatsächlich ist die beste psychoanalytische Behandlung zu Beginn der Behandlung komplementär, die schlechteste reziprok-hedonisch.
2. 4.1.2.1 Die Fälle A und H Diejenige mit dem Rang Nr. 1 (Fall H) war eine auf 15 Sitzungen limitierte Behandlung eines 55jährigen Pädagogen, der wegen Beziehungskonflikten mit se iner Ehefrau und Alkoholabusus den Therapeuten aufsuchte. Er war schon einmal wegen einer depressiven Erkrankung, die er anläßlich einer Beförderung entwickelt hatte, hospitalisiert gewesen. Sein gegenwärtiges Zustandsbild wurde als "Histrionische Persönlichkeitsstörung" (DSM-111-R: 301.50) diagnostiziert. Der Behandler, in Kenntnis der Problematik der Diagnostik der Persönlichkeitsstörungen nach DSM-111-R, behandelte ihn als hysterische Neurose. Diejenige mit dem letzten Rang war eine 24jährige Studentin (Fall A), die unter Panikattacken litt. Die Patientin hatte die DSM-III-R-Diagnose Panikstörung mit Agoraphobie (300.21) sowie nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen (301.90). Eine zuvor durchgeführte Verhaltenstherapie hatte zu einer Verschlimmerung der Symptomatik geführt. Nach Beendigung der Videoaufnahmen nach 15 Sit-
88
zungen wurde diese Therapie noch kurz fortgeführt und dann in beiderseitigem Einvernehmen beendet. Therapeut und Patientin waren mit dem Ergebnis unzufrieden.
Die dyadische Affektivität Wie man in Abbildung 18 sehen kann, ist Frau A und ihr Therapeut eine reziprokhedonische Freudedyade. ~zweiter Stelle hat die Patientin ei~ wenig Trauer, ein wenig Furcht, ein bißeben Arger und Verachtung. Es fehlen Uberraschung und Ekel. Ihr Therapeut ist im negativen Spektrum noch karger. Würde man von einer Alltagsinterpretation ausgehen, könnte man die Dyade A als außergewöhnlich fröhlich und höflich, allerdings als wenig leidenschaftlich bewegt (es fehlen die Illustratoren und damit auch die Gestik fast ganz) beschreiben. Man würde vielleicht erwarten, daß sie sich artig, aber auch wenig engagiert über erfreuliche Belanglosigkeiten, unterhalten. Auf jeden Fall scheint die Vorstellung, daß es hier um schwerste Angstanfälle gehen könnte, nicht gerade naheliegend. Die komplementäre Dyade ist eher unerfreulich. Zwar zeigt der Patient an erster Stelle Freude, die aber sofort von Wut und Ekel gefolgt wird. Sein Therapeut hat an erster Stelle Ekel. Allerdings ist sein hedonischer Summenwert von Freude und Überraschung weit über dem anhedonischen. Die Dyade H scheint sehr viel bewegter, einmal in bezugauf die Illustratoren und die damit verkoppelte Gestik, aber auch in bezug auf die Ausnutzung des Spektrums der Emotionen, das sehr stark in den anhedonisch agonischen Bereich hineingeht. Würde man eine Alltagssituation unterlegen, bekäme man Schwierigkeiten. Es geht lebhaft zu, sie haben wahrscheinlich Streit, der eine ist viel zurückhaltender, scheint oft verblüfft und angewidert. Alles in allem also nicht das Schulbeispiel, wie man sich einen empathischen Dialog vorstellen würde. Daß das Geschehen etwas mit "Schauspielerei (histrionisch)" zu tun haben könnte, ist zumindest nicht gar so abwegig wie die Beziehung zwischen Panikattackenund Interaktionsverhalten in der Dyade A. Auch über alle Stunden hinweg sind Patienten durch je spezifische affektive Muster zu kennzeichnen. In Tabelle 4 und Tabelle 5 (siehe folgende Seite) sind die mimischen Kennwerte der Dyaden A und H über die 15 Stunden hinweg dargestellt. In der Zeile 1 findet man die Häufigkeit der Mimik N, in den beiden weiteren Zeilen die Streuung der Affekte, ausgedrückt in zwei verschiedenen Größen. ö (~t) drückt die durchschnittliche Größe der Abstände eines vom nächsten Affekt aus, ohne zu berücksichtigen, wieviele Affekte es überhaupt gegeben hat. In ö (~trcl) wird die Streuung an der Häufigkeit der gezeigten Mimik, relativiert. Wenn jemand z.B 60 mimische Ereignisse pro Stunde gezeigt hätte, und dies wäre jede Minute einmal geschehen, dann wäre die theoretische Verteilung und die empirisch beobachtbare deckungsgleich und der Wert Ö ( ~t rcl ) = 0. In Abbildung 19 und Abbildung 20 findet man die Häufigkeitsverteilungen der Dyade A.
89
Tabelle 4: Mimische Kennwerte Fall A Mim ik Therapeut
Mimik Patient
ö (ßt) Therapeut
ö (ßt) Patient
Ö (ßtrcl) Therapeut
ö (ßt,cJ)
14 15
115 93 94 95 138 87 106 74 128 66 129 71 101 95 132
169 213 149 130 137 174 98 160 128 122 107 76 153 179 189
21 ,23 35,29 44,63 48,83 30,93 78,09 36,62 44,90 29,99 66,11 28,17 62,95 31,70 47,46 37,18
20,91 21,03 33,73 34,81 36,10 19,60 38,88 19,62 31,62 41,11 43,50 41,24 24,70 28,25 22,76
,78 1,01 1,06 1,21 1,14 2,20 1,24 1,08 1,24 1,19 ,96 1,41 1,08 1,03 1,39
1,12 1,36 1,27 1,18 1,33 1,10 1,22 1,01 1,30 1,36 1,24 ,99 1,27 1,15 1,21
Mittelwert
102
146
42,94
30,53
1,20
1,21
Stunde 1 2 3 4 5
6 7 8 9 10
11 12 13
Patient
Tabelle 5: Mimische Kennwe1te Fall H Mimik Therapeut
M imik Patient
ö (ßt) Therapeut
ö (ßt) Patient
Ö (~trcl )
Ö (Mrcl)
Therapeut
Patient
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
79 60 73 62 84 97 79 63 132 123 135 98 146 108
134 116 89 115 84 103 108 93 94 138 100 104 116 131
51,38 59,84 53,09 68,80 56,09 57,22 43,60 92,40 33,50 39,18 44,36 53,36 44,10 33,95
28,04 26,75 41,10 38,07 44,41 33,39 28,08 46,55 31 ,61 25,00 41,34 42,36 39,57 24,04
1,29 1,19 1,16 1,31 1,32 1,65 1,08 1,65 1,45 1,51 1,67 1,53 1,87 1,23
1,18 1,02 1,09 1,34 1,05 1,02 ,95 1,22 ,98 1,08 1,16 1,29 1,34 1,05
Mittelwert
96
109
52,20
35,02
1,42
1,13
Stunde
1 2 4
Mimik: Alle von EMFACS als emotionsrelevant interpretierten mim ischen Ereignisse
ö (~t): absolute zeitliche Verteilung der Mimik über die Therapiestunde in Sekunden ö (M,c1): relativierte zeitliche Verteilung der Mimik über die Therapiestunde
90
90 80 70
Freud e
Stunden
Überr asch u ng
Abbildung 19: Primäraffekte Patientin A über alle Stunden
90 80 70 60
Stunden
Abbildung 20: Primäraffekte Therapeut A über alle Stunden
91
Es lassen sich auf der affektiven Beziehungsebene in der Dyade A keine statistisch erfaßbaren Veränderungen in der Zeit beobachten, weder bei der Patientin noch bei ihrem Therapeuten. Die relativierten Streuungen der Patientin bewegen sich um 1 herum , was bedeutet, daß die zeitl iche Verteilung sehr gleichförmig ist. Es gibt über die Stunden keine signifikanten Differenzen. Das gleiche gilt für den Therapeuten von Frau A. In Tat und Wahrheit ist es für den außenstehenden Beobachter ohne Rekurs auf den Inhalt des Gespräches möglich, vorherzusagen, zu welchem Zeitpunkt das nächste affektive Signal kommen wird. Es ist dies fast immer Lächeln. Wir gewinnen also das Bild einer ruhigen, freundlichen, stetigen Beziehung, die aber scheinbar nicht auf Änderung angelegt ist und ein hohes Ausmaß an Redundanz aufzuweisen hat. In Abbildung 21 und Abbildung 22 findet man die Häufigkeitsverteilungen der Dyade H. Die Verteilung von Fall H ist recht verschieden. Der Therapeut verhält sich ab der 8. Stunde ganz anders a ls vorher. Die Varianzmaße gehen statistisch nachweisbar herunter, ab der 9. Stunde steigt die Anzahl seiner Affekte stark an, was ganz auf die echte Freude zurückgeht. Eine hypothetische Alltagsbeziehung könnte man eventuell so beschreiben. Im ersten Teil ist die Beziehung sehr asymmetrisch, Herr H. zeigt viel Affekte, sein Partner wesentlich weniger. Herr H. ist vorhersagbarer, sein Partner sehr viel weniger. Im zweiten Teil nähern sie sich an, der Partner wird aktiver, vorhersagbarer und sehr viel freund licher.
45
40 35 30
25
20 15 10 05
00
Überraschung
Stunden
Abbildung 21: Primäraffekte PatientHüberalle Stunden
92
80
70 60 50
Stunden
Abbildung 22: Primäraffekte TherapeutHüberalle Stunden Die beiden Therapeuten können durch niedrige Angst- und Trauerwerte von ihren Patienten unterschieden werden. Insgesamt zeigen alle Therapeuten und Therapeutinnen unabhängig von ihrer therapeutischen Ausbildung sehr viel weniger Affekte als ihre jeweiligen Patienten. Angst und Trauer fehlen fast ganz, wohingegen die Patientinnen und Patienten sehr wohl alle negativen Affekte aufweisen können. In der Häufigkeitsverteilung über die gesamte Behandlung findet man nur einen signifikanten Unterschied zwischen dem Therapeuten Herrn H. und dem von Frau A. Ersterer ist siebenmal häufiger überrascht. Betrachtet man nicht die Mittelwerte, sondern den tatsächlichen zeitlichen Verlauf der dyadischen Interaktivität, finden wir zweierlei bemerkenswerte Befunde. In der Therapie A wird das Mikroverhalten des Therapeuten und seiner Patientin, wie Abbildung 23 zeigt, immer ähnlicher, d. h. bei I-Minuten-Stichproben über die Stunden hinweg finden wir eine nahezu perfekte Feinsynchronisation des Freudeausdrucks der beiden Protagonisten. In der Behandlung H sieht das Bild genau umgekehrt aus. Ab der 7. Stunde geht der Therapeut mit seiner Affektivität in Führung, wohingegen in der ersten Hälfte der Behandlung eine niedrig ausgeprägte Synchronisierung zu finden ist. Ansonsten ist die Varianz der Affektivität des Therapeuten H ab der 7. Stunde signifikant niedriger als bis zur 7. Stunde. Dies bedeutet inhaltlich, daß der Therapeut in der ersten Hälfte einen affektiven Interaktionsstil an den Tag legte, nach dem er in der ersten Hälfte der Stunden aufmerksam, aber ohne viele Affekte zuhört, kurze Fragen stellte, um dann im zweiten Teil mit vielen mimischen Affekten zu intervenieren. Das ist wohl einigermaßen typisch für analytische Interventionen während der Inszenierungsphase. 93
4.50000 ··~---------------;--------
4.00000 -
3.50000
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Obere Datenreihe: Gefilterte Häufigkeilen "echte Freude" Patientin A Untere Datenreihe: Gefilterte Häufigkeiten "echte Freude" Therapeut A Zur besseren Lesbarkeit wurde auf die obere Datenreihe der Wert 1 addiert
14
15
Abbildung 23: Synchronisation " echter Freude " (Therapie A)
3.50000 . - - - - - - -3.00000
-
- - - --
------
~~
.
2.50000
2,00000
1,00000
~M~
0 .00000
J_ _ _ _..:.....:.,___;__ _ _
1,50000
\~
VV'\ N
1
2
3
4
5
6
7
~Al~
~
8
wJ
_ _ _ _ _ _....______..
9
10
11
12
13
14
Abbildung 24: Synchronisation " echter Freude " (Therapie H), s. S 95 unten
94
15
Der Therapeut fragt sich, was geht hier eigentlich ab, und interveniert erst dann, wenn er meint, es verstanden zu haben. Dieses Muster kann man in der zweiten Hälfte der Behandlung nicht mehr wiederfinden.
Die Erzählungen und die dyadische Affektivität Nun tauschen die vier Protagonisten nicht nur Affekte, sondern auch Sprechakte aus. Vorzugsweise sprechen sie über die Probleme der Patienten, denn wir meinen ja, das sei das Wesentliche. D eshalb haben wir zusätzlich die Texte vollständig ausgewertetet und zu den Affekten in Beziehung gesetzt. Dazu haben wir unter anderem ein Verfahren von Luborsky benutzt, das es ermöglichen soll, aus den Texten Beziehungsmuster dadurch zu extrahieren, daß man die Schilderungen der Patienten über Beziehungen zu anderen Menschen in bezugauf ihre Gemeinsamkeiten analysiert. Ohne nun auf die methodischen Probleme einzugehen, werden mit dieser Methode aus den Erzählungen der Patienten ihre Wünsche, die Reaktionen der Interaktionspartner auf die Wünsche und die Eigenreaktionen der Erzähler extrahiert. In Tabelle 6 und Tabelle 7 sind die häufigsten Wünsche unserer beiden Patienten sowie die häufigsten Objektreaktionen auf dieses Wünsche über die gesamten Stunden hinweg abgebildet. Dieselben werden zentrale Beziehungskonfliktthemata (ZBKT) genannt.
Tabelle 6: Anzahl der Beziehungsepisoden (Nan·ative), Wünsche und Reaktionen Objekt in Fall H Therapiesitzungen
Fall H
1
2
7
8
9
10 11 12 13 14 15
BE's
9
11 - * 16 10 10 20
3
6
8
5
15
9
8
7
137
3
5
3
2
2
1
2
1
2
2
34
7
5
4
1
1
1
1
3
3
28
W-1
3
4
5
6
1
-
6
1
-
5
5
-
3
5
Wu-N
12 12
-
20 13
12 23
R0-1
2
1
10
3
3
R0-2
1
3
3
4
R0-3
3
3
2
RO-N
14 18
W-2
6
W-3
4
22 13
L
30
2
5
4
6
10
5
18
9
11
8
163
7
2
2
2
4
2
4
1
2
45
2
6
2
2
1
2
1
1
2
30
6
7
1
1
4
1
1
1
30
18 32
6
8
9
6
19 12 10 10 197
* Die 3. Behandlungsstunde fiel aus, da der Patient den Termin falsch notiert hatte. Sie wurde nicht nachgeholt.
L egende zu Abb. 24: Obere Datenreihe: Gefilterte Häufigkeiten "echte Freude" Therapeut H Untere Datenreihe: Gefilterte Häufigkeiten "echte Freude" Patient H Zur besseren Lesbarkeit wurde auf die obere Datenreihe der Wert 1 addiert
95
Tabelle 7: Anzahl der Beziehungsepisoden (Nan·ative), Wünsche und Objektreaktionen in Fall A Therapiesitzungen Fall A
]
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
L
Anzahl BE's
4
3
4
8
7
4
4
8
3
9
6
3
4
5
7
79
W- 1
3
1
1
1
1
3
3
2
1
20
4
16
W- 2
4
4
1
1
4
W- 3
1
1
1
1
3
Wu- N
6
2
8
10
7
3
5
9
R0-1
1
3
2
1
1
1
3
2
2
2
3
1
2
11
10
9
R0- 2 R0- 3 RO- N
7
3
11
2
1
1
9
9
10
1
3
2
2
3
2
1
1
1
6
7
3
1
13
5
3
5
3
4
92
18
3
1 9
7
2
18
3
13
12 10 116
Legende zu Tabelle 6: BE's : Gesamtanzahl der Beziehungsepisoden (Narrative) W- 1: Ich möchte mich wehren gegen Ausnutzung und Vereinnahmung W- 2: Ich möchte glänzen und bewundert werden W-3: Ich möchte Nähe und Gemeinsamkeit mit anderen Wu-N: Gesamtanzahl der Wünsche in den Narrativen R0- 1: Andere nutzen mich aus und machen mit mir, was sie wollen R0- 2: Andere sind aggressiv, destruktiv R0- 3: Andere entwerten und ignorieren mich und meine Arbeit RO- N: Gesamtanzah l der Reaktionen der Objekt Legende zu Tabelle 7: BE's: Gesamtanzahl der Beziehungsepisoden (Narrative) W- 1: Ich möchte Unterstützung und Hilfe haben W-2: Ich möchte einen guten Eindruck auf andere machen W- 3: Andere sollen sich nicht in meine Angelegenheiten einmischen Wu-N : Gesamtanzahl der Wünsche in den Narrativen R0- 1: Andere machen sich unnötig Sorgen und dramatisieren R0- 2: Andere sind nicht offen und ehrlich zu mir R0- 3: Andere lachen mich aus und denken negativ über mich RO- N: Gesamtanzahl der Reaktionen der Objekt
Die Tabellen 6 und 7 zeigen, daß über die Therapiesitzungen hinweg in beiden Behandlungen z. T. recht große Schwankungen der Häufigkeiten von Erzählungen auftreten. Während im wenig erfolgreichen Fall A die Nullhypothese einer Gleichverteilung der Anzahl von Narrativen über die Sitzung nicht widerlegt werden kann, sind die Beziehungsepisoden-Häufigkeiten in Fall H signifikant ungleich verteilt mit einem auffälligen Maximum in der 7. und Minima in den Stunden 8, 9 und 11.
96
Inhaltlich äußert Herr H den Wunsch: "Ich möchte mich wehren gegen Ausnutzung und Vereinnahmung" am häufigsten, gefolgt von "Ich möchte glänzen und bewundert werden" und "Ich möchte Nähe und Gemeinsamkeit mit anderen". Die häufigsten Reaktionen der anderen sind negativer Art und reichen von "mich ausnutzen" über "mich zerstören" bis hin zu "entwerten" und "ignorieren mich". Bei der Patientin in Fall A steht an erster Stelle der Wunsch nach "Unterstützung und Hilfe", danach "Ich möchte einen guten Eindruck bei anderen machen", an dritter Stelle "andere sollten sich nicht in meine Angelegenheiten einmischen". Die Objektreaktionen sind, daß andere dramatisieren, nicht ehrlich sind und sie auslachen. Setzt man nun die Erzählungen mit der Mfektivität der Protagonisten in Beziehung, kann man die folgenden Strategien verfolgen: Erstens kann man die affektive Mimik des Patienten mit seinen erzählten Wünschen und den Objektreaktionen vergleichen. Zweitens kann man die affektive Mimik des Therapeuten mit den Erzählungen des Patienten vergleichen. Eine vernünftige, wenn auch schlichte Hypothese im Fall Hin bezugauf das Verhalten des Therapeuten könnte sein, daß sich die aggressiv destruktiven Objektreaktionen bei ihm nicht affektiv wiederholen sollten und daß der Wunsch nach Nähe, aber auch Bewunderung mit positiven affektiven Reaktionen des Therapeuten verbunden sein sollte. Seine bisherigen Handlungspartner hätten dem widersprechend auf seinen Wunsch nach Bewunderung mit negativen affektiven Reaktionen geantwortet. Betrachtet man die von Null signifikant abweichenden Interkorrelationswerte zwischen erzählten Wünschen, den Objektreaktionen und den gezeigten Affekten beider Interaktionspartner über den Behandlungsverlauf mit den Behandlungsstunden als Analyseeinheiten hinweg, zeigt sich, daß nur im Fall H die Zufallsgrenze von fünf signifikanten Koeffizienten überschritten wird. Zwischen den mimischen Kennwerten des Therapeuten und den Erzählungen des Herrn H finden wir elf signifikante Koeffizienten, so daß wir zwischen den ErzähTabelle 8: Interkorrelationen der Häufigkeit des Affektausdruckes und der Erzählungen über Beziehungen in der Dyade H Häufigkeit der Mimik
Wunsch 1 Wunsch 2 Wunsch 3 Summe Reaktion Nähe,Möchte ,Möchte aller Be- Objekt 1 mich glänzen' wunsch ziehungs- ,Andere wehren' nutzen episoden mich aus'
Reaktion Reaktion Objekt 2 Objekt 3 ,Andere ,Andere entwerten sind mich' aggressiv'
Therapeut Verachtung
.59*
Ekel
.70 *
.58 *
.43 .60*
echte Freude
-.63 *
Patient echte Freude
-.59*
Kendall 't p < 0,05; p* < 0,01 zweiseitig
97
Iungen des Patienten und den Affekten des Therepeuten in diesem Falle von eindeutigen Zusammenhängen ausgehen dürfen. Für den Patienten H. selbst finden wir einzig eine signifikant negative Korrelation zwischen seiner gezeigten echten Freude und der Beschreibung der Ausnutzung durch die historischen und rezenten Handlungspartner. Die Häufigkeit des Wunsches nach Glanz und Bewunderung korrelie rt in recht beeindruckender Weise mit negativen Affektäußerungen des Therapeuten (Verachtung .59 und Ekel .70). Dieses Ergebnis könnte eine Erklärung dadurch erhalten, daß diese beiden Verhaltensmuster des Therapeuten ebenfall s hoch mit den beschreibenden Reaktionen der Handlungspartner (Andere entwerten und ignorieren mich und meine Arbeit) positiv korrelieren. Da von der Erzählstruktur diese beiden Elemente möglicherweise oft zusammen auftreten , Wunsch nach Glanz und Entwertung durch die anderen, könnte man die emotion ale Reaktion des Therapeuten als affektiv empathischen Kommentar zu den beschriebenen Handlungen der anderen verstehen. Da die Thematisierung dieses Wunsches und der korrespondierenden Objektreaktion 3 (Entwertung der Arbeit) in der zweiten Hälfte der Behandlung dramatisch zurückgeht, wäre es denkbar, daß die Zusammenhänge vorwiegend durch die zweiteilige Phasenstruktur der Behandlung entstehen. Tatsächlich sind die mimisch affektiven Signale des Therapeuten im Bereich von Verachtung und Ekel in der zweiten Behandlungshälfte 58mal seltener (177 vs. 119) als in der ersten (siehe Abb. 22). Daß die gezeigte echte Freude des Therapeuten mit der Häufigkeit der Erzählungen aggressiver Objektreaktionen negativ korreliert (-.63), spricht ebenfalls für eine empathische Reaktion auf die erzählte "üble Reaktion" der Partner. Die Mimik des Therapeuten könnte so betrachtet nicht die Ablehnung der Patientenwünsche darstellen, sondern lediglich sein "Kommentar" zum Inhalt der berichteten Beziehungsepisoden sein, insbesondere dazu, was dieser mit sich machen läßt. Dann hätte der Therapeut als Container (Bion 1967) eine wichtige Funktion für den Patienten übernommen, indem er die Ablehnung des Patienten gegenüber solchen Interaktionsformen und Interaktionspartnern ausdrückt, zu der dieser selbst nicht in der Lage zu sein scheint. Die folgenden Interpretationen ist allerdings ebenfalls denkbar: Gemäß seinen Erzählungen und seinem zentralen Beziehungskonflikt mißlingt dem Patienten die Implantierung des Wunsches nach Bewunderung in der Realität, vor allem gegenüber den wirklich wichtigen Personen, regelmäßig. Die Objektreaktionen in den entsprechenden BE's sind nicht Bewunderung und Anerkennung, sondern eben Entwerten. In diesem Sinne könnte die "disgust"-Mimik des Therapeuten diese Ablehnungshaltung der Partner reflektieren, d. h., der Patient würde durch sein Verhalten, vor allem sein gestisches, das der Therapeut in seinen Kommentaren als "Herumhampeln" bezeichnet, und durch sein "Geschichtenerzählen" in situ dieselbe Ablehnung inszenieren, von der er in seinen Erzählungen berichtet, und der Therapeut wiederhole diesen Vorgang. Die korrelative Analyse auf Stundenbene erlaubt keinen defintiven Entscheid, welche der Hypothesen richtig ist. In einem ersten Analyseversuch wurden alle Passagen der Behandlung, in denen Ekel und Verachtung in der Mimik des Therapeuten auftauchten, angesteuert und die entsprechenden Textstellen identifiziert. Tatsächlich fanden sich die meisten Ekelausdrücke nicht während des Erzählens der Beziehungsepisoden durch den Patienten, sondern an den Stellen, an denen der Therapeut konfrontierend auf diese Muster Bezug nimmt.
98
Die beiden Interpretationen schließen sich nicht aus, denn es ist sehr wohl denkbar, daß der Patient den Therapeuten ein Stück weit erfolgreich verführt hat, in das historische Muster einzutreten. Morgenthaler (1978) folgend kann man sogar davon ausgehen, daß wir unsere Patienten nicht verstehen, wenn wir es ihnen nicht erlauben, uns ein Stück weit in die Übertragung hineinzuziehen und uns solchermaßen verführen zu lassen. Die behandlungstechnische Frage lautet dann, wie man mit dem aus der Verführung stammenden inneren Wissen umgeht. In unserem Falle äußerte sich der Therapeut nach den Stunden und auch nach Beendigung der Behandlung dahingehend, daß die Überwindung der Verachtung des "lächerlichen Verhaltens" des Patienten das zentrale Gegenübertragungsproblem darstellte, das nur durch eine ebenfalls vorhandene tiefe Sympathie überwunden werden konnte. Was den am wenigsten erfolgreichen Fall A betrifft, sind die Zusammenhänge zwischen erzählten Episoden und der Mimik des Therapeuten generell sehr viel niedriger und gehen, was die Häufigkeit betrifft, nicht über das durch Zufall zu erwartende Niveau von 5 Prozent hinaus. Es gibt überhaupt keine Zusammenhänge zwischen den erzählten Objektreaktionen und der Therapeutenmimik, was die Patientin als Fehlen an affektiver Solidarität und des containing empfunden haben könnte. Wenn man im Auge behält, daß die Feinabstimmung der Freudesignale der beiden über den Behandlungsverlauf immer perfekter wurde, mag das fehlende containing dadurch erklärbar sein, daß der Therapeut die Abwehrstruktur der Patientin interaktiv übernommen hat, obgleich er in den Stundennachbesprechungen das Verhalten der Patientin als lächelnde Maske bezeichnet und das Fehlen der Aggression als wesentliches Problem gekennzeichnet hatte. Der Therapeut hatte die Patientin als ichschwach gekennzeichnet und hatte wohl von daher Grund gesehen, dieses Muster zu stützen. Dafür wurde die Behandlung bemerkenswert langweilig, was man an den fehlenden Überraschungsreaktionen beider Protagonisten sehen konnte. Im übrigen gab die Patientin A auch intro~pektiv keinerlei Überraschung zu erkennen (Merten et al. 1996). Ohne diese Uberraschungsreaktionen hat man wenig Grund zur Annahme, daß es neue restrukturierende Einsichten und Erfahrungen weder auf seiten der Patientin · noch auf seiten des Therapeuten gegeben haben kann. Theoretisch und methodisch genauere Darstellungen findet man in Krause und Merten (1996), Anstadt, Merten, Ullrich und Krause 1996, sowie Merten, Ullrich, Anstadt, Buchheim und Krause 1996.
2.5 Alltagsbeziehung und psychotherapeutische Beziehung im Vergleich Nun können wir zur Frage, was die psychoanalytische therapeutische Situation so wesentlich anders als die Alltagssituation mache, zurückkommen. Offensichtlich ist es vor allem die unbewußte emotionale interaktive Antwort des Therapeuten auf die Beziehungsangebote der Patienten. In der Psychoanalyse wurde dies als Gegenübertragung axiomatisiert, und wiederum finden wir sehr verschiedene theoretische Konzeptionen, was das sein könnte, die sich an der oben erwähnten 99
Tiefenstruktur der Übertragungsvorstellung anlehnen . Unseren Befunden entsprechend möchte ich die folgenden F01men der interaktiven Gegenübertragung vorschlagen: l. Am untersten Ende finden wir Therapeuten, die die affektiven unbewußten Beziehungsangebote überhaupt nicht wahrnehmen können. Nicht aus Gründen der Abwehr, sondern einer mehr oder weniger habituellen affektiven Blindheit. Das trifft man bei weitem häufiger als man denkt. Wir trainieren immer wieder Personen in der Auswertung von Affekten und finden manchmal olche, die keine reliablen und validen Urteile über die Affekte anderer erstellen können, weil sie schon das muskuläre Muster nicht erkennen. Das entspräche der Position eines unempathischen Laien oder der mancher Patienten, z. B. mancher psychosomatischer oder antisozialer Persönlichkeiten. Offensichtlich ist ein hoher Varianzanteil dieser affektiven empathischen Wahrnehmungreaktion erblich (Zahn-WaxJer, Robinson & Emde 1992). Solche Fälle sollten unter den Gutausgebildeten eher selten anzutreffen sein. 2. Der Therapeut nimmt die affektiven Beziehungsangebote innerlich wahr und reagiert wie ein empathischer Laie auf sie, d. h. , er verhält sich den Angeboten des Patienten auf der Verhaltensebene und auch innerlich reziprok, d. h. , er findet dieses Verhalten therapeutisch angemessen. Das ist im allgemeinen eher der Typus des Gurus, der ganz offen den unbewußten Beziehungsangeboten ichsynton folgt und die Neuauflage der Traumata des Patienten durch ihn als kurativ deklariert. Paradigmatisch wäre dafür der Therapeut, der seinen Inzest mit einer Patientin als heilsam empfindet. In unserer Behandlungsstichprobe hatten von den 10 Frauen, die Vorbehandlungen erfahren hatten, immerhin drei über sexuelle Erfahrungen im therapeutischen Kontext berichtet. Eine durch einen somatisch behandelnden Arzt, die beiden anderen durch "Psychotherapeuten". Vom ersten Typ unterscheidet sich diese Gruppe immerhin dadurch, daß sie die Beziehungsangebote erkennen. Damit endet allerdings auch schon der "therapeutische" Akt. Die Begründungen für das Eingehen auf die Beziehungsangebote können natürlich alle Abwehrformen entha lten und intellektuell sehr aufwendig sein. 3. Der Therapeut nimmt die affektiven Beziehungsangebote innerlich wahr und reagiert daraufwie ein ernpathischer Laie, d. h., er verhält sich den Angeboten des Patienten auf der Verhaltensebene entsprechend reziprok, findet das aber im Prinzip unangemessen, kann sich jedoch nicht dagegen wehren. Das ist die häufigste Form des Scheiteros unter gut ausgebildeten Therapeuten. Hier fin den wir im aUgemeinen eine Dissoziation zwischen dem inneren Erleben und der affektiven Inszenierung, wie beim Therapeuten der Frau A. Der Therapeut reklamiert die fehlende Aggression und ärgert sich über die lächelnde Maske, ist aber selbst fortlaufend dabei, das Lachen der Patientin operant zu verstärken und findet schließlich eine rechtfertigende Diagnose (Ichschwach), was ein Absinken auf die Stufe 2 bedeutet. Da sich das eigene interaktive Verhalten weitgehend der Kenntnis entzieht, kann es sehr wohl sein, daß ein Analytiker kräftig am Agieren seiner Gegenübertragung ist, ohne das geringste davon zu merken und ohne es in der Supervision zu berichten. 4. Der Therapeut nimmt die Beziehungsangebote wahr, kann sie innerlich als fremdinduzierte Gefühle wahrnehmen und sie in sich aufbewahren, um dann
100
eine ganz andere Antwort als die erzwungene zu geben; das Andersartige bezieht sich einmal auf den affektiven Dialog auf der Verhaltensebene und andererseits auf die sprachlichen Interventionen, wobei das erstere die Priorität hat. Es sieht so aus, als "zeige" der Therapeut diejenigen Affekte, die dem Patienten in den erzählten Episoden fehlten und wohl auch durch seine Geschichte abhanden gekommen sind. Das Verstehen wäre solchermaßen an das Wiedererleben der fehlenden Affekte zuerst beim Therapeuten gebunden. Tatsächlich findet man bei der erfolgreichen Behandlung eine klare Zweiteilung der Behandlung. Im ersten Teil erzählt der Patient sehr wohl intensiv, aber durch das Fehlen der zentralen Affekte, die nun der Therapeut hat, versteht der Patient seine eigenen Erzählungen nur unvollkommen. Über das im Therapeuten evozierte Gefühl, das derselbe ihm zurückgibt, kommt es zu einem Punkt, in dem die Situation durch die Einbeziehung des agierten externalisierten Gefühls in den Binnenbereich und die Erzählstruktur des Patienten neu strukturiert werden muß. Dann kann ein Wunsch ganz verschwinden, oder es werden Verfahren entwickelt, andere Subjekt- und Objektreaktionen zu erproben. In der erfolglosen Behandlung findet man keine Zweiteilung, was wohl dran liegt, daß die durch die Erzählungen zu provozierenden, aber fehlenden Affekte nicht im Therapeuten evoziert werden und darum auch nicht zurückgegeben werden können.
2.5.1 Das Couchsetting Die affektiven Signale, vor allem des Gesichtes, aber auch der Körperbewegungen, entziehen sich weitestgehend der inneren Abbildung durch denjenigen, der sie produziert. Dies gilt auch für die Therapeuten. Für die Stimme, die der Produzent selbst hört, gibt es diese Schwierigkeit, sich selbst zu monitorieren, nicht im gleichen Maße. Das Couchsetting hat die visuell optischen Kommunikationssysteme kurzgeschlossen. Freud hatte dies für sich damit begründet, daß er es nicht ertragen könne, den ganzen Tag angestarrt zu werden. Unseren Befunden entsprechend ist es weniger das Anstranen per se, das so unangenehm und schwer zu handhaben ist, als die Folgen des Anstarrens, nämlich die Induktion von Gefühlsund Phantasiewelten meist unangenehmer Art, auf die man zu allem Überfluß auch noch nicht spontan reagieren darf. Der wesentliche Gewinn des Couchsettings besteht darin, daß die unbewußten und unvermeidbaren Inszenierungen im affektiven Bereich über die direkte Interaktion "trocken" gelegt werden, und man so der ungewollten pathogenen Mitwirkung besser entgehen kann. Neuere erste Befunde über den Affektausdruck von Patient und Analytiker in der Mimik zeigen, daß beide in mancher Hinsicht weit regressiver agieren als im Sitzen. Eine Videostudie von Pfäfflin (1995) mit einem liegenden Patienten zeigt, daß die verbindlichen sozialen Signale, wie das soziale Lächeln, die Illustratoren und anderes weitestgehend wegfallen und nur der krude, teilweise sehr regressiv, kindlich erscheinende Affekt übrigbleibt Umfragen unter mir bekannten Analytikern haben ergeben, daß sie auch teilweise recht intensiv, aber eben unsichtbar affektiv reagieren. Das Couchsetting hätte also den Vorteil, daß es regressive affektive Inszenierungen befördere, ohne daß dieselben im unbewußt inszenierten intersubjektiv Handlungsraum direkt handlungswirksam werden müßten. 101
Welche Auswirkungen dieses Setting auf den Behandlungsprozeß und Erfolg hat, ist gegenwärtig in der Diskussion. Eine neue große Längsschnittuntersuchung von Sandell, Biomberg & Lazar (1996) aus Schweden, die bisher in Katamnesezeiträume von zwei Jahren nach Beendigung der Behandlung hineingeführt wurde, hat eindeutig gezeigt, daß die psychoanalytischen Behandlungen, die dieses Setting mit vier bis fünf Stunden pro Woche benutzten, im zweiten Jahr nach der Beendigung stabilere und eine weitaus geringere Streuung der Hesserungen als die anderen Langzeittherapien aufzuweisen hatte. Im übrigen hatten die Patienten dieses Settings im zweiten Jahr nach Beendigung immer noch Zuwachsraten an Hesserungen, wohingegen die anderen Behandlungsverfahren bereits wieder leichte Verluste aufzeigten. Es bleibt abzuwarten, ob diese zunehmende Differenzierung auch das dritte Katamnesejahr (März bis Juni 1996) überlebt. Dann hätte das von mir vorgebrachte Argument für dieses Setting eine gewisse empirische Bestätigung, die die Kliniker, die mit diesem Verfahren arbeiten, längst vermutet hatten, erfahren.
2.6 Zusammenfassende Betrachtung der therapeutischen Situation als regelgeleitete und dennoch kreative Handhabung von Inszenierungen anband der Fälle und der Forschung 1. Die einzelnen Krankheitsbilder unterscheiden sich in der Art der Szenen und der in die Szenen verflochtenen Affekte die sie vorwiegend herstellen, sowie der Verflechtung von Erzählung und affektiver Inszenierung. 2. Die "frühen" Störungen haben eine von der Erzählung dissoziierte affektive Dialogstruktur. Das Lachen der Angstpatientin ist in seiner Regelhaftigkeit ohne jeden Bezug zur Erzählstruktur, wohl aber zu ihrem Wunsch nach Hilfe, den man aber wohl eher als ein Werbeverhalten eines Säuglings verstehen muß, der befürchtet, wenn er nicht fortlaufend wirbt, auf der Stelle verlassen zu werden. Die Borderline-Patienten stellen ein Botwertungsskript her. Einer unserer Patienten zeigte in der ersten Stunde über 187mal Ekel und hatte gleichzeitig den häufigsten Wunsch, geliebt und akzeptiert zu werden. Der Therapeut antwortete prompt mit 38 Prozent Verachtung in der Mimik. Kernbestandteil des Borderline-Entwertungsskripts ist diese Dissoziation von Wunsch und Inszenierung, die, wenn man so will, die Spaltung der Person in situ noch einmal abbildet. Das gleiche gilt für die Angstpatientin, deren wichtigster Wunsch der nach Autonomie ist; auf der Verhaltensebene spielt sich das Gegenteil ab. 3. Es gibt sehr stabile Formen von Beziehungsgestalten, die zumindest in dem Sinne unbewußt sind, daß sie vom Initiator nicht bemerkt werden, gleichwohl beobachtbar und wirksam sind und in den Sozialpartnern repetitive Phantasien und Handlungen evozieren. Dies betrifft sowohl die Patienten als auch die Therapeuten. 102
4. Die Patienten unterscheiden sich in bezug auf die Art der Beziehungsgestaltung und Herstellung so radikal, daß keine Verallgemeinerung über den Einzelfall hinaus möglich ist, es sei denn, man hätte einen störungsspezifischen diagnostischen Schlüssel, der Prognosen über die provozierte Beziehungsgestalt erlauben würde. Für den Fall H finden wir im DSM-III "ist übertrieben .. . verführerisch im Äußeren und Gehabe, ... zeigt oberflächliche Emotionen, . . . verlangt ständig Anerkennung und Lob (S. 422)". Für die Patientin A find et man keine Indikatoren für spezifisches Beziehungsverhalten außer der "Notwendigkeit einer Begleitperson als Folge der Angst" (S. 295). Geht man allerdings von der zusätzlichen Persönlichkeitsdiagnose ,Dependente Persönlichkeitsstörung' aus, findet man "pflichtet anderen stets bei ... , um nicht abgewiesen zu werden, fühlt sich allein unwohl und hilflos, hat Angst davor, verlassen zu werden" (S. 428). Vor diesem Hintergrund ist die Panikattacke und die Angst vor ihr ein vorzüglicher Organsisationsrahmen zur Erfüllung der Abhängigkeitswünsche, die aber gleichzeitig schambesetzt sind. 5. Die verschiedenen Störungsbilder haben jeweils spezifische Formen von Beziehungsgestaltungen, die sie kennzeichnen. Für die Angststörungen z. B. scheint dies relativ gut bestätigt (König 1991; Hand & Lamontagne 1976). Beide Konzepte laufen - wenn auch auf unterschiedlichen Wegen - darauf hinaus, daß die Angstpatienten wegen des Fehlens eines inneren steuernden Monitorierungs- und Puffersystems auf die physische Gegenwart eines anderen Menschen angewiesen sind, oder sich angewiesen wähnen. Bei König wird dies das innere steuernde Objekt genannt. Das fortlaufende Lächeln sowie die hohen Korrelationen zwischen den verschiedenen dyadischen Merkmalen könnte der Niederschlag dieser starken Bindungsversuche darstellen, die gleichzeitig die Loslösung und Autonomie nicht erlauben, was wiederum als Bestätigung der fehlenden Steuerungsfähigkeiten gilt. Versagt der Bindungsversuch durch die Affektivität, kommt es zum Angstanfall, der eine klammernde infantile Form der Bindung darstellt. Für die histrionischen Störungen (Histrione = altrömischer Schauspieler) wird angenommen, daß sie eine soziale Situation schaffen, die von anderen als Hochstapelei erlebt wird. Die Patienten versuchen, narzißtisch zu verführen, und tun dies mit falschen inadäquaten Affekten, so daß, wie im Fall H., die intendierte Bewunderung in Ekel und Abscheu umschlägt. Unsere Befunde sind also keineswegs neu. Sie geben nur eine empirische Untermauerung solcher klinischen Hypothesen. 6. Die repetitiven Beziehungsgestaltungen sind in irgendeiner Art und Weise mit signifikanten Beziehungserfahrungen historischer Art verbunden. Man könnte z. B. postulieren, daß das Lächel-Pattern der Patientin A nicht eigentlich dem Therapeuten gelte, sondern eine Inszenierung eines signifikanten, meist andauernden historischen emotionalen Drehbuchs sei, das aber als solches nicht bekannt ist. Das gleiche gelte für das clowneske Verhalten des Patienten H (Freud 1913). Diese beiden Hypothesen sind aus dem Therapiegeschehen heraus nicht oder nur sehr bedingt überprüfbar. Frau J.ts Mutter war allerdings während der Säuglingszeit der Patientin als depressiv diagnostiziert worden. Herrn H's Mutter hatte keine manifeste Erkrankung, wurde vom Patienten aber als unerfüllt beschrieben. Sie hatte ihre Universitätslaufbahn Mann und Kindern zuliebe aufgegeben. Ihr Sohn, unser Patient H., sollte durch eine grandiose Lauf-
103
bahn und Werke die Mutter für diesen Verzicht entschädigen. Kaum lagen die gewünschten Werke allerdings vor, machte sich Entwertung und Enttäuschung breit, denn es wurde deutlich, daß es das doch nicht sein konnte, was sich die Mutter gewünscht hatte. 7. Im Rahmen von großen Stichproben kann man nur untersuchen, ob die Patienten mit gleichen Störungsbildern immer die gleichen Erziehungs- und Schöpfungsmythologien über sich selbst erzählen. Ob sie denn dann tatsächlich auch "zutreffend" sind, kann so nicht untersucht werden. Was die Störungsspezifität betrifft, so kann man als erfahrener Therapeut immerhin auch Statistiken machen und sehen, ob die Patienten störungsspezifisch mit einem und dem Koll egen immer dasselbe anrichten. Königs Beobachtungen beruhen immerhin auf der Behandlung bzw. Supervision von ca. 3000 Angstpatienten. Sie sind also in dem Sinne statistisch solide. Ob allerdings die Schlußfolgerungen, die die Therapeuten und der Autor über die Patienten gezogen haben, richtig sind, ist damit nicht beantwortet, denn es ist denkbar, wenn auch unwahrscheinlich, daß die Therapeuten auch die Gleichförmigkeit des Verhaltens der Patienten produzieren. 8. Es ist zu vermuten, daß die Behandlungstechnik in der besprochenen spezifischen Weise in die repetitive Beziehungsgestaltung eingreift und sie - diese Beziehungsgestaltung- unnötig macht bzw. flexibilisiert. Wir haben das Zusammenwirken der erzählten repetitiven Konflikte und des Affektausdrucks anhand zweier Fälle exemplarisch beschrieben, ohne auf den 1nhalt des Gesprochenen einzugehen. Das einzige, was wir getan haben, war, daß wir basale konfliktive Strukturen aus dem Text zu extrahieren versuchten. Wir haben gesehen, daß die konfliktiven Strukturen, so wie sie aus dem Text stammen, e ine gewisse Verwandtschaft mit den interaktiven Szenen aufzuweisen hatten. Sie sind aber im Prozeßgeschehen nicht systematisch aneinander gekoppelt. Im Gegenteil: Im Fall H fallen die repetitiven konfliktiven Inhalte aus dem Text während der Stunden des Durcharbeitens überhaupt heraus. Das, was wir hier in der Psychotherapieprozeßforschung getan haben, entspricht allerdings gar nicht der Situation des Therapeuten. Er ist in einer radikal anderen Position als der Forscher, weil er nur sehr beschränkt als externer dritter Beobachter seiner selbst und des Geschehens operieren kann. So sieht er z. B. seine eigenen Ausdruckskonfigurationen nicht. Auf der anderen Seite hat er Zugang zu Daten, von denen der externe Forscher prinzipiell ausgeschlossen ist, wie die Selbstbeobachtung der eigenen Gefühle und Phantasien, die eine Handlungsrichtschnur für den psychoanalytischen Prozeß darstellen können. In der Analyse als Behandlung kommen verschiedene Methoden gleichzeitig zum Einsatz, nämlich 1. die teilnehmende Beobachtung, 2. exakt beschreibende Beobachtung ohne empathische Teilhabe, 3. der Versuch einer Aufhellung von empathisch nicht verstehbarem ideosynkratischen Verhalten und Phantasmen des Patienten. Die systematische Introspektion als Forschungs- und Behandlungsmethode kann man als Teil der teilnehmenden Beobachtung betrachten. Aus dieser Einstellung heraus ist die Neurosenlehre entstanden. Das Problem ist, daß jede der geforderten Methoden eine jeweils andere Art von Einstellung und methodischer Handhabung erfordert, die teilweise unvereinbar sind, so daß das Kunststück der Behand104
Jung wie auch der Theoriebildung darin besteht, zwischen diesen verschiedenen Modi des Funktionierens in therapeutisch und wissenschaftlich tragfähiger Weise zu wechseln. Je nachdem, auf welche der Methoden der Forscher Therapeut sich ausschließlich kapriziert, bekommt er andere Theorien, z. B. Handlungstheorien, Black-Box-Theorien oder Theorien über mentale Netzwerke. Da die Krankheitslehre als Theorie letztendlich auf diese Art von "On-line-Forschung" in der Behandlung zurückgeht, geraten wir in mancherlei Meßprobleme, da der Therapeut gleichzeitig Theoriebildner und teilnehmender Beobachter ist. Ehe wir darauf eingehen, möchte ich nun unter der Verwendung des gleichen Verfahrens- aber unter Einschluß des gesprochenen Dialoges- anband eines dritten Falles den Therapeuten als Theoriebildner, teilnehmenden Beobachter und Handelnden beschreiben. Daran anschließend werden wir dann die Problematik der Verallgemeinerungen über die drei Fälle hinaus bearbeiten.
2. 7 Die therapeutische Situation aus der Sicht des Psychoanalytikers als "On-fine-Forscher" Wir hatten oben bereits festgestellt, daß die inneren mentalen Repräsentanzen nicht auf die Beschreibung der Beziehungsgestaltung im Sinne des ,offen beobachtbaren Beziehungsverhaltens' zurückgeführt werden können, daß sich aus ihm vielmehr ein eigener innerer phantastischer Raum über die Beziehung herstellt, für dessen Konstituierung wir solche Phänomene wie ,Ansteckung', ,Projektion', ,Identifikation', ,projektive Identifikation' eingeführt hatten. Innerlich bildet sich das ab als Gefühle, als Phantasien, und der Psychoanalytiker als Therapeut und als therapeutischer Forscher ist in einer recht anderen Situation als derjenige, der sich ausschließlich auf externe Daten beschränken kann. Er muß nämlich Urteilsakte darüber entwickeln, was nun im konkreten Handlungsgeschehen als ,Anstekkung', als ,Projektion', als ,Identifikation' usw. zu betrachten sei. Die Beobachtung des äußeren Verhaltens des Patienten spielt dabei gewiß eine große Rolle, aberwie wir bereits erwähnt haben- ist die wesentliche Form der Forschung nur durch eine Art von teilnehmender Beobachtung zu beschreiben, die eine systematische Introspektion plus Theoriekenntnisse und Erfahrung einschließt. Der Therapeut ist also gleichzeitig Meßfühler und Handelnder. Im Rahmen dieser teilnehmenden Beobachtung wird über Prozesse, die unter Verstehen im weitesten Sinne beschrieben werden können, der Versuch gemacht, die Intentionen, Wünsche, Gefühle des handelnden Patienten nachzuvollziehen und dazuhin die teilweise ideosynkratische innere Welt des Patienten für ihn selbst aufzuhellen und verstehbar zu machen. Im traditionellen empirisch experimentellen Verständnis wird die teilnehmende Beobachtung und vor allem die Bedeutungsaufhellung als ,unwissenschaftlich' angesehen. Diese Einschätzung teile ich nicht, allerdings sind die Randbedingungen für ein wissenschaftliches Vorgehen in diesen Methoden teilweise anders zu definieren. Um sie zu verdeutlichen, werden wir nun die Perspektive wechseln und versuchen, einen weiteren Fall aus dieser Innenperspektive des Therapeuten zu diskutieren, der nunmehr als "ich" (R. K.) eingeführt wird.
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2.7.1 Der FallS. Die Ehefrau eines 35 Jahre alten Mannes fragte mich telefonisch um Hilfe für ihren Gatten, der vor aiJem während der Nacht von schweren Angstzuständen heimgesucht werde, die in letzter Zeit um die Erwartung kreisten, daß er während einer bevorstehenden Wehrübung einen Autounfall mit Todesfolge verursachen würde. Nachdem er sich selbst vorgestellt hatte, erzählte er, daß er fürchte, von e.inern Gericht zu einer schweren Strafe verurteilt zu werden. Herr A., ein sehr freundlicher, fügsamer Mann, hatte bis zum Alter von 32 Jahren bei seinen Eltern gewohnt. Die Trennung von zuhause verlief parallel zur ersten sexuellen Beziehung zu seiner zukünftigen Frau. Ein jüngerer Bruder emigrierte im Alter von 20 Jahren wegen schwerer Spannungen mit den Eltern. Der Vater, ein sehr religiöser und kontrollierter Bankbeamter, sei in psychiatrischer Behandlung wegen "Problemen mit dem anderen Geschlecht" gewesen. Der Vater hatte eine lebenslange Obsession, daß die Russen das Land erobern würden und er als Dolmetscher agieren müßte, was ihn fleißig Russisch lernen ließ. Der Patient war bereits als Kind, ebenfalls wegen Angstanfällen, in Behandlung gewesen, als er mit 5 Jahren in den Kindergarten sollte. Er erreichte trotz einer hohen Allgemeinbildung nie einen formalen Abschluß, dennoch bekam er eine verantwortungsvolle Position in seinem Unternehmen. Kurz vor seiner manifesten Erkrankung starb sein ehemaliger Vorgesetzter, den er gefürchtet und abgel.e hnt hatte, an einem Karzinom. Ein junger Mann mit einem formalen Abschluß, den er selbst ausgebildet hatte, wurde sein neuer Chef. Seine Frau hatte ihm zur gleichen Zeit einen Sohn geboren, den er sehr liebte. Er war allerdings in großer Sorge, daß er seine ihm selbst unverständlichen Probleme auf den Sohn übertragen würde. In einer testpsychologischen Untersuchung fiel auf, daß er sich als extrem aggressionslos, depressiv, extrem ungeseJlig, irritierbar, nachgiebig und verschlossen schilderte. Nach einem zweistündigen Interview, einer ausgedehnten testpsychologischen Untersuchung, die von einer Kollegin in Unkenntnis der Erstinterviews durchgeführt wurde, fand eine Teambesprechung statt, in der die Indikation für eine psychoanalytische Kurztherapie nach der Vergehensweise von Malan (1976) gestellt wurde. Eine Teilnahme an dem Forschungsprojekt wurde für möglich gehalten, weil die Auswirkungen des Settings in die fokale Behandlung eingeplant werden könnten. Der Fokus wäre: Der Patient wehrt destruktive Wünsche gegenüber Autoritätsfiguren ab. Er fürchtet, daß ein Durchbruch seiner Impulse die schwachen Vaterfiguren zerstören könnte und er dafür schwer bestraft würde. Als fokaler Konflikt, der den Kernkonflikt auf die symptomatische Ebene anhob, sind folgende Ereignisse zu verzeichnen: 1. Er wird selbst Vater. 2. Er wird von einem ehemaligen Schüler "überholt". Die Vermutung war, daß die unbewußten Rachephantasien seinem ehemaligen Chef gegenüber dadurch, daß sie in Erfüllung gingen, nunmehr durch eine angstneurotische Phantasie gebunden werden mußten. Eine permanente Manifestation selbst destruktiven Verhaltens sei zu erwarten. Innerhalb der Behandlung würde der Patient unbewußt versuchen, einen Therapieerfolg dadurch zu verhindern, 106
daß er sich dem Therapeuten und seinen Interventionen übergehorsam unterwirft, und zwar vor allem in den Momenten, in denen er dessen Fähigkeiten massiv anzweifelt. Daraufhin wurde in einer Vorbesprechung der Patient über die Überlegungen informiert, und der Fokus wurde ihm in einer ihm verständlichen Form mitgeteilt. Zu Beginn der ersten Stunde ging der Therapeut auf die auf Seite 71 beschriebene Fernsehsituation ein, indem er seine eigenen Gefühle des Unwohlseins thematisierte; ein Gefühl, das der Patient verneinte, aber dann doch in eine ihm von der Mitarbeiterschulung vertraute Angst, beim Videotraining ausgelacht zu werden, überführte, und ob das überhaupt etwas Wertvolles werden konnte. All dies wird mit einem auffälligen Lächeln, eher einem Grinsen, mitgeteilt. Dann kam eine lange Pause, die von einer Passage, in der der Grundkonflikt bereits thematisiert wurde, abgelöst wurde. Es ging zuerst darum, daß die sogenannte Grundregel noch einmal wiederholt wurde, und zwar in einem Handlungskontext, in dem der Patient meinte, eigentlich hätte er schon genug gesagt, der Therapeut wüßte eigentlich schon genug, so daß die Erwartung an ihn, überflüssigerweise noch einmal das Gleiche zu sagen, etwas sadistisch erscheine ("Sie wollen von mir alles wissen, obwohl Sie doch schon alles wissen"). Der Abschluß dieser Episode bestand in dem Eingeständnis des Patienten, daß man immer Gedanken habe, weil man sie ja nicht abstellen könne, und daran anschließend die Überlegung, daß die vielleicht nichts mit hier zu tun hätten, daß aber gerade dieser Gedanke ein Ausweichen sei, denn die Vorstellung, daß die Gedanken nichts mit der Situation zu tun hätten, ergo auch nicht mitteilenswert seien, sei ja bereits die Verletzung der Grundregel, denn in ihr war ja gerade diese Überlegung als unrichtig eingeführt worden. Dann kam eine generische Erweiterung, die an dem Patienten bereits Bekanntes anknüpfte, nämlich, daß er scheinbar immer in Situationen hineingerate, in denen Leute ihn plagten. Sein Wissen erstreckte sich aber nicht darauf, wie dies zustandekommt, und vor al1em nicht, ob er und wie er selbst in die Initiierung dieser Plagerei involviert sei. Kommt es von der Frömmigkeit der Eltern, ihrer forcierten Friedfertigkeit? Manche Leute meinen gar, er sei ein Frömmler. In diesem Moment sieht er tatsächlich wie ein solcher aus. Er schließt die Augen langsam und dauerhaft, neigt den Kopf zur Seite und faltet die Fingerspitzen zusammen. Er jedenfalls gehe nicht auf die Leute los. Die Bedeutung des "Losgehens" wurde im Moment nicht so recht deutlich. Meinte er nun angreifen, oder handelte es sich um eine Art von yersprecher, und er wollte ursprünglich zugehen sagen? Nun versuchte ich eine Ubertragungsdeutung, in der ich diese Problematik auf das Erleben der gegenwärtigen Situation anwandte: ich plage den Patienten mit Verschweigen meines Wissens und dem Forschungsprojekt. Der Patient konzidierte, daß einem solche Gedanke einen Moment kommen könnten, er stelle sie aber im Grunde genommen einfach ein wenig ab, indem er sich sage: "Denk einfach nicht dran, denk nicht dran, geh mal schauen, was los ist". Ich dachte, daß dies im Moment eine Form der Selbstberuhigung sein könnte, aber dieses Reaktionschema könnte auch die Vorlage für sein Versagen in Prüfungen sein. Das blieb aber im Hinterkopf. Nun schloß sich die Überlegung an, ob ich diese Drucksituation absichtlich geschaffen hätte, indem ich nichts sage und ob ich habe wissen wollen, ob er, der Patient, "rückwärts wieder hinausgehe".
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Nun folgte eine lange Passage über Prüfungssituationen im allgemeinen und im besonderen durch die Beschreibung des Stupors während der Geschichtsprüfung im Abitur mit dem Satz: "Das hat so herauskommen müssen, daß ich nicht bestehe." Die Ä.ngste wurden auf Gruppen ausgedehnt und auf Studenten, die diese Videoaufnahmen anschauen könnten . Lch konfrontiere ihn nun damit, daß es doch auffällig se i, daß das, was er über sich imm er sage , Aussagen anderer Leute seien. D er Patient weicht nun auf die Kindheit aus und erzählt auf dem Umweg über den Sohn, daß er, wenn er bestraft wurde, nicht mehr ausgeatmet habe, blau wurde und somit jede Art der Bestrafung verhindern konnte. Im Zusammenhang mit der Intentionalität dieser Handlungen unterstellte er den Kindern eine ganz außerorde ntliche Feinfühligkeit. Im folgenden sollen nun die 7. und 8. Stunde näher betrachtet werden, um die Vergehen sweise und di e Art der Theoriebildung aus de r Therapie heraus verständlich zu machen. Der Patient hatte bis dato außerordentlich fleißig mitge arbeitet, war auch der Grundregel gefolgt, hatte sehr viel gesprochen, und es hatte nie Schweigen gegeben. In der dritten Stunde hatte er ein Ereignis thematisiert, das außerordentlich eng mit e iner Verachtungsthematik verbunden war. Er hatte nämlich seine Frau kurz vor der Geburt im Krankenhaus alleine gelassen, obwohl sie ihn weinend darum gebeten hatte zu bleiben, weil er so dringend ins Geschäft mußte. In und nach dieser Stunde hatte der Therapeut Befürchtungen, er könne die Behandlung nicht zu einem guten Ende führen. Vor allem hatte er die Phantasie, seine verachtungsvollen und ärgerlichen Gefühle könnten die an sich vorhandenen sehr positiven wechselseitigen Sympathieeinschätzungen zerstören. 7. Stunde*
K: Ja, ich habe mich - letzten Dienstag habe ich mich getroffen mit m einem Vater. Da habe ich ihm alle die Problem e gesagt, habe ich ihn gefragt, wie er so zu verschiedenen Sachen steht . . ., daß in der ganzen Sache eigentlich schaurig viel Parallelen drin sind. Von ihm und von mir.
T:
A hja.
. . . ich habe ihn direk t dra uf ange5prochen, habe ihn direkt gefragt, gel, du kommst dir doch auch vor . .. etwas überspitzt formuliert, sagte ich, wie wenn du eine . . . Figur wärst, in einer Form von einem Idiot oder von einem Raskolnikov oder so. Da hat er gesagt; ja absolut, das ist richtig. Das ist eigentlich eine Parallele z u mir.
K:
T
Mhm .
K: Eigentlich überrascht. Eben drum bin ich eigentlich zum Schluß gekommen, daß ich wahrscheinlich gar keine Wut auf ihn haben kann. Wir verstehen uns eigentlich, wir sind uns ja schrecklich ähnlich. - lch hab eigentlich geda cht, eigentlich müßtest du ja eine Wut haben, es ist ja richtig, er hat schaurig viel- gut, die Wut ist vielleicht einen Mom ent lang dagewesen. Das schon. Wo er sich nicht für mich eingesetzt hat, das weiß ich genau, daß ich da eine schaurige Wut gehabt habe, weil ich einfach gesagt habe, er ist ja wirklich ein bißchen ein Kasp er - ode1; unddaß er uns auch k ein klein wenig gestützt hat, aber eine richtige Wut habe ich nicht, eine Wut habe ich viel auf L eute, wo ich eben das Gefühl habe, sie quälen m ich. Eine Wut auf den Lehrmeister, eine grenzenlose. Die ich dann immer selber natürlich in mich freß . Ich tu mich ja nicht wehren.
* Das Transkript ist eine "Überse tzung" aus der Mundart des Patienten, ohne Veränderung der Syntax und von Worten mit andere r Bedeutung.
108
T:
Mhm.
K: Es ist ganz komisch, ich finde, ich habe einfach keine Wut, ich kann machen was ich will, ich finde es nicht. Ich weiß allerdings auch nicht, wie fest ich ihm jetzt weh getan habe, das weiß ich nicht. Ich weiß nur das, daß er schaurige Depressionen hat, das hat er mir selber auch gesagt.
T·
Jetzt.
K · Ja, er hat auch jetzt, immer. Ich habe das auch gehört, wo ich noch daheim gewesen bin, daß er manchmal im Schlaf ganz laut aufgeschrien hat, da hat er irgend so einen Alptraum gehabt, da hat er irgend weiß der Kuckuck was Schwarzes geträumt. Das habe ich also selber auch gehört, das sind so fast Urlaute gewesen, wir sind so richtig erschrocken. Dashat er alles aber nur im Schlaf gemacht, er hat das gar nicht, er ist dann erst durch den Schrei erwacht. Und eben, ob ich ihn vielleicht durch das z. 1: auch so aufgeführt habe, daß er eben wieder Depressionen hat. T
Haben Sie Angst ein bißchen.
K: Ja eben, ich habe natürlich Angst davor, weil er ist ja doch ein alter Mann. Ob er denn das noch kann schaffen. Weil ich glaube, daß man ihn irgend wo schaurig dort getroffen, wo er ja eigentlich, das hat er vielleicht wollen nicht offen daliegen haben, das ist für ihn ein Geheimnis, wo er behalten wollte.
T·
Die Sache mit Christus.
K: Ja . Weil im Grunde genommen ist das eine komische Einstellung. Das ist ja viel zu hoch, sich selber viel zu hoch gestellt. Eine gottähnliche Figur, das ist auf eine Art wirklich viel zu hoch. Das ist fast spinnig. Oder wie ist das Gefühl, ich habe das jetzt nicht genau untersucht bei mir, oder auch bei ihm natürlich nicht, wie ist das Gefühl effektiv, das weiß ich nicht. T:
Was für ein Gefühl?
K: Eben das Gefühl, daß, eben die Christus-Figur, das ist eben ein Gefühl wahrscheinlich. T: Ja. K: Eben fast ein Zwang oder- so zu sein. Es ist auch lustig. Ich habe das Gefühl, nach jedem Mal, wenn wir wieder zusammengesessen sind, dann reagiere ich auch im Geschäft anders. Und dann klingt das irgendwie wieder ab. T·
Mhm.
K: Drum habe ich Sie angesprochen darauf, ich muß mich wandeln. irgendwie muß ich ja anders werden, wir sind ja daraufgekommen, daß ich viel zu viel weibliche Züge habe. Also, in meinen Handlungen. Einfach viel zu weiblich bin. Aber eben, Sie haben. ja gesagt, ich soll einfach mal so sein, wie ich sei, aber ich kann irgendwie nicht hart sein., das ist lustig, daß es dann einfach wiederabklingt auf eine Arl. Am Anfang, gut, da kann ich vielleicht schon mal hart sein, ich kann auch jemandem eine harte Bemerkung machen, wo ich als hart empfinde, aber dann ist es wieder nach einer Woche vorbei. Dann bin ich wieder im alten, weiblichen, weichen FahlWasser drinnen.
T· Ich glaube, da haben wir uns mißverstanden in dem Sinn, daß, also weiblich zu sein, das ist ja gar nichts Schlechtes.
K- Nein, sicher nicht. T Nur wenn Sie darunter leiden, dann müssen Sie es ändem. K
Ja.
T:
Und wenn Sie nicht darunter leiden, dann überhaupt nicht.
K:
Das ist richtig, ja.
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T- Aber dann müssen Sie es ändern, weil Sie danmter leiden, und nicht, weil ich es sage. Das ist eben etwas, was ich so herausspüre, nicht. Wo ich auf eine Art das Gefühl habe, mit dem Scheitern unserer gemeinsamen ArbeitK: Ja, aber eben aus den weiblichen Zügen heraus kommt ja das Scheitern, also muß ich mich ändern. Oder, weil ich ja nicht hart sein kann.
T- Ja. K: So habe ich das verstanden, weil ich ja nicht hart sein kann, trampeln sie ja auf mir herum eigentlich. Oder jedenfalls empfinde ich das so, daß ich dann, daß auf mir herum getrampelt wird. T Sehen Sie, was Sie vorhin gesagt haben, das ist vielleicht gerade was, was wir ein Stück weit verhindem müßten. Sie erleben das so, als gäbe ich Ihnen einen Auftrag, sich zu verändern oder etwas zu suchen.
K: Istnicht unbedingt als Auftrag aufgeJaßt gewesen, sondern ich habe mich auseinandergesetzt mit dem. T
Gut, das ist etwas anderes.
K:
Ja.
T: Aber wenn das so ist, daß Sie jedes Malnach jeder Stunde ein Stück weit einen Schubs haben, daß Sie eine Zeitlang etwas anders machen und dann nachher wieder anders ist, dann hängt das ja viel zu sehr, langfristig hängt dann viel zu sehr davon ab, was wir zusammen machen, nicht? Ich meine, man hört ja auf, und dann müssen Sie ja selber sehen, was aus Ihnen wird, wie Sie damit zustreich kommen, so daß das sowieso nichtgut wäre, also in dem Sinn, daß, rumm!)~ geht etwas los, ich habe Sie auf irgendeine Fährte gesetzt, wenn man so möchte, und dann suchen Sie da entlang. Dann wäre ich ja auch so eine Art Guru, wo so viel weiß, nicht?K:
Aha, ja ja. Aber eben, wie ist es zeitlich? Wir sind jetzt schon in der 7. Stunde eigentlich.
T·
Wir haben, glaube ich, eine ausfallen lassen.
K:
Ja.
T:
Und die holen wir nach.
K:
Ja, aber es ist auch mit der ausgefallenen die 7.
T:
Ist es schon die 7.?
K: Ja ja. Eben, es ist mir schon öfter der Gedanke gekommen, bringen wir es effektiv zu einem Ende, daß ich, d. h., ich habe auf eine Art bereits ein wenig, sehe ich auf den Schluß hin, daß wir vielleicht gar nicht zu einem Schluß kommen irgendwie.
T:
Das ist denkbar.
K: Sondern, daß ich eher das Gefühl habe, wir müßten vielleicht doch noch weiterschaffen Ich weiß nicht, bin ich so schwer von Begriff oder-, eben kann ich mich gar nicht umstellen mehr. Ich habe mich eben auch schon gefragt, ob einfach die Umstellung von mir gar nicht kann stattfinden. Eben, Sie haben natürlich auch gesagt, ich müsse mich ja gar nicht umstellen, ich soll so sein, wie ich sei. Aber ich bin so, wie ich jetzt da eigentlich lebe, und irgendwo ist der Knopf, irgend wo bin ich gleich nicht so, wie ich lebe. Und das regt mich dann auf Dann komme ich irgendwo an Grenzen heran, wo ich dann wahrscheinlich mich gegen mich selber auflehne. Das kann ich aber nicht feststellen, gegen was ich mich auflehne von nur. T:
Mhm. Wie so eine Gummiwand, Sie stoßen immer dagegen.
K Wahrscheinlich selber auch, ja. Eben, im wichtigen Moment weiche ich mir selber auch aus. (4 sec) Wenn man das mal so lange gemacht hat, ist das natürlich schwer, das müßte ja
110
eine Änderung von meinem Charakter geben. Ich müßte irgendwo den Punkt, den müßte ich mal merken und sagen, halt, dort ist er. Das tönt eben sehr technisch natürlich, aber dort ist der Punkt, jetzt fängst Du wieder an mit der Gummiwand zu arbeiten. In welchen Handlungen, das wüßte ich nicht.
Es folgt nun eine sehr spannungsgeladene Pause, während der Patient den Therapeuten unentwegt sehr aufmerksam ansieht, während derselbe zu Boden schaut. Der Therapeut achtet auf die eigene Erregung (Herzschlag) und ist damit beschäftigt, ob der Patient das Schweigen erträgt, ob er es als Kampf erlebt oder als Gemeinheit des "wissenden" Therapeuten. (2 min) K-
Sie denkenjetzt nach, oder?
T·
Was ging Ihnen durch den Kopf gerade?
K: Ja eben, im Grunde genommen habe ich selber schon gemerkt, daß ich die weiblichen Züge habe, eben daß ich sehrweich bin. Aber ich kann es nicht ändern irgendwie. Das würde aber bedeuten, daß ich dann einfach in dem ganzen Leben, auch jetzt, am falschen Platz bin. Daß ich etwas ganz falsches mache. Daß ich, wie Sie das letzte Mal angesprochen haben, gar nicht, eben einfach vielleicht mal die Sache hinknalle, oder vielleicht einmal meine Wut, meine Aggression mal ablasse und sage" Schluß fertig, jetzt gehe ich ".
T-
Haben Sie gerade darüber nachgedacht, was ich denke?
K: Nein, das nicht unbedingt, oder?
T- Aber was haben Sie gemeint, was ich denke? K- (lacht) das ist natürlich schwierig. Eben, Sie haben sich evtl. eine Antwon überlegt auf die- aufdas vorher Gesagte. Weil, ich glaube eben schon, daß eins von den zentralen Problemen die weiblichen Züge sind. Eben die ganzen Handlungen, von mir. Eben alles weich, oder? Ich habe jetzt wieder zwei Leute bei mir, neu gekommen, die sind jetzt 14 Tage da, und die haben schon jetzt eben das Gefühl, eben, aus einer Bemerkung heraus habe ich das gemerkt, ja ja, mich wütend zu sehen, das gäbe es gar nicht, das könne man sich bei mir überhaupt nicht vorstellen. Ist eine Bemerkung gekommen. Sie müssen das irgendwo merken, daß man mich einfach nicht kann sichtbar ve1Tuckt* machen, daß das wahnsinnig lange geht. Vielleicht eben, vielleicht leide ich drunter. Vielleicht haben Sie sich auf das eine Antwort überlegt, daß Sie also . .. T· Mhm, soll ich Sie wütend machen? K: (lacht) nein, das würde ich merken, daß Sie es extra machen. Dann nützt es nichts, oder? (10 sec) Ich glaube, daß Sie es nicht so schnell hinkriegen würden, ich weiß nicht. Gut, es gibt sicher Sachen, auch bei einem Onkel ist das passiert, daß ich richtig auch ve1Tuckt geworden bin. Das kann man schon, das bringt man schon hin. Aber auch dort- ich verkehre einfach nicht mehr mit ihm, das ist mir jetzt gleich. (30 sec) Man bringt es schon hin, und ich glaube Sie könnten das auch. Wenn man mich natürlich eben sehr persönlich angreift, direkt auf die Person, direkt aufgewisse schwache Stellen trifft, und das hat der Onkel wahrscheinlich gekannt, weil er ist natürlich jahrelang Personalchefgewesen, da hat er das wahrscheinlich relativ rasch durchschaut, er hat eine ziemliche Menschenkenntnis gehabt. Oder man kann es natürlich auch ganz allgemein halten. Es gibt natürlich Bemerkungen, wo jeder Mensch verruckt wird.
* Die beste hochdeutsche Übersetzung von "verruckt" ist wütend. Die Konnotation von "verruckt" ist aber gravierender als wütend.
111
T
Zum Beispiel? Der Patientlacht
K Ja, das ist also schwierig, ich weiß es selber nicht, weil ich kenn ja die nicht. Weil, das fordere ich ja nicht heraus. Ich möchte ja niemanden verruckt machen. Sonst wäre ich ja irgendwie meiner weichen Tour untreu. Drum weiß ich die wahrscheinlich nicht. Wenn man einen natürlich, wenn man einen heruntermacht, das mag ich sicher nicht vertragen. Wenn man einen einfach für dumm hinstellt. Oder man ihm gar zeigt, er sei dumm. Oder- das möchte ja keiner sein. Oder- ja, bei dem Onkel ist es z. B. so gewesen, daß er mir, er ist natürlich auch auf eine Art schwach gewesen, er hat mir so quasi gesagt, er ginge fort. Er ist bei uns zu Besuch gewesen, dann packe er die Koffer und ginge, wenn ich so frech sei. Und eben, er meinte, was ich mir eigentlich einbilde als so junger Schnaufer, das hat mich auch verletzt, das ist klm; "junger Schnaufer", ich bin dort gleich auch um fast 30 gewesen, oder, was ich mir gegenüber einem fa st 80jährigen Mann erlaube an Frechheiten. Dabei habe ich es als Spaß etwasgesagt gehabt, eigentlich. Und das hat er einfach umgedreht, das hat er nicht vertragen. Ich habe ihn natürlich im Spaß vielleicht ein wenig als dumm bezeichnet. Spaßeshalber. Also nicht direkt. Es ist einfach darum gegangen, Zahlen zusammenzuzählen. FrankenBeträge, 139,50, also ganz ungerade Zahlen. Und dann hat er wollen irgendwie vormachen, wie gut und schnell er das zusammenzähle. Oder. Und dann habe ich, er hat immer zwei Zahlen miteinander genommen, also sagen wir alle Pfenningbeträge aufaddiert, und hat es dann übertragen. Dann habe ich gesagt, das sei ja noch gar nichts. Natürlich spaßeshalber. Ich habe ihm gesagt, ich zähle gerade alle miteinander zusammen, gerade so. Das ist ja unmöglich, ich m eine fünf Stellen. Jetzt ist er verruckt geworden wegen dem. Gut, er hat sich vielleicht angegriffen. gefühlt, das ist möglich. Da müßte ja eines ein mathematisches Genie sein, wenn er 20 Zahlen zusammenzählen könnte, alles so 100 Fr., 500 Fr. und alles ungerade bis Rappen hinten, das ist gar nicht möglich. Und da ist er mir dann eigentlich so gekommen. Und da ist er sehr persönlich geworden.
T·
Was hat er gesagt? Das mit demjungen Schnaufer?
K: Ja, und und äh, ich habe gar nicht verstanden, warum er verruckt wird und daß äh, er packe die Koffer und ginge und: weiß auch nicht, warum er eigentlich noch in dem Haus wohne und so Sachen sind dann herausgekommen. Eine 1/2 Stunde vorher hat er gefragt, ob ich manchmal zu den Huren ginge und so. Unmögliches Zeugs hat er herausgelassen. Das sind Gegensätze gewesen, die ich dann auch nicht vertragen habe. T:
Wa s war das mit den Huren? Soll das ein Jux gewesen sein?
K: Ja eben, wahrscheinlich hat er wollen einen Jux machen, aber mich hat das verruckt gemacht. Weil, weil, ich habe das nie gemacht. Dann muß er ja nicht solche Sachen - auch nicht indirekt - unterstellen. T· Dann waren Sie eigentlich schon wütend, als Sie ihm gesagt haben, Sie können das besser.
K: Na ja, wütend, in dem Sinn schon nicht. Ja, gut, vielleicht unbewußt habe ich ihm schon eines auswischen wollen, das ist schon möglich, so indirekt eines wollen auswischen. Aber es ist effektiv scherzeshalber gewesen, es ist ja total unmöglich, das zu machen, von mir aus gewesen, das ist klar.
T Wäre das nicht eine Möglichkeit, wie Sie das häufig machen, daß Sie Ihre Aggressionen in einen Scherz verpacken? Daß Sie sehrviel lächeln, das haben wir schon mal hier gesagt.
112
K:
Ja.
T
Und häufig dann, wenn es krisenreich wird.
K:
Dann fange ich an lächeln?
T:
Mhm.
K: Ja gut, das ist vielleicht ein Verdecken von einer gewissen Verlegenheit, das ist mir klar. Das ist mir auch schon aufgefallen, daß gerade vor allem da, daß ich das gewisse Lächeln habe, und ich mich gar nicht kann erwehren. Das ist vielleicht auch eine gewisse Unsicherheit, oder, daß ich irgendwie merke, daß es schon auf den Kern zugeht vielleicht, auf eine Schwierigkeit, oder, vor mir selber. Dann tu ich es irgendwie durch ein Lächeln überdecken. T·
Kann auch heißen: tu mir nichts.
K: Was "tu mir nichts"? Aha, also das Gegenüber? Ja, ja das kann es natürlich auch .. . Indem ich es mit einem Lächeln abtue, ist der andere entwaffnet, ja.
T: Mhm. K: Das ist natürlich auch eine Möglichkeit. Das wäre wieder die weiche Welle. Wo ich an mir habe eigentlich. Also in dem Fall doch irgend äh eine gewisse Ausstrahlung, daß eben die anderen merken durch das - es ist sicher das Verdecken von etwas. Ich glaube von der Unsicherheit.
T· Was haben Sie zu befürchten? K: Ja, im Prinzip nichts. Uteil, ich möchte ja wissen, wer ich bin, aber wahrscheinlich ist es schon das, daß ich einfach nicht, daß ich das gar nicht möchte, einfach im Unterbewußten nicht möchte herauflassen, zum mal sehen, wer ich bin.
T· Vielleicht ist der Onkel gar nicht so dumm gewesen, psychologisch, weil er hat sie an einer ganz wunden Stelle getroffen, nicht? K:
Jaja.
T: Er sagt "geht er zu den Huren", das ist eine Anspielung auf eine Art" was ist denn los mit den Frauen?". K:
Sicher, ja.
T·
Und dann " was tust du noch in dem Haus " - eine Anspielung auf so, wenn man so möchte, Abhängigkeitsverhältnis. Und dann " haue ab"K:
Ja ja, so ungefähr.
T-
Und das zieht sich ja durch vieles durch: " hau ab".
K:
Mhm.
T
Der Lehrmeister hat im Grunde immer gesagt: "hau ab ".
K: Jaja. T· Und ich könnte mir vorstellen, eine Situation hier, wo Sie stinkveiTUckt werden hier bei uns, wenn die Zeit um ist und Sie das Gefühl haben, es sei nichts passiert. Und ich sage: "hau ab ". K: Nein, ich habe eher das Gefühl, daß- ich habe schon das Gefühl, daß recht viel passiert. Jeweils wenn ich da, wenn wir zusammengesessen sind. Also ich würde nicht sagen, ich hätte ein unbefriedigendes Gefühl, absolut nicht. T
Mhm.
K: Denn es gibt- wir tun sehr oft, tu ich mit meiner Frau bis in die Nacht spät darüber reden. Weil, ich verarbeite das einfach nicht so schnell. T·
Warum sollten Sie auch?
K:
Ja, ich muß, ja, ja eben, soll das heißen, daß ich schneller sollte verarbeiten?
T·
Nein.
K Das geht gar nicht, ich kann es nicht. Es kommt mir nachher immer erst auf dem Heimweg dann, kommt so viel wieder heraus. Oder wieder hervor. Es ist eigentlich wahnsinnig viel, was in so einer Stunde drin ist. Und doch eben habe ich das Gefühl, ich sehe noch nicht,
113
wohin es geht. ich weiß nicht, möchte ich eben schon zu früh einen Erfolg sehen von der ganzen Sache, das ist möglich. Also einfach eine gewisse Ungeduld drinnen ist. T:
Mhm.
K: Obschon ich mir eigentlich bewußt bin, daß ja die meisten Therapien viel viellänger gehen.
T
Was haben Sie für Vorstellungen, wie das so geht?
K: Ja ich kann es nicht sagen, ich bin noch nie gewesen, aber ich weiß von einer Freundin von der Frau, die es seit 2 oder 3 Jahren macht. Ich glaube I Jahr haben sie nur die Mutter durchgenommen. Oder. Ich weiß nicht. Sie ist bei einem Jungianer; macht sie es. (5 sec) Aber sonst, wenn ich da wegkomme, ganz sicher, ich bin also nie unzufrieden, das Gefühl hätte, ich hätte nichts davon gehabt. So gar nicht. Und ich fasse es auch nicht so auf, wie wenn Sie mir sagen würden "hau ab". Gar nicht.
(20 sec Pause) T·
Was geht Ihnen durch den Kopf?
K:
Ich habe gerade gedacht, was Sie sich überlegen.
T
Was meine:n Sie, daß ich überlegt habe?
K: Keine Ahnung. (20 sec) Ja, indem Sie einfach nichts sagen, machen Sie mich auf eine Art unsiclw: Ich weiß nicht; mit dem wollen Sie vielleicht irgend etwas herausholen.
T: Sie haben das selber schon mal angeschnitten, daß Sie das nicht gut vertragen mögen. K: Jaja. T: Also nicht sehr gut. Daß das dann aussieht, als seien Sie dumm. Bringen nichts heraus. K:
Daß ich dann nichts sage.
T· Mhm. Daß es Ihnen irgendwie so vorkommt, als hätte ich dann das Gefühl, Sie seien dumm, wenn Sie nichts bringen.
K: Gut, auf eine Art ja, oder, daß, also phantasielos, ich glaube, so habe ich das gesagt. Phantasielos. Oder einfach phantasielos, wir machen etwas phantastisches da, oder selber verschlossen, daß ich selber verschlossen wäre, daß ich schon gar nicht Bereitschaft habe, mehr, oder nicht möchte, da reden, daß ich bockig werde, es könnte der Eindmck entstehen. T
Vielleicht sind Sie es. Wir wissen es gar nicht?
K
Ja, ja, das- wäre möglich, aber dann wäre ich wahnsinnig unehrlich mir selber gegen-
über. T -so eine moralische Kategorie. Im Grunde fällt einem das ein, was man ertragen kann und nicht mehr.
K: Ja, das ist klar. Ja eben, sonst würde man sich selber T
Sonst kriegen Sie Angst.
K:
Ja, selber entdecken. Aber wahrscheinlich langt auch die Kraft bei mir nicht dazu.
T:
Mhm.
K:
Eben, daß es in dem Moment einfach abstellt, weil, dann denke ich einfach nicht mehr.
T:
Denken Sie nichts mehr?
K: Oder eben, zum Verdecken, ist klar. Denke nicht mehr, oder das andere, das wäre die andere Möglichkeit, einfach reden. Um den Brei herumreden Dann kommen wir natürlich auch nie ins Zentrum hinein. Das ist klar.
T"
114
Mhm.
K: Eben und drum- das Schweigen hat schon was zu bedeuten, aber was, weiß ich nicht. Oder wenn Sie nichts sagen. Sie wissen schon, daß Sie mich unsicher machen. (5 sec) Oder dann wollen Sie irgendetwas. Ich erwarte dann, daß Sie etwas wollen. (20 sec) (lacht)
Auf dieses einminütige Schweigen gehe ich in der Besprechung ein. Wieder schaut mich der Patient unentwegt (1 min) an, sehr aufmerksam, allerdings ohne das übliche Lächeln. K: Es ist mir schon klar, es ist einmal - es ist lustig, manche Stunde sind Sie eigentlich ziemlich offen gewesen und zeitweise sind Sie dann wieder viel verschlossener gewesen. Das habe ich schon gemerkt. Oder einmal habe ich auch schon das Gefühl gehabt, das hat mir jetzt nicht so viel gegeben eigentlich. T· Was war das? K: Ich weiß nicht mehr, es ist glaube ich die 3. Stunde gewesen. Und bei der 5. glaube ich, habe ich auch so das Gefühl gehabt. Und wenn ich darüber nachgedacht habe, dann habe ich doch gemerkt, daß eigentlich das, das in mir drinnen viel mehr gearbeitet hat eigentlich.
T· Mhm. K: -als wenn Sie einfach offen etwas, also viel die offenere Stunde gehabt haben. T"
Mhm. Wenn es wirklich ein Gespräch gewesen ist, wenn Sie mich unsicher gemacht haben und zurückhaltend gewesen sind und eigentlich gar nicht viel gesagt haben. Dann habe ich eben das Gefühl gehabt, es ist für mich eigentlich, es hat mir jetzt nicht sehr viel gegeben, Sie haben aber einfach ein paar wenig treffende Bemerkungen gemacht, und die haben dann doch gearbeitet, die haben viel mehr gearbeitet, als offene Gespräche. Also habe ich das Gefühl gehabt. Nur bin ich dann schon ein wenig, auf eine Art eigentlich, bedrückter heimgegangen, also, nicht, als ich gekommen bin, einfach bedrückt, unbefriedigter auf eine Arl, und wenn Sie offen gewesen sind, dann bin ich befriedigter gewesen, aber ich habe das Gefühl gehabt, es hat mir weniger gegeben auf eine Art.
K:
T- Mhm. K: (10 sec) (lacht) (10 sec). T-
Was passiert jetzt?
K:
Ja, wieso? Ja was, was ich jetzt denke?
T·
Was passiert jetzt gerade?
Ja im Moment- wie meinen Sie das? T" Ich habe das Gefühl, aufeine Art ist das ein heißer Lauf, was da jetztpassierl. Wir sind da ziemlich am Kern dran.
K:
K:
Warum ist das ein heißer Lauf?
T· Wir werden mal sehen. K: Ja, haben Sie sich jetzt irgendwie angegriffen gefühlt, jetzt denn? Durch das, was ich gesagt habe? (4 sec) Es ist klar, die Äußerungen sind, es mu, si, sind nicht alsAngriffgemeint gewesen, oder. Ganz sicher nicht. T·
Warum sollten Sie mich nicht angreifen?
K:
Ich habe keinen Grund dazu. (lacht) (15 sec) Ich wüßte nicht warum.
T· Ich lasse Sie aber sitzen. K:
Ja wie sitzen?
T
Ich habe nichts zum Sagen.
115
K:
(lacht) Ja, dann kommt evtl. wieder der Schneckenhauseffekt.
T:
Ma cht ja nichts.
K: Ja, dann kommen wir nicht weiter. (100 sec) Was soll das bedeuten, daß- ich auf die Art; ja, wenn ich z. B . von andern gegenüber nichts sage, daß es sie auch unsicher macht und daß man so eigentlich eine gewisse Stärke von sich selber, eine gewisse Stärke eigentlich zeigt ? Das ist, äh, sicher eine Methode, eine Kampfmethode, wo man anwenden kann, dadurch daß man nichts sagt. T
Kämpfen wir jetzt?
K: N ein, in dem Sinn eigentlich nicht, ja, außer Sie würden jetzt den Zweck verfolgen, mich wütend zu machen. T
Sie lächeln schon sehr f ein.
K:
(lacht) jaja.
T
Ich verfolge eigentlich gar keinen Zweck, es ist nur Ihre Therapie.
K: Ja, die Sie aberleiten eigentlich. (15 sec) Das ist mir rätselhaft. Ich komme ja quasi als Patient zu Ihnen. So in dem Moment, klar, erwarte ich etwas, sicher erwarte ich etwas von Ihnen. (30 sec) Ich sehe die Therapie noch nicht. T:
Wa s für eine Th erapie ?
K:
Eben, Sie haben gesagt, "es ist ihre Therapie ", die man da macht.
T:
Ah.
K:
Ja worin liegt sie denn?
T
Ja, Sie gestalten das, wie die läuft.
K:
Im Moment schon. Es kommt ganz darauf an.
T· Im Grunde immer. K: Ja richtig, ja. Bis anhin sicher, ja. Ja, indem ich einfach immer das Gefühl gehabt habe, ich müsse immer etwas sagen. Aber das muß ich ja auch, weil - Sie müssen ja, wir müssen die Problem e irgendwie darlegen. Ich glaube nicht, daß wir, wenn wir nichts sagen würden, würden wir das gar nicht sehen. Oder, die Probleme an und für sich. Klar erwarte ich eine gewisse Antwort da drauf, oder. Oder eine Reaktion von Ihrer Seite. Das ist klar. (5 sec) Oder soll das h eißen, ich schwätze zu viel?
T
Haben Sie das Gefühl, Sie schwätzen zu viel?
K: Das kann möglich sein, ja. (10 sec) -Daß Schweigen vielleicht eher Gold wäre, ich we1ß nicht. (la cht). Aber ich m eine, dann würden wir nirgends hinkommen. (30 sec) Und ich meine, wir haben ja schon am Anfang abgemacht, daß man ja alles sagen muß, was mir durch den Kopfgeht, und daher (la cht), habe ich auch geredet, nicht wahr. Weil- ganz abstellen kann man ja nicht. Im Wachzustand. Das müßte man üben.
T
Mhm. - Mmh. Das müßte man üben.
K : Man kann es wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad schon, in Richtung Yoga, oder, aber das können wir ja nicht . .. Jedenfalls nicht in unserer Welt da drin. T:
In was für einer?
K: In der, in der wir da sind. T
Haben Sie das Gefühl?
K: Ja, habe ich das G efühl. In allden Pflichten, inall dem Streß, glaube ich eben nicht, daß man je auch nur einen Mom ent abschalten kann . .. T
ll6
Mhm- von der Pflicht her? Ist das eine Pflicht hier?
K
Hier?
T·
Mhm.
K: Nein, ich habe auch schon mal abgeschaltet zwischendurch. Wenn ich zwischendurch nichts gesagt habe. Dann habe ich wirklich nichtviel gedacht. (10 sec) Das hat's auch gegeben, doch. Aber eben, ich glaube, das war denn da möglich, für mal eine Minute, oder vielleicht eine halbe Minute . .. aber in einem Geschäft kann man das nicht. Es muß ja immer was laufen. (ca. 1 1/ 2 min) Es ist eigentlich lustig, daß ich wirklich das Gefühl bekommen habe, daß das ein Kampf sei. Ja - wahrscheinlich zum Teil, vielleicht haben Sie in mir eine gewisse Streßsituation schaffen können, irgendwie, durch diese Unsicherheit, wenn ich nichts sage. Und daß ich das dann eigentlich als Kampf aufgefaßt habe. Wobei ich jetzt natürlich einfach sagen könnte, ich sage nichts mehr! (lacht)
T
Wollen Sie kämpfen mit mir?
K: Ja, ich meine, ich würde rückwärts daraus hinausgehen, im Moment, wo ich nichts mehr sagen würde. Ich weiß wohl, daß ich verlieren würde, wenn ich kämpfte . . . das ist klar.
T· Wieso ist das klar? K: Ja - weil Sie ganz sicher dies schon vielfach ausprobiert und angewandt haben, wobei ich in diesem Sinne dies eigentlich zum ersten Mal erlebe. T-
Ich glaube, wir müssen Schluß machen.
K: Aha - ja. T· Wir sehen uns am Dienstag wieder, zur normalen Zeit, gell. K: Ja.
Den Verlauf der Stunde kann man wie folgt beschreiben: Der Patient kam in die Stunde und hatte einen sogenannten Auftrag, den er meinte, aus den vorhergehenden Stunden ableiten zu können, ausgeführt. Er hatte seinen Vater aufgesucht und ihm von seinen Therapieerkenntnissen und seiner Enttäuschung an ihm berichtet, konnte aber keine Wut finden, weil er sich ihm so ähnlich wähnte. Eben diese Ähnlichkeit machte ihn aber nun besorgt, er könne durch das Ansprechen der zugrundeliegenden Konflikte den Vater, der ohnehin schaurige Depressionen gehabt habe, so schwer verletzt haben, daß er sie wieder bekomme, zumal er ein alter Mann sei . Hintergründig ging es um die Frage, ob er die innere Wahrheit ertragen könne. Diese innere Wahrheit war die heimliche Identifikation mit masochistischen Größenfiguren, in diesem Falle Raskolnikow und Christus. Das war in den vorhergehenden Stunden mehrfach Thema gewesen. Der Patient erkannte scheinbar zum ersten Mal, daß diese Identifikation, wie er es nennt, komisch sei, viel zu "hoch", wobei er sich noch nicht im klaren war, inwieweit er selbst davon betroffen war. Er beschrieb es als Zwang, so zu sein. Nun kam er auf die Problematik zu sprechen, ob er sich denn in der Kürze der Zeit ändern könne, da er doch soviel weibliche Züge habe. Hier klang natürlich an, daß dieses Änderungsunterfangen selbst eine Größenidee sein könnte. Er verlor sich nun darin, daß die Hesserungen der therapeutischen Interaktionen relativ kurzfristig anhielten und dann wieder verschwanden. Und zwar nach dem Schema: Ist der Therapeut offen, geht es ihm kurzfristig gut, aber es hält nicht; ist er verschlossen, geht es ihm schlecht, aber es wirkt nach und hält. Ich griff nun die Selbstbeschreibung des Patienten auf einer Eigenschaftsebene männlich-weiblich auf und machte deutlich, daß ich daran nichts Schlechtes sehen könne, es sei denn, der Patient leide an eben dieser Eigenschaft. In Tat und Wahrheit hatte ich mich innerlich geschüttelt, und mein
117
Gesicht zeigte eine deutliche Ekelinervation, als er sagte, wir hätten herausgefunden, er habe soviel weibliche Züge. Ich konnte mich nicht erinnern, so etwas gesagt zu haben, und fand die Idee ziemlich abstrus. Die nächste Intervention, die sich dara n anschloß, war, daß die Änderung nicht deshalb zustande kommen sollte, weil es der Therapeut sagte, sondern weil der Patient darunter litt. Nun wurde das Schei.tern noch einmal thematisiert, das ja in der Fokusbesprechung schon enthalten war. Wi eder verlor sich der Patient in seinem Zirkel, daß er sich ja nicht ändern könne, weil er weiblich sei und nicht hart, deshalb trampelten alle auf ihm herum. Noch e inmal habe ich auf der gleichen E bene interveniert, nämlich dahingehend , daß es nicht als Auftrag zu verstehen gewesen sei. Zum ersten Mal widersprach der Pati ent, er habe sich auseinandergesetzt Ich akzeptierte das. Nun thematisierte ich die Funktion der Allmacht des Therapeuten noch einmal derart, daß, wenn es ihm nur in Abhängigkeit von mir besser ginge, er sich in der gleichen Rollenstruktur unbewußter Art befinde, nämlich einem Guru zufolge sich ändern zu müssen. Nun wurde th ematisiert, daß di e Zeit zu knapp sei und daß es möglicherweise zu ei.nem Scheitern kommen könnte. Ich stimmte dem zu. Wieder thematisierte der Patient sein e Unfähigkeit, s.ich zu ändern und plädierte prophylaktisch auf eine Verlängerung der Behandlung. Ich thematisierte die hilflosen Versuche des Pati enten, in der Metaphorik ein er Gummiwand, die der Patient eifrig aufnimmt und mehrfach benutzt. Es folgen eine ganze Serie von längeren Schweigeperioden. Die erste beginnt damit, daß der Patient meint, er wüßte nicht, in welchen Handlungen er mit der Gummiwand arbeiten würde. Daraufhin fragt er mich nach einer zweiminütigen Pause, ob ich nachdenke. Darauf frage ich ihn, was ihm durch den Kopf gegangen sei. Nun kommt der gleiche Zirkel, noch einmal, auf den ich nicht eingehe. Ich habe deutlich das Gefühl, daß wir einer kathartischen Kulmination entgegengehen, werde aufgeregt und auch besorgt, ob ich ihn nicht überfordere, frage ihn trotzdem noch einmal, ob er darüber nachgedacht habe, was ich denke. Der Patient verneint dies, trotzdem insistiere ich darauf mit dem Satz: "Was haben Sie gemeint, was ich denke?" Der Patient konzidierte nun widerstrebend, daß ich über eine Lösung seiner Probl.e me nachgedacht habe. Damit fällt die Spannung wieder zusammen. Nun kommt eine Episode aus dem Geschäft, in der zwei junge Leute herausgefunden hätten, daß man ihn nicht sichtbar wütend machen könne, und darauf hätte ich mir eine Antwort überlegt, wie man ihn wütend machen könne. Daraufhin frage ich recht provozierend, aber auch lustvoll und belustigt, ob ich ihn wütend machen so lle. Nun lacht der Patient und sagte, das fruchte nicht, weil er merke, daß ich das extra mache, und nun folgte die erste, wirkliche "Frechheit": "Sie würden es auch nicht hinkriegen." Diese Behauptung nimmt er nun sukzessive, unter Rückgriff auf einen Onkel, der das doch hingekriegt hatte, zurück. Denn es gäbe Bemerkungen, die jeden Menschen wütend machen könnten. Die aber kenne er nicht, weil er ja dann seiner weichen Tour untreu würde. Die Episode mit diesem Onkel ließ nun deutlich werden, daß dieser vor der Auseinandersetzung, die der Patient gemeint hatte, ihn bereits beleidigt hatte, nämlich durch die Anspielung auf seine Infantilität, die Bindung an das Elternhaus, das Wohnen bei den Eltern, den Verzicht auf eine Beziehung. Der Patient war in Tat und Wahrheit schon ärgerlich, als es zu der Interaktion mit den Rechenkünsten der beiden kam . Hier wurde wieder das Größenthema noch einmal angeschnitten, und nun ging ich darauf ein, daß es doch bei ihm, dem Patienten, recht 118
häufig vorkomme, daß er dann ganz witzig würde oder scherzhaft, wenn er besonders aggressive Gefühle entwickle. Der Patient interpretierte dies als Verdecken von Verlegenheit, von Unsicherheit. Die Aggressionsabwehr im Sinne von "tu mir nichts" verblüffte ihn einigermaßen, und er fragte sich zum ersten Mal, was er denn nun eigentlich zu befürchten habe, da er diese Art von Aggressionshemmung benötige. Er konnte wiederum relativ verblüfft sagen, daß er eigentlich nichts zu befürchten habe, außer der inneren Wahrheit. Daraufhin griff der Therapeut die Intervention des Onkels noch einmal auf, daß der ja wohl psychologisch richtige Konfrontationen gemacht habe und ihn dazu aufgefordert habe, aus dem Elternhaus abzuhauen. Hier kam nun eine Übertragungsdeutung, nämlich der bevorstehende "Hinauswurf" aus der Therapie, auch auf die Gefahr hin, daß bis dahin nichts passiert sei. Dem widersprach der Patient massiv, nein, es sei sehr viel passiert, er sei ganz und gar zufrieden, er rede bis spät in die Nacht mit der Frau . Nun beginnt eine neue Passage, in der er mir unterstellt, ich mache ihm Vorwürfe, z. B. daß er nicht schnell genug arbeite. Er kann sich aber mit Hilfe meiner Intervention zugestehen, daß es eben nicht schneller gehe, zumal er von einer Freundin der Frau wußte, daß sie im ersten Jahr nur die Mutter durchgenommen hatten. Wieder kam eine lange Pause und wieder die Frage, was ihm durch den Kopf gehe. Nun sagt der Patient von sich aus, er habe sich überlegt, was ich denke. Ihm falle dazu aber nichts ein. Er sagt nun, daß ihn mein Schweigen unsicher gemacht hat, und er vermutet, daß ich irgend etwas aus ihm herausholen wolle. Nun wird eingeführt, daß das Schweigen des Patienten in seinen Augen als Indikator für Dummheit oder, in seinen Worten, Phantasielosigkeit zu sehen wäre. Der Patient meint, es könne ja gar der Eindruck entstehen, daß er bockig sei, weil ihm nichts einfalle. Ich stimme dem zu, vielleicht sei er es, man wüßte es nicht und der Patient sagte, daß er dann schrecklich unehrlich wäre. Nun folgte eine Entlastungsdeutung, daß ei nem im Grunde nur das einfalle, was man ertragen könne, sonst würde man Angst kriegen. Die andere Möglichkeit, etwas zu vermeiden neben dem Schweigen, wäre das "um den Brei herumreden", was dann in die Unterstellung einmündete, er schwätze zuviel. Nun klassifizierte er die Stunden nach guten und schlechten und stellte paradoxerweise fest, daß die sogenannten offenen Stunden, in denen ich viel geredet hatte, ihm langfristig weniger gebracht hätten als die geschlossenen Stunden, die er im ersten Durchlauf bedrückt und unbefriedigt verlassen hatte. Es folgte eine sehr verdichtete und sehr spannungsgeladene Szene, in der ich in das Schweigen hinein frage, was jetzt passiere, und dann sagte, ich hätte das Gefühl, auf eine Art sei das ein heißer Lauf, wir seien da ziemlich am Kern dran. Der Patient versteht nicht warum, und ich lasse das so stehen. Der Patient fragt nun, ob ich das Gefühl hätte, von ihm angegriffen worden zu sein, und verneint ängstlich mit viel Lächeln eine solche Intention ganz intensiv ("ganz sicher nicht"). Darauf sage ich ihm: "Warum sollten Sie mich nicht angreifen?" Der Patient: "Ich habe keinen Grund dazu." Daraufhin thematisierte ich mein eigenes Schweigen in der Metaphorik des Kampfes. Nun entdeckte der Patient, daß es ja eine Kampfmethode sein könnte, nichts zu sagen. Worauf ich ihn frage, ob denn hier nun ein Kampf stattfinde, was der Patient verneinte, es sei denn, ich verfolge den Zweck, ihn wütend zu machen. Ich verneine eine solche Intention und verweise ihn auf sich selbst, nämlich, daß das seine Therapie sei und ich mich im Moment nicht für irgendwelches Reden zuständig fühlen würde, worauf der Patient wiederum in einer ihm eben noch möglichen Aggression konzidiert, daß er die Therapie 119
nicht sehen könne. Nun verliert er sich in einem scheinbar Logischen Dilemma, daß , wenn er nichts sagen würde, er nicht kooperieren würde. Kooperiere er aber, dann schweige er nicht, schweige er nicht, kämpfe er nicht, obwohl ich ja angeblich von ihm eine Kampfreaktion erwarte. Nun greift er auf die Grundregel zurück und sagt verteidigend, er müsse ja alles sagen, was ihm durch den Kopf gehe, daher habe er geredet, denn man könne ja nicht ohne Phantasien existieren, es sei denn, man übe das. Das sei aber in der Welt, in der wir leben, nutzlos, nämlich die Weh der Ptlichten und des Streß. Nun frage ich ihn, ob die Therapie auch eine Pflicht sei, was der Patient verneint, denn er habe auch hier zwischendrin schon einmal abgeschaltet, was in den Betrieben nicht ginge. Nun , nach einer anderthalbminütigen Pause konzidiert der Patient, er habe die Situation tatsächlich als Kampf erlebt, allerdings mit dem Vorbehalt, daß dies von mir absichtsvoll herbeigeführt worden sei, um eine StreBsituation zu schaffen, und er phantasierte sich nun seine Gegenrache, er sage auch nichts mehr. Darauf frage ich ihn, ob er mit mir kämpfen möchte, was der Patient wiederum lachend mit der Bemerkung ablehnte, er würde ja rückwärts zur Ttir hinausgehen und verlieren, weil ich so erfahren sei. Die gesamte Interaktion findet in einem Kontext zunehmender Hochspannung statt, die sich äußerlich nicht niederschlägt. Innerlich waren aber alle Funktionen auf Hochtouren, Blutdruck, Herzschlag, Denktätigkeit Ich erlebe die Situation als eine Form spielerisch-erotisierter Kampfattitüde, wie ich sie vorn Umgang mit meinem Buben kannte, aber auch bei einer von mir geliebten, etwas ritualisierten Sportart, wie z. B. Florettfechten. Mir ging auch die Arie des Figaro durch den Kopf, "Will mein Herr Graf den Tanz mit mir wagen? ... Ich spiel ihm auf". Es blieb dumpf, wer der Graf sei. AJ!es lief sehr schnell und verdichtet ab. Der Patient betrachtet mich das ganz Schweigen über sehr intensiv, ich schaue meist zu Boden. Ich hatte das Gefühl, daß der Patient bei aller Angst die Situation herzlich genoß. Gleichzeitig war ich in Sorge, ich ginge zu weit. Nach der Stunde hatte ich die Phantasi.e, der Patient käme möglicherweise nicht mehr, und war in milder Sorge. Auf die Herkunft dieser Gefühle und Phantasien aus dem Verhaltensstrom gehe ich nachher- wie in den vorherigen Fällen- gerrauer ein. In der folgenden Stunde spielte sich folgendes ab: 8. Stunde K:
Warm hierdrü1.
T:
Ist es?
K: Ja. Das letzte Mal wollten Sie mich ja vermutlich wütend machen, nicht wahr? Wie Sie sagten - und dann meinte ich, Sie brächten das wahrscheinlich nicht zustande, nicht. Aber (lacht)
T
Ist interessant, nicht. Was Sie für Ideen haben, darüber, wieso ich etwas mache ...
K: Ja. Ja was heißt das, was ichfür Ideen habe? T Das ist doch irgendwie so, als würde ich eine trickreiche Sache machen. Damit ich Sie in eine bestimmte Position reinkriege, wo ich das Gefühl habe, es sei gut für Sie, nicht. K: Ja, ich nehme einfach an, daß Sie mir irgendwie zeigen wollen, auf irgendeine An, mitsagen wir- Ihren Argumenten oder Ihren Handlungen, mir zeigen möchten, was ich falsch mache. Was bei mir nicht richtig ist, was mein Fehler eigentlich ist.
120
T-
Nein, ich bin doch nicht der Lehrer.
K
Nein, das nicht . ..
T:
Ich bin auch nicht Ihr Vater, nicht?
K: Nein, das auch nicht, aber . .. trotzdem bin ich ja zu Ihnen gekommen, weil ich ja eigentlich vonihnen eine gewisse Hilfe e!Warte, oder? T: Nein, ich glaube, das Ganze - der Gnmd, wie das überhaupt funktionieren kann, ist das, daß ich da bin und Sie ein Stück weit- wie soll ich sagen -Ihnen behijlich bin, aber nicht durch Aufzeigen von Defekten oder Fehlern, sondern eigentlich, daß Sie Dinge, die Sie ohnehin schon wissen, aushalten. Also, was Ihnen jetzt durch den Kopf geht, das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Verstehen Sie?
K:
Ja- ja.
T: Alles, was wichtig ist, wissen Sie ja schon sowieso. K: Ja, das ist richtig. Ich habe eben - die Reaktion da draufwar lustig. Ich habe angenommen, wie Sie dort sagten, Sie wollten mich wütend . ..
T- Das habe ich nicht gesagt. K: T:
Sie haben gefragt: " Soll ich Sie wütend machen"? Das war eine Frage.
K·
Ja eben, es war eine Frage.
T-
Fast eine zynische, auf eine Art . . .
K:
Ja. Aber daraus habe ich geschlossen, daß Sie das möchten.
T· Ah, das haben Sie daraus geschlossen? K:
Ja.
T:
Sehen Sie.
K: Und Wut wäre dann ja irgendeine Reaktion von mir gewesen. Ich habe aber keine Reaktion gezeigt, in dem Sinne. Aber es war dann lustig, eigentlich. Am Freitag haben dann eigentlich wieder so ein wenig Angstzustände angefangen. Und das ist eigentlich die Reaktion da drauf, daß also die Wut vielleicht bin ich nämlich doch wütend geworden- aber die kam nicht raus und kam nachher auf mich selber zurück.
T·
Mhm. Da haben SieAngst gekriegt?
K: Ja, ich wurde einfach schaurig unlustig, und dann fing ich an, da rum zu studieren, ob alles überhaupt einen Sinn hätte, ganz allgemein, gut, es hat sich dann allmählich wieder ergeben. So Samstag, Sonntag ist es wieder langsam abgeklungen, oder. Aber- eben da ist schon wieder der Moment, wo ich eigentlich, ich merke schon wieder, da muß schon was nicht stimmen. Etwas ist nicht in Ordnung, die Reaktion war nicht richtig. Von mir. Aber da suche ich natürlich jetzt wieder Hilfe bei Ihnen.. Auf eine Art. Ich müßte jetzt eigentlich eine Frage stellen, warum reagiere ich so? Ich kann ja nicht hier drin mit Toben anfangen, oder, das führt ja zu nichts (lacht). Daher mache ich es auch nicht. Es würde ja zu nichts führen, nicht. Ein Wutausbruch führt ja auch zu nichts, das bringt einen auch nicht weiter, oder. Wie einem ja im allgemeinen Wutausbrüche nicht weiter bringen, dünkt mich. Meistens verschlimmert es ja die Situation. T-
Ihre Situation?
K: Ja. Eventuell, ja. Habe ich das Gefühl, durch einen Wutausbruch. Und dntm eben, im Grunde genommen haben Sie mir ganz genau das bewiesen, was ich natürlich schon gewußt habe, eben, daß ich ziemlich sicher nicht wütend werde, und dann habe ich das einfach mal laufen lassen, und dann kam dann das, daß ich im Moment angefangen habe zu fragen und eigentlich fast eine kleinere Depression hatte.
121
T
Ja, erzählen Sie mir doch von der Depression .. . der kleinen, und von der Angst.
K: Ja, das hat sich dann einfach im Geschäft gezeigt. Als ich am Freitagmorgen am arbeiten war. NichL Ich war schaurig unlustig beim Arbeiten. Hatte keine Lust, war sehrabgelenkt von alt dem, was vorher war. Ich fragte mich immer, was hat er für einen Zweck damit verfolgt? Er will mich wütend machen, es ist ihm nicht gelungen, ich frage mich überhaupt, ob diese Sache noch einen Sinn hat. Wahrscheinlich bin ich unverbesserlich, oder. (lacht) Das werden wir gar nie rausfinden So fast ein wenig, daß ich aufgegeben habe. Ich habe mir dann auch gesagt, ich weiß nicht, ob das überhaupt noch einen Sinn hat, hinzugehen- das ist klar, solche Gedanken kommen einem dann natürlich. Da ist dann wahrscheinlich eine Form von Wut gewesen. Ich meine, die Reaktion: hat es überhaupt noch einen Sinn hinzugehen, ist schon eine Art Wut. T
Ja, ja ... mmh.
K: Die ging aber nicht raus. Ich habe sie nicht eigentlich verschafft. Es ging geschwind wieder auf mich zurück. T: Ja. K: Jetzt weiß ich natürlich nicht, was man daraus schließen muß, nicht. Ich meine, Sie haben ja nicht eigentlich einen richtigenAngriff auf mich gestanet. Sie sagten einfach nichts mehr, Sie haben sich vielleicht auf eine Art z. T ja desinteressiert- kann man nicht richtig sagen, aber . .. Es dünkte mich, Sie würden jetzt nicht mehr an einemAufbau arbeiten, son dern Sie lassen mich einfach auf eine Art hängen, nicht wahr. T Ja. K: Aber eben, den Zweck, hierherzukommen, sehe ich eigentlich darin, daß kein Hängenlassen stattfindet, oder. Sonst hätte ich es ja immer selber machen müssen. Gut, letztlich muß ich es selber machen . .. das ist klar. Aber irgendeinen Weg muß man mir wahrscheinlich aufzeigen, und ich habe einfach das Gefühl, ich finde ihn nicht selber. Und daher schließe ich eben daraus, daß Sie so gehandelt haben, da habe ich schon ein Stück von mir kennengelemt, klar, eben, indem ich nachher ja so reagiert habe, eben, mit einer kleineren Depression.
T- 1st das nicht eine Wiederholung, nicht? Sie behandeln mich jetzt so, als ob ich ein Stück weit so handeln würde wie Ihr Vater. Wenn ich das jetzt vergleiche, das wäre relativ ähnlich wie die Situation, wo Sie in der Lehre sind. K:
Mmh.
T· Und Sie warten im Grunde immer drauf, daß jemand, zu dem Sie Vertrauen haben, zu dem Sie ein enges, persönliches Verhältnis haben, Ihnen sagen würde .. . K:
T:
Was ich machen muß. Ja.
K:
Ja, es ist eine gewisse Unselbstständigkeit.
T-
Ja- eh, ...
K: Ich kann nicht selber handeln. Ich kann nicht selber, was mich betrifft, einen Entscheid treffen. So schaue ich es an. Das ist mir klar. Und da gibt es sicher kein Rezept dafür . .. (10 sec Pause) Eben, vielleicht auch Angst davor, eine Verantwortung übernehmen zu müssen.
T: Mhm. Denn wenn Sie den Ärger, die Angst, in der Stunde gehabt hätten, also quasi nicht zeitlich verschoben mit der Nacht dazwischen, dann wären Sie ja haftbar gewesen dafür, im Moment, dann hätte ich sagen können: "Sehen Sie, so geht es . .. " K: Ja, Drum hat sich dann das verschoben. Das ist klar. Ich glaube, das tue ich immer. Eben das, was uns nicht liegt, die spontane Reaktion.
122
T- Ja, fällt Ihnen auf, wie Sie über sich selber reden? "Das ist klar, das ist immer so . .. ""das ist einfach so".
K: Ja, ich habe mich auf eine Art damit abgefunden. Das dürfte ich aber nicht. Es ist mir bewußt, daß ich das nicht daif.
T Das ist Ihre Sache, im Grunde. Mit was Sie sich abfinden. Es gibt eine Vielzahl von Lösungen. Wie man leben kann, mit einer bestimmten Sache. Und- das können Sie sagen, nicht, das ist jetzt bei mir so. K: Aber wahrscheinlich bin ich eben selber doch nicht zufrieden damit. Oder- ich merke, oder auch unterbewußt, vielleicht, daß ich das gar nicht will, ich möchte ja spontan reagieren, aber ich kann es nicht. T: Und auf eine Art ist es ja schon interessant, daß Sie mir so außerordentlich absichtsvolle Manöver und Tricks zuschreiben, wie z. B., ich wolle Sie wütend machen, weil Sie Ihre eigene Wut nicht gefunden haben, auf Ihren Vater, und dann mache ich irgendeinen Schachzug, indem ich Sie mit der Nase dranstupfe, daß das dann doch kommt. K: Mmh - ist auch ein Fehler von mir. T: Was ist denn das für ein Menschenbild, das Sie da haben? Also von mir, nicht. Also wie ich funktionieren würde, in der Beziehung zu Ihnen, als ob ich Sie immer so steuern täte, und auf was draufführen K: Mmh. Das habe ichso - mit allen Menschen.
r·
Ja, aber gleichzeitig sabotieren Sie es natürlich immer.
K:
Das Steuern?
T· Ja, ja. Und mit Recht, würde ich sagen. K: Ja, sonst würde ich mich selber ja total aufgeben, dann wäre ich ja überhaupt niemand mehr ... T· Mmh. Vielleicht ist Ihre Prämisse schon falsch? K:
Wie?
r·
Vielleicht ist Ihre Prämisse schon falsch . Ich wollte Sie gar nicht steuern ...
Ja. Ich weiß nicht, wer mir das immer eingegeben hat. Ich würde gesteuert- Ich glaube nämlich, von Grund auf hat man das nicht.
K:
T
Keineswegs. K: Das ist auch was Eingegebenes. Es ist eigentlich sehr nah beim Religiösen, wieder.
r· K:
Ja. Daß man einfach immer alles . .. " der liebe Gott hat es ja so gewollt". Der steuert das.
T Ja, da gibt es verschiedene Sprachen, nicht. Das ist mir auch schon aufgefallen. Das ist eine Charaktersache bei mir, nicht. Den Charakter läßt man so, ich kann mich ändern, den Charakter: kaum.
K
Schaurig schwer. Man kann sich schon ändern, aber es ist doch wahnsinnig schwer.
r· Ich glaube, Sie können sich vor allem dann nicht ändern, wenn Sie es müssen, nicht. Auf der einen Seite warten Sie drauf, daß Sie mit der Nase draufstoßen sollten, wo ist es denn, nicht, aber auf der anderen Seite, wenn Sie nur einen Funken an hinhaltendem eigenen Widerstand haben, dann können Sie ja gerade in dem Moment das nicht. Ja. T: Ich sage Ihnen: Suchen Sie doch Ihre Wut mit dem Vater, nicht. Dann zuckeln Sie los, es ist ja mehr als verständlich, daß Sie es nicht finden.
K:
K:
Ja, inwiefern verständlich?
123
7:· Sie sind doch kein Apparat. Wo da einer herkommen kann, ein Fachmann, ein Experte, oder sonst eine bedeutende Figur, großartig, wenn man sagen kann: gucken Sie mal, da sitzt es, der Knopf; nicht?
K:
A lso auch Sie suchen auf eine Art noch immer an mir, nicht?
7:· !eh suche nicht - ich bin einfach da. K:
Es ist mir aber zuwenig, auf eine Arr.
T
Ja, sehen Sie.
K:
Einfach da -oder.
T
Ich verschwinde ja auch wieder.
K: (10 sec.) ja aber, einfach da heißt- aber Sie sind doch auch ein Mensch. Sie nehmen doch das auf, was ich Ihnen sage, und Sie versuchen wahrscheinlich, das nachzuverfolgen, nachzuvollziehen, vielleicht gewisse Gedankengänge und irgend wo einen Knopf zu findenmöglicherweise habe ich wieder völligfalsche Vorstellungen.
T:
Es ist ein Versuch, ich versuche, Sie zu verstehen . . .
K:
A ber eben, dann sind Sie doch nicht einfach nur da.
T Ich verstelze Sie ja viel besser, wenn ich einfach da bin, nicht. Und nicht so absichtsvoll mit ihnen. . .. K:
A berdas wäre doch schaurig passiv.
T Das ist halt genau der Knopf, nicht. Oh ja! Sie sind halt eigentlich so passiv, nicht, und Sie warten do ch immer, und jetzt, in der letzten Stunde spitzt sich das zu, ich bin passiv, Sie sind passiv, es muß was passieren. Sie haben das Gefühl, ich sei gar nicht passiv? Sandem ich hätte was höchst absichtsvolles Aktives gemacht, nämlich, ich sei passiv gewesen, damit Sie wütend würden.
K: Ja - (15 sec.) Das wäre aufmich zurückgezogen, wieder. Und doch habe ich- Sie wollten mir doch was zeigen mit dieser Passivität vom letzten Mal. Sie wollten mir meine Passivität zeigen. T:
Ich hatte einfach nichts zu sagen.
.K: (Der Patientnun sehr laut) Plötzlich, plötzlich in dieser Stunde haben Sie nichts zu sagen!? Oder, vorher haben wir ja immer geredet, aber in dieser Stunde haben Sie nichts zu sagen. - das dünkte mich komisch.
T: Mmh. Das weiß ich auch nicht, wie das so kommt. Aber irgendwo habe ich schon das Gespür gehabt, jetzt wäre eigentlich genug. Von dem, was ich gesagt habe. Und das ist ja ein Stück weit in die Hosen gegangen, was ich gesagt habe und wo Sie dann so losgezogen sind, wie ein Jagdhund, nicht. Sie haben es als eine Arl Suchauftrag empfunden, da muß ich lange suchen. K: Mln/1. Ja, einfach mal so, daß man . .. ja, vielleicht schon eine Art Suchauftrag. T Minh. K: A n verschiedenen Orten mal die Fühler ausstrecken. Zum sich vielleicht selber mal sehen. Zum sehen, was ist eigentlich los. Aber irgendwie muß man das ja tun. 7:· Aber sehen Sie, ist das nicht ein ganz repetitives Muster, jetzt zeitlich so zusammengeschoben, daß es grad noch verstehbar ist: Sie haben mit einer wichtigen Figur, also mit jemand, mit dem Sie eine enge Beziehung haben, Sie kommen in eine Situation hinein, Sie vermuten, der will was machen mit Ihnen, Sie wissen sogar was, er will Sie verrückt machen, dann passiert das nicht.
K: T
124
Mmh. Aber im Geschäft dann, immer drum rum. Da kommt es auf einmal hoch.
K: Ja- aber es ist, schon die Frau hat in letzter Zeit gesagt, ich sei mit einemmal wieder so schweigsam. Mir selber fällt nichts auf Also schon vorher. Sie sagte, ich sei so komisch. Aber scheinbar merke ich das selber nicht. Daß ich wieder schweigsam werde, obschon ich mich eigentlich wohl fühlte. Ich wußte auch nicht, woher das Schweigsame hätte kommen sollen ..., ob sich nicht doch langsam hier wieder etwas Komisches vorbereitet hat? Auf das hingegangen ist, daß vielleicht auch ich, im Verhältnis zu uns, habe herbeiführen wollen, daß es hat müssen zu dieser Sache kommen, am letzten Donnerstag. Es kann sein- ich habe es ja dann eigentlich als Kampf aufgefaßt. Daß ich vielleicht auf eine Art den Kampf gesucht habe; und Sie haben es gemerkt, wahrscheinlich, oder ich unterstelle Ihnen wieder was (lacht), aber das ist allgemein. Bei uns. Daß wir immer das Gefühl haben, auch bei meinen Eltern- beim Bruder wüßte ich nicht- wir würden gesteuert. Oder, ich habe auch immer das Gefühl, ich werde von alt m einen Vorgesetzten gesteuert und geschuckelt- und, ich fühle mich eigentlich machtlos. Und das gibt letzten Endes eine wahnsinnige Unzufriedenheit, das will man ja nicht, man will ja wirklich selber lenken. Und nicht- im Auto lenke ich dann selber, nicht. Und nicht einfach immer nur rumgeschoben werden wie eine Schachfigur. T: Ja sehen Sie, aber das ist ja das: jedesmal, wenn Sie selber lenken, dann kommt die Angst K · Ja, dann kommt sie wieder.
Im folgenden wird wieder der Versuch einer Zusammenfassung dieses Segmentes gemacht, um dann auf die Problematik der Beziehung Psychotherapie und der daraus folgenden Theoriebildung zurückzukommen: Nach der Eröffnungsbemerkung des Patienten über die Situation, daß es nämlich warm im Raum sei, kam er sofort zur Sache und unterstellte mir, daß ich ihn in der letzten Stunde habe wütend machen wollen. Er habe dann gesagt, das kriegen Sie nicht hin. Daraufhin griff ich die Intentionalität des Schweigens und das Thema der pädagogischen Analyse, das sich durch die ganze Behandlung bis anhin durchgezogen hatte, wieder auf, dem nun der Patient auch zustimmt, es ginge ja darum, "die Fehler aufzuzeigen". Auf die Entlastungsdeutung, daß er alles Wichtige ohnehin schon wisse und ich ihm nur helfe, das ohnehin schon bekannte Wissen auszuhalten, konzidierte der Patient, daß er keine Wut gekriegt habe, dafür aber die Wiederkehr der Angst, der Depression und der Phantasie, die Behandlung müsse abgebrochen werden. Nun dachte er sich Alternativen aus, alternative Reaktionsmöglichkeiten, z. B. Toben bringe nichts. Die vollständige Übertragungsdeutung kommt an der Stelle, an der der Patient das Hängenlassen und Schweigen als absichtsvolle, aber nutzlose Pädagogik, hinter der letztendlich Desinteresse liege, beschrieb und er nun zum ersten Mal die Angst, Verantwortung übernehmen zu müssen, konzidierte. Dies nutzte der Therapeut, um auf die zeitliche Verschiebung des Affektes Wut als Abwehr hinzuweisen. Nun kam eine wichtige Passage, in der der Patient mit mir zusammen erarbeiten konnte, daß er die angeblich erwünschte Führung und Steuerung durch die verantwortlichen Personen gleichzeitig auch immer wieder sabotierte. Denn wenn er es nicht täte, würde er sich ja total aufgeben: "Dann wäre ich ja überhaupt niemand mehr." Daraufhin konfrontierte ich ihn mit der falschen Prämisse, daß ich ihn gar nicht hätte steuern wollen. Die Schlußpassage war um die Thematisierung des Widerstandes zentriert, daß gerade in dem Moment, wo er von ~inem Experten auf ein Problem hingewiesen werde, er ja aus Selbstachtung die Anderung nicht durchführen könne, weil er kein Roboter sei. Nun wurde die Passivität thematisiert und was eigentlich geschieht, wenn zwei Leute passiv sind. Er unterstellte mir, meine Passivität sei höchst absichtsvoll und eigentlich Aktivi-
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tät gewesen, um ihm etwas aufzuzeigen. Ich sagte ihm, ich hätte einfach nichts zu sagen gehabt. Nun wurde der Patient sehr agitiert und bestreitet diese Sichtweise. Es folgte eine längere Passage, in der in der Metaphorik des Lenkens und Steuerns, bestimmte Formen der Herrschaftsverhältnisse, und der Unmöglichkeit, sich gegen diese aufzulehnen, thematisiert wurden. 2. 7.1.1 Das offene Verhalten
Die Interpretati.onen, die ich an den Text herangetragen habe, lassen sich keineswegs eindeutig aus ihm herleiten, noch viel weniger meine Gefühle von Aufregung und Gelassenheit. Das wesentliche Geschehen spielt sich hier im nonverbalen, offen beobachtbaren Bereich ab. Manchmal wird auf ihn Bezug genommen, z. B. an der Stelle "sie lächeln ja schon ganz fein" oder der Rekurs auf das viele Lächeln. Diese Art von Beobachtung von "overt behavior " ist wie bei jedem wissenschaftlichen Prozeß auch in der Psychotherapie das Fundament jeder Interaktion. Im folgenden soll nun das offen beobachtbare Verhalten und seine Beziehung zu den Phantasien besprochen werden. Auch diese zwölfstündige Fokaltherapie wurde videographiert. Aus jeder der zwölf Therapiestunden wurden vier Stichproben von 40 Sekunden Hörer- und Sprecherzeit ausgelesen und in bezug auf das Ausdrucksverhalten mittels des "Facial Action Coding"-Systems analysiert (Ekman & Fri.e sen 1986). In der Abbildung 25 finden sie die Häufigkeitsverteilung von vier Formen des Ausdrucksverhaltens des Patienten, nämlich Lächeln allein, einem kaum wahrnehmbaren Spurenlächeln, das wie eingefroren wirkte, Wut und Ekel zusammen aufaddiert sowie Wut/Ekel zeitlich synchron mit Lächeln. Die genaue Methodik der Auswertung kann man in Krause & Lütolf (1988, 1989 ) finden. Herr S. hat einen hohen Anteil an widersprüchlichen Ausdrucksbotschaften, die man entweder als den Niederschlag seines ambivalenten Erlebens definieren kann oder als den mehr oder weniger bewußten Versuch, seine "wirklichen" Gefühle, nämlich Ärger und Ekel, mit einem Lächeln zu verdecken oder abzumildern. Gleichzeitig hat er ein kaum wahrnehmbares Dauerlächeln auf sein Gesicht gezaubert. Beide Phänomene gehen im Verlauf der Behandlung signifikant zurück. Nimmt man das Ausdrucksverhalten des Therapeuten hinzu und setzt es zu demjenigen des Patienten in Beziehung, ergibt sich, daß das echte Lächeln des Therapeuten ca. fünfmal so häufig ist, wenn der Patient ohne die Beirnengung der negativen Affektausdrücke lächelt. Die Unterschiede sind hochsignifikant. Desweiteren ist das synchrone Lächeln am Anfang und am Schluß der Behandlung besonders häufig und geht in den Stunden 7 und 8 gegen Null. Die beiden vorgestellten Stunden 7 und 8 sind im offenen Verhalten in mancher Hinsicht bemerkenswert. Stunde 7 ist zur Hälfte Schweigen. Der Textkorpus ist um die Hälfte kleiner, trotzdem lächelt der Patient in dieser Stunde am meisten (12 Prozent), ich arn wenigsten. Das widersprüchliche Ausdrucksverhalten des Patienten hat in der siebten Stunde seinen Maximalwert und geht in der achten ganz herunter. Dafür steigt die reine Wut und Ekelmimik auf den höchsten Wert. Solche beschreibenden Verhaltensaussagen ohne Bezug auf andere Daten sind für die klinische "Forschung" des einzelnen Analytikers nur beschränkt hilfreich. Eine Frage kann er aber mit solchem Material schon zu beantworten suchen. Ist 126
Lächeln in reiner Form
14 12 10
8 6
4 2 0 10
Spurenlächeln
9
8
7 6 5 4
3
2
1 0 5
Maskierung von Ärger und Ekel durch Lächeln
4
3
2 0
6
Reiner Ärger und Ekel
5
4 3 2
1 0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Abbildung 25: Affektausdmck von Herrn S. in den 12 Stunden. Angaben der Ordinate beziehen sich auf die Gesamtcodierzeit der jeweiligen Stunde (in%).
127
dieses Verhalten "statistisch" auffällig? Haben das Patienten mit anderen Diagnosen und Gesunde nicht? Hier wird er aus der klinischen Erfahrung klar ja sagen können. Die nächste auch statistisch beantwortbare Frage ist, ob nach der Häufigkeitsverteilung dieses Ausdrucksmuster bestimmten Störungsbildern zugeordnet werden kann. Auch hier kann man aus der klinischen Empirie heraus zustimmen. Solche Verhaltensbeobachtungen können für die Diagnose von großer Bedeutung sein, und wir werden im Kapitel Triebe und Affekte in Band 2 explizit wieder darauf eingehen. Patientin A z. B. hatte ähnliche Formen des Ausdrucks mit viel Lächeln. Auch sie zeichnete sich durch eine sehr grundlegende Ängstlichkeit und Abhängigkeit aus. Für den Therapeuten als Forscher und Kliniker handelt es sich um sieht-, hör- oder fühlbare Verhaltensweisen, die er aus der Sicht eines Externen (nämlich des Forscher-Therapeuten) beobachten, klassifizieren und beschreiben und möglicherweise Aussagen nach dem Typus von "Wenn-dann-Beziehungen" machen kann. Wenn er klinisch klassifikatorische Wenn-dann-Aussagen machen will, benötigt er Vergleichswissen darüber, ob das Verhalten in dieser Situation außergewöhnlich ist oder nicht, d. h., er muß bereits sehr viele Behandlungen durchgeführt haben. Gütekriterien der Objektivität und Reliabilität sollen sicherstellen, daß das beobachtete Verhalten und die "Wenndann-Bezi.ehung" nicht Folge einer meistens ungewollten oderunbewußten Intention des Forschers/Therapeuten ist. Solche "Wenn-dann-Aussagen" sollen, soweit möglich, so axiomatisiert werden, daß sie in intersubjektiv beobachtbare Sätze umformuliert und durch die Beobachtungen anderer repliziert werden können. In der referierten Therapie kann ich z. B. ein bestimmtes Verhalten eines Patienten, etwa ein sehr häufig beobachtbares Lächeln, als "overt behaviour" ansehen und mich fragen, was jeweils vor einem solchen Ereignis passiert und was nachher. D a könnte ich dann z. B. zu der Schlußfolgerung kommen, daß immer, wenn auf der Textebene Themata mit Schädigung, Verletzung etc. auftreten, ein solches Lächeln erscheint. Solche Aussagen liegen allerdings immer nur in statistischer Form als Koinzidenzsverteilungen vor. Der kausale Zusammenhang ist so nur indirekt zu bestätigen. Es könnte nun gleichzeitig sein, daß dieses Lächeln im teilnehmenden Beobachter ganz merkwürdige Zustände hervorruft, sagen wir, daß eine eben aufkommende Gereiztheit so etwas wie Mitleid Platz macht. Auch hier kann man nur dann reliable und valide Aussagen machen, wenn man Vergleichswissen hat und wenn die Koinzidenz intersubjektiv nachvollziehbar ist; anderen geschulten Personen muß es also auch so gehen. Es gibt keinerlei Gründe, für diese Arten von Beobachtungen auch nur die geringsten Abstriche am Kanon der Gütekriterien für wissenschaftliche Untersuchungen zu machen. Die Beobachtungen müssen reliabel, intersubjektiv nachkontrollierbar und valide sein. Ein Validitätskriterium ist zum Beispiel, daß die Aussage, immer wenn der Patient X dieses Verhalten zeigt, dieses Gefühl in mir entsteht, sichergestellt werden muß, daß das beschriebene Gefühl kein Artefakt ist, das ich selbst hergestellt habe, einmal indem ich den Patienten in einen Affekt hineinmanövriert habe, der mein eigenes Gefühl produziert, zum anderen, daß mein Gefühl nicht die Folge einer ideosynkratischen Decodierungsregel ist. Deshalb müssen andere erfahrene Personen die .i nteraktive Genese dieses Gefühls nachvollziehen können. Die Beobachtungseinheit ist also die Dyade. Es geht um Gesetzmäßigkeiten des Wenndann-Typus auf der Ebene des Beziehungsverhaltens. Die ohnehin etwas problematische Unterscheidung in nomothetische und ideographische Ansätze muß an 128
dieser Stelle aufgegeben werden. Nomothetisch ist der Gesetzescharakter der Aussagen, ideographisch ist, daß die Gesetze nur über die sich in der Zeit diachron entfaltende Beziehungsrealisierung eruiert werden können. Ein großer Teil klinisch diagnostischer Aussagen sind von diesem Typus, so zum Beispiel "ein Muster von instabilen, aber intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen ... " (Wittchen, Saß, Zaudig & Köhler 1989) als Definitionsmerkmale der BorderlinePersönlichkeitsstörung (Krause 1994 ).
2. 7.1.2 Das Intentionsverstehen Im allgemeinen wird das Verhalten des Handlungspartners nicht als objektives Datum wahrgenommen, beschrieben und analysiert, sondern als "Handlung". Obgleich auch aus dem Strom des Verhaltens ableitbar, werden Handlungen nicht als "Wenn-dann-Beziehungen" beschrieben und analysiert, sondern als zielorientiertes Verhalten, das von Intentionen gesteuert wird, wahrgenommen. Der so entstehende Aussagentyp mündet in Ziel-Plan-Beschreibungen ein. Die Position des Forschers ist nun nicht die eines externen, sondern die eines teilnehmenden Beobachters. Die psychotherapiespezifische Form des teilnehmenden Deoachtens beruht, wenigstens teilweise, auf einem Vorgang, den wir oben Empathie genannt hatten. Die einfachste Form der teilnehmenden Beobachtung bestünde darin, daß der Therapeut das gleiche Gefühl entwickelt wie der Patient. Möglicherweise setzt dies das reziproke Ausdrucksgeschehen, wie wir es oben beschrieben haben, voraus. Das wird therapeutisch im allgemeinen wenig hilfreich sein. Zwei sich ängstigende Personen, die womöglich nicht einmal die Quelle ihrer Ängste verorten können, sind selten in der Lage, zu planen. Wenn Patient und Therapeut zusammen trauern und weinen, mag dies ein solidarischer Akt sein, aber es kann bei solchen Vorgängen nicht bleiben. Im übrigen wären solch intensive Gefühle als Basis einer Dienstleistungsbeziehung auf Dauer nicht zu ertragen (Hochschild 1979). Der Therapeut muß mit verminderter Besetzung arbeiten und sollte seine Gefühle für die Behandlung und Technik benutzen. Das Intentionsverstehen schließt auch Prozesse ein, die auf den ersten Blick überhaupt nicht empathisch sein müssen. Es kann z. B. sein, daß der Therapeut sich plötzlich wie ein ohnmächtig wütendes oder ängstliches Kind fühlt und den Patienten als überlegen, großartig und gefährlich sieht. Ein solcher, häufig "komplementär" genannter Vorgang (Racker 1978) ist auf den ersten Blick nicht empathisch zu nennen, weil ja die Gegensätzlichkeit der Gefühlswelt recht prononciert ist. Gleichwohl kann es sich um einen durch Handlung und teilnehmende Beobachtung inszenierten Verstehensvorgang handeln, dessen Logik so geht, daß der Patient den Therapeuten dazu bringt, etwas für ihn außerordentlich Relevantes, meist Traumatisches, zu erleben, das ihm selbst im Moment nicht zugänglich ist, z. B. ohnmächtige Wut. Genau dies hatten wir im Fall H. zu beschreiben versucht. Er hat durch eine interaktive Inszenierung aktiv und passiv vertauscht und dadurch ein Verfahren in Gang gesetzt, durch das der Therapeut stellvertretend für ihn empfindet. Solche Vorgänge werden wir später unter den Begriffen Projektive Identifikation/Spaltung näher besprechen müssen (Kernberg 1987, Ogden 1988, Sandler 1989). Fürs erste soll festgehalten werden, daß die teilnehmende Beobachtung keineswegs auf die Gefühlsinduktion oder das Analysieren aus dem Bauch heraus 129
reduziert werden kann, sondern in sich eine Menge sehr überlegter kognitiver Operationen benötigt, die aber nach anderen Prinzipien wie die Beobachtung des offenen Verhaltens ablaufen. Wie die verschiedenen Formen empathische Teilhabe entstehen und funktionieren, ist keineswegs geklärt (Steins & Wicklund 1993). Soll die teil.nehmende Beobachtung als behandlungstechnisches und diagnostisches Instrument benutzt werden, ist eine gewisse Abstinenz des Therapeuten erforderlich. Sie ist Voraussetzung dafür, daß die Handlungen des Patienten tatsächlich dessen Intentionen reflektieren. In bezug auf die Therapie von Herrn S. könnte man das Ausdrucksverhalten als intentionale, gleichwohl unbewußte Handlung verstehen. Der Patient lächle vor allem in der 7. Stunde besonders viel, weil er von sich den Eindruck habe, er sei aggressiv und verdiene wegen dieser Aggressivität Strafe, die er nun mit dem Lächeln verhindern oder wenigstens abschwächen möchte. Das Handlungsziel wäre, eine Schädigung zu verhindern, und die Verwendung des affektiven Zeichens "Lächeln" wäre dessen Realisierung. Eine solche Vermutung oder Hypothese bedarf natürlich vielfältiger Bestätigung und Überprüfung einmal durch die Einbettung in erzählte repetitive Interaktionscharakteristika, zum anderen durch die Kenntnis der Dynamik des gegenwärtigen lnteraktionsgeschehens. So würde die obige Aussage wenig Sinn machen, wenn der Therapeut fortlaufend Situationen schafft, in denen er den Patienten, der sich ja im therapeutischen setting nicht sehr gut wehren kann, tatsächlich kränkt, und das noch womöglich, ohne es zu merken. Ohne die Kenntnis der Gegenübertragung kann es häufig keine produktive teilnehmende Beobachtung geben. Das naheliegendste Verfahren für die Aufdeckung der Intentionen ist, den Patienten zu fragen, warum er so viel lächle. Dem stehen allerdings mehrere Hindernisse im Wege. Erstens hat er es selbst nicht bemerkt und wahrscheinlich würde er eine solche Frage als außerhalb des höflichen Diskurses erleben. Schließlich könnte diese Vergehensweise hinderlich sein, weil es für ihn wichtig ist, selbst zu entdecken, daß da etwas ist, von dem er nichts zu wissen meint. Sei es nun ein Exzeß an Lächeln oder eine aggressive Intention. Die bloß kognitive, wenn auch richtige Information hat möglicherweise keine verändernde Kraft, weil sie nicht in der erlebten Empirie des Patienten verankert sein muß (Moser 1962). Wir gehen also in wichtigen Bereichen davon aus, daß es so etwas wie unbewußte Intentionen gibt, die mit den bewußten, die man natürlich kennen muß, in Konflikt stehen können. Wenn wir z. B. einen Persönlichkeitstest als Aussagen über generalisierte bewußte Intentionen betrachten, dann wäre unsere Hypothese grundlegend falsch, denn auf Grund der Testresultate des Freiburger Persönlichkeitsinventars hält sich der Patient zu Beginn der Behandlung für extrem unaggressiv. Auffällig ist allerdings, daß im Verlaufe der Behandlung und vor allem der 1/z-Jahres-Katamnese just diese Einschätzung in bezugauf die Intentionalität große Veränderungen aufweist, parallel zu einer gewaltigen Veränderung von extremer Nachgiebigkeit zu einem nicht unerheblichen Dominanzstreben. Dominanzstreben kann man sehr wohl als generalisierte Intentionalität ansehen. Also hat sich in der Behandlung offensichtlich die Wahrnehmung der eigenen Intentionalität verändert und/oder die Handlungen selbst. Betrachtet man die affektiven Selbsteinschätzungen nach jeder Stunde über die Behandlung hinweg als Ausdruck von Intentionalität, wird deutlich, daß sich Herr S. als wenig ärgerlich einstuft, mit Ausnahme der dritten Stunde.
130
Der Therape~.t teilt diese Ansicht keineswegs und postuliert eine graduelle Abnahme des Argers des Patienten mit einem Maximum am Anfang. Er selbst hält sich für wenig ärgerlich mit Ausnahme der bereits erwähnten dritten Stunde, in der offensichtlich alle Urteilsakte zusammengekommen sind. In dieser Stunde wurde -wie bereits beschrieben- die Thematik des Patienten vorzeitig agiert. Ich hatte ihn aufgrund des Fernbleibens bei der Geburt verachtet, es auch unkontrolliert offen gezeigt, und er hatte es gemerkt. Was die Verachtung und den Ekel betrifft, finden wir einen Gipfel in der siebten Stunde, in der der Patient den Therapeuten als verachtend einstuft. Nach dieser Stunde verschwindet diese Einschätzung gänzlich. Für den Ekel finden wir ein Maximum in der siebten Stunde vom Patienten über sich selbst und einen gleich hohen Wert vorn Therapeuten. In der Stunde darauf geht dieser Wert gegen NulL Die Einschätzung hinsichtlich Freude geht kontinuierlich nach oben. Vergleicht man diese Befunde mit der Mimik, so kann man sehen, daß der Patient in der siebten Stunde besonders viel gelächelt und besonders wenig negativen Affekt gezeigt hat. In der achten Stunde besonders viel, obgleich er sich in dieser Stunde als besonders glücklich eingeschätzt hat, in der siebten Stunde aber besonders unglücklich. Wir können an dieser Stelle schon sagen, daß, wenn man das Ausdrucksverhalten als Abbild von Intentionen versteht, dies mit der selbstreflexiv zugänglichen Intentionalität unseres Patienten zumindest zu Beginn nicht sehr viel zu tun hat. An manchen Stellen allerdings kommt beides zusammen. So zum Beispiel in der dritten Stunde. Wir werden bei der gesamthaften Besprechung auf diesen Befund zurückkommen.
2. 7.1. 3 Das Aufhellen von Bedeutungen Schließlich gibt es Bedeutungen und Bedeutungsfelder in ihrem Umfeld, das sind Aussagen vorn Typ: für x bedeutet y = z. Man kann solche Bedeutungen "verstehen", indem man die Verortung eines Datums im kognitiven Netzwerk des Patienten verfolgt. Hier sollte es nun so sein, daß die Bedeutungsverleihung nicht Folge einer Intention des Verstehenden bzw. einer "Wenn-dann-Beobachtung" ist, sondern tatsächlich die assoziative bzw. symbolische Struktur des zu Verstehenden abbilden sollte. Im allgemeinen sind in diesem Umfeld empathische teilnehmende Beobachtung und die Beobachtung des offenen Verhaltens kontraproduktiv. Wenn Herr X. Schwimmwesten für etwas hochgradig Erregendes und Erotisches hält, kann ich ihm auf dem Wege der Ernpathie nicht folgen, es nützt auch wenig zu beobachten, daß der Anblick einer Schwimmweste den Patienten erregt; das kann er uns selbst berichten (Krause 1993). Die Verankerung des Objektes in den assoziativen Netzwerken kann uns aber helfen, seine Bedeutung zu verstehen. Die meisten Personen werden natürlich die Alltagsfunktion des Objektes zur Bedeutungsaufhellung nutzen. Als Heuristik ist dies zulässig, aber für den Patienten mag dies ganz irrelevant sein. Für Herrn X. erfährt das fetischistische Objekt seine Bedeutung durch die Schnürung un~_ Beengung sowie den Geruch von altem gummierten Stoff, etwas, das mir eher Ubelkeit bereitet. In manchen Arbeiten zum wissenschaftlichen Status der Psychoanalyse wird auf eine Dichotomie zwischen Erklären und Verstehen rekurriert (Körner 1985, Lorenzer 1973). Ich meine, daß
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bereits die Einteilung dem Vorgang der therapeutischen Beziehung nicht gerecht wird. Einmal muß man innerhalb der Verstehensvorgänge die teilhabenden "empathischen" Verstehensvorgänge vom Verstehen einer "kognitiven" Struktur trennen. Schließlich hat "erklären" nicht die gleiche grundlegende Dignität menschlichen Funktioni.erens wie Wahrnehmen, Mitfühlen und Bedeutungen aufhellen. Das Kunststück der Behandlungstechnik liegt nicht in einer spalterischen Abgrenzung von vermeintlich alleinseeligmachenden Zugängen zum Patienten, sondern in der fortlaufenden diagnostischen und technischen Frage, wann welche Form des Zuganges angemessen ist. Die Frage der Angernessenheit soll unter Rückgriff auf alle Behandlungen und alle Arten von Daten diskutiert werden. Wir werden dazu versuchen, die oben eingeführten konkreten Behandlungen so zu verallgemeinern, daß wir das Funktionieren des Analytikers als "On-line-Forscher" unter Rückgriff auf alle Arten von Daten zum Ausgangspunkt nehmen.
2.8 Der Analytiker als "On-line-Forscher": Verallgemeinernde Auswertung des Falles S. Das Ausgangsproblem ist, daß eine allgemeine Theorie vom Menschen, die in der spezifischen Handlungssituation der Psychotherapie entstanden ist, deren Allgemeingültigkeit man abklären will, auf ihre Datengewinnungssituation hinterfragt werden muß. Ich schließe mich der Grundbedingung Lorenzers an, nach der "nicht davon ausgegangen werden kann, was die Psychoanalyse ihrem eigenen Selbstverständnis nach - ,ist', sondern davon, was der Psychoanalytiker macht" (Lorenzer 1973, S. 46). In der vermeintlich prototypischen Beschreibung dessen, was der Analytiker macht, habe ich allerdings keinen Grund, Lorenzer zu folgen. Beim ersten Ordnungsversuch hatten wir festgestellt, daß es mindestens drei verschiedene Gesichtspunkte gibt, nämlich die Beschreibung von overt-behavior mit dem Ziel, "Wenn-dann"-Aussagen zu machen, die Beschreibung von Handlungen mit dem Ziel von Plananalysen und Intentionsverstehen und schließlich Bedeutungen mit dem Ziel von "Sinnverstehen". Gleichzeitig stellt sich heraus, daß die Vorsichtsmaßregeln, die man in den verschiedenen Datenbeschreibungssystemen anwendet, sich teilweise ausschließen. Nun läßt sich zeigen, daß diese Problematik keineswegs nur für Psychotherapiesituationen gilt, sondern für jede Art der Theoriebildung im Bereich der Psychologie, in der wir als handelnde Wesen Aussagen über andere handelnde Wesen machen. Intentionale Erklärungen sind für eine Konzeption über den Menschen und speziell spezifische Menschen, wie unsere Patienten, unverzichtbar. In intentionalen Erklärungen ist Bieri (1987) folgend keine Gesetzesaussage enthalten, die man durch Empirie falsifizieren oder verifizieren könnte. Wenn man das Wetter z. B. als den Niederschlag einer intentional handelnden Gottheit betrachtet, so kann ich eine Theorie über die Launen dieser Gottheit entwickeln, die die empirischen Sachverhalte richtig abbildet, aber eben als Gesetzmäßigkeiten der Launen eines Gottes. Ich würde also sagen, zwischen Weihnacht und Neujahr sind die apokalyptischen Reiter unterwegs, deshalb stürmt es so oft. Die Theorie ist wahrscheinlich falsch und hat doch einen empirischen richtigen Gehalt. Wenn Herr S. "glaubt", Aggressionen von anderen Perso-
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nen dadurch vermeiden zu können, daß er sich besonders untetwürfig gibt, ist die Erklärung seines Handeins auch dann wahr, wenn die dahinterliegende Theorie gänzlich falsch ist und er sein Ziel, Schaden zu vermeiden, sogar systematisch verhindert. Man kann menschliches Verhalten sowohl kausal als auch intentional beschreiben, aber man meint jedesmal etwas anderes damit, nämlich einmal die determinierte Folge psychephysikalischer und/oder physiologischer Zustände und zum anderen das zielbewußte Handeln eines Subjektes. Daß das Handeln wieder ein physikalisches Substrat hat, bleibt unwidersprochen. Wenn man von einer Beschreibungsebene zur anderen wechselt, wechselt man den erkenntnistheoretischen Standpunkt, von denen keiner prinzipiell falsch ist. Die schwierigere Frage ist, wann welches Beschreibungsverfahren angemessen ist. Schließlich gibt es Verhaltensabläufe, die man nur dann als intentionales Handeln und damit als zielgerichtet verstehen kann, wenn man die Existenz unbewußter Handlungsziele postuliert. Die Schlußfolgerung auf eine unbewußte Intention wird immer dann notwendig, wenn das Handlungsergebnis in eklatanter Weise der bewußten Intention widerspricht. Da der Patient S. intelligent und eigentlich ehrgeizig ist, ist zumindest ein Widerspruch gegeben. Wir haben also dem Patienten einen Kernkonflikt unterstellt, der sich an einer solchen unbewußten Intention orientiert, der die an sich sinnlosen Formen von Scheitern in Prüfungen in der Schule oder in der Lehre dadurch "erklärt", daß der Patient sich zielgerichtet aus einer ihm unbekannten Intention heraus schädigt. Eine solche Annahme kann falsch sein und ist auch nicht wirklich empirisch überprüfbar und eigentlich auch keine wirkliche Erklärung. Es gibt auch kein eindeutiges Wahrheitskriterium, wann ein solches Postulat "richtig" ist. Man kann allerdings Prognosen in bezug auf die weitere Lebensgestaltung und den Therapieverlauf machen, die sich empirisch testen lassen. Das haben wir in der Fokusbesprechung zum Befremden des Patienten, der sich eine solche Nichtkooperation gar nicht vorstellen konnte, getan. Noch in der siebten Stunde meint er wertend, er müsse ja sehr unehrlich sich selbst gegenüber sein, wenn er unterstelle, "bockig" zu sein. Die Metapher des Backens vetweist auf eine kognitiv affektive Struktur aus der Kindheit. Interessantetweise sind aber die Folgenunbewußter Intentionen im allgemeinen recht genau vorherzusagen. Denn es ist die Eigenschaft unbewußter Motive, daß sie sich unkontrollierbar durchsetzen, gerade weil sie nicht argumentationszugänglich sind und gerade deshalb zwingend werden (Körner 1985, Lorenzer 1973). Um das Beispiel unseres Patienten zu nehmen, können wir sehr genaue Prognosen darüber machen, was passieren wird, wenn die von uns postulierte unbewußte Aggressivität ansteigt: Wir werden ein Ansteigen der Schuldangst erwarten und den Versuch, diese durch eine forcierte Form der Untetwerfung zu reduzieren. Das behaviorale Korrelat dieser Untetwerfung ist das Dauerlächeln , das ja in der sehr konfliktreichen siebten Stunde seinen Höchstwert erreicht. Diese Unterwerfung ist gleichzeitig eine Form der Selbstschädigung, weil ihn niemand ernst nimmt und er in den anderen regelhaft, und auch das ist vorhersagbar, Gefühle induziert, die zwischen Verachtung und Mitleid oszillieren. Man kann solche Überlegungen in Anlehnung an Körner stärker formalisieren (Körner 1985). 1. Der Patient hält Autoritäten für schwach, rachsüchtig und leicht verletzbar. Daraus folgt, daß er glaubt, sie könnten seine Versuche, zu rivalisieren bzw. besser zu werden als sie, nicht ertragen und daranzugrunde gehen. Diese Vor133
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stellung läßt immer dann unbewußte Schuldgefühle entstehen, wenn der Patient kurz vor der Realisierung der Intention "Besser werden " steht. Der Patient ist bestrebt, diese unbewußten Schuldgefühle zu vermindern. Daß jemand bestrebt ist, Schuldgefühle zu vermindern, gilt als Gesetz. Der Patient glaubt nun, daß das beste, wenn nicht das einzige Mittel dagegen ist, sich allen Autoritäten zu unterwerfen und überaus freundlich zu sein. Dies ist eine für diesen Patienten typische Annahme, die allerdings für andere Patienten mit ähnlichen Störungsbildern auch gilt. Sie ist aber kein Gesetz. Immer wenn rivalisierende Intentionen auftauchen, wird er besonders freundlich, submissiv und erfolglos agieren. Daß er durch die eigene Erfolglosigkeit sich gleichzeitig an den Autoritäten rächt, vorausgesetzt dieselben schätzen ihn, würde die Intention der Schädigung dann doch wenigstens teilweise wieder in den zwischenmenschlichen Beziehungsraum einfließen lassen.
Weil dieses Geschehen so zwanghaft abläuft, wird der Intention häufig ein Bedürfnis unte rlegt (Strafbedürfnis), das dann als kausale Ursache für die selbstschädigende H andlung benutzt wird, so daß sich ein empirisch überprüfbares Postulat ergibt, das nun folgendermaßen lauten kann: Immer wenn jemand seine Schuldgefühle unbewußt vermindern will und unbewußt glaubt, daß es dazu notwendig ist, sich zu demütigen, wird er Situationen schaffen und aufsuchen, in denen dies geschehen kann. Eine solche deduktiv nomologische Erklärung kann die zwanghafte Gesetzmäßigkeit des Geschehens durchaus richtig abbilden und kann auch empirisch überprüft werden, vorausgesetzt, es gibt eine Möglichkeit, die unbewußte Intention sowie die damit verbundene irrationale Kognition anders zu erfassen als durch das vorhergesagte Verhalten selbst. Wir meinen, daß es gelingt. Alle Therapieformen rekurrieren in irgendeiner Art auf solche intentionalen Netze, die die mentalen Repräsenationen des Selbst des Patienten mit seinen Repräsentationen von und Erwartungen an andere Personen verknüpft. Als übergeordneter Beschreibungsmodus hat sich der Schemabegriff eingebürgert (Grawe 1987, Horowitz, M. 1979, 1994, Horowitz, L. M. 1994). Es wäre also durchaus möglich, den Fokus, wenn auch mit anderen Akzentsetzungen, in Form eines maladaptiven Schemas zu beschreiben. Im Ra hmen des intentionalen Modus kann man das empathische Verstehen als einen mehr oder weniger automatisch ablaufenden Prozeß der Intentionsattribuierung beschreiben. Es gibt eine Vielzahl von Hinweisen, daß dieser Wahrnehmungsmodus in unserem Erkenntnisprozeß phylogenetisch fest eingebaut ist (Klix 1993, Riedl1981, Michotte 1966). Die Wahrnehmung eines Affektes ist die Wahrnehmung einer Handlungsintention, weil die Affekte die Struktur von Propositionen haben. Im Affektzeichen Lächeln unseres Patienten wäre die Intention der Beschwichtigung mitenthalten. Das Affektverstehen hat also die Struktur einer Sprache mit einem Zeichen und einem Bezeichneten, nämlich der angekündigten Handlung. Ernpathie würde bedeuten, daß eine Intention dadurch verstanden wird , daß sie im Beobachter in nuce einen ähnlichen, eventuell komplementären Zustand hervorruft, den der Beobachter richtigerweise als nicht aus sich selbst he raus generiert perzipiert. Die Frage ist also nicht, welcher Beschreibungsmodus richtig, sondern welcher wann nötig ist. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, die scheinbar 134
intentionalen Verhaltensweisen, wie zum Beispiel die Konzentrationsunfähigkeit oder das Lächeln, hätten keinen Sinn und würden gewissermaßen von einem hirnphysiologischen Prozeß ohne jede Intentionalität gespeist. So etwas könnte es ja zum Beispiel in Form eines Lächelticks geben, oder man könnte annehmen, der Patient hätte zum Beispiel in den Prüfungen einen situativen neurologischen Defekt gehabt. Das kann retrospektiv schlecht ausgeschlossen werden. Damit exkulpiert sich der intentional Handelnde aber nicht aus der Verantwortung. Solche Erklärungen sind auch nicht rechtsrelevant. Wegen Konzentrationsstörung kann ich nicht die Prüfungswiederholung einklagen. Die Frage der Intentionalität verlagert sich dann einfach auf die Problematik, daß ich einen Lebenswandel führen muß, der es ermöglicht, nur konzentriert in Prüfungen zu kommen, oder wenn ich generell konzentrationsunfähig bin, bin ich generell prüfungsunfähig. Wenn der Patient das prinzipie11 nicht kann, kann er auch keine Führungsfunktionen wahrnehmen. Müdigkeit, Unkonzentriertheit etc. sind Konstrukte, die rationalisierend unverstandene Intentionalität zur Grundlage haben. Das Auftreten von nicht versteh baren, scheinbar irrationalen Handlungen, z. B. das aktive Herstellen von Situationen des Scheiterns, setzt, wenn es psychoanalytisch angegangen werden soll, voraus, daß es Rationalität in den Intentionen als Rahmenbedingung gibt. Irrationalität entdecken heißt, von der Annahme eines rationalen intentionalen Systems auszugehen. Diese Annahme ist die entscheidende Eingangsindikationsfrage, die sich ein Patient stellen muß, ehe er sich einer Psychoanalyse unterzieht. In einer alltagspsychologischen Fassung lautet sie, da gibt es etwas an mir, das ich nicht verstehe, das mich sehr behindert, von dem ich annehme, daß es einen Sinn hat, und ich hoffe, daß das Verstehen des Sinns meine Probleme reduziert. Man muß keineswegs seine Probleme soleherrnaßen kognizieren, und die Annahme kann auch ganz falsch sein. Wenn sie falsch, ist kommt man notwendigerweise früher oder später an einen Punkt, an dem die epistemische Kategorie der Intention nicht mehr sinnvoll ist. Es ist sinnlos, Neuronen Intentionen zu unterlegen. Die zentrale, auch wissenschaftstheoretisch grundlegende Frage ist, inwieweit diese verschiedenen Beschreibungssysteme ineinander überführbar sind. Man kann sich z. B. diese Beschreibungen, wie dies Bieri (1987) im Anschluß an Dennet (1981) tut, epistemologisch als hierarchisch aufgebaut vorstellen: Es gäbe eine physikalische Stoffebene, die man nur in Kategorien von vollständigen Kausalnetzen beschreiben könne. Es gäbe eine funktionale Programmebene, die man durch die Angabe der Funktionen beschreiben, und eine intentionale Ebene, die durch die Angabe von Handlungszielen angegangen werden kann und muß. Man müsse nichts über die stoffliche Grundlage wissen, um ein Programm zu verstehen und seine Schritte vorherzusagen, wenn man seine Funktionen kenne. In dem Moment allerdings, in dem ein Fehler in der stofflichen Hardware steckt, muß die Beschreibungsebene gewechselt werden. Das gleiche gelte für die Relation zwischen intentionalen und funktionalen Erklärungen. Wenn man die Intentionen eines Systems kenne, z. B. die eines Schachcomputers, den Gegner matt zu setzen, brauche man sein Programm nicht zu kennen. Man könne ihn aus einer intentionalen Einstellung heraus verstehen. Allerdings nur solange, wie die Funktionen des Programmes richtig sind. Sollte dies nicht der Fall sein, helfe die intentionale Einstellung gar nichts. 135
Die metaphorische Anhindung an die Computer wird von Black (1993) und Edelmann (1992) als grob irreführend beschrieben, weil der Mensch als handelndes und lernendes System im Vorgang des WissenseiWerbs die stoffliche neuronale Struktur verändere. In einem Maße, daß die Begriffe Software und Hardware jegliche Bedeutung verlieren, modifiziert hier die "Software" die ihr zugrundeliegende Hardware (Biack 1993, 23, Edelmann 1992). Für die psychischen Störungen sei typisch, daß für die Betroffenen die Kenntnis ihrer eigenen Intentionen eine Prognose des angestrebten Verhaltens nicht erlaubt. Herr S. will eine bestimmte Prüfung machen und hätte auch die Fähigkeiten dazu, aber auf der Funktionsebene geschieht etwas, das die Realisierung der Intention verhindert. Herr S. kann nicht mehr denken. Daß hinter dieser ungewollten Funktionsveränderung ebenfalls eine Intention steht, entzieht sich dem Patienten, dem externen und teilnehmenden Beobachter aber nicht. Im Zusammenhang mit unserem Patienten kann man die verlorengegangene Intentionalität auf der Ebene des overt behavior via Identifikation, Beobachtung und Ernpathie nachempfinden. Ein Teil der Behandlungen besteht in der Wiedererlebbarkeit der subjektiv verlorengegangenen Intentionalität, die aber funktional weiterhin sichtbar und wirkungsmächtig bleibt. So wie wir dies bei der Analyse des Falles H. aufgezeigt haben. Innerlich bilden sich die unbewußten intentionalen Verhaltensweisen der Patienten im Therapeuten und nicht nur in ihm, sondern auch in ihren alltäglichen Handlungspartnern als Phantasien, Gefühlen und Handlungstendenzen ab. Im Fall S. schwanken die Gefühle zwischen Verachtung und Mitleid und münden in bewußte Phantasien wie "der Kerl blamiert die ganze Innung der Männer" (3. Stunde) ein. In der berichteten siebten Stunde ersetzt der Therapeut den eiWachsenen Pati.e nten ein Stück weit durch einen Buben im ödipalen Alter, was den ernpathischen Zugang zu den dissoziierten Anteilen des Gegenwartsurrbewußten erleichtert. Das interaktive intentionale Netz bekommt dadurch in der Phantasie des Therapeuten die Qualität einer erotisierten lustvollen Form einer Auseinandersetzung. Solche Formen intersubjektiver Felder waren dem Patienten mit seinem Vater nie möglich gewesen. Die vom Therapeuten unterlegte intersubjektive Welt ist abhängig von seinen Möglichkeiten, auf solche Erfahrungen zu rekurrieren und sie entwicklungspsychologisch auch theoretisch aufzubereiten. Vor diesem Hintergrund kann man sich auch eine andere Form der intersubjektiven Phantasiebildung vorstellen. Ob sie dem Patienten nützen würde, ist eine empirische Frage, die im Rahmen dieses Vorhabens nicht gelöst werden kann. Es wäre aber wahrscheinlich wenig hilfreich, die Situation in Termini einer MutterSäuglingsbegegnung zu phantasieren. Die nichtanalytischen Behandlungsformen gehen auf die Entwicklung als Agens zur Strukturierung des intersubjektiven Feldes im aiJgemeinen nicht ein. Die Bedeutungsaufhellung spielte, wie so oft bei Kurzpsychotherapien, bei Herrn S. keine sehr zentrale Rolle. In Ansätzen kann man sie an der Entwicklung eines Verstä ndnisses von "Lastwagen" beschreiben. Der Lastwagen hatte eine über das Funktionale hinausgehende symbolische Bedeutung, die sich daran ablesen läßt, daß er einmal Gegenstand der Angstsymptomatik, aber auch großer persönlicher Anstrengung war. So stellte sich in der Katamnese heraus, daß Herr S. die Kosten für den Lastwagen-Führerschein trotz mehrmaligen Durchfallens selbst bezahlt und sich gewissermaßen auf eigene Kosten an jene Stelle gebracht hatte, die ihm
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so schwere Ängste bereitete. Ebenfalls in der Katamnese erzählte der Patient, daß er in der Zwischenzeit einen Schleuderkurs für schwere Lastwagen auf Schneeund Eisgelände durchgeführt und dies als außerordentlich aufregend empfunden habe. Während der Behandlung hatte er einmal einen Autofahrer auf der Autobahn, der ihn behindert hatte, überholt, sich vor ihn gesetzt, scharf abgebremst und dort tatsächlich die Kontrolle verloren. Er sagte danach: "Ich bin ja tatsächlich ein gefährlicher Autofahrer." Die Bedeutung des Lastwagens war nicht sehr ideosynkratisch, und wir kennen sie aus anderen Behandlungen. Das große, schwere Fahrzeug wird als Symbol von Macht und Einfluß, aber auch von Triebhaftigkeit und Haltlosigkeit genommen. Hierin hatte sich der Patient im wesentlichen der unbewußten oder bewußten Bedeutung dieses Objekts in unserer Kultur angeschlossen, in der diese technischen Gegenstände an die Stelle der Tiere getreten sind. Wo früher eine Pferdephobie auftrat, haben wir heute eine Art von Lastwagenphobie. Der Führerschein bekommt so eine weit über die Fahrerlaubnis hinausgehende Bedeutung, als Berechtigung für die Handhabung gefährlicher affektiver und triebhafter Intentionen. Er ist wie für die Adoleszenz der Prototyp aller Prüfungen, zumindest für viele junge Männer. Herr S. hatte eine Zusatzprüfung schlußendlich bestanden, ihr Bestehen aber als ungerechtfertigt bzw. hochstaplerisch angesehen, so daß er vor dem Steuern des Lastwagens aber auch vor der Wahrnehmung wichtiger Führungs- und Lenkfunktionen so große Angst hatte , daß er sie quasi heimlich ohne äußere Legitimierung ausüben mußte. In der Nachfolge der Therapie hatte der Patient nach 1 1/ 2 Jahren alle für seine berufliche Laufbahn nötigen Prüfungen nachgeholt. Man hätte die hermeneutische Sichtweise auch an den Russen oder den von Russen verfaßten Romanfiguren wie der Idiot oder Raskolnikow herauspräparieren können, die dann an ein gemeinsames literarisches Wissen anknüpfen, das, wenn es der Therapeut nicht hat, schon gewisse Probleme in der Behandlung bringt. Die Bedeutung der Objekte unseres Patienten leitete sich von der unterlegten Intentionalität ab, denn es ging um die Handlungsstruktur, etwas steuern zu wollen, es aber nicht zu dürfen und es deshalb scheinbar nicht zu können. Die Steuerung der vermeintlich aggressiven männlichen Wünsche erschien schwerlich möglich, weil anscheinend zu befürchten war, daß die Handhabung solcher Wünsche außer Kontrolle geraten und ihn Dinge tun lassen könne, die ihn mit seinem Gewissen, aber auch mit den Institutionen in Konflikt brächten. Hier schloß sich der Patient identifikatorisch seinem Vater an, hinter dessen Russen-Phobie unschwer die Attraktivität der "triebhaften" Russen zu erkennen war. Der Wunsch zu dolmetschen wäre so gesehen ein Integrationsversuch zwischen den kognitiv kontrollierenden Anteilen und den affektiv triebhaften gewesen. Die Integration hätte allerdings nur dann gelingen können, wenn die Russen tatsächlich aufgetreten wären, was ja nicht geschah, was bedeutet, daß diese Art von Intentionalität sich rein als Phantasie abspielte. In der Realität bestraften sich beide in einer Art vorauslaufender Gerechtigkeit für etwas, was sie noch gar nicht getan hatten, wohl aber intendierten, aber die Intention entzog sich ebenfalls der selbstreflexiven Einsicht. Man kann also in diesen Fällen unter Rekurs auf die Intentionalität einen empathischen Verstehensprozeß in Gang setzen, der helfen kann, die Bedeutung des Objektes zu entschlüsseln. Diese Vorgehensweise scheitert aber häufig, denn letztendlich sind nur die Patienten in der Lage, ihre ideosynkratischen kognitiven 137
Netzwerke zu entschlüsseln. Versuchen wir das an einem konkreten Beispiel aus einer anderen Behandlung zu erläutern. Ein depressiver Patient mit einer Zwangsstruktur hatte einen immer wiederkehrenden Traum. Er ist ein kleiner Junge und spielt mit seinem Vater Ball. Zuerst ist es schön und lustig, plötzlich wird es ernst, und der Vater hält den Ball ganz fest, der Patient ängstigt sich schrecklich und wacht auf. Der Traum besteht aus drei Handlungssegmenten, die durch Affekte getrennt sind, nämlich Überraschung und Angst, wobei das letzte Segment gleichzeitig den Abbruch des Traumes bedeutet. All dies ist höchst regelhart über Jahre vor der Behandlung hinweg. Wenn wir nun dem Patienten seinen eigenen Traum als Text vorlegen und eine sprachpsychologische Vorgehensweise benutzen, können wir eine syntagmatische Relation von einer assoziativen im Text trennen. Man kann so zum Beispiel das syntagmatische Element der Aussage "Ball" auf seine assoziative konnotative Bedeutung überprüfen. So mag der Patient zu Ball ,bunt', ,springen', ,spielen' assoziieren, was er ja durchaus mit der Mehrza hl der Sprecher teilen wird und wie es im ersten Teil des Traumes auch bebildert wird. Nun war unser Patient in seiner Kindheit im Ausland mehrsprachig aufgewachsen und hatte alle Slangausdrücke von einer englischsprachigen Peergruppe erworben, wohingegen im deutschsprachigen Elternhaus solche Worte gar nicht auftraten. Nach langer Zeit vor die Frage gestellt, ob dies nicht ein "englischer" Traum sei, erscheint mit der gleichen Plötzlichkeit und Überraschung und der angstvollen Tönung der Einfall: "He grapped me by the balls", was wörtlich übersetzt bedeutet "Er packte mich beim Hodensack", eine häufig benutzte vulgä rsprachliche amerikanische Entsprechung des deutschen "zur Schnecke machen". Von der Aggressivierung und der Verknüpfung von Sexualität und Macht ähnelt es wohl eher dem deutschen "den Arsch aufreißen". Dieser Einfall knüpft nun an die leidvolle Erfahrung, daß man mit dem Vater nicht spielen konnte, weil diese r immer gewinnen mußte und auf diese Art nicht nur jedes Spiel, sondern nahezu alle Handlungen in ein Umfeld von Dominanz und Kampf verwandelte, was die mit Rivalisieren verbundenen Ängste des kleinen Buben ins Unendliche vergrößerte. Das Ausweichen auf die ausländische Vulgärsprache ist gleichzeitig ein vergeblicher Versuch, den im Traum exemplifizierten Sachverhalt abzuwehren, was in diesem Fall nicht gelingt, so daß der Traum schon eine gewisse Nähe zu Alpträumen hat. Ich habe dieses Beispiel erwähnt, um aufzuzeigen, daß es Symbolisierungsprozesse gibt, die sich im konnotativen Netzwerk auf einem ideosynkratischen Niveau bewegen. Für viele psychische Erkrankungen ist dies sogar konstitutiv. Diese assoziativen Netze sind nur sehr beschränkt interindividuell vergleichbar und müssen für jede einzelne Person neu erschlossen werden. Dies kann man an fetischistischen Objekten recht gut aufzeigen (Krause 1993). Deshalb sind lexikalische Angaben über die Bedeutung von Symbolen weder therapeutisch noch theoretisch sinnvoll. Die darauf beruhenden Psychotherapieformen haben bis anhin auch keinen Wirkungsnachweis geliefert (Grawe, Donati & Bernauer 1995). Während die physiognomische Bedeutung der Affekte interindividuell und wahrscheinlich sogar interkulturell stabil ist und damit auch das Intentionsverstehen und die Empathie, ist es bei den sprachlichen Bedeutungen und den damit verbundenen hermeneutischen Methoden gerade nicht so. In der Sprachpsychologie unterscheidet man zwischen lexikalisch konzeptuellen, syntaktischen und Ze igefeldern (deiktisch), die die Bedeutung eines Wortes fest-
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legen. AUe drei tragen zur Festlegung der Bedeutung bei, da sie Strukturen bereitstellen, in denen Worte plaziert werden können. Zeige- und syntaktische Felder kann man beobachten. Die lexikalisch konzeptueiJe Struktur nicht. Sie setzt gemeinsames Wissen voraus. Im allgemeinen wird auch eine unbekannte konzeptuelle Struktur durch Rekurs auf die Syntax und die Zeigefelder erschlossen. Innerhalb der lexikalisch konzeptuellen Bedeutung kann man denotative, konnotative und pragmatische Formen unterscheiden, wobei die konnotativen die lebensgeschichtlich ideosynkratischen lexikalischen Bedeutungen darstellen. Die drei Bedeutungsfelder können einander widersprechen. Ein Großteil der verdichteten Aussagen und der Versprecher kommen durch solche Widersprüche zusammen, die keineswegs immer konfliktiv bedingt sein müssen. Die psychoanalytische Bedeutungsaufhellung beschäftigt sich vor allem mit der konnotativen Bedeutung von Worten, aber auch von Handlungen und Symbolen und deren pragmatischer Relevanz. Alle kognitiven Einheiten, die in hohem Maße bedeutungsgeladen sind, haben eine hohe pragmatische Relevanz. Alle Symbole, sofern sie als solche anerkannt werden, haben außerordentliche verhaltensbestimmende Macht. Psychotherapieübergreifend ist Hermeneutik die Theorie der Auslegung von Symbolen inklusive Sprachsymbolen durch das Reflektieren und Einspeisen der Bedingungen des Symbolisierungsprozesses und seines Verstehens. Gegenstand der Hermeneutik können prinzipiell alle geschichtlichen Lebensäußerungen, z. B. Musik, Texte, Malerei und symbolische Handlungen sein (Seyffert 1991). Entwickelt wurden die ersten Gedanken an Problemen des Textverständnisses, z. B. der Exegese der Bibel , was eine den historischen Kontext in Rechnung stellende Textauslegung bedeutet. Auch die psychoanalytische Hermeneutik ist teilweise historisch, indem sie die Bedeutung der Zeichen in den lebensgeschichtlichen Kontext einbettet (Schelling 1978, Lorenzer 1973). Im Zusammenhang mit der hermeneutischen Vergehensweise sind bestimmte Aussagen sinnlos. Man kann z. B. nicht sagen, ein Zeichen sei falsch, auch kann man seine Existenz nicht empirisch beweisen, denn es handelt sich letztendlich um ein gemeinsames definitorisches Bemühen (Holzkamp 1964 ). Man kann aber die Wirksamkeit eines Zeichens beweisen, z. B. durch seine verhaltenssteuernden Folgen. Man denke an die Wirkung eines Stoppschildes auf den ausgebi ldeten Verkehrsteilnehmer oder das Vorzeigen eines heiligen Merkmals für den Gläubigen. Der Vorwurf der Umständlichkeit, der manchmal der hermeneutischen Methode gemacht wird, ist ebenfalls in der Sache unangemessen, denn Symbolverständnis ist kein denotativ definitorisches Bemühen, sondern Verfolgen eines konnotativen Netzes. Wenn Sie Kinder z. B. fragen, was an einer Katze und einer Maus gemeinsam ist, so mag eines sagen, sie sind beide Säugetiere und damit di e Aufgabe als denotativ aufgefaßt haben. Ein anderes antwortet, sie trinken beide Milch, laufen leise herum, haben ein Fell, sind süß und kuschelig. Die Aufzählungsmöglichkeiten in diesem Umfeld sind kaum begrenzbar, und diese Art von definitorischem Bemühen ist mit der Dynamik kreativer Prozesse weit enger liiert als das denotativ logische Bemühen im Sinne des Extrahierensund Abstrahierens. Man kann allerdings sinnvolle Aussagen machen vom Typus: Das Zeichen und seine Umschreibung ist mir unbekannt bzw. für mich (nicht) versteh bar, das Zeichen ist bei mir nicht vorfindbar, oder die Umschreibung des Zeichens ist verfälscht. Solche Art hermeneutischer Verstehensprozesse setzt die Reflexion ihrer eigenen Bedingungen und Voraussetzungen voraus. Dazu gehören die Merkmale der 139
Situation, die Absichten und die Ziele der Beteiligten, ihre Vorerwartungen und Sinnperspektiven und schließlich die Struktur des Symbolsystems, in welcher sich das Symbol und das Verstehen artikulieren muß. Die eigene Verstehensintention geht also als potentielle Fehlerquelle mit in den Prozeß hinein. Daraus ist ersichtlich, daß ein Verständnis der Verstehens- und Mitteilungsintentionen bewußt oderunbewußt Priorität vor der inhaltlichen EntschlüsseJung von Bedeutung hat. Dies gilt für den Umgang mit Träumen ganz besonders, in denen ohne die Kenntnis der Mitteilungsintentionen die Kenntnis der Bedeutung nicht möglich ist (Morgenthaler 1.978). Das Problem der Hermeneutik, aber auch des Intentionsverstehens in der aufdeckenden Psychotherapie ist, daß der Autor seine eigene Geschichte und damit auch seine eigenen Symbole nicht versteht, die eben deshalb große verhaltensbestimmende Kraft haben. Interventionen und Deutungen von Symbolen und unbewußten Intentionen benötigen die gleichen Gütekriterien wie kreative Produkte. Sie können erstens ihren Wert nur aus der Dialogstruktur zwischen Produzent und Rezipient heraus definieren und nicht überindividuell Gültigkeit haben. Man kann eine sogenannt gute Deutung nicht normieren und auf einen anderen Patienten übertragen. Sie definiert sich eben deshalb als gut, weil sie zu diesem einen Patienten als jeweils individuelle Person in just diesem Moment paßt. Die Gütekriterien für die Entschlüsselungen, sei es nun von unbewußten Intentionen oder von Symbolen, müssen sich technisch betrachtet am Adressaten, der gleichzeitig Autor und Patient ist, orientieren. Im einzelnen heißt dies, daß die Antwort neu sein muß, für den Autor wohlgemerkt, nicht für den Rezipienten/Therapeuten. Sie muß angemessen sein, in der Art, daß sie der Verarbeitungskapazität angemessen ist und vorn Patienten/Autor in den aktuellen Verstehenshorizont eingebettet werden kann. Unangemessenheil kann sich auf kognitive und emotionale Verarbeitungsfähigkeit beziehen. Schließlich sollte die Interpretation etwas bewegen, sie sollte eine Veränderungskapazität haben, also nicht nur neu sein, sondern auch bestehende Widerstände und Abwehrformationen überschreiten. Und schließlich eröffnen gute Interventionen Optionen in neue Verstehensräume, sie sind also in dem Sinne vieldeutig und verdichtet wie Kunstwerke. In Abbildung 26 sind die Gütekriterien für aufhellende deutende Interventionen zusammengefaßt. Eigenschaften der Intervention in Relation zur kognitiv-affektiven Struktur des Patienten
Beurteilungsstandard des Patienten (als Symbolproduzent und Rezipient der Deutung)
Affektive Reaktion des Patienten (Rezipienten) bei Einführung des Kriteriums
1. Neuheit 2. Angemessenheit 3. Transformationskapazität 4. Verdichtung
Häufigkeitsnorm Kontext Zwänge und Beschränkungen Summierungspotenz
Überraschung Befriedigung Stimulation u. Anregung, Rührung Genießen, Auskosten
Abbildung 26: Gütekriterien für deutende Interventionen
Sie sind deckungsgleich mit den Gütekriterien für kreative Produkte und gehen auf Überlegungen der Patentämter zurück (Krause 1977). Sie sind prinzipiell dialogisch definiert und als Inhalte nicht von einer Person zu einer anderen Übertrag1.40
bar. Die Heuristiken zur Schaffung einer guten Intervention sind allerdings sehr wohl überindividuell anwendbar. Gute Interventionen sind, so wie gute kreative Produkte, definitionsgemäß selten und setzen sehr genaue "Wenn-dann-Beobachtungen" voraus, ansonsten wird der Therapeut nicht in der Lage sein, die in Abbildung 26 aufgeführten Kriterien beurteilen zu können. In der Abbildung 27 sind die verschiedenen, im therapeutischen Prozeß notwendigen Wahrnehmungs- und Erkenntnisformen mit den entsprechenden Gütemerkmalen und Sicherheitsrisiken zusammengefaßt. Ziele
Methode
Kausaler Modus
Wenn-dann· Gesetzmäßigkeilen entdecken u. überprüfen
Intentionaler Modus
Symbolverstehen (Hermeneutik)
Gütekriterien Beschränkung
Abwehrmöglichkeiten
objektivierende Beobachtung; Hypothesentestung
Auswerterunabhängigkeit
kein Inten· tions- und Symbolverstehen möglich
kann zur Abwehrvon Empathie u. Symbolverstehen verwendet werden; Tendenz zur Besetzungsabwehr
Aufdecken von bewußten u. unbewußten Intentionen
teilnehmende Beobachtung
"Empathie" im weiteren Sinne
objektive Beobachtung u. Symbolverstehen erschwert
kann zur Abwehrvon objektivierender Beobach· tung verwendet werden; Tendenzzum Agieren
Aufdecken nicht denotativer Bedeutungsnetze
durch "freie" Assoziationen und andere Formen der BedeutungsaufhelJung
Nichtbeeinflussung der kognitiven Struktur des Patienten durch die eigene Konnotation
Abwehrvon Generalisierbarkeit auf an- Handlungen; dere Personen Tendenzzum nicht möglich Ideosynkratismus
Abbildung 27: Wahrnehmungsfmmen im therapeutischen Geschehen und deren Sicherheitsrisiken und Gütemerkmale Es dürfte klar sein, daß eine allgerneine Krankheitslehre sich auf keine dieser Wahrnehmungsformen beschränken kann, aber sie kann auch auf keine verzich ten. Die Wahrnehmung von Intentionen ist wahrscheinlich die phylogenetisch vorgegebene Form der Weitsicht. Wie wir in Band 2 sehen werden, können bereits im Säuglingsalter die Affekte anderer intentional interpretiert und mit Reaktionen beantwortet werden. Daraus und auf Grund vieler anderer Quellen muß man vermuten, daß eine phylogenetische Kenntnis der mit den Affekten verbundenen Intentionen vorhanden ist. Wie immer man dieses Phänomen nennt, z. B. physio-
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gnomische Wahrnehmung, wie dies Heinz Werner (1953) und Oswald Kroh (1958) getan haben, oder ob man es im Rahmen einer Biologie der Erkenntnis erklärt wie Klix (1993) und Riedl (1981), sicher ist, daß die Wahrnehmung von Koinzidenzen ohne die Zuschreibung von Intentionen eine Kulturleistung ist und unter belastenden Randbedingungen wieder der Handlungswahrnehmung Platz macht. Die Attribuierung von Intentionalität und Kausalität ist TeiJ unseres Wahrnehmungsapparates. Zwei Ereignisse, die in einem eng definierten Zeithof aufeinanderfolgen, werden zwingend als kausal verbunden wahrgenommen (Michotte 1966). Jeder spannende Film nützt solche phänomenalen Kausalitätswahrnehmungen aus. Das Licht geht aus und die Balkontür öffnet sich langsam. Für den geängstigten Zuschauer, der mit dem Opfer identifiziert ist, hat beides zwingend miteinander zu tun. Der Regisseur läßt, um die Spannung zu steigern, die Hauskatze hereinmarschieren. Das Beispiel macht deutlich, daß all diese Formen der Wahrnehmung sich allerdings in Abhängigkeit von der psychischen Verfassung des Wahrnehmenden ändern. Was die Interpretation von Koinzidenzen als kausal betrifft, gibt es in den Sozialwissenschaften kein finites Kriterium für die Annahme von Kausalität, sondern wir versuchen, verschiedene Fehler zu vermeiden im Sinne eines Optimierungsprogrammes. Bei der Auswertung von sozialwissenschaftliehen Daten kann die Nullhypothese richtig sein, aber wir entscheiden uns fälschlicherweise für die Alternativhypothese. Es handelt sich dabei um eine Fehlentscheidung vom Typ 1, oder die Alternativhypothese ist richtig, aber wir entscheiden uns für die Nullhypothese, was manchmal Fehl.er 2. Art genannt wird. Die Festlegung auf 1 oder 5 Prozent Irrtumswahrscheinlichkeit ist eine Konvention, die versucht, das Risiko gering zu halten, daß wir dort Ordnung postulieren, wo keine ist. Im Alltag scheinen wir uns mit 20 Prozent Irrtumswahrscheinlichkeit zufrieden zu geben. Unter hohen Affektbeträgen werden zufällige Koinzidenzen im allgemeinen gänzlich verworfen. Dies gilt für positive Affekte ebenso wie für negative. "Sie haben mir zugelächelt, ich habe es deutlich gesehen" vertritt der Verliebte mit Nachdruck (Kinder des Olymp). Eine paranoide Theorie ist eine Fehlentscheidung erster Art, die die hohen Angstbeträge auflöst. PI.ötzlich ist dem Kranken alles klar. Der umgekehrte Fehler, daß keine Ordnung wahrgenommen wird oder werden kann, wo objektiv eine vorliegt, gilt im allgemeinen al.s Intelligenzmangel, kann aber auch Folge von Konfliktreaktivierungen darstellen (Hofstätter 1971). Die meisten Patienten verhalten si.ch in bezugauf ihr ureigenstes Problem oder Schema "pseudodebil". Im Rahmen der Psychotherapiesituation ist für den Psychotherapeuten im ersten Durchlauf alles prinzipiell bedeutungsvoll. Ein großer Teil seines Vorgehens besteht darin, die prinzipiell möglichen vielfältigen Bedeutungen zu falsifizieren. Auch die für die wissenschaftliche Theoriebildung zwingende Vorstellung, man müsse eine sparsame Theorie über den "Patienten als Forschungsgegenstand" entwickeln, gilt nicht. Eine sparsame Theorie über die Bedeutung des fetischistischen Objektes "Schwimmweste" bildet eben nicht die überdeterminierte kognitiv-affektive Struktur ab, in die das Objekt eingebettet ist (Malan 1979). Die besondere Lage des Psychotherapeuten als On-line-Forscher ist, daß er zwischen diesen drei Wahrnehmungs- und Erkenntnisformen hin und her pendeln muß, und daß er keine a priori-Gütekriterien dafür hat, welche im Moment angemessen sind. Jede Erkenntnisform kann zur Abwehr der anderen verwendet werden. Das Beobachten von Wenn-dann-Beziehungen im overt behavior behindert 142
die Empathie. Der intentionale empathische Modus ist dagegen für das Experimentieren und Beobachten hinderlich und führt zu einer Verringerung der Reliabilität. Man kann aber auch beobachten, um nicht mitfühlen zu müssen, oder man kann beobachten, weil man nicht mitfühlen kann. Ohne nun der Komplexität der Empathie an dieser Stelle gerecht werden zu können, kann Mitleiden, Affektansteckung zur Abwehr von Erkenntnissen auf der Wenn-dann- und der Sinnverstehensebene verwendet werden. Die intentionale Ebene, das so beliebte "Ausdem-Bauch-heraus-Therapieren" verunmöglicht oder erschwert den Aufbau einer Wissensebene von Wenn-dann-Beziehungen. Im allgemeinen sagen die Protagonisten dieser Haltung auch, sie brauchten keine Theorie. Wenn wir einmal davon absehen, daß die unterlegte Intention oder das Mitleid falsch sein kann, also eine projektive Verlagerung der eigenen Intentionen in den Systembereich des Patienten hinein, ist diese Wahrnehmungs- und Denkeinstellung für das objektivierende Beobachten schädlich. Schließlich gibt es Patienten, bei denen diese Vorgehensweise überhaupt versagt wie bei manchen Perversionen oder Psychosen, bei denen die naive empathische Unverstehbarkeit Definitionsmerkmal ist. Natürlich kann es dann doch Verstehensprozesse geben. Sie erfordern dann aber die oben erwähnten komplizierten kognitiven Voreinstellungen und Veränderungen. Schließlich sind beide Herangehensweisen für das hermeneutische Verstehen schädlich. Häufig führt die intentionale Haltung dazu, daß der Therapeut dem Symbolverstehensprozeß die eigene Intentionalität unterlegt, was immer ein Stück weit Gewalt bedeutet. In diesem Sinne sind manche humanistische Therapieformen gewalttätig, weil sie den eigenen Verstehensprozeß als "naturgegeben" ontologisieren. Die Evidenzerlebnisse in bezug auf das eigene Verstehen sagen nichts über dessen Richtigkeit aus. Wer je mit perversen Patienten gearbeitet hat und versucht hat, die Bedeutung der perversen Objekte auf Grund der eigenen Intentionalität zu verorten, wird wissen, worüber ich rede. Auf der anderen Seite kann die hermeneutische Einstellung zur Abwehr von Intentionsverstehen und von Wenn-dann-Beziehungen dienen. Die freischwebende Aufmerksamkeit und die Abstinenz des Therapeuten mit der dazu gehörenden Ichspaltung in einen beobachtenden und einen erlebenden und handelnden Anteil ist also eine Forschungs-Wahrnehmungs- und Behandlungseinstellung, die davon ausgeht, daß der Therapeut nichtaprioriwissen kann, welche Vergehensweise im Moment richtig ist. Im Zuwarten, Schweigen, nach Innen und Außen beobachten soll die implizite Frage, welche Wahrnehmungseinstellung günstig ist, geklärt werden. Die Abstinenz ist also keineswegs nur Technik, sondern vor allem eine innere Notwendigkeit für den therapeutischen Modus. Daß nicht viel gesprochen wird, liegt daran, daß die Small-talk-Kommunikation wegfällt, weil sie im allgemeinen der Sedierung unangenehmer Gefühle dient. Am Fall S. und A. kann man dies ein wenig verstehen.
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2.9 Brauchen wir eine allgemeine Psychotherapietheorie und Praxis? Die Fragestellung heißt sie wenigstens teilweise beantworten . Offensichtlich haben wir sie bis anhin nicht. Wenn man die drei Zugangsweisen, die ich beschrieben habe, im Auge behält, braucht einen das auch nicht zu verwundern. Diejenigen, die sich vorwiegend am offenen Verhalten orientieren, werden verhaltensnahe und problemlösungsorientierte Therapietheorien und Ziele entwickeln. Die mit der teilnehmenden Beobachtung als Leitmethode operieren, werden eher klärungsorientierte, aufdeckende Theorien zwischenmenschlicher Prozesse und deren innerer Abbildung aufstellen. Zu dieser Gruppe würde ich zusammen mit den humanistischen Therapien viele Psychoanalytiker rechnen. Schließlich werden die vorwiegend hermeneutisch vorgehenden Forscher-Therapeuten Modelle, die sich an der Theorie der Sprache aufhängen, entwickeln, so wie es vor allem im Umfeld von Lacan (1980) geschieht, die "das Unbewußte" als eine Form von Sprache verstehen. Freilich meine ich, deutlich gernacht zu haben, daß die Beschränkung auf einzelne Systembereiche auch im therapeutischen Prozeß letztendlich scheitern muß. Lacanianische Behandlungen, mit ihrer teilweise grotesken Denaturierung der zwischenmenschlichen Aspekte, scheinen mir ebenso destruktiv wie das "Üben" von Verhaltensweisen ohne jede Kenntnis ihres Symbolwertes. Daß psychoanalytisches Verstehen noch nicht Ändern bedeutet und manchmal auch sehr schädlich sein kann, ist ebenfalls ohne jeden Zweifel. Schließlich muß man sich auch darüber klar sein, daß die Theorien je nach ihren schwerpunktmäßigen Systembereichen, die sie modellieren, andere Ziele und Ergebnisse erbringen. Wenn wir noch im Auge behalten, daß die spezifische Form des Zusammenwirkens von Beziehung und Technik ebenfalls behandlungs-und theoriespezifisch gestaltet wird, kann man Grawe nur zustimmen, daß es bezüglich der empirischen Erfassung des Therapieprozesses doch sehr voreilig wäre, festzustellen, man sei sich klar und einig über die wichtigsten Dimensionen für eine angemessene und vollständige Beschreibung des therapeutischen Prozesses (Grawe 1993, S. 182). Wer dies vertritt, wie Eysenck (1993), auf den sich die Replik bezog, überschätzt den Aussagenbereich der bevorzugten eigenen Theorie. Die auf dem Markt befindlichen Modelle (Orlinsky & Howard 1986, Orlinsky, Grawe & Parks 1995) bilden keine wirklichen Prozesse ab, sondern destillieren einen hypothetischen idealen Prozeß aus der Aggregation von Zentraltendenzen, der keine Angaben darüber erlaubt, wie und vor allem wann er auf die jeweils individuelle spezifische Begegnung zwischen Therapeut und Patient anzuwenden sei. Viele der aus den hypothetischen Modellen abgleiteten Regeln sind in der vorgelegten Form schlicht unsinnig. Gewiß ist es beeindruckend, daß Konfrontation, Interpretation und Exploration häufig aber nicht durchgängig effektive Modi therapeutischer Intervention sind (S. 365). Aber, so fragt man sich, sollte einem ein Prozeßmodell nicht gerade darüber Handlungswissen anbieten, wann, an welcher Stel1e eines Prozesses Konfrontation nützt und an welcher sie schadet? Schon erhellender ist, daß lautes Nachdenken (des Therapeuten), Ratschläge geben und Selbstöffnung selten mit einem guten Therapieergebnis korreliere, aber auch hier wird man nicht umhinkommen zuzugestehen, daß eine solche Intervention zwar selten gut ist, aber möglicherweise manchmal das Mittel der Wahl. Man denke an das Prinzip 144
Antwort, das Heigl-Evers, Heigl & Otto (1993) für "frühgestörte" entwickelt haben. Darüber wird man durch die Aggregierung von Maßen der Zentraltendenz über große Stichproben hinweg nichts erfahren, weil das Kontextwissen über die jeweilige Beziehung, den jeweiligen Patient und den jeweiligen Therapeuten so nicht zu gewinnen ist. Gewiß kann man einen solchen idealtypischen psychotherapeutischen Prozeß beschreiben, und er wird im weitesten Sinne unter Lernen zu subsumieren sein, aber je nach dem, ob ich damit Identifikation mit den Funktionen des Analytikers (Thomä & Kächele 1985), Selbstmanagement (Kanfer, Reinecker & Schmelzer 1991) oder Assimilation und Akkomodation (Schneider 1983, Grawe, Donati & Bernauer 1995) meine, ich sehe den Prozeß der Begegnung schon anders. In einer älteren Arbeit (Krause 1985) habe ich die These vertreten, die verschiedenen Therapieverfahren würden die zu ihren Theorien passenden Ströme des Verhaltens aus der Begegnung herausfiltern, was aber nicht heißen würde, daß die anderen irrelevant wären. Sie, so habe ich aus der praktischen Erfahrung mit Verhaltenstherapeuten, Gesprächstherapeuten und Psychoanalytikern abgeleitet, würden gewissermaßen von einer Alltagspsychologie mitgetragen. So läßt z. B. der Fall S. deutlich werden, daß in Psychoanalysen Konditionierungen (Krause & Lütolf 1989) stattfinden. Wie sonst soll man es verstehen, wenn die kontigente Reaktion meines echten Lachens beim echten Lachen des Patienten fünfmal so häufig ist wie bei einem ambivalenten Lachen? Andere haben postuliert, daß in Verhaltenstherapien Identifikationen (Cohen 1984) stattfinden, ohne daß das Fehlen der entsprechenden Änderungsmodelle notwendigerweise behandlungstechnisch schaden muß. Für unser Wissen über den Prozeß der Psychotherapie sind solche Lücken aber sehr wohl schädlich. Wenn die vielen Forschungsanstrengungen überhaupt zu einem Erfolg geführt haben, dann zu dem, daß man psychotherapeutisches Geschehen als die systematische Kunst der Gestaltung und Führung einer im allgemeinen schwierigen Beziehung verstehen kann. Klar ist, daß man davon eine Behandlungstechnik im engeren Sinne trennen muß und daß eine linear additive Zusammenfassung dieser Handlungsstränge wenig wahrscheinlich ist. Eine zu 40 Prozent gute Beziehung, plus 60 Prozent gute Technik, garantiert nicht den 100-Prozent-Erfolg, sondern macht einen Mißerfolg eher wahrscheinlich. Wenn dies so wäre, könnte man Psychotherapie unter Rückgriff auf die Pädagogik darstellen. Dort kann man wenigstens teilweise von einer additiven Beziehung zwischen Güte der Beziehung zum Lehrer, der Qualität seiner Stoffbeherrschung, Didaktik und der Motiviertheit des Schülers ausgehen. In gewissen problemorientierten Bereichen der Verhaltenstherapie möglicherweise auch, wenngleich auch dort und an anderer SteHe postuliert wird, daß die durch nicht assimilierbare Informationen erzwungene Veränderung der Schemata des Patientenregelhaft mit Abwehr und Verleugnung beantwortet werden würde. Auch dort läßt ein Nullwert auf der Beziehungsebene im allgemeinen jegliche Bemühungen auf der technischen Ebene vergeblich werden. Ebensowenig läßt sich der Erfolg linear mit der Güte der Technik verkoppeln. Wenn man keine additiv linearen Wirkungsverknüpfungen der Ebenen verwenden kann, muß man es mit multiplikativen, nicht-linearen Modellen versuchen. Solche Modelle findet man z. B. in der Theorie dynamischer Systeme bzw. der Selbstorganisation, wie sie bisher vornehmlich in der Physik (Haken 1983), der Chemie (Prigogine 1979) und der Biologie (Eigen & Schuster 1979) Verwendung finden. Die dynamische Systemtheorie versteht sich als eine Art übergeordnete 145
Rahmentheorie, und ihre Modellvorstellungen beanspruchen Gültigkeit für die verschiedensten Wissenschaftsbereiche; von daher werden wir zu prüfen haben, ob und wenn ja, wie jede Form der Psychotherapie als dynamisches Geschehen in das Bett der dynamischen Systemtheorie gebettet werden kann. Kennzeichen dynamischer Systeme sei ein relativ offener Austausch von Materie, Energie oder Information mit der Umgebung sowie ein Zustand fern vom "entropischen" Gleichgewicht und von Nichtlinearität, die sich aus den wechselseitigen, vernetzten Verbindungen negativer und positiver Rückkoppelungen seiner Subsysteme ergibt. Die Ordnungszustände eines dynamischen Systems seien nicht statisch, sondern reproduzierten sich ständig neu. Sie werden als Attraktoren bezeichnet. Mathematisch werden damit Funktionswerte bezeichnet, die nach einer genügend großen Zahl von Iterationen ( d. h. , das Endergebnis eines Rechenvorganges wird zur Eingangsgröße des nächsten) zwangsläufig auftreten. Attraktoren können unterschiedliche Grade von Komplexität und Stabilität aufweisen, abhängig vom Wert der jeweiligen Kontrollparameter des Systems. Gewöhnlich versteht man unter Kontrollparameter externe, fixe Determinanten (z. B. die Geburtenrate oder die zur Verfügung stehende Futtermenge in biologischen Systemen). Je nach Ausprägung der Kontrollparameter kann ein und dasselbe System unterschiedlichen Attraktoren zustreben. Die Palette reicht von eindimensionalen Fixpunktattraktoren, bei dem das System unabhängig vom Ausgangswert immer den exakt gleichen Zustand ansteuert, bis zu fraktal-dimensionalen "chaotischen" Attraktoren, bei denen jede kleinste Abweichung im Anfangswert zu völlig unterschiedlichen zeitlichen Verläufen führt, wobei sich aber das realisierte Systemverhalten dennoch in einem bestimmten Bereich bewegt, innerhalb dieses Bereiches allerdings unvorhersagbar ist. Innerhalb chaotischer Attraktoren fände sich das Phänomen der Selbstähnlichkeit, was bedeutet, daß ich in jedem Detail die Struktur des Ganzen wiederfindet. Für diese Art von Systemen ergibt sich ein neues, erweitertes Kausalitätsverständnis. Konnte man bis anhin von der uneingeschränkten Gültigkeit der beiden Prinzipien der schwachen Kausalität (gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen) und der starken Kausalität (ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen) ausgehen , so wird letzteres in selbstorganisierenden, chaotischen Systemen verletzt (Seifritz 1987). Ähnliche Ursachen (Anfangsbedingungen) können sehr unterschiedliche Wirkungen haben, und stark verschiedene Ursachen können zum gleichen Ergebnis führen. lnnerhalb der solchermaßen charakterisierten Randbedingungen ist es aus zwei Gründen unrealistisch, wenn nicht gar unmöglich, den Systemzustand auf Dauer stabil zu halten. Zum einen hat jedes reale System eine meist komplexe und damit nicht kontrollierbare Umwelt, mit der es Impulse, Energie oder Information austauscht. Dann ergibt sich eine permanente Störung, und der Systemzustand kann sich aJ!enfalls in der Nachbarschaft eines stabilen Referenzzustands befinden. Zum anderen bestehen die meisten realen Systeme aus einer Vielzahl miteinander in Wechselwirkung stehender Elemente. Die sich aus diesen Wechselwirkungen ergebenden Schwankungen des Systemverhaltens werden als Fluktuationen bezeichnet. Im Gegensatz zu den extern verursachten Störungen werden Fluktuationen intrasystemisch erzeugt (Nicolis & Prigogine 1987). Unter stabilen Bedingungen werden kleinere Fluktuationen innerhalb des Systems und geringfügige Störungen von außen aufgefangen und haben keinen wesentlichen Einfluß auf die 146
Systementwicklung. Relevante Änderungen im Systemverhalten ergeben sich erst, wenn Fluktuationen eine bestimmte Stärke überschreiten und autokatalytisch und/ oder durch Veränderungen der Kontrollparameter verstärkt werden. Echte Selbstorganisation benötigt die Eigenverstärkung (Autokatalyse) von im System selbst auftretenden Fluktuationen (Jantsch 1979). Solche Veränderungen laufen immer über Phasen instabilen Systemverhaltens. Während dieser Instabilitäten organisiert sich das System neu, wobei hier jede kleinste (u. U. zufällige) Schwankung über die Richtung der sich entwickelnden neuen Struktur entscheiden kann. Die augenscheinliche Ähnlichkeit der oben dargestellten Charakteristiken dynamischer Systeme mit psychischen Prozessen als "Paradebeispiele für dynamische, rückgekoppelte Systeme" (Häger 1992, S. 229) hat in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Veröffentlichungen geführt (einen Überblick geben Barton 1994 und Schiepek 1994 a ). Auch Patienten scheinen sich in einem relativ stabilen, aber eben problematischen Ordnungszustand zu befinden. Es bietet sich an, diesen Ordnungszustand als einen Attraktor zu beschreiben (Schiepek, Pricke & Kaimer 1992). Vor diesem Hintergrund könnte es von Interesse sein, die Bedingungen zu kennen, wie man ein strikt vorhersagbares System wieder unvorhersagbar machen kann. Es könnte sein, daß die Wirksamkeit aller psychotherapeutischen Prozesse in der Herstellung solcher Instabilitäten bestünde. Im Rahmen dieses Modells könnte man einen unlösbaren (neurotischen) Kernkonflikt oder ein nicht mehr assimilationsfähiges Schema als einen Attraktor in einem vieldimensionalen Phasenraum beschreiben, der eine Anziehungskraft auf alle Subsysteme des Patienten aufzuweisen hat, um diese "scheinbar in sich hineinzuziehen". Der Attraktor wirke einerseits auf die Entstehung einer hochstabilen inneren Welt- und Modellbildung durch den Patienten, die man mit dem Schemabegriff bezeichnen kann, und andererseits in Form von hochspezifischen repetitiven Verhaltensmustern auf die Sozialpartner, die sich in einer Art von selbstverzehrendem "testing-the-limits"-Verfahren (Sampson & Weiß 1986) in eben diesen Attraktor hineinziehen lassen müssen. Die Sozialpartner (und entsprechend auch der Therapeut) werden, ob real oder phantasiert, gewissermaßen zu "Reaktionsteilnehmern" des jeweiligen lterationsprozesses. Der Patient versucht, durch sein spezifisches Interaktionsverhalten die Partner zu einer bestimmten Reaktion zu bewegen, die die "pathogenic beliefs" bestätigen, d. h., das System stabilisieren. Im Falle eines "Widerstand des Objekts", d. h. , wenn sich ein Sozialpartner nicht in die Rekursivität des Patientensystems einbinden läßt, sich also nicht erwartungskonkordant verhält, kommt es zu einem Assimilationsrückstand und damit zu einem gesteigerten Regulierungsbedarf, wodurch die manipulativen Bemühun.. gen verstärkt werden. Die Selbstähnlichkeit hätte ihr Aquivalent darin, daß sich in jedem Detail der Mikrohandlungen das Makroproblem des Kernkonfliktes wiederfinden läßt. Unser Patient S., der sich selbst fragt, was er an sich habe, daß er andere Leute dazu bringe, ihn zu quälen, produziert auf der Mikroebene eben dieses Verhalten selbst, indem er sich zum Beispiel, wie auf Seite 107 beschrieben, tatsächlich wie ein bigotter Frömmler aufführt, mit der Folge, daß viele Personen geneigt werden, diese Maske abzureißen, was wiederum in einen Gewaltakt einmündet, über den er sich gleichzeitig beschwert. Ebenso findet man bei Patient H. gestörte narzißtische Selbstwertregulationsversuche auf der Ebene seiner Gestik und Mimik wie 147
auch in se inen Sprechakten. Beispielsweise stellt er seine Mutter in ihren Körperformen umrißhaft dar und benennt sie gleichzeitig als die "Mamita". Von der Umrißdarstellung her betrachtet muß es sich um eine außerordentlich korpulente Frau gehandelt haben , was er auf Nachfrage auch bestäti.gt. Narzißtische Geltungsbedürftigkeit schlägt sich in der prätentiösen WortwahJ nieder, die er gleichzeitig mit der ge tischen Darstellung konterkariert. An einer anderen Stelle spricht er vom "Maschinengewehr seines Geistes, das er in die Diskussionsrunde feuere". Wiederum stellt sich heraus, daß es sich um ein höchst gewöhnliches Alltagsgespräch, in dem er nicht einmal die Hauptrolle gespielt hatte, gehandelt hat. Wir hatten bereits im Kapitel über das Beziehungsverhalten (S. 33) vom Verhältni s der Mikro- und Makroebenen des Verhaltens gesprochen. Das Theorem der Selbstähnlichkeit der Chaostheorie könnte man zumindest metaphorisch auf diese Isomorphie von Mikro- und Makrohandlungen anwenden. Je nach den Werten der in die nichtlineare Gleichung eingehenden Parametern kann man lang andauernde, hochgradig stabile und redundante Perioden sowie instab ile, kurze "chaotische" Zustände des Systems unterscheiden (J antsch 1979, Briggs & Peat 1993). Die dynamische Systemtheorie eröffnet die Perspektive, therapi etechnisch übergreifend verschiedene Ordnungszustände von Dyaden zu beschreiben, Indikatoren für deren Wechsel zu bestimmen und Wissen zu akkumuli ere n, wie man zu Übergängen hinführt. Wir haben an den Fällen H. und S. gesehen, daß eine solche Gliederung in erfolgre.ichen Behandlungen möglich ist. Im An chluß an Piaget haben Schneider (1981, 1983) für die Psychoanalyse und ihm folgend Grawe (1987) für die interaktive Verhaltenstherapie solche Phasen beschrieben. Sie lauten bei Grawe: 1. Phase: Stabiles Schema; 2. Phase: Neu hinzukommende Informationen lassen sich nicht assimilieren. Es kommt zu Abwehr, negativen E motionen und einem Scheitern ; 3. Phase: Begrenzte Akkomodation des bestehenden Schemas ohne neue Stufe des psychischen Funktionierens; 4. Phase: Letzteres wird "erst dadurch erreicht, daß das Individuum seine Aufmerksa mkeit nicht auf das störende Objekt richtet, sondern seine eigenen Reglierunge n zum Gegenstand seiner reflektierenden Abstraktion macht" (Grawe 1987, S. 78). Wen n man sich solche Phasenmodelle zu eigen macht, ist es hochgradig unwahrscheinlich, daß man Wirkungsvorh ersagen aufgrund von einzelnen Handlungen oder Interventionen machen kann , denn offensichtlich hängt die Wirksamkeit einer jeden Handlung vom gegenwärtigen Systemzustand des Patienten, aber auch der therapeutischen Dyade ab, so daß eine Konfrontation beispielsweise beim Vorhandensei n eines stabilen Schemas angezeigt sein mag, keineswegs dann aber, wen n der Patient gerade dabei ist, nach der Akkomodation das psychische Funktionieren neu zu organis.iere n. Wiederum der Chaostheorie folgend, scheint es durcl1aus wahrscheinlich, daß es, wenn auch selten, instabile Systemzustände der therapeutischen Dyade gibt, in denen kleine Veränderungen unverhältnismäßig große, eventuell stark zeitverzögerte Wirkung hervorbringen können. Das sind in den Fällen S. und H . die Stunden 7 und 8. In den vorhergehenden Stunden wurde, auch durch Konfrontation , aufgezeigt, daß das bestehende Schema die vorliegenden "Fakten" assimilieren konnte, wodurch die Abwehr erhöht, die negativen Emotionen gesteigert und das Patientensystem in gewisser Weise für sie selbst karikaturale Qualitäten gewonnen hat.
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Natürlich ist diese Art der Beschreibung vorläufig eine heuristische Metapher. Immerhin kann man, dieser Metaphorik folgend, vermuten, daß sich "gute" Therapien die Eigenschaften solcher Systeme zunutze machen würden, und den Systemzustand der therapeutischen Dyade durch je spezifische Formen von Störungen/Rückkoppelungen zu einem solchen Instabilitätspunkt hinführen, um an ihm mit geringstem Aufwand eine maximale Wirkung zu erzielen. Daran anschließend sollte der Systemzustand nicht mehr unter dem Einfluß des alten Attraktors sein, sondern sich auf eine nicht notwendigerweise vorhersagbare Weise neu organisieren. Unter System verstehen wir im Rahmen des psychotherapeutischen Prozesses das Patient-Therapeut-Interaktionssystem. Dieses könnte man, wenn auch sehr grob, aus den folgenden Blickwinkeln charakterisieren: 1. das innere mentale Modell des Patienten über die anderen und als Spezialfall davon den Therapeuten, 2. die dazugehörigen hochspezifischen repetitiven Phantasmen und interaktiven Verhaltensmuster, 3. das innere Modell des Therapeuten über den Patienten und über die Beziehung zwischen ihm und dem Patienten, 4. seine noch zu spezifizierenden Phantasmen und Verhaltensmuster, die ein Kompilat seiner Behandlungstechnik und seines Modells der Beziehung sind. Folgt man den Theorien über selbstorganisierte Systeme, sollten bei Behandlungen mit relevanten Änderungen, unabhängig davon, ob sie gut oder schlecht ausgehen, mindestens drei Phasen beobachtbar sein: 1. Eine Phase, in der die Patienten versuchen, ihr Modell zu implantieren. Sie soll-
te sich durch hohe Stabilität und Vorhersagbarkeit auszeichnen. Die entsprechenden Verhaltensmuster müßten auch meßbar sein, denn rein mentale Modell können nicht miteinander kommunizieren. In psychoanalytischen Termini hatte man es mit einem Überwiegen von Abwehr und Widerstand zu tun. Diese Phase ist deshalb schwer zu handhaben, weil man mit starken unbewußten manipulativen Tendenzen der Patienten konfrontiert ist, denen man aus einer empathischen Laienperspektive heraus eigentlich nachgeben möchte. In einer einfacheren Metaphorik ausgedrückt bedeuten diese Forschungsergebnisse auch , daß man mit einem schizoiden Patienten wenig Lust bekommt, zu kommunizieren, oder daß man einen sich ekelhaft pervers aufführenden Menschen eben sitzenläßt. Eine positive, den Schwiergkeiten dieser Phase angemessene innere Haltung kann man am ehesten mit dem Modeli der projektiven Identifikation abbilden (Ogden 1988, Kernberg 1987), was heißt, daß der Therapeut die interaktiv manipuiativen Tendenzen meistens als Gefühle und Phantasien in sich wahrnimmt, nachdem er sie in sich aufgenommen hat, aber gleichwohl sich nicht diesen Handlungstendenzen entsprechend verhält. Vielmehr besteht angemessenes Handeln darin, diese Wahrnehmungen als diagnostische, auch von der Empathie gesteuerte Leitlinien für wohlüberlegte Interventionen zu verwenden. Es scheint möglich, wie unsere Forschungen gezeigt haben, die Gesetzmäßigketten dieser Handlungstendenzen als diagnostische und behandlungstechnische Leitlinien zu verwenden. In dieser Phase schaukelt sich das Kernproblem des Patienten auf, und das "nichtempathische" Reagieren des Therapeuten wird als grausam sadistisch, unhöflich oder unnatürlich perzipiert und beklagt. In dieser Phase sollten die Interventionen 149
weniger dem Typus von Übertragungsdeutungen folgen, als vielmehr eine Erhöhung des selbstreflexiven Er1ebens in verlorengegangene Bereiche hinein ermöglichen. Dies kann natürlich nur bei gleichzeitiger Versicherung der Güte der Beziehung geschehen. Bloße Abstinenz und Übertragungsdeutungen würden in dieser Phase den Abbruch oder eine Verstärkung des ohnehin vorhandenen Widerstandes zur Folge haben. Auf der anderen Seite würde das empathische Befolgen der interaktiven Verhaltensangebote, wie es die Laien tun , zu einer Bestätigung des Modells des Patienten führen. Die unbewußt gesuchte Ohrfeige wird schließlich herbeigezwungen (Aichhorn 1957). Diese Phase kann man als Wiederholung im Freueischen Sinne bezeichnen, wobei dieser Begriff allerdings die Schwäche hat, daß die Herstellung eines Attraktors als bloße Wiederholung nicht möglich ist. Im Sinne der Selbstähnlichkeit haben die Szenen zwar einen identischen Kern, erforde rn aber zusätzliche, teilweise außerordentlich komplizierte Arrangements, aufgrundderen Vorhandensein der Patient und auch die anderen eben nicht unmittelbar erkennen, daß es sich um eine Wiederholung handelt. Die Patientirr A. ist fortlaufend am Testen, ob das Genießen der Intimität und der Bindungswünsche tatsächlich Aufgabe der eigenen Autonomie erfordert. Hätte der Therapeut den Autonomiewünschen gegenüber den Intimitätswünschen Vorrang gegeben, hätte er eine therapeutische empathische Einstellung entwickeln können. So wie er die Be handlung gehandhabt hat, ist er dem Laienmodell gefolgt und damit auch aus der Abstinenz gegangen. Unser Patient H. hatte als Attraktor die innere Notwendigkeit, andere Menschen narzißtisch aufladen zu müssen , zum Glänzen bringen zu müssen. Da di.es, wie er meinte, auf seine eigenen Kosten geschah, verwandelte er seine Aufführungen unter der Hand in Clownerien. Der Attraktor wirkte dahingehend, ihn, den Clownerien folgend , als Hanswurst abzutun und seine Bedürfnisse und Wünsche nicht ernstzunehmen. 2. Sobald di e Sicherheitsgefühle vorbewußt oder bewußt sind, kommt der Patient in den Bereich der Instabilität hinein, der nun mit Interventionen anderer Art behandelt werden muß. Sobald der Therapeut davon ausgehen kann, daß sich der Patient sicher fühlt, kann er mit Deutungen von hoher integrativer Kraft, also zum Beispiel so lche vom Übertragungstypus Eltern!Therapeut (Malan 1972), operieren. Die mit dieser Instabilität auftauchenden Emotionen sind einerseits Angst und andererseits solche selbstreflexiver Art wie Weinen , Lachen, Scham und Schuld. Die Angstgefühle haben mit dem Verlust der, wenn auch neurotischen, Sicherheit des bisherigen Weltbildes zu tun. Die selbstempathischen Emotionen, wie da nachträgliche Beweinen, aber auch Belachen des eigenen Schicksals, setzen ausreichende Sicherheit in der Gegenwart und zumindest hoffnungsvolle Gefühle für die Zukunft voraus. Das gleiche gilt auch für das Schamempfinden und das Entwickeln von Schuldgefühlen über vergangene Taten. Das Auftauchen vormals unbewußten entwicklungspsychologischen Materials ist nicht die direkte Folge von Deutungen, sondern wird dadurch möglich, daß im Instabilitätszustand andere Gedächtnisspuren abgerufen werden können, weil die gegenwärtigen handlungsleitenden Affekte anders sind als die in der Abwehrphase. Mehr darüber wird im letzten Kapitel unter dem topographischen Modell und im Kapitel über Trieb und Affekt behandelt. In der Instabilitätsphase beginnt sich das innere Modell des Patienten über seinen Therapeuten und sich selbst zu ändern. 150
3. Nach dieser Phase von Instabilität muß sich der Patient neu verorten. Dies geschieht zeitgleich durch das oben beschriebene "Erinnern" und das Erproben und Einführen neuer Modelle der therapeutischen, aber auch der Beziehung zu anderen Objekten. Benevolente Interventionen dieser Phase sind schwerpunktmäßig wieder anders, nämlich neugierfördernd, unterstützend, empathisch begleitend, angstreduzierend etc. In der Periode der Instabilität können relativ geringfügig erscheinende Interventionen maximale Wirkungen erziehlen, allerdings nur unter der Voraussetzung der vorauslaufenden "gescheiterten" Implantierung des Modells des Patienten. Dieser Punkt der Instabilität könnte dem von Prigogine (1981) Bifurkation genannten Prozeßzeitpunkt entsprechen. Seiner Vorstellung von selbstorganisierenden Systemen folgend, wäre dies ein zeitlich begrenzter Systemzustand, aus dem heraus sehr viele verschiedene Optionen möglichen sind, so daß der Instabilitätspunkt gleichzeitig als Moment einer Weichenstellung betrachtet werden kann. Das Erreichen dieses Punktes im Prozeß ist nicht leicht erneut herstell bar, so daß auch zu diesem Zeitpunkt Gewinn und Verlust von psychotherapeutischen Interventionen besonders groß sind. Über den Gesamterfolg kann auch bei günstigem Verlauf bis zu diesem Zeitpunkt erst dann entschieden werden, wenn man weiß, daß das sich neu aufbauende Modell dem Patienten gerecht wird. Es wären also Verläufe denkbar, in denen erfolgreich zu einem Instabilitätspunkt hingeführt wird, aber dann wiederum ein neues falsches Modell implantiert wird. In der ersten ImpJantierungsphase kann man idealtypisch die auf Seite 100 f. beschri.ebenen hierarchisch aufgebauten Verläufe des Mißlingens von Behandlungen beschreiben. Wie könnte man die von uns untersuchten Fälle vor dem Hintergrund dieser therapieschulenübergreifenden Überlegungen beschreiben? Im Patient-Therapeuten-System von FalJ A. gibt es einen eingebauten Widerspruch, der sich im Sinne eines konfliktiven Attraktors aufschaukeln könnte, nämlich die scheinbare Unvereinbarkeit der Autonomie und Bindungswünsche der Patientin. Anstatt nun diesen stabilen und vorhersagbaren konfliktive n Zustand auflaufen zu lassen, tut der Therapeut interaktiv alles, eben dies zu verhindern. Der Therapeut ist mit der Patientin in ihrem Attraktor gefolgt. Er erspart ihr unerfreuliche Gefühle von Verlassenheit, auch in den Stunden, in denen er interaktiv ihren Bindungsangeboten unmittelbar nachkommt. Ohne die Entwicklung und das Ertragen dieser unerfreulichen Gefühle kann es allerdings keine Autonomie geben, so daß durch die Berücksichtigung und Erfüllung der kindlichen Bindungswünsche der Patientin die ohnehin vorhandenen Selbstwert- und Schamgefühle aufgeschaukelt werden. In den beiden erfolgreichen Behandlungen gibt es zahllose Indikatoren für einewie oben beschrieben- Dreiteilung der Behandlung mit einem stabilen vorhersagbaren Teil bis Mitte der 7. Stunde, eine sehr turbulente Instabilität bis einschließlich der 8. Stunde, die dann einer ruhigeren, kontemplativen dritten Phase Platz macht, die einerseits durch Erinnerungen, andererseits durch neue Interaktionsweisen gekennzeichnet werden kann. Auch im Fall H. gibt es einen eingebauten Konflikt, nämlich den zwischen dem Wunsch nach Bewunderung und Glanz und der Ausbeutung und Entwertung durch "die Anderen". Man könnte den Attraktor als das Bemühen, narzißtisch verarmte Liebespartner dadurch zum Glänzen zu bringen, daß er selbst als deren symbiotisches Partialobjekt Kunstwerke schafft, 151
deren narzißti ehe Gratifikation er an eben diese Partner abgibt. Die Partner eiWeisen sich aber als unersättlich und entwerten sei ne Werke , wobei er selbst zu diese r Entwertung maßgeblich beiträgt. Wie könnte man das Geschehen unter der Selbstorganisationsperspektive beschreiben? In der er ten Phase ist der Patient H. dabei, einen glänzenden Eindruck zu machen. Dies geschieht unter anderem durch ein exaltiertes, unechtes, affektives, dramatisches, auch mimisches Verhalten, dessen Inhalte und Objekte in jeder Stunde veiWirrlich wechseln. Der Therape ut ist in den ersten zwei Dritteln der Stunden sehr zurückhaltend und vorsichtig und schaukelt dadurch die Notwendigkeit des Patienten, zu glänzen, noch auf. Immer wenn der Therapeut meint, verstanden zu haben, was der Patient in der Stunde wirklich anbieten wollte, wird er sehr aktiv und teilt ihm diese Vermutungen mit. Im allgerneinen geht es dabei darum, daß der Patient andere, die unter schweren narzißtischen Versagungen zu leiden meinen, z. B. seine Mutter oder seine Frau, durch seine eigenen Kunststücke stellvertretend aufladen muß. Dies wird auch in der The rapi e durchgespielt, wobei der Therapeut dem Patienten sowohl die Bewunderung als auch die Entwertung versagt. Die in der ersten Therapiehäl.fte sehr häufigen Ekel-Innervationen des Therapeuten könnten als Wiederholung der Entwertung gesehen werden. Sie tauchen aber mehrheitlich dann auf, wenn der Therapeut verbal darauf Bezug nimmt, wie die Partner des Patienten die en verachtungsvoll und ausbeuterisch behandeln, so daß eher eine Interpretation im Sinne eines "ernpathischen Kommentars" oder eines "Containments" nahe liegt (Anstadt; Merten, Ullrich & Krause 1996, Benecke 1995). Durch dieses e rwartungsd i konkordente Verhalten des Therapeuten wird das Patientensystem zu e inem Punkt hingeführt, an dem sich das alte Muster, der alte Attraktor, nicht mehr ha lten läßt. Die entscheidende Wende in der 7. Stunde ist zentriert um einen Satz wie , "Haben s.ie das wirklich nötig?" , was sicher keine großartige Deutung, aber genau die kleine, eben noch nötige Intervention in einem zur Instabilität hingefü hrten System darstellte. Dann kommt es, in analytischen Termini, zu Erinne runge n und zu verschiedenen Formen des Durcharbeitens in verschiedenen L bensbereichen, abe r aus der interaktiven Irnplantierung ist das Geschehen heraus. Beim Patienten S. i t die erste tabile Implantierungsphase diejenige der willfährigen Unterwerfung unter das Therapieregime. Dies geschieht zur Abwehr aggressiver Intentionen gegenüber Autoritätsfiguren, wozu auch der Therapeut zählt. Die Vorstellung i t, daß die Autoritätsfiguren autoritäre Personen sind, die aus ihrer e igenen Kränkbarkeit hera us keine Kritik ertragen und ihn deshalb wegen seiner Wünsch e bestrafen. Das Ausbleiben entsprechender Reaktionen auf seiten des Therapeuten führt in die Instabilitätsphase hinein, in der der Regulierungsbedarf des Patie nten dramatisch gesteigert wird. Er fängt nun an nachzudenken, was der Therapeut warum macht, z. B. daß er schweigen würde , um ihn wütend zu machen , weil das Behandlungsziel darin bestehen könnte, ihn "aggressionsfähig" zu mache n. Die hier vorgetragenen Vorstellungen und die Verbindung zur dynamischen Systemthorie sind hypothetisch und kommen über die Verwendung einer neuen Metaphorik eigentlich nicht hinaus. Um sie abzusichern, müßte man in großem Stil die Verbindung von Prozeß und Erfolg untersuchen . Immerhin kann man aufgrundunserer bisherigen Untersuchungen folgendes sagen:
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1. Die Möglichkeit einer Phaseneinteilung könnte ein Gütekriterium zumindest
2. 3. 4.
5. 6.
7. 8. 9.
von psychoanalytischen Kurztherapien sein. Ist dies nicht so, ist die Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung hoch. Das setzt das Hinarbeiten auf einen konfliktspezifischen Instabilitätspunkt voraus. Die Attraktoren sind patienten-, dyaden-und möglicherweise krankheitsspezifisch. In den Dyaden sind aber die Wirkungsnetze außerordentlich eng. Das affektive nonverbale Verhalten beider Protagonisten kann man als die sozialen Anteile der Attraktoren verstehen. Behandlungstechnisch übergreifend korrelierte der Erfolg aller bisher untersuchten Therapien zu + .79 mit den oben beschriebenen dyadischen Affektcharakteristika der ersten Behandlungsstunde. Die inneren mentalen Repräsentanten, z. B. in Form von zentralen Beziehungskonflikten, sind in ihrer Verbindung mit den Attraktoren sozialer Art ebenfalls individuen- und eventuell krankheitsspezifisch. Die Annahme, sie würden zeitgleich in der Beziehung implantiert, ist zumindest für die guten Therapien falsch. In den Stunden, in denen am intensivsten über die Konflikte gesprochen wird, tauchen die wenigsten Beziehungsepisoden auf, und die sichtbare Affektivität ist sehr niedrig. Die Interventionen der ersten Phase bis zum Instabilitätspunkt könnte man als Störungen verstehen, die in das vernetzte Rückkopplungsystem eingreifen und den systeminternen Regulierungsbedarf erhöhen . Der Therapeut muß wissen und spüren, wann der Instabilitätspunkt erreicht ist. Dann müssen sich auch die Interventionen ändern.
Auch die Gruppe um Schiepek hat mittels der sog. Sequentiellen Plananalyse (Richter, Schiepek, Köhler & Schütz 1994) hochaufgelöste Zeitreihen der Beziehungsgestaltung von Therapeut und Klient einer 13stündigen lösungsorientierten Kurzzeittherapie generiert. Durch die Berechnungen von Kennwerten, die den Grad der Instabilität bzw. Chaotizität im Verlauf der Interaktion messen, konnten kritische dynamische Übergänge zeitsynchron bei verschiedenen Meßvariablen vornehmlich in der Mitte der Therapie identifiziert werden (Schiepek 1994 b ). Die methodischen Probleme bei der Anwendung der systemwissenschaftlichen und insbesondere der chaostheoretischen Methodik in der Psychotherapie-Prozeßforschung sind immens. Einmal abgesehen von den Schwierigkeiten, objektive und valide Variablen des Mikrogeschehens eines psychotherapeutischen Verlaufs, wie sie für die Berechnung der entsprechenden Kennwerte benötigt werden, zu generieren, bestehen folgende theoretische Probleme: In den systemtheoretischen mathematischen Modellen sind die Destabilisierungen, Bifurkationen oder Phasenübergänge an die Veränderung der entsprechenden Kontrollparameter gebunden. Welche Parameter des Patientensystems aber sind es, die sein Erleben und Verhalten steuern und über welche Variablen seines Verhaltens kann der Therapeut darauf Einfluß nehmen? Daß die Parameter des Patientensystems realistischerweise nicht direkt durch Variablen des Therapeutenverhaltens gesteuert werden können (wie ansonsten bei der Modellierung und experimentellen Untersuchung verkoppelter Systeme üblich), ist einsichtig. Vielmehr müssen die Kontrollparameter (im Gegensatz zu mathematischen und physikalisch-experimentel153
len Systemen) systemintern und dynamisch konzipiert werden, um der Evolution von Organisationsstrukturen Rechnung zu tragen, die auch nach Beendigung der Therapie und damit nach dem Wegfall der therapeutischen Verhaltensvariablen bestehen bleiben. Die Modell.ierungen müßten a lso so etwas wie Gedächnis- oder Internalisierungsfunktionen der entprechenden Parameter des Patientensystems enthalten. Nicht zuletzt mißt sich die Güte ei.nes Modells des therapeutischen Prozesses daran, welchen Nutzen ein Therapeut in der realen Situation daraus ziehen kann; inwieweit das Model.! ihm handlungsleitend dienlich sein kann. Bisher ist die einzig konsistente Aussage der Prozeßmodelle auf der Grundlage der dynamischen Systemtheorien, daß der Therapeut das Patientensystem destabilisieren muß, um F luktu at ionen und damit den Selbstorganisationsprozeß anzuregen. Die Frage, wie eine solche Destabilisierung erreicht werden kann, ist eher unzureichend beantwortet (einmal abgesehen davon, ob eine Destabilisierung in jedem Falle ein adäquates Mittel darste.llt) . Insofern bleibt auch unter der Selbstorganisationsperspektive die Frage, we.lche Variablen des therapeutischen Handeins zu einem Therapieerfolg führen, bestehen. Die obige Beschreibung der drei Fälle stellt einen Versuch dar, die Frage nach dem Wie zu beantworten. Die verschiedenen Therapieformen scheinen unterschiedliche Mittel zur Erreichung der Instabilität entwickelt zu haben. So könnte man sich vorstellen, daß sowohl das erwartungsdiskonkordante Beziehungsverhalten des Therapeuten in der Analyse (wie oben beschrieben) als auch die Konfrontation mit einer angstauslösenden Situation, be ispielswei. e im verhaltenstherapeutischen Exposure, oder paradoxe Interventionen in der Systemischen Therapie auf jeweils unterschiedliche Art und Weise das Pati.entensystern stören und som it destabilisieren. Es kommt zu systeminternen Fluktuationen des Erlebens und Verhaltens, die, sobald sie eine kritische Schwel.le überschreiten, sich autokata lytisch verstärken können und das jeweilige System zu einer neuen Organisationsstruktur führen. Ob solche Überlegungen auch für die langen Analysen, die einen Umweg über regressive Zustände machen, gelten können, muß offen bleiben. Klinisch kennt man die Phaseneinteilung, die dahingeht, daß die wirklichen Übertragungsneurosen erst nach der Sicherung der Beziehungen, in diesem Falle genau die Größenordnung einer durchschnittlichen 60-Stunden-Psychotherapie, erst beginnen. Das Timing, an welcher Stelle die maladaptiven Schemata mobilisiert werden, hängt offensichtlich von der bewußten und unbewußten Erwartungsstruktur über die Dauer einer Behandlung ab. Die Vorstellungen einer allgerneinen Psychotherapie und ein e al.lgemeinen Psychotherapeuten haben den Bereich von Absichtserklärungen bis anhin nicht überschritten. Das Postulat von Phasen und Prozessen, wie sie von Grawe et al. (1995) beschrieben werden, erlaubt noch keine Rückschlüsse über deren Zusammenwirken, deren systematische Schulung und deren Tradierbarkeit. Es ist bis heute auch noch nicht gelungen, solche Modellversuche aus den jewe i.ligen Gruppen hinauszuexportieren, so daß sich die vorgebliche Allgemeinheit doch wieder als eine neue Schule herausstellt. Man kann aus vielen Gründen auch große Zweife l an der Vorstellung eines allgemeinen Psychotherapeuten als erstrebenswertes Ziel haben. Die sehr viel erstrebenswertere und venünftigere Variante wäre die einer systematischen Teamarbeit von Therapeuten, die sich mit verschiedenen Krankheitsbildern und den verschiedenen Behandlungsphasen und -formen des therapeutischen Geschehens besonders gut auskennen, um dann 154
am Patienten in einer Art von Synergieeffekt das für ihn bestmögliche zu erarbeiten. All dies in einer Person verwirklichen zu wollen, ist nicht angemessen, irreführend und vom Anspruch bei weitem überhöht. Eine einheitliche Theorie wird sich in jedem Falle oberhalb der Behandlungstechnik ansiedeln müssen. Ein möglicher Gesichtspunkt, der alle Behandlungstechniken umfassen könnte, ist die soziologische oder sozialpsychologische Perspektive.
2.9.1 Psychotherapie als soziologische Kategorie und sozialpsychologische Rolle: Die Folgen für die Theoriebildung Was unterscheidet die psychotherapeutische Beziehung von der eines Wirtes, eines Pfarrers mit einem sorgenvollen oder gar seelisch kranken Gast oder Gläubigen? Man kann versuchen, die psychotherapeutische Beziehung von der Rolle her zu definieren. Wir hatten ja oben schon von der Krankenrolle als sozialer Konvention gesprochen. Offensichtlich ist die Rolle des Gastes, des Heilsuchenden und des Psychotherapiepatienten ähnlich, aber doch ganz anders. In der Psychotherapie ist die Problematik einer Person Geschäftsgrundlage und Gegenstand der Beziehungsdefinition. Bei Verschwinden dieser Problematik verschwindet auch die Geschäftsgrundlage für die Beziehung. Das gilt für die Beziehung zu einem guten Wirt und einem Priester keineswegs, im Gegenteil. Beide wären sehr verärgert, wenn mit der Lösung der Probleme ihrer Klienten die Beziehung beendet wäre. Davon ausgehend können wir eine sozialpsychologische Definition des sozialen Beziehungstypus ,Psychotherapie' versuchen und von dort ausgehend die Auswirkungen auf die Theoriebildung einerseits sowie die Behandlungstechnik · andererseits aufrollen. "Eine prinzipiell psychisch intakte Person soll einer anderen Person, die in der Bewältigung ihrer (psychischen) Probleme nicht zurechtkommt, helfen. Die intakte Person ist für die Hilfe speziell ausgebildet und setzt ihre geschulten Kenntnisse und Fertigkeiten in professionellem Rahmen ein" (Bastine 1982, S. 82).
Im einzelnen kann man an der Weisheit dieser Definition zweifeln, denn es gibt manchmal auch recht erfolgreiche Laientherapeuten, ebensowenig muß der Behandler notwendigerweiser psychisch intakt sein, aber im allgemeinen wird man mit Leiden und Eingeständnis einer nicht ausreichenden Selbststeuerungsfähigkeit, Hoffnung auf Veränderung auf der Seite des Patienten und Schulung von professionellem Know-how und Kompetenz auf der Seite des Behandlers rechnen. Für die Datengewinnung und die Theoriekonstruktion hat diese Situation natürlich nicht unerhebliche Rückwirkungen, denn die starke Asymmetrie der sozialen Situation mit der attribuierten Machtfülle auf der einen und der Ohnmacht und Hoffnung auf der anderen Seite ist schon fast ein experimentelles Paradigma für Suggestibilität und Konformitätsuntersuchungen, und tatsächlich können religiöse, Schamanistische und suggestive Praktiken ebenfalls unter diesem Paradigma subsumiert werden. In einem der vielen Versuche, religiöse und Schamanistische Behandlungsverfahren mit Psychotherapie in Verbindung zu bringen, definiert z. B. Blaser (1977) die folgenden Gemeinsamkeiten: - Das Bestehen eines gemeinsamen Weltbildes zwischen Therapeut und Patient. Im westlichen Therapieverständnis werden dies im allgemeinen gleichartige
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-
ätiologische Erwartungen sein (Bazillen, Viren, die Umwelt, die böse Mutter, der vergewaltigende Vater etc.). Bestimmte Eigenschaften des Heilers (z. B. die Überzeugung, heilen zu können). Die E1wartung des Patienten bzw. die Steigerung positiver Erwartungen durch die Beziehungsaufnahme. Die Verwendung von , irgendwelchen" Techniken.
Es wird, sofern diese Gleichsetzung stimmt, deutlich, daß eine der Hauptschwierigkeiten der Entwicklung von Krankheitsmodellen auf Grund von klinischen Daten darin liegt, daß die Au sagen und Verhaltensweisen des Patienten, die zur Schaffung und Verifikation des Krankheitsmodell.es benutzt werden, in Tat und Wahrheit vom Heiler selbst stammen und im Verfahren der Behandlung vom Patienten übernommen werden können . Das empirische Fundament der Datengewinnung geschieht in einer Situation, die für suggestive Beeinflussungen maximal empfänglich ist. Wenn man nun die Aussagen der Patienten über die Therapie als Gütekriterien benutzt, gerät man in eine Art von Unschärferelation hinein, in der der Meßvorgang (die Psychotherapie) die Ergebnisse (die Theorie) in komplizierter Weise beeinflußt. Wir wissen, daß sogar Inhalt, Frequenz von Träumen und erst recht deren Erinnerung und Erzählung unter der Herrschaft der Beziehung stehen. Der Patient träumt "dem Analytiker zuliebe", und ist er jungianisch, so träumt er gar Archetypen. Wenn man als empirisches Argument für die Richtigkeit einer Theorie den Erfolg ihrer Anwendung am Patienten betrachtet, muß man sich mit dem Problem auseinandersetzen, daß das eigentlich Wirksame möglich e Jwei. e nicht die aus der Theorie gewonnene Selbsterkenntnis ist, sondern die suggestive Scheinerklärung im Rahmen einer benevolenten Machtbeziehung. Wenn man unter Placebo diejenigen Behandlungsfaktoren verstehen will, die nach der Behandlungstheorie zwar wirksam , aber nicht charakteristisch, sondern eher zufällig angesehen werden (Grünbaum 1991), dann stehtjede Therapie unter dem Generalverdacht einer Placebo-Behandlung. Die Beziehung zum Therapeuten ist in jedem Fall ein Faktor, der sich als weit wirksamer erweisen kann als die spezifisch gedachten Faktoren. Jede Bestätigung aus der klinischen Situation ist also möglicherwei e eine Art von Mythos, den sich zwei Personen zusammen ausgedacht haben. Dies ist so, allerdings gilt dies keineswegs nur für die Weltbilder der psychischen Krankheitslehren, sondern für die somatogenen noch viel mehr, denn die Negierung psychischer Beeinflussungen körperlicher Prozesse ist ebenso ein We.ltbild, das ebenso empirischer Bestätigung bedarf wie das Postulat von D ämonen, Übertragungen etc. Bei vielen nachweislich psychosomatischen Erkrankungen werden dem Patienten hartnäckig psychische Ati.o logien vorenthalten , so daß die durchschnittliche somatische Fehlbehandlungszeit im Moment bei ca. 5 Jahren liegt, bevor eine psychische Ätiologie in Erwägung gezogen und eine entsprechende Behandlung angestrebt wird. Bevor man überhaupt die Frage stellen kann , was wissenschaftlich wahr und wirksam ist, sollte man die Basisannahmen einer bestehenden Kultur vor allem in bezugauf ihre Skotomisierungen überprüfen. So wird in unserer Kultur im allgemeinen die Beweislage so gesehen, daß der Einfluß psychischer Faktoren auf körperliche Prozesse eines Nachweises bedarf, wie die W.i rksamkeit psychischer Behandlungsverfahren, wohingegen der Einfluß und
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die Wirksamkeit somatischer Eingriffe auf psychische Prozesse als selbstverständlich angesehen wird. Das hat zu der merkwürdigen Situation geführt, daß Psychotherapien sich Effizienzuntersuchungen unterworfen haben, die in der somatischen Medizin keinerlei Äquivalenz finden. Wer käme auf die Idee, den PlaceboEffekt allgemeinärztlichen Handelns, z. B. beim Spritzengeben, von der pharmakologischen Wirkung abzuziehen, und wenn er groß genug wäre, zu fordern, nunmehr sollten alle Laien spritzen. Meyer (1996) macht geltend, daß es logisch für Psychotherapie kein Placebo geben kann, denn das Konstrukt dient dazu, bei pharmakologischen, chirurgischen oder physikalischen Therapien den psychosozialen Anteil innerhalb der Gesamtwirksamkeit zu bestimmen. Placebo in der Psychotherapie würden dazu dienen, den psychosozialen Anteil eines psychosozialen Verfahrens zu bestimmen. Die Placebofrage in der Psychotherapie stellt sich anders. In anderen Kulturen wäre die Nichtexistenz von "Dämonen" oder psychischen Beeinflussungsfaktoren nachweisbedürftig. In ihnen ist Gesundheit keine Größe per se, sondern wird als resultierende von Gleichgewichtsverhältnissen gesehen, als labile Balance zwischen materiellen und geistigen Stoffwechseln, als Harmonie, was wiederum bedeutet, daß Krankheit nicht als Ursache, sondern als Folge einer Disharmonie gesehen und behandelt wird (vgl. Hinderling 1981). Gerade die Psychotherapieforschung hat aber als erste ein organisiertes Wissen über die Natur solcher Beeinflussungsprozesse, mit denen, aus welchen Gründen auch immer, solche Weltbilder transportiert und tradiert wurden, erarbeitet, denn es war ja eine der Erkenntnisse Freuds, daß es so etwas gibt wie " Übertragungsheilungen". Die Mechanismen einer Besserung aufgrund von Übertragungen sind mit denjenigen Mechanismen identisch, die eine erfolgreiche Erziehung steuern (Fenichel1974, Bd. 3, S. 154). Eine Besserungaufgrund von Sicherheit gewährenden Übertragungsgefühlen veranlaßt den Patienten, seine Neurose "dem Arzt zuliebe aufzugeben" (ebd. S.155). Die entscheidende Frage ist so gesehen nicht, ob man eine Heilung oder Besserung zustandebringt, sondern ob sie Bestand hat, wenn die strukturellen Rahmenbedingungen sich ändern, der Patient also nicht das gle iche Krankheitsbild hat, nicht mehr verliebt ist und die dem Heiler attribuierte Macht nicht mehr anerkennt. So wie der somatisch behandelte Patient auch dann eine Wirkung verspüren sollte, wenn er nicht an das Medikament glaubt, sollte der Psychotherapiepatient auch dann noch profitieren, wenn er selbst ganz andere Menschen und Persönlichkeitsmodelle als der Therapeut bevorzugt und sich über den Therapeuten ärgert. Für die Theoriebildung bedeutet dies, daß die Theorie- und Menschenbilder, die aus psychotherapeutischen Interaktionen entstammen, Gütekriterien genügen müssen, die an alle wissenschaftlichen Theorien gestellt werden, d. h., die hinter den Behandlungen stehenden Persönlichkeitstheorien sollten einen möglichst hohen empirischen Bestätigungsgrad haben, wobei die experimentelle Bedingungsvariation nicht notwendigerweise die angemessene Form der Empirie darstellt (Krause 1985 a). Der Patient muß aber keineswegs diese Theorien teilen, auch wenn sie vom Therapeuten als empirisch richtig angesehen werden. Ein wissenschaftlich orientierter Psychotherapeut rekurriert auch dann nicht auf eine dämonalogische Kankheitstheorie, wenn der Patient eben diesen Glauben zur Grundlage seiner Weltsicht 157
macht oder wenn die Sozietät solche ätiologischen Theorien favorisiert. Das vorübergehende Eintreten darauf, z. B. bei der Behandlung von Psychotikern, ist Teil e ines Veränderungs- und Verstehensprozesses, der in der Aufhebung eben dieses Glaubens endet. Selbstverständlich sind die oben erwähnten Hoffnungen des Patienten teilwei se Derivate seiner Krankheitstheorie. Gerade deshalb sollte die dem Therapeuten zu Beginn zugeschriebene Kompetenz mit der Veränderung des Krankheitsgeschehens einer realistischen Sicht des Therapeuten Platz machen, die von der Erkenntnis begleitet wird , daß das gestörte Verhalten der Selbstverantwortung unterliegt, die Veränderung also letztendlich in eigener Regie zu geschehen hat. Therapeuten, die diese natürliche Demontage ihrer attribuierten Grandiosität ni.c ht ertragen, legen sich und den Patienten auf Rollenstrukturen fest, die von religiös Schamanistischen Praktiken nicht mehr zu trennen sind . Solche Festl.egungen sind nur beschränkt Folge des gewählten Persönlichkeitsmodelies und seiner wissenschaftlichen Dignität, sondern der bevorzugten Gegenübertragung des Therapeuten (Erdheim 1982, Krause 1984). In der Abfolge des Scheiterns, die wir auf Seite 100 aufgesteHt haben, liegen sie auf Stufe 2. Ich ziehe es vor, den Begriff Psychotherapie für solche Verfahren zu reservieren , deren Ende durch den Verlust der Macht des Therapeuten und die damit verbundene Heilung definiert ist. AJle anderen Verfahren sind suggestiv, schamanistisch, religiös zu nennen. Ich verwende diese Begriffe nicht im abwertenden Sinne, erkenn e ihre große Bedeutung besonders im psychotherapeutischen Handeln un serer Kultur an, nur verstehe ich unter Psychotherapie etwas prinzipiell Aufkläreri sches (Boesch 1976). Deshalb ist es im Rahmen wissenschaftlicher Psychotherapien unsinnig, von e inem Patienten das gleiche Persönlichkeitsmodell wie dasjenige se ines Therapeuten zu fordern. Falls der Patient während der Behandlung zu eine m ähnlichen Modell kommt, dann deshalb, weil das Modell subjektiv und objektiv richtig ist, und nicht, weil die Übernahme des Modelles eine Bedingung "sine qua non" für die Heilung ist. Letzteres nennen wir Übertragungsheilungen (Freud 1912). Die Richtigkeit bezieht sich auf die Realitätswahrnehmung der beiden Interaktionspartner. Sie i t schwerlich objektiv zu nennen, aber ich meine, daß eine therapeutische "folie a deux" früher oder später an der Realität zerbricht oder die Realitätsprüfungsfunktion selbst aufgegeben wird. So ist die Behauptung, für eine erfolgreiche psychoanalytische Behandlung müsse man deren Metatheorie akzeptiert haben, falsch. Vielmehr gibt es unter den professionellen Psychoanalyt ikern kein en Konsens mehr über die präferierte Metatheorie (Schafer 1981, Gil11982). Die einzige Eingangsprämisse für psychoanalytische Behandlungen ist e in wechse lseitiger Konsens darüber, daß es bei Handlungen des Patienten Dinge gibt, die er nicht versteht, aber für verstehbar hält (Habermas 1968). Ebensowenig muß man an den Behaviorismus glauben, um von Verhaltenstherapie als Patient profitieren zu können. Unabhäng.ig von der Erkrankung sind die Art von Beziehungswünschen und Kontrollüberzeugungen der Patienten gute Indikatoren für Erfolg. Für die psychoanalytischen Behandlungen liegen Studien der Heidelberger und der Berliner Gruppe vor (Senf 1991). Für die Verhaltens- und Gesprächstherapie der Berner Gruppe (Grawe 1987, Grawe, Caspar & Ambühl1990 a) ist die entscheidende Frage nicht die Ichstärke oder Analysierbarkeit des Patienten oder die Merkmale des Therapeuten, sondern Informationen aus der dyadischen Interaktion zwischen Patient und Therapeut und dort eine spezifische Beziehungserfahrung, die auf die Bezie158
hungsangebote des Patienten in spezifischer Weise eingeht. Keineswegs wunscherfüllend, aber spezifisch. Wie Fall A. und H. zeigen, ist das unterste Fundament der Prognose darin zu sehen, ob der Therapeut die Beziehungsangebote überhaupt wahrnimmt. Man kann die Beziehungsangebote in unterschiedlichen Termini beschreiben und möglicherweise auch verschieden angehen, wer sie aber nicht wahrnimmt, hat von vornherein verspielt. Ebenso muß man allerdings zugestehen, daß dieser Zugriff sich zumindest in längeren Behandlungen verändert und auch verändern soll. Die Grawesche Untersuchung bewegt sich auf dem Niveau von Psychotherapien, nicht von Analysen. In diesem Bereich muß man Katamnesen von mehreren Jahren durchführen. Die langandauernde, mindestens vierstündige Psychoanalyse im Couchsetting erweist sich in einer schwedischen Studie bei Einhaltung dieses Zeitrahmens allen anderen Verfahren als weit überlegen (Sandell, Biomberg & Lazar 1996). Psychoanalytische Theoriebildung geht wie alle psychotherapeutischen Veränderungsmaßnahmen auf eine Art von Empirie zurück, die durch maximale Beeinflussungsmöglichkeiten gekennzeichnet werden muß. Das schafft nicht unerhebliche Probleme für die Beweislage, wie Grünbaum (1986) aufgezeigt hat. Das eine Problem besteht darin, daß es sich im allgemeinen um Einzelfälle handelt, die dann verallgemeinert werden müssen. Dieses Problem halte ich gegenüber der experimentellen Bedingungsvariation eher für einen Vorte il. Die Aggregierung von dynamischen Einzelfällen, die in Zeitreihen untersucht wurden, in Typologien ist bei weitem nützlicher und sachangemessener als die Verallgemeinerung auf Grund von Variablen der Zentraltendenz ohne Berücksichtigung des Individuums, das der Träger der Variable ist. Psychologische Forschung muß ganzheitlich sein, und das Individuum ist der Kontext, in den die einzelnen Daten eingebettet werden müssen. Dieses Problem ist lösbar, und die mathematisch-statistischen Modelle liegen teilweise vor. Das zweite Problem ist die Verallgemeinerung auf Grund der dyadischen Situation, die in das Suggestionsproblem einmündet. Die Theorie wird vom Therapeuten vorgegeben und vom Patienten übernommen, beide teilen sie, aber sie ist trotzdem falsch. Das Suggestionsproblem kann in zwei Teilproblerne, die nicht unabhängig sind, aufgeschlüsselt werden, nämlich die Wahrheitsfrage der Theorie und die Wirkungsfrage, die idealiter mit der Wahrheitsfrage zusammenhängt. In der Vorlesung "Allgemeine Neurosenlehre von 1917" beschreibt Freud das empirisch beobachtbare Phänomen, " . .. daß die Kranken sich gegenüber uns in ganz besonderer Art und Weise benehmen. ... (Seite 422), daß sie nicht müde werden., die Vorzüge zu Hause zu rühmen, . .. und daß der Arzt nur mit Genugtuung feststellen kann, wie bereitwillig ein Krankerall die psychologischen Neuheiten aufnimmt, die bei den Gesunden draußen in der Welt den erbittertsten Widerspntch zu e11"egen pflegen" (Seite 423 ).
Dem guten Einvernehmen während der analytischen Arbeit entspricht auch eine objektive, von allen Seiten anerkannte Besserung des Krankheitszu~~andes. Nach der Verallgemeinerung dieser Beobachtung unter dem Begriff "Ubertragung" läßt er einen fiktiven Zuhörer folgendes sagen: "Also Sie haben endlich zugestanden, daß sie mit der Hilfskraft der Suggestion arbeiten wie die Hypnotiker. Das haben wir uns ja schon lange gedacht. Aber dann wozu der Umweg über die Erinnerung der Vergangenheit, die Aufdeckung des Unbewußten, die Deutung und
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Rückübersetzung der Entstellungen, der ungeheure Aufwand an Mühe, Zeit und Geld, wenn das einzig Wirksame doch nur die Suggestion ist? Wamm suggerieren Sie dann nicht direkt gegen die Symptome, wie es die anderen tun, die ehrlichen Hypnotiseure? Und ferner, wenn sie sich entschuldigen wollen, auf dem Umwege, den sie gehen, haben sie zahlreiche bedeutsame p!.ychologische Funde gem acht, die sich bei der direkten Suggestion verbergen, wer steht denn jetzt für die Sicherheit dieser Befunde ein ? Können Sie denn nicht dem Kranken auch aufdiesem Gebiete aufdrängen, was sie wollen und was ihnen richtig erscheint. Was sie mir da einwerfen ist ungemein interessant und muß beantwortet werden. Aber heute kann ich 's nicht mehr" (Freud 1917, Seite 430).
Die Antwort darauf .ist bis heute noch nicht befriedigend gegeben worden. Zwei Gegenargumente Freuds sind empirischer Natur und einigermaßen bestätigt. Erstens si nd Suggestion und Hypnose in ihrer Wirksamkeit tatsächlich abhängig von der Beziehung. Ob man allerdings generell sagen kann, die Übertragung sei der Hypnose und Suggestion vorgeordnet, ist zumindest zweifelhaft. Zum einen sind die Persönlichkeits- und Beziehungsmerkmale, die für hypnotische und sugge tive Prozesse prädestinieren, ganz unterschiedlich (Klauck 1994), und zum anderen ist Hypnotisierbarkeit weitgehend deckungsgleich mit der kreativen Befä higung zu Regressionen im Dienste des Ich (Kris 1952) und somit ein prognostisch sehr günstiges Merkmal für einsichtsorientierte Psychotherapien. Das zweite Argument war, daß psychoanalytische Behandlungen auch dann erfolgreich bleiben, wenn die Übertragung in jeder ihrer Erscheinungsformen zersetzt ist. Dann, so Freuds Schlußfolgerung, beruhe sie nicht auf Suggestion (Seite 435). Das ist sicher gut nachgewiesen. Ein wei.tere , sehr grundlegendes Problem, das aus der Datengewinnungssituation Psychotherapie für die Theoriebildung entsteht, ist ein sicher kompliziertes Verhältnis von Theorie und Praxis. Eigentlich müßte es ja so sein, daß die Theorie durch Beobachtung und induktive Schlüsse sich gewissermaßen durch genaues und unverfälschtes Hinsehen ergibt. Das ist sicher auch teilweise der Fall, aber eben nur teilweise, denn eine Entwicklungspsychologie, die dadurch entsteht, daß die Patienten über ihre Entwicklung berichten, ist fürs erste ein Phantasiesystem über die eigene Entwicklung, also eine persönliche Schöpfungsmythe, die zwar von großer Re leva nz ist, aber im besten Fall selektiv sein kann. Ob irgend etwas tatsächlich so war, ist nicht am gleichen Datensatz festzustellen. Ebensowenig kann man Triebe unmittelbar beobachten. Sie sind "Konstrukte", um beobachtbare Sachverhalte, die ohne sie nicht "verstehbar" sind, besser zu "verstehen". Im allgemeinen stammen die Theoreme und Konstrukte für die Theorie gar nicht aus der Psychotherapie selbst, sondern aus den Nachbarwissenschaften Biologie, Soziologie, Allgerneine Psychologie etc. Das heißt, die Validierung für eine Triebtheorie, Entwicklungspsychologie, Affekttheorie kann nur unter Bezugnahme auf den aktuellen Stand dieser Theorien geschehen. Da dies alles Gegenstandsgebiete sind, in denen es kein festes finites Wissen gibt, muß sich die Theorie der Psychotherapie auch dann ändern, wenn die Praktiker es gar nicht für nötig halten. Auf der anderen Seite machen die außerklinischen wissenschaftlichen Theorien häufig über für die Psychotherapie sehr wichtigen Gegenstandsgebiete gar keine Aussagen, und wenn, dann so, daß ihre Anwendung unmöglich ist (siehe dazu Grawe, Caspar & Ambühl 1990 b ). Ebenso sind die Methoden zur Gewinnung der Theorien teilweise inadäquat. Deshalb sind die Theorien der Psychotherapien gegenwärtig sicher als parawissen-
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schaftlieh zu bezeichnen. Wegen dieser Sachlage haben alle wissenschaftlich ernstzunehmenden Therapierichtungen verschiedene Theoriegruppen entwikkelt, die nur teilweise ineinander überführbar sind. Da gibt es einmal ein allgemeines Welt- und Menschenbild. In der Psychoanalyse werden diese Aussagen "Metatheorie" genannt. Die Metapsychologie befaßt sich mit der Erarbeitung einer Gesamtheit mehr oder weniger von der Erfahrung entfernter begrifflicher Modelle, wie der Fiktion eines in Instanzen geteilten psychischen Apparates, der Triebtheorie etc. (Laplanche & Pontalis 1973). Die Anlehnung an den Begriff Metaphysik wurde von Freud ganz bewußt gewählt, weil es sich um Konstrukte handelt. Unterhalb dieser Metatheorie oder Metapsychologie gibt es die schon erwähnte "Differentielle Neurosenlehre", die krankheitsspezifische Modellbilder erstellt, und schließlich eine Theorie der Technik, in der die konkrete Handlung für den Umgang mit den verschiedenen Patienten erarbeitet wird. Aus der hierarchischen Beziehung 1. Metatheorie, 2. Krankheitslehre, 3. Theorie der Technik und ihrem Verhältnis zueinander ergibt sich ein kompliziertes Verhältnis von Empirie und Theorie. Die Metatheorie ist klinisch am wenigsten bestätigt, denn sie beruht auf einem System von Konstrukten, die aus Nachbarwissenschaften geborgt wurden, um die klinischen Befunde zu integrieren. Konzepte wie "libidinöse Besetzung" stammen aus der Thermodynamik. Sie sind aber durch die Nachbarwissenschaften relativ gut zu untersuchen und auch zu widerlegen. Der Streit um die Wissenschaftlichkeit von Psychotherapieverfahren, speziell der Psychoanalyse, bezog sich lange auf diese "Metatheorie", und hier wird ja zu recht moniert, daß die orthodoxe Psychoanalyse es versäumt hat, ihr allgemeines Menschenbild den Erkenntnissen von Nachbarwissenschaften anzupassen , soweit es eben nötig war und möglich ist (Haynal1994). Die klinische Krankheitslehre im engeren Sinne ist empirisch viel besser bestätigt, sie kann aber auch von den Nachbarwissenschaften auf den ersten Blick weniger profitieren und/oder falsifiziert werden. Die Theorie der Technik ist im allgemeinen schlicht unbekannt, obwohl sie ja die Grundlage jeder Datengewinnung darstellt, d. h., jede Beobachtung, die ich mache, ist ja bereits durch meine eigene Intervention beeinflußt. Dieses Problem ist kein Spezifikum der Psychoanalyse, sondern aller Anwendungswissenschaften. Am Verhältnis der Verhaltenstherapie zum Behaviorismus kann man dies aufzeigen. Ursprünglich wurde die Verhaltenstherapie eingeführt als die Anwendung einer wissenschaftlich gesicherten Theorie des menschlichen Lernens, die allerdings selbst vorwiegend an nichtmenschlichen Lebewesen gewonnen wurden, speziell an Tauben upd Ratten. Die Behandlung wurde gewissermaßen deduktiv anhand der an infrahumanen Lebewesen entwickelten Metatheorie erstellt. Die Verfahren erweisen sich teilweise als erstaunlich wirksam, nur die Theorie, aus der sie abgeleitet worden waren, erwies sich als sehr viel weniger allgemein, als man ursprünglich gedacht hatte, so daß die Anhindung an den Behaviorismus sukzessive aufgegeben wurde, wie z. B. in Londons "The end of jdeology in behavior therapy" (1972) , wo unter Ideologie der Mythos verstanden wurde, Verhaltenstherapie Jasse sich aus den so gewonnenen allgemeinen Lerngesetzen ableiten. Siehe vertiefend Cohen (1984) und die historischen Aufarbeitungen älteren Datums (Krause 1972). 161
Ich war damals zu ei.nem Zeitpunkt, als ich noch vorwiegend Verhaltenstherapie be trieb, auf die Kontroverse eingegangen, ob denn die Anwendung unserer Techniken, z. B. der systematischen Desensibilisierung, unter dem Paradigma des klassischen Konditionierens abge handelt werden könnte, denn in der klinischen Praxis waren immer wieder Dinge geschehen, die mit den Lerngesetzen nicht erklärt we rden konnten. So die Frage einer phobischen studentischen Patientin, die nach erfolgreicher DesensibiJisierung endlich wieder ein Referat halten konnte, wie ich, der Therapeut, es fertig gekriegt hätte, daß der Seminarleiter und die KommiLitonen so nett gewesen seien. Die Desensibilisierung hatte zu einer durchaus unbemerkten kognitiven Neubewertung der Situation geführt, die allerdings zunächst wenig Generalisierungstendenzen hatte, denn sie meinte ja, nicht sie hätte sich verändert, sondern der Therapeut hätte die Situation verändert, ergo benötigt sie mich weiterh in für die Veränderung aller kommenden angstauslösenden Situationen. Da waren al o kognitive Attribuierungsprozesse, die im Rahmen der dahinterliege nden Theorie gar nicht vorgesehen waren, die sich für den Erfolg oder Mißerfolg a ls außerordentlich wichtig erweisen sollten, aufgetreten. Man hatte angenommen, muskuläre Entspannung sei gewissermaßen auf physiologischem Niveau un vereinbar mit Angst, ergo lösche der Zustand der Entspannung gleichzeitig auftretende Angst. Zwar hatte auch d ie orthodoxe Verhaltenstherapie nie behauptet, es gäbe keine Kognitione n, die Annahme war nur, "that we clearly assume, that these centrar proce ses (perception and imagery) followthe same laws as do peripherical stimuli a nd responses" (Miller 1959). Natürlich kann man so etwas aus heuristischen Gründen annehmen, wenngleich es mir stets wenig plausibel erschienen ist; aber was immer man für fruchtbar hält, schlußendlich muß es nachgewiesen werden. Das Proble rn ist also, daß die übergeordneten Dachtheorien und die technisch-klinischen Theorien und Praxeologien nicht notwendigerweise in einem engen wechselseitigen Befruchtungsverhältnis ste hen müssen, sondern häufig zur mehr oder weniger ideologischen Rechtfertigung von ohnehin praktizierten Techniken dienen. "Wir müssen den Schluß ziehen, daß die Psychoanalyse als Psychotherapie in bezug auf die psychoanalytische Theorie relativ autonom ist" (Mclntyre 1968). In der Verhaltenstherapie hat sich die Anh indung an den Behaviorismus nach einer sehr fruchtbaren und wohl auch identitätsstiftenden Zeit ab einem gewissen Moment als Hemmschuh erwiesen, und es ist seh r mühsam , die ei nm al eingekauft n De nkschemata und Begriffswelten so zu naturalisieren, daß man zu den Sachen kommt. Das gleiche gilt auch für die Psychoanalyse und ihre "monadische Triebtheorie". Wi e wir später zeigen werden, sind Vorstellungen wie diejenige der Besetzung eines Objekte vor allem deshalb nötig geworden, weil man sich den Menschen n.icht von vornherein als soziales Wesen gedacht hat und eine Triebtheorie in An leh nung an die damals gut untersuchte Reflexphysiologie erstellte. Die Sozialpsychologie zwischenmenschlicher Beziehungen wurde ein aus den Trieben des Einzelwesens abzuleitendes Phänomen. Bis heute schleppen zahllose Psychoanalytiker diese n Ba last mit sich herum und müssen viel Hirnschweiß aufwenden, um durch allerlei Zusatzannahmen diese falsche Basisannahme so zu verändern, daß sie der klinischen Realität entspricht. Nun könnte man zur Schlußfolgerung kommen , d ie übergeordneten Modellvorstellungen und Theorien seien nicht nur unnötig, sondern sogar ein Hemmschuh,
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und man solle sich doch mit der Rolle eines Sozialingenieurs abfinden, der nachweislich wirksame Techniken appliziert, ohne deren Begründung genau zu kennen und ohne diese Techniken aus einem bereits vorliegenden hierarchisch übergeordneten Wissenskorpus ableiten zu können. Für andere Wissenschaften ist dies nichts Ungewöhnliches. So wissen die Erfinder der Keramiklegierung für die neue Supraleitung bis heute nicht, warum ihr Material die Eigenschaften hat, die es hat. Die weitere Forschung geht schwerpunktmäßig keineswegs in die Richtung der Klärung dieser Frage, sondern in die Lösung der technischen Anwendung des neuen Materials. Für die Psychotherapie wurde dies auch gefordert und betrieben, eben in der erwähnten Arbeit von London (1972): "Instead of asking why does a treatment work and what are the ingredients of a given technique that are truly effective, the question is often how much of a chance is there that this package treatment . . . might work." Das gleiche in noch extremerer Form galt für die GT, die sich in ihrem Selbstverständnis teilweise als, wenn auch humanistische Technik, so doch nicht als eine Theorie verstand. Diese Phase ist heute überwunden (Rice & Greenberg 1984, Biermann-Ratjen, Eckert & Schwartz 1995). Zwei Gründe kann man herausarbeiten, warum der Verzicht auf eine Metatheorie im Psychotherapiebereich von Übel ist. Der eine ist ein empirischer und der andere ein politisch-ethischer, der dann natürlich sekundär wieder eminente praktische Bedeutung hat.
2.10 Empirische Gründe, die für die Erarbeitung einer Dachtheorie sprechen In einer sehr sorgfältigen Arbeit von Luborsky et al. (1985) wurde versucht, den Varianzanteil der persönlichen Befähigung der Psychotherapeuten am Erfolg oder Mißerfolg von Behandlungen zu bestimmen. 18 Therapeuten- drei kognitive Verhaltenstherapeuten, drei supportiv-expressive Therapeuten (eine Form der Analytischen Psychotherapie) und drei unspezifische Beratungsverfahren für Drogenabhängige - behandelten insgesamt 110 drogenabhängige Patienten, die gleichzeitig auf Methadonersatzbehandlung waren, durchschnittlich 12 Stunden. Für die supportive-expressive wie auch die kognitive Verhaltenstherapie sensu Beck existieren Manuale. Eines ist mittlerweile in Deutsch erschienen (Luborsky 1988). Die Therapeuten unterscheiden sich in den Erfolgmaßen, die unter sich sehr hoch korrelieren, erheblich voneinander. So hatten die acht Patienten des Therapeuten C nach sieben Monaten im Durchschnitt 14 Prozent Verschlechterungen im Ausmaß des Drogenkonsums, eine wenn auch geringfügige Verschlechterung im psychiatrischen Status und in der Hopkins-Symptom-Check-List 90, so daß seine Gesamtleistungen als eher schädlich angesehen werden mußten. Die Maße waren reliabelund wohl auch valide, da der Drogenkonsum blind von externen Beobachtern registriert wurde. Wenn man bedenkt, daß die Therapeuten von den Supervisoren Beck und Luborsky aus vielen Bewerbern ausgelesen wurden, weil sie
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reiche Erfahrung hatten, fragt man sich, wie die hohe interindividuelle Varianz zustandekornmt, und wie es sein kann, daß einzelne, von der Praxiserfahrung her routinierte Therapeuten solch schlechte Ergebnisse produzieren können. Sie ist nicht auf die unterschiedliche Gestörtheit der Patienten zurückzuführen, weil die eingangs gemessene Gestörtheil als Kovariat in die Varianzanalyse für Meßwiederholungen eingegangen ist. Die von externen Begutachtern eingeschätzten Fertigkeiten der Therapeuten, die mittels einer Faktorenanalyse in zwei Faktoren getrennt werden konnten ("Interesse, Patienten zu helfen" und "Eigene psychische Stabilität und Skills"), korrelierten leicht positiv (.33 bis .44) mit den Patientenbesserungen, aber wegen der geringen Stichproben erreichte keine der Korrelationen die Signifikanzgrenze. In allen elfvorhandenen Studien erwies sich die Beziehung zwischen beiden als bedeutsam. Das Ergebnis des "helping alliance questionnaire" korreliert zu .72 (Rückgang Drogeneinnahme), .70 (Arbeitsaufnahme), .51 (Rückgang Straffälligkeit) und .58 (psychologische Verbesserungen). Diese Variablen allein konnten jedoch die Unterschiede zwischen den Therapeuten nicht vorhersagen, deshalb versuchten die Autoren, die Technik der Therapeuten selbst zu untersuchen. Aufgrund von repräsentativen Texttranskripten wurde das Ausmaß eingeschätzt, in dem die Therapeuten sich faktisch an die in de n Manualen vorgegebene Technik gehalten hatten. Alle Besserungsmaße der Patienten korrelierten signifikant mit einem " Reinheitsmaß", d. h., je klarer und eindeutiger sich die Therapeuten an ihre jeweilige Technik gehalten hatten, desto besser waren ihre Ergebnisse (die Korrelationen streuen zwischen .38 - Becks Depressionsskala und .50- Rückfälligkeit) . Mit diesen Daten wird ein altes Rätsel etwas aufgehellt, nämlich die angeblich gleiche Wirksamkeit aller Therapien. Sie kommt möglicherweise u. a. so zustande, daß die Varianz innerhalb der Therapieformen, die zu Lasten unterschiedlich fähiger Therapeuten geht, so groß ist, daß die Varianz zwischen den Techniken keine signifikanten Unterschiede mehr erreicht. Die jeweiligen Therapeuten wenden die gleiche Technik also höchst unterschiedlich an. Die für di.e beiden Psychotherapien, nicht für die Beratung, entscheidenden Unterschiede liegen darin, ob und inwieweit sich die Therapeuten überhaupt an ihre eigene Technik halten. Eine Interpretation der Studie könnte so aussehen: Die persönlichen Qualifikationen s.ind ein guter Prädiktor für die Möglichkeit, ein gutes Arbeitsbündnis zu ersteHen. Wer ein gutes Arbeitsbündnis erstellen konnte, fährt um so besser, je eindeutiger und klarer er sich an seine Technik hält. Es könnte allerdings auch so sein, daß diejenigen Patienten, die eine "helping alliance" erfahren, ihren Therapeuten gewissermaßen erlauben, ihre Technik in Reinform zu benutzen. Eine weitere Interpretation, die sich natürlich nicht ausschließt, wäre, daß diejenigen Therapeuten, die mit ihren eigenen Modellen schnell am Ende sind, auch häufig auf eklektizistische Verfahren wechseln müssen. Sie wechseln damit auch jedesmal die Dachtheorie. Die Anwendung des Manuals, wenn sie lege artis geschieht, zwingt zum Festhalten an der Theorie, in Luborskys FaJl der Theorie über die Entstehung, Wirkung und Behandlung unbewußter Konflikte. Im Zusammenhang mit der von uns aufgeworfenen Frage bleibt vorläufig festzuhalten, daß der Erfolg von Therapien mit der Realisierung einer Technik in Reinheit erstaunlich hoch korreliert. Dies gilt für beide Verfahren, die sich ansonsten nur geringfügig unterschi.e den.
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In diesem Sinne ist die Theorie, die hinter der Technik steckt, zumindest für die Patienten nicht belanglos. Es gibt aber einen weiteren Grund, warum sich die Therapeuten den Luxus, eine reine Ingeniemwissenschaft zu betreiben, nicht leisten können, und der hat mit den ethischen Problemen dieses Berufsstandes zu tun.
2.11 Ethische Gründe für das Festhalten an einer Dachtheorie Wie Hans Strupp und Suzanne Hadley in vielen Arbeiten, von denen ich nur eine erwähne, herausgearbeitet haben, handeln Therapeuten stets in Zielkonflikten, die mehr oder weniger gut optimiert werden können (Strupp & Hadley 1977). Dies liegt daran, daß drei verschiedene Agenturen an psychotherapeutischen Veränderungsprozessen interessiert und beteiligt sind, nämlich die Sozietät, das behandelte Individuum und der Experte für seelische Gesundheit ("mental health professional"). Die Sozietät ist im allgemeinen an der Aufrechterhaltung und Stabilität sozialer Beziehungen, Institutionen und des Verhaltens interessiert, an der Wiederherstellung der Arbeitskraft. Das ist auch nicht zu hinterfragen, da die Behandlungen im allgemeinen von den Einkünften der Arbeitsfähigen bezahlt werden. Das muß nicht notwendigerweise das Ziel des Patienten und des Therapeuten sein, denn es könnte sich herausstellen, daß die Arbeitswelt die pathogenen Qualitäten hat, die die Behandlung nötig machen. In der somatischen Medizin ist dies nicht gerade selten der Fa11, ich erwähne nur die vielen berufsbedingten Allergien, die Umschulungen erfordern. Ein Patient mag wiederum ganz andere Ziele in seiner Behandlung anstreben, die zum Beispiel auf eine Maximierung der positiven Affekte und eine Minimierung der negativen oder so etwas wie Lebensglück hinauslaufen könnten. Solche Behandlungsziele werden im allgemeinen von der Allgemeinheit nicht bezahlt, wenn die "Glücksverhinderung" nicht auf eine Erkrankung zurückzuführen ist. Deshalb werden z. B. Paartherapien im allgemeinen nicht bezahlt. Des weiteren kennen wir ja Formen der Psychopathie und Soziopathie, in der die Lustmaximierung und/oder Selbstverwirklichung auf der Grundlage einer Schädigung der anderen zustandekommt Und dann ist da schließlich der professionelle Therapeut, der sein Krankheitsmodell und mit den Modellen verbundene Normen in den Prozeß einbringt. Es macht natürlich einen Unterschied für die Zielbestimmung aus, ob ich mich vorwiegend am offen beobachtbaren Verhalten orientiere oder so etwas wie mentale Strukturen oder gar unbewußte Phantasien postuliere. Am Beispiel von Sexualtherapien kann man sich das wohl durchdenken. Bei einer Impotenz mag man sich zum Beispiel darauf konzentrieren, die Erektion, die Immisio penis und die Ejakulation wieder zu ermöglichen, was ja in vielen Fällen schwierig genug ist, das heißt aber keineswegs, daß die begleitend auftauchenden Phantasien und Affekte notwendigerweise für den Patienten und für seine Partner akzeptabel sind. Die Annahme, mit der Möglichkeit einer Ausführung der overt reaction kämen die positiven Phantasien auch schon nach, ist nicht zwingend und auch nicht nachgewiesen. So gelingt einem Patienten der Beischlaf mit seiner Freundin nur unter den Randbedingungen a tergo und mit der korrespondierenden Phantasie, er schlafe mit einem Mann. Die Freundin kennt diese Phantasien 165
nicht, fühlt sich aber wohl zu recht nicht richtig beachtet. In dem Moment, in dem diese Sexualphantasie aus verschiedenen Gründen nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, bricht das heterosexuelle Verhalten gänzlich zusammen, und der Patient bricht die Beziehung ab. Er hatte eine Art Selbstbehandlung versucht, indem er das heterosexuelle overt behavior durch phantastische Drudefinitionen den inneren Bedürfnissen annäherte. Das muß nicht der Regelfall sein, aber es kommt immerhin vor. Was soll nun Gegenstand der Behandlung sein, die Phantasien, das overt behavior oder möglicherweise gar nichts? Im allgerneinen tendieren die professionellen Psychoanalytiker dazu, Struktur- und Persönlichkeitsveränderungen in Richtung auf größere Autonomie, Realitätsorientierung, Selbstaktualisierung etc. ein größeres Gewicht zu geben als einer Symptombeseitigung, vorausgesetzt, beide kämen in Konflikt miteinander. Ob dies dann auch erreicht wird, ist eine andere Frage (Grawe, Donati und Bernauer 1995). Die klassischen Verhaltenstherapien haben sich stärker am äußeren Verhalten orientiert. All dies hat natürlich einen Sinn, aber man darf es gedanklich nicht vermischen . Strupp & Hadley (1977) haben, ausgehend von diesen Überlegungen, folgende Klassifikation erstellt: Offenes Verhaften
Wohlbefinden
Persönlichkeitsstntktur
+ /-
+ /-
+ 1-
]. + + + Eine solche Person kann man nicht nur als psychisch gesund betrachten, sondern gleichzeitig als fröhlich und glücklich.
2. + - +
--
Es kann sich um eine gntndsätzlich gesunde Person handeln, die von dysphorischen Affekten geplagt wird und dazu Anlaß hat, z. B. infolge von lebensbedingten Verlustereignissen und/oder Niederlagen. Im allgemeinen wird man einer solchen Konstellation keinen Krankheitswert zugestehen, sondern sie als schicksalsbedingt betrachten. 3. + + Es mag sich um eine Person mit einer pathologischen Selbstwertregulation, z. B. vom narzißtischen Typus handeln. Zur Abwehr von MindeJWertigkeitsgefühlen eJWeckt sie vor sich und anderen den Eindruck einer außergewöhnlichen Genialität, und es gelingt ihr, sich mit Personen zu umgeben, die diese Meinung zu Unrecht teilen. Solche Personen haben keine Veranlassung, Therapien aufzusuchen, obgleich die Experten die Gestörtheil der Persönlichk eitsstruktu.r sehr wohl für gegeben halten. Unter manchen charismatischen Figuren kann man gewiß sein, solche Konstellationen zu finden. 4. + -Gleich wie 3, aber der Affekt ist dysphorisch. Die Abwehr der Nichtigkeitsgefühle gelingt nur über die Entwertung und Kränkung aller Bezugspersonen, so daß die vorherrschende Gefühlstönung Verachtung, Wut, Ressentiment und Neid ist. Auch hier mag das Funktionieren, wenigstens temporär, sehr gut gelingen, sofern es eine Gntppe von Anhängern gibt, die eben diese Abwehr teilen und ein gemeinsames Objekt ihrer negativen Affekte finden. Solche Konstellationen kann man teilweise bei den sogenannten Borderline-Persönlichkeilen finden, die in politischen wie auch religiösen Kontexten nicht unerheblichen Schaden anrichten können.
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5.- + + Die Sozietät beurteilt das Verhalten des Individuums als unangemessen, aber seine Persönlichkeit ist gesund, und er fühlt sich wohl. Dies mag avantgardistischen Personen in Zeiten hoher gesellschaftlichen Rigidität geschehen. 6. -- + Wie Typus 2, jedoch die negative affektive Reaktion auf das Lebensereignis wird nur von der Sozietät, nicht aber den Experten für psychische Gesundheit als unangemessen angesehen. Die Sozität findet die Trauerreaktionen übenogen, es mag eine Meinung geben, daß man nach vier Monaten Verluste verarbeitet haben und aufgar keinen Fall seinen Beruf vernachlässigen sollte etc., obgleich die Experten solche Reaktionen für durchaus angemessen, vielleicht sogar gesund halten mögen. Solche Annahmen sind sehr stark kulturellen Wandlungen unterworfen. Man kann zum Beispiel in den letzten Dekaden eine stete AbkütZung der erwarteten affektiven Trauerreaktion auf Verluste beobachten (Aries 1980, Hochschild, 1979).
7. -
+-
Personen mit Jchdefekten, Psychopathie, Soziopathie, geringer Realitätswahrnehmung und geringem Einsichtsvennögen, die sich aber möglicherweise durch die Fähigkeit zur Schädigung anderer wohlfühlen, zum Beispiel in der Form sadomasochistischer oder anderer Perversionen.
8. --Eindeutig seelisch krank.
Es macht sicher einen Unterschied aus, ob man als Therapeut Ziele wie 5. oder 6. als angemessen erachtet und gegen das eigene Modell und die Wunschstruktur des Patienten zugunsten eines gesellschaftlichen Auftrages operiert. Dies kommt im Rahmen des Versorgungsauftrages der Psychiatrie, Psychotherapie und der forensischen Psychiatrie vor, zum Beispiel, daß jemand per Gerichtsentscheid eine Behandlung verschrieben bekommt, die er gar nicht haben will, und an deren Erfolg der Behandler selbst nicht glaubt, sie aber trotzdem durchgeführt wird. Dagegen ist nicht unbedingt etwas einzuwenden, wenn eine Majorität dieses Vorgehen für den Patienten für angemessen hält und die Behandlung nicht schadet. Auf jeden Fall muß man, um notfalls gegen die Sozietät und auch den Patienten selbst Stellung nehmen zu können, Modellvorstellungen über die Persönlichkeit und ihr Funktionieren haben. Wenn diese Vorstellungen nicht aus religiösem Kontext stammen, gibt es keine andere Option als die Suche nach wissenschaftlich haltbaren Modellen über die Natur des Menschen, wobei natürlich auch ein Ergebnis sein kann, daß die Natur des Menschen seine Kultur ist, aber das gilt es dann im einzelnen auszufüllen. Praxeologien, die meinen, sie könnten ohne Rekurs aufwissenschaftliche Persönlichkeitstheorien auskommen, ontologisieren entweder die gesellschaftlichen Normen oder das subjektive Glücksempfinden des Einzelnen. Beide Formen kamen in einer naiven Verhaltenstechnologie, die gewissermaßen behandelte, was ihr unter die Finger kam, und manchen humanistischen Therapien, die Selbstverwirklichung mit einer ähnlichen Radikalität zum Schaden anderer betrieben haben, vor. Heute hat sich dieses Problem auf die "Psychosekten" verlagert. Solche Exzesse sind teilweise Spezifikum verschiedener sozialer Systeme. Von einem vormals kommunistischen Land, mit dem ich berufsmäßig zu tun hatte,
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wurde mir folgende Episode berichtet: Ein hoher Funktionär mit psychosomatische n Symptomen träumte, er reite an der Spitze einer fasc histischen Horde sengend und mordend über das Land. Er erzählt dies in der Therapiegruppe, der Traum wird publ ik, und die Partei lei tung interveniert massiv, daß solche Träume Folge von Be handlungsfehlern seien und so etwas nie wieder vorkommen dürfe. Hier kommt ei n politisch getragenes Mensche nmodell in Konflikt mit unseren wi ssenschaftliche n Vorstellungen. Nach Maßgabe des wissenschaftlichen Modells sind Me nschen eines bestimmten Typs, hier zum Beispiel alte Antifaschisten, unfähig zu besti mmten, als negativ betrachteten Handlungen. In Tat und Wahrheit handelt es sich aber um idealisie rende Ve rleugnungen. Das gleiche gilt natürlich für die Annahme von de r prinzipiellen Gutartigkeit anderer Gruppen wie den Ariern etc. Wirklich gefährlich sind die Ve rbindungen gesellschaftlicher und wisse nschaftliche r Modellvorstellungen, die vorwiegend propagandistisch defensive Zwecke habe n. Ich werde a uf solche Prozesse noch eingehen. Wie oben am Beispi el der Inge nie urswissenschaften schon deutlich wurde, ist die Frage nach der Effizienz gegenwärtig nicht deckungsgleich mit der Frage nach der "Wahrheit" ein er T heorie der Psychotherapie und den dahinterstehenden Persönlichkeitsmodellen. Als Praxeologie n schließen sich die verschiedenen Therapieansätze nicht gänzlich aus. Sie schne ide n a us dem komplexen Geschehen, das wir menschliches Handeln ne nne n, jewe ils verschiedene Segmente heraus, was kein Fehler sein muß, sondern eine notwendige Folge. Da jede Psychotherapie le tztendlich Veränderung impliziert, sind alle wisse nschaftlich en Änderungsmodelle für die Beschreibung des Handlungsgeschehens relevant. Man kann de mzufolge die folgenden Lemj01men unterscheiden: 1. Signallernen oder Konditionieren 1. Art
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Reiz- Reaktionslernen oder instrumentelles Konditionieren ModeU ernen Multiples DiskriminationsJe men Sprachliche Assoziationen Begriffslernen Rege tl e rnen Problemlösen
Identifikation und Introjektion als Formen des Lernens wurde nur in der Psychoa nalyse ausformuliert. Wi r werden im Rahmen der entwicklungspsychologischen Modelle a uf sie einge hen. Dort unte rscheiden wir drei Formen identifikatorischer Prozesse, die die acht Lernformen einschließen können. Nach Gagne (1969) sind diese Lernformen hierarchisch angeordnet. Die höheren setzen die niedrige ren voraus, so daß zum Beispiel ohne Signallernen, Reiz- und Reaktionslerne n kein Modellernen und ohne Modellernen kein Regellernen denkbar ist. Ob diese Liste in der vorliegenden Form zwingend ist, soll offen bleiben, aber vom Prinzip he r halte ich die Uberlegung eines hierarchischen Aufbaus de r Lernvorgänge für richtig. Die ve rschiedenen Psychotherapieformen haben Prioritäten für di e Beschreibung ihrer Lernvorgänge entwickelt. Die Psychoanalyse hat ihr bevorzugtes Anwendungsfeld einerseits sehr weit oben und andererseits sehr weit unten. Oben wird einem kognitiv/affektiven Prozeß, der Einsicht genannt wird, e ine prominente Rolle bei de r Veränderung zugesprochen (Moser 168
1962, Krause 1985 b ). Viele Änderungsvorstellungen ähneln dementsprechend auch denjenigen der Gestaltpsychologie und der Psychologie der Problemlösungsprozesse mit Aha-Erlebnissen, kognitiven Restrukturierungen, Inkubationszeiten etc. Sehr weit unten sind die mit Identifikationen und Introjektionen verbundenen Lernprozesse anzusiedeln, die man als archaische Formen des Modellernens verstehen kann. Sie sollen die Grundlage von tiefsitzenden Persönlichkeitsstrukturen sein. Solche Begriffe werden von den anderen Behandlungstechniken im allgemeinen nicht verwendet, wenn überhaupt im Umfeld des sozialen ModelJemens sensu Bandura (1977). Eine andere hierarchisch sehr tiefliegende Quelle für identifikatorische Prozesse ist das social referencing, auf das wir in Band 2 eingehen werden. In ihm werden die Affekte der anderen Person für ein Signallernen 1. Ordnung die eigene Person und die Objektwelt betreffend benutzt. Es wird deutlich werden, daß die vermeintlich so verschiedenen Lernprozesse teilweise ineinander überführt werden können. Die Verhaltenstherapie hat mit Signallernen und Reiz-/Reaktionslernen begonnen, sich mittlerweile die Leiter der Lernprozesse hochgeschafft und ist jetzt mit der Rational-Emotiven-Therapie beim Regellernen und Problemlösen angekommen. Der mangelnde Rekurs auf identifikatorische Vorgänge wird vielleicht über eine Weiterentwicklung des ModellJemens dereinst aufgehoben werden können. Natürlich finden in Verhaltenstherapien massive identifikatorische Prozesse und in Psychoanalysen Lernprozesse statt, die nicht nach dem Modell der Problemlösung beschrieben werden können. Wie wir in unserem Phasenmodell eingeführt haben, muß man die Lernprozesse bis zum psychoanalytischen Instabilitätspunkt hin als Diskriminationslernen betrachten. Autoren wie Alexander & French (1974) haben das folgendermaßen beschrieben: "The principal curative powersoftbis treatment, however, lie in the fact, that he (der Patient- R. K.) can express bis aggressiveness towards the therapist without being punished, and he can assert hirnself without being censured. This actual experience is needed before the patient gains the emotional perception that he is no Ionger a child facing an omnipotent father. This type of emotional experience as it occurs during treatment, we call ,corrective emotional experience' and we consider it the most important factor in all uneavering types of therapy" (S. 22). Offensichtlich handelt es sich dabei um eine Form des Diskriminationslernen, nach dem Typus Person X (der Therapeut) ist, obgleich hochgradig relevant nicht identisch mit Person Y, deren Verhalten als paradigmatisch für alle Situationen dieses Typs angesehen wird, also einen Attraktor darstellt. Für die psychoanalytische Technik bedeutet dies, daß die alte, von Freud aufgestellte Abfolge von Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten von der Abfolge Wiederholen, Erinnern, Durcharbeiten abgelöst wird (Anstadt, Merten, Krause 1996). Daß eine Fül1e von Konditionierungen, die dem Modell des social referencing folgen, stattfinden, haben die drei referierten Fälle gezeigt. Wie wir später sehen werden, kann man die Indikation nach den für den Patienten möglichen Lernprozessen erstellen (Krause 1985 a, 1990). Hinsichtlich des Problems des richtigen und wahren Persönlichkeitsmodells stellt sich die Frage, welc;_hen Gewinn und welchen Verlust man bei der Wahl eines prinzipiell möglichen Anderungsmodelles hat. Man kann die Veränderungsprozesse sowohl von unten nach oben (bottom up) wie auch umgekehrt von oben nach unten (top down) kognizieren. Aus therapeutischen und methodologischen Über169
legungen heraus meine ich, daß es vorteilhafter sei, von oben nach unten vorzugehen und mit dem höchstmöglichen Lernprozeß, also der Problemlösung, zu beginnen, um dann, wenn nötig, auf das nächst niedrigere Niveau zu rekurrieren. Der umgekehrte Weg ist aus verschiedenen Gründen sehr viel schwieriger und führt, wie die Studie von Grawe gezeigt hat, zu häufigen Therapieabbrüchen. Das Insistieren auf elaborierten Lernprozessen unter Mißachtung hierarchisch Untergeordneter führt im allgemeinen zu den intellektualisierenden Scheinanalysen, in denen Begriffe und Regeln gelernt werden , die aber im semantischen Bereich verbleiben und unter konfliktuösen Bedingungen keinerlei Bedeutung behalten. Das Problem der parawissenschaftlichen Persönlichkeitstheoreme ist, daß sie häufig Normen und Werte generieren, die der Verleugnung existierender Probleme dienen. Die Entstehung stets neuer Psychotherapieformen will so weniger a ls Fortschritt erscheinen denn als Produktion von "Phantasmen", wobei darunter Inhalte des Bewußtseins verstanden werden sollen, die einer kulturellen Abwehr anheimfielen und nun, phantasmagorisch verändert, im Wachbewußtsein wieder auftreten. Es handelt sich also gewissermaßen um unbewußte Kollektivphantasien, und die Psychotherapietheorien wären dann, anstatt solche Phänomene aufzudecken, selbst Produzenten solcher Phantasmen. Die entsprechenden Phantasmen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denjenigen der Kultur überhaupt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen nun im folgenden einige Phantasmen des psychotherapeutischen Geschehens, die im allgemeinen auch die Patienten teilen, und die somit in jedem Fall das Handlungsgeschehen steuern können, beschrieben werden. Bedeutsam ist sicher die unbewußte Phantasie des stets möglichen Neubeginns, der Reversibilität aller Prozesse, man könne bei der Wahl der richtigen Technik stets "neugeboren" werden. Dahinter steht auf der Seite des Patienten die Vermeidung eines intensiven Prozesses der Trauer, der mit der Erkenntnis über die prinzipielle Unveränderbarkeit der eigenen Geschichte verbunden ist. Tatsächlich läßt sich nachweisen, daß die grundlegenden Konfliktstrukturen sich auch in erfolgreichen Psychotherapien gar nicht ändern, sondern nur der Umgang mit ihnen (Luborsky 1977). Wir können allerdings zeigen, daß die gebesserten sich auch dahingehend unterscheiden, daß sie ihre Konflikte nicht mehr aktiv wiederholen (Krause und Merten 1996). Die Phantasie der Reversibilität scheint nur eine psychotherapeutische Variante unseres Umgangs mit der Natur insgesamt zu sein. So betrachtet wäre der Umgang mit dem eigenen Körper, mit der eigenen Triebhaftigkeit und der Hoffnung, nicht nur entschädigt zu werden, sondern alles nachholen zu dürfen, eine Subklasse von Natur. Es mag allerdings auch umgekehrt sein, daß wir die Natur in Anlehnung an unseren eigenen Körper erleben. Ein weiterer Phantasmus, der mit dem obigen sicher zusammenhängt, ist die normative Umdeutung von Glückserlebnissen. Der in der amerikanischen Verfassung aufgeführte Rechtsanspruch auf den pursuit of happiness war ja seiner calvinistischen Herkunft entsprechend keineswegs nur ein Rechtsanspruch, sondern auch ein normativ zu erfüllendes Verhalten, denn wer sich im wirtschaftlichen Sinne als unglücklich erwies, war nicht im Status der Gottwohlgefälligkeit. Die Übertragung vom ökonomischen auf den psychischen Bereich bedeutet, daß das Gefühl, unglücklich zu sein, auf einen vermeidbaren persönlichen Irrtum der unglücklichen Person zurückzuführen ist. Es gibt eine hohe normative Prämie auf Verhaltensweisen, die "Happiness" reflektieren, wohin170
gegen Zustände von Unbehagen in die Privatsphäre und in unbewußte Strukturen abgedrängt werden, gerade weil sie ein ubiquitäres Phänomen sind. Es hat wohl wenig historische Zeiten gegeben, die derart angestrengt damit beschäftigt waren, "Spaß" zu haben. Viele der Psychotherapietechniken versuchen dementsprechend auch, ihren Mitgliedern "gesundes", das ist in diesem Falle fröhliches Verhalten, qua Imitation zu vermitteln, wobei eben diese Gefühlslagen die Realität, die sie veranlaßt haben, aus dem Blickfeld verlieren (Sternbach 1974). In zwei eigenen Arbeiten habe ich mich mit der Gleichsetzung von psychisch gesund und kreativ empirisch beschäftigt und ebenfalls zwei doch recht verschiedene Grundhaltungen, die ich die "Happiness-Apologeten" und die "Leidens-Apologeten" genannt habe, herausarbeiten können (Krause 1977, 1979). Die Psychoanalyse bekümmerte sich um das Glück ihrer Patienten nicht sehr, wollte sie doch vor allem "neurotisches Elend in gemeines Elend" zurückverwandeln, wobei natürlich die Frage auftaucht, wieviel "Realitätswahrnehmung" überhaupt erträglich ist. In jedem Fall hat Freud und mit ihm seine Nachfolger das neurotische Elend al s Folge realen Elends gesehen, das, vermittelt über die Primärsozialisation, in der jeweils nachfolgenden Generation neue Formen annimmt. " Wenn aber eine Kultur es nicht darüber hinaus gebracht hat, daß die Befriedigung einer Anzahl von Teilnehmem die Unterdrückung einer anderen, vielleicht der M ehrzahl zur Voraussetzung hat, und dies ist bei allen gegenwärtigen Kulturen der Fall, so ist es begreiflich, daß diese Unterdrückten eine intensive Feindseligkeit gegen die Kultur entwickeln, die sie durch ihre Arbeit ermöglichen, an deren Güteni sie aber einen zu geringen A nteil haben. Eine Verinnerlichung der Kulturverbote darf man bei den Unterdrü ckten nicht e!Warten, dieselben sind nicht bereit, diese Verbote anzuerkennen, und bestrebt, die Kultur selbst zu zerstören, eventuell selbst ihre Voraussetzungen aufzuheben. Die Kulturfeindschaft dieser Klassen ist so offenkundig, daß man über sie die eher latente Feindseligkeit der besser bereiften Gesellschaftsschichten übersehen hat. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß eine Kultur, welche eine so große Zahl von Teilnehmern unbefriedigt läßt und zur A uflehnung treibt, weder Aussicht hat, sich dauernd zu erhalten, noch es verdient" (Freud 1927, S. 333).
Rogers hatte ein weitaus positiveres Welt-, Menschen- und Gesellschaftsbild, das der Vergangenheit bei weitem weniger Macht einräumte. Beide Formen können zu Abwehrzwecken benutzt werden, einmal, indem die stete Beschäftigung mit der Vergangenheit eine Art von Zukunftsverbot bedeutet, zum anderen, indem die chronische Vorwärtsorientierung die zurückgelassenen Trümmer und Wunden negiert. Sicher gibt es kulturelle, geschichtlich entstandene Präferenzen für die unterschiedlichen Modelle. Auf der Seite der Therapeuten entsprechen die Phantasmen Größenphantasien, was sie alles erreichen könnten, was bereits besprochen wurde. Es handelt sich um die entsprechenden Parallelen zu Religi.onen, Systemen, die implizit oder explizit eine Art narzißtisches Himmelreich der Selbstverwirklichung versprechen. Auf der Grundlage der Überlegungen dieses ersten Bandes werden im 2. Band die folgenden Modelle besprochen werden: 1. Trieb und Affekt 2. Entwicklungspsychologie 3. Abwehrvorgänge 4. Gedächtnisprozesse
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184
Sachwortregister
Abhängigkeit 128 Abstinenz 130, 143 Abwehr 31, 73, 86, 99, 142, 148 Affektansteckung 73 Affekte 50, 51, 61, 68, 72, 80 Affektivität mimische 52, 90 Affektkomponenten 61 Affektsignal 31 Aggression 38,112, 115-117,119, 120 Agieren 67,131 Aktivität 54, 67 Aktualneurose 29 Alltagsbeziehung 46 Alltagspsychologie 145 Alpträume 138 Amok 38 Angst 62, 75, 87,91-92,93,108,109,114,122 Angststörungen 34, 49,106, 136 Anhedonie 81 Anorexia nervosa 37 Arbeitsbeziehung 46,146 Attraktor 146,147,150,151 Attunement 57 Aufmerksamkeit fre ischwebende 67,143. Ausdruck, geschlechtsspezifischer 75 Ausdruck und Erleben Siehe Affektivität, mimische Ausdrucksverhalten 126 Abnlichkeitswahrnehmung 72 Angstlichkeit 64, 128 1\rger 49,75,87,91-92,93 Ärgerregulation 76 Ätiologie 34 Bedeutung 139 Bedeutungsaufhellung 136 bedeutungsvolle Einheiten 55 Begegnung 53 Behandlungstechnik 46, 47, 52,145 Behandlungsziele 52, 65 Beobachtung 104 teilnehmende 104, 105 Beobachtungseinheiten 57, 128
Berserker 38, 39 Beschreibungssysteme, psychiatrische 32 Besetzung 81, 86 Beziehung 45, 47, 49, 52, 61, 145 Alltags- 46 Arbeits- 46 gute 49, 69, 77 Qualität 45, 77 schlechte 71 symmetrische 46 Beziehungsepisoden (Narrative) 95, 96 Beziehungskonflikt, zentraler 95, 153 Beziehungsmuster 95 Beziehungsverhalten 56 Bifurkation 151 Biopsychosoziales Mode ll 18 Blickkontakt 52 Borderline-Störung 40 Bulimie 37 Chaostheorie 153 f. Charakter 1.23 Charakterneurosen 29 Colitis ulcerosa 80-82 Compliance 23 Container (Therapeut als Container) Containing 99 containment 152 Couchsetting 58, 101
98
Depression 34, 60, 121, 122 De terminismus 18 Diagnose, psychoanalytische 43 Diagnostisches und statistisches Manual 33,40,41 Dienstleistungsbeziehung 129 Differentielle Affekt-Skala 71 Differentielle Krankh eitslehre 27, 29 Dissoziation 34 Durcharbeiten 152 dyadischer Leitaffekt 87 Dynamische Systemtheorie 25 , 146, 148 f. Ekel 62, 64, 75, 83, 85, 87, 91, 92, 93, 98,126 Ekel-Innervation 152
185
Emble me 60 E MFACS 90 Empat hi e 49,5 0-51, 69, 72, 73,129 e mpathische Wahrnehmung 100 e mpathisches Verstehe n 134 E ntlastungsdeu tung 119 E ntschlüsselungsregelunge n, affektspezifische 57 E ntwicklungsdi agnose 37, 42 E rfo lgsmaße 45 E rkenn tnisprozeß 134 erkenntnistheorethischer Standpunkt 133 E rregung 58 Ethno psychoanalyse 39 Expressed- Ern a tion 86 FACS 126 Fluktuationen 146 Fo kus 106,107,118,134 Freude 64, 75, 81,87,91- 92,93,98 Freud eausdruck 74, 77 Fre uderegulation 76, 78 Funktionale Ebene 135 Gedächtnis 150 Gefühlsdrehbücher 56, 80 Gegenübertragung 99, 100, 130 Gegenwartsunbewußtes 67,136 geistige Behinderung 34 Geschlechtsabhängigkeit 42 Gesundheitsbegriffe 20 Glück 62,70 Größenidee 117 Größenthema 118 Grundkonflikt 107 Grundregel 47,107 G ruppenph antasien 54 G üte kriterien 140 fürwissenschaftliche Untersuchungen 128 H andlungstheo rien 19 Hardware 136 he rm eneutische Sichtweise histrionische Störung 88 histriansehe Störung 103 Hörerzustände 59 Hypnose 53,160 Hysterie 30 ICD 10 33 Idealisierung 48 Identifikation 39, 72, 169
186
137,139
Iden tifikationen mit den Funktionen eines Analytikers 145 Illustratoren 60, 89 Immunsystem 25 Implantierungsphase 149, 152 Impulsneurosen 30, 34 Indikatio n 49, 135 Instabilitätsphase 150, 152 Inszenierung Siehe Gefühlsdrehbücher intentionaler Modus des Verstehens 129,132, 135,136,137,141 Interesse 62 inte rsubjektives Feld 56, 101, 136 Interview 35 Intimität 58 Introjektion 74 Irrtumswahrscheinlichkeit 142 Kanäle, sensorische 56, 57 Katamn ese 102, 130, 165 Kausale r Modus 134, 141,142, 146 Kernkonflikt 133,147,149 Klärungsperspektive 69, 70 klassische Psycho analyse 53 kognitive Repräsentation 62,138 Kognitiver Prozess, affektive Valenz Kommunikation 65 Komorbidität 36 Kompl emen tarität 51, 52, 54, 88 Konditionierung 64 Konflikt Neurotischer 31 unbewußter 18, 83 Kongruenz 73, 75,77-78 Kontextverarbeitung 66 Kontextwissen 145 Kontrollparameter 146 Kontrollüberze ugungen 158 Konversion 30, 34, 80 Kore 38 Körpe rbewegungen 58 Körpermanipulatoren 59 Krankenrolle 21, 155 unbewußte 22, 23 Krankhe itseinheiten 34 Kran kh ei tslehre allgemeine 17, 28 psychoanalytische 17, 41 Krankh eitsmode ll 17, 20,156 kreative Produkte 140 Kurztherapie 106
57,
77
Lachen 81,107,112,126 Leitaffekt 82 dyadischer 87 Linsenmodell 56 Macht 54,67 Malgri 38 Manie 34 Metaanalyse 45 Metatheorie 158 Mimik 52,90 mimische Kennwerte Motivierung 47
97
Näheregulierung 54, 67 narzißtische Neurosen 30, 37, 48 narzißtische Regulationsversuche 14 7 Neurasthenie 29 Neurose 28, 42, 81, 82, 83 hysterische 88 Neurosenlehre 104 Objektivität 128 Objektreaktionen 61, 97, 98 Objektrelationen 95 , 96 Ordnungssysteme 35 Organneurosen 29 ödipaler Konflikt 17, 42 Panikstörung 88 Passivität 54, 67 pathologischer Rausch 39 Patient-Therapeuten-System 116, 149, 151 Personale Konstrukte 18 Persönlichkeit 36 Persönlichkeitsstörungen 34, 36, 38, 40, 88 Perspektivenübernahme 50 Perversionen 30, 34,143 Phänomenologie 35 Phantasie 19, 54, 137, 165, 169 Phasen des therapeutischen Prozesses 148 f., 153 phobische Neurosen 36 physiognomische Wahrnehmung 142 Placebo 156 f. Plananalysen 132 posttraumatische Neurose 39 prägenital 42 präödipal 42 Primäraffekte 91 ff. Problemlösungsperspektive 69, 71 Programmebene 135 Projektion 32, 73, 78
projektive Identifikation 149 Prozessieren paralleles 68 Prozeßmodelle 144 Prüfungssituation 108 Psychoanalyse, klassische 53 psychoanalytische Situation 99 psychoanalytischer Prozeß 104 Psychoneurosen 29, 30 Psychosen 22, 32, 143 Psychosomatische Störungen 30 Psychotherapietheorie 26, 43 ff. , 53, 69, 87,144,154 ff., 163 reflektierende Abstraktion 148 Regressive Vorgänge 42, 70, 79 f., 101 Regulatoren 59 Relation assoziative 138 syntagmatische 138 Reliabilität 128 Repräsentationsmodi 54 Reziprozität, affektive 51 f. , 54, 88 schamanistische Praktiken 155, 158 Schema 134 Schizophrenie 22, 34, 58, 60, 80 ff. Schuldgefühle 134 Schlüsselreiz 50 Schweigen 59, 115 f. Selbstähnlichkeit 146 f. Selbstkongruenz 71 f. Selbstorganisation 147,152,154 Selbstpflegereaktion 59 Selbststruktur 50, 65, 86 Selbstsynchronisierung 58 sexueller Mißbrauch 40, 47 f. Sicherheitsgefühl 150 situativer Rahmen 55 , 62 Somataforme Störungen 19, 34 Sprache 52, 59, 77 Steuerendes Objekt 103 Störung frühe 41 Stotterer 53, 58, 68 Strafbedürfnis 134 Streß 59 Struktur 37, 43 Supervision 51 Symbol 137, 139 Symbolverstehen Siehe Hermeneutik Sympathie 54
1
187
J
synchrones Lächeln 107, 112 Synchron izität 59 Systembereiche 144 Systemtheorie , dynamische 148 Sze nisches Verste he n 67, 79 teilnehmende Beobachtung 104 f. , l29 Theorie bildung 52, 132 Therape uten, Scheitern von 100 f. th e ra peutische Situation 43, 102 Therapieerfolg 154 Traue r 62, 64, 75 , 87, 91,92, 93 Tra uma 32 Tra umatische Neurose 29, 32, 39 f. Überraschung 62, 75, 87, 91 ff. ljbertragung 66, 79, 86 Ubertragungsdeutung 125,150 Qbertragungsheilungen 158 L.Jbertragungsneigung 79 Ubertragungsn e urosen 30, 37,79 unbewußte Handlungsziele 133 Validität 72, 77 Ve rachtung 60, 62, 75, 87, 91 ff. , 98, 108 Verführung 99 Verhalten bedeutungsvolles 65
188
Mikroebene 93 Monitaring des 67 offenes 126, 132, 166 Organisation von 65 Verhaltensanalyse 55 Verhaltenshierarchie 66 Verhaltenssegmente 66 Verhaltenstherapie 47, 161 Verhaltensweisen, Informationsgehalt von 65 Verinnerlichung 18 f. Verlegenheit 113 Verleugnung 74 Ve rstehen 49, 69 Vulnerabilität 23, 37 Wahrheitskriterium 133 Wahrnehmungsformen 141 Wenn-dann-Aussagen 132 Werbeverhai ten 83 Widerstand 125, 150 Wiederholung 19, 150 Wirkungsverknüpfungen 145 Wut 62, 83, 87, 109, 111 f. , 126 Zuhören 52 Zwangsstörungen
30, 34, 36, 48
Personenregister
Adler 25 Ahlert & Enke 45 Aichhorn 150 Alexander & French 169 Anstadt, Merten & Krause 169 Anstadt, Merten, UHrich & Krause 99,152 Anuchin & Kiesler 18 Anzieu 26 Arbeitskreis OPD 36 Argelander 67,79 Aries 167 Asmus & Hoffmann-Richter 21,23 Bänninger-Huber, Maser & Steiner 67 Bandura 169 Baranger 56 Barber, Crits-Christoph & Luborsky 19 Barsky & Wischak 20 Barton 147 Bastine 20, 155 Becker 23 Becker & Beck 54 Becker-Fischer, Fischer, Heyne & Jerouscheck 47 Benecke 152 Benjamin 67 Bieri 132, 135 Biermann-Ratjen, Eckert & Schwartz 49, 69, 70,163 Bion 54 Birbaumer 26 Birbaumer & Schmidt 25 Birdwhistell 66 Bischof-Koehler 50 Black 136 Blaser 155 Bleuler 39,40 Boesch 19, 158 Bomann 40 Braun von 38 Briggs & Peat 148 Brunswik 56 Bucci 54 Bühler 77
Caspar 29, 45 Cohen 145,161 Crits-Christoph 46 Curtiss, Silberschatz, Sampson & We iss Czogalik 70 Dennet 135 Dilling, Mombour & Schmidt Duncan 59
19
20, 33, 34, 37
Edelmann 136 Eggers 40 Eigen & Schuster 145 Ekman & Friesen 56, 57, 62,126 Ekmann 62 Emde 18 Engel 18,23 Enke & Czogalik 70 Erdheim 158 Eysenk 144 Faßnacht 65 Fenichel 27, 29, 30,157 Fiedler 36 Freedman 60 Freud 42, 68, 103, 158, 160, 171 Frijda 57, 62,64 Frischet al. 75 Frisch, Schwab & Krause 81 Frosch 31 Gagne 168 Gergely 51, 57 Gerlach 39 Geyer 38 Gill 158 Grawe 19, 24, 45, 59, 134, 144, 148, 158 Grawe, Caspar & Ambühl 52, 158, 160 Grawe, Donati & Bernauer 46, 69, 138, 145,146,154, 166 Greensan 70 Greve 53 Grünbaum 26, 156, 159
189
Haan 32 Habermas 158 Hahlweg, Müller, Feinstein & Dose 18, 45 I-laken 145 Hand & Lamontagne 103 Haynal 26, 43 , 161 H e igi-Evers, Heigl & Otto 145 Herrman , Holzammer-Herrmann & Stiels 35 Herrmann, Perry & van der Kolk 40 1:-Iinderling 22,157 Hochschild 129, 167 Hoffmann 41 Hofstätter 142 Häger 26,147 Holzkamp 139 Hopper 17 Horowitz L. M. 19 Horowitz M. J. 134 lsen
57
Jacobs 55 Jantsch 147,148 Johnson, Ekman & Friesen
61
Kai er 26 Kaminski 19 Kanfer, Reinecker & Sehruelzer 47, 69, 145 Kelly 18 Kernbe rg 129, 149 Ke rnbe rg, Selzer, Koenigsberg, Carr & Appelbaum 49 Khan 32 Klauck 160
Klix
134, 142
Klosterhalfen & Klosterhalfen 25 König 49, 103 Körner 70, 131 , 133 Krause 23, 29, 41, 53, 61, 62, 68, 129,131,
138, 140,145, 157,158,161,169, 171
Lempa 22 Levenson, Ekman & Friesen 61 Lieb & Margraf 20 Loch 28 London 161, 163 Loranger 36 Lorenzer 131, 132, 133, 139 Luborsky 67, 163, 170 Luborsky, Chandler, Auersbach, Cohen & Bachran 46 Luborsky, McCJelland, Woody, O'Brien, Auersbach 46, 163 Malan 106, 142, 150 Margraf 20, 66 Mclntyre 162 Mehrabian 54 Mentzos 28,30 Merten 52, 54, 66, 85 Merten & Krause 71 Merten, Ullrich, Anstandt, Buchheim & Krause 99 Mertens 28 Meyer 44, 157 Michotte 134,142 Miketta 25 Miller 162 Morgenthaler 99, 140 Moser 44, 130,168 Moser, vo n Zeppelin & Schneider 32 Muthesius 37 Nico lis & Prigogine 146 Niederer 60 Niederland 40 Nordmeyer, Freyberger & Nordmeyer Nuechterlein 23 Ogden 129, 149 Olbrich 86 Orlinsky & Howard 45,144 Orlinsky, Grawe & Parks 144
Krause & Lütolf 126,145 Krause & Merten 99, 170 Krause, Sänger-Alt & Wagner 81 Krause, Ullrich & Steimer-Krause 37 Kris 160 Kroh Oswald 142
Parsans 21 Pfäfflin 101 Prigogine 145, 151 Putnam 40
Lacan 144 Lanzetta & Orr 64 La planehe & Pontalis Larusso 22 Leary 67
Racker 129 Rapaport 27 Reiche 27 Rhode-Dachser 42 Rice & Greenberg 163
190
28,161
22
Richter, Schiepek, Köhler & Schütz 153 Ried! 134, 142 Rief 19,34 Rivera de 62 Rosenfeld 20 Rost 17 Rudolf 24 Russe! 62 Sachse & Maus 69 Sachsse 40 Sampson & Weiss 79,147 Sandell, Biomberg & Lazar 102, 159 Sandler 30, 32, 129 Sandler & Sandler 67 Sandler, Dare & Holder 79 Saß 35 Saß, Wittchen & Zaudig 33, 39 Schafer 158 Scheflen 58,59, 66 SeheHing 139 Scherbaum & Heigi-Evers 19 Scherer 56 Scherer & Tannenbaum 76 Schiepek 25, 26,147,153 Schiepek, Fricke & Kaimer 147 Schindler 24, 45,47 Schneider 145,148 Schulte & Künzel 46 Schwartz 57,76 Senf 158 Senf & Schneider-Gramall 70 Seyffert 139 Seifritz 146 Shatan 40 Shorter 14, 21, 40
Siegman 59 Sirnon 42 Spada 15 Steimer-Krause 58 Steimer-Krause, Krause & Wagne r Steins & Wicklund 130 Stern 58 Sternbach 171 Stoller 18 Stone 70 Streek 66 Strupp & Hadley 165,166 Süllwald 22 Szasz 21 Thomä & Kächele Tiffany 39 Tomkins 17,56 Tress 24 Uexküll & Wesiack
81
28, 79,145
23
Vaitl 19 Voigtel 17 Wallbott 73 Wallerstein 53 Wanke & Bühringer 17 Weiner 35 We rner 142 Wiggins & Pincus 36 Wittchen, Schramm, Zaudig & Unland Wittchen, Saß, Zaudig & Köhl er l29 Zahn-Waxler, Robinson & Emde Zeppelin von 47
36
100
191
- ---·
---------------------
Inhalt von Band 2
1
'friebe und Affekte
1.1
Einleitung
1.2 1.2.1 1.2.2
Die Triebtheorien Freuds "Physiologische" Triebtheorien Psychologische Triebtheorien Freuds
1.3
Ethologische Triebtheorien
1.4
1.4.1
Das Affektsystem Freuds Vorstellungen
1.5
Moderne Sichtweisen der Affektivität
1.6
Phylogenetischer Exkurs
1.7
Die propositionale Struktur der Primäraffekte
1.8
Ontogenese der Affekte
1.9
1.9.1
Ein doppelter Integrationsversuch: Psychoanalyse und Biologie, Trieb und Affekttheorie Zusammenfassung
1.10 1.10.1 1.10.2 1.10.3
Trieb, Affekt und Kultur Art der Lernprozesse im Umfeld der Emotionen und Triebe Emotion und Persönlichkeit Die soziale Konstruktion von Gefühlsregeln
Psychische Störungen im Licht der hier beschriebenen Trieb- und Affekttheorie 1.11.1 Begriffliche Fixierungen im klinisch relevanten Emotionsbereich
1.11
1.12
Anwendung der Theorie auf psychische und psychosomatische Störungen
1.13
Zusammenfassung
2
Die entwicklungspsychologischen Modelle
2.1 2.1.1
Allgemeine methodische Vorbemerkungen Methodische Einschränkungen der aus der Behandlungspraxis entstandenen Entwicklungspsychologien Probleme und Vorteile, die aus der Anwendung von Entwicklungspsychologien, die in der Praxis entstanden sind, resultieren
2.1.2
193
2.2 2.2.1 2.2.2
2.3 2.3 .1
2.4
Die Theorien der Sexualentwicklung Hi.sto ri scher Exkurs Die Sexualphantasien der IGnder und ihre Entwicklung 2.2.2.1 Die kindli.c he Sexualität und der ödipale Konflikt Entwicklung des "Überichs" und der sogenannte ödipale Konflikt Kri tik a m Modell der Überichentwicklung
2.4. 1 2.4.2
Grundlegende Aspekte des klassischen Modells Die Fixie rung von Parti a ltri eben und das Problem der Perversion Di e Mod usfixie rung und das Problem der psychoanalyti chen harakterlehre
2.5
Zusammenfassung
2.6
Märchentexte als Reifemethaphern
2.7
Die Entwicklung von Beziehungen und Strukturen Die früh e n Mutter-Kind-Beziehungen bei Spitz Die Arbeiten der Forschungsgruppe um Mahlerund ihre Au wirkungen 2.7. 2.1 E ine Mutter-Kind-Fa llgeschi.c hte au s d em Umfeld der Forschungsgruppe Mahler 2.7.2.2 Z usa mmenfa e nde Betrachtungen der Mahler eben E ntwicklungsvo rste llungen 2.7.2.3 Klinische Auswirkungen 2.7.2.4 Kritische Würdigung des Ansatzes 2.7.2.5 Positive Würdigung des Ansatzes Neuere Untersuchungen zur Emotions-, Beziehungs- und Selbstentwicklung 2.7.3.1 NeuereBefunde zur E motio nse ntwicklung 2.7.3.2 Di e Erforschung von Bindungstypen und ihre Bedeutung für die klinische Praxis 2.7.3.3 Die Bindung repräsentationund ihre A uswertu ng 2.7.3 .4 Zusammenhänge zwische n Bindungsrepräsentatio nen, Bindungserfahrungen sowie Bindungsverhalten 2.7.3.5 Zusammenhänge zwischen Bindungstypen und psychische n Störungen
2.7.1 2.7.2
2.7.3
3
Die Abwehrmodelle
3.1
Einleitung
3.2
Konflikttypen und Abwehr
3.3
Inter- und intrastrukturelle Konflikte und deren mentale Handhabung durch Abwehr Hemmung, Ve r.le ugnung und Illusionen Ve rdrä ngung Reaktionsb ildung
3.3.] 3.3.2 3.3.3 194
, 3.3.4 3.3.5 3.3.6
Ungeschehenmachen Isolierung Die Konversion
3.4 3.4.1 3.4.2
Die narzißtischen Abwehrformen Die Besetzungsabwehr Die projektive Identifikation
3.5
Die Affektabwehr
3.6
Empirische Untersuchungen von Abwehrmechanismen
4
Das topographische oder topische Modell
4.1
Konzeptionen des "klassischen" Gedächtnismodelis
4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Fragen an das klassische Modell Die Frage der Dezentralisierung des Gedächtnisses Die Frage der Reihenfolge des Durchlaufens der Systeme Die Stabilität unserer Wahrnehmungen und Erinnerungen Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Formen des Abrufs und der Speichervorgänge
4.3 4.3.1 4.3.2
Synoptische Modellvorstellungen Das Zustandswechselmodell von Koukkou, Lebmann und anderen Modelle aus der kognitiven Psychologie
Teile des Kap. 1 "Triebe und Affekte" sind als Hypertext im Internet http://www.uni-sb.de/philfak/fb6/krause/kli_psy.htm zu finden.
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Zweigbibliothek Rehabilitationswissenschaften
Rain er Krause
Allgemeine Psychoanalytische Krankheitslehre 1 "Krau e Arbeit stel lt, um es kurz zu fasse n, einen hoch bedeutsamen Beitrag zur psychoanalytischen W issenschaft un d Praxis dar, sow ie einen gewa lt igen An stoß für die weitere Forschung entlang der neuen Blickw inkel und W ege, die er eröffnet hat." Prof Dr. Otto Kernberg, Co rn e/1 Univers ity, USA. "Sehr stimuliernd, ei ne großartige Arbeit, ei ne Synthese neuer Ei nsichten und hoffentlich auf lange Sicht endli ch die Erfahrun gsgrund lage für eine künfti ge Theoriebildung. Spannend!" Prof Or. Andre Haynal, Un ivers ite de Ceneve. "Rainer Krauses neu es Buch zur psychoa nalytisc hen Krankheitsl ehre ist " konservativ" und "progres iv" zug l ich; " kon servativ", we il es das enorme bisheri ge W isse n zu diesem Thema mit kriti ehern Respekt aufarbe itet; " progressiv", we il es die psychoanalytische Wissensc haft aus i hrer defensiven und oft tri ba li stischen Abschottung zur Konfrontation mit dem so nst igen psyc hologischen und klinischen Wis en hin öffnet." Or. ßerthold Rotschild, Psychoa nalytisches Seminar, Zürich. " Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem origin ell en W erk ... , das mir einmal mehr gezeigt hat, wa es heißt, eine Forschungsmethod ik kon sequent aufzuba uen und anzuwend n." Prof. em. Or. med. Helmut Thomä, U lm . "Der erste und globa le Eindruck: Das Werk bietet ei ne so lche Fü lle von Ideen, Überlegung n und Fakten, wie zur Zei t sicher keine andere Neurosenl ehre sie bieten kann ... Eine der wen igen, das die Psyc hoanalyse in sinnvo ller W eise mit Teilen der traditionellen Psychotherapie verb inden kann ." Prof. Or. Eva ja eggi, Berlin. " Ein sehr persönliches Buch, das gleic hzei tig auch ein Sachbuch ist, wi e es se in sollte: Klar, kritisch, übersichtli ch und ründl i h .. . Es erlaub t einen wic htigen Bli ck über d n "Schulza un " und hi lft dabei, aie eigene Therapi emeth ode in ihren Vorzügen und Grenzen trennscharf zu erkennen." Or. Karin Bell, Vorsitzende der OPPT. Prof. Dr. phil. Rainer Krause ist Inhaber des Lehrstuh ls für Kl ini sc he Psychologie an der Univers ität des Saa rl andes in Saarbrücken, außerord entli ches Mitglied der Internationalen und Schweizerischen Psychoa nalyti sc hen Vere in igung sowi e Lehranalytiker der Deutschen Psychoana lytischen Gesell sc haft.
ISBN 3-1 7-014542-8