Pia Krisch Alltag, Geld und Medien
Pia Krisch
Alltag, Geld und Medien Die kommunikative Konstruktion monetärer Ident...
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Pia Krisch Alltag, Geld und Medien
Pia Krisch
Alltag, Geld und Medien Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Diss. Universität Erfurt, 2009
.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17161-6
Vorwort
Die Idee zu dieser Arbeit entstand während meiner Tätigkeit in einem Bankhaus. Hier wurde mir bewusst, wie vielfältig die Projektionen auf Geld sind, die hinter bestimmten Handlungen stehen, wie komplex und wie einfach zugleich das Wissen über Geld sein kann, wie sehr Monetäres Gegenstand von Kommunikation ist. Beim Versuch, in einer wissenschaftlichen Arbeit zu klären, wie das Wissen eines Menschen über Geld entsteht, sah ich mich zunächst vor die Schwierigkeit gestellt, vertrauten, vielfach verflochtenen, oft banalen – kurz – alltäglichen Dingen auf den Grund gehen zu wollen. In einem längeren Prozess der Suche, des Findens und erneuter Suche habe ich schließlich innerhalb der interpretativen Theorietradition das nötige Handwerkszeug gefunden, um den Fluss und die Selbstverständlichkeit der alltäglichen Lebensbewältigung aufzubrechen und das Besondere darin zu sehen. Ich möchte mich für die inspirierende Begleitung dieses Suchprozesses und die Freiheit, das Thema, welches auf den ersten Blick wenig Anleihen bei der traditionellen Kommunikationswissenschaft nimmt, auszugestalten, bei Prof. Dr. Joachim Höflich bedanken. Prof. Dr. Patrick Rössler, der überdies die Zweitbegutachtung übernahm, stand mir während der gesamten Zeit mit wertvollen Hinweisen zur Seite. Sein Doktorandenkolloquium an der Universität Erfurt bot eine sehr förderliche Atmosphäre, in der eigene Ansätze in konstruktiven Diskussionen getestet werden konnten und auch mentale Unterstützung gegeben wurde. Darüber hinaus habe ich sehr aus den Gesprächen mit Kathleen Arendt, Swantje Lingenberg und Isabel Schlote (alle Universität Erfurt) profitieren können. Des Weiteren danke ich Dr. Marita Balks, die mich in vielen Gesprächen sowie durch ihr Vorbild motiviert hat, dieses Projekt zu verwirklichen und die mir in organisatorischer Hinsicht so manchen Stein aus dem Weg geräumt hat. Peter Zwegat danke ich für die Einblicke, die er mir in Gesprächen in den Alltag einer Schuldnerberatungsstelle gegeben hat sowie für sein Engagement bei der Vermittlung von Interviewpartnern. An dieser Stelle sei meinen Interviewpartnern gedankt, die immerhin einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit dafür opferten, mit einer Unbekannten über ihre Erfahrungen, Geschichten, Meinungen zum Umgang mit Geld zu sprechen. Besonders großen Dank schulde ich meinen Eltern für den Rückhalt, den sie mir gegeben haben, aber auch für die Unterstützung in praktischen Dingen, die so manchen Engpass zu beheben half. Schließlich bin ich Stephan Aier für
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Vorwort
tägliche Unterstützung und Motivation, vor allem aber für inspirierende Gespräche zu großem Dank verpflichtet. St. Gallen, im Dezember 2008
Pia Krisch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ..............................................................................................................5 Inhaltsverzeichnis ...............................................................................................7 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................11 Tabellenverzeichnis...........................................................................................12 Abkürzungsverzeichnis......................................................................................13 1 Einleitung ...................................................................................................15 1.1 Problemstellung ....................................................................................... 15 1.2 Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel .............................................. 17 1.2.1 Monetarisierung und monetäre Sozialisation ................................... 17 1.2.2 Monetäre Geschlechterrollen ........................................................... 19 1.2.3 Die Beschäftigung mit neuen Anlageformen .................................... 21 1.2.4 Individualisierung und Konsumgesellschaft ..................................... 24 1.2.5 Technisierung des Geldhandelns ..................................................... 27 1.3 Kommunikation als zentrale Fragestellung................................................ 29 1.4 Überblick über relevante Forschungsarbeiten............................................ 33 1.5 Vorgehen und Aufbau der Arbeit ............................................................. 38 2 Die Forschungsperspektive: Geldhandeln in der Dialektik von subjektiver Sinnhaftigkeit und gesellschaftlichem Wissen ............................41 2.1 Geld: eine sozialwissenschaftliche Annäherung ......................................... 41 2.1.1 Die Doppelrolle des Geldes ............................................................. 41 2.1.2 Geld als Medium von Beziehungen ................................................. 45 2.1.3 Kulturen des Umgangs mit Geld ..................................................... 47 2.2 Eine handlungstheoretische Perspektive .................................................... 49 2.2.1 Alltagshandeln................................................................................. 51 2.2.2 Prinzipien des Handelns .................................................................. 54 2.3 Geldhandeln als wissenssoziologische Fragestellung .................................. 58 2.3.1 Vom subjektiven Sinn zum intersubjektiven Wissen ........................ 59
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Inhaltsverzeichnis
2.3.2 Der gesellschaftliche Wissensvorrat.................................................. 62 2.3.3 Kommunikation als Konstruktion von Wissensbeständen ............... 67 2.4Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität............................. 68 2.4.1 Identität als situationsübergreifende Handlungsorientierung ........... 69 2.4.2 Der Begriff der monetären Identität ................................................ 71 2.4.3 Medien und Gespräche als Konstrukteure monetärer Identität ........ 73 2.4.4 Die identitätsrelevante Aneignung medialer Inhalte ......................... 77 2.5 Institutionen der Wissensvermittlung und -konstruktion.......................... 80 2.5.1 Unvermittelte Kommunikation ....................................................... 81 2.5.1.1 Kommunikative Gattungen .................................................. 82 2.5.1.2 Deutungsmuster ................................................................... 84 2.5.1.3 Rahmen von Kommunikation .............................................. 87 2.5.2 Medial vermittelte Kommunikation ................................................ 90 2.5.2.1 Schemata, Frames und Diskurse – Strukturen der Massenkommunikation ........................................................ 93 2.5.2.2Mediale Gattungen und Kommunikationsmodi ................... 96 2.5.2.3 Medien als Zugänge zu Wissensräumen .............................. 101 2.5.2.4Medienrahmen ................................................................... 103 2.5.2.5 Mediale Praktiken als Bestandteile des Wissens ................... 106 2.6Resümee: Institutionen der Vermittlung monetärer Identität.................. 110 2.6.1 Medien vergegenständlichen monetäres Wissen ............................. 111 2.6.2 Rahmen als Organisationsprinzipien der Identitätsausbildung ....... 114 3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres .........................................................................................119 3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen ...... 120 3.1.1 Der subjektive Zugang hermeneutischer Wissenssoziologie............ 120 3.1.2 Kommunikation als beobachtbare Praktik ..................................... 122 3.1.3 Die „Einklammerung des Geltungscharakters“ in der dokumentarischen Methode .......................................................... 125 3.1.4 Die Bestimmung von Rahmen der Kommunikation...................... 126 3.1.5 Auswahl der Fälle und Interviewsituationen .................................. 129 3.1.6 Datengewinnung und problemzentriertes Interview ...................... 132 3.1.7 Zur Interpretation und Darstellung ............................................... 136 3.2 Fallbeschreibungen ................................................................................. 139 3.2.1 Ute S. – die pragmatische Familienmanagerin ............................... 139 3.2.2 Christian S. – Geld versus Kultur .................................................. 148 3.2.3 Christa C. – Börse als Hobby ........................................................ 154 3.2.4 Helga S. – Schulden als Lebensmittelpunkt ................................... 160
Inhaltsverzeichnis
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3.2.5 Friedrich A. – „… läuft alles über Internet“ ................................... 168 3.3 Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse............................................................ 173 3.3.1 Kleine soziale Gemeinschaften – unmittelbare Kontexte monetärer Kommunikation ........................................................... 174 3.3.1.1 Familien als Ort monetärer Verhandlungen ........................ 174 3.3.1.2 Biografische Verweise ......................................................... 180 3.3.1.3 Rat holen in Ost und West ................................................. 184 3.3.1.4 Fazit ................................................................................... 190 3.3.2 Die Tageszeitung als Ressource...................................................... 193 3.3.2.1 Altersvorsorge als gesellschaftlicher Diskurs......................... 193 3.3.2.2 Die Rezeption monetär relevanter Inhalte im Rahmen einer routinemäßigen Mediennutzung ................................ 196 3.3.2.3 Gezielte Recherche: Medienerwartungen und Medienkritik ...................................................................... 201 3.3.2.4Fazit ................................................................................... 210 3.3.3 Schulden als sozialstrukturelle Problemlage ................................... 214 3.3.3.1 „Ihr da oben – wir hier unten“ – Mediennutzung als soziale Verortung ................................................................ 215 3.3.3.2 Kommunikatives Handeln als Identitätstransformation ...... 220 3.3.3.3 Fazit ................................................................................... 223 3.3.4 Die soziale Welt der Hobby-Börsianer........................................... 227 3.3.4.1 Die Spezifik des Börsenwissens ........................................... 228 3.3.4.2Medien als Quellen und als Gegenstand von Expertise........ 230 3.3.4.3 Interpersonale Kommunikation zur Herstellung einer gruppenspezifischen Identität ............................................. 236 3.3.4.4Internetnutzung als wesentlicher Bestandteil des Medienrepertoires............................................................... 245 3.3.4.5 Fazit ................................................................................... 248 3.3.5 Die Mediatisierung des Tausches................................................... 252 3.3.5.1 Exkurs: Computervermitteltes Tausch-Handeln als gesellschaftlich relevanter Typ von Kommunikation ........... 254 3.3.5.2 Die Symbolik von Online-Medien und Versuche der Aneignung .......................................................................... 260 3.3.5.3 Räume und Sicherheiten – Zurechtfinden an virtuellen Orten ................................................................................. 266 3.3.5.4 Das Internet als Einkaufshilfe – Verschränkung von medialen und unmediatisierten Kontexten .......................... 268
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Inhaltsverzeichnis
3.3.5.5 Monetäre Online-Praktiken als Routine ............................. 271 3.3.5.6 Online-Shopping und die Herausbildung von Identität ...... 274 3.3.5.7 Fazit ................................................................................... 277 4 Diskussion ................................................................................................283 4.1 Kommunikation über Monetäres und Identität ...................................... 283 4.2Die Rolle von Medien für die Internalisierung monetären Wissens ......... 287 4.2.1 Medien als Instanzen der sekundären Sozialisation ........................ 288 4.2.2 Medienthemen als Bausteine monetärer Identität .......................... 292 4.2.3 Die Thematisierungsfunktion von Massenmedien ......................... 294 4.2.4 Massenmedien und Gespräche als komplementäre Ressourcen ...... 300 4.3 Institutionen der Ausbildung monetärer Identität................................... 305 4.3.1 Rahmen der Aneignung monetären Wissens.................................. 305 4.3.2 Elemente des Rahmenwissens ........................................................ 314 4.3.3 Soziale Schichten und individuelle Erfahrungen – Rahmen als Präsentationen von Identität ......................................................... 318 4.4Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel .................................. 322 4.4.1 Konsistenz oder Widerspruch? ...................................................... 323 4.4.2 Erfolgsorientierung als gemeinsamer Sinnbezug monetärer Identitäten .................................................................................... 331 5 Zusammenfassung.....................................................................................337 Transkriptionsregeln und -zeichen ..................................................................341 Interviewverzeichnis .......................................................................................343 Leitfaden der Interviews .................................................................................344 Soziodemographischer Fragebogen/Geld-Fragebogen ......................................348 Literatur .........................................................................................................351
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Langfristige Entwicklung der Struktur des Finanzvermögens privater Haushalte (Deutsche Bundesbank 2006) .................................... 22 Abbildung 2: Die Dialektik der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit (Knoblauch 2005: 156) .......................................................... 64 Abbildung 3: Objektivierung durch Medien, in Anlehnung an Schütz/Luckmann 2003: 355ff. ................................................................ 111 Abbildung 4: Interpretation der Daten .............................................................. 137 Abbildung 5: Übersicht über die herausgearbeiteten Rahmen interpersonaler Kommunikation ....................................................................................... 192 Abbildung 6: Überblick über die herausgearbeiteten Rahmen der Tageszeitungsnutzung ............................................................................... 214 Abbildung 7: Übersicht über den herausgearbeiteten Rahmen der Mediennutzung durch Schuldner .............................................................. 225 Abbildung 8: Überblick über die herausgearbeiteten kommunikativen Rahmen der Hobby-Börsianer................................................................................. 250 Abbildung 9: Überblick über die herausgearbeiteten Rahmen von OnlineTransaktionen ........................................................................................... 279 Abbildung 10: Fortlaufende Ausbildung von monetärer Identität ...................... 303 Abbildung 11: Drei Strategien der kommunikativen Herstellung von Konsistenz ................................................................................................ 334
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Strukturen der Lebenswelt, in Anlehnung an Schütz/Luckmann 2003: 69ff. ................................................................................................... 53 Tabelle 2: Drei Stufen der Objektivierung subjektiven Wissens, in Anlehnung an Schütz/Luckmann 2003: 353ff. und Hennen 1992: 134ff. ...................... 60 Tabelle 3: Verteilung innerhalb des Samples nach Alter, Einkommen und Geschlecht ................................................................................................ 131 Tabelle 4: Überblick über die methodischen Elemente....................................... 133 Tabelle 5: Überblick über die in der Arbeit festgestellten Rahmen ..................... 309
Abkürzungsverzeichnis
bspw. d. h. etc. et al. e. V. f. ff. Hervorh. Hrsg. http i. d. R. i. S. IVW m. E. o. g. PC S. u. a. u. a. m. vgl. vs. z. B. z. T.
beispielsweise das heißt et cetera (und so weiter) et alii (und andere) eingetragener Verein folgende fort folgende Hervorhebung Herausgeber Hypertext Transport Protocol in der Regel im Sinne Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. meines Erachtens oben genannt(e/r) Personal Computer Seite unter anderen und andere mehr vergleiche versus zum Beispiel zum Teil
1 Einleitung
1.1
Problemstellung
Geld ist als Zahlungs-, Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel von grundlegender Bedeutung in unserem Alltag. Jeder Mensch nimmt am wirtschaftlichen Kreislauf teil und hat einen Umgang mit Geld, muss Zahlungsverpflichtungen nachkommen, für seine Absicherung und eventuell für die seiner Familie sorgen, kann Geld nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten und nach seinem Geschmack für Konsum verwenden. Der Umgang mit Geld ist Alltagspraxis für jedermann, finanzielle Praktiken gehören zu unserem „normalen“ Repertoire an Alltagshandlungen, sie sind gewohnheitsmäßig und im Sinne von Schütz „unproblematisch“. Doch betrachtet man monetäres Handeln gesamthaft; als Lebensbereich über die alltägliche Einzelhandlung hinaus, zeigt sich, dass hier durchaus ein großes Konfliktpotenzial für den Einzelnen und damit auch für die Gesellschaft liegt: Die zunehmende Anzahl derer, die sich ver- oder überschuldet haben, die zunehmende Höhe ihrer Schulden, an der Börse verlorene Vermögen von Kleinsparern und zunehmende Altersarmut legen sowohl den Schluss nahe, dass Wissen über monetäre Zusammenhänge für eine erfolgreiche Bewältigung des Alltags sehr wichtig ist als auch, dass es mit diesem Wissen nicht so weit her zu sein scheint. Diese Problematik vorausgesetzt, ist die Frage, wie Wissen über Monetäres entsteht. Ein Blick in Studien, die den individuellen Umgang mit Geld zum Thema haben, zeigt, dass monetäre Alltagspraktiken als kulturell bedeutungsvolle und soziale Aktivitäten bislang wenig untersucht wurden. Die Wirtschaftswissenschaften beschäftigen sich vor allem unter haushalts- und damit makrotheoretischen Gesichtspunkten mit der Verteilung und Verwendung von Geld in privaten Haushalten. In der Konsumsoziologie werden nur Prozesse des Geldausgebens untersucht, nicht aber der „Nicht-Konsum“ – wie er sich z. B. in der Mittelansammlung für den geplanten Konsum, aber im auch Sparen als Altersvorsorge und für Krisenzeiten sowie im Sparen und Budgetieren als ethische Grundtugend zeigt. Auch Klein konstatiert einen „blinden Fleck“; es fehlen systematische soziologische Befunde zum Geldumgang und zum Verhältnis des Menschen zu Geld (vgl. Klein 1997). Denn der Umgang mit Geld ist erstens nicht nur makrotheoretisch und zweitens nicht nur ökonomisch zu begreifen: Über Geld wird geredet, am Familientisch gestritten, Geld wird „für später“ gespart, für größere Anschaffungen zurückgelegt, verwaltet
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1 Einleitung
und budgetiert. Die begeisterte Begrüßung der D-Mark durch die Bürger der ehemaligen DDR, die Vorbehalte der Deutschen gegenüber der Einführung des Euro, verschiedene Bedeutungsgehalte von Geld als Trinkgeld, Spielgeld, Notgroschen oder Mitgift und psychologische Phänomene wie Geiz oder Kaufsucht zeigen, dass der Umgang mit Geld immer eine soziale Bedeutung hat, die sich mit volkswirtschaftlichen bzw. nationalökonomischen Konstrukten wie Sparquote und Einkommensverwendung der Haushalte nicht fassen lässt und die jedoch, mit Verweis auf Georg Simmel, eine zentrale in modernen Gesellschaften ist. Seit dem Erscheinen der „Philosophie des Geldes“ im Jahr 1901 von Simmel, der als erster einen nicht „nationalökonomisch gemeinten“ Ansatz bei der Analyse von monetärem Handeln verfolgte, lassen sich eine Vielzahl von Entwicklungen konstatieren, die, wie von Simmel beschrieben, nicht nur eine Auswirkung auf wirtschaftliche Kreisläufe haben, sondern das Alltags(er)leben der Individuen und ihr Zusammenleben beeinflussen und zu den bereits kurz angerissenen Konflikten geführt haben. So befindet sich – ein Jahrhundert nach Simmel – die Gesellschaft am Übergang in eine „bargeldlose Gesellschaft“, in der Geld zwar kaum mehr als Artefakt sichtbar, aber dennoch von allergrößter Bedeutung für den Einzelnen ist. Diese gestiegene Bedeutung resultiert aus dem „ökonomisch gestiegenen Lebenstempo“, aus der schnelleren Zirkulation, die zwar „jedes einzelne Quantum psychologisch gleichgültiger und wertloser“ (macht), aber dem Geld insgesamt – „da das Geldgeschäft den Einzelnen viel intensiver und extensiver berührt als in jenem unbewegteren Dasein“ – immer größere Bedeutung verleiht (vgl. Simmel 1989: 247). Die Kennzeichnung von monetären Alltagspraktiken als soziales Handeln legt es im nächsten Schritt nahe, den Fokus auf die kommunikativen Aktivitäten zu richten, die – dem phänomenologischen Ansatz von Alfred Schütz folgend – jedes Handeln prägen bzw. überhaupt erst herstellen. Denn was wir als individuelles Handeln bezeichnen, geschieht immer in einer Welt, die mit Mitmenschen geteilt wird, die uns zu bestimmten Handlungen und Erlebnissen bewegen wollen und umgekehrt. Subjektives monetäres Handeln enthält immer Elemente des bereits vorgefundenen, gesellschaftlichen Wissens und ist auf die Herstellung bzw. Aktivierung von diesem und damit von Intersubjektivität, von geteilten Bedeutungen gerichtet. Insofern ist das subjektive Wissen, das zu einem bestimmten monetären Handeln führt (bzw. das nach Mead und Schütz selbst auch als Handeln begriffen werden kann, vgl. Schütz 1992) Ergebnis interaktiv hergestellter Aneignung gesellschaftlichen Wissens und damit Ergebnis von Kommunikation. Die Frage nach der kommunikativen Herstellung monetären Wissens weiter zuspitzend, war der Gedanke relevant, das ein sehr großer Teil der (monetären) Alltagskommunikation medial vermittelt abläuft. „Lebenswelten sind Medienwelten“ – mit diesem Satz charakterisiert der Medienwissenschaftler Dieter Baacke eine Situation, die von täglicher, selbstverständlicher, vielfacher Mediennutzung geprägt ist (vgl. Baacke 1987; Baacke/Sander/Vollbrecht 1991). Die morgendliche Zei-
1.2 Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel
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tungsnutzung, die uns die neueste Wirtschaftsberichterstattung ins Haus bringt, der Gang zum Geldautomaten, Online-Banking am Computer, Ratgeber zur besten Altersvorsorge – Medien sind aus dem Bereich monetären Alltagshandelns nicht wegzudenken. Wie eignen sich Menschen also Wissen über monetäre Sachverhalte an, welche kommunikativen Handlungen sind für die Aneignung monetären Wissen relevant?
1.2 1.2.1
Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel Monetarisierung und monetäre Sozialisation
Geldhandeln ist immer geprägt durch die eigene Lebensgeschichte. Empirische Forschungen zeigen, dass der Umgang mit Geld in der Kindheit und Jugend erlernt wird (vgl. Lunt/Livingstone 1992; Melching 1996; Fooken 1998; Rosendorfer 1998). Danach sind der individuelle Geldstil der Eltern, ihr Verhalten Monetäres betreffend gegenüber den Kindern und – vermittelt durch die Eltern – das jeweils herrschende Normenset als Einflussgrößen zu sehen. Geldhandeln nimmt damit immer auch Bezug auf historische Veränderungen, die sich in generationsspezifischem Geldhandeln niederschlagen. Dabei ist ein Wandel von den am Anfang des Jahrhunderts vorherrschenden, durch protestantische Ethik geprägten, rigiden Sparsamkeitsnormen zur relativen Sparsamkeit zu beobachten: „Das Verschuldungstabu der Ältesten wird bei einem Teil der Jüngeren zur bedingten Verschuldungstoleranz“ (vgl. Hoffmann 1998: 23; siehe auch Lunt/Livingstone 1992: 112). Hoffmann spricht darüber hinaus von einer „Monetarisierung der Kindheit“, die die heutige junge Generation kennzeichnet, da der Zwang zum ökonomischen Handeln Kindern inzwischen bereits in einem jungen Alter begegnet. Durch die Selbstverständlichkeit von Taschengeld bereits in jungen Jahren werden Kinder viel zeitiger an Geld als Mittel zu Konsum und Lebensgenuss gewöhnt und bewusst an monetäre Sphäre herangeführt. Sechs- bis Dreizehnjährige verfügen heute über eine wachsende Sammlung von Taschen-, Geburtstags- und Weihnachtsgeld, die ein durchschnittliches Vermögen von mehr als 1.000 Euro ergibt (vgl. Zeng 2006). Dagegen konnten ältere Generationen oft nicht einmal als junge Erwachsene über die Verwendung ihres ersten Verdienstes selbst bestimmen, da es üblich war, diesen im Elternhaus am Abend des Zahltages abzuliefern. Während einige Forscher vor allem die negativen Folgen dieser Monetarisierung ins Felde führen (vgl. Roehl/Järisch 2002), kann Melching in seiner Untersuchung vom Umgang mit Geld im dritten Lebensalter die These belegen, dass der Reichtum der Eltern und damit die Möglichkeit, früh als Kind mit Geld in Kontakt zu kommen, sich positiv
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1 Einleitung
auf den späteren Umgang mit Geld auswirken. Personen, die in ihrer Jugend kaum oder selten mit Geld in Kontakt gekommen sind, stehen Verbindlichkeiten sehr ablehnend gegenüber, sind, was Geldanlagen betrifft, schlechter informiert und wie ihre Eltern äußerst sparsam, fast schon spartanisch (vgl. Melching 1996: 321). Der frühe Umgang mit Geld ist allerdings dann problematisch, wenn Gelderziehung und Geldwissen nicht Schritt mit der daraus erwachsenen Verantwortung und dem Druck, richtig zu handeln, halten (vgl. Brost/Rohwetter 2003). Institutionelle Akteure wie Banken und Sparkassen bieten komfortable Bedingungen für das erste Konto, die ersten Kredite und Überziehungslimite. Im Februar 2003 prüfte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen 28 Banken und Sparkassen und kam zu dem Schluss, dass diese die Verschuldung junger Leute fördern. Berufsanfängern wurden viel zu hohe Kredite gewährt; die Finanzinstitute verliehen durchschnittlich 12.500 Euro an junge Kunden, die nur 1.300 Euro im Monat verdienten und ein Vermögen von 2.000 Euro auf dem Sparbuch hatten. Lunt und Livingstone bestätigen in ihrer Untersuchung zum einen eine Verlagerung von privat geborgten Geld (Freunde, Familie) hin zu institutionell geliehenem Geld (Kredite) und zum anderen einen Übergang von ungeplantem zu geplantem Leihen von Geld (vgl. Lunt/Livingstone 1992: 112ff.). Indem institutionelle Akteure wie Banken Finanzierungsoptionen leichter erhältlich machten, erhöhen sie gleichzeitig aber eben auch die persönliche Verantwortung, dem gewachsenen kommerziellen Druck standzuhalten (vgl. Lunt/Livingstone 1992: 161). Monetäre Erfahrungen in der Kindheit scheinen vor diesem Hintergrund besonders wichtig, da sie Menschen nachhaltig prägen. Auch Lunt und Livingstone stellen in ihrer Untersuchung fest, dass die Probanden, befragt nach den Gründen für ihr Geldhandeln, häufig auf biografische Änderungen zu sprechen kommen. Mit Bezügen auf „früher“ oder „den alten Zeiten“ stellen sie eine Beziehung zwischen ihrem Geldhandeln und ihrem Wissensvorrat her. Die Autoren schlussfolgern, das Einstellungen zu Geld historische Phänomene sind (vgl. Lunt/Livingstone 1992: 104), die sich zum Beispiel in Metaphern wie „die goldenen Zwanziger“, „die Zeiten des Wirtschaftswunders“ niederschlagen und die als soziale Repräsentationen, allgemeingültige Vorstellungen, wie viel man verdient, wie man Geld auszugeben hat, wie man zu sparen hat, fungieren. Melching zeigt in seiner Studie, dass die grundlegenden Wertvorstellungen der Befragten vor allem die Bedingungen widerspiegelten, die in der Kindheit und Jugend herrschten (vgl. Melching 1996: 320). Dies bezog sich in der befragten Kohorte der vor 1930 Geborenen vor allem auf das Sparen: Eltern hielten ihre Kinder zum Sparen an, die Werbung der Banken bezog sich fast ausschließlich auf die Belohnung des Sparens mit besonderen Zinsen, Personen, die sparten, erfuhren in den meisten gesellschaftlichen Gruppierungen hohe soziale Achtung. Die Prägung einer traditionellen, konservativen Einstellung zu Geld äußerte sich weiterhin in einer ablehnenden Haltung gegenüber neuen Zahlungsmittel wie Geld- und Kreditkarten, in einer
1.2 Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel
19
hohen Zahlungsmoral sowie einer großen Affinität zu Bargeld (vgl. Melching 1996: 313). Als eine weitere Einflussgröße auf den Umgang mit Geld kann neben der elterlichen Einschätzung der eigenen finanziellen Lage die Transparenz bzw. Intransparenz der finanziellen Vorgänge im Elternhaus genannt werden (vgl. Hoffmann 1998: 23). Die Erziehung durch die Eltern wirkt sich auch auf die Mittel im Umgang mit Geld aus: Fooken berichtet in einem autobiografischen Exkurs, dass aus der negativen Erfahrung, ein Taschengeldbuch führen zu müssen, eine Abwehrhaltung entstanden ist und sie sich geschworen hat, dies als Erwachsene nie zu machen (vgl. Fooken 1998: 145). Neben der Übernahme von Normen gibt es also auch die radikale Abkehr vom Normenset der Älteren. Oft überdauern solche Normen sowie Gebräuche im täglichen Umgang die Änderungen der Außenwelt. So konstatiert Hoffmann ausgeprägte Kontinuitäten der Bargeldkultur (vgl. Hoffmann 1998, 24); Sparschweine und ein Bargeldbestand für Notfälle behaupten ihren Platz trotz der allseits einsetzbereiten Kreditkarten. Die fortschreitende Monetarisierung, also die zunehmende Formulierung von Sachverhalten in monetären Termini, zeigt sich nicht nur in der Kindheit, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft: So werden ökologische Werte wie Lärmbelästigung und Luftverschmutzung quantifiziert, Leistungen, die früher auf Gegenseitigkeit innerhalb der Gemeinschaft erbracht wurden, wie die Pflege und Betreuung von Angehörigen werden durch kostenpflichtige Dienstleistungen ersetzt. Diese Entwicklung, die mit einer Professionalisierung einhergeht, beginnt oft bei symbolischen Entschädigungen und geht über Pauschalen hin zu einer marktgerechten Entlohnung. Dadurch, dass immer mehr Güter in Geldwerte übersetzt und damit abstrahiert werden, wird Geld auch zu einem zentralen Funktionsmittel von Gesellschaften, ganz im Sinne von Simmel, der diese Entwicklung von der Substanz zur Funktion, vom Konkreten zum Abstrakten bereits in seiner „Philosophie des Geldes“ beschrieb (vgl. Simmel 1989: 199ff.). Ursprüngliche Leidenschaften und Genusswünsche werden in abstrakte Interessen des Gelderwerbs transformiert. Simmel spricht davon, dass sich in der Geldwirtschaft schließlich eine irrationale Verkehrung von Zweck und Mittel niederschlägt: Geld wird zu „einem das praktische Bewusstsein ganz ausfüllenden Endzweck“ (vgl. Simmel 1989: 234ff.), der wiederum eine soziokulturelle Institutionalisierung erfährt. 1.2.2
Monetäre Geschlechterrollen
Auch geschlechtsspezifische Muster der monetären Zuständigkeiten werden von den Eltern übernommen (oder abgelehnt). Im Umgang mit Geld wird Männern mehrheitlich eine aktive, Frauen eine passive Rolle zugeschrieben (vgl. Kück 1988;
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1 Einleitung
Königswieser 1992; Wrede 2003). Dies liegt möglicherweise am niedrigeren monetären Status von Frauen. So lässt sich sagen, dass Frauen bei allen Formen des Gelderwerbs deutlich schlechtere Ausgangsbedingungen haben als Männer: Auf dem Arbeitsmarkt werden Frauen schlechter entlohnt, sie sind in unterprivilegierten Branchen und niedrigen Berufspositionen konzentriert (vgl. Kuhlmann 1995: 386; Droßard 2008). Frauen werden überwiegend als Konsumentinnen, nicht als Anlegerinnen wahrgenommen. Allerdings ist der Umfang des rollenspezifischen Geldhandelns abhängig von der Höhe des zur Verfügung stehenden Budgets, wie eine Studie aus Großbritannien zeigt. In Familien, in denen wenig Geld zur Verfügung steht, wird der Haushalt überdurchschnittlich häufig von Frauen geführt, auch größere Ausgaben sowie das langfristige Haushalten mit dem Geld werden hier von Frauen bestimmt. Je höher jedoch das Haushaltseinkommen, um so eher grenzen sich die Bereiche in Einkaufen und Konsum auf der einen Seite sowie Geldanlage auf der anderen Seite ab, wobei sich der Mann um die Geldanlage kümmert (vgl. Lunt/Livingstone 1992: 94ff.). Frauen sind in dieser Lesart Verwalter der Knappheit, Männer sind die Investoren. Eine deutsche Studie zeigt dagegen, dass Entscheidungen über die Einkommensverwendung in Mehrpersonenhaushalten von den Erwachsenen gemeinschaftlich getroffen werden (vgl. Piorkowsky/Warnecke 1994). Dies gilt vor allem für Anschaffungen (92,3 Prozent) sowie für die Vermögensbildung und auch für die Verwendung des Haushaltsgeldes. Interessanterweise sind mehr Männer (78 Prozent) als Frauen (68 Prozent) der Meinung, dass die Entscheidungen z. B. über die Verwendung des Haushaltsgeldes gemeinschaftlich getroffen werden. Andere Untersuchungen sprechen indirekt für die These der geschlechtsspezifischen Zuständigkeiten. Seit mehreren Jahren wird darin beispielsweise die mangelnde Altersvorsorge von Frauen angeprangert, die sich noch zu häufig auf ihre Ehepartner verlassen. Während ein Test der Commerzbank zur finanziellen Allgemeinbildung ergab, dass sich 24 Prozent der Männer in finanziellen Dingen gut auskennen, waren es nur 13 Prozent der Frauen (vgl. Commerzbank 2003, 2004). Wenn Frauen anlegen, dann bevorzugen sie sichere Anlageformen auf Kosten der Gewinnmaximierung (vgl. Kück 1988: 30f.) Weitere Belege für dieses Muster finden sich in Melchings Untersuchung: Die befragten Frauen bezeichneten sich als wenig bis gar nicht erfahren in Gelddingen, Geldanlage ist gerade bei den Älteren eine Männerdomäne. Die Männer waren diejenigen, die sich um die Anlage und Verwaltung des Vermögens kümmerten, sich mit der Altersvorsorge beschäftigten und den Kontakt zu Geldinstituten abwickelten (vgl. Melching 1996: 315). Zurückzuführen ist das auf die Rollenverteilung in der Ehe, die in Deutschland bis in die 80er Jahre hinein die Verwaltung des ehelichen Vermögens als Aufgabe des Mannes festlegte. So unterstellte das Bürgerliche Gesetzbuch noch 1953 das Vermögen der Frau mit ihrer Heirat der Aufsicht des
1.2 Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel
21
Mannes. Erst 1958 wurde in Deutschland das Gesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau verabschiedet. Vorher durften Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes kein Bankkonto eröffnen. Erst seit 1963 sind Frauen bei der gesetzlichen Erbfolge den Männern gleichgestellt (vgl. Kuhlmann 1995). Diese politischen Sachverhalte können nun sowohl als Ausdruck als auch als Bedingungen geschlechtsspezifischer monetärer Sozialisation gesehen werden, deren Grundstein bereits in der Kindheit gelegt wird. Neben der Weitergabe unterschiedlicher Muster monetärer Zuständigkeiten von Vater und Mutter ist es weiterhin ausschlaggebend, ob das Verhalten der Eltern gegenüber Töchtern und Söhnen gleich ist oder variiert. Melching findet in seiner Untersuchung vor allem den Beleg für letzteres: Mädchen werden stärker zu Sparsamkeit angehalten, in dem Sparsamkeit als rein weibliche Tugend apostrophiert wurde (vgl. Melching 1996: 212f.). Frauen lernen also, vorsichtig, zurückhaltend und bescheiden zu sein. Kuhlmann konstatiert hinsichtlich des Geldverhaltens von Frauen eine Dichotomie von Wahrnehmungen weiblichen Geldverhaltens: Frauen gelten entweder als „sparsam und geizig“ oder als „verschwenderisch“ – beide Rollenmodelle sind jedoch durch eine fehlende Autonomie gegenüber dem Geld gekennzeichnet (vgl. Kuhlmann 1995: 390). Nun kann vermutet werden, dass mit einer Änderung der Gesetzes- und Faktenlage, die im Zusammenhang mit neuen Formen des Zusammenlebens (Stichworte Single-Gesellschaft, gleichberechtigte Partnerschaften) sowie einer immer höheren Zahl von Frauen, die in gutbezahlte Berufe drängen, gesehen werden kann, sich auch die geschlechtsspezifischen Muster des Umgangs mit Geld ändern. Untersuchungen, die das belegen, liegen jedoch meines Wissens noch nicht vor. 1.2.3
Die Beschäftigung mit neuen Anlageformen
Eine weitere Entwicklung, die im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit genannt werden muss, ist die Ausdifferenzierung des Geldhandelns. Dieser Prozess ist so alt wie das Geld selbst: Beginnend mit der Entwicklung des Warengeldes zu Münzen aus Edelmetall bis hin zum reinen Zeichen-, also Papiergeld und zum immateriellen Kartengeld verlor Geld als substanzieller Wertträger mehr und mehr an Bedeutung – ein Übergang vom „qualitativ bestimmbaren hin zum quantitativ symbolischen Ausdruck“ (vgl. Simmel 1989: 169). Indem Geld akkumuliert wird und „einen Wert an sich“ darstellt, kommt es auch zu Geldhandlungen, die nichts mehr unmittelbar mit dem Tausch gegen Güter zu tun haben. So ist beispielsweise der Kredit als „gekauftes Geld“ eine Handlung, mit der man sich Tauschpotenzial leiht und dafür bezahlt. Bei der Ausdifferenzierung von Umgangsformen mit Geld ist vor allem folgender Aspekt
22
1 Einleitung
zu beachten: Allen Geld-Praktiken ist gemein, dass sie gesellschaftliche Gebilde sind, die immer auch mit bestimmten Normen einhergehen. Man denke nur an die Diskussion über das Grundrecht auf ein Girokonto: Hieran zeigt sich deutlich, dass bestimmte Formen des Geldverkehrs, hier der bargeldlose, dermaßen institutionalisiert wurden, dass der Ausschluss davon auch eine gesellschaftliche Exklusion bedeutet. Auch innerhalb dieser Praktiken des Bezahlens, Anlegens, Borgens und Sparens ist eine Ausdifferenzierung zu beobachten. Zwar sind deutsche Privathaushalte immer noch traditionell orientiert und stellen Sparbücher und Spareinlagen in den Mittelpunkt ihrer Vermögensbildung, allerdings verweist die Bundesbank in ihrem letzten Bericht darauf, dass ihr Anteil seit 1980 deutlich gesunken ist. Die Deutschen sind bei der Geldanlage zunehmend kapitalmarkt- und renditeorientiert (vgl. Deutsche Bundesbank 2006). 100% 11,3 26,5
24,3
1
3,3
7,7
in % des Finanzvermögens
80% 15,9
60% 7,9
13,8
4,8 11,7
15,2 5,8
6,4 17
13,2
16,9 6,9
7,5
4,2 10,2
21,8
7,5
7,2
48,7
51,1
1950
1960
47,2
1970
15,9
11,6
9 19,9 6,5
9,7
21,6 24,0
25,9
6,1 5,4
5,7
34,3
35
2000
2005
59,7
20%
0%
12,1
11,8
40% 59,9
11,3
1980
1990
46
1991
Investmentzertifikate
11
42,4
1995
Aktien und sonstige Beteiligungen Geldmarktpapiere und Rentenwerte Ansprüche gegenüber Versicherungen und Pensionseinrichtungen Anprüche aus Pensionsrückstellungen Bankeinlagen
Abbildung 1: Langfristige Entwicklung der Struktur des Finanzvermögens privater Haushalte (Deutsche Bundesbank 2006)
Dazu kommt eine Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft, die der Techniksoziologe Joerges als Annäherung von Produktion und Konsum beschreibt: Diese Gesellschaft erhält ihre spezifische Gestalt durch die Produktion bestimmter Güter und Leistungen in Privathaushalten, die heute eine große Zahl von Dienstleistungen erzeugen, die früher am Markt gekauft wurden, vom Staat zur Verfügung gestellt wurden oder gar nicht verfügbar waren (vgl. Joerges 1981: 172). Damit gehen Prozesse der Kapitalisierung, Technisierung und Professionalisierung der Haushalte einher. Zu diesen Dienstleistungen ist nun zweifellos die Geldanlage zu zählen, die mit dem Rückzug des Staates aus dem Bankwesen und der Möglichkeit privaten Zugangs zu Geld-Systemen wie der Börse zunehmend in die Hände von Privathaushalten gelegt wird.
1.2 Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel
23
Neue Anlagemöglichkeiten, wie sie zum Beispiel mit den Börsengängen von Telekom und Post populär wurden, die Unsicherheit über die Renten- und Steuersysteme sowie die Einführung des Euro gingen auf der anderen Seite mit einer der größten Veränderungen auf dem deutschen Pressemarkt einher; nie zuvor beschäftigten sich so viele Medien mit dem Thema. Vor allem Wirtschaftsmagazine profitierten vom neu erwachten wirtschaftlichen Interesse. BIZZ, Börse Online, Euro am Sonntag, Geldidee, Junge Karriere – in den Jahren zwischen 1987 und 1999 entstanden eine Reihe neuer Wirtschaftsmagazine. Wurden 1987 von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) noch 12 Titel in dieser Rubrik erfasst, waren es 1998 bereits 34 Titel. Zeitschriften wie Börse Online konnten innerhalb eines Jahres (1997) ihre verkaufte Auflage um 123 Prozent steigern. In der Zeit von 1987 bis 1998 stieg die verkaufte Auflage der von der IVW erfassten Wirtschaftszeitschriften von 4,1 auf 13,5 Millionen. Die in einem Zeitraum von 20 Jahren erste Neugründung einer Zeitung in Deutschland war eine Wirtschaftszeitung: 1999 wurde die Financial Times Deutschland aus der Taufe gehoben. Mit der Zunahme an Wirtschaftstiteln ging auch eine Ausdifferenzierung einher. So wurden die Wirtschaftsteile der Tageszeitungen renoviert und ausgebaut. Im Journalismus kehrte die publizistische Strategie der Nutzwertorientierung ein, Verbraucherthemen, sogenannte „news-to-use“, erlebten einen Boom (vgl. Mast 1999): Wie positioniere ich mich hinsichtlich Job und Karriere? Welche Veränderungen der Steuergesetzgebung muss ich beachten? Wie sorge ich für die Notlagen des Lebens vor? Das Medienpublikum wurde mehr und mehr in seiner Rolle als Anleger, die haupt- oder nebenberuflich mit Geld umgehen und sich nach Feierabend über das Geschehen an den Finanzmärkten informieren wollen, angespro1 chen (vgl. Mast 1999: 284). Darüber hinaus haben viele deutsche Printmedien auf die Entwicklung des Internets mit der Entwicklung großer Portalseiten reagiert, in denen journalistische Artikel nur noch eine von vielen Inhaltsarten sind und zusammen mit Musterdepots, Telefontarif-, Gehalts- und Rentenrechnern ebenfalls ein am Gebrauchsnutzen orientiertes Angebot darstellen. Während der Börsenboom vor allem als nutzwertorientierte Berichterstattung in den Printmedien deutlichen Niederschlag fand (dabei aber auch den Raum für aktuelle Berichterstattung über Unternehmen und Branchenentwicklungen erweiterte), wurde das Fernsehen weiterhin von Wirtschaftsberichterstattung aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive dominiert, abgesehen von alteingesessenen Sendungen wie Wiso oder Plusmi1
Allerdings waren es auch gerade die sehr stark am Nutzwert orientierten Magazine, die nach dem Höhenflug ihrer Auflagen während der Popularisierung der Börsenanlage in den Jahren 1998 und 1999 mit dem Börsencrash schon zwei Jahre später starke Einbrüche erlitten und schließlich sogar eingestellt wurden.
24
1 Einleitung
nus, die auch aus der Sicht des Verbrauchers über Unternehmen und ihre Produkte berichten. Klar anlageorientierte Sendungen wie die Telebörse, die jahrelang von einer Sponsorengemeinschaft der Wirtschaft subventioniert wurde und 1994 einen Sendeplatz bei n-tv bekam, bis sie mit der Börsenhausse zu einer der zuschauerstärksten Sendungen bei dem Nachrichtensender wurden, blieben die Ausnahme. Mit neuen Anlageformen und mit zunehmender Selbstorganisation wächst auch die Komplexität der Geldanlage und Vermögensstrukturierung. Doch die Deutschen haben trotz (zwischenzeitlich) stark gestiegenen Interesses an Medienformaten zu diesem Thema einen sehr geringen Bildungsstand in Sachen Finanzen. Nach Meinung von Stefan Hradil vom Institut für Soziologie der Universität Mainz ist der Grund die Tabuisierung von Geld (vgl. NFO-InfratestFinanzforschung/Commerzbank 2003). Es ist kein selbstverständlicher Bestandteil unserer Alltagskultur, über Geld – auch über das eigene – zu reden. Das Thema wird als Teil der persönlichen Intimsphäre wahrgenommen. Laut Studie trifft dies besonders auf Ältere zu, die ihre Person stark über Einkommen und Vermögen be2 werten. 1.2.4
Individualisierung und Konsumgesellschaft
Betrachtet man den Umgang von Menschen mit Geld in Verbindung mit der neuen Vielfalt an Anlageformen und finanziellen Optionen, wird das Augenmerk auf den Aspekt der Wahl des Einzelnen zwischen diesen Optionen gelenkt. In diesem Zusammenhang ist die Individualisierungsthese häufig diskutiert worden (ohne 2
In der zitierten Studie wurden 1.032 Bundesbürger im Alter zwischen 18 und 65 Jahren befragt. Die Teilnehmer beantworteten 35 Fragen zu den Themengebieten Orientierungswissen, Einkommen und Zahlungsverkehr, Kredite, Vorsorge sowie Geldanlage. Obwohl 80 Prozent der Befragten sich in Finanzfragen zumindest „einigermaßen sicher“ fühlen, konnten 42 Prozent nicht einmal die Hälfte aller Fragen beantworten. Nur etwa fünf Prozent der Befragten verfügen laut Studie über ein gutes oder sehr gutes Wissen in finanziellen Fragen und konnten 80 Prozent oder mehr der Fragen richtig beantworten. Insbesondere bei der Geldanlage und der privaten Vorsorge gibt es deutliche Wissenslücken. So kennt den Unterschied zwischen Aktien und festverzinslichen Wertpapieren nicht einmal jeder Zweite. Ebenfalls die Hälfte kann nicht die Anlageformen nennen, die in der Vergangenheit die höchsten Erträge erzielt haben. Fast jedem Dritten ist unbekannt, dass er einer Lastschrift direkt bei seiner Bank oder Sparkasse widersprechen kann. Und etwa jeder Zweite kann den Unterschied zwischen EC- und Kreditkarte nicht erklären. Ebenso nur jeder Zweite weiß, dass er einen bereits rechtsgültig abgeschlossenen Kreditvertrag innerhalb von zwei Wochen schriftlich widerrufen kann. Im Gesamtergebnis zeigt sich ein deutliches Bildungsgefälle. Die Bezieher höherer Haushalts-Nettoeinkommen (über 3.000 Euro), Selbständige, Leitende Angestellte, Beamte sowie die Besitzer von Wertpapieren schneiden deutlich besser ab. Zu den in Finanzdingen eher Ungebildeten zählen vor allem die Bezieher niedriger Haushalts-Nettoeinkommen, jüngere Erwachsene (bis 29 Jahre) sowie Facharbeiter und Arbeiter – aber auch Frauen insgesamt.
1.2 Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel
25
dass es zu einer einheitlichen Definition des Begriffes gekommen ist; vgl. Boudon/ Bourricaud 1992; Müller 1993; Jäckel 1996). In der häufigsten Form wird in diesem Zusammenhang die Erosion kollektiver Lebensformen und die abnehmende Verbindlichkeit von Lebensentwürfen (vgl. Müller 1993) beklagt. Gleichzeitig beinhaltet der Begriff der Individualisierung auch eine positive Konnotation: Der Spielraum des Einzelnen wird größer; die freie Wahl von Alternativen führt zu Emanzipation und Selbstverwirklichung. Individualisierung hat jedoch auch, in dem sie ein sozialer Wandlungsprozess umfassender Art ist, unfreiwillige Komponenten. Beck bezeichnet Individualisierung als kollektives Schicksal, als gesellschaftliches, vom Einzelnen nicht beeinflussbares Phänomen (vgl. Beck 1993). So ist mit der Optionssteigerung auch ein Orientierungsverlust verbunden. Der Alltag wird angesichts der Menge an Alternativen immer komplexer. Lunt und Livingstone begründen die höheren Anforderungen an das Privatleben und den Alltag von Jedermann mit dem Wegfall institutioneller Kontrolle durch gesellschaftliche Institutionen wie Kirche, Wissenschaft, Politik und Kunst (vgl. Lunt/ Livingstone 1992). Wir beobachten gegenwärtig eine Auflösung dieser Expertensysteme; die durch solche Institutionen vorgegebene „richtige“ Handlungsweise gibt es nicht mehr, jeder ist für sein Wohlergehen selber verantwortlich, es gibt unzählige Handlungsweisen, es liegt an jedem selbst, Entscheidungen zu treffen und sie im sozialen Bedeutungssystem richtig zu treffen. Indem traditionelle Bestimmtheiten (z. B. das lebenslange Sparen) nicht mehr länger vorhanden sind und durch die Pluralisierung von Lebensentwürfen auch weniger vergleichbare Muster existieren, werden die Anforderungen für den Einzelnen viel höher. Noch vor einigen Jahrzehnten mussten Menschen nur selten in ihrem Leben wichtige finanzielle Entscheidungen treffen. Die Mehrheit hatte kaum mehr als ein Sparbuch; die Altersund Krankheitsvorsorge nahm ihnen der Sozialstaat ab. Der Druck bei der Ablösung der auf Traditionen verweisenden, passiven Bestimmtheit durch eine aktive Selbstbestimmung wird erhöht, indem in einer individualisierten Gesellschaft immer auch das Versprechen existiert, dass jeder prinzipiell alles erreichen kann, wenn er sich nur genügend bemüht. Das Alltagsleben wird aufgewertet und auch kompliziert als ein Platz, wo nicht zuletzt durch Entscheidungen für Konsumgüter, Geldanlagen und Lebensformen solche moralischen, politischen und ästhetischen Entscheidungen getroffen werden und damit die eigene Identität selbst geschaffen wird (vgl. Lunt/Livingstone 1992: 170). Vor diesem Hintergrund ist auch die Verlagerung der Altersvorsorge vom Sozialstaat auf den individuellen Haushalt zu sehen. Eine falsche finanzielle Entscheidung im Jugendalter kann gravierende Folgen haben. Darüber hinaus haben gesamtgesellschaftliche Prozesse wie die Individualisierung und die damit einhergehende Entwicklung einer Konsumgesellschaft auch Einfluss auf die materiellen Ressourcen, die einen bestimmten Lebensstil prägen. In
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1 Einleitung
dieser Gesellschaft, die gekennzeichnet ist von einem Zuwachs an Freizeit (d. h. einer Abnahme von Berufszeit), einer Technisierung des Alltags (vgl. Joerges 1988) und der Notwendigkeit zur Selbstbestimmung, kommt es zu einer Inflationierung von Statussymbolen durch den Massenkonsum. Automobil, Unterhaltungselektronik, Waschmaschine, Geschirrspüler, Espressoautomaten – zur Grundausstattung vieler Haushalte gehören inzwischen viele technische Artefakte, deren Kauf nicht mehr länger statuserhöhend ist, sondern zur selbstverständlichen Lebensbewältigung gehört. Auf diesem grundsätzlichen Niveau besteht also auch in einer individualisierten Gesellschaft keine Wahlmöglichkeit, der Besitz von Konsumgütern wird zur Bedingung sozialer Integration. In dieser, oft als Wohlstands- und Konsumgesellschaft zitierten kulturellen Gemeinschaft, gibt es somit immer mehr Schnittstellen zwischen sozialem Austausch und ökonomischem Tausch. Deutlich wurde dies zum Beispiel in der Untersuchung von Melching: Während finanziell weniger gut ausgestattete Befragte in Geld vor allem Sicherheit sahen, dienten finanzielle Mittel gut situierten Befragten als Statussicherung. Sie setzten es dafür ein, Sozialkontakte zu pflegen. Für beide fungierte Geld als Mittel der sozialen Differenzierung: Für ärmere Befragte zeugte der sparsame Umgang mit Geld von der richtigen Moral, die „Konsumhedonisten“ dagegen wollten weniger den Umgang mit Geld nach außen sichtbar machen, als vielmehr ihre gute Lage (vgl. Melching 1996: 322). Für sie war es wichtig, Freunde zu beschenken oder aber ihren Kindern bestimmte Investitionen zu ermöglichen. Konsum wird in einer soziologischen Perspektive als das Anzeigen von Lebensstilen und damit Interaktion in einer Gruppe und die Voraussetzung von Anerkennung und Bestätigung eigener Identität verstanden (vgl. de Certeau 1984). In einer Gesellschaft, in der die Selbsteinschätzung unvermeidlich von den „Indizien gesellschaftlichen Wertes“ abhängt (vgl. Bourdieu 1984) und Geld den Zugang zu diesen Indizien verschafft, kann nun die Zunahme von Konsumentenkrediten nicht nur als Manifestation eines individuellen, sondern eines sozialstrukturellen Problems verstanden werden, wie dies Hirseland in seiner Untersuchung zeigen kann (vgl. Hirseland 1999). Auch bedingt durch die soziale Öffnung des Kreditmarktes für Kleinkreditnehmer ist die Verschuldung in Deutschland in den letzten Jahren angestiegen. Nun ist ein gewisser Grad an Verschuldung im Zusammenhang mit bestimmten Lebensphasen als normal zu bezeichnen. Doch während bereits die Verschuldung langfristige Auswirkungen auf die Sozialstruktur einer Gesellschaft hat (in dem sie zum Beispiel die Bedeutung von Schuld und Schulden ändert und die Normen in ihrem Umgang), ist die Überschuldung ein unmittelbares Problem: Mittlerweile sind 8,1 Prozent der Privathaushalte in Deutschland auf unabsehbare Zeit nicht mehr in der Lage, aus ihrem Einkommen oder Vermögen ihre laufenden Zahlungspflichten zu erfüllen. Sie sind damit zahlungsunfähig (vgl. Verbraucherzentrale Bundesverband/Deutscher Caritasverband/Deutsches Rotes
1.2 Der Umgang mit Geld im sozialen Wandel
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Kreuz et al. 2006). Allein im Zeitraum 1993 bis 2002 hat sich die Anzahl der überschuldeten Haushalte mehr als verdoppelt. 1.2.5
Technisierung des Geldhandelns
Früher brachte der Vater die Lohntüte nach Hause, aus der die Geldstücke klimperten, man tat Geld in den Sparstrumpf, teilte das Monatsgehalt mit Hilfe von Briefumschlägen in jeweils bestimmten Verwendungen zugedachte Portionen, nutzte Dosen als Versteck, um unbemerkt von den Eltern oder dem Ehegatten etwas anzusammeln. Heute holt man sein Bargeld fast ausschließlich am Geldautomaten, man informiert sich über seinen Kontostand am Kontoauszugsdrucker, man bestellt und bezahlt einen Kaffee am Automaten – auch ohne Bargeld. Bei Simmel findet man bereits eine soziologische Hypothese über diese „Dematerialisierung des Geldes“ (vgl. Haesler 2002: 178). Geld ist demnach der verselbständigte Ausdruck einer Tauschrelation, welcher sich von einem Substanzwert hin zu einer Funktion entwickelt. Voraussetzung des Geldverkehrs ist nicht die Manifestierung des getauschten Wertes in Metall oder Muscheln, sondern es bleibt die soziale Funktion des gemeinsamen Verhältnisses von Käufer und Verkäufer; das Vertrauen darauf, dass das Geld grenzenlos anwendbar ist. Diese Grenzenlosigkeit spricht Simmel mit seiner Theorie der sozialen Kreise an: Indem die Substanzbedeutung sinkt, vergrößern sich die Wirtschaftskreise, je umfassender das Ganze, umso unbedeutender der Einzelne als wirtschaftliche Einheit (vgl. Simmel 1989: 199ff.). In Simmels Buch ist damit schon eine Entwicklung angelegt, die in einem globalisierten bargeldlosen Zahlungsverkehr, in einem System aus Schecks, Giros und Kreditkarten ihren vorläufigen Endpunkt findet. Wenn die Ausgangsfrage der Arbeit die Frage nach Orientierungsmöglichkeiten in einem komplexer werdenden Bereich der Gesellschaft und damit der Abgleich zwischen gesellschaftlichem und individuellem Wissen ist, muss man einbeziehen, dass sich die Praktiken des monetären Handelns selbst geändert haben. Medien sind nicht nur potenzielle Wissensquellen, die monetären Praktiken selbst unterliegen einer Medialisierung. Elektronisches Geld ist nach dem Buchgeld der Geschäftsbanken die neueste Erscheinungsform des Geldes. Es ist ein monetärer Wert in Form einer Forderung gegen die ausgebende Stelle, der entweder auf einem Datenträger gespeichert ist (z. B. Geldkarte) oder aber im Internet als Zahlungsmittel akzeptiert wird (PayPal, Firstgate Click & Buy). Dabei werden als elektronisches Geld auch Verfahren bezeichnet, die genau genommen kein Geld sind, sondern lediglich ein Protokoll, also eine vertragliche Regelung darstellen, wie der Austausch zwischen zwei Personen oder Institutionen arrangiert werden kann. Wenn das Reichen der Kreditkarte bzw. der Kaufabschluss per Mausklick im Internet das Bezahlen mit Bargeld ersetzt, dann ist auch das „do ut des“ des Tausches aufgeho-
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1 Einleitung
ben. Dies führt dazu, dass die letzte „Realabstraktion“ (vgl. Haesler 2002: 179), also die Äquivalenz der Materialität des Geldes und der geistige Nachvollzug monetärer Vorgänge, wegfällt. Während einfache Tauschprozesse immer objektiviert waren und „minimal reflexiv“ (vgl. Haesler 2002: 191)3, ist diese Reflexivität beim Bezahlen über das Internet beispielsweise nicht gegeben. Dabei ist die Präsentation der Kreditkarte mehr als Bezahlung; sie ist zugleich ein Prozess der Identifikation und der Kontrolle: Größere Diskretion und Distanziertheit gegenüber dem traditionellen Kaufakt gehen mit einer steigenden Entpersönlichung, einer schwächeren Kontrolle seitens der Benutzer und einer neuen Leichtigkeit des Bezahlens einher; der „Vorstellung einer schier unendlich Wahlfreiheit entspricht die Illusion eines nahezu unendlichen Budgets, einer immer unmittelbareren Bedürfnisbefriedigung“ (vgl. Haesler 2002: 191). Die von Haesler angesprochene größere Diskretion besteht jedoch bei genauerem Hinsehen nur als subjektives Gefühl des Kunden im Moment des Tausches, im Gegensatz führt der flächendeckende Einsatz von Karten zu immer mehr Informationen über den Kaufakt und die Beteiligten. Erste Auswirkungen dieser Informatisierung sind zum Beispiel das Bilden von Kundensegmenten nach Kaufkraft und das Hinterlegen von Profilen. Auf dieser Basis wiederum werden bestimmte Dienstleistungen berechnet; manche Bankkunden zahlen höhere Zinsen, haben Karten mit verschiedenen Funktionalitäten. Auch das Netzgeld als Form des elektronischen Geldes ist zumeist nicht anonym. Die von Simmel konstatierte Sozialität der Tauschsituation ändert sich also grundlegend. Mittlerweile führen 36 Prozent der Deutschen ihr Girokonto bei den privaten Banken über das Internet (Bundesverband deutscher Banken 2008) – den Grundstein dafür legte die soeben angesprochene Dematerialisierung des Geldes. Dabei hatte die Branche der Finanzdienstleistungen immer schon eine Vorreiterrolle in Hinblick auf die Verwendung neuer Technologien inne: Beispiel dafür ist die Entwicklung von Bildschirmtext (Btx), die hauptsächlich von Banken stark vorangetrieben wurde und die heute als Vorläufer des Internet-Banking gilt. In den Banken selbst übernahmen Geldautomaten einen Großteil des Zahlungsverkehrs. Damit wurde der Buchgeldverkehr unabhängig von den Öffnungszeiten der Banken, die Automaten wurden zu Geldspendern, die rund um die Uhr geöffnet haben und sich allerorts befinden, wo man auch konsumieren kann, in Supermärkten, auf Einkaufsstraßen und in Tankstellen. Während früher lediglich das Abheben von 3
Haesler geht in seinen geldphilosophischen Ausführungen so weit, als dass er sich gegen das vorherrschende Tauschparadigma der Geldsoziologie wendet: Es hat den Blick darauf verstellt, dass das Geld als Tausch- und Machtmittel nicht die Begleiterscheinung, sondern die Ursache eines fundamentalen gesellschaftlichen Strukturwandels ist: Rationalisierung, Technikentwicklung, Versachlichung sind so Phänomene der Monetarisierung und keine parallelen Entwicklungen. Grundlage dafür ist die Dematerialisierung des Geldes: „Je abstrakter das Geld, um so mehr denkt das Geld anstelle des Tauschsubjekts“ (vgl. Haesler 2002: 181)
1.3 Kommunikation als zentrale Fragestellung
29
Bargeld möglich war, kann man an den Automaten heute Kontostände abfragen und ausdrucken, Geld überweisen, Geld in andere Währungen tauschen und Geldkarten aufladen. Mit dem Internet hat sich schließlich den Banken ein Feld geöffnet, um ihre Dienstleistungen auszuweiten. Vorreiter war das Telefon-Banking, welches gegen Ende der 80er Jahre eingeführt wurde. Zunächst sollte es den Kunden ermöglicht werden, Probleme, die mit wenig erklärungsbedürftigen Produkten des Zahlungsverkehrs in Zusammenhang standen, zu lösen. Inzwischen geht die Dienstleistung aber weit über das Zahlungsverkehrsgeschäft hinaus. Zwar macht die wenig komplexe Kontostandsabfrage mehr als zwei Drittel aller Anrufe aus (vgl. Stäger 1999: 230), erst mit dem Internet- und dem Telefon-Banking entstanden jedoch neue Anlagemöglichkeiten, indem zum Beispiel Privatanleger jetzt auch an der Börse handeln konnten. Dienstleistungen wurden vom Dienstleistungsgeber (der Bank) auf den Dienstleistungsnehmer (dem Kunden) verlagert – viele Transaktionen sollten jetzt selbst durch die Sparer und Anleger durchgeführt werden. Was in den Angeboten der Banken als Ausstattung mit Kompetenzen dargelegt wird – selber mit Wertpapieren handeln, den persönlichen Online-Banking-Bereich individuell konfigurieren, Kurse überprüfen, Freistellungsaufträge einrichten, Bankpost in elektronischen Postfächern verwalten – kann auch als Komplizierung der Alltagspraxis gewertet werden, für deren Beherrschung neue Kompetenzen erst einmal erworben werden müssen. Zudem kann auch diese umfassende Technisierung wieder im Rahmen der These, wonach Individualisierung nicht allein mehr Freiheit, sondern auch den Zwang zur Wahl bedeutet, gelesen werden: Es wird dann nicht länger nur möglich, sondern notwendig sein, d. h. zur Grundausstattung gehören, seine Bankgeschäfte online abzuwickeln. Vor allem ältere Bevölkerungsschichten sind unter den Nicht-Onlinern – ihnen fehlt die Kompetenz zum Umgang mit dem Computer bzw. dem Internet. Während 2004 von den 25- bis 40-Jährigen bereits 6 von 10 Deutschen (57 Prozent) ihre Bankgeschäfte online tätigen, waren es in der Gruppe derer über 60 Jahre nur 17 Prozent (vgl. Bundesverband deutscher Banken 2005).
1.3
Kommunikation als zentrale Fragestellung „Unablässig und schier pausenlos scheinen die Menschen zu reden, zu schreiben, zu lesen, in Bildschirme hineinzustarren oder auf Tastaturen zu drücken. Wenn wir dann noch das vielfältige Repertoire an nichtsprachlichen Zeichen berücksichtigen, das von unzähligen Pendel- und Wünschelrutenformen über die Codes des politisch korrekten Benehmens oder die geheimnisvollen Zahlenreihen der Bank-Computer bis hin zur geschlechtsmarkierten Kleiderordnung reicht, können wir schwer umhin, die Lebenswelt als ein Reich der Kommunikation zu betrachten. Diese Beobachtung erscheint nur unspektakulär, betrachtet man die Kommunikation lediglich als einen Spiegel, in dem gesehen werden kann, was ‚eigentlich’ geschieht. Wir gehen hier jedoch davon aus, dass die vielfäl-
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1 Einleitung
tigen kommunikativen Handlungen nicht lediglich widerspiegeln, was geschieht und getan wird, sondern das Instrument sind, mit dem diese Wirklichkeiten geschaffen, aufrechterhalten und verändert werden, und dass sich eine jede dieser Wirklichkeiten je besonderer Instrumente bedient.“ (Knoblauch 1996: 8)
Kommunikation wurde bereits als zentraler, individueller als auch gesellschaftlicher Prozess definiert, der den Umgang mit und den Austausch von Geld nicht nur begleitet, sondern konstituiert. Dieses Verständnis von Kommunikation fußt auf makrotheoretischen Verortungen des Forschungsgegenstandes innerhalb der Handlungstheorie; genauer in der phänomenologisch ausgerichteten Soziologie von Alfred Schütz. Am Anfang dieser Arbeit stand der Gedanke, dass sich die Probleme, vor denen sich das Individuum in dieser monetarisierten und technisierten Gesellschaft gestellt sieht, mit einer ökonomisch-marktheoretischen Perspektive, die Geldhandeln als mehr oder weniger rationales Wirtschaften isolierter und souveräner Marktteilnehmer begreift, nicht analysieren lassen. Denn die Frage nach der Entstehung von Wissen in einer unübersichtlichen Welt markiert weniger Probleme eines marktlichen Austausches, als vielmehr einen Bezug der Sinnhaftigkeit individuellen Handelns zum gesellschaftlichen Wissen. In jedem Handeln nimmt der Einzelne Bezug auf andere und dies in vielfältiger Art und Weise. Die Theorie von Alfred Schütz beschäftigt sich damit, wie Menschen den Sinn ihrer Handlungen konstituieren und wie – in einer Welt, die immer eine Mitwelt, also eine geteilte Welt ist – die Mitmenschen diesen Sinn verstehen können. Damit ist sie, indem sie die Welt als kommunikativ konstruiert begreift, eine gute Grundlage, die Entstehung kultureller und sozialer Wirklichkeiten, wie sie sich im Wissen über bzw. im Umgang mit Geld niederschlagen, zu rekonstruieren. Zwar existiert mit der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas ein weiterer Ansatz, der Kommunikation als zentralen Punkt von Alltagshandeln ansieht. Jedoch meint Habermas mit Lebenswelt einen „theoretisch begründeten Mechanismus sozialer Integration“ (vgl. Hennen 1992: 126), der durch den Idealtyp des verständigungsorientierten Handeln hergestellt wird. Dabei klammert er „instrumentelles und erfolgskontrolliertes“ Handeln aus dem Bereich der Lebenswelt aus. Geldhandeln ist jedoch auch als instrumentelles Handeln zu begreifen, in dem Sinne, dass es für den Einzelnen bestimmte Zwecke erfüllen soll, die außerhalb des Verständigungsaktes liegen. Der normativen Definition von Habermas wird es nicht gerecht, genauso wenig, wie man es im Sinne der Rational-Choice-Theorie als rational bezeichnen kann. Alfred Schütz, der seine Theorie aus der „verstehenden Soziologie“ Max Webers und der phänomenologischen Methode Edmund Husserls entwickelte, stellt anders als Habermas das Individuum in den Mittelpunkt der Analyse. Er geht von der Annahme aus, dass man soziale Phänomene (soziale Institutionen, Werkzeuge, Sprachsysteme, Symbole) als Summe von Einzelhandlungen nur erklären kann, wenn man individuelles Handeln versteht. Damit bietet seine Arbeit zur Beantwor-
1.3 Kommunikation als zentrale Fragestellung
31
tung der Frage, wie in einer individualisierten Gesellschaft Wissen über Monetäres entstehen, den passenden theoretischen Hintergrund. Peter L. Berger und Thomas Luckmann beziehen sich vor allem auf Alfred Schütz, wenn sie in ihrem soziologischen Schlüsselwerk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ schreiben, dass die Realität und somit auch ein gesellschaftlicher Wissensbestand eine Konstruktion ist, an der jedes Individuum eben durch die von Schütz detailliert beschriebenen Prozesse der Interpretation beteiligt ist. Als Wissen definieren sie alles das, was in einer Gesellschaft als Wissen anerkannt ist. Indem Berger und Luckmann – auch unter Rückgriff auf das interaktionistische Gedankengut George Herbert Meads – davon ausgehen, dass die soziale Wirklichkeit nur doppelt – als objektives Faktum und subjektiv gemeinter Sinn – verstanden werden kann und in einem interaktivem, dialektischen Prozess zwischen Individuum und gesellschaftlicher Struktur entsteht, wurde als theoretischer Hintergrund der vorliegenden Arbeit eine Theorie gewählt, die die Entstehung von Wissen und den Aufbau der Wirklichkeit von einem systematischen Verständnis der Bedeutung menschlicher Kommunikation her entwickelt (vgl. Wolff 1997: 50). Kommunikation und ihre Institutionen werden als maßgeblich für die Wissenszirkulation angesehen (vgl. den Begriff der „kommunikativen Wende“ bei Knoblauch 2005 bzw. des „kommunikativem Paradigmas“ bei Luckmann 2002a: 201ff.). Wissen kann damit nicht mehr länger als ein Bestand in den Köpfen oder einer Gesellschaft angesehen werden, vielmehr ist Wissen ein „Prozess der permanenten Produktion, Fixierung und Transformation von Zeichen und Bedeutungen, dessen soziale Strukturierung sich im Sprachgebrauch dokumentiert und darüber zugänglich wird“ (vgl. Keller 2005: 58). Dabei ist Kommunikation nicht nur ein treibender Prozess gesellschaftlichen Wandels, sie unterliegt vielmehr selbst einem Wandel, der in ausdifferenzierten und unüberschaubar gewordenen Gesellschaften vor allem als eine Zunahme von medial vermittelter Kommunikation (vgl. Schulz 2004) zu kennzeichnen ist. Friedrich Krotz beschreibt diese „Mediatisierung“ als gesellschaftlichen Metaprozess, der vielfältige Bezüge zu den anderen gesellschaftlichen Metaprozessen wie beispielsweise Rationalisierung, Technisierung und Globalisierung hat. Medien werden von ihm – im Einklang mit der sozialkonstruktivistischen Perspektive – als soziale Institutionen charakterisiert, in denen soziale und kommunikative Praktiken verfestigt sind: „Menschliche Geschichte kann deshalb als Entwicklung angesehen werden, in deren Verlauf immer neue Kommunikationsmedien entwickelt wurden und auf unterschiedliche Weise Verwendung fanden und finden. In Konsequenz entwickelten sich immer komplexere mediale Kommunikationsformen, und Kommunikation findet immer häufiger, länger, in immer mehr Lebensbereichen und bezogen auf immer mehr Themen in Bezug auf Medien statt. … Dieser Prozess, der heute in der Durchsetzung der digitalisierten Kommunikation kulminiert, aber mit dem Internet längt nicht zu
32
1 Einleitung
Ende ist, soll einschließlich seiner sozialen und kulturellen Folgen als Prozess der Mediatisierung bezeichnet werden.“ (Krotz 2001: 33)
Da moderne Gesellschaften zunehmend von Medien geprägt sind, bildet sich – auch monetäres – Wissen nicht nur in Auseinandersetzung mit unmittelbaren Erfahrungen, sondern zunehmend auch in Auseinandersetzung mit medialen Erfahrungen. Nun wäre es für eine Arbeit in diesem Zuschnitt vermessen, den Prozess der Entstehung monetären Wissens, wie von Berger und Luckmann konzipiert, gleichermaßen auf der gesellschaftlichen als auch auf der individuellen Ebene zu beschreiben. Stattdessen möchte ich mich – korrespondierende Prozesse der gesellschaftlichen Objektivierung immer im Blick habend – auf die subjektive Aneignung von monetärem Wissen konzentrieren. Wenn man mit Berger und Luckmann nun davon ausgehen kann, „dass gesellschaftlich entwickeltes, vermitteltes und bewahrtes Wissen für den Mann auf der Straße zu außer Frage stehender ‚Wirklichkeit’ gerinnt“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 3), zu „Allerweltswissen“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 16), welches nicht nur aus „Ideen“ sondern auch aus vortheoretischen Elementen besteht und zur grundlegenden Orientierung des Handelns führt, dann kann man bei dieser engen Verbindung zwischen dem Wirklichkeits- und dem Wissensbegriff monetäres Wissen interpretieren als monetäre Identität. Identität wird dabei als reflexive Deutung des eigenen Handelns verstanden (vgl. Behringer 1998), die im Anschluss an Berger und Luckmann durch das Zusammenspiel von vorgebenden gesellschaftlichen Zusammenhängen und deren aktiver Aneignung und Formung durch das Individuum permanent konstruiert wird. Indem die Fragestellung nach monetären Sinnbezügen mit dem Konstrukt der Identität verbunden wird, wird die wissenssoziologische Fragestellung von Berger und Luckmann zum einen auf die subjektive und damit auf eine in einem solchen Vorhaben empirisch erfass- und realisierbare Ebene verengt, zum anderen wird durch das sowohl Wertvorstellungen, Praktiken und soziale Verortungen umfassende Konzept der Identität auch der durch Kommunikation angesprochenen Bandbreite lebensweltlicher Bezüge (vgl. Mikos 2005) Genüge getan. Vor diesem Hintergrund möchte ich in der vorliegenden Arbeit diskutieren, wie innerhalb von kommunikativen Episoden identitätsstiftende Orientierungen, die das monetäre Denken und Handeln strukturieren, gewonnen werden. Im Fokus der Arbeit stehen nicht Auswahlentscheidungen, sondern Bedeutungskonstitutionen, die, da die Akteure in einer sozialen, einer vergesellschafteten Welt leben, intersubjektiv sind. Monetäre Identität ist dabei als analytisches Konstrukt zu begreifen. Im Sinne einer Patchwork-Identität (vgl. Keupp 2006) sind handlungsleitende monetäre Orientierungen als Teilidentität zu verstehen, die mit anderen Lebensbereichen wie Freizeit, Arbeit, Partnerschaft etc. in einer permanent zu erbringenden praktischen, psychischen und sozialen Integrations- und Syntheseleistung (vgl. Straub 1996) unter einen Hut zu bringen zu sind.
1.4 Überblick über relevante Forschungsarbeiten
1.4
33
Überblick über relevante Forschungsarbeiten
Das Forschungsvorhaben ordnet sich zunächst nicht in eine klar benennbare Tradition von wissenschaftlichen Arbeiten ein. Vielmehr ist der Versuch, die Entstehung monetärer Identität empirisch zu erfassen, ein exploratives Vorhaben, welches nicht zuletzt zum Ziel hat, Erkenntnisse verschiedener Forschungstraditionen aufzugreifen und zu integrieren. Vor dem Hintergrund dieser Zielstellung bestehen Schnittstellen zur Kommunikationswissenschaft, insbesondere zur Medienwirkungsforschung sowie zu Studien in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus und den Cultural Studies, die sich beide mit der Entstehung von Identitäten beschäftigen. Weiterhin kommen Anregungen von soziologischen Ansätzen und hier insbesondere vom interpretativen Programm der hermeneutischen Wissenssoziologie, welche sich sowohl mit Deutungs- und Handlungsmustern des Alltagshandelns als auch mit Kommunikationspraktiken und -prozessen auseinandersetzt. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass sowohl in der kommunikationswissenschaftlichen als auch in der wissenssoziologischen Forschung Studien mit einem konkreten Bezug auf Monetäres selten sind. Schaut man, welche Befunde es darüber hinaus zum individuellen Geldverhalten gibt, stellt man eine versprengte Forschungslandschaft fest. Einige Anregungen bietet die Konsumsoziologie, z. B. zum Sparverhalten und dem Umgang mit Krediten (vgl. Lunt/Livingstone 1992). Aufgrund der zunehmenden Überschuldung in Deutschland gab es in den letzten Jahren zahlreiche Forschungen zu den Ursachen der Überschuldung (vgl. z. B. Hirseland 1999); einige davon setzten bei den Lebenssituationen der Schuldner an. In keiner Untersuchung zum individuellen Geldverhalten spielen Medien explizit eine Rolle, gleichwohl werden vereinzelt die Bedeutung gesellschaftlicher Wertvorstellungen, psychologischer Aspekte sowie sozialer Rollen auf den individuellen Umgang mit Geld untersucht (vgl. Melching 1996; Haubl 2002, Kück 1988; Königswieser 1992; Fooken 1998; Rosendorfer 1998). In der deutschen Kommunikationswissenschaft ist die Rolle von Kommunikation über Monetäres bislang nur zurückhaltend und in Einzelaspekten untersucht worden. Einen Schwerpunkt stellen dabei massenmedial vermittelte Inhalte dar. Zwar ist man sich einig, dass die Wirtschaft genauso wie die Politik einer Mediatisierung unterliegt (vgl. Sarcinelli 1998), doch ist bislang in diesem Bereich ein Forschungsdefizit zu konstatieren (vgl. Hagen 2006). Innerhalb der traditionellen Rezeptionsforschung, die als eine Frage nach den Wirkungen der Massenmedien formuliert ist, wird der Blick auf Beeinflussungen zwischen der ökonomischen Wirklichkeit, der medialen Berichterstattung vor allem über volkswirtschaftliche Aspekte und Aspekte des Rezipientenverhaltens gerichtet. So hat die (meist negativierte) Darstellung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage einen Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen finanziellen Lage und der Bevölkerungsstimmung (vgl. Wu/Stevenson/Chen et al. 2002; Hagen 2005), des
34
1 Einleitung
Wahlverhaltens (vgl. Quiring 2004) oder des Konsumentenvertrauens (vgl. Wörsdorfer 2005). Eine US-amerikanische Studie kam zu gegenteiligen Befunden (vgl. Haller/Norpoth 1997): Abgesehen davon, dass sich nur wenige Leute überhaupt zu den regelmäßigen Nutzern wirtschaftlicher Informationen zählten, hatte die Rezeption von Wirtschaftsnachrichten auch keine Auswirkungen auf die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage.4 Haller und Norpoth konstatieren, dass Wirtschaft ein Thema ist, welches nicht nur über die mediale Vermittlung für den Rezipienten erfahrbar ist, sondern zum Beispiel auch darüber, wie prall die eigene Brieftasche gefüllt ist. Eine weitere Erklärung dafür bietet Koschel, die in einer theoretischen Analyse schlussfolgert, dass Wirtschaftsnachrichten nicht unter Kenntnisnahme von Einzelheiten, sondern vielmehr in einer Übereinstimmung mit gröberen argumentativen Schemata rezipiert werden (vgl. Koschel 2006). Damit widersprechen diese letztgenannten Befunde der Defizitthese, mit der innerhalb der Kommunikatorforschung das geringe Interesse an der Wirtschaftsberichterstattung mit der wenig ansprechenden Darstellung von wirtschaftlichen Tatsachen erklärt wird (vgl. Friedrichsen 1992; Glotz/Langenbucher 1993; Schenk/Rössler 1997), worauf die Forderung nach mehr Nutzwertorientierung aufbaut (vgl. Mast 1999). Diese Untersuchungen gehen dabei von normativen Ansprüchen der Vielfalt und Ausgewogenheit aus, die zu einer Meinungs- und Willensbildung beim Rezipienten führen soll und legen damit eine wissenschaftliche Sichtweise zugrunde, wonach sich die Realität möglichst frei von Verzerrungen in den Medien und die in den Medien abgebildete Realität sich wiederum auch in den Einstellungen und Handlungen der Menschen niederschlagen müsse. In Ergänzung zu den oben genannten Untersuchungen der Medienwirkungsforschung sind Studien zu nennen, die bei der Motivation von Menschen, sich mit wirtschaftlichen Inhalten zu beschäftigen, ansetzen. Forschungen im Rahmen des Uses-and-Gratification-Ansatzes (vgl. als Einleitung Blumler/Gurevitch/Katz 1974) sind zwar in der Forschungsfrage nicht explizit auf monetäre Zusammenhänge zugeschnitten, bieten aber die auch für wirtschaftliche Inhalte geltende Erklärung an, dass die medialen Aktivitäten der Nutzer ihren subjektiven Bedürfnissen, Einstellungen und kommunikativen Absichten entsprechen. Berelson sah beispielsweise Zeitungen als „tools for daily living“, die für den Leser unter anderem auch durch Angebote lokaler kommerzieller Anbieter interessant seien (vgl. Berelson 1949); Bentley bezeichnete dies als soziale Integrationsfunktion (vgl. Bentley 2001). In dieser funktionalen Perspektive suchen sich Mediennutzer die 4
Damit befinden sich diese thematisch auf wirtschaftliche Sachverhalte fokussierten Studien in Einklang mit anderen empirischen Arbeiten der Kommunikationsforschung, die nur eine relativ schwache Korrelation zwischen der Mediennutzung und dem Informationsstand in wichtigen gesellschaftlichen Wissensbereichen belegen (vgl. z. B. Robinson/Levy 1996; Chaffee/Kanihan 1997).
1.4 Überblick über relevante Forschungsarbeiten
35
Inhalte aus den Medien heraus, die ihnen in ihrer Rolle als wirtschaftlich handelnde Subjekte am meisten nützen, indem sie ihnen beispielsweise neue Produkte vorstellen, Lebenshilfe bieten, ihnen die Möglichkeit geben, sich mit Anderen über wirtschaftliche Inhalte auszutauschen und damit letzten Endes Anschluss in einer Gemeinschaft versprechen. Explizit mit nutzwertorientiertem Medieninhalt beschäftigten sich Vowe und Wolling, als sie Unterschiede in der Nutzung eines Webangebotes mit dem Nutzwert und den im Verhältnis zu diesen entstandenen Kosten der Mediennutzung erklärten (vgl. Vowe/Wolling 2001). Korgaonkar und Wolin haben in ihrer Studie zur Nutzung des World Wide Web neben Information, Interaktion und Sozialisation auch die ökonomische Transaktion sowie Sicherheit und Persönlichkeitsschutz als Gratifikationsdimensionen ausgemacht (vgl. Welker 2002: 157). Bedürfnisse (zu einer Übersicht vgl. Schenk 2007) erklären jedoch nur einen geringen Teil der Varianz der Mediennutzung (vgl. Meyen 2004). Neben dem Versuch, bestehende theoretische Lücken in Hinblick auf die Ursprünge der Rezipientenmotivation zu schließen, liegen auch noch wenig Ergebnisse vor, die den Gratifikationsansatz in Verbindung mit möglichen Effekten im Wissensbereich sehen (vgl. Schenk 2007: 749f.). Den genannten Forschungen ist eigen, dass sie die Bezugnahme auf Medien als 5 Rezeption konzipieren, dass sie vor allem auf die Nutzung von „Massenmedien“ fokussieren und diese darüber hinaus – meistens bezogen auf ein Medium – als singuläre Aktivität betrachten. Mediale Kommunikation ist jedoch nur eine von vielen Formen kommunikativen Handelns, in denen monetäre Bezüge vorkommen können. Auch in der Medienwirkungsforschung wird dieser Aspekt zunehmend aufgegriffen. Neuere Ansätze entwerfen Massenkommunikation immer im Verhältnis zu interpersonaler Kommunikation, in dem sie den Menschen zuallererst in ein Netzwerk aus interpersonalen Beziehungen eingebunden sehen (vgl. für politische Kommunikation Schenk 1995 und für Innovationen Rogers/Kincaid 1981). In Bezug auf Monetäres scheint diese gegenseitige Kontextualisierung wichtig, denn wenn das Thema mit Haller und Norpoth ein „doorstep issue“ ist, dann beinhaltet es sicher Akte interpersonale Kommunikation. Einzelne soziologische Befunde belegen dies anhand einer großen Rolle von monetären Bezügen in der familiären Kommunikation (vgl. Bergmann/Blöcher 1998; Wimbauer/Schneider/Ludwig-Mayerhofer 2002). Zusammenfassend kann man mit Schenk hinsichtlich der Rolle von Massenmedien für monetäres Wissen zumindest annehmen, dass Medien, einem Bühnenscheinwerfer gleich, bestimmte Themen beleuchten, Blick5
Der Begriff ist hier einmalig in Anführungszeichen gesetzt, da sich zunehmend die Ansicht durchsetzt, dass es keine Masse gibt, mit der kommuniziert wird. Krotz schlägt daher den Begriff der „standardisierten, allgemein adressierten Kommunikate“ vor (vgl. Krotz 2007: 213), um eine Trennlinie zu Formen der mediatisierten interpersonalen Kommunikation zu ziehen.
36
1 Einleitung
winkel eröffnen, gedankliche Konstrukte aktivieren und spezifische Vorstellungen auslösen (vgl. Schenk 2007: 776ff.). Dabei plädiert Schenk dafür, die Rolle von Medien vor allem hinsichtlich kognitiver Effekte und hier speziell in der „informationsorientierten Aufmerksamkeitslenkung“ (vgl. Schenk 2007: 779) zu sehen. Der Begriff der Identität kann allerdings durch diese Konzentration auf kognitive Wissenseffekte nicht voll erfasst werden, wurde Identität doch als ein Konstrukt charakterisiert, dass sowohl kognitive als auch emotionale und praktische Dimensionen hat. Die bereits angeführten Beispiele wie die Einführung des Euro oder das Handeln von Privatanlegern an der Börse belegen, dass bei monetärem Wissen die emotionale Komponente sehr wichtig ist. Auch Berger und Luckmann fassen den Wissensbegriff weiter, für sie ist Wissen alles, was Menschen für wirklich halten6, also auch Prozesse des Vorstellens und Fühlens innerhalb einer bestimmten Wirklichkeit. Zudem setzt eine Konzentration auf kognitive Wissensaspekte oftmals zugleich auch den Schwerpunkt auf die empirische Erfassung externalisierbarer Bestandteile des Wissens. Wie Forschungen zeigen, ist jedoch ein großer Teil unseres Wissens implizit (vgl. Polanyi 1985). Dieses in den Worten von Schütz „fraglose“ Wissen (vgl. Schütz 1992: 188) ist in Sinnzusammenhängen geordnet, die als die mentale Repräsentation von Wissen beschrieben können und die damit durchaus gefühlsmäßige und kaum verbalisierbare Bestandteile haben können.7 Darüber hinaus beschäftigen sich die vorgestellten Medienwirkungsstudien kaum mit der Handlungspraxis, innerhalb derer sich Identität ausbildet. Ein häufiger Nutzungsgrund des Internets liegt jedoch in ökonomischen Transaktionen, die bis auf die oben genannten Studien unbeachtet von der kommunikationswissenschaftlichen Forschung geblieben sind. Forschungen in der kulturwissenschaftlichen Perspektive bezeichnen dagegen den alltäglichen Umgang mit Medien als Aneignung (vgl. als Einführung Morley 1992). Indem sie diesen Prozess des „Sich-zu-Eigen-Machens“ von Medieninhalten umfassend kontextualisieren, sprechen sie sich gegen Konzepte einer positiven oder negativen Wirkung, Manipulation oder Gratifikation aus (vgl. Hepp 2005: 67) und entsprechen eher dem sozialkonstruktivistischen Paradigma. Medieninhalte werden 6
7
Wissen ist damit der Komplementärbegriff zur Wirklichkeit, während Sinn der Komplementärbegriff zu Welt und Lebenswelt ist (vgl. Knoblauch 2005: 155). Damit kann man die Forschungsfrage umformulieren in die – in der Medienwirkungsforschung sehr ähnlich gestellte – Frage, wie Massenmedien Realität herstellen und bei der Konzeption dieser Realität eben auch emotionale Komponenten einbeziehen. Hier besteht ein Anknüpfungspunkt zum Konzept des Schemas, demzufolge Schemata die Wahrnehmung und Speicherung von Informationen steuern (vgl. Eichhorn 1996: 81). Allerdings existieren zahlreiche Definitionen des Begriffs: Während Schemata in Anlehnung an die Kognitionspsychologie als kognitive Struktur definiert werden (vgl. Schenk 2007: 276 ff.), verstehen andere Schemata als „kognitiv-emotionale Struktur“ (Ruhrmann 1989: 81).
1.4 Überblick über relevante Forschungsarbeiten
37
hier grundsätzlich nicht als objektiv vorhandene und unveränderliche Botschaften gesehen, sondern vielmehr als vom Nutzer konstruierte Texte, die gleichwohl auf eine bestimmte, naheliegende Interpretationsweise verweisen (vgl. Fiske 1987: 65). Vor allem Studien, die sich dem britischen Ansatz der Cultural Studies zuordnen, erforschen die Rolle von Medienkommunikation für die Ausbildung einer Identität (vgl. grundlegend Hall 1980; Hall 1994a sowie als empirisches Beispiel Hobson 1982). Identitätsspezifische Aneignung geschieht immer vor dem Hintergrund von Kultur, innerhalb derer z. B. auch widerständige Lesarten kommunikativer Inhalte möglich sind und wird damit selber zu einem Element kulturellen Wandels. Mit dieser Perspektive sind Anregungen zu einem weiter gefassten Zusammenhang von Gesellschaft und Individuum gegeben. Wenngleich sich durchaus Studien in dieser Tradition finden lassen, die eine Interdependenz zwischen der Aneignung der Medien und weiteren, z. B. interpersonalen Kommunikationsprozessen zeigen (vgl. z. B. Keppler 1995), fokussieren sich doch die meisten Aneignungsstudien auf die Nachzeichnung dieser Re-Artikulationsprozesse von Kultur in Bezug auf nur ein Medium (zumeist das Fernsehen) und schränken sich auf die Phase direkt nach der Rezeption ein (vgl. Hepp 2005: 68). Um dem Anspruch, die Rolle von Kommunikation und insbesondere Medien für die monetäre Identität von Individuen im Alltagsleben zu erkunden, gerecht zu werden, leisten die o. g. Studien wertvolle Anregungen. Menschen handeln im Alltag innerhalb von bedeutungsvollen gesellschaftlichen Strukturen und sind dabei sinnstiftend tätig. Das heißt erstens, dass sie sich nicht nur auf Rezeption standardisierter Inhalte beschränken und zweitens, dass mediales Handeln wechselseitig und weitreichend mit alltäglichen Sinnbezügen verbunden ist. Nicht nur verleihen die „handlungsleitenden Themen des Alltagslebens“ dem Mediengebrauch seinen subjektiven Sinn (vgl. Weiß 2001b), die Medien wiederum sind sinnstiftend für Alltagshandlungen (vgl. z. B. Bachmair 1996). Indem sich der Mensch Dinge aneignet, ist er an der Ausbildung von Wirklichkeit beteiligt, Wissen, Ordnung und Identität entstehen durch sein Handeln. Um nun Aussagen über die Rolle von unterschiedlichen kommunikativen Situationen machen zu können, muss man also die Prozesse der Aneignung untersuchen. Medienwirkungen können dabei nur eine Etappe in einem Kreislauf sein, denn Berger und Luckmann als Externalisierung, Typisierung, Institutionalisierung und Habitualisierung hin zu einer Internalisierung usw. usf. konzipieren. Medien sind dabei als Institutionen zu begreifen (vgl. Saxer 1998), die nicht nur hinsichtlich der von ihnen gesendeten und beschriebenen Inhalte „wirken“, sondern die darüber hinaus auch eine spezifische Verfasstheit besitzen. Wenn nun Kommunikation, also die Aneignung des Wissens institutionalisiert d. h. in einer spezifischen Art und Weise organisiert und strukturiert ist, dann kann man davon ausgehen, dass die Aneignung von Wissen regelhaft und strukturiert verläuft (zu einer regelhaften Perspektive auf Kommunikation vgl. Höflich 1996). Es ist ein
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1 Einleitung
Anliegen dieser Arbeit, monetäre Wissensbestände weniger inhaltlich zu bestimmen als vielmehr Strukturen der Wissensaneignung zu suchen und damit nach der Art und Weise zu fragen, wie diese Orientierungen in kommunikativen Episoden ausgebildet, weitergegeben und angeeignet werden.
1.5
Vorgehen und Aufbau der Arbeit
Zusammenfassend liefern vor allem die kulturwissenschaftlichen und interaktionistischen Ansätze wichtige Anhaltspunkte zur Rolle von Medien für das alltägliche Handeln: Medien repräsentieren demnach gesellschaftliches Wissen und gemeinsame Deutungsschemata, die kommunikative Aneignung dieser ist kulturspezifisch und verschränkt mit anderen Aneignungsprozessen, Mediengebrauch als strukturierte Wissensaneignung ist immer im sozialen Kontext des Alltags zu sehen. Mit dieser Konkretisierung kann die Forschungsfrage nach der Ausbildung von monetärer Identität nun folgendermaßen unterteilt werden: 1. Wie kann man die Identitätsausbildung in Kommunikationen für den Bereich des Monetären konkretisieren? 2. Welche kommunikativen Institutionen sind für die Ausbildung einer monetären Identität relevant? 3. Was bedeutet es, wenn immer mehr Medien in den Prozess der Identitätsausbildung eingeschaltet sind? - Können Massenmedien den Bedarf an monetärem Wissen decken, der in einer Multioptionsgesellschaft entsteht? - Wie lässt sich das Verhältnis zwischen interpersonaler und medienvermittelter öffentlicher Kommunikation im Rahmen einer Identitätsausbildung beschreiben? - Wie kann man Formen computervermittelter Formen des Tauschs konzipieren? Sind sie für die gestellte Frage nach der Ausbildung einer monetären Identität im Rahmen kommunikativer Prozesse relevant? In einer explorativen Studie möchte ich nun versuchen, das durch vielfältige und wechselseitige kommunikative Handlungen gekennzeichnete Forschungsfeld zu erschließen und auf das alltagspraktisch relevante Feld des monetären Handelns zu beziehen. Den theoretischen Ausgangspunkt für die Arbeit, der im zweiten Kapitel dargelegt wird, bilden die phänomenologisch orientierten Arbeiten von Alfred Schütz. Zuvor soll anhand einer Analyse von Geld als sozialem Phänomen die Angemessenheit einer sozialwissenschaftlichen Analyse begründet werden. In einer auf den Annahmen von Alfred Schütz aufbauenden wissenssoziologischen Perspektive
1.5 Vorgehen und Aufbau der Arbeit
39
von Peter L. Berger und Thomas Luckmann wird dieses Verständnis um eine gesellschaftstheoretische Dimension erweitert. Es wird gezeigt, wie sich entlang von permanenten Prozessen interaktiver Objektivierung, Stabilisierung und Aneignung, die als Sozialisation zu denken ist, Wissen ausbildet. Die Charakterisierung dieses Wissens als Identität schließt sich an, ebenso eine Diskussion kommunikationstheoretischer Konzepte hinsichtlich der Rolle der Medien für die Entstehung von Identität. Weiterhin werden mögliche Verfestigungen vorgestellt, in denen identitätsrelevantes monetäres Wissen vermittelt werden kann. Solche Verfestigungen bzw. – in den Worten von Berger und Luckmann – Institutionen lassen sich sowohl für die technisch vermittelte als auch für die Face-to-Face-Kommunikation finden. Das dritte Kapitel beginnt mit einer methodologischen Herleitung der sich anschließenden empirischen Analyse. Aus den vorgestellten kommunikativen Institutionen wird mit Rahmen ein Konzept ausgewählt, welches geeignet scheint, den in Erzählsituationen rekonstruierten monetären Identitäten auf die Spur zu kommen. Dabei wird ein am Einzelfall ansetzendes Vorgehen gewählt, da – wenngleich der Gebrauch von Kommunikation nur sozial zu klären ist – sich Soziales letzten Endes im Individuellen manifestiert (vgl. Höflich 1996: 16). Nach der Darlegung der Methode werden die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt, wobei ihre Emergenz durch die sukzessive Darstellung der Untersuchungs- und Interpretationsschritte als Fallstudien und als komparative Analyse plausibel gemacht werden soll. Im vierten Kapitel schließlich werden die zentralen Ergebnisse herausgegriffen und in einen Zusammenhang zur Theorie sowie zur Debatte um Medienwirkungen gestellt. Den Abschluss der Arbeit bildet dann ein Fazit, welches zeigt, dass sowohl die Identitätsperspektive als auch ein sozialkonstruktivistischer Blickwinkel tragfähige Konzepte sind, um Kommunikationsprozesse über Monetäres in der modernen Gesellschaft zu erfassen.
2 Die Forschungsperspektive: Geldhandeln in der Dialektik von subjektiver Sinnhaftigkeit und gesellschaftlichem Wissen
2.1
Geld: eine sozialwissenschaftliche Annäherung
Da alltagspraktische monetäre Handlungen immer das Geld als Bezugspunkt haben, soll im theoretischen Teil zunächst eine Beschreibung von Geld als soziales Phänomen versucht werden. Geld wird in der Literatur zuallererst (und zumeist ausschließlich) beschrieben als neutrales ökonomisches Mittel zum Tausch, zur Zahlung und zur Wertaufbewahrung. Geldverkehr wird dabei entweder mit gesamtgesellschaftlichen, das heißt nationalökonomischen Wirkungen gleichgesetzt oder aber in einer individualistischen, konsumorientierten Perspektive analysiert. Diesen Analysen liegt eine Sichtweise auf den Menschen als „homo oeconomicus“ zugrunde, der geplant, vorhersagbar und logisch handelt und immer die aus seiner Sicht beste von zwei Alternativen wählt. In der nationalökonomischen Theorie ist Geld ein Ausdrucksmittel für Erwartungen: Haben die Menschen wenig Vertrauen in die Plausibilität ihrer Erwartungen hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung, dann werden sie ihr Vermögen sichern. Haben sie großes Vertrauen, dann kommt es zum Einsatz von Geldmitteln zur Vermögensmehrung (Investition). Genauso wenig, wie sich der Mensch erschöpfend als Homo Oeconomicus beschreiben lässt (vgl. Etzrodt 2003: 103), existiert jedoch ein durchrationalisiertes Verhältnis zum Geld. Zwar legen Begriffe wie „Budget“, „Summe“, „Finanzen“ rationale Exaktheit nahe, doch hat Geld hat nicht nur eine ökonomische Bedeutung, sondern kann, ja muss, im Sinne Simmels als eine psychologische, sittengeschichtliche und ästhetische Tatsache behandelt werden (vgl. Simmel 1989: 11). 2.1.1
Die Doppelrolle des Geldes
Georg Simmel begriff Geld nicht nur als ökonomische Tatsache, sondern sah es als das Mittel, welches sowohl Ausdruck als auch Einfluss sozialer Beziehungssysteme ist:
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2 Forschungsperspektive
„In diesem Problemkreis ist das Geld nur Mittel, Material oder Beispiel für die Darstellung der Beziehungen, die zwischen den äußerlichsten, realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Geschichte bestehen.“ (Simmel 1989: 12).
Und weiter beschreibt er es als grundlegende Form der Beziehung: „Das Geld, ein ausschließlich soziologisches, in Beschränkung auf ein Individuum ganz sinnloses Gebilde, kann irgendeine Veränderung gegen einen gegebenen Status nur als Veränderung der Verhältnisse der Individuen untereinander bewirken.“ (Simmel 1989: 189).
Er entfaltet seinen Geldbegriff also aus der Wechselwirkung, der Interaktion der Individuen; genauer gesagt, aus dem Tausch. Während in der Geschichte der Geldtheorien immer einseitig der Substanzwert betont wurde (Geld als Edelmetall), ist für Simmel nicht die körperliche Qualität des Geldes entscheidend, sondern seine „Wirkung als Gestalt sozialer Wechselwirkungen, in denen Wertrelationen ihren Ausdruck finden.“ (vgl. Reinhold 1988: 232). Indem Dinge getauscht werden, wird ihr subjektiver Wert objektiviert. Der Wert der Dinge ist keine Eigenschaft von ihnen, sondern ein Urteil über sie – und Geld ist Ausdruck der Relationen solcher Urteile. „Wenn nun der wirtschaftliche Wert der Objekte in dem gegenseitigen Verhältnis besteht, das sie, als tauschbare, eingehen, so ist das Geld also der Selbstständigkeit gelangte Ausdruck dieses Verhältnisses; es ist die Darstellung des abstrakten Vermögenswertes, in dem aus dem wirtschaftlichen Verhältnis, d. h. der Tauschbarkeit der Gegenstände, die Tatsache dieses Verhältnisses herausdifferenziert wird und jenen Gegenständen gegenüber eine begriffliche – und ihrerseits an ein sichtbares Symbol geknüpfte – Existenz gewinnt.“ (Simmel 1989: 122)
Jeder Tauschakt ist an die Bedingung geknüpft, dass sich die zu tauschenden Güter unterscheiden und wechselseitig begehrt werden. Die Partner müssen über etwas verfügen, was der jeweils andere nicht hat, aber gerne haben möchte und umgekehrt. Je komplexer und differenzierter eine Gesellschaft nun aber ist, umso unwahrscheinlicher ist damit das Eintreten einer solchen Situation. Geld macht sie möglich; es ist das einzige Gut, das gleichermaßen anerkannt und erwünscht ist und in jeden Tauschakt akzeptiert wird. Die Bedingung dafür ist, und damit grenzt Geld sich von den anderen tauschbaren Dingen ab, dass es keinen Wert außer sich selbst hat; dass es selbst unspezifisch ist: „Alle anderen Dinge haben einen bestimmten Inhalt und gelten deshalb; das Geld umgekehrt hat seinen Inhalt davon, daß es gilt, es ist das zur Substanz erstarrte Gelten; das Gelten der Dinge ohne die Dinge selbst.“ (Simmel 1989: 124)
2.1 Geld: eine sozialwissenschaftliche Annäherung
43
Damit ist Geld das herrschende Paradigma der Kultur, denn in ihm treffen die Welt der Werte und die konkreten Dinge aufeinander, was sich in der „Doppelrolle des Geldes“ (vgl. Simmel 1989: 126) manifestiert. Das Geld, mit dem wir tagtäglich umgehen, ist abstrakt, es hat ausschließlich symbolischen, auf soziale und kulturelle Praxiszusammenhänge verweisenden Charakter. Damit gehört Geld „…zu denjenigen normierenden Vorstellungen, die sich selbst unter die Norm beugen, die sie selbst sind“ (vgl. Simmel 1989: 126). Simmel entwickelte seine Geldphilosophie aus der Vorstellung einer naturalen Tauschwirtschaft heraus, in der Ware gegen Ware getauscht wird; unabhängig vom Geld, welches nachträglich nur noch die relativen Tauschwerte ausdrücken könnte (vgl. Flotow 1995: 94). Wenn aber die zeitliche Struktur einer Wirtschaft berücksichtigt wird, in der Ware gegen Geld und Geld gegen Ware getauscht wird, dann kann es nur um Geldpreise gehen, die absolute Preise sind. Eben dies begründet die Doppelrolle des Geldes, „dass es einerseits die Wertverhältnisse der austauschenden Waren untereinander misst, andererseits aber selbst in den Austausch mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende Größe darstellt“ (vgl. Simmel 1989: 126). Somit ist das Geld mehr als nur ein Messmittel. Es stellt selbst einen konkreten oder singulären Wert dar (vgl. Simmel 1989: 125). Mit diesem „absoluten Geldpreis“, an dem sich die Menschen in ihrem praktischen Handeln mit Geld orientieren (anstatt ständig die angemessenen relativen Preise zu überprüfen) ist der Grundstein für moderne Formen des Geldumgangs, wie sie auch im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, gelegt. Simmel nennt diese „Dienste des Geldes“ und beschreibt sie mit „Beständigkeit des Wertmaßes“, die „Kondensierung der Werte“, die „Verkehrserleichterung“ und die „Mobilisierung“. Die „Beständigkeit des Wertmaßes“ ermöglicht die Übertragung eines Wertes in der Zeit und erlaubt somit die zeitliche Kontinuität des Handelns in der Geldwirtschaft. Zu dieser eher stabilisierenden Wirkung kommen dynamische Wirkungen des Geldes, z. B. die Verkehrserleichterung, die darin besteht, einen Wirtschaftswert sachlich, zeitlich und räumlich übertragen zu können. In der Geldwirtschaft kommt es zu einfacherer Austauschbarkeit der Werte und somit zu mehr Wirtschaftsverkehr – ein Umstand, den die moderne Wirtschaftstheorie mit Transaktionskosten beschreibt. Durch die damit im Zusammenhang stehende Mobilisierung kommt es zu einer Steigerung der Nachfrage; der gesamte Wirtschaftsverkehr nimmt an Volumen zu; Simmel spricht von einer „Zirkulationsbeschleunigung“ (vgl. Simmel 1989: 238). Die Möglichkeit des Geldzinses schließlich führt zum Geldkapital und damit zur vierten Form, der Kondensierung. Der Geldzins spiegelt die Tatsache, dass das Geld selbst zu einem Wert wird. Durch den Zins – den Kauf eines bestimmten gegenwärtigen Geldquantums für den Preis eines versprochenen, in der Zukunft zu zahlenden Geldquantums – wird Geld somit zu einer Ware und zu einer absoluten Größe. An dieser Stelle kann Simmel theoretisch zeigen, dass größere Geldsummen mehr wert sind als kleinere. Er zieht hier einen wesentlichen weiteren Unterschied zwischen Geld und Waren: Während nach einem Kauf von Sachgü-
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2 Forschungsperspektive
tern der Bedarf gesättigt ist, führt die Akkumulation von Geld zu einer weiteren Akkumulation. Aus der Universalität des Geldes und aus der Tatsache, eine Million Euro mehr wert ist als tausend mal tausend Euro, leitet Simmel das „Superadditum des Reichtums“ (vgl. Simmel 1989: 274) ab, eine gesellschaftliche Sonderstellung, die eine Macht gegenüber weniger Begüterten ausdrückt, da sie dem Reichen grundlegende Wahlchancen in Bezug auf den sachlichen, zeitlichen und räumlichen Geldeinsatz einräumt. Damit hat Simmel die Voraussetzungen herausgearbeitet, um die Bedeutung des Geldes für den „Sozialcharakter“ einer Gesellschaft zu analysieren. Es geht ihm nicht nur um die Markierung eines einmaligen Übergangs von der Tausch- zur Geldwirtschaft, sondern um die Charakterisierung der permanent wirksamen Auswirkungen des Geldes für die Gesellschaft. Nach Simmels Auffassung sind „Verkehrserleichterung“, „Mobilisierung“ und „Kondensierung“ fortlaufende ökonomische Prozesse, durch die zunehmend mehr wirtschaftliche Transaktionen in die Geldwirtschaft hineingezogen werden (vgl. Flotow 1995: 110f.). Dabei kann Geld eben nicht nur in seinen gesellschaftlichen Auswirkungen, sondern auch in seinen Konsequenzen für Privatleute betrachtet werden: So kann Geld bereits von Simmel als Emanzipationsinstrument gesehen werden. Indem Geld den wirtschaftlichen Kosmos entpersonalisiert und objektiviert (vgl. Simmel 1989: 404), versachlicht es Beziehungen und macht sie frei von engen sozialen Bindungen, die auch soziale Zwänge bedeuten können. Die moderne Gesellschaft nun wird mit fortschreitender Monetarisierung selber geldförmig – damit meint Simmel zum einen eine Beschleunigung des gesellschaftlichen Lebens, wie sie durch die Beweglichkeit und Umschlagshäufigkeit des Geldes entsteht und zum anderen eine Gleichgültigkeit der Menschen zueinander. Gleichgültigkeit wird von Simmel in seiner zweifachen Wortbedeutung interpretiert: Geld ist seinem Besitzer gegenüber sowie den Waren, die er damit kauft, in gleichem Maße gültig; die Gesellschaftsmitglieder werden zueinander gleichgültig im emotionalen Sinn. Bindungslosigkeit und narzisstischer Sozialcharakter sind die Folgen. Entgegen der späteren Geldkritik sieht Simmel jedoch nicht allein die inhumanen Konsequenzen des Geldes, für ihn steht Geld auch für kulturellen Fortschritt, Freiheit und Individualismus. So ist die Neutralität des Geldes auch positiv: Geld macht alle gleich, interindividuelle Unterschiede werden reduziert. Schließlich betont Simmel, dass Wechselwirkung die Grundlage für Vergesellschaftung ist und leitet daraus die soziale Funktion des Geldes ab. Geldhandeln kann mit Simmel also als eine spezifische Form der Interaktion gesehen werden. Indem Simmel den Geldverkehr als etwas Gesellschaftliches (genauer: als Vergesellschaftung, vgl. Simmel 1989: 210) verortet und Gesellschaftliches aus Interaktionen bestehend, legt er den Grundstein für eine wissenssoziologische Analyse der kommunikativen Formen, die rund um das monetäre Handeln zu finden sind:
2.1 Geld: eine sozialwissenschaftliche Annäherung
45
„Wie ohne den Glauben der Menschen aneinander überhaupt die Gesellschaft auseinanderfallen würde, […] so würde ohne ihn der Geldverkehr zusammenbrechen.“ (Simmel 1989: 215)
2.1.2
Geld als Medium von Beziehungen
Talcott Parsons (1902–1979) griff Simmels zentralen Gedanken, die Konzeption des Tausches als gesellschaftliche Interaktion, auf und baute ihn aus. Für Parsons war Geld das ursprüngliche Modell, von dem aus er seine Überlegungen zur systemtheoretischen Medientheorie anstellte, die wiederum als Ausgangspunkt für Luhmann und Habermas diente. Er entwickelte die Idee der „symbolisch generalisierten Medien“ bzw. „Funktionsmedien“, die im Gegensatz zu „Verbreitungsmedien“, als Lösungen für spezifische gesellschaftliche Problemlagen dienen. Seinen Ausgangspunkt bildeten dabei die bereits von den frühen ökonomischen Klassikern dargestellten Funktionen, die das Geld zunächst wahrnimmt: x Geld ist Tauschmittel, das einen Tauschwert, aber keinen Gebrauchswert hat. x Geld dient als Wertmaßstab, weil es Güter und Dienstleistungen vergleichbar macht. x Geld dient als Wertaufbewahrungsmittel. Geld institutionalisiert darüber hinaus aber auch Erwartungen und Verpflichtungen; es stellt somit einen Vertrag zwischen Tauschpartnern dar und ist als Mechanismus zur Steuerung von Interaktionen zu sehen (vgl. Jensen 1980; Buß 1985: 83). In diesem systemischen Sinne ist es ein Kommunikationsmittel zwischen Tauschbereitschaften und Tauschfähigkeiten. Aus diesem Grunde ist Geld für Parsons neben Macht das zentrale gesellschaftliche Interaktionsmedium und damit eines der „symbolisch generalisierten“ Medien wie Liebe, Recht und Wahrheit, die sich zum einen durch eine spezifische Sinnbedeutung und eine Wirkungsweise, die durch Austauschvorgänge beschrieben wird, auszeichnen (vgl. Parsons 2000). Symbolisch deshalb, weil die Handlungskoordination mit dem Einsatz von Geld universal ist, also über Einzelkommunikation hinausgeht und damit die Wahrscheinlichkeit der Vermittlung erhöht wird. Symbolisch generalisierte Medien reduzieren die Komplexität und entlasten den Kommunikationsprozess. Der reibungslose Austausch von Geld gegen Ware ist an die Ausbildung hinreichend starken „commitments“ bei den Tauschpartnern gebunden (vgl. Jensen 1980: 150). Das heißt, dass bestimmte Handlungsweisen festgelegt sind: Jede Ware hat ihren Preis, dieser muss bezahlt werden. Geld repräsentiert – ähnlich wie bei Simmel – als symbolisches Medium den ökonomischen Nutzen der Waren, für die es eingetauscht werden kann und fungiert damit als Vermittler des instrumentellen Nutzens von Gütern und Dienstleistungen. Es verlagert die Aufmerksamkeit von der
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2 Forschungsperspektive
verbrauchsbezogenen und unmittelbaren Bedeutung dieser Objekte auf ihre instrumentelle Bedeutung als potenzielle Mittel für weiter entfernte Ziele (vgl. Jensen 1980). Indem es gleichzeitig Tauschmittel und Wertsymbol ist, führt es öffentliche und private Interessen zusammen. Den zentralen Punkt Parsons, konsequent Handlung als Tauschhandlung und als Kommunikation ausgelegt zu haben und die daraus folgende Sichtweise auf Geld als ein Medium greift auch Ganßmann auf, wenn er Ähnlichkeiten zwischen Geld und Sprache konstatiert und darüber eine Kritik am Ansatz Parsons’ formuliert. Zwar sind beides Regelsysteme, anders als Sprache jedoch kann man das Geld nicht selbst thematisieren. Über Sprache kann man sprechen, aber will man das Regelsystem Geld thematisieren, benötigt man dazu auch die Sprache (vgl. Ganßmann 2002). Warum dann benutzen Menschen überhaupt Geld, wenn beides dem Anzeigen von Intentionen dient, aber Sprache das universellere Medium ist? Der Grund liegt darin, dass Geld eine dingliche Qualität hat: Man kann es nicht nur tauschen, sondern auch besitzen. Geld ist auch ein Mittel der Produktion, der Bedürfnisbefriedigung, Geld ist ein Disziplinierungsmittel (illustriert zum Beispiel durch die Drohung, dass mit der Aufhebung des Arbeitsvertrages der Ausschluss vom Wirtschaftsleben erfolgt). Geld ist also ein Mittel der Ausübung von Macht und Herrschaft. Man zeigt nicht nur Intentionen an, man kann seine Handlungen mit denen der anderen koordinieren, in dem man ihnen etwas zum Tausch anbietet. Etwas was – in ähnlicherweise wie die symbolisch generalisierten Medien Parsons Wahrheit, Liebe, Recht – seinen ganz eigenen Wert hat. Mit der Definition als Bedeutungsaustausch ist das Phänomen Geld also nicht ganz zu fassen, wohl aber in Kombination mit der Definition als Macht- und Koordinationsmittel. Zwar gibt es eine rein symbolisch-kommunikative Eigenschaft des Geldes, die darauf beruht, dass sie eine Verbindlichkeit zwischen den Handelnden erzeugt, und zwar dergestalt, als dass der Tausch Geld gegen Ware als verfestigte Handlungsform und damit als Institution im Sinne Bergers und Luckmanns anzusehen ist (vgl. Berger/Luckmann 2007: 46ff.). Dieses setzt eine gemeinsame Verständlichkeit des Zeichens Geld voraus, aber auch eine normative Bindung an gesellschaftliche Institutionen wie Schulden, Eigentum, Besitz und – wie bei Simmel mit dem „Superadditum des Reichtums“ bereits angelegt wurde – letztendlich auch Macht, die mehr ist als der Besitz einer zahlenmäßigen Menge Geld. So kommt Ganßmann in Abgrenzung zu Parsons zu dem Schluss: „Geld als symbolisch generalisiertes Medium der Kommunikation zu sehen, bedeutet seine Verharmlosung.“ (Ganßmann 1986: 7). Ganßmann vergleicht diese Konstellation mit einem Bauer in einem Schachspiel: Der Bauer steht für nichts, er hat keine Bedeutung an sich, aber er ist auch nicht nur aus Holz geschnitzt. Was er ist, wird durch die Regeln des Spiels bestimmt; was Ganßmann zur Ableitung der Metapher „Geldspiel“ für das Handeln mit Geld veranlasst. Auch Reinhold widerspricht Parsons Sichtweise von Geld als generalisiertem Medium, indem er es als Hilfsmittel zur Verwirkli-
2.1 Geld: eine sozialwissenschaftliche Annäherung
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chung von Handlungspotenzialen und damit auch zur Machtausübung beschreibt (vgl. Reinhold 1988). 2.1.3
Kulturen des Umgangs mit Geld
Wie die Analysen von Simmel und Parsons zeigen, ist Geld weit mehr als das Medium eines versachlichten, wirtschaftlichen Austausches: „Sein Gebrauch ist vielmehr in den Rahmen unmittelbarer und mittelbarer sozialer Beziehungen eingelagert, die den ökonomischen Austausch als praktische Handlungsform sowohl ermöglichen als auch selbst durch Geld strukturiert werden. In diesem Zusammenhang können dem Umgang mit Geld etwa über den formalen Akt des Bezahlens hinaus andere subjektiv sinnhafte Bedeutungen unterlegt sein …“ (Hirseland 1999: 102).
Dabei kann diese soziologische Sichtweise auf das Phänomen Geld nun weiterhin um eine dritte, kulturwissenschaftliche und ethnologische Perspektive ergänzt werden. Anhand des Umstandes, dass in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen Tauschhandlungen und damit verbundene Phänomene mit differierenden Bedeutungen belegt sind, deren Kenntnis einem erst die Teilhabe an diesen Gesellschaften ermöglicht, zeigt sich die Berechtigung einer Sichtweise, die Geld als etwas konzipiert, welches erst im sozialen Gebrauch zu seiner Bedeutung gelangt und deswegen auch als soziales Gebilde analysiert werden muss (vgl. Mauss 1997; Blau 1964; Appadurai 1986). So weisen beispielsweise die Anthropologen Parry und Bloch nach, dass Systeme des Austauschs kulturell konstruiert sind; sie diskutieren kulturelle Unterschiede im Denken und Reden über sowie im Gebrauch von Geld. „The focus then is on the range of cultural meanings which surround monetary transactions, and not the kinds of problems of monetary theory which have conventionally preoccupied the economist“ (Parry/Bloch 1989: 1)
Parry und Bloch widersprechen teilweise Simmels Theorie, wonach Geld als einziggültiger Wertmaßstab die „moralische Ordnung“ der Dinge bestimmt und damit die sozialen Beziehungen der Menschen verändert. Simmel argumentiert ja, dass Geld die menschlichen Beziehungen rationalisierte, indem es die bis zum Aufkommen des Geldes vorherrschende Form des sozialen Austauschs, der auf Emotionen und phantasievollem Denken gegründet war, zu einer Beziehung verändert, die auf Kalkulation und Wertberechnung gegründet war. Parry und Bloch stellen anthropologische Studien dagegen, die zeigen, dass es durchaus kulturelle Variationen im Denken und Reden über sowie im Austausch von Geld gibt. So beschreiben sie das Beispiel malaiischer Fischer, in deren Kultur es Frauen als Repräsentant der inneren, reinen Welt des Haushalts verboten ist, direkt am Geld-Waren-Tausch
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2 Forschungsperspektive
teilzunehmen: Hier nehmen die Männer Geld entgegen, geben es den Frauen, diese kochen es und verwandeln es damit in sicheres, reines und den Haushalt nährendes Geld. Der Haushalt als Platz moralischer Beziehungen ist durch diese Praktik entkoppelt vom subversiven und bedrohlichen Geldaustauschsystem. Bei den Tiv, einer ethnischen Gruppe aus Nordnigeria, ist der Kauf und Verkauf von Land durch Geld nicht möglich. Ein weiteres Beispiel komplexer Geldkulturen, die auf eine bestimmte Art und Weise den Umgang mit Geld regeln, ist die christliche Religion, die Verachtung von Besitz predigte und Armut heiligte, woraus die Ablehnung der Akkumulation von Geld vor allem in religiös geprägten Zeitabschnitten mitteleuropäischer Geschichte entstand (vgl. Lindgren 1999: 62). Indem die Schriften des Christentums prophezeiten „Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in Gottes neue Welt“ (Matthäus 19:24), verurteilte es den Geldbesitz als moralisch verwerflich und verstand sich als eine Religion der Armen. Dies hatte nun durchaus eine Folge für die Politik: Besitztümer und Reichtümer wurden, wenn neue Gebiete erobert wurden oder ein Herrschaftswechsel anstand, zerstört statt umverteilt. Lindgren führt das dunkle Mittelalter und seine Armut auf diese Wertvorstellung und die damit legitimierte Zerstörung von Reichtum zurück. So zerfiel das Geldsystem, welches das Römische Reich aufgebaut hatte, unter der Herrschaft der christlichen Kirche und entwickelte sich sehr langsam wieder neu. Im Gegensatz dazu war das prosperierende Byzantinische Reich daran interessiert, aktiv Wirtschaftsprogramme zu entwickeln. Im christlich geprägten Mitteleuropa dagegen war das Verleihen von Geld eine Sünde und nur einer Gruppe lombardischer Kaufmänner und Juden vorbehalten. Während große Teile der Bevölkerung hier jahrhundertelang kaum mit Geld in Kontakt kamen, bildeten erst die Königshäuser langsam wieder staatliche Geldsysteme aus. Diese Beispiele zeigen, dass Systeme von Produktion und Austausch von Gütern kulturell konstruiert sind. Anstatt als „Geldsystem“ eine allübergreifende Logik zu implementieren, können Geld und die damit verbunden Praktiken je nach bestehendem kulturellen System verschiedene Bedeutungen und Funktionen annehmen. Indem der Tausch und das Geld als „soziologisches Gebilde sui generis“ (vgl. Simmel 1989: 89) charakterisiert wurde, lässt sich daher fragen, welche Regeln und Routinen im Umgang mit Geld in Abhängigkeit von sozialen Kontexten bestehen, von welchen Werthaltungen und Deutungsmuster die Mitglieder dieser Kontexte ausgehen. Weiterhin erscheint es wichtig, in eine private und öffentliche Geldkultur zu unterscheiden, wie dies Hoffmann tut (vgl. Hoffmann 1998: 25). Zwar ist Geld ist in erster Linie ein öffentliches Gut, welches aber die für öffentliche Güter atypische Eigenschaft aufweist, sich in privates Eigentum der jeweiligen Geldbesitzer zu verwandeln, sobald es in den Umlauf gerät (vgl. Hirseland 1999: 30). Nur der private Charakter des Geldes ermöglicht die individuelle Akkumulation von Geld, welches angeeignet und gehortet, d. h. dem allgemeinen Austausch entzogen werden kann.
2.2 Eine handlungstheoretische Perspektive
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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlief die Kindheit der meisten nahezu geldlos und der Erwachsenenstatus war geprägt von sehr begrenzten Mitteln. Wie im Einleitungskapitel beschrieben wurde, hat sich das heute geändert, doch dadurch entstehen andere Spannungen zwischen öffentlicher und privater Geldkultur: So stehen die Instanzen des Massenkonsums, die die Jugendlichen als Verbraucher entdeckt haben, auf Kollisionskurs mit den pädagogischen Idealen der Eltern (vgl. Hoffmann 1998: 27). Während die öffentliche Sphäre der Geldkultur „im Kern geschichtslos“ (vgl. Hoffmann 1998: 28) ist, überdauern in der privaten Geldkultur viele Geschichtsreferenzen: So wird altes „Ostgeld“ aufgehoben, die Vorliebe für Bargeld überlebt in Generationen hinein, in denen es auf öffentlicher Ebene eine weitreichende Buchgeldzentrierung gibt, in vielen Haushalten findet sich noch ein Sparstrumpf etc. Dabei findet eine gegenseitige Beeinflussung von öffentlicher und privater Geldkultur statt: So hat die jahrzehntelang bis 1991 anhaltende Hyperinflation in Argentinien dergestalt auf die private Geldkultur eingewirkt, als dass es dort kaum mehr die uns bekannten Formen des Sparens gibt. Als Folge der Inflation verbreiteten sich dort vielmehr Sparvereine, die aus den kleinen Einzahlungen ihrer Mitglieder eine Ware, z. B. ein Auto, kauften und es anschließend verlosten (vgl. Hoffmann 1998: 31). In Deutschland dagegen führen Ökonomen die mangelnde Ertragskraft der Altersvorsorge auf eine traditionell hohe Sparrate der Deutschen zurück, die anderen Formen der Geldanlage wenig Vertrauen schenken. Auch die kulturwissenschaftliche Perspektive macht deutlich, dass der geldvermittelte Tausch gleichzeitig soziale, ökonomische, moralische, ästhetische und religiöse Dimensionen umfasst. Die Art, wie in einer Gesellschaft mit Geld umgegangen wird, hat Auswirkungen auf Vorstellungen von der eigenen Person, von der Gemeinschaft und auf die Ausformung von Reziprozität in Gemeinschaft. Das Wissen über Geld bzw. die verschiedenen Formen, Bedingungen und Tabus des Tausches sind individuell wichtig und entstehen in einem Vermittlungsprozess zwischen öffentlicher und privater Sphäre.
2.2
Eine handlungstheoretische Perspektive
Während Simmel und Parsons Geld vor allem in seiner Bedeutung für die Gesellschaft ausloten, ist Geldhandeln zunächst immer das Geldhandeln des Einzelnen. Deswegen soll an dieser Stelle zunächst mit der Phänomenologie Alfred Schütz’ ein am individuellen Handeln ansetzender Zugang geschaffen werden, bevor im Kapitel 2.3 mit den auf Schütz aufbauenden Überlegungen von Peter Berger und Thomas Luckmann eine Sichtweise vorgestellt wird, die Individuum und Gesellschaft durch die beiden zentralen Begriffe des Wissens und des Handelns ver-
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2 Forschungsperspektive
knüpft und damit einen Verständnisrahmen für die Entstehung subjektiven monetären Wissens in seiner gesellschaftlichen Eingebundenheit schafft. Ein phänomenologisches handlungstheoretisches Menschenbild sieht – im Gegensatz etwa zu strukturtheoretischen Ansätzen – den Menschen als aktiv, d. h. er reagiert nicht auf objektive Gegebenheiten bzw. verhält sich in Relation zu ihnen, sondern er agiert. Ausgangspunkt für eine phänomenologische handlungstheoretische Perspektive, die den Menschen in das Zentrum der Betrachtung rückt, ist die Überlegung, dass man soziale Phänomene wie soziale Institutionen, Werkzeuge, Sprachsysteme und Symbole nur erklären kann, wenn man individuelles Handeln versteht, da soziale Institutionen die Summe von einzelnen Handlungen sind.8 Die Verwendung des Handlungsbegriffes wurde maßgeblich von Max Weber geprägt: „‘Handeln‘ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“ (Weber 1972: 3)
Handeln, und damit auch monetäres Handeln, bezieht sich also immer auf einen zugrundeliegenden Sinn. Die phänomenologische Soziologie von Alfred Schütz hat es sich zum Ziel gesetzt, die Frage nach der Entstehung dieser Sinnhaftigkeit zu beantworten. In dieser Erkenntnisperspektive unterscheidet sich die phänomenologische Handlungstheorie von einer anderen weit verbreiteten Auslegung des handlungstheoretischen Paradigmas; nämlich den Theorien der rationalen Entscheidung bzw. Rational-Choice-Theorien. Diese beschreiben Handlungen vor allem als beste Wahl der Mittel zur Zielerreichung und konkret als Nutzenmaximierungsprinzip, das bei dieser Wahl zum Einsatz kommt.9 Während diese individualistisch ausgerichtete Lesart von Handlungstheorien menschliches Handeln durch Motive als Bezugsproblem erklären will, betrachten interpretative Ansätze wie Schütz das Problem der Konstitution menschlichen Handelns in einer durch soziale Beziehungen konstituierten Welt. Während für die individualistischen Ansätze der Mensch letzten Endes doch ein reagierender ist (er wurde vor eine Wahlmöglichkeit gestellt), verhält er sich aus der interpretativen Perspektive als autonomes Individuum, welches durch Definition und Interpretation einer Situation diese erst herstellt (vgl. Treibel 2000: 113). Handlungen werden – wie es in den folgenden Kapiteln noch genauer erklärt wird – aufgrund von Assoziationen auf bekannte Typen getätigt und nicht, wie es bei der Rational-Choice-Theorie der Fall ist, als Entschei8
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Schütz kritisiert damit die objektivistische Handlungstheorie Parsons, der Handeln als Anpassung an Institutionen und die damit verbundenen Rollenmuster und Werthaltungen konzipiert und damit als Strukturalist bezeichnet werden kann. Vgl. dazu die Darstellungen der jeweiligen Ansätze bei Schneider 2000; Miebach 2006 und Treibel 2000. Zu verschieden weit gefassten Definitionen von Rationalität siehe Etzrodt 2003: 15
2.2 Eine handlungstheoretische Perspektive
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dungsproblem über die effizienteste Alternative. Damit ist auch zweckrationales Handeln i. S. von Schütz an der Tauglichkeit von Mitteln zum Erreichen von Zwecken orientiert, zielt aber letzen Endes auf die Möglichkeit des intersubjektiven Verstehens als Voraussetzung zum Erreichen dieser Zwecke.10 Schütz greift den Handlungsbegriff von Weber auf und grenzt soziales Handeln vom bloßen Handeln auf eine „dingliche Gegenständlichkeit“ hin ab. Interpretativen Ansätzen der Handlungstheorie wie dem Symbolischen Interaktionismus (Mead, Blumer) und der phänomenologischen Handlungstheorie nach Schütz liegt der Gedanke zugrunde, dass der Handelnde aufgrund der Bedeutung handelt, die die Dinge für ihn besitzen. Da die Welt des handelnden Menschen grundsätzlich eine mit anderen geteilte Welt ist, geht Schütz davon aus, dass die Sinnhaftigkeit der sozialen Wirklichkeit nur über eine Deutung dieses auf andere bezogenen Sinns des Handelns Einzelner erschlossen werden kann, mit anderen Worten: Sinn konstituiert sich aus der Handlung selbst. Dem Grundgedanken folgend, dass Sinn das Handeln leitet und ein Verhalten erst als Handeln auszeichnet (vgl. Knoblauch 2005: 142), hat Schütz mit seinem Ansatz Grundrisse einer Theorie der sozialen Erfahrung und der Struktur einer sozialen, also mit anderen geteilten Welt gezeichnet, die im Folgenden kurz nachgezeichnet werden sollen. Dabei interessiert vor allem die Frage danach, wie – wenn alles Handeln auf individuelle Bedeutungszuweisung zurückzuführen ist – eine überindividuelle Verständigung und damit auch die Vermittlung von Wissen möglich ist. 2.2.1
Alltagshandeln
Gemäß Schütz ist das Handeln im Alltag pragmatisch motiviert und auf die Lösung aktueller Handlungsprobleme ausgerichtet. Alltagshandeln ist nicht orientiert auf ein vollständiges Hinterfragen und Reflektieren von Sachverhalten, sondern auf die zielgerichtete Bewältigung einer Situation. Dabei ist ein Großteil alltäglichen Handelns Routinehandeln, welches in Übereinstimmung mit dem „AlltagsweltWissen“ also unproblematisch und unreflektiert geschieht. Bei problematischen Elementen einer Situation wird auf kulturell erlernte Bedeutungen, den „sozialen Wissensvorrat“ zurückgegriffen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 242f.). Ein Problem 10 Anders ausgedrückt: Das Verstehen von Handlungen gilt für Rational-Choice-Anhänger nicht als Problem, die sinnhafte Konstitution von Handlungen ist vorausgesetzt. Das Problem der Intersubjektivität wird als gelöst unterstellt (vgl. Schneider 2000: 401). Damit existieren zwar eine ganze Reihe von Ansätzen, die Handeln als Wahl zwischen zwei bzw. mehreren Alternativen erklären, das Problem, wie diese Alternativen überhaupt erst zu Möglichkeiten wurden, wurde jedoch nur unzureichend erklärt. Zudem ist eine echte Wahl im wirklichen Leben selten, wie selbst Vertreter der Rational-Choice-Theorie konstatieren (vgl. Esser 1991).
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2 Forschungsperspektive
entsteht immer dann, wenn eine aktuelle Erfahrung nicht in den Wissensvorrat hineinpasst (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 169f.) bzw. wenn der Handelnde zwischen verschiedenen Handlungsentwürfen wählen muss. Dann werden in einem Prozess interner Reflexion vor dem Hintergrund bereits vorhandener „Rezepte“ und eigener Ziele problemadäquate Handlungen entworfen. Im Allgemeinen jedoch läuft Alltagshandeln routinisiert und gewohnheitsmäßig ab. Mit einer Auslotung des Alltagsbegriffs lässt sich zunächst ein weiterer Bezugspunkt der Analyse abstecken. Alfred Schütz, der diesen als zentrales Element in die soziologische Analyse eingeführt hat, greift dabei zunächst auf den Lebensweltbegriff Husserls zurück. Dieser sieht die Lebenswelt als Korrelat zwischen objektiver Welt und Subjektivität und damit in einer phänomenologischen Betrachtungsweise. Der Alltag ist nach Schütz als „ausgezeichnete Wirklichkeit“ zu verstehen, als fraglos gegebene und selbstverständlich hingenommene Umwelt; als Erfahrungsraum des Individuums, in der jeder Mensch lebt, denkt, handelt und sich mit anderen verständigt (vgl. Schütz 1971b: 267). Dabei geht es – siehe oben – um eine pragmatische Bewältigung von Handlungssituationen und nicht um ein „letztgültiges Ergründen und Hinterfragen von Sachverhalten“ (vgl. Hennen 1992: 123). Somit ist diese „alltägliche Lebenswirklichkeit“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 69) in ihrem Erlebensmodus abzugrenzen bspw. von der Welt der Wissenschaft oder auch von der Welt des Traumes. Schütz führt dieses Konzept der Lebenswelt als erster Soziologe mit dem Handlungsbegriff zusammen: Lebenswelt muss im Tun bewältigt werden (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 447). Somit ist der Alltag zweierlei: einmal eine intersubjektive Kulturwelt, in der alle Tatsachen immer schon interpretierte Tatsachen sind, die auf Sinnzusammenhänge und Deutungsmuster verweisen, die Erfahrung und Handeln in der alltäglichen Welt ermöglichen und zum zweiten eine zu gestaltende Welt, in der durch Handlungen Strukturen und Symbole geschaffen werden. „Vor allem für die Lebenswelt des Alltags gilt, daß wir in sie handelnd eingreifen und sie durch unser Tun verändern. Der Alltag ist jener Bereich der Wirklichkeit, in dem uns natürliche und gesellschaftliche Gegebenheiten als die Bedingung unseres Lebens unmittelbar begegnen, als Vorgegebenheiten, mit denen wir fertig zu werden versuchen müssen. Wir müssen in der Lebenswelt des Alltags handeln, wenn wir uns am Leben erhalten wollen. Wir erfahren den Alltag wesensmäßig als den Bereich menschlicher Praxis.“ (Schütz/Luckmann 2003: 447)
Schütz und Luckmann gliedern die Lebenswelt des Alltags in verschiedene räumliche, zeitliche und soziale Strukturen. Hinsichtlich der räumlichen bzw. sachlichen Strukturen lassen sich verschiedene Zonen der Reichweite ausmachen: die der aktuellen und die der potenziellen Reichweite, die sich wiederum in die Welt der wieder herstellbaren und der erlangbaren Reichweite teilt. Zeitlich gesehen ist die Lebenswelt in die Dimensionen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft gegliedert. Sozial gliedert sich die Lebenswelt nach Mitmenschen (soziale
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2.2 Eine handlungstheoretische Perspektive
Umwelt), Nebenmenschen (soziale Mitwelt) und Vorfahren (soziale Vorwelt). Die jeweilige Dimension hat Auswirkungen auf den Grad von Intimität und Anonymität, Fremdheit und Vertrautheit, mit der die anderen wahrgenommen werden. Schütz und Luckmann unterscheiden zwei grundsätzliche Erfahrungsmodi: die Erfassung des Anderen als „Mitmensch“ in der so bezeichneten „Wir-Einstellung“ und die Erfahrung des Anderen als Zeitgenosse in der „Ihr-Einstellung“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 110ff.). Menschen, die im Erfahrungsmodus der „IhrEinstellung“ wahrgenommen werden, werden vor allem in ihrer sozialen Rolle wahrgenommen. Das Verstehen von Handlungen einer solchen Person richtet sich auf typische Verhaltensweisen als typische Gesellschaftsmitglieder und nicht auf das Denken eines bestimmten, einzigartigen Individuums. Zeitliche Ausprägung
Räumliche Ausprägung
Vergangenheit
Aktuelle Reichweite
Soziale Ausprägung Vorwelt
Gegenwart Zukunft
Wiederherstellbare Reichweite Erlangbare Reichweite
Mitwelt Umwelt
Tabelle 1: Strukturen der Lebenswelt, in Anlehnung an Schütz/Luckmann 2003: 69ff.
Mit dieser Einteilung lassen sich nun die eingangs genannten Merkmale von subjektivem Geldhandeln ordnen: Geldhandeln ist in zeitlicher Hinsicht ein gegenwärtiges Handeln, dass sich an erinnertem Handeln orientiert und eine Erwartung an die Zukunft ausdrückt. Es weist damit Verbindungen zur sozialen Vorwelt auf, indem es auf historisch geprägte Bedeutungen Bezug nimmt, es geschieht in einer sozialen Umwelt (z. B. in einer Familie) und einer sozialen Mitwelt (z. B. gegenüber dem Bankberater). In der aktuellen Reichweite liegen diejenigen Geldhandlungen, die der unmittelbaren Erfahrung zugänglich sind, d. h. auf die der Handelnde unmittelbar einwirken kann. Dabei gehören zu dieser „manipulativen Wirkzone“ sowohl Bereiche, die ohne als auch solche, die nur mit technischen Hilfsmitteln erreichbar sind (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 77, 79f.), d. h. durch Technologien wie das Online-Banking erweitert sich die Wirkzone und die Reichweite der Erfahrung. Allerdings ist in Bezug auf diese sekundäre Wirkzone zu unterscheiden zwischen dem in einer Gesellschaft verfügbaren technologischen Wissensstand zur möglichen Ausdehnung dieses Bereichs und der von einem Handelnden täglich tatsächlich erreichten Ausdehnung (vgl. Werlen 1997: 295). Wenn man von der Aneignung monetären Wissens redet, spricht man also immer auch vom Wissen über Praktiken, welches die Erreichbarkeit sekundärer Wirkzonen garantiert bzw. zur selbstverständlichen, gelegentlichen oder nur in Ausnahmefällen zugelassenen Erfahrung macht. Damit kann man die Strukturen der Lebenswelt weiterhin als Regionen kommunikativer Zugänglichkeit auffassen (vgl. Schützeichel 2004: 142) bzw. medientheoretisch zuspitzen, indem man drei mögliche Kontexte von kom-
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2 Forschungsperspektive
munikativen Handlungen unterscheidet: (1) unmittelbare Interaktionskontexte der Face-to-Face-Interaktion (sehr dichte non-verbale und verbale Kommunikation), (2) mediatisierte Kontexte (kommunikative Handlungen können durch technische Apparaturen wie das Telefon oder den Anrufbeantworter zeitlich und räumlich verteilt werden und (3) gesellschaftliche Kontexte, die durch die in einer Kommunikation verwendeten Symbole konstituiert werden (vgl. Knoblauch 1995). Auch hinsichtlich der Welt der erlangbaren Reichweite stellt sich die Zugänglichkeitsfrage, sind die Chancen darauf doch nach „subjektiven Wahrscheinlichkeitsstufen als auch nach physischen, technischen usw. Vermögensgraden gegliedert. Zu letzteren gehört meine [des Handelnden, P.K.] Stellung in einer bestimmten Zeit und Gesellschaft.“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 73f.; Hervorh. im Original), Neben dieser sozialen Fragestellung ist mit der Mittel- bzw. Unmittelbarkeit von lebensweltlichen Strukturen auch die Sicherheit eines Wissensbestandes angesprochen: Während unmittelbare Geldhandlungen wie z. B. das Bezahlen an der Supermarktkasse von einem hohen Gewissheitsgrad sind, da sie zum aktuellen Handlungsbestand gehören und darüber hinaus die Möglichkeit der Vergewisserung beim Interaktionspartner bieten, erscheint es plausibel, dass internetbasierte Transaktionen wie auch das Wissen von institutionellen Wirklichkeiten des Geldverkehrs (z. B. die Kapitalmärkte) durch eine mehr oder weniger vage Einstellung gekennzeichnet sind. Jeder Handelnde verfügt mit den Strukturen der Lebenswelt des Alltags also über Strukturen zur praktischen (und nicht etwa religiösen oder theoretischen) Bewältigung und Konstitution der Realität (und nicht etwa eines anderes geschlossenen Sinngebietes wie dem Traum, der Religion, der Wissenschaft). Dieses System, welches sich im „subjektiven Wissensvorrat“ des Individuums niederschlägt, hat sich im Verlauf der Biografie aufgebaut und ist durch neue Erfahrungen veränderbar. Laut Schütz gibt es nun zwei wesentliche Mechanismen zur Bewältigung der Lebenswelt durch das Handeln: Relevanz und Typik. 2.2.2
Prinzipien des Handelns
Relevanzstrukturen steuern den Wissenserwerb und die Erfahrung; sie strukturieren den Wissensvorrat und damit das Handeln in der Lebenswelt des Alltags. Es gibt drei Arten von Relevanzstrukturen, also Arten, sich Dingen zuzuwenden, die auf das engste miteinander verbunden sind: „Relevanzstrukturen sind biographisch angeeignete und teils situativ auferlegte Selektionskriterien der Erfahrung. Sie bestehen aus Einstellungen und Plänen („motivationale Relevanzen“), subjektiv bedeutsamen Themen („thematische Relevanzen“) und Deutungsmustern („interpretative Relevanzen“), die eine subjektiv bedeutsame Beziehung herstellen zwischen den aktuellen Erfahrungen und den Elementen des Wissensvorrates.“ (Hennen 1992: 124f.)
2.2 Eine handlungstheoretische Perspektive
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Zunächst kommt Relevanz in der Ausbildung eines auslegebedürftigen Problems zum Tragen: Was ist relevant? Warum interessieren sich Menschen für das, für was sie sich interessieren? Warum ziehen bestimmte Dinge die Aufmerksamkeit auf sich? Schütz nennt hier zwei Hauptformen: die auferlegte, erzwungene thematische Relevanz, wie sie zum Beispiel entsteht, wenn Unvertrautes im Rahmen von Vertrautem auftaucht oder Aufmerksamkeit durch eine andere Person, also sozial erzwungen wird und freiwillige Zuwendung zu einem Problem, also motivierte thematische Relevanz. Etwas wird relevant, wenn es routinemäßig nicht mehr zu bewältigen ist. Als Interpretationsrelevanz dagegen bezeichnet Schütz die Art, mit der sich ein Individuum mit einem einmal thematisierten Problem beschäftigt. Interpretationsrelevanzen sind eine Funktion des Wissensvorrates, also damit der Biografie des einzelnen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 279) und seiner Mitwelt. Die Elemente des Problems werden dabei entweder routinemäßig (wenn sich das Thema annähernd mit Wissen deckt) oder motiviert ausgelegt. Diese Deckung ist ein komplexer Vorgang: Eine Interpretation wird dann beendet, wenn ausreichende Glaubwürdigkeit vorhanden ist, sie wird erst widerrufen, wenn sich thematische Relevanzen ändern („ich mache keine Gewinne mehr, sondern Verluste – die Börse ist nicht ungefährlich“). Motivierte Auslegungsakte sind immer von der jeweiligen Situation, dem aktuellen Thema, dem Wissensstand und der Anordnung der Schemata in ihrem Verhältnis zueinander abhängig. Wenn die Entscheidung über die Auslegung des Themas für die Zukunft des Handelnden wichtig ist, spricht Schütz von der Motivationsrelevanz. Für ihn ist es eine dritte Relevanzstruktur, da sie darüber entscheidet, ob jemand, der aufgrund seines Wissensvorrates zu zwei glaubwürdigen Interpretationen einer thematisch relevanten Situationen gekommen ist, seine Auslegung fortsetzt. Wenn ein Thema Motivationsrelevanz hat, wird man zusätzliches interpretativ relevantes Material erwerben. Motivationsrelevanzen beeinflussen in der Form von Einstellungen die anfängliche Bestimmung der Situation und lenken danach die Aufmerksamkeit (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 306). Motivationsrelevanz setzt das Verhalten in der aktuellen Situation in Sinnbezug zu Lebensplänen und Tagesplänen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 288). Wenn etwas thematische Relevanz hat, hat es automatisch auch Interpretationsrelevanz, aber nicht notwendigerweise auch Motivationsrelevanz. Geldhandeln hat jedoch immer Motivationsrelevanz: Sein Einsatz zeigt innere Zuständlichkeiten, ist zum Beispiel durch Emotionen oder zumindest Bedürfnisdispositionen bestimmt, die sich im Geld als Symbolik externalisieren. Indem man Geld einsetzt, hat man bestimmte Erwartungen, z. B. Gewinnerwartungen oder das Streben nach Sicherheit. Geldhandlungen liegt damit ein spezifisches Handlungskalkül zugrunde. Gerade vor dem Hintergrund von auf sich selbst bezogenem Geldhandeln, wie es zum Beispiel der Einsatz von Geld an der Börse mit dem Ziel, Rendite zu erwirtschaf-
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2 Forschungsperspektive
ten, ist Simmels Gedanke relevant, wonach die Motivation oft nicht der Genuss des eingetauschten Gutes ist (weil die Fähigkeit, zu genießen, individuell begrenzt ist), sondern das Streben nach Geld selbst. Geld wird so zu „einem das praktische Bewusstsein ganz ausfüllenden Endzweck“ (vgl. Simmel 1989: 298). Alle drei Relevanzstrukturen sind eng verflochten, keine hat Priorität, keine kommt in der Reihenfolge „zuerst“ vor (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 312). Jeder Interpretation, jedem „Gebrauch von Wissen“ gehen bestimmte Thematisierungen voraus, bzw. gehen damit einher, im Abbruch von Sinnzuweisungsprozessen wiederum zeigt sich die Verbundenheit von Motivations- und Interpretationsrelevanz. An dieser grundlegenden Bedeutung, die den Relevanzstrukturen zukommt, wird deutlich, dass die individuelle Perspektive der Schützschen Handlungstheorie ihr Augenmerk zugleich auf die Eingebundenheit des individuellen Handelns in soziale und kulturelle Handlungskontexte legt. Auch das monetäre Handeln ist damit ein in der Verknüpfung zwischen Jetzt und Biografie, zwischen Umwelt und Mitwelt entstandenes Handeln. So übernimmt ein Kind im Laufe seiner Sozialisation bestimmte Relevanzen von seinen Eltern (z. B. den Geiz des Vaters) und baut sie in seine Lebensentwürfe und Deutungen monetären Handelns ein oder bezieht zu ihnen Stellung, indem es sich bewusst von ihnen abgrenzt. Die Relevanzstrukturen bestimmen, wann, warum, welche Deutungsmuster aktiviert werden. Wie diese aussehen, erklärt Schütz durch das zweite Prinzip zur Bewältigung des Alltags: Typisierungen. Im Wissensvorrat eines Menschen sind früher erfahrene Gegenstände, Personen, Eigenschaften und Ereignisse als Typen abgelegt. Jeder Typ ist „eine in vorangegangenen Erfahrungen sedimentierte, einheitliche Bestimmungsrelation“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 314), die, wie bereits mehrfach angedeutet, Handlungssicherheit und Entlastung von Deutungsprozessen garantiert und als Interpretationsschablone fungiert. Um beispielsweise eine Handlung als Beobachter nicht nur zu verstehen, sondern auch zu erklären, müssen die Weil-Motive und die Um-zu-Motive Alter Egos ebenso wie der gemeinte Sinn typisiert werden. Jeder Handelnde ist gegenüber seiner Umwelt ein Beobachter und orientiert sich gegenüber seinem Alter Ego durch fortlaufende Typisierungen. Typisierungen entstehen also aus Wiederholungen: „Jeder Typ, in einer ‚ursprünglichen’ Problemlage gebildet, wird in weiteren Routinesituationen und Problemlagen angewandt. Wenn er sich in diesen immer wieder als adäquat zur Bewältigung der Situation erweist, kann er allerdings relativ ‚endgültig’ werden … und seine Anwendung kann völlig ‚automatisch’ werden.“ (Schütz/Luckmann 2003: 316f.; Hervorh. im Original)
Der größte Teil des alltagspraktischen Geldhandelns gehört sicherlich zu diesen routinisierten und fraglosen Anwendungen von Typisierungen: Der individuelle Erfolg kann dann garantiert werden, wenn der Mensch frühere Episoden des Bezahlens, des Rechnens etc. erfolgreich wiederholen kann. Zweitens müssen Typisierungen jedoch immer auch sozial garantiert werden, d. h. das Individuum über-
2.2 Eine handlungstheoretische Perspektive
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nimmt Rezepte, die sich allgemein bewährt haben und typisch relevant sind (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 395). Solche Übernahmen von Typisierungen geschehen zum Beispiel in der monetären Sozialisation, wenn Heranwachsende lernen, was bestimmte Sachverhalte bezeichnen, was beispielsweise dazu gehört, zahlungsfähig zu sein. Gerade in der monetären Sozialisation gibt es relativ viele Situationen, in denen nicht auf vorangegangene, sukzessiv entwickelte Erfahrungen zurückgegriffen werden kann; für die es also keine aus ähnlichen Situationen stammenden, abwandelbaren Bezugsschema gibt. Das eingangs skizzierte Problem einer individualisierten Gesellschaft entsteht aus der Perspektive der Typik als Prinzip der Lebensbewältigung aus einer zunehmenden Divergenz von sozial geteilten Handlungsproblemen, in denen erfolgreich aus einem gesellschaftlichen Bestand an Typisierungen geschöpft werden kann. So wurde bereits an den Ausführungen zur Aufschichtung der Lebenswelt deutlich, dass bei der Wahrnehmung der sozialen Welt Typisierungen in unterschiedlichem Ausmaß zum Tragen kommen: So gehen in der mitweltlichen Beziehung die Handelnden nicht so weit aufeinander ein, wie dies möglich wäre. Stattdessen bilden sie relativ anonyme Idealtypen (klassifizieren andere z. B. als arm oder reich) und erfassen sie auf diese Weise nur ausschnitthaft. Die Entstehung von kongruenten gegenseitigen Typisierungen (und damit das Gelingen einer Situation aufgrund gegenseitigem Verstehen) ist um so wahrscheinlicher, je mehr das von beiden Partnern in der Situation angewendete Deutungsschema „standardisiert“, d. h. sozial garantiert ist. Eine solche Standardisierung kann nach Schütz darauf beruhen, dass durch Recht, Staat oder andere Ordnungsstrukturen „genormte“ Deutungsschema vorgegeben werden, auf die die Handelnden zur Typisierung zurückgreifen. Darüber hinaus können sich die Handelnden am Idealtyp des rationalen Handelns orientieren, d. h. voraussetzen, dass Alter „vernünftig“ im Sinne des optimalen Einsatzes von Mitteln, um bestimmte Ziele zu erreichen, handelt. Die Frage ist dann, wie man in einer fragmentierten Gesellschaft zum einen von standardisierten, d. h. so weit wie möglich geteilten Typisierungen ausgehen kann bzw. was als ein „vernünftiges“ Handeln Alters erfasst werden kann, wenn die Akteure von unterschiedlichen Lebensbedingungen und Lebenswelten ausgehen müssen. Typisierungen des Wissensvorrates können mit den Dimensionen der Vertrautheit, Bestimmtheit, Glaubwürdigkeit und Verträglichkeit, d. h. Widerspruchslosigkeit beschrieben werden (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 313ff.). Vertrautheit besteht dann, wenn die vorhandenen Typisierungen zur Bewältigung der Situation ausreichen. Der Bestimmtheitsgrad differiert je nach der thematischen Ausgelegtheit im subjektiven Erfahrungszusammenhang (so wird ein Bankkunde mit der Kennzeichnung seiner Fondsanlagen nach Art bzw. Branche zufrieden sein, den professionellen Wertpapierhändler interessieren jedoch Risikokennziffern, Umsatzerwartungen, Produktstrategien, Management und Wettbewerber der darin enthaltenen Unternehmen) und als auch nach der sozialen Verteilung des Wissens (der Bank-
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2 Forschungsperspektive
kunde hat keinen Zugang zu den Berichten, die die einzelnen Unternehmen den Fondshändlern liefern müssen). Der Bereich des monetären Wissens ist hier als Erfahrungsobjekt großer Komplexität zu kennzeichnen, dessen innerer Horizont in mannigfachen polythetischen Teilerfahrungen bestimmt werden kann (z.B. kann ein Text über eine mögliche Anlagestrategie in einzelne Fachbegriffe zerlegt werden, die für sich genommen wieder Wissen darstellen; der Text kann als Empfehlung oder als Ablehnung verstanden werden) und dessen äußerer Horizont sich auch als hohe Zahl von Kombinationen, in denen das Erfahrungsobjekt räumlich, zeitlich und kausal eingebettet erscheinen kann (z. B. hinsichtlich der Beziehung des Autors zu den im Text genannten Akteuren, das Renommee des Verlages, in dem dieser Text erscheint, die aktuelle Wirtschaftslage, frühere Anlageempfehlungen, die erfolgreich waren oder nicht, andere mögliche Anlagestrategien, Grundsätze der Geldanlage). Die Relativität von Bestimmtheitsgraden trifft auch auf nicht so komplexe Formen des Geldwissens zu, wie z. B. einen Einkauf, der von einem Subjekt nur dahingehend bestimmt werden muss, wie viel Geld es zur Verfügung hat und wie viel Geld nach dem Einkauf im Portemonnaie bleibt. Die Festlegung des Bestimmtheitsgrades und die potenzielle Detailliertheit von Typisierungen ist jedoch immer auch von der jeweiligen Gesellschaft abhängig und damit „historisch“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 213). So kann es eben in modernen Gesellschaften dazugehören, zu wissen, ob man das gewünschte Produkt nicht woanders günstiger kauft, ob man in einer bestimmten Einkaufsstelle nicht lieber ein anderes Zahlungsmittel einsetzt usw. usf. Die Verträglichkeit bzw. Widerspruchslosigkeit bezieht sich auf den Zusammenhang der Wissenselemente untereinander. Dabei gilt: Je größer die Genauigkeit der Typisierung, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Widerspruch entdeckt wird. Umgekehrt hat ein hoher Anonymitätsgrad eine hohe Verträglichkeit zur Folge. Da mit neuen Formen des Geldhandelns ein Anlass für eine weitere Auslegung bzw. Veränderung der bis dahin als fraglos angenommenen Wissensbestandteile entsteht, werden einzelne Wissenselemente problematisch (wie z. B. der von den Eltern vermittelte absolute Grundsatz des Sparens vor dem Hintergrund einer durch Konsum und Unsicherheit von Geldwerten markierten Gesellschaft fragwürdig wird). Falls sich nun eine Typisierung in verschiedenen Situationen bewährt hat, gewinnt sie an Glaubwürdigkeit. In einer Gesellschaft im Wandel nun sind Typisierungen des Wissensvorrates immer nur „glaubwürdig bis auf weiteres“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 224).
2.3
Geldhandeln als wissenssoziologische Fragestellung
Während Schütz die Fragestellung nach der Konstitution des Alltagswissens zunächst mit einer Konzeption sozialer Erfahrung als ständigen Aufbau eines Wissensvorrats anhand von Relevanzstrukturen und kulturellen und sprachlichen Typi-
2.3 Geldhandeln als wissenssoziologische Fragestellung
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sierungen beantwortet und dabei vor allem auf die Frage nach der Konstitution intersubjektiven Verstehens eingeht, besteht das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit weiterhin darin, nicht nur die Mikrostruktur solcher Interpretationsepisoden zu erklären, sondern die Ausbildung eines subjektiven monetären Wissensvorrates in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation. Schütz' Ansatz lässt sich – aufgrund der Verhaftung seiner Beschreibung am Ego, also dem Erleben des „einsamen Ichs“ und der Beschreibung von sinnhaften Handlungen als Reflektion auf bereits vergangene Erlebnisse – als eine Theorie der sozialen Handlung, nicht des sozialen Handelns bezeichnen. Mit dem als sozialkonstruktivistisch zu bezeichnenden Ansatz der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ von Berger und Luckmann lässt sich nun weiterhin verfolgen, wie monetäres Wissen, welches ja als Wissen mit gesellschaftlicher als auch privater Dimension charakterisiert wurde, entsteht; wie – so die zentrale Fragestellung der Wissenssoziologie – „subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird“ (Berger/Luckmann 2007: 20; Hervorh. im Original). Doch bevor in diesem Kapitel geklärt wird, wie die Vermittlung zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre passiert, sind – im Rückgriff auf Schütz – zunächst noch die Bedingungen zu ergründen, die dazu führen, dass einstmals subjektiver Sinn intersubjektiviert und damit an Alter weitergegeben werden kann. 2.3.1
Vom subjektiven Sinn zum intersubjektiven Wissen
Die im vorigen Kapitel dargestellten Prinzipien des Handelns (Typisierungen und Relevanzen) können bereits als „Elementarformen des Wissens“ begriffen werden (vgl. Knoblauch 2005: 143). Sie werden auch als Vorstufen bezeichnet, weil sie nicht bewusst erfolgen, sondern vielmehr als automatischer Abgleich von aktuellen Erfahrungen mit vergangenen Erfahrungen geschehen. Dieser automatische Abgleich vollzieht sich zum Beispiel in der Anwendung des Routine- oder Gewohnheitswissens, in alltäglichen Handlungen, deren Abfolge mehr oder weniger automatisiert, d. h. ohne großes Nachdenken erfolgt, wie z. B. das Bezahlen an der Supermarktkasse oder das Geld holen aus dem Automaten. Die Lebenswelt des Alltags ist grundlegend als soziale Welt bestimmt. Das bedeutet, das das meiste Wissen, über das der Mensch verfügt „sozial abgeleitet“, d. h. von anderen übernommen ist: „Der Großteil seines Wissens ist sozial abgeleitet, ihm von Eltern und Lehrern als sein Erbe übertragen. Dieses Erbe besteht aus einer Reihe von Systemen relevanter Typifikationen, typischer Lösungen für typische praktische und theoretische Probleme, typischer Vorschriften für typisches Verhalten, einschließlich des jeweils angemessenen System appräsentativer Verweisungen.“ (Schütz 2003: 188)
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2 Forschungsperspektive
Aber wie kann nun, vor dem Hintergrund der Unmöglichkeit der identischen Perspektiveneinnahme eines anderen, dieses Wissen übertragen werden? Die Voraussetzung, dass Wissen von anderen übernommen wird, liegt in der spezifischen Konstitution der Elemente dieses Wissensbestandes: Als „Objektivierung“ bezeichnet Schütz den elementaren Prozess, durch den subjektives Wissen verallgemeinert und damit dem intersubjektiven Gebrauch zugänglich gemacht wird. Objektivierung ist die „Verkörperung subjektiver Vorgänge in Vorgängen und Gegenständen der Lebenswelt des Alltags“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 358). Zu einer Vergesellschaftung des in den Objektivierungen verkörperten subjektiven Wissen kommt es in dem Maße, in dem sich diese Objektivierungen von der Situation, in der sie erzeugt wurden, lösen (vgl. Hennen 1992: 134). Objektivierungen (von Berger und Luckmann als Objektivationen bezeichnet) sind also die Mittel der Überwindung der räumlichen, zeitlichen und sozialen Transzendenzen der Lebenswelt, der Überschreitung des Bewusstseins von Ego. Nicht die Erfassung des vollständigen, subjektiv gemeinten Sinns, sondern die des gemeinten typischen Sinns ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Verständigung. Schütz unterscheidet in drei Kategorien unterschiedliche Gegenstände der Objektivierung, die sich nach dem Grad der Loslösung von der Entstehungssituation, also ihrer Unabhängigkeit von subjektivem Sinn, d. h. nach dem Ausmaß ihrer „Objektiviertheit“, unterscheiden: Kategorie der Objektivierung
Grad der Objektivierung
„Anzeichen“ als Objektivierungen subjektiver Vorgänge in Ausdrucksformen und Handlungen
um sie deuten zu können, muss der Vorgang der Sinnkonstitution mit vollzogen werden
„Merkzeichen“, „Erzeugnisse“, „Kunstwerke“ als Objektivierungen subjektiven Wissens in Gegenständen „Zeichen“ als Objektivierungen, die explizit zur Übermittlung subjektiven Wissens an andere geschaffen wurden
überdauern den Akt der Objektivierung, verweisen aber noch auf die in der ursprünglichen Situation vorhandenen Probleme, für die sie als Lösungen geschaffen wurden haben von Handlungszusammenhängen unabhängige Bedeutung
Tabelle 2: Drei Stufen der Objektivierung subjektiven Wissens, in Anlehnung an Schütz/Luckmann 2003: 353ff. und Hennen 1992: 134ff.
Wie in der Tabelle zu sehen ist, sind die Anzeichen am wenigsten objektiviert. Um äußeres Verhalten, wie zum Beispiel die Gestik eines Menschen, nachvollziehen zu können, muss man sich mit ihm in einer Situation als einem gemeinsamen Handlungszusammenhang befinden. Um den Sinn von Erzeugnissen bzw. Artefakten zu erfassen, muss man nicht unbedingt in einer gemeinsamen Situation mit Ego sein, es genügt, wenn Alter der Problemzusammenhang, der in diesen Artefakten realisiert ist, deutlich wird. Schütz nennt als Beispiele Werkzeuge, die sich als Handlungsresultate in einem typischen Handlungsablauf befinden und als Objektivie-
2.3 Geldhandeln als wissenssoziologische Fragestellung
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rungen von „Um-zu-Handlungen“ begriffen werden können (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 373). Zeichen dagegen können als vollständige Objektivierungen begriffen werden. Die wichtigste Form von Zeichen ist die Sprache, die damit die Grundlage des gesellschaftlichen Wissensvorrats (vgl. Luckmann 1986: 200) darstellt. Im Vokabular der Sprache manifestiert sich die Menge von Typisierungen, die am weitesten von den ursprünglich konstituierenden Handlungen entfernt sind. Indem Zeichen nun am weitesten losgelöst von ihrem Prozess der Entstehung sind, können sie auch unabhängig von den Motiven eines Zeichen setzenden Subjekts verstanden werden und dienen somit der Übermittlung „ideeller“ und „anonymisierter“ Inhalte (vgl. Hennen 1992: 135): „Die Deutung ist von den vorgegebenen Elementen der Deutungssituation und von den Relevanzstrukturen der aktuellen Erfahrung des Deutenden weitgehend unabhängig“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 376). Für die Objektivierung subjektiven Wissens in Zeichen entfällt damit – entgegen zu den anderen Stufen – die Situationsgebundenheit der Deutung. So sind beispielsweise sprachliche Klassifikationen und sprachlich konstruierte Deutungsmuster unabhängig vom Kontext ihrer Entstehung und ihrer Verwendung universell auslegbar. Damit bestehen auf dieser Objektivierungsstufe auch keine Einschränkungen hinsichtlich der Möglichkeiten der Wissensvermittlung mehr. Allerdings setzt der Gebrauch von Zeichen immer schon gemeinsames Wissen voraus; dieses liegt als Annahmen über Interpretation und Zeichensetzung auch den Handlungen von Alter und Ego zugrunde. Wissensmitteilung hat auf dieser Ebene also die „formale Struktur wechselseitigen sozialen Handelns“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 381). Über Zeichensysteme vermitteltes Wissen kann damit weit von den „Aufschichtungen der unmittelbaren lebensweltlichen Erfahrung“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 381) entfernt sein (anders als Objektivierungen über Anzeichen wie ein bestimmter Gesichtsausdruck). Als Folge ist es für den Einzelnen schwerer überprüfbar: „Für denjenigen, der sich diese Wirklichkeit angeeignet hat, für den sie eine Selbstverständlichkeit ist, verlieren alltäglich-pragmatische Kriterien der Überprüfung ihren Sinn.“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 382)
Schon die Übersetzung subjektiven Wissens in die quasi-idealen und anonymen, „objektiven“ Bedeutungskategorien eines Zeichensystems hat eine Verfälschung im Sinne einer ständigen subjektiven Ungenauigkeit zur Folge: „Der polythetische Aufbau des Wissenserwerbs und die spezifische Zeitdimension des Wissens werden überwunden“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 382). Monetäres Wissen lässt sich auf dieser grundsätzlichen Ebene als ein Bestand an Objektivierungen kennzeichnen, die sich mehr oder weniger von ihrer Entstehungssituation abgelöst haben. Ob es sich um Artefakte wie eine Kreditkarte oder einen Geldschein, Praktiken des Tauschens und des Umgangs mit Geld oder ein
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2 Forschungsperspektive
bestimmtes Vokabular zur Beschreibung einer wirtschaftlichen Lage handelt, all diese Formen haben Objektcharakter und bestehen als ein Tatbestand außerhalb des Individuums. In ihrer Eigenschaft als Objektivierungen überwinden sie die räumlichen, zeitlichen und sozialen Transzendenzen der Lebenswelt und werden von subjektivem Sinn zu gesellschaftlichem Wissen, also zu intersubjektiv teilbaren Sinn (vgl. Knoblauch 2005: 155). Es wird jedoch nicht nur die Vermittlung von Wissen möglich, vielmehr ist die Wirkung von Objektivierungen auch eine zwingende (vgl. Berger/Luckmann 2007: 40). Beim Abschluss eines Kaufvertrages kann man nicht verfahren wie bei der Überreichung eines Geschenkes; die sorgenvolle Miene meines Bankberaters mag aus einer anderen Intention entstehen und ist anders auszulegen als die sorgenvolle Miene meiner Mutter. Indem Monetäres weiterhin (wie alle anderen Teilbereiche der Lebenswelt auch) auf die Sprache als universelles System von Objekten (in ihrer Eigenschaft als Zeichen zurückgreift) ist es auch hier angeraten, sich an „passende Sprachregelungen für bestimmte Gelegenheiten“ zu halten (vgl. Berger/Luckmann 2007: 40). 2.3.2
Der gesellschaftliche Wissensvorrat
Mit dem Prozess der Objektivierung hat Alfred Schütz die Voraussetzung dafür benannt, dass subjektive Wissensbestände die Sphäre des Individuellen verlassen und zum gemeinsam geteilten Wissen in einer Gesellschaft werden können. Obwohl er die Sozialität der Interpretationsschemata und Relevanzsysteme betont und damit auf die gesellschaftliche Anbindung subjektiver Wissensvorräte verweist, konzentriert er sich in seiner Analyse jedoch vor allem auf den subjektiv egologischen Aspekt der Konstitution von Wissen. Erst mit Peter L. Berger und Thomas Luckmann, die sich in ihrem 1966 erschienen Werk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ mit der Korrespondenz zwischen subjektivem und gesellschaftlichem Wissen beschäftigen und dabei „unmittelbar“ (vgl. Knoblauch 2005: 153) an Schütz anknüpften, rücken explizit (wissens-) soziologische Fragestellungen in den Blickpunkt. Zwar ist die Verbindung von Sozialstruktur und Wissen schon bei Schütz vorhanden, erst Berger und Luckmann vollziehen jedoch eine integrative Betrachtung, indem sie die egologische und damit protosoziologische Perspektive Schütz’ (vgl. Luckmann 1975) verlassen. Die soziologische Auslegung von Berger und Luckmann wird dadurch gegeben, indem sie als Gegenbegriff zum subjektiven Wissensvorrat den gesellschaftlichen Wissensvorrat einführen. Damit sind die wesentlichen Strukturen, die die
2.3 Geldhandeln als wissenssoziologische Fragestellung
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Verteilung des gesellschaftlichen Wissens aufweist, bezeichnet (vgl. Knoblauch 2005: 152)11: „Für unsere Zwecke genügt es, ‚Wirklichkeit’ als Qualität von Phänomenen zu definieren, die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind – wir können sie ver- aber nicht wegwünschen. ‚Wissen’ definieren wir als die Gewißheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben.“ (Berger/Luckmann 2007: 1).
Sowohl Wissen als auch Wirklichkeit sind demzufolge soziale Konstruktionen. Berger und Luckmann untersuchen die Entstehung dieses gesellschaftlichen Wissens, sie untersuchen, aufgrund welcher Vorgänge ein „subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität“ und damit gesellschaftlich etablierte Wirklichkeit wird (vgl. Berger/Luckmann 2007: 20). Die Entstehung dieser Wirklichkeit beschreiben Berger und Luckmann in einem dialektischen Prozess zwischen Ich und Gesellschaft, der – stark vereinfachend dargestellt – aus Teilprozessen der Externalisierung (Konstitution und Veräußerlichung subjektiven Sinns), der Objektivierung (das Veräußerlichte wird für mehrere Wirklichkeit) und der Internalisierung (das sozial Objektivierte wird wieder internalisiert und trägt zur Ausbildung sozialer Identitäten bei) beschrieben werden kann. Entäußerung, Vergegenständlichung, Einverleibung – diese drei Elemente sind fundamental aufeinander bezogen und werden von Berger und Luckmann im zentralen Dreisatz zusammengefasst: „Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt.“ (Berger/Luckmann 2007: 65)
Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, wie monetäre Sachverhalte Bestandteil des Alltagswissens werden und zur Ausbildung einer als solcher immer sozial bestimmten Identität beitragen. Mit der Kennzeichnung der Objektivierung durch Schütz liegt bereits eine Beschreibung eines Prozesses vor. Berger und Luckmann beschreiben nun diese Vergegenständlichung von Wissensbeständen genauer, indem sie sie als Wechselspiel zwischen Habitualisierung, Institutionalisierung und Legitimation kennzeichnen. Dabei soll dem Prozess der Institutionalisierung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, stellt er doch zum einen den Kernprozess der Ausbildung sozialen Wissens dar, zum anderen ist er als ein kommunikati11
Dabei ist der Begriff des gesellschaftlichen Wissensvorrates abzugrenzen von dem des kollektiven Bewusstseins, denn er stellt keine symbolische Repräsentation des Gesamts an Gesellschaft dar. Vielmehr geht es Berger und Luckmann um strukturelle Verhältnisse: Wie viele und welche Elemente des Wissens werden an alle Mitglieder der Gesellschaft verteilt? Welche Wissenselemente werden an ausgewählte Gruppen vermittelt? In welchem Verhältnis steht der subjektive Wissensvorrates eines Mitgliedes der Gesellschaft zum gesellschaftlichen? (vgl. Knoblauch 2005: 152)
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2 Forschungsperspektive
ver Prozess zu kennzeichnen, da er auf interaktionistischen Prinzipien aufbaut, wie sie von Mead dargelegt wurden (vgl. Knoblauch 2005: 157). Institutionen sind wechselseitige Rollenzuschreibungen und Handlungsgefüge, die feste Formen annehmen und damit zu einer eigenen gesellschaftlichen Wirklichkeit werden. Im monetären Handlungsbereich trifft man auf vielfältige Institutionen von unterschiedlicher Komplexität: Mit dem Tausch gehen Erwartungen über ein bestimmtes Verhalten der Tauschpartner einher, wie es schon Simmel und Parsons beschrieben; der Giralverkehr beispielsweise erleichtert den notwendigen Zahlungsverkehr und Banken sind Institutionen, von denen der Kunde bestimmte Lösungen von Geldproblemen wie zum Beispiel seine Sicherung erwarten darf. Institutionen bilden sich dort aus, wo verschiedene Handelnde einem sich wiederholenden Handlungsproblem begegnen; die Habitualisierung bestimmter erfolgreicher Handlungsweisen ist der erste Schritt zur Institutionalisierung. Damit sind sie typische Lösungen für ebenfalls typisierte gesellschaftliche Handlungsprobleme (vgl. Knoblauch 2005: 159). Internalisierung
Sozialisation
Objektivierung
Habitualisierung Institutionalisierung Legitimation
Typisierung
Externalisierung
Abbildung 2: Die Dialektik der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit (Knoblauch 2005: 156)
Auf der zweiten Stufe der Institutionalisierung erfolgt eine Typisierung des habitualisierten Handelns. „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden.“ (Berger/Luckmann 2007: 58)
Schließlich reicht es nicht aus, wenn nur ein Individuum für sich eine Handlung habitualisiert. So gibt es verschiedene, jeweils individuell ausgestaltete Einzellösungen, Geld aufzubewahren: in der Kaffeekanne hinten im Geschirrschrank, im Sparstrumpf oder unter dem Kopfkissen. Anders verhält es sich jedoch, wenn man das
2.3 Geldhandeln als wissenssoziologische Fragestellung
65
Geld auf sein Sparkonto bei der Bank einzahlt: Der Bankangestellte wird immer das Geld zählen, den Betrag in das Computersystem der Bank eingeben, das Geld in die Kasse legen und einen Beleg über die Einzahlung ausdrucken. Warum nun existieren hier verschiedene Grade der Institutionalisierung? Der Grund ist darin zu suchen, das die Regeln, denen der Bankangestellte folgt, die Normen des Systems der Wirtschaft stützen, in denen professionelle Handlungen rationell, dokumentierbar, abgesichert und kontrollierbar sein müssen. Es geht darum, das Problem des Vertrauens einander fremder Akteure zu lösen und damit eine Grundlage für ein gemeinsames Handeln zu schaffen. Dagegen kann das Aufbewahren von Geld im privaten Heim durchaus einen wichtigen Baustein des individuellen Geldhandelns bilden, eine Standardisierung bringt hier aber keine Lösung für ein wirtschaftliches Grundproblem (anders verhält es sich, wenn alle Bürger ihr Geld zu Hause horten, aber das wäre dann ein anderes, volkswirtschaftliches Problem). Institutionalisierungen stellen so eine Lösung für ein dauerhaftes gesellschaftliches Problem dar, das darin enthaltene habitualisierte Handlungsmuster wird von den beteiligten Akteuren anerkannt (vgl. Berger/Luckmann 2007: 74). Darüber hinaus gibt es jedoch auch Institutionen, die weniger formell geregelt sind als im obigen Beispiel. So stellt die Sparsamkeit eine soziale Norm dar, die privat durchgesetzt wird (wenn auch jeweils im Einzelfall zu definieren ist, was Sparsamkeit ist). So werden Eltern eines von ihnen noch wirtschaftlich abhängigen erwachsenen Kindes, das in ihren Augen nicht sparsam genug lebt, möglicherweise kein Geld mehr auf sein Konto überweisen, sondern direkt an den Vermieter seiner Wohnung. 12 Denkbar ist auch, dass sie es ihm ganz entziehen. Auch kann jemand, der Angst hat, in seinem Bekanntenkreis als verschwenderisch etikettiert zu werden, bestimmte Ausgaben vor seiner Umwelt verschweigen. Das zeigt, dass Institutionen auch zu internalisierten Normen werden, die aus Scham, moralischen Gründen, aus schlechtem Gewissen etc. befolgt werden. Der Bereich des Privaten ist dabei als ein Bereich zu kennzeichnen, der – im Vergleich zum öffentlichen – relativ wenig Institutionalisierungen aufweist Berger/Luckmann 2007: 86). Da Institutionen feste Muster wechselseitiger Rollenzuschreibungen sind, mag eine geringere Durchdringung des Privaten daran liegen, dass Menschen, die im Bereich ihrer sozialen Umwelt miteinander umgehen, sich in vielen verschiedenen, sich teilweise überlappenden Rollen begegnen. Trotzdem ist die Existenz von Institutionen auch im Privaten nicht von der Hand zu weisen, wie es z. B. die Beispiele für monetäre Geschlechterrollen gezeigt haben.
12
Auch hier lässt sich wieder ein Beispiel mit höherem Institutionalisierungsgrad finden, in denen eine immanente Sparsamkeitsnorm institutionell durchgesetzt wird. So hat der Staat für Bedürftige im Rahmen der Hartz-IV-Regelsätze definiert, was als Existenzminimum gilt.
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2 Forschungsperspektive
Parallel zur Entstehung von institutionalisierten Handlungsmustern bilden sich Legitimationen aus. Das sind die kommunikativ vermittelten Sinndimensionen dazu oder, in den Worten von Berger und Luckmann: „Legitimation ‚erklärt’ die institutionale Ordnung dadurch, dass sie ihrem objektiviertem Sinn kognitive Gültigkeit zuschreibt. Sie rechtfertigt die institutionale Ordnung dadurch, dass sie ihren pragmatischen Imperativen die Würde des Normativen verleiht.“ (Berger/Luckmann 2007: 100)
Auch Legitimationen gibt es in unterschiedlicher Komplexität: Auf der ersten Ebene befinden sich mit sprachlichen Objektivationen beispielsweise die Bezeichnungen von den Dingen. Dazu gehören beispielsweise die unterschiedlichen Deklarationen von Geld: Erspartes, Spielgeld, Geschenkgeld, Essensgeld. Auf dieser Ebene kann man wahrscheinlich im eigenen Denken kaum Institutionen und Legitimationen auseinanderhalten. Auf der nächsten Ebene sind es „theoretische Postulate in rudimentärer Form: verschiedene Schemata, die objektive Sinngefüge miteinander verknüpfen“ (vgl. Berger, 1980: 101). Bezogen auf die monetäre Sphäre kann man Sprichwörter wie „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ zu diesen Schemata rechnen. Auf der dritten Ebene stehen differenzierte Wissensbestände, die zum Sonderwissen gerechnet werden können. Dazu kann man z. B. Wissen über die Funktionsweise bestimmter Kapitalmärkte zählen. Diese, in einem Wechselspiel aus ideellen und materiellen Institutionalisierungs- und Legitimierungsprozessen hergestellte objektive Wirklichkeit und symbolische Sinnwelt schließlich kehrt über Internalisierungsprozesse wieder zum Einzelnen zurück. Dabei entsteht die Identität des Individuums, die das Ergebnis des Zusammenwirkens von Organismus, individuellem Bewusstsein und Gesellschaftsstruktur ist. Diese Internalisierung beschreiben Berger und Luckmann als primäre und sekundäre Sozialisation. Während in der primäre Sozialisation meist durch die Eltern Normen, Rollenbilder und Sprache vermittelt werden, sind rollenspezifisches Spezialwissen (z. B. im Beruf) und weitere, durchaus zueinander konträre Aspekte von Werten, Normen und Sprache Gegenstand der sekundären Sozialisation. Das Wissen über Institutionen strukturiert bereits per Sozialisation die Alltagswelt. Institutionen, die in der Sozialisation vermittelt werden erscheinen dem Handelnden als „eine Wirklichkeit, die dem Menschen als äußeres, zwingendes Faktum gegenübersteht“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 62), als typischer und verpflichtender Handlungsablauf, der seine einstmals polythetische, d. h. mehrgliedrige Funktion verloren hat. In einer durch Individualisierung geprägten Welt stellt sich nun die Frage, bis zu welchem Grad man hier überhaupt noch von Institutionen, die ja immer auch eine Verbindlichkeit darstellen, sprechen kann. Berger und Luckmann sind der Ansicht, dass der Grad an Institutionalisierung von dem Maße abhängt, in dem eine Gesellschaft ähnliche Relevanzstrukturen teilt. Sind diese aufgesplittert, wie es
2.3 Geldhandeln als wissenssoziologische Fragestellung
67
sicherlich für unsere Gesellschaft und hier speziell für den Bereich des Monetären der Fall ist, sind der Institutionalisierung Grenzen gesetzt, indem bestimmte Relevanzstrukturen immer nur für bestimmte Gruppen gültig sind (vgl. Berger/Luckmann 2007: 84). Die arbeitsteilige Spezialisierung sowie wirtschaftlicher Überschuss führen zu speziellen Wissensbeständen, speziellen Rollenzuschreibungen und damit auch zu einer Differenzierung von Institutionen. In diese Erklärungsfigur passt gut das Beispiel der Waren- und Wertpapierbörsen, die sich seit dem Mittelalter herausgebildet haben und nun als überwiegend computergestütztes Handelssystem einen eigenen hoch institutionalisierten Bereich darstellen. 2.3.3
Kommunikation als Konstruktion von Wissensbeständen
Der zentrale Prozess der sozialen Ableitung von Wissen ist die Kommunikation. Bereits Schütz betont immer wieder den „kommunikativen Charakter“ der Lebenswelt des Alltags. Zwar betrachtet Schütz das Individuum als Ausgangspunkt der Lebenswelt, im Zentrum steht jedoch die „soziale Umwelt der face-to-faceRelationship“ (vgl. Knoblauch 1995: 58). Damit ist seine Theorie von der Lebenswelt des Alltags im Kern eine Theorie der Kommunikation. Kommunikation erst konstituiert Gesellschaft: „Wenn individuell erworbene Wissenselemente anderen verfügbar gemacht werden sollen, dann müssen sie kommuniziert werden“ (vgl. Luckmann 1982: 123). Ganz im Sinne des dialektisch konzipierten Prozesses der Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit baut sich sowohl die Identität jedes Individuums als auch der Wissensbestand der Gesellschaft erst in Kommunikation auf. Als Kommunikation bezeichnet Schütz ein auf Veränderungen der Umwelt gerichtetes Handeln (Wirkhandeln), welches auf Wechselseitigkeit bzw. Reziprozität beruht: „Kommunikation setzt voraus, dass die Deutungsschemata, die der Mitteilende und der Deutende an die Zeichen der Mitteilung ansetzen, im wesentlichen übereinstimmen … Erfolgreiche Kommunikation ist nur zwischen Personen, sozialen Gruppen, Nationen usw. möglich, die im wesentlichen die gleichen Relevanzsysteme besitzen.“ (Schütz 2003: 160)
In der Weiterentwicklung von Berger und Luckmann würde dies bedeuten: Die Chance auf gelingende Interaktion erhöht sich in dem Maße, indem Typisierungsschemata sachlich standardisiert und ihr Gebrauch in bestimmten Situationen sozial festgelegt, d. h. institutionalisiert ist (vgl. Schneider 2000: 249). Im Begriff des kommunikativen Handelns können nun die Begriffe des Wissens und des Handelns miteinander verschmolzen werden: „denn kommunikatives Handeln ist zugleich Sinnvermittlung und Strukturbildung, es ist zugleich individuell und kollek-
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2 Forschungsperspektive
tiv“ (vgl. Knoblauch 2005: 173). So sind kommunikative Handlungen jedoch nicht nur ein Spiegel dessen, was in der Lebenswelt passiert, sondern sie sind vielmehr das Instrument, mit dem Wirklichkeit „geschaffen, aufrechterhalten und verändert“ wird (vgl. Knoblauch 1996: 8). Dieses zeigt sich daran, dass die einzelnen Elemente von Kommunikation, die Luckmann mit Gesellschaftlichkeit, Wechselseitigkeit, Abstraktion und Intentionalität bezeichnet (vgl. Luckmann 1980), ihrerseits Bestandteile des Wissens sind. So wird die Gesellschaftlichkeit durch die Verwendung eines gemeinsamen Codes, also eines intersubjektiv bedeutsamen Zeichensystems, hergestellt. Die Intentionalität, die kommunikatives Handeln auszeichnet, verwendet diese Zeichen im Wissen um den Inhalt der Codes als auch um ihre Anwendung. Insbesondere die bereits angesprochene Reziprozität erfordert nicht nur eine wechselseitige Beobachtung der Kommunikanden, sondern auch eine Koordinierung des Handelns, die feste Strukturen hervorbringt, die Knoblauch als „Institutionen des kommunikativen Handelns“ bezeichnet (vgl. Knoblauch 2005: 173). Berger und Luckmann legen nicht zuletzt dadurch, dass sie auf die Grundbegriffe interaktionistischen Handelns von Mead zurückgreifen, ihrem An13 satz letzten Endes eine kommunikationstheoretische Fundierung zugrunde. Sie zeichnen weiterhin Kommunikation auch explizit als tragenden Prozess für die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit aus: „Das notwendigste Vehikel der Wirklichkeitserhaltung ist die Unterhaltung. Das Alltagsleben des Menschen ist wie das Rattern einer Konversationsmaschine, die ihm unentwegt seine subjektive Wirklichkeit garantiert, modifiziert und rekonstruiert.“ (Berger/Luckmann 2007: 163)
Wenn es im Zentrum dieser Arbeit steht, die Rolle von Kommunikation für die Ausbildung einer monetären Identität zu bestimmen, dann kann im folgenden Kapitel konkretisiert werden, wie Identität als Ergebnis einer kommunikativen Aushandlung entsteht, um schließlich auf spezifische Formen der „Konversationsmaschine“ zu sprechen zu kommen.
2.4
Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
Mit der handlungstheoretischen bzw. genauer: interpretativen Fundierung der Arbeit wurde die Ausgangsfrage, wie monetäres Alltagswissen entsteht, auf eine Frage nach dem subjektiven Sinn bezogen. Monetäre Handlungen wurden als kulturelle 13
Zu diesen Grundbegriffen gehören die Reziprozität der Perspektiven, der Spiegelungseffekt (auch „looking glass“-Effekt) sowie der einfache Handlungsdialog (vgl. Mead 1969; Mead 1973)
2.4 Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
69
Praktiken verortet, die jeweils eine bestimmte Bedeutung für den Handelnden haben. Monetäres Handeln ist immer in den Rahmen von sozialen Beziehungen eingelagert. Diese Beziehungen ermöglichen Geldhandeln erst; gleichzeitig strukturiert die Spezifik des Geldes, wie sie beispielsweise Simmel herausgearbeitet hat, diese Beziehungen. Ob Tausch, Sparen oder Geldanlage, Geldhandeln ist soziales Handeln, welches einen hohen Grad an Vermitteltheit aufweist. Mit jeder monetären Praktik nimmt der Handelnde Bezug auf intersubjektive Formen des Wissens. Zwar kann Geld selbst, indem man – wie Parsons – den Blick auf seine symbolische Funktionen richtet, als eine Wissensform angesehen werden, doch Geld allein reicht – um beispielsweise eine Tauschinteraktion zu vollziehen – nicht aus. An der Tatsache, dass für die Abwicklung einer Tauschinteraktion die Sprache eine wesentliche Rolle spielt, kann man die zentrale Bedeutung von Kommunikation für monetäre Handlungen ermessen. Darüber hinaus hat sich monetäres Handeln in diverse Institutionen ausdifferenziert: Jedem Mitglied der Gesellschaft sind beispielsweise Praktiken des Borgens, des Sparens, Anlegens und Budgetierens geläufig. Auch bei diesen, in ihrem individuellen Vollzug immer mit subjektivem Sinn versehenen Handlungen, nimmt jedes Individuum Bezug auf gesellschaftliches Wissen. So gesehen, konstruiert sich jedes Individuum seine subjektive Wirklichkeit, die über den Stellenwert und die Ausprägung monetären Wissens, d. h. monetärer Alltagspraxen und Wertvorstellungen bestimmt. Nach der solcherart gekennzeichneten sozialen Einbettung monetären Handelns möchte ich nun in diesem Kapitel zum subjektspezifischen Fokus der Frage nach der Entstehung von monetärem Wissen zurückkommen und die gewonnenen Erkenntnisse in einer Konzeption der Entstehung monetärer Identität zusammenführen. 2.4.1
Identität als situationsübergreifende Handlungsorientierung
Der Begriff der Identität ist in wissenschaftlichen und alltagsweltlichen Diskursen weit verbreitet und je nach wissenschaftlicher Heimat – Philosophie, Psychologie oder Soziologie – ganz unterschiedlich konnotiert. Eine allgemein gültige Antwort auf die Frage, was Identität ist, kann es daher nicht geben. Statt einer Definition des „Inflationsbegriff(es) Nr. 1“ (vgl. Keupp 1997: 29), will ich mich in den folgenden Kapitel über Aspekte und Dimensionen an den Begriff annähern und ihn im Kontext der Arbeit, welcher durch die phänomenologischen und sozialkonstruktivistischen Ansätze von Schütz und Berger und Luckmann gegeben ist, verorten. Wenn im Rahmen dieser Arbeit die Identitätsfrage gestellt wird, ist sie auf die persönliche Identität eines Menschen bezogen. Jeder Mensch verfügt über grundlegende Orientierungen, die nicht nur einzelnen Handlungen Sinn verleihen, sondern vielmehr einen übergreifenden, einzelne Handlungen überdauernden Rahmen
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2 Forschungsperspektive
für seine Handlungen vorgegeben. Die Frage nach der Identität, also wer ein Mensch ist und wer er sein möchte, stellt sich für ihn in konkreten Handlungen und Interaktionen als ein „mit sich zu Rate gehen“, um die jeweils relevanten Aspekte der Situation einzuordnen, Bedeutsames von Unbedeutsamem, Wichtiges von Belanglosem, Richtiges von Verwerflichem, Erstrebenswertes von zu Vermeidendem zu unterscheiden (vgl. Straub 1996: 10) und mit seinen Handlungen auf der Basis des so gewonnenen Selbstverständnisses fortzufahren. Dabei kommen sowohl praktische, soziale, historische, biografische, kognitive und emotionalaffektive Aspekte seines konkreten menschlichen So-Seins in Betracht. Identität kann also gedacht werden als ein Horizont des Subjekts, in dem sein Denken, Fühlen, Wollen und Handeln situiert ist. In dieser Lesart kann Identität als eine spezifische Art von Wissen eingeordnet werden, als „Wissen, wer ich bin“, als „Wissen, wo ich mich befinde“ (vgl. Taylor 1989; Straub 1996: 10). Bei der Herstellung dieses Wissens ist die Situiertheit innerhalb der Gesellschaft unabdingbar, wie im Kapitel 2.5.3 mit dem Verweis auf das Identitätskonzept von George Herbert Mead zu zeigen sein wird. Indem Identität also als ein Bindeglied zwischen der sinnbildenden Existenz von Ego und den Ansprüchen durch Situationen und damit der objektiven Faktizität gedacht werden kann, knüpft sie immer auch an die eingangs gestellte Frage nach Orientierung in einer komplexen Welt an. Die Begrifflichkeiten Orientierung bzw. Orientierungsverlust und Identität verweisen aufeinander (vgl. Straub 1996: 11). Bei der empirischen Bestimmung von Identität kann es nun, wie Straub schreibt, „um alles und jedes“ gehen: um "identitätskritische Lebenslagen", um mögliche "Definitionsräume für Identität" bzw. identitätsrelevante soziokulturelle "Interaktionsräume" wie z. B. Geschichte, Traditionszugehörigkeiten; Arbeit, Familie, Freizeit, Körper, Geschlecht, übergreifende Handlungs- und Lebensorientierungen und Kompetenzen (vgl. Straub 1996: 10). Zu diesen identitätsrelevanten soziokulturellen Interaktionsräumen gehört auch das Monetäre, denn wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, ist monetäres Handeln weniger als ein rein ökonomisches Handeln zu sehen, als vielmehr als ein Handeln, welches sich an kulturellen Normen und Bedeutungen orientiert und damit auf die Kategorie des Sinns verweist. Gleichzeitig ist es Anspruch der Arbeit, nicht einzelne Interaktionsepisoden en detail auf ihre sinnhafte Konstitution für das Subjekt hin zu untersuchen (wie es Schütz tut), sondern die Frage auf subjektives Wissen auszuweiten, welches über einzelne Handlungssituationen hinaus Bestand hat. Ein Identitätsbegriff im Berger-Luckmannschen Sinne kann immer nur gedacht werden vor dem Hintergrund einer Wirklichkeit für Individuen, die in einer bestimmten Gesellschaft leben. Diese Wirklichkeit wird damit von dem, was sich in dieser Gesellschaft an Institutionen und Wissen ausgebildet hat, beeinflusst (vgl. Berger/Luckmann 2007: 186).
2.4 Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
2.4.2
71
Der Begriff der monetären Identität
Monetäre Identität, abgeleitet von Konzepten der kulturellen, sozialen oder politischen Identität, beschreibt die handlungsübergreifende Positionierung des Subjekts in monetärer Hinsicht. Mit dieser analytischen Zuordnung von spezifischen Handlungsorientierungen zu einem bestimmten Ausschnitt der Lebenswelt wird auf das Verständnis Keupps zurückgegriffen, der, dem Gedanken folgend, dass verschiedene lebensweltliche Erfahrungsbereiche mit spezifischen Rollen und Selbsterfahrungen einher gehen, mit einem Begriff der Teilidentitäten operiert (Keupp 2006: 99f.).14 Identität (v. lat. idem, derselbe) ist immer ein relationaler Begriff; er zielt auf die Kennzeichnung einer bestimmten Person in ihrer Unterscheidbarkeit von anderen bzw. Gemeinsamkeit mit anderen. In Anlehnung an den Identitätsbegriff von Delanty und Meyer möchte ich folgende Elemente monetärer Identität ausmachen (vgl. Delanty 1995; Meyer 2002): x Eine Ebene der Praktiken: Mit den alltagskulturellen Lebensweisen haben sich bestimmte Formen des Umgangs mit Geld etabliert. Zum Umgang mit Geld gehören eben nicht nur Tauschprozesse, sondern auch das Sparen, Anlegen und Borgen von Geld. x Eine Ebene der dahinterliegenden Wertorientierungen: Mit den einzelnen Praktiken ist immer ein spezifischer Sinn verbunden. In Konstruktion dieses Sinns nimmt das Individuum immer Bezug auf gesellschaftlich legitimierte Wertvorstellungen (z. B. auf die Idee vom Sparen). x Eine faktische Dimension: Es existieren immer gemeinsam gültige, vom Einzelnen nicht beeinflussbare institutionelle Rahmen für die Ausbildung finanzieller Identität. So stellt z. B. die Politik bestimmte Rahmenbedingungen für die Altersvorsorge auf, jährlich muss die Steuererklärung gemacht werden, darin sind bestimmte Regelungen für monetäres Handeln, wie z. B. das Anlegen von Geld, festgelegt. Auch dass in den westlichen Industrieländern mit ihrem Geldsystem jeder Bürger Zugang zu den Finanzmärkten hat, das heißt, sein Geld eigenständig anlegen kann, gehört zu diesen Rahmenbedingungen. 14 Die Unterscheidung der einzelnen Lebenswelten trifft Keupp anhand der Handlungsaufgaben, die sich dem Individuum stellen und unterscheidet so in familiäre Beziehungen, Intimität, die Entwicklung neuer enger Beziehungen und in Arbeit (vgl. Keupp 2006: 100). Da sich zum einen diese Bereiche mehr und mehr vermischen, zum anderen Monetäres all diese Bereiche mehr oder weniger tangiert, soll der Begriff der monetären Teilidentität hier nicht aus bestimmten Aufgaben heraus definiert werden, sondern zunächst als gedankliches Konstrukt dienen, welches empirisch gefüllt wird.
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2 Forschungsperspektive
x Eine soziale Dimension: Kulturelle Identitäten sind immer auch Ausdruck von Gruppenzugehörigkeiten bzw. -abgrenzungen. Indem man in der Lage ist, über seine Identität zu reflektieren, ordnet man sich einer bestimmten Gruppe, z. B. der Gruppe der „Schuldner“, der „kleinen Leute“, des „Durchschnittsverdieners“, zu. Darüber hinaus nehmen Individuen immer auch Zuordnungen anderer zu bestimmten Gruppen vor (und damit Abgrenzungen eigener Identitäten von diesen Gruppen). x Eine zeitliche Dimension: Im historischen Rückblick sind dem Einzelnen bestimmte Identitäten vorgegeben. Das können finanzielle Identitätskonstruktionen der Eltern sein, aber auch andere gruppenspezifische Identitätskonstruktionen, die die Gegenwart bestimmen. So kann vermutet werden, dass sich Ostdeutsche auch im Hinblick auf Monetäres innerhalb einer spezifischen Situiertheit sehen, stellt die Geschichte auch hinsichtlich der Akkumulation von Vermögen bestimmte Bedingungen dar. Darüber hinaus definieren Individuen auch Vorstellungen ihrer finanziellen Zukunft (z. B. wohlhabend sein). Diese Dimensionen sind miteinander verwoben: So bilden sich Gruppenidentitäten durch faktische Bedingungen in einer zeitlichen Situiertheit heraus. Um das obige Beispiel fortzuführen: Weil in der DDR Vermögensbildung kein Wert an sich war (da die Möglichkeiten des Konsums nicht den dafür zur Verfügung stehenden Geldmitteln entsprachen) und weil der Beitrittsvertrag bestimmte Wertmaßstäbe an das Vermögen und die Vermögenanwartschaften der Ostdeutschen anlegte, sind diese heute – im Gegensatz zur Gruppe der Westdeutschen – durch spezifische Vermögensverhältnisse und ihre Reflektionen darüber gekennzeichnet. Menschen nehmen also beständig monetäre Positionierungen vor, die, indem sie auf beispielsweise individuelle Herkunft, soziale Schicht, gesellschaftliche Werthaltungen verweisen, viele Elemente der Kultur ansprechen und einbeziehen. Monetäre Handlungen sind sowohl Ausdruck monetärer Identität als auch an ihrer Konstruktion beteiligt. In diesem Identitätsbegriff kommt die Dialektik seiner Ausbildung zwischen Individuum und Gesellschaft zum Ausdruck (vgl. Berger/Luckmann 2007: 186). Monetäre Identität wird in gesellschaftlichen Prozessen, die durch eine bestimmte Gesellschaftsstruktur determiniert sind, geformt, bewahrt und verändert. Umgekehrt reagiert solchermaßen aus dem Zusammenwirken von individuellem Bewusstsein, Organismus und Gesellschaftsstruktur produzierte Identität auf die vorhandene Struktur, bewahrt sie und verändert sie. Die Art der Identitätsausbildung hängt dabei von den Umständen der Internalisierung gesellschaftlichen Wissens ab, von den in der primären und sekundären Sozialisation gemachten Erfahrungen (vgl. Berger/Luckmann 2007: 190). So tritt in der subjektiven Erfahrungswirklichkeit Geld immer in vielfältigen Sinnzusammenhängen auf, die auf den durchlaufenden Sozialisationsprozess verweisen (vgl. auch
2.4 Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
73
Hirseland 1999: 101ff.). Die dort gemachten Erfahrungen beeinflussen – in der oben dargestellten Verwobenheit – über Deutungsmuster und Wertvorstellungen, bestimmte präsentierte Ausschnitte des Faktischen, die Wahrnehmung konkreter Handlungssituationen. So macht es einen Unterschied, ob Geld frühen Sozialisationserfahrungen als sorgsam zu bewirtschaftende Ressource wahrgenommen wurde oder ob sein Vorhandensein eine fraglose Gegebenheit war. Genauso spielt es eine Rolle, ob Geld später als Entgelt für eine Leistung, als regelmäßige Zahlung oder als Zuteilung empfangen wird. Geldvermittelte Beziehungen können als unangenehm erlebt werden (z. B. die Situation als Kunde in einer Bank) oder als stimulierend (z. B. beim Einkaufen, vgl. zu einer psychologischen Konzeption von Geld als Projektionsfläche innerer Wünsche und Konflikte auch Haubl 2002 und Boundy 1997). Mit dem Begriff der monetären Identität und der dialektischen Konzeption seiner Ausprägung wird die Verwendung von Geld nicht als versachlichter, rein ökonomischen Kriterien untergeordneter Austausch gesehen, sondern als Ausdruck expliziter und impliziter Regeln und Wertvorstellungen, die im Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen Institutionen und individuellen Sinnstrukturen erfahren werden. Mit Verweis auf Berger und Luckmann kann man damit die Vorstellung einer kollektiven Identität fallen lassen (vgl. Berger/Luckmann 2007: 185) und statt dessen vielmehr bestimmte Identitätstypen ausmachen, die sich immer am individuellen Fall manifestieren und ausdifferenzieren. 2.4.3
Medien und Gespräche als Konstrukteure monetärer Identität
„The self is a symbolic project that the individual actively constructs. It is a project that the individual constructs out of the symbolic materials which are available to him or her, materials which the individual weaves into a coherent account of who he or she is, a narrative of self-identity.” (Thompson 1995: 210)
Die Frage danach, wie Individuen ihre monetären Identitäten unter den im Einleitungskapitel skizzierten Bedingungen der Individualisierung und wachsenden Komplexität innerhalb einer „Konversationsmaschine“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 163) ausbilden, macht es nötig, unter Rückgriff auf die interaktionistischen Ansätze George Herbert Meads die Rolle der Kommunikation zu detaillieren und anschließend auf die Identitätsausbildung durch Medien einzugehen, die weder bei Schütz noch bei Berger und Luckmann eine Rolle spielt. Monetäre Identität entsteht immer aus der Konstruktion eines „Eigenen“, die durch den Kontrast zu einem realen oder imaginierten „Anderen“ hergestellt wird. Diese Konstruktion ist ein zentraler kommunikativer Vorgang; erst in Interaktion mit seiner Umwelt kann Ego den Dingen, die ihn umgeben, einen subjektiven Sinn zuweisen. Wie abhängig die Konstitution einer Identität von der sozialen Interaktion von einzel-
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2 Forschungsperspektive
nen Individuen mit anderen ist, hat George Herbert Mead in seinem Buch „Geist, Identität und Gesellschaft“ herausgearbeitet (Mead 1973). Er konzipiert diesen Prozess als Vermittlung zwischen den zwei Aspekten der Identität („Me“ und „I“) und der Gesellschaft auf der anderen Seite. Das soziale Selbst, das „Me“ verkörpert die Rollen und die Erwartungen des „verallgemeinerten Anderen“ (vgl. Mead 1973: 196). Es ist die gesellschaftliche Dimension der Identität, die durch Rollenübernahme („taking the role of the other“) innerhalb sozialer Interaktionen internalisiert wird. Ego betrachtet also nicht nur sein jeweiliges Gegenüber, sondern ist auch in der Lage, die Rolle des anderen einzunehmen und sich selbst aus dessen Perspektive zu betrachten. Er sieht sich mit den Augen des anderen und wird für sich selbst zum Objekt. Erst dadurch kann er eine Vorstellung seiner selbst, ein Selbst-Bewusstsein entwickeln. Das I ist die personale Dimension der Identität, es reagiert spontan und kreativ auf die an es herangetragenen sozialen Erwartungen. Die Identität wird nun durch den permanenten Dialog von Me und I hergestellt, wie er in jeder Interaktion stattfindet. "Die Identität ist (...) die Handlung des I in Übereinstimmung mit der Übernahme der Rolle anderer im Me. Die Identität besteht sowohl aus dem I wie aus dem Me, wobei letzteres die Situation bestimmt, auf die das I reagiert. Sowohl I als auch Me sind in der Identität gegeben und unterstützen sich gegenseitig." (Mead 1973: 324)
Indem Identität die Differenz zwischen Alter und Ego als zentrales Element thematisiert und auch ihre Überwindung, lässt sich der Begriff der Identität als wissenssoziologische Kategorie verorten. Die Entwicklung einer persönlichen Identität wird für das Subjekt nur möglich vor dem Hintergrund einer Gesellschaft und seiner Situiertheit darin. Diese untrennbare Verbindung von Individuum und Gesellschaft, die im Begriff der Identität stattfindet, lässt sich mit Mead als Verschmelzung lesen und nicht als Determiniertheit. Mit dem kreativen „I“, welches er dem gesellschaftlichen „Me“ entgegengesetzt hat, betont er diese aktive Rolle des Individuums. Die Rolle von Kommunikation für die Identität ist also nach Mead nicht ohne die Kenntnis der Situation und der in ihnen angewandten Regeln zu analysieren. Dieser grundlegende Gedanke findet seine Fortsetzung in den Untersuchungen Erving Goffmans, der sich der Anwendung von Regeln, Normen und Rollen auf bestimmte Situationen gewidmet hat (vgl. Goffman 1959, 1967, 1974, 1978). Goffman ging davon aus, dass Menschen in Kommunikationssituationen motiviert sind, „den Eindruck, den sie von der Situation empfangen, unter Kontrolle zu bringen“ (vgl. Goffman 1959: 17) und Techniken anwenden, um sich in sozialen Situationen darzustellen, sich wahrzunehmen und ihre Handlungen zu koordinieren. Die Identität eines Menschen zeigt sich in seinen Handlungen, in der von ihm gewählten Darstellung, seinen persönlichen und sozialen Fassaden, Formen der
2.4 Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
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Ausdruckskontrolle und der dramatischen Gestaltung seiner Interaktionen (vgl. Goffman 1959: 23ff.).15 Bei Goffman werden damit bereits strukturelle Elemente der Identitätskonstruktion in kommunikativen Situationen deutlich, auf die später noch zurückzukommen sein wird. Während der symbolische Interaktionismus und die mikroanalytische Fortführung durch Goffman sich vor allem auf die situationalen und personalen Kontexte von Kommunikation konzentriert, weisen Vertreter der Cultural Studies wie Stuart Hall, die sich schon früh mit der Rolle von Medien für die Identität beschäftigten, darauf hin, dass jedes Subjekt zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen diskursiven Kontexten unterschiedliche Identitäten annimmt und damit Identität als laufender Prozess zu denken ist, für den die kommunikative, kontextuell-situative Abgrenzung gegenüber den verschiedenen Identifikationsangeboten eine Voraussetzung ist (vgl. Hepp 1999: 55). Medien sind in diesem Prozess der ständigen Identitätsreflektion und -konstruktion genau wie Gespräche als solche Angebote zu sehen. Dabei wurden eingangs zwei Prozesse genannt, die als Rahmenbedingungen für diesen Vorgang gelten können: Zum einen nimmt der Zwang zur Identitätsartikulation zu (Individualisierung) zum anderen gibt es immer mehr und immer vielfältige Materialien und Angebote zur Identitätsartikulation (Mediatisierung). Vertreter der Cultural Studies weisen nun darauf hin, dass die Vielfalt des medialen Angebotes zu einer Fragmentierung der Identitäten führt. Hall (1996) schreibt: „(…) identities are never unified and, in late modern times, increasingly fragmented and fractured; never singular but multiply constructed across different, often intersecting and antagonistic, discourses, practices and position. (Hall 1996: 4)
Im Verständnis der Cultural Studies nimmt das Individuum über die Rezeption massenmedialer Kommunikate, die wiederum als codierte Reproduktion der geltenden Diskurse zu lesen sind, an einem bzw. mehreren gesellschaftlichen Diskursen teil, auf die es immer vor dem Hintergrund seiner eigenen gesellschaftlichen Situiertheit in einer spezifischen Form Bezug nimmt. Hall entwirft mit seinem Encoding/Decoding-Modell (Hall 1980) ein grundlegendes Modell der Rezeption medialer Kommunikate, die gleichzeitig immer auch eine Artikulation und Konstruktion von Identität ist. Demnach sind in jedem Text, der als ein spezifisch co15
Unter einer Darstellung („performance“) versteht Goffman das Gesamtverhalten, das eine Person vor anderen zeigt und das von der Person beeinflusst wird. Das „standardisierte Ausdrucksrepertoire, das das Individuum bewusst oder unbewusst verwendet“ (vgl. Goffman 1959: 23) nennt er Fassade und zählt dazu Statussymbole, Kleidung, Körperhaltung sowie soziale Erwartungsmuster, wie sie z. B. mit einer Rolle als Schuldner verbunden sind und denen man mit seinem Verhalten in der Gesellschaft zu entsprechen hat.
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2 Forschungsperspektive
diertes Kulturprodukt verstanden werden kann, Verweise angelegt, die einer Empfehlung gleich, ein „preferred reading“ (vgl. Fiske 1987: 65) also eine bestimmte Lesart fördern. Neben dieser „Normallesart“ ist auch ein „negotiated reading“ und ein „oppositional reading“ möglich. Texte werden also vor dem Hintergrund einer bereits vorhandenen Identität rezipiert und dabei so rekonstruiert, dass sie vor dem Hintergrund der eigenen Identität stimmig erscheinen („texts are made by their readers“). Dabei existiert nun aber nicht eine unendliche Anzahl von möglichen Lesarten. Für welche Lesart sich das Individuum entscheidet, so legen die Cultural Studies nahe, ist abhängig von der gesellschaftlichen Situierung des Individuums, die stabile kulturell geprägte Interpretationsweisen hervorbringt und damit im Sinne von Gramscis Hegemoniekonzept die kulturell dominierende Sichtweise immer wieder reproduziert. Als solche können vor allem die soziale Positionierung (vgl. Fiske 1987: 80), die vor allem vor dem Hintergrund der materiellen Lebensbasis entsteht, aber auch damit zusammenhängende ethnische, geschlechts- oder generationenspezifische Positionen genannt werden. Identitäten sind demnach, ähnlich wie Texte, diskursiv strukturiert. An dieser Stelle ist zu konstatieren, dass die Cultural Studies hier von einem Identitätsverständnis ausgehen, welches sich von dem der symbolisch-interaktionistischen Perspektive abhebt (vgl. auch Krotz 1999; Krotz 1997). Zwar nimmt auch der symbolische Interaktionismus eine Konstruktion des Textes durch den Leser an, dabei konzipiert er diesen jedoch nicht einfach nur als soziostrukturell bestimmten „Durchlauferhitzer“, der herrschende Diskurse reproduziert. Vielmehr ist die Interpretation eines Textes als offenes Projekt zu begreifen, welches zwar durch die Rollen und Regeln der Kommunikationssituation strukturiert wird, Bedeutungen werden jedoch im Rahmen einer sich ändernden persönlichen Identität neu erzeugt und nicht nur reproduziert. So ist die Ausbildung einer monetären Identität eben nicht nur (wie es darüber hinaus auch in der Perspektive Bourdieus der Fall wäre) eine rein klassenspezifische und sozialstrukturelle Bestimmung: Zwar nimmt das Kind der unteren Klassen, welches Geld als knappe Ressource erfährt, die Welt aus der Perspektive der Unterschicht wahr, aber eben darüber hinaus auch in der Färbung der Sichtweise seiner Eltern bzw. anderer Agenten seiner primären Sozialisation. Ein und dieselbe Perspektive – die der unteren Klassen – kann Verachtung, Resignation, Ressentiment und Empörung auslösen: Das Kind bewohnt eine Welt, die nicht nur von der des Kindes aus der höheren Klasse verschieden ist, sondern wiederum von der des Kindes aus der unteren Klasse nebenan sehr verschieden ist (vgl. Berger/Luckmann 2007: 141). Dieser Unterschied nun kann spezifisch der Kommunikation zugeschrieben werden; sie ist damit der wesentliche Prozess bei der Ausbildung monetärer Identität. Sozial bestimmte Auslegungen von Geschlecht und gesellschaftlicher Position strukturieren also zwar durchaus die Interpretation von Kommunikaten, aber sie tun dies nicht im Sinne einer Determination. Vielmehr gewinnt das Individuum seine Einheit nicht „aus der Gleichförmig-
2.4 Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
77
keit gesellschaftlicher Haltungen … sondern aus einer Balance zwischen biographischer Konstanz und flexiblem Rollenspiel“ (vgl. Miebach 2006: 63) und den darin gemachten Erfahrungen. Im Identitätsbegriff von Mead ist somit das gesellschaftlich Vorgegebene und das subjektiv Kreative vereinigt. Diese unterschiedliche Konzeption des Prozesses der Identitätskonstruktion durch die Cultural Studies und dem symbolischen Interaktionismus hat nun auch Konsequenzen für die Konzeption von Identität an sich. Während die Identität im Sinne Meads als ständige Herstellung des eigenen Selbst vor dem Hintergrund der Biografie und der durch Sozialisation wirkenden gesellschaftlichen Verortung auf Kohärenz angelegt ist, gehen Vertreter der Cultural Studies vor dem Hintergrund eines Identitätskonzeptes, in dem sich gesellschaftliche Diskurse und Machtstrukturen wiederholen, von einem mehrfach fragmentierten Individuum aus. Nach Hall ist ein einheitlicher Identitätskern, wie Mead ihn beschreibt, in ausdifferenzierten Gesellschaften illusorisch. Vielmehr geht er vom „postmodernen Subjekt, das ohne gesicherte, wesentliche oder anhaltende Identität konzipiert ist“ (vgl. Hall 1994a: 182) aus. 2.4.4
Die identitätsrelevante Aneignung medialer Inhalte
Trotz dieser Unterschiede in der theoretischen Konzeption der Konstruktion von Identität liefern beide als interpretativ zu bezeichnenden Ansätze Erkenntnisse zur Rolle der Medien im Identitätsprozess. Die traditionelle Medienwirkungsforschung ging zwar durchaus davon aus, dass Massenmedien ihren Teil zur Ausbildung von und Vermittlung zwischen gesellschaftlichem und subjektivem Wissen beitragen, die Frage, in welchem Ausmaß sie dies tun, wurde dabei aber erstens unterschiedlich beantwortet und zweitens wurden Kommunikate dabei als unveränderliche Objekte begriffen. Während frühere Ansätze von einer Allmacht der Medien auf die Meinungen und Weltanschauungen des Publikums ausgingen und in einer gesellschaftskritischen Lesart eine Bedrohung durch Medien konstatierten (z. B. durch Horkheimer, Adorno, Gehlen), betonten spätere Forschungsarbeiten die Eigenständigkeit des Rezipienten und die Erweiterung seines Erfahrungsradius’ durch andersartige Medien (z. B. McLuhan). Sowohl die wirkungsstarken als auch die wirkungsschwachen Ansätze gehen von einer Zweiteilung Mensch und Medien aus. Dies ist – wie gezeigt wurde – mit der Theorie von Schütz und ihrer wissenssoziologischen Konkretisierung nicht vereinbar. Die Dinge, die immer Appräsentationen darstellen und damit die ganze Ordnung der Sozialwelt existieren nicht als semiotisches System an sich, sondern werden erst im Handeln realisiert, reproduziert und verändert – soll heißen, in der Kommunikation (vgl. Knoblauch/Kurt/Soeffner 2003: 21). Die Realität der Alltagswelt konstituiert sich erst im Wirken des Subjekts, in Interaktion und Kommunikation. Medien sind ein integraler Bestandteil
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2 Forschungsperspektive
von Gesellschaft, ein aktives Element im sozialen Prozess, aus dem die Realität sozialer Verhältnisse erst hervorgeht (vgl. Keppler 2005: 95). „Die alten und neuen Medien verändern nicht allein die soziale und symbolische Weltaneignung, sie unterliegen zugleich einer permanenten, sozial wie symbolisch gesteuerten Aneignung. Ihre interne Logik, die Konfiguration ihrer spezifischen Hardware und Software, trifft in allen Kontexten des Mediengebrauchs auf eine soziale Logik, das heißt auf unterschiedliche Konstellationen der Ausnutzung der von ihnen eröffneten Möglichkeiten.“ (Keppler 2001a, Hervorh. im Original)
Mit Ansätzen wie dem Konzept der parasozialen Interaktion (vgl. Horton/Wohl 1956), der Rezeptionskaskade (Krotz 2001) sowie dem Hinweis auf die soziale Einbettung (vgl. Charlton 2001) liegen Übertragungen des symbolisch-interaktionistischen Verständnisse von Identitätsherstellung auf den Umgang mit standardisierten Kommunikaten, wie es Massenmedien sind, vor. Obwohl der Andere, der zur Ausbildung von Identität zwingend notwendig ist, hier nicht anwesend ist, findet trotzdem eine Kommunikation statt, indem der Rezipient auf seine kommunikativen Vorerfahrungen zurückgreift (vgl. Krotz 1997: 81) und so eine imaginative Rollenübernahme realisiert. Sowohl in der konkreten Rezeptionssituation als auch in darauffolgenden Momenten, die wiederum in andere Kontexte eingebettet sein können, wird an der Definition und Darstellung der eigenen Identität gearbeitet. Obwohl Studien in der Tradition der Cultural Studies letzten Endes immer ein strukturdeterministisches Element innewohnt, gehen sie doch ähnlich wie der symbolische Interaktionismus von einer Verwobenheit von Subjekt, Medien und Gesellschaft aus (als Überblick siehe Hepp/Winter 1999) und belegen in ihren empirischen Aneignungsstudien, dass Produktion und Rezeption nicht identisch sind. Durch die Verwendung des Begriffes „Aneignung“ wird die eigenständige Konstruktion von Wirklichkeit durch Fernsehzuschauer, Zeitungsrezipienten und Groschenheftleser betont. Kommunikative Aneignung, im Gegensatz zu Rezeption, bezeichnet damit einen kulturell umfassend kontextualisierten Prozess des „Sich-zuEigen-Machens“ von Medieninhalten (vgl. Hepp 2005: 67) und Medientechnologien (vgl. Silverstone/Hirsch 1992). In diesen Ansätzen spielen dann auch die Lebenswelt, d. h. der Alltag der Mediennutzer und seine soziokulturelle Verortung eine große Rolle. Ethnische Gemeinschaften wie z. B. asiatischstämmige Jugendliche in London und populärkulturelle Gemeinschaften wie Fangruppen haben jeweils einen spezifischen Umgang mit den Medienangeboten. Medien werden hier zu Möglichkeiten der Identitätsartikulation; Medienaneignung wird als aktiver Prozess verstanden, in dem die Mediennutzer ihre Version der Kultur rekonstruieren. Wie bereits dargestellt, sind durchaus andere Lesarten als die durch die Medien verbreiteten Diskurse möglich. So werden Serien beispielsweise als spezifische Handlungsressourcen verwendet, sie dienen nicht nur zum Ausleben von Wünschen und Träumen, sondern sind mit ihren Identitätsangeboten auch als Lebens-
2.4 Die kommunikative Konstruktion monetärer Identität
79
hilfe zu verstehen (vgl. Hepp 2005: 71). Wie beispielsweise Dorothy Hobson mit ihrer Analyse zur Fernsehserie „Crossroads“ zeigen kann, sind Fernsehzuschauer mit einer Alltagskompetenz ausgestattet, vor deren Hintergrund sie bestimmte Angebote nutzen (vgl. Hobson 1982). Alltagskompetenz ist nach Hobson ein kritisches Wissen über Medien und die Möglichkeit seiner Anwendung. Die soziale Rolle des Publikums (das in diesem Fall überwiegend aus Hausfrauen aus der Mittel- und der Arbeiterschicht bestand), ist es, über die „Crossroads“ vermittelt wird. Die Themen der Serie stellen symbolisches Material dar, das Frauen die Auseinandersetzung mit denen im eigenen Leben erfahrenen Problemen ermöglicht. Hobson spricht hier von „fiktionalen Problemlösungen“ (vgl. Hobson 1982: 131), die als Material für die kommunikative Verhandlungen solcher Themen in der Alltagswelt dienen. Vor allem an den Forschungen zu der Fernsehnutzung von Migranten wurde deutlich, dass Medieninhalte nicht nur bereits vorhandene Elemente von Identität verstärken bzw. verdichten, sondern dass sie helfen, diese Identität überhaupt erst zu entwickeln (vgl. Gillespie 1995). In der genannten Studie dient das Fernsehen den indischstämmigen Jugendlichen dazu, eine gemeinsame britisch-asiatische und damit hybride Identität herauszubilden und sich dabei gleichzeitig auf die Lebensform und Kultur ihrer Eltern zu beziehen und davon abzugrenzen. Wenn Gillespie zeigt, wie die durch Werbung vermittelte Konsumwelt für die Jugendlichen einen Freiraum bedeutet, den sie gerne in Besitz nehmen, distanziert sie sich vom Konzept der Widerständigkeit, welches bis dato in den Cultural Studies eine große Rolle gespielt hatte. Aktive Medienaneignung durch benachteiligte Gruppen bedeutet eben nicht unbedingt den Widerstand gegenüber hegemonialen Diskursen oder den Anschluss an sie, sondern kann innerhalb einer eigenen Welt zur eigenständigen Identitätsartikulation genutzt werden. Gleichzeitig zeigen Untersuchungen in dieser Tradition immer auch die Bedeutung von Alltagsgesprächen und ihre Verbindung zur Medienkommunikation. So kann Keppler in ihrer Untersuchung zeigen, dass die Familie ein „Relais“ zwischen privaten und öffentlich, medial vermittelten Orientierungen darstellt (vgl. Keppler 1995: 263). Die interpersonale Kommunikation wird – 70 Jahre nach der Studie „The People’s Choice“ von Lazarsfeld, Berelson und Gaudet, die das Blickfeld für die Bedeutung persönlicher Netzwerke für die Bildung einer politischen Meinung eröffnete – in aktuellen Aneignungsstudien hoch gewichtet. Anders als in dieser Studie konnte allerdings in späteren Forschungsarbeiten gezeigt werden, dass verbale Kommunikation nicht nachgeschaltet ist; vielmehr sind bereits die Fernsehabende und Lesestunden von ihr durchsetzt. Der alltägliche Diskurs in Familien, Freundes- und Kollegenkreisen wird so zum Ort der kulturellen Aneignung von Medieninhalten. So zeigen Holly und Habscheid, wie Menschen in Unterhaltungen vor dem Fernsehgerät Sinn herstellen, oftmals fernab des beabsichtigten Sinnes. So wird aus einem Horrorfilm Lebenshilfe medizinischer Art übernommen,
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2 Forschungsperspektive
„ernsthafte“ Filme werden parodiert und zur Familienunterhaltung genutzt (vgl. Holly/Habscheid 2001). Es kann also vor dem Hintergrund einer kommunikativ konstruierten Lebenswelt nicht von einem Gegensatzpaar Individualkommunikation und Massenkommunikation ausgegangen werden. Vielmehr stellen beide Kontexte füreinander dar und sind ineinander verwoben. So sind Medien immer als ein und in einem Gesamt an kommunikativen Aktivitäten zu begreifen (vgl. Höflich 2005: 77) und zu analysieren: „… es ist nicht möglich, Prozesse kommunikativer Aneignung isoliert bzw. für sich zu fassen“ (vgl. Hepp 2005: 72) Sie sind vielmehr als ein bestimmender Teil der sozialen Welt zu begreifen (vgl. Keppler 2005: 93) und bilden damit einen zentralen Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrates. Wie die kulturwissenschaftlichen Studien zeigen, werden Medienangebote immer vor dem Hintergrund des bereits vorhandenen Wissens gelesen und aktiv eingesetzt. Dieses Wissen wird dabei nicht nur bestätigt, sondern auch verändert.
2.5
Institutionen der Wissensvermittlung und -konstruktion
Kommunikation bezeichnet also den Prozess, innerhalb dessen der Abgleich subjektiven und gesellschaftlichen monetären Wissens passiert und indem sich als Folge die monetäre Identität als eine wesentliche Teilidentität herausbildet. Wenn nun Identität in Kommunikationssituationen hergestellt wird und dort Bedeutungszuweisungen und Interpretationsregeln gleichermaßen entstehen, dann ist die Frage nach der Entstehung monetärer Identität auch eine Frage nach der Strukturierung solcher Situationen. Ganz im Sinne der Meadschen Fragestellung soll es in dieser Arbeit nicht um die jeweils vermittelten monetären Ideen oder Bedeutungen selbst gehen, sondern um die Handlungsprinzipien, nach denen sie ausgebildet und für die Identitätskonstruktion relevant werden. Damit begreift man Kommunikation als Geschehen, dessen Verlauf eben nicht absolut ergebnisoffen, sondern koordi16 niert und geregelt ist, um ein Mindestmaß an Verständigung zu gewährleisten. Kommunikation ist nach Höflich der regelgeleitete Austausch von Bedeutungen und Wirklichkeitskonstruktion der verschiedenen Individuen. Höflich konstatiert im Sinne des Schützschen Limesbegriffes: „Der Mensch konstruiert seine Wirklichkeit, ohne sich jemals der Wirklichkeitskonstruktionen anderer endgültig sicher sein zu können“ (Höflich 1996: 30). Subjektive Sinngebungs- und Interpretationsprozesse sind nicht beliebig. Die Frage nach Strukturen innerhalb dieser Prozesse, die eine gelingende Kommunikation und damit die Vermittlung zwischen sub16 Vgl. zu einer regelorientierten Perspektive von Kommunikation auch Baacke 1975 und Höflich 1988 sowie Höflich 1996.
2.5 Institutionen der Wissensvermittlung und -konstruktion
81
jektivem Sinn und intersubjektivem Wissen ermöglichen, ist damit gleichzeitig eine Frage nach Mechanismen der Identitätskonstruktion, die über den Einzelfall bzw. die jeweilige Kommunikationssituation zwischen konkreten Individuen hinausgehen und stellt einen Versuch dar, mehr als eine individualistische Beschreibung der Konstruktion monetärer Identitäten zu liefern. Wenn man nun die Existenz von Handlungsprinzipien, Regeln, Strukturen in Kommunikation annimmt, die kommunikatives Handeln erwartbar machen und damit ein (permanentes) Problem der Handlungsabstimmung zwischen den Kommunikanden lösen, dann kann man diese Strukturen auch als Institutionen bezeichnen. Institutionen wurden von Berger und Luckmann als legitimierte Regelkomplexe für das Handeln gekennzeichnet, die Wissensvorräte auf übersituative Dauer stellen und die durch Übereinkunft aufrechterhalten werden. Zur Erinnerung: Eine Institutionalisierung lag dann vor, wenn „habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 58). Genau das ist der Fall in Interaktionen: Ego versetzt sich in die Rolle Alters und Alter in die Rolle Egos; die Perspektive des jeweils anderen wird im gemeinsamen Handeln übernommen. Indem man von typischen Strukturen und Handlungsprinzipien in Kommunikation ausgeht und diese als Institutionen begreift, nimmt man an, dass innerhalb kommunikativer Situationen nicht nur identitätsrelevantes Wissen vermittelt wird, sondern dass diese Institutionen selber auch Wissen sind. Im folgenden Kapitel will ich mich mit der Frage beschäftigen, wie solche Institutionen von Kommunikation, deren Kenntnis die Voraussetzung für eine identitätsstiftende Wissensvermittlung ist, im Detail aussehen könnten. Berger und Luckmann charakterisieren im Anschluss an Schütz die „Vis-àVis-Situation“, also die direkte Unterhaltung zweier Personen, als „Prototyp aller gesellschaftlichen Interaktionen“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 31). Später unterscheidet Luckmann zwischen der unmittelbaren Kommunikation und der mittelbaren Kommunikation (Luckmann 2002a: 162). In der unmittelbaren Kommunikation befinden sich die Kommunikanden in wechselseitiger Reichweite und sind füreinander präsent, während die mittelbare Kommunikation durch technische Hilfsmittel „massenmedial strukturiert“ wird. Weder Schütz noch Berger und Luckmann ordnen Medien weitergehend in ihre Systematik der Vermittlung des Wissens ein. In Weiterführung ihrer Gedanken sollen sowohl die direkte, unvermittelte Interaktion als auch die mediale, d. h. technisch vermittelte Interaktion auf Institutionen der Wissensvermittlung und -konstruktion hin untersucht werden. 2.5.1
Unvermittelte Kommunikation
Die interpersonale Kommunikation ist durch die Unmittelbarkeit sowohl des kommunikativen Handelns als auch des darauf komplementär bezogenen Erlebens
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2 Forschungsperspektive
und Verstehens dieses kommunikativen Handelns gekennzeichnet. Die Unmittelbarkeit besteht sowohl in räumlicher als auch zeitlicher Hinsicht17 und macht es für Ego möglich und nötig, direkt auf die Aktionen Alters zu reagieren. Mit der Sprache wurde bereits auf die wohl prominenteste Form der Objektivierung von Wissen verwiesen. Bereits in den Arbeiten Alfred Schütz finden sich mit dem Begriff des Deutungsschemas (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 308ff.) eine typisierende Zeichenkombination, die man als Institution der Kommunikation verstehen kann. Knoblauch geht einen Schritt weiter, wenn er „Kontexte“ als Strukturen der Kommunikation ausmacht und sie als spezifische Wissensbestände bezeichnet (vgl. Knoblauch 1995). Diese Kontexte, wie sie beispielhaft von Luckmann in der Analyse „kommunikativer Gattungen“ ausformuliert wurden, bilden ein gesellschaftlich verankertes Repertoire an sozial möglichen Formen der Wissensvermittlung in unvermittelter Kommunikation. In dem Zeichen immer speziell strukturiert in kommunikative Handlungen eingebettet sind, bilden sie spezifische Formen der Darstellung, die ihnen Reflexivität verleihen. Solche „Muster von Kommunikation“ sind damit Interpretationshilfen und „metakommunikative Regieanweisungen“ (vgl. Knoblauch 1995: 80). Ein ähnliches Konzept der spezifischen Strukturiertheit unvermittelter Kommunikation findet sich mit Rahmen bereits in den Arbeiten Goffmans, auf die ebenfalls an dieser Stelle näher eingegangen werden soll. 2.5.1.1
Kommunikative Gattungen
Klatschgespräche, Predigten, Tischgespräche in Familien oder Beratungen sind soziale Kommunikationssituationen, die in typischer Art und Weise strukturiert sind. In ihnen wird Wissen in einer charakteristischen und geordneten Weise produziert, vermittelt und tradiert. Thomas Luckmann, der sich auf die Analyse solcher Formen konzentrierte, spricht hier von „kommunikativen Gattungen“. Er unterscheidet sie von spontanen kommunikativen Handeln dadurch, dass sich „… der Handelnde schon im Entwurf an einem Gesamtmuster orientiert, als dem Mittel, das seinen Zwecken dient. Dieses Gesamtmuster bestimmt weitgehend die Auswahl der verschiedenen Elemente aus dem kommunikativen ‚Code’, und der Verlauf der Handlung ist hinsichtlich jener Elemente, die vom Gesamtmuster bestimmt sind, voraussagbar.“ (Luckmann 1986: 201)
17 Wenngleich auch nicht in sozialer Hinsicht: So findet Face-to-Face-Interaktion auch mit Personen, die lediglich als Träger einer sozialen Rolle wahrgenommen werden (d. h. in der Ihr-Einstellung, die durch einen höheren Anonymitätsgrad der verwendeten Typisierungen bestimmt ist) statt (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 110)
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Indem kommunikative Gattungen in einer mehr oder weniger verbindlichen Weise vorgeben, wie man soziale Probleme auf einem kommunikativen Wege löst, sind sie ein Beispiel für die von Berger und Luckmann als Institutionen beschriebenen gesellschaftlichen Wissensformen. So bedarf es der Institutionalisierung, die gesellschaftlich verbindlich festlegt, wann eine kommunikative Gattung zur Anwendung kommt (wann z. B. ein Scherz statthaft ist und wann nicht), welche Redeanfänge, Themen, Verlaufsstrukturen und Beendigungen in spezifischen Kommunikationssituationen gewählt werden. Hier wird eine weitere Eigenschaft von Institutionen deutlich: Sie schließen Alternativen aus und die Missachtung einer institutionalisierten Regel zieht Sanktionen nach sich. So wäre es eben kaum denkbar, eine Kaufverhandlung mit Witzen über den Verhandlungspartner zu beginnen; gleichfalls dürfte ein Bankkunde, der seine Bitte um einen Kredit nach Art einer religiösen Beichte gestaltet, sein Ansehen und die Kreditzusage aufs Spiel setzen. An diesen Beispielen wird deutlich, dass bestimmte kommunikative Gattungen in bestimmten sozialen Gruppen, Lebenswelten oder Milieus charakteristisch sind. Dort treten sie „wie Inseln im Fluss weniger streng strukturierter kommunikativer Prozesse“ (vgl. Luckmann 2002b: 189) auf. Um die Elemente zu systematisieren, die die soziale Verbindlichkeit der kommunikativen Gattungen herstellen, hat Luckmann sie in eine Binnenstruktur und eine Außenstruktur gegliedert. Zur Binnenstruktur gehören sowohl rein sprachliche Mittel wie Dialekt, Lautstärke, Intonation und stilistische Figuren als auch die Themen und ihre spezifische Abarbeitung. Zur Außenstruktur gehört die Anwendung des jeweiligen Musters: Welche Situationen, Rollen und Milieus verlangen welche kommunikative Gattung? Kommunikative Gattungen sind wiederum die Bestandteile größerer Formen, die man beispielsweise als Veranstaltungen, und dabei als kommunikativ ähnlich gestaltete Situationen, an denen typische Arten von Akteuren institutionalisiert teilnehmen, bezeichnen kann (vgl. Knoblauch 2005: 174). Ein Beispiel dafür sind von Keppler analysierten Tischgespräche, die mehrere kommunikative Gattungen miteinander regelgeleitet verbinden (vgl. Keppler 1995). In Bezug auf solche familiären Veranstaltungen wird Geld häufig Gegenstand interpersonaler bzw. genauer genommen familiärer Kommunikation (vgl. Piorkowsky 1998), auch wenn es heißt „Über Geld spricht man nicht“. Doch gerade an diesem Sprichwort zeigt sich, das Gespräche über Monetäres sozialen Konventionen unterliegen und es in einigen Situationen Tabu ist, über profane finanzielle Tatsachen zu reden. Bergmann und Blöcher machen diese Regelung der Kommunikation finanzieller Tatsachen in ihrem Vorwort zu einer Studie über Geld und Moral in ostdeutschen Familientischgesprächen nach der Wende deutlich: „Dabei war natürlich nicht überraschend, dass in den Familientischgesprächen über Geld gesprochen wurde, überraschend war vielmehr, wie häufig und in welcher Form das geschah. Geld, Preise, Kosten, Gehälter etc. werden in verschiedenen Gesprächszusammenhängen thematisiert, auch in
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solchen, in denen es uns (Westlern) intuitiv als merkwürdig oder peinlich erschien, das Gespräch auf Geld zu lenken.“ (Bergmann/Blöcher 1998: 125)
Was die Forscher vor ihrem persönlichen Interaktionshintergrund (sie selbst waren Westdeutsche) dabei irritierte, war die moralische Indifferenz dieser Geldgespräche; Neuigkeiten und Tipps wie Preisnennungen wurden sachlich eingestreut und aufgenommen. Diese Familientischgespräche lösten für die ostdeutschen Familien das Problem der Orientierung in einem für sie ungewohnten System. Dabei waren für sie die Preise in ihrer neuen Unterschiedlichkeit ebenso erörterungswürdig wie die Qualität der Waren, ein Umstand, der den westdeutschen Forschern, die Gespräche über Geld oft sehr emotional und moralisch aufgeladen erlebten, auffiel. Piorkowsky bezeichnet Geld als Streitthema Nr. 1 unter deutschen Dächern (vgl. Piorkowsky 1998). Haubl macht dafür den für moderne kapitalistische Gesellschaften geltenden Zusammenhang zwischen Geldwert und Selbstwert als Funktion von Konsumchancen verantwortlich (vgl. Haubl 2002: 206). Dabei kann angenommen werden, dass basierend auf diesem Zusammenhang kulturelle Unterschiede existieren: Während es in Deutschland als Tabu gilt, jemanden nach seinem Lohn zu fragen, kommunizieren US-Amerikaner diesen relativ offen. Bergmann und Blöcher schließlich stellen in einer Folgeuntersuchung in späteren Jahren auch fest, dass sich die „Geldgespräche“ von Ost- und Westdeutschen im nunmehr gemeinsamen Erfahrungshintergrund angenähert haben; insgesamt sprachen Ostdeutsche weniger darüber und wenn, dann auch in der „lässig-verdrucksten“ Art der „Westler“ (vgl. Bergmann/Blöcher 1998: 140f.). Diese empirischen Befunde können damit als erster empirischer Hinweis darauf gelten, dass kommunikative Formen bestimmte kulturelle Kontexte erst ausbilden (vgl. Knoblauch 1995). Weitere Beispiele von kommunikativen Mustern der monetären Kommunikation in der Literatur finden sich in Streitgesprächen von Paaren (vgl. Wimbauer et al. 2002). Damit können Familiengespräche als Veranstaltungen, in denen strukturiert Geldwissen vermittelt wird und sich gemeinsame Deutungsmuster herausbilden, charakterisiert werden. 2.5.1.2
Deutungsmuster
Wenn man von Deutungsmustern spricht, spricht man grundsätzlich von der Organisation der Wahrnehmung der Umwelt in der Lebenswelt des Alltags (vgl. Lüders/Meuser 1997: 58). Dieser Grundgedanke findet sich sowohl bei Schütz, der dafür auch den Begriff „Deutungsschema“ verwendet (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 125) als auch im Goffmanschen Rahmenbegriff, zu dem ich anschließend
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kommen werde.18 Zugrunde liegt der Gedanke, dass man mit Deutungsmustern eine Ebene des Wissens ergründen will, die „jenseits oder unterhalb dessen liegt, was Akteuren als Handlungspläne, Einstellungen, Meinungen intentional verfügbar ist“ (vgl. Lüders/Meuser 1997: 64). Es geht also um eine Sinnschicht, die den Handelnden nicht in vollem Umfange reflexiv verfügbar ist, jedoch an ihren Äußerungen ablesbar ist. Deutungsmuster haben sich langfristig in der Sozialisation des Handelnden herausgebildet und werden in musterhafter Art und Weise in Kommunikationen eingebaut. Oevermann hat in einem zunächst unveröffentlichten Papier 1973 erste Grundzüge einer Deutungsmusteranalyse skizziert (vgl. Oevermann 2001). Nach Oevermann entwickeln sich Deutungsmuster aus der handlungspraktischen Bewältigung wiederkehrender Handlungsprobleme der Alltagspraxis, wie es zum Beispiel die Kindererziehung oder der Umgang zwischen Lebenspartnern ist. Allerdings zielt die Oevermannsche Lesart in ihrem eher strukturtheoretischen Verständnis darauf, ein unterliegendes System von steuernden Strukturen offenzulegen. Die Probleme der Alltagspraxis werden als objektiv begriffen. Keller kritisiert, dass kaum noch von kollektiven Deutungstraditionen im Sinne von Oevermann ausgegangen werden kann (vgl. Keller 2007). Wie bereits dargestellt, nimmt die wissenssoziologisch ausgerichtete Forschungstradition den Handelnden als nicht 19 nur als Träger, sondern Erzeuger und Gestalter von Deutungsmustern wahr. „Deutungsmuster in diesem Sinne werden als historisch, in Interaktionen ausgebildete Interpretationsmuster der Weltdeutung und Problemlösung begriffen. Im Gegensatz zur strukturalen Position [d. h. der von Oevermann, P.K.] wird dabei die generierende und gestaltende Rolle handlungsfähiger Subjekte betont (...). Bezogen auf das Konzept des Deutungsmusters bedeutet dies, daß diese den einzelnen Subjekten gegenüber zwar gesellschaftlich insofern vorgängig sind, als das einzelne Subjekt in ein bereits vorhandenes, historisch ausgebildetes, sprachlich repräsentiertes System von Regelstrukturen, Wissensbeständen und gesellschaftlicher Praxis hineingeboren und sozialisiert wird; doch diese sozialen Strukturen existieren weder unabhängig von den Handlungen der Subjekte noch führen sie ein Eigenleben.“ (Lüders/Meuser 1997: 62) 18
Die Begriffe Deutungsmuster, Schemata und Sinnschemata werden – Schütz folgend – synonym verwendet. 19 Damit geht die Wissenssoziologie zunächst von einem individuellen Charakter von Deutungsmustern aus und schließt sich damit direkt an Alfred Schütz an: "Wir können den Prozeß der Einordnung eines Erlebnisses unter die Schemata der Erfahrung durch synthetische Rekognition auch als Deutung dieses Erlebnisses bezeichnen [...]. Deutung ist dann nichts anderes als Rückführung von Unbekanntem auf Bekanntes, von in Zuwendungen Erfaßtem auf Schemata der Erfahrung. Diesen kommt also beim Prozeß des Deutens der eigenen Erlebnisse eine besondere Funktion zu. Sie sind die fertigen in der Weise des Wissens (Vorwissens) jeweils vorrätigen Sinnzusammenhänge zwischen kategorial vorgeformtem Material, auf welches das zu deutende Erlebnis in einem neuen synthetischen Akt rückgeführt wird. Insofern sind die Schemata der Erfahrung Deutungsschemata [...]" (Schütz 1992: 112). Im Gegensatz dazu fasst bspw. Habermas Deutungsmuster als kollektive Verfestigungen auf, die kulturell überliefert und sprachlich organisiert sind (vgl. Habermas 1981a: 189).
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Deutungsmuster übernehmen also die Funktion, Wissensbestände zu organisieren und zu strukturieren, indem sie bestimmten Inhalten von Kommunikationen Sinn und Bedeutung zuweisen, Normalitätserwartungen definieren und somit fraglos vorgeben, was man zu machen und zu tun hat.20 Ein für das monetäre Handeln relevantes Deutungsmuster ist zum Beispiel „Sparsamkeit“. Sparen lässt sich auf vielfältige Art sinnhaft codieren und als Aktivität in der alltäglichen Lebenswelt umsetzen. So kann unter Sparsamkeit eine bestimmte Lebenseinstellung verstanden werden (immer etwas zurücklegen, keinen Kredit aufnehmen); man kann Sparsamkeit in der Konsumgesellschaft aber auch als Relation verstehen, d. h. das man unter vielen Optionen die jeweils günstigste auswählt („Schnäppchen“). Dabei müssen es nicht unbedingt unmittelbar auf monetäre Sachverhalte bezogene Deutungsmuster sein, die für das monetäre Handeln relevant sind. In diesem Sinne zeigt Hirseland, dass ein spezifisches Deutungsmuster von „Familie“ auch einen großen Einfluss auf die monetäre Lebensgestaltung hat (vgl. Hirseland 1999: 97f.). So sind im kulturell vorherrschenden Deutungsmuster für Paarbeziehungen – dem der bürgerlichen (Klein-)Familie – Vorstellungen über normative Anforderungen enthalten (der Mann sorgt für das Familieneinkommen, die Frau ist für den Binnenbereich zuständig). Damit trägt dieses Deutungsmuster zu geschlechtsspezifischen Identitätsentwürfen bei, die rollenspezifische ökonomische Handlungspraxen nach sich ziehen. Abermals zeigt sich, dass Paarbeziehungen und Familien eben nicht nur Orte der Zuneigung und der der affektiven Konstruktion von Gemeinsamkeit sind, sondern dass in ihnen auch gemeinsam gewirtschaftet wird (vgl. Wimbauer et al. 2002). Dabei argumentieren Wimbauer et al., dass sich die monetäre Beziehung der Partner nicht verstehen lässt, ohne den Blick auf ihre affektive Vergemeinschaftung zu richten. Geld in Paarbeziehungen ist nicht nur von einem oder beiden Partnern verdientes „Haushaltsgeld“, sondern auch „Beziehungsgeld“: Es unterliegt beziehungsspezifischen Deutungsmustern. So wird das Einkommen von den Partnern entweder als „gemeinsames“ Geld oder – häufig von den Männern – als individuelles und individualisierendes Geld gedeutet. Darüber hinaus können die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gleichermaßen Freiräume als auch Verpflichtungen markieren Die Forscher schlussfolgern:
20 Der Begriff des Deutungsschemas wurde auch in der Schematheorie der kognitiven Psychologie weiterentwickelt, die sich vom Konstruktivismus jedoch unterscheidet, da sie Schemata als eine Reaktion des Organismus auf einen Stimulus konzipiert. Abgesehen von diesem paradigmatischen Unterschied werden auch hier Schemata als „Wissensstrukturen, in denen aufgrund von Erfahrungen typische Zusammenhänge eines Realitätsbereichs repräsentiert sind" definiert (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1988: 124).
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„Die Bedeutung des Geldes ist nicht einfach vorhanden und durch das Geschlecht dessen konzipiert, der es verdient oder besitzt; sie resultiert erst aus komplexen wechselseitigen und die Beziehung insgesamt charakterisierenden Zuschreibungen – etwa von beziehungsrelevanten Persönlichkeitseigenschaften, von Rollen und Aufgaben innerhalb und außerhalb der Beziehung, von dem, was die Beziehung stiftet oder zusammenhält.“ (Wimbauer et al. 2002: 283)
An diesen Beispielen zeigt sich auch, dass Deutungsmuster, obwohl sie individuell verortet werden, doch geteilt werden, von Kommunikationspartnern und lebensweltlichen Gemeinschaften. Indem Menschen als Angehörige bestimmter Gruppen in ihren Kommunikationen in ähnlicher Weise auf Deutungsmuster verweisen bzw. die Deutungsmuster erst konstruieren, können diese zum kommunikativen Haushalt gerechnet werden. Sie werden allerdings nicht explizit gewusst, sondern stellen eine Art implizites Wissen dar. Knoblauch bezeichnet sie in Analogie zu sprachlichen Regeln als „Generatoren von Deutungen“ (Knoblauch 2005: 179). Beispiele für den Ausdruck von Deutungsmustern auf kollektiver Ebene sind stereotype kommunikative Inhalte wie zum Beispiel Metaphern, Slogans und Gedankenfiguren. 2.5.1.3
Rahmen von Kommunikation
Eine wichtige Rolle bei der Analyse der kommunikativen Konstruktion der Wirklichkeit können auch Rahmen spielen, ein Begriff, der von Erving Goffman und seiner „Rahmen-Analyse“ geprägt wurde (Goffman 1977). Als Rahmen bezeichnet Goffman kulturell vermittelte Interpretationsmuster, mit denen die Akteure Aktivitäten und Situationen Sinn verleihen: „Zusammengenommen bilden die primären Rahmen einer sozialen Gruppe einen Hauptbestandteil von deren Kultur, vor allem insofern, als sich ein Verstehen bezüglich wichtiger Klassen von Schemata entwickelt, bezüglich deren Verhältnissen zueinander und bezüglich der Gesamtheit der Kräfte und Wesen, die von Schemata entwickelt, bezüglich deren Verhältnissen zueinander nach diesen Deutungsmustern in der Welt vorhanden sind.“ (Goffman 1977: 37)
Damit baut Goffman auf den im vorangegangenen Kapitel charakterisierten Deutungsmustern auf und fokussiert auf ihre Verwendung in Interaktionen. Der Begriff des Rahmens ist immer auf eine konkrete (Interaktions-)Situation bezogen; Rahmen zeigen den Handelnden an, in welcher Art von Wirklichkeit sie sich gerade befinden. „Die Menschen haben eine Auffassung von dem was vor sich geht, auf diese stimmen sie ihre Handlungen ab, und gewöhnlich finden sie sich durch den Gang der Dinge bestätigt. Diese Organisationsprämissen – die im Bewusstsein und im Handeln vorhanden sind – nenne ich den Rahmen des Handelns.“ (Goffman 1977: 274)
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Dabei geht Goffman über das Meadsche Begriffswerk zur Rollenübernahme hinaus, indem er annimmt, dass Menschen motiviert sind, Mittel zur individuellen Ausgestaltung von Rollen einzusetzen. Indem er aufgrund der Sozialität kultureller Rahmen voraussetzt, dass wir alle grundsätzlich das gleiche Rahmenrepertoire besitzen, welches die Basis kommunikativer Handlungen bietet (vgl. Eberle 1991: 176), untersucht er mit seinen „Interaktionsordnungen“ vergleichbar zu den kommunikativen Gattungen kommunikative Muster, die in bestimmten sozialen Situationen gelten. Dabei beschränkt er sich nicht auf soziales Handeln innerhalb formaler gesellschaftlicher Institutionen wie Gerichten, Kirchen, Unternehmen, sondern betrachtet Alltagshandeln in öffentlichen Plätzen wie Restaurants, Fahrstühlen etc. (vgl. Miebach 2006: 102). Wie Luckmann und Knoblauch geht es Goffman auch um die Kontextualisierung kommunikativen Handelns, er geht jedoch stärker auf den Handlungsaspekt ein, indem er bei der Untersuchung des „Rollenspiels“ nicht nur nach normativen Rollenhandlungen fragt, sondern nach dem „tatsächlichem Verhalten eines besonderen Individuums“ (vgl. Goffman 1973: 95) und dabei den Fokus auf ein „dramaturgisches Handeln“ der Individuen legt. Dabei nimmt er keinesfalls einen individualistischen Standpunkt ein, vielmehr analysiert er weder den einzelnen Akteur noch das Mitglied einer sozialen Gruppen, sondern „Interaktionsteilnehmer, die füreinander ein Publikum bilden, vor dessen Auge sie sich darstellen“ (vgl. Habermas 1981a: 128). Goffmans Rahmenanalyse ist dabei aus dem Versuch entstanden, die Mechanismen der Identitätskonstruktion von Menschen zu erfassen (und nicht etwa die Vermittlung von Wissen in der Gesellschaft zu beschreiben). Er sieht Akteure nicht als ein „Aspekt“ der Analyse von Interaktionen (wie das z. B. Mead und daran anschließend Luckmann tut), vielmehr ist das Individuum sein Ausgangspunkt (vgl. Miebach 2006: 102ff.). Demnach sind Individuen bestrebt, ihre Identität durch das jeweilige Rollenverhalten mitzuteilen, dabei aber sich auch gegenüber den Rollen abzugrenzen, indem sie immer leicht darüber hinausgehen (und damit eine „Rollendistanz“ wahren, vgl. Goffman 1973). Das Präsentieren der Identität findet im Spannungsfeld zwischen „phantom normalcy“, dem Bestreben, nicht über die Maßen aufzufallen und, wie Habermas später ergänzt, „phantom uniqueness“, dem Bestreben, in dieser Masse auch nicht unterzugehen, statt (vgl. Abels 2001: 178f.). Die Rahmenanalyse baut auf den diversen Arbeiten Goffmans zur Identitätsausbildung in Alltagsepisoden auf (vgl. Hettlage 1991) und stellt Rahmen als basale Mechanismen vor, über die Identitäten ins Spiel gebracht werden. Rahmen sind die implizit vorgenommenen oder explizit genannten Definitionen der Situation, aufgrund derer der Mensch bestimmt, wie er weiter vorgeht (vgl. Goffman 1977: 16). Dabei bilden die grundlegenden „primären“ sozialen Rahmen einen Verständnishintergrund für Ereignisse, in denen Motive, Absichten und steuerndes Eingreifen durch Menschen beteiligt sind. Innerhalb dieser primären Rahmen nun finden
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jene Sinntransformationen statt, die Goffman besonders interessieren: Täuschungen beispielsweise und andere Modulationen des Rahmens. Erst dieser äußere, sekundäre Rahmen gibt Aufschluss über das, was gerade vor sich geht. So können Scherze, Schwindelmanöver, Selbsttäuschungen etc. den Rahmenkern wesentlich verändern. Indem Goffman explizit unwahre Darstellungen und Täuschungen mit in die Analyse einbezieht, müssen Rahmen nicht notwendigerweise von den Kommunikationspartnern geteilt werden. Sie können jedoch insofern als Institutionen gelten, da sie die Identifikation von grundsätzlich erkennbaren und typisierbaren Handlungszusammenhängen durch einen Handelnden anzeigen. Mit anderen Worten: Täuschungen können entlarvt (oder aber auch mitgespielt) werden, und es kommt nicht darauf an, welche Situation wirklich vorliegt,21 sondern darauf welche Situation angenommen wird. Diese Institutionalisierung zeigt Goffman beispielhaft an Geschlechtsrahmen als "Gepflogenheiten der Geschlechter, ein Portrait der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen in ihrem Verhalten choreographisch darzustellen" (vgl. Goffman 1981: 37),22 an zeremoniellen Rahmen, wie sie z. B. bei Veranstaltungen gegeben sind oder aber auch an Gesprächsrahmen, die für ihn nicht nur aus einer Anwendungen von Sprach- und Sittenregeln (also bspw. der Wahl des richtigen Themas) bestehen, sondern auch in der Anwendung von Erkennungszeichen, die das Gespräch mit der Umwelt verknüpfen und eine Hintergrundstruktur für das Verständnis bilden. Der Bereich des Monetären unterliegt nun wie jeder andere Bereich des Alltags zahlreichen Rahmungen: Egal, ob Gesprächspartner innerhalb einer Verhandlung, Konsumenten im Shoppingrausch23 oder die bereits genannten Lebenspartner mit ihren unterschiedlichen Auffassungen von Geld – sie alle verfügen über soziale Darstellungsformen, mit denen sie jeweils ihre Situationsdefinitionen aufzeigen, ihre Identität im Rahmen und in Abgrenzung zu einer Rolle zum Ausdruck bringen und sich dabei im Fortgang der Interaktion an die jeweiligen Rahmungen des Partners anpassen. Nur auf den ersten Blick stellt die Verwendung der Rahmenperspektive auf etwas anderes als das phänomenologische Erkenntnisinteresse Alfred Schütz’, welches hinter Schütz’ Ausarbeitungen zum Begriff des Deutungsschemas steht, ab. Interpretiert man Rahmen als etwas Eingrenzendes, welches dem Eingegrenzten 21
Es gibt kein isolierbaren und fixierbaren Bedeutungen, die Organisation der Erfahrung ist immer kontextbezogen (vgl. Hettlage 1991: 103). 22 Er arbeitet diese Geschlechtsrahmen anhand einer Analyse von Reklamefotos heraus und geht damit über die rein sprachliche Ebene als Ausdruck von Wissen hinaus. 23 Interessant unter diesem Gesichtspunkt sind die psychologischen Analysen von Haubl, der zeigt, dass sich im Umgang mit Geld unsere Persönlichkeit mit all ihren unbewältigten lebensgeschichtlichen Traumata und Konflikten manifestiert (vgl. Haubl 2002). Im Sinne Goffmans wären diese Präsentationen beim Kaufen, Anlegen und Sparen als unterschiedliche soziale Handlungsformen zu lesen, mit denen man sein Ich im Alltag präsentiert.
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einen neuen Sinn verleiht, dann fragt man in der Tat nach der Differenz des Innen zum Außen (nicht aber nach der Konstitution des Innen, wie dies die Forschungsfrage von Schütz ist). Indem jedoch aus Goffmans Gebrauch des Begriffes erkennbar ist, dass er Rahmen eher als interaktionistische Deutungsmuster und Interpretationsschemata sieht, die sonst sinnlose Aspekte einer Szene zu etwas Sinnvollen machen (vgl. Goffman 1977: 31), kann man ein ähnliches Erkenntnisinteresse wie Schütz konstatieren (vgl. Eberle 1991: 166). Ähnlich wie Schütz sieht Goffman in Rahmen kulturelle Muster, die die Gesellschaft bereitstellt und ihren Mitgliedern während des Sozialisationsprozesses vermittelt. Der Unterschied zwischen beiden besteht vereinfachend gesagt darin, dass Schütz mit den Deutungsschemata den Konstitutionsprozess von subjektiven Rahmen erklärt, während Goffman sich auf die inhaltliche Beschreibung einiger der wesentlichsten Deutungsmuster und ihr interaktives Zusammenspiel konzentriert. Damit ist Goffmans Herangehensweise als genuin wissenssoziologische Fragestellung zu bezeichnen, während Schütz zwar ebenfalls von der gesellschaftlichen Konstruktion des Wissens ausgeht, sich aber „protosoziologisch“ der Klärung aus der egologischen Perspektive widmet (vgl. Eberle 1991: 192ff.). 2.5.2
Medial vermittelte Kommunikation
Ausgangspunkt der Untersuchung war die Feststellung, dass monetäre Sachverhalte zu einem großen Teil Gegenstand medienvermittelter Kommunikationen sind. Im Fokus der Arbeit stellt sich dann die Frage, inwieweit die mediale Vermittlung monetären Wissens institutionalisiert abläuft und welchen Einfluss Institutionen vermittelter Kommunikation auf die Ausbildung monetärer Identität haben. Auf die Luckmannsche Kennzeichnung von Medienkommunikation als vermittelt zurückgreifend, kann man sie als Ableitung der Kommunikation in Vis-àVis-Situationen bezeichnen. Dabei sind Medien zunächst als technische Artefakte zu kennzeichnen, die die Reichweite der Kommunikation und die Erreichbarkeit 24 der Kommunikanden erhöhen. Sie ermöglichen die Kommunikation zwischen räumlich und zeitlich entfernten Partnern. Die leibliche Anwesenheit der Kommunikanden ist zwar nicht gegeben, trotzdem sind sie aneinander orientiert. Schütz spricht in diesem Fall von einer Anonymisierung: Alter Ego wird nicht mehr in der umweltlichen Wir-Einstellung, sondern in der mitweltlichen IhrEinstellung erfasst (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 110ff.). Unmittelbare Kontexte 24 Damit wird hier explizit auf einen Begriff von Medien als technische Verbreitungsmittel abgestellt (und nicht etwa auf einen systemtheoretischen Medienbegriff, wie er zum Beispiel in Parsons Theorie der symbolisch generalisierten Medien verwendet wird).
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werden so in die Welt der potenziellen Reichweite verlängert. Im Fokus der Untersuchung medial vermittelter Kommunikationen stand bislang vor allem die Massenkommunikation. Massenkommunikation wurde als Form der Kommunikation definiert, bei der Aussagen öffentlich, durch technische Verbreitungsmittel, indirekt, bei räumlicher, zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz, einseitig an ein disperses Publikum gerichtet sind (vgl. Maletzke 1963: 32). Vor dem Hintergrund der Verbreitung neuer Medien wie dem Internet sowie der zunehmenden Beachtung von Kommunikation in Kleingruppen wurde die Schwierigkeit dieser Definition und der damit verbundenen Teilung in personale, d. h. direkter und privater Kommunikation und in anonyme Massenkommunikation deutlich (zur Kritik an dieser Dichotomie vgl. Reardon/Rogers 1988 sowie weiterführend zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Individual- und Massenkommunikation Krotz 2001: 77ff. und Jäckel 1996: 34ff.). Die Elemente „dispers“, „Masse“ und „einseitig“ verlieren vor dem Hintergrund neuer Medien ihre Erklärungskraft. Das zentrale Problem dieser traditionellen Definition besteht jedoch im zugrunde liegenden Kommunikationsmodell: Kommunikation ist hier konzipiert als Verlautbarung bzw. Verbreitung von Informationen von einem Sender zu einem Empfänger. Damit besteht kein Raum für die Erfassung des identitätskonstituierenden interaktionistischen Handelns, welches nach Mead jeder Kommunikationssituation zugrunde liegt.25 Zudem gibt es Kommunikationsformen, die, obwohl technisch vermittelt, nicht anonym zu nennen sind. Aus diesem Grund sollen Formen technisch vermittelter Kommunikation hier in Anlehnung an eine Systematik von Friedrich Krotz in folgende Typen medialer Kommunikation eingeteilt werden (vgl. Krotz 2001: 73ff.; Krotz 2008: 42): x Kommunikation mit inszenierten medialen Inhalten (bzw. „standardisierten Kommunikaten“), z. B. die Rezeption von Websites, Fernsehen, Büchern etc. oder – in den Worten von Thompson – „mediatisierte Quasi-Interaktion“, die auf ein unbestimmtes Potenzial von Adressaten orientiert ist, in Form eines Monologes daherkommt und translokal offen ist (vgl. Thompson 1995: 85) x Kommunikation mit Menschen mittels Medien wie Brief und Telefon; im folgenden einem Vorschlag Höflichs folgend, als technisch vermittelte interpersonale Kommunikation bezeichnet (vgl. Höflich 1996)
25 Vgl. Krotz zu einer ausführlichen Modellierung von mediatisierter Kommunikation als Interaktion im Sinne des symbolischen Interaktionismus (Krotz 2001: 75ff.). Die Nutzung von standardisierten Kommunikaten wie einer Fernsehsendung kann demnach als prozessuale Aktivität verstanden werden, in der die Rezipienten eine Einbindung in kommunikatives Geschehen beabsichtigen und in deren Verlauf sie aktiv das Geschehen auf dem Bildschirm für sich konstruieren. Der situative Rollentausch wird ersetzt durch einen imaginären.
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x Kommunikation mit Computerprogrammen, z. B. Aktivitäten innerhalb von Computerspielen Unter einem institutionstheoretischen Gesichtspunkt lassen sich nun die Medien an sich als Institutionen begreifen. „Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Medien als Kommunikation immer gesellschaftlich institutionalisiert sind, weil sie bei den Benutzern kulturell verankertes Wissen um ihre Funktion und ihren Gebrauch voraussetzen und nur bestimmte Umgangsweisen mit Medien ermöglichen“ (Hickethier 2003: 31).
Saxer beschreibt Medien bereits 1980 als „komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen“ (vgl. Saxer 1999: 6). Sie lösen das grundsätzliche Problem der Information der Gesellschaftsmitglieder in nicht mehr durch Primärerfahrung zugänglichen Gesellschaften. Dazu stellen Medien (öffentlicher Kommunikation) eine Öffentlichkeit her, die Gesellschaftsmitglieder in komplexen Gesellschaften brauchen und übernehmen eine Vermittlungsfunktion (vgl. Ronneberger/Rühl 1992; Gerhards 1998).26 In der auf das Individuum gerichteten Sichtweise der Arbeit ließen sich die permanenten Handlungsprobleme, die Medien öffentlicher Kommunikation für Individuen lösen, beschreiben mit Orientierung, Integration, Vergnügen u.a.m. (vgl. die detaillierte Darstellung im Rahmen des Uses-and-Gratifications-Ansatzes). Für die Arbeit relevant soll jedoch nicht die Analyse von medialen Institutionen wie Zeitung, Fernsehen, Radio, die aufgrund ihrer spezifischen Codierung und ihrem Organisationsgrad als (formale) Institutionen beschrieben werden, sein, vielmehr interessiert das kommunikative Handeln von Menschen innerhalb von medial vermittelten Situationen entlang von verfestigten Mustern, mit deren Hilfe monetäre Wissensvorräte auf übersituative Dauer gestellt werden. Die bereits beschriebenen Deutungsmuster und Schemata werden beispielsweise in typischer (massenmedialer) Form weiterverbreitet, darüber hinaus lassen sich mit Medienframes und Diskursen zwei weitere kommunikative Formen der Verfestigung von monetärem Wissen finden, die für den Einzelnen im Rahmen seiner Identitätsausbildung relevant sein können. Mediale Gattungen stellen, wie bereits im dem Ansatz der kommunikativen Gattungen beschrieben, die medial verfestigte, strukturelle Lösung eines kommunikativen Problems dar und erfüllen damit bestimmte Funktionen für den Mediennutzer. Indem die spezifische Verfasstheit medialer Kommunikation ins 26 Dazu gehören unter anderem die Vermittlung politischer Prozesse an ein Laienpublikum und die daraus resultierende Anpassung der Gesellschaft sowie anders herum ein Sammeln öffentlicher Meinung und die Weitergabe an das politische System.
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Blickfeld genommen wird, die im Sinne Bergers und Luckmanns Institutionen als legitimierte Regelkomplexe für Medienhandeln nach sich zieht, schließt die Analyse auch Medien der technisch vermittelten interpersonalen Kommunikation mit ein. Mit Kommunikations- bzw. Rezeptionsmodi sowie Formaten und Medienrahmen liegen hierfür Ansätze vor, die unter der Institutionalisierungsperspektive integriert werden können. Ein weiteres Kapitel hat den Versuch zum Inhalt, mit Hilfe des theoretischen Gerüstes von Schütz schließlich auch das Handeln mit Medien als kommunikativ relevantes Handeln zu begreifen und als Institutionalisierung einzuordnen. 2.5.2.1
Schemata, Frames und Diskurse – Strukturen der Massenkommunikation
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Luhmann 1996: 9)
Zwar gehen neuere Ansätze der Medienwirkungsforschung nicht von einer Allmacht der Medien hinsichtlich der Ausbildung von Einstellungen, Verbreitung von Ideen und der Aktivierung von Vorstellungen aus, es ist jedoch unbestritten, dass Massenmedien eine wesentliche Rolle bei der Konstitution gesellschaftlicher Wissensbestände spielen können (vgl. Schenk 2007: 761ff.). So schreiben Lunt und Livingstone den Massenmedien große Bedeutung für die Herausbildung eines spezifischen Konsumverhaltens, das bestimmte Konnotationen von Kredit und Schulden beinhaltet, in verschiedenen Dekaden der Geschichte zu, welches sich als Wissensvorrat wiederum auswirkt auf zukünftiges Geldhandeln: „We are all familiar with these images in our own lives and in the lives of our children, our parents and our grandparents. Certainly, the mass media have contributed to these images, codifying and stereotyping them, reinforcing and perpetuating them … These images have a life beyond that of media stereotypes …, functioning as social representations of the times which are actively constructed and reproduced by each generation.“ (Lunt/Livingstone 1992: 104).
Lunt und Livingstone sprechen mit „Stereotypisierungen“ die Funktion von Massenmedien an, Deutungsmuster zu repräsentieren, zu vermitteln und damit wiederum zu konstruieren. Als Deutungsmuster wurden in einem vorangegangenen Abschnitt komplexe Strukturierungen von Wissen bezeichnet, die immer auch kollektive Sinngehalte sind, normative Geltungskraft haben, mehr oder weniger latent, d. h. reflexiv verfügbar sind und die sich dabei gegenüber Veränderungen der Praxis als relativ beständig erweisen (vgl. Meuser/Sackmann 1991: 19). Analog zu Episoden unvermittelten Kommunikation, in denen die reziproke Verwendung von Deutungsmustern auf bestimmte Sinnkomplexe indiziert und damit eine Perspek-
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tive auf komplexes soziales Geschehen nahelegt, wurde auch für die öffentliche Kommunikation sowohl auf Seite der Rezipienten als auch auf Seite der Produzenten die Verwendung solcher Schemata erforscht. So besitzen die meisten Nachrichten den Charakter von Ereignisschemata, da sie bereits von den Produzenten standardmäßig so aufbereitet werden, dass eine schemagesteuerte Verarbeitung gestützt wird (vgl. Schenk 2007: 281, vgl. auch Studien zur Nachrichtenwertforschung wie Schulz 1976).27 Beispiele für spezifische Gestaltungsweisen und Verweise auf Deutungsmuster sind neben der Produktion journalistisch konstruierten Orientierungswissens, das bestimmten Nachrichtenfaktoren unterliegt, auch mediale Fiktionen wie Vorabendserien und Spielfilme, die damit eine Basis für soziales Handeln herstellen. Zeitungen, Fernsehsendungen und Bücher spielen also insbesondere für die fortwährende Kollektivierung von schematisierten Sinngehalten eine Rolle. Die Schematheorie betont weiter, dass Menschen mit einem ausgeprägten Schema bezüglich eines Gegenstandes oder Themengebietes rezipierte Informationen genauer wiedergeben können (vgl. Schenk 2007: 286). Das würde bedeuten, das Individuen, für die aufgrund ihrer lebensweltlichen Verortung monetäre Themen eine besondere Rolle spielen, massenmediale Informationen die vorhandene Schemata aktivieren und dadurch noch weiter ausformulieren können, während bspw. uninteressierte Personen diese Thematik gar nicht wahrnehmen. Eine weitere Erkenntnis aus der Schema-Theorie stützt die Konzeption der konstruktivistischen Aneignung von Wissen durch Berger und Luckmann: Wenn Menschen diejenigen Informationen stärker aufnehmen, für die sie bereits Schemata haben, kann man die Informationsfunktion von Medien auch als heuristische Informationsverarbeitung auffassen, wonach Menschen entlang bestehender Schemata Informationen aufnehmen, die auf diese passen (vgl. Brosius 1991). Demzufolge ist die Aneignung monetären Wissens eher als Anwendung von Daumenregeln zu verstehen, denn als rationale Informationsauswahl und Urteilsbildung. Bestehende Schemata haben neben der Entlastungs- auch eine Strukturierungsfunktion: Informationen aus den Massenmedien können sinnvoll in bestehendes Wissen eingeordnet werden (vgl. Schenk 2007: 296). Schemata, die bereits aufgrund von medialen Bruchstücken wie Schlagzeilen und bestimmten Worten aktiviert werden, helfen dem Rezipienten, mit der Informationsflut der Massenmedien besser zurechtzukommen (vgl. Graber 1988). Bei dem Versuch, Beziehungen zwischen dem Gesehenen oder Gehörtem und den bereits vorhandenen Schemata herzustellen, übersetzen Menschen mediale Informationen in Schlussfolgerungen bzw. in die für sie entstehenden Im27 Die Schema-Theorie innerhalb der Medienwirkungsforschung macht sich dabei zumeist Erkenntnisse der traditionellen Kognitionspsychologie zunutze und geht, wie bereits für diese bemerkt, dabei von einem mit dem konstruktivistischen Menschenbild unvereinbaren Stimulus-ResponseModell aus.
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plikationen. Das bestätigt die dargelegten Prinzipien der Identitätskonstruktion innerhalb kommunikativer Episoden, wonach jegliche Kommunikation einen Selbstbezug beinhaltet; Wissen besteht also immer im Wissen um die persönliche Relevanz, Fakten sind sekundär. Die Rolle von Medien als Produzenten von Deutungsmustern und Schemata betont ein weiteres Konzept aus der Medienforschung: das Framing. Die Definition dieser Frames ähnelt dabei zunächst dem bereits vorgestellten Rahmenkonzept Goffmans für unvermittelte Alltagsinteraktionen: „Frames are principles of selection, emphasis and presentation composed of little tacit theories about what exists, what happens, and what matters.“ (Gitlin 1980: 6)
Studien über das Framing durch Medien gehen davon aus, dass Medien durch die Art und Weise wie sie Informationen auswählen, betonen und präsentieren, bereits bestimmte Hinweise zur Interpretation und Bewertung geben. In diesem Sinne legen Frames bestimmte Sichtweisen auf Probleme oder Ereignisse nahe, sie setzen verschiedene Ereignisse miteinander in Zusammenhang oder betonen einen bestimmten gesellschaftlichen Wert, den eine Nachricht hat (vgl. Schenk 2007: 315). Von den Goffmanschen Rahmen unterscheiden sie sich jedoch dadurch, als das sie den nachträglichen Prozess einer Einbettung bzw. „Umrahmung“ von Ereignissen und Themen in einen größeren Diskurs durch Journalisten (oder PR-Leute) beschreiben. Goffman dagegen betont das Veränderliche innerhalb einer Situation; für ihn ist ein Rahmen ein Raum für eine fortwährende Simulation. Seine Verwendung des Rahmenbegriffs deutet weniger auf eine Begrenzung, denn auf eine Perspektivierung des Geschehens hin. Zwar sind die medialen Frames und die medialen Schemata aus Sicht der Rezipienten als objektive Gegebenheit zu begreifen, denen erst im Rahmen der Aneignung Relevanz verliehen wird. Mit Blick auf die Frage nach kommunikativen Handlungsformen, die die Identitätsausbildung auf eine spezifische Art und Weise strukturieren, ist es trotzdem angebracht, den Blick für die Präformiertheit des für die monetäre Identitätsausbildung zur Verfügung stehenden Materials zu schärfen. Zwar richtet sich der Fokus der Arbeit eher darauf, was die Akteure mit den Medieninhalten machen, jedoch zeigt sich wie z. B. an den Nachrichtenschemata, dass Umgangsweisen der Rezipienten und Präsentationsweisen zusammenhängen. Eine weitere, größer gefasste Institutionalisierung von Inhalten durch die Medien, die eine bestimmte Sinnhaftigkeit objektiviert und Sinnalternativen ausschließt, kann man in der Form von Diskursen sehen. Ein Diskurs ist eine Formation von Aussagen mit eigener, subjektprägender Macht, an den sich Handlungen koppeln (vgl. zum Diskursbegriff Keller 2005). Dabei können Diskurse als „große“ kollektive Praxisformen und Wissensordnungen bezeichnet werden (vgl. Diaz-Bone 2005), da sie Deutungsmuster, Klassifikationen, Phänomenstrukturen etc. umfassen
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bzw. sich in ihnen manifestieren (vgl. Keller 2007: 230ff.). Im monetären Bereich kann etwa die von der Immobilienblase verursachte Börsenkrise im Jahr 2008 und die darin auftauchenden Kategorien (Kritik an entfremdeter Arbeit, Sozialkritik) und Praktiken (Interviews, Kommentare, Live-Ticker) als die Fortsetzung des neoliberalen Managementdiskurses (vgl. Boltanski/Chiapello 2006) gesehen werden. In einem diskursanalytischen Sinn ist immer auch der Machtaspekt von Bedeutung; Diskurse sind „strukturell verknüpfte Aussagenkomplexe, in denen Behauptungen über Phänomenbereiche auf Dauer gestellt und mit mehr oder weniger starken Geltungsansprüchen versehen sind“ (vgl. Keller 2005: 231). Massenmedien haben nun deswegen eine große Rolle bei der Verteilung und Konstruktion gesellschaftlichen Wissens, weil sie als Träger von Diskursen auf sogenannte „Makrostrukturierungen“ anspielen. Diese „großen Deutungsmuster“ sind der alltäglichen Anschauung verborgen (vgl. Berger 1988: 506). Der Stellenwert von Deutungsmustern ist nun umso größer, je mehr die von ihnen präsentierten Strukturen der unmittelbaren Erfahrung entziehen. Massenmedien sind an der kollektiven Konstruktion gesellschaftlicher Realität maßgeblich beteiligt, indem sie solche Deutungsmuster nicht nur benutzen, sondern erst gestalten. Massenmedien können im wissenssoziologischen Kontext der Arbeit also als „structure of meanings“ (vgl. Hall 1994b: 254) bezeichnet werden. Dies erscheint mir als Hintergrund für die Untersuchung der subjektiven Realisierung von monetären Sinn wichtig, enthalten einzelne sprachliche Äußerungen von Akteuren doch immer auch (massenmedial getragene) Diskursfragmente. Diskursiv erzeugtes und institutionalisiertes Wissen liefert Typen der Wahrnehmung und Deutung von monetären Phänomenen und der darauf bezogenen angemessenen Handlungsformen (vgl. Keller 2005: 231ff.). 2.5.2.2
Mediale Gattungen und Kommunikationsmodi
Im Anschluss an die Analysen kommunikativer Gattungen der Alltagskommunikation (vgl. Luckmann 1986) werden auch mediale Produkte als Gattungen begriffen und – fokussiert auf Gattungen des Fernsehens – auf kommunikative Verfestigungen untersucht (vgl. Ayaß 1997, 2001, 2002; Raab/Knoblauch 2002; Keppler 2004). Massenmediale Kommunikation ist nun nicht nur – entlang von Deutungsmustern, Schemata und Diskursen – in inhaltlicher Weise strukturiert, Medienprodukte nehmen auch als Ganzes eine spezifische Verfasstheit bzw. Objektivität i.S. Bergers und Luckmanns an. Vor allem Keppler und Ayaß binden ihre Gattungsstudien an die soziologische Theorie an, indem sie die Realität als soziale Konstruktion ansehen, in der auch die audiovisuelle Gestaltung von Medienprodukten eigene Gesetze und Konventionen hervorbringen, die wiederum die aktive Aneig-
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nung durch den Rezipienten präformieren (vgl. Keppler 2005: 103f.).28 Medien wie das Fernsehen bilden also die Realität nicht ab, sondern sind eine selbst hergestellte Realität (vgl. Keppler 2005: 104), die freilich nicht völlig erratisch entsteht, sondern eben – entlang von professionellen und technischen Standards der Montage, Vertonung etc. – institutionalisiert. Damit ist sie in der Lage, sozial verbindlich zu sein. Indem Fernsehgattungen und -genres die Intentionen der Medienmacher, ihre Vorstellungen vom Wissen der Rezipienten (vgl. den Begriff des „recipient design“; Ayaß 2001: 149) und typische Umgangsweisen der Rezipienten in sich vereinen, stellen sie ein weiteres Beispiel für eine reziproke Typisierung von habitualisierten Handlungen durch Typen von Handelnden dar. Gattungen als verfestigte Handlungsformen sind also immer als Zusammenwirken von Medienproduktion, Produkt und Rezeption zu sehen, wobei kein Element ein anderes determiniert. Keppler geht davon aus, dass die Gattungen des Fernsehens Konventionen der Weltwahrnehmung und eine Präfiguration kultureller Orientierungen darstellen (vgl. Keppler 2001a; Keppler 2005. So legt die Produktion medialer Inhalte nach Merkmalen einer bestimmten Gattung oder eines Genres einen bestimmten Umgang damit nahe, beinhaltet jedoch immer Handlungsspielraum (vgl. Keppler 29 2001b; Ayaß 2001: 152). Empirisch belegt wird dies durch die bereits zitierte Arbeit von Holly und Habscheid, die Fernsehgattungen aus Sicht der Rezipienten erforschen. Sie begreifen auf Basis einer handlungstheoretischen Fundierung Gattungen als „first order categories“, die im Bereich der Produktion, Mediation (z. B. in Programmzeitschriften) und Rezeption gleichermaßen wirksam werden (vgl. Holly/Habscheid 2001: 221). Gattungen als Institutionen des Fernsehens können zwar typische Handlungen nach sich ziehen, legen diese aber nicht fest; Gattungszuschreibungen der Produzenten und das Handeln der Rezipienten stimmen nicht immer überein. Im Unterschied zu den Gattungsforschungen, die sich an Luckmanns Theorie orientieren und damit Fernsehgattungen als sozial verfestigte Konstruktionsprinzipien von Realität sehen, beschreibt Gehrau Genres und Gattungen hinsichtlich ihrer Orientierungsfunktion, die sie für die Rezipienten haben (vgl. Gehrau/Bilandzic/Woelke 2005). Damit sind – vor dem Hintergrund der psychologischen 28 Dabei bleiben sie auch methodisch in der Tradition der Phänomenologie und übertragen Mittel der Film- und der Konversationsanalyse auf die Gattungsproblematik (vgl. Ayaß 2004; Keppler 2006). 29 Keppler kommt zu dem Befund, dass non-fiktionale Fernsehangebote weitgehend eine unkritische Rezeption nach sich ziehen, während fiktionale Angebote einen höheren Grad an Offenheit für eine eigensinnige Aneignung aufweisen (vgl. Keppler 2001b: 132). In einem laufenden Projekt untersucht sie am Beispiel nichtfiktionaler Informations- und Unterhaltungssendungen charakteristische Elemente und wiederkehrende Muster der Interaktion, normative Orientierungen und Konventionen der Institutionalisierung in Reportagen, Dokumentationen, Nachrichtenjournalen und RealityShows.
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Forschung zur Organisation menschlicher Wahrnehmung und Wissens in Schemata sowie Ansätzen zur kognitiven Verarbeitung von Informationsangeboten – Gattungen für ihn vor allem Mittel der Reduktion von Komplexität. Eine grundlegende gattungstheoretische Arbeit stellte der Literatur- und Kommunikationswissenschaftler Siegfried J. Schmidt bereits 1987 vor. Ebenso wie Keppler und Ayaß verankert er seine Ausführungen in einer umfassenderen sozialwissenschaftlichen Theorie. Schmidt bezeichnet seine Arbeit als sozialkonstruktivistisch, wobei angemerkt werden muss, dass er dabei auf den sogenannten radikalen Konstruktivismus rekurriert, der davon ausgeht, dass ausnahmslos alle Erkenntnis subjektiv ist.30 Schmidt verbindet die grundlegende Erkenntnis, dass Wissen in Schemata, Scripts31, Plans abgelegt ist, mit der Einordnung von Medienprodukten durch Akteure. Im Anschluss definiert er Gattungen als prozessuale kognitive Schemata zum Zwecke der Konstruktion und Stabilisierung von Wirklichkeitsmodellen (vgl. Schmidt 1987: 175). Diese operativen „Medienhandlungsschemata“ (vgl. Schmidt 1987: 176) organisieren, moduliert von Emotionen, Erwartungen und Einstellungen, die Wissenselemente beim Umgang mit Medien und konstituieren damit die Bandbreite gesellschaftlich erwarteter Strategien der Realisierung, Rezeption und Bewertung von Medienhandlungen und deren Resultaten (vgl. Schmidt 1987: 177). Das Verfügen über solche Medienhandlungsschemata hängt von Rollen ab (z. B. davon, ob jemand Produzent oder Rezipient ist) sowie von sozialen Aspekten, zu denen Zugänglichkeit von Medien, Bildungsstand und verfügbare Freizeit zählen (vgl. Schmidt 1987: 178f.). Das gesellschaftliche Problem, welches mediale Gattungen als Institutionen lösen, besteht für Schmidt in der Frage nach dem Realitätsbezug von individuellen und sozialen Medienhandlungen. Medienhandlungsschemata realisieren demnach unterschiedliche Bezüge auf ein gesellschaftlich festgeschriebenes Wirklichkeitsmodell. Aussagen können wahr, falsch oder fiktional sein, Medienpersonen glaubwür30 Objektivität im Sinne einer übereinstimmenden Wahrnehmung und Realität ist dem radikalen Konstruktivismus zufolge unmöglich, da jede Wahrnehmung eine Konstruktion aus Sinnesleistungen und Gedächtnisreizen ist. Trotzdem entstehen ähnliche Konstruktionen von Wirklichkeit aufgrund ähnlich gebauter Wahrnehmungsapparate der Menschen. Medien sind als Angebote an kognitive und kommunikative Systeme zu sehen, unter der jeweils gültigen Systembedingungen Wirklichkeitskonstruktionen in Gang zu setzen (vgl. Schmidt 1994: 16). Diese Forschungsrichtung baut auf neurobiologische Erkenntnisse und systemtheoretische Denkansätze. Vertreter sind neben Peter M. Hejl, auf den sich Schmidt in der Entwicklung seiner Gattungstheorie bezieht, Ernst von Glasersfeld und Heinz von Förster sowie die Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Der radikale Konstruktivismus wurde vielfach kritisiert (Stichwort Selbstanwendungsproblem), eine Darstellung würde jedoch den Rahmen der Arbeit sprengen (vgl. zur Kritik z. B. Weber 2003). 31 Nach Schmidt unterscheiden sich Schemata und Scripts je nach Wissenstyp, den sie organisieren (Weltwissen vs. Handlungswissen).
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dig oder unglaubwürdig, Aussagen können sich als Bericht, Appell oder Reflexion auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit beziehen. Gattungen als „Abstraktionen von Medienprodukten“ (vgl. Rusch 1987: 248) machen demnach Aussagen z. B. über die Glaubwürdigkeit eines Nachrichtensprechers im Unterschied zu einem Pressesprecher eines Unternehmens. In einem System, in dem es viele Handlungsmöglichkeiten mit vielen Medien gibt, lösen Gattungen als Medienhandlungsschemata das Problem kooperativer Wirklichkeitsbewältigung (vgl. Schmidt 1987: 176f.) Die Gesamtheit an Medienhandlungsschemata steht dabei immer in Bezug zur Anzahl an Kommunikationsmitteln, die zu einem Zeitpunkt individuell und gesellschaftlich verfügbar sind und zu den verfügbaren Realitätskonstrukten (vgl. Schmidt 1987: 183). Der Wandel in einer der Komponenten zieht Rückkopplungen auf die jeweils anderen Komponenten nach sich, die nicht vorhersagbar sind. Deswegen reproduzieren Gattungen nicht gesellschaftliche Verhältnisse und Sinnsysteme, sondern interagieren mit ihnen. Indem Schmidt mediale Gattungen auf den Versuch einer Gesellschaft, ihr Realitätsmodell zu verbreiten und zu stabilisieren, zurückführt und somit individuelles Handeln gesellschaftlich verortet, kann er natürlich vorfindbare Gattungsbezeichnungen systemisch erklären (und eben nicht nur klassifikatorisch bzw. taxonomisch auf der Basis von Produktanalysen erfassen). Die wesentliche Kritik an seinem Ansatz bezieht sich auf die zugrunde liegende Theorie, in der zunächst nicht geklärt ist, wie es zu der gesellschaftlichen Wirklichkeit (die Schmidt auch als solche bezeichnet) kommen kann, da es in der Sichtweise des radikalen Konstruktivismus keine objektive Gegebenheiten, die Berger und Luckmann als Ergebnis 32 eines immer auch historischen dialektischen Prozesses abbilden können, gibt. Indem er aus dieser erkenntnistheoretischen Verortung heraus jedoch mit Wahrheits-, Authentizitäts-, Aussagen- und Akteursbezug generische Dimensionen von Gattungen analysiert, ist Schmidts Ansatz umfassender als diejenigen, die Gattung aufgrund von Produktähnlichkeiten feststellen (á la: Ein Film gehört dann einer Gattung an, wenn er deren typische Elemente aufweist) und dabei über eine punktuelle, empirische Typenbildung nicht hinausgehen. Ebenfalls kann Gehrau nur knapp ein Orientierungsbedürfnis als Grundlage für die Entstehungen von Gattungen konstatieren; den inneren Zusammenhang von Gattungen und Medienhandlungen aber nicht erklären. Auch erscheinen mir einige Ansätze in der Traditi32 Wie gesagt, fehlt mir der Platz an dieser Stelle auf diese, letzten Endes erkenntnistheoretische Problematik einzugehen. Vgl. zu den Grundannahmen von Sozial- und radikalem Konstruktivismus Flick 2005. Nur soviel: Die Kritik an der Konzeption einer grundsätzlich unzugänglich konzipierten sozialen Welt wird von den radikalen Konstruktivisten als methodologisch unzutreffend abgewiesen, da man sich nicht in einer Korrespondenzbeziehung auf die soziale Welt bezieht, sondern auf interne Kohärenz abzielt. Schmidt selbst hat zu den Kritikpunkten am radikalen Konstruktivismus inzwischen ausführlich Stellung genommen und sein Konzept weiterentwickelt.
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on der Luckmannschen Gattungsanalyse – wenngleich sie auf einer umfassenden wissenssoziologischen Fundierung stehen – noch allzu oft in eine Bestimmung von Eigenschaften der Medienprodukte zurückzufallen. Sie begnügen sich dann mit Luckmanns grundlegender Feststellung, das Gattungen der Bewältigung und Vermittlung intersubjektiver Erfahrungen dienen, ohne sie für die jeweils untersuchte Gattung bzw. das untersuchte kommunikative Setting zu spezifizieren. Darüber hinaus finden sich hier selten Bestimmungen, was genau Menschen als Mediennutzer in der Interaktion mit den Angeboten machen.33 Beispielhaft ist hier der Beitrag von Knoblauch und Raab zu nennen, die die Merkmale der Gattung Werbespot lediglich hinsichtlich der Aspekte Rezipientendesign (das auf dem vom Kommunikator entworfenen Bild vom Adressaten beruht), Selbstdarstellung des Kommunikators und Form der Produktdarstellung bestimmen (vgl. Raab/Knoblauch 2002: 144). Ebenso realisiert Keppler ihr Vorhaben, „Konventionen der Weltwahrnehmung“ nicht-fiktionaler Fernsehgattungen zu bestimmen, vor allem auf Basis einer komparativen Analyse von Fernsehsendungen (vgl. Keppler 2004). Somit wird die prozesshafte Komponente, die Institutionalisierungen in ihrer Eigenschaft als wechselseitige Typisierungen auszeichnet (und grundlegender: die kommunikative Komponente), m.E. nicht angemessen berücksichtigt. Schmidt dagegen geht es explizit darum, nicht die Eigenschaften von Medienprodukten zu bestimmen, sondern das Verhalten von Menschen im Umgang mit diesen – gemäß dem sozialkonstruktivistischen Paradigma, dass die Eigenschaften nicht in den Objekten liegen, sondern ihnen handelnd zugeschrieben werden (vgl. Schmidt 1987: 165). Ein weiterer Versuch, Verfestigungen in der Medienkommunikation auszumachen, kann im Konzept der Kommunikationsmodi von Hasebrink (vgl. Hasebrink 2004) sowie in einer Konkretisierung dieses Konzeptes durch Weiß (vgl. Weiß 2005) gesehen werden. Anders als die vorgestellten gattungstheoretischen Arbeiten fokussieren Hasebrink und Weiß auf den Umgang der Nutzer mit Medienangeboten. Hasebrink versteht unter einem Kommunikationsmodus eine sozial und kulturell spezifische Gebrauchsweise von Medien bzw. von Kommunikationsdiensten. Er stellt ein spezifisches Muster von Erwartungen und Handlungsweisen dar, mit denen die Nutzer versuchen, eine bestimmte kommunikative Form zu realisieren (vgl. Hasebrink 2004: 73). Dabei geht auch Hasebrink davon aus, dass der Umgang mit Medien auf Medienschemata beruht; er betont vor allem die sub33
Eine Ausnahme bilden die Beiträge von Klemm, Habscheid, Faber und Ayaß im Sammelband „Der sprechende Zuschauer“. Hier werden explizit Aneignungen von Fernsehgenres einer empirischen Untersuchung unterzogen (vgl. Holly/Püschel/Bergmann 2001). Weiterhin skizziert Rusch, der die Schmidtsche Mediengattungstheorie weiterverfolgt, in einem Satz die Rolle von Identität an: Persönliche Selbstkonzepte, kontinuierlich mit Selbstbeobachtungen und sozialen Erfahrungen korreliert, bestimmen die Entscheidung für Medien und Gattungen mit (vgl. Rusch 1987: 245).
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jektive und prozesshafte Realisierung von Rezeption, Interaktion und Transaktion. Weiterhin macht er konkrete Vorschläge zur Klassifikation dieser Kommunikationsmodi entlang von Kriterien wie Kommunikationsstruktur, Verfügbarkeit, Interaktivitätsgrad, Publikumsvorstellungen, Aktualität, gesuchten Gratifikationen etc. Auch Weiß (der sich allerdings auf Prozesse der Rezeption beschränkt) versteht unter einer Rezeptionsmodalität ein typisches Muster von Formen der Wahrnehmung, Aneignung und Verarbeitung von Medieninhalten (vgl. Weiß 2005: 61). Indem Weiß aber sein Konzept musterhafter „Bewusstseinseinstellungen“ der Medienrezeption handlungstheoretisch verortet (in der Theorie kommunikativen Handelns von Habermas) und darüber hinaus (an die Psychologie Hegels angelehnt) mit grundlegenden Formen der Sinnerschließung verbindet, kann er diese auch aus einem inneren Zusammenhang zu lebensweltlichen Kontexten heraus erklären. Muster der Rezeption sind damit nicht nur aus individuellen Nutzungsmo34 tiven heraus zu klassifizieren , sondern als Formen kultureller Praxis und damit als wahrhaft soziale Gebilde zu begreifen. Darüber hinaus versucht Weiß, die subjektiven Funktionen der Medienrezeption aus dem Sinn, den institutionalisierte Medienhandlungen für den Rezipienten haben, zu erklären.35 Indem Handlungsorientierungen und Bewusstseinseinstellungen eine komplexere Beschreibung der kognitiven Strategien der Verarbeitung und Interpretation von Medienangeboten zulassen als dies eine Klassifikation hinsichtlich der Verfügbarkeit oder der Kommunikationsstruktur erlaubt,36 stehen sie eher in der phänomenologischen Tradition Alfred Schütz’. 2.5.2.3 Medien als Zugänge zu Wissensräumen Die eingangs gekennzeichneten Prozesse medialen Wandels werden in der Literatur als Konvergenz charakterisiert (vgl. Baldwin/MacVoy/Steinfield 1996; Lievrouw/Livingstone 2002). Der Begriff der Konvergenz spricht dabei sowohl eine 34 Wie es bereits am Uses-and-Gratifications-Ansatz, der von Hasebrink in den Kriterienkatalog übernommen wurde, häufig kritisiert wurde, vgl. Merten 1984; Ronge 1984; Vorderer 1992: 28. 35 In einer weiteren Arbeit wählt Weiß die Kultursoziologie Bourdieus als theoretischen Hintergrund, um in ähnlicher Weise den „praktischen Sinn des Mediengebrauchs im Alltag“ zu erklären und zu erfassen (vgl. Weiß 2001b). Damit entwickelt er ein Verständnis für sinngebende Aneignungs- und Interpretationsleistungen zum einen aus der klassenspezifischen Positionierung (Bourdieu); zum anderen aus gesellschaftlichen Normen (Habermas). 36 Hasebrink schlägt eine Einteilung zwischen den idealtypischen Modi öffentlicher und privater Kommunikation vor, die hinsichtlich der genannten Merkmale jeweils charakterisiert als „one to many“ bzw. „one to one“ und „Push-“ bzw. „Pull-Service“ (Hasebrink 2004). Seine Intention liegt auch weniger in einer „dichten Beschreibung“ von Umgangsformen mit Medien als vielmehr in einer Klassifikation, um „Kommunikationsanwendungen“ aus dem Blickwinkel der Nutzer differenzieren zu können (Hasebrink 2004: 71).
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Konvergenz der Inhalte als auch eine Konvergenz der Geräte an. So ist ein und derselbe Inhalt beispielsweise in der Zeitung, auf einem Online-Nachrichtenportal als auch „on demand“ auf einem Smartphone verfügbar. Ein und dasselbe Gerät ermöglicht die Kommunikation mit anderen Personen, die Rezeption standardisierter Inhalte sowie das Erstellen von eigenen Bildern und Texten. Wenn nun aber immer mehr interpersonale Kommunikation über Medien läuft und zugleich auch zunehmend mit anderen Kommunikationsformen verknüpft ist, dann stellt sich die Frage, welchen Unterschied die Nutzung bestimmter Medien in ihrer jeweiligen Verfasstheit für die identitätsspezifische Aneignung monetärer Themen und Praktiken macht. Dabei ist zunächst grundsätzlich festzuhalten, dass Medien, indem sie verschiedene Zonen der Reichweite von Kommunikation verbinden, auch Zugangsmuster zu sozialen Situationen darstellen. Ein bestimmtes Medium etwa ist in der Lage, getrennte Informationssysteme für verschiedene Menschen zu schaffen; ein anderes Medium wiederum schließt viele verschiedene Menschen in einer gemeinsamen Situation ein (vgl. Meyrowitz 1990: 151). Damit haben Medien Auswirkungen auf das soziale Verhalten von Menschen: Indem sie die Zugänge zu Informationen verändern, verändern sie auch Gruppenzugehörigkeiten, Hierarchien und Sozialisationsvorgänge. Indem elektronische Medien soziale und physische Orte trennen, öffentliches und privates Verhalten mischen, verändern sie das soziale Gefüge, sie sind „shapers of a new social environment themselves“ (vgl. Meyrowitz 1994: 51). Mediale Vermittlung hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Struktur der Lebenswelt, auf ihre soziale, räumliche und zeitliche Schichtung. Mit der Ausdifferenzierung von Informationssystemen vergrößert sich die Anzahl unterschiedlicher Gruppenidentitäten; gleichzeitig haben die elektronischen Medien eine homogenisierende Wirkung auf früher situativ getrennte Gruppen (vgl. Meyrowitz 1990: 253). So kann es eben für einen Privatanleger aus Hannover durchaus relevant sein, wie sich die konjunkturelle Lage in den USA entwickelt, er kann sich anderen Anlegern, mit denen er sich in einem Internetforum austauscht, stärker verbunden fühlen als den Mitgliedern des örtlichen Kegelclubs. Die bereits zitierten Forschungsarbeiten im Rahmen der Cultural Studies machten deutlich, dass Mediennutzung im Rahmen interpretativer Gemeinschaften geschieht. Höflich weist darauf hin, dass Online-Kommunikation nur in einer solchen Gemeinschaft überhaupt möglich ist. Handy und E-Mail generieren Kommunikationsnetzwerke des Alltags, zusätzlich zu den bereits durch Face-to-Face-Interaktionen konstituierten (vgl. Höflich 2003; Höflich/Gebhardt 2003). Das Projekt „Technogene Nähe“ zeigt, wie bestimmte Beziehungen überhaupt nur über ein bestimmtes Medium realisiert sind (z. B. Freundschaften, in denen nur per E-Mail kommuniziert wird; vgl. Beck 2000). Medien technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation schaffen die Voraussetzung von Interaktion zwischen Personen, die aufgrund der Schichtungen der Lebenswelt sonst nur zur Mitwelt gehören und damit nicht di-
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rekt erfahrbar sind.37 Solche Kommunikationsnetzwerke dienen sowohl der Aneignung der Lebenswelt als auch der Aneignung der Medien bzw. Medieninhalte. Generell gilt für alle kommunikativen Handlungen, dass sie zu Geflechten zwischen Handlungen führen, die eine Eigenständigkeit annehmen, „die sie zum Kontext eben jener Handlungen macht, aus denen sie bestehen“ (vgl. Knoblauch 1995: 296). Innerhalb von mediatisierten kommunikativen Handlungen sind es die Kommunikationstechnologien selbst, die durch ihre spezifische Form, z. B. in ästhetischer Hinsicht, soziale Kontexte herstellen und damit spezifische Milieus und Situationen. Im Vokabular der Schützschen Theorie heißt das: Damit vollbringen Medien neben der bereits dargestellten Objektivierung von spezifischen Zeichen und Symbolen auch eine Objektivierung spezifischer sozialer Situationen, die nun intersubjektiv erfahren werden können. Wie dies bereits dargestellt wurde, geschieht dieses auf der Objektivierungsebene der Anzeichen: In medialen Situation ist es möglich, äußeres Verhalten von Ego als Anzeichen subjektivem Wissens zu erfassen und situationsspezifisch zu interpretieren (so ist z. B. der Klang der Stimme am Telefon eben kein semantisches, sondern ein Ausdruckselement). Auf der Suche nach Institutionen technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation, die diese situativen Verfestigungen technisch vermittelter Kommunikation fassen können, stellt das Konzept der Medienrahmen eine Perspektive dar. 2.5.2.4
Medienrahmen
Die Ausführungen zur Qualität der medienvermittelten Kommunikation weisen darauf hin, dass Medien neben der Herstellung von sozialen Situationen über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg, des Anzeigens von Handlungszusammenhängen und des Aktivierens und Konstituieren von Deutungsmustern und der zeitlichen Überbrückung von Problem- und Deutungssituation noch eine weitere Funktion haben: Medien sind Mittel der Expression (vgl. Ayaß/Bergmann 2006). Sie verleihen Kundgabehandlungen eine spezifische Form. Ähnlich wie unvermittelte Kommunikation sowie öffentliche Kommunikation in kommunikativen Gattungen organisiert ist, so weisen auch medienvermittelte interpersonale Situationen eine spezifische Struktur auf. Zunächst präsentieren Medien den von ihnen übermittelten Inhalt auf eine bestimmte Art und Weise, indem sie ihn in einem Format codieren, welches die 37 Inwiefern Medien Mittel darstellen, diese Beziehungen zu Umwelt und Mitwelt zu regulieren, zeigt Gebhardt in seiner Dissertation, in der er ausführlich den Schützschen Kommunikationsbegriff auf technisch vermittelte interpersonale Kommunikation bezieht (vgl. Gebhardt 2006).
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Übertragung ermöglicht. Dieses Format ist dabei mehr als nur ein spezifischer Zuschnitt des Inhalts; indem Inhalte medienvermittelt sind, erhalten sie eine neue Qualität. Aus der Tatsache, dass Inhalt und Form eine nur auf analytischer Ebene trennbare Einheit eingehen, leitet sich letzten Endes auch die Bedeutung eines spezifischen Mediengebrauchs für den Verlauf und die Folgen der Kommunikation ab. Medien sind nicht einfach nur Mittler von Inhalten, sie definieren vielmehr die Situation und sind in dieser Weise bestimmend für die Rezeption der Inhalte. Altheide konstatiert: „... how something is communicated is prior to what is communicated” und kommt weiterhin zu dem Schluss: “Identifying and locating the source, nature, and consequences of communicative routines, styles and patterns are therefore central to an understanding of social control as well as an explication of the politics of everyday life.“ (Altheide/Snow 1988: 195).
Altheide und Snow führten 1988 den Begriff des Formats ein; „pattern of how things would appear, be organized and acted upon“ (vgl. Altheide 1995). Altheide führt seine Idee von Medien auf die Idee soziologischer Formen von Simmel zurück. Soziologische Formen reflektieren und konstruieren soziale Ordnung. Soziale Formen haben grundlegende Bedeutung, weil sie Bedingung für Erfahrung und Inhalte sind. Zweitens sind sie nicht statisch. Beispiele für solche Formen: Grammatik, Geometrie, Musik – Formen machen bestimmte Inhalte möglich, aber bewahren trotzdem gewissen Unabhängigkeit von den Inhalten, sie werden subjektiv genutzt, bekommen aber Objektivität, um Stabilität und Vorhersagbarkeit zu gewährleisten. Mit diesem Begriff der Formen kann auch die Suche nach Strukturen der Kommunikation, die als wesentlich für die Konstitution von Wissen herausgestellt worden, wieder aufgegriffen werden. Medien sind nun insofern Formen von Kommunikation, als dass sie als etablierte, d. h. sozial anerkannte Art und Weise zu kommunizieren, gelten. Insofern sind auch Massenmedien wie eine Zeitung oder das Fernsehen eine Kommunikationsform, da sie eine ganz spezifische Art von Kommunikation, bestimmte Themen und bestimmte Akteure unter zu Hilfenahme bestimmter Kommunikationsmittel und -regeln zulassen. Mit ihrer Definitionsmacht und ihrem Regelbezug sind die Formate dem Konzept der Medienrahmen ähnlich, welches von Höflich in die Diskussion eingeführt wurde (vgl. Höflich 1998). Medienrahmen beschreiben – aufbauend auf die rahmentheoretische Analyse von Interaktionssituationen durch Goffman – das konzeptionelle Verständnis einer medialen Situation auf der Basis bereits gemachter Erfahrungen. Jede Medienform stellt einen Rahmen dar, der für die Erwartbarkeit kommunikativer Handlungen steht und das kommunikative Geschehen institutionalisiert. Mediale Rahmen geben also gleichermaßen Verhaltensvorgaben wie Rahmen der unvermittelten Interaktion (vgl. Höflich 2005). Diese zeigen sich in Regeln medienvermittelter Kommunikation wie etwa der situations-
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adäquaten Anwendung von Emoticons in einem Chat oder der Koordination des Redewechsels am Telefon (vgl. ausführlich Höflich 1996: 81ff.). In Anlehnung an Goffman hat jeder, der sich in einem medialen Rahmen befindet, eine Vorstellung davon was abläuft, von den Vorstellungen der anderen und deren Vorstellung seiner Vorstellung (vgl. Höflich 1998: 143). Die Idee des Rahmens überschneidet sich teilweise mit der Idee der Medienformate. Während die Formatidee jedoch eher den strukturellen Aspekt und die Anwendung prozeduraler Regeln betont, sind Medienrahmen eher auf das soziale Aushandeln von Situationsdefinitionen in Mediensituationen gerichtet. Das bedeutet auch, dass die Wahl bestimmter Medien in bestimmten Situationen einen Rahmen darstellt und damit einer Institutionalisierung unterliegt. So kann man beispielsweise in der Regel, dass vertrauliche Dinge wie es Geldgeschäfte sind, eher am Telefon als per Mail (oder besser noch von Angesicht zu Angesicht) besprochen werden, bei gleichzeitiger Anwendung durch zwei Personen einen Medienrahmen sehen. Eine Regelverletzung könnte bspw. darin bestehen, wenn ein Anlageberater seinen Kunden in Gegenwart von anderen Personen auf Details seiner Anlage anspricht (oder überhaupt zu erkennen gibt, dass er sein Anlageberater ist). Gerade bei Geldgeschäften haben sich eine Reihe solcher rahmenhaften Kommunikationspraktiken etabliert: Wichtige Absprachen werden nicht allein telefonisch geklärt, sondern immer auch schriftlich niedergelegt; Bankpost wird nach Vereinbarung mit dem Kunden nicht nach Hause gesendet, sondern bis zur Abholung durch den Kunden selbst in der Bank gelagert, für Geldgeschäfte bzw. Kunden unterschiedlicher Wichtigkeit finden (zumindest im Vermögensverwaltungsgeschäft) Briefpapiere unterschiedlicher Stärke Anwendung, Anlagegespräche finden in durch ihre Architektur als diskret markierten Bereichen statt. Durch diese Institutionalisierungen werden Medien mit Inhalten gekoppelt und sind dadurch eben keine neutralen Vehikel zur Übermittlung von Botschaften (vgl. Höflich 1998:151), sondern verleihen der Botschaft ein bestimmtes Gewicht, einen Hintergrund, einen Rahmen. Die Kopplung von Medien, Situationen und Inhalten wurde dabei vor allem für die computervermittelte Kommunikation ausformuliert (vgl. Höflich 2003; Gebhardt 2001). So zeigt Gebhardt, wie Nutzer eines Chat mit Hilfe von Nicknames, einem Bezug zur Art des Chatrooms und dem darauf abgestimmten Umgang mit Informationen über ihre Person medienspezifische Rahmen konstituieren und macht damit deutlich, dass computervermittelte Kommunikation eben nicht notwendigerweise mit einer Entkontextualisierung verbunden ist (vgl. Gebhardt 2001). Höflich merkt, bezogen auf die adäquate Verwendung eines angemessenen Mediums, an, dass es im Laufe der Zeit auch zu Rahmenverschiebungen kommt (vgl. Höflich 1998: 154); gerade der Umgang mit Computerrahmen sei durch noch nicht verfestigte Gebrauchsweisen und Unsicherheiten gekennzeichnet (vgl. Höflich 1998: 163). Die nie endgültige Festlegung der Verwendungsweisen
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von Medien entspricht der Institutionalisierungsperspektive von Berger und Luckmann, die davon ausgehen, dass Institutionalisierung immer als Prozess zu begreifen ist, der im gegenseitigen Handeln getragen werden muss. Dabei hängt die Reichweite von Institutionalisierungen von der Verbindlichkeit der Relevanzstrukturen der Individuen ab (vgl. Berger/Luckmann 2007: 84). So kann es eben sein, dass E-Mails als adäquates Medium für ein Paar taugen, um ihre Freundschaft aufrechtzuerhalten, wenngleich sie im Verständnis der Allgemeinheit hinter die Ausdrucksmöglichkeiten des Face-to-Face-Gespräches zurücktreten. Höflich behandelt innerhalb der Rahmenperspektive weiterhin Situationen der Kommunikation mit dem Computer, etwa bei Computerspielen. Er bezieht den Goffmanschen Begriff des Rahmenirrtums auf Fälle, in denen Computernutzer ihr unmenschliches Gegenüber vermenschlichen (vgl. Turkle 1984; Reeves/ Nass 1996). Abgesehen von diesem Beispiel, welches in der Alltagskommunikation über Monetäres eher selten sein dürfte, liegt keine kommunikationswissenschaftliche Einordnung vor, die das Handeln von Menschen in einer Computerumgebung ohne realen oder – wie in Computerspielen – imaginierten menschlichen Partner zum Gegenstand hat, wie es bei Online-Transaktionen der Fall ist. Mit einer Anbindung an die Schützsche Theorie der Objektivierung soll zunächst theoretisch gezeigt werden, dass auch Computermedien Gegenstand einer Vergesellschaftung sind, bevor im nächsten Kapitel die Institutionalisierungswirkung dieser Medien untersucht wird. 2.5.2.5
Mediale Praktiken als Bestandteile des Wissens
Computer ermöglichen mit Online-Banking, Online-Auktionen und OnlineBezahlverfahren neue soziokulturelle monetäre Praktiken, die mit dem herkömmlichen Verständnis von Mediennutzung als Rezeption von Inhalten nicht analysiert werden können. Doch wenn diese Praktiken einen so großen Raum in unserem Alltag einnehmen, können sie nicht ohne Relevanz für die Objektivierung von monetärem Wissen sein. So betonen theoretische Ansätze wie z. B. der Ansatz des Mediendispositivs die Wichtigkeit von Praktiken für gesellschaftliche Verfestigungen (vgl. Hickethier 2003); Fritzsche zeigt in einer empirischen Studie, dass sich Rezeptionsakte mit Alltagspraxis vermengen bzw. dass sich Mediennutzung im klassischen Sinn nur vor dem Hintergrund von Praktiken erschließt (vgl. Fritzsche 2001). Darüber hinaus hat Schütz explizit eine Kategorie der Erzeugnisse und Werkzeuge mit in seine Objektivierungssystematik aufgenommen und ihnen damit – genauso wie beispielsweise der Sprache und der Gestik einen Stellenwert bei der Vergesellschaftung zugewiesen. Wenn man nun – in Fortführung des Gedankenganges von Hennen, der in eben dieser Weise auch Technik als Mittel der Vergesellschaftung charakterisiert – den Medienbegriff auf seine Bindung an ein techni-
2.5 Institutionen der Wissensvermittlung und -konstruktion
107
sches Artefakt zurückführt, kann man Kommunikationstechnologien als „typische“, auf ein spezifisches Handlungsproblem verweisende Werkzeuge betrachten. Sie werden zu einer sozialen Verbindlichkeit, indem sie mit typischen Handlungsabläufen, also Um-Zu-Zusammenhängen verbunden sind, in denen sie als Mittel für einen Zweck hineingehören. Werkzeuge objektivieren einen Zweck, eine Funktion, die sie erfüllen sollen. Damit sind Medien in ihrem Wesen als Artefakte materialisierte Handlungsentwürfe (vgl. Hennen 1992: 141f.). „Sie stellen die Bedingung der Möglichkeit, dass sich sozial geteilte Handlungsschemata etablieren und eine Koordination sozialen Handelns ergeben kann“ (Hennen 1992: 143).
Medien werden als typische Handlungsentwürfe angewendet, in dem sie dem Nutzer bestimmte Anschlusshandlungen auferlegen (z. B. Anschluss an das Stromnetz, Kenntnis der Verbindungsmöglichkeiten, Bezahlen des Tarifs eines internetfähigen Computers). Gleichzeitig werden aber auch Handlungsziele mit Handlungen in Bezug auf Technik verknüpft – „fixierte Problemlösungen“ entstehen (vgl. Hennen 1992: 158). Indem Artefakte die konkrete Situation ihrer Entstehung, d. h. ihres ursprünglichen Um-zu-Verwendungszusammenhangs überdauert haben, können die Relevanzstrukturen späterer Anwender durchaus andere sein. Damit kann man z. B. Zweckentfremdungen erklären (Computer werden zum Spielen verwendet, obwohl zu „Bildungszwecken“ verkauft und angeschafft). Das heißt, dass Artefakte und damit auch Medien ihrem Ziel nach nicht eindeutig bestimmt sind, sondern immer in spezifischen Um-zu-Zusammenhängen von Nutzern stehen. Allerdings wird der ursprüngliche Um-zu-Zusammenhang im Zuge der gesellschaftlichen Diffusion dermaßen modifiziert, dass sich ein typischer, kulturell verbindlicher, eben ein institutionalisierter Sinnzusammenhang herausbildet (vgl. Hennen 1992: 155). In diesem Sinne betonen Techniksoziologen immer wieder die kulturelle Fundierung von Technik, die als Lösung von praktischen Handlungsproblemen sowohl in individuelle als auch kollektive und meta-kollektive Relevanzstrukturen eingebunden ist (zum Beispiel Braun 1993; Rammert/Schulz-Schaeffer 2002). So fließen bereits bei der Festlegung der technischen Funktionen durch Produzenten von Technik bewusst und unbewusst kulturelle Orientierungen ein. Zum anderen symbolisieren technische Artefakte auch im Kontext ihrer Nutzung technische und soziale Bedeutungen. So arbeitet Rammert vier typische Nutzungsformen des Computers im privaten Bereich und damit verbundene Muster als auch Probleme seiner Aneignung heraus (vgl. Rammert/Böhm/Olscha et al. 1991): x Die Computernutzung ist Lebensstil, die Nutzer sahen den PC vor allem als differenzierendes, von anderen Menschen abgrenzendes Mittel. Die Aneignung
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2 Forschungsperspektive
erfolgt spielerisch; als Probleme ergaben sich Perfektions- und Abgrenzungszwänge. x Der Computer wird als qualifikatorische Ressource gesehen, als Mittel, im Leben voranzukommen. Damit verbunden ist die Entprivatisierung des Computers. x Die PC-Nutzung ist Passion und wird von Rammert auch als Novophilie bezeichnet. Das Problem dieses spezifischen Nutzungstyps liegt in der Überstrapazierung sinnvoller Verwendung. x Der PC wird als intellektuelle Herausforderung angesehen. Wie Rammert zeigen kann, ist die Computernutzung davon abhängig, welches Thema gerade im Leben im Mittelpunkt steht. Ähnlich wie bei den von Höflich vorgestellten Computerrahmen, die zum Teil aus einer Zuschreibung von Medien zu typischen Nutzungszwecken bestehen, sind auch in diesen vier Mustern Gerätenutzung und Handlungsziele typisch miteinander verwoben. Während Rammert die Computernutzung aus kultureller Perspektive beschreibt und dabei vor allem zeigt, wie ihre Aneignung in lebensweltlichen Kontexten verortet ist, geht Höflich darüber hinaus, indem er über die Beschreibung solcher Medienkalküle hinausge38 hend zweitens auch die prozeduralen Regeln des Gebrauchs beschreibt. Empirisch ließe sich eine Verbindung von dieser Vergesellschaftung des Handelns in und mit Medien auch zum Domestication-Ansatz ziehen, der den Untersuchungsansatz der Cultural Studies erweiterte, indem er den Umgang mit Medientechnologien (und nicht -inhalten) im Rahmen der Medienaneignungsforschung realisiert hat. Dieser Ansatz beschreibt Mediennutzung als einen Prozess der Integration, in dessen Verlauf ein Medium in die bestehenden Strukturen des Alltags eingepasst wird. Roger Silverstone schlug vor, den Haushalt als Untersuchungseinheit von Medienaneignungsprozessen zu begreifen (vgl. Silverstone/Hirsch 1992; Silverstone/Haddon 1996). Dieser ist als „moral economy“ und damit sowohl als materielle als auch wertmäßige und kulturell bedingte Größe konzipiert. Wie dies bereits an Massenmedien wie Fernsehen oder Groschenromanen gezeigt wurde, bauen Nutzer Medien in ihre sozialen Welten ein, „domestizieren“ sie, machen sie sich zu eigen und wollen damit ihre kulturellen Werte, eben die „moral economy“ ihres Haushaltes sichern. Indem der Domestication-Ansatz Mediennutzung zudem immer verwoben mit den Routinen und Ritualen des Haushalts erfasst, betont er ebenfalls das konservierende Element von Medienaneignungsprozessen. Da sich die Medienverwendung im Haushalt an den Wertvorstellungen der Mitglieder orientiert, werden zum Beispiel Rollengefüge konserviert: 38 An dieser regelhaften Perspektive sind zudem – besser als an einer punktuellen Beschreibung von Computernutzung – übersituative Institutionalisierungen als Verfestigungen erkennbar.
2.5 Institutionen der Wissensvermittlung und -konstruktion
109
“As such, domestication is fundamentally a conservative process, as consumers look to incorporate new technologies into the patterns of their everyday life in such a way as to maintain both the structure of their lives and their control of that structure …“ (Silverstone/Haddon 1996: 60).
Kontrolle über den Alltag kann sich zum Beispiel darin ausdrücken, die eigene Verfügbarkeit, z. B. durch einen Anrufbeantworter (vgl. Haddon 2004: 59) einzuschränken oder die Nutzung bestimmter Medien durch Haushaltsmitglieder auf einen exklusiven Zugang zu limitieren. Medien erhalten im Prozess der Domestizierung über ihre inhaltliche Dimension hinaus eine eigene symbolische Bedeutung, sie werden in der ihnen eigenen Materialität als Objekte konsumiert (vgl. Silverstone/Hirsch 1992: 21). Als Institutionalisierung ist der alltagspraktische Mediengebrauch hier auch insofern zu bezeichnen, als dass durch den Gebrauch bestimmter Medien auch der Nutzer seinen Alltag verändert und damit ein reziprokes Element realisiert wird. Durch Medientechnologien werden bestimmte objektive Bedeutungen in den Haushalt hereingeholt, in einem Aushandlungsprozess mit den inneren Werten konfrontiert und schließlich in einer musterhaften Weise etabliert. Der Gebrauch von Medien löst hier immer auch ein Problem der Identitätsartikulation. So stellen – in Anlehnung an die Gedanken de Certeaus – Medien immer auch ästhetische Objekte und damit Mittel der Expression dar, dienen zur sozialen Integration oder Abgrenzung (vgl. de Certeau 1984; vgl. den Begriff der „doppelten Artikulation“ Silverstone/Haddon 1996: 50). Die Sichtweise des Domestication-Ansatzes legt es nahe, bei der Untersuchung der Aneignung von Medien nicht nur die medienvermittelte Kommunikation zu untersuchen, sondern so viele Praktiken wie möglich zu betrachten, die auf das Artefakt bezogen sind. So plädiert Haddon dafür, beispielsweise im Falle von Mobilkommunikation nicht nur die Art und Anzahl der Telefongespräche zu untersuchen, sondern auch die Wahl eines bestimmten Tarifes, das Speichern von Botschaften auf dem Mobiltelefon, das Personalisieren des Gerätes mit bestimmten Hintergründen, Klingeltönen, Handyschalen etc. (vgl. Haddon 2003). Bestimmte kommunikative Vorgänge lassen sich überhaupt erst in ihrer Bedeutung begreifen, wenn man den Blickwinkel für die kulturellen Zusammenhänge, in denen sie eingebettet sind, öffnet. Fragwürdig bleibt im Domestication-Ansatz, inwieweit sich die Institutionen des Mediengebrauchs über den Haushalt hinaus verfestigen. Da der Ansatz seine theoretische Heimat vor allem in den Cultural Studies hat, ist anzunehmen, dass er ebenfalls von der an anderer Stelle bereits kritisierten strukturellen Determination durch gesellschaftliche Machtstrukturen ausgeht. Der Gebrauch von Medien wäre damit auch in seiner praktischen Seite als eine Verfestigung und Reproduktion der hegemonialen Perspektive zu lesen. Darüber hinaus zeichnet sich der Domestizierungs-Ansatz zwar durch eine sehr vielfältige empirische Umsetzung aus, was es jedoch gleichzeitig schwer macht, generative Prinzipien für die Herausbildung von Institutionen im praktischen Umgang mit Medien zu erkennen.
110 2.6
2 Forschungsperspektive
Resümee: Institutionen der Vermittlung monetärer Identität
Die Verankerung der vorliegenden Arbeit in der Schützschen Phänomenologie impliziert eine Perspektive, die die Menschen nicht als Mediennutzer an sich sieht, sondern immer in den Bezügen des Alltags lebend. Kommunikation soll hier als interaktionistische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen und Graden gesellschaftlichen monetären Wissens verstanden werden; als aktiver und ständig laufender Prozess der Identitätsausbildung, der in einem Gesamt an medial vermittelten und unvermittelten Aktivitäten betrachtet werden muss. Die gesellschaftliche Bedeutung von medial vermittelter Kommunikation mit monetären Bezügen legt es nahe, dass Interaktion in Vis-à-vis-Situationen für die Ausbildung monetären Wissens nicht mehr der Prototyp aller gesellschaftlichen Interaktion ist, wie dies Berger und Luckmann grundsätzlich angenommen haben (vgl. Berger/Luckmann 2007: 31). Mit ihrer Fähigkeit zur Objektivierung sind Medien wesentlich an der Ausprägung eines gesellschaftlichen monetären Wissens beteiligt. Sie transzendieren das System aus primären Alltagserfahrungen und schaffen symbolische Umwelten. Dies tun sie, indem sie uns Dinge näherbringen, die für die Alltagserfahrung nicht mehr zugänglich sind, wie es große Teile der Wirtschaft, der Geldströme, der Kapitalmärkte und das Handeln anderer relevanter, aber nicht direkt erfahrbarer Gesellschaftsmitglieder sind. Dieses symbolische Material stellt wesentliche Ressourcen für die Identitätsrekonstruktion in der heutigen Zeit dar. Indem der Medienbegriff nicht nur ausschließlich auf Vermittlung reduziert wird und Medienhandlungen nicht nur als Rezeption verstanden werden, sollte man den Blick für eine Vielzahl von medial vermittelten Geldhandlungen öffnen. Das entspricht einem Alltag mehr, in der in der Auseinandersetzung mit Medien nicht nur in semantischer Hinsicht monetäre Bedeutungen konstruiert und stabilisiert werden, sondern in der mit Hilfe von Medien Bestellungen aufgegeben, Termine geplant, Verläufe simuliert, Waren bezahlt oder ersteigert werden. Medien sind damit ein vielfacher Referenzpunkt für monetäre Praktiken; sie sind in diese eingebunden und erhalten in einer Nutzungssituation durch diese Praktiken eine Bedeutung. Es geht also um Relationen monetären Wissens, die durch Medien als Mehrfach-Substrate sozialen Sinns mitgestaltet werden. Indem Medien monetäre Deutungsmuster etablieren, monetäre Handlungen ermöglichen und (Gruppen-) Beziehungen unterstützen, sind sie an der Internalisierung monetären Wissens und damit an der Konstruktion monetärer Identität beteiligt. Sie tun dies – genau wie direkte, unvermittelte kommunikative Handlungen – in spezifischer Art und Weise. Übertragungen von Ansätzen, die diese Institutionalisierungen in Situationen der Ko-Präsenz analysieren, zeigen, dass auch medial vermittelte Situationen als identitätsrelevante Interaktionen zu untersuchen sind. Indem ich von der These ausgehe, dass mit diesen kommunikativen Institutionen Muster der Identitätsaus-
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2.6 Resümee: Institutionen der Vermittlung monetärer Identität
bildung gefunden werden können, ist ein heuristischer Rahmen für die Analyse empirischen Materials gegeben. 2.6.1
Medien vergegenständlichen monetäres Wissen
Ein wesentlicher Prozess innerhalb der Herausbildung von gesellschaftlichem Wissen ist mit Schütz sowie Berger und Luckmann die Objektivierung, d. h. Vergegenständlichung. In Kapitel 2.3.1 wurde gezeigt, wie die Alltagswelt erst durch Objektivierungen über die Vis-à-Vis-Situation hinaus, intersubjektiviert und erfahrbar gemacht wird. Mit der Objektivierung, d. h. der Herauslösung von Anzeichen, Merkzeichen, Erzeugnissen und Zeichen aus ihrem Entstehungskontext, begann ja der Prozess der Transformation von subjektivem Sinn zu gesellschaftlichem Wissen. Diesen Vorgang kann man auch auf Medien anwenden: Medien objektivieren auf einer Inhaltsebene Zeichen, auf einer Ebene der Praktiken Merkzeichen und auf einer Beziehungsebene Anzeichen. Damit sind Medien wichtige Instanzen der Vergesellschaftung und Voraussetzung eines gesellschaftlichen geteilten Wissensvorrates. Denn indem sie Anzeichen, Zeichen und Erzeugnisse aus ihren subjektiven Sinnzusammenhängen heraus lösen, anonymisieren sie diese Dinge und schaffen die Voraussetzung für ihre Intersubjektivierung. Gesellschaft wird erst über diese anonymisierten, über Face-to-Face-Beziehungen hinausgehende Sozialbeziehungen gebildet (vgl. Schütz/Luckmann 2003). Grad der Objektivierung Medien übermitteln Zeichen Medien sind Zweck-Mittel-Relationen und bilden um-zu-Handlungszusammenhänge ab
Medien stellen eine soziale Umgebung her, eine soziale Situation
Inhaltsebene
Handlungsebene
Beziehungsebene
Abbildung 3: Objektivierung durch Medien, in Anlehnung an Schütz/Luckmann 2003: 355ff.
Geldhandeln wird damit erstens zum intersubjektiven Handeln, in dem es in Episoden interpersonaler Kommunikation Bezug auf gemeinsame Zeichen, Symbole und
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2 Forschungsperspektive
Deutungsmuster nimmt. Auch Medien öffentlicher Kommunikation sind an der Durchsetzung dieser Wissensformen beteiligt; sie konstruieren darüber hinaus diese Deutungsmuster, sie setzen Themen und formen monetäre Diskurse. Sie tun dies, indem sie auf sprachliche Objektivierungen, das wohl wichtigste Zeichensystem, zurückgreifen. Doch sie sind auch an der Ausbildung und Formung spezifischer, semantischer Symbolsysteme beteiligt: So wird ein grüner Pfeil hinter einem Unternehmensnahmen in einem medialen Kontext als ein Ausdruck einer spezifischen monetären Lage verstanden, ebenso wie die konjunkturelle Lage eines ganzen Landes mit Pfeilverläufen ausgedrückt wird, ein rotes Minus signalisiert Verluste. Medien entwickeln also spezifische Zeichensysteme bzw. stellen vorhandene Zeichensysteme in einen spezifischen Kontext. Geldhandeln wird zweitens zum intersubjektiven Handeln, indem es Bezug auf gemeinsame monetäre Praktiken nimmt. Vor dem Hintergrund einer Dematerialisierung des Geldes werden zunehmend Praktiken, die mit Schütz als ZweckMittel-Zusammenhänge charakterisiert wurden, medialisiert. Ein Beispiel dafür sind Online-Käufe, -Auktionen und -Bankgeschäfte. Indem sich das Individuum diese Praktiken aneignet, eignet es sich monetäres „Rezeptwissen“ an: Man „weiß“, ohne das dieses Wissen weiter detailliert ist, dass man sich in seinen OnlineAccount einloggen muss, dass man über bestimmte Eingaben sich real manifestierende Zahlungen veranlassen kann, wie man seine Kreditkartennummer im Internet einsetzt, dass bestimmte softwaremäßige Sicherheitsvorkehrungen zu treffen sind. Drittens wird Geldhandeln zum intersubjektiven Handeln, indem es auf das gemeinsame Erleben bestimmter Situationen Bezug nimmt. Medien schaffen spezifische Zugänge zu sozialen Situationen und damit zum Erleben anderer Menschen in monetär relevanten Rollen (TV-Börsengespräche im Frankfurter Händlersaal, Talkrunden mit Unternehmensvertretern). Damit schaffen sie auch Zugänge zu sozialen Gruppen und Hierarchien. Auch hier kann man vermuten, dass sich bestimmte Rollen wesentlich durch die Anschaulichkeit via Medien verfestigt und institutionalisiert haben (z. B. Manager). Indem Medien nun von Alter und Ego in einem typischen Sinn unter Anwendung gemeinsamer Regeln zur Verständigung eingesetzt werden, bilden sich Kommunikationsformen heraus. Hier findet als Teilprozess der Objektivierung das statt, was Berger und Luckmann als Typisierung und Institutionalisierung und damit als „Kernprozess der Ausbildung sozialen Wissens“ (vgl. Knoblauch 2005: 157) beschreiben. Arbeiten zur Aneignung massenmedialer Diskurse, der Mediumstheorie, dem Konzept der Medienrahmen und den Medienformaten zeigen, wie Medien – in Analogie zu den Gattungen, Deutungsmustern und Rahmungen der unvermittelten Kommunikation – Strukturen der Kommunikation ausbilden. Es kommt zu Verfestigungen, die nicht nur semantischer, sondern auch prozeduraler Art sind.
2.6 Resümee: Institutionen der Vermittlung monetärer Identität
113
Medien organisieren Wissen in spezieller Art und Weise, ermöglichen spezifische Zugänge zu Wissen, konstruieren es und sie sind, indem sie dies tun, selber Wissen. Medien sind nicht nur Mittel der Objektivierung, sie werden als Bündel von Praktiken, Semantiken und Typisierungen von Situationen selber objektiviert. So werden Medien in ihrer Verwendung mit „symbolischen Gebrauchswerten“ aufgeladen: Über den Mediengebrauch wird z. B. die spezifische Wichtigkeit eines Themas verwirklicht, etwa der Wille zur Weiterbildung oder der Wunsch nach Ausdruck einer spezifischen subjektiven Identität oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Dieser symbolische Gebrauch ist zwar vermittelt über die Aneignung der Qualitäten des Mediums als technische Lösung für praktische Probleme (vgl. Hennen 1992: 236), über spezifische Inhalte und Situationszugänge, stellt aber in seiner Symbolik selbst eine spezifische Wissensform und Institution dar. Zusammenfassend zeichnen sich kommunikative Institutionen durch folgende Merkmale aus: x Problemorientierung: Institutionen sind Lösungen für ein intersubjektives Problem. x Permanenz: Indem Institutionen permanente Lösungen für ein permanentes Problem darstellen, sind sie von übersituativer Dauer und weisen damit eine gewisse Sperrigkeit gegenüber Veränderungen auf. x Legitimation: Es gibt einen Konsens über ihre Anwendung, ihre Zweckmäßigkeit und ihre Nützlichkeit, der über die jeweilige Situation hinausgeht. x Regelhaftigkeit: Kommunikative Institutionen weisen sowohl eine spezifische innere als auch äußere Struktur auf. Das heißt, sie werden sowohl von den jeweiligen Kommunikationspartnern durch bestimmte Mittel realisiert, als auch von Außenstehenden als Institutionen erkannt. Diese Merkmale sind nun aber generisch, d. h. sie gelten – Kommunikation als basalen Prozess der Wissensvermittlung in Gesellschaften vorausgesetzt – für alle Institutionen (zum Beispiel auch für politische oder pädagogische). Konkreter konnte beispielsweise die Problemorientierung von Medien als technische Artefakte und Institutionen beschrieben werden als Lösung des Problems der mangelnden Erfahrbarkeit einer Umwelt, die sich in vielfache Kontexte ausdifferenziert hat, die nicht gleichzeitig bzw. gar nicht dem Individuum in unvermittelter Interaktion präsent sein können. Wie oben formuliert, bringen Medien, indem sie dreifach Transzendenz herstellen, eine kulturell/wertmäßige, affektiv/situative und praktische Vergesellschaftung hervor. Eine am Medienbegriff ansetzende Untersuchung kommunikativer Institutionen wird allerdings noch als zu grob angesehen, zum einen, weil festgestellt wurde, dass eine Menge relevanter monetärer Identitätsarbeit in unvermittelter Kommuni-
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2 Forschungsperspektive
kation geschieht, die eben nicht in diesen Begriff reinpasst und zum zweiten, weil Medien selbst einem Wandel unterliegen, so dass eine Analyse auf Basis medialer Verfasstheit bei einer aktuellen Zustandsbeschreibung verharren würde. Kommunikationsmodi, Rahmen, Gattungen und Deutungsmuster scheinen mir dagegen längerfristigere Konzepte von Institutionalisierungen zu sein, da sie sowohl für unvermittelte als auch medial vermittelte Situationen Bestand haben. Gleichzeitig erfasst man hiermit möglicherweise auch ein größeres Spektrum an identitätsrelevanten Handlungen, da Modi, Rahmen, Gattungen und Schemata „kleinteiligere“ Verfestigungen darstellen, wie sie z. B. im privaten Bereich (der ja nach Berger und Luckmann einem geringeren Grad an Institutionalisierung unterliegt) vorkommen. Es soll nun versucht werden, in Hinblick auf diese kleinteiligeren, immer an ihre Realisierung im sozialen Handeln gebundenen Institutionen Konkretisierungen der oben vorgestellten Merkmale zu finden. 2.6.2
Rahmen als Organisationsprinzipien der Identitätsausbildung
Wenn man Strukturen von medial vermittelter und unvermittelter Kommunikation als „’permanente’ Lösungen eines ‚permanenten’ Problems“ bezeichnen kann, dann heißt das, dass monetäre Wissensvermittlung in spezifischen Formen unterschiedlicher Komplexität geschieht und die Menschen – ebenso wie sie von monetären Werten, Fakten, Handlungen eine Vorstellung haben – von diesen Formen eine Vorstellung haben. Dieser Gedanke Goffmans, der Rahmen als Organisationsprinzip menschlicher Erfahrung und Interaktion betrachtet und sie damit zu einer wissenssoziologischen Kategorie macht (vgl. Eberle 1991) verbindet den Begriff der Identität und der regelgeleiteten Ausbildung dieser. Identität besteht hier aus einer inneren Organisation unseres Wissen um die Ordnung der Wirklichkeit“. Identität entsteht innerhalb von kommunikativen Situationen also regelgeleitet, aber nicht im Sinne von starren bzw. deterministischen Regeln (Oevermann), sondern von flexiblen Regeln, die zwar auf einer reziproken Typisierung beruhen, aber doch jeweils individuell ausgelegt werden müssen und können und damit immer einen Spielraum für die Ausgestaltung der Identität bieten. Sinn wird so nicht nur den Inhalten zugewiesen, sondern der Einbindung der Inhalte in eine mediale Verfasstheit (analog: in eine unvermittelte soziale Situation, die sich durch eine bestimmte Anzahl und Art von Handelnden und Zuschauern auszeichnet). Die Fragestellung nach der Ausbildung von monetärer Identität wird damit eingegrenzt auf die Frage nach den Umständen der Internalisierung monetären Wissens. Das Rahmenkonzept, welches dasjenige unter den vorgestellten Modellen von Institutionen der Kommunikation ist, welches die Identitätsausbildung unmittelbar an die Ver-
2.6 Resümee: Institutionen der Vermittlung monetärer Identität
115
wendung bestimmter kommunikativer Strukturen knüpft (und vice versa)39, ist damit m.E. am besten geeignet, die Frage der Aneignung monetären Wissens auf die Frage der Organisation monetärer Identitätsausbildung zuzuspitzen. Es stellt ein Analyseschema dar, welches untersucht, wie sich Menschen in Situationen der Vermittlung, die immer soziale Situationen sind, zurechtfinden. Wie werden Formen der direkten Vermittlung von monetärem Wissen durch signifikante und weniger signifikante Andere wahrgenommen? Wie werden Medien als institutionelle Agenten der Wissensvermittlung in der sekundären Sozialisation wahrgenommen? Welches monetäre Wissen vermitteln sie jeweils in spezifischer Art und Weise? Besonders vielversprechend für die empirische Analyse erscheint mir das Konzept der Rahmen deshalb, da es eine prozessuale Komponente beinhaltet, also eine Interpretation und Anpassung der Regeln nicht nur zu Beginn einer kommunikativen Handlung, sondern fortwährend. Demnach können sich im Laufe einer Situation auch ganz andere Lesarten entwickeln. Rahmen machen deutlich, wenn etwas nicht erwartungsgemäß läuft. Das erscheint mir wichtig, wenn der Umgang mit Medien selber als Wissen gilt und als solcher auch problematisch werden kann. Weiterhin versetzt einen die „Rahmenbrille“ in die Lage, jede Situation zu analysieren (denn der Mensch muss sich von jeder Situation eine Vorstellung machen), während nicht jede Interaktion zwangsläufig innerhalb von kommunikativen Gattungen stattfindet bzw. auf monetäre Deutungsmuster rekurriert. Obwohl das Rahmenkonzept von Goffman speziell zur Erfassung der Rahmung interaktiver Situationen verwendet wurde, ist es – wie Höflich zeigt – in der Übertragung auch geeignet, die Organisation von Erfahrung in technisch vermittelten Situationen interpersonaler Kommunikation zu beschreiben. Die Rahmenanalyse kann im Sinne von Willems (vgl. Willems 1997: 59) als eine „zweidimensionale ‚Meta-Analyse’“ verstanden werden, als eine Analyse von „Analysesystemen“ (Rahmen) und „Analysepraxen“ (Rahmungen): Zum einen wird beobachtet, wie jemand schaut, zum anderen untersucht, wie die Bedingungen dieses Schauens hergestellt werden (vgl. auch Vogd 2004: 98). Auf der einen Seite beschreibt Goffman die affektiv-kognitiven Orientierungen der Akteure. Auf der anderen Seite stellen Rahmen reale Kommunikations- und Handlungssituationen dar und repräsentieren damit bestimmte rahmenspezifische Interaktionsanordnungen. 39 Zwar ist Identität auch im Konzept der Rezeptionsmodalitäten von Weiß eine zentrale Kategorie, diese sind jedoch vor allem als Ausdruck von Identität entworfen (mit Ausnahme der „Rezeptionsmodalität der imaginativen und emotionalen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der Selbstbehauptung“; vgl. Weiß 2005: 72). Das Domestication-Konzept untersucht ebenfalls das Zusammenspiel eines spezifischen Mediengebrauchs und Identität, ist dabei jedoch weniger auf die Feststellung von Strukturen ausgerichtet, als vielmehr auf die Beschreibung von langfristigen Adaptionsund Integrationsprozessen, in denen Bedeutungen ausgehandelt werden.
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2 Forschungsperspektive
Diese sind durch bestimmte Regeln des Verhaltens konstituiert, die zur Verwirklichung von Kommunikationssituationen notwendig sind. Hierzu zählen also konkrete Handlungen innerhalb eines Rahmen, die seine situationsadäquate Ausgestaltung bedingen. An dieser Stelle ergibt sich allerdings eine Abweichung von Konzept Goffmans und seiner Übertragung auf mediale Präsenzen. So hat Höflich in Hinblick auf die Manifestation von Identität vor allem Augenmerk auf die Selbstpräsentation innerhalb von Computerrahmen gelegt. Identität wird bei Goffman und bei Höflich situativ realisiert. Da die Praxis der Rahmung auf die tatsächliche Interaktionssituation anspielt, die hier nicht beobachtet werden kann (siehe dazu Kapitel 3.1), geht es bei dem Analyseverständnis der Rahmen in der Arbeit vor allem um das affektiv-kognitive Rahmenwissen der Akteure, als das Wissen, welches übersituativ vorhanden ist. Zudem sollen eben auch Umgangsformen mit standardisierter Kommunikation in die Betrachtung mit einbezogen werden, die von einer Distanz zwischen den Kommunikationspartnern und nicht von einer wechselseitigen Verkettung von Beiträgen und Deutungen gekennzeichnet ist. Goffman ist vorgeworfen worden, sich nicht mit den Kernfragen der Soziologie der Verfasstheit der Gesellschaft zu befassen, sondern stattdessen „nur“ den 40 Mikrobereich ausloten zu wollen. Dieser „atomistische Bezugsrahmen“ (vgl. Mikl-Horke 1997: 269) erweist sich möglicherweise als Vorteil in einer Welt, über deren Fragmentiertheit und Instabilität man sich weitgehend einig ist. Darüber hinaus lassen sich mit der Berger-Luckmannschen Auffassung im Hintergrund, das Gesellschaft und objektive Faktizität im kleinen, privaten, subjektiven Bereich entsteht, Situationen der Herstellung subjektiven Sinns innerhalb von Rahmen durchaus mit gesellschaftlichen Wissen in Beziehung zu setzen. Monetäre Identität als Entwurf eines Horizontes, der die eigene Person in eine bestimmten Anordnung zu gesellschaftlichen Werten, der eigenen Geschichte, dem sozialen Umfeld und monetären Praktiken stellt, so der theoretisch ausgearbeitete Ausgangspunkt für die empirische Untersuchung, entwickelt sich und manifestiert sich gleichzeitig anhand der gewählten Rahmen von Kommunikation über Monetäres. So benutzt Vogd das Rahmenkonzept, um zu klären, wie Ärzte über verschiedene Interaktionen mit Patienten, Krankenkassen und Kollegen hinweg sich ein Bild über die Situation des Kranken bauen (vgl. Vogd 2004). Wesentlich dabei ist das Verständnis solcher Situationsdefinitionen als Inszenierung, die als Zusammenfassung mehrerer kommunikativer Handlungen entsteht. Im Hinblick auf das Generalisierungsziel bzw. den Verwertungszusammenhang der Studie soll das Feld monetärer Identitätsausbildung zunächst einmal von einem kommunikationswissenschaftlichen Standpunkt aus erschlossen und beschrieben werden. Mit Hilfe der Beschreibung unterschiedlicher Rahmen im Sinne einer Ty40 Vgl. dazu Goffmans ironische Replik (Goffman 1977: 22)
2.6 Resümee: Institutionen der Vermittlung monetärer Identität
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penbildung kann die komplexe soziale Realität, die im Themenfeld des Monetären zusammentrifft, hoffentlich gruppiert, reduziert und damit verständlich gemacht werden. Darüber hinaus können, wie Kelle und Kluge schreiben, Typologien auch als „Heuristiken der Theoriebildung“ dienen (vgl. Kelle/Kluge 1999: 9). Neben der Deskription von Institutionen monetärer Identitätsausbildung wäre als ein weiteres Ziel die Konkretisierung des Rahmenbegriffs als Institution alltäglicher medial vermittelter und unvermittelter Kommunikation zu nennen. Abschließend kann vor dem Hintergrund des theoretischen Kapitels die eingangs gestellte Forschungsfrage danach, welche Institutionen für die Ausbildung einer monetären Identität relevant sind, für Rahmen von Kommunikation spezifiziert und in folgende Unterfragen gegliedert werden: x Welche Rahmen lassen sich beschreiben, d. h. welche spezifischen Formen haben kommunikative Episoden über Monetäres in den Wahrnehmungen der Akteure? x Welche Probleme in Bezug auf die monetäre Identitätsausbildung werden damit gelöst? x Wie wird monetäre Identität durch die Rahmen präsentiert? x In welchem Verhältnis stehen Rahmen vermittelter und unvermittelter Kommunikation? x Lassen sich (übersituative) Merkmale von Rahmen feststellen? Können die im obigen Abschnitt dargestellten Merkmale kommunikativer Institutionen für die Rahmenperspektive konkretisiert werden? x Wenn sich übersituative Merkmale feststellen lassen, inwieweit werden Rahmen über die jeweilige kommunikative Episode und die konkreten Kommunikationspartner hinaus geteilt? D. h. vorausgesetzt, dass Rahmen die Zugänge zu monetärem Wissen regeln, bestehen Rahmenüberschneidungen und damit Chancen auf eine soziale Verteilung des Wissens in einer stark differenzierten und unübersichtlich gewordenen Welt?
3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
Die im einleitenden Kapitel dargelegte Problemstellung („Welche Rolle spielen Prozesse der Kommunikation für die monetäre Identität der Menschen?“) konnte vor dem Hintergrund der Ansätze von Schütz, Berger und Luckmann in eine wissenssoziologische Fragestellung („Wie rekonstruieren Menschen ihre monetären Handlungsorientierungen, wo nehmen sie Bezug auf gesellschaftliches Wissen?“) überführt werden. Als theoretischer Rahmen für diese Rekonstruktion wird auf die Konzeption von Lebenswelt durch Alfred Schütz zurückgegriffen, der als grundlegendes Problem des Zurechtfindens in dieser Alltagswelt die Intersubjektivität des Verstehens aufwirft. Zwar baut Schütz seine Generalthese der Existenz des Alter Ego und der Reziprozität von Perspektiven hauptsächlich am Beispiel der Face-toFace-Interaktion auf, mit dem theoretischen Teil wurden seine Überlegungen jedoch auch auf Medien ausgeweitet und anschließend mit, zum größten Teil kulturwissenschaftlich orientierten, Studien zum Mediengebrauch im Alltag unterfüttert. Um die theoretisch postulierte Eingebundenheit der Mediennutzer in die Bezüge des Alltags auch empirisch zu berücksichtigen, möchte ich bei der Erforschung der (Re-)Konstruktion der monetären Identität von dieser Lebenswelt ausgehen. Schließlich sind Prozesse der sozialen Vermittlung immer in den Kontext der gesamten Kommunikationsverhältnisse eines Menschen eingebunden. Das heißt, dass Medien Ressourcen darstellen, aus denen aktuell geschöpft werden kann und die in ein Netzwerk unvermittelter Kommunikation eingebunden sind. Erst aus der gemeinsamen Untersuchung von medial vermittelter und unvermittelter Kommunikation kann die Rolle der Medien für das monetäre Handeln rekonstruiert werden. Mit diesen beiden Punkten, lebensweltliche Verankerung und Betrachtung eines Kommunikationsrepertoires, sind die Themen für die empirische Untersuchung festgelegt. Wie die unterschiedlichen Herangehensweisen der Studien, die sich innerhalb einer phänomenologischen oder kulturwissenschaftlichen Tradition verorten, zeigen, gibt es keinen „Königsweg“ des empirischen Zugangs. Vielmehr verdeutlichen diese unterschiedlichen Zugänge, dass sich die Analyse von Medienbezügen im Alltag als vielschichtiges Projekt definieren lässt, welches durch unterschiedliche Methoden erschlossen werden kann. Diese möchte ich in den folgenden Kapiteln, aus-
120
3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
gehend von Eigenheiten des Forschungsgegenstandes und methodologischen Implikationen, herleiten.
3.1
Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
3.1.1
Der subjektive Zugang hermeneutischer Wissenssoziologie
Schütz, der sich selbst zu einer empirischen Anwendung seiner Theorie nicht geäußert hat, fand schließlich mit seiner Theorie methodischen Niederschlag in der Ethnomethodologie, der Analyse kommunikativer Gattungen und in der Konversationsanalyse. Alle diese Verfahren sind in ihrer empirischen Herangehensweise der hermeneutischen Wissenssoziologie bzw. der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik verpflichtet (die Begriffe werden beide in ähnlicher Weise verwandt). Hermeneutisch bedeutet, dass im interpretativen Umgehen mit dem Datenmaterial versucht wird, den Gesamtzusammenhang von menschlichen Handlungs-, Orientierungsund Wissensformen zu rekonstruieren und sich dabei eines methodisch kontrollierten „Verstehens“ zu befleißigen (vgl. Soeffner 2003). Als Ausgangspunkt wurde mit Schütz der Ansatz gewählt, der explizit nach dem Prozess subjektiver Sinnkonstitution und im Anschluss daran nach intersubjektiver Sinnentstehung fragt. Aus der Tatsache, dass die sozialwissenschaftliche Auslegung am Subjekt ansetzt und einen Prozess der Rekonstruktion von Bedingungen und Konstruktionsregeln sozialer Erscheinungen am Konkreten beschreitet, folgt, dass sie notwendigerweise exemplarisch arbeitet. Wie gezeigt wurde, ist monetäres Handeln immer subjektiv verankert, was jedoch nicht gleichzusetzen ist mit beliebig. Zwar beginnt der Prozess hermeneutischen Verstehens immer als Fallanalyse, aber er zielt von da aus auf das Typische und Verallgemeinerungsfähige, gemäß der Erkenntnis der Wissenssoziologie, dass in jedem subjektiven Umgang mit Erfahrungen immer auch das Soziale aufscheint. Reichertz und Schröer sehen darum das Anliegen einer hermeneutischen Wissenssoziologie in einer Verbindung der Deskription typischer subjektiver Wissensbestände und einer Rekonstruktion sozial vortypisierter Deutungsarbeit: „Ziel ist es, zu rekonstruieren, aufgrund welcher Sinnbezüge Menschen handeln, wie sie handeln. Gefragt wird, wie Subjekte, hineingeboren in eine historisch und sozial vorgedeutete Welt, diese Welt permanent deuten und somit auch verändern. Pointiert: es geht um die (Re)konstruktion der Prozesse, wie handelnde Subjekte sich in einer historisch vorgegebenen, sozialen Welt immer wieder neu ‚finden’, d. h. auch: zurechtfinden und wie sie dadurch zugleich auch diese Welt stets aufs Neue erschaffen und verändern.“ (Reichertz/Schröer 1994: 59)
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
121
Indem diese Arbeit am Einzelfall ansetzt, verweist sie doch immer auch auf gesellschaftliche Deutungsmuster, die im Mediengebrauch angesprochen werden und damit auf gesellschaftlich akzeptierte Formen des Umganges mit Geld. Schütz baut in seinen Ausführungen auf Weber auf, der als erster Soziologe den Handlungsbegriff aus methodologischen Gründen erörtert hat: Ihm ging es um die Frage, auf welche Weise der subjektive Sinn, den ein Akteur mit seinem Verhalten verbindet und der definiert, welche Handlungen er zu vollziehen beabsichtigte, vom wissenschaftlichen Beobachter verstanden werden kann (vgl. Schneider 2000: 234). Man hat es also immer mit der Beschreibung und Analyse von Konstruktionen zu tun, auf die sich das Handeln und Planen von Gesellschaftsmitgliedern in alltäglicher, pragmatischer Perspektive bezieht (vgl. Soeffner 2003: 167), sogenannten „Konstruktionen erster Ordnung“ (vgl. Schütz 1971a: 3–54). Indem der Wissenschaftler mit diesen Daten weiterarbeitet, sie interpretiert, bildet er Konstruktionen von Konstruktionen, sogenannte „Konstrukte zweiter Ordnung“. Damit macht ein Forscher zunächst nichts anderes als ein Mensch im Alltag: Er deutet Ausdrücke von Wahrnehmungen und Erfahrungen auf einen ihnen zugrundeliegenden Sinn hin. Aber anders als ein Alltagsmensch, muss der wissenschaftlich – genauer gesagt hermeneutisch – arbeitende Mensch sich über die Voraussetzungen und Methoden des Verstehens Klarheit verschaffen (vgl. Soeffner/Hitzler 1994: 33) und sein Verstehen damit systematisch machen. Das zentrale Problem der Sozialwissenschaft besteht also darin, „eine Methode zu entwickeln, um in objektiver Weise den subjektiven Sinn menschlichen Handelns zu erfassen“ (vgl. Schütz 1971a: 49).41 Das Verstehen des Sozialwissenschaftlers ist also insofern von der natürlichen Einstellung des Verstehens zu unterscheiden, als dass es als eine „Einstellung des prinzipiellen Zweifels an sozialen Selbstverständlichkeiten“ ist (Soeffner/ Hitzler 1994: 34), ein methodisch zu kontrollierendes Fremdverstehen. Doch wie ist ein systematischer Bezug zwischen Beobachtungserfahrung und Realität möglich? Aus der Gebundenheit des Wissenschaftlers an den alltäglichen Modus des Sinnverstehens resultiert eine weitere Problematik: Es kann keinen unbelasteten, direkten Zugang ins Feld, zu den Beforschten geben. Man muss hierbei berücksichtigen, dass der Forschende selbst ein Subjekt ist, welches sich mit seinen Wertvorstellungen und soziokulturellen Hintergründen in den Forschungsprozess einbringt. Interpretative Forschung ist damit 41 Dabei meint objektiv nicht „universal gültig“ sondern vielmehr den Sinn, den die Handlung von Ego für Alter hat. Schütz selbst bezeichnet die Wahl des Wortes objektiv als unglücklich „weil der Ausdruck ‚objektiver Sinn’ offensichtlich eine falsche Bezeichnung ist, insofern die so genannte ‚objektive Auslegung’ wiederum relativ auf die besondere Einstellung des Auslegenden ist und daher in gewissen Sinne ‚subjektiv’ (vgl. Schütz 1972a: 279).
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
„als ein Prozess kultureller Verständigung zu begreifen, der im Idealfall reflexive Momente hat, die sich in solchen Momenten ergeben, wenn die kulturellen Praktiken und Wertvorstellungen der Forschenden ungenügend erscheinen, um die subjektive Sinnproduktion, die sie untersuchen, zu fassen.“ (Hepp 1999: 192)
Daraus ergibt sich, neben der Explikation der im Forschungsprozess angewendeten Deutungsregeln und Verfahren, eine notwendige Reflektion über die eigenen Hintergründe, über eigene Deutungsmuster und „kulturellen Fraglosigkeiten“ (vgl. Soeffner 2003: 171), die man im Forschungsprozess explizit machen sollte. 3.1.2
Kommunikation als beobachtbare Praktik
Die Bedeutung von Medien für die Ausbildung einer monetären Identität manifestiert sich zunächst in den medialen Handlungen, die die Menschen vornehmen. Mit diesem Grundgedanken der strukturanalytischen Rezeptionsforschung von Michael Charlton und den Arbeiten von Ben Bachmair, die beide als handlungstheoretische Rezeptionsforscher bezeichnet werden können und die im Sinne dieser Arbeit davon ausgehen, dass Kommunikation als soziales Handeln abhängig vom aktuellen Kontext und den Bedürfnissen und Kompetenzen der Rezipienten stattfindet, liegen bereits methodische Ausarbeitungen in Bezug auf den Stellenwert von Massenmedien im Alltag vor.42 Für die Datenerhebung empfiehlt Bachmair, die Integration von Medien in den Alltag durch eine Beobachtung von Alltagssituationen zu erforschen, und zu schauen, in welcher Funktion Medienerlebnisse dort auftauchen und verarbeitet werden (Holzer 1994, Bachmair/Mohn/MüllerDoohm 1985). Bachmair postuliert, dass mediale Praktiken diesen Situationen ihren Sinn verleihen und man in der Analyse den umgekehrten Weg gehen müsse, um den Sinn des Mediengebrauchs festzustellen. Wie zahlreiche Forschungen in der Tradition der Cultural Studies aber zeigen, ist Mediennutzung einer unter vielen Referenzpunkten bestimmter Praktiken (vgl. Fritzsche 2001: 28), insofern sei es, um Alltagshandeln mit Medienbezug zu bestimmen, notwendig, entweder von alltäglichen Handlungssituationen oder von alltäglichen Handlungsformen mit Medien auszugehen (vgl. Mikos 2005: 85). Darüber hinaus habe ich eine Beobachtung aus im Folgenden dargelegten methodologischen Überlegungen, die sich aus 42 Allerdings beziehen sich beide auf die strukturale bzw. objektive Hermeneutik, um die handlungsleitenden Themen aufzuspüren, die hinter der Mediennutzung stehen. Wie bereits erwähnt, offenbaren Handlungen in diesem Verständnis latente, objektiv vorhandene Sinnstrukturen. Das Verhältnis zwischen Subjekt und Gesellschaft ist hier, in Anlehnung an Oevermann, weniger als ein Wechselspiel, sondern vielmehr als ein „Überstülpen“ der objektiv vorhandenen Strukturen auf die subjektiven Handlungen konzipiert.
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
123
der vorangegangenen Feststellung der Sinn-Differenz zwischen Handelndem und Beobachter ergibt, verworfen. Die Beobachtung als Methode wird vor allem von der Ethnomethodologie favorisiert und gilt anderen Zugängen zum Forschungsfeld wie z. B. Interviews oder der Analyse von Dokumenten als überlegen. Grund dafür ist eine gewisse Skepsis gegenüber der Qualität von Daten, die von anderen übermittelt werden und die wiederum aus der, im vorigen Kapitel bereits ausgeführten Tatsache resultiert, dass Mitteilungen anderer immer schon (Re-)Konstruktionen sind: „Denn es ist zumindest fragwürdig, ob Mitteilungen anderer über soziale Phänomene als Daten der Phänomene selber gelten dürfen.“ (Honer 1993: 56)
Damit greift Honer die im vorigen Kapitel aufgeworfene Frage auf, wie man als Forscher einen Zugang zur grundsätzlich unzugänglichen Sphäre der Sinnzuweisung eines Beforschten erhält. Die praktische Vertrautheit mit dem zu erforschenden Phänomen, die sich nach Meinung der Ethnomethodologen nur durch praktische Teilnahme am sozialen Geschehen erlangen lässt, soll das „Validitätsproblem“ (vgl. Honer 1993: 57) lösen helfen, welches aus der Darstellung durch andere resultiert. Darüber hinaus wurde als Erkenntnisinteresse nicht eben nur eine Deskription von Mediengebrauch und der Lebenswelt, in der dieser Mediengebrauch geschieht, festgestellt, sondern die Rekonstruktion von Formen sozialer Vermittlung und ihr Beitrag zur Ausbildung monetärer Identität. So stellt Bohnsack eine grundsätzlich andere Analyseeinstellung der Ethnomethodologie fest: Sie frage danach, was ein bestimmtes Phänomen ist (vgl. Bohnsack 1997: 193) – und nicht, wie es konstruiert ist. Damit zeige der Ethnomethodologe eine Haltung der „offiziellen Neutralität“ gegenüber dem Glauben, „dass die Objekte der Welt so sind, wie sie erscheinen“ (Garfinkel 1967: 272). Während ethnomethodologische Beobachtungen Handlungsschemata erkennen lassen (und damit sicherlich wertvolle Erkenntnisse über Milieus und Lebenswelten hervorbringen) werden sie der „genetischen“ bzw. prozessrekonstruktiven Fragestellung der Wissenssoziologie nicht gerecht. Darüber hinaus sprechen noch zwei forschungspraktische Gründe gegen die Methode der Beobachtung: Die Vermittlung von Formen des Wissens über Geld, die sich im Umgang (d. h. in Praktiken) und im Reden über Geld niederschlagen, lassen sich nur schwer empirisch beobachten. Zum einen bleibt die direkte Beobachtung verwehrt, da Geld nicht einfach ein neutrales Mittel zum Warentausch ist, sondern weil es vielfach moralisch aufgeladen ist. Geldhandlungen laufen diskret ab und entziehen sich damit Beobachtungen. Eine Beobachtung war darüber hinaus nicht zuletzt auch aus kapazitätsmäßigen Gründen ausgeschlossen, weil Geldhandeln unregelmäßig und über lange Zeiträume verteilt abläuft. Forschungspraktische Gründe waren es auch, die gegen ein konversationsanalytisches Vorgehen, welches auf
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
der Analyse von natürlichen Texten beruht, sprachen. Angela Keppler hat mit dieser Methode sehr eindrucksvoll die Funktion von Medien innerhalb von Familiengesprächen verortet (Keppler 1995). Da Geldhandeln nur einen Teil der Alltagshandlungen darstellt, sprachen jedoch abermals kapazitätsmäßige Überlegungen gegen die Extraktion geldrelevanter Interaktionen aus Alltagsgesprächen.43 Diese Erwägungen haben zum Interview als passende Methode geführt. Zum einen ist im Anschluss an Goffman das Interview als eine Interaktionssituation zu sehen, in der die Teilnehmer eine Identität präsentieren; zum anderen zeigen Arbeiten der Biografie- und Identitätsforschung, dass Interviews und speziell narrative Interviews das adäquate Mittel sind, um Identitätsbildung zu erforschen (vgl. Schütze 1981; Kraus 1996; Keupp 2006; Behringer 1998). Ernst schreibt: „Erzählungen und Geschichten waren und bleiben die einzigartige menschliche Form, das eigene Erleben zu ordnen, zu bearbeiten und zu begreifen. Erst in einer Geschichte, in einer geordneten Sequenz von Ereignissen und deren Interpretation gewinnt das Chaos von Eindrücken und Erfahrungen, dem der Mensch täglich unterworfen ist, eine gewisse Struktur, vielleicht sogar einen Sinn.“ (Ernst 1996: 2002)
Mit der Wahl dieses empirischen Zugangs gehe ich weiter davon aus, dass im Gespräch über monetäres Wissen und seine Herkunft sowohl subjektiv verfügbare Wissensbestände über monetäre Sachverhalte und ihre Relevanz für die eigene Person als auch die Formen ihrer Aneignung angesprochen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kommunikative Vorgänge, Strategien und Muster sich nur in Ausschnitten erfassen lassen; sie müssen immer als Versionen sozialen Geschehens betrachtet werden. Die gewählte Methode der Befragung ist unmittelbar an Bewusstseinsleistungen der Beforschten gekoppelt und damit als schon beim Forschungssubjekt ansetzender rekonstruierender Konservierungsmodus zu sehen. „In der Rekonstruktion wird ein unwiederbringlich vergangenes soziales Geschehen durch Umschreibung, Erzählung oder Kategorisierung erfasst, wobei jedoch das Geschehen in seinem ursprünglichen Ablauf weitgehend getilgt ist: Es ist prinzipiell bereits von nachfolgenden Deutungen überlagert, zum Teil hochgradig verdichtet und nur mehr in symbolisch transformierter Gestalt verfügbar“ (Bergmann 2007: 531).
Die Anwendung einer Befragung ist damit insofern legitim, als das im „Reden über Medien“ und im „Reden über Geld“ mit Rahmen, Deutungsmustern und Klassifi43 So konstatieren Bergmann und Blöcher, die Alltagsgespräche ostdeutscher Familien im Jahr 1992 untersucht hatten, dass bei einer zweiten Stichprobe aus den Jahren 1995 und 1996 die GeldThematisierungen erheblich zurückgingen und nur noch sehr wenig Geldverweise in den Alltagsgesprächen zu finden waren (Bergmann/Blöcher 1998: 140).
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
125
kationen kognitive Phänomene ihren verbalen Ausdruck finden. Dieser Zusammenhang zwischen Erlebtem und Geäußertem, wird von Garfinkel als „Indexikalität“ bezeichnet. Im Folgenden bedarf es allerdings weiteren methodologischen Überlegungen, wie mit dieser Indexikalität umgegangen wird. 3.1.3
Die „Einklammerung des Geltungscharakters“ in der dokumentarischen Methode
Mit der „dokumentarischen Methode“, die auf die Wissenssoziologie von Karl Mannheim zurückgeht, soll nun ein methodologisch gerechtfertigter und adäquater Zugang zur Indexikalität fremder Erfahrungen vorgestellt werden. Genau wie im Alltagsleben auch versucht der Forscher den anderen zu verstehen, Äußerungen gelten als Hinweise auf den sinnhaften Aufbau der Welt. Im Unterschied zur Alltagseinstellung liegt der dokumentarischen Methode jedoch eine prozessrekonstruktive Analyseeinstellung zugrunde. Indem diese Analyseeinstellung grundsätzlich zwischen Verstehen und Interpretieren unterscheidet, zielt sie auf den Prozess der Herstellung von Wirklichkeit, also auf das Wie (statt beim Was, also den Alltagspraktiken, stehen zu bleiben). Damit erscheint sie mir aus methodologischer Sicht als der passende Zugang zur Erklärung der Entstehung monetärer Identität in Auseinandersetzung mit Medien, die ja in den vorangegangenen Kapiteln als Konstruktionsprozess gekennzeichnet wurde. Mit dem Verstehen ist innerhalb der dokumentarischen Methode ein „konjunktiver Erfahrungsmodus“ bezeichnet, der sich auf die Alltagspraxis, auf einen gemeinsamen Erlebnisraum bezieht. Wer durch diesen gemeinsamen Erfahrungsraum verbunden ist, versteht sich unmittelbar und intuitiv und muss sich nicht erst interpretieren. Der Forscher dagegen befindet sich im „kommunikativen Erfahrungsmodus“; der sich auf das Interpretieren einander fremder Subjekte bezieht. Dazu bedient er sich der Leitdifferenz zwischen immanentem und dokumentarischem Sinngehalt. Die immanente Interpretation zielt auf die zweckrationalen Handlungszusammenhänge und damit auf die Gründe, warum etwas gemacht oder gesagt wurde. Sie entspricht der Schützschen Motivstruktur des Um-zu-Handelns. Beim Interpretieren des dokumentarischen Sinns jedoch geht es darum, eine „generative Formel“ zu finden und den Herstellungsprozess sozialer Tatsachen begrifflich-theoretisch zu erklären (vgl. Bohnsack 2000: 67f.). In dieser „genetischen“ bzw. „dokumentarischen“ Interpretation“ scheint laut Mannheim, dessen Wissenssoziologie die Basis der dokumentarischen Methode bildet, die Struktur auf, der individuelle und kollektive Habitus. Damit lassen sich nun zwei Arten der Typenbildung unterscheiden: diejenige des kommunikativ-generalisierenden Sinns und
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
diejenige des Dokumentsinns; des Hinweises auf etwas, was anstelle und im Namen eines zugrundeliegenden Musters steht. Diesen beiden Sinngehalten verleihen nun zwei Schritte der Textinterpretation forschungspraktischen Ausdruck: die formulierende und die reflektierende Interpretation. Dieser Übergang von der immanenten (formulierenden) zur dokumentarischen (reflektierenden) Interpretation, der den Übergang von den Was- zu den Wie-Fragen markiert, entspricht eben einem methodisch geregelten Übergang zwischen den Konstrukten erster Ordnung zu den Konstrukten zweiter Ordnung, wie er im Eingangskapitel gefordert worden war (vgl. Bohnsack 2000: 74). Dabei bewahrt die wissenssoziologische Analyseeinstellung Distanz gegenüber der Fragestellung, ob die Darstellungen durch die Interviewpartner der Wahrheit bzw. normativen Richtigkeit entsprechen – es interessiert vielmehr, was sich in den Darstellungen über die Darstellenden und ihre Aneignungen von direkt und medial vermitteltem monetärem Wissen dokumentiert (vgl. Bohnsack 2000: 75): „Die Suspendierung der mit dem immanenten Sinngehalt verbundenen Geltungsansprüche, die „Einklammerung des Geltungscharakters“ ist konstitutiv für eine Methode, die auf den Prozess der (erlebnismäßigen) Herstellung von Wirklichkeit, also auf die Frage nach dem Wie, zielt und nicht darauf, Was diese Wirklichkeit jenseits des milieuspezifischen Er-Lebens ist.“ (Bohnsack 2000: 76)
Darüber hinaus trägt die dokumentarische Methode der Kommunikativität der Forschungssituation Rechnung, indem sie weiterhin vom „intendierten Ausdruckssinn“ ausgeht (vgl. Mannheim 1964: 104). Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass der Interviewte im Gespräch auch immer eine Form der Selbstdarstellung sieht. Vom Dokumentsinn unterscheidet sich der intendierte Ausdruckssinn durch seine kommunikative Absicht, vom immanenten Sinn dadurch, dass der Sinngehalt nicht explizit, sondern gestalterisch, metaphorisch oder stilistisch zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Bohnsack 2000: 79). Die Rekonstruktion dieses Sinngehaltes basiert primär auf Annahmen über kommunikative Absichten, wie sie zum Beispiel von Goffman erforscht wurde. Ein Interview ist, wie bereits erwähnt, immer auch als situative Realisierung von Identität zu sehen. 3.1.4
Die Bestimmung von Rahmen der Kommunikation
Im Fokus der Untersuchung stehen, wie bereits kurz angeschnitten, keine interaktionistischen Momentaufnahmen von Kommunikation über monetäre Themen, sondern bereits verfestigte kommunikative Strategien, mit denen sich die Befragten monetäres Wissen in Relation zur Ausprägung ihrer monetärer Identität aneignen. Die dokumentarische Methode als Form der Befragung zur Erfassung von lebensweltlicher Erfahrung wurde von Bohnsack vor allem in Gruppendiskussionen an-
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
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gewendet (vgl. Bohnsack 2000). Als wesentliches Element charakterisiert Bohnsack die Analyse der Aufeinanderbezogenenheit der Elemente des Gruppendiskurses und der damit vollzogenen Artikulation kollektiver Erlebnisschichtung. In biografischen Interviews, einem zweiten Anwendungsbereich, tritt an Stelle der Gruppeninteraktion als Analyseeinheit die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Ebenen der Darstellung und der Textsorten, wie sie von Fritz Schütze herausgearbeitet wurden (vgl. Bohnsack 2000: 78). Darüber hinaus arbeiten biografische Interviews mit einem Vergleich zwischen Fallstruktur (d. h. „harten“ Daten wie z. B. an Jahreszahlen festgemachte Ereignisse wie Scheidungen, Todesfälle etc.) und der Schwerpunktsetzung in der Erzählung. Dabei geht es weniger darum, den Wahrheitsgehalt des Dargestellten zu überprüfen, sondern vielmehr darum, aus der Differenz von Narration und Leben die Prozessstruktur des Habitus abzuleiten. Eine Anwendung der dokumentarischen Methode auf qualitative Interviews, die nicht als biografische Narrationen gestaltet sind, wurde erstmals von Bettina Fritzsche vorgelegt, die damit kulturelle Fan-Praktiken von Mädchen im Kontext der Mediennutzung untersuchte (vgl. Fritzsche 2001). Sie zeigt, dass auch auf der Basis kürzerer Erzählsequenzen eine „prozess- oder sequenzanalytische Rekonstruktion von Handlungs-, Interaktions- und Diskurspraktiken“ sowie eine „Rekonstruktion der erlebnismäßigen Darstellung, der Erzählung und Beschreibung dieser Praktiken“ (vgl. Bohnsack 2000: 68) möglich ist. Doch welche narrativen Elemente geben nun Aufschluss über die Definitionen kommunikativer Situationen durch die Befragten und die daran geknüpfte Relevanzzuweisung für die identitätsspezifische Aneignung monetären Wissens? Die meisten rahmentheoretischen Studien legen die empirische Bestimmung ihrer Rahmen nicht offen (vgl. König 2003). Einen plausiblen Versuch einer empirischen Erfassung pädagogischer Rahmungen legt Lüders vor, der sowohl nach inhaltlichen und formalen Kriterien unterscheidet (vgl. Lüders 1994). Diese Unterscheidung aufgreifend, kann zunächst auf die formalstrukturelle Bestimmung von Textsorten und der „Zugzwänge des Erzählens“ zurückgegriffen werden, wie sie bereits in Ansätzen schon für die dokumentarische Methode fruchtbar gemacht wurden. Die formalstrukturelle Bestimmung von Rahmen lehnt sich an die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt zu kommunikativen Gattungen an, die bereits im theoretischen Teil als „gesellschaftlich verfestigte und intersubjektiv mehr oder minder verbindliche Vorprägungen kommunikativer Vorgänge“ charakterisiert wurden (vgl. Luckmann 1984: 59). So ist für Interviews die Verwendung der drei Textformen Erzählung, Beschreibung und Argumentation typisch, wobei diese als gattungsähnlich verfestigte Lösungen für das „Problem“ angesehen werden können, einer anderen Person Einblick in das eigene Handeln zu geben (vgl. Kallmeyer/ Schütze 1977). Jede dieser Formen ist gekennzeichnet durch die Verwendung ty-
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
pischer Muster: beispielsweise durch rhetorische Figuren, Phrasen, Stilmitteln wie Listen und Aufzählungen sowie Regelungen der Redezugbestimmung und Dialogizität (vgl. Luckmann 1986: 204). Für die Interpretation identitätsrelevanter Aneignungsepisoden ist dabei vor allem die Form der Alltagserzählung relevant, die Schütze erzähltheoretisch durch die „Zugzwänge des Erzählens“ charakterisiert (vgl. Schütze 1977). Eine Erzählung bezieht sich in der Regel auf Erlebtes, das zum Zwecke des Verstehens erzählt wird und hat eine geringe Distanz zu emotionalen und identitätsmäßigen Dimensionen des Subjektes. Der Erzähler versetzt sich im Erzählvorgang in die eigenen Handlungs- und Erfahrensabläufe zurück. Deswegen haben Erzählungen auch von allen drei genannten Textformen die komplexeste Struktur und können als primäre Textsorte betrachtet werden. Schütze nennt er drei Regeln des formalen Aufbaus von Stegreiferzählungen („Zugzwänge“): den Gestaltschließungszwang, den Relevanzfestlegungs- und Kondensierungszwang sowie den Detaillierungszwang. Der Gestaltschließungszwang bezeichnet die Regelhaftigkeit, dass Darstellungen (angekündigt und) abgeschlossen werden müssen. Es handelt sich dabei um das Anzeigen der Eröffnung und des Abschließens einer Erzählung und durch den Erzähler. Jeder Erzähler unterliegt weiterhin – aufgrund von angenommener Zeitknappheit beim Zuhörer – dem Relevanzfestlegungs- und Kondensierungszwang, d. h. er wird sich auf das für ihn Wesentliche beschränken und dabei Teilerzählungen entsprechend verdichten. Der Detaillierungszwang entsteht schließlich aus dem Zwang zur Plausibilisierung von Elementen, die das Dargestellte für den Zuhörer schlüssig machen; der Erzähler wird hier also auf Details eingehen. Jedem dieser drei Zugzwänge entsprechen typische sprachliche Mittel und Strategien; von ihrer Verwendung kann der Interpret der Interviews auf bestimmte Ziele des Erzählers schlussfolgern. Dabei ist die Erzählung für Schütze deswegen die primäre Textsorte, weil aus ihr als „reproduzierende[r] Darstellung bereits abgelagerter und theoretischreflexiv weniger überformter Ebenen der Selbsterfahrung“ direkt auf die Aufschichtung von Erfahrung geschlossen werden kann, Bohnsack spricht von einer „Homologie von Erzähl- und Erfahrungskonstitution“ (vgl. Bohnsack 2000: 108), da der Erzähler Einblick in die Art seines Erlebens gibt. In der Textform der Beschreibung dagegen spielen die emotionalen Verwicklungen des Subjektes keine große Rolle, es ist innerlich nicht beteiligt. Beschreibungen sind eine sprachliche Aktivität, die die Aufeinanderfolge von Handlungen oder Ereignissen zum Gegenstand hat. Argumentationen dagegen nehmen in ihrer Struktur stark auf die Interaktivität der Interviewsituation Bezug. Knoblauch stellt heraus, dass Argumentationen nicht – wie von Habermas postuliert – der Verdeutlichung subjektiver Ziele und Absichten dienen, sondern grundsätzlich rhetorisch sind (vgl. Knoblauch 1995: 278). Der Sprecher möchte die Zustimmung des Zuhörenden haben, dazu baut er auf dem plausiblen Wissen des Alltags auf, welches er als gemeinsames Wissen un-
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
129
terstellt. Typische argumentative Strategien sind die Verbindung von Kategorien (Parallelen oder Listen) oder ihre Trennung, d. h. Dissoziation (in Antithesen und Kontrastierungen) (vgl. Knoblauch 1995: 284 sowie weiterführend Perelman/ Olbrechts-Tyteca 1969 und Toulmin 1996). Argumentationen geben weniger Aufschluss auf die Aufschichtung einer Erfahrungssituation als die Erzählung, da sie besonders der kommunikativen Situation des Interviews Rechnung tragen, sich weiter von der emotionalen Aufschichtung der Erlebniswelt des Befragten entfernt haben und vielmehr auf die Zustimmung des Interviewers gerichtet sind. In der inhaltlichen Bestimmung von Rahmen ist zunächst die Feststellung von Bohnsack wichtig, dass Rahmen anhand von Gegenhorizonten deutlich werden, innerhalb derer das Thema abgehandelt wird (vgl. Bohnsack 2000: 151). Als solche können beispielsweise die Verwendung sozialer Kategorisierungen oder bestimmte Tätigkeiten gelten; die zur positiven oder negativen Kontrastierung des eigenen Handelns herangezogen werden. Für diese inhaltlichen Bewertungen des eigenen Handelns und der eigenen Position spielen Topoi eine große Rolle, die man im Anschluss an Knoblauch als stereotype kommunikative Inhalte charakterisieren kann (vgl. Knoblauch 1995: 278), als typische Verknüpfungen von sozialen Kategorien mit bestimmten Attributen und Aktivitäten, die zu inhaltlichen Verfestigungen und Gemeinplätzen führen. Das eigene Handeln wird charakterisiert und begründet durch „sprachlich-logische Verbindungen“, wie es Slogans, Vergleiche, Metaphern und Synekdochen sind. So wird beispielsweise in der Aussage „Als Deutscher...“ ein kollektiver Singular verwendet, der für eine grammatischnumerische Synekdoche steht. Man verweist damit auf eine bestimmte Zuordnung seiner Person zu einer übergeordneten, abstrakten Kollektivität und erklärt seine Handlungen mit bestimmten Attributen der Zuordnung, wie es hier die Nationalität ist. Metaphern dagegen ermöglichen es Menschen, jene Wirklichkeiten zu erfassen, die sich weit jenseits ihrer unmittelbaren Erfahrungswirklichkeit befinden (vgl. Lakoff 1987). Indem diese Gedankenfiguren auf eine inhaltliche Ordnung der Welt verweisen, nehmen sie eine Bestimmung dessen, was vor sich geht, vor und weisen Rahmen kommunikativen Handelns aus. 3.1.5
Auswahl der Fälle und Interviewsituationen
Der eingeschlagene Weg ist als selektives Sampling zu bezeichnen (vgl. Kelle/Kluge 1999). Anhand einiger Merkmale, die als theoretisch bedeutsam extrahiert wurden, wurden nach Interviewpersonen gesucht, die diese Merkmale aufwiesen. Das bei qualitativen Untersuchungen häufig verwendete Theoretical Sampling (vgl. Glaser/Strauss 1998; Strauss 1994) wurde ausgeschlossen, da der Forschungsprozess damit kapazitätsmäßig offen wäre und der Untersuchungsgegen-
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stand bereits theoretisch vorstrukturiert wurde. Folgende Merkmale wurden als theoretisch relevant befunden: x Haushaltsnettoeinkommen – die Interviewten sollen sich zu etwa gleichen Teilen auf eine Gruppe mit einem Haushaltseinkommen unter 3.000 Euro und in eine Gruppe größer 3.000 Euro einteilen lassen. Das durchschnittliche deutsche Haushaltsnettoeinkommen beträgt 2.370 Euro (West) und 1.880 Euro (Ost). Damit wird – im Sinne einer maximalen Fallkontrastierung44 – mit der Gruppe > 3.000 Euro eine sehr einkommensstarke Gruppe untersucht. x Umgang mit Geld anhand von außen sichtbarer Merkmale, die bereits bei der Fallauswahl eingesetzt werden konnten: - Überschuldung als Zeichen v. Geldproblemen – Anlaufpunkt waren hier für mich Schuldnerberatungsstellen. - überdurchschnittliches Interesse an Geldthemen – um zunächst ein möglichst reichhaltiges Spektrum an Geldhandeln darzustellen, wurde bei der Untersuchung auch eine Gruppe angesprochen, bei der ein solches vermutet wird: organisierte Investmentclubs, die hinsichtlich der Alters- und Berufsgruppen breit gestreut sind. x Darüber hinaus sollte – da sich die Themen, die innerhalb der Konstruktion monetärer Identität im zeitlichen Lebensverlauf unterscheiden45 – altersmäßig ein breites Spektrum an Fällen abgedeckt werden und eine Ausgewogenheit hinsichtlich Geschlecht erreicht werden.
44 Vgl. zu Methoden der Fallkontrastierung Kelle/Kluge 1999: 40ff. Die Methode der Maximierung von Fallunterschieden geht auf Glaser und Strauss zurück (vgl. Glaser/Strauss 1998) 45 Hinweise darauf geben Lebensphasenmodelle, mit denen Finanzdienstleister versuchen, ihre Kunden zu segmentieren. Demnach sind die einzelnen Phasen durch einen spezifischen Bedarf an Geld sowie durch spezifische Einkommensverläufe gekennzeichnet.
131
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
<3000 €
>3000 €
Alter
Frauen
Männer
20–29
5
2
30–39
Frauen
Männer
2
1
4
1
40–49
1
1
3
2
50–59
1
1
2
1
60< Summe
1
1
1
30
Tabelle 3: Verteilung innerhalb des Samples nach Alter, Einkommen und Geschlecht
Unter den 30 Befragten waren sieben Personen, die überschuldet waren und zwei Personen, deren Ansprache über die Vorsitzende eines Investmentclubs erfolgte. Darüber hinaus fanden sich unter den Rekrutierten „unbeabsichtigt“ weitere drei Personen, die sich sehr intensiv mit Geld in Form von Börsenthemen beschäftigten. Die Rekrutierung erwies sich (bis auf die Überschuldeten, mit denen eine Terminvereinbarung teilweise sehr schwierig war) als relativ unproblematisch. Neben den Schuldnerberatungsstellen und den Investmentclubs habe ich die Befragten aus meinem weiteren Lebensumfeld rekrutiert (keine Verwandte, Freunde und enge Bekannte, keine in der Anlageberatung Tätige). Es erwies sich als gangbarer Weg, die Befragten über Freunde zu rekrutieren, da damit das für das Themenfeld notwendige Vertrauen durch die eine dritte Person hergestellt wurde, gleichzeitig aber die für das Thema notwendige Distanz gewahrt wurde, da man sich eben nicht persönlich kannte. Um das Interview vorzubereiten und hinsichtlich des Vermögens und anderer soziodemographischen Charakteristika zu selektieren, wurde den Zielpersonen nach der ersten Kontaktaufnahme ein Fragebogen zugeschickt mit der Bitte, ihn zurückzuschicken bzw. zum Interview bereit zu halten. Insgesamt habe ich die – meinen ursprünglichen Annahmen widersprechende – Erfahrung gemacht, dass nach einer „Aufwärmphase“ viel und gern über Geld erzählt wurde. Diese bezog sich vor allem auf die Darstellung der persönlichen Bedeutung von Geld, der biografischen Erfahrungen und einer gesellschaftlichen Dimension des Geldumganges. Mit Blick auf die alltäglichen Praktiken der Kommunikation über Geld sind aber auch gewisse Grenzen sichtbar geworden: Gerade der alltägliche Umgang mit Geld läuft so routinisiert und habitualisiert ab und wird als so elementar begriffen, dass die Befragten ihn nicht initiativ thematisierten. Das Fazit von Honer, die versucht hatte, Heimwerker zu ihrem freizeitlichen Selbermachen zu interviewen, ist hier zutreffend: „Wenn man Menschen, mit welchen Gesprächsführungstricks auch immer, ‚zwingt’, ihre fraglos eingelebten Praktiken ‚auf den Begriff zu bringen’, dann verleitet man sie nachgerade zwangsläufig dazu, allenfalls Ideologie zu produzieren.“ (Honer 1994: 92)
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
Da sich dieser Umstand in zwei Pretest-Interviews herausgestellt hatte, wurden sowohl ein Instrument zur Erfassung des alltäglichen Umgangs mit Medien als auch acht standardisierte Fragen zu als typisch angenommenen monetären Problemsituationen und Lösungsstrategien als Interviewbestandteil aufgenommen (siehe nächstes Kapitel). Die Interviews fanden bei den Befragten zu Hause, im Büro (bei Freiberuflern und Selbständigen) oder in den Räumen einer Schuldnerberatungsstelle statt und wurden von der Autorin allein durchgeführt. Insgesamt zogen sich die Rekrutierung der Interviewpartner und die Durchführung der Interviews ineinander verschränkt über einen Zeitraum von fünf Monaten zwischen Januar und Mai 2006 hin. Ergänzend wurden, um einen Feldzugang zu bekommen und sich Hintergrundwissen über monetäre Handlungsprobleme anzueignen, nicht-standardisierte Interviews mit drei Schuldnerberatern und zwei Vermögensberatern durchgeführt. Insbesondere die „fremde Welt“ (vgl. Lüders 2003: 392) der Schuldner machte es vorbereitend notwendig, sich grundlegende Handlungszusammenhänge dieser spezifischen sozialen Situiertheit in einem Gespräch mit Schuldnerberatern in ihrer Funktion als Experten, die sich durch eine „institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion von Wirklichkeit“ (vgl. Hitzler/Honer/Maeder 1994) auszeichnen, zu erschließen (vgl. zu Experteninterviews Gläser/Laudel 2004). Von diesen Interviews wurden lediglich Notizen angefertigt; sie gingen als Hintergrundwissen in die Analyse mit ein. 3.1.6
Datengewinnung und problemzentriertes Interview
Die 30 explorativen Interviews, die zwischen einer und zweieinhalb Stunden dauerten, liefen in mehreren Etappen ab: Nach dem Telefongespräch zur Kontaktaufnahme und Erklärung des Forschungsvorhabens wurde ein schriftlicher Fragebogen zugesendet (mit der Bitte, ihn vor dem Interview zurückzuschicken). Zu Beginn des Interviews wurden die Befragten gebeten, die kurz einen typischen Medientag zu beschreiben. Dann begann das eigentliche Interview, welches zwar in Hinblick auf das Ziel der Erfassung der subjektiven Relevanzsetzungen der Befragten zum größten Teil nicht-standardisiert war, allerdings von einem stärker standardisierten Teil (den acht Situationen) unterbrochen wurde.
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
133
Zeitpunkt
Frageziel
Methodisches Element
Vor dem Interview
Erfassung monetärer Praktiken als äußere Merkmale von Identität, Hinweise auf den Umgang mit Geld
Fragen zum Umgang mit Geld
Äußere Lebensumstände
Soziodemographischer Fragebogen
Im Interview
Erfassung von kommunikativen Praktiken
Medientag
Narrationen, subjektive Faktizität
Leitfragen als Erzählaufforderung
Fokussierung, Belegerzählungen das Alltägliche nicht aus dem Blick verlieren, Anlass für weitere Erzählungen
Erzählgenerierende Nachfragen 8 monetäre Problemsituationen
Tabelle 4: Überblick über die methodischen Elemente
Der Fragebogen, der von den Interviewten im Vorfeld des Interviews ausgefüllt wurde46, enthielt eine Reihe von Fragen zur Person (Bildung, Beschäftigung, Familienstand…) sowie zu äußeren Parametern des Umgangs mit Geld (Haushaltsnettoeinkommen, Zusammensetzung des Vermögens nach Anlageklassen, Anzahl Bankverbindungen…). Darüber hinaus wurden erste Hinweise auf die monetäre Identität auch durch einige Fragen zu Gewohnheiten, Einstellungen und zu Themen in diesem Zusammenhang eingesammelt. Diese Fragen orientieren sich – in Anlehnung an die sozialwissenschaftliche Identitätsforschung – an einem Instrument zur Erfassung der Selbstwirksamkeit, d. h. der Erwartung, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch ausführen zu können (vgl. grundlegend Bandura 2003 sowie zur Messung Jerusalem/Schwarzer 2001).47 Dieser Fragebogen sollte ein Verständnis für den sozialen Kontext herstellen, eine Vergleichbarkeit der Interviewperson hinsichtlich eines äußeren Rahmens an monetären Themen und Problemen mit anderen Befragten ermöglichen und eine sichere Basis zur Einordnung ihrer Ausführungen im folgenden Interview sein. Bei der Durchführung der Interviews habe ich mich an die Methode des problemzentrierten Interviews angelehnt (vgl. Witzel 2000). Das Adjektiv „problemzentriert“ ist hier wenig aussagekräftig, da die „Orientierung an einer gesellschaft46 Mit einigen Befragten wurde er zusammen direkt vor dem Interview ausgefüllt (und nicht im Vorfeld ausgefüllt zurückgeschickt), da sie noch einmal persönlich klären wollten, wofür die Daten verwendet werden bzw. wie detailliert er auszufüllen ist. 47 Die Fragen nach der Sichtweise auf monetäre Probleme, dem Umgang mit ihnen und nach dem Vertrauen in die eigene Kompetenz auch in Zukunft sind freie, auf das Monetäre bezogene Umformulierungen der 10 Items aus dem Verfahren von Jerusalem und Schwarzer. Es handelt sich um ein eindimensionales Prognoseverfahren; der individuelle Testwert ergibt sich durch das Aufaddieren aller Antworten, wodurch sich im vorliegenden, abgewandelten Fall ein Score zwischen 0 und 10 ergibt. Auf eine genauere Darstellung wird verzichtet, da die Antworten auf diese Fragen lediglich als Indiz eines identitätsrelevanten Aspekts dienen.
134
3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
lich relevanten Problemstellung“ (vgl. Witzel 2000) für alle Formen qualitativer Interviews gelten dürfte. Das problemzentrierte Interview lehnt sich weitgehend an das theoriegenerierende Verfahren der Grounded Theory (vgl. Strauss 1994) an, grenzt sich aber bewusst gegen die naiv-induktivistische Position des soziologischen Naturalismus ab, der die Empirie unter Ausklammerung jeglichen Vorwissen konzipiert und mit einer Tabula-Rasa ins Feld geht. Der Forscher ist also theoretisch vorbelastet und grenzt den Fragebereich mit Hilfe seines theoretischen Rahmens ein; dennoch wird diese Interviewform dem Grundsatz der Offenheit gerecht, dem jede qualitative Forschung genügen sollte. Der Erkenntnisgewinn wird sowohl im Erhebungs- als auch im Auswertungsprozess als induktiv-deduktives Wechselverhältnis organisiert (vgl. Witzel 2000). Das unvermeidbare und mit dem theoretischen Teil dieser Arbeit offengelegte Vorwissen dient in der Erhebungsphase als heuristisch-analytischer Rahmen für die Erstellung von Leitfragen. Diese haben zum einen die Funktion, Impulse für freie Erzählungen (Narrationen) des Interviewpartners zu geben, sollen es dem Interviewenden aber auch ermöglichen, an die Narrationen des Interviewpartners anzuknüpfen und auf das Problem zu beziehen. Hierin unterscheidet sich das problemzentrierte auch vom narrativen Interview, in dem Erzähl- und Nachfragephase strikt getrennt sind. Das Offenheitsprinzip wird realisiert, indem längere Erzählsequenzen der Befragten angeregt werden und die Fragen allgemein formuliert sind und Aufforderungen zum „beschreiben“, „erzählen“ enthalten. Gesprächstechniken wurden also flexibel eingesetzt: Je nach der unterschiedlich ausgeprägten Reflexivität und Eloquenz der Befragten kann sich der Interviewer stärker auf Narrationen oder unterstützend auf Nachfragen im Dialogverfahren setzen. Dies erwies sich bei dem Forschungsthema als besonders wichtig, da sich nach zwei Test-Interviews herausstellte, dass Erzählungen über den Umgang mit Geld aufgrund der von den Handelnden unterstellten Alltäglichkeit (und auch „Persönlichkeit“ im Sinne von Intimität) erst „ins Rollen“ gebracht werden müssen. Dazu wurden, wie bereits erwähnt, neben dem soziodemographischen Fragebogen am Anfang zwei weitere standardisierte Instrumente in das Interview eingebaut: die Frage nach einem typischen Medientag zu Beginn und – in der zweiten Hälfte des Interviews – acht Fragen nach der typischen Lösung monetärer Problemsituati48 onen durch die Befragten. Damit soll zum einen der Anspruch eingelöst werden, ein möglichst komplexes Bild der Lebenswelt und des Medienrepertoires zu erhalten, zum anderen dienen die Antworten auf diese standardisierten Fragen als weite48 Beispielsweise: Sie möchten schnell wissen, wie Ihr aktueller Kontostand ist. Wo informieren Sie sich? Sie haben 3.000 Euro zur Verfügung und möchte diese gerne langfristig anlegen. Wie informieren Sie sich über Anlagemöglichkeiten? Eine Aufstellung aller Situationen findet sich im Leitfaden im Anhang. Es sind dort mehr als 10, da einige nicht auf bestimmte Lebenssituationen passen. Die Auswahl der Fragen wurde situativ wahrgenommen.
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
135
re Erzählanlässe. Diese Erzählanlässe braucht es, ist doch der Umgang mit Geld und das Wissen darüber kein Thema, welches – wie beispielsweise die Biografie eines Befragten – einen derart zwingenden inneren Zusammenhang hat bzw. als Geschichte so geläufig ist, als dass Befragte darüber mehrstündig ohne verbal geäußerte Rückmeldung des Interviewers erzählen könnten. Weiterhin ist es interessant, aus dem Abgleich von Fakten und Narration die tatsächliche Handlungsrelevanz von bestimmten Dingen zu erfahren. So gaben einige Befragte im Fragebogen zum Umgang mit Geld an, in Fonds zu investieren, äußerten sich im Interview jedoch dahingehend, dass sie niemals ihr Geld an der Börse investieren würden. Das problemzentrierte Interview wird in der Literatur auch dem thematischen 49 Interview zugeordnet, welches Selbstläufigkeit und Selbstthematisierungen durch den Beforschten so weit wie möglich zulässt, diese jedoch insofern kanalisiert, indem thematische Bereiche in Form von Leitfragen oder -dimensionen vorgegeben sind. Die Relevanzsetzungen der Interviewpartner können damit – in Anlehnung an die „Fokussierungsmetaphern“ der dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack 2000: 75) – als Hinweise auf eine Spezifik des Erfahrungsraumes und des persönlichen Habitus verstanden und in die Auswertung mit einbezogen werden. Der Themenkatalog, der als Gedächtnisstütze im Interview diente und je nach Situation gewichtet wurde, umfasste folgende Dimensionen:50 x Allgemeiner Umgang mit Geld - Individuelle Bedeutung von Geld, Ansprüche und Orientierungen, mögliche Probleme - Blick auf Geld als gesellschaftlicher Aspekt - Relevante Themen im Rahmen monetären Handelns, sowohl in Form von konkreten (bewältigten und anstehenden) Aufgaben als auch in Form von kognitiven und normativen Konzepten wie Maximen und Philosophien, die den Umgang mit Geld prägen - Biografische Prägung
49 Das thematische Interview ist ein Oberbegriff, unter den sowohl das fokussierte Interview wie auch das problemzentrierte Interview gefasst werden, obwohl diese in der bisherigen Literatur unterschieden wurden (vgl.Witzel 1982). Das problemzentrierte wird dabei auch oft mit dem fokussierenden Interview verglichen, welches nach dem gleichen Grundprinzip funktioniert, nämlich der Konzentration auf einen vorab bestimmten Gegenstandsbereich, zu dem dann relativ frei Interpretationen erhoben werden sollen. 50 Der ausführliche Leitfaden inklusive der Erfassung des Medientages und den acht monetären Problemsituationen befindet sich im Anhang.
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
x Reden über Geld - Bedeutung von Gesprächen über Geld in der Familie, im Bekanntenkreis allgemein - Konkrete Anlässe, über Geld zu reden, Realisierung dieser Gespräche/Verlauf x Bedeutung von Medien - Bedeutung von Massenmedien für Informationen über Monetäres allgemein, Relevanz bestimmter Medien - Konkrete Anlässe, sich über Geld zu informieren, Realisierung dieser Episoden - Bedeutung von Medien für monetäre Transaktionen wie Online-Banking und Online-Shopping - Bedeutung von Privatsphäre und Sicherheit Im Postskriptum schließlich wurden Notizen des Forschers zur Interviewsituation, spontane Einfälle, eigene Gefühle etc. notiert. 3.1.7
Zur Interpretation und Darstellung
Grundlage der Auswertung ist die Fallanalyse auf der Basis vollständig transkribierter Interviews. Dabei wurde auf die exakte Kennzeichnung von Gesprächspausen, nonverbalen Inhalten etc. verzichtet, ganz im Sinne von Flick, der bemängelt, dass die Formulierung von Transkriptionsregeln, die jede linguistische Feinnotierung berücksichtigen, häufig zu einem Fetischismus verleitet, der in keinem begründbaren Verhältnis zu Fragestellung und Ertrag der Forschung steht (vgl. Flick 1996: 192). Die für diese Arbeit erstellten Transkripte orientieren sich an dem von Henne und Rehbock geforderten Kriterium der einfachen Lesbarkeit (vgl. Henne/Rehbock 2001). Aus diesem Grund wird auf konversationsanalytische Gepflogenheiten wie durchgängige Kleinschreibung oder Partiturschreibweise verzichtet. Gemäß der Trennung in den kommunikativen auf der einen und dem konjunktiv-dokumentarischen Sinngehalt auf der anderen Seite, muss auch bei der Auswertung in zwei Schritten vorgegangen werden. Im ersten Schritt, der formulierenden Interpretation, geht es darum, zunächst das Gesagte hinsichtlich seiner thematischen Struktur zu entschlüsseln. Dazu wurde jedes Interview hinsichtlich seiner Schwerpunktsetzungen und Inhalte zusammengefasst. Innerhalb der formulierenden Interpretation bleibt der Interpret soweit wie möglich im Rahmen des Beforschten, „er macht diesen noch nicht zum Gegenstand begrifflich-theoretischer Explikation, sondern lediglich die angesprochenen Themen, indem er zusammen-
137
3.1 Methodologische Voraussetzungen und methodische Implikationen
fassende ‚Formulierungen’ … im Sinne von Oberbegriffen, Überschriften oder Themen sucht (Bohnsack 2000: 149, Hervorh. im Original). Bei dieser Abklärung des immanenten Sinns half weiterhin ein Abgleich des Erzählten (d. h. der Relevanzsetzungen des Beforschten) mit den Daten aus dem Geld-Fragebogen und dem Medientageblatt. Nachdem das „was“ geklärt wurde, steht innerhalb der reflektieren Interpretation die Frage des „wie“ im Mittelpunkt: Wie verweisen die Befragten auf ein Thema, auf bestimmte Vorgänge, welche Erfahrungsräume liegen ihnen zugrunde? Da Erfahrungsräume als Orte eines gemeinsamen Erlebens gedacht werden, die die Grundlage für die Herausbildung kollektiver Wissensbestände und Orientierungen bieten, setzte hiermit das Vergleichen der einzelnen Fälle ein. Ein wesentliches Element der dokumentarischen Methode ist gerade bei Einzelinterviews der Vergleich. Die zugrundeliegende Idee ist ja, dass sich in den Erzählungen und Beschreibungen der Befragten ihr „atheoretisches“ Wissen offenbart (vgl. Mannheim 1964: 100). Erst die Rekonstruktion dieses Wissens der Befragten im Vergleich und damit die Kenntnis alternativer, kontingenter Handlungspraktiken ermöglicht eine Ausleuchtung der Erfahrungsräume, in denen diese entstanden sind und damit auch Hinweise auf Homologien und Unterschiede. Erst der Fallvergleich ermöglicht die methodische Kontrolle der für die Reflexion notwendigen Vergleichshorizonte. Einzelfallanalyse
Formulierende Interpretation: Welche Episoden thematisieren die Befragten?
Reflektierende Interpretation: Wie thematisieren die Befragten diese Episoden?
Komparative Analyse
Festlegung der thematischen Struktur der Auswertung
Gegenhorizonte in thematisch ähnlichen Passagen
Erlebnisräume: Vergleichsgruppen
Abbildung 4: Interpretation der Daten
Beide Arbeitsschritte wurden mit Hilfe eines Computerprogramms zur qualitativen Datenanalyse vollzogen (Atlas.ti). Die Interviews wurden sequenziell durchforstet und nach Themen gegliedert, bevor in einem zweiten Schritt die reflektierende In-
138
3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
terpretation angewendet wurde. Weiterhin wurde Excel zum einfachen Verwalten der Fallvariablen genutzt.51 Die Analyse der Daten bestand im Codieren, also die Zerlegung des Textes in bedeutungsvolle Einheiten, der Organisation dieser Segmente in Kategorien und der Beschreibung der Beziehungen dieser Kategorien untereinander.52 Das Darstellungsproblem (vgl. Reichertz/Schröer 1994: 78) nun ist die letzte Hürde bei der interpretativen Erschließung der Sinnbezüge innerhalb derer die Menschen handeln. Den gesamten Auswertungsprozess, der zirkulär, ineinander verwickelt und darum sehr langwierig ist, einem nicht Involvierten darzustellen, ist aufgrund eben dieser daraus entstehenden Komplexität unmöglich. Die Quantität des sich im Laufe des Interpretationsprozesses ergebenden Materials und die Nichtoperationalisierbarkeit der Methode stehen somit der geforderten Nachvollziehbarkeit der Schlussfolgerungen des Forschers gegenüber. Um die Überprüfbarkeit meiner Hypothesenbegründung bei gleichzeitiger Lesefreundlichkeit zu gewährleisten, habe ich mich entschlossen, von fünf der 30 Interviews Fallinterpretationen anzufertigen. Anhand dieser Texte, die damit als Interpretationsprotokolle dienen, können einzelne Interpretationsschritte nachvollzogen werden, die im darauffolgenden Kapitel zu den einzelnen Hypothesen verdichtet werden. Somit ist es dem Leser möglich, Teile des Forschungsganges mitzugehen, möglicherweise Lesartenalternativen zu entwickeln und in diesem Sinne „Angriffsfläche für methodischen Zweifel“ bereitzustellen (vgl. Reichertz/Schröer 1994: 82). Diese fünf Fallstudien können auch als formulierende Interpretation gelesen werden, da es mir hier darum ging, den thematischen Gehalt der jeweiligen Interviews mit eigenen Worten zusammenzufassen und größtenteils im Rahmen des Interviewten zu bleiben. In der komparativen Analyse werden besonders wichtige Passagen aufgegriffen und auf die genannten formalen und inhaltlichen Kriterien (Textsorten, Zugzwänge des Erzählens, sprachlich-logische Verbindungen, Gegenhorizonte etc.) hin analysiert. Erst in der sich anschließenden komparativen Analyse entsteht mit Hilfe des oben beschrieben Vergleiches von Textsorten, ihrem formalen und semantischen 51
Parallel zu jedem Textdokument wurde ein Datensatz mit Variablen i.S. von Attributen verwaltet, die sich auf den gesamten Text bezogen und nicht auf einzelne codierte Segmente, wie zum Beispiel die soziodemographischen Daten. 52 An dieser Stelle der Hinweis: Mit Atlas.ti wurde nicht die „Theorie gebaut“ wie dies als eigentlicher Zweck des Programms erklärt wird (vgl. Kuckartz 2005), vielmehr fungierte das Programm als Textstellendatenbank, die als elektronisches Fundstellenregister mit komplexen Zugriffsmöglichkeiten genutzt wurde. Mithilfe von „Retrievals“, d. h. verschiedene logische Verknüpfungen von Schlagwörtern („Codes“) oder Variablen (wie Geschlecht, Beruf) mit Textpassagen, lassen sich dann unter verschiedenen Aspekten Originaltextstellen finden. Darüber hinaus ist Atlas.ti eine gute Arbeitsplattform, denn alle Analyseschritte qualitativer Forschung (Text durcharbeiten, unterstreichen, Randnotizen, Kategoriendefinition, komparative Analyse) konnten direkt im Programm vorgenommen werden.
3.2 Fallbeschreibungen
139
Gehalt, ein Bild von der Konstruktion monetärer Identität innerhalb von kommunikativen Episoden durch die Befragten.
3.2
Fallbeschreibungen
3.2.1
Ute S. – die pragmatische Familienmanagerin
Ute S. ist eine 54jährige Pharmazieingenieurin, die in Teilzeit in einer Klinikapotheke arbeitet und zusammen mit ihrem Mann in einer 3-Zimmer-Wohnung in Potsdam lebt. Sie hat zwei erwachsene Söhne, die zwar beide nicht mehr im Haushalt der Eltern leben, aber als Student bzw. Lehrling finanziell von ihnen unterstützt werden. Neben ihrer Beschäftigung in der Klinik bringt sie viel Zeit, mindestens drei Nachmittage in der Woche, für die Pflege ihrer kranken Mutter auf. Bedeutung von Geld Textbeispiel Ute S., „Beruhigung“ „Ja, [Geld ist, P.K.] eine gewisse Beruhigung, wenn man es hat. Ja, eigentlich, dass man sich Ziele setzen kann. Geld bedeutet vielleicht, ja auch das man wahrscheinlich einen Beruf hat, wo man was verdient, dass man also in Lohn und Brot ist. Eine Regelmäßigkeit. Und ansonsten hat es, sagen wir mal, nicht so die Bedeutung. Also wir haben ja auch Erfahrungen gehabt wo nicht viel Geld da war und wo man mit einem Gehalt dann rechnen musste, als die Kinder geboren worden sind und ja also • es ist letztlich an mir kleben geblieben, das Geld zu verdienen, einzuzahlen und damit zu rechnen. Das ist bis heute so geblieben“ (P2: 094)
Diese Textstelle, in der Ute beschreibt, welche Bedeutung Geld für sie hat, enthält Verweise auf ihren Lebenshintergrund. Zunächst stellt sie Geld als Beruhigung dar. Diese Absicherung, konkretisiert in einem regelmäßigem Geldeingang, verbindet sie mit der für sie existenziellen Frage nach Arbeit, wie es in der Formulierung „Lohn und Brot“ zum Ausdruck kommt. Sie erklärt das mit ihrer Biografie: Die Familie hat bereits Zeiten erlebt, in denen wenig Geld vorhanden war. Ihr Mann arbeitet als freischaffender Drehbuchautor, wie sie bereits in einem Vorgespräch erklärt hat. Es kam vor, dass Aufträge „wegbrachen“ bzw. keine „reinkamen“ und damit auch die Regelmäßigkeit unterbrochen war. Diese Phasen waren prägend für sie. Für sie ist die Frage nach der Bedeutung von Geld mit der Familie als wirtschaftliche Einheit verknüpft, familiäre Ereignisse wie die Geburt der Kinder haben wirtschaftliche Bedeutung. Und: Geld ist etwas, worum man sich kümmern muss, man muss es verdienen, einzahlen und damit rechnen, es also gemäß den familiären Belangen einteilen. Dabei verwundert die angefügte Bemerkung „und ja also • es ist letztlich an mir kleben geblieben, das Geld zu verdienen“ – hat sie doch zuvor er-
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
klärt, dass man nur mit dem Gehalt ihres Mannes auskommen musste, als die Kinder geboren worden sind. Vor dem Hintergrund der weiteren Aussagen wird jedoch klar, dass sie damit die Verwaltung der Familienfinanzen meint, die sie nach der Geburt des zweiten Kindes übernahm: „Wir mussten wirtschaften, da musste einer das Geld einteilen. Und das ist dann an mich gefallen.“ (P2: 132)
Als ihr Mann, der noch bis 1990 in den Filmstudios Babelsberg beschäftigt war, „im Zuge der Wende“ arbeitslos wurde und sich gleich danach als Freischaffender selbständig machte, hat sie dann nicht nur das Familiengeld verwaltet, sondern mit ihrem Gehalt aus der Apotheke für Stabilität in den Familienfinanzen gesorgt. Das Geld, welches ihr Mann verdient, ist unsicher („es gibt Jahre, die sind gut, und Jahre, die sind nicht so gut“, P2: 110) und entspricht damit kaum der von ihr angestrebten Regelmäßigkeit. Gleichzeitig schwächt sie aber die hohe Bedeutung, die Geld bekommt, wenn es als Familieneinkommen gilt, ab durch den Einschub „Und ansonsten hat es, sagen wir mal, nicht so die Bedeutung“. Diese Einschränkung ist ein weiteres Thema auf ihrer „finanziellen Agenda“, wie an späteren Ausführungen klar wird: Für Ute S. ist Geld eine Sache, die zwar existenziell ist, die man aber nicht „nach außen tragen“ sollte. Sie nimmt hier eine Zweiteilung vor: Auf der einen Seite ist das Geld, welches zum Überleben der Familie gebraucht wird. Darüber hinaus gibt es noch das Geld, von dem man sich etwas gönnen kann, was als solches auch für die Umwelt sichtbar werden kann. Die Frage, ob man am Gelde sieht, was jemand im Leben geleistet hat, begreift sie auch als Frage nach Sichtbarkeiten: Textbeispiel Ute S., „Statussymbol“ „Na nicht unbedingt. Es ist ja vielleicht auch wie man es nach außen trägt, ja. Also ich meine, wir haben ja hier schon in der Wohnung einige Werte stehen. Aber sagen wir mal, ich trage es nicht so sehr nach außen. Es ist für mich so nach außen hin kein Statussymbol. Also ich würde nun nicht, um zu zeigen, ich hab es geschafft, nun das neueste Auto fahren wollen. Also ich muss es nicht unbedingt zeigen.“ (P2: 100)
Geld ist für sie zunächst kein Statussymbol, die Befriedigungen, die man sich damit verschafft, bleiben innen. Am augenfälligsten wird dies mit der Formulierung über die „Werte, die in der Wohnung stehen“. Doch im weiteren Verlauf des Interviews greift sie das Thema Statusanzeige noch einmal in ambivalenter Art und Weise auf. So kann Geld durchaus als Gradmesser dienen, ob „man es geschafft“ hat, hat sie doch im Eingangszitat auch erklärt, das Geld bedeutet, dass man sich Ziele setzen kann. In diesem Sinne ist Geld dann durchaus die – in ihrem Fall positiv resümierte – Anzeige der eigenen Situiertheit.
3.2 Fallbeschreibungen
141
Textbeispiel Ute S., „Statussymbol 2“ „Und man möchte natürlich den Status, den man hat, den möchte man auch gerne halten. Wobei das nicht heißt, dass man ein ganz neues Auto haben muss oder so. Aber man möchte zumindest was das Kulturleben angeht, ins Theater gehen, ins Kino gehen, ins Konzert gehen, und auch mal reisen und seine Wohnung halten. Das sind für mich so die Statussymbole. Nicht so was, was man so nach außen trägt, ne, das sagt ich ja schon. Das ist, aber das möchte ich schon ganz gerne halten.“ (P2: 197)
In beiden Passagen äußert sie mit Status eine Vorstellung vom „Oben und Unten“ in einer Gesellschaft; ganz im Sinne von Bourdieu und seiner Vorstellung, dass Menschen als Angehörige unterschiedlicher gesellschaftlicher, hierarchisch angeordneter Positionen über unterschiedlicher Kapitalien verfügen. Dabei geht es ihr – auch dies ganz im Sinne von Bourdieu – nicht um einen rein ökonomischen Kapitalbegriff: Ute S. macht deutlich, dass sich Geld transformieren lässt; in außen sichtbare Werte, in innere Werte, in kulturelle und soziale Werte. Im Vergleich von Auto und Theater, Kino, Konzert schwingt mehr mit: Ein schnödes Konsumgut wird gegen „Kulturgüter“ gestellt. Damit grenzt sich die Befragte gegen andere anonym bleibende Gruppen ab und rechtfertigt ihre Ausgaben als sinnvoll und kulturell wertvoll. „Statussymbol“ wird hier als Gegenentwurf zum klassischen Statussymbol („ein ganz neues Auto“) verstanden. Die beiden Dinge, die hier gegenüber gestellt werden, unterscheiden sich durch ihre Sichtbarkeit: Während das Auto für die gesamte Mitwelt sichtbar ist und den Geldwert direkt symbolisiert, ist der Gang in die Philharmonie nur in dem Moment sichtbar, indem das Konzert stattfindet. „Schöne Klamotten“, zu denen sie sich in weiteren Textstellen bekennt, sind auch sichtbar, deshalb erfordern sie eine Klarstellung: „aber nun nicht (...) um zu sagen, ich hab das“. Es ist die Gegenüberstellung von inneren Werten und äußeren Werten, die hier stattfindet. Und das ist für Ute S. eine generationsspezifische Sache: „Die Jüngeren“ interessieren sich nicht mehr für die inneren, für die kulturellen Werte. Ute S. formuliert in einer folgenden längeren Passage ihr Bedauern darüber, dass man sich über Bücher, Filme etc. nicht mehr austauscht und nimmt damit eine milieuspezifische Selbstverortung vor. Einteilen, zuteilen, kontrollieren – Praktiken im Umgang mit Geld „Verdienen, einzahlen und damit rechnen“ – so umschreibt Ute S. ihre monetären Praktiken. Entsprechend ihrer ersten Beschreibung sind auch alle monetären Praktiken familiär gerahmt: Sie ist der finanzielle Haushaltsvorstand, sie holt das Geld von der Bank und teilt es den einzelnen Familienmitgliedern zu. Ein wesentlicher Aspekt ist für sie die Kontrolle: der eigenen Ausgaben, der Rechnungen, die Stromversorger und Autowerkstatt stellen, der Positionen auf dem Einkaufszettel, der Ausgaben ihres Sohnes sowie der Rechnungen ihres Mannes.
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
Textbeispiel Ute S., „Kontrolle“ „Weil wir haben also alles grundsätzlich, dass das abgebucht wird oder als Dauerauftrag, je nachdem, wie ich das eingerichtet hab. Das klappt gut, das kontrollier ich auch, ich hake das also auch richtig ab, im Kalender und auf den Auszügen. Also ich hab diesen Kalender und dann ist es auch weg. Und ich kontrolliere auch alles. Ich kontrolliere jede Abrechnung, jede Stromrechnung, ich rechne das alles nach. Telefonrechnung guck ich, na ja was man so • sag mer mal, also ich • ich gucke, ist da auch was Besonderes dabei, was das vielleicht auffällig ist oder so. Das gucke ich schon.“ (P2: 148)
Kalender, Kontoauszüge, Rechnungen, Einkaufsbons – Ute S. kontrolliert mit Hilfe von diesen Artefakten den Strom der Ein- und Auszahlungen nicht nur, sie bewahrt sie auch lange auf „schon allein wegen des Geschäftes“, also der Selbständigkeit von ihrem Mann. Aber für sie stellen diese Dinge auch eine Art von Sicherheit dar („falls doch noch mal irgendwie eine Aufforderung kommt“), die abgehakten und weggelegten Sachen sind auch Ergebnis von und Beleg dafür, dass sie ihre Aufgabe als Managerin der Familienfinanzen ernst nimmt. Wie in einem Unternehmen produziert sie so eine lückenlose Aufstellung aller Zahlungen. So heftet sie auch an jeden Einkaufsbon den Kartenbeleg, wenn sie mit Karte gezahlt hat. Wie ein Buchhalter wäre sie imstande, „sofort [zu] sagen, 1995 hab ich im Juni das und das bezahlt“. Diese Sphäre der Kontrolle bezieht sie auch noch auf ihre Söhne: Sie erzählt von einer Episode, in der sie ihren 20jährigen Sohn David, der zwar nicht mehr im Haus lebt, aber nur ein geringes Bafög erhält und deswegen von den Eltern wirtschaftlich abhängig ist. Er muss jeden Monat zu Hause seine Auszüge vorweisen, und nachweisen, was er mit dem Geld gemacht hat. Beim letzten Treffen fiel das Thema unter den Tisch, allerdings fand sie seine Auszüge später im Hausmüll - Anlass für eine längere Interviewpassage, in der sie Erziehung thematisiert. Sie führt ihre hohe Kompetenz im Umgang mit Geld auf ihr Elternhaus zurück: Textbeispiel Ute S., „Kaufmannsfamilie“ „Sicherlich auch geprägt durch das Elternhaus. Es wurde eben immer kontrolliert und nachgeguckt im Geschäft. Ist sicherlich irgendwo im Kopf dann hängen geblieben, dass man das dann auch so macht. Versuch ich den Kindern auch beizubringen, dass man eben nicht nur fliegende Zettel haben kann.“ (P2: 152)
Ihre Eltern führten eine Wein- und Spirituosenhandlung, in der das Geld jeden Abend „noch richtig gezählt wurde“. Es wurde täglich darüber geredet, das Geld wurde eingeteilt, die Bücher wurden „frisiert“. Mit folgender Passage (und dem darauf folgenden Statement, dass sie sich auch in einem Beruf als Steuerberater vorstellen könnte) macht Ute S. ihre Selbsteinschätzung als in finanziellen Dingen kompetent deutlich:
3.2 Fallbeschreibungen
143
Textbeispiel Ute S., „Steuerberater“ „Aber ich, ich •• als mein Mann anfing, sein Geschäft zu gründen/ mir das selber ausgerechnet, was man so an Steuern bezahlen musste und ich hab das also fast genau mir ausrechnen können, auch heute noch.“ (P2: 108).
Sie schreibt sich aufgrund ihrer Kindheit in einem Unternehmerhaushalt eine quasi automatisch erworbene Fähigkeit mit Geld umzugehen zu, die eine professionelle Ausbildung aufwiegen bzw. ergänzen kann. Und: Ihr macht es auch Spaß, wie sie an anderer Stelle des Gespräches einfließen lässt. Indem sie ihre finanziellen Praktiken mit denen eines Steuerberaters vergleicht, impliziert sie auch eine Wertschätzung; schließlich wird ein Steuerberater ja auch für seine Arbeit entlohnt und damit formal anerkannt. Mit der gleichen Aktivität und pragmatischen Herangehensweise regelt sie auch die Geldanlagen der Familie. Sicherheit geht vor; dabei heißt Sicherheit für sie, dass sie „zur Not“, d. h. wenn die Geschäfte ihres Mannes nicht gut laufen, „an das Geld rankommt“. Vor allem geht es ihr um Berechenbarkeit, Stabilität, Regelmäßigkeit und um Absicherung möglicher Risikofälle sowie die jederzeitige Verfügbarkeit über ihr Geld. Zu dieser Erkenntnis ist sie aus eigener Erfahrung gekommen, sie erzählt ausführlich von einer misslungenen Investition in Dachfonds. Auffällig ist, dass sie beim Reden über Geldgeschäfte als einzige der Befragten Verluste beziffert und auch bei der Beschreibung ihrer Aktivitäten sehr konkret erzählt. Ebenso wie auch bei den Praktiken des Kontrollierens und des Einteilens ist hier der Ehemann auch eine nicht direkt involvierte Instanz; der wesentliche Impuls zu einzelnen Geldanlagen kommt von ihr. Ute S. hat in ihrem Alltag sehr viele Berührungspunkte zu Geld; sie ist der Knotenpunkt der wirtschaftlichen Einheit Familie. Sie erledigt nicht nur den Großteil der Aktivitäten in diesem Zusammenhang, sie macht es auch gerne und sie redet sehr bereitwillig darüber. Einen überspannenden Zusammenhang dieser positiv konnotierten Tätigkeit stellt sie durch die Erwähnung ihrer Herkunft aus einer Kaufmannsfamilie her und den Schilderungen, wie dort mit Geld umgegangen wurde. Aus diesem praktischen Ansatzpunkt heraus, „Geld zu ordnen“ macht sie das jetzt ähnlich: Finanzielles Handeln besteht für sie im wesentlichen aus vielen Ein- und Auszahlungen, die kontrolliert werden müssen, die in die Haushaltswirtschaft eingeordnet werden müssen, die mit dem Familienbudget abgeglichen werden müssen. Von diesem alltäglichen Handeln losgelöst sind die übergreifenden finanziellen Belange wie die Absicherung der Familie. Abgesehen von dieser praktischen, positiven Bedeutung des lebenszweckgebundenen Geldes (das Finanzielle im Griff haben), hat das reine Geld manifestiert in nach außen sichtbaren Symbolen für sie negative Bedeutung. Geld erscheint in diesem Licht als Zuspitzung einer ne-
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
gativ konnotierten Statuskultur: je mehr Geld, umso weniger Kommunikation und Kultur. Gespräche über Geld Aus der Erledigung der Geldgeschäfte erwachsen regelmäßige kommunikative Episoden zwischen Ute S. mit ihrem Mann, in denen es um die Absprache der Eheleute über den aktuellen finanziellen Status geht, die Plausibilisierung der Ausgaben oder die Ratifizierung geplanter Anschaffungen („Und dann mach ich entweder Daumen hoch oder runter, wenn irgendein Kauf ansteht“). Dabei ist die Position des „Familienmanagers“ nicht nur eine Position, in der Ute S. Bescheid darüber wissen muss, was die anderen Familienmitglieder erwirtschaften und ausgeben, sondern auch eine, die „Rechenschaft“ von ihr erfordert: Textbeispiel Ute S., „Rechenschaft“ „Ich, ich war schon immer zuständig für das Geld und das Geld einzuzahlen schon über Jahre oder Jahrzehnte kann man sagen. Und ich bin auch monatlich Rechenschaft schuldig, wo das Geld geblieben ist. Mein Mann würde mir also nie, nie Vorwürfe machen und sagen, also ich hab ja soundsoviel verdient, dass kann doch nicht wieder alles alle sein. Also er weiß schon und glaubt mir das auch, wenn ich sage, also das Geld ist weg.“ (P2: 197)
Sie betont, dass sie die regelmäßigen Absprachen weniger als eine RapportFunktion sieht, als vielmehr als moralische Selbstverpflichtung; eine Abstimmung, die notwendig ist und die damit zu den spezifischen Handlungsformen dieses Haushalts gehört. Der Anstoß kommt von ihr, sie fühlt sich der „Rechenschaft schuldig“. Mit der Übertragung der Geldgeschäfte ist nicht nur eine Aufteilung der Aufgaben im Haushalt geschehen, sondern gleichzeitig eine Übertragung von Vertrauen. Dass zu diesen regelmäßigen kommunikativen Episoden auch die Zuteilung der finanziellen Unterstützung an die Söhne gehört, die immer auch eine Situation der Vermittlung der den mütterlichen Handlungsweisen zugrundeliegenden Werten darstellt, habe ich bereits erwähnt. Während das Wirtschaften mit dem Budget innerhalb der Familie S. ein regelmäßiges Gesprächsthema ist, welches „morgens, abends, Mittag, je nachdem wie man gerade im Thema ist“ (138) besprochen wird, entwickeln sich Geldgespräche mit Freunden und Bekannten eher „nebenbei“. Auf die Frage, ob im Bekanntenkreis über Geld gesprochen wird, antwortet sie: Textbeispiel Ute S. „Lebensversicherung“ „Schon, ja, ab und zu. Also mit Leuten die längere Zeit dann schon kennt, ist es schon ein Thema. Was kann man machen und/ •• also, diese Lebensversicherung die wir jetzt haben, resultiert auch da draus, dass jemand sagte, hast dafür überhaupt keine Versicherung? Aber das hat sich wirklich ergeben.“ (P2: 184)
3.2 Fallbeschreibungen
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Mit Leuten, die man längere Zeit schon kennt – so die Einschränkung – wird also über Geld gesprochen. In dem Gespräch, welches Ute S. anführt, ging es um ein konkretes Produkt, welches die Bekannten in einer bestimmten Lebenslage („wenn euch was passiert“) als relevant ansahen. Ute S. macht sich die Argumentation der Bekannten, die das Thema aufgebracht haben, zu eigen und führt in einer längeren Erzählung – quasi als Weiterführung des damaligen Gespräches – der Interviewerin nicht nur die Vorteile des zur Debatte stehenden Produkte,s auf sondern gibt dabei auch Einblick in die Familiengeschichte. Geldangelegenheiten und Lebenssituationen sind miteinander verwoben. Ebenso wie über die Vorzüge und die Relevanz einzelner Produkte gesprochen wird, sind auch allgemeinere Dinge wie die Verwendung des Budgets Gesprächsthema: Textbeispiel Ute S., „Ehrlich drüber sprechen“ „Also da wird schon ehrlich drüber gesprochen. Ich meine nun auch nicht über alles, ja. Aber schon das man sieht, also die machen das auch so oder so, ja. Sind ja einige dabei, die auch selbständig sind, auch einige dabei, die keine Kinder haben. Einige, die keine Kinder haben und ein Haus haben und natürlich ganz anders dastehen und andere Sachen machen können, nicht. Und laufend neue Autos fahren können. Da kann man natürlich nicht mitreden, ne. Da haben wir gesagt, also bei uns muss jeden Monat die Miete drauf sein und ein Kind, was alimentiert werden muss und also das, da muss man sich manche Sachen verkneifen. Dafür hat man ja auch die Kinder, ja.“ (P2: 189)
Vor dem Hintergrund der Theorie sozialer Vergleichsprozesse von Festinger (1954) kann man hier das Motiv erkennen, die eigenen Strategien und damit die eigenen Fähigkeiten zu bewerten. Dabei werden vorrangig solche Personen zu Vergleichen herangezogen, die ähnliche soziale Merkmale aufweisen. Auch in dieser Passage nimmt sie Bezug auf Varianten im Umgang mit Geld. Wieder kontrastiert sie eine mögliche und gesellschaftlich akzeptierte Variante des Umgangs mit Geld mit dem von ihr eingeschlagenen alternativen Weg. Diesmal sind es die Kinder, die ihre alternative monetäre Position rechtfertigen. Der Freundeskreis ist für Ute S. der Ort, wo sie Einblick in das Leben ihrer Freunde und damit in andere mögliche Umgangsweisen mit Geld zu erhalten und sich somit auch zu vergleichen. Ganz nebenbei wird an diesem Zitat wieder die starke Identität als Familie deutlich: Ute S. vergleicht sich als Familie mit der Gruppe der Selbstständigen (obwohl sie selbst Angestellte ist), sie rechtfertigt monetäre Strategien in der „Wir"Form, sie stellt monetäre Praktiken in Bezug zu familiären Lebensformen (mit Kinder/ohne Kinder) und vergleicht dabei einen finanziellen Gewinn mit dem moralischen Gewinn durch Kinder.
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Tipps aus der Zeitung Ute S. ist ein pragmatischer Mensch, die Sinnhaftigkeit monetären Handelns ergibt sich für sie unmittelbar aus den Erfordernissen der Existenz als Familie mit einem selbständigen Partner. Aus diesem alltags-pragmatischen Kalkül heraus nutzt sie auch die Tageszeitung als „Tippgeber“: Textbeispiel Ute S., „Tagesspiegel“ Ja, muss ich wirklich sagen, mit, mit dem Tagesspiegel/ und eigentlich sind wir da jetzt zufrieden, weil das Hauptaugenmerk liegt doch auf den politischen Sachen und so. Also ich les auch sehr gern den Wirtschaftsteil […] Egal ob das nun Tipps sind, wie man Geld anlegt oder wenn man das vielleicht auch nicht nachmacht oder, oder, oder wirtschaftliche Zusammenhänge •ja wie Betriebe funktionieren und, und, und so was alles, ja. Tipps einfach, das interessiert mich. Sport nun gar nicht, les ich aber grundsätzlich.“ (P2: 068)
Diese Art von Lektüre wird sowohl von Medienmachern als auch von Journalismusforschern unter dem Begriff „Nutzwert“ gefasst (vgl. Mast 1999: 114), da der Leser hier immer die praktische Verwertbarkeit für die eigenen Belange im Auge hat. Die „Tipps“ im Tagesspiegel, einer in Berlin erscheinenden Tageszeitung, dienen Ute S. dazu, über potenzielle Handlungsmöglichkeiten informiert zu bleiben; sozusagen zu wissen, was auf der öffentlichen Agenda steht. Im Erklären dieser Möglichkeiten und ihrer Konsequenzen durch die Zeitung („auf was man da achten soll“), kann sie herausfinden, ob diese Handlungsmöglichkeit (zum Beispiel Online-Banking) zu ihr passt. Die Beschäftigung mit diesem Thema dient dazu, sich eine Meinung zu bilden (in diesem Fall Ablehnung). Diese Abgleiche zwischen eigenem und potenziell möglichen Handeln geschehen innerhalb der routinemäßigen Zeitungsnutzung. Die Zeitung ist für Ute S. ein fester Bestandteil des Tages, sie hat einen festen Leseplan. Sie ist umfassend interessiert und „arbeitet“ die Zeitung nach einem immer gleichen Schema regelrecht durch. Besonders wichtig sind ihr jedoch lokale Informationen. Hier drückt sie Bedauern aus, dass davon sowenig vorhanden sind, gleichzeitig reserviert sie ihnen zusammen mit dem Politikteil die längste Lesezeit (Wirtschaft, Sport und bunte Seite „braucht“ man nicht so intensiv zu lesen). Jedes Ressort wird nach einem bestimmten Muster eingeordnet und bekommt eine spezifische „Lesezeit“ zugewiesen. Sie habe sogar, erzählt Ute S., ein Zeitschriftenabonnement beendet, weil sie mit dem Lesen nicht mehr hinterher gekommen sei. Für den Tagesspiegel sind täglich zwei Stunden reserviert, „am Wochenende sogar länger“. Die Zeitung und damit auch die darin gesammelten öffentlichen Reflektionen über wirtschaftliches Handeln im großen und im kleinen sind also sehr wichtig für Ute S., sie können aufgrund ihres hohen Stellenwertes und der fest zugeschriebenen Zeiten als Routine innerhalb ihres Alltags bezeichnet werden.
3.2 Fallbeschreibungen
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Neben der Tageszeitung hat die Familie noch den Stern abonniert, in den kostenlos in jeden Haushalt verteilten „Werbeblättern“ findet sie „vielleicht zwei, drei Informationen drin, die man für sich mitnehmen kann“ (068). Jeden Tag sieht sie Nachrichten im Fernsehen, 19 Uhr schaltet sie den Fernseher ein, wenn sie Zeit hat, schaut sie sowohl die ZDF-Nachrichten als auch die Tagesschau auf ARD. Sie nutzt vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen (ARD, ZDF, 3SAT, Arte). Im Interview reflektiert sie ausführlich über diese Medien und verbindet sie mit Qualitätsurteilen. Einkaufshilfe Internet Eine weitere interessante Kategorie für die Analyse entsteht durch die Reflektionen von Ute S. über ihre Internetnutzung im Zusammenhang mit monetären Handlungen. Ute S.’ Mann arbeitet täglich am Computer zu Hause, doch sie beschäftigt sich recht wenig am Computer. Auf der einen Seite erklärt sie, dass sie „nicht so gut damit umgehen“ kann, auf der anderen Seite sieht sie es nicht als notwendig an. Dennoch nutzt sie es gerne, um etwas über Preise von Konsumprodukten und ihre Einschätzung durch andere Käufer zu erfahren Und so vergibt sie Rechercheaufträge an den Ehemann und die beiden Söhne: Textbeispiel Ute S. „Espressomaschine“ „Also wenn dann irgendwas ansteht was man sich anschaffen will, dann gucken wir dann schon. Also wir haben jetzt geguckt für eine Espressomaschine und haben uns das dann wirklich raus gezogen. Oder jetzt steht eine neue Waschmaschine an. Da haben wir uns dann auch informiert und das drucken wir uns dann auch aus. Und das bleibt dann auch liegen, bis wir uns dann irgendwann entscheiden, dass wir es kaufen. Und nach einer Nähmaschine haben wir geguckt. Also das machen wir dann schon. Also ich nicht, aber er kriegt den Auftrag, er muss es dann machen. Naja, das, das find ich, das find ich auch o. k. Nicht und dann hat man ja auch Preise, an denen man sich orientieren kann.“ (P2: 083)
„Preise, an denen man sich orientieren kann“ – ähnlich wie die Zeitung mit ihren Tipps bei der Vergewisserung der monetären Praktiken Geldanlage und Umgang mit Geld Orientierung gibt, tut dies das Internet beim Konsum. Genauso wichtig sind auch die Meinungen anderer Leute. So erzählt Ute S., dass sie im Internet für die anstehende Reise nach Venedig ein Hotel ausgesucht, oder besser gesagt, aussuchen lassen hat. Anschließend hat sie geschaut, welche Bewertungen dieses Hotel von anderen Reisenden erhalten hat – und sich gefreut über die Gewissheit, sich ein „gar nicht so schlechtes“ ausgesucht zu haben.
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
3.2.2
Christian S. – Geld versus Kultur
Christian S., ein 40jähriger Ingenieur, der im öffentlichen Dienst arbeitet, lebt zusammen mit seiner Frau und den beiden Töchtern in einem Reihenhaus bei Berlin. Das Haus ist ein wesentlicher Bestandteil seiner finanziellen Pläne; er hat es vor einigen Jahren mit Hilfe eines Kredites erworben, den er in monatlichen Raten abzahlt und in drei Jahren vollständig getilgt haben wird, wenn alles nach Plan läuft. Da seine Frau, ebenfalls erwerbstätig, in Teilzeit im öffentlichen Dienst arbeitet, wird das Familienbudget von ihm als komfortabel eingeschätzt; das Nettoeinkommen liegt über 3.000 Euro. Die Ambivalenz von Geldpraktiken – normative Maßstäbe und individuelles (Des-) Interesse Er formuliert die Bedeutung von Geld zunächst als etwas Notwendiges, indem er es mit Kleidung „dass ich etwas zum anziehen hab“, Fortbewegung (Auto, Fahrrad) und einer Behausung gleichsetzt. Das Haus dient ihm gleichzeitig als Alterssicherung, insofern ist das Geld auch „Sicherheit fürs Alter“. Die monatliche Kreditrate für das Haus, welches er nach dem Kauf peu à peu in Eigenregie renoviert, stellt den größten Posten im Haushaltsbudget dar, dafür ist das Haus aber auch „Absicherungsmaßnahme Nr. 1“. Deswegen nimmt Christian S. auch gern Abstriche z. B. bei Konsumgütern oder Urlauben in Kauf. Darüber hinaus hat er – über einen „unabhängigen“ Wertpapierberater in fünf Fonds investiert. Monetäre Praktiken sind für ihn Routinetätigkeiten wie Geld holen, Auszüge kontrollieren, die Ausgaben für die vierköpfige Familie monatlich einteilen. Dabei weiß er „eigentlich immer, was ich auf dem Konto habe“; er ist bedacht darauf, zu jeder Zeit einen ausgeglichenen Saldo zu haben. Für Christian S. ist die private Geldanlage ein ambivalentes Thema, welches er in einem umfassenderen Deutungszusammenhang einbaut. Auf der einen Seite meint er, dass dem „Denken an das Geld“ heute ein zu großer Stellenwert eingeräumt wird. Beispiele für diese skeptische Haltung zu Geldmechanismen sind in den ablehnenden Ausführungen über seinen Schwager – „er sitzt jeden Abend eine Stunde vor dem Fernseher oder vor dem Rechner oder wo man da halt sitzt und kauft Aktien und verkauft und informiert sich“. Dagegen kontrastiert er seine Haltung: Textbeispiel Christian S., „Börse angucken“ „Ich würde mich nun nicht jeden Tag an den Rechner setzen oder vor den Fernseher und mir jeden Tag die Börse angucken und mich über den Stand meines Geldes zu informieren. Also da ist mir die Zeit zu schade“ (P5: 182).
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Christian S. hebt stärker als die anderen Interviewpartner eine gesellschaftliche Dimension des Umgangs mit Geld und der Mechanismen, die seiner Verteilung zugrunde liegen, hervor. So betont er, das Geld „leider“ nicht mit Leistung gleich zu setzen ist. Die meisten Interviewten sprechen innerhalb dieser Ungerechtigkeitsthematik an, dass es Menschen gibt, die viel leisten, ohne dafür das entsprechende Geld zu bekommen (z. B. Frauen bei der Kindererziehung, soziale Berufe). Er thematisiert den umgekehrten Fall, nämlich dass „es heute viele Möglichkeiten [gibt], mit wenig Leistung zu viel Geld zu kommen“ (093). Über die gedankliche Gleichsetzung eines Geldbetrag zu einer spezifischen Arbeitsleistung hinaus, nimmt er im weiteren Verlauf des Interviews eine negative Bewertung eines Reichtums an Geld, dessen Entstehungszusammenhang nicht mehr nachvollziehbar ist ( „Geld verdirbt den Charakter“), vor. Anders formuliert: Eine Geldsumme muss für ihn immer in Relation zu ihrer Wertschöpfung stehen. In diesem Abschnitt der Erzählung nimmt er vielfach Bezug auf gesellschaftliche Stereotype, etwa wenn er Manager und ihre Verdienste thematisiert. Dabei wird die Relevanz solcher Erzählungen für die Identitätskonstruktion deutlich: Anhand des Managerthemas stellt er Überlegungen an, wie es ist in „Positionen so in Firmen weiter oben“ und zeigt damit ein Beispiel von Rollenübernahme und dem Bezug äußerer Themen auf die eigene Situiertheit. In einem weiteren Gespräch zeigt sich, dass das Aufstiegsthema gerade von Wichtigkeit für ihn ist: Er arbeitet seit langem in einer Behörde, hat auch Anstrengungen unternommen, sich weiterzuqualifizieren, ohne jedoch eine andere Position zu erreichen. Auf diesen Posten sitzen Leute, deren fachliche Qualifikation er anzweifelt. Hieran wird deutlich, dass monetäre Identität (bzw. das Konzept der Teilidentität an sich) ein analytisches Konstrukt ist, sind doch die Übergänge in andere Lebensbereiche fließend. So stellt er aus dem Geldthema heraus Überlegungen an, ob es in „der freien Wirtschaft“ nicht bessere Aufstiegsmöglichkeiten gäbe als in seiner Berufswelt, dem öffentlichen Dienst. In der Verknüpfung von Geld und sozialem (beruflichen) Status ist er um einen differenzierten Blick bemüht: Schließlich müssten Manager auch sehr viel für ihr Geld tun; so wird der Gesprächsanlass, ob man am Geld sieht, was jemand geleistet hat, zu einer Rede darüber, was ihm wichtig ist im Leben. Dass diese unterschiedlichen Varianten der Verknüpfung von Geld und Leistung (keine Leistung – viel Geld, viel Leistung – viel Geld) der Berufswelt existieren, verwundert ihn; „komischerweise widerspricht sich das so in der Gesellschaft“; er hat keine Erklärungsmöglichkeit. Um jedoch seine Erzählung zufriedenstellend abzuschließen, greift er zur generalisierenden Feststellung „Nein, Geld ist nicht gleich Leistung“. Als ein weiterer Verweis auf gesellschaftliche Normen des Monetären lassen sich auch Christian S.’ Äußerungen zur Verschuldungsthematik lesen. Leute sind verschuldet, „...weil die Verführungen, Geld auszugeben in dieser Gesellschaft sehr
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hoch sind, also Leuten das Blaue vom Himmel versprochen wird...“ (097), sie kaufen Klamotten, Handys, Reisen „weil also der Darstellungszwang, glaube ich, in der Gesellschaft sehr hoch ist“. Damit kann er zweierlei „Schuld“ an der Verschuldung ausmachen: die Schuld der Leute, die sich verführen lassen, „die sich nicht so viel Gedanken machen“ und die Schuld der Gesellschaft, die dieses Verhalten nicht nur toleriert, sondern geradezu herausfordert. Wenn er an den gezeigten Stellen über „die Gesellschaft“ redet, meint er als jemand, der in der DDR aufgewachsen und ausgebildet worden ist, immer auch die für ihn neue Gesellschaft. So übt er Konsumkritik; für ihn ist der übermäßige Konsum ein Mittel zu zeigen, dass man „angekommen ist in dieser neuen Gesellschaft“ (097). Konsum an sich ist nichts Wertvolles; er kontrastiert dagegen, wie wichtig es ist, Bücher zu lesen, ins Kino zu gehen, sich mit Freunden zu treffen – das ist sein Begriff von Kultur. Und so stellt er auch seinen Konsum von „Theater, Kino, Bücher, reisen, CDs, ja so was ja“ (089) als positiven, wirklich wertvollen Luxus gegen einen negativ konnotierten, allgemeinen Luxusbegriff. Hier zeigt sich, dass der Erwerb von bestimmten Gütern durchaus eine moralische Dimension hat und nicht nur einen absoluten, eben im Preis ausgedrückten Wert. „Ja so was ja“ – zeigt diese moralische Konnotation, die einer Gruppe, einer Kategorie von Gütern zugeschrieben wird, deutlich. Er selbst sieht sich sehr sorgsam beim Geld ausgeben, bezeichnet sich als „mit einem gewissen Geiz ausgestattet“, er schaut immer sehr genau, wofür er sein Geld ausgibt (103). Obwohl Geld, welches nicht im Zusammenhang mit Zwecken bzw. Erzeugungszusammenhängen steht, von ihm negativ konnotiert wird, ist er durchaus interessiert am Thema Geldanlage. Er charakterisiert es allerdings als mühselige Pflicht. „Man müsste mal was machen“, „je nachdem, wann mich mal ein Thema trifft, dass ich merke das ich mich beschäftigen müsste“ (178) sind typische Stellen in seinen Erzählungen über Versuche, Geld gewinnbringend anzulegen. Geld anzulegen erscheint nicht nur als Pflicht, sondern als Anspruch, denn er will es gerne „richtig“ machen. Er ist sich bewusst, dass eine Entscheidung in diesem Bereich weitreichende Folgen haben könnte, zugleich fehlen ihm Anhaltspunkte dafür, was „richtig“ ist. Und so ist er in diesem Thema „steckengeblieben“. Zu dieser unbefriedigenden Selbsteinschätzung kommen seine negativen Bewertungen von Geld, die er an Beobachtungen der Arbeitswelt, wo Opportunismus mit viel Geld entlohnt wird bzw. an der Darstellung von Praktiken des übermäßigen Konsums, deutlich machte, und die auch an dieser Stelle den Eingang in seine Ausführungen finden. Und in diesem Licht erscheinen dann auch Praktiken, die allein dazu da sind, das Geld zu mehren, nicht besonders wertvoll bzw. nicht wert, Zeit, die ja immer auch Freizeit ist, darin zu investieren. Auf der anderen Seite sieht er aber die Notwendigkeit ein, fühlt Verantwortung für seine Familie (so wäre es bspw. schön, den Töchtern ein Schuljahr im Ausland zu organisieren, dafür sind allerdings
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finanzielle Mittel in größerem Ausmaß notwendig) und auch die öffentliche Diskussion des Themas bspw. Altersvorsorge wird von ihm erwähnt. Dieser Ambivalenz macht er schließlich ein Ende, indem er als Abschluss dieser Interviewsequenz Geldanlage zum unerwünschten, aber notwendigen Thema erklärt: „blöderweise interessiert es mich nicht“. Der Bankberater als Experte – und Verkäufer Christian S. streicht mehrfach heraus, dass Geldanlage von ihm Eigeninitiative erfordert, da sehr viele Produkte am Markt sind und man den Banken nicht vertrauen kann. Eine längere Erzählsequenz widmet er der Schilderung von Informationssuche in Gesprächen mit seiner Hausbank. Dieser schreibt er grundsätzlich Kompetenz in Gelddingen zu, sie war für ihn bisher die eigentliche Anlaufstelle und wäre es auch weiterhin. Allerdings ist „das Vertrauensverhältnis ist gewaltig gestört worden“. Er legt schließlich eine Diskrepanz zwischen seinen ursprünglichen Erwartungen und dem, was dort wirklich passiert, offen: Er erwartet dort „Hilfe“, „eine persönliche Beratung, wo mir am Schluss ein Produkt verkauft wird, was meinen Vorstellungen entspricht“ (123), ein von anderen Interessen losgelöstes Einlassen auf ihn. Stattdessen verkaufen die Berater das Erstbeste, sie wollen sich gar nicht in seine Situation „hineinversetzen“. So hat ihm sein Berater auch nur ein Produkt angeboten, er hätte jedoch erwartet, dass dieser ihm mehrere zur Auswahl stellt und ihm die Vorzüge und Nachteile eines jeden erläutert. Diese Erfahrungen hat er ausführlich in Gesprächen mit Freunden und Bekannten reflektiert und dort Bestätigung erfahren: „Alle meine Freunde haben die gleiche Erfahrung, das man sich das raussuchen muss was man haben will“ (127). Demgegenüber stellt er seine Erfahrungen mit einem unabhängigen Finanzmakler: „da hatte ich gleich ein sehr gutes Gefühl“ (150), ohne jedoch genauer zu erklären, woher dieses Gefühl resultierte oder worauf er seine Einschätzung, der Finanzmakler sei ganz „pfiffig“ stützt. Überhaupt kommt das Wort Gefühl oft vor, sobald er über Geldanlagen spricht. Befragt nach seiner Vorgehensweise bei der Auswahl bestimmter Geldanlagen, meint er, er würde verschiedene Beratung einholen und dann entscheiden „was mir mein Gefühl sagt“ (152). Die einzig konkreten Parameter für Geldanlage, die von ihm offen gelegt werden sind: „nichts riskantes“ und „mittelfristige Papiere“, „wo ich mich nicht ständig mit beschäftigen muss“ (152; 164). An einer anderen Stelle erwähnt er den Ertrag, den die Papiere abwerfen sollten. Damit bringt er wiederholt den zu seinen übrigen Äußerungen über Geldgeschäfte in Kontrast stehenden Anspruch ein, eine Rendite zu erzielen. Sicherheit hat jedoch Priorität: „Es geht bei mir eher um eine sichere Geldablage, langjährig, sicher, mit dem Ziel erstmal die Hausschuld zu tilgen, nee aber ich glaube, ich würde danach auch nicht risikofreudiger Geld anlegen“ (164). Insgesamt ist er nicht sehr aktiv, aus den ge-
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nannten Gründen, er kann das ganze „auch gern mal ein Jahr liegen lassen“. An anderer Stelle bezeichnet er das als Trägheit. Darin liegt wieder die bereits angesprochene Ambivalenz: Auf der einen Seite das „man müsste mal“, welches das erwünschte, da als vernünftig angesehene Handeln darstellt. Auf der anderen Seite bringt die Stellung des Geldhandelns in der Gesellschaft auch eben die von ihm zuvor negativ markierten Dinge hervor: Konsumsucht, Darstellungssucht, Ungerechtigkeiten bei der Entlohnung. Daher ist es für ihn nur konsequent, wenn er am Ende des Interviews konstatiert: „Man sollte das auch alles nicht so wichtig nehmen dieses Geld, sondern sich so an den wahren Sinn und Wert des Lebens versuchen zu erinnern und nicht dem Geld hinterherhetzen.“ (204). Darin findet sich schlussendlich auch seine Rechtfertigung für seine „Trägheit“ in Gelddingen, bei der er an manchen Stellen des Interviews ein schlechtes Gewissen zu haben schien. Die normativen Bezüge auf monetäre Handlungen nehmen einen großen Raum im Interview ein. Auch in Bezug auf Geldanlage als Prozess der eigenen Meinungsbildung wird deutlich, dass bei Christian S. einen hohen Bedarf an Orientierung und Selbstvergewisserung hat. Familiengespräche Auch in der Familie S. werden Kaufentscheidungen und Entscheidungen für bestimmte Geldanlagen diskutiert, immer mit dem Hintergrund der Tilgung der Hypothek. Christian S. sieht sich nicht als der Federführende in Sachen Geldanlage an, vielmehr hofft und erwartet er, dass seine Frau Entscheidungen forciert bzw. durch ihr Urteil sicherer macht. Sie bringt der ganzen Thematik jedoch auch kein großes Interesse entgegen und so schieben es beide „auf die lange Bank“, solange, bis es nicht mehr geht, und sie sich „ransetzen“ müssen. Auch werden Gespräche mit den beiden Töchtern geführt, die mit ihren Wünschen an die Eltern herantraten. Hier geht es darum, der 14- bzw. 11jährigen mehr oder weniger begründet zu erläutern, warum nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Die Eltern messen diesen Gesprächen sehr große Bedeutung bei. Vordergründig geht es zwar um die Besprechung eines konkreten Wunsches, darüber hinaus wollen die Eltern ein Gefühl für die eigene finanzielle Lage vermitteln: dass „gewisse Dinge für uns nicht Frage kommen“ (200), „dass manche Sachen also nicht im Verhältnis stehen das was man ausgibt und das was man dafür bekommt“ (200). Zum einen sollen die Kinder eine „gewisse Wertvorstellung“ bekommen, Dinge also einordnen können, zum anderen sollen sie lernen „dass Geld eben nicht alles ist“ (201). Darüber hinaus wird der familiäre Rahmen als Umgebung der Vertrautheit und Intimität genutzt, um in Gelddingen andere Bezugspersonen um Rat zu fragen (158). Im Fall von Christian S. ist es sein Schwager, der „sich in Gelddingen auskennt“, wie er erzählt.
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Ratsuche bei Freunden und Kollegen Auch im Freundes- und Kollegenkreis spricht Christian S. oft über Geld, wie bereits seine Reflektionen über die Bankepisoden gezeigt haben. Diese häufigen Referenzen auf andere, nicht der Familie angehörige Personen, scheinen zunächst zu irritieren, gilt es doch als normal, über Geld eben nicht zu sprechen. Christian S. nennt Freunde und Kollegen als Anlaufstelle zum Beispiel bei der Altersvorsorge. Er fragt konkret „was andere so machen“, er hat „bei Kollegen rumgefragt“, was es für Möglichkeiten gibt. Medien als thematische Ressource Seine Hauptinteressen liegen auf lokalen Informationen, aber auch auf Kultur und Politik. Aufgrund seines Interesses an dem Thema Altersvorsorge beachtet er auch Artikel dazu, liest sie jedoch meistens nicht gleich, sondern schneidet sie aus und sammelt sie in einem Ordner „wenn es da Hinweise gibt oder Anleitungen wie man sich damit beschäftigen soll, oder Änderungen“ (P5: 187) Auch hier entspricht er eher einer diffus empfundenen Pflicht als einem Interesse. Die Geldanlage ist vor allem daraus motiviert, die Verantwortung wahrzunehmen und sich und seiner Familie eine Zukunftssicherung zu bieten. Obwohl er zum Thema Altersvorsorge die Artikel sammelt, fällt es ihm schwer, sie zu verstehen, er kritisiert die Komplexität dieser Artikel, die darüber hinaus viele Sachen ungeklärt lassen – „da müssen einem Regeln durch einen, der das weiß, noch mal erklärt werden“ (194). Er nennt im Interview konkrete Formate, die für ihn mit monetärem Handeln in Zusammenhang stehen bzw. stehen könnten. Denn am Beispiel des Börsenberichtes der ARD, führt er aus, dass diese Informationen „nicht tiefer in mich eindringen“, ihn „nicht berühren“ (P5: 187). Der Kontakt zu Informationen über Wirtschaft und Geldanlage geschieht aus Zufall und der Christian S. legt dar, dass dieser Kontakt ohne Konsequenzen für ihn bleibt. Bereits in einer formulierenden Interpretation wird deutlich, dass Christian S. versucht, die Medienagenda und seine persönliche Lebenserfahrung in Einklang zu bringen. So werden für ihn in dieser Interviewsequenz Rechtfertigungen für sein Desinteresse an Wirtschaftsnachrichten notwendig. Zum anderen zeigt das Interview, dass er eine eigene Handlungsstrategie zum Umgang mit öffentlichen Informationen diesem Thema entwirft („und so mach ich es so“), die vor seinem Anspruch, informiert zu sein, sinnvoll ist. Er bringt damit der Geldkultur, die sich für ihn hier in aktuellen Medienthemen niederschlägt, eine eigene Lesart entgegen („nur ein Gefühl bekommen wollen, was läuft“).
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Medial vermitteltes Geldhandeln Relativ spät hat sich die Familie einen Computer angeschafft, eigentlich, um den beiden Töchtern das Lernen mit und an dem Gerät zu ermöglichen. Christian S. beginnt gerade, den Computer zu Recherchezwecken zu nutzen. So lädt er sich Urlaubs- und Kulturinformationen aus dem Internet herunter und recherchiert nach Produkten, z. B. einer Digitalkamera, um Verkäufern emanzipiert gegenüber treten zu können. Auch hier gilt es, aus einem Überangebot das für ihn passende herauszusuchen. Die Produktinformationen im Internet stellt er in eine Reihe mit etablierten Kaufpraktiken: Im Supermarkt vergleicht er die Lebensmittel und wählt die günstigste Variante, in Kaufhäusern „da gucke ich ob irgendwas gesenkt ist“. Das Internet ist ebenso eine Möglichkeit, Produkte und Preise zu sehen und zu vergleichen (105) und kommt ihm damit in seiner Haltung, „genau zu gucken, wofür ich mein Geld ausgebe“ entgegen. Zwar bestellt Christian S. zunehmend mehr im Internet, gegen die Möglichkeit, auch seine Geldgeschäfte online abzuwickeln, spricht er sich jedoch entschieden aus. Für ihn ist zum einen der Sinn nicht gegeben („wenn wir an der Bank vorbeifahren, werfen wir eben unsere Überweisungen ein“), zum anderen hat er Sicherheitsbedenken. Er verweist auf Zeitungsberichte, wonach andere Personen in das eigene Konto eindringen können und meint: „mit Papierbeleg sind wir dann doch auf der sicheren Seite“ (168). Aber der Hauptgrund ist, dass er das „alles nicht nötig“ findet. 3.2.3
Christa C. – Börse als Hobby
Christa C. ist 63 Jahre alt und wohnt mit ihrem Ehemann in Berlin-Mitte. Das Paar hat zwei erwachsene Söhne, die ihrerseits bereits Familien gegründet haben. Das Interview führe ich in der loftartigen Wohnung von Christa C. durch; dem Besucher fallen großflächige Leinwände mit abstrakten Malereien auf, sowie einige Plastiken. Christa C. erklärt, ein großes Interesse für Kunst zu haben, welches sie auch zum Beruf machte: Sie arbeitete jahrelang als freiberufliche Kunstkritikerin. Später hat sie angefangen, sich eine eigene kleine Kunstsammlung aufzubauen. Auch ihr Mann hat als Journalist gearbeitet, allerdings in einem anderen Bereich. Nun sind beide im Ruhestand, sie besucht immer noch Vernissagen und gemeinsam reisen sie viel. Der Kontakt zu Christa C. entstand über einen Berliner Investmentclub, der nur aus Frauen besteht. Der thematische Schwerpunkt dieses Interviews liegt nahezu ausschliesslich auf der Beschäftigung von Christa C. mit dem Kapitalmarkt.
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Handlungsleitende Themen und monetäre Praktiken Christa C. handelt seit 2001 mit börsennotierten Anlagen. Geldgeschäfte bestehen für sie fast ausschließlich im Handeln von Wertpapieren an der Börse. Das Verwalten der Familienfinanzen inklusive des „ganzen Versicherungskrams“ hat ihr Mann übernommen, die jährliche Steuererklärung macht der Steuerberater. Diese Dinge empfindet sie als lästig, hier kennt sie sich auch nicht aus und darüber möchte sie sie auch nicht erzählen. Der Beschäftigung mit der Börse dagegen bringt sie großes Interesse entgegen. Sie fiel mit ihrem Ruhestand zusammen, das war ein „fließender Übergang“, wie sie es beschreibt; sie hat weniger Artikel geschrieben und Ausstellungen besucht und dafür gezielt nach anderen, „sinnvollen“ Beschäftigungen Ausschau gehalten. An einer Stelle im Interview sagt sie: „Ich hatte keine Lust jetzt Bücher zu schreiben oder so was“ (089). Die nun frei gewordenen Zeit sollte mit etwas angefüllt werden, was sie „weiterbringt“, etwas, das es wert ist, sich darin zu vertiefen. Die Börsenanlage erscheint damit als ein Kompetenzfeld bzw. Bildungsthema; als etwas, was bestimmte Anforderungen an ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten stellt, die sie in diesem Gebiet zunächst entwickeln musste. Neben diesem Bildungsaspekt betont Christa C. auch, dass ihr das Ganze Spaß mache. Damit kann man die Börsenanlage als Hobby bezeichnen; im Gegensatz zur Arbeit ist das ja eine Tätigkeit, der man sich nicht aus Notwendigkeit, sondern freiwillig und aus Interesse, Faszination und sogar Leidenschaft unterzieht. Textbeispiel Christa C., „Ernsthafte Angelegenheit“ „Ich mache so ein bisschen auch einerseits aus Spaß, andererseits aber auch ein bisschen pflichtbewusst, weil man ja schon sehen muss, dass die Alterssicherungen immer problematischer werden, nicht •• Also wir betrachten diese Beschäftigung mit Wertpapieren durchaus nicht nur als Spielerei, sondern als eine ernsthafte Angelegenheit, die so den ganzen Familienclan ein bisschen sichern soll“ (P15: 057)
Die Bedeutungen, die die Befragte ihrem Börsengeschäften beimisst, ändern sich jedoch im Laufe des Gesprächs: Sie beginnt mit der Feststellung, dass das eine Beschäftigung sei, bei der man sich geistig auf dem Laufenden hält und stellt eine enge Beziehung zu ihrem Ruhestand her. Dazu gehört auch, dass dieser Beschäftigung Vergnügen zugeschrieben wird. Dieses spielerische Element findet seinen Ausdruck in Formulierungen wie „[schauen] wie seine Pferdchen laufen“, „Wir wollen jeder seine Spiele treiben“, „es gibt ja viele, die an der Börse ein bisschen rumspielen“. Dabei schwingt ein – der kühl kalkulierenden Sphäre des Marktes diametral entgegengesetztes – irrationales Element mit, welches sich auch in Charakterisierungen anderer Börsenfans („also das sind die verrücktesten Leute“) zeigt. Diese spielerische und selbstverwirklichende Konnotation wird allerdings eingeschränkt und es werden Sachziele genannt („Alterssicherung“). Später nennt sie teilweise drastische
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Beispiele, die die Ernsthaftigkeit dieser „Spielereien“ verdeutlichen: So führt sie die Notwendigkeit der Finanzierung einer Herzklappe für ihre Mutter ins Feld, ebenso nennt sie ihre Kinder, die aufgrund ihrer Eingespanntheit in das Berufsleben keine Zeit dafür haben („da läuft auch nicht immer alles finanziell so“). Diesen Gegensatz verdeutlicht sie durch das Wortpaar spielen – arbeiten; in dem Maße, in dem „arbeiten“ nach und nach in ihre Selbstcharakterisierung einfließt, geht die Verwendung des Verbs „spielen“ zurück („wir haben eine klare Arbeitsteilung“; „während mein Mann eher spekulativ arbeitet“). Insgesamt positioniert sich Christa C. als Investorin, die „für das Langfristige“ und „für den Erhalt“ des Vermögens zuständig ist, in Abgrenzung gegenüber ihrem Partner. Neben dem Spannungsfeld Spielen – Arbeiten bringt sie eine weitere Komponente ins Gespräch: ihre persönliche Weiterentwicklung. Die Möglichkeit, sich mit Börsenanlagen zu beschäftigen, ist etwas „Handfestes“ (089), etwas, was nicht nur die oben genannten Aspekte Spaß und Vermögensmehrung vereinigt, sondern auch eine Weiterbildung bringt (089). Auf die Bedeutung angesprochen, die Geld für sie hat, betont Christa C. mehrfach die Möglichkeiten, die durch finanzielle Mittel eröffnet werden und verweist dabei auf den eigenen Lebensweg: Textbeispiel Christa C., „Freiheit“ "Naja, ich finde es eine Lebensnotwendigkeit logischerweise und ich denke, dass Geld Freiheit ist. Man kann sich so eine Wohnung nicht kaufen, wenn man nicht ein gewisses Maß an Geld irgendwie zusammenbringt. Und für mich allein einen großen Raum zu haben, also nicht so eng zu wohnen, ist Freiheit. Also ich empfinde Geld ausgesprochen als ein • ein Mittel um Potenziale sich zu schaffen, zu eröffnen •• Und ich muss sagen, ich habe •/ ich weiß nicht, als Zwanzigjährige, für meine Großeltern •• ich bin Kriegswaise, ja. Also meine Großeltern sind gestorben und da hab ich ein bisschen was geerbt. Und da haben mein Mann und ich diese Erbschaft genommen und sind mit zwei Kindern nach Italien auf eigene Faust. Und er, er hat • primär mein Mann hat angefangen dort als Journalist zu arbeiten, aber ganz klein, so Stückwerker, jeder Artikel einzeln bezahlt. Ohne die kleine Erbschaft meiner Großeltern hätten wir es nicht machen können. Und das mein ich, Geld ist Freiheit.“ (P15: 061)
An ihrer Biografie vermittelt sie, wie existenziell notwendig Geld ist, indem sie auf die Armut verweist, in der sie damals lebten (so hatten sie die ersten Jahre als Familie keine Krankenversicherung). Gleichzeitig zeigt sie aber auch, wie Geld ein Leben ändern kann, wie es „Freiheiten“ und „Freiräume“ eröffnet. In diesem Denken erscheint Geld als Investment, nicht nur um Essen und Kleidung zu bezahlen, sondern als geplanter Einsatz finanzieller Mittel, um dadurch Gewinne (die in ihrer Sichtweise auch in persönlicher Freiheit und Selbstverwirklichung bestehen können) zu erzielen. So kann man auch ihr Treiben an der Börse verstehen: Zum einen ist es mehr als ein Zeitvertreib; es stellt einen gewissen Anspruch an sie, sie lernt
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dabei, entwickelt sich weiter, aber es liegt auch eben die Idee des gewinnbringenden Einsatzes finanzieller Mittel darin. Bezugspersonen Ein wichtiger Bezugspunkt bei ihren Börsengeschäften ist ihr Mann. Erst, als er auch in den Ruhestand ging, hat es „dann so richtig angefangen“. Jeder investiert für sich, hat sein eigenes Depot und seinen eigenen Computer, an dem recherchiert und gehandelt wird. „Wir wollen unabhängig jeder seine Spiele treiben“ sagt Christa C. Gemeinsam besprechen sie aber Anlageideen und diskutieren Entscheidungen. Christa C. findet es auch sehr wichtig, dass sie sich beide für die Börsenanlage interessieren, denn es ist für Partnerschaften wichtig, dass man „gemeinschaftlich was macht“ (087). Sie erwähnt in diesem Zusammenhang auch eine gemeinsame „Geld-Philosophie“, worunter sie ähnliche Ansichten darüber versteht, wofür man das Geld ausgibt bzw. wofür man es eben nicht ausgibt. Die „Anlagegespräche“ des Paares finden ad hoc statt, wenn sie gemeinsam etwas im Radio hören oder beim morgendlichen Zeitungslesen. Christa C. erzählt aber auch, das ein wöchentliches Anlagegespräch zu einem festen Termin zu einer Institution geworden ist. Die Anlage in Wertpapieren verbindet nicht nur die beiden Partner, auch die Söhne werden mit einbezogen. Ihr Mann steht auch per E-Mail mit anderen Investoren in Kontakt; er versucht, sich einen Mail-Ring von Gleichgesinnten aufzubauen. Eine wichtige Rolle hat der Investmentclub gespielt. Gleich am Anfang ihrer Beschäftigung mit dem Börsenthema hat sie gezielt nach solchen Clubs Ausschau gehalten, um „zu lernen“. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht viele Entscheidungen als Anlegerin getroffen. Die Erfahrungen mit den Leuten in diesem Club führten sie näher an die Materie heran. So hat der Club ihr zu vielen Investmentideen verholfen und sie an die Auswahl auch spekulativer Papiere herangeführt: Textbeispiel Christa C., „Börsen-Gemeinschaft“ „Irgendwo in der Gemeinschaft ist es, glaub ich, etwas leichter auch mal verrückte Papiere, nicht, zu nehmen“ (105)
Sie hat dadurch gelernt, ein gewisses Risiko auf sich zu nehmen. Neben dieser für Börsenanlagen grundsätzlichen Eigenschaft gab es auch viele Tipps und Hinweise praktischer Art; so haben sie einige Mitglieder auch mit Online-Brokerage und damit mit den technischen Vorraussetzungen des Börsen-Handelns vertraut gemacht. Jetzt allerdings fühlt sich Christa C. dem Club ein „bisschen herausgewachsen“, sie bemängelt, dass es zuwenig fachliches Gespräch gibt und zuviel Unterhaltung abseits der Börse.
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Informationen aus Massenmedien Wenn die Börsenanlage als ein Kompetenzfeld charakterisiert werden kann, welches es für Christa C. zu erarbeiten galt, dann sind Medien die Instrumente dazu. Sie nutzt sowohl Offline- (Zeitung, Radio, Fernsehen), als auch Online-Medien in starkem Maße. In ihrem Medienrepertoire sind sowohl etablierte Massenmedien, aber auch Informationen von Banken, die sie sich über das Internet beschafft („wir haben vier Bankverbindungen, da kann man viel herausholen“). Christa C. hat eine tägliche Informationsroutine entwickelt. Neben dem Börsenbericht im Deutschlandfunk, liest die Befragte täglich die FAZ, gelegentlich das Handelsblatt und einmal in der Woche Börse Online. Mittags schaut sie beim Kochen immer Börsenfernsehen, sie hat dazu extra einen Fernseher in ihre Wohnküche installieren lassen und den Profi-Dienst Bloomberg abonniert („Das gehört schon zum Alltag dazu“). Neben diesem routinisierten, täglichen Nachrichtenüberblick nutzt Christa S. zu bestimmten Themen von den Banken herausgegebene Prognosen und Analysen, ebenso wie detaillierte und längere Artikel von Wirtschaftsjournalisten. Diese Informationsepisoden fallen dann an, wenn eine Aktie besonders interessiert, weil sie auf der Kaufs- oder Verkaufsliste steht. Für Christa C. bestehen Börsengeschäfte aus einem Prozess, in dessen Verlauf es gilt, sich zunächst einen Eindruck von der allgemeinen Lage zu verschaffen, dann die richtigen Informationen zu einem bestimmten Papier zu finden und diese zu beurteilen. Gerade deswegen ergibt es für sie auch Sinn, dass sie sich damit befasst. Sie wisse eben aus ihrer journalistischen Tätigkeit, wie man recherchiert, wie man Informationen bewertet und die ganzen Medien nutzt; man habe eben eine bestimmte „Geisteshaltung“ (057). In einem längeren Interviewteil macht die Befragte an Beispielen ihre Suche nach Informationen im Vorfeld einer Börseninvestition klar. Dabei tritt ein Kontrast zu Tage: Auf der einen Seite steht eine professionelle Ausstattung mit Medien und die sehr rationale Überlegung, aus einem bestimmten Wissen und Können heraus Geld zu machen, auf der anderen Seite bleiben für den Zuhörer die genauen Mechanismen für die Auswahl eines spezifischen Titels im Dunkeln. Dieser Kontrast zwischen Merkmalen hoher Professionalität und Spezialwissen auf der einen und „Allerwelts-Erklärungen“ und -Theorien auf der anderen Seite tritt auch zu Tage, als im weiteren Verlauf des Interviews explizit die Häufigkeit der Geldgeschäfte angesprochen wird. Sie beschreibt ihr Informationsverhalten recht vage in dem Sinne, dass sie täglich die Börsenentwicklungen verfolgt, aber sie schaut nicht täglich in ihre Depots. Ihr sei es nicht so wichtig, die einzelnen Werte zu beobachten und sich „darum zu kümmern“: „Ich hab, das ist aber persönlich, nicht, also ich hab’s nicht so damit. Ich bin zufrieden, wenn ich weiß, das läuft zurzeit ganz gut und so“. (P15: 124)
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Weiter beschreibt sie mit einem anderen Fall, wie sich bei ihr Kaufs- bzw. Verkaufentscheidungen herausbilden: Es geht um das Zusammensetzen eines Bildes aus einzelnen Bestandteilen, und damit um Vollständigkeit und Passung der einzelnen Bestandteile zueinander. Börsenanlage heißt für sie, die richtigen Informationen zu haben. Diese Informationen bekommt man durch Kenntnisse über Quellen und die Einschätzung bestimmter Informationen und Zeit, diese Kenntnisse einzusetzen (zum „Abklappern“ aller Informationen). So spricht sie oft davon, Informationen „herauszuholen“, auch in anderen Zusammenhängen: Textbeispiel Christa C., „Mosaiksteine“ „Ich war heute Warentest anschauen, weil ich mir einen neuen Rechner kaufen will, nicht. Also einfach wieder so Mosaiksteine sammeln, das ist eigentlich die Methode.“ (P15: 157)
Der Umstand, dass Christa C. in ihren Erzählungen wenig Bezug auf Fachtermini, Zahlen und Kennziffern nimmt, ist damit zu erklären, dass sie eher Wert auf die Beschreibung ihres Börsenhandelns als ein für ihre Identitätskonstruktion sinnvolle Beschäftigung legt. So enthalten die Erzählungen über ihr Börsenhandeln auch wenig Hinweise auf mögliche Erfolge, zum Beispiel auf eine erzielte Rendite, auf eingegrenzte Verluste etc. Die Kapitalmärkte und – als Zugang dazu - die Medien sind für sie vielmehr eine Möglichkeit, etwas von der Welt zu erfahren. Durch die Beschäftigung mit der Geldanlage „setzt man sich ganz anders mit gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen, politischen Dingen auseinander“ (043). Sie interessiert sich sehr für die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die sich in der Entwicklung einer bestimmten Aktie oder Branche spiegeln (093). Damit bringt ihr Hobby und sein Hauptinhalt – die Information und den Umgang damit – zweifachen Gewinn: einen ideellen und einen pragmatischen. Erfolgreiches Geldhandeln stellt sich hier als Fähigkeit zur Orientierung in einer unübersichtlichen Welt dar, die sie besitzt. Massenmedien sind daran in zweifacher Weise beteiligt: Sie machen diese Welt unübersichtlich, und sie helfen – aber nur dem, der sie zu „lesen“ weiß – sich darin zu orientieren. Schließlich betont sie an anderer Stelle (z. B. wenn sie über Verschuldete redet) die negativen Seiten „der Medien“, sie trügen zur Orientierungslosigkeit bei, anstatt Hilfe zu bieten. Medial vermitteltes Geldhandeln Christa C. recherchiert und handelt am Computer, der damit für sie den Charakter eines Arbeitsmittels hat. Die unterschiedliche Positionierung von ihr und ihrem Mann im Bezug auf das Börsenhobby manifestiert sich auch in der Trennung von Technik „Wir haben zwei Computer, jeder einen, ja“ (037). Im Umgang mit Technik zeigt sich damit ein niedriger Kollektivitätsgrad, aber, wie es bereits thematisiert wurde, ein hoher, was den gesamten Handlungskomplex betrifft.
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Auf die direkte Ausführung ihres Handelns an der Börse nimmt sie trotz mehrmaliger Nachfrage wenig Bezug. Die Abwicklung selbst scheint bei ihr nicht im Vordergrund zu stehen (Handelszeiten, -strategien, Werkzeuge wie Musterdepots etc.). Obwohl sie die zeitliche, örtliche und inhaltliche Unabhängigkeit des Internets schätzen gelernt hat, ist doch die Online-Recherche nahezu das einzige, wozu sie ihren Computer nutzt. So hat aber noch nie online eingekauft „da bin ich nicht so vertraut mit“, „ich muss das Ding selber vor mir haben, damit ich entscheide“ (133). 3.2.4
Helga S. – Schulden als Lebensmittelpunkt
Helga S. ist 48 Jahre alt und lebt zusammen mit ihren beiden Kindern, der 17jährigen Tochter und dem 24jährigen Sohn in einer unmodernisierten Hinterhauswohnung in Berlin. Die gelernte Verkäuferin war zum Zeitpunkt des Interviews seit drei Jahren arbeitslos und lebt von Hartz IV. Allerdings erzählt sie, dass sie einen „richtig festen Job“ schon sehr lange nicht mehr gehabt hat. Sie hat zwar zwischenzeitlich als Aushilfe gearbeitet, aber „irgendwann hat dann der Chef keine mehr angefordert, weil die Gelernten mehr gekostet haben“ als studentische Aushilfen. Der Kontakt zu Helga S. entstand über die Schuldnerberatungsstelle in BerlinFriedrichshain, an die sie sich vor einem Jahr aufgrund nicht mehr zu bewältigender Schulden gewendet hat. Zusammen mit ihrer Schuldnerberaterin hat Helga S. das Verfahren der außergerichtlichen Schuldenregulierung in Angriff genommen, den Königsweg der Schuldenregulierung. Dabei werden alle anstehenden Zahlungsverpflichtungen, z. B. fällige Kreditraten oder unbezahlte Rechnungen, zunächst geprüft und geordnet. Anschließend nimmt die Schuldnerberatungsstelle Kontakt zu den Gläubigern auf, um Regelungen zu treffen, die es möglich machen, die Schulden angemessen zu begleichen. Schuldner und Gläubiger versuchen also gemeinsam, sich auf der Grundlage eines Schuldenbereinigungsplans gütlich zu einigen. Für Schuldner wie Helga S. bedeutet das eine lange Zeit, in der sie jeden Monat einen festen Betrag von ihrem ohnehin schon geringen Einkommen auf ein Sparkonto überweisen muss, von dem dann peu à peu die Schulden getilgt werden. Bedeutung von Geld Textbeispiel Helga S., „Schulden im Kopf“ „Ja also ich muss sagen, durch die Schulden, die ich habe, ist das, ist das nicht aus dem Kopf. Da denk ich täglich dran.“ (P20: 155)
Geld hat schon allein aufgrund der Lebenssituation von Helga S. eine große, eine existentielle Bedeutung. Aus dieser Bemerkung und ihren gesamten Ausführungen
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wird klar, dass die Situation der Geldknappheit so bestimmend ist, dass sie für alle ihre Interpretationen und Handlungen den Hintergrund bildet. Die Befragte konstruiert ihre Erzählungen anhand mehrerer Verbindungen bzw. Kontrastierungen: Textbeispiel Helga S., „Geld ist nicht alles“ „Geld ist nicht alles. Geld macht nicht glücklich, aber beruhigen tut mich das, würde mich das schon, wenn ich eben regelmäßig sagen wir mal irgendeine Zahlung hätte, ja klar kommt jeden Monat auch Geld rein, aber das ist halt nur das Arbeitslosengeld. Und es wäre schon nicht schlecht, wenn man sagt, also man muss sich da nicht einen Kopf machen, man muss da nicht auf den, na ja Pfennig haben wir ja nicht mehr, auf den Cent gucken und wäre natürlich schon, also weiß ich, wenn die Gelegenheit da wäre, aber wir leben so. Und meine, vielleicht ändert es sich ja doch irgendwann noch mal. Aber ich muss dazu sagen, dass meine Kinder also nicht sagen ich muss jetzt die Jeans von der Firma haben und ich muss jetzt die Schuhe von der Firma haben. Weiß ich ja nicht, ob es daran liegt, dass eben wie gesagt, das Finanzielle nicht so groß da war. Aber meine Tochter ist, muss ich sagen, also auch wenn wir mal, also wenn ich einkaufen gehe, dann ist sie ganz sparsam, sie sagt immer, dann, raus, aus dem Korb damit, das brauchen wir nicht, das kommt wieder raus. Also die ist, die guckt sehr nach dem Geld, also sagt, das muss man nicht haben, das brauchen wir nicht und. Also ich bin froh darüber. Vielleicht hat das doch auch geprägt, dass man gesagt hat, das Geld ist nicht da und einfach borgen ist nicht. So was macht man nicht, basta.“ (P20: 076)
Sie beginnt mit einer Einschränkung des Wirkungsranges von Geld („Geld ist nicht alles“), die im Rahmen ihrer Erzählung deshalb so wichtig ist, weil das, was sie danach über Geld sagt, doch sehr deutlich macht, wie wichtig es für ein ihrer Meinung nach „normales“ Leben ist. Sie baut an dieser Stelle eine Verbindung zwischen ihrer Arbeitslosigkeit und ihrer prekären finanziellen Lage auf. An der Unterteilung in zwei verschiedene Gelder, eine „regelmäßige Zahlung“ und „halt nur das Arbeitslosengeld“ wird deutlich, dass das Arbeitslosengeld eben nicht der Normalfall ist. „Aber wir leben so“ macht ihre Position vor dem Hintergrund dieser beiden Varianten deutlich: Sie leben von diesem Arbeitslosengeld und daraus ergibt sich auch die Art des Umgangs damit: „auf den Cent gucken“. Das Leben ist von ständigen Überlegungen, wie die Familie ihr knappes Budget auf Notwendigkeiten und Möglichkeiten, die dieses Budget übersteigen, einteilen kann, durchdrungen. Ähnlich wie die Einleitung die Brisanz dieser Situation abmildert („auch wenn man genug Geld hat, macht es nicht glücklich“), wird die Schwere dieses Lebens, dass Helga S. eben nicht als Normalfall betrachtet, anschließend abgemildert durch einen Schwenk auf die Kinder, die nicht nach „Markenklamotten“ verlangen und die – zumindest die Tochter – sehr sparsam sind. Das Leben ist geprägt vom Geldmangel, diese Situation ist in das Familiäre übergegangen; die Familienmitglieder leben gezwungenermaßen im Einklang mit dieser Situation. Auch im weiteren Verlauf des Interviews thematisiert Helga S. immer wieder ihre prekäre finanzielle Situation, etwa wenn sie Vergleiche zwischen ihrem früheren, „normalen“ Leben und ihrer heutigen, durch Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Lage herstellt.
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Wie stark sie den erlebten finanziellen Mangel mit dem Verlust ihrer Arbeit in einen Zusammenhang stellt, lässt sich auch an der folgenden Passage ablesen. Auf die Frage, ob man am Geld sieht, was jemand im Leben geleistet hat, antwortet sie einschränkend „nicht immer“ und fährt fort: Textbeispiel Helga S., „Geld ist nicht alles 2“ „Denn wie gesagt, ich mein das kann auch/ klar wenn ich jetzt, wenn ich jetzt, wenn ich jetzt mein Leben lang hart, hart arbeite und dann ist das schon o.k. dann ist das schon richtig. Wie gesagt, ich gönne es auch jedem, der, der jetzt viel ausgeben kann und der da jetzt dreimal im Jahr verreisen kann. Aber wie gesagt, ist nicht alles.“ (P20: 80)
Auch hier setzt sie „Arbeit haben“ mit „Geld haben“ gleich. Damit nimmt sie wieder Bezug auf den oben schon angesprochenen „Normalfall“ der darin besteht, eine Arbeit zu haben, die in einer regelmäßigen Geldzahlung mündet. Aber hier kommt sie wieder auf ihre Einschränkung zu sprechen, mit der sie ihre Ausführungen begonnen hat: Geld ist nicht alles. Helga S. mildert damit die aus den vorangegangenen Erörterungen resultierende Definition ihrer Umstände als Mangelsituation ab, und illustriert das im weiteren Gesprächsverlauf mit der Erzählung einschneidender Erlebnisse (Krankheiten der Familienmitglieder), in denen Geld auch nicht geholfen hätte. Nicht zuletzt aus ihrer Positionierung an dieser frühen Stelle des Interviews wird klar („aber wir leben so“), das sie selbst die Verschuldung als prägenden Lebensumstand sieht. Dabei war dieses bei den Schuldnern nicht von vornherein Thema des Gespräches, so wurde die Verschuldung von dem Interviewer zunächst nicht aktiv angesprochen. Doch es erweist sich für Helga S. (und auch bis auf eine Ausnahme für alle interviewten Schuldner als bestimmendes Thema, auf das sie selber zu sprechen kommen und über welches sie auch reden möchten). Die Verschuldung stellt für die Interviewten eine grundlegende Konkretisierung der eigenen Situiertheit dar, eine Festschreibung eines sozialen Aktionsraumes, von dem aus sich alles andere ergibt. Damit kann diese subjektive Situiertheit mit Schütz als Element des „Lebensplans“ bezeichnet werden, der darüber entscheidet, welches Aspekte von Situationen als bedeutsam wahrgenommen werden und wie sie gewichtet werden. Dabei hat Helga S. den Moment, als sie zur Schuldnerberatung ging, als einen Einschnitt in ihrem Leben wahrgenommen. In einer längeren Erzählpassage kennzeichnet sie ihn als den Moment, in dem sie ihre Schulden „vor Augen geführt“ (P20: 098) bekommen hat. Diese Episode, indem die Schulden konkret werden, indem der Schuldnerberater sie in eine Summe packt, war ein Moment großer emotionaler Anspannung. So berichtet Helga S. auch, wie sie „eine halbe Stunde lang Rotz und Wasser geheult“ habe. Sie spricht von Scham, die es ihr am Anfang schwer gemacht habe, ihre Lage vor ihr selbst und anderen zuzugeben und von Er-
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leichterung, weil jetzt alles „raus ist“. Wie groß diese Erleichterung ist, merkt man an dieser Textstelle: Textbeispiel Helga S., „Ruhiger schlafen“ „Aber egal, ich leb ruhiger. Ich hab keine Angst, dass es irgendwo klingelt und jemand sagt also jetzt hier, das ist jetzt der vom Gericht und sagt so und so und so, was wäre dann, ich weiß gar nicht was ich sagen soll. •• Aber schlafe auch ruhiger seit dem. Ich hab zwar die Schulden auf den Kopf zugesagt bekommen, aber ich hab nicht mehr die Angst und ja also jetzt, man was mach ich denn morgen, was mach ich übermorgen, also“ (P20: 098)
Studien über die Lebensläufe von Verschuldeten berichten einstimmig über diese große psychosoziale Belastung, die die Befragten schließlich in die soziale Isolation treibt und ihr gesamtes Leben dominiert (vgl. Hirseland 1999: 225). Ihr Leben nach dem Beginn der Schuldnerberatung empfindet Helga S. als „... irgendwie geregelter, es sind alles nur kleine Summen, aber alles geregelt.“ (P20: 162). Klassisch vor dem Hintergrund der bereits genannten Studien sowie der Interviews, die ich mit den Schuldnerberatern geführt habe, ist auch ihre biografische Erklärung, wie es zu den Schulden gekommen ist: Als sie noch verheiratet war, war es Aufgabe ihres Mannes, Ämtergänge, Behördengänge, finanzielle Sachen etc. zu erledigen. Dieser vernachlässigte das jedoch, was sie erst erkannte, als sich bereits ein großer Schuldenberg angehäuft hatte (163). Handlungsleitende Themen und monetäre Praktiken Wie bereits an dem vorangegangenen Abschnitt klar wird, geht es für Helga S. täglich darum, mit dem Mangel zu leben. Das zeigt sich darin, dass in dieser Familie ständig überlegt wird „was ist nötig“ (und nicht, wie bei komfortabel mit Geld ausgestatteten Befragten „was ist sinnvoll“, „was ist moralisch“). Helga S. nimmt im Verlauf des Interviews (wie ja auch schon in der obigen Passage) oft Bezug auf das Einkaufen. Das ist für sie der Ort, an dem man einen Unterschied im Umgang mit Geld machen kann, in dem man sparen kann. Das beginnt beim Lebensmitteleinkauf, den sie eben „bei Aldi statt bei Kaisers“ macht. Sie geht jeden Tag einkaufen („aber wenn ich die Zeit sowieso hab“) und sucht dabei nach günstigen Angeboten. Dabei reflektiert sie ihre Einkaufsgewohnheiten vor dem Hintergrund der Meinungen anderer und dem was man „normalerweise“ tut („ich würde auch arbeiten gehen und Geld verdienen“). Auch dabei nimmt sie wieder auf die Tochter Bezug; die Einkäufe werden diskutiert, vor dem Hintergrund von Preis, Notwendigkeit und Ersparnis ausgehandelt. Die beiden gehen oft gemeinsam einkaufen. Sie berichtet, dass ihre Tochter dabei oft die noch „Sparsamere“ ist, viele Sachen wieder aus dem Korb nimmt und zurück ins Regal legt (153).
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Auch bei Freizeitaktivitäten wird gespart, in dem man auf günstigere Alternativen zurückgreift: Textbeispiel Helga S., „Harry Potter“ „Ich meine wir haben, ja Kino • na ja, einmal im Jahr vielleicht. Und dann auch bloß zu den Kinotagen. Hab ich mir sagen lassen •• Ja, also da red ich immer mit meiner Tochter, jetzt wo Harry Potter rauskommt, zum Beispiel zu Weihnachten. Dann kann man den eben nicht kaufen, sondern den muss sie bei einer Freundin gucken, und später sage ich, gucken kann man den auch im Fernsehen. Und der Harry Potter lief dann auf DVD. Ich sag, komm holen wir uns die. Kam zwei Euro. Also da muss ich sagen, also es ist eine Kostenfrage. Ich mein ich kann jetzt nicht sagen, komm wir gehen jetzt mal in den Tierpark, das geht einfach nicht mehr. Das ist, für zwei Personen ziemlich teuer. Früher als ich noch arbeiten war, waren wir auch ziemlich oft Essen gehen, das haben wir nie wieder gemacht.“ (P20: 169)
Zu jeder Freizeitaktivität findet sich eine kostengünstigere Alternative: Kino gibt es nur einmal im Jahr und dann nur an den Kinotagen, der neueste Harry-PotterFilm wird bei Bekannten angesehen und auf später verschoben, wenn er im Fernsehen kommt oder auf DVD. Statt des teuren Restaurantbesuchs kauft Familie S. Pizza. Dazu werden die Nachbarn eingeladen „dann machen wir so ein Essen oder da sind wir zu viert oder zu sechst und da gibt’s ja schon was, irgendwas.“ (173) Preisnennungen spielen in den Schilderungen von Helga S. eine große Rolle. Die Geld-Referenzen dienen als Verifizierungen ihres Geldhandelns; der Preis belegt die Sinnhaftigkeit ihrer Strategien, um das Beste aus ihrer Mangelsituation herauszuholen. Die große Packung ist zwar mehr als man eigentlich braucht, aber sie hat nur drei Euro gekostet und reicht für drei Monate (147), der einstmals so teure HarryPotter-Kinobesuch ist jetzt auf DVD für zwei Euro zu haben, das Pizza-Essen für „zehn, zwölf Euro“ statt für „dreißig, fünfunddreißig, vierzig“ (173). Obwohl der Preis das Ausschlaggebende ist, ist die Qualität nicht zu vernachlässigen: Aldi ist nicht nur billiger, sondern auch frischer als Kaisers, es ist durchaus ein Opfer, nur einmal ins Jahr ins Kino zu gehen, oder eben nicht in den Tierpark, beim Restaurantbesuch wiegt die Geselligkeit mit den Nachbarn aber das nicht mehr mögliche Erlebnis auf. Der niedrige Preis bedeutet dort, wo er genannt wird, keine Qualitätsminderung, sondern bedeutet eine positive Bewertung als „billig und gut“. Das gesamte Thema Geldanlage kommt in Helga S.’ monetären Praktiken nicht vor. Sie hat zwar „angefangen mit der Riester-Rente“, musste die monatlichen Zahlungen aber abbrechen, weil sie das Geld zur Schuldentilgung benötigte. Bezugspersonen bei monetären Praktiken – Gespräche über Geld Interessant sind die häufigen Bezüge auf Aushandlungen von Käufen und der finanziellen Lage innerhalb der Familie. Sehr deutlich wird das in folgendem Beispiel: Befragt danach, ob sie sich mit ihrem erwachsenen Sohn über seine Geldan-
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gelegenheiten austauscht, erzählt Helga S. die folgende Episode. Der 24jährige Sohn wollte sich von seinem „Geburtstagsgeld“ eine Jacke kaufen. Dieses führte vor dem Hintergrund der beschriebenen Situation zu längeren Debatten innerhalb der Familie, an denen nicht nur Sohn und Mutter, sondern auch die Großmutter einbezogen waren. Der eigentliche Geburtstagswunsch des Sohnes, eine digitale Videokamera, wurde „heruntergehandelt“ auf eine Jacke, die er in seinem Alltag auch „wirklich braucht“. Helga S. erzählt eine weitere Episode, die dem Thema Preisaushandlungen zugeordnet werden kann: Sie wollte sich Winterstiefel kaufen, ihre Mutter stellte allerdings diesen geplanten Kauf in Frage. Zu ihrer Tochter hat Helga S. eine besonders enge Beziehung: Mit ihr unternimmt sie viel tagsüber. Die Tochter weiß auch Bescheid über die finanzielle Lage (095) – das ist schuldenspezifisch, Helga S. wusste es von ihren Eltern nicht. Man erkennt, dass aus dem Wissen um die knappe monetäre Lage bei der Tochter Verantwortungsgefühle erwachsen; sie versucht, ihr Handeln mit der Situation in Einklang zu bringen (den Einkauf kritisch kontrollieren, keine „Markenklamotten“ wollen, die Wünsche immer mit dem elterlichen Budget abgleichen). Gleichzeitig sind die Bemühungen der Tochter um eine Lehrstelle auch die Basis für eine familiäre Erfolgsgeschichte, die Helga S. mit sichtbarem Stolz erzählt. Die Tochter hat eine Lehrstelle als Bankkauffrau erhalten, die sie vier Monate nach dem Interview antreten sollte („ein Sechser im Lotto“, „großes Glück“, „das ist das Gute an allem“). Die Tochter ist der Lichtblick in der eigenen Lage, die zwar hauptsächlich von Resignation geprägt ist, aber auch einen Hoffnungsschimmer bereithält. Deswegen werden Anschaffungen wie der Computer als gesamtfamiliäre Anstrengungen betrachtet. An Helga S. Schwierigkeiten bei der Formulierung und damit Konkretisierung dieser Anstrengungen – „müssen wir versuchen doch irgendwie, bestimmt irgendwie, dann doch irgendwie versuchen“ – kann man herauslesen, das sie das ganze als Schritt nach vorne sieht; sie müssen sich bewegen, aber sie weiß nicht richtig wie („irgendwie“) und was dafür alles notwendig ist. Weiterhin finden sich im Text Hinweise darauf, dass Helga S. ihre eigene finanzielle Lage mit Freunden bespricht. Textbeispiel Helga S., „Über Schulden sprechen“ I: „Und sprechen Sie mit Bekannten über so Finanzen?“ B: „Also ich mein, in Freundschaften schon so. Die wissen auch was ich/ •• letztendlich wie es mir geht, und ich weiß wie es ihnen geht, also da ist/, wird schon oft drüber gesprochen, ja, ja. das ist ganz normal, und/“ I: „Wissen die auch, dass Sie bei der Schuldnerberatung sind?“ B: „Ja, ja, ja. Ja, also wie gesagt, seit dem ich eben wie gesagt, also hab eine Zeit lang gebraucht, auch als ich schon da war und sagen wir mal auch registriert war, hab ich eine Zeit lang gebraucht. Aber dann hab ich mir gesagt, also verdammt, das kann jetzt jedem passieren. Wie gesagt, hochkarätigen Leuten, wie gesagt, also die jetzt also wirklich unverschuldet in dieses schwarze Loch fallen. Wo ich sage, also die können ja was, die sich vielleicht eine Existenz
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aufgebaut haben oder wollten irgendwie selbständig machen und jetzt ist es daneben gegangen. Also ich meine das geht ganz schnell heutzutage geht das, ja.“ (P20: 132)
Ist ihr zunächst die Art dieser Gespräche wichtig („in Freundschaften“), so spielt sie hier in Hinblick auf ihre Verschuldung ein weiteres Mal auf ihre „Emanzipation“ in diesem Zusammenhang an. Ähnlich wie sich die Einsicht und Bereitschaft zur Schuldnerberatung zu gehen, erst in einem schmerzhaften Prozess des Versteckens und Nicht-mehr-Verstecken-Könnens herausgebildet haben, scheint das auch mit der Möglichkeit, darüber zu sprechen zu sein. Diese Fähigkeit bildet sich heraus, indem sie sich mit anderen Leuten vergleicht. An dieser Stelle wird deutlich, wie sie sich selber im sozialen Kontext verortet: Sie spricht von „hochkarätigen“ Leuten, die „jetzt wirklich unverschuldet“ in dieses schwarze Loch fallen. Zum einen rechnet sie sich eben nicht zu diesen hochkarätigen Leuten, die sie an anderer Stelle noch einmal anführt: „Professoren oder und Geschäftsleute, die jetzt irgendwie, in die, reingerutscht sind, ja, die gehen da ja auch hin.“ (100) Zum anderen entsteht aus der Betonung, das diese da „wirklich unverschuldet“ reingerutscht sind, der Eindruck, es bliebe ein Stück Schuld an ihr hängen. Denn im Gegensatz zu den „hochkarätigen“ Leuten, „die etwas können“, hat sie keine besonderen Fähigkeiten. Sie hat – durch ihre Erfahrung mit der Schuldnerberatung – hier die Kompetenz, Ratschläge zu geben. So hat sie einer Schulfreundin, die sich in einer ähnlichen Lage befand, den Rat gegeben, so schnell wie möglich zur Schuldnerberatung zu gehen (160). Als Bezugsperson in der außerfamiliären Umgebung ist die Schuldnerberaterin zu nennen, die allerdings in dem Interview eine geringe Rolle spielt. Bezüge der monetären Lage zur Mediennutzung: Aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage und der hohen Schulden hat Helga S. keinerlei Ersparnisse oder Geldanlagen. Sie hat im vorigen Jahr begonnen, in eine Riester-Rente zu sparen, dieses vor einigen Monaten jedoch abgebrochen, weil die Schuldenabtragung für sie im Vordergrund steht. Während sich die Beforschten der anderen Fallstudien in Zeitungen oder Fernsehen gezielt über dieses Thema informierten (oder dieses bewusst ablehnten), ist das für Helga S. aus diesem Grund kein Thema. Dennoch nimmt auch sie mehrfach indirekten Bezug auf massenmediale Informationen zur Geldanlage. So attestiert sie mit Formulierungen wie „wird doch viel erzählt“ weniger einem bestimmten Medium, in schwatzhafter Manier daherzukommen, vielmehr kommt im Interview eine konsistente Grundhaltung gegenüber der Außenwelt zum Ausdruck: Man muss ständig auf der Hut sein, um nicht übers Ohr gehauen zu werden. Thematisiert wird die äußere Welt als undurchsichtige Gefahrenquelle, als vielstimmige Überredungsmacht. Sie macht die Differenz aus zwischen „Leuten, die sich nicht damit befassen und die gutgläubig sind“ und eben einem nicht näher
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benannten Stimmengewirr, vor dem man auf der Hut sein muss, das einen „unter Druck setzt“. Gleichzeitig rechtfertigt Helga S. aber im Nachhinein die Eröffnung ihres Riester-Vertrages („das musste man schon so machen“) ebenfalls als etwas Unumstößliches. Sie zahlt, je nachdem, ob sie dazu in der Lage ist, weiß aber nicht genau, für was, d. h., sie weiß nicht über die Funktionsweise Bescheid. In ihr scheinen zwei Gedanken miteinander zu streiten: das Altersvorsrge sich eben nicht lohnt und der Gedanke, das man ja doch etwas hat, eine Basis, ein „Startkonto“. Wiederholt verweist sie auf den Chor an vielen Stimmen, den man inzwischen „nicht mehr hören kann“, weil man nicht weiß, ob man „noch trauen soll“. Die Frage nach der Einschätzung von Zeitungsartikeln wird also zu einer Frage von Glaubwürdigkeit und Vielsprachigkeit. Später thematisiert sie neben dem von ihr als Druck empfundenen öffentlichen Diskurs zum Thema Altersvorsorge auch eine empfundene Ungerechtigkeit, indem sie die Erzählung auf „die Regierung“ erweitert, die „uns“ Steuern raufknallen. In den Erzählungen von Helga S. schwingt eine gewisse Machtlosigkeit und Desillusionierung mit, die lediglich anhand der Erfolgsgeschichte der Tochter aufgebrochen wird. Insgesamt ist Helga S.’ allgemeine Mediennutzung unterhaltungsorientiert, mit starkem Interesse daran, was in ihrem lokalen und regionalen Umfeld passiert. Das Radio ist die Begleitung des Tages; Helga S. legt Wert darauf, dass „es nicht so schwer ist, keine Oper oder so“: „... Also da muss schon, da muss schon Unterhaltung sein, wo man auch abschalten kann“ (018). Insgesamt stellt Helga S. dar, dass es ihr wichtig ist, den Tag mit etwas „Sinnvollem“ zu verbringen und ein Zeitgerüst zu haben. So meint sie weiter, dass sie Fernsehen erst abends schaut, wegen der vielen Talkshows (012, 032), die sie an anderer Stelle mit „Talk oder Klamauk oder Schnulli“ deklassiert. So schwingt an einer Stelle ein Bedauern mit, als sie erklärt, dass es ab August ja dann auch vorbei sei mit den nachmittäglichen Ausflügen und Einkaufstouren, wenn die Tochter mit der Lehre beginne. In dem Drei-Personen-Haushalt gibt es drei Fernseher. Die Kinder sind ja jetzt erwachsen, sagt Helga S. und erklärt, dass jeder eben seinen Geschmack habe und den er über das eigene Gerät verwirklichen kann. Sie schaut am Abend gerne einen Film, „so gerade mit irgendwelchen Showstars oder berühmte Filme schon, ja also“; „auf keinen Fall Horrorfilme oder Gewalt“ (028), In der Woche „guckt jeder seins“, am Wochenende dagegen legt sie Wert auf Gemeinsamkeit („holen wir die Karten raus, 046). Fernsehen markiert so individuelle Freiräume, aber auch einen gemeinsamen Raum. Helga S. liest nahezu täglich ein regionales Boulevardblatt, den Berliner Kurier. Dadurch ist sie auch auf die Schuldnerberatung aufmerksam geworden („Glaub ich, die Adresse hab ich mir ausgeschnitten, glaub ich […] Hab sie immer liegen gehabt, weggepackt, wieder rausgeholt. Denke, nein machst du nicht. Dann hab ich mir gesagt jetzt gehst du dann da hin.“ P20: 099)
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In den Interviews wird deutlich, dass Medien vor allem ein Kostenfaktor und damit in die Logik aus Ausgaben-Budget-Haushalten eingewoben sind, so wie das beispielsweise schon bei der Gegenüberstellung von DVD und Kino zu sehen war, die beide einen unterschiedlichen Preis haben. Auch die geplante Computeranschaffung bedeutet eine Budgetanstrengung, die angesichts der damit verbundenen Wichtigkeit – der Lehrstelle der Tochter – jedoch zu rechtfertigen ist. Der Computer ist eine Vorraussetzung für die Tochter, um an einem anderen Leben teilzuhaben, welches Helga S. selbst wahrscheinlich nicht mehr offen steht, ein Arbeitsleben – und „das ist das Gute“ (064). 3.2.5
Friedrich A. – „… läuft alles über Internet“
Der 29jährige Friedrich A. lebt zusammen mit seiner Freundin in einem Szeneviertel in Berlin. Er hat Wirtschaftsinformatik studiert und möchte gerne eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter ist sein Verdienst zwar nicht sehr hoch; durch das gemeinsame Einkommen lebt das Paar jedoch nach eigener Einschätzung komfortabel. Friedrich A. ist sehr technikaffin; seine Interessen reichen von Fotografie über Computer bis hin zu Hifi- und Audiotechnik. In diesem Bereich versucht er sich auch als Konstrukteur. Darüber hinaus sammelt er Schallplatten. Für die Unterhaltung dieser Hobbys wendet er viel Zeit und auch Geld auf. Den Hauptanteil seines Verdienstes gibt er denn auch für Anschaffungen von Technik aus sowie für seinen Lebensunterhalt. Monetäre Praktiken und handlungsleitende Themen Zuallererst fällt auf, dass Friedrich A. sehr viel Dinge im Rahmen seiner Hobbys kauft und auch verkauft. Er nimmt für sich zunächst ein abgeklärtes Verhältnis zum Geld in Anspruch, indem er es als „Zahlungsmittel ganz ohne Emotion“ definiert, verbindet es dann jedoch sofort mit seinen Hobbys: Textbeispiel Friedrich A., „Zahlungsmittel ohne Emotion“ „Zu allererst mal ist es Zahlungsmittel ganz ohne • ohne Emotion. Aber es ist natürlich schon so, dass man ja darüber auch bestimmte Dinge definiert, also jetzt für vielleicht für schöne Anschaffungen die man sich schon länger vorgenommen hat grade besonders viel Geld ausgibt. Also es ist schon so das man sich überlegt ob, ob das, ja zum Beispiel Lautsprecherboxen, ja ••• was, was ja dann relativ zu der Geldmenge die man besitzt, nicht mehr unerheblich ist. Das ist dann vielleicht die Frage, ja ist, ob das, ob das o. k. ist oder nicht oder ob man das Geld vielleicht hätte lieber sparen sollen für andere Dinge oder so.“ (P25: 036)
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Geld verliert hier seinen allgemeinen Charakter und wird zu einer persönlichen Ressource, zu etwas, was man im Rahmen seiner persönlichen Interessen einsetzt, was Voraussetzung für die Verwirklichung dieser Interessen ist. Das Gespräch über Geld mündet immer wieder in Friedrich A.’s Erzählungen über sein Hobby. Konsum dient hier zur Produktion einer eigenen Identität, mit der man sich von anderen Gruppen abgrenzen kann. Für den Befragten sind seine Schallplatten, Plattenspieler und Boxen Ausdruck einer Zugehörigkeit einer bestimmten Gruppe, die sich durch die Ernsthaftigkeit, mit der sie sich mit diesem Thema beschäftigt, von anderen abhebt. Es genügt nicht nur, eine Platte abspielen zu können, erst durch die Kombination eines bestimmten Abtastsystems mit einem bestimmten Plattenspieler, bestimmten Kabeln ist wahrer Musikgenuss möglich. Er kauft seine Gerätschaften und Platten fast ausschließlich über Online-Shops bzw. Plattformen wie Ebay. Textbeispiel Friedrich A., „Ausgesprochen lieber online“ „Ja, also ich kaufe ausgesprochen lieber Online als in der realen Welt. Aus dem einfachen Grund, dass man, also bis auf die Dinge des täglichen Bedarfs, ja, ... im Internet also das deutlich breitere Angebotsspektrum hat. Und das ist eigentlich, ja auch was technische Aspekte angeht, wo ich mich mal als jemand bezeichnen würde der nicht unbedingt das Durchschnittsgerät von was auch immer kauft, man das eigentlich ausschließlich im Internet erwerben kann. Es sei denn man geht in sehr, sehr, sehr spezielle Läden rein, was ich dann aber so nicht tue.“ (P25: 015)
Das Internet ermöglicht ihm also, die Geräte zu finden, die er sucht, andererseits wäre das zeitraubende Aufsuchen von Spezialläden notwendig. An diesem Zitat wird auch die Positionierung als Abgrenzung deutlich: Er distanziert sich deutlich von demjenigen, der „das Durchschnittsgerät von was auch immer“ kauft. Dabei ist das Hobby immer auch mit der fortlaufenden Wissensaneignung verbunden, er entwickelt eine Vorstellung davon, was er weiß und welches Wissen ihm fehlt. Über die Teilnahmen an seinen Hobbypraxen erwirbt er sich sozusagen Expertenwissen. So war sein größtes Projekt, welches er erst vor kurzem abgeschlossen hat, der Bau von einem „Soundsystem“, einem Arrangement von Verstärkern, Lautsprechern und Audiosignalmixern, mit dem man einen größeren Raum beschallen könnte. Das Wissen, welches vor allem zum Bau der speziell geformten Lautsprecher notwendig war, hat er sich in Internetforen angeeignet. Dort sind zum Beispiel Berichte anderer User über ähnliche Projekte zu finden, sie stellen ihre Baupläne ein und unterhalten sich über ihre Baugeschichten, Erfolge und Misserfolge. Über Foren nimmt er auch Kontakt auf und fragt bei speziellen Problemen nach Rat. Damit fungiert das Internet nicht nur als Ansammlung von genau auf seine Interessen ausgerichteten Spezialläden, sondern auch als Informationsplattform. Und dieser Mix aus Konsum und Wissensaneignung findet keine Entsprechung in der Offline-Welt: Weder kann er hier Läden finden, die seinem Spezialinteresse ge-
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recht werden, noch hat er Bekannte, die ein ähnliches Hobby pflegen und mit denen er sich über beispielsweise den Bau von Lautsprechern unterhalten könnte. Eine besonders große Rolle spielen in diesem Interview Erzählpassagen über sein Handeln auf der Auktionsplattform Ebay, womit Friedrich A. deutlich macht, wie sehr das Hobby und Geldgeschäfte für ihn zusammengehören. Auf Ebay kauft er vor allem technisches Gerät für seine Hifi-Anlagen sowie Computerzubehör. Dabei hat sich ein Kreislauf entwickelt: Da sich im Laufe der Ausübung seiner Hobbys viele Kenntnisse erst entwickelt haben, die durch spezifische Produkte umgesetzt werden können, erneuert Friedrich A. zum einen dort fortlaufend seine Ausstattung und verkauft zum anderen Dinge, die er nicht mehr benötigt, über die er hinausgewachsen ist. Dabei geht der Handel durch ganz Europa: Seine alten Lautsprecher ersteigert ein 55jähriger Franzose, der sich damit ein Heimkino einrichten wollte und aufgrund der Größe der Lautsprecher von Paris nach Berlin fuhr, um die ersteigerten Geräte abzuholen. Viele Abnehmer für Plattenspieler- und HifiZubehör sitzen in Frankreich und Italien. Friedrich A. stellt mit Genugtuung fest, dass er vieles zu einem höheren Preis wieder verkauft, als er es ersteigert hat. Friedrich S. geht es vor allem darum, ausreichend liquide zu sein, um sich, wenn eine günstige Gelegenheit ansteht, das Gerät oder eine rare Schallplatte kaufen zu können. Er wickelt seine Geldgeschäfte vollständig online ab, weil ihm alles andere „zu umständlich“ wäre. Er lässt sein Gehalt auf ein Girokonto überweisen, vom er dann sein Geld, der besseren Konditionen wegen, auf ein sogenanntes Geldkonto überweist. Bevor die Kreditkartenrechnung ansteht bzw. sofern eine größere Zahlung als Überweisung vom Konto erfolgen soll, überweist Friedrich A. wieder Geld zurück. Das ist eine Praktik, die erst mit dem Aufkommen der Online-Banken großflächig möglich und verbreitet geworden ist. Friedrich A. sind dabei vor allem gute Konditionen wichtig. Wie er erzählt, hat er früher regelrechtes Konditionen-Hopping betrieben, ist von einer Online-Bank zur anderen gewechselt, wenn sich irgendwo bessere Zinsen ergaben. Ansonsten ist ihm beim Umgang mit seinem Geld wichtig, nichts überflüssiges auszugeben, sei es bei Versandkosten bei Ebay, bei Produktkäufen im Internet oder bei der Geldsicherung (keine „Zinsen verschenken“). Um Geldanlagen hat er sich lange nicht gekümmert. Zwar ist er sehr auf ein vorteilhaftes Wirtschaften bedacht. An Geldanlagen als Möglichkeit, eine Rendite zu erwirtschaften, ist er auch grundsätzlich interessiert, findet es allerdings zu kompliziert („vielleicht einmal darüber nachdenken und das dann vor sich hinlaufen lassen“, 067). Vor kurzem hat er jedoch ein Depot eröffnet und einen Fonds-Sparplan abgeschlossen. Er möchte sich nicht binden, nichts abschließen, wo er „jetzt zehn Jahre lang nicht drauf zugreifen kann“ (069). Als Erklärung für seine zurückhaltende Einstellung gibt er weiterhin an: „... nachdem man so die ersten Erfahrungen eigentlich mit dem Aktienkauf zur Dot-Com-Welle gemacht hat“ (069). Er selbst
3.2 Fallbeschreibungen
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war jedoch eigentlich nicht involviert („obwohl ich damals ein schlechtes Gewissen hatte“), sondern hat das Börsengeschehen und die Investitionswelle, die es bei Privatanlegern auslöste, als „Tagesgespräch“ mitbekommen. Er bezeichnet es jetzt als Erfahrung, als Bestätigung, dass man doch mit einem „Tagesgeldkonto besser bedient“ ist. Zwar vertieft er sich nur ungern in das Thema Geldanlage, fragt sich jedoch häufig, ob er in diesem Zusammenhang „genug macht“ (083). Man kann eine innere Ordnung der Geldgeschäfte erkennen: An erster Stelle stehen die Transaktionen im Rahmen seines Hobbys, die sowohl im Kaufen als auch im Verkaufen bestehen und die größte Relevanz für seine Identität haben, danach kommen „größere Anschaffungen“ wie ein Auto, die mit Geldeinsätzen für einen dritten Zweck, Altersvorsorge oder etwas „richtig langfristiges“ wie einen Immobilienkauf, konkurrieren, insgesamt jedoch nur sehr vage ausformuliert sind und keine aktuelle Option für ihn darstellen (083). Bezugspersonen in Sachen Geld Geld ist ein Thema in Friedrich A.’s Beziehung, welches im Rahmen der „üblichen“ Gespräche mit seiner Freundin abgehandelt wird: Wofür gibt man das Geld aus; wie wird zwischen den Partnern aufgeteilt. Weitere Bezugspersonen gibt es nicht. Als Friedrich A. das Gefühl hatte, er müsse sich jetzt mit dem Thema beschäftigen, war seine Freundin diejenige, die ihm eine bestimmte Anlagemöglichkeit empfohlen hat. Im Freundeskreis bespricht er das Thema nicht und er würde auch nicht zu einem Bankberater gehen. Auch auf das Elternhaus gab es in diesem Interview keine Bezüge, laut Friedrich A. wurde zu Hause nie über Geld gesprochen. Medial vermitteltes Geldhandeln In der Beschreibung der monetären Praktiken wurden bereits das Kaufen in Online-Shops bzw. Ersteigern über Ebay als wesentliche Praktiken beschrieben. Speziell um das Ersteigern und Versteigern herum haben sich weitere spezifische Praktiken herausgebildet. So erläutert Friedrich A., wie er seine Waren präsentiert, auf was er bei anderen Anbietern achtet, wie seine Strategien zum Ersteigern aussehen usw. Um laufende Auktionen zu kontrollieren, hat er sich einen Maildienst eingerichtet. Seitdem er im Jahr 2000 mit Ebay begonnen hat, ist er täglich, auch am Wochenende, auf der Ebay-Seite, um zu „schauen, wer was anbietet, zu stöbern oder halt meine Transaktionen einzustellen“. Seine Transaktionen sind etwas weniger geworden: Waren es früher bis zu drei in der Woche, ist es heute ungefähr eine innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen. Seine Online-Banking-Aktivitäten ste-
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hen auch im Zusammenhang mit Ebay: zum Beispiel um zu kontrollieren, ob avisierte Zahlungen auch eingegangen sind, bevor er die Ware losschickt. Er kontrolliert damit deutlich häufiger seinen Kontostand, als dies NichtOnline-Banker tun. Mehrfach stellt Friedrich A. seine Vorliebe für den OnlineWeg heraus, sei es zum Kaufen, zum Informieren, zum Verwalten von Geld: „Ich mach soviel wie möglich online. Steuererklärung geht ja noch nicht, aber wenn das vernünftig ginge, würde ich das sofort machen, ja“ (035). So würde er es auch begrüssen, alle Zahlungen über Karten abzuwickeln und „das Papiergeld endlich ganz abzuschaffen“ (P25: 160). Lästig findet er diesen Zustand „dazwischen“, wo vieles schon online bzw. mit Kreditkarte, möglich ist, aber in manchen Geschäften oder im Taxi eben noch nicht. Bargeld, so meint er, „arbeitet“ dann ja auch nicht, ist nicht „effizient“ (182, 186). Überhaupt ist der Kostenaspekt für Friedrich A. wesentlich: Für ihn ist der Online-Kauf genau wie der Online-Geld-Transfer billiger, eine Möglichkeit, gut zu wirtschaften und nicht mehr zu bezahlen, als nötig. Das Internet ist nicht nur eine Möglichkeit, Sachen billiger zu bekommen, sondern es hilft auch, sie zu vergleichen und das Billigste herauszusuchen. Allerdings ist „billig“ nicht die vorherrschende Motivation, denn wie oben dargestellt, sieht er im Internet vor allem die Möglichkeit, Dinge zu bekommen, die es sonst nirgendwo gibt; Dinge zu erfahren „für die man sich sonst irgendwelche Zeitschriften kaufen müsste und dann steht es da doch nicht drin“. Das Internet ist also fest in seinem Alltag verankert. Bereits seit 1995, als er als Student den ersten regelmäßigen Internetzugang bekam, wickelt er Praktiken des Lernens, Arbeitens, Einkaufens darüber ab: Textbeispiel Friedrich A., „Immer online“ „Ja, auf Arbeit läuft alles über Internet. Ich bin wissenschaftlicher Assistent, da läuft alles online, die Kommunikation und auch so die Arbeit, also viel Recherche und so. Und zu Hause hab ich natürlich auch Internet, weil man arbeitet ja auch oft zu Hause. Eigentlich bin ich immer online, nur zum Schlafen schalte ich es aus. Ich hab ja DSL, da ist die Zeit egal.“(P25: 027)
Indem die Kosten für die Internetnutzung nicht mehr an die verbrachte Zeit geknüpft sind, muss die Online-Zeit auch nicht mehr reglementiert werden. Die Online-Umgebung kann damit zu einer ständig verfügbaren Umgebung werden. Später beschreibt er, wie sehr er sich daran gewöhnt hat. Am Beispiel von Überweisungen wird das deutlich: „klar kann man das [dafür extra aus dem Haus gehen, P.K.] auch machen, aber das ist schon erst mal komisch“ (168). Dabei hat er auch im Internet relativ feste, gleich bleibende Anlaufstellen: Seiten, wo er weiß, wie alles funktioniert. Die von anderen Befragten oft geäußerten Bedenken hinsichtlich der Sicherheit seiner Transaktionen teilt er nicht, er macht sich – mit einigem Abstand – Gedanken um die Transparenz und Nachvollziehbarkeit seiner Bewegungen in seiner Online-Alltagswelt:
3.3 Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse
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Textbeispiel Friedrich A., „latente Furcht“ „Wo ich Bedenken hätte sozusagen, wenn man, wenn man jeglicher, jegliche Geldgeschäfte jetzt also, wo zum Beispiel Bargeld/ ich das mit Kreditkarte machen täte. Das ist natürlich so die Fragestellung wie weit wird man, kann man profiliert, also kann von einem ein Profil gebildet werden und inwiefern kann man sozusagen/ dann immer mehr über einen erfahren werden. Das stört mich jetzt vielleicht nicht grundsätzlich im Sinne von/, vielleicht kriege ich dadurch jetzt tatsächlich die besseren auf mich eher passenden Angebote, aus welchem Kanal jetzt auch immer. Das ist eher so eine latente Furcht, ja. • Also aus all diesen ja Filmen die man so kennt.“ (P25: 172)
Gegen Online-Unsicherheit hat Friedrich F. genügend Maßnahmen getroffen: Er hat es sich zur Angewohnheit gemacht, seine Virenscanner regelmäßig upzudaten, außerdem setzte er schon früh auch auf seinem privaten Computer eine Firewall ein. Online-Sicherheit bezeichnet er auch als eine seiner „Privatinteressen“. Er beachtet dieses Risiko damit als individuell beherrschbar; während die Möglichkeit für andere, durch Verfolgung seiner Datenspuren ein Profil von ihm zu erhalten, nicht beeinflussbar ist. Sie erscheint ihm, der ja mit der Materie auch im Rahmen seines Berufes vertraut ist, als natürliche Konsequenz eine Ausweitung dessen, was online möglich ist und das er ja selber gerne praktiziert: handeln, Informationen austauschen, bezahlen. Da er diese Ausweitung gut findet, sieht er auch nicht nur negative Folgen; so erwähnt er die Möglichkeit, dass andere ihm passendere Angebote zuschicken können, weil sie seine Interessen und Vorlieben kennen. Allerdings wäre es eben auch möglich, dass es „in rechtlich bedenklichen Situationen ... Möglichkeiten gibt, die gegen einen verwendet werden können“ (174). Er grenzt hier die Sphäre des Rechts von der Sphäre des Konsums, in der Uneingeschränktheit das Beste ist, ab.
3.3
Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse
Aus dem ersten Analyseschritt, der thematischen Sichtung der Interviews, wird deutlich: Menschen nehmen, wenn sie über Geld sprechen, in vielfacher Hinsicht Bezug auf identitätsrelevante Kategorien. So grenzen sie sich in den Interviews zu anderen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Menschen aus ihrer Umgebung ab (Ute S., „Statussymbol“), ordnen sich selber innerhalb eines auf spezifische Art und Weise wahrgenommenen gesellschaftlichen Gefüges ein (Helga S., „Geld ist nicht alles“, „Über Schulden sprechen“), verbinden bestimmte monetäre Praktiken oder Artefakte mit einem bestimmten Stellenwert in ihrem alltäglichen Handeln (Christa C., „Ernsthafte Angelegenheit“, Friedrich A., „Ausgesprochen lieber online“) und nehmen auf gesellschaftliche Deutungsmuster Bezug. Indem die Befragten in der Interviewsituation ihre Handlungs-, Diskurs- und Interaktionsstrategien erlebnis-
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mäßig darstellen und sie rekonstruieren, ist zunächst die Interviewsituation als adhoc-mäßige Identitätskonstruktion zu sehen. Sie entwerfen ihre monetäre Identität unter Verweis auf verschiedene kommunikative Episoden, von denen ich im Anschluss an die thematische Sichtung der Interviews folgende als für die weitere Untersuchung relevant bestimmen möchte: x x x x
Monetäres als Thema der familiären Kommunikation Monetäres als Thema der Kommunikation mit Bekannten und Freunden Information über Monetäres in den Massenmedien Abwicklung monetärer Transaktionen über den Computer
Aufgrund der durch die dokumentarische Methode postulierten Homologie von Erzähl- und Erfahrenskonstitution lässt sich nun im nächsten Schritt von den in Interaktion mit der Interviewerin hergestellten Identitätskonstruktionen auf die identitätsmäßige Relevanz der dabei rekonstruierten Aneignungssituationen schließen. Ziel der folgenden komparativen Analyse ist es, die als relevant befundenen kommunikativen Episoden auf ihre Bedeutung für die Ausbildung spezifischer monetärer Identitäten eingehender zu untersuchen. 3.3.1
Kleine soziale Gemeinschaften – unmittelbare Kontexte monetärer Kommunikation
Das monetäre Handeln von Helga S., Ute S., Christian S., Friedrich A. und Christa C. spielt sich zunächst in sogenannten „kleinen Lebenswelten“ ab. Als solche bezeichnet Benita Luckmann lebensweltliche Vergemeinschaftungen, die als vom Individuum überschaubare Räume, in die es hineingewachsen ist und in denen es alltäglich handelt, einen Kontext der unmittelbaren Kommunikation bilden (vgl. Luckmann 1978). Als relevant für die Fragestellung der Arbeit erwies sich die Lebenswelt der Familie sowie der Freundes- und Kollegenkreis, zu denen regelmäßige Beziehungen bestanden. Diese Gruppen können als institutionalisierte Situationen aufgefasst werden, „die es ermöglichen, die unterbrochene Wir-Beziehung wieder herzustellen und sie dort wieder aufzunehmen, wo sie das letzte Mal abgebrochen wurde“ (vgl. Schütz 1972a: 45). 3.3.1.1
Familien als Ort monetärer Verhandlungen
Familien stellen spezifische Kommunikationszusammenhänge von Individuen dar, innerhalb derer spezifische Themen und Schemata etabliert werden (vgl. Hess/
3.3 Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse
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Handel 1975). Wie Keppler zeigt, bildet sich ein familienspezifisches Repertoire kommunikativer Formen heraus, welches sich aus den bevorzugten Gattungen der Kommunikation (z. B. Klatsch, Diskussionen) und den Konventionen ihrer Anwendung (Veranstaltungen, gewohnheitsmäßige Orte und Zeitbudgets) zusammensetzt (vgl. Keppler 1995). In der Familie der verschuldeten Helga S. spielen Diskussionen über den Preis vor allem von Lebensmitteln und Bekleidung eine große Rolle, sie gehören zum täglichen Inventar an Kommunikationsformen. Hauptsächlich mit der fast erwachsenen Tochter werden sowohl getätigte Einkäufe als auch geplante Anschaffungen diskutiert: Textbeispiel Helga S., „Große Packung“ „Ich bin nach Hause gekommen mit so einer großen Packung, meine Tochter sagt, was hast du denn soviel gekauft? Ich sag, kostet nur drei Euro, und die brauchen wir immer. Ich sage, das kannst du ja drei Monate benutzen, wird ja nicht schlecht. Ja sicher sieht vielleicht ein bisschen doof aus aber mich stört das nicht. Ich sag, ich geh zu Aldi einkaufen. Ich sage, das ist nicht schlimm, das ist doch keine, keine Ware die jetzt irgendwie schlecht ist oder die jetzt so abgelaufen ist.“ (P20: 147)
Helga S. erzählt diese Diskussionen im Interview nach, wobei sie die Diskussionspartner jeweils in ihrer Rolle zu Wort kommen lässt („Ich sage“, „meine Tochter sagt“). Diese gewissermaßen nachträglich performten Gespräche erlauben es ihr, ihre Position dem Interviewer zu vermitteln und dabei vor allem die handlungsleitenden Motive anschaulich werden zu lassen. Dies entspricht dem Muster der Dialogwiedergabe als wichtigstes Mittel der Re-Inszenierung (vgl. LuciusHoene/Deppermann 2004: 230). Der hohe Anteil dieser anschaulichen Rekonstruktionen in diesem Interview zeigt, verglichen mit anderen Familien, in denen Diskussionen um das tägliche Wirtschaften zwar vorkommen, aber eher beiläufig und zusammengefasst berichtet werden, wie wichtig diese Art von Verhandlungen in dem durch starke Geldknappheit geprägten Alltag von Helga S. sind. In der oben zitierten Passage zweifelt die Tochter den Bedarf an, den die Mutter durch den Kauf der großen Packung signalisiert. Diese teilt ihre Rechtfertigung in drei Teile: Zunächst argumentiert sie mit dem Preis (ohne dass sie ihn zum Produkt in Beziehung setzt, wie beispielsweise durch die Nennung des Produktnamens), dann mit dem vorhandenen Bedarf und schließlich mit der Packungsgröße. Dabei leitet sie nahezu jeden Satz als direkte Entgegnung auf die vorwurfsvolle Frage ihrer Tochter „Warum hast du denn soviel gekauft?“ ein: Die Verbindung von performativem Verb und Ich-Index, die damit Statement-Charakter gewinnt („Ich sage“), eröffnet vier der fünf Sätze der Argumentation, nur einmal unterbrochen durch den Satz „Ja sicher, sieht vielleicht ein bisschen doof aus …“. Mit diesem Satz, der als inszeniertes Einnehmen einer Gegenposition verstanden werden kann und als Einräumen der Tatsache, dass große Packungen „doof aussehen“, hält sie
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den Charakter eines Zwiegesprächs zwischen ihr und ihrer Tochter aufrecht. Mit den beiden letzten Sätzen geht sie über die Darstellung des Gespräches mit ihrer Tochter hinaus, indem sie auf Einwände von Bekannten gegenüber Discountern wie Aldi eingeht. Helga S. gibt damit einen Einblick, wie sie ihr Wissen über einen bestimmten Teil ihres monetären Handelns rekonstruiert. Es entsteht als – innerlich und äußerlich geführte – Diskussion von Mitgliedern einer gesellschaftlichen Kollektivität (hier: des Nahbereichs, d. h. des unmittelbaren Lebenskontextes – Tochter, Bekannte). Die alltägliche Praxis des Einkaufens ist – indem sie in der Auseinandersetzung mit Anderen kommunikativ rekonstruiert wird – ein sozial zu billigendes Handeln. Diese Auseinandersetzung mit der Tochter und den Bekannten kann mit Garfinkel als „Krise“ verstanden werden, die eine theoretische Reflexion über die ansonsten als fraglos hingenommenen Merkmale des Alltagswissens Einkaufen (so billig wie möglich, Abstriche in der Warenpräsentation sind keine Abstriche an der Ware an sich) veranlasst (vgl. Garfinkel 1973: 193). Als eine weitere Episode der Aushandlung von monetärem Alltagswissen kann eine Erzählung von Helga S. interpretiert werden, in der die Familie als Ort der Verhandlung von Konsumwünschen zwischen den Familienmitgliedern erscheint. Die Erzählung wurde angeregt durch die Frage, ob sie glaubt, die Beziehung ihres erwachsenen Sohnes zum Geld einschätzen zu können: Textbeispiel Helga S., „Die Jacke“ „Na ja, wollen mal so sagen, er ist immer ziemlich großzügig. Die haben ja auch bestimmt Arbeitslosengeld, aber wenn ich was kaufe, ich meine im Nachhinein ist mir das immer so eine Sache. Er hat zum Beispiel, er hat sich eine Jacke gekauft und er fährt ja nun Fahrrad viel, dafür wollte er die haben ... Und wie gesagt, bei uns ist es so üblich, dass sich jeder zu seinem Geburtstag etwas Größeres kaufen darf. Er sucht es sich aus und wir reden darüber und suchen dann das Beste aus, so läuft das. Ursprünglich wollte er sich eine Kamera für kaufen, Quatsch, mit Video, ja. Warum? Ich sage, die kauf ich doch nur, wenn ich jedes Jahr in Urlaub fahre oder... Ja dann haben wir aber solange gelabert, gelabert, und meine Mutter hatte dann noch mal, noch mal auf ihn eingeredet, hat das dann sein lassen, hat sich dann eine Jacke bestellt. Wissen Sie für wie viel? Für 50 Euro. Ich bin ja fast umgefallen. 50 Euro. Aber dann im Nachhinein hat er gesagt, das ist eine Jacke, die hält auch was aus. Er ist wie gesagt, ständig mit dem Fahrrad unterwegs, weil das ja auch günstiger ist, und dann Fahrkarten kaufen und mit dem Fahrrad kommt er genauso überall hin. Die ist jetzt wirklich wetterbeständig, die wärmt, also ist was Gutes. Die Jacke die, weiß ich nicht, fünfundzwanzig Euro kostet, da zieht man noch mal einen dicken Pullover drunter, der ja auch wieder was kostet, und dann ist die trotzdem gleich nass. Also das ist, na ja, wieder eine Anschaffung wo man dann im nachhinein sagt, die hat er eben nicht bloß ein Jahr oder ein halbes Jahr, die hat er eben fünf Jahre oder noch länger. Na ja ist gut, das ist sein Geburtstagsgeld, das ist o. k, das ist schon gut wenn man so eine Jacke hat. Und was weg ist, das ist weg. Aber vieles bei ihm muss nicht sein.“ (P20: 139)
Helga S. bejaht die Ausgangsfrage der Interviewerin zunächst indirekt: Sie ist in der Lage, das Verhalten des Sohnes einzuschätzen und sie schätzt es – in einer zurückhaltenden Formulierung – als nicht angemessen ein („ein bisschen großzügig“). Allerdings geht sie nach dieser Einleitung scheinbar nicht weiter darauf ein und ist damit zunächst für den Interviewer an dieser Stelle nicht verständlich („aber wenn
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ich was kaufe, ich meine im nachhinein ist mir das immer so eine Sache“). Aus der weiteren Erzählung wird dann aber klar, dass der Sohn in den Augen der Mutter mit zweierlei Maß misst: Er selber bezieht Arbeitslosengeld (und scheint damit zurecht zu kommen), aber wenn sie etwas von „ihrem Geld“ für ihn kauft, ist er „ziemlich großzügig“. Diese Einschätzung wird dann in der Erzählung über einen konkreten Fall monetärer Familienpraxis, dem Widmen einer Geldsumme zum Geburtstag, detailliert. Jedoch ist das Schenken des Geldes zweckgebunden; der Beschenkte muss es in ein Konsumgut eintauschen. Dieser Tausch findet immer noch in der Sphäre des Schenkens statt; eine Beratung zwischen Schenkendem und Beschenktem, was für das „Geburtstagsgeld“ gekauft wird, ist ein geregeltes Verfahren: „Bei uns ist es so üblich ... er sucht es sich aus, und wir reden darüber und suchen dann das Beste aus, so läuft das“. Gegen den eigentlichen Wunsch des Sohnes legt nun der Familienrat, bestehend aus ihr und ihrer Mutter, ein Veto ein. In solchen „Familienveranstaltungen“ werden die geplanten Käufe „verhandelt“, in dem ihre Relevanz vor den aktuellen Lebenshintergrund gestellt wird. Aus diesem Grund durfte sich der Sohn die Kamera mit Video nicht kaufen, denn: „Die kauf ich doch nur, wenn ich jedes Jahr in Urlaub fahre“ – was ein verschuldeter Mensch aber nicht tut. Der Sohn konnte seinen zweiten, anfangs vom Familienrat auch für unangemessen gehaltenen Wunsch durchsetzen. Helga S. greift seine Argumente, die den Kauf einer Jacke, die das Doppelte von dem möglichen Preis von 25 Euro kostet, als nachträgliche Rechtfertigung für den Kauf, den sie auch als „Anschaffung“ deklariert, im Gespräch mit dem Interviewer wiederholt als „erzählte Diskussion“ auf. Sie macht sie damit zu ihren eigenen, ohne jedoch recht davon überzeugt zu sein, wie es das eher fatalistische „was weg ist, ist weg“ und die Rückführung auf die Kategorie „Geburtstagsgeld“ als Schließung der Erzählsequenz vermuten lässt. Die Familie hat also ein Mitspracherecht bei den Geburtstagsgeschenken, genauso wie auch andere, alltäglichere Käufe diskutiert werden. Mit der Tochter wird beim Einkaufen darüber debattiert, „was wirklich nötig ist“, die Tochter kommentiert die Einkäufe der Mutter (siehe oben) die Mutter wiederum erklärt der Tochter, das es besser ist, sich den neuen Harry-Potter-Film nicht im Kino, sondern ein halbes Jahr später auf DVD anzuschauen, die Mutter von Helga S. redet ihr den Kauf von Winterstiefeln aus. Alle diese Episoden werden mit Hilfe eines inszenierten Dialoges dargestellt, mit dem Helga S. Argument und Gegenargument abwägt und die Interviewerin daran teilhaben lässt. In dem Maße wie Schnäppchen jagen, Angebote wahrnehmen, alternative Freizeitaktivitäten suchen, wichtige Aktivitäten in ihrem Alltag sind, gehören Verhandlungen finanzieller Spielräume, Diskussionen über Preise und die Notwendigkeit von Käufen zum kommunikativen Repertoire der Familienmitglieder. Helga S. rahmt diese Episoden als notwendige Verhandlungen, in denen die prekäre monetäre Situation allen Familienmitgliedern vermittelt wird, in
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der sich die Mitglieder gegenseitig daran erinnern, dass das Budget beschränkt ist und ihre Konsumprinzipien aktualisieren und aufeinander abstimmen. Dabei stellt sie sich nicht als Familienoberhaupt dar, vielmehr lässt sich im Sinne des Goffmanschen Begriffs der Rollendistanz (vgl. Goffman 1973) eine Distanzierung von dieser Erwartung beobachten, indem sie immer wieder darstellt, dass auch sie ans Sparen erinnert werden muss und ihre Budgetprinzipien einer ständigen inneren Diskussion unterwirft. Gemeinsam werden von den Familienmitgliedern Strategien monetären Handelns entworfen, verworfen oder gerechtfertigt. Auch in den anderen Interviews tauchten diese Bestandteile des familiären kommunikativen Repertoires auf, allerdings nicht so häufig und in verkürzter Form. Wenn Ralf B., ein 45jähriger Informatiker angibt, das größere Investitionen gemeinsam entschieden werden („Also ich sag mal, so ab CD-Spieler aufwärts“, P11: 90) und Marianne H. sich als „Finanzminister“ (P2: 114) bezeichnet, der die handwerklichen Bauvorhaben des Ehepartners freigeben muss, dann sind das Indizien für eine monetäre Rollenverteilung, die diese kommunikativen Episoden rahmt. In den Passagen, in denen Helga S. ihre Diskussionen schildert, wird klar, dass sie weniger Ausdruck einer festgefügten Rollendarstellung der jeweiligen Familienmitglieder sind, als vielmehr immer wieder neue Auseinandersetzungen mit einem Alltag, in dem Geld ein Mangel ist und Einkaufen die einzige monetäre Praktik, mit der sich dieser Mangelalltag gestalten lässt. Eine weitere Rahmung liegt in Familiengesprächen zwischen Eltern und ihren Kindern vor. Diese Gespräche sind als direkte Wissensvermittlung zwischen Eltern und Kindern und damit als pädagogische Rahmungen zu deuten. Pädagogische Rahmungen verstehen kindliche und jugendliche Situationen als von Erwachsenen gestaltete Aneignungsverhältnisse, die auch als Spannungsverhältnis zwischen den darin erhobenen Ansprüchen der Erwachsenen gegenüber den Kindern, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und Praktiken und den intendierten und nichtintendierten Effekten charakterisiert werden können (vgl. Lüders 1994: 113). Zunächst ging es bei allen Befragten darum, den Kindern Beschränkungen zu vermitteln, zumeist anhand von Konsumwünschen, die sie äußerten. Darüber hinaus sind auch konkrete Praktiken des Umgangs mit Geld Thema der Eltern-KindKommunikation. So möchte Ute S. ihren Söhnen vermitteln, dass man bei Geld genau sein muss, dass man es sich einteilen muss, dass Rechnungen sofort zu bezahlen sind. So lässt sie sich von dem jüngeren Sohn (20) bei jedem Besuch seine Kontoauszüge zeigen, da er „seine Zahlungsverpflichtungen gern auf die lange Bank schiebt“ (P2: 112). In den meisten Erzählungen wurde jedoch deutlich, dass es weniger solche zeitlich und inhaltlich festgelegten kommunikativen Episoden sind, in denen Eltern den Geldumgang der Kinder auf ihre Maßstäbe beziehen, sondern dass Gelderziehung vielmehr als „Lernen am Modell“ gedacht ist. Die Kinder sollen die Praktiken der Eltern nachvollziehen und über diese Praktiken ähnliche Prinzipien entwickeln. Vor allem die älteren Befragten setzen auf solche „Praktiken des
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Nachvollziehens“, wobei diese sich hauptsächlich auf das Sparen, das Beiseitelegen, das Einteilen beziehen. In der folgenden Passage erzählt die 68jährige Marianne H. über ihre monetären Prinzipien, die hauptsächlichen aus dem sparsamen Umgang mit Geld bestehen. Textbeispiel Marianne H., „Spargrundsatz“ „… Ich sagte immer, was wächst, das kann ich nicht ausgeben. Und so habe ich mir halt auch erst meine erste Aussteuer und so was zusammen gespart. Einfach, weil das Geld da war, ich brauchte zum Leben nicht mehr. Und das hat sich auch übertragen auf meinen Sohn, der kann auch recht gut mit Geld umgehen. Aber beim Enkel kriegen wir es nicht hin, noch nicht, ja.“ (P8: 100)
Sie belegt diese Prinzipien zunächst durch Erfolge, in diesem Fall ihre selbst ersparte Aussteuer, und legitimiert sie somit. Anschließend erklärt sie ihr Prinzip als einen selbstverständlichen und unkomplizierten Vorgang genauer. Die Weitergabe dieses Wissens an ihren Sohn geschieht ebenso ganz wie von selbst, quasi als natürlicher Vorgang, der keine weiteren Anstrengungen erforderte. Doch bei dem Enkel hat dieses „Vorleben“ eben nicht geklappt. Mit dem Zusatz „noch nicht“ verleiht sie ihrer Zuversicht Ausdruck, dass dieser eben doch irgendwann die Verhaltensweisen seiner Eltern und Großeltern annehmen möge. Das Verb „hinkriegen“ ist in seiner steuernden Bedeutung hier der einzige Hinweis auf einen pädagogischen Rahmen. Deutlicher wird der Rückgriff auf kulturell vermittelte und kulturell gültige Interpretationsmuster der Beziehung zwischen Eltern und Kindern in der folgenden Passage, die eine Antwort von Christian S. auf die Frage des Interviewers ist, ob es Gespräche über Geld in der Familie gibt. Textbeispiel Christian S., „Winterurlaub in der Schweiz“ „Mit den Kindern wird nur darüber gesprochen, wenn es um das Taschengeld geht. Ansonsten wissen unsere Kinder, dass wir beide in Lohn und Brot stehen und dass es uns gut geht, was die finanzielle Lage betrifft. Sie wissen aber auch, dass wir hoch verschuldet sind, wegen unseres Hauses und das das abzubezahlen ist. Nein, doch in gewissem Sinne reden wir schon Geld, indem wir unseren Kindern sagen, dass also gewisse Dinge nicht für uns in Frage kommen. Das also ein Winterurlaub in der Schweiz uns zu teuer ist. Also das können wir uns nicht leisten, nein • also könnten schon, aber wollen wir uns leisten, weil das Haus so teuer ist und das manche Sachen also nicht im Verhältnis stehen das was man ausgibt und das was man dafür bekommt. Und Schüleraustausch oder so was nach Neuseeland also auch nicht •• Das wird von uns schon angesprochen, dass so was nicht sein muss aus unserer Sicht und das wird von den Kindern auch akzeptiert. Da habe ich eher die Befürchtung, dass unsere Kinder denken, wir sind geizig oder so. Da erkenne ich meine eigene Kindheit wobei es nicht nötig ist und wir eigentlich auch sehr großzügig sind •• denke ich zumindest, was unseren Kindern so geboten wird.“ (P5: 200)
Er geht sofort von der Ich- zur Wir-Form über, wobei er als „wir“ die Eltern bezeichnet (und eben nicht die Gesamtheit der Familie). Dabei stellt er zunächst nicht auf die in der Fragestellung angesprochenen Gespräche ab, sondern auf das Wissen der Kinder: Dieses besteht in sowohl als auch, in einem Gegensatz also, der das elterliche Handeln bestimmt. Seine anfängliche Einschränkung („wird nur da-
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rüber gesprochen“) muss er korrigieren, in eine Bejahung der Frage, die allerdings wiederum eine Einschränkung erfährt („in gewissem Sinne“). Die eingangs aufgemachte Dissoziation zwischen der finanziellen Lage (gut) und den damit zusammenhängenden Möglichkeiten (trotzdem wenig) nimmt er nun als Grundlage, um genauer auf die Gespräche mit den Kindern einzugehen. Dabei veranschaulicht er das Prinzip „es geht uns gut – aber wir sind verschuldet“ mit exemplarischen Beispielen (Winterurlaub, Schulaufenthalt in Neuseeland). Von diesen Konkretisierungen geht es wieder ins Allgemeine: So ist der Winterurlaub in der Schweiz eben nicht nur ein Beispiel dafür, welche Dinge sich die Familie nicht leisten kann, sondern auch eine Hinleitung zu dem nun wieder abstrakten Prinzip des KostenNutzen-Verhältnisses („… das manche Sachen also nicht im Verhältnis stehen …“). Während bei Marianne das „sparsam sein“ an sich thematisiert wird, geht es Christian S. um die Vermittlung komplexerer Sachverhalte. Bei der Schließung der Erzählung wird die Spannweite des pädagogischen Rahmens deutlich: Ähnlich wie Marianne nimmt auch Christian S. innerhalb des pädagogischen Rahms Bezug auf sein eigenes Verhalten, benutzt diesen jedoch nicht als Legitimation, sondern zur Reflektion. Er schlägt hier einen Bogen von den Gesprächen mit seinen Kindern hin zu seiner eigenen Kindheit. Damit äußert er auch Zweifel an den Inhalten, die er den Kindern vermitteln will. Die Darstellung der Gespräche mit den Kindern wird so zu einem Räsonnement über die Richtigkeit dieser Erziehung. Er möchte die Ambivalenzen des eigenen Handelns und Denkens unter Kontrolle bringen, indem er mögliche Effekte – hier an der eigenen Kindheit – antizipiert und reflektiert. 3.3.1.2
Biografische Verweise
Der abschließende Teil der Erzählung von Christian S. zeigt die Bedeutung biografischer Erfahrung. Solche biografischen Verweise sind in jedem Interview zu finden, die Befragten flochten sie als Begründungen für ihr Handeln, ihre Standpunkte und Sichtweisen in ihre Erzählungen ein. Vor allem im Anschluss an die Frage, welche Ereignisse sie hinsichtlich ihres Umgangs mit Geld besonders geprägt haben, entstanden ausführliche Erzählungen über ihre Kindheit, wobei Gespräche im Elternhaus eine große Rolle spielten. Auffällig ist zunächst, dass von allen Befragten thematisiert wurde, dass sie aus Elternhäusern kommen, in denen das Geld entweder eine Mangelerscheinung war oder aber zumindest begrenzt war, so dass restriktive Maßnahmen von den Eltern beim Geldausgeben wahrgenommen worden sind. Textbeispiel Susanne M., „Kleine Erwachsene“ „Also meine Eltern haben uns Kinder generell in alles, was irgendwie wichtig war, einbezogen. Sie haben uns wie kleine Erwachsene behandelt. Und, auch wenn wir manchmal vielleicht noch nicht
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in der Lage waren, das zu begreifen, dann haben sie versucht, es mit Metaphern oder so zu erklären. Also, uns war klar, dass wir keine Angst haben müssen, dass wir jetzt kein Essen haben auf dem Tisch haben, aber, das es schon so war, dass wir wussten, das es Ende des Monats, dann halt eben kein Fleisch mehr gab, sondern halt Grießbrei oder Suppe oder irgend so etwas. Das, das wussten wir. Und am Anfang des Monats kam mein Vater mit der Geldtüte nach Hause und dann hat er für jeden irgendwie eine Kleinigkeit mitgebracht, oder für uns alle für was Gutes zu essen oder irgendwie so was. Und das hatte schon Bedeutung. Oder auch, wenn mein Vater befördert wurde, dann war das halt auch wirklich als Familie ein Ereignis, worauf wir schon wochenlang, sag ich mal, drauf hingefiebert haben.“ (P9: 103)
Zunächst einmal ordnet die 41jährige Susanne M. das Geldthema in einen Rahmen ein, den man wieder mit Erziehung beschreiben kann. Hinweise darauf sind die sozialen Kategorisierungen „uns Kinder“ und „die Eltern“. Dem von der Interviewerin erfragten „Reden über Geld“ misst sie durch ihr Eingangsstatement große Bedeutung zu, indem sie es als eines dieser „irgendwie wichtigen“ Themen deklariert, in das die Kinder einbezogen wurden. Es ist ein ernstes Thema; ein Thema aus der Erwachsenenwelt. Mit den Kategorien Eltern und Kinder werden auch unterschiedliche Wissensstände verdeutlicht: Kinder sind eben „noch nicht in der Lage, zu begreifen“. Erfahrbar war das Thema für Kinder dennoch: über das Essen, über die Möglichkeit, in den Urlaub zu fahren, über Mitbringsel am Anfang des Monats. Der Rhythmus der Lohnzahlungen schlägt sich im Leben der Familie nieder, bestimmte Handlungen, z. B. die Gerichte, die auf den Tisch kommen, erhalten durch die monetäre Lage ihre Bedeutung. Dabei geht sie auf den ersten Blick wenig auf das eigentliche „Reden über Geld“ ein; in ihrer Erzählung finden sich stattdessen Ereignisse aus dem Familienleben. Diese Ereignisse sind jedoch als Explikation ihrer Aussage „Haben sie versucht, es mit Metaphern oder so zu erklären“ angelegt. Die Ereignisse und Schilderungen des Familienlebens sind Rückversetzungen in die kindliche Erfahrung monetärer Lagen; damit schildert sie in anschaulicher Weise nicht nur die monetäre Lage ihrer Familie, sondern auch ihr kindliches Wissen über monetäre Zusammenhänge. Indem die Erzählerin mehrfach betont, dass die Eltern die Kinder in die Praktiken des Budgetierens einbezogen haben, rückt sie Geldhandeln in die Nähe zu Themen, die Kompetenz verlangen. Mit ihrem Begriff von den „kleinen Erwachsenen“ verbindet man schließlich eine gewisse Reife. Der eingangs konstatierte pädagogische Rahmen wird konkretisiert in einen Lern-Rahmen, denn sie beschreibt aus kindlicher Sicht, wie mit den unterschiedlichen Wissensständen umgegangen wurde. Das Verhalten der Eltern wird dargestellt als Bemühen um Verständnis und nicht als das unerklärte Setzen von Grenzen, wie es im Folgenden von Jenny M. geschildert wird. Bei ihr findet sich das Gegenteil des „offenen Redens“, auf das Susanne M. Wert gelegt hat:
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Textbeispiel Jenny M., „Aus Gelddingen rausgehalten“ „Bei uns in der Familie/ das hat mich als Kind, als Kind hat mich das sehr geägert, dass bei solchen Gesprächen mein Vater dann sagte, dass uns das nichts angeht. […] Wurde richtig so gesagt, hat mich sehr betroffen. Obwohl er sonst, glaube ich also eigentlich relativ offen war und in der Familie viel gesprochen hat, aber bei diesen Dingen, da hat er uns weg gehalten. Ich habe nur mal irgendwann mitgekriegt, als wir unser Haus gebaut haben, dass wir da sehr wenig Geld gehabt haben müssen. Weil meine Mutter uns da irgendwie mal verboten hat, im Konsum da wollten wir eine Marmelade kaufen, da hat sie gesagt, wir haben schon Erdbeer da und zwei Sorten können wir uns momentan nicht leisten. Das ist so die eine Sache, die mir mal in Erinnerung geblieben ist. Und ansonsten wurden wir aus Gelddingen raus gehalten.“ (P7: 127)
Auch hier wird – nachdem eine Erklärung der monetären Zusammenhänge durch den Vater verweigert wurde – die Lage schließlich durch konkrete Auswirkungen erfahren. Anders als Susanne M. erfährt Jenny M. die Ereignisse und Praktiken nicht in ihrer Entsprechung zu den Erklärungen der Eltern, vielmehr muss sie sich selbst einen Reim auf bestimmte Ereignisse wie das Kaufverbot der Mutter machen. Die Betonung des „offen seins“ und das hier geschilderte Gegenteil, das „weg halten“, evozieren, dass der Umgang mit Geld in dieser Familie eine geschlossene Veranstaltung war, denn dort, wo keine Geheimnisse sind, ist es auch nicht sinnvoll, offen zu sein. Und so rückt das Kompetenzfeld Geld in diesem pädagogischen Ansatz in die Nähe solcher Phänomene, die den Erwachsenen vorbehalten sind und die in der Kindheit noch kein Thema sind: Man muss alt genug sein, um damit umgehen zu können, um es einordnen zu können. Es wird deutlich, dass der Umgang mit Geld biografisch gesehen die Form einer Entwicklungsgeschichte hat. Die Ausbildung dieser Fähigkeit geschieht entweder durch das frühe, bewusste, von den Eltern gesteuerte Lernen, wie es von Susanne M. geschildert wurde, durch „abgucken“ und „vorleben“, wie es Marianne H. beschreibt oder allein durch den entwicklungsmäßigen Übergang in den Erwachsenenstatus, wie die Erzählung von Jenny M. nahelegt. Auch Ute S. führte ihre ausgeprägten Kontrollpraktiken beim Umgang mit Geld – sie rechnet alle Kassenzettel nach, vergleicht Rechnungen, hakt Kontoauszüge ab – zurück auf ihr Elternhaus, indem sie solche Praktiken beobachten konnte. Ute S. stellte einen Bezug zu ihrer monetären Identität dabei nicht nur rückblickend her, sie schlägt auch einen Bogen zu ihren Kindern, denen sie in ähnlicher Weise wie ihre Eltern Vorbild sein will. Ein anderes Beispiel von Praktiken familiären Budgetierens als Aspekt monetärer Identitätsausbildung zeigen diese Erinnerungen: Textbeispiel Walter H., „Aktenmappen“ „… weil ich von unseren Eltern kenne, eben die ganze Frage Planung, fand dort so statt zu Zeiten, als es noch kein Online-Banking gab und keine EC-Karte oder ähnliches verfügbar war • dass da am Gehaltstag Bargeld geholt wurde von der Bank so für die nächsten vier Wochen oder den nächsten Monat und dann gab es halt so Aktenmappen oder so was in der Art und da wurde eben genauso für zweckgebunden/ so die festen Ausgaben das was alles bar gezahlt werden musste, was nicht überwiesen wurde, dann genau eingeteilt. Das ist für den, das ist für den und wenn also ein Pack al-
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le war, dann war alle, dann muss man gucken, dass man zum nächsten Monat kommt. Und das funktionierte so recht gut. Deshalb meine ich ja eben das Lernen schon, schon, schon als Kind. Also einmal Schule natürlich ist, ist da ganz wichtig, aber sicher auch Elternhaus. Und ich denke, das ist einer der Probleme, wo es am meisten mangelt heutzutage.“ (P17: 108)
Walter H. erinnert sich hier an bestimmte Praktiken des Geldmanagements in seinem Elternhaus. Auch er rahmt die Situation als Lernen. Der Umgang mit Geld wird hier von den Eltern nicht nur in seinen moralischen Dimensionen („sparen“, „nicht geizig sein“) an die Kinder vermittelt, sondern auch ganz konkret in seiner praktischen Ausführung; ähnlich wie Ute S. ihren Söhnen ja auch beizubringen versucht, „dass man eben nicht nur fliegende Zettel haben kann“ (P2: 149). Diesen familiären Bedeutungsrahmen vergrößert er am Schluss der Sequenz, in dem er sich hier auf einen gesellschaftlichen Kontext bezieht und damit die Wichtigkeit von pädagogischer Vermittlung monetärer Grundsätze verdeutlicht. Eine Praktik, die im biografischen Zusammenhang oft genannt wird, ist das Taschengeld. Wie prägend das Gefühl des ersten eigenen Geldes ist, zeigen auch Beispiele anderer „erster Male“ wie z. B. das erste Gehalt oder das erste „Westgeld“. Diesen Erzählungen liegt ein positiver Tenor zugrunde, welcher aus einem Gefühl der Deutungshoheit resultiert; man allein kann bestimmen, was mit diesem Geld geschieht. Obwohl auch hier oft Restriktionen genannt werden, wird in all diesen Passagen eine Erfahrung von Selbständigkeit reflektiert: „… wo man dann so eine Möglichkeit hatte, ab einem bestimmten Zeitraum hochzurechnen, wie viel man in der Zukunft an Geld einnehmen wird, um dann zu sagen, was kann ich mir davon kaufen, was ich gerne haben würde“ erinnert sich Friedrich A. an sein Taschengeld (P25: 54). Laut Schütz sind es diese biografischen Erfahrungen, die immer präsent im Wissensvorrat sind, die Weil-Zusammenhänge und damit die Präferenzstruktur unseres Handelns konstituieren. In den familiären Episoden, die durch das Thema „Erziehung“ oder „Lernen“ gerahmt waren, zeigt sich der polythetische Aufbau des monetären Wissens. Monetäre Sinnzusammenhänge werden konstituiert, indem mehrere (Einzel-)Erfahrungen durch Synthesen zu einer monothetischen Einheit zusammengefügt werden. Der Gesamtzusammenhang der Erfahrung (z. B. „sparsam sein“) bildet dann den Inbegriff aller subjektiven Sinnzusammenhänge und der spezifische Sinn einer Erfahrung ergibt sich aus der Einordnung derselben in diesen Gesamtzusammenhang. Hieran zeigt sich, wie im Modus der Reflektion bestimmte Erfahrungen und Praktiken sinnhaft werden. Biografische Episoden dienen so zur Veranschaulichung abstrakter Prinzipien des monetären Handelns wie z. B. dem Sparen oder der Kontrolle, mit denen die Befragten ihr Handeln perspektivieren und eine diachrone Kontinuität herstellen.
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3.3.1.3
Rat holen in Ost und West
Textbeispiel Christian S., „Schwager“ „Also man hat ja für jedes Gebiet, wo man Informationen braucht, so seine Leute, im Technikbereich, im Geldbereich. Im Finanzbereich ist das mein Schwager, dem man also auch die simpelsten Fragen stellen kann, ohne sich blöde vorzukommen. Also für Erstinformationen bei Geld ist es er.“ (P5: 158)
Hier wird ein familiärer Rahmen als Umgebung der Vertrautheit und Intimität genutzt, um in Gelddingen um Rat zu fragen. Da, wo die Geldanlage den Bereich des Routinemäßigen verlässt, ist sie ein unsicheres Gebiet, welches durch die Differenz Wissen – Nichtwissen gekennzeichnet ist. Christian S. kennzeichnet sein Nichtwissen, indem er seine Fragen als „simpel“ bezeichnet und die Möglichkeit thematisiert, sich wegen ihnen „blöde vorzukommen“. Deswegen äußert er sie nur da, wo dieses aufgrund der besonderen Vertrautheit nicht geschehen kann: im weiteren Familienkreis; bei einem Familienmitglied, das er aufgrund seines Berufs und seiner Interessen als kompetent identifiziert hat. Das Wissen über Geld, welches der Schwager besitzt, wird anhand dem Befragten zugänglicher Merkmale identifiziert: Er illustriert das Interesse für Finanzen weiter mit der Tatsache, dass der Schwager den Abend „vor dem Fernseher oder vor dem Rechner [verbringt, P.K.] oder wo man da halt sitzt“… Gleichzeitig ordnet Christian S., indem er zu Beginn der Passage ein generalisierendes Statement macht („man hat ja für jedes Gebiet…“), diese Ratsuche als üblichen Vorgang ein, um mit den unterschiedlichen Bereichen des Alltagslebens zurecht zu kommen. Damit und auch mit der Beschreibung des Aufwandes, den der Schwager betreibt, um an sein Wissen zu gelangen (und den Christian S. eben nicht betreibt), rechtfertigt und plausibilisiert er sein eigenes Nichtwissen. Bemerkenswert ist weiterhin, dass Christian S. den Bereich des Monetären als komplexes Thema, welches eine geplante Sammlung von Informationen notwendig macht, ansieht; er charakterisiert die Beratung mit seinem Schwager als „Erstinformation“ und führt dann folgerichtig weiter aus: Textbeispiel Christian S., „Zweitinformationen“ „Für Zweitinformationen sozusagen gehe ich in den Kollegenkreis und frage gezielt nach, mit den Informationen, die ich dann schon habe, um das zu untersetzen.“
Er beschreibt diese zweite Stufe als Vertiefung und Beleg des bisherigen Wissens. Mit dieser Strategie, sich das fehlende monetäre Wissen anzueignen, stellt er einen Kontrast her zu der häufigen Verwendung des Wortes „Gefühl“, welches ihn bei seinen Geldentscheidungen leitet. Vor dem Hintergrund der Fallbeschreibung, in der seine Ambivalenz hinsichtlich der Beschäftigung mit Geld herausgearbeitet worden war, kann diese Informationsstrategie als Versuch gelten, in Antizipation gesellschaftlicher Normen richtig zu handeln. Monetäres Wissen und die angemes-
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sene Behandlung monetärer Fragen sind für Christian S. (und für einen Großteil der Befragten) Gegenstandsbereiche, die mit verschiedenen Unwägbarkeiten verbunden ist und für die verbindliche Lösungsstrategien nicht zur Verfügung stehen. Aus dieser Perspektive heraus verwundert es nicht, dass in den Interviews relativ viele Verweise auf Gespräche zwischen Bekannten und Freunden stattfanden. Zum einen gibt es ein bewusstes Ansprechen von monetären Themen als „Rat holen“, zum anderen entwickeln sich diese Themen innerhalb von Gesprächen. Marianne H., die 68jährige Ingenieurin im Ruhestand, legt die Ordnung ihrer finanziellen Verhältnisse („alles in einer Schublade“) anhand einer Anekdote dar, in der sie von einer Familienfeier erzählt: Ihr betagter Vater hält zu seinem 85zigsten Geburtstag eine Rede, in der schildert, dass er aufgrund seines Alters keine Unfall- und Krankenversicherung für das Ausland mehr bekommt; er sei „vogelfrei“. Marianne H. schildert, dass es bei diesem Familientreffen zu einer Diskussion über die Vertragsbedingungen von Versicherungen kam. Ähnliche Episoden werden auch von anderen Beforschten erzählt. Das Reden über Geld erscheint darin natürlich und läuft ohne Irritationen ab, gleichsam in den Fluss der üblichen Alltagsgespräche eingebettet. Treffen mit Freunden und familiäre Zusammenkünfte und Feste sind hier Gelegenheit, um über die jeweiligen Lebenslagen und Probleme, die eben auch monetärer Art sein können, zu sprechen. Wird dagegen explizit danach gefragt, ob man mit anderen Leuten über Geld spricht, ist zu beobachten, dass dieses Sprechen extra gerahmt wird. Die Befragten verwenden, indem sie sorgfältig Beispiele auswählen, wieder verwerfen und neu beginnen oder innerhalb der Beispiele differenzieren, Zeichen des Verstehens oder der Zustimmung durch den Interviewer suchen, einige Anstrengungen darauf, ihr Sprechen über Geld darzustellen. Es ist ihnen wichtig, ihre Sichtweise darauf in ihrem Sinne dem Interviewenden zu vermitteln. Das Reden über Geld ist somit kommunikatives Handeln, welches problematisch werden kann, wenn es bestimmte Regeln bzw. Rahmungen verletzt. So konnten in den Erzählungen Hinweise dafür gefunden werden, dass sich Menschen kontinuierlich auch in Fragen des Budgets und der Geldverwendung miteinander vergleichen (zur Theorie des sozialen Vergleichs siehe Festinger 1954). Dieses Vergleichen kann jedoch eher als Beobachten charakterisiert werden, der direkte Vergleich und damit eine direkte Thematisierung der monetären Identität des Gesprächspartners kommen kaum vor, wie es die Beispiele in der Fallbeschreibung von Ute S. verdeutlichen. Sie vergleicht die monetäre Lage von Bekannten mit ihrer und bezieht sich dabei auf eine Familienthematik, wenn sie feststellt, dass sie sich bestimmte Dinge nicht leisten kann, dafür „ja aber die Kinder hat“ (P2: 184). In ihrer Erzählung verdeutlicht sie, dass man „so was nicht direkt anspricht“, dass es sich „nebenbei ergibt“, dass „man eben so schaut“. Deutlicher wird das Prekäre, welches mit der direkten Ansprache monetärer Dinge verbunden ist, in folgender Passage:
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Textbeispiel Christa S., „Bei uns ein Tabu“ „Ja, das [Reden über Geld, P. K.] ist bei uns irgendwo ein Tabu, nicht. Also wir haben auch in USA eben gelebt, da sind die stolz drauf, wenn sie viel verdienen, nicht. Aber hier bei uns, man spricht ja nicht drüber. Ich mein, ich muss gestehen, ich würde selber auch nicht gerne jetzt meinen Freunden gegenüber genau erzählen, was, wie meine / Aber ich meine, ich bin zufrieden, also eine ordentliche Mittellage zu haben. Und das geht man ja auch dann bei den Freunden mehr oder weniger, merkt man das. Neulich hat mich eine Freundin angeredet, warum ich so geizig wär? Und ich war, also im ersten Moment, war ich total geschockt • Ja, wir machen uns nichts aus teuren Hotels. Das ist/ der eine hat’s gern, der andere/ mir ist das wurscht, ich bin eher unterwegs. Gut. Und da, also insofern redet man manchmal schon darüber, und dann hab ich ihr ganz klar gesagt: warum? Ist wieder das gleiche, ich möchte das Geld für wesentliche Dinge haben. Also wir neigen dazu sparsam zu leben im Alltag, aber geben dann zum Beispiel für so ein Bild sehr viel Geld aus, nicht. Also das ist einfach, der eine gibt sein Geld so für einen ja genussreichen Alltag aus, und der andere ist im Alltag eher spartanisch, oder/ na spartanisch würd’ ich uns nicht nennen, aber sparsam und haut dann eben manchmal auf einen Schlag das, also nimmt das zusammen. Also insofern manchmal redet man da auch mit Freunden drüber, nicht. Also wobei es mir zweimal passiert ist, dass mich jemand drauf ange/ vielleicht bin ich so konsequent im Sparen, ich weiß es nicht. Mir persönlich kommt’s natürlich nicht so vor. Ich finde es in Lokalen dann oft überflüssig, zehn Schnäpse zu trinken, wo jeder Schnaps so und soviel kostet, abgesehen davon, dass ich also kein Schnapstrinker bin. Aber es gibt natürlich Freunde die, was ich auch verstehen kann, die wollen gerne richtig feiern und wenn dann jemand so zurückhaltend ist und nicht richtig mitmacht, ist auch fad, das versteh ich irgendwo, nicht, also, na ja.“ (P15: 076)
Die Befragte reagiert „geschockt“, als eine Freundin sie direkt auf ihr Geldausgabeverhalten anspricht. Sie beginnt ihre Erzählung mit der Behandlung nationaler Unterschiede beim Reden über Geld. Von dieser eher allgemeinen Beschreibung allgemeiner Handlungsweisen („man“ spricht nicht darüber) erfolgt ein Themenwechsel, eingeleitet durch eine Eröffnungsformel („ich mein, ich muss gestehen“). Durch die Darstellung als inneren Zwang, etwas offenbaren zu müssen, wird die nächste Sequenz in die Nähe eines Geständnisses gerückt. Indem das im Folgenden geschilderte Verhalten auf diese Art und Weise als persönliche Erfahrung dargestellt ist, ist es auch kaum angreifbar. Sowohl die Art der Annäherung über allgemeine und damit nicht die eigene Person berührende Tatsachen als auch die persönliche Zuspitzung in Form eines Geständnisses lassen sich als zwei Vermeidungsstrategien kennzeichnen, wie sie in problematischen Gesprächssituationen typisch ist. Schließlich wird auch die genaue Bezeichnung von Sachverhalten vermieden: So lässt Christa C. unvollendet, was genau sie nicht ihren Freunden erklären würde. Erst aus dem nachfolgenden Satz wird klar, dass es ihre finanzielle Lage ist, die sie kurz, in Zugzwang geraten, für den Interviewer einschätzt. Dass aber eben dieses Deklarieren monetärer Lagen eigentlich nicht notwendig sein sollte, stellt sie im Folgenden klar: Man muss es nicht erklären, denn „man merkt es“. Und daraus erklärt sich auch ihr Schock als Reaktion auf die Tatsache, dass die Freundin nach dem Grund ihres Geizes fragte. Denn die Freundin hatte eben nicht „gemerkt“, wie ihre Lage ist. So kann man ihr Geschocktsein nicht nur als eine Reaktion darauf verstehen, dass die Freundin sie mit so einer verwerflichen Eigenschaft wie Geiz in Ver-
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bindung bringt, sondern auch darauf, dass im Geldverhalten auch immer ein Wertesystem zum Ausdruck kommt, welches die Freundin eben nicht richtig eingeschätzt hat und damit auch ihre Person verkannt hat. Für den Interviewer, der sie nicht kennt, bricht sie diesen Grundsatz und erläutert ihr Spar- und Ausgabeverhalten, um weitere Missdeutungen zu vermeiden. In dieser Passage manifestiert sich deutlich die ambivalente Haltung gegenüber dem Reden über Geld, die in vielen Interviews zum Ausdruck kommt: Auf der einen Seite ist es eine unangenehme Sache, da man nicht als Angeber missverstanden werden möchte, zum anderen ist es aber notwendig, da man ebenso wenig als Verschwender oder Geizhals gelten möchte. Die zahlreichen Deutungsmöglichkeiten der Verwendung von Geld ergeben viele Gesprächsanlässe, wie sich am empirischen Material zeigt. Dabei mündet die Ungewissheit des Gegenstandes vor allem in zwei sprachliche Strategien, die nur scheinbar widersprüchlich sind: der Personalisierung und der Versachlichung. Die Sequenzen sind, wie am Beispiel von Christa C. gezeigt, als persönliche Erfahrungen dargestellt, die dadurch wenig angreifbar sind. Lüders spricht hier – unter Verweis auf Goffman – von einer Strategie der Imagewahrung: Indem monetäre Frage unter Rückgriff auf die eigene Person gelöst werden, kann man sie als eine Offenbarung betrachten, persönlich „nicht anders gekonnt zu haben“ (vgl. Lüders 1994: 121). Wer sich derart entblößt, appelliert an die Bereitschaft seines Gegenübers, in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen, um das eigene Gesicht wahren zu können (vgl. Goffman 1978). Mit dem zahlreichen Gebrauch versachlichender sprachlicher Mittel, wie sie im Gebrauch der dritten Person deutlich wird („man fragt da nicht direkt nach“, „man merkt, dass“) ordnet man sich andererseits wiederum einer Allgemeinheit zu, stellt seine Handlungen somit in einen gesellschaftlich akzeptierten Kontext und entzieht sich – ähnlich wie bei der Personalisierung – ebenfalls einer Infragestellung. Die Interviews lassen darüber hinaus kulturelle Unterschiede bei der Rahmung der eingangs angesprochenen Beratungs-Episoden erkennen. Während Ostdeutsche wenig befangen über solche Episoden berichten und sie einreihen in die zahlreichen Strategien, mit dem Alltagsleben zurecht zu kommen (siehe Christian S.), ist bei den interviewten Westdeutschen ein direktes Ansprechen von monetären Praktiken in Freundes- und Kollegenkreisen ein Tabu. Man bespricht sich mit ausgewiesenen Experten; dem Steuerberater, einem Bankberater etc. Das Thema wird zu einem Fachthema, welches im privaten Kontext nichts verloren hat. Erzählungen, in denen Ostdeutsche über ein direktes Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen Behandlungsweisen sprechen, machen deutlich, dass sie sich dieser Unterschiede in der Behandlung des Themas, die aus der Herkunft resultieren, bewusst sind.
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Textbeispiel Maike W., „Ost und West“ „Ja ich sag mal, ich selber gehe mit meinem Kind auch darüber offen um, meine Mutter hat’s mir auch so gelehrt. •• Ja kommt drauf an, meine Mutter hat nämlich grade einen Freund, der kommt jetzt aus dem Westteil und wir sind ja halt eben aus dem Ostteil. Ja es ist die Beziehung vielleicht dazu doch anders. Er hatte sich ein Haus jetzt gebaut gehabt, ist aber arbeitslos geworden, sag ich jetzt mal. Und die Kinder die sind der Meinung der Vater, der hat immer noch Geld. Also es sind auch immer noch/ ja es sind vielleicht doch ein paar andere Punkte in Sachen Ost und West, weiß ich nicht.“ (P24: 054)
Diese Unterschiede beziehen sich auf den Grad an Öffentlichkeit. So reklamieren Ostdeutsche für sich, freier über dieses Thema zu sprechen. In dem zitierten Beispiel geht es darum, Schulden einzugestehen, etwas, was aufgrund der moralischen Bedeutung von Schulden einen Gesichtsverlust darstellen könnte. Mit Hilfe der indexalen Kontrastpaare „wir“/„die“ und „Ostteil“/„Westteil“ wird der Vergleich zwischen den beiden Umgangsformen aufgebaut. Blöcher charakterisiert solche Verweise auf die jeweils andere Identität als ein Mittel, die eigene Identität zu sichern. Sie werden vor allem in Übergangsphasen eingesetzt, in denen die neuen Werte und Überzeugungen nicht einfach die alten substituieren und damit delegitimieren, sondern zunächst erst einmal mit ihnen in Kontrast gesetzt werden und damit eine Leitlinie des Handelns bilden (vgl. Blöcher 1999). Marianne H., die in der folgenden Passage ihre Erfahrung schildert, dass die Suche nach Ratschlägen in Bezug auf die Geldanlage gescheitert ist, bleibt jedoch nicht bei der impliziten Kategorisierung, sondern zieht die entsprechenden Schlüsse: Textbeispiel Marianne H., „Telekomaktie“ „Also der Freund, der damals die Telekomaktie hatte, der rückte dann mit seinen Informationen nicht so richtig raus und da haben wir denn gesagt, ach da fragen wir auch nicht mehr. Dann hat mein Mann ja einen erfahrenen Westberliner Bruder, der ist also sechzig oder so was rüber gegangen und da haben wir Anfang, na ja gleich nachdem wir uns kennen gelernt hatten, Anfang der neunziger Jahre mal versucht, das Thema anzusprechen. Wo legt man denn an und wie macht man es dann. Aber die rücken einfach mit ihren Informationen nicht raus. Und da haben wir dann auch gesagt, lassen wir es. Und die Frankfurter Freunde, die darüber reden würden, die sind zu weit weg. Da ist das nur per Telefon, und dafür ist es kein Thema. Und da sieht man sich zu selten um, um über solche Themen zu sprechen.“ (P8: 168)
Zunächst berichtet sie über ihre zwei Versuche, in denen sie etwas über das für sie neue Thema Geldanlage „herausbekommen“ wollte. Als das erste Mal unbefriedigend verlief, nahm man einen zweiten Anlauf bei dem Bruder, doch auch dieser Versuch hat nicht geklappt. Hier ist nun die soziale Kategorisierung sehr deutlich: Der „Westberliner Bruder“ verwandelt sich in ihrem Fazit der Situation in den Plural, der stellvertretend für „die Westdeutschen“ steht: „Die rücken einfach mit ihren Informationen nicht raus“. Dabei wirkt die Wiederholung fast genau desselben Ausdrucks im Fazit sowohl der ersten als auch der zweiten Episode als Verstärkung,
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als sprachliches Mittel beim Aufbau des generalisierenden Bildes vom Verhalten der „Westdeutschen“. Während der Freund über seine Eigenschaft als Aktienbesitzer als wissend charakterisiert wurde, wird dem Westberliner Bruder das Adjektiv „erfahren“ zugeordnet. Marianne H. macht also deutlich, dass mit der Wiedervereinigung und damit der Erfahrung von Fremdheit innerhalb neuer Systemgrenzen die Notwendigkeit bestand, sich die neuen Wissensbestände, zu denen sie die Geldanlage rechnet, anzueignen. Bei diesem Versuch hat sie die Erfahrung gemacht, dass die neuen Wissensbestände auch über einen anderen Zugang funktionierten. An der letzten Sequenz wird deutlich, dass Marianne H. daraus eine Konsequenz gezogen hat: Sie teilt ein in Leute, mit denen man darüber sprechen kann und in Leute, für die es kein Thema ist. Und hier stellt sich wieder eine Spezifik von Geldgesprächen dar, die auch schon in anderen Sequenzen zum Ausdruck kam: Für das Telefon „ist es kein Thema“, man muss schon von Angesicht zu Angesicht miteinander reden, um darauf zu sprechen zu kommen. Das kann sowohl bedeuten, dass nur Face-to-Face-Gespräche die Beiläufigkeit ermöglichen, die manche Geldthemen benötigen, als auch, dass unvermittelte Gespräche Beziehungen kennzeichnen, in denen man sich nah genug steht, auch heikle Themen zu besprechen. Nur in unvermittelten Situationen stehen uneingeschränkte Mittel der Expression zur Verfügung, um – die beim Thema Geld zum einen wahrscheinlichen und zum anderen sehr unangenehmen Rahmenirrtümer – zu vermeiden bzw. schnell ausräumen zu können. Geld hat also als Gesprächsthema seinen spezifischen Platz in der Hierarchie der Themen der Lebenswelt. In den ostdeutschen Gesprächspraxen sind Gespräche zwischen Bekannten und Kollegen über Geld als Ratsuche bzw. Rat geben gerahmt, als gegenseitiges Informieren über bewährte Strategien, mit dem Alltag fertig zu werden. In einem Gespräch mit einem Schuldnerberater wurde die kulturspezifische Rahmung von monetären Episoden deutlich. Der (westdeutsche) Mann berichtete von einem Marktgang mit einer (ostdeutschen) Kollegin, welche die Verkäuferin fragte, ob die angebotene Ware denn von guter Qualität sei. Er zog die Zweckmäßigkeit dieser Befragung in Zweifel, da die Verkäuferin doch das Ziel hätte zu verkaufen und deswegen sicher nicht wahrheitsgemäß über die Güte der Waren Auskunft geben würde. Die Kollegin musste zugeben, dass dies stimmt, berichtete aber über die Herkunft dieser Praxis: In der DDR waren die Verkaufsstellen verpflichtet, mangelhafte Ware zurückzunehmen und für die Reparatur aufzukommen (Ersatz war oft schwierig, da es viele Waren nur innerhalb einer begrenzten Zeitspanne gab). Da diese Reparaturen oft mühselig zu organisieren waren und gleichzeitig kein Verkaufsdruck für die Verkäufer vorhanden war, gaben sie interessierten Kunden bei Waren geringerer Qualität lieber ehrliche Auskunft über die Beschaffenheit, als sich hinterher mit der Reparatur zu beschäftigen. Zudem waren Verkäufer mit ihren Kunden oft in einem Beziehungsnetz verbunden, welches über das aktuelle Geschäft hinausging; die Auf-
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rechterhaltung dieses Beziehungsnetzes durch ehrliche Auskünfte zählte mehr als das Handeln im Sinne des Arbeitgebers. In ihrer Analyse von Geld und Moral in ostdeutschen Familientischgesprächen nach der Wende bezeichnen auch Bergmann und Blöcher „das ‚selbstlose’ Weitergeben von Tipps“ als eine „etablierte Kulturtechnik der DDR“ (vgl. Bergmann/Blöcher 1998: 129). Diese Praxis ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn man wieder etwas zurückbekommt; das „Tippgeben“ also eine beidseitig etablierte Praxis ist. Geschieht dieses nicht, oder kommt es, wie in der von Marianne geschilderten Episode, gar nicht erst zum „Tippgeben“, ist dieses Anlass für eine Änderung der Einschätzung der Situation und eine Modifizierung des Bildes vom Gesprächspartner. Solche Rahmenänderungen kann man auch in der Episode konstatieren, in der Christian S. von seinen Erfahrungen mit dem Bankberater berichtet. Wie bereits beschrieben, schreibt er der Bank die Kompetenz in Gelddingen zu, die er sich selbst abspricht. Er erwartet dort Hilfe, „eine persönliche Beratung, wo mir am Schluss ein Produkt verkauft wird, was meinen Vorstellungen entspricht“ (123), ein von anderen Interessen befreites Einlassen auf ihn. Er muss jedoch konstatieren, dass die eigentlich gewünschte „Information über Riester“ zu einer „Verkaufsveranstaltung“ geworden ist: Textbeispiel Christian S., „Bankberater“ "… für ihn (den Bankberater) war es bestimmt auch ärgerlich, naja, wohl in erster Linie für mich weil es so eine Verkaufsveranstaltung war, obwohl ich gleich am Anfang gesagt habe dass es ich ein richtiges Beratungsgespräch möchte“ (P5: 131).
Er zeigt hier in der Gegenüberstellung der beiden Perspektiven (des Bankberaters und seiner) nicht nur, dass er die Situation ursprünglich anders gerahmt hat, sondern auch, dass aufgrund der jeweiligen Rollen, über die er sich erst nachträglich klar geworden ist, der Interessenskonflikt nicht lösbar ist. Der Rahmenirrtum durch Christian S. gibt, ganz im Sinne Goffmans, Aufschluss über die Fragilität sozialer Wirklichkeit. Es kann als Beleg dafür gewertet werden, dass die Welt für das Individuum eine kognitive Organisation aufweist, die nach gescheiterten Interaktionssituationen zur Korrektur von Irrtümern führen muss. 3.3.1.4
Fazit
In den Interviews wird deutlich, dass der direkte Austausch mit anderen eine große Rolle für die Bestimmung der eigenen monetären Identität spielt. In den Wissensund Kommunikationsstrukturen der kleinen Lebenswelten finden Positionsbestimmungen statt, wie es am Beispiel „Bei uns ein Tabu“, in den Gesprächen zwischen Eltern und Kindern und in den beiläufigen Gesprächen im Freundeskreis
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gezeigt wurde. Der Austausch über Monetäres, sei es nun über Einkaufsgewohnheiten, Preise oder Geldanlagen dient hier der wechselseitigen Externalisierung und Internalisierung der in den kleinen Lebenswelten vorkommenden und oft auf sie begrenzten Weltdeutungsschemata. Denn es ist wesentlich für solche Kollektive, dass sie gemeinsame Interaktions- und Kommunikationsstrukturen aufweisen und eigene Wissens- und Relevanzsysteme ausbilden (vgl. Shibutani 1955). Familiäre Rahmen stellen dabei die ersten Rahmen und damit die primäre Sozialisation dar, innerhalb derer ein Mensch durch Aneignung monetärer Normen und Prinzipien zum Mitglied der Gesellschaft wird (vgl. Berger/Luckmann 2007: 141). Mit den vorgefunden Erziehungs- und Lernrahmen wird dieser Sozialisationsprozess am empirischen Material deutlich. Erziehungsrahmen können dabei zusammenfassend als von den Erwachsenen gestaltete Aneignungsprozesse begriffen werden. In der Durchsetzung ihres Wissens und ihrer Ansichten über Monetäres nahmen die Eltern dabei immer auf ihre eigene Biografie und ihre Erziehung Bezug: zum einen als Legitimation der Richtigkeit dieser Prinzipien (dies taten vor allem die Älteren, die mit dem Vollzug ihres Lebens implizit auf den Erfolg ihrer Geldprinzipien verweisen konnten), zum anderen aber auch in reflektierender Art und Weise, um damit die Richtigkeit dieses Wissens noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Monetäres Wissen ist ein sehr fragiles Wissen, wie die Erzählstrategien darüber verdeutlichen. So wird nicht nur einfach über kommunikative Episoden berichtet, diese Erzählungen innerhalb der Interviewsituation erscheinen vielmehr als aktuelle Positionsbestimmungen. Die Fragilität von kommunikativen Situationen über Monetäres zeigte sich auch bei der Ansprache monetärer Sachverhalte im Freundeskreis, die innerhalb eines Rahmens einer sozialen Positionierung stattfanden. Mit diesem kontinuierlichen Vergleichen wurden das eigene Vorgehen und die eigenen Prinzipien innerhalb des gesellschaftlich Akzeptablen verortet. Es wurde nicht nur versucht, verschiedene Elemente des eigenen Wissens miteinander zu harmonisieren (wie es Festinger 1957 in seiner Theorie der kognitiven Dissonanz beschreibt), darüber hinaus wurden die eigenen Vorstellungen mit denen der anderen abgeglichen – ohne dabei innerhalb dieser Episoden selbst angreifbar zu werden. Gerade bei sozialen Vergleichen bleiben konkrete Geldpraxen (Summen, Vorgehensweisen, Zuweisungen durch Adjektivierungen) ungenannt, geschieht es doch einmal, kann dies zu prekären Situationen führen. Robuster geht es innerhalb einer Familie zu; hier werden anhand konkreter Summen und konkreter Konsumwünsche Geldpraxen verhandelt. Es kann dabei um das Durchsetzen des „richtigen“ Handelns gehen, um die gegenseitige Disziplinierung der Familienmitglieder, die mit einer ständige Vergewisserung der eigenen Lage einhergeht, um die Etablierung von Rollen bestimmter Familienmitglieder, aber auch um Beratungen und konkrete Handlungsempfehlungen.
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
Verweise auf die eigene Biografie, das eigene Lernen von monetären Prinzipien können dabei als Mittel dienen, um die Fragilität monetären Wissens zu stabilisieren. Indem das eigene Handeln mit diesen Verweisen in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, in dessen Rahmen sich bestimmte Prinzipien bewährt haben und bereits andere (die eigenen Eltern) erfolgreich waren, weist man ihm eine Kontinuität zu und kommt damit einem gewissen Legitimationszwang nach, der Erklärungen über eigene monetäre Praxen immer anzuhaften scheint. So werden beispielsweise bestimmte Ausgaben in einen Zusammenhang mit persönlichen Wertvorstellungen gestellt (etwas zum Anziehen unterstreicht die Persönlichkeit und ist deshalb wichtig oder: etwas zum Anziehen ist oberflächlich und folgt dem Markenwahn; deshalb gibt man sein Geld lieber für Bücher aus). Menschen begegnen sich in diesen Episoden interpersonaler Kommunikation als Individuen, als einzigartige Personen – und als Rollenträger. Je nach Beziehung werden unterschiedliche Ebenen der Bezugnahme deutlich: Menschen nehmen als Eltern und Kinder, als gemeinsam wirtschaftender Familienverbund, als Freundeskreis, als familiäre Wertegemeinschaft aufeinander Bezug. Diesen Rahmen entsprechen die Regelbereiche, auf die sie dabei jeweils Bezug nehmen: So sind innerhalb der Geldkommunikation von Ehepartnern Dinge erlaubt, die im Freundeskreis Tabu sind. An der unterschiedlichen Einordnung von monetären Ratschlägen zeigt sich dabei die Kulturspezifik dieser Regelsysteme: Während konkrete Geldpraxen aus westdeutschen Freundesbeziehungen eher herausgehalten wurden, waren sie in ostdeutschen ein regelrecht stabilisierendes Moment, um sich in einer Bezugnahme auf unsichere Konstellationen einer gemeinsamen Handlungswirklichkeit zu versichern. Gespräche zwischen Freunden und Bekannten über Geld
Familiengespräche
Erziehung
Unterhaltung
Lernen
Verhandlung
Ratsuche und Rat geben
Positionierung
Abbildung 5: Übersicht über die herausgearbeiteten Rahmen interpersonaler Kommunikation
Mit den vorgefundenen Rahmen von unvermittelter Kommunikation ist ein erster Hinweis darauf gegeben, dass die Kenntnis kommunikativer Muster Selbst- und Fremderwartungen innerhalb kommunikativer Episoden nicht nur für die Dauer der kommunikativen Vorgänge leitet (vgl. Luckmann 2002a: 164), sondern auch darüber hinaus unsere Ausprägung monetärer Identität innerhalb unserer Mitwelt bestimmt.
3.3 Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse
3.3.2
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Die Tageszeitung als Ressource
Im empirischen Material lassen sich viele Stellen finden, die auf die Bedeutung von Massenmedien für die Konstruktion monetären Wissens hindeuten. Speziell die Tageszeitung wird als Antwort auf die Frage genannt, wo man sich über Geld informiere. Die thematische Analyse gab Hinweise darauf, dass Medien als „Tippgeber“ benutzt werden (Ute S.). So werden auf Ratgeberseiten beschriebene Praktiken mit den eigenen abgeglichen, gesammelt und nach Hinweisen für die eigene Altersvorsorge durchforstet (Christian S.) oder dienen als Hintergrundwissen für die eigenen Börsengeschäfte (Christa C.). Friedrich A. und Helga S. stellten dagegen zunächst keinen expliziten Bezug her. In vielen Schilderungen über monetäre Praktiken oder Prinzipien lassen sich jedoch implizite Verweise auf Massenmedien finden. In der komparativen Analyse soll es nun darum gehen, ob es verallgemeinerbare Prinzipien gibt, die der Organisation der Nutzung von monetären Inhalten in der Tageszeitung zugrunde liegen. 3.3.2.1
Altersvorsorge als gesellschaftlicher Diskurs
Fast alle Interviewte thematisierten, befragt nach den Dingen, die sie im Rahmen des Monetären demnächst erledigen wollen, die Altersvorsorge. Textbeispiel Christian S., „Projekt Riesterrente“ „Ja, das nächste ist, mich mal reinzuknien in dieses Projekt Riesterente, da hab ich schon bei Kollegen rumgefragt, was es da für Möglichkeiten gibt und oder jemand so was abgeschlossen hat •• und, ja, ich müsste mich da jetzt mal kümmern. Habe ich aber nicht die Woche und blöderweise interessiert es mich auch nicht. (P5: 119)
Wie das Zitat von Christian S. zeigt, ist die Tatsache, das dieses Thema gerade für die 30- bis 40jährigen so prominent ist, weder aus der aktuellen Situiertheit der Akteure zu erklären („interessiert es mich auch nicht“), noch wurden in den biografischen Vermittlungen Ansprachen dieses Themas gefunden. Wie also kommt es, dass ein Großteil der Beforschten dieses Thema so in ihre Relevanzstrukturen eingegliedert hat, dass sie ihre Bemühungen um Sicherheit im Alter nicht nur als situationsbezogen sinnhaft, sondern auch aus ihrem situationsüberspannenden Lebensplan heraus motiviert begreifen? Mit Verweis auf die Erkenntnisse aus der Diskursforschung und die gesellschaftliche Konstruktion von Wissen lässt sich die These aufstellen, dass die scheinbare Selbstverständlichkeit des Wissens darum, dass die finanzielle Ausstattung im Alter ein Problem ist, Ergebnis einer öffentlichen Debatte ist, die in der politischen Domäne ihren Ausgangspunkt genommen hat. Oder in den Worten von Blumer: „Ein soziales Problem existiert vorrangig nur, insofern es
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
in der Gesellschaft definiert und wahrgenommen wird“ (Blumer 1971: 300). Gesellschaftliche Diskurse etablieren Deutungszusammenhänge, die Wirklichkeit in spezifischer Weise konstituieren. Damit bieten Diskurse Positionierungsvorschläge für ihre Publika – in diesem Falle den Zeitungsleser – an. Alltagswissen, Alltagsrepräsentationen oder bestimmte Praktiken werden durch Prozesse diskursiver Wissenserzeugung und Vermittlung mitgeformt (vgl. Keller 2005: 262). Der Diskurs über die Alterssicherung kann in Anlehnung an diskurstheoretische Arbeiten als politikspezifisches Arrangement von Bedeutungen verstanden werden, welches kommunikativ verhandelt wird (vgl. weiterführend die diskurstheoretisch fundierte Untersuchung von Marschallek 2003: 654). Die Politik ist in sozialkonstruktivistischer Perspektive eine kollektive Unternehmung der Wissensproduktion, in der das Sagbare bestimmt wird und sich schließlich eine Welt- und Wirklichkeitsordnung durchsetzt. So kann Marschallek am Beispiel der Rentendebatte deutlich machen, dass zu jedem Zeitpunkt der Diskussion um das jeweils gül53 tige Wissen gerungen wurde. Auch Gerhards und Neidhardt greifen auf öffentlichkeitssoziologische Ansätze zurück, wenn sie Öffentlichkeit als ein Kommunikationssystem begreifen, in dem die Erzeugung einer bestimmten Art von Wissen (der öffentlichen Meinung) stattfindet (vgl. Gerhards/Neidhardt 1991: 41f.). Darunter verstehen sie eine Meinung, die sich in der Arena der öffentlichen Meinungsbildung durchgesetzt hat und in der öffentlichen Kommunikation mit breiter Zustimmung rechnen kann. Anhand ihrer strukturellen Verankerung stellen sie drei verschieden weit gefasste Ebenen von Öffentlichkeit fest, unter denen die der Medienöffentlichkeit als dauerhaft bestimmende gesellschaftliche und politische Größe die Wesentliche ist (vgl. Gerhards/Neidhardt 1991: 49ff.). Zunächst einmal kann konstatiert werden, dass Altersvorsorge ein wichtiges, wenn nicht sogar das Thema ist, welches von den Befragten innerhalb des Handlungsfeldes Sparen in die Interviews eingebracht wurde. Dabei wurde die Frage der Alterssicherung zumeist als Problem des eigenen Handelns bzw. als Handlungsanforderung thematisiert und nicht als diskursives Problem. Es wurde kaum diskutiert, ob eine Altersvorsorge notwendig sei, dieses galt vielmehr als feststehende Tatsache. So stiegen – genau wie Christian S. – eine Reihe der Befragten in Erzählungen über Geldanlage ein, indem sie erklärten, sie müssen „jetzt mal was mit Riester 53
Auf eine genaue Rekonstruktion der Strukturen des Diskurses muss an dieser Stelle aus Kapazitätsgründen verzichtet werden. Hierzu wäre z. B. eine Medienanalyse mit den Mitteln der Diskursanalyse notwendig, anhand derer man genauen Aufschluss über das Wissen, Zusammenhänge, Eigenschaften, Subjektpositionen, die durch den Altersvorsorgediskurs als wirklich behauptet werden, gewinnen kann (vgl. zur Diskursanalyse Keller 2007). Festgehalten werden soll die Erkenntnis, dass Gegenstände in ihrer spezifischen Gestalt kommunikativ konstruiert werden und nicht per se vorhanden sind.
3.3 Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse
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machen“ oder konstatierten ähnlich wie Christa C.: „… weil ja die Alterssicherungen immer problematischer werden, nicht“ (P15: 057). Auch das folgende Beispiel zeigt eine individuelle Konkretisierung: Textbeispiel Jens H., „Im Alter gut leben“ „Also ich will ja nichts weiter mit meinem Geld als das ich zum Beispiel im Alter eben nicht •• oder ich will im Alter gut leben können. Wobei das nicht heißt, dass ich ein Supervermögen dann haben muss, aber ich möchte eben auch nicht mich extrem einschränken müssen.“ (P28: 053)
Dabei kann aus der verwendeten Figur der Zurücknahme („Ich will ja nichts weiter als …“) interpretiert werden, dass Jens H. im Thema Altersvorsorge eine im gesellschaftlichen Kontext an ihn gestellte Herausforderung sieht, die er relativieren möchte. Er tut dies, indem er angibt „gut leben zu wollen“, was für ihn heißt, eben kein „Supervermögen“ zu haben. Das kann als Widerstand gegenüber dem Anspruch geäußert werden, sich durch geschicktes Anlegen von Geld eine Rendite zu erwirtschaften. Diese Lesart erscheint legitim, äußert doch Jens H. an mehreren Stellen des Interviews, dass er mit „dem ganzen Geldzeug“ und Geldanlage „nichts am Hut“ habe. Lediglich ein Befragter nahm auf das gesellschaftliche Thema Altersvorsorge Bezug, indem er es als Diskurs thematisierte und ausdrücklich dazu Stellung bezog: Textbeispiel Christoph S., „Private Ansicht“ „Also ist eine private Ansicht jetzt dazu. Ich hab da überhaupt kein schlechtes Gefühl, weil ich glaube, dass ich, wenn ich mal irgendwann alt bin, entweder sterbe oder so viel Geld erbe von meinen Eltern, das es egal ist, ja. Also ich bin abgesichert wahrscheinlich im hohen Alter. Und ich finde auch unverschämt, dass was da in der Gesellschaft gemacht wird, das irgendwie alte Leute asozialisiert werden, weil, weil man sie hat ihr Leben lang Geld einzahlen lassen und auf einmal nicht mehr zahlen will. Das ist unglaublich und ich, jetzt auf einmal zu sagen, ich zahl noch ein, muss mich aber zusätzlich privat versichern, find ich genauso bescheuert. Und da ich es mir leisten kann, lass ich’s bleiben. Außer in dem Umfang, wie ich das mit meiner privaten Kasse, Versicherung sowieso wirklich verpflichtet bin, da eine private Altersvorsorge abzuschließen. Und alles andere interessiert mich nicht.“ (P12: 164)
„Also das ist jetzt eine private Ansicht dazu“ – mit dieser Einleitung zeigt Christoph S. an, das er hier eine andere Meinung vertreten wird, als die, von der er annimmt, dass sie die vorherrschende ist. Folgt man Perelman, ist eine Argumentation weniger als eine Darstellung subjektiver Ziele und Handlungsabsichten zu sehen, als vielmehr als eine rhetorische Strategie zu bezeichnen, dem Gesprächspartner seinen Standpunkt auseinander zu setzen. Ziel einer jeden Argumentation ist es, Zustimmung des Zuhörenden mit diskursiv-rhetorischen Mitteln zu erreichen (vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969). Sieht man das aus dieser interaktiven Perspektive, dann signalisiert der Sprecher mit der gewählten Einleitung, dass er an dieser Stelle Widerspruch erwartet – zu selbstverständlich ist die Tatsache geworden, eine Altersvorsorge zu machen. Er schließt an diese Rahmung mit einer Selbstverortung
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
an, er hat nämlich „kein schlechtes Gefühl“. Diese Formulierung, die finanzielle Dinge in Verbindung zu gefühlsmäßigen, emotionalen Dingen bringt, wird hier ähnlich wie die Formulierung „kein schlechtes Gewissen haben“ eingesetzt und lässt das Statement als Absage an soziale Verbindlichkeiten gelten. Darin zeigt sich die Deutungsmacht, die mediale Konstruktionen aufbauen. Sie suggerieren eine moralische Pflicht, der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen. So folgt dann auch, quasi als Einschub vor der Entfaltung der eigentlichen Argumente, die Selbstverortung (und Enthebung eventueller moralischer Schuld) als Nicht-Betroffener; „ich bin abgesichert … im hohen Alter“. Mit dieser Selbstverortung reagiert Christoph S. auf die gesellschaftlichen Erwartungen, denen er zuvor eine Absage erteilt hat. In dieser Position kann er nun – die moralische Integrität ist durch seine Versicherung, den anderen Gesellschaftsmitgliedern nicht zur Last zu fallen, hergestellt – die Pflicht zur Eigenvorsorge kritisieren. Dazu greift er auf soziale Kategorisierungen zurück: „alte Leute“, denen Unrecht durch hier nicht weiter konkretisierte Akteure widerfährt. Von diesem gesellschaftlichen Unrecht kommt er wieder zum individuellen Ausgangspunkt zurück: Quasi als Konsequenz dieses „unglaublichen“, also irrationalen Systems, betreibt er eben keine Altersvorsorge. Mit einem kategorischen „Und alles andere interessiert mich nicht“ beschließt er seine Argumentation und nimmt interaktionstheoretisch gesehen eine Absicherung gegen den Widerspruch des Gesprächspartners vor; das Thema ist für ihn abgehakt. 3.3.2.2
Die Rezeption monetär relevanter Inhalte im Rahmen einer routinemäßigen Mediennutzung
Neben dem allgemeinen Einfluss öffentlicher, medial ausgetragener Diskurse auf individuelle Vorstellungen über Geld finden sich in den Interviews zahlreiche Passagen, in denen die konkrete Beschäftigung mit medialen Inhalten thematisiert wird. Zwar vermitteln fast alle medialen Inhalte gesellschaftlich relevante Vorstellungen über Geld (z. B. Klatschnachrichten darüber, was in einer Gesellschaft als reich oder verschwenderisch gilt), doch werden Schilderungen von Rezeptionsepisoden an der Wirtschaftsberichterstattung festgemacht. Diejenigen, die angaben, sich dafür zu interessieren54, stellten im Zuge der Schilderung dieses Interesses immer einen Bezug zu ihrer Lebenswelt her.
54 Nur 11 von 30 Befragten gaben an, sich grundsätzlich für Wirtschaftsnachrichten zu interessieren. Das überrascht nicht, wird ein ähnlicher, repräsentativer Befund doch seit Jahren von Meinungsforschern ermittelt.
3.3 Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse
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Textbeispiel Christian S., „Börsenbericht“ B: […] Manchmal gucke ich vor der Tagesschau diesen Börsenbericht an, aber nur durch Zufall, die drei Minuten, aber ich kann mir das auch gar nicht merken, welche Branche da im Kommen ist. Aber ich brauch das ja auch nicht um es umzusetzen, und so mach ich es so, dass ich manchmal in der Tageszeitung die Wirtschaftsseite so überfliege, um so ein Gefühl zu kriegen welche Branchen aktuell sind oder wo es Probleme gibt, aber das dringt nicht tiefer in mich ein. I: Woran liegt das? B: Also ich brauch das nicht für mich die Informationen. Für mein Leben sehe ich da nicht den Bedarf und nicht den unmittelbaren Zusammenhang. Also sagen wir mal, wenn es Altersvorsorge wäre oder so Sachen die mich betreffen, da lese ich dann nach aber wie es um Siemens steht oder AEG oder irgendeine Globalisierungssache von einer Firma das lese ich dann nicht, weil mich das auch nicht berührt. (P5: 187)
Dass Christian S. in dieser Passage die Wirtschaftsnachrichten mit seinem Lebenskontext und den darin etablierten Interessen in Verbindung setzt, lässt sich mit der Konzeption von Medienrezeption durch die Cultural Studies als „Dialog zwischen Text und sozial positioniertem Leser“ vereinbaren (vgl. Fiske 1987; Krotz 1995). Etliche Studien zur kommunikativen Aneignung des Fernsehprogramms haben herausgestellt, dass der Alltag der Zuschauer den Bezugsrahmen für die Wahrnehmung und Deutung von Fernsehsendungen und deren Übernahme in den Alltag darstellt (vgl. einen Überblick in Mikos 2005). Und so stellt Christian S. seine Rezeption von Wirtschaftsnachrichten, die im Rahmen eines routinemäßigen Medienkonsums erfolgt („durch Zufall“ vor der Tagesschau) als Abwägen auf die Nützlichkeit im Alltag hin dar. Bei Themen, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zu seinem Leben aufweisen, reicht ein „Gefühl“, andere Themen von größerem alltagspraktischem Belang, wie es hier die Altersvorsorge ist, werden „nachgelesen“. Auch Marianne H. setzt in der folgenden Passage Medieninhalte mit Aspekten ihrer Lebenswelt in eine unmittelbare Beziehung: Der lange diskutierte Verkauf einer Bank ist relevant, weil dort ihr Neffe tätig ist; der Verkauf des Berliner Verlages interessiert, weil sie bis zu ihrem Ruhestand hier arbeitete. Textbeispiel Marianne H, „Teuflisch interessiert“ I: Lesen Sie auch Wirtschaftsnachrichten? B: Ja, die interessieren uns schon, alldieweil ja da eben vieles auch über, ich sage mal die gesamte Wirtschaftentwicklung des Landes steht. Als das mit der Bank von meinem Neffen war, alles was da immer drin stand das hat uns teuflisch interessiert. Und da sind ja auch Informationen drin gewesen die, zum Beispiel eben den Berliner Verlag betrafen. Das ging ja fast drei Jahre jetzt, das die zum Verkauf standen und das Kartellamt nicht mitgespielt hat und so. Also solche Sachen, die uns dann direkt ein bisschen betreffen, die lesen wir schon ganz gerne. Und sonst, na ja einfach das man so breiteninformiert ist. (P8: 147)
Dabei verbindet sie diese Beispiele zunächst in der Form einer Liaison (d. h. Verknüpfung; vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969: 191ff.) mit ihrem einführenden Argument, dass die Wirtschaftsberichterstattung interessiert, weil dort etwas
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über die „gesamte Wirtschaftsentwicklung des Landes steht“. Dieses stellt für Marianne H. einen Wert an sich dar und erfordert deswegen keine weitere Begründung. Die beiden Beispiele werden vor ihr als Illustration dieses gemeinschaftlich, in der konkreten Situation zwischen Interviewtem und Interviewer akzeptierten Wissens über Medien angebracht. Allerdings belegen sie weniger das Interesse an der gesamten Wirtschaftsentwicklung, als vielmehr konkrete Verbindungen zur eigenen Lebenswelt. Marianne H. kommt deswegen auf ihre ursprüngliche Intention zurück und schlägt im letzten Satz – „einfach das man so breiteninfromiert ist“ – wieder den Bogen zu ihrem Anfangsargument. „Breiteninformiert“ sein – hierunter kann man die Aneignung eines Wissensvorrates verstehen, den Alfred Schütz als den des „gut informierten Bürgers“ beschreibt (vgl. Schütz 1972b: 88f.). Der gut informierte Bürger besitzt weder das Wissen eines Experten, welches auf ein Gebiet beschränkt, darin aber klar und deutlich ist, noch ist sein Wissen als das des „Mannes auf der Straße“ zu charakterisieren, welches als Rezeptwissen gefühlsmäßig vorgibt, wie in typischen Situationen typisch zu handeln ist. Gut informiert zu sein bedeutet vielmehr „…zu vernünftig begründeten Meinungen auf den Gebieten zu gelangen, die seinem Wissen entsprechend ihn zumindest mittelbar angehen, obwohl sie seinem zuhandenen Zweck nichts beitragen.“ (Schütz 1972b: 88)
In dieser Mediennutzung zum Zwecke des „gut Informiertseins“ ist ein Aneignungsprinzip zu sehen, welches ich mit Teilhabe beschreiben möchte. Der Zeitungsleser begreift sich als Mitglied einer gesellschaftlichen, für ihn nicht unmittelbar erfahrbaren Sphäre, in der monetäre und wirtschaftliche Informationen einen gewissen Stellenwert haben und zu einem allgemeinen Weltbild dazugehören. Dieses Wissen hat weniger mit einer vollständigen und bewussten Verarbeitung aller zur Verfügung stehenden Informationen zu tun; besser lässt sich das aufgenommene Wissen als Orientierungswissen beschreiben. Dies deckt sich mit zahlreichen kommunikationswissenschaftlichen Studien, die konstatierten, dass rezipierte Inhalte selten exakt und detailgetreu wiedergegeben werden können. Allerdings ist die Schlussfolgerung, dass die Menge der durch Nachrichten vermittelten Informationen gering sei (und, im Anschluss daran, dass Medien ihre Funktion der Informationsvermittlung, die zu einer kompetenten Meinungsbildung von Bürgern einer Demokratie führen soll, nicht wahrnehmen), vor dem Hintergrund der Auffassung von Schütz auf den Mechanismus der Wissenskonstruktion als unzutreffend zu charakterisieren. Wie es Koschel in einer theoretischen Analyse beschreibt, findet hier vielmehr eine „interessierte Rezeption“ statt (vgl. Koschel 2006), die aus einem allgemeinen Interesse an Wirtschaft heraus geschieht und die nur dann auf die Kenntnis von Einzelheiten angewiesen ist, wenn es um Belange geht, die eine direkte Verbindung zum eigenen Leben haben (zum Beispiel im Fall des Arbeitgebers
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des Neffen oder eben der zu tätigenden Altersvorsorge). Schon die Rezeption von einzelnen Schlagwörtern oder Überschriften, der grafischen Darstellungen von Börsenindizes oder – wie im Fall von Christian S. der Nachrichten darüber, welche Branchen aktuell sind – setzen den Leser in Kenntnis, wie es um die Wirtschaftslage bestellt ist und welche Themen gerade relevant sind. Sie bringen ihn damit in die Lage, mitreden zu können, sich Urteile zu bilden, sich orientieren zu können. Indem Medien solcherart „Richtlinien der Interpretation ihrer Lebenswirklichkeit“ vermitteln (vgl. Koschel 2006: 193), leisten sie einen Beitrag zur Entstehung eines gesellschaftlich relevanten Wissenskanons über Wirtschaftliches als auch Monetäres. Bestandteil dieses Rahmens der Teilhabe sind neben einer bestimmten Verarbeitungsstrategie der Kommunikate Vorstellungen vom Mit-Publikum, also von denjenigen Personen, die auch in Kontakt mit diesem Medienangebot kommen (vgl. zu Publikumsvorstellungen Dohle/Hartmann 2005). Wenn Marianne H. von „breiteninformiert“ spricht, kann dass in diesem Sinne bedeuten, dass man mit der Information einer zahlenmäßig unspezifizierten, aber auf jeden Fall mehrheitli55 chen Größe an informierten Bürgern mithalten möchte. Dies lässt sich als ein erster Hinweis lesen, dass trotz einer zunehmend individualisierten Mediennutzung verbindende soziale Bezüge vorhanden sind Mit diesem Modus der Teilhabe, der die Aneignung von monetären Inhalten in einer orientierungsmäßigen Form beschreibt (bzw. innerhalb der „interessierten Rezeption“, wie Koschel es nennt) ist nun eine wesentliche Form der Aneignung von gesellschaftlichen Diskursen wie dem der Altersvorsorge beschrieben. Die Menschen wissen, dass Altersvorsorge ein relevantes Thema ist, sie wissen, dass dieses Thema sich auch ihrer Mitwelt stellt und dass es bestimmte Praktiken gibt, dieses Thema in ihrem Alltag umzusetzen, aber sie wissen eben oft nicht mehr. So erklärt sich auch das Paradoxon, dass „für das Alter vorsorgen“ zwar ein beherrschendes Thema ist, in den meisten Gesprächen jedoch eine abstrakte Idee bleibt, von der „das Projekt Riester in Angriff nehmen“ (Christian S.) schon die höchst mögliche Konkretisierung zu sein scheint. Der Abgleich mit den Fragebogendaten, in denen z. B. auch praktische Handlungen zur Altersvorsorge erfasst wurden, bestätigte, dass der Diskurs Altersvorsorge schwer in bestimmte Handlungen umzusetzen ist, denn die wenigsten hatten hier irgendwelche Maßnahmen ergriffen. Nun gibt es allerdings nicht wenige Befragte, die angaben, überhaupt keine Wirtschaftsnachrichten zu rezipieren. Unter ihnen waren auch solche, für die die Tageszeitung zwar in ihrem Tagesablauf einen hohen Stellenwert hatte, die sich aber dezidiert gegen die Rezeption von wirtschaftlichen oder monetären Belangen 55
Die vermutete Größe ist neben der vermuteten Simultanität, der vermuteten sozialen Zusammensetzung und dem vermuteten Rezeptionserleben der unbekannten Anderen ein Merkmal, das Dohle und Hartmann in ihrem Konzept der Publikumsvorstellung integrieren.
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zuzuordnenden Nachrichten aussprachen. Der Gebrauch von Medien als Quelle von Weltwissen ist hier zwar, wie bei der Aneignung als Teilhabe, „sozial gebilligtes Wissen“ (vgl. Schütz 1972b: 100), allerdings werden monetäre Themen als für die eigene Existenz unwesentlich gekennzeichnet. Dies geht oft einher mit einer generellen Markierung der eigenen Position als Absage an eine Gesellschaft, in der sich vieles „nur ums Geld dreht“. Da diese Art der Kategorisierung von Medieninhalten mit monetärem Bezug sehr mit der eigenen Positionierung und grundlegenden handlungsleitenden Themen verbunden ist, möchte ich zur Kennzeichnung dieses Organisationsprinzips von Aneignung einen Exkurs auf ebendiese Positionierung zu Geld vornehmen. In der folgenden Passage antwortet der 36jährige Christoph S. auf die Frage, was seine Vorstellung von Geld geprägt hat: Textbeispiel Christoph S., „Aus normalen Verhältnissen“ „[…]Meine Erziehung, meine Eltern, dass ich aus dem Osten bin, würde ich im Nachhinein sagen. Obwohl das nur mein Fall so ist, ich will jetzt nicht verallgemeinern irgendwie. Das ich aus relativ normalen, also einfachen Verhältnissen komme, also nicht Geld, mit, mit viel Geld versehen irgendwie. Oder sonst meine Persönlichkeit glaub ich ein bisschen, ja also was weiß ich •• Persönlichkeit entsteht ja auch daraus, wofür man sich interessiert und was man für wichtig hält und was dann weniger wichtig ist, insofern kann ich sagen, dass die Sachen, die mich interessieren, nicht unbedingt mit viel Geld zu tun haben. Also eigentlich ging es bei mir nie direkt um das Geld, sondern eigentlich dann darum, die Sachen finanzieren. Wenn da was dabei wäre, was, was weiß ich, was viel Geld kosten würde, irgendeine teure Sportart oder dass ich mich für teure Autos interessieren würde und so weiter, also dann würde es mich wahrscheinlich mehr kratzen, dass ich im Beutel nicht genug Geld hab. Oder ich hätte früh genug angefangen dann mehr Geld zu verdienen, weil das dann wichtig gewesen wär. Aber so ist das dann schlicht nicht passiert, weil ich einfach Interessen und Hobbys habe, die, die jetzt nicht unbedingt, unbedingt am Geld hängen oder so.“ (P12: 098)
Ist am Anfang des Statements noch eine Unsicherheit zu spüren („ich will jetzt nicht verallgemeinern“, zweimalige Verwendung von „irgendwie“ als relativierendes Mittel), findet er im Laufe des Sprechens zu seinem Thema, welches man mit der Formel Geld versus Persönlichkeit fassen könnte. Er entwirft ein Bild, in dem Geld lediglich als Mittel zum Zweck dient, indem es sich seinen Interessen unterzuordnen hat. Genau wie Ute S. in innere und äußere Werte differenziert („Theater gehen, ins Kino gehen, ins Konzert gehen, und auch mal reisen und seine Wohnung halten. Das sind für mich so die Statussymbole. Nicht so was, was man so nach außen trägt…“), tut dies auch Christoph S., indem er Geld als äußeren Umstand darstellt, der zur Entfaltung seiner Persönlichkeit und seinen Hobbys beigetragen hat. In einer Gesellschaft, in der die individuelle Persönlichkeitsausbildung einen absoluten Wert darstellt, ist Geld als ewig gleiches Gut nicht individuell auszeichnend. Vielmehr ist es ein Gemeinplatz (bzw. ein Deutungsmuster), sich auf das wirklich Einzigartige, auf „innere Werte“ zu besinnen und dem Streben nach Geld eine Absage zu erteilen. Unter Bezugnahme auf diese nicht nur für die monetäre Teilidentität relevante Verortung des Selbst und dem Streben nach dem „wirklich Wichti-
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gen“ ist es Christoph S. im weiteren Verlauf des Interviews möglich, eben die Information über Monetäres und Wirtschaftliches als weniger wichtig einzustufen. Das Lesen von Artikeln über Anlageformen und monetäres Handeln erscheint in diesem Lichte als kurzsichtiges Streben nach materiellem Erfolg, als Eigennutz, der moralisch gesehen wenig wertvoll ist. Allerdings, und deswegen ist die NichtAneignung von Zeitungsinhalten mit monetärem Bezug nach dem Motto Geld versus Kultur als Unterart der Aneignung als Teilhabe zu charakterisieren, müssen von den Befragten argumentative Anstrengungen unternommen werden, um ihre Nicht-Rezeption vor dem Hintergrund der auch von ihnen anerkannten Zeitung als Quelle des Wissens über die Welt zu rechtfertigen. 3.3.2.3
Gezielte Recherche: Medienerwartungen und Medienkritik
In der Passage „Börsenbericht“ aus dem Interview mit Christian S. ist es bereits angeklungen: Das Thema Altersvorsorge, zu dem er eine direkte Verbindung zu seiner Lebenswelt ziehen kann, wird „nachgelesen“. An einer anderen Stelle im Interview berichtet er: Textbeispiel Christian S., „Ausschneiden“ „Das lese ich und das schneide ich auch aus, wenn es da Hinweise gibt oder Anleitungen wie man sich damit beschäftigen soll, oder Änderungen.“ (P5: 192)
Zunächst sind damit zwei grundsätzliche Verfahrensweisen im kommunikativen Handeln der Rezipienten beschrieben: Sie nehmen aufgrund ihres allgemeinen Interesses täglich routinemäßig anhand eines feststehenden Sets an Medien (z. B. erst der Tageszeitung, abends dann der Fernsehnachrichten) an der nicht direkt erfahrbaren Sphäre gesellschaftlich relevanter Geschehnisse teil und gehen, sobald sie aufgrund dieser Berichte (oder auch aufgrund von Gesprächen) ein tiefer gehendes Interesse an einem bestimmten Sachverhalt entwickeln, zu einer gezielten Recherche über. Diese verschiedenen Interessenlagen lassen sich mit Hilfe der Schützschen Theorie in zwei verschiedene Problemrelevanzen differenzieren, die zu diesen beiden unterschiedlich motivierten und ausgestalteten Zuwendungen führen: Zum einen ist durch die Selbstidentifikation als „gut informierter Bürger“, der Medienberichte als nützlich für seine individuelle Selbstbehauptung ansieht, eine thematische Relevanz gegeben (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 286ff; grundlegend: Schütz 1971a: 100), sich täglich über monetäre und wirtschaftliche Dinge zu informieren (und damit kontinuierlich das eigene Handeln zu bestätigen). Das Verständnis der Zeitung als gewohnheitsmäßig wichtiges Element der Lebenswelt lässt die Befragten die Medieninhalte innerhalb einer „auferlegten“ Interpretationsrelevanz (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 272ff.) lesen. Dieses Verfahren ist durch eine routine-
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mäßige Deckung von Thema und Wissenselementen gekennzeichnet. Sowie sich wirtschaftliche Themen als relevant für das Bewusstsein konstituieren, werden sie mit vorhandenen relevanten Wissenselementen in Deckung gebracht, so dass die Situation des „Weltverstehens“ als bewältigt gilt. Die Interpretation erfolgt automatisch.56 In Fällen, in denen eine Diskrepanz zwischen den medial vermittelten notwendigen Handlungspraktiken (um an einer Gesellschaft, die vom Prinzip der Eigenverantwortung gekennzeichnet ist, teilzuhaben) und dem eigenen Handeln gegeben ist, besteht für den Handelnden ein Problem, welches gelöst werden muss, wozu das vorhandene Wissen aber nicht ausreicht. Die Zuwendung zu bestimmten Medieninhalten erfolgt dann ebenfalls aus einer thematischen Relevanz heraus, die jedoch „motiviert“ ist, d. h. freiwillig, geplant und im voraus geschieht (vgl. Schütz/ Luckmann 2003: 264) und zu einer anderen Art der Beschäftigung mit den Medieninhalten führt.57 Da im Moment der Zuwendung keine Deckung zwischen dem Wissensvorrat und dem Thema besteht, stockt die routinemäßige Nutzung und das nun „problematische“ Thema muss aus einer solcherart „motivierten“ Interpretationsrelevanz heraus ausgelegt werden (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 277ff.). Indem die an der Thematik der Altersvorsorge Interessierten konkrete Hinweise für konkrete monetäre Handlungen suchen, die sich nicht im Rahmen des routinemäßigen Handelns finden lassen, weisen sie eine besondere Orientierung auf eine Problemlösung auf. Es geht nicht mehr um die kontinuierliche, routinemäßige Absicherung subjektiver Wirklichkeit, innerhalb derer Probleme konstituiert werden können (aber nicht müssen), sondern um die Auslegung problematischer Situationen und damit um Wissenserwerb, -veränderung und -umgruppierung zur Lösung dieser Probleme. Mediennutzung erfolgt somit als explizit urteilende Auslegung und aktiver Vergleich relevanter Wissenselemente. Beide Verfahren der Aneignung (d.h. beide Interpretationsrelevanzen) sind insofern mit anderen Relevanzstrukturen verbunden, als dass zum einen immer eine spezifische thematische Relevanz als Voraussetzung gegeben sein muss. Zum anderen bestimmt die Motivationsrelevanz, die das routinemäßige Handeln als „informierter Bürger“ sowohl in Relation zu den Tages- und Lebensplänen als auch zur 56 Wobei mit Schütz darauf hingewiesen werden muss, dass es natürlich in der Realität verschiedene Übergänge zwischen der idealtypischen Form der völlig automatischen Deckung und verschiedenen Stufen expliziteren Auslegens, in denen Thema und Wissenselemente verglichen werden, bis ein fundierteres Urteil über Ähnlichkeit etc. gefällt werden kann, gibt (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 273). 57 Natürlich ist auch die routinemäßige Beschäftigung mit der Tageszeitung freiwillig und motiviert, sie ist jedoch so in das tägliche Tun übergegangen, dass dazu nicht mehr die Planungen und konzentrierten Auslegungen notwendig sind, wie im Fall der Recherche. So spricht Schütz auch von graduellen Unterschieden zwischen den thematischen Relevanzen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 265).
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Biografie („für später vorsorgen“, „das Alter absichern“) setzt, wie weit die Interpretationen, die aufgrund der unterschiedlichen thematischen Relevanzen erfolgen, vorangetrieben werden. Auch in der Argumentation von Antje R. lassen sich Versatzstücke medialer Diskurse finden. Es lässt sich darüber hinaus rekonstruieren, wie sie in Auseinandersetzung mit medialen Inhalten im Modus der Recherche zu handlungsrelevanten Schlussfolgerungen zu diesem Thema kommt. Auf die Frage der Interviewerin „Welche finanziellen Angelegenheiten musst du als nächstes klären? Was ist es und wie willst du es machen?“ antwortet die 31jährige Angestellte, die mit ihrem Freund zusammenlebt, wie folgt: Textbeispiel Antje R., „Bei Fonds mehr rausholen 1“ „Ich möchte noch, ja eigentlich bei Fonds mehr rausholen, indem ich Geld anlegen möchte, weil ich dann so relativ komplett bin. Wenn man jetzt so guckt, in einer Berechnung, diese Rentenlücke schließen, ist zwar so wie so alles schnulli, weil später eh alles anders kommt, aber egal. Und, ja wie will ich es machen, das ist eine gute Frage. Ich will mir vorrangig selber hoffentlich eine Meinung bilden. Weil mein Freund legt mir schon fleißig immer irgendwelche Fonds hin und so. Also stimmt eben nicht ganz, eigentlich lass ich mich so ein bisschen von meinem Vater und von meinem Freund da auch, lass ich mir da Vorschläge machen.“ (P19: 105)
„Bei Fonds mehr rausholen“ – in dieser Verbindung ist die Gedankenfigur des „Abschöpfens“ enthalten. Dieser Topos, der weitgehend aus den Medien stammt, rekurriert auf die Vorstellung, dass das Individuum in einer Gesellschaft von Möglichkeiten lebt und es von ihm abhängt, inwieweit es diese Potenziale realisiert. Gerade in der sogenannten Nutzwertberichterstattung wird dieser Topos oft angesprochen: „So machen Sie das Beste aus …“, „So legen Sie clever an“ sind mediale Aufforderungen, die auf diesen Topos rekurrieren. Antje R.’s Satz scheint die falsche Struktur zu haben – man holt nicht „mehr heraus“, indem man Geld anlegt. Für sie ist es aber als Verlauf der Nachzeichnung, also der Aneignung dieser Medienlogik sinnvoll. Mit der Begründung „weil ich dann komplett bin“ bezieht sich Antje R. auf eine weitere, im Zuge nutzwertorientierter Berichterstattung gängige Vorstellung, dass richtiges Finanzhandeln am besten aus mehreren Bestandteilen, „Bausteinen“, besteht („auf mehrere Pferde setzen“, „nicht alle Eier in einen Korb legen“). Mit der „Rentenlücke“ schließlich gebraucht sie eine Metapher, die von den Medien generiert wurde, um – ganz im Sinne der Lakoffschen Definition von Metaphern – die Wirklichkeit zu beschreiben, die weit von der aktuellen Situation entfernt liegt und nicht direkt erfahrbar ist (vgl. Lakoff 1987). Hier fügt sie jedoch eine eigene Interpretation an: „ist zwar sowieso alles schnulli, weil es später eh anders kommt“. Diese Äußerung kann man als Zweifel an der medial konstruierten Planbarkeit des finanziellen Wohlergehens lesen, aber auch grundsätzlicher als Verwei-
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gerung, die zeitliche Konstruktion der Lebenswelt zu verlassen; als das Beharren auf das Verankertsein im hier und jetzt. Mit der Einleitung eines zweiten Teils („und ja wie will ich es machen“) bezieht sie sich auf die Frage des Interviewers, in der diese Zweiteilung schon angelegt war und gibt ein Statement ab, dass sie sich selber eine Meinung bilden will. Dass sie die Meinungsbildung an dieser Stelle platziert, wo man auch hätte sagen können „ich will Geld einzahlen“, „ich will zur Bank gehen“, weist sie auf die Bedeutung hin, die die Meinungsbildung in diesem Prozess für sie hat. Und es ist nicht nur eine Meinung bilden, sondern selber eine Meinung bilden – warum sie darauf Wert legt, wird in der weiteren Erzählung klar, wenn sie ihren Freund und ihren Vater als Ratgeber beschreibt und sich gleichzeitig davon distanziert. In einem anderen Teil des Interviews werden die Gründe klar: Ihr Freund entdeckte mit der Popularisierung der Volksaktien die Börse als Hobby, hatte jedoch keinen großen Erfolg und musste einige Verluste hinnehmen. Sie vermutet, dass er zu risikoreich anlegt. Schließlich erklärt sie in einem dritten Teil ihrer Erzählung, mit dem sie die Fragesystematik des Interviewers fortführt und erweitert, den Weg, über den sie es machen würde und betont hier noch einmal ihre Eigenständigkeit, indem sie erklärt, den Fonds selber auswählen zu wollen. Antje R. baut die genannten Versatzstücke medialer Diskurse – Metaphern und Topoi – vor dem Hintergrund ihrer Lebenswelt in ihre Argumentation ein. Sie verwendet Medienzitate und bezieht dazu Stellung, indem sie zwar die Empfehlungen übernimmt (Rentenlücke schließen), aber den Wahrheitsgehalt der medialen Konstruktionen zumindest abschwächt (kommt alles anders) und den Sinngehalt an die Aufschichtung ihrer Lebenswelt anpasst. Sie agiert nach dem Prinzip „kann ja nicht falsch sein“ und verwendet Medienangebote an den Stellen als Ressourcen, an denen sie in ihren Wirklichkeitsausschnitt hineinpassen. Nach dieser zunächst impliziten Medienthematisierung nimmt sie auch explizit auf Medienformate (in diesem Fall Zeitschriften) als konkrete Umsetzung dieser Meinungsbildung Bezug: „… oder auch mal wirklich dann jetzt gucke bei Finanztests oder so, wer ist da eigentlich vorne, ja“ (113). Mit dem Ausdruck „wer ist da vorne“ kommt sie wieder auf ihre eingangs geäußerte Intention zusprechen, sich einen Fonds aussuchen zu wollen und nimmt damit auf eine gängige Beschreibung von Fonds in Printmedien Bezug, der Präsentation als Rangliste. Und auch hier stellt sie ihre eigene Meinungsbildung wieder gegen den Gegenhorizont der unreflektierten Übernahme der Ratschläge ihres Freundes und erweitert diese Gegenüberstellung um die möglicherweise ebenso gefärbte Empfehlung der Fondsunterlagen: Textbeispiel Antje R., „Bei Fonds mehr rausholen 2“ „Wenn es sonst nach meinem Freund ginge, hätte ich schon lange welche abschließen können. Und auch nur die Fondsunterlagen mir durchlesen können von denen, die ja nun doch alle so ein bisschen subjektiver eingefärbt sind, als neutral der Blick jetzt in irgendeine, jetzt in Anführungsstri-
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chen, eine unabhängige, muss man ja immer vorsichtig sein, Zeitschrift wie Finanztest oder so was, ja.“ (P19: 119)
Mit der Benennung der Zeitschrift Finanztest entwirft sie eine konkrete Handlungsstrategie, mit der sie ihr Ziel, sich unabhängig von anderen eine eigene Meinung zu bilden, verwirklichen will. Doch auch hier „muss man immer vorsichtig sein“ – hiermit und mit den gesprochenen Anführungsstrichen bezieht sie ihr Erfahrungswissen ein, dass auch Zeitschriften nicht immer unabhängig sind. Sie berücksichtigt diesen Umstand, wenn sie in der folgenden Beschreibung den adäquaten Umgang mit den medialen Informationen entwirft und damit die Umsetzung ihres Ziels „eigene Meinung bilden“ konkretisiert: Textbeispiel Antje R., „Bei Fonds mehr rausholen 3“ „Ich glaube, man muss schon ein paar Sachen gelesen haben, um sich da eine Meinung bilden zu können. Also generell, tu ich nicht nur beim Thema Geld so, heutzutage sind alle Medien nicht mehr so unabhängig. Und insofern zieht sich das ja leider so lange hin, weil praktisch dieser, diese Infoeinholung recht viel Zeit in Anspruch nimmt, also so, wie ich sie mir jetzt vorstelle. Hört sich jetzt blöd an, weil es ist ja alles erreichbar oder so, aber leider ja hat man nicht jeden Abend Zeit, weiß ich was für Zeitschriften dann alle da durchzugrasen oder so, ja. Ist dann eher so, dass man das Thema, oder es ist bei mir, nicht jetzt mit Geldthemen, sondern generell, man hat ja irgendwie immer ein paar to-do`s und das wichtigste geht man dann vielleicht mal an, klar. Und dann hat man auch mal eine Phase, wo man sich intensiver mit auseinandersetzt und dann geht es natürlich auch relativ zügig und man hat dann Material und so. Momentan ist es eben immer noch ein bisschen verschoben, aber muss, soll demnächst jetzt, im nächsten halben Jahr mal erfolgen. Mal sehen wann ich damit so richtig loslege. Nicht nur nebenbei, es ja so da mal was mitnehmen und da mal was lesen, sondern dann wirklich aktiv sich mal zwei drei Abende Zeit nehmen.“ (P19: 121)
Aus dem Umstand, dass „heutzutage“ Medien alle nicht mehr so unabhängig sind, ergibt sich für sie die Notwendigkeit, mehrere Informationsquellen einzubeziehen, Zeitschriften „durchzugrasen“. „Hört sich jetzt blöd“ an – diese Einräumung kann im Sinne von Goffman wieder als präventive Strategie der Imagewahrung verstanden werden. Sie macht deutlich, dass sich die Erzählerin hier auf unsicherem Gebiet bewegt, in dem ein Anzweifeln durch das Gegenüber (der Interviewerin) möglich ist. Gleichsam macht sie mit der Personalisierung („so wie ich sie mir jetzt vorstelle“) deutlich, dass es sich um ihren Versuch handelt, das Problem zu lösen. Und dieses Problem ist – bei der leichten Verfügbarkeit von Informationen – eben nicht ein Problem des Zugangs, sondern eines der zur Verfügung stehenden Zeit angesichts der grundlegenden Fragwürdigkeit medialer Quellen. Und sie will es lieber richtig machen, „nicht nur da mal was mitnehmen“ und „da mal was lesen“ sondern sich kontinuierlich damit beschäftigen – bis zur vollständigen und gründlichen Lösung des Problems. Die Entwicklung und Absicherung eigener Strategien des monetären Handelns stellt sich nicht nur als Problem dar, für das es keine allgemein verbindlichen Lösungen gibt, Geldhandeln wird hier auch in den Kontext mit anderen Anforderungen der alltäglichen Praxis gebracht. Es ist eines unter
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mehreren „to-do’s“, die nach Rangfolge abgearbeitet werden. Massenmediale Informationen stellen ein Mittel dar, diese „to-do’s“ zu bewältigen und damit interpersonale Informationsquellen zu ersetzen bzw. abzusichern. Anhand der Erzählsequenzen von Antje S. lässt sich feststellen, dass sich erstens der mediale Diskurs über Altersvorsorge in den subjektiven Rekonstruktionen niederschlägt, dass Medien zweitens im Rahmen einer gezielten Recherche dazu benutzt werden, eigene Handlungsstrategien zu objektivieren und drittens, dass sie, indem sie solcherart Instrumente zur Absicherung des eigenen Handelns darstellen, ebenfalls einer objektivierenden Einschätzung und Bewertung unterliegen. Das dem Bedürfnis nach einer Altersvorsorge zugrunde liegende Denken individueller Absicherung und Nutzbarkeit von Gegebenheiten kann damit als handlungsleitendes Thema für die Aneignung von Medien (und damit für eine bestimmte Aneignung des Alltags) gelten. Zeitungs- und Zeitschriftenartikel werden unter dem Blickwinkel individueller Nutzbarkeit taxiert. Der Zeitungsleser nimmt seine Tätigkeit wie einen Einsatz wahr, der als Preis vor einem Ertrag, nämlich dem Wissen über die „richtige“ Absicherung bzw. die Wahl des „richtigen“ Fonds steht (vgl. eine ähnliche Argumentation zum Thema Fernsehrezeption bei Weiß 2001b: 149). Dem Werkzeugcharakter von Medien wird Rechnung getragen, indem der Vergleich von Informationen aus verschiedenen Quellen (und damit der Einsatz verschiedener Werkzeuge) nochmals objektivierend wirkt und die wie selbstverständlich hingenommene Unzulänglichkeit der einzelnen Medien ausgleicht. Im Gegensatz zu Beispielen, in denen die Mediennutzung als bewährte Problemlösung gerahmt wird, sind im Datenmaterial auch etliche Passagen enthalten, in denen die Gesprächspartner über Schwierigkeiten beim Versuch dieser instrumen58 tellen Mediennutzung berichteten. Textbeispiel Marianne H., „Zuviel Fremdes drin“ „Ja, also ich lese es ab und an mal. Aber es ist mir dann halt zu viel Fremdes drin. Wo ich dann, ich sage mal, dann bräuchte ich immer einen Übersetzer. Was habe ich darunter zu verstehen? Ich kann es jetzt nicht direkt am Beispiel sagen. Und da scheitere ich dann und sage, Gott nee, muss ich das lesen. Weil, wir haben ja nicht solche Reichtümer, das sich die Information für mich lohnen würde. Dann entschuldige ich mich für mich selbst und gebe das dann wieder auf. Also da denk ich schon fast, dass das für mein Alter schon fast zu hoch ist. Wenn man nicht von Anfang an, ich sage mal wenigstens zum Beginn der neunziger Jahre sich damit beschäftigt hat. Weil, ich sage mal bis auf Insider, zu DDR-Zeiten brauchte man das nicht. Es war nicht so, das man so groß mit dem Geld rechnete. In den Betrieben hatte man die Ökonomen, die haben halt den Plan gerechnet, ich habe 58 Der Begriff der instrumentellen Mediennutzung wurde durch Rubin in die kommunikationswissenschaftliche Diskussion eingebracht (vgl. Rubin 1984). Vor dem theoretischen Hintergrund des Uses-and-Gratifications-Ansatzes spricht Rubin von einer instrumentalisierten Mediennutzung (im Gegensatz zu einer ritualisierten), wenn ein konkretes Informationsbedürfnis vorliegt. Mediennutzung ist dann aktiv und absichtsvoll; Rubin schreibt aufgrund dem höheren Involvement des Rezipienten diesem Nutzungsmodus größere Wirkungen zu (vgl. Rubin 2000).
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auch mit Geld gerechnet. Also ich hatte den Kulturfonds zu verwalten, das waren schon paar Millionen. Aber ich wusste, wofür ich sie ausgeben darf und wofür ich sie nicht geben darf. Und das war im Plan festgehalten. Also das wurde korrekt abgemeldet, abgerechnet. Und da hatten wir an sich keine Probleme. Aber das waren einfache Rechenaufgaben, heute ist das alles ein bisschen kompliziert, nee.“ (P8: 150)
Zunächst findet sich die prinzipielle Überlegung, dass Medien in Hinblick auf die Verwirklichung eines am individuellen Erfolg orientierten Lebensplanes eine nützliche Ressource sind bzw. sein könnten, auch in dieser Passage der 68jährigen pensionierten Druck-Ingenieurin Marianne H. Der Begründungszusammenhang „Weil, wir haben ja nicht solche Reichtümer, das sich die Information für mich lohnen würde“ drückt genau dieses instrumentelle Taxieren der Medieninhalte aus, welches auch der Nutzung von Medien als bewährte Problemlösung zugrunde liegt. Allerdings fällt hier die Prüfung des Verhältnisses zwischen Aufwand und Ertrag negativ aus: Angesichts des „Fremden“ und Unverständlichen ist der Aufwand des Verstehens unverhältnismäßig hoch. Das Verstehen der medialen Inhalte zu diesem Thema ist ihr zwar wichtig; so ist eine Entschuldigung notwendig, als es ihr nicht gelingt. Nicht zuletzt mit diesem Hinweis auf eine Institutionalisierung verortet Marianne H. die Recherche monetär relevanter Informationen in Massenmedien als gesellschaftlich relevante Praxis. Auch in ihrer Rechtfertigung stellt sie eine Verbindung zwischen medialen Inhalten und ihrer Lebenswelt her: Sie charakterisiert sich unter Bezugnahme auf biografische Episoden ihres Berufslebens als jemand, der mit Geld eigentlich umzugehen weiß. Allerdings hat sich mit der Wende als Zäsur („…von Anfang an…“) ganz neues Wissen als relevant erwiesen. Dieses neue Geldwissen ist ihr bislang fremd geblieben, wenn es auch nicht grundsätzlich als unerreichbar gilt; „man“ hätte sich halt von Anfang an, d. h. vom Zeitpunkt der Wende an damit beschäftigen müssen. Auch Christian S.’ Versuche, sich über Altersvorsorge zu informieren, kann man als eine „vermutete Nützlichkeit“ massenmedialer Information gerahmt sehen. Altersvorsorge wird als ein moralisch bedeutsames Problem eingestuft, zu dem die Zeitungslektüre Lösungen anbieten könnte. Dieses Versprechen wird aber auch hier nicht eingelöst: Textbeispiel Christian S., „Otto Normal“ „… die [Informationen] finde ich nicht ausreichend, weil Otto Normal das nicht versteht, beziehungsweise nicht verstehen kann. Also da hängen oft mehr Sachen dran und da liegt die Tücke im Detail. Und nur wenn man das liest, erkennt man das nicht. Da müssen einem Regeln durch einen der das weiß, noch mal erklärt werden.“ (P5: 194)
Mit der sozialen Kategorisierung „Otto Normal“ verortet er sich nicht nur selbst, sondern weitet den Geltungsbezug seines Statements aus: Indem er die unpersönliche Form nutzt, stellt er die schlechte Verständlichkeit der medial vermittelten Informationen als allgemeines Problem dar. Mit diesem Übergang vom persönlichen
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Statement („finde ich nicht“) hin zum verallgemeinernden Indefinitpronomen „man“, der einen Perspektivenwechsel darstellt, leitet er auch einen Themenwechsel ein. Ging es bislang darum, wie er persönlich mit den Informationsangeboten umgeht, formuliert er im Folgenden allgemeine Erwartungen an die Artikel aus der Tageszeitung. Im Unterschied zu Marianne H., die zunächst das Nicht-Verstehen in individuellen Gründen sieht und erst im Laufe ihrer Argumentation zu einer systemischen Verallgemeinerung kommt, geht Christian S. einen Schritt weiter: Er konkretisiert das „man versteht es nicht“ in „man kann es nicht verstehen“ und formuliert damit seine Einschätzung als Vorwurf. Vorwürfe beinhalten immer die Möglichkeit, dass der Adressat es hätte anders machen können; dass es Alternativen gibt (vgl. Günther 1999: 212ff.). Damit zeigen Vorwürfe auch eine Orientierung an sozialen Normen, die Teil des soziokulturellen Wissensrepertoires sind. Der Zeitung wird hier nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht zugeschrieben, ausreichend zu informieren. Dieses nichteingelöste Versprechen wird innerhalb des Vorwurfs belegt und verstärkt durch die Reihung der Argumente mit einem mehrfachen „und“ („und da liegt die Tücke … Und nur, wenn man das liest …“). Diese Reihung wird im zweiten Teil der Passage fortgesetzt. Damit wird auch eine Dimensionalisierung des Themas eröffnet, aus der sich wiederum Handlungszwänge ergeben, denen die oberflächliche Form des Lesens nicht gerecht wird: Textbeispiel Christian S., „Irgendwelche Schlagworte“ „… zu unklar ausgedrückt, was damit gemeint ist und da sind da irgendwelche Schlagworte und man weiß gar nicht wie die Zusammenhänge sind, also ob der Hinterbliebene Geld kriegt, oder ob beide im öffentlichen Dienst sein müssen, wenn irgendwas abgeschlossen wird oder wann einem welche Prämie zusteht. Das kann ich nicht erkennen, wenn ich das in der Zeitung lese.“ (P5: 191)
Anders als Christian S., der aus der konkreten Auseinandersetzung mit den kommunikativen Angeboten der Massenmedien heraus Motive und Ziele seines Handelns formuliert und dabei auf institutionalisierte Vorstellungen von Medien (er möchte „richtig informiert werden“) zurückgreift, formuliert die 40jährige Ingenieurin Christiane L. ihre Reaktion auf kommunikative Angebote zum Thema Altersvorsorge zurückhaltender. Folgende Passage ist ein Ausschnitt aus ihrer Antwort auf die Frage, wo sie sich über Geldgeschäfte und Finanzen informiert. Dabei kommt sie auch auf Altersvorsorge zu sprechen: Textbeispiel Christiane L., „Verrückt machen lassen“ „[…] Und ob ich da nun noch mich verrückt machen lasse durch irgendwelche grade aktuellen Medien, da bin ich dann eher sehr gelassen. Vielleicht zu gelassen, weiß ich nicht, aber ... es ist eher zuviel was da überall kommt und gesendet wird, geschrieben wird. Man kriegt ja auch, ja viel Post ins Haus. Also diese Werbegeschichten und Altersvorsorge und das ist eher, geht nach hinten los. Also da bin ich nicht der Mensch, der das alles nun testet und dann vergleicht und guckt was welcher Flyer wie gesagt hat. Also das ist eher zuviel. Verschwindet eigentlich immer gleich im Papierkorb.“ (P16: 211)
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Im Unterschied zu Christian S. setzt ihre Mischung aus Erzählung und Argumentation bei spezifischen kommunikativen Formen an, innerhalb derer das Thema Altersvorsorge an sie herantritt. Mediale Informationen treten ungefragt in ihr Leben, sie ist damit konfrontiert und hat die Wahl zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten: „verrückt machen lassen“ und „gelassen“ reagieren. Sie begründet die Wahl der letzteren Strategie durch die Menge und durch den Stellenwert der Informationen. Durch die Parallelisierung von „Werbegeschichten und Altersvorsorge“ ordnet sie auch die Informationen in den Massenmedien einer persuasiven Kategorie zu. Genau wie im Statement von Christian S. verwendet Christiane L. Passivformulierungen und vermeidet damit eine Benennung der Akteure. Während Christian S. eine wahrheitsgemäße und passende Information voraussetzt, sind mediale Angebote für Christiane L. grundsätzlich nicht von hoher Glaubwürdigkeit: Man müsste diese Sachen testen und vergleichen, um den Wahrheitsgehalt herauszufinden, aber „da bin ich nicht der Mensch“. Die nun folgende Sequenz kann vor dem Hintergrund des „Detaillierungszwangs des Erzählens“ (vgl. Kallmeyer/Schütze 1977: 162, 188) als Versuch gewertet werden, zum Zwecke der Plausibilisierung detaillierter auf ihren „gelassenen“ Umgang mit den Informationen einzugehen und dabei die Erzählung zu schließen, denn die in der Sequenz ausgedrückten Zweifel daran, ob sie nicht doch zu gelassen reagiert, sind für sie noch nicht aufgelöst: Textbeispiel Christiane L., „Zu schlaff“ „Und eher vielleicht, wenn es doch so präsent ist in den Tageszeitungen jetzt oder so oder wenn es irgendwelche Jahreswechsel gibt, wo nun irgendwas ansteht, dass man da wirklich dann doch gezwungen sich damit irgendwie mal auseinanderzusetzen und dann •• Aber das macht man immer und regelmäßig und/ •• Es gibt, na ja es gibt vielleicht so Spitzen, wo man dann vielleicht doch mal denkt, oh jetzt musst du dich mal damit beschäftigen, und dann ist aber das Problem, man macht es nicht. Bis zum Schluss sozusagen, bis zum Ende. Also dann ist es eher dann zum Schluss, nur ein Gefühl, das bleibt. Das ist vielleicht schon so gut, dass wie man es macht und dann nicht abschließt, weil der eine sagt das und der andere sagt das. Und na ja, dann ist man zu schlaff für sich jetzt eine klare Meinung daraus zu entwickeln.“ (P16: 215)
In der Ungenauigkeit der Formulierungen („irgendwelche Jahreswechsel“, „irgendwas ansteht“, „sich irgendwie mal auseinandersetzen“, „vielleicht“) von Christiane L. findet die bereits in der ersten Passage ausgedrückte Ambivalenz des Handelns ihre Fortsetzung. Zwar greift auch sie zum Indefinitpronomen „man“, um ihre Beschäftigung mit dem Thema zu beschreiben, allerdings weniger, um mit der Generalisierung ihrer Erfahrungen eine normative Erwartungshaltung zu formulieren, als vielmehr um ihrer Unsicherheit Ausdruck zu verleihen. Hier liegt der wesentliche Unterschied zur Passage von Christian S.: Während dieser die Funktion von Medien als Problemlösungsangebote voraussetzt und rhetorisch begründet, warum diese in Hinblick auf die Thematik Altersvorsorge nicht eingelöst wird, gibt sie Einblick in ihre Erfahrung des Themas und die Konstitution des Problems. Während er re-
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cherchiert, Artikel ausschneidet und sammelt, bleibt ihre Beschäftigung mit Altersvorsorge weitgehend innerlich, sie ist als „denken“ beschrieben, als inneres Hadern, etwas zu tun. Der Jahreswechsel und die Präsenz des Themas in den Tageszeitungen stellen eine Zunahme des äußeren Zwanges, sich damit zu beschäftigen dar. Diesem äußeren Zwang setzt sie eine innere Eigenständigkeit dagegen: „Aber das macht man immer und regelmäßig“, relativiert diese Unabhängigkeit gegenüber äußeren Einflüssen jedoch sofort wieder. Schließlich wird diesem Prozess des Haderns; diesem innerlichen Dialog, der aus einer von außen gestellten Aufgabe resultiert, ein Ende gesetzt: Das „Problem“ ist, man macht doch nichts, bis zum „Schluss“. Dabei bleibt auf den ersten Blick unklar, was der „Schluss“ sein soll bzw. das „Ende“, schließlich hat sie es ja eigentlich als dauerhafte Beschäftigung verortet. Man könnte diesen Schlusspunkt nun so interpretieren, dass das Individuum bestrebt ist, die Aufgabe zu lösen; den inneren Hader ad acta zu legen und in diesem Zuge selbst einen Schlusspunkt setzt. Aus der Aufgabe, sich damit „mal auseinanderzusetzen“ ist lediglich ein „Gefühl, das bleibt“ geworden. Das Problem kann also nicht vollständig gelöst werden. Während Christian S. die Zeitungsartikel als potenzielle Lösungsvorschläge eines objektiven Problems rahmt, rekonstruiert Christiane L. sie erst als Aufforderung bzw. Zwang sich mit etwas auseinanderzusetzen, über dessen Existenz sie sich noch klarwerden muss. In den Passagen von Christiane L., Christian S. und Marianne H. kommen damit verschiedene Haltungen gegenüber Medien zum Ausdruck: Während Christian S. in seiner Argumentation der kommunikativ ausgerichteten Situation des Interviews Rechnung trägt und mit den geäußerten Erwartungen an Medien auf gesellschaftliche Vorstellungen über ihre Funktionen Bezug nimmt, gibt Christiane einen Einblick in die Aufschichtung ihres persönlichen Erfahrungsraumes und die Rolle von Medien darin, die zwar nicht direkt der Rahmung von Christian S. als „vermutete Nützlichkeit“ widerspricht, aber doch in einem anderem Stadium der Auseinandersetzung erfolgt. Marianne H. dagegen, deren Nutzwertzuschreibung ebenfalls nicht eingelöst werden kann, nimmt eine biograpische Distanzierung vor: Medien repräsentieren neuartiges Wissen über monetäre Zusammenhänge, welches sie aufgrund fehlender Erfahrung nicht verstehen kann. 3.3.2.4
Fazit
Das empirische Material zeigt, dass die Befragten im Rahmen der Internalisierung monetären Wissens in zweifacher Art auf Massenmedien Bezug nehmen. Zum einen greifen sie bei der Rekonstruktion des Themas auf implizite massenmediale Deutungsmuster zurück. Dieses kann als Übernahme von Topoi („jetzt ein Opfer für später bringen“) oder von Metaphern („Rentenlücke“) geschehen. Der mehrere Deutungsmöglichkeiten beinhaltende Diskurs zeigt sich hier in einer inhaltlichen
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Verfestigung: Es geht für die Befragten vor allem darum, was sie jetzt machen müssen, um „später genug zum Leben“ zu haben, weniger um Deutungen und Definitionen des Problems Altersvorsorge an sich. An dieser Stelle kommen die expliziten Medienbezüge ins Spiel: An den Reaktionen auf die Präsenz des Themas in den Medien sowie der Handlungsstrategien im Umgang mit diesem Material wurden Orientierungen des Mediengebrauchs deutlich. Zunächst lassen sich anhand der unterschiedlichen Einordnung des Themas in individuelle Relevanzstrukturen zwei Formen des Umgangs mit massenmedialen Angeboten unterscheiden: die Rezeption von Inhalten zum Thema Altersvorsorge im Rahmen täglicher, routinemäßiger Mediennutzung sowie im Rahmen gezielter Recherche. Innerhalb der Episoden routinemäßiger Mediennutzung zeigten sich wiederum auch zwei unterschiedliche Einordnungen der Zeitungslektüre, die Ausdruck spezifischer Identitätsaspekte sind. Mediennutzung und die Rezeption monetärer Inhalte wurden zum einen als Form der Teilhabe an einer Gesellschaft verstanden, in der das Wissen um Monetäres einen gewissen Stellenwert hat. Im Gegensatz zu dieser Einordnung monetärer Inhalte als sowohl gesellschaftlich und subjektiv relevant, nahmen einige Tageszeitungsnutzer gerade diese von ihrer regelmäßigen Lektüre aus und distanzierten sich mit dem Hinweis auf einen Lebensentwurf, der auf einer Kontrastierung zwischen dem im öffentlichen Leben vorherrschenden Erfolgstreben und dem „Kulturellen“ und Schöngeistigen, welches das Private do59 miniert, beruht. Diese Spezifikation des routinemäßigen Lesens der Tageszeitung soll als Rahmen der interessengeleiteten Teilhabe bezeichnet werden, da sich ebenso wie bei Formen der Teilhabe die Einstellung erkennen ließ, mittels Zeitungslektüre in gesellschaftliche Zusammenhänge, die durch das Individuum nicht direkt erfahrbar waren, auszugreifen, die Teilhabe jedoch auf bestimmte Bereiche des Weltwissens beschränkt war. Diese beiden unterschiedlichen Einstellungen zu monetären Inhalten können im Anschluss an Weiß als zwei unterschiedliche „handlungsleitende Themen“ der Mediennutzung beschrieben werden (vgl. Weiß 2001b: 199ff.). Medien und ihre Nutzung sind nicht nur in die alltäglichen Handlungsabläufe der Menschen integriert (vgl. Mikos 2004), sie sind durch den Stellenwert, den die potenziellen Nutzer monetärem Wissen und monetären Handlungen innerhalb ihrer biografischen Erfahrungen und ihren Norm- und Wertvorstellungen zuweisen, bestimmt. Vor diesem Hintergrund bietet es sich z. B. an, die zahlreichen 59 Der Kulturbegriff rekurriert hier auf ein Alltagsverständnis von Kultur, womit die Pflege des Körpers und des Geistes gemeint ist und auf einen Gegensatz zur Natur bzw. zu Tätigkeiten, die einem Verwertungszwang unterliegen, angespielt wird. Oft bezieht sich diese Auffassung von Kultur auf eine Art von Hochkultur, womit besonders wertvolle Kulturleistungen in Musik, Literatur etc. gemeint sind, die bestimmten ästhetischen Maßstäben bzw. bestimmten Bildungsidealen – aber eben nicht einem monetär fassbaren Erfolgsstreben – entsprechen.
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Verweise der Interviewten auf eine ostdeutsche Herkunft im Zusammenhang mit einem Desinteresse an monetären Inhalten als relevante Komponente für eine spezifische Ausprägung monetärer Identität, die wiederum zu einer bestimmten Rahmung von Medieninhalten führt, näher zu untersuchen. Der Zusammenhang zwischen identitätsrelevanten Faktoren und routinemäßiger Mediennutzung kann jedoch zunächst als interdependentes Feld skizziert werden, denn wie die Ausführungen zur Konstitution des Altersvorsorge-Diskurses gezeigt haben, spielen Massenmedien andererseits eine große Rolle bei der Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen, die dann vor dem Hintergrund individueller Norm- und Wertvorstellungen unterschiedlich relevant werden. Werden Themen wie die Altersvorsorge nun als Problem virulent, d. h. erlangen sie besondere (bzw. in den Worten von Schütz „motivierte“; vgl. Schütz/Luckmann 2003: 263) thematische Relevanz für das Individuum, zeigten sich in einer instrumentellen Mediennutzung im Rahmen einer Recherche wiederum zwei unterschiedliche Auffassungen von Mediennutzung und daraus resultierend unterschiedliche Formen des Umgangs damit. Viele der Beforschten versuchten Anschlüsse der medialen Angebote zu ihrem Leben herzustellen, in dem sie dort geschilderte Situationen auf sich übertrugen oder nach auf ihre Situation übertragbaren Handlungshinweisen suchten. Darin wurden Erwartungshaltungen gegenüber Medienangeboten als potenzielle Problemlöser und als Anreicherung des eigenen Handlungsrepertoires (Tipps) deutlich, die enttäuscht oder erfüllt wurden. Diejenigen, die die Recherche in Zeitungen und Zeitschriften als bewährte Problemlösung ansahen, zeigten insofern eine andere Organisation ihrer Mediennutzung als dass sie diese Recherche als Aufgabe ansahen, in deren Rahmen sie verschiedene Medien konsultierten und diese auch als konkrete Quellen benannten. Sie nahmen ihre Recherchetätigkeit als Einsatz wahr, der als Preis vor einem Ertrag steht. In ihren Rekonstruktionen wurde ein spezifisches Medienwissen insofern deutlich, als dass sie bestimmten Medien jeweils Funktionen (bzw. Dysfunktionen) zuschrieben, die sie in ihrem Vorgehen berücksichtigten. Diese Wahrnehmung von Mediennutzung als individueller Wissensvorsprung, mit dessen Hilfe sich Gelegenheiten monetär erfolgreichen Handelns verwirklichen lassen, wird anhand einer gesprächsstrategischen Darstellung ihres Handelns in der Ich-Form deutlich. Befragte, die Medien zwar im Rahmen einer vermuteten Nützlichkeit in instrumenteller Art und Weise nutzten, aber zu keiner Problemlösung kamen, beschränkten sich bei ihrer Recherche meist auf ihre gewohnte Tageszeitung und gingen weniger aktiv auf die Suche. Vielmehr ließ sich ihre Recherche als ein zufälliges zeitliches Zusammenfallen von Artikeln und ihrem Problemlösungsbedürfnis charakterisieren. Auch sie schrieben der Zeitung nicht nur eine allgemeine Information über gesellschaftlich relevante Vorgänge zu, sondern gingen von einer Nützlichkeit für individuelle Belange aus. Innerhalb ihrer Problemlösungsstrategien erwarteten sie jedoch einen auf den ersten Blick offenkundigen „Match“ zwischen ihrer Lage und
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den angebotenen Lösungen, was zu einer Medienkritik führte. Sie beschrieben ihre Mediennutzungsepisoden in der versachlichten Man-Form, die das solcherart realisierte Medienwissen in die Nähe eines Allgemeinguts rückt und damit von einer allgemein verbreiteten Form des Umgangs damit oder eben allgemein verbreiteten Problemen im Umgang ausgeht (und nicht als individuell und damit prinzipiell auch anders gestaltbarer Umgang). In dieser Haltung lässt sich abermals eine spezifische Vorstellung vom Mit-Publikum erkennen (vgl. Dohle/Hartmann 2005); hier als ein großer, wenig spezifizierter Empfängerkreis; ein Gesamt an allen Bürgern, die auf diese Informationen angewiesen sind bzw. die vielmehr, da das Thema Altersvorsorge als ein von außen aufgezwungenes Thema empfunden wird, sogar ein Recht darauf haben. Ebenso werden Passivformulierungen verwendet, die die Benennung konkreter Akteure und damit konkreter „Schuldiger“ vermeiden, ihre normativen Erwartungen richten sich an „die Medien“. Dahinter lässt sich auch eine sehr hohe Anspruchshaltung an die gesellschaftliche Funktion von Medien sehen, nach dem Motto: Wenn sie schon sagen, was wichtig ist, müssen sie auch sagen, wie es zu tun ist. Gerade bei den Enttäuschten wurde die prinzipielle Fragwürdigkeit und Instabilität des Wissens, welches in der Mediennutzung, die als Agent der kontinuierlich stattfindenden sekundären Sozialisation bezeichnet werden kann (vgl. Berger/ Luckmann 2007:153), angeeignet wird, deutlich. Es wurde zwar aufgrund der Stärke der innewohnenden Logik (vgl. z. B. den Topos „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“) als relevantes Wissen empfunden, konnte aber aufgrund der Vielfalt der Darstellungen bzw. der Nicht-Passung zur eigenen Lebenssituation nicht eingeordnet werden. Damit ist es angreifbarer als die eher simplen Wahrheiten, die in einem Großteil der interpersonalen Kommunikation besprochen wurden (sparsam sein, sich Dinge einteilen, wertschätzen). Dieser Umstand erklärt auch das Paradoxon, warum zwar soviel über Altersvorsorge gesprochen wird, sich auf individueller Ebene jedoch wenig praktische Handlungen daran anschließen. In beiden Fällen wurden Episoden der Mediennutzung in Beziehung zu Formen unvermittelter Kommunikation gestellt: Man muss anschließend an die (ungenügende) Problemlösung mittels medialer Informationen bei Bekannten oder Fachleuten nachfragen, um die „Regeln“ der Altersvorsorge zu erkennen oder man nutzt die Medien, um sich – in Abgrenzung zu familiären Empfehlungen – selber eine „unabhängige“ Meinung zu bilden. Massenmedien prägen damit insofern den Kontext der interpersonalen Kommunikation, indem sie Altersvorsorge überhaupt erst zu einem – mehr oder weniger relevanten – Thema werden lassen.
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Routinemäßiges Lesen
Teilhabe
Interessengeleitete Teilhabe („Geld vs. Kultur“)
Gezielte Recherche
Bewährte Problemlösung
Vermutete Nützlichkeit
Abbildung 6: Überblick über die herausgearbeiteten Rahmen der Tageszeitungsnutzung
3.3.3
Schulden als sozialstrukturelle Problemlage
Die verschiedenen Rekonstruktionen des Geldhandelns, wie sie hier exemplarisch beschrieben wurden, geschehen nun nicht voraussetzungslos. Schütz legt seiner Analyse des alltäglichen Handelns in der Sozialwelt die Annahme zugrunde, dass ein Akteur nicht nur Wissen hat, sondern dass er immer aufgrund von Annahmen über die eigene Situiertheit innerhalb des sozialen Aktionsraumes handelt (also Wissen ist). Akteure nehmen Handlungsoptionen systematisch, d. h. nicht voraussetzungslos wahr, sondern nach einem internen Kriteriensystem: „Die das Handeln bestimmenden subjektiven Situationsdefinitionen sind dann nicht mehr nur allein vom verfügbaren Wissensvorrat abhängig, sondern ebenso von der biografisch bestimmten Situation eines Akteurs, die ihn gegenüber der Sozialwelt eine Stellung ‚nicht nur bezüglich Status und Rolle innerhalb des sozialen Systems, sondern auch eine moralische und ideologische Position’ (Schütz 1971a: 159) einnehmen lässt, aus der heraus gehandelt wird.“ (Hirseland 1999: 92).
Schütz benennt diese subjektive Situiertheit „Lebensplan“ (vgl. Schütz 1971b: 160), der darüber entscheidet, welche Aspekte von Situationen als bedeutsam wahrgenommen werden, wie sie gewichtet werden bzw. überhaupt als relevant für die Situationsdefinition gelten. Handeln ist also nicht nur als situationsbezogen sinnhaft, sondern als durch den situationsüberspannenden subjektiven Lebenszusammenhang motiviert zu begreifen. Dieses mehr oder weniger konsistente System von Lebensplänen ist ein Teil der Motivationsrelevanzen, die definieren, aus welchem Grunde und zu welchem Zweck ein Thema im Alltag eines Individuums bedeutsam wird. In der Motivationsrelevanz drückt sich immer der Vergangenheits- und Zukunftsbezug seiner Motive aus: Ich tue etwas, weil ich bestimmte Erfahrungen gemacht habe (Weil-Motive), gleichzeitig verbinde ich mit meinem Tun bestimmte Absichten und Pläne (Um-zu-Motive). Besonders deutlich wurde die Verwobenheit von Sinnherstellung aktuellen Handelns, spezifischen kommunikativen Episoden und biografischer Erfahrung in den Interviews mit den Überschuldeten.
3.3 Aspekte der monetären Identitätsbildung in kommunikativen Episoden – Komparative Analyse
3.3.3.1
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„Ihr da oben – wir hier unten“ – Mediennutzung als soziale Verortung
Wie bereits in der Fallanalyse von Helga S. sowie in den Episoden familiärer Kommunikation über Preise und Einkaufsgewohnheiten deutlich wurde, sind ihre überbordenden Verbindlichkeiten für die Schuldner das bestimmende Thema. So sind die Rekonstruktionen von Diskussionen mit Familie und Bekannten über das Einkaufen durch Helga S. auch als Rechtfertigungen der Menge, der Praktiken und der Orte ihrer Einkäufe in der Interviewsituation zu sehen. Die Verschuldung als dominantes Lebensthema zeigt sich auch in ihrem Sprechen über die Rezeption medialer Inhalte. An ihre Erzählung, dass sie ihre Riester-Rente abgebrochen hat, weil ihr die Schuldenregulierung wichtiger ist und an die Darstellung ihrer Unsicherheit, ob sie „irgendwann mal“ ihren Sparvertrag weiterführt, knüpft sie ein Räsonnement über das Thema Altersvorsorge als mediales Thema, in dem die Themen Vielstimmigkeit und die daraus resultierende Frage der Glaubwürdigkeit als Gegenhorizonte eingeführt werden: Textbeispiel Helga S., „Knallen sie uns drauf“ „Also ich denke mal, wird doch viel erzählt, und für Leute, die sich nicht damit befassen und sehr gutgläubig sind, da ist das manchmal sehr viel, da kann man nicht so unterscheiden. Man wird ganz schön unter Druck gesetzt, von wegen, jede Stunde zählt. Also viel bringt es eigentlich nicht, aber ich mach es weiter, sind so kleine Polster. Aber eine richtige Ahnung hatte ich damals auch nicht. Also das musste man schon so machen, dass man sagt, also gut dann habe ich jetzt ein Startkonto meinetwegen, wo ich, zahl ich monatlich fünfzig Euro oder wie auch immer ich kann. Aber auch mit der Lebensversicherung, wahrscheinlich reicht da auch alles nicht, also da ist nichts. Manchmal mitunter kann man es nicht mehr hören, weil, man weiß nicht, wem man da noch trauen soll. Ob man jetzt, meine, das sieht man ja alleine mit dem, mit dem, mit der neuen Regierung, mit den ganzen Steuern und nein wirklich, wirklich und beng knallen sie uns dann wieder drauf kann man sagen. Aber man kann eigentlich niemandem mehr trauen, was man nicht selbst weiß, so wie es ist. Viel Vertrauen hab ich eigentlich da nicht mehr. Ich denk, da muss man sich selber ein Bild machen. Entweder man macht das und sagt o. k., jetzt hab ich aber völlig fürchterlich daneben gelegen oder man sagt, o. k. lass es sein, sei vorsichtig. Und ich denke mal, also ich bin da mehr vorsichtig, als wenn ich das bisschen, was ich noch habe dann auch noch verliere.“ (P20: 126)
Die in dieser Passage enthaltene implizite Bezugnahme auf den massenmedialen Diskurs der Altersvorsorge wird zunächst als persönliche Meinung gerahmt („Also ich denke mal…“). Damit ist die Argumentation als persönliche Meinung gekennzeichnet und gegen das Infragestellen durch den Interviewer immunisiert. Eine weitere Vorsichtsmaßnahme ergreift sie, indem sie im ersten Satz verallgemeinernd die Wirkung des Diskurses auf „Leute, die sich nicht damit befassen und sehr gutgläubig sind“ beschreibt. Erst mit den nächsten beiden Sätzen stellt sie schrittweise die Zuordnung ihrer Person zu dieser Gruppe her. Damit hat sie deutlich gemacht, dass ihr Problem mit dem Verständnis von Praktiken zur Altersvorsorge keinesfalls als individuelles Problem anzusehen ist, sondern vielmehr durch die Stimmenvielfalt und den „Druck“, der durch den Diskurs ausgelöst ist, hervorgerufen. An kei-
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
ner Stelle der Passage werden Medien explizit benannt, sie erscheinen als äußere, unpersönliche Mehrstimmigkeit („wird doch viel erzählt“), die – so ist es zumindest als immanente Möglichkeit in ihrer Argumentation enthalten – richtig informieren könnten. Im Gegensatz dazu lassen Medien jedoch die Welt für „Leute…die sehr gutgläubig sind“ als undurchsichtige Welt erscheinen, sie verkomplizieren sie: „… wird doch viel erzählt … da kann man nicht so unterscheiden … man wird unter Druck gesetzt … kann man es nicht mehr hören … man weiß nicht, wem man da noch trauen soll … man kann eigentlich niemandem mehr trauen, was man nicht selbst weiß, so wie es ist“. Diese Umstände charakterisieren das Handlungsfeld, innerhalb dessen sie die Entscheidung zur Altersvorsorge getroffen hat bzw. treffen musste. Ihre Argumentation ist nicht als klare Assoziation oder Dissoziation von einzelnen Elementen aufgebaut (vgl. zum Aufbau einer Argumentation Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969), vielmehr folgt einem bejahenden Argument in einer kontrastiven Verknüpfung ein verneinendes Argument. Sehr deutlich wird das an der Abfolge der Konjunktionen in der Passage: „Also… Also… aber… Aber… Also…. Aber…, weil… Ob… Aber… Entweder…, oder… Und...“ Die in Argumentationen dominante Weil-Struktur tritt hier in den Hintergrund, vielmehr ist ihre Argumentation zuallererst als innere Argumentation zu sehen, in der sie erst zu einer Rechtfertigung ihres Handelns findet und an der sie den Interviewer teilhaben lässt. In dem „Unbenanntlassen“ konkreter medialer Quellen liegt zunächst ein Hinweis darauf, wie fraglos Massenmedien im Alltag geworden sind. Man könnte die Nicht-Nennung der Medien hier auch als Folge des rhetorischen Mittels der Pauschalisierung sehen, die Helga S. vornimmt, indem ihre Rede affektmarkierte Bewertungen und lexikalische Verschärfungen aufweist sowie entlang von einer Geschichte und Entrüstungssequenzen gestaltet ist (vgl. Nazarkiewicz 1997). Allerdings findet diese Pauschalisierung im Rahmen einer Argumentation statt. Diese Textsorte setzt immer eine Fraglosigkeit gemeinsamen Wissens zwingend voraus. Dieses fraglose Wissen besteht hier darin, dass die Partner, die sich innerhalb der Gesprächssituation des Interviews befinden, auf einen Grundbestand lebensweltlicher Gegebenheiten zurückgreifen können (und zu denen auch die Möglichkeit des 60 Erfahrens von Dingen durch Medien gehört) ohne sie explizit zu benennen. Massenmedien sind darüber hinaus hier aber auch Repräsentanten einer gesellschaftlichen Ordnung; die Passage kann als Ausdruck der von Helga S. „gedachten Ordnung“ von Gesellschaft (vgl. Soeffner 1990: 47; Knoblauch 1995: 295) gelesen werden. In diesem Sinne wird in der Passage außer dem systemisch und nicht indivi60 „Nicht die Begründbarkeit von Aussagen, sondern ihre Verhaftung im ‚Wahrscheinlichen’, den Plausibilitäten des Alltagswissens, bildet den Ausgangspunkt einer jeden Argumentation.“ (Knoblauch 1995: 277)
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duell verorteten Problem des Misstrauens und der Unglaubwürdigkeit noch etwas anderes deutlich: Helga S. nimmt hier eine soziale Kategorisierung vor: „…knallen sie uns dann wieder rauf...“. Sie und wir – in dieser Antonymie findet sich ein Topos, der in der Literatur vor allem durch Popitz bekannt geworden ist: der Topos „oben versus unten“ (vgl. Popitz 1972). Popitz beschreibt damit die Wahrnehmung des Selbst in sozialen Rollen, die sich konträr – beispielsweise in einem Verhältnis von Anhängern versus Akteuren, Massen versus Eliten – gegenüber stehen. In dem vorliegenden Kontext kann man diesen Topos auch als Einschluss bzw. Ausschluss in Chancen und Möglichkeiten innerhalb einer Gesellschaft interpretieren und damit als gegensätzlichen Rahmen zu der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Zeitungsnutzung als Teilhabe positionieren. Mit der Verwendung des 61 Topos als quasi-logischem Argument beschreibt Helga S. rhetorisch ihren Handlungsspielraum innerhalb der Gesellschaft, den sie, vermittelt über den Medienkonsum, wahrnimmt. Topoi sind nach Popitz nicht abhängig von der persönlichen Erfahrung oder der Weltanschauung des Einzelnen, sondern von der Erfahrung und Praxis der gemeinsamen Gruppe. Der Einzelne wählt für sich die Topoi aus, die ihm am meisten einleuchten. In ähnlicher Weise findet man diesen Topos auch in anderen Interviews mit Schuldnern, so zum Beispiel mit dem Ehepaar Evi und Uwe B. Die folgende Passage ist eine Antwort von Uwe B. auf die Frage der Interviewerin, welche Medien er denn regelmäßig nutzt: Textbeispiel Uwe B., „Abgezockt“ „Ja, das ist eigentlich erschreckend, wenn man eigentlich die heutige Zeitung aufschlägt, es ist egal, welche. Meistens kauf ich ja wie gesagt BZ und Kurier dann. Es ist eigentlich erschreckend, da gibt es eigentlich nur noch gewisse Hauptthemen eigentlich, was so in der Politik abläuft, wie die, wie die Kultur sich gewandelt hat. Dann, wie Gewalt immer mehr zunimmt, ob es nun alles so aufgebauscht, ob das nun noch zusätzlich aufgebauscht wird von den Medien wird noch dazu kommen, denk ich mir mal. Aber man sagt ja immer eine gewisse Prozentzahl Wahrheit ist ja immer drin. Und der Rest ist, muss ich sagen, Sex. Also Sexorgien und was nicht alles. Und das geht nur noch um solche Hauptthemen. Und das ist vielleicht auch Ablenkungsmanöver von den gewissen Hauptthemen, ob das auch alles so stimmt wie die Medien uns das rüberbringen, was in der Politik entschieden wird und ob das, wie gesagt, das gewisse Korruption und das das alles nur noch, merkt man ja selber. Wir werden abgezockt bis zum geht nicht mehr, also. Und das ist furchtbar ist doch das, furchtbar. Es macht uns schon gar keinen Spaß mehr, eigentlich, wirklich das Beste nur noch in die Sportseite reinzukieken.“ (P23: 014)
61 Quasi-logische Argumente orientieren sich an den Argumentationsformen der formalen Logik. So werden beispielsweise in einer quasi-logischen Argumentation Inkompatibilitäten aufgezeigt, die allerdings nicht wie im logischen Argument der Widerspruchsfreiheit formal als Widerspruch fassbar sind, sondern nur aufgrund der eigenen Interpretation und Deutung (vgl. Knoblauch 1995: 278). Eine Aufzählung von Formen logischer und quasi-logischer Argumentation findet sich in Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969.
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Bis auf den zweiten Satz antwortet Uwe B. nicht direkt auf die Frage nach seiner Mediennutzung, sondern bewertet „die Medien“. Er verdeutlicht seine Medienschelte, die er mit dem ersten Satz als allgemeingültige Tatsache konstatiert, durch eine Aneinanderreihung von Argumenten: Medien beschränken sich nur noch auf wenige Themen, darunter zunehmende Gewalt, sie „bauschen auf“, d. h. stellen die Themen auch noch verzerrt dar und liefert schließlich eine Erklärung für diese Dysfunktionalität: Gewalt und Sexthemen dienen als Verschleierung dessen, was wirklich stattfindet. Auch hier ordnet sich der Interviewte einer Gruppe zu, die keinen Einfluss auf das hat, was mit ihr gemacht wird: „Wir werden abgezockt“. Medien erscheinen als Handlanger einer Politik, die als exteriore Gewalt das Dasein der Menschen bestimmt. Genau wie in der Perspektive von Helga S. (und im Gegensatz zu Rahmungen als Teilhabe oder Problemlösung wie sie im AltersvorsorgeKapitel dargestellt wurden), sieht Uwe B. keine Möglichkeit, durch medial vermitteltes Wissen eigene Handlungsstrategien zu bewerten und sie damit individuell nutzbar zu machen. Vielmehr erscheint der Zusammenhang zwischen Medien und Politik sowie die Verortung der eigenen Person als ausgeschlossener Beobachter, der möglicherweise auch noch Gefahr läuft, der Medienberichterstattung „auf den Leim“ zu gehen, als festgefügtes, unabänderliches System. Textbeispiel Uwe (U) und Evi B. (E), „Nur Show“ E Nein, nein, also Musiksendungen haben wir auch und sehen uns auch, aber sehen uns auch an. U Nein schon, sehen wir ganz gerne eigentlich, ja I Ja, o. k. E Ja das lenkt ab. Weil wir dieses ernste, die reden und belabern und belabern… Jede, jede Sendung der Christiansen mag ja schön und gut sein, aber es bringt ja nichts. U Das ist es nämlich. Die Sendung ... E Können ja nichts ändern. U Die Sendung mag sein, ganz o. k. Aber wenn es was bringen würde... E Na ja. U ... solche Sendungen. Dann wäre das ja schön. Aber vor allem, da sitzen ja eigentlich die richtigen Leute auch teilweise in solchen Sendungen. E Na ja das ist aber nur Show siehst ja, nur Show, Show, Show, Show. U Aber es ist ja, es kommt doch nichts raus dabei. E Das ist doch nur Show, was immer im Fernsehen kommt. U Das ist es, das ist es, das ist es. E Und das haben wir jetzt mitgekriegt. (P23: 110)
Da hinter jedem Topos ein bestimmter „sozialer Ort“ steht, an dem sich dieser Topos als sinnvoll erweist (vgl. Popitz 1972: 84), ist im Folgenden nach den Bestimmgründen dieser Rahmung von massenmedialen Episoden zu suchen, die sich in fast allen Schuldner-Interviews findet. In einer Untersuchung von 1998 setzen Brettschneider und Vetter Mediennutzung und politisches Selbstbewusstsein miteinander in Beziehung (vgl. Brettschneider/Vetter 1998). Sie kommen zu dem
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Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen Zeitungslektüre und gesteigertem politischem Selbstvertrauen besteht. Unterhaltungskonsum dagegen geht mit einem geringen Responsivitätsgefühl, also mit dem Misstrauen des Bürgers in die Tatsache, dass seine Belange von der Politik aufgegriffen werden, einher. Weiß erklärt diese Zusammenhänge zwischen politischem Selbstvertrauen und Medienkonsum genauer, indem er zusätzlich die Lebensumstände berücksichtigt (vgl. Weiß 2001a). Er macht in seiner Studie beispielsweise allein lebende Rentner und Rentnerinnen aus der Arbeiterschicht als sozialen Ort dafür aus, an dem das Bewusstsein um eine materielle Abhängigkeit und die Suche nach stabilen sozialen Beziehungen zu einem Mediengebrauch führen, der sich in Formen „einer unbeschwerten Teilhabe an einer im Grundsatz harmonischen Welt“ inszeniert (vgl. Weiß 2001a: 360). Dieses sehen sie beispielsweise in Unterhaltungsserien und Heimatfilmen verwirklicht. Das Ressentiment gegenüber der Politik und politischen Informationen erklärt Weiß aus der Desillusionierung der Hoffnung, den gerechten Verdienst für die eigene Disziplin und Tadellosigkeit zu erhalten, die sich mit dem Altern eingestellt hat. Auch die Mediennutzung der Schuldner kann man in diesem Sinne als typisch bezeichnen. Alle Überschuldeten im Sample schauten überdurchschnittlich viel fern, ihre Sehgewohnheiten lassen sich als unterhaltungsorientiert beschreiben. Bei ihnen ist es weniger das Altern, als vielmehr die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, einer so einschneidenden materiellen Krise, wie sie die Überschuldung darstellt, zu entkommen, die sich schließlich in einer Lesart der massenmedialen Inhalte als „wir hier unten“ und „die da oben“ manifestiert. Politik wird, in Übereinstimmung zu den Befunden von Weiß, durch ein autoritatives, führungsorientiertes Gesellschaftsbild vermittelt gesehen, welches eine Anspruchshaltung an Politik mit Abhängigkeitssinn verbindet. Es bestehen Erwartungen an Leistungen der Politik z. B. in der Verbesserung der finanziellen Lage bei gleichzeitiger Distanz zu den Angelegenheiten des Gemeinsinns,62 die es für diese Menschen unmöglich macht, zu definieren, was für die Stabilität des eigenen sozialen Daseins notwendig ist. Vielmehr wird die Politik in der Pflicht gesehen, diesen stabilen Rahmen zu definieren und herzustellen. Damit gewinnt die medial vermittelte, negativierte Wahrnehmung von Politik hier den Status einer Selbstbestätigung: Weil die eigene Lage schlecht ist, weil von den Medien nicht erklärt werden kann, was zu tun ist, hat die Politik, haben die Medien als Vermittler und Erklärer von Politik, versagt. Diese Weltanschauung, die Weiß als „Praxis des Ressentiments“ bezeichnet (vgl. Weiß 2001a: 361) kann nun als kulturelle Praxis wiederum in einer sozioökonomischen Situiertheit der Gruppe der Schuldner verortet werden. So war der höchste 62 So maßen in der Untersuchung von Weiß die alleinlebenden Rentner liberalen Prinzipien wie Bürgereinfluss und Meinungsfreiheit von allen untersuchten Gruppen die geringste Bedeutung zu.
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Bildungsabschluss der sieben Schuldner im Sample entweder die mittlere Reife bzw. der Hauptschulabschluss, vier der sieben waren arbeitslos, d. h. sie verfügten über kein selbständiges Einkommen (zum Vergleich: Die 23 nicht überschuldeten Befragten verfügten entweder über das Abitur oder den Hochschulabschluss, nur einer von ihnen war arbeitslos). Gespräche mit Schuldnerberatern aus verschiedenen Bezirken Berlins zeigten weiterhin, dass diese Bildungs- und Erwerbskarrieren eine Vorgeschichte haben: Menschen mit Schuldenproblemen kommen aus Elternhäusern mit Schuldenproblemen und ebenfalls niedrigem sozioökonomischen Status. Es ist diese Situiertheit als identitätsspezifische Komponente, aus der heraus die Schuldner Bezug auf medial vermittelte Inhalte nehmen, wie es die Fortsetzung der Gesprächsepisode von Evi und Uwe B. zum Thema Mediennutzung noch einmal verdeutlicht: Textbeispiel Uwe und Evi B., „Fußball“ U Ich guck Fußball sowieso, obwohl... E ... er guckt immer Fußball, ich habe da was gegen, weil die wie gesagt... U Ja trotzdem gucken kann man. E Nein, kann man nicht mehr, also weil das alles so eine Korruption ist und… U Ja. E Die geben nicht dies, was sie eigentlich spielen müssen. Wissen Sie, ich hab auch immer Fußball geguckt und ich bin der Meinung das, die kriegen so viel Geld und für soviel Geld haben sie was zu leisten. Und dann sehe ich sie da, was sie da leisten... U Ja das ist, das ist das so, wo ich ja selber auch sagte, die haben, die Spieler haben auch einen Vertrag und der Arbeitgeber das ist der Verein und da können sie nicht aufmucken. Wir, wir dürfen auch nicht aufmucken. Und die verdienen einen Haufen Geld mehr als unsereins, ja und dann haben sie noch, gut das sind andere Verträge als wir haben, davon abgesehen ... (P23: 067)
Evi B. begründet hier in der Diskussion mit ihrem Ehemann in einer moralischen Argumentation, warum man Fußball „nicht mehr gucken kann“. Da die Fußballer ihre Pflicht nicht erfüllen, da sie dem Grundsatz „Geld gleich Leistung“ nicht genügen, ist es angebracht, dieses Verhalten durch Nichtbeachtung zu sanktionieren. Aus diesem naiven Weltbild spricht eben auch die Enttäuschung, dass eine autoritative Macht fehlt, die diese aus dem Ruder geratenen Verhältnisse zurechtrückt, wie der Vergleich mit der eigenen Existenz („wir dürfen auch nicht aufmucken“) verdeutlicht. 3.3.3.2
Kommunikatives Handeln als Identitätstransformation
Wenn Handeln immer vor dem Hintergrund einer subjektiven oder sozialstrukturellen Situiertheit heraus entsteht, ist die Frage, ob es kommunikative Episoden gibt, die nicht nur die Identität als Schuldner spiegeln und festigen, sondern die
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den Schuldnern Mittel zur Verfügung stellen, mit ihrer Schuldensituation zurecht zu kommen. Hirseland charakterisiert schuldenbedingte Geldarmut als einen tiefgreifenden, wenn auch subtil wirkenden gesellschaftlichen und sozialen Exklusionsmechanismus, der „über die Umsetzung von Außenursachen in Eigenschuld tief in die psychosoziale Konstitution der Betroffenen eingreift und alle Lebensbereiche durchdringt“ (vgl. Hirseland 1999: 225). Die Verschuldung wird zunächst als Erschütterung des eigenen Selbstbildes und Verlust der eigenen Kontrollfähigkeiten erlebt, wie es die folgende Passage verdeutlicht: Textbeispiel Helga S., „Vor Augen geführt“ „Ja, na ich denke mal am Anfang habe ich Probleme gehabt mit der Schuldnerberatung. Weil ich gesagt hab, nein da gehst du nicht hin und mach was, packst du alleine. Man kann es einfach nicht. Wenn es denn die Summe von, von, von dreihundert Euro gewesen wäre, sagt man, na ja gut also, die rutscht du dir ja, in einem Jahr ist das erledigt. Aber es waren halt mehr. Wenn man zur Schuldnerberatung geht, hat man keine dreihundert Euro Schulden, da hat man mehr. Und da hab ich erst angerufen und denke na ja, mal sehen. Da haben sie mir gleich Papiere geschickt und dann eins zwei drei ruckzuck einen Termin, was ja so das schwerste war, wenn man vor Augen geführt kriegt, wie weit man reinrutscht. Und jetzt muss ich sagen, hab ich nicht mehr soviel Probleme. Seit dem ich nämlich da war, seit dem ich das alles offen gelegt habe und alles, alles raus ist.“ (P20: 098)
Der Gang zur Schuldnerberatungsstelle kann in der Rekonstruktion durch Helga S. als ein Moment gedeutet werden, der eine große Bedeutung für ihre Identität hat, da hier bisherigen Gewissheiten („packst du alleine“) erstmals eine Absage erteilt wird. An ihrer Erzählung wird deutlich, welche große emotionale Belastung eine Schuldensituation ist. Schließlich wollte Helga S. sie sich nicht eingestehen, sie nicht zu ihrer Identität zählen, erst in der Schuldnerberatung bekommt sie sie „vor Augen geführt“ – und muss sie in ihr Selbstbild und in ihre Handlungsweisen integrieren. Schulden können damit als Stigma und – Goffman folgend – als untrennbarer Bestandteil der Identität charakterisiert werden (vgl. Goffman 1967). Laut Goffman hängt jegliche Interaktion davon ab, welche Art von Stigma (Goffmans Beispiele für Stigmata sind Behinderung, Alkoholismus, Homosexualität, „peinliche“ Berufe) man innehat. Belege für eine der drei Strategien, die Goffman im Umgang mit einem Stigma unterscheidet, finden sich in den Rekonstruktionen aller Schuldner: Sie versuchen – meist über lange Zeit hinweg – ihre Schulden zu verbergen, sie (teilweise auch vor sich selbst) unsichtbar zu machen.63
63 Zwei weitere mögliche Strategien im Umgang mit Stigmata charakterisiert Goffman wie folgt: Mit einem Eingestehen demonstriert die betroffene Person Unberührtheit von der Stigmatisierung oder aber ist von sich selbst befremdet und unternimmt in Folge Korrekturversuche der eigenen Identität. Unter der Strategie des Ausbrechens versteht Goffman einen demonstrativen Bruch mit gesell-
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Diese Strategien des Verbergens können zu einem Rückzug des Individuums aus der gesellschaftlichen Sphäre und dem Aufbau einer individuellen Sonderwelt führen. Dabei kommt es oft zur Entwicklung sublimer Techniken der Verhaltenskontrolle und des Informationsmanagements. So widmeten alle Schuldner in den Interviews Erzählungen darüber einen breiten Raum, wann sie sich selbst die Lage eingestanden haben und wem sie – nach erfolgtem Eingeständnis – ihre Schulden verbergen oder offenbaren. Im Wechsel von der personalisierten Form zu einer unpersönlichen Man-Form macht Helga S. in der Passage nun deutlich, wie schwer der Weg zu diesem Eingeständnis nicht nur aus einer individuellen Ängstlichkeit heraus ist, sondern wie schwer er jedem fallen würde. Mit dieser Verallgemeinerung trägt sie dem Erleben der Schulden als Stigma Rechnung: Schulden werden als substantielle Identitätsbedrohung erlebt, sie weiß, dass sie vom Gesprächspartner als „nicht normal“ angesehen werden und sie sucht erzählstrategische Wege, ihr Zögern beim Gang zur Schuldnerberatungsstelle plausibel zu machen. Nach dem Gang zur Schuldnerberatungsstelle schließlich erfolgt eine andere Strategie: Helga S. gesteht sich ihre Schulden ein und unternimmt damit einen Korrekturversuch der eigenen Identität. Dabei sind die Gespräche in der Schuldnerberatungsstelle als Mittel dieser Identitätstransformation zu sehen. Sie sind deshalb von den Medien öffentlicher Kommunikation als Agenten sekundärer Sozialisation abzuheben, als dass sie über längere Zeit ein hohes Maß an Identifikation voraussetzen und sehr emotional verlaufen. In der Fallstudie wurde bereits angesprochen, dass Helga S. bei ihren ersten Gesprächen „Rotz und Wasser geheult“ hatte. Diese tiefgreifenden kommunikativen Episoden sind allerdings notwendig, um eine Identitätstransformation stattfinden zu lassen, denn, so Berger und Luckmann: „Es bedarf ernster Erschütterungen im Leben, bis die dichte Wirklichkeit, die in der frühen Kindheit internalisiert wird, auseinanderfällt.“ (Berger/Luckmann 2007: 153)
Der Schuldnerberater fungiert dabei als signifikanter Anderer, der die neue Identität und die Transformation subjektiver Wirklichkeit mit einer Plausibilitätsstruktur stützt und die neue Wirklichkeit gleichsam „eröffnet“. Gleichzeitig erfolgt nun eine Wandlung der Perspektive auf die Welt aus der Sichtweise der neuen Plausibilitätsstruktur. Das erklärt, warum fast alle Überschuldeten im Sample alles im Licht ihrer Überschuldung betrachteten: „Die Welt hat nun ihren kognitiven und affektiven Blickpunkt in der neuen Plausibilitätsstruktur“ (Berger/Luckmann 2007: 168). Bei Moritz M., einem 24jährigen Arbeitslosen, war jedoch keine Identifikaschaftlichen Normalitätswartungen; Normalität wird vom Betroffenen in Frage gestellt und neu definiert (vgl. Goffman 1967).
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tion mit dem Schuldnerberater zu erkennen, er nahm zwar sporadisch einige der Beratungstermine wahr, blendete aber weitestgehend seine prekäre finanzielle Lage aus. In seinem Freundes- und Verwandtenkreis waren alle verschuldet, seine sozioökonomische Lage war an seinem sozialen Ort damit zur Normalität geworden und innerhalb dieser Gemeinschaft anerkannt. Damit wird deutlich, dass sich eine Selbstidentifizierung nur in einem Milieu erhalten lässt, welche diese Identität bestätigt. Eine so tiefgreifende Transformation der subjektiven Wirklichkeit, wie sie innerhalb der Schuldnerberatung stattfindet, macht andererseits die Existenz konkurrierender Sinnwelten unmöglich, wie sich am Beispiel der 26jährigen Katja M., einer alleinlebenden arbeitslosen Mutter von zwei Kindern, studieren lässt. Sie berichtet davon, dass der Beginn ihrer Schuldenregulierung mit einer Ablösung von ihrem bisherigen Freundeskreis einherging.64 Mit der Ähnlichkeit der Transformation der subjektiven Wirklichkeit, wie sie in Therapieangeboten wie der Schuldnerberatung vorgenommen wird, zur primären Sozialisation, lässt sich konstatieren, dass hier zwingend interpersonale Interaktionen, die ausdrücklicher und gefühlintensiver sein können, notwendig sind. Allein durch Zeitungsberichte oder beispielsweise durch neue Edutainment-Formate wie die RTL-Show „Raus aus den Schulden“65 kann eine Transformation der Schuldneridentität nicht stattfinden: „… die wirklichkeitsschaffende Kraft solcher Methoden ist dem Vis-à-vis-Gespräch, für das sie stehen, weit unterlegen“ (Berger/Luckmann 2007: 166). Nur das Gespräch lässt eine unmittelbare Verschränkung der Perspektiven und den gefühlsmäßigen Nachvollzug der Perspektive des Anderen zu. 3.3.3.3
Fazit
An den Interviews mit den Schuldnern wird dreierlei deutlich: die Stärke des Schuldenthemas als lebensbestimmendes Thema, die soziale Verortung, die sowohl in der Bezugnahme auf die kommunikativen Episoden realisiert wird als auch ein Bestimmgrund dafür ist sowie der unterschiedliche Stellenwert, den Episoden direkter und medial vermittelter Kommunikation für die Ausbildung, Aufrechterhaltung und Wandlung der Schuldneridentität. 64 Vgl. dazu Berger und Luckmann: „Die neuer Plausibilitätsstruktur muß die Welt des Menschen werden, die alle anderen Welten und besonders die, welche er vor seine Konversion ‚bewohnte’ verdrängt. Das macht seine Ansonderung von ‚Mitbewohnern’ der Welt, die er hinter sich gelassen hat, nötig.“ (Berger/Luckmann 2007: 169f.) 65 Es wäre sicherlich interessant zu erfahren, wie diese Sendung von Überschuldeten rekonstruiert wird; leider lag die Untersuchung jedoch lange vor dem Sendestart der ersten Staffel am 11. April 2007
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Die Erfahrung der Instabilität, materiellen Bedrohtheit und Abhängigkeit der Lebenssituation wird zu einem überragenden Lebensthema, welches die Perspektiven auf kommunikative Situationen und die Deutung kommunikativer Inhalte prägt. Diese Lesarten sind, wie es anhand der milieuspezifischen Rekonstruktion von relevanten Topoi der Aneignung massenmedialer Inhalte deutlich wurde, in den vorliegenden Fällen soziostrukturell bedingt und lassen damit eine Interpretation in der Perspektive von Bourdieu zu (vgl. Bourdieu 1984).66 Demnach äußern sich soziale Lebensumstände auf der Ebene individueller Akteure durch die Menge subjektiver Ressourcen, die dem Einzelnen zur Verfügung stehen. Diese Ressourcen, von Bourdieu durch die Begriffe des ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals konkretisiert, können für die Eroberung sozialer Positionen eingesetzt werden. Sie werden im individuellen „Habitus“, d. h. als distinkte Lebens-, Wahrnehmungs- und Handlungsweise des Akteurs transformiert und schlagen sich als subjektive Muster der Anschauung und des Handelns nieder. In diesem Sinne sind es nicht nur ökonomische Kapitalien, also materielle Mittel, die beeinflussen, wie der Mensch das Projekt seiner individuellen Lebensführung verwirklicht, sondern auch das kulturelle Kapital, also Kompetenzen der Mediennutzung oder soziale Kapitalien, die in diesem Falle aus den persönlichen Beziehungen bestehen, die die Schuldner unterhalten und die ihnen auch andere Lebensentwürfe verdeutlichen können. Es zeigt sich, dass gerade ein Mangel an sozialem Kapital Handlungsgrenzen des Individuums markiert, da die Sinnwelten, auf die innerhalb persönlicher Interaktionen angespielt wird und die jeder Handlung innerhalb des Geschehens ihren Sinn geben, unmittelbar und intensiv und damit von großer Bedeutung für die Bestätigung oder Transformation monetärer Identität sind. Vor dem Hintergrund der Beobachtung von Hirseland, dass gerade durch Schulden der Mensch, da er aufgrund des Geldmangels von einer Teilhabe an der „konsumöffentlich“ geprägten Alltagswelt ausgeschlossen ist und damit an sozialer Austausch- und Verkehrsfähigkeit verliert (vgl. Hirseland 1999: 225), ist aber ein eingeschränktes soziales Kapital bei den Schuldnern eher die Regel als die Ausnahme. Sieht man ein spezifisches kommunikatives Repertoire darüber hinaus noch als kulturelles Kapital, ist auch hier eine spezifische Situiertheit zu konstatieren. Das empirische Material lässt die Vermutung zu, dass die Schuldner im Sample Medien in typischer Art und Weise nutzten. Dazu zählen unterhaltungsorientierte Programme sowie lokale Nachrichten und Berichte. Sieht man das ganze im Lichte einer modifizierten Wissensklufthypothese, kann man auch formulieren: Die Schuldner nutzen Inhal-
66 Bourdieu zeigt in ähnlicher Weise Beispiele „emanzipatorischer Gemeinplätze“ aus dem Kleinbürgertum (vgl. Bourdieu 1984: 571 und 579).
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te, die für sie funktional sind.67 So sind eben die Möglichkeiten von Helga S., für das Alter vorzusorgen, durch ihre mangelnden finanziellen Mittel eingeschränkt. Damit gibt eine Lebenssituation eine bestimmte Lesart von kommunikativen Inhalten zum Thema Altersvorsorge vor, die – im Anschluss an die beiden im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Rahmen routinemäßiger Mediennutzung – als weitere Aneignungsmöglichkeit im Rahmen des Topos „oben vs. unten“ beschrieben werden kann. Auf der anderen Seite nehmen Darstellungen der Bemühungen, mit der schwierigen finanziellen Lage zurechtzukommen, in den Interviews mit den Schuldnern einen großen Raum ein. Für sie sind es hauptsächlich Praktiken des Einkaufens, mit denen sie dieser Seite ihrer Identität gerecht werden können, und für die Lokalzeitungen auch Ressourcen darstellen, beispielsweise in Form von Werbung. Die soziodemographische Kontextualisierung kann damit auch im Kontext dieser Untersuchung als Möglichkeit gelten, um den Zusammenhang zwischen Mediengebrauch und einer bestimmten Weltanschauung bzw. Haltung zu politischen Diskursen zu erklären (vgl. Weiß 2001a: 365). Am Beispiel der Schuldner zeigt sich ein Gefühl von Ausgeschlossenheit und Entfremdung, welches den Gebrauch von Medien beispielsweise als Objektivierungsstrategie eigenen Handelns verhindert. Routinemäßiges Lesen
Teilhabe
Interessengel. Teilhabe
Oben vs. unten
Abbildung 7: Übersicht über den herausgearbeiteten Rahmen der Mediennutzung durch Schuldner
67 Die erste Fassung der Hypothese der wachsenden Wissenskluft ging davon aus, dass, wenn der Informationsfluss der Massenmedien in einer Gesellschaft wächst, Menschen mit höherem sozioökonomischem Status mehr davon profitieren als Menschen mit niedrigerem. Später wurde die Hypothese dahingehend modifiziert, dass die Aneignung von massenmedial vermitteltem Wissen von der Art des Themas und von der Motivation zur Aneignung von Medieninhalten abhängt. Man spricht also nicht mehr von Defiziten in der Medienaneignung, sondern von Differenzen. Als Überblick zur Wissenskluftforschung vgl. Bonfadelli 2007; Bonfadelli 2001 sowie Schenk 2007.
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An Bourdieu wird kritisiert, dass er eine strukturdeterministische Perspektive verfolge (vgl. Keller 2005: 52).68 Allerdings sind im Begriff des Habitus auch Momente eigensinnigen Interagierens enthalten: Mit Bourdieu ist zwar davon auszugehen, dass der individuelle Habitus als wichtiges Prinzip des individuellen Handelns durch die Gesellschaft und durch die Position in der Sozialstruktur geprägt ist, dass die jeweils verfügbaren Ressourcen Handlungsgrenzen markieren und gleichzeitig den sozialen Ort eines bestimmten Milieus verfestigen69, innerhalb dieser Grenzen aber gesteht er den Menschen durchaus Freiheit, Individualität und die Chance auf Innovationen zu. Doch während Bourdieu sich auf das Zusammenspiel von objektiven Gegebenheiten und subjektiven Kompetenzen und Handlungsweisen konzentriert, stellt die Suche nach institutionellen Verfestigungen der Aneignung von Wissen und damit kulturellen und sozialen Kapitalien eine Perspektive dar, die explizit auf der Suche nach dieser individuellen Herstellung von Wirklichkeit ist. Dies lässt sich, wie gezeigt, ein Stück weit im Sinne der Bourdieuschen Kapitalien deuten. So spielt wiederum Medienkompetenz als spezifische Form kulturellen Kapitals eine große Rolle für die Rekonstruktion der Schuldneridentität. So berichtet die 23jährige Maike W., zurzeit verschuldet und arbeitslos, von der Bedeutung, die das Chatten im Internet für sie hat. Sie sucht dort Gleichgesinnte, also verschuldete Jugendliche, und tauscht sich über ihre Situation aus. Weiterhin gibt sie, die sich als “erfahrene Schuldnerin“ versteht, anderen Tipps zur Verbesserung ihrer Lage bzw. Verhinderung einer ernsthaften Überschuldung. Die Kenntnis anderer Schuldnerkarrieren lassen sie zu dem Schluss kommen, dass ihre Situation durchaus zu bewältigen ist. Darüber hinaus wird die Schuldneridentität in kommunikativen Episoden nicht nur hergestellt, sondern auch gewandelt. So dienen Gespräche mit dem Schuldenberater nicht nur der kontinuierlichen Bestätigung der eigenen Iden68 So wird vor allem moniert, dass Bourdieus Theorie ein einfacher Strukturdeterminismus zugrunde liegt, demzufolge gesellschaftliche Klassen- und Herrschaftsverhältnisse die sozialen Verhältnisse und die Verteilung von Wissensbeständen erklären, Klassenstruktur also gleich Sozialstruktur ist (vgl. KELLER 2005: 52; Müller 1989: 65); auch seien zentrale Begriffe wie Habitus undifferenziert (vgl. Treibel 2000: 210f.). Bourdieu selbst versteht sich in Abgrenzung zu Berger und Luckmann, deren „Subjektivismus“ er Vorbehalte entgegenbringt, als „strukturalistischer Konstruktivist“. Damit verleiht er seiner Vorstellung Ausdruck, dass es in der sozialen Welt Strukturen gibt, die vom Bewusstsein und Willen der Handelnden unabhängig sind (vgl. Bourdieu 1992: 135). Die soziale Konstruktion des Wissens wird von Bourdieu also als Herrschaftsfunktion analysiert; gesellschaftliche Akteure als Kämpfer um soziale Vormacht und soziale Praktiken als Distinktions- und Herrschaftspraktiken (vgl. Keller 2005: 52). Dies verenge den Blick auf eine vielschichtigere soziale Welt. 69 Auch Berger und Luckmann gehen davon aus, dass subjektives Wissen nicht nur innerhalb eines Lebens ungleich verteilt ist, sondern auch im sozialen Raum, wobei die Ungleichheiten mit zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung und arbeitsteiliger Spezialisierung zunehmen. So spiegeln bereits die subjektiven Relevanzsysteme, die als „unbewusstes“ Wissen gelten, durch ihre biografische Prägung bestimmte Habitus wieder (vgl. Berger/Luckmann 2007: 174)
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tität, sondern sind auch als Resozialisationen anzusehen, die der primären Sozialisation ähnlich sind, weil sie die bis dahin gültige subjektive Wirklichkeit radikal verändern. 3.3.4
Die soziale Welt der Hobby-Börsianer
Ein weiteres Thema, auf das in den Rekonstruktionen der Interviewpartner häufig Bezug genommen wurde, war das Investieren an der Börse. Obwohl ein Großteil der Befragten selber Geld in börsennotierte Anlageformen gesteckt hatte (nur 4 der 24 Unverschuldeten besaßen keine), war das Erzählen und Argumentieren darüber von Distanz und Ablehnung geprägt. Dies geschieht über die distanzierte Charakterisierung von Bekannten, die sich damit beschäftigen oder aber in direkten Stellungnahmen zu diesen monetären Handlungspraktiken, wie ein Statement von Jenny M. zeigt: Textbeispiel Jenny M., „Gruslig“ „Das ist mir zu gruselig. Ich möchte nicht jeden Tag mich damit befassen.“ (P7: 209)
Die augenscheinliche Differenz von tatsächlichem Handeln (Anlage gesparten Geldes in börsennotierte Anlageformen) und Beschreibung dieses Handelns (Börse ist nichts für mich) offenbart eine innere Distanz zu diesem Thema, die die Befragten argumentativ entlang der Bezugspunkte Risiko und Moral entwickeln. Börsengeschäfte stellen – im Gegensatz zu Praktiken des Sparens – eben nicht simple Geldsicherungs-Mechanismen dar; die dazwischen geschaltete Börse wirkt auf einige der Befragten wie eine „Black Box“. Das Risiko, das eingesetzte Geld zu verlieren, erscheint groß und weder beeinfluss- noch bestimmbar. In vielen Rekonstruktionen wird der Gegensatz zwischen Risiko und Sicherheit entworfen, der sich bei näherer Betrachtung eher als ein Gegensatz zwischen Sichtbarkeit (=Wissen) und Unsichtbarkeit (=Nicht-Wissen) darstellt. Bei der Anlage des Geldes an der Börse sind subjektive Entscheidungen zu treffen, über deren Konsequenzen man nicht genug weiß. Anspielungen auf das Ungewisse sind auch in der oben zitierten Aussage zu lesen: „Gruselig“ evoziert Gedanken an eine Geisterbahn, die ja auch eine „Black Box“ ist. Gleichzeitig wird eine Möglichkeit aufgezeigt, damit anders zurechtzukommen, als sich zu fürchten: „sich jeden Tag damit zu befassen“; eine Möglichkeit, die einen täglichen Zeitaufwand erfordert. Als zweiter Grund werden moralische Bedenken ins Feld geführt: Unmoralisch ist die immer noch unheimliche, weil unerklärbare, Vermehrung des Geldes – „von heute Zehntausend auf morgen Fünfzehntausend“ (P7: 211). Diese Geldvermehrung quasi über Nacht wird in Relation zur Sphäre der Erwerbsarbeit gesetzt, dem Bereich, in dem man ja selber – im monatlichen Rhythmus – Geldwerte schafft. Allerdings sind dort längst nicht solche
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Steigerungen möglich, die eigene Arbeit wird durch solch große, unverhältnismäßige Steigerungen also abgewertet. Unter den Befragten fanden sich auch fünf Personen, die durchweg positive Assoziationen zu Börse hatten, darunter die bereits ausführlich in der Fallbeschreibung vorgestellte Christa C. Sie handelten alle selbst mit börsennotierten Anlagen, d. h. sie besaßen einen Zugang zu einem Online-Brokerage-System und investierten einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Zeit in diese Beschäftigung. Auch in den Gesprächen mit den Börsianern finden sich Bezüge auf das Risiko, das allerdings nicht einseitig als Verlustmöglichkeit, sondern immer auch mit einem Hinweis auf die Gewinne dargestellt wird. Immer wieder tauchen in Gesprächen mit Börseninteressierten Hinweise auf eine positiv empfundene Spannung auf. Sehr deutlich wird das im folgenden Zitat: Textbeispiel Ralf H., „Goldrausch“ „Das war unglaublich intensiv, ja. Das ist, war, hat mich auch nicht gestört, das hatte so was euphorisches und als ich das erlebt hatte, kann ich sagen, verstehe ich es im nachhinein auch besser, solche Leute die nach Klondike gezogen sind nach Alaska, weil sie Gold haben wollten. Das ist so ein moderner Goldrausch, würde ich sagen, war das. Und so haben die Leute sich auch benommen.“ (P11…)
Damit finden die „Börsianer“ genau das reizvoll, was die „Moralisten“ abstößt: die Möglichkeit, in einem kurzen Zeitraum sein Geld zu vermehren. Dabei sehen sie durchaus eine Entsprechung zwischen Gewinn und Leistung, die sie durch Hinweise auf die damit verbrachte Zeit, ihre gesammelte Erfahrung und ihre intellektuelle Leistung beim Einschätzen von Lagen und Herstellen von Zusammenhängen deutlich machten. Alle der Börsianer überprüften täglich den Stand ihres Depots und einzelner Werte. Von der Intensität der Börsengeschäfte hing dann das Ausmaß der weiteren Beschäftigung ab: Wirtschaftsnachrichten lesen, insbesondere die zu den eigenen Werten, recherchieren, handeln, das Musterdepot pflegen. 3.3.4.1
Die Spezifik des Börsenwissens
Die Börsengeschäfte können durchaus tagesfüllend sein und den Befragten einiges an Zeit abverlangen. Ich möchte sie als Hobby bezeichnen, welches, wie die folgenden Ausführungen zeigen sollen, nicht nur eng mit kommunikativen Episoden verbunden ist, sondern sich durch ihre spezifische Gestaltung erst konstituiert. Ein Hobby ist im Gegensatz zu Arbeit eine Tätigkeit, der man sich nicht aus Notwendigkeit, sondern freiwillig und aus Interesse, Faszination oder sogar Leidenschaft unterzieht. Die Tätigkeit bringt unmittelbar Vergnügen, Spaß oder Lustgewinn mit sich. Dieses spielerische Element wird von allen Befragten auch als ein Grund, sich mit Börse zu beschäftigen, gesehen. Hier die Aussage einer 50jährigen,
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die während einer Phase der Arbeitslosigkeit mit den Börsengeschäften begann und sich seitdem täglich damit beschäftigt: Textbeispiel Maria M., „Mich kennengelernt“ „Also hier dieser Börsencrash zum Beispiel 1999/2000. Da habe ich mich kennen gelernt dabei. Also ich habe Sachen an mir selber beobachtet, wie ich es nicht vermutet hätte. Das war schon spannend.“ (P10: 096)
Daneben findet man im Fallvergleich bei allen Börsianern die Überzeugung, etwas Sinnvolles zu tun, sei es nun, dass man damit wie Christa C. seinen Horizont erweitert oder einen Zuschuss für die Familienfinanzen erwirtschaftet. Man beschäftigt sich selbst mit dieser Materie, die doch auch Heimat eines ganzes Berufsstandes und damit von professionellen Experten ist. Das Element der Bildung im Sinne eines Distinktionsmerkmales war für alle Börsianer ein wesentliches; sie bezogen sich in verschiedener Art und Weise darauf. Entweder wurde die Beschäftigung damit als Bildungsgeschichte deklariert; als ein Gebiet, in das man immer tiefer einsteigt und einen immer größeren Wissensvorsprung auf die Allgemeinheit erzielt oder sie wurde als eine Beschäftigung gesehen, die von vornherein „nichts für die Massen“ ist (Herbert G.), weil sie eine gewisse Bildung verlangt. Denn das Spiel an der Börse stellt sich – im Gegensatz zu anderen monetären Praktiken wie beispielsweise Sparen – als ein komplexer Wissenszusammenhang dar: Explizite Legitimationstheorien, wie sie mit den zahlreichen Börsentheorien70 gegeben sind, rechtfertigen mit ihrem differenzierten Wissensbestand diesen institutionalen Ausschnitt gesellschaftlichen Wissens und behalten den Zugang einem besonderen Personenkreis vor (vgl. Berger/Luckmann 2007: 101). Dazu verdeutlichen eine Börsensprache71 sowie theoretische Postulate in rudimentärer Form72 den Charakter als komplexer Wissensbestand im Gegensatz zum monetären Alltagswissen. Die Börse stellt sich als ein Sonderwissensbestand dar, der bis vor kurzem nur professionellen Experten zugänglich war. Erst Brokerage-Plattformen im Internet machten es auch Laien zugänglich, die sich dafür aber spezifisches Wissen aneignen müssen. In dieser Sichtweise stellt sich die Beschäftigung mit der Börse als Erkennen und Nutzen von Chancen dar, die sich demjenigen bieten, der sich Zugang zu ei70 So zum Beispiel durch die Theorie effizienter Märkte, die Spieltheorie, die Random-Walk-Theorie etc. 71 Dazu gehören Fachbegriffe wie Hausse und Baisse sowie bereichsspezifische Bedeutungen von Wörtern und Ausdrücken der Alltagssprache. So bedeuten die Adjektive „freundlich“, „fest“ oder „erholt“ im Zusammenhang mit diesem thematischen Feld, dass die Börsenkurse im Vergleich zum Vortag gestiegen sind, „schwach“ bezeichnet fallende Kurse. 72 Die zum Beispiel in Börsenweisheiten wie „Lege nie alle Eier in einen Korb“ oder „sell in may and go away“ bestehen
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nem bestimmten Raum von Praktiken und Symbolen erarbeitet hat. Dieser Zugang zu einem Sonderwissensbereich, die Aneignung dieses Wissens und damit die Ausbildung einer spezifischen Identität wird im kommunikativen Handeln hergestellt, welches sowohl in der unmittelbaren Umwelt der Befragten passiert und immer auch medial vermittelt ist. Nicht im Gewinn (oder im möglichen Verlust), also dem eigentlichen Ergebnis des Börsenhandelns (denn über dieses spricht man nicht, wie anhand der Interviews deutlich wird), manifestieren sich für den HobbyBörsianer Kompetenz und Expertise, sondern in der Ausübung der Beschäftigung, die sich über spezifische kommunikative Episoden definiert. Diese markieren gleichzeitig einen Lernprozess: Nicht nur gelten bestimmte Anlageformen als schwieriger als andere und stellen damit eigene Bereiche an Sonderwissen dar, die Bewältigung der kommunikativen Episoden selbst setzt Wissen voraus, welches im Verlauf einer „Börsenkarriere“ gleichfalls angeeignet werden muss. Drei Arten dieser kommunikativen Episoden möchte ich herausgreifen und näher beleuchten: die Konstruktion monetären (Börsen-)Wissens durch die Nutzung von standardisierten Kommunikaten (also durch Massenmedien), durch Gespräche und durch die Nutzung des Internets. 3.3.4.2
Medien als Quellen und als Gegenstand von Expertise
Textbeispiel Herbert G., „Kein Finanzwissenschaftler“ „Eigentlich so mit diesem Wirtschaftscrash damals, dem Finanzcrash damals zweitausend und na ja dann hab ich dann aufgehört, weil, das ist/ • Ich hab dann wirklich auf die, mich auf den Wirtschaftsteil in den aktuellen Zeitungen, Tageszeitungen so bissel konzentriert und dort noch, dort mal, nicht mal, dort immer mal/ es ich halt nicht regelmäßig. Für mein laienhaftes Anlegen reicht das, ja. […] Ich bin ja nun kein Finanzwissenschaftler, will ich auch nicht werden, aber das, die Informationen, die so kommen reichen mir eigentlich. […] Es reicht mir, also Henrik zum Beispiel, der, der liest dann die Frankfurter Allgemeine und das Handelsblatt, also seitenweise Wirtschaft. Also das ist mir zu, zu, zu breit •• das brauch ich nicht. Soll er machen, ja. Ich denke, das, was in der Berliner Zeitung steht, ausreichend ist, um gut informiert zu sein, zum Beispiel in den drei Seiten Wirtschaft, Wirtschaftsbericht, das, da les ich dort und da, mal den Artikel und den. Reicht mir die DAX-Entwicklung jeden Tag.“ (P14: 127)
Herbert G., ein 58jähriger Handlungsreisender, der seine Börsenaktivitäten zurückgefahren hat, stellt in dieser Passage nicht nur einen Zusammenhang zwischen seiner Positionierung als Anleger und den damit verbundenen (Medien-)Aktivitäten her. Indem Herbert G. Formate („Tageszeitungen“) und Absenderkategorien („Frankfurter Allgemeine“) sowohl mit bestimmten Inhalten als auch mit seinen Aktivitäten verbindet, berichtet er über seine Organisation der Aneignung von Börsenwissen. Diese Charakterisierung medialer Formen innerhalb routinemäßiger Informationssuche war typisch für alle Erzählungen, in denen die Börsianer über die Aus-
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übung ihres Hobbys sprachen. Indem die Befragten automatisch, d. h. ungefragt ihre Medienwahl begründeten, nahmen sie auf ein gemeinsames Wissen über die Formate Bezug.73 Die Absenderkategorien werden dabei zu Aussagen über die Professionalität, mit der man an die Sache herangeht. So lesen Christa C. und Henrik G., ein 25jähriger Student, täglich die FAZ („weil die einen so guten Wirtschaftsteil hat“ bzw. „ weil sie die einzige [ernstzunehmende] Wirtschaftszeitung“ ist). Maria M, eine 57jährige Angestellte, „stöbert“ inzwischen nicht mehr in „irgendwelchen Foren“, „weil da sind manchmal ganz schöne Spinner unterwegs“ und ihr der „Hintergrund“ fehlt. Christa C. liest Börse Online („weil die uns ganz gut gefällt“). Mittags schaut sie beim Kochen immer Börsenfernsehen, sie hat dazu extra einen Fernseher in ihre Wohnküche installieren lassen und den Profi-Dienst Bloomberg („das ist besser gemacht als n-tv“) abonniert. Und so entwirft Herbert G. in der oben angeführten Passage vor dem Gegenhorizont des „Experten“, der in der Rolle des „Finanzwissenschaftlers“ sowie seinem Sohn Henrik verkörpert ist, seine eigene Position, die sich zunächst verkürzt so liest: Für sein nur noch „laienhaftes“ Anlegen reicht eine laienhafte Information. In der Schließung seiner Beschreibung korrigiert er den Eindruck der Ungenügsamkeit, der durch die Verwendung des Wortes laienhaft und die Argumentationsfigur „a entspricht b“ entsteht: Das, was in der Berliner Zeitung steht, reicht vielmehr aus, um gut informiert zu sein. Unter Rückgriff auf den konkreten Zeitungsnamen verweist er auf eine Kategorie von Zeitung, die zu den Qualitätszeitungen gehört, und untermauert sein Statement durch eine Angabe, was dort an Informationen enthalten ist („drei Seiten Wirtschaft“), legitimiert auch durch die Verwendung eines genre- und damit wissensspezifischen Begriffes („DAX-Entwicklung“). So wie soziale Rahmen „nicht nur ‚erkannt’, sondern auch durch konkrete Handlungen konstituiert“ (vgl. Eberle 1991: 187) werden, folgt auf die Analyse bestimmter Medienrahmen auch ein bestimmter Umgang damit. Im Gegensatz zu Herbert G. nutzen die anderen Börsianer täglich mehrere massenmediale Quellen, wie es am Beispiel von Christa C. bereits in mehreren Passagen deutlich geworden ist (z. B. im Textbeispiel „Deutschlandfunk“). Zu diesem routinemäßigen Informieren innerhalb des gewohnten Tagesablaufes kommt die Recherche nach konkreten Sachverhalten, etwa im Rahmen einer Anlageentscheidung, wie sie in der folgenden Passage charakterisiert wird: Textbeispiel Christa C., „UBS-Fonds“ „Also das ist eigentlich ein größerer, längerer Prozess. Man hat ja seine Watchlist, nicht. Also erst wird man durch die Börsenzeitung oder durch irgendjemand auch •/ ich hab zum Beispiel jetzt ge73 Zur Erinnerung: Die in solchen argumentativen Figuren eingesetzten „Weil-Strukturen“ zielen auf eine Zustimmung des Zuhörenden unter Bezugnahme auf das „plausible“ Wissen des Alltags (vgl. Knoblauch 1995: 277; Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969)
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kauft UBS Small Caps, ist ein Fonds. Also ich hatte gehört, das UBS ist unglaublich gut, als Bank, nicht. Sie ist sehr effektiv in ihren Prognosen, also das wurde hier auch festgestellt. Das war das eine. Dann ist bekannt, dass der M-DAX zum Teil besser lief als der DAX. Jetzt hatte ich, ich arbeite mit meinem Depot längerfristig, hatte ich also die Idee, wenn ich jetzt nicht einzelne Papiere aus dem M- und S-DAX nehme, sondern wenn ich da eben eine Bank, die bekanntlich •/ bekannt dafür ist, dass sie gut auswählt, wenn ich die nehme, dann spar ich mir auch die Arbeit. Da zahl ich zwar die Fondsgebühr, aber dafür brauch ich nicht die einzelnen Werte immer beobachten und mich drum kümmern. Und dann, in, ja, dann sah ich UBS in so einer Ausstellung und hab das also gekauft. Und jetzt ist UBS glaub ich, an erster Stelle in was, irgendwas, ich weiß nicht mehr. Also wurde sehr empfohlen.“ (P15: 96)
Auch bei den Börsianern lassen sich also die beiden im Kapitel Altersvorsorge beschriebenen grundsätzlichen „Modi“ der Nutzung von Massenmedien feststellen: Sie kontrollieren aufgrund ihres Börseninteresses täglich anhand eines feststehenden „Sets“ an Medien (z. B. erst den Deutschlandfunk, dann die Zeitung) die Lage der Dinge und gehen, sobald sie entweder aufgrund dieser Berichte oder aufgrund von Gesprächen ein tiefer gehendes Interesse an einem bestimmten Sachverhalt entwickeln, zu einer gezielten Recherche über. Auch hier zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der die routinemäßige Mediennutzung regulierenden Motivationsrelevanz und der Rechercheepisoden auslösenden thematischen Relevanz: Die Motivationsrelevanz, die das routinemäßige Handeln als Börsianer sowohl in Relation zu den Tages- und Lebensplänen als auch zur Biografie („sich weiterbilden“, etwas „sinnvolles im Ruhestand tun“) setzt, bestimmt, wie weit die Interpretationen, die aufgrund der thematischen Relevanz erfolgen, vorangetrieben werden. So erklärt eben Herbert G., der sich nicht als Finanzwissenschaftler sieht und „aufgehört“ hat, es als ausreichend, eine Zeitung pro Tag zu lesen und dieses routinisiert und ohne gesonderte Aufmerksamkeit zu tun („da les ich dort und da, mal den Artikel und den“), während Christa C., über den routinisierten Gebrauch hinaus, ihre Interpretation gezielter und differenzierter vorantreibt. Allerdings nimmt auch sie auf das Ausmaß dieser Episoden Bezug, wenn sie an einer Stelle im Interview darüber nachdenkt, ihre Zeit vor dem Computer und den Zeitschriften zu limitieren, es sei „ja nur ein Hobby“. Weiterhin wird in der oben genannten und in der folgenden Passage deutlich, wie die Aneignung von Wissen innerhalb der Mediennutzung geschieht. Auf die Frage der Interviewerin wonach sie bei ihren Recherchen guckt und welche Informationen sie benötigt, geht Christa C. nicht direkt ein. Weder benennt sie Kennzahlen, Marktsegmente oder Unternehmensklassen, noch genaue Informationsquellen. Sie versucht vielmehr, die erlebnismäßige Aufschichtung des eigenen Handelns zu vermitteln und wählt, um die Komplexität und die Verwobenheit der eigenen
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Erfahrung mitteilbar zu machen, ein Beispiel. Zwar sind in ihrer Erzählung74 auch Medienreferenzen enthalten, doch bleiben die Quellen ihres Wissens zu einem großen Teil vage: „[sie]hatte gehört…durch irgendjemand auch... das wurde hier auch festgestellt…ist bekannt, dass … jetzt ist UBS glaub ich, an erster Stelle in was, irgendwas, ich weiß nicht mehr … wurde sehr empfohlen.“ Das „Missverständnis“ zwischen Interviewer und Befragter macht deutlich, dass die Befragte ihre Bezugnahme auf Medien nicht als Rezeption im Sinne einer konzentrierten Auseinandersetzung mit einem spezifischen Medium versteht. Medien sind einer unter vielen Referenzpunkten und werden in eine eigene Idee vom Handeln und in vielfältige Alltagsbezüge eingewoben. Anders als an den Stellen, an denen sie und die anderen Hobby-Börsianer allgemein über die Ausübung ihres Hobbys sprachen und sie mit spezifischen Formaten und Absendern belegten, steht bei Episoden gezielter Recherche nicht das Informiertsein als Wert an sich im Mittelpunkt, sondern das Zusammenführen der Informationen auf die eigene Art und Weise. Christa C. charakterisiert dieses Zusammenführen als „längeren Prozess“ und versucht, die Schwierigkeiten der Mitteilung dieses Prozesses, die aus einem hohen Grad an subjektiven Entscheidungen resultieren, mit Hilfe einer Metapher („Zusammensetzen von Mosaiksteinchen“) zu versinnfälligen und damit zu bewältigen: Textbeispiel Christa C., „Kali und Salz“ „Also das ist mehr so ein Zusammensetzen von Mosaiksteinchen, was ich da betreibe, nicht. Kali und Salz, nicht, also einfach, wenn eine Firma eine bestimmte Position hat, noch nicht überbewertet ist, und Rohstoffe und so weiter. Also, aus Zeitschriften, dann diese Interviews sind auch ganz gut, die zur Gesamteinschätzung eben zum Beispiel von Rohstoffen Hinweise geben. Wie lange wird’s noch anhalten, hat China, denn China ist jemand der die Rohstoffe treibt, nicht, die chinesische Wirtschaft, wird diese Wirtschaft sich weiter so stark entwickeln, dass so eine Nachfrage da ist, und so weiter, nicht. Das ist dann so ein Mosaik. Und dann hab ich so es Gefühl, na ja, jetzt müsst ich mal das in der Richtung. Und dann recherchieren wir, gehen wir ins Internet, da gibt’s ja die verschiedenen Dienste da, wo man mit Maxblue oder was weiß ich, wo man nachschaut, Analystenmeinungen, Neuigkeiten zu einzelnen Firmen, tut man abklappern. Wie wird’s jetzt bewertet, wie alt sind die Bewertungen, gibt’s irgendwas Neues, und so weiter. Ich hab jetzt vor kurzem Beiersdorf gekauft, nicht. Ich denke Nivea, Tesafilm und so weiter wird weitergehen und die sind grad in der Restrukturierung. Ich hoffe, ich täusche mich nicht. Aber es ist schon gestiegen seit meinem Kauf, nicht. Also von sieben auf fünfzehn, das ist ja nicht so schlecht, nicht. Also so setzt sich so ein Bild zusammen.“ (P15: 097)
74 Der Rückgriff auf die kommunikative Form der Erzählung zur Rekonstruktion der Aneignung des Börsenwissens macht die spezifische Aufschichtung dieser Erfahrung deutlich. Wie bereits erwähnt, dient die Erzählung dazu, die eigenen Handlungs- und Erfahrensabläufe plausibel zu machen (vgl. Schütze 1977). Das korrespondiert mit dem relativ prekären Status des Hobby-Wissens über Börse. Während z. B. ein Profi-Broker mit seiner Berufsrolle und den darin geltenden Normen auf gesicherte Wissensbestände verweisen kann, ist das Wissen der Hobby-Börsianer dagegen subjektiv und demzufolge ungesichert.
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Darüber hinaus wird aber auch deutlich, dass verschiedene Wissenselemente zusammengeführt werden: Neben den vagen Informationen, die im Passiv stehen, gebraucht sie die Ich-Form, um die eigene Aktivität („hatte ich die Idee“) und eigene Prinzipien („ich arbeite längerfristig“) zu betonen. Dieses verbindet sie mit grundsätzlicheren Elementen des Wissens („China ist jemand, der die Rohstoffe treibt“, der M-Dax „läuft besser“). Damit lassen sich die Börsianer als Experten bezeichnen: Sie zeichnen sich durch eine spezifische Organisation ihres Wissens aus, indem sie Wissenselemente und Wissensarten vielfältig vernetzen, vorhandene Informationen als Ressourcen ansehen und diese nach kollektiven bewährten Prinzipien organisieren.75 Während mit der Identifikation relevanter Medienquellen und formate schon zwei dieser Prinzipien genannt wurden, werden in der letzten Passage noch der Aktualitätsbezug (“wie alt sind die Bewertungen“) und der Inhalt („wie wird’s jetzt bewertet“) genannt. Letzten Endes bleibt die Entscheidung jedoch subjektiv und damit – anders als beispielsweise bei professionellen Experten – auf einem hohem Maß an börsenspezifischem „Alltagswissen“ als fragloses und nicht thematisierbares Wissen gegründet (vgl. Garfinkel 1973: 193). So gab den letzten Ausschlag für den Kauf der UBS-Aktie der Besuch einer Ausstellung, die von dem Unternehmen gesponsert war (normalerweise kein Kriterium für einen Fondskauf). Im Gegensatz zu professionellen Experten, die objektivierbare Entscheidungskriterien verwenden, kommt es bei den Hobby-Börsianern auf das „Gefühl, dass es in eine bestimmte Richtung geht“ (Christa C.) an, auf „Instinkt“ (Maria M.). Medien dienen hierbei – indem sie mit bestimmten Einschätzungen verbunden werden und in dem sie miteinander verglichen werden können – der Absicherung der eigenen Entscheidung. Die Beendigung der Erzählung kann unter Verweis den Gestaltschließungszwang als (be-)schließendes Argument für die Plausibilität ihres Vorgehens gesehen werden: Christa C. erzählt sowohl am Ende des UBS- als auch des Beiersdorf-Beispiels, dass die Aktien seit ihrem Kauf gestiegen sind bzw. sich „an erster Stelle in irgendwas“ befinden. Indem sich die Börsianer die massenmedialen Kommunikate in einer spezifischen Weise aneigneten, sammelten sie nicht nur börsenspezifisches Wissen, sondern auch Souveränität im Umgang mit den Wissensquellen. In der Betonung dieser Erfahrung des „Wissen-Wie“ stellt sich eine Schwelle für alle Nicht-Börsianer dar 75 Vgl. Hitzler 1994. Er entwickelt diesen Expertenbegriff in Abgrenzung zu Laien, die nicht nur über weniger Wissen verfügen, sondern es anders organisieren, indem sie sich an als „konkret“ geltenden Fakten orientieren und das verfolgen, was sie für praktische Interessen halten. Experten kommen dadurch zu anderen Lösungsstrategien, was sich hier zeigt: So verwenden die Börsianer relativ viel Zeit darauf, sich das Problem anhand prinzipieller Einsichten (Theorien) und Modelle zu vergegenwärtigen und kommen so zu angemessenen Hypothesen und abstrakten Problemlösungen. Laien entscheiden zwar schnell, d. h. sie verwenden nicht soviel Zeit auf die Vergegenwärtigung des Problems, greifen aber selten auf Lösungs-Prinzipien zurück (vgl. Hitzler 1994: 23).
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und damit eine identitätsspezifische Komponente (denn man kann diese Erfahrung, die in vielen polythetischen Akten gesammelt wurde, nicht monothetisch nachvollziehen). Wie es bereits in der Analyse der Episoden zum Themas Altersvorsorge anklang, geht es innerhalb der Mediennutzung im Rahmen von Rechercheepisoden nicht nur um die Aneignung bestimmter Inhalte, sondern auch um die Aneignung der Medien und ihrer Spezifik. Textbeispiel Maria M., „Erfahrung“ „[…]denn mittlerweile, also nach den Erfahrungen die ich gemacht habe, weiß man so ungefähr, was man von welcher Zeitschrift erwarten kann. Und dementsprechend wähle ich heute aus. Früher habe ich also alles querbeet gekauft, um einen großen breiten Überblick zu bekommen um mich abzusichern auch, zu sehen, was schreiben die anderen, was steht wo. Da kann man ungefähr beurteilen, wo man welche Information erhält.“ (P10: 071)
Maria M., eine 57jährige Angestellte, beschreibt hier ihre Börsenerfahrung als eine Entwicklung nicht nur des Börsenwissens, sondern auch des Wissens über bestimmte Quellen. Indem der Ablauf der Aneignung börsenspezifischer Inhalte thematisiert wird, stellt er für die Börsianer einen spezifischen Ausweis ihrer Expertise dar. In der Fallbeschreibung charakterisierte Christa C. ihre täglichen Informationsepisoden als das „Sammeln von Mosaiksteinchen“ (P15: 097). Sie sucht nach Einschätzungen über die allgemeine Marktlage und nach Analysen einzelner Papiere und leitet aus der Verknüpfung Handlungsempfehlungen für sich ab. Ihre „Fähigkeit“ stellt sie als „eine bestimmte Geisteshaltung“ dar (P15: 057), die sie im Laufe ihres Berufslebens als Kunstkritikerin gewonnen hat. Damit ist auch in der Reflektion mit dem richtigen Umgang mit den Medien eine implizite Selbstverortung als Experte zu sehen, denn es geht hier weniger um die Lösung einzelner Probleme (Welche konkrete Aktie ist die Richtige?) als um die Darstellung der systema76 tischen und abstrakten Erarbeitung von Problemlösungswegen. Auch Maria M. reflektiert mehrfach ihren Umgang mit den Informationsquellen und stellt darin einen Wissenszuwachs, ein Lernen dar, indem sie eine zeitliche Dissoziation („früher“) vornimmt. In sehr vielen Erzählungen werden Handlungsstrategien mit einem Beispiel verdeutlicht, um das im Rahmen des Börsen-Hobbys gewonnene abstrakte (Experten-)Wissen zu veranschaulichen, da es in der Situation des Interviews nicht notwendigerweise als allgemeines Wissen vorausgesetzt werden kann.77
76 Vgl. abermals Hitzler 1994: 22ff. zur Organisation von Problemlösungen von Experten im Vergleich zu Laien. 77 Vgl. zur Funktion von exemplarischen Geschichten ausführlich Keppler (Keppler 1988).
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3.3.4.3
Interpersonale Kommunikation zur Herstellung einer gruppenspezifischen Identität
In den Erzählungen über ihr Börsenhobby spielten bei allen Befragten Episoden der interpersonalen Kommunikation eine große Rolle. Gerade anhand der Börsenthematik wird deutlich, wie wenig sich die Rezeption von allgemein adressierten Inhalten von interpersonalen Kommunikationsprozessen trennen lässt: Indem sich die Gespräche immer auf massenmedial vermittelte Inhalte beziehen, bilden sie einen Kontext für die massenmediale Kommunikation (vgl. auch Höflich 2005:71ff.). In den persönlichen Gesprächen wird nicht nur das Gesehene und Gehörte in das Wissen eingeordnet und perspektiviert, sondern es findet auch eine gegenseitige Identifikation als an diesem spezifischen Thema Interessierte statt. Diese gruppenspezifische Zuordnung kann sowohl innerhalb bestehender Beziehungen geschehen, als auch neue Beziehungen begründen, wie die folgenden Beispiele zeigen. Gespräche innerhalb bestehender Beziehungen An der Fallbeschreibung von Christa kann man sowohl erkennen, welchen hohen Stellenwert die unvermittelte Kommunikation in bestehenden Beziehungen für dieses Hobby hat als auch, welchen Stellenwert das Hobby für die Paarbeziehung hat. Christa ist durch ihren Mann erst „neugierig“ geworden, sie begann, die Berichterstattung über die Wirtschaftsentwicklung und Börsenerfolge anderer zu verfolgen und wandte sich interessiert an einen Börsenclub, um den Einstieg zu finden. Heute macht jeder seine eigenen Börsengeschäfte, doch sie betont den gemeinsamen Austausch über Anlagemöglichkeiten und Marktentwicklungen, der sowohl täglich spontan als auch wöchentlich institutionalisiert stattfindet. Textbeispiel Christa C., „Deutschlandfunk“ „Wir hören halb neun immer im Deutschlandfunk die Börsennachrichten während dem Zähneputzen •• und danach lesen wir die Zeitung und dann kommen einige Zeitschriften, also es kommt alles zusammen, das braucht man schon, nicht“ (P15: 161)
Selbst der Umgang mit Massenmedien als Informationsressourcen ist als gemeinsame Aktivität beschrieben; indem sie hier mit dem einschließenden „wir“ von der sonst im Laufe des Interviews verwendeten Ich-Form abweicht, verdeutlicht sie eine Gemeinsamkeit, die ihre Entsprechung in der dargestellten Gleichförmigkeit des Tagesablaufes findet. In dem Hobby Börse, welches zwar nicht vollständig gemeinsam ausgeübt wird („wir wollen jeder seine Spielchen treiben“), das aber doch regelmäßige, institutionalisierte Punkte des Austausches bietet, sieht Christa eine identitätsstiftende Funktion für das Paar. Es ist ihrer Meinung nach wichtig, immer
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„was Gemeinsames“ zu haben, etwas, das Anlässe für die Paarkommunikation darstellt. Gleichzeitig hat sie, indem sie die Beschäftigung mit der Börse als etwas Neues einordnet, welches von ihr erst durchdrungen werden musste und schließlich mit Hilfe der geschilderten kommunikativen Episoden bewältigt werden konnte, mit diesem monetären Hobby Bezug auf eine subjektive Dimension von Identität genommen. Identität ist eine „Konstruktion des Selbst“, die vom Individuum in bewusster Selbstreflexion hergestellt und erarbeitet werden muss (vgl. Behringer 1998: 46). Darauf spielte auch Maria M. an, wenn sie sagte, dass sie sich dabei „selbst kennengelernt“ habe. Beide Frauen nehmen damit „situative Selbstthematisierungen“ vor (vgl. Keupp 2006: 100); das Hobby und seine Darstellung in der Interviewsituation werden hiermit zur Ressource der Identitätsausbildung. Damit kann sowohl die Beschäftigung mit dem Wissensgebiet Börse an sich als auch das Reden darüber als identitätsstiftend bezeichnet werden. Weitere Beispiele für solche gemeinsamen Bezüge auf ein Hobby lassen sich in den Erzählungen Christas über ihren Mann finden. Dieser unterhält sich regelmäßig mit einem der beiden Söhne über die jeweiligen Aktivitäten an der Börse. Darüber hinaus versucht er, einen E-Mail-Kreis mit Gleichgesinnten aufzubauen, in dem er sich über konkrete Wertpapierempfehlungen und allgemeine Marktlagen austauschen will. Nahmen schon viele der kommunikativen Episoden über das Thema Altersvorsorge sowohl Bezug auf massenmedial vermittelte Situationen als auch auf interpersonale Kommunikation, verschränkt das Thema Börse diese beiden Kontexte noch stärker. Massenmediale Themen werden regelmäßig in unmittelbaren Kontexten besprochen; die direkte Kommunikation kann umgekehrt den Kontext für massenmediale Nutzungen geben (z. B. indem dem Tipp eines Freundes nachgegangen wird). Auch der 27jährige Henrik G. erzählt über familiäre Episoden, in denen über Börse gesprochen wird. Er ist derjenige, bei dem das Hobby Börse inzwischen über die Sphäre des Freizeitmäßigen hinausreicht: Der VWL-Student hat während des Börsenbooms in den Jahren 1999 und 2000 zusammen mit seinem Vater aufgrund der „Kursentwicklungen in den Nachrichten“ und von Tipps der Kollegen des Vaters „goldene Augen gekriegt“ und begonnen, Geld zu investieren. Daraus entwickelte sich ein Berufswunsch; Henrik G. arbeitet neben seinem Studium in einer Bank und möchte später gerne berufsmäßig mit der Börse zu tun haben. Seine Eltern sowie seine Großmutter haben ihm inzwischen die Verwaltung der Familienfinanzen übertragen. In der folgenden Passage beschreibt er das Börseninteresse in seiner Familie und nimmt dabei in mehrfacher Weise Bezug auf kommunikative Kontexte. Zum einen werden in Gesprächen nicht nur massenmediale Inhalte diskutiert, sondern es wird auf bestimmte Formen dieser Vermittlung verwiesen, indem man sich, wie in folgendem Fall, Zeitschriften empfiehlt.
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Textbeispiel Henrik G., „Vater und Oma“ „Ja, also mein Vater ist sehr interessiert, also liest jetzt keine Finanztageszeitung aber doch jedes mal den Wirtschaftsteil von einer Tageszeitung und er hat mich also er hat mich ursprünglich auch zur Focus-Money gebracht die, wobei, jetzt liest er, glaube ich, die Wirtschaftwoche. Nicht mehr die Focus-Money da bin ich mir aber nicht hundertprozentig sicher. Ja und meine Großeltern, also meine Oma jetzt nur noch, aber liest zwar keine Finanzzeitung aber schaut sich doch schon immer, wenn jetzt, was weiß ich, auf ARD die Börse am Abend kommt, dann schaut sie sich das an und schaut auch so die Nachrichten an und weiß da eigentlich ziemlich gut Bescheid. Aber sie weiß schon, wenn ich ihr sage, hey ist es gut gelaufen, dann weiß sie ungefähr aha der DAX, war ja das, der Hauptanlegethema, muss um soundsoviel gestiegen sein.“ (P4: 124)
Der Befragte nennt – ähnlich wie eingangs Christa C. – mehrere institutionalisierte Formen der massenmedialen Information über Börse: Finanztageszeitung, Wirtschaftsteil von einer Zeitung, Zeitschriften, Wirtschaftszeitschriften und eine Sendung im Fernsehen. Mit der Nennung sind auch hier Einschätzungen und Qualitätsurteile verbunden. Indem Medien mit Themen, die außerhalb des Erfahrungsbereiches von intimen Kreisen (wie z. B. der Familie) liegen, einen Gesprächsstoff bieten, der wenig brisant für Familienstrukturen, die immer auch Machtstrukturen sind, werden kann, haben sie eine spezifische Vergemeinschaftungsfunktion (vgl. Keppler 1995: 262ff.). Gerade für Familien mit erwachsenen Kindern, die nicht mehr im gemeinsamen Haushalt leben, stellen Medienthemen als Gesprächsanlässe eine willkommene Lockerung des Beziehungsgeflechtes dar. Sie zeichnen dabei aber auch wesentliche Bindungen nach, wie es z. B. zwischen Herbert G. und seinem Sohn Henrik der Fall ist. Die gegenseitige Identifikation als Börsenexperten beinhaltet den Ausschluss Unbeteiligter. So erzählen sowohl Herbert G. als auch sein Sohn unabhängig voneinander, dass ihre Börsengespräche bei den anderen Familienmitgliedern nicht immer willkommen sind: Textbeispiel Herbert G., „Übers Hobby reden“ „Die [Freundin von Henrik G.] verdreht schon immer die Augen, wenn wir uns unterhalten oder wir gehen raus und unterhalten dann so. Aber wenn wir uns mit dem Henrik treffen, und da wird über das Fahrrad geredet, das ist auch so ein Hobby, was wir teilen und was uns beiden Spaß macht und natürlich Anlagen und die Entwicklung…“ (P14: 177)
In seiner Aneinanderreihung stellt er das Börsenthema mit einem Vergleich zu einem anderen Hobby als verbindendes Moment ihrer Beziehung dar, welches durch kommunikative Episoden verwirklicht ist. Schließlich haben Vater und Sohn einen Modus der Kommunikation etabliert, indem sie ungestört über ihre Interessen sprechen können; sie führen wöchentlich ein Telefongespräch. Textbeispiel Henrik G., „Lockeres Gespräch“ „Ja, also eigentlich so, wenn mein Vater anruft, egal von wo, Mensch Junge war ja eine tolle Woche, DAX ist gestiegen oder ist nicht so toll gelaufen, und er hofft ja immer weil noch halt sehr zeitig hat angefangen anzulegen, dass er wieder die Achttausend sieht im DAX, und ist aber so das Ge-
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spräch, na ja die Siebentausend, dann, dann verkauf ich alles, dann verkauf ich alles. […] Ja, auch wenn es mal manchmal sehr kurz geht, aber das eigentlich immer. Doch aber jetzt nicht so ernst sondern halt ein lockeres Gespräch als jetzt nicht, hey der Wert die und die Analyse, sondern relativ locker.“ (P4: 124)
Die bereits festgestellte Verschränkung von medialen und interpersonalen Kontexten der Kommunikation kann hier sowohl in inhaltlicher und formaler Hinsicht konstatiert werden: Zum einen werden Marktentwicklungen besprochen, die nur medial erfahrbar sind. Indem Henrik G. die Gespräche als „relativ locker“, nicht „so ernst“ charakterisiert, nicht „der Wert und die Analyse“, und diese Erfahrung mit dem Einbau wörtlicher Redeelemente seines Vaters verdeutlicht („dann verkauf ich alles“) nimmt er zum anderen Bezug auf eine Form von Börsengesprächen, wie sie sich im medialen Umfeld etabliert hat: Ein Börsenexperte wird von einem Reporter zur Marktentwicklung befragt und referiert sie anhand des Bezuges auf Kurse einzelner Unternehmen, ihrer Aussichten und Quartalszahlen. Vater und Sohn greifen also nicht nur inhaltlich auf mediale Inhalte zurück, sondern wandeln auch eine typische mediale Form ab, in dem sie auf die persönlichen Auswirkungen ihrer Strategien Bezug nehmen. Im Gegensatz zu Henrik G. betont Christa C. die „Ernsthaftigkeit“ der regelmäßigen Börsengespräche mit ihrem Mann: Textbeispiel Christa C., „Börsengespräch“ „[…] was wir machen ist so etwa, einmal in der Woche setzen wir uns zusammen und geht die Papiere durch die wir jeweils haben […] und beraten. Wir beide. Und das ist dann so ein Brainstorming, wie wird sich das in Asien, wie wird sich das noch entwickeln oder stagniert das jetzt, sollt mer das raus hauen, was würden wir dann/• Also so richtig ein Fachgespräch machen, weil da/“(P15: 053)
„So richtig ein Fachgespräch“ – mit dieser Rahmung lehnt sie sich an den professionellen Kontext, den Börsengespräche in Massenmedien haben und von dem Henrik G. sich ja gerade abheben will, an. Und so haben ihre Gespräche auch eine Agenda; ihr Mann und sie gehen „die Papiere durch“, während Henrik G. das Ganze unabhängig von konkreten Werten halten möchte. Doch nicht nur in familiären Kontexten ist die Börse Thema. Auf Gespräche mit Kollegen über die Börse und die Beteiligung daran vor allem in den Börsenhochzeiten in den Jahren 1999 und 2000 nehmen viele Befragte Bezug (auch diejenigen, die Börsenanlage grundsätzlich ablehnen). Auch dabei werden identitätsspezifische Rekonstruktionen realisiert. Maria M. berichtet: Textbeispiel Maria M., „Arbeitskollegen“ „Ich habe auch Arbeitskollegen mit denen ich wenig rede, ganz wenig, weil die meisten verstehen das irgendwie nicht.“ (P10: 166).
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Während es bei Maria vor allem die Auswirkungen dieses Hobbys sind, die auf Unverständnis stoßen und zur Abgrenzung führen (sie hat bereits „paar Millionen gemacht“ und wieder verloren, das sei für „Außenstehende schwer zu begreifen“) ist es bei anderen Befragten gerade die Bezugnahme auf das „Spezialwissen“, die ein Nicht-Mitreden-Können und daher den Ausschluss zur Folge hat. In diesen „Flurgesprächen“ erfuhren sie, die sich sonst wenig für Wirtschaft interessierten, von den konkreten Auswirkungen, die die Wirtschaftsentwicklung auf die eigenen Finanzen haben kann. Viele kennzeichnen diese Situation als spannend, fast jeder hat überlegt, auch mit „der Börse anzufangen“. In der folgenden Passage erzählt Ralf H., ein 45jähriger Informatiker, über diese Situation. Er hatte sich damals von der „euphorischen“ Stimmung anstecken lassen und selber investiert: Textbeispiel Ralf H., „Absurdes Theater“ „Also ich weiß noch in der Zeit, wie das so wirklich im Jahr 2000 war. Der Neue Markt ging wirklich durch die Büros in der damaligen Firma, oh haste von der schon gehört und dieses und da wirklich, das war absurd. Das war wirklich, im Nachhinein, wie absurdes Theater damals. In fünf Büros haben die Leute über Aktien geredet und wenn man überall in die Büros kam, irgendwo lag immer ein Browserfenster offen, wo ein Ticker über irgendwelche aktuellen Kursentwicklungen ging oder News oder so. Das war unglaublich intensiv, ja. Das ist, war, hat mich auch nicht gestört, das hatte so was Euphorisches.“ (P11: 139)
Die ausgewählte Passage ist Teil einer längeren Erzählung, in der er ausführt, dass man in Deutschland im Normalfall nicht über Geld spricht.78 Im Jahr 2000 war das anders: Alle Leute redeten über Geld, oder, genauer gesagt, über Aktien und über Investitionsmöglichkeiten (und nicht über ihr tatsächliches Investieren). Dabei kennzeichnet Ralf H. die Situation als eine Ausnahmesituation; als etwas „NichtNormales“ – sowohl thematisch (der Neue Markt ist weit von der erfahrbaren Lebenswirklichkeit des Alltags entfernt) als auch formal (jeder redet zu jedem über fünf Büros hinweg). So kommt Ralf H. im Verlaufe seiner Erzählung zur Kennzeichnung der damaligen Situation als „absurdes Theater“. Dieses Auseinanderklaffen der Situation und dem alltäglichen Vollzug der Lebenswelt realisiert er erzählerisch durch eine gleichzeitige Betonung der Wirklichkeit der Situation und der konträren Kennzeichnung als „nicht-wirklich“: „…wie das so wirklich im Jahr 2000 war. Der Neue Markt ging wirklich durch die Büros in der damaligen Firma, oh haste von der schon gehört und dieses und da wirklich, das war absurd. Das war 78 Zwar kontrastiert Ralf H. im Interview die damalige Situation mit dem „normalen“ Reden über Geld, dennoch lässt sich bei genauerer Betrachtung feststellen, dass die prekäre Rahmung von Geldgesprächen, wie sie in einem anderen Abschnitt der Arbeit charakterisiert wurde, nicht aufgehoben wurde. Es geht in den Börsengesprächen nicht um die konkrete Verwendung von Geld, sondern um ein Thema, welches genügend Spielraum lässt, um das Infragestellen des persönlichen Umgangs damit zu vermeiden.
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wirklich, im Nachhinein, wie absurdes Theater damals.“ Doch ist diese Situation als gemeinsame Situation mit starkem Identifikationspotenzial zu werten, welches eben im gemeinsamen, spontanen und vor allem ständigen Reden in den fünf Büros realisiert wird. Erst „im Nachhinein“ kann man diese Situation als absurd kennzeichnen, damals war das Verbindende, Intensive, Euphorische sehr stark. Mit dem Verweis auf einzelne Elemente der Situation – dem für Börsenhändler typischen Zuruf einzelner Werte, die damit einhergehenden spezifischen Zeitrealisationen (schnelllebige Entwicklungen, tägliche Unterschiede der Kurse), die wiederum eine spezifische mediale Umsetzung erfuhren (Ticker, News, Browserfenster) – nimmt Ralf H. auf ein im Arbeitskontext unübliches Verhalten Bezug und bestätigt die, vom heutigen Standpunkt aus unwirkliche, Situation als gemeinsame, wenn auch nur sporadische, Realität. Die Gespräche über die Börse und eigene Anlagestrategien zeigen, dass ein massenmediales Thema nicht nur inhaltlich, sondern auch auf spezifische Art und Weise zum (zeitlich begrenzten) Gegenstand der interpersonalen Kommunikation geworden ist. Leute redeten hier über Anlagemöglichkeiten, die früher nicht darüber sprachen, denn Reden über Geld (im Sinne von Anlagemöglichkeiten) wurde ja als ein Thema für Leute gekennzeichnet, die man „schon besser kennt“ (P11:137). Es kann vermutet werden, dass die Faszination für dieses Thema gerade darin lag, dass es ein Medienthema war. So war es durch die Präsenz des Themas in den Medien möglich, dass nahezu jeder darauf Bezug nehmen konnte und dass dieser Bezug hergestellt werden konnte, ohne dass dabei zuviel über eigene monetäre Prinzipien und Praxen preisgegeben werden musste. Das Börsenhobby als Anlass zum Aufbau neuer Beziehungen Auch in der Beschreibung der Gespräche, die Maria M. und Christa C. im „Hexensabbatclub“, einem Berliner Börsenclub, führen, werden ein semi-professionelles Verhalten und damit der hohe Stellenwert von Expertise betont. Börsen- bzw. Investmentclubs sind Vereine, in denen sich Anlageinteressierte regelmäßig treffen und gemeinsam in Aktien anlegen. In Deutschland gab es 2007 rund 7.000 Clubs mit geschätzten 120.000 Mitgliedern (vgl. Vogel 2007). Der Hexensabbatclub steht nur Frauen offen. Begründung: Frauen reden anders über Börseninvestments 79 als Männer. Von der geschlechtsspezifischen Einschränkung abgesehen, stellen die 30 Mitglieder sowohl beruflich als auch altersmäßig ein breites Spektrum dar. Es gibt zweimal im Monat regelmäßige Treffen, bei denen die gemeinsamen Börsen79 So äußerte sich die Leiterin des Clubs, Henrike von Platen, in einer Reihe von Zeitungs-Interviews, welche auf der Club-Website zur Verfügung stehen.
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anlagen, vor allem aber die Auswahl potenzieller Investments besprochen werden. Die Agenda dieser Clubtreffen wird vorher festgelegt; ein Mitglied des Clubs stellt jeweils ihre Recherchen zu einem Börsenwert vor; anschließend wird strukturiert anhand feststehender Kriterien über die Aufnahme in die „Watchlist“, also der Liste, mit Hilfe derer die Clubmitglieder bestimmte Werte über einen längeren Zeitraum beobachten, diskutiert. Sowohl für Christa C. als auch Maria M. war der Club die erste Anlaufstelle, als sie mit ihrer Börsenbeschäftigung begannen. So hat der Club Christa C. zu einigen Investmentideen verholfen und sie an die Auswahl auch spekulativer Papiere herangeführt. Jetzt allerdings ist sie dem Club „herausgewachsen“, sie bemängelt, dass es zuwenig „fachliches“ Gespräch gibt und zuviel „nette“ Unterhaltung abseits der Börse. Auch Maria M. moniert, dass vielen Clubmitgliedern das „Treffen wichtiger [ist], als die Börse“, das Niveau sei „abgeflacht“. Die Erweiterung der sozialen Beziehung über das Fachgespräch hinaus ist jedoch durchaus ein Anliegen des Clubs. So gehört zum Clubleben auch eine Website, die neben einem Börsen-ABC und der täglichen Depotentwicklung auch ein Forum anbietet. Zwei Clubmitglieder fungieren als Moderatorinnen für die acht Foren, von denen zwei nichts mit Börse zu tun haben („Die Astroecke“ und „Humor ist der Knopf …“). Die Orientierung auch außerhalb der Börse ist Programm; es geht eher um den Spaß als um das große Geld. Hier wird zweierlei deutlich: Wie schon bei den Gesprächen zwischen Henrik G. und seinem Vater sind auch für die Clubtreffen Rahmungen möglich, in denen die Börsenthematik zwar als regelmäßiger „Aufhänger“ dient, aber auch Unterhaltungen über anderes zulässt. Das genau bedauern jedoch Christa C. und Maria M.: Für sie steht das „Fachgespräch“ im Mittelpunkt, sie entwerfen ihre Beziehung zu den Clubmitgliedern ausschließlich basierend auf einer gemeinsamen Identifikation als Experte. Eine weitere Form kommunikativer Veranstaltungen, bei denen über das Thema Börse neue Beziehungen aufgebaut werden, findet sich im Datenmaterial mit Berichten über Börsenseminare. So hat Christa C. an Börsenseminaren des selbstständigen Vermögensberaters Markus Frick teilgenommen, der sich selbst als Börsenexperte bezeichnet. In seinen Seminaren, die regelmäßig in Hotellobbys in allen großen deutschen Städten stattfinden, beschreibt er „Wege zum Reichtum“. Interessierte können seinen Börsenbrief, einen E-Mail-Newsletter, für 898 Euro jährlich abonnieren. Ihnen wird zugesichert, die Aktientipps von Frick, die er darin „Kursraketen“ nennt, eher als andere zu erhalten und dadurch zu niedrigen Kaufkursen
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einsteigen zu können.80 Sowohl die Treffen der Börseninteressierten im Hexensabbatclub als auch die loseren Zusammenkünfte in den Börsenseminaren können als soziale Veranstaltungen, die sich durch typische kommunikative Muster und ein bestimmtes Personal auszeichnen (vgl. Knoblauch 1995: 146), die jeweils in spezifischer Art und Weise Menschen vergemeinschaften und darüber hinaus mediale Kontexte mit lokalen Öffentlichkeiten verbinden, gekennzeichnet werden. Während beide Arten von Zusammenkünften institutionalisiert sind, unterscheiden sie sich doch in ihren Sinnbezügen: Während sich bei dem Börsenguru Frick die „Zocker“ finden, die den Traum vom schnellen Geld träumen und dafür auch in der Nacht vor ihrem Computer sitzen, um als erste den Börsenbrief zu lesen und die dort empfohlenen Werte in ihr Depot zu kaufen, möchten die Hexensabbatfrauen eher ihr Wissen vertiefen und Expertise in ihrem Gebiet erlangen. Ein Teil ihrer Identität liegt dabei sicherlich auch in der geschlechtsspezifischen Verortung. Ihnen ist eigen die Betrachtung der Teilnahme an den Märkten als Hobby (und nicht primär als Möglichkeit, eine Rendite zu erwirtschaften), als Interessensgebiet und als spezifische Wissensform, eine Betrachtung der Chancen und Risiken ihres Tuns innerhalb einer bestimmten Perspektive, die Nutzung bestimmter Medien(Gattungen) und eine Präferenz für bestimmte Freizeitaktivitäten. Der Austausch der „Hexen“ ist von größerer sozialer Verwobenheit gekennzeichnet, hier entsteht das, was Shibutani als „organisierte Perspektive“ bezeichnet. Damit ist eine gemeinsame Perspektive gemeint, die durch die Teilhabe an gemeinsamen Kommunikationskanälen entsteht (vgl. Shibutani 1955). So ist auch die Kommunikation im Forum ihrer Webseite – als Teilhabe an einem gemeinsamen Kommunikationskanal gelesen – von einem höheren Intimitätsgrad als beispielsweise die der Besucher von Fricks Veranstaltungen, die ja als Abonnenten auch einen Zutritt zu einem Teil der Website haben, der für die Allgemeinheit nicht zugänglich ist. Untereinander sind sie jedoch nur durch das Wissen voneinander verbunden, während die Clubfrauen differenziertere Vorstellungen voneinander haben. Jedes Mitglied des Clubs hat einen Nickname; in den Threads nehmen die Teilnehmer sowohl auf die Online-Situation als auch auf ihre zweiwöchentlichen Treffen Bezug. Die Rezeption massenmedialer Inhalte ist in ein Netzwerk interpersonaler Beziehungen
80 Inzwischen ist der Börsenratgeber in Ungnade gefallen: Sowohl ARD als auch N-24, wo er die wöchentliche Show „Make Money“ präsentierte, haben sich von ihm getrennt. Ihm wird vorgeworfen, über die Börsenbriefe und Veranstaltungen seine Kunden gezielt in marktenge Titel, die darüber hinaus nur Strohfirmen waren, getrieben zu haben. Nachdem die eigentlichen Hintermänner ihre Anteile mit Gewinn verkauft hätten, blieben die unwissenden Anleger auf den ins Bodenlose gefallenen Papieren sitzen.
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eingebunden, welches durch die gemeinsame Anlage von Geld eine spezifische Bedeutung hat.81 Insofern sich die monetären Wissensbestände und Orientierungen im direkten und über Medien vermittelten Zusammenspiel herausbilden, kann man die Hexen auch als Mitglieder einer „sozialen Welt“ im Sinne Shibutanis und Anselm Strauss’ bezeichnen, der eine zentrale Aktivität zum analytischen Ausgangspunkt für die Konstitution dieser Welt nimmt: “In each social world, at least one primary activity (along with related clusters of activity) is strikingly evident.” (Strauss 1978: 122)
Aber auch die Teilnehmer an den Börsenseminaren und, verallgemeinernd, an Online-Foren zum Thema, lassen sich in dieses Konzept sozialer Welten, welches teilweise mit dem der Szenen (vgl. Schulze 1992) vergleichbar ist, einbeziehen. So versteht Shibutani, der das Konzept der sozialen Welten in die Soziologie eingeführt hat, darunter ein “…universe of regulated mutual response [whose boundaries are, P.K.] set neither by territory nor formal membership but by the limits of effective communication“ (Shibutani 1955: 524)
Genau wie bei den von Schulze gekennzeichneten Szenen wird die Zugehörigkeit zu sozialen Welten nicht wie bei anderen sozialen Formationen (zum Beispiel der formellen Gruppe) durch einen formellen Beitritt, durch Initiationen oder durch festgeschriebene gemeinsame Ziele und eindeutige Verpflichtungen bestimmt, sondern durch gemeinsames Erleben und die Herausbildung eigener Bedeutungsuniversen. Die Orientierung an börsenspezifischen Sinnbezügen und an kommunikativen Praktiken ergibt eine bestimmte Erlebnisorientierung, die Schulze als Syndrome bzw. „alltagsästhetische Schemata“82 beschreibt. Damit haben diese Schema81
Höflich spricht von „semantischen Netzen“, da sich hier spezifische Sichtweisen auf Dinge ausbilden (vgl. Höflich 1992) 82 Diese sind als Gruppe von Merkmalen oder Faktoren, deren gemeinsames Auftreten einen bestimmten Zusammenhang anzeigt, beschrieben. Schulze kennzeichnet weiterhin drei Syndrome: das Hochkulturschema, ein Trivialschema sowie ein Spannungsschema, die sich aus einer je spezifischen Einstellung zu Genuss, Distinktion und Lebensphilosophie ergeben. Typische Zeichen für das Vorliegen eines Hochkulturschemas sind für Schulze bspw. die Lektüre „guter“ Bücher, Museumsbesuche und das Hören von klassischer Musik; das Spannungsschema ist durch das Hören von Rockmusik, dem Besuch von Kneipen, Diskos und Kinos sowie durch die Rezeption von Thrillern und Krimis im Fernsehen angezeigt. Schulze weist damit darauf hin, dass sich soziale Großgruppen auch in einer individualisierten Gesellschaft anhand einer spezifischen Erlebnisorientierung, die man im Sinne der vorliegenden Arbeit auch als kommunikative Muster beschreiben könnte, bilden.
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ta von kommunikativen Mustern eine ähnliche Funktion wie die Deutungsschemata, sie wirken handlungsleitend, kennzeichnen bestimmte Typen und zeigen ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie an. So können die Verweise der Hobbybörsianer auf das Lesen einer seriösen Wirtschaftszeitung als „milieuindizierende Zeichen“ (vgl. Knoblauch 1995: 248) verstanden werden, genau wie der Verweis, dass man Zusammenhänge sucht, Hintergründe erfahren will, dass man also selber aktiv handelt, statt nur passiv zu lesen. Es sind also nicht nur Verweise auf ein bestimmtes Medium, sondern es ist die Art des Umgangs damit, mit der sich diese Leute von Nichtangehörigen der Gruppe distinguieren. Ihre in den Interviews zum Ausdruck gebrachte Expertise, die sich in der Herstellung von Zusammenhängen zwischen allgemeiner Wirtschaftsentwicklung, „politischen Hintergründen“ (Maria M.) und der Entwicklung einzelner Branchen, Unternehmen äußerte und in spezifischen Vokabeln und Bezeichnungen niederschlug – mal mehr (Henrik G.) und mal weniger (Christa C.) – ist als ein spezifisches Wissen zu charakterisieren. So versteht Schulze Milieus als weiteren Typus sozialer Strukturen denn auch als „Wis83 sensgemeinschaften“ (vgl. Schulze 1992: 220). 3.3.4.4
Internetnutzung als wesentlicher Bestandteil des Medienrepertoires
In dem Zuge, indem die Börsianer ihr börsenspezifisches Wissen nicht nur als Wissen über die Börse, sondern auch als Wissen über Medien charakterisieren, spielt die Internetnutzung in ihren Rekonstruktionen eine große Rolle. Oft fallen die Erschließung des Internets und die Erschließung des Wissensgebietes Börse zusammen. Das Internet wird fortan in die routinemäßige Medinenutzung miteinbezogen. Eine große Rolle spielen dabei standardisierte Kommunikate in Form der Online-Ausgaben renommierter Wirtschaftszeitungen, wie sie in einem vorangegangen Kapitel bereits beschrieben wurde. Darüber hinaus bietet das Internet mit Börsen83 Zwar sind die hier charakterisierten Formen sozialer Vergemeinschaftungen nicht als Milieu im Schulzschen Sinn zu bezeichnen, da sein Milieubegriff eher auf Lebensstilkomponenten ausgelegt ist. Relevant ist jedoch der Umstand, dass Milieus und Szenen von Schulze ebenso wie die sozialen Welten und „reference groups“ von Strauss und Shibutani durch „personengruppenspezifische Existenzformen und erhöhte Binnenkommunikation“ gekennzeichnet sind (vgl. Schulze 1992: 174). Als eine solche Binnenkommunikation können beispielsweise die Online-Foren gesehen werden, die man auf vielen Börsenportalen und Seiten von Online-Brokern findet. Medien ermöglichen damit die Formung von sozialen Welten unabhängig von einer bestimmten Lokalität. Ein Beispiel für Binnenkommunikation und die Ausformung neuer Bedeutungsnetzwerke innerhalb bestehender sind auch die Flurgespräche unter Kollegen. Hier zeigt die kulturelle Identität der BörsenSzene ihre gewollte darstellende Außenwirkung; wer damals nicht selber „drin“ war, konnte nicht mitreden.
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foren und -chats einen weiteren Typ mediatisierter Kommunikation an: die technisch vermittelte interpersonale Kommunikation bzw. die Nutzung des Computers durch Nutzerkollektive und virtuelle Gemeinschaften als Kontakt- und Diskussionsmedium (vgl. Höflich 2003: 80). Genau wie standardisierte Kommunikate von den Befragten hinsichtlich ihrer Absenderkategorie gekennzeichnet wurden, werden auch hier von den Börsianern spezifische Einordnungen vorgenommen. So antwortet Maria M. auf die Frage, welche Informationen sie täglich für ihre Kaufs- und Verkaufsentscheidungen nutzt: Textbeispiel Maria M., „Spinner“ „Ja, die, die ganzen Börsenseiten im Internet natürlich. Also da würde ich überwiegend das Internet nutzen. Also was ich nicht machen würde, in irgendwelchen Foren, da habe ich früher mal rumgestöbert und geguckt, aber da sind manchmal auch ganz schöne Spinner unterwegs. Also, die dann irgendwelche Zockerwerte rauf und runter reden, so ungefähr. Also, ich versuche mir dann so viele Informationen wie möglich direkt zu beschaffen, mit politischem Hintergrund.“ (P10:152)
Sie baut in der Passage das Internet als selbstverständliche Informationsquelle auf, um jedoch dann eine Einschränkung zu treffen: Foren liest sie nicht mehr, hier sind „Spinner“ unterwegs. Genau, wie man von Zeitschriften „weiß, was man erwarten kann“, kennzeichnet sie Online-Foren als eigenständige Kommunikationsform, die jedem offen steht, die aber deswegen auch von einem minderen Gebrauchswert für sie ist, weil hier jeder „irgendwelche“ Werte „rauf- und runterreden kann“. Damit ist ein weiteres Beispiel für die Rahmung von kommunikativen Formen anhand von strukturellen Merkmalen gegeben. Mit „Spinnern“ und – in der folgenden Passage „Journalisten“ identifiziert sie zwei verschiedene Teilnehmer bzw. Absender von Kommunikation, die ihre Auffassung der jeweiligen medialen Situation mit prägen. Die Börsianer bezeichnen das Internet aufgrund seiner Aktualität als den „einfach besten Weg“, sich über die Börse zu informieren. Allerdings fällt auf, dass außer Henrik G., der in seinen Erzählungen die Bedeutung von Echtzeitkursen betont und der spezielle Internetverzeichnisse, die einer permanenten Aktualisierung unterliegen und allein der Übermittlung von Kursen und Kennziffern dienen, nutzt, keiner der Börsianer Zeitreferenzen nennt, die über die Kennzeichnung als „aktuelle Informationen“ (Christa C.) hinausgehen. Sofern die Befragten Investmententscheidungen realisierten, waren diese als langfristig zu bezeichnen; tägliche Kursschwankungen bspw. wurden von keinem ausgenutzt. In Analogie zu KlebeTrevino et al., die „symbolic cues“, wonach bestimmte Medien Entscheidungsrationalität, Emotion, Autorität, Fortschrittlichkeit präsentieren, als Gründe für die Medienwahl vom Managern verorteten (vgl. Klebe Trevino/Lengel/Daft 1987), kann man das Internet, indem es Aktualität und damit eine börsenspezifische Eigenschaft repräsentiert, als symbolisch adäquates Medium für das Börsenthema be-
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schreiben (vgl. auch die Charakterisierung von Medientechnologien als symbolische Ressource durch Silverstone/Hirsch 1992). Sowohl Henrik G. und Maria M. simulieren darüber hinaus ihre Anlagestrategien in sogenannten Musterdepots bzw. Watchlists. Das sind personalisierte Bereiche, in denen jeder Nutzer nach einem Log-in grafisch aufbereitet die Entwicklung des von ihm ausgewählten Korbes an Papieren beobachten kann. An dieser Stelle lassen sich Parallelen zum bereits beschriebenen medialen Rahmen der Recherche ziehen. Auch hier ist die Mediennutzung als gezielte, aktive Zuwendung zu (bzw. Suche nach) bestimmten medialen Angeboten zu charakterisieren, die hinsichtlich des dafür verwendeten Aufwands und daraus gezogenen Nutzens bewertet wird. Der Aufwand wird hier ebenfalls in seinen zeitlichen Ausmaßen thematisiert. Die Beschäftigung mit der Börse findet in der Freizeit statt, das Hobby ist eine Form der selbstbestimmten Gestaltung des Privatbereichs. Dabei besteht auf den ersten Blick ein Widerspruch: Eigentlich kann man für ein Hobby die Freizeit widmen, ohne genau auf die Uhr zu schauen (vgl. zum Beispiel die Zeitauffassungen der von Honer interviewten Heimwerker, Honer 1993). Die Hobbybörsianer jedoch nehmen – vor allem Christa C., Maria M. und Herbert G. – Bezug auf die Zeit, die sie damit verbringen, in einer Art und Weise, wie sie aus dem Berufsleben bekannt ist. Textbeispiel Christa C., „Sehr viel Zeit“ „Also da muss ich sagen, wir haben es gefühlt, dass man sowieso sehr viel Zeit im Inter/ oder am Computer, nicht im Inter/ am Computer verbringt und das ist, halten wir nicht für, wie soll ich sagen, ökonomisch gesehen, nicht. Also so viel Zeit haben wir nun auch nicht und wolln wir auch nicht nur in diese Geschichte reinpumpen.“ (P15: 051)
„Ökonomisch gesehen“ – indem Christa C. hier eine Aufwand-Nutzen-Rechnung beginnt, zeigt sie, dass die Börsenzeit eben doch keine reine Muße-Zeit ist. Die Ausübung des Hobbys ist dann sinnvoll, wenn es wertrational ist, wenn also das, was „dabei rauskommt“ den eingebrachten Aufwand rechnet. Ähnlich wie Christa C. beschreibt Maria M. Zeitlimitierungsstrategien („höchstens eine halbe Stunde abends am Computer“). Wenn die mit dem Börsenhobby verbrachte Zeit nicht als „sinnprovinzielle Zeitenklave“ (vgl. Honer 1993: 189); als subjektiv berechnete Frei-Zeit gilt, und damit in den Relevanzen nicht selbst auferlegt, nach welchen Maßstäben wird sie dann gemessen? Wahrscheinlich ist, dass die von den Marktmechanismen der Börse selbst repräsentierte Logik „Zeit ist Geld“ und das dominante Zeiterleben an den Börsen, welches durch eine kontinuierliche Linearität bestimmt ist (Börsen öffnen und schließen, Verfallsdaten von Optionsscheinen, terminierte Bekanntgabe von Quartalszahlen etc.) die Aneignungsstrukturen und Wertorientierungen des Hobbys selbst bestimmen. Interessant ist nun, dass die Begrenzung der Zeit vor allem über eine Begrenzung der am Computer verbrachten
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Zeit geregelt wird, so wie dies auch schon in der Passage von Christa C. zum Ausdruck kam. Textbeispiel Maria M, „Laptop“ „Ich habe auch mal mit dem Gedanken gespielt, mir so einen Laptop zuzulegen, aber dann wird man regelrecht von der Börse verfolgt. Und das will ich nicht, nicht mehr. Früher war es mal anders aber jetzt möchte ich mich da auch abgrenzen ganz bewusst.“ (P10: 079)
Der Computer – hier der mobile Computer, der einen überall hin begleiten kann – wird hier analog zur Börse selbst gesetzt, indem man seine Zeit am PC begrenzt, wird man dem diesem speziellen Hobby zugeschriebenen Zeitaufwand gerecht. 3.3.4.5
Fazit
In den genannten Episoden identifizieren sich die Befragten als Experten in einem Gebiet des monetären Sonderwissens. Sie verstehen ihre Expertise als Selbstentfaltung und grenzen sich damit sowohl von professionellen Börsianern als auch von Laien ab. Alle Börsianer haben die Börse zunächst als etwas für sie Neues klassifiziert, was als komplexer Wissensbereich mitsamt den dazugehörigen Legitimationen durchdrungen werden musste und schließlich in kommunikativen Episoden bewältigt werden konnte. Sie können damit typisierend als Hobby-Börsianer, die in ihrem Hobby eine spezifische Ressource der Identitätsausbildung sahen, bezeichnet werden. Innerhalb ihrer Identifikation betonen sie durchaus jeweils unterschiedliche Aspekte. So ist für Christa C. die Beschäftigung mit der Börse eine Form der Welterkenntnis und des Ausgreifens in für sie nicht direkt erfahrbare politische und wirtschaftliche Zusammenhänge; sie verweist zudem auf einen biografischen Aspekt, wenn sie sagt, dass es wichtig sei, im Alter eine „sinnvolle Beschäftigung“ zu haben. Für Maria M. sind ihre Börsenentscheidungen auch eine Form der Selbstdeutung, sie findet es „spannend“ zu sehen, wie sie in Risikosituationen reagiert, „da habe ich mich kennengelernt dabei“. Henrik G. hat in den professionellen Börsianern ein Vorbild gefunden, er sucht Bestätigung, dass seine Einschätzungen und Entscheidungen richtig sind. Herbert G. dagegen möchte sein spezifisches Wissen, welches ihn von der „Masse“ abhebt, nutzen, um sein Vermögen gewinnbringend(er) anzulegen. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es eben diese spezifischen kommunikative Episoden sind, die das Wissen der Hobby-Börsianer auszeichnen und ihre Identität konstituieren. Dazu gehören eine umfangreiche routinemäßige Zeitungsschau sowie daran anschließend gezielte Rechercheepisoden. Die routinemäßige Mediennutzung der Börsianer wurde – im Anschluss an eine bereits im Altersvorsorge-Kapitel beschriebene Aneignungsweise – von allen Börsianern als Teilhabe
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und Ausgreifen in gesellschaftliche Zusammenhänge gerahmt: So vermitteln die Inhalte Wissen über eine Welt, die sich direkter Anschauung entzieht. Dieses „Bescheid wissen“ über größere Zusammenhänge kann – wie bereits beschrieben – als Selbstverortung und Auseinandersetzung mit den eigenen Möglichkeiten gesehen werden. Gleichzeitig ist auch die Auseinandersetzung nicht nur mit Inhalten, sondern mit medialen Formen der Wissensaufbereitung eine Art der Welterfahrung. Über ihren Umgang mit Medien sowie ihre Reflektion darüber verorten sich die Hobby-Börsianer als Experten in einem Gebiet des Wissens. Ebenso wurde die Organisation von Mediennutzung als zielgerichtete Recherche und bewährte Problemlösung bestätigt. Vermutet man auf den ersten Blick in diesem Bereich monetären Sonderwissens eine weitreichende Medialisierung,84 ist darüber hinaus erstaunlich, welche vielfältigen und zahlreichen Anknüpfungspunkte im Rahmen der individuellen Aneignung für die interpersonale Kommunikation gegeben sind. In interpersonalen kommunikativen Episoden wurden massenmedial vermittelte Inhalte besprochen und bewertet. Dabei werden sowohl die Themenspektren bestehender Beziehungen erweitert als auch neue Beziehungen erschlossen. Episoden der interpersonalen Kommunikation können da, wo es vor allem um die Diskussion weit entfernter Themen (in Bezug zum Leben als spezifische Form der Gemeinschaft wie Vater-Sohn, Paar oder Kollegen) geht, als Unterhaltungen, die vor dem Hintergrund der etablierten Gemeinschaft möglich sind und diese um gesellschaftliche monetäre Aspekte erweitern, gekennzeichnet werden. In den Rekonstruktionen der Befragten zeigte sich, dass hier nicht allein die Aneignung und Erschließung neuen Wissens im Vordergrund stand, sondern immer auch die Identifikation von Gemeinsamkeiten und der Ausbau der bestehenden Beziehung. Sofern sich im Zuge des Börseninteresses neue Beziehungen erschlossen, waren diese zunächst allein dem Zweck der Bildung und damit einer engen thematischen Fokussierung unterstellt. Die sozialen Beziehungen, die sich in diesem Rahmen ergaben, wurden – in ähnlicher Weise wie die Rechercheepisoden – dem Primat der instrumentellen Nützlichkeit unterstellt und im Hinblick auf Zeitaufwand, Kosten und Nutzen taxiert.
84 Zum Beispiel wenn man in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive auf den Entstehungszusammenhang des Börsenwissens blickt. So sind Kursbewegungen untrennbar verbunden mit der medialen Produktion und Darstellung von Unternehmensnachrichten.
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
Routinemäßige Mediennutzung
Teilhabe
Identität als Experte
Oben vs. unten
Gezielte Recherche
Interessengel. Teilhabe
Bewährte Problemlösung
Vermutete Nützlichkeit
Gespräche zwischen Börseninteressierten
Kompetenz, Bildung
Unterhaltung
Abbildung 8: Überblick über die herausgearbeiteten kommunikativen Rahmen der Hobby-Börsianer
Vor diesem Hintergrund ist Ergebnissen der Medienwirkungsforschung zuzustimmen, dass interpersonale Kommunikation eine wesentliche Rolle für die Einordnung massenmedial verbreiteter Nachrichten besitzt (vgl. Schenk 2007).85 Deutlich wird weiterhin, dass man die Beziehung zwischen Medien und interpersonaler Kommunikation nicht unidirektional konzeptualisieren kann. Erst die Gespräche zwischen den Arbeitskollegen haben viele dazu gebracht, in die Börse zu investieren – im Zusammenhang mit einer erweiterten Medienberichterstattung. Die Medien bestimmen nicht allein, worüber man am nächsten Tag sprach, vielmehr waren es das in Kleingruppen bereits vorhandene Interesse in Kombination mit einer Medienberichterstattung, die zu einer Diskussion börsenrelevanter Themen führten. Man sah sich die Medien wiederum mit anderen Augen an, wenn man am vorigen Tag darüber gesprochen hatte, und konnte am nächsten Tag etwas mitreden. Medien bestimmen damit durchaus im Sinne der Agenda-Setting-Hypothese nicht was, sondern worüber wir denken (vgl. Eichhorn 1996; Rössler 1997); interpersonale Kommunikation „wirkt“ jedoch rekursiv auf Medien zurück (vgl. Höflich 2005: 79; Schenk 1995: 41). Es ist weder das spezifische Börsenwissen, welches den Zugang zur sozialen Welt der Hobby-Börsianer regelt, noch die Ausübung monetärer Praktiken (einige 85 Dabei sind vor allem Ansätze der Diffusionsforschung und des Agenda-Setting gemeint, die (neben anderen möglichen Konstellationen) die interpersonale Kommunikation über Themen als Folge der medialen Themensetzung sehen (vgl. Rössler 1997: 187f. sowie Rogers 1995a: 18ff.)
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der Befragten orderten sehr selten), sondern die spezifische Organisation dieses Wissens in kommunikativen Episoden. So kann man diese soziale Welt durch einen bestimmten Umgang mit Kommunikationsmitteln – also durch spezifische Rahmungen – auch von anderen sozialen Welten abgrenzen, zum Beispiel der der Börsenprofis. Zwar stellen die „Hobby-Experten“ ähnliche „Tugenden“ wie Fondsmanager und Analysten heraus, z. B. „das richtige Händchen haben“, Kreativität beim Finden der Informationen und Erfahrung beim Zusammensetzen der Informationen. Auch ist das Hobby Börse teilweise an der ökonomischen Prämisse orientiert und damit anders als andere Hobbys nicht als ein vom Verwertungsdruck befreiter Lebensbereich zu sehen. Doch schaut man sich die Konstitution ihres Wissens genauer an, findet man im kommunikativen Handeln einige Unterschiede. So haben Fondsmanager und Analysten eine andere Aktualitäts- und Inhaltsprämisse: Medien wird zwar grundsätzlich ein Informationswert zugesprochen, aber meist nur in Hinblick von Kursdaten und Risikokennzahlen, andere Nachrichten werden geradezu in den Bereich des Non-Professionellen verwiesen. Medien stellen hier auch inhaltlich einen Kontra-Indikator dar – sobald hier ein Börsentrend plakativ herausgestellt wird, heißt es, Abstand davon zu nehmen (vgl. Langenohl/Schmidt-Beck 2004). In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, dass lediglich Henrik G., zu dessen Identitätskonstruktion auch die Zielvorstellung einer zukünftigen Profi-Existenz als Fondsmanager oder Analyst gehört, Wert auf einen Internetanschluss legt, der ihm Realtime-Kurse liefert. Zwar wurden die Zeitungsartikel zeitlich verortet, dies geschah jedoch in einem weitläufigeren Bezug. In inhaltlicher Hinsicht war es gerade die zielgerichtete Recherche in den öffentlich zugänglichen Medien, die die spezifische Kompetenz der Hobby-Börsianer ausmachte. Sie übernahmen hier mit dem Anspruch auf Aktualität und Seriosität bei der Vermittlung aktueller Informationen, aber auch Hintergrundinformationen und Erfolgsgeschichten die Selbstbeschreibungen der Medien. Von den Laien – also denjenigen im Sample, die die Börse nicht als für sie relevantes Wissen definierten – wiederum hoben sich die Hobby-Börsianer durch unterschiedliche Motivationsrelevanzen ab, die mit einer extensiven Nutzung von Zeitungen und Zeitschriften sowie der Ausweitung bestehender Beziehungen anhand der Börse als Thema einhergingen. Damit waren auch bestimmte Interpretationsrelevanzen gegeben, die z. B. zu einer spezifischen Bewertung der Quellen führten. Zwar griffen – wie in der Untersuchung an der Thematik der Altersvorsorge gezeigt wird – auch die Laien auf die gezielte Zeitungsrecherche als Ressource monetären Wissens zurück, zeigten jedoch andere Problemlösungsstrategien, wie sie im Kapitel 3.3.2.4 exemplarisch anhand gescheiterter Rechercheepisoden (Aneignung im Rahmen vermuteter Nützlichkeit) dargestellt wurden. Obwohl es keine kollektive Identität geben kann (vgl. Berger/Luckmann 2007: 185), wird innerhalb der sozialen Welt der Hobby-Börsianer doch auf ähnli-
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
che Relevanzstrukturen und Typisierungen zurückgegriffen. Die Rekonstruktion dieses „atheoretischen Wissens“ und der zugrunde liegenden Erfahrungsräume mit Hilfe der dokumentarischen Methode zeigte, dass sich die Hobby-Börsianer an einem spezifischen „Medien-Know-how“ zur Ausübung ihres Hobbys orientieren und dieses mit ihrem „Börsen-Know-how“ (man muss Informationen absichern, Rückgriff auf pragmatische Börsenschemata als prinzipielle Grundsätze) zu einer Expertise verbinden. Mediennutzung ist hier nicht nur als spezifische Realitätswahrnehmung im Sinne einer bestimmten Lesart medial vermittelter Bedeutung zu sehen, vielmehr gibt die Ausübung als Hobby den Rahmen für eine korrespondierende Mediennutzung vor, die hier eine Möglichkeit bedeutet, sich als „Experte“ zu identifizieren und sich dabei mit Fragen der Selbstdeutung oder der Selbstentwicklung auseinanderzusetzen. Diese kollektiven Orientierungen stimmen umso mehr überein, je enger die Beziehungen innerhalb von Subwelten sind (wie sie z. B. Beispiel durch den Hexensabbatclub oder in der Familie G. gebildet werden). So entsteht durch die Teilhabe an gemeinsamen Kommunikationskanälen eine „organisierte Perspektive“ (vgl. Shibutani 1955). Hier wird ein weiteres Element des kommunikativen Handelns deutlich: Es erzeugt Strukturen, die wiederum ihre Beständigkeit in festen Kommunikationsformen sichern (vgl. Knoblauch 1996: 11). Beispiele dafür sind mit der Kommunikation im Hexensabbatclub und – über die in diesem Rahmen darstellbaren Sachverhalte hinaus – in einem E-Mail-Ring aus anderen HobbyBörsianern, den sich ein weiterer Befragter aufbaute, Online-Börsenforen und Vortragsveranstaltungen selbsternannter Börsengurus zu finden. Rahmen der Kommunikation sind damit genauso wie die Sprache wirklichkeitsstiftende Objektivierungen, die im organisierten Gebrauch institutionalisiert werden. 3.3.5
Die Mediatisierung des Tausches
In den Fallbeschreibungen wurde im Zuge der formulierenden Interpretation ein weiteres Thema deutlich, welches eine hohe Relevanz für das monetäre Handeln in der heutigen Zeit zu haben scheint. So nehmen Ute S., Christian S. und Friedrich A. mehrfach Bezug auf computervermittelte Transaktionen wie Online-Banking und Online-Shopping; Friedrich A. wickelt gar nahezu seine gesamten Geldgeschäfte und alle Einkäufe online ab. In einer soziologischen Perspektive ist die symbolische Natur des Konsums und damit seine Bedeutung für die Identität des Subjekts unbestritten; der Wert bestimmter Güter ist eben nicht nur durch ihren praktischen Nutzen, sondern durch die Definition ihres Platzes innerhalb der Kultur und damit durch ihren rituellen Gebrauch bestimmt (vgl. Douglas/Isherwood 1996; Campbell 1995; Miller
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1995). Konsumhandlungen werden in dieser Perspektive als aktive Interpretationen von Gegenständen gelesen, mit denen die eigene Identität verhandelt wird. Aktivitäten wie Online-Shopping und –Banking lassen sich in Analogie auf diese konsumsoziologische Perspektive als aktive Aneignung bestimmter Güter und Dienstleistungen charakterisieren (vgl. de Certeau 1984; Fiske 1989), die immer auch Ausdruck über eine sozialstrukturelle Verortung geben (vgl. Bourdieu 1984). Doch inwiefern ist die Abwicklung monetärer Transaktionen über den heimischen Computer als kommunikationswissenschaftliche Fragestellung interessant? Da – anders als beispielsweise der Umgang mit Massenmedien – der computervermittelte Konsum zunächst die Frage nach Struktur und Wirkungen öffentlicher Kommunikationsprozesse nicht berührt, waren Online-Transaktionen bislang kaum Gegenstand des Fachinteresses. Mit der Zunahme der Bedeutung computervermittelten Diskussion gab es jedoch zahlreiche Klassifikationsbemühungen um die unterschiedlichen Formen von Online-Kommunikation (vgl. z. B. Mast 1997), in deren Zuge Transaktionskommunikation zumindest kommunikationstheoretisch verortet wurde. Joachim Höflich unterscheidet zunächst zwischen zwei primären Computerrahmen: Kommunikation mit dem Computer (also ohne menschlichen Partner) und Kommunikation mit einem menschlichen Partner über den Computer (vgl. Höflich 2003: 90). Krotz hat, wie bereits in einem vorangegangenen Kapitel dargestellt, drei Typen mediatisierter Kommunikation unterschieden (vgl. Krotz 2008: 42f.), von denen die ersten beiden Typen durchaus Höflichs primären Computerrahmen entsprechen. Als dritten Typ nennt Krotz die Kommunikation mit „intelligenten“ Computerprogrammen wie „Gespräche“ mit Softwarerobotern bzw. einige kommunikative Aktivitäten innerhalb von Computerspielen. In seiner Mediatisierungsperspektive wären Online-Transaktionen insofern relevant, weil sie eine Erweiterung des Spektrums an sozialen Handlungen, die über Medien vermittelt werden, darstellen, und damit gesellschaftliche Veränderungen hervorrufen können. Indem die Mediatisierungsperspektive an den Grundbegriff der Kommunikation gebunden ist, entsteht allerdings auch hier wieder die Frage nach der Definition von Online-Transaktionen im Abgrenzung oder Übereinstimmung zum Begriff der Kommunikation. Ball-Rokeach und Reardon beziehen OnlineShopping explizit mit in ihre Systematik computervermittelter Kommunikation ein. Sie klassifizieren computervermittelte Kommunikation als „Telelog“, als sowohl durch Merkmale von Massen- und Individualkommunikation gekennzeichnet. Innerhalb dieses Telelogs werden drei verschiedene Arten von sozialen Beziehungen unterhalten: Sie benennen „exchange-telelogues“, „associational telelogues“ und „debate telelogues“, wobei sie Online-Shopping und –Banking als „exchange-“, also als Austausch-Telelog kennzeichnen. Bei dieser Form, die von Höflich als „Abruf-Rahmen“ innerhalb der Online-Kommunikation benannt wird, steht der Austausch von Gütern und Diensten und damit eine inhaltliche Dimension im
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Vordergrund; die Beziehungsdimension von Kommunikation hat weniger Bedeutung. Da nur mit einem Computerprogramm interagiert wird, müssen die Nutzer „nur“ die zum Gebrauch erforderlichen technischen Regeln beherrschen (vgl. Höflich 2003: 82). Dadurch unterscheiden sie sich von assoziativen Telelogen, in denen die Beziehungsdimension im Vordergrund steht und die Nutzer deshalb auch die Regeln des kommunikativen Umgangs beherrschen müssen. 3.3.5.1
Exkurs: Computervermitteltes Tausch-Handeln als gesellschaftlich relevanter Typ von Kommunikation
Damit bewegen sich alle Einordnungsversuche letzten Endes um einen Punkt herum: Wer online Waren bestellt, Produkte ersteigert und Überweisungen tätigt, kommuniziert zunächst nicht mit einem menschlichen Partner, sondern mit einem Computersystem. Damit fehlt für einen Anschluss an beispielsweise einen interaktionistischen Kommunikationsbegriff oder auch an den Kommunikationsbegriff von Alfred Schütz die gegenseitige Orientierung der Kommunikationspartner aneinander und eine Reziprozität zwischen den Kommunikanden. So ist für Schütz wesentlich, wie Wechselseitigkeit hergestellt werden kann, d. h. mit welchen Mitteln sich die Kommunikanden aufeinander einstellen und eine Annäherung in ihrem Handeln, welches vom anderen ja grundsätzlich nie ganz und genau erfassbar ist, erreichen können. Erst diese spezifische Form von Reziprozität hebt kommunikative Handlungen aus der Menge an sozialen Handlungen heraus. Kommunikatives Handeln ist immer auf eine Antwort vom Partner der Kommunikation angelegt; in dem Sinne, dass das Handeln zwar nicht beantwortet werden muss, aber doch grundsätzlich beantwortbar ist (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 550). Dieses Kriterium der Wechselseitigkeit erfüllt die Kommunikation mit Computersystemen zunächst nur in eingeschränkter Form: Zwar erhält man auf seine Eingaben eine Reaktion vom System, dieses ist jedoch eine programmierte und standardisierte Reaktion. Man bewegt sich während seinen Eingaben innerhalb eines organisatorisch festgelegten Korridors; so lässt ein Shopping- oder ein Online-BankingSystem nur bestimmte Eingaben zu und „antwortet“ darauf in absehbarer Art und Weise.86 Anhand folgender Überlegungen möchte ich jedoch computervermittelte Tauschhandlungen als Form von Kommunikation charakterisieren und damit auch 86 So genannte intelligente Systeme können zwar durchaus mit ihren Reaktionen bei ihrem menschlichen Gegenüber für Überraschungen sorgen (wie z. B. Weizenbaums Therapieprogramm Eliza), diese Reaktionen sind jedoch nichts anderes als Repräsentationen eines regelbasierten und formalisierten Wissens eines Fachgebietes, welches zuvor – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – einprogrammiert werden muss.
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als einen kommunikationswissenschaftlich relevanten Betrachtungsgegenstand im Rahmen der vorliegenden Arbeit behandeln. Computervermittelte Tauschhandlungen können als eine Form von Kommunikation angesehen werden, da sie als intentionale, in ihrem thematischen Entwurf auf andere bezogene und unter Rückgriff auf gesellschaftlich geteilte Codes (Geld und Sprache) stattfindende soziale Handlungen charakterisiert werden können, die ein weiteres konstitutives Merkmal von Kommunikation, die Reziprozität, in einer spezifischen Art und Weise realisieren.87 Unter Verwendung eines Kommunikationsbegriffs, der Reziprozität nicht unmittelbar sondern auch mittelbar stattfinden lässt, kann man auch Situationen, in denen kein Kommunikationspartner anwesend ist (und in denen also die Goffmansche „Interaktionsordnung“ überschritten wird) als Kommunikation beschreiben, indem sie auf gemeinsam geteiltes kulturelles Wissen zurückgreifen. Zwar bilden unmittelbare „Wir-Beziehungen“ den Kern des Sozialen, allerdings wird auch die „Welt in potenzieller Reichweite“ – oder genauer die der „sekundären Wirkzone“ – durch mittelbare und institutionell vermittelte Handlungen kommunikativ erschlossen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 80f.). Schütz, in dessen Konzeption Medien noch keine größere Rolle spielten, sprach von „mittelbarer Kommunikation“ (vgl. Schütz 1992: 254) und bezeichnete damit auch die direkte Kommunikation von Menschen in ihrer Ihr-Beziehung, d. h. die Ansprache des Kommunikationspartners als Rollenträger (z. B. als Verkäufer).88 So ist in Erwiderung auf Ball-Rokeach und Reardon zu sagen, dass sich die Kommunikation auch in unvermittelten Austauschsituationen auf eine institutionalisierte, hauptsächlich durch Rollen vermittelte Beziehungsdimension stützen kann, die deswegen allerdings nicht weniger wichtig ist. Eben weil sie institutionalisiert ist, muss sie nicht thematisiert werden; die Kennzeichnung der Umgebung (des Kontextes) als Laden, Supermarkt, Bank und des Gegenübers als Verkäufer, Berater etc. stellen bereits solche Regeln des kommunikativen Umgangs dar. Die Kommunikation in einem Online-Shop ist mittelbar nicht nur in dem Sinne, als dass sie die Kommunikanden in spezifischen Rollen anspricht, sondern sie ist zudem mittelbar, als dass sie einen direkten Austausch zwischen einem Menschen und einer Institution möglich macht. Knoblauch bezeichnet dies als Austausch zwischen der persönlichen und der „instrumentellen Zone“ (vgl. Knoblauch 1995: 242). Mediale 87 Und damit alle vier Merkmale von Kommunikation erfüllen: Gesellschaftlichkeit (Koordination durch einen gemeinschaftlichen Code), Intentionalität (Bewusstheit dieses Codes), Wechselseitigkeit (Aufeinanderbezogenheit durch systematische Beobachtung), Abstraktion (Situationstranszendenz durch Zeichen) (vgl. Luckmann 1980) 88 Für ihn gehört damit nicht (nur) die raum-zeitliche Erfahrungsdistanz zur Mittelbarkeit, sondern auch das Merkmal der Anonymisierung (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 122; 549f.)
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Bezahlformen sind damit als institutionalisierte soziale Beziehungen und als Typus anonymisierten, mittelbaren Handelns einzuordnen (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 572ff.). In diesem Sinne hat bereits Teichert Medien als spezifische „Vergegenständlichungen des sozialen Handelns“ begriffen und – bezogen auf massenmediale Situationen – von parasozialer Kommunikation gesprochen (vgl. Teichert 1973: 367). Medienhandeln wird in dieser Perspektive als objektivierte, d. h. vergegenständlichte Rollenübernahme begriffen, die eben nicht auf ad-hoc-Handlungen beruht, wie sie für Face-to-Face-Interaktionen typisch sind.89 Indem Teichert auf das Konzept parasozialer Interaktion von Horton und Wohl zurückgreift, konzipiert er erstmals in einer soziologischen Interpretation Zuschauerhandeln als eine „Partizipation an gesellschaftlich objektivierten Rollenhandlungen“ (vgl. Neumann/Charlton 1988: 10). Krotz, der das Konzept im Sinne des symbolischen Interaktionismus auslegt, sieht die Auffassung von der medienbezogenen Kommunikation als einer Art der Interaktion dadurch begründet, dass Zuschauer (bzw. Computernutzer, Leser und Theaterbesucher) „die Aufgabe der ständigen Perspektivenübernahme und darauf folgenden Rückkehr zu sich selbst, also eines immer wieder unternommenen imaginären Rollentauschs, ganz genauso wie bei der interpersonalen Kommunikation“ ausführen (vgl. Krotz 1996: 79). Genau wie Massenmedien die Sphäre des Gesellschaftlichen, transzendieren im vorliegenden Fall Computersysteme konkrete Wahrnehmungs- und Handlungssituationen (vgl. Knoblauch 1995: 82; Soeffner 1991), genauer gesagt, die Kommunikation im Rahmen eines Tausches. Die Koorientierung, die von einigen Forschern generalisierend in Bezug auf computervermittelte Kommunikation postuliert wird (siehe z. B. die „Mental Model Theory“ von Rice/Williams 1984: 65 oder die „Media Equation“ von Reeves/Nass 1996, weiterhin Turkle 1984 und Geser 1989) ist – bezogen auf computervermittelte Tauschkommunikation – vielmehr eine Orientierung: der des Nutzers an den antizipierten Möglichkeiten des Computersystems. 89 Die Konzeption der Beziehung zwischen Massenmedien und Rezipient als parasoziale Interaktion geht auf eine Arbeit von Horton und Wohl zurück (vgl. Horton/Wohl 1956). In der Rezeption ihrer Arbeit konzentrierte man sich – vor allem in der Lesart des Uses-and-Gratification-Ansatzes – darauf, dass die parasoziale Interaktion mit Fernsehfiguren einen Ersatz für echte Interaktion darstellt. In der interaktionistischen Lesart begriff man die Idee von Horton und Wohl zwar genereller, dennoch blieb der Ansatz an die Reaktion auf Medienpersonen gekoppelt. So versteht etwa Beniger Horton und Wohls Arbeit als „extending Mead’s ideas to mass media effects“ und stellt sie in einen Zusammenhang mit verschiedenen Arbeiten Goffmans (vgl. Beniger 1987: 364). Die Arbeiten von Horton und Wohl (später Horton und Strauss) wurden jedoch vorrangig als Analyseperspektive über Motive für Mediennutzung gesehen und nicht grundsätzlich als Theorie darüber, „wie die Menschen mit den Medien kommunizieren (was das Thema von Horton und Wohl war), und auch nicht, wie diese Beziehungen aussehen“ (vgl. Krotz 1996: 82).
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Das Bestellen einer Ware hat durchaus eine Antwort und ist auf eine institutionalisierte Wechselseitigkeit ausgerichtet: Die Ware trifft per Post ein, der Betrag wird vom Konto abgebucht. Man bewirkt mit diesen Eingaben eine Änderung der Umwelt; mehr noch, man veranlasst den Tauschpartner zu Handlungen, die als Antwort auf den Bestellvorgang gelten können.90 Indem Schütz den Aspekt des intendierten Sinns, des intentionalen Handlungsentwurfs betont, kommt er zu der Aussage: „Zumindest auf der Ebene der Sinnkonstitution des alltäglichen Handelns ist daher eine Unterscheidung zwischen Arbeit und Kommunikation fehl am Platz“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 463). Die angebliche Einseitigkeit entpuppt sich als Glied einer wechselseitigen Interaktionskette, die nicht nur auf andere Handlungen verweist, sondern Ausdruck des Geflechtes der sozialen Beziehungen ist (vgl. Knoblauch 1995: 241), zu denen eben auch Austauschbeziehungen, die sich über monetäre Größen definieren, gehören. Darüber hinaus sind Episoden der computervermittelten Tauschkommunikation auch aufgrund der Transmedialität des Computers (vgl. Höflich 2003: 76) eine Betrachtung in einem kommunikationstheoretischen Zusammenhang wert. Auf einem Online-Shopping-Portal kann man eben nicht nur kaufen, sondern findet auch Bewertungen anderer Käufer bzw. Rezensionen oder Bewertungen dieses Produktes. Anhand von Statistiken kann man sehen, wie beliebt dieses Produkt ist, d. h. wie häufig es von anderen gekauft wurde. In persönlichen Bereichen kann man seine „Wunschlisten“ anlegen, sich seine Produktauswahl konfigurieren, man sendet Links an Bekannte bzw. bindet sie in die eigene Website ein. Indem der Ansatz von Teichert aufgegriffen wird, mit dem sich Medien als Vergegenständlichungen sozialen Handelns begreifen lassen, wird auch die gesellschaftliche Dimension der Mediatisierung von Tauschinteraktionen deutlich. Medien weisen eben aufgrund dieser Vergegenständlichung ein spezifisches institutionelles, organisatorisches „Eigengewicht“ auf: „Sie haben sich aus den sozialen Handlungszusammenhängen ‚herausgedreht’ und gegenüber diesen als gesellschaftlich-institutionelle Einrichtungen eine solche – verselbständigte – Kontur und Struktur gewonnen, dass ihre Organisationsprinzipien und Funktionen mit interaktionstheoretischen Kategorien nicht zu erreichen sind“ (Holzer 1994: 40).
90 Schütz grenzt solches „Wirkhandeln“ von unbewusstem Handeln ab. Von Wirkhandeln sprechen Schütz und Luckmann, wenn dadurch von der Umwelt erfahrbare Veränderungen hervorgerufen werden (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 459). Dieses Wirkhandeln unterteilen sie weiterhin in Veränderungen, die so auch im Entwurf beabsichtigt waren (und bezeichnen sie als „Arbeit“; vgl. Schütz/Luckmann 2003: 462) sowie in Wirkhandlungen, die zwar Spuren hinterlassen, dies jedoch nicht beabsichtigten (wie z.B. Spuren im Schnee).
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Bestellvorgänge im Internet können in der Perspektive von Berger und Luckmann als Institutionen begriffen werden; als verfestigte Handlungsabfolgen, die von verschiedenen Akteuren reziprok typisiert werden (vgl. Berger/Luckmann 2007: 58ff.) und damit für alle Mitglieder einer Gesellschaft prinzipiell erreichbar sind. So wurden Medien bereits im Kapitel 2.5 der vorliegenden Arbeit als technische Artefakte und damit als eigenständige Vergesellschaftungsinstanzen charakterisiert: Sie objektivieren Handlungen und stellen damit in ihrer Technizität eine eigenständige Appräsentation; eine spezifische „Transzendenz des Sozialen“ (vgl. Soeffner 1990/1991) her. Folgt man Soeffner, konstituiert sich Sozialität auf der Grundlage von Appräsentationen, die sich eben nicht nur auf sprachliche Zeichen beschränken, sondern mit Anzeichen, Merkzeichen und Symbolen weiter gefasst sind. Wenn man dem Begriff des Merkzeichens bei Schütz genauer nachgeht, stellt man fest, dass er auch Handlungen zu diesen Merkzeichen zählt. Handlungen und ihre Verknüpfung mit Handlungsmitteln werden damit zu eigenständigen, innerhalb von Medien verselbständigten Formen und Mustern, die zwar einen Bezug zum ursprünglichen Handlungsproblem haben, aber losgelöst von diesem in intersubjektiv gültigen Zweck-Mittel-Relationen verwendet werden (vgl. Hennen 1992). Institutionalisierung bedeutet damit eine Formalisierung des Handelns 91 durch technische Artefakte. Für Linde, der bereits 1970 eine „Sachvergessenheit der Soziologie“ postulierte, liegt der „soziologische Witz“ an den Sachen (d. h. an Artefakten, Geräten und Maschinen) darin, dass sie einerseits Personen oder Personengruppen von außen Zwänge auferlegen, also Handeln in diesem Sinne regeln oder regulieren und andererseits Sozialverhältnisse begründen und aufspannen. Folgt man Linde, sind Medien als „Teilstücke von Handlungen“ zu begreifen: Genauso wie „hämmern“ ohne Hammer undenkbar ist, sind „skypen“, „chatten“, „simsen“ Beispiele für kommunikative Muster, die ohne das dazugehörige technische Artefakt und ohne bestimmte technische Zwänge der Umsetzung nicht aufzulösen sind. In ihrer Materialität ist ein spezifischer Sinn eingeschrieben. 91 Diese Formalisierung des Handelns durch technische Artefakte wurde in der Soziologie lange vernachlässigt. So konstatiert Schäfers unter Bezug auf Linde: „Ein Element der Sozialstruktur findet weiterhin nur ungenügende Berücksichtigung: ihre ‚Sachdominanz’. Es wäre falsch zu sagen, dass es in der Tradition und Entwicklung der Soziologie nicht hinreichend Belege dafür gebe, dass das Materielle und Sachliche, das „Gerät“ und „Gestell“ (Heidegger) und schließlich das „materielle Substrat“ (Durkheim) dem sozialen Handeln, Struktur, Sinn und Richtung geben. Linde verweist u. a. auf Karl Marx, Emile Durkheim und Vilfredo Pareto, auf Arnold Gehlen und Helmut Schelsky. Es wäre aber auch falsch zu sagen, dass soziologische Analysen den sachlich und technisch vorstrukturierten Handlungsfeldern besondere Aufmerksamkeit widmen. So wird zumeist übersehen, dass der von profanen Artefakten ausgehende Anpassungszwang durch eine hochselektive, spezifische ‚Gebrauchsanweisung’ bereits handlungsrelevant strukturiert ist’.“ (Schäfers 2004: 7).
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„Das gesellschaftliche Handeln ist damit nicht nur politisch durch Herrschaft oder normativ durch die Internalisierung von kulturellen Wertmustern, sondern auch ‚sachlich’ durch die Vergesellschaftung von Problemlösungen oder Handlungsmustern auf dem Wege der Veralltäglichung technischer Gebrauchsgegenstände integriert“ (Hennen 1992: 159).
Das Artefakt ist in die Motivationsrelevanz des Subjekts eingegangen, es hat ein bestimmtes Ziel und die dafür eingesetzten Mittel bzw. Um-zu-Handlungen fest miteinander verknüpft. Es ist kein eigener Problemlösungsentwurf mehr nötig, das Handeln ist veralltäglicht. Es ist ein Merkmal der Vergesellschaftung technischer Artefakte, dass die Relevanzstrukturen der Nutzer, ihre Planhierarchien, nicht identisch mit den in der ursprünglichen Entstehungssituation gegebenen sein müssen. Allerdings ist eine völlig eigensinnige Verwendung nicht möglich, denn das Artefakt ist ein „motiviertes Handlungsresultat“; es impliziert eine bestimmte vorentworfene „Um-zu-Motivationskette“, die durch den Nutzer aktualisiert werden muss (vgl. Hennen 1992: 154). Damit bedeutet die Nutzung eines Artefaktes in individuellen Nutzungszusammenhängen die „Vergesellschaftung motivationaler Relevanzen“ und damit eine Vergesellschaftung der beteiligten Subjekte (vgl. Hennen 1992: 157). Technik verweist so immer „auf ein mehr oder minder anonymes Bezugsschema ihrer Brauchbarkeit“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 46), innerhalb dessen Medien gleichwohl Gegenstand einer sozialen Verhandlung sind und der Herausbildung symbolischer Gebrauchsweisen unterliegen (vgl. Rammert et al. 92 1991). So werden Institutionen des Tausches und das damit verbundene Wissen wie z.B. Rollenvorstellungen in einen medialisierten Kontext gebracht, infolge dessen es zu einer Aufhebung bzw. Reorganisation des „do ut des“ von Tauschinteraktionen kommt, welche bereits mit Formen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs eingesetzt hat. Die vermittelte Gegenseitigkeit des Tausches geht in mehrere Prozeduren über, in denen technisch-formale Eigenschaften des Computers und des Internets eine Rolle spielen. So ist die Beschreibung von Kreditkartentransaktionen durch Haesler und seine These, dass diese die Möglichkeit einer „Programmierung des Handelns und der Handlungsintentionen“ eröffnen, auch für die beschriebenen Formen des Online-Bankings und Online-Shoppings zu denken: „Die rein technisch-prozeduralen Aspekte der Transaktion ersetzen die traditionelle Rechenarbeit. Man muß Codes eintippen, man muss sich identifizieren lassen, man muss warten, bis man aus der Prozedur wieder entlassen wird – als dies setzt eine gewisse Technizität voraus, die genau an die Stelle tritt, an der man früher rechnete, addierte und verglich“ (Haesler 2002: 191).
92 Siehe weiterführend Hörning, der in diesem Zusammenhang vier Kategorien alltagspraktischer „technikrelevanter Handlungsorientierungen“ nennt (vgl. Hörning 1988: 72ff.)
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
Es wäre zu untersuchen, ob sich durch das Eingebundensein in ein System, welches wirtschaftliche Dispositionen leicht macht, sich auch die Bedeutung von Geld verändert. Mit den verfestigen Handlungszusammenhängen werden aber auch andere, nicht im eigenen Handlungsentwurf vorhandenen Relevanzen übernommen, sozusagen eingekapselt in die Materialität des Artefaktes. Im Falle eines Computers wären das z. B. der Anschluss an das Stromnetz, die Kenntnis der Verbindungsmöglichkeiten, das Bezahlen des Tarifs beim Unterhalten eines internetfähigen PCs, im Falle eines Fernsehers die Bezahlung von Rundfunkgebühren, das Abonnement einer TV-Zeitschrift, die Auswahl einer bestimmten Empfangsmöglichkeit. Diese „klientelartige Vergesellschaftung“ (vgl. Linde 1972) führt zur Institutionalisierung bestimmter gesellschaftlicher Handlungsmuster als Fernsehzuschauer, als Verbraucher, als Kreditnehmer etc. (vgl. Hennen 1992: 158). Durch diese Objektivierung werden Online-Shops und Online-Banken zu „eigenständigen kommunikativen Kulturprodukten, die in und durch die Mediatisierung entstehen“ (vgl. Knoblauch 1995: 244). Medien können damit zusammenfassend als technische Artefakte verstanden werden, die Tausch-Kommunikation in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erweitern und in ihrer spezifisch technischen Form auf institutionalisierte Handlungen zurückgreifen. In den folgenden Abschnitten möchte ich das empirische Material auf Hinweise untersuchen, die Aussagen über spezifische Rahmen dieser als institutionalisiert und hoch formalisiert gekennzeichneten Austauschbeziehungen zulassen. Wie ordnen die Befragten computervermittelte Tauschepisoden ein, welche Erwartungen haben sie? Wie werden sie diesen Erwartungen gerecht; was verstehen sie unter einem medienadäquaten Handeln, d. h. mit welchen Interaktionspraktiken nehmen sie auf sie Spezifik der Situation Bezug? Wie beschreiben sie also das, „was vor sich geht“ (vgl. Goffman 1977: 274)? 3.3.5.2
Die Symbolik von Online-Medien und Versuche der Aneignung
Textbeispiel Christiane L., „Rückschrittlich“ „Online-Banking hab ich nicht, ich bin bisschen skeptisch vielleicht mit der Sicherheit. Aber ich glaube, man könnte mich auch überzeugen, wenn ich jetzt da einfach mal rangeführt werden würde und wenn ich jetzt auch eine bessere Verbindung hätte. Also mit dem Modem dauert alles immer ewig und das hält mich ab. Und da ist es für mich einfacher und passt sich besser in mein Lebensrhythmus ein, wenn ich einfach bei der Bank anhalte, wo ich sowieso vorbei fahre, das Ding da einschmeiße und fertig. Aber ich bin dem nicht ganz jetzt so abgeneigt, also. …[…] Die [Freunde, P.K.] wollen uns immer überreden dazu. Die erklären uns eher für verrückt und rückschrittlich. Aber in der Beziehung stehe ich dazu, also … Ich weiß ja, dass die Zeit kommt, dass ich vielleicht auch zum Online-Banking dann übergehe und insofern kann ich da auch gelassen damit umgehen.“ (P16: 187)
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Während sie über ihre Bankgeschäfte erzählt, kommt Christiane L. auch auf Online-Banking zu sprechen, welches sie bislang nicht praktizierte. Die zitierte Passage enthält eine Reihe von Erklärungsversuchen, die sie ungefragt entwickelt. Schon allein aus diesem Erklärungsbedarf heraus kann man schlussfolgern, dass OnlineBanking als monetäre Praktik eine gesellschaftliche Verbindlichkeit entwickelt hat, die es der Befragten zunächst verbietet, darüber hinwegzugehen und darüber hinaus, es geradewegs abzulehnen. Vielmehr lässt diese Veralltäglichung von Technik sie am Schluss der Passage die Gewissheit und Versicherung an den Interviewer äußern, auch einmal dazu „überzugehen“. Gerade bei Internetdiensten, die insofern eine kritische Masse erreicht haben, dass sie für eine breite Öffentlichkeit zur Disposition stehen, lässt sich an solchen Statements erkennen, welche Eigenschaften diesen Techniken zugeschrieben werden. Online-Banking entwickelt eine bestimmte Symbolik, die sowohl von den Übernehmern als auch Verweigerern dieser Praktik reflektiert wird (vgl. zur Symbolik von Medien Klebe Trevino et al. 1987). Gerade von denjenigen, die Online-Transaktionen bislang noch nicht oder nur teilweise zu ihren routinemäßigem Handeln zählten, wurde zu allererst immer wieder auf die mangelnde Sicherheit verwiesen. So bezieht sich auch Christian S. immer wieder auf die vermutete Unsicherheit und führt - da nicht auf eigenes Wissen in Bezug auf das Neue zurückgegriffen werden kann – immer wieder die Zeitung an, in der man etwas über die Gefahren des Online-Bankings lesen kann. Aus dem Sachverhalt, dass der Bezug auf massenmediale Quellen als übergeordneter Instanz notwendig ist (und nicht etwa ein Verweis, auf „das, was man weiß“, für die Stringenz der Argumentation reicht), kann man interpretieren, dass das Wissen über Online-Transaktionen als noch abzusicherndes Wissen gilt. Dabei hat es den Charakter eines Stereotyps erlangt; so verwendet es Christiane L. gleichfalls lediglich als Schlagwort und führt nicht aus, was sie darunter versteht und worauf sich ihre Skepsis bezieht. Einen konkreten Bezug auf ihre Lebenssituation führt sie allerdings aus, wenn sie die schlechte Internetverbindung über das Modem als Schwelle nennt, die den Einstieg in das Online-Banking verhindert. Mit dieser Erklärung, die sich auf etwas rein Technisches und nicht etwa Ideologisches bezieht, überwindet Christiane L. auch die Abgrenzung, die aus ihrer Sicht zwischen der größeren Gruppe der Online-Banker und ihr entstanden ist. Mit Blick auf das Diffusionsmodell von Rogers (vgl. Rogers 1995a, b), in dem er unter anderem die Kommunikation über eine Innovation und die Zeit, die diese Innovation bereits in der Gesellschaft verbringt, als Einflussfaktoren für den Diffusionsgrad bestimmt, kann man dieses Statement so explizieren: Die Befragte möchte sich nicht aus einer empfundenen Mehrheit, die schon längst zu dieser Praktik übergegangen ist, ausgrenzen. Darüber hinaus scheint die Technik selbst schon Gegenstand der Unterhaltung im Freundeskreis gewesen zu sein, wie die Referenz auf
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die Freunde, die sozusagen als Stellvertreter dieser Masse zitiert werden, zeigt.93 Bezug nehmend auf die Innovation selbst jedoch macht sie deutlich, dass ein Nutzen für sie nicht erkennbar ist. Dieses Muster war in allen Stellungnahmen der NichtÜbernehmer zu finden: Online-Transaktionen erschienen als Praktik, die lediglich durch ihre breite kollektive Akzeptanz bzw. kollektiv zugeschriebenen Eigenschaften zu einer Stellungnahme bzw. Übernahme herausforderten, deren konkrete Anschlussfähigkeit an die eigenen Praktiken aber in Frage gestellt wurde. Anhand der Aneignungserzählung von Marianne H., der 68jährigen Ingenieurin im Ruhestand, die mit ihrem Mann in einem kleinen Bungalow am Rande von Berlin lebt, werden neben der Verortung als gesellschaftlich relevante Praktik, die eine individuelle Positionierung erfordert, weitere spezifische Rahmungen, die im Prozess der Inbesitznahme entstehen, deutlich. Marianne ist stolz auf ihren Umgang mit dem Computer; so kann sie auf die erzählgenerierende Eröffnungsfrage der Interviewerin, ob sie auch das Internet nutzt, gelassen-beiläufig antworten: „Ooch, Internet haben wir schon seit Zweitausend.“ (P8: 076). Ihr Mann ist durch eine Krankheit immer wieder über längere Etappen an das Bett gebunden; auch Besuch kann dann nicht empfangen werden. Während einer Rehabilitationsmaßnahme in einem Krankenhaus kamen die beiden in die Gelegenheit, eine Internetschulung zu machen. Textbeispiel Marianne H., „Klinik“ „Na ja, dann hat er [ihr Mann, P.K.] mir das gezeigt. Die hatten dort auch so drei, vier Computer stehen, wo man rangehen konnte. Na ja, da bin ich über seine Adresse, dadurch das ich mit dem Tippen dann schneller bin durch meinen Beruf als Maschinensetzer, bin ich natürlich dann rein. Ja, da haben wir geguckt. Na ja, erstmal überwältigt reagiert man dann. Und dann haben wir, ist mein Mann dann jeden Tag ins Internet gegangen. Weil das meistens für die onkologischen Patienten war, fand ich das auch von der Psychologie her ganz toll organisiert. Und die standen immer an dort, um da ran zu kommen.“ (P8: 078)
In ihrer Erzählung stellt sie das Internet als Medium, welches erschlossen werden muss, dar. Dieses kann zunächst nur durch Hilfe von außen, hier durch einen Internetkurs in der Klinik, geschehen. Bereits in dieser Passage verbindet sie allerdings schon persönliche Fähigkeiten (schnelles Tippen als Qualifikation aus ihrem ersten Beruf) mit der Aneignung dieses Mediums. Die Schilderung ihres ersten Eindrucks 93 Insgesamt entscheiden nach Rogers folgende vier Merkmale darüber, ob und wie breit eine Innovation von einer Mehrheit adaptiert wird: 1. die Innovation selbst, z. B. ihre Komplexität, ihre Versuchbarkeit (Trialability), ihre Sichtbarkeit, ihre empfundene Vorteilhaftigkeit und ihre Kompatibilität zu Werten und Erfahrungen, 2. die Kommunikationskanäle, über die die Innovation kommuniziert wird, 3. die Zeit und 4. die Mitglieder des sozialen Systems (vgl. Rogers 1995a). Er konkretisiert sein Diffusionsmodell auch für Innovationen der Telekommunikation und nennt hier als entscheidend: 1. die kritische Masse, 2. die Standardisierung, 3. Infrastruktur (vgl. Rogers 1995b)
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markiert den Höhepunkt dieser Passage, was am szenischen Präsens, also dem Wechsel von der Vergangenheits- in die Gegenwartsform (vgl. Quasthoff 1980), erkennbar ist („erstmal überwältigt reagiert man dann“). Diese Episode ist der Auftakt für weitere Erzählpassagen, die nach einem ähnlichen Muster strukturiert sind: Eine zunächst unzugängliche Technik wird mit Hilfe von anderen Personen erschlossen. Dabei stellt sie das Internet grundsätzlich als wertvolle Beschäftigung dar, wie sie es hier anhand der abschließenden Bewertung der Möglichkeit des Interneteinstiegs für die Patienten verdeutlicht. Im Vergleich zu den „Verweigerern“ wie Christiane L. ist auffällig, dass sie es zeitlich bereits zu Beginn ihrer Aneignungsgeschichte als uneingeschränkt wertvolle Beschäftigung darstellt, ohne in konkrete Nutzungsmöglichkeiten zu differenzieren bzw. differenzieren zu können. Diese erschließen sich erst im Laufe der Nutzung, ein weiteres Indiz für die gesellschaftliche Symbolik von Medien. In der Klinik knüpfte das Ehepaar auch Kontakt mit einem Zivildienstleistenden, der ihnen einen Computer verkaufte und fertig konfiguriert zu Hause anschloss. Nun nutzt Marianne H. den Computer und das Internet fast täglich; „für familiäre Dinge“ wie den Austausch von Fotos und Mails mit Verwandten und ehemaligen Arbeitskollegen; sie gestaltet Einladungskarten für Treffen mit diesen. Weiterhin nutzt sie ihn zum „bummeln gehen“, also zum schauen, was es in diversen Online-Shops gibt. In Mariannes Beschreibungen ihres medialen Handelns kommen dabei häufig Wortverbindungen, die aus einem unmedialisierten Kontext übertragen werden (wie z. B. „bummeln gehen“) vor. Sie findet im Internet Produkte, die es sonst in dem von ihr erfahrbaren Bereich nicht gibt (zum Beispiel ein spezielles Aloe-Vera-Präparat) bzw. die es nur in Läden gibt, für die sie lange Wege in Kauf nehmen müsste. Das Internet eröffnet ihr damit, ganz im Sinne von Meyrowitz, Räume, die ihr sonst verschlossen blieben (vgl. Meyrowitz 1994). Wie bereits angedeutet, sind Marianne H.’s Beschreibungen durchsetzt von Bezügen auf allgemeine Vorstellungen über das Internet. So erklärt sie, dass sie keine Nachrichten im Internet liest: „Ich weiß zwar, dass das das Neueste sein soll auf dem Gebiet, aber ich glaube noch nicht, dass ich das nun auch noch lesen muss.“ (P8: 072)
Mit der Formulierung „Ich weiß zwar, dass…“ spielt sie auf diesen allgemeinen gesellschaftlichen Kontext an bzw. setzt ein allgemein geteiltes Wissen darum voraus, dass das Internet „das Neueste sein soll auf dem Gebiet…“. Aus dem Wissen um diese gesellschaftliche Akzeptanz ergibt sich auch hier die Notwendigkeit einer Stellungnahme, die sie zurückhaltend äußert: „ich glaube noch nicht“. Damit formuliert sie ihre Nicht-Teilnahme individuell (und stellt nicht etwa die Behauptung, das es wirklich das Neueste ist, in Abrede) und auf den aktuellen Zeitpunkt bezogen (sie schließt das Lesen nicht grundsätzlich aus). Marianne H. zieht, wie alle Be-
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fragten, denen die Internet-Nutzung noch nicht zur routinehaften Praktik geworden ist, in ihren Rekonstruktionen häufig Vergleiche zu anderen, etablierten Medien: So ist das Lesen von Nachrichten am Bildschirm unbequem, weil sie diesen nicht so „heranholen“ kann wie eine Zeitung. Doch das Internet ist durch die Übertragung gewohnter Prinzipien und Handlungsstrategien, die sich in den Interviews anhand des Vokabulars und syntaktischen Strategien (z. B. durch den Vergleich) manifestieren, nicht immer zu fassen. So berichtet Marianne H. unter anderem davon, dass sie zwar gehört hat, dass sich mit Hilfe des Internets die Preise bestimmter Produkte vergleichen lassen, dass sie sich aber schwer damit tut: „Da weiß ich noch nicht so recht, wie ich ran gehen soll“, „Also soweit bin ich noch nicht gegangen“, „So raffiniert bin ich noch nicht“. Zum einen werden Probleme in der Internetnutzung von ihr konsequent personalisiert (analog zu den ersten Erfolgen, die sie durch ihre Fähigkeiten beim „Tippen“ hatte, aber im Unterschied z. B. zu den im Altersvorsorge-Kapitel beschriebenen Schwierigkeiten bei der Recherche nach Informationen in der Zeitung, die mit generalisierenden Passivformulierungen einher gingen). Zum anderen ist hier auffällig, dass sie durch die stete Verwendung des adverbialen „noch“ ihre Position nicht als endgültig begreift. Vielmehr legt die Art der Darstellung eine Rahmung als individuellen Lernprozess, als sich zeitlich entwickelnde Inbesitznahme nahe. Dies belegt auch die folgende Episode, in der sie auf die Praktik des OnlineBankings Bezug nimmt. Auch hier greift sie, ebenso wie bei der Anschaffung des Computers, auf Verwandte und Bekannte zurück. Das soziale Umfeld ist also nicht nur für die Auslegung und Definition einer Technik relevant (vgl. hier vor allem die Arbeiten von Fulk/Schmitz/Steinfield 1987; Fulk/Schmitz/Steinfield 1990), sondern auch für konkrete Aneignungsepisoden: Textbeispiel Marianne H., „Ich schaff das“ „Das [Online-Banking, P.K.] mach ich seit drei Jahren, ja seit drei Jahren. Als ich es erste Mal zu dieser Beratung war in der Sparkasse, seit drei Jahren ist das, als ich dieses Geld dann bekam von der Lebensversicherung und der Rentennachzahlung. Und da habe ich denn gefragt, wie das denn aussieht und was man da machen muss. Auch den Antrag haben wir ganz schnell ausgefüllt. Dann hatte ich es dort liegen. Und denn kamen die TAN-Zahlen, ja ich denke, wie machst du denn das nun. Für so was brauche ich immer, das ist immer eine Hemmschwelle, ich weiß nicht warum. Und wir haben hier eine junge Frau in der Straße wohnen, das ist die Schwiegertochter unserer früheren Ärztin, und die arbeitet bei der Sparkasse. Und die kommt ab und an mit ihren Kindern und na ja wir kennen uns halt so. Und da habe ich gesagt, irgendwann müssten Sie mir mal helfen, wie ich da rein komme. Klar, sagt sie, das machen wir, am Wochenende komm ich. Und dann hat mich das geärgert am Abend, ich denke, das kann nicht wahr sein, jetzt wirst du alt, das musst du selber können. Und dann habe ich das so gemacht, wie es da stand, und es hat wunderbar geklappt. Ich habe sie angerufen, Frau Petke, Sie brauchen nicht mehr, ich schaff das.“ (P8: 135)
Ähnlich wie in der ersten Passage „Klinik“ drängen sich räumliche Assoziationen auf, das Internet erscheint hier einmal mehr als ein Raum, für dessen Begehung
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(„wie ich da rein komme“) spezifische Voraussetzungen nötig sind. Und hier kommen wieder – in der Ansprache einer detailliert beschriebenen Person aus ihrer Nachbarschaft – Verbindungen zum Lokalen und Interpersonalen ins Spiel. In dieser Erzählpassage wird die Aneignung des Online-Bankings so dargestellt, als ob es unmittelbar vor den Augen der Interviewerin abliefe; Marianne H. re-inszeniert das Geschehen. Sie greift dabei wieder auf eine Erzählstrategie zurück, die als „szenisches Präsens“ bezeichnet wird und in der der Erzähler wichtige Dinge dadurch markiert, dass er von der Vergangenheits- in die Gegenwartsform wechselt (vgl. Quasthoff 1980: 224ff.). Sie reaktualisiert ihre Erlebnisperspektive („ja ich denke, wie machst du das denn nun“) indem sie die damalige Wissens- und Wahrnehmungsposition einnimmt (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 229). Ein weiteres Mittel der Re-Inszenierung, das Marianne H. benutzt, ist die Dialogwiedergabe. Im Wechsel mit der Darstellung aus dem heutigen Wissensstand heraus („und dann hat mich geärgert…“) dient die doppelte Zeitperspektive des Erzählens zum einen dazu, die Aneignung der Praktik des Online-Bankings und die Bewältigung der dabei aufgetretenen Probleme als Schlüsselerlebnis zu charakterisieren (Darstellungsform der Re-Inszenierung), zum anderen wird diese Erfahrung in heutige Wissens- und Argumentationszusammenhänge eingeordnet (Wiedergabe aus der aktuellen Sprechsituation heraus). Dabei wird deutlich, dass die Aneignung des Online-Bankings auch zum Erzählzeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist und neue Dinge weiterhin Schwierigkeiten für sie darstellen. So wechselt sie an der Stelle ihrer Erzählung, an der sie alle Unterlagen erhalten hatte, um online zu gehen, aber nicht wusste wie, vom Präteritum ins Präsens („für so was brauche ich immer“). Dennoch kann die Episode als ein identitätsstiftendes Schlüsselerlebnis für sie eingeordnet werden, da sie auch hier die Aneignungsversuche durch Personalisierung und Subjektivierung kontextualisiert. Sie verbindet die Fähigkeit zum Einstieg in die Technik mit ihrem Alter („jetzt wirst du alt, das musst du selber können“). Alter wird hier gleichgesetzt mit der Unfähigkeit, Schritt halten zu können, OnlineBanking ist der Vertreter des Neuen, an dem sie sich beweisen muss. Sie kann diese Episode schließlich als positives Schlüsselerlebnis rekonstruieren, da sie sich wieder durch eigene Fähigkeiten (und eben nicht durch Inanspruchnahme fremder Hilfe) eine als wertvoll identifizierte Technik erschließt und mit dem Fazit schließen kann „ich schaff das“. Nach diesem Einstieg in die Materie wird die Aneignung von OnlineTransaktionen weiterhin als zeitlich langwierige Inbesitznahme dargestellt, die mit anhaltenden Schwierigkeiten verbunden ist. „Manchmal ist das für mich wie so ein Verwirrspiel“ sagt Marianne H. und beschreibt ihre Episoden im Internet, z.B. Online-Banking, immer in einer inneren Erlebensperspektive und damit als persönliche Erfahrung gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang verweist sie immer wieder auf ihre Lebensposition, z.B. auf ihr Alter: „Oder es [ihre Schwierigkeiten im Online-Banking, P.K.] hängt einfach damit zusammen, dass ich mich nun damit so
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nicht mehr ständig beschäftige“. Zusätzlich fällt für sie die spezifische Materialität des Online-Banking-Auftritts der Bank mit den Ansprüchen, die die Geldgeschäfte stellen, zusammen: Marianne H. deklariert „Geldfragen“ als ein Gebiet, das spezifische Anforderungen hinsichtlich von Fähigkeiten und Wissen stellt („wenn man das professionell machen will“). Nicht nur der wirtschaftliche Tausch an sich ist ein Lernprozess, in dem sozialisatorisch eine Einübung in ein durch „kühle Intellektualität“ gekennzeichnetes Kalkül stattfindet (vgl. Strauss 1952), auch der Umgang mit der Technik musst eingeübt und erlernt werden. Einmal mehr wird ihre Rahmung der Internetaneignung als Bildungs- bzw. Entwicklungsgeschichte deutlich: Aus dem Gefühl von mangelnder Kompetenz heraus nutzt Marianne H. ein institutionalisiertes Bildungsangebot und hat sich zu einem Internetkurs angemeldet. 3.3.5.3
Räume und Sicherheiten – Zurechtfinden an virtuellen Orten
Marianne H. hat sich, wie an anderer Stelle deutlich wird, eine Begrenzung des „Internetraums“ gesetzt: „mehr will ich nicht“. Später erklärt sie, sie gehe „einfach nur rein […] und dann mach ich meine Überweisung, stur geradeaus und gucke nicht rechts und nicht links“. Einmal mehr verdeutlicht sie ihre Eroberung des Unbekannten mit räumlichen Assoziationen; mit Verweisen auf Orte bzw. Richtungen innerhalb von Orten (geradeaus, rechts, links). Diesmal aber lassen die räumlichen Verweise das Internet nicht nur als unbekannten, sondern auch als einen gefährlichen Ort erscheinen, in dem man sich nur soweit bewegen sollte, wie es das eigene Sicherheitsgefühl zulässt. Indem Marianne und andere in den Rekonstruktionen ihrer Online-Episoden räumliche Termini benutzen, versuchen sie ihr Handeln zu lokalisieren, es zu verorten, und zeigen, indem sie dies tun, dass hier eine Notwendigkeit zur Vergewisserung der eigenen Position und des eigenen Standpunktes besteht. „Reingehen“ und „rausgehen“ werden stellvertretend für den Ausdruck „einloggen“ benutzt, man „guckt nach“, wie es um sein Geld steht. In Mariannes Klinik-Episode ist die erste Internetnutzung als Raum beschrieben, der geöffnet wurde und denn man nun bestaunen kann. Indem örtliche Bestimmungen bei der Rekonstruktion von Episoden, die eine Verschiebung aus der Offline- in die Online-Sphäre thematisieren, so eine große Rolle spielen, wird die empfundene Ortlosigkeit des computerisierten Geldverkehrs und die eigene Orientierungslosigkeit mit Hilfe der metaphorischen Verwendung lokalisierender Vokabeln wieder wettgemacht. Wenn man diese Verschiebung mit Hilfe dieses räumlichen Vokabulars beschreibt, liegt eine Anbindung an das Konzept der Virtualisierung nahe. Virtualisierung meint die mentale Präsenz an Orten, an denen man sich nicht physisch befindet (vgl. Höflich 2003: 54). Zwar ist Geldverkehr (z. B. in Form des
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bargeldlosen Giralverkehrs) schon länger als ein System zu kennzeichnen, welches für den Verkäufer, Konsumenten und Zahler etc. unsichtbar ist, jedoch waren die „Enden“ des Systems in räumlich bestimmten Dingen manifestiert: beispielsweise als Gang zur Bank oder zum Briefkasten, um Überweisungen einzuwerfen. Räume beeinflussen Kommunikation: So kann die Eingangshalle einer Bank durch bestimmtes Mobiliar und eine bestimmte Ausgestaltung kommunikative Situationen beeinflussen. Beispielsweise symbolisieren abgetrennte Bereiche Diskretion, der Kassenbereich als weniger diskret gestalteter Bereich ist auch den weniger diskreten Transaktionen vorbehalten. Der Transfer der Bank in virtuelle Räume bzw. in den Cyberspace als „ortlosen“ Raum (vgl. Höflich 2003: 27) bedingt einen Verlust der realen Räume. Diese Ortlosigkeit äußerte sich auch in einer Ambivalenz hinsichtlich der empfundenen Sicherheit. Während in der zitierten Passage von Christiane L. am Beginn des letzten Kapitels diese Sicherheit lediglich schlagwortartig angeführt werden kann, gründet Nico W. seine Befürchtungen auf eigene Erfahrungen: Textbeispiel Nico W., „Phishing“ „Das ist wirklich massiv, ja. Und dann meistens von HypoVereinsbank, von den Volksbanken, also deklariert als wichtige Information von den Banken, ja. Und da wird man dann schon, ja skeptischer, ja. Und deswegen habe ich mir angewöhnt, möglichst nur hier im Büro Online-Banking zu machen. Weil hier ist denn noch eine Firewall, wir haben die ganzen Virenprogramme und so weiter. Das ist hier von der Infrastruktur, von der Sicherheitsstruktur, besser ausgerüstet als bei mir zu Hause. Das heißt also, ich möglichst hier alle Online-Geschäfte mache und das auch ganz kurz, so schnell wie möglich, und dann wieder raus gehe, ja. Also mich dann abmelde und ich dann andere Portale besuche aber nicht jetzt bei der Sparkasse zum Beispiel bleibe, ja.“ (P6: 189)
Nico W. erhält, getarnt als Bankpost, E-Mails von nicht identifizierbaren Absendern. Kommunikationssituationen werden durch die Kommunikationsteilnehmer, genauer gesagt durch ihre Rollen und Perspektiven, gerahmt (vgl. Baacke 1975: 139). Infolge der Unkenntnis des Gegenübers wird der Rahmen des OnlineBankings an sich in Frage gestellt; man weiß nicht, woran man ist, wem man gegenüber sitzt. Es ist nicht sicher, wer sich noch mit in der Situation befindet. Im Versuch, diese Unsicherheit zu begrenzen, unternimmt Nico W. Maßnahmen, z. B. indem er nur vom Büro aus Online-Banking macht. Dadurch wird das mobile Verfahren an einen real existierenden, gesicherten Zugangsort gebunden. Darüber hinaus greift er zu einer zeitlichen Limitierung: Genau wie man in gefährlichen Räumen möglichst nur kurze Zeit bleibt, macht er „möglichst [schnell] alle OnlineGeschäfte [..] und dann wieder raus“. Auch andere Befragte binden ihr OnlineBanking an einen festen, ihnen gut bekannten Ort, z. B. an den heimischen PC als Raum, indem man sich auskennt, da man weiß, welche Programme darauf laufen. Dies zeigt eine weitere Unsicherheit der Online-Banking-Situation: Man kann nicht nur von Unbekannten auf falsche Fährten gelockt werden, sondern auch innerhalb der eigenen Räume ausspioniert werden.
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Aus dem empirischen Material kann man abschliessend Folgendes feststellen: Internet-Skeptiker bzw. -Verweigerer setzen sich intensiv mit Online-Transaktionen als mögliche Praktiken auseinander und nehmen dabei im Modus der Argumentation vielfach Bezug auf gesellschaftlich etablierte Deutungsmuster der Internetnutzung. So wird sowohl mit intertextuellen Verweisen als auch mit längeren Ausführungen auf den Sicherheitsdiskurs angespielt, um damit gesellschaftliche Positionen der Privatsphäre zu evozieren, ohne diese in Einzelheiten ausführen zu müssen. Der verbreitete Sicherheitsdiskurs kann aufgrund seiner überpersönlichen Geltung als Rechtfertigungsinstanz eingesetzt werden. Der Erzähler muss sich dann nicht mehr eigens die Legitimität seiner Position erarbeiten und kann sich von der persönlichen Verantwortung für seine Position – die beispielsweise im Falle von Christiane L. von ihr selbst als eigentlich rückständige Verweigerung einer allseits verbreiteten Technologie charakterisiert wird – distanzieren (vgl. zur Funktion von Deutungsmustern Meuser/Sackmann 1991; Lüders/Meuser 1997; Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 254). Vielmehr reicht es unter Anspielung auf dieses Deutungsmuster aus, auf das zu verweisen, was „jedermann weiß“, um seine Urteile in der Interviewsituation und seine Handlungen abzusichern. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Mediatisierung der Bankgeschäfte weitere Anschlusshandlungen nach sich zieht: Diejenigen Befragten, die begannen, das Internet für sich zu erschließen, berichteten vom Einrichten von Firewalls (ebenso eine räumliche Metapher), dem Kauf von Virenscannern sowie ihren Strategien, Passwörter zu verwalten. Insgesamt kann man aus den längeren Erzähl- und Argumentationsepisoden, die das Thema Sicherheit erfahren hat, sehen, dass die Beziehungsdimension von computervermittelter monetärer Kommunikation, d. h. die zweifelsfreie Identifikation des „Gegenübers“ und der „Örtlichkeit“ sehr wichtig ist; man muss den Räumen, in denen man sich bewegt, vertrauen können. Mit diesen räumlichen Anspielungen versuchten die Befragten, den Sicherheitsdiskurs und das Internet als zunächst nicht fassbare Technologie für sich zu konkretisieren. 3.3.5.4
Das Internet als Einkaufshilfe – Verschränkung von medialen und unmediatisierten Kontexten
Allerdings ist die Übertragung monetären Handelns von realen in virtuelle Räume nicht nur im Sinne einer Ent-Kontextualisierung oder Ent-Persönlichung94 einstmals in interpersonaler Interaktion ausgetragenen Tauschhandlungen zu lesen. 94 Vgl. dazu die Arbeiten von Vertretern der Kanalreduktionstheorie (z. B. Mettler-Meibom 1993) und von Theorien, die von einer Herausfilterung sozialer Hinweisreize ausgehen (z. B. Kiesler/Siegel/McGuire 1984; Culnan/Markus 1987).
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Vielmehr werden Online-Episoden auch als Orientierungsmöglichkeiten vor dem Kauf bestimmter Produkte gesehen. So erzählt Ute S. zum Beispiel, dass sie vor einer Urlaubsfahrt im Internet nach Kommentaren anderer Besucher des gebuchten Hotels sucht. Sie zieht sie als Bestätigung bereits getroffener Entscheidungen heran, ganz im Sinne einer Vermeidung einer kognitiven Dissonanz (vgl. Festinger 1954). Enthalten ist auch eine indirekte Wertung dieser Beurteilungen: Obwohl man die anderen nicht kennt, geht es meistens auf, haben die Informationen Gültigkeit. In der Fallbeschreibung von Ute S. wurde das Internet bereits als Einkaufshilfe bezeichnet. Sie nutzt es selber nicht, weil sie es „eigentlich nicht braucht“ und sich „nicht so damit auskennt“, ist aber dazu übergegangen, regelmäßig Rechercheraufträge an die Familienmitglieder mit Computererfahrung zu geben. Gesucht werden neben der grundsätzlichen Orientierung über Preise von langlebigeren Konsumgütern auch Einschätzungen der Produkte. Als Einkaufshilfe habe ich es deswegen bezeichnet, weil nicht der komplette Vorgang des Einkaufens im Internet abgewickelt wird, sondern das Internet als Vorab-Orientierung genutzt wird: Textbeispiel Ute S. „Espressomaschine“ „Also wenn dann irgendwas ansteht, was man sich anschaffen will, dann gucken wir dann schon. Also wir haben jetzt geguckt für eine Espressomaschine und haben uns das dann wirklich raus gezogen. Oder jetzt steht eine neue Waschmaschine an. Da haben wir uns dann auch informiert und das drucken wir uns dann auch aus. Und das bleibt dann auch liegen, bis wir uns dann irgendwann entscheiden, dass wir es kaufen. Und nach einer Nähmaschine haben wir geguckt. Also das machen wir dann schon. Also ich nicht, aber er kriegt den Auftrag, er muss es dann machen. Naja, das, das find ich, das find ich auch o. k. Nicht und dann hat man ja auch Preise, an denen man sich orientieren kann.“ (P2: 083)
Die häufige Verwendung der Konjunktion „also“ und das abschließende „Naja, das, das find ich auch o.k.“ des ersten Redeteiles weisen auf eine sprachliche Rechtfertigungsstrategie hin, die zunächst deplaziert wirkt (denn es fehlt ein einleitendes Statement). Vor dem Hintergrund der Fallstudie bekommen diese Argumentationsindikatoren jedoch ihren Sinn: An anderer Stelle hat Ute S. klargestellt, dass sie das Internet ablehnt, weil sie es nicht braucht, mehr noch, dass sie den häufigen Umgang von anderen damit „übertrieben“ findet. Auch hier zeigt sich einmal mehr die Symbolik von Artefakten und Gebrauchsweisen: Ute S. hat erstens eine Vorstellung davon, was andere damit machen (übertriebene Nutzung), kennt spezifische Gebrauchsweisen und demonstriert zweitens mit ihrer Argumentationsstruktur, dass sie die Nützlichkeit einer etablierten Gebrauchsweise (Suche nach Informationen über hochwertige Konsumartikel) erkannt hat und im Rahmen von Kaufhandlungen einzusetzen versteht. Die beiden Beispiele setzt sie als Belege ihres Wissens ein, indem sie sie mit einem einleitenden „…gucken wir dann schon“ und dem abschließenden „Also das machen wir dann schon“ umgrenzt. Obwohl Ute S. in der Lage ist, durch Detaillierungen ihre Nutzung glaubhaft zu machen, wird dennoch
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deutlich, dass sie etwas schildert, womit sie noch nicht allzu vertraut ist. Sie muss auf Beispiele zur Veranschaulichung zurückgreifen anstatt plausibel in eine mögliche Verallgemeinerung zu gehen (wie es die Online-Affinen im Sample getan haben) und verwendet bestätigende Ausdrücke wie „haben uns das dann wirklich raus gezogen“. Allerdings führt die anhand der Episoden „Espressomaschine“ und „Hotelbewertung“ eingeräumte Nützlichkeit nicht zu einer Revision ihres Urteils, dass sie diese Technik nicht für ihren Alltag benötigt. An dem Beispiel wird auch deutlich, dass Online-Shopping nicht nur als hoch formalisierter und institutionalisierter Austausch zwischen Käufer und Verkäufer zu konzipieren ist, sondern dass es erstens in die familiäre Kommunikation über eine gemeinsame Kaufentscheidung eingewoben und zweitens mit anderen Aktivitäten verbunden ist: hier dem Suchen der Produktinformationen, dem Ausdrucken, dem Wiedervorholen, dem Diskutieren der Kaufentscheidung und der Auseinandersetzung mit anderen Bewertungen. Interessant ist, das in dieser wie auch in allen anderen Passagen von Internet-Novizen kaum die Namen von Online-Shops bzw. Preisvergleichsseiten genannt werden, man kauft bzw. informiert sich „im Internet“. Dagegen wird häufig mit der Stiftung Warentest auf eine konkrete Institution verwiesen. Textbeispiel Christian S., „Media Markt“ „… ansonsten find ich angenehmer, im Internet mit etwas mehr Zeit zu recherchieren, als in den Media Markt oder Pro Markt zu rennen und mir von irgendwelchen Verkäufern was erzählen zu lassen, was ich mir dann nicht ausdrucken kann. Wo ich nicht noch mal draufgucken kann also nicht noch mal visualisieren.“ (P5: 107)
Auch Christian S. charakterisiert das Internet als Möglichkeit, Kaufinteraktionen im eigenen Sinne zu gestalten. Dazu gehört, dass man sich genug Zeit nehmen kann, um eine eigene Entscheidung zu treffen. Zwar kennzeichnet Reinhold die Handlungsbedingungen innerhalb von Tauschinteraktionen dergestalt, als dass sich Anbieter und Nachfrager frei und gleichrangig gegenüberstehen (vgl. Reinhold 1988), Freiheit und freie Wahl von Sachen und Personen bedeutet dabei jedoch formale Freiheit im Sinne von Abwesenheit von Zwang. Christian S. jedoch empfindet die Situation insofern als unfrei, als dass „irgendwelche Verkäufer“ ihn innerhalb ihrer Verkaufsräume beeinflussen könnten und dass aus der Face-toFace-Situation eine ungewollte Verbindlichkeit entsteht. Demgegenüber weist die Recherche im Internet ein geringeres Maß an Verbindlichkeit auf und lässt Raum und Zeit zur Überlegung. Die Beispiele zeigen, dass nicht nur Online-Transaktionen in Hinblick auf die Konstruktion monetärer Identität interessant sind, sondern dass sich eine Reihe von konsumrelevanten Praktiken um das Online-Shopping herum gruppieren, die auch von jenen genutzt werden, die selbst noch nichts im Internet gekauft haben.
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Der von Haesler für die Kreditkartenzahlung konstatierte „Kontrollverlust der Käufers, den die Dematerialisierung des Geldes nach sich zieht und der sich sowohl auf Preisvergleiche als auch über die effektiven Ausgaben und das Budget erstreckt (vgl. Haesler 2002: 192), kann für Praktiken des Online-Einkaufens nicht nachvollzogen werden. Eher kann auf Strategien hingewiesen werden, die den erst einmal unbekannten Ort Internet übersichtlich machen. Dazu gehören eben der Preisvergleich, das „ausdrucken und erst einmal hinlegen“ (Ute S.) und, was Online-Banking betrifft, das häufigere Einloggen in den persönlichen Account. Zum anderen kann in denjenigen Episoden, in denen sich die Befragten auf die Informationssuche im Internet beschränkten, den Kauf aber in der realen Welt vollzogen, eine Vorbereitung auf den Kaufakt gesehen werden, die zu einem Gefühl vermehrter Kontrolle führte. Weiterhin eröffnete das Internet Möglichkeiten der zeitlichen Selbstgestaltung von Informationsepisoden (visualisieren, ausdrucken, überdenken), des Überblicks über Konkurrenzangebote und der Information über die Beurteilung durch andere Käufer, die vor allem von den noch nicht so affinen Internetnutzern im Rahmen ihrer Inbesitznahme vor allem im Vergleich mit alternativen Handlungsstrategien als Vorteile herausgearbeitet wurden. 3.3.5.5
Monetäre Online-Praktiken als Routine
Textbeispiel Christoph S., „Geldtransaktionen“ „Im Prinzip alle meine Geldtransaktionen, das Konto anschauen, also kontrollieren irgendwie, Kreditkartenabrechnung, Telefonabrechnung, GASAG, also den ganzen Kram jetzt ausschließlich online. Da, wo ich kann, mach ich das auch absichtlich online, weil ich das halt irgendwie bevorzuge. •• Weil es bequem ist. Und weil ich’s von überall machen kann. Und ich könnte jetzt gar nicht sagen, was nicht als Dauerauftrag über meinem Konto oder über, über Internetüberweisung noch manuell zu machen ist.“ (P12: 133)
In dieser Passage beschreibt der Befragte eine umfassende Wandlung der Erledigung der privaten Finanzen. Indem sowohl alle Geldtransaktionen als auch die Überwachung des Geldverkehrs „jetzt ausschließlich online“ vorgenommen werden, findet ein auch zeitlich markierter Übergang aus der Offline- in die OnlineSphäre statt. Die Begründungen, die Christoph S. ungefragt dafür sucht und vorträgt, können entweder bezogen auf von ihm vermutete Verständnis- und Akzeptanzprobleme bei der Interviewerin oder als Selbstpositionierung in einem Diskurs gelesen werden. Diese letzte Lesart liegt nahe, zeigt sich doch an den vorangegangenen Kapiteln, dass – indem Befragte immer wieder auf normative Erwartungen bzw. Zuschreibungen bestimmter Eigenschaften durch eine Allgemeinheit Bezug nehmen – der Umgang mit dem Internet Gegenstand eines Diskurses ist. Mit der wiederholten subordinierenden Konjunktion „weil“ stellt der Befragte explizit inhaltlich-logische Zusammenhänge zwischen dem eigenen Handeln und dem gesell-
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schaftlichen Wissen um Online-Banking her („weil ich’s von überall machen kann“, „weil es bequem ist“). In seinem ersten Begründungsversuch muss er jedoch zu tautologischen Argumenten greifen („weil ich das halt irgendwie bevorzuge“), d. h. zu einer Begründung seines Handelns aus seiner eigenen Intention heraus, welches deswegen auch nicht widerlegbar ist. Daran erkennt man die Schwierigkeit, eine alltäglich gewordene Praxis zu explizieren. Diese Passage ist deswegen als Übergang zwischen den Rekonstruktionen in den beiden vorangegangenen Kapiteln und den folgenden Passagen zu lesen: Während Christoph S. sich hier noch dazu bemüßigt fühlt, die nahezu komplette Abwicklung seiner Geldgeschäfte über das Internet argumentativ zu rekonstruieren, nutzen die meisten derjenigen, für die das Internet zur routinemäßigen Anlaufstelle geworden ist, den Modus der Beschreibung. Mit Deskriptionssequenzen werden typische oder gewohnheitsmäßige Handlungen oder Gepflogenheiten geschildert. Zunächst dienen deskriptive Textpassagen der Konstruktion von Lebensräumen der Befragten; sie charakterisieren damit, was im Zusammenhang mit dem Thema zu ihrer Welt gehört und wie sie funktioniert (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 160). Das Routinemäßige und die Selbstverständlichkeit dieses Handelns zeigt sich in den Beschreibungen sowohl in ihrem Ausmaß als auch in der semantischsyntaktischen Struktur: Für viele Befragten war der Internetweg so selbstverständlich geworden, dass sie ihn nicht groß thematisierten, d. h. es entstanden keine Detaillierungszwänge, um das Erzählte zu plausibilisieren, es wurden keine weitläufigen Argumentationsfiguren benutzt, um ein Einverständnis mit dem Zuhörer zu erreichen. „Bequem“, „keine Zeit verschwenden“, „weil ich’s von überall machen kann“ – befragt nach Nutzungsgründen kommen immer kurze, ähnliche Begründungen, die Stereotypen ähneln. Darüber hinaus schildern durchweg alle „Routiniers“ ihre Internet-Episoden in der Außenperspektive, also retrospektivkategorisierend und faktenorientiert; man erfährt nichts über beteiligte Emotionen oder persönliche Erlebensaufschichtungen. Sie beschreiben ihr Handeln als institutionalisiert und alle technischen Möglichkeiten ausschöpfend. Die eigene Person wird als souveräner Nutzer präsentiert, der sich unter Kenntnis von Alternativen der vorhandenen Möglichkeiten nach Interesse und Sachlage bedient. Viele der Passagen kommen – im Vergleich zu den Beschreibungen der massenmedialen Episoden und der Gespräche in familiären Zusammenhängen – als sachlich-nüchterne Beschreibungen daher. Das computervermittelte monetäre Handeln wird darüber hinaus oft in ich-indizierten verbalen Ausdrücken beschrieben (im Gegensatz zu den massenmedialen Episoden, in denen aus Ambivalenz über das eigene Handeln oft auf die Man-Form zurückgegriffen wurde). Kreditkarte, Telefonrechnung, Gasag – mit dieser knappen Beschreibung hat Christoph S. eingangs seine monetären Routinehandlungen umrissen. Die einstmals personalisierten Tauschbeziehungen haben sich im Laufe der Jahre so verändert, dass sie heute als höchst standardisierter Austausch mit Computersystemen
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stattfinden. Doch auch daraus ergeben sich Institutionalisierungen des kommunikativen Repertoires, die den Alltag in zeitlicher und in inhaltlicher Hinsicht bestimmen: Textbeispiel Walter H., „Alle zwei Tage“ „Überweisungsgeschäfte prinzipiell findet alle paar Tage irgendwas statt. Das angefangen von der Miete was monatlich überwiesen wird oder Rechnungen, die zu bezahlen sind. Alles per OnlineBanking, dann immer noch, also Miete regelmäßig monatlich, ansonsten nach Erfordernis, dann, ja läuft alles über Online-Banking. Ein Überblick, weil es gibt ja nun auch Dinge, die als Abbuchungen laufen, Versicherungen und Zeitschriftenabonnement. Das ist nun einmal pro Jahr nur, aber es sind so halt viele Kleinigkeiten, die zusammenkommen, die als Abo nur laufen. Deshalb informiere ich mich so alle zwei bis drei Tage über den Kontostand, auf jeden Fall fast alle zwei Tage. Schon einfach um zu sehen, geht da irgendwo was weg, was nicht weggehen soll. Oder auch zu erkennen, wenn, da man ja auch mit Kreditkarte bezahlt, läuft da irgendwas mit der Kreditkarte, ist da irgendwo/“ (P17: 113)
Die Institutionalisierung findet ihren Niederschlag in der Beschreibung: „prinzipiell“, „regelmäßig“ „läuft alles“. Dabei entstehen aus der Verwobenheit monetärer Handlungsformen mit computervermittelten Handlungen neue Routinen bzw. neue Formen der Kontrolle. So wird deutlich, das einstmals zusammengehörige Geldhandlungen wie z. B. das Einkaufen, durch die Virtualisierung und Dematerialisierung des Geldes in mehrere Teilhandlungen zerfallen: Der Einkauf mit Kreditkarte ist das eine, die Kontrolle findet ein paar Tage später statt. Im Gegensatz zu denjenigen, die ihre Bankgeschäfte offline erledigten, kontrollierten die OnlineBanker den Stand ihres Kontos in weitaus kürzeren Abständen. Die meisten Befragten gaben dieses Intervall als „alle zwei Tage“ an. Die „Nicht-Online-Banker“ gaben dagegen wöchentliche Rhythmen an oder „immer wenn ich in der Stadt bin“ „wenn ich daran vorbeikomme“. Friedrich A. nennt in der Passage „Öfter gucken“ (siehe Fallbeschreibung) weitere zwei Praktiken: Zum einen muss er als aktiver Ebayer die Zahlungseingänge kontrollieren, um zu wissen, wann er die Ware versenden kann und zum anderen macht er von den häufig gemachten Angeboten der Banken Gebrauch, sein Geld auf einem höher verzinsten Tagesgeldkonto ohne Zahlungsverkehrsfunktion zu deponieren und nur das notwendigste auf dem Girokonto zu lassen. Das Überweisen zwischen zwei eigenen Konten ist eine Praktik, die erst mit dem Aufkommen der Online-Banken großflächig möglich und verbrei95 tet geworden ist.
95 Früher gab es für Bankkunden keinen Grund, ein Tagesgeldkonto zu unterhalten, Gelder wurden immer auf dem Sparkonto geparkt. Heute ist es für Online-Affine normal geworden, mehrere Konten zu unterhalten, eine Praktik, die aber das von Friedrich A. beschriebene Überprüfen und „Hinund-Her“ nach sich zieht.
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3 Die empirische Untersuchung: Rahmen kommunikativer Episoden über Monetäres
3.3.5.6
Online-Shopping und die Herausbildung von Identität
Es sind vor allem die Online-Affinen wie Friedrich A. und Walter H., die mit Risiko- und Qualitätsunterschieden der einzelnen Online-Händler differenzierter den Rahmen des Online-Shoppings thematisieren. Hier ist nicht mehr die Frage, ob man etwas lieber online oder offline kauft, sondern vielmehr, welche Anlaufstellen im Internet man wählt und wie man diese nutzt. Textbeispiel Walter H., „Finger weg“ „Was aber nicht bedeutet, dass es mir darum geht, immer besonders billig alles zu kaufen, weil da ist ja meine Erfahrung, dass das nicht unbedingt gut ist, wenn man immer nur nach dem billigsten Angebot guckt, auch online. Sondern da gibts eben inzwischen dann auch so einige Händler, wo ich weiß, dass sie aus Erfahrung gut funktionieren beziehungsweise dort informier ich mich eben dann auch mal in irgendwelchen Foren oder so zu dem Thema. •• Ich guck mir das, dann so/ also wenn ich einen Händler, den ich noch nicht kenne, bei dem ich irgendwas kaufe, was auch immer ja mit einem gewissen Risiko verbunden ist, guck ich vorher schon, dass man/ • also Händler, die ganz schlecht sind, das spricht sich rum in, in den entsprechenden Foren, die es zu diesen Themen gibt. Da, wenn man da ein bisschen liest oder man da speziell dann danach sucht, dann kriegt man das schon, dass dann jemand sagt, Finger weg irgendwie oder hat schlechte Erfahrung gemacht. Und wenn das irgendwie zwanzig Leute sind, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, dann weiß man schon, o. k. such mir doch lieber einen anderen Händler wo ich weiß, es funktioniert, soweit das geht.“ (P17: 077)
Walter H. berichtet hier, wie er sein persönliches Kaufverhalten („nicht nur nach dem billigsten“) im Internet umsetzt. Hier zieht er noch explizit eine Parallele zum Offline-Bereich: Genau wie sich die Qualität eines Ladens „herumspricht“, ist das auch bei Online-Händlern der Fall. Indem er jedoch beschreibt, wie dieses funktioniert, legt er differenzierteres Wissen über die Internetnutzung offen. Die Möglichkeit, die Meinung anderer Leute nicht nur über die Shops, sondern auch über die angebotenen Produkte zu erfahren, wird gerade von denjenigen geschätzt, die sich für sehr teure Produkte oder für Spezialprodukte interessieren (wie der Befragte, der ein Computer- und Technikinteressierter ist). Für diese Spezialinteressen ist die Chance gering, im Freundes- und Bekanntenkreis eine befriedigende Auskunft zu bekommen.96 Dieses zeigte sich auch in der Fallbeschreibung von Friedrich A., der innerhalb seines Freundeskreises keinen weiteren Ansprechpartner für sein audiophiles Hobby hatte. Friedrich A. hatte sich ein Repertoire von Internetseiten zugelegt, welche er in regelmäßigen Abständen besuchte. Darunter waren sowohl Online-Shops für spezielle Produkte, die er so in seiner lokalen Umgebung nicht fand, als auch sehr viele Forumsseiten, in denen andere Audiophile nicht nur darü96 Es sei denn, dass es sich hier um Bekannten- bzw. Freundeskreise handelt, die sich aufgrund eines solchen Spezialinteresses konstituiert haben, wie es z. B. mit den Börsianern in der vorliegenden Arbeit auch beschrieben wurde.
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ber schrieben, wo im Internet sie welche Produkte zu welchen Preisen erworben haben, sondern in denen es auch um die Aneignung dieser Produkte geht. Von ähnlichen Praktiken berichtete Walter H.: Er hatte sich einen „Network-MusicPlayer“ (ein Gerät, mit welchem man Internetradiostationen sowie MP3Musikdateien auf die Stereoanlage übertragen kann) gekauft und stieß auf ein Forum, in dem „wirklich verrückte“ Sachen waren, die „man aber gerne liest“. So beschäftigte sich ein von ihm gern gelesener Thread damit, wie die Geräte von ihren neuen Besitzern in die Wohnumgebung integriert wurden. Diese stellten neben ausführlichen Beschreibungen der technischen Konfiguration auch Fotos ein, die die Integration des Gerätes innerhalb des privaten Lebensbereiches zeigten. Genau wie aus den Episoden monetärer Kommunikation, die auf die Inbesitznahme des Internets zielten, deutlich wurde, dass sie sich nicht nur auf Transaktionen beschränken lassen, kann man bei auch den Online-Affinen eine Reihe von Praktiken „darumherum“ konstatieren. So haben beispielsweise Friedrich A. und Christoph S. Abonnements auf alle Auktionen zu einem bestimmten Gegenstand auf der Auktionsplattform Ebay eingerichtet. Sie werden automatisch per E-Mail informiert, wenn ein solcher Artikel eingestellt und versteigert wird. Dabei ist nicht unbedingt immer ein Kaufinteresse vorhanden; Friedrich A. ist allgemein interessiert daran, wie viel bestimmte Sachen „denn so kosten“ und wie „sie weggehen“. Auch wenn er ein Objekt bereits ersteigert hat, schaut er sich noch Wochen später an, bei welchem Preis andere Auktionen über dieses Objekt enden. Während die „Einsteiger“ es bereits thematisierten, wenn sie sich einfache Informationen über ein Produkt aus dem Internet „herausgezogen“ hatten, griffen etwas Erfahrenere zur Vorbereitung ihres Kaufs entweder auf online verfügbare Bewertungen durch Stiftung Warentest oder auf Kommentarfunktionen anderer Nutzer zurück, die potenzielle Anbieter auf ihren Seiten eingebaut haben. Die langjährigen Online-Shopper nannten dagegen explizit spezifische, „unabhängige“ Forumsseiten, die sich oft anbieterübergreifend dem entsprechenden Themenfeld widmen. Dies korrespondiert mit den Aussagen des Media-Appropriateness-Ansatzes, wonach die Wahl eines bestimmten Mediums abhängig von gemachten Erfahrungen (und nicht von objektiven Eigenschaften) ist. Diese werden umso differenzierter, je länger eine Person das Medium schon benutzt (vgl. Carlson/Zmud 1999; King/Xia 1997). Mit dieser Differenzierung zwischen möglichen Forenkontexten sind die Stichpunkte Vertrauenswürdigkeit und Manipulierbarkeit angesprochen. Vor dem Hintergrund, dass im Internet die Beziehungsebenen mühelos gewechselt werden können (vgl. Höflich 2003: 83) und einseitig (aus Sicht des Verkäufers) aufbereitete Produktinformationen neben kritischen Stellungnahmen anderer Nutzer stehen können, ist diese Fähigkeit zur Kommunikatoreinschätzung wesentlich. Je mehr Erfahrung ein Nutzer mit dem Internet hat, so legen es die Interviews nahe, um so mehr Formen konsumrelevanter Kommunikation werden genutzt: Werbung durch den Anbieter,
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Produktbeschreibungen, einfache Produktbewertungen, Urteile von Institutionen wie Stiftung Warentest, bewertende Diskussionen in Foren. Höflich bezeichnet aufgrund dieser Eigenschaft das Internet als „Hybridmedium“, weil „lückenlose Übergänge zwischen verschiedenen medialen Formen der Kommunikation stattfinden und somit Computerrahmen unter einem anderen Vorzeichen weitergeführt werden können“ (vgl. Höflich 2003: 83) Nicht nur der Konsum bestimmter Produkte und Dienstleistungen kann zur Identitätsdefinition dienen, auch die medienspezifische Umsetzung ist identitätsrelevant. So kennzeichnet Friedrich A. seine Ebay-Aktivitäten mit dem Hinweis, dass er bereits „300 Deals“ abgewickelt habe, mit zu „100 Prozent positiven Bewertungen“. Es ist ein zentrales Feature des Online-Auktionators Ebay, mit Hilfe von Bewertungen über vergangene Käufe und Verkäufe Statusinformationen zu geben („Power-Seller“, „Guter Ebayer“ etc.). In einem Internet-Forum zum Thema Börse können sich die Teilnehmer je nach Länge ihrer Mitgliedschaft, Höhe ihrer Umsätze bzw. Qualität ihrer Beiträge als „Heavy Trader“, „StarTrader“, „Börsenfuchs“ etc. bezeichnen. Insgesamt bildet das Internet nicht nur institutionalisierte Tauschbeziehungen ab, es etabliert auch eigenständige kommunikative Kontexte, die spezifische Szenen (Hobby-Börsianer, Audiophile) ansprechen. So ist die mediale Verfassung der Kaufgewohnheiten von Friedrich A. als identitätswirksame Spezifik zu interpretieren: Er hat mit dem Internet nicht nur eine Möglichkeit gefunden, sich Produkte anzuschauen und zu erwerben, die es „offline“ nur in (weit entfernten) Spezialläden gibt, durch die medienimmanenten Verbindungen (z. B. durch angeschlossene Foren) kann er eben auch mit Gleichgesinnten in Kontakt treten bzw. ihre Einschätzungen und Verwendungen der Produkte lesen. Im selben Maße, in dem auch immer mehr Produkte online beschrieben und verfügbar sind, haben sich auch diese Seiten ausdifferenziert: Es geht schon lange nicht mehr nur um die Bewertung der Produkte und des Verkäufers, sondern auch um spezifische Gebrauchsweisen und Aneignungen von Produkten. An den Statements lässt sich die Identitätsrelevanz dieser konsumnahen Internetnutzung erkennen: Wenn Friedrich A. beispielsweise erzählt, wie „verrückt“ andere Nutzer sind, die in einem Forum über ihre Geräte geschrieben hatten, dann liegt darin eine soziale Verortung, die hier darauf bezogen ist, wie viel Raum er seinem Hobby neben seinen anderen Lebensfeldern gibt. Er bespricht das Gelesene auch mit seiner Freundin; wohl auch, um ihr zu zeigen, dass sich seine Ausgaben für das Hobby, welches immer auch ökonomisch bestimmt ist, im Bereich des so definierten Normalen bewegen. Darauf aufbauend lässt sich die These vertreten, dass viele Spezialszenen gerade im Internet eine Form gefunden haben, sich zu formieren bzw. Teile ihrer szenetypischen Binnenkommunikation ins Internet verlagert haben (wie es bereits am Beispiel der Hobby-Börsianer gezeigt wurde) und darüber hinaus, dass monetäre Orientierungen ein wesentliches Element dieser
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Binnenkommunikation sein könnten. Indem eine monetäre Identität immer auch ihren Ausdruck in der Zuordnung monetärer Ressourcen zu bestimmten Identitätsprojekten wie Hobbys findet, die mit Hilfe des Internets weiter ausgestaltet und entwickelt werden können und das Internet zweitens eine Möglichkeit ist, monetäre Praktiken des Bezahlens, des Auswählens von Produkten und der Kontrolle anders zu gestalten, ist der Bereich der Transaktionskommunikation für die monetäre Identität relevant. 3.3.5.7
Fazit
Anschließend an die Analyse der Rekonstruktionen von Episoden computervermittelter Tauschinteraktionen kann man zwei unterschiedliche Rahmungen ausmachen, die ich zusammenfassend als Inbesitznahme und als Routine bezeichnen möchte. Die Bezugnahme auf Online-Transaktionen als Inbesitznahme war kennzeichnend für Befragte, die noch keine oder wenig Internet-Erfahrung hatten. OnlineBanking und Online-Shopping stellen sich als zwei monetäre Praktiken dar, deren gesellschaftliche Relevanz anhand der Erzählungen dieser Befragter deutlich geworden ist. Dies kann als Nennung allgemein akzeptierter Wissensbestandteile geschehen („Ich weiß, dass das Neueste sein soll…“), als individuelle Positionierung zu bestimmten Praktiken, von denen man annimmt, dass eine Mehrheit mit ihnen vertraut ist („Auch wenn das alle machen…“) oder auch als Anspielung auf gesellschaftliche Diskurse („Ich bin da skeptisch wegen der Sicherheit…“). Dabei setzten die Befragten oft eigene Ziele des Handelns mit den (vermuteten) Möglichkeiten der Online-Praktiken ins Verhältnis und erarbeiteten sich eine subjektive Positionierung mit Hilfe von Vergleichen mit entsprechenden Offline-Situationen. Diese Übertragung, die eine erste Aneignung der Technik markierte, zeigte sich an der Verwendung von räumlichen Metaphern („rein gehen“, „ran holen“, „bummeln gehen“) und damit an dem Versuch, eine Beziehung der Ähnlichkeit zwischen Bekanntem und Unbekanntem herzustellen. Indem die computervermittelten monetären Praktiken gesellschaftlich verbreitet und auch im persönlichen Nahbereich akzeptiert waren, übten sie einen Positionierungszwang aus. Die Aneignung und Integration in die eigene Praxis wurde dadurch auch zur Frage der eigenen Identität (Inwieweit kann man mithalten? bzw.: Ist das was die anderen machen, auch für einen selbst wichtig?). Schließlich wurde deutlich, dass die Aneignung, die schrittweise vonstatten ging und sich zunächst auf einzelne Handlungen bezog (z. B. Preisvergleiche), nicht reibungslos geschah: Es war typisch für Rekonstruktionen dieser Gruppe, dass sie als erlebensmäßiger Nachvollzug geschildert wurden (z. B. durch Verwendung der Binnenperspektive oder als Re-Inszenierung).
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Im Vergleich dazu haben Internetaffine wie Walter H. und Friedrich A. in ihrer Rolle als Konsumenten längst medienspezifische Praktiken entwickelt (z. B. hinsichtlich der Prüfung von Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit eines Tauschpartner bzw. hinsichtlich der Recherche nach bestimmten Produkten), so dass eine Entscheidung online versus offline gar nicht mehr zur Disposition steht. OnlinePraktiken sind selbstverständlicher, veralltäglichter Bestandteil ihrer Lebenswelt. Indem sie das Internet und seine Möglichkeiten wie Rankings, Rezensionen, Nutzerbewertungen und dem Austausch mit Gleichgesinnten kennen und beschreiben, positionieren sie sich als souverän Handelnde, für die nicht nur der Konsum bestimmter Produkte zur Formung einer Identität beiträgt, sondern auch die spezifische mediale Abwicklung. Diese erlaubt oft erst die intensive Beschäftigung mit den jeweiligen Produkten (z. B. in Foren). Indem das Internet die eigenständige Abwicklung von Transaktionen ermöglicht, leistet es auch einer bestimmten handlungsmäßigen Orientierung Vorschub. Mit Hilfe angeeigneter Online-Praktiken lassen sich individuelle Interessen befriedigen. Die leitende Handlungsorientierung, an der die Wahl von Handlungsalternativen ausgerichtet ist, ist der individuelle Nutzen. So erwähnen viele Befragte Preisvorteile, die sie durch die mediale Abwicklung von Transaktionen realisieren können. Online-Transaktionen und die um sie herum gruppierten Praktiken vergrößern den Bereich der „manipulativen Zone“, nach Schütz jener Teil der Welt in Reichweite, „auf die ich durch direktes Handeln einwirken kann“ (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 77, Hervorh. im Original). So können sie eben Waren bestellen, die es vor Ort nicht gibt und dabei unter Verweis auf die Logik der Gelegenheit durch eigene Recherchen, d. h. durch eigene Fähigkeiten, preisliche Vorteile realisieren. Artefakte ökonomischen Handelns wie Konten und Accounts werden mit der Möglichkeit, selbst darauf zuzugreifen und teilweise zu gestalten, aus der Sphäre formaler Institutionen wie Banken und Marktplätzen herausgelöst und individualisiert. Die Online-Routiniers geben Hinweise auf diese Inbesitznahme institutionellen Raumes, indem sie – in einer personalisierten Form – davon berichten, wie sie durch Anlegen automatisierter Vorgänge, Konfigurieren der Oberfläche mit den jeweils interessierenden Ausschnitten und Verknüpfungen von Techniken (z. B. von Online-Zahlungsformen und bestimmten Portalen) ihr Handeln optimieren. Die eigenen Kompetenzen werden als subjektive Handlungsvoraussetzung dargestellt, als instrumentalisierbares Wissen um die Regeln der computervermittelten Tauschkommunikation. In ihren distanzierten Rekonstruktionen präsentieren sie sich als souveräne Nutzer, die vor dem Hintergrund der routinemäßigen Nutzung von Online-Shops etc. sich neue Praktiken erarbeiten, die es so vorher in diesem Bereich nicht gab (z. B. die Positionierung als Ebayer, die Teilnahme an Foren).
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Online-Transaktionen
Inbesitznahme
Routine
Abbildung 9: Überblick über die herausgearbeiteten Rahmen von Online-Transaktionen
Nach einer eingehenden Betrachtung von zunächst simpel und reizlos erscheinenden Bestell- und Transfervorgängen im Internet erscheint es durchaus sinnvoll, die kommunikationswissenschaftliche Analyse monetären Handelns um die genannten Vorgänge computervermittelter Kommunikation zu erweitern. Nicht nur in interaktionistischer Lesart als zwar situativ einseitig realisierte und innerlich vollzogene Vorgänge der Situationsdefinition und Bedeutungszuweisung, aber als solche an dialogische Formen der Kommunikation angelehnt, rücken Vorgänge der Transaktionskommunikation konzeptionell als kommunikationstheoretischer Gegenstand in Betracht. Unter Rückbesinnung auf die für die Phänomenologie bestimmende Grundkategorie des Handelns kann die computervermittelte Tausch-Kommunikation als ein Typus kommunikativen Handelns verortet werden, der – innerhalb des wirtschaftlichen Kontextes mit einem bestimmten Arsenal an Themen, Personen und Institutionen – Tauschinteraktionen mit der Welt in potenzieller Reichweite konstituiert. Indem Medien Mittel-Zweck-Verbindungen vergesellschaften, tragen sie zur Ausdifferenzierung sozialen Handelns bei. Anhand des empirischen Materials wird deutlich, dass dabei nicht die Medien (bzw. technische Artefakte) der aktive Teil sind (wie dies vor allem technikpessimistische Ansätze nahelegen, die der Technik eine Eigendynamik zuschreiben; vgl. z. B. Schelsky 1979: 453ff.), sondern dass die Menschen in ihrem Umgang mit den Medien diese Veränderungen konstituieren (vgl. Krotz 2001: 19). Rammert formuliert: Was ein Computer ist, wird im Umgang mit ihm sozial erzeugt (vgl. Rammert 2000: 209). Zum einen kann man – bspw. anhand des Rückgriffs auf generalisierende Verhaltensnormen (z. B. vorsichtig sein), der Thematisierung der Identifikation des Tauschpartners, der Vergewisserung des eigenen Ortes und des Bezuges auf gesellschaftliche Diskurse – erkennen, wie medial vermittelte Tauschsituationen neu bestimmt werden. Die Mediatisierung der Tauschsituation bringt zunächst eine Entkontextualisierung mit sich, die vor allem als Enträumlichung thematisiert wurde. Zum anderen lassen sich computervermittelte Tauschpraktiken auch als habitualisierte Handlungen charak-
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terisieren, die einen gesicherten Hintergrund bieten, vor dem sich „ein Vordergrund für Einfall und Innovation“ bietet (vgl. Berger/Luckmann 2007: 57).97 Wenn man computervermittelte Tauschinteraktionen in eine kommunikationswissenschaftliche Analyse einbezieht, lässt sich für eine Betrachtungsweise plädieren, die der Vielfalt an existierenden Handlungsoptionen Rechnung trägt. So schlägt Haddon vor, kommunikative Handlungen als ein Repertoire zu konzeptualisieren und nach Kontexten, Historien und den Relationen zwischen diesen sozialen Praktiken zu fragen (vgl. Haddon 2003). In diesem Sinne kann man Online-Käufe als Weiterentwicklung von Verhandlungen auf dem Marktplatz sehen, Grenzen dieser Praktiken bzw. die damit in Zusammenhang stehenden Praktiken bestimmen und nach den sozialen Beweggründen für ihren Gebrauch fragen. Genau wie in Untersuchungen über das Mobiltelefon sich nicht nur allein der Vorgang des Telefonierens als relevant für das Verständnis seines Gebrauchs erwiesen hat, ist bei einem Online-Kauf nicht nur der Kaufakt an sich interessant, sondern die Wahl des Online-Shops, die Frage danach, welche Produkte immer online gekauft werden (und welche nie), oder nach welchen Kriterien Verkäufer ausgewählt werden. Oder inwiefern Praktiken wie das Online-Brokerage andere Praktiken auf den Plan rufen (wie z. B. das Lesen von Online-Brokerage-Zeitschriften, Foren, Fernsehsendungen, in denen die Online-Depots der Zuschauer analysiert werden). Solche Konzeptualisierungen verändern das Bild und die Relevanz dieser kommunikativen Handlungen stark. So verbringt jemand, der sich täglich einloggt, um seine Aktien zu kontrollieren, diese Zeit nicht unbedingt unsozial. Er pflegt möglicherweise noch einen E-Mail-Ring mit Gleichgesinnten, betätigt sich in Foren etc. Ebenso erscheinen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Handlungen: Bestimmte Aktivitäten des Online-Shoppings sind ohne Online-Bezahlverfahren nicht denkbar. Wie Haddon gezeigt hat, sind zudem Eigenschaften von kommunikativen Praktiken in ihrer Kontinuität zu erklären. Indem man mit dem Ergebnis einer Preisrecherche aus dem Internet in die Preisverhandlungen mit dem lokalen Händler geht, integriert man das Internet in eine „alte“ soziale Praxis; schon immer hat man sich über Kataloge einen Überblick über Konkurrenzangebote verschafft. Das Internet ist aber eine Möglichkeit, dieses schneller und gründlicher zu tun, und trägt damit möglicherweise einem neuen Effizienzdenken Rechnung. Gleichzeitig zeigt sich an der Frage nach den Kontinuitäten, wie neu die neuen Praktiken wirklich sind. Ebay beispielsweise beruht auf dem allseits bekannten Versteigern, aller97 Vgl. auch Gehlens Begriff der „Hintergrundserfüllung“. Damit meint Gehlen das Bewusstsein, dass eine Befriedigung eines Bedürfnisses jederzeit möglich ist. Institutionen leisten Entlastung, indem sie eben diese Hintergrundserfüllung garantieren, das Subjekt vom Dauerdruck notwendiger Entscheidungen befreien und damit zur Erfahrung von Handlungssicherheit beitragen (vgl. Gehlen 1956: 15ff.).
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dings schließt es in seiner medienspezifischen Umsetzung mehr Leute als jemals zuvor ein. Und es rücken auch Formen in den Blickwinkel, die früher nicht notwendigerweise als Kommunikation untersucht worden wäre: Genau wie in einer Einkaufsstraße verschiedene Passanten umherlaufen, sammeln sich in Foren Kunden von Spezialläden – und sie reden miteinander. Insgesamt lässt sich nach der vorliegenden, aufgrund der Breite des Untersuchungsgegenstandes oft nur skizzenhaft bleibenden Betrachtung konstatieren, dass Formen der computervermittelten Kommunikation die Tauschbeziehungen selbst verändert haben: Zwar haben sie die Wechselseitigkeit nicht aufgehoben, aber doch in mehrere Teilhandlungen gegliedert, haben sie reorganisiert, in eine prozedurale Beziehung verwandelt, dabei die Örtlichkeiten; die Lokalität des Tausches verändert und andere Öffentlichkeiten hergestellt. Zwar kann Haesler unter Verweis auf die Dialektik zwischen Gesellschaft und individuellem Handeln nicht zugestimmt werden, wenn er konstatiert, dass die „sozialen Beziehungen immer mehr durch maschinelle Dispositive geregelt werden“ (vgl. Haesler 2002: 191), jedoch muss Medien eine eigenständige Rolle bei der Vergesellschaftung von Handlungen zugestanden werden.
4 Diskussion
In der vorliegenden Arbeit wurde die Frage nach der Entstehung monetären Wissens in einer komplexen, durch kommunikative und insbesondere mediale Vielfalt geprägten Umwelt auf die Frage nach Strukturen der Wissensvermittlung zurückgeführt. Wissen ist nach der Lesart des Sozialkonstruktivismus die Summe dessen, was in einer Gesellschaft als wirklich anerkannt ist. Dabei stellt Wissen sowohl eine „objektive Faktizität und subjektiv gemeinten Sinn“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 20, Hervorh. im Original) dar. Im Rahmen der Arbeit interessierte die Ausbildung einer monetären Identität als ein Teil des subjektiven Wissensvorrates, der, in der sozialkonstruktivistischen Perspektive der Arbeit, immer nur in Relation zum gesellschaftlichen Wissensvorrat gesehen werden kann. Das empirische Material stellt vor diesem Hintergrund eine Rekonstruktion subjektiven Sinns kommunikativer Handlungen durch die Beforschten selbst dar und lässt darüber hinaus – unter Annahme einer grundsätzlichen Indexikalität des Erzählten – Rückschlüsse auf den sozialen Sinn dieser Handlungen zu. In den folgenden Kapiteln möchte ich die empirischen Befunde mit den theoretischen Erkenntnissen zusammenführen und dabei insbesondere versuchen, die Befunde in Hinblick auf die gesellschaftliche Seite von Wissen zu perspektivieren.
4.1
Kommunikation über Monetäres und Identität
Kommunikation kann innerhalb des Themengebietes vieles bedeuten: den Streit mit den Kindern über ihre Wünsche am Abendbrotstisch, das gezielte Lesen von Fachzeitschriften zum Thema Geldanlage, die gewohnheitsmäßige Information über das tagesaktuelle Geschehen und dabei auch über wirtschaftliche Zusammenhänge, den Vollzug einer finanziellen Transaktion über das Internet. Betrachtet man diese kommunikativen Episoden in der Perspektive des symbolischen Interaktionismus, lassen sie sich als grundlegende Prozesse der Identitätskonstruktion charakterisieren, in denen sich durch den wechselseitigen Bezug auf den Kommunikationspartner, den dabei imaginär durchgeführten Rollentausch und der Bezugnahme auf Haltungen generalisierter und signifikanter Anderer das Selbst konstituiert. Im empirischen Material bestätigte sich die Relevanz von kommunikativen Episoden über Monetäres für persönlichkeitsrelevante Einstellungen
284
4 Diskussion
und Prägungen. Zunächst nahmen die Beforschten im Reden über Monetäres innerhalb der Interviewsituation immer auf bestimmte Selbstkonzepte Bezug. Weiterhin setzten sie ihr Handeln in Relation zum Handeln anderer Individuen der Umwelt, Mitwelt und Vorwelt und bezogen sich auf gesellschaftliche Vorstellungen von monetären Prinzipien. Die „Homologie von Erzähl-und Erfahrungskonstitution“ (vgl. Bohnsack 2000) legt nun nahe, dass sie diesen Identitätsbezug auch in den kommunikativen Episoden herstellten, die sie während der Interviews rekonstruierten. Was der Psychologe und Literaturwissenschaftler Norman N. Holland bereits 1975 für das Lesen von Romanen zeigte, kann ebenfalls sowohl für die Auseinandersetzung mit der Tageszeitung als auch für Gespräche konstatiert werden: Kommunikative Inhalte werden abhängig von sogenannten „identity themes“ (vgl. Holland 1975) wahrgenommen und eingeordnet. So sehen Schuldner Gespräche mit Freunden über das Einkaufen vor dem Hintergrund ihrer schlechten finanziellen Situation (und empfinden dort bspw. einen Zwang zur Rechtfertigung ihrer Ausgaben), nehmen Zeitungsinhalte in der Perspektive „oben vs. unten“ wahr – und stellen damit Bezüge zu den Inhalten her, die immer wieder auf die Schuldensituation als das vorherrschende Thema ihrer Persönlichkeit rekurrieren. Als weitere Beispiele konnten untenstehende Identitätsthemen ausgemacht werden, vor deren Hintergrund sich die Befragten innerhalb der genannten kommunikativen Episoden positionierten bzw. mit ihren bereits vorgenommenen Positionierungen auseinandersetzten. Sie stellen Horizonte dar, aus denen heraus sich die monetären Handlungen und Praktiken der befragten Individuen erklären und beschreiben lassen. Im Anschluss an Hall findet die Konstruktion von Identitäten innerhalb dieser Horizonte gleichzeitig immer auch als Abgrenzung gegenüber anderen potenziellen kulturellen Identifikationsangeboten statt (vgl. Hall 1994a: 45). Die im Folgenden beispielhaft genannten Themen dürfen weder als statische Konstrukte verstanden werden, die keine gemeinsame Schnittmenge zulassen, noch sind sie als erschöpfende Typenbildung anzusehen: x Emanzipation – Abwertung: Geld ist ein wichtiges Thema im Rahmen der Entwicklung des Selbstbewusstseins; das „richtige“, d. h. in Einklang mit persönlichen und gesellschaftlichen Prinzipien befindliche monetäre Handeln wird als Ausweis individueller Stärke und Lebenskompetenz betrachtet. Die Befragten erleben eigenständiges monetäres Handeln als Emanzipation (z. B. vom Elternhaus, von Lebensabschnitten). Im Gegensatz zu monetärem Handeln als Emanzipationsstrategie erleben andere Befragte ihre monetäre Handlungen und ihr Wissen über Monetäres als ungenügend, sie verdrängen das Thema bzw. gehen resignativ damit um; machen aber oft ihre mangelnde monetäre Ausstattung für die Nichtverwirklichung von Lebenszielen verantwortlich.
4.1 Kommunikation über Monetäres und Identität
285
x Erfolg/Effizienz: Befragte mit diesem Thema messen erfolgreiches monetäres Handeln an erzielten Gewinnen bzw. gesparten Beträgen (und nicht in erster Linie an gesellschaftlichen Normen). Sie streben nach der Erwirtschaftung von Erträgen durch reflektiertes, aktives monetäres Handeln; diese Befragten betrachten sich oft als Experten. x Moral/Kultur: Die Befragten zeichnen sich durch eine bewusste Vermeidung eines geldorientierten Lebensstils bzw. einer Orientierung auf finanziellen Erfolg aus; Geld wird hier oft als „notwendiges Übel“ bezeichnet und als Antipode zu einem (diffusen) Kulturbegriff und daran anschließend anderen „wertvollen“ Lebensentwürfen platziert, die Befragten setzen sich häufig mit der gesellschaftlichen Dimension monetärer Themen auseinander. x Beziehung: Die Befragten behandelten ihren Umgang im Geld vor allem vor dem Horizont ihrer Partnerschaft. Anhand gemeinsamer Prinzipien wird eine gemeinsame Identität betont. Oder: Anhand von Unterschieden der Partner wird die eigene Identität herausgearbeitet. Solche Identitätsthemen, die als persönliche Perspektiven die Auseinandersetzung 98 innerhalb kommunikativer Situationen bestimmen, sind langfristig angelegt. Die Themen stellen nicht nur Perspektiven für die kommunikative Auseinandersetzung mit monetären Aspekten dar, sie werden innerhalb der kommunikativen Episoden erneuert, indem das Gesagte, Gelesene etc. in das jeweilige Thema eingearbeitet wird. Die Entwicklung einer monetären Identität ist also ein Prozess; innerhalb dessen neue Episoden auf alten aufbauen und die Identität kontinuierlich bestätigen bzw. in kleinen Schritten verändern. Systematisiert man die in den oben genannten Identitätsthemen enthaltenen Elemente, kann die Ausbildung monetärer Identität weiterhin hinsichtlich verschiedener Dimensionen konkretisiert werden. Das Subjekt eignet sich in kommunikativen Episoden mit Lesarten von Phänomenen wie Sparsamkeit, Konsum und 98 Holland beschrieb ein Identity-Theme als „unchanging inner form or core of continuity“, welches im Laufe der Zeit wie eine Melodie in einem Musikstück zahlreiche Variationen erfährt, in seinem Kern jedoch gleich bleibt (vgl. Holland 1975: 814). Im Gegensatz zu Holland, der in seiner Konzeption davon ausgeht, dass jede Person jeweils ein großes Identitätsthema hat, welches mit Hilfe der Methodik des New Criticism entschlüsselt werden kann, möchte ich die hier vorgestellten Themen als persönliche Perspektiven auf Monetäres verstanden wissen und nicht als alles, d. h. die gesamte Lebenswelt beherrschende Themen. Diese Auffassung deckt sich mit Ergebnissen einer Studie zur Identitätsausbildung, innerhalb derer Keupp konstatiert, dass Subjekte in ihren verschiedenen Lebenswelten Identität jeweils unterschiedlich konstruieren, was zu widersprüchlichen Arrangements führen kann (vgl. Keupp 2006: 110). Wesentlich erscheint mir jedoch, dass die IdentityThemes eine Brille darstellen, durch die alle Aspekte des Monetären betrachtet werden; seien es das eigene tägliche Wirtschaften, individuelle episodenübergreifende monetäre Prinzipien, gesellschaftliche Angelegenheiten etc.
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4 Diskussion
Entlohnung zunächst Selbst- und Weltdeutungen an bzw. erneuert diese. So antworteten auf die offene Interviewerfrage nach dem Geld-Handeln (Wofür verwenden Sie Ihr Geld?) nahezu alle Befragten zunächst mit einer Persönlichkeitscharakterisierung (zum Beispiel: „Also ich bin ja der Meinung, Geld ist nicht alles im Leben“, „Also ich war schon immer sehr sparsam, weil ich denke, man braucht so einen Grundstock“) und machen sie damit zu einer identitätsrelevanten Frage. Die vorgenommenen Weltdeutungen können gesehen werden als die individuelle Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Diskursen, wie es von den Cultural Studies beschrieben wurde, an deren Ende eine gesellschaftliche Verortung des Subjekts steht. Weiterhin beinhaltet die Identitätskonstitution eine soziale Zuordnung bzw. Abgrenzung und damit eine Identitätskonstruktion innerhalb von sozial definierten Begriffen. Die Beforschten setzten sich dazu in Relation zu einer Referenzgruppe, wie etwa zu einem vermögenden oder weniger vermögenden Elternhaus, Partnern, Bekannten. Aber auch Bezüge auf anonyme Gruppierungen (wie sie Alfred Schütz als Mitwelt beschreibt) werden hergestellt (z. B. zu Arbeitslosen, Verschuldeten, Reichen, Verschwendern) und stellen soziale Kategorisierungen und damit Bezüge auf gesellschaftliches Wissen dar. Gespräche zwischen Freunden und Bekannten, in denen beiläufig monetäre Dinge erwähnt werden, dienen beispielsweise der Stabilisierung der eigenen sozialen Identität und der Abgrenzung zu anderen Gruppen. Monetäre Praktiken wie die Vermögensanlage und Online-Banking sind drittens sowohl praktischer Ausdruck von Identität als auch Strukturierungsleistung zur Herstellung von Identität. So positionierten sich die Internetaffinen in Hinblick auf ihre Geldgeschäfte als kompetent und realisierten – z. B. im OnlineBanking – gleichzeitig ein spezifisches Kontrollbewusstsein in einer organisatorisch veränderten Wahrnehmung ihrer Geldgeschäfte. Dieses Kontrollbewusstsein, zu dem sich in allen Interviews Bezüge herstellen ließen, ist ein Teil der oben erwähnten Selbstdeutungen. Der Vergleich zum Konzept der Selbstwirksamkeitserwartungen („perceived self-efficacy“), die in der Psychologie die Erwartung bezeichnet, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch ausführen zu können (vgl. Bandura 2003), liegt nahe. So war der Glaube daran, durch ein spezifisches monetäres Handeln selbst etwas zu bewirken und in allen Situationen selbständig handeln zu können, ein wesentliches Element der Handlungsorientierungen von Ute S. und Friedrich A. Befragte mit dieser hohen Kontrollüberzeugung nahmen an, dass sie durch ihr Handeln gezielt Einfluss auf die Dinge nahmen, im Gegensatz beispielsweise zu Helga S. und teilweise auch Christian C., die eine spezifische Ausformung monetärer Realität äußeren Umständen, Zufall, Glück usw. zuschrieben.99 99 Ein Abgleich mit den vorab beantworteten standardisierten Fragen zum Umgang mit Geld, die ja
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In synchroner Hinsicht werden alle diese Elemente zu einer monetären Identität integriert und damit als spezifisch relevanter Lebensbereich (=Teilidentität) innerhalb eines Selbst hierarchisiert. Eine Ausprägung monetärer Identität wird schließlich auch in diachroner Hinsicht realisiert: So sind Erinnerungen an das Elternhaus und Ereignisse im Leben wie die erste Anstellung oder die Währungsunion Elemente biografischer Konstruktionen.
4.2
Die Rolle von Medien für die Internalisierung monetären Wissens
Monetäre Identitäten entstehen in kommunikativen Episoden, wie sich aus den Konzepten von Mead (vgl. Mead 1973) sowie Vertretern der Cultural Studies (vgl. Hall 1994a) ableiten lässt. Es wurde deutlich, dass in den analysierten Episoden die Befragten auf unterschiedliche Kontexte Bezug nahmen. Da wäre zunächst die private Lebenswelt des Familien-, Freundes- und Bekanntenkreises als Umfeld für monetäre Themen zu nennen, für die laut Schütz eine Wir-Beziehung kennzeichnend ist. Weiterhin lassen sich spezifische Sinnwelten wie die Hobby-Börsianer ausmachen, die im Sinne Benita Luckmanns als „kleine soziale Lebenswelten“ zu bezeichnen sind (vgl. Luckmann 1978). Darüber hinaus findet Kommunikation über Monetäres auch zu formalen institutionellen Kontexten wie Banken statt. In mediatisierten Gesellschaften entwickelt sich Identität zunehmend auch in medialen Interaktionen. Hier wurde vor allem massenmediale Kommunikation analysiert, die einen Bezug zu einem gesamtgesellschaftlichen Kontext herstellt. Es wird deutlich, dass jede Kommunikationsstruktur mehrere Kontexte anspricht: In Gesprächen innerhalb der kleinen Lebenswelt Familie wird auch auf einen gesamtgesellschaftlichen Kontext Bezug genommen, indem einer Ermahnung der Kinder zur Sparsamkeit ein monetäres Deutungsmuster zugrunde liegt, welches sich aus gesellschaftlichen Normen ableitet. In Online-Episoden kommunizierten die Befragten mit Organisationen, genau definierten Kommunikationspartnern oder mit einer anonymen Öffentlichkeit. Indem sich die Kontexte vermischen, kontextualisieren sich die unterschiedlichen Formen von Kommunikation gegenseitig (vgl. auch 100 Höflich 2005). Die monetäre Lebenswelt des Menschen besteht somit aus verteilweise an ein Instrument zur Messung der Selbstwirksamkeit angelehnt waren, bestätigte die in den Interviews jeweils deutlich gewordenen unterschiedlich stark ausgeprägten Kontrollüberzeugungen. Von einer Nennung der einzelnen Testwerte wird abgesehen, da diese lediglich indikatorische Funktion haben und einen – sehr kleinen – Puzzlestein bei der empirischen Erfassung von monetären Identitäten darstellten. 100 Und können nicht getrennt voneinander analysiert werden, wie dies der Vorschlag von Knoblauch suggeriert (vgl. Knoblauch 1995).
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4 Diskussion
schiedenen, sich überlappenden Kontexten, die in ihrer Bedeutung für die subjektive monetäre Realität unterschiedlich relevant sind. Anhand des empirischen Materials lässt sich die Feststellung Benita Luckmanns, dass sich in der Moderne die Welt des Einzelnen aus mehreren kleinen Lebenswelten zusammensetzt und Erfahrungsbereiche sich durch Medien vervielfältigen, nachvollziehen. Keine dieser Welten ist ausschließlich bestimmend für die monetäre Identität; keine bildet die ganze Lebenswelt der Person ab (vgl. Hitzler/Honer 1984). Vor diesem Hintergrund sollen in den folgenden Abschnitten die empirischen Befunde der Arbeit im Lichte etablierter Ansätze der Kommunikationswissenschaft sowie der Theorie von Berger und Luckmann diskutiert werden, um im Anschluss die Rolle von Medienkommunikation detaillierter zu konzipieren. Traditionell gilt dem Verhältnis öffentlicher und interpersonaler Kommunikation besonderes Augenmerk und damit verbunden der Frage nach den gesellschaftlichen Wirkungen der Massenmedien, dem der Großteil der Diskussion gewidmet ist; aber auch die eingangs gestellte Frage nach der Relevanz von Transaktionskommunikation soll beantwortet werden. Das empirische Material legt vier Perspektiven auf das Verhältnis von medialer und unvermittelter Kommunikation nahe: 1. Medien sind Instanzen der sekundären Sozialisation, indem sie den Blick auf andere Sinnwelten und vor allem auf weniger signifikante Andere (in Rollen) eröffnen, 2. Thematisierungen monetären Wissens in den Medien führen dann zu einer identitätsrelevanten Auseinandersetzung, wenn Prädispositionen dafür vorhanden sind, 3. Medien sind originäre Ressourcen für monetäre Themen, die nicht direkt erfahrbar sind sowie 4. Massenmedien und Gespräche sind komplementäre Ressourcen. 4.2.1
Medien als Instanzen der sekundären Sozialisation
Es wurde deutlich, dass Kommunikation über Monetäres einen festen Platz in familiären Unterhaltungen hat. Dieser familiäre Kontext nun ist in der Regel der Platz für die primäre Sozialisation, in der sich die Identität durch eine „Dialektik zwischen Identifizierung durch Andere und Selbstidentifikation“ ausbildet (vgl. Berger/Luckmann 2007: 142). Im vorangegangenen Kapitel wurden Selbstwirksamkeitserwartungen als ein Bestandteil der monetären Identität charakterisiert. Psychologische Forschungen konstatieren, dass Selbstwirksamkeit vor allem in der primären Sozialisation vermittelt wird (vgl. Bandura 2003), die in der Face-toFace-Interaktion zwischen Eltern und Kindern stattfindet. Abgesehen von der Selbstwirksamkeitserwartung kann jedoch angenommen werden, dass monetäre
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Handlungsorientierungen in der sekundären Sozialisation entstehen, sind sie doch als rollenspezifisches Wissen zu kennzeichnen.101 Nun lässt sich anhand des empirischen Materials feststellen, dass sich die Themen monetärer Kommunikation in Familien, die im empirischen Material innerhalb von Erziehungs-, Lern-, Verhandlungs- und Unterhaltungsrahmen behandelt werden und anderen Situationen unterscheiden: Während es in den genannten Episoden familiärer Kommunikation vor allem um grundlegende Einstellungen zu Geld, Sparsamkeit oder Geiz ging, sieht die monetäre Realität, mit der sich ein Erwachsener auseinandersetzen muss, vielgestaltiger aus. Er hat eine große Auswahl an monetären Themen bzw. Handlungsfeldern, die vor dem Hintergrund seiner materiellen und sozialen Situiertheit mehr oder weniger zwingend erscheinen und die er zunächst priorisieren muss. Wenn man mit der Dependenzthese davon ausgeht, dass Menschen, die sich nicht aus erster Hand bzw. via interpersonaler Kommunikation Informationen zu einem Thema verschaffen können, auf die Medien zurückgreifen (vgl. Ball-Rokeach/De Fleur 1976), dann liegt die Frage auf der Hand, wie wirksam die Rezeption von Medieninhalten ist. Sind Medien, die als 102 weniger signifikante Andere charakterisiert werden können, in der Lage, die in der primären Sozialisation gelegten Grundsteine zu überformen, wie das beispielsweise die Kultivierungsthese (vgl. Gerbner/Gross 1976 sowie als Überblick Gerbner 2000 und Schenk 2007: 578ff.) nahelegt? Können Medien, wie ihnen oft vorgeworfen wird, konsumorientierte Einstellungen kultivieren oder andersherum gefragt: Ist durch mediale Angebote eine Aufklärung zu einem besseren Umgang mit Geld möglich?103 In diesem Zusammenhang soll noch einmal auf die Notwendigkeit der kontinuierlichen Bestätigung monetären Wissens verwiesen werden. Hier lassen sich zwei Mechanismen subjektiver Wirklichkeitsabsicherung unterscheiden: Routine und Krise (vgl. Berger/Luckmann 2007: 159). Indem familiäre Unterhaltungen, die tägliche Lektüre der Zeitung und Gespräche mit Bekannten den Einzelnen in seinen identitätsstiftenden Orientierungen hinsichtlich der Geldverwendung, seinen Selbst- und Weltdeutungen, den Wertigkeiten monetären Handelns innerhalb der Gesamtheit seiner Lebenswelt und seinem praktischen Handeln in seinem regelmäßigen und habitualisierten Auftreten bestätigen, bewahren sie die subjektive 101 Zumal die Phase der primären Sozialisation sehr kurz ist und die sekundäre Sozialisation bereits dann beginnt, wenn die Entwicklung einer Ich-Identität im Kleinkindalter abgeschlossen ist. 102 Berger und Luckmann schlagen den Begriff „sonstige Andere“ vor (vgl. Berger/Luckmann 2007: 160) 103 Von grundlegenden Unterschieden in der theoretischen Konzeption der Ansätze soll hier einmal abgesehen werden. So gehen beispielsweise traditionelle Kultivierungsstudien davon aus, dass man Medieninhalte inhaltsanalytisch erfassen kann, was der sozialkonstruktivistischen Vorstellung widerspricht, dass die Inhalte im Moment der Aneignung erst gemacht werden.
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4 Diskussion
monetäre Wirklichkeit. Sie können aber auch das Material für Transformationen dieser Wirklichkeit bereitstellen, sofern diese notwendig sind, z. B. wenn in einer durch eine Schuldensituation ausgelöste Krise eine neue Plausibilitätsstruktur geliefert werden muss. Der Schuldnerberater oder andere Schuldner werden dann zu wichtigen Bezugspersonen der Transformation, innerhalb derer die Wirklichkeit der primären Sozialisation außer Kraft gesetzt wird; weniger signifikante Andere wie z. B. Medien können die Umdeutung stützen. Im Regelfall wird jedoch die Wirklichkeit in kleinen Schritten modifiziert: Es werden bestimmte Elemente der Wirklichkeit betont und andere vernachlässigt (wenn z. B. Altervorsorge als dringendes Thema ausgemacht wird). Die Symmetrie zwischen subjektiver und objektiver Wirklichkeit bleibt dabei erhalten. Dabei gilt: Je mehr regelmäßige kommunikative Bezüge es zu einer spezifischen Sinnprovinz der monetären Identität gibt, umso prominenter ist sie für das Selbstverständnis. Ein Beispiel waren die HobbyBörsianer, die sich neben einer extensiven Mediennutzung zum Thema auch zahlreiche wiederkehrende unvermittelte Kommunikationsepisoden schufen (indem sie beispielsweise in einen Börsenclub eintraten oder einen E-Mail-Ring aufbauten). Es ist nun durchaus denkbar, dass die Beschäftigung mit diesem Hobby, die vor allem aus medialen Praktiken bestand, die Realität so überformt, dass sich die monetäre Identität grundlegend ändert. Allerdings zeigen die Beispiele, dass entweder die Transformation zusammen mit der Umwelt und interpersonalen Kontakten vollzogen werden muss (z. B. indem Gleichgesinnte gesucht werden wie der Ehepartner von Christa S. oder der Vater von Henrik G.) oder aber die Umwelt als Korrektiv funktioniert. So gab beispielsweise Maria M. an, dass ihre Umwelt es nicht nachvollziehen könne, was sie dort treibe. Ihr Versuch, die Zeit vor dem Computer und mit dem Hobby zu limitieren, ist nicht zuletzt auch eine Folge dieses Mismatch. Medien sind also Agenten der sekundären Sozialisation, die im Kontext interpersonaler Kommunikation zu denken sind; sie lassen sich als Teil der „Konversationsmaschine“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 163) begreifen, die die Identität täglich aufrechterhält und in kleinen Schritten transformiert. Diese Annahme ist zurückhaltender formuliert als Studien der traditionellen Kultivierungsforschung, die nahelegen, dass Medien vor allem bei Vielnutzern in der Lage sind, langfristig mit ihrer Medienrealität die Vorstellung von der Wirklichkeit zu prägen. Auch vor dem Hintergrund aktueller kommunikationswissenschaftlicher Studien kann angenommen werden, dass Medien allein nicht stark genug sind, um eine Konversion bzw. Transformation, wie sie beispielsweise die überschuldete Helga S. ausgehend von 104 den Besprechungen mit ihrem Schuldnerberater durchmachte, hervorzurufen. So 104 So gelang es bislang nicht, diesen Kausalzusammenhang empirisch nachzuweisen, spielt doch eine Vielzahl von Faktoren in diese Beziehung hinein. An einem häufigen Gegenstand von Kultivierungsstudien, dem Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und Viktimisierungsangst, sei die
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ist aus der Gesundheits- und Ernährungsforschung bekannt, dass Medien als Sozialisations- und Kultivierungsinstanzen Menschen zwar zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen motivieren können, diese allerdings nur bezogen auf einzelne Gruppen und dort auch nur kurzfristiger Natur sind (vgl. Lücke 2007). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass bei alltäglichen und in diesem Sinne unauffälligen Themen wie es Ernährung und sicherlich auch das Geldhandeln sind, eher begrenzte Kultivierungseffekte auftreten. Gerade in konfliktären Situationen und Krisen zeigt sich die einzigartige Rolle von unvermittelter Kommunikation und signifikanten Anderen. Diese Kommunikationsepisoden sind gekennzeichnet von einem hohen Grad an Unausweichlichkeit, einer hohen Identifikation mit dem Kommunikationspartner, der einen signifikanten Anderen darstellt und einem hohen Grad an emotionaler Beteiligung, die zu einer engen Verschränkung der Perspektiven der Kommunikanden führt (vgl. Berger/Luckmann 2007: 183). Im Gegensatz dazu sind Episoden sekundärer Sozialisation, die das Gros der in den Interviews referierten Situationen darstellen, von einer geringeren subjektiven Unausweichlichkeit, einem höheren Grad an Anonymität und einem Wissen gekennzeichnet, welches von seinen Trägern leicht ablösbar ist. Aufgrund dieser Charakterisierung wird auch deutlich, warum Mediennutzung allein kaum eine Konversion hervorrufen kann; die neue Plausibilitätsstruktur, die in diesen Konversionen geliefert werden muss, verlangt nach einer emotionalen Identifikation mit einem signifikanten Anderen. Dieser unterschiedliche Status von Episoden der Face-to-Face-Kommunikation und massenmedialer Kommunikation und die durch die Trennung in signifikante und sonstige Andere realisierten unterschiedlichen Grade von sozialer Unmittelbarkeit zeigten sich auch gesprächsstrategisch. Nur Familien sind der Ort, an dem man, ohne unwiderrufliche Sanktionen zu befürchten, direkt auf Geldpraxen anderer Bezug nehmen und sie gegebenenfalls in Frage stellen konnte. Das hier Besprochene war direkt auf das Individuum bezogen und hatte unmittelbare Auswirkungen auf die monetäre Identität. Während sich Episoden familiärer Kommunikation sehr konkret in Begebenheiten manifestierten bzw. erinnert wurden und in ihrer emotionalen Konsequenz durch die Form der Erzählung für den Gesprächspartner erfahrbar gemacht wurde, wurde auf Episoden medienvermittelter Wissensaneignung mit sprachlichen Strategien Bezug genommen, die durch Abstraktion und Verallgemeinerung gekennzeichnet waren. Zudem wurden Episoden der medienvermittelten Aneignung monetären Wissens oft in der Form von Argumentationen Problematik verkürzt dargestellt: So müssen Angstvorstellungen von Menschen, die viel TV sehen, nicht unbedingt die Folge dieses TV-Konsums sein; vielmehr ist es auch möglich, dass sich ängstliche Menschen oft in ihren vier Wänden aufhalten und dort eben zu Vielsehern werden. Zur Kausalitätsproblematik des Kultivierungsansatzes vgl. Schenk 2007: 608f.
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vorgebracht, die als Versuch gelten können, eine Zustimmungsbereitschaft zu wecken (vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1969) bzw. auf der Basis akzeptierter rhetorischer Regeln eine Statusverbesserung von Wissen zu erreichen (vgl. Toulmin 1996). Anders als das monetäre Wissen aus den familiären Episoden, welches als stabiles Wissen in den Interviews verwendet werden kann und zur Herstellung einer diachronen Kontinuität dient,105 ist das Wissen, welches in Medienepisoden angeeignet wurde, als nicht vollständig abgesichertes Wissen zu kennzeichnen. Diese Unsicherheit drückt sich eben auch darin aus, dass die Befragten Medienrahmen explizit thematisierten und damit zur Debatte stellten. 4.2.2
Medienthemen als Bausteine monetärer Identität
Mit ihrer Charakterisierung als sekundäre Sozialisationsinstanzen sollte die Rolle von Medien für die monetäre Identität nicht gering geschätzt werden. Am empirischen Material zeigte sich, dass Medien öffentlicher Kommunikation wie die Tageszeitung Anlass zur Internalisierung von identitätsrelevanten Inhalten waren, die aus gesellschaftlichen Diskursen herrühren, wie zum Beispiel die Thematik der Altersvorsorge oder die der Börse. Insofern kann man das Verhältnis zwischen der öffentlichen Kommunikation und der interpersonalen Kommunikation zweitens so konzipieren: Während in Episoden unvermittelter Kommunikation vor allem prinzipielle Einstellungen und Handlungsorientierungen geprägt werden (wie z. B. Sparsamkeit und Sicherheitsvorstellungen), scheinen Medien öffentlicher Kommunikation spezifisches Wissen, wie diese Handlungsorientierungen umgesetzt werden können, zu liefern. In Gesprächen mit den Eltern, mit Freunden und Kollegen wird die eigene Positionierung hinsichtlich Zukunftsvorstellungen, Vorstellungen von Risiko und Selbstwirksamkeit und der Rolle von monetärem Handeln in diesem Zusammenhang entfaltet, die Tageszeitung bot dagegen Material, um diese Positionierungen weiter zu entwickeln und umzusetzen, z. B. mit der Entscheidung, Altersvorsorgemaßnahmen zu treffen oder aktiv Geldgeschäfte zu betreiben. War also in interpersonaler Kommunikation langfristig erst einmal der Boden für ein bestimmtes Thema bereitet, eigneten sich die Befragten in Episoden massenmedialer Kommunikation spezifisches Wissen zu dem solcherart relevant gewordenen Thema an. Anders formuliert: Nur wenn eine Prädisposition für ein Thema vorhanden war, die sich als Ergebnis eines vorangegangenen Sozialisationsprozesses mit
105 Auch diejenigen, die wie Jenny M. sich im Rückbezug auf den Umgang mit Geld in ihrem Elternhaus von diesem abgrenzten, bezogen sich hier auf ein sicheres Wissenselement, welches vom Interviewpartner kaum in Frage gestellt werden kann.
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signifikanten Anderen herausgebildet hatte, wurden spezifische, in öffentlicher Kommunikation vermittelte Inhalte relevant. Um diesen Mechanismus zu verfolgen und detaillierter zu belegen, wären Längsschnittstudien angebracht.106 Hier können lediglich insofern Indizien herangeholt werden, als dass sich die im Interview herauskristallisierten Handlungsorientierungen (Identitätsthemen) mit dem Ziel der Mediennutzung ins Verhältnis setzen lassen. Hier zeigt sich z. B., dass die Normenorientierung von Christian S., der eigentlich die vorherrschende Geldorientierung in der Gesellschaft ablehnte, hinsichtlich der Funktion von Medien vor allem Ratschläge zur Altersvorsorge von ihnen erwartete. Friedrich A., der in Bezug auf seinen Umgang mit Geld auf eine gewisse Effizienz seines Handelns orientiert war, übersetzte diese mit einer frühen und umfassenden Nutzung von Transaktionsmedien. Ute S. suchte über ihre langfristig etablierte Rolle als Familienwirtschafter „Tipps und Tricks“ mit denen sie ihr alltägliches Geldhandeln gestalten konnte. Auch die Schuldner entwickelten auf der Basis ihrer Situiertheit eine Lesart von öffentlicher Kommunikation. Auch am Thema Börse lässt sich der Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der medialen Thematisierung und der Lebenswelt beobachten: Während die Hobby-Börsianer, die Frage nach einem Bezug zu ihrer Lebenswelt entweder mit Hinweis auf eine bestimmte Lebensphase (Christa S.), einen Anspruch, sich selbst zu erkennen (Maria M.), oder eine Berufsorientierung (Henrik G.) beantworteten, konnten die Nicht-Börsianer keine Relevanz für sich erkennen. Sie hatten sich jedoch – ebenfalls über Medien – genauso eine Vorstellung von der Börse angeeignet und – wenn auch in verneinender Form – dazu Stellung bezogen. Wenn – wie in diesem Beispiel – ein Thema (nämlich die potenzielle Notwendigkeit eigenen Handelns vor dem Hintergrund der sich bietenden Börsenchancen bzw. -risiken zur Wahrnehmung einer Erfolgsorientierung) relevant geworden ist und auf seine Deutung innerhalb der Handlungsorientierung wartet, kann man, auf die vorausgehende Diskussion zurückkommend, auch durchaus einen Kultivierungseffekt interpretieren. Wie Shrum schreibt, sind Realitätsbeurteilungen das Ergebnis heuristischer Informationsverarbeitungsprozesse (vgl. Shrum 2001, 2002). Vor diesem Hintergrund kann nun die Positionierung der NichtBörsianer zum Thema Börse gesehen werden. Diese stützen sich auf medial vermittelte Informationen, ohne jedoch detaillierte Angaben zu der Thematik machen zu 106 So verwirklicht Keupp die Prozessorientierung von Identitätsforschung, indem er einen iterativen Erhebungsprozess mit drei Erhebungszeitpunkten zu jeweils erwerbsbiografisch und identitätstheoretisch relevanten Erhebungszeitpunkten durchführt (vgl. Keupp 2006: 302 ff.). Angewendet auf die Problemstellung der Arbeit, könnte man, kombiniert mit Medientagebüchern, schauen, wie sich das Verhältnis zwischen Lebensereignissen, relevanten Themen und medialen Ressourcen entwickelt.
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können. So griffen sie auf Argumentationsfiguren aus der Heuschreckendebatte107 zurück und betonten pauschal die Wahrscheinlichkeit riesiger Kursverluste für Kleinsparer, die nicht unbedingt die Realität widerspiegelt, sich aber wahrscheinlich aus der Berichterstattung um das Platzen der Dotcom-Blase im März 2000 ableitete. Dagegen geht eine Beschäftigung mit dem Thema und eine hohe Motivation zur Aneignung medialer Informationen mit einer systematischeren Informationsverarbeitung einher, wie es sich an der differenzierteren Einschätzung durch die Börsianer zeigt (vgl. Shrum 2002: 83f.). Gerade bei den Hobby-Börsianern war auffällig, dass sie Medien als Informationsquellen in den Interviews explizit thematisierten. Im Anschluss an Shrum ist es wahrscheinlich, dass es innerhalb dieser systematischen Wissensaneignung zu geringeren Kultivierungseffekten kommt. 4.2.3
Die Thematisierungsfunktion von Massenmedien
Betrachtet man jedoch Themen wie Altersvorsorge und Börse nicht als Fortsetzungen bzw. Zuspitzungen grundlegender Handlungsorientierungen, sondern als originäre Themen, die ihren Ursprung nicht in der Lebenswelt der Befragten haben, dann legt die Prominenz, die sie in den Interviews erfahren haben, es nahe, Medien wie die Tageszeitung als originäre Ressource für Themen der monetären Identitätsausbildung zu denken. In dieser Konzeptualisierung bestimmen Medien in Anlehnung an das Agenda-Setting-Paradigma der Medienwirkungsforschung nicht was, sondern worüber wir denken (ursprünglich McCombs/Shaw 1972, vgl. als Überblick Rössler 1997 und Schenk 2007: 433–525). So ist es eben denkbar, dass aufgrund der medialen Präsenz des Themas Altersvorsorge dieses Thema auch auf der individuellen Agenda einen vorderen Platz einnahm. Agenda-Setting kann sich jedoch nicht nur auf die wahrgenommene Wichtigkeit von Themen, sondern auch auf ihre Attributierung beziehen (vgl. zur sogenannten zweiten Ebene des AgendaSetting Schenk 2007: 437f.). Auch für die Ausgestaltung von Themen mit Hilfe von medialem Material lassen sich empirische Beispiele finden. So rekurrierten die Altersvorsorge-Interessierten in ihren Erzählungen vielfach auf mediale Topoi, Deutungsmuster und Diskurselemente zur Begründung ihrer Handlungsorientierung. Der Thematisierungsansatz ist ohne den Hinweis auf intervenierende Variablen wie die interpersonale Diskussion, persönliche Erfahrung und die Aufdringlichkeit des Themas nicht mehr denkbar (vgl. Eichhorn 1996: 30ff.; Schenk 2007: 523f.). In diesem Sinne ist es sicher nötig, zunächst mögliche Themen des Monetären 107 Diesen Begriff prägte Franz Müntefering als damaliger SPD-Vorsitzender, als er im April 2005 das Verhalten „anonymer Investoren“ mit Heuschreckenplagen verglich.
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differenziert zu betrachten. Im Konzept der monetären Identität werden mehrere Themenaspekte relevant; so z. B. die eigene finanzielle Lage, die möglicherweise in einen Zusammenhang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage gebracht wird, monetäre Handlungspraktiken wie Altersvorsorge, Online-Banking und Börseninvestitionen, prinzipielle Einstellungen zum Sparen, zu Schulden und zu Konsum. Monetär relevante Inhalte decken ein so breites Spektrum ab, dass sich innerhalb dieses Spektrums sowohl aufdringliche („obtrusive“) als auch unaufdringliche Themen finden.108 So haben Haller und Norpoth im Ergebnis ihrer Studie zu Auswirkungen von Wirtschaftsnachrichten auf die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage betont, dass Wirtschaft ein „doorstep issue“ ist, ein Thema, welches nicht in erster Linie durch die mediale Vermittlung vom Rezipienten erfahrbar ist, sondern vor allem aus der eigenen Erfahrung heraus (vgl. Haller/Norpoth 1997: 573). Darüber hinaus werden in den meisten Studien zum Agenda-Setting-Effekt zeitgebundene politische Ereignisse untersucht. Dagegen sind Inhalte wie Altersvorsorge eher Dauerthemen, die zwar zeitliche Markierungspunkte erfahren (wenn z. B. eine neue Steuergesetzgebung in Kraft tritt oder eine neue Statistik erscheint), jedoch generell als unaufdringliche Medienthemen zu charakterisieren sind. Der besonders häufige Rückgriff auf mediale Topoi bei den Themen Altersvorsorge und Börse durch die Befragten entspricht also durchaus dem Agenda-Setting-Ansatz, der Thematisierungseffekte vor allem für diese nicht direkt erfahrbaren Themen konstatiert. Weiterhin sind medial vermittelte gesellschaftliche Diskurse über Monetäres (wie sie sich beispielsweise am Thema „Markenklamotten“ manifestierten) sicher nicht so zwingend, als dass sie als eigenständiges Problem auf eine intra- bzw. interpersonale Agenda gesetzt werden (und damit abfragbar sind). Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit medialen Informationen vor dem Hintergrund in primärer und sekundärer Sozialisation gesetzter Prädispositionen bildet vielmehr ein Reservoir an Themen und Argumentationsfiguren, aus dem sich im Bedarfsfalle schöpfen lässt. Hier wäre auf die Studie von Koschel hinzuweisen, die beschreibt, wie sich Menschen im Modus der interessierten Rezeption fortwährend über den allgemeinen Gang der Dinge informieren. Aus dieser allgemeinen Informiertheit heraus werden dann mediale Informationen in interpersonaler Kommunikation benutzt. Es dürfte schwierig sein, die Herkunft solcherart angeeigneten Themen zurückzuverfolgen, weiß man doch aus Forschungen zum Kultivierungseffekt, dass mediale Informationen auf die Realität übertragen werden, die Quelle also ver108 Erstmalig wurde dieser Aspekt von Zucker in die Diskussion eingebracht. Er formulierte, dass es von der Aufdringlichkeit eines Themas abhängt, inwieweit die Medienagenda in der Lage ist, die Publikumsagenda zu beeinflussen (vgl. Zucker 1978). Aufdringliche Themen lassen sich persönlich erfahren; unaufdringliche Themen liegen außerhalb des Erfahrungsbereiches und bedürfen der Vermittlung durch die Medien.
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wischt wird („Meine Kollegin kennt eine Familie, die…“) (vgl. Shrum 2002: 81). Gerade an den Gesprächen über Monetäres ließ sich eine solche „Legendenbildung“ feststellen, ist es doch ein Thema, welches zum einen jeden betrifft und welches zum anderen weniger abstrakt gespeichert und behandelt wird, als vielmehr durch Geschichten, Parabeln und Beispiele illustriert und kommuniziert wird. Dabei werden noch einmal die unterschiedlichen Konzeptionen des Wissensbegriffes deutlich. Die eingangs zitierten Arbeiten, die konstatieren, dass Menschen nicht über ökonomisches Wissen verfügen (z. B. Haller/Norpoth 1997; Adoni/Cohen 1978) bzw. dass Mediennutzung in gesellschaftlich relevanten Bereichen nicht zu messbaren Wissenseffekten führt (vgl. Chaffee/Kanihan 1997), gehen von einem zumeist kognitionspsychologisch fundierten Wissensbegriff aus, welcher Wissen als abstrakten, externalisierbaren Sachverhalt beschreibt. In dieser Konnotation gilt: Jemand besitzt umso mehr Wissen, je mehr Detailinformationen er zu einem Sachverhalt geben kann. Wenn hier allerdings von Wissen die Rede ist, dann ist es mit Berger und Luckmann definiert ist als „…die Gewissheit, dass bestimmte Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 1). Es geht also bei der Aneignung gesellschaftlicher Wissensbestände weniger um feststellbares Detailwissen über wirtschaftliche Aspekte als vielmehr um eine grundlegende Wahrnehmung öffentlichen Geschehens durch ein Subjekt. Eine erfolgreiche Vermittlung zwischen öffentlichem und privatem Bereich ist dann gegeben, wenn diese Art von Anteilnahme am „Gang der Dinge“ vorhanden ist, wenn sich subjektivierte Versatzstücke der öffentlichen Diskussion zu sinnfälligen Bausteinen im Rahmen einer monetären Identität fügen. Es könnte ein Anliegen zukünftiger Forschungen sein, für einzelne monetäre Problemstellungen unter Berücksichtigung von thematischen Dimensionen und medienspezifischen Effekten auf aggregierter Ebene das Verhältnis von massenmedialer Realität und Publikumsrealität zu klären. Wie erfolgt die Herstellung und Bereitstellung von Themen, die sich mit monetären Aspekten beschäftigen? Dabei ist nicht nur der Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Lage und Wahlen interessant, auf den bislang fokussiert wurde, sondern auch der Verlauf von ebenfalls gesellschaftlich sehr relevanten Themen wie Altervorsorge, Einstellungen zu Schulden und Konsum. In einer Agenda-Building-Perspektive oder aber auch in der Tradition der Diskursforschung wären Untersuchungen über die öffentliche Durchsetzung monetärer Themen aufschlussreich. Diese stellen, wie es anhand der Altersvorsorge-Thematik angerissen wurde, wert- und konflikthaltige Sachverhalte dar („Issues“, vgl. Eichhorn 1996: 81ff.), zu denen bestimmte gesellschaftliche Gruppen bestimmte Positionen vertreten, die also diskursiv verhandelt werden. Für individuelle Thematisierungseffekte jedoch liegt der Schluss nahe, dass Klassifika-
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tionen des Themas immer im Zusammenhang mit der jeweiligen Person und ihrer Identitätsthemen getroffen werden.109 Der Zusammenhang zwischen dem Themenstrukturierungseffekt und der interpersonalen Kommunikation wird von Rössler in dreifacher Hinsicht beschrieben (vgl. Rössler 1997: 187). Da Massenmedien gemäß der Agenda-SettingThese die Themenbeachtung der Rezipienten beeinflussen, kann erstens davon ausgegangen werden, dass sich dies auch im persönlichen Gespräch widerspiegelt; interpersonale Kommunikation kann als Folge des Agenda-Setting-Effekts konzeptualisiert werden. In diesem Sinne berichteten die Befragten über zahlreiche Episoden interpersonaler Kommunikation, in denen medial angeeignete Themen weiterverarbeitet werden. So wurde nach der Auseinandersetzung mit Medieninformationen zum Thema Altersvorsorge bei Freunden und Bekannten um Rat gesucht, um diese Informationen zu verifizieren bzw. einzuordnen. Dieses muss nicht immer so zielgerichtet vonstatten gehen, wie es beim Thema Altersvorsorge (und hier z. B. in den Interviewausschnitten von Christian S.) oder der Positionierung zum OnlineBanking der Fall war. Oft werden Informationen, die für das Puzzle der monetären Identität relevant sind, auch beiläufig in Gesprächen, die eigentlich etwas anderes zum Thema haben bzw. sich als alltägliche, permanente Interaktionen zwischen Familienmitgliedern oder Bekannten charakterisieren lassen, eingeordnet, wie es zum Beispiel die Episoden der Gespräche zwischen Freunden, Bekannten und Kollegen demonstrieren. Das empirische Material legt nahe, dass Begrifflichkeiten bzw. Argumentationsstrukturen aus den Medien kontinuierlich an den signifikanten Anderen der sozialen Umwelt getestet, relativiert und in die eigenen Positionierungen eingeordnet werden. Dies entspricht Festingers Theorie des sozialen Vergleichs, wonach Menschen immer versuchen, ihre Meinungen in ihrer sozialen Umwelt abzusichern und durch den Vergleich mit anderen Personen zu überprüfen (vgl. Festinger 1954). An dieser Stelle ist noch einmal auf die Formulierung des Agenda-Setting-Ansatzes, dass Medien nicht bestimmen was, sondern worüber die Menschen denken, zurückkommen. Liest man die Prominenz, die das Thema Altersvorsorge für die meisten Befragten hatte, als einen Medieneffekt, dann kann man sagen, dass die handlungspraktische Ausgestaltung dieses Themas vor allem in interpersonaler Kommunikation geschah. Das passt zu einem Befund der Diffusionsforschung, wonach Massenmedien zwar über das Vorhandensein eines bestimmten Sachverhaltes informieren, interpersonale Kommunikation aber vor allem auf der Entscheidungsstufe eine Rolle spielt (vgl. Schenk 2007: 422). 109 Vgl. auch den Befund von Rössler, der feststellt, das nicht eine vom Forscher pauschal klassifizierte „Obtrusiveness“, sondern die individuelle Betroffenheit einzelner Befragter zu einer bestimmten Themenrelevanz führt (vgl. Rössler 1997: 383).
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4 Diskussion
Unabhängig von möglichen Strukturierungsverläufen über größere Zeitabschnitte hinweg können die Interviews als aktueller Beleg für den Einfluss der Berichterstattung gelten: In jedem Interview als gegenwärtige Realisation des permanenten Umbauprozesses der eigenen Identität wurden Medien öffentlicher Kommunikation als gesprächsstrategische Absicherung eigener Thesen sowie als Wissensquellen angeführt. Der Umstand, dass auch Leute wie Friedrich A. auf bestimmte Themen der öffentlichen Diskussion Bezug nahmen, obwohl sie selbst vergleichsweise wenig Massenmedien nutzten, kann weiterhin ein Indiz dafür sein, dass Medien über interpersonale Kommunikation Themen strukturieren. Am Beispiel von Friedrich A. lassen sich gleichzeitig einige Differenzierungen anbringen: Er nahm zwar nicht auf gesellschaftliche Themen wie die Schuldnerdebatte, Konsumismus und die Rolle von Geld Bezug, die jeweils in hohem Maße normative Elemente enthalten, wohl aber auf Altersvorsorge und Börse in ihrer handlungspraktischen Auswirkung für ihn. Dies kann zweierlei Gründe haben. Zum einen sind Altersvorsorge und Börse Themen mit mehreren Akteuren jeweils spezifischer Durchsetzungskraft und -macht. Diese Akteure nutzen auch andere Kommunikationsstrukturen um ihre Anliegen zu verbreiten (z. B. Werbematerial und Direct Mailings von Banken). Zum anderen könnte man an der Art der Themen, die Friedrich A. an sich heranlässt, auch auf einen Filter individueller Wichtigkeit schließen: Die Stellungsnahme zu als handlungsrelevant markierten Praktiken wie Altersvorsorge und Börse betrifft ihn unmittelbar, indem dieses Thema Auswirkungen auf seine Finanzen, seine materielle Situiertheit haben kann, während Stellungnahmen zum gesellschaftlichen Schuldenproblem zunächst nur im Rahmen einer sozialen Abgrenzung relevant sind. Das führt, Rössler folgend, zur zweiten möglichen Verknüpfung von interpersonaler und öffentlicher Kommunikation: Persönliche Gespräche über Themen, die nicht aus den Massenmedien stammen, können der Thematisierungsfunktion der Medien entgegenstehen. Als solche Themen konnten im Rahmen der Arbeit prinzipielle monetäre Orientierungen ausgemacht werden, wie es z. B. eine bestimmte Einstellung zur Sparsamkeit oder zur Absicherung des eigenen Lebensstandards ist. Das Ausmaß, indem ein Medienthema individuell wichtig wird, hängt auch von dem Ausmaß ab, mit dem es von unterschiedlich relevanten Personen im persönlichen Umfeld diskutiert wird; Berger und Luckmann sprechen von einem „Bedeutungsgefälle zwischen den signifikanten Anderen und dem ‚Chor’“ (vgl. Berger/ Luckmann 2007: 162). In Hinblick auf die vielen Referenzen, die Nicht-OnlineBanker auf die Verbreitung dieser Technik machten, ist zum einen auch auf die Theorie der kritischen Masse zu verweisen (vgl. Markus 1987) und zum anderen
4.2 Die Rolle von Medien für die Internalisierung monetären Wissens
299
aber auch auf spezifische Bedeutungen innerhalb von Gemeinschaften.110 So steht es für die Hobby-Börsianer außer Frage, dass ein Online-Brokerage-System benutzt wird, Sicherheit war für sie kaum ein Aspekt, genau wie bei den Online-Affinen, die Sicherheit nie von selbst thematisierten, sondern immer nur auf Nachfrage der Interviewerin. Damit kann die bereits im Kapitel 4.2.2. angesprochene Verbindung von Prädispositionen, die ihre Konkretisierung in Mediennutzung erfahren mit dem Verweis auf die Ausbildung von Themen in Freundeskreisen konkretisiert werden. Diese permanenten Gespräche in Freundeskreisen können damit als Folie beschrieben werden, vor deren Hintergrund massenmediale Themen diskutiert werden. Ein Beispiel, welches in einem anderen Zusammenhang bereits angeführt wurde, ist auch die prekäre Situation Verschuldeter, die von ihrem persönlichen Hintergrund so eingenommen waren, dass andere monetäre Themen für sie nur in groben Umrissen wahrnehmbar waren. Folglich fungiert interpersonale Kommunikation auch als intervenierende Variable im Agenda-Setting-Prozess, eine Sichtweise, die sich die meisten Studien, die sich mit dem Zusammenhang von AgendaSetting und interpersonaler Kommunikation befassen, zu eigen gemacht haben (vgl. Rössler 1997: 187). Die dritte Verknüpfung, das Ansprechen bestimmter (Medien-)Themen als ein Indikator für ihre Beachtung und als mögliche Operationalisierung von AgendaSetting Effekten kann aufgrund der empirischen Studie von Rössler verneint werden (vgl. Rössler 1997: 383). Die Lerntheorie, die dem Agenda-Setting-Ansatz zugrunde liegt, gilt also auf 111 der individuellen Ebene nur dann, wenn Prädispositionen vorhanden sind. Befragte, die sich genauer mit Altersvorsorge, Börse oder dem Online-Banking beschäftigten, rekurrierten nicht nur in Hinblick auf die Prominenz des Themas, sondern auch in seinen Bewertungen auf Medienagenden. Schuldner konnten jedoch nur darauf referenzieren, das Altersvorsorge irgendwie gesellschaftlich wichtig und erstrebenswert war. Für sie war es aber ein weiteres Beispiel für ihr 110 „Wenn jedoch zehn Gelegenheitsbekannte nacheinander dieselbe Überzeugung ausdrücken, so kann das allmählich eine gegenteilige Ansicht meines besten Freundes aufwiegen. Was sich schließlich subjektiv als Ergebnis derart abweichender Wirklichkeitsauffassungen herauskristallisiert, wird am Ende bestimmen wie ich mich verhalte …das heißt: es wird die Bedeutung bestimmen, die ich selbst diesem Phänomen für meine eigene Wirklichkeitsbestimmung beimesse.“ (Berger/Luckmann 2007: 162) 111 Diesen Effekt findet auch Rössler in seiner Studie: Die persönliche Agenda korrespondiert mit der darauffolgenden Agenda der rezipierten Medien (vgl. Rössler 1997: 387). Schenk betont darüber hinaus, dass gerade auf der individuellen Ebene der Agenda-Setting-Effekt sensibel und störanfällig ist, da hier kontingente Bedingungen wie Orientierungsbedürfnis, äußere Rahmensituation (z. B. politische Entwicklung), Themencharakteristik etc. neben dem Einfluss der Massenmedien auf die individuelle Themenrelevanz stärker durchschlagen (vgl. Schenk 2007: 524).
300
4 Diskussion
Ausgeschlossensein. Am empirischen Material zeigte sich, dass auch eine andere Variante des Einbezuges von Themen der öffentlichen Kommunikation möglich ist: nämlich die Recherche in Medien aufgrund der in persönlichem Gespräch vermittelten Wichtigkeit eines neuen Themas. Oft waren dies allerdings Themen, deren mediale Präsenz bereits mehr oder weniger diffus wahrgenommen wurde, ebenso wie ein nicht allzu vertiefter Zeitungsleser in einem Straßencafé das Geschehen auf dem Bürgersteig aus den Augenwinkeln heraus wahrnimmt. Aus der kontinuierlichen Vermischung kommunikativer Episoden erklärt sich, dass interpersonale Kommunikation in Hinblick auf mögliche Thematisierungseffekte der Medien im Sinne der Arbeit nicht generalisierend als verstärkend oder abschwächend beschrieben werden kann. Vielmehr werden Medienthemen (genauso wie Themen, die in interpersonaler Kommunikation neu eingeführt werden), immer erst von dem Hintergrund interpersonaler Kommunikation zu Themen, die interpretiert und eingeordnet werden müssen (vgl. auch Rogers 1973, 1995a), um so mehr, wenn man die Ausbildung von Identität als fortlaufenden Kommunikationsprozess betrachtet, indem eine Kommunikationsepisode immer auf vorangegangene Interpretationen aufbaut und die ersten identitätsrelevanten Akte in der primären Sozialisation stattfinden. Es ist also auch von der Lebenswelt der Befragten abhängig, wie wichtig ein Thema ist und welche Attribute ihm zugesprochen werden. Eher als das Kausalmodell der frühen Medienwirkungsforschung scheint dem Prozess der monetären Identitätsausbildung ein Modell verschiedener, sich mehrfach überlappender Kontexte gerecht zu werden, welches jedoch immer auf der interpersonalen Kommunikation als erste Sozialisationsinstanz aufsetzt. 4.2.4
Massenmedien und Gespräche als komplementäre Ressourcen
Diese vierte Konzeptualisierung des Verhältnisses von Massenmedien und interpersonaler Kommunikation als gegenseitige Ressourcen ähnelt Konzeptionen zu Kommunikation in Netzwerken, wie sie durch die sogenannten Columbia-Studien ins Blickfeld der kommunikationswissenschaftlichen Forschung gerieten und bereits vor einigen Jahren vermehrt Beachtung gewonnen haben (vgl. z. B. Schenk 1995). Während die Forschung in der Tradition des Two-Step-Flow lange Zeit von Kleingruppen als Antipoden zu den Massenmedien ausgingen, durch die die öffentliche Meinung „geschleust“ wurde und die als „Schutzschild“ vor einem beherrschenden Medieneinfluss fungierten, betont Schenk, dass nicht Gruppen und Meinungsführer, sondern Netzwerke und verschieden starke bzw. schwache interpersonale Beziehungen Gegenstand der Analyse sein sollen. Diese Netzwerke beschreibt Schenk als kleine und große, sich überlappende Kreise (vgl. Schenk 1995: 13).
4.2 Die Rolle von Medien für die Internalisierung monetären Wissens
301
So wurde Monetäres in den Interviews als Gegenstand in familiären Kontexten sowie in Freundes- und Bekanntenkreisen gekennzeichnet, wo es eines unter vielen anderen Themen darstellt. 112 Schenk charakterisiert diese sozialen Alltagsnetzwerke durch eine homogene Agenda aufgrund von Koorientierungsprozessen (vgl. Schenk 1995: 201).113 Themenspezifische Betroffenheit, Themenkongruenz und interpersonale Kommunikation bestimmen hier die Gewichtung von Themen der öffentlichen Kommunikation. Vor dem Hintergrund des empirischen Materials lässt sich nun auch die Existenz uniplexer Netzwerke in Bezug auf Monetäres feststellen, die sich, wenn man sinnhafte Kommunikationsstrukturen als grundlegend dafür ansieht, auch als semantische Netzwerke (vgl. Höflich 1992), Referenzgruppen (vgl. Shibutani 1955) oder soziale Welten (vgl. Strauss 1978) bezeichnen lassen. Zwar hat die interpersonale Kommunikation nicht an Bedeutung für die Konstitution und Formierung solcher interpretativen Gemeinschaften verloren, das empirische Material führt jedoch auch zu Überlegungen, dass sich Kontexte gemeinsamen Sinns auch medial vermittelt herausbilden können. So wurde gezeigt, dass nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Bezüge zu monetären Themen (implizite Medienbezüge) Konformität in der jeweiligen Gemeinschaft herrschte, sondern auch hinsichtlich der expliziten Medienbezüge. Als Beispiel seien die Börsianer angeführt, die sich von den NichtBörsianern nicht nur hinsichtlich ihrer monetären Handlungsorientierungen zu diesem Thema abgrenzten (Monetäres als Selbstverwirklichung), sondern sich auch in ihren Formen des Mediengebrauchs ähnelten. Diese Orientierungen in der Mediennutzung waren ebenso zu einem sinnhaften Bestandteil der monetären Handlungsorientierungen geworden. Dem Befund von Schenk, dass sich Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation sich nicht nur gegenseitig ergänzende Quellen sind, sondern sich gegenseitig „hochschaukeln“ (vgl. Schenk 1995: 41) ist vor dem Hintergrund der Interviews zuzustimmen. Auch für monetäre Themen gilt, dass ein durch interpersonale Kommunikation gewecktes Interesse mediale Aneignungsepisoden zur Folge haben kann und umgekehrt, dass mediale Kommunikation der Auslöser von interpersonaler Kommunikation sein kann. Ein Beispiel, welches nicht ohne die interpersonale Kommunikation in Netzwerken zu denken ist, ist die Beschäftigung mit 112 Diese Netzwerke werden von der Netzwerktheorie als multiplexe im Gegensatz zu uniplexen Netzen bezeichnet. Diese Unterscheidung spricht die Zahl von Rollen an, in denen sich die Mitglieder des Netzwerkes begegnen. Multiplexe Beziehungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Beziehungspartner füreinander mehrere Funktionen erfüllen; sie haben oft keine klaren Grenzen, sind diffus, dauerhaft, in sich wenig differenziert und tendieren zur Ausschließlichkeit. Uniplexe Beziehungen hingegen sind monothematisch bzw. erfüllen nur eine Funktion. 113 Dies deckt sich mit dem Befund von Keupp et al., die zeigen können, dass die sozialen Netzwerke Jugendlicher hinsichtlich der kulturellen Orientierung homogen wirken (vgl. Keupp 2006: 154).
302
4 Diskussion
der Börse. Nahezu alle Befragten (bis auf die Schuldner) nahmen Bezug darauf, wie in den Jahren 1999/2000 die Börse in Freundes-, Bekannten- und Familienkreisen thematisiert wurde. Das Beispiel zeigt, dass es oft kaum bestimmbar ist, was den initialen Anreiz für die Auseinandersetzung mit diesem Thema gegeben hat: die Tatsache, dass es wichtig für die Bekannten war oder die Tatsache, dass es massiv von den Medien thematisiert wurde. Das eine erhielt erst durch das andere seine Bedeutung. Schenk konkretisiert durch eine eigene Studie zu Agenda-SettingEffekten der politischen Kommunikation, dass ein Wirkungs-Effekt der Medienberichterstattung auf die Informationssuche und -beschaffung zu begrenzen ist (vgl. Schenk 1995: 197). Vielmehr ist entscheidend für die Wahrnehmung der Themenwichtigkeit das Ausmaß, in dem der Einzelne Gespräche führt.114 Dabei kann ein weites Netzwerk durchaus auch zu stärkeren Themenstrukturierungseffekten durch Medien führen, wie Rössler schreibt (vgl. Rössler 1997: 387f.). Die Tatsache, dass für einige Befragte wie Ute S. und Marianne H., für die Artikel über Wirtschaft und monetäre Tipps sehr wichtig waren, diese auch als Gesprächsthemen in ihren interpersonalen Kontakten angaben, könnte vor dem Hintergrund von Rösslers Befund, dass Medien für stärker vernetzte Menschen als Ressourcen angesehen werden, um mitreden zu können, interpretiert werden. Dabei wäre für weiterführende Forschungsarbeiten immer auch eine Erfassung von ego-zentrierten Netzwerken interessant, um detaillierte Aussagen über den Zusammenhang zwischen Lebenswelt und individuellen Themenkarrieren machen zu können. Sieht man also das Interesse an monetären Sachverhalten als eine Kontinuität an, die von prinzipiellen Einstellungen und Prädispositionen zu aktuellen Themen verläuft, lässt sich anhand des vorliegenden Materials konstatieren, dass der Wirkungseffekt interpersonaler Kommunikation nicht in jedem Fall der „Scharnierfunktion“ entspricht, wie ihn Schenk beschreibt (vgl. Schenk 1995: 198, unter Verweis auf Chaffee 1986).115 So kann man – der hierarchischen Einteilung in primäre und sekundäre Sozialisation folgend – prinzipielle Einstellungen zu Konsum, zum Sparen, zum Umgang mit Geld, zur Einschätzung der Wichtigkeit von Geld im Verhältnis zu anderen Lebensthemen und die Wahrnehmung von Risiko als 114 Ebenso kann auch Rössler in seiner Studie in Bezug auf individuelle Thematisierungseffekte nur wenig signifikante Einflüsse der Beachtung eines Themas in den Medien auf die jeweilige Relevanzeinschätzung feststellen. Statt dessen ließ sich die Relevanz, die ein Befragter einem Thema beimaß, zum einen durch seine Betroffenheit von einem Thema und zum anderen durch die Relevanz die Personen im unmittelbaren Lebenszusammenhang des Befragten dem Thema zuschrieben, erklären (vgl. Rössler 1997: 382). 115 Massenmedien dienten demnach der themenspezifischen Erstinformation und leiten interpersonale Kommunikation ein, die zur Themengewichtung (Agenda-Setting) beiträgt. Der interpersonalen Kommunikation folge dann eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema in medialen Episoden.
303
4.2 Die Rolle von Medien für die Internalisierung monetären Wissens
grundlegende Themen ausmachen, die das Interesse an sekundären Themen, die als Satelliten der Identitätsthemen zu denken sind, bedingen. Diese sekundären Themen sind dann beispielsweise: spezifische monetäre Handlungsstrategien und optionen wie Altersvorsorge, Börseninvestitionen, Konsumverhalten, aktuelle, gesellschaftliche Diskussionen über Monetäres wie z. B. die Debatte über private Verschuldung, Konsumismus oder die Einschätzung der eigenen finanziellen Lage in Relation zur Lage von anderen. Wenn man mediale Episoden als Fortführung von in Face-to-Face-Interaktion mit signifikanten Anderen gelegten Interessensgebieten ansieht, die dann weitere interpersonale Episoden sowohl mit signifikanten als auch sonstigen Anderen nach ziehen, ließe sich auch von einer „Mantelfunktion“ der interpersonalen Kommunikation sprechen.
Primäre Sozialisation
Ausbildung von • Prädispositionen, z. B. Selbstwirksamkeit, Auffassungen von Zukunft, Sicherheit/Risiko • Identitätsthemen, z. B. Emanzipation, Geld – Kultur, Abwertung, Beziehung, monetärer Erfolg
Interpersonale Kommunikation mit signifikanten Anderen
Konversion Stabilisierung
Monetäre Identität
Stabilisierung
Schrittweise Alternierung
Interpersonale und öffentliche Kommunikation mit signifikanten und sonstigen Anderen
Ausdifferenzierung durch • Sekundäre Themen, z. B. aktuelle Handlungsoptionen in der Altersvorsorge • Objektive Fakten (z. B. neue Steuergesetzgebung) • Gesellschaftliche Diskurse und Deutungsmuster
Abbildung 10: Fortlaufende Ausbildung von monetärer Identität
Besser passt jedoch das Bild von einem zyklischen Kommunikationsprozess, der öffentliche und private Kommunikation einschließt und in dem die Wichtigkeit eines Themas hervorgebracht wird (vgl. Schenk 1995: 198). Das solcherart skizzierte Wechselspiel zwischen Episoden öffentlicher und privater, interpersonaler Kom-
304
4 Diskussion
munikation, die sich jeweils gegenseitig kontextualisieren,116 ist damit auch als ein kontinuierlicher Kreislauf bzw. als eine Spirale zu beschreiben, in deren Verlauf die monetäre Identität stabilisiert bzw. in kleinen Schritten alterniert wird. Nur durch interpersonale Kommunikation mit signifikanten Anderen ist eine fundamentale Konversion der Identität möglich. Die Rolle von Medien innerhalb dieser Spirale besteht in der Ausdifferenzierung und Akzentuierung der Identitätsthemen. Zusammenfassend sind Medien ein wichtiger Referenzpunkt bei der Konstruktion monetärer Identität. Die Rolle, die sie neben unvermittelter Kommunikation spielen, ist vielgestaltig und von mehrfach kontingenten Bedingungen wie dem jeweiligen Thema, seine Ausbildung im Laufe der sekundären Sozialisation, sein Stellenwert in verschiedenen Gemeinschaften und der Art, wie diese Gemeinschaften das Thema realisieren abhängig. Medien sichern die Realität der Welt, wie wir sie in primärer und anschließender sekundärer Sozialisation erfahren haben ab, bestätigen uns selbst, helfen bei der Ausformulierung von kommunikativ mit signifikanten Anderen entwickelten monetären Prinzipien, setzen in diesem Rahmen Themen, sie bringen Möglichkeiten des sozialen Rollenhandelns in unsere Nähe und formen so, indem sie zur Auseinandersetzung mit den dargestellten sonstigen Anderen aufrufen, unser Selbstbewusstsein. Medienthemen werden zu persönlichen Themen über persönliche Netzwerke. Medien technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation erweitern das Netzwerk, in dem auch (und teilweise hauptsächlich) über Monetäres gesprochen wird. Vor dem Hintergrund der empirischen Studie lassen sich so vielfältige Bezüge zwischen technisch vermittelter und unvermittelter Kommunikation feststellen, dass man von einer Verwobenheit sprechen muss und es schwer wird, Beeinflussungsmodelle aufrechtzuerhalten, die Medien und Mensch letzten Endes als Differenz konzipieren. Die explorative Studie gibt Hinweise darauf, dass man Wirkungsrichtungen immer nur für ein Thema, zu einem Zeitpunkt, in einem abgesteckten sozialen Feld erklären kann. Wie Medien in das permanent laufende kommunikative Verfahren aus Rolleneinnahme und Selbstbezug eines immer innerhalb verschieden weit gefassten Gemeinschaften situierten Menschen eingewoben werden, zeigt sich im Folgenden konkreter an den Medienhandlungsschemata, mit denen jeder der Befragten seinen Zugang zu monetärem Wissen organisierte.
116 Zur gegenseitigen Kontextualisierung von Kommunikation vgl. auch Höflich 2005
4.3 Institutionen der Ausbildung monetärer Identität
4.3 4.3.1
305
Institutionen der Ausbildung monetärer Identität Rahmen der Aneignung monetären Wissens
Wie im Verlauf der Arbeit deutlich gemacht wurde, entsteht Wissen nicht nur in einer inhaltlichen Bestimmung, sondern auch aus spezifischer Organisiertheit heraus. Mit Rahmen von Kommunikation wurde – in Anlehnung an Goffman sowie an das Konzept der Medienrahmen (vgl. Höflich 1998, 1999) – ein Denkkonzept getestet, um Strukturen auszumachen, die für die spezifische Aufschichtung der Lebenswelt verantwortlich sind. Die im Laufe der Arbeit empirisch beschriebenen Rahmen wurden charakterisiert als individuelle Definitionen dessen, was bei der Vermittlung monetären Wissens vor sich geht und wie dies geschieht. Sie stellen Organisationsprinzipien dar, nach denen die Menschen an Interaktionssituationen, in denen gesellschaftliches Wissen über Monetäres internalisiert wird, teilnehmen. Damit stellen sie Regelungen der Wissensvermittlung dar und geben Orientierung in einer „geschwätzigen Gesellschaft“ (vgl. Knoblauch 1996). Am empirischen Material lässt sich erkennen, dass die Befragten die Bezugnahme auf unterschiedliche soziale Kontexte in unterschiedlichen kommunikativen Mustern realisieren. Die Kenntnis dieser kommunikativen Muster leitet die Selbst- und Fremderwartungen nicht nur für die Dauer der auf diese Weise festgelegten Vorgänge (vgl. Luckmann 2002a: 164), sondern auch darüber hinaus. So konnten die Darstellungen kommunikativer Episoden in den Interviews als Verfestigungen dieser kommunikativen Formen gelesen werden; als eigene, rekonstruktive Kategorisierungen sich wiederholender Abläufe. Sie zeigen, dass innerhalb Episoden interpersonaler Kommunikation identitätsrelevante Aneignungen monetären Wissens auf eine unterschiedliche, empirisch beschreibbare Weise realisiert werden. Deutlich wurde dies zum Beispiel an der Rahmung von Gesprächen über monetäre Sachverhalte mit Freunden. Diese stellen prekäre Situationen dar, die aufgrund ihrer Fragilität ein vorsichtiges Vorantasten und eine gewisse Vagheit hinsichtlich der Inhalte verlangen, um möglichen Missdeutungen durch den Gesprächspartner, die innerhalb der sozialen Umwelt schwerwiegende Folgen haben können, auszuweichen. Innerhalb von Gesprächen über Monetäres in der Familie dagegen sind konkrete Verhandlungen möglich, in denen die Konfrontation unterschiedlicher Meinungen von Familienmitgliedern durchaus Teil des Handlungsrepertoires ist. Am empirischen Material wurden auch spezifische Formen des Umgangs mit Medienangeboten diskutiert, die im Sinne der Arbeit als Rahmen des Medienumgangs bezeichnet werden können. Im Anschluss an die kommunikationswissenschaftliche Forschung können diese als Ergänzung der These der Cultural Studies, wonach Medienangebote innerhalb drei idealtypischer Lesarten rezipiert werden (vgl. Hall 1980: 136), angesehen werden. Das empirische Material betrachtet nicht
306
4 Diskussion
allein den Umgang mit Inhalten innerhalb der medialen Phase,117 sondern geht davon aus, dass mit den Rahmen situationsübergreifende Strukturen bestehen, die die Aneignung von Inhalten perspektivieren. Nicht allein die Aussage eines Zeitungsartikels und ihre Beziehung zum soziokulturellen Hintergrund des Lesers bestimmt also die Lesart, sondern der Umgang mit ihr. So wird nicht erst im Moment des Lesens, Fernsehschauens, Radiohörens aufgrund der jeweiligen Angebote über eine Lesart entschieden, vielmehr existiert ein Wissen darüber, was von einzelnen Medien zu erwarten ist, wie relevant oder plausibel beispielsweise das Material ist, welches von ihnen für den Bau der Identität geliefert werden kann. Rahmen können damit als Manifestationen des Wissens über Kommunikation bezeichnet werden. Die Mediennutzung selbst wird zu einem identitätsrelevanten Aspekt. So wird z. B. deutlich, dass von einigen Überschuldeten bestimmte Formen gesellschaftlichen Wissens nicht nur negiert werden (was durchaus im Sinne eines „oppositional reading“ nach Hall wäre), sondern dass diese Negation einen wesentlichen Bestandteil innerhalb der identitätsspezifischen Handlungsorientierungen darstellt. Zeitung lesen informiert zum Beispiel eben grundsätzlich darüber, was „die da oben“ sich nun wieder ausgedacht haben. Aufgrund einer mit diesem Rahmen vollzogenen Konzeption der kommunikativen Situation, innerhalb derer das Individuum sich als Mitglied dieser Gesellschaft zurückgesetzt fühlt und vom Prozess öffentlichen Geschehens ausgeschlossen, kann es die Zeitungsinhalte lediglich „kopfschüttelnd“ zur Kenntnis nehmen. Damit liegt eine Typisierung im Sinne Alfred Schütz’ vor, die sich in ihrer Wiederholung verfestigt und zu einer Institution wird, d. h. als generalisiertes Verhalten selbstverständlich und sozial gebilligt hingenommen wird. Eine reziproke Typisierung, die als grundlegendes Merkmal von Institutionen genannt wurde und die in Gesprächsrahmen durch den interaktiven Vollzug von Gattungen (Luckmann) und Rahmen (Goffman) unmittelbar festgestellt werden kann, kann für Rahmen der medial vermittelten öffentlichen Kommunikation insofern (mittelbar) angenommen werden, als dass massenmediale Produkte in der Form, in der sie produziert wurden sind, gemäß dem sozialkonstruktivistischen Entwurf der angestrebten Symmetrie von objektivem Wissen und individuellem Sinn eine Spannbreite von Aneignungsmöglichkeiten enthalten. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die hier vorgestellten Rahmen auch ein weiteres in Kapitel 2.6.1 herausgearbeitetes Merkmal von Institutionen erfüllen: Sie sind (meistens) legitimier118 tes Wissen und damit gesellschaftlich geteilt. Am empirischen Material lassen sich, 117 Siehe zur Unterscheidung in eine präkommunikative, kommunikative (mediale) und postkommunikative Phase Levy und Windahl (Levy/Windahl 1985: 113) 118 „Meistens“ deshalb, weil Legitimation in der ersten Phase der Institutionalisierung überflüssig ist und erst dann notwendig, wenn die Institutionalisierung einer neuen Generation übermittelt werden muss (vgl. Berger/Luckmann 2007: 99f.).
4.3 Institutionen der Ausbildung monetärer Identität
307
um beim Beispiel des Zeitungsumgangs zu bleiben, Legitimationen verschiedener Komplexitäten erkennen: Der Medienumgang kann sprachlich benannt werden, darüber hinaus arbeiten die Befragten mit sprachlichen Gattungsbezeichnungen. Auf einer zweiten Komplexitätsstufe wird das konkrete Tun mit Volksweisheiten und theoretischen Postulaten in rudimentärer Form verknüpft (z. B. „Papier ist geduldig“ um auszudrücken, dass nicht alle Tipps, die in einem Zeitungsartikel zur Altersvorsorge gegeben werden, wahr sein müssen; „Nichts ist älter als die Zeitungen von gestern“ um dem Gesprächspartner zu verdeutlichen, worauf es bei der Beschäftigung mit den Kapitalmärkten ankommt). Diese Reihe theoretisch auf eine dritte Stufe der Komplexität fortsetzend, liegen mit Theorien über die Medienwirkung oder die Funktion von Medien in der Demokratie spezialisierte Legitimationstheorien vor. In der zusammenfassenden Beschreibung der Organisation der Vermittlung monetären Wissens als Rahmen wird in kommunikative Episoden und eigentliche Rahmen getrennt (siehe Gliederung in der folgenden Tabelle). Während die kommunikativen Episoden mit den primären Rahmen, die Goffman beschrieben hat, gleichzusetzen sind und damit allgemeine Interpretationsschemata der Situationen darstellen, liegen mit den Rahmen im Sinn dieser Arbeit Konkretisierungen dieser kommunikativen Episoden vor (und nicht, wie sekundäre Rahmen bei Goffman, Transformationen der primären Rahmen). So wurden Episoden der familiären Kommunikation von den Befragten eingeordnet als Erziehung, als Verhandlung, Unterhaltung oder – in Passagen, in denen auf die eigene Kindheit, Jugend oder erste Gelderlebnisse Bezug genommen wurde – als Herstellung einer biografischen Kontinuität. Die routinemäßige Aneignung standardisierter öffentlicher Kommunikationsinhalte mit monetärem Bezug kann sowohl als habitualisierte Teilhabe an einer gesellschaftlichen Welt, als fortlaufende Bestätigung eines bestimmten Weltbildes und der Verortung darin, die dem Topos „oben vs. unten“ entspricht (Schuldner) oder – wie im Börsianer-Beispiel gezeigt – als Experten geschehen.
308
4 Diskussion
In der Übersicht stellen sich alle empirisch gefundenen Rahmen und die ihnen zugrundeliegenden Problemorientierungen folgendermaßen dar: Kommunikative Episode (=primärer Rahmen) Gespräche zwischen Familienmitgliedern
Rahmen (=konkretisierter Rahmen)
Bedeutung für Identität (Welches Problem wird damit gelöst?)
Textbeispiel
Erziehung
Durchsetzung der eigenen monetären Werte und Praktiken gegenüber der nachfolgenden Generation
Christian S.: „Winterurlaub in der Schweiz“, S. 179
Unterhaltung
Weiterführung von sozialen Beziehungen auf neutralem Boden, Vergemeinschaftung (Herstellung einer Familienidentität), Einbindung/Relevanz gesellschaftlichen Wissens in semantische Netzwerke
Henrik G.: „Lockeres Gespräch“, S. 238
Lernrahmen (Biografierahmen)
Herstellung von Kontinuität im eigenen Erleben (diachrone Integration)
Walter H.: „Aktenmappen“, S. 182
Verhandlung
Ausübung von Rollen Ausprägung einer Familienidentität i. S. von gemeinsamen Vorstellungen vom monetären Handeln
Helga S.: „Die Jacke“, S. 176
Ratsuche, Rat geben
handlungspraktische Orientierung, direkte Ansprache des Themas, Vergewisserung eines Zusammengehörigkeitsgefühls
Christian S.: „Schwager“, S. 184
Positionierung
Durchsetzung der Selbstdarstellung, Stabilisierung der Identität, Abgrenzung zu anderen durch beiläufige Vergleiche, kontinuierliche Wirklichkeitsabsicherung, Test gesellschaftlicher Deutungsmuster
Ute S.: „Ehrlich darüber sprechen“, S. 145
Recherche in der Tageszeitung
Medien als potenzielle Lösungsangebote
handlungspraktische Orientierung, Taxierung unter dem Blickwinkel individueller Nutzbarkeit, Medien als potenzielle Quelle der Information für die objektivierende Beurteilung von monetären Umständen, Maßnahmen und Strategien, Umsetzung von Selbstwirksamkeit
Antje R.: „Bei Fonds mehr rausholen“, S. 203ff.
Routinemäßiges Lesen der Tageszeitung („Wirklichkeitsabsiche rung“)
Teilhabe
Ausgreifen in Zusammenhänge, die nicht direkt erfahrbar sind, Teilnahme an allgemeinen (inklusive monetären) gesellschaftlichen Diskursen als kontinuierliche Bestätigung der eigenen Identität („Gut informiert sein“)
Ute S.: „Tagesspiegel“, S. 146
Oben vs. unten
Ausgreifen in Zusammenhänge, die nicht direkt erfahrbar sind, Wahrnehmung des Selbst in sozialen Rollen, in diesem Fall als Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe
Uwe B.: „Abgezockt“, S. 217
Gespräche zwischen Freunden und Bekannten über Geld
4.3 Institutionen der Ausbildung monetärer Identität
Kommunikative Episode (=primärer Rahmen)
Gespräche zwischen an der Geldanlage Interessierten
OnlineTransaktionen
Rahmen (=konkretisierter Rahmen)
Bedeutung für Identität (Welches Problem wird damit gelöst?)
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Textbeispiel
Identität als Experte
verstärkte Form von Teilhabe (über das allgemein Gesellschaftliche hinaus an einem Sonderwissensgebiet), Wahrnehmung des Selbst als Experte, Mediennutzung als Symbol der Selbstdarstellung
Christa C.: „Deutschlandfunk“, S. 236
interessengeleitete Teilhabe
Ausgreifen in Zusammenhänge, die nicht direkt erfahrbar sind, Teilnahme an allgemeinen (exklusive monetären) gesellschaftlichen Diskursen als kontinuierliche Bestätigung der eigenen Identität, Ablehnung einer Geldorientierung dient zur Distinktion
Christian S.: „Börse angucken“, S. 148
Bildung, Kompetenz-Rahmen
Sammeln von Informationen mit Nutzwert für das monetäre Handeln, Hervorhebung von Expertise, Selbstidentifikation als Gruppenmitglied
Christa C.: „Börsengespräch“, S. 239
Unterhaltung
Ausbau von sozialen Beziehungen, Vergemeinschaftung (Herstellung einer Gruppenidentität), Einbindung/Relevanz gesellschaftlichen Wissens in semantische Netzwerke
Herbert G.: „Übers Hobby reden“, S. 238
Inbesitznahme
Verortung der eigenen Position in Bezug zu gesellschaftlich relevanten Praktiken, Aneignung neuer Praktiken, Re-Definition der eigenen Bedürfnisse
Marianne H.: „Ich schaff das“, S. 264
Routine
PC als lebensstilspezifische Komponente, Umsetzung von Selbstwirksamkeit
Walter H.: „Finger weg“, S. 274
Tabelle 5: Überblick über die in der Arbeit festgestellten Rahmen
Die genannten Problemorientierungen sind dabei nicht exklusiv auf einen Rahmen beschränkt. So wird die Prüfung gesellschaftlichen Wissens auf seine Relevanz innerhalb eines semantischen Netzwerkes und die anschließende Einbindung, wie sie als konstituierendes Problem hinsichtlich des Unterhaltungsrahmens genannt wurde, auch in Gesprächen zwischen Freunden und Bekannten über Geld realisiert, ist dort aber nicht dominierend. Im Positionierungsrahmen kommt es eher darauf an, die eigene Identität auch kommunikativ durchzusetzen, die Durchsetzung auf eventuelle „Übermittlungsfehler“ zu prüfen und zu bereinigen. In ihrer Selbstdarstellung griffen die Befragten, indem sie sich dazu kontrastiv von anderen (anonymen gesellschaftlichen Gruppen oder konkreten Personen) abgrenzten natürlich auch auf eine Form gesellschaftlichen Wissens zurück. Das routinemäßige Lesen der Tageszeitung zeigt besonders gut, dass ein und dieselbe Tätigkeit („Zeitung lesen“) Verschiedenes bedeuten kann und sich in unterschiedlichen Handlungsmustern niederschlagen kann. Während alle Organisationsformen im Kern auf ein Ausgreifen in einen gesellschaftlichen Kontext ausgerichtet sind, gibt es in der Realisa-
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4 Diskussion
tion dieser Teilhabe doch einige Unterschiede. So kann Zeitungsnutzung von der systematischen Lektüre verschiedener Tageszeitungen (Hobby-Börsianer), über das komplette Lesen (bzw. „Überfliegen“) der gewohnten Tageszeitung (um über „alles“ informiert zu sein) bis zum gezielten Weglassen thematischer Teile der Zeitung reichen, um damit einen bestimmten Bereich des Interesses zu markieren. In diesen Handlungsmustern werden bereits bestimmte wertmäßige Orientierungen hinsichtlich des Monetären deutlich, wie sie in den folgenden Kapiteln detaillierter ausgeführt werden. Es zeigt sich, dass identitätsspezifische Handlungsorientierungen und Handlungsmuster als Strukturen dieser Wissensvermittlung nicht zu trennen sind. Der Unterschied, den die generelle Einordnung als kommunikative Episoden nach sich zieht, wird deutlich an den beiden festgestellten Unterhaltungsrahmen. So waren familiäre Gespräche, die in einem Unterhaltungsrahmen stattfinden, gegenüber den anderen Formen familiärer Geldgespräche von einem Bemühen um einen neutralen Boden geprägt. D. h., es ging nicht primär um Über- oder Unterordnung der einzelnen Familienmitglieder und die Durchsetzung einer dominanten Position, sondern um gemeinsam verbrachte Zeit, die mit angenehmen Gesprächsstoff, der nicht allzu persönlich ist, ausgefüllt wird (wie es z. B. zwischen Herbert G. und seinem erwachsenen Sohn Henrik G. der Fall ist). In Unterhaltungs-Gesprächen zwischen an der Geldanlage Interessierten bestand die Gefahr des Verstrickens innerhalb eines auch durch Machtthemen gekennzeichnetes Beziehungsgeflecht nicht. Hier ging es stattdessen um den weiteren Ausbau von monothematisch gekennzeichneten Beziehungen unter Zuhilfenahme gesellschaftlichen Wissens. Die kommunikative Episode bestimmt also die grundsätzliche Einordnung. Abstufungen ein und desselben Problems werden auch im Rahmen der Ratsuche (Gespräche bei Freunden) und im Rahmen, innerhalb dessen Medien als potenzielle Lösungsangebote (Rechercheepisoden) gesehen werden, deutlich. In beiden Einstellungen wird das Problem einer fehlenden handlungspraktischen Orientierung gelöst, werden Optionen des Handelns entworfen und hinsichtlich des Nutzwertes abgewogen. Innerhalb des interpersonalen Kontextes aus Freunden und Bekannten wird dabei jedoch auf einen enger gefassten Interpretationshintergrund Bezug genommen; Freunde und Bekannte vergewissern sich dabei immer auch gegenseitig ihrer Identität, indem sie den anderen in seinen spezifischen Eigenarten, der ihm zugeschriebenen Expertise etc. ansprechen. Sie spiegeln mit solchen Typisierungen damit immer auch die Rolle des Angesprochenen in diesem Freundesnetzwerk wider und sind Ausdruck des Verbindenden der Beziehung. Die Zeitungsnutzung erfolgt dagegen in instrumenteller Art und Weise, in einer ZweckMittel-Beziehung, in der das Sammeln und Taxieren von Informationen und ihrem Nutzwert direkter erfolgen kann, d. h. ohne die Konventionen einzuhalten, die das Gespräch in stärkerem Maße erfordert. Dafür kann allerdings auch der Gegenstand des Interesses mit Hilfe von Nachfragen etc. genauer geklärt werden, während der
4.3 Institutionen der Ausbildung monetärer Identität
311
Erfolg der Rechercheepisoden von dem Grad abhängig war, indem der Rechercheur in der Lage war, abstrakte Inhalte auf seine persönliche Problemlage zu beziehen. Vergleichbar sind beide also hinsichtlich ihrer Problemorientierung, nicht jedoch in ihrer Realisierung. Die Tabelle stellt darüber hinaus nur die im empirischen Material gefundenen Rahmen dar. So ist es denkbar und wahrscheinlich, dass Rahmen der Teilhabe oder der Recherche auch in anderen Medien realisiert werden. Hinsichtlich der Übertragbarkeit von Rahmen auf andere kommunikative Settings wird es jedoch gerade an der Stelle interessant, an der ihre Existenz systematisch auszuschließen ist. So könnte die Nichtexistenz des Unterhaltungsrahmens in Bezug auf Monetäres zwischen Freunden und Bekannten auf eine Spezifik der Realisierung dieses Themas hindeuten und zu einer pointierteren Ausformulierung der jeweils zugrunde liegenden kommunikativen Probleme führen. So ließe sich vermuten, dass nur in den kommunikativen Settings der Spezialkultur der Hobby-Börsianer die Unterhaltung über Monetäres als Thema etabliert war, welches über längere Strecken zu interessieren vermochte, ohne die Gemüter allzu sehr zu erhitzen, dieses jedoch nicht zwischen Personen der Fall ist, für die Monetäres nur einen kleinen Ausschnitt ihrer Lebenswelt darstellt, ein Thema unter vielen, welches in seiner Bedeutung für die Identität des Einzelnen aufgrund seines Status als Tabuthema oft noch nicht geklärt wurde und daher potenziell verfänglich ist. Darauf weist auch hin, dass sich die Hobby-Börsianer genau genommen nie über ihren Umgang mit Geld unterhielten, sondern immer nur über das Wissen ihres Fachgebietes. Neben den damit aufgezeigten Möglichkeiten zur weiterführenden Bestimmung der Rahmen sind noch einmal die Besonderheiten des Rahmenbegriffs, wie er hier herausgearbeitet wurde, zusammenzufassen. Rahmungen von Kommunikation lassen sich nach Goffman als kontinuierlicher Prozess auffassen, der interaktiv verwirklicht wird. Im Gegensatz dazu sind die hier vorgestellten Rahmen subjektive, in der Nachbetrachtung entstandene Ansichten dessen, was bei der Herstellung monetärer Identität passierte und nicht prozesshafte Betrachtungen eines Interaktionsgeschehens. Dieses Vorgehen erwies sich allerdings sinnvoll, wenn man unterstellt, dass nicht alle kommunikativen Formen, in denen monetär relevantes Wissen vermittelt wird, als dialogische Situation angelegt sind. Die Sozialität, die Institutionen grundsätzlich eigen ist (vgl. Schütz 1959: 172; Berger/Luckmann 2007: 58f.; Barley/Tolbert 1997: 96f.) kann man bezüglich der in den Interviews manifestierten Kommunikationsrahmen jedoch feststellen, sie gelten als „taken for 119 granted“. Diese selbstverständliche Art des Wissens wurde an der Schwierigkeit 119 Scott definiert Institutionen als Regelsysteme „that involve shared logics or modes of reasoning that help to create shared understandings of reality that are ‚taken for granted’“ (vgl. Scott 1994: 67). Zucker betont den bindenden Charakter von Institutionen, die aus einstmals frei und zufällig
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deutlich, die die Befragten zunächst hatten, über diese Komplexe alltäglichen Handelns zu reden, ohne eben als bekannt Vorausgesetztes zu wiederholen. Erst wenn Zweifel an der Einordnung der Situation bestand, wurden die Rahmen explizit gemacht (wie eben z. B. in den missglückten Episoden zur Aneignung des Altersvorsorge-Wissens oder des Vorstoßes der Freundin von Christa C. in der Episode „geizig“). Die einzige Gruppe, die in hohem Maße und ungefragt ihre Rahmen thematisierten, waren die Hobby-Börsianer, die allerdings aufgrund ihrer ExpertenIdentität davon ausgehen konnten, dass ihre Praktiken dem Interviewer nicht geläufig sein konnten. Ein weiterer Beleg für die Sozialität der Rahmen ist die Tatsache, dass ihr exklusiver Gebrauch durch einige Menschen diese zu distinguierbaren sozialen Welten zusammenfasst. Die Typisierungen, die den habitualisierten kommunikativen Handlungen zugrunde liegen, sind für alle Mitglieder der jeweiligen Gruppierung erreichbar (vgl. Berger/Luckmann 2007: 58); anderen bleiben sie in ihrer konkreten Ausführung verborgen. Dennoch lassen sich auch für Außenstehende Individuen, die so handeln, wie es aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe erwartet wird, typisieren. Dies wird beispielhaft an den Äußerungen von Christian S. deutlich, wenn er explizit Rahmen der Aneignung monetären Wissens durch Börseninteressierte thematisiert und dabei für sich negiert (Textbeispiele 120 „Börse angucken“, „Schwager“). Aufgrund der rekonstruktiven Einstellung können die gefundenen Rahmen als Prämissen für zukünftige Situationen gelten.121 So wurde in den Erzählungen in einzelnen Fällen deutlich, dass nicht eingetroffene Erwartungen hinsichtlich der Situationsdefinition zu einer Änderung zukünftiger Definitionen und zukünftigen Handelns führen. Allerdings sind aufgrund des Datenmaterials auch keine allgemeingültigen Aussagen über die Transformation von Rahmen möglich. Nur ansatzweise lässt sich die Fragilität von Rahmen erkennen, wie etwa in der Episode „Bei uns ein Tabu“. Von Christa C. wird hier beschrieben, wie schnell ein Gespräch über monetäre Dinge zu einer Verletzung der Intimsphäre werden kann, wenn nämlich die Rahmen nicht von beiden Gesprächspartnern geteilt werden. Ein gewählten Handlungen entstanden sind und nun als Tatsache und Teil der objektiven Realität gelten (vgl. Zucker 1977: 726). 120 Höflich betont darüber hinaus den sozialen Aspekt von Medienarrangements insofern, als das Medien zusammen mit anderen oder in Anwesenheit anderer Personen genutzt werden (vgl. Höflich 2005: 20). Auch dieser Aspekt kann mit der gewählten rekonstruktiven Methode nicht erfasst werden, ist allerdings für ein umfassendes Verständnis kommunikativer Strukturen im Anschluss an Höflich und an andere, die Mediennutzung als soziales Geschehen konzipieren (vgl. z. B. die Beiträge in Holly/Püschel/Bergmann 2001) sowie vor dem Hintergrund der Empirie mit den zahlreichen Anbindungsmöglichkeiten an eine netzwerktheoretische Perspektive, wichtig. 121 Wie dies grundsätzlich von der Institutionalisierungsperspektive vorausgesetzt wird, z. B. durch Barley und Tolbert, die formulieren, dass Institutionen ein Ausdruck früherer Praktiken und Denkweisen sind, die heutige Handlungen konditionieren (vgl. Barley/Tolbert 1997: 99).
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weiteres Beispiel über eine Modifikation von Rahmen erkennt man, wenn man die unterschiedliche Umsetzung von Rechercheepisoden in der Tageszeitung durch die Befragten vergleicht. Während Christian S. (Textbeispiele „Otto Normal“, „Irgendwelche Schlagworte“) und Christiane L. genauso wie Antje R. und die HobbyBörsianer in diesen Episoden davon ausgehen, dass Medien Lösungsangebote für monetäre Fragen bereitstellen, wird nur für Antje R. und die Hobby-Börsianer dieses Versprechen eingelöst. Bei Christian S. scheitert der Versuch der Aneignung von Handlungskompetenz, da er keinen Anschluss der Inhalte zu seiner persönlichen Situation herstellen kann, ebenso wie bei Christiane L., die Orientierungsprobleme für den unbefriedigenden Abschluss dieser Medienepisoden verantwortlich macht. Es bleibt bei einer nicht eingelösten Nützlichkeitsvermutung. In jedem dieser Fälle wird ein expliziter Bezug zur Mediennutzung hergestellt, d. h. der mediale Rahmen selbst wird thematisiert. Während Antje R. und die Hobby-Börsianer jedoch ihr Rahmenwissen wie selbstverständlich in den Ablauf der kommunikativen Episoden einbauen (indem sie beispielsweise von Anfang an mehrere bzw. bestimmte Tageszeitungen in Betracht ziehen) und damit Medien in einem hohem Grad instrumentalisierten, scheinen Christian S. und Christiane L. sich erst während ihrer Rekonstruktionen der Medienspezifika zu vergegenwärtigen. Der Verlauf und der Erfolg von kommunikativen Episoden hängt also auch vom Wissen über mediale Rahmen und daran anschließende Handlungspotenziale („Rahmungen“ im Sinne Goffmans) ab. In jedem Fall sind die gefundenen Institutionalisierungen von Kommunikation Hinweis darauf, dass die Wirklichkeit und damit ein verfügbarer Bestand monetären Wissens nicht direkt, sondern nach bestimmten Mustern vorarrangiert wahrgenommen wird. Berger und Luckmann, die diese Vor-Arrangiertheit bereits in Bezug auf symbolische Sinnwelten ansprachen, gehen – ebenso wie Schütz für Routinen und Habitualisierungen – von einer entlastenden Funktion aus. Gleiches lässt sich anhand des empirischen Materials nun auch für die Rahmen als Institutionalisierungen von Kommunikation sagen: Sie regeln die Aneignung der Wirklichkeit, integrieren widersprüchliche Ausschnitte des Alltagslebens durch ähnlich organisierte Bezüge und stellen damit die Kontinuität erst her, die für eine Stabilität des Individuums notwendig ist. Da die Rahmen eine Vorentscheidung über die Einordnung von Inhalten darstellen, können sie als Strukturen kommunikativer Episoden aufgefasst werden; als der organisatorische Aspekt von Kommunikation, der – einer Perspektivierung gleich – bestimmt, inwiefern der kommunizierte Inhalt im Wissen des Einzelnen Gültigkeit erlangt. Sie machen bestimmte Ausschnitte der Realität überhaupt erst sichtbar und andere nicht; sie beschränken und ermöglichen Wahrnehmung gleichermaßen. So beschäftigt sich Christian S. in seinem täglichen Zeitungslesen eben nicht mit der Frage, welche Branchen vom konjunkturellen Aufschwung betroffen sind, vielmehr führt die Brille des Rahmens der interessengeleiteten Teilhabe zur Wahrnehmung von Informationen, die mit seinen
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Handlungsorientierungen korrespondieren und sein Weltbild stützen, in dem ein auf Rendite ausgerichtetes Handeln nicht jedem offen steht und darüber hinaus auch nicht erstrebenswert ist. Zwar weiß er, dass innerhalb des Wirtschaftsteiles solche Informationen zu finden sind, ein Blick darauf versichert ihm jedoch, dass diese zu den bestehenden Elementen seines Wissensvorrates kaum anschlussfähig und deswegen nicht relevant sind. Für einen Hobby-Börsianer wie Henrik G. dagegen gehört das Wissen über die aktuelle konjunkturelle Lage zur Bestätigung dieser Hobby-Identität, die in diesen Handlungen täglich gestützt und weiter ausgebildet wird. Wie bereits dargestellt, ist auch das Wissen über diesen Rahmen Bestandteil monetärer Identität. Henrik G. hat eine Vorstellung davon, wie diese Informationen zustande kommen, was sie bedeuten, welche Handlungen sich an sie anschließen könnten. Es kann also eine Verbindung zwischen dem Vorhandensein bestimmter Rahmen von Kommunikation und bestimmter Identitätsthemen konstatiert werden. Wenn man Rahmen als Voraussetzung für die identitätsrelevante Aneignung von monetärem Wissen definiert, ist allerdings auch zu betonen, dass ein eingeschränktes Rahmenrepertoire zu einer Unzugänglichkeit von Wissensgebieten führt, wie an anderer Stelle auszuführen sein wird. 4.3.2
Elemente des Rahmenwissens
Zur Systematisierung der empirisch gefundenen Elemente des Rahmen-Wissens wird folgende Gliederung vorgeschlagen: 1. Relevanz und, daraus folgend, Art der Zuwendung - auferlegte Interpretationsrelevanz (Routine) - motivierte Interpretationsrelevanz (Problemlösung) 2. Vorstellungen vom Kommunikationspartner - signifikanter vs. sonstiger Anderer - Rolle 3. Vorstellungen von der Reichweite bzw. von den anderen Teilnehmern an der kommunikativen Situation 4. Ausgestaltung (Zeit, Regelmäßigkeit, Aufmerksamkeit…) Die Auseinandersetzung mit monetärem Wissen innerhalb kommunikativer Episoden stellt sich am empirischen Material erstens aufgrund einer spezifischen Relevanz dar. So lassen sich Muster der Aneignung monetären Wissens in Anlehnung an Schütz den beiden Arten der Wirklichkeitsabsicherung respektive den dafür verantwortlichen Relevanzstrukturen, die mit auferlegter und motivierter Interpretationsrelevanz beschrieben sind, zuordnen. Während sich die auferlegte Interpretationsrelevanz beispielsweise in routinemäßiger Zuwendung zu Tageszeitungsinhal-
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ten äußert, kann man die Handlungsprobleme, die zu Rechercheepisoden führen, als motivierte Interpretationsrelevanz kennzeichnen. In einer Fortführung dieses Gedankens ließe sich mit dem Schützschen System aus unterschiedlichen thematischen Relevanzen, welche immer in einem Zusammenhang mit den genannten Interpretationsrelevanzen und bestimmten Einstellungen und Plänen des Handelns (=Motivationsrelevanzen) steht, ausführlichere Beschreibungen der Handlungsprinzipien in kommunikativen Episoden treffen. In Bezugnahme auf Punkt zwei zeigt sich, dass die Befragten die kommunikativen Episoden aufgrund verschiedener Vorstellungen des Kommunikationspartners einordneten. Dies betrifft zum einen die Einschätzung von Personen anhand der Bedeutung für die eigene Wirklichkeit (siehe die bereits ausgeführte Unterscheidung zwischen signifikanten und weniger signifikanten Anderen), die mit einer Typisierung im Rahmen von Rollen, wie im empirischen Material z. B. der Rolle des Beziehungspartners, eines Elternteils oder eines Bankangestellten einhergeht. Jede Zuweisung von Rollen ist mit einer Selbstdeutung verbunden, wie es gerade diejenigen Episoden verdeutlichen, in denen zu einer Nichterfüllung der Rollenerwartungen gekommen ist. Weiterhin wurden auch Verortungen hinsichtlich Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Wertvorstellungen des Kommunikationspartners, der auch in einem Medium der öffentlichen Kommunikation bestehen kann, vorgenommen. So machten gerade die Hobby-Börsianer solche Vorstellungen explizit, indem sie bestimmten Medien Qualitätsattribute zuordneten. Die Absenderkategorien wurden hier zu Aussagen über die Professionalität, mit der das Hobby betrieben wurde. Unterschiedliche Vorstellungen über den Kommunikationspartner führten auch bei den Episoden der computervermittelten Kommunikation zu einer Distinktion von Rahmen: Während die beiläufige Erwähnung von Absenderkategorien durch die Online-Affinen auf einen routinisierten Umgang mit dem Medium schließen lässt, beschäftigten sich diejenigen, deren Online-Transaktionen im Rahmen der Inbesitznahme geschahen, intensiv mit einer Identifikation der im Internet für sie nicht zweifelsfrei erkennbaren Absender. Drittens beziehen sich Vorstellungen der Reichweite auf die Teilnehmer an einer Kommunikationssituation: So wurden auch hier die virtuellen Räume des Online-Shoppings und Online-Bankings von Internet-Novizen als gefährdet gesehen, da keine vollständige Sicherheit über den Ausschluss unerwünschter Teilnehmer besteht. Konkrete monetäre Handlungen sind nur innerhalb der Familie zu diskutieren und zu bewerten. An mehreren Stellen wird deutlich, dass sich dieses Merkmal durch eine Verbindung zum Konzept der Publikumsvorstellungen von Dohle/Hartmann 2005 ausformulieren lässt, zum Beispiel beim Rahmen des routinisierten, teilhabenden Zeitungslesens, der nur dann sinnvoll ist, wenn eine möglichst große Menge von Menschen Gleiches tut.
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Aus den Rahmen wiederum ergeben sich Rahmungen, die viertens in einer spezifischen Ausgestaltung der Situation resultieren. Dazu gehören z. B. die Aufmerksamkeit, die man der jeweiligen Episode widmet, ihr zeitlicher Verlauf und die bereits kurz angerissenen Umdeutungen, die innerhalb eines primären Rahmens notwendig geworden sind. So spricht Christian S. über seine Enttäuschung, als er feststellen musste, dass das Gespräch mit einem Bankberater ja gar kein Beratungssondern ein Verkaufsgespräch ist, dessen Inhalte demzufolge durch diverse andere kommunikative Episoden abzusichern zu sind. Mit diesen Dimensionen sollen die vorgefundenen Elemente der Organisation kommunikativer Handlungen vorläufig systematisiert werden, eine Ergänzung, beispielsweise um die Wahrnehmung der eigenen Handlungsspanne innerhalb dieser Episoden, erscheint angebracht. Mit den solcherart charakterisierten Rahmen ergeben sich Überschneidungen, aber auch Abgrenzungen zu den im Kapitel 2 beschriebenen Ansätzen über Institutionen der Kommunikation. Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, stellen die vorgestellten Rahmen jeweils Lösungen von Problemen der Identitätsausbildung von Individuen dar, die von mehreren Individuen geteilt werden. Als solche wurden u.a. die Durchsetzung der eigenen Werte innerhalb von kleinen sozialen Lebenswelten, der Ausbau und das Stabilisieren sozialer Beziehungen in diesen, das Ausgreifen in gesellschaftliche Zusammenhänge und das Einklinken in größere und lose verwobene soziale Gemeinschaften sowie die Verwirklichung individuell nützlichen, erfolgversprechenden Handelns genannt. Indem die hier ermittelten Rahmen an den Begriff der Identität geknüpft wurden, sind sie hinsichtlich des Problembezuges subjektiver (bzw. auf einem niedrigeren Abstraktionsgrad) als z. B. die kommunikativen Gattungen Luckmanns, der als Funktion die Bewältigung, Vermittlung und Tradierung intersubjektiver Erfahrungen der Lebenswelt genannt hat oder auch der Gattungstheorie Siegfried J. Schmidts, der die Klärung des Realitätsbezuges von Aussagen als grundlegendes Problem der Gattungen nennt. Doch halte ich diesen lebensweltlichen, d. h. mit der Frage nach der monetären Identität thematisch abgesteckten Zugang zu Kommunikation als erste Annäherung an ein Gebiet, von dem man nicht weiß, ob angesichts der Individualisierungs- und Fragmentierungstendenzen die Rede von einer intersubjektiv geteilten Welt überhaupt noch berechtigt ist, für legitim. Damit wird zum einen – vergleichbar mit den Ansätzen von Ralph Weiß (vgl. Weiß 2001a, 2005) – der Sinn bestimmter Handlungen in den Mittelpunkt der Erklärung gestellt. Zum anderen wurde damit versucht, eine dichtere Beschreibung von kommunikativen Aktivitäten zu liefern, als mit Ausprägungen von Parametern der Mediensituation wie Aktualitäts- und Interaktivitätsgrad möglich ist. Mit diesen für die Identitätsausbildung sinnfälligen Arrangements werden die gefundenen Rahmen auch umfassender bestimmt, als es z. B. durch die Mediumstheorie getan wird, die zwar in ähnlicher Weise Situationen und Informationssysteme als Ort-Zeit-Handlungsbedingungen definiert, sich aber hauptsächlich auf die Medieneigenschaften und die dadurch hervorgerufenen Un-
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terschiede in den Kommunikationssituationen konzentriert (vgl. Meyrowitz 1994: 50). Im folgenden Kapitel wird nun zu prüfen sein, inwieweit diese Verfestigungen, die subjektive Manifestationen gesellschaftlichen Wissens darstellen, auf einen gemeinschaftlichen Wissensbestand einzahlen. Indem das Konstrukt der Identität als Ausgangspunkt gewählt wurde, ist gleichzeitig eine gesamthafte Betrachtungsweise gewährleistet, die zum Beispiel Situationen unvermittelter als auch medial vermittelter Kommunikation gleichrangig mit einbezieht. Hinsichtlich den medialen vermittelten Situationen hat sich die vorliegende Arbeit vor allem an öffentlicher Kommunikation orientiert; vertiefend wäre es in Hinblick auf die Konstitution monetärer Identität z. B. der Hobby-Börsianer sicher interessant, vermehrt Episoden der technisch vermittelten interpersonalen (bzw. Gruppen-) Kommunikation mit einzubeziehen, wie sie hier nur anschnitthaft deutlich wurden (z. B. mit der Organisation der Hobby-Börsianer in E-MailRingen, Online-Foren). In diesem Zusammenhang berichtete auch ein Schuldnerberater über ein Online-Projekt, indem es um die anonyme Online-Beratung von Menschen mit Schuldenproblemen geht. Betrachtet man, wie z. B. von Haddon gefordert (vgl. Haddon 2003), das gesamte Repertoire an Rahmen, welches eine Person nutzt, erscheinen Veränderungen im Zuge der Medialisierung in anderem Licht als bei der Betrachtung einzelner kommunikativer Handlungen. So lässt sich das Einkaufen in Online-Shops vor dem Hintergrund, dass ihm in vielen Fällen ein Austausch über Produkteigenschaften und -anwendungen mit anderen Interessenten vorausgeht, nicht per se im Sinne einer Entfremdung und Vereinsamung durch Mediatisierung interpretieren (vgl. z. B. Mettler-Meibom 1993). Zudem lässt sich dafür plädieren, dass auch Transaktionen, die als Form medienvermittelter Kommunikation charakterisiert werden können und als solche identitätsrelevant sowie mit andern Formen monetärer Kommunikation eng verbunden sind, in die Betrachtung des Handlungsrepertoires mit einbezogen werden sollten. Zum anderen wurde gezeigt, dass ein spezifischer Sinn kommunikativer Handlungen auch durch ihre Herleitung aus anderen kommunikativen Handlungen entsteht (wenn z. B. eine Recherche das Um-Rat-Fragen bei Freunden ersetzt). Die solcherart festgestellten subjektiven Auffassungen über die Organisation von Kommunikation spiegeln in Ansätzen produktseitig abgeleitete Gattungsbegriffe wider. Auch hier zeigt sich, dass der Differenzierungsgrad dieser von der Rolle abhängt, die Medien für die monetäre Identität spielen. Während die Befragten in den Altersvorsorgeepisoden trennen in Zeitungsartikel und Werbung (und selbst dabei manchmal Mühe haben), referierten die Börsianer auf „Berichte“, „Analysen“, „Reportagen“ und „Marktmeinungen“ und nehmen damit in einer Weise auf mediale Gattungen Bezug, wie sie aus einer produktfokussierten Sicht anhand von Merkmalen der Außen- und der Innenstruktur identifiziert worden sind (vgl. z. B. Raab/Knoblauch 2002; Ayaß 1997, 2002). Sowohl produktzentrierte Gattungsansätze als auch die hier vorgestellten Rahmen lassen sich mit der sozialkonstruktivis-
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tischen Theorie vereinbaren, indem beide jeweils unterschiedliche Plätze im Kreislauf aus Objektivation, Internalisierung und Externalisierung einnehmen. „Wissen über die Gesellschaft ist demnach Verwirklichung im doppelten Sinne des Wortes: Erfassen der objektivierten gesellschaftlichen Wirklichkeit und das ständige Produzieren eben dieser Wirklichkeit in einem“ (Berger/Luckmann 2007: 71)
4.3.3
Soziale Schichten und individuelle Erfahrungen – Rahmen als Präsentationen von Identität
Die hier konstatierten Rahmen sind zunächst als subjektive Manifestationen möglicher gesellschaftlicher Verfestigungen der Lösung von kommunikativen Problemen zu sehen. Berger und Luckmann gehen von einem komplexen, keinesfalls homogenen gesellschaftlichen Wissensvorrat und von sozialen Strukturen seiner Verteilung und Differenzierung aus (vgl. Berger/Luckmann 2007: 174ff.). In Anlehnung an ein sozialstrukturelles Konzept von Mediennutzung (vgl. z. B. Weiß 2001a) lässt sich nun beispielsweise die spezifische Rahmung der Zeitungsnutzung durch Überschuldete im Zusammenhang mit ihrer sozialen Positionierung setzen. Die Schuldner im Sample rekurrierten in ihren Rahmungen übereinstimmend auf den Topos „Ihr da oben – wir hier unten“ der in seiner Antonymie auf die Wahrnehmung einer sozialen Schichtung der Gesellschaft und der sich daraus ergebenden (und in diesem Fall nicht vorhandenen) Chancen für den Einzelnen anspielt. Inhalte, die innerhalb dieses Topos wahrgenommen werden, haben nur ein begrenztes Potenzial, das Individuum mit Handlungsoptionen auszustatten, die seine monetäre Lage verbessern können. Hier ist die sozialökonomische Situiertheit der Identitätsentwicklung anzusprechen; insbesondere ergibt sich eine Schnittstelle zur Kulturtheorie Bourdieus. Im Sinne Bourdieus kann man den Zusammenhang zwischen der Position in der sozialen Struktur der Gesellschaft, Wissensbeständen und Mediengebrauch so interpretieren, dass der Zugang zu kommunikativ vermittelten monetärem Wissen als kulturellem Kapital letzten Endes auch ökonomisches Kapital bedeutet. Ein spezifischer Habitus als typisches Ensemble von Kapitalien verfestigt sich in diesem Sinne fortlaufend. In diese Richtung argumentiert auch Meyen, wenn er seiner Studie über Mediennutzung in Deutschland die Annahme zugrunde legt, dass der Habitus und damit die Mediennutzungsgewohnheiten von der sozialen Position eines Akteurs bestimmt sind (vgl. Meyen 2007). Es wäre für zukünftige Forschungen interessant, das Bild, welches sich aufgrund der unterschiedlichen Rahmungen von Mediengebrauch darstellt, durch detaillierte Daten über die unterschiedlichen Medienmenüs, die die Befragten nutzen, zu untersetzen. Mit For-
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schungen zu Medienrepertoires liegen Ansätze dazu vor (vgl. Hasebrink/Popp 2006).122 Vor dem Hintergrund, dass Formen des Medienumganges kulturelle Kapitalien und Beziehungen zu anderen Menschen soziale Kapitalien darstellen, lässt sich noch einmal auf die Netzwerktheorie zurückkommen. Schenk stellt in seiner Studie zu Netzwerken in modernen Gesellschaften fest, dass Netzwerke in Deutschland klein, dicht und homogen sowie von einem hohen Anteil an Meinungskongruenz geprägt sind (vgl. Schenk 1995: 182, 222ff.). Weiterhin lässt sich die soziale Umwelt der meisten Menschen als kleines Netzwerk mit starken Beziehungen charakterisieren, die durch den Bildungsgrad von Ego bestimmt werden. Im Lichte der Kultursoziologie Bourdieus scheint dieser Befund prekär, bedeutet er doch, dass die Mitglieder dieser Netzwerke nur in geringem Maße Zugang zu Informationen oder Ressourcen haben, die außerhalb ihres Netzwerkes liegen. Sogenannte „weak ties“ (vgl. Granovetter 1973), die Brücken zu den Informationen außerhalb des Netzwerkes legen und damit wichtige soziale Kapitalien darstellen, kommen überraschend wenig vor. Für die Überschuldeten in diesem Sample, die soziodemographisch durch einen niedrigen Bildungsabschluss zu kennzeichnen sind, bedeutet das, dass sie auch über den Weg der interpersonalen Kommunikation wenig Chancen haben, sich neues Wissen über Monetäres anzueignen. Allerdings zeigt sich am Datenmaterial, dass man sich bei der Interpretation solcher Zusammenhänge vor einer Determiniertheit, wie sie oft soziostrukturellen Ansätzen, insbesondere der strukturanalytischen Rezeptionsforschung, dem kultursoziologischen Ansatz von Pierre Bourdieu und teilweise auch den Cultural Stu123 dies zugrunde liegt , hüten sollte. So sind zum Beispiel in der Gruppe der Überschuldeten zwar vor allem Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss zu finden, allerdings führen die unterschiedlichen Sinnbezüge, die sie zwischen ihrer monetären Lage und ihrem kommunikativen Handeln herstellten, zu einer – über das Zeitungslesen hinausgehenden – sehr unterschiedlichen Organisation kommunikativer 122 Ein Medienrepertoire bezeichnet demnach das Ensemble verschiedener Medienangebote, das sich einzelne Nutzer oder Nutzergruppen vor allem vor dem Hintergrund ihrer sozialen Verortung aus dem verfügbaren Gesamtangebot zusammenstellen. Mit der Eingangsfrage zu einem typischen Medientag bekam man einen Eindruck von möglichen Schwerpunkten im Medienrepertoire, jedoch sind die Interviewdaten darüber hinaus nicht weiter belastbar. Neben der Frage nach alltagsweltlichen Orientierungen sozialer Milieus (vgl. Weiß 2001a) ist der Stellenwert interessant, den einzelne Medien innerhalb des Repertoires bekommen und – in der Weiterführung – wie sich die beispielsweise die Dominanz von einem Medium auf die Internalisierung monetären Wissens auswirkt. Schenk findet – bezogen auf die Thematisierungsfunktion von Massenmedien – allerdings keine Unterschiede hinsichtlich verschiedener Mediennutzungstypen (vgl. Schenk 1995: 196ff.). 123 Vgl. zur Kritik an der Position Bourdieus Kapitel 3.3.3.3. Friedrich Krotz sieht auch bei den Cultural Studies eine Dominanz der materiellen Basis und gesellschaftlichen Positionierung, die die Besonderheiten individueller Identitätskonstruktionen außer acht lässt (vgl. Krotz 1999: 123f.).
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Episoden. So ist die hohe Bedeutung, die Helga S. den Gesprächen über ihre Verschuldung mit ihrem Schuldnerberater und ihrem familiären Umfeld einräumte, im Rahmen einer Konversion zu werten, innerhalb derer sie zu einer neuen (Teil)Identität findet. Die 23jährige Kerstin M. suchte in dieser Hinsicht täglich in Online-Foren und Chats Gleichgesinnte und Geschichten von ehemaligen Schuldnern, die ihre Vergangenheit erfolgreich bewältigt haben. Evi und Uwe B. dagegen „begnügten“ sich mit der Wirklichkeitsversicherung ihrer Schuldneridentität durch Massenmedien und der Legitimierung ihres Weltbildes als Benachteiligte. Auch Hermann K. und Christa S. gehören sozialstrukturell gesehen einem ähnlichen Milieu an. Während sie jedoch ihre Identität als Hobby-Börsianer durch eine routinemäßige intensive Zeitungsnutzung bestätigt, reicht ihm der tägliche Blick in „seine“ Zeitung, um versichert zu sein, dass es mit dem Profitstreben der Konzerne „immer schlimmer“ wird und die Börse an sich verabscheuungswürdig sei. Während einige Befragte in Ratgeberartikeln Lösungsvorschläge für Probleme monetären Handelns ansahen, deklarierten andere dieses Material als Beeinflussung und Werbung. Im Falle von Ute S. liegt es nahe, einen Zusammenhang zwischen ihrer in hohem Grade instrumentalisierten und stark am Thema Umgang mit Geld interessierten Mediennutzung und ihrer Herkunft aus einer Kaufmannsfamilie und der daraus resultierenden Freude am Umgang mit Geld zu suchen. Weiterhin ist ein Fall wie Friedrich A. interessant, dessen Nichtnutzung von Tageszeitungen bzw. allgemeinen Informationen zum Thema Wirtschaft nicht mit Politikverdruss oder mangelnder Selbstwirksamkeit erklärt werden kann, wie dies die Zusammenführung eines Tableaus sozialer Lebensumstände und Mediennutzungsmustern durch Weiß nahelegt (vgl. Weiß 2001a). Vielmehr ist Friedrich A. sehr an der Aneignung einer spezifischen Art monetären Wissens interessiert, jedoch ist er weniger auf Teilhabe an einer „allgemeinen“ Gesellschaft ausgerichtet, sondern vielmehr auf eine Positionierung in seiner Spezialkultur der Ebayer und Audiophilen bedacht. Und obwohl gesellschaftliche Diskurse wie die Schuldnerdebatte oder Altersvorsorge ihn offenkundig nicht interessieren, nimmt er doch indirekt über Gespräche mit seiner Lebenspartnerin daran teil, die „da Bescheid weiß“. Man kann vermuten, dass Menschen verschiedene Lebenswelten je nach Thema und Wichtigkeit um sich herum gruppieren und jeweils auch einen bestimmten Zugang dazu entwerfen, der bei Bedarf aktiviert werden kann. Auf der Suche nach einer Erklärung für die unterschiedlichen Rahmungen reicht der Verweis auf eine soziale Positionierung allein nicht aus. Vielmehr weisen die oben genannten Beispiele darauf hin, dass zuallererst Selbstidentifizierung und Mediennutzung zusammenhängen und Identitäten jeweils subjektive Elemente haben, die gestützt werden wollen, oder, in den Worten von Berger und Luckmann: „die subjektive Wirklichkeit ist immer an besondere Plausibilitätsstrukturen gebunden“ (vgl. Berger/Luckmann 2007: 165). Handlungsleitende Themen wie Hobbys, die Verortung in kleinen Lebenswelten
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oder biografische Settings sollten also nicht außer Acht gelassen werden. Die im Interview über Sprache und Erzählstrukturen vermittelten Einordnungen von Kommunikationsepisoden sind Ausdruck dieser Plausibilitätsstrukturen. Wird (Medien-)Kommunikation in einen Zusammenhang zur gesellschaftlichen Verteilung von Wissen in Verbindung gebracht, ist weiterhin ein Bezug zur Wissenskluft-Hypothese (vgl. als Überblick Bonfadelli 2007) zu diskutieren. Vor allem nach der mikrotheoretischen Modifikation der Ausgangshypothese124 lassen sich die empirischen Befunde durchaus im diesem Lichte betrachten: So haben Personen mit hohem sozioökonomischen Status nicht in jedem Fall ein ausdifferenziertes Wissen über monetäre Dinge; da jeweils ganz unterschiedliche Motivationen zur Aneignung von Wissen führen. Auch hier führt eine Konkretisierung des Wissensbegriffes zu einer notwendigen Betrachtung von Kommunikations-Rahmen: Zwar war auch bei Befragten mit hohem sozioökonomischen Status durchaus ein geringes Faktenwissen bzw. eine geringe Motivation zur Aneignung solcher Wissensbestände zu bemerken, allerdings verfügten diese Personen über explizites Rahmenwissen, das als Strukturwissen bezeichnet werden kann (vgl. Jäckel 2005: 275f.). So konnten eben die Börsianer darüber referieren, in welcher Tageszeitung sich welche Informationen finden ließ, welche Internetseite was bietet, wie man Absenderkategorien unterscheidet, von Christian S. und anderen konnten Personen benannt werden, die Spezialisten in verschiedenen Themen sind und die man – bei Bedarf – befragen konnte. Von besonderem Belang erscheint mir hier der Rahmen der Recherche, der eben erst bei entsprechender thematischer Relevanz zum Einsatz kommt, und der lediglich bei Personen mit hohem sozioökonomischen Status identifiziert werden konnte. Hier wurde dieser Rahmen nur für die Tageszeitung illustriert, weitere Ausdifferenzierungen für Episoden von computervermittelter Kommunikation sind sinnvoll. Schließlich wurden mit OnlineTransaktionen auch monetäre Praktiken im Wandel betrachtet, deren Anwendbarkeit durchaus auch einen ökonomischen Vorteil bedeuten kann. Dann kann im Zusammenhang mit der sozial ungleichen Diffusion des Internets (vgl. die These der „Digital Divide“, Groebel/Gehrke 2003) diskutiert werden, ob sich die sozio124 Diese wurde durch Tichenor, Donohue und Olien formuliert und beschreibt den Umstand, dass die bestehende soziale Schichtung der Gesellschaft im Zusammenhang mit dem wachsenden Informationsangebot der Medien zur Folge hat, dass auch das Wissen in der Gesellschaft ungleich verteilt wird. Unterschiede in der Verteilung des gesellschaftlichen Wissens verstärken sich demnach bei Zunahme der Information, da Statushöhere die Informationen schneller bzw. effektiver aufnehmen (vgl. Bonfadelli 2007: 614ff. und die dort angegebene Literatur). Später wurde die Hypothese u.a. durch Faktoren wie Problemrelevanz bzw. subjektive Betroffenheit, das vorhandene Vorwissen und die informationsorientierte Mediennutzung im Zeitablauf ergänzt. Die entsprechende Ausprägung dieser Faktoren könne zu einem Ausgleich des Wissens führen und bestehende Bildungsnachteile teilweise kompensieren.
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4 Diskussion
strukturellen Unterschiede im Zugang und in der Nutzung des Internets in nächster Zeit einebnen werden oder ob strukturelle Zugangs- und Nutzungsbarrieren auch längerfristig bestehen bleiben werden. Zu weiteren soziodemographischen Faktoren, die Unterschiede in den Medienrahmen erklären könnten, gehört die regionale Herkunft. Während in den Interviews mit den ostdeutschen Befragten zahlreiche Erzählungen ein bewusstes Ansprechen von Geldfragen im Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis thematisieren, wird es von den Westdeutschen als Tabuthema charakterisiert, welches nichts in der Sphäre von Freundschaftsbeziehungen zu suchen hat. Zwar konnten auch hier Belege dafür gefunden werden, dass sich Menschen kontinuierlich miteinander vergleichen und dabei auch Fragen der Geldverwendung berührt werden, doch das aktive „darüber Reden“ blieb formalen institutionellen Kontexten wie dem Gespräch mit dem Bankberater vorbehalten. Es lässt sich resümieren, dass die Ausbildung von monetärer Identität ressourcenabhängig ist, wenn sie sich in ihrer Differenziertheit auch nicht allein durch Soziotypen erklären lässt. Individuen greifen zur Aushandlung monetärer Identität in den kommunikativen Episoden auf soziale, materielle und kulturelle Ressourcen zurück, die in der Gesellschaft allerdings ungleich verteilt sind. Die soziostrukturelle Situierung ist darüber hinaus ein wesentlicher Faktor der primären Sozialisation, der über einen bestimmten Zugang zur Welt entscheidet. Knoblauch konstatiert: „Nicht nur nimmt die Kommunikation zu, die ‚kommunikative Kompetenz’ von Personen wird für ihre Lebenschancen immer bedeutsamer, und in den Abläufen und Entscheidungen der verschiedensten Organisationen gewinnt die Fähigkeit zur Kommunikation einen immer höheren und immer höher eingeschätzten Wert.“ (Knoblauch 1996: 19f.).
In diesem Sinne ist das (Meta-)Wissen über Rahmen von Kommunikation als die Kompetenz zur Aneignung von Wissen in unterschiedlichen Organisationsformen eine Voraussetzung dafür, um als Individuum des sich ausdifferenzierenden Wissens zu begegnen.
4.4
Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
Wie gezeigt wurde, lässt sich die Ausbildung monetären Wissens größtenteils als sekundäre Sozialisation kennzeichnen; fundamental identitätsverändernde Episoden sind selten, kommen aber vor (wie sich am Beispiel von Helga S. abzeichnet). Liest man die kommunikativen Episoden, innerhalb derer fortlaufend die monetäre Identität bestätigt bzw. leicht variiert wird, als Sozialisationsprozess, lässt sich eine Anbindung des subjektiven Wissens (d. h. der identitätsspezifischen Handlungsorientierungen) an das gesellschaftliche Wissen konstatieren:
4.4 Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
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„Als ‚erfolgreiche Sozialisation’ sehen wir ein hohes Maß an Symmetrie von objektiver und subjektiver Wirklichkeit (und natürlich Identität) an. Umgekehrt muss demnach ‚erfolglose Sozialisation’ als Asymmetrie zwischen objektiver und subjektiver Wirklichkeit verstanden werden“ (Berger/Luckmann 2007: 175).
Was Symmetrie und Asymmetrie in komplexen Gesellschaften bedeutet, ist allerdings zu diskutieren. So konstatieren Berger und Luckmann selbst, dass in einfachen Gesellschaften, in denen Identität in hohem Maße vordefiniert ist und einen Zwangscharakter hat, ein hohes Maß an Symmetrie herrscht (vgl. Berger/Luckmann 2007: 175). Sobald sich jedoch mit der Arbeitsteilung verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen herausbilden, differenziert sich gesellschaftliches Wissen aus und es bilden sich Kontrastidentitäten. Jede dieser Gruppierungen vermittelt dann – befördert durch einen eigenen Sozialisationsprozess – eine eigene objektive Wirklichkeit. Die Existenz verschiedener Wirklichkeiten wird lediglich dann zum Problem, wenn eine Konkurrenz der Wirklichkeitsbestimmungen besteht. Am empirischen Material zeigte sich dieses beispielhaft im Falle von Katja M., deren Bemühungen, mit Hilfe der Schuldenberatung ihre Schulden abzubauen mit den innerhalb ihres Freundeskreises geltenden Normen kollidierten. Die Konkurrenz dieser Realitäten war so stark bzw. betraf fundamentale Dinge der Lebensgestaltung, dass eine Entscheidung zwischen den Gruppen zu treffen war, um eine kohärente Identität aufrechtzuerhalten. Vor diesem Hintergrund kann man die Ausgangsfrage, ob in einer Welt, die von (Medien-)Vielfalt geprägt ist, überhaupt noch die Ausbildung eines gemeinsamen Wissens und damit anschlussfähiger Identitäten möglich ist, in zwei Dinge unterscheiden: die Möglichkeit der Herstellung einer konsistenten, in sich widerspruchsfreien Identität und die Herstellung von Anschlussfähigkeit in einer Gesellschaft, in der die Ausprägung sehr unterschiedlicher Identitäten möglich ist. 4.4.1
Konsistenz oder Widerspruch?
Zum ersten Fragekomplex, der Herstellung einer konsistenten vs. einer fragmentierten Identität, lagen mit der Meadschen Theorie und den Cultural Studies zwei unterschiedliche Antwortmöglichkeiten vor. Während der symbolische Interaktionismus vom letztlich erfolgreichen Versuch des Individuums ausgeht, verschiedene Bausteine zu einem konsistenten Selbst zusammensetzen, konzipieren die Cultural Studies Identitätsarbeit aufgrund der Vielfalt von Lebenswelten und Identifikationsangebote als Fragment und Dissoziation. Gibt es die eine monetäre Identität? Oder ist von einem „postmodernen Subjekt, das ohne gesicherte, wesentliche oder anhaltende Identität konzipiert ist“ (vgl. Hall 1994a: 182) auszugehen?
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4 Diskussion
Zunächst einmal ist zu resümieren, dass die Interviewpartner versuchten, konsistente Identitäten herzustellen. Jeder hat ein oder mehrere, mehr oder minder dominante Identitätsthemen, entlang derer die Befragten jeweils neues Material aus den kommunikativen Episoden verhandelten. So versucht z. B. Christian S. alle im Interview angesprochenen Themen (sein Interesse für Börse, seine Altersvorsorge, seine wahrgenommene soziale Positionierung, seine Haltung zur wachsenden Überschuldung in der Gesellschaft und seine Teilnahme an gesellschaftlich relevanten Praktiken wie Online-Banking) in Einklang zu bringen, wenn er anhand all dieser Themen auf eine moralische Dimension monetären Handelns zu sprechen kommt. Vor dem Hintergrund dieser moralischen Komponente konstruiert er seine Ambivalenz: Auf der einen Seite erkennt er im als unmoralisch markierten Streben nach Geld als gesellschaftlichem Prinzip einen Werteverfall, auf der anderen Seite versucht er, mit der solcherart gekennzeichneten und verurteilten „Geldorientierung“, Schritt zu halten, indem er sich Wissen über monetäre Praktiken aneignet und sich in Themen wie Altersvorsorge einklinkt. Diese Zerrissenheit lässt sich jedoch auflösen, wenn man Habermas sowohl in dem Bezug auf gesellschaftliche Werte und Diskurse als auch in dem Versuch, mit den eigenen Praktiken am Ball zu bleiben und „richtig“ zu handeln, einen Typ normorientierten Handelns erkennt (vgl. 125 Habermas 1981b: 132ff.) : Der Geltungsanspruch der diesem normorientierten Handlungstyp unterlegt ist, ist die Richtigkeit des Tuns, es wird versucht, die Legitimität des eigenen Handelns aus Prinzipien allgemeiner Geltung abzuleiten. Christian S. versucht also, sich in den kommunikativen Episoden Wissen um das Richtige im Sinne von Normkonformität anzueignen. Die Gewissenhaftigkeit, mit der er dabei vor sich geht (wenn er z. B. alle Zeitungsartikel zum Thema Altersvorsorge ausschneidet und sammelt), wird von Habermas als korrespondierende Dimension dieses Selbstkonzeptes genannt, neben Anstand und Würde, die sich z. B. darin äußern, dass er postuliert, dass Geld immer nur Mittel zum Zweck sein dürfe. Dennoch versucht Christian S. der von ihm festgestellten und negativ bewerteten Orientierung am Eigennutz durch die Mitglieder der Gesellschaft selbst gerecht zu werden, scheint sich dabei jedoch unsicher und lässt diese Stelle letztendlich offen. Ute S. ähnelt Christian S., wenn sie im Zusammenhang mit monetären Themen oft auf gesellschaftliche Normen zu sprechen kommt, die das Geldhandeln (in diesem Falle negativ) bestimmen. Zwar leitet sie aus dieser gesellschaftlichen Orientierung für sich auch Prinzipien monetären Handelns ab, die ebenfalls mit den Dimensionen Anstand, Würde und Gewissenhaftigkeit im Selbstkonzept korres125 Das normorientierte Handeln ist einer von drei Handlungsbegriffen, die Habermas nach verschiedenen Sinnbezügen von Aktor und Welt aus der Theoriegeschichte herausarbeitet. Die beiden anderen bestehen im strategischen, d. h. erfolgsorientierten und im dramaturgischen Handeln, welches von Weiß als „Handeln als Selbstverwirklichung“ übersetzt wird (vgl. Weiß 2005: 63; Habermas 1981b: 126ff.)
4.4 Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
325
pondieren (Geld nur als Mittel zum Zweck, zuviel Geld verdirbt den Charakter, Kultur ist wertvoller als Geld), andererseits setzt sie auch Elemente erfolgsorientierten Handelns um. Dieses Handeln aus Eigennutz beansprucht vor allem Wirksamkeit (vgl. Habermas 1981b: 130f.) Medien wie die Tageszeitung und das Internet stellen für sie eine selbstverständlich nutzbar gemachte Quelle der Orientierung dar, die ihr Optionen zum Handeln als Befriedigung individueller Interessen eröffnen. Ihr Selbstkonzept ist damit auch gekennzeichnet vom Streben nach Tüchtigkeit. Kompetenz, die sich hier lesen lässt als der richtige Umgang mit diesen Angeboten, ist nicht nur Mittel des Erfolges, sondern auch eine Auszeichnung ihrer Person. Da Ute S. ihren Umgang im Geld vor allem vor dem Horizont ihrer Familie behandelte und in diesem Sinne als Beziehungsthema sah, kann man annehmen, dass die Differenz zwischen Normorientierung und Eigennutz darin ihre Auflösung findet. Sie kümmert sich eben nicht für sich, sondern aus Sorge für die Familie. Darüber hinaus behandelt sie den Umgang mit Geld nie nur als Aufgabe, die im Zuge einer klaren Rollenverteilung an sie gefallen ist, vielmehr gebraucht sie in ihren Redebeiträgen Familie als Ort gemeinsamer Prinzipien und gemeinsamer Identität, der neben einer affektiven Vergemeinschaftung auch durch monetäre Beziehungen hergestellt wird. Auch im Falle von Christa C. lässt sich ein übergeordnetes Thema ausmachen. Neben einem grundsätzlichen Interesse an gesellschaftlichen Diskursen sieht sie die Aneignung monetären Wissens als Entwicklung von Fähigkeiten an, die zum einen eine Aufwertung des Selbstwertgefühls aufgrund der erfolgreichen Aneignung eines neuen gesellschaftlichen (Spezial-)Wissensbereichs darstellen und es zum anderen möglich machen, konkreten Nutzen aus objektiv vorhandenen Institutionen wie z. B. der Börse zu schlagen. Monetäres Handeln stellt sich in ihrer Lesart als Selbstverwirklichung dar, als Ausdruck ihrer Identität und in Übereinstimmung mit Prinzipien der Selbstverantwortung und der ständigen Weiterbildung. Damit können ihre Erzählungen und Redebeiträge als Realisationen der Identitätsthemen Emanzipation und Erfolg bzw. Effizienz gekennzeichnet werden. Im Anschluss an das dramaturgische Handeln bei Habermas (vgl. Habermas 1981b: 135ff.) sind Authentizität, Selbstbehauptung und Selbstbestätigung leitende Handlungsorientierungen. Außerhalb ihres Hobbys hat Christa C. jedoch wenig Kompetenz in monetären Belangen; sie bringt dies mit ihrem Selbstbild in Übereinstimmung, indem sie diese Bereiche im Interview als unwichtig definiert. Helga S. greift im Rahmen ihrer Identitätskonstruktion auf Normen zurück. Kommunikative Episoden vermitteln für sie vor allem Prinzipien von allgemeiner Geltung. Sie sieht sich jedoch in weiten Strecken nicht imstande, handelnd nach diesen Prinzipien den Anspruch auf monetären Erfolg, der die Richtigkeit ihres Tuns beglaubigen würde, einzulösen. Das Erzählen über ihre Geschichte und ihre monetären Praktiken ist ein Aushandlungsprozess, in dessen Verlauf sie ihr mone-
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4 Diskussion
täres Wissen als ungenügend darstellt und resignativ ihre mangelnde monetäre Ausstattung für die Nichtverwirklichung von Lebenszielen verantwortlich macht. Die Möglichkeit individuellen Versagens entschuldigt sie jedoch wiederum im Rückgriff auf kommunikatives Material, womit sie ihre Identität als Überschuldete in Relation zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft kontextualisiert. Gleichzeitig ist aber auch zu beobachten, wie im Laufe der Schuldenberatung ein Anspruch auf Selbstbehauptung entsteht, innerhalb dessen sie Möglichkeiten entwickelt, in ihrem begrenzten Wirkungsfeld monetär erfolgreiches Handeln umzusetzen. Insofern ist es ihr möglich, nicht nur negativ auf das Sinnmuster der Erfolgsorientierung als planvolles, eigennütziges Handelns zu referieren, sondern ihre Geschichte auch als Emanzipation darzustellen. Durch die Definition der Schuldnerberatung als neues sinnvolles Projekt kann Helga S. Kohärenz wieder bis zu einem gewissen Grade herstellen. In weiten Teilen muss ihre Identität jedoch als Ausschluss verstanden werden, da eine Teilhabe am gesellschaftlich vorherrschenden Modell monetären Erfolgs außerhalb ihrer Möglichkeiten liegt. Friedrich A. schließlich sieht sein Handeln als Selbstverwirklichung und Selbstbehauptung an. Er ist zum einen – dem Identitätsthema Erfolg bzw. Effizienz folgend – an der Realisierung monetärer Vorteile interessiert, zum anderen verkörpert er ähnlich wie Christa C. eine Ich-Orientierung insofern, als dass die Beherrschung monetärer Praktiken in engem Zusammenhang mit der Ausübung seines audiophilen Hobbys und seiner Online-Affinität steht. Insofern ist auch er in einer sogenannten kleinen Lebenswelt verortet, seine monetäre (Teil-) Identität weist vor allem Bezüge zum Lebensbereich Freizeit auf. In seinen Erzählungen fehlen Bezüge zu gesellschaftlichen Normen des Geldumgangs fast völlig; sie sind lediglich implizit vorhanden, indem er sich als reflektierter Wirtschafter präsentiert, der in der Lage ist, Preisvorteile und Einsparungen durch spezifische Online-Praktiken zu erzielen. Diese fünf Fallstudien sind Beispiele für die episodenübergreifende Verhandlung von Identitätsthemen. Wie gezeigt wurde, lassen sich diese gut auf die drei von Habermas herausgearbeiteten Sinnorientierungen des strategischen, dramaturgischen und normorientierten Handelns zurückführen. Während Habermas diese analytisch sauber trennen konnte, treten sie hier fast immer in Mischform auf. Dabei entstehen durchaus Konflikte, die durch die Vermeidung von Festlegungen in bestimmten Bereichen bzw. durch das Ausprobieren verschiedener Identitätsbausteine ausgetragen werden. Gespräche mit Familie, Freunden, mit Beratern, Zeitungsausschnitte tragen immer ein Mosaiksteinchen zur Ausformung eines Themas bei, zu dem sich das Individuum mit seinen Anschauungen und Handlungsoptionen in Stellung bringt und versucht, Kohärenz herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten. An den Interviews wurde die Redefinition von Wichtigkeiten durch Verdrängung oder bewusstes Infragestellen von Inhalten, die Begründung der Wertigkeit
4.4 Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
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und die Herstellung eines Bezuges zur eigenen Person sowie die Bewertung der Gestaltbarkeit von Projekten durch die eigene Person als Strategien dieser diskursiven Identitätsarbeit innerhalb eines Identitätsthemas festgestellt. Einem Vorschlag Keupps folgend, ist Kohärenz damit weniger inhaltlich zu sehen, denn eher als prozessuales Ergebnis (vgl. Keupp 2006: 246). Es ging weniger darum, sich kommunikativ diejenigen Inhalte anzueignen, die sich widerspruchslos in das Identitätsthema fügten, die also bereits bekanntem Wissen entsprechen und mit diesem harmonierten. Vielmehr hinterfragten alle Beforschten die im Rahmen ihrer Identitätsrekonstruktionen verhandelten Themen in Hinblick darauf, ob sie aktuell zu ihnen passen, welche Deutungsmuster, Diskursthemen, Topoi im Rahmen ihrer Entwicklung „Sinn machten“. Damit können wie im Fall von Christian S., der die Geldanlage am Kapitalmarkt als gesellschaftlich verwerflich verurteilt, aber dennoch zu realisieren versucht, durchaus ambivalente und kontingente Sinngehalte integriert werden, wenn sie im Interview als Moment der Identitätskonstruktion authentisch, d. h. sinnfällig sind und sich einem Leitthema unterordnen lassen (und nicht notwendigerweise widerspruchsfrei zuordnen lassen). Monetäre Identitäten haben also immer eine offene Struktur. Neben den Identitätsthemen können Umgangsformen mit Wissen als zweites Mittel der Herstellung von Kohärenz interpretiert werden. Als solche wurden Rahmen von Kommunikation ausgemacht, die als Prämissen für die Wahrnehmung einer Situation definiert wurden. Indem sich gleichartige medial vermittelte als auch unvermittelte kommunikative Handlungen zu einem Handlungsmodell verfestigen, kann es – sofern es sich bewährt hat – in Zukunft wiederholt werden. Am Interviewmaterial zeigte sich, dass es z. B. in der Unterhaltung einer Familie typisierbare Episoden gibt, in denen spezifische Kommunikationspartner bestimmte Rollen einnehmen und Themen mit einer spezifischen Relevanz verhandelt werden. Dadurch müssen Situationen nicht jedes Mal neu definiert werden. Wichtiger noch als die Entlastungsfunktion von Rahmen ist der Umstand, dass sie der Schlüssel zur Aneignung bestimmter Inhalte sind. Es kann durchaus passieren, dass der Zugang zu bestimmten Inhalten aufgrund unpassender Rahmungen verwehrt ist, wie anhand der missglückten Aneignung der Altersvorsorgethematik durch einige Befragte gezeigt wurde. Andersherum stellt die Fähigkeit zur aktiven Aneignung von als relevant erachteten Inhalten einen wichtigen Faktor der Bewältigung der Belastungssituation dar, die durch die Multioptionsgesellschaft gegebenen ist. In diesem Umgang mit Wissen, der sich in spezifischen Rahmen niederschlägt, lassen sich nun Mitglieder von sozialen Welten voneinander abgrenzen, wie es am Beispiel der Hobby-Börsianer gezeigt wurde. Weiterhin war auch bei der Thematik der Altersvorsorge zu beobachten, dass die explizite Thematisierung des medialen Rahmens und seiner Dimensionen dazu verwendet wurde, um den Bezug von Inhalten zur eigenen Person zu erklären. Indem beispielsweise die Quelle von Infor-
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4 Diskussion
mationen ab- oder aufgewertet wird, die Art der Zuwendung thematisiert wird und eigene Suchstrategien gestaltet werden, explizieren die Befragten die Identitätsrelevanz von Inhalten. Auch Rahmen können damit als Strategien, anhand derer die Beforschten unter den Bedingungen von Vielfalt und Widersprüchlichkeit Kohärenz und Kontinuität herstellten, bezeichnet werden. Im positiven Fall wird, indem das vielfältige Material unter institutionalisierten Perspektivierungen vorgebündelt wird, einer Zerrissenheit der Erfahrungen vorgebeugt. Die Prozesshaftigkeit der Ausbildung von Rahmen verhindert weiterhin (analog zur prozessualen Identitätsausbildung entlang von Themen), dass die Individuen vollkommen „unausgestattet“ mit neuen Inhalten konfrontiert werden, vielmehr stellen vergangene Erfahrungen das Geländer für künftige dar. Dieses Geländer ist auch notwendig, stellt die Identitätsausbildung angesichts der Vielfalt der Deutungsmuster, Diskurse, Topoi etc. doch eine große Aufgabe dar. Wie das Beispiel von Christian S. oder Helga S. zeigt, finden sich durchaus widersprüchliche Elemente, die monetären Identitäten der Befragten sind nicht immer durch ein Gefühl innerer Einheitlichkeit und der Überzeugung, dass die Zukunft berechenbar und erreichbar ist (wie z. B. noch in hohem Maße für Ute S. der Fall) zu charakterisieren. Statt dessen sind mühsam aufrechterhaltene und brüchige Selbstdarstellungen häufig, die Interviews selbst können als “kontinuierliche Identitätsakte“ (vgl. Behringer 1998: 48) gelesen werden, in denen um die eigene Position gerungen wird. Dem Befund der Cultural Studies, wonach Identität sich ändert, je nachdem von welchen Diskursen die Subjekte adressiert werden (vgl. Barker 2000: 178), kann insofern zugestimmt werden. So zeigte sich Christian S. eben als moralisch wertend und gleichzeitig auf die Realisierung des eigenen Vorteils bedacht, Christa C. als Experte gegenüber dem Bereich Börse, bei sonstigen Gelddingen aber uninteressiert und, was Steuern und Versicherungen anging, sogar inkompetent. Insofern ist die Auffassung der Cultural Studies von einer postmodernen Identität, die fragmentiert ist, sicher nicht von der Hand zu weisen. Am empirischen Material zeigt sich aber auch, dass die soziostrukturelle Positionierung 126 nicht zwangsläufig mit bestimmten Formen der Identitätsausbildung einhergeht. Dem Befund der Cultural Studies, wonach Identitätsausbildung ein fortlaufendes Projekt ist, welches in Abgrenzung zu anderen Identitäten geschieht und damit stets kontextuell und vorläufig ist (vgl. Hepp 2008: 130), ist vor dem Hintergrund der Empirie zuzustimmen. Diese Sichtweise lässt sich mit Berger und Luckmann in Einklang bringen, die ebenfalls einen fortlaufenden Identifikationsprozess an126 An diesem Punkt sind die Befunde der Cultural Studies m.E. widersprüchlich; wird doch von ihnen oft eine Dominanz der materiellen Basis (bzw. anderer Merkmale wie Geschlecht) für Selbst- und Weltdeutungen postuliert; andererseits werden Identitäten multipel und zwischen gleichrangigen Elementen zerrissen konzipiert.
4.4 Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
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nehmen. Während Berger und Luckmann jedoch dabei noch von einer relativ stabilen Identität ausgehen127, entspricht die kontextuelle und vorläufige Konzeption von Identität mehr den aktuellen Gegebenheiten, in denen Festlegungen vermieden werden müssen und Erfahrungen von Identitätsdiffusion das Bedrohliche zu nehmen ist, sie einzubinden und sie ins Positive zu wenden sind (vgl. Behringer 1998: 214f.). Allerdings konnte anhand der Fallstudien gezeigt werden, dass a) die Individuen immer versuchen, Kohärenz herzustellen, b) dass diese in den Interviews als aktuelle Identitätsrekonstruktion (in mehr oder weniger starkem Maße) auch hergestellt werden kann und c) dass sich die Ausformung bestimmter Identitäten in kommunikativen Episoden nicht auf ein essentialistisches Merkmal zurückführen lässt. Zusammenfassend lässt sich der Widerspruch zwischen den Perspektiven der Cultural Studies und des Symbolischen Interaktionismus auflösen, in dem man ihn auf eine Diskussion über die Qualität von Kohärenz zurückführt. Begreift man diese nicht als widerspruchsfreie Einheitlichkeit und Stabilität, sondern als komplexe Form, deren Fähigkeit zur Verarbeitung an Dissoziationserfahrungen historisch veränderlich ist (vgl. Keupp 2006: 91), wird man beiden Perspektiven gerecht. Insofern lässt sich das Material als Darstellung empirisch vielschichtiger Situationen lesen, als unterschiedlich gerahmte Abschnitte mit nicht immer eindeutig identifizierbaren Bezügen zu anderen Situationen, die damit zeigen, dass es heterogene, aber doch typische Umgangsformen mit Wissen gibt, die ihre Ausprägung in einem Wechselspiel verschiedener Faktoren erfahren, von denen im Rahmen dieser Arbeit nur einige wie z. B. soziale Lage, Biografie, regionale Herkunft angesprochen werden konnten. Eine Formulierung Budes aufgreifend, kann damit von der „seriellen Struktur des Sozialen“ gesprochen werden, die auch die Identitätsausbildung charakterisiert (vgl. Bude 1988; Lüders 1994: 123f.; Hitzler 1992). Diese Vorläufigkeit deckt sich letzten Endes auch mit der Auffassung Goffmans, begriff er doch sowohl einzelne Identitäten als auch den sozialen Prozess von Interaktionen, der Gesellschaft erst herstellt, als vorläufiges Projekt. Interaktionen sind geprägt von Plastizität, Offenheit und Experimentartigkeit, und wenn sich doch eine Regelhaftigkeit einstellt, dann ist sie von dieser Vorläufigkeit ebenfalls mitgeprägt (vgl. 127 Vgl. hier auch die Kritik von Keller, der moniert, dass bei Berger und Luckmann Individuen als Anwender eines statisch gefassten Wissensbestandes erscheinen und so den chaotischen und konflikthaften Wissensverhältnissen nicht gerecht werden können (vgl. Keller 2005: 46). Auch wenn ich der Kritik in dieser Deutlichkeit nicht folgen möchte, da es Berger und Luckmann vor allem um eine grundlegende theoretische Ausarbeitung des Prozesses des Entstehens von gesellschaftlichem Wissen und gesellschaftlicher Wirklichkeit ging und eine Definition seiner Elemente, so wäre es angebracht, die beiden Strategien der Wirklichkeitsbewältigung (Routine und Krise) auszudifferenzieren.
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4 Diskussion
Hettlage 1991: 100). Der Umgang mit Institutionen monetären Wissens vermittelte – wenngleich selbst als Momentaufnahme konzipiert – einen Eindruck von dieser Prozesshaftigkeit: Die Beforschten waren sich ihrer Situationsdefinitionen bzw. der Passung dieser nicht immer sicher; sie thematisierten sie und versuchten damit, sie in der Interviewsituation zu bestätigen und weiterzuentwickeln. Beispielsweise wurde an den Versuchen der Aneignung des Internets als Transaktionsmedium sehr deutlich, dass die Befragten sich bewusst waren, dass auch andere Umgangsweisen und Bedeutungen möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich waren. Die Rahmen sind durch diese Selbstreferenzialität einer ständigen Veränderung unterworfen; auf gegebene Rahmen kann man sich nicht verlassen. Deutlich wurde allerdings auch, dass Rahmen (und damit auch Identitäten) schrittweise modifiziert werden; im Rahmen der Inbesitznahme z. B. hatte man nicht nur neue Unsicherheiten wie z. B. die Unklarheit über den Absender zu bewältigen, sondern es fanden sich auch vertraute Elemente wie persönliche Empfehlungen von anderen Nutzern, Absender, die man bereits als Zeitschrift kannte, gewohnte Formen des Umgangs wie z. B. die Recherche. Insofern ist man mit dem Ansatz über die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit gut ausgestattet, um Prozesse der Vermittlung von Wissen in Lebensbereichen, wie es das Monetäre darstellt, konzeptionell zu erfassen. Angesichts der festgestellten Prozesshaftigkeit ist allerdings die Offenheit solcher Identitätsausbildungen stärker zu betonen.128 So spricht Bude von einer Entmaterialisierung und „Verflüssigung“ des Sozialen (vgl. Bude 1988: 4ff.) Die Dialektik zwischen objektiven Bedingungen und subjektiven Interpretationen ist damit nicht länger eine ineinander mehrfach verschränkte Wechselwirkung zwischen zwei Seiten, vielmehr existiert ein „äußerst flüchtiges Feld von Wechselbeziehungen“ (vgl. Hettlage 1991: 98) es müssen immer wieder neue Verbindungen hergestellt werden, die sich sogleich wieder verändern. Insofern sind auch die Rahmen im Sinne der Arbeit partielle und momentane Verfestigungen bzw. Institutionalisierungen, die im Fluss begriffen sind. Als solche besitzen sie aber den Charakter von Schlüsselstellen, da sich aus ihnen ein spezifisches Verständnis der Wirklichkeit und ein spezifischer Bezug zum eigenen Identitätsprojekt entfaltet.
128 Vgl. auch hier die Kritik von Keller, der anmerkt, dass bei Berger und Luckmann Individuen als Produzenten und Anwender von statisch gefassten Wissensbeständen erscheinen, womit „Suggestionen von Stabilität, Konsistenz und Kohärenz [einhergehen, P.K.], die den komplexen, chaotischen und konflikthaften Wissensverhältnissen in modernen Gesellschaften kaum angemessen erscheinen“ (vgl. Keller 2005: 46).
4.4 Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
4.4.2
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Erfolgsorientierung als gemeinsamer Sinnbezug monetärer Identitäten
Während mit Identitätsthemen und Rahmen in den vorangegangenen Abschnitten bereits zwei Prinzipien ausgemacht wurden, die darauf hinweisen, dass Identitätsausbildung auf Kohärenz gerichtet ist, kann der zweite Fragekomplex nach der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit von Identitäten ebenfalls in Hinblick auf das Konsistenz-Argument beantwortet werden. Obwohl sich am empirischen Material voneinander abweichende monetäre Handlungsorientierungen zeigen, die innerhalb unterschiedlich gerahmter kommunikativer Episoden herausgearbeitet werden, lässt sich doch mit Hilfe der dokumentarischen Methode ein gemeinsamer, wenn auch unterschiedlich realisierter Bezug auf einen Erfahrungsraum herstellen. Erfahrungsräume werden dabei als Orte gedacht, innerhalb derer sich kollektive Wissensbestände herausbilden. Diese Erfahrungsräume, von Mannheim als spezifische, von einer Gemeinschaft getragene Anordnung „atheoretischen Wissens“ charakterisiert, das bestimmten Erfahrungen vor dem Hintergrund von Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte, biografischen Erlebens und des Schicksals Sinn verleiht (vgl. Mannheim/Kettler 1980: 241), lassen sich nun in Analogie zum Begriff der symbolischen Sinnwelt bei Ber129 ger und Luckmann denken. Symbolische Sinnwelten stellen die umfassendste Legitimation des Handelns dar, sie werden durch die gesellschaftliche Ordnung gebildet, sie integrieren verschiedene Sinnprovinzen des Alltags und geben damit übergreifend Sinn (vgl. Berger/Luckmann 2007: 102ff.). Für die vorliegende Arbeit kann mit der Erfolgsorientierung eine solche Integrationsmöglichkeit, ein gemeinsamer Erfahrungsraum gefunden werden. Zwar ist dieser Sinnbezug nicht so allumspannend wie eine symbolische Sinnwelt nach Berger und Luckmann, da es Bereiche gibt, die explizit von diesem Sinnbezug ausgenommen sind bzw. als Gegensatz entworfen werden (z. B. der Bereich der Liebe), alle in der Arbeit besprochenen Ausschnitte institutionalen Handelns können jedoch in dieses Sinnschema eingegliedert werden und erhalten damit eine intersubjektive Legitimation. In diesem Sinne kann durch die Rekonstruktion von unterschiedlich realisierten Bezügen auf einen zentralen Wissenskomplex das Ziel der dokumentarischen Methode eingelöst werden und ein Bezug aller Befragten auf ein Sinnmuster festgestellt werden. Mit der Erfolgsorientierung ist eine Grundfigur des Handelns in unserer Gesellschaft benannt, die das Streben nach individuellem Erfolg, die Realisierung eines 129 Die Konzeption des Erfahrungsraums im Sinne Mannheims lässt sich darüber hinaus mit dem wissenssoziologischen Verständnis von Kollektivität (es kann keine kollektive Identität geben, siehe Berger/Luckmann 2007: 185) insofern vereinbaren, als dass die symbolische Sinnwelt als gesellschaftliche Tatsache ebenfalls von den Befragten als exterior und zwanghaft erfahren wird (vgl. Bohnsack 2000: 127). Erfahrungsräume stellen in dieser Lesart also kulturelle Orientierungen und als solche grundlegende gesellschaftliche Wissensbestände dar.
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4 Diskussion
Eigennutzes unter Wahrnehmung von „Gelegenheiten“ beschreibt.130 Das Subjekt nimmt seine Tätigkeit – zum Beispiel das Zeitungslesen oder die Recherche im Internet – als vorgegebenen Einsatz wahr, der als Preis vor dem erstrebten persönlichen Ertrag steht. Mit dieser Denkfigur, in deren Mittelpunkt die Selbstbehauptung steht, lässt sich nicht nur instrumentell-berechnendes Handeln legitimieren, sondern auch eine werteorientierte Interpretation, wie sie den Rahmen des „Oben vs. unten“ oder der interessengeleiteten Teilhabe, die Nachrichten über die Börse bewusst vermeidet, eigen ist. So wird ein kontinuierliches Interesse an Nachrichten aus Politik und Wirtschaft dadurch begründet, zu erfahren, inwiefern die gesellschaftliche Wirklichkeit stabil ist und dem eigenen Lebensentwurf Entfaltung garantiert. Damit begreift sich auch ein Zeitungsleser, der kopfschüttelnd die zunehmende Bedeutung der Kapitalmärkte zur Kenntnis nimmt, als legitimierter Teilhaber am Prozess gesellschaftlicher Selbststeuerung. Auch in der unterschiedlichen Einordnung von Ratschlägen im Freundeskreis durch Ost- und Westdeutsche lässt sich beispielhaft eine unterschiedliche Bezugnahme auf die symbolische Sinnwelt des Erfolgsstrebens erkennen. Für Ostdeutsche stellt das Paradigma der individuellen Selbstbehauptung, in dem individuelles Handeln den Unterschied macht, eine relativ neue symbolische Sinnwelt dar. Im Rückgriff auf Gemeinsamkeiten zu Menschen mit Kollegen und Freunden mit dem gleichen kulturellen Hintergrund (und in Weiterführung des „Tippgebens“ als weit verbreitete Praktik der DDR-Lebenswelt) erproben sie diese symbolische Sinnwelt und werden ihrer Unsicherheit gerecht. Solange nun dieser – zwar unterschiedlich realisierte, aber doch verbindliche – Bezug auf eine symbolische Sinnwelt vorhanden ist, lässt sich eine gesellschaftliche Anschlussfähigkeit der unterschiedlichen Identitätsartikulationen konstatieren. Während in der Arbeit zunächst subjektive Rahmen erforscht wurden, können, von der Sozialität von Kommunikation ausgehend, Rahmen als Prinzip nicht nur der Herstellung subjektiver, sondern auch gesellschaftlicher Konsistenz charakterisiert werden. So konstatiert Goffman, dass Menschen aufgrund der Sozialität kultureller Rahmen über grundsätzlich dasselbe Rahmenrepertoire verfügen, dieses bildet die die Bedingung der Möglichkeit von Handlungsorientierung und Ver131 ständigung überhaupt (vgl. Goffman 1977: 32). Das empirische Material beinhal130 Vgl. auch die Charakterisierung der „Leistungsgesellschaft“, die Miebach als symbolische Sinnwelt für das Handeln in Wirtschaftsunternehmen entwirft (Miebach 2006: 371) und die Figuration „Chance-Einsatz-Tüchtigkeit“ bei Weiß (Weiß 2001b: 149 ff.) 131 Inwieweit die hier festgestellten Rahmen als „kommunikative Traditionen“ (vgl. Knoblauch 1996: 18f.) gelten können, die in der Lage sind, ein zunehmend schwindendes gemeinsames Hintergrundwissen gesellschaftlicher Gruppierungen zu ersetzen, könnte Gegenstand einer breiter angelegten Studie sein, in der auf die von Berger und Luckmann mit entworfene gesellschaftliche Seite der Wissens- und Realitätsproduktion fokussiert wird.
4.4 Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
333
tet zumindest Indizien, die auf die Intersubjektivität der Rahmen hinweisen: So wurden bei den Hobby-Börsianern gruppenspezifische Rahmen festgestellt, mit denen sie sich von anderen Gruppen wie Laien oder professionellen Börsenhändlern unterschieden. Familienmitglieder wie Henrik und Herbert G. rekurrierten ebenfalls auf gemeinsame Rahmen. Mit den Rahmenmerkmalen konnten bei allen Befragten die gleichen rahmenkonstitutierenden Elemente ausgemacht werden. Und nicht zuletzt setzen die unterschiedlichen Bezugnahmen auf kommunikative Episoden (als Argumentation, Erzählung oder Beschreibung) in den Interviews ein in unterschiedlichen Ausmaßen geteiltes Wissen über die Organisation kommunikativen Geschehens voraus. Der Wandel dieses Rahmenrepertoires lässt sich nun beispielsweise an der Aneignung bestimmter Formen der Transaktionskommunikation beobachten. Zwar wurde kein Längsschnittdesign gewählt, mit welchem man solche Veränderungen hätte nachweisen können, liest man jedoch die unterschiedlichen Kompetenzen der Beforschten im Online-Bereich als Entwicklungsschritte solcher Formen, kann man anhand der Fallstudien vermuten, dass Rahmen sich wandeln und damit den Zugang zu neuem Wissen darstellen. Gerade am Beispiel der Online-Transaktionen zeigt sich, dass das Sinnmuster der Erfolgsorientierung sich nicht nur inhaltlich, d. h. in Grundfiguren des Denkens niederschlägt, sondern auch an Handlungen, d. h. an Rahmungen von Kommunikation sichtbar wird. Wenn mit einer Kommunikationsstruktur wie dem Internet potenziell Informationen erhältlich sind, die den Markt transparenter machen, dann ist es unter der Prämisse der Erfolgsorientierung dem Individuum geboten, sich Formen des Zugangs anzueignen, um diese Informationen nutzbar zu machen. Aber auch andere Formen von Kommunikation, wie beispielsweise Zeitungsartikel, die auf ihre individuelle Nutzbarkeit hin gelesen werden, weisen einen Bezug zu diesem Sinnmuster auf. So gibt das empirische Material Anlass zur Vermutung, dass kommunikative Institutionen Teil des Wandels monetären Wissens sind bzw. mit diesem Wandel Schritt halten. Zusammenfassend lassen sich also mit den Identitätsthemen, den Rahmen von Kommunikation und dem Bezug auf das Sinnschema der Erfolgsorientierung drei Strategien beschreiben, mit denen sowohl eine Kohärenz subjektiver Identitäten als auch ihre gesellschaftliche Anschlussfähigkeit hergestellt wird.
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4 Diskussion
Identitätsthemen
Rahmen
Erfahrungsraum/Sinnwelt
individuelle Ebene
Ebene der kleinen Lebenswelten
gesellschaftliche Ebene
Abbildung 11: Drei Strategien der kommunikativen Herstellung von Konsistenz
Alle drei Strategien stellen unterschiedliche Ebenen der Sozialität her: Während die Identitätsthemen, zu denen angeeignetes monetäres Wissen in Bezug gesetzt wird, individuell ausgeprägt sind, konnte für einige Rahmen gezeigt werden, dass sie zumindest von den Mitgliedern bestimmter Lebenswelten geteilt werden. Da alle Befragten in unterschiedlicher Weise auf die Sinnwelt der Erfolgsorientierung Bezug nahmen, wird im Ergebnis der Arbeit hier eine verbindende gesellschaftliche Ebene konstatiert. Obwohl das empirische Material darauf hinweist, dass die kleinen Lebenswelten in Bezug auf ihr „Sinngehäuse“ (vgl. Knoblauch 1996: 13) sehr stark und spezifisch ausgeprägt sind, ist mit dem Hinweis auf das Sinnmuster der Erfolgsorientierung Benita Luckmann zu widersprechen, die von einer „transcendentia interrupta“ sprach, in der es aufgrund fehlender Institutionen und Deutungssysteme keine Anbindung der pluralisierten Lebenswelten mehr an die gesellschaftliche Ordnung gibt (vgl. Luckmann 1978: 279). Indem man von einer angestrebten Anschlussfähigkeit zwischen objektiver und subjektiver Realität im Konzept der monetären Identität ausgehen kann, ist auch von einer strikt negativen Lesart der eingangs aufgezeigten gesellschaftlichen Wandlungsprozesse abzusehen. Statt einer generellen Ohnmacht der Handelnden oder einem grundlegenden Wissensdefizit ist zu vermuten, dass mit den Wandlungsund Vervielfältigungsprozessen des objektiven Geldwissens auch eine Veränderung des subjektiven Geldwissens einhergeht, die sich nicht nur in gewandelten Identitätsthemen, sondern auch in der Ausbildung neuer Rahmen und kommunikativen Handlungsmöglichkeiten äußert. Allerdings treten mit der Ausdifferenzierung monetären Wissens und seiner Verteilung unterschiedliche Wirklichkeiten miteinander in Konkurrenz. So kann es zu Problemen im sekundären Sozialisationsprozess
4.4 Monetäre Identität und gesellschaftlicher Wandel
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kommen, wenn z. B. die subjektive Aneignung gesellschaftlich anerkannter Lebensentwürfe (z. B. als Statusdenken) im Widerspruch zu strukturellen Gegebenheiten (z.8B. Geldknappheit und institutionalen Bewältigungsmöglichkeiten) steht und die „Kapazitätsstruktur personaler Bewältigungsmöglichkeiten“ (vgl. Hirseland 1999: 220) erschöpft ist. Hier wirken sich erodierende informell-naturwüchsige Formen wechselseitiger Unterstützung und gemeinsam geteilter Lebenszusammenhänge als Orientierungs- und Entscheidungsproblem aus, welches in einer zunehmenden Verschuldung resultieren kann. Im vorliegenden empirischen Material kann man so z. B. eine Diskrepanz zwischen familiär vermitteltem monetären Wissen und den inhaltlichen Bezügen der massenmedialen Diskurse erkennen. Ebenso können von ein und demselben generalisierten Anderen unterschiedliche Realitäten verlautbart werden, deren unterschiedliche Bezüge nicht für jeden erkennbar sind (Medien sind sowohl ein Ort für Werbung und halten zum Konsum an, diskursivieren aber auch eine Debatte um Konsumismus). Dies führt dazu, dass der Einzelne die daraus resultierenden Fragen eben nicht mit seinem vorhandenen Wissen decken kann, sondern sich neue Quellen suchen und damit auch neue kommunikative Kompetenzen aneignen muss. Rahmen, die einem das Einordnen von Informationen möglich machen, das Umwandeln von Weltwissen in Positionierungen, werden in dieser Perspektive umso wichtiger. Wenn in einer vielfältigen Realität auch das Gefühl für die Relativität dieser Welten zunimmt (vgl. Berger/Luckmann 2007: 184) dann sind weniger die Inhalte wichtig, sondern vielmehr der Umgang mit ihnen, damit Individuen in ihrer Identitätskonstruktion verschiedene, an sich widersprüchliche Handlungen vereinen können.
5 Zusammenfassung
Die Arbeit fragte nach der Rolle von Kommunikation, insbesondere von Medienkommunikation, für die Aneignung monetären Wissens in einer Umwelt, die durch Individualisierung und Medialisierung geprägt ist. Dabei ging es vor allem darum, unter einem kommunikationswissenschaftlichen Blickwinkel explorativ den Bereich monetären Alltagshandelns zu erschließen. Monetäres mit seinen vielfältigen Themenaspekten und Handlungsanforderungen wurde zunächst in Anlehnung an moderne Identitätstheorien als Teilbereich des Alltags aufgefasst, der zur Ausprägung einer monetären Teilidentität führt. Kommunikation wurde in einem interaktionistischen Verständnis als der grundlegende Mechanismus zur Ausbildung dieser Identität vorausgesetzt und ist im Anschluss an phänomenologische und sozialkonstruktivistische Ansätze als Vermittlung zwischen dem subjektiven und gesellschaftlichen Wissen zu denken. Die sozialkonstruktivistische Sichtweise weiterführend, erfolgt diese Vermittlung innerhalb von verfestigten Strukturen, die als Institutionen bezeichnet werden können. Ein Blick auf diese Strukturen könnte, so der theoretische Ansatz der Arbeit, Aufschluss über identitätsrelevante Problemstellungen, Abläufe der Aneignung und die Relevanz verschiedener Kommunikationsarten wie Face-to-Face-Kommunikation und öffentlicher Kommunikation für die Identitätsausbildung geben. Schlussendlich stellte sich die Frage, ob man überhaupt noch vom Idealbild einer einheitlichen Identität in der Multioptionsgesellschaft ausgehen kann. Auf die theoretische Konzeption des Untersuchungsgegenstandes mit Hilfe von Ansätzen des interpretativen Paradigmas baute eine empirische Analyse in der Tradition der dokumentarischen Methode auf. Mit dieser Methode der Sinnauslegung, die auf 30 problemzentrierte Interviews mit längeren narrativen Strecken angewendet wurde, wurde versucht, der Organisation der kommunikativen Aneignung monetären Wissens im Rahmen einer Identitätsausbildung auf die Spur zu kommen. Die empirische Analyse machte deutlich, dass Menschen versuchen – der Zerrissenheit der modernen Gesellschaft zum Trotz – ihr monetäres Handeln und ihre auf Monetäres bezogenen Wertvorstellungen in Einklang zu bringen und ein konsistentes Weltbild auszuprägen. Medien sind, zusammen mit signifikanten und sonstigen Anderen, Agenten sekundärer Sozialisation. Sie liefern Themen als Bausteine, die auf das Fundament passen, das in Episoden interpersonaler Kommunikation gelegt wurde. Als dieses Fundament – und damit als ein Mittel, Kohärenz
338
5 Zusammenfassung
herzustellen – konnten Identitätsthemen ausgemacht werden. Die Eigenständigkeit monetären Handelns, die Ausstattung mit individuellen Handlungsoptionen, der Grad der Orientierung auf wirtschaftliche Effizienz, Geldhandeln als moralische Kategorie und Geld im Horizont der Beziehung stellen thematische Perspektiven des Monetären dar, auf die der Mensch Neues bezieht und einordnet. Medien sind im Rahmen der Identitätsausbildung entlang von Identitätsthemen wichtig, da sie mit ihren Botschaften „Blickwinkel“ eröffnen, Aufmerksamkeit lenken, gedankliche Konstrukte aktivieren und so bestimmte Vorstellungen von Wirklichkeit bei den Rezipienten auslösen (vgl. Schenk 2007: 779) und damit, um mit Berger und Luckmann zu sprechen, einen bestimmten Ausschnitt der Realität als objektive Faktizität präsentieren. Das empirische Material gibt Hinweise darauf, dass diese Bausteine in weiteren Episoden interpersonaler Kommunikation zurechtgeschnitten und eingepasst werden. Medien sind allerdings nicht nur einfach als vorselektierende, vereinfachende und permanent auf Wahrnehmung bestimmter Realitätsausschnitte dringende Sinnangebote zu sehen, vielmehr ist es der Mensch, der in seinem Bemühen, eine kohärente Identität herzustellen, sich seine kommunikativen Episoden auf eine bestimmte Art und Weise organisiert. Diese Organisation von kommunikativen Episoden mittels Rahmen geschieht sowohl auf Basis einer strukturellen Positioniertheit aber auch aufgrund individueller Eigenschaften wie Hobbys bzw. biografischer Settings. Mit dem Konzept der Rahmen wurde eine Möglichkeit gefunden, aus der Perspektive des Subjekts zu beschreiben, wie die Aneignung relevanter Inhalte monetären Wissens vor sich geht. Sie geben Hinweise darauf, dass Menschen mit bestimmten Definitionen an eine Kommunikationssituation herangehen, dass sie eine Vorstellung von dem haben, was im Verlaufe dieser Situation geschieht, wie sie und andere an dieser Situation teilnehmen, was in dieser Kommunikationssituation das „Sagbare“ ist und welchen Stellenwert das Gesagte für das weitere Handeln haben wird. Empirisch wurde gezeigt, dass mit einer rekonstruktiven Herangehensweise wie der dokumentarischen Methode nicht nur externalisierbare, d.8 h. von den Beforschten formulierbare Wissensbestände erfasst werden können, sondern auch das implizite Wissen freigelegt werden kann, welches, wenn man es als Identität und damit als ein Konstrukt begreift, das emotionale, praktische und kognitive Aspekte beinhaltet, über die Frage nach kognitiven Wissenseffekten hinausgeht. Die Ausbildung von Identität als spezifische Form von Wissen ist damit zunächst zweifach bestimmt: Inhalte und Umgangsweisen mit Inhalten formen in einem kontinuierlichen und offenen Prozess die immer vorläufige monetäre Identität. Ziel ist die Herstellung individueller Sinnfälligkeit innerhalb eines Erfahrungsraumes der Erfolgsorientierung, der als ein für das Monetäre geltender gesellschaftlicher Sinnbezug beschrieben werden konnte und als dritte Möglichkeit der Herstellung von Kohärenz – diesmal als Anschlussfähigkeit auf gesellschaftlicher Ebene –
5 Zusammenfassung
339
vermutet wird. Während der Erfahrungsraum der Erfolgsorientierung als weites Sammelbecken charakterisiert ist, das als Fluchtpunkt verschieden realisierter Bezüge alle Befragten lose eint, dienen die Identitätsthemen und die Kommunikationsrahmen als individuelle und lebensweltspezifische Ausgestaltungen dieses Erfahrungsraumes.
Transkriptionsregeln und -zeichen
Vorgehensweise 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
gesamtes Gespräch transkribieren auf Wortebene gemäß deutscher Rechtschreibung verschriftlichen missverständliche Aussagen explizieren Sprecherwechsel und Absätze nummerieren Wortbeiträge mit Kürzel des jeweiligen Sprechers versehen Kommentare der Transkriptorin in eckigen Klammern setzen längere Pausen und Abbrüche markieren Daten anonymisieren statistische Informationen hinzufügen
Transkriptionszeichen […] [meiner Mutter, P. K.] • •• viellei/
Auslassung im Transkript Einfügung durch Autorin kurze Pause, Stockung längere Pause Abbruch eines Wortes oder einer Äußerung
Interviewverzeichnis
Nr.
Befragter
Alter
Familienstand
P1
Clemens B.
39
Partnerschaft
Pers. im Haus- Bildungsabhalt schluss 2
Tätigkeit
Familiennettoeinkommen (€)
HS
Selbständiger
> 3000
P2
Ute S.
54
Verheiratet
2
FHS
Angestellte
> 3000
P3
Sascha F.
30
Partnerschaft
2
Abitur
Student
< 3000
P4
Henrik G.
25
Partnerschaft
2
Abitur
Student
< 3000
P5
Christian S.
40
Verheiratet
4
HS
Angestellter
> 3000
P6
Nico W.
35
Partnerschaft
2
HS
Selbständiger
> 3000
P7
Jenny M.
41
Single
1
Promotion
Angestellte
< 3000
P8
Marianne H.
68
Verheiratet
2
HS
Rentner
< 3000
P9
Susanne M.
41
Verheiratet
4
HS
Selbständige
> 3000
P10
Maria M.
57
Verheiratet
2
Abitur
Angestellte
> 3000
P11
Ralf H.
45
Verheiratet
5
HS
Angestellter
> 3000
P12
Christoph S.
36
Partnerschaft
3
Promotion
Angestellter
> 3000
P13
Isabell H.
24
Partnerschaft
2
Abitur
Auszubildende
< 3000
P14
Herbert G.
58
Verheiratet
2
HS
Selbständiger
> 3000
P15
Christa C.
63
Verheiratet
2
Promotion
Rentner
> 3000
P16
Christiane L.
41
Verheiratet
4
HS
Beamtin
> 3000
P17
Walter H.
39
Single
1
Abitur
Selbständiger
< 3000
P18
Hermann K.
62
Verheiratet
2
HS
Beamter
> 3000
P19
Antje R.
32
Partnerschaft
2
HS
Angestellte
> 3000
P20
Helga S.
48
Geschieden
3
mitt. R.
arbeitslos
< 3000
P21
Moritz M.
24
Single
1
mitt. R.
arbeitslos
< 3000
P22
Evi B.
55
Verheiratet
2
mitt. R.
Angestellte
< 3000
P23
Uwe B.
53
Verheiratet
2
Hauptschule
Arbeiter
< 3000 < 3000
P24
Kerstin M.
23
Single
2
mitt. R.
arbeitslos
P25
Friedrich A.
29
Partnerschaft
2
HS
Angestellter
> 3000
P26
Katja M.
26
Single
3
Hauptschule
arbeitslos
< 3000
P27
Maike W.
29
Partnerschaft
3
mitt. R.
Angestellte
< 3000
P28
Jens H.
36
Partnerschaft
2
HS
Angestellter
> 3000
P29
Jana M.
28
Partnerschaft
2
Abitur
arbeitslos
< 3000
P30
Volker B.
40
Partnerschaft
2
HS
Selbständiger
< 3000
Leitfaden der Interviews
Nachdem Sie mir freundlicherweise ja schon einige Angaben zu Ihrer Person und Ihrem Umgang mit Geld gegeben haben, möchte ich jetzt im Interview einige Sachen persönlich mit Ihnen besprechen. Wenn noch nicht bekommen, schriftlichen Fragebogen einsammeln Wie bereits besprochen, möchte ich mit Ihnen über die Bedeutung, die Geld und damit verbundene Tätigkeiten für Sie haben, reden. Vor allem interessiert mich, wo Sie sich darüber informieren, mit wem Sie darüber sprechen, Dinge abklären, woher Sie Wissenswertes erfahren… Dabei verstehe ich unter Geldangelegenheiten Ihren täglichen Umgang mit Geld, angefangen bei regelmäßigen Zahlungsverpflichtungen wie z.B. Miete über die Steuererklärung bis hin zu größeren finanziellen Angelegenheiten wie Geldanlage und Vorsorge. Das Interview dauert ungefähr ein und eine halbe Stunde. Ich zeichne es auf, um auch wirklich alle Ihre Antworten zu behalten. Wegen des Datenschutzes müssen Sie aber keine Besorgnis haben, ich werde alles anonymisiert auswerten und nach angemessener Zeit vernichten. Sofern nicht anders verlangt, antworten Sie bitte ausführlich, also lassen Sie Ihren Gedanken und Erzählungen ruhig freien Lauf. Mich interessieren Ihre Meinungen, Einstellungen und Beschreibungen, wie Sie bestimmte Dinge tun; es geht hier nicht um eine Wissensabfrage. Haben Sie noch eine Frage vorab? Wenn nicht, dann können wir loslegen. Aufnahmegerät an. Name: Datum: Ort:
Leitfaden der Interviews
345
ALLGEMEINES MEDIENREPERTOIRE 1.
Zur Information über finanzielle Dinge kann man auch Medien nutzen. Mich interessiert zunächst allgemein, wie Ihr Alltag so abläuft und welche Medien Sie für gewöhnlich nutzen. Überlegen Sie mal, was Sie zum Beispiel gestern alles so gemacht haben: wann Sie aufgestanden sind, einkaufen oder arbeiten waren etc. und sagen Sie mir immer zu den einzelnen Zeitphasen, ob dabei irgendwelche Medien im Spiel waren. Wie lief Ihr gestriger Tag also ab? 5.00–8.00 Uhr 8.00–11.00 Uhr 11.00–14.00 Uhr 14.00–17.00 Uhr 17.00–20.00 Uhr 20.00–23.00 Uhr 23.00–2.00 Uhr
2. 3.
Sie haben ja eben schon eine ganze Menge Medien aufgezählt. Welche haben Sie darüber hinaus in Ihrem Haushalt? (Fernsehen, Computer, Internet, welche Zeitungen und Zeitschriften lesen Sie regelmäßig?) Sie haben vorhin Tageszeitung/Fernsehen/Internet genannt? Welche Themen interessieren Sie da am meisten?
ALLGEMEINER UMGANG MIT GELD 4. 5. 6. 7.
8.
Was verbinden Sie spontan mit Geld, was bedeutet Geld für Sie? - Ist Geld für Sie sehr wichtig (z. B. als Bedingung für Zufriedenheit in Ihrem Leben)? - Sieht man am Geld, was jemand im Leben geleistet hat? Viele Leute haben heutzutage Probleme, all ihre finanziellen Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen. Was denken Sie darüber? Was, glauben Sie, hat Ihre Haltung im Umgang mit den Finanzen geprägt? Wie oft beschäftigen Sie sich mit Ihren Geldangelegenheiten? Können Sie mir beschreiben, was für Sie dazu gehört? - Können Sie mir erzählen, wie das abläuft? (dominante Aktivität aus dem Gesagten herauspicken) - Wer macht die Geldgeschäfte in Ihrem Haushalt? Und warum? - Haben Sie so etwas wie ein Haushaltsbudget? - Ohne ins Detail gehen zu wollen – wofür verwenden Sie Ihr Geld? - Wie würden Sie Ihre finanzielle Lage beurteilen? Können Sir mir über Ihr Elterhaus erzählen und wie man dort mit Geld umging? - Wurde früher in Ihrer Kindheit, in Ihrer Familie viel gespart? - Fanden Sie die Art, wie Ihre Eltern mit Geld umgingen, gut? - Wie waren die Vermögensverhältnisse?
346
Leitfaden der Interviews
KOMMUNIKATION ÜBER GELD I Bitte erinnern Sie sich an die letzten 3 Male, bei denen Sie finanzielle Angelegenheiten klären mussten. Können Sie mir erzählen, um was es da ging und mit wem Sie das besprochen haben? 10. Welche finanziellen Angelegenheiten müssen Sie als nächstes klären? Wie werden Sie das angehen? 11. Mit wem sprechen Sie über finanzielle Angelegenheiten und warum/zu welchen Anlässen? - Sprechen Sie in Ihrer Familie oft über Geld? Können Sie beschreiben, wie solche Gespräche ablaufen? - Gibt es deswegen Konflikte? - Reden Sie im Bekanntenkreis darüber? 9.
ACHT SITUATIONEN Nun würde mich interessieren, wie Sie konkret einzelne Geldgeschäfte erledigen. Ich lege Ihnen jetzt 8 mögliche Situationen im Zusammenhang mit Geldgeschäften vor und Sie sagen mir bitte, wie sie diese jeweils abwickeln würden. Antworten Sie ruhig spontan. Falls Sie eine Begründung haben, ist es interessant für mich, diese zu erfahren. 12. Sie möchten schnell wissen, wie Ihr aktueller Kontostand ist. Wo informieren Sie sich? Was würden Sie machen, wenn Sie unterwegs wären und diese Information bräuchten? 13. Die Rundfunkgebühren sind fällig. Ihnen wird ein Überweisungsformular zugeschickt. Auf welchem Wege tätigen Sie die Überweisung? 14. Sie möchten aus Sicherheitsgründen eine neue Geheimnummer für Ihre EC-Karte. Wie veranlassen Sie das? 15. Sie möchten Ihren Freistellungsauftrag ändern. Auf welchem Wege? 16. Sie haben das Gefühl, zu wenig für Ihre Altersvorsorge getan zu haben. Welche Schritte unternehmen Sie als nächstes? 17. Sie benötigen Beratung zu einem bestimmten Fonds. Auf welchem Weg bekommen Sie die am besten? Wie kaufen Sie den Fonds? 18. Sie haben 3.000 Euro zur Verfügung und möchte diese gerne langfristig anlegen. Wie informieren Sie sich über Anlagemöglichkeiten? 19. Sie wollen eine Übersicht über die größten Posten im Haushaltsbudget erstellen. Wie? 20. Eine Woche vor Abgabe der Steuererklärung, Sie schieben sie schon lange vor sich her. Sie haben gehört, dass sich irgendwas geändert hat, wissen aber nicht was. Was machen Sie?
GELDGESCHÄFTE MIT MEDIEN (wenn es sich aus 8 Situationen ergibt) 21. Seit wann benutzen Sie Online- bzw. Telefon-Banking? Was nutzen Sie da alles und wie häufig? 22. Können Sir mir erzählen, warum haben Sie sich dafür entschieden haben, wie es dazu kam? 23. Machen Sie noch andere geldrelevante Tätigkeiten online ? – z. B. Ebay, Steuererklärung, OnlineShopping? 24. Mit Online-Banking ist die Diskussion um die Sicherheit entbrannt. Was denken Sie darüber? 25. Privatsphäre – Was bedeutet das für Sie? 26. Können Sie sich vorstellen, eine Lebens- oder Rentenversicherung komplett über das Internet abzuschließen? (Wenn nicht) 27. Warum machen Sie kein Online-Banking (mehr)?
KOMMUNIKATION ÜBER GELD II 28. Was denken Sie, woher haben Sie Ihr Wissen über Geld?
Leitfaden der Interviews
347
29. Welche Rolle spielen Medien dabei? - Können Sie mir über die letzte Sache erzählen, bei der Sie Informationen über Gelddinge aus den Medien erhalten haben? - Nutzen Sie Finanzzeitschriften, TV-Sendungen, z. B. „Wiso“, Internetseiten? - Was genau lesen/sehen/hören Sie da am liebsten? - Fühlen Sie sich ausreichend informiert? Erleichtern diese Informationen Ihnen Entscheidungen?
ZUM ABSCHLUSS 30. Wenn Sie die letzten 5 Jahre mal Revue passieren lassen – Hat sich etwas in Ihrer Art und Weise, wie Sie Ihre Geldgeschäfte erledigen, geändert?
Abschließend notieren: Besonderheiten der Person/des Interviews Werden Aspekte angesprochen, die nicht vorgesehen waren? Was ist das Lieblingsthema des Befragten? Wo wird wenig/ausweichend geantwortet?
Soziodemographischer Fragebogen/GeldFragebogen
Vielen Dank für Ihre Bereitschaft, mich bei meiner Forschung zum Thema „Medien, Geld und Alltag“ zu unterstützen. Im Vorfeld unseres Interviews bitte ich Sie, den beiliegenden Bogen auszufüllen und zum Interview mitzubringen. Vielen Dank! x
In welchem Jahr sind Sie geboren? 19..
x
Wieviele Personen leben in Ihrem Haushalt? …..
x
Bitte ordnen Sie Ihr Haushaltsnettoeinkommen ein. Gemeint ist die Summe, die sich ergibt aus Lohn, Gehalt, Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Rente oder Pension, jeweils nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Rechnen Sie bitte auch die Einkünfte aus öffentlichen Beihilfen, Einkommen aus Vermietung, Verpachtung, Wohngeld, Kindergeld und sonstige Einkünfte hinzu.
x
< 3.000 €
> 3.000 €
Ƒ
Ƒ ja
nein
- Ich habe Immobilien
Ƒ
Ƒ
- Ich besitze wertvolle Gegenstände, z. B. Kunst, Schmuck, Oldtimer
Ƒ
Ƒ
- Ich habe Sparkonten und/oder Sparbücher
Ƒ
Ƒ
- Ich habe in Wertpapiere investiert
Ƒ
Ƒ
Wie setzt sich Ihr Vermögen zusammen?
Bitte umkringeln Sie jetzt das Feld, welches den Großteil Ihres Vermögens darstellt. x
Was ist Ihr zuletzt erzielter Schul- bzw. Hochschulabschluss? - Schule ohne Abschluss
Ƒ
349
Soziodemographischer Fragebogen/Geld-Fragebogen
x
- Volks- bzw. Hauptschulabschluss
Ƒ
- Mittlere Reife, weiterführende Schule ohne Abitur
Ƒ
- Abitur
Ƒ
- Hochschule, Fachhochschule
Ƒ
- Sonstiges, nämlich… Was sind Sie von Beruf? …
x
Was für eine Tätigkeit machen Sie gerade? …
x
Welche Stellung nehmen Sie in der gerade ausgeübten Tätigkeit ein?
x
- Selbständig
Ƒ
- Beamter
Ƒ
- Angestellter
Ƒ
- Arbeiter
Ƒ
- leitende Position
Ƒ
Wie ist Ihr momentaner Familienstand? - Partnerschaft
Ƒ
- Verheiratet
Ƒ
- geschieden
Ƒ
- verwitwet
Ƒ
- Single
Ƒ
x
Wieviele Bankverbindungen haben Sie? …..
x
Wieviele Depots haben Sie? …..
x
Haben Sie eine Bankkarte/-n? Welche bzw. wie viele? - Maestro-/ec-Karte
Ƒ
- Geldkarte
Ƒ
- Kreditkarte
Ƒ
x
Haben Sie einen Kredit?
ja / nein
x
Wenn nicht, würden Sie einen aufnehmen?
ja / nein
350
Soziodemographischer Fragebogen/Geld-Fragebogen
Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? Bitte unterstreichen bzw. umkringeln Sie Ihre Antwort. ja / nein x Ich mache mir noch keine Gedanken über Altersvorsorge. ja / nein x Die Geldanlage überlasse ich lieber dem Fachmann. ja / nein
x
Ich informiere mich regelmäßig über Börsenkurse.
x
Es wird immer schwieriger, den Lebensstandard aufrecht zu erhalten.
ja / nein
x
Ich kaufe mir oft etwas, ohne darüber nachzudenken, ob ich es mir leisten kann.
ja / nein
x
Ich ¿nde, Altersvorsorge sollte grundsätzlich eine private Angelegenheit sein.
ja / nein
x
Nur wenn man Geld hat, kann man das Leben auch genießen.
ja / nein
x
Ich spare jeden Monat eine feste Summe.
ja / nein
x
In unserer Gesellschaft hat Geld einen viel zu hohen Stellenwert.
ja / nein
x x
ja / nein
x
Heute ist alles so unsicher, dass es sich nicht lohnt, langfristig Geld anzulegen. Bei den vielen verschiedenen Möglichkeiten zur privaten Vorsorge blicke ich nicht durch. Es macht mir Spaß, mich um meine Finanzen zu kümmern.
x
Von Geldanlage lasse ich die Finger, weil man damit Geld verlieren kann.
ja / nein
x
Andere fragen mich oft um Rat in Gelddingen.
ja / nein
x
Gesprächen mit unabhängigen Finanz-/Anlageberatern vertraue ich überhaupt nicht eher nicht überwiegend voll und ganz
Ƒ
Ƒ
Ƒ
Ƒ
überwiegend
voll und ganz
Ƒ
Ƒ
x
Online-Informationen vertraue ich überhaupt nicht eher nicht
x
Stiftung Warentest/Infos von Verbraucherschutzverbänden vertraue ich überhaupt nicht eher nicht überwiegend voll und ganz
Ƒ Ƒ x
x
Ƒ Ƒ
Ƒ
ja / nein ja / nein
Ƒ
Welche Zahlungsgewohnheiten haben Sie? - Zahle, wo ich kann mit Bargeld
ja / nein
- Zahle, wo ich kann mit Kredit-, Geld-, Kundenkarte
ja / nein
- Zahle Rechnungen gleich, wenn ich sie bekomme
ja / nein
- Zahle Rechnungen möglichst unter Ausnutzung der Fristen
ja / nein
- Zahle Rechnungen grundsätzlich nur einmal im Monat
ja / nein
- Zahle Rechnungen oft erst nach Mahnung
ja / nein
Welche Ziele wollen Sie mit Ihrer Geldanlage erreichen?
Literatur
Abels, Heinz (2001): Interaktion, Identität, Präsentation. Kleine Einführung in interpretative Theorien der Soziologie. 2., überarbeitete Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag. Adoni, Hanna/Cohen, Akiba A. (1978): Television Economic News and the Social Construction of Economic Reality. In: Journal of Communication 28 (4), S. 61–70. Altheide, David L. (1995): An Ecology of Communication. Cultural Formats of Control. New York: de Gruyter. Altheide, David L./Snow, Robert P. (1988): Toward a Theory of Mediation. In: Communication Yearbook 11, S. 194–223. Appadurai, Arjun (1986): Introduction: Commodities and the Politics of Value. In: Appadurai, Arjun (Hrsg.): The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective. Cambridge: Cambridge University Press, S. 3–63. Ayaß, Ruth (1997): Das Wort zum Sonntag. Fallstudie einer kirchlichen Sendereihe. Stuttgart: Kohlhammer. Ayaß, Ruth (2001): Fernsehgattungen in der Aneignung. In: Holly, Werner/Püschel, Ulrich/ Bergmann, Jörg (Hrsg.): Der sprechende Zuschauer. Wie wir uns Fernsehen kommunikativ aneignen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 143–152. Ayaß, Ruth (2002): Zwischen Innovation und Repetition: Der Fernsehwerbespot als mediale Gattung. In: Willems, Herbert (Hrsg.): Die Gesellschaft der Werbung. Kontexte und Texte. Produktionen und Rezeptionen. Entwicklungen und Perspektiven. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 155–171. Ayaß, Ruth (2004): Konversationsanalytische Medienforschung. In: Medien und Kommunikation 51 (1), S. 6–29. Ayaß, Ruth/Bergmann, Jörg (2006): Qualitative Methoden der Medienforschung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Baacke, Dieter (1975): Kommunikation und Kompetenz. München: Juventa. Baacke, Dieter (1987): Medienalltag: Veralltäglichung als Verdoppelung. In: Medien + Erziehung 5, S. 259–260. Baacke, Dieter/Sander, Uwe/Vollbrecht, Ralf (1991): Lebenswelten sind Medienwelten. Opladen: Westdeutscher Verlag. Bachmair, Ben (1996): Fernsehkultur. Subjektivität in einer Welt bewegter Bilder. Opladen: Westdeutscher Verlag. Bachmair, Ben/Mohn, Erich/Müller-Doohm, Stefan (Hrsg.) (1985): Qualitative Medien- und Kommunikationsforschung. Werkstattberichte. Kassel: Gesamthochschule Kassel, Fachbereich Erziehungswissenschaft, Humanwissenschaften. Baldwin, Thomas F. /MacVoy, D. Stevens/Steinfield, Charles (1996): Convergence: Integrating Media, Information & Communication. Thousand Oaks: Sage. Ball-Rokeach, Sandra J./De Fleur, Melvin L. (1976): A Dependency Model of Mass-Media Effects. In: Communication Research 3, S. 3–21. Bandura, Albert (2003): Self-efficacy: The Exercise of Control. New York: Freeman. Barker, Chris (2000): Cultural Studies. Theory and Practice. London/Thousand Oaks/New Dehli: Sage Publications.
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