Ulla Walter · Uwe Flick · Anke Neuber Claudia Fischer · Friedrich-Wilhelm Schwartz Alt und gesund?
Alter(n) und Gesel...
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Ulla Walter · Uwe Flick · Anke Neuber Claudia Fischer · Friedrich-Wilhelm Schwartz Alt und gesund?
Alter(n) und Gesellschaft Band 11 Herausgegeben von Gertrud M. Backes Wolfgang Clemens
Ulla Walter · Uwe Flick Anke Neuber · Claudia Fischer Friedrich-Wilhelm Schwartz
Alt und gesund? Altersbilder und Präventionskonzepte in der ärztlichen und pflegerischen Praxis
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Juli 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Monika Mülhausen / Marianne Schultheis Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-8100-4084-3 ISBN-13 978-3-8100-4084-8
Fiir Klara
Inhalt 1
2
Einleitung
13
1.1 1.2 1.3
Zielsetzung und Gliedemng des Buches Forderung und Dank Zitierung
14 17 17
Alter als gesellschaftliche Herausforderung
19
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
19 22 23 25 29 32 34 37
2.6 3
Alter - Definitionen und Bilder
39
3.1
40 41 42
3.2
3.3 4
Mehr Altere bei langerer Lebenserwartung Gesundheitsfbrdemdes Verhalten im Alter Gesundheit und Krankheit im Alter Leistungsinanspruchnahme und Kosten Ansatze der Pravention und Gesundheitsforderung 2.5.1 Active Ageing 2.5.2 Ansatze in Deutschland Ausblick
Definitionen von Alter: soziale Konstruktionen 3.1.1 Studien zur A Itersdefinition 3.1.2 Dimensionen des Alterns Bilder im Kopf: Vorstellungen liber Alter und alte Menschen 5.2.7 Altersbilder - Hintergrilnde, Theorieansdtze und A usprdgungen 3.2.2 Vorurteils- und Stereotypenforschung: generalisiertes versus personalisiertes Altersbild 3.2.3 Subjektive Theorien zu Alter 3.2.4 Altersbilder von Arzten und Pflegekroften 3.2.5 Altersbilder und stereotypgeleitetes Verhalten bei Arzten 3.2.6 Altersbilder und stereotypgeleitetes Verhalten bei Pflegekr often Ausblick
Soziale Reprasentationen und Episoden als empirische Zugange zu Altersbildern 4.1 4.2
Theoretischer Rahmen der vorliegenden Studie: Soziale Reprasentationen Methoden der Analyse von Altersbildern 4.2.1 Methoden der Alter(n)sforschung
43 44 46 47 49 50 51 52 55 55 58 59
4.2.2
4.3 4.4
4.5 4.6
A Itersforschung als Feld angewandter Sozialforschung 4.2.3 Analyse von Medien und ihrer Rezeption 4.2.4 Der Vignetten Ansatz 4.2.5 Der Episoden Ansatz Forschungsdesign der vorliegenden Studie Die methodischen Zugange der Studie 4.4.1 Erhebung von subjektiven Altersbildern mit episodischen Interviews 4.4.2 Inhaltsstruktur des Interviewleitfadens 4.4.3 Analyse der Fachzeitschriften und Ausbildungsordnungen 4.4.4 Ruckmeldung und diskursive Validierung der Ergebnisse in Focusgroups 4.4.5 Triangulation unterschiedlicher methodischer Zugange bei der Sammlung von Daten 4.4.6 Thematisches Kodieren zur Analyse der Daten 4.4.7 Vorgehen des thematischen Kodierens Die Untersuchungsteilnehmer 4.5.1 Pflegekrafte 4.5.2 Arzte Zusammenfassung des methodischen Vorgehens
Subjektive Altersbilder von Arzten und Pflegekraften Verluste und Gewinne, aber schwierig zu definieren 5.1
5.2
5.3
Alter 5.1.1 5.1.2 5.1.3
Schwierigkeiten der Definition Das kalendarische Alter Das biologische Alter Ausjustieren von kalendarischem und biologischem Alter 5.1.4 Subjektive Alterskriterien der Professionellen 5.1.5 Alter undKrankheit - zwangsldufig verbunden? 5.1.6 Zwischenfazit Differenziert und hochbetagt - Assoziationen von Arzten und Pflegekraften zu Alter 5.2.1 Negative Assoziationen 5.2.2 Positive Assoziationen 5.2.3 Zwischenfazit Zusammenfassung und Diskussion
60 61 62 63 65 61 61 69 70 70 72 73 74 74 74 16 77 79 79 80 80 80 81 86 87 87 88 90 91 92
6
Wandel der Altersbilder von Arzten und Pflegekraften viel Veranderung aber wenig Konsequenz 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
7
7.2
7.3 8
Gesundheit im Alter ist erstrebenswert, aber eine Illusion - die Bandbreite der Einstellungen Konzepte zu Gesundheit im Alter 7.2.1 Korperliche Dimension 7.2.2 Psychische und kognitive Dimension 7.2.3 Leb enssituation Fazit
Gesundheitsforderung und Pravention im Alter Theoretisches Verstandnis und Ansatze 8.1
8.2
8.3 8.4 9
Wandel durch den Beruf: Differenzierung der Altersbilder 95 Personlicher Wandel: das eigene Alterwerden 99 Gesellschaftlicher Wandel: gestiegene Lebenserwartung 100 Kein Wandel: der Beruf hat keinen Einfluss 101 Konsequenzen des Wandels: Wandel als Veranderung? 102 Zusammenfassung und Diskussion 105
Gesundheit im Alter - Einstellungen und Konzepte 7.1
95
Wissenschaftliche und subj ektive Definition 8.1.1 Pravention und ihre Trias 8.1.2 Pravention in der drztlichen Versorgung 8.1.3 Pravention in der Pflege 8.1.4 Gesundheitsforderung 8.1.5 Abgrenzungsprobleme und FolgerungenfUr die Praxis Orientierung an Risiken und Ressourcen 8.2.1 Im Fokus: Risikofaktoren 8.2.2 Im Fokus: Gesundheitsstorungen- und Krankheiten 8.2.3 Im Fokus: Ressourcen Einstellungen 8.3.1 Eher positiv 8.3.2 Eher negativ Zusammenfassung und Diskussion
109 112 113 113 116 117 118 121 121 121 123 126 127 132 133 134 136 137 139 139 142 144
Gesundheitsforderung und Pravention im Alter Realisierung in der Praxis
149
9.1
150
Gesetzlicher Rahmen 9.1.1 Pravention/Gesundheitsforderung in der drztlichen Versorgung
150
9.1.2
9.2
9.3
9.4
9.5
Prdvention/Gesundheitsforderung in der pflegerischen Versorgung Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der Praxis 9.2.1 Pravention/Gesundheitsforderung in der drztlichen Versorgung 9.2.2 Prdvention/Gesundheitsforderung in der pflegerischen Versorgung Wandel der beruflichen Tatigkeit 9.3.1 Personlicher Wandel 9.3.2 Gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Wandel Wahrgenommene hemmende und fordemde Faktoren bei der Umsetzung in der Praxis 9.4.1 Patientens eitige hemmende Faktoren 9.4.2 Patientens eitige fordernde Faktoren 9.4.3 Professionenbezogene hemmende Faktoren 9.4.4 Professionsbezogene fordernde Faktoren 9.4.5 Gesundheitssystembezogene hemmende Faktoren 9.4.6 Gesundheitssystembezogene fordernde Faktoren Zusammenfassung und Diskussion
10 Focusgroups als Feedback: tJberwindung von Barrieren zur Pravention im Alter 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Durchfiihrung der Focusgroups Die Focusgroup mit Pflegekraften in Hannover Die Focusgroup mit Pflegekraften in Berlin Die Focusgroup mit Arzten in Berlin Die Focusgroups im Vergleich
11 Pravention und Alter - (k)ein Thema in der Aus-, Fortund Weiterbildung? 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5
Die Ausbildung aus Sicht der Arzte und Pflegekrafte Die arztliche Ausbildung Die pflegerische Ausbildung Die arztliche Weiterbildung Die arztliche Fortbildung 11.5.1 Aktuelle Situation 11.5.2 Analyse der Fortbildungsangebote 11.6 Die pflegerische Fort- und Weiterbildung 11.7 Zusammenfassung 10
152 154 154 161 163 163 166 168 168 171 172 174 176 178 179 189 190 191 196 201 204 207 208 209 211 214 216 216 216 217 219
12 Alter(n) und Pravention in Fachzeitschriften - trotz zunehmender Berucksichtigung von geringer Relevanz 12.1 12.2 12.3 12.4
221
Methodik Vorstellungen vom Alter(n) und von alten Menschen Pravention und Gesundheitsforderung im Alter Zusammenfassung und Diskussion
221 223 227 232
13 Arztliche und pflegerische Pravention im Alter zwischen Konzept und Praxis -- Diskussion und Ausblick
235
13.1 Altersbilder von Arzten und Pflegekraften: differenziert und auf Hochbetagte bezogen 13.2 Gesundheit im Alter: keine Frage des korperlichen Zustands sondem psychosozialer Aspekte 13.3 Pravention und Gesundheitsforderung: unsystematisch, sekundar und voller Barrieren 13.4 Focusgroups: Validierung der Ergebnisse und Ruckkopplung an die Versorgungspraxis 13.5 Defizite in der Aus-, Fort- und Weiterbildung: Gesundheit, Alter, Pravention und Gesundheits forderung starken 13.6 Fachzeitschriften: Stellenwert der Themen Gesundheit im Alter sowie Pravention und Gesundheitsforderung erhohen 13.7 Ausblick Literaturverzeichnis
236 236 237 239 239 240 241 243
11
1
Einleitung
Der demographische Wandel mit einem steigenden Anteil alterer Menschen ist der einschlagigen Wissenschaft seit mehreren Jahrzehnten bekannt. Er wurde aber von der Politik, der Fachoffentlichkeit und der Gesellschaft lange zeit nicht wahrgenommen. Erst seit kurzem werden die Konsequenzen z.B. fiir die gesundheitliche Versorgung der betroffenen Patienten und der sie beteiligten Professionen sowie die erforderlichen Strukturen realisiert und in bereiter Offentlichkeit diskutiert. Gleiches gilt fiir die Pravention und Gesundheitsfbrderung im und fiir das Alter. Deren Potenziale und Notwendigkeit wurden in Deutschland vereinzelt bereits Ende der 1970er Jahre artikuliert, fanden allerdings noch in den 1990er Jahren kaum Gehor. Die Chancen und die Relevanz von Gesundheitsforderung, Pravention (und Rehabilitation) zur Verbesserung der Gesundheit, der Erhaltung der Selbststandigkeit und Mobilitat auch im hoheren Alter wurden lange Zeit nur unzureichend sowohl von der Wissenschaft als auch von der Gesellschaft und den in der Versorgungspraxis Tatigen zur Kenntnis genommen. Im Zuge der Starkung der Pravention mit der Einrichtung des „Deutschen Forums Pravention und Gesundheitsforderung" durch das Bundesministerium ftir Gesundheit und Soziale Sicherung sowie der Diskussion um das Praventionsgesetz erftihr auch das Thema Pravention im Alter erstmals politisch vermehrte Aufinerksamkeit. Inwieweit die praventiven Potenziale tatsachlich ausgeschopft und MaBnahmen in der Praxis angeboten und umgesetzt werden, wird auch wesentlich von den beteiligten Professionen im Gesundheitsbereich mit bestimmt. In der ambulanten medizinischen und pflegerischen Versorgung kommt den Hausarzten und Pflegekraften als zentralen Ansprechpartnem im Gesundheitswesen eine bedeutende Rolle zu. Wie stark diese Professionen die vorhandenen Potenziale wahrnehmen und in der Praxis ressourcenorientiert handeln, ist nicht zuletzt abhangig von ihren subjektiven Altersbildern und Gesundheitskonzepten sowie ihrer Bewertung physiologischer altersbedingter Veranderungen als pathologisch. Subjektive Konzepte gehen in die Vorstellung von professionellen Personen selbst ein, nicht nur was ihre eigene Haltung gegentiber ihrem eigenen Alterwerden und ihrer personlichen Gesundheit anbetrifft, sondem auch in ihre Vorstellung, wie sie mit den zu ihrer Behandlung oder Pflege anvertrauten Betroffenen mit Gesundheit oder Krankheit umgehen sollten. Bei der Besprechung von Vorgehensweisen und Behandlungsverfahren mit Patienten handelt es sich immer auch um Aushandlungsprozesse liber subjektive Gesundheitsvorstellungen und ihre Konsequenzen. Neben den Gesundheitskonzepten bestimmt das Bild vom Altern und alten Menschen der Professionellen als implizites Wahmehmungs- und Beurteilungsschema der Kompetenzen
und Potenziale bzw. Probleme und Defizite sowohl Art und Inhalt des Kontaktes mit ihren Patienten als auch ihr Versorgungshandeln mit.
1.1
Zielsetzung und Gliederung des Buches
Mit dem vorliegenden Buch sollen Ergebnisse der von 2001-2003 durchgefuhrten Studie „Gesundheitskonzepte und Altersbilder Professioneller in der ambulanten Versorgung" dargelegt werden. Ziel ist es, den Inhalt und Stellenwert von Gesundheits- und Alterskonzepten von Hausarzten und Pflegekraften, unter besonderer Beriicksichtigung der subjektiven Ebene aufzuzeigen, diese subjektiven Konzepte in Bezug auf Altere und Hochbetagte zu erforschen und sie in den Kontext berufsgruppenspezifisch vorherrschender Konzepte zu stellen (zu Gesundheitskonzepten siehe Flick et al. 2004). Das Buch zeigt - gerade auch durch die in den zahheichen Zitaten sichtbare Praxisnahe - ein Sttick Lebenswirklichkeit der Wahrnehmung Alterer und des Alters durch Hausarzte und ambulante Pflegekrafte und seiner gesundheitlichen Versorgung. Deutlich wird die zum Teil sehr groBe Diskrepanz zwischen den theoretischen Anspriichen und Konzepten sowie dem tatsachlichen AUtagsgeschehen. Insofern ist die vorliegende Studie ein Beitrag dazu der Wirklichkeit mit Bescheidenheit gegentiberzutreten. Sie ist aber auch eine Aufforderung, die Anstrengungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu intensivieren und konkretes, praxisnahes Handlungswissen zu vermitteln mit dem Ziel den Professionellen die Selbstgewissheit zu geben, das Pravention im Alter ntitzt. Die Professionellen wurden in der Untersuchung sowohl als „privates Individuum", als auch in ihrer Funktion als Professionelle in der Versorgungspraxis angesprochen. Dabei soil u.a. herausgearbeitet werden, welche Dimensionen in den Alterskonzepten der Professionellen enthalten sind, und welche Ansatze zur Pravention und Gesundheitsforderung im Alter vorliegen. tJber die Identifizierung subjektiver Konzepte alten Menschen gegentiber konnen Ansatzpunkte fur eine verbesserte Versorgung zur Optimierung der Gesundheit Alterer abgeleitet werden. Hauptfragestellungen sind: • •
14
Welche Konzepte tiber das Altem und das hohe Alter haben Arzte und Pflegekrafte in der ambulanten Versorgung? Inwieweit andem sich diese im Verlauf des (Berufs-)Lebens? Welche Einstellung weisen Arzte und Pflegekrafte bezuglich Pravention und Gesundheitsforderung insbesondere bei Alten und Hochbetagten auf? Welche Faktoren werden von den professionellen fiir ihre Realisation als forderlich bzw. als hinderlich angesehen?
• • •
Welche Konzepte von Alter werden in den wichtigsten einschlagigen Fachzeitschriften vermittelt? Welche Konzepte von Gesundheit im Alter haben Arzte und Pflegekrafte? Welchen Stellenwert haben Alter, Prevention und Gesundheitsforderung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung?
Die zentralen Themenbereiche Alter und Pravention/Gesundheitsforderung werden in folgenden Kontexten untersucht: • •
auf der subjektiven Ebene mittels qualitativer Interviews von Arzten und Pflegekraften und der Validierung ihrer Ergebnisse in Focusgroups, auf der strukturellen Ebene durch eine Analyse der Aus-, Fort- und Weiterbildung in beiden Professionsbereichen sowie durch eine Analyse relevanter medizinischer und pflegerischer Fachzeitschriften.
Das Themenfeld und der Untersuchungsgegenstand der Studie werden im Folgenden in einen theoretischen (Kapitel 2 und 3, ebenso 8 und 9) bzw. methodischen Rahmen (Kapitel 4) gestellt. Die wesentlichen empirischen Ergebnisse werden dargestellt (Kapitel 5 bis 12). AbschlieBend wird ihre Relevanz fiir die gesundheitliche Versorgung und das Gesundheitssystem zusammenfassend diskutiert (Kapitel 13). Einleitend gibt zunachst das Kapitel 2 „Altem als gesellschaftliche Herausforderung" einen Uberblick iiber die Bedeutung des demographischen Wandels ftir die Gesellschaft und das Versorgungssystem. Betrachtet werden auch die derzeitigen realisierten und potenziell moglichen Ansatze und Strategien der Prevention und Gesundheitsforderung fiir ein gesundes Altem. Alter zu defmieren versucht Kapitel 3 „Alter - Defmitionen und Bilder", das mit dem biologischen, psychologischen und sozialen Altern auch verschiedene Facetten aufzeigt. Zugleich geht das Kapitel den Altersbildem, Vorstellungen iiber Alter und alte Menschen nach und zeigt Hintergrtinde, Theorieansatze und Auspragungen auf Dargestellt werden auch vorliegende Studien zu professionenbezogenen Altersbildem. Einen Uberblick iiber Methoden in der empirischen Altersforschung sowie die in der vorliegenden Untersuchung eingesetzten Verfahren gibt Kapitel 4 „Soziale Reprasentationen und Episoden als empirische Zugange zu Altersbildem". Ergebnisse der Studie zu Altersbilden legt Kapitel 5 „Subjektive Altersbilder von Arzten und Pflegekraften - Verluste und Gewinne, aber schwierig zu definieren" dar. Es greift die bereits im Kapitel 4 eingefiihrten Dimensionen auf und ordnet die Konzepte der Professionellen in diesen Rahmen ein. Das Kapitel geht der Frage nach, ob und inwieweit fiir die Befi-agten Altsein
15
mit Kranksein verkntipft ist und welche spezifischen Assoziationen zu Hochbetagten bestehen. Inwieweit die Altersbilder der Arzte und Pflegekrafte im Laufe ihres Bemfes, ihrer personlichen Biographic und/oder bedingt durch gesellschaftliche Veranderungen einen Wandel erfahren haben, zeigt das Kapitel 6 „Wandel der Altersbilder von Arzten und Pflegekraften - viel Veranderung aber wenig Konsequenz" auf. Kapitel 7 „Gesundheit im Alter - Einstellungen und Konzepte" gibt einen Einblick in die Konzepte der Professionellen und ihrem Verstandnis von Alter. Betrachtet werden korperliche, psychische und kognitive Dimensionen sowie die wahrgenommene Lebenssituation Alterer. Kapitel 8 und 9 widmen sich der Pravention und Gesundheitsforderung im Alter. Kapitel 8 „Gesundheitsfbrderung und Pravention im Alter - Theoretisches Verstandnis und Ansatze" zeigt, ausgehend von einer wissenschaftlichen Abgrenzung der Begriffe, die subjektiven Defmitionen der Arzte und Pflegekrafte auf und setzt diese in Beziehung zu ihrer Orientierung an Risikofaktoren bzw. Krankheiten und Ressourcen. Zudem werden die Einstellungen der Befragten zur Pravention und Gesundheitsforderung dargestellt. Hieran schlieBt sich mit Kapitel 9 ^Gesundheitsforderung und Pravention im Alter - Realisierung in der Praxis" die Verankerung von Pravention/Gesundheitsforderung in der arztlichen bzw. pflegerischen Versorgung, ihre Umsetzung sowie eine Analyse der wahrgenommenen hemmenden und fordemden Faktoren an. Wie bereits das Kapitel 7 geht auch das Kapitel 10 der Frage eines Wandel nach. Die zuvor ermittelten Ergebnisse werden in Focusgroups mit den Interviewpartnern reflektiert. Diesem widmet sich das Kapitel 10 „Focusgroups als Feedback: Uberwindung von Barrieren zur Pravention im Alter". Kapitel 11 „Pravention und Alter - (k)ein Thema in der Aus-, Fort- und Weiterbildung?" stellt die Ergebnisse einer Analyse hierzu vor und zeigt aktuelle Entwicklungen auf Kapitel 12 „Alter(n) und Pravention in Fachzeitschriften - trotz zunehmender Beriicksichtigung von geringer Relevanz" analysiert die Aufbereitung des Themas in jeweils zwei zentralen pflegerischen und medizinischen Fachzeitschriften in drei Jahrzehnten. AbschlieBend werden zentrale Ergebnisse zusammengefasst und (ibergreifend im Kapitel 13 „Arztliche und pflegerische Pravention im Alter zwischen Konzept und Praxis - Diskussion und Ausblick" diskutiert.
16
1.2
Forderung und Dank
Die Studie „Gesundheitskonzepte und Altersbilder Professioneller in der ambulanten Versorgung" wurde vom Bundesministerium fiir Gesundheit und Soziale Sicherung vom Juni 2001 bis Juli 2003 gefordert (Zuwendungsbescheid Nr.: 228-42 265/79). Fiir die Unterstutzung mochten wir uns herzlich bedanken. Die Ergebnisse waren nicht zustande gekommen ohne die Bereitschaft der niedergelassenen (Haus-)Arzte und Pflegekrafte ambulanter Dienste, die ihre Zeit fiir ein Interview zur Verfiigung gestellt haben und zur Reflexion der Ergebnisse an den Focusgroups in Berlin und Hannover teilgenommen haben. Ihnen gilt unser besonderer Dank. Neben den Autoren haben Ricarda Henze und Stephanie LUpke, beide Hannover, an der Studie und Prof. Dr. Matthias Klein-Lange (f) an der Antragstellung mitgewirkt, denen wir ebenfalls danken. Katherin Grobe danken wir fiir die Unterstutzung bei der Layoutgestaltung dieses Buches.
1.3
Zitierung
Der Einfachheit halber wird tiberwiegend die mannliche Form gewahlt, auch wenn z.B. Arztinnen und Interviewpartnerinnen mit angesprochen werden. Die Kennzeichnung der Zitate aus dem empirischen Material weist auf die Profession (A = Arzt, P = Pflegekraft) sowie auf den Ort ihrer Tatigkeit hin (B = Berlin, H = Hannover). Entsprechend steht „BA" fiir Arzt aus Berlin und „HA" fur Arzt aus Hannover, „BP" meint Pflegekraft aus Berlin und „HP" Pflegekraft aus Hannover. Zur besseren Lesbarkeit wurden die Zitate um umgangssprachliche Formeln wie ,ja, ah, also, eben, mhh" etc. geglattet. Inhaltliche Ktirzungen sind entsprechend mit eckigen Klammem [...] gekennzeichnet, ebenso kleine Hinzufiigungen, die den Lesefluss und die Verstandlichkeit erhohen.
17
2
Alter als gesellschaftliche Herausforderung „POPULATION AGEING IS FIRST AND FOREMOST A SUCCESS STORY FOR PUBLIC HEALTH POLICIES AS WELL AS SOCIAL AND ECONOMIC DEVELOPMENT." GRO HARLEM BRUNDTLAND (WORLD HEALTH ORGANIZATION 1999)
Die Weltgesundheitsorganisation hat 1998 die demographische Anderung als eine der groBten Herausforderung des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Die Alterung der Bevolkerung betrifft fast alle Lander weltweit und ist keineswegs nur ein Phanomen der Industriestaaten. Vielmehr vollziehen die derzeitigen Entwicklungslander die Alterung ihrer Bevolkerung in einer wesentlich ktirzeren Zeitspanne. Schon heute leben in diesen Landem 70% aller alteren Menschen auf der Welt (World Health Organization 2002). Im Folgenden wird zunachst kurz der demographische Wandel dargestellt. Hieran schlieBen sich eine Betrachtung des gesundheitsfordemden Verhaltens alterer Menschen sowie eine Analyse der Gesundheit und Krankheit im Alter und ihrer gesellschaftlichen Relevanz an. Das Kapitel geht der Frage nach, inwieweit Potenziale fur Prevention und Gesundheitsforderung im und fur das Alter bestehen und mit welchen Strategien diese ausgeschopft werden konnen. AbschlieBend werden bestehende Ansatze in Deutschland aufgezeigt.
2.1
Mehr Altere bei langerer Lebenserwartung
Die groBte Relation tiber 60-Jahriger an der Gesamtbevolkerung weisen derzeit neben Japan europaische Lander auf An der Spitze steht Italien mit einem Anteil von 24,5% (2002), dicht gefolgt von Japan (24,3%), Deutschland (24,0%) und Griechenland (23,9%)). In alien Landem nimmt die altere Bevolkerung in den kommenden Jahrzehnten zu (World Health Organization 2002). Fur Deutschland wird eine Zunahme der Bevolkerung tiber 60 Jahre von 24,1% (2001) auf 36,7% (2050) prognostiziert (Statistisches Bundesamt 2003). Diese Anderung des Bevolkerungsaufbaus lasst sich im Wesentlichen auf drei Faktoren zuriickzufuhren: (1) das Nachriicken der geburtenstarken Jahrgange („Babyboom-Generation") in das hohere Lebensalter, (2) eine gleichzeitig weitere Zunahme der Lebenserwartung und (3) eine vergleichsweise geringe Geburtenrate, die mit derzeit 1,4 pro Frau (West-Deutschland)
deutlich unter der Geburtenziffer von 2,1 liegt, die zum Erhalt der heutigen BevolkerungsgroBe erforderlich ist. Seit Einfuhrung der ersten amtlichen Sterbetafel in Deutschland 1871/1881 hat sich bis 1998/2000 die Lebenserwartung der Manner bei Geburt um 39,2 und die der Frauen um 42,4 Jahre erhoht. Der deutliche Anstieg der Lebenserwartung ist auf eine verringerte vorzeitige Sterblichkeit am Lebensanfang im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zurtickzufuhren. Eine weitere Verbesserung der Lebenserwartung erfolgte im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bei den Alteren. Insgesamt haben in der femeren Lebenserwartung ab 60 Jahre die Frauen mit einer Zunahme von 10,8 Jahre gegentiber den Mannem mit 7,1 Jahre von der Entwicklung in den vergangenen 1,3 Jahrhunderten profitiert (Wiesner 2001, Statistisches Bundesamt 2003). Deutschland liegt derzeit mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung ab Geburt (2000/02) von 75,4 Jahren fur Jungen und 81,2 Jahren fiir Madchen knapp ein halbes Jahr unter dem Durchschnitt der alten EU-Lander (EU15) und deutlich unter den in der Lebenserwartung fiihrenden Landem Italien (Jungen: 76,8 Jahre) und Spanien (Madchen: 83,1 Jahre) (Statistisches Bundesamt 2004). Die 10. koordinierte Bevolkerungsvorausberechnung (Stand 31.12.2001) geht aufgrund weiterer Verbesserungen im hoheren Alter von einem Anstieg der weiteren Lebenserwartung aus. Nach einer mittleren Annahme wird fur das Jahr 2050 mit einer Lebenserwartung ab Geburt flir Madchen von 86,6 Jahre und flir Jungen von 81,1 Jahre gerechnet, was eine Zunahme um 5,6 bzw. 5,7 Jahre gegentiber 2000/02 bedeutet. Ftir die 60-Jahrigen wird entsprechend eine femere Lebenserwartung von 23,7 Jahren (Manner) bzw. 28,2 Jahren (Frauen) erwartet. Dies entspricht einer Erhohung um 3,8 bzw. 4,4 Jahre (Statistisches Bundesamt 2003, 2004). Mit der demographischen Transition (und des medizinischen Fortschritts) ist haufig die Befiirchtung einer zunehmenden Krankheits- und Finanzierungslast in der alteren Bevolkerung verbunden (Medikalisierungsthese). Da flir die Inanspruchnahme gesundheitsbezogener Leistungen das Alter ein entscheidender Faktor ist, ist es flir die gesundheitliche Versorgung wichtig zu wissen, inwieweit die derzeitige und zukiinftige Lebenserwartung durch Krankheiten und Behinderungen tatsachlich belastet ist, und inwiefem Verbesserungen der Gesundheit im Alter moglich sind (Kompressionsthese). Anhand der Daten des Medicare Current Beneficiary Survey von 19921998 zeigen Lubitz et al. (2003), dass 70-Jahrige ohne gesundheitliche Einschrankungen mit 13,8 Jahren nicht nur eine langere Lebenserwartung haben, sondem diese auch zu 61% aktiv verbringen, wahrend Personen mit bestehenden Einschrankungen bei den Aktivitaten des taglichen Lebens nur zu 35% eine aktive verbleibende Restlebenserwartung von 11,6 Jahren haben. Bereits institutionalisierte Personen weisen die kiirzeste Rest-Lebenserwartung auf. Dabei liegen die Krankheitskosten flir die Rest-Lebenser20
wartung der 70-Jahrigen ohne fiinktionelle Einschrankungen trotz langerer Lebenszeit unter denen von Personen mit bereits vorhandenen gesundheitlichen Limitationen (136.000 US-$ vs. 145.000 US-$). Dies bedeutet, dass Pravention und Gesundheitsforderung im und fur das Alter zu einer Verbesserung der Gesundheit und langerer aktiv verbrachter Lebenserwartung fuhren kann, ohne das unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Gesundheitsausgaben steigen. Zur Entwicklung der behinderungsfreien Lebenserwartung liegen inzwischen auch Daten fiir Deutschland vor. Dinkel (1999) zeigt anhand von (subjektiven) Querschnittsdaten des Mikrozensus fur eine Lebensspanne von 17 Jahren eine Zunahme der aktiven Lebenserwartung im hoheren Alter. Klein und Unger (2002) analysieren Langsschnittdaten des Sozio-okonomischen Panel. Bei den betrachteten Kohorten der Jahrgange 1917, 1922 und 1927 zeigt ein absoluter und relativer Rtickgang der Jahre in Inaktivitat (d.h. der Einschrankungen der Aktivitaten des taglichen Lebens), der besonders bei den Mannem deutlich ausgepragt ist. Wahrend der Anteil inaktiver Lebenserwartung in der Geburtskohorte 1917 bei den 67-70-jahrigen Mannem 28,1% betragt, verringert er sich fur den Jahrgang 1922 auf 24,8% und fur den Jahrgang 1927 auf 21,4%). Auch tiber einen Kohortenvergleich des Alterssurveys kann eine geringere Anzahl berichteter Erkrankungen der spater Geborenen im Vergleich zu den nur sechs Jahre filiher Geborenen konstatiert werden (Deutsches Zentrum ftir Altersfragen 2005a). Insgesamt zeigt sich damit eine deutliche Verbesserung der Gesundheit bzw. der Anteile „gesunder" Jahre an der Gesamtlebenserwartung. Ursachen sind eine Optimierung der Lebensbedingungen sowie eine vermehrte Bildung der jiingeren Generationen. Dies geht einher mit einem verbesserten Gesundheitsverhalten wie vermehrter korperlicher Aktivitat sowie einem verminderten Ranch- und Alkoholkonsum (Schwartz, Walter 2003). Nach Baltes (1999) sind die heute 70-Jahrigen durchschnittlich um funf Jahre gesiinder als die 70-Jahrigen vor drei Jahrzehnten. Auch die Bundesregierung weist in ihrem Kommentar zum Dritten Altenbericht darauf hin, dass sich die Lebensbedingungen im „Dritten Lebensalter" hinsichtlich gesundheitlicher Verfassung, Qualifikation und materieller Absicherung deutlich verbessert haben (Deutscher Bundestag 2001). Aufgrund der beobachtbaren Verbesserungen der Gesimdheit der Alteren in den vergangenen Jahrzehnten halt der Praventionsforscher Fries (2000) ein Hinausschieben der Morbiditat um zehn Jahre fiir moglich. Amerikanische Hochrechnungen auf Basis von Daten der Framingham-Studie sowie des National Long Term Care Survey zeigen bei Fortschreibung der erreichten gesundheitsbezogenen Verbesserungen fur das Jahr 2070 eine weitere Reduktion der durch chronische Behinderungen beeintrachtigten Lebensjahre um die Halfte (Singer, Manton 1998). Dies setzt allerdings mittel- und langfristig erhebliche Anstrengungen der Pravention und GesundheitsfGrderung voraus. 21
Dabei kommt der Optimierung der Gesundheit der Bevolkerung insbesondere in der zweiten Lebenshalfte eine wichtige Bedeutung zu.
2.2
Gesundheitsforderndes Verhalten im Alter
Hinsichtlich der alteren Bevolkerung liegen in Deutschland nur vereinzelt Daten zum praventiven Verhalten vor. Dies gilt umso mehr fiir das hohere Alter, bei dem haufig keine Altersdifferenzierung erfolgt. Nach dem Bundesgesundheitssurvey (1998) nimmt der Anteil der Bevolkerung ohne sportliche Betatigung im Alter deutlich zu. Uber 50% (Manner) bzw. 60% der 60-69-Jahrigen und iiber 70% der 70-70-Jahrigen sind nicht regelmaBig korperlich aktiv. Damit erreichen weniger als 10% der iiber 60jahrigen Frauen und weniger als 15% der Manner die Empfehlung sich an mindestens drei Tagen in der Woche eine halbe Stunde korperlich zu betatigen (Mensink 2003). Bereits im mittleren Lebensalter haben relativ viele Personen eine geringe korperliche Fitness. So kommen iiber 50% der 50-59jahrigen Frauen und 30%) der gleichaltrigen Manner beim Treppensteigen iiber drei Stockwerke, einem groben Indikator fiir die korperliche Fitness, auBer Atem. Insgesamt ist die korperliche Aktivitat bei Personen mit niedrigerem soziookonomischen Status geringer (Riitten et al. 2005). Nach dem deutschen Alterssurvey (1996) geht die Abnahme der intensiven sportlichen Betatigung jedoch zugunsten vermehrter Spaziergange, von denen iiber 62,7% der 70-85-Jahrigen angeben diese taglich oder mehrmals in der Woche durchzufuhren. Allerdings geht auch jeder zehnte altere Mann und mehr als jede siebte altere Frau nie spazieren. Die korperliche Betatigung erfolgt dabei mit zunehmendem Alter alleine (70-85 Jahre: 45,1%)) (Kohli et al. 2000). Breuer (2005) weist anhand von Analysen des Sozio-okonomischen Panels 1985-2001 darauf hin, dass korperliche (In)Aktivitat auch von Kohortenund Periodeneffekten (z.B. PraventionsmaBnahmen, Propagierung bestimmter Altersnormen) bestimmt wird. Letztere konnen den Einfluss des Alters vollstandig oder teilweise kompensieren. So sind ftir die Inaktivitat von Frauen Kohorteneffekte der dominante Faktor, wahrend bei Mannem das Alter eine spezifische Rolle spielt. Die Bedeutung der Emahrung flir den Erhalt der Gesundheit ist den Alteren hinreichend bekannt. Dabei nimmt - wie bei anderen gesunderhaltenden MaBnahmen (Ausnahme: Sport und Gymnastik) - ihre Wahmehmung mit steigendem Alter zu. So geben fast 90% der 70 bis 79-Jahrigen an, sich gesund zu emahren und maBig oder keinen Alkohol zu konsumieren (Kunstmann 2005). Immer noch zu wenig beachtet wird jedoch auf eine ausreichende Fliissigkeitszufuhr (Walter, Schneider, Bisson 2006). 22
Deutliches tJbergewicht (Adipositas, BMI > 30 kg/m^) findet sich von alien Altersgruppen bei beiden Geschlechtem (1998) am haufigsten in der Altersgruppe der 60-69-Jahrigen, wobei der Anteil der Frauen mit 35,3% nicht nur deutlich hoher liegt als der der Manner (27,5%), sondem auch gegenliber der funften Lebensdekade um fast 10 Prozentpunkte zunimmt. Im hoheren Alter nimmt der Anteil der stark Ubergewichtigen ebenso wie die der Ubergewichtigen wieder ab. Einen BMI < 25 kg/m^ weisen gut ein Fiinftel aller 70-79-jahrigen Manner und ein Viertel aller gleichaltrigen Frauen auf (Bundesministerium fur Gesundheit 2001; Benecke, Vogel 2003). Daten des Mikrozensus (1999) zeigen, dass der Anteil der Rancher in der Altersgruppe 65+ mit 10,3%) im Vergleich zu anderen Altersgruppen mit Abstand am geringsten ist (Bundesministerium fiir Gesundheit 2001). Ein Indiz fur die Bereitschaft zur Pravention ist auch die Teilnahme an professionell angeboten MaBnahmen wie z.B. die individuellen Kursangebote der BCrankenkassen nach § 20 SGB V. Diese richten sich vor allem auf die Handlungsfelder Bewegung (64,7%), Emahrung (17,9%)), weniger auf Stress (16,9%)) und Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln (0,8%)). 60-jahrige und Altere, die insgesamt 26,4%) aller gesetzlich Krankenversicherten stellen, machen einen Anteil von 20,3% aller Kursteilnehmer aus. Dabei bevorzugen Altere eindeutig Bewegungsangebote, wahrend die Teilnahme an MaBnahmen zur Emahrung, Stress und Sucht im Vergleich zum mittleren Lebensalter deutlich abnimmt (Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbande der Krankenkassen 2005). Zur Pravention zahlt auch die Inanspruchnahme der u.a. fiir den Personenkreis der iiber 60-Jahrigen empfohlenen Grippeschutzimpfung. Daten aus dem Jahr 2003 zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Impfverhalten und Alter: Die Quote der Geimpften betragt in der Altersgruppe der 70-Jahrigen und alteren iiber 60%, wobei sich Manner dieser Altersgruppe haufiger impfen lieBen als Frauen. In alien jiingeren Altersgruppen hingegen zeigten sich die Frauen impffreudiger. Gegentiber dem Jahr 1999 hat die Impfquote insgesamt zugenommen (Wirth 2004).
2.3
Gesundheit und Krankheit im Alter
Mit dem Alter verandem sich wichtige physiologische Variablen. Diese fuhren zwar zu verminderten Kapazitats- und Leistungsreserven und erfordem somit eine Anpassung der taglichen Lebensaktivitaten, rufen aber an sich keine Symptome hervor (Resnick 1994). Dennoch werden nachlassende Herzfunktionen, adaptive Storungen des Kreislaufs, Abbauerscheinungen am
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Bewegungsapparat im Alter haufig als behandlungsbedtirftige Krankheit interpretiert (Sachverstandigenrat 1996).^ Insgesamt ist die zweite Lebenshalfte durch eine deutliche Zunahme an gesundheitlichen Beeintrachtigimgen, Behindenmgen und chronischen Krankheiten gekennzeichnet. Erleben noch zwei Drittel der 55-69-Jahrigen gesundheitliche Veranderungen nicht als Belastimg, fuhlen sich 45,1% der 70-85-Jahrigen dadurch bei der Bewaltigung alltaglicher Aufgaben beeintrachtigt (Kohli et al. 2000). Entsprechend nimmt der Hilfebedarf bei den Hochbetagten (80+) stark zu (Steinhagen-Thiessen, Borchelt 1996). Charakteristisch fiir das Alter ist die Multimorbiditat, d.h. das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Gesundheitsstorungen. Nach dem Alterssurvey berichten 56% der Altersgruppe der 70 bis 85-Jahrigen iiber das gleichzeitige Vorhandensein von zwei bis vier und 24% von ftinf und mehr Erkrankungen. In der Altersgruppe der 55 bis 69-Jahrigen weisen dagegen ein Viertel eine und 14% keine Erkrankung auf (Deutsches Zentrum fur Altersfragen 2005a). Ahnliche Angaben zeigen Praxisdaten (Giither 1998). Danach leiden 71% der 70-79-Jahrigen mindestens an drei chronischen Krankheiten. Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen insgesamt etwa die Halfte aller Todesfalle. Die wichtigsten Erkrankungen sind koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstorungen, arterielle Hypertonic und Schlaganfall. Aufgrund der schwerwiegenden flinktionellen Folgen (z.B. Lahmungen), fuhrt der Schlaganfall, der besonders im hoheren und hohen Alter auftritt, in 30-50% der Falle zu Behindenmgen und Pflegebedtirftigkeit. In wesentlich hoherem MaBe als das bloBe kalendarische Alter pragen Faktoren wie Multimorbiditat, Lebensweise sowie korperliche Fitness die kardiovaskulare Leistung (zusammenfassend Walter, Hager 2004). Eine typische „Alterskrankheit" ist die Demenz, hinter deren Syndrom sich verschiedene Formen verbergen (degenerative Demenz z.B. AlzheimerTyp, vaskulare Demenz, Mischformen, sekundare Demenz infolge anderer Erkrankungen wie z.B. Gehimtumor). Wahrend die Pravalenz bei den 60-65Jahrigen um 1% liegt, steigt sie bei den 90-95-Jahrigen auf 39%) an (Henderson 1998). Osteoporose, bedingt durch eine niedrige Knochenmasse sowie eine Stoning der Mikroarchitektur des BCnochengewebes, sowie die durch Osteoporose begiinstigten Schenkelhalsfrakturen stellen haufige Erkrankungen im Alter dar. Aufgrund einer geringeren maximal erreichbaren Knochenmasse sowie einer starkeren Abnahme der Knochenmasse wahrend der Menopause haben vor allem Frauen eine hohere Frakturgefahrdung. So ist z.B. die altersbedingte Reduktion der Knochendichte, der sog. Osteopenie, seit Jahrzehnten in der Medizin bekannt. Erst in den 1980er Jahren wurde sie als Osteoporose generell zur Kjankheit erklart und massenhaft zum Gegenstand von Diagnostik und Behandlung.
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Sturze sind ein haufiges Ereignis bei alten Menschen. Ca. 30% der liber 65-Jahrigen und ca. 50% der uber 80-Jahrigen stiirzen ein oder mehrere Male pro Jahr, wobei jeder Zehnte wegen eines Sturzes ein Krankenhaus aufsucht. In Risikogruppen (z.B. vorausgehende Sturze oder Demenz) bzw. in Krankenhausern und Altenheimen liegt das Sturzrisiko noch hoher. Die Verletzungswahrscheinlichkeit bei Stiirzen steigt mit dem Alter an. 5-10%) der Sturze fiihren zu Frakturen. Folgen sind haufig nicht nur anhaltende Schmerzen, Selbstbeschrankung, vermindertes Selbstwertgeftihl und Angst vor weiteren Stiirzen. Stiirze haben damit negative Folgen fur Mobilitat, Selbststandigkeit und Lebensqualitat (zusammenfassend Walter, Hager 2004). Kraft, Korperkontrolle und Gleichgewicht sind wichtige Faktoren flir die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts (Jadelis et al. 2001, Wolfson et al. 1994) und damit fur das Verhindern von Stiirzen. In ca. 10%) der Falle liegt dem Sturz eine Synkope zugrunde, deren Ursache geklart werden muss. Der bei weitem groBte Teil der Stiirze sind Stolperstiirze. Etwa 10%) der Stolperstiirze beruhen auf Umweltfaktoren (lose Teppiche, Telefonkabel usw.), die durch Wohnraumveranderungen vermieden werden konnen. Die Mehrheit der Stolperstiirze ist multifaktoriell bedingt. Wesentliche Risikofaktoren sind muskulare Schwache, friihere Stiirze und Gangstorungen (Authors of the Guideline for the prevention of falls in older persons 2001). Eine mit dem Alter zunehmende Gesundheitsstorung ist die Haminkontinenz, von der jeder Dritte iiber 65-Jahrige betroffen ist. Uber 65-jahrige Menschen leiden zumindest ebenso oft an Haminkontinenz wie an kardiovaskularen Erkrankungen. Ursachen sind u.a. altersbedingte Veranderungen wie der zunehmende Tonus der Hamblase bei gleichzeitig abnehmendem Fassungsvermogen, eine verminderte Hemmung des Miktionsreizes sowie Hamwegsinfekte. Da eine mangelnde KontroUe bei den meisten Patienten Scham und Angst auslosen, wird Inkontinenz anfanglich oft verheimlicht und flihrt zu einem Riickzug aus sozialen Beziigen. Ham- und Stuhlinkontinenz sind dariiber hinaus mit haufigerer Heimeinweisung und einer reduzierten Lebenserwartung assoziiert.
2.4
Leistungsinanspruchnahme und Kosten
Gesundheitsstorungen und Krankheiten spiegein sich auch in den gesundheitsbezogenen Leistungsinanspruchnahmedaten wieder. Neben den Daten der kassenarztlichen Vereinigung (KV) sind vor allem die sog. Routinedaten der Krankenkassen interessant. Hierzu zahlen u.a. Arbeitsunfahigkeit (AU), stationare Aufenthalte, Medikamente, Heil- und Hilfsmittel (Grobe, Tempel 2002, Swart, Ihle 2005). 25
Die ambulante Gesundheitsversorgung alterer und alter Menschen erfolgt zu groBen Teilen durch die Hausarzte. Uber 90% der im Alterssurvey befragten Personen aus der Altersgruppe zwischen 70 und 95 Jahre geht mindestens einmal im Jahr zum Hausarzt (Deutsches Zentrum fiir Altersfragen 2005a). Daten zur Morbiditat aus den Hausarztpraxen konnen somit einen guten Uberblick uber das Krankheitsspektrum der Zielgruppe geben. Nach Abrechnungsdaten von 60 hausarztlichen Praxen (Allgemeinmediziner und praktische Arzte) mit rund 75.000 Patienten als geschichtete Zufallsstichprobe aus dem KV-Bezirk Nordrhein betragt der Anteil der liber 60-Jahrigen ca. 35% aus. Rund 5P/o der gesamten Leistungen (Punktwerte) von Allgemeinmedizinem und praktischen Arzten entfallen auf die liber 60-Jahrigen. Die Anzahl der Arztkontakte nimmt mit dem Alter zu. Betragt sie bei den 60-69-Jahrigen 5,2 pro Quartal, steigt sie liber 6,2 bei den 70-70-Jahrigen auf 7,3 bei den 80Jahrigen und Alteren an (Walter, Schneider, Bisson 2006) Krankenkassendaten (GEK) zeigen deutlich ansteigende Arbeitsausfallzeiten in den hoheren Altersgruppen. So weisen berufstatige Manner ab dem 55. Lebensjahr im Vergleich zu den 30-34-Jahrigen einen 2,5fach erhohten Krankenstand auf. Dieser ist ausschlieBlich auf eine Zunahme der AU-Tage, nicht jedoch der AU-Falle zurlickzufiihren. Die langere Arbeitsunfahigkeit ist in den hoheren Altersgruppen mit einer vermehrten Inanspruchnahme von Krankengeldleistungen verbunden. Hauptursache stellen mit Abstand Rlickenschmerzen dar, gefolgt von depressiven Episoden und sonstigen Bandscheibenschaden. Rlickenschmerzen sind ebenfalls die haufigste Diagnose an alien AU-Tagen, an zweiter Stelle stehen Atemwegserkrankungen (Frauen) bzw. Verletzungen und Vergiftungen aufgrund auBerer Ursachen (Manner) (Grobe, Doming, Schwartz 2003). Die Zunahme der Arbeitsunfahigkeit im sechsten Lebensjahrzehnt zeigt insbesondere auch vor dem Hintergrund der Erhohung des Renteneintrittsalters die Notwendigkeit der betrieblichen Gesundheitsfbrderung auf, zumal sich das AusmaB der Arbeitsunfahigkeit deutlich zwischen den Berufsgruppen unterscheidet. Die Zunahme der Morbiditat im Alter verdeutlicht die Abbildung 2-1. Sie zeigt den Anteil an Personen, bei denen mindestens eine der Erkrankungen Koronare Herzkrankheit (KHK), Diabetes mellitus Typ II, Asthma bronchiale/COPD und/oder Brustkrebs diagnostiziert wurde oder die entsprechende Medikamente erhielten. Einen ahnlichen Verlauf weisen Daten zur gesundheitsbezogenen Leistungsinanspruchnahme (Krankenhaustage, Medikamente) auf Der leichte Rlickgang der Morbiditat bei den Hochbetagten fmdet sich bei zahlreichen Krankheiten und gesundheitsbezogenen Leistungsinanspruchnahme. Er wird sowohl auf eine Selektion zugunsten geslinderer Risiken zurlickgefuhrt, als auch auf eine veranderte Diagnostik und Therapie (Mills, Reilly 1983, Resnick, Marcantonio 1997).
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Abbildung 2-1: Versicherte einer Krankenkasse nach Altersgruppen und Geschlecht mit mindestens einer der Krankheiten koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus Typ II, Asthma/COPD Oder Brustkrebs im Jahr 2000 (Grobe, Doming, Schwartz 2002, S. 117)
Insgesamt steigen die Leistungsausgaben mit zunehmendem Alter an. Wahrend bis zur VoUendung des 20. Lebensjahres Versicherte durchschnittlich jahrlich Kosten von unter 500 € verursachen, liegt der Anteil nach dem 85. Lebensjahr bei 3.500 € (GEK Daten 2001). Die Leistungsausgaben werden wesentlich vom Todeszeitpunkt bestimmt. So betragen in alien Altersklassen die Ausgaben fur Uberlebende weniger als 3.000 €, wahrend sie bei Versterbenden durchschnittlich 15.000 € umfassen. Die hochsten Ausgaben im letzten Lebensjahr weist mit 16.000 € die Altersgruppe der 55-60-Jahrigen auf, wahrend sie in den sich anschlieBenden Lebensjahren wieder abnehmen und bei den iiber 90-Jahrigen nur noch 6.000 € betragen. Da verhaltnismaBig hohe Leistungsausgaben in zeitliche Nahe zum Todeszeitpunkt anfallen, sind spatere Lebensabschnitte insgesamt jedoch aufgrund der erhohten Sterblichkeit mit hoheren Ausgaben verbunden (Grobe, Doming, Schwartz 2003). Leistungen der Pflegeversicherung nehmen ca. 2 Mio. Personen (2001) in Deutschland in Anspruch, von denen (iber die Halfte mindestens 80 Jahre alt sind. 67,6% der 80-85-Jahrigen und 56,5% der 90-95-Jahrigen werden zu Hause versorgt (Deutscher Bundestag 2002, Abbildung 2-2). Ab dem 95. Lebensjahr gehen die Pflegequoten deutlich zuriick. Dieses auch bei der Morbiditat bekannte Phanomen wird sowohl durch eine Selektivitat hinsichtlich gu27
ter Risiken als auch eine statistische Untererfassung der Pflegefalle im hohen Alter erklart (Heigl 2002). Abbildung 2-2: Altersspezifische Pravalenz der Pflegebedurftigkeit nach SGB XI zum Jahresende 2001 (Statistisches Bundesamt 2003a, S. 10)
50,7% der ambulant Pflegebediirftigen erhielten Ende 2002 die Pflegestufe I, 36,3% die Pflegestufe II und 12,9% die Pflegestufe III (Bundesministerium fiir Gesundheit und Soziale Sicherung 2004, Drifter Bericht tiber die Entwicklung der Pflegeversicherung 2004). Nach dem Alterssurvey tibemehmen 15% der 55-69-jahrigen Frauen und 9 der Manner dieser Altersgruppe Aufgaben der Pflege, der Betreuung oder Hilfeleistungen fur andere Personen mit eingeschrankter Gesundheit. Im hoheren Alter verringert sich der Geschlechtsunterschied (70-85-Jahrige: 7% Manner, 10%) Frauen) (Deutsches Zentrum fiir Altersfragen 2005b).
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2.5
Ansatze der Pravention und Gesundheitsforderung
Der Pravention und Gesundheitsforderung werden mit ihren bislang unausgeschopften Potenzialen angesichts der demographisch und technologisch bedingten wachsenden Versorgungsbedarfe in Kuration, Rehabilitation und Pflege sowie mittel- und langfristiger Finanzierungsrisiken (der Sozialversicherungen) international (World Health Organization 1998, 2002, Fries 1997) und national (Sachverstandigenrat 2002a) eine zukunftsentscheidende Bedeutung zugeschrieben. Soil die Gesundheit der alteren Bevolkerung verbessert und damit im Sinne der Kompression der Morbiditat (Fries 1983) vorzeitige Behinderungs-, Krankheits- und Pflegelast vermindert bzw. um einige Jahre zum Lebensende hin hinausgeschoben werden, muss einerseits die Gesundheit vor dem Alter optimiert werden. Zum anderen ist eine gezielte Prevention und Gesundheitsforderung fur die Bevolkerungsgruppe der Alteren und Hochbetagten notig (Walter, Schwartz 2001, Kruse 2002). Die Pravention weit verbreiteter chronischer Beeintrachtigungen sowie das Hinausschieben physiologischer Alterungsprozesse mit hoher Plastizitat durch Ausnutzung organisch-physiologischer Reserven und Training der Funktionalitat (Baltes 1996) stellen damit zentrale Ansatzpunkte fur mehr zuklinftige Gesundheit, Unabhangigkeit und Mobilitat dar. Dies wird bislang leider nur unzureichend sowohl von der Wissenschaft als auch von der Gesellschaft und den in der Versorgungspraxis Tatigen zur Kenntnis genommen. Ftir die Pravention werden vor allem Potenziale in folgenden Feldem gesehen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen best. Krebserkrankungen Diabetes mellitus Typ II Osteoporose Atemwegserkrankungen best, psychische Erkrankungen Inkontinenz Mundgesundheit Infektionskrankheiten Unfalle Uberpriifiing von Mehrfach-Medikationen Vorbeugung von Pflegefehlem. Pravention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss ansetzen an einer gezielten Reduktion der weit verbreiteten und bekannten Risikofaktoren: Rauchen, korperliche Inaktivitat, ungesunde Emahrung, Hypertonie, Ubergewicht/Adi29
positas. Prinzipiell steht einer Pravention auch im hoheren Alter nichts entgegen. So kaiin auch bei 80-Jahrigen die kardiovaskulare Funktion optimiert bzw. durch ein Ausdauertraining aufrechterhalten werden (American College of Sports Medicine 1998). Insbesondere nach der Menopause ist die Kontrolle und Modifikation der Risikofaktoren immer wichtiger. Eine Pravention der Demenz ist derzeit nur fiir die vaskularen Demenzformen moglich und deckt sich mit der Pravention der Arteriosklerose. Intensive geistige Betatigung kann das Auftreten der Erkrankung nicht verhindem, verbessert aber das Ausgangsniveau und die Kompensationsstrategien der Betroffenen. Vermehrte korperliche Aktivitat im Alter kann durch die Reduktion von Blutfetten und erhohtem Blutdruck sowie durch eine vermehrte kardiovaskulare Fitness das Risiko einer vaskularen Demenz vermindem (Yaffe etal.2001). Eine Osteoporosepravention soUte spatestens in der Lebensmitte zunachst an den Lebensweisenfaktoren ansetzen, um einen Abbau der Knochensubstanz zu vermeiden bzw. die Knochenformation zu stimulieren. Hierzu zahlt z.B. eine ausreichende Calciumzufuhr. Auch bei hochbetagten Frauen (Durchschnittsalter 84 Jahre) fuhrt eine Calcium- und Vitamin D-Zufuhr zu einer Reduktion der Hiiftfrakturen (Chapuy et al. 1994). Bewegung ist fur den Erhalt der Knochensubstanz ebenso bedeutsam wie flir die Pravention von Osteoarthrose. Bewegung interveniert in den Teufelskreis der Osteoarthroseentwicklung, die zu Schmerzen, Muskelrlickbildung, Gelenkinstabilitat und damit zu einer Verschlechterung fuhrt (White, Wright, Hudson 1993). Dem entsprechend werden Interventionen wie Muskeltraining, Gleichgewichts- und Gangschulung eingesetzt. Als wirksam haben sich vor allem multifaktorielle Interventionen erwiesen (Gillespie et al. 2002). Bei ambulanten Patienten waren dies Gangschule und richtige Gehhilfsmittel, Uberprtifung und Veranderung der Medikation (vor allem der Psychopharmaka), Ubungsprogramme, Behandlung der orthostatischen Dysregulation, Wohnraumveranderungen sowie eine bessere kardiovaskulare Einstellung (Authors of the Guideline for the prevention of falls in older persons 2001). Bei Altenheimpatienten sind Ausbildung des Personals, Gehschule und richtiges Gehhilfsmittel, eine tjberprufung und Veranderung der Medikation, vor allem der Psychopharmaka, sinnvoll. Neben Krafttraining wurde auch die Schulung von Gleichgewicht und Koordination durch Tai Chi versucht. Tai Chi fuhrte in einer Studie zu einer deutlichen Reduktion des Sturzrisikos (Wolf et al. 1996, Walter, Hager 2004). Die Minderung des Risikos von proximalen Femurfrakturen bei Sturzen gelingt auch durch das Tragen von Htiftprotektoren. Mit ihnen kann die Frakturrate um bis tiber 50% gesenkt werden (Ekman et al. 1997). AUerdings wird die Wirksamkeit durch eine geringe Akzeptanz eingeschrankt (Meyer et al. 2003).
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Die Behandlung der Haminkontinenz kann auf mehreren Ebenen erfolgen. Es sind allgemeine MaBnahmen, Medikamente, Beckenbodentraining, Blasenklopftraining, Hilfsgriffe, Toiletten- oder Kontinenztraining, eine Hamableitung, Inkontinenzvorlagen und Operation denkbar. Andere Verfahren wie Biofeedback oder elektrische Stimulation des Beckenbodens sind zwar wirksam, jedoch noch wenig verbreitet (Niederstadt, Fischer 1996). Frauen profitieren unabhangig vom Alter oder der Art der Inkontinenz von einer Intervention (Tannenbaum et al. 2001). Die vorangehenden Ausfuhrungen zeigen bereits, dass eine zentrale Bedeutung zum Ausbau und Erhalt der Funktionsfahigkeit der korperlichen Aktivitat zukommt. Sie wird als der entscheidende Faktor angesehen, Alterungsprozessen im Gehim durch einen gesteigerte Durchblutung und Gehimstoffwechsel entgegenzuwirken. Die Anderung des Stoffwechsels vermindert aber nicht nur kognitive Verluste, sondem beeinflusst auch depressive Stimmungen und Schmerzempfindung positiv. Zudem vermindert eine moderate regelmaBige korperliche Bewegung bei Alteren Schlafstorungen (Singh, Clements, Fiatorone 1997, King et al. 1997, Yaffe et al. 2001, Hoffmann 2002). Inzwischen liegen zahlreiche Interventionsstudien zum Ausdauer- und Krafttraining bei Alteren vor, die die Wirksamkeit einer Prevention im Alter aufzeigen. Dabei konnen Altere aufgrund ihres niedrigen funktionellen Status und der hohen Inzidenz chronischer Krankheiten von alien Bevolkerungsgruppen am meisten profitieren (Jeschke, Zeilberger 2004, American College of Sports Medicine in the Robert Wood Foundation 2001). Eine prospektive vierjahrige japanische Kohortenstudie zeigt bei 40-79Jahrigen ohne funktionelle Beeintrachtigungen zu Beginn, dass sich die Krankheitskosten signifikant mit zunehmender korperlicher Bewegung (Walking) reduzieren. Dieser Effekt zeigt sich jedoch erst nach 1,5 Jahren Beobachtungsdauer und vergroBert sich im Laufe der Zeit. Nach vier Jahren differieren die kumulierten Kosten zwischen Personen, die weniger als eine Stunde/Tag gehen und Personen, die mindestens sich mindestens eine Stunde bewegen um 15% (Tsuji et al. 2003). Neben dem Einbezug der Sozialversicherungstrager und der Akteure auf kommunaler Ebene ist bei der Prevention im Alter auch die Einbindung der (Haus-)Arzte und Pflegekrafte erforderlich. Ein zentrales Instrument in der arztlichen Pravention stellt das geriatrische Assessment dar, mit dem z.B. sensorische Einschrankungen identifiziert und damit einer Kompensation bzw. Optimierung zuganglich gemacht werden konnen (Thomas, SteinhagenThiessen 2004). Auch wenn Altere prinzipiell einer Pravention zuganglich sind, so sollte besondere Aufmerksamkeit in sensiblen Lebensphasen bestehen. Dies gilt z.B. fiir den Ubergang vom Berufsleben in den „Ruhestand". So flihren z.B. stationare multidimensionale MaBnahmen (Bewegung, Emahrung, Entspan31
nung, psychosoziale Unterstutzung) zur Vorbereitung auf den Ruhestand, die Betroffenen gemeinsam mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin besuchen, langfristig zu einer verbesserten Gesundheit (Doming et al. 2002). Zur Starkung der Gesundheitspotenziale gehort auch die gesundheitsorientierte Unterstutzung zur angemessenen Bewaltigung schwerwiegender verlustgepragter Lebensereignisse. Hierzu zahlen nicht nur soziale Krisen, sondem auch der reflektierte Umgang mit sensorischen und motorischen EinbuBen im hoheren Alter und die Fahigkeit ihrer Kompensation. Beispiele sind die Sicherung angemessener Emahrung und Fltissigkeitszufuhr trotz GeschmackseinbuBen, nachlassendem Durstempfinden, haufig beeintrachtigter Kaufunktion und die Aufrechterhaltung einer angemessenen Korper- und Oralhygiene trotz motorischer Verluste, insbesondere auch der manuellen Geschicklichkeit und sensorischer Einschrankungen. Soziale Unterstiitzung, positive Erwartungen an die Zukunft und die Moglichkeit sich mit Gleichgesinnten auszutauschen sind dabei wesentliche Aspekte zur Forderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit. Die Gesundheitsfbrderung, die ausdrticklich in der Jakarta-Deklaration (WHO 1997) die Alteren als eine wichtige Zielgruppe defmiert, setzt vor allem an folgenden Ressourcen zur Starkung der Gesundheitspotenziale im Alter an: Forderung der Selbstsicherheit Training der Kognition und Mobilitat Bewaltigung von Lebenskrisen Reflektorischer Umgang mit EmbuBen und Forderung der Fahigkeit zur Kompensation soziale Unterstutzung Lebensmut Austausch mit Gleichgesinnten. Diese Aspekte spiegeln sich auch in ihrem Konzept des Active Ageing wider. 2.5.1 Active
Ageing
Die WHO (2002) geht entsprechend dem Konzept der Gesundheitsfbrderung liber das eher enger gefasste Verstandnis des gesunden Altems (healthy ageing) hinaus. Als strategischem Rahmen zur Bewaltigung der demographischen Entwicklung mit ihren gesellschaftlichen Folgen hat sie das Konzept des Aktiven Altems (Active Ageing) entwickelt. Active Ageing bezeichnet den Prozess zur Optimiemng der Chancen fur mehr Gesundheit, Partizipation und Sicherheit mit dem Ziel die Lebensqualitat altemder Menschen zu verbessem. 32
Die Abbildung 2-3 verdeutlicht die zahlreichen Faktoren, die das aktive Altem beeinflussen und groBtenteils einer Modifikation zuganglich sind. Abbildung 2-3: Determinanten des aktiven Alterns (erweitert nach World Health Organization 2002, S. 19)
Zu dem Gesundheitssystem zahlen adaquate Angebote in der Pravention und Gesundheitsforderung. Neben den oben aufgefuhrten MaBnahmen sind zudem Impfungen (Influenza, Pneumokokken) und Angebote im Bereich Mental Health zu nennen sowie Settingansatze im Lebensbereich der Alteren (z.B. Gemeinde) bzw. Hochbetagten (Senioren- und Pflegeheime). Diese und weitere Beispiele sind in dem vorliegenden Band gebiindelt. Wesentlich ist die Gewahrleistung eines bedarfsorientierten Angebots und einer Untersttitzung der Inanspruchnahme sowohl der praventiven und rehabilitativen als auch der kurativen Versorgung. Dabei sollten die bestehenden GenderUnterschiede beriicksichtigt werden (Rieder, Lohff 2004). Die Unterstutzung eines gesundheitsfordemden Verhaltens sollte in jeder Lebensphase erfolgen und ist keineswegs auf das jtingere Alter beschrankt. Personen mit wahmehmbaren Beeintrachtigungen sind durchaus und besonders einer Modifikation zuganglich. In den USA wird dieses Potenzial derzeit aufgegriffen, indem die korperliche Aktivitat der iiber 50-Jahrigen durch viel-
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faltige MaBnahmen gesteigert werden soil (The Robert Wood Foundation 2001). Auch wenn die genetische Veranlagung das Altem mitbestimmt, so wird die Entwicklung der verbreiteten chronischen Krankheiten zu mindestens 8090% vom Lebensstil und von der Exposition an Umweltbelastungen im Laufe des Lebens beeinflusst, womit sie prinzipiell einer Modifikation zuganglich sind (Willett 2002). Auch das Umfeld ist fiir das Altem wichtig. Hierzu zahlen u.a. eine barrierefreie Wohnung, sichere Wege und StraBen sowie eine hinreichende Infrastruktur im naheren Wohngebiet. Dariiber hinaus ist ein nicht unbedingt groBes, aber intaktes, soziales Netz bedeutend. Zum Erhalt und zur Forderung der vorhandenen Fahigkeiten ist eine Ubemahme gesellschaftlicher Funktionen (z.B. Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt) ebenso sinnvoll wie Angebote i.S. eines lebenslangen Lernens. So tragen z.B. Intemet-Kurse fur Altere auch zu ihrer Integration in die Gesellschaft bei. Das Verstandnis von Altem und der Integration der Alteren in die Gesellschaft wird wesentlich durch die jeweilige Kultur bestimmt. Hierzu zahlen Definitionen des Alters ebenso wie tJbertragung von Aufgaben und Rollenzuschreibung. Das jeweils vorherrschende Bild vom Altern und alten Menschen pragt auch die Wahmehmungs- und Beurteilungsschemata der Kompetenzen und Potenziale bzw. Probleme und Defizite der Alteren durch die Professionellen im Gesundheitswesen und damit auch ihr Versorgungshandeln (Weber et al. 1997, Baumgartl 1997). Die in dem vorliegenden Buch dargelegten Interviews mit Hausarzten und ambulanten Pflegekraften zeigen, dass ihre Erfahmngen im bemflichen und personlichen Bereich zu einem differenzierten Altersbild und zu einer verstarkten Auseinandersetzung mit dem Alter flihren. Auch wenn die Einstellungen dieser Professionellen zur Pravention und Gesundheitsfordemng zunachst positiv sind, weisen die Ergebnisse auf eine deutliche Diskrepanz in der Praxis hin, insbesondere bei alteren Alteren. 2.5.2 Ansdtze in Deutschland Bis Anfang des 21. Jahrhunderts wurde der Prevention und Gesundheitsfordemng bei nicht tibertragbaren chronischen Krankheiten im Alter in Deutschland kaum Bedeutung beigemessen. Vereinzelt wiesen Protagonisten bereits in den 1980er und 1990er Jahren auf ihre Relevanz und Potenziale hin (u.a. Baltes 1989, Schwartz 1991, Lehr 1993). Der Sachverstandigenrat (2002a) widmete sich in seinem Gutachten 2000/2001 ausflihrlich der Prevention, insbesondere auch den Moglichkeiten einer Prevention in der zweiten Lebenshalfte (ebenso Sachverstandigenrat 1996). Auch der Dritte Altenbericht griff das Thema Prevention und Gesund34
heitsfbrderung auf (Deutscher Bundestag 2001, Walter, Schwartz 2001). Im Zuge der „Wiederbelebung" der Pravention/Gesundheitsforderung in Deutschland und dem zumindest in der politischen Agenda definierten Ziel, sie zu einer „vierten Saule im Gesundheitswesen" auszubauen, erfuhr auch Prevention im Alter erstmals eine starkere politische Aufinerksamkeit. Informationen zu „Gesund altem" werden seit 2004 vom Bundesministerium flir Gesundheit und Soziale Sicherung (2004) als Broschtire vorgehalten. Ftinf Jahre zuvor wurden zum Weltgesundheitstag 1999 flir die Bevolkerung „RegelQ fur gesundes Alterwerden" entwickelt (www.gesund-imalter.de, Kruse 1999). Die Bundesregierung vergab eine Expertise zu Strategien der Pravention und Gesundheitsforderung im Alter (Kruse 2002). Unabhangig davon unterstutzt das Bundesministerium fiir Emahrung und Verbraucherschutz seit 2003 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft flir Emahrung (DGE) eine mehrjahrige Kampagne „Fit im Alter - gesund essen, besser leben". Der gemeinsam von der BertelsmannStiftung, der Bundeszentrale fur gesundheitliche Aufklarung und dem Bundesministerium flir Gesundheit und Soziale Sicherung seit 2004 verliehene Praventionspreis wurde 2005 zum Themenfeld „Gesund in der zweiten Lebenshalfte (SOplus) verliehen. Pramiert und nominiert wurden Interventionen zur Aktivierung, zur Forderung der korperlichen Aktivitat und zur Wohnraumanpassung. Zwei davon werden nachfolgend naher beschrieben. Ein 2005 durchgeflihrter Expertinnen- und Experten-Workshop griff erstmals seitens der Bundeszentrale flir gesundheitliche Aufklarung das Thema „Gesundes Alter" auf Bekraftigt wurde u.a. die Erfordemis eines nationalen Gesundheitszieles „gesundes Alter(n)" und einer nationalen Gesamtstrategie sowie die Definition und Identifikation von Zielgruppen und ihrer Erreichbarkeit. In diesem Zusammenhang ist auch zu klaren, inwieweit der Setting-Ansatz flir die Zielgruppe der Altere geeignet ist (Bundeszentrale flir gesundheitliche Aufklarung 2005). Im Deutschen Forum Pravention und Gesundheitsforderung wurde die Arbeitsgruppe „Gesund altem" mit einer Geschaftsstelle bei der Bundesvereinigung flir Gesundheit eingerichtet (www.gesund-im-alter.de). Die Zielgmppe der alteren Bevolkemng wurde damit neben Kindem und Jugendlichen sowie Gesundheitsfordemng im Betrieb als einer von drei Planungsschwerpunkten ausgewahlt. Gegenstand der konkreten Debatte ist u.a. die Einflihrung praventiver Hausbesuche, ggf zunachst als Modellversuch, nach skandinavischem und schweizerischem Vorbild mit einer gezielten, regelmaBigen aufsuchenden Beratung mit Assessment und Fordemng von Untersttitzungsangeboten, die nach intemationalen Studien bei noch gesunden tiber 70Jahrigen die Selbststandigkeit im Alter erhohen und (vorzeitigen) Pflegebedarf vermindem konnen. Allerdmgs sind die erforderlichen professionellen und strukturellen Rahmenbedingungen flir ein solches Programm in Deutsch35
land noch nicht gegeben (Niichtern 2003, Stuck et al. 2002, Robra et al. 2004). Praventive Hausbesuche untersucht auch ein Projekt der AOK Niedersachsen. Das Projekt ist eins von drei Studien - ,,Aktiv55plus" in Radevormwald, „Aktiv ins Alter" in Wien und „Gesund Alter werden" in Hannover - die gemeinsam mit der WHO in Deutschland und Osterreich durchgeflihrt wurden. Ziel ist es, in unterschiedlichen kommunalen Strukturen unter verschiedener Tragerschaft die Idee der aufsuchenden Aktivierung zu erproben (WHO Europa 2005). Im Hannoveraner Projekt, das von 2004-2006/7 durchgeftihrt und von der AOK Niedersachsen unterstiitzt wird, wird die Wirksamkeit eines standardisierten Assessments (STEP) auBerhalb der hausarztlichen Praxis tiberpriift. Bei nicht pflegebedtirftigen 68-79-jahrigen Versicherten werden fiinfbis sechsmalige aufsuchende Beratungen mit Assessment durchgeftihrt. Neben den Hausarzten werden speziell geschulte Fallberater eingesetzt (www.aok.de). Prinzipiell stieB das Programm bei den Versicherten auf Akzeptanz und Aufgeschlossenheit gegeniiber gesundheitsforderlichen MaBnahmen. Bine Analyse der Teilnehmer, Nicht-Teilnehmer und Abbrecher zeigt bei den Nicht-Teilnehmem eine geringere Selbstkompetenz und Eigenverantwortung sowie einen verminderten Glauben an die Wirksamkeit praventiven Handelns. Die Abbrecher litten mehr an ihren Krankheiten als die Teilnehmer und scheuten die Teihiahme auch aufgrund einer erwarteten Belastung Oder Verpflichtung (Theile 2005). Im Rahmen der EU-Studie „Disability Prevention" fuhrte die Hamburger Medizinisch-Geriatrische Klinik Albertinen Haus, ein Projekt zur Aktiven Gesundheitsfbrderung im Alter" durch. Nach einer telefonischen Anfrage erhielten die 60-jahrigen und alteren, nicht pflegebediirftigen (im Sinne der Pflegestufe I-III) Teibiehmer zwei im Abstand von sechs Monaten aufeinander aufbauende, halbtagige Beratungsveranstaltungen durch ein interdisziplinares Team oder altemativ Beratung im eigenen Zuhause. Dariiber hinaus erfolgten Hausbesuche mit einem geriatrischen Assessment. Eingebunden waren 14 Hausarztpraxen in einem zweimonatlichen geriatrischen Qualitatszirkel (Meier-Baumgartner, Dapp, Anders 2004, Meier-Baumgartner, Anders, Dapp 2005). Weder die Kranken- noch die Pflegekassen und Rentenversicherungen bieten derzeit systematisch gezielt PraventionsmaBnahmen flir Altere an. Bundesweit wurde bislang nur das Programm „gesund alt werden" von 12 Ersatzkassen (1992-1995) durchgeftihrt, bis der infolge des Gesundheitsstrukturgesetzes 1993 einsetzende Wettbewerb die daftir regionale Zusammenarbeit der Krankenkassen beendete. Zudem war vor tiber zehn Jahren die politische und fachliche Offentlichkeit noch nicht ausreichend ftir das Thema Altern und Pravention vorbereitet. In dem Projekt wurden bereits Anfang der 1990er Jahre Fragebogen zur gezielten Identifikation von Personen mit er36
hohten Risiken (z.B. fur Diabetes mellitus Typ II, Atemwegserkrankungen, Riickenbeschwerden, psychische Belastung pflegender Angehoriger) eingesetzt und Risikopersonen einer Intervention zugefuhrt wurden (Schwartz, Schwab 1993, Walter et al. 1996). Insgesamt erfolgt eine nationale, systematische zielgruppenorientierte Pravention und Gesundheitsforderung in Deutschland derzeit jedoch weder flir das mittlere Lebensalter noch fur Altere. Praventionsprogramme wie z.B. das Programm „Staying Healthy at 55+" der U.S.-Regierung bestehen derzeit nicht. Ebenso wenig gibt es eine kontinuierliche Forschung zur Pravention. Projekte zur Pravention im Alter werden nur vereinzelt gefordert (z.B. MeierBaumgartner, Dapp, Anders 2004, Hausarztstudie vom Bundesministerium flir Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Gleiches gilt flir Pravention und Pflege. Prinzipiell bietet Pravention bietet im Bereich Pflege zwei Ansatzpunkte: (1) Pravention vor der Pflege zur Vermeidung von Pflegebediirftigkeit und (2) Pravention in der Pflege zur weitgehenden Erhaltung und Forderung der Selbststandigkeit sowie zur Verhutung der Verschlimmerung der Pflegebediirftigkeit. Beide Bereiche sind in Deutschland vemachlassigt, bislang bestehen nur vereinzelt Modellprojekte. Hinzu kommt, dass die Einteilung in Pflegestufen selbst keinen Anreiz zur Verbesserung der Gesundheit fiir Betroffene oder deren Angehorige bietet.
2.6
Ausblick
Die zweite Lebenshalfte birgt groBe nicht ausgeschopfte Potenziale zur Optimierung der Gesundheit im Alter. Ihre Nutzung kann einen Beitrag dazu leisten die mit der demographischen Transition verbundene Herausforderung an die Gesamtgesellschaft und speziell des Gesundheitssystems zu bewaltigen. Voraussetzung ftir eine bundesweite Umsetzung ist ein deutliches Votum der Politik und die Forderung von Rahmenbedingungen, die ein gesundes Altem ermoglichen. Ebenso mtissen fuhrende Einrichtungen im Gesundheitswesen wie die Sozialversicherungstrager und weitere zahlreiche Akteure auf Landes- und kommunaler Ebene mehr als jetzt bereit sein in Pravention und Gesundheitsforderung im Alter zu investieren. Noch stehen strukturelle, rechtliche und personelle Barrieren einem starkeren Engagement entgegen. Nicht zuletzt milssen Wissensdefizite zur Pravention und Gesundheitsforderung im Alter bei politischen und fachlichen Entscheidungstragem sowie Leistungserbringem im Gesundheitswesen ausgeglichen werden. Internationale und erste nationale Erfahrungen zeigen, dass sich Investitionen in gesundes Altem lohnen. MaBnahmen zur Pravention und Gesundheitsforderung in der zweiten Lebenshalfte und speziell auch bei alteren Alte37
ren und Hochbetagten sind nicht nur realisierbar, sondem auch wirksam. Erste Ansatze deuten auf giinstige Kosten-Nutzen-Relationen hin. Die Chance einer verstarkten Realisiemng der Pravention im Alter birgt das Praventionsgesetz (Walter 2004). Mit dem vorgesehenen Einbezug der Pflegeversicherung soil diese erstmals verpflichtend in die Primarpravention eingebunden werden. Eine gemeinsam von den Kostentragem getragene Fond-Finanzierung lebensweltbezogenen MaBnahmen kann helfen, die derzeitig bestehenden Barrieren zwischen Leistungserbringem, Kostentragem und „Nutznie6em" der MaBnahmen zu mindem.
38
3
Alter - Definitionen und Bilder „ALTE MENSCHEN SIND JA NICHT ALLE GLEICH, WAHRSCHEINLICH SIND SIE DAS SOGAR NOCH WENIGER ALS IRGENDEINE ANDERE A L T E R S G R U P P E : DENN I H R L A N G E S L E B E N
HAT SIE ZU INDIVIDUALISTEN GEMACHT. EINES UNSERER AUGENBLICKLICHEN P R O B L E M E 1ST, DASS DIE G E S E L L S C H A F T SIGH WEIGERT, DAS ZU VERSTEHEN, UND ALLE ALTEN L E U T E N ALS ,GLEICH' BEHANDELT."
PINCUS (1992,8.56-57) Die Gesellschaft ist nicht altersblind, denn Alter ist eines der relevantesten Merkmale gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse (Kohli 1991). Zugleich ist alt ein Label fiir eine gesellschaftliche Gruppe, die als „lieterogenste Gruppe" (Hummel 1983) bezeichnet wird. Diese Heterogenitat des Alters grlindet sich auf mehrere Aspekte: Zum einen ist die Lebenserwartung gestiegen, so dass sich die Kategorie Alter mittlerweile auf eine Lebensspanne von 30 Jahren und mehr bezieht. Zum anderen haben gesellschaftliche Individualisierungsprozesse nicht vor der Altersphase halt gemacht (Schweppe 1998) und zu ihrer Ausdifferenzierung geftihrt. Die Verschiedenartigkeit des Alters ergibt sich aus den unterschiedlichen Biographien, Lebensbedingungen, Interessen, Bildungs- und Arbeitsverlaufen, sozialen Netzen sowie Kompetenzen alterer Menschen (Deutscher Bundestag 2001). Alten Menschen stehen gegenwartig erweiterte individuelle Gestaltungsmoglichkeiten ihres Lebens zur Verfiigung. Diese Moglichkeiten einer vielfaltigen Lebensgestaltung griinden sich auch auf eine Verbesserung der Lebenssituation im Alter. Diese ist gekennzeichnet durch gesicherte fmanzielle und materielle Ressourcen, vermehrte Gesundheit und eine hohere Bildung. Aufgrund der Heterogenitat der Gruppe alter Menschen und der Ausdifferenzierung dieser Lebensphase ist es schwierig. Alter zu defmieren. Wann ist jemand alt? Wie wird Alter defmiert? Welche Dimensionen werden beriicksichtigt? Diese Fragen sind auch fiir die Untersuchung von Altersbildem zentral. Altersbilder beinhalten allgemeine Vorstellungen tiber das Alter, zu erwartende Veranderungen im Altemsprozess und charakteristische Zuschreibungen an alte Menschen.
3.1
Definitionen von Alter: soziale Konstruktionen
In der Literatur wird einvemehmlich angenommen, dass Alter eine soziale Konstruktion ist (Filipp, Mayer 1999, S. 12). Dies bedeutet, dass die Kategorie Alter nicht nur physiologisch und psychologisch bestimmt ist, sondem sozial hergestellt, gesellschaftlich bedingt und veranderbar ist. Die soziale Konstruktion wird bei der historischen und kontextabhangigen Betrachtung von Alter erkennbar: Bis in das frtihe 20. Jahrhundert ist Alter „weitgehend gleichbedeutend mit Gebrechlichkeit gewesen, und es habe ein rein biologisch gepragtes Altersverstandnis vorgeherrscht" (Filipp, Mayer 1999, S. 12). Nach einer sozialpolitischen Definition wird Altsein haufig am Renteneintrittsalter festmacht. Danach beginnt Alter mit dem 65. Geburtstag. Die Unscharfen dieser Definition zeigen sich, wenn unterschiedliche Austrittsmoglichkeiten aus dem Berufsleben betrachtet werden: Ist der 50-jahrige Frtihrentner bereits alt? Wie wird der 75-jahrige Selbststandige wahrgenommen? Aber selbst fiir die Mehrheit der Bevolkerung steht diese Altersgrenze de facto nur auf dem Papier, denn das durchschnittliche Austrittsalter aus dem Erwerbsleben liegt 2003 fur Manner bei 60,8 Jahren und flir Frauen bei 61,4 Jahren. Vor dem Hintergrund der aktuellen Heraufsetzung des Renteneintrittsalters mtisste Alter zuktinftig erst bei 67 Jahren beginnen. Dagegen werden in der Arbeitswelt, so eine Ubersichtsstudie von Hansson et al. (1997), Arbeitnehmer bereits zwischen 41 und 50 Jahren als alter wahrgenommen. Gleichzeitig existieren Bereiche, in denen ein hoheres Alter eine Zugangsvoraussetzung ist: So kann sich z.B. nur jemand zum Bundesprasidenten wahlen lassen, der das 40. Lebensjahr vollendet hat (§ 54 Abs. 1 GO). Mit der gestiegenen Lebenserwartung, der verbesserten Lebenssituation und der Individualisierung erfolgt eine Differenzierung des Alters. In der Soziologie und Gerontologie wird versucht dieser Ausdifferenzierung Rechnung zu tragen, indem zwischen jungen und alten Alten sowie Hochbetagten unterschieden bzw. vom Dritten und Vierten Alter gesprochen wird. Die WHO versucht mit der folgenden Einteilung (Butz 2003), die Differenzierung im Alter zu fassen: 5 0 - 5 9 Jahre:
altemder Mensch
60 - 64 Jahre:
alterer Mensch
65 - 74 Jahre: wesentlicher Einschnitt in der Regressionsphase 75 - 89 Jahre:
alter Mensch
90 - 99 Jahre:
sehr alter Mensch
100 - 115 Jahre: Langlebiger. 40
Allerdings beriicksichtigt auch diese Aufleilung der Altersklassen keine qualitativen Kriterien, die die verschiedenen Dimensionen des Alters maBgeblich mitbestimmen. 3.1.1
Studien zur
Altersdefinition
In Studien zur Alterswahmehmung bezieht sich die Mehrheit der befragten AUgemeinbevolkerung meist auf das kalendarische Alter und gibt konkrete Zahlen an. Sie bestatigen die sozialpolitische Altersdefinition, indem Alter meist am gesetzlichen Renteneintrittsalter festgemacht wird (Babladelis 1987, fiir die Bundesrepublik Deutschland: Piel 1989; fur einen tJberblick: Filipp, Mayer 1999). Shanan und Kedar (1997) fanden in ihrer Studie eine Differenzierung in hoheres Erwachsenenalter und hohes Alter, die sich mit Diskussionen aus der Altersforschung deckt: Die Unterscheidung zwischen , jungen Alten" (ca. 60 bis 75 Jahre), „alten Alten" (ab 75 Jahre) und „Hoclibetagten" (ab ca. 85 Jahre). Filipp und Mayer (1999, S. 14) betonen, dass sich diese Altersgrenzen trotz gestiegener Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten wenig geandert haben. Andere Ergebnisse zeigen jedoch Studien, in denen alte Menschen selbst befragt werden. Der Beginn des Altseins wird von der betroffenen Altersgruppe selbst durchschnittlich mit 72 Jahren angegeben (Oswald 1991). Dieses Ergebnis weist auf einen wichtigen Befiind der Altersforschung hin: Die Diskrepanz zwischen dem objektiven Alter und dem subjektiven Alterserleben, die durchgangig konstatiert wird. Alte Menschen fiihlen sich meist jiinger als ihr kalendarisches Alter. In der Berliner Altersstudie, der ersten umfassenden Studie in Deutschland mit 70- bis 100-Jahrigen, lag die Abweichung bei 12 Jahren (Smith, Baltes 1996). Dieses Ergebnis wird noch deutlicher, wenn gefragt wird, ob sie sich alter oder jiinger im Vergleich zu Gleichaltrigen ftihlen: „0b Menschen sich selbst als alt bezeichnen, scheint offenbar mehr davon abzuhangen, wie gravierend die mit dem Alter einhergehenden Veranderungen (z.B. funktionelle Einbufien oder Einschrankungen des Aktionsradius) sind, als von ihrem tatsachlichen Alter." (Filipp, Mayer 1999, S. 17)
In den vorangegangenen Abschnitten standen der Btgnff Alter und seine Definition im Zentrum der Betrachtung. Der BQgnff Alter bezieht sich nach Baltes und Baltes (1992, S. 9) auf altere Menschen selbst, das Resultat des Altwerdens, das Alter als Lebensperiode und auf alte Menschen als Teil der Gesellschaft. Im Folgenden soil die Prozesshaftigkeit von Alter betrachtet werden, wobei naher auf den ^QgnffAltern und seine Dimensionen eingegangen wkd.
41
3.1.2
Dimensionen des Alterns
Das kalendarische Alter, das das Alter eines Menschen anhand seines Geburtsdatums bezeichnet und der sozialpolitischen Definition zugrunde liegt, ist fur Altern nicht alleine ausschlaggebend. Vielmehr wirken eine Vielzahl von biologischen, sozialen, okonomischen, okologischen und biographischen Faktoren auf den Prozess des Alterwerdens ein (Schwartz, Walter 2003). Sie bestimmen die korperliche, psychische/kognitive und soziale Verfassung des Individuums bis hin zur Ausgestaltung seiner Lebensweise mit. Biologisches Altern umfasst die Verringerung der biologischen Kapazitat und Funktionsttichtigkeit und damit eine verminderte Anpassungsfahigkeit an endogene und exogene Veranderungen. Physiologische Veranderungen im Alter sind durch Verluste wie beispielsweise Abnahme der Muskelmasse, Linsentrlibungen, EinbuBen des Hochtons, zunehmender Blutdruck gekennzeichnet (far einen ausfuhrlichen Uberblick s. Walter, Schwartz 2001). Der Beginn des biologischen Alterns und sein Fortschreiten ist individuell sehr unterschiedlich. Wichtig ist, dass das biologische Altern von pathologischen Prozessen unterschieden wird und Altemsprozesse aus praventivmedizinischer Sicht mit beeinflusst werden konnen (Rudinger, Kruse 2000, Erlemeier 1998). Veranderungen im Sinne des psychologischen/kognitiven Alterns beziehen sich auf die kognitiven Funktionen, z.B. Sinneswahmehmungen, Gedachtnis, Denken, auf Erfahrung und Wissen sowie subjektiv erlebte Anforderungen und Aufgaben des Lebens (Rudinger, Kruse 2000). Erlemeier (1998) beschreibt daniber hinaus noch Veranderungen der Personlichkeit, im Sinne eines Wandels der Einstellungen, Emotionen und des Selbstbildes. Die Dimension des psychologisch/kognitiven Alterns ist durch Starken und Verluste gepragt. Zu den Starken konnen beispielsweise zahlen Erfahrung, Wissen, die Fahigkeit, sich in der Zukunftsplanung auf die nahe Zukunft zu konzentrieren, die Erhaltung einer tragfahigen Lebensperspektive trotz gesundheitlich unsicherer Zukunft und des Bewusstseins (sehr) begrenzter Lebenszeit, die realisierte Wahmehmung eigener Handlungsmoglichkeiten und -grenzen sowie die zunehmende Akzeptanz der Endlichkeit des eigenen Lebens. Verluste existieren bezuglich der kognitiven Basisfunktionen. Soziales Altern beschreibt den Altemsprozess aus einer soziologischen Perspektive. Es umfasst Veranderungen der sozialen Positionen und Rollen, die Menschen in einer Gesellschaft einnehmen. Hierzu konnen z.B. die Aufnahme neuer ehrenamtlicher Aufgaben nach dem Erwerbsleben zahlen, aber auch die Ubemahme familiarer Verpflichtungen als GroBeltem oder pflegende Angehorige. Die Ausflihrungen zeigen, dass Altern als ein mehrdimensionaler Prozess begriffen werden muss, der Verluste und Starken beinhaltet (siehe Abbildung 3-1). Eine solche Betrachtung ermoglicht, Potenziale im Alter wahrzunehmen 42
und die Plastizitat bis ins hohe Alter zu erkennen und zu fordem (vgl. auch Rudinger, Kruse 2000 zu den Auswirkungen der Beriicksichtigung von Dimensionen des Alterungsprozesses auf Altersbilder). Dabei ist zu beachten, dass auf einen Menschen weder nur eine Dimension zutrifft, noch dass alle Dimensionen kongruent verlaufen. Abbildung 3-1: Starken und Verluste
Nachdem theoretisch betrachtet wurde, wann jemand alt ist und wie Alter defmiert wird, wird im Folgenden auf die Vorstellungen von Alter eingegangen.
3.2
Bilder im Kopf: Vorstellungen uber Alter und alte Menschen
Altersbilder sind - wie auch der Begriff Alter - sozial konstruiert und keine „objektive Gegebenheit" (Prisching 2003). Sie haben nicht nur eine beschreibende und erklarende Funktion, sondem sie sind auch wertend und normativ: „Altersbilder umfassen Ansichten von Gesundheit und Krankheit im Alter, Vorstellungen iiber Autonomie und Abhangigkeiten, Kompetenzen und Defizite, iiber Freiraume, Gelassenheit und Weisheit, aber auch Befurchtungen iiber materielle EinbuBen und Gedanken iiber Sterben und Tod." (Deutscher Bundestag 2001, S. 64)
Altersbilder bilden sich im Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft heraus. Einerseits pragen alte Menschen Altersbilder durch ihr Han43
deln. Andererseits beeinflussen Altersbilder auf gesellschaftlicher und individueller Ebene die Wahmehmung und Beurteilung von alteren Menschen, verbunden mit Erwartungen an den eigenen Altemsprozess. Nicht zuletzt beeinflusst die Wahmehmung Alterer z.B. durch Professionelle, ihre Wertschatzung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Alteren den Umgang mit der Lebensphase Alter. Welche Defmitionen, Vorstellungen und Bilder liber Alter existieren in der Gesellschaft? Ab wann gilt ein Mensch als alt? Welche Kriterien werden hierflir heran gezogen? Wie wird Alter subjektiv erlebt? Wie unterscheiden sich Altersbilder in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen? Welche Unterschiede bestehen zwischen verschiedenen Kulturen? Welche Altersbilder haben Professionelle? Dies sind nur einige Fragen, die von der Forschung liber Altersbilder aufgegriffen werden. Altersbilder lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen untersuchen: In der Vorurteils- und Stereotypenforschung werden die Meinungen und Einstellungen von Bevolkerungsgruppen zu der Lebensphase Alter analysiert. Prinzipiell werden zwei Typen von Altersbildem unterschieden: das generalisierte Altersbild, d.h. generelle Einstellungen zu alten Menschen allgemein und das personalisierte Altersbild, d.h. Einstellungen verschiedener Individuen Oder Bevolkerungsgruppen zu spezifischen oder personlich bekannten alten Menschen. Ausgehend von den Theorien zu Altersbildem werden im Folgenden das generalisierte bzw. personalisierte Altersbild in der Stereotypenforschung dargestellt, subjektive Theorien zu Alter und in einem weiteren Schritt Altersbilder von Arzten und Pflegekraften aufgezeigt. 3.2.1
Altersbilder - Hintergrunde, Theorieansdtze Ausprdgungen
und
Wahrend insbesondere friihere Studien ein negatives, von der Vorstellung eines psycho-physischen Abbaus und Verlustes gepragtes Altersbild zeigen, weisen jiingere Studien eher auf eine differenziertere Sichtweise hin (Lehr, Niederfranke 1991, zu einer kritischen Diskussion der Dominanz negativer Altersbilder s. Carls 1996, zu den positiven Folgen eines negativen Altersbildes vgl. Tews 1995). Gegen das negative Bild wurde in den 1970er Jahren das Bild der jungen Alten, der aktiven, kompetenten Senioren gesetzt (Gockenjan 2000). Auch der Dritte Altenbericht (Deutscher Bundestag 2001) widmet ein Kapitel dem Altersbild. Danach liegt in der Bevolkemng ein eher positives Altersbild vor, wahrend in verschiedenen Lebens-, Politik- und Wissenschaftsbereichen noch negativ getonte Altersbilder existieren. Aber auch in diesen Bereichen fmdet langsam eine Verandemng bei der Wahmehmung des
44
Alters statt^. Zur Unterstutzung dieser Entwicklung werden derzeit im Rahmen des Deutschen Forum Pravention und Gesundheitsforderung von der Arbeitsgruppe „Gesund altern" positive Botschaften zum Altem erarbeitet (www. fommpr ae vention. de). Zu gesellschaftlichen Altersbildem zahlen auch Altersbilder in den Medien. Die Medien - und hier besonders die Werbung - sind jugendorientiert und entdecken erst in den letzten Jahren das Alter als berichtenswertes Thema und Altere als Zielgruppe. Bezeichnenderweise wird medial in der Regel nur ein positives Bild vom Alter vermittelt: das der gesunden, aktiven, attraktiven und kaufkraftigen Senioren (Prahl, Schroeter 1996). Dieses Bild wird auch von dem gegenwartig zunehmenden Trend des Anti-Ageing aufgegriffen und flihrt wiederum zu einer verstarkten negativen Stereotypisierung gegentiber alten gesundheitlich eingeschrankten Menschen sowie zu einer medikalisierten Alterssicht (Kondratowitz 2003). Willems und Kautt (2002, S. 103) ermittelten in ihrer Studie tiber die werbliche Inszenierung von Alter(n) jedoch auch ein Altersbild, das Alter als Problem, Krankheit und Beschadigung darstellt und somit zur Schiirung von Angsten beitragt. Altem wird als Stigma dramatisiert (vgl. auch Tews 1995). Mit Zunahme der Lebenserwartung und einer damit einhergehenden Ausdifferenzierung in junge Alte und alte Alte verschiebt sich die Stigmatisierung auf die Hochbetagten, Schwerkranken und Sterbenden (Koch-Straube 1997). Dies fiihrt zu einer Polarisierung: Dem hilfe- und pflegebediirftigen, armen, einsamen, passiven und artikulationsunfahigen alten Menschen steht das neue Stereotyp vom ,neuen Alten' gegentiber, der zahlungskraftig, sozial integriert, aktiv und mobil ist. Diese Polarisierung des Altersbildes benennt auch Tews (1995) und sieht die Entwicklung hin zu einem eher positiv gefarbten Altersbild des jungen (bis 80 Jahren) und einem eher negativ gefarbten des alten Alters. Die fur die Bundesrepublik Deutschland representative Studie von Rudinger und Kruse (2000) untersucht Altersbilder der Bevolkerung. Es wurden 1.306 Personen im Alter zwischen 45 und 75 Jahren befragt. Der Fragebogen umfasst Items zum altersbezogenen Selbstkonzept, zu Stereotypen des Alters, zum personlichen Engagement und zum gesellschaftlichen Alter. Nach den Ergebnissen der Studie weist der groBere Teil der Stichprobe ein deutlich positiv akzentuiertes personliches und generalisiertes Altersbild auf. Die Autoren ermitteln vier zentrale Kategorien, die Alter in unserer Gesellschaft charakterisieren (Kruse 2003): 2
In der beschriebenen Entwicklung wird deutlich, dass sich ein Wandel der Altersbilder vollzogen hat. Baumgartl (1997) beschreibt einen Wandel des Altersbildes in der Altenhilfe von den 1950er bis fruhen 1990er Jahren. Eine ausfuhrliche diskursanalytische Darstellung der sozialen Reprasentationen des Alters und ihres Wandels vom 18. Jahrhundert bis in die frilhen 1990er Jahre findet sich bei von Kondratowitz (2002).
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Gewinne und Chancen im Alter Gewinne beinhalten die seelischen und geistigen Weiterentwicklungsmoglichkeiten von Menschen im Alter. Chancen umfassen die Moglichkeiten zu einer selbstverantwortlichen und erfullten Lebensfuhrung. Verluste undRisiken im Alter Verluste und Risiken im Alter beziehen sich auf die Abnahme der korperlichen und seelisch-geistigen Leistungsfahigkeit und die hohere Wahrscheinlichkeit von Erkrankung und sozialen Verlusten. Gesellschaftliche Anforderungen durch das Alter Diese Kategorie bezieht sich auf die Annahme, dass durch die zunehmende Zahl alter Menschen die Gerechtigkeit der Generationen gefahrdet ist, und neue Anforderungen an Familien, Nachbarschaft und Kommunen gestellt werden. Gesellschaftliche Abwertung des Alters In dieser Kategorie spiegelt sich die Annahme wieder, dass gesellschaftlicher Fortschritt durch alte Menschen eher behindert als gefordert wird. Alte Menschen werden somit eher als eine Belastung denn als eine Bereicherung flir die Gesellschaft gesehen. Diese Sichtweise kann zu Generationenkonflikten werden. 3.2.2
Vorurteils- und Stereotypenforschung: generalisiertes versus personalisiertes Altersbild
Der Beginn der Stereotypenforschung wird meist auf die Arbeiten von Lippmann (1922) zurtickgefuhrt, der unter Stereotyp die „pictures in our head" verstand. Vorurteils- und Stereotypenforschung haben eine lange Tradition in der Sozialpsychologie. Die Begriffe Vorurteil und Stereotyp sind nur schwer voneinander zu trennen. Sie beziehen sich beide - in Abgrenzung zum Einstellungsbegriff- auf soziale Gruppen. Vorurteile sind negative oder ablehnende Haltungen einer sozialen Gruppe oder ihrer Mitglieder gegentiber. Sie haben einen affektiven Bezug (Beispiel: „Osteuropaer nehmen uns die Arbeitsplatze weg"). Im Gegensatz dazu haben Stereotype eine kognitive Struktur und sind nicht zwangslaufig negativ (Beispiel: „Alle Italiener lieben Nudeln"). Stroebe und Insko (1989) definieren Stereotype als eine Gruppe von tFberzeugungen, die sich in der Regel auf personale Merkmale einer Gruppe von Menschen beziehen. Die Funktion von Stereotypen besteht in der kognitiven Entlastung und okonomischen Informationsverarbeitung (Filipp, Mayer 1999). Bereits vor Jahrzehnten zeigen Untersuchungen, dass Meinungen und Einstellungen zu Alter eine Vielzahl von Stereotypen und Vorurteilen beinhalten (z.B. Lehr 1972).
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Altersbilder sind jedoch nicht mit Stereotypen gleichzusetzen. Nur wenn sie einen mangelnden Differenziertheitsgrad aufweisen - ausschlieBlich negative, aber auch ausschlieBlich positive Aspekte des Alters betonend - wird von Stereotypen gesprochen. „Altersbilder sind hingegen nicht als ,soziale Stereotypen' zu verstehen, wenn in ihnen eine differenzierte, die moglichen Starken wie Verluste benicksichtigende Sicht vorherrscht." (Rudinger, Kruse 2000, S. 5)
Dabei beemflusst - wie bei vielen Vorurteilen - der Grad der Abstraktheit die Differenziertheit der Wahmehmung. So kann einerseits zwar die generelle Einstellung der Gesellschaft, das so genannte generalisierte Altersbild (McTavish 1971), eher negativ sein. Die Einstellung zu einer genau defmierten Bevolkerungsgruppe oder zu einer bestimmten Person, d.h. das personalisierte Altersbild, weist dagegen meist eine starkere Differenzierung mit insgesamt positiverer Konnotation auf. Tews (1991) stellt bereits Anfang der 1990er Jahre eine abnehmende Stereotypisierung des einseitig negativen Altersbildes fest. Seiner Ansicht nach nimmt das negative Altersbild durch die Differenzierung des Alters und die Verbesserung der Lebenssituation im Alter ab und wird positiver, neutraler, situativer und differenzierter. Er unterscheidet drei Dimensionen, die zur Entstehung und Auspragung des Altersbildes beitragen: (1) Wissen und Kenntnisse liber Alter und Altem, (2) eigene Erwartungen beziiglich des Alter(n)s und (3) eigene Erfahrungen mit alten Menschen. Kruse und Schmitt (2005) betonen ebenfalls, dass die Ergebnisse ihrer empirischen Studie gegen die These einer „altersfeindlichen" Gesellschaft sprechen, sondem Alter und Altem differenziert wahrgenommen wird. 3.2.3
Subjektive Theorien zu Alter
Altersbilder sind Teil subjektiver Theorien iiber das Alter(n). Ftir den Einzelnen sind sie fiir die Bewaltigung der an ihn gestellten Aufgaben und Anforderungen von Bedeutung. Der „Alltagsmensch" wird als Experte verstanden, der sich Gedanken tiber das Alter und den Altemsprozess - besonders auf sich bezogen - macht. Haufig fmden sich wissenschaftliche Konzeptionen von Alter in den alltagspsychologischen Vorstellungen von „Laien" (Filipp, Mayer 1999, S. 29). Subjektive Theorien sind den wissenschaftlichen Theorien ahnlich und leiten das alltagliche Handeln der Menschen. Sie sind defmiert als „Kognitionen der Selbst- und Weltsicht" (Scheele, Groeben 1988), die eine Argumentationsstruktur enthalten. Parallel zu den „objektiven" Theorien der Wissenschaft dienen die subjektiven Theorien ebenso zur Erklarung und Prognose menschlichen Handelns. Sie rekurrieren auf Alltagswissen, das zum einen aus personlichen Erfahrungen gewonnen wird, zum anderen aus tradiertem 47
Wissen besteht. Dieses Wissen ist groBtenteils implizit. Es kann in einer Forschungssituation expliziert werden, um eine subjektive Theorie zu entwickeln. Subjektive Theorien sind komplex, weil sie potenziell alles verfiigbare relevante Wissen einbeziehen (flir einen zusammenfassenden Uberblick s. Flick 1989). Zur subjektiven Betrachtung von Alter(n) liegen einige Studien vor: Keller et al. (1989) befragten 50-80-Jahrige, was Alter(n) fiir sie personlich bedeutet. Danach betrachten 33% der Befragten Altem als natUrlichen und graduell verlaufenden Prozess, gefolgt von 28%, die Altsein als Phase neuer Freiheiten und Interessen sowie reduzierter Pflichten verstehen. Altsein als Periode der Lebensbewertung, der philosophischen Reflexion, von Weisheit und Reife nannten 25%, Altem als Prozess zunehmender Sorge um die Gesundheit gaben 12%) an und 2% begreifen Altsein als Zeit personlicher und sozialer Verluste. Harris et al. (1989), die 60-92-Jahrige nach den besten und schlechtesten Aspekten des Alterwerdens befragten, ermittelten folgende Vor- und Nachteile: Zu den Vorteilen zahlen zunehmende Freiheit von beruflichen Verpflichtungen einhergehend mit mehr Freizeit, Unabhangigkeit und Gelegenheit zur Entspannung, Selbstakzeptanz sowie starkere Familienbezogenheit. Als Nachteile werden gesehen Verschlechterungen des Gesundheitszustandes, einhergehend mit Einschrankungen in gewohnten Aktivitaten und Angst vor Abhangigkeit, soziale Probleme wie Einsamkeit, abnehmende Gedachtnisleistung und fmanzielle Schwierigkeiten. Filipp und Mayer kommen in ihrer Literaturtibersicht zu dem zusammenfassenden Ergebnis: „Insgesamt lassen die Beflinde dazu, wie Altsein und der Altemsprozess gesehen werden, ein recht differenziertes und facettenreiches Bild erkennen. Als Vorztige des Altems resp. Altseins werden v. a. eine Zunahme von Freiheit und Freizeit hervorgehoben, verbunden mit Moglichkeiten der vermehrten Pflege sozialer Kontakte. Negative Aspekte des Altseins betreffen in erster Linie Verschlechterungen des Gesundheitszustandes und die damit verbundenen Einschrankungen in der Lebensgestaltung, die mit Furcht vor Abhangigkeit, Einsamkeit und Isolation verbunden sind." (Filipp,Mayerl999, S. 39)
Kruse, Schmitt und Wachter (2003) fuhren als wichtigsten Befrmd aus einer Studie von Schmitt an, dass „Altersbilder nicht auf eine evaluative Dimension reduzierbar sind, altere Menschen nicht als homogene Gruppe, Altemsprozesse nicht als undimensional wahrgenommen werden." (Schmitt 2000, zit. nach Kruse, Schmitt, Wachter 2003, S. 82)
Somit verschiebt sich nach den Autoren die Frage nach einem positiven versus negativen Altersbild hin zu der Frage nach der Dominanz spezifischer Prototypen. 48
In der vorliegenden Studie wurden Arzte und Pflegekrafte als „Alltagsmenschen" und somit als „Laien", zugleich aber auch als Professionelle und zwar als Vertreter von Berufsgruppen, die haufig Kontakt mit alteren Menschen haben - befragt. Im Folgenden werden daher berufsgruppenspezifische Altersbilder von Arzten und Pflegekraften vertieft dargestellt. 3.2.4
Altersbilder von Arzten und Pflegekraften
Altersbilder wurden bislang in zahlreichen Berufsgruppen untersucht, so auch bei Arzten (Brendebach, Piontkowski 1997) und Pflegekraften (Dunkel 1994, Reichert, Wahl 1992, Schmitz-Scherzer, Schick, Ktihn 1978). Altersbilder stehen explizit oder implizit hinter dem beruflichen Selbstverstandnis und den Zielvorstellungen, die von Professionellen im Gesundheitsbereich entwickelt und handlungsleitend wirksam werden. Sie sind von daher relevant, wenn eine angemessene problem- und patientenorientierte ambulante Versorgung neben kurativen Aspekten auch preventive und rehabilitative Anteile verwirklichen soil (Arnold, Helou, Schwartz 2000, Sachverstandigenrat 2002a,b). Angesichts der in der Praxis vorfmdbaren Defizite ist eine Reflexion der professionellen Altersbilder notwendig. Nach der intemationalen Literatur wurde lange Zeit ein negatives und tibergeneralisiertes Altersbild vermittelt (Filipp, Mayer 1999). Kruse und Schmitt (2005) fiihren an, dass die bis in die Gegenwart vielfach behauptete Dominanz eines negativen Altersbildes auch in der in Butlers einflussreichen Konzeptualisierung des ageism (1969) enthaltene These einer altersfeindlichen Gesellschaft begrlindet ist. Unter ageism werden altersbezogene Vorurteile und Diskriminierungen gegentiber alteren Menschen, soziale Diskriminierungen Alterer sowie institutionelle und politische Praktiken, die diese Stereotype bestatigen und aufi-echterhalten, verstanden. Die zunehmenden Publikationen zur Plastizitat im Alter scheinen in den vergangenen Jahren allerdings zu einer Abnahme des „professional ageism" geflihrt zu haben (Gatz, Pearson 1988). Die Forschungsergebnisse liber Altersbilder von Professionellen im Gesundheitswesen sind sehr heterogen. Nach Ott (1991) liegt bei Professionellen im Gesundheits- und Sozialbereich kein negatives Altersbild vor, vielmehr fmden sich neutrale bis positive Einstellungen zu Alteren. Filipp und Mayer (1999) kommen auf Basis ihrer Literaturrecherche zu dem Ergebnis, dass gesundheitsbezogene Berufsgruppen eine nicht weniger negative Einstellung gegentiber alteren Menschen haben als die Allgemeinbevolkerung. Interessant ist der Aspekt, dass das Wissen tiber das Alter in diesen Berufsgruppen nicht groBer ist als in der Bevolkerung (vgl. Filipp, Mayer 1999, S. 192). Kenntnisse liber das normale Altem, liber Krankheiten im Alter, personliche Praferenzen und personlich liberzeugende Rollenmodelle beglinsti49
gen bei Medizinern positive Altersbilder (Weber et al. 1997). Auch die berufliche Sozialisation (Reichert 1993) und der Ausbildungsgrad (SchmitzScherzer et al. 1978, Williams 1982, Chandler et al. 1986, Brendebach, Piontkowski 1997) pragen die Altersbilder entscheidend mit. Reichert und Wahl (1992) betonen den Einfluss von Wissen und Einstellungen von Pflegekraften auf die Wahmehmung und Deutung des Verhaltens Alterer sowie auf ihre Pflege. Allerdings zeigen Filipp und Mayer (1999) in ihrem Studientiberblick, dass ein intensiver Kontakt zu alten Menschen nicht zwangslaufig mit einem differenzierten und/oder positiven Altersbild einhergehen muss. 3.2.5
Altersbilder und stereotypgeleitetes
Verhalten
beiArzten
Brendebach und Piontkowski (1997) fanden differenzierte Einstellungen von Hausarzten in Bezug auf alte Patientinnen. Positiv wurden diese von der Qualitat des Arzt-Patientinnen-Kontaktes und einer geriatrischen Zusatzausbildung beeinflusst. Darliber hinaus waren personalisierte Einstellungen positiver als generalisierte (zur Kritik an ihrer Untersuchung vgl. Filipp, Mayer 1999, S. 195). Nach einer Studie von Greene, Adelman und Rizzo (1996) weist die Kommunikation zwischen Arzten und alteren Patienten verschiedene negative Trends auf. So beteiligen Arzte altere Patienten weniger an Entscheidungsprozessen und sind ihnen gegeniiber weniger geduldig, respektvoll und optimistisch. Coe (1981, zit. nach Weber et al. 1997, S. 18) zeigt „bei Arzten einen Zusammenhang auf zwischen positiver Einstellung zur Praventivmedizin, der Verordnung praventiver MaBnahmen auf der einen und gerontologischem Wissen und positiven Einstellungen zu alten Menschen auf der anderen Seite". Eine neuere deutsche Untersuchung (Henze et al. 2001) zeigt bei Hausarzten zwar eine tiberwiegend positive Einstellung zur Prevention bei Alteren auf, die sich jedoch mit hoherem Alter der Patienten andert. Es bestehen deutliche Vorbehalte gegeniiber einer ausschlieBlichen Arbeit mit alteren und insbesondere chronisch kranken Patienten (Weber et al. 1997). Einige Studien deuten darauf hin, dass sich die Diagnosestellung sowie die praventive und therapeutische Versorgung bei jtingeren und alteren Patienten unterscheiden (Mills, Reilly 1983, Resnick, Marcantonio 1997, Radebold et al. 1987). So kommt Becker (1994) in seiner Untersuchung im stationaren Bereich zu dem Ergebnis, dass bei alteren Patienten die Notwendigkeit und Moglichkeit von RehabilitationsmaBnahmen systematisch unterschatzt wurden. Nach einer Untersuchung in Allgemeinarztpraxen fmdet sich bei alteren Patienten vermehrt eine Bestatigungsdiagnostik wahrscheinlicher diagnostischer Hypothesen, wahrend an jtingeren Patienten haufiger Untersuchungen zur Ausschlussdiagnostik durchgefiihrt werden (Hoffmann 1989). Letztere dient der Abklarung wenig wahrscheinlicher Gesundheitsstorungen, 50
sie lasst sich als praventive Orientierung innerhalb kurativer Behandlungsstrategien interpretieren. Deutliche Unterschiede in Art und Umfang medizinischer MaBnahmen in der hausarztlichen Versorgung konnten fiir Deutschland in einer Studie mit 112 Beobachtungspraxen tiber einen Zeitraum von einem Jahr gezeigt werden (Schlaud et al. 2002). Sowohl bei Patienten mit akutem Oberbauchschmerz als auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder Koronarer Herzkrankheit ergaben sich bei den diagnostischen Strategien, beim tJberweisungsverhalten, bei der Medikation und den daraus abgeleiteten Kosten fiir diagnostische Leistungen und Medikamentenverordnungen deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Dabei ist ein Maximum arztlicher Bemtihungen im mittleren Alterssegment zu beobachten, wahrend bei den 90-Jahrigen und Alteren durchgehend die wenigsten Leistungen erbracht wurden. Auch die Dauer der Niederlassung hat einen Einfluss auf das Altersbild. Nach Maxwell und Sullivan (1980) verbessert sich dieses bei Primararzten mit zunehmender Niederlassungszeit. Relativ haufig wurde die Einstellung zu alteren Menschen und Alter bei Medizinstudenten untersucht. Adelman und Albert (1987) werteten die Literatur von 1975 bis 1987 aus und stellten sie in einem Ubersichtsartikel dar. Die Einstellung der Studenten war nicht generell negativ. Positivere Einstellungen waren zu fmden, wenn sie mehr tiber Altersfakten wussten, praktische Erfahrung im Umgang mit kranken und gesunden Alteren innerhalb des Studiums sammelten und die Absicht hatten, Praktischer Arzt zu werden. Auch Linn und Zeppa (1987) fanden positivere Einstellungen zu Alteren und deren Versorgung bei Medizinstudenten, wenn sie Geriatric bzw. „Familienmedizin" als Berufsperspektive nannten und tiber ein groBeres Wissen zum Altern verfiigten. 3.2.6
Altersbilder und stereotypgeleitetes bei Pflegekrdften
Verhalten
Im deutschsprachigen Raum liegen drei umfangreichere Studien zu Einstellungen von Pflegepersonal gegentiber alteren Menschen vor. In der Untersuchung eines Braunschweiger Altenheimes (Schmitz-Scherzer et al. 1978) zeigen 63% der Personalstichprobe einen tiberdurchschnittlichen Grad an Altersstereotypen. Dabei erwies sich der Ausbildungsstand des Personals als wichtige Einfluss variable. Ein schlechterer Ausbildungsstand geht mit vermehrten Liicken zum Alterswissen und einer defizitorientierten Einstellung einher (Reichert, Wahl 1992). Weber et al. (1997) fuhrten eine Studie mit ambulanten und stationaren Pflegefachkraften durch, wobei aus vorangegangenen qualitativen Interviews ein Episodenfragebogen entwickelt wurde. Im Ergebnis zeigt sich ein „doppeltes Altersbild" im Sinne von Tews (1995), 51
wobei neben negativen Bewertungen auch neutrale und positive Einstellungen zu finden sind. Dunkel (1994) zeigt in einer qualitative!! Studie mit Pflegekraften stationarer Einrichtungen, wie unterschiedliche Vorstellungen vom Alter und alten Menschen sich auf das jeweilige Pflegekonzept und Pflegehandeln auswirken. Dies kann sich letztlich auch in diskriminierender Weise den alten Menschen gegentiber auBem, ein Phanomen, das unter der Bezeichnung „ageism" immer wieder beschrieben wird (McGowan 1996). Auch das institutionelle Setting beeinflusst das Altersbild. So weisen Pflegekrafte in geriatrischen und rehabilitativen Einrichtungen positivere Einstellungen auf als Pflegekrafte in unspezifischen Einrichtungen (Weber et al. 1997). Eine positive Einstellung gegentiber Alteren sinkt mit dem Gesundheitszustand der Alteren. Dabei stellt eine hohe Selbstwirksamkeit der Pflegekrafte einen signifikanten Einflussfaktor bei der positiven Bewertung von gesunden, korperlich kranken und an Alzheimer erkrankten Alteren dar (Kercher et al. 1996). Ursachen fur ein negatives Altersbild bei Pflegekraften werden auch in einer Ausbildung gesehen, die gerontologische Inhalte vemachlassigt und die Medizintechnik stark betont (Stevens, Crouch 1995). Reichert und Wahl (1992) legen in ihrem Uberblick tiber die psychologischen Forschungsansatze und -ergebnisse in Alten- und Altenpflegeheimen in den achtziger Jahren auch die Ergebnisse der Einstellungsforschung dar. Bei insgesamt uneinheitlichen Ergebnissen tiberwiegen die negativen und neutralen Einstellungen gegentiber alteren Menschen. Mit Bezug auf Bagshaw und Adams zeigen sie, dass ein geringes MaB an Einfuhlungsvermogen, eine negative Einstellung zu alten Menschen und eine Orientierung in Richtung einer „verwahrenden" Pflege signifikant positiv miteinander korrelieren (Reichert, Wahl 1992, S. 89). Das Einfuhlungsvermogen nimmt mit zunehmender Berufserfahrung zu (Pennington, Pierce 1985). Kahan und Kiyak (1984) konstatieren, dass Pflegekrafte mit weniger stereotypen Einstellungen zu alten Menschen positivere Geftihle den Heimbewohnem entgegenbringen. Der Wunsch von Studierenden der Krankenpflege in den USA, spater ausschlieBlich mit alteren Menschen zu arbeiten, ist in einer Untersuchung von Williams, Lusk und Kline (1986) nur sehr gering ausgepragt. Auch Timko und Rodin (1985, zit. nach Reichert, Wahl 1992) fanden eine Bevorzugung der Arbeit mit noch ,rehabilitationsfahigen' Altenheimbewohnem.
3.3
Ausblick
Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass Alter in seiner Mehrdimensionalitat in den klassischen Altersdefmitionen kaum erfasst wird. Erst die Berlick52
sichtigung der verschiedenen Dimensionen des biologischen, psychisch/kognitiven und sozialen Altems ermoglicht die Wahrnehmung von Starken und Verlusten im Alter. Die damit einhergehende Differenzierung ist Voraussetzung fiir die Nutzung von Potenzialen im Alter. Die Altersbilder von Arzten und Pflegekraflen unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der Allgemeinbevolkerung. Der Umgang von Arzten und Pflegekraften mit alten Patienten lasst nicht auf eine negative Einstellung Oder ablehnende Haltung schlieBen. Jedoch wird hier stereotypgeleitetes Verhalten sichtbar, wenn alte Menschen z.B. generell als hilfebedtirftig betrachtet werden und die Forderung von Potenzialen vemachlassigt wird. Aus den theoretischen Uberlegungen dieses Kapitels lassen sich folgende Untersuchungsfragen ableiten: • • • • • • •
Welche Kriterien legen Arzte und Pflegkrafte zur Definition von Alter zugrunde? Inwieweit wird der gestiegenen Lebenserwartung Rechnung getragen, wenn sie auf eine kalendarische Definition zurlickgreifen? Inwieweit werden die unterschiedlichen Dimensionen des Altemsprozesses mit ihrer Gleichzeitigkeit von Starken und Verlusten wahrgenommen? Welche Altersbilder existieren bei den befragten Arzten und Pflegekraften? Wie wird Alter von ihnen charakterisiert? Lassen sich ausschlieBlich negative oder positive Altersbilder - also Stereotype - fmden, oder bestatigt sich der Beftmd, dass alte Menschen differenziert wahrgenommen werden? Wie stellt sich das Verhaltnis zwischen subjektiven Theorien der Befragten und professionellen Konzepten dar?
53
Soziale Reprasentationen und Episoden als empirische Zugange zu Altersbildern „ALTERN, DACHTE ICH, SEI ETWAS, DAS ALTEREN M E N S C H E N ZUST06T ... ICH GLAUBE, ICH WAR DER M E I N U N G , ALTERN SEI ETWAS, DAS MIT ANDEREN LEUTEN GESCHIEHT." B R E T T ( 2 0 0 1 , S . 11)
In diesem Kapitel wird der methodologische Rahmen der Untersuchung von Altersbildern in dieser Studie entfaltet, um daran anschlieBend ausgewahlte methodische Zugange der gerontologischen Forschung zu betrachten, die instruktiv fiir die Einordnung des hier gewahlten methodischen Vorgehens sind. Dieses wird im nachsten Schritt dargestellt, bevor abschlieBend die in die Untersuchung einbezogene Stichprobe charakterisiert wird.
4.1
Theoretischer Rahmen der vorliegenden Studie: Soziale Reprasentationen
Hinsichtlich der Konzeptualisierung von Wissensbestanden wie Altersbildern bzw. Gesundheitsvorstellungen orientiert sich die vorliegende Studie theoretisch am Ansatz der sozialen Reprasentationen (vgl. Flick 1995, Moscovici 2000). 1st fur eine Untersuchung die Annahme leitend, dass Altersbilder gruppenspezifisch ausgepragt sind bzw. sich in Abhangigkeit von der Zugehorigkeit zu sozialen Gruppen unterscheiden, bietet sich der Ansatz der sozialen Reprasentationen als theoretischer Ausgangspunkt an. Soziale Reprasentationen werden verstanden als: „Ein System von Werten, Ideen und Handlungsweisen mit zweifacher Funktion; erstens eine Ordnung zu schaffen, die Individuen in die Lage versetzt, sich in ihrer materiellen und sozialen Welt zu orientieren und sie zu meistem; und zweitens Kommunikation unter den Mitgliedem einer Gemeinschaft zu ermoglichen, indem es diesen einen Kode fur sozialen Austausch und einen Kode zur Benennung und zur eindeutigen Klassifikation der verschiedenen Aspekte ihrer Welt und ihrer individuellen Geschichte und der ihrer Gruppe liefert." (Moscovici 1973, S. xvii)
Soziale Reprasentationen beziehen sich auf bestimmte Objekte - z.B. den Computer (Flick 1996) - oder Phanomene - wie bestimmte Erkrankungen (z.B. AIDS, Diabetes - vgl. die Beitrage zu Flick 1998, 2002b, 2003 und Murray, Flick 2002) oder allgemeiner Gesundheit und Krankheit (vgl. Herzlich 1973, Flick et al. 2004) unter dem Blickwinkel ihrer sozialen Konstruktion. Von besonderem Interesse ist dabei die soziale Verteilung von bestimmten Vorstellungen tiber soziale Gruppen der Gesellschaft und die Frage, wie bestimmte Wissensquellen - z.B. wissenschaftliche Theorien und Diskurse vermittelt uber Medien - Vorstellungen im Alltag oder im beruflichen Handeln beeinflussen. Objekte oder Phanomene werden zum Gegenstand von sozialen Reprasentationen, wenn sie neu auftauchen und von den damit konfrontierten Personen gewissermaBen ,verarbeitet' werden mtissen. Damit ist gemeint, dass sie in die bestehenden Wissensbestande integriert werden mtissen - indem etwa neue Kategorien gebildet werden. Oder die bestehenden Wissensbestande mtissen so modifiziert werden, dass die neuen Objekte bzw. Phanomene darin ,Platz fmden'. Das Auftreten von AIDS hat zu einer Veranderung der sozialen Representation von Gesundheit und Krankheit geflihrt, der Einzug der Computer in den Alltag zu veranderten Vorstellungen tiber Technik, ihre Moglichkeiten und Gefahren (vgl. Flick 1996). Weiterhin werden Objekte und Phanomene zum Gegenstand von sozialen Reprasentationen, wenn sie selbst einem Wandel unterliegen oder neue Informationen auftauchen, die zu einem veranderten bzw. neuen Bild fiihren. „Alter" ist in diesem Sinne kein neuer Gegenstand, es gab schon seit Iangem soziale Reprasentationen des Alters. So gibt Kondratowitz (2002) unter einem eher historischen Blickwinkel einen Uberblick tiber soziale Reprasentationen des Alters in verschiedenen Epochen. Darin unterscheidet er acht Reprasentationen nach den zugrunde liegenden Dichotomisierungen, den jeweils zugrunde liegenden Aussagen, den jeweiligen Akzentuierungen innerhalb der Reprasentationen sowie die Prasenz von Sozialisationsagenturen bei der Verbreitung der jeweiligen Reprasentation und benennt die jeweiligen Zeitraume, in denen diese dominant waren. Die Dichotomien, die dabei benannt werden, sind haufig durch einen aktiven, gesunden Pol gekennzeichnet, der einem eher kranken und eingeschrankten Pol gegentibergestellt werden. So fmden sich Dichotomien wie „Rustiges vs. Gebrechliches Alter" (Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts) oder in derselben Periode „Normales vs. pathologisches Alter" oder „Aktives vs. pflegebedtirftiges Alter" (1970er Jahre). Die Gegentiberstellung „Junge Alte" vs. „Alte Alte" verortet sich in den 1980er Jahren, wahrend in den 1990er Jahren eher „autonomes" und „abhangiges" Alter gegentiber gestellt werden. Kondratowitz macht die soziale Reprasentation des Alters eher an Diskursen und Epochen fest, woflir der historisch-soziologische Blickwinkel seiner Studie der Grund sein dtirfte. In starker sozialpsychologischen Untersuchungen zu sozialen Reprasentationen ist eher die Annahme leitend, dass 56
sich subjektive Vorstellungen zu einem bestimmten Thema in sozialen Gruppen herausbilden, bzw. von der Zugehorigkeit zu einer sozialen (beispielsweise Berufs-)Gruppe beeinflusst sind. Ausgangspunkt fur die Entwicklung neuen Wissens sind dabei haufig wissenschaftliche oder politische Diskurse, die in die subjektiven Vorstellungen (von Laien oder Professionellen) einflieBen. Die Forschung zu diesem Ansatz zielt darauf, wie einerseits neues Wissen in bestehende Wissensbestande aufgenommen und darin integriert bzw. „verankert" wird und wie sich darliber bestehendes Wissen und entsprechende (Handlungs-)Orientierungen verandem. Andererseits interessiert sie sich daftir, woran solche neuen Konzepte festgemacht bzw. „objektiviert" werden. In unserem Kontext lasst sich dies folgendermaBen konkretisieren (vgl. auch Abbildung 4-1): Abbildung 4-1: Altersbilder im Kontext
Soziale Gerontologie und Gesundheitswissenschaften Medizin Rehabilitationswissenschaft Pflege
Sozialwissenschaften Soziologie Gesundheitpsycho logic Sozialmedizin New Public Health
Pravention Behandlung
Medien
Altersbilder als soziale Reprasentationen Handlungsweisen Lebensweisen Lebensstile Lebenswelten
Alltagswissen Definitionswissen Funktionswissen Reflexionswissen Folgewissen Alltag
57
Aus dem wissenschafllichen und sozial- bzw. gesundheitspolitischen Diskursen beispielsweise zu sozialer Gerontologie und New Public Health wird eine neue Relevanz der Themen Alter, Gesundheit, Gesundheitsforderung und Pravention deutlich und die Erwartung, diese Themen in das professionelle Handeb in Institutionen und Berufsgruppen des Gesundheitssystems (z.B. Arztpraxen, ambulante Pflegedienste) zu integrieren. Die entsprechenden Wissensbestande (beispielsweise die WHO-Defmitionen von Hochaltrigkeit Oder Gesundheit) werden als explizite oder implizite Wissensbestande - etwa in Form von Zielvorstellungen fur das eigene Handeln - in den bestehenden professionellen Wissensbestanden verankert. Sie bleiben jedoch nicht abstrakt, sondem werden an bestimmten Erfahrungen, Beispielen und Handlungsbereichen individuell konkretisiert, objektiviert und operationalisiert. Dies skizziert den Prozess, wie sich soziale Reprasentationen (von Alter und Gesundheit) im professionellen Handeln ausgelost durch (gesundheits-)wissenschaftliche und politische Diskurse entwickeln in idealtypischer Weise. Empirisch interessant wird dabei jedoch, wie dieser Prozess in der Praxis ablauft bzw. welche Auspragungen davon darin anzutreffen sind. Konkreter heiBt dies, empirisch wird relevant, in welcher Form (Auspragung, Selektion, Verkiirzung, Modifikation etc.) die entsprechenden Wissensbestande festzustellen sind und bei wem. Der Ansatz der sozialen Reprasentationen geht zwar davon aus, dass die Vorstellungen gruppenspezifisch entwickelt werden, d.h. dass die Zugehorigkeit beispielsweise zu einer Berufsgruppe das jeweilige Wissen beeinflusst. Das heiBt jedoch nicht, dass alle Mitglieder in dieser Gruppe beispielsweise tiber dasselbe Altersbild oder die gleiche Vorstellung von Gesundheit verfiigen mtissten. Interessant ist vielmehr auch die Binnenvariation der Vorstellungen in einer Gruppe. SchlieBlich heiBt dies auch nicht unbedingt, dass sich die Vorstellungen verschiedener Gruppen grundsatzlich oder eindeutig unterscheiden mlissen. Wenn Berufsgruppen mit ahnlichen Klientelen und Problemen arbeiten, werden sich Uberschneidungen hinsichtlich der Vorstellungen von Alter und Gesundheit in Bezug auf diese Klientele und Probleme erwarten lassen. Im Folgenden soil nun auf einige der verwendeten empirischen bzw. methodischen Zugange zu Altersbildem eingegangen werden, um das weiter oben skizzierte Forschungsinteresse und die in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten Forschungsfragen beantworten zu konnen.
4.2
Methoden der Analyse von Altersbildem
Die Analyse von Altersbildem lasst sich - als methodisches Problem - zunachst einmal im allgemeineren Kontext der Altersforschung und der Gerontologie verorten. Wie in Kapitel 3 ausgeflihrt, flieBen in Altersbilder auch 58
Vorstellungen tiber Gesundheit und Krankheit (im Alter), Vorstellungen zu Autonomie und Lebensflihrung bzw. -qualitat sowie tiber das Altem, Alterwerden und Altsein, im allgemeinen und auf das eigene Leben bezogen, ein. Damit ist mit dem Begriff Altersbild mehr gemeint als eine subjektive Definition von „alt" (vs. Jung" oder „nicht alt"), die jedoch auch einen wesentlichen Aspekt des komplexeren Konstrukts „Altersbild" darstellt. Im Folgenden soil kurz auf methodische Zugange in der Auseinandersetzung mit Phanomenen wie Altem, Altsein und Auseinandersetzung mit dem Altem von Menschen eingegangen werden, die (ftir diese Themen) in der Gerontologie verwendet bzw. diskutiert werden, bevor die methodischen Zugange behandelt werden, die in der vorliegenden Studie angewandt wurden. Mit ihren Fragestellungen lasst die vorliegende Studie sich im weiteren Kontext der Alter(n)sforschung verorten. 4.2.1
Methoden der
Alter(n)sforschung
Zunachst stellt sich die Frage, ob Alter(n)sforschung bzw. genereller die Gerontologie als Disziplin sich tiber ein spezifisches Methodenverstandnis bzw. eigene Methoden defmieren - wie es etwa die Psychologic und ihre Forschung lange Zeit tiber experimentelle Zugange getan haben. Oder ob sie sich als Anwendungsfeld empirischer Sozialforschung verstehen, auf das die Methoden einer Disziplin oder verschiedener Disziplinen angewendet werden. Interessanterweise kommt etwa das umfangliche Handbuch „Soziale Gerontologie" (Jansen et al. 1999) ohne ein eigenes Kapitel zu Forschungsmethoden aus. Motel-Klingebiel und Kelle (2002b, S. 8) umreiBen die Fragen, vor der die Methodenentwicklung in der sozialwissenschaftlichen Alter(n)sforschung generell im Moment steht, wie folgt: „Lassen sich die bewahrten Forschungsstrategien und Instrumente, die in der empirischen Sozialforschung der letzten 100 Jahre entwickelt und zu immer groBerer Verfeinerung gebracht worden sind, ohne weiteres auf den Gegenstandsbereich der Alter(n)ssoziologie tibertragen? Oder verlangt die Erforschung der sozialen Prozesse des Altersstrukturwandels eine spezielle Methodenexpertise und ein spezifisches Hintergrundwissen des Sozialforschers? Ist zur Erganzung oder als Bestandteil der Alter(n)ssoziologie eine eigene Methodologie der Alter(n)sforschung notwendig, die beispielsweise jenes Wissen zusammentragt und systematisiert, das die sozialwissenschaftliche Methodenforschung tiber altere Menschen als Teilnehmer an Befragungen erbringt?"
Wenn man den von diesen Autoren herausgegebenen Band (MotelKlingebiel, Kelle 2002a) zum Ausgangspunkt nimmt, so lassen sich verschiedene Beitrage ausmachen, in denen die Anwendung etablierter Methoden von der FalLrekonstruktion bis zur Surveyforschung, vom LeitfadenInterview zum Narrativen Interview in diesem Kontext diskutiert werden. 59
Grundsatzlich ist dabei zu unterscheiden zwischen der Forschung mit alten Menschen und der Forschung tiber alte Menschen bzw. das Alter. Kelle und Niggemann (2002) berichten tiber Probleme bei Leitfadeninterviews mit Heimbewohnem, Motel-Klingebiel und Gilberg (2002) tiber Fragen bei Surveys mit alten Menschen. Ftir die Analyse des Stellenwertes (und des Bildes) von Alter in der Gesellschaft sind gerade Befragungen aufschlussreich, die an Personen (oder Institutionen) ansetzen, die mit alten Menschen arbeiten oder generell ein fiir die Fragestellung der jeweiligen Untersuchung relevantes Bild von alten Menschen oder dem Alter haben. Auf die besonderen Probleme der Forschung mit alten Menschen soil hier nicht weiter eingegangen werden, da der Ansatz der vorliegenden Untersuchung ein anderer ist. Hier soil im Folgenden auf methodische Ansatze kurz eingegangen werden, die sich mit Altersbildem in der Offentlichkeit oder bei bestimmten (Berufs-)Gruppen beschaftigen und dabei Ankntipftmgspunkte zum hier gewahlten Vorgehen bieten. Dartiber soil ein methodologisches Feld skizziert werden, in dem sich die in diesem Buch vorgestellte Untersuchung methodisch verorten lasst. 4.2.2
Altersforschung
ah Feld angewandter
Sozialforschung
Kondratowitz (2000, S. 218) sieht einen „stille(n) Druck auf die akademische sozialwissenschaftliche Gerontologie, sich unter dem Druck der gesellschaftlichen Anforderungen (wieder) mehr und mehr als ,angewandt' zu defmieren", der sich noch intensivieren dtirfte. Entsprechend erwartet er fiir dieses Feld, dass „erneut die groBe Stunde der ,Praxisforschung' schlagen konnte" (ebenda). Ftir die in der vorliegenden Studie verfolgte Fragestellung der Altersbilder von Professionellen im Gesundheitswesen unter dem Fokus eines Orientierungswechsels zu Gesundheit und Gesundheitsforderung ist die folgende Beschreibung von Bedeutung: „Die Dynamik des produktiven Aushandelns und Abgleichens von Identitaten, aber auch der jeweiligen Grenzziehungs- und Abgrenzungsprozesse zwischen den Domanen der professionellen Selbstverstandigung machen hier so etwas moglich wie die Analyse des „Innenlebens" der Praxis, die entsteht, wenn mehrere professionelle Situationsdefmitionen aufeinander treffen und gewissermaBen wechselseitig neujustiert werden mtissen." (Kondratowitz 2000, S. 226)
Ubertragt man diesen Gedanken auf die In der vorliegende Untersuchung, so trifft bei den Arzten und Pflegekraften die professionelle Situationsdefmition, die sich an der Differenz „gesund/krank" festmacht (vgl. Luhmann 1993) auf die Situationsdefmitionen, die mit den sich differenzierenden Unterscheidungen zwischen ,jung" und „alt", oder „alt" und „hochaltrig" verkntipft sind. Das heiBt, hier ist eine Akzentverschiebung von der Situationsdefmition 60
„Krankheit als Handlungsanlass" zu einer starkeren Orientierung an Gesundheit verkniipft mit einem sich wandelnden Altersbild. Aus den sich wandelnden Situationsdefmitionen - mehr Orientierung an Gesundheit als an Krankheit, wachsender Anteil an alten und sehr alten Patienten in der eigenen Klientel - miissen die Arzte und Pflegekrafte ein in ihrer Praxis lebbares und anwendbares - adaquates - Altersbild entwickeln. Dieses in seinen Grundziigen freizulegen, ist der Ansatz dieser Untersuchung. Im Folgenden wird auf verschiedene Ansatze eingegangen, die versuchen, Altersbilder aus der Analyse komplexerer Einheiten der Darstellung bzw. des Verstandnisses herauszuarbeiten. Ansatze sind dabei Mediendarstellungen, Texte und Episoden. Aus der Auseinandersetzung mit diesen Ansatzen soil das methodische Vorgehen der hier vorgestellten abgeleitet bzw. begrtindet werden. 4.2.3
Analyse von Medien und ihrer Rezeption
Anhand einer haufig gesehenen Femseh-Dokumentation („Golden Oldies") haben Hodgetts, Chamberlain und Bassett (2003) in Neuseeland untersucht, wie tiber solche Medien und vor allem wie tiber ihre Rezeption Altersbilder in der Gesellschaft produziert und verandert werden. Dabei zeigen sie in einem Literaturtiberblick, dass die Erforschung der Altersbilder in den Medien (vgl. auch allgemeiner: Featherstone, Wemick 1995) ein Spannungsfeld zwischen alten Menschen als aktive und inaktive Personen und zwischen Alter als Krankheit, Abbau auf der einen Seite und Lebensperspektive (erfolgreiches Altern) auf der anderen Seite absteckt: „Depictions of the active elderly are used to represent a desired state of ,successful' ageing and independence whereas depictions of the inactive elderly are used to represent the undesired state of bodily decline and dependency." (Hodgetts et al. 2003, S. 253)
Die Autoren haben in ihrer Studie zunachst die Sendung selbst einer Inhaltsanalyse unterzogen. Neben der Analyse des filmischen Materials haben sie Focusgroups mit Zuschauem durchgefuhrt. Darin wurde u.a. das Dilemma bei den Teilnehmem deutlich zwischen dem individuellen Interesse an und dem Recht auf ein langes, selbstbestimmtes und gesundes Leben und der zunehmenden Belastung der Gesellschaft durch die Zunahme der alteren Bevolkerung. Zu ihrem Ansatz halten die Autoren abschlieBend fest: „We explore issues that emerge, when people attempt to make sense of dilemmas surrounding ageing in society that are mediate through television viewing. In interpreting the interaction of our participants with depictions of elderly people presented in Golden Oldies, we have shown how localized deliberations provide space for working through meanings and values associated with ageing." (Hodgetts et al. 2003, S. 267)
61
Fiir den in unserer Studie gewahlten Ansatz ist der Zugang von Hodgetts et al. in verschiedener Hinsicht interessant: Die Autoren zeigen, wie Altersbilder liber Medien vermittelt aber auch von den Rezipienten in der Interaktion mit den Darstellungen ausgehandelt werden. Uber solche Vermittlungen werden aber auch Veranderungen von Altersbildem transportiert. Medium der Vermittlung aber auch der Analyse durch die Forscher ist hier ein komplexes, narratives Geschehen - ein Dokumentarfilm, liber den Prozesse, Dilemmata und Bewertungen des Altseins empirisch zuganghch gemacht werden konnen. Die in den Analysen aufgezeigten Dilemmata und Veranderungen in Altersbildem beeinflussen nicht nur die Klientel der Professionellen, die mit einer altemden Gesellschaft und Klientel konfrontiert sind, sondem, so ist zu vermuten, auch das Altersbild der Professionellen selbst. Von daher erscheint es sinnvoll, im empirischen Zugang zu Altersbildem von Professionellen auch deren Konfrontation und Auseinandersetzung mit diesem Thema in ihrem eigenen, auBerbemflichen Alltag zum Gegenstand von Interviews zu machen. 4.2.4
Der Vignetten Ansatz
In einer kulturvergleichenden Studie in England und Deutschland zur Lebensqualitat alterer Menschen befragt Eyers (2002) Pflegekrafte unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Qualifikationsprofilen aus einer begrenzten Anzahl von Heimen in beiden Landem. Dabei verwendet Eyers als Methode der Datenerhebung eine Textvignette. „Eine Textvignette beschreibt in knapper und pragnanter Form eine dem Interviewpartner prinzipiell bekannte Alltagssituation und der Teilnehmer an der Studie wird gebeten, zu dem dargestellten Vorgang Stellung zu nehmen. In der Sozialgerontologie hat sich diese Methode als sehr hilfreich bei der Erhebung von Daten zu ,ensitive topics' erwiesen, wie sie etwa bei der Untersuchung von intergenerationellen Hilfebeziehungen angesprochen werden." (Eyers 2002, S. 260)
Damit werden den Untersuchungsteilnehmem fiktive Alltagssituationen vorgegeben, die dann den Vorteil haben, in alien Fallen vergleichbare Ausgangssituationen und Bezugspunkte aufzuweisen. Gegenstand der vergleichenden Analyse sind dann die (unterschiedlichen) Reaktionen und Interpretationen der Untersuchungsteilnehmer auf die vorgelegten Situationen. Bei der Konstmktion der entsprechenden Situation bzw. Vignette ist darauf zu achten, dass die Situation sich prinzipiell in jeder (vergleichbaren) Institution ereignen kann und auch so gehalten ist, dass auch Untersuchungsteilnehmer mit wenig (Bemfs-)Erfahrung die Situation bzw. Vignette ohne Schwierigkeiten verstehen konnen (vgl. Eyers 2002, S. 261). Die Vignette wurde den Interviewpartnern zunachst vorgelegt, und nachdem sie diese gelesen batten. 62
schloss sich ein halb-strukturiertes Interview an. Dabei wurden offene Fragen zu der Situation („Was wurden Sie dann tun?") und nicht gezielte bzw. spezifische Fragen, die die Aufmerksamkeit des Befragten auf ausgewahlte Aspekte lenken, gestellt. Die Auswertung erfolgt mittels des offenen Kodierens von Strauss (1991) bzw. Strauss und Corbin (1996). Zum Stellenwert ihrer Methode halt die Autorin zusammenfassend fest: „Der Einsatz von Textvignetten ermoglichte eine wenig reaktive Form der Datenerhebung, bei welcher Einblick genommen werden kann in die Einstellungen des Pflegepersonals gegeniiber jenen pflegebedtirftigen alten Menschen, deren Pflege ihre berufliche Aufgabe ist, ohne dass in die alltaglichen Arbeitsablaufe und die personlichen Interaktionen zwischen Pflegepersonal und Bewohnem einer Einrichtung der stationaren Langzeitpflege eingegriffen werden muss." (Eyers 2002, S. 269)
Ftir die Konzeption der hier vorgestellten Untersuchung wurde auf die Verwendung von Vignetten aus verschiedenen Grtinden verzichtet, Im Falle von Eyers war die an der Untersuchung teilnehmende Population auf eine Berufsgruppe (Pflegekrafte) beschrankt. Von daher war es eher moglich eine Situation bzw. Vignette zu konstruieren als es bei einer Untersuchung mit zwei Berufsgruppen der Fall ist. Hier ist die Gefahr gegeben, dass die Situation in der Vignette fiir eine der Gruppen ,typischer' bzw. vertrauter ware und die Vergleichbarkeit damit eingeschrankt ware. AuBerdem ist durch die Vorgabe einer Situation die Relevanz des Inhaltes fiir die berufliche Praxis der Interviewpartner weniger gegeben als wenn sie Situationen aus dem eigenen beruflichen Alltag erzahlen sollen. Trotzdem ist der Bezug zu Situationen als Mittel des Zugangs zu Erfahrungsweisen und Praktiken im Vorgehen von Eyers bemerkenswert fiir die Konzeption des hier vorgestellten Vorgehens. 4.2.5
Der Episoden
Ansatz
Einen anderen Weg gehen Weber et al. (1997) in ihrer Untersuchung von Altersbildem in der professionellen Altenpflege. Auch hier steht eine Berufsgruppe im Zentrum der Befragung - Mitarbeiter der ambulanten und stationaren Altenpflege. Ziel der Untersuchung ist u.a. die Ermittlung der subjektiven Alterstheorien der Befragten. Dabei orientieren sich die Autoren am Ansatz der sozialen Episoden von Forgas (u.a. 1976, 1979). Soziale Episoden sind dabei Interaktionen, die typisch fur bestimmte Gruppen, Milieus oder Kontexte sind und von alien Mitgliedem mehr oder weniger haufig absolviert werden mtissen (Weber et al. 1997, S. 86). Die Forschung interessiert sich dabei fiir die situationstibergreifenden Beurteilungsdimensionen bei der Wahmehmung und Bewertung sozialer Episoden. Forgas (1979) selbst geht bei seiner empirischen Auseinandersetzung mit sozialen Episoden in ftinf Schritten vor. (1) Sammlung von subjektiv bedeutsamen Episoden in einem 63
alltagsnahen Handlungsfeld durch Befragungen. (2) In weiteren Befragungen werden Beurteilungskategorien fur die Klassifizierung und Bewertung von Episoden mit Blick auf bestimmte Inhalte entwickelt. (3) Die Ordnung der Episodenbeurteilungen mittels multidimensionaler Skalierung schlieBt sich an. (4) Die Interpretation der Ergebnisse und Benennung von Faktoren oder Dimensionen und (5) die Entwicklung und Uberprtifung von Hypothesen liinsichtlich des Einflusses von Variablen auf die Bewertung von sozialen Episoden bilden den Abschluss. Ftir ihre Untersuchung formulieren Weber et al. (1997, S. 87) als Forschungsfragen u.a.: „LaBt sich ein fiir alle Professionellen konsenuelles Modell der subjektiven Akerstheorie identifizieren? Auf wieviele und welche relevanten Faktoren konnen die Beurteilungen der Befragten zuriickgefuhrt werden? Unterscheiden sich die Befragten hinsichdich der inhaltUchen Dimensionierung ihrer subjektiven Akerstheorie?"
Die anfangliche Sammlung von Episoden uber Befragungen fiihrt hier zu einer Dimensionierung und Reduktion der Episoden auf einen Kern von so genannten Sammelepisoden, die u.a. an der Haufigkeit ihrer Nennung orientiert ist und zur Entwicklung eines Episodenfragebogens fiihrt. Darin wird eine begrenzte Zahl von (17) Episoden vorgegeben und die Befragten werden gebeten, ihre Reaktion auf die Situation zu notieren und die Protagonistin der Episode, die Patientui (nur in einer Episode ist eui Patient genannt) anhand einer Polaritatenliste von Eigenschaften („semantisches Differential") zu bewerten. Dieser Fragebogen wurde zusammen mit einer Vielzahl anderer Fragebogen bei insgesamt 133 Pflegefachkraften eingesetzt. Uber Faktorenanalysen wurde dariiber die Differenziertheit der subjektiven Alterstheorien ermittelt, wobei sich zeigen lieB, dass rigidere Personwahmehmungen alterer Menschen sich bei Personen mit langerer Berufsdauer fmden. Je aktueller die Ausbildung andererseits noch ist, desto differenziertere Wahmehmungen der zu Pflegenden konnte festgestellt werden. Insgesamt betrachtet stellt die Studie eui weiteres Beispiel dafiir da, wie Episoden zur Ermittlung von Altersbildem eingesetzt werden. Sie ist jedoch davon gepragt, ein moglichst standardisiertes Vorgehen zu entwickeln und zu praktizieren, um dariiber das „konsensuelle Modell einer subjektiven Alterstheorie fiir alle Professionellen" zu identifizieren (Weber et al. 1997, S. 87). Durch die vielen methodischen Schritte, mit denen dieses standardisierte Vorgehen hervorgebracht wird, werden einerseits keine Situationen aus dem eigenen Berufsleben der Befragten mehr benutzt. Andererseits lasst sich dieses Vorgehen auch nur anwenden, wenn Untersuchungsteikiehmer ausschliei^lich aus einem Berufsfeld (hier Altenpflege) einbezogen werden. Der zugrundeliegende Ansatz von Forgas (1979) ist auch weniger dafiir konzipiert, die Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema in einer beruflichen Praxis zu untersuchen als dafiir, Reaktionsweisen von Menschen bei der Klassifikation vorgegebener Episoden zu analysieren. Die Episoden und ihre 64
Wahmehmung sind zumindest bei Forgas der eigentliche Gegenstand der Analyse und nicht empirisches Mittel zum Zweck um eine inhaltliche Fragestellung praxisnah zu beantworten. Aus diesem Grunde wird in der hier vorgestellten Untersuchung ein anderer Weg eingeschlagen, der zwar methodisch auf Episoden zurlickgreift, jedoch andere Ziele damit verfolgt.
4.3
Forschungsdesign der vorliegenden Studie
In der vorliegenden Studie wurden zwei relevante Gruppen von Professionellen des ambulanten medizinischen und pflegerischen Bereichs befragt, die unmittelbar an der gesundheitlichen Versorgung von Alteren beteiligt sind (siehe Abbildung 4-2). Studienteilnehmer sind fur den medizinischen Bereich niedergelassene Hausarzte (Arzte fiir Allgemeinmedizin, Praktische Arzte, hausarztlich tatige Intemisten) aus Berlin und Hannover. Um Erfahrungen in der Behandlung und der Begleitung des Alterwerdens der Patienten sowie eine routinemaBige Versorgungspraxis hinreichend zu erfassen, wurde als Auswahlkriterium eine Niederlassungszeit von mindestens funf Jahren gewahlt. Uber eine Einschrankung des Alters der Arzte auf 40 bis 50 Jahre sollte eine weitere Homogenisierung der Studienpopulation erreicht und zugleich noch gentigend Altersabstand zur thematischen Zielgruppe der Alteren ermoglicht werden. Fiir den pflegerischen Bereich wurden im ambulanten Bereich tatige Pflegekrafle ebenfalls in beiden Stadten befragt. Um in diesem sich rasch verandemden Feld annahemd Pflegeroutine fokussieren zu konnen und um eine weitestgehende Homogenisierung dieser Teilstudienpopulation mit hinreichender Berufserfahrung zu gewahrleisten, sollten die am alteren Patienten tatigen Pflegekrafte eine dreijahrige Krankenpflegeausbildung haben^ und mindestens seit drei Jahren in der ambulanten Pflege moglichst vollbeschaftigt sein. Eine Validierung der Daten erfolgte liber berufsgruppenbezogene Focusgroups, die stadt- und berufsbezogen mit den beteiligten Arzten und Pflegekraften durchgefiihrt wurden. Sie dienten gleichzeitig der Rtickmeldung der Ergebnisse an die beteiligten Arzte und Pflegekrafte in den beiden Studienregionen (s. Kapitel 10). ^ Im ambulanten Bereich arbeiten bis zu 43 % examinierte Krankenpflegekrafte und nur 10 % examinierte Altenpflegekrafte (Gerste, Rehbein 1998). Der Anteil der examinierten Altenpflegekrafte hat sich nach dem Dritten Bericht liber die Entwicklung der Pflegeversicherung (Bundesministerium fur Gesundheit und Soziale Sicherung 2004) auf fast 15 % erhoht. Um die Versorgungspraxis besser erfassen zu konnen, sollten daher examinierte Krankenpflegekrafte interviewt werden.
65
Abbildung 4-2: Studiendesign
Analyse von Fachzeitschriften und Ausbildungsangeboten
Altersbilder von Professionellen im Gesundheitswesen
Ambulanter medizinischer Bereich
Ambulanter pflegerischer Bereich
Hausdrzte
Pflegekrdfte
Manner und Frauen
Manner und Frauen
Berlin und Hannover
Berlin und Hannover
Methoden N = 32 episodische Interviews; Focusgroups
Methoden N = 32 episodische Interviews; Focusgroups
Spezifika der Konzepte, Perzeption des Versorgungsbedarfs, Ansatzpunkte fur altersgerechte Versorgung
Erganzend wurden Dokumentenanalysen durchgefuhrt, in die Materialien zur Aus-, Fort- und Weiterbildung dieser beiden Berufsgruppen einbezogen wurden (s. Kapitel 11) sowie eine Fachzeitschriftenanalyse zu den Themen Gesundheit, Pravention und Gesundheitsforderung in ausgewahlten Pflege- und Arztezeitschriften (s. Kapitel 12).
66
4.4
4.4.1
Die methodischen Zugange der Studie
Erhebung von subjektiven Altersbildern mit episodischen Interviews
Die Erhebung der Altersbilder erfolgte in der vorliegenden Studie mit Hilfe von episodischen Interviews. Ftir die Interviews wurde ein Leitfaden entwickelt, der Ende 2001 einem Pretest unterzogen wurde. Die Interviewfuhrung wurde in einem videogesttitzten Interviewtraining vorbereitet und mit den Interviewem abgestimmt. Ebenso wurden der methodisch notwendige Dokumentationsbogen und eine Datenschutzerklarung entwickelt. Ein Ausgangspunkt fur das episodische Interview (vgl. FHck 2000b, 2004) ist die Annahme, dass Erfahrungen der Subjekte hinsichtlich eines bestimmten Gegenstandsbereichs in Form narrativ-episodischen Wissens und in Form semantischen Wissens abgespeichert und erinnert werden. Wahrend die erste Form erfahrungsnah sowie bezogen auf konkrete Situationen und Umstande organisiert ist, enthalt die zweite Form des Wissens abstrahierte, verallgemeinerte Annahmen und Zusammenhange. Im ersten Fall stellt der Ablauf der Situation in ihrem Kontext die zentrale Einheit dar, um die herum Wissen organisiert ist. Im zweiten Fall sind Begriffe und ihre Beziehungen untereinander die zentralen Einheiten. Um beide Bestandteile des Wissens liber einen Gegenstandsbereich zu erfassen, wurde ein Verfahren konzipiert, das narrativ-episodisches Wissen tiber Erzahlungen erhebt und analysiert, semantisches Wissen dagegen in konkret-zielgerichteten Fragen zuganglich macht (siehe Abbildung 4-3). Hier geht es jedoch weniger darum anhand vorgegebener Episoden bestimmte Handlungs- und Reaktionsmuster mehr oder minder standardisiert zu erheben. Dies wird etwa von Weber et al. (1997) oder von Eyers (2002) angestrebt oder auch in der „critical incident technique" (Flanagan 1954). Vielmehr ist das Ziel, anhand von selbst erlebten Episoden, die der Interviewpartner auswahlt und prasentiert, sein Verstandnis und seine Erfahrungen zum Gegenstand des Interviews zu machen. Es geht auch nicht um ein zeitokonomisches „Springen" zwischen den Datensorten „Erzahlung" und „Antwort", sondem die systematische Verknlipfiing der Ausschnitte des Wissens, die sie jeweils zuganglich machen. Das episodische Interview gibt Raum fiir kontextbezogene Darstellungen in Form von Erzahlungen, da diese einerseits im Vergleich zu anderen Darstellungsformen Erfahrungen und ihren Entstehungskontext unmittelbarer enthalten. Andererseits verdeutlichen sie die Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion bei den Befragten eher als andere Annaherungen, die auf abstrakte Begriffe und Antworten im engeren Sinne abzielen. Im episodischen Interview wird jedoch nicht der Versuch untemommen, 67
Erfahrungen ktinstlich zu einem „erzahlbaren Ganzen" zu stilisieren, da es an episodisch-situativen Formen des Erfahrungswissens ansetzt. Abbildung 4-3: Wissensformen im episodischen Interview
Semantisches Wissen Oberbegriff
Oberbegriff Begriff
Situation 1
Begriff Begriff
argumentativtheoretische Darstellung
Situation 2 Situation 3
^Episodisches^ Interview
Erzahlende Darstellung
Episodisches Wissen
Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit im Interview auf Situationen bzw. Episoden, in denen der Interviewpartner Erfahrungen gemacht hat, die fiir die Fragestellung der Untersuchung relevant erscheinen. Sowohl die Darstellungsform (Beschreibung oder Erzahlung) der entsprechenden Situation als auch die Auswahl von Situationen kann weitgehend vom Interviewpartner nach Gesichtspunkten subjektiver Relevanz gestaltet werden. Ziel des episodischen Interviews ist, bereichsbezogen zu ermoglichen, Erfahrungen in allgemeinerer, vergleichender etc. Form darzustellen und gleichzeitig die entsprechenden Situationen und Episoden zu erzahlen. Dabei wird die Erzahlkompetenz der Interviewpartner genutzt, ohne auf Zugzwange zu setzen (Flick 2000b). Leitend flir die Struktur und Ausrichtung der Fragen des Interviewleitfadens sind sowohl die Forschungsfragestellungen des Projektes als auch die methodischen Grundsatze des episodischen Interviews.
68
4.4.2
Inhaltsstruktur
des
Interviewleitfadens
Der Interviewleitfaden unterteilt sich in drei groBe Fragenkomplexe: • • •
Fragen und ErzahlanstoBe zum Altersbild, Fragen und ErzahlanstoBe zum Gesundheitskonzept und Fragen und ErzahlanstoBe zur Verknilpfling beider Konzepte.
Der Fragenkomplex zum Altersbild umspannt funf Fragen. Hier werden zunachst das Konzept der Arzte und Pflegekrafte zum Alter und hohen Alter und seine Bedeutung fur das berufliche Handehi betrachtet. Die Assoziationen der Professionellen ermoglichen Aussagen zur Wahmehmung, zur Interpretation und zum Stellenwert des Alters generell. Auch konnen mogliche Differenzen zwischen personlichen und professionellen Alterskonzepten herausgearbeitet werden durch den Vergleich der Antworten auf verschiedene Fragen. Da davon auszugehen ist, dass die zunehmende Erfahrung mit dem Alter durch die medizinische bzw. pflegerische Versorgung alter Menschen und das Alterskonzept miteinander in Wechselwirkung stehen, wurde eine Frage zu Veranderungen des Alterskonzeptes wahrend des Berufslebens aufgenommen. Die Frage nach der Kategorisierung von Menschen als „alt" vertieft die Aussagen zum zugrundeliegenden Alterskonzept. Die Beantwortung dieser Frage gibt einen Hinweis auf die Art und den Stellenwert von z.B. chronologischen, physiologischen und sozialen Merkmalen. Der zweite Fragenkomplex zum Gesundheitskonzept beinhaltet Fragen, die auf das subjektive Konzept der Arzte und Pflegekrafte zur Gesundheit und ihre Relevanz flir die professionelle Arbeit abzielen und darauf bezogene ErzahlanstoBe. Aufschlussreich werden zum einen die konkret erzahlten Situationen, aber auch die Selektion aus der Vielzahl moglicher Situationsbeschreibungen sein, da sie verdeutlichen, aufgrund welcher Ereignisse Gesundheitsvorstellungen entstanden bzw. verandert wurden. Zwei Fragen gehen davon aus, dass Gesundheitsvorstellungen und auch der Umgang mit Gesundheit sich im Laufe des Lebens durch bestimmte private (z.B. Krankheitserfahrungen) oder berufliche Erfahrungen (z.B. mit bestimmten Patienten, durch Fortbildungen) verandem. Weitere Fragen fokussieren den Zusammenhang zwischen dem subjektiven Gesundheitskonzept und -handeln und dem professionellen Umgang mit dem Thema und die Forderung der Gesundheit. Sie zielen auf das Verstandnis der Professionellen und den Anteil an Prevention und Gesundheitsforderung in der taglichen Praxis. Zum einen sollte der Stellenwert von Gesundheitsforderung im beruflichen Alltag des Arztes bzw. der Pflegekraft ermittelt, zum anderen sollte erhoben werden, inwieweit die Diskussionen und Ergebnisse aus den aktuellen Diskussionen um Public Health und Pravention/Gesundheitsforderung in das arztliche bzw. pflegerische Handeln eingeflossen sind. 69
Den Zusammenhangen von Gesundheits- und Alterskonzepten sind drei Fragen gewidmet. Erhoben wird ebenfalls die Einstellung zur Forderung von Gesundheit. Aufgenommen wurde auch die Einschatzung der eigenen Ausbildung im Hinblick auf spatere berufliche Konfrontation mit Gesundheit und Alter. Die abschlieBende inhaltliche Frage ermoglicht eine Relativierung der eigenen Einstellung vor dem Hintergrund der subjektiven Einschatzung der Entwicklung der ambulanten Versorgung alterer Menschen. Tabelle 4-1 gibt die altersbezogenen Fragen und ErzahlanstoBe des Leitfadens und die dahinter stehenden Fragestellungen wieder. 4.4.3
Analyse der Fachzeitschriften
undAusbildungsordnungen
Parallel zu den Interviews wurden Fachzeitschriften und Aus-, Fort- und Weiterbildungsordnungen einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Zur Auswahl und Analyse des Materials finden sich in den entsprechenden Kapiteki (11 und 12) weitere Details. 4.4.4
Ruckmeldung Focusgroups
und diskursive Validierung der Ergebnisse in
Zur Validierung der Daten und Riickmeldung ausgewahlter Ergebnisse wurden Focusgroups stadt- und berufsgruppenbezogen mit den beteiligten Arzten und Pflegekraften durchgeflihrt (Bohnsack 2000, Dierks, Bitzer 1998, Flick 2002c). Ein zentrales Thema ist dabei die Einschatzung der Relevanz der ermittelten Altersbilder und Gesundheitskonzepte fur die eigene Praxis und die Diskussion der daraus zu ziehenden Konsequenzen fur die Gestaltung dieser Praxis. Ziel ist die Forderung eines Ergebnistransfers in die Versorgungspraxis. Jedoch werden in diesem Schritt auch neue Daten erhoben. Dabei liegt der Akzent auf den interaktiven Aspekt der Datensammlung: „Das Kermzeichen von Focusgroups ist die explizite Nutzung der Gruppeninteraktion, um Daten und Einsichten zu produzieren, die ohne die in einer Gruppe stattfmdende Interaktion weniger zuganglich waren." (Morgan 1988, S. 12)
Focusgroups werden als eigenstandige Methode oder in Kombination mit anderen Methoden wie Umfragen, Beobachtungen, Einzelinterviews etc. genutzt. Nach Morgan sind Focusgroups „ntitzlich" um: • • • • 70
sich im Feld zu orientieren, Hypothesen auf der Basis der Einsichten von Informanten zu generieren, unterschiedliche Forschungsfelder oder Populationen einzuschatzen, Interviewleitfaden und Fragebogen zu entwickeln und
•
die Interpretationen von Ergebnissen fruherer Studien von den Teilnehmem zu erhalten (Morgan 1988, S. 11).
Tabelle 4-1: Altersbezogene Fragen und zugrunde liegende Fragestellungen
Leitfaden
Fragestellung
1 Was bedeutet Alter fur Sie? Welche Assoziationen haben Sie?
Welche Konzepte uber das Altern und das hohe Alter, haben Arzte und Pflegekrafte in der ambulanten Versorgung? 1 Welche Rolle spielt Alter in Ihrem Privatleben? Welche Konzepte uber das Altern und das hohe Konnten Sie bitte eine entsprechende Situation Alter haben Arzte und Pflegekrafte in der ambuerzahlen, an der nnir dies deutlich wird? lanten Versorgung? Welche Bedeutung wird den eigenen subjektiven Konzepten von Gesundheit und Alter(n) fur das professionelle Handein zugeschrieben? 1 Wenn Sie zuruckdenken, was war Ihre wichtigs- Welche Konzepte uber das Altern und das hohe te Erfahrung mit Alter in Ihrem Berufsleben? Alter haben Arzte und Pflegekrafte in der ambuKonnten Sie bitte die entsprechende Situation lanten Versorgung? erzahlen? Welche Bedeutung wird den eigenen subjektiven Konzepten von Gesundheit und Alter(n) fur das professionelle Handein zugeschrieben? Haben Sie den Eindruck, dass sich Ihre Vorstel- Welche Konzepte uber das Altern und das hohe lung von Alter im Laufe Ihres Berufslebens geAlter haben Arzte und Pflegekrafte in der ambuwandelt hat? Konnten Sie bitte eine entsprelanten Versorgung? chende Situation erzahlen, an der mir dies deutlich wird? Woran machen Sie in Ihrem beruflichen Alltag Welche Konzepte uber das Altern und das hohe 1 Alter haben Arzte und Pflegekrafte in der ambufest, dass ein Mensch alt ist? Konnten Sie bitte lanten Versorgung? ein Beispiel einer Situation erzahlen, an der mir dies deutlich wird? Welche Bedeutung wird den eigenen subjektiven Konzepten von Gesundheit und Alter(n) fur das professionelle Handein zugeschrieben? Welche Konzepte uber das Altern und das hohe 1 Wie bedeutet fur Sie Gesundheit im Alter? Alter haben Arzte und Pflegekrafte in der ambulanten Versorgung? In welchem Zusammenhang stehen sie mit den Gesundheitskonzepten? Inwieweit steht ein Zusammenhang zwischen 1 Haben Sie den Eindruck, Ihre Ausbildung hat den Gesundheits- und Alterskonzepten und der Sie ausreichend auf die Themen Gesundheit Ausbildung und Berufserfahrung? und Alter vorbereitet? Welche Bedeutung haben Pravention und die Welche Einstellung weisen Professionelle be- 1 zuglich Pravention und Gesundheitsforderung Forderung von Gesundheit bei alten Menschen bei Alten und Hochbetagten auf? in IhrerTatigkeit? Konnten Sie bitte eine entsprechende Situation erzahlen, an der mir dies deutlich wird? Welche Entwicklung erwarten Sie in der ambulanten Versorgung von alten Menschen?
71
In der vorliegenden Untersuchung wurde damit vor allem das letzte der von Morgan genannten Ziele verfolgt. In der entsprechenden Literatur finden sich folgende Vorschlage fur die Durchfiihrung von Focusgroups. Wie viele Focusgroups durchgefuhrt werden sollten, hangt von der Fragestellung und von der Anzahl der unterschiedlichen Untersuchungsgruppen, die zu ihrer Beantwortung notwendig sind, ab (Morgan 1988, S. 42). Allgemein wird eher empfohlen, mit Fremden und nicht mit Gruppen von Freunden oder Personen, die sich sehr gut kennen, zu arbeiten. Bei letzteren werden mehr Dinge als selbstverstandlich angenommen und deshalb in der Diskussion nicht explizit angesprochen und flieBen somit nicht in die Daten ein (S. 48). Der allgemeine Stellenwert von Focusgroups wird wie folgt charakterisiert: „Erstens erzeugen Focusgroups Diskussionen und bringen dartiber sowohl zum Vorschein, welche Bedeutung Menschen in den Diskussionsgegenstand hineinlesen, als auch, wie sie diese Bedeutung aushandeln. Zweitens erzeugen Focusgroups Vielfalt und Unterschiedlichkeit, entweder innerhalb oder zwischen Gruppen." (Lunt, Livingstone 1996, S. 96)
In diesem Sinne haben Hodgetts et al. (2003) eine Studie mit Laien zur Aushandlung von Altersbildern bei Betrachtem einer Femseh-Dokumentation durchgefuhrt. Darin wird deutlich, wie unterschiedlich von Medien vermittelte Altersbilder von den Rezipienten gestaltet werden. Das konkrete Vorgehen bei der Durchfuhrung der Focusgroups im hier vorliegenden Fall wird in Kapitel 10 beschrieben. 4.4.5
Triangulation unterschiedlicher der Sammlung von Daten
methodischer Zugdnge bei
Bei der Sammlung der Daten werden hier verschiedene methodische Zugange miteinander trianguliert, neben der Analyse von Dokumenten vor allem Einzelinterviews und Focusgroups auf der Ebene der Untersuchungsteihiehmer. Die Triangulation kann dabei auf zwei Ebenen ansetzen (vgl. Flick 2000c, S. 316-317, 2004): Wenn dies moglich ist, kann die Verkntipfung der Daten (Aussagen, Erzahlungen etc.) auf der Ebene des Einzelfalls ansetzen, indem Aussagen eines Teilnehmers an den Focusgroups mit dem Interview, das mit ihm gefuhrt wurde, verglichen werden. Oder es werden Beztige auf der Ebene der Datensatze hergestellt, die die Resultate der vergleichenden Analyse der Interviews mit den Ergebnissen der vergleichenden Analyse der Focusgroups ui Beziehung setzen, um dartiber Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus der Anwendung beider Methoden abzuleiten (siehe Abbildung 4-4).
72
Abbildung 4-4: Ansatzpunkte methodischer Triangulation Datensatz
Methode I: Interviews
Triangulation
Methode II: Focusgroups
Einzelfall
Dartiber hinaus wurden in die Untersuchung noch weitere Materialien - Curricula und Ausbildungsordnungen (vgl. Neuber et al. 2005) sowie eine Analyse der Fachzeitschriften (vgl. Schoppe et al. 2003) - einbezogen, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann. 4.4.6
Thematisches Kodieren zur Analyse der Daten
Die Methode des thematischen Kodierens (vgl. Flick 2002c, S. 271-278) wurde in Anlehnung an das Verfahren des theoretischen Kodierens von Strauss (1991) entwickelt. Sie ist speziell fiir vergleichende Studien mit aus der Fragestellung abgeleiteten, vorab festgelegten Gruppen (hier: Arzte und Pflegekrafte) konzipiert. Der Forschungsgegenstand ist dabei die soziale Verteilung von Perspektiven auf ein Phanomen oder einen Prozess (hier: Alter(n) und Gesundheit, Gesundheitsforderung und Pravention). Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass sich in unterschiedlichen sozialen Welten bzw. sozialen Gruppen differierende Sichtweisen antreffen lassen. Um diese Annahme zu iiberprtifen und dabei gleichzeitig eine Theorie tiber solche gruppenspezifischen Sicht- und Erfahrungsweisen zu entwickeln, wurde der Ansatz von Strauss in einigen Punkten modifiziert, die jeweils auf eine Erhohung der Vergleichbarkeit zwischen den Gruppen abzielen: Das Sampling ist an den Gruppen orientiert, deren Perspektiven auf den Gegenstand fiir seine Analyse besonders aufschlussreich erscheinen. Die einbezogenen Gruppen werden damit vorab festgelegt und nicht - wie bei Strauss - aus dem Stand der Interpretation abgeleitet. Theoretisches Sampling fmdet dann jedoch innerhalb der Gruppen bei der Auswahl der konkreten Falle statt. Die Daten werden entsprechend mit einem Verfahren erhoben, das Vergleichbarkeit durch die Vorgabe von Themen bei gleichzeitiger Offenheit far die jeweiligen, darauf bezogenen Sichtweisen gewahrleisten soil. Dies kann z.B. das episodische Interview sein und seine Vorgabe von Bereichen, in denen dann 73
konkrete, auf den Gegenstand der Untersuchung bezogene Situationen erzahlt werden sollen. 4,4.7
Vorgehen des thematischen
Kodierens
Mit Blick auf die Vergleichbarkeit der Analysen wird in der Interpretation des Materials das thematische Kodieren als ein mehrstufiges Vorgehen durchgeftihrt. Der erste Schritt richtet sich auf die einbezogenen Falle, die in einer Reihe von Fallskizzen verdichtet und analysiert werden. Daran anschlieBend wird aus der Fragestellung, den in den Interviews angesprochenen Themen und aus dem Material eine thematische Struktur entwickelt, deren Bestandteilen die Aussagen und Erzahlungen zugeordnet werden. Die so entwickelte thematische Struktur dient auch den Fall- und Gruppenvergleichen. Dabei geht es um die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten in den Untersuchungsgruppen und Unterschieden zwischen ihnen. Damit wird die soziale Verteilung der Perspektiven auf den untersuchten Gegenstand analysiert. Nachdem sich beispielsweise in den Fallanalysen die subjektive Defmition von Alter als ein fur das jeweilige Altersbild zentraler thematischer Bereich erwiesen hat, werden nun die subjektiven Altersdefmitionen und die zugehorigen Kodierungen aus alien Fallen miteinander verglichen. Dabei werden ahnliche Kodierungen in der einzelnen Gruppe zusammengefasst und spezifische Themen der jeweiligen (Berufs-)Gruppen herausgearbeitet. Aus dem konstanten Vergleich der Falle auf der Grundlage der entwickelten Struktur lasst sich das inhaltliche Spektrum der Auseinandersetzung der Interviewpartner mit den jeweiligen Themen skizzieren.
4.5
4.5.1
Die Untersuchungsteilnehmer
Pflegekrafte
Von November 2001 bis April 2002 wurden 32 Pflegekraften interviewt. Von Beruf sind 27 der Befragten examinierte Krankenpflegekrafte, drei Interviewte sind examinierte Altenpflegekrafte und zwei Interviewpartner sind examinierte Kinderkrankenschwestem. Die Auswahl erfolgte iiber das Tatigkeitsfeld „Ambulante Pflege mit Erwachsenen". Knapp ein Viertel der 32 Befragten sind Manner (n = 7) und drei Viertel Frauen (n = 25). Die Befragten sind zwischen 25 und 59 Jahre alt. Das Durchschnittsalter betragt 43 Jahre. Es erwies sich als schwierig, die urspriingliche Planung hinsichtlich der Alters74
struktur zu realisieren. Abbildung 4-5 gibt die Verteilung des Alters nach Geschlecht wieder. Zeitpunkt der Berufsaufnahme Die Interviewten haben zwischen 1970 und 2000 angefangen, in ihrem Beruf zu arbeiten (siehe Abbildung 4-6). Im Durchschnitt wurde der Beruf 1982 aufgenommen. Anzumerken ist, dass eine Befragte seit 1976 in ihrem Beruf tatig ist, jedoch erst seit 1992 wieder in Vollzeit. Ein Interviewpartner gab an, seit 1996 im Pflegedienst tatig zu sein, dabei ist unklar, ob er vorher bereits seinen Beruf ausgetibt hat. Abbildung 4-5: Alter der Pflegekrafte nach Geschlecht (Angaben absolut)
Abbildung 4-6: Zeitpunkt der Berufsaufnahme der Pflegekrafte nach Geschlecht (Angaben absolut)
75
4.5.2 Arzte Von November 2001 bis April 2002 wurden Interviews mit 32 Arzten geflihrt und ausgewertet. 16 der Befragten arbeiten als Allgemeinmediziner, zwolf als hausarztlich tatige Intemisten und vier als Praktische Arzte. Geschlecht und Alter der Befragten Von den 32 Befragten sind zwei Drittel Manner (n = 21) und ein Drittel Frauen (n = 11). Die Befragten sind zwischen 39 und 59 Jahre alt. Das durchschnittliche Alter betragt 48 Jahre. Die Einschrankung des Alters der Arzte auf 40 bis 50 Jahre, wie im Untersuchungsdesign vorgesehen, konnte nicht eingehalten werden, sieben teilnehmende Arzte sind zwischen 51-59 Jahre alt. Auffallig ist, dass die befragten Frauen durchschnittlich etwas alter (51 Jahre) sind als die Manner (47 Jahre) (siehe Abbildung 4-7). Abbildung 4-7: Alter der Arzte nach Geschlecht (Angaben absolut)
Zeitpunkt der Berufsaufnahme und der Niederlassung Die Interviewpartner haben zwischen 1972 und 1991 angefangen, als Arzte zu arbeiten. Der Zeitpunkt ihrer Niederlassung liegt zwischen 1975 und 1996. Zwischen der Aufiiahme der arztlichen Tatigkeit und der Niederlassung liegen null (d.h. Jahr der Berufsaufiiahme war gleichzeitig auch das Jahr der Niederlassung) bis 17 Jahre, im Durchschnitt sind es 8,5 Jahre. Die befragten 16
Frauen haben ihren Bemf eher als ihre mannlichen Kollegen aufgenommen und sind mit durchschnittlich 24 Jahren (Manner: 21 Jahre) verhaltnismaBig lange zugelassen. Tabelle 4-2 gibt den Zeitpunkt der Berufsaufhahme und der Niederlassung wieder. Keiner der befragten Arzte hat eine geriatrische Zusatzausbildung. Tabelle 4-2: Zeitpunkt der Berufsaufnahme und der Niederlassung der Arzte nach Geschlecht (Angaben absolut)
Frauen (n=11)
Manner (n=21) Berufsaufnahme 1970-1980 1981-1990 1991 -2000
7 13 1
Niederlassung 0 8 13
Berufsaufnahme
Niederlassung
7 4 0
1 8 2
Anteil der iiber 60-jahrigen Patienten in den Praxen Der Anteil der tiber 60-jahrigen Patienten in den Praxen liegt zwischen 15 und 90% (siehe Abbildung 4-8) und ist damit sehr heterogen. Durchschnittlich liegt er bei 50% (Median: 50%). Gut ein Drittel der befragten Arzte haben einen Anteil von 51 bis 60% iiber 60-jahrige, gefolgt von jeweils einem knappen Viertel mit einem Anteil von 41 bis 50% und 31 bis 40% an iiber 60-jahrigen Patienten.
4.6
Zusammenfassung des methodischen Vorgehens
In dieser Untersuchung wurde ein exploratives Vorgehen gewahlt, bei dem verschiedene methodische Zugange zu Gesundheitsvorstellungen und Altersbildem sowie dem subjektiven Verstandnis von Gesundheitsforderung und Prevention trianguliert wurden. Dabei stehen einerseits subjektive Erfahrungen und subjektives Wissen bei den Teilnehmem hinsichtlich der Themen der Untersuchung im Vordergrund. Jedoch richten sich die methodischen Zugange explizit auf die Bedeutung dieser Themen im Kontext des beruflichen Handehis. Der eigene private Umgang mit Gesundheit der Teibiehmer ist ebenfalls unter diesem Fokus interessant. Damit zielt die Untersuchung weniger auf Gesundheit als biographisches Thema oder als Lebensthema ab, sondem auf die Inhalte und Veranderungen von subjektiven Vorstellungen iiber Gesundheit im Kontext des professionellen Handelns als Arzt bzw. Pflegekraft. 77
Abbildung 4-8: Anteii der uber 60-jahrigen Patienten in den Praxen (in %)
Insgesamt handelt es sich beim Design der vorliegenden Studie um die Triangulation verschiedener methodischer Zugange: • • •
78
eine Interviewstudie mit Arzten und Pflegekraften, die Riickmeldung und Vertiefung von deren Ergebnissen im Rahmen von Focusgroups und deren Analyse erganzt durch eine Dokumentenanalyse von Materialien zur Aus-, Fort- und Weiterbildung der befragten Berufsgruppen sowie eine Inhaltsanalyse verschiedener Fachzeitschriften.
5
Subjektive Altersbilder von Arzten und Pflegekraften - Verluste und Gewinne, aber schwierig zu definieren „ A L T E R N 1ST WIE
BERGSTEIGEN:
JE HOHERICH KLETTERE, UM SO ANGESTRENGTER UND SCHLAPPER WERDE ICH. ABER WENN ES GUT L A U F T - UND SO HABE ICH ALTER HALT ERLEBT DANN KANN ICH AUCH WEITER SCHAUEN."
Pflegekraft (HP 12) In der vorliegenden Studie wird untersucht, welche Altersbilder bei niedergelassenen Hausarzten und ambulanten Pflegekraften vorhanden sind, und inwieweit ihre Vorstellungen durch professionelle Konzepte oder berufliche Erfahrungen beeinflusst worden sind. Den Arzten und Pflegekraften wurden zwei Fragen gestellt, aus denen sich die Bilder des Alters ermitteln lassen: • •
„Woran machen Sie in Ihrem beruflichen Alltag fest, dass ein Mensch alt ist? Erzahlen Sie mir bitte eine entsprechende Situation." „Was bedeutet „Alter" ftir Sie? Welche Assoziationen haben Sie?"
Der tFberblick iiber die Forschung zu Altersbildem (vgl. Kap. 3) macht deutlich, dass die meisten Studien Altersbilder in (eher) negative oder (eher) positive Altersbilder differenzieren und eine Veranderung in die ein oder andere Richtung konstatieren. Auch wenn aktuelle Beftinde auf ein differenziertes Altersbild verweisen, sind die Charakteristika des Alters haufig polarisiert in negative und positive Aspekte (z.B. Vorteile/Nachteile; StarkenA/'erluste). Um eine Vergleichbarkeit mit anderen Studien zu ermoglichen, wurde in der vorliegenden Studie diese Differenzierung ubemommen. Zunachst wird jedoch dargestellt, an welchen Kriterien Arzte und Pflegekrafte „Alter" festmachen.
5.1
Alter - Schwierigkeiten der Definition
Den befi-agten Arzten und Pflegekraften fallt es mehrheitlich schwer zu definieren, woran sie Alter festmachen. Sie weisen auf die Relativitat der sozialen Konstruktion Alter sowie auf die Unterschiede zwischen dem kalendarischen und biologischen Alter bin.
5.1.1
Das kalendarische
Alter
Auffallig an den Ergebnissen ist, dass kein Arzt und nur sehr wenige Pflegekrafte sich am kalendarischen Alter orientieren. Lebensjahre als alleiniges Kriterium greifen zu kurz und sind nach den Erlauterungen der Professionellen nicht aussagekraftig. So nennen einige wenige zwar konkrete Lebensjahre, betonen aber zugleich, dass erganzende Faktoren, wie z.B. das biologische Alter, die geistige Fitness sowie das Nachlassen der Aktivitat eine entscheidende Rolle fur die Zuschreibung einer Person als alt spielen. Der Bezug auf konkrete Altersangaben lasst einen berufgruppenspezifischen Unterschied erkennen. Wahrend Arzte sich auf iiber 80-Jahrige und somit auf Hochbetagte beziehen, orientieren sich Pflegekrafte als Beginn des Alters an sozialpolitischen Altersvorgaben (ab 65 Jahre); 85 Jahre sind „richtig alt". 5.1.2
Das b iologische A Iter
Das biologische Alter als alleiniges Kriterium wird nur von sehr wenigen Arzten benannt, Pflegekrafte flihren es iiberhaupt nicht an. „Es gibt ein kalendarisches Alter, und ein soziologisches Alter, aber ich denke, fiir die medizinischen Belange ist das relativ egal. Da sagt man dann biologisch alter oder biologisch jtinger, und es gibt eben Leute, die biologisch jtinger sind, obwohl die [...] nach dem Taufschein ftinfundachtzig sind, aber irgendwie auch gut als [...] Funfundsechzigjahrige durchgehen konnten." (BA 14)
In diesem Zitat klingt eine Strategic an, wonach sich Arzte und Pflegekrafte bei ihrer Defmition von Alter richten: ein Ausjustieren von kalendarischem und biologischem Alter. 5.1.3
Ausjustieren von kalendarischem und biologischem
Alter
Ein Teil der Arzte und Pflegekrafte gibt an, dass sie die Patienten einschatzen und ihren Eindruck iiber den korperlichen und geistigen Zustand mit dem kalendarischen Alter der Patienten abgleichen. Sie flihren an, dass das kalendarische und biologische Alter oft nicht kongruent sind. Die Patienten wirken entweder oftmals viel jtinger, oder ihr biologisches Alter ist weiter fortgeschritten als ihr kalendarisches. Das folgende Beispiel macht dies deutlich: „Weil es immer relativ ist. Es ist immer in Relation zu seinem Geburtsdatum letztendlich, ob jemand sich gut gehalten hat oder vorgealtert ist." (BA 02)
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Wenn Alter mehrheitlich weder am kalendarischen noch am biologischen Alter festgemacht wird, ist fur die Ermittlung von Altersbildern aufschlussreich, welche Kriterien die Befragten stattdessen benemien. Es lieBen sich eine Vielzahl an subjektiven Kriterien ermitteln. Die Abbildung 5-1 gibt einen Uberblick liber die Definition von Alter. Abbildung 5-1: Definitionen der Arzte und Pfiegekrafte von Alter
.
Kalendarisches Alter y Woran machen Sie fest, dass ein Mensch alt ist? Biologisches Alter
5.7.4
Subjektive Kriterien korperlicher Zustand
Subjektive Alterskriterien der
Lebenssituation geistiger Zustand
Professionellen
Die subjektiven Kriterien der Arzte und Pfiegekrafte zur Definition von Alter sind eng mit ihren eigenen Altersbildern verbunden. Zudem dienen in beiden Berufsgruppen ihre Assoziationen zu Alter als Kriterien flir Alter. Sie werden weiter unten ausflihrlich dargestellt. Arzte und Pfiegekrafte legen ihrer Definition von Alter Kriterien des (1) psychisch/kognitiven und/oder (2) korperlichen Zustands sowie der (3) Lebenssituation zugrunde. Fiir Arzte ist (1) jemand alt, der geistig unfiexibel, umstandlich, „innerlich alt" ist und dessen Sozialverhalten sich verandert, indem die Person z.B. griesgramig, neidisch, eifersiichtig oder grantig wird. Alt ist auch jemand, der der nicht mehr vital oder der verwirrt ist, dessen geistige Fahigkeiten und Aktivitaten nachlassen. „Eigentlich nicht am Korper, sondem am Denken. Wemi er also nicht mehr flexibel genug ist, wenn er also nicht mehr Veranderungen offen gegeniiber steht und sagt, ach, [...] ich bin zu alt und kann das nicht mehr, und kann das nicht mehr. Eigentlich eher daran als am Korperlichen." (BA 07)
Dementsprechend werden Menschen nicht als alt wahrgenommen, die geistig „fit" und „vollig klar" sind, am Leben teilnehmen, Zeitung lesen, offen auf Leute zugehen und sich nicht hangen lassen. 81
Auf den (2) korperlichen Zustand bezogen werden Menschen als alt defmiert, die krank sind, deren Korper sich verandert, deren korperliche Funktionen nachlassen, die medizinisch bedtirfliger werden und bei denen sensorische und fiinktionale Beeintrachtigungen wie schlecht horen, gehen bzw. sehen zunehmen. „Das sind natiirlich verschiedene Aspekte, die da einflieBen. Also es gibt Menschen, die sind korperlich wirklich vollig ausgepowert oder mit chronischen Krankheiten gesegnet und geistig vollig fit. Da wiirde ich aber trotzdem sagen, die sind natiirlich alt, obwohl sie geistig ein jtingeres Alter bieten, weil sie korperlich eben so verfallen sind, dass ich nicht mehr sagen kann, das sind junge Menschen." (HA 17)
Mit Bezug zur (3) Lebenssituation werden Menschen als alt bezeichnet, die hilfsbedtirftig sind, deren Selbststandigkeit nachlasst und soziale Kontakte verloren gehen: „Wenn er Hilfe braucht. Wenn er Hilfe braucht zur Bewaltigung seines Haushaltes und seines Lebensmanagements" (BA 08). Die Pflegekrafte antworten in ahnlicher Weise jedoch mit anderer Gewichtung. Sie benennen an erster Stelle negative Aspekte beziiglich der psychisch/kognitiven Situation. Hierzu zahlen Ausstrahlung, mangelnde Motivation („sich hangen lassen", „nicht mehr wollen"), mangelnde Teilnahme am Leben, fehlende Lebendigkeit, Aktivitat und fehlendes Interesse, Erfahrung, Ansichten/Einstellung und Lebensstil („man ist so alt wie man sich fiihlt und benimmt") sowie Verringerung der kognitiven Leistungen („nicht begreifen"). „Ich mache das daran fest in meinem beruflichen AUtag, wenn ich bei einem Menschen richtig arbeiten muss, um ihn zu Aktivitaten zu bekommen. Aktivitat fangt schon damit fiir mich an, dass man morgens einem die Hand gibt und einfach nur kraftig schtittelt, dann kriegt man schon die Gelenke ein bisschen bewegt. Und wenn ich sehe, dass mir keiner mehr die Hand geben mochte oder wenn's darum geht, jemanden beim Waschen behilflich zu sein und eben auch mal den Waschlappen in die Hand zu driicken und zu sagen, mach doch mal, du kannst es doch, und die wollen das nicht mehr und wenn einer nichts mehr geben will. Das mach ich daran fest, dass er jetzt alt ist." (BP 11)
Femer werden Menschen als alt wahrgenommen, die dement sind, geistig nicht mehr rege und unflexibel im Denken, die jammern und vom Sterben reden und die gentigsam sind. Im positiven Sinn als alt gelten die so genannten Zeitzeugen, die durch ihr Lebensalter so viel Geschichte erlebt haben und dadurch beeindrucken. „Mir fallt natiirlich spontan jemand ein, und zwar war das eine hunderteins Jahre alte Patientin, und die hat also zum hunderteinsten Geburtstag [...] vom Bezirksamt eine Begehung des Potsdamer Platzes [bekommen], und hat also dann- natiirlich kamen die dann hinterher erst darauf, dass sie ja schlecht laufen konnte vielleicht mit hunderteins, und haben sie dann also mit einer Kutsche tiber diesen neu gebauten Potsdamer Platz- Und ich hat-
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te Spatdienst an dem Tag. Und sie kam daiin wieder voller Freude, hat ihr also wirklich SpaB gemacht. Und es war also so, dass sie mir von friiher erzahlt hat, und wie der Potsdamer Platz aussah, und dass da in der Mitte eben jemand war, der den Verkehr geregelt hat und so, was ich selber alles gar nicht wusste. Und da hab ich eigentlich erst realisiert, wie alt sie eigentlich ist, also dass sie alt ist oder wie alt sie eigentlich ist. Also das war fiir mich so'n Beispiel. Vorher war sie, ja, irgendwie so zwischen siebzig und achtzig, neunzig, so, also wenn mich jemand gefragt hatte. Aber dann hab ich erst gemerkt, ja, mein Gott, was die Frau alles schon gesehen hat und erlebt hat, also so vom Erzahlen her." (BP 15)
Im Umkehrschluss sind Menschen nicht alt, die einen Jung gebliebenen Geist haben, „ini Kopf klar, flexibel und lebendig" sind, Interesse und Anteilnahme am Leben zeigen, aktiv sind, wache, muntere Augen haben, Nachrichten horen und tiber Politik reden sowie Kontakt zu Jiingeren haben. Eine Pflegekraft benennt, dass Interesse und Lebendigkeit fiir sie zur Jugend gehoren. Wie schwierig es jedoch ist. Alter zu definieren besonders mit Bezug auf die psychisch/kognitive Situation, spiegelt die folgende Interviewpassage wider: „Ich denk mal, dieses Altsein mach ich schon an physischen und psychischen Dingen fest. Es gibt Leute, die physisch schwer gealtert sind, wo also der Korper wirklich dem Altersprozess, sagen wir mal so, freigegeben ist, und der Geist aber noch ganz jung geblieben ist. Und dann weiB man immer nicht, ist der Mensch nun alt, ist er nicht alt." (BP 06)
Eine andere Pflegekraft defmiert Alter genau gegenteilig und bezieht sich auf den korperlichen Zustand eines Menschen: „Hauptsachlich an dem korperlichen Zustand. Der geistige, auch wenn man jung ist, der geistige Zustand sagt ja nichts iibers Alter aus" (BP 10). Weitere Kriterien, die genannt werden und sich auf den korperlichen Zustand beziehen, sind Gebrechlichkeit, Einschrankungen, Nachlassen von Sehen, Horen, Korperpflege und Trinkverlangen. Auf die Lebenssituation bezogen wu-d als alt wahrgenommen, wer hilfebedtirftig, abhangig und damit unselbstandig, aber auch wer nicht selbstbestimmt ist, seinen AUtag nicht alleine bewaltigen kann. Als alt werden ebenso Menschen wahrgenommen, die das Rentenalter erricht haben und damit nicht mehr berufstatig sind. Im Umkehrschluss kann man nicht alt sein, wenn man arbeitet. Es werden Beispiele tiber Patienten erzahlt, die trotz Alter ihren Alltag selbst organisieren, somit alt sind, aber fit. Ein anderes Beispiel beschreibt eine 93-Jahrige, die vom Aussehen her alt ist, aber vom Verstand nicht. „Doch, sie ist alt, so von der Zahl auch, [...] aber das gibt so unterschiedliche, ich hab jetzt eine Dreiundneunzigjahrige gekriegt, also die ist fitter als wir beide. Das ist wahr. Ich fmde das toll. Vom Aussehen ist sie alt, aber von dem Verstand her ist sie nicht alt." (HP 09)
Die Tatsache, dass Professionelle sich kaum am kalendarischen Alter orientieren, macht deutlich, dass eine alltagstaugliche Definition von Alter schwie83
rig ist Oder nicht existiert. Dies spiegelt sich auch in dem Ergebnis wider, dass die Interviewpartner in Beispielen darauf verweisen, dass sie vom kalendarischen Alter her Jtingere als sehr viel alter wahmehmen und Altere als sehr viel jtinger. Die Grenzen haben sich aufgelost. Dies wird an dem folgenden Zitat deutlich: „Und da wird mir das immer bewusst. Dass jemand, der vielleicht vierzig ist, schon ziemlich gealtert sein kann. Wahrend jemand, der funfzig ist, noch relativ jung sein kann. [...] [Da haben] sich etwas die Grenzen [...] aufgelost. Friiher hatte ich vielleicht gedacht, jemand ist alt, wenn er, sag ich mal, tiber funfundsiebzig ist. Es gibt aber auch Menschen, die schon eigentlich alt sind, wenn sie funfundfiinfzig sind. Es gibt auch welche, die sind funfundsiebzig und sind noch nicht richtig alt. Also ich seh das nicht mehr so eng." (HA 11)
Interessant an den Ergebnissen zu subjektiven Altersdefinitionen sind zwei Aspekte: Zum einen die eben bereits angesprochene Perspektive, dass die Arzte und Pflegekrafte haufig definieren, wann und warum jemand nicht alt ist. Schon Max Frisch (1989) schrieb in seinem Tagebuch: „Das Gebot, das Alter zu ehren, stammt aus Epochen, als hohes Alter eine Ausnahme darstellte. [...] Wird heute ein alter Mensch gepriesen, so immer durch Attest, dass er verhaltnismaBig noch jung sei, geradezu noch jugendlich. Unser Respekt beruht immer auf einem NOCH [...] Unser Respekt gilt in Wahrheit nie dem Alter, sondem ausdriicklich dem Gegenteil: dass jemand trotz seiner Jahre noch nicht senil sei."
Die Tabelle 5-1 fasst subjektive Kriterien der Arzte und Pflegekrafte fiir „alt" bzw. „nicht alt" zusammen und steUt diese jeweils fur die korperliche und die psychisch/kognitive Dimension sowie fur die Lebenssituation gegeniiber. In den Ergebnissen spiegelt sich die Differenziertheit der Altersbilder wider. Gleichzeitig wird offensichtlich, dass es sowohl Pflegekraften als auch Arzten schwer fallt, eindeutige Defmitionen zu formulieren. Die Altersbilder sind somit nicht nur differenziert, sondem es lasst sich eine Indifferenz erkennen, im dem Sinne, dass Arzte und Pflegekrafte Alter nicht eindeutig bestimmte Attribute zuordnen konnen.
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Tabelle 5-1: Alt Oder nicht alt? - Subjektive Kriterien Professioneller fur Alter alt
Korperliche Situation
Psycliisch/ Kognitive Situation
Lebenssituation
Korperliche Situation
or Q.
• • • • •
nicht alt Keine Krankheiten Wenig Einschrankungen Fitness und Sportlichkeit Sexuelle Aktivitat
• • • • • • •
• • • • • • •
Geistig fit „v6llig klar" im Kopf am Leben teilnehmen Zeitung lesen Offen Kontakte suchen Sich nicht hangen lassen Flexibel im Denken
Psycliiscli/ Kognitive Situation
Lebenssituation
Geistig unflexibel Umstandlich Verandertes Sozialverhalten Nicht vital Verwirrt Nachlassen von kognitiven Fahigkeiten Beschaftigung mit dem Sterben
• • • •
Hilfebedurftigkeit Nachlassende Selbststandigkeit Verlust von sozialen Kontakten Ubergang vom Berufsleben in den Ruhestand • Ausgestaltungsmoglichkeiten der Alteren
-
alt
nicht alt
• Gebrechlichkeit • Einschrankungen • Nachlassen von sensorischen Fahigkeiten • Vorgealterte Korper, die dem Alterungsprozess freigegeben sind • • • •
i =2
Veranderungen des Korpers Nachlassen von korperlichen Funktionen Medizinische Bedurftigkeit Krankheit Zunehmender sensorischer Funktionsverlust und Behinderung • Unbeweglichkeitverbunden mitSturzen und Bruchen
• • • • •
• • • • • • • •
Mangelnde Motivation Ausstrahlung/fehlende Lebendigkeit Mangelnde Teilnahme am Leben Fehlende Aktivitat und fehlendes Interesse Ansichten/Einstellung/Lebensstil Verringerung der kognitiven Leistungen Demenz Geistige Unflexibilitat Jammern Vom Sterben reden Genugsamkeit Zeitzeugen
• • • •
Hilfebedurftigkeit Abhangigkeit Alltag nicht alieine bewaltigen konnen Ruhestand
-
• JunggebliebenerGeist • Geistig klar, flexibel und lebendig • Interesse und Anteilnahme am Leben • Aktivitat • Wache, lebendige Augen • Nachrichten verfolgen/ politisches Interesse • Kontakte zu Jungeren
•
Erwerbstatigkeit
85
5.1.5
Alter undKrankheit
- zwangsldufig
verbunden?
Ftir Arzte ist Alter keine Krankheit, aber Krankheiten sind mit hoherem Alter assoziiert. Damit betrachten sie das Alter als gewichtigen Faktor fur die Bewertung vorliegender Beeintrachtigungen. Diese mtissen mit zunehmendem Alter von den Patienten akzeptiert werden, da es sich um einen biologischen Prozess handelt. Ein Arzt erklart die Zunahmen von Beeintrachtigungen mit hoherem Alter seinen Patienten sehr plastisch. Dabei vermeidet er, seine Patienten direkt als alt zu bezeichnen: „Manner[n], die vielleicht also auch noch so eine Beziehung zu Autos und Technik haben, ja, den sag ich, nun stellen sie sich mal, also ihre Gelenke die mtissen seit achtzig Jahren jetzt ohne Wartung- Ist doch klar, dass die verschlissen sind, der Motor der geht zwar noch, aber mit einem achtzigjahrigen Auto, da wiirden sie schon etwas vorsichtiger fahren als mit einem Neuwagen. Ja, klar, natiirlich, das verstehe ich vollkommen." (BA 08)
Als nicht alt werden Menschen wahrgenommen, die nicht krank sind, wo keine Einschrankungen bzw. nur kleme Gebrechen vorhanden sind, und die nur zum Arzt kommen, um den Kontakt zu halten: „Wenn jemand riistig ist und seine Sachen machen kann, keine Einschrankungen hat, dann ist es egal, ob er funfundachtzig ist. [...] Gut, man wundert sich dann nicht, wenn doch Einschrankungen kommen, aber deswegen ist er von Haus aus nicht alt." (BA 14)
Die Arzte betonen explizit, dass sie Alter nicht an korperlichen Gebrechen und Einschrankungen festmachen, sondem daran, ob jemand im Denken flexibel Oder „geistig vollig klar" ist. Wahrend bei einigen Arzten Krankheiten vorliegen dtirfen, solange die Menschen geistig fit sind, beschreiben andere Arzte, dass es gleich sei, auf welcher Ebene Einschrankungen vorhanden skid: „Ich wiirde Alter sehr stark mit korperlicher Gebrechlichkeit assoziieren. Zum einen. Zum andem auch sicherlich mit nachlassender geistiger Leistungsfahigkeit, also Vergesslichkeit, Unflexibilitat im Denken und so. Und das sind so zwei Sachen, die nicht unbedingt parallel gehen miissen. Da gibt's ja sehr groBe Differenzen. Ich wiirde aber betont beides eigentUch denken, ist ein Zeichen von alt- Altwerden. Und auch jemand, der korperlich noch sehr fit ist, aber eben in seinem geistigen Leistungsvermogen sehr eingeschrankt ist, den wurde ich genauso fur alt ansehen wie im umgekehrten Fall. Wobei das eben nur zum Teil mit dem Lebensalter dann tatsachlich tibereinstimmt." (HA 12)
In den Antworten der Pflegekrafte werden Gebrechen und Einschrankungen als Kriterien fur Alter genannt. Dabei betonen emige Pflegekrafte, dass altersbedingte Gebrechlichkeit und Einschrankungen nicht mit Krankheit gleichzusetzen sind: 86
„Diese typischen Alterserscheinungen, das ist bei mir das Alter, da fangt das Alter an: wenn der Bewegungsapparat eingeschrankt ist aufgrund von Arthrosen und Arthritis und genereller Abnutzung, Osteoporose [...] Wenn dieser VerschleiB eben richtig deutlich wird. Unabhangig von den krankheitsbedingten, wUrde ich sagen, die altersbedingten Erscheinungen, das ist fur mich das Alter. Wenn man mit achtzig eben nicht mehr die Treppen hochrennen kann, ist das logisch, weil's das Alter ist. Wenn man jung ist, die Treppen nicht hochrennen kann, dann liegt es meistens an hnmobilitat, oder weil man keine Kondition hat. Und die Organe eben altersentsprechend- Organ, Herzerkrankungen ist ja das Typischte, Herz-Kreislauf, Inkontinenz." (BP 10)
5.1.6
Zwischenfazit
Beiden Berufsgruppen fallt es schwer, Alter zu defmieren. Kein Arzt und nur sehr wenige Pflegekrafte orientieren sich am kalendarischen Alter. Der Alltag zeigt, dass groBe Unterschiede zwischen den Patienten existieren und das kalendarische mit dem biologischen Alter oft nicht kongruent ist. Ftir die subjektive Definition von Alter spielen die Wahmehmung der Geisteshaltung und des korperlichen Zustands sowie der Lebenssituation eine entscheidende Rolle. Auffallig ist, dass beide Berufsgruppen Alter stark defizitorientiert und von einer Negation her definieren. Gleichzeitig geraten ihre subjektiven Kriterien haufig ins Wanken. Sowohl Arzte als auch Pflegekrafte betonen, dass sie viel Menschen kennen, die diesen Kriterien nicht entsprechen. Diese werden trotz hohem kalendarischen Alter nicht als alt bezeichnet. Beide Berufsgruppen beziehen sich in ihren Definitionen vor allem auf Hochbetagte. Auffallig ist, dass keine Pflegekraft und nur sehr wenige Arzte Patienten auf der korperlichen Dimension als nicht alt wahmehmen. Arzte und Pflegekrafte nehmen die Bandbreite und die verschiedenen Facetten von Alter und alten Menschen zwar wahr, die soziale Kategorie „A1ter" bleibt jedoch defizitorientiert besetzt. Fitness und Aktivitat ist kein Bestandteil ihrer Wahmehmung.
5.2
Differenziert und hochbetagt - Assoziationen von Arzten und Pflegekraften zu Alter
Altersbilder im Sinne von sozialen Stereotypen, d.h. mit einem mangehiden Differenzierungsgrad, lassen sich nur bei einer Minderheit der befragten Arzte und Pflegekrafte finden. Es existieren sowohl ein defizitares Altersbild, das ausschlieBlich die Verluste und Einschrankungen im Alter betont, als auch 87
positive soziale Stereotypen, die Alter mit Weisheit, Reife und Gelassenheit gleichsetzen (vgl. Rudinger, Kruse 2000). 5.2.1
Negative
Assoziationen
Die negativen - als auch die positiven - Assoziationen zu Alter lassen sich in drei Dimensionen einteilen: die korperliche Ebene, die psychisch/kognitive Ebene und die Ebene der Lebenssituation. Korperliche Assoziationen Die meisten negativen Assoziationen der Arzte beziehen sich auf die korperliche Situation der alten Menschen. Sie verbinden mit Alter die Degeneration und Alterung von Zellen, das Nachlassen von Fahigkeiten, sowie Altersbeschwerden und damit verbunden „Mtihsal und Plage": „[...] einer hat gesagt, wenn man iiber sechzig ist und wacht morgens auf und hat keine Schmerzen, dann weiB man, dass man tot ist." (BA 01)
Krankheiten bzw. der Verlust von Gesundheit werden ebenfalls thematisiert. Wie bei den Altersdefmitionen bereits ausgefuhrt, assoziieren jedoch nur wenige Arzte Krankheit direkt mit Alter. Haufig wird dieses Thema angesprochen, indem Wtinsche und Hoffiiungen benannt werden, im Alter nicht (schwer) krank sein zu wollen. Diese Wtinsche und Hoffiiungen werden auch von einigen Pflegekraften geauBert, die ebenfalls mit Alter Krankheit verbinden. Die „Wehwehchen" und fortschreitenden Beschrankungen gehoren jedoch zum Alter dazu. Dies entspricht den tibrigen Assoziationen wie Einschrankungen, Gebrechlichkeit, Verfall, Abbauprozess, Pflege und Behinderung. Im folgenden Zitat wird zwischen jungen Alten und Hochbetagten differenziert. Deutlich wird, dass sich die negativen Assoziationen meist auf Hochbetagte beziehen: „Ich denke, es gibt so eine Phase des Alters, wenn der Mensch in Rente geht und sich keine chronische Erkrankungen zugezogen hat, wo [er] erstmal, so bis flinfundsiebzig, achtzig ganz gut zurechtkommen kann, und wo auch viele Leute ganz zufrieden und ohne Einschrankungen sind. Und ich habe den Eindruck, so zwischen achtzig und ftinfundachtzig wird es dann so'n bisschen miihsam, und ich glaube, bei den Neunzigjahrigen da sind doch bei alien die Einschrankungen schon erheblich." (BA 14)
Weitere Assoziationen zu Aher sind das Sterben und der Tod, die jedoch nur von wenigen Arzten angefiihrt werden. Arzte sprechen zwar das Ende der Lebenszeit an, assoziieren aber Alter nicht zwangslaufig mit Tod. In diesem Zusammenhang werden von einigen Arzten lebensverlangemde MaBnahmen
und Patientenverfiigungen diskutiert. Ebenso werden Sterben bzw. Tod von keiner Pflegekraft explizit mit dem Alter verbunden. Einige Pflegekrafte weisen jedoch daraufhin, dass in der Gesellschaft Alter mit Tod assoziiert. Zum Teil reden sie dariiber, wie sie geme sterben wiirden. Psychische/kognitive Situation Mit der psychisch/kognitiven Situation der alten Menschen werden von den Arzten ebenfalls negative Aspekte verbunden. Diese lassen sich in zwei Bereiche unterteilen: Erstens das Nachlassen von (kognitiven) Fahigkeiten und zweitens das Einhergehen von Alter mit geistiger Unbeweglichkeit. Damit ist die Auffassung verbunden, dass Alter mit der Einstellung zusammenhangt: „Aber Alter ist auch im gewissen Sinne unbeweglicher zu sein. Das heiBt, geistig und auch korperlich. Und das ist schade." (HA 11)
Die Pflegekrafte assoziieren mit der psychisch/kognitiven Situation alter Menschen ebenfalls negative Aspekte in zwei Bereichen: Zum einen nennen sie Demenz, Verwirrtheit, Senilitat sowie kognitiver Verfall und Abbau. Zum anderen auBem Pflegekrafte, dass Alter keine Frage des tatsachlichen Alters ist, sondem vielmehr eine der Einstellung. Zuschreibungen, die in diesem Zusammenhang erfolgen, sind geistige Unflexibilitat, Starrsinn, Mutlosigkeit, keinen Sinn mehr im Leben fmden, Unzufi-iedenheit und Langeweile. Eine Pflegekraft fiihrt an, dass sich negative Eigenschaften im Alter starker herausbilden. Lebenssituation Negative Assoziationen, die von Arzten beziiglich der Lebenssituation im Alter genannt werden, sind Einsamkeit und die Situation in Pflegeheimen, verbunden mit der Befurchtung ein Pflegefall zu werden oder dort leben zu mtissen. Weitere Punkte sind die Abhangigkeit z.B. von Hilfsdiensten und die soziale Abwertung besonders als alte Frau als nutzlos und nicht mehr gebraucht angesehen zu werden. Pflegekrafte betonen ebenso - wie Arzte - den negativen Aspekt der Einsamkeit in der Lebenssituation alter Menschen. Das folgende Zitat macht dies deutlich: „Und das Alter, manchmal erschrickt es mich, wie ich sehe, wie manche Leute alt werden, oder wie sie im Alter leben miissen. [...] Am schlimmsten find ich die Leute, die einsam sind." (HP 08)
Femer benennen sie die Fremdbestimmung, Entmiindigung und Abhangigkeit bzw. sie ft)rmulieren es positiv, wenn sie sagen, dass sie im Alter einmal selbstbestimmt leben mochten. Als negative wird von den Pflegekraften die soziale Abwertung, die alte Menschen gesellschaftlich erfahren, betrachtet. 89
5.2.2
Positive
Assoziationen
Positive Assoziationen zum Alter auBert die Mehrheit der Arzte und Pflegekrafte. Jedoch verbindet kein Arzt mit der korperlichen Situation alter Menschen etwas Positives. Implizit existieren positive korperliche Aspekte in Patientenbeispielen, wenn korperlich fitte und gesunde alte Menschen beschrieben werden. Auch die Pflegekrafte benennen nicht explizit positive Aspekte der korperlichen Situation, betonen jedoch, dass sie mit Alter nicht Krankheit verbinden: „Ich mochte Alter nicht geme in diesem negativen Sinne sehen, wie es oft gesehen wird: Alter nur als eine Ansammlung von Einschrankungen, Krankheiten und ja, langsames Siechtum, Dahinsterben. Sondem viel lieber gebe ich dem Alter noch mal auch eine groBe Chance." (BP 18)
Positive Aspekte des Alters werden von den befragten Professionellen auf der psychisch/kognitiven Ebene und der Ebene der Lebenssituation beschrieben. Psychisch/kognitive Situation Aspekte, die von Arzten und Pflegekraften positiv mit Alter assoziiert werden, sind Erfahrung, Weisheit, Zufriedenheit, Ruckblick/Reflexion, SpaB, Lebensfreude und Lebenswille: Dariiber hinaus werden alte Menschen als liebenswtirdig, dankbar, zufrieden sowie „frisch und frohlich", lustig und spannend beschrieben. „Alter ist erst mal fur mich was ganz Positives. Weil ich denke, wenn man [...] ein gewisses Alter erreicht hat, man hat einfach viel Lebenserfahrung, viel, was man in seinem Leben erlebt hat, auf das man zuriickblicken kann, an das man sich erinnem kann." (BP 17)
Als nicht alt trotz hohem kalendarischen Alter werden Menschen wahrgenommen, die interessiert, die aktiv, „geistig fit" sowie „vollig klar" sind. Lebenssituation Die Lebenssituation im Alter wird positiv assoziiert mit dem Ruhestand und damit verbunden mit mehr (Frei-)Zeit und Freiheit, dem Abgeben von Verantwortung, dem Verschwinden von beruflichen Zwangen sowie einer fmanziell sicheren Situation: „Also das Schone am Alter ist sicherlich, dass man irgendwann nicht mehr arbeitet und mehr Zeit hat." (BA 16)
Femer werden ein harmonisches und gllickliches Leben genannt. Die gesellschaftliche Entwicklung, bei der ein GroBteil der Alteren ein hohes Lebensalter in relativ guter Gesundheit erreicht, wird begriiBt. 90
Positiv bewerten Pflegekrafte an der Lebenssituation im Alter die vermehrte Freizeit bei nachlassenden Verpflichtungen und den damit verbundenen Genuss. Sie weisen auf die Moglichkeit bin, sich alternative Betreuungsformen suchen zu konnen, z.B. in Form von Alten-Wohngemeinschaflen, selbstandig leben zu konnen. Alter muss nicht zwangslaufig mit Einsamkeit einhergehen. 5.2.3
Zwischenfazit
Grundsatzlich lasst sich festhalten, dass beide Berufsgruppen zu Alter negative, aber auch zahlreiche positive Assoziationen haben. Die Abbildung 5-2 gibt einen Uberblick iiber die negativen und positiven Assoziationen der Professionellen zu den unterschiedlichen Ebenen. Die meisten Interviewten haben ein differenziertes oder ein indifferentes Altersbild. Arzte und Pflegekrafte mit ausschlieBlich negativen oder positiven Assoziationen stellen eher eine Ausnahmen dar. Bei Arzten beziehen sich die negativen Assoziationen zu Alter starker auf den korperlichen Zustand, wahrend die Pflegekrafte mehrheitlich negative Aspekte beziiglich der psychisch/kognitiven Situation assoziieren. Beide Berufsgruppen sprechen die gleichen Themen an. Dies gilt auch ftir die negativen Assoziationen zur Lebenssituation. Eine Ausnahme stellt der Aspekt der Fremdbestimmung dar, der nur von den Pflegekraften - moglicherweise aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen - angeftihrt wird. Die negativen Altersbilder beider Professionen beziehen sich vor allem auf die Hochbetagten. Diese Altersgruppe steht auch im Mittelpunkt der positiven Assoziationen. Sowohl Arzte als auch Pflegekrafte verbinden mit der psychisch/kognitiven Situation alter Menschen Erfahrungen, Weisheit und Reife. Nicht alt ist, wer trotz hohem Alter „geistig fit" ist. Die positiven Assoziationen zur Lebenssituation werden vor allem auf die jiingere Altersgruppe bezogen. Beide Berufsgruppen verbinden mit dem Alter den Ruhestand insbesondere mit den Konsequenzen Freizeit und der Abgabe von Verantwortung. Dies bezieht sich auf die Altersgruppe ab ca. 60 Jahre. Pflegekrafte ftihren noch berufsgruppenspezifische Aspekte an wie Selbststandigkeit und die Moglichkeit, sich alternative Betreuungsformen zu suchen. Auffallig ist, dass es keine positiven Altersbilder zum korperlichen Zustand der alten Menschen gibt. Dennoch werden vereinzelt Beispiele von Patienten mit guter Fitness und Gesundheit im Alter angefuhrt.
91
Abbildung 5-2: Assoziationen von Arzten und Pflegekraften zu Alter
Assoziationen zu Alter negativ
positiv
• Alter ist nicht = Krankheit
Korper
• Nachlassen von korperlichen Fahigkeiten • Abbau • Beschwerden • Behinderung/Pflege • Krankheit • Tod/Sterben
• Erfahrung • Reife • Interesse, Anteilnahme, Engagement
Psyche
• Nachlassen von geistigen Fahigkeiten • Verwirrtheit, Demenz • Unzufriedenheit, • Unflexibilitat, Starrsinn
• Weisheit • Ruckblick/Reflexion • Zufriedenheit • Spa(3, Lebensfreude, Lebenswille • Freizeit • Nachlassende Verpflichtungen • Finanzielle Sicherheit
Lebenssituation
• Einsamkeit • Soziale Abwertung • Abhangigkeit • Fremdbestimmung • kleinerer Bewegungsradius
5.3
Zusammenfassung und Diskussion
Die Altersbilder der Arzte und Pflegekrafte sind mehrheitlich differenziert und umfassen sowohl negative als auch positive Aspekte, die sich auf die korperliche und psychisch/kognitive sowie auf die Lebenssituation beziehen. Die Vorstellungen der beiden Professionen von Alter werden fast ausschlieBlich mit Hochbetagten in Verbindung gebracht. Somit verschiebt sich die Wahmehmung von Alter auf das 9. Lebensjahrzehnt. Auffallig ist, dass kaum positive korperliche Assoziationen zur korperlichen Dimension genannt werden. Gleichzeitig zeigt sich eine gewisse Indifferenz in den Altersbildem bei92
der Professionen, die sich auch in der Schwierigkeit widerspiegelt, Alter zu definieren. Weder Arzte noch Pflegekrafte orientieren sich in ihrer Altersdefmition am kalendarischen Alter, sondem benennen subjektive Kriterien wie kognitiver und korperlicher Verfall, sowie die Verstarkung bestimmter negativer Eigenschaften, die vermehrt defizitorientiert sind. Beide Professionen berichten jedoch von einer Vielzahl von Patientenbeispielen, die diese defizitaren Kriterien nicht erflillen - entsprechend werden diese Menschen nicht als alt wahrgenommen. Zum Teil wird Alter als Ausdruck der Lebensform und Einstellung defmiert: „Man ist so alt, wie man sich flihlt und gibt". Altersbilder im Sinne von sozialen Stereotypen lassen sich nur bei einer Minderheit der befragten Arzte und Pflegekrafte fmden. Es existieren sowohl das „defizitare Altersbild", dass ausschlieBlich die Verluste und Einschrankungen im Alter betont, als auch positive soziale Stereotypen, die Alter mit Weisheit, Reife und Gelassenheit gleichsetzen (vgl. Rudinger, Kruse 2000). Die Mehrheit der Arzte und Pflegekrafte der vorliegenden Studie hat ein differenziertes Altersbild, das sowohl Verluste als auch Starken betont. Auch Brendebach und Piontkowski (1997) fanden differenzierte Einstellungen von Hausarzten in Bezug auf alte Menschen. Ftir die Gruppe der Pflegekrafte ermittelten Weber et al. (1997) in ihrer Studie ein „doppeltes Altersbild" im Sinne von Tews (1995), dass neben negativen Bewertungen auch neutrale und positive Einstellungen enthalt. Aufschlussreich ist es, zu betrachten, in welchen Bereichen Verluste und wo Gewinne im Alter wahrgenommen werden. Rudinger und Kruse (2000) ft)rdem u.a. auf Basis ihrer Untersuchung von Altersbildem in der Bevolkerung auf, drei Dimensionen des Altems zu unterscheiden: biologisches, psychologisches und soziales Altem. In diesen drei Dimensionen sind unterschiedliche Prozesse angesprochen, die auf ein gleichzeitiges Auftreten von Starken und Verlusten deuten. Auch in der vorliegenden Studie wird Altern von beiden Berufsgruppen als mehrdimensionaler Prozess verstanden. Die unterschiedlichen Dimensionen beziehen sich auf die korperliche Situation, psychisch/kognitive Situation und Lebenssituation. Wahrend auf der korperlichen Ebene Verluste dominieren, sind sowohl die psychisch/kognitive als auch die Lebenssituation nach Wahrnehmung der Professionellen von Gewinnen und Verlusten gepragt. Die Heterogenitat der Gruppe „alte Menschen", die Hummel (1983) als „heterogenste Gruppe" iiberhaupt bezeichnet, wird auch in den Ergebnissen dieser Studie sichtbar. Es fallt beiden Berufsgruppen schwer, zu definieren, warm und warum jemand alt ist. Alter wird von Arzten und Pflegekraften nicht am kalendarischen Alter festgemacht, sondem sie formulieren eigene subjektive Kriterien fur Alter, die einerseits differenziert sind, andererseits aber auch eine Unsicherheit und Indifferenz seitens der Professionellen zeigen. Alter festzumachen. So werden Menschen, die nicht ins „Klischee" passen, well sie z.B. geistig und korperlich fit sind, bzw. eine , jugendliche" Ein93
stellung haben, die sich in geistiger Flexibilitat ausdnickt, nicht als alt wahrgenommen. Hieran lasst sich zeigen, dass das Stereotyp Alter sehr langlebig ist. Es ist scheinbar immer noch eher negativ gefarbt, jedoch werden im Alltag viele positive Beispiele von alten Menschen registriert, die dann nicht als alt bezeichnet werden. Die positiven Beispiele lassen sich nur schwer in die subjektive Definition „alt" integrieren. Dieses Ergebnis wird durch einen weiteren Aspekt bestatigt: Den Arzten und Pflegekraflen fallt es nicht leicht, eine „Normalitat" von Alter zu beschreiben. Ihre Schilderungen bewegen sich - zugespitzt - zwischen den Polen vereinsamter, leidender, abhangiger Mensch und 101-Jahrige, die zum Urlaub in die Vereinten Arabischen Emirate fahrt. Diese Polarisierung hilft nach Kruse (Walter, Kruse, Schwartz 2003), die Komplexitat der Wirklichkeit zu reduzieren. An dieser Stelle lassen sich die Fragen aufwerfen, welche Bilder von Alter medial vermittelt werden, und wo eine „Normalitat" von Alter jenseits der Extreme dargestellt wird. Auffallig an den Ergebnissen ist, dass sich die Aussagen der Arzte und Pflegekrafte fast ausschlieBlich auf Hochbetagte beziehen. Das heiBt, Beispiele zu Alter und alten Menschen beziehen sich meist auf liber 80-Jahrige und Altere - worin sich nicht nur die gesamtgesellschaftliche Entwicklung der gestiegenen Lebenserwartung niederschlagt, sondem auch die insgesamt verbesserte Gesundheit der jungen Alten. Die Gruppe der Hochbetagten wird jedoch nicht pauschal als alt wahrgenommen, sondem dient haufig auch als Positivbeispiel. Es lasst sich aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie demnach auch ein differenziertes Altersbild zu Hochbetagten konstatieren. Zugleich zeigt sich jedoch auch die Schwierigkeit, Alter zu defmieren, worin sich einerseits z.T. eine fehlende Altersdefmition in Wissenschaft und Alltag widerspiegelt.
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Wandel der Altersbilder von Arzten und Pflegekraften viel Veranderung aber wenig Konsequenz „ALSO DIESES SELBSTVERSTANDNIS VON ALTER 1ST EIN ANDERES GEWORDEN. DIE LEUTE FINDEN SICH NICHT EINFACH MEHR DAMIT AB, ALT ZU WERDEN, SONDERN VERSUCHEN DAS B E S T E D A R A U S ZU MACHEN UND
DIESEM A L T E R U N G S P R O Z E S S E N T G E G E N ZU TRETEN."
HAUSARZT ( B A 02)
Die gesellschaftlichen Altersbilder haben sich im Laufe der Zeit verandert (vgl. Kapitel 3). Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Studie ermittelt, ob und inwiefern sich auch die Altersbilder von den befragten Arzten und Pflegekraften gewandelt haben. Zudem wird untersucht, wie sie sich gewandelt haben, und welchen Einfluss der Beruf auf eine Veranderung hat. Den Professionellen wurde in den Interviews hierzu folgende Frage gestellt: „Haben Sie den Eindruck, dass sich Ihre Vorstellung von , Alter' im Laufe Ihres Berufslebens gewandelt hat? Konnen Sie mir bitte eine Situation erzahlen, die dies deutlich macht!" In einem weiteren Schritt wird untersucht, ob ein Wandel des Altersbildes Konsequenzen fiir das arztliche und pflegerische Handehi mit sich bringt. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob Arzte und Pflegekrafte professionelle Konzepte von Alter besitzen oder ob sie ahnliche Vorstellungen von Alter wie Laien haben.
6.1
Wandel durch den Beruf: Differenzierung der Altersbilder
Mehrheitlich fiihren die Arzte und Pflegekrafte - wie in der Frage vorgegeben - den Beruf als Ausloser fiir einen Wandel ihrer Altersbilder an. Die Arzte benennen haufig eine Differenzierung der Vorstellungen von Alter im Laufe ihres Berufslebens. Sie beschreiben, dass ihre Vorstellungen von Alter facettenreicher und dichotomer geworden sind. Die Grenzen, die filiher durch das kalendarische Alter gesetzt waren, haben sich aufgelost. Die uniforme Vorstellung von Alter ist verschwunden, wie das folgende Zitat deutlich macht:
„Ich glaube, ich weiB es jetzt viel genauer. Weil ich alle Facetten von der Vierundneunzigjahrigen, die in die Vereinigten Arabischen Emirate fliegt, iiber ihre Schwester, die noch nicht mal laufen konnte, bis zu der Ftinfundneunzigjahrigen, die bewusstlos in der Wohnung ist und vier Jahre von ihrer Tochter gepflegt wird und gewindelt wird und gar nichts sagen kann, und auch alle Zwischenstufen ja kenne." (BA 14)
Der Bemf bewirkt, dass sich die Arzte mehr Gedanken iiber gesundheitliche Themen machen und sich starker mit dem Alter beschaftigen. Ihre Vorstellung wird konkreter und realistischer. Realistischer auch in Bezug darauf, was die Medizin im Alter leisten kann. „Und das hat sich natiirlich hier grundlegend geandert, und insofem hat sich also auch meine Beschaftigung mit Alter erheblich verandert - in der Zeit jetzt, in den letzten zwolf Jahren. [...] sehr viele Aspekte sind viel konkreter geworden." (HA 12)
Bin Tell der Arzte fiihrt an, dass sich durch den Bemf eher die negativen Aspekte des Alters verstarkt haben, das Bild vom Alter sich verschlechtert hat und die „Quantitat, einfach, was man da so zu verkraflen hat" (BA 03), zunimmt. Thematisch werden Einsamkeit, eine Verstarkung der Charaktereigenschaften bei alten Menschen und ihre abnehmende Wandlungsbereitschaft angesprochen. Charakteristisch ist die Aussage des eben zitierten Arztes, der wie folgt welter erzahlt: „Also insbesondere was so die ganzen negativen Aspekte des Altwerdens anbelangt. Inklusive also auch der vielen sozialen Probleme der alten Leute, die dann eben einfach vereinsamen, und die ohne groBe Kontakte da so vor sich hinvegetieren. Zum Teil auch vollig verkommen in ihren Wohnungen, sich selbst nicht mehr versorgen konnen und im Grunde genommen, wenn sie nicht selber auf andere zugehen, relativ alleine sind. Und das hat sich schon ganz erheblich geandert." (HA 12)
Haufige Probleme des Alters - wie beispielsweise Demenz und Einsamkeit, verbunden mit der groBen Bedeutung sozialer Kontakte im Alter - rticken im Laufe des Berufslebens starker ins Blickfeld der befragten Professionellen. Der Bemf bewirkt jedoch nicht nur negative Verandemngen. Es werden auch die zwei Seiten des Alters - die „Sonnen- und Schattenseiten", wie es ein Arzt formuliert -, deutlicher wahrgenommen. Die zwei Seiten beinhalten einerseits Beschwerden des Alters, andererseits aber auch Potenziale und positive Aspekte. Dies lasst Optimismus wachsen: „Die Vorstellung? Realistischer, denke ich eher. Weil ich die ganzen Beschwerden mitkriege, die es geben kann. Oder ich sehe aber auch optimistischer, weil ich sehe, wie verschieden die Menschen damit umgehen konnen. Wie das manche machen und wie das andere eben machen. Mit dem, was so kommt." (BA 12)
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Einige Arzte beschreiben, dass sie durch ihre Berufsaustibung ein positiveres Bild vom Alter bekommen haben: „Insofem eher positiv. Weil ich doch sehe, dass die Patienten mit und ohne unsere Hilfe als Arzte- wie viele Patienten doch bis in ein relativ hohes Alter hinein sehr wohl ein selbstbestimmtes Leben flihren konnen. Also so nach dem Motto: Ab siebzig ist man scheintot und dann lauft nichts mehr, das ist Quatsch. Weil ich hab hier Leute, die sind Mitte achtzig, sehen blendend aus und haben nattirlich verschiedene Erkrankungen, kommen mit denen aber so gut klar, dass sie wirklich ein vollwertiges Leben fuhren. Wo man manchmal wenn man, sagen wir mal, grade wenn ich mal eine schlechte Phase habe hier und norgelig drauf bin, sagen muss, mit dem konnte ich fast tauschen." (BA 04)
Pflegekrafte, die einen Wandel wahrend ihrer Bemfstatigkeit beschreiben, differenzieren z.T. zwischen der Arbeit im Krankenhaus und der Arbeit in der ambulanten Pflege. Sie ftihren an, dass sie sich friiher nicht mit Alter und Pflegebediirftigkeit auseinandergesetzt, sich keine Gedanken dariiber gemacht haben und sorgloser mit sich selbst umgegangen sind. Durch die Berufserfahrungen haben sich die Vorstellungen der Pflegekrafte von Alter dahingehend gewandelt, dass sie sich mehr Gedanken liber das eigene Alter und das ihrer Angehorigen machen, wie das folgende Zitat verdeutlicht: „Vom Beruf her gesehen [...], man lebt irgendwo intensiver. Ich denke mal, es macht sich keiner, der jetzt als Handwerker oder als Kaufmann [...] irgendwo arbeitet, die Gedanken, was ist, wenn ich mal in ein gewisses Alter komme. Oder die eigene Mutter ist vielleicht schon so alt, und die sehen nicht so diese Hilfsbediirftigkeit in dem Sinne dann so da hinter stehen. Ich glaube nicht, dass denen das so bewusst durch den Kopf geht, weil man hat ja automatisch immer, wenn man jetzt schon irgendwas hort mit Krankheit oder Schlaganfall oder so im Kopf [hat], ah ja, als nachstes kommt dann das und das, und man muss jenes und dieses tun. Ich denke mal, dass die sich nicht dariiber so den Kopf zerbrechen, wie jetzt jemand, der da tagtaglich mit zu tun hat. Also das hat sich in dem Sinne dann schon geandert." (HP 14)
Auch bei den Pflegekraften fiihrt der Beruf zu einer Differenzierung des Altersbildes. Ein Teil hatte zu Berufsbeginn eher negative Vorstellungen vom Alter bzw. hat zunachst nur negative Aspekte wahrgenommen: Alle alten Menschen seien grundsatzlich leidend und die Arbeit hat ihnen am Anfang Angst gemacht, besonders in Bezug auf die Korperlichkeit der alten Menschen. Nicht tiber Angste, aber dariiber, dass sie zu Berufsbeginn „geschockt" waren, sprechen die Pflegekrafte ebenfalls. Geschockt hat sie der respektlose Umgang mit alten Menschen im Krankenhaus, der erste Arbeitstag im Krankenhaus mit schwerstkranken alten Menschen und die damit verbundene Hilflosigkeit. Bei der ambulanten Pflegetatigkeit waren Pflegekrafte von der Hilfsbediirftigkeit und den Verhaltnissen bei den Pflegebediirftigen zu Hause schockiert. 97
„Die Grundpflege tiberhaupt bei den alten Leuten. Wir haben auch welche, die sich noch alleine waschen, die sagen's zumindest. Aber man kommt halt in die Wohnung, und man riecht halt Urin. Und die lassen sich nicht helfen und wollen das tiberhaupt nicht einsehen. Und das fmde ich so schockierend, dass sie das gar nicht merken. Oder dass sie zu wenig essen. Eigentlich gar nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu versorgen." (HP 17)
Heute - nach mehrjahriger Bemfserfahrung - haben die Pflegekrafte mehr Respekt vor alten Menschen, SpaB an ihrer Arbeit. Sie nehmen wahr, dass sie viel bekommen und nicht nur geben. Sie haben das ehemals angstbesetzte bzw. negativ gefarbte Bild revidiert und festgestellt, dass sich ihre Vorstellungen nicht pauschalisieren lassen: Man kann heute selbstbestimmt leben und zu Hause alt werden. Eine Pflegekraft fiihrt an, dass sie heute nicht mehr erschrocken ist, well sie durch die Erfahrung gelemt hat, was sie selbst praventiv machen und weitergeben kann. Pflegekrafte haben mehr Verstandnis gewonnen, lemen mit Alteren umzugehen, konnen von alten Menschen lernen. Eine Pflegekraft berichtet, dass sie eine starke Liebe zu alten Menschen entwickelt hat. Bei euiigen Pflegekraften lasst sich aber auch euie durch den Beruf ausgeloste gegenteilige Entwicklung erkennen. Ein geruiger Teil der Pflegekrafte betont, dass sie aufgrund der beruflichen Erfahrungen nie pflegebediirftig, ait aber nicht krank werden wollen, da die Qualen ihnen bewusster geworden sind. Eine Pflegekraft gesteht, dass ihr die beruflichen Erfahrungen Angst vor dem eigenen Alter machen. Ein Teil der Pflegekrafte beschreibt, dass sie ihre ehemals positiven und idyllischen Bilder des Alters im Laufe des Berufs revidiert haben. Die Idylle des Alters wu-d in folgendem Zitat gut beschrieben: „Meine Vorstellung und auch die meiner Frau von Alter, als wir uns kennen lemten, war ein Hauschen haben mit Garten und einer Bank davor und da sitzen wir dann drauf. Und betrachten froh die Schar unserer Enkelkinder und haben dann noch einen Hund, eine Kuh und eine Katze und ich weiB nicht was." (HP 01)
Heute ist Alter ftir sie langsamer Abbau, Verfall, alte Menschen seien anstrengend, nicht immer dankbar, konnen ungerecht sein und haben Vorurteile. Euie Pflegekraft hat ihr idyllisches bzw. positives Bild vom Alter erweitert durch die Eindrticke, die sie bekommt, wenn sie als AuBenstehende ui die Familien geht. Aufgrund der Eindrticke hofft sie, dass sie im Alter nicht zickig und nachtragend wird. Sie sieht aber dennoch positives Veranderungspotenzial bis ins hohe Alter. Eine weitere Pflegekraft beschreibt, dass sich ihre Lebensplanung geandert hat: Friiher wollte sie heiraten und Kinder haben. Durch die beruflichen Erfahrungen hat sie mitbekommen, wie sich alte Ehepaare hassen konnen, wie groB das Leid bei Tod des Partners sein kann und was es bedeutet, einen kranken Ehepartner zu haben. Daraufhin hat sie ihre
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Plane geandert, sie mochte nun ihr Leben so gut wie moglich fiir sich alleine leben und sich eine groBe Lebensqualitat bis ins hohe Alter bewahren. Eine Pflegekraft berichtet, ihr Optimismus sei nicht mehr so groB, verdrangt dies jedoch in ihrer taglichen Arbeit. „Es kann auch mal schief gehen. Also mein Optimismus ist nicht so groB, wie ich vorhin gesagt habe, aber, man verdrangt es. [...] Ja, ein Ehepaar. [...] die sind immer viel gereist und der Mann ging dann in Rente, und die haben sich da sehr drauf gefreut. Und ein Vierteljahr spater hat sie dann einen Schlaganfall gekriegt und konnte nicht mehr laufen. Und da waren alle Plane dahin. Die sind mir so im Hinterkopf." (HP 15) Bei einer anderen Pflegekrafl hat der anfangs in ihrer Berufstatigkeit vorhandene Elan und Optimismus nachgelassen, well sie keine grundsatzlichen Anderungen bei alten Menschen erfahren hat.
6.2
Personlicher Wandel: das eigene Alterwerden
Nicht nur der Beruf der beiden Professionen hat zu einem Wandel des Altersbildes gefuhrt, sondem auch personliche Erfahrungen. Zentral ist hier das eigene Alterwerden: „Ja, also ich glaub schon, dass [hangt] sicher auch mit dem eigenen Alterwerden zusammen: dass einfach bewusst ist, was so passieren kann. Chronische Erkrankungen, ja, also in dem MaBe, wie oft das passiert, war mir vorher nicht bewusst. Also ich denke eher so, wenn man jung ist und auch im Krankenhaus: eher Verdrangung, Tod, Altem, chronische Erkrankungen, wo man sowieso nicht helfen kann, ja, die kaputten Knie, da kann man eh nichts dran andem, ja. Also da merk ich schon, wie ich das verdrangt habe. Aber ich denke, das hat nichts mit der Praxis, das hat was auch mit dem eigenen Alterwerden zu tun." (BA 01) Mit dem eigenen Alterwerden verandert sich auch die subjektive Wahmehmung der Arzte und Pflegekrafte. „Als Zwanzigjahriger da waren die DreiBigjahrigen fiir mich alt. Und ich glaube, man kommt sich immer selbst jung vor. Und die anderen Leute, egal wie alt sie sein mogen, sind dann immer doch die anderen. Das ist irgendwie so, als ob man mit der gleichen Altersgruppe dann jung bleibend alter wird. Aber das ist mir so in den letzten Jahren klar geworden. Und interessant ist auch, wenn ich so alte Leute betrachte, die dann sehr fit sind zum Teil. Ich denke an eine neunzigjahrige Dame, und wenn man mal versucht sie zu animieren, zu einem Kreis von alteren Leuten zu kommen, die waren zwanzig Jahre jtinger - dann sagt sie ganz klar, nein, mit den alten Leuten will ich nichts zu tun haben. Also das Subjektive ist da auch wieder das Entscheidende." (HA 01) 99
Dieses Zitat bestatigt den Befund der Altersforschung, die durchgangig eine Diskrepanz zwischen dem objektiven Alter und dem subjektiven Alterserleben feststellt (vgl. Kapitel 3).
6.3
Gesellschaftlicher Wandel: gestiegene Lebenserwartung
Arzte konstatieren nicht nur einen personlichen oder beruflichen Wandel, sondem beschreiben, dass auch auf der gesellschaftlichen Ebene eine Veranderung stattgefunden hat: Sie fiihren an, dass die Lebenserwartung der Menschen gestiegen ist und das Selbstverstandnis von Alter sich positiv gewandelt hat. Eine Veranderung des Lebensgeftihls der alten Menschen wird berichtet. Sie seien viel „fitter", Kleiden sich jung, sind aktiv, haben SpaB an vielen Dingen und haben dadurch viel Lebensqualitat. Pflegekrafte fiihren erganzend an, dass sich die Moglichkeiten der Versorgung im Alter durch die Pflegeversicherung verbessert habe, besonders wenn man nicht von seinen Kindem erwartet, dass sie sich permanent ktimmern. Die gesellschaftliche Entwicklung wird jedoch nicht nur durchweg positiv gesehen. Sowohl Arzte als auch Pflegekrafte beschreiben negative Konsequenzen. Diese liegen darin begriindet, dass die gestiegene Lebensqualitat einhergeht mit Einschrankungen in der Lebensfiihrung und -qualitat. Als „schlimme" und „ftirchtbare" Entwicklung wird beobachtet, dass die alten Menschen nicht mehr wie filiher in die Familien integriert sind, sondem entweder zu Hause vereinsamen oder in Pflegeheimen leben und auch nicht mehr zu Hause sterben. Die Griinde hierfur werden darin gesehen, dass Angehorige das Alter und die Gebrechen des Alters nicht sehen wollen und selbst Angst davor haben. Alter ist ein gesellschaftliches Tabu. Die Tendenz, nicht mehr alt werden zu dlirfen, verbunden mit einer Kritik am derzeitigen Anti-Ageing-Trend, wird ebenfalls angefflhrt. Der gesellschaftliche Umgang mit Alter wird folgendermaBen beschrieben: „Und dann find ich es einfach immer nur schade und in der Richtung geht ja auch so mein Wirken: diese Wiirde des Alters den Menschen wieder zu ermoglichen. Das wirklich auch zu leben, und nicht irgendwie so - wir haben ja die schonsten Auswiichse, das sind dann die modemen Alten, die sich mit achtzig immer noch pink kleiden miissen oder so. Oder die Liftingskrankheit, und was wir nicht alles haben, [um] nicht alt werden zu diirfen. Und dass die alten Menschen, wenn sie's nach auBen hin nicht mehr leisten konnen im herkommlichen Sinne, dass sie sich dann als Abfall vorkommen. Das Beste ist, das ist namlich auch eine Tendenz, ich ware weg, und sich nur noch als Last empfmden, das fmde ich sehr erschtittemd." (HP 12)
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Die Wiirde der alten Menschen greift auch eine andere Pflegekraft auf. Sie fmdet „erschreckend", dass pflegebedtirftigen alten Menschen oft die Wiirde genommen wird und lebensverlangernde MaBnahmen ergriffen werden, die auf Kosten der Lebensqualitat gehen. Dieses ethische Problem wird von beiden Bemfsgruppen diskutiert, wenn sie einen medizinischen Wandel beschreiben. Es wird kritisiert, dass die modeme Medizin mehr „Sieclitum" produziert und Menschen langer am Leben gehalten werden, was als „schrecklich" empftmden wird. „Wobei sicherlich die MaBnahme und die Machbarkeiten unserer Medizin eine groBe Rolle spielen, also jetzt konkret lebensverlangernde MaBnahmen durch eine Magensonde. Oder eben auch bei den betroffenen Patienten, Demenzkranke, das ist einfach fast nur schrecklich." (HA 07)
Ein Arzt spricht in diesem Zusammenhang die Debatte um Patientenverfiigungen an.
6.4
Kein Wandel: der Beruf hat keinen Einfluss
Nicht bei alien Interviewten hat ein Wandel des Altersbildes stattgeftmden. Ein Teil der Arzte und Pflegekrafte fiihrt an, dass keine Veranderungen durch das Berufsleben erfolgt sind. Bei ihnen lassen sich Veranderungen zwischen Ausbildung und Beruf feststellen, aber nicht wahrend der Berufstatigkeit. Ftir Pflegekrafte sei Alter alltaglich, normal und sie seien schon mit alten Menschen groBgeworden. Es wird angeftihrt, sie hatten schon immer Respekt gegentiber alten Menschen gehabt. Dieser Respekt wird untermauert durch die Begegnungen mit alten Menschen. Eine Pflegekraft beschreibt ihre liber die Zeit gleich bleibenden Vorstellungen von Alter folgendermaBen: „Wie ich mir einen alten Mensch vorstelle, hat sich das eigentlich unwesentlich geandert. Vor meiner Ausbildung habe ich auf m Dorf gewohnt, und da waren die alten Leute irgendwie schon prasent. Egal, ob sie da zu dem kleinen Ladchen gelaufen sind oder ihre Hiihner gefiittert haben. Und das sind so grauhaarige Leute, die meistens ein bisschen langsam und gebiickt gehen, vielleicht noch so mit Pantoffeln an und runzelig, mit Brille und schwerhorig. So vom Erscheinungsbild hat sich die Vorstellung nicht geandert. Und eigentlich auch sonst, dass die irgendwie so'n bisschen verschroben oder eigensinnig sind, die Vorstellung hatte ich als Kind schon, und das hat sich irgendwie nicht groB verandert." (BP 05)
Ein Arzt benennt explizit, dass sich seine Vorstellung und Einschatzung nicht gewandelt hat, beschreibt jedoch eine Veranderung: „Aber was sich natiirlich iiber all die Jahre schon geandert hat, dass ich einmal sehe, wie viel Gewinn im Alter fur manche Menschen ist. Was sie
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so an Lebenserfahrung so haben oder auch so an Kontakten immer noch pflegen konnen. Oder die Zufriedenheit, die ich zum Beispiel sehe. Das ist der eine Pol, und der andere Pol ist, wie ich immer mehr erfahre, wie schrecklich das auch ist. Also wie [es] manchmal kaum zu ertragen ist ftir denjenigen und fur alle drum herum auch, fur die Angehorigen und fur die Pflegenden und, ja, fur mich auch." (HA 07)
Diese Polarisierung fuhrt auch ein anderer Arzt an, der sagt, dass sich zwar seine Vorstellungen nicht gewandelt, aber welter geklart und differenziert haben.
6.5
Konsequenzen des Wandels: Wandel als Veranderung?
In den Ausfuhrungen wird deutlich, dass bei beiden Professionen ein Wandel des Altersbildes stattgefunden hat. Mehrheitlich wurde dieser durch verschiedene Faktoren - insbesondere durch den Beruf ausgelost. Was bedeutet jedoch ein Wandel des Altersbildes? Interessant ist diese Frage, ob die Veranderungen Konsequenzen fur das arztliche und pflegerische Handeln mit sich bringen. Die Professionellen wurden nicht explizit nach Konsequenzen gefragt, in ihren Erzahlungen werden jedoch implizit Folgen deutlich. Diese werden im Folgenden differenziert nach ihren beruflichen, privaten und gesellschaftlichen Auslosem dargestellt. Femer lasst sich unterscheiden, ob der Wandel Konsequenzen in der Einstellung oder im Handeln mit sich brachte. Lag der Ausloser fiir den Wandel der Vorstellungen von Alter im beruflichen Bereich, haben sich fiir die Arzte folgende Konsequenzen fiir ihre Einstellung ergeben: Sie machen sich mehr Gedanken tiber das Alter, haben eine differenziertere Emstellung zum Alter, die negativen Aspekte des Alters sind konkreter geworden. Ein Arzt mochte die Beschwerden und Krankheiten spater fur sich akzeptieren konnen. Ein hohes Alter zu erreichen sei kein erstrebenswertes Ziel und die Vorstellung selbst alt zu werden wird schrecklicher. Dartiber hinaus ist die Wichtigkeit von sozialen Kontakten fiir alte Menschen ins Bewusstsein gelangt. Auf das Handebi einiger Arzte hat sich der Wandel folgendermaBen ausgewirkt: Ein Arzt benennt, dass man aktiv werden kann, viele Moglichkeiten hat und die Chancen nutzen sollte. Ein anderer Arzt sieht seine Aufgabe darin, daftir zu sorgen, dass Beschwerden und Krankheitsereignisse wie z.B. Herzinfarkt und Schlaganfall abgewendet oder hinausgezogert werden, damit die Menschen moglichst viel vom Leben haben. Ein weiterer mochte dazu beitragen, dass ein Mensch gesund alt werden kann. Fiir einen Arzt spielt Pravention im hohen Alter keine Rolle mehr, und er ist grofiziigiger geworden, was Risikofaktoren betrifft. Ein anderer Arzt rat seinen Patienten, ihren 102
Fokus darauf zu legen, was moglich ist und nicht darauf, was nicht mehr geht und ermuntert sie zur Forderung und Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Ftir Pflegekrafte haben sich folgende Konsequenzen flir ihre Einstellung aus einem beruflich ausgelosten Wandel ergeben: Sie mochten selbst kein Pflegefall werden. Es macht ihnen Angst beispielsweise zu sehen, wenn man sich niclit mehr bewegen kann und wenig Hilfe erhalt. Sie lehnen lebensverlangemde MaBnahmen fur sich und nahe stehende Menschen ab, verdrangen negative Aspekte des Altems und ihr Optimismus lasst nach. Sie wollen nicht abhangig sein. Dabei ftihrt eine Pflegekraft an, dass sie die Abhangigkeit ablehnt, wenn man pflegebedtirftig ist, wichtig sei jedoch die gegenseitige Sympathie zwischen Pflegekraft und Pflegebedtirftigem. Darauf achte sie auch in ihrem beruflichen Alltag. Im Gegenzug dazu auBert ein anderer Teil der Pflegekrafte, sie wtirden sich mehr Gedanken Uber das Alter machen und Erfahrungen mit Alter erschrecken sie nicht mehr. Auf das Handeln bezogen ergeben sich folgende Konsequenzen: Man kann das Alter in die eigene Hand nehmen und muss fruhzeitig planen und vorbeugen, z.B. soziale Kontakte aufbauen und sich ein altersgerechtes Wohnumfeld suchen. In diesem Zusammenhang spricht eine Pflegekraft uber Pravention, eine andere hat fur sich konkrete VorsorgemaBnahmen ergriffen: „Ich habe halt sehr vorgebaut, ich habe angefangen Spanisch zu lemen, well ich ganz gem spater mal in Spanien leben mochte, wenn ich in Rente gehe. Und ich wtirde grundsatzUch mir keine Wohnung mieten oder keine Wohnung kaufen, die keinen Aufzug hat. Ich wurde wirklich alles tun, um mich jetzt schon drauf vorzubereiten, so gut wie mogUch im Alter zurecht zu kommen, ohne standig umziehen oder ohne irgendetwas in Anspruch nehmen zu miissen. Und ich habe meinen Freundeskreis aufgebaut. Damit noch ein bisschen was iibrig bleibt, wenn ich alt werde. [...] Ja, ja, ich habe die Berufsunfahigkeitsrente abgeschlossen fiir den Fall, dass mir mal ein Dachziegel auf den Kopf faUt, oder ich tatsachlich einen Autounfall habe und gut abgesichert bin. Also ich habe sehr hohen Respekt vorm Alter bekommen und vor den Moglichkeiten, die man da hat oder auch nicht." (BP 11)
Des Weiteren haben sie einen bewussteren Umgang mit, mehr Verstandnis flir und keine Angst vorm Alter. Die Pflegekrafte geben an, ihr Alter ohne Probleme annehmen zu konnen und eifem den alten Menschen nach, die noch aktiv sind. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass die Wahmehmung der Aktivitat alterer Menschen keine Konsequenzen im Handehi mit sich bringt, well die strukturellen und fmanziellen Rahmenbedingungen in der ambulanten Pflege dies nicht zulassen: „Ich glaube, dass man das unter Umstanden, ja, auf alle Falle unterstiitzen kann. Also ich denke, dass viele altere Patienten geme Angebote annehmen wtirden. Sie schaffen's nur nicht, immer diese Initialziindung selber zu bekommen, sondem sie brauchen eben einmal einen Anschub oder
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zweimal oder dreimal. Aber ich denke, dann wtirden sie es auch selbstandig wieder machen. Und ich glaube auch, dass man mit Angehorigen dann zusammen vielleicht erreichen konnte, dass man eben dann so 'ne gewisse Aktivitat immer regelmaBig durchfuhren konnte. BloB das sind leider die Sachen, die ja die Kxankenkasse nicht bezahlt. Heutzutage werden nur die Leistungskomplexe und die Module bezahlt. Und daher dieser Zeitdruck, dieser enorme, und dann eben auch der Druck von den ambulanten Pflegediensten allgemein, wo man dann letztendlich angestellt ist. Und von daher wird immer so schon gesagt, ,ach, ich hab ja dafiir keine Zeit, eigentlich mtisste man ja, aber' und das mache ich ja letztendlich auch, ich sage das ja genauso. Ich bin da also auch kein Deut besser, dass ich mich da noch eine Stunde extra hinsetze, das mache ich nattirlich auch nicht." (BP 15)
Femer lassen sich folgende Konsequenzen aus den veranderten Vorstellungen zu Alter ableiten: Pflegekrafle haben einen respektvollen Umgang mit alien Menschen. Ihr eigener Umgang mit dem Sterben hat sich verandert, Sterben gehort zum Leben dazu wie die Geburt, was sich beruhigend auswirken kann. Die auBeren Gebrechen und das auBere Erscheinungsbild der Alteren „schockt" sie nicht mehr. Eine Pflegekraft erzahlt, dass sie bei einer Einflihrung in die Arbeit von Berufsanfangem sich an ihren eigenen ersten Tag zuriick erinnert, und sie diese deshalb vorsichtig hinfiihrt. Eine andere Pflegekraft ist fi"ustriert und ihr Elan und die Motivation, Hilfsangebote zu machen lasst nach. Eine Pflegekraft erzahlt, dass sie heute ganz anders handeln wtirde, wenn sie noch im Krankenhaus tatig ware: „Also wenn ich jetzt mit den Erfahrungen, die ich jetzt hatte, wieder ins Krankenhaus gehen wiirde, wiirde ich mit alten Leuten oder kranken Leuten ganz anders umgehen. Wenn ich so an die erste Zeit reindenke, wenn man als Krankenschwester ausgelemt hat und im Krankenhaus arbeitet, sieht man nattirlich in dem Moment nur die Momentaufnahme: Das heiBt also, da ist jemand, der ist krank, dem muss jetzt geholfen werden. Was letztendlich mit ihm passiert, wenn er aus dem Krankenhaus kommt, hat mich nicht interessiert. [...] Wenn ich es heute machen wiirde, schon mehr diesen Blick auch hatte - sind Angehorige da, wie ist es, wenn sie wieder nach Hause kommen, brauchen sie da Hilfe - also einfach auch diese Weiterbegleitung. Das, was ja nun auch versucht wird in den Krankenhausem einzufuhren. Dass man da schon mehr diesen Weitblick hat." (HP 14)
Wurde der Wandel durch den privaten Bereich ausgelost, ergeben sich fur Arzte folgende Konsequenzen in der Einstellung: Alter wird nicht mehr als langweilig und ohne SpaB wahrgenommen. Das kann durch eigene Erfahrung bestatigt werden. Alter wird eher mit der Zunahme von Gebrechlichkeit und vermehrten leichteren und schwereren Erkrankungen verbunden. Alter wird nicht als „so schlimm wie befurchtet" betrachtet, da sich die Wahmehmung differenziert. Fiir das Handeln ergeben sich folgende Auswirkungen: Arzte berichten, sie konnen durch das eigene Alterwerden alten Menschen besser zuhoren, 104
sich besser einfuhlen und nachvollziehen. Sie sind im Umgang mit ihnen ruhiger und souveraner geworden. Ein Arzt hat mehr Verstandnis, ist im Kontakt mit alten Menschen aber ungeduldiger geworden. Konsequenzen aus einem privaten Wandel ergeben sich nur bei einer Pflegekraft. Fiir sie hat Alter im positiven Sinne an Bedeutung verloren, da sie sich selbst nicht alt fiihlt. Der beschriebene gesellschaftliche Wandel - besonders die gestiegene Lebenserwartung mit dem positiven Selbstverstandnis von Alter - beeinflusst die Vorstellungen vom eigenen Alterwerden positiv. Es beeinflusst das Lebensgefuhl und fuhrt dazu, dass Arzte in Ruhe alt werden mochten mit einem hohen MaB an Lebensqualitat und Mobilitat, die sie sich erhalten wollen. Auswirkungen auf das Handeln hat der gesellschaftliche Wandel nur bei einem Arzt, der sich bei seiner eigenen Wohnungssuche friihzeitig Gedanken liber altersgerechtes Wohnen gemacht hat. Die Pflegekrafte schildem ebenfalls Folgen des gesellschaftlichen Wandels: Man kann aufgrund der Pflegeversicherung und der damit verbesserten Betreuungsmoglichkeiten Alter gelassener angehen. Man muss sich aber selbst auch rechtzeitig bemlihen, da die Einbindung in GroBfamilien oder die Betreuung durch die Kinder nicht mehr gegeben ist. Eine Pflegekraft flihrt an, dass sich alte Menschen heute nicht mehr so viel gefallen lassen wtirden und sich auch ofter beim Pflegedienst beschweren. Die Abbildung 6-1 fasst den Wandel der Altersbilder, ihre Ausloser sowie die daraus resultierenden Konsequenzen iiberblickartig zusammen.
6.6
Zusammenfassung und Diskussion
Sowohl bei der Mehrheit der Arzte als auch der Pflegekrafte haben sich ihre Vorstellungen von Alter gewandelt. Ausloser waren berufliche Erfahrungen, aber auch das eigene Alterwerden, verbunden mit der Veranderung der subjektiven Wahmehmung. Durch den Beruf ist das Altersbild der Arzte facettenreicher und polarer geworden. Auch fiihrt die berufliche Beschaftigung mit alten Menschen dazu, dass Arzte sich starker mit dem Thema Alter auseinandersetzen. Ihre Vorstellungen sind konkreter und realistischer geworden: Ftir einen Teil negativer die Probleme des Alters rticken starker ins Blickfeld, fiir einen anderen Teil positiver - sie sehen motivierende Patientenbeispiele und Moglichkeiten, den Altemsprozess zu beeinflussen. Der Wandel der Vorstellungen vom Alter, aus gelost durch den Beruf, bringt im Allgemeinen wenige Konsequenzen fiir das eigene Handehi mit sich. Er fiihrt nur bei wenigen dazu, dass Pravention im Alter fiir einen Arzt keine Rolle mehr spielt, ein anderer den Fokus darauf legt, die Ressourcen der Patienten zu betonen, die Aufgabe des Arztes darin 105
Abbildung 6-1: Wandel derAltersbilder, ihre Ausloser und Konsequenzen
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zu sehen, Beschwerden abzuwenden oder hinauszuzogem und die Chancen zu nutzen. Die beruflich ausgelosten Veranderungen des Altersbildes bei Pflegekraften zeichnen sich dadurch aus, dass durch den Beruf erstmalig eine Auseinandersetzung mit dem Alter stattfmdet. Durch die Arbeit konnten anfangliche Angste und „Schocks" tiberwunden werden, die Vorstellungen haben sich differenziert und zum Positiven gewandelt. Pflegekrafte haben mehr Verstandnis und konnen besser mit alteren Menschen umgehen. Bei einem Teil der Pflegekrafte wurden die ehemals positiven und idyllischen Vorstellungen vom Alter jedoch revidiert. Die beruflichen Erfahrungen schrecken ab. So gibt ein kleiner Teil an, nie pflegebedtirflig und krank werden zu wollen und verbindet das personliche Alter mit Angsten. Auch bei Pflegekraften ergeben sich aus den veranderten Vorstellungen kaum Konsequenzen fiir das eigene Handehi. Zwar flihren wenige Pflegekrafte an, dass man sich rechtzeitig klimmem und vorbeugen muss, aber nur eine Pflegekraft hat flir sich aktiv vorgesorgt. Eine Veranderung des Altersbildes, ausgelost durch personliche Erfahrungen, erfolgt bei beiden Berufsgruppen. Sowohl fiir Arzte als auch fiir Pflegekrafte ist das eigene Alterwerden verbunden mit einer Verschiebung der subjektiven Wahmehmung maBgeblich. Wahrend Arzte anfiihren, dass ausschliefilich das eigene Alterwerden relevant ist und die beruflichen Erfahrungen eine untergeordnete Rolle spielen, fuhren Pflegekrafte neben dem personlichen immer auch einen beruflichen Wandel an. Das eigene Alterwerden hat kaum Konsequenzen fiir ihr Handebi. Die Arzte fuhren ein besseres Einfiihlungsvermogen und mehr Verstandnis fiir alte Menschen an. Bei den Pflegekraften gibt nur eine an, dass das Alter fiir sie im positiven Sinne an Bedeutung verloren hat. Beide Berufsgruppen beschreiben einen gesellschaftlichen Wandel. Arzte betonen die gestiegene Lebenserwartung verbunden mit einem positiven Selbstverstandnis vom Alter und hoher Lebensqualitat. Auch Pflegekrafte beschreiben, dass die alten Menschen jtinger bleiben, aktiver sind und selbstbestimmter leben. Sowohl Arzte als auch Pflegekrafte verweisen auf negative Veranderungen. Die gestiegene Lebenserwartung tragt nicht nur zur Steigerung der Lebensqualitat bei, sondem fiihrt auch zu einer Minderung. Das gleiche Argument wird in Bezug auf den beschriebenen medizinische Wandel angefuhrt - die Diskussion um lebensverlangemde MaBnahmen. Den alten Menschen wird die Wtirde genommen, wie es eine Pflegekraft beschreibt. Einige Arzte flihren die Themen Einsamkeit im Alter und die Situation in Pflegeheimen an bzw., dass die alten Menschen nicht mehr in der Familie gepflegt werden. Konsequenzen fiir das Handeln bringt der gesellschaftliche Wandel nur fiir einen Arzt mit sich. Allerdings iibemimmt ein Teil der Arzte und Pflegekrafte das positive Selbstverstandnis von Alter und sucht sich positive Vorbilder unter den Patienten und Klienten. 107
AbschlieBend betrachtet lasst sich festhalten, dass in beiden Berufsgruppen durch die bemflichen Erfahrungen - aber auch das eigene Alterwerden ein Wandel der Vorstellungen von Alter erfolgt ist. Zwar fmdet eine verstarkte Auseinandersetzung mit dem Thema Alter statt, diese bleibt jedoch ohne Konsequenzen fur das Handeln. Nur in Ausnahmefallen treffen Arzte oder Pflegekrafte Vorsorge flir das Alter. Es lasst sich nicht bestimmen, ob der Beruf negative oder positive Auswirkungen auf die Altersbilder der Arzte und Pflegekrafte hat, da Verandemngen in beide Richtungen vorhanden sind. Mehrheitlich trifft wohl zu, dass die Vorstellungen facettenreicher, differenzierter und realistischer werden und ehemals einseitige (ausschlieBlich sehr positive oder negative) Altersbilder revidiert werden.
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7
Gesundheit im Alter Einstellungen und Konzepte „ N E B E N B E I G E S A G T , E I N E R MIT NEUNZIG 1ST NIE GESUND."
HAUSARZT(HA19)
Dieser Nebensatz eines hannoverschen Arztes provoziert einerseits durch seine Pauschalisierung und Beilaufigkeit, verlangt dadurch andererseits jedoch nach einer Prazisierung des Konzepts von Gesundheit im Alter. Ausgehend von der WHO (1946), die Gesundheit als „ein Zustand vollkommenen korperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefmdens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen" defmiert, wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wie Arzte und Pflegekrafte die Gesundheit ihrer Patienten im Alter betrachten. In Kapitel 3 wurde auf die Veranderungen im biologischen, psychischen und sozialen Alter hingewiesen. Inwieweit werden diese von den Professionellen reflektiert? Obwohl Alter(n) nicht mit Krankheit gleichgesetzt wird, werden Krankheiten im Alter haufig als unausweichlich betrachtet. Bisher wird meist zwischen ,Krankheiten im Alter', die altersbegleitend, aber nicht an den Alterungsprozess gebunden sind und ,A1terskrankheiten', die direkt vom Alterungsprozess abhangig sind, unterschieden. Walter, Schwartz und Seidler (1997) kritisieren diese dichotome Einteilung als zu grob und ungeeignet fur differentielle Analysen und praktische Anwendungen und schlagen basierend auf einem Modell von Zurcher und Slagboom (1994) eine weiterentwickelte Krankheitstypologie vor. Sie unterscheiden zwischen 7. Altersphysiologischen Veranderungen mit moglichem „Krankheitswert" (z.B. Veranderung der Sehfahigkeit, Abnahme der Knochendichte, die im Zusammenwirken mit anderen Faktoren Krankheitswert erhalten konnen); 2. Altersbezogene Erkrankungen nach langer prdklinischer Latenzzeit (z.B. Krebserkrankungen, arteriosklerotische GefaBerkrankungen, die erst im Alter klinisch manifest werden); 3. Erkrankungen mit im Alter verdndertem physiologischem Verlauf aufgrund verminderter homoostatischer Regulations- bzw. Reparaturmechanismen (z.B. Infektionskrankheiten, die nicht im Alter haufiger sind, jedoch meist einen groBeren Schweregrad aufweisen) und 4. Krankheiten infolge langfristiger, mit der Lebenszeit steigender Exposition (Je langer die Lebenszeit ist, desto wahrscheinlicher ist die Ausbildung von Gesundheitsstorungen oder Manifestation von Krankheiten aufgrund einer langen Expositionszeit verschiedener Effekte). Diese Klassifikation berticksichtigt die Beziehung zwischen physiologischen Alterungsprozessen, extemen verhaltnis- und verhaltensbezogenen Determinanten fur Krankheit und pathologischen Entwicklungen sowie Spezifi-
ka der Krankheitsverlaufe im Alter und bietet eine Gmndlage, um Gesundheit im Alter zu erhalten oder wieder herzustellen. Wesentlich fur die Gesundheit im Alter ist eine differenzierte Betrachtung folgender Schltisselbegriffe: der Multimorbiditat, der Kontextabhangigkeit, der Exposition, der Plastizitat und der Kompensation. Tabelle 7-1 gibt einen Uberblick liber die Schltisselbegriffe; ihre Definition und ihre Folgerungen (vgl. Schwartz, Walter 2003). Tabelle 7-1: Schlusselbegriffe zu Gesundheitsstorungen und Krankheiten im Alter
Definition
Folgerungen
Multimorbiditeit Gleichzeitiges Vorliegen mehrerer Gesundheitsstorungen Oder Krankheiten
Multimorbiditat ist charakteristisch fur das Alter. Sie erfordert eine veranderte Versorgungsstruktur mit gleichzeitigen („vernetzten") praventiven, kurativen, rehabilitativen und pflegerischen Angeboten mit entsprechend reduzierten bzw. verbesserten Schnittstellen. Fur den professionellen Bereich bedeutet dies eine multidisziplinare Qualifizierung und eine verstarkte Zusammenarbeit mit verschiedenen Professionen und Institutionen.
Kontextabhangigkeit Vorliegende professionelle und gesellschaftliche Definition von Krankheit und altersphysiologischen Veranderungen
Diese Abgrenzung betrifft besonders den professionellen Bereich, der sowohl uber diese Abgrenzung als auch uber die Einleitung von VersorgungsmalJnahmen entscheidet. Das gesellschaftliche Altersbild und das professionelle Altersbild beeinflussen sich gegenseitig und haben Auswirkungen auf die Bereitschaft und Art der Unterstutzung. Die professionellen und gesellschaftlichen Sichtweisen bestimmen auch die individuelle Akzeptanz altersbedingter Veranderungen und Gesundheitsstorungen mit, sowie die Bereitschaft zu aktiven PraventionsmalJnahmen im und fur das Alter. Neben den Altersbildern haben die individuelle Biographie, Familienstile und individuelle Eingebundenheit in das soziale Netz Einfluss auf den individuellen Umgang mit dem Alter und altersabhangigen Veranderungen.
Exposition Bedingung, Situation oderAgens, der eine Person oder eine (Tell-) Population ausgesetzt ist
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Exposition ist ein wesentlicher exogener Faktor fur die Entstehung von Krankheiten im Alter. Hierunter fallen: Schutz vor physikalischchemischen und biologischen Noxen, Ernahrung, „soziales Setting"; Art und Qualitat der exogenen Interventionen bei biologischen Krisen (Medizin). Die Exposition wird modifiziert durch Verhaltensweisen und soziookonomische Randbedingungen. Die wirksamen Determinanten bieten (medizinnahe oder -feme) Ansatzpunkte der Prevention und Gesundheitsforderung im und fur das Alter. Diese konnen auf das Verhalten ausgerichtet oder auf verhaltensabhangige Risiken oder Randbedingungen orientiert sein.
PlastizitSt Moglichkeit durch Training Abbauprozesse zu verzogern bzw. piiysiologische und kognitive Faliigi<eiten zu verbessern
Die Plastizitat nahezu aller Altersvorgange ist iioch. Es ist bis ins hohe Alter moglich, eigene Ressourcen produl
Kompensatlon Ausgleich
Kompensation gewinnt vor allem dort an Bedeutung, wo altersbedingte Beeintrachtigungen vorliegen. Das AusmalJ individueller kompensatorischer Fahigkeiten wird wissenschaftlich erst in den Anfangen und gesellschaftiich noch wenig perzipiert. Ihre verbesserte Wahrnehmung konnte ebenfalls das Altersbild in der Gesellschaft positiv beeinflussen. Individuelle Kompensationsmoglichkeiten konnen durch altersgerechte extreme professionelle und gesellschaftliche Hilfestellungen gefordert Oder behindert werden.
Fiir die vorliegende Untersuchung lenken die Schliisselbegriffe den Blick auf die Notwendigkeit vemetzter Versorgungsstrukturen, eine multidisziplinare Qualifizierung und professionstibergreifende Zusammenarbeit, auf eine differenzierte Wahrnehmung (und Abgrenzung) von Krankheit und altersphysiologischen Veranderungen, der Kompensation und Plastizitat sowie damit verbunden der Praventionspotenziale im Alter. Dies sind Bereiche, die in den Interviews mit Arzten und Pflegekraften naher untersucht worden sind. Ubergeordnet stehen die Altersbilder der Professionellen, die die eben angefuhrten Konzepte beeinflussen, aber auch von ihnen beeinflusst werden. Zudem weisen diese Schliisselbegriffe auf die praventiven, kurativen bzw. rehabilitativen Potenziale im Alter (Wiesner 2001, Schwartz, Walter 2003) hin. Kruse (2004) unterscheidet funf Dimensionen, die Gesundheit im Alter auszeichnen (vgl. Kap. 3): 1. 2. 3. 4. 5.
Fehlen von Krankheiten und Krankheitssymptomen optimaler funktionaler Status aktive, selbstverantwortliche, personlich zufrieden stellende Lebensgestaltung gelingende Bewaltigung von Belastungen und Krisen individuell angemessenes System medizinisch-pflegerischer und sozialer Untersttitzung.
Bei der Betrachtung der fiinf Dimensionen wird deutlich, dass zur Erhaltung und Forderung von Gesundheit im Alter sowohl an personlichen Faktoren wie Lebensstil, Belastungen, Fahigkeiten der Kompensation etc. angesetzt 111
werden muss als auch an Umweltfaktoren. Hier spielen beispielsweise die Beschaffenheit der Wohnung und die zur Verfiigung stehenden Dienstleistungen eine entsclieidende Rolle, um Mobilitat und Selbststandigkeit zu ermoglichen. Aber auch die soziale Partizipation sowie die Inanspruchnahme sozialer, kultureller, medizinisch-pflegerischer Angebote sind von groBer Bedeutung (Kruse 2004). Diese Aspekte werden in der vorliegenden Studie als soziale Integration und Teilhabe am Leben benannt. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels mit einer groBer werdenden Anzahl alterer und hochbetagter Menschen steigen die Anforderungen an ihre medizinische und pflegerische Versorgung (Robert-KochInstitut 2002). Dabei sind Hausarzte und ambulante Pflegekrafte die wichtigsten Kontaktpersonen ftir alte Menschen im Gesundheitswesen. Ihnen kommt somit in der Versorgung eine entscheidende Rolle zu. Entsprechend sind ihre (1) Einstellungen zur Gesundheit im Alter und (2) ihre Konzepte von Bedeutung, um Ansatzpunkte fiir die Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit im Alter zu erforschen. Diese beiden Bereiche wurden in der vorliegenden Studie untersucht. Zu ihrer Ermittlung wurde den Arzten und Pflegekraften die Frage gestellt: „Wie defmieren sie ,Gesundheit im Alter'? Konnen Sie mir einige Beispiele geben?" In die nachfolgende Auswertung flieBen sowohl die spezifischen Antworten auf diese Frage ein, als auch Beitrage zur Thematik im Rahmen des gesamten Interviews. Nach der Einstellung zur Gesundheit im Alter wurde nicht explizit gefragt, implizit liegen jedoch von einem Teil der Arzte und Pflegekrafte Aussagen hierzu vor.
7.1
Gesundheit im Alter ist erstrebenswert, aber eine Illusion - die Bandbreite der Einstellungen
Bei den befragten Arzten und Pflegekraften lasst sich ein facettenreiches Spektrum von Einstellungen beziiglich Gesundheit im Alter ermitteln. Dieses reicht von der optimistischen Einstellung eines Arztes, der in seinem AUtag eine groBe Anzahl an gesunden alten Patienten erlebt {Gesundheit im Alter als Realitdt), bis hin zu einer Gruppe Professioneller, fur die Gesundheit im Alter in ihrer Praxis nicht existiert. Zwischen diesen beiden Polen lassen sich zwei weitere Unterteilungen vomehmen. Gesundheit im Alter als erstrebenswertes Ziel: Diese Einstellung auBem vier Arzte und eine Pflegekraft. Exemplarisch lasst sie sich an ft)lgendem Zitat verdeutlichen: „Ich glaube, das ist das Beste, was man sich als Alter wunschen kann: Dass man gesund bleibt" (BA 10), sowie
112
Gesundheit im Alter als Illusion: Diese eher pessimistische Sichtweise auf Gesundheit im Alter beschreiben filnf Arzte und drei Pflegekrafte: „dass eigentlich Gesundheit im Alter nicht vorhanden ist" (BA 01). Die AuBerungen der beiden Berufsgruppen lassen sich unterteilen in hypothetische Einstellungen (erstrebenswertes Ziel und Illusion) und Einstellungen, die den Gesundheitszustand klassifizieren (Realitat vs. Nichtexistenz in der Praxis). Das auf den ersten Blick eher emtichtemde Bild sowie die generalisierten Aussagen der Professionellen konnen wie folgt zugespitzt werden: Gesundheit im Alter ist erstrebenswert, aber eine Illusion. Dieses zunachst desillusionierende Ergebnis lasst daran zweifeln, ob Arzte und Pflegekrafte Ansatzpunkte flir die Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit im Alter bei sich sehen, wenn sie Gesundheit im Alter als mehrheitlich nichtexistent betrachten. Von daher wurde tiefergehend analysiert, ob die Professionellen iiber ein Konzept verfiigen, wie sie Gesundheit im Alter in ihre Arbeit integrieren konnen. Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen, wenn die konkreten Antworten und Beispiele der Arzte und Pflegekrafte auf die Frage nach Gesundheit im Alter naher in den Blick geraten.
7.2
Konzepte zu Gesundheit im Alter
Wahrend sich die Einstellungen der Professionellen zu Gesundheit im Alter in Form von allgemeinen und normativen Antworten stark generalisierend und eher negativ darstellen, sind ihre Vorstellungen zu Gesundheit im Alter, die sich aus den Beispielen aus ihrem Alltag ermitteln lassen, sehr viel differenzierter. Gesundheit im Alter ist ein komplexer, mehrdimensionaler Prozess, der aus Sicht der Arzte und Pflegekrafte drei Bereiche umfasst, die sich gegenseitig beeinflussen: (1) die korperliche Dimension, (2) die psychische Dimension sowie (3) die Lebenssituation. Abbildung 7-1 gibt einen LFberblick tiber die drei Bereiche und ihre Charakteristika. 7.2.1
Korperliche
Dimension
Die in der vorliegenden Studie von den befragten Arzten und Pflegekraften dargestellte Krankheits- und Beschwerdesituation ihrer Patienten, ist der korperlichen Dimension von Gesundheit im Alter zu zuordnen. Dabei setzen sie Alter nicht mit Krankheit gleich, sondem schreiben physiologische Veranderungen dem Altem zu.
113
Abbildung 7-1: Gesundheit im Alter - Vorstellungen von Arzten und Pflegekraften
Gesundheit im Alter • „Normaler VerschleiB" • Beschwerde- und Schmerzfreiheit • „Medizinische Gesundheit" • Mobilitat
Korper
Lebenssituation
• Unabhangigkeit/ Selbstandigkeit • Selbstbestimmung • Soziale Integration • Unterstiitzung
Psyche Kognition
• Geistige Aktivitat • Akzeptanz von Einschrankungen • Zufriedenheit/ Sinnerfullung trotz Einschrankungen
„Normaler VerschleiB" als Gesundheit im Alter Die Arzte und Pflegekrafte bezeichnen ihre alien Patienten auch dann als gesund, wenn „normaler VerschleiB" oder „Alterskrankheiten" vorliegen. „Gesund im Alter bin ich eigentlich dann immer noch, wenn VerschleiB da ist, der aber noch nicht krank macht. Also zum Beispiel altersbedingt ist das Hiiftgelenk abgenutzt. Das kann man operieren und dann ist die Lebensqualitat nach einiger Zeit eigentlich besser oder fast wieder so wie bisher." (BA 16)
In dem Zitat wird deutlich, dass Alter nicht mit Krankheit gleichgesetzt wird, sondem durch medizinische Interventionen altersbedingte VerschleiBerscheinungen gemildert, und somit die Lebensqualitat verbessert werden kann. Ein weiterer Aspekt ftir einige Arzte und Pflegekrafte ist, dass nicht die Beeintrachtigungen selbst, sondem der Umgang der Patienten mit diesen Einschrankungen entscheidend ist.
114
Eine Definition, die ebenfalls auf bestehenden Beeintrachtigungen basiert, die lediglich gemildert werden konnen, ist die folgende. Beschwerde- und Schmerzfreiheit als Gesundheit im Alter Ftir vier Arzte und zwei Pflegekrafte gehoren „Zipperlein" zum Alter dazu. Entscheidend ist jedoch, dass die Patienten weitgehend ohne Schmerzen und Beschwerden leben konnen. „Gesundheit im Alter bedeutet erst mal frei zu sein von oder weitgehend frei zu sein von Schmerzen. Das ist schon mal ganz wichtig. Die stellen sich einfach zwangslaufig ein. Meistens hangt es mit dem Bewegungsapparat zusammen." (HA 11)
Bei dieser Definition werden von zwei Professionellen jedoch explizit chronische oder schwere Erkrankungen ausgeschlossen. In eine ahnliche Richtung verweist die nachste Defmition. Medizinische Gesundheit Zwei Arzte und zwei Pflegekrafte defmieren Gesundheit im Alter als euien Zustand ohne Beschwerden und Beeintrachtigungen. Die Patienten, die sie beschreiben, sind organisch gesund und haben keine medizinischen Probleme. An dem folgenden Zitat wird deutlich, dass jedoch ftir diese Arzte und Pflegekrafte der korperliche Zustand nicht der alleinige MaBstab ftir Gesundheit im Alter ist: „Ja sicherlich auch diese Moglichkeit, dass die nicht nur organisch gesund sind, sondem dass sie mit sich [...] oder mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind." (HP 06)
Die zitierte Pflegekraft beschreibt bereits explizit, wie wichtig das Zusammenspiel von Korper, Psyche und Lebenssituation ftir Gesundheit im Alter ist. Eine Defmition, die diese drei Bereiche miteinander verbindet, jedoch am starksten der korperliche Dknension zugeordnet werden kann, ist die Mobilitat. Mobilitat als Voraussetzung fur Gesundheit im Alter Mobilitat wird von 15 Professionellen als wichtige Voraussetzung ftir Gesundheit im Alter beschrieben. Sie wird als wesentlich erachtet ftir die Teilnahme am sozialen Leben und den Kontakt zu anderen Menschen. „Gesundheit im Alter, da denke ich jetzt an eine Funflindachtzigjahrige, die einfach bis auf kleine Einschrankungen ganz mobil ist. Also wirklich laufen kann, spazieren kann, wandem kann. [...] Die kann ihren Haushalt machen, die kann alles machen. Kontakte pflegen, ist ganz wichtig - als Merkmal fiir Gesundheit im Alter, fmde ich." (HA 07)
115
Auffallend an den Defmitionen der Arzte und Pflegekrafte zur korperlichen Dimension von Gesundheit im Alter ist, dass sie der psychischen Dimension und der Lebenssituation eine ebenso groBe Bedeutung beigemessen. 7.2.2
Psychische und kognitive
Dimension
Im Gegensatz zur korperlichen Dimension, die vorwiegend auf die Krankheits- und Beschwerde^zYwar/o« der Patienten abzielt, beschreiben die Arzte und Pflegekrafte in der psychischen Dimension starker das Krankheits- und BQSchwQvdQmanagement. Gesundheit im Alter wird defmiert als Fahigkeit trotz gesundheitlicher Belastungen, Einschrankungen oder vorhandenen Krankheiten ein zufriedenes und sinnerfulltes Leben fiihren zu konnen. Akzeptanz von Einschrankungen Da aus Sicht der Professionellen bei vielen alten Menschen gesundheitliche Beeintrachtigungen vorhanden sind, ist fiir knapp ein Drittel der Arzte und ein Viertel der Pflegekrafte wichtig, dass diese akzeptiert werden: „Ja, das Akzeptieren der Krankheit auch mit eventuell den Einschrankung, die dazukommen, einerseits naturlich versuchen durch Pravention ist dann da nicht das richtige Wort. Oder Rehabilitation schon zu gucken, wo kann ich da das so weit wie moglich eingrenzen. Aber andererseits eben auch wissen, gut, ist jetzt. Gehort jetzt zu meinem Leben dazu und ich muss damit klarkommen. Und ich kann das auch." (HP 04)
Wie in dem Zitat deutlich wird, geht es einerseits darum, korperliche Defizite anzunehmen und sich mit ihnen zu arrangieren, andererseits aber auch sie im Rahmen des Moglichen zu kompensieren. Eng verbunden mit der Akzeptanz von Einschrankungen ist die nachste Definition. Zufriedenheit und Sinnerfullung trotz Einschrankungen Trotz vorhandener Krankheiten oder korperlicher Einschrankungen kann von Gesundheit im Alter gesprochen werden, wenn alte Menschen Interesse am Leben haben und einen Sinn in ihrem Leben sehen: „Das heiBt trotz korperlicher Defizite - sei es schlecht zu horen, schlecht zu gucken, schwer zu gehen - trotzdem noch Ideen, Phantasien beziiglich der eigenen Zukunft [zu haben]. Das heiBt, noch in den Verein zu gehen, um zu singen. Das heiBt, sich noch mit Freunden oder Freundinnen zum Einkaufen zu treffen. Das heiBt, noch die Kinder zu besuchen. Das heiBt fiir mich Gesundheit im Alter." (BA 11)
Sieben Arzte und acht Pflegekrafte fuhren diese Definition an und weisen auf die Wichtigkeit verschiedener Aktivitaten hin, wie z.B. Reisen, Musizieren, 116
Einkaufen, Besuch der Kinder oder politisches Engagement. Neben diesen genannten Aspekten wird noch eine weitere Dimension ftir Gesundheit im Alter angefuhrt, die eher mit Kognition als mit Psyche beschrieben werden kann. Geistige Aktivitat und Fahigkeit als Gesundheit im Alter Geistige Aktivitat und Fahigkeit sind ftir vier Arzte und drei Pflegekrafte entscheidende Kriterien fxir Gesundheit im Alter. Bildhaft wird der „gesunde Kopf angefuhrt, dem eine ebenso groBe Bedeutung beigemessen wird, wie der korperlichen Dimension. „Das ist ein ganz wesentliches Merkmal. Die geistigen Fahigkeiten erhalten zu sehen, im Alter, das ist also ftir mich Gesundheit im Alter. Das ist, fiir mich das Wesentliche - eigentlich der Gesundheit: wenn der Kopf noch stimmt." (HA 07)
Neben der physischen und psychischen Dimension von Gesundheit im Alter ist eui dritter Aspekt ftir die Arzte und Pflegekrafte von entscheidender Bedeutung: die Lebenssituation alter Menschen. 7.2.3
Lebenssituation
Bei der Betrachtung der Dimension Lebenssituation wird emeut das Zusammenspiel der Dimensionen ftir das komplexe Thema Gesundheit im Alter deutlich. So beemflussen der korperliche und der psychische Zustand alter Menschen ihre Lebenssituation. Zugleich whkt sich die Lebenssituation auf die korperliche und psychische Befmdlichkeit aus. Gesundheit im Alter als Unabhangigkeit und Selbststandigkeit Unabhangigkeit und Selbststandigkeit vor allem bei der Bewaltigung der AUtagsanforderungen stellen ftir die Arzte und Pflegekrafte ein wichtiges Merkmal ftir Gesundheit im Alter dar. Forderliche Voraussetzungen hierftir suid die bereits erwahnte Mobilitat sowie geistige Aktivitat und kognitive Fahigkeiten. Dabei betonen die Professionellen, dass Unabhangigkeit und Selbststandigkeit im Alter trotz Krankheiten und Beeintrachtigungen moglich ist. „Nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Sich selbstandig zu versorgen, Herr seiner Dinge zu sein. Sein Leben eigentlich doch selber noch ganz schon gut im Griff zu haben." (BP 02)
In diesem Zitat wird am Ende deutlich, dass nicht nur die Selbststandigkeit, sondem auch die Selbstbestimmung wichtig ist. 117
Selbstbestimmung als Gesundheit im Alter Wahrend in dem Abschnitt zuvor betont wird, ein Kriterium fur Gesundheit ist, nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, sei im Alter, heben vor allem die Pflegekrafte den Aspekt der Selbstbestimmung hervor. Dieser muss sich nicht, wie die folgende Pflegekraft es formuliert, mit der Unterstutzung durch andere ausschlieBen: „[...] mein Leben vielleicht auch mit fremder Hilfe, aber doch selbstbestimmt fuhren konnen" (HP 08). Es scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein, dass Selbstbestimmung an Bedeutung gewinnt, wenn alte Menschen auf fremde Hilfe angewiesen sind. Soziale Integration und Teilhabe am Leben Soziale Integration und Teilhabe am Leben wird als weiteres Merkmal fiir Gesundheit im Alter beschrieben: „Das ist eigentlich das, finde ich, was man erreichen soil. Dass sie soziale Kontakte haben konnen, wenn sie wollen. Und zwar die sozialen Kontakte, die sie selber haben wollen." (HA 03)
Diese Definition umfasst die gleichen Aspekte wie die Definition Zufriedenheit und Sinnerflillung der psychischen Dimension. Allerdings ist der Fokus ein anderer. Zielt die psychische Dimension auf das individuelle Engagement alter Menschen ab, betont die soziale Teilhabe und Integration innerhalb der Dimension Lebenssituation die gesellschaftliche Aufgabe. Alte Menschen mlissen gesellschaftlich integriert und eingebunden werden, denn - so die Professionellen - soziale Kontakte sind das „A und O" und Einsamkeit wirkt sich kontraproduktiv auf die Gesundheit im Alter aus.
7.3
Fazit
Es existiert eine deutliche Diskrepanz zwischen den Einstellungen der Arzte und Pflegekrafte zur Gesundheit im Alter, die eher negativ oder - etwas milder formuliert - emtichternd sind, und ihren Konzepten. Bei der Betrachtung der Konzepte wird deutlich, dass Gesundheit im Alter ein komplexer, mehrdimensionaler Prozess ist. Dieser geht weit tiber die Abwesenheit von Krankheit hinaus. In der differenzierten Betrachtung der Professionellen, die Gesundheit im Alter als ein Zusammenspiel der korperlichen und psychisch/kognitiven Dimension sowie der Lebenssituation begreifen, spiegelt sich die Orientierung sowohl an der WHO-Definition von Gesundheit als auch an neueren Modellen von Gesundheit im Alter (z.B. „aktives Altem") wider. Nicht die Abwesenheit von korperlichen Beeintrachtigungen oder 118
Krankheiten ist entscheidend, sondem der Umgang mit ihnen sowie eine aktive Lebensfiihrung und positive Lebenseinstellung. Ftir die Mehrheit beider Berufsgruppen sind kleine Beeintrachtigungen, „normaler VerschleiB" sowie weitestgehende Beschwerde- und Schmerzfreiheit Teil ihres Gesundheitskonzeptes im Alter. Daran wird deutlich, dass Alter nicht mit Krankheit gleichgesetzt wird und Ansatzpunkte fur Pravention vermittelbar waren. Auffallig ist jedoch, dass beide Berufsgruppen nicht txber ein Instrumentarium einer differenzierten Krankheitstypologie verftigen und unklar bleibt, was „altersbedingte VerschleiBerscheinungen" oder „Zipperlein" sind, und wie diesen konkret praventiv vorgebeugt werden kann. Die befragten Pflegekrafte machen Gesundheit im Alter sehr viel starker an der Lebenssituation fest als am korperlichen Zustand von Patienten. Im Zentrum ihrer Erzahlungen stehen Unabhangigkeit, Selbstbestimmung und Integration alter Menschen - ein Bereich auf den sie als Professionelle nur bedingt Einfluss haben. Die korperliche Situation hingegen wird von ihnen fast ausschlieBlich negativ eingeschatzt, so dass sich die Frage stellt, ob Plastizitat im Alter von den Arzten und Pflegekraften hinreichend wahrgenommen wird. Eine wichtige Vorraussetzung, um auch bei alten Menschen praventiv tatig zu werden.
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8
Gesundheitsforderung und Pravention im Alter -- Theoretisches Verstandnis und Ansatze „DIE KUNST ZU HEILEN KANN VIELE LEIDEN LINDERN. DOCH SCHONER 1ST DIE KUNST, DIE ES VERSTEHT, DIE KRANKHEIT AM ENTSTEHEN SCHON ZU HINDERN."
MAX VON PETTENKOFER (1818-1901)
Das folgende Kapitel befasst sich mit der Definition von Pravention und Gesundheitsforderung aus theoretischer, wissenschaftlicher, aber auch gesetzgeberischer Sicht und dem subjektiven Verstandnis von Arzten und Pflegekraften. Inwieweit sich die Professionellen an Risikofaktoren, Gesundheitsstorungen bzw. Krankheiten orientieren oder eher Ressourcen fur eine auf Prevention und Gesundheitsforderung ausgerichtete Tatigkeit fur wichtig erachten, wird anschlieBend analysiert und vertieft die Darstellung der subjektiven Defmitionen. AbschlieBend werden die Einstellungen der Arzte und Pflegekrafte zur Pravention und Gesundheitsforderung erortert. Ftir die niedergelassenen Arzte werden diese Aspekte sowohl fur alle Patienten als auch speziell fur die Zielgruppe der Alteren und Hochbetagten aufgezeigt. Bei den Pflegekraften beziehen sich die Aussagen auf Grund des Klientels der ambulanten Pflegedienste fast ausschlieBlich auf Personen im hoheren und hohen Alter.
8.1 8.1.1
Wissenschaftliche und subjektive Definition Pravention und ihre Trias
Pravention (lat. praevenire, praeventum: zuvorkommen) wird nach den gangigen wissenschaftlichen Defmitionen als Krankheitsverhlitung verstanden. Pravention im Sinne einer generellen Vermeidung eines schlechteren Zustandes umfasst daher alle zielgerichteten MaBnahmen und Aktivitaten, die eine bestimmte gesundheitliche Schadigung verhindem, weniger wahrscheinlich machen oder verzogem. Ziel ist die Verringerung vermeidbarer Krankheitslast und damit die Erhohung der krankheits- und behinderungsfreien Lebenserwartung sowie ein langstmoglicher Erhalt der Selbststandigkeit im Alter. Caplan (1964) differenziert die Pravention nach ihrem zeitlichen Ansatz im Krankheitsverlauf in Primar-, Sekundar- und Tertiarpravention. Unter Beriicksichtigung neuerer Entwicklungen nahm der Sachverstandigenrat
(2002a) eine Begriffsklarung zur Pravention und Gesundheitsforderung vor (s. auch Walter, Schwartz 2003): •
•
•
Primdrpravention bezeichnet die generelle Vermeidung auslosender oder vorhandener Teilursachen (Risikofaktoren) bestimmter Erkrankungen bzw. Gesundheitsstorungen oder ihre individuelle Erkennung und Beeinflussung. Sie setzt vor Eintritt einer fassbaren biologischen Schadigung ein. Gesundheitspolitisches Ziel der Primarpravention ist die Senkung der Inzidenzrate oder der Eintrittswahrscheinlichkeit bei einem Individuum bzw. einer (Teil-) Population. Beispiele fur primarpraventive MaBnahmen sind Ausdauertraining und fettarme, obst- und gemiisereiche Emahrung zur Vermeidung von Ubergewicht und Diabetes mellitus Typ II. Sekunddrprdvention bezieht sich demgegentiber auf die Entdeckung eines eindeutigen (auch symptomlosen) Friihstadiums einer Krankheit und deren erfolgreiche Friihtherapie. Gesundheitspolitisches Ziel der Sekundarpravention ist die Inzidenzabsenkung manifester oder fortgeschrittener Erkrankungen. Ein Beispiel fiir Krankheitsfhiherkennung ist die Durchfiihrung eines Glucosebelastungstests als diagnostische MaBnahme zur frlihzeitigen Erkennung einer beeintrachtigten Glucosetoleranz, auf die als preventive Interventionen vermehrte korperliche Aktivitat und gesunde Emahrung folgen. Als Sonderfall bei vorgeschadigten Patienten zahlt - zumindest im kardiologischen Bereich - die Verhinderung einer Wiederholungserkrankung bzw. identischen Zweiterkrankung wie eines Zweitinfarktes zur Sekundarpravention. Tertidrprdvention kann im weiteren Sinne verstanden werden als die wirksame Behandlung einer symptomatisch gewordenen Erkrankung mit dem Ziel, ihre Verschlimmerung zu verhtiten. Engere Konzepte der Tertiarpravention subsumieren die Behandlung manifester Erkrankungen unter Kuration und bezeichnen lediglich bestimmte Interventionen zur Verhinderung bleibender, insbesondere sozialer FunktionseinbuBen als Tertiarpravention. Gesundheitspolitisches Ziel von Tertiarpravention im Sinne von Rehabilitation ist diesem Verstandnis nach, die Leistungsfahigkeit soweit als moglich wiederherzustellen, zu erhalten und bleibende EinbuBen und Behinderungen zu verhtiten. Am Beispiel eines manifesten Diabetes mellitus Typ II ware dies die Vermeidung von Folgeschaden wie Retinopathie oder die Entwicklung eines diabetischen FuBes.
Die Grenzen dieser Differenzierung werden allerdings durch eine zunehmend verfeinerte Diagnostik aufgelost und zudem durch ein vor allem im Herz122
Kreislauf-Bereich deutliches Ungleichgewicht zwischen dem Schweregrad von Risikofaktoren, insbesondere in ihrer Kombination einerseits und der Erkrankung andererseits, infragegestellt. Statt der herkommlichen Trias wird deshalb eine risikoadaptierte Pravention empfohlen (u.a. Schacky 2004). In den Sozialgesetzbtichem (SGB), die auch den Leistungen in der arztlichen und pflegerischen Praxis zugrunde liegen, besteht - auch infolge unterschiedlicher zeitlicher Verankerung - ein Nebeneinander verschiedener Begriffe zur Pravention (z.B. Vorsorge, Prophylaxe, Frliherkennung, Gesundheitsfbrderung). Eine durchgangige und einheitliche Bezeichnung selbst innerhalb der meisten Regelwerke fehlt. Die verwendeten Bezeichnungen werden bis auf Pravention meist niclit naher defmiert, womit ihre Abgrenzung unklar bleibt (Walter 2003). Eine Harmonisierung der Begrifflichkeiten wird mit dem Praventionsgesetz angestrebt. Nicht verwunderlicli ist es, dass dieses „Babylon im SGB" (ebenda) auch in der Versorgungspraxis zur Verwirrung fulirt, wie die Aussagen von zwei Hausarzten zeigen: „Ja, gibt also einmal die Frage, wo fangt die Pravention eben an. Pravention, jetzt im Bereich der Vorsorge mit Frlihentdeckung von Karzinomerkrankungen, ist fiir den Patienten schon eine Krankheit, fur mich Prevention vor der Verschlimmerung der Krankheit. Wenn ich das mit in die Pravention reinnehmen wurde, da ist es ja eigentlich am sichtbarsten." (HA 14) „Also Sie- also wirklich echte Pra- Sie meinen jetzt nicht Vorsorgeleistungen, also Frtiherkennung, sondem Pravention? Also echte Pravention?" (HA 13)
Generell ist den befragten Hausarzten, weniger den ambulanten Pflegekraften, die Unterscheidung in Primar-, Sekundar- und Tertiarpravention gelaufig, die sie explizit oder implizit anflihren: „Primarpravention, also wirklich erst mal zu verhiiten, dass Krankheiten auftreten, das ist natiirlich das AUerwichtigste. Den Leuten irgendwie so eine gesunde und vemiinftige Lebensweise aufzuzeigen, dass Krankheiten gar nicht erst entstehen, ist nun eine ganz wichtige medizinische Sache. Gut, und dann natiirlich die Sekundar- und Tertiarpravention, also wenn Leute was gehabt haben. Dann mit ihnen so umzugehen, dass sie das nicht noch mal kriegen, oder dass sie Strategien entwickeln, dass es nicht noch mal kommt. Das ist auch wichtig." (BA 17)
8.1.2
Pravention in der drztlichen
Versorgung
Was Hausarzte unter Pravention verstehen, d.h. ihre subjektive Definition, wurde in der Studie nicht direkt gefragt, vielmehr werden die Antworten aus ihren Erzahlungen entnommen, meist auf die Frage: „Welche Bedeutung hat Pravention in Ihrer beruflichen Tatigkeit? Erzahlen Sie mir bitte eine Situati123
on, die dies verdeutlicht." Auch zur Bedeutung von Pravention und Gesundheitsforderung bei alten und hochbetagten Menschen wurden die Arzte nicht explizit nach Defmitionen gefragt. Die Ergebnisse werden anhand ihrer Situationsschilderungen tiberwiegend auf die Frage: „Welche Bedeutung hat Pravention und die Forderung von Gesundheit bei alten Menschen in Ihrer Tatigkeit? Erzahlen Sie mir bitte eine Situation" gewonnen. Danach verstehen Arzte unter Pravention das Verhindem von Krankheiten und gesundheitlichen Schaden, „Schlinimeres Verhtiten". Angefiihrt werden vor allem klassische und gesetzlich verankerte MaBnahmen wie Gesundheitsvorsorge, Gesundheitscheck und Prophylaxe. Bin Arzt bezeichnet dies als „Pravention im engeren Sinne". Fast die Halfte der Arzte, die Pravention defmieren, fiihren sekundarpraventive Inhalte an. Haufig geht es um die Vermeidung von Folgeerkrankungen: „Jede Behandlung eines Bluthochdruckes ist ja letztlich Pravention. [...] Das heiBt, wenn ich einen Bluthochdruck behandele von jemand, der gar nicht weiB, was ich von ihm will, weil es geht ihm doch gut, dann treibe ich reine Pravention." (BA 19)
Oder um die Diagnose von Krankheitsfrtihstadien: „Wir haben heute die Moglichkeiten, praventiv tatig zu sein, praventiv viele, viele Krankheiten im Friihfeld im zellularen Milieu zu erkennen und auszuschalten, Dinge zu richten, bevor eine Erkrankung, ein chronisches Bild entstanden ist." (HA 08)
In der praventiven Arbeit kann nach Aussage eines Arztes euie psychotherapeutische Ausbildung die Aufmerksamkeit fokussieren: „Es flieBt naturlich dieses Wissen in meinen Alltag mit ein. Und nattirlich nehme ich Sachen, Hintergriinde von Krankheiten oder von krankhaftem Verhalten wahr, und kriege das mit und kann mein Auge darauf richten, da praventiv zu arbeiten." (BA 11)
Von einigen Arzten wu-d auch auf „ehie gewisse erzieherische Aufgabe" die der Hausarzt „auch hat oder haben kann" (HA 11) hingewiesen, ebenso auf die Forderung der Kompetenz und Selbstbestimmung der Patienten: „Das ist nattirlich etwas, was man auch als Arzt erst mal ein bisschen erfahren muss: dass es nicht nur schwarz und weiB gibt, sondem eben auch die Situation dazwischen. Wo ein Patient leidet und ich aber gar nicht handfest irgendwelche Krankheitssymptome habe, sondem den Patienten so beraten und anleiten muss, dass er gar nicht erst krank wird." (BA 16)
Allerdings gibt es auch Grenzen, die eui Arzt deutlich zieht: „Unter Pravention verstehe ich nicht, meine Patienten standig dazu aufzufordem, in einer neuen Art und Weise gesundheitsbewusst zu sein, wie das die Apotheken verstehen oder die Anbieter im Gesundheitswesen. Dass
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man hinter den Leuten her wischt, sie irgendwie schnappt und sagt: Du musst jetzt diese Pillen nehmen oder jenes Fitnessgerat kaufen oder mehr zum Arzt gehen. Ich fordere Patienten nicht dazu auf - wenn sie nicht von sich aus zu mir kommen - irgendwelche Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen." (HA 04)
Werden Arzte direkt nach der Zielgruppe der Alteren gefragt, verstehen sie hierunter altere Altere und vor allem Hochbetagte („Alter ist fiir mich nicht flinfundsechzig, sondem eher jenseits der siebzig, funfundsiebzig" (HA 04)). Sehr allgemeine Ziele von Pravention im Alter, die die Arzte formulieren, sind ein moglichst weitgehender Erhalt der korperlichen Funktionsfahigkeit und Beschwerdefreiheit: „Beim alten Menschen, zahlenmaBig alien Menschen, wurde ich das so defmieren, dass ich sage: Ich mochte bei dem alles erkennen und vermeiden konnen, was ihm vielleicht, wenn er siebzig ist, in den nachsten funfzehn Jahren noch Probleme machen kann und seine Restlebenszeit in irgendeiner Form schadigen kann. Ein Achtzigjahriger, wenn der Zuckerwerte hat, die ein bisschen hoher sind, dann wtirde mich das iiberhaupt nicht irritieren, wenn er da noch nicht Gefahr lauft, innerhalb kiirzerer Zeit Probleme dadurch zu kriegen." (HA 06)
Zwei Arzte weisen darauf hm, dass im Alter nur noch sekundare bzw. tertiare Pravention moglich ist, well schon Einschrankungen vorhanden sind. Es geht um den Erhalt der Funktionsfahigkeit und die Vermeidung weiterer Einschrankungen: „Ja, ja, ja, klar. Also bei den alten Menschen da gebe ich, denke ich, gezielt Anregungen, was die Forderung der Beweglichkeit zum Beispiel angeht. Ich kann das ja nicht als primare Pravention bezeichnen, es ist ja schon sekundare Pravention. Es sind Einschrankungen da, und dann muss man eben das Weitere moglichst noch abbiegen." (HA 07)
Ob man noch von Pravention im Alter sprechen kann, stellt ein weiterer Arzt infrage, und fuhrt an, dass es ,ja fast dann schon Rehabilitation" ist (HA 17). Auch diese Aussage setzt Krankheiten oder Behinderungen im Sinne von Beeintrachtigungen implizit voraus. Wenn die Arzte konkret Pravention im Alter defmieren, erwahnen sie haufig die Erhaltung der Selbststandigkeit und das Mobilisieren, „die mehr eine Rolle spielen als diese Medikamente" (BA 11): „Im Alter geht es darum, den Leuten klarzumachen, dass sie das, was sie konnen, weiter austiben miissen. Dass sie sonst ihre Fahigkeiten verUeren, je gemtitlicher sie werden. Und die Leute dazu zu bringen, ganz einfache schlichte Dinge, die auch nichts kosten, fur sich zu tun, jeden Tag einen Spaziergang zu machen." (HA 19)
Auffallend ist, dass, wie in diesem Zitat, einige Arzte Pravention im Alter als „Kleinigkeiten", als „schlichte", „banale" und „einfache Dinge" sowie als „nichts Hochtrabendes" bezeichnen. 125
8.1.3
Prdvention in der Pflege
In der Pflege fmdet sich der Begriff der Pflegepravention. Pflegepravention bezeichnet pflegerisches Handeln, das Fahigkeiten, Ressourcen und Potenziale fordert sowie Risikofaktoren durch Informationen, Beratung und Anleitung vermeiden hilfl. Ziel ist es, die Selbststandigkeit in der alltaglichen Lebensgestaltung zu erhalten (Strobel 2003). Brucker et al. (2004, S. 313) weisen jedoch darauf hin, dass der Begriff der Pflegepravention „weder hinreichend definiert noch als ausgewiesenes Konzept verbreitet" ist. Auch die in Public Health und der Medizin verbreitete Trias der Pravention fand Eingang in die Pflege (Kellnhauser et al. 2000). Nach Kruse (2002) umfasst Primarpravention Techniken zur Beratung und Aktivierung mit dem Ziel, Gesundheit, Selbststandigkeit sowie korperliche und kognitive Leistungsfahigkeit aufrechtzuerhalten. Sekundarpravention ist daneben vor allem auf die Vermeidung einer Zunahme von Funktions- und FertigkeitseinbuBen nach Auftreten einer Erkrankung gerichtet. Der Tertiarpravention ordnet KJUse die aktivierende Grundpflege zu. Wie bei den Hausarzten wurde die subjektive Definition von Pravention nicht direkt erhoben, sondem auch bei den Pflegekraften aus ihren Erzahlungen insbesondere zur Bedeutung von Pravention in ihrer beruflichen Tatigkeit entnommen. Da die Klienten der Pflegekrafte zum weit iiberwiegenden Teil Altere und Hochbetagte sind, wurde auf eine zusatzliche Frage zur Pravention im Alter verzichtet. Ein GroBteil der Pflegekrafte benennt klassische Prophylaxen, Mobilisation, Aktivierung und Emahrungsberatung als Formen der Pravention in der Pflege: „Fangt an mit: Was rastet, das rostet. Und flir mich - fiir mich als Krankenpfleger - ist eigentlich die Bewegung bei meinen Patienten das allerwichtigste. [...] Die Bewegung ist ganz ganz wichtig. Wenn einer den ganzen Tag im Sessel sitzt, dann tun ihm abends die Knochen weh, wenn er aufsteht, anstatt dass er vielleicht zwei-, dreimal am Tag rauskommt und sich bewegen muss. Also das verstehe ich unter Pravention." (BP 11)
Dabei betonen einige Pflegekrafte, dass „PraventionsmaBnahmen zum Teil eigentlich schon als Behandlungspflege verordnet [sind], diese ganzen Kompressionsgeschichten nach Thrombosen" (BP 06). Sie weisen darauf hin, dass Pravention teilweise in die Pflege integriert ist und die aktivierende Pflege Pravention einschlieBt. Die Pflegekrafte beschreiben in einigen Beispielen Pravention als eine MaBnahme, die das Wohlbefinden der Klienten fordert, die Lebensqualitat steigert und eine Integration in die Gesellschaft ermoglicht. Einige Interviewpartner definieren Pravention als Gesundheitspflege Oder Gesundheitsvorsorge. Ziel ist es, Gefahrenpotenziale zu erkennen und 126
Krankheiten zu verhindem; auch werden Rehabilitation und Kuration als Formen der Pravention genannt. „Pravention, genau. Also wir versuchen natiirlich, den Gesamtheitszustand eines Patienten so zu erkennen. Und das sehen die Schwestem auch, und ich sehe es dann auch, wenn ich unterwegs bin, weil meine halbe Stelle, sage ich immer, ist drauBen am Patienten. Also ich bin auch unterwegs. Ich bin Springer hier im Haus. Wenn ein Mitarbeiter krank wird, Urlaub hat, Uberstunden machen will, dann springe ich zu den Patienten rein. So habe ich die Chance, dass ich alle drei Monate jeden Patienten sehe. Jeden in Anfuhrungsstrichen. Und Pravention bedeutet da in diesem Bereich immer, dass wir von vomeherein versuchen festzustellen, wie, wo ist ein Gefahrdungspotenzial." (HP 06)
Pravention ist auch „Bewusstsein schaffen" (HP 07), „immer wieder darauf hinweisen, wie man es besser machen konnte" (HP 15), wie zwei Pflegekrafte betonen. Nicht zuletzt wkd Pravention auch auf die Mitarbeiter der Pflegedienste und nicht ausschlieBlich auf die Klienten bezogen: „Vorsorge in unserer beruflichen Tatigkeit, ich denke, sehr wichtig. Ich sehe Vorsorge einmal darin, dass wir, im Bezug auf die Mitarbeiter gesehen, dass sie regelmaBig zu ihren Untersuchungen gehen. Also alle zwei Jahre mtissen die Mitarbeiter hier zu ihren arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen. Darauf wird geachtet. Ich denke, auch fur die Patienten ist es sehr wichtig." (HP 10)
8.1.4
Gesundheitsforderung
Wahrend Pravention erne gezielte Vermeidung von Krankheiten bzw. Gesundheitsstorungen durch euie Reduktion von Belastungen und Risiken anstrebt, setzt Gesundheitsforderung nach der Ottawa Charta der World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation 1986) sowie nachfolgenden Deklarationen (insbesondere Adelaide 1988, Sundsvall 1991, Jakarta 1997, Mexico 2000, Bangkok 2005) dagegen vor allem bei der Analyse und Starkung der Gesundheitsressourcen und Potenziale an: „Health promotion is the process of enabling people to increase control over, and to improve their health." (World Health Organization 1998, S. 1, s. auch Ottawa Charta 1986)
Dies bezieht sich zum einen auf den einzehien Menschen (hoheres MaB an Selbstbestimmtheit) und zum anderen auf alle gesellschaftlichen Ebenen (z.B. politisch-admmistrative Veranderung der Rahmenbedingungen, Neuorientierung der Einrichtungen im Gesundheitswesen) mit dem Ziel, Ungleichheiten in der Gesundheits- und Lebenserwartung zu reduzieren. Zur Umset127
zung der Gesundheitsforderung wurden verschiedene Konzepte und Strategien entwickelt, wie z.B. der Setting-Ansatz. Insbesondere im medizinischen Bereich wird Gesundheitsforderung dagegen nicht so umfassend, sondem wie auch die Pravention in erster Linie im Hinblick auf Krankheitsvermeidung verstanden, wobei zu den MaBnahmen der Gesundheitsforderung im Gegensatz zu solchen der Pravention unspezifische MaBnahmen gerechnet werden. In der Pflege herrscht seit langerem sowohl national als auch mtemational Einigkeit darliber, dass sie sich nicht nur auf die Bewaltigung von Krankheit und Hilfsbedtirftigkeit der zu Pflegenden konzentrieren soil, sondem zugleich zur Aufgabe hat, die individuell vorhandenen Ressourcen und verbliebenen gesundheitlichen Potenziale der Pflegebediirftigen - im Sinne von Health Promotion - zu fordem. Bereits 1988, ankntipfend an die OttawaCharta zur Gesundheitsforderung (1986), vereinbarten die Teilnehmer der ersten europaischen Pflegekonferenz in Wien, Gesundheitsforderung in das zuktinftige Leitbild zu integrieren. Die Pflege wurde aufgefordert, entsprechende Aufgaben nicht nur wahrzunehmen, sondem auch AuBenstehenden zu erlautem (Zielke-Nadkami 1998). Demnach stellen gesundheitsfordemde (und preventive) MaBnahmen eine gmndlegende Verpflichtung sowie einen integralen Bestandteil von professioneller Pflege dar. Dies erfordert ein Pflegeverstandnis, das auch iiber die amerikanischen Pflegetheorien, die Gesundheit neben Person, Umwelt und Pflege als eines der vier zentralen Schltisselkonzepte betrachten und z.B. Beratung, Anleitung, aber auch Ermutigung in der Auseinandersetzung mit existenziellen Lebensbedingungen, Integration und Kompensation von Selbstpflegedefiziten als wesentliche Aufgaben ansehen, hinausgeht. Pflegende werden vielmehr als Begleiter und Trainer bei der Wiedererlangung sowie dem Erhalt eigenverantwortlicher Lebensgestaltung und gesundheitlichen Wohlbefmdens verstanden (Kuhlmey 2003, Schaeffer 2000). Brieskom-Zinke (2004) weist auf drei pflegerische Handlungsfelder zur Verandemngen der Gesundheitsbedingungen hin: die Fordemng von unterstutzenden sozialen Netzwerken, gemeindebezogene Gesundheitsfordemng und Gesundheitsfordemng in Settings. Als Teil der Gesundheitsfordemng versteht sie auch das Finden von Ausdrucksformen far Gesundheit wie z.B. die Unterstiitzung der Korperwahmehmung und Gefiihlsorientierung, korperliche Zuwendung sowie eine verlassliche orientierungsgebende Zeitstmkturiemng durch Rhythmisiemng der Lebensgestaltung. Auch zu Gesundheitsfordemng wurden die Hausarzte und Pflegekrafte nicht explizit nach einer Definition gefragt. Die Antworten werden den Fragen „Was beinhaltet fur Sie in Ihrer bemflichen Tatigkeit Gesundheit zu fordem? Bitte erzahlen Sie mir eine Situation/ein Beispiel eines Patienten/Klienten" und „Bitte erzahlen Sie mu* Ihren gestrigen Tagesablauf: Wie, warm und wo hat die Fordemng von Gesundheit eine Rolle gespielt? (privat/bemflich)" entnommen. Zudem werden Antworten auf die Frage „Welche 128
Bedeutung hat Pravention und die Forderung von Gesundheit bei alten Menschen in Ihrer Tatigkeit? Erzahlen Sie mir bitte eine Situation" berticksichtigt, die den Arzten gestellt wurde. Zunachst werden die subjektiven Definitionen der Arzte dargestellt, an die sich die Aussagen der Pflegekrafte anschlieBen. Viele Arzte fassen Gesundheitsforderung sehr weit und geben an, dass Gesundheitsfbrderung (fast) ihre gesamte arztliche Tatigkeit umfasst: „Man kann das naiv sagen: Meine ganze Arbeit ist Forderung von Gesundheit. Von morgens bis abends bemiihe ich mich um die Gesunderhaltung Oder um die Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevolkerung." (BA 14)
Entsprechend werden von einigen Arzten spezielle Laboruntersuchungen, eine frtihzeitige Diagnostik zur Identifikation von Risikopatienten, z.B. Herzmfarktgefahrdete, aber auch (praventive) Medikation zur Gesundheitsfbrderung dazugezahlt: „Na ja, ich habe natiirhch Medikamente verteih, die natiirUch auch zur Gesundheitsforderung beigetragen haben. Das darf man nicht ubersehen. Ist meine Hauptaufgabe hier, mein Hauptberuf" (BA 11)
Daruber hinaus wird als Gesundheitsforderung dem Arzt die Aufgabe zugeschrieben, „Entwicklungen, zu erahnen, vorweg zu riechen sozusagen, die moglicherweise zu Gesundheitsschadigungen fuhren konnen" (BA 04). Im Gegensatz zur gesamten medizmischen Tatigkeit werden jedoch auch Aspekte angefuhrt, die als Gesundheitsfbrderung im „engeren" Sinne bezeichnet werden: „Gesundheit zu fordem heiBt naturlich erst mal Krankheiten zu bekampfen; erst mal ganz banal, angefangen von irgendwelchen Infektionen liber Ruckenschmerzen. Gut, heiBt aber auch sozusagen das Umfeld des Patienten sanieren, sprich: Wenn jemand in einer chronisch schlechten Beziehung lebt, also sich mit seinem Mann oder seiner Frau standig streitet, dann konnen sie hier machen, was sie woUen, die kommen immer mit irgendwelchen Beschwerden." (BA 05)
Die subjektiven Definitionen der Arzte zu Gesundheitsforderung legen ein starkeres Gewicht auf die psychosozialen Umstande als die subjektiven Definitionen zu Pravention. Es werden Begriffe genannt wie Lebensberatung, Steigerung der Lebensqualitat, gliicklich miteinander leben, Gesundheitshilfe, die Einbeziehung von Problemen auBerhalb des medizinischen Bereiches (Umweltmedizin) und auch die Psychotherapie wird dazugezahlt. „Also das sind so Gesundheitsforderungs- ... wo ich denen Mut mache. Es ist noch nicht mal ein groBes Konzept oder Prinzip, oder, dass ich hier die Medizin neu erfunden habe. Haufig ist es, die Leute ermuntem, den inneren Schweinehund besiegen. Und eben nicht akademisch unverstandlich mit denen zu reden, dass die mit einem groBen Fragezeichen rausgehen. Sondem, ja, im Endeffekt machen wir nur Lebensberatung. Dann in vielen
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Fallen, das ist die Gesundheitsforderung. Gewohnheiten, die zu Krankheiten ftihren, versuchen, so sozialvertraglich wie moglich umzudeuten oder umzuandem, dass die Patienten dadurch profitieren." (BA 10)
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben („vor allem auch Geselligkeit, Geselligkeit muss nicht professionell aufwandig sein" (BA 08)), Lebensfreude, soziales Wohlbefmden sowie eine zufriedene Lebenssituation werden von den Arzten vor allem fiir altere und hochbetagte Patienten als auBerst wichtig und gesundheitsfbrderlich angesehen: „Sie sollten Bestandteil einer flinktionierenden sozialen Gemeinschaft sein, Und das wollen sie ja auch: eine Aufgabe haben. Also ich denke, so Altenwohngemeinschaft, gemischte Wohngemeinschaft, groBere soziale Verbande. Die Alten konnen viel erzahlen, die konnen viel helfen, die haben viel Erfahrungen. Die mtissen das auch geben konnen. Das heiBt, sie mtissen auch das Gefiihl haben, dass irgendjemand sie braucht. Das ist ganz wichtig, auch um gesund zu sein. Wenn man uberfliissig irgendwo abgeschoben ist, dann ist es egal, ob man jetzt gesund ist oder nicht gesund ist, wenn keiner einen braucht und man keinen braucht." (BA 06)
Einige betrachten korperliche Zuwendung fiir diese Zielgmppe als das Allerwichtigste. „Korperliche Zuwendung kann sein, otters hingehen, zu Trinken anbieten, Medikamente eingeben, beim Essen helfen, ofler mal die Windel wechseln, ofter mal unter den Arm nehmen und den Gang entlang gehen, spazieren. Keine Krankengymnastik im professionellen Sinne" (BA 08). Dariiber hinaus werden Sprachlibungen fur Personen mit entsprechendem Bedarf als sinnvoll erachtet. Wichtiges Element von Gesundheitsforderung ist fiir einige Arzte aber auch „dem Patienten seine Eigenverantwortung fur sich selber klarzumachen und zurtickzugeben" (BA 04). So heiBt „Gesundheit fordem auch den Korper bewusst machen" und sich dafur Zeit zu nehmen (HA 11). Ein Arzt weist darauf hin, dass Gesundheitsforderung bei alien Personen ansetzt: „Gesundheit fordem konnen sie bei Gesunden wie auch bei Kranken, ist gar keine Frage. Sie werden es unterschiedlich gewichten sicherlich, klar." (HA 18)
Dieses Verstandnis, dass auch der WHO-Defmition zugrunde liegt, spiegelt sich jedoch nicht in alien Aussagen wider. Zum Tell hangt dieses direkt mit dem Konzept und dem Begriff der Gesundheitsforderung zusammen, die nicht alien vertraut sind und vereinzelt mit „Welhiess" assoziiert werden. „Gesundheitsf6rderung heiBt ja eigentlich, dass ich das fordere und erhalte, was er hat, und wenn er krank ist, kann ich ja nicht die Gesundheit fordem. Dann kann ich hochstens die Gesundheit versuchen dadurch wieder herzustellen oder das Krankheitsbild zu bessem, dass er sich gesiinder fiihlt. Aber die Gesundheit fordem kann man dann eigentlich nicht mehr." (BA 10) 130
Ahnliche Schwierigkeiten mit dem Begriff der Gesundheitsforderung haben auch mehrere Pflegekrafte. So weist eine Pflegekrafl darauf bin, dass „das Wort Gesundheit im Prinzip nicht richtig angesetzt" ist (BP 08). Zum Teil wird mit Gesundheitsforderung verbunden, „dass die Leute wieder gesund werden" (BP 06), und diese Chance wird beim GroBteil der zumeist alteren Patienten nicht gesehen: „Bei dem Klientel, was wir betreuen, das kriegen wir in den seltensten Fallen gesund" (BP 08). So sehen vier Pflegekrafte bei ihrer Klientel keine Moglichkeiten, die Gesundheit zu fordem. Entsprechend ist der Bezug von MaBnahmen zur Gesundheitsforderung nicht immer einsichtig: „Weil Gesundheit zu fordem -, also ich habe viele beratende Tatigkeiten dazu bekommen, das, was friiher nicht der Fall war. Aber ob das die Gesundheit fordert, dass man jetzt in der Wohnung die Tiirschwellen entfernen lasst, damit der Rollstuhl besser driiber passt, oder damit man nicht stolpert? Ich glaube nicht, dass das als gesundheitsfordemde MaBnahme zu sehen ist. Das ist einfach eine existentielle [...]. Wenn ich mit dem Rollstuhl nicht durch die Tiir komme, weil eine Schwelle da ist, dann habe ich da ein Problem. Das macht mich aber nicht gesiinder, wenn die Schwelle weg ist." (BP 11)
Am haufigsten wird Gesundheitsforderung als psychosoziale Komponente in der Pflege gesehen. Hierzu zahlen die Steigerung des Wohlbefmdens und der Lebensqualitat der Klienten. Dies bedeutet, auch auf ihre Wiinsche einzugehen, z.B. wenn jemand geme isst „entsprechend mal was also mitzubringen oder eben selbst zu kochen" oder „in der Wohnung Blumen zu pflegen [...] also was dem Klienten eben da auch wichtig ist" (BP 17). Dartiber hinaus spielen die Integration in die Gesellschaft insbesondere zur Vermeidung von Einsamkeit eine bedeutende Rolle: „Also die Vermittlung von Gruppen das ist fbrdemd, gesundheitsfordemd" (BP 11). Einige Pflegekrafte defmieren Gesundheitsforderung als integrierten Bestandteil ihrer pflegerischen Tatigkeit. Aktivierende Pflege, Ressourcen im Sinne des Krankheitsmanagement zu entdecken, die Selbststandigkeit und Mobilisation zu erhalten und zu fordem werden als zentrale Aspekte der Gesundheitsforderung angesehen: „Gesundheitsforderung ist fiir mich zum Beispiel auch, dass man den alten Menschen versucht, moglichst selbststandig und aktiv auch noch zu halten. Also das, denke ich, ist so eine ganz wichtige Sache zur Gesundheitsforderung. Ihn immer wieder anregt auch, allein auch schon geistig anregt durch Tageszeitung zum Beispiel, dass wir einfach morgens eine Tageszeitung mitbringen." (HP 16)
Wichtig bei der Forderung der Selbststandigkeit und damit der Forderung von Gesundheit ist, wie eine Pflegekraft betont, „eben da zuhoren, zu gucken: Wo -, wo ist er eingeschrankt, wo gibt es Probleme? Und da denen was an
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die Hand zu geben, damit sie selber damit umgehen konnen. Das ist, denke ich, so das Geheimnis, der Trick, wie auch immer" (HP 05). Neben dem eigentlichen Klientel der Pflegekrafte werden auch bei der Gesundheitsforderung wie bei der Pravention vereinzelt die Mitarbeiter des Pflegedienstes als vorrangige Zielgmppe genannt. 8. L 5
Abgrenzungsprobleme
und Folgerungenfur
die Praxis
Die unterschiedlichen Perspektiven und Ansatze der Pravention und Gesundheitsforderung fiihrten bereits in der Vergangenheit zu haufig wiederkehrenden Diskussionen und Verstandigungsnotwendigkeiten im Feld der Pravention und Gesundheitsforderung und zu wiederholten Versuchen, Definitionen, Abklarungen und Abgrenzungen vorzunehmen (u.a. Manz 2001). Der Sachverstandigenrat fiir die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2002a) versucht beide Positionen zu vereinen, indem er darauf hinweist, dass sie als einander erganzend betrachtet werden sollen. Auch Pravention sollte demnach nicht nur der gezielten Krankheitsvermeidung, sondem auch der allgemeinen Gesundheitsverbesserung dienen. Bei der Entwicklung von Praventionsstrategien, -programmen und -maBnahmen ist immer nach beiden Aspekten zu fragen: • •
Welche Risiken und Belastungen konnen im Hinblick auf (spezifische) Krankheitsvermeidung und (allgemeine) Gesundheitsverbesserung gesenkt werden, und Welche Ressourcen konnen gestarkt werden?
In der Praxis bestehen fur beide Professionen - Arzte und Pflegekrafte - oft Schwierigkeiten, die Begrifflichkeiten klar zu trennen. So erwahnen elf Arzte explizit, Gesundheitsforderung sei das Gleiche wie Pravention, sie konnten dem, was sie zu Pravention gesagt hatten, nichts hinzufugen, und es gabe eine groBe Uberschneidung zwischen beiden Begriffen. „Das Gleiche, das, was wir gerade schon gesagt hatten, also Gesundheit fordem, helBt gesund leben. Das heiBt Sport treiben, insbesondere Ausdauersport, das heiBt sich gesund emahren. Das heiBt aber auch, ab und zu Oder auch regelmaBig mal nett zu sich sein, also auch den Stress mal bei Seite lassen und sich was Gutes gonnen." (BA 05)
Am deutlichsten wird die Schwierigkeit der Abgrenzung, wenn die Befragten von „Gesundheitspravention" sprechen und sagen Gesundheitsforderung „beinhaltet vor alien Dingen, Pravention zu betreiben, also vorbeugen" (BA 07). Ein Arzt weist darauf bin, dass sich Gesundheitsforderung und Pravention im AUtag nicht trennen lassen:
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,Ja, das ist ein Unterschied. Der offentliche Gesundheitsdienst legt da ganz viel Wert darauf, dass Gesundheitsforderung was anderes ist als Pravention. Wo es sich im taglichen Leben nicht so trennen lasst." (HA 17)
8.2
Orientierung an Risiken und Ressourcen
Pravention setzt an bei der Identifikation und der Vermeidung bzw. Verringerung von Risikofaktoren, die zu Gesundheitsstorungen oder Krankheiten fuhren konnen. Neben der Analyse moglicher Belastungen ist - im Sinne der Gesundheitsforderung - die Kenntnis vorhandener und zu fordemder Ressourcen der Betroffenen wichtig. Die hier vorgenommene Unterteilung dient der Orientierung, wo Arzte bzw. Pflegekrafte einen Praventionsbedarf sehen. Ein Ansatz ist der Risikofaktorenansatz. Risikofaktoren bezeichnen negative, statistisch korrelierende EinflussgroBen auf die Gesundheit. Zu den klassischen verhaltensbezogenen Risikofaktoren zahlen Tabakkonsum, Fehlund Uberemahrung sowie Bewegungsmangel. Der Risikofaktor Bluthochdruck kann bei entsprechender Auspragung auch als Krankheit defmiert werden; die Arzte selbst sprechen teilweise von der Krankheit Bluthochdruck, teilweise vom Risikofaktor. Krankheit bezeichnet eine Stoning der Lebensvorgange im Organismus mit subjektiv und/oder objektiv feststellbaren korperlichen, geistigen oder seelischen Veranderungen. Was als Krankheit bezeichnet wird, differiert nach soziokulturellem Hintergrund und unterliegt gesellschaftlichen Entwicklungen. In modernen Gesellschaften ist Krankheit zumeist als das Ereignis defmiert, das arztliche Behandlung notwendig macht bzw. auslost. Weit verbreitet ist eine Unterscheidung in korperlich-organische, psychosomatische und psychische Krankheiten. Zudem werden akute und chronische Krankheiten unterschieden. In Deutschland existiert keine inhaltlich legalistische Begriffsfestlegung. Der Verschltisselung von Diagnosen in der ambulanten und stationaren Versorgung sowie von Todesursachen liegt die Internationale statistische Klassifikation von Krankheiten und gesundheitsbezogenen Problemen (ICD, derzeit 10. Revision) zugrunde. Unter gesundheitlichen Ressourcen werden die Faktoren verstanden, die trotz Risiken und Belastungen zur Gesunderhaltung einer Person beitragen. Ressourcen konnen nach Eigenschaft oder Fahigkeit einer Person (z.B. Problemlosungskompetenz, Optimismus, Einstellung, Motivation, Handlungskompetenz, gesundheitsrelevantes Wissen), nach sozialem Umfeld (z.B. soziale Untersttitzung) oder nach gesellschafllicher Ebene (z.B. kulturelle Faktoren, gesetzliche Rahmenbedingungen) eingeteilt werden. Oft werden Ressource und Schutzfaktor als gleichbedeutend angewendet. AUerdings weisen sie verschiedene Wirkmechanismen auf Wahrend Schutzfaktor en als Puffer 133
beim Auftreten eines Risikofaktors wirken, beziehen sich Ressourcen auf die direkten Effekte eines Faktors, beispielsweise wenn die Einbindung in ein soziales Netz das Wohlbefmden steigert. Die professionelle Pflege geht spatestens seit der Novellierung des Krankenpflegegesetzes 1985 davon aus, dass ein kranker Mensch niclit durch und durch krank und hilfsbedtirftig ist, sondem neben kranken auch gesunde Anteile bzw. Fahigkeiten zur Genesung und Regeneration (Ressourcen) besitzt. Damit werden Elemente des Konzeptes der Salutogenese von Antonovsky (1997) aufgegriffen. Die Anleitung zu gesundheitsfordemdem Verhalten, sei es durch Beratung oder spezifische MaBnahmen, spiegelt sich in aktuelleren Pflegemodellen wider. Statt sich auf krankheitsbedingte Defizite zu konzentrieren, sollen Pflegende darauf achten, wo die eigenen Fahigkeiten des Patienten hinsichtlich seiner Selbstpflege ausreichen und wie sie diese bei Bedarf fbrdem konnen (aktivierende Pflege) bzw. wie die gesunden Anteile des Patienten weiterhin gesund erhalten werden konnen. Erganzend zu den subjektiven Definitionen wird im Folgenden analysiert, wo Arzte und Pflegekrafte Ansatze zur Pravention und Gesundheitsforderung im Alter sehen. Anhand der Antworten der Befragten lassen sich drei Ansatze unterscheiden, wobei die LFbergange flieBend sind. Sie orientieren sich an (1) Risikofaktoren (2) Gesundheitsstorungen bzw. Krankheiten (3) Ressourcen. Die Ansatze geben einen Einblick in vorhandene Kenntnisse und Strategien der Professionen und weisen zudem auf Zielgruppen der Befragten hin. 8.2.1
Im Fokus:
Risikofaktoren
Die Uberwiegende Zahl der Arzte verfolgt - wie bereits die Ergebnisse aus den subjektiven Definitionen zeigen - einen risikofaktorenorientierten Ansatz. Dies deckt sich auch mit den gesetzlich verankerten MaBnahmen wie der Gesundheitsuntersuchung. Entsprechend zahlen einige Arzte auch keine einzelnen Risikofaktoren auf, sondem weisen auf Vorsorgeuntersuchungen, Krebsvorsorge und Kinderuntersuchungen hin. Ein Arzt konkretisiert, was die Gesundheitsuntersuchung, hier der sog. Check-up, fur ihn beinhaltet: „Bei jedem Check-up, den ich mache, frage ich das mit ab. [...] Also konkret frage ich ab: Rauchen, Ubergewicht, Cholesterin, Zucker, Blutdruck, familiare Anamnese, Bewegungsmangel und Stressfaktoren. Das sind die acht Risikofaktoren, die ich bei jedem abfrage." (BA 11)
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Wenn detailliert erzahlt wird, auf welche Risikofaktoren die Arzte achten, decken sich diese mit den im Zitat genannten: An erster Stelle steht Ubergewicht bzw. Emahrung, einhergehend mit Bewegungsmangel. Auch Rauchen wird sehr haufig erwahnt. „Ja, was haben wir vergessen jetzt? Rauchen, Ernahrung, Bewegung, das sind ja schon mal die wesentlichen Dinge" (BA 02), ist eine charakteristische Aussage fur die iiberwiegende Mehrzahl der Interviews. Dariiber hinaus werden Alkohol und Stress bzw. Seelenhygiene und psychische Belastungen oft genannt. Eine zweite groBe Gruppe umfasst die messbaren Laborparameter wie Blutdruck, Blutfettwerte/Fettstoffwechselstorungen, Cholesterin und Blutzucker. Femer wird auf psychosoziale Faktoren hingewiesen, wie familiare und soziale Umwelt (Mobbing, familiare Gewalt etc.). Einzelnennungen sind Familienanamnese, Durchblutungsstorungen und Verhtitung von Infektionen (HIV und Hepatitis C). Risikofaktoren, auf die ein Fiinftel der Arzte bei Alteren achtet, sind vor allem im Bereich der Sturzprophylaxe angesiedelt: z.B. Stolperfallen, Schwellen und nicht vorhandene Hilfsmittel in der Wohnung. Dies berichten vier Arzte, die Hausbesuche durchfiihren, und zwei, die in ihrer Praxis auf die Notwendigkeit von Gehhilfe und Rollator schauen: „Das ist auch ein Feld, wo wir einiges tun, mein KoUege und ich. Und zwar gucken wir uns die Wohnung der Leute an, ob sie Stolperfallen haben, das ist sozusagen eine ganz einfache Form von Pravention. Weil, wenn die sich erst mal was gebrochen haben, die wenigsten kommen so zuriick, wie sie vor dem Sturz waren." (HA 05)
Als weitere Risikofaktoren werden genannt Bluthochdruck, Rauchen, Fehlernahrung, mangelnde Bewegung und unzureichende FlUssigkeitszufuhr. Die Osteoporoseprophylaxe ist ebenfalls ein Bereich, auf den geachtet wird. Einen geringeren Stellenwert haben Vorsorgeuntersuchungen und Screenings bei alten Menschen sowie Impfiingen, insbesondere Grippeschutzimpfungen. Ahnlich haufig wie die Arzte auBem sich die Pflegekrafte zu Risikofaktoren im Sinne eines pflegerischen Risikofaktorenansatzes. Hierbei handelt es sich um klassische Interventionen der Pflege. Die meistgenannten Handlungsansatze beziehen sich auf Prophylaxen von Dekubitus, Pneumonic, Thrombose, Exsikkose, Kontrakturen, Stiirzen oder Infektionen. Des Weiteren fuhren die Pflegekrafte die Emahrung und FlUssigkeitszufuhr an. „Einfach, um solche Akuterkrankungen zu vermeiden. Die haben genug chronische Erkrankungen. Die brauchen nicht noch irgendwelche akuten Sachen kriegen, well nicht drauf geachtet wird, dass sie zu wenig trinken, Oder eben Lungenentztindung und solche Geschichten, Thrombosen." (BP 06)
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8.2.2
Im Fokus: Gesundheitsstorungen
und Krankheiten
Gesundheitsstorungen wie Rtickenschmerzen, Schlafprobleme, Kreislaufbeschwerden und Verhaltensauffalligkeiten werden von den Arzten nur selten explizit benannt. Gesundheitliche Beschwerden werden jedoch durchaus als Ansatzpunkt fur praventive bzw. gesundheitsforderliche MaBnahmen gesehen: „Viele Patienten kommen ja mit Beschwerden, die sie nicht einordnen konnen. Die Gott sei Dank aber vollig harmlos sind. Wo man dann eben sagen kann: Das ist noch nichts Schlimmes, ist vielleicht ein erstes Anzeichlein fur was, was mal kommen konnte. Und dann eben zu sagen, so, und damit das nicht schlimmer wird, oder damit das nicht wirklich eine Erkrankung wird, da machen sie jetzt das und das, Riickenschule, Schwimmen, irgendeinen anderen Sport, Umstellung der Emahrung, mehr trinken, was weiB ich, ja." (HA 17)
Ein GroBteil der Arzte setzt im Sinne der Tertiarpravention („Schlimmeres verhindem") praventiv bei Patienten mit bereits vorhandenen Krankheiten an. Haufig genannt werden Diabetes und Herzinfarkt bzw. koronare Herzerkrankungen, eher seltener Osteoporose, chronische Bronchitis und Krebs sowie Depression bzw. psychische Krankheiten. Einzelnennungen sind dariiber hinaus Gicht, Asthma, Allergien, Wirbelsaulenversteifung, Nierenerkrankung und Infektionen. Seitens der Pflegekrafte wird nur in einem Fall auf eine Gesundheitsstorung Bezug genommen. Hierbei handelt es sich um altersbedingte Funktionsstomngen, denen mit einem kombinierten psychosozialen/pflegerischen Ansatz begegnet wird: „Fur mich ist es eigentlich wichtig, so meine Patienten auf einem Level zu halten, dass sich also nicht verschlechtert. Aber gegen das Alter ist nun mal kein Kraut gewachsen. Da sind eben immer mehr Funktionsausfalle. Und da ist eigentlich fur mich so, denke ich, mehr im Vordergrund: Versuchen, die Leute da langsam auch mit hinein zu begleiten in das Alter und dann letztendlich auch in den Tod." (BP 06)
Haufiger - wenn auch seltener als bei den Arzten - wird von den Pflegekraften ein krankheitsorientierter Ansatz genannt. Fast ausschlieBlich wird hierbei das Beispiel von Diabetikern angefiihrt, wo nach ihrer Angabe durch die Gabe von Insulin, durch Blutzuckermessung oder durch eine Emahrungsberatung praventiv gehandelt wird. SchlieBlich fmdet sich ein krankheitsorientierter Ansatz beziiglich einer Beratung zur antiretroviralen Medikamentennahme bei einem AIDS-Patienten.
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8.2.3
Im Fokus:
Ressourcen
Ressourcen der Patienten stehen nur bei einem knappen Drittel der Arzte im Mittelpunkt. Sie werden vor allem im psychischen Bereich gesehen, bei der Lebenszufriedenheit, bei der Mobilisierung von Kraften (durch auch praventiv wirkende Psychotherapie) bzw. bei der Beseitigung von Ursachen fur psychische Stomngen. Als wesentlicher Aspekt wird genannt „ [...] Krafle zu mobilisieren in dem Patienten, dass sie sich selber drum ktimmem, um sich, um ihre Gesundheit" (BA 11). Bin weiteres Ziel sollte es sein zu lemen, „dass mit der Gesundheit auch irgendwo das Setzen von Schranken gegen fremde Anforderungen zu tun hat" (HA 10). Zwei Arzte setzen bei Ressourcen an der Forderung des Korperbewusstseins und der Korperwahmehmung an. Bin Arzt sucht und bespricht gezielt die gesunden Anteile der Patienten: „Es geht um eine Patientin, die mit sehr vielen Krankheiten kommt, die sie auch hat. Und wo wir gerade heute Nachmittag dariiber gesprochen haben, welche MogUchkeiten bei ihr gesund sind. Also, sie klagt jetzt, hat eine Operation am Knie gehabt, das wird im Augenbhck ein bisschen sehr in Vordergrund gesteUt, und ist auch psychisch ziemHch angeschlagen. Da geht es dann darum, gezieh MaBnahmen herauszuarbeiten, wo hat sie denn BewegungsmogHchkeiten zum Beispiel. Das mache ich dann so, dass ich es bespreche. Und dann wird gemeinsam iiberlegt: Wo ist denn diese Moghchkeit, wie kann sie das einbauen, dass sie auch mal die Krankheit vergisst, zum Tanzen geht oder so etwas, weil sie es geme tut. Was sie ja auch kann, da ist sie einfach gesund genug fur. Und das tut ihr gut, das hat wieder Riickwirkungen auf die Erkrankung." (HA 07)
Bin Arzt weist auf ein groBes Potenzial in der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen hin. Wichtig ist ihm nicht nur, nach gesunder Emahrung zu fragen, sondem auch „nach besserem Schuhwerk fiir die Kinder, [... bei] Jugendlichen nach Sportmoglichkeiten" (HA 17). Im Hinblick auf Pravention fur Altere richtet ein Teil der Arzte seinen Blick nicht auf die Verhinderung moglicher Krankheiten, sondem setzt an den physiologisch beduigten Alterungsprozessen an, und versucht „die ganz normalen Alters- oder Altemsvorgange etwas rauszuzogem" (HA 11). Arzte nehmen oft auch eine Orientierung an Ressourcen im Sinne der Gesundheitsforderung vor. Besonders das Anregen zur Bewegung und Fordem der Beweglichkeit sowie der Erhalt der Mobilitat werden genannt: „Und dann meine ich, ich hab -, bin eben durch die Budgetzwange -, ich wiirde geme alien Leuten eine Bewegungsgruppe und Krankengymnastik verordnen, weil die Leute brauchen Bewegung, sonst verlieren sie Muskelmasse und werden immer unbeweglicher. Und das versuche ich auch zu erreichen."(HA01)
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Drei Arzte fuhren an, dass das Training der mentalen Funktionen und geistigen Aktivitaten wichtig ist. So auBert z.B. ein Arzt: „Ich achte eben sehr darauf, auch, wenn ich mit den alten Menschen spreche, einen, wenn auch klitzekleinen Anteil, meistens im Rausgehen, so auf die geistige Aktivitat noch mal zu lenken. Also dass ich eben frage: ,Haben Sie die Hochzeit gesehen?' oder ,Haben Sie schon Olympia geguckt?' oder ,Was machen die Kreuzwortratsel'. Das weiB ich ja alles mit der Zeit, wo dann die Vorlieben sind. Oder dass ich Anregungen gebe, ich habe dann so Heftchen, Gesund im Alter oder so was, oder Mehr Schwung im Alter und so. Das mogen manche auch sehr geme." (HA 07)
Ressourcen fordem auch die Arzte, wenn sie die Aktivitat und Selbststandigkeit z.B. durch Information der Patienten fordem oder soziale Kontakte anregen oder vermitteln. „[...], dass der altere Mensch [... die Moglichkeiten] eben entsprechend nutzen sollte flxr Tatigkeiten, die ihm passen, die vielleicht auch irgendwas, was im Leben versaumt war, ausgleichen, und die dann auch in dieser Richtung oder in anderer irgendwas mit Gesundheitsfdrderung zu tun haben." (HA 10)
Ein Arzt betont, dass er nicht nur Rezepte fur alte Menschen ausstellt, sondem sich mit ihnen zum Gesprach zusammensetzt und tiber das soziale Umfeld redet. Ein anderer Arzt erzahlt, dass er Patienten unterstutzt, die keine Medikamente nehmen wollen, ihr Verhalten und ihre Lebensgewohnheiten zu verandem. Die Antworten der Pflegekrafte lassen sich in die Forderung der psychosozialen und der pflegerischen Ressourcen unterscheiden. Die Mehrheit der Befragten auBert einen psychosozial ressourcenorientierten Ansatz. Dies deckt sich mit den Ergebnissen aus den Defmitionen von Pravention und Gesundheitsforderung. Ressourcen, auf die geachtet wird, sind dabei zum einen exteme, wie z.B. das soziale Umfeld, wie Nachbam und Verwandte oder weitere Betreuungsangebote, sowie klienteneigene Ressourcen, die durch Motivation, Kommunikation, geistige Anregungen und Integration in die Gesellschaft gefordert werden konnen. In dem pflegerisch-ressourcenorientierten Ansatz spiegeln sich die neueren Pflegemodelle deutlich wider, die darauf achten, zu Pflegende gerade auch bei vorhandenen Krankheiten wieder zu aktivieren und zu mobilisieren. Wichtig ist, den Klienten nicht nur die Defizite zu erlautem, sondem dass die Pflegekraft ihnen „auf der anderen Seite ihre Ressourcen, die vorhandenen Ressourcen, die sie noch haben, einfach zeigt und untersttitzt und mit ihnen gemeinsam erarbeitet" (BP 08): „Ich denke, dass, gerade was Mobilisation angeht oder so, also dass man guckt halt, dass man die Patienten so viel wie moglich in die Tatigkeiten, die man selber macht, mit einbezieht. Dass sie Stuck fur Stiick wieder auch selbststandiger werden und auch Teile der Pflege selbst iibemehmen
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und gucken, was man machen kann. Halt immer versuchen, so viel wie moglich den Patienten selber machen zu lassen. Das lemt man ja auch in der Krankenpflegeschule, immer ganz aktivierende Pflege und so was. Aber so, ich denke mal, von dem, wie ich jetzt arbeite, merke ich schon, wenn man die Patienten iiber einen langeren Zeitraum betreut, dass sich das auch lohnt. Weil man macht sich die Arbeit damit einfacher, wenn man die von vomherein zuzieht. Wie kann ich das hinkriegen, meinetwegen Demenzpatienten, Stiick fur Stiick mit einzubinden? Am besten, dass man auch immer den gleichen Ablauf hat, wenn bei denen arbeitet. Dass sie dann Stiick fiir Stiick dann merken: AUes klar, das mach ich jetzt selber, und iibemimm- nehmen die dann Stiick flir Stiick viele Tatigkeiten dann auch selber. Und man hilft dann nur noch, assistiert dann nur noch so ein bisschen, und die machen die Arbeit. Das ist natiirlich auch schon, wenn das klappt. Dass sie halt wieder lemen dann auch mit ihrem Korper selber umzugehen und so." (HP 05)
8.3
Einstellungen
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Einstellungen Arzte und Pflegekrafte zu Pravention und Gesundheitsforderung aufweisen. Es soil ermittelt werden, wie wichtig Pravention und Gesundheitsforderung fiir sie sind und welchen Stellenwert sie in der Praxis haben. Es lassen sich eher positive und eher negative Einstellungen unterscheiden. Diese Einteilung darf jedoch nicht darliber hinwegtauschen, dass die Professionellen vielfach gegeniiber Pravention ambivalent eingestellt sind, vor allem, wenn sie die Umsetzung in die Praxis mit reflektieren. Auch zur Pravention und Gesundheitsforderung im Alter haben insbesondere Arzte eine sehr ambivalente Emstellung. Die wenigen durchweg positiven Emstellungen werden nicht ausgefuhrt, belegt Oder begriindet. 8.3.1
Eher positiv
Die iiberwiegende Mehrheit der befragten Arzte hat eine eher positive Einstellung zur Pravention und Gesundheitsforderung. Die Bandbreite der angesprochenen Begriindungen reicht von patienten-, arzt- und forschungsbezogenen bis hin zu gesellschaftlichen Bereichen wie z.B. die Einsparung von Kosten. Auf Seiten der Patienten werden Aspekte der Gesundheit und Lebensquahtat genannt, die auch auf das eigene Leben iibertragbar sind („Ja, ich denke das, was ich den anderen empfehle, ist schon sinnvoll, ja, ist fiir mich
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sinnvoll, fur alle anderen auch" (BA 14). Einige Arzte weisen auf die Potenziale der Pravention hin: „[...], dass man viele Beschwerden und Erkrankungen an sich anders angehen konnte, wenn mehr Prophylaxe betrieben wurde, dann gabe es nicht so viele Stoffwechselkrankheiten. [...] Ubergewicht, das braucht alles iiberhaupt nicht zu sein." (HA 02)
Ein Arzt fixhrt die Risikoreduktion fiir einen erneuten Infarkt durcli Medikamente und durch Raucherentwohnung an, wobei letztere doppelt so groB ist. „Einfach, dass man mal diese Relationen aucli sieht. Das, denke ich, ist siclierlich wichtig fiir mich in der Pravention" (HA 04). Auch hausarztlich tatige Intemisten messen der Pravention, insbesondere der Identifikation von kardiovaskularen Risikofaktoren, groBe Bedeutung zu. Mehrere Arzte betonen den hohen und zunehmenden Stellenwert von Pravention, auch weil die Patienten durch die Medien immer mehr erfahren, was sie alles machen konnten und miissten. Als positiv wird von zwei Arzten explizit vermerkt, dass ihnen Pravention SpaB macht. Ein Arzt gibt an, dass Gesundheitsforderung zwar ein guter Aspekt, ihr Stellenwert in der Praxis jedoch gering ist. Zwei Arzte bedauem, dass Prevention trotz ihrer Wichtigkeit einen zu niedrigen Stellenwert in der Praxis besitzt: „Ja, das ist das eine, was man denkt, was notwendig ware. Und das andere, was wirklich lauft. Das heiBt, Pravention ware an sich das Wichtigste, das absolut Wichtigste. Auch wenn man es vom Okonomischen her betrachten tate. Aber im realen Leben hier spielt es eine auBerst geringe Rolle." (HA 02)
Ein weiterer Arzt glaubt, „ dass eine Arztpraxis das alleine einfach nicht bringen kann, sondem dass, was ja auch geschieht, natiirlich in den Medien viel lauft. Aber man das immer so punktuell versucht, dem einzelnen das mal zu sagen"(HA16). Die folgenden Einstellungen von Arzten und Pflegekraften beziehen sich auf Pravention und Gesundheitsforderung im Alter. Auch hier flihren einige Arzte an, dass Pravention im Alter - und hier besonders die Bewegung ganz wichtig und gut moglich ist. Sie betonen, dass Pravention gerade im Alter und fiir altere Patienten eine Rolle spielt: „Und Gesundheitsforderung, prophylaktische Medizin, klar, je alter jemand ist, um so wichtiger ist es" (BA 02). „Und manche sind auch und sagen: Ja, eigentUch lohnt sich das noch. Da kommt die Frage: Lohnt sich das noch fur das Alter, fur mein Aher? Und dann kann man natUrhch sagen: Ja, aber ist doch schon, werm sie auch noch die letzten ein, zwei Jahre lebenswert leben, also die Lebensqualitat dadurch etwas verbessert wird." (BA 07)
140
Ein Arzt ftihrt an, dass er auch einen Fiinfundsiebzigjahrigen unterstutzen wiirde, wenn er geme mochte, dass er sich „gesundheitsadaptiert emahrt und versucht, mit Emahrung seinen Cholesterinwert abzusenken, [...] well das ist ja durch Studien auch belegt, dass das eben dann doch auch noch eine zusatzliche Qualitatsverbesserung bringt im Alter" (HA 12). Zwei Arzte betonen, dass Gesundheitsforderung und Pravention „vom Alter tiberhaupt vollig unabhangig" ist - mit Ausnahme der Einschrankung durch Demenz (BA 09). Ein Arzt weist aufgrund eigener familiarer Erfahrungen auf die Bedeutung der Forderung alter Personen zum Erhalt der Mobilitat hin: „Wenn man den Patienten, gerade den alten, alles abnimmt, werden sie immer immobiler und unselbststandiger. Man muss sie unbedingt fordem. Dringend" (BA 15). Ein Arzt verweist zudem auf Studien, die die Wirksamkeit belegen: „Gibt's ja interessante Untersuchungen, wo sie jenseits Siebzigjahrige noch in solche Bewegungsprogramme gesteckt haben. Und die profitieren tiberzufallig statistisch gesehen davon - nicht nur im Rahmen, dass sie besser beweglich sind und weniger Schmerzen haben, sondem dass das Immunsystem auch besser funktioniert, und sie tiberhaupt weniger anfallig dann sind. Da gibt's eigentlich keine Altersgrenze, fiir nischt." (BA 10)
Ein prinzipiell eher skeptischer Arzt kann ein positives Beispiel von erfolgreicher Pravention bei einer 65-Jahrigen Patientin erzahlen: „[...] die liber vierzig Zigaretten geraucht hat, und einen hohen Blutdruck hatte und ein sehr stark erhohtes Cholesterin. Die halt, nachdem ich ihr auch noch mal klar gemacht hatte, was es bedeutet, dass man nicht nur durch das Rauchen eventuell ein Bronchialkarzinom kriegen kann [...] die Veranderung an den BlutgefaBen, in den Augen, am Gehim, an den Nieren, am Herzen [...], dass halt die Erkrankung zu einer Abhangigkeit von anderen und zwar einer standigen Pflegebedtirftigkeit und einer massiven Einschrankung von Lebensqualitat und Lebensmoglichkeiten fiihrt. Da war ich selbst sehr erstaunt, dass sie dann innerhalb von wenigen Wochen mit dem Rauchen aufgehort hat und heute nur noch ein Blutdruckmittel braucht, und damit gut eingestellt ist, und an Gewicht abgenommen hat und sich sogar in diesem Alter noch in einem Fitness-Studio angemeldet hat. Also, das ware durchaus mal eine Sache, wo ich sagen wiirde: Da hat eine praventive Beratung zumindest geholfen." (HA 04)
Drei Arzte halten Pravention fur Altere in spezifischen Fallen fiir wichtig und sprechen ihr bei Osteoporose und Impfungen sowie bei der korperlichen Funktionsfahigkeit eine groBe Bedeutung zu. Zwei Arzte fuhren an, dass Pravention zwar im Alter beschrankt, aber moglich ist und eine entscheidende Bedeutung hat, wenn noch etwas ,machbar' ist: „Pravention? Muss man dann einfach kurzfristiger denken oder mittelfristiger als friiher natiirlich. Das beschrankt sich eben auf solche Sachen wie vielleicht Krankengymnastik verordnen, um Mobilitat noch zu erhalten, also manchmal
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nur zur Mobilisierung. [...] Um ganz einfach Selbststandigkeit zu erhalten. So was zum Beispiel. [...] Das kann man in Grenzen auf jeden Fall." (HA 11)
Auch von den Pflegekraften hat mehr als die Halfle eine positive Einstellung zu Pravention und Gesundheitsforderung und ordnet ihr eine hohe Bedeutung zu. Die Pflegekrafte auBem, dass Pravention und Gesundheitsforderung einen wichtigen Aspekt ihrer Arbeit darstellen. Dabei beschreiben sie Pravention und Gesundheitsforderung als einen Bestandteil der Pflege, der sowohl sinnvoll als auch selbstverstandlich ist und „nebenher lauft". Die Pflegekrafte benennen ebenfalls die positiven Aspekte von Pravention und Gesundheitsforderung nicht nur fur den Klienten, sondem auch fur die Pflegekraft: „Es ist ja auch irgendwo zu unserem eigenen Vorteil, wenn unsere Leutchen fit bleiben, klar ist das dann auch fiir uns leichter zu arbeiten" (BP 06). Eine Pflegekraft betont, dass man im ambulanten Bereich den Klienten viel besser fordem kann als in der Klinik. 8.3.2
Ehernegativ
Kein Arzt lehnt Pravention grundsatzlich ab. Einige MaBnahmen werden teils unter Berufung auf Studienergebnisse kritisch gesehen. Dazu zahlen Vorsorgeuntersuchungen, Krebsfi-iiherkennungsmaBnahmen bei Mannem und Hormongabe ftir alle Frauen als Osteoporoseprophylaxe. Ein Arzt ist auf Distanz zur Gesundheitsforderung gegangen, weil er nicht glaubt, dass sich „da ein vemtinftiges Projekt zur Forderung der Gesundheit auf dieser Ebene bisher entwickelthat"(HA01). Pravention wird haufig mit Frustrationen und Schwierigkeiten assoziiert. Sechs Arzte berichten tiber frustrierende Erfahrungen bei der Umsetzung der Pravention, die in zwei Fallen ein resigniertes Verhalten gegentiber Patienten bewirken: „Bei uns [war] vor drei, vier Tagen ein Patient wieder da, wo ich schon sehr hart dran bin und versuche, dem das Rauchen abzugewohnen. Und nichts geht, das ist immer sehr frustran. Das sind so Zeiten, wo man sagt: Gut, kannst du nichts machen, hort auch jeder Optimismus auf." (HA 16)
Dariiber hinaus wird auf die Langfristigkeit von Pravention verwiesen. Die Emstellung, Pravention sei „eine Form von Luxus in unserem Gesundheitswesen" (HA 05) wurde zweimal geauBert. In den eher negativen Grundhaltungen kristallisieren sich Arzte heraus, die der Pravention in jiingeren Jahren bzw. fur das Alter eine hohere Bedeutung beimessen als der Pravention im hoheren Alter selbst. „Ftir mich ist Pravention vor alien Dingen eine Sache, die bei Vierzig-, Fiinfzigjahrigen oder auch vielleicht schon frtiher eine Rolle spielt. Die also noch, sagen wir mal, zwanzig, dreiBig Jahre vor sich haben, wo man auch was konkret verandert und vermeiden will." (HA 12)
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Einige sehen keine praventiven Potenziale mehr im Alter. Dies spiegeln AuBerungen wider wie „bei den Alten ist es im Grunde vorbei. Da kann man nicht mehr viel fordem" (BA 15) und „In der Altersmedizin, da ist nicht mehr so viel Pravention. Aber dann (in den) frtiheren, jtingeren Jahrgangen absolut" (BA 12). Ein Arzt sieht nur eingeschrankte praventive Moglichkeiten und ist hinsichtlich ihrer Wirkung skeptisch. „Naturlich rate ich auch einem siebzig- oder fiinfundsiebzigjahrigen Raucher, mit dem Rauchen aufzuhoren, oder dem iibergewichtigen Diabetiker, sich mehr zu bewegen und anders zu emahren oder Schick die zur Schulung. Aber ich bin aus meiner Erfahrung sehr skeptisch, dass das was hilfl." (HA 04) Andere Arzte halten Pravention im Alter fiir nicht mehr so wichtig. „Die Sachen, die gut tun, tun denen auch noch gut. Also auch da ist weniger essen und mehr Bewegung naturlich von riesig groBem Vorteil. Naturlich soUten die moglichst - miissen ja keinen Sport machen, aber ihre Spaziergange machen, moglichst jeden Tag. [...] Aber ansonsten sollten sich auch altere Menschen korperlich bewegen und vemunftig emahren, warum nicht. Es ist nicht ganz so zwingend oder ganz so wichtig, wie in jiingerem Alter, meine ich." (HA 13) Und sie scheinen dabei ihre Patienten mit zu untersttitzen: „Gesundheitspravention spielt keine Rolle mehr. Da sagen sie immer: , lassen sie mich doch, ich bin jetzt schon so alt geworden'. Da, fmde ich, haben sie Recht, also was Risikofaktoren betrifft. Da bin ich groBziigig." (BA 08) Eul haufig genannter und interessanter Aspekt ist die Unterscheidung, die einige Arzte vomehmen: Wahrend die Arzte Pravention bei 60-70-Jahrigen noch als sinnvoll betrachten, fmden einige Arzte Pravention fiir Hochbetagte und besonders fur nicht mehr so Riistige sinnlos: „Bei den Achtzigjahrigen, da braucht man nichts mehr zu machen, was soil das noch. Es sei denn, die suid superfit und mochten was tun. Aber ansonsten hat das wenig Sinn" (HA 13). Auch spielen Laborparameter nur noch euie untergeordnete Rolle: „Pravention naturlich immer weniger im Alter. Weil da gibt es ja nicht mehr viel Pravention, die letzten Jahre. Da, denke ich, gibt es nicht mehr soviel Moglichkeiten in der Pravention. Das heiBt, ich werde Tabletten eher reduzieren, da eher absetzen. Was das Alter betrifft, [...] Cholesterinprophylaxe konkret, kriegen die naturlich weniger Medikamente. Und ich bin groBziigiger, was den Blutdruck betrifft, ich bin groBziigiger, was den Zucker betrifft. Also da spielen andere Kriterien einfach eine Rolle, als die, in Anflihrungszeichen, Leitlinien oder Standards." (BA 11)
143
Im Zusammenhang mit Pravention im Alter benennt nur ein Arzt Frustrationen. Er bezieht sich dabei auf die Erwartungshaltung der Patienten, die eine schnelle Kuration ohne Eigenaktivitat wtinschen. Nur wenige Pflegekrafte auBem sich negativ zu Pravention und Gesundheitsfbrderung. Sie flihren zum einen an, dass Pravention bei alten Menschen nichts bringt, fast sinnlos oder nicht vorstellbar ist. Darliber hinaus sei es schlecht moglich, Ratschlage zu geben. Zwei Pflegekrafte sind der Auffassung, dass Pravention und Gesundheitsforderung nicht in die Pflege integrierbar sind bzw. den „Rahnien sprengen". „Da ist halt das Potenzial nicht mehr da, dass sie das begreifen. Man kann sie hochstens versuchen zu aktivieren. Aber ob da groBartig was zu bezwecken ist? Also denke ich, ist bei den alten Leuten fast sinnlos, well da kommt nichts mehr an. Wenn sie einen Opa haben mit funfundneunzig, der vierzig Thomapyrin frisst seit dreiBig Jahren, na, was woUen sie denn da noch machen? Den auf Placebo umzusetzen? Dann laufen wir Gefahr, dass er in den Entzug kommt. Bringt nichts." (BP 02)
8.4
Zusammenfassung und Diskussion
Aus den Erzahlungen und Patientenbeispielen der Arzte und Pflegekrafte lassen sich subjektive Definitionen zu Pravention und Gesundheitsforderung ableiten. Die Ergebnisse lassen nicht darauf schlieBen, welche theoretischen Konzepte die Professionellen von Pravention und Gesundheitsforderung besitzen, weil sie in den Interviews nicht explizit nach Definitionen gefragt wurden. Die impliziten Bedeutungen geben jedoch Aufschluss darliber, wie sie Pravention und Gesundheitsforderung verstehen. Wahrend die Trias der Pravention sowie die Konzepte der Pravention und Gesundheitsforderung den Arzten zumindest theoretisch bekannt sind, fallt den Pflegekraften eine inhaltliche Trennung der Begriffe sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene schwer. Sie verstehen Gesundheitsforderung u.a. im Sinne von „gesund machen". Beide Professionen nehmen eine eindeutige begriffliche und inhaltliche Trennung von Pravention und Gesundheitsforderung nicht vor. Gesundheitsforderung wird von den Arzten mit Pravention gleichgesetzt und zwar nicht mit Primar-, sondem mit Sekundarpravention. Interessant ist, dass viele Arzte unter Gesundheitsforderung die gesamte arztliche Tatigkeit fassen. Tendenziell legen sie bei der Gesundheitsforderung ein starkeres Gewicht auf die psychosozialen Aspekte des Patienten. Psychosoziale sowie verhaltensbezogene Aspekte pragen auch das Verstandnis der Arzte zur Pravention und Gesundheitsforderung bei alten und hochbetagten Patienten. Dagegen verlieren messbare Laborparameter bei 144
Hochbetagten fur sie an Bedeutung. Unter den verhaltensorientierten Bereich fallen vor allem der Erhalt der korperlichen Funktionsfahigkeit, Beschwerdefreiheit, Mobilisiemng und der Erhalt der Selbststandigkeit. Im psychosozialen Bereich werden vor allem die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Lebensfreude genannt. Insgesamt zeichnet sich ein deutlicher Einstellungsunterschied bei Arzten zwischen alten und hochbetagten Patienten ab. Die subjektiven Defmitionen machen deutlich, dass die Arzte ihre Aufgabe bei alten Alteren im sekundarund tertiar-praventiven Bereich sehen. Primarpravention und fortgeschrittenes Alter scheinen sich flir Arzte auszuschlieBen. Pflegekrafte subsumieren sowohl pflegerische Tatigkeiten als auch (psycho)soziale Komponenten in der Pflege unter Pravention ebenso wie unter Gesundheitsforderung. Entsprechend den subjektiven Defmitionen orientiert sich die iiberwiegende Mehrheit der Arzte an Risikofaktoren, gefolgt von Krankheiten bzw. Gesundheitsstorungen. Nur wenige Arzte setzen an den Ressourcen der Patienten an. In fast alien Fallen kombinieren die Arzte mehrere Ansatze. Die Orientierung an Risikofaktoren und Krankheiten entspricht ihrem iiberwiegenden Praxisklientel: „Auf der anderen Seite erreiche ich natiirlich auch nur Patienten, die schon was haben" (BA 01). Auch die Orientierung an und die Forderung von Ressourcen der Betroffenen erfolgt vor allem bei Patienten mit bereits vorhandenen Beschwerden und Krankheiten. Gesunde sind nicht die Zielgruppe der Arzte, die meisten Arzte betrachten auch nicht ,die gesunden Anteile' ihrer Patienten und werden dort auch nicht praventiv tatig: „Wenn sie einen gesunden Patienten, sagen wir lieber Probanden, vor sich haben, der keinerlei Risikofaktoren hat, der auch noch Sport treibt, dann konnen sie fiir den nichts tun. Dann ist das okay, das miissen sie ihm dann auch so sagen." (HA 18)
Lediglich vier Arzte empfehlen und motivieren zur Bewegung, ohne dass Risikofaktoren, Gesundheitsstorungen oder Krankheiten bei den Patienten vorhanden sind: „Und genau unter diesem Aspekt als Selbstverstandlichkeit, iiber die man gar nicht nachdenkt, sondem die einfach eben gegeben ist, sollte man sportliche Aktivitat sehen. Sie sollten, so wie sie zweimal am Tag die Zahne putzen, sollten sie zweimal in der Woche eine halbe Stunde die Zunge raushangen lassen. Ob sie da Joggen gehen oder Fahrrad fahren oder einer Aerobic-Truppe beiwohnen oder Schwimmen gehen, ist vollig Wurscht, aber zweimal in der Woche Sport treiben. Und das alleine bewirkt schon mal, dass solche Leute, die das von relativ jungen Jahren an machen, die gehen nicht aus dem Leim und kommen dann plotzlich hier mit hundertzwanzig Kilo rein, zum einen. Und zum anderen hat die Sporttreiberei ja nicht nur den Effekt der Gewichtskontrolle, sondem bewirkt ja eine ganze Menge Dinge. Vor alien Dingen am Herz-Kreislauf-System, am BlutgefaBsystem, verhindert Verkalkung, wirkt aktiv auf den Fett145
stoffwechsel ein, indem also ganz dezidiert die HDL-Anteile erhoht werden durch die Sporttreiberei und, und, und. Das ist also nur mal so ein Beispiel, was letztlich pauschal, in dem Fall praktisch auf alle zutrifft." (BA 02)
Auch bei den alten Patienten dominiert der risikofaktorenorientierte Handlungsansatz, wobei die Arzte hier zum Teil andere Risikofaktoren benennen. Die Orientierung an den Alterungsprozessen und Ressourcen spielt eine wichtige Rolle bei Alteren. Der krankheitsorientierte Ansatz ist nicht so relevant. Hier sind vor allem Diabetes mellitus und Osteoporose die beiden Bereiche, in denen krankheitsorientiert praventive MaBnahmen ansetzen. Bei den Risikofaktoren wird im Rahmen der Sturzprophylaxe das Wohnumfeld auf Stolperfallen und fehlende Hilfsmittel hin betrachtet. In geringerem MaBe werden Vorsorgeuntersuchungen, Screenings und Impfungen durchgeflihrt. Dies steht im Einklang zu den Ergebnissen im Bereich der subjektiven Defmitionen, dass messbare Laborparameter an Bedeutung verlieren. Im Kapitel 9 wird uberpriift, an welche Zielgruppe sich diese MaBnahmen richten und ob sie z.B. flir bestimmte Personen an Bedeutung verlieren. Durch die Orientierung an Alterungsprozessen und Ressourcen wird versucht, physiologisch bedingte Alterungsprozesse hinauszuzogem und Potenziale zu nutzen. Ressourcen, die genutzt werden, sind das Fordem der Bewegung, Aktivitat und Selbststandigkeit sowie der mentalen Funktionen. Von den Arzten in der Prevention alterer Patienten genannten MaBnahmen fasst die Tabelle 8-1, differenziert nach Handlungsansatzen, zusammen. Bei der Betrachtung der Handlungsansatze der Pflegekrafte ist festzustellen (siehe Tabelle 8-1), dass die liberwiegende Mehrheit - entsprechend dem professionellen Pflegeverstandnis - sich an Ressourcen orientiert, gefolgt von einem risikofaktorenorientierten Ansatz und einem krankheitsbezogenen Zugang zum Patienten. In fast alien Fallen verfolgen die Pflegekrafte wie die Arzte nicht ausschlieBlich nur einen Ansatz, sondem auBem insbesondere eine Kombination der Ressourcen- und Risikofaktorenorientierung. Die Aussagen sind vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Pflegekrafte iiber Klienten sprechen, die bereits an Krankheiten leiden (Demenz, Apoplex, Diabetes, Parkinson, Alzheimer etc.). Mehrheitlich haben die Arzte eine eher positive Einstellung zu Prevention und Gesundheitsforderung. Nach ihren Aussagen ist Pravention wichtig und sinnvoll, well sie dem Wohle des Patienten dient. Wenige Arzte betonen, dass in diesem Bereich mehr Handlungsbedarf notig ware. Auffallig ist, dass nur zwei Arzte eine ausschlieBlich negative Einstellung zu Pravention auBem. Sie lehnen Pravention allerdings nicht ab, sondem sprechen iiber die Fmstrationen bei der Umsetzung praventiver MaBnahmen in der Praxis. Knapp ein Fiinftel der Arzte verweist finstriert auf entsprechende Schwierigkeiten. Weitere eher negative Einstellungen beziehen sich auf einzelne PraventionsmaBnahmen. Den Grlinden fiir den teilweise als zu niedrig angegebe146
nen Stellenwert in der taglichen Praxis, den Frustrationen und Schwierigkeiten wird im folgenden Kapitel 9 bei der Betrachtung der Barrieren nachgegangen. Dort relativiert sich das auf den ersten Blick sehr positive Bild der Einstellungen der Arzte zu Pravention und Gesundheitsfbrderung. Tabelle 8-1: Handlungsorientierungen fur Pravention im Alter bei Arzten und Pflegekraften
Orientierung an Risikofaktoren
(vorhandenen) Gesundheitsstorungen Krankheiten Ressourcen
Arzte • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Stolperfallen, Schwellen nicht vorhandene Hilfsmittel Bluthochdruck Tabakkonsum Fehlernahrung mangelnde Bewegung unzureichende Flijssigkeitszufuhr Vorsorgeuntersuchungen Screening Impfungen Diabetes mellitus Osteoporose
Altersvorgange hinauszogern Potenzlale nutzen Informationen vermittein Anregen zur Bewegung Erhalt der Mobilitat Krankengymnastik Training der mentalen Funktionen • Selbststandigkeit fordern • Kontakte vermittein • soziales Umfeld betrachten
Pflegekrafte • • • • • •
Dekubitus Pneumonie Thrombose Exsikkose Kontrakturen Sturze
• altersbedingte Funktionsstorungen • Diabetes mellitus • aktivierende Pflege • soziales Umfeld • weitere Betreuungsangebote • klientenorientierte Ressourcen zeigen
Uber die Halfle der Arzte, die eine eher positive Gmndhaltung zu Pravention bei alten Menschen haben, betonen ihre Bedeutung gerade im Alter. Einige Arzte befmden jedoch nur einzelne MaBnahmen - Osteoporosepravention und Impfungen - als wichtig. Die Relevanz wird in den Interviews in den meisten Fallen jedoch weder konkret begriindet noch mit positiven Beispielen aus der Praxis belegt. Das auf den ersten Blick durchaus positive Ergebnis muss vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass die meisten Arzte jedoch eine ambivalente Einstellung besitzen, die zum Teil sehr widerspriichlich ist. Auffallig ist, dass mit der Bedeutung der Pravention im Alter von vielen Arzten zugleich ihre Beschrankungen und Grenzen angefiihrt werden. Zu den eher negativen Grundhaltungen zahlen die Einstellungen, dass Pravention im Alter keine Rolle mehr spielt und Pravention in jUngeren Jahren eine groBere Bedeutung 147
hat. Die Arzte betonen somit die Bedeutung der Pravention in jtingeren Jahren und fur das Alter. Bei anderen wird deutlich, dass Pravention fur die Arzte bei 60 bis 70-Jahrigen noch einen Stellenwert hat, bei Hochbetagten verliert Pravention - besonders die messbaren Laborparameter - fur Arzte an Bedeutung. Eine zusammenfassende Ubersicht gibt die Tabelle 8-2. Tabelle 8-2: Einstellungen von Arzten und Pflegekraften zu Pravention und Gesundheitsforderung im Alter
Pravention/Gesundheitsforderung im Alter 1st notwendig wichtig bedeutsam sinnvoll wirksam nachgewiesen lebensqualitatsverbessernd Arbeitsbestandteil gut moglich altersunabhangig letztlich arbeitserleichternd
unvorstellbar
-
nicht bedeutsam, weniger bedeutend sinnlos unwirksam
-
nicht integrierbar niclit umsetzbar, nur eingeschrankt maciibar
-
Eine negative Einstellung zu Pravention und Gesundheitsforderung herrscht nur bei einem sehr geringen Anteil der Pflegekrafte vor (siehe Tabelle 8-2). Allerdings stellen sie speziell die Bedeutung fiir Altere in Frage. Ebenso relevant erscheinen die genannten Barrieren, dass eine Integration in die Pflege nicht moglich ist und den Rahmen sprengen wtirde. Die ambivalente Einstellung einiger Pflegekrafte zu Pravention und Gesundheitsforderung - bei der Pravention iiberwiegend positiv, Gesundheitsforderung aber negativ gesehen wird - konnte damit erklart werden, dass ein Konzept von Gesundheitsforderung im direkten Kontakt mit Klienten nicht bekannt ist und Gesundheitsforderung eher auf der Makro-Ebene gesehen wird. Der hohe Anteil von alten und kranken Klienten konnte ebenso als Barriere wahrgenommen werden. Es tiberwiegt jedoch eindeutig eine positive Einstellung zu Pravention und Gesundheitsforderung. Dabei werden u.a. die positiven Auswirkungen von Pravention und Gesundheitsforderung nicht nur auf die Klienten, sondem auch auf die Pflege, die sich letztendlich einfacher gestaltet, wahrgenommen. Pflegekrafte, die Pravention und Gesundheitsforderung als Bestandteil ihrer pflegerischen Tatigkeit sehen, diese „nebenher" bzw. „selbstverstandlich" in ihre Tatigkeit integrieren, messen Pravention und Gesundheitsforderung eine hohe Bedeutung bei und halten sie fiir wichtig.
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Gesundheitsforderung und Pravention im Alter - Realisierung in der Praxis „ U N E R L A S S L I C H 1ST SELBST IM HOHEN ALTER D E T A G L I C H E K O R P E R L I C H E B E W E G U N G - DAS G E H E N
-
MIT DEM U N T E R S C H I E D E , D A S S ,
WENN MAN M ALTER VON 6 0 BIS 7 0 J A H R E N TAGLICH IN DER KEGEL MIT LEICHTIGKEIT 3 STUNDEN UND DARUBER M GEHEN ZUBRACHTE,
DiESE ZEIT M
ALTER VON 80 JAHREN UND DARUBER AUF EINE S T U N D E UND DIES GETEILT IN ZWEI T A G E S Z E I T E N , HERABZUSETZEN SEI." JOSEF HERMANN, PRIMARARZT
(1912, S. 60)
Diese Empfehlung eines selbst 86-jahrigen Primararztes wurde bereits 1902 formuliert und in mehreren Auflagen in einem Buch zur „Lebensfuhrung im hohen Alter" publiziert (Hermann 1912). Inwieweit Pravention und Gesundheitsforderung Bestandteil der derzeitigen gesetzlich verankerten Leistungen in der arztlichen und pflegerischen Versorgung sind und inwieweit sie in der alltaglichen Praxis umgesetzt werden, wird in dem vorliegenden Kapitel analysiert. Dabei wird herausgearbeitet, welche MaBnahmen die befragten Professionellen anbieten, an welche Zielgruppen sich diese richten und mit welchen Strategien die Umsetzung in der Praxis erfolgt. Die Interviews zeigen, dass sich im Verlauf ihrer Berufstatigkeit die Haltung der meisten Arzte und Pflegekrafte zur Pravention und Gesundheitsforderung verandert hat. Inwiefem personliche, gesellschaftliche und gesundheitspolitische Aspekte hierbei eine Rolle spielen wird erortert. Diese leiten tiber zu den hemmenden und fordemden Faktoren, die die Arzte und Pflegekrafte fiir die Umsetzung der Pravention und Gesundheitsforderung im Praxisalltag auf Seiten der Patienten, auf Seiten ihrer eigenen Profession und auf Seiten des Gesundheitssystems wahmehmen. Fiir die Gruppe der niedergelassenen Arzte werden diese Barrieren und umsetzungsfordemden Faktoren sowohl fur alle Patienten als auch speziell fiir die Gruppe der Alteren und Hochbetagten aufgezeigt. Bei den Pflegekraften beziehen sich die Aussagen auf Grund des Klientels der ambulanten Pflegedienste ausschlieBlich auf Personen im hoheren und hohen Alter.
9,1
Gesetzlicher Rahmen
9.1.1
Prdvention/Gesundheitsforderung Versorgung
in der drztUchen
Die hausarztliche Versorgung beinhaltet nach § 73 SGB V u.a. die Einleitung Oder Durchfuhrung praventiver (und rehabilitativer) MaBnahmen sowie die Integration nichtarztlicher Hilfen und flankierender Dienste in BehandlungsmaBnahmen. Zu den praventiven arztlichen Leistungen zahlen vor allem •
•
• •
medizinische Vorsorgeleistungen nach § 23 SGB V (Beseitigung einer gesundheitlichen, zur Krankheit fuhrenden Schwachung, Vermeidung einer Gefahrdung der gesundheitlichen Entwicklung des Kindes, Verhiitung von Krankheiten und Vermeidung ihrer Verschlimmerung, Vermeidung von Pflegebediirftigkeit, Impfungen), Gesundheitsuntersuchungen nach § 25 SGB V (Frtiherkennung insbesondere von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes alle zwei Jahre ab einem Alter von 35, sog. Check-up 35, Krebsfriiherkennung flir Frauen ab 20 und Manner ab 45 Jahre), Kinderuntersuchungen nach § 26 SGB V sowie Beratung und Behandlungen im Rahmen von Empfangnisverhtitung und Schwangerschaftsabbruch (§§ 24a, b SGB V).
Insbesondere die beiden letzten MaBnahmen werden auch von Facharzten (Kinderarzte, Gynakologen) iibemommen. Art und Inhalte der praventiven Untersuchungen legt der Bundesausschuss fiir Arzte und Krankenkassen fest. Die Teihiahmeraten zur Frtiherkennung von Krebserkrankungen lagen noch Anfang der 1990er Jahre in Deutschland bei nur 24,3% flir Frauen und 9,3% fflr Manner jahrHch. Bis 2003 stieg die Teihahmerate auf 49,1% fur Frauen und 20% ftir Manner. Wahrend der Gipfel der Inanspruchnahme bei Mannem in den oberen Altersgruppen liegt, liegt bei den Frauen die hochste Inanspruchnahme von iiber 60% bei den unter 40-Jahrigen. Von den 55 bis 79-Jahrigen nahmen 2003 38,6% der Frauen und 23,5% der Manner an einer Untersuchung zur Krebsfriiherkennung teil. Oberhalb des 70. Lebensjahres liegt der Anteil der Frauen unter dem der Manner. Da die Inzidenz von Krebserkrankungen im Alter zunimmt, ist die deutliche Abnahme der Inanspruchnahme nach der Menopause ebenso wie die geringere Teihahmerate der Manner als kritisch zu beurteilen. Die Untersuchung zur Frtiherkennung von Herz-Kreislauf-, Nierenerkrankungen sowie Diabetes bei Erwachsenen tiber 35 Jahre (sog. Check-up 35) stieg bei annahemd gleicher Geschlechterverteilung von 10%) bei Einfiihrung der Untersuchung 1989 auf derzeit 20% an, wobei diese Leistung vor al150
lem tiber 55-Jahrigen zu Gute kommt (Zentralinstitut fiir die kassenarztliche Versorgung 2002). Eine systematische, aktive und gezielte Erst- und Wiedereinbestellung der Patienten durch die Arzte erfolgt bislang nur vereinzelt. Gleiches gilt fur die Krankenkassen, die eher unsystematisch in ihren Mitgliederzeitschriflen iiber MaBnahmen zur Krebsfriiherkennung informieren. Spezifische MaBnahmen fiir Altere sind - bis auf einige Untersuchungen zur Krankheitsfrtiherkennung, z.B. Koloskopie - bislang nicht gesetzlich verankert. Erstmals wurde zum 1. April 2005 und damit nach Abschluss der vorliegenden Studie als abrechenbare Leistung zusatzlich ein hausarztlichgeriatrisches Basisassessment aufgenommen. Obligater Leistungsinhalt sind die Untersuchung von Funktions- und Fahigkeitsstorungen unter Berticksichtigung des kardiopulmonalen und/oder neuromuskularen Globaleindrucks, die Beurteilung der Sturzgefahr und die Beurteilung von Himleistungsstorungen. Fakultativ sind Anpassungen des familiaren und hauslichen Umfeldes an die Fahigkeits- bzw. Funktionsstorungen (Kassenarztliche Bundesvereinigung 2005). Allerdings sind die durchzufiihrenden Leistungen hinsichtlich Ziel, Zielgruppe, Art der MaBnahmen und Zeitpunkt ihrer Durchfuhrung sowie Moglichkeiten ihrer Uberprtifung nicht weiter defmiert. Erste Empfehlungen werden von dem Hausarzteverband herausgegeben. tiber die kassenbezogenen Leistungen hinaus konnen Arzte von den Patienten privat zu bezahlende individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) anbieten wie z.B. Emahrungsberatung und spezifische Frliherkennungsuntersuchungen. Dartiber hinaus konnen Hausarzte auf die von der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen des § 20 SGB V angebotenen bzw. unterstutzende MaBnahmen zur Pravention hinweisen. Individuelle Kursangebote der Krankenkassen richten sich vor allem auf die Handlungsfelder Bewegung (64,7%), Emahrung (17,9%), weniger auf Stress (16,9%) und Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln (0,8%). 60-Jahrige und Altere, die insgesamt 26,4% aller gesetzlich Krankenversicherten stellen, machen einen Anteil von 20,3% aller Kursteihiehmer aus. Dabei bevorzugen Altere eindeutig Bewegungsangebote, wahrend die Teihiahme an MaBnahmen zur Emahrung, Stress und Sucht im Vergleich zum mittleren Lebensalter deutlich abnimmt (Arbeitsgemeinschafl der Spitzenverbande der Krankenkassen 2005). Krankenkassen haben prinzipiell nach § 20 SGB V die Moglichkeit, spezifische PraventionsmaBnahmen fiir Altere anzubieten. Wettbewerb und eine damit verbundene Orientierung auf gesunde Risiken stellen jedoch irmner noch eine wesentliche Barriere fur praventive Angebote fiir Altere der Krankenkassen dar. So konnte ein gutes Praventions- und Rehabilitationsangebot einer Krankenkasse schlechte Risiken anziehen und ihre Wettbewerbsposition insgesamt schwachen (IGES et al. 2002, in Sachverstandigenrat 2005). Entsprechend werden jenseits von strategischen Allianzen derzeit nur drei 151
Projekte zum Settingansatz Schule und damit fur die Zielgruppe Kinder und Jugendliche gemeinsam getragen. In dem bestehenden gegliederten System sind die Investoren praventiver MaBnahmen nicht immer auch die finanziellen Gewinner. Dringend erforderlich sind deshalb Konzepte zur Uberwindung dieser strukturellen Hemmnisse. Zur Forderung kooperativ auszufiihrender praventiver MaBnahmen wird ein gemeinsamer Forderpool als sinnvoll angesehen, in der anteilig die einzelnen Sozialversicherungen einen defmierten Beitrag einzahlen (Walter 2003). Ahnlich ist die Idee der von mehreren Akteuren und Kostentragem getragenen Gesundheitsforderung in Lebenswelten, die dem Entwurf des Praventionsgesetzes zugrunde liegt (Bundesministerium fur Gesundheit und Soziale Sicherung 2005). 9.1.2
Prdvention/Gesundheitsforderung Versorgung
in der
pflegerischen
Prinzipiell greift auch die Pflegeversicherung (SGB XI) die Aspekte Prevention vor der Pflege und Prevention m der Pflege auf, ohne allerdings damit fur die Pflegekasse eine verbindHche Leistungsgewahrung zu defmieren bzw. fiir die Krankenkassen notwendige Anreize oder Verpflichtungen zur Leistungsdurchfiihrung zu setzen. So dtirfen nach jetziger Rechtslage Pflegekassen auf andere Sozialversicherungstrager (insbesondere Krankenkassen, Rentenversicherungstrager) und die Versicherten auf preventive und rehabilitative Leistungen hinwirken (§§ 5, 6, 7, 31 SGB XI), eigenstandig anbieten dtirfen sie - auch nach Neufassung des SGB IX - diese Leistungen nicht. Zwar diirften die Pflegekassen vorlaufig Leistungen der medizinischen Rehabilitation erbringen (§ 32 SGB XI), erbringen diese aber nicht in dem notwendigen Umfang (Schwartz 2002). Dies ist umso bedauerlicher, da fur die Ubrigen Leistungstrager keine fmanzielle Motivation besteht, preventive MaBnahmen zur Vermeidung von Pflegebedurftigkeit zu ergreifen. Damit ist das der Sozialversicherung zugrunde liegende Prinzip „Prevention vor Rehabilitation vor Pflege" obsolet. Von den Pflegekassen untersttitzt werden Schulungskurse fur Angehorige (§§ 28 und 45 SGB XI), die z.B. auch von den Gemeindeunfallkassen angeboten werden. Hier ist eine sterkere Ausrichtung auf die Bedtirfhisse der Betroffenen, z.B. Durchfiihrung in heuslicher Umgebung, vermehrte psychosoziale Untersttitzung notwendig, zumal in diesen Kursen durchaus auch preventive Elemente zum Tragen kommen konnen. Der Sachverstendigenrat (2002a, b) fordert eine verpflichtende, flechendeckende, wirksame und zielgruppenspezifische Anleitung von pflegenden Angehorigen.
152
Insgesamt bestehen explizite Leistungen zur Pravention bis auf unterstiitzende Kurse fiir pflegende Angehorige und die Ubemahme von Hilfsmitteln nicht: •
•
•
• •
•
§ 5 SGB XI (Vorrang von Pravention und Rehabilitation) verpflichtet die Pflegekassen, auf Pravention, Kuration und Rehabilitation hinzuwirken, um Pflegebedarf zu vermeiden oder nach Eintritt von Pflegebedtirftigkeit diese zu tiberwinden, zu mindem oder eine Verschlimmerung zu verhiiten. § 6 SGB XI weist eine gesundheitsbewusste Lebensflihrung, eine friihzeitige Beteiligung an VorsorgemaBnahmen und eine aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und medizinischer Rehabilitation sowie die Vermeidung von Pflegebedtirftigkeit auch wahrend der Pflegebedtirftigkeit als Pflicht der Versicherten aus. § 7 SGB XI weist die Pflegekassen auf die Untersttitzung der Versicherten zur gesunden Lebensflihrung durch Aufklarung und Beratung der Versicherten hin sowie zur Hinwirkung auf eine TeiLnahme an gesundheitsfordemden MaBnahmen. § 11 SGB XI verpflichtet Pflegeeinrichtungen bei der inhaltlichen und organisatorischen Gestaltung ihrer Leistungen eine aktivierende Pflege zu gewahrleisten. § 37 SGB XI schreibt Beratungsbesuche fest, die „ini Fall der Versorgung eines Leistungsberechtigten durch Angehorige eine verpflichtende Bedingung flir die Finanzierung von Sachleistungen durch die Pflegekasse" ist und gleichzeitig einen eigenen pflegerischen Kompetenzbereich darstellt. § 80 SGB XI benennt u.a. die Forderung der Selbstversorgungsmoglichkeiten Pflegebedtirftiger als zentrales Ziel der ambulanten Pflege.
Durch das Pflegeleistungs-Erganzungsgesetz haben Pflegebediirftige mit einem erheblichen Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung seit dem 1. April 2002 einen zusatzlichen Leistungsanspruch (§ 45b SGB XI). Die Mittel konnen u.a. flir niedrigschwellige Betreuungsangebote verwendet werden. Die Erprobung neuer Pflegearrangements gilt auch flir Demenzkranke (§ 45c SGB XI), mit dem Ziel ihnen und ihren Angehorigen mehr Lebensqualitat zu schaffen. Diese konnten im Sinne der Gesundheitsfl)rderung und Pravention genutzt werden (Schmidt 2005). Pravention und die Anleitung zu gesundheitsfordemdem Verhalten sind bereits in § 4 im Krankenpflegegesetz 1993 als Ausbildungsziel defmiert. In der Neufassung des Gesetzes von 2004 soil die Ausbildung nach § 3 Abs. 1 folgende Ziele umfassen: •
„Kompetenzen zur verantwortlichen Mitwirkung insbesondere bei der Heilung, Erkennung und Verhtitung von Krankheiten vermitteln. Sie be153
zieht sich auf die heilende Pflege, die unter Einbeziehung praventiver, rehabilitativer und palliativer MaBnahmen auf die Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Forderung der physischen und psychischen Gesundheit der Patientinnen und Patienten auszurichten ist. Dabei sind die unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen sowie Lebensphasen und die Selbststandigkeit und Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten zu berucksichtigen (Ausbildungsziel)." Obwohl der Auftrag zur Prevention und Gesundheitsforderung im Pflegegesetz und in der Ausbildung ausgewiesen ist, gibt es allerdings noch kein in sich schltissiges und theoretisch abgesichertes Konzept fiir eine Gesundheitsforderung im direkten Kontakt mit den Patienten. Gesundheitsforderung wird zwar haufig als Teilaufgabe der Pflege ausgewiesen, als solche aber meist nicht weiter konkretisiert und prazisiert (Winter, Kuhlmey 2002, Fichten 1998).
9.2
Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der Praxis
Die gesetzliche Verankerung sowie die zuvor betrachteten subjektiven Definitionen, Ansatze und Einstellungen sagen noch nichts dartiber aus, wie Arzte und Pflegekrafte Pravention und Gesundheitsforderung tatsachlich in ihrer Praxis umsetzen. Im Folgenden wird analysiert, welche MaBnahmen die Professionen durchfiihren, an welche Zielgruppen sich diese Interventionen richten und wie sie realisiert werden. Dartiber hinaus werden Strategien der Vermittlung betrachtet. Den Ausfuhrungen liegt im Wesentlichen die Frage zugrunde „Welche Bedeutung hat Pravention und die Forderung von Gesundheit bei alten Menschen in Ihrer Tatigkeit? Erzahlen Sie mir bitte eine Situation." Die MaBnahmen lassen sich unterteilen in eher klassische und psychosoziale MaBnahmen sowie in Krankheitsmanagement. 9.2.1
Prdvention/Gesundheitsforderung Versorgung
in der drztlichen
MaBnahmen fiir nicht-altere Patienten in der arztlichen Versorgung In den Beispielen der Arzte dominieren traditionelle PraventionsmaBnahmen wie Emahrungsberatung, Anregung zur Bewegung, MaBnahmen bei Rtickenbeschwerden und Haltungsschaden, Raucherentwohnung, Stressvermeidung, 154
Pravention von Alkoholkonsum sowie Impfungen. Hinzu kommen Risikobestimmungen wie Belastungs-EKGs, die Durchftihrung des Check-ups und Untersuchungen zur Krebsfruherkennung. Diese richten sich vor allem an Personen mit Risikofaktoren und chronisch Kranke. Eine weitere Zielgruppe, die von einigen Arzten genannt wird, sind Praventionswillige. Praventionsmafinahmen, die sich an alle Patienten richten, wie z.B. Empfehlungen Sport zu treiben, sich gesund zu emahren und Stress zu vermeiden, nennen nur zwei Arzte. Die Umsetzung der Pravention erfolgt tiberwiegend in Form von Beratungen. Die Arzte erzahlen, dass sie tiber preventive MaBnahmen reden, Risikofaktoren ansprechen, zu Verhaltensanderungen motivieren und Empfehlungen aussprechen. In einigen Fallen beinhaltet die Beratung die Planung einer Fastenwoche oder der Patient wird aufgefordert, ein Emahrungstagebuch zu fuhren. Einzelne betonen, dass sie sich fur die Beratung viel Zeit nehmen und den Patienten die Konsequenzen ihres Verhaltens aufzeigen. Teilweise wollen sie Verhaltensanderungen herbeifuhren, um Medikamente zu vermeiden, oder sie verweigem die Verschreibung von Medikamenten. Ein Arzt weist darauf hin, dass er Informationsbroschiiren weiter gibt. Andere vermitteln an weitere Anbieter, wie Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und Kursangebote. Auch die Beantragung einer Kur wird als preventive Umsetzung gesehen. Eigene Angebote zur Risikoeinschatzung sowie Schulung und Training zur Verhaltensanderung, z.B. Emahrungsberatungskurse und Diabetesschulungen, halten wenige Arzte vor. Zwei Arzte berichten, dass sie friiher eine Diatassistentin in der Praxis hatten, Veranstaltungen zu Fettstoffwechselstorungen durchgeflihrt und Autogenes Training angeboten haben. Zwei Arzte haben eigene Programme entwickelt, z.B. Ubungen fur den Rticken, die sie den Patienten erklaren und vorfiihren. Ein Arzt bietet eigene Programme im Rahmen des Anti-Aging in seiner Praxis an. Kranke Patienten sind die Zielgruppe von tertiaren PraventionsmaBnahmen, was sich auch in dem hohen Anteil von Arzten mit einem vorwiegend krankheitsorientierten Handlungsansatz in der Pravention widerspiegelt. Krankheitsmanagement spielt in den Interviews eine untergeordnete Rolle. Die Gabe von Medikamenten als PraventionsmaBnahme bezieht sich hauptsachlich auf die Hormontherapie sowie auf Calcium und Vitamin D bei Frauen in der Menopause mit dem Ziel der Osteoporoseprophylaxe. Psychosoziale MaBnahmen werden von einem Drittel der Arzte in Form von Gesprachen mit den Patienten durchgefiihrt. Ziel ist es, Ursachen und Lebenshintergrlinde von Krankheiten zu erfahren und dadurch die Krankheit den Patienten verstandlich zu machen, bzw. die Zusammenhange zu erklaren, emotionale Unterstiitzung zu geben, konkret Potenziale fiir Veranderungen aufzuzeigen und die Patienten dazu zu motivieren.
155
„Es kommt mir ein Patient in den Kopf, der wollte eine Uberweisung zum Kardiologen haben, wegen Herzschmerzen. Das ist ein Patient mit somatoformen autonomen Funktionsstomngen, wie es so heiBt im kardiovaskularen Bereich. Und der wollte eigentlich nur die Uberweisung zum Kardiologen haben und gehen. Und ich habe dann drauf gedrungen, dass er bei mir bleibt und habe in einem langeren Gesprach doch einige Hintergriinde rausgekriegt Uber seine jetzige Lebenssituation. Der ist gerade dabei ein Haus zu bauen im Osten, er steht zur Zeit ziemlich unter Druck, - das als Hintergrund zum Verstandnis seiner Krankheit, das fallt mir auf. Und das zweite waren Schlafstorungen. Eine achtzigjahrige Patientin kam mit Schlafstorungen. Und wo wir rausgekriegt haben im Gesprach, dass sie sich furchterlich iiber eine Nachbarin geargert hat, und das [das] der Grund ihrer Schlafstorungen ist - und sie wollte eigentlich Tabletten haben. Das fallt mir ein. Und dadurch war's plotzlich nicht mehr so das Thema. Das war ganz zufriedenstellend die zwei Punkte, das wir das rausgekriegt haben." (B A 11) Zielgruppe fur psychosoziale MaBnahmen sind Personen in alien Altersstufen mit psychischen Erkrankungen, psychischen Storungen, mit Problemen im sozialen Umfeld (Familie, Beziehung) sowie Patienten mit schwerwiegenden Beschwerden, Gesundheitsstorungen bzw. Erkrankungen wie z.B. Krebs. Strategien der Vermittlung Nachdem sich zeigen lieB, dass die Arzte tiberwiegend traditionelle und psychosoziale MaBnahmen in Gesprachen und Beratungen umsetzen, wird im nachsten Schritt betrachtet, ob sie bestimmte Strategien der Vermittlung anwenden. Zwolf Arzte betonen, dass die Freiwilligkeit bei der Durchflihrung von PraventionsmaBnahmen das Wichtigste ist und die Nicht-Einhaltung von Empfehlungen keine Sanktionen nach sich zieht. So erwahnt em Arzt, dass er bezuglich Rauchen „in der Zwischenzeit leidenschaftslos" ist. Er konstatiert, „dass [es] keinen Sinn hat, die Leute dauemd zu beeinflussen, also es geht nicht. Das nervt den Doktor, das nervt die Patienten und es kommt nichts bei rum" (BA 05). „Wobei es natlirlich so diese alten Floskeln gibt: Ja, der Doktor hat wieder mit mir geschimpft, weil ich geraucht habe. Das ist ja Quatsch, also ich komme da immer ganz locker und sage: Ist ja ihr Korper und nicht meiner. Ja, und deswegen brauchen sie auch kein Versteck spielen, wenn sie dreiBig Zigaretten rauchen, brauchen sie mir nicht beim nachsten Mai erzahlen, ich habe auf funfzehn reduziert, wenn das nicht stimmt, weil mir ist es Wurscht, ob sie sich zugrunde rauchen oder nicht. Ich will ihnen nur so ein paar Augen offnen und bewirken, dass sie mal drliber nachdenken und das sein lassen. Und das kommt viel besser an, als wenn die hier sich gar nicht mehr her trauen, weil sie denken, jetzt kriegen sie gleich wieder was auf den Deckel beim nachsten Arzt-Patienten-Gesprach." (BA 02)
156
Es gibt jedoch auch einige wenige Arzte, die nachfragen und, wie sie selber sagen, „Druck machen": „Und die treibe ich dann halt zum Gynakologen hin oder zum Augenarzt, kriegen eine Uberweisung. Und wenn ich dann keinen Bericht kriege, frage ich nach dem Motto: Waren Sie denn da? Und das ist ein gewisser Druck. Wenn jemand partout nicht will, dann kann ich den auch nicht zwingen, aber es niitzt was." (HA 05)
Einige Wenige iiberprlifen das Verhalten der Patienten nach einer bestimmten Zeit. Sie stellen jedoch eher die Ausnahmen dar. „Ja, gut, da ist mir ein Patient im Kopf. Ich werde ihn auf das Risiko hinweisen, das besteht. Ich werde ihn auf die schadigenden Einflusse hinweisen. Und ich werde ihm versuchen zu erklaren, woher ich sehe, da ist die Ursache, worin sein Risiko besteht. Dann machen wir einen Termin, sagen wir mal, ein Vierteljahr spater, und dann frage ich sozusagen die Konsequenzen ab, die er daraus gezogen hat oder auch nicht gezogen hat. Und wir gucken weiter." (BA 11)
Vier Arzte betonen auch ihre eigene Vorbildfunktion. Sie sind Nichtraucher, treiben Sport, emahren sich gesund und geben das tiberzeugt an ihre Patienten weiter: „NatUrlich, ich bin Nichtraucher, und ich merke durchaus, ich brauche gar nicht viel zu sagen, ich muss nur einmal schnuppem, und dann sagen mir die Patienten: ,Ja, ich woUte ja aufhoren zu rauchen und das geht nicht'. Ich merke auch, dass die Patienten von mir eine Vorbildfunktion erwarten, [...] Es ist naturlich auch so, dass ich eine gewisse Erwartungshaltung habe, das, was ich kann, konnen zum Teil meine Patienten - sollten sie doch konnen, bringe ich dann wiederum entgegen, und das beeinflusst naturlich mein Handeln auch sehr." (HA 01)
Ein Arzt berichtet, dass er geme mit Schaubildem arbeitet, um den Patienten die Zusammenhange besser erklaren zu konnen und das Korperbewusstsein zu steigem. MaBnahmen fiir altere Patienten Eine haufig empfohlene MaBnahme fiir altere Patienten ist Bewegung. Die Arzte raten, in den Tanzkreis des Stadtteils zu gehen, verordnen Krankengyninastik, geben allgemeine Ratschlage und ein Arzt zeigt seinen Patienten in der Praxis Tumtibungen. Eng damit verkniipft ist die Aktivierung der Patienten. In Gesprachen versuchen die Arzte auf die Wichtigkeit hinzuweisen, die Selbststandigkeit zu bewahren und rege zu bleiben. Die Arzte geben an, teilweise in der Praxis oder im Rahmen von Hausbesuchen das Wohnumfeld der Patienten zu betrachten, Hinweise liber mogliche Hilfen zu geben, bzw. auf die Besorgung von Hilfsmitteln zu achten. 157
„Was in der Wohnung moglich [ist] bezieht sich ja haufig auch darauf, wenn Menschen so gehbehindert sind, dass ich dann gucke gibt es irgendwelche Griffe, die man irgendwo anbringen kann oder Schranke, wo ich dann tiber den Teppich stolpere, dass die Teppiche dann verschwinden. Oder manchmal geht es, oder manchmal geht es nicht, dass die Tiirschwellen dann verandert [werden] oder eben diese einfachen Badewannenhaltegriffe. Sage ich immer dann, auf dem Flur, dass man da zwei, drei Griffe an[bringt] oder noch mal einen Stuhl hinstellt oder so." (BA 06) Ein weiterer, haufig genannter Bereich ist die Emahrung. Ziele sind einerseits Emahrungsumstellungen, beispielsweise zur Gewichtsreduktion und Vermeidung von Medikamenten, andererseits wird Alteren eine regelmaBige Emahrung und ausreichende Fliissigkeitszufuhr empfohlen und gegebenenfalls zu emem Mittagstisch (z.B. „Essen auf Radem") geraten. Gesprache tiber das Rauchen und den Alkoholkonsum werden ebenfalls gefuhrt, wobei mehrere Arzte betonen, dass man den Patienten im Alter nicht mehr das Rauchen abgewohnen muss. Explizit verhaltensorientierte MaBnahmen ftir Hochbetagte werden bis auf die allgemeine Aktivierung im psychosozialen Bereich jedoch kaum erwahnt. Weiterhin werden Impfaufklarung und Grippeschutzimpfiingen als MaBnahmen genannt. Ebenfalls werden Vorsorgeuntersuchungen und Screenings bei alten Patienten und Hochbetagten durchgefiihrt. „Spielt sicher auch eine Rolle. Also ich habe meinetwegen einen Achtzigjahrigen, dem ich noch empfehle, hier in den Tanzkreis zu gehen, also sich zu bewegen. Oder einmal die Woche in das [unverstandliches Wort]. Oder auch Gewicht zu reduzieren, was im Alter natiirlich noch sehr viel schwerer ist, als es ohnehin schon ist, das ist uberhaupt gar keine Frage. Aber auch gesunde Emahrung spielt fur das Alter natiirlich mit eine Rolle. Weil da manche gucken, die so alleine zu Hause sind, und die sich nur immer Fertiggerichte reinziehen - das ist gar nicht so ganz selten. Und dann gibt's natiirlich andere Dinge. Also ich wiirde einem Achtzigjahrigen nicht unbedingt das Rauchen ausreden wollen. Wenn er sechzig Jahre geraucht hat und damit gliicklich geworden ist, also da hat es schon andere Prioritaten in der - aber auch da gibt es Praventionsleistungen. Und wir machen Vorsorgeuntersuchungen - jetzt als rein medizinische Praventionsleistung auch bei Achtzigjahrigen und Fiinfundachtzigjahrigen. Wenn sie noch fit sind, da gibt es keine Obergrenze." (HA 14) Nur wenige weisen auf MaBnahmen wie Mundprophylaxe hin: „Dass man rechtzeitig die Prothese unterfiittem lasst und nicht rausnimmt, weil man dann sonst irgendwann nicht mehr richtig kauen kann, das Essen nicht mehr richtig schmeckt und solche Sachen. Das sind Kleinigkeiten, aber man kann noch viel machen." (HA 11) Ein Teil der Arzte fiihrt PraventionsmaBnahmen bei Patienten im Altenheim durch. Andere empfehlen praventive MaBnahmen selbststandig lebenden alten Patienten. Weitere Arzte arbeiten praventiv im Rahmen von Hausbesu158
chen bei gehbehinderten oder mobilitatseingeschrankten Patienten. Teilweise wird darauf verwiesen, dass PraventionsmaBnahmen nur durchgefuhrt werden, wenn die Patienten diese einfordem bzw. wenn diese „noch fit sind". Die Einbindung weiterer Professioneller und anderer Einrichtungen, wie beispielsweise Krankengymnasten, Gynakologen sowie Pflegedienste bzw. Sozialstationen, geben vier Arzte an. Vier Arzte beziehen die Angehorigen bzw. Betreuer im Heim mit ein. Ein Arzt zeigt seinen Patienten in der Arztpraxis Tumtibungen fiir Zuhause. Ein Arzt hat ein eigenes Angebot in der Praxis, das sich auch an Hochbetagte richtet: „Nehmen wir das Beispiel Bewegungstherapie. Ich betreue seit funfzehn Jahren Herzsportler, seit acht Jahren hier in der Praxis zwei eigene Gruppen. Wir haben hier so einen Gymnastikraum, wo wir das machen konnen. Und es ist eine eigentlich sehr schone Erfahrung zu sehen, wie viel SpaB es alteren Menschen macht. Wir haben da durchaus viele Patienten, die inzwischen iiber fiinflindsiebzig, teilweise achtzig oder alter sind. Wie viel SpaB das diesen Menschen macht, sich zu bewegen in der Gruppe. Sicherlich etwas, das ganz wichtig ist. Hier ist natiirlich auch so der psychosoziale Background ein ganz entscheidender Punkt - aber das spielt alles zusammen. Wenn sie sich in der Gruppe bewegen, haben sie auch immer einen entsprechenden Background. Und sie tun das eben auch, um etwas fur ihre Gesundheit zu tun, um ihre Koordinationsfahigkeit zu erhalten, ihre Beweglichkeit zu erhalten. Sie tun es, um eben mit ihrer Erkrankung besser umgehen zu konnen. Das sind sicherlich so ganz wichtige Faktoren." (HA 18)
In dem zitierten Beispiel wird deutlich, dass neben der Bewegungstherapie auch der psychosoziale Kontext eine entscheidende Rolle spielt. Sieben Arzte arbeiten auf der psychosozialen Ebene praventiv. Die psychosozialen MaBnahmen dienen der Motivation zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Drei Arzte motivieren ihre Patienten aktiv zu sein, damit ihre Fahigkeiten nicht verloren gehen. Die Umsetzung reicht von Gesprachen tiber Hinweise auf Angebote im Stadtteil bis bin zu der Verweigerung von Hausbesuchen, damit die Patienten ihre Wohnung verlassen mtissen: „Als ich hier angefangen habe, haben wir, glaube ich, vier- oder funfmal so viele Hausbesuche jeden Tag gemacht. Ja, da saBen Leute zu Hause, die sonst dreimal die Woche in die Stadt gehen, und kriegten einen Hausbesuch. Das haben wir abgeschafft. Wir fahren zu den Leuten hin, die wirklich nicht mehr kommen. Und jeder der es, wenn auch mit Miihen, schafft, in die Praxis zu kommen, den versuchen wir davon zu tiberzeugen, dass er das machen muss. Das ist fur ganz viele Patienten das einzige Mai in der Woche, dass sie ihre Wohnung aktiv verlassen, well sie einen Termin hier haben. Wenn sie das nicht mehr machen wiirden, dann wiirden sie ihr Lebtag nicht mehr aus ihrer Wohnung rauskommen." (HA 19)
Die Arzte motivieren ihre Patienten, Interesse fur das aktuelle Geschehen zu zeigen und soziale Kontakte zu kniipfen. Ein wichtiges Ziel ist es, 159
„unbedingt am geistigen Leben teilzunehmen, sich zu unterhalten, um zu wissen, was los ist drauBen. Wenn die erst mal uninteressiert sind, ist es furchtbar. Dann konnen sie gar nichts mehr. Da sehen sie richtig den geistigen Verfall, und das geht ganz schnelL" (BA 15)
Ein Beispiel zur Forderung der geistigen Aktivitat flihrt ein Arzt an: „Gezielt denke ich da an eine, die ist auch liber neunzig. Die ist im Kopf aber noch voUig klar. Mit der tausche ich immer kleine Gedichte aus zum Beispiel. Die gibt immer auf Hausbesuchen mir ausgeschnittene Zettelchen oder mal was, was sie abgeschrieben hat mit der Hand. Und ich bemiihe mich dann auch immer irgendwas mitzubringen. Dann muss ich ein bisschen Wilhelm Busch gucken oder so. Was fur das Alter dann passend ist, so was bringe ich dann mal mit. Und dariiber freut die sich und wird angeregt. Und dann sagt sie: ,hi vierzehn Tagen habe ich wieder was Neues fur sie', und dann guckt sie halt eben danach." (HA 07)
Weitere psychosoziale MaBnahmen, die genannt werden, sind sich Zeit zu nehmen und zuzuhoren, gezielt nicht iiber Krankheiten zu sprechen sowie zuzureden und Trost zu spenden. Ein Arzt bestellt eine einsame Patientin unter Vorwanden regelmaBig in die Praxis, damit sie jemanden zum Reden hat. Zur psychosozialen Unterstutzung gehort auch zu lemen mit Einschrankungen umzugehen und sich rechtzeitig auf das Altersheim vorzubereiten. Ein Arzt, fiir den psychosoziale PraventionsmaBnahmen in seinem Praxisalltag generell eine wichtige Rolle spielen, betont, dass er im Alter „seelische Pravention" nicht mehr durchfiihrt: „das kann ich nicht machen. Da gibt esandere"(HA01). Krankheitsmanagement und die Vergabe von Medikamenten spielen eine untergeordnete Rolle bei den beschriebenen PraventionsmaBnahmen. Als Beispiele werden die Kuration von Dekubiti genannt. Wenn ansonsten iiber Krankheitsmanagement bei Alteren und Hochbetagten in den Interviews gesprochen wird, wird eher die Nicht-Durchfuhrung von MaBnahmen geschildert wie das Akzeptieren schlechterer Laborparameter. Als praventive Medikation wird Osteoporoseprophylaxe angegeben. Eine wichtige PraventionsmaBnahme bei Alteren ist auch die Uberpriifiing der vielfach zu zahlreichen und falsch dosierten Medikation, deren Korrektur und Reduktion. Hiertiber berichten vier Arzte: „Und das ist ja nun eine ganz alte Geschichte, dass halt von der geriatrischen Situation her man immer wieder feststellt, dass einfach die alten Leute wirklich falsch eingeschatzt, falsch behandelt werden, zuviel Medikamente kriegen und, und, und. Und ich habe es mehr als einmal erlebt, dass ich also irgendeinen verwirrten Alten bei mir hatte, dem ich dann kurzerhand alle Medikamente entzogen habe. Und ein paar Tage spater war der wieder kemig drauf" (HA 02)
160
p. 2.2
Prdvention/Gesundhe Versorgung
itsforderung in der
pflegerischen
MaBnahmen und Zielgruppen Als klassische Patientengruppen in der ambulanten Pflege benennen die Pflegekrafle tiberwiegend Klienten mit einem Diabetes mellitus, einem Apoplex Oder einer Demenz. Ebenso wird aber auch eher krankheitsunspezifisch von Kranken, Bettlagerigen, alten Menschen, Patienten aus der Rehabilitation, gefahrdeten Patienten oder in einem Fall vom prafmalen Patienten gesprochen. MaBnahmen, die im Rahmen der Pflege ergriffen werden, sind groBtenteils im traditionellen Bereich angesiedelt und variieren je nach Krankheitsbild. Bei Bettlagerigen werden andere MaBnahmen umgesetzt als bei mobilen Patienten. In fast alien Fallen beschreiben die Pflegekrafte jedoch ein Konglomerat von MaBnahmen, das sie ergreifen. Besonders haufig wird dabei ein Zusammenspiel von psychosozialen Angeboten und traditionellen MaBnahmen benannt. Die Halfte der ambulanten Pflegekrafte erwahnt die traditionellen Prophylaxen zu Pneumonie, Dekubitus, Thrombose und Kontrakturen. „Ich denke, Gesundheitsforderung ist bei jedem Patienten. Weil auch die Prophylaxen, die wir halt bei den Patienten durchfiihren ist zwar zur Vermeidung von, sage ich mal, aber natiirlich auch eine Gesundheitsforderung einfach. Wenn ich eine Krankheit vermeide, fordere ich die Gesundheit. Da geht es bei den betdagerigen Patienten los, bei denen wir eine Pneumonieprophylaxe machen, Thrombose-, Kontrakturprophylaxe." (HP 16)
Nahezu die Halfte aller Pflegekrafte benennt die Emahrungsberatung insbesondere bei Diabetikem, aber auch bei Patienten, die unter Appetitlosigkeit leiden, als einen Teil ihrer praventiven Arbeit. Sieben Pflegekrafte betonen die Wichtigkeit des Fltissigkeitsausgleichs. „Emahrung ist ein ganz wichtiges Thema, was Pravention betrifft. Wenn man den Leuten nichts zu trinken anbietet, insbesondere unseren alteren Mitbtirgem, dann trinken die auch nicht. Und das ist ein Problem. Ich wiirde davon ausgehen, dass mindestens dreiunddreiBig bis achtunddreiBig Prozent aller Leute liber funfundsiebzig hier in Berlin trocken sind, viel zu trocken sind. Und durch dieses viel zu trocken sein gibt es halt Thrombosen, Schlaganfalle, Herzinfarkte und sonstiges." (BP 08)
Fast alle Pflegekrafte sprechen tiber Mobilisation, Bewegung und Aktivierung der Klienten als MaBnahmen von Pravention und Gesundheitsforderung. „Gesundheit zu fordem machen wir eigentlich, wenn man das jetzt so sieht. Wir machen es eigentlich tagtaglich bei unseren Kunden, indem wir halt einfach schon motivierend auf sie einreden, versuchen sie abzulenken von dem Negativen zu dem Positiven hin. Sie versuchen dorthin, dass sie
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halt mehr trinken, dass sie sich irgendwie gesund emahren - also nicht die fettige Wurst vom Bauem, sondem vielleicht doch schon ein bisschen was anderes, Und dass wir versuchen, dass die Leute auch viel an die frische Luft gehen beziehungsweise sich schon bewegen ." (HP 14)
Ein Viertel der Pflegekrafte nennt die Betrachtung des Wohnumfeldes. Damit verbunden sind oft MaBnahmen zur Sturzprophylaxe oder notwendige Hilfsmittelbeschaffungen und der Einbezug weiterer Fachkrafte. Einzelne Pflegekrafte erwahnen explizit auch die mangelhaften hygienischen Zustande der Klientenwohnungen und ergreifen hier praventive, gesundheitsfordemde MaBnahmen, indem sie z.B. die Ktihlschranke darauf hin kontrollieren, „was altist"(BP10). Ebenfalls ein Viertel der Pflegekrafte weist auf MaBnahmen des Krankheitsmanagements hin. Die genannten Beispiele beziehen sich u.a. auf Alzheimer Patienten, denen z.B. ein Gedachtnistraining vermittelt wird oder auf Diabetiker, die die Pflegekraft darauf hinweist „ihre Augenarzttermine wahr[zu]nehmen" und sie „so beilaufig befi-agt, ob sie irgendwelche Beschwerden an den FtiBen haben" (BP 05). Dariiber hinaus werden nicht naher spezifizierte Erkrankte genannt, deren Medikamentenregime uberprlift wird: „Oder dann so bei Diabetikem, die die Folgeschaden -. Weil [in der] Hauskrankenpflege sind nun mal ziemlich viele Diabetiker, die ich behandele, die ich spritze. Zum Beispiel dass man denen auch [etwas] sagt. Wir haben Patienten, die haben eine Litanei an Arzneimitteln jeden Tag. Wir bereiten die ja immer vor, in so eine Schachtel und geben die dann auch. Wir haben eine, die kriegt liber neunzehn Medikamente jeden Tag - verschiedene Pillen. Und da mit dem Hausarzt driiber zu sprechen und sagen: ,Was lassen wir denn mal weg?' Und das ist so diese Problematik, da konnte man sicherlich gerade bestimmt auch Nebenwirkung wegnehmen, wenn man einiges an Medikamenten weglasst." (HP 06)
Nur vereinzelt werden MaBnahmen in Bezug auf Alkohol- oder Zigarettenkonsum ergriffen. „Und wie gesagt, noch zu mobilisieren, also gucken, dass man Zustande halten kann, aber vielleicht auch noch diesen oder jenen-. Ich habe jetzt gerade eine Patientin, sehr adipos, hat jetzt drei Bypasse gelegt bekommen und raucht sehr viel. Und da bin ich jetzt auch gerade dabei zu sagen: ,Rauchen Sie jede zweite Zigarette'? Man kann den Leuten jetzt nicht sagen, sie soUen aufhoren ganz zu rauchen." (BP 01)
Nahezu zwei Drittel der Pflegekrafte beschreiben psychosoziale MaBnahmen der Pravention und Gesundheitsforderung. Haufig erwahnt wird das „motivierende Gesprach" mit dem Klienten, welches „aus dem Tief herausholen soil", untersttitzend und anregend wirken will. Als MaBnahme gegen Einsamkeit wird auch die Vermittlung von Gruppen genannt: „also die Vermittlung von Gruppen das ist fordemd, gesundheitsfordemd" (BP 11). Ftinf Pflegekrafte fiihren explizit die Einbeziehung von Angehorigen an. Diese bezieht 162
sich nicht nur auf die Pflege der Patienten, sondem auch auf Gesprachskreise fiir Angehorige selbst. „Dann haben wir noch einen Gesprachskreis, der lauft jetzt gerade seit zwei Monaten. Der nennt sich ,Schlagartig krank', und da geht es darum wir haben hier bei uns im Beirat der Station eine Ergotherapeutin, und die hat sich das so ein bisschen auf die Fahne geschrieben. Sie wollte einen Gesprachskreis machen. Eigentlich eher im Bezug auf Apoplektiker gesehen, aber mittlerweile ist in diesem Kreis eigentlich alles, was mal eben in der FamiUe krank geworden ist. Das ist so ein Angehorigenkreis. Und da wird viel -. Ich sag mal, diese Leute kriegen Tipps von uns, wie sie besser mit Pflege umgehen konnen, wie sie besser flir sich eine Freizeit gestalten konnen und dadurch ihre Angehorigen, sage ich mal, in eine Kurzzeitpflege, Tagespflege oder so - auch das ist Pravention." (HP 10)
9.3
Wandel der beruflichen Tatigkeit
Im Folgenden wird der Wandel in der beruflichen Tatigkeit hinsichtlich Pravention und Gesundheitsforderung aus Sicht der Arzte und Pflegekrafte analysiert. Die Aussagen werden meist den Antworten auf die Frage „Hat sich Ihre berufliche Tatigkeit in den letzten Jahren in Bezug auf Forderung von Gesundheit verandert? Erzahlen Sie mir bitte eine entsprechende Situation" entnommen. Es wird unterschieden zwischen dem personlichen Wandel m der beruflichen Tatigkeit, den die Professionellen beschreiben, und dem gesellschaftlichen bzw. gesundheitspolitischen Wandel, den sie wahmehmen. Einige Befragte auBem sich ambivalent. Bei anderen lassen sich Anderungen nur implizit aus dem Interviewverlauf entnehmen. 9.3.1
Personlicher
Wandel
Uber fiinf sechstel der Arzte machen Aussagen liber einen personlichen Wandel in der beruflichen Tatigkeit beziiglich ihrer Einstellung zur Prevention und Gesundheitsforderung oder ihrer Umsetzung. Einen positiven Wandel benennen zwolf Arzte. Fiinf Arzte beschreiben einen negativen Wandel und neun Arzte geben keine Veranderungen in den letzten Jahren an. Sechs Pflegekrafte beschreiben in ihren Ausfiihrungen einen personlichen Wandel in ihrer Einstellung zu Prevention und Gesundheitsforderung, wobei der als positiv zu betrachtende personliche Wandel gegentiber den Darstellungen negativer Veranderungen tiberwiegt.
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Wandel durch Selbststandigkeit, Erfahrung und Forschung Drei Arzte fiihren an, dass Pravention erst seit ihrer Tatigkeit in der ambulanten Versorgung an Bedeutung gewonnen hat - im Gegensatz zur Tatigkeit in der Klinik, in dem „immer nur ein Denken bis zur Entlassung" (HA 14) herrscht. „Und wahrend sie in der Praxis ja, also das kommt vielleicht so innerhalb der ersten vier, flinf, sechs Jahre. Wenn sie eben dann auch mal miterleben, wie ein Patient praktisch noch gesund ist mit hohem Blutdruck, mit hohem Zucker, das ignoriert. Und derm plotzlich werden sie zum Schlaganfall nach Hause gerufen. Also dass sie diese Erfahrungen erleben an einem Patienten, wie dieses Leid kommen kann. Im Krankenhaus kriegen sie den mit dem Apoplex, den kennen sie vorher in der Regel ja nicht, wissen gar nicht, wie gut der gelebt hat. Und das lasst dann den Stellenwert von Pravention schon ein bisschen hoher kommen als das in der Klinik [der Fall] ist. Und auch als es moglicherweise ganz im Anfang der Praxiszeit ist." (HA 14)
In diesem Zitat wird bereits die Bedeutung zunehmender Erfahrung durch langjahrige Praxistatigkeit deutlich. Fiinf Arzte benennen, dass die damit verbundene bessere Kenntnis der Patienten sich forderlich auf ein zielorientiertes praventives Handehi auswirkt. Mehrere Arzte weisen darauf hin, dass der Stellenwert von Pravention und Gesundheitsforderung fur sie gestiegen ist und sie „viel mehr Wert" legen „auf Pravention, auf gesunde Emahrung, gutes Korpergeflihl und Vermeidung von Noxen, zum Beispiel eben auch Rauchen, Raucherentwohnung" (BA 16). Zwei Arzte betonen, dass sie im Laufe ihrer Tatigkeit vermehrt die Bedeutung sehen „dem Patienten auch seine Eigenverantwortung fur sich selber klarzumachen und zurtickzugeben" (BA 04). Em Arzt orientiert sich bei praventiven MaBnahmen mittlerweile an der evidenzbasierten Medizin: „Ich denke, da haben die Ergebnisse der evidenzbasierten Medizinforschung sicherlich ganz wesentlich zu beigetragen, dass ich mehr Dinge tue, von denen es einen nachgewiesenen Nutzen gibt, als das, was in schonen Zeitschriften oder dicken Biichem behauptet wird. Dass es nicht mehr so sehr auf die Meinung einer Kapazitat ankommt, sondem dass ich mehr darauf schaue, was was bringt unter dem Strich die MaBnahme, die ich einfuhre." (HA 04)
Zwei Pflegekrafte geben an, dass sie durch ihre langjahrige Pflegetatigkeit ein groBeres Bewusstsein und mehr Erfahrung in Bezug auf Pravention und Gesundheitsforderung erlangt haben. Durch Optimierungen im Zeit- und Ablaufhianagement bleibt „dann noch Luft [...] fQr andere Sachen mit denen zu machen" (HP 15). Auch die Ubemahme euier selbstandigen Niederlassung und damit verbundener Eigenverantwortung bzw. das Erlangen von Leitungspositionen wird als positiver personlicher Wandel im beruflichen Han164
deln erlebt. Letzteres birgt die Chance, die Rahmenbedingungen fiir die Gesundheit der Mitarbeiter forderlicher zu gestalten. „In den letzten Jahren, bin ich mehr und mehr auch in Leitungspositionen hineingekommen und liatte dann auch, das sehe ich auch als Gesundheitsforderung an, Mitarbeiter anzuleiten. Und auch darauf zu achten, dass die unter Umstanden zum Beispiel nicht zwolf Tage durcharbeiten oder noch mehr und zehn Stunden am Tag arbeiten. So in diese Richtung, da wtirde mir das so einfallen. Und dass man eben auch sieht, dass sie mit ihren Sorgen zu jemanden kommen konnen und nicht, ja, Stichwort ist eben dieses Ausgebranntsein in unserem Beruf. Dass man da so ein bisschen die Mitarbeiter eigentlich hauptsachlich auffangt. Und naturHch auch, dass man sieht, dass die Patienten auch ihre Sorgen loswerden, so mehr in diese Richtung ging das in den letzten Jahren bei mir." (BP 15) Wandel durch Erniichterung hin zur selektiven Pravention Mehrere Arzte haben ihre Erwartungen an Praventionserfolge und ihre Ansprtiche reduziert, bzw. beschreiben, dass ihre Illusionen geschwunden smd, weil man so wenig erreicht: „Ich versuche, also - die Aufgabefahigkeit und die Umsetzfahigkeit von Patienten, gerade von Emahrungsproblemen, da konnen sie praktisch letzten Endes nur das Minimalste hoffen, dass es eventuell dauerhaft umgesetzt werden konnte. Also ich glaube, jetzt habe ich dreimal im Konjunktiv gesprochen und genauso meine ich das auch. Und wenn sie jemandem auch plausibel machen konnen, dass diese Emahrungsumstellung unbedingt notwendig ist, und sie davon ausgehen konnen, dass er sie verstanden hat, dann heiBt das noch uberhaupt nicht, dass er sie einen Tag praktiziert. Oder wenn er sie einen Tag praktiziert, dass er sie eine Woche praktiziert oder einen Monat oder ein Jahr oder fur den Rest seines Lebens. Da habe ich meine Erwartungen oder meine realistischen Einschatzungen in das, was nach einem Jahr ablesbar ist an Erfolg praktisch auf ein allemiedrigstes Minimum heruntergeschraubt." (BA 08) Zwei Arzte geben an, dass sie gelassener, geduldiger geworden suid: „Am Anfang ist man doch sehr viel mehr enthusiastisch und versucht Leute zu tiberreden und von bestimmten Konzepten zu tiberzeugen" (BA 05). Eui Arzt beschreibt, dass sein Engagement nachlasst, weil Pravention wutschaftlich nicht tragbar und zudem frustrierend sei. Er sucht sich heute die Patienten fur preventive Interventionen gezielter aus. Ein gezielteres Auswahlen von praventionswilligen Patienten geben insgesamt vier Arzte an: „Was sich verandert hat, ist, dass ich mir einzelne, gezieltere Patienten raussuche. Wo ich die, sagen wir mal, nach einem Herzinfarkt, die ich konkret unterstiitze und nicht mehr generell Risikofaktor. Und ich werde es sicher ansprechen, aber meine Energie mehr dort reinstecken, wo ich 165
merke, das stoBt auf Widerhall. Das hat sich verandert, das kann ich sagen."(BAll)
Eine Tendenz mit weniger Engagement praventiv zu handeln, geben zwei Pflegekrafte an, von denen eine Pflegekraft an einem Burnout-Syndrom leidet. „Wenn ich an die erste Zeit meines Berufslebens denke, da hatte ich noch sehr viel Elan, um Unterstiitzungsangebote zu machen fiir alte Menschen, und war sehr motiviert. Inzwischen - wenn ich jetzt ganz ehrHch sein soil - alles was mit Hilfsbedtirftigkeit und Rollator und Pflegebett, diese ganzen Hilfsangebote ist mir einfach lastig [...]. Tja, und jetzt bin ich am - da war ich einfach noch optimistischer und jetzt mache ich das nicht mehr. [...] Und ich bin also nicht mehr so hartnackig [...]. Nur ich bin etwas weiB ich nicht, vielleicht kann man das ja Burnout nennen." (HP 02)
9.3.2
Gesellschaftlicher
und gesundheitspolitischer
Wandel
Gesellschaftlichen oder gesundheitspolitischen Wandel beztiglich Pravention und Gesundheitsfbrderung benennen gut ein Drittel der Arzte und die Mehrheit der Pflegekrafte. Dabei beschreiben sie eine Verbesserung bzw. Verschlechterung der Rahmenbedingungen. Auffallend ist, dass dreizehn Pflegekrafte diesen Wandel negativ beschreiben, nur drei Pflegekrafte sehen positive Aspekte des Wandels im Gesundheitssystem. Verbesserte Rahmenbedingungen Dass sich die Rahmenbedingungen fur Pravention verbessert haben, verdeutlichen sechs Arzte. Sie geben eine gestiegene Nachfi-age seitens der Patienten, eine Zunahme der Moglichkeiten praventiver Arbeit sowie vermehrte und verbesserte Angebote und Informationen an. Gesundheitsfbrderung ist in den letzten zwanzig Jahren zu einem neuen Thema mit groBem Markt geworden: „Ich baue die Pravention mehr aus. Auch weil ich merke, dass eine groBe Nachfrage da ist nach Pravention. [...] Also ich baue die Pravention aus, indem ich sie bekannter mache. Wir haben hier so eine Broschiire von der Praxis erstellt, in dem sie einen gewichtigen Punkt hat, die Pravention. In unserem Intemetauftritt ist es sicher auch mit drin, die Pravention." (BA 11)
Drei Pflegekrafte benennen verbesserte Rahmenbedingungen fiir die Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der Pflege. Sie erwahnen zum einen die geltenden qualitativ hohen Pflegestandards, den Aiisatz der aktivierenden Pflege sowie eine Zunahme des Bewusstseins ftir Pravention und Gesundheitsfbrderung, welches z.B. ambulante RehabilitationsmaBnahmen 166
ermoglicht. Eine Pflegekraft betont dabei aber auch, dass die Moglichkeiten zur Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der ambulanten Pflege immer noch begrenzt sind. VerschlechterteRahmenbedingungen Uber eine Verschlechtemng der Rahmenbedingungen sprechen vier Arzte und beziehen sich auf wirtschaftliche Aspekte. Sie benennen, dass Pravention wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist und preventive MaBnahmen, wie beispielsweise Kuren, nicht mehr bewilligt werden. Ein Arzt flihrt an, dass die Rahmenbedingungen, insbesondere das Abrechnungs- und Akkordsystem, zu einer Reduzierung von praventiven MaBnahmen in seiner Praxis gefuhrt haben. Der vierte Arzt bezieht sich auf die Entwicklungen flir Arzte im Altenheim. Uber eine Verschlechtemng der Rahmenbedingungen sprechen gut ein Drittel der Pflegekrafte. Sie erwahnen mehrheitlich den Zeitmangel. Die festgelegten Zeitrichtwerte, die fur bestimmte Tatigkeiten seit Einfuhrung der Pflegeversicherung gelten, lassen ein intensives berufliches Handeln bezUglich Pravention und Gesundheitsforderung nicht zu. „Es hat sich geandert in dem Moment, wo der Zeitfaktor die Rolle spielt heutzutage. Dass man eben leider nicht mehr die Zeit hat zum Beispiel, dass der Patient selbststandig wird. Schlaganfallpatienten sind immer ein gutes Beispiel. Weil die kommen aus dem [Krankenhaus] mit dem RoUstuhl meistens nach Hause, und es dauert naturlich sehr lange, ehe die sich selbst versorgt haben. Die Zeit hat man nicht, also wascht man sie selber, zieht sie selber an, macht alles selbst." (BP 10)
Ebenso fmden sich Aussagen von Pflegekraflen zu einer Verschlechtemng der Rehabilitationsmoglichkeiten von alten Patienten, zum Wegfall bestimmter Leistungsanspriiche, wie z.B. psychosozialer Betreuung oder zur Zunahme des Arbeitsumfangs. Diese Zunahme des Arbeitsumfangs wird zum einen mit der aufwandigen Pflegedokumentation begrtindet, zum anderen fmden sich aber auch Aussagen, die einen Personalmangel bei den ambulanten Pflegediensten fiir die Situation verantwortlich machen. Eine Pflegekraft beklagt, dass seit Einfuhrung der Pflegeversichemng der Einfluss von Angehorigen auf die Pflege der Patienten zugenommen hat, diese aus Kostengrtinden auf bestimmte Leistungen verzichten und dadurch ein praventives, gesundheitsfordemdes Handeln verhindem. Eine andere Pflegekraft betont, dass es trotz der Fortschritte in der Pflegeforschung und der Entwicklung von Leitbildem m der Pflege die Umsetzung von Pravention und Gesundheitsfordemng in der Praxis kaum eine Bedeutung hat. „Ich fmde, dass sich unsere Gesundheitsversorgung ganz, ganz wesentlich verschlechtert. Sie geht bergab, obwohl wir viel mehr wissen. In der Pfle-
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geforschung wird viel getan. Wir wissen inzwischen tiber die Zusammenhange zwischen Korper, Geist und Seele eine ganze Menge. Wir reden viel. Wir haben tolle Leitbilder tiberall - und in der Praxis geht es bergab. Und das ist etwas, was ich beangstigend fmde. Und wo ich auch meine, wo ich manches Mai denke: Je schonere Worte der Mensch fmdet, desto mehr muss er vielleicht verschleiem, wenn ich die Leitbilder lese, von dem, was in der Praxis sich abspielt." (BP 18)
9.4
Wahrgenommene hemmende und fordernde Faktoren bei der Umsetzung in der Praxis
Der folgende Abschnitt befasst sich mit den von den Arzten und Pflegekraften wahrgenommenen hemmenden und fordemden Faktoren bei der Realisierung von Prevention und Gesundheitsfordemng. Diese setzen auf drei verschiedenen Ebenen an: auf Seiten der Patienten, bei den Professionen selbst und im Gesundheitssystem. Insgesamt werden wesentlich mehr hemmende als fordernde Faktoren genannt. Bei den Arzten, die ein altersmaBig inhomogeneres Patientengut haben als die Pflegekrafte, werden zusatzlich Barrieren fiir Prevention im Alter explizit aufgefuhrt. Diese werden von gut einem Drittel der interviewten Arzte benannt. Fordernde Faktoren, die Prevention und Gesundheitsfordemng im Alter begiinstigen, nennen nur sechs Arzte. Sie werden aufseiten der Patienten und aufseiten der Arzte gesehen. 9.4.1
Patientenseitige
hemmende
Faktoren
Nach Aussage zahh-eicher Arzte kommen viele Patienten mit der Erwartungshaltung zu ihnen, „dass es etwas gibt, was das [akute Beschwerden] sofort beseitigt, und wozu sie dann selber aber auch nichts tun mtissen" (HA 03). Viele Patienten hatten kein Interesse an Prevention und Gesundheitsfordemng, seien gleichgtiltig und hetten keinen Willen ihr Verhalten zu endern, „aber das kriegen sie ja so schlecht rein" (BA 15). Die Patienten wtirden trotz Ratschlegen und dem Wissen, was sie gegen ihre Krankheit tun konnen, nichts unternehmen. Daher wtirde es nichts bringen, wenn die Initiative nur vom Arzt ausgeht. Teilweise sehen die Arzte auch ihre Einflussmoglichkeiten eingeschrenkt, wie z.B. bei jugendlichen Rauchem, wo die Zustendigkeit eher beim Eltemhaus liegt. Selbst die Weitergabe positiver Erfahmngen, die die Arzte haben oder MaBnahmen, die sie selbst umsetzen, „gelingt nattirlich meistens nicht" (HA 13). 168
Ein anderer Teil der Arzte hat fur die Schwierigkeiten der Patienten bei der Umsetzung von PraventionsmaBnahmen im Alltag Verstandnis. Viele Patienten seien bemiiht, schaffen es jedoch nicht. Sie seien nicht in der Lage, die Ratschlage umzusetzen, da Verhaltensanderungen prinzipiell schwer umsetzbar sind, Veranderung grundsatzlich nicht sehr beliebt ist und viele Patienten, „einfach psychisch die JCraft nicht haben" (HA 03). Als Problem wird in diesem Zusammenhang haufig genannt, dass viele Risikofaktoren wie ein erhohter Blutdruck oder ein zu hoher Cholesterinspiegel fur die Patienten nicht spiirbar sind. Dartiber hinaus bestehe bei den Patienten die Tendenz, unangenehme Befunde zu verdrangen und sich damit nicht weiter zu beschaftigen. Oftmals herrsche eine Diskrepanz zwischen der Selbstwahmehmung des Patienten und der objektiven Befunde vor. Den Patienten fehle das Krankheitsgefiihl und das Problembewusstsein, sie sehen daher keinen Grund fiir eine Verhaltensanderung: „Die Schwierigkeit ist eben bloB - das ist das, was ich da am Anfang gesagt habe: Jemanden, der kein Krankheitsgefiihl hat und da kein Problembewusstsein hat, den da irgendwie so anzusprechen, dass er uberhaupt irgendeinen Grund sieht, irgendwas zu andem. Weil er macht es ja so, wie er es macht, well er denkt, es ist richtig. Und weil er sich wohl fuhlt dabei. Und die Beschwerden kommen ja hinterher." (BA 14)
Als ausschlaggebend wird auch die mentale Situation des Patienten gesehen: „Ich dachte friiher, dass es einfach zu beeinflussen ist, wenn man sich als Arzt die Zeit nimmt und aufklart. Aber das ist es nicht alleine. Das ist wirklich abhangig von der mentalen Situation des Patienten. Das, was ich ihm sage, auch zu erfassen und fur sich dann selbst umzusetzen." (BA 16)
Die Arzte weisen darauf bin, dass sie Risikopersonen fur Prevention oft nicht erreichen. Hierzu zahlen auch Personen mit niedrigem Bildungsgrad. Die Arzte messen sich daher selbst eine geringe Bedeutung in der Prunarpravention und Gesundheitsforderung bei. „Ich kriege ja hier nicht Patienten, also zu mir kommt ja nur jemand, der meistens kommen die ja nicht wegen [unverstandliches Wort], sondem weil die Knie weh tun zum Beispiel. Und denn sage ich schon was. Aber, die, die nun Ubergewicht haben, die kommen j a gar nicht. Oder die zuviel trinken, die kommen ja nicht zum Doktor. [...] Die erreiche ich ja gar nicht. Und das ware das Klientel, die wichtig waren. [...] Ja. Oder wenn ich denke, wie viel da ein- und ausgeht an Patienten mit den Vorerkrankungen von Alkoholismus in unseren Breiten. Aber wie erreiche ich die? Gar nicht." (BA 01)
Arzte, die zusatzliche Angebote in ihrer Praxis bereitstellen oder bereitgestellt haben, fuhren an, dass diese nicht gentigend angenommen wurden, bzw. grundsatzlich zu wenige der vielfaltigen Angebote wahrgenommen werden. Eine Hiirde wird in der mangehiden Bereitschaft der Patienten gesehen, zusatzlich fur PraventionsmaBnahmen zu bezahlen: 169
„Das Problem ist bloB immer, dass, sobald der Patient etwas aus eigener Tasche zu seiner Gesundheit beitragen soil, wird er doch sehr sparsam. Und verzichtet im Zweifelsfalle lieber darauf, ein solches Angebot uberhaupt anzunehmen. Das ist meine Erfahrung. Es gibt ganz wenige, die dann plotzlich ganz viel Geld fxir irgendwas ausgeben. Aber es gibt selten jemand, der dort, wo er normalerweise gewohnt ist, eine kostenlose Leistung zu bringen, dann bereit ist, da noch mal Geld fxir zu zahlen, flir Dinge, die er schon wiinscht. [...] hier ist eigentlich mehr so die Erwartung, dass das, was hier ist, alles kostenlos und inklusive ist." (HA 19) Die Arzte beschreiben als Htirde fiir Pravention im Alter, dass die Patienten in Ruhe gelassen werden wollen und beispielsweise Widerstand gegen die Forderung der Selbststandigkeit in Heimen leisten. Auch die Integration von Veranderungen im Alltag nach stationaren Aufenthalten erfolgt nicht nachhaltig. Ein Arzt fiihrt auch bei alteren Menschen eine passive Erwartungshaltung an. „Ganz haufig sagen die: ,Ach', auch wenn sie dick sind, ,ach, nun lassen sie doch, meine letzten Jahre, nun kommt es doch auch nicht - nun lassen sie mich doch noch rauchen, ich habe mein ganzes Leben geraucht, und ich habe mein ganzes Leben viel gegessen, das kommt dann nicht mehr [darauf] an'. Und man mag natiirlich ihnen auch nicht, wenn sie nun schon achtzig sind, ihre letzten Jahre so vergallen. Das mag man dann auch nicht. Da sage ich dann auch, auch bei den Diabetikem: ,Man, lassen sie sie essen, wenn die Schokolade schmeckt, solange es noch irgendwie geht, das wollen wir ihnen doch nun nicht alles vermiesen'. Nur mit dem Rauchen ist natiirlich - Wenn ich also dauemd wieder ins Krankenhaus muss und immer keine Luft kriege, da halt sich mein Verstandnis etwas in Grenzen. Oder wenn ich immer Schmerzen in den Beinen habe und gesagt kriege, das hangt damit zusammen, es dann nicht lassen zu konnen, da kommt man schlecht mit dem Verstandnis. Da hort es langsam auf. Aber das ist so." (BA 15) Eine fehlende Bildung sowie das Alter selbst werden von einigen Arzten als Barriere genannt, indem sie betonen, dass die Patienten nicht mehr flexibel und offen seien oder Pravention bei geriatrischen Fallen nicht moglich sei: „Da hatte man vorher was machen mtissen" (BA 15). „Ein Problem ist natiirlich dabei - das sehe ich auch - dass Leute, die keine Ausbildung in dieser Richtung genossen haben, sich natiirlich sehr schwer tun, mit funfundsechzig auf einmal das anzufangen, was sie immer nicht anfangen sollten." (HA 10) Auch die Pflegekrafte sehen in der Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung die meisten Barrieren auf Seiten der Patienten. Die Pflegekrafte weisen auf die Konsumhaltung der Klienten hin und berichten, dass viele Patienten „gar nicht groB selber aktiv werden" (BP 15), sondem sich versorgen lassen wollen. Angebote werden als Eingriff in ihre Privatsphare aufgefasst und abgelehnt: „Und wenn ich mich jetzt da einmische, fuhlen sich viele 170
bevormundet" (BP 12). Die Hinweise von den Pflegekraften werden zwar aufgenommen, aber nach ihren Aussagen nicht befolgt und umgesetzt. Entsprechenden Anregungen und Informationen stehen sie reserviert gegentiber: „Ja, das ist auch schwierig. Weil ich kann dem Patienten natiirlich jetzt sagen: ,Hier, machen sie mal einen Spaziergang'. Dann guckt er mich an und sagt: ,Wie denn? Ich wohne im vierten Stock, ich kann gar nicht raus'. ,Ja, machen sie doch mal Kniebeugen'. Was soil ich dazu sagen? ,Ja, nehmen sie sich doch einen Krankengymnasten'. Dann kommt wieder: ,Ich habe kein Geld' oder: ,Das ist mir zuviel, das ist zu anstrengend, das schaffe ich nicht' - ja." (BP 12)
Die Forderung einer Partizipation am sozialen Leben, die von vielen Pflegekraften als Pravention und Gesundheitsforderung beschrieben wird, ist bei einigen Patienten durch ihre Wohnsituation nicht moglich. Insbesondere das Fehlen eines Fahrstuhls wird als Barriere beschrieben. Sieben Pflegekrafte auBem explizit, dass das Alter der Patienten und deren geistige und korperliche Verfassung eine Barriere darstellt. Angehorige werden von den Pflegekraften in einigen wenigen Fallen ebenfalls als Barriere empfunden. Aus Angst um den Patienten verhindem sie preventive und gesundheitsfordemde MaBnahmen bzw. mischen sich zu haufig in die Pflege ein, so dass eine professionelle Pflege nicht moglich ist. „Wir haben eine andere Patientin, die sehr alt ist. Da mochte die Familie geme, dass sie eigentlich im Femsehsessel sitzt - da kann ihr ja nichts passieren. Die Patientin mochte das aber nicht. Also gehen wir abends mit ihr zum Beispiel essen, fordem sie, indem wir sagen: ,Naturlich, gehen Sie ins Theater, natiirlich gehen Sie dahin'." (BP 08)
9.4.2
Patientenseitige fordernde
Faktoren
Als fbrderlich fur Pravention und Gesundheitsforderung betrachten die Arzte die zunehmende Information in den Medien, eine steigende Nachfrage seitens der Patienten sowie ihr Interesse und ihren Informationsstand aus Medien und Internet („Es gibt ja durchaus Patienten, die machen sich im Internet schlau" (HA 07)). Als groBe Chance „Verhaltensweisen aufzugeben und zu andem" werden Krisensituationen gesehen. Hier sieht eui Arzt seine spezifische Aufgabe „in der Situation da zu sein und da verhaltensandemd einzuwirken" (BA 11). Als fbrderlich fur Pravention im Alter nehmen die Arzte auch eine Bereitschaft der Patienten zur Finanzierung von Angeboten wahr. Auch friiheres gesundheitsbewusstes Verhalten wirkt sich positiv aus: „Es ist ja ganz interessant, wenn diese alteren, gesunden alteren Menschen so erzahlen. Dann stellt man fest, dass sie in der Kegel selber von sich aus spontan, intuitiv eine ganze Menge machen, um gesund zu bleiben. Sie 171
trainieren ihren Geist, indem sie zum Beispiel geme lesen oder haufiger Theaterveranstaltungen besuchen oder viel in der Gegend herumreisen. Sich durchaus in dem Alter noch auf das Fahrrad setzen, sich also auch sportlich betatigen, oder jeden Tag eine Stunde spazieren gehen, ob nun mit oder ohne Hund, auf jeden Fall viel unterwegs sind. Und was man retrospektiv bei diesen Patienten wirklich haufig feststellt, ist, dass sie in der Kegel auch zuriickliegend eigentlich immer eine recht gesunde Lebensweise gepflegt haben. Das stellt man schon fest." (HA 18) Pflegekrafte fuhlen sich in der Umsetzung von Prevention und Gesundheitsfbrderung unterstutzt, wenn die Patienten informiert sind, nachfragen oder Anregungen annehmen: „der Umgang mit den informierten Patienten [bei schwierigen Erkrankungen wie Diabetes ...] ist nattirlich deutlich angenehmer" (BP 14). 9.4.3 Professionenbezogene
hemmende
Faktoren
Explizit wird als henunender Faktor fur die Umsetzung von Prevention und Gesundheitsfbrderung in der Praxis die Angst genannt, bei dem gegenwartigen System weniger zu verdienen, wenn die Prevention greift: „Aber es liegt vielleicht auch daran, dass wir nattirlich auch weniger verdienen [...].Wenn viele VorsorgemaBnahmen stattfmden, dann haben weniger Leute Herzinfarkt, dann - und das ist nattirlich - da kommen weniger Patienten. Auch zu mir kommen nur Kranke. Ich weiB nicht, ob das nicht auch mit dem System - ich glaube, das liegt auch an dem System. Das System ist nicht vorbeugend, sondem wenn es passiert ist, dann wird alles getan. Wenn der Patient eine Herzkrankheit hat, denn wird alles getan, dann werden viertausend Mark fur Herzkatheder, fur Operation rausgeworfen. Aber davor verdienen wir ja nicht dran." (BA 01) Neben dem Verdienst spielt der Zeitfaktor eine Rolle. Eine Vielzahl von PraventionsmaBnahmen durchzuftihren sei zeitlich nicht machbar - wobei sich diese beiden Aussagen auf Arzte beziehen, die schon eigene Angebote in der Praxis bereitstellen und sehen, dass noch mehr getan werden konnte bzw. sie geme noch mehr anbieten wtirden. Als implizit genannte Barrieren zeichnen sich der primare Fokus der Arzte auf Krankheit bzw. kurative Aufgaben ab sowie ihre mangelnde Uberzeugung. Teilweise sind sie selbst nicht sicher, wie sie sich verhalten wtirden: „Und ich merke es immer wieder, wenn ich mich halt dann unterhalte. Zuckerkrank - was wtirde ich machen? Ich weiB zwar, was theoretisch richtig ist, wie man Diat halt, um moglichst keine Komplikationen zu sptiren und lange sozusagen relativ gesund zu bleiben, keine Folgeerkrankungen zu bekommen. Aber ob ich das auch machen wtirde, wenn ich das hatte? [...] Der Verstand und das Geftihl sind sehr unterschiedliche Sachen, glaube ich. Und also ich bin ja nicht besser. Ich weiB das, vom Kopf her weiB ich das. Aber ob ich vom Gefiihl das nachher packen werde, das weiB ich 172
nicht - glaube ich eher nicht. Also wenn ich dann denke, wenn ich zuckerkrank bin, ich kann niclit mehr ins KaDeWe, Torte essen da (seufzt laut)." (BAOl)
Entsprechend empfehlen die Arzte auch praventive MaBnahmen seltener oder mit weniger Uberzeugung, wenn sie sie selbst nicht praktizieren. So bezeichnet ein Arzt, der sich nach eigenen Angaben wenig gesund emahrt, praktische Emahrungsempfehlungen „als eine schwierige Sache. [...] Und ich gebe das zwar weiter, aber mit welcher Inbrunst, das kann ich nun gar nicht so richtig beurteilen" (BA 05). Ein anderer empfiehlt Sport gar nicht. „Na, weil ich auch keinen mache, wie kann ich was empfehlen, was ich selber nicht mache"(BA01). Eine weitere Barriere, die stark mit der bereits aufgezeigten Frustration zusammenhangt, ist die mangebde Motivation, Patienten noch praventiv zu beraten: „Aber wenn jemand sagt, ich bin so haufig so krank. Und wenn ich ihn dann frage: ,Wie viel rauchen Sie?' Und dann: ,Ja, zwei Schachteln'. ,Haben Sie schon driiber nachgedacht aufzuhoren?' und der sagt ,no'. Und dann sage ich: ,Das ist aber fiirchtbar schadlich' und dies und das. Und ich erklare ihm das drei Minuten. Und ich sehe dann: Also aufhoren zu rauchen kann ich nicht. Dann ist sozusagen meine Motivation, da Prevention zu machen, gleich Null." (HA 05)
Fiir Pravention im Alter konnen zwei arztlicherseits vorliegende Htirden benannt werden. Zum einen sind ihnen PraventionsmaBnahmen fur altere Patienten nicht immer im Bewusstsein, zum anderen bremst der Arzt das zum Teil bestehende Engagement seiner alten Patienten beziiglich Pravention, „weil nach allem, was man so weiB, bringt das halt auch nicht mehr so schrecklich viel, mit funfundachtzig noch einen idealen Cholesterinwert zu haben, weil die Alterungsprozesse eben tiberwiegen und GefaBschaden hervorrufen" (HA 12). „Da versuche ich halt so im taglichen Leben einfach mal zu fragen oder Angehorige zu fragen: ,Trinkt er denn gut?', ,Emahrt er sich noch gut?', ,Gibt es Essen auf Radem oder kocht er selbst?' und ,Was kocht er denn iiberhaupt?'. Also diese Dinge versucht man schon zwischendurch mal zu fragen. Aber ich glaube schon [in] nicht so sehr groBen Bereich, wo ich das selber auch manchmal vergesse, denke ich. Und man wundert sich dann, warum eine Anamie auftritt. Und wenn man dann nachhakt, was da im Ktihlschrank noch liegt. Oder was sie iiberhaupt essen. Oder ob sie mal einen Salat essen. Oder ob die Prothese einfach noch funktioniert so richtig. Oder ob sie beiBen konnen - so ganz banale Dinge. Das sind so Sachen, wo man ofter mal nachhaken miisste, um zu sagen: Gut, kannst auch noch langer einigermaBen gesund bleiben." (HA 16)
Fast ein Drittel der Pflegekrafte sieht Barrieren auf Seiten der Pflege, insbesondere die haufig mangelnde Qualifikation des Pflegepersonals. Dabei beziehen sich die Pflegekrafte sowohl auf ihre eigene, hinsichtlich Pravention 173
und Gesundheitsforderung mangelhafle Ausbildung als auch auf die derzeitige Situation in der ambulanten Pflege, in der immer mehr Laienpfleger und Hilfskrafte die Tatigkeiten einer examinierten Pflegekraft tibemehmen. „Es gibt ja viele Krankenschwestem und Pfleger, die genau wie ich so was in ihrer Ausbildung nattirlich nie hatten. Und wenn man sich auch gar nicht damit befasst privat oder wenn man mal so interessante Artikel gelesen hat, dann kommt man von alleine auch gar nicht darauf. Und oftmals habe ich den Eindruck, dass viele Pflegedienstleiter eben nur bestimmte Qualitatsrichtlinien und wie sie alle heiBen, Regelungen umsetzen, wenn es unbedingt sein muss von den Kassen oder von dem MDK her. Und ansonsten aber so selbststandig nachdenken oder selbststandige Ideen verwirklichen, das geht eigentlich gen null. Also das wird kaum umgesetzt." (BP 15)
Auch die Rolle der Pflegedienstleitung bzw. der Hauskrankenpflegedienste, die wirtschaftlich und gewinnorientiert arbeiten, wird als Barriere benannt und kritisiert. Eine Pflegekraft beschreibt, dass den Patienten „Zeit gestohlen wird", Kontrollen nur auf dem Papier stattfmden und nicht wahrgenommen wird, wie sich die Patienten wirklich fiihlen. Auch die zunehmende Btirokratisierung der Pflege, sei es durch komplizierte zeitaufwandige Antrage oder Abrechnungen an Pflege- oder Krankenkassen oder durch die Pflegedokumentationen werden ebenso als Barrieren beschrieben wie die enge fmanzielle Situation und der akute Personalmangel in der ambulanten Pflege. „Na, ich denke mal insgesamt, dass die ambulante Pflege machtig im Umbruch begriffen ist - unter akutem Personalmangel leidet, wenn man so um sich guckt. Und dass gerade diese PraventionsmaBnahmen zeitlich eigentlich zum groBten Teil nicht mehr zu schaffen sind. Obwohl sie sehr wichtig sind fur mich - zumindest in meinem Verstandnis, Berufsverstandnis." (BP 06)
9.4.4
Professionsbezogene
fordernde
Faktoren
Einige Arzte, die fordernde Faktoren benennen, beziehen sich auf Erfolgserlebnisse, die sie durch PraventionsmaBnahmen haben, z.B. wenn jemand mit dem Rauchen aufgehort hat oder langfristig eine Gewichtsreduktion erzielt. Sie bezeichnen Pravention als sinnvolle und reizvolle Aufgabe, die einem im Erfolgsfall das Geflihl vermittelt „viel geleistet zu haben": „Von der Aufgabe her ist es an sich etwas wirklich Reizvolles. Es ist siimvoll. Und sie haben das Geflihl wenn sie einen tiberzeugt haben am Tag von, weiB nicht, hundert Patienten, und bei einem haben sie wirklich in der Pravention irgendetwas fur immer verandert, haben sie viel geleistet an dem Tag." (HA 05)
174
Als fbrderlich wird angesehen, sich Zeit flir die Patienten zu nehmen und ihnen viel zu erklaren. Fast durchgangig positive Erfahrungen werden mit eigenen Angeboten in der Praxis gemacht, die auch aufgrund der Gruppenstruktur die Umsetzung von PraventionsmaBnahmen fiir Patienten erleichtem und ihre Compliance fordem: „Alleine das Gesprach reicht sicherlich nicht aus. Das ist ganz klar. Und der erhobene Zeigefmger reicht schon gar nicht aus. Sie mtissen dann schon sehr konkret Hilfe anbieten. Das tun wir in Kursen. Wir machen Ernahrungsberatung, wir machen Sportkurse." (HA 18)
Zudem sehen die Arzte bestimmte Verhaltensweisen und Erfahrungen ihrerseits als fbrderlich fur die Realisation von Prevention und Gesundheitsforderung in der Praxis an. Dariiber hinaus werden vereinzelt angefuhrt: Vorsorgeuntersuchungen, Impfuberprufung, Verstandnis fiir die Patienten haben und Gesundheitsbildung. Ein Arzt fiihrt ein Buch eines Prominenten an, der liber Bewegung geschrieben hat. Populare Vorbilder wtirden Menschen den notigen AnstoB geben, selbst aktiv zu werden. Faktoren, die die Arzte ihrerseits als fbrderlich fur Prevention im Alter empfmden, sind Erfolgserlebnisse durch praventive Beratung und die fmanzielle Lukrativitat: „Ist auch eine fmanzielle Geschichte, muss man machen, sonst kriegt man nicht seinen Schnitt raus" (BA 12). Ftinfzehn Pflegekrafte beschreiben fordemde Faktoren seitens der Pflege. Eine wichtige Rolle nimmt dabei die Qualifikation der Pflegekrafte ein. „Es arbeiten hier nur examinierte Krankenschwestem, well ich personlich der Meinung, der Auffassung bin, dass eine ungelemte Kraft einfach nicht praventiv arbeiten kann. Sie hat keine Beobachtung gelemt, sie kann auch nicht beobachten, sie kann sich nicht drauf einstellen auf diesen Menschen, sie kann nicht beobachten, und wie soil ich ohne Beobachtung praventiv arbeiten konnen? Wir legen ganz viel Wert auf Grundpflege, damit auf samtliche Prophylaxen." (BP 08)
Die Einstellung des Pflegedienstes bzw. der Pflegedienstleitung wird als ein wesentlicher fordemder Faktor fiir die Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung gesehen. Herrscht eine positive Einstellung zu Pravention und Gesundheitsfbrderung in der Pflege vor, werden z.B. interne Qualitatszirkel oder Fort- und Weiterbildungen durchgefuhrt bzw. wahrgenommen. Auch die Pflegeroutine und die Dokumentation der Pflege sehen einzebie Pflegekrafte als fordemd an. Erfolgserlebnisse in der Pflege wirken sich fordemd auf Pravention und Gesundheitsfbrderung aus: „Da hab ich mich unheimlich gefreut, das dann so zu horen, der ist auf einmal aus der Wohnung rausgegangen, das hat der seit Jahr und Tag nicht mehr gemacht. Ja, so was zu horen, da kommt dann Freude auf." (HP 01)
175
9.4.5
Gesundheitssystembezogene
hemmende
Faktoren
Die Aussagen zu den Faktoren, die systembezogen fur eine Realisierung von Pravention und Gesundheitsforderung als hemmend betrachtet werden, sind sehr homogen. Mehrheitlich wird auf die vorrangige kurative und nicht praventive Ausrichtung des Gesundheitssystems hingewiesen („das medizinische Dasein, das ist bestimmt nicht von Pravention, sondem das ist bestimmt vom Lindem, vom Erkennen von Krankheiten" (HA 01)). „Da wartet man darauf, bis die Symptome da sind, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Und erst dann wird man tatig. Und dann wird bezahlt - und nicht praventiv, was eigenthch der Gesundheit entsprechen wurde." (HA 08)
Als Grlinde ftihren die Arzte an, dass die Pharmaindustrie sowie Kollegen und das gesamte Gesundheitssystem kein Interesse daran haben. Em Arzt kritisiert, es fehle auch der politische Wille zur Pravention. Dies lage zum Teil daran, dass das „alles langfristig angelegte Konzepte sind, die eben nicht sofort greifen" und dass „die Kosten-Erspamisse erst m zehn bis zwanzig Jahren sichtbar wtirden" (HA 18). Vielfach wird kritisiert, dass Pravention und Gesundheitsforderung nicht bzw. nicht ausreichend vergtitet werden: „Wir haben tausend diagnostische Ziffem in unseren Leistungskatalogen und wir haben vielleicht zehn praventiveZiffem"(HA01). Ein weiteres Problem in der Finanzierung wird insbesondere bei den medizinischen Vorsorgeleistungen gesehen, die haufig abgelehnt werden, weil die Kosten gedeckelt sind. Dariiber hinaus wird auf PraventionsmaBnahmen wie Emahrungsberatung auBerhalb der Kassenarztpraxis hingewiesen, die die Patienten selber bezahlen miissen. Auf gesellschaftlicher Ebene wird beklagt, dass zu wenig Geld fur Prevention ausgegeben wird und zu wenig wirksame Kampagnen und gesetzliche Auflagen z.B. zum Tabakkonsum existieren. Ein Arzt fordert fmanzielle Anreize fiir die Patienten zur Pravention. Ein Kollege weist darauf hin, dass „eine gewisse Selbstvorsorge mit Krankenversicherung eigentlich nichts zu tun" hat (BA 10) und das gesellschaffliche Bewusstsein daflir noch nicht reif ist. Ein Arzt geht soweit zu sagen, dass er es als Ungerechtigkeit empfmdet, dass gesundheitsschadliches Verhalten zu Lasten seines Budgets geht, ohne dass die Patienten dafiir Konsequenzen zu tragen hatten: „Es ist nicht die hauptsachliche Klientel, die ich habe, aber es gibt einen Satz von vielleicht einem Viertel der Patienten, die offensichtlich ganz entscheidend zu ihrer Erkrankung beitragen. Und man wiirde sich wunschen - wenn also schon Ressourcen neu verteilt werden -, dass das in irgendeiner Weise mit hinein kommt. Ich habe ein Problem damit, jemanden ein Mittel aufzuschreiben, was hundertfunfzig Euro pro Monat kostet, daflir dass er weiterhin zwanzig Zigaretten rauchen kann. Und das Ganze
176
zu einem Budget, da sind dairn vierhundertfiinfzig, vierhundertachtzig Euro insgesamt nur dafiir pro Quartal. Und ich habe ein Budget von unter hundert Euro. Ich muss also dreihundertachtzig Euro entweder auf meine Kappe nehmen, oder bei jemand anders einsparen, damit der weiterrauchen kaiin. Das empfinde ich als ungerecht." (HA 19)
Eine weitere, wichtige Barriere, die von den Arzten genannt wird, sind die fehlenden Angebote, die sie als Teil der Versorgung nutzen konnten, die fehlende Vemetzung mit anderen Anbietem sowie bei den bestehenden Angeboten die zeitliche Diskrepanz. „Die Praxis, muss man sagen - es missfallt mir auch - die Praxis hat keine Hebel. Die hat keinen Zugriff zu sagen: ,Gehen Sie mal dorthin, da gibt es eine Anlaufadresse.' Die Anlaufadressen sind alle fur uns auch genauso anonym wie fur den Patienten. Die sind weder auf die Krankenkasse bezogen, noch auf den Stadtteil, noch auf die Firma, sondem die sind irgendwo." (HA 10)
Auch fur Pravention im Alter werden die meisten Barrieren im Gesundheitssystem gesehen. Vorrangig werden Budgetzwange genannt. Als weitere Hiirde wird ein fehlendes gesellschaftliches Interesse fur Pravention bei alten Menschen konstatiert. Ein Arzt fuhrt an, dass seit Einfuhrung der Pflegeversicherung die Kooperation mit den Pflegediensten schlechter geworden ist, was sich ungiinstig auf die Qualitat der Versorgung auswirke. Mehr als die Halfte der Pflegekrafte beschreibt das Gesundheitssystem als eine Barriere bei der Realisierung von Pravention und Gesundheitsforderung. Benannt werden die Gesundheitsreform und ihre Folgen: „leere Kassen", „Kostendampfung", „Pflege vor Rehabilitation" sowie die Einfuhrung der Pflegeversicherung mit ihren Zeitschienen und die mangehide Kooperation der Krankenkassen. Die Pflegekrafte beschreiben dartiber hinaus eine zunehmende Btirokratie und keine bzw. eine mangehide Finanzierung von praventiven und gesundheitsfordemden Leistungen. Fiinfzehn Pflegekrafte benennen den ui der Pflege vorherrschenden Zeitmangel, der ftir Pravention und Gesundheitsforderung kemen Raum lasst: „Das ist nattirlich schon, wenn ich mich beim Alzheimer-Patienten auch hinstellen konnte und sagen: ,So. Wasserhahn aufdrehen, Wasser einlassen. Jetzt das waschen oder jenes waschen.' Nur die Zeit fehlt dazu. Durch die Leistungskomplexe ist das ja auch alles beschrankt, also muss man den teilweise razzifazzi selber waschen, ohne diese Moglichkeiten bei dem wieder [etwas] hervorzurufen." (BP 03)
177
p. 4.6
Gesundheitssystembezogene
fordernde
Faktoren
Fordemde Faktoren seitens des Gesundheitssystems werden von den Arzten kaum genannt. Bin Arzt erwahnt, dass es heute mehr Moglichkeiten gibt und Pravention und Gesundheitsforderung ein haufigeres Thema in den Medien sei. Ein weiterer Arzt betont die Tatsache, dass Gesundheitsforderung ein groBer Markt ist und die Krankenkassen verpflichtet sind, hierfur Geld auszugeben: „Aber es ist ja auch ganz interessant zu sehen, dass die Krankenkassen per Gesetz eben auch dazu verpflichtet sind fur gesundheitsfordemde MaBnahmen Geld auszugeben. Und seitdem ist es natiirlich erst recht ein Markt geworden. Das sind sicher viele dankenswerte und vemtinftige Sachen wie Riickenschule oder Gesundheitssport, Emahrungserziehungsprogranime und so. Wobei die wir hier von der Kammer aus dann auch ordentlich untersttitzen." (HA 17)
Ein Arzt beftirwortet die kassenbezogenen Angebote, die vor allem in der Zeit zwischen dem Gesundheitsstrukturgesetz (1989) und dem Beitragsentlastungsgesetz (1997) erfolgten: „Gesundheit zu fordem: Ich fand die Ansatze, wo sie alle wahnsinnig geschrieen haben, als die Krankenkasse eine Weile anboten in Qigong, Tai Chi, Autogenes Training und so weiter, fand ich eigentlich genau den richtigen Ansatz. Ich fand das auch falsch, dass diese sicherlich minimalen Kosten im gesamten Gesundheitssystem mit so viel negativer Publicity behangt wurden und dann eingestampft wurden. Das war eigentlich der richtige Weg, die Leute noch im gesunden Zustand an ein Korperbewusstsein heranzuflihren. Das war endlich mal ein vemtinftiger Weg und nicht Milliarden fiir Therapie auszugeben, sondem ein paar wenige Millionen fur die Pravention. Das war ein viel besserer Weg." (HA 13)
Auf der Ebene des Gesundheitssystems werden von den Pflegekraften zwei fordemde Faktoren etndeutig benannt. So ist es seit Einfiihrung der Pflegeversicherung leichter bzw. moglich, dem Patienten Hilfsmittel zu beschaffen und das Wohnumfeld patientengerecht zu verandem. „0b das die Hilfsmittel sind, ob das das Wohnraumumfeld betrifft, was ja auch im Rahmen der Pflegeversicherung bis zu funftausend D-Mark iibernommen wird an Veranderungen, Schwellen rausnehmen. Also mehr diese Pravention, dass man dann wirklich darauf hinweisen kann: Da sind Stolperfallen. Was konnen wir da machen? Wie sind Erleichterungen zu treffen?" (HP 03)
Die Kosteniibemahme psychosozialer Betreuung bzw. Begleitung des Patienten durch das Sozialamt wird als ein weiterer fordemder Faktor angesehen.
178
9.5
Zusammenfassung und Diskussion
Entsprechend den eingangs dargelegten gesetzlich verankerten Leistungen der arztlichen Pravention und Gesundheitsforderung liegt ihr Schwerpunkt in der Umsetzung auf den eher klassischen, insbesondere auch sekundarpraventiven MaBnahmen der Krankheitsfrtlherkennung. So dominieren traditionelle PraventionsmaBnahmen wie z.B. Emahrungsberatung, Anregung zur Bewegung, Raucherentwohnung sowie Stressvermeidung und Untersuchungen zur Krankheitsfriiherkennung, gefolgt von psychosozialen Angeboten. Die Beispiele sind in den Interviews allerdings oft allgemein gehalten; einige Arzte konnen keine konkreten MaBnahmen zur Pravention und Gesundheitsforderung aus dem gestrigen, von der Kuration bestimmten Tagesablauf benennen. Die Zielgruppe steht in unmittelbarem Zusammenhang zu den Ansatzen der Pravention: Patienten mit Risikofaktoren und Kranke. Pravention fur alle Patienten fmdet kaum statt, was der niedrigen Anzahl von ressourcenorientierten Zugangen zu Pravention entspricht. Um der von den Arzten empfundenen Frustration bei der Umsetzung der Pravention zu entgehen, konzentrieren sich wenige Arzte auf preventionswillige Patienten. Auch dieses Ergebnis spiegelt die eingangs skizzierte Situation einer unsystematischen und insbesondere im hoheren Alter wenig konkreten Praventionsorientierung wider. Bei der Betrachtung der Umsetzung wird deutlich, dass die Arzte primar Gesprache ftihren und beraten. Eigene Angebote, Vermittlungen an und Kooperationen mit anderen Anbietem stellen die Ausnahmen dar. Besonders auffallig ist, dass fast alle Arzte die Freiwilligkeit in der Umsetzung betonen. Eine aktive, systematische „Kontrolle" in Form von Nachfragen und Verfolgen fmdet nur sehr eingeschrankt statt. Gemeinsame Vereinbarungen zwischen Arzt und Patient, die eine regelmaBige Uberprtifung und Modifikation vorsehen, werden kaum durchgeflihrt. Auch bei der Pravention im Alter lassen sich den Situationsschilderungen der Arzte tiberwiegend traditionelle MaBnahmen entnehmen, wie z.B. Empfehlungen zur Bewegung und Emahrung sowie Vorsorgeuntersuchungen, gefolgt von psychosozialen MaBnahmen. Spezielle MaBnahmen, wie beispielsweise Sturzprophylaxe und Mundhygiene werden nur vereinzelt genannt. Vier Arzte berichten, dass sie Medikamente tiberprlifen. Die Tabelle 9-1 zeigt MaBnahmenfelder und von den Arzten genannte Umsetzungsbeispiele fur die Pravention im Alter auf „Gesundheitsf6rderung muss mit der Pflegetatigkeit vereinbar sein", betont Fichten (1998) bei der Schilderung gesundheitsforderlichen Handelns in der Krankenpflege. Sie wird in diesem Zusammenhang als integraler Bestandteil beruflichen Handelns begriffen. In diesem Sinn auBem sich auch die interviewten Pflegekrafte.
179
Tabelle 9-1: Umsetzung der Pravention und Gesundheitsforderung im Alter in der arztlichen Praxis MaBnahmenfelder
Umsetzung
Traditionelle MaHnahmen Bewegung Ernahrung Impfungen
Gesprache, Empfehlungen, Anregungen Kontrollen z.T. im Rahmen von Hausbesuchen E nbeziehung von Angehorigen und anderen Professionen
Sturzprophylaxe Gesundheitsuntersuchungen Krebsfruherkennung Diagnose, Anamnese, Besprechung der Ergebnisse Check-up Krankheitsmanagement Dekubitus
Ku ration
Akzeptanz schlechter Laborparameter Osteoporoseprophylaxe
Medikation (Hormone, Calcium, Vitamin D)
Medikamentenuberprufung
Beratung, Empfehlung, ggf. Modifikation und Reduktion
Psychosoziale MaHnahmen Motivationsarbeit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben Weitere Mallnahmen
Gesprache, Vermittlung, Empfehlungen, Motivation \
Gedachtnistraining Gesprache Mundhygiene
Bei der Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der Pflege (s. Tabelle 9-2) beziehen sich die Pflegekrafte zum groBten Teil auf MaBnahmen, die entweder Bestandteil der Grundpflege (z.B. Hautprophylaxe, Flussigkeitsausgleich, Ernahrung) oder der Behandlungspflege (z.B. Dekubitus-, Pneumonie-, Thrombose- oder Kontrakturenprophylaxe) sind. Weitere MaBnahmen wie Mobilisierung, Bewegung, Aktivierung konnen als Bestandteile des Pflegeleitbildes der „Aktivierenden Pflege" betrachtet werden. Dariiber hinaus beziehen die Pflegekrafte das Wohnumfeld (z.B. durch Sturzprophylaxe, Hilfsmittelbeschaffung, Hygiene) ein. Sie unterstutzen ihre Klienten psychosozial und emotional auf der personlichen Ebene, z.B. bei der Bewaltigung von Krankheiten und psychischen Belastungen, bei der Vermeidung von Gesundheitsrisiken und bei der Nutzung von Gesundheitsressourcen. Die 180
ambulanten Pflegeeinrichtungen schaffen sowohl eigene Angebote fur Klienten und/oder deren Angehorige bzw. kooperieren sie darliber hinaus mit verschiedensten Anbietem, um eine patientenorientierte Pravention und Gesundheitsforderung umzusetzen. Tabelle 9-2: Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der ambulanten Pflege
Ma&nahmenfelder Traditionelle MaHnahmen Prophylaxen: Dekubitus, Pneumonie, Tiirombose, Kontrakturen Ernahrungsberatung, Flussigkeitsausgieicii Mobilisation, Aktivierung, Bewegung Wohnumfeldbetrachtung, Hilfsmittelbeschaffung, Sturzprophylaxe Krankheitsmanagement 1 Krankheitsnnanagement Psychosoziale MaHnahmen Emotionale Unterstutzung bei der Bewaltigung von Krankheiten und psychischen Belastungen, bei der Vermeidung von Gesundheitsrisiken, bei der Nutzung von Ressourcen
Umsetzung Behandlungspflege Grundpflege Aktivierende Pflege Beratung, Vermittlung
Gesprache, Kooperation mit Arzten Gesprache, Einbeziehung der Angehorigen, eigene Angebote schaffen, Kooperation mit anderen Anbietem
Die Aussagen zum Wandel der professionellen Tatigkeit in Bezug auf Pravention und Gesundheitsforderung lassen sich zu den Kategorien personlicher, gesundheitspolitischer und gesellschaftlicher Wandel sowie kein Wandel zusammenfassen. Fast alle Arzte sprechen liber einen personlichen Wandel von Pravention und Gesundheitsforderung in ihrer beruflichen Tatigkeit. Zwolf Arzte berichten liber positive Veranderungen hin zu einer zielgerichteten Pravention, die meist mit zunehmender Erfahrung in der Praxis und besserer Kenntnis der Patienten begrlindet wird. Die wenigen negativen Veranderungen beziehen sich auf geringere Erwartungen an Praventionserfolge. Femer wahlen einzelne Arzte gezielter Preventionswillige aus. Uber einen gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Wandel spricht iiber ein Drittel der Arzte. Fast die Halfle benennt verbesserte Rahmenbedingungen wie gestiegene Nachfrage seitens der Patienten und vermehrte Information und Angebote. Wenn tiber eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen gesprochen wird, wird bemangelt, dass Pravention nicht ausreichend vergiitet wird und preventive MaBnahmen kaum bewilligt werden. Dieser Aspekt nimmt auch ein deutliches Gewicht bei den Barrieren des Gesundheitssystems ein.
181
Einen Wandel im beruflichen Handeln hinsichtlich Pravention und Gesundheitsfbrderung in der Pflege beschreiben 23 Pflegekrafte. Personlichen Wandel schildem sechs Pflegekrafte, wobei dieser Wandel von vieren positiv und von zweien negativ beschrieben wird. Positive Auswirkungen auf das berufliche Handeln beztiglich Pravention und Gesundheitsforderung hat zum einen eine langjahrige Pflegetatigkeit, die das Bewusstsein und den Erfahrungshorizont erweitert oder die Zunahme von Verantwortung, z.B. durch die Ubemahme einer Leitungsposition. Einen gesundheitspolitischen Wandel nehmen 16 Pflegekrafte wahr. Die Veranderungen im Gesundheitssystem, d.h. verschlechterte Rahmenbedingungen werden mehrheitlich von 13 Pflegekraften geschildert - nur drei Pflegekrafte beschreiben verbesserte Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem. Die meisten Pflegekrafte auBem sich negativ tiber den herrschenden Zeitmangel in der Pflege seit Einfiihrung der Pflegeversicherung. Festgelegte Zeitrichtwerte verhindem ein preventives und gesundheitsfbrdemdes Handebi in der Pflege. Dartiber hinaus werden die Streichung von Leistungen und die Zunahme des Arbeitsumfangs kritisiert. Positiv bewertet werden die Einfiihrung von Pflegestandards, der Ansatz aktivierender Pflege sowie die Moglichkeit ambulanter RehabilitationsmaBnahmen. Gesellschaftspolitischer Wandel wird von drei Pflegekraften angesprochen. Sie benennen dabei ein allgemein groBeres Bewusstsein fur Prevention und Gesundheitsforderung, das sich positiv auf die Pflege auswirkt. Ebenfalls drei Pflegekrafte auBem, dass es keinen Wandel in ihrem beruflichen Handeki gibt. Einige Pflegekrafte schildem sowohl personliche als auch gesundheitspolitische Veranderungen, die sich mitunter bedingen: Zeitmangel oder die Zunahme des Arbeitsumfangs fuhrt zu Frustration. Dem steht diametral gegentiber: Ein groBeres Bewusstsein fur Pravention und Gesundheitsforderung in der Pflege kann aufgrund mangelnder Leistungsanspruche oder nicht ausreichender Zeitrichtwerte nicht umgesetzt werden. Vereinzelt auBem sich Pflegekrafte ambivalent. Sie geben z.B. an, dass kein Wandel im beruflichen Handeln in Bezug auf Pravention und Gesundheitsft)rderung stattgefunden hat, erwahnen jedoch an anderer Stelle einen gesundheitspolitischen Wandel. Aus den Erzahlungen der Professionellen lassen sich schwerpunktmaBig drei Ebenen herauskristallisieren, auf denen hemmende und fordemde Faktoren bei der Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der Praxis wahrgenommen werden: seitens der Patienten, im Gesundheitssystem sowie seitens der Arzte und Pflegekrafte selber. In den Interviews spielen Barrieren eine entscheidende Rolle. Nur drei der 32 interviewten Arzte benennen keine Barrieren. Die restlichen 29 Arzte beschreiben tiber 90 Hindemisse, was auf eine Unzufriedenheit mit oder Schwierigkeiten in der Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung hinweist.
182
Die meisten Barrieren werden bei den Patienten gesehen, die kein Interesse zeigen wiirden und die empfohlenen MaBnahmen nicht tibemehmen (s. Tabelle 9-3). Der trotz seiner groBen Bedeutung als zu niedrig wahrgenommene Stellenwert der Pravention konnte aus den Barrieren des Gesundheitssystems - der unzureichenden Vergtitung und der Ablehnung der Finanzierung bestimmter MaBnaiimen - abgeleitet werden. Deutlich wird, dass der politische Wille zur Pravention vorhanden sein muss und das System nicht so stark auf Kuration ausgerichtet sein darf. Ein wichtiger Aspekt, der angesprochen wird, ist die fehlende Vemetzung und Kooperation von Akteuren im Bereich Pravention und Gesundheitsforderung. Auf Seiten der Arzte stellt das personliche Verhalten eine Barriere dar, wenn sie selbst nicht von PraventionsmaBnahmen tiberzeugt sind, oder wenn es ihnen an Motivation mangelt, praventive MaBnahmen umzusetzen. Auch Angst vor Einkommensverlusten bei erfolgreicher Pravention wird genannt. Fordemde Faktoren, zu denen sich lediglich 14 Arzte auBem, werden nicht in so umfangreichem MaBe erwahnt wie Barrieren. Auf Seiten des Patienten wird eine steigende Nachfrage nach praventiven und gesundheitsfordemden Angeboten und Informationen wahrgenommen. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den benannten Barrieren bzw. relativiert es. Von der Arzteseite aus wird als forderlich erachtet, sich Zeit zu nehmen und dem Patienten Zusammenhange zu erklaren. Die Motivation flir Pravention und Gesundheitsforderung Ziehen die Arzte aus Erfolgserlebnissen. Auch ist preventive Arbeit fur einige Arzte reizvoller und sinnvoller als die reine Kuration. Sie sehen hier eine Herausforderung. Das Gesundheitssystem wird kaum als forderlich wahrgenommen. Als positiv wird vermerkt, dass Pravention und Gesundheitsforderung ein wachsender Markt ist und die Krankenkassen per Gesetz zur Pravention und Gesundheitsforderung verpflichtet. Die Barrieren flir Pravention im Alter werden primar im Gesundheitssystem, insbesondere in Budgetzwangen gesehen, die praventive MaBnahmen verhindem (s. Tabelle 9-4). Die Arzte leiten aus dieser Tatsache ab, dass es kein gesellschaftliches und politisches Interesse an diesem Thema gibt, well die Mittel flir Pravention im Alter nicht zur Verfligung gestellt werden. Dies flihrt bei einzelnen Arzten dazu, dass PraventionsmaBnahmen eher bei jtingeren Patienten durchgefiihrt werden. Auf Seiten der Patienten wird angeflihrt, dass altere Menschen Pravention ablehnen und die MaBnahmen ein „schlechtes Outcome" haben. Auch das Alter selbst wird als Barriere wahrgenommen, die Patienten werden als unflexibel und nicht mehr offen gegeniiber PraventionsmaBnahmen eingeschatzt. Geriatrische Falle und Demente sind aus Sicht der Arzte keine Zielgruppe fur PraventionsmaBnahmen.
183
Tabelle 9-3: Hemmende und fordernde Faktoren fur Pravention und Gesundheitsforderung aus Sicht der Arzte
hemmende Faktoren 1 seitens der Patienten und Angeh5rigen Passive Erwartungshaltung
seitens der Professionen Verdienst ist geringer, wenn Pravention greift
Kein Interesse
Zeitmangel
Risikofaktoren sind nicht spurbar
Kuration stelit im Vordergrund
Verhaltensanderungen sind schwer umsetzbar Ratsciilage werden nicht umgesetzt Kiientel „Gesunde" niclit erreichbar Keine Bereitscliaft zusatzlich zu bezaiilen
Mangelnde Uberzeugungskraft
fordernde Faktoren
seitens des Gesundheitssystems Keine bzw. keine ausreichende VergiJtung
seitens der Patienten und Angeh5rigen Steigende Nachfrage
seitens der Professionen
MafJnahmen werden nicht vonGKV ijbernommen Gesundheitssystem ist nicht auf Prevention, sondern Kuration ausgelegt Kein Interesse an „gesunden Personen"
Interesse
Zeiteinsatz zur Erhohung der Compliance
Informationsstand aus den Medien
Erfolgserlebnisse
seitens des Gesundheitssystems Mehr Moglichkeiten der Pravention und starkeres Thema in den Medien Gesundheitsforderung ist grofJer Markt Krankenkassen sind verpflichtet, Geld bereitzustellen
Mangelnde Motivation
Die Betrachtung der vergleichsweise wenig genannten fordemden Faktoren lasst erkennen, dass es durchaus eine Nachfrage und ein Interesse an praventiven MaBnahmen seitens alterer Patienten gibt und sie spezifische Angebote auch mit fmanzieren wtirden. Auf Seiten der Arzte wirken sich Erfolgserlebnisse forderlich aus. Ein fordemder Faktor ist auch die finanzielle Lukrativitat zusatzlicher, privat abrechenbarer Angebote.
184
Tabelle 9-4: Hemmende und fordernde Faktoren fur Pravention und Gesundheitsforderung im Alter aus Sicht der Arzte fordernde Faktoren
hemmende Faktoren 1 seitens der Patienten und Angeh6rigen Wollen in Ruhe gelassen werden
Widerstand
keine Offenheit
Inflexibilitat
seitens der Professionen PraventionsmalJnahmen sind nicht immerim Bewusstsein Arzt bremst Engagement seiner Patienten
seitens des Gesundheitssystems Budgetzwange
seitens der Patienten und AngeiiSrigen bestehende Nachfrage
seitens der Professionen
kein gesellschaftliches Interesse an Pravention im Alter
Bereitschaft zu bezahlen
finanzielle Lukrativitat
Patienten freuen sich uberAnregungen positive Auswirkungen von fruherem gesundheitsbewussten Verhalten
seitens des Gesundheitssystems
Erfolgserlebnisse
-
bei geriatrischen Fallen keine Prevention moglich Angehorige/ Betreuer geben keine Zustimmung
Nur zwei der 32 interviewten Pflegekrafte beneimen keine Barrieren bei der Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung in der Pflege (s. Tabelle 9-5). Die iibrigen 30 Pflegekrafte beschreiben 174 Hindemisse. Es tiberwiegen die Barrieren und Widerstande der Patienten, gefolgt von den Barrieren im Gesundheitssystem und in der Pflege. In wenigen Fallen werden die Barrieren seitens der Angehorigen oder des Wohnumfeldes gesehen. Die Barrieren seitens der Patienten konnen in den Kategorien Konsumhaltung, Widerstand, Abwehr und Inkonsequenz sowie Alter des Patienten zusammengefasst werden. Als Barrieren im Gesundheitssystem werden die Gesundheitsreform und ihre Konsequenzen: „leere Kassen", „Kostendampfiing", „Pflege vor Rehabilitation" sowie die Einfuhrung der Pflegeversiche185
Tabelle 9-5: Hemmende und fordernde Faktoren fur Pravention und Gesundheitsforderung aus Sicht der Pflegekrafte
hemmende Faktoren 1 seitens der Patienten und Angehorigen Konsumhaltung
seitens der Professlonen Mangelnde Qualifikation des Pflegepersonals
fbrdernde Faktoren
seitens des Gesundheitssystems Gesundheitsreform
seitens der Patienten und Angehorigen Informierte Patienten
seitens der Professionen Qualifikation der Pflegekrafte
Widerstand
Mangelhafte Ausbildung
Pflege vor Rehabilitation
Interesse
Pflegeroutine
Abwehr
Laienpfleger und Hilfskrafte in der ambulanten Versorgung Gewinnorientierung der Pflegedienste Kontrollen finden nur auf dem Papier statt
Pflegeversicherung
Offenheit fur Anregungen
Pflegedokumentation
Inkonsequenz
Alter des Patienten
Einmischung der Angehorigen verhindert eine professionelle Pflege Unwissenheit und Angstlichkeit der Angehorigen Fehlende Ausstattung: Fahrstuhl
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Zeitaufwandige Antrage und Abrechnungen an Pflege- und Krankenkassen Pflegedokumentation statt Prevention Personalmangel
Zeitschienen in der Pflege
Erfolgserlebnisse
Mangelnde Kooperationsbereitschaft der Krankenkassen Mangelnde Finanzierung
Qualitatszirkel
Zeitmangel
Fort- und Weiterbildungen
seitens des Gesundheitssystems Pflegeversicherung erleichtert Hilfsmittelbeschaffung Kostenubernahme von psychosozialer Betreuung durch Sozialamt
rung mit ihren Zeitschienen, die einen Zeitmangel in der Pflege zur Folge hat sowie eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Krankenkassen benannt. Ein zunehmender Biirokratismus und keine bzw. eine mangelhafte Finanzierung von praventiven und gesundheitsfordemden Leistungen sind weitere Barrieren. Seitens der Pflege stellt die oft mangelnde Qualifikation des Pflegepersonals eine Barriere dar. Hier spielt zum einen die haufig mangelhafte Ausbildung der examinierten Pflegekrafte in Bezug auf Prevention und Gesundheitsforderung erne Rolle aber auch die derzeitige Situation in der ambulanten Pflege, in der aufgrund fehlender personeller und fmanzieller Ressourcen immer mehr Laienpfleger und Hilfskrafte die Tatigkeiten einer examinierten Pflegekraft tibemehmen. Zeitaufwandige Antrage oder Abrechnungen an Pflege- oder Krankenkassen sowie Pflegedokumentationen werden ebenfalls als Barrieren beschrieben. Fordemde Faktoren werden von 21 Pflegekraften dargestellt. D.h., es auBem sich insgesamt deutlich weniger Pflegekrafte zu fordemden Faktoren als zu Barrieren bei der Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung. Sie benennen auch insgesamt deutlich weniger fordemde als hemmende Faktoren. Die iiberwiegende Mehrheit, insgesamt 15 Pflegekrafte sehen bei der Umsetzung von Pravention und Gesundheitsforderung die fordemden Faktoren auf Seite der Pflege. Sie beschreiben, dass die Pflegeroutine, sozusagen ein Automatismus in der Ausfuhrung der Tatigkeiten, als fordemder Faktor angesehen werden kann. Auch die Pflegedokumentation wird von einer Pflegekraft als fordemder Faktor betrachtet. Dariiber hinaus wirken Erfolgserlebnisse fordemd: dem Patienten geht es sptirbar besser, die Selbststandigkeit nimmt zu, eine langfi'istig positive Entwicklung des Patienten ist wahmehmbar. Ebenfalls als fordemde Faktoren werden von den Pflegekraften ausreichend Zeit fur den Patienten, das Wissen um Risikofaktoren und ein groBeres Bewusstsein fiir hausliche RehabilitationsmaBnahmen beschrieben. Positiv wirken sich auf die Umsetzung von Pravention und Gesundheitsfordemng weiterhin aus, dass Pflegekrafte die hauslichen Situationen des Patienten kennen, dass sie diesen regelmaBig sehen. Die Einstellung des Arbeitgebers bzw. der Pflegedienstleitung spielt ebenso eine zentrale Rolle. Wird das Interesse und die Eigeninitiative von Pflegekraften untersttitzt, sind die Teikiahme an Fort- und Weiterbildungen moglich, gibt es ausreichend qualifiziertes Personal und geniigend Zeit sowie Moglichkeiten zur Reflektion, z.B. durch inteme Qualitatszirkel, dann ist die Umsetzung von Pravention und Gesundheitsfordemng in der Pflege ein Bestandteil des pflegerischen Handelns, den die Pflegekrafte motiviert und interessiert ausftihren. Weitere Faktoren, die sich forderlich auf die Umsetzung von Pravention und Gesundheitsfordemng auswirken, werden auf den Ebenen des Gesundheitssystems und der Patienten gesehen, die jeweils von ftinf Pflegekraften angesprochen werden. 187
Auf der Ebene des Gesundheitssystems lassen sich zwei Faktoren eindeutig benennen. Seit Einfiihrung der Pflegeversicherung ist es leichter bzw. moglich, dem Patienten Hilfsmittel zu beschaffen. Des Weiteren ermoglicht die Kosteniibemahme durch das Sozialamt eine Abrechnung psychosozialer Betreuung bzw. Begleitung flir einen Teil der Patienten. Von Seiten der Patienten wirkt es fordemd, wenn diese informiert sind, nachfragen oder Anregungen annehmen - sozusagen Compliance zeigen.
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10 Focusgroups als Feedback: Uberwindung von Barrieren zur Pravention im Alter „ P R A V E N T I O N 1ST EIN SO ALLGEMEINER B E G R I F F , D A S S I C H D E N K E ,
DA VERSTEHT JEDER WAS ANDERES DARUNTER. WER WEIB, WAS DIE EINZELNEN KOLLEGEN, DIE GESAGT HABEN, ES BRINGT IM ALTER NIGHTS, WAS DIE DARUNTER VERSTANDEN HABEN, U N D W I E V I E L D I E A U C H MIT ALTEN M E N S C H E N Z U S A M M E N A R B E I T E N .
ALSO DAS IST SICHERLICH SO - DAS MERKE ICH AUCH IN DERINDIKATION VON ALTEN MENSCHEN DASS MAN DIE GANZ ANDERS THERAPIEREN MUSS ALS ANDERE E R W A C H S E N E " \4
HAUSARZT ( B A 09)^
Im Kontext einer praxis- und anwendungsorientierten gerontologischen Forschung stellt die Entwicklung von Wegen der Rtickmeldung von Forschungsergebnissen, Erkenntnissen und Empfehlungen eine besondere Herausforderung dar. Damit lassen sich verschiedene Ziele im Rahmen dieser Untersuchung verfolgen: Die Ergebnisse der Interviews zumindest in Ausschnitten an die Teilnehmer zuruckzumelden, und sie dabei einer kritischen Prtifung durch mehrere Teilnehmer zu unterziehen. Gemeinsam mit den Teilnehmem lassen sich dann Handlungsempfehlungen erarbeiten fur die Verbesserung der Praxis der niedergelassenen Arzte bzw. ambulanten Pflegedienste in Hinblick auf eine starkere Orientierung an Gesundheit, Gesundheitsforderung und Prevention bei der Versorgung alter Menschen. Zu diesem Zweck wurden nach Abschluss und Analyse der Interviews mit Arzten und Pflegekraften in Hannover und Berlin Focusgroups durchgefiihrt. Damit die Diskussionen in den Gruppen nicht zu allgemein und heterogen werden, wurde ein konkreter Einstieg gesucht, der im Sinne eines sensibilisierenden Konzepts (vgl. auch Flick 2002c, S. 81) einen Zugang zu der Gesamtthematik eroffhet. Hierzu diente eine Fokussierung der Ergebnisse auf die in den Interviews thematisierten Barrieren, die einer starkeren Orientierung auf und Realisierung von Pravention bei alten Menschen in der eigenen Praxis entgegenstehen. Um einem allgemeinen Lamento iiber den Zustand des Gesundheitswesens nicht zuviel Die Kennzeichnung der Redebeitrage erfolgt analog zu der Kennzeichnung der Interviews, um beim Lesen ggf. Aussagen aus den Interviews in anderen Kapiteln zu den hier genannten Beitragen in den Focusgroups auch fallspezifisch in Beziehung setzen zu kOnnen.
Gewicht zu geben, sondem einen moglichst konkreten Fokus im personlichen Umfeld zu verfolgen, sollte dabei der Schwerpunkt auf Barrieren seitens der Patienten - warum haben Praventionsangebote wenig Sinn oder werden nicht angenommen - und seitens der Professionellen - warum bieten sie nicht mehr an Pravention an und was steht dem entgegen - liegen. Zu den berufsgruppenspezifisch angesetzten Focusgroups wurden alle Interviewpartner eingeladen, die bei den Interviews ihr Interesse an einer Rtickmeldung bekundet hatten. ErwartungsgemaB haben dieses Angebot nicht alle Eingeladenen wahrgenommen. Die Focusgroup mit den Arzten in Hannover konnte aufgrund mangelnden Interesses seitens der Interviewpartner nicht durchgefuhrt werden. Das zeigt einerseits die Schwierigkeiten, die sich generell bei zweistufigen Forschungsprojekten ergeben - nach abgeschlossener Datenerhebung im ersten Schritt mit Interviews nach einem langeren Zeitraum die Teihiehmer noch einmal fiir eine Rtickmeldung und/oder eine zweite Datenerhebung zu gewinnen. Andererseits zeigen sich darin die besonderen Schwierigkeiten bei aufwandigen Forschungsdesigns mit niedergelassenen Arzten und ihrem knappen Zeitbudget. Aus diesem Grund werden in diesem Kapitel nur drei Focusgroups vorgestellt. Die Durchfiihrung der Focusgroups in Konzipierung, Ablauf und Ergebnissen werden im Folgenden dargestellt.
10.1 Durchfuhrung der Focusgroups Alle Focusgroups waren an einem gemeinsamen Ablauf-Konzept orientiert, das jeweils individuell an die Teihiehmerzahl und Gruppendynamik angepasst wurde. Als Moderationsmethode wurde Metaplantechnik eingesetzt. Der geplante Ablauf umfasst folgende Schritte: •
•
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Einstieg: Zunachst wurde das Projekt kurz vorgestellt und die Vorgehensweise beschrieben. Dann erfolgte eine Vorstellung ausgewahlter Ergebnisse aus den Interviews tiber die Einstellung von Arzten und Pflegekraften zu Pravention im Alter sowie deren Umsetzung. Prdsentation der Barrieren: Im nachsten Schritt wurden die in den Interviews genannten Barrieren auf Seiten des Patienten, der Professionen und des Gesundheitssystems prasentiert. Seiten werden auch Angehorige (mischen sich in die Pflege ein und verhindem somit eine professionelle Pflege) und das Wohnumfeld (z.B. fehlender Fahrstuhl) als Barriere wahrgenommen. Schwerpunkt der sich anschlieBenden Diskussion bildeten Barrieren auf Seiten der Patienten und auf Seiten der Professionen (siehe Tabelle 10-1).
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Ranking: Nach Klarung von Verstandnisfragen wurden die Teilnehmer an der Focusgroup gebeten, die Barrieren zu bewerten. Uber die Nominierung der drei subjektiv am starksten empfundenen Barrieren durch die Teilnehmer mit Metaplantechnik erfolgte ein Ranking. Dieses Ergebnis diente als Einstieg in die folgende Diskussion zur Problemlosung. Diskussion: Als Einstieg in die Diskussion dienten die Fragen wie: „Finden Sie sich in dem Ergebnis wieder? Was fehlt Ihnen?". Die Diskussion zur Problemlosung wurde mit der Frage initiiert: „Haben Sie Vorschlage, wie man die Barrieren tiberwinden kann?". Fazit: Zum Abschluss der Veranstaltung wurden zentrale Ergebnisse der Diskussion auf Metaplankarten geschrieben, als gemeinsam erarbeitetes Fazit am Flipchart festgehalten und nochmals mit der Gruppe abgeglichen.
Im Folgenden werden kurz die zentralen Ergebnisse der einzelnen Focusgroups vorgestellt, bevor diese berufsgruppen- und stadtetibergreifend verglichen werden.
10.2 Die Focusgroup mit Pflegekraften in Hannover In Hannover erklaren sich acht Pflegekrafte zur Teilnahme an der Focusgroup bereit. Da eine Pflegekraft krankheitsbedingt absagt und drei Pflegekrafte nicht zum Termin erscheinen, nehmen schlieBlich vier Pflegekrafte an der Focusgroup teil. Wegen der geringen Teilnehmerzahl wird auf ein Ranking der Barrieren verzichtet und die Wertigkeit in der Diskussion ermittelt. Grundsatzlich gibt es keinen Widerspruch von den Pflegekraften zu den einzelnen Barrieren. Die Teilnehmer betonen jedoch, dass die Ubergange zwischen einigen Barrieren auf der Seite der Patienten flieBend sind bzw. diese miteinander zusammenhangen. Der GroBteil der Diskussion dreht sich um Barrieren auf Seiten der Patienten. Besondere Bedeutung fur die Pflegekrafte haben die Barrieren „Ratschlage werden nicht umgesetzt" und „Widerstand". In dieser Diskussion wird deutlich, dass „Ratschlag" ein nicht geeigneter Begriff ist, da er zu „lehrmeisterhaft" ist. Besser sei es, von Hinweisen und Tipps zu sprechen. Auch wird kritisch hinterfragt, ob Ratschlage der richtige Weg zur Prevention sind, da die Klienten wussten, was gut ftir sie sei - auch wenn das vielleicht nicht immer das Richtige sei oder sich die Klienten anders verhalten als dieses Wissen nahe lege. Man konne nur auf die Konsequenzen von Verhalten aufmerksam machen. Die Hinweise und Tipps konnen auf Lebens- und Berufser-
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Tabelle 10-1: Barrieren zur Pravention im Alter auf Seiten der Professionen und Patienten
auf Seiten der Professionen
auf Seiten der Patienten
• Geringerer Verdienst Wenn Pravention greift, verdienen v.a. Arzte, aber auch Pflegekrafte weniger. Das Gesundheitssystem ist auf Kuration ausgelegt.
• Passive Konsumhaltung Patienten wollen nicht informiert werden Oder selbst aktiv werden, sondern in erster Linie passiv versorgt werden.
• Zeitmangel Wegen zeitaufwandigen Antragen und Abrechnungen an Pflege- und Krankenkassen sowie der Pflegedokumentation (mehr schreiben als pflegen) bleibt nicht genugend Zeit fur Pravention.
• Kein Interesse Patienten haben an Pravention kein Interesse, well u.a. die Risikofaktoren nicht spurbar sind (Leidensdruck ist nicht hoch).
• Mangelnde Motivation Die mangelnde Motivation von Arzten und Pflegekraften praventiv tatig zu werden, geht oftmals aus der Frustration hervor, dass Patienten/Klienten nicht gleich bereit sind, ihr Verhalten zu andern. Bei geringem Widerstand seitens der Patienten/Klienten gegeniJber praventiven Hinweisen werden einige nicht mehr praventiv tatig. • IVIangelnde Uberzeugungskraft Wenn Arzte und Pflegekrafte selbst nicht von Pravention uberzeugt sind, ist es schwieriger diese zu vermitteln. Gleiches gilt, wenn Arzte und Pflegekrafte bestimmte Malinahmen selbst nicht praktizieren. • IVIangelnde Qualifikation Arzte und Pflegekrafte fuhlen sich aufgrund der mangelhaften Ausbildung bezijglich Pravention und Gesundheitsforderung nicht qualifiziert auf diesem Gebiet. Aber auch die Situation in der Pflege (Laienpfleger und Hilfskrafte) tragt dazu bei, dass Pravention in der Pflege schwierig umzusetzen ist.
• RatschlSge werden nicht umgesetzt Trotz Wissen, was man tun kann Oder tun musste, setzten Klienten Ratschlage nicht um. • Widerstand Die Patienten stehen entsprechenden Anregungen und Informationen reserviert gegenuber. Sie leisten Widerstand gegen Veranderungen. Hinweise werden angenommen, aber nicht befolgt und konsequent umgesetzt. • Nicht bereit zu zahien Zusatzliche Angebote, die bereit gestellt werden, werden nicht angenommen, wenn sie Geld kosten. Es existieren vielfaltige Angebote, aber Klienten sind nicht bereit, extra zu bezahlen. • Alter Das Alter und die geistige und korperliche Verfassung stellen eine Barriere da. Die Klienten sind nicht mehr offen und flexibel gegenuber PraventionsmaUnahmen.
fahrungen basieren, eine Berufsausbildung sei nicht zwingend notwendig. Auch ungelemte Krafte konnten praventive Hinweise geben: „Es gibt immer noch genug, die das machen sicherlich. Aber das Wort Ratschlag - Hinweis oder Tipp hort sich auch ganz gut an. Hinweise, die vermischt sein konnen aus dem Leben als auch aus meiner Berufserfahrung. Dazu muss man nicht unbedingt eine Berufsausbildung haben als Krankenschwester, aber gewisse Erfahrungen haben in seinem Beruf. Das sind fur mich immer noch zwei Dinge." (HP 06) 192
Altere Patienten horen gerne Hinweise von alteren Pflegekraften - wenn sie auch dann haufig nicht umgesetzt werden - da das Altersgefalle nicht so groB ist. Letzteres wird ebenfalls als Barriere deutlich wahrgenommen. Neben dem Altersgefalle spielen jedoch Sympathie und Antipathie zwischen Pflegekraft und Pflegebedtirftigem eine entscheidende Rolle. Ein zentrales Thema in der Focusgroup der Pflegekrafte in Hannover ist die Barriere „Alter". Diese wird vehement von einer Pflegekraft betont und hinterfragt, wie viele MaBnahmen im Alter notwendig sind: „Und die alteren Herrschaften, gibt es nicht dieses Wort? Ich fmde es fast ein bisschen unverschamt, aber es ist Wurscht, sozialvertragliches Ableben. Muss man wirklich mit neunzig noch hier rumfleuchen? Und das hat man weder einbezahlt, noch ist es heute iiberhaupt zu fmanzieren. Fast unverschamt. Ja, ist so, das alles sind doch Wahrheiten, spricht nur keiner richtig aus. Der Kranke selber sagt auch: ,Ach, schon wieder zehn Jahre rum, wie furchtbar'. Ja, wo soil denn dann irgendwas leben von den Dingen? Wie denn? Was denn?" (HP 07)
Hier wird mit dem Schlagwort des „sozialvertraglichen Ablebens" fast schon eine zynische Sicht auf das Leben alter Menschen formuliert. Dass diese Sicht auf das Altem nicht die durchgangige Sicht in der Focusgroup ist, zeigt die nachste AuBerung, in der starker die Frage des Respekts und der Achtung junger Menschen vor alteren Klienten in den Vordergrund gestellt wird: „Wenn ich beispielsweise jetzt funfiindsiebzig oder achtzig Jahre alt bin, ich hab mein Leben gelebt, und dann kommt da so ein junger Spund, zwanzig oder achtundzwanzig Jahre, und will mir nun erzahlen, was ich zu essen habe, oder dass ich die falsche Seife flir meine Gesichtspflege benutze. Und ich denke, das hat sicherlich sehr viel mit dem Alter zu tun, mit dem Alter an sich. Da ist sowieso alles gelaufen, also da kommt nicht mehr viel. Und ich will mich nicht jetzt auch noch anstrengen und meine alten Gewohnheiten hier aufgeben." (HP 02)
Alte Menschen wollen ihre Gewohnheiten nicht mehr andem, haben keine Ziele mehr, damit keine Motivation und warten auf den Tod. Die (Nach-) Kriegsgeneration sei eine „besondere Generation", die kein Bewusstsein fur Pravention hat. In diesem Zusammenhang wird angesprochen, dass es wichtiger sei, mit Pravention in jungen Jahren zu beginnen, da zum einen Prevention/wr das Alter bedeutend ist, zum anderen sind „Praventionsbewusste oder -gewohnte" dann im Alter leichter zu tiberzeugen, die „wachsen da rein". Die Pflegekrafte bestatigen ebenfalls die Barriere „passive Konsumhaltung" und merken an, dass solches Verhalten durch unser Gesundheitssystem gefbrdert wird. Als Beispiel nennen sie, dass Patienten die Verantwortung im Krankenhaus an der Pforte abgeben. Bei den Barrieren auf der Seite der Profession diskutieren die Pflegekrafte ausfuhrlicher nur uber die „mangelnde Qualifikation". Die Barrieren „Zeitmangel" und „Verdienst" seien „selbstverstandlich" und stetig in die 193
Diskussion eingeflossen. Deshalb bestand hierzu kein Bedarf fur eine gesonderte Diskussion. „Mangelnde Qualifikation" als Barriere fur Pravention wurde kritisch hinterfragt und als nicht relevant angesehen. Es wurde abermals betont, dass fur Pravention ein Examen als Krankenschwester nicht erforderlich ist. „Weil ich auch nicht so genau weiB, wenn ich einen Patienten zu irgendwas motivieren mochte, zu einer gewissen Haltung, wie er sich gesund verhalt, oder wie er gewisse Dinge macht. Da weiB ich nicht, ob ich das nicht mache, weil ich die Qualifikation dazu nicht habe. Ich denke, jeder hat auf seine Art eine bestimmte Art, das rtiberzubringen. Deswegen, mangelnde Qualifikation halt mich davon ab, sehe ich eher wenig." (HP 06)
In der Diskussion wird jedoch deutlich, dass den Pflegekraften weder in der Ausbildung noch in der Fort- und Weiterbildung preventive Pflege vermittelt v^ird. Sie betonen, dass Weiterbildungsangebote zu dieser Thematik interessant fiir sie waren, und dass ein Defizit zu dieser Thematik existiert. Selbstkritisch merken sie an, dass Pflegedienste eigentlich ihr Personal motivieren mtissten, Fort- und Weiterbildungsangebote zu nutzen. Wichtig sei jedoch, dass Fort- und Weiterbildungen in der Arbeitszeit liegen und als solche anerkannt werden. Der Qualifizierung von Personal steht die extrem kurze Verweildauer im Beruf von flinf bis sieben Jahren (vgl. auch Kruse 2001) im Weg. Angehorige nehmen die Teilnehmenden an dieser Focusgroup weniger als Barriere, sondem mehr als Chance wahr. Jedoch greifen die Angehorigen existierende Angebote wie z.B. Schulungskurse und Selbsthilfegruppen kaum auf Als Grlinde werden bestehende Angste, z.B. dass Pflegefehler entdeckt werden, sowie das AUeinlassen von Pflegebedtirftigen genannt. In diesem Zusammenhang thematisieren die Teilnehmer, dass die Verhinderungspflege ebenfalls selten in Anspruch genommen wird. Als Konsequenz tritt bei den pflegenden Angehorigen haufig ein Burnout-Syndrom auf, und die Pflegebedtirftigen kommen in ein Pflegeheim. Dass Angebote nicht in Anspruch genommen wiirden, wird als Generationenfrage gesehen. Damit verbunden wird die Hoffhung geauBert, dass die nachste Generation eventuell eher Hilfsangebote wahmimmt. Wie lassen sich die bestatigten und umfassend diskutierten Barrieren fur Pravention im Pflegealltag iiberwinden? Die Pflegekrafte in dieser Focusgroup geben zahlreiche Verbesserungsvorschlage. Als forderlich erachten sie eine Vertrauensbasis zwischen Pflegekraft und Pflegebedtirftigem. Dies sei eine Grundlage, auf der man preventive Hinweise oder Tipps geben kann und diese am ehesten angenommen und umgesetzt wiirden. Zusatzlich miissen die Konsequenzen von Verhalten aufgezeigt werden. Bezugspflege und die Beriicksichtigung von Sympathien und Antipathien erleichtem das Vertrauens-
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verhaltnis. Wichtig sei femer, dass man die Pflegebedtirftigen akzeptiere, auch wenn sie Ratschlage (noch) nicht umsetzen: „Wir haben auch zum Teil solche Erfahrungen gemacht - wenn man erst mal versucht, diese Inkonsequenz und dieses Desinteresse und all das, was man eigentlich gar nicht so gut aushalten kann, bei diesem jeweiligen Patienten, Menschen eine Weile zu akzeptieren. Ich will nicht sagen, dass wir ihn jetzt nicht auf die Konsequenzen hinweisen mtissen, das ist ja unsere Pflicht. Aber dass man es einfach mal versucht zu akzeptieren und dariiber, dass man ihn so nimmt, wie er ist, eine Vertrauensbasis schafft. Und dann vielleicht nach einer Weile mehr oder weniger bessere Chancen hat, ihn zu kriegen. Oder aufgrund dieser vertrauensvoUen Basis, dieser Akzeptanz, die wir ihm entgegen gebracht haben, dass wir da dann bessere Chancen haben." (HP 02)
Einen weiteren forderlichen Faktor sehen die Pflegekrafte in der Vemetzung. Erne starkere Vemetzung miisste zwischen verschiedenen Anbietem vor Ort existieren, so dass Klienten z.B. an die Gedachtnissprechstunde eines Vereins verwiesen werden konnten. Aber auch auf der Versorgungsebene wird eine Vemetzung als wichtig erachtet. Der stationare und ambulante medizinische Bereich und der pflegerische Bereich miissten Netzwerke bilden und besser zusammenarbeiten. Prevention miisste friihzeitig - schon in der Schule - beginnen. Dann ware es leichter, dass altere Menschen Hinweise annehmen und umsetzen. Eine zielgruppenspezifische Aufklamng wird als sinnvoll betrachtet, eventuell unter Hinzuziehung von professionellen Werbeagenturen. Prevention sollte Bestandteil eines Leistungspakets sein und nicht extra bezahlt werden mtissen. Das fordert die Bereitschaft, preventive Leistungen in Anspmch zu nehmen. Fiir Pflegekrafte sind mehr Weiterbildungsangebote zu diesem Thema notwendig. Zusatzlich muss tiberlegt werden, wodurch Mitarbeiter zu einer Teihiahme motiviert werden konnen. Das Gleiche gilt fur Gesprachsgmppen fur Angehorige. Wenn diese angenommen werden, haben sie wiedemm einen praventiven Charakter. „Wenn man Pravention in dem Bereich macht, kann das nur tiber Gesprachsgruppen gehen. Das muss wirklich von jemandem geleitet werden, [...] der es gelemt hat, sondem der auch Erfahrung hat und der weiB, wie man das rauskitzelt." (HP 06)
Die Ergebnisse der Diskussion zu Barrieren und ihren Uberwindungsmoglichkeiten in dieser Focusgroup suid m Tabelle 10-2 zusammengefasst.
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Tabelle 10-2: Barrieren und Uberwindungsmoglichkeiten - Die Focusgroup mit Pflegekraften in Hannover
auf Seiten der Professionen • Mangelnde Qualifikation
• Geringerer Verdienst
• Zeitmangel
Uberwindungsmoglichkeiten
auf Seiten der Patienten
Uberwindungsmoglichkeiten
• Weiterbildungsangebote fiir Pfiegekrafte • Gesprachsgruppen furAngehorige • Anderung des Gesundheitssytems
• Ratschlage werden nicht umgesetzt
• Hinweise/Tipps geben • Konsequenzen aufzeigen • Vertrauensbasis schaffen • Akzeptanz des Patienten • Aufkiarung (zielgruppenspezifisch) • Vernetzung • Fruhzeitig mit Prevention beginnen • Prevention als Bestandteil von Leistungspaketen
• Widerstand
• Alter des Patienten • Nicht bereit zu zahlen
10.3 Die Focusgroup mit Pflegekraften in Berlin In Berlin sagen acht Pflegekrafte fiir die Teilnahme an der Focusgroup zu. Krankheitsbedingt sagt eine Pflegekraft ihre Teilnahme kurzfristig ab, und eine erscheint nicht zum Termin. Somit nehmen sechs Pflegekrafte an der Focusgroup teil. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde werden die Ergebnisse prasentiert. Danach werden die Teibiehmerinnen gebeten, die vorgestellten Barrieren zu bewerten. Eine Teilnehmerin erganzt die Barrieren um den Aspekt „zu viele Informationen". Ihrer Meinung nach sind Patienten damit tiberfordert, die Vielzahl der sie betreffenden Informationen zu verarbeiten und zu verstehen. Das wiirde eher eine Abwehrreaktion erzeugen, mit der Folge, dass Patienten auch sinnvolle Informationen nicht annehmen. Dieser Aspekt wird von den restlichen Teibiehmerinnen anders beurteilt oder nicht als eine Barriere auf Seiten der Patienten gesehen und daher nicht in die Bewertung aufgenommen. Aus dem Ranking ergibt sich die in der Tabelle 10-3 vorgestellte Reihenfolge.
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Tabelle 10-3: Ranking der Barrieren durch Berliner Pflegei
Barrieren auf Seiten der Pflege Zeitmangel Mangelnde Qualifikation Mangelnde Motivation
5 4 1
Widerstand Passive Konsumhaltung Alter
3 2 2
Nach dem Ranking erlautem die Pflegekrafte, dass flir ihre Wertungen nicht nur eine Zustimmung zu den genannten Punkten den Ausschlag gibt. Sie wollen auch einen Diskussionsbedarf dahingehend signalisieren, dass sie einige der eingangs benannten Barrieren nicht als solche wahmehmen. Insbesondere auf Seiten der Patienten werden die Barrieren von den Pflegekraften sehr kritisch betrachtet. „Alter" per se als Barriere zu definieren, lehnen die Teilnehmerinnen vehement ab. Sie betonen vielmehr, dass Prevention auch im Alter - und zwar in jedem Alter - moglich ist. Entscheidend sind dabei die Art der Vermittlung und Herangehensweise. Eine Pflegekraft auBert, dass fur sie Alter nur in Verbindung mit Widerstand und Inkonsequenz zur Barriere wird. Widerstand und Inkonsequenz fanden sich aber nicht nur bei alten Menschen, dies sind menschliche Eigenschaften und auBerdem nicht untiberwindbare Barrieren: „Ich denke so eine bestimmte Inkonsequenz die hat nattirlich jeder Mensch. Das ist einfach eine menschliche Eigenschaft, die gehort zu uns. Und dass das nattirlich auch inimer wieder eine Barriere ist logischerweise. [...] Dass es aber nicht eine Barriere sein muss, die also uniiberwindbar ist im Prinzip. Man macht eben zwei Schritte nach vome und einen wieder zuriick, auch im Alter." (BP 15)
Im weiteren Verlauf beurteilen die Pflegekrafte die Barrieren „Widerstand" und „passive Konsumhaltung" sehr unterschiedlich. So sagt beispielsweise eine Pflegekraft, dass in der Pflege immer dann etwas scheitert oder nicht funktioniert, wenn Patienten nur versorgt werden mochten und den Anspruch haben, im Gewohnten verbleiben zu konnen und keine Veranderungen zulassen zu wollen. Eine andere Pflegekraft fmdet es in diesem Zusammenhang wichtig, die Ursachen von Widerstand und passiver Konsumhaltung zu ergriinden. Ihrer Meinung nach liegen die Ursachen haufig im Umgang mit Patienten: Diese werden in Entscheidungsprozesse nicht mit einbezogen. Ihre Selbstbestimmung wird vemachlassigt oder die Hintergrtinde z.B. der aktivierenden Pflege werden nicht erlautert. Diesem Aspekt stimmen die Pflegekrafte mehrheitlich zu. Ein GroBteil der Diskussion bezieht sich auf Barrieren auf der Seite der Pflegenden. Alle Pflegekrafte bestatigen, dass der enorme Zeitmangel in der Pflege preventives Handehi verhindert. Da dieser Punkt eher systembedingt gesehen wird, wurde er nicht weiter verfolgt. Einige Pflegekrafte berichten 197
jedoch iiber eine Vielzahl von praventiven Moglichkeiten, die sich in der Pflege ergeben konnen, wenn Pflegedienste gentigend Zeit fur einzelne Patienten einplanen. Den Aspekt der mangelnden Qualifikation diskutiert die Gruppe selir ausfuhrlich als Barriere. Wahrend ein Teil der Pflegekrafte dies bestatigt, steht fur einen anderen Teil eher das Problem der Begriffsklarung von Prevention und Gesundheitsfbrderung im Vordergrund. „Man muss das mit mehr Inhalt fxillen, was das eigentlich bedeuten soil. Also fiir mich ware zum Beispiel Pravention, da kann ich mir ein ganz holies Ziel setzen: Heime miissen iiberfltissig werden. Das konnte auch ein Ziel sein, das wurde viel, vie! Kummer und Krankheit wahrscheinlich verhindem. Aber man miisste eben iiberlegen, was verstehen wir eigentlich darunter. Oder was ist mit dem Larm in der Stadt, dem man ausgesetzt ist. Da fallen einem viele Sachen ein. [...] Das ist dann aber wieder aber eine andere Richtung, in die man gucken wiirde. Oder gucke ich jetzt nur auf den einzelnen Menschen, was jetzt prophylaktisch in diesem Moment zu tun ist. Da geh ich dann wieder von den Problemen aus, die der einzelne im Moment hat." (BP 07)
Der erstgenannte Teil der Gruppe argumentiert, dass Pravention und Gesundheitsfbrderung weder in der Ausbildung noch in Fort- und Weiterbildungen vermittelt werden. Dartiber hinaus mangelt es an Kompetenzen beziiglich Beratung, Anleitung und Informationsvermittlung: „Ich denke, dass es zum Beispiel, gerade bei den Pflegekraften, also bei uns, A eine ganz klar mangelnde Qualifikation gibt, wenn es um Gesundheitsfbrderung, um Pravention geht. Weil ich kann nur sagen, als ich mein Examen gemacht habe, wir haben davon so gut wie gar nichts gelemt. Und das ist zwar inzwischen schon auch mehr in der Ausbildung enthalten, aber immer noch nicht ausreichend, denke ich. Und dann kommt dazu, um das zu machen, muss man Kompetenzen auch wirklich in der Beratung haben. Dann ist einfach die Frage: Was ist tiberhaupt Beratung? Ist das hiformation, ist das Anleitung oder ist das nicht doch noch mehr? Diese Kompetenzen haben wir nicht erworben und die erwerben auch jetzt die heutigen Auszubildenden noch nicht. Aber das sind Dinge, da kann man sich auch weiterbilden. Dariiber muss man sich, denke ich, aber erst mal klar werden. Aber diese Lihalte, die haben wir nicht gelemt. Und wir sehen uns, denke ich, auch nach wie vor eher auf der kurativen Seite wie auf der praventiven Seite." (BP 18)
Der andere Teil der Gruppe hingegen ist der Auffassung, dass Pravention und Gesundheitsforderung durchaus eine Rolle in der Ausbildung gespielt haben. Allerdings wurden diese Themen unter Stichworten wie „Prophylaxen" und „aktivierende Pflege" vermittelt. Diese Pflegekrafte betonen, dass die momentane Begriffsleere zu Pravention und Gesundheitsfbrderung in der Pflege das eigentliche Problem darstellt: Die meisten Pflegekrafte konnen mit diesen Begriffen nichts anfangen. Dennoch wird praventiv gepflegt: Praventiv sind 198
all die „kleinen Dinge", z.B. auf Druckstellen zu achten, die bei der Pflege Routine sind oder andere „selbstverstandliche" Prophylaxen durchzufuhren: „Naturlich kann man einmal sagen, es sind die Prophylaxen - wir verhindem, dass sie eine Lungenentziindung und dies und das und jenes kriegen. Also wir sind da immer vorbeugend tatig. Das ist aber im Grunde auch was, was selbstverstandlich Inhalt der Ausbildung ist. Man konnte natiirlich auch weiter fassen und sagen, wir wollen die krankmachenden Momente fur die alten Menschen verhindem. Und das konnen ganz andere Dinge sein. Das ist nicht der Stolperteppich, sondem das ist die Einsamkeit, in der er Tag um Tag lebt, und das macht ihn krank. Und wenn ich da praventiv tatig werden will, da brauche ich ganz was anderes, da brauche ich auch eine andere Qualifikation. [...] Da habe ich weder ein Modul, nach dem ich arbeite, noch habe ich einen Abrechnungsmodus, noch kann ich dem Patienten sagen, fur das und das musst du jetzt zahlen." (BP 18)
Eine Pflegekraft greift das Problem der mangelnden Qualifikation auf. Sie schildert, dass nur wenige Fachkrafte in der ambulanten Versorgung tatig sind und eher fixr Behandlungspflegen als Bezugspflegen eingesetzt werden. Ein GroBteil der pflegerischen Tatigkeiten wird von angelemten Hilfskraften ausgefuhrt, die wiederum fur praventive und gesundheitsfordemde Pflege nur unzureichend ausgebildet sind. „Aber natiirlich braucht man dann halt eine gewisse Qualifikation oder eine Kompetenz dafur, Sozialurteil. [...] Wo ich jetzt arbeite, da sind ein oder zwei Fachkrafte und sonst lauter Hiwis und Zivis, die haben keine Ahnung - von nichts. Also da niitzt das dann auch nichts, wenn ich irgendwann zehn Formulare ausfiille, wie die ATL's gelagert sind und Sturzrisiko und Dekubitusrisiko, das wissen die ganzen anderen nicht. Also das hat iiberhaupt keinen Effekt." (BP 05)
Weiterhin wird in der Diskussion deutlich, dass das personliche Gesundheitsverhalten ebenfalls eine Rolle fur die praventive Pflege spielt. Die anwesenden Pflegekrafte sehen bei sich selbst einen eher schlechten Umgang mit ihrer Gesundheit. Gesundheitsforderung und Prevention sind bisher weder in ihrem privaten noch in ihrem beruflichen Alltag verankert. Deshalb finden sie es schwierig, insbesondere alteren Patienten „rein zu reden", beispielsweise bei der Emahrung. „Ja, wir sind alle unvollkommen, was du eben auch schon sagtest. Und ich meine, ich bin auch nicht gerade so toll gesundheitsfordemd, was ich den ganzen Tag so mache. Und ich denke, wenn man dann alt ist, also gerade wenn man jetzt vom Alter redet. [...] Patienten konnen ja auch junge Patienten sein. Aber ich habe damit Probleme als AuBenstehende jemandem zu sagen, wie er zu leben hat, oder wie er sich zu verhalten hat." (BP 17)
Im zweiten Teil der Focusgroup wird mit den Pflegekraften ausftihrlich diskutiert, wie sich die benannten Barrieren fiir Prevention innerhalb der Pflege iiberwinden lassen. Diese Diskussion wird sehr engagiert gefiihrt. Die Pfle199
gekrafte benennen eine Vielzahl von Moglichkeiten, von denen einige im Folgenden etwas ausfiihrlicher vorgestellt werden. Verbesserungspotenziale sehen die Pflegekrafte sowohl in der Ausbildung als auch bei Fort- und Weiterbildungen. Innerhalb der Ausbildung sollte einerseits der ambulanten Pflege grundsatzlich mehr Raum gegeben werden. Andererseits miissen Pravention und Gesundheitsforderung als Bestandteile von Pflege defmiert werden und in die Ausbildungscurricula einflieBen. Ebenso sollte mehr darauf geachtet werden, dass Pflegekrafte in der Ausbildung Kompetenzen flir die Beratung von Patienten erwerben konnen. Fort- und Weiterbildungsangebote soilten wesentlich niedrigschwelliger angeboten werden, damit garantiert ist, dass ambulante Pflegekrafte motiviert daran teilnehmen. „Und die Fortbildungen sind auch sehr selten fur die Basis, fiir die ganz normale Krankenschwester. Das wird alles, wie du schon sagst, hier: Qualitats- weiB ich was Beauftragte und Trallala-Beauftragte, dafur kriegt man tausend Lehrgange an jeder StraBenecke. Aber jetzt wirklich das, was ich jeden Tag beim Patienten brauche, das wird in der Kegel - also jedenfalls empfinde ich das so - kaum angeboten. Und wenn dann eben sehr teuer. Es sollte eben einfacher zuganglich gemacht werden fur die Krankenschwestem." (BP 13)
In diesem Zusammenhang wird u.a. auch kritisiert, dass sie die Weiterbildungen selbst finanzieren mtissten, und dass diese in der Regel auBerhalb der Arbeitszeiten stattfinden. Verbessert werden sollte ebenfalls der Transfer von Erkenntnissen der Pflegewissenschaften, die bisher kaum die Basis erreichen: „Das ist aber die Tendenz, glaube ich, die aus Amerika riiberkommt. Die haben die Hochqualifizierten, die managen eben nur noch die Pflege, und Unqualifizierte pflegen. Und wenn da keine Verbindung hergestellt wird zwischen beiden, dann geht auch gerade so was wie Prophylaxe nicht. Ich wollte damit jetzt nicht sagen, dass ich das sinnlos fmde oder nicht gerechtfertigt fmde - gar nicht, im Gegenteil. Ich fmde, so theoretischen Hintergrund sehr, sehr wichtig. Aber der miisste auch unten ankommen und miisste unten auch umgesetzt werden." (BP 18)
Ein weiterer Vorschlag zur Verbesserung der bestehenden Situation bezieht sich auf die Vemetzung. Hilfi^eich ware es, wenn verschiedenste Anbieter im ambulanten Bereich, wie z.B. niedergelassene Arzte, Logopaden, Tageskliniken, gemeinntitzige Organisationen u.a. kooperieren und Netzwerke bilden wiirden. Wiederholt wurde der Wunsch nach Teamarbeit geauBert: „Ich fmde es immer schade, dass man noch in der Pflege so relativ alleine da steht. Und ich glaube, dass dann auch die Wirkung nicht so gut ist. Und deswegen ist auch diese Pravention eben nur so ein leerer Begriff im Moment Oder relativ leer und [dieser] muss erst gefullt werden. Obwohl das allemachen."(BP17)
Innerhalb der Pflegesituation sehen die Pflegekrafte als ft)rdemden Faktor ftir Pravention eine feste Bezugspflege an. Dariiber kann sich ein Vertrauensver200
haltnis zwischen Patient und Pflegekraft entwickeln. Dieses bricht die Barrieren Widerstand, passive Konsumhaltung und Inkonsequenz auf und ermoglicht Pravention und Gesundheitsforderung. Eigeninitiative und Selbstmotivation benennen die Pflegekrafte sehr selbstkritisch als wesentliche Faktoren. In diesem Kontext ist sicherlich auch daruber nachzudenken, wie Pflegekrafte unterstutzt werden konnen. Ebenso soUte geklart werden, wie sich z.B. ein Angebot von Pravention und Gesundheitsforderung ftir Pflegekrafte positiv auf ihr preventives Handeln in der Pflege auswirkt. Tabelle 10-4 gibt einen Uberblick uber die diskutierten Barrieren und die von dieser Gruppe benannten LFberwindungsmoglichkeiten. Tabelle 10-4: Barrieren und Uberwindungsmoglichkeiten - Die Focusgroup mit Pflegekraften in Berlin 1 auf Seiten der Professionen • Mangelnde Qualifikation
• • •
• • Mangelnde Motivation
• • •
• Zeitmangel
•
Uberwindungs moglichkeiten Verbesserte Ausbil• dung EnA/erb von Beratungskompetenzen Definitionsklarung Pravention und Gesundheitsforderung in der Pflege Niedrigschwellige Weiterbildungsangebote Eigeninitiative, • Selbstmotivation Unterstutzungsangebote Angemessene Entlohnung • Anderung des Gesundheitssystems
auf Seiten der Patienten Widerstand
• • • •
• Passive Konsumhaltung
•
• Alter
Uberwindungsmoglichkeiten Vertrauensbasis schaffen Akzeptanz des Patienten Feste Bezugspflege Einbeziehung von Patienten in Entscheidungsprozesse Hintergrunde aktivierender Pflege erlautern Selbstbestimmung des Patienten fordern Vernetzung
• Das Potenzial des Alters sehen
10.4 Die Focusgroup mit Arzten in Berlin Fiinf Arzte melden sich in Berlin fur die Focusgroup an. Krankheitsbedingt sagt ein Arzt den Termin ab. Dies geschieht allerdings so kurzfristig, dass die Diskussion trotz der kleinen Gruppe dennoch durchgefiihrt wird. Jedoch wird aufgrund der geringen Teilnehmerzahl auf ein Ranking der Barrieren verzichtet. Die Arzte nehmen die vorgestellten Ergebnisse und benannten Barrieren mit Interesse auf und stellen sie nicht grundsatzlich in Frage. Sehr schnell 201
entsteht unter den Teilnehmern jedoch eine Diskussion, was unter Pravention und Gesundheitsfbrderung tatsachlich zu verstehen sei und wie diese umzusetzen seien. So auBem die Arzte, dass fiir ihren beruflichen Alltag konkrete Handlungsanweisungen fehlen, wie Pravention und Gesundheitsforderung in Praxen aussehen sollte. Es gibt zwar eine Vielzahl von Negatiwarianten (z.B. mit dem Rauchen aufhoren oder weniger fett essen). Jedoch fehlen klar umrissene Positivvarianten, die sie ihren Patienten anbieten konnen: „Ein Teil geistert so durch die Gesundheitspolitik. Die Gesundheitsministerin sagt, das Gesundheitswesen ist falsch, irgendwie nur behandeln, wenn der Schaden schon eingetreten ist - Pravention muss sein [...]. Aber was das nun heiiJt und wie es sein miisste, davon hat sie auch keine Vorstellung. Es gibt irgendwie eine abstrakte Vorstellung, dass Vorbeugen besser ist als Heilen. Aber eine richtige, konkrete Handlungsanweisung kommt auch nicht raus." (BA 14)
Die Arzte sehen auch ein generelles Problem in ihrer Klientel. Die Patienten suchen die Praxis auf, um wegen einer Krankheit oder Symptome behandelt zu werden - nicht, um Anregungen fur ihre Gesunderhaltung zu bekommen: „An sich ist es aber schon so: Der Mensch kommt in die Praxis mit irgendeinem Krankheitsproblem, also aus irgendeinem kurativen Anlass. Das heiBt, die Gesundheitsempfehlung oder [...] Risikovermeidung ist praktisch nur ein Nebenprodukt, wenn man es genau anguckt." (BA 14)
Eine Barriere sehen die Arzte in diesem Zusammenhang auch bei ihrer Berufsgruppe: Arzte verdienen in der Regel an der Krankheit der Patienten und nicht an deren Gesundheit. Ebenso liegt das Selbstverstandnis von Arzten eher darin, sich als „Heilende" wahrzunehmen. „Und wir kriegen unseren Verdienst, wenn der Patient krank ist. Also das ist sicherlich eine Sache. Und das andere ist bei meinen Patienten zum Beispiel die geistige Leistungsfahigkeit. Neunzig Prozent meiner Patienten sind dement, und da ist Pravention sehr schwierig umzusetzen. Ganz abgesehen von den mangelnden Ressourcen und dem mangelnden Interesse der Krankenkassen: Es gibt fur die Pravention so gut wie gar kein Geld." (BA 09)
Im Verlauf der Diskussion stellt sich weiterhin die Frage, ob arztliche Praxen tiberhaupt der richtige Ort fur Pravention und Gesundheitsfbrderung sind. Einerseits flihlen sich die Arzte durch ihre Ausbildung nicht optimal vorbereitet. Andererseits sehen sie ihre RoUe auch eher als die eines Beraters und Vermittlers. Mogliche Orte fur Pravention sind fflr die teilnehmenden Arzte eher Gesundheitszentren, Gemeindehauser, Seniorenheime, Tageskliniken oder Begegnungsstatten. Als Beispiel werden auch Selbsthilfegruppen angefiihrt, in denen die Arzte ein groBeres Potenzial sehen, als mit „erhobenem Zeigefmger" auf Patienten einzuwirken.
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„Und bei vielen ist, glaube ich, auch das, was oft hinderlich ist, dass da jemand sitzt und sagt: ,Mach's mal so.' Was bei Alkoholikem, bei Ubergewichtigen, was hilft, ist die Selbsthilfegruppe. Wo nicht Herr Doktor vome steht und sagt: ,Nun macht mal hier, und jetzt miisst ihr abnehmen und so und so viel Kalorien'. Sondem sie unterhalten sich, jemand ist davon betroffen. Jeder hat so und so viel Kilo zuviel, und das bringt dann wirklichwas."(BA01)
Ebenso wird es als wunschenswert angesehen, wenn man auf ein funktionierendes Netzwerk zuriickgreifen koimte, um interessierte Patienten besser vermitteln zu konnen: „Aber so richtig prasent sind diese Netze nicht. Und so richtig, dass man die jederzeit erreichen konnte auch nicht. So was mtisste sein, das musste irgendwo wie aufleuchten: Aha, rote Klingel, da ist das, eine Telefonnummer, ruf da an, kannst jemand besorgen fiir morgen, iibermorgen voriibergehend vielleicht nur. Aber dass da jemand ist." (BA 07)
SchlieBlich bringt ein Arzt sein Erstaunen dartiber zum Ausdruck, wie wenig Angebote und Netzwerke es fur alte Menschen gibt: „Ich hab ein paar Patienten, unabhangig, die substituiere ich. Und wenn ich sehe, was da fiir Netzwerke sind, wie viel Leute sich darum kiimmem, wie viele Wohngemeinschaften mit und ohne Methadon [es gibt]. Da ist ein riesiges Netzwerk in Berlin aufgebaut worden. Trotzdem packen die meisten das nicht. Aber da wundere ich mich, wie wenig eigentlich es so was fiir alte Menschen gibt. Das ist schon erstaunlich." (BA 01)
Die Arzte sind sich darin einig, dass Pravention schon fruhzeitig einsetzen muss, z.B. in Schulen und Betrieben. Die entsprechenden Angebote sollten das Ziel haben, sowohl auf das allgemeine Wohlbefinden, als auch (praventiv) auf das Alter und den Alterungsprozess einzuwirken. Idealerweise sollten Pravention und Gesundheitsforderung bei alten Menschen in Kooperation mit der Familie, so vorhanden, stattfinden. Als wesentlichen Bestandteil von Pravention im Alter sehen die Arzte psychosoziale Aspekte. Hier wird als Beispiel die Verbesserung der Lebensqualitat dadurch genannt, dass der Vereuisamung entgegen gewirkt wird. Zum Abschluss wird in dieser Focusgroup festgestellt, dass Pravention ein sehr allgemeiner Begriff ist, der zudem unterschiedlich verwendet und defmiert wird. Weiterhin vertreten die Arzte die Meinung, dass sich auch das Gesundheitssystem mit Pravention und Gesundheitsforderung schwer tut: Einerseits werden Pravention und Gesundheitsforderung als vierte Saule des Systems deklariert. Andererseits wird dies aber wenig mit Inhalt gefiillt. Oder es sind sogar kontraproduktive MaBnahmen, wie z.B. der Wegfall der Finanzierung bestimmter Vorsorgeuntersuchungen, festzustellen. SchlieBlich wird die Frage kontrovers diskutiert, ob Pravention zur Kosteneinsparung oder zur Verbesserung der Lebensqualitat dienen soil. Tabelle 10-5 fasst zusammen,
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welche Barrieren und welche tJberwindungsmoglichkeiten in dieser Gruppe diskutiert wurden. Tabelle 10-5: Barrieren und Gberwindungsmoglichkeiten - Die Focusgroup der Arzte in Berlin auf Seiten der Professionen • Mangelnde Qualifikation
•
•
•
• Mangelnde Motivation
• •
• GeringerVerdienst
•
Uberwindungs moglichkeiten Definitionsklarung Pravention und Gesundheitsforderung Kooperation mit anderen Tragern; Vernetzung Entwicklung von „positiven" Praventionsmodeilen Angemessene Entlohnung Rollenverstandnis verandern (Arzt als Heiler) Anderung des Gesundheitssystems
auf Seiten der Patienten • Passive Konsumhaltung
Uberwindungsmoglichkeiten • Finanzielle Eigenbeteiligung
• Inkonsequenz
• Selbsthilfegruppen • Unterstutzungsangebote auSerhalb der Praxen
• Kein Interesse
• Fruhzeitige Pravention, z.B. in Schulen und Betrieben
10.5 Die Focusgroups im Vergleich Wenn man abschlieBend die Focusgroups noch einmal kurz stadte- und berufsgruppeniibergreifend vergleicht, ergibt sich folgendes Bild. Es zeigt sich, dass die Teilnehmer in alien drei Focusgroups, d.h. sowohl die Pflegekrafte aus Hannover als auch die Arzte und Pflegekrafte aus Berlin sich in einem Punkt einig sind: Die derzeitige Situation vor Ort und die mangelnde Kooperation einzelner Anbieter behindert sinnvolle Pravention und Gesundheitsfbrderung in der ambulanten Pflege. Eine bessere Vemetzung wtirde Pravention mehr Raum bieten. Zum einen, well die Arzte nur bedingt ihre Praxen als Ort praventiven Wirkens wahmehmen, zum anderen sind auch die Moglichkeiten in der Pflege begrenzt. Insbesondere die Berliner Teilnehmer thematisieren daruber hinaus die Inhaltsleere des Begriffs „Pravention" insbesondere im Alter. Dringend notwendig erscheint hier eine weitere Begriffsklarung. GleichermaBen sollten praktische Handlungsanweisungen sowohl fiir Arzte als auch fur Pflegekrafte erarbeitet und vermittelt werden. Lisbesondere die Aus-, Fort- und Weiterbildung spielen hierbei eine wesentliche Rolle und bediirfen einer Aktualisierung und Erweiterung um diesen Themenkomplex. Auch diesem zuletzt genannten Punkt stimmen alle Teibiehmer an den Gruppen zu. 204
Weiterhin herrscht Einigkeit zwischen den Pflegekraften aus Hannover und den Berliner Arzten dartiber, dass Pravention moglichst fruhzeitig beginnen und beispielsweise schon in Schulen und Betrieben ansetzen sollte. Die Pflegekrafte aus Berlin lehnen dies zwar nicht ab. Sie legen aber starkeren Akzent darauf, dass Pravention auch im Alter moglich und sinnvoll ist und dass man immer das Potenzial des Alters sehen sollte. Hierin wird auch ein Unterschied in der Sichtweise auf die Barriere „Alter" deutlich: Insbesondere die Pflegekrafte aus Hannover sehen nur wenig Uberwindungsmoglichkeiten dieser Barriere. In beiden Focusgroups mit Pflegekraften werden einige Moglichkeiten fur die Uberwindung der Barrieren „Widerstand", „passive Konsumhaltung" und „Ratschlage werden nicht umgesetzt" gesehen. Die Pflegekrafte beschreiben, dass durch die Schaffung einer Vertrauensbasis (z.B. durch Bezugspflege), die Akzeptanz von Patienten, iiber deren Einbeziehung in Entscheidungsprozesse und durch eine zielgruppenspezifische Aufklarung sowie die Vemetzung verschiedener Anbieter vor Ort Pravention auch im Alter erfolgreich sein kann. Obwohl die Barrieren, die aus dem Gesundheitssystems selbst resultieren, wahrend der Focusgroups nicht Bestandteil der Diskussion sein sollten, kamen doch alle Teilnehmer immer wieder darauf zu sprechen. Es wird deutlich, dass Pravention auch stark (gesundheits-)systemabhangig gesehen wird. So erscheint es sinnvoll, auch hier zu schauen, wie Barrieren iiberwunden werden konnen. Insbesondere den geauBerten Zweifel dartiber, ob Pravention und Gesundheitsfbrderung als vierte Saule des Systems mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis, sollten Entscheidungstrager durch schnelles politisches Handeln und einer inhaltlichen Ftillung dieser Schlagworter entgegenwirken. Zwei Barrieren, die wiederholt angesprochen wurden - der Zeitmangel und der geringe Verdienst - stellen emst zu nehmende Hemmnisse da, die nicht allein durch Selbstmotivation oder Eigeninitiative der Professionellen im Gesundheitsbereich iiberwunden werden konnen. Hier bedarf es einer Anderung bestehender gesetzlicher Rahmenbedingungen, beispielsweise der Pflegeoder/und Krankenversicherung, damit diese dem zugesprochenen Stellenwert von Pravention entsprechen. Gleiches ist beziiglich der Ausbildung von Arzten und Pflegekraften notwendig. Entsprechende Curricula miissen entwickelt werden und Eingang in die Lehre fmden. Zusammenfassend lasst sich festhalten: Die Rtickmeldung ausgewahlter Ergebnisse aus den Interviews iiber berufsgruppenspezifisch zusammengesetzte Focusgroups ermoglicht einerseits eine Bewertung von Daten und Ergebnissen in Ansatzen. Andererseits lassen sich dariiber Reflexionsprozesse bei den Beteiligten in und fur ihre berufliche Praxis anstoBen. SchlieBlich entstehen dabei - im Sinne der methodischen Triangulation - weitere Daten, die in starkerem MaBe diskursiv gepragt sind als die ursprunglichen Einzelinterviews. 205
11 Pravention und Alter - (k)ein Thema in der Aus-, Fort- und Weiterbildung? „DIE AUSBILDUNG HAT MICH DARAUF VORBEREITET IN EINEM REPARATURBETRIEB KRANKENHAUS ENTSPRECHEND KRANKHEITEN ZU B E H A N D E L N . " H A U S A R Z T ( B A 02)
Betrachtliche und unausgeschopfle Potenziale zur Vermeidung bzw. Verzogerung von Krankheiten und Behinderungen im Alter werden in der Pravention gesehen. AUerdings werden die Moglichkeiten der Plastizitat bei Alteren bislang in der Praxis der medizinisclien und pflegerischen Versorgung unterschatzt. Pravention, Gesundheitsforderung und Altem sind somit vor dem Hintergrund des demographischen Wandels zentrale Themen fur die zukiinftige Gesundheitsversorgung. Die im Rahmen der Studie durchgeflihrten Interviews mit Hausarzten und ambulanten Pflegekraften sowie eine Analyse der jeweiligen berufsspezifischen Aus-, Fort- und Weiterbildung(smoglichkeiten) zeigen allerdings erhebliche Defizite in diesen Bereichen auf. Die Umstrukturierung des Medizinstudiums mit Einflihrung der neuen Approbationsordnung sowie das Inkrafltreten der Neuordnung der Berufe in der Krankenpflege bieten jedoch Chancen, diese Themen zu starken. Den folgenden Ausfuhrungen liegt zum einen die Auswertung der Interviews zugrunde. Herangezogen werden vor allem die Antworten zu der Frage beztiglich der Frage „Haben Sie den Eindruck, Ihre Ausbildung hat Sie ausreichend auf die Themen ,Gesundheit' und , Alter' vorbereitet? Bitte erzahlen Sie mir eine Situation/ein Erlebnis". Zum anderen erfolgte eine theoretische Analyse der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Arzte und Pflegekrafte. Die arztliche Ausbildungssituation wird anhand der bis 2002 giiltigen 8. arztlichen Approbationsordnung (AAppO) mit ihren Gegenstandskatalogen (GK) sowie der im April 2002 verabschiedeten und zum 1. Oktober 2003 in Kraft getretenen AAppO dargestellt. Fiir die Weiterbildung erfolgt die Analyse der Weiterbildungsordnungen der Landesarztekammem Niedersachsen und Berlin flir AUgemeinmedizin und Innere Medizin. Die Auswertung der Fortbildungssituation fiir Arzte basiert auf dem Fortbildungskalender der Berliner Arztekammer und der Niedersachsischen Arztekammer iiber einen Zeitraum von einem Jahr (Mai 2001 - Mai 2002). Fiir die Ausbildungssituation der Pflegekrafte wurde das bundeseinheitliche Krankenpflegegesetz (KrPflG) von 1985 und in seiner Novellierung von 2002 mit den dazugehorigen Lehrplanen und Curricula analysiert. Die Fort- und Weiterbildungsmoglichkeiten wurden anhand von Angeboten ausgewahlter, renommierter Institutionen in Berlin (Wannsee Akademie, Aka-
demie fur Gesundheits- und Sozialberufe, Sozialpadagogisches Institut und Deutscher Berufsverband fur Pflegeberufe Berlin-Brandenburg) und Hannover (Niedersachsische Akademie fiir Fachberufe im Gesundheitswesen, Deutscher Berufsverband fiir Pflegeberufe Niedersachsen sowie die staatliche anerkannte Weiterbildungsstatte Excurs) untersucht.
ILl Die Ausbildung aus Sicht der Arzte und Pflegekrafte Fast 90% der befragten Arzte und Pflegekrafte geben an, durch ihre Ausbildung „tiberhaupt nicht" auf die Themen Alter und Gesundheit vorbereitet worden zu sein. Als allgemeine Kritik am Studium wird von den Arzten geauBert, dass das Studium zu stark auf das „Facliliche" (z.B. Anatomie, Physiologie, Chirurgie, einzelne Krankheitslehren) konzentriert sei, eine „vollig tiberzogene wissenschaftsorientierte akademische Buchmedizin" vermittelt wird, und dass das Studium einen rein „musealen Charakter" habe, d.h., man sieht viel, kann aber selbst praktisch nichts durchflihren. Zum Thema „Gesundheit" geben die Arzte an, das Studium sei krankheitsorientiert und Gesundheit wiirde nur als Gegenbegriff zu Krankheit vermittelt. Im praktischen Alltag wiirden viel mehr „Stufen der Erkrankung oder Gesundheit" existieren, als in der Ausbildung vermittelt werden. „Alter" war im Studium kein Thema, daruber herrscht in den Interviews Einigkeit. Als Defizit in der Ausbildung wird eine mangelnde differenzierte Betrachtung von Menschen unterschiedlichen Alters benannt. Diese ist jedoch relevant z.B. fur die Pharmakologie - aus Sicht der Arzte ein wichtiges Thema fur die Praxis. Zwar wurden im Studium intemistische Krankheiten iiberwiegend an alten Menschen gezeigt, bzw. Alter wurde im Rahmen bestimmter BCrankheiten thematisiert, aber Altem als Prozess mit seinen unterschiedlichen - auch sozialen - Aspekten war nicht Studiumsinhalt. Die Arzte auBem, dass auch Pravention und Gesundheitsforderung in ihrem Studium keine Bedeutung hatten. Der Begriff Gesundheitsforderung ist ihnen aus dem Studium nicht bekannt. Es wurden Krankheitsbilder und ihre „Reparatur" vermittelt und nicht, wie diese durch Pravention verhindert und Gesundheit erhalten werden kann. Went! die Arzte Kenntnisse in den untersuchten Themengebieten erworben haben, dann durch praktische Erfahrungen vor und wahrend der Ausbildung. Ein Teil der Arzte hat sich diese Kenntnisse erst im Laufe der beruflichen Tatigkeit durch „leaming by doing" angeeignet. Ahnliches berichten die Pflegekrafte. Fast alle Pflegekrafte auBem, dass sie wahrend ihrer Ausbildung nicht ausreichend auf das Thema Gesundheit vorbereitet wurden. Dabei zeigt sich kein Unterschied, zu welchem Zeitpunkt die Ausbildung in den vergangenen vier Jahrzehnten (1966-2000) absolviert 208
wurde. Die Mehrheit der Pflegekrafle beschreibt eine eher medizinische, auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtete Ausbildung. Die Pflegekrafle betonen ebenso wie die Arzte eine mangelnde Vorbereitung auf altersbezogene Fragen und benennen Defizite in folgenden Bereichen: Gerontologie, Gerontopsychiatrie, Depressionen im Alter sowie die Betrachtung des Umfeldes von Klienten. Als weitere Lticken der Ausbildung benennen sie Gesprachsflihrung, Beschaftigungstherapie sowie Emahrungsberatung. Als Strategien, um diese Ausbildungsdefizite auszugleichen, werden von den Pflegekraften praktische Erfahrungen, Weiterbildungen oder eigenes Engagement/Interesse (Team- und Fallbesprechungen, Lekttire von Fachzeitschriften) genannt.
11.2 Die arztliche Ausbildung Im April 2002 verabschiedete der Bundesrat die seit langem diskutierte 9. arztliche Approbationsordnung (AAppO). Damit wurde einer grundlegenden Reform des Medizinstudiums der Weg bereitet, die seit den 1990er Jahren anstand (Bundesratsdrucksache 1040/97). Zur Konkretisierung der Ausbildung legen die Fakultaten die Art der Vermittlung der Inhalte, die Priifiingsinhalte und die Prlifungsverfahren selbst fest. Die 9. AAppO, die am 1. Oktober 2003 in Kraft trat, beinhaltet u.a. folgende modifizierte Ausbildungsziele: •
• •
• •
Verbesserung der praktischen Ausbildung: Der praktische Unterricht am Krankenbett wird aufgewertet und ausgeweitet; die GruppengroBe fur Patientendemonstrationen wird von acht auf sechs Personen verkleinert; Einfuhrung von Blockpraktika Forderung der Vermittlung sozialer Kompetenz der Arzte Stdrkere Gewichtung der Allgemeinmedizin: Angesichts der alter werdenden Bevolkerung kommt den Hausarzten eine besondere Bedeutung bei dem Bemtihen zu, Alteren einen moglichst langen Verbleib in ihrer gewohnten Umgebung zu ermoglichen. Allgemeinmedizin wird zum Wahlfach im praktischen Jahr. Ein Blockpraktikum Allgemeinmedizin ist zwingend vorgeschrieben. Verbesserung der Kenntnisse ilber Prdvention und Gesundheitsfor derung: Prevention und Gesundheitsftrderung wird - neben anderen - ein Querschnittsbereich Fdcherubergreifende und fallbezogene Gestaltung des Unterrichts und Prufungen 209
• •
Stdrkere Verzahnung des theoretischen und klinischen Unterrichts Vermehrte Berucksichtigung der koordinierenden, pharmakotherapeutischert und gesundheitsokonomischen Aspekte des Arztberufs.
Zur Umsetzung der Ausbildungsziele wird der Aufbau des Studiums umstrukturiert (Tabelle 12-1). Es existieren nur noch zwei staatliche Priifiingen. Tabelle 12-1: Vergleich des Medizinstudiums nach alter und gegenwartig gultiger arztlicher Approbationsordnung (MppO) (Neuber et al. 2005) alte AAppO Vorklinischer Studienabschnitt 1.-4. Semester Arztliche Vorprufung (GK 1) schriftlicher Teil: 320 mc*-Aufgaben mundlicher Teil: 2 Facher 1. Klinischer Studienabschnitt (klinisch-theoretische Medizin) 5. und 6. Semester ErsterAbschnittderArztiichen Prijfung (GK 2) schriftlich: 290 mc*-Aufgaben 2. Klinischer Studienabschnitt (klinisch-praktische Medizin) 7.-10. Semester Zweiter Abschnitt der Arztlichen Prufung (GK 3) schriftlicher Teil: 580 mc*-Aufgaben mundlicher Teil: zwei Facher 3. Klinischer Studienabschnitt Praktisches Jahr 11. und 12. Semester Dritter Abschnitt der Arztlichen Prufung mundlich: Chirurgie, Innere Medizin, Wahlfach
Arzt im Praktikum 18 Monate
neue AAppO (seit Oktober 2003) 1.-4. Semester Erster Abschnitt der staatlichen arztlichen Prufung * (schriftlich und miindllch-praktisch) Hochschulprufungen fiir 22 Facher 12 Querschnittsbereiche und 5 Blockpraktika in Form von benoteten Leistungsnachweisen 5.-10. Semester
Praktisches Jahr 11. und 12. Semester Zweiter Abschnitt der staatlichen arztlichen Prufung (schriftlich und mundlich-praktisch, fallbezogen sowie facher- und querschnittsijbergreifend) **
* mc = multiple choice ** zum 1. Oktober 2004 wurde die Ausbildungsphase ,Arzt im Praktikum' (AiP) abgeschafft
Die neue AAppO ermoglicht eine Reform der bisherigen medizinischen Ausbildung. Gesundheitsfbrderung wurde mit in die Ziele der Ausbildung aufgenommen. Das Studium ist praxisbezogener und facheriibergreifender strukturiert, so dass die Moglichkeit besteht, dass Pravention nicht nur theoretische Relevanz besitzt, sondem auch im klinisch-praktischen Abschnitt einen hohe210
ren Stellenwert erhalt. Dazu tragt bei, dass Pravention und Gesundheitsfbrderung in der neuen arztlichen Ausbildung Querschnittsbereich ist: Sie soUen fallbezogen sowie facheriibergreifend vermittelt werden und sind ftir den zweiten Abschnitt der arztlichen Priifung priifungsrelevant. Jedoch ist es den Universitaten ilberlassen, wie sie die Querschnittsfacher vermittein. Festgelegt ist lediglich, dass die Vermittlung themenbezogen, am Gegenstand ausgerichtet und facherverbindend erfolgen soil. Welche Institute die Universitaten an der Vermittlung der Querschnittsbereiche beteiligen, und welche Facher verbunden werden, obliegt den Fakultaten und muss in der Studienordnung festgelegt werden. Durch die Einfuhrung mehrerer Querschnittsbereiche sind Public-Health-Inhalte gestarkt worden. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie und von wem diese Inhalte zukiinftig vermittelt werden. Fiir einen ersten tJberblick zur Umsetzung des Querschnittbereiches Pravention und Gesundheitsfbrderung erfolgte 2005 eine Bestandsaufhahme (Walter, Klippel, Bisson 2005). Ein Curriculum fiir die sozialmedizinisch relevanten Querschnittsbereiche, einschlieBlich Pravention und Gesundheitsforderung, wurde von der Deutschen Gesellschaft fur Sozialmedizin und Pravention (DGSMP) entwickelt (Brennecke et al. 2006). Mit dem Querschnittsbereich „Medizin des Altems und des alten Menschen" hat die Geriatric ebenfalls eine Aufwertung erfahren, ohne jedoch ein eigenstandiges klinisches Fach zu sein. Eine weitere Veranderung, die sich positiv auf die Bereiche Pravention, Gesundheitsforderung und Altem auswirken kann, ist die Ausweitung der AUgemeinmedizin, die auch als Wahlfach wahrend des Praktischen Jahres belegt werden kann und als vorgeschriebenes Blockpraktikum wahrend des Studiums absolviert werden muss. Insgesamt verleiht die neue AAppO der Pravention, Gesundheitsforderung und Geriatric einen hoheren Stellenwert in der arztlichen Ausbildung.
11.3 Die pflegerische Ausbildung Der Notwendigkeit einer Reformierung der Krankenpflegeausbildung wurde in einem ersten Schritt durch die Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur Neuordnung der Berufe in der Krankenpflege im Mai 2002 Rechnung getragen. Diese trat am 1. Januar 2004 in Kraft. In die Neuordnung der Ausbildung fiir die professionelle Pflege von Patienten werden sowohl der stationare wie der ambulante und teilstationare Bereich einbezogen. Das neue Pflegeverstandnis zielt neben der auf die Heilung von Krankheiten ausgerichteten Pflege auch auf preventive, gesundheitsfbrdemde, rehabilitative und palliative MaBnahmen, damit Gesundheit wiedererlangt, verbessert, gefordert oder auch erhalten werden kann. 211
Den neuen Ansatz in der professionellen Pflege unterstreichen die geanderten Berufsbezeichnungen: Gesundheits- und Krankenpflegerin, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin sowie Gesundheits- und Krankenpflegehelferln. Obwohl zwei Berufsbilder mit unterschiedlichen Bezeichnungen fur die allgemeine Krankenpflege und fur die Kinderkrankenpflege beibehalten werden, basieren beide auf einem gemeinsamen Ausbildungsabschnitt. Die Qualitat der Ausbildung wird vor allem durch eine starkere Vemetzung der schulischen und praktischen Anteile verbessert. AuBerdem wird fiir die Schulleitung und die Lehrkrafte nach einer Ubergangszeit eine abgeschlossene Hochschulausbildung Pflicht. Auch dies zeigt die erhohten qualitativen Anforderungen. Im Abschnitt II (Ausbildung) § 3 (2002), sind die Ausbildungsziele folgendermaBen formuliert: Die Ausbildung fiir Gesundheits- und Krankheitspflegerlnnen soil entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschafllicher Erkenntnisse fachliche, personate, soziale und methodische Kompetenzen zur verantwortlichen Mitwirkung insbesondere bei der Heilung, Erkennung und Verhtitung von Krankheiten vermitteln. Sie bezieht sich auf die heilende Pflege, die unter Einbeziehung praventiver, rehabilitativer und palliativer MaBnahmen auf die Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Forderung der physischen und psychischen Gesundheit der Patienten auszurichten ist. Dabei sind die unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen sowie Lemphasen und die Selbststandigkeit und Selbstbestimmung der Patienten zu berlicksichtigen. Die Ausbildung fiir die Pflege soil insbesondere dazu befahigen, (1) Die folgenden Aufgaben eigenstdndig durchzufuhren: • die Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs, Planung, Organisation, Durchfuhrung und Dokumentation der Pflege, • die Evaluation der Pflege, Sicherung und Entwicklung der Qualitat der Pflege, • die Beratung, Anleitung und Untersttitzung von Patienten und ihrer Bezugspersonen in der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit, • die Einleitung lebensnotwendiger SofortmaBnahmen bis zum Eintreffen des Arztes. (2) Die folgenden Aufgaben im Rahmen der Mitwirkung auszufuhren: • Eigenstandige Durchfuhrung arztlich veranlasster MaBnahmen, • MaBnahmen der medizinischen Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation, • MaBnahmen in Krisen- oder Katastrophensituationen. 212
(3) Interdisziplindr mit anderen Berufgruppen zusammenzuarbeiten und dabei multidisziplindre und Berufsubergreifende Losungen von Gesundheitsproblemen zu entwickeln. Die Tabelle 12-2 gibt eine Ubersicht liber die Veranderungen gegentiber dem bisher giiltigen Krankenpflegegesetz von 1985. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Gesetz die Modellklausel § 4(6) KpflG, die Perspektiven fur innovative Ansatze in der praktischen Ausbildung eroffhet. Tabelle 12-2: Vergleich der Ausbildungsziele im Krankenpflegegesetz 1985 und 2002 1 Krankenpflegegesetz 1985 1 Berufsbezeichnung: Krankenschwester/Krankenpfleger 1 § 4: Ausbildungsziele: Erwerb von Kenntnissen, Fahigkeiten und Fertigkeiten zur verantwortiichen Mitwirkung bei der Verhutung, Erkennung und Heilung von Krankheiten.
Die Ausbildung soli gerichtet sein auf. • Die sach- und fachkundige, umfassend geplante Pflege • Die gewissenhafte Vorbereitung, Assistenz und Nachbereitung bei MalJnahmen der Diagnostik und Therapie • Anregung und Anieitung zu gesundheitsfordernden Verhalten • Beobachtung des korperlichen und seelischen Zustandes des Patienten und der Umstande, die seine Gesundheit beeinflussen sowie die Weitergabe dieser Beobachtungen an die an der Diagnostik, Therapie und Pflege Beteiligten • Einleitung lebensnotwendiger SofortmafJnahmen • Eriedigung von Verwaltungsaufgaben, soweit sie in unmittelbaren Zusammenhang mit den Pflegemafinahmen stehen
Krankenpflegegesetz 2002 Berufsbezeichnung: Gesundheits- und Krankenpflegerin § 3: Ausbildungsziele: Erwerb entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugwissenschaftlicher Erkenntnisse fachliche, personale, soziale und methodische Kompetenzen zur verantwortiichen Mitwirkung insbesondere bei der Heilung, Erkennung und Verhutung von Krankheiten. Bezug auf die heilende Pflege unter Einbeziehung praventiver, rehabilitativer und palliativer Forderung der physischen und psychischen Gesundheit unter besonderer Berucksichtigung der unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen und Lebensphasen. Die Ausbildung befahigt zur: • Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs, Planung, Organisation, Durchfuhrung und Dokumentation der Pflege • Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualitat der Pflege • Beratung, Anieitung und Unterstutzung von Patientlnnen und Bezugspersonen in der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit • Einleitung lebenserhaltender Sofortmafinahmen bis zum Eintreffen des Arztes Folgende Aufgaben unter Mitwirkung: • Eigenstandige Durchfuhrung arztlich veranlasster Malinahmen • MalJnahmen der medizinischen Therapie, Diagnostik Oder Rehabilitation • MalJnahmen in Krisen und Katastrophensit. • Interdisziplinare Zusammenarbeit mit anderen Berufgruppen; multidisziplinare und berufsubergreifende Losungen von Gesundheitsproblemen entwickeln |
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§ 5: Dauer und Inhalt: Die Schule muss folgende Mindestanfordemngen erbringen (Auszug):
§ 4: Dauer und Struktur: Die Schule muss folgende Mindestanforderungen erbringen (Auszug):
• Leitung der Schule durch einen Unterrichtspfleger gemeinsam mit einen Arzt • Ausreichende Anzahl geeigneter Unterrichtskrafte
• Hauptberufliche Leitung der Schule durch eine qualifizierte Fachkraft mit Hochschulausbildung • Ausreichende Anzahl von fachlich und padagogisch qualifizierten Lehrkraften mit Hochschulausbildung • Schule muss vernetzt sein mit geeigneten ambulanten Einrichtungen fur die praktische Ausbildung • Zeitlich befristete Erprobung von Ausbildungsangeboten, die der Weiterentwicklung der Pflegeberufe dienen, moglich
11.4 Die arztliche Weiterbildung Im Gegensatz zur arztlichen Ausbildung ist die arztliche Weiterbildung nicht bundeseinheitlich geregelt, sondem die Weiterbildungsordnungen der Landesarztekammern sind rechtsverbindlich. Die arztliche Weiterbildungsordnung regelt den Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten fur definierte arztliche Tatigkeiten nach Abschluss der Berufsausbildung. Die Weiterbildung wird mit einer Prtifiing abgeschlossen und berechtigt zur Fiihrung besonderer Fachbezeichnungen (z.B. Facharzt fur Allgemeinmedizin, Chirurg, Internist). Nach der Analyse der Weiterbildungsordnungen in Niedersachsen und Berlin haben Pravention und Gesundheitsforderung einen geringen Stellenwert. Verankert sind diese Themen vor allem in den Inhalten und Zielen der Weiterbildung zur Allgemeinmedizin. Hier mtissen Richtzahlen beziiglich praventiver Leistungen nachgewiesen werden. Jedoch bezieht sich die Halfte der nachzuweisenden Falle von praventiven Leistungen auf ImpfmaBnahmen. In der Inneren Medizin spielt Pravention eine marginale Rolle; Gesundheitsforderung taucht als Begriff nicht auf. Pravention wird neben Diagnostik, Fruherkennung, Therapie etc. als in der Weiterbildung zu erlangende Kenntnis, Erfahrung und Fertigkeit angefiihrt. Ansonsten ist sie stark auf Suchterkrankungen sowie den diatischen und Emahrungsbereich beschrankt. Fiir die ambulante Versorgung bedeutet dies, dass hausarztlich tatige Intemisten in ihrer Weiterbildung wenig Erfahrungen und Wissen zu Pravention und Gesundheitsforderung gesammelt haben. Wenn Pravention und Gesundheitsforderung zuktinftig eine starkere Bedeutung in der ambulanten hausarztlichen Versorgung haben soil, mtissen sie auch in der Weiterbildung Innere Medizin vermehrt Einzug erhalten. Zur geplanten Umstrukturierung 214
der Weiterbildung Irinere Medizin hat die Bundesarztekammer ein zweistufiges Modell als Grundlage fiir die Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung im Jahr 2003 erarbeitet. Pravention im Alter ist in der Weiterbildung Allgemeinmedizin kein Thema. In der Weiterbildung Innere Medizin ist die Diagnostik, Differenzialdiagnostik, Pravention etc. intemistischer Erkrankungen in alien Altersstufen festgeschrieben. Inwiefem Kenntnisse speziell zu Pravention im Alter tatsachlich vermittelt werden, konnte mit der vorliegenden Analyse nicht ermittelt werden. Geriatrie wurde in die Weiterbildungsordnungen beider Gebiete - Allgemeinmedizin und Innere Medizin: „Besonderheiten dieser Erkrankungen im hoheren Lebensalter", „Erkrankungen in alien Altersstufen" - eingewoben. In beiden Bereichen ist eine zusatzliche Weiterbildung in dem Gebiet der „klinischen Geriatrie" moglich, die bis vor kurzem als fakultative Weiterbildung nicht fuhrbar war. Die Nichtfuhrbarkeit war eine wesentliche Bedingung fur ihre Einfiihrung 1992, um zu verhindem, dass im ambulanten Bereich ein „offentlich erkennbarer geriatrisch qualifizierter Gebietsarzt tatig wird" (Stamm 2001). Der 103. Deutsche Arztetag (2000) hat im Rahmen der Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung in seinem Diskussionsentwurf vorgegeben, die Begriffe „fakultative Weiterbildung" und „Fachkunde" entfallen zu lassen. Laut Beschlussprotokoll des 104. Deutschen Arztetages (2001) existieren ktinftig vier Qualifikationsebenen: Facharzt, Schwerpunkt, Bereich und Befahigungsnachweis. Die fakultative Weiterbildung „klinische Geriatrie" fmdet sich zuklinftig im Bereich wieder und ist somit fuhrbar geworden. Die Inhalte der fakultativen Weiterbildung „klinische Geriatrie" sind flir die Allgemeinmedizin und Innere Medizin einheitlich, um den fachertibergreifenden interdisziplinaren Charakter zu betonen (Stamm 2001). In Anbetracht des wachsenden geriatrischen Versorgungsbedarfs und der Tatsache, dass Hausarzte iiberwiegend fur die Versorgung alterer Menschen zustandig sind, ist der Anteil an geriatrischen Inhalten in den Weiterbildungen noch gering. Gefordert wird erne Einbindung stationar-geriatrischer Weiterbildungszeiten in die Regelweiterbildung des Hausarztes (Stamm 2001). Das qualitativ hochwertige Angebot in der fakultativen Weiterbildung „klinische Geriatrie" wird jedoch derzeit wenig von Intemisten und AUgemeinmedizinem in Anspruch genommen (Sachverstandigenrat fur die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2002b). Es bleibt abzuwarten, ob hier eine Anderung erfolgt, wenn die fakultative Weiterbildung in einen flihrbaren Bereich geandert wird.
215
11.5 Die arztliche Fortbildung 11.5.1 Aktuelle
Situation
Die grundsatzliche Verpflichtung zur Fortbildung ist in der Bemfsordnung festgelegt, nicht jedoch die Form des Wissenserwerbs. Der 102. Deutsche Arztetag (1999) spricht sich fiir die Einfiihrung eines freiwilligen Fortbildungsnachweises durch die Arztekammern als Modellversuch aus. Eine Pflichtzertifizierung wird abgelehnt. Die unterschiedlichen Erfahrungen aus den Modellprojekten der Landesarztekammem sollen spatestens im Jahr 2003 in einem bundeseinheitlichen Fortbildungsnachweis miinden. Nach Abschluss der Studie fand eine Neuordnung der Fortbildung statt, wie sie bereits im Gutachten des Sachverstandigenrat fur die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2000/2001 (2002, Band I, III) gefordert wurde. Mit dem Gesundheitsreformgesetz (GMG) 2003 wurde diese bislang ausschlieBlich berufsrechtlich defmierte Anforderung fiir Vertragsarzte (und Psychotherapeuten) auch im Sozialrecht in Form der verpflichtenden Dokumentation der Fortbildungsaktivitaten verankert (§ 95d SGB V). Dies bedeutet, dass ein Nachweis dieser Fortbildung gegentiber der jeweils zustandigen Kassenarztlichen Vereinigung gefiihrt werden muss. Dies wird zum ersten Mai nach Ablauf der FlinQahresMst im Sommer 2009 der Fall sein. Die Kassenarztliche Bundesvereinigung hat unter Zustimmung der Bundesarztekammer eine Fortbildungsregelung verabschiedet, die rtickwirkend zum 01.07.2004 in Kraft tritt und den Nachweis des Vertragsarztes gegentiber der Kassenarztlichen Vereinigung klart. Grundlage des Nachweises ist das Fortbildungszertifikat der Landesarztekammem. Um das Fortbildungszertifikat zu erhalten, mlissen in flinf Jahren 250 Fortbildungseinheiten z.B. durch klassische Fortbildungsveranstaltungen, moderierte Qualitatszirkel, sowie neuerdings vermehrt angebotene interaktive Fortbildungen und Workshops in verschiedenen Kategorien absolviert werden. Naheres hierzu regelt die (Muster-) Satzungsregelung Fortbildung und Fortbildungszertifikat, die vom 107. Deutschen Arztetag 2004 in Bremen verabschiedet wurde. Der Erwerb von Fortbildungspunkten zum Erhalt des Zertifikates wird Auswirkungen auf das Angebot und die Teihiahme an den Angeboten haben. 11.5.2 Analyse der
Fortbildungsangebote
Die Fortbildungsangebote wurden von Mai 2001 - Mai 2002 analysiert. Dies bedeutet, dass die Ergebnisse die Situation vor der Anderung des Gesundheitsreformgesetzes widerspiegebi. In Berlin fanden als explizit benannter Schwerpunkt „Pravention" nur zwei Seminare im Analysezeitraum statt. Pra216
vention ist vor allem im Bereich der Arbeits- und Sportmedizin angesiedelt. Ansonsten gab es eher sehr spezielle Angebote zur Pravention bestimmter Krankheiten. In Niedersachsen wurden mehr Fortbildungsveranstaltungen zu den klassischen Feldem der Pravention wie Emahrung, tJbergewicht, Rauchen und Alkohol angeboten als in Berlin. Es existierten einige Veranstaltungen zur Primar- und Sekundarpravention von Schlaganfall und HerzKreislauf-Erkrankungen. Fortbildungen zu Pravention, die sich weder auf defmierte Erkrankungen oder Risikofaktoren beziehen, stellen in beiden Regionen die Ausnahme dar. Gesundheitsfbrderung war sowohl in Berlin als auch in Niedersachsen nur sehr vereinzelt als Thema von Fortbildungen vertreten. Berlin bietet im Bereich der Geriatric wochentlich Fortbildungsangebote an (Seminare, Klinikkonferenzen). Fiir niedergelassene Hausarzte scheinen dagegen wenige Angebote zu existieren. In Niedersachsen gibt es keine regelmaBigen Fortbildungsveranstaltungen. Ein Schwerpunkt liegt hier in der Gerontopsychiatrie. Ftir Hausarzte werden vor allem Inhalte wie Emahrung und Bewegung, aber auch Modelle wie das geriatrische Assessment thematisiert. Defizite, die aus der Analyse der Fortbildungen flir Arzte erkennbar sind, lassen sich Folgende benennen: Pravention und besonders Gesundheitsforderung nehmen im Verhaltnis einen untergeordneten Stellenwert ein. Im Zentrum der Fortbildungen stehen die Diagnose, Therapie und Kuration von Krankheiten. Es existieren kaum Seminare zur Primarpravention, als eigene Schwerpunkte spielen Pravention und Gesundheitsforderung kaum eine Rolle. Auch Pravention und Gesundheitsfbrderung im Alter sind selten Thema, ein Defizit ist insgesamt bei geriatrischen Fortbildungen fiir niedergelassene Hausarzte zu konstatieren, die vor allem Aspekte der klinischen Geriatric thematisieren. Veranstaltungen zu wichtigen Themen aus dem Bereich Pravention und Alter wie z.B. Mobilitat, praventive Hausbesuche und gesundes Altem werden nicht angeboten.
11.6 Die pflegerische Fort- und Weiterbildung Die Begriffe „Fortbildung" und „Weiterbildung" haben erst in den letzten Jahren im Pflegebereich eine Abgrenzung erfahren. In tlbereinstimmung mit der Auffassung des Deutschen Verems fiir offentliche und private Ftirsorge (1993) nimmt etwa die Forschungsgesellschaft fiir Gerontologie (1996) folgende Abgrenzung vor: Fortbildungen werden als Bildungsangebote verstanden, „die auf der Grundlage eines erlernten oder ausgeiibten Berufes aufbauen mit dem Ziel, berufsspezifische Kenntnisse, Fertigkeiten und Verhaltens217
weisen zu emeuem, zu vertiefen oder zu erweitem. FortbildungsmaBnahmen beschranken sich auf kurzfristige Angebote in Form von Tagesveranstaltungen, Seminaren, Blockveranstaltungen, Kursreihen, (Fach-)Tagungen etc. mit unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung. Ein Erwerb von anerkannten fachqualifizierenden Abschlussen ist damit nicht verbunden. Im Gegensatz dazu beanspruchen WeiterbildungsmaBnahmen in der Kegel ein groBeres zeitliches Volumen. Es handelt sich um MaBnahmen der Hoherqualifizierung, d.h. den Erwerb spezifischer fach- oder flinktionsbezogener Qualifikationen. Charakteristisch ist eine starkere Zielgruppenorientierung sowie in hoherem MaBe die Option, die Weiterbildung mit einem (staatlich anerkannten) Abschlusszertifikat zu beenden" (Forschungsgesellschaft fiir Gerontologie 1996, S. 63f). Der gesetzliche Rahmen ist durch Bundesgesetze (Pflegeversicherungsgesetz, Heimpersonalverordnung) nur lose vorgegeben; die Ausfullung des Rahmens ist Angelegenheit der einzelnen Bundeslander, die diese Kompetenz in sehr unterschiedlichem MaBe imd in sehr unterschiedlicher Weise wahmehmen. Berlin regelt die Weiterbildung durch das „Gesetz iiber die Weiterbildung in den Medizinalberufen" vom 09.02.1979, zuletzt geandert am 03.07.1996. In Niedersachsen wird die Weiterbildung bisher durch Runderlasse und Verordnungen des Sozialministeriums geregelt, ein Weiterbildungsgesetz ist jedoch in Vorbereitung. In der Krankenpflege ist der Weiterbildungsbereich sehr viel starker ausgebaut als in der Altenpflege. Jedoch besteht weder fur Kranken- noch fur Altenpflegekrafte eine Pflicht zur regelmaBigen Teibiahme an Fort- und/oder Weiterbildungen. Die Teikiahme an Qualifizierungsangeboten beruht auf Freiwilligkeit. In einigen Fallen wird die verpflichtende Teibiahme intern durch die Arbeitgeberseite geregelt. Bei der Betrachtung der Fort- und Weiterbildungsangebote in Berlin ist festzustellen, dass Entwicklungen und Veranderungen im Gesundheitswesen sich in der Angebotspalette der Anbieter widerspiegeln und die Partizipation an Fort- und Weiterbildung ftir eine Professionalisierung der Pflege maBgeblich sein kann. Im Weiterbildungsbereich dominieren die Leitungsqualifikationen: Pflegemanagement - Sozialmanagement. Allerdings gewinnen auch langfristige Fachqualifikationen an Gewicht. Beim Sozialpadagogischen Institut in Berlin sind inzwischen eine gerontopsychiatrische Fachweiterbildung und eine Weiterbildung zur Fachkraft in der ambulanten Pflege mSglich. Zusatzqualifikationen konnen ebenfalls in den Bereichen Qualitatsbeauftragte und Gerontopsychiatrie erworben werden. Des Weiteren ermoglicht die Wannsee Akademie eine Zusatzqualifikation in Palliativ Care Pflege und zur Mentorin. Die Bandbreite der ein- bzw. zweitagigen Fortbildungsangebote im Bereich Prevention und Gesundheitsforderung zeugen von einer Dynamik und 218
unterstutzen eine Neuorientierung sowie Kompetenzerweiterung in der Pflege. Die Fortbildungen im Bereich Pravention und Gesundheitsforderung konzentrieren sich jedocli zum einen stark auf klassische Prophylaxen: Dekubitus, Thrombose und Mundpflege oder sind krankheitsorientiert: Diabetes, Inkontinenz, Stoma und Wundversorgung. Bei den Angeboten zur Gesundheitsforderung fmden sich sowohl Fortbildungen, die sich direkt an Pflegekrafte und ihre eigene Gesundheit wenden als auch fur den Umgang mit Klienten. Die Fort- und Weiterbildungsangebote in Berlin und Hannover sind zum groBten Teil deckungsgleich. Eine staatlich anerkannte Weiterbildung fur Pflegekrafte ist jedoch in Berlin wie auch Hannover iiberwiegend auf der (mittleren) Leitungsebene und weniger in der direkten Pflege zu fmden.
11.7 Zusammenfassung In der bisherigen arztlichen sowie pflegerischen Ausbildung spielten die Themen Pravention, Gesundheitsforderung und Altem nur eine marginale Rolle. Niedergelassene Hausarzte und ambulante Pflegekrafte fiihlen sich aufgrund der Ausbildungssituation nicht ausreichend auf ihre Tatigkeit und die Versorgung alterer Patienten vorbereitet. Um Ausbildungsdefizite auszugleichen, benennen die Professionellen Strategien auf die sie zuruckgreifen, wie z.B. praktische Erfahrungen, Weiterbildungen und eigenes Engagement. Nach einer Studie von Butzlaff et al. (2002) wird tiber die Halfte des in der taglichen Praxis angewandten Wissens erst nach dem Studium erworben. Dies zeigt die immense Wichtigkeit von qualitativ hochwertigen und kontinuierlichen Fortbildungsangeboten. Die Reform der arztlichen Ausbildung durch die Einflihrung der 9. arztlichen Approbationsordnung (2003) sowie das Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung der Berufe in der Krankenpflege (2004) bieten die Chance, die Ausbildungen an die Anforderungen des Versorgungsbedarfs anzupassen, Pravention und Gesundheitsforderung zu starken und praxisbezogener zu vermitteln. Auch der Stellenwert des Themas Altem steigt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die jeweiligen Ausbildungstrager diesem theoretischen Anspruch in der Umsetzung gerecht werden. Um Plastizitatspotenziale der Gesundheit Alterer starker zu nutzen und dem wachsenden geriatrischen Versorgungsbedarf gerecht zu werden, bedarf es zudem einer Starkung und praxisorientierten Verankerung von Pravention und Alter vor allem fiir Hausarzte in der arztlichen Fort- und Weiterbildung. Die ausschlieBlich auf Freiwilligkeit basierende Teibahme an Fort- und Weiterbildungen bei Pflegekraften behindert den notwendigen Wissenstransfer der Pflegewissenschaften an die pflegende Basis. 219
12 Alter(n) und Pravention in Fachzeitschriften trotz zunehmender Beriicksichtigung von geringer Relevanz „DER A R Z T MUSS SICH JA WEITERBILDEN.
UND DER KANN SICH NUR WEITERBILDEN, INDEM ER ZEITUNG LIEST
UND MMER SAGT: ,AHA, SO UND SO 1ST ES - UND: WAS KANN ICH DAFUR VORBEUGEND TUN?'" H A U S A R Z T ( B A 07)
Fachzeitschriften gelten als eine wesentHche Informationsquelle fur die eigene Aktualisierung des berufsbezogenen Wissens und als ein wichtiges Instrument fiir die eigene professionelle Weiterbildung (Butzlaff et al. 2002). Im Rahmen der Studie wurde deshalb eine Zeitschriftenanalyse mit dem Ziel durchgeflihrt, die in medizinischen und pflegerischen Fachzeitschriften vermittelten Gesundheits- und Alterskonzepte zu erfassen und herauszuarbeiten, inwieweit Pravention und Gesundheitsforderung im Alter in Fachzeitschriften thematisiert wird. Die Analyse zeigt auf, in welchen Kategorien implizit Oder explizit liber altere Menschen und ihre altersbedingt gesundheitlichen und sozialen Veranderungen berichtet wird.
12.1 Methodik Die Analyse der Fachzeitschriften umfasst drei Jahrzehnte (1970-2001). Aus den vorliegenden Fachzeitschriften wurden hierzu jeweils zwei ftir den Bereich Medizin und Pflege ausgewahlt. Auswahlkriterien waren eine hohe Verbreitung der Zeitschriften in den Berufsgruppen, Existenz seit tiber 30 Jahren, monatliche oder wochentliche Erscheinungsweise, eine moglichst hohe Auflage, Thematisierung von Alter(n) und Gesundheit sowie Verftigbarkeit moglichst aller Ausgaben. Zudem liegen der Auswahl Leseranalysen (Arbeitsgemeinschaft LA-MED 2001), Mormationen der Zeitschriftenredaktionen sowie Aussagen befi-agter Professioneller zur Relevanz der Fachzeitschriften in den Berufsgruppen zugrunde. Auf der Basis dieser Kriterien wurden das „Deutsche Arzteblatt", „Der Hausarzt", die „Pflegezeitschrift"
und „Pflege Aktuell" ausgewahlt.^ Das „Deutsche Arzteblatt" erscheint wochentlich, „Der Hausarzt" zweimal, die „Pflegezeitsc]irift" sowie „Pflege Aktuell" einmal pro Monat. Wahrend des Analysezeitraums (1970-2001) erschien „Der Hausarzt" zwischenzeitlich auch haufiger oder seltener. Ftir die Analyse wurden nur Artikel ausgewahlt, die sich speziell den Themen Gesundheit, Alter(n), alte Menschen bzw. Hochaltrige sowie Prevention und Gesundheitsfbrderung im Alter widmen. Zur Auswahl der Beitrage wurde der (1) Inhalt der Uberschrift, (2) das Abstract und (3) schlieBlich der gesamte Artikel herangezogen. Nicht beriicksichtigt wurden Beitrage, in denen die Bezeichnungen Gesundheit, Alter, alte Menschen und Hochaltrige schriftlich erwahnt, jedoch nicht schwerpunktmaBig thematisiert werden. Die Tabelle 12-1 zeigt die Verteilung der gesichteten Ausgaben und die Anzahl der ausgewahlten Artikel im Analysezeitraum 1970-2001. Tabelle 12-1: Anzahl der gesichteten Ausgaben und ausgewahlten Artikel (1970-2001) Geslchtete Ausgaben
Ausgewdhlte Artikel
Anteil ausgewShlter Artikel an gesichteten Ausgaben in % 3,6
1.664
60
Der Hausarzt
701
76
10,8
Pflegezeitschrift
364
82
22,5
299
65
21,7
3.028
283
9,4
Deutsches Arzteblatt
Pflege Aktuell Insgesamt
Der Analyse liegen 283 Publikationen aus dem Zeitraum 1970-2001 zu Grunde. Sie wurden mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 1997) analysiert. Anhand einer 10%igen Stichprobe und der Sichtung einschlagiger Literatur zu Gesundheitskonzepten und Altersbildem wurde ein Kodierleitfaden entwickelt. Mit Hilfe des modifizierten Kodierleitfadens wurden samtliche Artikel kodiert. Aus den kodierten Textpassagen wurden Paraphrasen, vereinzelt auch Zitate, gebildet und im Computerprogramm Microsoft Excel 2000 entsprechend der Kategorien im Kodierleitfaden dokumentiert. AnschlieBend wurden die Paraphrasen nach Jahr und Kategorie zusammengefasst und getrennt nach Arzte- und Pflegezeitschriften inhaltlich ausgewertet. Zudem wurde mit Hilfe des Excel-Programms die quantitative Verteilung der Kategorien differenziert nach Jahr und Zeitschrift zusammengestellt und analysiert. Bei drei Fachzeitschriften hat sich der Name im Analysezeitraum 1970-2001 geandert. Die Zeitschrift „Der Hausarzt" hiefi bis 1995 „Der Praktische Arzt", die „Pflegezeitschrift" von 1971-1993 „Deutsche Krankenpflegezeitschrift" bzw. vor 1971 „Deutsche Schwestemzeitung". „Pflege Aktuell" wurde bis 1993 unter dem Namen „Krankenpflege" publiziert.
222
Im Folgenden werden die Vorstellungen zu Alter(n), alten Menschen und Pravention und Gesundheitsforderung im Alter ausfuhrlicher dargestellt.
12.2 Vorstellungen vom Alter(n) und von alten Menschen Der Stellenwert des Themas Vorstellungen vom Alter(n) und von alten Menschen in den Arzte- und Pflegezeitschriften ist gering. Lediglich 216 (7,1%) Artikel der in den Arzte- und Pflegezeitschriften insgesamt 3.028 gesichteten Ausgaben behandeln explizit Vorstellungen zum Aher(n) und zu alten Menschen, verteilt tiber drei Jahrzehnte und vier Fachzeitschriflen. Die Verteilung der 216 Beitrage liber den Zeitraum 1970-2001 zeigt: Besonders haufig greifen „Der Hausarzt" und die „Pflegezeitschrift" das Thema auf, seltener das „Deutsche Arzteblatt" und „Pflege Aktuell". Zudem erhalt das Thema tiber die Jahrzehnte einen hoheren Stellenwert. Wahrend aus den 1970er Jahren insgesamt nur 37 (17,1%) Artikel gesichtet wurden, die sich mit Alter(n) beschaftigen, waren es aus den 1980er Jahren bereits 71 (32,9%) und den 1990er Jahren 91 (42,1%) Artikel. Insbesondere das „Deutsche Arzteblatt", „Der Hausarzt" und die „Pflegezeitschrifl;" widmen sich dem Thema zunehmend tiber die Jahrzehnte. Lediglich die Zeitschrift „Pflege Aktuell" greift es bereits in den 1970er Jahren haufiger auf. Wenn tiber Alter(n) und alte Menschen berichtet wird, fmden sich liberwiegend Aussagen zum korperlichen, zum geistig-seelischen und zum sozialen Alterungsprozess. Darliber hinaus werden auch bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen von alten Menschen beschrieben. Seltener werden Potenziale im Alter, Selbststandigkeit im Alter, geschlechtsspezifisches Altem und (subjektive) Gesundheit im Alter explizit thematisiert. Die Beitrage beziehen sich vor allem auf altere Menschen tiber 60 bzw. tiber 65 Jahre. Selten wird explizit von „Hochbetagten" gesprochen. Werden spezifische Zielgruppen erwahnt, fmden sich tiberwiegend die Bezeichnungen „Patienten" sowie „Pflege- und Hilfebedtirftige". In den Pflegezeitschriften wu"d haufiger und deutlicher im Hinblick auf Altern differenziert. Sowohl die Arzte- als auch die Pflegezeitschriften verweisen auf den Unterschied zwischen biologischen und kalendarischen Altem und darauf, dass das biologische und nicht das kalendarische Altem entscheidend im Hinblick auf Erkrankungen im hoheren Lebensalter ist. Ebenfalls wird nach seelischem und sozialem Altem differenziert. In den Pflegezeitschriften wird daruber hinaus von einem gesunden, erfolgreichen und harmonischen Altem gesprochen. Danach bedeutet erfolgreiches Altem Gliicklichsein, Zufi-iedenheit mit dem bisherigen Leben oder die Fahigkeit, sich neuen Lebenssituationen anpassen zu konnen. Harmonisch ist Altem, 223
wenn am Lebensende der reine Alterstod erfolgt und nicht ein von langem Leiden und Siechtum begleiteter Tod. Wahrend die Arztezeitschriften vor allem den korperlichen Alterungsprozess thematisieren, befassen sich die Pflegezeitschriften haufiger mit dem sozialen Altem. Im Hinblick auf den korperlichen Alterungsprozess werden besonders altersbedingte physiologische Veranderungen, chronische Erkrankungen und Funktionsstorungen beschrieben, in Bezug auf den sozialen Alterungsprozess wird insbesondere die im Alter zunehmende soziale Isolierung angeflihrt. Sowohl in den Arzte- als auch in den Pflegezeitschriften werden selten schichtspezifische Unterschiede bei Alteren angesprochen. Die vorliegenden Aussagen weisen darauf hin, dass Altere mit einem niedrigen Sozialstatus eher an gesundheitlichen Beeintrachtigungen leiden als Altere mit einem hoheren Sozialstatus. Im Vergleich zu den Arztezeitschriften wird in den Pflegezeitschriften naher auf das Thema Sexualitat im Alter eingegangen. Es wird darauf verwiesen, dass sich die Sexualitat im Alter in der Regel vermindert, dass dies jedoch nicht zwangslaufig der Fall sein muss. Kritisiert wird, dass das Thema Alterssexualitat gesellschaftlich tabuisiert ist. Die Tabelle 12-2 fasst die in den Arzte- und Pflegezeitschriften identifizierten Vorstellungen vom Alter(n) im Einzelnen zusammen. Tabeile 12-2: Vorstellungen vom Alter(n) in Arzte- und Pflegezeitschriften „Deutsches Arzteblatt" „Der Hausarzt" Alterungsprozess • Auch psychologische und soziale Aspekte bestimmen den Alterungsprozess. • Der korperliche Alterungsprozess zeigt sich in Form von physiologisch bedingten Altersveranderungen, Einbulien in der korperlichen Funktions- und Leistungsfahigkeit, spezifischen im Alter auftretenden Erkrankungen und einer insgesamt geringen Anpassungsfahigkeit des Organismus an Umweltbelastungen. • Der geistig-seelische Alterungsprozess birgt vor allem Erkrankungen wie Depressionen und Demenz sowie eine Abnahme der Aufmerksamkeit, Merkfahigkeit und Konzentrationsfahigkeit. • Ein niedriger Sozialstatus und geringer Bildungsgrad beeinflussen den Alterungsprozess negativ.
224
„Pflegezeitschrift" „Pflege Aktuell" Alterungsprozess • Das biologische Alter beginnt bereits mit der Geburt. • Auch psychische und soziale Aspekte bestimmen den Alterungsprozess. • Der Alterungsprozess kann erfolgreich, geiingend, harmonisch und gesund verlaufen. • Der korperliche Alterungsprozess zeigt sich in Form altersbedingt physiologischen Veranderungen, Funktionsstorungen, Beeintrachtigungen in der Leistungsfahigkeit, chronischen Erkrankungen, Stijrzen, Behinderungen und Veranderungen hinsichtlich der Medikamentenvertraglichkeit. • Der geistig-seelische Alterungsprozess birgt vor allem Erkrankungen wie Depressionen und Demenz sowie Einbulien in der kognitiven und geistigen Leistungsfahigkeit. • Alte Menschen mit einem niedrigen Sozialstatus erieiden mehr Krankheiten im Vergleich zu alten Menschen mit einem hohen Sozialstatus.
Alter(n) und Krankheit • Altern ist an sich keine Krankheit und birgt nicht zwangslaufig Gebrechlichkeit und Hilfebedijrftigkeit. • Nicht das kalendarische sondern das biologische Lebensalter ist fur Krankheiten im hoheren Lebensalter entscheidend. • Altersbedingt physiologische Veranderungen konnen die Entstehung von Krankheiten begunstigen, und beim Auftreten von Krankheiten konnen Alterungsschube entstehen. • Sprachwissen, soziale Intelligenzfunktionen und kulturelles Wissen konnen bis ins hohe Alter durch Training erhalten und gesteigert werden. • Psychische Storungen konnen auch im hohen Alter erfolgreich behandelt werden. • Auch im Alter ist eine Anderung des Risikoverhaltens wirksam. Charakteristika Alter(n) • Altern geht mit einem Verlust an Selbststandigkeit einher, doch die Mehrheit der Alteren lebt in den ersten Jahren nach der Pensionierung weitgehend selbstandig. • Altere schatzen ihren Gesundheitszustand subjektiv positiv ein. • Soziale Kontakte nehmen mit zunehmendem Alter ab, z.B. auf Grund des Eintritts in den Ruhestand, des Auszuges der Kinder aus dem Familienhaushalt, des Todes eines nahe stehenden Angehorigen. • Mit dem Alter erhohen sich soziale Isolierung und Einsamkeit, verbunden mit einem erhohten Suizidrisiko. • Frauen trifft der Verlust sozialer Kontakte weniger stark, solange ihnen noch die Sorge urn den Haushalt, Ehemann und Kinder obliegt. • Auch altere Menschen haben sexueile Bedurfnisse und konnen im hoheren Alter sexuell aktiv sein. • Alte Menschen sind bereit und in der Lage, Neues aufzunehmen und dazuzulernen.
Alter(n) und Krankheit • Altern ist keine Krankheit sondern ein naturlicher Vorgang. • Eine Abgrenzung von normalem und krankhaftem Altern ist schwierig, da Altern und Krankheit in Wechselwirkung zueinander stehen. • Nicht das kalendarische sondern das biologische Lebensalter bestimmt Krankheitsverlaufe.
Charakteristika Alter(n) • Erfolgreiches Altern heifJt Glucklichsein, Zufriedenheit mit dem vergangenen und gegenwartigen Leben und die Fahigkeit, sich neuen Lebenssituationen anpassen zu konnen. • Harmonisch ist Altern, wenn am Ende der reine Alterstod steht. • Altersbedingte „Zipperlein" werden von alten Menschen je nach individueller Einstellung unterschiedlich bewertet. • Altere fuhlen sich oftmals subjektiv gesunder, als sie es eigentlich sind. • Gesundes Alter erfordert das Annehmen des eigenen Alters und ein an der Zukunft orientiertes aktives Leben. • Umstellungen in der Lebenssituation (z.B. Helm- und Krankenhausaufenthalte) konnen zu vorubergehenden Verwirrtheitszustanden fijhren. • Im Alter verstarkt sich die Sensibilitat fiir nonverbale Kommunikation in Form von Gestik, Mimik und emotionalen Signalen. • Der Verlust von Sozialkontakten auf Grund von MobilitatseinbuUen, das Versterben nahe stehender Bezugspersonen, der Eintritt in den Ruhestand und der Wegzug von Kindern fordern die soziale Isolierung. Diese erhoht das Suizidrisiko. • Die vertraute hausliche Umgebung wird zunehmend zum Lebensmittelpunkt. • Frauen trifft der Verlust sozialer Aufgaben und Kontakte weniger hart als Manner, da ihnen oftmals noch die Aufgabe der Haushaltsfuhrung und die Fursorge fur die Familie obliegen.
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• Sexualitat ist auch im hoheren Alter wichtig und ist nicht zwangslaufig vermindert. • Altern geht nicht zwangslaufig mit erhohter Pflege- und Hilfebedtirftigkeit einher; die Mehrheit der Alteren lebt weitgehend selbstandig. • Funktionelle EinbuBen und Krankheiten konnen auch im hoheren Alter erfolgreich behandelt werden oder durch Hilfsmittel kompensiert werden. • Selbststandigkeit in der hauslichen Umgebung kann weitgehend erhalten werden, wenn Haushaltshilfen und Hilfsmittel zurVerfugung stehen. • Auch Demente konnen konstruktiv kommunizieren.
Im Vergleich zu den Arztezeitschriften werden in den Pflegezeitschriften deutlich ofter Vorstellungen von alten Menschen bezuglich Verhaltensweisen und Eigenschaften geauBert. Es findet eine Charakterisierung statt, obwohl stets betont wird, dass alte Menschen eine heterogene Gruppe bilden und es deshalb nicht „den alten Menschen" gibt. Die Tabelle 12-3 zeigt die berichteten Vorstellungen von alten Menschen, verglichen nach Arzte- und Pflegezeitschriften. Tabelle 12-3: Vorstellungen von alten Menschen in Arzte- und Pflegezeitschriften „Deutsches Arzteblatt" „Der Hausarzt" Eher positive Vorstellungen • sind geistig, korperlich, sozial aktiv • sind unternehmungslustig und reisen
Eher negative Vorstellungen • sind passiv • haben Schwierigkeiten, Neues aufzunehmen • sind weniger flexibel
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„Pflegezeitschrift" „Pflege Aktuell" Eher positive Vorstellungen • fuhlen sich korperlich stark, sicher, gesund • fuhlen sich besser ausgebildet als fruher • werden zunehmend selbstbewusster • engagieren sich sozial, kulturell und politisch • leisten ein wertvollen Beitrag fur die Gesellschaft • verfugen uberAllgemeinwissen, Erfahrung, Gelassenheit • haben Visionen und Anspruche im Hinblick aufihre Lebensepoche • wiinschen sich eine sinnvoll verbrachte Zeit • sind glucklich und zufrieden, wenn sie aktiv sind, etwas leisten, gebraucht werden • haben uberdurchschnittlich viel Freizeit sowie die finanziellen Moglichkeiten fur sportliche Aktivitaten und Reisen Eher negative Vorstellungen • sind passiv, antriebslos • haben Schwierigkeiten, sich neuen Veranderungen anzupassen
finden sich resignierend mit ihrer Lebenssituation ab fuhlen sich als nutzloses, uberflussiges Mitglied der Gesellschaft, wenn sie isoliert leben
• haben Schwierigkeiten, ihre altersbedingten Einschrankungen zu akzeptieren • belasten ihre altersbedingten korperlichen, geistigen und sozialen Verluste, was ihren Mitmenschen jedoch haufig nicht bewusst ist • sind gebrechlich, arm, sozial isoliert • akzeptieren die ihnen gesellschaftlich zudiktierte Rolle des nutzlosen, am Arbeitsplatz unrentablen alten Menschen
In den Beitragen der Arzte- und Pflegezeitschriften findet sich grundsatzlich eine eher defizitorientierte Sichtweise im Hinblick auf den Alterungsprozess. Insgesamt werden uberwiegend die mit dem Altem einher gehenden korperlichen, geistig-seehschen und sozialen Verluste beschrieben. Weniger haufig werden Potenziale im Alter thematisiert. Die Pflegezeitschriften widmen sich diesem Thema ofter als die Arztezeitschriften. Hierbei fmdet sich die Aussage, dass funktionelle Storungen auch im Alter erfolgreich behandelt werden konnen. In den Arztezeitschriften wird zudem angemerkt, dass Menschen auch im Alter lemfahig sind. In den Pflegezeitschriften heiBt es, dass die Selbststandigkeit alter Menschen in ihrer hauslichen Umgebung weitgehend erhalten werden kann, wenn Haushaltshilfen und Hilfsmittel zur Verfiigung stehen.
12,3 Pravention und Gesundheitsforderung im Alter Die Mehrheit der 131 zum Thema Pravention und Gesundheitsforderung im Alter identifizierten Beitrage spricht von Pravention entsprechend der Einteilung in Primar-, Sekundar- und Tertiarpravention (Sachverstandigenrat 2002a). Lediglich etwa 12% der 131 Beitrage befassen sich mit Gesundheitsforderung gemaB der Ottawa-Charta (1986). Der quantitative Anteil von Pravention und Gesundheitsforderung im Alter am Gesamtumfang des Artikels liegt in der tiberwiegenden Mehrheit der Beitrage unter 10%. Dass heiBt, dass das Thema i.d.R. lediglich in ein bis drei Satzen erwahnt wird. Allein dadurch wird deutlich, dass Pravention und Gesundheitsforderung im Alter in den untersuchten Arzte- und Pflegezeitschriften nur einen marginalen Stellenwert hat. Haufig werden in den Arzte- und Pflegezeitschriften Pravention und Gesundheitsforderung nicht explizit genannt, dennoch implizit thematisiert. Das betrifft vor allem die Pflegezeitschriften, in denen ofter statt Pravention die Bezeichnung vorbeugende Hilfe verwendet wird.
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Im Gegensatz zu den Arztezeitschriften befassen sich die Pflegezeitschriften deutlich starker mit Gesundheitsforderung. Die Tabelle 12-4 fasst die genannten Defmitionen zusammen. Tabelle 12-4: Definitionen von Pravention und Gesundheitsforderung in den Arzte- und Pflegezeitschriften
Defmitionen
„Deutsches Arzteblatt" „Der Hausarzt"
„Pflegezeitschrift" „Pflege Aktuell"
Pravention
n = 63
n = 52
Gesundheitsforderung
n = 16
n = 40 n = 11
Prophylaxe
n= 8
Vorsorge
n= 4
n= 4
Aktivierende Pflege
n= 2
n = 12
(Geriatrische) Rehabilitation
n= 7
n = 18
In alien vier Fachzeitschriften bezieht sich Pravention vor allem auf die Pravention von Krankheit (siehe Tabelle 12-5). In den Pflegezeitschriften zeigt sich im Vergleich zu den Arztezeitschriften zudem eine deutlich starkere Orientierung an Ressourcen. Danach gilt es, die Widerstandskraft gegeniiber korperlichen Leiden sowie die Selbststandigkeit und Selbstbestimmung der Alteren zu starken. Selten werden in den Zeitschriften Ansatze angesprochen, die darauf abzielen, Unfalle, Gewalt in der Pflege sowie eine soziale Vereinsamung alterer Menschen zu vermeiden. Tabelle 12-5: Ansatze von Pravention und Gesundheitsforderung im Alter in den Arzte- und Pflegezeitschriften
„Deutsches Arzteblatt" „Der Hausarzt"
„Pflegezeitschrift" „Pflege Aktuell"
Krankheiten
n = 17
n = 17
Risikofaktoren
n= 7
n= 3
n= 7
n = 10
n= 7
n= 2
n= 6
n = 35
Ansatze
Vermeidung von Pflege- und Hilfebedurftigkeit Alterungsprozess hinausschieben Orientierung an Ressourcen Unfalle
n= 2
n= 4
Gewalt an Altere
n= 1
n= 2
Soziale Isolierung
n= 2
n= 3
228
Am haufigsten werden in den Arzte- und Pflegezeitschriften traditionelle MaBnahmen der Pravention genannt (siehe Tabelle 12-6). Der Schwerpunkt liegt hierbei auf Impfungen sowie auf MaBnahmen im Bereich Bewegung, Emahrung, aber auch geistige Aktivierung. In den Pflegezeitschriften wird dariiber hinaus die praventive Wirkung von Hilfsmitteln betont. Weniger haufig werden MaBnahmen zur Fniherkennung wie Gesundheits-Check-ups, Untersuchungen zur Krankheitsfrtiherkennung sowie geriatrisches Assessment angeftihrt und wenn, dann vor allem in den Arztezeitschriften. Ebenfalls selten sind medikamentose MaBnahmen zur Vermeidung von Krankheiten und Pflegebedurftigkeit, eines Mineralstoffmangels und des Sturzrisikos ein Thema, insbesondere in den Pflegezeitschriften. Psychosoziale Angebote wie Gesprache zwischen Alteren oder mit ihren Bezugspersonen sowie die Vermittlung in weitere Institutionen (z.B. auf Wunsch des alten Menschen einen Platz in einem Pflegeheim fmden) werden in den Arzte- und Pflegezeitschriften gleichermaBen erwahnt. Tabelle 12-6: MafJnahmen von Pravention und Gesundheitsforderung in den Arzte- und Pflegezeitschriften „Deutsches Arzteblatt" „Der Hausarzt"
„Pflegezeitschrift" „PflegeAktuell"
Traditionelle Madnahmen
n = 30
n = 22
KrankheitsfriJherkennung
n = 16
n=
8
Medikamenteneinnahme
n = 11
n=
3
Psychosoziale Angebote
n= 8
n = 11
Maflnahmen
GemaB der analysierten Arztezeitschriften soil dem Hausarzt die klassisch praventive Aufgabe der friihzeitigen Erkennung und Verhinderung von Krankheiten sowie von Pflege- und Hilfebedtirftigkeit zukommen. Er hat seine alteren Patienten im Hinblick auf gesundheitliche Risiken und bestehende Befiinde aufzuklaren und zu beraten. Interessant ist die Aussage, dass er auBerdem selbst flir ein gesundheitsforderliches Setting zu sorgen hat, und zwar in Form einer altersgerechten Praxisausstattung. Insgesamt soil dem Hausarzt eine koordinierende Funktion bei der Versorgung alterer Menschen zukommen. Er soil seine Patienten in andere Einrichtungen des Gesundheitswesens vermitteln, wobei eine Zusammenarbeit mit anderen an der gesundheitlichen Versorgung beteiligten Berufsgruppen unerlasslich ist. Sowohl in den Arzte- als auch in den Pflegezeitschriften wird angemerkt, dass Pravention einen hoheren Stellenwert in der Versorgung alterer Menschen haben sollte. In den Arztezeitschriften liegt in diesem Zusammenhang 229
die Betonung auf Vorsorgeuntersuchungen, in den Pflegezeitschriften auf einer Starkung der Selbststandigkeit und Selbstbestimmung alterer Menschen. Nach den Pflegezeitschriften obliegt den Pflegekraften vor allem die Aufgabe, altere Menschen im Sinne einer Ressourcenorientierung korperlich, geistig und sozial zu aktivieren. Sie sollen ebenfalls wie die Arzte zu einer Verringerung der Pflegebediirftigkeit Alterer beitragen, und zwar indem sie die verbliebenen Fahigkeiten und Fertigkeiten ihrer Patienten fordem. Dabei ist es wichtig, den Alteren zwar Hilfestellung bei der Selbstversorgung zu geben, sie jedoch gleichzeitig nicht tibertrieben zu kontrollieren und zu bevormunden. Insgesamt stellen die Pflegekrafte einen wichtigen Kommunikationspartner der Alteren dar. Sie beraten sie und vermitteln ihnen Kontakte zur sozialen Umwelt. Vereinzelt werden in den vier Fachzeitschriften Barrieren und fordemde Faktoren im Hinblick auf Pravention und Gesundheitsforderung im Alter genannt. Hierbei zeigt sich u.a., dass bei den Professionen Angste im Umgang mit Alteren preventive und gesundheitsfordemde MaBnahmen behindem. Seitens der Patienten fehlt es an Motivation flir preventive MaBnahmen. Zudem artikulieren sie ihre Beschwerden und Bediirfiiisse oftmals gar nicht. Informationsdefizite beztiglich Frliherkennungsmoglichkeiten und technische Hilfsmittel innerhalb der Gesellschaft sind ebenfalls eine Barriere im Hinblick auf Pravention und Gesundheitsforderung im Alter. Als fordemder Faktor stellt sich dagegen z.B. eine positive Einstellung im Hinblick auf Entwicklungspotenziale im Alter seitens der Arzte und Pflegekrafte heraus. Als ebenfalls forderlich erweisen sich eine starker auf Pravention ausgerichtete Aus-, Fort- und Weiterbildung der arztlichen und pflegerischen Berufsgruppen, bessere Finanzierungsgrundlagen fiir preventive und gesundheitsfordemde MaBnahmen sowie eine engere Vemetzung der an der gesundheitlichen Versorgung beteiligten Leistungsanbieter. Die Tabelle 12-7 fasst die in den Arzte- und Pflegezeitschriften insgesamt berichteten Barrieren und fordemden Faktoren zusammen, differenziert nach Barrieren und fordemde Faktoren seitens der Arzte und Pflegekrafte, der Patienten, des Gesundheitssystems sowie der Familie und der Gesellschaft.
230
Tabelle 12-7: Berichtete Barrieren und fordernde Faktoren in den Arzte- und Pflegezeitschriften
Barrieren
Arztezeitschriften
Pflegezeitschriften
seitens der Arzte • Unzureichende Kommunikation unter behandelnden Arzten • Informationsdefizite bezuglich Fruherkennungsmoglichkeiten bei Krankheiten (z.B. von Demenz) • Angstlichkeit im Umgang mit Betagten • Mangeinde Uberzeugung von Praventionspotenzialen im Alter
seitens des Pfiegepersonals • Angst, Altere kdrperlich zu uberlasten • Zuviel pflegerische Betreuung, die dem Alteren seine Selbststandigkeit nimmt • Zu wenig Zeit fur Betreuung
seitens der Patienten • Informationsdefizite bezuglich Frijherkennungsmoglichkeiten bei Krankheiten (z.B. Demenz) • Geringe BereitschaftzurTeilnahme an FriJherkennungsmafJnahmen • Verleugnung der Beschwerden und Krankheitssymptome seitens des Gesundiieitssystems • Fehlende Behandlungskontinuitat auf Grund mangelhafter Entlassungsplanung und fehlender Informationen uberambulante Dienste • KeineausreichendeVergutung • Keine Ubernahmen von Malinahmen durch die GKV
seitens der Patienten • Geringe Motivation • Altere artikulieren ihre Hilfebedurfnisse nicht seitens des Gesundiieitssystems • Fehlende Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf Aktivierung/geriatrische Rehabilitation in Institutionen seitens der Familie und der Gesellsciiaft • Fehlende Artikulation von Hilfebedijrfnissen seitens der Angehorigen • Informationsdefizite und Misstrauen im Hinblick auf technische Hilfsmittel innerhalb der Gesellschaft • Zu hohe Kosten bei technischen Hilfsmittein
seitens der Familie und der Gesellsctiaft • Informationsdefizite bezuglich FriJherkennungsmoglichkeiten bei Gesundheitspolitikern, Angehorigen FSrdernde Faktoren
seitens der Arzte • Akzeptanz der Fruherkennung und FriJhbehandlung von Krankheiten (z.B. Demenz) • Aufgeschlossenheit gegenijber geriatrisch praventiven MalJnahmen und Integration im Praxisalltag • Kenntnis der Patienten und ihrer hauslichen Situation seitens der Patienten • —
seitens des Pfiegepersonals • Wissen, Bildung in Bezug auf Gesundheit (Gesundheitskompetenz) • Positive Grundeinstellung im Hinblick auf Entwicklungspotenziale bei Alteren • SensibilitatfiJrdie Bedijrfnisse und Belastbarkeit Alterer • Gutes Verhaltnis zwischen Pflegepersonal und Patienten • Multiprofessionelle Zusammenarbeit (z.B. mit Hausarzt, Facharzt, Gemeindekrankenschwester) |
231
seitens des Gesundheitssystems • Akzeptanz der Fruherkennung und Frijhbehandlung von Alterskrankheiten (z.B. Demenz) seitens Kostentragern • Ausrichtung der arztlichen Aus-, Fortund Weiterbildung auf Vorsorge bei geriatrischen Patienten • Ausreichende Vergutung (z.B. bei praventiver Beratung) • Zusammenarbeit innerhalb der medizinischen, psychologischen und s o zialen Betreuung alter Mensciien • Vernetzung stationarer und ambulanter Betreuung seitens der Familie und der Gesellschaft
• Kooperation zwiscinen Behandlungsbereichen, Koordinierung der Behandlungsmethoden seitens der Patienten
• — seitens des Gesundiieitssystems • Qualifizierung der leistungserbringenden Berufsgruppen • Bessere Angebotsstrukturen • Bessere Finanzierungsgrundlagen • Kooperation zwischen den Leistungsanbietern auf kommunaler Ebe-
ne • Bewegungsbezogenen Angebote in Senioreneinricintungen, die kurze Wege erfordern seitens der Familie und der Gesellsctiaft • Zukunftstrachtige Moglichkeiten bei technischen Hilfsmittein fur Altere durch gewerbeijbergreifende Zusamnnenarbeit
12.4 Zusammenfassung und Diskussion Die Zeitschriftenanalyse zeigt insgesamt, dass in Bezug auf Alter(n) und alte Menschen insbesondere negative bzw. defizitorientierte Sichtweisen beschrieben werden. Die unterschiedlichen Facetten von Alter(n) und alten Menschen kommen daher sowohl in den Arzte- als auch in den Pflegezeitschriften nicht hinreichend zur Geltung. Die Tatsache, dass geschlechtsspezifische Aspekte und sozial bedingte Unterschiede im Hinblick auf Altem kaum berichtet werden, unterstiitzt diesen Eindruck. Lediglich 283 Artikel von insgesamt 3.028 gesichteten Zeitschriftenausgaben widmen sich in drei Jahrzehnten explizit den Themen Gesundheit, Alter(n) und alten Menschen sowie Pravention und Gesundheitsforderung im Alter. Diese geringe Anzahl zeigt, dass die untersuchten Fachzeitschriften sich nur selten mit diesen Themen ausflihrlich befassen. Daraus lasst sich schlieBen, dass die Zeitschriften im Hinblick auf die bestehenden Wissensdefizite iiber Praventionsmoglichkeiten im Alter selbst keinen nennenswerten Beitrag leisten. Bin moglicher Ansatz ist die Konzeption regelmaBiger spezifischer Schwerpunkthefte oder Serien, wie z.B. die seit 2001 bestehende 232
Serie „Pravention" in der Fachzeitschrift „Deutsche Medizinische Wochenschrift". Die Darstellung von Barrieren und fordemden Faktoren im Hinblick auf Pravention und Gesundheitsforderung im Alter geht tiber die bloBe Nennung nicht hinaus. Hilfreich waren konkrete Vorschlage fiir die Umsetzung praventiver MaBnahmen in der Praxis, insbesondere bei gegebenen strukturellen Barrieren, z.B. durch eine Darstellung von Praxismodellen und -ansatzen („Models of good practice")-
233
13 Arztliche und pflegerische Pravention im Alter zwischen Konzept und Praxis Diskussion und Ausblick Die altemde Bevolkerung stellt eine Herausforderung fiir die zuktinftige Gesundheitsversorgung dar. Betrachtliche und unausgeschopfte Potenziale zur Vermeidung bzw. zur Verzogerung von Krankheiten und Behinderungen im Alter werden in der Pravention gesehen. Allerdings werden die Moglichkeiten der Plastizitat bei Alteren bislang in der Praxis der medizinischen und pflegerischen Versorgung immer noch unterschatzt. Dabei spielen auch subjektiv konzeptionelle Barrieren eine Rolle. An dieser Stelle setzt die in diesem Buch vorgestellte explorative, qualitative Studie „Gesundheits- und Alterskonzepte von Arzten und Pflegekraften in der ambulanten Versorgung alterer Menschen" an. Interviews und Focusgroups mit Hausarzten und Pflegekraften sowie Materialanalysen (Analyse einschlagiger Fachzeitschriften, Inhalte der Aus-, Fort- und Weiterbildung) geben Aufschluss, inwieweit Altersbilder und Gesundheitskonzepte hinter dem beruflichen Selbstverstandnis und den Zielvorstellungen der Professionellen stehen und in ihr Alltagswissen und -handeln eingeflossen sind. Das Buch hat Antworten auf folgende zentrale Fragen gesucht: • • • •
Welche Konzepte liber das Altem und Gesundheit haben Arzte und Pflegekrafte? Welche Dimensionen von Altem sind ftir die professionelle Arbeit in der alltaglichen ambulanten Versorgung relevant? Welche Konzepte und Einstellungen weisen diese Professionellen beztiglich Pravention und Gesundheitsforderung insbesondere bei Alten und Hochbetagten auf? Welche Faktoren werden von ihnen fiir die Realisation von Pravention und Gesundheitsforderung in der Praxis als fbrderlich bzw. als hinderlich angesehen?
Wesentliche Ergebnisse der Interviews, Focusgroups und Materialanalysen zu Altersbildem und zur Pravention/Gesundheitsforderung werden im Folgenden nochmals kurz zusammengefasst und vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Gesundheitswesen diskutiert. AbschlieBend werden Handlungsempfehlungen abgeleitet.
13.1 Altersbilder von Arzten und Pflegekraften: differenziert und auf Hochbetagte bezogen Die Mehrheit der Arzte und Pflegekrafte weist ein differenziertes Altersbild auf, das sowohl negative als auch positive Aspekte umfasst. Damit liegen keine stereotypen Vorstellungen des Alters vor. Die Professionellen berucksichtigen auch die verschiedenen Dimensionen des Alterns - korperlich, psychisch/kognitiv, sozial - umfasst. Auffallend ist, dass sich die Vorstellungen der beiden Professionen von Alter fast ausschlieBlich auf Hochbetagte beziehen. Somit verschiebt sich die Wahmehmung von Alter auf das letzte Lebensjahrzehnt. Die gestiegene Lebenserwartung wirkt sich folglich auch auf die Altersbilder aus. Beide Professionen haben Schwierigkeiten Alter zu definieren. In ihrer Altersdefinition orientieren sich weder Arzte noch Pflegekrafte ausschlieBlich am kalendarischen Alter. Sie benennen vielmehr subjektiv wahrgenommene psychisch-physische, oft defizitorientierte Kriterien flir Alter wie z.B. ein geistiger und korperlicher Verfall, die Verstarkung bestimmter negativer Eigenschaften oder bestimmte Einstellungen und Lebensformen. Beide Professionen berichten jedoch von einer Vielzahl von Patienten, die diese defizitaren Kriterien nicht erftillen und von ihnen entsprechend auch nicht als alt wahrgenommen werden. Sowohl Arzte als auch Pflegekrafte bes.chreiben einen Wandel ihrer Altersbilder aufgrund personlicher oder beruflicher Erfahrungen. Des weiteren schildem sie gesellschaftliche Veranderungen. Durch diese Erfahrungen sind ihre Altersbilder facettenreicher und differenzierter geworden.
13.2 Gesundheit im Alter: keine Frage des korperlichen Zustands sondern psychosozialer Aspekte Das Konzept der Arzte und Pflegekrafte von Gesundheit im Alter weicht von ihrem allgemeinen mehrdimensionalen Gesundheitskonzept ab (zu Gesundheitsvorstellungen s. ausfiihrlich Flick et al. 2004). Gesundheit im Alter wird von ihnen starker an der Lebenssituation und personlichen Einstellung festgemacht als am korperlichen Zustand: Ftir Gesundheit im Alter ist nicht relevant, ob und wie viele Krankheiten oder Beschwerden vorliegen. Explizit werden zunehmende Einschrankungen von ihnen mitgedacht - die Trias Korper, Psyche und Lebenssituation wird zu Lasten der korperhchen Beeintrachtigungen nicht mehr als ausbalanciert wahrgenommen. Dabei werden Beeintrachtigungen z.T. ausdrticklich nicht als Krankheit defmiert. Allerdings werden auch Ressourcen im korperlichen Bereich kaum gesehen. Gesund sein im 236
Alter bedeutet fur beide Professionen vor allem Krankheiten und Beschwerden zu akzeptieren, den Lebensalltag zu gestalten und sich subjektiv gesund zu fuhlen. Eine wesentliche Bedeutung fur Gesundheit im Alter wird der geistigen Flexibilitat zugeschrieben sowie der eigenen Einstellung der Alteren. Hier lasst sich eine Unterscheidung von Krankheit und altersphysiologischen Veranderungen erkennen, die jedoch weder trennscharf noch inhaltlich ausgefullt sind. Insgesamt sehen die Professionellen fur sich kaum ein Handlungsfeld im Bereich Gesundheit im Alter, was sich besonders in der indifferenten bis teilweise negativen Haltung zur Pravention fur diese Bevolkerungsgruppe widerspiegelt. Es existiert eine Diskrepanz zwischen semantischem Wissen und Handlungswissen - bei Alter gibt es weder ein semantisches Wissen noch eine allgemeingiiltige Altersdefmition. Auch wenn bei weit Uber der Halfte der befragten Hausarztpraxen der Anteil der tiber 60-jahrigen Patienten tiber 40% betragt, sind sie in ihrer Ausbildung kaum auf diese Zielgruppe vorbereitet worden. Erst die neue Approbationsordnung versucht im Zuge der demographischen Anderung mit dem Querschnittsfach „Medizin des Altems und des alten Menschen" der Spezifika der Zielgruppe der alteren Menschen nachzukommen. Qualifikationen in klinischer Geriatric bzw. geriatrischer Pflege werden bislang nur vereinzelt angeboten und wahrgenommen.
13.3 Pravention und Gesundheitsforderung: unsystematisch, sekundar und voUer Barrieren Sowohl die Hausarzte als auch die ambulanten Pflegekrafte setzen in ihrem praktischen Handeln kaum primarpraventive und gesundheitsforderliche MaBnahmen systematisch um. Die Arzte arbeiten vor allem im sekundar- und tertiarpraventiven Bereich. Die Pflegekrafte verfolgen einen ressourcenorientierten Handlungsansatz und setzen Telle der „aktivierenden Pflege" um, benennen dies jedoch nicht als Pravention und Gesundheitsforderung. Die vorrangige Ausrichtung der arztlichen Pravention auf Sekundarpravention entspricht dem Leistungskatalog der GKV, der mit den §§25 und 26 SGB V MaBnahmen zur Gesundheitsuntersuchung (sog. Check-up 35) und zur Krankheitsfruherkennung vorsieht. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie decken sich damit mit anderen Untersuchungen (Ollenschlager 1995a, Sachverstandigenrat 2002a, Vahlbruch 2002). Eine zielgruppenorientierte Identifikation von Risikopersonen, ihre gezielte Beratung und systematische Betreuung z.B. durch Zielvereinbarungen und weiterfiihrende Unterstiitzung fehlt bislang. 237
Primarpravention spielt in der arztlichen wie auch in der pflegerischen Versorgung nur eine geringe Rolle. Fehlende Leistungsgesetze, eine ungentigende Verglitung der Beratung und nicht vorhandene Konzepte stehen ihrer verstarkten Umsetzung bislang entgegen (Walter 2002). Vor diesem Hintergrund der kurativen Ausrichtung des Gesundheitssystems ist die deshalb die Vielzahl von wahrgenommenen Barrieren, welche die Arzte und Pflegekrafte anfuhren, nicht verwunderlich. Sie werden vor allem auf Seiten der Patienten und des Gesundheitssystems lokalisiert, vereinzelt auch bei den Professionen selbst gesehen. Thematisiert werden beispielsweise die mangelnde CompHance von Patienten und Budgetzwange. Auch das Alter an sich wird als Barriere wahrgenommen. Fordemde Faktoren ftir Prevention und Gesundheitsfbrderung werden im Vergleich zu den Barrieren kaum genannt. Wie die Definition der Pravention zeigt, ist das theoretische Verstandnis ihrer Differenzierung im Krankheitsverlauf und ihre Abgrenzung zur Gesundheitsforderung nur annahemd gegeben, insbesondere die Pflege hat deutliche Schwierigkeiten die gangigen Begriffe inhaltlich zu ftillen. Hierzu tragt nicht nur die bis vor kurzem ungentigende Beriicksichtigung der Pravention und Gesundheitsforderung in der Ausbildung bei, sondem auch ihre unzureichende Operationalisierung in der Praxis. Hinzu kommt eine unsystematische Verwendung und Heterogenitat der Begriffe zur Pravention im Sozialgesetzbuch (Walter 2003). Die Studie zeigt eine groBe Unsicherheit der Arzte und Pflegekrafte hinsichtlich Pravention flir Altere und Hochbetagte, mogliche Ansatze und MaBnahmen werden kaum differenziert benannt. Ahnliche Ergebnisse zeigen sich in einer quantitativen Befi-agung von Hausarzten (Henze et al. 2001). Besonders Arzte verbinden mit Prevention flir Altere verstarkt psychosoziale Aspekte. Deutlich wird, dass beide Berufsgruppen keine konkreten Konzepte ftir Pravention und Gesundheitsforderung im Alter besitzen. Messbare Laborparameter verlieren an Bedeutung, und ein relativ groBer Teil der Befragten stellt grundsatzlich in Frage, ob Pravention im Alter sinnvoll sei. Zentral ist eine Optimierung der teilweise sehr geringen Kenntnis praventiver Potenziale im Alter. Diese sollte sich zum einen auf Ansatze und Wirksamkeit praventiver MaBnahmen erstrecken als auch konkrete Handlungsorientierungen beinhalten. Bisherige FortbildungsmaBnahmen und Angebote (z.B. Bundesarztekammer 1994, 1998) decken nicht den erforderlichen Bedarf. Auch Fachzeitschriften leisten keinen systematischen Beitrag zur Fortbildung in der Pravention. Dies erfordert (1) die strukturelle und konzeptionelle Integration in ein preventives Gesamtkonzept, (2) die Entwicklung konkreter praventiver MaBnahmen und Handlungsanleitungen flir eine systematische Pravention im arztlichen und pflegerischen Kontext, (3) die leistungsrechtliche Zuweisung definierter praventiver Aufgaben an diese beiden Professionen und eine an-
238
gemessene Vergtitung, (4) den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung von kommunalen Netzwerken zur Pravention.
13,4 Focusgroups: Validierung der Ergebnisse und Riickkopplung an die Versorgungspraxis Die von den Arzten und Pflegekraften in groBer Anzahl wahrgenommenen Barrieren wurden in den Focusgroups zur Diskussion gestellt. Uber die Focusgroups, die mit den Interviewpartnern durchgefiihrt wurden, erfolgte eine Validierung der Ergebnisse sowie die Riickkopplung an die Versorgungspraxis. Bei der Diskussion sollten die Barrieren seitens der Patienten und Professionen und nicht die gesundheitssystembedingten Beschrankungen fokussiert werden. Zur Uberwindung der Barrieren wurden von den Teilnehmem der Focusgroups konkrete Handlungsvorschlage gemacht: z.B. eine bessere Vernetzung und Kooperation von lokalen Akteuren sowie die Schaffung einer Vertrauensbasis in der Pflege durch Bezugspflege. Aus den Ergebnissen der Focusgroups wird jedoch die Notwendigkeit deutlich, dass besonders in der Pflege eine Begriffsklarung von Pravention und Gesundheitsfbrderung erfolgen und praktische Handlungsanweisungen fiir beide Berufsgruppen erarbeitet werden mtissen - dies gilt vor allem fur Pravention im Alter. Hierfiir kommt der Aus-, Fort- und Weiterbildung beider Berufsgruppen eine bedeutende Rolle zu.
13.5 Defizite in der Aus-, Fort- und Weiterbildung: Gesundheit, Alter, Pravention und Gesundheitsforderung starken Sowohl die Arzte als auch die Pflegekrafte fiihlen sich durch ihre Ausbildung nicht ausreichend auf die Themen Gesundheit im Alter sowie Pravention und Gesundheitsfbrderung vorbereitet. Die Ausbildungen werden von beiden Berufsgruppen als krankheits- und kurativorientiert erlebt. Den geringen Stellenwert von Gesundheit im Alter, Pravention und Gesundheitsforderung und die von den Professionellen benannten Defizite in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Arzten und Pflegekraften bestatigt die Materialanalyse. Mit der 2003 bzw. 2004 in Kraft getretenen neuen arztlichen Approbationsordnung sowie der neuen Ausbildung zur „Gesundheits- und Kranken239
pflegerln" kommt den Themen Gesundheit im Alter, Pravention und Gesundheitsfbrderung ein hoherer Stellenwert zu. Auch wenn die Ausbildung vertiefte Praxiserfahrungen nicht vorweg nehmen kann, so sollte sie dennoch zentrale Konzepte und Strategien vermitteln. Soil Pravention und Gesundheitsforderung in der spateren arztlichen und pflegerischen Praxis verankert werden, mtissen ihre Relevanz, Potenziale und Handlungsansatze bereits in der Ausbildung adaquat beriicksichtigt werden. Noch liegen in Deutschland kaum Erfahrungen zu ihrer Umsetzung vor. Die (universitaren) Ausbildungsstatten sind entsprechend gefordert Ausbildungsinhalte moglichst in einem Spiralcurricula und interdisziplinar zu verankem sowie konkrete Unterrichtseinheiten zu entwickeln und diese zu evaluieren. Der Einbezug spezifischer Akteure und Institutionen sowie weiterer Berufsgruppen der Pravention und Gesundheitsforderung bzw. relevanter Ansprechpartner fur die Zielgruppe der Alteren kann den spateren Aufbau von Netzwerken erleichtem. Fiir Arzte und Pflegekrafte, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen haben, mtissen diese Themen verstarkt Einzug in die Fort- und Weiterbildungsangebote erhalten. Unterstutzend fur ein zukiinftig vermehrtes und systematischeres Angebot sowie eine erhohte Nachfrage kann zumindest ftir die arztliche Fortbildung ihre inzwischen gesetzlich verankerte Pflicht wirken. Unterstutzend mogen auch Monographien zur Pravention und Gesundheitsforderung wirken, die im Zuge der neuen Approbationsordnung publiziert werden. Diese entbehren jedoch nicht einer notwendigen systematischen Verankerung dezidierter praventiver Inhalte in den verschiedenen arztlichen Weiterbildungsordnungen.
13.6 Fachzeitschriften: Stellenwert der Themen Gesundheit im Alter sowie Pravention und Gesundheitsforderung erhohen Das Wissensdefizit der praktizierenden Hausarzte und ambulanten Pflegekrafte aus der Ausbildung wird durch verbreitete einschlagige Fachzeitschriften nicht kompensiert, sondem spiegelt sich dort eher wider. Eine Analyse ausgewahlter Fachzeitschriften (1970-2001) aus dem hausarztlichen und pflegerischen Bereich zeigt, dass Pravention und Gesundheitsforderung nur in einem sehr geringen Anteil der Beitrage thematisiert werden. Wahrend im Hinblick auf Gesundheit vor allem positive Vorstellungen berichtet werden, wird bezogen auf Alter selten auf Themen der Gesundheit, Selbststandigkeit und gesundheitsbezogenen Potenziale eingegangen. Starker werden Verluste im Alter fokussiert ohne konkrete Ressourcen zu benennen, von daher wird eine 240
eher defizitare Sichtweise vermittelt. Daraus lasst sich schlieBen, dass die Zeitschriften im Hinblick auf die bestehenden Wissensdefizite uber Praventionsmoglichkeiten im Alter bislang selbst keinen nennenswerten Beitrag leisten. Dieses mag sich andem, wemi sich der Stellenwert von Pravention und Gesundheitsfbrderung im Gesundheitswesen andert und auch die Zielgmppe der Alteren gesellschaftlich und professionell mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Bereits durch die Diskussion des Praventionsgesetzes (2004/2005) haben sich Institutionen und Akteure mit Pravention und Gesundheitsfbrderung auseinandergesetzt, die zuvor dieses Feld nicht bzw. kaum thematisiert haben. Ebenso kann die neue medizinische und pflegerische Ausbildung einen entsprechenden Input geben.
13.7 Ausblick Die vorliegende Studie gibt EinbHck in einen kleinen Ausschnitt des Versorgungsgeschehens im hausarztlichen und pflegerischen Bereich. Sie zeigt die Unvollkommenheit, das unsystematische Vorgehen, die allenfalls nur bruchsttickweise Umsetzung von Pravention in der Praxis. Sie zeigt aber auch das Bemiihen jedes Einzelnen auf die UnterschiedHchkeit der Patienten im komplexen, z.T. schwer zu durchschauenden Gesundheitssystem zu reagieren, das durchaus aber auch zur zumindest partiellen Resignation fuhren kann. Die befragten Arzte und Pflegekrafte haben sich ihr alters- und praventionsbezogenes Wissen iiber Erfahrungen in der eigenen Praxis selbst erworben - ohne auf ein wesentliches Fundament in ihrer Ausbildung und in ihrer berufsbegleitenden Fortbildung bauen zu konnen. Den Ansprtlchen einer systematischen und zielorientierten Pravention steht diese Wirklichkeit entgegen. Die Studie lehrt uns diese Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Erst ansatzweise bestehen oft nur modellhaft und kaum in Deutschland erprobte Ansatze einer Pravention durch Arzte und Pflegekrafte: Noch 2002 hob der U.S. Preventive Task Force in einem systematischen Review zwar die Evidenz zahheicher praventiver Interventionen an sich hervor, konstatierte aber - mangels guter Studien - keine bzw. kaum Evidenz ftir arztliche Beratung selbst (Whitlock et al. 2002).^ Bislang liegen aber noch nicht einmal ftmdierte Konzepte zur (flachendeckenden) UmsetAhnlich ist die Wirksamkeit von Pravention zur Verhinderung von Pflegebediirftigkeit sowie zur Pravention in der Pflege zunehmend Gegenstand von Studien (Deutsches Institut fur angewandte Pflegeforschung 2002).
241
zxing vor. 1st es verwunderlich, dass sich eine systematische und zielorientierte Pravention in der Praxis nicht zeigt? Dabei konnte das von den Hausarzten und ambulanten Pflegekraften im Laufe ihres (Berufs-)Lebens erworbene differenzierte Altersbild und ihr multidimensionales Verstandnis von Gesundheit im Alter durchaus eine wichtige Basis fur eine gezielte Pravention und Gesundheitsforderung darstellen. Was fehlt ist die Selbstgewissheit, dass Pravention etwas ntitzt. Was fehlt ist nicht nur der Transfer von Wissen zur Evidenz von Pravention in die Versorgungspraxis. Was fehlt sind auch gute Beispiele, dass Pravention im Alltag, in der Wirklichkeit der hausarztlichen und pflegerischen Praxis sich tatsachlich und unaufwandig integrieren lasst. Liegen positive Erfahrungen zur Pravention vor, fordem sie ihre weitere Umsetzung und wirken damit selbst als Promotor. Noch stehen sie allerdings der erdriickenden Fulle der von den Hausarzten und Pflegekraften wahrgenommenen Barrieren entgegen, die von ihnen vor allem dem Gesundheitssystem, aber auch den Patienten zugeschriebenen werden. AuBer Frage steht die Notwendigkeit auch die (altere) Bevolkerung iiber die Moglichkeiten der Pravention (im Alter) zu informieren. Nicht zuletzt kann auch tiber die Patienten selbst Pravention (im System) angestoBen werden. Wissen wir jedoch insgesamt noch zu wenig tiber die Erreichbarkeit und Ansprache von Zielgruppen, gilt dieses erst recht far die (hochbetagten) Alteren. Nicht zuletzt bedarf es einer nicht nur halbherzigen Verankerung von Pravention im Gesundheitssystem. Ein erster Schritt ware die Verankerung praventiver Leistungen in der Pflege und primarpraventiver Leistungen fiir altere Patienten. In eine wie vom Sachverstandigenrat (2002a) geforderte gesamtgesellschaftliche Praventionsstrategie wilrden sich spezifische Interventionen fiir Altere harmonisch einfiigen.
242
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