Andreas Hepp · Veronika Krönert Medien – Event – Religion
Medien – Kultur – Kommunikation Herausgegeben von Andreas H...
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Andreas Hepp · Veronika Krönert Medien – Event – Religion
Medien – Kultur – Kommunikation Herausgegeben von Andreas Hepp Friedrich Krotz Waldemar Vogelgesang
Kulturen sind heute nicht mehr jenseits von Medien vorstellbar: Ob wir an unsere eigene Kultur oder ,fremde’ Kulturen denken, diese sind umfassend mit Prozessen der Medienkommunikation durchdrungen. Doch welchem Wandel sind Kulturen damit ausgesetzt? In welcher Beziehung stehen verschiedene Medien wie Film, Fernsehen, das Internet oder die Mobilkommunikation zu unterschiedlichen kulturellen Formen? Wie verändert sich Alltag unter dem Einfluss einer zunehmend globalisierten Medienkommunikation? Welche Medienkompetenzen sind notwendig, um sich in Gesellschaften zurecht zu finden, die von Medien durchdrungen sind? Es sind solche auf medialen und kulturellen Wandel und damit verbundene Herausforderungen und Konflikte bezogene Fragen, mit denen sich die Bände der Reihe „Medien – Kultur – Kommunikation“ auseinander setzen wollen. Dieses Themenfeld überschreitet dabei die Grenzen verschiedener sozial- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen wie der Kommunikations- und Medienwissenschaft, der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Anthropologie und der Sprach- und Literaturwissenschaften. Die verschiedenen Bände der Reihe zielen darauf, ausgehend von unterschiedlichen theoretischen und empirischen Zugängen das komplexe Interdependenzverhältnis von Medien, Kultur und Kommunikation in einer breiten sozialwissenschaftlichen Perspektive zu fassen. Dabei soll die Reihe sowohl aktuelle Forschungen als auch Überblicksdarstellungen in diesem Bereich zugänglich machen.
Andreas Hepp Veronika Krönert
Medien – Event – Religion Die Mediatisierung des Religiösen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Barbara Emig-Roller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15544-9
Inhalt 1
Einleitung 1.1 Zur Fragestellung 1.2 Das methodische Vorgehen 1.3 Über dieses Buch
7 8 9 18
2
Der Weltjugendtag als Medienevent 2.1 Die Individualisierung von Religion 2.2 Die Mediatisierung von Religion 2.3 Zwischen rituellen und populären Medienevents
21 21 30 34
3
Die kulturelle Produktion des Medienevents 3.1 Inszenierungsversuche des Sakralen 3.2 Freiräume des Populären 3.3 Der Papst als kommunikative Klammer
41 44 52 54
4
Das Medienevent im Verlauf 4.1 Zeitliche Zentrierung: Die Phasen des Medienevents 4.2 Thematische Zentrierung: Die Themenfelder des Medienevents 4.3 Reflexive Zentrierung: Der Weltjugendtag als gemachtes Event
59 60 64 70
5
Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube 5.1 Herausgehobene Momente: Das Sakrale im Verlauf 5.2 Medienrituale: Fernsehgottesdienste 5.3 Medienglaube: Inhaltliche Ausgestaltung, Glaubenspraxis und Glaubenstraditionen
79 80 85
6
Das Populäre als ausgelassenes Feiern 6.1 Das Feiern im Blick: Populäres im Verlauf 6.2 Berichte über katholische Jugendkultur: Teilnehmerprogramm, Stimmung und Kommerzialisierung 6.3 Spielerisches Ironisieren: Party-Stimmung, Sex und Glaube
100 111 113 116 129
6 7
Inhalt Der Papst als Medienberühmtheit 7.1 Höhepunkte: Papstberichterstattung im Verlauf 7.2 Medienberühmtheit als Markensymbol: Kommunikative Klammerung und „branding religion“ 7.3 Fassetten der Medienberühmtheit: Staatsmann, Idol, Religionsführer und Privatmensch
139 141
8
Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung 8.1 Sinnhorizonte: Vergemeinschaftung im Verlauf 8.2 Transkulturalität: Kirche als Gemeinschaft 8.3 Pluralitäten: Orientierungen religiöser Vergemeinschaftung
171 174 176 186
9
Die Mediatisierung der Teilnahme 9.1 Kommunikative Mobilität: Mobiltelefon, Fotografie und Videowände 9.2 Kommunikative Partizipation: Die „Talk-to-Him-Box“ 9.3 Expressivität der Partizipation: Pluralitäten der Selbstrepräsentationen
205
10
Die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents 10.1 Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität: Das Medienevent Weltjugendtag in der Alltagswelt 10.2 Kontinuität und Wandel: Der Papst als Medienberühmtheit und Markensymbol 10.3 Möglichkeiten religiöser Vergemeinschaftung: Die Nachhaltigkeit des Medienevents in der Alltagswelt
145 155
206 214 220 229 231 241 248
11
Die Mediatisierung des Religiösen 11.1 Hybride religiöse Medienevents und populäre Religion 11.2 Dimensionen der Mediatisierung des Religiösen 11.3 Risiken der Mediatisierung des Religiösen
261 262 268 275
12
Anhang 12.1 Teilereignisse des Weltjugendtags 12.2 Glossar religiöser Begriffe 12.3 Transkriptionssymbole
279 279 280 282
13 14
Literatur Index
285 293
1
Einleitung
Es ist mittlerweile ein Allgemeinplatz zu sagen, dass Religion und Spiritualität in den letzten Jahren verstärkt in den Blickwinkel der Medien geraten sind: Egal welche Zeitung man in Deutschland liest, welchen Fernseh- bzw. Radiosender man nutzt oder über welche Internet-Angebote man surft, man stellt fest, dass religiöse Themen einen zunehmend breiten Raum einnehmen. Dies trifft selbst für Kontexte zu, in denen man es nicht vermutet: Eher allgemeine Magazinsendungen, populäre Reportagen oder die Daily Soap-Webseite sind da keine Ausnahmen, ebenso wie Religion ein breites Thema der Berichterstattung über den amerikanischen „Krieg gegen den Terrorismus“ ist. Religion ist Thema in den Medien. Dieser Alltagseindruck wird weiter durch die wissenschaftliche Diskussion um ein „Wiedererstarken von Religion“ im öffentlichen Diskurs gestützt, eine Thematik, zu der ganze Forschungsprogramme ausgeschrieben werden. Religion und Spiritualität, wie sie uns aktuell in den Medien begegnen, haben den klar umgrenzten Bereich des „Worts zum Sonntag“ und ähnlicher kirchlicher Angebote verlassen. Bemerkenswerterweise geht dies aber nicht – wie man auf den ersten Blick vermuten würde – zwangsläufig mit einer größeren Offenheit der Kirchen einher. Symptomatisch hierfür steht die katholische Kirche und allen voran ihr „deutscher Papst“, der nicht nur in Deutschland eine anhaltende Berichterstattung ausgelöst hat. Die Themen, die in den Vordergrund rücken, irritieren zunehmend. Es finden sich beispielsweise in dem bisher eher kritisch-hinterfragend eingestellten Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Artikel wie der „Papst erleichtert lateinische Messen“ (Spiegel 28/2007: 17), in dem es darum geht, dass Papst Benedikt XVI Gottesdienste in der alten, vor dem Konzil von 1962 praktizierten Ordnung zulässt. Diese werden in lateinischer Sprache mit dem Rücken zur Gemeinde gehalten. Begründet wird in einem solchen Artikel die konservative Orientierung eines solchen Beschlusses damit, dass „bei vielen, gerade auch jüngeren Katholiken […] der Wunsch nach Gottesdiensten der alten […] Ordnung“ (ebd.) bestehe und man so „traditionalistische Gruppen“ (ebd.) wieder mit dem Vatikan versöhnen wolle. Ein solches Beispiel verdeutlicht: Es gelingt der katholischen Kirche mit einer spezifischen Berichterstattung über den Papst, sich als konservativ und dennoch als interessant in den Medien darzustellen. Über Joseph Ratzinger alias Papst Benedikt XVI ist keine negative Berichterstattungswelle gerollt. Vielmehr
8
Einleitung
ist er als Symbol des Katholizismus „Thema“ in den Medien, die mit ihm verbundene konservative Grundhaltung damit häufig unproblematisierter Gegenstand. Und dennoch: Es ist eine veränderte Religiosität, die weit stärker durch ein „persönliches“ Glaubensverständnis geprägt ist, als dies noch in den 1950er bis 1970er Jahren der Fall gewesen ist. Es geht um den „eigenen Gott“, wie es der Soziologe Ulrich Beck (2008) in einem kürzlich erschienenen Buch ausdrückte.
1.1
Zur Fragestellung
Was an diesem hier nach dem Zufallsprinzip herausgegriffen Beispiel deutlich wird, ist ein Prozess, den wir im Weiteren als mediatisierte Markeninszenierung von Religion – als „branding religion“ – beschreiben wollen: Religion wird allen voran in den Medien als charakteristisches Glaubensangebot inszeniert und als individualisierte Religiosität angeeignet. Dies geschieht aus Perspektive der einzelnen Glaubensanbieter (der Kirchen) nicht zuletzt, um sich mit dem eigenen Glaubensangebot gegenüber anderen bestehenden Glaubensangeboten abzugrenzen bzw. sich in der Vielfalt der unterschiedlichen Glaubensangebote zu positionieren. Die Medien erscheinen als eine zentrale Vermittlungsinstanz, weil über diese zum einen Glaubensangebote über verschiedenste Lokalitäten und Kontexte hinweg zugänglich sind, zum anderen, weil in unseren heutigen Medienkulturen die Medien die zentrale Instanz der Repräsentation des „Zentrums“ (Couldry 2003) sind. Während ein solcher Prozess der Mediatisierung des Religiösen auf den ersten Blick unproblematisch sein mag – um mediale Aufmerksamkeit ringen alle Organisationen in unseren heutigen, kulturell zunehmend differenzierten Kulturen –, geht es auf den zweiten Blick um Tendenzen einer unproblematisierten Darstellung eines gewissen religiösen Konservatismus. Sicherlich ist nichts gegen religiöse „Rückbesinnung“ (bspw. auf Spiritualität) einzuwenden (die beim näheren Hinsehen aber eher deren „Wiedererfindung“ ist). Aber sie erscheint da problematisch, wo kulturelle Ausgrenzungen bestehen. Ziel des vorliegenden Buches ist es, sich mit Bezug auf das Medienevent des Weltjugendtags der katholischen Kirche, der im Jahr 2005 in Köln stattfand, kritisch mit der Mediatisierung des Religiösen auseinanderzusetzen. Unsere Analysen dieses Medienevents sind dabei erstens transkulturell orientiert, indem sich unser Untersuchungsmaterial auf Deutschland und Italien erstreckt, wir gleichwohl über die verschiedenen kulturellen Räume hinweg geteilte cha-
Das methodische Vorgehen
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rakteristische Muster herausarbeiten wollen (Hepp 2009a, Hepp/Couldry 2009). Zweitens erfolgen unsere Analysen in einer kommunikations- und medienwissenschaftlichen Perspektive, indem es um die Mediatisierung des Weltjugendtags – um seine Inszenierung als Medienevent und dessen individualisierte Aneignung – geht. Über unsere kommunikations- und medienwissenschaftlichen Analysen hinaus wollen wir uns drittens in einem weitergehenden kulturanalytischen Rahmen damit befassen, wie der Fluchtpunkt der Mediatisierung des Weltjugendtags ein übergreifender Prozess des religiösen Wandels ist. Pointiert formuliert ist unser Argument, dass die Mediatisierung des Weltjugendtags in einen Prozess des „branding religion“ mündet. Bevor wir konkreter in diese Analysen einsteigen können, erscheinen uns einige weitere einleitende Bemerkungen zu unserem methodischen Vorgehen notwendig.
1.2
Das methodische Vorgehen
Das vorliegende Buch versteht sich – methodisch gesehen – als eine Fallstudie zu einem herausragenden Medienereignis oder Medienevent (wir gebrauchen beide Ausdrücke synonym), dem XX. Weltjugendtag der katholischen Kirche, der vom 15. bis zum 22.8.2005 in Köln stattfand und über den in den verschiedensten Ländern in den Medien berichtet wurde. Als eine „instrumentelle Fallstudie“ (Hepp 2008a) ist unsere Argumentation auf das Spezifische dieses Einzelfalls gerichtet, um weitergehende Zusammenhänge der Mediatisierung des Religiösen zu verstehen. Hinter einer solchen Anlage unserer Studie steht ein Argument, das zunehmend generell in der Forschung zu Medienevents in den Vordergrund rückt: Diese lassen sich als herausgehobene Ereignisse in den Medien begreifen, die als solche eine Art „Wendepunkt“ für spezifische Diskurse sein können. Plausibel wird dieses Argument sofort, wenn wir den Blick auf den 11. September 2001 als Medienevent lenken: Wie kaum ein anderes Medienereignis der letzten Jahrzehnte stellt „9/11“ einen „Wendepunkt“ im öffentlichen politischen Diskurs dar und machte es möglich, politische Positionen wie einen „Kampf gegen den Terrorismus“ oder „Kampf der Kulturen“ zu begründen, die zuvor in dieser Form öffentlich nicht begründbar erschienen. Sicherlich nicht global, aber in Ländern mit großem katholischen Bevölkerungsanteil stellt das Medienevent des Weltjugendtags einen ähnlichen Einschnitt im medialen Diskurs über Religion dar: Der Weltjugendtag 2005 war nicht nur der erste öffentliche Medienauftritt des „neuen“ Papstes Benedikt XVI. Er machte darüber hinaus greifbar, dass die Hinwendung zu einer medialen Inszenierung von Religion nicht nur ein „persönliches Projekt“ von Papst Jo-
10
Einleitung
hannes Paul II war, sondern dass sich Katholizismus, wenn er als Religionsform in der heutigen Zeit präsent sein will, in einer mediatisierten Form inszenieren muss. An dem Medienevent Weltjugendtag werden spezifische Muster der Mediatisierung des Religiösen konkret, die für einen generellen Wandel des Verhältnisses von Medien und Religion stehen. Durchgeführt haben wir unsere Fallstudie zum Medienevent des Weltjugendtags für die Kommunikationsräume von Deutschland und Italien. Dies geschah jeweils auf den Ebenen der kulturellen Produktion (Aktivitäten der Veranstalter und Medienschaffenden), der Repräsentation (Berichterstattung in Print und Fernsehen) und der Aneignung (das Sich-Zu-Eigen-Machen des Medienevents durch Jugendliche und junge Erwachsene). Auf Ebene der kulturellen Produktion führten wir rund einstündige, leitfadenbasierte Experteninterviews sowohl mit dem „Bereichsleiter Kommunikation und Öffentlichkeit“ des den Weltjugendtag lokal organisierenden Weltjugendtagsbüros durch, als auch mit dem für die Konzeption und Planung der zentralen liturgischen Feierlichkeiten verantwortlichen „Bereichsleiter Liturgie“ (siehe dazu auch Pfadenhauer 2008). Ergänzend standen ein internes Kommunikationskonzept und das Krisenhandbuch des Bereichs „Kommunikation und Öffentlichkeit“ zur Verfügung, eine Offline-Version der offiziellen Internetseite zum XX. Weltjugendtag einschließlich des dort verfügbaren Pressearchivs sowie das an jeden Weltjugendtagsteilnehmer gegebene „Pilgerhandbuch“ mit Erklärungen zum inhaltlichen Gesamtkonzept und Ablaufplänen der zentralen liturgischen Feierlichkeiten. Während der Kernphase des Events vom 15. bis 22. August 2005 führten wir zudem Beobachtungen in den verschiedenen Bereichen des offiziellen Pressezentrums, in den Pressebereichen der zentralen Großveranstaltungen sowie auf öffentlichen Plätzen durch, die in einem Feldtagebuch dokumentiert wurden. Neben diesen Beobachtungsprotokollen kamen Kontakte zu Medienvertretern aus unterschiedlichen Bereichen und Hierarchieebenen zustande, die wir für Expertengespräche nutzten. Auf diese Weise wurden mit je einem Journalisten aus den Bereichen Host-Broadcasting/Hörfunk, Fernsehen öffentlich-rechtlich und privat sowie Bildagentur/Foto bzw. der Presse Interviews zu Produktionszielen, Arbeitsbedingungen und Kooperationsformen während des Weltjugendtags geführt. Die Auswertung der qualitativen Interviewdaten mit den Organisatoren und Medienschaffenden erfolgte nach Standards der Grounded Theory (Glaser/ Strauss 1998; Strauss/Corbin 1996; Krotz 2005) im Hinblick auf eine typisierende Beschreibung der Muster der kulturellen Produktion des Medienereignisses Weltjugendtag. Um die im ersten Durchgang des offenen Kodierens entwickelten Kategorien weiter zu stabilisieren, zogen wir in einem zweiten Analyse-
Das methodische Vorgehen
11
schritt zusätzliche offizielle Dokumente heran (u.a. das erwähnte Kommunikationskonzept). Hierdurch war es uns möglich, wechselseitig aufeinander bezogene Kommunikations- und Inszenierungsstrategien von Organisatoren und Medienschaffenden zu erfassen. Auf Ebene der Repräsentation werteten wir für Deutschland und Italien die Berichterstattung über den Weltjugendtag in verschiedenen Printorganen und Fernsehsendern in Deutschland und Italien aus. Die Analyse stützt sich auf insgesamt 22 säkulare und kirchliche bzw. kirchennahe Print-Publikationen, davon 14 aus Deutschland und 8 aus Italien sowie die Berichterstattung von je einem öffentlich-rechtlichen und einem privaten Fernsehsender nationaler Reichweite aus beiden Ländern. Um sowohl übergreifende Charakteristika der medialen Berichterstattung des Weltjugendtags als auch typische Darstellungsmuster einzelner Gattungen und Genres, regionale bzw. lokale Spezifika sowie Besonderheiten der kirchlichen Perspektive typisierend herausarbeiten zu können, orientierten wir uns bei der Bestimmung des Samples – d.h. der zu analysierenden Presseorgane und TV-Formate – an folgenden Kriterien: Verbreitungsgebiet bzw. Reichweite: Neben nationalen Leitmedien wie überregionalen Tageszeitungen, politischen Magazinen und Hauptnachrichtensendungen der reichweitenstärksten nationalen TV-Programme berücksichtigten wir im Hinblick auf mögliche Lokalisierungstendenzen die Presse-Berichterstattung auf regionaler bzw. lokaler Ebene. Mit Blick auf eine Verknüpfung der Analyseebenen orientierte sich unsere Auswahl an den Herkunftsregionen der interviewten Medienrezipienten. Gattung bzw. Genre: Um unterschiedliche Darstellungsformate in die Analyse mit einzubeziehen, wurden neben Tageszeitungen bzw. Nachrichtensendungen stärker informationsorientierte bzw. politische Zeitschriften und Magazine erfasst wie auch typische Boulevardformate aus Presse und Fernsehen. Politische Ausrichtung: Allgemein versuchten wir, in Bezug auf politische Orientierung ausgewogen zu sein, wobei bei Lokal- und Regionalzeitungen Grenzen durch Einzeitungskreise bestanden. Zielgruppe: Vor dem Hintergrund der primären Zielgruppe des Weltjugendtags schließt die Auswahl kirchliche sowie speziell an Jugendliche gerichtete Publikationen und TV-Formate ein. Dabei wurden Themen- und Sondersendungen speziell zum Weltjugendtag aufgenommen. Im Einzelnen wurden folgende Organe erfasst (die mit * gekennzeichneten Beiträge sind Teil des deutsch-italienischen Vergleichssamples unserer quantitativen Auswertung; siehe mehr dazu im Weiteren):
12 Tabelle 1:
Einleitung Vergleichssamples Print
TV öffentlich-rechtlich / staatlich TV privat-kommerziell Tagespresse überregional
Tagespresse regional / lokal
Wochenpresse politisch Wochenpresse kirchlich Publikumszeitschriften Publikumszeitschriften kirchlich Sonstige
Deutschlandsample ARD*
Italiensample RAI1*
RTL* Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)* die tageszeitung (taz)* Bild Bundesausgabe (Die Beiträge der in Köln erscheinenden Ausgabe der Bild-Zeitung wurden je nachdem, ob sie auf den Seiten der Bundesausgabe oder aber den Kölner Seiten erschienen, unterschiedlich zugeordnet.) Bild Köln Weser Kurier, Bremen* Trierischer Volksfreund, Trier* Der Spiegel* Die Zeit* Kirchenbote, Osnabrück Paulinus, Trier Bunte* Bravo* X-Mag
Canale5* Corriere della Sera* La Repubblica*
Weltjugendtagszeitung Direkt (erschienen vom 16. bis 20.8.05)
__
L’Adige, Trento* Dolomiten, Bozen*
L’Espresso* __ Gente* Top Girl* Famiglia Cristiana*
Im Rahmen dieser Auswahl wurde die Presse-Berichterstattung über den Weltjugendtag bzw. den Papstbesuch in Köln von Januar bis einschließlich November 2005 komplett dokumentiert sowie die Fernsehberichterstattung zwischen dem 10. und 23. August 2005 erfasst. Wir berücksichtigten alle Artikel, Bildund Fernsehbeiträge, die sich direkt auf den XX. Weltjugendtag bzw. die damit zusammenhängende „Apostolische Reise“ Benedikts XVI beziehen oder zumindest auf sie verweisen. Insgesamt umfasst der der Studie zu Grunde liegende
Das methodische Vorgehen
13
Materialkorpus damit 2786 Beiträge, davon 2215 aus Deutschland und 571 aus Italien. Tabelle 2: TV
Print
Vergleichssamples Fernsehen
Deutschlandsample 246 (entspricht 28:08:57 Sendestunden verteilt auf 154 Beiträge bei der ARD und 3:24:19 Sendestunden bei 92 Beiträgen auf RTL) (davon im Vergleichssample: 246) 1969 (davon im Vergleichssample: 622)
Italiensample 201 (entspricht 16:06:10 Sendestunden verteilt auf 80 Beiträge bei RAI1 und 3:16:17 Sendestunden bei 121 Beiträgen auf Canale5) (davon im Vergleichssample: 201) 370 (davon im Vergleichssample: 370)
Das Material der Medienberichterstattung wurde auf Beitragsebene in mehreren Auswertungsschritten inhaltsanalytisch erschlossen. Das gewählte Vorgehen lässt sich als qualitative Analyse der Themen des Mediendiskurses beschreiben, die einen quantitativ-standardisierten Analyseschritt integriert. Kategorienentwicklung: In Anlehnung an die Überlegungen von Mayring (2003) wurde auf Basis einer verdichtenden Erstsichtung des Gesamtmaterials, die entlang von Zufallsstichproben organisiert war, zunächst ein Kategorienschema entwickelt, das die verschiedenen Themenfelder des Mediendiskurses über das Medienevent Weltjugendtag erfasst. Standardisierte Inhaltsanalyse: Dieses Kategoriensystem diente in einem zweiten Schritt der standardisierten Erschließung des Gesamtkorpus hinsichtlich formaler Kriterien sowie der drei Hauptthemen jedes einzelnen Beitrags auf Basis eines Codebuchs. Über die Entwicklung der einzelnen Themenfelder während der verschiedenen Phasen des Medienereignisses konnten der Ereignisverlauf einer Analyse zugänglich gemacht und erste Auffälligkeiten in Bezug auf dominierende Themenfelder in den verschiedenen Untersuchungsräumen und Mediengenres herausgearbeitet werden. Qualitative Inhaltsanalyse: Bei der anschließenden vertiefenden qualitativen Auswertung exemplarischer Beiträge dienten diese Auffälligkeiten als Basis für die Identifikation geeigneter Fallbeispiele, entlang derer typische Darstellungsmuster herausgearbeitet wurden. Dabei ging es vor allem darum, durch weitergehende Kategorienbildung für jedes der Themenfelder bestehende Auffälligkeiten theoriebildend zu erklären. Hierbei waren einmal mehr Verfahrensweisen der Grounded Theory orientierend. Exemplarisch ausgewählte Fernsehbeiträge wurden nach Standards der qualitativen Medieninhaltsforschung (vgl. Mikos 2003; Keppler 2006) transkribiert (eine Übersicht der Transkriptionssym-
14
Einleitung
bole findet sich im Anhang), um sie einer differenzierten Musteranalyse zugänglich zu machen. Eine Herausforderung dieser Vorgehensweise bestand darin, die Berichterstattung in Deutschland und Italien transkulturell zu vergleichen, ohne durch die Untersuchungsanlage Differenzen innerhalb der und über die Länder hinweg zu nivellieren (Hepp 2009a). Deshalb wurde ein separates Sample für einen Vergleich Deutschland/Italien gebildet, das jeweils ähnliche Publikationen bzw. Sender aus beiden Ländern fasst (siehe überblickend die obenstehende Tabelle, in der die entsprechenden Organe mit * markiert sind). Das Ergebnis dieses methodischen Vorgehens ist ein Schema verschiedener Themenfelder sowie eine Übersicht typischer Darstellungsmuster der Medienberichterstattung über den Weltjugendtag. Im Hinblick auf die Aneignung des Medienevents Weltjugendtag argumentieren wir auf der Basis von Befragungen und Beobachtungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags, auf der Basis von Beiträgen bei einer Radio-Partizipationsmöglichkeit während des Weltjugendtags (die „Talk-toHim-Box“ des WDR) bzw. auf der Basis von durch uns durchgeführten qualitativen Interviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die den Weltjugendtag in den Medien verfolgten. Diese Materialbasis macht deutlich, dass wir hier mit einem breiten Verständnis von „Aneignung“ (Hepp 2005; Krönert 2009) operieren: Aneignung ist für uns nicht einfach die Rezeption dieses Medienevents, sondern insgesamt der Prozess, in dem Menschen sich dieses in ihrem Alltag zu eigen machen. Mit Blick auf die Mediatisierung der Teilnahme am Weltjugendtag haben wir auf Material zurückgegriffen, das im Rahmen eines speziellen Projekts zum Teilnehmererleben des Weltjugendtags von Ursula Engelfried-Rave, Winfried Gebhardt, Jörg Hunold, Julia Reuter und Waldemar Vogelgesang in Zusammenarbeit mit studentischen Hilfskräften erhoben wurde (siehe dazu Forschungskonsortium Weltjugendtag 2007 sowie http://www.wjt-forschung.de/). Konkret wurden mit einzelnen am Weltjugendtag teilnehmenden Gruppenmitgliedern in dessen Vorfeld Leitfadeninterviews geführt. Die zum Teil mehrstündigen Interviews wurden durch Gruppendiskussionen ergänzt, um die Einzelaussagen auch vor dem Hintergrund der besonderen Gruppenstruktur und -dynamik zu verorten. Das auf diese Weise gewonnene Datenmaterial bildete die Grundlage für einen Beobachtungsleitfaden, der in der Phase der Datenerhebung beim Weltjugendtag selbst als ein wichtiges Instrument eingesetzt wurde. Neben den Beobachtungen wurden während des Weltjugendtags in Köln insgesamt 563 deutschsprachige Jugendliche befragt. Schließlich wurden ‚Ex-post-facto-Interviews’ mit den in den qualitativen Interviews befragten Jugendlichen im Anschluss an ihren Besuch des Weltjugendtags geführt.
Das methodische Vorgehen
15
Die Radio-Partizipationsmöglichkeit der „Talk-to-Him-Box“ war in Form eines kontinuierlich betreuten Containers auf dem Kölner Wallrafplatz aufgestellt (ein Platz in direkter Nähe des Doms und des WDR-Funkhauses). In dieser Sprechbox konnten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags zwischen 9:00 und 23:00 Uhr ungestört in „Takes“ persönliche Botschaften, Meinungen, Wünsche, Grüße oder Sorgen in unterschiedlichen Sprachen – der Aufforderung nach den fünf offiziellen des Weltjugendtags (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch) – aufsprechen. Aus ausgewählten, z.T. übersetzten Takes wurde jeden Tag eine Collage erstellt, die im Hörfunkprogramm WDR3 ausgestrahlt und darüber hinaus dem Weltjugendtagsradio und weiteren ARD Sendeanstalten zur Verfügung gestellt wurde. Von Seiten des WDR wurden uns für eine Auswertung insgesamt 689 Takes direkt als Aufnahme (digital auf CD-ROM) sowie als Transkript zur Verfügung gestellt (Gesamtzahl ca. 1000). Zusätzlich wurde mit der verantwortlichen Redakteurin beim WDR ein Experteninterview geführt. Die Auswertung bezieht sich auf insgesamt 689 verwertbare Takes. Die Analyse wurde in drei Phasen durchgeführt. Zuerst fand ein quantitativer Zugang zu den Daten statt. Für den ersten Zugang zum Material wurden sämtliche Takes zunächst gelesen und die erhebbaren quantitativen Eckdaten (Alter, Geschlecht, Sprache, Anzahl der Personen, Herkunftsländer) erfasst. In einer zweiten Phase wurden die Daten qualitativ nach Verfahren der Grounded Theory im Hinblick auf dominante Themen kodiert. In der dritten Phase erfolgte eine Ausdifferenzierung der erarbeiteten Kategorien, deren Ergebnisse nochmals auf das Material rückbezogen wurden. Über unterschiedliche Ausprägungen der gewonnenen Kategorien in den einzelnen Takes wurden die Aneignungstypen erarbeitet. Neben dem Material der „Talk-to-Him-Box“ wurden von uns in zwei Wellen Interviews mit 27 Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland und Italien durchgeführt. Unsere Entscheidung, mit jeder Person sowohl direkt nach dem Weltjugendtag als auch rund ein halbes Jahr später je ein Interview zu führen, ist damit begründet, dass wir längerfristige Prozesse der Aneignung des Medienevents in den Blick bekommen wollten. Der Zugang zum Feld erfolgte neben aufgebauten Kontakten zu Jugendgruppen vor allem durch kirchliche Einrichtungen bzw. Stellen der Jugendseelsorge (Dekanatsbeauftragte oder Verantwortliche aus den Hochschulgemeinden). Dabei kam die Empfehlung durch den Jugendbetreuer gerade bei sensiblen Fragen zu religiösen Überzeugungen und Praktiken einer Art Vertrauensvorschuss gleich. Ausgehend von diesen Erstkontakten konnten nach dem „Schneeballprinzip“ weitere Gesprächspartner gefunden und damit das Ziel erreicht werden, natürliche Gruppen zu untersuchen. Bei der Auswahl der Befragten orientierten wir uns an folgenden Kriterien:
16
Einleitung
Alter und Geschlecht: Um die medial vermittelten Vergemeinschaftungsprozesse in ihrer Spezifik gegenüber den vor Ort beim Weltjugendtag stattfindenden lokalen Vergemeinschaftungsmustern zu erfassen, wurde darauf geachtet, die Alterszielgruppe des Weltjugendtags von 16 bis 30 Jahren abzudecken und Frauen und Männer gleichermaßen zu berücksichtigen. Herkunft und Wohnort: Mit der mehrheitlich protestantisch geprägten Region Bremen sowie dem traditionell katholischen Trier und den italienischen Städten Siena und Trento, wurden in beiden Ländern sowohl traditionell katholisch geprägte Gegenden gewählt als auch Untersuchungsregionen, in denen der Katholizismus traditionell weniger verankert ist. Religiosität und kirchliches Engagement: Wir befragten Mitglieder natürlicher Gruppen, die sich nach Selbstauskunft im weitesten Sinne als katholisch bezeichnen, der katholischen Kirche gegenüber unterschiedliche Positionen einnehmen und sich dementsprechend verschieden in ihr engagieren. Bewusst nicht einbezogen wurden fundamentalistische Gruppierungen sowie „neue religiöse Bewegungen“, da sich der Weltjugendtag als Medienevent explizit an eine breitere Öffentlichkeit richtete. Ebenso wurden keine Jugendlichen berücksichtig, die sich weder als katholisch noch als sonst religiös bezeichnen, da die Untersuchung vor allem auf das nachhaltige Vergemeinschaftungspotenzial des Medienereignisses innerhalb der katholischen Glaubensgemeinschaft zielt. Weltjugendtagserfahrung: Um den Einfluss von bestehenden eigenen Erfahrungen berücksichtigen zu können, befragten wir neben Leuten, die noch nie an einem Weltjugendtag teilgenommen hatten, Jugendliche und junge Erwachsene, die an früheren Weltjugendtagen teilgenommen hatten. Daneben achteten wir darauf, dass in der Summe unterschiedlichste Gründe für die Nicht-Teilnahme am Weltjugendtag in Köln vertreten waren. Im Detail setzten sich das deutsche und das italienische Sample der Interviews wie folgt zusammen: In Deutschland wurden in den beiden Untersuchungsregionen Interviews mit insgesamt fünfzehn Personen geführt, in Italien waren dies insgesamt zwölf Jugendliche und junge Erwachsene aus den Regionen Siena und Trento, davon jeweils sechs bzw. vier Frauen und neun bzw. acht Männer. Obwohl beide italienischen Befragungsregionen in der nördlichen Hälfte des Landes liegen, konnten die im Hinblick auf die Verankerung des Katholizismus in der Bevölkerung bedeutsamen Nord-Süd-Unterschiede insofern berücksichtigt werden, als die Hälfte der Befragten aus Siena im streng katholischen Süden aufgewachsen und erst zum Studium in den Norden gezogen ist. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews waren die deutschen Interviewpartner durchschnittlich 19, die italienischen 23 Jahre alt, der jüngste erst 14, die beiden ältesten 28 Jahre. Zwar gibt es zur Altersverteilung der Weltjugendtagsbesucher und -besucherinnen keine offiziellen Statistiken, ein Vergleich mit den Spre-
Das methodische Vorgehen
17
chern in der „Talk-to-Him-Box“ des WDR zeigt allerdings, dass das Sample etwas über dem Altersdurchschnitt der Teilnehmenden vor Ort liegen dürfte, mit einer Ausnahme jedoch innerhalb der Kernzielgruppe des Weltjugendtags mit einem Alter von 16 bis 30 Jahren. Tabelle 3:
Interviewsample Aneignung Stadt
Deutschland
15 (davon 6 w / 9 m)*
Bremen
[Beate (23, Studentin)]** Ben (28, Student) [Tina (23, Studentin)]
Jakob (16, Azubi)*** [Kai (20, Abiturient)] Matthias (14, Schüler)***
Trier
Berit (24, Studentin) Carsten (27, Azubi) Chris (20, Student) Martin (16, Schüler)
Christoph (18, Schüler) Katrin (16, Schülerin) Nina (17, Schülerin) Michael (19, Schüler) Sabine (21, Studentin)
Italien
*
Umland
12 (davon 4 w / 8 m)
Siena
Anna (27, Doktorandin) Domenico (24, Student) Gioele (27, Doktorand) [Sara (27, Doktorandin)] Vito (26, Student)
Trento
Angelo (19, Student) Marco (20, Grafiker) Fabio (28, Informatiker/Lehrer) Sergio (22, Student)
Danio (23, arbeitssuchend) [Francesca (22, Sekretärin)] [Laura (17, Schülerin)]
Bei allen Namen handelt es sich um Pseudonyme.
** Mit den mit [ ] gekennzeichneten Personen konnte jeweils nur das erste Interview durchgeführt werden. *** Das erste Gespräch mit den Brüdern Jakob und Matthias fand als Doppelinterview statt.
Den Interviews in Deutschland und Italien lag jeweils derselbe Leitfaden zu Grunde. Neben offenen, teilweise vorformulierten Primärfragen enthielt er vor allem Stichpunkte zu den relevanten Themenbereichen als Anhaltspunkte für Nachfragen bei Unklarheiten oder Lücken in den Antworten. Entsprechend diente er während des Gesprächs in erster Linie als Stichwort- und Kontroll-Liste. Die Reihenfolge der Themen sowie ihre Gewichtung und Ausgestaltung orientierten sich im weiteren Verlauf an der jeweiligen Gesprächssituation, um
18
Einleitung
den Erzählenden viel Raum für ihre Positionen zu lassen. So blieb es primär Sache der Befragten, thematische Verknüpfungen herzustellen, entsprechend dem jeweiligen Kontext Prioritäten bzw. Relevanzen zu setzen oder im Leitfaden unbeachtete Aspekte zur Sprache zu bringen. Alle Interviews wurden entweder in Deutsch oder Italienisch geführt und nach den Kodierverfahren der Grounded Theory ausgewertet. Dieser Abriss unseres methodischen Vorgehens macht die Materialfülle unserer folgenden Argumentation deutlich. Selbstverständlich ist es nicht möglich, unser gesamtes Material und alle Auswertungen darzulegen. Vielmehr geht es uns darum, ausgehend von diesen breiten Analysen konkret zu beantworten, wie sich die Mediatisierung des Religiösen am Beispiel des Medienevents des XX. Weltjugendtags konkretisiert. Alle, die Informationen zu unserer Forschung darüber hinaus haben möchten, seien auf die Homepage unseres Forschungskonsortiums zum Weltjugendtag verwiesen, auf der sich vielfältige Hinweise zu weiteren Publikationen sowie einzelne Forschungsberichte in digitaler Form befinden (http://www.wjt-forschung.de).
1.3
Über dieses Buch
Das vorliegende Buch gliedert sich in folgende Abschnitte: Nach dieser Einleitung wollen wir in Kapitel 2 die Spezifik von Medienevents im Forschungsfeld der Mediatisierung des Religiösen einordnen. Auf dieser Basis betrachten wir die Artikulation des Weltjugendtags als Manifestation einer solchen Mediatisierung des Religiösen auf unterschiedlichen Ebenen. Dies ist zunächst die der kulturellen Produktion (Kap. 3), wo es uns um das Spannungsverhältnis der Inszenierungsversuche des Sakralen („der Kirche“) und der Freiräume des Populären („der Straße“) geht. Dann analysieren wir das Medienevent Weltjugendtag in seinem Verlauf (Kap. 4), bei dem sich eine zeitliche, thematische und reflexive Zentrierung zeigt. Dies gestattet es uns, die sakralen Momente der Medienberichterstattung (Kap. 5) im Hinblick auf Medienrituale und Medienglaube zu fassen. Dem gegenüber integriert der Weltjugendtag ebenfalls populäre Momente (Kap. 6), die sich in der Darstellung einer individualisierten katholischen Jugendkultur konkretisieren. Wie wir in Kapitel 7 zeigen, ist es der Papst als Medienberühmtheit und das damit verbundene „branding religion“, das den Weltjugendtag als Medienevent „zusammenhält“. Die anschließenden Kapitel fokussieren stärker die anhand des Weltjugendtags greifbar werdende Mediatisierung des Religiösen auf Ebene der Rezeption
Über dieses Buch
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und Aneignung. Hier analysieren wir zuerst die Mediatisierung individualisierter Religiosität vor Ort während des Events, sei es durch mobile Medientechnologie oder die Partizipationsmöglichkeit der „Talk-to-Him-Box“, die beide auf besondere Formen der Expressivität verweisen (Kap. 9). Mitautor des Teilkapitels zur Aneignung mobiler Medientechnologie ist Waldemar Vogelgesang, der beiden Teilkapitel zur „Talk-to-Him-Box“ Martin Adler. Aber auch bei der Aneignung der Medienberichterstattung zuhause wird eine entsprechende Mediatisierung von Religiosität konkret. Das Kapitel 10, in dem wir dies behandeln, greift Ergebnisse des Dissertationsprojekts von Veronika Krönert auf, weswegen im Gegensatz zu den anderen Kapiteln – die gemeinsam verfasst sind – die Autorenschaft dieses Kapitels bei ihr liegt. Solche Analysen auf den Ebenen der Produktion, Repräsentation und Aneignung des Medienevents gestatten es uns abschließend, in Kapitel 11 den Weltjugendtag als Manifestation eines übergreifenden Wandels von Religion zu begreifen. Als breit angelegte empirische Studie wäre die vorliegende Publikation nicht ohne eine Vielzahl von Personen möglich gewesen. Danken möchten wir vor allem den weiteren Mitgliedern des Forschungskonsortiums Weltjugendtag, namentlich Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer (Universität Dortmund), Ursula Engelfried-Rave und Winfried Gebhardt (Universität Koblenz) sowie Julia Reuter und Waldemar Vogelgesang (Universität Trier). Die stimulierende und produktive Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern dieses Konsortiums hat die vorliegende Publikation nachhaltig gefördert. Unser Dank geht an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die das genannte Konsortium unter dem Titel „Situative Vergemeinschaftung mittels religiöser Hybridevents: Der XX. Weltjugendtag 2005 in Köln“ finanziell unterstützte und damit die Forschung erst ermöglichte. Großer Dank ebenfalls an Matthias Karmasin bzw. Jo Reichertz, die sich durch einen rund 100-seitigen Zwischenbericht durcharbeiteten und uns im Rahmen eines Evaluationsworkshops aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Perspektive ein umfassendes Feedback gaben. Dank auch an die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops – Thomas Eberle, Michael Ebertz, Anne Honer und Thomas Ruster – für ihre vielfältigen weiteren Hinweise. Unterstützt wurde unsere Forschung am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Bremen daneben nachhaltig von Jürgen Lott, dem wir hiermit ebenfalls danken möchten. All unsere Forschung wäre nicht machbar gewesen ohne die verschiedenen studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres DFG-Projekts „Situative Vergemeinschaftung mittels religiöser Hybridevents: Der XX. Weltjugendtag 2005 in Köln – Die Mediatisierungsperspektive“. Im Einzelnen danken wir Martin Adler, Matthias Berg, Serena Bilanceri, Arnica Freundt, Antonia Gemein,
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Einleitung
Iris Klein, Christian Leimbach, Mareike Mika, Nina Moeller, Andrea Rick, Michael Schlegel, Katharina Schröder, Katharina Uhl und Stefanie Wiechers. Ohne die Hilfe all dieser Personen – zum Teil in Kombination mit ihrem Studium des Masterstudiengangs Medienkultur bzw. Magisterabschlussarbeiten und eigenen Studienprojekten – wäre unsere Materialerhebung und Auswertung nicht realisierbar gewesen. Eine große Unterstützung für die Realisierung sowohl des DFG-Projekts wie des vorliegenden Buches war für uns das produktive Arbeitsumfeld des Instituts für Medien, Kommunikation und Information (IMKI) am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Bremen. Unter den Mitgliedern des IMKI standen – neben Andreas Breiter – vom Fachgebiet Kommunikationswissenschaft immer auch mit kritischem Feedback helfend zur Seite: Matthias Berg, Cigdem Bozdag, Caroline Düvel, Maren Hartmann (jetzt Universität der Künste Berlin), Marco Höhn, Laura Suna, Daniel Tepe und Jeffrey Wimmer. Anregungen und Hinweise aus den Diskussionen des IMKI und des Fachgebiets Kommunikationswissenschaft sind auf vielfache Weise in unsere Studie eingeflossen. Unser Dank geht weiter an die verschiedenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forschungskolloquiums Medienkultur des IMKI, insbesondere an Nick Couldry und Knut Lundby, mit denen wir dort frühe Auswertungen intensiv diskutieren konnten. Danken möchten wir daneben für intensives Korrekturlesen Heide Pawlik. Schließlich danken wir unseren Familien und Partnern, die uns mit diesem Buch auch in einem weiteren Fall den Freiraum gegeben haben, uns an die „akademische Öffentlichkeit“ zu wenden und die „familiäre Privatheit“ damit phasenweise zu vernachlässigen.
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Der Weltjugendtag als Medienevent
Will man den Weltjugendtag als Medienevent fassen bzw. die an ihm greifbar werdende Mediatisierung des Religiösen, ist es notwendig, ihn in einen weiteren Kontext zu stellen. Erstens sollte man sich vergegenwärtigen, in welchem Wandel sich Religion befindet. Zweitens gilt es zu klären, was wir genau unter einer Mediatisierung von Religion zu verstehen haben. Und drittens müssen wir uns in diesem Gesamtzusammenhang der Diskussion um Medien- und Religionswandel klar machen, wie wir religiöse Medienevents wie den Weltjugendtag begrifflich fassen können. Dies sind die drei Punkte, mit denen wir uns in diesem Kapitel auseinandersetzen möchten: Die aktuelle Forschungsdiskussion in der Kommunikations- und Medienwissenschaft bzw. der Religionssoziologie aufgreifend geht es uns darum, einen Begriffsrahmen zu entwickeln, um den Weltjugendtag als hybrides religiöses Medienevent fassen zu können.
2.1
Die Individualisierung von Religion
Was genau ist unter „Religion“ zu verstehen? Stellt man sich diese Frage ausgehend vom heutigen Alltagsverständnis, wird deutlich, dass Religion bzw. Religiosität nicht (mehr) mit „christlichem“, „islamischem“, „jüdischem“ oder „buddhistischem Glauben“ gleich gesetzt werden kann. Vielmehr lassen sich Formen von Religiosität ausmachen, die gewissermaßen „jenseits“ der Weltreligionen und ihren Kirchen bestehen. Einen Ausgangspunkt für einen entsprechend notwendigen, breiteren Begriff von Religion bieten die Überlegungen des Soziologen Peter L. Berger (1974). Dieser hat argumentiert, dass man sinnvoll zwischen zwei Arten der Definition von Religion unterscheiden kann, einer substanziellen und einer funktionalen. Eine substanzielle Definition von Religion hebt auf die Inhalte von Religion ab, auf damit verbundene Transzendenz-Erfahrungen und Gottesvorstellungen. Eine funktionale Definition von Religion hebt darauf ab, welche Leistungen Religion im Alltag der Menschen insgesamt erbringt. Diese knappen Anmerkungen verweisen darauf, dass beide Möglichkeiten des Verständnisses von Religion unterschiedliche Vor- bzw. Nachteile haben (vgl. Knoblauch 1999: 109-127): Substanzielle Definitionen von Religion machen spezifische Formen
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Der Weltjugendtag als Medienevent
von Religion fass- und damit Differenzen zwischen verschiedenen Religionen greifbar. Funktionale Definitionen von Religion heben eher auf die Ähnlichkeit verschiedener Religionen im Hinblick auf deren generelle Leistung im Alltagsleben ab. Unser Thema – eine Auseinandersetzung mit dem katholischen XX. Weltjugendtag als einem Medienevent – macht es notwendig, beides im Blick zu haben: Einerseits geht es um eine spezifische Religion, den christlichen Glauben und hier den Katholizismus. Andererseits müssen wir uns mit verschiedenen Formen von individualisierter Religiosität bzw. religiösem Handeln und deren Leistung für den Menschen im Alltag insgesamt auseinandersetzen. Entsprechend erscheint es uns sinnvoll, mit einem Begriff von Religion zu operieren, der Bezüge für eine substanzielle Auseinandersetzung mit einer spezifischen Religion eröffnet, aber nicht „übergreifende Leistungen“ des Religiösen aus dem Blick verliert – ohne zu behaupten, dass sich diese kontextfrei fassen ließen. In diesem Sinne wollen wir unter „Religion“ ein Sinn- oder Bedeutungssystem (einschließlich damit ggf. verbundener Lehren, Bekenntnisse und Institutionen) verstehen, das einen transzendenten und damit außeralltäglichen Anspruch hat, durch kulturelle Alltagspraktiken artikuliert wird und auf eine entsprechende Vergemeinschaftung zielt. Ausgehend hiervon lässt sich in einem weitergehenden Verständnis mit „religiös“ in unterschiedlichen Abstufungen eine generelle Orientierung individueller Praktiken auf entsprechende „transzendente Sinnsysteme“ fassen. Mit dieser Definition geht es uns nicht einfach darum, einen weiteren Begriff von Religion zu umreißen und ihn der entsprechenden Forschungsdiskussion hinzuzufügen. Vielmehr stellt dieses Verständnis von Religion den Versuch dar, die unseres Erachtens für eine Auseinandersetzung mit dem Weltjugendtag als Medienevent zentralen Aspekte von Religion zu fassen. Erläuternswert erscheint uns dreierlei: erstens das Verhältnis von Alltäglichkeit und Außeralltäglichkeit (Transzendenz) im Hinblick auf Religion und Charisma, zweitens der Vergemeinschaftungsaspekt von Religion und drittens unsere weitergehenden Begriffe von „Religiosität“ bzw. „religiöser Praktik“. 1. Alltäglichkeit, Außeralltäglichkeit und Charisma: Im Kern unserer Definition von Religion steht der Anspruch des „Transzendenten“. Relevant ist dabei, dass es sich um einen Anspruch handelt, durch den das betreffende Sinnsystem der Religion gekennzeichnet ist. Religion ist nicht „jenseitig“, sondern sie basiert auf konkreten Alltagspraktiken im Hier und Jetzt – die allerdings durch die Vorstellung gekennzeichnet sind, über dieses Hier und Jetzt des Alltags hinaus Evidenzen zu haben. Um diesen Gedanken konkreter fassbar zu machen, bietet es sich an, bei einem Klassiker der Religionssoziologie anzuknüpfen, Max Weber. Für diesen
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ist religiöses Handeln auch rationales Handeln, wenn man bspw. hofft, durch bestimmte religiöse Praktiken wie Gebete oder Opfer die eigene Gegenwart „positiv“ zu beeinflussen (vgl. Weber 1972: 245). Die Besonderheit religiösen Handelns besteht darin, dass es durch eine besondere Sinnausrichtung auf „außeralltägliche Kräfte“ bzw. die „Hinterwelt“ (Weber 1972: 245f.) gekennzeichnet ist. Dabei sind bestimmte Personen (Schamanen, Zauberer, Propheten) auf spezifische Weise geeignet, eine solche Sinnausrichtung herzustellen – sie zeichnen sich durch ein entsprechendes „Charisma“ aus, gelten als „mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder zumindest spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften“ (Weber 1972: 140) ausgestattet. Bei seiner Auseinandersetzung mit in diesem Sinne zu verstehenden charismatischen Aspekten von Religion weist Weber darauf hin, dass ein zentrales Problem von Religion die Veralltäglichung des Charismas ist: Während Propheten als Stifter oder Erneuerer von Religion sich durch genau ein solches Charisma auszeichnen, muss, sobald diese Religion „Massencharakter“ (Weber 1972: 147) annimmt – d.h. sich über die enge Gefolgschaft eines Propheten translokal ausdehnt –, das Charisma „auf Dauer“ gestellt werden. An dieser Stelle gewinnt die Schaffung entsprechender Ämter in einem differenzierten Priestertum an Bedeutung, deren Trägern durch ihr Amt (und nicht als Person) ein bestimmtes Charisma zugesprochen wird, das man als „Amtscharisma“ bezeichnen kann (vgl. Gebhardt 1994: 64-69). Inwieweit solche Überlegungen zu Alltäglichkeit und Außeralltäglichkeit von Religion gerade in Bezug auf den katholischen Weltjugendtag von Relevanz sind, ist naheliegend: Man kann diesen grundlegend als ein Medienevent begreifen, bei dem es um religiöses Außeralltäglichkeitserleben geht. Hierbei bedient sich die katholische Kirche des „Amtscharismas“ bestimmter Amtsträger, vor allem des Papstes, um das Medienevent des Weltjugendtags zu inszenieren. 2. Religiöse Vergemeinschaftung: Der zweite Punkt, der an unserer Definition von Religion in Bezug auf den Weltjugendtag als Medienevent wichtig erscheint, ist der der religiösen Vergemeinschaftung. Das Sinnsystem einer Religion verweist auf entsprechende religiöse Vergemeinschaftungsangebote. Wiederum handelt es sich hierbei um einen Gedanken, den man bei den Klassikern der Religionssoziologie findet, insbesondere bei Emil Durkheim. Bei seiner Auseinandersetzung mit den „elementaren Formen des religiösen Lebens“ (1981) arbeitet Durkheim heraus, dass „hinter“ den Erfahrungen des Religiösen nicht übernatürliche Welten stehen, sondern religiöse Praktiken der Gemeinschaft: Die Glaubensgrundsätze und Riten einer Religion binden zu einer Gemeinschaft zusammen, die nach seinen Argumenten der eigentliche Kern der Religion ist. In den Worten von Durkheim:
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Der Weltjugendtag als Medienevent
„Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören.“ (Durkheim 1981: 75)
Entsprechend verwundert es nicht, dass für Durkheim das „Transzendentale“ der Religion in der über den Einzelnen hinausgehenden Erfahrung von Vergesellschaftung besteht (vgl. Durkheim 1981: 560f.). Religion hat – so kann man diesen Überlegungen entnehmen – im Kern viel mit Vergemeinschaftung zu tun. Dabei ist ein Spezifikum von Religion darin zu sehen, dass der Horizont ihrer Vergemeinschaftung über das Lokale – hier verstanden als das Netzwerk von Lokalitäten einer Lebenswelt – hinausgeht. Religionsgemeinschaften lassen sich damit als „vorgestellte Gemeinschaften“ (Anderson 1996) begreifen, weil sie ein Gemeinschaftserleben versprechen, das durch seine Transzendenz einen über das Lokale hinausgehenden Horizont religiöser Vorstellungen vermittelt. Während Religionsgemeinschaften diesen translokalen Charakter mit anderen vorgestellten Gemeinschaften wie die der Nation teilen, besteht in ihrem religiösen Charakter eine erhebliche Differenz zur Gemeinschaft der Nation: Die Vorstellung der Letzteren als einer politisch motivierten Vergemeinschaftung ist durch territoriale Bezüge gekennzeichnet ist – gewöhnlich wird eine vorgestellte Gemeinschaft der Nation in Bezug auf ein bestimmtes nationalstaatliches Territorium konstruiert. Hingegen haben heutige religiöse Vergemeinschaftungen tendenziell einen deterritorialen Charakter: Sie verweisen in ihrem Selbstverständnis als religiöse Vergemeinschaftung nicht auf ein bestimmtes Territorium (auch wenn die Anhänger einer bestimmten Region in spezifischen Staaten leben mögen), sondern begreifen sich in ihrem religiösen Verständnis als von (nationalstaatlichen) Territorien unabhängig. Damit stehen Religionen als Gemeinschaft neben anderen Formen deterritorialer Vergemeinschaftung wie populärkulturellen Vergemeinschaftungen (bspw. Jugend- und Freizeitkulturen), ethnischen Vergemeinschaftungen der Diaspora oder den Vergemeinschaftungen sozialer Bewegungen (vgl. Hepp 2004b: 381-409; Hepp 2008b). 3. Religiöse Praktik: Die Bezüge zu den verschiedenen Klassikern der Religionsforschung haben deutlich gemacht, dass Religion in dem Sinne als diesseitig betrachtet werden muss, als sie auf spezifischen religiösen Praktiken beruht. Max Weber hat hier – wie gesagt – von religiösem Handeln gesprochen, das auch rationale Aspekte hat. Oder Emil Durkheim hat den Begriff der religiösen Praxis als einer spezifischen Form von Gemeinschaftspraxis in die Diskussion gebracht. Man kann solche Äußerungen dahingehend einordnen, dass ein sozialund kulturwissenschaftliches Verständnis von Religion auf der ausschließlichen Basis ihrer (verschriftlichten) Lehren nicht möglich ist. Vielmehr muss dieses
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Verständnis auf einer Auseinandersetzung mit der jeweiligen religiösen Alltagspraxis beruhen und ausgehend hiervon Bezüge zur kirchlichen Lehre einbeziehen. Hierauf hebt die heutige sozialwissenschaftliche Religionsforschung ab. Wie Knoblauch (2003: 51; 2006) an dieser Stelle argumentiert, ist das Erfassen der religiösen Binnenperspektive ein zentraler Ansatzpunkt, wenn man deren Bedeutung in Alltag und Lebenswelt von Menschen im Blick haben möchte. Religion ist, wie andere soziokulturelle Phänomene (vgl. Hörning/Reuter 2008), umfassend in Alltagspraxis lokalisiert und entsprechend als ein „doing religion“ greifbar. Dieses „doing religion“ darf nicht in dem Sinne verstanden werden, dass es sich strikt entlang von „Vorgaben“ religiöser Institutionen wie der katholischen Kirche vollzöge. Auch wenn entsprechende religiöse Vorgaben im Bereich der katholischen Kirche bis heute in vielfacher Hinsicht ausgemacht werden können, ist gleichzeitig davon auszugehen, dass die Alltagspraktiken des „doing religion“ Aneignungspraktiken im Sinne Michel de Certeaus (1988) darstellen: Wie für andere Bereiche des Alltagslebens, ist für die Religion zutreffend, dass sich die Menschen „Religion“ in einem aktiven Prozess zu eigen machen, der nicht einfach die Übernahme vorgegebener religiöser Inhalte und Formen ist, sondern gleichzeitig deren Ausgestaltung im Hinblick auf die eigene Lebenswelt (Hepp 2005; Krönert 2009). „Strategischen Operationen“ der Kirche steht das „taktische religiöse Handeln“ der Menschen im Alltag gegenüber. Die bisherigen Überlegungen sollten deutlich gemacht haben, dass eine Auseinandersetzung mit dem Weltjugendtag eine breite Zugangsweise zum Gegenstandsbereich der Religion notwendig macht. Hierbei muss man sich aber vergegenwärtigen, dass Religion – auch die katholische – nichts Statisches, sondern durch einen kontinuierlichen Wandel gekennzeichnet ist. Eine Beschäftigung mit dem Weltjugendtag muss entsprechend Fragen des Wandels von Religion im Blick haben. Greift man die bisher zitierten Klassiker der Religionssoziologie auf und befragt diese bezüglich deren Aussagen zum Religionswandel, stellt man fest, dass Religionswandel für diese tendenziell der Verlust des Einflusses des Religiösen in der Moderne gewesen ist. Emile Durkheim (1988) geht bspw. davon aus, dass in arbeitsteiligen (modernen) Gesellschaften mit einem weniger ausgeprägten Kollektivbewusstsein die Bedeutung von Religion in den Hintergrund tritt. Und Max Weber (2000) sieht mit der Eigendynamik des Rationalisierungsprozesses, die in modernen Gesellschaften greifbar wird, einen Relevanzverlust der Religion verbunden. In der Rationalisierung macht Weber eine „Entzauberung der Welt“ aus, wobei spezifische Momente von Religion transformiert werden in moderne Formen der Lebensführung, was Weber am Beispiel der in Beziehung zur protestantischen Ethik stehenden „kapitalistischen Lebensführung“ zeigt.
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Der Weltjugendtag als Medienevent
Solche Überlegungen entsprechen alltäglichen Einschätzungen, dass die Religion in unserer gegenwärtigen, säkularisierten Welt zunehmend eine untergeordnete Bedeutung habe. Mit unserem bisher umrissenen Religionsbegriff können dem aber andere Überlegungen gegenübergestellt werden. Hiernach ist Religion in unserer „säkularisierten Welt“ nicht „verschwunden“, sondern hat sich in ihrer Form gewandelt. Bspw. streicht der lateinamerikanische Kommunikations- und Kulturwissenschaftler Jesús Martín-Barbero in einem Artikel, der sich mit der Beziehung von Medien und Religion in Lateinamerika befasst, heraus, dass wir gegenwärtig „nicht Zeugen eines Konflikts zwischen Religion und Moderne sind, sondern der Transformation von Moderne in Verzauberung, indem neue Kommunikationstechnologien mit der Logik populärer Religiosität verbunden werden“ (Martín-Barbero 1997: 112). Diese auf einer Reihe von empirischen Analysen fußende Feststellung bezieht sich auf das Verhältnis von Religion und Medien in den kulturellen Kontexten Lateinamerikas. Viele Formen der „Volksreligiosität“ und „indigener Religionen“ werden dort bspw. in Telenovelas aufgegriffen und über diese in der mediatisierten Populärkultur ein neuer translokaler Sinnhorizont der Verzauberung der Welt gestaltet. Über diesen konkreten Analysebezug hinaus klingt in dem Zitat viel an, was im Hinblick auf eine sozial- und kulturwissenschaftliche Betrachtung von Religionswandel bemerkenswert erscheint: Von verschiedensten Analytikern wurde Religion lange als etwas „Traditionales“ gesehen, das mit fortschreitender „Modernisierung“ an Relevanz verlieren würde. Religionswandel wurde als ein Prozess der „Säkularisierung“ gefasst. „Religion“ war gewissermaßen als Teil von „Tradition“ ein Gegensatz zur „Moderne“. Solchen Argumenten wird in neueren Untersuchungen entgegen gehalten, dass zwar institutionalisierte Formen der Religion – wie sie in der katholischen oder evangelischen Kirche greifbar werden – insgesamt an gesellschaftlichem Einfluss verlieren. Dass hieraus aber umgekehrt nicht gefolgert werden kann, dass Religion in der Gegenwart keine Rolle mehr spiele. Vielmehr habe sie sich – so das Argument – zu einer „privatisierten“ und damit „unsichtbaren Religion“ (Luckmann 1991) gewandelt. Solche Argumente gehen davon aus, dass Religiosität ein universelles Merkmal des Menschen – gewissermaßen eine anthropologische Konstante – ist, indem sie in der generellen menschlichen „Transzendenzerfahrung“ (Luckmann 1991: 166) gründet. Dies kann eine „kleine Transzendenzerfahrung“ sein (das Überschreiten der unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Erfahrung des Hier und Jetzt im Handeln der Alltagswelt), eine „mittlere Transzendenzerfahrung“ (die Erfahrung der nur vermittelten Zugänglichkeit der Gedankenwelt anderer im Alltag) oder eine „große Transzendenzerfahrung“ (Verweise auf eine außeralltägliche Wirklichkeit) (vgl. Luckmann
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1991: 167f.). Das Vorhandensein von Religion liegt damit in der Transzendenzerfahrung aller Menschen begründet, wobei Religionen im engeren Sinne als bestimmte „heilige Kosmen“ (Luckmann 1991: 96) zu begreifen sind, d.h. als modellhafte Rekonstruktionen verschiedener Transzendenzerfahrungen mit entsprechenden Typisierungen und Deutungsschemata „großer Transzendenzerfahrung“. Dieser Verweis auf die Überlegungen von Luckmann macht den Gedanken greifbar, dass in modernen bzw. spätmodernen Gesellschaften nicht Religion an sich verschwunden wäre. Jedoch hat die Verbindlichkeit bestimmter Religionen als legitime „heilige Kosmen“, d.h. als offizielle Modelle von Transzendenzerfahrung abgenommen. Die Metapher der „unsichtbaren Religion“ hebt darauf ab, dass vor diesem Hintergrund Religion in weniger offensichtlichen Formen als der offiziellen kirchlichen Modelle besteht. Luckmann gebraucht dafür die Metapher der „Privatisierung der Religion“: „Die spezifisch religiösen Erfahrungskonstruktionen und Modelle, also diejenigen, die auf die ‚großen‘ Transzendenzen des Lebens hinweisen, waren in den westlichen Gesellschaften einst unter der monopolhaften Kontrolle (Kanonisierung, Zensur) der christlichen Kirche. Mittlerweile sind auf dem ‚Markt‘ der ‚heiligen Universa‘ keineswegs nur noch die traditionell christlichen, spezifisch religiösen Repräsentationen vertreten. Vielmehr müssen diese mit religiösen Orientierungen (modellhaften Rekonstruktionen verschiedener Transzendenzerfahrung) unterschiedlichster Herkunft konkurrieren. Der Warenmarkt der Transzendenzen beruht auf dem Vertrieb über Massenmedien – Bücher, Zeitschriften, Radio, Fernsehen –, Akademien und Seminaren, seelentherapeutischen Praxen und umherschweifenden Gurus aus allen Ecken der Welt. Überdies konkurrieren spezifisch religiöse Orientierungen auf ‚große‘ Transzendenzen, die sich aus den traditionellen ‚heiligen Universa‘ herleiten und nun in einem musée imaginaire der Weltreligionen versammelt sind, nicht nur mit ihresgleichen. Sie konkurrieren auch mit Lebensorientierungsmodellen, die sich aus Rekonstruktionen diesseitiger Transzendenzen ableiten.“ (Luckmann 1991: 179f.)
Die in diesem Zitat anklingenden Überlegungen machen deutlich, dass der gegenwärtige Wandel von Religion als deren Individualisierung greifbar wird. Der Begriff der Individualisierung versucht im Allgemeinen Ähnliches zu fassen, wie das, worauf Luckmann im Speziellen in Bezug auf Religion mit dem Begriff der Privatisierung zielt. Individualisierung bezeichnet – wie es Ulrich Beck in einem klassischen Aufsatz der Individualisierungsdiskussion formulierte – ein zunehmendes Herauslösen des bzw. der Einzelnen aus sozial verbindlichen Strukturen und Sicherheiten: „Auf dem Hintergrund eines vergleichsweise hohen materiellen Lebensstandards wurden die Menschen in einem historischen Kontinuitätsbruch aus traditionalen Klassenbindungen und Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und verstärkt auf sich selbst und ihr individuelles (Arbeitsmarkt-)Schicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen verwiesen.“ (Beck 1994: 44)
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Der Weltjugendtag als Medienevent
Individualisierung als „Jenseits von Stand und Klasse“ darf aber nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass hiermit der Einzelne sich „Jenseits von Kultur und Gesellschaft“ befände. Vielmehr ist der Prozess der Individualisierung selbst soziokulturell vermittelt: Mit Industrialisierung und fortschreitender kapitalistischer Durchdringung der Gesellschaft wurde der Einzelne aus traditionalen Verbindlichkeiten und Sicherheiten der Lebensführung herausgehoben und „verantwortlich“ für die Gestaltung des eigenen Lebens gemacht. Entsprechend kann der „Arbeitsmarkt als Motor der Individualisierung“ (Beck 1994: 46) verstanden werden, da durch ihn die Anforderungen des individualisierten Lebensstils an den Einzelnen vermittelt werden. Ausgehend von diesem allgemeinen Begriff der Individualisierung lässt sich von einer Individualisierung der Religion sprechen. Solche Überlegungen hat Ulrich Beck (2008) kürzlich auf Fragen der Religion bezogen. In Anlehnung an Überlegungen Peter L. Bergers (1979) betont Beck, dass sich jeder „Einzelne […] aus seinen religiösen Erfahrungen seine individuelle religiöse Überdachung [baut], seinen ‚heiligen Baldachin’“ (Beck 2008: 31). Religiöse Individualisierung bezeichnet für ihn entsprechend die Notwendigkeit, sich einen Glauben anzueignen als „eigenen Gott“, und zwar in einem reflexiven Prozess, der von den Entscheidungen des Individuums getragen wird, und nicht in erster Linie durch soziale Herkunft und/oder religiöse Organisationen bedingt ist. Dieser Prozess läutet somit weniger das Ende von Religion und Glauben ein, er führt vielmehr zu neuen, in sich gebrochenen Erzählungen „säkularer Religiosität“ (ebd.). Aufgabe einer mit Religion und deren Wandel befassten Forschung muss es entsprechend sein, diese religiösen Artikulationen zu entschlüsseln. Solche Überlegungen aufgreifend kommen wir damit zu folgendem Begriff der Individualisierung von Religion: Unter der Individualisierung von Religion verstehen wir damit den Umstand, dass Religion Teil einer individualisierten Lebensführung geworden ist. Konkret bedeutet das dreierlei. Erstens hat die Verbindlichkeit institutionalisierter religiöser Sinnangebote in Konkurrenz mit anderen (transzendenten) Sinnangeboten abgenommen. Zweitens bewegen sich damit verschiedenste institutionalisierte Religionen in einem allgemeinen Sinnmarkt. Drittens ist Religion Teil der individuellen Gestaltung des Lebensentwurfs des Einzelnen geworden, was auf unterschiedliche Ausprägungen und Hybridisierungen von Religion verweist. Katholischer Glaube ist bspw. in der individualisierten Lebensführung unproblematisch mit Feng Shui vereinbar. Letztlich ist es eine in diesem Sinne verstandene Individualisierung von Religion, auf die Luckmanns Formulierungen zumindest im Kern abheben. Wie Ronald Hitzler und Anne Honer herausgestrichen haben, wird das einzelne Leben mit fortschreitender Individualisierung zur „Bastelexistenz“ (Hitzler/Honer
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1994): Der Einzelne ist zunehmend verunsichert, weil mit dem Gewinn an Optionen in einem individualisierten Leben ein „Verlust eines schützenden, das Dasein überwölbenden, kollektiv und individuell verbindlichen Sinn-Daches“ (Hitzler/Honer 1994: 307) verbunden ist. Dies trifft ebenfalls für Religion zu, indem der Gewinn an Optionalität religiöser Lebensgestaltung die unhinterfragte Sicherheit institutionalisierter Religionsangebote für die eigene Lebensführung aufhebt und Religion zu einem Projekt des „Ichs“ macht (Hitzler 2005). Der Relevanzverlust der Institution der katholischen Kirche (und anderer institutionalisierter Kirchen) kann insgesamt im Prozess der Individualisierung eingeordnet werden: In dem Moment, in dem der Einzelne zunehmend individuell die Verantwortung für seinen Lebensentwurf trägt, sinkt die Verbindlichkeit der kirchlichen Lebensentwurfangebote. Diese werden Teil des umrissenen „kulturelle[n] ‚Supermarkts‘ für Weltdeutungsangebote aller Art“ (Hitzler/Honer 1994: 308), ohne dass sich das individuelle Orientierungsproblem – die Notwendigkeit, sich selbst in Bezug auf Lebenssinn orientieren zu müssen – des Einzelnen ändert. Oder wie es Hans-Georg Soeffner allgemeiner ausgedrückt hat: „an die Stelle des Konsens über gemeinsame Normen [tritt] der Konsens, dass es solche gemeinsamen Normen kaum mehr gibt“ (Soeffner 2001: 17). Mit dieser sinkenden Verbindlichkeit muss – paradoxerweise – der individuelle Reiz religiöser Sinnangebote nicht sinken, im Gegenteil. Gerade in der Ausschließlichkeit ihrer Transzendenzdeutung können religiöse Sinnangebote das mit der Individualisierung bestehende Orientierungsproblem für den Einzelnen lösen, da mit der Entscheidung für ein bestimmtes religiöses Sinnangebot das Problem der Notwendigkeit einer fortlaufenden weitergehenden Sinnorientierung gelöst ist. Dies hat Rückwirkungen auf Kirche als institutionalisiertem Träger von Religion: „Unter pluralistischen Bedingungen müssen auf der einen Seite mithin auch Kirchen mit dem (jeweiligen) Zeitgeist ‚gehen‘ (und sich an aktuelle Themen und Trends anpassen), wenn sie auf dem Sinnmarkt präsent sein wollen. Auf der anderen Seite aber verbinden die jeweiligen Anhänger gerade von Kirchen mit ‚ihrer‘ Kirche zu großen Teilen noch immer die Erwartung auf (sozusagen auch ‚morgen‘) ‚gültige‘ gesamtexistenzielle Sinngebung und werthaltige Gemeinschaftsstiftung.“ (Hitzler 1999: 355)
Diese Argumente aufgreifend wird es möglich, das Medienevent Weltjugendtag in einer ersten Annäherung in die wissenschaftliche Diskussion um Religionswandel einzuordnen: Der Weltjugendtag ist als Medienevent ein Versuch, Katholizismus dem „Zeitgeist“ heutiger individualisierter Religion entsprechend zu inszenieren.
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2.2
Der Weltjugendtag als Medienevent
Die Mediatisierung von Religion
Das von uns verwendete Konzept der „Mediatisierung“ (Thompson 1995: 46, Krotz 2007, Hepp 2009b) fasst wissenschaftlich fundiert die allgemeine Alltagserfahrung, dass Medien zunehmend unser Leben prägen. Entsprechend bezeichnet Mediatisierung in quantitativer Hinsicht den Umstand, dass mehr und mehr Medien immer öfter, an immer mehr Lokalitäten und in immer mehr Kontexten verfügbar sind. In qualitativer Hinsicht bezeichnet Mediatisierung darüber hinaus, dass hiermit ein Wandel nicht nur unserer Kommunikation und Medien sondern auch im weiteren Sinne unserer Kulturen und damit auch Gesellschaften verbunden ist. Mediatisierung ist damit ein Prozess der zunehmenden zeitlichen, räumlichen und sozialen Durchdringung unserer gegenwärtigen Kulturen und Gesellschaften mit Medienkommunikation und die damit verbundene mediale Prägung von unterschiedlichen Kontextbereichen auf je spezifische Weise (Hepp 2009b). Wie angeklungen, ist dieser Prozess der Mediatisierung ein Aspekt des gegenwärtigen Wandels von Religion: Religion ist zunehmend als medial vermitteltes, wie auch durchdrungenes Phänomen zu begreifen. Dies klingt in dem Argument von Thomas Luckmann an, dass die Konkurrenz der verschiedenen Lebensorientierungsmodelle vor allem mittels von Medien ausgetragen wird (Luckmann 1991: 179f.; Schipper 2005). Das sind gegenwärtig nicht mehr nur die so genannten Massenmedien (Film, Fernsehen, Radio, Zeitung usw.), sondern zunehmend auch Medien der personalen Kommunikation wie bspw. E-Mail oder Mobilkommunikation. Ähnliches findet man in den Überlegungen von Ulrich Beck zum aktuellen Religionswandel. Teil der Individualisierung des Religiösen ist seiner Argumentation nach eine „Massenmedialisierung von Religion“ (Beck 2008: 55), d.h. eine fortschreitende Inszenierung religiöser Institutionen und deren wichtigster Repräsentanten in den Massenmedien. Als Beispiele nennt er Medienevents wie die Begräbnisfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II, die Wahl seines Nachfolgers oder den „Karikaturenstreit“. Auch wenn diese Ereignisse weder Kirchen noch Tempel füllen, bieten sie die Chance für deterritoriale religiöse Inszenierungen in ihrerseits globalisierten Medien. Die gegenwärtig zu beobachtenden religiösen Individualisierungsprozesse verweisen zugleich auf die Mediatisierung des Religiösen, da Medien heute zu den wichtigsten „Vermittlern“ von Glaubensangeboten über Territorien und Traditionen hinweg zählen. In der Folge „sind die historisch gegeneinander isolierten Weltreligionen gezwungen, im
Die Mediatisierung von Religion
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grenzenlosen Raum massenmedialisierter Öffentlichkeit und Nachbarschaft miteinander zu konkurrieren und zu kommunizieren“ (Beck 2008: 169). Vermittelt über die Medien konkurrieren Religionen mit fortschreitender Individualisierung auf einem translokalen Sinnmarkt – und zwar nicht nur mit anderen Religionen, sondern auch mit anderen Sinnanbietern, angefangen von verschieden esoterischen Bewegungen bzw. Szenen bis hin zu psychotherapeutischen Lebensführungskonzepten (siehe überblickend Zinser 1997 und Knoblauch 2006). Allgemein gesprochen bezeichnet die Mediatisierung von Religion deren zunehmende zeitliche, räumliche und soziale Durchdringung mit Prozessen der Medienkommunikation und die damit verbundene Prägung des Wandels von Religion auch durch Medien. Eine solche Mediatisierung von Religion hat sowohl eine Binnen- als auch eine Außenperspektive. In der Binnenperspektive ist Medienkommunikation in fortschreitendem Maße zentral für die Organisation, Aufrechterhaltung und Fortentwicklung des jeweiligen religiösen Orientierungsmodells. Medien gestatten es, den Glauben auf „neue“ Weise „zu organisieren“. In der Außenperspektive kann man festhalten, dass es zunehmend die Medien sind – wie gesagt als Massenmedien und Medien der personalen Interaktion –, die den „translokalen religiösen Sinnmarkt“ bilden, d.h. den ortsübergreifenden kommunikativen Raum konstituieren, in dem sich verschiedene Sinnanbieter bewegen müssen, falls sie eine entsprechende Aufmerksamkeit erlangen möchten. Die Mediatisierung von Religion ist ein Aspekt, der zunehmend in den Blick einer an der Mediensoziologie und an den Cultural Studies orientierten, kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschung zu Religion und Medien gerät (vgl. auch Winter 2006). Anfangs stand primär im Fokus, wie religiöse Formen Eingang in die Medien fanden: Bereits in einer klassischen Publikation zum Fernsehen haben John Fiske und John Hartley (1989: 85-89) Ende der 1970er Jahre davon gesprochen, dass das Fernsehen die Rolle des „Barden“ in heutigen Kulturen habe, indem es als Vermittlungsinstanz deren zentrale Mythen und Wertsysteme kommuniziert. Solche grundlegenden Gedanken wurden in verschiedenen Fragen von Medien und Religion direkt adressierenden Studien weiter konkretisiert. Im Einzelnen spannt sich der Diskussionshorizont von der Übernahme religiöser Zeichen und Symbole in einzelne privat-kommerzielle Medienprodukte (in Musikvideos oder in der Werbung) bis hin zu einer Auseinandersetzung mit Formaten im explizit institutionell-religiösen Kontext – wie beispielsweise Pfarrer-Fernsehserien oder „Wort zum Sonntag“ (vgl. z.B. Albrecht 1993, Ayaß 2000, Tremel 1986, Hickethier 1996, Mikos 2000). Letzterer Themenbereich wird international zunehmend von der in den USA dominierenden Forschung zum „televangelism“, d.h. nicht in traditionellen Kirchen verankerten Prediger-Angeboten vor allem im Fernsehen, beherrscht (siehe bspw.
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Der Weltjugendtag als Medienevent
Hoover 1988, Bruce 1990, Schultze 1991). Von hier aus bestehen unweigerlich Übergänge zur Diskussion, inwieweit die Grenze zwischen explizit religiösen Formaten und einem „allgemein religiösen“ Charakter von Medienprodukten (mittlerweile) fließend ist (vgl. Horsfield 1985, Fore 1987, Hoover 1988, Hoover 2000, Schmidt 1991, Bieger 1997). Dies verweist auf einen zweiten Diskussionsstrang um Fragen der Mediatisierung von Religion, den der Auseinandersetzung mit einer ‚quasi-religiösen‘ Funktion der Medien. Neben im engeren Sinne kommunikations- und medienwissenschaftlichen Arbeiten (Reichertz 2000; Hoover/Lundby 1997, Hoover/ Schofield Clark 2002, in Teilen Keppler 1994a; in Bezug auf Vergemeinschaftung Döveling 2004) sind hier religionswissenschaftliche Arbeiten auszumachen (vgl. exemplarisch Thomas 1998, Thomas 2000). Über Einzeldifferenzen hinweg treffen sich diese verschiedenen Studien in dem Punkt, dass Medien – vor allem das Fernsehen – zunehmend Funktionen übernehmen, die ‚quasi-religösen‘ bzw. ‚religiös-äquivalenten‘ Charakter haben. Dies können beispielsweise Formen des öffentlichen Ritualvollzugs sein (vgl. exemplarisch Newman 1996, Schilson 1997), eine in ihrem „Flow“ liturgische Ordnung des Fernsehprogramms (vgl. exemplarisch Silverstone 1981, Bleicher 1999) oder die Konstitution „quasi-religiöser“ Vergemeinschaftungen aufseiten der Publika (vgl. beispielsweise Thomas 1998: 186-211 oder Handelman 1998 und Liebes/Curran 1998). Solche Forschungsergebnisse verweisen darauf, dass die Mediatisierung von Religion umfassender ist, als eine von Kirchen als institutionalisierten Trägern ausgehende Betrachtung nahelegen würde. Religiöse Muster und Formen tauchen in den Medien in einer erheblichen Breite auf, was Rückwirkungen auf Kirchen hat. Die Kirchen müssen außerhalb von deren Organisationen mediatisierte Muster in der eigenen Selbstdarstellung aufgreifen, wenn sie sich in der heutigen Zeit positionieren wollen: Auch ein kirchliches Ritual wie eine Hochzeit, Taufe oder ein Weihnachtsgottesdienst muss in seiner Realisierung die Erwartungen einer Gemeinde berücksichtigen, die durch Medien präfiguriert sind. In dieser allgemeinen Diskussion um die Mediatisierung von Religion ist die Studie „Religion in a Media Age“ von Stewart M. Hoover (2006) herauszustreichen. Im Kern handelt es sich hierbei um eine empirische Untersuchung, die sich auf der Basis qualitativer Interviews mit dem Verhältnis von Religion und Medien im Alltagsleben der amerikanischen Gesellschaft befasst. Über die verschiedenen Einzelaspekte der Studie hinweg ist an den Ergebnissen der Untersuchung bemerkenswert, dass Hoover auf der Ebene des Alltagslebens religiöser – und „den Medien“ kritisch gegenüber eingestellter – Menschen zeigen kann, wie weit die „Allgegenwart“ (Hoover 2006: 265) der Medien geht: Im Kern repräsentieren für die Interviewpartner von Hoover die Medien die „common cultu-
Die Mediatisierung von Religion
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re“ (Hoover 2006: 267). Dies konkretisiert sich dreifach, erstens dadurch, dass Mediennutzung selbstverständlicher und erwarteter Teil des Alltagslebens ist, zweitens dadurch, dass Medien in der Auffassung der Befragten das „allgemeine“ Set von Symbolen, Ideen und Themen zur Verfügung stellen und drittens dadurch, dass dies auf eine für alle attraktive und machtvolle Weise geschieht. Auch für religiöse Menschen scheint damit die von Nick Couldry (2003; 2008) scharf kritisierte Tendenz der Medien, sich selbst zunehmend als das Zentrum von Kultur und Gesellschaft zu inszenieren, in ihrem Alltagsleben selbstverständlich zu sein: Sie nutzen Medien – gerade auch nicht-religiöse Medien –, um „Teil“ an einer „common culture“ zu haben. Und sie entwickeln bestimmte religiöse Werte gerade in Bezug auf bzw. in Abgrenzung zu medienvermittelten Diskursen (bspw. zu Gewalt oder Sexualität). Was „in“ den Medien „ist“ gilt als „zentral“. Der „Mythos vom mediatisierten Zentrum“ scheint in den Wirklichkeitsartikulationen des Alltagslebens weit fester verankert zu sein, als die von Nick Couldry formulierte Kritik es vermuten lässt. Die Studie von Stewart Hoover macht damit deutlich, dass Mediatisierung gerade nicht heißt, dass Medien die Funktionalität von Religion dauerhaft übernehmen würden. Mediatisierung heißt vielmehr, dass Medien mit deren zunehmender Allgegenwart für Religion und religiöse Praktiken der „prägende Rahmen“ werden: „In the relations between ‚religion‘ and ‚the media‘, the latter are, in many ways, in the driver‘s seat. We see that, as I said, with reference to the whole sense of ‚common culture‘ accessible through, and experienced in, the media. That culture, and those ideas and discourses, are the themes and topics of the everyday social discourse. To the extent that religious and spiritual ideas and motivations enter in, they must do so within the limits and constraints established here.“ (Hoover 2006: 284)
Mediatisierung wird hier konkret in der Art und Weise, wie Medien den „Rahmen“ von Religion und religiöser Praktik setzen. Entsprechend können wir die Überlegung, dass der Weltjugendtag als Medienevent eine Reaktion der katholischen Kirche auf den aktuellen Wandel von Religion ist, in Bezug auf Mediatisierung weiter ausformulieren: Der Weltjugendtag ist nicht nur die Gelegenheit schlechthin, sich als Kirche auf dem „mediatisierten Markt der Sinnangebote“ zu präsentieren. Darüber hinaus fügt sich die katholische Kirche damit in den allgemeinen Rahmen der medienvermittelten „common culture“ von mediatisierten Kulturen und bestätigt so die „zentrierende Rolle“ der Medien. Doch wie ist dieser Zusammenhang in Bezug auf den Weltjugendtag konkret zu fassen? Um diese Frage zu klären, erscheint es notwendig, sich näher mit dem Begriff des Medienevents auseinanderzusetzen, bevor wir unsere empirischen Ergebnisse zu dieser Frage präsentieren können.
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2.3
Der Weltjugendtag als Medienevent
Zwischen rituellen und populären Medienevents
Wir argumentieren, dass das religiöse Medienereignis Weltjugendtag als ein hybrides Medienevent zu begreifen ist. Eine solche Aussage ist in einem doppelten Sinne erklärungsbedürftig: Erstens muss man – nachdem wir bislang eher unspezifisch darüber gesprochen haben – klären, was ein Medienevent ist. Und zweitens ist darzulegen, warum ein religiöses Medienevent wie der Weltjugendtag als hybrid erscheint. Setzt man sich mit Medienereignissen auseinander, stellt man fest, dass es große Ereignisse in den elektronischen Medien, allen voran im Fernsehen, seit Beginn ihrer Geschichte gab. Man denke beispielsweise an die Fernsehübertragungen verschiedener Sportereignisse oder Zeremonien, die als rituelle bzw. zeremonielle Formen von Medienereignissen begriffen werden können. Die erste übergreifende Untersuchung solcher „rituellen Medienereignisse“ wurde von Daniel Dayan und Elihu Katz vorgelegt. Dayan und Katz begreifen Medienereignisse als ein spezifisches Genre des Fernsehens, wobei sie acht Kriterien als konstitutiv annehmen (vgl. Dayan/Katz 1992: 4-9): Erstens stellen Medienereignisse Unterbrechungen sowohl der alltäglichen Routine als auch des fortlaufenden Medienprogramms dar. Zweitens ist diese Unterbrechung monopolistisch in dem Sinne, dass sich die Mehrzahl der Kanäle von ihrem üblichen Programmablauf löst und das Event aufgreift. Drittens ist das Geschehnis live, d.h., Medienereignisse werden direkt übertragen. Viertens werden Events „außerhalb“ von Medien organisiert, sie finden jenseits der Studios und Medienorganisationen statt und werden nicht von den Medienanstalten initiiert. Fünftens sind Medienevents vorgeplant, werden im Vorfeld angekündigt und beworben. Sechstens werden Medienereignisse mit Ehrfurcht und Feierlichkeit präsentiert. Siebtens sind sie nicht auf Konflikt ausgerichtet, sondern auf Versöhnung. Achtens schließlich elektrifizieren sie große Publika. Sicherlich ist diese Definition von Medienevents nicht unproblematisch. Kritisiert wurde sie erstens wegen ihrer primär integrativ-rituellen Perspektive, zweitens wegen ihrer engen Definition von Medienevents als „Genre“ und drittens aufgrund ihres Fokus auf harmonische Ereignisse, während bspw. Terror, Krieg und Unglücke ebenso herausragende Medienevents darstellen (Hepp/ Krotz 2008). Gleichwohl erscheinen die Überlegungen von Dayan und Katz bis heute als zentral, indem sie darauf verweisen, dass einzelne herausgehobene Ereignisse in den Medien einen besonderen Stellenwert in der gegenwärtigen kulturellen Bedeutungsproduktion haben.
Zwischen rituellen und populären Medienevents
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Entsprechend müssen Medienevents – die von der Konzeptionalisierung von Dayan und Katz ausgehende Forschung reflektierend (siehe die Beiträge in Couldry et al. 2009) – als solche herausgehobenen Ereignisse verstanden werden. An anderer Stelle formulierte Überlegungen aufgreifend (Hepp/Couldry 2009) wollen wir Medienevents als spezifische situative Verdichtungen von Medienkommunikation begreifen, die durch eine zentrierende und auf einen thematischen Kern ausgerichtete Performanz gekennzeichnet sind, unterschiedliche Medienprodukte durchschreiten bzw. eine breite und verstreute Vielfalt von Publika und Teilnehmern erreichen. Ein zentraler Aspekt dieser Definition ist der Ausdruck „zentrierende Performanz“. Hierunter verstehen wir verschiedene typische Formen des kommunikativen Handelns – „Szenarios“ im ursprünglichen Ansatz von Dayan und Katz – durch die eine „Zentrierung“ in einem doppelten Sinne artikuliert wird: Erstens, indem der thematische Kern des Medienevents als „zentral“ für seine Narration dargestellt wird; zweitens, indem dieser thematische Kern in Beziehung gestellt wird zum „Zentrum“ einer bestimmten sozialen Größe („einer Gesellschaft“, „einer deterritorialen Vergemeinschaftung“, „der Welt“). In diesem Sinne sind Medienevents in hohem Maße verbunden mit Prozessen der Konstruktion des „mediatisierten Zentrums“ einer Kultur oder Gesellschaft. Und folglich sind sie in hohem Maße machtgeprägte Ereignisse und müssen entsprechend kritisch, d.h. im Hinblick darauf, wie sie ein solches „Zentrum“ konstruieren, analysiert werden. Diese Überlegungen lassen sich konkret auf den Weltjugendtag beziehen: Er hat einen thematischen Kern, die papstbezogenen Geschehnisse in Köln, die in einem Gefüge vielfältiger medialer Kommunikationsprozesse fokussiert werden und auf diese Weise translokal weit über Köln hinausgehen und verschiedenste (katholische) Regionen der Welt einbeziehen – wenn auch mit zum Teil erheblichen Differenzen zwischen den thematischen Verdichtungen je nach Format und Bezugsregion der Berichterstattung. Interessant erscheint daneben die Frage, wie sich die zentrierende Performanz des Weltjugendtags konkretisiert. Um diese Frage zu beantworten, erscheint es in einem ersten Schritt hilfreich, die drei von Dayan und Katz unterschiedenen Idealtypen möglicher Szenarios von Medienereignissen näher anzusehen, den Wettkampf („contest“, wie bspw. die Olympischen Spiele oder Fußballweltmeisterschaft), die Eroberung („conquest“, wie der erste Schritt auf dem Mond) und die Krönung („coronation“, als Inthronisierung eines realen Königs, Politikers oder anderen Prominenten). Es ist deutlich, dass der Weltjugendtag als Medienevent zwar vielfältige zeremonielle bzw. rituelle Aspekte hat – es geht ja um Religion mit all ihren liturgischen Veranstaltungen –, aber in seiner Performanz dennoch nicht einfach ein Wettkampf, eine Eroberung oder Krönung ist.
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Der Weltjugendtag als Medienevent
Noch schwieriger wird es, wenn wir uns vergegenwärtigen, was Dayan und Katz mit ihrer Unterscheidung dieser drei Typen im Blick hatten: Letztlich arbeiteten sie mit einer Vorstellung, wonach Medienereignisse im weitesten Sinne auf Regelbestätigung in einer in ihrem Wertekonsens homogenen Gesellschaft fokussiert sind: Wettbewerb und Krönung vermitteln, dass (gesamt-) gesellschaftlich geteilte Regeln als wertvoll bzw. traditionsrelevant beizubehalten sind. Und die charismatische Regelüberschreitung der Eroberung ist auf einer höheren Ebene regelbestätigend, da es hier um die Transformation von Regeln auf einer neuen Stufe geht. Als „rituell“ kann man Dayans und Katz‘ Begriff von Medienereignissen folglich deshalb charakterisieren, weil im Zentrum die Bestätigung bzw. konstruktive Veränderung bestehender Regeln steht. Auf diese Weise sind rituelle Medienereignisse eine umfassende Integrationsinstanz. Sie symbolisieren als Medienrituale den Anspruch der Medien selbst, Zentrum der jeweiligen Gesellschaft zu sein (vgl. Couldry 2003: 55-74). Dem Postulat von Dayan und Katz nach können sie dies aber auch über einzelne Gesellschaften hinaus bis hin zur gesamten Welt (vgl. Dayan/Katz 1992: 170). Auf den Punkt gebracht geht es beiden also um mediale Repräsentationen von Ausnahmeereignissen, die eine Gesellschaft – oder gar die Welt – um bestimmte als geltend bzw. verbindlich anerkannte Wertvorstellungen herum integrieren. Damit wird es in einem doppelten Sinne problematisch, den Weltjugendtag alleinig als ein rituelles Medienevent im Sinne von Dayan und Katz zu charakterisieren: Zwar hat er mit seinen sakralen religiösen Veranstaltungen zeremonielle, transkulturell kommunizierte Momente, aber er ist nicht das (national) integrierende Medienereignis als „Fernsehzeremonie“ (Dayan/Katz 1996), das die beiden im Blick hatten. Hinzu kommt, dass der Weltjugendtag als Medienereignis ebenso populäres Feiern auf den Straßen und unter den Jugendlichen umfasst, und hier ein Bruch mit den Vorstellungen der beiden Autoren vorliegt. Solche Überlegungen verweisen darauf, dass der Weltjugendtag ebenso Aspekte einer anderen Art von Medienereignis umfasst als dem rituellen: eines Medienereignisses, das man als populäres Medienevent charakterisieren kann (vgl. Hepp 2002b, Hepp 2003). Populäre Medienereignisse sind bspw. herausragende Filmereignisse wie der Kino-Start von „Titanic“ (vgl. Sandler/Studlar 1999, Hepp/Vogelgesang 2000), außergewöhnliche populärkulturelle Fernsehereignisse wie die erste Staffel von „Big Brother“ (Mikos et al. 2000) oder bemerkenswerte Radioereignisse wie Hitparaden-Events (vgl. Lindner-Braun 1998, Neuwöhner 1998, Hepp 2004c). Durch was unterscheiden sich aber solche populären Medienevents von rituellen Medienereignissen?
Zwischen rituellen und populären Medienevents Tabelle 4:
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Rituelle und populäre Medienereignisse
Routinisierungsgrad Stellung im Programm Geschehen Strukturierung Produktion Präsentation Konfliktorientierung Fokus von Publika
Rituelles Medienereignis
Populäres Medienereignis
Unterbrechung von Routine Monopolisieren des Programms Live Medienextern Geplant Ehrfurchtsvoll und feierlich Versöhnend Elektrifizierung
Routinisiertes Außeralltäglichkeitserleben Dominieren eines Programmsegments Kontinuierlich entwickelt Medienintern Kommerzialisiert Unterhaltend und spaßorientiert Polarisierend Aufmerksamkeitsgenerierung
Quelle: Hepp/Vogelgesang 2003: 16
Die Hauptunterschiede zwischen rituellen und populären Medienereignissen werden deutlich, wenn man sich nochmals die acht Punkte der rituellen Medienevent-Definition von Dayan und Katz vor Augen führt und hiervon populäre Medienereignisse abgrenzt (siehe oben stehende Tabelle). 1. Im Gegensatz zu rituellen Medienereignissen sind populäre Medienevents zunächst keine eigentlichen Unterbrechungen des fortlaufenden Medienangebots. Vielmehr sind die Repräsentationen, die sie konstituieren, in unterschiedlichen Graden geplanter Teil der regulären Angebotsstruktur. Jedoch bieten sie den Rezipierenden die Möglichkeit, in einer routinisierten Medienrezeption auf einfache und erlebnisrational kalkulierbare Weise ihren Alltag zu durchbrechen. Hierdurch ermöglichen populäre Medienevents ein „routinisiertes Außeralltäglichkeitserleben“. 2. Die Stellung von populären Medienereignissen im Programm ist als segmentiell dominant zu charakterisieren, aber nicht als monopolistisch, wie im Falle von rituellen Medienereignissen. Populäre Medienereignisse dominieren also das zu einem Zeitpunkt über verschiedene Kanäle und Medien behandelte Themenspektrum in einem bestimmten Segment wie „Musik“ oder „Film“, sie „verdrängen“ aber aufgrund ihrer Stellung nicht Inhalte in allen anderen Segmenten, wie es rituelle Medienereignisse tun. 3. Auch populäre Medienereignisse sind in dem Sinne ‚aktuelle‘ Geschehnisse, als dass sie sich mit der Berichterstattung entwickeln und nicht im Nachhinein berichtet werden. Allerdings wird nicht zwangsläufig live von einem Großereignis (bspw. einem Sportwettkampf oder einer staatlichen Zeremonie) berichtet, sondern das, was sich kontinuierlich entwickelt, spielt sich (primär) innerhalb der Medien und ihrer Aneignung ab.
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Der Weltjugendtag als Medienevent
4. In Abgrenzung zu rituellen Medienevents werden populäre Medienevents nicht generell „außerhalb“ von Medien strukturiert, sondern sind zum Teil umfassend medial initiiert. Populäre Medienereignisse sind „diskursive Ereignisse“ und kein „Diskurs über ein Ereignis“ (Fiske 1994: 4), was vielleicht die adäquate Umschreibung, zumindest des Anspruchs ritueller Medienereignisse, ist. Ob „Big Brother“ oder „Titanic“ – gemeinsam ist ihnen ihre im medialen Diskurs begründete Existenz. 5. Eng mit ihrer primär medialen Generierung hängt zusammen, dass populäre Medienevents nicht nur wie rituelle Medienereignisse vorgeplant sind und im Vorfeld angekündigt und beworben werden. Die Differenz besteht darin, dass populäre Medienereignisse umfassend kommerzialisiert sind. Tendenziell gehen populäre Medienereignisse von einzelnen medialen Produkten aus, die mithilfe eines gezielten, medienbezogenen (Event-)Marketings im Sinne einer Markenetablierung beworben werden (vgl. Willems 2000: 63–67; Höhn 2004). Es geht auf dieser Ebene also um die Umsetzung einer allgemein aus dem gegenwärtigen Marketing bekannten Strategie innerhalb der Medien. 6. Populäre Medienereignisse werden nicht mit Ernst präsentiert. Vielmehr stellen sie auf einen bestimmten Erlebniskern bezogene, medial vermittelte Angebote an die Rezipierenden dar, sich zu vergnügen. Nur in dem Maße, wie populäre Medienereignisse Rezipierenden dieses Vergnügen bereiten, können sie populär und damit zum Teil von Populärkultur werden. 7. Während rituelle Medienereignisse auf gesellschaftliche Integration ausgerichtet sind, ist dies bei populären Medienereignissen anders. Zwar muss ihr Erlebniskern für verschiedene Rezipierende bzw. Publika anschlussfähig sein, ihr Integrationspotenzial entfalten sie allerdings zumeist innerhalb von spezifischen segmentären kulturellen Verdichtungen (Populärkulturen, Freizeitgemeinschaften, religiöse Vergemeinschaftungen etc.). 8. Schließlich beschäftigen populäre Medienereignisse wie rituelle Medienereignisse große Publika. Die Differenz muss aber darin gesehen werden, dass populäre Medienevents nicht wie rituelle Medienereignisse in dem Sinne elektrifizieren, dass sie weite Teile der Angehörigen einer Gesellschaft oder verschiedener Gesellschaften in gleichem Maß involvieren. Populäre Medienereignisse sind über bestimmte kulturelle Verdichtungen hinaus oft Gegenstand von Konflikten. Ausgehend von solchen Überlegungen wird deutlich, inwiefern der XX. Weltjugendtag als Medienereignis sowohl Aspekte von rituellen als auch von populären Medienevents umfasst: Er ist insofern ein rituelles religiöses Medienereignis, als ein wichtiger Teil des Weltjugendtags religiöse Zeremonien sind, die in einer Feierlichkeit in den Medien transkulturell präsentiert und entsprechend kommentiert werden. Gleichzeitig ist er aber auch ein populäres Medien-
Zwischen rituellen und populären Medienevents
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event, indem er auf das Segment der katholischen Jugend fokussiert ist und in der Berichterstattung deren Gemeinschaftserleben, deren Feiern und Aspekte deren religiöser (Jugend-)Kultur in den Vordergrund rückt. Der Weltjugendtag ist mithin ein hybrides religiöses Medienevent. Fassen wir damit die in diesem Kapitel entwickelten Überlegungen zusammen: Das Medienevent Weltjugendtag kann als Reaktion der katholischen Kirche auf den Wandel von Religion begriffen werden. Religion in der Gegenwart erscheint – zumindest in europäischen Gesellschaften – als zunehmend individualisiert, d.h. Religionszugehörigkeit und Glaube ist auch eine Frage der individuellen Wahl und Bricolage, bzw. verschiedene Religionsangebote treten in einer Art „Sinnmarkt“ in Konkurrenz sowie Auseinandersetzungsprozesse zueinander. Indem dieser „Sinnmarkt“ in erheblichen Teilen medial vermittelt ist, wird das Medienevent Weltjugendtag als Reaktion der katholischen Kirche auf den aktuellen Wandel von Religion beschreibbar. Dieses Medienereignis gestattet es, das eigene Glaubensangebot für eine bestimmte Zeit in verschiedensten Ländern transkulturell als „dominant“ zu platzieren. Hiermit ist die katholische Kirche aber gleichzeitig Teil eines neben der Individualisierung zweiten Wandels von Religion, dem der Mediatisierung. Mediatisierung in diesem Sinne heißt nicht einfach nur die Verbreitung von technischen Kommunikationsmedien in religiösen Kontexten. Darüber hinaus heißt Mediatisierung, dass Muster der medialen Vermittlung zunehmend Religion prägen. Genau dies wird deutlich anhand einer näheren Betrachtung des Weltjugendtags: Als Medienevent kann er in der heutigen Zeit nicht mehr nur „rituelles Ereignis“ sein, sondern ist stets auch ein „populärkulturelles Phänomen“ – und somit ein hybrides religiöses Medienevent. Was das genau heißt und wie sich hier der Wandel von Religiosität manifestiert, dies zeigen unsere Analysen in den folgenden Kapiteln.
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
Betrachtet man die Mediatisierung des Weltjugendtags aus Perspektive der Produktion, lassen sich zwei Akteursbereiche ausmachen, deren Aktivitäten umfassend ineinander verschränkt sind. Dies ist erstens der Akteursbereich der katholischen Kirche als Veranstalterin des Weltjugendtags. Im Hinblick auf die Medienberichterstattung sind dort die Bereiche „Kommunikation und Öffentlichkeit“ sowie „Liturgie“ des mit der Planung und Durchführung des Ereignisses betrauten sog. Weltjugendtagsbüros von Bedeutung. An ihnen wird deutlich, wie sehr es aufseiten der katholischen Kirche nicht nur darum ging, den Weltjugendtag insgesamt zu organisieren (vgl. Forschungskonsortium Weltjugendtag 2007: 163-204; Pfadenhauer 2008), sondern ihn auch als sakrales Ereignis in den Medien zu inszenieren. Der zweite Akteursbereich sind die Medienschaffenden – die Fernseh-, Radio-, Zeitungs-, Zeitschriften-, Bild- und Online-Journalisten. Für sie stand im Vordergrund, Berichte über das Ereignis Weltjugendtag zu produzieren. Beide Akteursbereiche standen wie gesagt nicht nebeneinander, sondern waren organisatorisch ineinander verschränkt. So hatte das Weltjugendtagsbüro im Vorfeld eine Reihe von Medienpartnerschaften abgeschlossen, um die Medienschaffenden umfassend in die eigene Organisation einzubeziehen. Zu nennen sind hier die allgemeinen Medienpartner „Bild-Zeitung“, „Deutsche Welle“ und „Dom-Radio“, das Kooperationsprojekt „Weltjugendtagszeitung“ mit dem „Kölner Stadtanzeiger“ sowie der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Dieser war als Host-Broadcaster für die Übertragung des sogenannten „Weltbilds“ zuständig. Wie es der beim WDR für die „Host-Berichterstattung“ zuständige Mitarbeiter formuliert: „Wir sind als Host-Broadcaster gewählt, um am Ort teilweise den Ton und das Bild zu nehmen und das in die Welt zu verbreiten. Nur wir verfügen über diese Logistik, Bilder und Töne in die Welt zu verbreiten. Also der Weltjugendtag könnte das gar nicht und da haben wir als öffentlich-rechtliche Anstalt diesen Auftrag, das zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Standbein unserer Arbeit hier. Wir sind als Host-Broadcaster bestimmt schon 2002 gefragt worden, macht ihr das, könnt ihr das Signal teilweise übernehmen oder Tonsignale von den Beschallungsfirmen neu mischen, weil das im Hörfunk anders wirkt als auf einer Fläche, und verbreiten an alle Anstalten auf Nachfrage […] für den Hörfunk und für das Fernsehen […] weltweit.“
Aufgabe des WDR war es – wie bei solchen Großereignissen üblich –, unabhängig von der Weltjugendtagsberichterstattung in seinen eigenen Programmen ein Hörfunk- und Fernsehsignal zur Verfügung zu stellen, das von verschiedensten interessierten Medienanstalten übernommen, mit eigenen Moderationen ver-
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
sehen bzw. durch eigenes Material ergänzt werden konnte. Während deutsche Sendeanstalten sich im Falle der Übernahme an den Kosten der Produktion des Weltbilds beteiligen mussten, war das Material für Medienanbieter außerhalb Deutschlands kostenfrei. Im Gegenzug erhielt der WDR bei allen Veranstaltungen, bei denen eine beschränkte Zahl von Kameras und Mikrophonen installiert werden konnte, exklusiven bzw. privilegierten Zugang und „diesen ersten Platz“ bei der Übertragung. Dies betraf vor allem sakrale Veranstaltungen wie die Willkommensfeier für den Papst auf dem Rhein und vor dem Kölner Dom oder den Schlussgottesdienst auf dem Marienfeld. Diese Zahl von Medienpartnerschaften und die herausgehobene Stellung der Produktion des „Weltbilds“ im Gesamt der Organisation des Weltjugendtags macht die Relevanz der Frage deutlich, mit der wir uns in diesem Kapitel befassen möchten: Wie prägt die Mediatisierung die kulturelle Produktion des (Medien-)Events Weltjugendtag? Eine Antwort darauf ergibt sich, wenn man einen genauen Blick darauf wirft, welche Unterschiede bei der kulturellen Produktion von ‚sakralen‘ und ‚populären‘ Momenten des Medienevents bestehen. In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung: Wenn wir in solchen Formulierungen von ‚kultureller Produktion‘ sprechen, meinen wir nicht nur das Handeln der katholischen Kirche als kollektivem Akteur. Vielmehr gehen wir – im Sinne aktueller Medien- und Kulturforschung (vgl. bspw. du Gay 1997; Negus 2002) – davon aus, dass die ‚Produktion‘ solch herausragender Ereignisse vielfältige Akteure und Prozesse einbezieht, die in weiteren kulturellen Kontexten zu sehen sind. Auch wenn im Hinblick auf die kulturelle Produktion deutlich wurde, dass die katholische Kirche über wechselseitige Vereinbarungen und Absprachen Einfluss auf die Medienberichterstattung nehmen konnte, wäre es problematisch, davon auszugehen, das religiöse Hybridevent wäre in seiner medialen Inszenierung seitens der katholischen Kirche gänzlich kontrollierbar. Vielmehr ist aus Perspektive der Produktion ein kalkulierter Kontrollverlust ein generelles Kennzeichen eines solchen Medienevents – und zwar trotz aller Einflussnahmen sowohl aufseiten der katholischen Kirche als auch aufseiten der Medienschaffenden. Mit dieser paradox anmutenden Formulierung wollen wir fassen, dass die mediale Inszenierung und Berichterstattung des religiösen Hybridevents wegen der Zahl der an ihr beteiligten Akteure wie auch seiner Eigendynamik insgesamt nicht kontrollierbar ist – dass ein solcher Kontrollverlust aber aufgrund von Erfahrung mit solchen Ereignissen gewissermaßen vorhersehbar ist und entsprechend in den Inszenierungs- und Berichterstattungsstrategien der beiden Akteursbereiche berücksichtigt wird. Wir wollen nicht ausschließen, dass es bei den Veranstaltern Versuche gab, Informationskanäle zu kontrollieren – im Gegenteil: So bestand beim Vatikan
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und Weltjugendtagsbüro ein „großes Geheimhaltungsbedürfnis“, wie es der interviewte für das Weltbild zuständige WDR-Mitarbeiter formuliert. Beispielsweise wurden mit allen an der Organisation des Weltjugendtags Beteiligten – vom freiwilligen Helfer bis hin zum Generalunternehmer für das Marienfeld – Schweigeverträge über Interna der Organisation abgeschlossen. Als darüber hinaus aber versucht wurde, über eine Vorauswahl der zu interviewenden „Pilger“ (der offizielle Name für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Weltjugendtag) die Kontrolle auf die gesamte Berichterstattung auszudehnen, musste der Bereich „Kommunikation und Öffentlichkeit“ des Weltjugendtagbüros realisieren, dass die geplanten Mechanismen nach wenigen Stunden zusammenbrachen. Die Nachfrage der Medienschaffenden war zu groß. Denn, wie es das von uns interviewte Mitglied der ZDF-Redaktionsleitung pointiert formuliert: „Das ist ein Event, das auch ein bisschen unsteuerbar ist.“ Eine solche „Unsteuerbarkeit“ bezieht sich zum einen auf die pure Zahl von Medienvertretern, die beim Weltjugendtag in Köln anwesend waren. Allein von der personellen Kapazität ist diese für die katholische Kirche jenseits der Akkreditierung in deren inhaltlicher Berichterstattung nicht kontrollierbar. Zum anderen ist damit die thematische Vielfalt des Weltjugendtags mit seinen Einzelveranstaltungen, Teilnehmern und aufkommenden Diskursen angesprochen, die Vorstellungen einer einfachen Kontrollierbarkeit seitens der katholischen Kirche ebenfalls einschränkt, und umgekehrt für die Medienschaffenden bedeutete, die Berichterstattung über den Weltjugendtag als ein situatives Themenmanagement zu betreiben. Mittels des Konzepts kalkulierten Kontrollverlusts wollen wir entsprechend fassen, dass die Steuerungsversuche der katholischen Kirche (in der der Verlauf eines solchen Medienevents durch vorherige Veranstaltungsjahre zumindest in seinen Grundzügen bekannt ist) und der Medienschaffenden darauf abzielen, „Unsteuerbarkeiten“ in die Planung der medialen Inszenierung einzubeziehen. Wie es der von uns befragte Leiter des Bereichs „Liturgie“ des Weltjugendtagsbüros in Köln feststellt: „Wir können alles planen, aber wer sich auf so eine Veranstaltung einlässt, der lässt sich auf ein hohes Risiko ein […]. Es wäre einfach vermessen zu glauben, ich mache so eine Veranstaltung und lade dazu ein und habe alles im Griff, […] das wäre allmachtsversessen.“
Dass einer solchen Aussage die Perspektive der Medienschaffenden auf die kulturelle Produktion des Weltjugendtags entspricht, macht folgende Äußerung des beim WDR für das Weltjugendtag-Host-Broadcasting zuständigen Mitarbeiters deutlich: „Es ist nicht die katholische Kirche, die den Medienhype macht, es sind wir Medienleute, die den Medienhype machen, da bin ich mir ganz sicher. Die katholische Kirche bietet
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
einfach nur diese alten Riten, diese alten Männer aus Rom, bietet diese bunten Trachten, Lichter, Symbole, die einfach im Fernsehen supergut kommen.“
Solche Aussagen machen in ihrer kontrastierenden Gegenüberstellung greifbar, dass das Medienevent Weltjugendtag in seiner kulturellen Produktion erst in den komplexen Interaktionsmustern zwischen den verschiedenen beteiligten Akteursbereichen greifbar wird. Wie muss man sich diese Interaktion konkret vorstellen? Und auf welche Weise konkretisieren sich in ihr bestimmte Grundmuster der Mediatisierung? Eine Erklärung ergibt sich durch eine triadische Struktur, in der über die beiden Akteursbereiche hinweg die Produktionsaspekte des Medienevents zu fassen sind: Ein erster Pol ist das Sakrale, d.h. die religiösen Rituale, die die katholische Kirche mit dem Weltjugendtag bietet, deren Berichterstattung sie in höchstem Maße zu beeinflussen sucht und die bereitwillig von den Medienschaffenden in Deutschland, Italien und anderen Ländern aufgegriffen werden. Ein zweiter Pol ist das Populäre auf dem Weltjugendtag, wie es exemplarisch die spontanen Feiern der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie die verschiedenen Ausdrucksformen ihrer Papstbegeisterung vom Sprechchor bis zum Benedetto-T-Shirt verkörpern. Gewissermaßen als Klammer zwischen diesen beiden Polen fungieren drittens die „alten Männer aus Rom“, namentlich der Papst als deren oberster Amtsträger. Ein solches Dreiecksschema hilft uns, die kalkulierenden Kommunikationsstrategien der katholischen Kirche und der Medienschaffenden zu systematisieren.
3.1
Inszenierungsversuche des Sakralen
Bei den Inszenierungsversuchen des Medienevents Weltjugendtag liegt der Fokus der katholischen Kirche auf den sakralen Großveranstaltungen: den Eröffnungsgottesdiensten in Bonn, Düsseldorf und Köln, der Willkommensfeier des Papstes mit Flusspredigt, der Nachtmesse Vigil und dem Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld. Der im Rahmen der Organisation des Weltjugendtags für die Liturgie zuständige Mitarbeiter unterscheidet diesbezüglich drei Aspekte von Inszenierung: Dies ist erstens der Aspekt der inhaltlichen Konzeption der sakralen Großveranstaltungen als Stationen eines „Pilgerwegs“, zweitens der Aspekt der „künstlerischen Gestaltung“ dieser Programmpunkte im Hinblick auf ästhetische und visuelle Elemente und drittens den Bereich der praktischen Organisation. Im Fokus der Inszenierung insgesamt steht das Sakrale des katholischen Glaubens, das sich mit dem Weltjugendtag gewissermaßen – wie es der Bereichsleiter Liturgie formuliert – „auf ein offenes Feld“ bewegt und das durch
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die „Unverwechselbarkeit“ der Inszenierung greifbar gemacht werden soll. Entsprechend sollen Glauben und Kirche als geheimnisvoll und rätselhaft repräsentiert werden, denn, wie es der Bereichsleiter formuliert: „wenn ich den Leuten den Eindruck gebe, hier ist jetzt alles gesagt worden, dann haben wir das Wesentliche verpasst, denn es bleibt eben auch das Geheimnisvolle; […] dass auch der Letzte meint, verstanden zu haben, das ist doch nicht Religion.“
Bei einer solchen Inszenierung geht es vor allem darum zu kalkulieren, wie das Sakrale in seinem geheimnisvollen und rätselhaften Charakter in den Medien kommunizierbar wird. Um nochmals den Bereichsleiter „Liturgie“ zu zitieren: „Ich versuche, dass wir hier im Bereich unser Möglichstes tun und dass in der Kommunikation nach außen also beispielsweise in den Printmedien oder im Radio oder Fernsehsendungen nicht über die Liturgie wie über das Oktoberfest in München berichtet wird […]. Wenn ich über Liturgie rede, ‚da werden so und so viel hundert Liter Wein benötigt und so und so viel Millionen Hostien‘, dann ist es so wie wenn ich über das Oktoberfest berichte, wo es dann heißt, so und so viel Liter Bier sind geflossen und so viel Kilo Weißwürste wurden gegessen. Das versuchen wir zu vermeiden […].“
Gerade weil sich die katholische Kirche im Klaren darüber war, dass sie das Medienereignis Weltjugendtag unmöglich würde in jeder Einzelheit kontrollieren können, wurden die Ressourcen und Kompetenzen dahingehend eingesetzt, die zentralen liturgischen Feiern für eine breite, das Sakrale aufgreifende Medienberichterstattung ansprechend zu inszenieren. Dies konkretisiert sich in drei Punkten des Umgangs mit solchen Veranstaltungen: (1.) Zugang: Der Zugang für die Medienschaffenden zu den sakralen Veranstaltungen wurde von Seiten der katholischen Kirche, d.h. konkret des Weltjugendtagbüros kontrolliert, indem unter allen akkreditierten Journalisten eine begrenzte Anzahl von sog. Pool-Karten vergeben wurde, ohne die man nicht in den Pressebereich bzw. auf die Pressetribünen eintreten konnte. Eine unabhängige, d.h. nicht (primär) auf das Weltbild des WDR angewiesene Berichterstattung unmittelbar vom Ort des Geschehens war entsprechend nur mit Erlaubnis des Veranstalters möglich. Umgekehrt ist die katholische Kirche – gemäß ihres Anspruchs, „medienwirksam ein positives Image zu vermitteln und durch den Weltjugendtag ein Mittel zur gelungenen Reputationspflege nutzen“ (so die Formulierung im internen Kommunikationskonzept) – auf eine breite und im Grundtenor positive Medienberichterstattung über den Weltjugendtag angewiesen, wodurch einer zu rigiden Zugangsbeschränkung Grenzen gesetzt waren. (2.) Inszenierungsfokus: Im Fokus der Inszenierung stand eine im Sinne der katholischen Kirche angemessene Berichterstattung über die sakralen Veranstaltungen, die entweder auf den Papst (bspw. beim Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld) oder aber auf eine andere hochrangige Kirchenpersönlichkeit
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(bspw. bei den Eröffnungsgottesdiensten) fokussiert war. Je nach Dramaturgie übernahmen die anwesenden „Pilger“ im Hinblick auf die mediale Inszenierung bestimmte Symbolfunktionen (bspw. die der Gemeinde) und bildeten damit – zumindest in der Wunschvorstellung der inszenierenden Seite – eine Identifikationskulisse: Die Zuschauer zuhause sollen sich in die jeweilige Rolle hineinversetzen und das Geschehen über die Medien vermittelt miterleben können. (3.) Gestaltungsspielräume: Die von Seiten der katholischen Kirche eingeräumten Gestaltungsspielräume der Medienschaffenden waren im Hinblick auf eine Einflussnahme auf den sakralen Geschehensverlauf nahezu ausgeschlossen. Rücksprachen fanden da statt bzw. Freiräume wurden da eingeräumt, wo es – insbesondere für den WDR als Host-Broadcaster – um die technischen Anforderungen einer (aus Perspektive der katholischen Kirche) angemessenen Übertragung der Inszenierung ging. Darüber hinaus bestanden Gestaltungsspielräume allenfalls in einer redaktionellen Nachbearbeitung des Weltbilds. Anhand des Handelns des Bereichs „Kommunikation und Öffentlichkeit“ des Weltjugendtagbüros im Verlauf des religiösen Hybridevents lässt sich exemplarisch zeigen, wie diese drei Aspekte einer nicht kontrollierten aber kalkulierten Inszenierung des Sakralen in den Medien aufseiten der Veranstalter konkret umgesetzt wurden. Zunächst weist die Existenz eines solchen zentralen Bereichs mit den inhaltlichen Säulen Pressearbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Merchandising und Internet auf den Stellenwert hin, den die Medienarbeit im Rahmen der Organisation des religiösen Hybridevents hatte: Öffentliche Kommunikation wurde nicht von den verschiedenen Organisationseinheiten des Weltjugendtagbüros bzw. der katholischen Kirche betrieben, sondern – der „Kommunikationspolitik“ von Großunternehmen vergleichbar – in einer Abteilung konzentriert. Diese bündelte die Kommunikation nach außen und verwies umgekehrt bei Anfragen ggf. auf die aus deren Perspektive relevanten Ansprechpartner in den verschiedenen Bereichen der Weltjugendtagsorganisation. Auch wenn dieser Ablauf nicht immer eingehalten werden konnte, wird hier der kalkulierende Versuch der Kirche greifbar, mit dem Weltjugendtag als Medienereignis „offensiv nach draußen zu gehen“ und gegenüber den Medienschaffenden eine einheitliche Linie zu vertreten – das war zumindest die Idealvorstellung des Bereichsleiters „Kommunikation und Öffentlichkeit“. So war die Zielausrichtung des Bereichs „Kommunikation und Öffentlichkeit“ dessen Leiter zufolge, „in der Woche des Weltjugendtags die erste Nachricht zu sein und zwar dauerhaft“. Dies verweist unmittelbar auf den Anspruch, den Weltjugendtag auf breiter Basis in den Medien zu platzieren. Selbstverständlich ging es den Veranstaltern nicht darum, mit möglicherweise negativen Meldungen die Medienagenda zu bestimmen. Die Medienarbeit zielte vielmehr darauf, „über dieses komplexe Motto“, die „Lichtmetaphorik am Rhein“ und die
Inszenierungsversuche des Sakralen
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Darstellung der „eucharistischen Anbetung“ das Besondere des (Glaubens-)Angebots der katholischen Kirche zu vermitteln – kurz auf „eine mediale Inszenierung“ des Sakralen im katholischen Glaubensangebot. Hierauf verweist die gezielte Kommunikation einer spezifischen Erwartungshaltung gegenüber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Weltjugendtags durch entsprechende Medien (siehe unsere Analyse in der unten stehenden Textbox). Das Sakrale in der Kommunikation mit den Teilnehmern Wie bereits angedeutet, richtete sich die (Medien-)Kommunikationsstrategie der Verantwortlichen des Weltjugendtags nicht nur darauf, über Zugangsbeschränkungen sowie formale und inhaltliche Absprachen eine im Hinblick auf die Darstellung des Sakralen angemessene Berichterstattung in den Medien, allen voran dem Fernsehen abzusichern. Darüber hinaus sollten speziell an die jugendliche Zielgruppe gerichtete Medienangebote (potenzielle) Teilnehmer gezielt auf ein religiös-spirituelles Erleben des Weltjugendtags als „Pilgerweg“ einstimmen bzw. sogar dazu anleiten. Deutlich wird das am offiziellen Pilgerhandbuch, das jeder registrierte Teilnehmer mit seinem Pilgerrucksack erhielt. Es nimmt das Erleben des Weltjugendtags wie folgt vorweg: „In Gebeten und Liedern werden wir während des XX. Weltjugendtags 2005 den Weg der Heiligen Drei Könige nachgehen, wir machen uns auf die Suche nach Jesus Christus und feiern in der Gemeinschaft der Kirche, dass wir Ihm im Wort, in den Sakramenten und in den Menschen begegnen. Die Themen der zentralen gottesdienstlichen Feiern greifen einzelne Abschnitte aus dem 2. Kapitel des Matthäusevangeliums auf. Wir suchen Christus, fragen nach Ihm, finden Ihn, beten Ihn an und lassen uns von Ihm erneut aussenden.“ (Pilgerbuch Liturgie, S. 8) Ebenso finden sich im Pilgerhandbuch Passagen zu Bedeutung und Botschaft der in den Liturgien verwendeten Symbole und Metaphern: „In Anlehnung an den Stern, dem die drei Weisen gefolgt sind, ist das Licht ein bedeutendes Symbol, das in den Gottesdiensten aufleuchtet. Zeichen des Lichtes werden an allen Orten gegenwärtig sein und laden ein, heute ‚die Zeichen zu ergründen, durch die uns Gott ruft und führt.‘ (Papst Johannes Paul II, Botschaft an die Jugendlichen der ganzen Welt anlässlich des XX. Weltjugendtags 2005)“ (Pilgerbuch Liturgie, S. 8). Offenbar geht es hier um zweierlei: Zum einen sollen damit auch diejenigen angesprochen werden, die der Kirche fernstehen bzw. mit der Glaubenslehre und der biblischen Metaphorik nicht oder nur wenig vertraut sind. Zum anderen wird dadurch ein Erwartungshorizont aufgebaut, der das Erleben des Sakralen als nach innen gerichteten Prozess des Suchens und Findens zu Gott fokussiert. Daran anschließend liefert insbesondere das Pilgerhandbuch neben Lied- und Gebetstexten umfassende Hinweise zum Ablauf und zur Dramaturgie der zentralen Liturgien sowie sehr konkrete Gedanken und Anleitungen zur Reflexion und Andacht auf den einzelnen Stationen dieser „Suche“ (siehe bspw. den Abschnitt zur Beichte im Pilgerhandbuch, S. 243ff.).
Dass das Sakrale im Inszenierungsfokus des Bereichs „Kommunikation und Öffentlichkeit“ stand, wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass der
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
stellvertretende Bereichsleiter und zweite Pressesprecher an allen Arbeitsgruppensitzungen des Bereichs „Liturgie“ teilnahm. Damit wurde die Inszenierung des Sakralen in den Medien in der Interaktion von im Wesentlichen sechs Parteien realisiert: von dem mit der eigentlichen sakralen Planung beauftragten Bereich „Liturgie“, dem Bereich „Kommunikation und Öffentlichkeit“, weiteren Liturgieexperten aus den Bistümern, Mitgliedern kirchlicher Verbände, den hinzugezogenen Experten der Kirchenredaktion des WDR sowie den für die technische Umsetzung zuständigen Redakteuren aufseiten der Medienschaffenden des WDR. Im Fokus stand explizit das Fernsehen, dessen Berichterstattung als „Teil“ (Bereichsleiter Liturgie) der Inszenierung begriffen wurde, weswegen „das künstlerische Bild, die Gestaltung“ (ders.) für die katholische Kirche zentral waren. Um sicherzustellen, „dass der Regisseur sich vorstellen kann, welche Bilder wir im Kopf haben“ (ders.), wurden in diesem 28-köpfigen Arbeitskreis „Drehbücher“ entwickelt. Ziel dieser Planungs- und Abstimmungsprozesse im Vorfeld war es, den für das Host-Broadcasting zuständigen Medienakteuren das Sakrale des Weltjugendtags greifbar zu machen, und damit zumindest über das Weltbild des WDR eine im Sinne der katholischen Kirche angemessene Berichterstattung über den Weltjugendtag abzusichern. Denn es ist – so die Perspektive der katholischen Kirche – dieses Sakrale, das das religiöse Hybridevent Weltjugendtag von anderen Medienevents abgrenzt. Für alle übrigen Medienschaffenden wurde – wie bereits betont – der Zugang zu den zentralen sakralen Feiern auf dem Weltjugendtag über die Vergabe von Pool-Plätzen geregelt. In einem Presse-Newsletter von Ende Mai 2005 wurden alle bis dato akkreditierten Journalisten darüber informiert, dass der Zugang speziell zu den Veranstaltungen mit dem Papst nur mit entsprechenden PoolKarten möglich sein würde, um die man sich extra bewerben müsste (PresseNewsletter des Weltjugendtags, Ausgabe Nr. 1, 31.05.05). Auf Basis einer Vorauswahl unter den Interessenten nach Sicherheitsaspekten durch das Bundespresseamt entschied der Bereich „Kommunikation und Öffentlichkeit“ über die genaue Zuteilung der Pool-Plätze. Im Vordergrund stand, über die Besetzung dieser privilegierten Berichterstattungsposten das sakrale Geschehen in den verschiedensten (internationalen) Medien angemessen zu kommunizieren. Entsprechend kam nach Angaben des Pressesprechers und Bereichsleiters „Kommunikation und Öffentlichkeit“ bei der Auswahl ein „Zufallsprinzip“ zum Einsatz, „das trotzdem drei Grundprinzipien entspricht“, nämlich Redaktionen bzw. Agenturen wie freischaffende Journalisten, nationale wie internationale, säkulare wie kirchliche Vertreter von Presse, Bild, Fernsehen und Hörfunk „gleichermaßen“ (ders.) zu berücksichtigen, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung. So war eine gewisse Zahl bzw. Kategorie von Pool-Plätzen von vorneherein für kirchliche bzw. der Kirche nahestehende Medienvertreter reserviert, wie die fol-
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genden Beobachtungen eines Pool-Fotojournalisten der „Deutschen Presseagentur“ (dpa) illustrieren: „Natürlich war es so, dass die KNA (also die katholische Nachrichtenagentur) auch mit Fotografen immer direkt am Papst dran war. Das war dann zum Teil so geregelt, dass auch die großen Agenturen da mit ran konnten, aber nicht in dem Format wie KNA, die überall mit dabei waren so wie die Fotografen des Bundespresseamtes. Aber es gibt ja auch noch den Vatikan-Pool, wo dann Journalisten aus Rom mitreisen, und die waren auch relativ dicht dran […]. Das war so, dass die Kontingente so eingeteilt werden bei den Pools dass, was weiß ich, wenn da ein Pool 16 Plätze hat als Beispiel, da sind dann acht für die hiesigen Kollegen und die andern acht für den Vatikan-Pool.“
Da sowohl Zugangsbeschränkungen als auch die Einteilung der Pool-Journalisten in unterschiedlich privilegierte Gruppen bei derartigen Großveranstaltungen üblich sind, führte diese Tatsache trotz der damit verbundenen Tendenzen der Vorauswahl kaum zu Unmut unter den Journalisten. Kritisch gesehen wurden vielmehr unzureichende bzw. widersprüchliche Informationen im Vorfeld ebenso wie während des Weltjugendtags in Köln sowie Defizite bei der Infrastruktur und Logistik, die die Medienschaffenden unmittelbar in ihrer alltäglichen Arbeitssituation beeinträchtigten, wie die folgenden weiteren Aussagen desselben Fotojournalisten veranschaulichen: „Es ist mal generell gesagt worden schon Wochen vorher, dass es Pools geben wird und dass darüber der Weltjugendtag entscheidet und dann kamen null Informationen mehr und irgendwann [...] haben wir mitgekriegt, dass das Bundespresseamt mehr oder weniger für den Teil zuständig ist, [...] und dann haben wir uns natürlich, weil wir einen guten Draht zu denen haben, haben wir uns da natürlich an die gehalten und da haben wir erst [erfahren], was alles Pool-pflichtig ist und wie auch immer. Nur wenn man dann in dem Verteiler vom Bundespresseamt nicht drin ist, dann, kriegt man das erst einmal nicht mit.“
Im Hinblick auf solche Einschätzungen verweist die Tatsache, dass die organisatorischen Details aus Sicht der Medienschaffenden nicht genug berücksichtigt wurden, darauf, wie sich die Veranstalter des Weltjugendtags auf die Inszenierung des Sakralen in den Medien konzentrierten, und an anderen Stellen einen damit kalkulierten Kontrollverlust in Kauf nahmen. Dabei fällt auf, in welchem Maße es das Sakrale war, das im Fokus der Produktion des Weltbilds (und -tons) des WDR gestanden hat: Der WDR war aktiv bei der Übertragung sakraler Veranstaltungen des Weltjugendtags, angefangen von dem Eröffnungsgottesdienst, der Ankunft des Papstes in Köln mit der Predigt vom Schiff zum Rheinufer bis hin zu den Feierlichkeiten der Vigil und dem Schlussgottesdienst am Marienfeld. Es waren diese sakralen Veranstaltungen, bei denen der WDR für seine Produktion des Weltbilds die umfassende logistische Unterstützung des Weltjugendtagbüros und durch den „ersten Platz“ (der zuständige Redakteur) eine Exklusivität der Position hatte.
50 Abbildung 1:
Die kulturelle Produktion des Medienevents
Kamerapositionen des WDR mitten im Geschehen auf dem Roncalli-Platz in Köln (Ankunft des Papstes; eigene Aufnahme)
Im Gegenzug zu einer solchen Exklusivität als Weltberichterstatter war der WDR zu inhaltlichen Kompromissen in seiner eigenen Berichterstattung bzw. der Berichterstattung der ARD über den Weltjugendtag bereit. Man übertrug auf Wunsch der katholischen Kirche die aus Sendersicht als wenig attraktiv eingestuften Eröffnungsgottesdienste und realisierte entsprechende sakrale Zeremonien mit hohem technischen Aufwand. Bspw. wurden rund 100 Fernsehkameras aufgestellt, um die Ankunft und Fahrt des Papstes mit dem Papamobil in bzw. durch Köln zu übertragen. Ebenso wurde ein Übertragungswagen mit einem Kran auf das Schiff gehievt, auf dem der Papst vor seiner Ankunft in Köln eine Messe abhielt, um das Bild- und Tonsignal zu einem darüber fliegenden Hubschrauber und weiter an einen Satelliten zu übertragen. Auf dem Marienfeld wurden spezielle Kameras an Seilwinden aufgebaut, um die Bewegungen des Papstes während der Abschlussmesse optimal übertragen zu können. Der Medienpartner WDR scheute kaum einen Aufwand, das Sakrale in der Medienberichterstattung angemessen zu inszenieren.
Inszenierungsversuche des Sakralen
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Diese vom WDR produzierten Bilder und Töne wurden – wie die von uns durchgeführten Interviews nahelegen – von den weiteren Medienschaffenden positiv aufgegriffen, weil man keine Möglichkeit der Produktion von eigenen Bildern und Tönen dieser Güte hatte. „Viele Positionen“, so die Perspektive einer RTL-Producerin, wurden „nur durch den WDR abgedeckt“ und waren für andere „nicht zugänglich“. Man war dankbar, durch eine solche Unterstützung eine nahezu perfekte Berichterstattung über die sakralen Veranstaltungen bieten zu können. Wie dieselbe Producerin fortfährt: „Wenn man sich aus so einem Signal, das dann abgemischt wird, bedienen kann, ist das natürlich nur von Vorteil. Das kann man ja selbst rein logistisch überhaupt nicht bewerkstelligen.“
In dieser Logik bedienten sich ebenfalls andere Sender – ob im Bereich des Hörfunks oder des Fernsehens, innerhalb des deutschen Sprachraums oder jenseits dessen – des vom WDR zur Verfügung gestellten Materials, wobei im Einzelfall durch ausgewählte, bei sakralen Veranstaltungen aufstellbare Kameras eigene Akzente gesetzt werden konnten. Auf diese Weise war eine Berichterstattung über die sakralen Veranstaltungen von den provisorischen Büros der verschiedenen Sendeanstalten im Medienzentrum des Weltjugendtags auf dem Kölner Messegelände aus machbar, ohne bei der Veranstaltung anwesend gewesen zu sein. Zusammenfassend wird damit deutlich, in welchem Maße der Fokus der katholischen Kirche auf einer angemessenen Inszenierung des Sakralen in den Medien lag: Gezielt wurden die Bereiche des Sakralen durch die Kommunikationsstrategien der katholischen Kirche vom weiteren Geschehen des Weltjugendtags ‚getrennt‘. Eine beschränkte Zahl von Medienschaffenden hatte Zugang, und noch geringer war die Zahl derjenigen, die sich unter diesen in herausragenden Berichterstattungspositionen befanden. Konfrontiert waren alle bei den sakralen Veranstaltungen mit den „Drehbüchern“ der medialen Inszenierung des Weltjugendtags – eine Situation, in die sich die Medienschaffenden erstaunlicherweise mehr oder weniger bereitwillig einfügten. Dafür mag es zuerst pragmatische Gründe geben. So unterliegen sakrale Veranstaltungen wie Gottesdienste in Deutschland nach dem Rundfunkstaatsvertrag einem gesonderten Schutz, der von den Medienschaffenden akzeptiert wird, auch wenn diese nicht religiös orientiert sind. Daneben ist rein praktisch die Übertragung von sakralen Veranstaltungen nur für eine beschränkte Zahl von Journalistinnen und Journalisten möglich, da es lokale Beschränkungen der Teilnahme gibt. Zentral bleibt aber – und das scheint der herausragende Grund für die Akzeptanz des Handelns der katholischen Kirche auf Seite der Medienschaffenden zu sein –, dass sich die katholische Kirche in ihrer Kalkulation des Medienevents Weltjugendtag dermaßen in etablierte Muster der Medienberichterstattung fügte, dass deren eigene
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
Inszenierung auf solche sakralen Bilder und Inhalte ausgerichtet war, wie die Medienschaffenden sie erwarteten.
3.2
Freiräume des Populären
Der Bereich des Populären lag in geringerem Maße im Inszenierungsfokus der katholischen Kirche, machte aber einen erheblichen Teil der Medienkulisse des Weltjugendtags aus. Zu denken ist beispielsweise an die Straßen und Plätze in Köln, in denen sich tagsüber und nachts der Weltjugendtag als Straßenfest konkretisierte, an Uferpromenaden, Hotels oder private Unterkünfte, in denen die „Pilger“ des Weltjugendtags übernachteten usw. Auch bezogen auf solche im weitesten Sinne öffentlichen Räume lassen sich die Umgangsformen der katholischen Kirche und Medienschaffenden anhand von drei Punkten konturieren: (1.) Zugang: Die Räume des Populären sind prinzipiell für jedermann zugänglich. Eine Zugangskontrolle ist somit schwer und wenn überhaupt nur in einzelnen abgesperrten Bereichen möglich. Entsprechend ist die Berichterstattung von solchen und über solche Orte seitens der katholischen Kirche kaum gestaltbar. Letztlich konkretisiert sich in Bezug auf die Räume des Populären die Erfahrung eines gewissen Kontrollverlusts der katholischen Kirche in Bezug auf den Weltjugendtag als Medienevent: Selbst in Momenten, in denen Überlegungen angestellt werden, diese Räume vergleichbar den sakralen Veranstaltungen für eine Medienberichterstattung zu kontrollieren – ein Gedanke, mit dem wie erwähnt der Weltjugendtagspressesprecher zu Anfang des Ereignisses im Hinblick auf die Auswahl von „Pilgern“ als Interviewpartner gespielt hat – scheitern diese Versuche, da es sich hierbei um allgemeine öffentliche Räume handelt. (2.) Inszenierungsfokus: Populäre Aneignungen des Weltjugendtags durch die verschiedenen Jugendlichen und Jugendgruppen bzw. populäre Feierlichkeiten auf öffentlichen Plätzen sind in geringerem Maße im Fokus der katholischen Kirche, zumal sie kaum in der Form inszenierbar erscheinen wie sakrale Veranstaltungen. Sie bilden vielmehr so etwas wie eine von der katholischen Kirche berücksichtigte (und erhoffte!) Kulisse des Weltjugendtags, die sie einbezieht und in ihrem Sinne kommunikativ zu nutzen gedenkt, die sich aber aufgrund ihrer Unkontrollierbarkeit gegen die veranstaltende Institution wenden kann, wie die Bilder von Wiesen mit gebrauchten Kondomen beim Weltjugendtag im Jahr 2000 in Rom exemplarisch gezeigt hatten. (3.) Gestaltungsspielräume: Zwar wird in der Inszenierung des Weltjugendtags teilweise durch den Programmverlauf (bspw. „Pilgerwege“ entlang bestimmter Straßen und über bestimmte Brücken) versucht, den öffentlichen
Freiräume des Populären
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Raum in die Inszenierung des Sakralen zu integrieren. Insgesamt sind im Bereich des Populären aber die Gestaltungsspielräume bei der Berichterstattung jenseits der Inszenierungsbemühungen der katholischen Kirche am größten. Es ist der Bereich, in dem die verschiedenen Medienschaffenden auf die ‚Suche‘ nach ‚ihren‘ jeweiligen Geschichten gehen. Abbildung 2:
Öffentliche Plätze als Freiräume des Populären (eigene Aufnahme)
Der Weltjugendtag war entsprechend aus Perspektive der Medienschaffenden nicht nur eine Abfolge sakraler Veranstaltungen, sondern hatte auch populäre Aspekte. Diese waren es, auf die sich die Berichterstattungsstrategien der Medienschaffenden fokussierten, um jenseits der an den zentralen Großereignissen orientierten Nachrichtenberichterstattung ‚eigene‘, sich von der weiteren Weltjugendtagsberichterstattung abgrenzende Geschichten zu ‚finden’. Dies trifft sowohl für den Bereich des Fernseh- und Radiojournalismus zu als auch für den Printbereich. So achtete beispielsweise die „Deutsche Presseagentur“ (dpa) darauf, nicht nur bei den sakralen Veranstaltungen vertreten zu sein und von diesen u.a. mit entsprechenden Fotos berichten zu können. Es ging ebenfalls „um andere Dinge“ (der von uns interviewte Fotojournalist) – und hier wurden konkret die „Pilger“ genannt, über deren Erleben in einem entsprechenden Feature berichtet wurde.
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
Ähnliches gilt für das Fernsehen. Dort rückte man die Gleichzeitigkeit von „naive[r] Frömmigkeit“ mit „Saufen“ und „Bumsen“ (der interviewte ZDF-Redakteur) als einen Aspekt des Weltjugendtags in den Vordergrund. Es wurden zusätzliche Teams eingesetzt, um „ergänzende Geschichten“ (die interviewte RTL-Producerin) einzufangen, Interviews mit (jugendlichen) „Pilgern“ geführt, diese auf dem Weltjugendtag begleitet oder Gastfamilien besucht. Gerade bei Medienschaffenden aus anderen Ländern und kulturellen Kontexten setzte an dieser Stelle die Ebene der Nationalisierung der Berichterstattung an, indem man sich auf die Geschichten der Pilger aus dem eigenen Herkunftsland konzentrierte. Und bei Regionalmedien innerhalb und außerhalb des deutschsprachigen Raums fand bezogen auf das populäre Erleben eine Regionalisierung statt, indem man sich für die Pilger der eigenen Herkunftsregion interessierte. Es wird damit deutlich, dass dem geringeren Interessen und Möglichkeiten der katholischen Kirche an einer umfassenden Einflussnahme auf die populären Aspekte des Weltjugendtags komplementär die Interessen der Medienschaffenden entsprachen, hier die interessanten ‚Geschichten‘ für die eigene Berichterstattung zu ‚finden‘, durch die man sich von den allgemein verfügbaren Berichten des Sakralen abgrenzte. In solchen Momenten erschien der Weltjugendtag in Bezug auf dessen kulturelle Produktion nicht nur als Abfolge liturgischer Veranstaltungen, sondern als populäres Medienevent mit den entsprechenden Geschichten und Geschehnissen. In den Vordergrund rückten Muster populärkultureller Berichterstattung. Für die Medienschaffenden blieb – wie für den Bereich „Kommunikation und Öffentlichkeit“ des Weltjugendtagbüros – der Papst die zentrale Klammer, die die verschiedenen Momente der Medienberichterstattung bündeln half.
3.3
Der Papst als kommunikative Klammer
Inwieweit der Papst für die Inszenierungsstrategien der katholischen Kirche zentraler Bezugspunkt war, wird an einem nochmaligen Bezug auf die Äußerungen des Bereichsleiters „Liturgie“ deutlich. Es fällt auf, dass der Papst bei dessen Darlegungen zur Liturgie kaum erwähnt wurde – es ging wie herausgestrichen eher allgemeiner um die Inszenierung des Sakralen des Glaubens als „geheimnisvoll“ und „unverwechselbar“. Vor diesem Hintergrund ist aber interessant, an welchen eher seltenen Stellen des Interviews der Papst thematisiert wurde. Dies war zum einen in Bezug auf die zentralen sakralen Veranstaltungen des Weltjugendtags, bei denen der Papst als der herausragende Akteur erscheint.
Der Papst als kommunikative Klammer
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Zum anderen war dies im Hinblick auf den Einbezug der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die (mediale) Inszenierung: „Der Papst ist Wallfahrer […], der sechzehnjährige Jugendliche aus dem Kongo ist ein Wallfahrer; beide kommen mit ganz unterschiedlichem Gepäck und das ist möglich.“
Ein solches Zitat macht exemplarisch greifbar, was es aus Sicht der katholischen Kirche heißt, dass der Papst bei der (medialen) Inszenierung des Weltjugendtags als kommunikative Klammer eingesetzt wird: Es geht darum, dass bei der Inszenierung des Sakralen als „geheimnisvoll“ der Anschluss an das Populäre der Jugend nicht verloren geht. Der Papst bietet das probate Mittel dazu, indem er in der Inszenierung des Weltjugendtags in die Rolle des „Wallfahrers“ schlüpfen kann, die er mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern teilt – wenn auch „mit unterschiedlichem Gepäck“. Ähnliche auf den Papst bezogene Kommunikationsstrategien eröffnen sich, wenn man den Bereich „Kommunikation und Öffentlichkeit“ betrachtet. In dem von uns mit dessen Bereichsleiter und Pressesprecher durchgeführten Interview ist vor allem interessant, wie von ihm über den Papst als Bezugspunkt der Medienarbeit gesprochen wird. So stand der Weltjugendtag für diese Abteilung zuerst einmal grundlegend in der Folge eines papstbezogenen „Medienhypes“, so der Bereichsleiter, dessen Beginn mit der Berichterstattung über den Tod Johannes Pauls II und die Neuwahl Benedikts XVI deutlich weiter als der Weltjugendtag zurücklag. Über eine solche gezielte Kontextualisierung in der Vorberichterstattung hinaus war die Medienarbeit dieses Bereichs papstbezogen. Zwar hält der Bereichsleiter es für einen Fehler, das Interesse der Jugendlichen für den Weltjugendtag nur mit dem Papst zu erklären, man kam „wegen des Weltjugendtags und auch wegen des Papstes“, so seine Worte. Diese Formulierung ist mit der Verwendung des „auch“ symptomatisch: Sicherlich war der Weltjugendtag das Ereignis, um dessen mediale Inszenierung es für den Bereich „Kommunikation und Öffentlichkeit“ ging – dieses Ereignis wird jedoch im Kern kommunikativ um die Auftritte des Papstes herum konstruiert, die die Höhepunkte des Weltjugendtags darstellten. Zentrales Rahmenthema der Inszenierungsstrategien wurde damit das Thema „Papst und Jugend“, wie es der Bereichsleiter formuliert, das aus dessen Perspektive den (medialen) Erfolg des Weltjugendtags erklärt: Dieses Thema hatte bereits „zu seinem Begräbnis funktioniert“, wurde mit dem Weltjugendtag erfolgreich fortgesetzt und zog vor allem „ganz viele ganz Ungläubige“ an. Greifbar wird einmal mehr, dass das Sakrale des Katholizismus über die Person des Papstes kommunikativ verhandelbar gemacht und über die Jugend mit dem Populären konfrontiert wird – was in diesem Spannungsverhältnis über die Me-
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
dien auch Nicht-Katholiken anziehen kann. Der Papst wurde für eine personalisierte Klammerung des an sich offenen und polysemen Medienevents Weltjugendtag genutzt. Wie weit solche markenbezogenen Kommunikationsstrategien gehen können, wird exemplarisch am Papst-Merchandising auf dem Weltjugendtag deutlich (siehe unten stehende Textbox). Papst-Merchandising Grundsätzlich fiel das breite Angebot an offiziellen Artikeln auf, mit dem ein Beitrag zur Kostendeckung des Weltjugendtags von 15 Prozent angestrebt wurde. Das Sortiment umfasste Praktisches wie Brillenetuis, Handyhalter oder Taschenkalender, Bekleidung und Schmuck (T-Shirts, Regenjacken, Sonnenhüten, Uhren und Pins), Andenken (Weltjugendtag Traumkugel), Glaubensutensilien wie Rosenkränze und Kerzen bzw. mit einem Bildband, einem Foto-Kalender, einer DVD und einer Musik-CD verschiedene nicht nur dokumentarische Medienangebote. Im Sinne einer „corporate identity“ trug das gesamte Sortiment das Logo des XX. Weltjugendtags oder zumindest einen entsprechenden Schriftzug. Damit wurde in erster Linie kommuniziert „Ich war dabei“. Das Angebot an offiziellen Merchandising-Artikeln hat also primär den Charakter von Souvenirs. Die Verantwortung für das Weltjugendtag-Merchandising lag bei der Pressestelle des Weltjugendtagsbüros, die das Angebot bereits im Vorfeld des Weltjugendtags mit Presseaktivitäten wie Pressemitteilungen und Newsletter kontinuierlich redaktionell begleitete und in Zusammenarbeit mit einer entsprechenden Agentur über den eigenen Online-Shop vertrieb, wo sie zum größten Teil auch noch weit nach Ende des Weltjugendtags verfügbar waren (http://www.Weltjugendtagshop2005.de). Zum Weltjugendtag drängten aber auch zahlreiche kommerzielle Anbieter vorwiegend aus dem Einzelhandel in Köln ebenso wie deutschlandweit mit verschiedensten „Papst-Devotionalien“ auf den Markt, in erster Linie mit Spielzeug (Papst-Teddy und Papst-Puppe), Kleidung und Schmuck (C&A-T-Shirt mit Aufdruck Benedikt XVI, Papst-Amulette) sowie Glaubensutensilien (Kerzen mit Papst-Konterfei) und entsprechenden Medienangeboten (Biografie Johannes Pauls II). Inhaltlich nahmen diese Merchandising-Angebote keinen direkten Bezug auf den Weltjugendtag, das Ereignis war nur der Anlass bzw. Kontext des Angebots. Der Bedeutungskern dieser Angebote kann so als Papstverehrung beschrieben werden, wobei sowohl der aktuelle Papst als auch sein Vorgänger auf entsprechenden Angeboten zu finden waren.
Wie sah die Rolle des Papstes in den Berichterstattungsstrategien der Medienschaffenden aus? Wirft man diese Frage auf, erscheint die Perspektive des WDR als herausragendem Medienpartner des Weltjugendtags bemerkenswert. Hier fällt auf, dass es der Papst war, der zwei „Highlights“ (der zuständige WDRRedakteur) der Berichterstattung über den Weltjugendtag bot: Dies war erstens der Auftritt des „deutschen“ Papstes in der Synagoge. Das „zweite Highlight“
Der Papst als kommunikative Klammer
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war das „liturgische Marienfeld“ als Abschlussgottesdienst mit dem Papst –, „das Bild: so viele Menschen jubeln diesem Papst zu“. Dass der Papst allgemein Referenzpunkt der strategischen Ausrichtung der Berichterstattung war, machen die Äußerungen der weiteren interviewten Medienschaffenden deutlich: Der „One Million-Dollar-Shot“ war nach Meinung des von uns interviewten ZDF-Redakteurs einem Journalisten gelungen, „der direkt neben dem Papst auf der Domplatte stand“. Als erster „Höhepunkt“ erschien dem Mitarbeiter des ZDF daneben die Begrüßung des Papstes, die in mediengeprägten Formeln gefasst wurde: „Wir sind Papst und sind auch mit dabei“, so formulierte der Redakteur in Anlehnung an eine Schlagzeile der „BildZeitung“. Ganz ähnlich war aus Perspektive der befragten RTL-Producerin der Themenhorizont des Weltjugendtags der „deutsche Papst“, womit sie die Ereignisse ebenfalls in den Kontext der allgemeinen „Medienpräsenz“ des Papstes setzt. Die inhaltliche Rahmung der Berichterstattung lautete entsprechend für sie „den Papst sehen zu wollen“ und der Weltjugendtag wurde als „Papstbesuch“ gefasst. Auch aus ihrem Blickwinkel erscheint der Weltjugendtag als Abfolge der einzelnen papstbezogenen sakralen Ereignisse, um die herum verschiedene weitere populäre Geschichten erzählt wurden: „Was ist wo, wann, wie passiert? Und dann natürlich auch die Geschichten, die da so dran hängen: Pilger begleitet, Interviews geführt, […] mit in die Familien gegangen, […] Essensausgabe, Zahlen, Fakten.“
Insgesamt wird damit deutlich, inwieweit der Papst sowohl von dem Akteursbereich der katholischen Kirche als auch vom Akteursbereich der Medienschaffenden kommunikationsstrategisch zur Klammerung des Medienevents Weltjugendtag eingesetzt wird. Für die katholische Kirche erlaubte der Papst eine Personalisierung ihres sakralen Erlebnisangebots, die es gestattete, dieses Angebot zu kondensieren und das Medienevent Weltjugendtag entlang der Aktivitäten des Papstes zu inszenieren. Für die Medienschaffenden war der Papst ein durch die Vorberichterstattung (Tod und Beerdigung von Johannes Paul II, Neuwahl von Benedikt XVI) gesetzter Rahmen, an den sie entsprechend anknüpfen konnten. Man kann hier von einer kommunikationsstrategischen Kondensierung des „Markensymbols Papst“ sprechen. Mit Bezug auf den Papst konnte der Kern des sakralen Angebots der katholischen Kirche berichtet und gleichzeitig die widersprüchlichen populären Dimensionen des Weltjugendtags als thematische Einzelaspekte eingebaut werden. Dies verweist zurück auf die Ausgangsfrage dieses Kapitels, auf welche Art und Weise sich bei der kulturellen Produktion des Medienevents die Mediatisierung
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Die kulturelle Produktion des Medienevents
konkretisiert. Nach unseren bisherigen Analysen erscheinen für die Beantwortung dieser Frage zumindest drei Punkte relevant. Erstens wird die Zentralität der Medienarbeit deutlich. Der Bereich „Kommunikation und Öffentlichkeit“ ist nicht eine Abteilung des Weltjugendtagbüros unter vielen, sondern er hat insofern eine Schlüsselstellung, als er in anderen Bereichen der Organisation – wie bspw. der Liturgieplanung – an namhafter Stelle einbezogen wird. Dies verweist auf die Mediatisierung des Weltjugendtags, weil hieran greifbar wird, welchen Stellenwert „die Medien“ haben. Zweitens konkretisiert sich die Mediatisierung darin, dass Medienakteure in die kulturelle Produktion einbezogen werden. Als Medienevent ist der Weltjugendtag nicht von der katholischen Kirche alleine machbar, sondern diese ist auf die Kooperation von verschiedensten Medienakteuren – Journalisten, Redakteure, Producer, Kameraleute, Fotografen usw. – angewiesen. Hier gilt es, die eigenen Vorstellungen an die Medienschaffenden zu kommunizieren, wofür die entwickelten „Drehbücher“ stehen. Und gleichzeitig müssen die Erwartungen der Medienschaffenden „bedient“ werden. Drittens wird deutlich, in welchem Maße eine mediale Prägkraft bei der kirchlichen Planung konkret wird. Insbesondere die Planung sakraler Veranstaltungen geschieht in erheblichem Maße im Hinblick auf die Darstellbarkeit in den Medien. Ähnliches gilt für eine Inszenierung des Papstes als „Symbol“ des Katholizismus. Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass auf Ebene der kulturellen Produktion Mediatisierung insofern greifbar wird, als die mediale Inszenierung einen erheblichen Fokus der Arbeit der katholischen Kirche darstellt. In unseren gegenwärtigen Medienkulturen ist für die katholische Kirche der Weltjugendtag nicht als ein lokales Event in Köln zielführend, das seinen dortigen Teilnehmern ein außeralltägliches Erlebnisangebot bietet – selbst wenn dies eine Million Menschen sein mögen. Um als Ereignis eine translokale Relevanz zu entfalten, muss der Weltjugendtag zusätzlich ein Medienevent sein. Dies versucht die katholische Kirche durch ihre Inszenierungsversuche sicherzustellen. Damit muss sie sich aber auf prägende Momente der Medien einlassen.
4
Das Medienevent im Verlauf
Events im Allgemeinen haben eine charakteristische Verlaufsstruktur. Ronald Hitzler (2000: 403f.) unterscheidet drei Phasen der Trajektstruktur von Events. Dies ist erstens die Phase der Produktion und Organisation der Voraussetzungen des Events, zweitens das Stattfinden des Events im Vollzug und drittens die Rekonstruktion und Bearbeitung des Events im Rückblick. Zwar ist diese Unterscheidung auf die Event-Organisation bzw. das Eventerleben vor Ort fokussiert, es lässt sich aber eine ähnliche Strukturierung in Bezug auf Medienevents ausmachen (Hepp 2003). Bei herausragenden Medienereignissen gibt es erstens eine Phase der Vorberichterstattung, in der über die vorbereitenden (Organisations-)Arbeiten des Events berichtet wird und bestimmte Erwartungen gegenüber dem Event kommuniziert werden. Man kann sagen, dass es sich bei der Vorberichterstattung um eine das Medienereignis präfigurierende Kommunikation handelt – wie immer diese dann im konkreten Fall aussieht bzw. angeeignet wird. Zweitens ist eine Phase der Hauptberichterstattung auszumachen, in der sich der eigentliche Kern des Medienereignisses konstituiert. Dieser kann von den Medien organisiert sein, wie beispielsweise bei Marketingevents einzelner Medienunternehmen (Höhn 2004), oder sich in der Berichterstattung über ein Ereignis artikulieren, das von einer anderen Organisation realisiert wird, wie dies beim Weltjugendtag der Fall ist. In beiden Fällen gilt es im Blick zu haben, dass Medienereignisse nicht als ‚Berichte über ein Ereignis‘ verstanden werden sollten (Fiske 1994: 1-14). Vielmehr sind die Medien Teil der diskursiven Generierung des Erlebniskerns. Damit ist gemeint, dass sich das medial vermittelte Erleben eines Medienevents durch andere Erlebnisqualitäten auszeichnet als die Erfahrung einer unmittelbaren Teilnahme, im Fall des Weltjugendtags einer unternommenen „Pilgerreise“ nach Köln. Die dritte Phase ist die der Nachberichterstattung, in der rekonstruierend und weitergehend verarbeitend über den Kern des Medienereignisses berichtet wird. Wiederum geht es nicht nur um Berichte bspw. über Aufräumarbeiten vor Ort, sondern ebenso um eine interpretierende Rekonstruktion des Geschehenen, bei der gewissermaßen das Außeralltägliche des Ereignisses im Hinblick auf den nun wieder einsetzenden Alltag gewichtet wird. Hat man den Weltjugendtag als ein entlang solcher Phasen strukturiertes Medienereignis im Blick, erscheint es zentral zu klären, wie sich seine Mediati-
60
Das Medienevent im Verlauf
sierung über die verschiedenen Verlaufsphasen hinweg konkretisiert. Antworten auf diese Frage sollen in dem vorliegenden Kapitel im Hinblick auf drei Aspekte gegeben werden. Dies ist erstens die Verteilung der Medienbeiträge über den Verlauf des Medienereignisses, zweitens das Themenspektrum des Medienevents und drittens die mediale Reflexion des Konstruktionscharakters. Hierbei nähern wir uns dem Medienevent – wie in der Einleitung herausgestrichen – in einer transkulturellen Perspektive. Das heißt, auf einer ersten Ebene geht es uns um einen Vergleich des Verlaufs des Medienevents Weltjugendtag für Deutschland und Italien. Jedoch haben wir auf einer zweiten Ebene nicht ausschließlich nationalkulturelle Differenzen im Blick. Vielmehr erscheint es uns ebenfalls wichtig, nationalkulturelle (und regionale) Kontexte übergreifend einerseits Muster der Mediatisierung des Weltjugendtags und andererseits weitere (kulturelle) Differenzen zwischen weltlicher bzw. kirchlicher Medienberichterstattung herauszuarbeiten. Nur durch eine solche multiperspektivische Betrachtung ist die Mediatisierung des Religiösen anhand des Weltjugendtags greifbar.
4.1
Zeitliche Zentrierung: Die Phasen des Medienevents
Im Hinblick auf den Verlauf der Medienbeiträge über den Weltjugendtag fällt für die von uns untersuchten deutschen und italienischen Medienorgane eine deutliche Zentrierung entlang der genannten Phasen von Medienevents auf. Um diese Aussage zu bestätigen, genügt ein Blick auf eine grobe Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Beiträge in unserem deutsch-italienischen Vergleichssample. In weiten Teilen der Presse findet der Weltjugendtag im Vorfeld nur am Rande Erwähnung. Lediglich im Zusammenhang mit dem Sterben Johannes Pauls II bzw. der Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Papst im Frühjahr 2005 und den U-Bahn-Anschlägen von London Anfang Juli 2005 steigt die Anzahl von Beiträgen mit Bezug zum Weltjugendtag vor allem in den von uns untersuchten deutschen Organen kurzfristig an. Ansonsten berichten in der Phase der Vorberichterstattung (I.) insbesondere die kirchlichen Medien, was die quantitativen Unterschiede im zu Grunde gelegten Materialbestand zumindest teilweise erklärt. Die Phase der Vorberichterstattung endet mit den „Tagen der Begegnung“ in den deutschen Diözesen, d.h. den im Vorfeld des Weltjugendtags stattfindenden Besuchen ausländischer Weltjugendtagsbesucher in deutschen Gemeinden.
Zeitliche Zentrierung
61
Ab dem 10.8.05, dem Tag der Anreise in den Bistümern, lässt sich in Deutschland wie in Italien ein sprunghafter Anstieg an Beiträgen zum Weltjugendtag beobachten. Man kann hier die Hauptphase (II.) des Medienevents ausmachen, die mit dem Papstbesuch in Köln ihren Höhepunkt erreicht. In den von uns untersuchten Organen entfallen etwa 40 Prozent der analysierten Fernsehbeiträge (45,8 Prozent in Deutschland bzw. 37,7 Prozent in Italien) sowie 13 Prozent bzw. 28 Prozent der insgesamt erfassten Presseartikel (ohne Weltjugendtagszeitung) auf den Zeitraum zwischen dem 18. und 21. August 2005. Abbildung 3:
60
Der Weltjugendtag 2005 im Verlauf: Vergleich der Presseund Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien
n I
II
III
50
40
30
20
10
D - Print (n=622)
07.11.
26.10.
16.10.
06.10.
27.09.
19.09.
10.09.
03.09.
29.08.
23.08.
18.08.
13.08.
08.08.
02.08.
28.07.
23.07.
14.07.
09.07.
04.07.
25.06.
15.06.
05.06.
29.05.
18.05.
04.05.
28.04.
22.04.
14.04.
06.04.
31.03.
22.03.
10.03.
18.02.
07.02.
16.01.
02.01.
0
I- Print (n=370)
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (nur Print) - n = 992 erfasste Beiträge
Während am Montag, den 22. August 2005 noch umfassend über den am Vortag zu Ende gegangenen Weltjugendtag berichtet wird, fällt die Aufmerksamkeit der Medien für das Thema in der Nachberichterstattungsphase (III.) ab dem 23. August in sich zusammen. Insbesondere im Fernsehen findet sich der Weltjugendtag von einem Tag auf den anderen nicht mehr im Programm. Ebenso nähert sich die Berichterstattung der von uns untersuchten Printmedien an das Niveau der Vorberichterstattung an und verliert bis Ende November 2005 an Bedeutung. In den deutschen weltlichen Organen wurden im September nicht weniger als ein Zehntel der Beiträge vom August 2005 erfasst, nämlich 106 gegenüber 1265. Im Oktober halbiert sich dies nochmals. Im November ist der Weltjugendtag fast überall von der Agenda deutscher Medienorgane verschwun-
62
Das Medienevent im Verlauf
den. Noch drastischer verläuft diese Entwicklung in der von uns analysierten italienischen Presse: Bereits im Oktober sinkt die Berichterstattung auf ein Minimum, im November wurde kein einziger Beitrag zum Weltjugendtag mehr erfasst. Abbildung 4:
Der Weltjugendtag 2005 im Fernsehen: Die Berichterstattung von ARD, RTL, RAI1 und Canale 5 im Vergleich 30
25
20
15
10
5
0
10.8.
11.8.
14.8.
15.8.
19.8.
20.8.
ARD (n=154)
6
12
0
2
6
18
9
18
23
25
10
9
12
4
RTL (n=92)
0
2
12.8. 0
13.8. 0
0
7
16.8. 10
17.8. 12
18.8. 21
17
4
21.8. 7
22.8. 12
23.8. 0
RAI 1 (n=80)
0
1
0
1
13
19
6
8
12
6
8
4
2
0
Canale 5 (n=121)
1
0
0
2
12
5
4
8
8
13
24
22
21
1
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien - n = 447 erfasste Beiträge (nur TV)
Die beschriebenen Phasen lassen sich ebenso am Verlauf der Berichterstattung in den kirchlichen Medienorganen erkennen. Allerdings ergeben sich – nicht zuletzt bedingt durch den wöchentlichen Erscheinungsrhythmus – einige Unterschiede, wie sich an unten stehender Abbildung ablesen lässt. Anders als die weltlichen berichten die kirchlichen Medien in Deutschland im Vorfeld regelmäßig und mit etwa zehn Beiträgen pro Ausgabe ausführlich über den Weltjugendtag, was sich an den ausgeprägten Spitzen zu den Erscheinungsterminen von Paulinus, Kirchenbote und Osservatore Romano in der Abbildung 5 zeigt. Ab Mitte Juni 2005 intensiviert sich in der kirchlichen Presse die Berichterstattung über den bevorstehenden Weltjugendtag und erreicht am zweiten Augustwochenende, zwischen den „Tagen der Begegnung“ und der Eröffnung der Weltjugendtagswoche in Köln, einen ersten Höhepunkt, der am darauf folgenden Abschlusswochenende nochmals übertroffen wird. Bis in den September hinein findet noch eine intensive Berichterstattung über den Weltjugendtag statt, erst im Oktober und November wird das durchschnittliche Niveau
Zeitliche Zentrierung
63
der Vorberichterstattung erreicht. Während sich der Verlauf von weltlicher Presse- und Fernsehberichterstattung am Ablauf der Ereignisse in Köln und den Papst-Auftritten als deren Höhepunkte orientiert, widmen sich die kirchlichen Medien stärker der Vor- und Nachberichterstattung. Abbildung 5:
Der Weltjugendtag 2005 in der deutschen Presse: Weltliche und kirchliche Berichterstattung im Vergleich
n 80
I
III
II
70
60
50
40
30
20
10
D - kirchliche Presse (n=852)
15.11.
07.11.
25.10.
12.10.
29.09.
20.09.
12.09.
03.09.
25.08.
18.08.
11.08.
04.08.
28.07.
21.07.
14.07.
07.07.
30.06.
23.06.
16.06.
09.06.
02.06.
26.05.
19.05.
11.05.
03.05.
26.04.
18.04.
11.04.
04.04.
28.03.
21.03.
14.03.
07.03.
28.02.
21.02.
13.02.
06.02.
30.01.
23.01.
16.01.
09.01.
01.01.
0
D - säkulare Presse (n=1117)
Datenbasis: Deutschland-Sample (kirchliche/nicht-kirchliche Presse, inkl WJT-Zeitung "Direkt") - n=1969 erfasste Beiträge
Solche Häufigkeitsverteilungen machen in einer allgemeinen Zugangsweise deutlich, wie sich Mediatisierung auf einer ersten Ebene im Verlauf des Medienevents Weltjugendtag konkretisiert, nämlich in einer umfassenden zeitlichen Zentrierung: Als Medienevent im engeren Sinne des Wortes ist der Weltjugendtag auf die Kernphase des Papstbesuchs in Köln zwischen 18. und 21. August 2005 und wenige Tage davor bzw. danach ausgerichtet. Dabei verweist die Anzahl von Beiträgen zum Weltjugendtag in diesem Zeitraum darauf, in welchem Maße er die Medienorgane und -rubriken dominiert. In diesen rund zehn Tagen wird der Weltjugendtag zu einem erheblichen Aufmerksamkeitsfokus in den deutschen und italienischen Medienkulturen. Hier wird anhand des Weltjugendtags eine allgemeine Dynamik von Medienevents manifest: Über die alltägliche Fragmentierung unterschiedlichster Medienangebote hinweg liegt die Außeralltäglichkeit des Medienevents in einer in verschiedenen Organen greifbar werdenden Dominanz des öffentlichen Diskurses, d.h. in den Worten Georg Francks in einem „Massengeschäft der Infor-
64
Das Medienevent im Verlauf
mation“ (Franck 1998: 62). Besteht einmal Aufmerksamkeit für ein Geschehen – ein sich konstituierendes Medienevent –, scheint es sich für verschiedenste Medienorgane zu ‚lohnen‘, dem weitere Aufmerksamkeit zu widmen, um ‚Teil‘ des außeralltäglichen Mediengeschehens zu sein, was das Event weiter potenziert. Transkulturell zeigen sich zwischen Deutschland und Italien in einer solchen zeitlichen Zentrierung keine Differenzen. Sowohl in der deutschen als auch der italienischen Berichterstattung konzentriert sich das Medienevent Weltjugendtag auf eine kurze Kernphase. Eine Medienberichterstattung bspw. über die zuvor stattfindenden „Tage der Begegnung“ oder ein im Anschluss bestehendes Engagement wird nur in den kirchlichen (Print-)Medien greifbar. Die Mediatisierung des Weltjugendtags bedeutet entsprechend eine zeitliche Zentrierung auf eine kurze aber viele Medienorgane einbeziehende, Aufmerksamkeit bindende Phase – in Deutschland und Italien.
4.2
Thematische Zentrierung: Die Themenfelder des Medienevents
Um das Medienevent Weltjugendtag in seinem Verlauf weiter fassbar zu machen, müssen wir uns mit den verschiedenen Themenfeldern der Berichterstattung über den Weltjugendtag auseinandersetzen. Die thematische Breite des Medienevents spiegelt sich in den 22 Themenfeldern wider, die wir auf Basis von Falluntersuchungen typisiert und zur Strukturierung unserer quantifizierenden Inhaltsanalyse herangezogen haben. Beim Themenfeld Hintergrund und Geschichte werden die Entstehungszusammenhänge und Chronologie der Weltjugendtage verhandelt. Konkret bezogen auf den Weltjugendtag ist ebenfalls die Organisation dieses Großereignisses, vor allem im Zusammenhang mit Aspekten wie etwa Finanzierung, Personal- und Verkehrsplanung oder Sicherheitsvorkehrungen. Außerdem ist mit direktem Weltjugendtagsbezug die Nachhaltigkeit zu nennen, ein Themenfeld, bei dem es um die Erwartungen der katholischen Kirche im Hinblick auf langfristige Impulse aus dem Weltjugendtag für die Jugendarbeit in den lokalen Gemeinden, oder aber die öffentliche Wahrnehmung geht. Die Medienberichterstattung über den Weltjugendtag umfasst jedoch mehr: Betrachtet werden daneben das Papstprogramm der „Apostolischen Reise“ von Papst Benedikt XVI während des Weltjugendtags, das Amtsverständnis des Papstes als Institution und der Papst als Person mit seinem personenbezogenen Charisma als Amtsträger. Thema sind zudem das Teilnehmerprogramm, d.h. die verschiedenen (offiziellen) Programmpunkte der Teilnehmerinnen und Teilneh-
Thematische Zentrierung
65
mer des Weltjugendtags sowie die Stimmung und Atmosphäre vor Ort in Köln. Gleichzeitig erscheint der Weltjugendtag in der Medienberichterstattung durch Kommerzialisierung geprägt, d.h. durch Merchandising, Sponsoringpartnerschaften und andere Formen der Kommerzialisierung. Nur scheinbar im Widerspruch dazu stehen Fragen nach der (religiösen) inhaltlichen Ausgestaltung des Weltjugendtags, die anhand der Themenfelder Glaubenspraxis und Glaubenstraditionen weiter konkretisiert werden. Über die genannten Themenfelder hinaus wird der Weltjugendtag in der Medienberichterstattung kontextualisiert im Hinblick auf den Katholizismus als Glaubensgemeinschaft. Dabei geht es um die Kirche als Gemeinschaft, das Verhältnis von Kirche und Jugend, um katholische Glaubenswerte und Ökumene, d.h. das Verhältnis der katholischen Kirche zu anderen Religionen. Im Rahmen einer solchen allgemeineren Auseinandersetzung mit dem Katholizismus werden Fragen der Kirche als Organisation und deren Wandel behandelt, angefangen bei der Organisationsstruktur bzw. der Struktur von Ämtern und Würdenträgern in der katholischen Kirche bis hin zu Kirchengemeinden und Laienbewegungen. Abbildung 6:
Thematische Verdichtungen in Presse und Fernsehen: Die Berichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich
35
32,6
30
28,1 26,2
25,9
25 20,5 18,6
20 17
18
16,1
14,5
15
21 18,4 14,7
10 5
5,8
4,7
12,4 9,7
6,1
5
15,1
13,7
12,1 7,9
10,9
13,7 12,1 12
10,7 10,7 7,4 6,5
5,1 4,4 4
3,8 1,8
2,5
7,5
5,1 4,6
5
4,4 2,1 1,4
Deutschland (n=868)
WJT-Kritik
sonstige Themen
^
Medienbericherstattung
^
Gastgeberrolle Deutschlands
^
Kirche als Organisation
^
Staatspolitik/Diplomatie
^
Ökumene
^
Kirche und Jugend
^
Kirche als Gemeinschaft
Glaubenswerte
^
Papst als Person
^
Papstprogramm
^
Papst als Institution
^
Kommerzialisierung
^
Teilnehmerprogramm
^
Stimmung/Atmosphäre
^
Glaubenspraxis
inhaltliche Ausgestaltung
^
Glaubenstraditionen
Organisation
^
Nachhaltigkeit
Hintergrund/Geschichte
0
^
^
^
^
^
^
Italien (n=571)
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - Angaben in % der je erfassten Beiträge
Der Weltjugendtag wäre kein Medienevent, wenn in der Medienberichterstattung die Geschehnisse in Köln nicht im Hinblick auf gesellschaftlich relevante
66
Das Medienevent im Verlauf
Fragestellungen jenseits der katholischen Kirche und ihres Glaubensangebots diskutiert werden würden. So ist der Weltjugendtag auch der Besuch des Oberhaupts eines (Kirchen-)Staates mit entsprechenden politischen Dimensionen bzw. ist im politischen Rahmen interpretierbar, wofür das Themenfeld Staatspolitik und Diplomatie steht. Ein weiterer Kontextbereich ergibt sich aus der Gastgeberrolle Deutschlands, die sich bei näherer Betrachtung auffächert in die Gastgeberrollen der Bundesrepublik, der Großregion Köln sowie der Stadt Köln. Als Medienevent ist der Weltjugendtag daneben – zumindest vereinzelt – Gegenstand der Kritik, wofür das Themenfeld der Weltjugendtagskritik steht, das Beiträge fasst, die sich mit Kritikern der Veranstaltung aus Kirche, ebenso Laienorganisationen und einer weiteren Öffentlichkeit auseinandersetzen. Schließlich sind die Medien Gegenstand ihrer selbst, d.h. es kann ein (selbst-)reflexives Themenfeld der Medienberichterstattung ausgemacht werden. Insgesamt wird damit deutlich: Der Weltjugendtag ist als Medienevent durch eine bemerkenswerte thematische Breite gekennzeichnet. Eine solche thematische Breite darf aber nicht mit einer thematischen Beliebigkeit verwechselt werden. Dies wird anhand der Häufigkeitsverteilung der einzelnen Themenfelder deutlich, wie sie oben stehendes Schaubild zeigt. Es macht die Gewichtung der einzelnen Themenkategorien über alle untersuchten Organe hinweg greifbar und gestattet damit auf quantitativer Ebene einen ersten differenzierteren Blick auf die thematische Breite des Medienevents im Vergleich Deutschland und Italien. Der Deutlichkeit halber sind die Angaben in Prozent der Beiträge gemacht, um Differenzen anschaulich zu machen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass innerhalb des hier zu Grunde liegenden Vergleichssamples die Zahl der erfassten italienischen Beiträge mit 571 deutlich geringer ist als die der deutschen (insgesamt 868). Das Schaubild visualisiert, dass nicht alle in der Berichterstattung über den Weltjugendtag vorkommenden Themenfelder das Medienevent quantitativ in gleicher Weise prägen. Vielmehr lassen sich zwischen unseren Untersuchungsräumen Deutschland und Italien unterschiedliche thematische Akzente erkennen. Zwar werden einige Aspekte des Weltjugendtags in beiden Ländern relativ zur jeweiligen Anzahl der Medienberichte ausgeglichen bzw. nahezu ausgeglichen verhandelt, wie das Teilnehmerprogramm und Fragen rund um Kirche und Jugend, Kirche als Gemeinschaft und der Papst als Institution bzw. in wesentlich geringerem Umfang die Themenfelder Glaubenspraxis und Glaubenstraditionen‚ Kirche als Organisation und Staatspolitik und Diplomatie. Darüber hinaus bestehen jedoch zum Teil deutliche Schwerpunkte. So wird in Deutschland stärker über die Organisation des Weltjugendtags, die Gastgeberrolle Deutschlands, die Stimmung und Atmosphäre vor Ort, aber auch Gegenveranstaltungen und Kritik am Weltjugendtag, seine Kommerzialisierung und die Medienbericht-
Thematische Zentrierung
67
erstattung über das Ereignis berichtet. In den italienischen Medien interessieren – unter den dort in absoluten Zahlen weniger Beiträgen – dagegen das Papstprogramm und Papst als Person deutlich stärker als in deutschen Medien, ebenso die Themenfelder Ökumene und Glaubenswerte. Größeres Gewicht kommt in den untersuchten italienischen Medienorganen zudem den Themenfeldern Nachhaltigkeit und inhaltliche Ausgestaltung des Weltjugendtags zu. Ein nochmals anderer Blick eröffnet sich, wenn man weltliche und religiöse Medienorgane miteinander vergleicht. Das unten stehende Schaubild zeigt diesbezüglich die Gewichtung der einzelnen Themenkategorien in der Gegenüberstellung von Fernsehberichterstattung einerseits und säkularer bzw. kirchlicher Presseberichterstattung in Deutschland andererseits, einschließlich der nicht im transkulturellen Vergleichssample erfassten Bild-Zeitung Köln, der kirchlichen Wochenzeitungen und der Weltjugendtagszeitung Direkt. Solche Unterschiede verweisen darauf, dass in den italienischen Medienorganen kirchennaher als in den deutschen berichtet wird. Abbildung 7:
Thematische Verdichtungen in der deutschen Weltjugendtagsberichterstattung: TV, weltliche und kirchliche Presse im Vergleich
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5
nicht-kirchliche Presse (n=1117)
kirchliche Presse (n=852)
^
^
^
^
sonstige Themen
^
WJT-Kritik
^
Medienbericherstattung
^
Gastgeberrolle Deutschlands
^
Staatspolitik/Diplomatie
^
Ökumene
^
Kirche als Organisation
Papst als Person
^
Kirche als Gemeinschaft
Papst als Institution
^
Glaubenswerte
Papstprogramm
^
Kirche und Jugend
Kommerzialisierung
^
Teilnehmerprogramm
^
Stimmung/Atmosphäre
^
Glaubenspraxis
^
Glaubenstraditionen
^
Nachhaltigkeit
Organisation
^
inhaltliche Ausgestaltung
Hintergrund/Geschichte
0
^
^
^
TV (n=246)
Datenbasis Deutschlandsample - n = 2215 erfasste Beiträge (Print + TV) - Angaben in %
Wir sehen, dass in einem solchen Vergleich wenige Themenfelder über die verschiedenen Medientypen hinweg und relativ zur jeweiligen Anzahl der erfassten
68
Das Medienevent im Verlauf
Medienberichte ausgeglichen bzw. nahezu ausgeglichen verhandelt werden. Neben Fragen nach dem Verhältnis von Kirche und Jugend sind das Staatspolitik und Diplomatie und, mit leichtem Übergewicht in Richtung kirchlicher Presse, ebenso die Themenfelder Glaubenspraxis und Glaubenstraditionen. Wenn auch nur in jeweils rund 5 Prozent aller Beiträge wurden also neben dem politischen Kontext des Weltjugendtags die katholische Lehre und Frömmigkeit betreffende und damit spezifisch religiöse Themen in Fernsehen, säkularer und kirchlicher Presse annähernd ausgeglichen thematisiert. Im Hinblick auf die Themenfelder Teilnehmerprogramm, Stimmung und Atmosphäre vor Ort und Kommerzialisierung, die eher populäre Momente des Weltjugendtags wie Partymachen oder Merchandising beschreiben, lassen sich dagegen zum Teil deutliche Abweichungen in der Themensetzung ausmachen. Während die nicht-kirchliche Presse diese Aspekte vergleichsweise ausgewogen zur Sprache bringt, lässt sich bei den kirchlichen Medien eine deutliche Schwerpunktsetzung auf das Teilnehmerprogramm beobachten, die wiederum mit der überdurchschnittlichen Häufigkeit der Themenfelder inhaltliche Ausgestaltung, Kirche als Gemeinschaft und Gastgeberrolle Deutschlands korrespondiert. Offenbar bringt die kirchliche Presse vor allem die unterschiedlichen Fassetten des Pilgererlebnisses auf dem Weltjugendtag zur Sprache, von den lokalen Vorbereitungen und den „Tagen der Begegnung“ bis zu den einzelnen Stationen der „Pilgerreise“ in Köln und dem damit verbundenen Erleben der katholischen Kirche als (Glaubens-)Gemeinschaft. Dagegen treten in der Fernsehberichterstattung über den Weltjugendtag Stimmung und Atmosphäre, das Papstprogramm und Organisation in den Vordergrund. Beinahe jeder zweite bzw. dritte von uns untersuchte Fernsehbeitrag nimmt hauptsächlich darauf Bezug, in etwa jeder vierte auf das Teilnehmerprogramm. Damit zeichnet sich im Fernsehen, wie sich schon beim Verlauf Berichterstattung angedeutet hat, eine Zentrierung auf das Geschehen rund um den Papst ab: Im Kontext von Papstprogramm und Papstbegeisterung vor Ort wird nicht nur über das Teilnehmerprogramm und alles rund um die Organisation des Weltjugendtags berichtet. Ebenso werden weitergehende kirchen- und gesellschaftspolitische Fragen, etwa nach den katholischen Glaubenswerten, dem Verhältnis von Kirche und Jugend oder den Glaubensgemeinschaften untereinander verhandelt. Immer wieder wird dabei auf Benedikt XVI als Kirchenoberhaupt wie auch als Persönlichkeit Bezug genommen. Bemerkenswert ist, dass in diesem Zusammenhang selbst kritische Stimmen zum Weltjugendtag zur Sprache kommen. Während dies in der der säkularen Presse nur am Rande und in der kirchlichen Presse gar nicht der Fall ist, wird in immerhin sieben Prozent aller von uns erfassten deutschen Fernsehbeiträge über Weltjugendtagskritiker bzw. Gegenveranstaltungen berichtet. Kaum eine Rolle spielen dagegen Hintergrund
Thematische Zentrierung
69
und Geschichte, Nachhaltigkeit und Kommerzialisierung des Weltjugendtags, sowie katholische Glaubenstraditionen. Das große Gewicht der Themenfelder Organisation und Gastgeberrolle Deutschlands in der säkularen Presse ist zu einem großen Teil auf die lokale und regionale Presse zurückzuführen. Zwar dominieren diese Themenfelder auch in den überregionalen Printmedien, in der Lokal- bzw. Regionalpresse liegt ihr Anteil aber um acht bis 16 Prozentpunkte höher. Gleichzeitig weist die Themenverteilung auf eine stärker kontextualisierende bzw. reflektierende Berichterstattung in den nationalen Tageszeitungen, Wochen- und Publikumsmagazinen hin. Bemerkenswert ist nicht nur der große Anteil von Beiträgen, die die Medienberichterstattung über den Weltjugendtag aufgreifen. Er liegt mit über 15 Prozent etwa doppelt so hoch wie beim Fernsehen sowie bei der kirchlichen und lokalen bzw. regionalen Presse. In durchschnittlich etwa 13 Prozent aller Beiträge wird, mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunktsetzungen, zudem der Katholizismus als deterritorialisierte Glaubensgemeinschaft verhandelt, gegenüber gut fünf Prozent in der lokalen bzw. regionalen Presse. Sieht man solche quantifizierenden Daten insgesamt, wird deutlich, dass bei aller thematischen Vielfalt des Weltjugendtags je nach Berichterstattungskontext – regionale bzw. nationale Räume oder kirchliche bzw. weltliche Medienorgane – Differenzen der thematischen Zentrierung des Medienevents auszumachen sind. Die Mediatisierung des Weltjugendtags bedeutet also bereits auf einer solch allgemeinen Betrachtungsebene, dass er als Medienevent durch eine thematische Vielfalt bei einer gleichzeitigen thematischen Zentrierung gekennzeichnet ist. Hauptdifferenzlinien, entlang derer die thematischen Zentrierungen bestehen, sind folgende: •
Der Tendenz nach ist der Weltjugendtag im Fernsehen sowohl in Deutschland als auch Italien verglichen mit den Printmedien stärker als Papstereignis repräsentiert, anhand dessen Fragen von Glaubenswerten, Ökumene und jugendlicher Religiosität verhandelt werden. Die thematische Zentrierung ist in einer solchen medienbezogenen transkulturellen Vergleichsperspektive bezogen auf das Fernsehen eine Personalisierung.
•
Der Tendenz nach wird der Weltjugendtag in deutschen stärker als in italienischen Medien im Hinblick auf Köln bzw. Deutschland als Veranstaltungskontexte und die dortige Veranstaltungsorganisation fokussiert. Es interessieren dementsprechend neben dem allgegenwärtigen Papst eher Teilnehmerprogramm und Gemeinschaft bzw. Gemeinschaftserleben. Die thematische Zentrierung ist in einer solchen (national-)kulturellen Vergleichsperspektive bezogen auf deutsche Medien eine Erlebniszentrierung.
70 •
Das Medienevent im Verlauf Der Weltjugendtag wird der Tendenz nach in der kirchlichen Presse vor allem als Gläubige aus unterschiedlichen Teilen der Welt ebenso wie aus den Kirchengemeinden in Deutschland verbindendes Gemeinschaftserlebnis dargestellt, während in der nicht-kirchlichen Presse stärker auf den Papstbesuch sowie die Rolle von Kirche und Glauben in der Gegenwartsgesellschaft abgehoben wird. Die thematische Zentrierung ist in dieser glaubensbezogenen Vergleichsperspektive für religiöse Organe eine Gemeinschaftszentrierung.
Solche Aussagen müssen – wie gesagt – als Tendenz-Einordnungen verstanden werden und bedürfen einer weitergehenden Differenzierung, wie wir in den weiteren Kapiteln noch zeigen werden. Wichtig bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die Mediatisierung des Weltjugendtags damit einhergeht, dass er als Medienevent über verschiedene Berichterstattungskontexte und Medienorgane hinweg keine identische Repräsentation ist, sondern je nach Bezugsraum der Medienberichterstattung zum Teil deutliche Differenzen zwischen den medialen Repräsentationen bestehen, die in unterschiedlichen thematischen Zentrierungen greifbar werden. Der Weltjugendtag ist also ein auf einen bestimmten thematischen Kern bezogenes ‚Konnektivitätsgefüge‘ von Kommunikationsprozessen mit unterschiedlich ausgeprägten Verdichtungen entlang der medienspezifischen Vergleichsachse (Fernsehen/Print), der (national)kulturellen Vergleichsachse (Deutschland/Italien) und der religionsbezogenen Vergleichsachse (weltliche/ religiöse Organe).
4.3
Reflexive Zentrierung: Der Weltjugendtag als gemachtes Event
Die Art und Weise, in der wir bisher von der Mediatisierung des Weltjugendtags gesprochen haben, hebt darauf ab, dass nicht einfach über die ‚Geschehnisse‘ in Köln (mehr oder weniger korrekt) medial ‚berichtet‘ wird, sondern dass die Medien mit ihren Zentrierungstendenzen die mediale Inszenierung des Weltjugendtags prägen. Gleichwohl – und hier besteht ein Reiz für die verschiedenen berichtenden Medienorgane – bleibt der Weltjugendtag ein von der katholischen Kirche ‚gemachtes‘ Ereignis, das eine entsprechende Geschichte hat, organisiert werden muss und mit dem die Kirche – zumindest nach Selbstauskunft von Vertretern der katholischen Kirche in den Medien – die Hoffnung auf längerfristige positive Folgen für sich verbindet. Das Ereignis hat aus Perspektive der katholischen Kirche einen internen Verlaufscharakter, der als solcher in den Medien antizipiert und reflektiert wird. Mediatisierung bedeutet an dieser Stelle, dass
Reflexive Zentrierung
71
die interne Verlaufsperspektive der katholischen Kirche auf den Weltjugendtag als Teil des Medienevents explizit thematisiert und in Bezug zu dessen de facto stattfindendem Verlauf verhandelt wird. Es geht mit anderen Worten um die reflexive Zentrierung des Weltjugendtags als ‚gemachtes‘ (Medien-)Event in den Medien. Ein entsprechender Zugang zum Verlauf des Weltjugendtags als Medienevent ergibt sich über die genannten Themenfelder Hintergrund und Geschichte (Vorgeschichte), Organisation (Vorbereitung und Vollzug) und Nachhaltigkeit (Folgen und Ergebnis). Betrachtet man die Entwicklung dieser drei Themenfelder über den Untersuchungszeitraum hinweg im Vergleich von Deutschland und Italien, fällt zunächst die geringe Aufmerksamkeit für das ‚Machen‘ des Weltjugendtags in der Phase der Vorberichterstattung ins Auge: Abbildung 8:
Reflexive Thematisierung des Konstruktionscharakters im Verlauf: Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich % 24
20
16
12
8
4
0
Jan 05
Feb 05
März 05
April 05
Mai 05
Juni 05
Juli 05
Aug 05
Sept 05
Okt 05
Nov 05
D Hintergrund/Geschichte
0,1
0
0
0,5
0
0
0,2
1,5
0,1
0,1
0
I Hintergrund/Geschichte
0
0,4
0
0,7
0,2
0
0,2
3,3
0
0
0
D Organisation
0,5
0,1
0,6
1
0,3
1,7
2,9
20
0,7
0,2
0
I Organisation
-- --
0,4
0,7
0,4
0,2
0,4
0,2
1,2
13,5
0,4
0
0
D Nachhaltigkeit
0
0
0
0,1
0
0
0,3
4,1
0,7
0,5
0
I Nachhaltigkeit
0,2
0,2
0,2
0,2
0,2
0,2
0,2
5,4
0,5
0,4
0
-- --
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - D: n=868 / I: n=571 erfasste Beiträge
In den Monaten März und April 2005, dem Zeitraum zwischen dem Sterben Papst Johannes Paul II und der Amtseinführung seines Nachfolgers, wird vereinzelt auf die Organisation des Weltjugendtags Bezug genommen, etwa im Zusammenhang mit Reaktionen der Organisatoren auf seinen Tod und die Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Papst oder Würdigungen des Verstorbenen als Begründer der Weltjugendtage. Erst im Frühsommer nimmt das Interesse an den
72
Das Medienevent im Verlauf
bevorstehenden Ereignissen merklich zu, zunächst in der deutschen Presseberichterstattung. Dass hier vor allem Aspekte der Organisation thematisiert werden, lässt sich auf das Näherrücken des Veranstaltungstermins und ein erhöhtes Interesse an Sicherheitsfragen nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005 zurückführen. Eine Sonderrolle im Hinblick auf eine reflexive Thematisierung der Weltjugendtagsberichterstattung in Deutschland nimmt als Medienpartner die Kölner Ausgabe der Bild-Zeitung ein, weswegen wir diese gesondert betrachten möchten. Abbildung 9:
Reflexive Thematisierung des Konstruktionscharakters im Verlauf: Die Berichterstattung der Bild-Zeitung Köln n 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Jan 05
Feb 05
März 05
April 05
Mai 05
Juni 05
Juli 05
Aug 05
BILD Köln BA Hintergrund/Geschichte
0
0
0
0
0
0
0
1
Sept 05 0
BILD Köln LT Hintergrund/Geschichte
4
1
1
2
0
0
0
2
0 0
-- -BILD Köln BA Organisation
0
0
0
0
0
0
0
5
BILD Köln LT Organisation
17
17
24
27
19
28
32
89
0
BILD Köln BA Nachhaltigkeit
0
0
0
0
0
0
0
1
0
BILD Köln LT Nachhaltigkeit
1
0
0
0
1
1
0
5
2
-- --
Datenbasis: BILD Köln (BA Bundesausgabe + LT Lokalteil), 1.1. - 16.9.05 - n=495 erfasste Beiträge
Während die Themenfelder Hintergrund/Geschichte, Organisation und Nachhaltigkeit in der Bundesausgabe der Bild-Zeitung kaum eine Rolle spielen, wird die organisatorische Vorbereitung auf den Weltjugendtag auf den Kölner Lokalseiten mit rund 20 Artikeln pro Monat begleitet. Unter anderem erscheint dort bis zum Weltjugendtag im August 2005 täglich eine Art Weltjugendtags-Countdown mit Programmhinweisen und vor allem Kurzmeldungen zum Stand der Vorbereitungen. Daneben nehmen die Verkehrsplanungen in und um Köln bereits zu diesem Zeitpunkt einen breiten Raum in der Berichterstattung der Bild-Zeitung Köln
Reflexive Zentrierung
73
ein. Auffallend sind in diesem Zusammenhang vor allem ganzseitige Artikel wie etwa „Nur der Papst hat freie Fahrt“ (11.1.05: 8) oder „Wo parkt der Papst in Köln sein Flugzeug?“ (26.1.05: 3). Sie alle sind nach einem ähnlichen Muster aufgebaut: Unter einer übergroßen Überschrift befindet sich eine Bild-TextMontage, mit einer Abbildung des Papstes (damals noch der schwer kranke Johannes Paul II), zum Teil auch der – stets entspannt lächelnden – Organisatoren sowie Stadtplan- und Kartenausschnitten. In den Texten geht es weniger um das Papstprogramm in Köln als um Bau- und Sicherheitsmaßnahmen oder Sponsoring- und Logistikpartnerschaften. Der Papst dient in erster Linie als Aufmerksamkeitsgenerator. Dies zeigt sich in dem Artikel „Hier kommt die Papst-Bahn“ (9.6.05: 3). Dort heißt es: „Da wurde sogar der Reisemarschall von Papst Benedikt XVI zum kleinen Jungen. Voller Begeisterung steuerte er gestern die KVB-Bahn mit dem riesigen Weltjugendtagslogo durch die City. ‚Fantastico‘, murmelte seine Exzellenz aus Rom. […] Denn KVB steht jetzt für Kutscher von Benedikt – und verspricht zum Weltjugendtag das größte Angebot aller Zeiten.“ (BILD Köln 9.6.05: 3)
In solchen Artikeln konkretisiert sich die Rolle der Bild-Zeitung als lokaler Medienpartner des Weltjugendtagbüros. Ähnlich den kirchlichen Organen kommt der Kölner Ausgabe Bild-Zeitung die Aufgabe zu, im Vorfeld auf lokaler Ebene für Unterstützung oder zumindest Verständnis für das bevorstehende Ereignis und damit verbundene Einschränkungen zu werben, wenn auch in einem anderen Segment und mit anderen Botschaften: Es geht stärker um eine präfigurierende Berichterstattung, die Nicht-Katholiken eine positive Haltung gegenüber dem Event und damit verbundenen lokalen Unannehmlichkeiten vermitteln soll. In einer solchen lokalen Berichterstattung werden damit die Grenzen zwischen Medienevent und den lokal stattfindenden Ereignissen, auf die die präfigurierende Berichterstattung zielt, fließend. Im Wesentlichen gewinnt die Berichterstattung über das Großereignis Weltjugendtag mit samt seiner Vorgeschichte und Folgen in beiden Ländern jedoch erst im August an Fahrt, wobei das Interesse an Hintergrund und Geschichte des Weltjugendtags ebenso wie an seiner Nachhaltigkeit in den italienischen Medien insgesamt deutlich stärker ausgeprägt ist als hier zu Lande (3,5 Prozent gegenüber 1,5 Prozent bzw. 6,1 gegenüber 4,1 Prozent aller Beiträge im August 2005). Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die kirchlichen Organe in Deutschland mit hinzuzieht. Vor allem in den von uns untersuchten Bistumszeitungen wird bereits in der ersten Jahreshälfte mit rund 15 Beiträgen pro Monat kontinuierlich über Organisation berichtet. Typisch sind zum einen kurze Meldungen zum Stand der Vorbereitungen auf das Großereignis in Köln. So hat etwa der Kirchenbote des Bistums Osnabrück in der Nachrichtenspalte „Kurz und bün-
74
Das Medienevent im Verlauf
dig“ eine durch das Weltjugendtags-Logo mit dem Hinweise „noch … Wochen“ sichtbar markierte Sonderrubrik zum Weltjugendtag 2005 eingerichtet. In jeder Ausgabe finden sich aktuelle Meldungen aus dem Weltjugendtagsbüro zu offiziellen Informations- und Werbekampagnen („Wer spendet seine Flugmeilen?“ in Kirchenbote 13.3.05: 4, sowie „Planzahl erreicht: 80.000 private Betten“ in Kirchenbote 26.6.05: 4), zu Anmeldeverfahren oder Finanzierungsaspekten („Die EU gibt nun doch einen Zuschuss“ in Kirchenbote 6.3.05: 4, oder Werbung mit den „Roten Teufeln“ in Kirchenbote 20.3.05: 3). Abbildung 10:
Reflexive Thematisierung des Konstruktionscharakters im Verlauf: Die kirchliche Presseberichterstattung in Deutschland % 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
Feb 05
März 05
Mai 05
Juni 05
Juli 05
Aug 05
Sept 05
0
0,5
0,2
0
0
0,3
0,5
1,7
0,8
0,5
0
1,3
6,6
0
3,9
2,6
0
2,6
2,6
0
2,6
0
Bistums-Z. Organisation ...
2,2
1,5
2,5
1,3
2,8
4,4
6
4,9
2
0,8
0
X-mag Organisation ...
1,3
7,9
0
7,9
2,6
0
2,6
2,6
0
0
0
0,3
0,2
0,2
0
0
0,2
0,3
2,3
2,2
1,7
0,5
0
2,6
0
0
1,3
0
0
2,6
0
0
0
Bistums-Z. Hintergrund/Geschichte X-mag Hintergrund/Geschichte
Jan 05
April 05
Okt 05
Nov 05
-- --
-- -Bistums-Z. Nachhaltigkeit X-mag Nachhaltigkeit
Datenbasis: Deutschlandsample (kirchliche Presse, ohne WJT-Zeitung "Direkt", ohne TV) - n=673 erfasste Beiträge
Daneben existieren regelmäßig Beiträge über lokale bzw. regionale Initiativen zum Weltjugendtag und den „Tagen der Begegnung“, angefangen bei Hinweisen auf vorbereitende Veranstaltungen in den gastgebenden Kommunen bzw. Diözesen und Gemeinden bis hin zu ausführlichen Berichten über in die Vorbereitung involvierte Initiativen, Kirchenvertreter und Einzelpersonen. Wichtig scheint vor allem zu sein, dem Engagement von Jugendlichen und Erwachsenen aus den lokalen Kirchengemeinden gegenüber den weitgehend anonymen bzw. an den kirchlichen Hierarchien orientierten offiziellen Bekanntmachungen des Weltjugendtagsbüros eine Stimme bzw. ein Gesicht zu verleihen. So soll Inte-
Reflexive Zentrierung
75
resse an dem bevorstehenden Ereignis geweckt und die kirchliche Basis zu seiner Unterstützung motiviert werden. Zeigen lässt sich das exemplarisch an dem Artikel „Freiwillige Hilfe für Köln“. In dem Porträt zweier junger Frauen, die sich im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres im Kölner Weltjugendtagsbüro engagieren, heißt es: „Schon jetzt erleben die Freiwilligen Weltjugendtags-Flair: Sie leben in Wohngemeinschaften mit jungen Menschen aus aller Welt. Gemeinsames Kochen, Putzen und auch Beten steht auf dem Tagesplan. ‚Ich habe neue Freunde gewonnen und fremde Sprachen und Kulturen kennen gelernt‘, so Claudia Feller, ‚das hat sich bis jetzt schon total gelohnt’.“ (Kirchenbote 8.5.05: 9)
In direktem Zusammenhang mit dem Artikel, der Lust machen soll auf solch „eine einmalige Erfahrung“ (ebd.), wirbt ein Kasten mit der Überschrift „Weiterhin Kurzfreiwillige gesucht“ um Unterstützung der Organisatoren in Köln. Ein Verweis auf die offizielle Website und eine entsprechende Kontaktadresse finden sich im Anschluss. Mit ähnlicher Zielsetzung machte das katholische Jugendmagazin X-mag den Weltjugendtag in der ersten Jahreshälfte 2005 offiziell zum Schwerpunktthema mehrerer Ausgaben und brachte zur Unterstützung des Ereignisses ein Sonderheft über den verstorbenen Johannes Paul II heraus. Regelmäßig wird darum über Detailfragen der Organisation berichtet (etwa in der Rubrik „Leser fragen – Weltjugendtag antwortet. Dein direkter Draht nach Köln“ in X-mag 11.2.05: 5 sowie 15.4.05: 4f.). Außergewöhnlich ist die Intensität, mit der Hintergrund und Geschichte thematisiert werden, etwa auf Rätselseiten (X-mag 11.3.05: 36f. – „Das multilinguale Weltjugendtag-Rätsel“) oder in der Serie „Weltjugendtag Highlight“ mit Rückblicken auf vergangene Weltjugendtage (siehe exemplarisch X-mag 11.2.05: 30ff., oder 15.4.05: 32ff.). Im Vergleich dazu wird das Thema Nachhaltigkeit im X-mag nur am Rande aufgegriffen, beispielsweise in zwei Interviews mit Jugendbischof Bode vor und nach dem Weltjugendtag (X-mag 11.2.05: 38 – „Da bekommt Kirche ein Gesicht“ und August/ September: 26 – „Das hat mich tief berührt“). Hier wird eine Sonderrolle des XMag deutlich, das zu Beginn 2005 vom Weltjugendtagsbüro zu dessen Vermarktung übernommen wurde und im Anschluss an den Weltjugendtag seit 2006 nur noch als Vereinsblatt der Kolpingjugend existiert. Offenbar ist das Weltjugendtagsbüro als Herausgeber des Hefts vor allem an einer fundierten Vorberichterstattung interessiert, denn nach der Doppelausgabe von August und September 2005 geht das Interesse daran, wie an den übrigen hier betrachteten Themen, drastisch zurück. Auffallend ist die Intensität, mit der sich die Bistumszeitungen Kirchenbote und Paulinus vor allem im Anschluss an das Ereignis mit Fragen der Nachhaltigkeit befassen. Während dieses Thema, wie bereits gezeigt, in der säkularen
76
Das Medienevent im Verlauf
Presse lediglich im August und dann nur vereinzelt thematisiert wird, geht die Aufmerksamkeit dafür hier erst im November spürbar zurück. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Dynamik eines Medienevents lässt sich die kirchliche Berichterstattung über den Weltjugendtag in Deutschland somit als antizyklisch beschreiben. Im Gegensatz zu den weltlichen Medien wird der interne Verlauf des Weltjugendtags (sein Hintergrund und Vorgeschichte, seine Organisation und Nachhaltigkeit) in einer gewissen Parallelität zum Verlauf des Medienevents thematisiert: Fragen des Hintergrunds und der Geschichte interessieren vor allem im Vorfeld des Events. Je näher dieses rückt, um so stärker tritt die Organisation in den Vordergrund, um in der Nachberichterstattung dann Nachhaltigkeitsfragen Platz zu machen. Die reflexive Zentrierung des Weltjugendtags als gemachtes Event findet in deutlicher Parallele zu dessen Vollzug statt. Eng damit verbunden ist ein weiteres Charakteristikum, das wir als präfigurierende Berichterstattung bezeichnen wollen. Wie wir zeigen konnten, wurden während der Phase der Vorberichterstattung nicht einfach nur die vorbereitenden (Organisations-)Arbeiten des Events dokumentiert. Vielmehr ging es in quasi organisationsunterstützender Mission auch und gerade darum, für ein Engagement auf den unterschiedlichsten Ebenen des Ereignisses zu werben. Dabei galt es zum einen, die Gemeindebasis insgesamt für den Weltjugendtag zu mobilisieren. Am Beispiel des X-mag deutet sich an, dass zum anderen versucht wurde, mit zum Teil massivem Kommunikationsaufwand mögliche Teilnehmer im Vorfeld spirituell auf die bevorstehende „Pilgerreise“ und das damit verbundene Glaubenserlebnis einzustimmen. Die Mediatisierung des Weltjugendtags bedeutet entsprechend für die kirchlichen Organe in Deutschland, im Sinne der Organisationsziele (d.h. des Gelingens des Events), ebenso wie der eigenen inhaltlichen (Nachhaltigkeits-)Ziele nicht allein auf die Eigendynamik des Medienereignisses zu setzen, sondern den Schwerpunkt vielmehr auf Präfiguration bzw. Nachbereitung des Weltjugendtags als spirituelles Erlebnis zu legen. Dies heißt, sich zum Sprachrohr der Veranstalter zu machen und die zunächst allgemeinen offiziellen Informationsund Kommunikationsangebote mit Informationen bzw. Leben aus der Region zu füllen, um die aus Sicht der Gastgeber und der Organisatoren zentralen Botschaften gegenüber der eigenen Anhängerschaft zu kommunizieren. Umgekehrt eröffneten sich dadurch aber Aufmerksamkeitspotenziale für spezifisch kirchliche Themen und lokale Interessen, wie etwa die Jugendarbeit vor Ort oder internationale Partnergemeinden (siehe etwa „Bolivianer freuen sich auf den Weltjugendtag“ in Paulinus 13.2.05: „Aus dem Bistum“ – „Ein Traum wird wahr. Vor dem Weltjugendtag sind Bolivianer zu Gast im Bistum Trier“ in Paulinus 31.7.05: Reportage, sowie „Viva mi Patria Bolivia“ in Paulinus 21.8.05: 7).
Reflexive Zentrierung
77
Wie lassen sich die in diesem Kapitel dargelegten Analysen zusammenfassen? Geht man für die Beantwortung dieser Frage zurück zu unserem Ausgangspunkt, trifft man auf das Argument, dass die Mediatisierung des Weltjugendtags – sein Charakter als religiöses Medienevent – eine Prägkraft entfaltet, die in Prozessen der Zentrierung greifbar wurde. Hierzu haben wir verschiedene Aspekte dieser Zentrierung herausgearbeitet, erstens im Hinblick auf die Phasen des Medienevents, zweitens im Hinblick auf die Themenfelder der Weltjugendtagsberichterstattung und drittens im Hinblick auf dessen Konstruktionscharakter. 1. Phasen des Medienevents: Im Hinblick auf die Phasen des Medienevents wird deutlich, dass die Mediatisierung des Weltjugendtags eine zeitliche Zentrierung des Medienevents auf eine klar umrissene Hauptphase bedeutet. Rückt man reine Häufigkeitswerte ins Zentrum der Betrachtung, findet das Medienevent Weltjugendtag zwischen dem 10. und 22. August 2005 statt, in direktem Vorfeld und während der Zeit des Papstbesuchs in Köln. Eine Vor- und Nachberichterstattung war eine Sache kirchlicher (Print-)Medien, die so die Zielgruppe des lokalen Ereignisses Weltjugendtag – katholische Jugendliche und junge Erwachsene – auf dieses einstimmte bzw. in wesentlich geringerem Maße Erlebnisse nacharbeiten und erinnern half. Der Charakter des Weltjugendtags als Medienevent wird demnach in einer deutlichen Zentrierung der Beiträge greifbar mit der Chance, in dieser Phase die Medien insgesamt zu dominieren, aber auch mit dem damit verbundenen Risiko, ein medialer Aufmerksamkeitsgenerator in der Abfolge von vielen weiteren zu sein. 2. Themenfelder: Bezogen auf die Themenfelder der Weltjugendtagsberichterstattung fällt in scheinbarem Widerspruch zum bisher Gesagten deren Breite auf: Beginnend bei Fragen der Infrastruktur für das Event vor Ort und endend bei solchen der Rolle des Katholizismus in Deutschland wie in Europa wird in Bezug auf den Weltjugendtag Vielfältiges im Themenhorizont Religion, Medien und Kultur verhandelt. Einer mit der Mediatisierung verbundenen zeitlichen Zentrierung steht zuerst eine thematische Breite gegenüber. Auf den zweiten Blick erscheint diese Breite aber wesentlich fokussierter zu sein. Bezogen auf bestimmte regionale bzw. nationale Räume oder eine weltliche bzw. religiöse Ausrichtung, rücken je nach Medienorgan unterschiedliche Themenfelder in den Vordergrund. Gemeinsam bleibt allerdings, dass das Medienevent insbesondere in den nicht-kirchlichen Organen in erheblichem Maße ein papstfokussiertes Ereignis gewesen ist. 3. Konstruktionscharakter: Unser dritter behandelter Punkt war der des Konstruktionscharakters des Weltjugendtags, über den weitere Details der Mediatisierung des Weltjugendtags zugänglich wurden. So zeigt eine Betrachtung
78
Das Medienevent im Verlauf
der Themenfelder Organisation und Nachhaltigkeit, dass der Charakter des Weltjugendtags als Medienevent dazu beiträgt, dass unweigerlich neben religiösen nicht-religiöse Momente zumindest phasenweise in den Vordergrund der Berichterstattung rücken. Der Weltjugendtag wurde – so in der Medienberichterstattung ganz zentral – auch weltlich organisiert, seine Nachhaltigkeit ist auch kommerziell usw. Während diese reflexive Zentrierung in den weltlichen Medien in Deutschland und Italien eine Art ‚Subtext‘ der Hauptberichterstattung ist, wird sie in der religiösen Presse und vom lokalen Medienpartner der BildZeitung Köln parallel zum Verlauf des Ereignisses vollzogen. In gewissem Sinne verweist Ersteres auf eine spezifische Kontextualisierung des Medienevents, Zweiteres müssen wir als eine stärker auf das lokale Geschehen in Köln ausgerichtete präfigurierende Berichterstattung begreifen. Pointiert formuliert können wir damit festhalten, dass die Mediatisierung des Weltjugendtags im Hinblick auf dessen Verlauf als Medienevent eine dreifache Zentrierung bedeutet: Eine zeitliche Zentrierung auf eine Hauptphase von rund zehn Tagen, eine thematische Zentrierung auf den Papst (beim Fernsehen für Deutschland und Italien), das (lokale) Erleben der „Pilger“ (Deutschland im Vergleich zu Italien) und die katholische Glaubensgemeinschaft (religiöse im Vergleich zur weltlichen Presse) sowie eine reflexive Zentrierung (des Konstruktionscharakters des Medienevents). Mediatisierung heißt für den Verlauf des Medienevents eine nach Kontext variierende Zentrierung.
5
Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
Im zweiten Kapitel, in dem wir uns mit dem Begriff des Medienevents befassten, haben wir angesprochen, dass der Weltjugendtag als hybrides religiöses Medienevent anzusehen ist, weil er neben Momenten des Populären solche des Sakralen umfasst. In diesem Kapitel wollen wir uns näher mit dieser sakralen Dimension auseinandersetzen. Hierzu erscheint es uns zuerst notwendig, den von uns verwendeten Begriff des Sakralen expliziter zu machen als bisher. Grundlegend ist das Sakrale ein Konzept, das in der aktuellen Forschung zu Medien und Religion unterschiedlich diskutiert wird (vgl. überblickend die Beiträge in Sumiala-Seppänen et al. 2006). Eingebracht wurde es in die wissenschaftliche Diskussion um Religion vor allem durch den Soziologen Emil Durkheim (1981, orig. 1912). Dieser definierte das Sakrale – oder: Heilige – in Abgrenzung zum Profanen – oder: Weltlichen. Das Sakrale erscheint als eine Qualität, die entsteht, wenn Dinge oder Menschen vom Profanen ‚getrennt‘ werden und wenn es ein Verbot gibt, das das Sakrale davor schützt, sich im Profanen zu verlieren (Durkheim 1981: 429f.). Ein solcher dualistischer Ansatz – hier das Sakrale, dort das Profane – entspricht auf den ersten Blick dem Alltagsgebrauch des Begriffes, erscheint aber bei näherem Hinsehen problematisch (SumialaSeppänen 2006). So wird entlang dieses Dualismus ein definiertes ‚Zentrum‘ einer Religion (oder der Gesellschaft) konstruiert, eine Ein-Eindeutigkeit, die der aktuellen Manifestation des Sakralen in den Medien nicht entspricht. Dieses erscheint wesentlich flüchtiger und in engerer Beziehung zum Weltlichen, wenn wir heutige Religiosität in den Medien betrachten. Vor einem solchen Diskussionshintergrund ist ein anderer Begriff des Sakralen zielführend, der die Überlegungen von Nick Couldry (2003) und Knut Lundby (2006) aufgreift. Danach ist das Sakrale – soweit in Rückgriff auf die Überlegungen von Durkheim – vom Alltagsleben, dem Mundanen, Gewöhnlichen bzw. Profanen getrennt (Lundby 2006: 50). Allerdings ist das Sakrale nicht ‚gegeben‘ (durch eine Religion, eine Kirche o.ä.), sondern artikuliert sich in einem Prozess der kulturellen Auseinandersetzung. Zumindest in der Tendenz vollzieht sich diese Auseinandersetzung zwischen den institutionellen Akteuren einer Kirche und den Gläubigen in der Form, dass Erstere in einem strategischen Prozess eine kulturelle Produktion des Sakralen (bspw. durch Liturgie o.ä.) betreiben, was von den Gläubigen angeeignet und dabei auch umgedeutet und in zunehmend individualisierte Glaubensformen integriert wird. Diese Individualisierung von Glaubensformen kann so weit gehen, dass es sich bei den Gläubigen
80
Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
um allgemein religiös oder spirituell interessierte Menschen handelt, die aus dem jeweiligen sakralen Angebot einer Kirche das aufgreifen, was ihren eigenen Glaubensvorstellungen entspricht. In der Folge ist das Sakrale ‚dynamisch‘, ‚flüssig‘ und ‚wandelbar‘ und kann nicht in einer einfachen Dichotomie zum Profanen beschrieben werden: Grenzziehungen zwischen beiden erscheinen mitunter situativ, und die Sphären des Sakralen sind mit Momenten des Profanen durchzogen – wie auch umgekehrt. Dass ein solches prozess-und kontextorientiertes Verständnis des Sakralen zielführend ist, um den Weltjugendtag als ein hybrides religiöses Medienevent zu fassen, machen die darauf aufbauenden konkreten Analysen von Knut Lundby deutlich. Er weist darauf hin, dass in gegenwärtigen (post-)modernen Kontexten das Sakrale „als sakralisierte Momente in mega-spektakulären Events oder ‚good vibrations‘ im privaten Zuhause“ (Lundby 2006: 53) greifbar wird. Zentral erscheint damit eine kontextualisierte Analyse solcher „sakralisierter Momente“, für die die Studien Lundbys umfassende Anregungen bieten. So arbeitet er solche Momente des Sakralen in der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Lillehammer 1992 heraus (Lundby 1997) oder kann zeigen, dass die Auseinandersetzung um die Wahl des Bischofs von Oslo 2005 durch die Frage geprägt war, wie sich einzelne Kandidaten als „sakral“ und gleichzeitig „populär“ in den Medien inszenierten (Lundby 2006). In diesem Sinne müssen wir die Inszenierung des Weltjugendtags als Medienevent auch als einen Prozess der Inszenierung des Sakralen verstehen: Der Weltjugendtag ist als Medienevent neben anderem dadurch geprägt, dass es bei ihm darum geht, situativ „sakralisierte Momente“ in der Medienkommunikation herzustellen, ohne den Bezug zum Populären zu verlieren (siehe zu Letzterem Kap. 6). Wie dies genau geschieht, wollen wir im Weiteren untersuchen.
5.1
Herausgehobene Momente: Das Sakrale im Verlauf
Eine erste Konkretisierung des Sakralen ergibt sich im Rahmen des standardisierten Teils unserer Inhaltsanalyse entlang der Kategorien inhaltliche Ausgestaltung, Glaubenspraxis und Glaubenstradition. Nicht alle diesen Kategorien zugeordneten Beiträge in der Fernseh- und Print-Berichterstattung in Deutschland und Italien heben gänzlich auf sakrale Inhalte im Sinne unserer Definition ab. Dennoch wird insgesamt anhand dieser Kategorien eine thematische Verdichtung des Sakralen greifbar.
Herausgehobene Momente Abbildung 11:
81
„Das Sakrale“ im Verlauf: Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich % 14
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D inhaltliche Ausgestaltung
0
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0
I inhaltliche Ausgestaltung
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0,2
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13,1
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0,5
Okt 05
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0
D Glaubenspraxis
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0
0,1
0,2
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0
0,1
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0,1
0
I Glaubenspraxis
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0
0,4
0,4
0,2
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0,2
3
0,2
0,2
0
D Glaubenstraditionen
0
0
0
0,1
0
0,1
0
2,8
0,5
0,6
0
I Glaubenstraditionen
0,2
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0
0,5
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0,2
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0
0
0
-- --
-- --
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - D: n=868 / I: n=571 erfasste Beiträge
In der Gegenüberstellung der untersuchten deutschen und italienischen Medien fällt zunächst auf, wie wenig das Sakrale in der nicht-kirchlichen Presse thematisiert wird. Im Vorfeld des Weltjugendtags spielen, abgesehen von einzelnen Beiträgen in Deutschland und in Italien weder die Praxis noch die Traditionen des katholischen Glaubens eine Rolle, ebenso wenig wie das Motto des Weltjugendtags und seine Umsetzung. Auch in der Nachberichterstattung findet eine Auseinandersetzung mit sakralen Momenten nur in geringfügig intensiverem Maße statt. Selbst während der Hauptphase des Medienevents mit den zentralen liturgischen Feierlichkeiten werden sakrale Themen weniger intensiv diskutiert als etwa Fragen der Nachhaltigkeit – mit einer Ausnahme: Mit 13,4 Prozent der Beiträge nimmt die inhaltliche Ausgestaltung des Weltjugendtags in den italienischen Medien in etwa denselben Stellenwert ein wie Fragen der Organisation (siehe Abbildung 11). Zwar dominiert in Bezug auf das Sakrale, abgesehen von einem Fokus auf Glaubenspraxis im September 2005, in den deutschen Medien ebenfalls das Themenfeld der inhaltlichen Ausgestaltung. Die ist mit 42 von insgesamt 868 und damit 4,8 Prozent aller berücksichtigten Beiträge jedoch nicht derart ausgeprägt. Zum Vergleich: Dem Themenfeld Organisation konnten allein im August 174 Beiträge, d.h. rund 20 Prozent der für Deutschland erfassten Beiträge zugeordnet werden. Wie im vorherigen Kapitel angedeutet, zeichnet
82
Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
sich damit in den von uns untersuchten italienischen Medien bei der Berichterstattung über das Sakrale eine intensive Auseinandersetzung mit den Botschaften des Weltjugendtags und des Papstes ab, deren Nachbearbeitung deutlich schneller abflacht als in den deutschen Medien. Abbildung 12:
„Das Sakrale“ in der deutschen Tagespresse: Überregionale und regional/lokale Berichterstattung im Vergleich 20
15
10
5
0 Jan 05
Feb 05
März 05
April 05
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Juni 05
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Sept 05
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Nov 05
Tagespresse überregional TPÜ Inhaltliche Ausgestaltung
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TPÜ Glaubenspraxis
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0
0
0
0
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0
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TPÜ Glaubenstraditionen
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0
0
0
0
0
0
0
1
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4
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Tagespresse regional / lokal (o. BILD) TPR Inhaltliche Ausgestaltung
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TPR Glaubenspraxis
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TPR Glaubenstraditionen
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Bild Köln (inkl. Bundes-+ Lokalteil) Bild Köln Inhaltliche Ausgestaltung
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Bild Köln Glaubenspraxis
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Bild Köln Glaubenstraditionen
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0
0
0
5
0
0
Datenbasis: Deutschlandsample - n=1036 erfasste Beiträge (nur Tagespresse)
Begreift man die Berichterstattung über das Sakrale als ein spezifisches Charakteristikum hybrider religiöser Medienevents, durch das sich diese von anderen populären Medienevents abgrenzen, stellt sich über (national-)kulturelle Unterschiede hinaus die Frage, ob es im Hinblick auf die Berichterstattung quantitativ gesehen Differenzen zwischen verschiedenen Arten von Medienorganen gibt. Tatsächlich zeigten sich solche Differenzen bei einer Betrachtung der Tagesund Wochenpresse (siehe Abbildung 12). Während in der säkularen Wochen- und Publikumspresse ebenso wie in der überregionalen und (weitgehend) auch der regionalen Tagespresse in der ersten Jahreshälfte nur einzelne Artikel zu den sakralen Aspekten des Weltjugendtags zu finden sind, werden diese Themen in den kirchlichen Medien in der Vorberichterstattung ausführlich behandelt (siehe Abbildung 13). Vor allem inhaltliche Aspekte des Weltjugendtags werden thematisiert, mit seinem Näherkommen zunehmend Glaubenspraxis und -traditionen. Damit lässt sich die im vorherigen Kapitel entwickelte These einer präfigurierenden Berichterstattung der deutsch-
Herausgehobene Momente
83
sprachigen kirchlichen Medien weiter konkretisieren. Indem über Fragen der Entwicklung und der Nachhaltigkeit des Weltjugendtags hinaus verschiedene Aspekte des Veranstaltungskonzepts für Köln beleuchtet und in Bezug auf allgemeine Traditionen und Praktiken des Glaubens kontextualisiert werden, werden langfristig und zielgruppenspezifisch Erwartungen an das sakrale Geschehen auf dem Weltjugendtag und das damit verbundene Glaubenserlebnis formuliert. In der nicht-kirchlichen Medienberichterstattung kommen sakrale Momente des Weltjugendtags dagegen erst in der Kernphase zur Sprache. Abbildung 13:
„Das Sakrale“ in der deutschen Wochen- und Publikumspresse: Weltliche und kirchliche Organe im Vergleich 25
20
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5
0
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April 05
Mai 05
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Nov 05
Wochen-/ Publikumspresse säkular WPPS Inhaltliche Ausgestaltung
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0
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0
0
4
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0
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WPPS Glaubenstraditionen
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0
1
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0
0
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Wochen-/ Publikumspresse kirchlich WPPK Inhaltliche Ausgestaltung
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WPPK Glaubenspraxis
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WPPK Glaubenstraditionen
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Datenbasis: Deutschlandsample - n=933 erfasste Beiträge (nur Wochen- + Publikumspresse)
Dies gilt ebenfalls in Bezug auf die Kölner Ausgabe der Bild-Zeitung, die zwar im Vorfeld sakrale Aspekte des Weltjugendtags thematisiert, jedoch im Rahmen einer vorwiegend ereignisbezogenen Berichterstattung über die lokalen Vorbereitungen. Exemplarisch dafür steht der Bericht „Messehallen werden zum Zentrum für Versöhnung“ (Bild Köln 1.6.05: 3), der kurz auf die Bedeutung von Katechese und Beichte eingeht, in dessen Fokus aber die verschiedenen Termine und Veranstaltungsorte des Weltjugendtags liegen. Angesichts dieser Unterschiede ist umso auffälliger, wie sich die Themenverteilungen der überregionalen säkularen Tagespresse und der kirchlichen Medien in der Nachbereitung der sakralen Momente des Weltjugendtags einander nähern. Während die Aufmerksamkeit für Inhaltliches nach dem Ende des Weltjugendtags sprunghaft zurück-
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
geht, gewinnen Glaubenspraktiken und -traditionen gegenüber der Vor- und Hauptberichterstattung bis in den Oktober hinein deutlich an Relevanz (siehe Abbildung 13). Abbildung 14:
„Das Sakrale“ im Fernsehen: Die Berichterstattung von ARD, RTL, RAI 1 und Canale5 im Vergleich 20
15
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5
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10.8. ARD inhaltliche Ausgestaltung
11.8.
12.8.
13.8.
14.8.
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ARD Glaubenspraxis ARD Glaubenstraditionen
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3 2
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20.8.
22.8.
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23.8.
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RTL inhaltliche Ausgestaltung
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RTL Glaubenspraxis RTL Glaubenstraditionen Rai 1 inhaltliche Ausgestaltung
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Rai 1 Glaubenspraxis Rai 1 Glaubenstraditionen Canale 5 inhaltliche Ausgestaltung
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Canale 5 Glaubenspraxis Canale 5 Glaubenstraditionen
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien - n=471 erfasste Beiträge (nur TV)
Betrachtet man im Vergleich die Präsenz sakraler Themen im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen in Deutschland und Italien, fällt zunächst auf, wie wenig diese Aspekte in den einzelnen von uns untersuchten Programmen explizit thematisiert werden. In allen Kanälen wurde ausführlich über die zentralen Liturgien mit dem Papst berichtet. Hinweise auf eine breite Diskussion des sakralen Geschehens lassen sich in diesem Zusammenhang aber nur bedingt ausmachen (siehe Abbildung 14). So deutet die in der Print-Berichterstattung auszumachende Dominanz des Themenfelds inhaltliche Ausgestaltung in der oben stehenden Abbildung darauf hin, dass sich der überwiegende Teil der Beiträge auf die Übertragung der Feierlichkeiten bzw. die Wiedergabe der zentralen Botschaften konzentriert. Eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Konzept des Weltjugendtags hinsichtlich seiner Umsetzung oder Bezüge zu Glaubenspraktiken und -traditionen zeichnet sich lediglich in der Berichterstattung der ARD sowie in den Beiträgen von RAI 1 während der ersten Hälfte der Weltjugendtagswoche ab. Beispielsweise wird in den Nachrichten der ARD über eine
Medienrituale
85
zum Weltjugendtag eröffnete Ausstellung von Meisterwerken christlicher Malerei in Köln berichtet („Zeichen des Glaubens“ in ARD „Tagesschau um 12“ vom 10.8.05: 12:00) und das Veranstaltungskonzept des Weltjugendtags kritisch reflektiert (ARD „Tagesthemen“ 16.8.05: 22.30). Ähnliches gilt für den italienischen Sender RAI 1 mit seiner Sendung „A sua immagine“ (14. und 15.8.05). Bei den beiden privaten Sendern RTL und Canale 5 wurde dagegen kein einziger Beitrag zu Glaubenspraktiken oder -traditionen erfasst. Die einzige Ausnahme ist RTL „Aktuell Weekend“ vom 20.8.05, eine Sendung, in der sich ein kurzer Verweis auf die Tradition der Vigil findet. Pointiert formuliert lässt sich feststellen, dass sowohl in Deutschland als auch Italien im Fernsehen das Sakrale in der Übertragung der Liturgien greifbar wird, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen sind. Eine Auseinandersetzung mit darüber hinausweisenden Dimensionen des Sakralen findet am Rande statt. Wesentlich breiter, verglichen mit anderen Themen aber gleichwohl untergeordnet ist die Auseinandersetzung mit dem Sakralen in der Presse. Solche quantifizierenden Befunde untermauern weiter unsere Vorüberlegungen, dass das Sakrale des Medienevents Weltjugendtag in einzelnen herausgehobenen Momenten greifbar wird – den Übertragungen liturgischer Feiern im Fernsehen und spezifischer Formen der Thematisierung von Glauben in der Presse. Mediatisierung bedeutet im Hinblick auf das Sakrale, dass sich dessen Kommunikation auf spezifische Formen beschränken muss. Wie diese in Bezug auf Fernsehen und Printberichterstattung qualitativ zu fassen sind, wollen wir in den folgenden beiden Abschnitten näher betrachten.
5.2
Medienrituale: Fernsehgottesdienste
Aus unseren bisherigen Darlegungen folgt, dass sich das Sakrale im Medienevent Weltjugendtag in einem spezifischen Fernsehgenre konkretisiert, das wir als Fernsehgottesdienst bezeichnen wollen. Sicherlich gibt es unabhängig vom Weltjugendtag Fernsehgottesdienste, beispielsweise zu besonderen religiösen Feiertagen (Weihnachten, Ostern etc.) oder als ein sonntägliches Spartenangebot. Gleichwohl erfährt dieses Genre des Fernsehgottesdienstes in Bezug auf das Medienevent eine spezifische Ausprägung als Inszenierung des Sakralen, wobei nach Auskunft der von uns befragten Medienschaffenden das italienische öffentlich-rechtliche Fernsehen RAI als transkulturell prägend bei der Etablierung dieses Genres gilt. Entsprechend wollen wir uns dem Fernsehgottesdienst als Teil des Medienevents Weltjugendtag durch einen transkulturellen Vergleich der medialen Repräsentation der „Heiligen Messe mit dem Heiligen Vater zum Ab-
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
schluss des XX. Weltjugendtags am 21. August 2005“ auf dem Marienfeld in RAI 1 und ARD annähern. Hierbei handelt es sich um die beiden öffentlichrechtlichen Sender, die in Deutschland und Italien den Gottesdienst in seiner gesamten Länge übertrugen – im Gegensatz zu privaten Sendern, die über einzelne Höhepunkte berichteten. Die transkulturell vergleichende Analyse dieser beiden Sendungen macht über Differenzen der nationalen Berichterstattung hinweg Grundmuster der Mediatisierung des Sakralen deutlich. In der ARD ist der Gottesdienst in die Sondersendung „Der Papst in Deutschland“ eingebettet, die am 21.8.05 von 8:45 Uhr bis 12:30 Uhr ausgestrahlt wurde. Ähnliches gilt für RAI 1, wo der Fernsehgottesdienst Teil der Sendung „Colonia Santa Messa“ ist, die von 9:30 bis 12:30 gesendet wurde. Innerhalb dieser Sendungen ist die sakrale Veranstaltung deutlich herausgehoben und ihr kommt der Status eines eigenen Genres zu. Dies wird daran greifbar, dass sich die Form der Inszenierung mit Beginn des Abschlussgottesdienstes ändert. Auf RAI 1 führen Piero Badaloni und Guiseppe de Carli zumeist aus einem mobilen Studio durch eine Art Magazinsendung, die das Warten der „Pilger“ auf den Abschlussgottesdienst fokussiert. Dabei wird wiederholt in das Geschehen auf dem Marienfeld – dem lokalen Ort des Gottesdienstes mit den wartenden „Pilgern“ – geschaltet, von wo Filipo Gaudenzi als Live-Reporter berichtet. Unterbrochen wird diese Berichterstattung durch einen Rückblick auf die Vigil (Nachtwache auf dem Marienfeld) des Vortags sowie Kommentare zu aktuellen Situationen des Katholizismus in Deutschland. Ähnlich führt in der ARD Jörg Schönenborn die erste Stunde der Berichterstattung als anchor man durch die Sondersendung, assistiert von Pater Eberhard von Gemmingen als kirchlichem Experten. Er kommentiert Stimmungsbilder auf dem Marienfeld, wo Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags nach dem Abendgottesdienst der Vigil am Vortag die Nacht verbracht haben, moderiert Übergänge zu den Live-Reportagen über die auf den Papst wartenden „Pilger“, bettet in die Sendung Live-Berichte über den Aufbruch des Papstes zum Marienfeld ein, aber auch eingespielte Reportagen über die (Bau-)Geschichte des Marienfelds oder über die Positionen deutscher Bischöfe. Die ersten 45 Minuten (RAI 1) bzw. 75 Minuten (ARD) der Berichterstattung unterscheiden sich entsprechend kaum untereinander oder von Live-Magazinsendungen im Vorfeld anderer Ereignisse. In welchem Maße das Sakrale im Genre des Fernsehgottesdienstes aus dieser allgemeinen Berichterstattung herausgehoben ist, wird schlagartig mit Beginn des Gottesdienstes deutlich: Nach Ankunft des Papstes auf dem Marienfeld und Aufbruch des „liturgischen Zugs“ – des Zugs der Würdenträger auf den Papsthügel mit dem Altar – übernehmen um zehn Uhr in der ARD Pfarrer Erwin Albrecht und Maria Dickmeis die Kommentierung der sakralen Feier. Auf RAI 1
Medienrituale
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hat dieselbe Rolle Orazio Coclite inne, der bei Übersetzungen von Stefania Stella unterstützt wird und mit einer tiefen, getragenen und feierlichen Stimme spricht. Im Gegensatz zur ARD – bei der ausschließlich von Albrecht und Dickmeis durch die weitere Berichterstattung geführt wird – werden auf RAI 1 Piero Badaloni und Guiseppe de Carli mit kommentierenden bzw. ergänzenden Hintergrundinformationen in den Fernsehgottesdienst einbezogen. Abbildung 15:
Die sakrale Inszenierung der Medienberichterstattung: Große Gesten auf dem Marienfeld (L‘Adige, 21.8.05: 3)
Beide Berichterstattungen treffen sich aber darin, dass man sich von Beginn des Gottesdienstes an in einer ‚anderen Form‘ von Sendung befindet, die exemplarisch für die Mediatisierung des Sakralen steht: In ruhig geschnittenen Bildern, mit nahezu perfekter Tonübertragung, langen Musik- bzw. Videoclipeinlagen und nur den notwendigsten – auf RAI 1 u.a. aufgrund der Sprachbarriere umfassenderen – erläuternden Kommentaren kann die „Heilige Messe mit dem Heiligen Vater“ im Fernsehen live miterlebt werden. Die Art und Weise der Mediatisierung des Sakralen wird erstens anhand der auftretenden Personen, zweitens ihrer Handlungen und drittens der thematisierten Inhalte greifbar, entlang derer die Themenfelder inhaltliche Ausgestaltung, Glaubenspraxis und Glaubenstra-
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
ditionen in ihrer für den Fernsehgottesdienst charakteristischen Darstellungsweise verhandelt werden. 1. Betrachtet man die Darstellung der Personen in dem Fernsehgottesdienst, fällt – im Gegensatz zu der einleitenden Berichterstattung mit persönlichen Erlebnisschilderungen der „Pilger“ – auf, in welchem Maße diese auf die mediale Inszenierung einer rituellen Veranstaltung verweist: Es interessieren nicht (mehr) die verschiedenen Personen als Individuen, sondern vielmehr deren sakrale Rollen innerhalb des Mediengottesdienstes. Spricht man von den Personen der sakralen Veranstaltung, denkt man zuerst an die Geistlichen der katholischen Kirche, die den Gottesdienst als Akteure gestalten. Insgesamt müssen zumindest zwei grundlegende Rollen der am Gottesdienst beteiligten Geistlichen unterschieden werden, erstens die derjenigen, die aktiv zum sakralen Geschehen des Gottesdienstes beitragen (der Papst, Kardinal Meisner, der päpstliche Zeremonienmeister Piero Marini und andere mehr) und zweitens diejenigen, die in ihrer Eigenschaft als Geistliche eine spezifische Kulisse des Fernsehgottesdienstes bilden. Mediatisierung bedeutet in Bezug auf beide Rollentypen, dass diese weniger auf das lokale Geschehen auf dem Marienfeld in Köln ausgerichtet sind, sondern vielmehr auf die sakrale Inszenierung des Geschehens im und für das Fernsehen. Konkret wird dies an einem ersten Beispiel, der Ankunft des Papstes auf dem Papsthügel zu Beginn der Messe. Auch wenn dieses Geschehen belanglos erscheinen mag, umreißt es klar den Kern der päpstlichen liturgischen Rolle bei der sakralen Veranstaltung (eine Auflistung der im Weiteren verwendeten Transkriptionssymbole findet sich im Anhang). Transkript 1: ARD Abschlussgottesdienst (21.8.05: 8:45) – „Ankunft des Papstes“ Zeit
Bild
Ton
1:36:15
HT: Papst steigt aus Papamobil aus
Mu (Chor singt das Motto-Lied des Weltjugendtags 2005): „Jesus Christ you are my life“
1:36:21
T (Schwenk vom Papamobil auf Szenerie des ausgestiegenen Papstes): Papst mit Insignien neben anderen Geistlichen und Sicherheitsbeamten
Mu: „Jesus Christ you are my life“
Medienrituale
89
1:36:28
HT (dahinter geblendet Live-Bilder des Kommentator Erwin Albrecht: immer Papsthügels): Papst winkt in die Fern- an seiner Seite Erzbischof Piero sehkamera Marini der päpstliche Zeremonienmeister .1. [Mu: „Jesus Christ you are my life“]
1:36:38
T: Papst läuft an den Rand des Papsthügels und winkt den Menschen auf dem Marienfeld zu
dem diese Liturgie auf dem Marienfeld auch gefallen wird [Mu: „Jesus Christ you are my life“]
Bei dieser Sequenz von rund 20 Sekunden handelt es sich um einen Ausschnitt aus der ARD-Berichterstattung, in dem der Papst als sakraler Akteur des Fernsehgottesdienstes in Erscheinung tritt. Auffallend ist erstens die Form der visuellen Repräsentation des Oberhaupts der katholischen Kirche. Während der liturgischen Feier trägt Benedikt XVI ein Messgewand und eine Mitra (Bischofskappe), die sich durch die gelbe Farbe von den Messgewändern anderer anwesender Geistlicher abheben. Darüber hinaus ist er mit den Insignien seiner Position in der katholischen Kirche ausgestattet, dem Fischerring, päpstlichen Hirtenstab und einem besonderen Pallium (eine Art Stola über dem Messgewand). Zweitens fällt auf, wie der Papst sich mit einem Winken im scheinbar informellen, persönlichen und freundlichen Gruß zuerst an die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer wendet. Der italienische Kommentar auf RAI 1 geht zu denselben Bildern auf dieses Handeln explizit ein, indem darauf hingewiesen wird, dass die Messe von der Mehrzahl medienvermittelt wahrgenommen wird, und die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer entsprechend direkt begrüßt werden. Erst nach dieser Fernsehbegrüßung wendet sich der Papst an die lokal auf dem Marienfeld anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer, indem er diesen vom Rand des Papsthügels aus zuwinkt. Allerdings muss diese Handlung in ihrer medialen Inszenierung gesehen werden, weil für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Messe auf dem Marienfeld dieses Zuwinken allenfalls über die Übertragung durch die aufgestellten Videowände zu sehen ist. Die Medien stellen für sie die einzige Möglichkeit dar, die Geschehnisse auf dem Papsthügel zu verfolgen. An dieser kurzen Begrüßungssequenz wird sowohl mit Blick auf die Berichterstattung von RAI 1 als auch der ARD deutlich, was die Mediatisierung der sakralen Veranstaltung der heiligen Messe für den Papst als herausragenden katholischen Würdenträger bedeutet: Seine Rolle ist bei dieser Veranstaltung weniger durch das lokale Geschehen auf dem Marienfeld bestimmt, als vielmehr durch die Inszenierungsweise des Fernsehgottesdienstes als Teil des Medienevents Weltjugendtag. Die primären Adressaten sind nicht die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort, sondern die Fernsehpublika. Dieses mediale Arrange-
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
ment hat zur Folge, dass der Papst als Akteur in einer medienvermittelten Nähe zu sehen ist, die für lokale Messen ungewöhnlich wäre: Scheinbar unmittelbar können die sakralen Handlungen verfolgt werden, ohne die übliche Distanz des Altarbereichs zur Gemeinde. Gesteigert wird die Inszenierung einer solchen Nähe zusätzlich durch eine auf den Papst bezogene Personalisierung des Sakralen: Während auch andere katholische Würdenträger die Messe auf dem Marienfeld mitgestalten, ist es Benedikt XVI als Papst, der durch seine Kleidung in der visuellen Repräsentation aus dem Gesamt der anderen sich am Gottesdienst beteiligenden Geistlichen herausgehoben ist und in seiner Rolle als zentraler sakraler Akteur die wichtigsten liturgischen Handlungen des Gottesdienstes vollzieht. Inwieweit diese Sonderrolle des Papstes in das Gesamt der agierenden Geistlichen einbezogen ist, wird an einer Sequenz der RAI 1-Berichterstattung deutlich: Transkript 2: RAI 1 Abschlussgottesdienst (21.8.05: 9:30) – „Glaubensbekenntnis“ Zeit
Bild
Ton
1:03:13
HT: Papst steigt aus Papamobil aus T: Papst steht auf dem Podest des Throns in der Bildmitte, Zeremonienmeister Piero Marini und Messdiener um ihn herum, Geistliche als Kulisse im Hintergrund
Sprecherin Stefania Stella (übersetzt vom Deutschen ins Italienische): .1. Macht des Rechts und der Gerechtigkeit in der Welt .. ich bitte dich .4. ((Papst beginnt ohne Mikrofon das Glaubensbekenntnis zu sprechen))
1:03:20
HT (Überblendung): Papst betend mit der Geste des mea culpas
Kommentator Guiseppe de Carli: dem Bußritus ist wie ihr gehört habt eine Begrüßung voraus gegangen .. die Papst Benedikt XVI improvisiert hat
1:03:27
P (Überblendung): Papst vor einer Gruppe Geistlicher, Marienfeld mit Teilnehmern im Hintergrund
Kommetator Filippo Gaudenzi: ihr seht Papst Benedikt findet daran Gefallen, aus dem Stegreif zu sprechen es war ein außerplanmäßiges Programm was glaube ich ((lacht)) auch den liturgischen Zeremonienmeister Monsignore Piero Marini überrascht hat .. und tatsächlich hat die Freude
Medienrituale
91
1:03:37
G (übergeblendet, dann Zoom): Papst mit Mikrofon
hat Papst Ratzinger versucht °=so=° sein Herz zu öffenen .. ((im HG ist deutlich der Papst auf Deutsch zu hören)) für das was er sieht und was er vor allem in diesem Augenblick empfindet ((Papst singt Kyrie eleison))
1:03:48
G: Papst am Mikrofon
Kardinäle: Kyrie eleison Kommentator Orazio Coclite ((übersetzt vom Deutschen, Papst auf Deutsch im HG)): du bist Mensch geworden um für uns zum Weg des Lebens zu werden .1. Criste eleison . du lädst uns ein dir zu folgen und einander zu lieben ((Kommentatoren schweigen, Papst ist auf Deutsch zu hören))
1:04:15
G: Papst am Mikrofon
Orazio Coclite ((Papst weiter auf Deutsch im Hintergrund)): er spricht jetzt das Vergebungsgebet . der Herr erbarme sich unser .. er erlöse uns von aller
1:04:21
T: Papst in der Bildmitte umringt von Geistlichen, Messdiener bringen das Mikrofon weg und verneigen sich kurz vor dem Papst
Schuld und Sünde damit wir diese Feier mit reinem Herz beginnen können .. und es ist wieder Papst Benedikt XVI der das „Ehre sei Gott in der Höhe“ anstimmt
1:04:34
T: wie oben, Geistliche öffnen rotes Liturgiebuch
Mu (Chor und Orchester): Gloria der Missa Mundi
Dieser Ausschnitt untermauert die herausgearbeiteten Akteursrollen des Fernsehgottesdienstes durch die verschiedenen Kameraeinstellungen nochmals: Neben dem Papst als dem zentralen sakralen Akteur handelt Piero Marini als sakraler Helfer, der eine papstbezogene (Medien-)Inszenierung des Gottesdienstes unterstützt. Darüber hinaus sind weitere anwesende Bischöfe und Kardinäle zu sehen, die als Repräsentanten der katholischen Kirche als Gesamtgruppe in einer Panoramaaufnahme ins Bild kommen. Diese insgesamt rund 800 Bischöfe und 10.000 Priester sind in die (mediale) Inszenierung des Gottesdienstes einbezogen, ohne als sakrale Akteure im engeren Sinne des Wortes in Erscheinung zu treten. Beachtenswert ist, wie das geschieht: In der einheitlich weißen Farbgebung ihres Messgewands bzw. mit dem gelben Pallium farblich spiegelverkehrt
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
zum Papst gekleidet ,bilden die Priester eine Kulisse des Fernsehgottesdienstes. Inwieweit diese sakrale Kulisse auf die Fernsehberichterstattung fokussiert ist, wird an der Positionierung der katholischen Geistlichen deutlich: Zum Teil selbst hinter dem Altar auf dem Papsthügel anwesend, zum Teil als ein Art Menschengürtel zwischen dem Ausläufer des Papsthügels und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Weltjugendtags platziert, sind sie für die „Pilger“ kaum zu sehen. In der Fernsehübertragung kommen sie aber ins Bild, wenn liturgische Gesänge zu hören und/oder sakrale Handlungen im Vordergrund vollzogen werden. Dabei symbolisieren sie in ihrer einheitlichen Kleidung bei gleichzeitig unterschiedlichster Hautfarbe die „Einheit in der Vielfalt“ der katholischen Kirche als Organisation. Auf welche Art die Gruppe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die mediale Inszenierung des Gottesdienstes einbezogen wird, macht folgende Sequenz mit deutlich, in diesem Fall aus der ARD-Übertragung (eine nahezu identische Sequenz ist bei RAI 1 zu finden). Hierbei handelt es sich um eine Lesung aus dem Matthäus-Evangelium, deren Kernsätze in den fünf Weltjugendtagssprachen je durch ein „Halleluja“ abgeschlossen werden, die von einem Chor gesungen und entsprechend musikalisch perfekt in der Fernsehberichterstattung eingespielt werden. In dieser Sequenz sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags – in Kontrast zu dem sich an der Lesung beteiligenden Jugendlichen – in einer klar definierten Rolle zu sehen: Während der Jugendliche als einzelner sakraler Helfer auftritt, entsprechend halbnah im Bild zu sehen ist und den Kernsatz der Lesung des Gottesdienstes auf Deutsch liest, kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dem Moment ins Bild, als die Botschaft verkündet ist. Als der Halleluja-singende Chor mit Unterlegung durch ein Orchester zu hören ist, erscheint im Bild die Panoramaluftaufnahme der Menge von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, durch einen Grünstreifen und dahinter die Gruppe der Geistlichen deutlich getrennt vom Papsthügel, auf dem die eigentliche Messe abgehalten wird. In solchen Bildern interessiert nicht jeder Einzelne als Akteur mit seinen individuellen Interessen und Motiven, sondern die reine Masse der „Pilger“, die insgesamt visuell die Gemeinde repräsentieren, in der Medienberichterstattung der sakralen Veranstaltung aber insofern stumm bleiben, als es der eingeübte Chor ist, dessen Gesang übertragen wird (siehe Transkript 3). Diese Masse der „Pilger“ ist – und dies muss als ein generelles Moment der Mediatisierung des Gottesdienstes gelten – in einer Doppelfunktion zu sehen, die der des Saalpublikums bei Talkshows vergleichbar ist (Müller 1999): Auf einer ersten Ebene fungieren die lokalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gottesdienstes als die scheinbar direkt adressierte Gemeinde der abgehaltenen
Medienrituale
93
Messe. Es sind im visuellen Arrangement des Fernsehgottesdienstes scheinbar sie, an die sich in unserem Beispiel die Worte der Lesung richten. Auf einer zweiten Ebene symbolisieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleichzeitig das Gesamt derjenigen, die die sakrale Veranstaltung über die Medien mit verfolgen. Sie bilden – dem Saalpublikum in Talkshows gleich – ein Identifikationsangebot im medialen Arrangement. Transkript 3: ARD Abschlussgottesdienst (21.8.05: 8:45) – „Lesung“ Zeit
Bild
Ton
2:13:00
HN: Lesender Jugendlicher hinter der Kanzel
Jugendlicher: sie holten ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe .1. dann gingen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land
2:13:48
P (Luftbild, Schwenk über das gesamte Marienfeld): Menschenmenge auf dem Marienfeld; im Hintergrund Papsthügel mit Altar
Mu (Chor): Halleluja
Im Fernsehgottesdienst kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer also nicht mehr als Individuen mit ihren Meinungen, Erfahrungen und Positionen zu Wort, sondern erscheinen in einer spezifischen sakralen Rolle, der der Gemeinde. Diese Rolle der Gemeinde ist in der Fernsehberichterstattung in einem doppelten Sinne zu verstehen, erstens als lokale Gemeinde des Gottesdienstes und zweitens als Fernsehgemeinde des Medienevents. Als ein weiteres Spezifikum der Mediatisierung des Sakralen muss gesehen werden, dass damit das heilige Geschehen für Menschen verständlich inszeniert wird, die nicht katholisch sozialisiert sind bzw. eine eher allgemeine Affinität zum Katholizismus haben. Dies konkretisiert sich auf Ebene der Personen darin, dass eine weitere Personenrolle geschaffen wird, die des sakralen Kommentators. Hierfür können wir die betrachtete Glaubensbekenntnissequenz der RAI 1-Berichterstattung nochmals anführen: Orazio Coclite übersetzt nicht nur einfach die originalen deutschen Äußerungen des Papstes, sondern orientiert gleichzeitig im Geschehen, indem bspw. das Gebet als „Vergebungsgebet“ gedeutet wird. Ähnlich werden in der deutschen Berichterstattung von Pfarrer Erwin Albrecht sakrale Handlungen wie der liturgische Zug auf den Papsthügel in ihrem Bezug zur christlichen Symbolik erläutert. Im Fall des liturgischen Zugs ist dies das Sich-Bewegen „auf den Berg, um Gottes Nähe zu erfahren“. Bezug nehmend auf die Überlegungen von Daniel Dayan und Elihu Katz (1992: 7)
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
kann man festhalten, dass die sakralen Kommentatoren die „priesterliche Rolle“ von Moderatoren bei rituellen Medienereignissen geradezu exemplarisch ausfüllen. Häufig wird dies noch dadurch unterstrichen, dass einer der sakralen Kommentatoren Priester ist. Sakrale Glaubenspraktiken werden damit im Fernsehgottesdienst nicht nur präsentiert, sondern auf eine feierliche Weise in einer spezifischen Glaubenstradition erläutert. 2. Diese Argumente verweisen auf den zweiten, für ein Verständnis der Mediatisierung des Sakralen im Fernsehgottesdienst zentralen Punkt, die im Fernsehen repräsentierten sakralen Handlungen. Ein Beispiel für diese ist folgender Ausschnitt aus der Eucharistiefeier in der RAI 1-Berichterstattung: Transkript 4: RAI 1 Abschlussgottesdienst (21.8.05: 9:30) – „Eucharistiefeier“ Zeit
Bild
Ton
2:42:10
HN: Papst mit Kardinälen und Bischöfen am Altar, bereitet das Austeilen der Hostien vor
Orazio Coclite: .. aus der Knechtschaft der Sünde gehen wir zu jenem himmlischen Mahl .. für das das eucharistische Mahl Zeichen .1. Prophezeiung .1. und Unterpfand ist .. Herr wir lieben und loben dich wir verehren dich und danken dir für deine große Gabe
2:42:40
HT: Papst geht die Hostien an die Jugendlichen austeilen
.1. zusammen mit dem Heiligen Petrus dem Papst und der gesamten Kirche rufen wir dich .. du bist Christus der Sohn des lebendigen Gottes
2:42:50
A (Zoom): Papst teilt Hostien aus, um ihn herum Kardinäle und Bischöfe
.3. oh Jesus stärke unseren eucharistischen Glauben lass unsere .. Priester =eucharistische Priester sein= dass sie bei dir verweilen in friedvollen Gesprächen über Glaube und Liebe .. hilf den Jugendlichen Zeit für das Gebet und die Anbetung zu finden .. dann werden wir kraft der Erfahrung sagen können
2:43:10
HB (Zoom auf den Papst): Papst, im Hintergrund Jugendliche aus verschiedenen Ländern
.. nur du sprichst Worte des ewigen Lebens .1. nur du bist uns nah in Freud und Leid nur du tröstest die Gerechten und schenkst Friede und echte Freude .7.
Medienrituale
95
2:43:53
D: Hände des Papstes beim Verteilen der Hostien
Sprecherin Stefania Stella: das ist es was sich die hier versammelten wünschen dass sie das Sakrament empfangen . aber aus Gründen der Sicherheit fordert man sie weiter auf den eigenen Bereich nicht zu verlassen
2:44:01
HN (aufgeblendet von den Händen des Papstes): Papst mit Jugendlichen, Geistliche im Hintergrund
((25 Sekunde Stille, dann setzt Musik ein))
2:44:50
HN: Geistlicher, der Wein und Hostien an andere Geistliche verteilt
Mu
2:45:15
P: Altarbereich mit dem Papst, der die Hostien teilt, das Marienfeld im Hintergrund; Zoom auf dem Papst mit dem Rücken zur Kamera: T des Papstes mit Kardinal in violettem Messgewand, während er Hostien teilt
Kommentator Guiseppe di Carli: noch immer sind nicht alle Priester dort angekommen .. wo sie die Kommunion austeilen müssen auf diesem Feld .. ihr habt Bilder besonders die (Luftaufnahmen) gesehen .. es ist wirklich endlos .. _riesig_ deshalb wird uns allein die Kommunion viele Minuten rauben wir nähern uns jedenfalls dem Ende dieses XX Weltjugendtages ich würde die Gelegenheit auch gerne nutzen um .. anhand der Bilder noch einmal Schritt für Schritt
2:45:52
HN: Priester teilt Hostien aus
den Weg zurück zu verfolgen den die Jugendlichen aus den verschiedenen Kontinenten zurück gelegt haben
2:45:58
Einblendung einer Sequenz mit ((Kommentatoren schweigen)) Archivbildern vergangener Weltjugendtage mit Papst Johannes Paul II
Was fällt an dieser Passage auf? Auf den ersten Blick die Breite, in der – in einzelnen Momenten unkommentiert – sakrale Handlungen im Fernsehen zu sehen sind. Auf dieser Ebene scheint sich eine Mediatisierung nicht prägend auf die Gottesdienstberichterstattung auszuwirken. Konkreter wird die Mediatisierung, wenn wir uns die sakralen Handlungen im Detail ansehen. So sind diese in ihrer visuellen Repräsentation – in dem Fall: in der Sichtbarkeit dessen, was der Papst ‚macht‘ – nur den Fernsehzuschauern
96
Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
zugänglich und dabei in einer umfassenden Nähe. In der medialen Repräsentation wird das Sakrale nicht nur kommuniziert durch die sprachlichen Handlungen – in unserem Fall das Gebet während der Eucharistiefeier –, sondern in erheblichem Maße durch gestische Handlungen und sakrale Gegenstände, wie Schale und Kelch mit Hostie und Wein, auf die die gestischen Handlungen bezogen sind. Das Außeralltägliche dieser sakralen Handlungen wird in deren langsamem, bedächtigem Vollzug deutlich. Diese sakrale Sphäre der Glaubenspraktiken wird unterstrichen durch deren visuelle Kontextualisierung, wobei Differenzen zwischen deutscher und italienischer Berichterstattung bestehen. Während in der deutschen Berichterstattung in breiten Sequenzen mit der eigens für den Weltjugendtag komponierten „Missa Mundi“ die sakralen Momente des Fernsehgottesdienstes weiter untermauert und fast wie ein Musikclip geschnitten werden, finden wir in der italienischen Berichterstattung mit Ausklang der Eucharistiefeier einen eingespielten, mitreißenden Clip zur Geschichte des Weltjugendtags, in dem nochmals inszenatorisch auf Johannes Paul II Bezug genommen wird. Trotz dieser bestehenden Differenz verweisen die beiden Inszenierungsformen aber auf eine vergleichbare Funktionalität: Es geht darum, den vollzogenen sakralen Handlungen eine weitere Tiefendimension zu verleihen und damit das Geschehen weiter sakral ‚aufzuladen‘. 3. Neben den beteiligten Akteuren und vollzogenen Handlungen ist als dritter Punkt für eine Betrachtung des Fernsehgottesdienstes das inhaltliche Moment wichtig, d.h. die Frage, wie sich die Mediatisierung auf Ebene des Inhalts konkretisiert. Einiges machen die betrachteten Beispiele deutlich. So handelt es sich bei dem Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld nur vordergründig um einen regulären Gottesdienst, auch wenn er durch Eucharistiefeier und weitere charakteristische rituelle Elemente gekennzeichnet ist. Insbesondere die komplexe Adressierung der verschiedenen Publika macht – wie wir gesehen haben – eine weitere inhaltliche Kommentierung notwendig, bei der das sakrale Geschehen fortlaufend erläutert und damit in eine weitergehend katholische Lehre als Glaubenstradition eingeordnet wird. Daneben fällt ausgehend von den bisherigen Analysen auf, in welchem Maße die mediale Inszenierung mit einer ruhigen, langsamen Gestaltung der Bildschnitte und Überblendungen, langen Einstellungen und teilweise unkommentiert zu sehenden Passagen des Gottesdienstes einhergeht. Eine typische Abfolge von Bildern ist eine Schnittfolge von den betenden Würdenträgern über den Altarbereich, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Marienfeld hin zum Papsthügel als Panoramaluftaufnahme. Über diese bisher betrachteten Aspekte hinaus lässt sich eine weitere inhaltliche Konkretisierung der Mediatisierung des Weltjugendtags feststellen. Exem-
Medienrituale
97
plarisch wollen wir dazu eine Sequenz aus der Predigt des Papstes während des Gottesdienstes näher betrachten: Transkript 5: ARD Abschlussgottesdienst (21.8.05: 8:45) – „Papstpredigt“ Zeit
Bild
Ton
2:33:47
N: Papst mit Mitra am Mikrofon
((Papst trägt im Hintergrund die Predigt auf Italienisch vor; in den Pausen der Übersetzung ist die Papstpredigt in der Originalsprache gut zu hören)); Albrecht ((trägt die deutsche Übersetzung der Papstpredigt vor)): heute gibt es in großen Teilen der Welt eine merkwürdige Gottvergessenheit .2. es scheint auch ohne ihn zu gehen .4. aber zugleich gibt es auch ein Gefühl der Frustration .. der Unzufriedenheit an allem und mit allem
2:34:02
N: farbiger Teilnehmer mit Tuch auf dem Kopf
.. das kann doch nicht das Leben sein
2:34:07
T: Papst, vor dem Thron stehend am Mikrofon, dahinter Bischöfe in weißen Messgewändern und Mitras sowie Ehrengäste auf der Tribüne
.1. in der Tat nicht ((Applaus 5.0))
2:34:12
N: schwarzer Geistlicher in weißem Messgewand mit Mitra, kratzt sich am Ohr
.3. und so gibt es zugleich mit der
2:34:17
HT: zwei miteinander sprechende weiße Priester ohne Mitra
Gottvergessenheit .. auch so etwas
2:34:21
N: Papst mit Mitra am Mikrofon
wie einen Boom des Religiösen .4. ich will nicht alles schlecht machen, was da vorkommt .2. es kann auch ehrliche Freude .. des
2:34:30
HN: sich aneinander anschmiegendes, ‚Ich-habe-etwas-Gefunden‘ .. dabei weißes lachendes Teilnehmerpärchen sein .4. aber weiterhin .1. aber weithin wird doch
2:34:38
HT: stehende weiße Volunteers in Jeans mit Weltjugendtag-Kopftuch
Religion geradezu zum Marktprodukt .3.
98
Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
2:34:41
T: Papst, vor dem Thron stehend am Mikrofon, dahinter Bischöfe in weißen Messgewändern und Mitras sowie Ehrengäste auf der Tribüne
man sucht sich heraus, was einem gefällt ((Applaus))
2:34:47
HN (Schwenk): klatschende Jugendliche
und manche wissen, Gewinn daraus zu ziehen .4.
2:34:55
T: Papst, vor dem Thron stehend am Mikrofon, dahinter Bischöfe in weißen Messgewändern und Mitras sowie Ehrengäste auf der Tribüne
aber die selbst gesuchte und gemachte Religion hilft uns im Letzten nicht weiter .. sie ist bequem, aber in der Stunde der Krise lässt sie uns allein .2. helft den Menschen, den wirklichen Stern zu entdecken .. der uns den Weg zeigt: Jesus Christus ((Applaus 5.0))
2:35:18
T (Kamerafahrt über das Marienfeld): klatschende und winkende Teilnehmerinnen und Teilnehmer
versuchen wir selber .. ihn immer besser kennen zu lernen .2. damit wir überzeugend .1.
2:35:37
HN: zwei farbige Teilnehmer in bunter Kleidung auf Tribüne
auch andere .. zu ihm führen können .1. deswegen ist die Liebe .1.
3:35:42
N: Papst mit Mitra am Mikrofon
die Liebe zur Heiligen Schrift so wichtig .2. und deswegen ist es wichtig .1. den Glauben der Kirche zu kennen .3. in dem uns die Schrift aufgeschlüsselt wird .2. es ist der Heilige Geist, der die Kirche in ihrem wachsenden Glauben immer weiter .. in die Tiefe der Wahrheit eingeführt hat und einführt .3. Papst Johannes Paul II ((Applaus, Begeisterungsrufe 5.0))
2:36:08
HN (Schwenk): klatschende und zuhörende Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Bühne
unser lieber Papst Johannes Paul II hat uns ein wunderbares Werk geschenkt .2.
2:36:19
HN: andächtig zuhörende Nonnen, eine mit Fernglas
in dem der Glaube .2. der Jahrhunderte zusammenfassend dargelegt ist .. den Katechismus der katholischen Kirche ((Applaus 2.0))
Diese Sequenz der Predigt des Papstes kann auf inhaltlicher Ebene als eine Passage begriffen werden, in der das grundlegende Spannungsverhältnis des Welt-
Medienrituale
99
jugendtags als Medienevent zwischen der (notwendigen) medialen Inszenierung und der (geforderten) authentischen Glaubenstraditionen deutlich wird. Benedikt XVI thematisiert dieses in seiner Predigt, indem er eine „Gottvergessenheit“ der Welt ausmacht, gleichzeitig aber einen „Boom des Religiösen“ in einer marktgemäßen Inszenierung, die er mit einer „Unzufriedenheit“ gegenüber einem nicht religiös fundierten Leben begründet. In diesem „Boom des Religiösen“ wird für ihn aber „Religion geradezu zum Marktprodukt“, zur „selbst gesuchte[n] und gemachte[n] Religion“, die als individualisiertes Angebot auch (ökonomischen) Gewinn zu versprechen scheint. Setzt man sich mit solchen Inhalten der Papstpredigt auseinander, erscheinen sie im Kontext eines Abschlussgottesdienstes zum Weltjugendtag bemerkenswert, weil der Papst damit eben jene Zusammenhänge betont, in denen sich die katholische Kirche mit dem Medienevent des Weltjugendtags bewegt: Wie unsere Analysen gezeigt haben, ist der Weltjugendtag als Medienevent nur dann zu fassen, wenn man ihn dahingehend kontextualisiert, dass die katholische Kirche durch ihn die zunehmende Marginalisierung des eigenen Glaubensangebots auf dem auch (massen-)medial kommunizierten Markt der Religionen überwinden möchte. Es geht beim Weltjugendtag zu einem nicht geringen Teil darum, (jugendliches) Katholisch-Sein in einem positiven Sinne medial zu inszenieren, um sich und seine Glaubenstraditionen als attraktives Glaubensangebot zu positionieren. Exakt eine solche Entwicklung von Religion zum „Marktprodukt“ wird vom Papst in seiner Predigt kritisiert. Im zweiten Teil der analysierten Sequenz der Predigt hebt der Papst darauf ab, was den Katholizismus gegenüber anderen Religionsangeboten auszeichnet, wobei er auf spezifische authentische Momente der Glaubenstradition dieser Religion verweist: die Lehre von Jesus Christus, die „Liebe“ symbolisiert, die der Papst mit der Heiligen Schrift verbindet. An dieser Stelle geht Benedikt XVI explizit auf die katholische Kirche als Organisation ein. Diese grenzt er von anderen Religionsanbietern ab, insodern er ihr die Expertise zuschreibt, über die Kompetenz einer Glaubenstradition zu verfügen, durch die „die Schrift aufgeschlüsselt wird“. Benedikt betont diese Deutungskompetenz der katholischen Kirche, da sie die Authentizität ihres Glaubens in der medialen Inszenierung begründet. Pointiert fällt der – mit Jubel der Teilnehmer auf dem Marienfeld bedachte – Verweis auf den beliebten und wenige Monate vor dem Weltjugendtag verstorbenen Papst Johannes Paul II auf, dessen Leistung Benedikt XVI darin sieht, schriftlich im „Katechismus der katholischen Kirche“ deren Glaubenstradition dargelegt zu haben. Die Predigt konkretisiert inhaltlich das Grundparadoxon, in dem die katholische Kirche mit dem Weltjugendtag als (Medien-)Event steht: Auf der einen Seite bewegt sie sich mit dessen (medialer) Inszenierung willentlich in einem
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
Markt der Religionen und damit im Kontext von Individualisierung und Kommerzialisierung. Auf der anderen Seite setzt der Papst einer postulierten „Bequemlichkeit“ die Verbindlichkeit der Glaubenstraditionen des Katholizismus entgegen – bedient paradoxerweise aber die Mechanismen der Inszenierung des eigenen Religionsprodukts auf dem Markt der Religionen: In der Betonung einer Authentizität und Einzigartigkeit der eigenen Glaubenstraditionen streicht Benedikt XVI in der Logik eines Markts der Sinnangebote die Alleinstellungsmerkmale seines Religionsangebots heraus. Das Paradox besteht also darin, dass er in seiner Predigt die Problematik eines individualisierten Markts des Religiösen thematisiert, diese Predigt gleichzeitig aber werbender Teil eines Medienevents im Kontext vielfältiger Sinnangebote ist. Mediatisierung verweist an dieser Stelle auf die Notwendigkeit, eine solche Paradoxie öffentlich zu verhandeln, ohne deren Mechanismen selbst infrage zu stellen bzw. stellen zu können. Wie lassen sich unsere verschiedenen Analyseergebnisse zum Fernsehgottesdienst nun zusammenfassen? Vielleicht ist dies möglich, indem wir den Fernsehgottesdienst in einem doppelten Sinne als Medienritual begreifen: Auf der einen Seite ist er ein religiöses Ritual in den Medien. Damit ist gemeint, dass die katholische Liturgie des Gottesdienstes in eine Medieninszenierung transformiert wird, die wir als ein eigenständiges Genre mit einer konstitutiven Konstellation von sakralen Personen, Handlungen und Inhalten fassen können: den Fernsehgottesdienst. Auf der anderen Seite erscheint der Fernsehgottesdienst als Medienritual im Sinne von Nick Couldry (2003: 1-20). Dieser bezeichnet all solche Rituale als Medienrituale, in denen die Medien selbst als das Zentrum von Kultur und Gesellschaft inszeniert werden. Indem die katholische Kirche mit dem Fernsehgottesdienst – wie wir gesehen haben – verschiedenste Muster der Mediatisierung und damit verbundene mediale Prägungen aufgreift, bestätigt sie indirekt, dass auch sie in heutigen Medienkulturen einer entsprechenden medialen Inszenierung bedarf, um als ‚zentral‘ zu gelten. Exakt damit macht sie aber ihren eigenen Fernsehgottesdienst im übertragenen Sinne zu einem Medienritual, indem sie – allenfalls vorsichtig in der Papstpredigt gebrochen – die Medien als kommunikatives Zentrum bestätigt.
5.3
Medienglaube: Inhaltliche Ausgestaltung, Glaubenspraxis und Glaubenstraditionen
Im letzten Teilkapitel stand die Darstellung des Sakralen im Medium Fernsehen im Vordergrund, wo sie sich – wie wir gesehen haben – im Genre des Fernsehgottesdienstes konkretisiert. Anders sieht es in der deutschen und italienischen
Medienglaube
101
Printberichterstattung aus. Wenn wir diese qualitativ näher betrachten, lässt sich das Muster eines bestimmten Medienglaubens herausarbeiten, d.h. eine charakteristische Repräsentation von sakralen Momenten des Glaubens in Printmedien über die verschiedenen Berichterstattungsgenres hinweg. Übergreifend von einem Medienglauben zu sprechen macht insofern Sinn, als sich dieser in dem Punkt konkretisiert, dass es im weitesten Sinne um die Darstellung des Außergewöhnlichen oder gar Außeralltäglichen des Glaubens geht – bezogen auf das Event des Weltjugendtags und darüber hinaus. Konkret wird Medienglaube bezogen auf den Weltjugendtag anhand einer Betrachtung der Themenfelder inhaltliche Ausgestaltung, Glaubenspraxis und Glaubenstraditionen in der Presseberichterstattung, die wir im Weiteren in einer transkulturellen Perspektive fokussieren wollen. 1. Charakteristisch für das Themenfeld inhaltliche Ausgestaltung in der Presseberichterstattung ist der Stellenwert, den Hinweise auf das sakrale Motto des Weltjugendtags – „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“ (Matthäus 2.2) – haben. Selbst dort, wo es sich um Nennungen ohne weitere inhaltliche Kontextualisierung handelt, wird damit die Veranstaltung als religiös-außeralltäglich gerahmt. Es sind diese Momente des Glaubens, die in deutschen Presseartikeln wiederholt angesprochen werden. Die FAZ schreibt etwa in ihrer Sonderbeilage vom 15. August 2005 unter dem Titel „Sie bringen Gold, Weihrauch und Myrre“ von der „Leistungsschau katholischer Frömmigkeit“, die in ihrer Außeralltäglichkeit „das alltägliche Leben aller Menschen im Rheinland berührt, beeinflusst und teilweise behindert“ und folgert daraus, dass „das was ein sinnenfrohweltliches Unternehmen zu sein scheint, in Wahrheit eine Wallfahrt ist.“ (FAZ 15.8.05: C5) Der Glaube erscheint in den von uns untersuchten deutschen Printorganen damit als zumindest teilweise vom gewohnten Alltag entrückt. Dies konkretisiert sich u.a. in der Beschreibung der dramaturgischen Gestaltung des Weltjugendtags. Hierbei wird nicht nur der Stellenwert des Papstes bzw. seiner Auftritte im Gesamtkonzept des Weltjugendtags verhandelt. Thematisiert werden ebenso sakrale Symbolik und Bildsprache bei diesen Inszenierungen. Ein Beispiel dafür ist folgender Artikel aus dem Bremer Weser Kurier: „Wie bestellt tauchte die Abendsonne den Papst in goldenes Licht, als er im gläsernen Auto über das Marienfeld fuhr. Als es dunkel wurde, erstrahlte die Freiluftkathedrale, das größte Gotteshaus der Welt für einen Tag, im Licht ungezählter Kerzen. Auf einem schlichten Holzstuhl saß Benedikt XVI – sein Schmuck waren die Jugendlichen aus aller Welt.“ (Weser Kurier 22.8.05: 3)
Es geht in diesem Artikel erst einmal darum, den Auftritt des Papstes bei der Nachtandacht – der Vigil – auf dem Weltjugendtag zu beschreiben. Auffällig ist aber, auf welche Weise dessen sakrale Aura beschrieben wird: Der Papst wird
102
Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
in ein „goldenes Licht“ gehüllt, zusätzlich schafft Kerzenschein eine „Kathedrale“ und Jugendliche werden zum „Schmuck“ des Kirchenoberhaupts. Ganz ähnliche Versuche, sakrale Momente des Weltjugendtags in der deutschen Presse zu fassen, lassen sich in verschiedenen Fotoreportagen der Zeit, FAZ, Bunte oder des Volksfreunds finden. Wie in der deutschen Presseberichterstattung wird in der italienischen Presse das Motto des Weltjugendtags als Chiffre für die Außeralltäglichkeit des Geschehens verwendet. Vor allem die konservativen Organe heben auf die mit dem Motto verbundenen religiösen Botschaften ab. Wie folgende Schlusspassage eines Berichts über die Vigil im Corriere della Sera illustriert, wird in diesem Zusammenhang meist der originale Wortlaut der päpstlichen Ansprachen aufgegriffen: „Lang und kalt kündigt sich die Nacht an. Papst Benedikt verabschiedet sich bis zum Morgen, spricht von den Heiligen Drei Königen, wendet sich dabei aber an seine Zeitgenossen: ‚Jene wussten, dass die Welt in Unordnung war, und darum waren ihre Herzen unruhig’. Aber ‚sie waren sich sicher, dass Gott existiere, und dass es ein guter und würdiger Gott sei’.“ (Corriere della Sera, 21.8.05: 4)
Dies verweist auf eine die Berichterstattung integrierende Funktion des Papstes, und zwar insofern, als dass die päpstlichen Botschaften als inhaltlicher Rahmen dienen, innerhalb dessen das Geschehen vor Ort verortet wird (siehe Abschnitt 7.2). Unterstrichen wird die religiöse Dimension durch großformatige eindeutig sakral konnotierte Fotos oder grafisch abgesetzte Schlüsselzitate, sowie durch Verweise auf die religiöse Symbolik der Inszenierung. Weit seltener sind Bezugnahmen mit einem ironischen Unterton. Exemplarisch sei auf eine Reportage aus La Repubblica vom 17. August 2005 verwiesen: „Die neuen Heiligen Könige fliegen billig. Schließlich ist es nicht das Kamel, das den Pilger heiligt, auch nicht der Reisebus, sondern die Absicht. Und so ist es im Flieger von Bologna nach Köln um 16.40 Uhr, für den man bei früher Reservierung nur wenige zig Euro ausgeben muss, erlaubt, sich bequem lustig zu machen über die, die sich da unten seit Stunden auf der Autobahn herumtreiben und dabei sogar mehr ausgeben, um ins deutsche Bethlehem zu kommen, das der Tradition zufolge die Reliquien der ersten drei Pilger der Christenheit bewahrt, und das bis Sonntag die Welthauptstadt der Papa-Boys sein wird. ‚Das Wichtige’, erklärt Giulia mit dem Ticket in der Hand, ‚ist es, dem Stern zu folgen’. Wie zweitausendfünf Jahre zuvor. Ja, aber welchem Stern?“ (La Repubblica, 17.8.05: 14)
Die eher kirchenkritische Presse greift ebenfalls die Bildsprache der sakralen Veranstaltungshöhepunkte auf, wenn auch mit deutlich größerer Distanz. Etwa verweist L’Espresso (1.9.05: 53), Pendant zu Der Spiegel, auf die nach „Drehbuch“ gestaltete Abschlussmesse auf dem Marienfeld, bei der „der päpstliche Zeremonienmeister Piero Marini, Regisseur der Johannes Paul II so lieben Massenveranstaltungen, eine seiner letzten Performances“ zum besten gab. Und La
Medienglaube
103
Repubblica verknüpft die Rheinschifffahrt des Papstes mit dem Bild des über das Wasser wandelnden Messias sowie Motiven aus der deutschen Mythologie und anderen Weltreligionen: „Der Rhein wie der Ganges, mit hunderttausenden Jugendlichen dicht gedrängt am Ufer und weiteren tausenden bis zur Taille im Wasser um dem Papst zuzujubeln [‚osannare’, zu deutsch auch soviel wie ‚Hosianna singen’, Anm.d.A.], und Ratzinger – neuer Lohengrin – der sich von einem Katamaran zum Dom der Heiligen Drei Könige bringen lässt, mit dabei seine Heilsbotschaft.“ (La Repubblica, 19.8.05: 1)
Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die italienische Berichterstattung festhalten, dass es wie in den deutschen Medien um die Konstruktion einer außeralltäglichen sakralen Atmosphäre des Medienglaubens geht. Im Unterschied bildet diese sakrale Aura hier aber nicht den Rahmen für ein einmaliges ‚Pilgererlebnis’, sondern sie dient vielmehr dazu, den theologischen Anspruch des Papstes herauszuarbeiten bzw. zu untermauern. Inwieweit die päpstlichen Botschaften bei den Jugendlichen tatsächlich ankommen, wird in diesem Zusammenhang nicht hinterfragt. Medienglaube heißt in Italien vor allem, dass theologische Inhalte in den Medien wiedergegeben und je nach Medienprofil in ihrem übergeordneten Wahrheitsanspruch legitimiert bzw. kritisch hinterfragt werden. Insgesamt macht die Analyse der inhaltlichen Ausgestaltung des Weltjugendtags in der Presseberichterstattung deutlich, dass insbesondere in der deutschen Presseberichterstattung für die Beurteilung der sakralen Sinnangebote weniger deren religiöser Gehalt eine Rolle spielt als deren Form und Stil. Und auch da, wo theologische Inhalte einen höheren Stellenwert haben (wie in der italienischen Presseberichterstattung), nimmt eine auf Form und Stil bezogene Berichterstattung doch einen erstaunlichen Raum ein. Dies verweist insofern auf die Prägkraft der Mediatisierung, als dass keine alleinigen religiösen Bewertungskriterien angelegt werden, sondern in unterschiedlichen Graden mediale. 2. Medienglaube umfasst in einem weiteren Sinne Glaubenspraxis. So lässt sich in Bezug auf das Themenfeld der Glaubenspraxis für die deutsche Presseberichterstattung feststellen, dass kirchliche Organe sowie die lokale bzw. regionale Tagespresse regelmäßig über alltägliche Zeugnisse gelebten Glaubens in den Kirchengemeinden berichten. Dies findet sich im Zusammenhang mit der Vor- und Nachbereitung des Weltjugendtags im Rahmen von lokalen Initiativen, Gottesdiensten und anderen religiösen Feierlichkeiten. Daneben werden in der überregionalen Publikumspresse in der Kernphase des Medienereignisses auch Bekenntnisse bzw. Glaubenszeugnisse von Personen des öffentlichen Lebens publiziert. Anders als bei den kirchlichen und lokalen Medien geht es weniger um Bekanntmachung des bevorstehenden Ereignisses oder Dokumentation der Vorbereitungen darauf. Vielmehr folgen diese Beiträge meist einem bestimmten Muster. Hierzu ein Beispiel aus der Bunten:
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
„Papa und seine Kinder ‚Ich bin römisch-katholisch getauft und mein Glaube beeinflusst mein Handeln. Der Papst zeigt, wie wichtig für alle ethisches Handeln in der Wirtschaft ist – und dass dies für gläubige Menschen leichter ist.‘ Stefan Hipp, 37, Babykost-Unternehmer. […] ‚Ich bete nur, wenn es mir schlecht geht und ich nicht mehr weiter weiß. Das ist dann wie ein inneres kleines Gespräch.‘ Prinzessin Xenia von Sachsen, 19, Adelsnachwuchs […] ‚Fürstin Gloria praktiziert christliche Nächstenliebe und verarztet einen Pilger. Benedikt XIV inspirierte Fürstin Gloria so sehr, dass sie zur Samariterin wurde.‘ […] ‚Ich bin keine strenge, aber eine gläubige Katholikin und eine überzeugte Christin. Ich bete regelmäßig und gehe wöchentlich in die Messe.‘ Gesine Schwan, 62, Politikprofessorin.“ (Bunte 25.8.05: 88 und 98ff.)
In solchen Abschnitten wird deutlich die Prägkraft von Mediatisierung greifbar: Auch in der deutschen Presseberichterstattung ist Glaubenspraxis weniger als allgemeine Charakterisierung bspw. von üblichen Glaubenspraktiken denn in personalisierten Formen kommunizierbar. Entsprechend wird Mediatisierung von Glaubenspraxis als eine Personalisierung in Bezug auf die bekannten „Celebrities“ konkret – Medienberühmtheiten wie erfolgreiche Unternehmer, Adlige, bekannte Wissenschaftler oder, wie im folgenden Zitat aus der FAZ, Sportstars: „Giovanni Trappatoni, der Trainer des Fußball-Bundesligaklubs VfB Stuttgart, ist von Papst Benedikt XVI zum Weltjugendtag in Köln (16. bis 21. August) eingeladen worden. Dort soll er auch eine Privat-Audienz erhalten. Der Italiener ist bekennender Katholike und war schon zweimal zur Audienz beim verstorbenen Papst Johannes Paul II“ (FAZ 11.8.05: 29)
Neben dieser Art von Berichterstattung über Berühmtheiten und deren Glaubenspraktiken wird ausgehend von dem Geschehen in Köln über nahezu alle von uns untersuchten deutschen Printmedien hinweg die Frage nach dem Stellenwert verschiedener „katholischer Übungen“ (FAZ 19.8.05: 7) im Alltag vorwiegend junger Gläubiger aufgeworfen. Dies geht einher mit einer spezifischen Personalisierung. Beispielhaft lässt sich das am Sakrament der Beichte zeigen. Die deutschsprachigen Berichte über Beichtgewohnheiten im Alltag reichen von der alternativen taz bis hin zur konservativen FAZ. Differenzen werden im Wie der Berichterstattung deutlich, wenn es in der taz ironisierend heißt: „Peter arbeitet in der Werbebranche – und ehrenamtlich für marysmeals.de. […] Lebt Peter auch sonst nach der katholischen Morallehre? ‚Zuerst war das für mich eine bittere Pille‘, sagt er. ‚Aber ich kann ja beichten gehen.’“ (taz 22.8.05: 3)
Rund 10 Tage zuvor berichtete die FAZ zum selben Thema wie folgt: „Im Aufenthaltsraum sitzen drei engagierte KJGler auf den Sofas, zwei Mädchen und ein Junge, alles siebzehn Jahre alt. Sie haben Erste-Hilfe-Kurse und Leiterscheine gemacht und organisieren Kinderdiscos, Jugendpartys und Freizeiten. […] Für die drei Schüler ist Kirche vor allem ein Rahmen für soziale Erlebnisse. Das Sakrament der Beichte fiel früh
Medienglaube
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weg und auch das Beten spielt keine besondere Rolle – ‚jedenfalls nicht bewusst, nicht im kirchlichen Sinn‘, wie der Junge mit dem weißen T-Shirt und der Gel-Frisur erklärt.“ (FAZ 12.8.05: 40)
Gerade in kirchlichen Wochenzeitungen ist das Beichten in personalisierter Berichterstattungsform ein wichtiges Thema: „Cecilia beichtet sonst etwa einmal im Monat. Für sie ist das vor allem Gelegenheit, über den Glauben zu sprechen. ‚Ich fühle mich in vielen Fragen so unsicher; da kann ich dann in Ruhe mit einem Priester drüber sprechen‘, sagt die 17jährige und lächelt. […] Cecilia wollte sich hier unbedingt mit einem befreundeten Priester aussprechen. Dagegen schätzt der 16jährige Thomas aus Deutschland die Anonymität: ‚Die Priester in meinem Heimatort kennen mich, da habe ich Hemmungen.‘ Immerhin war es für ihn die erste Beichte seit der Erstkommunion. Und das gilt für sehr viele, wie ein Karmelit aus Bamberg bestätigt. Ob Thomas nach dem Schritt in Köln, der ihn ‚Mut gekostet hat‘, ein solches Angebot zu Hause öfter annimmt? ‚Eher nicht‘, gesteht er und lacht, als sein Freund von der Absolution kommt und wie Boris Becker nach einem As die Faust ballt.“ (Kirchenbote 28.8.05: 5)
Deutlicher als bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Weltjugendtags weicht die italienische Presseberichterstattung beim Thema Glaubenspraxis von der Berichterstattung in den deutschen Printmedien ab. Zwar finden sich auch hier Glaubensbekenntnisse von Prominenten wie dem Trainer-Star (und laut Adige vom 19.8.05 „Freund“ des Papstes) Giovanni Trappatoni. Wie jugendliche Katholiken ihren Glauben leben, ist in den von uns untersuchten Organen dagegen kein Thema. Besonders deutlich wird das in einem Artikel aus den Dolomiten vom 20. August 2005 (S. 11). Anders als der Titel „Jugendliche entdecken Beichte wieder“ vermuten lässt, kommen Jugendliche in dem Bericht über das „Zentrum der Versöhnung“ auf dem Weltjugendtag nicht zu Wort. Beschrieben wird stattdessen die „Atmosphäre der Innerlichkeit“ in den Messehallen. Und auch das nebenstehende Foto zeigt – stellvertretend für viele andere Artikel, in denen meist nur die kirchliche Seite zitiert wird –, mit einem Geistlichen, der sich als Beichtvater anbietet, nur die Angebotsseite. Nicht jugendlicher Glaubensalltag und individuelle spirituelle Bedürfnisse stehen also im Fokus, sondern die Beichte als kirchliches Angebot. Die Frage, wie dies angenommen wird, welchen Platz der Glaube im Leben der Jugendlichen einnimmt, wird nicht aufgeworfen. Gleiches gilt für einen Bericht aus La Repubblica (14.8.05: 15), in dem ein neuer spiritueller SMS-Dienst vorgestellt wird, ohne dass dies in Bezug gebracht wird mit dem Wandel jugendlicher Glaubenspraxis im Alltag. Erneut zeigt sich Medienglaube hier als Repräsentation des kirchlichen Sinnangebots in den Medien. Religiöse Bekenntnisse bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ebenso wie die Hinweise auf speziell an Jugendliche gerichtete Sinnangebote wirken in dem Zusammenhang weniger als Zeugnisse einer Vielfalt religiöser Ausdrucksformen, denn als Ver-
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
such, dem kirchlichen Glaubensangebot so etwas wie Alltagsnähe und damit Glaubwürdigkeit zu verleihen. Abbildung 16:
Glaubenspraxis als Angebot (Dolomiten 20.8.05: 11)
In solchen Passagen wird ein wichtiger weiterer Aspekt von Medienglaube im Hinblick auf Glaubenspraxis deutlich: Medienglaube ist auch in ihrer Außeralltäglichkeit personalisierte Glaubenspraxis. Sie wird in der Presseberichterstattung vor allem in den berichteten Meinungen und Handlungen von Prominenten und Medienberühmtheiten konkret – ebenso wie in personalisierten Geschichten aus dem Glaubensalltag heutiger Katholiken. Medienglaube erscheint demnach als eine gewisse Vielfalt von durchweg personalisierter Glaubenspraxis. 3. Schließlich konkretisiert sich Medienglaube sowohl in der deutschen und italienischen Presse in der Berichterstattung über katholische Glaubenstraditionen. Typisch sind zum einen Erläuterungen der katholischer Riten und Gebräuche, wie etwa im Zusammenhang mit den Diskussionen um eine Seligsprechung Papst Johannes Paul II in Köln („Santo Subito?“ in FAZ 30.6.05: 5), den Generalablass für „Weltjugendtagspilger“ (bspw. „Indulgenze per chi va a Colonia“ in La Repubblica, 9.8.05: 23, oder Adige 9.8.05: 4) oder die Gültigkeit des päpstlichen Segens über das Fernsehen („Segen aus dem Fernseher“ in Trierischer Volksfreund 17.8.05: 2). Neben solchen Bezügen zur kirchlichen Lehre spielen religiöse Symbole eine zentrale Rolle. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Kreuz, nicht nur in seiner speziellen Form des Weltjugendtagskreuzes, sondern als das christliche Symbol schlechthin. Dabei reicht die Spannweite von Diskussionen um das Kreuz in öffentlichen Räumen („Resti
Medienglaube
107
il crocifisso…“ in Corriere della Sera 17.8.05: 14, sowie „Lasciate il crocifisso nelle aule scontro dopo l’apello di Ratzinger“ in La Repubblica 17.8.05: 14) bis hin zum Kreuz als Modeartikel. Flankiert von entsprechenden Abbildungen schreibt etwa die Bild-Zeitung auf den Kölner Sonderseiten zum Weltjugendtag: „Was bedeutet dir das Kreuz?“ – Das Kreuz, Zeichen des Glaubens. Inzwischen bekennen sich auch immer mehr Popstars zu ihrer religiösen Überzeugung. David Beckham, kickende Stil-Ikone, ließ sich die christliche Symbolik als Tattoo für immer in den Nacken sticheln. Um den Arm trägt er einen Kreuz-Anhänger für schlappe 30.000 Euro. Christina Aguilera, Carmen Elektra und andere Sanges-Diven lassen ihr schlichtes Kreuz im üppigen Dekolletee baumeln. […] Puff Diddi bleibt da noch klein und bescheiden im hängenden Kreuz-Bekenntnis: ‚Wirklich wichtig ist für mich, zu verstehen, dass Jesus Christus bereit war für mich das Kreuz zu tragen.‘ (Bild Köln 17.8.05: 14)
Dass dies im Wesentlichen auch für die italienische Presseberichterstattung zutrifft, zeigt der Bericht „Resti il crocifisso nei luoghi pubblici“ im Corriere della Sera vom 17. August 2005 anschaulich. In dem halbseitigen Artikel geht es um die Forderung des Papstes während seiner Ansprache aus Castelgandolfo am Tag vor seiner Abreise nach Köln, das Kruzifix müsse in öffentlichen Orten sichtbar bleiben. Sowohl in der Kopfzeile als auch im Artikel selbst und in einem separaten Kasten mit weiteren Statements zum Thema wird der italienische Fußballstar Francisco Totti mit den Worten zitiert: „‚Ich trage ein Kruzifix an einem Halskettchen, das ich niemals ablege, auch nicht nachts, wenn ich schlafe. Ein Kruzifix hängt auch in jedem Zimmer von uns Fußballspielern in Trigoria, und das heitert mich immer auf.’“ (Corriere della Sera, 17.8.05: 14)
Medienglaube wird hier in einer Aufwertung von Glaubenstradition greifbar, die sich einmal mehr in dem Verweis auf einzelne (Medien-)Berühmtheiten konkretisiert. Gleichzeitig wird eine gewisse Trivialisierung christlicher Symbolik deutlich, wenn ‚B-‘ und ‚C-Prominente‘ in Bezug auf religiöse Glaubenssymbole erwähnt werden. Weitergehend ist für Medienglaube die Thematisierung von Heiligengeschichten bzw. der christlichen Mythologie in der Presseberichterstattung kennzeichnend. In der Regel handelt es sich um Beiträge, die die Lebensgeschichte katholischer Heiliger oder Märtyrer behandeln. Häufig weisen diese Beiträge in der deutschen und italienischen Presseberichterstattung direkte Bezüge zu Deutschland als Gastgeberland auf. Zahlreiche Beiträge thematisieren im Zusammenhang mit dem Motto „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“ (Matthäus 2.2) die Geschichte und Bedeutung der „Heiligen Drei Könige“, meist in Verbindung mit Verweisen auf entsprechende sakrale Kunst- und Kulturschätze wie etwa den Kölner Dom und den darin verwahrten „Schrein der Heiligen Drei Könige“ („Auf der Spur der Heiligen Drei Könige“ in Osservatore Romano 14.1.05: 3; „Seguendo i re magi“ in Famiglia Cristiana 16.1.05: Attualitá;
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
„Goldschimmernde Heilsgeschichte“ in Paulinus 14.8.05: 20; „Benedikt trifft die Kölschen Heiligen“ in Bild Köln 15.8.05: 16; „Der Vierte ist ein Gegenkönig“ in FAZ Redaktionsbeilage 15.8.05: C5). Exemplarisch lässt sich an der Berichterstattung über den „Drei KönigsSchrein“ die zentrale Bedeutung von Bildern bei der Auseinandersetzung mit der sakralen Dimension des Weltjugendtags zeigen. Ein Großteil der genannten Artikel ist mit großformatigen Farbbildern illustriert, die die entsprechenden Kunstwerke stimmungsvoll in Szene setzen oder durch die Abbildung in Andacht versunkener Personen versuchen, zugleich deren religiös-spirituelle Dimension greifbar zu machen. In dem erwähnten Paulinus-Artikel wird etwa Papst Johannes Paul II beim Gebet vor dem mit Kerzen erhellten Schrein gezeigt. In der Weltjugendtagsbeilage der FAZ vom 15.8.05 finden sich im Zusammenhang mit Artikeln und kunsthistorischen Essays mehrere beinahe ganzseitige Abbildungen des Kölner Doms und anderer zum Teil spektakulär beleuchteter Sakralbauten in Köln (FAZ 15.8.05: C1 und C6). Eine derart umfassende Berichterstattung über religiöse Kunst- und Kulturschätze in Köln bzw. Deutschland findet sich in den italienischen Printmedien nicht. Wie die Verweise auf das Motto oder Glaubensbezeugungen Prominenter werden Glaubenstraditionen eher zur Untermauerung der religiösen Botschaften des Weltjugendtags bzw. der päpstlichen Ansprachen herangezogen. Um die historische Bedeutung der Visite eines Papstes, zumal eines deutschen, in der Kölner Synagoge zu unterstreichen, setzt sich etwa der Corriere della Sera mit der Historie und Innenraumgestaltung des in der Reichskristallnacht zerstörten Gebäudes auseinander (19.8.05: 4). In ähnlicher Weise wird in dem oben erwähnten Bericht über die Vigil auf dem Marienfeld unter anderem die Passage aus der Papstpredigt aufgegriffen, in der Benedikt XVI die Jugendlichen auffordert, dem Beispiel der Heiligen der katholischen Kirche zu folgen. Dort heißt es: „Papst Benedikt hat die Jugendlichen beeindruckt, mit dem, wovon er am meisten hat: Geist, und Worte. Mehr als von seinem kurzen Lächeln und den zurückgenommenen Gesten waren Hunderttausende Jugendliche begeistert von seiner zunächst theologischen, dann politischen Predigt: ‚Nur von den Heiligen, nur von Gott kommt die wahre Revolution, der entscheidende Wandel auf Erden’, mahnte Ratzinger. Dann nannte er ihnen neun, beklatscht von den Jugendlichen wie Helden der Revolution: zuerst den Heiligen Benedikt, von dem er den Namen übernommen hat, zuletzt Padre Pio.“ (Corriere della Sera, 21.8.05: 4)
Unter dem Beitrag finden sich in einer Chronologie Bilder aller neun „santi di Ratzinger“ mit jeweils einem kurzen Steckbrief (siehe Abbildung 17). Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser „heiligen Vorbilder“ für den gegenwärtigen Katholizismus findet sich allerdings nirgends, ebenso wenig wie eine kunsthistorische Betrachtung des kulturellen Erbes der Kirche, wie wir sie mit Bezug auf die deutsche Berichterstattung jeweils herausgearbeitet haben.
Medienglaube Abbildung 17:
109 Ratzingers Heilige (Corriere della Sera, 21.8.05: 4)
Ungeachtet dieser Unterschiede konkretisiert sich Medienglaube in solchen Artikeln nicht nur in einer Erläuterung von verschiedenen Glaubenstraditionen und deren relativer Stabilität. Darüber hinaus prägt die Presseberichterstattung in Deutschland und Italien verschiedenste Organe übergreifend der Versuch einer (Re-)Kontextualisierung dieser Traditionen, was teilweise wie der personalisierte Bezug auf B- und C-Prominente irritierende Formen annehmen kann. Insgesamt werden aber auch damit dem Glauben sakrale, d.h. herausgehobene Momente zugesprochen. Dieser erscheint als etwas ‚Außergewöhnliches‘, vom ‚normalen Alltag‘ Getrenntes. Es sind diese Momente, die die verschiedenen, wenn auch nicht zahlreichen Artikel zu dieser Thematik einzufangen suchen. So groß die Differenzen der Darstellung des Glaubens sein mögen, ein wichtiges Moment seiner Mediatisierung ist der Versuch, dessen sakrale Momente in sprachlichen Metaphern und Personalisierungen zu greifen. Die Mediatisierung konkretisiert sich als eine ‚Verbildlichung‘ des Sakralen im Medienglauben. Welche Aussagen werden damit insgesamt zu den sakralen Momenten des Medienevents Weltjugendtag möglich? Welche Aspekte von Mediatisierung werden deutlich? Lässt man die verschiedenen in diesem Kapitel entwickelten Argumente Revue passieren, erscheinen uns drei Punkte zentral. 1. Zentrierung des Sakralen: Betrachtet man das Sakrale im Verlauf des Medienevents, wird es anhand der Übertragungen – oder wie wir nun konkreter formulieren können: Inszenierungen – der zentralen Liturgien greifbar. Diese sind sowohl in Deutschland als auch Italien vor allem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen. Daneben wird im Fernsehen kaum über Sakrales berichtet und in der Presseberichterstattung ist es ebenso eher ein Thema am Rande. Quantifizierend gesehen erscheint die Mediatisierung des Sakralen als eine Zentrierung auf herausgehobene Berichterstattungsformen. 2. Fernsehgottesdienste: Noch konkreter können wir festhalten, dass sich das Sakrale im Verlauf des Medienevents in den Fernsehgottesdiensten manifestiert. Eine Mediatisierung des Sakralen wird in diesen greifbar, weil die Fern-
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Das Sakrale als Medienritual und Medienglaube
sehgottesdienste ihre eigentliche Dynamik als mediale Inszenierung mit einer bestimmten Personen-, Handlungs- und Inhaltskonstellation erfahren. Auch wenn die Gottesdienste für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort ein herausragendes Erlebnis gewesen sind, viele Dimensionen ihrer Inszenierung des Sakralen werden erst in der Repräsentation im Fernsehen deutlich. 3. Medienglaube: Als Medienglaube interessieren in der Presseberichterstattung dessen sakrale Momente. Glaube wird in den Printorganen durchaus fasziniert in seinen ‚heiligen Momenten‘ beschrieben bzw., wie die Analyse der italienischen Presseberichterstattung gezeigt hat, mehr oder weniger unhinterfragt als ‚höhere Wahrheit’ verkündet. Über diese beobachteten Unterschiede hinweg zeigt sich an dieser Stelle Mediatisierung in den Versuchen, das Sakrale in anschaulichen, manchmal stereotypen Medienbildern zu fassen – wobei die Presseberichterstattung trotz Fotoreportagen an ihre Grenze stößt. Diese drei Punkte machen deutlich, in welchem Maße es der katholischen Kirche gelang, vor allem über das Medium Fernsehen eine mediale Repräsentation des Sakralen ihres Religionsangebots durchzusetzen. Damit ist aber nur ein erster Pol des religiösen Medienevents Weltjugendtag beschrieben. Um dieses weiter fassen zu können, ist eine Auseinandersetzung mit dem Populären unabdingbar.
6
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
Im Fokus dieses Kapitels steht das Populäre des Medienevents Weltjugendtag. Mit unserer Verwendung des Ausdrucks des Populären wollen wir uns in zweifacher Hinsicht von der bestehenden wissenschaftlichen Begriffsbildung im Bereich der Religionsforschung abgrenzen, um die Spezifik dieses Aspekts der Mediatisierung des Weltjugendtags zu fassen. So stellen wir unseren Begriff des Populären sowohl dem des Profanen als auch dem der popularen Religion bzw. Volksreligiosität gegenüber. Dass es uns nicht sinnvoll erscheint, das Profane als Gegensatz des Sakralen zu betrachten, verdeutlicht die bisherige Argumentation: In Gesellschaften und Kulturen, wie unseren gegenwärtigen, steht der Bereich des Sakralen nicht als eine abgeschlossene Sphäre einer profanen Welt gegenüber, sondern es sind wechselseitige Entgrenzungsprozesse auszumachen. Entsprechend ist nicht das Populäre als das ‚Gewöhnliche‘ relevant, um den Weltjugendtag als hybrides religiöses Medienevent zu fassen. Wichtig ist vielmehr ein weiterer Aspekt des Außeralltäglichen eines solchen Events, der gleichwohl nichts Sakrales innehat: das Außeralltägliche, das in den Berichten über das gemeinsame Feiern mit Jubelgesängen, Fahnenschwenken und La Ola-Wellen auf den Straßen und Plätzen Kölns inszeniert wird. Letztlich haben wir dies im Blick, wenn wir vom Populären sprechen. Religionswissenschaftlich bzw. religionssoziologisch geschulte Leserinnen und Leser mögen diesen Bereich sofort mit dem klassischen Feld der Popularreligion bzw. Volksreligiosität verbinden, ein seit den 1980er Jahren im deutschsprachigen Raum an Relevanz gewinnendes Forschungsfeld. Wir möchten uns aber – wie wir meinen aus gutem Grund – ebenfalls von dieser Begrifflichkeit abgrenzen. Hintergrund ist, dass mit popularer Religion Formen von Volksfrömmigkeit gemeint werden, die sich nicht mit den Phänomenen decken, mit denen wir es bei der Mediatisierung des Weltjugendtags zu tun haben. Wie Michael Ebertz und Frank Schultheis (1986: 19-22) in Anlehnung an die Überlegungen von François Isambert (1986: 198-202) herausstreichen, werden mit dem Terminus populare Religiosität folgende fünf Phänomenbereiche beschrieben: Erstens handelt es sich um traditionelle Kultur- und Glaubensformen, die ihre Wurzeln in den oralen Kulturen traditionaler Gemeinschaften haben. Zweitens sind dies marginale Glaubensformen und religiöse Praktiken, die gewissermaßen ‚außerhalb‘ von Kirchen stehen. Drittens fasst der Begriff religiöse Massenphänomene wie Wallfahrten, die als solche ihre Spezifik durchaus jenseits offizieller Vereh-
112
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
rung entfalten. Viertens ist die traditionale Festreligion ein zentraler Aspekt popularer Religiosität, gerade in ländlichen Kontexten. Und fünftens wird mit dem Ausdruck popularer Religiosität eine traditionale Verbundenheit mit gewohnten liturgischen Formen bezeichnet. Diese fünf Punkte verdeutlichen, dass der wissenschaftliche Diskurs um populare Religiosität zwar insofern in Beziehung zu einer Auseinandersetzung mit der Mediatisierung des Weltjugendtags steht, als auch hier der Blick auf ein außergewöhnliches Feiern und Teilnehmerhandeln gelenkt wird. Gleichwohl geht es beim Populären des Weltjugendtags aber nicht einfach um eine Volksreligiosität, die stärker im Kontext oraler Kulturen zu sehen ist. Von dieser unterscheidet sich – so unser Argument – das Populäre des Weltjugendtags deutlich, indem es jenseits einer kommerzialisierten Kulturproduktion und damit jenseits von Mediatisierung nicht zu fassen ist. Vor diesem Hintergrund wollen wir für unsere Analysen von dem in den Cultural Studies etablierten Begriff der Populärkultur ausgehen. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, einen Überblick über die breite analytische Diskussion um Populärkultur in den Cultural Studies zu geben (siehe exemplarisch Storey 2005: 262-264; Hepp, 2004a: 66-77). Allerdings wollen wir die für uns zentralen Aspekte herausgreifen, um unsere Analyse des hybriden religiösen Medienevents des XX. Weltjugendtags voranzubringen. Sicherlich hebt auch der Ausdruck des Populären auf eine weite Verbreitung oder generelle Akzeptanz ab. Das Populäre ist das, was auf ein großes Interesse stößt. Dieser Aspekt des Populären schwingt in vielen Konzepten der Populärkultur mit, wonach diese die Kultur ist, die „von vielen Leuten favorisiert oder gemocht“ (Storey 2005: 262) wird. Gleichzeitig ist Populärkultur aber nicht einfach traditionale Volkskultur, der wir im Kern Volksreligiosität bzw. populare Religiosität zurechnen können. Rückgreifend auf Überlegungen von Stuart Hall (1981) macht John Fiske (1989a; 1989b) darauf aufmerksam, dass die gegenwärtigen Populärkulturen in erheblichem Maße auf kommerziellen (Medien-)Produkten beruhen, sich gleichzeitig aber im aktiven Handeln der Menschen konstituieren. In Anlehnung an den Kulturtheoretiker Michel de Certeau (1988) spricht er davon, dass sich die Populärkultur in den taktischen Aneignungspraktiken der Menschen artikuliert, durch die diese die Produkte der Kulturindustrie jenseits der Strategien ihrer Produzenten bzw. der Machthabenden als Ressourcen für eine ‚eigene Bedeutungsproduktion‘ in Besitz nehmen (vgl. Hepp 2005; Krönert 2009). Mit einem solchen Begriff der Populärkultur rückt die Frage in den Mittelpunkt, durch welche Prozesse der kulturellen Auseinandersetzung das ‚Populäre‘ in bestimmten kulturellen Kontexten artikuliert wird (vgl. Hall 1981).
Das Feiern im Blick Abbildung 18:
113
„Das Populäre“ im Verlauf: Vergleich der Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien %
25
20
15
10
5
0
März 05
April 05
Mai 05
Juni 05
Juli 05
Aug 05
Sept 05
Okt 05
Nov 05
D Teilnehmerprogramm
0,2
0,1
0,2
1,3
0,2
0,5
1,6
14,1
0,2
0
0
I Teilnehmerprogramm
Jan 05
0,2
Feb 05
0,7
0,5
0
0
0,7
0,4
15,9
0,4
0
0
0
0
0
0
0
0
0,3
24,4
1
0,1
0
-- -D Stimmung/Atmosphäre I Stimmung/Atmosphäre
0
0
0
0
0
0
0
15,8
0
0,2
0,2
D Kommerzialisierung
0,1
0
0
0,1
0,1
0
0,2
3
0
0
0,2
I Kommerzialisierung
0
0
0
0
0
0
0
1,6
0
0
0
-- --
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - D: n=868 / I: n=571 erfasste Beiträge
Solche Überlegungen aufgreifend bezeichnen wir mit dem Populären diejenige thematische Verdichtung des Medienevents Weltjugendtag, in der so etwas wie katholische Jugendkultur greifbar wird. Mediatisierung heißt hier, dass in der Darstellung dieser katholischen Jugendkultur bestehende Muster der medialen Repräsentation des Populären aufgegriffen werden und diese damit in engem Rückbezug zu Populärkulturen im Allgemeinen erscheint. Wie sich dies in Bezug auf den Weltjugendtag als Medienevent konkret verhält, wollen unsere weiteren Analysen zeigen. Ähnlich wie beim Sakralen wollen wir in drei Schritten vorgehen. Zuerst betrachten wir den Verlauf der Berichterstattung über das Populäre, um uns dann mit der medialen Darstellung seiner beiden wichtigsten Aspekte zu befassen, den Berichten über die populäre Stimmung und Atmosphäre des Weltjugendtags und spielerische Ironisierungen.
6.1
Das Feiern im Blick: Populäres im Verlauf
Im standardisierten Teil unserer Inhaltsanalyse lässt sich das Populäre an den Kategorien des Teilnehmerprogramms, der Stimmung und Atmosphäre sowie
114
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
der Kommerzialisierung festmachen. Betrachtet man das Medienevent Weltjugendtag entlang dieser Kategorien in seinem Verlauf, ergibt sich oben stehende Abbildung. Das Schaubild macht deutlich, dass das Populäre in der Hauptphase des Medienevents die quantitativ gesehen ausgeprägteste thematische Verdichtung ist, in der Vorberichterstattung aber – abgesehen von einer Auseinandersetzung mit dem Teilnehmerprogramm in der Kirchenpresse – kaum berücksichtigt wurde. Präfigurierende Momente sind im kirchlichen Umfeld im Hinblick auf das während des Weltjugendtags zu erwartende Geschehen auszumachen. Daneben sind vor allem die Unterschiede zwischen deutschen und italienischen Medienorganen während der Phase der Hauptberichterstattung im August 2005 bemerkenswert: In den italienischen Medien wird dem Teilnehmerprogramm weniger Aufmerksamkeit entgegen gebracht als in Deutschland. Und auch Stimmung und Atmosphäre vor Ort werden in rund einem Viertel aller im Rahmen des Vergleichssamples erfassten deutschen Fernseh- und Printbeiträge und damit stärker als in Italien thematisiert. Noch deutlicher wird dies, wenn man ausschließlich die Berichterstattung während der Weltjugendtagswoche betrachtet (siehe unten stehende Abbildung zum Verlauf des Populären zwischen dem 10. und 23. August 2005). Auffallend ist bei einem solchen Zugang der starke Anstieg von Beiträgen zu Stimmung und Atmosphäre bis zum 19. August 2005, dem Tag nach der Ankunft des Papstes beim Weltjugendtag in Köln. Darin deutet sich die in weiten Teilen der deutschen und italienischen Medien stattfindende Zuspitzung der Berichterstattung auf den Papstbesuch an. Dieser Trend zeigt sich ebenfalls, wenn man die Berichterstattung innerhalb des gesamten Deutschland-Samples betrachtet. Insgesamt lässt sich für die Hauptphase des Medienevents konstatieren, dass in der deutschen und der italienischen Berichterstattung die Mediatisierung des Weltjugendtags als das Erleben einer ‚populären Pilgerreise mit ausgelassenem Feiern‘ greifbar wird. Dass er in seinen populären Aspekten ein kommerzialisiertes Unterfangen gewesen ist, wird explizit, wenn auch in geringerem Maße und insbesondere in den deutschen Medien, thematisiert.
Das Feiern im Blick Abbildung 19:
115
„Das Populäre“ im Verlauf der Kernphase des Medienevents: Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich
60
50
40
30
20
10
0
10.8.
11.8.
12.8.
13.8.
14.8.
15.8.
D - Teilnehmerprogramm
2
13
5
4
5
20
16
15
13
24
6
4
12
D - Stimmung/Atmosphäre
1
1
1
1
0
6
16.8.
11
17.8.
31
18.8.
34
19.8.
55
20.8.
11
21.8.
10
22.8.
27
5
D - Kommerzialisierung
1
0
0
1
0
5
1
7
4
3
2
0
1
0
I - Teilnehmerprogramm
2
6
2
3
10
11
5
15
11
1
10
4
I - Stimmung/Atmosphäre
0
0
0
0
4
2
4
11
9
19
8
20
8
1
I - Kommerzialisierung
0
2
1
0
1
0
0
0
1
1
0
1
0
0
2
23.8. 1
3
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - n = 1439 erfasste Beiträge
Diese Tendenzen sind wiederum zunächst rein quantitativ begründet. Eine genauere qualitative Betrachtung der entsprechenden Themenfelder erlaubt eine detaillierte Beschreibung, durch die zugleich die thematische Verdichtung des Populären insgesamt greifbarer wird. Hierbei ist es zentral, zwei grundlegende, wenn auch nicht immer scharf abgrenzbare Formen der Berichterstattung über das Populäre zu unterscheiden. Dies sind einerseits Beiträge, die man im weitesten Sinne dem Feld von Nachrichten und berichtenden Reportagen zurechnen kann und in denen ein bestimmtes Bild des Feierns artikuliert wird. Andererseits sind dies Beiträge, in denen eine ironisch-gebrochene, spielerische Auseinandersetzung mit dem Populären des Weltjugendtags dominiert. Ein detaillierter Blick offenbart, dass die Themenfelder Teilnehmerprogramm, Stimmung und Atmosphäre sowie Kommerzialisierung in der Print- und Fernsehberichterstattung über Deutschland und Italien hinweg auf unterschiedliche Weise behandelt werden, gleichzeitig aber insgesamt auf übergreifende transkulturelle Muster der Mediatisierung verweisen.
116
6.2
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
Berichte über katholische Jugendkultur: Teilnehmerprogramm, Stimmung und Kommerzialisierung
Das Feld der Berichte über das Populäre des Weltjugendtags ist breit. Allein die Kategorie Teilnehmerprogramm fasst vom Programmüberblick über Reiseberichte bis hin zu Pilgerporträts einschließlich der Vorbereitungen und Erwartungen im Hinblick auf die „Pilgerreise“ alle Fassetten der medialen Auseinandersetzung mit einer Teilnahme am Weltjugendtag. Bezogen auf die deutsche Presseberichterstattung wird deutlich, dass je nach Profil des Medienorgans die Akzentuierung unterschiedlich sein kann: Während die regionalen Tageszeitungen den Weltjugendtag tendenziell als „Massenereignis“ (Trierischer Volksfreund, 22.8.05: 1) darstellen und in diesem Zusammenhang die zentralen Großveranstaltungen und die Dimension der internationalen Begegnung betonen, wird der Weltjugendtag in der Boulevard- und Jugendpresse (Bild, Bunte, Bravo) eher zur „Mega-Party“ (Bild Köln 16.3.05: 8 und 17.8.05: 11). Es rückt stärker der Event-Charakter des Teilnehmerprogramms in den Vordergrund. In der Ausgabe der Bild-Zeitung vom 16.3.05 heißt es etwa: „So wird die Wahl zur Qual, die Rheinschiene zum Musik- und Kulturrausch. Das sind vom 15. bis 21. August allein in Köln mehr als 90 Events.“ Nicht zuletzt dadurch, dass es in Italien eine Boulevard- und Jugendberichterstattung nach dem Format der Bild-Zeitung oder der Bravo nicht gibt, tritt der Event-Charakter des Weltjugendtags in der italienischen Presse bei Weitem nicht in dem Maße in den Vordergrund wie in Deutschland. Ähnlich wie in der deutschen lassen sich in der italienischen Berichterstattung deutliche Unterschiede zwischen der nationalen Presse und den Regionalzeitungen ausmachen. Während Erstere versuchen, über die zentralen inhaltlichen bzw. theologischen Botschaften hinaus einen Eindruck von der Vielfalt der Teilnehmenden und ihrer Motive und Erwartungen zu vermitteln – La Repubblica berichtet in „Maria, la pellegrina cinese“ (19.8.05: 10) etwa über eine Pilgergruppe aus China, Famiglia Cristiana (21. und 28.8.05, jeweils Attualità) über geistig behinderte Teilnehmer und ein Grüppchen aus Tadschikistan –, gilt das Interesse der lokalen und regionalen Zeitungen vorwiegend den Teilnehmenden aus dem eigenen Verbreitungsgebiet. In den Dolomiten wird etwa die Reise der Südtiroler präzise dokumentiert, vom Spendensammeln im Vorfeld (21.3.08: 6), über SMS-Eindrücke der Jugendlichen vor Ort (19.8.05: 7) bis hin zur „glücklichen Rückkehr“ (23.8.05: 10).
Berichte über katholische Jugendkultur
117
Wesentlich zentraler, um das Populäre des Medienevents Weltjugendtag zu fassen, ist die Kategorie der Stimmung und Atmosphäre, die im Weiteren im Zentrum der Betrachtung stehen soll. Blickt man hier zuerst in die deutsche Presse, ist als ein besonderer Fokus einer solchen Berichterstattung die „Partystimmung“ des Weltjugendtags auszumachen, die unabhängig von der Bewertung des religiösen Geschehens als friedlich dargestellt wird. Dies zeigt exemplarisch ein Blick in die taz, die „die typische Katholiken- und Kirchentagsatmosphäre“ (taz 17.8.05: 2) der Mischung von internationaler Begegnung, Andacht und Partylaune thematisiert: „Geistliche Gesänge in der U-Bahn, jugendfrei kuschelnde Jugendliche an öffentlichen Plätzen und überall Enge ob eines Zuviels an Gotteskindern allerorten. Das ganze noch etwas freudiger, lauter und überspannter als in Deutschland sonst üblich, dafür sorgen schon die Gruppen aus Italien, Mexiko oder sonst woher.“ (taz 17.8.05: 2).
Ganz in diesem Sinne wird der Weltjugendtag in den anderen untersuchten Zeitungen und Zeitschriften mit nicht-kirchlichen Events verglichen, mit einem „katholische[n] Woodstock“ bzw. einer „friedvolle[n] Loveparade des Glaubens“ (Bunte 25.8.05: 96) oder einer „Pope-Parade“ (taz 20./21.8.05: 20). Damit einher geht die explizite Präsenz von Körperlichkeit und Sexualität in der Weltjugendtagsdarstellung – wiederum ein Muster, wie es aus der populärkulturellen Medienberichterstattung bekannt ist. Ein typisches Beispiel für die Bedeutung von „Sexyness“ im Rahmen der Weltjugendtagsberichterstattung liefert der Weser Kurier auf der Jugendseite „ZOOM“ vom 23.8.05. In dem Artikel „Glauben und Party verbinden“ heißt es unter einem Foto sich küssender Jugendlicher: „Alle sind hier für Frieden, da sind auch Liebe und Flirten nicht weit. Sexy Christinnen tragen statt unförmigen Weltjugendtag-Shirts weit Ausgeschnittenes zu Hotpants und braun gebrannten Beinen. Dafür gibt es von coolen Pilgern sehr weltliche Blicke.“ (Weser Kurier 23.8.05: 28)
Anhand von solchen Beispielen wird deutlich, was in der deutschen Presseberichterstattung als charakteristisch für die Stimmung und Atmosphäre des Weltjugendtags jenseits seiner sakralen Veranstaltungen erscheint: das Feiern der „Pilger“. Dem steht die italienische Presseberichterstattung in der Grundorientierung nicht nach. Auch hier wird die Ausgelassenheit der Jugendlichen regelmäßig und ausgiebig thematisiert, sei es in Bildern jubelnder Jugendlicher, kurzen Statements begeisterter Teilnehmender oder ganzer Reportagen. Zugleich sind die italienischen Printmedien aber bemüht, eine „Banalisierung“ (Famiglia Cristiana, 20.3.05: Primo Piano) des Ereignisses zum „Woodstock catòlico“ (ebd.) zu vermeiden. Vergleiche mit nicht-religiösen populären Events finden sich, anders als in der deutschen Presse, nur selten und meist kritisch konnotiert. So ist
118
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
etwa im L’Espresso (18.8.05: 61) vom „päpstlichen Kirmes“ die Rede. Auch in den Dolomiten zeigt sich diese ambivalente Haltung gegenüber dem Event-Charakter des Weltjugendtags. Während die Ausgabe vom 22. August mit dem „Glaubensfest der Superlative“ aufmacht, wird auf der nächsten Seite umgehend ‚fein justiert’: „Sechs Tage Weltjugendtag in Köln – es war ein Spektakel, es war ein Remmidemmi ohnegleichen. Hunderttausende Menschen lagen sich in den Armen, feierten und taten das, was junge Leute miteinander tun. ‚Aber es ist kein Pop-Event. Da ist noch etwas, was es nirgendwo anders gibt’, meint eine junge Frau mit einem großen Rucksack. Da war der bewegende Samstagabend, eine Vigil, eine Abendandacht unter freiem Himmel. Unzählige Kerzen in den Händen der Gläubigen leuchteten wie ein Sternenhimmel. ‚So etwas kann nur die Kirche’, sagt eine begeisterte junge Frau.“ (Dolomiten 22.8.05: 2)
Zugleich verweist dieser Ausschnitt auf einen weiteren Unterschied der italienischen zur deutschen Berichterstattung: Das Thema Sexualität und Körperlichkeit hat in den italienischen Medien einen untergeordneten Stellenwert. Im Corriere della Sera findet sich, abgesehen von einem Foto eines sich küssenden Pärchens neben einem Artikel über die Papstpredigt zur Abschlussmesse (21.8.05: 4) zwar ein Seitenhieb auf die Journalisten, die „die Kardinäle unaufhörlich mit der ‚Sexualmoral’ quälen, als ob es das Wichtigste sei zu wissen, ob diese Jugendlichen Kondome benutzen oder nicht“ (Corriere della Sera 17.8.05: 14). In seiner Relevanz für die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird das Thema jedoch, zumindest im Fernsehen und in der stärker konservativen Presse nicht hinterfragt. Und die kirchenkritische linksliberale Presse belässt es in diesem Zusammenhang in der Regel bei Andeutungen, wie folgende Passage einer Reportage von La Repubblica über die Nacht auf dem Marienfeld anschaulich zeigt: „Man muss die Stunde abwarten, in der die Kapläne, die Nonnen, die Begleiter der Pfarreigrüppchen in den Schlaf fallen, ankündigen ‚gut, Leute, ich schlafe’ und in ihren Schlafsack schlüpfen, hoffend, dass alle ihrem Beispiel folgen, es aber nicht tun, denn die Nacht ist in diesem Fall heilig, im doppelten Sinne, und es ist eine Sünde, sie schlafend zu verschwenden. Und so legt das riesige grasbewachsene Schachbrett des Marienfelds, groß wie eine Kleinstadt, um ein Uhr nachts das liturgische und choreografische Gesicht der Stunden zuvor ab und wird zur anarchischen jugendlichen Utopie, einer Stadt des Mondes, bewohnt nur von unter 30jährigen, die singen, tanzen, beten, reden, essen, spielen und viele andere Dinge tun. Nichts ist verboten, so viel ist klar; d.h. fast nichts, denn in allen Richtungen sieht man zig Pärchen, die sich innig küssen, aber es lohnt sich nicht der Mühe, sich zu fragen, ob jemand weiter geht, denn wenn man eine Million Teenager Seite an Seite auf demselben enormen Bett schlafen lässt, gehorchen die Folgen der Statistik, und nicht der Moral.“ (La Repubblica 22.8.05: 6)
Während die Spannungen zwischen kirchlicher Dogmatik und gelebter jugendlicher Sexualität in Italien lange nicht in dem Maße thematisiert werden wie in Deutschland, fällt dort vor allem der Fokus auf die italienischen „Pilger“ auf.
Berichte über katholische Jugendkultur
119
Wiederholt wird – fast im Tenor einer Art Nationenwettstreit – die starke Präsenz Italiens betont, bei den Katechesen, im Straßenbild oder beim Papst-Jubel: „Als nach der kraftvollen Regie dieser etwas biblischen wie nibelungischen Ankunft das Boot des neuen Petrus zwischen den stählernen Bögen der Südbrücke erscheint, stürzen tausende Nicht-Sündige ans Ufer, wo ein Geländer unerfreuliche Sprünge ins kalte Wasser verhindert, schwenken die Fahnen, schwenken aufblasbare Riesenhände, schreien sich heiser um diesen kleinen weißen Punkt am Bug zu begrüßen, der sich erst auf den Videoleinwänden tatsächlich als der Papst entpuppt. Und es bricht der Enthusiasmus aus, der noch fehlte, von dem man fürchtete, er würde nie kommen: ‚Bee-nede-tto“ skandieren die Italiener, dem Babel der Pilger Kraft ihrer Zahl ihre Version des heiligen Namens aufzwingend. Und schließlich sieht man auch die Deutschen, zögerlich, aber bereit aufzuholen.“ (La Repubblica 19.8.05: 10)
Wie das Beispiel deutlich macht, gilt die Aufmerksamkeit vor allem der Gruppe der italienischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer insgesamt. Einzelne Jugendliche kommen, anders als in der deutschen Berichterstattung, selten und wenn vor allem in der regionalen Presse zu Wort, während Priester und andere Offizielle umso häufiger zitiert werden. Die italienische Berichterstattung fokussiert primär die Geschlossenheit und Stärke ‚der Italiener’ innerhalb der Vielfalt der beim Weltjugendtag anwesenden Nationen und weniger die individuellen Glaubenserlebnisse. Nicht selten wird in diesem Zusammenhang – von tendenziell kirchenkritischen Organen wie La Repubblica überspitzt kommentiert bzw. kritisiert (siehe dazu etwa „Piu fan italiani che tedeschi “ in der Ausgabe vom 18.8.05: S. 22) – ein direkter Bezug zwischen Katholizismus und Nationalgefühl hergestellt (siehe Kapitel 8). Betrachtet man die bisherigen Analysen der Presseberichterstattung über die Stimmung und Atmosphäre des Weltjugendtags zusammenfassend, wird deutlich, dass sich in diesen das Feiern der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer hochgradig mediatisierten Form manifestiert. So lässt sich von einer Mediatisierung in dem Sinne sprechen, dass sich die Beschreibung des Feierns an eine generelle Medienberichterstattung über Populär- und Jugendkulturen anlehnt, auch wenn hier deutliche Unterschiede im Grad der Bezugnahmen zwischen Deutschland und Italien auszumachen. Die Stimmung und Atmosphäre des Weltjugendtags wird teilweise ähnlich ‚erotisiert‘ und ‚ausgelassen‘ beschrieben, wie bei anderen jugend- und populärkulturellen Veranstaltungen. Und Wortbildungen wie „katholisches Woodstock“ und „Pope-Parade“ ordnen den Weltjugendtag in den diskursiven Gesamthorizont bestehender Populärkulturen ein. Mediatisierung wird als graduell unterschiedliche Kontextualisierung im Horizont allgemeinerer Populärkulturen greifbar. Solche Tendenzen in der Printberichterstattung werden weiter durch die Fernsehberichterstattung untermauert. Auch dort wird die Stimmung und Atmo-
120
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
sphäre des Weltjugendtags mit dem Feiern der Teilnehmerinnen und Teilnehmer verbunden. Dabei lässt sich sowohl für das von uns untersuchte deutschsprachige als auch das italienischsprachige Fernsehen zeigen, dass das Populäre fast stereotyp anhand von Bildern jubelnder, klatschender, tanzender und Fahnen schwenkender Menschen greifbar gemacht wird. Diese stehen entweder für eine Begeisterung für den Papst (tendenziell in der italienischen Berichterstattung) oder für das ausgelassene, selbstbezogene Feiern der Jugendlichen untereinander (tendenziell in der deutschen Berichterstattung). Als ein erstes Beispiel hierfür möchten wir folgenden Ausschnitt aus dem „ARD/ZDF-Morgenmagazin“ anführen, der für eine eher moderate Form dieser Berichterstattung steht: Transkript 6: ARD/ZDF Morgenmagazin (18.8.05: 5:00) – „Pilgertagebuch Teil IV“ Zeit
Bild
Ton
1:39:22
A: Pilger mit vielen verschiedenen Nationalfahnen stehen Schlange vor dem Dom; oben links im Bild Lautsprecher
Reporterin Julie von Kessel: es ist der Tag der Pilgerwallfahrt zum Dreikönigsschrein im Kölner Dom .
1:39:28
HT (Schwenk): Dom
auch die Arche Noah-Gruppe reiht sich
1:39:32
HN: eine junge Frau aus der Gruppe (Angelika) geht langsam vorwärts in der Masse der Pilger
in die kilometerlange Schlange ein
1:39:36
HN: eine andere junge Frau aus der Gruppe (Susan) neben einem weiteren Mädchen, ebenfalls in der Masse der Pilger; im Hintergrund eine einzelne Fahne
mehrere Stunden lang stehen sie an
1:39:40
HN: ein junger Mann aus der Gruppe (Joel) in der Masse, Blick nach oben am Dom hinauf
um endlich das gotische Bauwerk besichtigen zu können
1:39:43
N: Susan, Pilgerin aus Tansania, blickt immer wieder zum Dom hinauf; hinter ihr laufen Pilger mit verschiedenen Fahnen vorbei; Einblendung einer Namensleiste
von Kessel ((im HG ist Susan im englischen Original-Ton zu hören)): Ich finde den Dom wunderschön . wirklich atemberaubend . man fragt sich wie viele Menschen an seinem Bau beteiligt waren
Berichte über katholische Jugendkultur
121
1:39:52
G: Joel, Pilger aus Indien blickt immer wieder zum Dom hinauf; hinter ihm laufen weiterhin Pilger mit verschiedenen Fahnen vorbei; direkt neben ihm eine Papiertüte des Domradios, die offenbar über einen Pfeiler gestülpt wurde; Einblendung einer Namensleiste
Joel: it needs massive cleaning up ((ab da nur noch im HG zu hören)); von Kessel: ich finde er müsste mal restauriert werden er ist ganz dreckig
1:40:02
N: Ständer mit Postkarten mit verschiedenen Papst-Motiven und Ansichten Kölns; links im Bild eine junge Frau von hinten
von Kessel: für Postkarten reicht das Geld gerade noch . Papst-Souvenirs sind für die Pilger nicht drin
1:40:08
G: Postkarte von Benedikt XVI, winkend
doch wer braucht schon Bilder vom Dom
1:40:11
N: Joel sucht Postkarten aus
wenn er das richtige Bauwerk mit Jugendlichen aus aller Welt sehen kann . so die einhellige Meinung
1:40:18
G: Angelika, Teilnehmerin aus Deutschland; Einblendung einer Namensleiste
Angelika: ich war zwar schon mal hier aber es ist _schon_ ein ganz neues Gefühl weil natürlich unglaublich viele . viele junge Menschen hier sind die das gleiche Ziel haben
1:40:28
HT: Schlange der Teilnehmenden vor dem Dom; Fahnenmeer
und jetzt mit so vielen auf einem Weg zu sein
1:40:33
G: Angelika, Teilnehmerin aus Deutschland
in diesen Massen auch in dieser Stimmung das ist schon was völlig Neues
Es handelt sich hier um wenige Sekunden aus dem „Pilgertagebuch“, einer Reportagereihe, bei der im „ARD/ZDF-Morgenmagazin“ die „Arche-Noah“-Gruppe bei ihren Erlebnissen auf dem Weltjugendtag begleitet wird. Das populäre Feiern ist dabei eine Hintergrundfolie der Berichterstattung, wenn beispielsweise Fahnen tragende Teilnehmerinnen und Teilnehmer wiederholt als Kulisse zu sehen sind oder die interviewte Teilnehmerin Angelika von „diesen Massen auch in dieser Stimmung“ berichtet. Weit stärker steht in der Berichterstattung von RTL das Feiern auf öffentlichen Plätzen im Vordergrund. Dabei verschiebt sich der Schwerpunkt der Darstellungen explizit auf den Party-Charakter des Weltjugend- bzw. „Weltparty-
122
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
tags“ (RTL „Punkt 12“ 17.8.05: 12:00), der durch Tanzen und langes nächtliches Feiern gekennzeichnet ist. So weisen die Beiträge wiederholt auf das ausgelassene, weltliche Feiern hin, welches ein RTL-Reporter live von der Kölner Domplatte wie folgt kommentiert: „Stimmung ist eine Mischung aus Olympischen Spielen, Karneval in Rio und Karneval am Rhein.“ („RTL Aktuell“ 18.8.05: 18:45). Und im RTL „Nachtjournal“ vom 18.8.05 heißt es: „Es ist wie eine WM und Karneval zusammen, von tiefer Religiosität und Demut ist wenig zu spüren. Die Jugendlichen feiern sich und ihren Papst wie einen Pop-Star mit der Pulle in der Hand. Das würde Benedikt XVI kaum gefallen. Doch der hat sich am Nachmittag in seine Gemächer zurückgezogen. Trotzdem pilgern die Massen zum Dom mit Benedikt-T-Shirt und Pilgerrucksack und Jugendliche lassen sich am Wegesrand segnen. Die Euphorie ist groß.“ (RTL „Nachtjournal“ 18.8.05)
Diese generelle Orientierung des RTL-Berichtens auf das Populäre wird noch deutlicher, wenn man einen einzelnen Ausschnitt aus dem „Mittagsjournal“ des privaten Senders im Detail betrachtet: Transkript 7: RTL Mittagsjournal (19.8.05: 12:00) – „Happening in Köln“ Zeit
Bild
Ton
0:04:28
SC: Moderatorin Ilka Essmüller im Studio in N; Reporter Oliver Sonnen in einem zweiten Fenster
Moderatorin Ilka Essmüller: gestern war ja schon ein riesen Happening in Köln haben denn die Pilgermassen auch heute noch mal später die Möglichkeit den Papst zu sehen
0:04:35
HN: Oliver Sonnen; im Hintergrund unten die Domplatte, der Bahnhof, am Rand der Dom
Reporter Oliver Sonnen: nun zumindest wird er wird es heute ein bisschen schwieriger denn heute Nachmittag besucht der Papst noch einmal eine Kirche hier ganz in der Nähe Sankt Pantaleon es ist eine kurze Fahrt dahin und vielleicht gibt es da die ein oder andere Möglichkeit noch einen kurzen Blick auf ihn zu erhaschen und ansonsten . ja ansonsten feiern sich die Jugendlichen einfach weiter selbst . zehntausende sind auf dem Weg zum Dom sie besuchen den Dom
0:04:55
SC: BM li nackte Pilgerbeine aus der Froschperspektive; BR re Oliver Sonnen (kleines Fenster)
. es reißt einfach nicht ab wir haben ein paar Bilder vorbereitet der Strom reißt nicht ab .
Berichte über katholische Jugendkultur
123
0:05:00
SC: im großen Fenster Schnitt auf eine Flamenco tanzende Gruppe junger Erwachsener in HT
es gibt viele viele Menschen hier . diese Spanier zum Beispiel die kommen aus Cordoba . und die denken sich wenn wir den Papst schon nicht sehen dann machen wir eben unser eigenes Freudentänzchen . jeder von ihnen hat übrigens 400 Euro bezahlt
0:05:08
HT: Teilnehmergruppe aus Togo; ein junger Mann im Vordergrund winkt in die Kamera; G (Schwenk und Zoom): togolesische Fahne
diese Gruppe aus Togo ist übrigens umsonst hier
0:05:10
HT-N (Zoom): Pilger beim Wasserzapfen an den Wassertürmen in der Stadt
sie ist auf Einladung des Vatikan hier her gekommen ja und die Pilger werden auch immer wieder aufgerufen
0:05:17
T: junge Leute um einen Brunnen; im Vordergrund steigt ein junger Mann aus dem Wasser
bloß genug zu trinken denn es sind Temperaturen um die dreißig Grad oder ein erfrischendes Bad in einem der Brunnen zu nehmen auch wenn‘s eigentlich verboten ist
0:05:25
HT: Teilnehmergruppe
also es gibt viele viele freundliche Engel hier in Köln
0:05:28
HN (sitzend ganz zu sehen): Straßenkünstler, der sich eine graue Maske überzieht
ja und auch den ein oder anderen schrägen Vogel
0:05:30
SC: Moderatorin Ilka Essmüller im Studio in N und Reporter Oliver Sonnen in zwei nebeneinander geschalteten Fenstern
morgen geht’s dann weiter mit der Party . Woodstock auf dem Marienfeld ganz in der Nähe hier von Köln . ja und dann haben die Pilger auch ihren Papst wieder
Im Fokus dieses Transkriptausschnitts steht die Darstellung des populären Feierns der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wie sie als charakteristisch für die Nachrichten- und Magazinberichterstattung auf RTL gelten kann. Die Moderatorin Ilka Essmüller leitet im Anschluss an einen Themenblock zur Papstbegeisterung zum vorliegenden Ausschnitt über und charakterisiert dabei bereits den Weltjugendtag als „Happening in Köln“. Dieser Rahmung entsprechen auch die Bilder und Inhalte der Livereportage von Oliver Sonnen. Hier werden nicht nur Flamenco tanzende junge Frauen, fröhlich winkende Menschen oder ein
124
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
Straßenkünstler in Vogelverkleidung gezeigt. Auch kommentiert Oliver Sonnen die Bilder in seiner Livereportage als ein ausgelassenes Feiern: Wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Papst nicht sehen können „feiern sich die Jugendlichen einfach weiter selbst“, sie machen „Freudentänzchen“ und müssen bei einem solchen Event in der prallen Sonne darauf achten, dass sie genug trinken. Der Weltjugendtag erscheint in seiner Darstellung einmal mehr als eine „Party“ bzw. als ein „Woodstock“. Auch dieses Beispiel untermauert, inwieweit sich die Berichterstattung über das Populäre des Weltjugendtags in bestehende Muster der Nachrichten- und Magazinberichterstattung im Fernsehen einfügt: Die Art, wie über dieses Feiern berichtet wird, unterscheidet sich gerade beim Fernsehen nicht weiter von der Art, wie über andere Formen des populären Feierns berichtet wird. Die einzige größere Differenz, die bestehen bleibt, ist, dass das Feiern in den Moderationen und (Off-)Kommentaren als Teil einer religiösen Veranstaltung gerahmt wird. Hier fügt sich die italienische Berichterstattung bruchlos in die in der deutschen Berichterstattung dominierenden Muster ein, was exemplarisch folgender Ausschnitt der Nachrichtensendung „TG 5 Notte“ von Canale 5 zeigt. Transkript 8: Canale 5 TG 5 Notte (16.8.05: 1:20) – „Pilger“ Zeit
Bild
Ton
0:00:24
T: Gruppe von Jugendlichen mit Pilgerrucksäcken und Fahnen, einige tragen ein handgemaltes Transparent
. ein strahlendes Lächeln auf den Lippen
0:00:28
HT: Pilger, die im Kreis auf dem Boden sitzen, Gitarre spielen und singen
immer zahlreicher strömen sie nach Köln
0:00:30
HT: Pilgergruppe, die sich im Kreis umarmen und tanzen/springen
die jungen Pilger bei der zwanzigsten Auflage des Weltjugendtags
0:00:33
HT (AS): Masse von Pilgern auf der Straße
dem ersten ohne Johannes Paul II .
0:00:35
P (AS): bunte Menschenmasse vor weißen Zelten
bei der Eröffnung der Veranstaltung gestern waren
0:00:37
P: Schwenk über Grüppchen von Teilnehmenden, verstreut auf einer der Wiesen sitzend
mehr als 200.000 Jugendliche dabei . sie kamen aus fast 200 Nationen . und es werden noch mehr werden
Berichte über katholische Jugendkultur
125
0:00:41
T: Schwenk über Gruppe von wartenden Teilnehmenden ; schwenken Fahnen vor der Kamera, winken
in den nächsten Stunden denn bisher liegen
0:00:44
P: Jugendliche mit blauen Hüten und italienischen Flaggen am Rucksack laufen an einem Gebäude entlang
mehr als 400.000 Anmeldungen vor . ein Rekord im Vergleich zu den Jahren davor
0:00:52
P: Wiese mit einer Gruppe von Teilnehmenden in der Mitte, im Hintergrund das Stadion
. zur Abschlussmesse am Sonntag
0:00:54
HN: italienische Teilnehmer laufen jubelnd eine Straße hinunter
werden ungefähr 800.000 Gläubige erwartet . eine Gruppe darunter werden die Italiener sein . die größte Gruppe .
0:01:00
A: zwei junge Männer mit „Benedikt“-T-Shirt und Pilgerrucksack an der Essensausgabe, im Hintergrund Nonnen und Freiwillige hinter dem Stand
den ganzen Tag haben die Freiwilligen vor Ort die Jugendlichen empfangen und ihnen Frühstück und Lebensmittel ausgeteilt . ((I.ta.lia! I.ta.lia!-Rufe, Klatschen))
0:01:03
HT: junge Frau läuft auf einen Stand zu (und zur Kamera), wo eine Freiwillige ihr winkt, um ihr Essenstüten zu geben
allen Pilgern die keine Decken und Schlafsäcke dabei haben
0:01:08
P: bunte Masse von Pilgern vor weißen Zelten, langsam aufgezoomt
wird eine Unterkunft in einer der riesigen weißen Zeltstädte auf den Wiesen der Stadt gewährleistet . alle
0:01:15
A: Helfer, die etwas an die Jugendlichen verteilen
warten mit Begeisterung auf die Ankunft von Papst Ratzinger .
0:01:17
HN: Papst Benedikt XVI betet das am Donnerstag . seine erste offizielle Angelus vom Balkon in Castelgandolfo Reise ins Ausland wird . Ironie des Schicksals . zugleich eine Rückkehr in sein Heimatland sein ..
0:01:23
P: Stadtansicht Köln, im Vordergrund der Rhein, im Hintergrund der Dom
Benedikt XVI wird auf einer Fähre den Rhein hinunter nach Köln kommen .
126
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
0:01:26
HT Stadttor in Köln
und bis Sonntag in der Stadt bleiben . bedeutende Momente seines Programms werden
0:01:30
G: Zoom auf offizielles Weltjugendtags-„Welcome“-Plakat
der für Freitag geplante Besuch der Kölner Synagoge sein
0:01:32
T: Jugendliche auf der Wiese vor dem Stadion, im Hintergrund LKW mit Weltjugendtags-Schriftzügen
und die Treffen mit der protestantischen und muslimischen Gemeinde
Der obige Ausschnitt stammt aus der Nachrichtensendung des privaten italienischen Senders Canale 5. Charakteristisch ist, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags dargestellt werden. Es werden keine Bilder gezeigt, in denen diese bspw. betend oder bei anderen religiösen Handlungen zu sehen sind. Vielmehr stehen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen als Teilnehmergruppen im Fokus, wie sie – zumindest dem äußeren Eindruck nach – ebenfalls bei anderen populären Veranstaltungen zu finden sind: Sie strömen durch den Eingang des Kölner Stadions, schwenken verschiedene Nationalfahnen, sitzen locker auf dem Boden, spielen Gitarre, tanzen, singen, jubeln usw. Dass es sich um eine religiöse Veranstaltung handelt, macht primär der Kommentar des Reporters (Frederico di Steffano) deutlich: Dort wird ähnlich wie in der deutschen Berichterstattung die religiöse Rahmung des Weltjugendtags hergestellt („20. Auflage des Weltjugendtags“, „Abschlussmesse“, Benedikts „erste offizielle Reise ins Ausland“) bzw. den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als Kollektiv eine religiöse Orientierung unterstellt: Sie sind als „Gläubige“ mit „strahlende[m] Lächeln“ zum Weltjugendtag gekommen. Diese allgemeine religiöse Rahmung wird allerdings nicht weiter ausgefüllt, sondern die Bilder der (feiernden) Jugendlichen bleiben vergleichsweise offen stehen. Wir können damit für die Fernsehberichterstattung über die Stimmung und Atmosphäre noch konkreter als für die Presseberichterstattung festhalten: Es geht darum, die Stimmung der feiernden Jugendlichen und jungen Erwachsenen einzufangen, wobei Mediatisierung greifbar wird als Berichterstattung auf Basis etablierter Muster populärkultureller Darstellung. Das populäre Feiern des Weltjugendtags erscheint so in manchen Momenten als ein weiterer Aspekt des vielfältigen Angebots heutiger Populärkulturen – wobei das ‚Besondere‘ der auf diese Weise ‚sichtbar‘ gewordenen katholischen Jugendkultur eine religiöse Rahmung eines sonst allgemein etablierten Feierns ist. Ein weiterer populärkultureller Moment des Weltjugendtags ist dessen Kommerzialisierung. Diese ist in der Hauptphase des Medienevents weniger in
Berichte über katholische Jugendkultur
127
der italienischen als in der deutschen Medienberichterstattung Gegenstand, weswegen wir unsere Analyse im Weiteren auf die deutsche Print- und Fernsehberichterstattung konzentrieren wollen. In dieser werden verschiedene Aspekte der Kommerzialisierung des Weltjugendtags aufgegriffen, aber – wie eingangs dargestellt – nicht in dem Umfang, wie dessen Stimmung und Atmosphäre behandelt werden. Im Wesentlichen lassen sich drei Aspekte identifizieren, die das Themenfeld Kommerzialisierung konkretisieren. Dies sind das Merchandising, die lokale Kommerzialisierung und die Beschäftigung mit dem Weltjugendtag als einer selbst kommerziellen Veranstaltung. Abbildung 20:
„Papst-Lutscher“ als Objekt der Ironisierung (taz 13./14.8.05: 20)
Am häufigsten werden Merchandising-Aktivitäten rund um den Weltjugendtag thematisiert. Meist handelt es sich um kurze Meldungen zu offiziellen Weltjugendtags-Souvenirs wie Papst-Lustscher (taz 13./14.8.05: 20; ARD „Harald Schmidt“ 17.8.05: 0:00) Weltjugendtagstasse (Trierischer Volksfreund 11.1.05)
128
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
oder Papst-Devotionalien wie Papst-Bierkrug. Gerade Kuriositäten wie PapstLutscher oder Papst-Sammelpuppe werden in der Medienberichterstattung rein zur Illustration verwendet, ohne deren Inhalte oder Problematik weiter zu diskutieren. Neben vorwiegend auf einzelne Merchandising-Artikel fokussierten Beiträgen finden sich solche, die „Zusatzgeschäfte“ Dritter und damit die lokale Kommerzialisierung im Umfeld des Weltjugendtags thematisieren. Folgen des Weltjugendtags auf die Tourismusregion Köln (Bild Köln 4.2.05: 3) erscheinen ebenso berichtenswert wie die „Geschäftemacherei“ von Gastwirten und Einzelhändlern. Nicht nur die Bild Köln schreibt auf ihren lokalen Sonderseiten zum Weltjugendtag vom 16.8.05 unter der Überschrift „Heiliger Vater, rette uns!“ über die Erwartungen der Kölner Gastwirte (Bild Köln 16.8.05: 7). In einem Beitrag in RTL „Punkt 6“ vom 16. August heißt es: „In der Kölner Innenstadt wird den Gästen aus aller Welt derzeit nichts geschenkt. In den Läden rund um den Dom versucht fast jeder sein Geschäft mit dem Papst zu machen. Geht nicht gibt’s nicht – zum Beispiel das Papst-Bier in dieser Eisdiele.“
Wenig später formuliert der Reporter im selben Beitrag: „Und so wird aus ganz normalem Weizenbier ein teures heiliges Gebräu.“ Dazu sieht man Aufnahmen aus der Kölner Innenstadt, wie etwa Werbeposter für Papst-Bier und einen LED-Pointer mit Papst-Motiv oder Marien- u.a. Heiligenfigürchen in einem Schaufenster. Zu guter Letzt findet eine Auseinandersetzung mit dem Weltjugendtag als an sich kommerzieller Veranstaltung statt. Dabei werden in erster Linie Sponsoring-Partnerschaften und andere Kooperationsformen mit dem Weltjugendtagsbüro verhandelt, wenn es beispielsweise um die Frage geht, dass das Papa-Mobil von Volkswagen stammt (vgl. FAZ 22.4.05: 18; Bild Köln 21.4.05: 4). Diese Beispiele sollen genügen, um Kommerzialisierung als einen weiteren Aspekt der thematischen Verdichtung des Populären greifbar zu machen. Als auch populäres Medienevent ist der Weltjugendtag – wie populäre Medienevents generell (vgl. Hepp 2003) – in seiner medialen Repräsentation durch Kommerzialisierung geprägt. Dies lässt sich als ein Aspekt seiner Mediatisierung begreifen und zwar nicht nur in dem Sinne, dass die kommerziellen Medien ein Interesse an diesem Themenfeld zu haben scheinen. Der Sachverhalt ist wesentlich vielschichtiger: Die Aufmerksamkeit, die der Weltjugendtag als ein herausragendes Medienevent genießt, eröffnet neue Möglichkeiten der (lokalen) Kommerzialisierung, d.h. der Nutzung für kommerzielle Interessen vor Ort. Eine Papst-Sammelpuppe oder ein Papst-Lutscher haben nur dann einen kommerziellen Wert, wenn deren ‚herausragende Bedeutung‘ von vielen (zumindest ironisierend) geteilt wird. Diese ‚Bedeutung‘ entsteht translokal in erheblichem Maße mit der Inszenierung des Ereignisses als herausragendem Medienevent.
Spielerisches Ironisieren
129
Die Paradoxie der Mediatisierung des Weltjugendtags besteht an dieser Stelle darin, dass wenn über verschiedenste Formen der (lokalen) Kommerzialisierung auch kritisch berichtet wird, damit dennoch die kommerzielle ‚Wertigkeit‘ des Events betont und so dem Event als Medienevent ein weiterer ‚Baustein‘ hinzugefügt wird. Mediatisierung heißt im Hinblick auf die Kommerzialisierung des Weltjugendtags folglich, dass durch die medienvermittelte Aufmerksamkeit, die dieser genießt, Papst- und Weltjugendtagsbezüge im Bereich weitergehender Populärkultur ‚vermarktbar‘ werden. Die katholische Kirche kann nicht verhindern, damit konfrontiert zu werden, in der medialen Darstellung Teil heutiger Kommerzialisierungen zu sein.
6.3
Spielerisches Ironisieren: Party-Stimmung, Sex und Glaube
Von den bisher fokussierten Berichten müssen schließlich eher spielerisch-ironisierende Formen von Medienbeiträgen unterschieden werden. Die Grenzziehung zwischen ‚Berichten‘ und ‚Spielerischem Ironisieren‘ ist nicht immer eindeutig, da Reportagen in der Boulevard-Berichterstattung ironisierende Elemente haben. Beispiele wären etwa die Charakterisierung Kölns als „die total verpapste Stadt“ (Bild Köln 19.8.05: 2), die Beschreibung der Stimmung des Weltjugendtags als „das war dombastisch“ (Bild Köln 18.8.05: 13) oder ein „Kölleluja“ (Bild Köln 19.8.05: 1) auf den Weltjugendtag. Gleichwohl bezeichnen wir mit ‚Spielerischem Ironisieren‘ mehr als solche Wortspiele und humorvollen Referenzen. Sinnvoll lässt sich von einem ‚Spielerischen Ironisieren‘ sprechen, wenn aus einem Wortspiel ein spielerischer Gesamtbeitrag wird. Ein Beispiel dafür ist die Vorstellung von Personen mit dem Namen „Papst“ in einer Bild-Ausgabe, um zu sehen, „was hinter dem christlichsten aller Nachnamen steckt“ (Bild Köln 16.8.05: 10). Das ‚Spielerische Ironisieren‘zeigt, dass das Populäre des Weltjugendtags zu einer sprachlich kreativen Berichterstattung einlädt. Gegenstand sind hier insbesondere dessen Stimmung und Atmosphäre. Wortspiele, wie sie in der deutschen Presse üblich sind, finden sich in den italienischen Printmedien kaum – mit Ausnahme päpstlicher ‚Spitznamen’. Angefangen beim kritisch-distanzierten „Generale Ratzinger“ (L’Espresso, 1.9.05: 54), über das in der deutschen Presse übernommene „Beee-nede-tto!“ (Corriere della Sera 22.8.05: 1), bis hin zu den zumindest dem Mythos nach der Sprache der Jugendlichen entnommenen Formulierungen „Papa ‚Ratzi’“ (L’Adige 23.8.05: 43) und „B16“ (La Repubblica 17.8.05: 14). Insbesondere der Corriere
130
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
della Sera greift diese Kurzformen auf, um die sonst am Papstprogramm und den päpstlichen Botschaften orientierten Beiträge aufzulockern. Denn als mit der Papstbegeisterung der „Papaboys“ verbundene Wortschöpfungen verweisen diese Formulierungen unmittelbar auf die populäre Dimension des Weltjugendtags und fügen sich zugleich nahtlos in die ansonsten ‚seriöse’ Berichterstattung ein. Besonders deutlich wird dies an folgendem Ausschnitt erneut aus dem Corriere della Sera, in dem es nach einer Darstellung der historischen Bedeutung des geplanten Synagogenbesuchs Benedikts XVI heißt: „Für die Jugendlichen beim WJT ist es nicht einfach, seit dem ersten Treffen seit ’86 hat eine ganze Generation als Papst nur den einen Johannes Paul II gekannt. Einige deutsche Zeitungen haben schon geschrieben, ‚angesichts der Aussichten kommt nun nur die Hälfte der Jugendlichen’. Aber der Wind dreht sich ... […] Die Jugendlichen fassen Vertrauen zu Benedikt XVI. In den SMS nennen sie ihn schon ‚B16’.“ (Corriere della Sera 10.8.05: 15)
In diesem Artikel wird insofern eine prägende Mediatisierung greifbar, als diese Formulierungen ihren Reiz für die ‚seriöse’ Presse daraus beziehen, dass es sich um Ausdrucksformen jugendlichen Agierens in und mit den Medien handelt. Dass sich der spielerische Umgang mit dem Ereignis darüber hinaus in der italienischen Presseberichterstattung nicht breiter durchsetzen kann, mag zum einen am Fehlen einer Boulevardberichterstattung im Format von Bild und Bravo liegen. Darüber hinaus deutet dies aber erneut auf die herausgearbeitete Zurückhaltung gegenüber einer vermeintlich zu starken Popularisierung des Sakralen hin. Lediglich in der linksliberalen Presse La Repubblica finden sich wiederholt ironisierende, bisweilen sogar sarkastische Formulierungen. Das Spielen und Ironisieren kann zweifache Tendenzen haben, die sich nicht ausschließen: Einerseits kann es darum gehen, an Kommunikationsmuster einer populärkulturellen Berichterstattung anzuschließen und diese fortzuführen. In diesem Fall ist das Spielen eine Verlängerung des betrachteten Aufgreifens etablierter Muster populärkultureller Medienberichterstattung. Andererseits kann eine Ironisierung aber auch ein Infragestellen der religiösen Rahmung des Populären beim Weltjugendtag bedeuten. Beides gilt für die italienische wie auch deutsche Fernsehberichterstattung. Das Beispiel, das für ein spielerisches Fortführen bestehender Berichterstattungsmuster steht, ist der folgende Ausschnitt aus der Sondersendung „A Sua Immagine: Speciale Italiani“ des öffentlich-rechtlichen Senders RAI 1:
Spielerisches Ironisieren
131
Transkript 9: RAI 1 A Sua Immagine (18.8.05: 23:20) – „Der Stern zeigt ihnen den Weg“ Zeit
Bild
Ton
0:02:10
HN: Reporterin mit Kölner Hauptbahnhof im Hintergrund, schaut auf die Armbanduhr
Reporterin: fünfzehn Uhr dreißig Mu: Jovanotti
0:02:12
HT: ein Zug fährt ein
Mu: Jovanotti
0:02:13
HN: Reporterin am Bahnsteig, im HG Passanten
gerade kommt ein Zug aus Italien an
0:02:16
HT: Jugendliche laufen im Zug Richtung Zugtüre
Mu: Jovanotti
0:02:18
A: Reporterin an der Zugtüre, spricht aussteigenden jungen Mann an und hält ihm das Mikrofon hin; Zoom auf das Gesicht des jungen Mannes (G), der weiter läuft; hinter ihm steigt ein anderer junger Mann aus und bleibt neben der Reporterin stehen (HN)
Reporterin: Woher kommt ihr junger Mann: Bari . Provinz Bari Reporterin: Wieviele Stunden im Zug? junger Mann: 25 Stunden Zugfahrt Reporterin: aah wie ist es gelaufen? zweiter junger Mann: gut alles gut Reporterin: alles gut? zweiter junger Mann: ja ja Reporterin: Seid ihr müde? zweiter junger Mann: nein nein Reporterin: Nein? zweiter junger Mann: nein nein Reporterin: _bereit_ für den Weltjugendtag? zweiter junger Mann: ja ja . cool eh!
0:02:33
HT (von hinten): Jugendliche mit hellblauen Rucksäcken, italienischer Flagge und italienischen Spruchbändern laufen den Treppenaufgang hinunter
Mu: Jovanotti
0:02:35
HN: junger Mann steigt aus dem Zug, im Hintergrund weitere Pilger, die an der Türe warten; am Bildrand Mikrofon und Hand der Reporterin
Reporterin: Schlafsack und dann was hast du noch in den Koffer gepackt? dritter junger Mann: eh in den Koffer habe ich nur das Wesentliche gepackt
132
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
0:02:40
HT (AS von hinten): Jugendliche (diesmal ohne erkennbare Nationalität) laufen dicht gedrängt den Treppenaufgang hinunter
Mu: Jovanotti
0:02:41
N: junge Frau mit dem blauen Pilgerhut der Italiener
junge Frau: alles Mögliche ((lacht))
0:02:42
A (Zeitraffer): Jugendliche steigen aus dem Zug aus, am Bildrand die Reporterin
Mu: Jovanotti
0:02:44
A: Junger Mann mit blauem Pilgerhut, der einen riesigem Rucksack vor sich her schleppt
Reporterin (fast schreiend):_halt!!_ du da . schau dich mal an was hast du mitgenommen? Das ganze Haus? junger Mann: alles . alles
0:02:48
A (Zeitraffer): Jugendliche steigen fröhlich lachend und winkend aus dem Zug aus
Mu: Jovanotti
Im Fokus der gesamten Sendung „A Sua Immagine: La Stella Davanti A Loro“ steht das Erleben des Weltjugendtags aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Eröffnet wird die Sendung mit einer dreifachen sakralen Rahmung, der Ankündigung des Weltjugendtags 2005 durch Papst Johannes Paul II, einer Huldigung an Johannes Paul II durch Benedikt sowie der Ankunft von Benedikt XVI per Rheinschiff auf dem Weltjugendtag in Köln – Letzteres hinterlegt mit dem offiziellen Weltjugendtagslied der katholischen Kirche. Im Gegensatz hierzu ist der oben stehende Ausschnitt mit seiner spielerischen Inszenierung der Ankunft von italienischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Köln zu sehen: In schnellen Schnitten und fast wie in einem Videoclip wird dargestellt, wie diese mit einem Sonderzug aus Bari am Kölner Hauptbahnhof ankommen. In kurzen Fragen der Reporterin Lorena Bianchetti („Woher kommt Ihr?“, „Wie ist es gelaufen?“, „Bereit, den Weltjugendtag zu beginnen?“) mit ebenso knappen Antworten wird ein Bild der Stimmung der aussteigenden Jugendlichen vermittelt, ohne weitere Hintergrundinformation zu liefern. Letztlich geht es um eine humorvolle Inszenierung einer spezifischen Ankunftsstimmung. Gesteigert wird dieser Charakter, indem die knappen Interviewpassagen unterbrochen werden durch zwei- bis dreisekündige Bildsequenzen, die mit einem schnellen, beatorientierten Lied des italienischen Rappers und Popmusikers Javanotti hinterlegt sind und zum Teil mit Zeitraffer abgespielt werden.
Spielerisches Ironisieren
133
Eine solche spielerische Clip-Sequenz für sich betrachtet lässt die Grenzen zwischen ernsthafter Berichterstattung und humorvoller Auseinandersetzung mit dem Populären des Weltjugendtags unscharf erscheinen. Gleichwohl geht es um eine dem Katholizismus gegenüber seriös eingestellte Berichterstattung. Der spielerisch-humorvolle Stil ist eher dem herausgearbeiteten Anschluss an populärkulturelle, Jugendliche adressierende Formate geschuldet. Durch seine ironische Brechung anders gelagert ist folgender Ausschnitt des RTL-Boulevardmagazins „Explosiv - Das Magazin“. Transkript 10: RTL Explosiv (17.8.05: 19:10) – „Nachwuchs-Playboys“ Zeit
Bild
Ton
0:05:10
N: Moderator Markus Lanz im Studio
Moderator Markus Lanz: jetzt zu vier Herren mit viel Liebe im Herzen und noch mehr Gel im Haar . dass Köln die Hauptstadt der Nächstenliebe ist hat sich inzwischen auch in Kreisen herumgesprochen die den Herrgott sonst eher einen guten Mann sein lassen . Nachwuchs-Playboys aus halb Deutschland sind zur Zeit auf einer Art Kreuzzug der Liebe und gehen gleich im Dutzend auf Wallfahrt in Richtung Köln . Motto der meist sonnenbebrillten Jungs . liebe deine Nächste wie dich selbst . damit meinen sie vor allen Dingen die schönen Weltjugendtagsbesucherinnen aus Südamerika . Sandra Lange Claudia Wolfram und Sascha Gröl über den Zusammenhang zwischen Beten und Baggern
0:05:48
HN (Zeitlupe): verschiedene junge Leute, die sich gegenseitig umarmen
Sprecherin (betont sanft, im HG sehr langsame Streicher-Musik): es gibt derzeit einen Ort da liegen sich junge Menschen in den Armen . so sieht praktizierte Nächstenliebe aus ein Miteinander der Nationen . frohlocken sich berühren miteinander verschmelzen . Weltjugendtag 2005 in Köln
134
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
0:06:04
G: Luftballon mit der Aufschrift ‚I love Jesus’; dahinter Jugendliche auf den Rängen im Stadion
Mu (lauter und schneller): Streicher
0:06:06
A (Schwenk von den Türmen des Kölner Doms auf die Domplatte): zwei junge Männer in grünen T-Shirts laufen die Schlange der Pilger vor dem Dom ab
Sprecherin: Zwei die das mit der Nächstenliebe ganz wörtlich nehmen möchten sind Danny und Hiçem . die beiden sind extra aus Neuss ihre erste Wallfahrt angetreten mit ihrer etwas eigenen Vision dieser Veranstaltung
0:06:16
HN: junge Mädchen sitzen auf einer Mauer auf der Domplatte, Schwenk nach Rechts zu den beiden Jungs, die sie ansprechen
Weltjugendtag das heißt für die zwanzig und einundzwanzig Jährigen in erster Linie
0:06:20
G: junges Mädchen wirft Kusshand in die Kamera
tausende knusprige Katholikinnen
0:06:22
G: junge Frau lacht in die Kamera und streicht sich die Haare aus dem Gesicht ((wirkt leicht überrascht o. irritiert, wie unvermittelt angesprochen))
auf einem Fleck
0:06:24
N: junge dunktelhaarige Frau mit auffälliger Sonnenbrille läuft vorbei, dreht sich dann in die Kamera und winkt
die hoffentlich nicht allzu christlich brav sind
0:06:27
G: Junge dunkelhaarige stark geschminkte Frau lacht in die Kamera
und das ist ihre Mission
0:06:29
G: junge blonde Frau mit Sombrero wirf Kusshand in die Kamera
G: Hintergrundgeräusche
0:06:41
N: Danny S. und , Arm in Arm, auf der Domplatte (während Danny spricht muss Hiçem lachen und schlägt sich dabei die Hand vors Gesicht)
Danny: Wir sind eigentlich hauptsächlich wegen den schönen Mädels aus den verschiedenen Nationen gekommen Hiçem: ((lacht)) Danny: ehrlich gesagt Hiçem: am besten gefallen uns die Frauen aus Südamerika
Spielerisches Ironisieren
135 Danny: also der Bereich Argentinien Brasilien Mexico Hiçem: das sind wirklich die schönsten Frauen Danny: also die haben Stil . die ham auch so nen Hüftschwung Hiçem: das sind auch die Frauen die wir nicht SO oft sehen und kennen Danny: genau
Bei diesem Ausschnitt handelt es sich um den Beginn eines Beitrags zu „Nachwuchs-Playboys“ in Köln, in dem die deutsch-türkischen Schüler Danny und Hiçem bzw. im weiteren Beitragsverlauf Salvatore und Marcello bei ihren inszenierten Versuchen begleitet werden, das ausgelassene Feiern in Köln zu nutzen, um junge Frauen kennen zu lernen. Eingeleitet wird der Beitrag von Moderator Markus Lanz mit einer ironischen Brechung, indem die Schüler als Menschen „mit viel Liebe im Herzen und noch mehr Gel im Haar“ angekündigt werden. Weiter unterstrichen wird diese ironische Gesamtrahmung durch die Kommentierungen der Sprecherin des Beitrags, die das Umarmen auf dem Weltjugendtag als „praktizierte Nächstenliebe“ und „miteinander Verschmelzen“ bezeichnet – all dies hinterlegt mit romantischer Streichermusik. Danny und Hiçem werden als zwei Personen charakterisiert, „die das mit der Nächstenliebe ganz wörtlich nehmen“ und unter den feiernden Teilnehmerinnen auf Partnersuche gehen. Entsprechend wird – im Spiel mit einem religiösen Sprachgebrauch – das Ziel von Danny und Hiçem als „Mission“ bezeichnet. Im weiteren Verlauf des Beitrags wird diese „Mission“ der „Playboys“ in Köln begleitet und zwar entlang bestehender, in diesem Fall aber ironisierender Berichterstattungsformen von Boulevard-Sendungen: Es werden drei durch eingeblendete Zwischentitel explizit so bezeichnete „Versuche“ der beiden Schüler, mit Frauen in Kontakt zu kommen, nachgezeichnet, als „1. Versuch“ die Annäherung an Brasilianerinnen, als „2. Versuch“ die Annäherung an Spanierinnen und als „3. Versuch“ dann an deutsche Katholikinnen. Beim dritten Versuch wird zumindest indirekt die Frage verhandelt, inwiefern alle Teilnehmerinnen des Weltjugendtags religiös und entsprechend nicht an sexuellen Kontakten interessiert sind: Danny und Hiçem fragen eine junge Frau, ob sie „sehr gläubig“ sei und deren Antwort „naja . nicht so“ eröffnet zumindest die kurzzeitige Möglichkeit, sie im Hinblick auf ein weiteres Kennenlernen anzusprechen. Nachdem auch die Annäherungsstrategien von Salvatore und Marcello (Verteilen von Kuchen) beschrieben wurden, endet der Beitrag mit einem Hinweis auf die mögliche Inkorrektheit der von den jungen Frauen weitergegebenen Mobiltelefonnummern bzw. einem ironischen „Ja Halleluja“ von Markus Lanz.
136
Das Populäre als ausgelassenes Feiern
Was mit diesem Beitrag greifbar wird, ist ein umfassendes Ironisieren der religiösen Aspekte des Weltjugendtags. Charakteristisch dafür ist, dass religiöse Bezüge nur noch als Referenzpunkte für Wortspiele auftreten und die Suche nach sexuellen Erlebnissen Kern der Berichterstattung wird. Die Art, wie die sich auf Mädchensuche befindenden Schüler dabei inszeniert werden, hat Bezüge zu populären Formen der Migranten-Comedy, wie sie etwa vom ComedyDuo „Erkan und Stefan“ bekannt gemacht wurde, indem deren Wortwahl und Sprachausdruck klischeehaft inszeniert werden. Mit Beiträgen wie diesem wird in ihrer spielerischen Ironisierung ein weiterer Schritt der populärkulturellen Einbettung des Weltjugendtags vollzogen. Letztlich durchbrechen sie die in der Berichterstattung zur Stimmung und Atmosphäre sonst zu findenden religiösen Rahmungen und verorten den Weltjugendtag statt dessen im Diskurs einer allgemeinen populärkulturellen Suche nach Vergnügen. Mit der Mediatisierung ist somit das Risiko verbunden, dass das religiöse Großereignis ‚nur noch‘ als Anlass für populärkulturelles Vergnügen mit einem ‚gewissen religiösen Kick‘ erscheint. Die in diesem Kapitel analysierten vielfältigen Beispiele verdeutlichen insgesamt, wie sich in der thematischen Verdichtung des Populären eine Mediatisierung des Weltjugendtags manifestiert: Bei der Repräsentation des Populären rückt ein ‚ausgelassenes Feiern‘ in den Vordergrund und es werden vielfältige Bezüge zu anderen Bereichen der Populärkultur hergestellt. Vor diesem Hintergrund können wir zusammenfassend folgende beiden Punkte zum Populären des Medienevents Weltjugendtag festhalten: 1. Populärkulturelle Berichterstattungsmuster: Mehrfach haben wir in unseren Analysen herausgearbeitet, dass die Darstellung populärer Momente des Weltjugendtags Kommunikationsformen heutiger Populärkulturen aufgreift. Mediatisierung bedeutet hier, dass solche Aspekte des Religiösen mit gleichen Mustern berichterstattet werden, wie sie allgemein aus der populärkulturellen Berichterstattung bekannt sind. In diesen Momenten sind es dieselben exzessiven Sprachgebrauchsweisen, dieselben Boulevard-Formate und dieselben (Fernseh-)Bilder des Feierns – bis hin zu Schnitt- und Montagetechnik –, die das Populäre des Medienevents Weltjugendtag prägen. Dies betrifft vor allem die Medienberichterstattung in Deutschland, mit wesentlich deutlicheren (und affirmativeren) Religionsbezügen aber auch in Italien. 2. Allgemeiner populärkultureller Horizont: Diese Anmerkungen verweisen auf den zweiten Punkt, den man unseres Erachtens in Hinblick auf das Populäre betonen muss, nämlich dass mit Aufgreifen dieser Kommunikationsmuster eine Einbettung in einem allgemeinen populärkulturellen Horizont erfolgt. Die katholischen Jugendlichen und die von ihnen gelebten, religiösen Lebensweisen
Spielerisches Ironisieren
137
erscheinen nicht als ‚außerhalb‘ des heutigen Lebens, sondern als katholisch geprägte Pendants vielfältiger anderer Jugend- und Populärkulturen. Die Mediatisierung entlang bestehender Muster populärkultureller Berichterstattung zieht entsprechend die kaum hintergehbare Einordnung von Katholizismus in einen populärkulturellen Horizont nach sich, wodurch das Bild einer katholischen Jugendkultur medial konstruiert wird: In der Medienberichterstattung erscheinen die jugendlichen Katholiken in der Tendenz als fröhlich feiernd, allgemein der Welt und auch ihren Vergnügungen zugewandt, sich ihrer kulturellen Herkunft bewusst und gleichzeitig multikulturell offen sowie letztlich geeint durch eine wie auch immer geteilte religiöse Orientierung. Sicherlich ist – wie unsere weiteren Analysen zur medialen Darstellung von Vergemeinschaftungsprozessen und zur Aneignung des Medienevents Weltjugendtag zeigen werden – diese katholische Jugendkultur bei Weitem differenzierter und fragmentierter, als solche Formen medialer Repräsentation nahelegen. Gleichwohl wird die Mediatisierung des Religiösen im Hinblick auf das Populäre des Weltjugendtags insbesondere in der Konstruktion einer solchen katholischen Jugendkultur konkret.
7
Der Papst als Medienberühmtheit
Wie unsere bisherigen Analysen gezeigt haben, bewegt sich der Weltjugendtag als Medienevent im Spannungsverhältnis von sakraler und populärkultureller Medienberichterstattung. Dies wirft die Frage auf, wie das Medienevent als solches ‚zusammengehalten‘ wird. Die Antwort auf diese Frage ist, wie wir in diesem Kapitel zeigen wollen: durch den Papst. Dieser ist unseres Erachtens in diesem Zusammenhang aber weniger als Einzelperson Joseph Ratzinger zu sehen, sondern als Medienberühmtheit Benedikt XVI, die als solche ein Markensymbol des Katholizismus darstellt. Mediatisierung wird in Bezug auf den Papst als dessen Inszenierung als Medienberühmtheit fassbar. Um diese Zusammenhänge zu fassen, bietet es sich an, nochmals Parallelen zu der erwähnten Untersuchung von Knut Lundby (2006) zur Wahl des Bischofs von Oslo im Jahr 2005 zu ziehen. Der Bischof steht nach Argumentation von Lundby an der Schnittstelle zwischen Sakralem und Populärem: Auf der einen Seite agiert er als „sakraler Praktiker“, auf der anderen Seite hängt sein Erfolg von seinem Aufgegriffen-Werden im Populären ab. An dieser Stelle rückt Lundby deutlich die Medien in den Vordergrund. Nach seiner Argumentation sind es diese, über die in gegenwärtigen Kulturen das Sakrale hin zum Populären kommunizierbar wird: In dem Maße, wie sich ein Bischof als „Celebrity“ (Evans 2005) – als Berühmtheit – in den Medien inszenieren kann, gelingt es ihm, das Sakrale selbst im Populären zu kommunizieren. Oder wie es Knut Lundby formuliert: „Ein Bischof in einer religiösen Institution […] ist nicht selbst eine sakrale Person. Jedoch erfüllt die Person, die in der Rolle eines Bischofs handelt, liturgische und repräsentative Aufgaben, die Manifestationen des Sakralen umfassen. Ein Bischof als ein ‚sakraler Praktiker‘ in einer prominenten Position hat die Möglichkeit, Menschen etwas Sakrales zu zeigen. Aber ob dies von diesen als sakral angesehen wird, hängt von der Art und Weise ab, wie sie das, was der Bischof als sakraler Praktiker anbietet, rezipieren.“ (Lundby 2006: 46)
Hier zeichnet sich der Papst in Abgrenzung zu anderen Bischöfen durch einige Besonderheiten aus, die auf dessen Amt verweisen: Der Papst ist – zumindest im Diskurs des Katholizismus – nicht ein Bischof unter vielen, sondern ist als Bischof von Rom Nachfolger des Apostels Petrus. Damit gilt der Papst in der römisch-katholischen Kirche als „oberster Hirte“ und „Stellvertreter Christi auf Erden“. Mit dem Amt des Papstes ist ein herausragendes „Amtscharisma“ verbunden, das an die „spezifische Begnadung einer sozialen Institution als sol-
140
Der Papst als Medienberühmtheit
cher“ (Weber 1972: 675) gekoppelt ist. Der Kern des Amtscharismas ist – wie Winfried Gebhardt (1994: 64) herausgearbeitet hat –, „dass Charisma vollkommen losgelöst von jeder konkreten Person gedacht wird, die das betreffende Amt besetzt, vielmehr allein diesem als sozialem Dauergebilde zugesprochen wird“. Gleichwohl gilt es, dieses Amtscharisma in Bezug auf die jeweilige Person als Amtsträger zu konkretisieren. Hierbei lassen sich drei „Techniken“ (Gebhardt 1994: 67) unterscheiden: Erstens durch rituelle Übertragung des Charismas auf den neuen Amtsträger, wie es bei der Amtseinführung Benedikts XVI geschehen ist; zweitens durch die symbolische Ausstattung des Amtes mit Amtsinsignien – im Falle des Papstes der Papstthron, der Hirtenstab, der Fischerring sowie die liturgischen Gewänder; und drittens durch eine spezifische Schulung oder Ausbildung des Amtsinhabers, um den besonderen Anforderungen des Amtes entsprechen zu können. Wichtig im Rahmen unserer Analyse des Weltjugendtags als einem hybriden religiösen Medienevent erscheinen in Bezug auf diesen letzten Punkt vor allem die „modernen Versuche […], Amtsinhabern mittels von Werbeagenturen, Medien- und Persönlichkeitsberatern massen- und medienwirksame Attribute zuzuschreiben, ihnen eine bestimmte Gestik und Mimik anzutrainieren und mit ihnen bestimmte Redewendungen und Verhaltensweisen einzuüben, die Tat- und Überzeugungskraft, Vertrauen, Ehrlichkeit, vielleicht auch Kompetenz, kurz: Charisma suggerieren sollen.“ (Gebhardt 1994: 68)
Genau hierum geht es beim XX. Weltjugendtag auch: Er war der erste öffentliche Auftritt des ‚neuen Papstes‘ Benedikt XVI nach seiner Amtseinführung, in dem dieser sein (Amts-)Charisma unter Beweis stellen musste. Die Herausforderung war, das Sakrale des Katholizismus in einer Weise zu vermitteln, die es gestattet, einen weiten Bereich des Populären zu erreichen. Indem dies in der Gegenwart der heutigen Medienkulturen bedeutet, als eine Medienberühmtheit zu agieren, muss man – wie auch unsere Analysen in Kapitel 3 gezeigt haben – entsprechende Berater für solche kulturellen Produktionen haben, wenn man Erfolg haben möchte. Dies ist einmal mehr der Fall, wenn die Ausgangssituation so vielschichtig ist, wie im Falle des Weltjugendtags: Der erste Auftritt von Benedikt XVI auf einer Auslandsreise fand nicht nur bei einem Ereignis statt, dessen Anlass sein Vorgänger selbst geschaffen hatte, sondern auch in Benedikts Heimatland. Gleichzeitig war seine Wahl zum Nachfolger Johannes Pauls II in den Medien im Vorfeld kontrovers diskutiert worden. Zusätzlich war der Auftritt beim Weltjugendtag durch die Herausforderung geprägt, dass Benedikts Vorgänger über das Amt hinaus als ein Mensch mit persönlichem Charisma galt, das ihm bei den Jugendlichen, also der Zielgruppe des Weltjugendtags, große Verehrung eingebracht hatte (vgl. Bergmann et al. 1993).
Höhepunkte
141
Wie ist Benedikt XVI auf Ebene der Medienberichterstattung als Medienberühmtheit zu fassen? Unsere bisherigen Überlegungen deuten darauf hin, dass wir die Bezeichnung (Medien-)Berühmtheit oder „Celebrity“ in einer bestimmten Weise verwenden, wonach es sich dabei um eine speziell in den Medien inszenierte persona handelt. Medienberühmtheiten sind in dem Sinne mediatisiert, dass sie jenseits der Medien als Berühmtheit nicht greifbar werden und so eine verschiedenste Einzelmedien übergreifende kulturelle Formation bilden (Turner 2004: 4-9). Solchen Überlegungen folgend lässt sich „Berühmtheit“ („Celebrity“) wie folgt fassen: „Berühmtheit ist entsprechend nur verfügbar im Gesamt der zirkulierenden Texte, die das Image dieser Person schaffen. Sie ist das Ergebnis der Herstellung eines Images, das nur lose mit dem lebenden Individuum verbunden ist, das dessen Bürde trägt […]. Wir können dieses Image die ‚mediatisierte Persona‘ (‚mediated persona‘) einer Berühmtheit nennen. […] Statt einfach die Bedeutung eines einzelnen Textes zu sein, wie eines Films, umfasst die Persona die Zirkulation von Bedeutungen über verschiedene Medien, verschiedene Genres und verschiedene Formate hinweg.“ (Evans 2005: 19)
Selbst wenn die Medien (beispielsweise Münzen, Gemälde, Theaterstücke) andere waren, als die heutigen elektronischen Medien, waren auch historische Berühmtheiten – neben Päpsten beispielsweise Könige oder Kaiser – darauf angewiesen, Medien zu nutzen, um sich als Berühmtheiten zu inszenieren. Medien sind allgemein für die translokale Inszenierung von Berühmtheit zentral, was ebenfalls auf religiöse Berühmtheiten zutrifft (Rojek 2001: 51-68). Entscheidend ist damit nicht die Frage, ob eine Berühmtheit ein mediatisiertes Phänomen ist, sondern vielmehr, wie einzelne Medien zu spezifischen Formen der Inszenierung von bestimmten Berühmtheiten beitragen. Beziehen wir dies auf den Papst, müssen wir aufpassen, ihn nicht als natürliche Einzelperson mit berühmten Eigenschaften zu stilisieren. Wie wir anhand unseres empirischen Materials zeigen werden, fungiert der Papst unabhängig vom Menschen, der das Amt ausfüllt, als Medienberühmtheit und damit als Markensymbol des Katholizismus. Bezogen auf den Weltjugendtag wird es dadurch möglich, dass er als eine ‚kommunikative Klammer‘ das divergente Medienevent zusammenhält, also das Sakrale mit dem Populären verbindet.
7.1
Höhepunkte: Papstberichterstattung im Verlauf
Betrachtet man die Papstberichterstattung entlang der Kategorien Papstprogramm, Papst als Institution und Papst als Person in quantitativer Hinsicht, fällt auf, dass diese Kategorien in Bezug auf Italien und Deutschland mit durch-
142
Der Papst als Medienberühmtheit
schnittlich zwei und im April 2005 sogar etwa 15 Beiträgen pro Monat bereits in der Vorberichterstattung im Vergleich zu den bisher betrachteten thematischen Verdichtungen überdurchschnittlich vertreten sind. In Prozentangaben in Bezug auf die Gesamtmedienberichterstattung ergibt sich folgendes Bild: Abbildung 21:
„Der Papst“ im Verlauf: Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich
% 30
25
20
15
10
5
0
Jan 05
Feb 05
März 05
April 05
Mai 05
Juni 05
Juli 05
Aug 05
Sept 05
Okt 05
D Papstprogramm
0,2
0,1
0,2
1,3
0,2
0,5
1,6
14,1
0,2
0
Nov 05 0
I Papstprogramm
0,2
0,2
0,5
1,6
0,7
0
1,7
27,1
0,2
0,4
0
-- -D Papst als Institution
0
0
0,1
2,3
0
0,2
0,1
8,3
0,7
0,2
0,1
I Papst als Institution
0
0,2
0
3,3
0,9
0,2
0,5
8,4
0,7
0,5
0
D Papst als Person
0
0,1
0,3
1,3
0
0,2
0
7
0,5
0,2
0
I Papst als Person
0,2
0,7
1,6
3,8
0,5
0,2
1,2
6
0,5
0,2
0
-- --
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - D: n=868 / I: n=571 erfasste Beiträge
Dass im April Beiträge zu papstbezogenen Themenfeldern zunehmen, verweist ein weiteres Mal auf den Tod von Papst Johannes Paul II bzw. die Neuwahl von Benedikt XVI. Gleichwohl wird der Weltjugendtag durch eine solche Vorberichterstattung frühzeitig als Ereignis eines Papstbesuches in Deutschland bzw. nach April 2005 als erster größerer öffentlicher Auftritt des frisch gewählten Papstes Benedikt XVI präfigurierend gerahmt. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, in welchem Maße in den von uns untersuchten Medienorganen während der Vorberichterstattung der Weltjugendtag als Papstprogramm begriffen wird. Vor allem in den untersuchten italienischen Medienorganen übersteigen die Beiträge zum Papstprogramm in der Vorberichterstattung deutlich die Zahl der Beiträge zum Teilnehmerprogramm. Der Weltjugendtag wird in beiden Ländern als ‚Papstevent‘ gerahmt – oder anders formuliert: Der Papst dient als Bezugspunkt, entlang dessen das hybride religiöse Medienevent kommuniziert wird.
Höhepunkte
143
In der Hauptphase des Medienereignisses dominiert ebenfalls ein Fokus auf das Papstprogramm, wobei in den analysierten deutschsprachigen Medienorganen eine Beschäftigung mit dem Papst sowohl als Person als auch als Institution einen wesentlich größeren Stellenwert einnimmt als in den italienischsprachigen Organen: Abbildung 22:
„Der Papst“ im Verlauf der Kernphase des Medienevents: Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich n
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
10.8.
11.8.
12.8.
13.8.
14.8.
15.8.
16.8.
17.8.
18.8.
19.8.
22.8.
23.8.
D - Papstprogramm
1
3
2
2
0
9
4
3
19
46
8
9
9
3
I - Papstprogramm
0
2
1
1
2
4
6
13
20
26
20.8.
33
21.8.
25
17
0
D - Papst als Institution
0
1
0
1
2
8
2
5
8
10
5
2
13
3
I - Papst als Institution
0
1
1
2
10
2
2
1
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7
5
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3
D - Papst als Person
0
4
0
1
0
3
1
4
11
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3
I - Papst als Person
0
0
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0
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0
1
5
3
8
1
4
2
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - n = 1439 erfasste Beiträge
Lange Sondersendungen und viele Nachrichtenbeiträge über die Stationen des Papstes auf seiner „Apostolischen Reise“ kennzeichnen die Hauptberichterstattung über den Weltjugendtag. Selbstverständlich beinhaltet der Weltjugendtag viele Veranstaltungen ohne Papst-Anwesenheit, ebenso wie auch das Programm der „Apostolischen Reise“ einige Termine umfasst, an denen keine Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags beteiligt sind. Die Höhepunkte des Papstprogramms, die die Berichterstattung im August dominieren, bilden jedoch die großen sakralen Veranstaltungen, bei denen Papst bzw. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufeinandertreffen. Konkret sind dies die Begrüßungsfeier auf dem Rhein und die großen öffentlichen sakralen Abschlussveranstaltungen. Entsprechend lässt sich der Klimax von Beiträgen über die thematische Verdichtung Papst in den deutschen wie italienischen Medien am 19.8.2005 direkt über das Programm Benedikts XVI erklären: Die Printberichterstattung themati-
144
Der Papst als Medienberühmtheit
siert am 19.8.2005 noch die Geschehnisse vom Vortag von der Ankunft Benedikts XVI am Flughafen Köln-Bonn bis zur abendlichen Fahrt durch Köln, d.h. das gesamte Programm des Papstes, während die TV-Berichterstattung schon den aktuellen Synagogenbesuch und die anschließenden Begegnungen des Papstes mit Vertretern der Muslime und der evangelischen Kirche in Deutschland ebenso wie der Politik aufgreift. In vergleichbarer Weise verweist die erhöhte Berichterstattung am 21. und 22. August 2005 auf die Vigil und den Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld. In der Nachberichterstattung ist das Papstprogramm bzw. der Ablauf der zurückliegenden Reise in deutschen und italienischen Medien nahezu vernachlässigbar. Die Persönlichkeit von Papst Benedikt XVI und seine Rolle als Amtsinhaber werden allerdings auch noch nach Abschluss des Weltjugendtags in einer gewissen Ausführlichkeit thematisiert, in deutschen Medien geringfügig mehr als in italienischen. Konkret bezogen auf den Weltjugendtag als Medienevent heißt das, dass mit einer Inszenierung des Papstes als Medienberühmtheit eine thematische Verbindung der an sich widersprüchlichen sakralen und populären Momente des Weltjugendtags stattfindet. Indem der Papst so als Markensymbol des Katholizismus fungiert, klammert er die an sich widersprüchlichen Aspekte des Medienevents symbolisch. Diese kommunikative Klammerfunktion ergibt sich auf einer ersten Ebene durch die analysierte Fokussierung der Aufmerksamkeit erheblicher Teile der Medienberichterstattung auf den Papst. Betrachtet man die Medienberichterstattung zum Themenfeld Stimmung und Atmosphäre in Bezug auf die thematische Verdichtung Papst, lässt sich konkretisieren, warum der Papst in unmittelbarem Zusammenhang sowohl des Populären als auch des Sakralen verhandelt wird: Beim populären Feiern wird der Papst als dessen Projektionsfigur herausgestellt (siehe Kapitel 6), ebenso wie es der Papst ist, der durch die zentralen sakralen Veranstaltungen führt (siehe Kapitel 5). Gleichzeitig folgt die Darstellung des Verlaufs des Weltjugendtags in unterschiedlichem Maße dem Papstprogramm. So zählen die Höhepunkte des Teilnehmerprogramms, wie etwa die Begrüßungsfeier für Benedikt XVI in der Kölner Innenstadt, die Vigil oder der Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld, zugleich zu den zentralen Stationen der ‚Papstreise‘. Der Papst ist das verbindende Element zwischen Sakralem und Populären, selbst wenn das im Einzelfall nur durch eine ‚Papst-Rahmung‘ eines Beitrags mittels eines Bilds oder einer kurzen Erwähnung oder Ankündigung durch Sprecher, Trailer oder Überschrift geschieht. Ein solcher ‚Papst-Fokus‘ des Medienevents Weltjugendtag ist als allgemeiner Rahmen zu sehen, in den unsere weiteren Analysen zur Mediatisierung des Papstes als Medienberühmtheit einzuordnen sind.
Medienberühmtheit als Markensymbol
7.2
145
Medienberühmtheit als Markensymbol: Kommunikative Klammerung und „branding religion“
Betrachtet man einschlägige Fachliteratur, so wird in dieser herausgestrichen, dass Medienberühmtheiten ein zentraler Verkaufsfaktor sind. Hamish Pringle (2004) bringt es mit seinem Buchtitel „celebrity sells“ auf den Punkt. Dabei argumentiert er, dass Berühmtheiten in Werbekampagnen drei Dinge verbinden, nämlich das „Konsistent-Sein“, „Bedeutend-Sein“ und „Sympathisch-Sein“ (Pringle 2004: 74). Solche Analysen heben darauf ab, dass die heutige ‚Berühmtheitenkultur‘ in den Medien wesentlich weiter geht als Werbung für ein bestimmtes Konsumprodukt zu betreiben. „Celebritisierung“ ist ein generelles Moment heutiger Markenkommunikation. Abbildung 23:
Poster „Bravo Bene!“ der deutschen Jugendzeitschrift Bravo (17. August 2005, Ausgabe 34/06)
Dies trifft auch auf die Inszenierung des Papstes beim Weltjugendtag zu. Wir können den Papst als Markensymbol des Katholizismus begreifen, das auch beim Weltjugendtag die verschiedensten Momente klammert und in verdaubaren und leicht verständlichen ‚Happen‘ kommunizierbar macht. Er steht als mediatisierte persona für die Vielfalt des Katholizismus, dessen unterschiedliche
146
Der Papst als Medienberühmtheit
Glaubensorientierungen, aber auch seine liturgisch-rituellen wie ausgelassenpopulären Momente. Wie solche Prozesse der Inszenierung verlaufen, möchten wir anhand einiger Beispiele weiter konkretisieren. Das erste Beispiel ist das Poster „Bravo Bene!“ aus der deutschen Jugendzeitschrift Bravo (450.000 verkaufte Exemplare im 3. Quartal 2007), das in der Hochphase des Medienevents veröffentlicht wurde. Auf der einen Seite handelt es sich bei diesem Poster um ein religiöses Bild mit sakralen Implikationen: der Papst vor einem tiefblauen Himmeln mit weißen Wolken, seine Hand halb zum Gruß, halb zum Segen hebend. Solche sakralen Momente werden weiter durch seinen glitzernden Fischerring und das leuchtende Kruzifix um seinen Hals betont. Auf der anderen Seite ist das Poster deutlich populärkulturell gerahmt, indem der Stil eines solchen Posters normalerweise mit der Vermarktung eines Musik-, Film- oder Fernsehstars verbunden ist. Durch den informellen Untertitel „Bravo Bene!“ wird eine persönliche Beziehung zur religiösen Berühmtheit Benedikt XVI signalisiert. Der Papst fungiert als ein Symbol der katholischen Kirche, das es gestattet, sowohl das Sakrale als auch das Populäre des heutigen Katholizismus in einem einzelnen Poster auszudrücken. Ein gewisses Pendant hierzu existiert in der italienischen Berichterstattung in Form der Aufmacherseite eines Artikels in der Zeitschrift Gente (440.000 verkaufte Exemplare im 2. Quartal 2008). Unter der Überschrift „B16 trifft die Papa Boys ins Herz“ ist Benedikt XVI – die Hand zum Gruß erhoben – vor einer Menschenmenge und Medienübertragungswagen im Hintergrund zu sehen. Zwar handelt es sich bei der Abbildung der Zeitschrift Gente im Gegensatz zur Bravo um kein entsprechend aufbereitetes Poster, ähnliche Momente sind aber deutlich: Im Zentrum steht der Papst als katholischer Würdenträger, wiederum mit vollen Insignien seines Amtes, im Vorfeld der sakralen Hauptveranstaltung des Weltjugendtags. Der Bildhintergrund mit den Teilnehmern, Medienvertretern und Absperrungswänden erinnert – abgesehen von den Geistlichen in der ersten Reihe – eher an die Kulisse eines Popkonzerts denn an eine sakrale Veranstaltung. Unterstrichen wird dies durch den Titel des Beitrags, der die bei Jugendlichen etablierte Abkürzung „B16“ aufgreift und die Bezeichnung „Papa Boys“ für die papstbegeisterten Jugendlichen. Um dieses zentrale, zwei Drittel einer Doppelseite einnehmende Bild herum gruppiert sind in dem Beitrag verschiedene weitere Bilder sowohl des Populären (Fahnen schwenkende bzw. erschöpft schlafende Teilnehmerinnen und Teilnehmer) als auch des Sakralen (ein segnender Papst). Auch bei dieser Visualisierung geht es darum, die Vielfalt des Populären und Sakralen mit symbolischem Fokus auf die Medienberühmtheit Papst zu verbinden. Der Papst steht ‚markenhaft‘ für den Katholizismus und dessen verschiedenste Aspekte beim Weltjugendtag.
Medienberühmtheit als Markensymbol Abbildung 24:
147
Aufmacher „B16 trifft die Papa Boys ins Herz“ der italienischen Boulevardzeitschrift Gente (1. September 2005, S. 32)
Eine solche ‚Klammerung‘ unterschiedlicher Aspekte des Medienevents ist ebenso für die Fernsehberichterstattung charakteristisch. In dieser ist der Bezug auf den Papst das Moment, durch das Beiträge ‚zusammengehalten‘ werden, die im Aussagekern teilweise widersprüchliche Foki setzen. Betrachtet man hier als erstes die ARD-Berichterstattung, fällt auf, dass der Ablauf der „Apostolischen Reise“ Benedikts XVI nicht nur als Einstieg für die Weltjugendtagsberichterstattung genutzt wird, sondern diese den roten Faden bildet, um populäre und sakrale Momente in Köln bzw. damit zusammenhängende Themen aufzugreifen. Beispiele wären neben dem eigentlichen Geschehen des Weltjugendtags der interreligiöse Dialog mit Judentum und Islam oder die Diskussion um Abtrei-
148
Der Papst als Medienberühmtheit
bung und Empfängnisverhütung. Kürzere Nachrichtenbeiträge zielen vor allem auf die Darstellung und Erläuterung des päpstlichen Besuchsprogramms und auf das Phänomen der Papstbegeisterung. Ein weiteres wichtiges Element der Papstberichterstattung sind Porträts und Charakterisierungen von Benedikt XVI durch Reporter, Interviewpartner und Teilnehmende. Beispiele sind etwa die Livesendungen der ARD aus dem Domstudio in Köln mit den erwähnten WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn und Vatikan-Experten Pater Eberhard von Gemmingen (siehe Kapitel 5). In diesen geht es nicht nur um den Papst als Person, seine „Lockerheit“, „Freundlichkeit“ und auch „Spontaneität“ in der Begegnung mit den Jugendlichen vor Ort. Darüber hinaus setzt sich die ARD-Berichterstattung mit dem Amtsverständnis Benedikts XVI, seiner allgemeinen kirchenpolitischen Ausrichtung und seinem Pontifikat auseinander. Die kommunikative Klammerung des Weltjugendtags durch den Papst konkretisiert sich weiter in der abwechslungs- und umfangreichen sowie um atmosphärische Dichte bemühten Berichterstattung über die Stimmung unter den Weltjugendtagsteilnehmern und ihr „Pilgerprogramm“. Vor allem im Rahmen der verschiedenen Magazinsendungen der ARD wie „Morgen-“ und „Mittagsmagazin“ bzw. „Brisant“ wird die Begegnung mit dem Papst als Ziel der jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ‚aller Welt‘ beschrieben, indem über ihre Vorfreude und Erwartungen an die Begegnung mit dem neuen Papst oder aber die ‚bereichernde Erfahrung‘ dieses Erlebnisses berichtet wird. Das Erlebnis ‚Papst-Sehen‘ wird somit zum Fokus des Weltjugendtags stilisiert, auf das sich, auch wenn es meist auf kurze Sekunden aus weiter Ferne beschränkt bleibt, die gesamte „Pilgerreise“ zuspitzen lässt. Dabei fällt auf, in welchem Maße die ARD-Berichterstattung über die Weltjugendtagswoche in Bezug auf den Papst positiv geprägt ist. Anders als in weiten Teilen der Printberichterstattung, wo im Vorfeld skeptisch auf die bevorstehende Begegnung des neuen Papstes mit der Jugend Bezug genommen wird, wird die Begeisterung der Jugend selten kritisch hinterfragt bzw. werden kritische Beitragstexte und Fragen von den visuellen und akustischen Eindrücken der jubelnden Pilgerscharen überlagert. Eine Ausnahme bildet die Thematisierung der Diskussion um die kirchliche Sexualmoral, die auf einen Widerspruch zwischen den offiziellen Standpunkten des Papstes und der gelebten Praxis der Jugendlichen zugespitzt wird. So lässt etwa das „Morgenmagazin“ der ARD und des ZDF regelmäßig einen Vertreter der papstkritischen Jugendorganisation „Wir sind Kirche“ zu kontroversen Fragen wie Empfängnisverhütung oder Frauenordination zu Wort kommen. Eingebettet in die Vielfalt der Themen und Berichte und in die Flut der Fernsehbilder fröhlich feiernder junger Menschen verliert diese Position aber an Schärfe. Sie wird zu einer der vielen möglichen Positionen und damit für ein positives Welt-
Medienberühmtheit als Markensymbol
149
jugendtagserlebnis ebenso wenig bindend wie die offiziellen Positionen der katholischen Lehre. Die Berichterstattung von RTL ist ebenfalls papstzentriert. Die Analyse von Papst Benedikts Rolle als Amtsinhaber tritt aber stärker zurück gegenüber der Charakterisierung seiner Person, wobei auf seine anfängliche Schüchternheit und seine verlegenen Reaktionen auf die Begeisterungsrufe und „Benedetto“-Gesänge abgehoben wird. Über den Papst, seine Persönlichkeit und sein Programm wird der Weltjugendtag verglichen mit der ARD stärker als Party mit christlichem Motto und geistlichen Erlebnisinhalten inszeniert, bei der es um die ‚Mitnahme‘ des päpstlichen Segens geht. In der RTL-Berichterstattung werden bezogen auf den Papst als Medienberühmtheit teils kuriose Vergleiche zwischen populären und sakralen Momenten hergestellt. So wird bspw. das Gedränge vor dem Dreikönigs-Schrein im Kölner Dom mit der Platznot im Kölner Hauptbahnhof verglichen – die ‚Klammer‘ bleibt aber der Papst, indem er für alles als Einladender ‚verantwortlich‘ sei. Noch konkreter werden solche Zusammenhänge an der Sondersendung „Live aus Köln“ am Tag der Ankunft des Papstes. Dietmar Heeg (Deutsche Bischofskonferenz) charakterisiert den Papst in der RTL-Livesendung explizit als die Verbindung der Jugendlichen zwischen Party und Gebet. Dies seien die konstituierenden Bausteine des Weltjugendtags: Auf der einen Seite das Feiern der Jugendlichen und auf der anderen Seite die christliche Stille des Gebets. Benedikt XVI zeige, wozu die Jugend neben dem Feiern noch nach Köln gekommen ist, indem er lange am Dreikönigs-Schrein und am Tabernakel betet. Diese Brücke zu schlagen, so Heeg bereits vor Ablauf des ersten Tags des Papstbesuchs, sei dem Papst in Köln gelungen. Benedikt bringe die Verbindung dieser beiden Aspekte gut auf den Punkt („RTL Aktuell“ 18.8.05: 18:45). Die Fernsehberichterstattungsmuster ähneln sich damit in Bezug auf den Papst in etlichen Punkten: Der Fokus beider Sender ist papstzentriert und liegt auf einer positiven Berichterstattung, problematische Themen werden seltener angesprochen. Differenzen ergeben sich in den ‚bunten Geschichten‘, die im Bereich des Populären angesiedelt sind. RTL kreiert teils kuriose Beiträge, bspw. über einen Papst-Doppelgänger aus Pappe (RTL „Punkt 6“ 18.8.05: 6:00). Solche Geschichten, für die der Papst als Aufhänger dient und die jeglichen Bezug zu den religiösen Inhalten des Weltjugendtags verloren haben, sucht man bei der ARD vergebens. Obwohl die ARD den Weltjugendtag umfassender und differenzierter als RTL behandelt, bleibt aber auch hier der Fokus der Berichterstattung – geht es um Populäres oder Sakrales – auf den Papst bestehen. Mit Blick auf Italien lässt sich feststellen, dass die Fernsehberichterstattung dort noch um einiges stärker auf den Papst zentriert ist als in Deutschland. Ins Gewicht fällt dabei, dass es die Vielfalt an Magazinsendungen, wie wir sie aus
150
Der Papst als Medienberühmtheit
dem deutschen Fernsehen kennen, im italienischen Fernsehen nicht gibt. Sieht man von den Liveübertragungen der sakralen Höhepunkte und den drei Sonderausgaben der kirchlichen Magazinsendung „A Sua Immagine“ auf RAI 1 ab, konzentriert sich die Weltjugendtagsberichterstattung in beiden von uns untersuchten italienischen Fernsehkanälen auf die Fernsehnachrichten. Darin setzt sich ein Trend fort, der sich in der Presseberichterstattung angedeutet hat: Im Fokus der Papst- bzw. Weltjugendtagsberichterstattung von RAI I und Canale 5 stehen die Inhalte der päpstlichen Ansprachen. Dabei lässt sich der Tenor ebenfalls als positiv beschreiben, kritische Stimmen kommen nicht zu Wort. Ebenso findet keine tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den theologischen Inhalten statt, etwa im Hinblick auf mögliche Differenzen und Widersprüche zwischen jugendlicher Sexualmoral und kirchlicher Dogmatik. Es bleibt vielmehr bei einer Wiedergabe der Kernaussagen aus den Ansprachen, die damit zum Ausgangspunkt und Bezugsrahmen für die Auseinandersetzung mit anderen Themenfeldern des Weltjugendtags werden. Dies betrifft vor allem den ökumenischen Dialog und die Frage, wie sich die Beziehung zwischen dem Kirchenoberhaupt und den Jugendlichen im Laufe der Begegnungen in Köln entwickeln wird. Deutlich wird das in folgender Livereportage von der Willkommensfeier aus den Abendnachrichten auf RAI I: Transkript 11: RAI 1 Telegiornale (18.8.05: 20:00) – „Der Papst und die Jugend“ Zeit
Bild
Ton
0:02:25
HT: Fahrzeugkolonne des Papstes fährt vor; re im VG ein Polizist an den Absperrungen sowie mehrere Streifenwagen
Reporter Piero Badaloni: das Auto des Papstes . verlässt die Residenz des Erzbischofs um 16 Uhr 30
0:02:29
HT: Papst läuft grüßend über eine Brücke (direkt an einem Fotografen vorbei), hinter ihm eine Gruppe Geistlicher
wenige Minuten und der Papst ist auf dem Schiff zusammen mit 200 Jugendlichen jeder . mit der Flagge des eigenen Landes
0:02:34
HT: Eingang zum Schiff; auf Deck ein buntes Fahnenmehr
_so zahlreich_ sind die Heimatländer der Papaboys die den Katamaran umgeben
0:02:38
T: Bäume, im HG der Rhein, darauf halb verdeckt das Schiff
auf dem Benedikt XVI zu Gast ist . fünf Schiffe wie die fünf Kontinente ((Gesänge))
Medienberühmtheit als Markensymbol
151
0:02:40
T (Überblendung): Oberdeck; im VG die Spitze des WJT-Kreuzes, dahinter eine Gruppe Jugendlicher auf Stühlen; im HG einige Schiffe auf dem Rhein
die jenes Kreuz durchquert hat bevor es in Köln angekommen ist . der Papst ((Gesänge))
0:02:45
T: Benedikt sitzt etwas erhöht in einem Sessel und spricht mit Jugendlichen, die teilweise in Tracht in einigem Abstand um ihn herum am Boden sitzen
setzt sich zunächst um die Ansprachen der Jugendlichen zu hören die Begrüßung durch Kardinal Meisner . den Erzbischof von Köln ((Gesänge und Jubel))
0:02:50
N: Kardinal Lehmann und Kardinal Meisner singend
dann steht er auf und geht zum _Bug_ des Schiffs ((Gesänge))
0:02:52
T: Benedikt hebt stehend die Hände zum Gruß, umringt von am Boden sitzenden Jugendlichen
er steht . allein . und segnet die Jugendlichen die sich zu Hunderten ((sakrale Musik))
0:02:57
T (Kamerafahrt von re nach li entlang Jugendlicher): die mit Fahnen und Transparenten das Rheinufer säumen, viele stehen weit im Wasser
am Rhein drängen . seit sechs Stunden warten diese Jugendlichen auf sein Vorbeifahren seit drei Tagen sind sie aus der ganzen Welt in die Stadt gekommen um ihn zu treffen . sie haben sich vorbereitet indem sie in den Kirchen von Köln gebetet und auf den Straßen gesungen und getanzt haben ((Benedetto! Benedetto! -Rufe)) Badaloni: jetzt . ist der Moment auf die Einladung des Papstes zu antworten der sie aufgefordert hat gemeinsam Jesus anzubeten wie ((Jubelschreie, Klatschen))
0:03:17
G: Benedikt XVI, lächelnd, im Profil
vor 2000 Jahren die Heiligen drei Könige . und sie machen keinen Rückzieher
Zu sehen ist hier, wie der Kommentar gegen Ende der Passage auf die Botschaft des Papstes an die Jugendlichen zugespitzt und damit sowohl das Feiern der Jugendlichen als auch deren Begegnung mit dem neuen Papst in einen religiösen Kontext gestellt werden. In der italienischen Fernsehberichterstattung konkretisiert sich die Klammerfunktion des Papstes somit als eine explizit religiöse. Wie in Deutschland
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Der Papst als Medienberühmtheit
fungiert das Besuchsprogramm Benedikts XVI als Einstieg in und roter Faden durch die Berichterstattung. Der Fokus der Berichterstattung richtet sich aber weniger auf das ‚Papst-Erleben’ der Teilnehmenden an sich als auf die damit verbundenen religiösen Botschaften, die zum gemeinsamen und unhinterfragten Referenzpunkt der am Weltjugendtag Beteiligten stilisiert werden, ohne jedoch weiter theologisch diskutiert zu werden. Wir können damit bei bestehenden Einzeldifferenzen sowohl für die italienische als auch deutsche Fernsehberichterstattung festhalten: Sie ist auf den Papst fokussiert, der als Medienberühmtheit die verschiedenen Aspekte des Medienevents verbindet und dabei scheinbar Widersprüchliches in eine ‚Gesamterzählung‘ integrierbar macht. Solche Analysen konkretisieren sich weiter auf der Mikroebene der Moderation von Beiträgen zum Weltjugendtag in Magazinsendungen. Exemplarisch wollen wir dies an folgendem Detailbeispiel aus der RTL-Sendung „Punkt 12“ betrachten: Transkript 12: RTL Punkt 12 (19.8.05: 12:00) – „Papst als Klammer: Idol“ Zeit
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0:00:52
HT – N: Zoom auf die Moderatorin Ilka Essmüller im Studio
Essmüller: Guten Tag und herzlich Willkommen zu Punkt 12 .. Tag 2 des Papstbesuchs in Deutschland und Benedikt XVI hat die Herzen von hunderttausenden Jugendlichen auf einen Schlag erobert . der Papst lächelt . und die Massen toben . Benedettos Tour geht weiter in diesen Minuten besucht er die Synagoge in Köln . ein großes Symbol der Versöhnung .. was ist es was die Menschen an ihm so begeistert? . wir haben mit einem jungen Pilger gesprochen der Benedikt gestern von Angesicht zu Angesicht getroffen hat . Christoph Bökamp berichtet
0:01:22
A (Kameraschwenk einmal die Runde hin und zurück): Jugendliche stehen im Kreis, singen, machen die LaOla-Welle; einer hat eine Deutschland-Fahne mit Niedersachsen-Wappen im Arm;
Bökamp: sie werden einfach nicht müde . der zweite Tag in Deutschland für den deutschen Papst und die Pilger singen sich immer noch heiser ((Gesänge der Jugendlichen im HG))
Medienberühmtheit als Markensymbol
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0:01:30
HN-HT (Kameraschwenk und Zoom): Gruppe junger Männer; einer spielt Gitarre, die anderen singen; der Gitarrist hat eine Italien-Fahne als Umhang
der Papst wird von der Jugend gefeiert wie ein Popstar ((Gesänge der Jugendlichen))
0:01:37
N: junge blonde Frau, im Hintergrund Pilger mit verschiedenen Nationalflaggen, im Vordergrund die Mikrofone von RTL/N24
Junge Frau: er hat so ein Leuchten in den Augen ((lacht))
Bei diesem Ausschnitt handelt es sich um die Anmoderation des ersten Beitrags des RTL Mittagsmagazins „Punkt 12“ vom 19.8.2005. Eingeleitet wird der Beitrag durch eine Beschreibung des Weltjugendtags als „Papstbesuch in Deutschland“ bzw. „Benedettos Tour“. Dabei wird das Verhältnis von Papst und Teilnehmerinnen bzw.Teilnehmern auf die Formel gebracht: „der Papst lächelt und die Massen toben“. Diese Formel lässt sich als Charakterisierung des Aufbaus der Gesamtbeiträge zum Weltjugendtag der RTL „Punkt 12“-Sendung begreifen: Die Medienberühmtheit des lächelnden Papstes ist es, die durch diesen führt. So schließt sich an die Anmoderation ein Beitrag an, in dem es um das populäre Feiern auf dem Weltjugendtag geht bzw. die Haltung der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Papst als Idol: „der Papst wird von der Jugend gefeiert wie ein Popstar“. Im Anschluss findet sich folgende Moderation: Transkript 13: RTL Punkt 12 (19.8.05: 12:00) – „Papst als Klammer: Religionsführer“ Zeit
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0:03:32
HN: Live-Schaltung zum Dom mit Essmüller in linker Bildhälfte und Oliver Sonnen in rechter Bildhälfte
Essmüller: Ja und wir schalten live zu Oliver Sonnen vor dem Kölner Dom . Oli was macht Papst Benedikt XVI . im Moment ((leises Glockenläuten)) Sonnen: Nun Ilka
0:03:40
HN: Sonnen mit Kölner Dom und menschengefülltem Domvorplatz im Hintergrund
die historischen Momente im zumindest noch jungen Papstleben des Benedikt XVI die reißen einfach nicht ab . vor wenigen Minuten . hatte der Pontifex Maximus als erster deutscher Papst .
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Der Papst als Medienberühmtheit T: Papst steigt vor Synagoge aus dem Auto und wird begrüßt, in der linken Bildhälfte Sonnen nach wie vor klein eingeblendet
als zweiter überhaupt nach Johannes Paul 1986 eine Synagoge betreten . ein deutscher Papst in den Mauern einer Synagoge auf deutschem Boden dem Land des Naziterrors
Direkt durch die Anmoderation der Livereportage mit der Frage, was Papst Benedikt XVI „im Moment“ mache, bleibt auch in diesem Beitrag von Oliver Sonnen der Papstfokus bestehen. Gleichwohl rückt aber der Papst als Religionsführer in den Vordergrund, der an betreffendem Morgen die Kölner Synagoge besucht und kirchenpolitisch ein Symbol der Versöhnung kommunizierte hatte. Im Verlauf der Sendung folgt ein weiterer Reportageblock von Oliver Sonnen, in dem dieser über das populäre Feiern der Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichtet (siehe zu dessen Analyse Kapitel 6). Was an diesem Detailbeispiel der Moderation in nur einer Nachrichtenmagazinsendung nochmals im Kleinen greifbar wird, ist, wie eine ‚Klammerung des Unterschiedlichen‘ durch einen Papstfokus allgemein vonstatten geht: indem der Papst in der Moderation das verbindende Element der Vielfalt des Weltjugendtags bildet. Wir können solche Ergebnisse der Analyse der visuellen Zeitschriften- und Fernsehberichterstattung dahingehend interpretieren, dass der Papst als Medienberühmtheit auf ähnliche Weise für ein klammerndes „branding“ genutzt wird, wie wir es vom Einsatz von Medienberühmtheiten bei anderen karitativen Organisationen her kennen. Die Parallelen sind frappierend, wenn wir unsere Analyseergebnisse mit denen von Jessica Evans (2005: 39-44) zum Einsatz von Medienberühmtheiten bei Werbekampagnen von Oxfam International vergleichen. Oxfam ist eine unabhängige Hilfsorganisation zur internationalen Bekämpfung von Armut, deren Name auf das 1942 gegründete „OXford Committee for FAMine Relief“ zurückgeht. In den aktuellen Oxfamkampagnen stehen Medienberühmtheiten mit ihrem Engagement gegen Armut im Mittelpunkt, wobei Informationen über deren Privatleben und ihre weiteren Karrierevorstellungen mit ihrem karitativen Engagement in Beziehung gebracht werden. Die Funktion von Medienberühmtheiten in diesen Kampagnen ist, die komplexen ökonomischen und politischen Argumente in leichter verständlichen Informationshappen zu kommunizieren. Dabei zielt Oxfam darauf ab, eine Verbindung zwischen karitativem Engagement und jeweiliger Medienberühmtheit dauerhaft zu inszenieren. Dies hat – so zumindest die Hoffnung – klare Werbeeffekte: „in effect the celebrity becomes a branding device“ (Evans 2005: 42). Auch wenn der Weltjugendtag ein hochgradig vielfältiges Geschehen ist und verschiedenste Fassetten des Populären und Sakralen an ihm greifbar wer-
Fassetten der Medienberühmtheit
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den, bleibt er als ein religiöses Hybridevent inszenierbar, indem der Papst als Medienberühmtheit die Möglichkeit bietet, all diese unterschiedlichen Momente zu integrieren. Der Papst gestattet es der katholischen Kirche, den Kern ihres Religionsangebots – ihr ‚ureigenes Kompetenzgebiet‘ – zu kommunizieren und sich pointiert im Markt der verschiedenen Religionsangebote zu positionieren. Er wird so zum Markensymbol nicht nur für die Institution der katholischen Kirche („oberster Hirte“), sondern auch für die Gemeinschaft des Katholizismus insgesamt („Stellvertreter Christi auf Erden“). Die Inszenierung des Papstes ermöglicht es, gleichzeitig den Kern des Katholizismus zu kommunizieren und die Differenziertheit seiner verschiedensten individuellen, gruppenbezogenen, regionalen usw. Ausprägungen einzubeziehen.
7.3
Fassetten der Medienberühmtheit: Staatsmann, Idol, Religionsführer und Privatmensch
Ausgehend von unseren bisherigen, eher übergreifenden Analysen zur Medienberühmtheit Papst wollen wir die unterschiedlichen Fassetten seiner Inszenierung näher fokussieren. Beginnen wir hier mit dem Printbereich und dabei Deutschland, fällt auf, dass sich durch alle deutschsprachigen Organe eine Betitelung von Benedikt XVI als „Star“ des Weltjugendtags zieht, die sich allerdings verschieden konkretisiert. Dies dokumentiert nicht nur seine herausragende Stellung als Fokus der Veranstaltung, bei der er wie ein Staatsmann begrüßt wird, sondern auch die Popularität, die ihm von Seiten der Medien zugesprochen wird: Die Jugendlichen drücken – so die medialen Konstruktionen – ihre Begeisterung durch „fanähnliches Verhalten“ aus, das in der Medienberichterstattung durch die Titulierung des Papstes als Fußball-, Pop- bzw. Rockstar gefasst wird. So schreibt etwa die taz: „Es hat etwas von einem Champions-League-Finale: Hunderttausende Menschen in der Stadt, die meisten mit dem gleichen Emblem auf T-Shirt, Hut oder Schal. Fahnen und verstopfte U-Bahnen. Vor allem aber Schlachtgesänge in typischer Stadion-Manier: Bene-de-tto (zweifaches, dann vierfaches Klatschen) Be-ne-de-tto. Nun, Benedetto ist kein genialer brasilianischer Mittelfeldspieler, sondern ein alter Mann, der morgen nach Köln kommen wird [...].“ (taz 17.8.05: 2)
Im Stil der Bild-Zeitung lautet dies wie folgt: „Der Papst ist populärer als Robbie Williams und Britney Spears. [...] Benedikts Erfolgsgeheimnis: Er hat Starqualitäten entwickelt. Wie ein guter Musiker trifft er genau den Ton.“ (Bild Köln 18.8.05: 16)
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Der Papst als Medienberühmtheit
Exakt eine solche Betitelung wird in der FAZ, ohne den Tatbestand der ‚PapstBerühmtheit‘ als solchen zu bestreiten, kritisiert, wenn man davon spricht, dass das Kirchenoberhaupt „gedankenlos zum Popstar hoch- oder besser niedergeschrieben“ (FAZ 22.8.05: 13) wird. Die Artikulationen dieses „Celebrity“-Phänomens unterscheiden sich damit zwischen den einzelnen Print-Organen zwar in der Wertung des Ganzen, sie treffen sich aber in der gemeinsamen Thematisierung des Idol-Charakters und damit einmal mehr der medialen Konstruktion seiner Berühmtheit. Auch die kirchliche und kirchennahe Presse trägt zum Status der MedienBerühmtheit von Benedikt XVI bei. Dies geschieht allerdings in einer anderen Weise, nämlich mit stärkerem Fokus auf das Sakrale bzw. den Papst als Religionsführer. So veröffentlicht das kirchliche Jugendmagazin X-mag zur Vorbereitung des Weltjugendtags im Mai 2005 eine Sonderausgabe über den kürzlich inthronisierten Benedikt XVI, in der auch das Papstprogramm des Weltjugendtags in einem Hauptbeitrag thematisiert wird. Als Überschrift eines Artikels dient der in der Medienvorberichterstattung über den Weltjugendtag – ebenfalls in den profanen Medienorganen – viel zitierte Satz, den der neu gewählte Papst zu Kardinal Meisner unmittelbar nach seiner Wahl im April 2005 gesagt haben soll: „Du, ich komm‘ nach Köln!“. Im Artikel geht es dann um das sakrale „globale Glaubensfest“, wobei eine kulthafte Papstbegeisterung unterstellt wird: Nicht einfach der Papst, sondern „Benedetto, Benedetto!“ (X-mag Mai 2005: 44) kommt nach Köln. Auch die August/September-Ausgabe des X-mag stellt den Papst als Berühmtheit des Medienevents ins Zentrum der Berichterstattung. Diese Ausgabe des vom Weltjugendtagsbüro selbst herausgegebenen Heftes ist komplett dem Weltjugendtag gewidmet und zeigt auf dem Titelbild lachende „Pilgerinnen“ mit einem Papst-Fähnchen und den Jubelruf „Beee-ne-det-to!“, den das X-mag zum „Soundtrack des Weltjugendtags“ (X-mag August/September 2005) erklärt. Auch damit wird der Idol-Charakter Benedikts in den Vordergrund gerückt. Die Schlagzeile dieser Ausgabe „1 Million Jugendliche aus aller Welt feiern ihren Glauben und haben einen neuen Star: Papst Benedikt XVI“ zeigt exemplarisch die Fokussierung auf den Papst, der als Idol von den Jugendlichen mit Sprechchören und lautem Jubel verehrt wird. Und obwohl eine Rubrik des Hefts „Die Stars seid Ihr!“ heißt – womit die jugendliche Zielgruppe des Weltjugendtags und des Magazins angesprochen ist – liegt der Fokus in dieser Rubrik eindeutig auf dem Papst, dem eine „Volksnähe“ und menschliche Züge zuerkannt werden. Er scheint als Privatmensch zu interessieren. In den Worten einer zitierten „Pilgerin“: „Der Papst ist so unglaublich menschlich“ (X-mag August/September 2005: 6-7).
Fassetten der Medienberühmtheit
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Ähnliches, was wir für die deutsche Printberichterstattung argumentiert haben, lässt sich für die italienische zeigen. Zwar wird der Papst in der italienischen Presse nicht in dem Maße zum Popstar stilisiert, wie das in einigen der deutschen Medien geschieht. Lediglich der Corriere della Sera spricht explizit davon, dass er bejubelt wurde „wie ein Rockstar bei Woodstock“ (Corriere della Sera 19.8.05: 4). Gleichwohl zielt ein großer Teil der Papstberichterstattung in den italienischen Presseorganen auf die Popularität des Papstes. Nach dem Muster des Vergleichs zwischen Amtsinhaber und Vorgänger geht es in erster Linie um den eigenen charakteristischen „Stil“ des „Neuen“. Passagen wie die folgende aus dem Corriere della Sera finden sich immer wieder. Unter der Überschrift „Er ist ein echter Papst, kein Vize“ kommentiert Vittorio Messori den Auftritt Benedikts XVI in Köln mit den Worten: „Wir kannten das Befremden Ratzingers gegenüber Massenveranstaltungen, gegenüber der Stadionatmosphäre, dem Wirbel um einen gewissen ‚Gitarren-Katholizismus’. Ein postmoderner Intellektueller, groß geworden in einer Kultur eines Deutschlands, das alle anti-christlichen Ideen entwickelt hat [..]. Wie soll man ihn sich in seinem Alter denken in dem munteren Chaos der Fahnen, Rucksäcke, Schlafsäcke, aufgeregten Jugendpfarrer? Tatsächlich hat Benedikt XVI, einer ersten Bilanz zufolge, die Herausforderung gemeistert, gut gemeistert. Und es ist selbstverständlich sein Verdienst. Er der er keine Gelegenheit ausgelassen hat, an seinen ‚verdienten Vorgänger’, wie er ihn immer genannt hat, zu erinnern, der aber auch nicht versucht hat, sich an dessen einzigartigen Stil anzupassen [..]. Er hat den Mut gehabt, er selbst zu sein, mit diesem seinem offenen fast achtzigjährigen Knabengesicht, mit seinem strebsamen Ernst, seinem Argwohn aus Schüchternheit, seinen zurückhaltenden Gesten, seiner leisen Stimme des Lehrenden und Vortragenden, seinem verhaltenen Lächeln, nicht des Showman sondern des zutiefst liebenden Vaters [..]. Die Jugendlichen haben es verstanden und würdigen ihn, wie wir glauben, gerade deshalb.“ (Corriere della Sera 22.8.05: 19)
Ähnlich wie in der deutschen Presse wird der Applaus der Anwesenden als Gradmesser für die ‚Beliebtheit’ des Papstes bei den Jugendlichen herangezogen: „Am herzlichsten sind die Italiener mit ihm. ‚Benedetto!’ skandieren sie seit dem Flughafen. Aber auch die Deutschen bringen ihren Stolz über den ersten Landsmann zum Ausdruck, der seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem weltweiten Amt bekleidet ist.“ (Corriere della Sera 19.8.05: 5)
Nicht nur von einer „Generation Ratzinger“ (La Repubblica 17.8.05: 14) ist in diesem Zusammenhang die Rede, sondern es wird, wie im obigen Zitat anklingt, auch das (schwierige) Verhältnis des Papstes zu seinem Heimatland in der italienischen Presseberichterstattung ausführlich thematisiert. Im Vordergrund stehen aber die Persönlichkeit des Papstes, seine Wesenszüge und äußeren Merkmale, durch die er sich von seinem Vorgänger unterscheidet und die – so die Interpretation der italienischen Journalisten – bei seiner „zweiten Taufe“ (La Repubblica 19.8.05: 1), nämlich der durch die Jugendlichen, zum Erfolgsfaktor wurden.
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Der Papst als Medienberühmtheit
In der kirchlichen und konservativen Presse wird gerade das Nicht-Starhafte seines Auftretens herausgearbeitet, durch das er als religiöse Führungsfigur an Glaubwürdigkeit und Authentizität gewinnt: „Ratzinger ist sich der Krise der Leute, die die Frage nach dem Sinn quält, bewusst. Einem Europa, dass von Jahr zu Jahr 50.000 Selbstmörder begräbt, vor allem Jugendliche, […] bietet Ratzinger Argumente zum Nachdenken, schlägt er seine Antworten vor.“ (Corriere della Sera 12.8.05: 26)
In der regionalen und links-liberalen Presse tritt der inhaltliche Anspruch des Papstes zwar stärker in den Hintergrund, aber auch hier wird der Papst primär in seiner Rolle als Religionsführer verhandelt, denn es dominiert die Frage, wie sich die Beziehung zwischen dem neuen Kirchenoberhaupt und den jugendlichen Teilnehmenden im Verlauf des Treffens entwickelt. Diese vier Fassetten der Medienberühmtheit Papst – der Papst als Staatsmann, Idol, Religionsführer und Privatmensch – lassen sich auch in der deutschen und italienischen Fernsehberichterstattung ausmachen. Ein charakteristisches Beispiel für eine solche Repräsentation des Papstes als Staatsmann ist folgender Ausschnitt aus dem RAI 1 „Telegiornale“ vom 18.8.2005. In diesem Beitrag wird von der Ankunft des Papstes am Flughafen Köln/Bonn berichtet bzw. im späteren, hier nicht weiter betrachteten Verlauf von dessen Schifffahrt auf dem Rhein mit seiner Ansprache vor den Poller Wiesen bzw. seinem Besuch des Kölner Doms. Transkript 14: RAI 1 Telegiornale (18.8.05: 20:00) – „Ankunft 1“ Zeit
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0:00:44
A: Papst Benedikt steigt aus dem Flugzeug; der Wind fährt in sein Gewand und weht ihm seinen Kragen ins Gesicht; Benedikt fasst sich an den Kopf, dreht sich dann um zu seinen Beratern
Reporter Filippo Gaudenzi: als Präsident Köhler zusammen mit Kanzler Schröder . den Papst in Empfang nehmen will passiert wie ihr seht gleich etwas Unvorhergesehenes der Papst verliert sein Käppchen ((Jubel))
0:00:49
A: Bundespräsident Horst Köhler und Ehefrau auf dem roten Teppich; im Hintergrund das Ehrenspalier des Wachbataillons der Bundeswehr; li am Bildrand die Besuchertribüne
durch einen Windstoß ((Jubel, Klatschen))
Fassetten der Medienberühmtheit
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0:00:52
A: Papst Benedikt geht nach unten blickend die Treppe hinunter; sein Gewand flattert heftig
es ist sehr windig heute in Köln immer wieder wurde sein Gesicht von seinem Umhang verdeckt der Papst steigt ((Jubel, Klatschen))
0:00:57
HT: Ehepaar Köhler läuft dem Papst entgegen durch ein Spalier von Bundeswehrsoldaten
aus dem Flugzeug und wird von einer ansehnlichen Schar von Jugendlichen empfangen die bis zum Flughafen gehen wollten um ihn zu begrüßen wie ihr seht ((Klatschen))
0:01:04
HN: Begrüßung des Papstes durch das Ehepaar Köhler (Benedikt XVI zunächst halb verdeckt); im Hintergrund laufen Geistliche die Flugzeugtreppe hinab
nun die Begegnung mit dem deutschen Präsident eh Köhler und danach mit den anderen Autoritäten des des Landes . _seines_ Landes ((Jubel))
0:01:09
A: Begrüßung des Papstes durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Frau; im Hintergrund das Wachbataillon der Bundeswehr; am rechten Bildrand ein Kardinal
erinnern wir uns es ist für einen deutschen Papst der in seine Heimat zurückkehrt nach 500 Jahren
0:01:15
T: Papst inmitten des Empfangskomitees auf dem roten Teppich; im Vordergrund das Ehrenspalier
hinter dem Papst Kardinal Angelo Sodano
0:01:17
HT: Papst schreitet an der Seite des Bundespräsidenten den roten Teppich entlang
Staatssekretär dann viele Jugendliche um ihn zu empfangen viele Jugendliche . die sich dann danach
0:01:23
T: Militärkapelle
hier an den Ufern des Rheins versammelt haben
In diesem von Filippo Gaudenzi kommentierten Ausschnitt wird die Ankunft Benedikts XVI am Kölner Flughafen wie ein Staatsakt dargestellt: Nachdem der Papst durch den starken Wind leicht behindert das Flugzeug verlässt, laufen die weiteren Szenen nach üblichem Berichterstattungsmuster von Staatsbesuchen ab. Der Papst wird empfangen durch die beiden höchsten Repräsentanten des deutschen Staates, die ihn mit protokollarischer Ehrenerweisung begrüßen. In diese Darstellung fügt sich das Spielen der Nationalhymne durch die Kapelle des Wachbataillons der Bundeswehr ein. Obwohl der Papst seine weiße Soutane als Reisekleidung trägt und damit vom üblichen Bild eines Staatsoberhaupts ab-
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Der Papst als Medienberühmtheit
weicht, wird seine Ankunft am Flughafen auf diese Weise im Diskursmuster einer Berichterstattung symbolischer Politik verhandelt. Dabei werden allerdings Brechungen deutlich. So wird in dem vorliegenden Beispiel explizit das Wegfliegen des päpstlichen Käppchens kommentiert, was ihn auch als Privatmensch erscheinen lässt. Vor allem aber wird gegen Ende des Ausschnitts auf die Begeisterung der Jugendlichen dem Papst gegenüber hingewiesen, was nicht den Stereotypen einer Berichterstattung symbolischer Politik entspricht und auf die zweite Fassette der Medienberühmtheit Papst verweist, den Papst als Idol. Auch hierzu wollen wir einen exemplarischen Ausschnitt näher betrachten, in diesem Fall nicht aus dem italienischen sondern aus dem deutschen Fernsehen. Im „Nachtjournal“ des privaten Senders RTL findet sich folgender Ausschnitt: Transkript 15: RTL Nachtjournal (18.8.05: 0:10) – „Papstparty“ Zeit
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0:03:54
HT: Benedikt XVI an Deck in seinem Stuhl; eine junge Frau in Tracht tritt an ihn heran und fällt vor ihm auf die Knie, küsst seine Hände; im VG läuft ein Kardinal durchs Bild
Reporterin Bernadette Kahlenberg: und dann kommt es zu den Szenen die seinen Vorgänger
0:03:57
HN: Papst spricht mit einer jungen Afrikanerin in Tracht, fasst sie an den Händen
zum Idol unter den Jugendlichen gemacht haben
0:04:01
HN: Benedikt im Profil streckt die Hände nach vorne; ein junger Mann im T-Shirt tritt auf ihn zu, kniet sich hin und küsst dem Papst die Hand; kurzer Wortwechsel
auch der Münchner Peter Bemmerl gehört zu den wenigen Glücklichen die mit dem Papst ein persönliches Wort wechseln dürfen
0:04:09
P: Kölner Dom; Schwenk über Menschemassen, im Vordergrund laufen Leute mit verschiedenen Nationalfahnen einen abgesperrten Korridor entlang
doch auch die auf den hinteren Plätzen sind am Nachmittag entflammt
0:04:14
N: Papst geht grüßend und umringt von Geistlichen und Jugendlichen an jubelnden Menschen vorbei
Köln ist im Papst-Fieber . den jubelnden Menschen winkt er freundlich zu ((Jubel))
Fassetten der Medienberühmtheit 0:04:21
T: Papst tritt gefolgt von einigen Kardinälen an den Schrein heran und kniet nieder
161 bevor er sich in den Dom zurück zieht um inne zu halten und zu beten ((sakrale Musik im Dom))
Dieser Ausschnitt kann, sowohl was die Bildauswahl als auch die Kommentierung betrifft, als charakteristisch für die Repräsentation des Papstes als Idol im Fernsehen gelten. Deutlich werden zwei typische Weisen der Darstellung dieses Idolcharakters, die (a) für die persönliche Beziehung zu einem Idol bzw. (b) die kollektive Hinwendung zu ihm stehen. So ist der Papst in Nahaufnahme derjenige, der die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in einer für kirchliche Veranstaltungen unüblichen Umgebung (in diesem Fall das Rheinschiff) empfängt. Dabei spricht er offen und freundlich mit ihnen, scheint sichtlich um Inszenierung von Nähe und einer persönlichen Beziehung zu den Jugendlichen bemüht. All dies wird in diesem Fall durch den Kommentar als kennzeichnend für den Idolcharakter des Papstes gerahmt und eine Brücke von Johannes Paul II zu Benedikt XVI geschlagen: „Szenen, die seinen Vorgänger zum Idol unter den Jugendlichen gemacht haben.“ Daneben wird der Papst als die Person dargestellt, der die Menschenmenge, und hier vor allem Jugendliche und junge Erwachsene als Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags, zujubelt. Als Reaktion des Papsts darauf ist nicht nur in dem vorliegenden Fernsehbericht zu sehen, wie er „den jubelnden Menschen […] freundlich zu[winkt]“. Medienberühmtheit zu sein heißt für den Papst demnach in erheblichem Maße, das Idol einer Vielzahl von Menschen zu sein und damit wichtig in der (para-)sozialen Beziehung des bzw. der Einzelnen zu ihm. Als „Celebrity“ wird er in solchen Momenten als Projektionsfläche von Begeisterung dargestellt, wobei der Kern dessen, was diese Begeisterung ausmacht, kaum weiter thematisiert wird. Wie wir herausgearbeitet haben, ist die dritte Fassette des Papstes als Medienberühmtheit die des Religionsführers. Einen Aspekt dieser Fassette in der Fernsehberichterstattung haben wir bei unseren Analysen der Fernsehgottesdienste näher behandelt (siehe Kapitel 5), indem wir zeigen konnten, dass der Papst als ‚Zeremonienmeister‘ in der medialen Inszenierung des Weltjugendtags die zentrale Bezugsperson der Darstellung von Medienritualen ist. Ein weiterer Aspekt des Papstes als Religionsführer ist dessen Darstellung in der Fernsehübertragung als kirchenpolitischer Akteur. Charakteristisch ist folgender Ausschnitt aus der 20:00-Nachrichtensendung „TG 5“ des italienischen Privatsenders Canale 5:
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Der Papst als Medienberühmtheit
Transkript 16: Canale 5 TG5 (20.08.05: 20:00) – „Treffen mit Muslimen“ Zeit
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0:00:00
HT: Papst Benedikt begrüßt Vertreter der muslimischen Gemeinde mit Händedruck;
Reporterin Paola Rivetta: Keine Religionskriege mehr . das Leben eines Menschen ist heilig . das gelte für Christen gleichermaßen wie für Muslime .. kämpfen wir also gemeinsam, die Wurzeln des Hasses auszureißen .
0:00:10
HN: Papst Benedikt (von hinten, li am Bildrand) begrüßt eine junge Frau mit Kopftuch
andernfalls drohe der Welt die Finsternis einer neuen Barbarei .
0:00:14
A: Kruzifix an einer Wand; S nach u auf das Wappen des Vatikans und weiter auf den darunter sitzenden Papst
gemeinsam haben wir eine Mahnung und eine sorgfältige Aufgabe . das ist die Botschaft, die der deutsche Papst an die Vertreter der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland richtete .. Terrorismus jeden Ursprungs
0:00:24
N: zwei Zuhörer (einer blickt direkt in die Kamera)
so sagte es Benedikt XVI ist eine
0:00:26
N - T (Zoom): Papst Benedikt XVI verliest seine Ansprache
perverse und grausame Entscheidung, die das Recht zu leben verletze und zugleich die Grundlagen jeden zivilen Zusammenlebens zerstöre . wenn es gemeinsam gelänge, das Gefühl des Grolls aus unseren Herzen zu tilgen
00:00:37
N - T (Zoom): Papst Benedikt XVI verliest seine Ansprache
jeder Form von Intoleranz jedem Zeichen von Gewalt . entgegen zu treten . werden wir die Welle des Fanatismus bremsen die so viele Leben aufs Spiel setzt und den Friedensprozess in der Welt behindert . eine schwere Aufgabe aber keine unmögliche ..
Fassetten der Medienberühmtheit
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0:00:52
A: Papst Benedikt wird von einem Vertreter der Jüdischen Gemeinde Köln in die Synagoge geführt; dahinter der Tross seiner Begleiter
gestern die Juden in der Kölner Synagoge . heute die Muslime .
0:00:55
T: Anwesende in der Kölner Synagoge applaudieren
bei den einen wie den anderen .
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N: Papst Benedikt XVI verliest seine Ansprache
blickt der Papst hoffnungsvoll in die Zukunft
0:01:02
P (V): Papst Benedikt XVI verliest seine Ansprache in der Kölner Synagoge; im Vordergrund die besetzten Bänke der Zuhörer
ohne jedoch die Fehler und _Irrtümer_der Vergangenheit zu leugnen die wie er es darstellt dazu gut sein müssen zu verhindern dass wir sie wiederholen .
Dieser Ausschnitt steht für eine der beiden in der Medienberichterstattung zentralen kirchenpolitischen Handlungen des Papstes während des Weltjugendtags, neben dem Synagogenbesuch am 19.8.2005 das Treffen mit den Muslimen am 20.9.2005. Ähnlich, wie beim Papst als Staatsmann, ist der Papst in Formen von symbolischer Politik, in dem Fall symbolischer Kirchenpolitik zu sehen: Kommentiert von Paolo Rivetta schüttelt er zwei Vertretern (mit Krawatte) und einer Vertreterin (mit Kopftuch) der Muslime in Deutschland die Hand und verliest anschließend eine Erklärung im Kreis von Muslimen. Charakteristische Bilder für die Inszenierung des Papstes als Religionsführer sind wie in diesem Ausschnitt seine Darstellung im Kreis von anderen religiösen Würdenträgern bei einem ‚rationalen Dialog‘, der neben wechselseitigen Begrüßungen und Gesprächen auch Verlautbarungscharakter haben kann (hier greifbar am Beispiel des Vorlesens einer Botschaft). Dieser Darstellung als Religionsführer entsprechen die im Kommentar wiedergegebenen päpstlichen Positionen: „keine Religionskriege mehr“, „gemeinsam haben wir eine Mahnung“, „Intoleranz […] entgegen treten“ oder „Fanatismus bremsen“. Wenn man diese Äußerungen im Blick hat, wird gleichzeitig offensichtlich, dass sich diese päpstlichen Positionen gegen einen zumindest teilweise in den Medien vorherrschenden Islamdiskurs wenden, in dem der Islam tendenziell mit Fanatismus und Krieg in Verbindung gebracht wird (siehe dazu Jäger/Jäger 2007). Als Religionsführer agiert der Papst strategisch und vertritt eine spezifische, im weiteren medialen Diskurs verortete Position. Wie sieht es mit dem Papst als Privatmensch in der Fernsehberichterstattung aus? Wirft man die Frage auf, fällt zweierlei auf: Auf der einen Seite werden analog zur Printberichterstattung bei der Darstellung als Staatsmann und
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Der Papst als Medienberühmtheit
Idol persönliche Reaktionen des Papstes zumindest unterstellt. Der Privatmensch rückt – wenn auch sehr vermittelt – im Hinblick auf das persönliche Wie der Rollenerfüllung in den Blick. Die Inszenierung des Privatmenschen erscheint, wie bei Medienberühmtheiten des Fernsehens allgemein üblich (Marshall 1997: 119-149), als ein Teilaspekt ihrer öffentlichen Rollen. Auf der anderen Seite findet sich kein Beitrag, der sich ausschließlich dem Papst als Menschen widmet, beispielsweise in der Form, dass sein privater Tages- und Wochenablauf, seine Vorlieben für bestimmte Dinge o.ä. alleiniger Gegenstand wären. Am ehesten kommt solchen Vorstellungen noch die Fernsehreportage „Papst Benedikt – Ein Römer aus Bayern“ von Martin Posselt entgegen, die am 18.8.2005 auf ARD lief. Gegenstand dieser Sendung ist ein Portrait Papst Benedikts, in dem es um seine Wahl, seine inhaltliche Orientierung, seine ersten Amtstage und um ihn als Privatmenschen geht. Interessant ist, wie diese Fassette des Papstes als Privatmensch verhandelt wird. Während des gesamten Beitrags kommen die privaten Dimensionen des Lebens von Benedikt XVI zumeist nur indirekt in den Blick. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass die Reportage eröffnet wird mit der Reise Georg Ratzingers – des älteren Bruders Benedikts XVI – zum Urlaub nach Castell Gandolfo, dem Ort der Sommerresidenz des Papstes. Hierbei berichtet der Bruder aus seiner Sicht, was sich nach der Papstwahl im privaten Leben Benedikts geändert hat, insbesondere im Hinblick auf gemeinsame Urlaube bzw. Aufenthalte in Deutschland. Nur in kurzen Momenten wie bei der Begrüßungsszene im Hof der Sommerresidenz des Papstes in Castell Gandolfo lässt sich der Papst (so der Kommentar von Martin Posselt) „von der aufgeräumten Stimmung gerne anstecken“, wenn er wie folgt auf die Frage „Freuen Sie sich denn über den Besuch?“ antwortet: Transkript 17: ARD Ein Römer aus Bayern (18.8.05: 21:45) – „Begrüßung“ Zeit
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0:03:41
HT: Joseph Ratzinger in päpstlicher Alltagskleidung und Georg Ratzinger im schwarzen Priestergewand stehen nebeneinander vor dem Auto mit dem Chauffeur, der Georg Ratzinger zum päpstlichen Sommersitz gebracht hat
Benedikt: Ja (warum denn) nicht ((lacht, weiteres Lachen im Hintergrund)) .. da bin ich doch wieder zu Hause wenn mein Bruder da ist und . die ganzen 78 Jahre Leben die uns verbinden
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HT: Szene wie zuvor
Georg Ratzinger: Ja
Fassetten der Medienberühmtheit
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0:03:55
HT: Szene wie zuvor, Benedikt untermauert ‚Landen in München‘ gestisch
Benedikt: das hat ein Gewicht . nicht wahr .. und normalerweise wäre ich gestern nach Regensburg gefahren und zu ihm gekommen .. Benedikt: statt dessen ist jetzt mein Bruder hierher gefahren ich hab mir gestern schon vorgestellt wie ich in München lande . wie wir uns freuen ((lacht kurz)) auf das Abendessen bei meinem Bruder . aber jetzt freut er sich dass er hier ist
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HT: Szene wie zuvor
Georg Ratzinger: =natürlich= dass ich bei meinem Bruder Abendessen (kriege . ja) ((lacht kurz))
0:04:12
HT: Szene wie zuvor
Benedikt (unterbricht): °dass macht doch glücklich und zufrieden°
0:04:14
HT: Szene wie zuvor
Posselt: vermissen Sie die bayrische Heimat ((im HG Georg Ratzinger: Rollentausch))
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HT: Szene wie zuvor, durch Aufzoomen Stabmikrofon im Bild
Benedikt: ja eben . es wird jetzt auch Bayrisch gesprochen das ist immer gewichtig und wohltuend ((lacht))
Benedikt äußert sich in diesem Ausschnitt sowohl zur Beziehung zu seinem Bruder („die ganzen 78 Lebensjahre, die uns verbinden, das hat ja ein Gewicht“) als auch dazu, was sich mit seiner Wahl und die damit nicht mehr einfach möglichen Besuche bei ihm geändert hat („meine Bayrische Heimat vermisse ich schon“). Benedikt ist bei dieser „aufgeräumten“ Begrüßungsszene in seiner päpstlichen (Alltags-)Bekleidung mit einer weißen Soutane, weißem Zingulum (Gürtel) und einem weißen Pileolus (Kappe) zu sehen und ‚doziert‘ eher mit entsprechender gestischer Untermauerung in die Kamera als dass er ‚erzählt‘ – er bleibt der katholische Würdenträger. Dem entspricht, wie er über private Dinge redet: Papst Benedikt berichtet über die langjährige Beziehung zu seinem Bruder, ohne aber die Qualität dieser Verbindung weiter zu erläutern. Er teilt mit, dass er es gewohnt war, seine Sommerurlaube bei seinem Bruder in Regensburg zu verbringen, ohne weiter auf das Spezifische dieser Urlaube einzugehen. Das ‚Privateste‘ unter den Aussagen Benedikts ist das Eingeständnis der Freude über den Besuch seines Bruders bzw. die Andeutung, dass er mit ihm weiter Bayrisch sprechen wird. Eine solche klare Begrenzung des ‚Einblicks‘
166
Der Papst als Medienberühmtheit
ins Private wie auch die Kleidung und Gestik machen deutlich, dass Benedikt in dieser Reportage als päpstlicher Privatmensch agiert. In dieses Bild fügen sich weitere Szenen des Films ein, in denen der Privatmensch Joseph Ratzinger über indirekte Schilderungen greifbar wird. So ist in einer Szene zu sehen, wie Erzbischof Joseph Ratzinger über den Petersplatz in Rom geht, was aus dem Off damit kommentiert wird, dass er von seiner Wohnung auf der nördlichen Seite des Peterplatzes diesen zu seinem Büro auf der südlichen Seite überqueren musste. Ratzinger als Person wird in dem Kommentar wie folgt beschrieben: „immer zuvorkommend und liebenswürdig sei er gewesen, erzählen die Menschen, die hier arbeiten, ganz anders als die vielen Prälaten und Diplomaten am päpstlichen Hof und doch war er einer der mächtigsten Menschen der katholischen Welt und auf seine Weise ein Paradiesvogel in der vatikanischen Hierarchie.“ (ARD „Ein Römer aus Bayern“ 18.8.05: 21:45)
Ein anderes Beispiel für eine solche Inszenierung des Privatmenschen Benedikt XVI durch indirekte Berichte ist, als Kardinal Joachim Meisner (Erzbischof von Köln) bei einer Pressekonferenz zur Papstwahl Benedikts humorvoll von dessen erstem Ankleiden als Papst erzählt, Benedikt „hatte noch nicht mit, was so darunter passt und sah so ein bisschen zusammengeflickt aus“ (ebd.). In eine ähnliche Rubrik fällt der Off-Kommentar Posselts zum Umzug des Papstes in den apostolischen Palast: „viel gibt es nicht zu verladen .. außer Büchern. und das wissen Möbelpacker .. Bücher haben ihr Gewicht“. Als Privatmensch erscheint Benedikt als freundlicher, von manchen Entwicklungen überraschter, aber dennoch souverän reagierender Gelehrter, der dann Papst wurde. Mit solchen Analysen wird greifbar, dass zur Medienberühmtheit Papst die Inszenierung des Privatmenschen zählt. Mediatisierung bedeutet hier, dass der Papst sich dem prinzipiellen Interesse einer entsprechenden Inszenierung seiner Person nicht verwehren kann. Gleichzeitig bleibt dies eine Inszenierung des Privatmenschen Papst, d.h. die Inszenierung eines bestimmten Aspekts der mediatisierten Persona und kein ‚unmittelbarer Einblick ins Private‘ des Individuums Joseph Ratzinger. Wie wir eingangs in diesem Kapitel festgestellt haben, sind „celebrities“ als mediatisierte Personae ein historisches Phänomen und der Papst kann entsprechend generell als eine Medienberühmtheit begriffen werden. Gleichwohl lassen sich im Hinblick auf die gegenwärtigen Medien auch Spezifika der Inszenierung des Papstes als Medienberühmtheit ausmachen. Diese können unseres Erachtens nicht nur als charakteristisch für den Weltjugendtag als Medienevent gelten, sondern auch für die Inszenierung des Papstes in den Medien darüber hinaus. Versucht man mit einem solchen Blick unsere bisherigen Analysen zusammen-
Fassetten der Medienberühmtheit
167
zufassen, lassen sich bisher betrachtete Fassetten im unten stehenden Schaubild der Mehrdimensionalität der Medienberühmtheit Papst systematisieren. Abbildung 25:
Mehrdimensionalität der Medienberühmtheit Papst
Wir können unsere Analyse der deutschen und italienischen Medienberichterstattung in dem Sinne zusammenfassen, dass die vier grundlegenden Darstellungsmuster der Medienberühmtheit Papst (Staatsmann, Idol, Religionsführer und Privatmensch) in einem doppelten Spannungsverhältnis stehen. Dies ist ers-
168
Der Papst als Medienberühmtheit
tens das von Rationalität und Emotionalität. Es wird sowohl an auf Rationalität von Entscheidungen abhebenden Mustern der Berichterstattung symbolischer Politik beim Papst als Staatsmann und Religionsführer angeknüpft, als auch an stärker auf Emotionalität abhebende Muster der Berichterstattung über ihn als Idol und Privatmensch. Zweitens wird der Papst sowohl als Institution (die Dimension des ‚Amtes‘) als auch als Person (die Dimension des ‚individuell Handelnden‘) verhandelt. Sicherlich ist diese Systematisierung eine Tendenzeinordnung, indem – wie unsere Analysen gezeigt haben – unterschiedliche Muster in ein und demselben Beitrag bedient werden und so Übergänge bspw. zwischen der Inszenierung des Papstes als Staatsmann und der Inszenierung des Papstes als Idol fließend sind. Gleichwohl ermöglicht diese Systematisierung eine Gesamteinschätzung der aktuellen Inszenierungsweisen des Papstes als Medienberühmtheit: Mediatisierung wird greifbar als „Celebritisation“ mittels etablierter Muster der ‚Fabrikation‘ von Medienberühmtheit, die bezogen auf das Amt des Papstes kontextualisiert werden. Die Besonderheit der gegenwärtigen Mediatisierung ist in einem solchen Prozess darin zu sehen, dass dies in erheblichem Maße auf der Basis ‚weltlicher‘ Darstellungsmuster geschieht: Die Inszenierung des Staatsmanns und des Religionsführers ist eben die einer Darstellung symbolischer Politik und sakraler Rituale; die des Idols und des Privatmenschen die einer populärkulturellen Berichterstattung. „Celebrity“ zu sein heißt damit heute auch, Berühmtheit in und nach Regeln von medialen Diskursen zu sein und nur in geringerem Maße diese Regeln selbst gestalten zu können. Dies eröffnet umgekehrt Chancen: Indem der Papst entlang dieser Muster als Berühmtheit inszeniert wird, fügt er sich in das medial vermittelte „system of celebrity“ (Marshall 1997: 246), das – folgt man der Argumentation von P. David Marshall – ein zentrales diskursives Machtsystem heutiger Medienkulturen ist. Seinen Analysen nach ist dies damit zu erklären, dass medial inszenierte Berühmtheiten personalisiert die „Widersprüche zwischen dem Rationalen und Irrationalen, den Bedeutungen des Individuellen und Kollektiven“ (Marshall 1997: 242) überbrücken. Sie bilden in ihrer Inszenierung als außergewöhnlich handelnde einzelne Menschen kollektive Projektionsflächen menschlicher Handlungsfähigkeit. Die Macht solcher Inszenierungen entfaltet sich damit darin, dass geteilte Projektionsflächen für verschiedenste Menschen geschaffen werden, die individuelle Handlungsfähigkeit im Fokus haben. Damit lässt sich das System der Medienberühmtheiten als zentrales Geflecht diskursiver Formationen begreifen, in dem mit der individuellen Handlungsfähigkeit ein Eckwert heutiger Demokratien, aber auch des Kapitalismus öffentlich verhandelt werden. Sicherlich erscheinen diese Schlussfolgerungen Marshalls an manchen Stellen sehr pauschalisierend. Insbesondere muss davon ausgegangen werden, dass
Fassetten der Medienberühmtheit
169
die Rezeption und Aneignung von Medienberühmtheiten widersprüchlicher ist als er es vermutet (siehe Kapitel 9 und 10). Dennoch weisen die Überlegungen auf den Punkt hin, warum die Inszenierung des Papstes als Medienberühmtheit für die katholische Kirche in der Gegenwart so zentral ist: Durch sie fügt sich der Papst in das generelle System von Medienberühmtheiten und kann erst hierdurch als Markensymbol des Katholizismus Teil einer öffentlichen Auseinandersetzung um Bedeutung werden. Die von Chris Rojek (2006: 393) formulierte Hypothese, „dass eine bemerkenswerte Konvergenz von Religion und Berühmtheit erfolgt“, bekommt damit eine neue Bedeutung. Wie können wir unsere Analysen in diesem Kapitel nun in Bezug auf die Ausgangsfrage nach der Mediatisierung einordnen? Zuerst einmal wird konkret, was Mediatisierung in Bezug auf den Papst bedeutet: Der Weltjugendtag erscheint als ein in hohem Maße papstzentriertes Ereignis. Dass Mediatisierung sich im Fernsehen und bei Boulevardmedien in der Inszenierung von Berühmtheiten und der damit verbundenen Personalisierung konkretisiert, ist an sich nicht weiter verwunderlich. Bemerkenswert erscheint aber, dass mit dieser Mediatisierung und der damit verbundenen Inszenierung des Papstes als Medienberühmtheit ein Wandel des Papstamtes einherzugehen scheint. Dies wurde an zwei Punkten konkret. 1. Markensymbol und „branding“: Erstens haben unsere Analysen deutlich gemacht, dass der Papst als Medienberühmtheit zum Markensymbol des Katholizismus inszeniert wird. Wie andere Medienberühmtheiten beispielsweise karitative Initiativen repräsentieren können, symbolisiert der Papst als Medienberühmtheit den Katholizismus in seinen verschiedensten sakralen, populären aber auch politischen Dimensionen. Dies heißt, dass er als ‚kommunikative Klammer‘ des Medienevents Weltjugendtag verschiedenste Kontextbezüge kontinuierlich ermöglichen muss und ermöglicht. Es heißt auch, dass die Kontexthorizonte, die dabei geschaffen werden, gerade in ihren populärkulturellen Bezügen nicht nur die von der katholischen Kirche erwünschten sind. Und dennoch: Indem der Papst kommunikativ gesehen als ‚Marke‘ des Katholizismus fungiert, gestattet er es auch, dessen Widersprüche in Bezug auf den XX. Weltjugendtag als einem hybriden religiösen Medienevent zu kommunizieren, ohne dessen Kern zu verlieren. 2. Mediatisierte Persona: Mediatisierung bedeutet zweitens, dass der Papst – ob er es will, oder nicht – nach in den heutigen Medien vorherrschenden Berichterstattungsmustern zur „Celebrity“ des Medienevents Weltjugendtag wird. Die Mediatisierung prägt also die Inszenierung der Persona des Papstes durch entsprechende Darstellungs- und Inszenierungsmechanismen. Vom Amtsträger wird (zunehmend) erwartet, dass er sich in diese Mechanismen und damit das
170
Der Papst als Medienberühmtheit
Gesamtsystem der Inszenierung von Medienberühmtheiten einfügt. Entsprechend erscheint der Papst nicht nur als Staatsmann und Religionsführer, sondern ebenso als Idol und Privatmensch. Hiermit eröffnet eine solche Inszenierung des Papstes der katholischen Kirche zwar eine prominente Stellung in den gegenwärtigen Medienkulturen, bleibt gleichzeitig aber ein Moment dieser Medienkulturen – neben anderen. Das Papstamt wandelt sich damit in heutigen Medienkulturen dahingehend, dass es auch die Inszenierung einer Medienberühmtheit erfordert. Indem die katholische Kirche zumindest dem Prinzip nach mit dem Papst über ein Amt verfügt, das mit seinem grundlegenden Amtscharisma den Anforderungen der Personalisierung von „Celebrities“ gerecht wird, hat sie herausragende Möglichkeiten, ihr Glaubensangebot den heutigen Medien angemessen zu kommunizieren. Gleichwohl verliert sie im System der Medienberühmtheiten den exklusiven Raum der Selbstinszenierung.
8
Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
Religionen wie das Christentum und hier der Katholizismus haben den Anspruch, gemeinschaftsstiftend zu sein. Ganz explizit konkretisiert sich dies beim Weltjugendtag daran, dass dieser von Beginn an als Inszenierung eines religiösen Gemeinschaftserlebnisses geplant war (siehe unsere Analysen in Kapitel 3). Hierbei zeichnet sich der Katholizismus durch ein spezifisches Verständnis aus, indem sich die katholische Kirche als ‚Weltkirche‘ begreift. Als Teil dieser ‚Weltkirche‘ werden die Gesamtheit der katholischen Laien (und damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags) begriffen wie die Kleriker als geistliche Amtsträger. Institutioneller Repräsentant und organisatorisches Oberhaupt dieser ‚Weltkirche‘ ist der Papst als Haupt des Bischofskollegiums bzw. ‚Stellvertreter Christi‘ und ‚Hirte‘ der Gesamtkirche auf Erden. ‚Weltkirche‘ bedeutet einem solchen Verständnis nach zweierlei: Erstens bezeichnet der Terminus die institutionelle Organisation der Gesamtvertretung der katholischen Kirche in der Welt, d.h. eine bezogen auf den Vatikan bzw. Papst zentralisierte Organisation der verschiedenen lokalen, regionalen und nationalen Einheiten der katholischen Kirche. Zweitens hebt der Ausdruck ‚Weltkirche‘ auf den ‚universellen‘ Glaubensanspruch des Katholizismus ab und damit dessen religiöse Vergemeinschaftung über verschiedene Kulturen und Territorien hinweg. Solche Vorstellungen treffen beim Medienevent des Weltjugendtags auf heutige Formen von medial vermittelter Vergemeinschaftung. In dieser Diskussion galt lange Zeit die „vorgestellte Gemeinschaft“ (Anderson 1996) der Nation als Inbegriff einer medial vermittelten Gemeinschaft: U.a. durch Massenmedien wie Rundfunk und Zeitung mit ihrem national-territorialen Verbreitungsraum und ihrer „banalen“ – d.h. beiläufigen (Billig 1995) – Thematisierung der Nation wird kommunikativ die Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft geschaffen und fortlaufend stabilisiert. Mit fortschreitender Globalisierung der Medienkommunikation sowie Individualisierungsprozessen wird aber ein solcher Bezug auf die Nation als vorgestellter Vergemeinschaftung abgeschwächt. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass mit Satellitenfernsehen und Internet Massenkommunikation wie auch personale Kommunikation nicht mehr zwangsläufig auf einen nationalen Verbreitungsraum bezogen sind. Andererseits stellt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit fortschreitender Individualisierung die Nation nicht unhinterfragt den alleinigen Bezugspunkt von identitätsstiftender Vergemeinschaftung dar.
172
Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
Jesus Martín Barbero fasst solche Prozesse für das lokale Leben von Jugendlichen in Städten wie folgt zusammen: „Identität kommt nicht von irgendeinem Ort, vielmehr geben junge Leute Orten Identitäten, zumindest für einen kurzen, vorübergehenden Moment. Ihre Identitäten sind temporär. Dies ist eklatant im Gegensatz zu älteren Konzeptionen von lebenslanger Identität und deren Bezug zu einem bestimmten Ort, der halb heilig ist – wenn auch nicht aus religiösen Gründen, sondern weil der Ort als solcher affektiv und symbolisch wichtig ist. Junge Leute leben nicht in einer solchen Beziehung zu einem bestimmten Territorium. Eher ist es der Stamm, die Gruppe, die in einem bestimmten Moment entscheidet, eine Diskothek, eine Straßenecke der Nachbarschaft oder einen Dorfplatz in ‚ihren‘ Platz umzuwandeln. In diesem Augenblick markiert der jugendliche Stamm den Platz mit seinem Graffiti; er bringt seine Symbole an und nimmt ihn in Besitz. Nationalstaaten haben gegenwärtig eine wesentlich geringere Macht, die Identifikationen von Jugendlichen anzuziehen, als das Terrain der Städte. Menschen leben nun nahe an den Orientierungspunkten ihrer Städte, aber in einer globalen, transnationalen Perspektive. Menschen haben eine solche globale Vision zu großen Teilen deswegen entwickelt, weil das Globale durch die Medien zu ihnen gebracht wird. Sie fühlen sich dadurch in nahezu jedem Teil des Globus bzw. in jeder wirklichen oder vorgestellten Welt zuhause.“ (Martín-Barbero 1997: 115)
Diese Argumentation hebt darauf ab, dass für urbane Jugendliche die Zugehörigkeit zu bestimmten „Neostämmen“ (Maffesoli 1996) mitunter der entscheidende Referenzpunkt von Identität und Vergemeinschaftung geworden ist. Wichtig für die eigene Identität ist weniger, dass man ‚Deutscher‘, ‚Italiener‘ oder ‚Türke‘ ist, sondern welcher ‚Posse‘ oder ‚Clique‘ man im Rahmen der eigenen Jugend- und Populärkultur zugehört. Letztere definieren sich in ihrer Vergemeinschaftung zuerst einmal als lokale Gruppen, die allerdings in einem weitergehenden, durch kommerzielle (Medien-)Produkte vermittelten deterritorialen Sinnhorizont stehen. Nun soll an dieser Stelle nicht die These aufgestellt werden, die Nation wäre als Referenzpunkt von (vorgestellter) Gemeinschaftsbildung unwichtig geworden. Eine solche These wäre im Hinblick auf das Medienevent Weltjugendtag problematisch, bleiben doch – wie wir mehrfach gezeigt haben – Differenzen der Repräsentation des Medienevents in Deutschland und Italien bestehen. Mit der Globalisierung von Medienkommunikation hat jedoch – gerade im populärkulturellen Bereich – die Relevanz von Vergemeinschaftungen für die Identitätsartikulation zugenommen, die nicht territorial bezogen sind (Hitzler et al. 2008). Solche Vergemeinschaftungen lassen sich als deterritoriale Vergemeinschaftungen bezeichnen. ‚Deterritorialität‘ meint mit Bezug auf die aktuelle Globalisierungsforschung (García Canclini 1995; Hepp 2002a; Hepp 2006b), dass es sich hierbei um eine Vergemeinschaftung handelt, die sich jenseits territorialer Bezüge definiert. Mit Vergemeinschaftung werden – in Anlehnung an klassische Überlegungen Max Webers – soziale Beziehungen bezeichnet, die
Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
173
auf subjektiv gefühlter Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruhen. Entsprechend sind unter deterritorialen Vergemeinschaftungen diejenigen Vergemeinschaftungen zu verstehen, die sich als Netzwerk subjektiv gefühlter Zusammengehörigkeit über verschiedene Territorien hinweg erstrecken. Beispiele sind Jugend-, Freizeit- und Populärkulturen; wir können aber ebenso religiöse Vergemeinschaftungen wie die des Katholizismus dazu zählen, wodurch die historisch alte und traditionale Vorstellung von ‚Weltkirche‘ in Zeiten der Globalisierung (von Medienkommunikation) gänzlich neue Bezüglichkeiten und Kontextualisierungen erhält: Auch der Katholizismus definiert sich nicht durch eine national-territoriale Bezüglichkeit, sondern durch einen im Glauben begründeten ‚universellen‘ Anspruch. So unterschiedlich deterritoriale Vergemeinschaftungen auch im Einzelfall sind, analytisch teilen sie folgende drei Aspekte (Hepp 2006b: 282): Erstens artikulieren sich deterritoriale Vergemeinschaftungen in lokalen Gruppen, die durch eine entsprechende Face-to-Face-Kommunikation gekennzeichnet bzw. die im Bereich des Lokalen verwurzelt sind. Diese verschiedenen lokalen Gruppen fügen sich zu einem übergreifenden translokalen Netzwerk. Innerhalb dieses Netzwerkes deterritorialer Vergemeinschaftungen besteht zweitens ein translokaler Sinnhorizont, d.h. eine gemeinsame Sinnorientierung, die die Vergemeinschaftungen als solche begründet. Der translokale Sinnhorizont wird durch Prozesse medienvermittelter Kommunikation aufrechterhalten, seien dies Medien der personalen Kommunikation (bspw. Chats innerhalb des Netzwerks) oder der Massenkommunikation (bspw. Fanzines der deterritorialen Vergemeinschaftung). Wie der Name deterritoriale Vergemeinschaftung sagt, erstreckt sich deren translokales Netzwerk drittens nicht in einem spezifischen Territorium. Dies heißt nicht, dass es innerhalb von deterritorialen Gemeinschaften keine Nationalisierungen gäbe, im Gegenteil: Es lassen sich in deren Netzwerken durchaus nationale und regionale Verdichtungen ausmachen. Jedoch gehen deterritoriale Vergemeinschaftungen nicht in solchen territorialen Verdichtungen auf, wie auch ihr Sinnhorizont deterritorial besteht. Wir können aus Perspektive der Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Katholizismus als eine deterritoriale Vergemeinschaftung begreifen, die neben anderen, auch populärkulturellen Vergemeinschaftungen besteht. In einer solchen Perspektive kommt dem Medienevent Weltjugendtag eine spezifische Funktion zu, nämlich auf herausragende Weise den translokalen Sinnhorizont dieser religiösen Vergemeinschaftung in den Medien zu repräsentieren. Mediatisierung wird hier als die Möglichkeit einer spezifischen Form der translokalen Repräsentation von Ressourcen für Vergemeinschaftung konkret. Die entschei-
174
Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
dende Frage, die damit zu untersuchen ist, ist die nach dem spezifischen Wie dieser Repräsentation von Vergemeinschaftung. In diesem Kapitel wollen wir zeigen, dass sich die Berichterstattung über Vergemeinschaftung beim Medienevent Weltjugendtag exakt in Prozesse der Repräsentation ihrer Deterritorialität fügt. So wird beim Weltjugendtag die Vorstellung einer so genannten ‚Weltreligion‘ des Katholizismus durch spezifische mediale Darstellungen auf eine der heutigen Zeit angemessene Weise neu belebt – damit aber auch relativiert.
8.1
Sinnhorizonte: Vergemeinschaftung im Verlauf
Wie bisher herausgearbeitet, lässt sich das Medienevent Weltjugendtag im Kern in der ‚Triade‘ der thematischen Verdichtungen des Sakralen, Populären und des Papstes verorten. Unsere Analysen haben deutlich gemacht, dass es das Spannungsverhältnis dieser Pole ist, durch das das hybride religiöse Medienevent bestimmt wird. Um das Medienevent insgesamt kontextualisieren zu können, ist es jedoch wichtig im Blick zu haben, dass der Weltjugendtag darüber hinaus in den Medien im Sinnhorizont der Glaubensgemeinschaft des Katholizismus repräsentiert wird. Entsprechend steht das Medienevent auch für die Mediatisierung des Katholizismus im Allgemeinen. Dabei wird auf Anhieb deutlich, inwiefern die thematische Verdichtung des Katholizismus einen wichtigen Fluchtpunkt des Weltjugendtags in der Medienberichterstattung darstellt, aber über diesen hinausgeht: So verweist der Weltjugendtag als katholische Veranstaltung grundlegend auf die katholische Glaubensgemeinschaft. Gleichzeitig fokussiert die Medienberichterstattung deutlich, dass diese Glaubensgemeinschaft mehr bedeutet als die (lokale) Manifestation von Begeisterung und Gemeinschaftserlebnis beim Weltjugendtag. Bestimmt wird diese thematische Verdichtung des Katholizismus in unserer Analyse durch die Themenfelder Glaubenswerte, Kirche und Jugend, Kirche als Gemeinschaft, Kirche als Organisation und Ökumene. Die standardisierten Daten unserer Inhaltsanalyse machen deutlich, dass Fragen der Kirche als Organisation in der Hauptphase des Medienereignisses und in dessen Nachberichterstattung einen untergeordneten Stellenwert haben (siehe Abbildung 26). Während es bei einer Medienberichterstattung zum Weltjugendtag nicht weiter überrascht, dass Kirche als Gemeinschaft und Kirche und Jugend wichtige Themenfelder sind, geht das Maß, in dem sowohl in Deutschland als auch vor allem in Italien beim Weltjugendtag über Ökumene berichtet wird, klar über die ersten Erwartungen hinaus.
Sinnhorizonte
175
Abbildung 26:
„Vergemeinschaftung“ im Verlauf: Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich
25
%
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) D: n=868 / I: n=571 erfasste Beiträge 20
15
10
5
0 Okt 05
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D Glaubenswerte
0
0
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0
0
0,1
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0
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I Glaubenswerte
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0
Feb 05
0
März 05
0,2
April 05
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Mai 05
0,2
Juni 05
0,2
Juli 05
0,5
Aug 05
15,9
Sept 05
0,5
0,2
0
D Kirche und Jugend
0
0
0
0,9
0
0,3
0,2
9,8
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0,3
0
I Kirche und Jugend
-- --
0,2
0
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2,6
0,4
0,5
0
11,2
0
0
0
D Kirche als Gemeinschaft
0
0
0
0
0,1
0,2
0,2
9,5
0,7
0
0
I Kirche als Gemeinschaft
0
0,2
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0,5
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8,8
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0
0
0
0
0
0,3
0
0
1,4
10,9
0,7
0,2
0,1
-- --
-- -D Ökumene I Ökumene
0
0
0
0,4
0,2
0,2
1,8
22,6
0,5
0,2
0
D Kirche als Organisation
0,1
0
0,6
0,8
0
0,6
0,3
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0,9
0,5
0
I Kirche als Organisation
0
0,2
0,2
0,7
0,4
0,2
0,4
3,3
0,5
0,2
0
--
Konkreter einzuordnen ist dies, wenn man genauer den Verlauf der thematischen Verdichtung des Katholizismus über die Hauptphase des Medienevents hinweg betrachtet (Abbildung 27). Während vor Ankunft des Papstes am 18. August 2005 deutlich die Themenfelder Glaubenswerte bzw. Kirche und Jugend dominieren, gewinnt nach Ankunft des Papstes der Fokus auf die Glaubensgemeinschaft an Relevanz. Einen sprunghaften Anstieg erfährt das Themenfeld der Ökumene mit dem Papstbesuch in der Kölner Synagoge (19.8.05) sowie der Audienz für Vertreter protestantischer und muslimischer Glaubensgemeinschaften (20.8.05). Man kann entsprechend einmal mehr verfolgen, in welchem Maße das symbolische Handeln des Papstes als Religionsführer die Berichterstattung über den Weltjugendtag prägt und mit Fragen der Ökumene ein möglicherweise nicht erwartbares Themenfeld über zwei Tage hinweg die Medienberichterstattung deutlich dominieren lässt. Dies hält am 21. und 22. August 2005 an, während bzw. nach dem Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld bzw. dem päpstlichen Rückflug nach Rom.
176
Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
Abbildung 27:
„Vergemeinschaftung“ im Verlauf der Kernphase des Medienevents: Presse- und Fernsehberichterstattung in Deutschland und Italien im Vergleich n
60
50
40
30
20
10
0 10.8.
11.8.
12.8.
13.8.
14.8.
15.8.
16.8.
17.8.
18.8.
19.8.
21.8.
22.8.
D - Glaubenswerte
0
6
0
8
2
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6
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2
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I - Glaubenswerte
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2
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D - Kirche und Jugend
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D - Kirche als Gemeinschaft
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20.8.
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I - Kirche als Gemeinschaft
0
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0
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5
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D - Ökumene
0
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I - Kirche als Institution
0
0
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0
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0
0
1
2
5
1
2
2
3
Datenbasis: Vergleichssample Deutschland/Italien (Print + TV) - n = 1439 erfasste Beiträge
Im Vordergrund der Repräsentation des weiteren Sinnhorizonts des Medienevents Weltjugendtag steht also nicht nur die Glaubensgemeinschaft des Katholizismus mit den für sie charakteristischen Wertorientierungen, sondern auch deren Einordnung im Hinblick auf das Verhältnis zu weiteren Religionsgemeinschaften bzw. das anhand des Weltjugendtags konkret werdende Verhältnis von katholischer Kirche als Organisation und Jugend. Hierin wird ein erster wichtiger Aspekt von Mediatisierung in Bezug auf die deterritoriale Vergemeinschaftung des Katholizismus greifbar: Der so in den Medien repräsentierte Sinnhorizont steht nicht für sich allein, sondern in einem komplexen Verweisungsgefüge auf weitere medial vermittelte Diskurse beispielsweise zu anderen Religionen.
8.2
Transkulturalität: Kirche als Gemeinschaft
Wie wird die Mediatisierung des Katholizismus über solche reinen Verlaufsangaben hinweg konkret? Eine erste Antwort auf diese Frage ergibt sich, wenn wir
Transkulturalität
177
das Themenfeld Kirche als Gemeinschaft näher betrachten. Unsere Analysen machen deutlich, dass beim Medienevent Weltjugendtag die Transkulturalität des Katholizismus als deterritorialer religiöser Vergemeinschaftung in den Mittelpunkt rückt: Katholizismus erscheint als eine Nationalkulturen übergreifende, religiöse Verdichtung, die sich in lokalen Gruppen konkretisiert. Der gegenwärtige Katholizismus wird nicht als ‚Religion eines Staates‘ oder eines anderen definierten Territoriums repräsentiert, sondern seinem Anspruch nach als eine Gemeinschaft von Gläubigen über prinzipiell alle Territorien hinweg. Typische Beschreibungen sind die Bezeichnung des Katholizismus als „Weltkirche“ (Weser Kurier 17.8.05: 1), „Weltreligion“ (FAZ 24.8.05: 34) mit „Nationengrenzen überschreitenden Verbindungen“ (FAZ 15.8.05: 4), als „Miteinander der Nationen“ (Kirchenbote 28.8.05: 11), oder gar als „sozialistisch[e] Internationale“ (Trierischer Volksfreund 30.7.05: 9). Ähnliche Bezeichnungen finden sich auch in der italienischen Presse. Von der „Kirche der Zukunft“ (L’Adige 22.8.05: 5) und einem „jungen Weltkatholizismus“ (Dolomiten 22.8.05: 1) ist hier die Rede bzw. vom Papst als „Weltführer“ (Corriere della Sera 12.8.05: 26), der sich zu einer Art „katholischer Olympiade“ (L’Espresso 18.8.05: 61) mit der „Jugend der Welt“ (La Repubblica 18.8.05: 22) trifft. Dem Corriere della Sera (21.8.05: 4) erscheint die katholische Kirche in den Worten Benedikts XVI gar als „eine Familie weit wie die Welt, die den Himmel umfasst und die Erde, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft“. Betrachtet man die Presseberichterstattung genauer, so fällt auf, dass das Themenfeld Kirche als Gemeinschaft über die verschiedenen Medienorgane hinweg durch ein Spannungsverhältnis zwischen Faszination gegenüber dem transkulturellen Gemeinschaftserleben auf dem Weltjugendtag und einem Exotismus gekennzeichnet ist. Beides lässt sich für die deutsche Medienberichterstattung anhand der Gegenüberstellung zweier Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Kölner Ausgabe der Bild-Zeitung jeweils vom 20. August 2005 verdeutlichen. In dem FAZ-Artikel werden Momente greifbar, die wir bereits in Bezug auf das Themenfeld Stimmung und Atmosphäre diskutiert haben, nämlich das herausragende Vergemeinschaftungserlebnis, als das der Weltjugendtag in der Medienberichterstattung dargestellt wird. Unter der Überschrift „Vereinte Nationen unter dem Kölner Dom“ werden die „Souvenirjäger und Gottsucher aus aller Welt“ wie folgt beschrieben: „[…] Der in die Hunderttausende gehenden Zahl junger Menschen aus aller Welt, die sich seit Tagen dem Schrein nähern, lächelt Johannes Paul II – er starb im April – als überlebensgroßes Mosaik aus tausenden Passfotos hoch über ihren Köpfen entgegen. ‚Thank you JP II‘ ist unter dem Bild zu lesen. Sein Nachfolger heißt Benedikt XVI, und auch er herrscht, glaubt man den Sprechchören, über ganze Divisionen von Jugendlichen
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Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
in aller Welt: ‚Esta es la juventud del Papa.‘ Wirklich aus aller Welt? Der neu gestaltete Bahnhofsvorplatz ist samt der ebenfalls neuen Treppe, die von dort zum Kölner Dom hinaufführt, seit Tagen eine Art mobiler Generalversammlung der Vereinten Nationen. Das Durchschnittsalter der Gäste in Alt-Köln dürfte freilich um einiges unter dem der Diplomaten und Beamten in New York liegen. Und fröhlicher geht es zu und lautstärker. Brasilianische Sambagruppen sind noch die harmloseste Erscheinungsform, zumal die Bekleidung der Tänzer in Köln sich von der in Rio de Janero ungefähr so weit unterscheidet wie ein Lodenmantel vom String-Tanga. Schwieriger ist es, sich der Dynamik einer Polonaise zu entziehen, mit der Südkoreaner den Bahnhofsvorplatz durchpflügen. […]“ (FAZ 20.8.05: 3)
In diesem Ausschnitt werden die durch die Stadt ziehenden Sprechchöre, die feiernden jungen Leute unterschiedlicher Nationen thematisiert. In Abgrenzung zu reinen Stimmungsbildern zeichnet sich der Artikel dadurch aus, wie der Weltjugendtag gedeutet wird – als Ausdruck der deterritorialen Glaubensgemeinschaft des Katholizismus, die einen transkulturellen Bestand hat. Die Metapher, die gefunden wird, ist die der „mobilen Generalversammlung der Vereinten Nationen“. Anders konkretisiert sich die Transkulturalität deterritorialer Glaubensgemeinschaft in dem Artikel „BILD lüftet das Geheimnis des Wischmop-Pilgers“. Dort heißt es: „Köln – Millionen Fernsehzuschauer sahen beim Papstbesuch einen Mann mit weißer Wischmop-Perücke. Er wich dem Pontifex beim Bad in der Menge nicht von der Seite. Wer war das? Er heißt Murat Klycher (24), ist Katholik und kommt aus Turkmenistan. Der junge Mann zu BILD: ‚Es war wie im Traum – so nah dran am Heiligen Vater. Und er hat mich sogar gesegnet!‘ Wollte er mit der Perücke den Papst verulken? Murat: ‚Nein, das ist ein Brauch in meinem Heimatland: In braunem Gewand und heller Perücke begrüßen wir Ehrengäste.’“ (Bild Köln 20.8.05: 10).
Auch in diesem Artikel geht es um Transkulturalität, aber stärker in einem durch Exotismus geprägten Blick. In der Sprache überzeichnend und mit einem entsprechenden Pressefoto versehen, setzt sich der Artikel mit einer Person auseinander, die durch die traditionelle Tracht in der Fernsehübertragung der Papstankunft am auffälligsten war. Der scheinbar aufklärende Artikel ist durch einen ironischen Blick auf den ‚Fremden‘ geprägt. Nichtsdestotrotz wird auch hier die Transkulturalität der deterritorialen Glaubensgemeinschaft sichtbar: Leute aus unterschiedlichen ‚Heimatländern‘ zählen zur Gemeinschaft des Katholizismus. Durchaus ähnliche Zusammenhänge sind in der italienischen Medienberichterstattung auszumachen. Auch in dieser geht es im Zusammenhang mit Kirche als Gemeinschaft um den deterritorialen Anspruch des Katholizismus. Greifbar wird dies in der Transkulturalität des Weltjugendtagserlebnisses. Für La Repubblica scheinen während der Nacht auf dem Marienfeld etwa alle im Alltag unübersehbaren nationalen, ethnischen und kulturellen Unterschiede für einen ‚utopischen’ Moment in der Vorstellung zu verschwinden:
Transkulturalität
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„Und so legt das riesige grasbewachsene Schachbrett des Marienfelds, groß wie eine Kleinstadt, um ein Uhr nachts das liturgische und choreografische Gesicht der Stunden zuvor ab und wird zur anarchischen jugendlichen Utopie, einer Stadt des Mondes, bewohnt nur von unter 30jährigen, die singen, tanzen, beten, reden, essen, spielen und viele andere Dinge tun. Nichts ist verboten, so viel ist klar; d.h. fast nichts, denn in allen Richtungen sieht man zig Pärchen, die sich innig küssen, aber es lohnt nicht die Mühe, zu fragen, ob jemand weiter geht, denn wenn man eine Million Teenager Seite an Seite auf demselben enormen Bett schlafen lässt, gehorchen die Folgen der Statistik, und nicht der Moral. Die, die schlafen, ohne Zelt, eingehüllt wie Seidenwürmer, eingewickelt in Plastiksäcke gegen den Tau, neben dem Kopf die Dauerkerze (tausende blieben angezündet bis zum Morgengrauen) bereitgestellt zur Andacht, wer weiß wie sie es schaffen, zwischen den ethnischen Chören mit Trommeln, den Litaneien der Mystiker, den Sirenen der Rettungswagen, die mancher Unterkühlung zu Hilfe eilten. Vertrauen erweckend, letztere, im Grunde: denn sie erinnern daran, dass man nicht auf einem Camping in der Wildnis ist, sondern in einer versorgten und geschützten Stadt, einer Polis von lauter Freunden. Und genau das ist der Kern der Utopie: eine Million Gleichgesinnter, im Alter, im Denken, in ihren Sehnsüchten; ein Stückchen Erde herausgeschnitten aus den Widersprüchen des Rests. Abbild einer Gesellschaft, wie sie vielleicht die Theoretiker der separaten Schulen gewollt haben, wo jede Kultur nur an sich selbst denkt. Aber Apartheid ist gefährlich: und doch, eine Nacht lang in einer Stadt lauter Gleichgesinnter zu leben kann faszinierend sein.“ (La Repubblica 22.8.05: 6)
Der Artikel betont, dass dieses nationale und kulturelle Grenzen übergreifende Gemeinschaftserleben außeralltäglich bleibt. Weniger kritisch fokussieren weite Teile der Weltjugendtagsberichterstattung das Erleben von Gruppen verschiedener kultureller Zugehörigkeit. Im Adige etwa erscheint folgender Erlebnisbericht eines Freiwilligen aus dem Trentin: „In den Wochen vor dem Event kann es passieren, dass ein Logistikzentrum im Land zum Fließband wird, an dem Freiwillige und Jugendliche aus dem Ort im Rhythmus von 50.000 Konservendosen am Tag die Mahlzeiten für die päpstliche Vigil vorbereiten. Von Anfang an herrscht ein Gemeinschaftsgeist, der in einer Anwandlung von Idealismus an eine bessere Zukunft denken lässt. Seite an Seite reden und arbeiten französische und italienische Akademiker, einige muslimische Libanesen und Kinder der Einwanderer aus Dortmund und Bochum, Chinesen, die ihre eigenen unmöglichen Rhythmen haben, amerikanische Klosterschwestern, die singen, um die Entfremdung einer sich wiederholenden Aufgabe zu überwinden.“ (L‘Adige 21.8.05: 23)
Wie in dem Ausschnitt anklingt, geht es um die Integration von Minderheiten in eine solche deterritoriale religiöse Vergemeinschaftung. Auffallend ist dabei die nationale Rahmung dieser Deterritorialität: Entsprechend dem allgemein ausgeprägten nationalen Fokus der italienischen Weltjugendtagsberichterstattung rücken Pilgergruppen aus scheinbar ‚exotischen’ Regionen wie Tadschikistan (Famiglia Cristiana 21.8.05: Attualità) oder China (La Repubblica 19.8.05: 1, Corriere della Sera 20.8.05: 4) in den Blick. Vor allem die kirchliche Famiglia
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Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
Cristiana thematisiert, ähnlich wie die deutsche kirchennahe Presse, daneben gesellschaftliche Randgruppen wie Menschen mit Behinderung oder jugendliche Gefängnisinsassen: „‚Die Fernsehbilder haben Panzertüren und Stacheldraht überwunden. Und sind direkt ins Herz der Hochsicherheit gelangt. ‚Die Gefangenen waren erstaunt, so viele Jugendliche um den Papst herum zu sehen. Lachend, glücklich, verschieden. Im Grunde ähneln sich die Gefangenen und die Jugendlichen aus Köln. Auch unsere sind von unterschiedlichen Orten gekommen, aus unterschiedlichen Bereichen der Anstalt. In ihrem Alltag kann man die gleiche radikale Frage und einen verzweifelten Wunsch nach Gemeinschaft finden’, so Don Marcellino weiter. ‚Sie alle suchen einen Platz, um sich mit der eigenen Geschichte zu versöhnen. Und sie finden ihn. In der Eucharistie, beim Wort und beim gebrochenen Brot’.“ (Famiglia Cristiana 28.8.05: Attualità)
Wie in den deutschen Printmedien ist diese Thematisierung des transkulturellen Vergemeinschaftungserlebnisses nicht frei von Exotismus. Das beginnt bei fotografischen Abbildungen, in denen, wie in der folgenden Aufnahme von der Willkommensfeier für Papst Benedikt XVI auf dem Rhein, das ‚Andere’ oder ‚Fremde’ gezielt in Szene gesetzt wird, um diesen Aspekt zu illustrieren. Abbildung 28:
„AUS ALLER WELT Wegen des Papsts nach Köln, die Umarmung der Jugendlichen aller Nationen“ (Corriere della Sera, 19.8.05: 4)
Transkulturalität
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Vergleichbare Muster lassen sich daneben in der Art und Weise ausmachen, wie ‚Deutschland‘ bzw. ‚die Deutschen’ in ihrer „ultra-säkularisierten Normalität“ in der italienischen Presse dargestellt werden: „Begeisterung für seine Wahl gab es, sie ist ernsthaft. Aber bei den Deutschen geht das einher mit ihrer ultrasäkularisierten Normalität. Und so fand es niemand blasphemisch, dass die Bild Zeitung, mit über 4 Millionen verkaufter Auflage pro Tag tiefgründiger Spiegel des Landes, auf der Titelseite aufmacht mit dem Bild des Papstes und einer Überschrift aus der Konserve, ‚Benedikt, dich hat Gott geschickt’, und nicht davon absieht, in dem Balken unmittelbar darunter das übliche Foto eines exotischen unbekleideten Mädchens mit dem Schriftzug ‚aber bitte mit Sahne’ abzudrucken.“ (Corriere della Sera 19.8.05: 4)
Wir können also festhalten: Die italienische Medienberichterstattung weicht an dieser Stelle kaum von der deutschen ab: In beiden Fällen geht es um die Repräsentation der katholischen Kirche als einer deterritorialen religiösen Vergemeinschaftung im Hinblick auf deren Transkulturalität und einen Exotismus. Betrachtet man das Fernsehen, fallen bezogen auf Kirche als Gemeinschaft zwei Formen der Repräsentation von Transkulturalität auf. Dies sind zum einen Beiträge, in denen Transkulturalität im Hinblick auf Kirchengemeinschaft und sakrale Veranstaltungen verhandelt wird, zum anderen Beiträge, in denen es um Kirchengemeinschaft und populärkulturelles Feiern geht. Ein Beispiel für die Transkulturalität des Sakralen ist folgender Ausschnitt des RAI 1 „Telegiornale“ vom 18.8.05. Dieser bezieht sich auf die in dem zu Beginn des Kapitels erwähnten Artikel aus der Bild-Zeitung ironisch aufgegriffene Papstankunft mit dem Rheinschiff, Bilder, die sich mit nahezu identischen Kommentaren ebenfalls in der deutschen Fernsehberichterstattung der ARD finden. Den diesem Ausschnitt vorangegangenen, ersten Beitrag zum Weltjugendtag dieses Nachrichtenjournals haben wir bereits im Hinblick auf den Papst als Staatsmann analysiert (siehe Kapitel 7). Transkript 18: RAI 1 Telegiornale (18.8.05: 20:00) – „Der Papst und die Jugend“ Zeit
Bild
Ton
0:02:25
HT: Fahrzeugkolonne des Papstes fährt vor; re im VG ein Polizist an den Absperrungen sowie mehrere Streifenwagen
Reporter Piero Badaloni: das Auto des Papstes . verlässt die Residenz des Erzbischofs um 16 Uhr 30
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Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
0:02:29
HT: Papst läuft grüßend über eine Brücke (direkt an einem Fotografen vorbei), hinter ihm eine Gruppe Geistlicher
wenige Minuten und der Papst ist auf dem Schiff zusammen mit 200 Jugendlichen jeder . mit der Flagge des eigenen Landes
0:02:34
HT: Eingang zum Schiff; auf Deck ein buntes Fahnenmehr
_so zahlreich_ sind die Heimatländer der Papaboys die den Katamaran umgeben
0:02:38
T: Bäume, im HG der Rhein, darauf halb verdeckt das Schiff
auf dem Benedikt XVI zu Gast ist . fünf Schiffe wie die fünf Kontinente ((Gesänge))
0:02:40
T (Überblendung): Oberdeck; im VG die Spitze des WJT-Kreuzes, dahinter eine Gruppe Jugendlicher auf Stühlen; im HG einige Schiffe auf dem Rhein
die jenes Kreuz durchquert hat bevor es in Köln angekommen ist . der Papst ((Gesänge))
0:02:45
T: Benedikt sitzt etwas erhöht in einem Sessel und spricht mit Jugendlichen, die teilweise in Tracht in einigem Abstand um ihn herum am Boden sitzen
setzt sich zunächst um die Ansprachen der Jugendlichen zu hören die Begrüßung durch Kardinal Meisner . den Erzbischof von Köln ((Gesänge und Jubel))
0:02:50
N: Kardinal Lehmann und Kardinal Meisner singend
dann steht er auf und geht zum _Bug_ des Schiffs ((Gesänge))
0:02:52
T: Benedikt hebt stehend die Hände zum Gruß, umringt von am Boden sitzenden Jugendlichen
er steht . allein . und segnet die Jugendlichen die sich zu Hunderten ((sakrale Musik))
0:02:57
T (Kamerafahrt von re nach li entlang Jugendlicher): die mit Fahnen und Transparenten das Rheinufer säumen, viele stehen weit im Wasser
am Rhein drängen . seit sechs Stunden warten diese Jugendlichen auf sein Vorbeifahren seit drei Tagen sind sie aus der ganzen Welt in die Stadt gekommen um ihn zu treffen . sie haben sich vorbereitet indem sie in den Kirchen von Köln gebetet und auf den Straßen gesungen und getanzt haben ((Benedetto! Benedetto! -Rufe)) Badaloni: jetzt . ist der Moment auf die Einladung des Papstes zu antworten der sie aufgefordert hat gemeinsam Jesus anzubeten wie ((Jubelschreie, Klatschen))
Transkulturalität 0:03:17
G: Benedikt XVI, lächelnd, im Profil
183 vor 2000 Jahren die Heiligen drei Könige . und sie machen keinen Rückzieher
Bei diesem Korrespondentenbeitrag von Piero Badaloni geht es insofern um die Inszenierung sakraler Dimensionen des Weltjugendtags, als durch die von der katholischen Kirche minutiös geplante Einfahrt des Papstes mit einem Schiff über den Rhein nach Köln umfassende Bezüge zwischen Weltjugendtag und katholischer religiöser Tradition hergestellt werden. Bemerkenswert ist, in welchem Maße der Sinnhorizont des Katholizismus als transkultureller deterritorialer Vergemeinschaftung Teil dieser Repräsentation des Geschehens ist (was auch das ironisierende Aufgreifen der Bild-Zeitung erklärt): Bereits bei den Bildern, in denen der Papst das Rheinschiff betritt, bilden die Fahnen unterschiedlichster Nationen auf dem Oberdeck des Schiffs eine Transkulturalität repräsentierende Kulisse. Auf diese Kulisse weist der Korresondent Piero Badaloni explizit hin, wenn er davon spricht, dass das Schiff neben dem Papst „200 Jugendlich[e] […] mit der Fahne der eigenen Heimat“ nach Köln bringt. Als das Weltjugendtagskreuz ins Bild kommt, bemerkt Badaloni, dass dieses „Kontinente [durchquerte] bevor es in Köln ankam“. Und die Nahaufnahme, die von dem Papst auf dem Schiffsdeck zu sehen ist, zeigt ihn vor der Kulisse folkloristisch gekleideter, weißer und farbiger Jugendlicher, die die verschiedenen Länder und kulturellen Kontexte der ‚Weltkirche‘ repräsentieren. Dieser Darstellung des Globalitätsanspruchs der katholischen Kirche mit der Rheinschifffahrt entspricht die Kulisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Rheinufer, die „aus der ganzen Welt in die Stadt angekommen“ (Badaloni) sind und dieser Herkunft durch Fahnen und Transparente ihren Ausdruck geben. Wir haben es mit einer von Seiten der katholischen Kirche gezielt vorbereiteten und von Seiten des Korrespondenten entsprechend kommentierten Inszenierung der Transkulturalität des Katholizismus zu tun. Die gesetzten Hinweise hierauf sind vielfältig und machen den Sinnhorizont des Geschehens in Köln greifbar. Mit den am Rheinufer Fahnen schwenkenden Jugendlichen wird in dem Ausschnitt daneben deutlich, wie sich in der italienischen und deutschen Fernsehberichterstattung eine Transkulturalität des Populären konkretisiert, nämlich anhand der expressiv ihre divergente kulturelle Herkunft zur Schau stellenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Als exemplarisch hierfür kann folgender Ausschnitt aus dem RTL „Nachtjournal“ vom 18.8.2005 angesehen werden:
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Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
Transkript 19: RTL Nachtjournal (18.8.05: 0:10) – „Transkulturelle Domplatte“ Zeit
Bild
Ton
0:08:56
N: Reporter Marcus Lesch; im HG Haupteingang des Doms; Einblendung einer Leiste mit Namen
Reporter Marcus Lesch: nun der Papst hat sich vor vier Stunden zurück gezogen aber das Fest geht auch ohne ihn munter weiter . im Moment sind es sicher noch mehrere tausend junge Leute die sich hier vor dem Kölner Dom am Hauptbahnhof
0:09:14
T (AS): Pilgergruppen auf der abendlichen Domplatte, die Fahnen verschiedener Nationen schwenken
und in den Seitenstraßen tummeln . wir hören Sprechgesänge . wir sehen sie tanzen . es gibt Pfeifkonzerte äh teilweise erinnert das ganze an die Situation nach einem Fußballländerspiel .
0:09:23
N: Lesch; im HG Haupteingang des Doms; Einblendung einer Leiste mit Namen
da gibt es Sprechchöre viva Croatia oder zieht den Bayern die Lederhosen aus . das hat sehr viel von Sommerfest von Fröhlichkeit . ein bisschen von Ibiza aber sehr wenig von kirchlichen Chorälen beispielsweise ..
0:09:31
HN: Moderator Christorf Lang im Studio (im Profil zu sehen); zugeschaltet rechts daneben N Marcus Lesch
Moderator Christorf Lang: das klingt ja tatsächlich fast so als sei gerade ein Länderspiel zu Ende gegangen . wo bleibt da das religiöse Element
0:09:37
N: Lesch; im HG Haupteingang des Doms; Einblendung einer Leiste mit Namen
Lesch: das scheint tatsächlich was die oberflächliche Betrachtung betrifft etwas in den Hintergrund zu treten ähm beispielsweise das Kreuz das sieht man hier in den Straßen relativ selten dafür aber sehr wohl
0:09:44
T (AS): Teilnehmergruppe auf der abendlichen Domplatte, die die kroatische Flagge schwenken
viele Nationalfahnen . die werden nicht geschwenkt aus irgendwelchen Nationalismen sondern weil man sich einer Gruppe zugehörig fühlt und dieses Gruppenerlebnis .
Transkulturalität
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0:09:51
N: Lesch; im HG Haupteingang des Doms; Einblendung einer Leiste mit Namen
das steht für die meisten jungen Leute im Vordergrund sie wollen sich austauschen den Gedankenaustausch erlebt man hier sehr häufig zwischen den jungen Leuten ansonsten benehmen sie sich . ja . wie man das auf Sommerfesten kennt . die Devise scheint zu sein Big Mac statt Manna . ähm sie wollen die Auslandserfahrung mit nach Hause nehmen und im Moment wird noch etwas ausgeblendet dass es inhaltliche Differenzen mit dem Papst natürlich sehr wohl gibt . beispielsweise in Fragen der Sexualmoral
0:10:12
HN: Lang im Studio (im Profil zu sehen); zugeschaltet rechts daneben N: Marcus Lesch
Lang: Dankeschön Marcus Lesch
Dieser Beitrag behandelt die populäre Stimmung und Atmosphäre auf dem Weltjugendtag, die mit einem „Fußballländerspiel“ verglichen wird (siehe dazu unsere Analysen in Kapitel 6). Gleichzeitig – und dies interessiert uns an dieser Stelle vor allem – geht es um die Vergemeinschaftung des Katholizismus, hier wiederum als Sinnhorizont der Auseinandersetzung mit dem konkreten Geschehen auf der Kölner Domplatte. Aufgegriffen wird in dem Beitrag von Marcus Lesch einmal mehr das Moment des Fahnenschwenkens sowie der Sprechchöre mit nationalen Phrasen, was visuell am Beispiel einer Gruppe junger Kroaten im Hintergrundbild dargestellt ist. Solchen Bildern gibt Lesch eine spezifische Deutung, wenn er formuliert, dass viele Nationalfahnen nicht „aus irgendwelchen Nationalismen“ geschwenkt werden würden, sondern „weil man sich einer Gruppe zugehörig fühlt“. Es geht beim Weltjugendtag um ein „Gruppenerlebnis“ der Vergemeinschaftung im Katholizismus, das kombiniert wird mit einem Moment von „Auslandserfahrung“. Auch die Repräsentation des Populären verweist als Sinnhorizont auf die Transkulturalität der deterritorialen Vergemeinschaftung des Katholizismus. Insgesamt wird in Bezug auf die Kirche als Gemeinschaft damit deutlich, wie sehr die Medienberichterstattung über den Weltjugendtag darauf abhebt, nicht nur das situative Gemeinschaftserleben im Rahmen der Stimmung und Atmosphäre auf dem Weltjugendtag zu behandeln. Zentraler Fokus ist, dass diese für den Anspruch einer Kirche steht, in Bezug auf Nationalitäten transkulturell eine Glaubensgemeinschaft zu sein. Sicherlich gibt es Differenzen in der Bewertung eines solchen Anspruchs: Zumeist wird fasziniert hierüber berichtet, teil-
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Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
weise aber in einer ‚Exotismus-Rahmung‘, vor allem wenn ‚folkloristische Auftritte‘ einzelner „Pilger“ oder „Pilgergruppen“ in den Blick rücken. Der Katholizismus ist zwar nicht die ‚ganze Welt‘, hat aber als deterritoriale Glaubensgemeinschaft den Anspruch, sich über verschiedenste Kulturen und Territorien zu erstrecken – so zumindest der Kern des Diskurses, der in der deutschen und italienischen Medienberichterstattung über den Weltjugendtag manifest wird. Die Mediatisierung des Weltjugendtags macht dies mit stereotypen Bildern darstellbar.
8.3
Pluralitäten: Orientierungen religiöser Vergemeinschaftung
Eine weitere wichtige Fassette der Darstellung der deterritorialen religiösen Vergemeinschaftung des Katholizismus beim Medienevent Weltjugendtag ist die Auseinandersetzung damit, was den Katholizismus heute ausmacht. Dies wird greifbar anhand der dargestellten Wertorientierungen (Glaubenswerte), dem Verhältnis von Amtskirche und Jugend (Kirche und Jugend), dem Verhältnis zu anderen Religionen (Ökumene) sowie der institutionellen Aspekte des Katholizismus (Kirche als Organisation). Beginnt man mit dem Themenfeld Glaubenswerte, fällt auf, in welchem Maße zwei Aspekte die Berichterstattung der Hauptphase des Medienevents prägen, erstens die ‚Zeigbarkeit von Glaubenswerten‘ und zweitens die ‚Problematik der Sexualmoral’. Dass mit dem Weltjugendtag Glaubenswerte (wieder) zeigbar seien, ist ein Thema, das die verschiedenen von uns untersuchten Medienorgane durchzieht. In dem Jugendmagazin Bravo äußern sich mehr oder weniger Prominente zum Papst, der katholischen Kirche und deren Werten – wenn auch abwägend kritisch (Bravo 17.8.2005: 24). In der taz wird am Anfang der Hauptberichterstattung des Medienevents unter der Überschrift „Alles nur aus Liebe“ darauf hingewiesen, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Köln keine „Lifestyle-Verweigerer“ sind, sie „aber […] das Unbehagen an der Moderne [eint]“ (taz vom 15.8.05: 13). Und wie es in zwei weiteren Kernsätzen des Artikels heißt: „Jugendliche, die sich zum christlichen Glauben bekennen […], werden nicht mehr als uncool abgetan. […] Sich zum Christsein zu bekennen ist nicht mehr peinlich, sondern fast ein Ausdruck mächtigsten Talents zur Intimität, zur Abkehr von Oberflächlichkeit und Sinnenleere“ (ebd.). Es geht in diesen und vergleichbaren Medienberichten also nicht nur darum, über den Weltjugendtag als Ereignis zu berichten. Vielmehr wird er als Ausdruck eines allgemeinen gesellschaftlichen Wandels begriffen, indem es (wieder) möglich ist, Glaubenswerte expressiv zu vertreten. Thematisiert wird die „Wiederkehr
Pluralitäten
187
der Religion“ (Zeit 11.8.2005: 37) – wenn auch in Form einer neuen, dem profanen Alltag gegenüber stärker geöffneten Spiritualität. Diese in der Medienberichterstattung postulierte – und im Bericht darüber selbst medial vollzogene – (neue) ‚Zeigbarkeit der Glaubenswerte‘ des Katholizismus lässt sich in ihrer Widersprüchlichkeit am deutlichsten anhand der ‚Problematik der Sexualmoral‘ festmachen. Das ist dasjenige Thema, das von den von uns untersuchten Organen vor allem in Deutschland, in Teilen aber auch in Italien in Bezug auf Glaubenswerte am intensivsten behandelt wurde. Dies trifft ebenfalls auf religiöse Medienorgane zu. Bspw. widmet der Osservatore Romano – die Wochenzeitung des Vatikans – vom 16.9.2005 im Rückblick auf den Weltjugendtag dem Thema „Verbindung von Liebe, Ehe und Kirche“ einen breiten Kommentar, der zu dem (wertkonservativen) Schluss kommt, dass „die christliche Ehe und Familie ein Weg zu authentischem Glück [sind], insofern nämlich, als sie Schule der Liebe und gegenseitigen Selbsthingabe sind, in deren Mittelpunkt Gott steht.“ (ebd.: 12) Deutlich anders sind die Positionen der weltlichen Medien. Exemplarisch wird dies in einer Schlagzeile der Kölner Ausgabe der Bild-Zeitung greifbar, die unter der Überschrift „So herrlich fromm, so herrlich frei“ (Bild Köln 20.8.2005: 11) Bilder verschiedener, unterschiedlich knapp bekleideter, küssender Teilnehmerpärchen zeigt und diese Bilder mit Zitaten von Weltjugendtagsbesuchern wie den folgenden illustriert: „Wir sind gläubig, hatten aber alle schon Sex.“ oder „Den Weltjugendtag nehme ich ernst, aber er ist eigentlich eine Single-Party.“ Was in solchen Berichten anklingt, ist einerseits ein auf Verkaufserfolg zielender Voyeurismus, andererseits der ein breites Interesse erregende Widerspruch zwischen der offiziellen katholischen Sexualmorallehre und der von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gelebten Sexualität. Solche Widersprüchlichkeiten, die die Bild-Zeitung collagenhaft verbindet und damit in einer gewissen Offenheit präsentiert, werden in anderen von uns untersuchten Organen differenzierter diskutiert. Exemplarisch dafür ist der folgende Cartoon der taz, der damit spielt, dass beim Weltjugendtag die konservativen Wertvorstellungen des katholischen Klerus auf die liberalen Vorstellungen der Jugend treffen und zu wechselseitigen Missverständnissen führen.
188
Abbildung 29:
Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
Thema „Sexualität“ in Cartoons zum Weltjugendtag (Quelle: taz, 18.8.05: 11)
Ebenfalls als charakteristisch für diesen Diskus kann der Artikel „‚Glauben und Party verbinden.‘ Null Sex bis zur Ehe? Quatsch, meinen viele Katholiken und feiern ihre Kirche trotzdem“ gelten, der am 23.8.2005 auf der Jugendseite des Weser Kuriers erschien. In diesem wird der von der Bild-Zeitung her bekannte Voyeurismus greifbar, wenn in dem Artikel das Motto des Weltjugendtags durchaus zweideutig auf den Satz „Wir sind gekommen“ reduziert wird (S.28). Abgesehen davon kann die Position, die in dem Artikel entwickelt wird, aber als charakteristisch für den Diskurs über diese Thematik gelten: Es wird herausgestrichen, dass „sexy Christinnen“ sich in Kleidung und Auftreten nicht von anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterscheiden und man unter diesen bei aller Bekenntnis zum christlichen Glauben offene, „weltliche“ Positionen zu Sexualität findet: Sex vor der Ehe ist kein Tabu bzw. wie es der Artikel suggeriert gängige Praxis. Charakteristisch ist in diesem Sinne die Formulierung, mit der der Artikel schließt: „Man sieht hier, dass Kirche auch jung ist. Was die konservativen Wertvorstellungen angeht, […] sollte man einen Mittelweg finden.“
Pluralitäten
189
Die Diskussion um Sexualität prägt ebenfalls die deutsche Fernsehberichterstattung. Ein Beispiel ist folgender Ausschnitt aus der ARD-Sondersendung „Der Papst in Deutschland“. Hierbei handelt es sich um die Schluss-Sequenzen eines Interviews des WDR-Chefredakteurs Jörg Schönenborn mit Andrea Hoffmeier, der Bundesvorsitzenden des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Das Interview wurde nach 22:00 vom Kölner Weltjugendtagsaußenstudio der ARD live übertragen, wobei im Hintergrund die auf der Domplatte feiernden Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags zu sehen bzw. zu hören sind. Während des ganzen rund dreieinhalbminütigen Interviews wird Hoffmeier die Expertenrolle der Sprecherin für katholische Jugendliche und junge Erwachsene zugesprochen. Transkript 20: ARD Der Papst in Deutschland (19.8.05: 21:40) – „Zusammenfassung des Besuchsprogramms – Sexualmoral“ 0:18:44
A: Jörg Schönenborn und Andrea Hoffmeier im Studio
Moderator Jörg Schönenborn: ich werd mal konkret . Fragen der Sexualmoral . da ist viel drüber geschrieben worden gerade im Vorfeld des Weltjugendtags es gibt Gruppen die hier Kondome verteilen . Sex vor der Ehe . darf man Kondome benutzen . der Sprecher des Weltjugendtags sagt . überhaupt kein Thema . nur ein Randthema . Bischof Lehmann sagt wir müssen uns in solchen Fragen vielleicht besser vermitteln . was denken die Jugendlichen ((Geräuschpegel von der Domplatte))
0:19:02
N: Andrea Hoffmeier; zwischendurch Einblendung einer Namensleiste
Andrea Hoffmeier: ich würde auch in der Tat sagen es ist ähm ein Randthema hier am Weltjugendtag . also es wird von . ähm also häufig aufgegriffen es ist aber nicht das was die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen wirklich betrifft . natürlich ist es ähm is es Thema und ((Geräuschpegel von der Domplatte))
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Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
0:19:15
HT (Kamerschwenk über die Domplatte): Polonaise von Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf der Domplatte, einige winken im Vorbeilaufen direkt in die Kamera
es gibt ähm also eine . sehr unterschiedliche Einstellungen bei den Jugendlichen zu Sexualität . ähm auch vor der Ehe . ähm aber es ist jetzt nicht ähm so ((Jubel))
0:19:24
N: Andrea Hoffmeier
dass das hier permanent äh Thema wäre oder dass wir das auch in unserer Jugendarbeit merken dass das jetzt äh das Hauptthema wäre sondern da sind andere Themen wie eben Gerechtigkeit und Frieden viel wesentlicher in den letzten Jahren ((Jubel, Gesänge))
Der vorliegende Ausschnitt setzt ein, nachdem Andrea Hoffmeier eher allgemein über die Erwartungen der Jugendlichen gegenüber dem Weltjugendtag bzw. dem Papst gesprochen hat, woraufhin Jörg Schönenborn in seiner Rückfrage als ein greifbares Beispiel für ein Konfliktthema („ich werd mal konkret“) auf „Fragen der Sexualmoral“ Bezug nimmt. Das gilt ihm als ein Feld, in dem er eine Abweichung der Meinung von Jugendlichen und dem katholischen Klerus erwartet. Bemerkenswert ist die Antwort von Hoffmeier auf diese Frage in zweierlei Hinsicht. Zum einen stimmt sie Schönenborn nicht direkt zu, dass die Jugendlichen bei Sexualmoral bzw. Sex vor der Ehe generell anders denken als es die offizielle Kirchenposition ist. Vielmehr betont sie die Pluralität der „unterschiedliche[n] Einstellungen bei den Jugendlichen zu Sexualität, auch vor der Ehe“. Hoffmann hebt auf die vielfältigen Wertorientierungen unter den katholischen Jugendlichen ab. Untermauert wird dies durch die Umschaltung des Bilds vom Live-Interview zur Domplatte, auf der ausgelassen Polonaise tanzende Jugendliche zu sehen sind. Was deutlich wird, ist in Bezug auf das Thema Sexualität eine Binnenpluralität unter den katholischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Zum anderen betont Hoffmeier, dass Sexualität nur eines von verschiedenen Themen bei Fragen der Glaubenswerte sei und in diesem Gesamt aus ihrer Perspektive ein „Randthema“. Wichtiger erscheint ihr beispielsweise das Thema „Gerechtigkeit und Frieden“. Wir können dies in Bezug auf Fragen der Glaubenswerte als einen Hinweis auf die thematische Außenpluralität verstehen, d.h. als einen Hinweis darauf, dass nicht nur in Bezug auf ein bestimmtes Thema eine Vielfalt von Wertorientierungen greifbar wird, sondern dass daneben jedes
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Thema relativierend in einem Gesamt von weiteren im Hinblick auf Fragen der Wertorientierung relevanten Themen steht. Die bisher exemplarisch herausgegriffenen Beispiele machen deutlich, dass bei der deutschsprachigen Diskussion um Glaubenswerte der Weltjugendtag zwar als Aufhänger der Auseinandersetzung mit dieser Thematik fungiert, es gleichwohl um ‚mehr‘ geht als die Frage, was sexuell unter dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmern passiert. Vielmehr geht es in den Medienberichten darum, sich mit Glaubenswerten des Katholizismus und deren Lebbarkeit generell zu befassen. Hierbei wird deutlich, in welchem Maße mit einer Mediatisierung dieses Diskurses die Individualisierung des Katholizismus manifest wird: Mediatisierung bedeutet demnach, dass eine individualisierte Welt von katholischen Glaubenswerten öffentlich präsent wird. Eine solche mediatisierte Repräsentation von Individualisierung wird auch bei Beiträgen zum Verhältnis von Jugend und Kirche greifbar. Während die bisher betrachteten Fragen der Sexualmoral in der italienischen Medienberichterstattung kaum Thema waren, ist dies hier anders. Das Thema Jugend und Kirche war bereits in der Vorberichterstattung zum Weltjugendtag im Blick der italienischen Medien, indem das positive Verhältnis von Johannes Paul II zur Jugend als seine zentrale Leistung für die Glaubensgemeinschaft des Katholizismus beschrieben und damit der Weltjugendtag als sein zentrales Vermächtnis dargestellt wird. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf einen Nachruf auf Johannes Paul II im Corriere della Sera verwiesen. Unter dem Titel „Karol und seine Jugendlichen“ schreibt der Vatikan-Korrespondent des Blatts, Vittorio Messori: „Alles war Don Karol, von der Priesterweihe bis zum höchsten Pontifikat, alles außer einer dieser Priester, die, in zerrissenen Jeans und zerknittertem T-Shirt, sein wollen ‚wie die anderen‘ und zufrieden waren, wenn die ihnen anvertrauten Jugendlichen der dominanten nachlässigen Bibelauslegung folgten. Trotzdem, und das ist das Geheimnis einer sonst unerklärlichen Anziehungskraft: Die Jugendlichen waren davon begeistert gerade deshalb, weil er keinen Nachlass gewährte, weil er das Evangelium in seiner Radikalität verkündete, weil er ein schwieriges, wenn nicht heroisches Ideal vertrat. Kein Christentum reduziert auf harmlosen Humanismus, keinen faden aber politisch und theologisch korrekten Moralismus, sondern ein Ideal und ein radikales und militantes Wertesystem […]. Freude und Buße, Unbeschwertheit und Verbindlichkeit, Vertrauen und Respekt, Gesänge und zugleich Gebetspsalmen. […] Statt sich von diesem Eindruck des Evangeliums in seiner Radikalität abschrecken zu lassen, kamen die Jugendlichen in Massen herbei. Spontan. Und es ist wichtig, diese Spontaneität zu unterstreichen, denn sie ist der Ursprung eines überraschenden Phänomens, das grandiose Dimensionen angenommen hat [..]. Ich spreche von den Weltjugendtagen.“ (Corriere della Sera 4.3.05: 5)
Als Ratzinger zum neuen Papst gewählt wird, kommt die Frage auf, ob er dieses zentrale Erbe – den guten Kontakt zur „Weltjugend“ (La Repubblica 18.8.05: 22) – wird aufnehmen und fortführen können. So schreibt etwa L‘Espresso in der Ausgabe vom 28. April 2005 über die Agenda des neu gewählten Papstes:
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Der Katholizismus als deterritoriale Vergemeinschaftung
„Kommenden August steht im Kalender der Weltjugendtag in Köln. Die vorangegangen Treffen waren eine höchstpersönliche Erfindung Johannes Pauls II und aus ihnen ist ein neuer Typus Jugendlicher entstanden, die ‚Papaboys‘, stark an seine Person gebunden. Papa Ratzinger wird schnell entscheiden müssen, ob er seinen Vorgänger in diesem Punkt nachahmen oder neue Varianten einführen will, oder ob er die jugendlichen Zusammenkünfte ad acta legen will. Im Kern wird er vor allem überlegen müssen, wie er die Weitergabe des christlichen Glaubens von einer Generation zur nächsten sicherstellen will, in einem weitgehend entchristianisierten kulturellen Umfeld.“ (L‘Espresso 28.4.05: 43)
Der anstehende Weltjugendtag wird als Bewährungsprobe für den Papst dargestellt, der dort beweisen muss, ob er befähigt ist, diese Nachfolge anzutreten. In Bezug auf das Themenfeld Kirche und Jugend geht es entsprechend um eine Beliebtheitskonkurrenz zwischen Benedikt XVI und Johannes Paul II, die darauf verweist, dass heutiger Katholizismus bei den Jugendlichen auch eine individualisierte Entscheidung der emotionalen Zuwendung ist. L‘Espresso schreibt am Tag der Ankunft des Kirchenoberhaupts in Deutschland: „In Köln wird sich Ratzinger in Sachen Popularität an Papst Wojtila messen lassen müssen. Es wird nicht einfach sein: Der polnische Papst ist allgegenwärtig, im Geist und auf einem Mega-Foto-Mosaik, das die Fassade (sic!) der Kölner Kathedrale bedeckt. Und bei den Souvenirs wird es zum Zusammenstoß kommen: Die T-Shirts von Ratzinger und Wojtyla erscheinen nebeneinander im offiziellen Weltjugendtagskatalog. Kostenpunkt, 12,90 Euro.“
Die italienische und deutsche Berichterstattung operieren, da wo es um Fragen der Kirche und Jugend geht, vor allem in der Hauptphase des Medienevents mit ‚Personenporträts‘ und ‚persönlichen Statements‘ von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die am Weltjugendtag teilnehmen. Wie im Artikel „Jugendliche im Papst-Fieber“ aus Dolomiten steht die Begeisterung im Mittelpunkt, die das Auftreten des Papstes bei den „Pilgern“ hervorruft, und damit die Frage, inwieweit Benedikt XVI von den Jugendlichen akzeptiert wird. Die Funktion ‚persönlicher Statements‘ in den Artikeln ist es, dies zu verdeutlichen. „‚Gott, er ist einfach großartig‘, meinte David (21) aus Los Angeles. Ob am Rheinufer, wo er vom Schiff herab zu den Menschen beim Begrüßungsfest sprach, vor dem Kölner Dom oder bei seiner Fahrt durch die Innenstadt im Papamobil – überall zeigte sich das selbe Bild: Strahlende Gesichter, winkende junge Menschen, die ihre Begeisterung mit lautem Jubel herausriefen. ‚Er ist ein guter Papst für uns alle, weil er die Jugend schätzt und weiß, dass wir die Kirche sind‘, sagte die Studentin Laura Sinas aus Chicago. […] ‚Für niemand anderen auf der Welt würde ich mir so ein stundenlanges Gedrängel antun, aber er ist eben unser Heiliger Vater‘, jubelte Dave Constanzo aus New Jersey, der seit dem frühen Morgen in der Hitze vor dem Kölner Dom ausgeharrt hatte, um einen Blick auf den Pontifex zu werfen. […] An seinem ersten Besuchstag kam der Papst beim christlichen Nachwuchs gut an.“ (Dolomiten 19.8.05: 6)
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Dieses Zitat macht nochmals deutlich, dass die Begeisterung für den Papst bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Weltjugendtags in der italienischen Berichterstattung als besonders groß herausgestellt wird, was auf die zuvor bestehende Begeisterung der „Papaboys“ für Johannes Paul II verweist. So kommentiert ebenfalls der Corriere della Sera den ersten Besuchstag des Papstes wie folgt: „Alles in allem war der erste Kontakt des deutschen Papstes mit seiner Heimat warmherzig, auch wenn die in großer Zahl anwesenden Italiener lauter schrien als die Deutschen, und auch wenn Papst Ratzinger auf das Geschrei mit dem schüchternen Professoren-Lächeln antwortete. Ein halber Tag hat genügt, um zu verstehen, dass Benedikt XVI seinen eigenen kommunikativen Stil gefunden hat, und es wird ein antirhetorischer sein. Und vielleicht wird er genauso viel Anziehungskraft entfalten wie die kreative Gestik Wojtylas.“ (Corriere della Sera 19.8.05: 25)
Wie es die Sonderkorrespondentin des Canale 5 in einer Liveschaltung vom Gottesdienst auf dem Marienfeld exemplarisch für die anderen von uns untersuchten italienischen Medien formuliert: „Johannes Paul II adoptierte die Jugend der Welt, die Jugend der Welt hat nun Benedikt adoptiert.“ Exakt dies ist auch der Fokus der italienischen Medien in der Nachberichterstattung des Medienevents. Die Frage, ob Benedikt seine Prüfung bestanden hat, wird durchgehend positiv beantwortet. Die Publikumszeitschrift Gente etwa schreibt: „B16 berührt die Herzen der Papaboys. Nach der Rückkehr Papst Benedikts XVI von seiner ersten Auslandsreise kann ich bestätigen, dass Joseph Ratzinger von den Papaboys mit Liebe angenommen wurde.“ (Gente 1.9.05: 33)
‚Personenporträts‘ und ‚persönliche Statements‘ machen wiederum eine Pluralität der Vergemeinschaftung des Katholizismus in den Medien greifbar. Dies zeigt sich insbesondere auch an der Fernsehberichterstattung. Ein Beispiel dafür ist der unten stehende Ausschnitt aus der Rai 1-Sendung „A Sua Immagine“, von der wir andere Ausschnitte bereits in Kapitel 6 betrachtet haben. Während es in dem dort analysierten Material um die humorvolle, Muster populärkultureller Berichterstattung aufgreifende Inszenierung der Ankunft der italienischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Köln ging, steht im folgenden, nur eine Minute langen Kurzstatement von Jugendlichen das Verhältnis von Kirche und Jugend im Mittelpunkt.
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Transkript 21: Rai 1 A Sua Immagine (18.8.05: 23:20) – „Pilgerstatements“ Zeit
Bild
Ton
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G: junge Frau
junge Frau: das sind . leichte Entscheidungen . aber flüchtige und viele Jugendliche denken . leider . dass dieser der richtige Weg sei weil man sich auf diese Art letztlich frei fühlt . und das Christentum zu viele Regeln zu befolgen hat um jemanden glücklich zu machen aber es ist nicht so weil die Freiheit genau darin besteht . das Gute und das Böse wählen zu können und das ist eine Fähigkeit die uns gegeben wird . und . wenn sie im eigenen Leben konsequent erlebt wird ist _das_ das echte Glück wie uns Johannes Paul II in Tor Vergata gesagt hat
0:07:30
T: Reporter in einer Gruppe sitzender Pilger, neben ihm eine andere junge Frau
Reporter: was denkst du über die Jugendlichen in deinem Alter? zweite junge Frau: na ähm
0:07:34
G: junge Frau
zunächst sind wir nicht alle gleich es gibt manche die wirklich an Gott glauben . die am Gemeindeleben teilnehmen in die Kirche gehen alle die verschiedenen Jugendgruppen die einen _wirklich erfüllen_ und es ist wunderschön sich bei solchen bei solchen Anlässen zu treffen . und es gibt andere die sich stattdessen sehr sehr fern halten . ähm und so ist es
0:07:50
G: junger Mann (mit nacktem Oberkörper), im Hintergrund weitere Jugendliche ebenfalls mit nackten Oberkörpern
junger Mann: ich gehe nicht sehr oft zur Messe am Sonntag aber es ist wichtig ich meine wenn ich dahin geh gehe ich dahin weil ich Lust darauf habe dahin zu gehen
Pluralitäten 0:07:54
G: junge Frau mit blauem Pilgerhut; Schwenk auf anderen jungen Mann mit einem gleichen Hut um den Hals; G – HT (Zoom): mehrere Jugendliche mit Pilgerhüten drängen sich um den Interviewten und recken sich zur Kamera; der Interviewte spricht sehr bewegt, fasst sich immer wieder mit beiden Händen an die Brust, ans Hemd und an sein großes goldenes Brustkreuz; hebt dann beide Hände als hätte er genug gesagt
195 zweiter junger Mann: mein Verhältnis zu der Kirche war sehr schwierig weil ich wie kann man sagen Momente der Verwirrung in meinem Glauben hatte . ich habe auch angefangen mit sagen wir nicht gerade Vertrauen erweckenden Menschen zu verkehren und war kurz davor . wie kann man sagen . meine Religion zu verachten .. aber dann habe ich wie kann man sagen den entgegen gesetzten Weg eingeschlagen . der mich wieder auf den Weg des Glaubens zurückgebracht hat . und jetzt . muss ich sagen dass ich auf den Glauben und auf die Kirche gar nicht mehr verzichten kann .. sie sind . wie kann man sagen ein integraler Bestandteil von mir .. ich kann nicht darauf verzichten .. manchmal was weiß ich einen Rosenkranz zu beten . ich mache keine Witze
An diesen Statements fällt insgesamt zweierlei auf, erstens die Ich-Referenz und zweitens die Bewertungspluralität. So reflektiert die erste Äußerung das Verhältnis von Kirche und Jugend im Allgemeinen, wobei das „flüchtige“ Leben vieler Jugendlichen in scheinbarer Freiheit gegen die Freiheit der Wahl für das „Gute“, das christliche Leben gesetzt und damit die offizielle Position Johannes Pauls II bzw. des Vatikans repliziert wird. Schon im zweiten Statement wird aber die allgemeine Frage des Reporters nach den „Jugendlichen in deinem Alter“ mit einem inkludierenden Wir beantwortet und in den letzten beiden Statements zu einem Ich gewechselt und das persönliche Verhältnis zur katholischen Kirche dargelegt. Mit einer solchen zunehmenden Ich-Referenz geht es nicht nur um eine Selbstpositionierung im Hinblick auf das Verhältnis von Kirche und Jugend bzw. eine Selbstverortung in der Gemeinschaft des Katholizismus. Es wird darüber hinaus manifestiert, in welchem Maße das Verhältnis Jugend zu Kirche bzw. Katholizismus ein persönliches Verhältnis und damit in seiner Spezifik Sache des bzw. der Einzelnen ist. Bemerkenswert an diesem Ausschnitt ist neben der Ich-Referenz die Bewertungspluralität. Hier bewegen sich die Statements von einer Gut/Böse-Bewertung im ersten Fall über eine positive Bewertung der internen Pluralität der katholischen Jugend als Teil der Vergemeinschaftung des Katholizismus („wir [sind] nicht alle gleich“) bis hin zu einer Bewertung des Verhältnisses zur Kir-
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che als Lust-Beziehung („weil ich Lust darauf habe“) bzw. des persönlichen Zweifelns („Momente der Verwirrung“). Insgesamt wird durch die Vielfalt solcher Statements die Beziehung von Kirche und Jugend somit als individuell wie auch vielfältig in den Medien repräsentiert. Mediatisierung heißt einmal mehr im Hinblick auf das Verhältnis von Jugend und Kirche die Repräsentation der Pluralität der Vergemeinschaftung des Katholizismus. Vor dem Hintergrund der bisherigen Darlegungen verwundert es nicht, welchen Stellenwert Fragen der Ökumene in der Medienberichterstattung über den Weltjugendtag haben. Verknappt formuliert fasst diese Kategorie als Themenfeld all solche Medienberichte, in denen es um das Verhältnis der katholischen Glaubensgemeinschaft zu anderen Glaubensgemeinschaften geht. Nahe gelegt wird die Berichterstattung hierüber – wie bei den eingangs angestellten Überlegungen zur quantitativen Verteilung der Medienberichte gezeigt – durch das Papstprogramm. Über die deutsche und italienische Medienberichterstattung hinweg fokussieren Beiträge zu Ökumene vor allem den erwähnten Papstbesuch in der Kölner Synagoge bzw. Gespräche mit Vertretern der evangelischen Kirche und des Islams sowie Kommentare dieser Gespräche. Ein zusätzliches Gewicht bekommt das Thema Ökumene, weil während des Weltjugendtags mit Frère Roger der Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé ermordet wurde. Indem diese Medienberichte ein Sonderereignis thematisieren, werden sie aus den weiteren qualitativen Analysen ausgeklammert, auch wenn die Medienberichte hierüber in die standardisierte Auswertung eingeflossen sind, was inhaltlich begründet ist, weil in den Medienberichten zum Tod von Frère Roger zumeist ebenfalls der Weltjugend thematisiert wurde. Im Mittelpunkt steht jedoch der „erst[e] Besuch eines deutschen Papstes in einer deutschen Synagoge“ am 19.8.2005. Dabei handelt es sich um ein in hohem Maße sakrales und religionspolitisches Geschehen (siehe dazu die Analysen in Kapitel 7). Diese Spezifik als eine sakrale und religionspolitische Veranstaltung prägt die Medienberichterstattung über diese Auftritte. Diese sind im Fernsehen und Printbereich zuerst einmal Wiedergaben des Geschehens, bei denen man sich dem ‚Inszenierungsdruck‘ der jüdischen Gemeinde und katholischen Kirche beugt. Greifbar wird dies an der Fernsehberichterstattung über den Papstbesuch in der Kölner Synagoge, die auf ARD, RTL und dem italienischen Sender RAI 1 zu sehen waren. Ohne weitere inszenatorische Dramaturgie, mit wenigen Kameras und direkter (Live-)Übertragung werden die Ansprachen von Abraham Lehrer (Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde in Köln), Netanel Teitelbaum (Gemeinderabbiner) und Papst Benedikt XVI übertragen. Diese Form einer ‚Ereignisberichterstattung‘ prägt bemerkenswerterweise auch die Printmedien. Die Bild-Zeitung berichtet über diese ökumenischen Tref-
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fen als den „wichtigsten Stationen des 2. Tages des Papstbesuchs“ (Bild Köln 20.8.05: 9) im Stil eines Telegramms mit Nennung der Uhrzeit und dem Geschehen. Und in anderen Printorganen findet man vergleichbare Tendenzen einer versucht ‚unvermittelten‘ Berichterstattung über das Geschehen, indem mit direkten und indirekten Zitaten aus den verschiedenen Ansprachen gearbeitet wird. Exemplarisch verdeutlicht dies der Aufmacher der FAZ vom 20.8.2005, der zu rund 50 Prozent aus direkten Zitaten der Papstansprache in der Synagoge besteht. Nicht anders verhält es sich in den von uns untersuchten italienischen Presseorganen. Bereits im Vorfeld wird die geplante Begegnung des katholischen Kirchenoberhaupts mit Vertretern der jüdischen und muslimischen Gemeinde in Deutschland aufgrund der „hohen Symbolkraft“ als „Sensation“ (Dolomiten, 22.7.08: 2) gewertet. Und so dokumentiert der Corriere della Sera den Ablauf des päpstlichen Synagogenbesuchs bis ins Detail: „Ein Jugendchor grüßt zum Einzug des Gasts in den Saal, es erklingt Hewenu shalom lechem. Empfangen von Beifall nimmt Benedikt XVI auf einem hölzernen Thron Platz. Die Zeremonie beginnt. Ein Sänger intoniert Verse aus dem ersten Kapitel des Buch Mose, dann den Psalm Davids: ‚Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser‘. Die Symbole weichen nun den Worten. Abraham Lehrer ist an der Reihe, Vorsteher der Kölner Gemeinde. Es ist die politischste Ansprache des Tages: ‚In Ihnen sehen wir nicht nur das Oberhaupt der katholischen Kirche, sondern auch den Deutschen, der sich seiner historischen Verantwortung stellt‘. Man muss den von Johannes Paul II, ‚dem größten Brückenbauer zwischen den Religionen‘, initiierten Prozess fortführen. Wie? Lehrer wird direkt: ‚Möge die Kirche ihre Archive über den Zweiten Weltkrieg öffnen‘. Um ihre Antwort auf den Holocaust ins Licht zu rücken. ‚Es wäre ein weiterer Hinweis des guten Willens des Heiligen Stuhls, die kritische und friedliche Arbeit über dieses schmerzhafte Kapitel weiterzuführen‘. Die Antwort des Papstes wird nur eine indirekte sein, aber keine negative. Dann spricht der Rabbiner Teitelbaum: ‚Ihr Besuch heute ist eine Friedensbotschaft an die Völker der Welt […].“ (Corriere della Sera 10.8.05: 2)
Auf der nächsten Seite druckt das Blatt Auszüge aus der Ansprache des Papstes und erklärt in einer Bildleiste über die gesamte Doppelseite die wesentlichen symbolischen Gesten während der Zeremonie. Ähnliche Formen der Berichterstattung finden sich in der La Rebubblica. Anhand dieser Beispiele wird greifbar, was die Tendenz der Berichterstattung über den Papstbesuch in der Synagoge ausmacht: Es ist eine ‚ökumenische Begegnung‘, der in den Medien ein ‚sakrales Moment‘ und ‚hohe Symbolkraft‘ unterstellt wird. Gleichzeitig werden an den Worten, die der Papst äußert und die mehr oder weniger ungebrochen wiedergegeben werden, Grenzen und Differenzen zwischen Christentum und Judentum deutlich. Einen solchen Fokus prägen ebenfalls die verschiedenen Kommentare zu dem Ereignis, ob in deutschen
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Medien oder italienischen, wie der folgende Kommentar aus der Repubblica deutlich macht: „Fast alle – Gläubige oder nicht – hatten auf die erste Tat oder Rede in den ersten 100 Tagen des neuen Papstes gewartet, die dem neuen Pontifikat einen Stempel aufdrücken könnten. Das Bild des Intellektuellen, das von Anfang an präsent war, reichte allein nicht aus, um die Züge des neuen Pontifikats zu zeichnen. Die Rede über ein so delikates Thema von Benedikt XVI in Köln beim Besuch der jüdischen Synagoge stellt solch ein charakteristisches Element dar, drückt dem Pontifikat den Stempel auf. […] Die Rede ist nicht nur deshalb charakterisierend für das neue Pontifikat, weil die Verurteilung des Rassismus und der Schoa von dem neuen Papst wiederholt wird, sondern vor allem wegen des kraftvollen kulturellen Kontexts, in dem sie formuliert ist.“ (La Repubblica 21.8.05: 1)
Es geht um die Grenzziehung zwischen Katholizismus, Judentum aber auch anderen Religionen. Hinter diese breite Berichterstattung über den Besuch des Papstes in der Synagoge fallen die beiden anderen in Bezug auf Ökumene relevanten Ereignisse – das Treffen mit Vertretern der evangelischen Kirche und des Islams – mit Abstand weniger ins Gewicht. Ein erster Grund ist, dass diese Ereignisse nicht ‚sakral‘ inszeniert sind, sondern es sich bei diesen vielmehr um diskursive Veranstaltungen gehandelt hat. Ein anderer Grund ist, dass diese Geschehnisse als deutlich problembeladener in den Medienberichten aufgegriffen werden. Hierbei besteht eine Differenz zwischen deutschen und italienischen Medienorganen: Während in den deutschen die Frage der Beziehung zur evangelischen Kirche Thema ist – Fragen der Ökumene in einem engeren Sinne des Wortes –, spielt dies bei der italienischen Berichterstattung kaum eine Rolle. Dort dominiert der Aufruf des Papstes gegen Terrorismus bzw. zum gemeinsamen „Kampf“ aller Gläubigen für Menschenwürde und gegen Gewalt die Berichterstattung. In den deutschen Medienorganen sind dabei die Kommentare, wie die Gespräche das Verhältnis von katholischer und evangelischer Kirche verbessert haben, in der Tendenz eher verhalten bis kritisch. Und dass die Haltung des Papstes gegenüber den islamischen Vertretern ebenfalls kritisch gesehen wird, macht ein Artikel des Spiegels vom 12. September 2005 deutlich. In diesem geht es nicht direkt um den Weltjugendtag, sondern im Rahmen einer Nachberichterstattung um eine Audienz des Papstes für Oriana Fallaci, eine italienische, in New York lebende Kritikerin des Islams. Jedoch wird dort wie folgt kommentierend Bezug genommen auf das Treffen zwischen islamischen Glaubensvertretern und dem Papst in Köln: „Bei seinem Kölner Treffen mit Vertretern muslimischer Gemeinschaften erklärte Benedikt XVI, dass die ‚Verteidigung der Religionsfreiheit und die Achtung der Minderheiten ein unanfechtbares Zeichen wahrer Zivilisation‘ sei. Das war eine deutliche Kritik an allen Staaten der arabischen Welt“ (Spiegel 37/2005: 162).
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Und auch in der italienischen Berichterstattung wird beim Treffen mit muslimischen Vertretern meist ein Bezug zum islamischen Terrorismus bzw. religiösen Fanatismus hergestellt. „Mai più guerre in nome di Dio“ – ‚Keine Kriege mehr in Gottes Namen‘ nome di Dio“ – titeln L‘Adige (21.8.05: 3), Corriere della Sera (21.8.05: 3) und La Repubblica (21.8.05: 1) gleichlautend. Weiter heißt es im Adige: In einem Land, in dem über drei Millionen Muslime leben, zwei Drittel davon Türken, hat Benedikt XVI, der am Sitz des Erzbischofs von Köln die islamischen Vertreter empfangen hat, besonders die Verantwortung hervorgehoben, die denjenigen obliegt, die die Jugendlichen erziehen: ‚Ihr – sagte er unter anderem zu den muslimischen Vertretern unter Führung von Ridvan Cakir, Präsident der DITIB, – führt die islamischen Gläubigen an und erzieht sie im muslimischen Glauben. Ihr habt daher eine große Verantwortung in der Erziehung der neuen Generationen. Zusammen, Christen und Muslime, müssen wir den zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit entgegen treten. Es gibt keinen Platz für Apathie und fehlendes Engagement, und noch weniger für Parteilichkeit und Sektiererei’. Begonnen hatte der Papst damit, dass er seine Besorgnis angesichts des ‚grassierenden Phänomens des Terrorismus’ betonte.“ (L‘Adige 21.8.05: 3)
Bezug nehmend auf den Appell des Papstes an die islamischen Vertreter wird in diesem Artikel, rund zehn Tage nach den U-Bahn-Anschlägen von London, der Islam direkt mit der terroristischen Bedrohung ‚des Westens‘ in Verbindung gebracht. Noch deutlicher wird dies an folgendem Beispiel aus dem Corriere della Sera vom 21. August 2005. Unter einem halbseitigen Foto Jugendlicher und Geistlicher auf dem von Kerzen erhellten Papsthügel während der Vigil, das nicht nur eine sakrale Aura schaffen sondern offensichtlich auch für den Katholizismus als friedfertige Religion stehen soll, und der Überschrift „Voraussetzung für Dialog: Terrorismus verurteilen“ wird auf einer halben Seite das Treffen Benedikts XVI mit den muslimischen Vertretern analysiert: „Endlich ein Papst, der in Gegenwart einer muslimischen Delegation den Terrorismus verurteilt, ohne Wenn und Aber. Endlich ein Papst, der den Wert des Lebens eines jeden Einzelnen zum Unterscheidungsmerkmal zwischen Zivilisation und Barbarei erhebt. Endlich ein Papst, der den Dialog meidet, der sich nach dem formalen und ziemlich scheinheiligen Ritus des Händeschüttelns für die Fernsehkameras abspielt, indem er den Muslimen mit einer expliziten Gegenüberstellung des Kerns des jeder menschlichen Zivilisation zu Grunde liegenden Wertesystems gegenübertritt. Ohne Zugeständnisse an soziale und ökonomische Themen (Ausgrenzung, Armut), die den gewalttätigen Fanatismus begleiten. In Köln hat Benedikt XVI eine neue Etappe in der Beziehung zu den Anhängern der dritten abrahamitischen Religion eröffnet, die ins Zentrum der primären internationalen Ausnahmensituation katapultiert wurden durch das Abdriften des Terrorismus und die Sorgen, die die im Westen wurzelnden islamischen Gemeinschaften ausgelöst haben.“ (Corriere della Sera 21.8.05):
Deutlich wird damit bezogen auf Fragen der Ökumene eine Positionierung der deterritorialen Vergemeinschaftung des Katholizismus gegenüber einem – so die Unterstellung – eher fundamentalistischen und politisch problematischen Is-
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lam. Mediatisierung wird greifbar als teils gewollte, teils eingeforderte Positionierung des Katholizismus in seiner Beziehung zu anderen Glaubensgemeinschaften. Dabei werden bestehende mediale Abgrenzungsdiskurse bedient. Die Frage, die sich in Bezug auf die thematische Verdichtung des Katholizismus abschließend stellt, ist die wie die Kirche als Organisation in dem bisher umrissenen Gesamthorizont verhandelt wird. Bezogen auf die ausgewerteten italienischen Publikationen wird zuerst einmal deutlich, dass dieses Themenfeld hier nur einen verschwindend geringen Teil der Berichterstattung einnimmt. Es geht wenn um organisationsgeschichtliche Hintergrundinformationen zum Weltjugendtag bzw. deren weitere Kontextualisierung, bspw. im Hinblick auf die Neuausrichtung des Papstamtes oder interne (Vatikan-)Politik in der katholischen Kirche. Anders sieht es in deutschen Medienorganen aus, wo Fragen der Kirche als Organisation zwar einen untergeordneten Status haben, dennoch nicht irrelevant für die Einschätzung der deterritorialen Glaubensgemeinschaft des Katholizismus als Horizont des Weltjugendtags sind. So fällt auf, dass die katholische Kirche als Organisation deutlich über den Weltjugendtag hinaus Thema der Medienberichterstattung ist, d.h. nicht nur Medienbeiträge zu finden sind, in denen es um die Leistungen der katholischen Kirche für die Vorbereitung des Weltjugendtags geht, sondern ebenso verschiedene Medienberichte, die sich detaillierter mit dieser auseinandersetzen. Wenn man von Hintergrundinformationen zu dem organisatorischen Prozedere der Wahl von Benedikt XVI absieht, die ebenfalls in unseren Untersuchungszeitraum fällt, aber auf ein anderes (Medien-)Ereignis als den Weltjugendtag verweist, sind dies eine Auseinandersetzung mit den ‚Akteuren in der Organisation‘ der katholischen Kirche (sowohl Geistliche als auch Laien), mit den ‚Aktivitäten der Organisation‘ und eine Kritik an beidem. Gerade in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Akteuren der katholischen Kirche fällt in den profanen Medienorganen auf, dass erhebliche Tendenzen zu einer Personalisierung der Medienberichterstattung über den Papst hinaus erkennbar sind. Es geht bspw. um Kardinal Meisner, was diesen mit Papst Johannes Paul II verbindet, und dass er sich dafür einsetzt, dass der zu wählende Papst seinen Verpflichtungen der Realisierung des Weltjugendtags in Köln nachkommt (Bild Köln 4.4.2005), oder um den sich als Laien in der Kirchengemeinde in Trier-Feyen engagierenden Stefan Herschler, der sich als christlicher Laienschauspieler einbringt (Trierischer Volksfreund 4.7.2005). Im Fokus stehen entsprechend in Bezug auf den Weltjugendtag weitergehende Aktivitäten der katholischen Kirche wie bspw. die Aktion „Gerechtigkeit jetzt!“, die darauf zielt, den Welthandel gerechter zu machen (Trierischer Volksfreund
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3./4.9.2005). Die katholische Kirche wird als eine Organisation greifbar, in der sich verschiedene Menschen für recht unterschiedliche Ziele engagieren. Dabei kann man konstatieren, dass die Berichterstattung über die Organisation der Kirche im Allgemeinen deutlich kritischer ist, als in direktem Bezug auf das Großereignis des Weltjugendtags. Dazu einige Beispiele: Am 14. April 2005 erschien in der Zeit ein Artikel mit der Überschrift „Ausgezehrt. Die jungen Katholiken schwärmen für den Papst aber nicht unbedingt für die katholische Kirche“. Mit Bezug auf die anstehende Papstwahl wird in dem Artikel prognostiziert, dass der „20. Weltjugendtag Mitte August in Köln die Probleme der katholischen Kirche in Deutschland bündeln“ (Zeit 14.4.2005) wird: Einerseits könne ausgemacht werden, dass „die Gesellschaft nach Spiritualisierung schreit“ (ebd.), andererseits lehnen die (insbesondere jungen) Menschen die Kirche als (konservative) Organisation ab. Solche eher kritischen Berichte gegenüber der Kirche als Organisation werden teilweise mit einer Auseinandersetzung mit ihren Akteuren verbunden. Ein Beispiel dafür ist ein Artikel des Spiegels, in dem der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner als „Gotteskrieger vom Rhein“ (Spiegel 30/2005: 52) bezeichnet und argumentiert wird, dass dieser mit seiner konservativen Wertorientierung „mittlerweile zum Wortführer der katholischen Fundamentalisten in Deutschland avanciert“ sei (ebd.): „Pluralismus in der katholischen Kirche ist Meisner zuwider“ (ebd.: 53), ebenso wie er „Unwillens [sei], irgendetwas in der katholischen Kirche zu verändern“ (ebd.: 54). Ähnlich scharfe Kritiken an der katholischen Kirche als Organisation finden sich in Interviews wie dem in der taz vom 13. und 14.8.2005 abgedruckten Interview mit Eugen Drewermann. In diesem kritisiert Drewermann ausgehend vom Weltjugendtag repressive Tendenzen in der katholischen Kirche. Sie finden sich aber auch in Artikeln, die der Organisation der katholischen Kirche positiver gegenüberstehen. Ein Beispiel ist ein Artikel im Trierischen Volksfreund während der Nachberichterstattung zum Weltjugendtag, in dem der Empfang des Theologen und Kirchenkritikers Hans Küng und der Auftritt des Papstes beim Weltjugendtag als Anlass genommen werden, eine „Glasnost im Vatikan“ auszumachen, die eine Bereitschaft signalisiere, „sich behutsam zu öffnen“ (Trierischer Volksfreund 27.9.06). Auch wenn solche Beiträge die Gesamtlage deutlich positiver einschätzen, wird damit ebenfalls die Notwendigkeit zur Reform der Kirche als Organisation artikuliert. In welchem Sinne lässt sich zusammenfassend in Bezug auf den Weltjugendtag von einer Mediatisierung des Katholizismus sprechen? Festzuhalten ist zunächst, dass die Medien die Möglichkeit schaffen, durch den Weltjugendtag als Medienevent über die lokalen Ereignisse in Köln hinaus den Sinnhorizont einer
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deterritorialen Glaubensgemeinschaft auf neue Weise zu artikulieren: ‚Erlebbar‘ ist Religion sicherlich in erster Linie durch lokale Ereignisse. Eine umfassende Medienberichterstattung gestattet es aber, eine plastische Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer geteilten Vergemeinschaftung zu evozieren. Konkret bedeutet das für die Mediatisierung des Katholizismus am Beispiel des Weltjugendtags zweierlei: 1. Deterritorialität und Transkulturalität des Katholizismus als Glaubensgemeinschaft: Zuerst einmal fällt auf, dass die Deterritorialität und Transkulturalität des Katholizismus zentrale Bezugspunkte der Medienberichterstattung sind. Das lokale Ereignis des Weltjugendtags wird kontextualisiert in dem weiteren Sinnhorizont der katholischen Glaubensgemeinschaft, deren Anspruch als ‚Weltkirche‘ er durch seine Transkulturalität repräsentiert. Einen großen Stellenwert hat die Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Jugend. Wenn man eine Tendenz der Berichterstattung ausmachen möchte, kann man diese also darin sehen, dass in den spirituellen Angeboten der katholischen Kirche – so zumindest die mediale Konstruktion – ein Reiz für Jugendliche und junge Erwachsene besteht, der sich in der Begeisterung für den Papst manifestiert. Die Kirche als Organisation wird in Abgrenzung dazu allerdings deutlich kritisiert. Mediatisierung macht also Deterritorialität und Transkulturalität des Katholizismus auf neue Weise erfahrbar. 2. Individualisierte Glaubenswerte: Zweitens heißt Mediatisierung gleichzeitig, dass die Vielfalt der individualisierten Glaubenswerte des Katholizismus nach Außen hin deutlich wird. In Zeiten heutiger Medienkulturen erscheint die Konstruktion eines ‚homogenen Bilds‘ des Katholizismus mit einem ebenso ‚homogenen Wertehorizont‘ als ein unmögliches Unterfangen. Die Mediatisierung macht die Individualisierung des Katholizismus zu einem öffentlich verhandelten Tatbestand. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang die Behandlung von Glaubenswerten, die in den deutschen Medien in Form der Auseinandersetzung mit der katholischen Sexualmoral ein ganz zentraler Fokus der Berichterstattung sind. Die Individualisierung des Katholizismus wird aber auch in der italienischen Berichterstattung in entsprechenden ‚Pilgerporträts‘ manifest. In gewissem Sinne geht es, mal explizit, mal implizit, um die Frage, ob die offiziell von der katholischen Kirche postulierten Werte der deterritorialen Gemeinschaft überhaupt entsprechen. In der Berichterstattung öffnet sich so ein Spannungsverhältnis zwischen einerseits Begeisterung für die Spiritualität der deterritorialen religiösen Vergemeinschaftung, die sich an der ‚Marke‘ des Papstes konkretisiert, und andererseits der Individualität und alltäglichen ‚Weltoffenheit‘ der Lebensführung der (meisten) Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In der Mediatisierung erscheint der Sinnhorizont des Katholizismus damit nicht so homogen, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mag.
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Auch in Bezug auf die deterritoriale Glaubensgemeinschaft des Katholizismus zeigen unsere Analysen also einmal mehr die Widersprüchlichkeit der Mediatisierung des Weltjugendtags.
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Die Mediatisierung der Teilnahme
Betrachtet man die Mediatisierung des Weltjugendtags, muss man neben dessen Planung und Medienberichterstattung – die in unseren Analysen bisher im Fokus standen – die Mediatisierung der lokalen Ereignisse in Köln betrachten. Das betrifft nicht nur den Umstand, dass die Vorberichte in Rundfunk, Fernsehen und Internet, die gedruckte Weltjugendtagszeitung, das Informationsmaterial der katholischen Kirche oder das Weltjugendtagsradio wichtige Elemente der Begleitung des Erlebens der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Weltjugendtag waren. Neben dieser Erlebnispräfiguration durch eine entsprechende adressatenorientierte Vor- und Begleitberichterstattung war der Weltjugendtag aus Perspektive der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf zwei weiteren Ebenen durch Mediatisierung gekennzeichnet. Erstens kann das Weltjugendtagserleben vor Ort nicht losgelöst von Medien gesehen werden. Medien sind Ressourcen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Organisation ihres Eventerlebens vor Ort. Insbesondere wird in Bezug auf den Weltjugendtag eine „kommunikative Mobilität“ (Hepp 2006a) greifbar. Mit dem Ausdruck bezeichnen wir das zunehmende Mobilwerden von (konvergenten) digitalen Endgeräten bspw. in Form von Mobiltelefonen, Digitalkameras oder MP3-Playern. Zur kommunikativen Mobilität zählt aber auch, dass stationäre Medien(-technologien) zunehmend auf Menschen in Bewegung gerichtet sind, wofür Überwachungskameras und Großmonitore für „public viewing“ prominente Beispiele sind. Zweitens waren die Teilnehmenden an der Artikulation des Weltjugendtags als Medienevent beteiligt und zwar nicht nur als ‚Objekte‘ der Berichterstattung. Sie konnten zumindest in bestimmten Bereichen als deren ‚Subjekte‘ aktiv an dem medialen Diskurs partizipieren. Ein Beispiel hierfür ist die „Talk-to-HimBox“. Dabei handelte es sich um einen mit einer Aufnahmeanlage ausgestatteten und ansprechend gestalteten Container, der es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf dem Weltjugendtag ermöglichte, in dessen offiziellen Sprachen Mitteilungen aufzusprechen, die in einer Auswahl im Weltjugendtagsradio bzw. im Westdeutschen Rundfunk gesendet wurden. Man kann diese „Talk-to-HimBox“ als eine Möglichkeit der „kommunikativen Partizipation“ (NeumannBraun 2000: 22) am Medienevent Weltjugendtag ansehen. Gemeinsam heben die beiden Phänomene – kommunikative Mobilität und kommunikative Partizipation – auf einen wichtigen weiteren Aspekt von Mediatisierung ab, nämlich dass die aktuellen Kommunikationsnetzwerke, in denen
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Die Mediatisierung der Teilnahme
wir stehen, ganz generell medial durchdrungen sind und sich entlang der verschiedenen Medien unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten entfalten (Krotz 2007: 112-116). So halten wir zunehmend unsere personalen Kommunikationsnetzwerke durch Medien wie das Mobiltelefon aufrecht, was auch für das außeralltägliche Ereignis Weltjugendtag charakteristisch ist. Daneben nutzen wir Medien für unsere Selbstdarstellung – nicht nur alltäglich beispielsweise über persönliche Webseiten, sondern auch außeralltäglich bei Angeboten der kommunikativen Partizipation. Mit einem solchen Fokus auf Mediatisierung bewegen wir uns analytisch auf der Ebene der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags vor Ort und setzen uns mit einem deutlich anderen Untersuchungsfeld auseinander als in den letzten Kapiteln. Wie wir an anderer Stelle gezeigt haben (Forschungskonsortium Weltjugendtag 2007: 19-114), ist aus Perspektive der Teilnehmenden der Weltjugendtag ein „Glaubensfest der katholischen Jugend“, in dem sie als „totalem Gemeinschaftserlebnis“ möglicherweise zum ersten Mal die Erfahrung machen, mit ihrem Glauben zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort die sichtbare Majorität zu sein. Katholizismus wird in der Transkulturalität seiner deterritorialen Vergemeinschaftung lokal konkret. Gleichzeitig ist dieses Erlebnis des Weltjugendtags für die Teilnehmenden durch eine komplexe Ambivalenz gegenüber dem Papst und eine Individualisierung des Glaubens gekennzeichnet.
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Kommunikative Mobilität: Mobiltelefon, Fotografie und Videowände*
Zum Zeitpunkt des Weltjugendtags besitzen rund 92 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland ein Mobiltelefon (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2006: 48), wobei seine ursprüngliche Funktion, mit dem personalen Medium ortsunabhängig erreichbar zu sein, sukzessiv um eine Vielzahl von Verwendungen und Diensten erweitert wurde, die es zu einem persönlichen Hybrid-Medium und jugendkulturell besetzten Stilmittel gemacht haben (Düvel, 2006). Ob SMS oder Klingelton, Display-Logo oder Bildspeicherung, längst wird das Mobiltelefon nicht mehr nur für Telefonate genutzt, sondern es ist zu einer Art ‚Medienzentrale‘ des Jugendalltags avanciert. Die Unverzichtbarkeit des Mobiltelefons zeigte sich auch während des Weltjugendtags: Als Kontakt*
Mitautor des Kapitels 9.1 ist Waldemar Vogelgesang. Es stützt sich auf eine ethnografische Forschung zur Weltjugendtagsteilnahme bzw. eine standardisierte Befragung der Teilnehmenden (siehe Forschungskonsortium Weltjugendtag 2007).
Kommunikative Mobilität
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und Beziehungsmedium, digitales Bildarchiv und religiöser Zeichenträger wurde es in den unterschiedlichen Kontexten und Veranstaltungen eine hervorragende, weil ‚passgenaue‘ Plattform mediatisierter Religion. Wie die von uns durchgeführte Befragung der deutschsprachigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ergeben hat, hatte deren überwiegende Mehrheit (93 Prozent; n = 563) im Verlauf des Weltjugendtags ein Mobiltelefon dabei und nutzte dies öfter, wobei kommunikative Verwendungsmuster dominierten, wie unten stehende Darstellung illustriert. Abbildung 30: 75 64 51 31
andere Verwendungen (z.B. Photos)
Überbrückung von Wartezeiten
Mitteilungen an Nicht-WJT'ler
Verabredungen auf dem WJT
5
Kontakt zu WJT'lern
80 70 60 50 40 30 20 10 0
Nutzung des Handys auf dem Weltjugendtag
Durch das Mobiltelefon wurden nicht nur Bekannte und Freunde kontaktiert. Es war ebenso ein unerlässliches Hilfsmittel, um sich mit ausländischen Jugendlichen wieder in Verbindung zu setzen, die man im Vorfeld des Weltjugendtags während der von der katholischen Kirche veranstalteten „Tage der Begegnung“ kennen gelernt hatte. Die Notwendigkeit ergab sich durch die nach Sprachgruppen getrennten Unterkünfte während des Weltjugendtags. Diese bedeuteten zunächst eine Kontaktunterbrechung – nicht selten wohl auch eine endgültige –, da während der ‚heißen Phase‘ des Weltjugendtags in Köln das jeweilige Herkunftsland zum zentralen organisatorischen und sozialen Bezugspunkt für die jugendlichen Teilnehmer wurde. Aber es zeigte sich, dass es durchaus auch Jugendliche gab – und zwar einheimische wie ausländische –, die sich in Köln unbedingt wieder treffen wollten. Das Mobiltelefon fungierte für diese als ‚transkulturelles Navigationssystem‘, um sich zu verabreden und gemeinsam etwas zu
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Die Mediatisierung der Teilnahme
unternehmen. So berichtete eine von uns befragte Gruppe von einer Begegnung mit Jugendlichen aus Meran in Südtirol, die sich durch die ‚Lotsenfunktion‘ des Mobiltelefons auf dem Marienfeld wieder getroffen hatten: „Wir hatten uns am Rheinufer kennen gelernt, als wir gemeinsam auf den Papst gewartet haben. Einige hatten die Idee, dass wir uns doch auf dem Marienfeld zur Vigilfeier und zum Abschlussgottesdienst wieder treffen könnten. Wir tauschten zwar die Planquadratnummern aus, aber dann ist doch jede Gruppe irgendwo ganz anders gelandet. In dem ganzen Menschenwust und Organisationschaos gab es nur eine Chance sich wieder zu finden, indem man durch Kurznachrichten ständig seine Position den anderen mitteilte. Als die letzte Such-SMS raus ging, waren wir keine zehn Meter mehr voneinander entfernt.“
Dass für die kommunikative Verwendung des Mobiltelefons neben dem Gespräch auch Text- und Bildtransfers typisch sind, ist schon fast eine triviale Alltagserfahrung, wobei vor allem die Jugendlichen (mit durchschnittlich vier Kurzmitteilungen pro Tag) zu den Großkunden der Netzbetreiber zählen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2006). Unsere Beobachtungen weisen darauf hin, dass die ‚tägliche Senderate‘ während des Weltjugendtags deutlich höher lag: Ob in den Eröffnungsgottesdiensten, bei der Domwallfahrt oder der nächtlichen Vigilfeier auf dem Marienfeld, der konzentrierte Blick auf das Mobiltelefon bzw. das häufige SMS-Tippen verrieten, dass die jugendlichen Weltjugendtagsbesucher etwas mitzuteilen haben. Auch manch eine langatmige Katechese wurde mit einem Blick auf das Handy ‚erträglicher‘, konnte man sich so Themen und Personen zuwenden, die man für wichtiger oder interessanter erachtete. Welche Inhalte auch immer kommuniziert wurden, sie wurden mittels eines kommunikationstechnischen Hilfsmittels verschickt, das üblicherweise nicht in ‚sakralen Räumen‘ vorkommt. Einen besonderen Stellenwert hat das Dokumentieren des eigenen Erlebens durch Fotografie mit dem Mobiltelefon (und deren MMS-Versand) bzw. mit Digitalkameras. Dies dürfte zum einen an der Außeralltäglichkeit vieler Situationen gelegen haben. Zum anderen bieten Bildbotschaften die Gelegenheit, den Kommunikationspartner noch stärker an der eigenen Umgebung und der aktuellen Befindlichkeit teilnehmen zu lassen (siehe Kapitel 10). In der Medienkultur, in der Jugendliche heute aufwachsen, kommt ‚authentischen Bildbotschaften‘ eine verstärkte Bedeutung zu. Das Bedürfnis, anderen mittels ‚fotografischer Schnappschüsse‘ einen ‚Nachweis‘ zukommen zu lassen, wie viel Spaß man momentan auf dieser Party oder jenem Event hat, ist Ausdruck dieser Entwicklung. Die Fotogalerien in vielen Tageszeitungen resp. deren Archiven, die den Einzelnen oder eine kleine Gruppe von ‚Erlebnissuchern‘ aus der Masse einer bestimmten Eventveranstaltung herausheben, stehen ebenfalls im Kontext eines ‚demonstrativen Zeigegestus‘, von dem gerade für junge Menschen in einer auf
Kommunikative Mobilität
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Juvenilität und Selbstdarstellung fokussierten Zeit eine starke Faszination ausgeht. Abbildung 31:
Selbst gemachte Weltjugendtags-Fotos: Repräsentationen eines ‚unvergänglichen Augenblicks‘ (eigene Aufnahme)
Das allseits beobachtbare Fotografieren und Filmen von Ereignissen und Erlebnissen während des Weltjugendtags hatte aber nicht nur eine ‚soziale Außenfunktion’. Denn dadurch wurden auch sehr persönliche Eindrücke einer religiösen Großveranstaltung festgehalten und in ihrer Besonderheit und Unwiederholbarkeit ‚dokumentiert’. Im Modus der Verbildlichung wird eine an einem Ort erlebte Augenblickserfahrung ‚eingefroren‘ und zum zeitüberdauernden Beleg, Teil und Teilnehmer eines außeralltäglichen religiösen Ereignisses gewesen zu sein. Was in den Gesprächen mit den Jugendlichen ‚vor Ort‘ immer wieder angesprochen wurde, wird in der ‚privaten Bildersammlung‘ verdichtet und translokal auf Dauer gestellt: Das persönliche Dabeigewesensein an einem unvergesslichen Religionsevent, das sich in die Erinnerung eingeschrieben hat. „Dies ist eine besondere Veranstaltung in meinem Leben“, „hunderttausende von Leuten, das Meer von Kerzen, […] das ist halt schon ein Wahnsinnsgefühl“, „die Stimmung, ich fand es klasse, total schön“ – mit solchen Umschreibungen heben die Teilnehmer den Weltjugendtag in den Rang eines Mega-Events und stilisieren ihn zu einer einmaligen biografischen Erfahrung. Wenn es stimmt, dass wir die Erinnerung gleichsam auch für uns selbst inszenieren (Halbwachs
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Die Mediatisierung der Teilnahme
1985, Keppler 1994b), mithin „alle Erinnerung Konstruktion ist“ (Hahn 2000: 24), dürften die vielen selbst gemachten Fotos und narrativ verdichteten Einzelerlebnisse mit zunehmendem Abstand zu dem realen Geschehen dies noch triumphaler und unverwechselbarer („ein Lebenshöhepunkt“) erscheinen lassen. Auch Negativerfahrungen („irgendwann war ich einfach nur noch platt“) können in gleicher Weise in der Erinnerung kultiviert und zu einer Einmaligkeitserfahrung umgedeutet und überhöht werden. Dass dabei spirituelle Erfahrungen und religiöse Gefühle an- und ausgesprochen werden, ist ein weiterer Indikator für die unaufgeregte Weise, in der Jugendliche ihre individualisierten Glaubensstile zum Ausdruck bringen. Auch wenn theologische Fragen auf dem Weltjugendtag keine zentrale Rolle spielten, was die Teilnehmer trotzdem beeindruckte, war die Lockerheit und Unverkrampftheit, mit der man sich hier über Gott und die Welt unterhalten konnte, wenn man es denn wollte. Abbildung 32:
‚Religiöse Andacht‘ vor der Videoleinwand (eigene Aufnahme)
Die unkonventionelle Art und Weise, wie sich die Jugendlichen bestimmter Medien regelrecht ‚bedienten‘, um an einer liturgischen Feier teilzunehmen oder
Kommunikative Mobilität
211
meditativ die ‚eventhaltige‘ Außenwelt hinter sich zu lassen, ist ebenfalls Ausdruck einer individualisierten – und dem jugendlichen medienkulturellen Habitus entsprechenden – Glaubenspraxis. Ein anschauliches Beispiel für die ‚Normalität jugendlicher mediatisierter Religion‘, dem sie schon fast einen ikonografischen Charakter zuschreiben, stellen diejenigen Teilnehmer am Weltjugendtag dar, die am Rande des Marienfeldes liturgische Inszenierungen auf den zahlreichen Videoleinwänden verfolgt haben (siehe Abbildung 32). Weitere Beispiele für die Individualität, Souveränität und Eigenwilligkeit, mit der Jugendliche religiöse Elemente in ihren jugend- und medienkulturellen Lebensstil eingebunden haben, sind die Verwendung von Handy-Klingeltönen und -Logos, die einen unmittelbaren Bezug zum Weltjugendtag haben. Ob es sich um den offiziellen Weltjugendtagssong „Venimus Adorare Eum“, das Lied „All My Life“ von Claas P. Jambor aus dem TV- und Kinospot zum Weltjugendtag oder den spirituellen Klassiker „Oh Happy Day“ handelte, die Musikbegeisterung der Jugendlichen zeigte sich während des Weltjugendtags in einem ‚religiös getönten Gewand’. Und die Handy-Logos waren eine Fundgrube medienund religionskultureller Expressivität. Manche Jugendliche hatten die Displays ihrer Mobiltelefone eigens für den Weltjugendtag mit aufwändigen ‚religiösen Eigenkreationen‘ gestaltet, indem sie Anleihen bei der klassischen christlichkatholischen Ikonografie machten, etwa durch Rückgriff auf die ‚Betenden Hände‘, das ‚Fisch’-Motiv oder das ‚Herz Jesu’. Aber diese religiösen Urmotive und Ursymbole wurden nicht einfach ‚zitiert‘, sondern individuell verändert. Daneben wurden aktuelle Bezüge, Eindrücke und Erlebnisse während des Weltjugendtags, z.B. das offizielle Weltjugendtagssymbol, selbst gemachte Papst-Bilder und so genannte ‚Highlight-Fotos‘ als ästhetischer Display-Background verwandt. Dabei fungiert die ästhetische Umgestaltung und Collagierung als ‚performatives Szenen- und Sinnzeichen’. Oder, wie ein Jugendlicher, dessen Handy-Display ein kunstvolles Arrangement von Papstbild und Weltjugendtagslogo ‚zierte‘, seine Eigenkreation kommentierte: „Jeder Blick auf das Handy sagt mir, warum ich hier in Köln bin und warum mir das so wichtig ist: Hier hat sich die katholische Jugend der Welt versammelt, und ich gehöre dazu.“
Die ‚religiöse Dimension‘ spielt ebenso bei weniger ambitionierten Mobiltelefonnutzern eine Rolle. Denn neben den ‚kreativen Bastlern‘ mit ihrer Vorliebe für Originaldesigns gab es jene, die auf ‚Fertigprodukte‘ zurückgriffen, wobei wiederum in vielen Fällen die religiösen Motive nicht nur animiert, sondern in Form der Installation auch personalisierbar waren. Aus einer riesigen Angebotspalette, die von der offiziellen Weltjugendtagsinternetseite bis zu privaten Anbietern reichte, konnten sich die Jugendlichen „Logokunst mit Weltjugendtagsbezug“, wie dies ein Teilnehmer so treffend umschrieben hat, entweder kosten-
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Die Mediatisierung der Teilnahme
los oder für ein geringes Entgelt aus dem Internet herunterladen. Hierzu zwei Beispiele: Abbildung 33:
Handy-Logos – ‚Final Answer‘ und ‚Jesus LEBT!’
Die Art und Weise, wie die jugendlichen Teilnehmer vor oder während des Weltjugendtags ihr Handydisplay – und nicht selten auch ihre Handyschale –, umgestaltet haben, ist ein aufschlussreicher Indikator, wie im Prozess der Mediatisierung jugendkulturelle und religiöse Ausdrucksformen und Artefakte miteinander als mediatisierte Religion ‚verwoben‘ wurden. Dass andere Weltjugendtagsaccessoires wie etwa die Klebetattoos, Pins, Telefonkarten, Schlüsselanhänger mit dem Weltjugendtagslogo, die Silikonarmbänder in den Weltjugendtagsfarben oder die Papst-T-Shirts sozusagen einen ‚doppelten Verweisungscharakter‘ hatten, kann hier nur angedeutet werden. Was während des Weltjugendtags beobachtbar war, ist ein spielerisches Vergnügen, Medialität und Sakralität, jugendkulturelle Selbstbestimmung und religiöses Selbstbewusstsein miteinander in Einklang zu bringen. Durch eine expressive Form von ‚religiösem Fantum‘ haben die Teilnehmer gezeigt, dass der Glaube auch etwas Fröhliches sein kann und dass er in das ‚jugendliche Ausdrucksrepertoire‘ passt. Fassen wir unsere bisherigen Analysen zur Mediatisierung der Weltjugendtagsteilnahme zusammen, erscheinen drei Punkte bemerkenswert. 1. Kommunikatives Management: Unsere Analysen machen deutlich, in welchem Maße mobile Medientechnologien – allen voran das Mobiltelefon – verwendet werden, die lokale Mobilität zum bzw. auf dem Weltjugendtag zu managen. Die mit dem Mobiltelefon mögliche personale Kommunikation ‚in Bewegung‘ gestattet es sicherzustellen, dass während der Teilnahme am Weltjugendtag Verabredungen möglich werden bzw. Netzwerke von Gruppen in ihrer Bewegung über den Weltjugendtag koordiniert werden können. Eine gänzlich andere Form des Managements – nämlich eines durch die Veranstalter – sind die zentral aufgestellten Videoleinwände, die den sich über den Weltjugendtag
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213
bewegenden Gruppen immer einen Blick auf die zentralen (liturgischen) Geschehnisse ermöglichen. Mediatisierung wird als durch Medien gemanagetes lokales religiöses Erleben greifbar. 2. Personale kommunikative Konnektivität: Unsere Analysen weisen darauf hin, dass die kommunikative Mobilität digitaler Medien es gestattet, mit der eigenen Gruppe kommunikativ translokal verbunden zu bleiben. Dies betrifft nicht nur die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort, mit denen sich Erlebniseindrücke austauschen lassen. Vor allem betrifft dies auch Mitglieder der eigenen Bezugsgruppe (Freunde, Freundinnen, Cliquenmitglieder) an anderen Orten, mit denen das eigene Erleben bspw. durch SMS oder MMS geteilt werden kann. Und selbst bei der Bewegung hin zu weiteren Lokalitäten (bspw. denen der Nachtreffen) wird es möglich, die (digitalen) Dokumente des eigenen Erlebens mit sich zu tragen und sich mit anderen seiner Bezugsgruppe darüber auszutauschen bzw. so eine (gemeinsame) Erinnerung zu generieren (siehe Kapitel 10). 3. Kommunikative Expressivität: Schließlich zeigen unsere Analysen, inwieweit kommunikative Mobilität auch heißt, dass die mobil verfügbaren Kommunikations- und Medientechnologien bspw. in Form von Logos und Klingeltönen neben anderem ein Mittel dafür sind, expressiv die eigene Glaubensüberzeugung zu dokumentieren und sich damit als Mitglied einer Glaubensgemeinschaft erkennbar zu machen. Diese drei Punkte zeigen, dass Mediatisierung in erheblichem Maße auf die Individualisierung von Religion verweist: Mit fortschreitender Mediatisierung wird es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf einfache Weise möglich, den Weltjugendtag in ihrer lokalen Mobilität als deren eigenes Glaubenserlebnis zu gestalten. Die Mediatisierung gestattet es, auch bei sakralen Veranstaltungen kommunikativ mit der jeweils eigenen religiösen Gruppe in Verbindung zu bleiben. Und ebenso macht sie es möglich, auf einfache Weise den Weltjugendtag als individuelles Erleben zu erinnern. Sicherlich wäre es verkürzt zu behaupten, die Individualisierung von Religion sei lediglich eine Folge ihrer zunehmenden Mediatisierung. Umgekehrt legen unsere Beispiele aber nahe, dass aus Perspektive der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der mediatisierten Religion deren Individualisierung weitere Möglichkeiten eröffnet werden.
214
9.2
Die Mediatisierung der Teilnahme
Kommunikative Partizipation: Die „Talk-to-Him-Box“*
Würdigt man die „Talk-to-Him-Box“ des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in ihrer Gesamtheit, so kann man sie als ein ‚Partizipationsexperiment‘ bezeichnen (siehe Abbildung 34). Dies wird deutlich, wenn man die Box in ihrer (Kommunikations-)Struktur betrachtet: Sie wurde in Form eines Containers auf dem Kölner Wallrafplatz aufgestellt, ein Platz in direkter Nähe sowohl des Doms und des WDR Funkhauses, der mitten im ‚Zentrum des Geschehens‘ des Weltjugendtags lag. Abbildung 34:
Blick in die WDR „Talk-to-Him-Box“ (eigene Aufnahme)
In dieser Sprechbox konnten Teilnehmerinnen und Teilnehmer ebenso wie Passanten ungestört persönliche Botschaften, Meinungen, Wünsche, Grüße oder Sorgen an jedem Tag des Events zwischen 9:00 und 23:00 Uhr in unterschiedli*
Mitautor der Teilkapitel 9.2. und 9.3 ist Martin Adler. Sie basieren auf einer vom WDR geförderten Studie zum Partizipationsexperiment der „Talk-to-Him-Box“.
Kommunikative Partizipation
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chen, der Aufforderung nach den fünf offiziellen Sprachen des Weltjugendtags aufsprechen (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch). Dabei wurde bewusst offen gehalten, an wen sich die Sprechenden wenden, d.h. wie sie „ihn“ deuten, als „Papst“, „Gott“ oder auch anders. Kontinuierlich betreut wurde die Box von drei fremdsprachig geschulten Personen, die die Passanten über die Box informierten, Flyer mit Informationen zur Box verteilten, die Türe zur Box offen hielten, um die Zugangsbarriere gering zu halten, und generell als Ansprechpartner zur Verfügung standen. Die Äußerungen in der Box wurden in so genannten „Takes“ aufgezeichnet. Aus ausgewählten, z.T. übersetzten Takes wurde jeden Tag eine Collage erstellt, die dann im Hörfunkprogramm WDR3 ausgestrahlt und darüber hinaus dem Weltjugendtagsradio und weiteren ARD-Sendeanstalten zur Verfügung gestellt wurde. Tabelle 5:
Herkunftsländer mit fünf oder mehr Nutzern der Box Herkunftsland
Anzahl
Prozent
Deutschland
130
33,3
USA
37
9,5
Spanien
31
7,9
Italien
30
7,7
Frankreich
19
4,9
Mexiko
17
4,4
Brasilien
11
2,8
Australien
9
2,3
Kanada
7
1,8
Polen
7
1,8
Dom. Republik
6
1,5
Ecuador
6
1,5
England
5
1,3
Sonstige
75
19,3
Um die Frage zu klären, wer die Nutzerinnen und Nutzer der „Talk-to-HimBox“ gewesen sind, bietet sich ein quantifizierender Überblick an. Dies soll im Weiteren geschehen, und zwar im Hinblick auf Anzahl, Alter, Geschlecht und Herkunft der Personen, die gemeinsam die Box genutzt haben (siehe Tabelle 5). Die Aussagen, die dazu gemacht werden können, sind mit einer gewissen
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Die Mediatisierung der Teilnahme
Schwierigkeit konfrontiert: So ist eine exakte Bestimmung der Anzahl derjenigen, die in der Box sind, nicht immer möglich, insbesondere wenn eine der Personen geschwiegen hat oder bei mehreren Personen gemeinsam gesungen wurde. Begründet ist dies in der Form des Materials, das dieser Auswertung zu Grunde liegt – nämlich den Takes der Nutzerinnen und Nutzer der Box. Die im Weiteren gemachten Angaben beziehen sich daher auf die Personen, die man eindeutig auf den Aufnahmen hören konnte. Insgesamt sind dies 932 Personen, wobei rund 73 Prozent die Box alleine, 18 Prozent die Box zu zweit und der Rest mit drei und mehr Personen genutzt haben. Solche Angaben lassen sich in Beziehung setzen zu den Zahlen der offiziellen Weltjugendtagsstatistik (http://www.wjt2005.de/index.php?id=178&si=3, abgerufen am 21.11.2005). Danach ist das herausragende Teilnehmerland Italien mit 101.174 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, gefolgt von Deutschland (83.929), Frankreich (38.549), Spanien (31.908), den USA (24.237) und Polen (19.500). Die Struktur der Nutzerinnen und Nutzer der „Talk-to-Him-Box“ entspricht also tendenziell der Teilnehmerstruktur des Weltjugendtags, wenn man davon absieht, dass vor allem Italiener unterrepräsentiert und Deutsche überrepräsentiert sind. Wenn wir klären wollen, welche ‚Gläubigen‘ es waren, die die Box genutzt haben, können wir diese Frage dahingehend konkretisieren, dass wir fragen, als ‚was‘ sich die Nutzerinnen und Nutzer der Box ‚begreifen‘. Denn gleich ob sie alleine oder in der Gruppe in der Box waren, die Nutzerinnen und Nutzer können sich entweder als Person verstehen, die ihren individuellen Glauben artikuliert, oder aber als eine Person, die in ihrem Glauben für eine religiöse Gruppierung steht. Bei denjenigen Sprechern in der Box, die ihren Glauben als ‚individualisiert‘ begreifen, fallen zwei Referenzpunkte auf, zwischen denen sie ihren Glauben verorten. Dies ist einerseits die (katholische) Kirche als Organisation, andererseits das eigene ‚Ich‘, in Bezug auf das ganz explizit der Glaube gesehen wird. Dabei steht das ‚Ich‘ in der Tendenz klar vor der Kirche als Organisation. Wie es eine Frau aus Kanada formuliert: „Ich glaube zuerst an mich und wenn ich mich traue an Gott, aber ich glaube vor allem an die Menschheit.“ (31jährige Frau aus Kanada) Auffallend an den Takes der Box ist also, dass in ihnen Glaube in der Tendenz als ‚individueller Glaube‘ thematisiert wird, der in Abgrenzung zur Organisation der Kirche steht bzw. stehen kann. Auf pointierte Weise wird das an folgendem Zitat einer Frau deutlich, die (glaubend) aus der Kirche ausgetreten ist:
Kommunikative Partizipation
217
„Kirche ist für mich nichts, aber Glauben ist für mich alles. Und Glauben ist für mich schon wichtig. Ich gehe auch gern mal in die Kirche und bete. Aus der Kirche bin ich seit Jahren ausgetreten.“ (Frau aus Deutschland)
Abbildung 35:
Mehrfach thematisierte religiöse Gruppierungen (Häufigkeit der Nennungen in absoluten Zahlen)
Gruppe
Häufigkeit
Messdiener
9
Neokatechumenaler Weg
5
Franziskaner
5
Schönstatt
3
Karmelitermönche
2
Urchristen
2
Opus Dei
2
Traten Personen in der Box als Repräsentanten religiöser Gruppierungen auf, darf das nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass dies auf gegenläufige Tendenzen zur Individualisierung von Religion verweisen würde. Im Gegenteil: Sie nutzen die Kommunikationsumgebung der Box, um auf dem religiösen Sinnmarkt expressiv die je eigene religiöse Gruppe zu vertreten. Der Begriff der ‚Gruppe‘ ist hier breit zu verstehen: So ordnen wir darunter Gruppierungen der katholischen Kirche ein, deren Mitglieder eine gewisse Identität teilen (bspw. Messdiener), als auch religiöse Gruppierungen, die über eigene Organisationsstrukturen verfügen (bspw. Schönstatt-Bewegung). Welche religiösen Gruppierungen in der „Talk-to-him-Box“ im Einzelnen sich selbst zuordnend thematisiert wurden, kann der Abbildung 35 entnommen werden. Stellt man sich die Frage, wie die in der Box thematisierten religiösen Gruppen in Beziehung zu sehen sind zum individuellen Leben des (katholischen) Glaubens, kann man zweierlei festhalten. Erstens sind sie für die Artikulation des Glaubens ihrer jugendlichen und erwachsenen Anhänger normierend. D.h. es entsteht ein Gruppendruck auf die Form, wie Glaube praktiziert bzw. entsprechend in der Box artikuliert wird. Wie es ein spanischer jugendlicher Angehöriger der Neokatechumenalen formuliert: „der Kampf als Christlicher ist hart, es ist hart in dieser Gesellschaft zu leben“ (26jähriger Mann aus Spanien). Umgekehrt kann die Existenz solcher religiöser Gruppen mit ihren zum Teil sehr spezifischen moralisch-ethischen Normen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Zugehörigkeit zu ihnen (auch) auf einen Prozess der individuellen Wahl verweist, also sowohl auf die Notwendigkeit, diese Gruppierung wählen zu müs-
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Die Mediatisierung der Teilnahme
sen, als auch die damit verbundene „Politik der Wahl“ im Sinne von Anthony Giddens (1991, 1995), d.h. den Ausschluss anderer Wahlmöglichkeiten eben durch diese Wahl. Dass die Vertreter der jeweiligen Glaubensorientierung diese so expressiv in der Box vertreten, kann möglicherweise auch verstanden werden als Versuch, eine solche Wahlentscheidung nach Außen hin zu legitimieren. Zweitens kann die Existenz solcher religiöser Gruppierungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass deren Mitglieder jenseits der Gruppe ihren Glauben individuell leben und für bzw. vor sich verantworten müssen. Konkret wird dies an dem Take eines Mädchens, das zuerst mit ihrer Freundin gemeinsam in der Box war, um sich als Anhängerin von Opus Dei zu präsentieren, dann aber nochmals alleine in die Box geht, um Folgendes zu beichten: „ich war eben mit meiner Freundin […] da. Also gut, ich möchte noch etwas sagen, es ist … Also, es fällt mir sehr schwer, jetzt darüber zu reden. Nun gut, was ich ihm noch sagen möchte, ist das wir eben viel über Berufung und so geredet haben. Und die Wahrheit ist, dass ich das gar nicht will, es ist die Berufung von Opus Dei, der Ruf von denen… ich möchte das nicht, aber es fällt mir sehr schwer, denn ich liebe Gott nicht so, dass ich ihm mein Leben schenken kann, also möchte ich mehr Glauben haben, ich bitte ihn, dass er für meinen Glauben und so betet. Das möchte ich. Nur das. Es bedrückt mich, ein Moment in dem ich nicht bete bedrückt mich, also, ich weiß gar nicht, wie man Gott um etwas bittet, ich weiß nicht um was genau ich ihn bitten soll. Mir macht das sehr viel Angst, und ich habe auch Angst vor Gott. Ich weiß nicht, warum, aber ich spüre Angst. Deshalb möchte ich ihn bitten für mich zu beten, dass ich zu Gott finde, oder auch meinen Prinzen. Mir würde es gefallen zu heiraten, auch um meinen Glauben und so zu verstärken.“ (junges Mädchen aus Spanien)
Deutlich merkt man, dass die gemeinsam mit der Freundin bestehende Gruppenzugehörigkeit zu Opus Dei die Glaubensartikulation beim ersten Gang in die Box geprägt hat, dass dies umgekehrt aber nicht von einer individuellen Auseinandersetzung mit dem Glauben ‚entlastet‘, sondern die Politik dieser Wahl auf der jungen Frau ‚lastet’: Die Wahl, die mit der „Berufung“ zu Opus Dei verbunden ist, schließt andere ‚Wahlmöglichkeiten‘ wie die der Suche nach einem „Prinzen“ aus. Für die junge Frau bedeuten solche Konflikte, dass sie „Angst vor Gott“ verspürt. In diesem Sinne macht das Beispiel deutlich, zu welchen Konflikten Individualisierung von Religion auch innerhalb von religiösen Gruppierungen führen kann. Wie lassen sich nun die Äußerungen in der „Talk-to-Him-Box“ über Gruppenzugehörigkeit und Glaubensorientierung hinweg systematisieren? Dazu bietet es sich an, die geäußerten Beiträge im Hinblick auf ihre Kommunikationsform und die inhaltlichen Schwerpunkte der Aussagen zu typisieren. Auf diese Weise lassen sich sechs zentrale Nutzertypen der Box unterscheiden, die in ihrem Gesamt das Partizipationsexperiment anschaulich beschreiben:
Kommunikative Partizipation
219
•
Jubler: Die meisten Takes sind jubelnde Takes. Jubel gibt es für den Papst oder als Beschreibung der eigenen Stimmungslage. Zum Teil taucht der Jubel in ‚musikalischen Formen‘ wie Gesang und Sprechchören auf. Inhalte spielen eine geringere Rolle. Jubler gibt es aus fast allen Ländern, seltener aus Spanien.
•
Verkünder: Der Verkünder ist die zweithäufigste Form der Aneignung der Box. Hier wird der Glaube oder auch eine moralisch-politische Botschaft expressiv nach außen getragen. Manchmal sind dies – wie gesagt – Positionen einer speziellen Gruppierung, deren Auffassungen dargestellt werden. Verkünder kommen überdurchschnittlich bei Spaniern und Italienern vor.
•
Wallfahrer: Hier stehen Religion und deren Glaubenspraxis im Vordergrund. Wallfahrer beten in der Box oder nutzen sie für eine Art Beichte. Sie beschäftigen sich mit ihrer Spiritualität und wünschen sich, vom Weltjugendtag mit gestärktem Glauben nachhause zu kommen. Wallfahrer sind seltener vertreten und können kaum Nationen zugeordnet werden.
•
Bittsteller: Der Bittsteller macht in besonderer Form seine Anliegen deutlich: Er verpackt sie in eine Bitte, die meistens an den Papst adressiert ist. Auch wenn sie in der Tendenz freundlich bleibt, enthält diese Bitte doch ein gewisses Maß an kritischer Auseinandersetzung mit der Kirche. Bittsteller sind recht häufig vertreten und oft aus Brasilien, den USA und Deutschland.
•
Grübler: Er beschäftigt sich vor allem mit sich selbst – in Form von Sorgen, Nöten und Konflikten persönlicher Art in Bezug auf Glauben. Für ihn hat die Box die performative Funktion eines „Beichtstuhls“. Seine Sprache ist oft deutsch, insgesamt tritt er aber selten auf.
•
Der Kritiker: Der Kritiker äußert eine starke Ablehnung oder Infragestellung von religiösen Institutionen, Papst oder Weltjugendtag oder kritisiert konkrete Einzelaspekte der Durchführung des Events. Kritiker kommen auffällig oft aus Deutschland, sind insgesamt aber selten. Manche Kritiker sind zufällige Besucher.
Eine solche überblickende Annäherung macht deutlich, was die Mediatisierung des Weltjugendtags bezogen auf das Partizipationsexperiment der „Talk-toHim-Box“ heißt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzen die Box nicht nur, um ihren individualisierten Glauben zu artikulieren in der Hoffnung, mit ihrer eigenen Position Teil des mediatisierten Diskurses des Medienevents Weltjugendtag zu werden. Gleichzeitig wird die Box auch als mediatisiertes Schaufenster verwendet, um insbesondere bei Zugehörigkeit zu einer religiösen Grup-
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Die Mediatisierung der Teilnahme
pierung die Position, die als charakteristisch für diese Glaubensorientierung angesehen wird, nach Außen zu kommunizieren. Hierbei wird aber gleichzeitig auch – wie das Beispiel des jungen Mädchens deutlich macht – das eigene Leiden in solchen Gruppierungen manifest. Insgesamt konkretisiert sich Mediatisierung also in der Teilhabe am Sichtbar-Machen der Pluralität des Katholizismus. Was dies inhaltlich im Detail heißt, wollen wir in dem folgenden Kapitel betrachten.
9.3
Expressivität der Partizipation: Pluralitäten der Selbstrepräsentationen
Betrachtet man die verschiedenen in der Box verhandelten Themen, wird deren relative Breite deutlich. Diese reichen – jenseits des Weltjugendtags und sortiert nach Häufigkeit der Nennung – von Frieden und Ökumene, über Frauenrechte, (Homo-)Sexualität und Abtreibung bis hin zu Umwelt, Terrorismus und Faschismus (siehe Tabelle 6). Daneben wurden verschiedene direkt auf den Weltjugendtag bezogene Themen aufgegriffen (Organisation, Essen etc.). Es fällt auf, in welchem Maße kontroverse Themen zu finden sind. Während die Bitte um Frieden sicherlich unproblematisch ist, erscheint das Thema der Offenheit des Katholizismus wesentlich heikler. Hier geht es darum, „dass wir nicht zu konservativ sind, sondern versuchen, uns der Welt gegenüber zu öffnen“ (32jährige aus Kamerun), dass „Frauen Priesterinnen werden“ (31jährige aus Kanada) oder „dass man mit Verhütung und Homosexualität anders umgeht“ (Frau aus Deutschland). Solche Beispiele machen greifbar, dass das Partizipationsexperiment der „Talk-to-Him-Box“ anregt, sich zu in der katholischen Kirche kontroversen Themen zu äußern. Dabei zeigen die Ausschnitte aus den Beiträgen, dass die verhandelten Positionen sich häufig nicht mit der offiziellen Meinung der katholischen Kirche decken. Innerhalb dieser Vielfalt von Themen lassen sich zumindest vier thematische Verdichtungen ausmachen. Dies ist (1.) die thematische Verdichtung des Weltjugendtags selbst, (2.) die thematische Verdichtung des Papstes, (3.) die thematische Verdichtung von Glauben und Kirche sowie (4.) die des Gemeinschaftserlebens. Zur thematischen Verdichtung Auseinandersetzung mit dem Weltjugendtag zählen Themen wie der Charakter des Weltjugendtags, seine Organisation oder die Motive, am Weltjugendtag teilzunehmen. Kritische Äußerungen beziehen sich in dem Zusammenhang auf (organisatorische) Details und nur im Einzelfall auf das Ereignis insgesamt.
Expressivität der Partizipation Tabelle 6:
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Einzelthemen der Takes (ohne Weltjugendtagsbezug)
Häufigkeit der Nennung
Thema
Sehr häufige Nennungen (n > 25)
Frauenrechte Frieden Homosexualität Kirchliche Offenheit Verhütung Weitere Religionen Abtreibung Armut, Gerechtigkeit Familie Frère Roger (Ermordung) Islam Jugend Liebe, Heirat Ökumene Scheidung Sexualität, Sexualmoral Zölibat AIDS Bibel Faschismus Kommerzialisierung Pädophilie Sünde Terrorismus Tod Umwelt Vegetarismus
Häufige Nennungen (5 n 25)
Einzelne Nennungen (n < 5)
Insgesamt werden die Kölner Veranstaltung sowie das Engagement der katholischen Kirche, Weltjugendtage durchzuführen, auffallend positiv bewertet werden – bis hin zu zahlreichen begeisterten Anmerkungen, die diese Veranstaltung als wegweisend und einzigartig beschreiben. Fokussiert man, was genau am Weltjugendtag positiv bewertet wird, fallen folgende Punkte auf: Erstens die (erfolgreiche) Inszenierung eines freudigen Katholizismus („dass sich echte Lebensfreude und das Leben in der Kirche verbinden lässt“; Mann aus Deutschland), zweitens die offene Geselligkeit des Weltjugendtags („die Leute sind alle sehr nett“; Amerikaner) und drittens die Erlebbarkeit (des katholischen Anspruchs) einer ‚deterritorialen Weltkirche‘ bzw. die Transkulturalität des Ereig-
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Die Mediatisierung der Teilnahme
nisses („nirgendwo anders als auf dem Weltjugendtag kann man eigentlich die Weltkirche so gut erleben und so gut mitbekommen, dass man nicht alleine ist“; drei Jugendliche aus Deutschland). Solche Beispiele verweisen darauf, dass bezogen auf den Weltjugendtag Kritik zumeist Kritik am organisatorischen Detail bleibt. Im Fokus der bewertenden Äußerungen in der „Talk-to-Him-Box“ steht die Begeisterung für ihn. Dies deckt sich mit den durch die Medien vermittelten Bildern des Weltjugendtags und verweist auf das primäre Motiv für eine Weltjugendtagsteilnahme: die Teilhabe an einem außeralltäglichen religiösen Gemeinschaftserlebnis. Dem Papst kommt – als zweite thematische Verdichtung – Verehrung bis hin zu sympathisierender Kritik entgegen. Ein Teil (etwa zwei Drittel) betont die Heiligkeit des Papstes, bezeichnet ihn etwa „definitiv [als] die Verkörperung des Heiligen Geistes“ (Spanier). Ein anderer Teil (etwa ein Drittel) betont eher das Menschsein des Papstes und sieht in ihm einen Leiter und Führer der Kirche mit Vorbildfunktion, „ein Mensch mit Charisma“ (55jährige aus Deutschland), der durchaus „bewunder[t]“ (zwei jugendliche Italiener) wird. Benedikt wird in diesem Kontext für die Amtsübernahme verehrt, man dankt ihm direkt, dass er „die Führung der Kirche übernommen“ (Italiener) hat und stellt ihn in die Tradition von Johannes Paul II: „Und wir lieben Papst Benedikt und Papst Johannes Paul II Súbito Santo!“ (ders.) Kritik am Papst tritt meist in Form von konkreten Anliegen und Wünschen auf, wie sich Kirche verändern soll. Hier geht es um die zu Beginn des Teilkapitels dargestellten typischen Themen, die Nutzerinnen und Nutzer kritisch sehen (Zölibat, Ökumene, Homosexuelle, Rolle der Frauen in der Kirche, Abtreibung usw.). Der Papst wird aufgefordert, daran etwas zu ändern – hin zu einer liberaleren Haltung. Gleichzeitig wird aber auch betont, in welchem Maße der Papst für das offene Vertreten von (religiösen) Werten positiv gesehen wird, selbst wenn man diese persönlich nicht teilt. Exemplarisch für diese Haltung gegenüber dem Papst kann folgendes, längeres Zitat gelten: „Wie seit jeher wünschen sich besonders junge Menschen, alte viel weniger, Anpassung, Veränderung, Modernität – in der Regel nur kleine. Revolutionen sind nicht gefragt. So wünschen sie zum Beispiel nicht so strenge Warnungen oder Mahnungen zum Thema Liebe der Christen miteinander. Nützen tut es eh nur wenig. Oder dass die Kirche, die immer allen offen stand, Frauen noch ein wenig mehr öffnet. Auch da ist kein Umsturz gewünscht. Die Ordensleute und die Würdenträger tragen wohl nicht ohne Grund Frauenkleider. Nun wäre es schön, wenn in den Kleidern der zweiten genannten Gruppe ab und zu auch einmal eine Frau stecken würde. Viele Grüße an Papst Benedikt XVI.“ (junger Mann aus Deutschland)
Man ist in Bezug auf die kritischen Äußerungen gegenüber dem Papst mit einem gewissen Paradox konfrontiert: Einerseits ist die Begeisterung für ihn gerade in seiner moralischen Standhaftigkeit begründet, die ihm in einer wertplu-
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ralen Zeit als positiv angerechnet wird. Andererseits betreffen kritische Äußerungen ihm bzw. der Kirche gegenüber vor allem Forderungen nach mehr Pluralität und Offenheit. Man will eine gewisse moralische Orientierung, aber keinen engen Moralismus dem eigenen Leben gegenüber. Was die dritte thematische Verdichtung Glauben und Kirche angeht, sind die Beiträge in der „Talk-to-Him-Box“ gespaltener als bei Papst und Weltjugendtag. Man kann diesbezüglich ein Changieren zwischen gläubiger Kirchenkritik und persönlichen Zweifeln ausmachen. Setzt man sich mit den kritischen Äußerungen gegenüber der katholischen Kirche in der Box auseinander, verweisen diese in ihrer Gesamtheit auf folgende Tendenz: Während die je eigenen Kontexte als in unterschiedlichen Graden ‚plural‘ angesehen werden, von Seiten der Gläubigen erstaunliche Toleranzen gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Religionen bestehen bzw. eine deutliche Notwendigkeit der Gleichstellung von Frauen in der Kirche betont wird, erscheint die Organisation der katholischen Kirche als zu strukturkonservativ. Dies wird dem je eigenen, individualisierten Glauben ebenso wenig gerecht, wie es der Form von Kirche entspricht, die als notwendig für die Gegenwart erachtet wird. Der Weltjugendtag wird da – zumindest zum Teil – als Signal eines Wandels ‚in die richtige Richtung‘ angesehen. Dieser Wandel sollte weiter in der Organisation Kirche fortgeführt werden. Dieses Spektrum gläubiger Kirchenkritik wird gut greifbar an folgendem Zitat eines deutschen Teilnehmers: „Der Weltjugendtag ist eine ganz tolle Sache, ehm, obwohl ich finde, es ist, wird immer schwieriger, sich als Jugendlicher mit der Kirche zu definieren. Ich denke, das liegt auch unter anderem daran, ehm, ja dass die Kirche veraltete Einstellungen hat. Man sollte im 21. Jahrhundert vielleicht mal überlegen, dass man mit Verhütung und Homosexualität anders umgeht und dem Ganzen ein bisschen offener und, ja, das Ganze ein bisschen offener und relaxter sieht.“
Gläubige Kirchenkritik hebt – wie dieses Zitat anklingen lässt – darauf ab, dass die bestehende Organisation der katholischen Kirche und deren Morallehre mit der ‚heutigen Zeit‘ konfrontiert werden. Die Ergebnisse solcher projizierender Konfrontationen sind dann Kritikpunkte der Gläubigen mit unterschiedlichem Fokus. Sie können – wiederum – das Zölibat betreffen, Sexual- und Sozialmoral, die Position des Gläubigen im katholischen Diskurs oder auch die ‚Macht‘ der Organisation der katholischen Kirche. Der Fluchtpunkt der gläubigen Kirchenkritik ist in allen Fällen aber der Hinweis auf die ‚Unzeitmäßigkeit‘ der Strukturkonservatismus der katholischen Kirche: „Die Kirche muss einfach erkennen, dass sie nicht mehr auf den alten Positionen verweilen kann. Sie muss sich der Zeit anpassen. Und ich denke, das ist jetzt ne schwierige Auf-
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gabe. Aber ich finde, man muss die wirklich demnächst mal angehen.“ (junger Mann aus Deutschland)
Neben den eigenen zentralen Anliegen und der Darstellung des Glaubens schildern Nutzerinnen und Nutzer der Box persönliche Zweifel, Sorgen und Nöte. Einzelne gläubige Menschen setzen sich mit der Kirche und dem Glauben auseinander, weil sie selbst entgegen der katholischen Lehrsätze leben und dies als problematisch empfinden. Hierbei hat das Themenfeld ‚Sexualität‘, wie schon wiederholt erwähnt, eine herausragende Stellung. Exemplarisch dafür sind die Äußerungen eines Priesterkandidaten, dessen ‚Berufung‘ in Widerspruch steht zu seinen sexuellen Wünschen: „Manchmal ist diese Berufung Gottes sehr schwierig für mich, denn oft denke ich, die Ehe ist genauso eine Berufung Gottes. Und manchmal denke ich an die Ehe und gerate dadurch in einen Zwiespalt, Ehe oder Priesteramt, Ehe oder Priesteramt. Aber ich spüre wie der Herr meine Berufung bekräftigt. Wenn ich alleine wäre, das alleine durchzuhalten wäre unmöglich. Ich glaube, dann hätte ich sogar das Seminar verlassen. Dabei beginnt im September schon mein viertes Jahr im Seminar. Ich kann erkennen, dass Gott sich in meiner Berufung zeigt, indem er mir Treue schenkt. Indem er mir Treue schenkt. Denn es ist für mich sehr schwierig, daher sage ich es hier, denn mir gefallen die Frauen sehr und ich denke sehr oft an die Ehe.“ (Priesterkandidat aus Ecuador)
Solche Thematisierungen von Konflikten und Zweifeln in Bezug auf Sexualität und Glaube lassen sich als Form der Beichte begreifen: Hier animiert das Kapellen-Interieur der Box, sich in eine entsprechende Interaktion mit dem fiktiven Gegenüber des Papstes zu begeben. Man kann davon ausgehen, dass das durch die mediale Vermittlung prinzipiell öffentliche Bekenntnis von Zweifel und Konflikt bei gleichzeitiger Anonymität den ‚Reiz‘ der Box für solche Interaktionen ausmacht: Ein öffentliches Bekenntnis ist möglich, ohne dass direkte Sanktionen in der eigenen Lebenswelt die Folge wären. Die vierte thematische Verdichtung ist die der deterritorialen Gemeinschaft des Katholizismus mit seinen transkulturellen Kontakten und Begegnungen. Dieser Gemeinschaftsaspekt tritt in zwei Varianten auf: Zum einen als Erleben, zum anderen als Imagination und Vorstellung. Da wir vor dem Hintergrund der bisherigen Analyse nicht nochmals vertiefen müssen, dass Gemeinschaftserleben ein zentraler Aspekt der Teilnahme am Weltjugendtag gewesen ist, erscheinen Fragen der Vorstellung von Gemeinschaft der relevante Ausgangspunkt. Die Besonderheit des Weltjugendtags ist in dieser Perspektive, dass er als ‚Event‘ an einem Ort erfahrbar macht, dass der Katholizismus Menschen verschiedenster Herkunft und Nation verbindet (bzw. verbinden kann) – dass er den realisierten Anspruch einer deterritorialen religiösen Vergemeinschaftung repräsentiert. Konkret wird dies in Äußerungen, die das lokale Gemeinschaftserleben auf dem Weltjugendtag von Menschen unterschiedlichster Herkunft mit dem Selbstverständnis der katholischen Kirche als ‚Weltkirche‘ in Verbindung
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bringen, wobei der gemeinsame Gott als das verbindende Element gesehen wird: „Hier sind so viele andere Jugendliche aus der ganzen Welt, die an denselben Gott glauben, die in die Kirche gehen und zur Messe und ich denke es ist echt super.“ (16jährige aus Australien)
Dem Katholizismus wird explizit zugesprochen, über nationale Differenzen hinweg ‚versammeln‘ zu können („denn es ist eine ganze Menschheit, die sich um den Vater und um Jesus, der die Wahrheit ist, versammelt“; junger Italiener). Als symbolische Integrationsinstanz dieser deterritorialen religiösen Vergemeinschaftung wird der Papst gesehen: „Es ist ein außergewöhnliches Zusammenkommen, so viele junge Katholiken zu sehen, die für die gleiche Sache zusammenkommen, um ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen und den Papst zu treffen.“ (zwei Französinnen)
Ein in diesem Sinne zu verstehender deterritorialer Katholizismus impliziert für einige eine Offenheit gegenüber anderen Religionen, beispielsweise, wenn zwei Mädchen fordern, „andere Religionen müssen toleriert [werden] [;] […] sie sind ein Zeichen, dass wir alle zusammengehören“ (zwei Mädchen, 16, aus Deutschland). Oder wie es ein Franziskanermönch pointiert formuliert: „Ich glaube dass wir alle irgendwie an Gott glauben. Gott hat vier Buchstaben ob man ihn Gott nennt, Allah nennt, Jehova nennt, Gott ist alles und ist das Leben.“ (38jähriger deutscher Franziskaner) Die Toleranz gegenüber anderen Religionen darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die deterritoriale Gemeinschaft des Katholizismus hiervon abgegrenzt wird. Die eigene Zugehörigkeit wird über den Glauben definiert. Dabei treten Fragen der Nationalität in den Hintergrund bzw. wo man die Nation als solche thematisiert, wird der Papst als Vertreter einer deterritorialen Gemeinschaft mit religiös-moralischem Anspruch angesprochen, in Bezug auf die jeweils thematisierte (‚eigene’) Nation moralisch und/oder politisch aktiv zu werden. Es wird an den Take-Ausschnitten deutlich, dass ein erheblicher Aspekt des (friedfertigen) Gemeinschaftserlebens beim Weltjugendtag in Köln darin bestand, inwiefern die Vorstellung der ‚Deterritorialität‘ der katholischen Glaubensgemeinschaft hiermit lokal erfahrbar wurde. Sicherlich sind die Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zum Teil auf einem unspezifischen Niveau, was mit den Sprachschwierigkeiten zusammenhängt, die dazu geführt haben, dass man beim Weltjugendtag mit den Menschen derselben geolinguistischen Region kommuniziert. Entscheidend erscheint aber die zumindest in der Vorstellung konkrete Erfahrbarkeit von religiöser Deterritorialität im Loka-
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len. Das Partizipationsexperiment der „Talk-to-Him-Box“ bietet die Möglichkeit, dies öffentlich zu artikulieren. Fasst man all die verschiedenen Analysen zur Box im Hinblick auf unsere Fragestellung nach der Mediatisierung des Weltjugendtags zusammen, erscheinen unseres Erachtens folgende vier Punkte zentral. 1. Mediatisierung in situ: Grundlegend verweist die „Talk-to-Him-Box“ in einem doppelten Sinne auf eine Mediatisierung des Weltjugendtags ‚vor Ort‘. Einerseits hat das Partizipationsexperiment insofern seinen ‚Ursprung‘ in der Mediatisierung des Weltjugendtags, als es Teil der breiten Berichterstattung des WDR über ihn gewesen ist. Bemerkenswert erscheint daneben andererseits, dass in dem Charakter der Box als partizipativer Kommunikationsumgebung die Mediatisierung des Weltjugendtags einen Schritt ‚weiter getrieben‘ wird, indem ein weiterer Ort mit Formen der Medienkommunikation durchdrungen wird. Ein öffentlicher Platz, wie der Wallrafplatz, wird mit der Box zu einem Teil des Mediengeschehens des Weltjugendtags. Dies ist zuerst einmal weder als positiv noch als negativ zu verstehen, sondern als analytischer Hinweis auf die fortschreitende Mediatisierung dieser religiösen Veranstaltung. Das Spezifische der Box als Teil des Gesamtprozesses der Mediatisierung ist in deren partizipativem Charakter zu sehen. Sie ist als Möglichkeit für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags zu verstehen, an der Mediatisierung des Weltjugendtags durch eigenständiges kommunikatives Handeln zu partizipieren. Die Breite, in der dies genutzt wurde, verweist auf die Breite der Mediatisierung des Weltjugendtags überhaupt. 2. Mediatisierung von Auseinandersetzung: Wie wir an verschiedenen Stellen argumentiert haben, ist das Medienevent Weltjugendtag Ressource der kulturellen Auseinandersetzung um Religion in der heutigen Zeit. In diesem Kontext fällt auf, in welchem Maße die „Talk-to-Him-Box“ Manifestation dieser kulturellen Auseinandersetzung ist. Bei unseren Analysen ist aufgefallen, dass unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterschiedliche und diametral gegensätzliche Positionen zu Fragen des Glaubens und der Moral vertreten werden. Man kann dies als Hinweis auf die Individualisierung von Katholizismus begreifen. Gleichzeitig sind solche Äußerungen in der Box Teil dieses Auseinandersetzungsprozesses. Indem die „Talk-to-Him-Box“ partizipativ einen Raum für solche Auseinandersetzungen eröffnete, ließ sie das zu, was die katholische Kirche beim Weltjugendtag eher an den Rand drängte, nämlich die Möglichkeit der Artikulation von durchaus auch kritischen Positionen von Seiten der Teilnehmenden. Wenn wir davon sprechen, dass die „Talk-to-Him-Box“ Manifestation der kulturellen Auseinandersetzung ist, meinen wir beides: Dass anhand von ihr die allgemeine kulturelle Auseinandersetzung um Religion greifbar
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wird, in der der Weltjugendtag allgemein steht, wie auch dass sie zur kulturellen Auseinandersetzung um Religion genutzt wird. 3. Hybridität der Kommunikationsumgebung: Wie es ein Spezifikum des Weltjugendtags ist, dass er ein hybrides Phänomen zwischen religiöser Festlichkeit und populärem Event bildet, ist das Spezifikum der Box in der Hybridität ihrer Kommunikationsumgebung zu sehen. Auch bei ihr werden Muster religiöser Performanz mit moderner Kommunikationstechnologie in Verbindung gebracht. Daneben verweisen unsere Analysen auf einen weiteren Aspekt von Hybridität: In Anlehnung an Angela Kepplers (1994a) und Jo Reichertz (2000) Überlegungen zum ‚performativen Realitätsfernsehen‘ lässt sich die Box als ‚performatives Partizipationsradio‘ begreifen. Es wurde deutlich, dass die hybride Kommunikationsumgebung der Box Formen religiöser Performanz (Beichte, Beten, Verkünden, Jubeln etc.) mit medialer Vermittlung verbindet. Hierdurch werden solche Formen religiöser Performanz zumindest der Möglichkeit nach in einer medialen Öffentlichkeit vollzogen, was ihnen eine andere Verbindlichkeit zu geben scheint: Zwar bleibt man durch den auditiven Charakter der Radioübertragung und durch die Möglichkeit, den Namen zu verschweigen, anonym. Nichtsdestotrotz vollzieht man diese Formen religiöser Performanz vor der ‚Gemeinde‘ der medienvermittelten Öffentlichkeiten, was dadurch unterstrichen wird, dass der WDR – so zumindest die offizielle Verlautbarung – ein Sample der Takes an den Papst übergeben wollte. 4. Mediatisierte deterritoriale religiöse Vergemeinschaftung: Unsere Analysen haben deutlich gemacht, dass der Wunsch des Erlebens unmittelbarer und friedfertiger religiöser Vergemeinschaftung für die Nutzerinnen und Nutzer der Box nicht nur Motiv war, am Weltjugendtag teilzunehmen. In welchem Maße sie dies beim Weltjugendtag erfahren haben, erklärt zumindest zum Teil dessen positive Bewertung. Deutlich haben unsere Analysen daneben darauf hingewiesen, dass bei diesem Gemeinschaftserleben der Anspruch der katholischen Kirche, eine Form deterritorialer religiöser Vergemeinschaftung zu bieten, ein erheblicher Aspekt der Aneignung gewesen ist. Die Idee, dass der Weltjugendtag es ermöglicht, lokal diesen Gedanken von Deterritorialität zu erfahren, war für verschiedenste Nutzerinnen und Nutzer der Box zentral. Der Papst wurde dabei immer wieder als die Person gesehen, die – bei aller Differenz über seine Positionen – diese Deterritorialität mit verkörpert in ihrer Mediatisierung. Wiederum ist an dieser Stelle die „Talk-to-Him-Box“ aber nicht nur Artikulationsraum solcher Vorstellungen, sondern verkörpert selbst den Deterritorialitätsanspruch des Katholizismus: Man konnte die Box mit den unterschiedlichen WeltjugendtagsSprachen nutzen, was breit angenommen wurde, wodurch die Box einen kommunikativen Partizipationsraum schuf, der der Vorstellung von deterritorialer religiöser Vergemeinschaftung entspricht (siehe Kapitel 8).
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Die Mediatisierung der Teilnahme
Pointiert kann man damit Folgendes festhalten: Die „Talk-to-Him-Box“ fügt sich in die Mediatisierung des Weltjugendtags insgesamt ein und ist als Teil von dieser zu sehen bzw. einzuordnen. Gleichzeitig eröffnet sie für die Nutzerinnen und Nutzer in diesem Gesamtkontext der Mediatisierung spezifische Möglichkeiten der kommunikativen Partizipation, die sie als ein bemerkenswertes ‚Experiment‘ erscheinen lassen.
10 Die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents* Als Medienereignis richtet sich der Weltjugendtag nicht nur an (potenzielle) Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sondern darüber hinaus an verschiedene Medienpublika. Deutlich wird das an den Zielsetzungen des Bereichs „Presse und Öffentlichkeit“ im Weltjugendtagsbüro. In dessen internem Kommunikationskonzept wird der Anspruch formuliert, mit dem Weltjugendtag gerade auch durch die Medien „wesentliche Impulse“ für das „Image“ der katholischen Kirche zu setzen und damit „zu einer Profilierung der Kirche in Deutschland aber auch auf internationaler Ebene“ weit über kirchliche Kreise hinaus beizutragen (Kopp 2003). Die Frage ist allerdings, inwieweit dies gerade bei den Adressaten des Weltjugendtags – den Jugendlichen und jungen Erwachsenen – gelingt. Setzt man sich hiermit auseinander, rückt die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents durch die (jugendlichen) Rezipientinnen und Rezipienten in den Blick. Versteht man Aneignung als den aktiven Prozess der „kulturellen Lokalisierung“ (Hepp 2004b: 359) von (Medien-)Produkten innerhalb der eigenen Alltagswelt durch verschiedene kulturelle „Praktiken“ (vgl. de Certeau 1988: 27), sind Rückschlüsse auf die „Nachhaltigkeit“ des Weltjugendtags nur unter Bezugnahme auf gelebte Alltagsreligiosität möglich. Angesichts von Individualisierung und der damit verbundenen Pluralisierung von Sinnangeboten bildet der Weltjugendtag ein mögliches religiöses Erlebnisangebot, das auf dem medial konstituierten Sinnmarkt mit einer Vielzahl von anderen Deutungsangeboten um Aufmerksamkeit (und Glaubwürdigkeit) konkurriert (siehe Kap. 2). Das Medienereignis muss wahrgenommen und im Kontext individualisierter Glaubensüberzeugungen und -gewohnheiten sinnhaft erschlossen – d.h. deutend verarbeitet – werden. Erst im Rahmen dieses über den unmittelbaren Moment der Rezeption hinausweisenden Aneignungsprozesses sind weitergehende Deutungszuweisungen bzw. die von der katholischen Kirche immer wieder erhofften Nachhaltigkeitseffekte möglich. Die Frage, welche Bedeutung der Weltjugendtag als hybrides religiöses Medienevent für Katholiken jenseits von Köln entfalten kann, verweist damit zurück auf den Umgang mit Religion und Religiosität bzw. weitere Sinnorientierungen in der Alltagswelt. *
Alleinautorin des Kapitels 10 ist Veronika Krönert. Dieser Abschnitt beruht auf ihrem Dissertationsprojekt zur Mediatisierung und Individualisierung von Alltagsreligiosität.
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Die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents
Um diesen Zusammenhang zu fassen, erscheint es unabdingbar, den Blick auf die alltagsweltliche Dimension der Vergemeinschaftung des Katholizismus zu lenken. Heutige religiöse Vergemeinschaftung hat neben ihrer medialen Vermittlung (siehe Kap. 8) einen weiteren Aspekt, nämlich die subjektive Herstellung und Aufrechterhaltung von Zugehörigkeit in der Alltagswelt. Anders als etwa das Konzept der „Gemeinde“, das über die Ortskirche territorial rückbezogen bleibt, sensibilisiert der Begriff der Vergemeinschaftung für Ausdrucksformen „subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit“ (Weber 1972: 21) und lenkt den Blick auf das jeweils zu Grunde liegende katholische „Wir-Bewusstsein“ (Hitzler/Pfadenhauer 1998: 83). Dem gegenüber fasst religiöse Identität, wie sich junge Gläubige als ‚religiös‘ oder hier konkret als ‚katholisch‘ definieren. Ressourcen für die Artikulation religiöser katholischer Identität sind nicht nur die Glaubensangebote der Kirche selbst, sondern vielfältige weitere, die in die prozesshafte Artikulation von Identität integriert werden. Religiöse Identität fasst damit eine Konkretisierung von ‚Katholisch-Sein‘ auf individueller Ebene, das in Bezug steht zu Fragen von Vergemeinschaftung. Entsprechend ist religiöse Identität nicht als stabiles Weltdeutungsschema zu begreifen, sondern als fortlaufender und damit auch immer nur vorläufiger Prozess der Positionierung innerhalb des Katholizismus in Relation zu anderen religiösen und nicht-religiösen Weltdeutungsangeboten. Als eine weitere Konkretisierung von religiöser Identität und Vergemeinschaftung auf Ebene der Alltagspraxis und der damit verbundenen Deutungsmuster bzw. Bedeutungszuschreibungen lassen sich individuelle Glaubensstile begreifen. In ihnen werden die jeweils typischen religiösen Alltagsgewohnheiten manifest, charakteristische Glaubenspraktiken (wie Gebet, Kirchgang oder das Begehen religiöser Festlichkeiten), Fragen der Lebensführung (Gestaltung und Orientierung des eigenen Lebens), der Umgang mit religiösen Medienangeboten sowie die (medial vermittelte) Kommunikation über Glauben und Religion innerhalb des persönlichen Umfelds. Bezogen auf den Weltjugendtag bilden diese unterschiedlichen Glaubensstile den Rahmen, in dem das Medienevent angeeignet wird. Die Mediatisierung des Religiösen wird entsprechend auf einer weiteren Ebene konkret, nämlich auf der Ebene, wie ein religiöses Medienevent unterschiedliche Potenziale alltagsweltlicher Bedeutungsproduktion eröffnet. Dieser Zusammenhang wird – wie wir im Weiteren zeigen wollen – fassbar, wenn man zuerst die in Bezug auf die Aneignung des Weltjugendtags dominierenden, individualisierten Glaubensstile näher fasst, die Ich- und die Gruppen-Religiosität. Ausgehend hiervon lässt sich die Stellung des Papstes als Medienberühmtheit und Markensymbol in der alltäglichen Aneignung beschreiben wie auch die Möglichkeiten mediatisierter religiöser Vergemeinschaftung.
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Wie wir in der Einleitung des Buchs geschrieben haben, beruhen unsere folgenden Analysen auf der Auswertung von qualitativen Interviews mit insgesamt 27 Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland und Italien, die sich als im weitesten Sinne ‚katholisch‘ charakterisieren und den Weltjugendtag in den Medien verfolgt haben (siehe Kap. 1). Mit diesen Interviewpartnerinnen und -partnern wurden in zwei Wellen offene Interviews zur eigenen Religiosität, Mediennutzung bzw. zum Weltjugendtag geführt. Im Hinblick auf unsere Fragestellung wurden die Interviews transkulturell vergleichend ausgewertet, d.h. mit besonderem Blick darauf, welche Muster der Aneignung des Medienevents Weltjugendtag sich sowohl in Italien als auch in Deutschland zeigen. Ob die Zitate aus Interviews der ersten Welle direkt nach dem Weltjugendtag oder der sechs Monate später erhobenen zweiten Welle entstammen, ist bei jedem Zitat vermerkt.
10.1 Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität: Das Medienevent Weltjugendtag in der Alltagswelt Über unsere Untersuchungsregionen in Deutschland und Italien hinweg lassen sich zwei typische Glaubensstile individualisierter Alltagsreligiosität junger Katholiken ausmachen: Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität. Während die Ich-Religiosität auf Lebensfragenorientierung und Selbstfindung zielt, beruht die Gruppen-Religiosität auf der Mitgliedschaft in einer im lokalen Lebensumfeld verankerten religiösen Gruppe, auf die die Glaubenspraktiken ausgerichtet sind. Die Auseinandersetzung mit Glaubensfragen und der eigenen Spiritualität tritt bei der Gruppen-Religiosität gegenüber dem persönlichen Engagement für die Gruppe in den Hintergrund. Maßgeblich für die Selbstverortung im Katholizismus sind somit die an die Gruppenmitgliedschaft gebundenen Aufgaben und die daraus resultierende Anerkennung und Geborgenheit. Kennzeichnend ist ein gruppenbezogenes Wir-Bewusstsein von Kirche als sich deterritorial erstreckende Gemeinschaft gelebten Glaubens, die getragen wird vom ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder. Die Amtskirche ist in diesem Zusammenhang primär Organisationsstruktur, die die für das Funktionieren der Gemeinschaft nötige Infrastruktur bereitstellt. Eine Individualisierung des Glaubens bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein darüber hinausweisender moralischer Geltungsanspruch der Kirche für Fragen der individuellen Lebensführung abgelehnt wird. Die für die Gruppen-Religiosität kennzeichnenden mehr oder weniger stabilen Bindungen an die Ortsgemeinde oder Ortskirche am Heimatort verweisen damit,
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Die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents
auch wenn sie nicht selten mit einer regelrechten ‚Karriere’ durch die verschiedenen Stufen der Jugendpastoral bis hinauf in die kirchliche Gremienarbeit einhergehen, nicht automatisch auf Kirchentreue im engeren Sinne. Vielmehr bezieht die gruppenbezogene Religiosität ihr Selbstverständnis gerade aus dem Anspruch eines ‚lebensnahen’, d.h. alltagspragmatischen Umgangs mit moralischen Fragen, der sich nicht an vermeintlichen kirchlichen Wahrheitsansprüchen orientiert, sondern an christlichen Grundwerten wie Toleranz und Nächstenliebe. Dies wird an folgendem Ausschnitt exemplarisch deutlich, in dem einer der von uns befragten Jugendlichen auf die Frage „Welche Bedeutung hat die Position der Kirche zu Themen wie Moral und Ethik für dich?“ wie folgt antwortet: für mich persönlich ä:::m .. nicht so _die_ große Bedeutung .. weil ich einfach der Meinung bin . dass sie in einigen Bereichen _zu_ konservativ ist und das .. sicherlich . vielleicht vom gewissen Standpunkt aus ja nachvollziehbar ist aber trotzdem für meine Begriffe . is es ä::: nicht mehr ganz zeitgemäß insofern . orientier ich mich da nicht so sehr dran . und versuch meine eigenen . ä::: . Einstellung dazu zu finden die […] sich jetzt nicht unbedingt an dem . orientieren muss was die Kirche so vorgibt“ (Chris, 20, D 1. Welle)
Die allgemeine Individualisierung des Glaubens als Anspruch religiöser Eigenverantwortlichkeit kennzeichnet ebenfalls die Ich-Religiosität. Denn maßgeblich für das eigene Katholisch-Sein ist die persönliche Beziehung zu Gott damit letztlich das eigene Gewissen: „was ganz wichtig is . dass du weißt dass das .. dass ä::: Jesus oder Gott . irgendwie immer . auf dich runter schaut u:::nd allein wenn de dir das bewusst machst . oder versuchst . handelst du automatisch anders würd‘ ich sagen“ (Michael, 19, D 2. Welle)
Allerdings erscheint die Kirche für Ich-Religiöse nicht als feste Bezugsgruppe, sondern als eine Art ‚spiritueller Dienstleister’, dessen Seelsorgeangebot nach Bedarf in Anspruch genommen wird, sei es durch die Nutzung kirchlicher Räume als Rückzugsraum aus dem Alltag, als persönliches spirituelles Erlebnis in Form des Empfangs der Sakramente oder durch Gespräche mit entsprechend geschultem ‚Kirchenpersonal’. Fragen der persönlichen Lust bleiben entscheidender als offizielle Glaubensnormen, ein Umstand, den Berit pointiert wie folgt fasst: „ich bin jetzt nicht so derjenige der sagt ich muss unbedingt in die in die Messe gehen also ä:::m . das kommt halt wenn ich gerade Lust hab‘ und Zeit hab‘ dann klappt das auch“ (Berit, 24, D 2. Welle).
Verbindlichkeit für die eigene Glaubensgestaltung ergibt sich daraus kaum, es geht bei der Ich-Religiosität um die Suche nach einem persönlichen Weg zur Entfaltung der individuellen Spiritualität. Dementsprechend vollzieht sich religiöse Vergemeinschaftung nicht entlang stabiler lokaler Gruppenbeziehungen
Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität
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sondern vielmehr im Rahmen einer selbstreflexiven, durchaus medial vermittelten Auseinandersetzung mit Glaubensfragen innerhalb eines locker geknüpften, überkonfessionellen Netzes von Vertrauenspersonen. Die kritische Beschäftigung mit jeglichem machtpolitischen Anspruch der Kirche als Organisation ist grundlegend für das religiöse Selbstverständnis. Religiöses Gemeinschaftserleben wird in diesem Zusammenhang nur situativ denkbar in Bezug auf den Katholizismus als vorgestellte deterritoriale Glaubensgemeinschaft. In der Alltagswelt treten beide Glaubensstile nicht immer trennscharf auf. Vielmehr fassen die beiden Typen Endpunkte eines Kontinuums, auf dem sich individualisiertes Katholisch-Sein bewegt, je nachdem ob eher die spirituellen Bedürfnisse des „Ichs“ (Hitzler 2005) oder die „Gruppe“ den Bezugspunkt für die religiöse Vergemeinschaftung und Identität darstellen. In ihrem Zusammenspiel verweisen Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität entsprechend auf die Individualisierung katholischer Alltagsreligiosität, denn für beide gilt, dass die kirchlichen Lehren und Gebote nicht mehr unhinterfragt als Referenzpunkt übernommen werden. Im Gegenteil, vor allem da, wo sich Widersprüche zwischen der kirchlichen Dogmatik und individualisierten jugendlichen Lebensentwürfen auftun, wie etwa in Fragen der Sexualität, der Ökumene oder alternativer Familienkonzepte, werden die offiziellen Positionen des Vatikans von unseren Gesprächspartnern – ähnlich wie auch von den Nutzerinnen und Nutzern der „Talk-to-him-Box“ (Kap. 9) – infrage gestellt zu Gunsten einer an den Bedürfnissen der Menschen orientierten ‚lebensnahen’ Glaubensauslegung. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf folgenden Gesprächsausschnitt verwiesen: „es ist ziemlich ä:: dumm . sich an so strenge Positionen zu klammern bei Themen die für so viele Leute so wichtig sind weil wenn diese Themen für diese Leute so wichtig sind sind es vielleicht nicht sie die sich irren . sondern es ist die Kirche die irrt .. weil Jesus Christus hat nirgends gesagt . nirgends steht geschrieben dass homosexuelle Paare . […] der Punkt ist halt der dass nichts schlimmes dabei ist nicht? zumindest in meiner Meinung nach […] und weil es schon immer die Rolle der Religion war die Bedürfnisse der Menschen anzunehmen und so zu interpretieren dass es in die jeweilige Zeit passt“ (Anna, 27, I 2. Welle)
Individualisierung schließt nicht aus, dass kirchliche Positionen im Einzelfall geteilt werden. Dies geschieht dann aber nicht einfach aufgrund von ‚Gehorsam‘ gegenüber der kirchlichen Autorität, sondern im Bewusstsein, damit eine bestimmte Wahl zu treffen bzw. alternative (Deutungs-)Optionen (vorläufig) auszuschließen. Maßgeblich für die individualisierte Glaubensorientierung ist in erster Linie das eigene Urteilsvermögen. Insgesamt verweisen Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität damit auf eine Spiritualisierung des katholischen Glaubens in der Alltagswelt und über Deutschland und Italien hinweg. Hubert Knoblauch (2006) beschreibt damit die zunehmende „Erfahrungsorientierung“ (93) im Umgang mit dem „religiösen
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Die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents
Pluralismus“ (91) individualisierter und mediatisierter Kulturen. So macht er deutlich, dass mit dem Verlust der Verbindlichkeit einzelner Sinnangebote die individuellen Erfahrungen auch im Bereich des Religiösen als Entscheidungsgrundlage an Bedeutung gewinnen. Dass die damit verbundene „Distanz zu den großen religiösen Organisationsformen“ (92) nicht zwangsläufig einer Verlagerung subjektiver Sinnstiftung in den Bereich alternativer religiöser Weltdeutungsangebote oder aber des Nicht-Religiösen gleichkommt, sondern ebenso innerhalb des Katholizismus zu Verschiebungen führt, wird in der Selbstverständlichkeit greifbar, mit der junge Katholiken in Deutschland wie Italien eine ‚lebensnahe’, an den individuellen Bedürfnissen und Lebenslagen orientierte Glaubensauslegung praktizieren. Mit Ich-Religiosität und der Gruppen-Religiosität als typischen Ausdrucksformen individualisierter katholischer Alltagsreligiosität ergibt sich somit ein Raster, um die Aneignung des Medienevents Weltjugendtag systematisch zu analysieren, sowohl in chronologischer Perspektive (im Hinblick auf seine Rezeption und kommunikative Nachbearbeitung) als auch in inhaltlicher Perspektive (im Hinblick auf seine Interpretation und Bewertung). Dabei ist vor allem die Beurteilung der für das Medienereignis charakteristischen Vermischung ritueller und populärer Elemente im Hinblick auf Glaubwürdigkeit relevant. 1. Rezeption und kommunikative Nachbearbeitung: Wie das Medienereignis rezipiert, d.h. im Verlauf miterlebt wird, hängt mit der Erlebnisperspektive auf den Weltjugendtag zusammen. Maßgeblich sind die persönliche Vorgeschichte und das darin begründete Vorwissen über den Weltjugendtag, die Beteiligung am Geschehen mittels unterschiedlicher Formen der Event-Kommunikation und die reflektierende Auseinandersetzung mit dem Erlebten im Rahmen der kommunikativen Nachbearbeitung des Ereignisses. Deren Zusammenspiel gibt Aufschluss über die individuelle Interessens- und Gefühlslage, aus der heraus das Medienevent angeeignet wird, ebenso wie über den wahrgenommenen Ereignisausschnitt. Zugleich verweist die Erlebnisperspektive damit zurück auf die Mediennutzungsgewohnheiten und das persönliche religiöse Umfeld bzw. die Einbindung in kirchliche Strukturen in der Alltagswelt. Letzteres hat Einfluss darauf, ob das Ereignis im Vorfeld zur Kenntnis genommen wurde und inwieweit der Weltjugendtag über das unmittelbare Rezeptionserleben hinaus in der Alltagswelt weiterhin thematisiert wird. Wer mit seiner ich-religiösen Orientierung weder über die Jugendarbeit einer Ortsgemeinde noch über eine andere katholische (Jugend-)Organisation in die kirchliche Jugendarbeit eingebunden ist bzw. der Kirche von Haus aus ablehnend gegenübersteht, blickt in der Regel mit dem Blick eines Außenstehenden auf das Geschehen, je nach persönlicher Vorgeschichte wohlwollend oder kritisch-distanziert. Nicht zuletzt aufgrund fehlenden Vorwissens ist das Interes-
Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität
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se an der Weltjugendtagsberichterstattung und deren Rezeption verhalten: Sonderformate in Presse und Fernsehen sowie die Liveübertragungen der zentralen Großveranstaltungen werden, wenn überhaupt, eher zufällig und in Ausschnitten wahrgenommen. Einige der ich-religiösen Jugendlichen berichten in diesem Zusammenhang zwar wiederholt von wird Fernsehnutzung im Kreis der Familie, die aber weniger gezielt initiiert werden, sondern eher aus familiärer Gewohnheit entsteht, wie an folgendem Interviewausschnitt exemplarisch deutlich wird: „ich war im Urlaub und daher hab ich . ich hab‘ ferngesehen und abends die Nachrichten und vor allem hab ich gelesen am Strand [...] mit meinem Vater hab ich da drüber gesprochen dass::: die Jugendlichen die da waren wenn sie sich gegenseitig SMS geschrieben haben den Papst _B16_ genannt haben ne? ((lacht)) und dann haben wir uns halt ein bisschen da drüber lustig gemacht und dann mach ich den Fernseher an und da reden sie auch von _B16_“ (Gioele, 27, I 2. Welle)
Kollektive Rezeptionserlebnisse, wie sie Dayan und Katz (1992) als charakteristisch für rituelle Medienevents beschreiben, spielen für Ich-Religiöse keine Rolle. In der Regel wird das Geschehen vielmehr alleine und eher beiläufig im Rahmen der alltagsweltlichen Mediennutzung verfolgt, etwa während der abendlichen Fernsehnachrichten, beim Durchblättern der Tageszeitung oder beim Radiohören auf dem Arbeitsweg. Auch sonst findet kaum ein Austausch mit anderen über das medial vermittelte Geschehen statt. Selbst da, wo über den Bekanntenkreis Kontakt zu Teilnehmenden besteht, erschöpfen sich diese Gespräche in flüchtigen und eher oberflächlichen Erlebnisberichten am Arbeitsplatz oder in der Schule. Exemplarisch dafür ist die Aussage von Michael, der gefragt zu seinen Gesprächen über das Medienevent Weltjugendtag lapidar konstatiert „mit den meisten konnte ich nicht so viel reden“ (Michael, 19, D 1. Welle). Dass via Mobiltelefon oder Internet Augenzeugenberichte empfangen werden, ist bei Ich-Religiösen ebenso die Ausnahme, wie eine Teilnahme an kirchlichen Initiativen zur Nachbearbeitung des Ereignisses. Ohne Anbindung an eine entsprechende Gruppe verlieren sich mit dem Verschwinden des Weltjugendtags aus der Tagesberichterstattung somit auch die Spuren des Ereignisses in der Alltagswelt. Im Gegensatz zu Ich-Religiösen lässt sich als Erlebnisperspektive von Gruppen-Religiösen im Vorfeld eine Begeisterung bis hin zu Enthusiasmus für das Ereignis ausmachen. Insbesondere dort, wo die eigene Gruppe in die Weltjugendtagsvorbereitungen der lokalen Kirchengemeinde eingebunden ist, geht der Rezeption des Medienevents eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Fassetten des Ereignisses und der Möglichkeit einer Teilnahme voraus. Wie im folgenden Ausschnitt deutlich wird, kann dies zu einer bewussten Entscheidung gegen die Teilnahme an der „Pilgerreise“ nach Köln führen:
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„weil . ähm . diese Tage der Begegnung in Bremen schon relativ . anstrengend waren also die Nächte waren entsprechend kurz mit den Gästen . wir hatten selber auch zuhause Gäste . und . da war ich mir einfach nicht so sicher nach den Erfahrungen in Kanada . ob ich denn wirklich auch . diese Zeit dann in Köln überhaupt genießen könnte“ (Beate, 23, D 1. Welle)
Bemerkenswert an diesem Zitat ist, wie es das Spannungsverhältnis deutlich macht, in dem Gruppen-Religiosität steht: Einerseits sind die Gruppe und die in ihr erfolgten Erlebnisse bei den „Tagen der Begegnung“ bzw. beim vorherigen Weltjugendtag 2002 in Toronto Referenzpunkt der Entscheidung, nicht nach Köln zu gehen, sondern den Weltjugendtag als Medienevent zu verfolgen. Andererseits geht es in diesem Rahmen um das „Genießen“ einer persönlichen religiösen Erfahrung und damit um individualisierte Gruppen-Religiosität. Diese kennt durchaus religiöse Beweggründe, nicht lokal am Weltjugendtag teilzunehmen, etwa das Gefühl, den Kopf nicht frei zu haben für das besondere spirituelle Erlebnis vor Ort: „ich hab mich nicht in der Lage gefühlt ernsthaft am WJT teilzuhaben in dem Sinne dass ich dachte wenn ich da hin fahre dann wäre das nicht in erster Linie aus einem religiösen Gefühl heraus gewesen sondern um mit meinen Freunden mitzufahren [...] auch wenn ich dort am Ende vielleicht doch noch den richtigen Geist gefunden hätte fand ich es einfach nicht ganz richtig zu einem Weltjugendtag zu fahren und nicht komplett frei von anderen Gedanken zu sein“ (Angelo, 19, I 1. Welle)
Die gruppen-religiöse Begeisterung für das Ereignis leidet kaum unter einer Nichtteilnahme. Um die räumliche Distanz durch einen detaillierten Einblick in die Ereignisse vor Ort zu kompensieren, wird an dem Medienevent intensiv über unterschiedliche Kommunikationskanäle partizipiert. Bemerkenswert ist zunächst das über die Hauptphase des Medienereignisses hinausreichende Interesse an der Vor- und Nachberichterstattung. Vor allem in der Vorbereitungsphase wird neben lokalen Medien auf entsprechende offizielle Informationsangebote der katholischen Kirche zurückgegriffen wie beispielsweise die Weltjugendtagswebseite. Den Fokus der Aneignung bilden aber die Liveübertragungen und Sondersendungen im Fernsehen: „ich hab […] jeden Abend versucht irgendwie ‘ne Tageszusammenfassung zu sehen . die waren ich glaub‘ WDR war das .. die war ziemlich gut da war‘n dann auch noch so Diskussionen hinten dran die fand ich jetzt nicht immer so super ((lacht)) .. aber es war‘n halt viele Bilder von den Tagen da und dann hab ich natürlich Papstankunft . die hab ich natürlich mitverfolgt“ (Berit, 24, D 2. Welle)
Mit dem Mix aus Hintergrundberichterstattung und Fernsehgottesdiensten (siehe Kap. 5) gibt das Fernsehen nicht nur einen Eindruck vom Fassettenreichtum des Geschehens vor Ort, sondern markiert zugleich den emotionalen Höhepunkt des Medienereignisses. Das Mitverfolgen der Abschlussmesse „stand einfach fest“:
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„Sonntagmorgen einen ganzen Morgen bei diesem Gottesdienst“ (Beate, 23, D 1. Welle). Eine gemeinsame Rezeption der Medienberichterstattung ist auch bei Gruppen-Religiösen unüblich, umso größere Bedeutung kommt daher medial vermittelten Erlebnisberichten aus dem persönlichen Umfeld zu. Vor dem Hintergrund der Fernsehbilder stellen sie – zumal wenn sie live via Handy übermittelt werden – eine emotionale Nähe her, die auch denjenigen, die über keine persönliche Weltjugendtagserfahrung verfügen, das Gefühl vermittelt, vor Ort ‚dabei‘ zu sein oder, wie es Angelo formuliert, sich die Erfahrungen derjenigen vor Ort zu eigen zu machen: „ab und an haben wir uns via SMS gehört auch danach noch als sie wieder zurück gekommen sind […] auf der einen Seite war ich mich ein bisschen ä::: wie soll ich sagen gut ich habe was Schönes verpasst . aber dann hab ich mich für meine Freunde gefreut die da waren und die all dieses super Schöne mit mir geteilt haben und am Ende glaub ich ist diese Erfahrung wie eine eigene geworden“ (Angelo, 19, I 1. Welle)
Unter Gruppen-Religiösen tragen ‚Nachtreffen’ in der Gemeinde in Kombination mit der Nachberichterstattung in den Medien dazu bei, dass sich Medienbilder mit eigenen (Vor-)Erfahrungen und den Erlebnisschilderungen aus der Gruppe zu einem lebendigen Erinnerungsbild vermischen. Im Vergleich zur Rezeption des Medienevents aus der eher distanzierten Perspektive der Ich-Religiosität legt dies nahe, dass der Weltjugendtag als Medienereignis vor allem da anschlussfähig ist, wo das Rezeptionserleben in Rückbindung an eine (lokale) Bezugsgruppe erfolgt. 2. Interpretation und Bewertung: Rückt man in Ergänzung zur bisherigen Betrachtung des Verlaufs des Medienevents in Rezeption und kommunikativer Nachbearbeitung stärker inhatliche Fragen von Interpretation und Bewertung in den Blick, wird die Frage zentral, welcher Erlebniswert dem Medienereignis in der Alltagswelt abhängig vom Glaubensstil zugeschrieben wird. In Anlehnung an Gerhard Schulze (1999) sowie Ronald Hitzler, Thomas Bucher und Arne Niederbacher (2005) fasst der Erlebniswert den spezifischen Reiz eines Medienevents und damit, was aus Sicht der Nicht-Anwesenden den Kern des Medienereignisses ausmacht. Dieser ergibt sich aus dem Spannungsfeld zwischen den eigenen Erwartungen an das Geschehen und dem tatsächlichen medial vermittelten Eindruck. Greifbar wird der Erlebniswert in bestimmten Schlüsselbildern oder -momenten, in denen sich das Erlebnisversprechen des Ereignisses symbolisch verdichtet. Über die in Deutschland und Italien erhobenen Interviews hinweg lässt sich feststellen, dass vor allem von den Fernsehbildern endloser Pilgerströme, fröhlich feiernder Jugendlicher und eindrucksvoll inszenierter Papstauftritte eine Faszination ausgeht – und zwar unabhängig vom Glaubensstil. Selbst bei „Unbeteiligten“ (Ben, 28, D 1. Welle) Ich-Religiösen wie Ben wecken diese Szenen
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eine gewisse Neugier, die teilweise den Wunsch nach sich zieht, sich vor Ort ein Bild vom Geschehen zu machen. Dem widerspricht auch nicht das für die IchReligiosität typische kirchenkritische Selbstverständnis und eine emotional distanzierte Haltung gegenüber dem Weltjugendtag. In den Worten der von uns interviewten 23jährigen Tina: „wie gesagt das hat mich gekitzelt da doch irgendwie noch hin zu fahren grade beim Eröffnungsgottesdienst hab ich‘s mir überlegt […] ich fand‘s schon teilweise schon hysterisch so‘n bisschen da hab ich mich manchmal gefragt was is‘ das eigentlich da aber ‘s muss ja ‘ne unglaubliche . Stimmung gewesen sein und doch sehr mitreißend“ (Tina, 23, D 1. Welle)
Maßgeblich für den Erlebniswert des Medienevents ist für Ich-Religiöse der subjektiv empfundene Widerspruch zwischen der ausgelassenen Stimmung vor Ort und dem damit verbundenen ungeheuren Medieninteresse auf der einen Seite und dem Eindruck eines „Nischendaseins“ von Glaube und Religion in der eigenen Alltagswelt auf der anderen Seite: „ich hab mich . gefreut dass das doch so’n breites Echo gefunden hatte […] hätt ich nich erwartet weil […] Glaube das hat ja in Deutschland immer so so‘n bisschen ‘n bisschen so‘n Nischendasein und gerade katholische Kirche hat immer was mit angestaubt und ‘n bisschen mit Vorurteilen behaftet“ (Ben, 28, D 1. Welle)
Umgekehrt weckt aber das über die Medien vermittelte Ausmaß von Euphorie und Papstbegeisterung Zweifel am religiösen Gehalt der Veranstaltung. Zwar wird dem Gemeinschaftserleben vor Ort ein spiritueller Erlebniswert nicht von vornherein abgesprochen, auf Basis des medial vermittelten Eindrucks erschließt sich dem unbeteiligten Zuschauer das spezifisch religiöse Erlebnismoment des Geschehens aber nicht. Zu stark tritt – entgegen der eigenen nach innen gerichteten Suche nach Spiritualität der Ich-Religiösen – der „Volksfestcharakter“ (Chris, 20, D 1. Welle) in den Vordergrund. Hier wird die Gefahr gesehen, dass sich der Erlebniswert des Weltjugendtags nicht mehr wesentlich von anderen nicht-religiösen Großveranstaltungen unterscheidet, und zwar unabhängig davon, ob im Einzelfall die Skepsis gegenüber religiösen Großveranstaltungen überwiegt oder das begeisterte Bedauern, nicht vor Ort gewesen zu sein. Deutlich macht dies Gioele (27), indem er konstatiert, er würde eher an einer „Pilgerreise“ teilnehmen oder für eine Weile in ein Kloster gehen als zum Weltjugendtag zu fahren. Auch wenn von dieser fröhlichen „Papst-Party“ des Weltjugendtags für die interviewten ich-religiösen Jugendlichen und jungen Erwachsenen kaum „Glaubensimpulse“ (Chris, 20, D 1. Welle) ausgehen, wird dem Medienevent zumindest das Potenzial zugeschrieben, das Image der Kirche und damit des Katholizismus insgesamt zu verbessern. Den Medien wird eine zentrierende Rolle zugesprochen – d.h. die Aufmerksamkeitsfokussierung auf das Ereignis selbst. Da-
Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität
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mit einher geht die Hoffnung, dass die Mediatisierung des Geschehens den Katholizismus im positiven Sinne prägen kann. Ben beispielsweise empfindet an dieser Stelle das Medienevent „als sehr positiv“ und glaubt „dass den Medien insofern ‘ne große Rolle zukommt als die . ja halt auch Impulse geben also alles bleibt und bleibt und bleibt bis dann halt mal was kommt und dann diskutiert man’s ich glaube dass in vielen Kirchengemeinden oder Gruppierungen selten so viel über Kirche und über Glauben und auch kritisch diskutiert worden is“ (Ben, 28, D 1. Welle)
In solchen reflexiven Äußerungen wird die Mediatisierung des Geschehens in Köln deswegen als positiv bewertet, weil sie dazu führt, dass der Katholizismus zwangsläufig im Gesamt von (religiösen) Sinndiskursen und damit auch von Kritik an ihm verortet wird. Aus Sicht der Ich-Religiösen ist damit zumindest potenziell die Öffnung des Katholizismus verbunden. Anders wird die Mediatisierung des Geschehens von Gruppen-Religiösen aufgenommen. Unter diesen ist die in den Medien inszenierte transkulturelle Begegnung der deterritorialen Vergemeinschaftung das Schlüsselmoment des Ereignisses: „ja das is einfach so gigantisch dass jeder gut gelaunt is und einfach auch mitsingt und egal welche Sprache man spricht dass man sich schon irgendwie verständigen kann und irgendwo ja man weiß man hat auch so ‘ne Gemeinsamkeit und Glauben halt und ähm . ja dass einfach jeder so wie er is ja einfach so zu diesem Weltjugendtag kommen kann und ja seinen seine Spiritualität seine Ideen sein ja einfach alles mit einbringen“ (Beate, 23, D 1. Welle)
Entsprechend werden die Medienbilder endloser Warteschlangen, ausgelassen feiernder, jubelnder und singender Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlicher Herkunft und katholischer Glaubensrichtung, wie auch des Schwenkens von Fahnen weniger als Zeugnisse einer gigantischen „Papst-Party“ gesehen, denn als Ausdruck der Pluralität der religiösen Vergemeinschaftung des Katholizismus. Hierbei werden direkte Bezüge zwischen der Medienberichterstattung und dem eigenen lokalen Gruppenerleben hergestellt: „man merkt halt dass andere Nationen den Glauben anders leben also das hat man jetzt zum Beispiel in der Kirche gemerkt . zu den Tagen der Begegnung war‘n ja aus dem gesamten Bistum Trier zu Gottesdiensten Menschen hier die auch aus anderen aus Spanien kamen aus aus=aus=aus Ruanda . war‘n ja ganz unterschiedliche Leute in der Kirche morgens wie _die_ mit dem Gottesdienst oder im Gottesdienst sich verhalten haben . mit Klatschen mit lautem Singen mit Tanzen zum Teil . ähm das is‘ halt ne ganz andere Erfahrung die man hier in Deutschland wo‘s doch recht _steif_ zugeht im Gottesdienst […] es ist zwar der gleiche Glaube aber er wird anders gelebt“ (Berit, 24, 1. Welle)
Vor dem Hintergrund der eigenen Sehnsucht nach einem lebensnahen, an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Glauben erscheint diese Pluralität nicht
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als Zeichen von Fragmentierung, sondern als Ausdruck der Lebendigkeit, Freude und Vitalität des katholischen Glaubens. Darüber hinaus werden die Medienbilder fröhlich miteinander feiernder Katholiken unterschiedlicher Nationalitäten aus gruppen-religiöser Perspektive als Beleg gewertet, dass „Gemeinschaft im Glauben weltweit“ (Chris, 20, 1. Welle) möglich ist. Angelo bringt das auf den Punkt, wenn er sagt, der Weltjugendtag habe ihm die Augen dafür geöffnet, dass der Glaube als gemeinsame Basis im Alltagsleben inhaltliche wie kulturelle Differenzen überwinden kann: „der WJT hat mir ein bisschen die Augen geöffnet dafür dass . auch wenn es viele Unterschiede zwischen den Jugendlichen aus den verschiedenen Ländern gibt . dass es letztendlich man kann fast sagen so etwas wie eine gemeinsame Basis gibt das heißt etwas großes Gemeinsames das so viele junge Leute verbindet und wenn so viele junge Leute zusammen kommen aus allen Ländern der Welt dann zeigt dass ja auch dass das etwas wirklich Großes sein muss […] und das glaube ich hab ich durch den WJT kapiert dass . es vor allem schön ist den Glauben mit so vielen anderen zu teilen“ (Angelo, 19, I 2. Welle)
Aus dem Medienevent wird so für Gruppen-Religiöse ein einmaliges Glaubenserlebnis, dessen Erlebniswert für die Daheimgebliebenen vor allem darin besteht, dass es über den Ort des Geschehens hinaus „Glaubensfreude“ (Chris, 20, D 1. Welle) greifbar und den Zuschauer zugleich Zeuge eines grenzüberschreitenden „friedlichen Miteinanders“ (Berit, 24, D 1. Welle) werden lässt. Eine religiöse bzw. spirituelle Bedeutung entfaltet das Medienereignis somit für diejenigen, die ohnehin eingebunden sind in die kirchliche Gemeinschaft bzw. vergleichbare religiöse Gruppenzusammenhänge. Ausgehend von der Aneignung des Weltjugendtags als Medienevent im Kontext von Ich-Religiosität und Gruppen-Religiosität lässt sich der Stellenwert mediatisierter Ereignisse für individualisierte Alltagsreligiosität damit wie folgt zusammenfassen: Junge Katholiken wenden sich unabhängig von ihrer Glaubensorientierung dem Medienereignis zu, nicht weil sie sich Antworten auf oder zumindest eine Auseinandersetzung mit religiösen oder kirchenpolitischen Streitfragen erwarten. Der Grund für eine Zuwendung liegt in der medialen Inszenierung einer massenhaften, fröhlich-bunten Zusammenkunft junger Gläubiger. Diese steht im Kontrast zu dem, wie Kirche in der Alltagswelt erlebt wird, nämlich als lebensfern, langweilig, alt und marginalisiert. Das Potenzial der Sinnstiftung von Medienevents liegt entsprechend in deren Inszenierung von Außeralltäglichkeit, die von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufgegriffen wird. Damit wird deutlich, dass ein Medienevent wie der Weltjugendtag von sich aus kaum Vergemeinschaftungsprozesse initiieren kann. Voraussetzung für vergemeinschaftende Aspekte ist vielmehr die Rückbindung der Aneignung des Medienevents an eine entsprechende religiöse Bezugsgruppe. Wo das medial vermittelte Erleben nicht in solche Kommunikationszusammenhänge
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eingebunden ist, bleibt der Weltjugendtag ein flüchtiges Ereignis im Fluss der Medienaktualität. Insgesamt wird damit ersichtlich, dass der Weltjugendtag als religiöses Medienevent nicht einfach der Integration aller sich als katholisch Definierender Vorschub leistet, wie es das Konzept ritueller Medienevents suggeriert (Kap 2). Denn je nach Glaubensstil wird der (vermeintliche) Widerspruch zwischen der medial vermittelten Weltjugendtagsbegeisterung auf der einen und den in der Alltagswelt präsenten Differenzen, Reibungen und Enttäuschungen im Verhältnis zur katholischen Kirche auf der anderen Seite unterschiedlich bewertet und in vergleichbaren medialen Bildern und Szenen eine andere Botschaft ‚gelesen‘. Statt um Übernahme bestimmter Deutungsschemata geht es bei der Aneignung des Weltjugendtags im Alltag also letztendlich um Selbstvergewisserung über die je eigenen, durch den Glaubensstil geprägten Überzeugungen innerhalb einer heterogenen, in sich fragmentierten und zugleich von Marginalisierungsängsten verunsicherten deterritorialen Glaubensgemeinschaft.
10.2 Kontinuität und Wandel: Der Papst als Medienberühmtheit und Markensymbol Die Aneignung des Medienevents Weltjugendtag in Bezug auf katholische Ichund Gruppen-Religiosität zeigt, dass die Erlebnisperspektive auf das Ereignis und damit auch der Erlebniswert des Medienevents in Abhängigkeit von alltäglichen religiösen Vergemeinschaftungsmustern deutlich variieren. Ziel dieses Abschnitts ist es, ausgehend davon herauszuarbeiten, welche Bedeutung dem Papst als Medienberühmtheit und Markensymbol des Katholizismus zukommt und wie in diesem Zusammenhang seine Rolle als religiöse Autorität in Bezug auf die Bewertung der Medienberichterstattung einzuordnen ist. 1. Medienberühmtheit und Markensymbol: Obwohl dem Medienevent vor dem Hintergrund katholischer Ich-Religiosität kein spezifisch religiöser Erlebniswert zugeschrieben wird, entfaltet es für kirchen- bzw. vatikankritische Jugendliche eine religiöse Bedeutung. Diese ist darin zu sehen, dass es sich beim Weltjugendtag um die erste Auslandsreise Benedikts XVI handelt und damit zugleich um den ersten Weltjugendtag mit dem Nachfolger des von jungen Gläubigen verehrten Johannes Pauls II. Damit wird das „Papst-Sehen“ (Forschungskonsortium Weltjugendtag 2007: 146), das die lokalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Köln motiviert, ebenfalls zum zentralen Erlebnismoment des Medienevents. Je weniger das außeralltägliche Vergemeinschaftungsversprechen
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des Medienevents eine Relevanz hat, desto größer ist das Interesse an der Berichterstattung über die Papstauftritte. Das heißt nicht, dass damit eine spirituelle Erfahrung verbunden sein muss. Dominierend ist vielmehr der emotional distanzierte Blick des Beobachters, was folgendes Zitat exemplarisch deutlich macht: „der WJT in::: in den Medien hat für mich viel mehr Bedeutung .. weil das für mich auch ein kulturelles Ereignis ist ein Event das die Welt beeinflusst […] das etwas verändert . es erregt Aufsehen weil es die Dinge verändert . es verändert nicht die Art und Weise wie ich zu::: zur Kirche stehe oder meine Spiritualität weil ich ja gar nicht da war . ich glaube nicht dass ich dadurch jetzt katholischer bin als vorher . aber ich glaube ich weiß jetzt besser wohin das Pontifikat von Benedikt XVI geht“ (Gioele, 27, I 1. Welle)
Gerade bei Ich-Religiösen richtet sich die Aufmerksamkeit weniger auf die Inhalte des Papstbesuchs als solche. Kaum einer der Interviewten kann sich an die Abfolge oder an konkrete Inhalte der päpstlichen Ansprachen erinnern. Vielmehr geht es um die Inszenierung von Joseph Ratzinger als Papst (und der damit verbundenen Darstellung des Menschen). Wie folgendes Zitat deutlich macht, wird das Auftreten Benedikts XVI beim Weltjugendtag von den interviewten deutschen und italienischen Jugendlichen als entscheidender Fortschritt gewertet: „ich glaube auch dass er unabhängig also außerhalb der katholischen Kirche durch die Auftritte in Köln äm .3. sozusagen Boden hat wettmachen können einfach weil wenn man eben nich im Katholizismus so drinsteckt man ja erst recht nur das negative Bild immer früher hatte und das einzige was man von Katholisch kannte war der Papst und Ratzinger und Ratzinger war immer der Böse und der Papst nach Möglichkeit wenn man Glück hatte noch der Gute und äm da war bot sich natürlich die Möglichkeit den/ unter breiter Anteilnahme der Medien ganz anders halt auch . zu erleben .. aber ich bin immer noch nicht mit allem einverstanden was da aus Rom kommt“ (Ben, 28, D 2. Welle)
Dieses Zitat ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Erstens macht es ein alltagsweltliches Verständnis von Medienberühmtheit deutlich, wonach es bei diesen nicht darum geht, was man ist, sondern welches „Bild“ kommuniziert wird. Zweitens zeigt sich, dass der positive Eindruck, den Ratzinger mit seiner neuen Rolleninszenierung hinterlässt, eine kritische Haltung gegenüber den von ihm vertretenden Positionen bzw. der Kirche als Organisation nicht ausschließt. Letztlich unterstreicht dies in erster Linie eines: Theologische Streitfragen etwa zur Sexualmoral oder Ökumene interessieren bei der Auseinandersetzung mit dem Papst weniger. Für die Jugendlichen steht vielmehr das ‚Papst-Sehen’ im wörtlichen Sinne im Mittelpunkt, das ‚Erleben’ des Papstes in seiner Inszenierung als Medienberühmtheit. Hierbei ist auch auf Ebene der Aneignung das in Kapitel 7 analysierte Spannungsverhältnis von Papst als Institution (Staatsmann und Idol) bzw. Papst als
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Person (Religionsführer und Privatmensch) prägend. Exemplarisch machen dies folgende weitere Äußerungen von Ben deutlich: „ich glaub dass der alte Papst ‘ne Symbolfigur war und dass […] das für viele noch stärker is also da is sicher auch in Polen grade .. so ‘n Personenkult um den […] und das glaub ich muss der neue Papst .. muss diese Rolle sozusagen noch finden oder man muss einfach noch ‘n paar Weltjugendtage abwarten wie . der sich entwickelt aber ich glaube dass auch der . sehr authentisch und charismatisch .. in in auf seine Art ist und ähm .1. ja vielleicht nicht grade so ‘n Idol aber . schon .. so ‘ne Respektsperson . is und und von den Jugendlichen auch für seine Authentizität und Aufrichtigkeit dann verehrt wird“ (Ben, 28, D 1. Welle)
Wiederum ist dieses Zitat in seiner Widersprüchlichkeit auffallend. Einerseits unterstreicht es, dass Ben sich bewusst ist, dass er es mit komplexen Inszenierungsprozessen einer Medienberühmtheit zu tun hat. Dies zeigen in dem Zitat Äußerungen wie „Symbolfigur“ oder „Rolle finden“. Dabei hat Ben ein Verständnis dafür, dass diese auf die institutionellen Aspekte des Papstamtes verweisenden Momente auch die zukünftigen (Medien-)Auftritte des Papstes prägen werden, wenn er auf weitere Weltjugendtage verweist. Gleichzeitig bleibt für ihn andererseits zentral, den Papst als „Person“ sehen zu können, wobei er ihm hier trotz oder konkreter in der medialen Inszenierung „Authentizität und Aufrichtigkeit“ unterstellt. Die in der medialen Inszenierung der Person fokussierte Geradlinigkeit und persönliche Integrität lassen für Ben den Papst angesichts des religiösen und weltanschaulichen Pluralismus zur „Respektsperson“ werden. Die katholische Kirche hat seiner Meinung nach mit einer „starken Leitfigur wie dem Papst“ eine „wichtige moralische Instanz“: „In der gesellschaftlichen und politischen Lage, die wir weltweit heute haben, […] in einer Zeit, wo Werte ja immer immer mehr so an den Rand fallen .. und da braucht‘s jemanden der für Werte eintritt“ (Ben, 28, D 2. Welle). Genau das ist für ihn der Papst. Diese Analyse führt vor Augen, in welchem Maße die Medienberühmtheit Papst auch bei Ich-Religiösen ein Symbol für ethisch-moralische Positionen des Katholizismus ist. Der präsente Vergleich mit dem Vorgänger zeigt daneben, dass Vorstellungen darüber bestehen, welche Formen der Inszenierung des Papstes als ‚authentisch’ gelten und welche nicht. ‚Authentizität‘ wird immer da unterstellt, wo weniger der rationale Aspekt des Staatsmanns und Religionsführers und damit verbundene Fragen kirchlicher Dogmen im Vordergrund stehen, als ein freimütiges Interagieren mit Jugendlichen, teils als deren Idol, vor allem aber als Privatmensch. Entsprechend betont unter den von uns interviewten italienischen Jugendlichen Marco: „das Charisma das Johannes Paul II hatte . ist bis jetzt unvergleichlich . aber ich wiederhol‘ mich hier man muss Benedikt XVI ein bisschen Zeit geben mir scheint es jedenfalls dass er in jeglicher Hinsicht versucht der Linie zu folgen die sein Vorgänger eingeschla-
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gen hat . hier in Italien dachten die Leute als er gewählt wurde halt von dem her was man bis dahin über ihn wusste hat man ihn für eine etwas strengere Person gehalten die ganz treu den Prinzipien folgt . eine verschlossene Person . statt dessen hat er sich nun sehr offen gezeigt viel offener als man gedacht hätte . hoffen wir mal dass er so weiter macht“ (Marco, 20, I 1. Welle)
Geht man von diesem Zitat aus, bildet die in der Zeit von Johannes Paul II entstandene Medienrolle des Papstamtes den Bezugsrahmen, ausgehend von dem das Auftreten Ratzingers beurteilt wird, dem er aber zugleich eine persönliche Dimension – ein persönliches Ausfüllen der Rolle – hinzufügen muss, um als „authentisch […] rüber zu kommen“. Mit Bezug auf die Mediatisierung individualisierter Religiosität lässt sich damit festhalten, dass der Papst auch ich-religiösen jungen Gläubigen als Orientierungsinstanz dienen kann, weil er als Medienberühmtheit jenseits des ideologischen Unterbaus des Katholizismus an Profil gewinnt. Es ist dabei erstaunlich, wie aus Aneignungsperspektive ein Blick vorherrschend ist, in dem der Papst dahingehend betrachtet wird, wie er sich in seine Rolle als Medienberühmtheit fügt. Damit setzt sich die bereits auf den Ebenen der Produktion und Repräsentation des Medienevents zu beobachtende Tendenz zur Personalisierung auf Ebene der Aneignung fort. Aus Perspektive einer Gruppen-Religiosität steht zwar weniger das ‚PapstSehen’ im Mittelpunkt des Medieneventerlebens als die (medial vermittelte) Sichtbarkeit jugendlicher katholischer Religiosität in ihrer transkulturellen Vielfalt. Jedoch nimmt der Papst ebenfalls eine Schlüsselrolle für die Aneignung des Medienevents ein. Indem er das Medienevent ‚klammert‘ (siehe Kap. 3 und 7), scheint er aus dieser Perspektive das Geschehen zusammenzuhalten. Selbst diejenigen, die – wie Berit – einer Zuspitzung der Medienberichterstattung auf die Begegnung zwischen Papst und Jugendlichen kritisch gegenüberstehen, erkennen an, dass der Weltjugendtag erst durch den Papstbesuch zu einem religiösen (Medien-)Event wird: „wenn der Papst nicht hingekommen wäre, wären wahrscheinlich auch nicht so viele Menschen gekommen“ (Berit, 24, D 2. Welle). In der Perspektive von Berit sind es die sakralen Auftritte, durch die der Papst alles „zusammenhält“ (ebd.) und „auf den Punkt gebracht“ (ebd.) hat. Als die Figur im Zentrum der Medienaufmerksamkeit ist der Papst für Gruppen-Religiöse der über die kulturellen und weltanschaulichen Differenzen der Glaubensgemeinschaft hinweg verbindende Referenzpunkt. Dabei sind institutionelle Aspekte der Medienberühmtheit zentral, d.h. der Papst als „Chef von der Kirche“ (Jakob, 16, D 2. Welle) und eine personelle als „Respektsperson“ (Ben, 28, D 1. Welle). Selbst wenn ihm in Bezug auf den eigenen Glauben bzw. Fragen der individuellen Lebensführung keine moralische Autorität zugesprochen wird, dient er als transkulturell anschlussfähiges Symbol der Selbstvergewisserung von religiöser Vergemeinschaftung nach innen, ebenso wie deren
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Darstellung (in den Medien) nach außen. Damit gilt er zugleich als Bindeglied oder Vermittler zwischen Kirche und Jugend, denn vor dem Hintergrund des gruppenbezogenen Selbstverständnisses als Basis einer Gemeinschaft gelebten Glaubens wird die (medial inszenierte) Nähe zur Medienfigur ‚Papst’ als Signal der Annäherung der Kirche an die (jugendliche) Basis der katholischen Glaubensgemeinschaft interpretiert. Vor allem italienische Jugendliche sehen im Papstbesuch so ein Zeichen ihrer Anerkennung als Zukunft der katholischen Glaubensgemeinschaft: „von der Tatsache dass der Papst beim WJT war gehen in meinen Augen zwei ganz unterschiedlichen Signale aus ohne dass ich in der Lage bin die zu beurteilen . das erste ist eine besondere Aufmerksamkeit der Kirche für die Jugend die vor allem das Erbe von Johannes Paul II weiterführt es ist schon wie eine Art Tradition […] von einem anderen Standpunkt aus […] glaube ich auch dass die Kirche solche Veranstaltungen braucht um sich am Leben zu halten . […] die Kirche muss sich ein bisschen modernisieren um nach und nach aus aus dem engen Bereich der Gemeinden und der Kirche selbst herauszukommen (&&) und sich dieser neuen Welt anzuschließen in der Konzerte Treffen und Veranstaltungen ein Tor öffnen zu einem breiteren Publikum“ (Marco, 20, I 1. Welle)
Das Auftreten des Papstes beim Weltjugendtag gilt in diesem Sinne für Gruppen-Religiöse nicht nur als Versuch, das kirchliche Glaubensangebot in einer für Jugendliche ebenso wie breitere Medienpublika anschlussfähigen Form nach außen zu kommunizieren, sondern zugleich als Bemühen, eine Kultur des Dialogs mit jungen Katholiken zu etablieren und damit, wie Marco sagt, das Erbe Papst Johannes Pauls II zur „Tradition“ zu machen. Als Symbol für katholische Gemeinschaft wird der Papst damit zur Projektionsfläche für die Spannungen und Widersprüche, die das persönliche Verhältnis zur katholischen Kirche in der Alltagswelt charakterisieren, denn seine Medienpräsenz verweist immer auch zurück auf die (medial vermittelte) Auseinandersetzung um das alltagsweltliche Verhältnis zwischen Kirche und Jugend und die damit verbundenen Forderungen nach Öffnung und Dialog. Stellt man diese symbolische Bedeutung des Papstes seiner personenbezogenen Aneignung im Kontext der Ich-Religiosität gegenüber, lässt sich unsere These, der Papst fungiere als Markensymbol des Katholizismus, auf Ebene der Aneignung wie folgt konkretisieren: Als Medienfigur steht der Papst im Spannungsfeld zwischen der Sehnsucht nach Verlässlichkeit und verbindlicher Orientierung auf der einen und dem Wunsch nach Demokratisierung und Liberalisierung der Kirche auf der anderen Seite. Die Produktivität seiner Inszenierung als Medienberühmtheit kann aus Aneignungsperspektive darin gesehen werden, dass es gelingt, diese Widersprüchlichkeit symbolisch aufzulösen: Der Papst als Markensymbol des Katholizismus eröffnet gleichzeitig Lesarten der religiösen Kontinuität wie des religiösen Wandels.
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2. Kontextualisierung und Bewertung: Untermauern lassen sich solche Analysen weiter anhand der Bewertung der Medienberichterstattung zum Weltjugendtag, die wir deswegen hier nochmals aufgreifen möchten. Wie wir im vorangegangenen Teilkapitel zeigen konnten, wird der Weltjugendtag vor dem Hintergrund katholischer Ich-Religiosität in erster Linie als Imageveranstaltung der katholischen Kirche wahrgenommen. Seine Bedeutung entfaltet das Medienevent für Ich-Religiöse somit weniger als außeralltägliches spirituelles Erlebnisangebot denn als öffentliche ‚Initiation’ des neuen Papstes. Für die Beurteilung der Medienberichterstattung sind entsprechend nicht so sehr atmosphärisch dichte Beschreibungen der Stimmung vor Ort entscheidend, erwartet werden vielmehr Einblicke in die Persönlichkeit Papst Benedikts XVI bzw. dessen Amtsverständnis und neue Impulse für die kritische Auseinandersetzung mit Kirche. Entsprechend wird die Glaubwürdigkeit der Weltjugendtags- und der Papstberichterstattung von Ich-Religiösen dahingehend eingeschätzt, inwieweit es gelingt, im Rahmen einer differenzierten, kritisch-reflektierenden Auseinandersetzung ein umfassendes Bild des Geschehens zu zeichnen und den kirchlichen Inszenierungsbestrebungen eine eigene Position entgegenzusetzen. Es geht für die Medienorgane darum, wie es Tina ausdrückt, jenseits der kirchlichen Positionen ihre „eigene Dokumentation“ zu machen. Ungebremster Papstjubel wird in dem Zusammenhang ebenso kritisch beurteilt, wie eine Überbetonung der bekannten theologischen Streitfragen: „grade dieses ähm das Verhütungsthema […] da hab ich jetzt grad noch zwei Interviews im Kopf .hhhh die da direkt darüber gingen . ’s gibt so viele . Themen in Glauben oder in der katholischen Kirche die man hätte auch ma‘ fragen oder diskutieren können und es sind immer nur diese Knackpunkte […] insgesamt gehört‘s schon auch angesprochen natürlich also sonst wenn man nicht mehr kritisieren darf also dann geht‘s auch schief . aber ’s is so find ich oft einseitig“ (Tina, 23, D 1. Welle)
Letztlich wird aus dieser Perspektive die ‚Distanz’ zur katholischen Kirche und zu im medialen Diskurs dominierenden Reizthemen zum zentralen Bewertungsmaßstab für die Berichterstattung. Dass italienische Jugendliche in diesem Zusammenhang wiederholt die Unabhängigkeit der Medien von kirchlicher Einflussnahme betonen, kann somit als Hinweis auf die grundlegende Bedeutung nicht-kirchlicher Berichterstattung für die Ich-Religiosität gelten. Denn als kirchliche ‚Erfüllungsgehilfen’ würden die Medien ihre Vertrauenswürdigkeit einbüßen und die eigene, vor dem Hintergrund kirchenkritischer Mediendiskurse begründete Positionierung gegenüber der Kirche ihre Grundlage und damit Legitimation verlieren. Ausgehend von dem Wunsch, aus der Distanz ‚hautnah’ am Geschehen zu partizipieren, gilt aus Perspektive der Gruppen-Religiosität als glaubwürdig,
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was emotional als außeralltägliches religiöses Erlebnis nachvollziehbar ist. Beurteilt wird die Medienberichterstattung weniger nach deren wahrgenommener Objektivität als nach dem Kriterium einer unterstellten ‚Authentizität’. Eine Zuspitzung auf Fragen der katholischen Sexualmoral wird in diesem Zusammenhang ebenso abgelehnt, wie eine Überbetonung von Organisationspannen vor Ort, da mit diesen Themen der Bezug zum ‚eigentlichen’ Thema des Weltjugendtags verloren ginge. So formuliert Berit (24, D 1. Welle), ihr sei klar, „dass alles nicht reibungslos funktionieren kann“. Gleichwohl denkt sie, es sei „wichtiger andere Sachen .. zu sehen als diese Abreise die ‘n bisschen schlecht funktioniert hat“. Einer solchen Orientierung Berits auf das „Eigentliche“ des Weltjugendtags entspricht auch die Ablehnung der zumindest für die deutsche Weltjugendtagsberichterstattung typischen Muster von Übertreibung und Ironisierung durch Gruppen-Religiöse. Ansatzpunkt für ihre Kritik ist, dass bei solchen Formen der Berichterstattung jeder religiöse Bezug verloren gegangen sei. In diesem Sinne setzt sie sich in hohem Maße kritisch mit dem bereits analysierten Papst-Poster aus der Bravo auseinander: „das fand ich einfach doof weil ich denke grade die Bravo is‘ nicht so die Zeitschrift die sich jetzt wirklich . ja die hat halt dieses Popstar- und dieses Musikimage . und der Papst hat nichts mit Musik und und . groß . große Sache zu tun ich denke Kirche ist da noch was ganz anderes […] ich denke dass da ne ganz andere Intention hintersteht als bei ‘nem Popstar .1. der is einfach mehr weil er berühmt is‘ toll und der Papst ist nicht toll weil er berühmt ist sondern weil er der Papst _is‘_ .1. und das hat einfach nur damit zu tun dass er mit der Kirche zu tun hat und als Oberhaupt der Kirche steht“ (Berit, 24, D. 1. Welle)
Eine ‚Authentizität’ und damit Glaubwürdigkeit wird vielmehr dem Hybriden unterstellt, d.h. im Fernsehen vor allem jenen Momenten der Medienberichterstattung, in denen sich sakrale Inszenierung und populärkulturelle Ausgelassenheit zu den für den Weltjugendtag als typisch geltenden Momenten außeralltäglichen Gemeinschaftserlebens verdichten. Indem – wie wir in unserer Analyse der Medienberichterstattung zeigen konnten – diese Verdichtung populärer und ritueller Erlebnismomente erst im Rahmen der Mediatisierung des Geschehens erfolgt, fungieren Medien, und hier allen voran das Fernsehen, mit Blick auf das Eventerleben aus Perspektive einer Gruppen-Religiosität als eine Art ‚Wiederverzauberungsmaschinerie’ (zum Aspekt der Wiederverzauberung bei Events siehe Gebhardt 2000). Manifest wird dies insbesondere an folgendem Zitat aus unserem Interviewmaterial: „ich fand das zum Beispiel ziemlich beeindruckend […] dass er schon relativ offen war und auf die Jugendlichen zugegangen ist […] dass er jetzt durch die Stadt gefahren ist oder so das gab‘s [beim Weltjugendtag in Toronto] in Kanada zum Beispiel gar nich und
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das fand ich ziemlich gut also einfach auch nochmal so diese Nähe herzustellen“ (Beate, 23, D 1. Welle)
Offenbar erzeugt die für die Inszenierung des Papstes als Medienberühmtheit charakteristische Dramaturgie und Ästhetik eine atmosphärische Dichte, welche die religiöse Dimension des Weltjugendtags für Nicht-Anwesende emotional erfahrbar werden lässt und dem medial vermittelten Erleben damit erst das Gefühl eines ‚authentischen’ Glaubenserlebnisses verleiht. Damit wird die Ambivalenz des Papstes als Medienfigur im Kontext katholischer Gruppen-Religiosität deutlich: So sind es die Papst-Auftritte, die dem Medienereignis aus Perspektive einer Gruppen-Religiosität über das jugendliche Feiern hinaus eine sakrale Atmosphäre verleihen, sobald aber die Aufmerksamkeit für das Kirchenoberhaupt das ‚eigentliche’ Erlebnisversprechen des Weltjugendtags – ein außeralltägliches transkulturelles religiöses Gemeinschaftserlebnis – in den Hintergrund zu drängen scheint, wird die Papstberichterstattung als störend empfunden. Während er als kommunikative Klammer unverzichtbar ist, weil erst durch ihn das Ereignis zum religiösen Medienereignis wird, scheint er das Erleben zugleich zu stören, weil er als Medienberühmtheit tendenziell das Mediengeschehen gegenüber dem eigentlichen Erlebnisversprechen dominiert.
10.3 Möglichkeiten religiöser Vergemeinschaftung: Die Nachhaltigkeit des Medienevents in der Alltagswelt Das erklärte Ziel der Veranstalter des Weltjugendtags war es, über die Medienberichterstattung nicht nur potenzielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erreichen und auf die „Pilgerreise“ vorzubereiten. Darüber hinaus sollten „jene 95 Prozent (deutscher) Jugendlicher […] [adressiert werden], die weder den Weltjugendtag kennen, noch einen kirchlichen Bezug oder eine religiöse Glaubensbindung haben“, um „Nah- und Fernstehende der Kirche zusammen[zu]führen“ (Kopp 2003). Die sechs Weltjugendtagsbotschaften, über die das gelingen sollte, lauten: „[1] Der XX. Weltjugendtag ist das junge Gesicht einer lebendigen Kirche. [2] Jugendliche der ganzen Welt treffen sich gemeinsam mit dem Papst zu einem Glaubensfest. [3] Die Jugendlichen wollen aktiv Gegenwart und Zukunft der Gesellschaft gestalten und Antworten auf ihre Fragen erhalten. [4] Durch den Weltjugendtag wird offensichtlich: Wer Christus findet, verändert die Welt. [5] Der Weltjugendtag macht neugierig auf Kirche, die durch Miteinander und Dialog mutig, motiviert und optimistisch nach vorne blickt. [6] Der Weltjugendtag ist ein internationales und mediales Ereignis ersten Ranges, das von Gastfreundschaft geprägt ist.“ (Kopp 2003)
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Diese Botschaften dokumentieren die inhaltlichen Nachhaltigkeitserwartungen der katholischen Kirche an das Medienevent und bieten uns einen ersten Anhaltspunkt, worum es mit Blick auf die Nachhaltigkeit des Medienereignisses geht: um die Stabilisierung bestimmter über das Medienereignis hinausweisender Deutungs- und Vergemeinschaftungsmuster. In den Mittelpunkt rückt damit die Frage, unter welchen Bedingungen das medial vermittelte Weltjugendtagserleben zur Stabilisierung eines katholischen „Wir-Bewusstseins“ beitragen und über das unmittelbare Rezeptionserleben hinaus ein Gefühl religiöser Zugehörigkeit vermitteln kann. Im Folgenden soll zunächst spezifiziert werden, inwieweit das Medienevent im Kontext katholischer Ich-Religiosität und GruppenReligiosität Gemeinschaftserlebnisse stiftet. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Rolle (medial vermittelter) interpersonaler Kommunikation. Ausgehend davon soll herausgearbeitet werden, inwiefern sich zwischen den beiden Erhebungswellen vom Spätsommer 2005 und Anfang 2006 hinsichtlich des Erlebniswerts des Medienevents und den damit verbundenen Botschaften bzw. erwarteten Glaubensimpulsen Verschiebungen und Umdeutungen, ebenso wie Konstanzen und Verstetigungen ausmachen lassen. 1. Gemeinschaftserlebnisse und Wir-Bewusstsein: Wie deutlich geworden ist, kann ein Medienevent wie der Weltjugendtag aus sich heraus kein religiöses Gemeinschaftsgefühl stiften. Zwar entfaltet das medial vermittelte Vergemeinschaftungsversprechen für Nicht-Anwesende einen gewissen Reiz. Allein durch das Mitverfolgen der Geschehnisse via Medien entsteht aber kein Gefühl der Zugehörigkeit zur ‚Eventgemeinde’. Ein entsprechendes ‚Wir-Gefühl’ kann sich vielmehr erst vor dem Hintergrund an das Medienereignis geknüpfter Gemeinschaftserlebnisse in der Alltagswelt entwickeln. Außeralltägliche gemeinsame Rezeptionserlebnisse spielen, wie ebenfalls deutlich geworden ist, kaum eine Rolle, da sich die Rezeption des Medienereignisses unabhängig vom Glaubensstil primär entlang von Alltagsroutinen strukturiert. Dies bedeutet nicht, dass nicht zwischendurch gezielt der Fernseher eingeschaltet wird, um eine bestimmte Sondersendung zu verfolgen. Ebenso wird ‚mehr’ Zeitung gelesen als sonst, oder mit Eltern oder Freunden ‚mehr‘ über die persönlichen Eindrücke gesprochen. Man trifft sich aber nicht, um gemeinsam der Willkommensfeier für den Papst oder Abschlussmesse ‚beizuwohnen’. Entscheidend für medial vermittelte Gemeinschaftserlebnisse ist die kommunikative (Nach-)Bearbeitung des Ereignisses in der Alltagswelt, auch mittels digitaler Medien. Die ‚Live’-Kommunikation mit Teilnehmenden vor Ort mittels E-Mail und Chat, aber vor allem via Handy kann im Zusammenspiel mit den (hybriden) Medienbildern die gefühlte Distanz zum Geschehen durchbrechen und den Eindruck vermitteln, zumindest emotional daran partizipieren zu können. Denn im Mit-Teilen persönlicher Eindrücke entsteht eine translokale
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Verbundenheit mit den Teilnehmenden vor Ort, die Nicht-Anwesende ‚hautnah’ dabei sein lässt. Angelo unterstreicht dies, wenn er als Gruppen-Religiöser betont, dass es vor allem die SMS seiner Freunde von unterwegs waren, die es ihm ermöglichten trotz der räumlichen Entfernung an deren Erleben und dem damit verbundenen Gemeinschaftsgefühl teilzuhaben: „ab und an haben wir uns via SMS gehört auch danach noch als sie wieder zurück gekommen sind […] auf der einen Seite war ich mich ein bisschen ä::: wie soll ich sagen gut ich habe was Schönes verpasst . aber dann hab ich mich für meine Freunde gefreut die da waren und die all dieses super Schöne mit mir geteilt haben und am Ende glaub ich ist diese Erfahrung wie eine eigene geworden“ (Angelo, 19, I 1. Welle)
Ähnliches gilt für interaktive Medienangebote, die im Umfeld des Weltjugendtags im Internet zu finden waren. Indem sie es ermöglichen, sich mit eigenen Beiträgen am Mediengeschehen zu beteiligen, können sie Nicht-Teilnehmenden das Gefühl vermittelen, in „dieses große Ganze“ (Beate, 23, D 1. Welle) eingebunden zu sein. Ein prägnantes Beispiel dafür ist das aus via Internet eingesandten Passfotos junger Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammengesetzte Porträt Papst Johannes Paul II, das als Großleinwandposter gegenüber dem Dom in Köln während des Weltjugendtags aufgehängt wurde. Mit dem Hochladen der Fotos und dem kontinuierlichen Mitverfolgen der so hinterlassenen ‚Spur’ im entstehenden ‚Gemeinschaftswerk’ kann – wie Bens Schilderung anschaulich zeigt – auch bei Ich-Religiösen das Gefühl aufkommen, Teil von etwas Größerem zu sein: „dieses Mosaikbild von Johannes Paul II also das war auch was was mich persönlich so schon mit beeindruckt hat dieses _riesen_ Ding […] Ich bin irgendwo rechts oben Teil des Himmels glaub ich […] am Anfang war ich noch . irgendwo im Gesicht glaub ich oder in der Hand“ (Ben, 28, D 2. Welle)
Bedeutsam ist daneben, dass das Poster als überlebensgroße Referenz an die „Symbolfigur“ (Ben, 28, D 2. Welle) Johannes Paul II unter dem Titel „Thank you JPII“ an einer Gebäudefassade direkt gegenüber dem Kölner Dom zu sehen war und dort zum beliebten Treffpunkt, Fotomotiv und Gegenstand von Medienberichten wurde. Dass ein solches Angebot selbst von Papst-kritisch eingestellten jungen Erwachsenen wie Ben als positive Beteiligung an dem (Medien-)Event begriffen wird, zeigt, dass die hier auch in der Aneignung als konkrete Partizipation greifbare Mediatisierung unabhängig vom Glaubensstil Vergemeinschaftungspotenziale entfalten kann. Inwieweit dies im Sinne eines Nachhaltigkeitseffektes mit einer stärkeren Integration in die kirchliche Glaubensgemeinschaft verbunden ist, hängt aber im Wesentlichen davon ab, ob solche Formen mediatisierter Partizipation darüber hinaus an den Glaubensalltag rückgebunden werden können.
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Deutlich wird das am Beispiel jener (deutschen) Jugendlichen, die durch Mitarbeit bei den im Vorfeld des Papstbesuchs in Köln in den lokalen Gemeinden durchgeführten „Tagen der Begegnung“ oder die Teilnahme an einem früheren Weltjugendtag über unmittelbare Weltjugendtagserfahrungen verfügen. Gerade diese finden in den Medien- und Erlebnisberichten eigene Erfahrungen wieder. Dadurch kann, wie Beate mit Blick auf ihre „Toronto-Gruppe“ beschreibt, das mit diesen erinnerten Erlebnissen verbundene Wir-Gefühl der Gruppe aktualisiert werden: „vieles war auch einfach so dass jeder das separat zuhause geguckt hat man hat sich immer nachmittags immer irgendwie gesehen unterwegs oder getroffen . und dann konnte man das einfach nochmal austauschen und […] einfach die Erfahrungen die wir jetzt . selber in Kanada gemacht haben mit dem was man jetzt in den Bildern sehen konnte und .. das einfach nochmal . ja und miteinander besprochen und diskutiert und .. überlegt ob wir das jetzt dann doch nochmal nach Sydney fliegen sollten oder nicht ((lacht)) […] da sind wir dabei ((lacht))“ (Beate, 23, D 1. Welle)
Die Medienberichte wurden hier als Ressource für eine Erinnerungsarbeit im Sinne Maurice Halbwachs (1985) verwendet – eine Erinnerungsarbeit, die gleichzeitig projektiven Character hat: Durch dieses Wiedererkennen entsteht zugleich ein Gefühl „kultureller Nähe“ („proximity“, Tomlinson 2007) und raum- und zeitübergreifender Verbundenheit mit den aktuellen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Hierdurch wird der Eindruck vermittelt, über das Medienevent in „dieses große Ganze“ (Beate, 23, D) eingebunden zu sein: „es war total gigantisch weil die [Mädchen aus ihrer Jugendgruppe, die nach Köln gefahren sind] nämlich die gleichen also von den gleichen Erfahrungen berichtet haben wie es uns damals ergangen ist also mit kilometerlangen Laufen manches total unorganisiert und . von daher war‘s einfach total schön das nochmal zu hören . dass Weltjugendtag egal wo er stattfindet . doch ja die gleichen Zeichen die gleichen Symbole aufweist“ (Beate, 23, D 1. Welle)
Aber auch ohne entsprechende Vorerfahrungen geht von der kommunikativen Nachbearbeitung des Ereignisses innerhalb der Gruppe etwas ‚Ansteckendes’ aus, das, wie Chris exemplarisch veranschaulicht, auch jene erfassen kann, die das Medienevent nur am Rande mitverfolgen konnten oder dem medial vermittelten Überschwang zunächst eher skeptisch gegenüberstanden: „ich fand‘s erst mal interessant .. was die erzählt haben und berichtet haben .. und man konnte auch eindeutig .. raushören dass es für sie ‘n sehr .. ja beeindruckendes . Erlebnis war .. das fand ich dann in gewisser Weise au:::ch ä:::m .. ja ansteckend .2. auch für mich persönlich“ (Chris, 20, D 2. Welle)
Wiederum spielen Erlebnisberichte von Weltjugendtagsteilnehmern aus dem persönlichen Umfeld eine Schlüsselrolle, ermöglichen sie gegenüber der medial inszenierten Nähe doch scheinbar ‚unmittelbare’ Einblicke in das ‚tatsächliche’
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Geschehen vor Ort. Denn, wie Berit unterstreicht, „dieses Emotionsmäßige kommt viel mehr rüber als im Fernsehen“: „es ist schon toll was die [Fernsehberichte] da von der Stimmung da zeigen aber wenn man dann mit jemandem redet der hautnah dabei war und ma richtig sieht wie die Augen anfangen zu. leuchten und das Erzählen immer {spricht hier sehr schnell, fast aufgeregt} .hhh immer mit mehr Gestiken und so weiter kommt ähm das ist dann doch schon was anderes“ (Berit, 24, D 1. Welle)
Damit fungieren solche Erlebnisschilderungen bei Gruppen-Religiösen als emotionale Verstärker des medial vermittelten Eindrucks und als Anknüpfungspunkte für die gemeinsame Rekonstruktion des Geschehens innerhalb der Gruppe. Einen zentralen Stellenwert hat dabei der Austausch von Fotos, sei es im Rahmen privater Treffen im Freundeskreis, offizieller Nachtreffen in der Pfarrei oder aber via Internet. Denn vor allem wenn Rückkehrer aus Köln neben persönlichen Anekdoten entsprechende Foto- oder Videodokumente beisteuern, vermischen sich in der Kommunikation darüber massenmedial vermittelte Narrationen mit den Schilderungen von vor Ort und den eigenen (Vor-)Erfahrungen zu einer hybriden Erlebniskonstruktion, die das medial vermittelte Erlebnisversprechen des Events für Nicht-Teilnehmer emotional anschlussfähig macht. Exemplarisch für eine solche Aneignung unter Gruppen-Religiösen sei nochmals auf Angelo verwiesen, für den der besondere „Geist“ des Weltjugendtags in den von Handyfotos unterstützen Schilderungen seiner Freunde von der Nacht auf dem Marienfeld greifbar wird: „sie haben mir die Fotos gezeigt danach . klar danach . ihre Handys mit all/ allen Fotos auf den Handys […] das Bild das mich am meisten sagen . wir beeindruckt hat . l'immagine ist das ganze am letzten Tag bei der Messe mit den ganzen Jugendlichen auf diesem riesigen Feld . und dann vor allem das Bild von dem mir meine Freunde erzählt haben ist das Bild von der Nacht vor der Messe wo . wo alle meine Freunde da auf dieser dieser immensen Ebene geschlafen und gecampt haben . und alle haben erzählt dass sie (&&) bis zum Morgengrauen“ (Angelo, 19, I 2. Welle)
Durch das gemeinsame Erinnerungsbasteln gehen die medial vermittelten Eindrücke auf in einer übergreifenden Gemeinschaftserfahrung von Gruppen-Religiösen, die nicht nur zum Zusammenhalt in der Gruppe beiträgt, sondern die Gruppe selbst in der vorgestellten Weltjugendtagsgemeinde verortet. Im gemeinsamen Nacherleben des Ereignisses auf Basis medial vermittelter Narrationen verdichten sich die persönlichen Eindrücke und Erfahrungen zu einer gruppenbezogenen Weltjugendtagskonstruktion. In dieser wird die eigene lokale Gruppe als Teil der deterritorialen Vergemeinschaftung des Katholizismus oder – wie es Angelo formuliert – der „katholischen Basisbewegung“ verortet: „es war ein schönes Gefühl in dem Sinne dass ich gesehen habe dass [...] so viele Leute so viele Jugendliche an einem Ort zusammen kommen und sich treffen und darum hab ich mich als Teil davon gefühlt im übertragenen Sinn weil ich gedacht habe dass wenn
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sich so viele Leute gekommen sind von den unglaublichsten Orten Leute aus Nepal China Australien von ganz weit her dann bedeutet das dass:::: da ein grundlegender Glauben ist und das ist halt schön zu wissen dass du deine Erfahrungen letztlich mit all diesen anderen teilst“ (Angelo, 19, I 1. Welle)
Konkretisiert wird dieses religiöse Wir-Bewusstsein weiter im gemeinsamen Pläneschmieden für den kommenden Weltjugendtag oder für Gegenbesuche bei den Weltjugendtagsgästen der eigenen Pfarrei. Zumindest mittelfristig birgt das medial vermittelte Erinnerungsbasteln bei Gruppen-Religiösen damit Potenziale religiöser Vergemeinschaftung über die eigene Gruppe hinaus, und zwar in Bezug auf die im Kontext des Weltjugendtags neu geknüpften Kontakte und die unterschiedlichen Versuche, diese über den Weltjugendtag hinaus zu halten. Dabei spielt die Mediatisierung der Alltagskommunikation eine wichtige Rolle, wie folgende Aussage von Berit zeigt: „wir mailen ab und zu .. das ist ganz ganz lustig immer noch . […] am Anfang war es halt noch Weltjugendtag da waren dann auch noch ein paar Fotos dabei die sie mitgemailt hatten auch= .. auch wo ‘se wo ‘se dann noch hier waren . und ä:::m […] die haben halt Fotos gemacht und haben die jeden Abend bei denen auf die Homepage gestellt .. die hatten ne eigene Homepage von ihrer Pfarrei aus und haben die halt da drauf gestellt damit die Leute die zuhause bleiben mussten= .. oder zuhause bleiben wollten . =halt auch sehen konnten was die hier machen . und daraufhin haben se mir dann auch dann nach‘m Weltjugendtag […] ein paar Fotos geschickt= . um halt zu sehen wie schön das auch in Köln gewesen ist . weil sie wussten dass ich nicht in Köln gewesen bin .. das fand ich halt schon ganz schön.“ (Berit, 24, D 2. Welle)
Zunächst sind es zwar vor allem medial vermittelte Formen der interpersonalen Kommunikation mittels Handy, E-Mail und Chat, die es ermöglichen, die Verbundenheit über das situative Erleben hinaus aufrecht zu erhalten. Zugleich bieten sich der katholischen Kirche in dem Zusammenhang Chancen, durch lokale Initiativen weltjugendtagsbegeisterte junge Menschen zu erreichen bzw. zu binden. Schilderungen wie die folgende deuten darauf hin, dass sich aus medial vermittelten Gemeinschaftserlebnissen Potenziale zu translokalen bzw. transkulturellen Vergemeinschaftungen ergeben, wenn die entsprechenden Impulse durch Projekt- oder Netzwerkarbeit auf Gemeindeebene ‚veralltäglicht’ werden – was auf eine Relevanz vor allem für Gruppen-Religöse verweist: „der eine . der bei mir/ uns gewesen war . also der bei uns ä::: gast da war weil wir warn ne Gastfamilie gewesen der schreibt mir also praktisch fast jede Woche ne SMS oder so an Weihnachten an Silvester hat er mir geschrieben also fast wöchentlich .. der kommt auch jetzt glaub ich im Februar nochmal nach Deutschland . will uns mal besuchen kommen und dann .. unsere Gemeindereferentin hatte vor . zwei Monaten nen Brief bekommen von dem anderen vom Anthony . der hatte ihr Pralinen geschickt . und nen schönen Brief geschrieben da musst ich ihr noch n brief dafür schreiben […] und jetzt plant unsere Gemeinde auch ‘ne Fahrt nach England […] Weltjugendtag goes on und so also es ‘is doch noch ab und zu werd ich damit konfrontiert“ (Christoph, 18, D 2. Welle)
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2. Langfristmomente: Die bis hierher angestellten Analysen verweisen bereits darauf, dass wir differenzierte Aussagen zur Nachhaltigkeit des Medienevents Weltjugendtag machen können, wenn wir die von uns erhobenen beiden Interviewwellen in ihrer Beziehung zueinander sehen. Auch wenn unser Untersuchungsdesign mit seinen zwei Erhebungswellen im Abstand von sechs Monaten im Hinblick auf längerfristige medial vermittelte Vergemeinschaftungsprozesse nach wie vor beschränkt bleibt, macht es doch deutlich, dass das Nachhaltigkeitspotenzial des Medienevents, egal ob auf lokaler oder auf translokaler Ebene, in der Regel auf jene beschränkt bleibt, die im Sinne der Gruppen-Religiosität in das kirchliche Umfeld eingebunden sind. Dies gilt umso mehr, wenn das Geschehen nur über Medien miterlebt wurde, und damit erst durch gemeinsames Nacherleben in der Gruppe zur religiösen Gemeinschaftserfahrung werden kann. Hier zeigt sich ganz konkret ein Befund, der für populäre Medienevents allgemein charakteristisch ist: Diese sind auf spezifische kulturelle Segmente bezogen (in unserem Fall das Segment der durch direkten Gruppenbezug in die religiöse Vergemeinschaftung einbezogenen jungen Katholikinnen und Katholiken), innerhalb derer sie eine Integrationskraft entfalten. Darüber hinaus – ob auf der Ebene von gesamten nationalen Gesellschaften oder auch allgemein religiös orientierten Menschen – ist ihre Integrationskraft beschränkt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass dort, wo das Medienevent nicht in entsprechende Interaktionszusammenhänge eingebunden ist, der Weltjugendtag eine ‚religionsbezogene (Medien-)Nachricht’ unter vielen bleibt, d.h. ein flüchtiges Ereignis im Fluss der Medienberichterstattung. Dies wird konkret bei der längerfristigen Aneignung des Medienevents durch Ich-Religiöse. Falls unter diesen ein halbes Jahr nach dem Weltjugendtag ein zweites Interview nicht verweigert wird, wird der Weltjugendtag als „‘n Ereignis was halt abgehakt ‘is“ (Ben, 28, D 2. Welle) charakterisiert. Abgesehen von vereinzelten und eher zufällig auftauchenden Erinnerungsspuren, etwa im Rahmen von medialen Jahresrückblicken oder kirchlichen Anlässen, werden in der Alltagswelt kaum noch Bezüge zum Weltjugendtag gesehen. Zwar wird von Erlebnisberichten aus dem persönlichen Umfeld berichtet, jedoch ohne dass damit ein Gefühl der Verbundenheit einhergeht. Im Gegenteil: es zeigt sich durchaus Erleichterung darüber, „dass es rum is so dass man mal wieder mit den Leuten wieder normal red‘n kann“ (Tina, 23, D 1. Welle). Entsprechend fallen auf die Frage nach der letzten Berührung mit dem Weltjugendtag Sätze wie „muss auf alle Fälle schon lange her sein“ (Ben, 28, D 2. Welle) oder „nach dem letzten Interview habe ich nicht mehr über den Weltjugendtag gesprochen“ (Gioele, 27, I 2. Welle). Mit wachsendem Abstand lässt die Strahlkraft des Ereignisses nach und der Rückblick fällt ohne eine entsprechende kommunikative Nachbearbeitung wenig differenziert aus. So erinnert sich Ben,
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der im ersten Gespräch noch die Bedeutung kritischer Weltjugendtagsberichterstattung betont hatte, zunächst nur an „Massen von […] _bunten_ Leuten jeglicher Couleur“ (Ben, 28, D 2. Welle). Inhaltliche Botschaften oder der Austragungsort des nächsten Weltjugendtags sind ihm nicht mehr im Gedächtnis, dabei hatte er unmittelbar nach dem Ereignis noch betont, „ich möchte nach Sydney fahr‘n das nächste Mal weil ich .2. einfach .1. das spannend finde mit so vielen Menschen des des in Kontakt kommen“ (Ben, 28, D 1. Welle). Präsent bleiben für Ben aber das Riesenposter von Papst Johannes Paul II in der Kölner Innenstadt sowie der Weltjugendtagsrucksack. Dass keines von beiden im ersten Gespräch eine Rolle spielte, macht deutlich, dass langfristig vor allem das in Erinnerung bleibt, was einen Bezug zum eigenen Lebensumfeld aufweist und damit subjektiv emotional besetzt ist, denn mit dem „Pilger-Rucksack“ und der Aktion „Thank you JPII“ verbindet Ben besondere Erlebnismomente: „es is einfach dieses viele Leute aus allen Teilen der Erde und dann auch danach in Italien halt immer noch diesen Weltjugendtagsrucksack der einem überall auf der Welt oder die . ja […] den man halt danach überall auf der Welt wahrscheinlich noch hat sehen können den würd ich mir tatsächlich wahrscheinlich im Internet nochma‘ bestellen“ (Ben, 28, D 2. Welle).
Beides steht hier für die Idee einer deterritorialen Vergemeinschaftung im Glauben, wie sie im Medienevent als „was ziemlich Lebendiges“ (Tina, 23, D 1. Welle) sichtbar geworden ist. Da das damit verbundene Gemeinschaftsversprechen im Kontext einer Ich-Religiosität aber kaum auf die Alltagswelt übertragen wird, verweist das Medienevent in seiner Außeralltäglichkeit vor dem Hintergrund einer ich-bezogenen Glaubensorientierung allenfalls auf Situativität des nächsten Weltjugendtags, wie Tinas Weltjugendtagspläne exemplarisch veranschaulichen: „es reizt mich . ja . wenn ich die Möglichkeit dazu hab schon also allein um nach Sydney zu fahr‘n aber eben schon auch/ es is so .. was was der Kirche was sonst die Kirche eben überhaupt nich‘ hat dieses für die _Jugend_ was also für die alters/ ich meine dazwischen es gibt immer viel für kinder . grade in den Gemeinden da is sind die Kinder ja noch stark vertreten bis so zur Pubertät oder so grade noch Jugendgruppen gibt‘s ja auch noch . und dann gibt's noch so ne spanne dazwischen wo ich jetzt reinfall da gibt‘s die Hochschulgemeinden aber die sind doch relativ unbekannt . und ansonsten gibt‘s da irgendwie nich‘ viel hab ich immer das Gefühl und .2. das find ich ganz schön dass da irgendwie mal konkret die Jugend angesprochen wird“ (Tina, 23, D 1. Welle)
Dies unterstreicht nochmals, warum für einen großen Teil der Ich-Religösen ungeachtet ihrer Distanz zum Medienevent eine Teilnahme an zukünftigen Weltjugendtagen wünschenswert oder zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen ist. Paradoxerweise besteht der Reiz des Weltjugendtags für diese gerade in einer situativen Unverbindlichkeit, d.h. darin, dass das Format ‚Weltjugendtag’
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eine bestehende Sehnsucht nach religiöser Vergemeinschaftung und Zugehörigkeit in situ zu erfüllen verspricht, ohne dass sich daraus für Ich-Religiöse weitere Verpflichtungen für den Glaubensalltag ergeben. Der Weltjugendtag ist medial vermittelt wie auch vor Ort als außeralltägliches religiöses Sinnangebot konsumierbar, ohne den eigenen ich-orientierten Glaubensstil infrage stellen zu müssen. Im Gegensatz zur gruppen-bezogenen Vergemeinschaftung, verweist die situative religiöse Vergemeinschaftung der Ich-Religiösen im Rahmen des Medienevents somit insbesondere auf die vorgestellte Dimension religiöser Vergemeinschaftung, die im Konsum entsprechender (medial vermittelter) religiöser Erlebnisangebote aktualisiert wird. Im Kontext katholischer Ich-Religiosität bleibt religiöse Vergemeinschaftung an eine außeralltägliche „– situative, also zeitlich und räumlich begrenzte – Erfahrung von ‚Einheit’ und ‚Ganzheit’“ (Gebhardt et al. 2000: 10) gebunden. Exemplarisch sei auf Laura verwiesen, die sich zwar als kirchenkritische nicht-praktizierende Katholikin beschreibt, eine Teilnahme am Weltjugendtag wegen des besonderen Eventerlebnisses aber nicht ausschließt, weil es für sie eine „neue schöne Erfahrung“ (Laura, 17, I 1. Welle) wäre, gemeinsam mit tausenden anderer Jugendlicher zu feiern und den Papst live zu sehen. Weil das Medienevent genau dieses außeralltägliche Gemeinschaftsgefühl nicht vermitteln kann, bleibt sein Vergemeinschaftungspotenzial an bestehende soziale Beziehungen bzw. das Lebensumfeld des oder der Einzelnen gebunden. D.h. medial vermittelte Gemeinschaftserlebnisse sind als Resonanz auf ein im Alltag begründetes religiöses ‚Wir-Bewusstsein’ zu verstehen, das im Prozess der Aneignung des Medienevents aktualisiert, aber nicht erst hergestellt wird. Wo aufgrund fehlender Rückbindung an den Glaubensalltag kein ‚Wir-Gefühl’ besteht, dient das Medienevent eher als Identitätsressource. Denn in der Auseinandersetzung mit dem Mediengeschehen wird zugleich die eigene Position zur Kirche wie zum katholischen Glauben insgesamt verhandelt, d.h. stabilisiert oder aber neu justiert: „ich hab mich in der Zeit durchaus auch mit meinem Glauben nochmal auseinandergesetzt wiev/ in wie weit kann ich da zu diesen katholischen Sachen ja sagen oder nich .hhhh und m in welchem Zusammenhang steht es alles mit mir irgendwie so da hab ich mich schon mit auseinandergesetzt und hab auch ähm das erstmal seit langem mal wieder das Gefühl gehabt irgendwann ich komm an ‘n Punkt wo ich sagen kann ja so is es also ich/ wo ich irgendwie dabei begreife was das eigentlich alles mit mir zu tun hat“ (Tina, 23, D 1. Welle)
Selbst wenn das Medienevent, wie Tina betont, Impulse liefern kann, das eigene Verhältnis zur Kirche zu überdenken, muss dies nicht zwangsläufig mit einer stärkeren Identifikation mit der Kirche einhergehen. Es geht vielmehr um Selbstvergewisserung über die individuellen religiösen Überzeugungen. In dem
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Zusammenhang kommt eine Reartikulation und damit Verschiebung des Sinnhorizonts noch lange nicht einer Rückkehr in die Arme der Ortskirche gleich. So positioniert sich etwa Anna, indem sie sich von den „Weltjugendtagspilgern“ als kultureller Minderheit distanziert, im Gespräch zugleich als Teil einer aufgeklärten und kirchenkritischen Mehrheit: „die Jugendlichen vom Weltjugendtag sind Fakten aber es ist nur ein kleiner Teil der .3. des Großen halt .4. der Jugendlichen in Italien . ich glaube dass viel von dieser kulturellen Minderheit abhängt“ (Anna, 27, I 1. Welle)
Noch deutlicher werden diese Zusammenhänge in solchen Fällen, in denen Konflikte innerhalb des persönlichen religiösen Umfelds die „Frohe Botschaft“ des Weltjugendtags konterkarieren. Denn ebenso, wie eine intensive gemeinsame Nachbearbeitung des Erlebten Zweifler bzw. Weltjugendtagsskeptiker ggf. in einer Gruppe integriert, kann der Eindruck, aus der ‚Weltjugendtagsgemeinde’ ausgeschlossen zu sein, zu Spannungen bis hin zum Rückzug des Einzelnen führen. So wäre Marco gerne zusammen mit seinen Freunden von der Pfarrjugend nach Köln gefahren, hatte aber zu spät von der Anmeldefrist erfahren. Weil er sich der Gemeinde emotional verbunden fühlt, seit sie ihn nach einer Vertrauenskrise in seiner früheren Heimatgemeinde „adoptiert“ (Marco, 20, I 1. Welle) hat, bedeutet dieses Nicht-Informiert-Werden für ihn eine bittere Enttäuschung: „was mich echt gestört hat dass das ganze über die Gemeinde organisiert wurde es gab eine Gruppe von zwanzig Leuten die organisiert da hin gefahren sind . [...] und ich bin (&&) wusste es erst am letzten Abend der Anmeldeschluss . das heißt im Grunde hat mir niemand gesagt dass es diese Möglichkeit gab und (&&) darum gings mir ziemlich schlecht ich wäre sehr gerne mitgefahren ich hätte dann in jedem Fall zwar Probleme mit der Arbeit gehabt das sowieso . aber [...] wenn man mir das ein bisschen früher gesagt hätte hätte ich mich schon organisiert irgendwie aber man hat es mir erst am allerletzten Abend gesagt“ (Marco, 20, I 1. Welle)
Dass er nach der Rückkehr der Gruppe, zu der er – wie er im ersten Gespräch betont – ein inniges Vertrauensverhältnis hat, nicht über die verschiedenen Nachtreffen in der Pfarrei informiert wurde, verleiht dem Gefühl, als Nicht-Teilnehmer aus der ‚Weltjugendtagsgemeinde’ von vorneherein ausgeschlossen zu sein, zusätzlich Nachdruck. Auch wenn er sich bemüht, seine Freunde aus diesen Vorgängen herauszuhalten, und sich vorstellen kann, gemeinsam mit ihnen am nächsten Weltjugendtag teilzunehmen, kann er sich, anders als Angelo oder Chris, von deren Erlebnisschilderungen nicht mitreißen lassen. Zu tief sitzt offenbar die Enttäuschung über seine geplatzten Weltjugendtagspläne. Seine Aussage, „außer ein paar Fernsehbildern“ (Marco, 20, I 2. Welle) sei ihm nichts Spezielles geblieben, macht dies deutlich. Weil Marco den Weltjugendtag – trotz seiner Gruppen-Religiosität – nicht als gemeinschaftsstiftend erfahren hat,
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erscheint ihm mit zunehmendem Abstand zum Geschehen der Marketing-Charakter des Medienevents als dominant, bestätigt ihn dies in seiner Kritik an der Amtskirche, der er erheblichen Modernisierungsbedarf attestiert: „klar die Präsenz des WJT [in den Medien] . ist eines der Puzzlesteinchen aus denen sich mein Bild . von der Kirche zusammensetzt in weltlicher Hinsicht . es ist sozusagen ein Steinchen das mir eine Vorstellung davon vermittelt was Kirche heute ist […] vor ein paar Jahrzehnten wa:::r die Kiche ein sehr geschlossener Organismus . geschlossen in sich selbst heute mit so vielen Veranstaltungen . von denen der WJT vielleicht der Höhepunkt ist . lässt sich eine gewisse Öffnung beobachten . eine Öffnung in Richtung der Leute hin zu den Jugendlichen […] .3. ein Scheindialog aber […] aber man kann sagen dass sie sich in den letzten Jahren mit Johannes Paul II unheimlich geöffnet hat . sie müsste noch paar _ klei_ne _Schrit_te machen in meinen Augen um noch offener zu sein . das heißt sie müsste in meinen Augen Priestern erlauben zu heiraten […] und dann müsste sie den Dialog mit allen Altersgruppen fortsetzen . aber einen Dialog nicht in der Kirche und auch nicht in den Gemeinden sondern auf den Plätzen“ (Marco, 20, I 2. Welle)
Solange es bei einem „Scheindialog“ wie beim Weltjugendtag bleibt, ohne dass sich in den Pfarreien und „auf öffentlichen Plätzen“ ein ‚echter’ Dialog mit allen Altersstufen etabliert, wird er Kirche und Glaube weiter als zwei getrennte Dinge betrachten und in Glaubensfragen in erster Linie auf seine eigenen Erfahrungen vertrauen. Noch deutlicher wird das im Falle von Carsten. Denn in seiner Gemeinde sind unmittelbar nach dem Weltjugendtag länger schwelende Konflikte in der Jugendarbeit eskaliert. Vor dem Hintergrund des massiven Engagements seiner Gruppe für die „Tage der Begegnung“ enttäuscht ihn vor allem die mangelnde Rückendeckung der Pfarreiverantwortlichen für die Haltung seiner Gruppe: „der komplette Bereich von […] achtzehn also Leute die so siebzehn achtzehn sind bis zu denen die schon länger da sind wurden komplett rausgeschmissen nur noch Messdiener und sonstiges […] leute die zwar auch in unserem Alter sind aber anders denken als wir und das war denen wahrscheinlich ein Dorn im Auge und dann haben ‘se nur einen Fehler gesucht und den haben ‘se gefunden und äh haben uns dann (die Jugendpfarrei) aufgelöst und alles alles weg Türen zu Schlösser ausgetauscht fertig [..] wie das halt so ist wenn Jugendliche viel unterwegs sind und äh Party machen dann kanns mal ein bisschen lauter werden und das stört Anwohner [..] und ähm ja das ‘is inner Zeit passiert wo‘s nicht hätte passieren dürfen und ähm dann hat man sich entschieden die Schlösser auszutauschen von heute auf morgen und dann steht man da will rein will sein Zeug holen kommt nich rein […] wenn das einmal im Monat oder zweimal im Monat passiert dann muss auch der Chef also der Kirchenchef muss dann auch sagen so hier ‘is irgendwas hier wird was gemacht für Jugendliche und tschuldigung aber muss man mit leben“ (Carsten, 28, D 2. Welle)
Für Carsten verlieren die Verantwortlichen in der Pfarrei an Glaubwürdigkeit wie auch die Kirche insgesamt, „weil die glauben nich an uns also warum soll ich dann an die glauben?“ (Carsten, 28, D 2. Welle). Mit seinem Rückzug aus der Gemeinde kündigt er als Gruppen-Religiöser zumindest für den Moment
Möglichkeiten religiöser Vergemeinschaftung
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seinen Glauben an den Katholizismus auf, lebte der doch vor allem von dem Einsatz für die Gemeinschaft. Im Licht dieses Konflikts stellt sich der Weltjugendtag, ähnlich wie bei Marco, als „n riesen Marketing“ der Kirche dar. Zusammenfassend lässt sich mit Blick auf das religiöse Vergemeinschaftungspotenzial des Medienevents festhalten, dass sich die Bedeutungszuschreibungen an das Medienevent mit der Zeit zuspitzen. Während der Großteil der Jugendlichen unmittelbar nach dem Weltjugendtag noch schwankt zwischen der Faszination ob der Anziehungskraft des Ereignisses und mehr oder weniger skeptischem Hinterfragen des Mediengeschehens und der damit verbundenen Absichten, schiebt sich mit der Zeit entweder der Image-Aspekt des Medienevents und damit der Papst als Medienberühmtheit bzw. Marke in den Vordergrund, oder aber der Gemeinschaftsaspekt und damit die „frohe Botschaft“ von der „Einheit in Vielheit“ (Forschungskonsortium Weltjugendtag 2007: 102). Im Rückblick verdichtet sich das Medienevent aus Perspektive derjenigen, die nicht in Köln waren, entweder zu einer Demonstration religiöser Verbundenheit oder aber zur (historisch) einmaligen ‚Papst-Party’. Welche Nachhaltigkeit vom Weltjugendtag als Medienevent bestehen bleibt, hängt maßgeblich davon ab, inwieweit das medial vermittelte Erleben an religiöse Vergemeinschaftungsprozesse in der Alltagswelt rückgebunden werden kann. Versucht man abschließend die verschiedenen in diesem Kapitel herausgearbeiteten Punkte der Aneignung des Medienevents Weltjugendtag im Hinblick auf allgemeine Fragen der Mediatisierung des Religiösen zusammenzufassen, so sind vor allem drei Punkte auffallend. Dies sind die Mediatisierung der persönlichen Glaubenskommunikation, der Glaubenserlebnisse sowie einmal mehr die damit verbundenen Prozesse der alltagsweltlichen Zentrierung. 1. Mediatisierung der persönlichen Glaubenskommunikation: Anhand der vielen Einzelbeispiele wurde deutlich, in welchem Maße die persönliche Glaubenskommunikation mediatisiert ist. Gruppen-Religiöse halten via E-Mail, Chat und Mobiltelefon die Kommunikation mit Teilnehmenden aufrecht und verfügen so neben der massenmedialen Berichterstattung über direkte mediatisierte Eindrücke des Weltjugendtags. Gruppen- und Ich-Religiöse beteiligen sich – wie das Beispiel des „JP II Posters“ gezeigt hat – von zuhause über das Internet partizipativ am (Medien-)Event Weltjugendtag. Geknüpfte religiöse Kontakte werden über die verschiedenen Lokalitäten der Alltagswelt hinweg durch Medien der personalen Kommunikation gehalten. Dies verweist darauf, dass sich auf Ebene der persönlichen Glaubenskommunikation Mediatisierung in der Form prägend konkretisiert, dass bestehende religiöse Beziehungen durch die Medien vor allem von Gruppen-Religiösen translokal gehalten werden können.
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Die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents
Besonders manifest wird dies in solchen Momenten, in denen durch die Medien Gefühle der Ko-Präsenz und emotionalen Beteiligung entstehen. 2. Mediatisierung von Glaubenserlebnissen: Der eben erwähnte Punkt verweist auf einen zweiten wichtigen Aspekt von Mediatisierung im Hinblick auf die alltagsweltliche Aneignung des Medienevents, die Mediatisierung von Glaubenserlebnissen. Wir können das Medienevent Weltjugendtag als ein herausragendes Beispiel genau dafür begreifen. Zwar ist für dessen Aneignung keine kollektive Rezeption charakteristisch. Gleichwohl kommt dem Medienevent ein bestimmter mediatisierter Erlebniswert zu. Für Gruppen- und Ich-Religiöse besteht der besondere Reiz des Geschehens in der außeralltäglichen medialen Inszenierung von Religion. Im Gegensatz zur alltagsweltlichen religiösen Minoritätserfahrung wird in der Mediatisierung des Weltjugendtags jenseits von Köln eine religiöse Majoritätserfahrung möglich, sei dies mit Bezug auf die Medienberühmtheit Papst (Ich-Religiöse) oder die transkulturelle deterritoriale Vergemeinschaftung des Katholizismus (Gruppen-Religiöse). Die Mediatisierung des Glaubenserlebens kann in der Präsenz der visuellen Kommunikation bis zu einer ‚Wiederverzauberungsmaschinerie’ des Religiösen reichen. 3. Mediatisierung als alltagsweltliche Zentrierung: Quer zu den beiden genannten Punkten steht die Mediatisierung als eine im Hinblick auf die Alltagswelt greifbar werdende Zentrierung. Auffallend ist über unser Gesamtmaterial hinweg, wie unproblematisiert letztlich die Annahme übernommen wird, dass einerseits die Kommunikation von Religion in den Medien ‚zentral‘ für erstere ist bzw. andererseits, dass die Medien wichtig sind für die ‚Zentrierung‘ von Aufmerksamkeit auf Religion(-sfragen). Bei Ich- wie auch Gruppen-Religiösen wird teils implizit teils explizit die Annahme geteilt, dass sich die Repräsentation von Religion in den Medien durch Ereignisse wie den Weltjugendtag positiv auf den Wandel von Religion auswirken kann. Dies wird damit begründet, dass sich der Katholizismus so im allgemeinen Sinnmarkt der Medien und den in diesen dominierenden Diskursen verorten muss, was auf diese Religion einen Druck der (Neu-)Positionierung ausübt. In diesen Zentrierungsprozessen wird die Inszenierung des Papstes als Medienberühmtheit und Markensymbol des Katholizismus eher als Chance gesehen. Mit dieser Inszenierung sind deutlich Momente der Orientierung bei bestehender individualisierter Alltagsreligiosität verbunden. Die mediale Zentrierung ist also in Bezug auf die Alltagswelt nicht als Form der Nivellierung individualisierter Glaubensvielfalt zu begreifen, sondern als Kommunikation von Referenzpunkten für die Verortung des je individualisierten Glaubens von Ich- und Gruppen-Religiösen.
11 Die Mediatisierung des Religiösen Das Ziel unserer Analyse war es, auf den Ebenen der kulturellen Produktion, der Repräsentation und der Aneignung das religiöse Medienevent Weltjugendtag zu untersuchen. Hierbei zeigt sich, dass dieses singulär erscheinende Medienevent als eine charakteristische Manifestation der Mediatisierung des Religiösen einzuordnen ist und so über sich hinaus verweist. Damit untermauert der Weltjugendtag, worauf Peter Monge (1998) aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Perspektive hingewiesen hat: auf die Notwendigkeit, empirisch fundiert die Kommunikation von religiösen Organisationen in einer zunehmend globalisierten Welt zu untersuchen. Ähnliches fordert Stuart Hall (2007), wenn er aus Perspektive der Cultural Studies formuliert, dass wir viel zu wenig über „den Platz der Religion in der Gegenwart“ wissen. In diesem Fazit wollen wir versuchen, durch eine dreifache Kontextualisierung unserer Analysen zumindest einige Ansatzpunkte für eine Abschätzung des „Platzes der Religion in der Gegenwart“ zu geben. Erstens wollen wir das Medienevent Weltjugendtag in seinem hybriden Gesamtcharakter näher betrachten, d.h. herausarbeiten, warum sich der Weltjugendtag erst in der Verschränkung der medialen Inszenierung von Sakralem und Populärem um die Medienberühmtheit des Papstes zu einem Medienevent entwickeln konnte. Dabei wird deutlich, dass wir ein hybrides religiöses Medienevent wie den Weltjugendtag als Manifestation der Öffnung von organisierter Religion wie dem Katholizismus zu einer allgemeinen populären Religion begreifen können. Zweitens geht es uns um eine Kontextualisierung der Analyseergebnisse im Hinblick auf die allgemeine Forschung zum Wechselverhältnis von Mediatisierung und Kulturwandel. Dabei wird greifbar, dass Dimensionen der Mediatisierung, wie sie sich am Weltjugendtag konkretisieren, ebenfalls andere Bereiche unserer heutigen Medienkulturen prägen. Die von uns beispielhaft untersuchte Mediatisierung des Religiösen ist in einem weiteren Zusammenhang einzuordnen. Eine solche Kontextualisierung ermöglicht es, den Weltjugendtag insgesamt als Ausdruck einer Mediatisierung des Religiösen im Zusammenhang von Kulturwandel im Allgemeinen zu sehen. Drittens wollen wir darauf eingehen, dass solche Prozesse nicht unkritisch zu sehen sind, sondern einer multiperspektivischen Reflexion bedürfen. Auch wenn Religion nicht von vornherein – wie es in den Cultural Studies, aber auch den empirischen Sozialwissenschaften lange üblich war – als negativ zu brand-
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Die Mediatisierung des Religiösen
marken ist, eröffnet eine Mediatisierung des Religiösen doch spezifische Risiken. Mit Risiken denken wir nicht einfach an Risiken für Kirchen wie die katholische (auch wenn diese zu berücksichtigen sind). Darüber hinaus sehen wir ein generelles problematisches Potenzial der Mediatisierung des Religiösen, wenn es sich in einem ausschließlichen „branding religion“ konkretisiert.
11.1 Hybride religiöse Medienevents und populäre Religion Unsere Analysen zeigen, dass sich die Mediatisierung des Religiösen beim Weltjugendtag in dessen Charakter als hybridem religiösen Medienevent manifestiert, das ein „branding“ von Religion möglich macht. Dabei ist das religiöse Hybridevent Weltjugendtag im transkulturellen Vergleich in einem Spannungsverhältnis zwischen sakralen Ritualen, populärem Feiern und dem Papst beschreibbar: Es ist einerseits gekennzeichnet durch zeremonielle Muster, wie sie für rituelle Medienereignisse wie Krönungs- oder Begräbnisfeierlichkeiten typisch sind, gleichzeitig aber auch durch eher unterhaltungs- und spaßzentrierte Muster populärer Medienkultur. Integriert wird dies durch einen Papstfokus des Medienevents. Eine solche übergreifende Betrachtung ermöglicht eine Zuordnung der thematischen Kategorien der von uns durchgeführten Inhaltsanalyse wie in Abbildung 36. Diese Visualisierung macht nochmals die thematische Vielfalt der Mediendiskurse des Weltjugendtags deutlich. So befasst sich die Berichterstattung über den Papst nicht nur mit dem Papstprogramm während der „Apostolischen Reise“ von Benedikt XVI, sondern auch mit dessen Amtsverständnis als Institution und Person. Dagegen wird das Populäre des Weltjugendtags vor allem in der Berichterstattung über das Teilnehmerprogramm greifbar, also die verschiedenen (offiziellen) Programmpunkte für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Stationen ihrer „Pilgerreise“ sowie die Stimmung und Atmosphäre vor Ort. Aber auch Berichte über die Kommerzialisierung des Ereignisses durch Merchandising, Sponsoringpartnerschaften und andere Formen der Geschäftemacherei im Umfeld des Weltjugendtags machen populäre Momente des Ereignisses aus. Das Sakrale kommt vor allem in Beiträgen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Weltjugendtags zum Ausdruck, in den zu sehenden Fernsehgottesdiensten und dem Medienglauben mit entsprechenden Darstellungen von Glaubenspraxis und Glaubenstraditionen auf dem Weltjugendtag bzw. darüber hinaus. Dieser thematische Kern wird durch drei Themenfelder weiter konkretisiert, die auf den engeren organisatorischen bzw. inhaltlichen Rahmen des Weltjugendtags verweisen. Zu nennen sind zunächst Hintergrund und Geschichte des
Hybride religiöse Medienevents und populäre Religion
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Weltjugendtags, die sich auf die Entstehungszusammenhänge und Chronologie der Weltjugendtage beziehen. Daneben geht es um die Organisation dieses Großereignisses, insbesondere im Zusammenhang mit planungstechnischen Aspekten wie etwa Finanzierung, Personal- und Verkehrsplanung oder Sicherheitsvorkehrungen. Schließlich ist die Nachhaltigkeit zu nennen, d.h. die Erwartungen der katholischen Kirche im Hinblick auf langfristige Impulse aus dem Weltjugendtag für die Jugendarbeit in den lokalen Gemeinden oder für die öffentliche Wahrnehmung der Kirche. Abbildung 36:
Das hybride religiöse Medienevent Weltjugendtag
Gastgeberrolle Deutschlands
Weltjugendtagskritik
Papst Kirche als Organisation Papst als Institution Papst als Person
Katholiszismus als deterritoriale Glaubensgemeinschaft
nd gru ter Hin
Or ga nis ati on
Papstprogramm Kirche als Gemeinschaft
WJT
Nachhaltigkeit Teilnehmerprogramm Stimmung/Atmosphäre Kommerzialisierung
Ökumene
inh. Ausgestaltung Glaubenspraxis Glaubenstraditionen
Populäre
Sakrale
Kirche und Jugend
Medienberichterstattung
Glaubenswerte
Staatspolitik und Diplomatie
Medienvermittelte Reexion über den Weltjugendtag
Die Medienberichterstattung kontextualisiert den Weltjugendtag weiter im Hinblick auf den Katholizismus als deterritoriale Glaubensgemeinschaft. Die Bezeichnung deterritoriale Glaubensgemeinschaft verweist darauf, dass sich der Katholizismus als religiöse Vergemeinschaftung „transkulturell“ über verschiedenste Territorien erstreckt. Zu nennen sind mit einer Nähe zum Populären die Themenfelder Kirche als Gemeinschaft bzw. Kirche und Jugend. Es geht um die verschiedenen Glaubensgruppen und -bewegungen innerhalb der katholischen
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Die Mediatisierung des Religiösen
Kirche sowie die (postulierte) Transkulturalität der katholischen Glaubensgemeinschaft, aber auch das Verhältnis von Kirche und Jugend im Hinblick auf wechselseitige Einschätzungen und Erwartungen. Eine gewisse Nähe zum Sakralen weisen die Kategorien Glaubenswerte und Ökumene auf. Die erste fasst solche Beiträge, die katholische Wert- und Moralvorstellungen behandeln, bspw. im Hinblick auf Sexualität oder im Hinblick auf die Alltagswelt vor allem Jugendlicher. Die zweite fasst die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der christlichen Kirchen und Weltreligionen zueinander – gewissermaßen die Grenzziehungen des Katholizismus als deterritorialer Glaubensgemeinschaft. Eine Nähe zur thematischen Verdichtung des Papstes hat das Themenfeld Kirche als Organisation, in dem es um die Organisationsstruktur bzw. Struktur von Ämtern und Würdenträgern in der katholischen Kirche bis hinunter auf die Ebene der Kirchengemeinden und Laienbewegungen geht. Eine gemeinsame thematische Verdichtung ergeben diese Kategorien dadurch, dass sie sich mit unterschiedlichen Aspekten der in der katholischen Kirche organisierten deterritorialen Glaubensgemeinschaft des Katholizismus befassen. Diese bildet in der Medienberichterstattung den Sinnhorizont des Medienevents Weltjugendtag. Eine dritte, in sich weit widersprüchlichere thematische Verdichtung liegt gewissermaßen ‚jenseits‘ dieser Glaubensgemeinschaft und ergibt sich dadurch, dass die Geschehnisse in Köln bzw. der Katholizismus im Hinblick auf bestimmte weitere Kontextbereiche in den Medien reflektiert werden. Betrachtet man den Weltjugendtag jenseits seiner religiösen Momente, war er auch der Besuch des Oberhaupts eines Kirchenstaats mit entsprechenden politischen Dimensionen, wodurch er im politischen Rahmen interpretierbar wird. Beiträge, die diesen Kontextbereich der Politik behandeln, wurden unter der Kategorie Staatspolitik und Diplomatie erfasst. Ein weiterer Kontextbereich ist lokal, regional bzw. national bestimmt und ergibt sich aus der Gastgeberrolle Deutschlands, die sich bei näherer Betrachtung auffächert in die Gastgeberrollen der Bundesrepublik, der Großregion Köln sowie der Stadt Köln. Entsprechend verweist die Gastgeberrolle Deutschlands auf Beiträge, die die Gastfreundschaft und die nicht-kirchlichen Rahmenprogramme auf verschiedenen Ebenen thematisieren. Dagegen wurden der Kategorie Weltjugendtagskritik all jene Beiträge zugeordnet, die sich mit Kritikern der Veranstaltung aus Kirche, Laienorganisationen und einer weiteren Öffentlichkeit auseinandersetzen. Der letzte mit einer Kategorie belegte Kontextbereich ist die Medienberichterstattung selbst, eine Kategorie, die Beiträge fasst, in denen die Medien ihre eigene Berichterstattung thematisieren. Insgesamt macht die oben stehende Abbildung damit deutlich, wie sich der Weltjugendtag als hybrides religiöses Medienevent auf der Ebene der Medien-
Hybride religiöse Medienevents und populäre Religion
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berichterstattung konkretisiert: Ausgehend von seinem thematischen Kern um Populäres, Papst und Sakrales wird der Sinnhorizont der deterritorialen Glaubensgemeinschaft des Katholizismus in seiner weitergehenden Kontextualisierung greifbar. In diesem Gesamtrahmen können wir ebenfalls die Produktion und Aneignung des Medienevents Weltjugendtag einordnen: So ist die kulturelle Produktion des Events von Seiten der katholischen Kirche auf das Sakrale ausgerichtet, das umfassend und mit breiten Zugeständnissen an die Erfordernisse der (vor allem audiovisuellen) Medienberichterstattung inszeniert wird. Wesentlich unkontrollierter ist der Bereich des Populären – konkret: des Feierns auf der Straße –, der von der katholischen Kirche als Folie des (Medien-)Events zwar einkalkuliert wird, aber für die Medienschaffenden das herausragende Feld bleibt, in dem sie ihre eigenen Geschichten inszenieren: Kuriositäten, Unglaubwürdiges, Glaubenserlebnisse von Menschen der Herkunftsregion der Medienorgane usw. Ebenfalls wird auf Ebene der kulturellen Produktion die Hybridität des Medienevents durch eine strategische Ausrichtung auf den Papst geklammert: Die Etappen seiner „Apostolischen Reise“ bilden für die Organisatoren der katholischen Kirche wie auch für die Medienschaffenden die Referenzpunkte ihrer täglichen Arbeit bei der Inszenierung des Medienevents. Im Hinblick auf die Aneignung des Medienereignisses Weltjugendtag fällt auf, dass sich das Dreiecksverhältnis zwischen Sakralem, Populärem und dem Papst auf neue Weise konkretisiert. Dies betrifft sowohl die Mediatisierung des Ereignisses vor Ort, wie wir sie vor allem anhand der „Talk-to-Him-Box“ untersucht haben, als auch die alltagsweltliche Aneignung der Medienberichterstattung. Botschaften der „Talk-to-Him-Box“ waren insbesondere an den Papst gerichtet, dem trotz einer Ablehnung vieler seiner inhaltlichen Positionen eine große Anerkennung als Symbol des Katholizismus zugesprochen wurde. Die für den Weltjugendtag geäußerte Begeisterung konkretisiert sich gleichzeitig insbesondere darin, dass er auf neue Weise religiös-sakrale Erlebnisse mit populärem Feiern verbindet. Ähnliche Momente lassen sich auch bei der Aneignung des Medienereignisses sowohl für jugendliche Ich- als auch Gruppen-Religiöse ausmachen. Selbst für die nicht weiter in lokale religiöse Gruppen eingebundenen, gegenüber der Organisation der katholischen Kirche durchaus kritischen Ich-Religiösen ist der Papst als Medienberühmtheit ein wichtiger Referenzpunkt der Auseinandersetzung mit dem Katholizismus. Ebenso entfaltet der Weltjugendtag in der Verbindung von Sakralem und Populärem auch für sie einen Appeal. Nachhaltige Effekte im Sinne einer dauerhaften Einbindung in die deterritoriale Vergemeinschaftung des Katholizismus hat das Medienevent Weltjugendtag aber allenfalls bei den Gruppen-Religiösen, bei denen die Aneignung fest eingebunden ist in
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Die Mediatisierung des Religiösen
eine Glaubensartikulation innerhalb der lokalen Gruppe. Und auch für diese ist das Zentrale des Weltjugendtags, dass um die Medienberühmtheit Papst das Sakrale des Katholizismus verbunden wird mit einer (majoritätskonformen) Darstellung des freudigen populären Feierns und Erlebens. Auf unseren unterschiedlichen Analyseebenen können wir somit festhalten, dass die Spezifik des religiösen Medienevents gerade in seiner Hybridität besteht, d.h. in seiner Verbindung von populären und sakralen Momenten um die Medienberühmtheit Papst. Über diesen thematischen Kern wird eine bestimmte Performanz – eine kommunikative Handlungsorientierung – greifbar, die über die Ebenen der Produktion, Repräsentation und Aneignung in Deutschland und Italien hinweg in dem Sinne zentrierend ist, als durch sie der Katholizismus im Situativen des Medienereignisses als ein möglicher und auch vergnüglicher Mehrheitsglaube heutiger Medienkulturen erscheint. Ein „branding“ des Katholizismus gelingt in solchen Momenten der Inszenierung. Ist damit der Weltjugendtag aber insgesamt als (mediales) Marketingevent der katholischen Kirche einzuordnen? Ist das Medienevent demnach eine Inszenierung, die darauf abzielt, das ‚eigene Glaubensprodukt‘ in den Medien zu ‚bewerben‘? Wird die deterritoriale Glaubensgemeinschaft des Katholizismus so zu einer auf einen religiösen Markenkern bezogenen „brand community“? Solche Fragen liegen nahe, wenn wir unsere Analyseergebnisse in Bezug setzen zur aktuellen Diskussion um Religion und Medien. Mara Einstein (2007) beispielsweise beschreibt in ihrem Buch „Brands of Faith“ das „branding“ von Religion als kennzeichnendes Muster gegenwärtiger mediatisierter Religion und macht eine zunehmende Verschmelzung von Marketing und Religion aus (Einstein 2007: 86). Hierfür stehen aufseiten des Marketings „brand communities“, d.h. flüchtige Formen deterritorialer Vergemeinschaftung, deren Mitglieder Marken quasi-religiöse Dimensionen unterstellen. Aufseiten der Religion lässt sich die Etablierung von „brands of faith“ ausmachen, d.h. von spirituellen Produkten, denen durch Marketing eine bestimmte populäre Bedeutung gegeben wird. Produziert werden diese „brands of faith“ wie andere Produkte der Konsumkultur mit dem Ziel des Wachstums, in diesem Fall von (zahlenden) Glaubensanhängern. Kommuniziert werden die „brands of faith“ über die Medien. Auf ähnliche Weise konstatiert Lynn Schofield Clark (2007) nicht nur für Europa und Nordamerika, sondern auch für arabische und asiatische Länder die Verbreitung eines „religious lifestyle branding“ (ebd.: 27). Damit bezeichnet sie die Etablierung eines spirituellen, vor allem medialen Markplatzes, auf dem Glaubensangebote mit einem gezielten religiösen Marketing gehandelt werden. Mit einer weiteren Steigerung dieser Argumentationsfigur sieht Bruno Ballardi (2005: 149) Events wie den Weltjugendtag in der klaren historischen Folge
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eines gezielten „Marketings“ der katholischen Kirche, das weit älter ist als die Konsumkultur und in deren Werbung erst weltlich transformiert wurde. Das gegenwärtige Verhältnis von Kirche und Marketing erscheint dann als Re-Import ehemals religiöser und dann verweltlichter Muster der Markenkommunikation. So stellt Ballardi in Bezug auf die katholische Kirche fest: „Die Propaganda unseres multinationalen Unternehmens bedient sich sehr heterogener Mittel, darunter auch der Organisation von Events, um die Kundenbindung immer wieder neu zu festigen. Dabei handelt es sich um Großveranstaltungen, die als ‚Feste der Marke‘ geplant werden.“ (Ballardi 2005: 119)
Bezieht man solche Gesamteinschätzungen auf unsere konkreten empirischen Analysen des hybriden religiösen Medienevents Weltjugendtag, hinterlassen sie ein ambivalentes Bild: Auf der einen Seite konnten wir zeigen, dass das „branding religion“ ein zentrales Moment der Inszenierung des Medienevents Weltjugendtag ist. Auf der anderen Seite wäre es verkürzend, dieses Medienevent allein darauf zu reduzieren, Marketingereignis der katholischen Kirche zu sein. Dies verweist auf Überlegungen von Hubert Knoblauch, der darauf hingewiesen hat, dass es problematisch wäre, wenn man die Marktmetapher in Bezug auf Religion in europäischen Kulturen und Gesellschaften überbetont. Problematisch wird die Metapher dann, wenn man davon ausgeht, es gäbe einen einzelnen „freien Markt der Religionen“ (Knoblauch 2007: 81), auf dem sich die verschiedenen Akteure konkurrierend zueinander bewegen. Analytisch fruchtbarer erscheint die Vorstellung, dass es einen „Markt der Religionsanerkennung“ gibt, der sich als „ein Kampf um die Legitimität der Definition dessen, was Religion ist“, konkretisiert. In Prozessen einer solchen Auseinandersetzung hat sich allerdings zunehmend eine spezifische Form von „Markt“ etabliert, die Hubert Knoblauch als „Schwarzmarkt von Religion“ bezeichnet. Von einem „Schwarzmarkt“ lässt sich sinnvoll reden, wenn die Legitimität und Definition dessen, was Religion ist, von nicht-kirchlichen Organisationen bestimmt wird. Auf solchen „Schwarzmärkten“ treten traditionell religiöse Sinndeutungen in Konkurrenz „mit politischen Weltanschauungen, mit ästhetischen Attitüden (man denke nur an die Vielfalt der jugendkulturellen Symbolsysteme), mit dem Sport oder mit anderen Formen von Gesinnungen (Ökologie, Tierschutz usw.)“ (Knoblauch 2007: 82). Wir können das hybride religiöse Medienevent Weltjugendtag als Ausdruck dessen begreifen, dass sich die katholische Kirche zunehmend auf diesem „Schwarzmarkt von Religion“ bewegt. Ihr Ziel dabei ist, durch die Inszenierung des Medienevents und das damit verbundene „branding“ ihre Position im Gesamt der Religions- und Sinnangebote zu behaupten, auch wenn dies mit vielfältigen Zugeständnissen der Präsentation des eigenen Glaubens verbunden ist. Als Medienevent verweist der Weltjugendtag damit zugleich auf weitergehende Zu-
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Die Mediatisierung des Religiösen
sammenhänge des Wandels von Religion, die deutlich über Fragen ihrer ‚markenhaften Präsentation‘ hinaus gehen. So besteht die Spezifik des Medienevents in der Überwindung der „Trennung zwischen dem Sakralen und dem Profanen“ (ebd.: 88). Dabei bemüht sich die katholische Kirche, „die religiösen Züge ihrer Veranstaltungen erkennbar zu halten“ (ebd.: 82), ist aber gezwungen, den Weltjugendtag in den Kommunikationsformen zu präsentieren, die charakteristisch für populäre Medienkulturen im Allgemeinen sind. In solchen Momenten wird der Katholizismus zu einem Teil von populärer Religion. Diese ist gerade nicht die „populare Religion“ (Ebertz/Schultheis 1986) einer heutigen Volksreligiosität, sondern die Religion, die jenseits einer Trennung von Profanem und Sakralem durch die etablierten (Kommunikations-)Formen gegenwärtiger Medienkulturen getragen ist: „Populäre Religion […] wird wesentlich von der Vermittlung durch moderne interaktive und Massenmedien getragen, sie folgt einem Marktprinzip und sie bedient sich der kommunikativen Formen der populären Kultur. […] Man könnte sagen: populäre Religion wird in den Gattungen und Veranstaltungstypen der populären Kultur präsentiert, also in kommunikativen Formen, die nicht unbedingt als religiös erkennbar sind. Dagegen stehen die Themen oder Topoi, über die kommuniziert wird, für die Angehörigen der Kultur erkennbar in einer religiösen Tradition – ihre Topik bleibt also die der Religionen, in deren Tradition sie steht: die Frage nach dem Jenseits, der Transzendenz, die Erfahrungen des Numinosen, das Problem des Todes und des Lebens nach dem Tod.“ (Knoblauch 2007: 87)
Was Hubert Knoblauch hier allgemeiner reflektiert ist das von uns in Bezug auf den Weltjugendtag konkret empirisch untersuchte Spezifikum seiner Hybridität, nämlich der Versuch der Bewahrung religiöser Themen und Topoi bei Nutzung der Kommunikationsformen heutiger Medienkulturen. Wenn Religion in diesem Sinne zu populärer Religion wird, können wir sie nicht mehr jenseits ihrer Mediatisierung fassen.
11.2 Dimensionen der Mediatisierung des Religiösen Der Begriff der Mediatisierung, wie wir ihn in unseren Analysen gebraucht haben, hebt darauf ab, dass es sich hierbei um einen langfristigen Wandlungsprozess handelt, in den auch der aktuelle Wandel von Religion hin zu populärer Religion eingeordnet werden kann. Wie es John B. Thompson formuliert hat, handelt es sich bei der Mediatisierung um einen Prozess der „systematischen kulturellen Transformation“ (Thompson 1995: 46), der sich entlang von bestimmbaren Mustern des kulturellen Wandels konkretisiert. In seinen eigenen Analysen bezieht Thompson diese Überlegungen auf das Entstehen des modernen Staates
Dimensionen der Mediatisierung des Religiösen
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und seiner Gesellschaft. Dabei unterstellt er – durchaus in Einklang mit anderen wie Benedikt Anderson (1996), Joshua Meyrowitz (1995), David Morley (2000) oder Orvar Löfgren (2001) – eine große Relevanz von Massenmedien beim Aufbau der neuen Form ökonomischer, politischer, physischer und symbolischer Macht des modernen Staates. Es waren die Printmedien (und später im 20. Jahrhundert ebenfalls Radio und Fernsehen), über die die Artikulation nationaler Identitäten erfolgte, eine Identität, die erst den Zusammenhalt des Nationalstaates ermöglichte (Thompson 1995: 51). Mediatisierung konkretisiert sich hier als eine bestimmte Prägkraft klassischer Massenmedien, die sich entlang von drei unterschiedlichen Dimensionen typisieren lässt: In sozialer Dimension adressierten diese Medien ausgehend von einem spezifischen ‚Zentrum‘ das ‚Massenpublikum‘ einer nationalen Bevölkerung (und halfen dabei, dieses ‚Zentrum‘ erst zu konstruieren). In räumlicher Dimension erreichten diese Massenmedien ein nationales Territorium (und halfen, ein Verständnis nationaler Grenzen als den Grenzen nationaler Gemeinschaft zu konstruieren). In zeitlicher Dimension ermöglichten die Massenmedien mit ihrer Verbreitung eine Beschleunigung von Kommunikation (und hierdurch eine Adressierung ‚der Bevölkerung‘ nahezu in Echtzeit). Sicherlich finden wir weitere ‚Prägkräfte‘ dieser Massenmedien, die stärker auf ihren spezifischen Charakter als Einzelmedien abheben. Nichtsdestotrotz können wir argumentieren, bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Mediatisierung die Tendenz der Konstruktion eines nationalen territorialen Kommunikationsraums dominierend war. In gewissem Sinne können wir dies als eine Phase der Mediatisierung von Kultur begreifen, an deren Ende so etwas wie eine national-territoriale Medienkultur stand, eine Kultur, deren primäre Bedeutungsressourcen durch nationale, technisch basierte Medien zugänglich wurden. Eine solche Formulierung hebt nicht darauf ab, dass alles in diesen national-territorialen Medienkulturen ‚medial‘ ist (vgl. Hepp/Couldry 2009b). Jedoch haben wir eine ‚nationale Zentrierung‘ durch die Medien, d.h. die kommunikative Konstruktion der Vorstellung eines Zentrums von Nation in und durch die Medien (Couldry 2003). Allerdings geht das Wechselspiel von medialem und kulturellem Wandel weiter und mündet gegenwärtig in etwas, das John Tomlinson als „Telemediatization“ (Tomlinson 2007: 94) von Kultur bezeichnet, d.h. in den „zunehmenden Verwicklungen von elektronischer Kommunikation und Mediensystemen mit der Konstitution alltäglicher Bedeutungen“ (ebd.). Demnach sind wir gegenwärtig mit einer wesentlich größeren Vielfalt unterschiedlicher Kommunikationsräume konfrontiert, ein Prozess des Wandels, der sich mit unten stehender Grafik veranschaulichen lässt (vgl. Hepp 2009b):
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Die Mediatisierung des Religiösen
Abbildung 37:
Tendenzen von Mediatisierung und Kulturwandel Mediatisierung
Nationalkulturen
- soziale Dimension - räumliche Dimension - zeitliche Dimension
massenmedialer territorialer Kommunikationsraum Kulturwandel
Pluralisierung und Fragmentierung institutionalisierter kultureller Kontextfelder Vielfalt unterschiedlicher (de)territorialer Kommunikationsräume
- Individualisierung - Deterritorialisierung - Zunehmende Unmittelbarkeit
1950er Jahre
heute
Im Kern versucht diese Abbildung unsere Gesamtargumente im Hinblick auf Fragen der Mediatisierung zu veranschaulichen. Bis in die 1950er Jahre kann als Tendenz von Mediatisierung die Konstruktion eines territorialen Kommunikationsraums mit entsprechenden nationalen Medienkulturen ausgemacht werden, der auch Nationalisierungen von Religion entsprechen. Gegenwärtig haben wir in der Tendenz eine wesentlich größere Pluralität unterschiedlicher medial vermittelter Kommunikationsräume, die in Beziehung zu sehen ist zu einer wesentlich größeren Vielfalt unterschiedlicher institutionalisierter kultureller Kontextfelder wie dem verschiedener Religionen. Das zentrale Argument ist, dass dieser Prozess des Wandels von Kultur in Beziehung zu sehen ist zu einer sich wandelnden Mediatisierung in sozialer, räumlicher und zeitlicher Hinsicht. Für jede dieser Dimensionen lassen sich Hauptmomente des kulturellen Wandels ausmachen, in Bezug auf die Mediatisierung – für jedes unterschiedliche kulturelle Kontextfeld auf spezifische Weise – zu fassen ist. Wie oben stehende Abbildung verdeutlicht, ist dies in sozialer Hinsicht die Individualisierung, in räumlicher Hinsicht die Deterritorialisierung und in zeitlicher Hinsicht eine zunehmende Unmittelbarkeit. Eine solche Systematisierung gestattet es, unsere exemplarischen Analysen zur Mediatisierung des Religiösen am Beispiel des Weltjugendtags weiter zu kontextualisieren. 1. Soziale Dimension der Individualisierung: Wie wir mehrfach in diesem Buch festgestellt haben, verstehen wir unter Individualisierung einen übergreifenden Prozess des sozialen Wandels. In den Worten von Ulrich Beck und Eli-
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sabeth Beck-Gernsheim bedeutet dieser Prozess nicht einfach die „Desintegration von zuvor existierenden Sozialformen“ wie Klasse oder auch Religionszugehörigkeit, sondern zusätzlich und hierauf basierend, dass „neue Erfordernisse, Kontrollen und Zwänge Individuen auferlegt werden“ (Beck/Beck-Gernsheim 2001: 2). Das Individuum ist zu wesentlich mehr Verantwortung für sein oder ihr Leben gezwungen, während die bestehenden Ressourcen zur Lebensgestaltung ungleich verteilt bleiben bzw. neue Ungleichheiten entstehen. Wenn wir diese Prozesse der Individualisierung betrachten, müssen wir sie auf die soziale Dimension der Mediatisierung beziehen, d.h. die Verbreitung von technischen Medien in verschiedenen sozialen Sphären und damit verbundenen Prägkräfte. So lassen sich in Prozessen der Individualisierung Medien als ‚Instanzen der Orientierung‘ verstehen. Beispiele dafür wären Nominationsshows wie „The Swan – Endlich schön!“ oder „Deutschland sucht den Superstar“ (Ouellette/Hay 2008; Thomas 2009): In solchen Shows wird das Modell eines individualisierten Lebensstils bis an sein Extrem gebracht, indem die Bereitschaft zur umfassenden Selbst-Optimierung als etwas Übliches inszeniert wird. Entsprechend können solche Shows als Instanzen begriffen werden, die Menschen in dem Sinne ‚orientieren‘ oder ‚leiten‘, dass eine solche individualisierte Selbst-Optimierung – wenn auch auf geringerem Level – eine gewöhnliche Weise der gegenwärtigen Lebensführung darstellt. Es lässt sich also argumentieren, dass die Medien ganz allgemein so etwas wie notwendige ‚umkämpfte Märkte‘ unterschiedlichster Sinnangebote individualisierter Gesellschaften sind. Mit der Verbreitung von Medien über verschiedene soziale Sphären hinweg erwarten wir, dass die ‚zentralen‘ Sinnangebote der Gegenwart – Mode, Wirtschaftsmodelle, Glaube, etc. – in den Medien kommuniziert werden. Diese sind der Platz, an dem die verschiedenen Angebote nicht nur im ökonomischen Sinne des Wortes ‚konkurrieren‘, sondern auch als ‚zentral‘ – d.h. als ‚relevant‘ – bestätigt werden. Gleichzeitig findet in den Medien die Auseinandersetzung um die ‚richtige Art der Wahl‘ statt. Dies betrifft nicht nur die Massenmedien, sondern auch die digitalen Medien personaler Kommunikation – insbesondere des Internets und des Mobiltelefons –, die gerade in ihren personalisierten Formen der Kommunikation vielfältige ‚Ressourcen der Identitäts-Bricolage‘ bieten. Im Online-Chat beispielsweise wird es vergleichsweise einfach möglich, Aspekte der eigenen Identität mit Personen ähnlicher Orientierung oder Interessen auszuhandeln. Mit der Mediatisierung konkretisieren sich solche Aspekte der Individualisierung auch im Bereich der Religion selbst – insbesondere in Form von populärer Religion. So haben unsere Analysen des Medienevents Weltjugendtag gezeigt, dass mit dessen Mediatisierung eine Inszenierung des Religiösen als persönlicher Wahl eines bestimmten, mit anderen Orientierungsangeboten konkur-
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Die Mediatisierung des Religiösen
rierenden Glaubensangebots dominant wird. Letztlich hebt hierauf der Ausdruck des „branding“ ab: Der Weltjugendtag bietet als Medienevent der katholischen Kirche die einzigartige Möglichkeit, das eigene Glaubensangebot im Rhythmus von zwei Jahren auf hochwertige Weise zu inszenieren. Und genau hierfür hat diese das von uns analysierte Format des Fernsehgottesdienstes entwickelt, das sich auf etablierte Formen der Medienkommunikation stützt, die in deren Übernahme eine breite Anschlussfähigkeit bei gleichzeitig ehrfurchtsvoller Inszenierung des Sakralen sichern. Hier schreckt die katholische Kirche auch nicht vor einem Einbezug der Medienschaffenden in die Planung der zentralen Liturgien zurück bzw. der Vergabe der besten Berichterstattungsmöglichkeiten an die entsprechenden (weltlichen) Medienpartner. Gleichzeitig hat unsere Analyse deutlich gemacht, dass die Individualisierung von Religion einer einfachen Monosemierung von (populärer) Religion widersteht. Das Beispiel der „Talk-to-Him-Box“ zeigt, dass die teilnehmenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine solche Mediatisierung des Weltjugendtags in situ nutzen, um die Vielfalt ihrer verschiedenen Glaubensorientierungen innerhalb des Katholizismus medial zu kommunizieren. Ähnliches wird deutlich bei einer Betrachtung der Aneignung des Weltjugendtags durch Ichund Gruppen-Religiöse, von denen das Bedeutungsangebot des Medienevents auf je unterschiedliche Weise in die konkrete alltagsweltliche individualisierte Religiosität integriert wird. Insgesamt lässt sich damit bezogen auf den Weltjugendtag ein doppeltes Wechselverhältnis von Mediatisierung und Individualisierung festhalten. Auf der einen Seite besteht ein ‚Druck‘ auf die katholische Kirche, sich selbst und das eigene Glaubensangebot auf für heutige Medienkulturen angemessene Weise zu inszenieren, wenn man als ‚zentral‘ in diesen gelten möchte. Auf der anderen Seite und in einem gewissen Kontrast hierzu bieten die Medien den (gläubigen) Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit, die Vielfalt ihres individualisierten Glaubens zu kommunizieren und zu leben. 2. Räumliche Dimension der Deterritorialisierung: Auf räumlicher Ebene können wir verbunden mit Mediatisierung einen fortschreitenden Prozess der Deterritorialisierung feststellen, d.h des zunehmenden „Verlusts der scheinbar ‚natürlichen‘ Beziehung von Kultur und geografischen bzw. sozialen Territorien“ (García Canclini 1995: 229). In physischer Hinsicht ist Deterritorialisierung bezogen auf verschiedene Formen von Mobilität, die unsere gegenwärtigen Kulturen kennzeichnen (vgl. Urry 1999; 2003), beispielsweise die Mobilität von Migranten, von Geschäftsreisenden, Touristen oder auch „Pilgern“ zum Weltjugendtag. Hiervon lässt sich eine kommunikative Deterritorialisierung unterscheiden, d.h. das Entkoppeln von Kommunikationsräumen und Territorien.
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Medien dienen zunehmend nicht nur auf nationaler Ebene als gemeinschaftsspezifische Identitätsangebote, sondern auch für deterritoriale Vergemeinschaftungen: Soziale Bewegungen, Fankulturen, Diasporas und religiöse Vergemeinschaftungen sind Beispiele hierfür. So unterschiedlich sie in ihrer Spezifik sind, bei ihnen allen handelt es sich um translokale Netzwerke der Vergemeinschaftung, die verschiedene Territorien durchschreiten und entsprechend in ihrem Prozess der Identitätsartikulation bezogen sind auf technische Kommunikationsmedien. Momente der Deterritorialisierung lassen sich aber auch auf Ebene der personalen Kommunikation ausmachen. Beispielsweise ermöglichen es digitale Medien wie Email oder Chat, familiär, im Freundschaftsnetzwerk oder der Glaubensgemeinschaft in Beziehung zu bleiben. Sicherlich sind Glaubensgemeinschaften wie die des Katholizismus in ihrem Grundverständnis deterritorial, indem sie sich als Netzwerke von Gläubigen über verschiedenste (nationale) Grenzen hinweg definieren. Gleichzeitig bietet die fortschreitende Mediatisierung aber immer neue Möglichkeiten der Artikulation dieser deterritorialen Vergemeinschaftung – Möglichkeiten, an deren (vorläufigem) Ende der Weltjugendtag als Medienevent steht. Dabei macht es die Mediatisierung notwendig, neue Metaphern der Deterritorialität zu finden, und wiederum akzeptiert die katholische Kirche die Prägkraft vor allem von visuellen Medien wie Fernsehen und (Presse-)Fotografie und produziert (sakrale) Inszenierungen beispielsweise des Papstes mit Jugendlichen in entsprechender Ethno-Kleidung. Daneben resultiert die geplante Integration von Jugendlichen aus verschiedensten Ländern der Welt in die Inszenierung des Medienevents in (populären) Bildern von Fahnen schwenkenden und singenden Jugendlichen, die in ihrer Gesamtheit wiederum den deterritorialen Charakter des Katholizismus symbolisieren und in dieser Symbolkraft auch angeeignet werden. All dies wird inszeniert in unterschiedlichen religiösen und weltlichen Kommunikationsräumen verschiedener Länder und Kontexte. Auch hier können wir ein doppeltes Wechselverhältnis ausmachen. Mediatisierung wird auf der einen Seite in der Instrumentalisierung der Medien durch die katholische Kirche konkret, d.h. in der ‚Nutzung‘ der deterritorialen Prägkraft heutiger Medien, um sich selbst in der eigenen Deterritorialität bestmöglich darzustellen. Auf der anderen Seite bedeutet Mediatisierung aber gerade in der deterritorialen Erstreckung der Kommunikationsprozesse auf Ebene der verschiedenen Alltagswelten einen zumindest partiellen Verlust der Kontrolle über die Kommunikation des eigenen Glaubensangebots. 3. Zeitliche Dimension der Unmittelbarkeit: Wenn wir die zeitliche Ebene der Mediatisierung betrachten und den Argumenten von John Tomlinson (2007) folgen, können wir das „Kommen einer neuen Unmittelbarkeit“ ausmachen. John Tomlinson bezieht diese Unmittelbarkeit auch auf die zunehmende Media-
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Die Mediatisierung des Religiösen
tisierung von Kultur insbesondere in Form der zeitlichen Allgegenwart elektronischer Medien. Für ihn steht dies in Beziehung zu einer „Kultur der Augenblicklichkeit“ (Tomlinson 2007: 74), die Erwartung schneller Lieferung, ständiger Verfügbarkeit und sofortiger Gratifikation von Wünschen. Zusätzlich ist sie verbunden mit einem „Sinn von Direktheit, einer Kultur der Nähe“ (ebd.). Sieht man dies im Zusammenhang der zeitlichen Dimension von Mediatisierung im Allgemeinen, so kann man formulieren, dass Medien Instanzen der Synchronisation sind, nicht nur national (ein zentrales Argument von John B. Thompson), sondern auch jenseits nationaler Kommunikationsräume. Ein Beispiel dafür sind gerade herausragende Medienevents wie Olympiaden, Katastrophen oder eben die katholischen Weltjugendtage. Solche Medienevents synchronisieren in ihren zentralisierenden Effekten – jenseits der Vielfalt ihrer Berichterstattung – bestimmte thematische Orientierungen transkulturell (vgl. Couldry/ Hepp/Krotz 2009). Darüber hinaus lassen sich Medien als ‚Stifter einer kulturellen Nähe‘ begreifen, wiederum nicht nur im Hinblick auf die Nation (Billig 1995), sondern auch im Hinblick auf die Nähe der „Telepräsenz“ (Tomlinson 2007: 112) in der personalen Medienkommunikation. Insbesondere das Mobiltelefon lässt sich in dieser Hinsicht als ein relevantes Medium verstehen, indem es die Möglichkeit einer fortlaufenden persönlichen kommunikativen Konnektivität eröffnet. Entsprechend wird das Mobiltelefon von jungen Leuten angeeignet, um über SMS fortlaufend in Kontakt mit deren Peers zu sein und sich wechselseitig in der je eigenen Orientierung zu bestätigen (Höflich/Rössler 2001). In all dieser Hinsicht können wir das Medienevent des Weltjugendtags als Inszenierung einer weit reichenden religiösen Unmittelbarkeit begreifen. Nicht nur die lokalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ereignisses in Köln werden in eine geteilte situative Erfahrung einbezogen. Durch die (kommunikative) Vor- und Nachbearbeitung wie auch die fokussierte simultane Inszenierung des Events für die deterritoriale Glaubensgemeinschaft des Katholizismus – insbesondere deren Jugend – wird diese für einen bestimmten Moment in ihrer religiösen Erfahrung synchronisiert. Nachhaltige Effekte hat dies insbesondere für die Gruppen-Religiösen, die auch in ihren alltagsweltlichen sozialen Beziehungen fest in diese Vergemeinschaftung eingebunden sind und hierfür nicht zuletzt auch personale Medien wie das Mobiltelefon nutzen. Mediatisierung konkretisiert sich in dieser Perspektive in einer simultanen gefühlten Nähe einer Gruppe junger Katholiken über verschiedene Länder hinweg, die medial durch eine papst-zentrierte Inszenierung des Weltjugendtags und darauf bezogener, vielfältiger weiterer kommunikativer Konnektivitäten hergestellt wird. Für die katholische Kirche bedeutet dies entsprechend den
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Druck, den Weltjugendtag als eine Papstreise zu den Jugendlichen zu inszenieren.
11.3 Risiken der Mediatisierung des Religiösen Fassen wir zusammen: Die Mediatisierung des Weltjugendtags heißt, dass dieser als Medienevent in extremem Maße auf eine Kernphase fokussiert ist, dass die Vor- und Nachberichterstattung – vor allem in den katholischen Medien – bestimmte Erwartungshaltungen und Interpretationen kommuniziert. Als Medienevent ist der Weltjugendtag in einer triadischen Struktur zwischen Sakralem, Populärem und der Figur des Papstes zu beschreiben, wobei Mediatisierung an allen drei ‚Eckpunkten‘ manifest wird: Eine Mediatisierung des Sakralen heißt, dass mit speziellen Medienformaten, wie bspw. dem Fernsehgottesdienst, sakrale Momente des Weltjugendtags in Kommunikationsformen heutiger Medienkulturen inszeniert werden. Mediatisierung im Bereich des Populären bedeutet, dass beim Weltjugendtag eine katholische Jugendkultur mediale Präsenz erlangt – die ebenfalls mit den bekannten Mustern und Formen populärkultureller Medienberichterstattung dargestellt wird. Mediatisierung in Bezug auf den Papst bedeutet, dass dieser bei einem Medienevent wie dem Weltjugendtag zu einer ‚Medien-Berühmtheit‘ wird, die dessen sakrale und populäre Momente ‚klammert‘ und eine Projektionsfläche darstellt. Den Sinnhorizont des religiösen Medienevents Weltjugendtag bildet der Katholizismus als Glaubensgemeinschaft. Mediatisierung bedeutet für diesen, dass die Vorstellung von dessen Deterritorialität in neuer Unmittelbarkeit kommunizierbar wird – wie auch seine fortschreitende Individualisierung in den Medien greifbar wird. All dies ist im Zusammenhang mit weiteren kulturellen Wandlungsprozessen zu sehen, insbesondere einer fortschreitenden Individualisierung, Deterritorialisierung und dem Aufkommen einer neuen Unmittelbarkeit. Diese Mediatisierung des Religiösen geht mit einem „branding religion“ einher, das darauf verweist, dass sich der Katholizismus zunehmend auch auf einem „Schwarzmarkt“ der populären Religion positioniert. Aber gerade hierin sind die Risiken der Mediatisierung des Religiösen zu sehen. Die verschiedenen Religionen bewegen sich, wenn sie sich in ‚weltlichen Medien‘ präsentieren, in einem Markt der unterschiedlichsten Sinnangebote – von denen die kirchlichen nur eines sind. Mediatisierung des Religiösen bedeutet entsprechend, dass sich die Religionen in Abgrenzung zu anderen Sinnangeboten (bspw. denen von Jugend- und Freizeitkulturen, verschiedensten sozialen Bewegungen usw.) mittels der Medien und ihrer Kommunikationsformen in ihrer jeweiligen Spezifik dar-
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Die Mediatisierung des Religiösen
stellen müssen, dies aber gleichzeitig durch die Nutzung populärkultureller Kommunikationsmuster ‚untergraben‘ wird. Ein Risiko ist entsprechend der Verlust der Besonderheit des Religiösen in seiner erfolgreichen medienkulturellen Inszenierung. Allerdings hat der Katholizismus diesbezüglich einen ‚strukturellen Vorteil‘ gegenüber anderen Religionen. Durch das Papstamt verfügt die katholische Kirche über eine einfache und für die Religion konforme Möglichkeit, ihr Glaubensangebot in einer personifizierten Weise zu kommunizieren: Sie hat eine Person, die qua Amt den katholischen Glauben symbolisiert. Die katholische Kirche nutzt diese Möglichkeiten und lässt eine Inszenierung des Papstes als „celebrity“ nicht nur zu, sondern fördert diese noch durch das eigene Agieren. Im Rahmen eines übergreifenden „branding“ wird der Papst als Figur selbst zum Markensymbol des Katholizismus. Dieses Markensymbol der Figur des Papstes macht es möglich, den Katholizismus in dessen Charakteristik und gleichzeitig in einer den heutigen Medienkulturen angemessenen Weise zu kommunizieren. Entsprechend ändert das „branding“ von Religion in der katholischen Kirche auch das Jahrhunderte alte Papstamt, womit ein weiteres (von Benedikt XVI vermutlich kalkuliertes) Risiko verbunden ist. Dies wird im September 2006 während des Papstbesuches in Deutschland – bzw., um konkreter zu sein, in Bayern – deutlich. Der Papst zitiert während dieses Besuchs in einer Ansprache an der Universität Regensburg die ablehnende Äußerung eines mittelalterlichen Kaisers zum Islam und versteht dies selbst als Teil einer akademischen Auseinandersetzung mit dem Dialog zwischen den Religionen (und Kulturen, wie der Papst neuerdings hinzufügt). Wenn solche Äußerungen aber von einer Person gemacht werden, die als Markensymbol des Katholizismus agiert, interessieren akademische Einordnungen eines Zitats wenig. Durch eine solche Äußerung wird mit dem Markensymbol des Katholizismus eine negative Haltung gegenüber dem Islam verbunden – der Katholizismus tritt auf dem Sinnmarkt auf in Abgrenzung und Ablehnung zum Islam. Der sich daran anschließende, selbst medienvermittelte Protest, insbesondere, aber nicht nur, von Vertretern des Islams, macht deutlich, in welchem Maße sich das Papstamt mit fortschreitender Mediatisierung geändert hat. Teil des Papstamtes ist ein Agieren als Markensymbol des Katholizismus in den Medien und dem kann sich kein Amtsinhaber entziehen, selbst wenn er möglicherweise eine andere Ausgestaltung des Amtes vorziehen würde. Das „branding“ von Religion der katholischen Kirche als ‚Antwort‘ auf eine fortschreitende Mediatisierung reicht wesentlich weiter als das Medienevent Weltjugendtag. Solche Zusammenhänge abwägend können wir vielleicht als das eigentliche Risiko der Mediatisierung des Religiösen Folgendes festhalten: Zumindest in der Form herausragender, zentrierender Medienevents zeigen sich Momente
Risiken der Mediatisierung des Religiösen
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einer Reduktion der diskursiven Beschäftigung mit Religion und Glauben, gerade in der Inszenierung populärer Religion. Hierfür steht exemplarisch das Poster „Bravo, Bene!“ der Jugendzeitschrift „Bravo“. Steht einer solchen Inszenierung nicht auf Ebene der Aneignung eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit (eigener) religiöser Anerkennung gegenüber, kann die Mediatisierung des Religiösen in einen ‚Markenfetischismus‘ des jeweils präferierten Glaubens münden.
12 Anhang
12.1 Teilereignisse des Weltjugendtags 10. bis 15. August 2005 „Tage der Begegnung“ in den Diözesen 16. August 2005 17.00 Uhr: Eröffnungsgottesdienst 18. August 2005 12.00 Uhr: Ankunft des Papstes am Flughafen Köln/Bonn 16.45 bis 18 Uhr: Schifffahrt auf dem Rhein, Ansprache vor den Poller Wiesen 18.15 Uhr: Besuch des Kölner Doms
19. August 2005 10.30 Uhr: Treffen des Papstes mit Bundespräsident Horst Köhler in der Villa Hammerschmidt 12.00 Uhr: Besuch des Papstes in der Synagoge in Köln 13.00 Uhr: Mittagessen des Papstes mit Jugendlichen 18.15 Uhr: Treffen des Papstes mit Vertretern protestantischer Kirchen
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Anhang
20. August 2005 10.00 Uhr: Audienz des Papstes für Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, CDU-Vorsitzende Angela Merkel und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers 18.00 Uhr: Audienz des Papstes für Vertreter einiger muslimischer Gemeinschaften im Erzbischöflichen Haus, Ansprache 19.00 Uhr: Fahrt zum Marienfeld 19.30 Uhr: Ankunft des Papstes auf dem Marienfeld und Grußwort an die anwesenden Bischöfe 20.30 Uhr: Vigil mit den Jugendlichen auf dem Marienfeld
21. August 2005 10.00 Uhr: Feierlicher Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld 19.42 Uhr: Rückflug des Papstes nach Rom
12.2 Glossar religiöser Begriffe Apostolischer Palast: Die offizielle Residenz des Papstes innerhalb der Vatikanstadt in Rom, Italien. Apostolische Reise: Offizielle (Auslands-)Reise des Papstes. Neokatechumenale: Der Ausdruck ‚Katechumenat‘ geht zurück auf das Urchristentum und meint die Vorbereitung auf die Taufe. Der Katechumene ist der Taufbewerber. Der ‚Neokatechumenale Weg‘ ist eine in den 1960er Jahren von Madrid aus entstandene Bewegung, die von Papst Johannes Paul II 1990 offiziell anerkannt wurde. Zentral ist eine langwierige (bis zu 20 Jahre dauernde), stufenweise Heranführung an den Glauben, die von Prüfungen begleitet wird. Wesentlichstes Ziel ist eine Neuevangelisierung der Welt, die als verloren und gottlos empfunden wird. Jede Form von Sexualität sowie weltliche Güter, Liebesbeziehungen und Familie werden abgelehnt, das Mitglied soll völlig in der Bewegung aufgehen.
Glossar religiöser Begriffe
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Katechese: Offizielle theoretische und praktische Einführung in den christlichen Glauben wie auf speziellen Sonderveranstaltungen während des Weltjugendtags. Pilger: Offizielle Bezeichnung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltjugendtags in Anlehnung an den kirchlichen Sprachgebrauch von Pilger als eine Person, die aus religiösen Gründen in die Fremde geht, beispielsweise um eine Wallfahrt zu einem Pilgerort zu unternehmen. Franziskaner: Die Franziskaner sind ein Bettelorden, der auf Franz von Assisi zurückgeht. Sie lehnen jeglichen Besitz ab und betreiben neben Seelsorge vor allem Pflege der Wissenschaft. Schönstatt-Bewegung: Die Schönstatt-Bewegung wurde 1914 von Pater Joseph Kentenich in Vallendar am Rhein (bei Koblenz) im Ortsteil Schönstatt gegründet und verbreitete sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit. Zentral für diese Bewegung ist eine starke Marienverehrung. Die Bewegung versteht sich als geistlich geprägt mit dem Ziel, Hilfestellungen für ein menschliches und christliches Leben in der modernen Gesellschaft zu geben. Tage der Begegnung: Im Vorfeld des Weltjugendtags stattfindende Vortreffen, bei denen in den Gemeinden des ausrichtenden Landes außerhalb des Veranstaltungsorts (Köln) ausländische „Pilger“ in die lokale Vorbereitung des Weltjugendtags einbezogen werden. Opus Dei: Bei Opus Dei („Das Werk Gottes”) handelt es sich um einen 1928 von dem Priester Jose Maria Escriva de Balaguer gegründeten katholischen Laienorden, der in 50 Jahren zu einer einflussreichen Gruppierung in der katholischen Hierarchie aufstieg. Vigil: Nachtwache vor großen religiösen Festen; während des Weltjugendtags Nachtwache vor dem feierlichen Abschlussgottesdienst. Vatikan: Kurzbezeichnung für den Staat Vatikanstadt in Rom (Sitz des Papstes) bzw. den Heiligen Stuhl (Papst) als Völkerrechtssubjekt. Weltjugendtagsbüro: Kurzbezeichnung für die Weltjugendtag gGmbH, eine von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Erzbistum Köln gegründete gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung zur organisatorischen Vorbereitung des Weltjugendtags.
282
Anhang
12.3 Transkriptionssymbole a) Kameraeinstellung D
Detailaufnahme: ein Detail eines Gesichts oder Objekts wird formatfüllend dargestellt;
G
Großaufnahme: bei Personen Konzentration auf den Kopf/das Gesicht bis zum Hals bzw. bei Gegenständen/Gebäuden usw. Detailaufnahme mit eng begrenztem Bildausschnitt, der das Gesicht oder ein Objekt bildfüllend erfasst;
N
Nahaufnahme: Darstellung von Personen vom Kopf bis zur Brust bzw. zur Mitte des Oberkörpers; neben Mimik ist auch Gestik sichtbar; häufig verwendet für die Darstellung von Diskussionen und Gesprächen;
HN
Halbnahe: Darstellung von Personen vom Kopf bis zur Taille; Aussagen über die unmittelbare Umgebung der dargestellten Person werden möglich; häufig verwendet zur Darstellung von Dialogsituationen;
A
Amerikanische Einstellung: Darstellung von Personen vom Kopf bis zu den Knien/Oberschenkeln;
HT
Halbtotale: Personen von Kopf bis Fuß; häufig zur Darstellung von Personengruppen;
T
Totale: Darstellung von Personen in ihrer Umgebung; Überblick über den Handlungsraum;
P
Panorama
b) Kamerabewegung Z
Zoom
F
Kamerafahrt
S
Schwenk
Dr
Drehung der Kamera um ihre Längsachse / Rotation des Bilds umden Bildschirmmittelpunkt
Transkriptionssymbole Grafik
Computererzeugte Grafik
ZL
Zeitlupe
ZR
Zeitraffer
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c) Kameraperspektive AS
Aufsicht / Vogelperspektive
US
Untersicht / Froschperspektive
OS
Obersicht / Kamera direkt von oben senkrecht auf das Objekt (im Gegensatz zu AS nicht aus geneigter Perspektive)
d) Schnitt SC
Split Screen, d.h. zwei oder mehrere Einstellungen erscheinen in unterschiedlichen Fenstern neben- oder übereinander
Ü
Überblendung: Einzelbilder von Einstellung A überlappen mit Einzelbildern von Einstellung B
e) Lokalisierung von Personen VG
Vordergrund
MG
Mittelgrund
HG
Hintergrund
BM
Bildmitte
BR
Bildrand (ggf. spezifizieren o / u / li / re)
BE
Bildecke
f) Musik und Geräusche Mu
Musik, z.B. ((Mu: Chor WJT-Lied))
G
Geräusch, z.B. ((G: Jubel auf Italienisch))
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Anhang
g) Sprache .
kurze Pause bzw. kurzes Absetzen (ca. 0,25 Sekunden)
..
längere Pause bzw. längeres Absetzen (ca. 0,5 – 0,6 Sekunden)
.x.
Pause von x Sekunden
viellei/ Abbruch eines Wortes oder einer Äußerung geh|
Unterbrechung durch einen anderen Sprecher
_ja_
betont gesprochen
JA
laut gesprochen
(ja)
unsichere Transkription
(&&)
Unverständliches
((lacht)) Parasprachliches; nicht-sprachliche Handlungen
Zusammengestellt nach den Bedürfnissen unserer Analyse nach: Borstnar, N. et al. (2002): Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, S. 91, und Mediamanual.at des Österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (Online verfügbar unter: http://www.mediamanual.at/ mediamanual/leitfaden/filmgestaltung/grundelemente/sprache_des_films/ einstellung02.php, letzter Zugriff 22.2.07).
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14 Index Alltäglichkeit 22-23, 37 Alltagsreligiosität 229, 231, 233-234, 240, 260 Alltagswelt 26, 229-231, 233-235, 237-238, 240-242, 245, 248-249, 254-255, 259-260, 264-265, 272-274 Amtscharisma 23, 139-140, 170 Aneignung 9-10, 14-15, 17, 19, 25, 37, 52, 112, 137, 169, 219, 227, 229-231, 234, 236, 240-242, 244-245, 250, 252, 254, 256, 259-261, 265-266, 272, 277 Aufmerksamkeit 8, 31, 37, 61, 63-64, 71, 73, 76-77, 83, 114, 119, 128-129, 144, 229, 238, 242, 244-245, 248, 260 Ausgestaltung, inhaltliche 67-68, 80-81, 84, 87, 100-101 Außeralltäglichkeit 22-23, 37, 63, 101-102, 106, 208, 240, 255 Authentizität 99-100, 158, 243, 247 Berichterstattungsmuster 130, 136, 149, 159, 169 Branding 8-9, 18, 145, 154, 169, 262, 266-267, 272, 275-276 „branding religion“ 8-9, 18, 262, 267, 275 Celebrity 139, 141, 145, 154, 156, 161, 168-169, 276 Charisma 22-23, 36, 64, 140, 170, 222, 243 Cultural Studies 31, 112, 261 Deterritorialisierung 270, 272-273, 275 Emotionalität 168
Engagement 16, 64, 74, 76, 154, 199, 221, 231, 258 Erinnerung 209-210, 213, 237, 251-255 Erlebnisperspektive 234-235, 241 Eventerleben 59, 205, 244, 247 Fallstudie 9-10 Fernsehgottesdienst 85-89, 91-94, 96, 100, 110, 161, 236, 262, 272, 275 Gastgeberrolle Deutschland 66, 68-69, 264 Gemeinschaftserlebnis 70, 171, 174, 206, 222, 248-249, 253, 256 Gestaltungsspielraum 46, 52-53 Glaubensangebot 8, 30, 39, 47, 66, 99, 106, 170, 230, 245, 266, 272-273, 276 Glaubenserlebnis 76, 83, 119, 213, 240, 248, 259-260, 265 Glaubenskommunikation 259 Glaubenspraxis 65-66, 68, 80-82, 87, 100-101, 103-106, 211, 219, 262 Glaubensstil 210, 230-231, 233, 237, 241, 249-250, 256 Glaubenstradition 65-66, 68-69, 80, 87, 94, 96, 99-101, 106-109, 262 Glaubenswerte 65, 67-69, 174-175, 186-187, 190-191, 202, 264 Glaubwürdigkeit 106, 158, 229, 234, 246-247, 258 Globalisierung 171-173 Gruppen-Religiosität 230-231, 233-237, 239-241, 244-250, 252-254, 257-260, 265, 272, 274 Gruppierung 16, 216-220, 239
294 Hauptberichterstattung 59, 78, 84, 114, 143, 186 Hauptphase 61, 77-78, 81, 114, 126, 143, 174-175, 186, 192, 236 Hintergrund und Geschichte 64, 68, 71, 73, 75, 262 Hybridevent 19, 42, 46, 48, 155, 262 Hybridität 21, 28, 34, 39, 79-80, 82, 111-112, 140, 142, 169, 174, 206, 227, 229, 247, 249, 252, 261-268 Ich-Religiosität 231-235, 237-246, 249, 254-256, 259-260, 265 Identität 171-172, 217, 230, 233, 256, 269, 271, 273 Idol 152-153, 155-156, 158, 160-161, 164, 167-168, 170, 242-243 Individualisierung 21, 27-31, 39, 79, 100, 171, 191, 202, 206, 213, 217-218, 226, 229, 231-233, 270-272, 275 Institution 22, 25-26, 28-32, 52, 64, 66, 79, 139, 141, 143, 155, 168, 171, 186, 219, 242-243, 262, 270 Inszenierungsfokus 45, 47, 52 Inszenierungsstrategie 11, 54-55 Inszenierungsversuch 18, 44, 58 Ironisieren 104, 128-129, 135-136, 183 Jugendkultur 18, 113, 116, 119, 126, 137, 206, 212, 267, 275 Kernphase 10, 63-64, 83, 103, 115, 143, 176, 275 Kirche als Gemeinschaft 65-66, 68, 174, 176-178, 181, 185, 263 Kirche als Organisation 65-66, 92, 99, 174, 176, 186, 200-202, 216, 233, 242, 264 Kirche und Jugend 65-66, 68, 174-175, 186, 192-193, 195-196, 202, 245, 263-264
Index Klammer, kommunikative 44, 54-57, 141, 144-145, 147-149, 151-154, 169, 244, 248, 265, 275 Kommerzialisierung 65-66, 68-69, 100, 114-116, 126-129, 221, 262 Kommunikations- und Medienwissenschaft 9, 19, 21, 31-32, 261 Kommunikationsraum 10, 269-270, 272-274 Konflikt 26, 34, 37-38, 190, 218-219, 224, 257-259 Konnektivität 70, 213, 274 Konstruktionscharakter 60, 71-72, 74, 77-78 Kontextualisierung 55, 78, 96, 101, 109, 119, 173, 200, 246, 261, 265 Kontrollverlust 42-43, 49, 52 Lebensführung 25, 28-29, 31, 202, 230-231, 244, 271 Lebenswelt 24-25, 224 Liturgie 10, 41, 43-45, 47-48, 54, 58, 79, 84-85, 89, 91, 100, 109, 272 Lokalität 8, 24, 30, 213, 259 Markensymbol 57, 139, 141, 144-145, 155, 169, 230, 241, 245, 260, 276 Markt 27, 33, 56, 99-100, 129, 155, 267-268, 275 Mediatisierung 8-9, 30-33, 39, 41-42, 44, 57-60, 63-64, 69-70, 76-78, 85-89, 92-96, 100, 104, 109-110, 113-114, 119, 129-130, 136-137, 166, 168-169, 173, 176, 186, 191, 196, 200-203, 205-206, 212-213, 220, 226-228, 230, 239, 244, 247, 250, 253, 259-262, 265, 268-277 Medienberichterstattung 66, 264-265, 275
Index Medienberühmtheit 18, 104, 106, 139-141, 144-146, 149, 152-155, 158, 160-164, 166-170, 230, 241-245, 248, 259-261, 265-266 Medienevent 8, 21-22, 34-39 Medienevent, Phasen des 13, 59-60, 62, 77 Medienevent, populäres 36-38, 128, 254 Medienevent, religiöses 21, 34, 39, 77, 79-80, 110-112, 140, 142, 169, 174, 229-230, 241, 261-264, 266-267, 275 Medienevent, rituelles 36-38, 235, 262 Medienglaube 18, 79, 100-101, 103, 105-107, 109-110, 262 Medienkultur 8, 20, 58, 63, 100, 140, 168, 170, 202, 208, 211, 261-262, 266, 268-270, 272, 275-276 Medienritual 18, 36, 79, 85, 100, 161 Mediensoziologie 31 Merchandising 46, 56, 65, 68, 127-128, 262 Mobilität, kommunikative 205-206, 212-213, 272 Nachberichterstattung 59, 61, 63, 76-77, 81, 144, 174, 193, 198, 201, 236-237, 275 Nachhaltigkeit 64, 67, 69, 71-73, 75-76, 78, 81, 83, 229, 248-250, 254, 259, 263 Nähe 90, 93, 96, 161, 237, 245, 248, 251, 263-264, 274 Netzwerk 24, 173, 205-206, 212, 253, 273 Ökumene 65, 67, 69, 174-175, 186, 196, 198-199, 220-222, 233, 242, 264 Organisation 28, 31-32, 34, 41-44, 46, 58-59, 64-66, 68-69, 71-73, 75-76, 78, 81, 92, 99, 154, 171, 174, 176, 186, 200-202, 205, 208,
295 216-217, 220-221, 223-224, 231, 233-234, 242, 247, 261, 263-265, 267 Orientierung 7, 11, 22, 27, 29-31, 37, 117, 122, 126, 137, 146, 164, 172-173, 176, 186, 190-191, 201, 218-220, 223, 229-231, 233-234, 240, 244-245, 247, 255, 260, 266, 271-272, 274 Papst als Institution 64, 66, 141, 242 Papst als Person 64, 67, 141, 148, 242 Papstamt 169-170, 200, 243-244, 276 Papstprogramm 64, 67-68, 73, 130, 141-144, 156, 196, 262 Partizipation 14-15, 19, 205-206, 214, 219-220, 226-228, 250 Party 68, 104, 116-117, 121, 123-124, 129, 149, 160, 187-188, 208, 238-239, 258-259 Performanz 35, 227, 266 Pilgerreise 59, 68, 76, 114, 116, 148, 235, 238, 248, 262 Pluralität 186, 190, 193, 195-196, 220, 223, 239, 270 Populärkultur 24, 26, 36, 38-39, 54, 112-113, 117, 119, 126, 129-130, 133, 136-137, 139, 146, 168-169, 172-173, 181, 193, 247, 275 Prägkraft 58, 77, 103-104, 269, 273 Praktik 15, 22-25, 33, 83, 111, 139, 229 Privatmensch 155-156, 158, 160, 163-164, 166-168, 170, 243 Produktion 10, 18-19, 37, 41-44, 49, 51, 54, 57-59, 79, 112, 140, 244, 261, 265-266 Rationalität 168 Religion 7-10, 21-27, 29, 261 Religion, populäre 262, 268 Religionsführer 153-156, 158, 161, 163, 167-168, 170, 175, 243 Religionssoziologie 21-23, 25
296 Religionswandel 21, 25-26, 29-30 Religiosität 8, 16, 19, 21-22, 26, 28, 39, 69, 79, 111-112, 122, 229-232, 244, 272 Repräsentation 8, 10-11, 19, 27, 36-37, 70, 85, 89-90, 95-96, 101, 105, 110, 113, 128, 136-137, 158, 161, 172-174, 176, 181, 183, 185, 191, 196, 209, 220, 244, 260-261, 266 Rezeption 14, 18, 37, 169, 229, 234-235, 237, 249, 260 Risiko 77, 136, 275-276 Säkularisierung 26 Schwarzmarkt des Religion 267, 275 Sexualität 33, 117-118, 187-190, 220-221, 223-224, 233, 264 Sexualmoral 118, 148, 150, 185-187, 189-191, 202, 221, 242, 247 Sinnangebot 28-29, 33, 100, 103, 105, 229, 234, 256, 267, 271, 275 Sinnhorizont 26, 172-174, 176, 183, 185, 201-202, 257, 264-265, 275 Sinnmarkt 28-29, 31, 39, 217, 229, 260, 276 Spiritualität 7-8, 187, 202, 219, 231-232, 238-239, 242 Staatsmann 155, 158, 163, 167-168, 170, 181, 242-243 Staatspolitik und Diplomatie 66, 68, 264 Stimmung und Atmosphäre 65-66, 68, 113-115, 117, 119, 126-127, 129, 136, 144, 177, 185, 262 Teilnehmerprogramm 64, 66, 68-69, 113-116, 142, 144, 262 Themenfeld 13-14, 64-65 Transkulturalität 8, 14, 36, 38-39, 60, 64, 67, 69, 85-86, 101, 115, 176-178, 180-181, 183-185, 202, 206-207,
Index 222, 224, 231, 239, 244, 248, 253, 260, 262-264, 274 Translokalität 23-24, 26, 31, 35, 58, 128, 141, 173, 209, 213, 249, 253-254, 259, 273 Unmittelbarkeit 26, 45, 59, 90, 144, 166, 227, 229, 234, 249, 251, 270, 273-275 Verdichtung 35, 38, 65, 67, 70, 80, 113-115, 128, 136, 142-144, 173-175, 177, 200, 220-224, 247, 264 Vergemeinschaftung 16, 19, 22-24, 32, 35, 38, 137, 171-177, 179-181, 183, 185-186, 193, 195-196, 199, 202, 206, 225, 227-228, 230, 232-233, 239-241, 244, 248-250, 252-256, 259-260, 263, 265-266, 273-274 Vergemeinschaftung, deterritoriale 35, 171-173, 176, 185, 199, 206, 239, 252, 255, 260, 265, 273 Vergnügen 38, 136, 212 Volksreligiosität 26, 111-112, 268 Vorberichterstattung 55, 57, 59-61, 63, 71, 75-76, 82, 114, 142, 156, 191 Weltjugendtagserfahrung 16, 237, 251 Weltjugendtagskritik 66, 68, 264 Weltkirche 171, 173, 177, 183, 202, 222, 225 Wir-Bewusstsein 230-231, 249, 253, 256 Zentrierung 18, 35, 60, 63-64, 68-71, 76-78, 109, 259-260, 269 Zentrum 8, 10, 33-36, 79, 100, 214, 269 Zeremonie 34-38, 50, 80, 88-90, 102, 161, 197, 262 Zielgruppe 11, 16-17, 47, 77, 83, 140, 156 Zugang 45, 47-49, 51-52