Atlan - Minizyklus 02 Centauri Nr. 6
Angriff der Bestien von Bernd Frenz
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Atlan - Minizyklus 02 Centauri Nr. 6
Angriff der Bestien von Bernd Frenz
Was bisher geschah: Wir schreiben den Februar des Jahres 1225 NGZ. Auf Einladung der Historikerin Li da Zoltral besucht Atlan das auf einer Museumsinsel gelegene Epetran-Archiv, in dem Schätze und geheimes Wissen der Lemurer lagern. Diese Erste Menschheit besiedelte schon vor weit über fünfzig Jahrtausenden die Milchstraße; von ihr stammen alle gegenwärtig in der Galaxis existierenden humanoiden Völker ab. Als Unbekannte unter den Augen der Besucher einen Krish#un stehlen, einen Umhang lemurischer Tamräte, nimmt Atlan die Ermittlungen auf. Mit dem Schweren Jagdkreuzer TOSOMA stößt er ins Zentrum von Omega Centauri vor, einem wegen seiner hyperenergetischen Bedingungen bisher unerforschten Kugelsternhaufen. Auf der Handelswelt Yarn erhält er Informationen über lemurische Hinterlassenschaften auf Acharr. Nach einem Zwischenstopp auf Othmura, wo seine Crew unter die geistige Beeinflussung eines planetenweiten Bewusstseins gelangt, findet er auf Acharr eine Steuerzentrale der Lemurer. Dort wird sein Verdacht zur Gewissheit: Die Familie da Zoltral zieht im Hintergrund die Fäden. Atlan beschließt, sich in einem der drei Reiche umzusehen, die in Omega Centauri von Lemurerabkömmlingen gegründet wurden. Seine Wahl fällt auf Shahan, wo unmittelbar bei seinem Eintreffen ein Attentat auf die Tamrätin verübt wird...
Angriff der Bestien
Prolog Den Desintegrator in der rechten Hand, glitt Shat Nermoy lautlos durchs Unterholz. Geschmeidig wich er einigen langstieligen Farnblättern aus, die seinen Weg säumten. Nicht das geringste Rascheln markierte seine Position, während er die Lichtung erreichte, auf der sich das Fusionskraftwerk weit über die umliegende Natur erhob. Von verborgenen Scheinwerfern angestrahlt, wuchsen dort zwei kelchförmige Türme, die eine wuchtige Stahlkuppel flankierten, aus dem Dunkel der Nacht. Mechanische Rollbänder führten von einer verwaisten Landezone zu der automatisch arbeitenden Anlage. Die Ruhe, die über dem Gelände lastete, war geradezu verräterisch. Nicht einmal leises Insektenzirpen ließ sich ausmachen. Dafür kreisten einige verschreckte Vögel am Himmel, von denen der Offizier mit Gewissheit wusste, dass sie nicht nachtaktiv waren. Mehr Hinweise brauchte er nicht, um seinen Verdacht bestätigt zu sehen. Ganz klar, der Gegner war ihnen zuvorgekommen. Trotz der angespannten Lage schlug Shats Herz in ruhigem Takt. Weder die Handflächen noch seine gebräunte Stirn zeigten Anzeichen von erhöhtem Schweißausbruch. Statt Angst fühlte er nur eine leichte Euphorie, die ihn vor Tatendrang geradezu bersten ließ. Shat liebte die Zeit vor Einsatzbeginn mehr als alles andere auf der Welt. Seine Sinne waren dann auf unnatürliche Weise geschärft und das Bewusstsein geweitet. Farben und Gerüche erschienen ihm plötzlich viel intensiver, und selbst die Luft bekam einen unvergleichlichen, geradezu berauschenden Geschmack. Es waren Situationen wie diese, für die er ausgebildet worden war. Egal, wie schwierig die taktische Lage auch sein mochte, der Auftrag lag klar vor ihm. Noch während die anderen Mitglieder des Landungstrupps in weit auseinander gezogener Linie heran-
3 rückten, wanderten Shats Gedanken zurück zur Abschlussbesprechung. Die Worte ihres Schleifers, Steeg Kaluna, hafteten in seinem Gedächtnis, als erfüllte dessen Stimme noch immer die Luft. »Zwanzig feindliche Raumer sind auf Di'akir gelandet«, hatte der Ratneron ihre Lage kurz und bündig geschildert. »Die Schwarzen Bestien haben unsere Verteidigungsfront in kürzester Zeit niedergewalzt und gehen nun dazu über, die Hauptstadt Ban'lafir zu besetzen. Eure Einheit schifft sich aus, um eines von zahlreichen Ablenkungsmanöver durchzuführen, während die Flotte unter dem Kommando der DROKAR versucht, die Raumhoheit zurückzuerobern. Sollte das gelingen, kehrt ihr anschließend mit den Beibooten zurück. Falls nicht, versickert eure Gruppe im Hinterland, um von dort aus den Widerstand auf Basis von Guerillataktiken zu organisieren.« Wie in einer Endlosschleife jagten die Worte durch Shats Gehirnwindungen. Ihre ständige Wiederholung war ein Ritual, das ihm dabei half, die Zeit des Wartens zu überbrücken, bis der neben ihm wachsende Dornenstrauch zu rascheln begann. Craso, der hinter den Zweigen hervorkroch, grinste ihn erwartungsvoll an. Auch die anderen bezogen ihre verabredeten Positionen, so dass der zwölfköpfige Landungstrupp, den natürlichen Schutz von Bodenerhebungen und Pflanzen nutzend, bald den gesamten südlichen Rand der Lichtung säumte. Shat konnte sehen, wie Altor Kang und Larina Kenin den mobilen Werfer einsatzbereit machten. Der durchtrainierte Körper der ehemaligen Broda-Spielerin, dessen geschwungene Formen durch den eng anliegenden Schutzanzug eher betont als verhüllt wurden, zog seinen Blick geradezu magisch an. Shat musste sich innerlich zur Ordnung rufen, um sie nicht zu lange anzustarren. Für so etwas war jetzt keine Zeit. Mit einem Handzeichen wies er Kang und sie an, das Geschütz in Richtung Kraftwerk auszurichten.
4 Auf Sprechfunk verzichtete ihre Gruppe ebenso wie auf den Einsatz der Individualschirme, deren Energieabstrahlung sofort Alarm bei den gegnerischen Ortern ausgelöst hätte. Sobald die Desintegratorkanone einsatzbereit war, schickte Shat das erste Duo auf den Weg. Die Trogs Lacar und Guzko eilten gebückt über den Landeplatz, direkt in den Schatten des Rollbandes. Statt auf die Lauffläche zu springen, rannten sie daneben her, um die Konstruktion als Deckung zu nutzen. Trotz aller Routine erhöhte sich Shats Herzfrequenz, als er den Weg seiner Untergebenen verfolgte. Falls die Schwarzen Bestien wirklich in der Nähe lauerten, rannten die beiden geradewegs ins Verderben, aber das störte den frisch ernannten Offizier im Range eines Ratner nicht. Ein taktischer Vorstoß war die beste Methode, um herauszufinden, wo der Gegner stand. Nur das zählte. In ihren grünen Schutzanzügen und den blauen Helmen sahen Lacar und Guzko beinahe gleich aus, aber wer die beiden Mannschaftsdienstgrade näher kannte, konnte ihre unterschiedlichen Laufstile problemlos auseinander halten. Während Guzko mit weiten Sprüngen elegant über den Boden federte, trampelte Lacar mit kurzen, aber doppelt so schnellen Schritten hinterher. Auf halbem Weg machten beide Halt, um den Anmarsch des nächsten Duos zu decken – doch so weit kam es gar nicht mehr. Unversehens schlug ein grün schimmernder Energiestrahl ins Rollband ein. An der getroffenen Stelle löste sich das Material auf. Ein zweiter Strahl streifte Guzkos Arm, der daraufhin – vom Ellenbogen an abwärts – in seine Atome zerfiel. Haut, Muskeln und Knochen lösten sich einfach auf. Übrig blieb nur eine glatte, wie mit dem Vibratormesser geschnittene Wunde, aus der das Leben pulsierte. Wusste ich's doch! Shat ballte triumphierend die Hand zur Faust. Ohne den Untergebenen, der sprachlos zu Boden ging, eines weiteren Blickes zu wür-
Bernd Frenz digen, suchte er den Ursprung der feindlichen Attacke, der, zweihundert Meter vom linken Kelchturm entfernt, zwischen einer Baumgruppe lag. »Individualschirme aktivieren!«, befahl er über Funk. »Feind lokalisiert in Sektor zweineun! Doppelschlag-Manöver einleiten!« Die in den Schutzanzügen eingebauten Aggregate sprangen schlagartig an. Das mussten sie auch, denn im gleichen Moment, da sie auf den Ortern der Bestien erschienen, verwandelte sich der Platz vor dem Kraftwerk in ein flammendes Inferno.
1. Das dreckige Dutzend 26. Februar 1225 NGZ Ganze Bündel grüner Energiestrahlen überbrückten die Lichtung schneller, als Shats Auge folgen konnte. Noch während die Bahnen auf seiner Netzhaut nachschimmerten, prasselten Äste, Steine und Dreckklumpen auf ihn herab. Zwei Werfernester, verbunden durch eine Schützenreihe, analysierte er kühl, obwohl die umherwirbelnden Brocken nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht verglühten. Nicht einmal die zweite Salve, die direkt auf die um seine Brust geschnallte Desintegratorbombe zujagte, konnte ihn in seiner Ruhe erschüttern. Ein harter Schlag ließ seinen Körper erbeben, während der Schirm den Treffer unter leichtem Flirren absorbierte. In einer tausendfach geübten Bewegung rollte er hinter einen Baumstamm in Deckung, um eine vorzeitige Überlastung zu verhindern. Nachfolgende Strahlen rissen eine Furche in den Boden, genau an der Stelle, an der er eben noch gelegen hatte. Auf eine knorrige Wurzel gestützt, feuerte Shat in eines der verlöschenden Abstrahlfelder auf der gegenüberliegenden Lichtungsseite. Ein rotes Leuchten zeigte an, dass ein Schutzschirm den Treffer absorbierte. Im Inneren des energetischen Schimmers zeichneten sich sekundenlang die Umrisse eines sechsgliedrigen Giganten ab. Die beiden un-
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teren Extremitäten fest in den weichen gegnerischen Sperrfeuer auszuweichen. VerWaldboden gestemmt, umklammerte er mit einzelte Treffer, die von ihren Individualseinen vier Händen einen schweren Impulsschirmen absorbiert wurden, nahmen sie strahler, dessen vernichtende Wirkung jeder gleichmütig in Kauf. normalen Handwaffe überlegen war. Furcht vor einer Verletzung oder gar dem »Ziel markiert«, funkte Shat an Craso Tod war ihnen fremd. Shats Herzfrequenz Dankis, mit dem er ein eingespieltes Duo bewegte sich weiterhin im gehobenen Ruhebildete. Sein Flügelmann, ebenfalls frisch bereich. Der leichte Anstieg, den seine Inzum Ratner befördert, feuerte auf den verstrumente verzeichneten, war lediglich auf wirrten Gegner, der sich wegen des die Hochstimmung zurückzuführen, die ihn flackernden Schirms gut vor dem dunklen immer stärker erfüllte. Großmütig überließ Waldrand abhob. er es Craso, die nächste Bestie zu markieren. Erneute Treffer gönnten dem gegneriWährend sie den rot umhüllten Gegner mit schen Schild keine Ruhe. Dauerfeuer belegten, verfolgte er aus den Laut triumphierend aktivierte Shat sein Augenwinkeln, wie die anderen Duos mit Gravopak. Die Auseinandersetzung begann ähnlicher Routine agierten. ihm langsam Spaß zu machen. Ausweichen, Selbst Larina und Altor, die sich mittels reagieren, schießen und treffen – hier waren ihrer Desintegratoren eine Deckungsmulde alle Fertigkeiten gefordert, für die er sich zur schaffen mussten, zeigten sich von dem Landungstruppe gemeldet hatte. Strahlengewitter, das über ihren Köpfen wüIm Schutz des Baumstamms gewann er an tete, wenig beeindruckt. Mit dem unablässig Höhe, bis die ersten Äste den Weg versperrwummernden Energiewerfer pflasterten sie ten. Trotz des Aufstiegs behielt er das Ziel die gegnerische Stellung förmlich zu. ständig im Visier. Strahl für Strahl pulste Fünfzehn Sekunden dauerte die Auseinanaus seinem Desintegrator. Shat traf ein ums dersetzung bereits an. andere Mal. Zwanzig weitere folgten, in denen acht Craso ließ ebenfalls nicht locker. Schwarze Bestien verglühten, während auf Gemeinsam konzentrierten sie den punktihrer Seite die Trogs Kuunz und Akno fiegenauen Beschuss auf den Gegner, um deslen. Deren verwaiste Flügelmänner schlossen Schirm zu überlasten. sen sich umgehend zu einem neuen Duo zuShat hielt nicht einmal inne, als der ihn sammen, das den Kampf ohne Unterbreschützende Baumstamm unter einem Vollchung fortsetzte. Die Verluste des Lantreffer zersplitterte. Ohne Hast zog er diagodungstrupps lagen im akzeptablen Bereich, nal in die Tiefe, glich den Höhenabfall mit trotzdem konnte Shat die derzeitige Taktik einer leichten Handbewegung aus und feuernicht dauerhaft fortführen. te weiter. So lange, bis der gegnerische Zwei unter Beschuss stehende Bestien, die Schirm unter dem Trommelfeuer zusamihr Heil in der Flucht nach vorn suchten, bomenbrach und die Schwarze Bestie verglühten die willkommene Gelegenheit, den Ante. griff zu forcieren. Das gegnerische Feuer Hunderte von Übungseinheiten waren flaute naturgemäß ab, als die Kolosse unter nicht umsonst gewesen; das Doppelschlag-Manö-Einsatz aller sechs Gliedmaßen über die ver hatte wieder zum Erfolg geführt. Lichtung preschten. Drüben wollte niemand »Yee-Haa!« die eigenen Leute treffen. Shat und Craso feuerten sich mit ihrem »Formation auflösen!«, befahl Shat über Triumphgeheul gegenseitig an. Wie in den sein Multifunktionsarmband. »Duos drei bis alten Tagen, als sie in der Broda-Liga so sechs nach zwei-neun vorrücken.« manches Spiel bestritten hatten, tanzten beiWährend die Männer und Frauen in die de pausenlos in der Luft auf und ab, um dem befohlene Richtung flogen, bedeutete er
6 Craso mit einem Wink, ihm zu folgen. Schulter an Schulter jagten die beiden Offiziere dem Boden entgegen. Formationsflug war eine ihrer leichtesten Übungen. Reflex fördernde Drogen, in der Broda-Liga noch als unerlaubtes Hilfsmittel verboten, wurden bei den Landungstruppen gratis verabreicht. Das war nur einer der vielen Gründe, die die beiden zur Raumflotte verschlagen hatten. Geschickt fingen sie sich einen halben Meter über der Grasnarbe ab und schossen nun – im Schatten des Rollbandes – auf die Kraftwerkskuppel zu. Hinter ihnen begann Larinas Geschütz zu wummern. In schnellem Takt gleißten die Strahlen über ihnen hinweg und streckten sich dem Haupttor entgegen. Obwohl ein einziger Treffer aus dem schweren Geschütz genügt hätte, um ihre Individualschirme kollabieren zu lassen, blieben die beiden Männer vollkommen ruhig. Sie wussten, dass Larina eine sichere Schützin war, auf die sie sich verlassen konnten. Der silberne Energieschirm, der das Kuppelgebäude im Abstand von einem Meter umhüllte, schimmerte am Einschlagspunkt auf. Shat und Craso verringerten die Distanz von hundert auf fünfzig Meter, während die Barriere bei jedem weiteren Treffer stärker zu flimmern begann, bis die Struktur in einem Durchmesser von zwei Metern gänzlich kollabierte. Eine Öffnung, groß genug, um hindurchzuschlüpfen! Ein erregendes Prickeln fegte über Shats Rücken wie die Funken eines explodierenden Feuerwerks. Obwohl rings um ihn Tod und Vernichtung tobten, spürte er eine unendliche Leichtigkeit, die seine Nervenbahnen bis zur letzten Spitze erfüllte. Jede Sekunde, die er lebend überstand, erschien ihm plötzlich wie ein Triumph, den es zu feiern galt. Der Kampf, die körperliche Leistung, das ständige Agieren und Reagieren – all das versetzte seine Hormone in Aufruhr. Der aufregende Cocktail körpereigener Stoffe,
Bernd Frenz der durch seine Blutbahnen pulsierte, befriedigte einen stillen Hunger nach Aufregung, den Rekruten bei ihren psychologischen Einstellungstests besser verbargen. Die kreisrunde Öffnung in der Energiebarriere schien von goldenem Schimmer umgeben zu sein. Shat stieß einen unbändigen Laut der Freude aus, während sein Blick sich mit geradezu hypnotischer Macht an dem Strukturriss festsaugte. Den Duos, die seinen Vorstoß deckten, schenkte er dagegen keine Beachtung. Die sechs waren schon so gut wie tot, warum sich also noch Gedanken um sie machen? Nein, Shats Besorgnis galt einzig und allein dem glühenden Portal aus hochverdichtetem Stahl, das den Werferstrahlen bedenklich lange standhielt. Craso und er richteten ihre Handwaffen aus, um den Beschuss zu verstärken. Geschwindigkeit bedeutete in diesem Fall alles. Wenn sie nicht übergangslos ins Gebäude eindringen konnten, war ein Scheitern des Einsatzes vorprogrammiert. Neben ihnen zerfiel das Laufband zischend zu Staub. Gleich darauf erschütterten heiße Schläge ihre Abschirmungen. Die Schwarzen Bestien durchbrachen die Flanke! Noch zwanzig Meter bis zum Portal! Shats Pulsschlag beschleunigte sich erstmals, und in seinem Nacken sammelte sich kalter Schweiß. Nicht, weil er den Tod fürchtete, sondern weil sein Ehrgeiz kein Scheitern der Mission zuließ. Die Stahlkuppel war nur noch zehn Meter entfernt, als der Werferbeschuss abrupt erstarb. Das konnte nur den Tod von Larina und Altor bedeuten. Verdammt, zu früh! Viel zu früh! Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, jagten Shat und Craso weiter auf das glühende Tor zu. Ein Kurswechsel kam nicht mehr in Frage, er hätte bloß ins gegnerische Feuer geführt. Die Strahlen ihrer Desintegratoren waren das Einzige, was sie noch vor einer schmerzhaften Kollision bewahren konnte. Noch acht Meter – der destabilisierte Stahl wölbte sich nach außen.
Angriff der Bestien Noch fünf Meter – sie überflogen die emporführenden Stufen. Noch zwei Meter – sie passierten den Schutzschirm; aber das Tor versperrte weiterhin den Weg. Noch einen Meter – die letzte Chance zum Abstoppen war vertan, eine Kollision von nun an unvermeidlich! Selbst hochverdichtetes Material verliert unter permanentem Beschuss irgendwann die Struktur, aber diesmal dauerte es fast zu lange. Bevor sich der Zerfall über die gesamte Stahlfront ausbreiten konnte, prallte Shat bereits mit voller Wucht dagegen. Direkt vor seiner Nasenspitze barst das destabilisierte Material. Trotz des Energieschirms pflanzte sich der Aufprall durch seinen Körper fort. Von den Haarspitzen bis zum kleinen Zeh stand plötzlich jeder Nerv in Flammen. Schulter an Schulter brach er mit Craso durch das berstende Metall. Dichte Wolken atomaren Feinstaubs vernebelten die dahinter liegende Halle, sofern die Partikel nicht prasselnd an ihren Schirmen verdampften. Trotz der mangelnden Sicht nahmen beide Abstand zueinander. Keine Sekunde zu früh, denn das gegnerische Sperrfeuer erfüllte bereits die Luft. Eine Einheit Schwarzer Bestien nahm sie, durch ein Prallfeld gedeckt, vom Hauptgang aus unter Beschuss. Craso stürzte im Zickzackkurs auf die Schützen zu, während sich Shat nach links absetzte. Der Grundriss des Kraftwerks war ihm seit der Einsatzbesprechung wohl vertraut. Laut Holo-Modell bestanden die umliegenden Wartungsräume aus normalen Baustoffen, die einem Desintegrator wenig entgegenzusetzen hatten. Statt sich mit der Energiebarriere der Bestien herumzuärgern, schoss er einfach ein Loch in die vor ihm aufragende Wand und tauchte in das dahinter liegende Zimmer ein. Crasos Todesschrei heizte sein Tempo weiter an. Nicht aus Rache oder Furcht, sondern weil es von nun an niemanden mehr gab, der seinen Vorstoß decken konnte. An Emotio-
7 nen wie Trauer, Wut oder Schmerz verschwendete er keinen Gedanken. Shats Denken und Handeln wurden nur noch von einem einzigen Wunsch beherrscht: Der Einsatz muss erfolgreich beendet werden! Es war wie der Schlussspurt beim Rollprallball, kurz bevor die stählerne Kugel im Fangkorb landete. In halsbrecherischem Tempo jagte er über die Wartungsterminals hinweg, die sich in mehrfach versetzten Reihen staffelten. Die rückliegende Wand löste sich unter dem grün flimmernden Strahl auf. Dahinter wurde ein gekachelter Flur sichtbar, der den verglasten Bereich der Fusionskammer umfasste. Kaum hatte Shat den Schutz der Mauer verlassen, zogen auch schon gleißende Strahlen vorbei. Die Bestien hatten ihn bereits erwartet. Er kippte nach links ab, aber das Netz aus Energiebahnen, das ihn plötzlich umgab, war viel zu eng gewebt, um daraus unversehrt entschlüpfen zu können. Nun, da die Bestien seine Taktik durchschaut hatten, gab es kein Entkommen mehr. Unablässig hämmerten die Strahlen auf Shat ein. Bis der Schild übergangslos zusammenbrach. Schutzlos dem Abwehrfeuer ausgeliefert, langte Shat nach dem umgeschnallten Sprengsatz und flog weiter. Beim nächsten Treffer löste sich das Gravopak in sämtliche Bestandteile auf. Seiner Schwerelosigkeit beraubt, fiel der Ratner zwei Meter in die Tiefe und knallte mit voller Wucht auf den kalten Fliesenboden. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen, aber er ignorierte den Schmerz, wälzte sich herum und nahm den nächstbesten Schützen unter Feuer. Gleichzeitig griff er nach dem Auslöser seines explosiven Brustbeutels. Heranstürmende Bestien setzten noch alles daran, Shat an seinem Vorhaben zu hindern. Hastig abgefeuerte Strahlen jagten über ihn hinweg. Einer bohrte sich sogar in Shats Bein, aber um ihn aufzuhalten, war es längst zu spät.
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Mit leisem Klicken schaltete sich die Zündung scharf. Gleich darauf erklang eine gewaltige Detonation, die das gesamte Kraftwerk in seinen Grundfesten erschütterte. Shat lachte triumphierend. Mission erfüllt, war sein letzter Gedanke, bevor alles um ihn herum verschwamm.
2. Shahana 28. Februar 1225 NGZ Unsere diplomatische Mission war gründlich schief gegangen, so viel stand fest. Auf einen zufälligen Betrachter mochte das zerschmetterte Festbankett zu meinen Füßen zwar unfreiwillig komisch wirken, aber in Wahrheit ging es um weitaus mehr als nur einige regenbogenfarbene Desserts, die als unappetitliche Brocken auf dem Fußboden klebten. Um mich herum herrschte das blanke Chaos. Beißende Rauchschwaden zogen durch den Saal, ohne die Toten zu verhüllen, die inmitten von zerbrochenem Geschirr und umgestürzten Stühlen auf dem Boden lagen. Während noch die letzten durch Thermobeschuss entfachten Brände gelöscht wurden, schloss die anrückende Leibgarde bereits einen engen Kreis um mich und meine Begleiter. Der harte Zug um ihre Mundwinkel zeigte deutlich, dass sie kurz davor stand, den Exekutionsbefehl der Tamrätin auszuführen. Instinktiv rückten wir zusammen, obwohl die körperliche Nähe keinen Schutz vor den Desintegratoren bot. Rücken an Rücken ließ sich die Bedrohung leichter ertragen, das war ein natürlicher Reflex, den auch ich, trotz meiner jahrtausendelangen Erfahrung, nicht gänzlich unterdrücken konnte. Zu meiner Linken stand Akanara, der junge Yarn mit den präkognitiven Fähigkeiten, der mir leider auch keinen Hinweis darauf geben konnte, ob wir die nächsten Minuten überleben würden. Rechts von mir näherte sich Zanargun, der Chef der Landungstrup-
pen, mit zwei seiner erfahrensten Raumsoldaten. Li da Zoltral, die arkonidische Historikerin – und meine Geliebte – krümmte sich einige Meter entfernt auf den kalten Fliesen. Wenn nicht bald etwas geschah, das zu unseren Gunsten sprach, lief unsere Lebensuhr unwiederbringlich ab. Du musst handeln, ehe es zu spät ist, mahnte mein Extrasinn. Lieber falsch reagieren als überhaupt nicht. Wie schon so oft brachte es der Logiksektor genau auf den Punkt, aber angesichts des allgemeinen Aufruhrs ließ sich unsere Lage nur schwer einschätzen. Egal, welche Strategie ich auch einschlug, es war durchaus wahrscheinlich, dass sie die angespannte Situation noch weiter verschlimmerte. Und dabei konnte ich den Zorn unserer Gastgeberin sogar gut verstehen. Der ganze Tumult hatte damit begonnen, dass Li sich ohne Vorwarnung auf die Tamaron geworfen hatte, in der klaren Absicht, sie zu verletzen. Was sie zu dieser Tat bewogen haben mochte, lag noch im Dunkeln, aber zum Glück war es mir gelungen, eine Verletzung der Politikerin abzuwenden. Bevor sich das Missverständnis wieder aus der Welt schaffen ließ, drehten leider noch weitere Gäste durch. In der Mehrheit ranghohe Militärs, die mit Dienstwaffen ausgestattet waren. Wie von Sinnen hatte plötzlich einer, auf den anderen geschossen, als hätte eine böse Macht von der Gästeschar Besitz ergriffen. Es musste irgendeine Form von mentaler Beeinflussung dahinter stecken, anders ließ sich diese Massenpsychose nicht erklären. Möglicherweise diente das Handgemenge aber auch nur als Ablenkungsmanöver für eine Gruppe »kleiner Humanoider«, die während des Gefechts wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, um Li zu entführen. Das Vorhaben scheiterte, und außer mir schien niemand den Auftritt der seltsamen Gestalten bemerkt zu haben. Für die Tamrätin musste es deshalb so wirken, als stünden unsere Ankunft und der Aufruhr in direktem Zusammenhang. Ihr
Angriff der Bestien von den kleinwüchsigen Entführern zu berichten, hätte nach einer billigen Ausrede geklungen. Wie sollte sie mir auch deren Existenz abnehmen, wenn ich sie selbst kaum fassen konnte? Je einfacher deine Erklärung ausfällt, desto besser, stimmte mein Extrasinn zu. Gib dich in Bezug auf die Kosmokraten lieber unwissend. Während die Leibgardisten den Kreis um uns langsam schlossen, tastete ich nach meinem verdeckten Schutzschirmprojektor. Ein nur handtellergroßer Strahler befand sich ebenfalls in Griffweite, aber wenn ich ihn einsetzte, konnte ich mich endgültig von einer friedlichen Lösung verabschieden. »Bitte hör mich an«, sagte ich in Richtung der aufgebrachten Tamaron. »Unsere Ankunft auf Shahana hat nichts mit diesem Tumult zu tun!« Nestara Cherhay antwortete mit einem verächtlichen Laut, aber das wollte nicht viel heißen. Soweit ich es beurteilen konnte, war sie eine erfahrene Politikerin, die normalerweise nüchtern und sachlich agierte. Trotz des Zorns, den sie wegen der Gefallenen empfand, wurde sie sicher auch von Zweifeln geplagt. An mir lag es nun, diese Bedenken zu nähren, um eine weitere Eskalation zu verhindern. »Denk doch einmal nach«, appellierte ich an ihren Scharfsinn. »Wenn wir wirklich die Fähigkeit hätten, deine Gäste gegeneinander aufzuhetzen, warum sollte dich dann Li selbst angreifen? Als wir die Einladung zum Bankett annahmen, begaben wir uns in deine Hand! Meine Begleiterin wurde dabei ebenso Opfer der widrigen Umstände wie deine treuesten Anhänger.« Mit einer weit ausholenden Geste deutete ich zuerst auf die umliegenden Toten und dann auf Li, die wie ein Häufchen Elend auf dem Boden hockte. »Sieh sie dir an! Sie wurde missbraucht wie alle anderen. Willst du sie dafür bestrafen?« Den Vorwurf, dass uns die Tamaron keinen Schutz unter ihrem eigenen Dach gewähren konnte, ließ ich vorerst unausgesprochen. Eine Diplomatin ihres Formats hörte
9 ihn ohnehin aus meinen Worten heraus. »Wartet!« Ihre kurze Anweisung genügte, um die Gardisten zu stoppen. Eine Armee widerstreitender Gefühle marschierte über das Gesicht der knapp Sechzigjährigen, während sie meine Worte eine Zeit lang abwog. Der Schock, unter dem sie zweifellos noch stand, klang mit jeder Sekunde, die verstrich, weiter ab. Gleichzeitig kehrte ihre alte Fassung zurück. In einer zerstreuten Geste strich sie über ihre schlanken Oberarme. »Ich glaube nicht an Zufälle«, stellte Nestara Cherhay mit ruhiger Stimme klar. »Zwischen eurem Auftauchen und diesem …«, das nächste Wort kam ihr nur schwer über die Lippen, »… Attentat muss es einfach eine Verbindung geben. Andererseits hast du versucht, mich zu schützen, Atlan da Gonozal. Wie soll ich das nur verstehen?« Sie fixierte mich aus eisblauen Augen. Um ein ehrliches Gesicht bemüht, nickte ich zustimmend. »Möglicherweise stehen die Vorfälle in Zusammenhang mit den Ungereimtheiten; denen ich in meiner Heimat auf der Spur bin«, gab ich zu. »Aber das würde nur bedeuten, dass wir die gleichen Feinde haben. Ein Grund mehr zu kooperieren, statt einander zu bekämpfen.« Mein Angebot der Partnerschaft schien Nestara Cherhay zu besänftigen. Kein Wunder. Bei unserer Ankunft hatten wir der hiesigen Flotte die überlegene Technik unseres Raumschiffes, der TOSOMA, in einer ganzen Reihe von waghalsigen Manövern demonstriert. Von solch einem starken Partner zu profitieren musste verlockend erscheinen. Zumindest, wenn man sich gegenseitig vertraute. Ein Punkt, in dem die Tamaron noch unsicher war. Gib ihr etwas, das Vertrauen schafft, riet mein Extrasinn. Nutz den Krish'un! Mit einem herausfordernden Zupfen richtete ich den Kragen des Umhangs aus, der in diesem Sektor als Symbol der Tamräte diente. »Mein Status gleicht dem deinen, Nestara Cherhay«, bog ich die Wahrheit ein wenig zurecht. »Darum gebe ich dir mein
10 Ehrenwort, von einem Tamrat zum anderen, dass weder ich noch ein anderes Besatzungsmitglied der TOSOMA etwas mit diesem Anschlag zu tun haben.« Ihren sich glättenden Gesichtszügen nach war die Politikerin durchaus gewillt, mir zu glauben. Ehe sie etwas entgegnen konnte, rannte jedoch eine Ordonanz herbei, die atemlos verkündete: »Tamaron, du musst dich in Sicherheit bringen. In der Zentrale treffen Meldungen aus ganz Shahana ein. Der Palastputsch war nur der Anfang, inzwischen herrschen überall Aufruhr und Chaos. Die Bevölkerung flieht in Panik aus den Städten.« Nestara Cherhays Gesicht erbleichte. Angesichts dieser Hiobsbotschaft sah sie anklagend zu mir herüber, besann sich dann aber eines Besseren. Langsam dämmerte ihr wohl, wie widersinnig es für uns wäre, hier mit ihr zu streiten, wenn wir gleichzeitig den ganzen Planeten unter Kontrolle bringen wollten. »Wir sind gern bereit, deinem Volk zu helfen«, bot ich an, aber Nestara Cherhay machte keinerlei Anstalten, ihre Garde zurückzupfeifen. Im Gegenteil. Mit kaltem Blick sah sie auf Li hinab, die sich nur langsam von der Bewusstlosigkeit erholte. »Deine Begleiterin wollte mich töten«, sagte die Tamaron knapp. »Bevor ich nicht sicher bin, dass sie wirklich unter fremdem Einfluss stand, bleibt ihr inhaftiert.« Ein unangenehmes Kribbeln zog meine Wirbelsäule empor. Ich spürte große Lust, die Hände zu ballen, konnte den Wunsch aber erfolgreich bezähmen. Lass der Tamaron Zeit, mahnte mein Extrasinn. Selbst wenn sie dir Glauben schenkt, kann sie nicht ohne weiteres die Hilfe eines Fremden annehmen. Damit würde sie ihr Gesicht verlieren. Ein Argument, das nicht von der Hand zu weisen war. Die lautstarke Art, in der Nestara Cherhay die folgenden Anweisungen erteilte, machte ebenfalls deutlich, wie sehr sie Führungsstärke zeigen wollte. Trotz der angespannten
Bernd Frenz Lage agierte sie besonnen und mit großem Sachverstand. Leider wurde ihre routinierte Umsicht nicht belohnt, denn schon eilten weitere Ordonanzen herein, die etwas zu vermelden hatten, was alle bisherigen Hiobsbotschaften in den Schatten stellte. Wenn ich zuvor gedacht haben sollte, dass dem Gesicht der Tamaron nicht noch mehr Blut entweichen könnte, wurde ich nun eines Besseren belehrt. Schlagartig nahm ihr ohnehin bleicher Teint den Farbton einer weiß gekalkten Wand an. Zuerst wollte sie der eingehenden Meldung keinen Glauben schenken, aber als ein Projektionsfeld etabliert wurde, ließ sich die Wahrheit nicht länger leugnen. Unter leichtem Flackern schufen die holografischen Projektoren den Oberkörper eines wohlgenährten Mannes, der sich als Aureus Sollio vorstellte, Kommandant der DROKAR, auf Patrouille am Rand des Doppelsternsystems. Was seinen gut einen Meter fünfzig über dem Boden schwebenden Torso von terranischen Büsten der Antike unterschied, waren nicht so sehr die farblichen Nuancen der Wiedergabe, sondern vor allem die hektischen Gesten, mit denen er jedes einzelne seiner Worte unterstrich. »Wir haben unsere Ortung doppelt und dreifach überprüft«, versicherte Sollio aufgeregt. »Es kann kein Zweifel bestehen! Eine Flotte von fünfundzwanzig Schiffen ist in unser System gesprungen und befindet sich nun auf Angriffskurs! Es handelt sich um Schiffe des Imperiums Baylamor!«
* Heartbreak Ridge Flaggschiff DROKAR Sechsunddreißig Stunden zuvor Die Kacheln der Kraftwerkshalle verloren immer weiter an Dichte, bis sie völlig durchscheinend wurden, aber statt des Dschungels von Di'akir trat dahinter nur die graue Wand der Holo-Generatorkammer hervor. Selbst das Projektionsfeld, das die Auflösung von Shats getroffenem Bein simuliert hatte, ver-
Angriff der Bestien blasste allmählich. Obwohl dieser Vorgang längst zur Routine geworden war, hatte er noch nichts von seiner Faszination eingebüßt. In ganz Shah'taman existierte keine Technik, die den Holo-Kammern vergleichbar gewesen wäre. »Besser als jedes Broda-Match, besser als Mograk Massaker II – und dabei rede ich von der unzensierten Version«, lautete selbst das Urteil von Asra Isleif, dem ungekrönten Match-König aller virtuellen und realen Spiele; sowie Moderator von Kampfzone, der Jugendsendung mit den höchsten Einschaltquoten im ganzen Tamanium. »Glaubt mir, liebe Brodaler, wenn ich nicht durch meine Sponsorenverträge gebunden wäre, würde ich sofort zu den Fahnen eilen.« Dieser live übertragene Ausspruch blieb nicht ohne Auswirkung. Jeder passionierte Broda-Spieler, der etwas auf seinen Sensoranzug hielt, strebte von nun an nach dem neuen, ultimativen Kick. Die Rekrutierungsbüros konnten sich gar nicht mehr vor Freiwilligen retten, denn eine zivile Version der Holo-Generatorkammern lag noch in weiter Ferne. Einmal, weil derart lebensechte Simulationen rechtliche und ethische Fragen aufwarfen, die erst politisch geklärt werden mussten, zum anderen überstieg die hier verwendete Technik alles, was im Reich Shahan bisher wissenschaftlich möglich war. Der Ursprung der Geräte lag im Dunkeln. Die ersten hatten Archäologen vor wenigen Jahren bei Ausgrabungen auf Shahana entdeckt. Dem derzeitigen Erkenntnisstand nach waren sie über 50.000 Jahre zuvor von einer unbekannten lemurischen Kolonie namens Di'akir entwickelt worden, um den Nahkampf gegen so genannte Schwarze Bestien zu trainieren. Das Militär hatte sich natürlich sofort für die fremde Technik interessiert und ihre Erforschung unter strengste Geheimhaltung gestellt. Wer den Nervenkitzel unter realen Bedingungen suchte, musste schon in die Flotteninfanterie eintreten, denn die Anlagen wurden inzwischen auf den Großraumschiffen des Tamaniums zum Kampftraining der
11 Landungstruppen genutzt. Raumsoldat, militärischer Drill, Befehl und Gehorsam – früher waren das Vokabeln gewesen, die bei der spaßorientierten Jugend keinen guten Klang besaßen. Isleifs öffentliche Begeisterung hatte daran einiges geändert, und böse Zungen behaupteten, dass dafür auch eine beträchtliche Summe geflossen sei. Ob das stimmte oder nicht, ließ sich vermutlich nie richtig klären, aber eins stand unumstößlich fest: Isleif ein Probetraining zu ermöglichen hatte sich als genialster Coup seit Bestehen der militärischen Pressestelle erwiesen. Allerdings gaben viele neue Rekruten, die von den Älteren nur abwertend Brodaler genannt wurden, bereits während der entbehrungsreichen Grundausbildung auf, ohne die Generatorkammer auch nur von weitem zu sehen zu bekommen. Shat, der durchgehalten hatte, genoss das Training deshalb in vollen Zügen. Zufrieden mit dem Übungsergebnis, reckte er beide Arme in die Höhe und brüllte: »Mission erfüllt!« Sein Ruf wurde von einigen Kameraden erwidert, die sich gerade an den Stellen, an denen sie zuvor im Kampf gefallen waren, vom Boden erhoben. Diejenigen von ihnen, die seinem Jahrgang angehörten, waren alle aus dem gleichen Grund wie er in die Truppe eingetreten. Weil sie den Reiz des Besonderen, des Auserwählten suchten. Das Grinsen gefror Shat allerdings auf den Lippen, als sein Blick das Steuerterminal streifte, hinter dem nicht nur das Bedienungspersonal saß, sondern auch Ratneron Kaluna, der ein äußerst finsteres Gesicht zur Schau stellte. Kaluna, der Held von Shagdul V. Ihren Ausbilder, der das grau melierte Haar so kurz trug, dass seine Kopfhaut durchschimmerte, umgab eine Aura des Respekts, die nicht nur von den Mythen lebte, die über ihn in Umlauf waren. Jeder Quadratzentimeter seines Körpers zeugte von überstandenen Kämpfen. Im Laufe seiner Dienstzeit war er schon mit allem Erdenkli-
12 chen malträtiert worden: Fäusten, Vibratorklingen, Thermogranaten, Nadlergeschossen und Desintegratorstrahlen. Aber so viele Blessuren er sich auch eingehandelt hatte, seine Gegner sahen garantiert schlimmer aus, sofern sie überhaupt noch lebten. Von plötzlicher Nervosität erfasst, schnallte Shat den Helm ab und fuhr mit der Rechten gegen den Strich durch sein blondiertes Haar, das einige Millimeter länger war, als es den Vorschriften entsprach. Es bildete sofort die charakteristische Stachelfrisur, für die er überall an Bord – besonders bei den weiblichen Besatzungsmitgliedern – bekannt war. Ratneron Kaluna neigte von Natur aus nicht zu übertriebener Fröhlichkeit. Die Veteranen behaupteten sogar, das Lachen wäre ihm auf Shagdul V endgültig vergangen. Den kalten Blick, mit dem er nun herangestampft kam, sah man allerdings ebenso selten. Eigentlich nur, wenn er wirklich richtig wütend war. Shat spürte ein leichtes Zittern in, den Knien, dessen sich nur schwer Herr werden ließ. Das Hochgefühl, das ihn während der Simulation erfasst hatte, schwand plötzlich schneller dahin, als er mit den Augenlidern zwinkern konnte. Kaluna hatte für Brodaler nichts übrig, das war allgemein bekannt. »Kannst du mir mal sagen, was das gerade war, Ratner?«, wollte er schon von weitem wissen. Obwohl der Ausbilder nicht schrie, erfüllte seine Stimme die ganze Halle. Shat sprang auf, um der verbalen Abreibung wenigstens auf gleicher Höhe zu begegnen. »Eine zu hundert Prozent erfüllte Mission?«, fragte er vorsichtig, obwohl ihm klar war, das diese Antwort kein Wohlwollen hervorrufen würde. »Falsch!«, bestätigte Kaluna. »Dieser Einsatz war eine völlige Katastrophe!« Nur zwei Schritte vor ihm blieb er stehen und stemmte beide Hände in die Hüfte. Die Narben auf seinem Gesicht, die vermutlich von einer Desintegrator-Granate stammten, wan-
Bernd Frenz den sich wie angriffslustige Schlangen, während er fortfuhr: »Wenn du lebensmüde bist, ist das allein dein Problem, Ratner! Aber wie kommst du dazu, den ganzen Landungstrupp zu verheizen? Dein Auftrag lautete, das Kraftwerk zu sabotieren und mit den Überlebenden zurückzukehren. Nicht, wie ein schießwütiger Brodaler herumzuballern.« Verheizen? Shat verstand nicht, was dieser Vorwurf sollte. Das gesteckte Ziel war doch erreicht worden. Wozu also diese Aufregung? Nervös sah er zu den anderen Soldaten, die sich inzwischen versammelt hatten und neugierig näher kamen. Auf einigen älteren Gesichtern las er unverhohlene Schadenfreude. Andere Kameraden, Brodaler, so wie Craso und Larina, zuckten nur mit den Achseln, als könnten sie den Vorwurf ebenfalls nicht nachvollziehen. Kalunas Wut schwoll weiter an, als er die Hilflosigkeit im Gesicht seines Gegenübers erkannte. Statt loszubrüllen, zwang er sich jedoch zu einem leisen, wenn auch etwas gepresst klingenden Tonfall: »Dieser hirnlose Sturmlauf war deiner Ausbildung unwürdig, Ratner. Ein guter Offizier hätte zuerst das fremde Terrain sondiert und dann versucht, den Gegner unter minimalen Eigenverlusten zu bekämpfen.« Shat spürte, wie ihm der Kragen des Schutzanzuges eng wurde. Am liebsten hätte er den oberen Verschluss geöffnet, aber das hätte seine Nervosität nur noch deutlicher gezeigt. »Wenn wir uns noch länger vor dem Kraftwerk aufgehalten hätten, wäre uns das Überraschungsmoment verloren gegangen«, verteidigte er seine Strategie. »Dann hätten die Schwarzen Bestien Zeit gehabt, sich auf unser Eindringen vorzubereiten.« »Und wennschon«, seufzte Kaluna, der plötzlich seltsam müde wirkte. »Deine Einheit wurde komplett aufgerieben, schon vergessen? Noch höher können die Verluste gar nicht ausfallen. Und dass deine Haudrauf-Taktik bei stärkerem Widerstand gescheitert wäre, ist doch wohl ebenfalls klar, oder?«
Angriff der Bestien Shats Selbstvertrauen kehrte nun schlagartig zurück. »Stärkere Verbände waren nicht zu erwarten«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Angesichts des vorgegebenen Szenarios mussten die Aggressoren ihre Kräfte zwangsläufig zersplittern.« Kaluna schüttelte traurig den Kopf. Trotz seiner sportlichen Statur, die manch jungen Rekruten vor Neid erblassen ließ, sah man ihm plötzlich die Jahre an, die er an allen Fronten des Shah'taman verbracht hatte. »Solche Einschätzungen sind meist der Anfang vom Ende«, erklärte er in einem Tonfall, der ahnen ließ, dass er aus eigener Erfahrung sprach. Shat wollte etwas zu seiner Verteidigung antworten, aber der Vorgesetzte schnitt ihm mit einer raschen Geste das Wort ab. »Außerdem gab es zahlreiche Alternativen zu der von dir eingeschlagenen Strategie, Ratner«, fuhr Kaluna fort. »Du hättest zum Beispiel ein Übertragungsrelais sabotieren können, um den Gegner zu zwingen, einen Teil seiner Truppen zur Reparatur abzuziehen.« »Mein Plan hat doch auch so zum Erfolg geführt«, hielt Shat trotzig dagegen. Kalunas mehrfach gebrochene Nase, die aus dem Gesicht hervorstach wie der Dorn an einer Kampfkeule, begann zu zittern. »Ja, glaubst du denn wirklich, euer selbstmörderisches Vorgehen hätte in einer echten Schlacht zum Erfolg geführt?«, fragte er erstaunlich leise, als sollten die anderen des Landungstrupps seine Worte nicht hören. »In der Realität stürzt sich niemand kopfüber in den Nahkampf! Der Ernstfall ist kein Broda-Match, Ratner. Seine Untergebenen in den Tod zu schicken gehört zu den schwersten Aufgaben eines Offiziers. Glaub mir, wenn es kein Übungsende gibt, an dem die Lebenden von den Toten auferstehen, fällt es dir nicht mehr so leicht, deine Werferschützin zu opfern.« Larina errötete bei diesen Worten, weil sie hinter ihrer Erwähnung mehr vermutete als nur einen Vortrag über die richtige Taktik. Craso sah das wohl ähnlich, denn in sei-
13 ne Augen trat plötzlich ein kaltes Funkeln. Shat ignorierte die Reaktion seiner Kameraden und starrte Kaluna wortlos an. Ihm war längst klar, dass jede weitere Rechtfertigung automatisch zu neuen Abkanzlungen führen würde, deshalb beließ er es bei seinem verkniffenen Schweigen. »In Ordnung«, verkündete Kaluna, kurz bevor die Pause endlos zu werden drohte. »Für heute ist das Training beendet. Schwingt euch alle in die Hygienezellen und überlegt, was falsch gelaufen ist. Und zwar jeder von euch!« Danach etwas milder gestimmt, fügte er hinzu: »Morgen bringe ich euch dann bei, wie man ein Kraftwerk nicht nur sabotiert, sondern auch lebend vom Einsatz zurückkehrt.« Die Männer und Frauen des Landungstrupps setzten sich in Bewegung. Einige mit hängenden Köpfen, andere, denen der Nervenkitzel mehr bedeutete als die erfolgte Standpauke, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Shat wollte sich seinen Kameraden gerade anschließen, als Kaluna ihn zurückhielt. »Für dich habe ich noch eine Aufgabe, Ratner«, verkündete der Schleifer, um dessen Mundwinkel ein unnachgiebiger Zug lag. »In der Waffenkammer hat sich die dritte Wachschicht krankgemeldet. Du übernimmst den Dienst. Nur, um sicherzustellen, dass dir genügend Zeit zum Nachdenken bleibt.« Zum Wachdienst verdonnert? Shat blieb verblüfft stehen. Er als Offizier? Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Am liebsten hätte er den Schutzhelm zu Boden geschleudert, wie früher nach einem verlorenen Match; aber das hätte seine Situation nur noch verschlimmert. Wütend presste er seine Finger gegen den bruchfesten Kunststoff, bis die Knöchel weiß hervortraten, während Kaluna durch das aufgleitende Schott nach draußen verschwand.
* Shahana, Palast der Tamrätin 28. Februar 1225 NGZ
14 Eine beklemmende Stille breitete sich aus, nachdem das holografische Abbild des Flaggschiffskommandanten wieder erloschen war. Keiner der anwesenden Ordonanzen sagte ein Wort. Alle Blicke richteten sich auf die Tamaron, die mit fahlem Gesicht ins Leere starrte. Baylamor! Allein der Name des Rivalen reichte aus, die Temperatur im Saal auf ein frostiges Niveau zu senken. Nestara Cherhay hatte mir schon während des Banketts berichtet, dass sich die Shahano von diesem Imperium bedroht fühlten, aber ich hatte nicht geahnt, dass die Eskalation unmittelbar bevorstand. Die Tamaron vermutlich auch nicht, sonst wäre sie nicht dermaßen schockiert gewesen. »Nun ist es also so weit«, sagte sie tonlos, mehr an sich selbst als an ihre Untergebenen gerichtet. »Baylamor versucht unser Tamanium zu annektieren.« Unter taktischen Gesichtspunkten war der Zeitpunkt für diesen Überfall gut gewählt. Man brauchte nur einen Blick auf die Uniformen der Gefallenen zu werfen, um zu erkennen, dass der Großteil der shahanoischen Militärführung nicht mehr unter den Lebenden weilte. Damit bekam die Massenhysterie, die den Planeten überzog, einen ganz neuen Sinn. Natürlich! In den Städten herrschte Chaos, und die wichtigsten Militärs waren tot! Das Ganze stank geradezu nach einer von langer Hand vorbereiteten Operation, die den Boden für eine Invasion bereiteten sollte. Alles, worauf Baylamor warten musste, war ein Empfang gewesen, bei dem die höchsten Würdenträger des Shah'taman zusammentrafen. Dass ausgerechnet unsere Ankunft zum Katalysator der Ereignisse geworden war, ließ einen bitteren Geschmack in mir aufsteigen. Die Hand fest gegen ihr Brustbein gepresst, als plagten sie Schmerzen, wandte sich Nestara Cherhay an die Ordonanzen. Trotz der katastrophalen Lage wirkte sie seltsam gefasst. »Alle überlebenden Berater treffen sich
Bernd Frenz mit mir in der Zentrale!«, befahl sie mit ruhiger Stimme. »Alarmstart für die Flotte. Und requiriert zwei Dutzend Robotgleiter, um alle noch einsatzfähigen Offiziere zum Raumhafen zu eskortieren.« Als hätte es nur des Anstoßes durch die Tamrätin bedurft, entwickelten die Ordonanzen plötzlich eine routinierte Betriebsamkeit. Mit positronischer Unterstützung erstellten sie eine Liste der Überlebenden, die je nach Verletzungsgrad in den benötigten Funktionen und Rängen eingesetzt wurden. Mir wurde klar, wie ernst es um den Planeten stand. »Wenn du es wünschst, wird sich die TOSOMA gern an der Verteidigung Shahanas beteiligen«, erneuerte ich mein Angebot. Nestara Cherhay sah überrascht zu mir auf, als hätte sie meine Anwesenheit völlig vergessen. »Du willst uns helfen?«, fragte sie verblüfft. »Warum solltest du? Du und deine Besatzung, ihr seid Fremde, die unser Schicksal nicht zu kümmern braucht.« Ein trauriges Lächeln kräuselte ihre Lippen, während sie den Gardisten endlich befahl, uns freizugeben. »Du brauchst mir kein Mitgefühl vorzugaukeln, um euer Leben zu retten. Der hiesige Aufruhr wurde von Baylamor inszeniert. Es steht dir frei, deiner Wege zu ziehen.« Ehe ich antworten konnte, wurde die Tamaron schon wieder von aufgeregten Uniformträgern in Beschlag genommen. Angesichts der prekären Lage gab sich keiner Mühe, die Stimme zu dämpfen. Was der Tamaron berichtet wurde, deckte sich mit meinen bisherigen Vermutungen. Zahlreiche Kommandostrukturen mussten durch untere Dienstgrade aufgestockt werden, um die Verluste an hohen Entscheidungsträgern auszugleichen. Allein die Übertragung entsprechender Berechtigungskodes verschlang Zeit, die dem Gegner in die Hände spielte. Kümmere dich um Li, mahnte der Extrasinn. Sie ist zu sich gekommen. Ich sah zu ihr. Noch ein wenig orientierungslos, kroch die Historikerin in meine
Angriff der Bestien Richtung und versuchte gerade, sich aufzurappeln. Zanargun machte Anstalten, ihr zu helfen, aber mit einem schnellen Satz kam ich ihm zuvor. Vorsichtig half ich Li hoch. Ihre Balance ließ noch zu wünschen übrig, deshalb drängte sie ihren bebenden Körper Halt suchend an meinen. Eine recht schutzbedürftige Geste, die so gar nicht zu der knallharten Kämpferin passte, die gelegentlich in ihr durchbrach. Die präzise Art und Weise, in der sie dann handelte, wies auf eine militärische Ausbildung hin, aber der Hintergrund ihrer Fähigkeiten lag völlig im Dunkeln. So hatte sie mir im Epetran-Archiv das Leben gerettet, ohne sich hinterher daran erinnern zu können. Ein Geheimnis umgab Li. Eines, von dem ich nicht wusste, ob ich die Lösung wirklich erfahren wollte. Weil du ein Narr bist, der seine Gefühle über die Vernunft stellt! Ich ignorierte den Tadel des Logiksektors. In diesem Moment war mir viel wichtiger, meiner Geliebten die roten Haare aus der Stirn zu streichen und sie zärtlich anzulächeln. »Alles in Ordnung?«, fragte ich. Li nickte nur, das Sprechen fiel ihr schwer. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, was geschehen ist.« Der Ausdruck in ihren Augen zeigte nur zu deutlich, wie sehr sie dieser Kontrollverlust ängstigte. »Du hast die Tamaron angegriffen«, sagte ich ohne Umschweife. »Aber keine Angst, das hatte nichts mit deinen sonstigen Aussetzern zu tun. Im ganzen Saal wurden plötzlich Gäste aggressiv. Es gab zahlreiche Kämpfe, sogar Tote und Verletzte. Du hast noch mal Glück gehabt.« Mit schnellen Worten klärte ich sie über die Vorkommnisse auf und verschwieg dabei auch nicht, dass ich sie mit einem Dagorgriff hatte überwältigen müssen. Sie quittierte dieses Geständnis mit einem schmerzverzerrten Ausdruck im Gesicht. »Deshalb tun mir alle Knochen weh«, stöhnte sie – und lächelte. Ihre Widerstandskraft war beachtlich. Die kurze Erholungs-
15 pause hatte bereits gereicht, um nicht nur ihre Kräfte, sondern auch den Humor zurückzugewinnen. Nach einem sanften Kuss löste sich Li aus meinen Armen, um volle Einsatzfähigkeit zu demonstrieren. Die anderen Besatzungsmitglieder traten nun ebenfalls näher, um zu erfahren, wie es weitergehen sollte. Akanara zwängte sich mit seinem mageren Leib zwischen den Erwachsenen hindurch. Am Glanz seiner Augen konnte ich bereits erkennen, dass er mir eine präkognitive Eingebung mitteilen wollte, aber in seinem Blick schwang auch eine seltsame Traurigkeit mit, die mich erschauern ließ. »Die Tamaron lässt uns gehen«, raunte er. »Ich habe uns alle an Bord eines Robotgleiters davonfliegen sehen. Nur Li war nicht dabei.« Eisige Kälte brachte jede einzelne Nervenbahn meines Körpers zum Gefrieren. Das durfte doch nicht wahr sein! Wenn Nestara Cherhay tatsächlich glaubte, dass sie ein Besatzungsmitglied der TOSOMA festnehmen konnte, um ihre niederen Rachegelüste zu befriedigen, biss sie bei mir auf Arkonstahl. Verliebter Narr, schimpfte mein Extrasinn. Verlier bloß nicht die Nerven, weil es um deine Lebensabschnittspartnerin geht. Um die Frau, die ich liebe, korrigierte ich ärgerlich, auch wenn der Logiksektor nicht gänzlich falsch lag. Dank meines Zellaktivators würde ich – sofern kein gewaltsames Ende dazwischenkam – noch weitere Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überleben. Li war dagegen sterblich, so dass selbst eine Beziehung, die allein durch ihre Lebensspanne begrenzt wurde, für mich nur eine Momentaufnahme bleiben konnte. Aber so dachte und fühlte ich nicht. Keiner von uns potentiell Unsterblichen. Wir lebten für die Gegenwart wie jeder andere Bewohner der Galaxis auch. Wenn wir es nicht täten, wären wir schon bar jeder Gefühle und keine »Menschen« mehr. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Tamrätin zu, die gerade den desola-
16 ten Zustand ihrer Flotte zur Kenntnis nahm. Kommandant Sollio hatte erneut einen audiovisuellen Funkkontakt hergestellt. Sein Holo schwebte in der Luft, während er berichtete: »Es gab einen ersten Zusammenstoß, bei dem sich der Feind an Kampfkraft und Strategie überlegen zeigte. Wir benötigen dringend Unterstützung an den von mir übermittelten Koordinaten, um eine neue Verteidigungslinie aufzubauen. Ich brauche vor allem die taktische Hilfe von Geschwaderkommandant Wurkaff! Keiner ist mit der Taktik der Baylamoro besser vertraut.« »Fragma Wurkaff befindet sich unter den Toten«, entgegnete Nestara Cherhay knapp. »Wir senden dir jedoch alle Unterstützung, die wir leisten können.« Ihre gequälte Miene spiegelte die wahre Lage besser wider, als bloße Worte es vermocht hätten. »Sei dir darüber im Klaren, Ratner, dass es derzeit keinen erfahreneren Mann in der Flotte gibt als dich. Auf deinen Schultern lastet die Verantwortung, den heimtückischen Angriff abzuwehren, bevor die Baylamoro in Reichweite unseres Planeten gelangen.« Sollio, der ihr Abbild genauso an Bord der DROKAR sehen konnte wie sie das seine, nickte verstehend. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um unser Tamanium zu schützen.« Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sobald die Verbindung beendet war, sackten die Schultern der Tamaron herab. Plötzlich schien sie von aller Kraft verlassen, und in ihren Blick trat eine Hoffnungslosigkeit, die dem Kommandanten der DROKAR vermutlich allen Kampfesmut geraubt hätte. »Schickt Ratner Sollio alle verfügbaren Reserven«, wies sie die Ordonanzen an. »Es wird nicht das sein, was er erwartet, aber es muss genügen.« Falten, die eine Stunde zuvor noch nicht existiert hatten, durchzogen ihr Gesicht. Sie gruben sich noch tiefer in ihre Haut ein, als Nestara Cherhay hörte, dass einige Leichte Kreuzer zur Aufruhrbekämpfung in den Städten benötigt wurden und deshalb nicht
Bernd Frenz zur außerplanetaren Verteidigung bereitstanden. Die Lage entwickelte sich immer schlechter für die Shahano. »Du solltest mir das Kommando über deine Flotte übertragen«, schlug ich in die bedrückende Stille hinein vor. Mein Plan, die Anwesenden aufzurütteln, ging besser auf, als ich zu hoffen gewagt hatte. Plötzlich waren alle Augen auf mich gerichtet. Selbst meine Kameraden von der TOSOMA schienen von dem Vorschlag überrascht zu sein. Einzig Nestara Cherhay zeigte eine völlig unerwartete Emotion. Eine, die mir nicht sonderlich gefiel. Pures Misstrauen glomm in ihren eisblauen Augen. »Das ist es also«, sagte sie in einem vor Kälte zitternden Tonfall. »Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, welchen Sinn es für einen feindlichen Spion haben sollte, sich der Gefahr einer Exekution auszusetzen. Nun weiß ich es. Du willst die Reste unserer Flotte ins Verderben führen.« »Unsinn«, wischte ich ihren Vorwurf zur Seite. »Wenn ich deinem Volk schaden wollte, hätte ich mit der TOSOMA genügend Möglichkeiten dazu. Wir müssten nur an Bord gehen, wie du es uns nahe gelegt hast. Stattdessen biete ich dir Hilfe gegen die Aggressoren an. Und wenn du mir schon keine uneigennützigen Motive zutraust, dann nimm bitte zur Kenntnis, dass wir in einem Boot sitzen. So heimtückisch, wie die Baylamoro mit ihren Nachbarn umgehen, werden sie uns gegenüber nicht freundlicher gesinnt sein. Es liegt in unserem ureigensten Interesse, Shahan in diesem Kampf zu unterstützen.« Meine Worte hinterließen gebührenden Eindruck im Saal, aber das war auch kein Wunder. Das Gehader zwischen Fragma Wurkaff und uns war eines der Hauptgesprächsthemen des ganzen Banketts gewesen. Dass ich die Fähigkeiten der TOSOMA nun in den Dienst der Shahano stellen wollte, schienen viele für die letzte Rettung zu halten.
Angriff der Bestien Einige Ordonnanzen begannen beschwörend auf die Tamaron einzureden, wurden jedoch durch eine ärgerliche Handbewegung in die Schranken gewiesen. »Du verlangst sehr viel Vertrauen von mir«, beschied mir Nestara Cherhay kühl, »besonders, nachdem ich von deiner Gefährtin angegriffen wurde.« Ich fluchte innerlich. Nun stand mir der Moment der intimen Nähe, den wir kurz zuvor genossen hatten, bei den Verhandlungen im Weg. Allerdings nur so lange, bis Li einen Schritt vortrat und ihre leeren Hände in einer entwaffnenden Geste nach oben drehte. »Wenn es mein Angriff ist, den du uns nachträgst, bin ich gern bereit, als Geisel in deinem Palast zu bleiben«, bot sie der Tamaron an. »Du kannst sicher sein, dass Atlan nichts unternehmen wird, was mein Leben gefährdet.« Mit dieser Eigenmächtigkeit hatte ich nicht gerechnet, obwohl ich den Mut und die Entschlusskraft von Li bewundern musste. Verblüfft verfolgte ich, wie sich die beiden Frauen für Sekunden schweigend musterten und dabei weit mehr an Informationen austauschten, als ich es in der Minuten währenden Diskussion vermocht hatte. Siedend heiß wurde mir klar, dass ich die Entscheidung der Tamrätin schon kannte, bevor sie von ihr gefällt wurde. Akanara hatte sie schließlich vorausgesehen. Ich hatte sie nur falsch interpretiert! »In Ordnung.« Nestara Cherhays Stimme klang ein wenig gepresst, aber ihr Gesicht drückte neuen Mut und Entschlossenheit aus. »Ich lasse der TOSOMA alle relevanten Daten und Berechtigungskodes überspielen. Hoffentlich kämpft dein Schiff im Verband noch besser als allein auf weiter Flur.« Schwülstige Drohungen für den Fall meines Scheiterns sparte sich die Tamaron, was ich ihr hoch anrechnete. Auf einen furzen Wink hin wurde Li jedoch von drei Gardisten umringt, die sie von nun an nicht mehr aus den Augen lassen würden. Die Historikerin schenkte mir ein aufmunterndes Lä-
17 cheln, das ich mit einer vermeintlichen Selbstsicherheit beantwortete, die ich gar nicht verspürte. Niemand von uns wusste, was wirklich an den Grenzen des Tamaniums vor sich ging. Die TOSOMA war ein gutes Schiff, in dessen überlegene Technik ich großes Vertrauen setzte, aber eine Schlacht lebend zu überstehen oder den Krieg zu gewinnen waren zwei Paar Stiefel. Zu meiner Bestürzung war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher, dass wir es schaffen konnten. Um keine Zeit zu verlieren, eilten wir ohne großen Abschied hinaus aufs Flugdeck, wo uns die Robotgleiter schon erwarteten. Mit ihnen ging es durch die Nacht über die beleuchtete Hauptstadt hinweg. Innerhalb weniger Minuten gelangten wir zum Raumhafen. Und von dort aus, nach einem Blitzstart, hinaus ins All, in dem, irgendwo zwischen den Sternen, eine Schlacht auf Leben und Tod tobte.
3. Verdammt in alle Ewigkeit Flaggschiff DROKAR Sechsunddreißig Stunden zuvor Craso war der Einzige, der bei ihm blieb. Larina drückte sich zwar kurz in ihrer Nähe herum, schloss sich dann aber den übrigen Soldaten an. Shat wartete ab, bis das Schott geschlossen war, bevor er seinem Unmut Luft machte: »So ein arroganter Idiot! Als könnte ich nicht zwischen Übung und Ernstfall unterscheiden!« Die Techniker hinter dem Bedienungspult, die alles für die nächste Trainingsgruppe vorbereiteten, sahen missbilligend herüber, sagten aber kein Wort. Immerhin war Shat ein Ratner – wenn auch kein sonderlich beherrschter. »Woher willst du wissen, ob du das unterscheiden kannst?«, neckte ihn Craso. »Von uns hat noch niemand einen echten Einsatz erlebt. Kaluna schon.« Shat ging nicht darauf ein. Erstens, weil Craso Recht hatte, zweitens plagten ihn ganz andere Sorgen. Mit verkniffenen Lippen
18 setzte er sich in Bewegung. Das aufgleitende Schott entließ sie in den lärmenden Alltag des eintausend Meter durchmessenden Kugelraumers, der ein komplexes Labyrinth aus Decks, Gängen und Räumen beherbergte. Selbst altgediente Besatzungsmitglieder kannten nicht jeden Winkel des Flaggschiffes, aber farbig abgesetzte Sektoren und Leuchtschriften erleichterten die Orientierung. Den Korridor, dem Shat und Craso linker Hand folgten, kleidete hellblau getönter Kunststoff aus. Jeder ihrer Schritte wurde von einem energetischen Summen begleitet, das von den lebenserhaltenden Anlagen stammte, die rund um die Uhr arbeiteten, um sie mit Luft, Wärme und Licht zu versorgen. Einige Bordtechniker eilten mit gewichtigen Schritten vorbei, als lägen bedeutende Aufgaben vor ihnen, die keinerlei Aufschub duldeten. Andere Besatzungsmitglieder, die eine Freischicht genossen, flanierten wesentlich gemächlicher durch die Gänge. »Was hast du denn?«, brach Craso das Schweigen. »Das war nicht der erste Rüffel, den du kassiert hast, und es wird auch nicht der letzte gewesen sein. Die Veteranen haben nun mal eine Abneigung gegen alle, die sich nach Kampfzone zum Dienst gemeldet haben.« Kampfzone! Die Sendung, die sein Leben verändert hatte. Shat machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach was, Kalunas Gerede ist doch schon Sternenstaub von gestern. Es ist dieser Wachdienst, der mir nicht in den Kram passt. Gerade heute nicht.« »Wieso? Hast du etwas Besonderes vor?« Selbst der permanente Lärmpegel konnte nicht den eisigen Unterton kaschieren, der plötzlich in Crasos Stimme mitschwang. Shat brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, dass Hals und Kopf seines Freundes gerade einen Stich ins Rötliche bekamen. Sie kannten sich schon seit Kindesbeinen, hatten diverse Broda-Meisterschaften miteinander bestritten und gemeinsam die Offiziersausbildung absolviert. Crasos Vater war Berufssoldat, dem es nicht schwer gefallen
Bernd Frenz war, für sie eine Position auf dem gleichen Schiff zu erwirken. Ein Umstand, den Shat, bei allem, was sie seit Jahren verband, manchmal bereute. »Du weißt doch«, knurrte Craso aufgebracht, »ich habe Larina zuerst angesprochen.« Shat schnaufte verächtlich. »Wie kommst du darauf, dass es ausgerechnet um Larina geht?« »Frag nicht so blöd!« Craso konnte genauso schneidend sprechen wie Kaluna, nur, dass es bei ihm nicht halb so beeindruckend wirkte. Shat unterdrückte ein Seufzen. Schon zu Zeiten, als sie noch die erste Projektionshaube miteinander teilten, hatte Craso das Gefühl gehabt, in seinem Schatten zu stehen. Teilweise zu Recht. Ob Groupies, Sponsorenverträge oder Einladungen zu Kampfzone, stets hatte Shat den Vorzug erhalten. »Es ist doch nicht meine Schuld, wenn sich einige Frauen mehr für mich als für dich interessieren«, verteidigte er sich lahm. »Wenn es um eine geht, die mir gefällt, könntest du ruhig mal nein sagen.« »Was ist denn mit Sarroga, der Servicetechnikerin?«, fragte Shat, um das Gespräch in sinnvollere Bahnen zu lenken. »Ich glaube, die mag dich sehr gern.« »Die Dicke? Soll das ein Witz sein?« Shat bedachte seinen Freund mit einem scharfen Seitenblick. So viel schlanker bist du auch wieder nicht, dachte er wütend, sagte aber kein Wort. Craso verstand ihn auch so. »Klar, wenn sie so hässlich ist, dass der große Nermoy kein Interesse hat, darf ich mich ruhig mit ihr abgeben, was?«, giftete er so laut, dass einige vorbeieilende Techniker herübersahen. Den Uniformen nach gehörten sie zum Stationspersonal, das sich nur selten auf den tieferen Decks blicken ließ, trotzdem war die Situation peinlich. »Lass uns lieber das Thema wechseln«, sagte Shat, unbewusst sein Tempo beschleunigend. Die letzten Meter bis zum Antigrav-
Angriff der Bestien schacht kamen ihm vor wie eine Flucht. Schweigend überwanden sie fünfzehn Decks bis zur großen Promenade, wo sie auf ein Rollband wechselten. Shat warf einen Blick zur linken Seite, an der ein paar Scheiben in die Kunststoffverkleidung eingesetzt waren. Sein Interesse galt nicht dem mit Grünpflanzen und Springbrunnen ausgestatteten Ruhebereich dahinter, sondern ihren Gestalten, die sich in dem gepanzerten Glas widerspiegelten. Shat war der Größere von beiden. Sein blondiertes Haar stand in starkem Kontrast zu seiner dunklen Haut, die von einem natürlichen Braun war, das nicht durch Sonneneinwirkung entstand. Sein durchtrainierter, muskulöser Körper besaß kein Gramm Körperfett an der falschen Stelle. Bei Paraden holten ihn die Vorgesetzten gern in die erste Reihe, denn er entsprach ihrem Idealbild eines Soldaten. Craso war deutlich wuchtiger gebaut, wenn auch beileibe nicht dick. Auf Frauen, die eher kantige Typen mochten, wirkte er mit seinem breiten Kinn, das etwas Energisches ausstrahlte, durchaus anziehend. Leider zog er die zierlichen, sehr aufs Äußere bedachten Broda-Groupies vor, die wiederum eher auf weichere Kaliber wie Shat standen. In der Vergangenheit hatten einige von ihnen nur deshalb mit Craso angebandelt, um auf diese Weise ihren wahren Schwarm kennen zu lernen. Das hatte für einige Verstimmungen zwischen ihnen gesorgt, die unterschwellig weitergärten. Eigentlich war es vor allem die Verbissenheit, mit der Craso eine Freundin suchte, die ihn regelmäßig scheitern ließ. Shat sparte sich jedoch Ratschläge in dieser Richtung. Vor allem, weil er gar nicht beurteilen konnte, wie es war, abgewiesen zu werden. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr hatte er in dieser Hinsicht nie Probleme gehabt, auch wenn bisher noch keine längerfristige Beziehung dabei herausgekommen war. Schweigend betraten die beiden Offiziere einen weiteren Antigravschacht, der sie zum Wohndeck transportierte. Auf dem Weg zu
19 ihren Unterkünften schauten sie noch im Amputierten Mograk vorbei, dem bevorzugten Kasino der Landungstruppen. Larina und einige ihrer Kameraden saßen schon an einem langen Tisch, vor sich Schüsseln mit frittierten Amphibienschenkeln, denen das Kasino seinen Namen verdankte. Alle aus ihrer Trainingsgruppe waren erst vor kurzem auf die DROKAR versetzt worden. Deshalb suchten sie auch außer Dienst die gegenseitige Gesellschaft, und sei es nur in Ermanglung einer attraktiven Alternative. Verschwitzte Männer und Frauen in Kampfanzügen waren hier kein ungewöhnlicher Anblick, deshalb erregten die beiden lediglich die Aufmerksamkeit des ServiceRoboters. Mit zwei Gläsern Sternenfeuer, einem leicht aphrodisierenden Getränk, versorgt, steuerten sie die letzten freien Plätze an. Einer von ihnen, direkt neben Larina, wurde sogleich von Craso in Beschlag genommen. Shat setzte sich bewusst ein Stück entfernt nieder und ließ schweigend die spitzen Bemerkungen über sich ergehen, die wegen Kalunas Rüffel auf ihn einprasselten. Als Broda-Spieler hatte er zwar nie zur Spitze der Liga gehört, aber immerhin genügend Popularität genossen, um zweimal als Gast bei Kampfzone geladen zu werden. An den Neid, den solch eine Bekanntheit mit sich brachte, hatte er sich längst gewöhnt. Als Shat keine Reaktion auf den Spott zeigte, verebbte dieser ebenso schnell, wie er aufgekommen war. Er nutzte die Ruhe, um Crasos Balzverhalten zu beobachten. Wenn der Kerl wollte, konnte er durchaus lustig sein, und heute gab er sein Bestes. Larina kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Für Shats Geschmack kicherte sie zwar etwas zu viel und zu laut, um es ehrlich zu meinen, aber das mochte auch täuschen. Sicher war nur, dass die Frauen an Bord der DROKAR einen luxuriösen Vorteil genossen. Da sie nur knapp ein Drittel der Besatzung stellten, war ihre Gesellschaft entsprechend begehrt. Aber in der gesamten Abteilung für Außeneinsätze gab es nur drei weibliche Trogs ohne feste Beziehung.
20 Eine von ihnen saß am Tisch. Larina. Um sie nicht ständig anzustarren, konzentrierte sich Shat auf die Holoprojektion eines live übertragenen Broda-Matches. Eingezwängt in ihre vollsensorischen Anzüge, schwebten die Spieler per Gravopak durch eine mit Hindernissen gespickte Arena. Dabei schossen sie mit ungefährlichen Lichtstrahlen aufeinander, die die gegnerischen Sensoren bei jedem Treffer aufleuchten ließen. Allzu geschickt stellten sich die beiden konkurrierenden Duos nicht gerade an. Und so etwas nannte sich erste Liga. Ein trauriges Lächeln huschte über Shats Lippen. Wie klein und armselig dieser Sport doch plötzlich wirkte, wenn man erst einmal die Möglichkeiten der HoloGeneratorkammern kannte. »Lass den Kopf nicht hängen, Ratner«, riss ihn Trog Kang aus seinen Gedanken. »Morgen rekapitulieren wir die Übung unter Kalunas Führung, dann ist der Schleifer wieder zufrieden.« Kang war ein pflegeleichter Mannschaftsdienstgrad ohne besondere Ambitionen, der sein militärisches Handwerk perfekt beherrschte. Einige graue Haare, die seinen sauber gestutzten Kinnbart durchzogen, verrieten, dass er um einiges älter war als die Übrigen am Tisch. Larina würdigte der Veteran nicht einmal eines Blickes. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, dass die Hälfte seines Soldes in eine geschiedene Ehe floss. Vermutlich hatte ihn das vorsichtig gemacht. »Ach was, Kaluna bildet sich viel zu viel auf seine Kampferfahrung ein!« Shat war selbst über die Heftigkeit seiner Worte überrascht. Der Schmerz über die Zurechtweisung saß offensichtlich tiefer, als er selbst für möglich gehalten hatte. »Klar, Kaluna hat uns einiges voraus«, schwächte er hastig ab. »Aber ich glaube, er ist auch verbittert, weil wir uns so gut vorbereiten können. Auf Shagdul Fünf musste seine Einheit schwere Verluste hinnehmen. Vieles von dem, was wir heute unter simulierten Bedingungen
Bernd Frenz trainieren, musste er auf die harte Tour unter Realbedingungen lernen.« »Glaubst du wirklich, dass im Ernstfall alle so freudestrahlend in den Tod fliegen wie heute?«, mischte sich Guzko ein. Der hochgewachsene Rotschopf besaß eine ungewöhnlich bleiche Haut, die von einer Pigmentstörung herrührte. Er war passionierter Brodaler wie Shat und Craso. Dass er während der Übung als Erster geopfert worden war, schien er nicht persönlich zu nehmen. Seine Frage klang ernst gemeint. »Jetzt fang du nicht auch noch damit an!«, schimpfte Shat. »Die Ballerei war doch ein Riesenspaß, oder nicht? Im ganzen Reich Shahana gibt es vermögende Leute, die Unsummen für so einen Waffengang ausgeben würden und trotzdem nie Gelegenheit dazu bekommen werden. Was ist dagegen schon die schlechte Laune eines Vorgesetzten?« »Zweifellos richtig«, stimmte Guzko lächelnd zu. »Das nächste Mal möchte ich nur nicht wieder als Erster geopfert werden, sondern etwas mehr von dem Gefecht haben.« Shat hielt das dickwandige Glas mit Sternenfeuer in die Höhe. »Versprochen.« Guzko und Kang stießen mit ihm an. Wenigstens zwei, die auf seiner Seite standen. Dafür ließ sich auch das Schütteln ertragen, das ihn angesichts des bitteren Geschmacks erfasste. Shat unterdrückte ein Husten, um sich nicht lächerlich zu machen. Trotzdem, es schmeckte heute einfach nicht. Verdrossen stellte er das Getränk ab und stand auf. Kang sah nachdenklich über den Rand seines Glases hinweg. »Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Truppen der Mograk und Baylamoro im Ernstfall genauso leicht besiegen lassen wie die Schwarzen Bestien.« Shat winkte ab. »Wahrscheinlich bekommen wir nie einen von denen zu sehen und sterben alle an Altersschwäche.« Er wusste selbst nicht, ob er es ernst meinte oder das Gespräch nur möglichst schnell beenden wollte. Shats Gedanken waren längst woanders. Nach einem letzten Gruß in die Runde, den alle erwiderten – außer Craso, der seine Angebetete keinen Mo-
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ment aus den Augen ließ –, verließ er die gesellige Runde. Während er dem Schott entgegenstrebte, sahen zwei Technikerinnen kichernd zu ihm herüber. Ob es sich um alte oder neue Fans handelte, konnte Shat nicht sagen. Vorsichtshalber zwinkerte er ihnen zu. Ganz automatisch, weil er sich im Laufe der Jahre angewöhnt hatte, auf jedes weibliche Signal zu reagieren, das ihm entgegengesandt wurde. Zwei Gänge später betrat er sein Quartier, entkleidete sich und suchte die Hygienezelle auf. Die Ultraschallwellen, die auf ihn niederprasselten, befreiten ihn von Schweiß und Schmutz, nur nicht von den schwermütigen Gedanken, die ihn quälten.
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA An der Verteidigungslinie tobte eine Schlacht. Ein Abfanggeschwader aus 30 Schiffen hatte sich den Baylamoro entgegengeworfen, konnte die zahlenmäßige Überlegenheit aber nicht recht zum eigenen Vorteil nutzen. Drei Leichte Kreuzer trieben bereits als lodernde Feuerbälle aus dem umkämpften Sektor. Mit geschultem Auge verfolgte ich die sich kreuzenden Flugbahnen auf der Panoramagalerie. Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalladah III. für Funk und Ortung zuständig, leistete wieder ganze Arbeit. Der Hasproner, kurz Agir-Ibeth oder der Giftzwerg genannt, was er beides auf den Tod nicht ausstehen konnte, ließ seine Hände nur kurz übers Terminal gleiten, danach hoben sich alle feindlichen Schiffe blau ab, um sie besser von den Einheiten des Shah'taman unterscheiden zu können. Unsere Positronik analysierte alle erzielten Treffer und listete den jeweiligen Schiffsstatus in einem Detailindex auf. Zusammen mit dem optisch übertragenen Schlachtverlauf entwickelte sich vor meinen Augen ein komplexes Bild. Die Hauptkampfzone lag in einem würfelförmigen Sektor mit einer Kantenlänge von jeweils 250.000 Kilometern. Alle Schiffe kreuzten
in permanenter Schussreichweite umeinander und bestrichen sich gegenseitig aus ihren Bordgeschützen. Gleißende Impulssalven, die wie Funken zwischen den gestaffelten Halbraumfeldern aufblitzten, boten ein Schauspiel von zerstörerischer Faszination. »Wahnsinn!«, flüsterte Akanara nur einige Sitze von mir entfernt. »Absolut krass.« Für den mageren Jungen, der früher nie über die Elendsviertel seines Planeten hinausgekommen war, mussten die Bilder wie eine Trivid-Sequenz wirken. Die schnellen Bewegungen und das bunte Feuerwerk aus Explosionen, Salven und absorbierenden Schutzschirmen begeisterten ihn, ohne dass er begriff, was die Projektionen wirklich zeigten. Schließlich stand jede Kugel, die dort naturgetreu nachgebildet wurde, für ein reales Schiff, in dem Hunderte von Besatzungsmitgliedern um ihr Leben fürchteten. Ein weiterer Raumer der Shahano verlor sein Halbraumfeld und barst an der oberen Polkappe auseinander. Akanara rucke nach vorn, damit ihm nicht das geringste Detail entging. Mich presste der Anblick dagegen tiefer in den Kontursessel. Statt der glutroten Eruptionen, die einen der Bildausschnitte erfüllten, sah ich das namenlose Entsetzen der Unglücklichen vor mir, die in diesem Feuersturm für immer vergingen. Trotzdem vergaß ich keinen Moment lang, dass ich hier war, um eine noch größere Tragödie zu verhindern: den Angriff auf Shahana, einen dicht besiedelten Planeten! Um die Baylamoro zu stoppen, musste die Verteidigung möglichst effizient ausfallen. Die Kommandanten der Shahano-Raumer mochten allesamt Könner auf ihrem Gebiet sein, aber ihnen fehlte eine übergeordnete Hand, die den Kampf koordinierte. Ihr Gegner verfolgte eine dezentrale Gefechtsführung, in der sich Formationen aus drei bis vier Raumern gegenseitig den Rücken freihielten, um die eigenen Schutzschirme zu schonen. Eine clevere Strategie, die sich durch vereintes Vorgehen aber rasch aufbrechen ließ.
22 Du musst die Initiative übernehmen, mahnte der Extrasinn. Und zwar schnell. Auch January Khemo-Massai meldete sich zu Wort, der Kommandant meines Schiffes, ein gewissenhafter und äußerst entschlussfreudiger Afroterraner. »Die Shahano verzetteln sich in zu viele Einzelgefechte«, analysierte er ebenso richtig. »Ihre Schirme werden im Schnitt deutlich stärker belastet als die der Baylamoro.« »Wird Zeit, ein bisschen Ordnung ins Chaos zu bringen«, stimmte ich zu. »Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalladah der Dritte, Funkverbindung zur DROKAR. Übermittle den Berechtigungskode, damit uns Ratner Sollio das Kommando überträgt.« Trotz der prekären Situation sprach ich den Hasproner mit vollem Namen an. Ein langwieriger Streit über vergessene Silben oder Zahlen kostete in der Regel weit mehr Zeit, als seine diesbezüglichen Empfindlichkeiten sofort zu berücksichtigen. Während der Giftzwerg mit gewohnter Routine reagierte, erschütterte ein halbes Dutzend schwerer Schläge die TOSOMA. Unsere Ankunft war bemerkt worden. Ich machte zwei Gegner aus, die aus dem Pulk der kämpfenden Flotten ausscherten und auf uns zurasten. Es waren zwei sechshundert Meter durchmessende Raumer mit äquatorialem Ringwulst, gegen die unser viermal kleinerer Jagdkreuzer erschreckend winzig wirkte. Aus ihren Thermogeschützen brandeten positronisch synchronisierte Salven, die unseren dreifach gestaffelten Paratronschirm zum Glühen brachten. Akanara, der gerade noch jeden Treffer auf der Hologalerie begeistert beklatscht hatte, wurde plötzlich verdächtig still. Vermutlich bekam er zum ersten Mal eine Ahnung davon, wie die Lage aus der Position des Verlierers aussah. »Ausweichmanöver!«, befahl ich, fast ein wenig zu spät. Altra da Orbanaschol, der Erste Pilot der TOSOMA und mein Patenkind, beschleunigte bereits mit maximalen Werten, verzö-
Bernd Frenz gerte gleich darauf wieder und ließ die nachsetzenden Schlachtschiffe vorüberziehen. Gleichzeitig richtete Cisoph Tonk, der Leiter unserer Schiffsverteidigung, die beiden Doppellafetten der oberen Halbkugel auf sie und eröffnete aus vier Transformkanonen das Feuer. Die gegnerischen Kugelraumer stoben sofort auseinander, um dem Beschuss zu entgehen. Cisoph Tonk schickte ihnen noch eine Intervallstrahl-Breitseite aus unseren Multi-Variablen-Hochenergiegeschützen hinterher, solange es sinnvoll erschien, und wartete danach geduldig ihre Rückkehr ab. Den weiteren Kampfverlauf überließ ich Kommandant Khemo-Massai. Ich für meinen Teil musste den Gesamtzusammenhang im Auge behalten und das shahanoische Geschwader neu formieren. Während sich ein Holo von Ratner Sollio aufbaute, kehrten die beiden 600-Meter-Raumer zweimal zurück, feuerten ihre Geschütze ab und verschwanden danach wieder in den Tiefen des Alls. Beide Male wählten sie einen Kurs, der zwischen uns und der Kampfzone lag. »Lasst euch nicht abdrängen«, mahnte ich, mehr aus einem Reflex heraus. January und die Besatzung wissen selbst, was zu tun ist, tadelte mich mein Logiksektor. Kümmere dich lieber um das Wesentliche. »Du bist also das strategische Genie, das uns zum Sieg führen soll«, riss mich Ratner Sollio aus den Gedanken. Sein grobkörniges Abbild zuckte an den äußeren Rändern und wurde obendrein von grellen Streifen durchlaufen. Die ungeheuren Energieentladungen der Schlacht störten die Übertragung. »Ich besitze einige Erfahrungen, die eurer Streitmacht von Nutzen sein könnten«, antwortete ich, seine spöttische Bemerkung bewusst ignorierend. Wenn ich erst damit begann, meine Gefechtserfahrung der letzten 10.000 Jahre auszubreiten, saßen wir noch Tage beisammen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. »Die verschlüsselten Kodes der Tamaron bestätigen, dass ich autorisiert bin, dein Geschwader zu führen. Stellst du etwas
Angriff der Bestien davon in Frage?« Sollios Lippen verwandelten sich in einen blutleeren Strich. »Nein«, sagte er nach einem kaum wahrnehmbaren Zögern. »Unser Geschwader kann jede Hilfe brauchen. Ich bestätige deine Autorisation.« Er blickte zur Seite und nickte kurz. Diese Geste galt keinem von uns, sondern dem Funkoffizier an Bord der DROKAR. Dann fuhr er an mich gewandt fort: »Unsere Befehlskanäle stehen dir zur Verfügung.« Die Übertragung erlosch, ehe ich auch nur mit einer Höflichkeitsfloskel antworten konnte. Offenbar gab es auf der DROKAR Wichtigeres zu tun. Mit routinierten Bewegungen rief ich aus der Datenbank eine Standardinformation ab, die Agir-Ibeth an das mit uns vernetzte Geschwader übermittelte. Während wir die Bestätigungen abwarteten, zerbrach einer der uns angreifenden Raumer unter einer Anzahl präzise ins Ziel gesetzter Gravitraf-Bomben. Seine Hülle verwandelte sich umgehend in einen grellen Glutball, der sich gedankenschnell ausbreitete. Er ließ den hochverdichteten Stahl schlagartig verpuffen und wogte als Feuerwalze in die Kälte des Alls hinaus. »Volltreffer!«, brüllte Akanara mit sich überschlagender Stimme. »Du hast ihn voll erwischt, Cisoph!« Den Jungen hielt es vor Aufregung nicht mehr im Kontursessel. Mit einer raschen Bewegung öffnete er die Magnetgurte, sprang auf die Sitzfläche und riss beide Arme empor. »Du hast ihn erwischt, Mann! Voll erwischt!« Sein Verhalten störte die notwendige Konzentration in der Zentrale. Mit einer scharfen Bemerkung ermahnte ich Akanara zur Ruhe. Meine Zurechtweisung ließ ihn regelrecht zusammenfahren. Verdutzt sah der Junge in die Runde, als könnte er gar nicht verstehen, dass sonst niemand Freude über den Abschuss zeigte. Nicht einmal Cisoph Tonk, der beinahe verlegen an seinem Haarzopf zupfte. Es ärgerte mich, dass Akanara so wenig Respekt gegenüber den Toten zeigte. Ande-
23 rerseits konnte ich ihm nicht zum Vorwurf machen, dass er die Auseinandersetzung, die über die Hologalerie nur sehr abstrakt zu erfassen war, nicht realistisch genug einschätzte. Ich hatte schon zu oft selbst am Rand einer Niederlage gestanden, um nicht auch die Situation des Gegners zu kennen. Das war der Fluch meines fotografischen Gedächtnisses, mit dem der Junge, trotz seiner Hypnoschulung, nicht mithalten konnte. Akanara rutschte ein wenig irritiert auf den Sitz zurück, während die TOSOMA auf einen eng umrissenen Sektor Kurs nahm, in dem sich auf meinen Befehl hin die shahanoische Flotte versammelt hatte. Nun formierte sie sich anhand der Daten, die wir ihnen übermittelten, zu einer klassischen arkonidischen Kegelformation, mit uns an der Spitze. Dank positronischer Abstimmung hielt jedes der Schiffe exakt den richtigen Abstand zu seinem Nachbarn ein, so dass die geometrische Figur wie eine Einheit beschleunigen konnte. Geschlossen stießen wir in die Kampfzone vor. Die gegnerischen Verbände stürzten sich angriffslustig auf uns, aber diesmal war es das shahanoische Geschwader, dessen Einheiten sich gegenseitig Deckung gaben. Dadurch wurden unsere Schutzschirme entlastet und die Vorteile des Gegners aufgehoben. Die Raumschlacht entbrannte in voller Härte.
4. Betrogen Flaggschiff DROKAR 26. Februar 1225 NGZ Achtundzwanzig Stunden zuvor In einer versteckten Datei des DepotTerminals befand sich eine der schlüpfrigen Geschichten, wie sie auf allen Schiffen der Raumflotte kursierten. In diesem Fall ging es um einen Ratner, der durch einen Zeitsprung in eine barbarische Zukunft geschleudert wurde und dort mit einer Schwert
24 schwingenden Wilden die unglaublichsten Abenteuer erlebte. Eigentlich, genau die Art von Storys, die Shat mochte, aber in dieser Nacht war er mit seinen Gedanken einfach nicht bei der Sache. Entnervt ließ er den Blick über die öde Umgebung schweifen. Außer einigen Arbeitstationen hatte der fünf mal acht Meter große Vorraum wenig zu bieten. Die eigentliche Waffenkammer, in der die Handwaffen, Aggregatgürtel und Gravopaks lagerten, befand sich hinter einem gepanzerten Schott zu seiner Rechten. Um dort hineinzukönnen, bedurfte es einer Sprachautorisation, die in den Händen der zuständigen Offiziere lag. Vor Beginn der Tagesschicht würde sich allerdings niemand hier blicken lassen, abgesehen von einem unglücklichen Takna, der die vierte Wache übernehmen musste. Shat überprüfte sein Chronometer, bereute aber seine Neugier, als er sah, dass seit dem letzten Blick erst zehn Minuten vergangen waren. Obwohl ihm sein Gefühl vorgaukelte, schon Ewigkeiten hier herumzuhängen, hatte er in Wirklichkeit noch nicht einmal die Hälfte der Fünfstundenschicht überstanden. Der Kontursessel gab knarrende Geräusche von sich, während er sein Körpergewicht von einer Seite auf die andere verlagerte. Sein brennender Wunsch nach Ablenkung verflog kurz darauf, als der Warnsummer eine Person auf dem Korridor meldete. Überrascht blickte Shat auf eine HoloProjektion, die eine miniaturisierte Ausgabe von Larina Kenin wiedergab. So, wie sie feixend zu ihm in die Höhe sah, musste sie direkt vor der Korridoroptik stehen. Shat aktivierte die interne Kommunikation und sprach in das Akustikfeld, das sich vor seinen Lippen aufbaute. »Was gibt's?«, fragte er schroffer als eigentlich beabsichtigt. »Du weißt doch, dass ich nicht weg kann.« Statt zu antworten, nahm Larina die Hände hinter dem Rücken hervor. In ihrer Linken hielt sie zwei langstielige Gläser, in der Rechten eine bauchige Perlweinflasche.
Bernd Frenz Beim Anblick des Etiketts verzog Shat das Gesicht. Eidecko ohne Jahrgangsangabe. Eine süßliche blaue Mädchenplörre, die auf Broda-Partys literweise konsumiert wurde. Einen Moment lang wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Unmöglich, diese Frau. Und definitiv ganz anders als alle anderen, die er bisher kennen gelernt hatte. Ihn hier zu besuchen, obwohl er bei Kaluna auf der Abschussliste stand, verlangte schon ziemlich viel Mumm. Ratlos strich Shat über seine Haare, bevor er zu einer Entscheidung gelangte. »Wirklich nett gemeint«, versicherte er eine Spur sanfter, »aber wir sollten unser Rendezvous lieber auf später verschieben.« Larina zeigte keine Spur von Enttäuschung, sondern setzte zu einem listigen Grinsen an, das breit genug war, ihre weißen Zähne zwischen den halb geöffneten Lippen hervorblitzen zu lassen. Ohne ihre Mitbringsel abzulegen, langte sie an den Uniformkragen. Mit provozierender Langsamkeit öffnete sie den oberen Verschluss und zog die eng anliegende Jacke so weit auseinander, dass die nackten Ansätze ihrer Brüste bloßlagen. Kurz bevor es jugendgefährdend wurde, hielt sie inne, aber in ihren grünen Augen glitzerte das Versprechen, noch weiter zu gehen, wenn er nicht umgehend reagierte. Shat schnellte aus dem Kontursessel in die Höhe. Nicht vor Lust, sondern aus Unbehagen. So gering der Publikumsverkehr in diesem Sektor auch sein mochte, falls jemand draußen vorbeikam, stand gewaltiger Ärger an. Mit schnellen Schritten umrundete er das Terminal und eilte zum Korridorschott. »Nermoy, Shat«, sprach er in das Akustikfeld, das seinen Bewegungen folgte. »Autorisation acht-zwo-fünf-drei. Schott öffnen!« Lautlos glitt die Stahlwand zur Seite und gab den Blick auf Larinas triumphierende Miene frei. »Bist du irre?«, fuhr er sie an. »Was ist, wenn dich jemand so sieht?« Sein Versuch, sie fortzuscheuchen, schei-
Angriff der Bestien terte ebenso kläglich wie das Bemühen, sie am Eintreten zu hindern. Lachend hob sie Flasche und Gläser über den Kopf und zwängte sich zwischen ihm und dem offenen Schott hindurch. Dabei ging sie stärker auf Tuchfühlung, als eigentlich nötig gewesen wäre. Dass ihre kleinen, festen Brüste über seinen Oberarm streiften, war sicher beabsichtigt. Zumindest schien es sie eher zu amüsieren als zu stören. Ihr alkoholisierter Atem drang in Shats Nase. Ein Blick zum schwappenden Weinpegel bestätigte, dass bereits ein bis zwei Gläser des Inhalts fehlten. Den Perlwein und die Gläser emporschwenkend, drehte sie sich zweimal im Kreis, bevor sie auf die nächstbeste Arbeitsstation zuhielt. »Hier hast du dich also versteckt, um den Abend ohne mich zu verbringen«, tadelte sie mit gespieltem Schmollen. Shat warf einen schnellen Blick in den Korridor, um sicherzustellen, dass es keine Zeugen für ihr unerlaubtes Eindringen gab. Eine Schrecksekunde lang glaubte er schon, eine schattenhafte Bewegung auszumachen, aber zum Glück spielten ihm die überreizten Nerven nur einen Streich. Die größtanzunehmende Katastrophe war ihm also erspart geblieben. Shat schloss das Schott und erneuerte die Sicherheitskodierung, die unautorisierten Personen den Zutritt verwehrte. Nachdem er das Akustikfeld wieder desaktiviert hatte, konnten sie alles in Ruhe klären. Kopfschüttelnd registrierte er den rasenden Herzschlag, der seinen Brustkasten zum Beben brachte. Das musste er Larina lassen, jegliche Langeweile war verflogen. Dafür pulsierte das Blut heiß durch seine Adern und ließ seine Knie stärker zittern als vor einem entscheidenden Match. Dass Larina sich gerade an einem Wachvergehen mitschuldig machte, hinderte sie nicht daran, beide Gläser schwungvoll zu füllen. Einige Tropfen, die über das Terminal spritzten, wischte sie mit dem rechten Uniformärmel auf. Trotzdem breitete sich ein süßlicher Geruch aus, der bestimmt bis
25 zur nächsten Wachschicht erhalten bleiben würde. Deutlicher ließ sich ihr Vergehen gar nicht dokumentieren. Was wohl als Nächstes kam? Eine Audioübertragung, direkt in Kalunas Kabine? Seine entsprechende Bemerkung entlockte der Trog ein weiteres Lächeln. Ihr stufig geschnittenes Haar, das den Nacken frei ließ, wippte leicht, als sie sich mit den gefüllten Gläsern zu ihm umdrehte. »Warum so nervös?«, fragte sie mit laszivem Augenaufschlag. »Ich dachte, du freust dich, wenn wir endlich etwas Zeit für uns alleine haben.« »Ja, sicher.« Shat nahm das für ihn bestimmte Glas entgegen. »Ich mache mir bloß Sorgen wegen Kaluna. Der bekommt es glatt fertig und prüft nach, ob alles nach Vorschrift läuft.« »Lass ihn doch keifen«, wischte sie den Einwand beiseite. »Der alte Spießer hatte schließlich kein Recht, unsere Verabredung zu torpedieren.« Larina stieß ihr Glas gegen das seine und nippte von dem perlenden Getränk. »Ich gehe jedenfalls gern das Risiko ein, mit dir erwischt zu werden.« »Tatsächlich?« Shat verzichtete darauf, von dem süßen Zeug zu trinken. »Vorhin sah es noch so aus, als wolltest du dich mit Craso trösten.« »Deinem Duo-Partner?« Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Was soll der Quatsch? Er ist ein witziger Typ, dem ich gern zuhöre. Ist das neuerdings verboten?« »Nein, natürlich nicht. Allerdings hofft er nun, dass du die Freischicht lieber mit ihm verbringst.« Jetzt, da es heraus war, fühlte sich Shat besser. Im gleichen Maß, wie seine Laune stieg, begann die von Larina allerdings zu sinken. »Geht es wirklich um deinen Freund?«, fragte sie gereizt. »Oder ist eine Trog plötzlich nicht mehr gut genug für den aufstrebenden Ratner?« »So ein Unsinn! Standesdünkel sind mir völlig fremd. Das weißt du ganz genau.« Ihre Gesichtszüge glätteten sich, als hätte
26 er gerade eine Liebeserklärung abgegeben. »Du brauchst dir wegen Craso keine Gedanken zu machen«, versicherte sie ihm in der irrigen Annahme, dass er von Eifersucht getrieben wäre. Der melancholische Ausdruck ihrer dunklen Augen wollte nicht recht zu der Härte passen, die Larina während der Ausbildung an den Tag legte. Vermutlich war dieser Anflug von Sanftmut auf ihren Alkoholpegel zurückzuführen. Als wäre die Trog sich dessen bewusst, stellte sie plötzlich das Glas beiseite und streckte die Arme aus. »Komm her!«, lockte sie. Shat zögerte, der Aufforderung nachzukommen, aber was sollte er tun? Ihr sagen, dass es keinen Zweck mit ihnen hatte, weil er jetzt schon wusste, wie es ausgehen würde? Etwas drängte ihn, genau das zu tun, während ein anderer Teil von ihm voller Hoffnung war, dass sie die eine sein mochte, auf die er schon so lange wartete. Um zu erfahren, wie gut sie zusammenpassten, musste er Larina eigentlich nur in die Arme schließen; aber da gab es noch Craso, für den diese Probe aufs Exempel sicher an Verrat grenzen würde. Als Larina mit sanften Fingern über seine erhitzten Wangen strich, verflogen alle Bedenken. Shat zog sie näher und küsste sie. Ihre Lippen schmeckten nach süßem Eidecko, aber das störte ihn nicht weiter, denn da war noch mehr: Verlangen! Hitze! Und der Kitzel der verbotenen Situation. Shat war so sehr damit beschäftigt, die einzelnen Gefühle auszukosten, dass er das schabende Geräusch im Hintergrund nur unterschwellig registrierte. Bis ihm bewusst wurde, dass es sich um das aufgleitende Korridorschott handelte, war es schon zu spät. Kalunas Gebrüll erfüllte bereits den Wachraum. »Bist du wahnsinnig geworden, Ratner? Was glaubst du eigentlich, wo du dich befindest? Auf einer Broda-Orgie?« Larina ließ vor Schreck ihr Glas fallen, das prompt mit lautem Knall auf dem Boden
Bernd Frenz zersplitterte. Shat hatte sich etwas besser in der Gewalt, aber als er sich umwandte, wich ihm ebenfalls das Blut aus dem Gesicht. Nicht wegen Kaluna, der wütend heranstapfte, sondern weil Craso im offenen Schott stand und ihn mit kaltem Blick fixierte. Verdammt, der Korridorschatten ist also doch keine Einbildung gewesen! Craso musste Larina gefolgt sein und ihr Treffen an den Vorgesetzten verpfiffen haben. Larina zog ein angriffslustiges Gesicht, als wollte sie sich am liebsten auf den Verräter stürzen, Shat gönnte ihm dagegen ein trauriges Lächeln. Er kannte Craso gut genug, um zu wissen, dass sein alter Freund schon in wenigen Tagen von schwerer Reue geplagt werden würde. Derart in Gedanken versunken, erreichten ihn Kalunas Vorhaltungen nur wie durch ein Dämpfungsfeld. Was machte das schon? Shat wusste ohnehin, wofür er sich zu verantworten hatte. Nicht mal die Androhung einer offiziellen Meldung brachte ihn aus der Ruhe. So kam es, wie es kommen musste. Während Craso als Wachvertretung zurückblieb, wurden die Schuldigen vor den Kommandanten zitiert. Ziemlich viel Aufhebens für einen harmlosen Verstoß, wie Shat fand, aber Kaluna sah das anders. Dass ihnen der Schleifer keine Energiefesseln für den Weg anlegte, war tatsächlich das einzige Zugeständnis, das sie ihm abringen konnten.
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Unerbittlich tobte auch die Schlacht um Shahana. Tausende von Männern und Frauen verbrannten, erstickten oder erfroren in ihren Schiffen. Der Tod kam in vielerlei Gestalt, aber stets wären es grauenvolle Szenen, die sich da im Verborgenen abspielten. Die Panoramagalerie zeigte dagegen nur den großen Zusammenhang. Den scheinbar »sauberen« Verlauf einer von gewaltigen Energien dominierten Auseinandersetzung, in der glutumtoste Kugeln lautlos zerbra-
Angriff der Bestien chen und als geschmolzene Fragmente auseinander glitten. Erfahrene Raumfahrer wussten natürlich, was an Bord dieser Schiffe vor sich ging. Aber im Eifer des Gefechtes gelang es selbst mir, jeden Gedanken an die individuellen Schicksale zu verdrängen und mich völlig auf die strategischen Erfordernisse zu konzentrieren. Mit immer neuen Formationen drängten wir die Aggressoren in die Defensive. Es war ein Vorgehen wie aus dem Grundkurs für angehende Flottenoffiziere, nur mit dem Unterschied, dass ich auf einige tausend Jahre strategische Entwicklung zurückgreifen konnte, die den Lemurerabkömmlingen des Kugelsternhaufens, nach ihrem zwischenzeitlichen Niedergang, nicht zur Verfügung standen. Die Zahl der blau hervorgehobenen Schiffe hatte sich bereits erheblich gelichtet. Der Hasproner filterte mit Hilfe der Orterdaten die stark angeschlagenen Gegner heraus und machte sie zu vorrangigen Zielen, die Cisoph Tonk sich in Zusammenarbeit mit den shahanoischen Schiffen vornahm. Die exakte Abstimmung unserer Feuerkraft führte dazu, dass wir uns immer besser gegen die Baylamoro durchsetzen konnten. Während sich unser Geschwader neu formierte, überflog ich die aktuellen Daten. Uns standen noch zwölf Kugelraumer entgegen. Davon zwei Schlachtschiffe der 1000-Meter-Klasse, vier 600-Meter-Schlachtkreuzer sowie sechs Schwere Kreuzer von 230 Metern – von denen drei bereits unter instabilen Halbraumfeldern litten. Auf Seiten der Shahano kämpften inklusive der TOSOMA noch einundzwanzig Schiffe, darunter ein Schlachtschiff und sechs Schlachtkreuzer. Die Verluste hielten sich also in Grenzen, während die Baylamoro immer weiter ins Hintertreffen gerieten. Nach unserer nächsten Attacke erloschen zwei weitere blaue Markierungen. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Akanara triumphierend die Hände ball-
27 te. Von lautstarken Siegesbekundungen sah er nach meiner Zurechtweisung zwar ab, aber als ein dritter Kreuzer angeschlagen das Weite suchte, drang ein enttäuschter Laut über seine Lippen. Der Junge hätte es wohl lieber gesehen, wenn wir den Flüchtling gnadenlos zur Strecke gebracht hätten. Vielleicht, weil er in den Jahren, die er auf den Müllhalden von Yarn leben musste, selbst nie einen Akt der Gnade empfangen hatte. Oder weil er in dem schrumpfenden Orterpunkt nur eine seelenlose Animation sah, aber keine Besatzung am Ende ihrer Kräfte. Ich dagegen schon. Gib dem Gegner kein Gesicht, raunte mein Extrasinn. In Zeiten des Krieges bleibt das quälende Gewissen den schlaflosen Nächten vorbehalten. Krieg! Der Logiksektor sprach aus, was andere lieber hinter Ausdrücken wie »bewaffneter Konflikt« oder »die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« versteckten. Krieg! Ein gewalttätiger Zustand, in dem die Gesetze der Menschlichkeit zum Teil außer Kraft gesetzt wurden, ob es einem Kommandanten nun gefiel oder nicht. »Weitere Befehle für das Geschwader?«, fragte Agir-Ibeth. Ich schüttelte meine düsteren Gedanken ab und konzentrierte mich wieder auf die Panoramagalerie. Die unschuldigen Leben auf Shahana, die von den Angreifern bedroht wurden, hatten zurzeit Vorrang vor allem anderen. Die blau abgesetzte Flotte formierte sich zu einem lang gezogenen Sperr-Riegel, in dem die beiden 1000-Meter-Schiffe den Mittelpunkt bildeten. Eine Millitonta lang sah es so aus, als wollten die Baylamoro unsere nächste Attacke abwarten, dann fielen ihre äußeren Raumer völlig unerwartet nach hinten ab. Ihre beiden Schlachtschiffe deckten den Rückzug mit geballtem Sperrfeuer, bevor sie sich dem Kurs der kleineren Raumer anschlossen. Verwundert überprüfte ich unsere eigene Stärke.
28 Inklusive der TOSOMA verfügten wir noch über achtzehn Einheiten, von denen allerdings vier mit sehr starken Energieproblemen zu kämpfen hatten. Obwohl wir zahlenmäßig im Vorteil waren, kam mir die Flucht der Baylamoro reichlich überstürzt vor. Zumal sie sich zwar vom Sonnensystem entfernten, aber keine Anstalten machten, die Transition einzuleiten. Khemo-Massai ging es wohl ähnlich. Er schaute mich an. »Dranbleiben!«, befahl ich, einem inneren Instinkt folgend. Akanara schien sein Triumphgebaren ebenfalls vergangen zu sein. Ein dichtes Netz winziger Schweißtropfen glitzerte auf seiner Stirn, während er mit weit aufgerissenen Augen ins Leere starrte. Seine Lippen formten nur tonlose Worte, bis er aus seiner Apathie erwachte und laut aufschrie: »Da kommen noch mehr Schiffe der Baylamoro! Viel mehr!« Es waren Eingebungen wie diese, für die ich dem Jungen einen Sitz in der Zentrale eingeräumt hatte. Auch wenn seine Fähigkeit zur Präkognition mit Fehlern behaftet war, hatten seine Warnungen uns schon oft genug vor dem Schlimmsten bewahrt. Khemo-Massai nahm seinen Einwurf ebenfalls ernst. »Aufschließen!«, befahl er. »So dicht wie möglich an den Feind heran und ihm in die Flanke fallen!« Die eng vernetzte Kommunikation zwischen uns und den Shahano-Einheiten, von Agir-Ibeth meisterlich aufrechterhalten, sorgte dafür, dass der gesamte Verband wie eine geschlossene Einheit reagierte, als Altra die Verfolgung aufnahm. Mit hoher Geschwindigkeit verließen wir die ursprüngliche Kampfzone und setzten den Baylamoro nach. Gerade noch rechtzeitig, um der Katastrophe zu entgehen. Ein schwerer Schlag erschütterte die TOSOMA mit solcher Wucht, dass die Andruckabsorber für einen Augenblick ausfielen. Ich wurde in meinem Kontursessel nach vorn gerissen, aber die Magnetgurte hielten mich fest an meinem Platz. Ein energeti-
Bernd Frenz sches Knistern erfüllte die Zentrale, als die Strukturtaster wegen der hohen Belastung durchbrannten. Akanara schrie in Panik auf, da er sich die plötzlich einwirkenden Gewalten nicht erklären konnte. Ich ahnte dagegen, dass die angekündigten Raumschiffe gerade in den Normalraum zurückgekehrt waren. Sie materialisierten direkt in der Kampfzone, zu der wir gerade genug Abstand gewonnen hatten, um nicht von den auftretenden Schockfronten zerrissen zu werden. »Fünfundzwanzig gegnerische Kugelraumer lemurischen Typs«, meldete Agir-Ibeth ungerührt. »Zwei Schlachtschiffe, zehn Schlachtkreuzer und dreizehn Schwere Kreuzer. Sie stoßen keilförmig auf uns zu, während der flüchtende Verband eine Kehrtwende einleitet. In weniger als zwanzig Sekunden stecken wir genau zwischen den Fronten.« Verdammt, durch diese Transition verschob sich das Zahlengefüge kräftig zu unserem Nachteil. Ich gruppierte unsere Schiffe zu einer geschlossenen Formation, um dem hereinbrechenden Angriff etwas von der Wucht zu nehmen, aber es half nichts mehr. Der überlegenen Feuerkraft hatten wir nicht genug entgegenzusetzen. Einem unbarmherzigen Dauerbeschuss ausgesetzt, wich die TOSOMA von ihrer Position zurück. »Wir werden vom Geschwader getrennt!«, meldete Agir-Ibeth aufgeregt. Seine Knochenkämme glänzten vor Schweiß, und der handlange Kinnbart zitterte, als er hinzufügte: »Die DROKAR ebenfalls.« Die Panoramagalerie bestätigte die Auswertung des Hasproners. Die DROKAR und die TOSOMA wurden von jeweils zehn Kugelraumern bestürmt, in der festen Absicht, das Shahano-Geschwader führungslos zu machen. Unsere Feinde wussten ganz genau, was sie taten. Ihrem konzentrierten Punktbeschuss konnte selbst ein HÜ-Schirm nicht auf Dauer widerstehen.
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»Beschleunigen!«, befahl ich, denn nur wenn wir den Sperr-Ring durchbrechen konnten, besaßen, wir eine Überlebenschance. Dank der hochwertigen TOSOMA-Technik trotzten wir den zerstörerischen Gewalten lange genug, um uns ein wenig Freiraum zu verschaffen. Für die DROKAR sah es dagegen schlecht aus. Der rote Energiemantel, der sie schützend umgab, erhielt erste Strukturrisse und brach schließlich völlig zusammen. Baylamorische Impuls- und Thermostrahlen konnten nun ungehindert einschlagen. Die stählerne Hülle erzitterte unter den Treffern. Glut wölken stiegen in Höhe des Ringwulstes auf, als einige Triebwerke zerbarsten. Trümmerstücke wirbelten durch die Leere des Alls. Ihres Antriebs beraubt, konnte die DROKAR nicht einmal mehr manövrieren. Nur noch von der Restgeschwindigkeit angetrieben, flog sie in schnurgerader Linie davon. Für die Kanonen der Baylamoro war es daher ein Leichtes, das Flaggschiff zu erledigen. Wenn kein Wunder geschah, war der Untergang vorprogrammiert. Natürlich wollten wir dem hilflosen Raumer gern zu Hilfe eilen, aber dazu mussten wir erst einmal der eigenen Vernichtung entgehen. Trotz unserer bedrohlichen Lage galten meine Gedanken ganz und gar der DROKAR, deren Besatzung sich auf das Schlimmste gefasst machen musste. Wer wohl diese Männer und Frauen waren, die dort um ihr nacktes Überleben kämpften? Ob auch nur einer von ihnen zuvor geahnt haben mochte, wie dicht ihr Ende bevorstand?
5. Flaggschiff DROKAR Siebenundzwanzig Stunden zuvor Ratner Aureus Sollio, Kommandant der DROKAR, schien weniger über das Wachvergehen empört zu sein als über die Tatsa-
che, dass er damit behelligt wurde. Mit gerunzelter Stirn blickte er von seinem Arbeitspult auf, als Kaluna, Larina und Shat in das kleine Dienstzimmer traten. Sobald er über den Vorfall in Kenntnis gesetzt worden war, rief Sollio einige Daten vom Terminal ab. Danach hob er seine Hände ein Stück an und presste die Kuppen der gespreizten Finger in einer nachdenklichen Geste gegeneinander. »Das ist eine ernste Lage, in die ihr euch da manövriert habt«, wandte sich der Kommandant an Shat und Larina. »Ein Raumschiff wie die DROKAR funktioniert nur, wenn sich alle Besatzungsmitglieder an gewisse Regeln halten. Wie ihr die Freizeit verbringt, ist natürlich allein eure Sache …«, Kommandant Sollio gestattete sich ein dezentes Lächeln,»… aber während der Dienstzeit muss die Gemeinschaft hundertprozentig auf jeden Einzelnen zählen können, verstanden?« Ehe Shat Gelegenheit bekam, den Zerknirschten zu mimen, riss Kaluna das Gespräch an sich. »Diese verdammten Brodaler sind doch völlig unfähig, den Ernst der Lage einzuschätzen!«, polterte er los. »In der Holo-Kammer herumballern, Drogen konsumieren und wilde Partys feiern, mehr haben die alle nicht im Kopf!« Sollio hob seine rechte Hand in einer abwehrenden Bewegung. Es war nur eine kurze Geste, aber sie genügte, um Kaluna augenblicklich verstummen zu lassen. Nachdem die Hierarchie wiederhergestellt war, nahm er den verlorenen Faden erneut auf. »Eure Übungsergebnisse sind wirklich ausgezeichnet«, lobte er Shat und Larina. »Die Flotte weiß den qualitativen Zuwachs an Landungskräften sehr wohl zu schätzen, das könnt ihr mir glauben. Aber ihr müsst auch begreifen, dass die DROKAR das Flaggschiff des Tamaniums ist und keine Übungsanlage, die ihr mit euren Freunden zum Broden gemietet habt. Im Ernstfall ist die Flotte der einzige Schutz, der unsere Heimatwelten vor dem völligen Untergang bewahren kann. Da können wir keine Au-
30 ßeneinheiten brauchen, die zuerst ihren Baal-Rausch ausschlafen müssen.« Shat hätte gern erwähnt, dass er seit der Rekrutierung kein Baal mehr nahm, aber die Pause, die der Kommandant machte, war nicht lange genug, um den Einwand vorzubringen. »Leider bin ich gezwungen, ein Disziplinarverfahren gegen euch einzuleiten.« Sollio zog ein betrübtes Gesicht, als fiele ihm der Schritt wirklich schwer. Kommandanten mussten wohl ein gerüttelt Maß an schauspielerischem Talent besitzen, um in ihrer Position zu bestehen. Seine nächsten Sätze galten bereits dem offiziellen Protokoll, das mittels eines Akustikfelds aufgezeichnet wurde: »Innerhalb der nächsten zwei Tagesschichten tritt ein Militärgericht zusammen, das den Fall behandeln wird. Ratner Nermoy sitzt bis dahin ein. Da Trog Kenin dienstfrei hatte, liegt in ihrem Fall nur ein minderschweres Vergehen vor. Darum lasse ich es für sie bei einem Ausgangsverbot nach Dienstende bewenden.« Mit einem routinierten Tastendruck rief Sollio zwei Angehörige der internen Sicherheit herein. Shat war überrascht, dass er weder seine Sicht der Dinge schildern noch eine Entschuldigung vorbringen durfte. Nach genauerer Überlegung begriff er allerdings, dass sich der Kommandant überhaupt nicht für solche Kleinigkeiten interessierte. Wie dieser Fall ausging, war einzig und allein Angelegenheit des zuständigen Disziplinarausschusses. Kurz bevor er von den Wachen in die Mitte genommen wurde, nutzte Shat die Gelegenheit, um Larina aufmunternd zuzuzwinkern. Ein paar Tage Haft waren nichts, was ihn wirklich schreckte. Die Trog antwortete mit der Andeutung eines Lächelns. Mehr nahmen sich beide nicht heraus, trotzdem vertrat Kaluna ihm wütend den Weg. Die steinerne Miene, die nur mühsam seine wahren Gefühle verbarg, mochte das Letzte gewesen sein, was mancher Gegner des Ratneron zu Lebzeiten gesehen hatte. Statt die Waffe aus dem Hüftholster zu zie-
Bernd Frenz hen, ließ er es jedoch bei einer Drohung bewenden. »Glaub bloß nicht, dass du diesmal so leicht davonkommst«, warnte er Shat. »Ich habe Mittel und Wege, dir die Extravaganzen auszutreiben.« Die Drohung machte Shat mit aller Deutlichkeit bewusst, das sein Dienst nie wieder in den bisher gewohnten Bahnen verlaufen würde. Ein kalter Schauer jagte über seinen Rücken. Bevor ihm auch noch die Beine versagen konnten, folgte er schnell den Wachen, die ihn nach draußen führten. Die beiden Trogs stellten keine Fragen nach seinem Vergehen, sondern eskortierten ihn schweigend in den zwanzig Decks tiefer liegenden Bunker, einen sechseckigen Raum, an dessen Seiten sich zwei mal drei Meter große Zellen anschlossen, die zur Mitte hin offen standen. Nach einer kurzen Leibesvisitation, die von einem maschinellen Scan abgeschlossen wurde, verfrachteten sie ihn in die nächstliegende Zelle und aktivierten ein Prallfeld, das die offene Vorderfront versiegelte. Dass Shat der einzige Gefangene war, machte die Angelegenheit nur noch bedrückender. Einen nüchternen Abschiedsgruß, mehr bekam er nicht zu hören, als ihn die Wachen verließen. Sobald er alleine war, drohten Tränen seine Augen zu füllen, aber er kämpfte sie mühsam nieder. Alles, bloß nicht heulen wie ein kleines Kind! Diese Blöße wollte er sich angesichts der automatischen Überwachungsoptiken nicht geben. Ich habe Mittel und Wege, dir die Extravaganzen auszutreiben! Kalunas Worte hämmerten ununterbrochen in sein Bewusstsein. Was der Ausbilder wohl mit dieser Drohung andeuten wollte? Zitternd ließ er sich auf der stählernen Pritsche nieder. Neben dem Hygienesitz der einzige Gegenstand in der Zelle. Die Hände fest um die Schultern geschlungen, versuchte Shat ein wenig Schlaf zu finden, aber es gelang einfach nicht. »Blöder Idiot«, murmelte er verzweifelt.
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»Wie kann man sich nur selbst dermaßen in die Scheiße reiten?« Was sollte jetzt bloß werden? Er wusste es nicht. Früher, als Brodaler, hatte er tun und lassen können, was ihm beliebte. Das Geld seiner Eltern und die sportliche Popularität hatten ihm jede erdenkliche Freiheit garantiert. Nun war er Teil des Militärs, einer Gesellschaft, die nach eigenen Regeln funktionierte. Regeln, die ihm immer noch fremd waren. Unversehens plagten Shat – zum ersten Mal, seit er zurückdenken konnte – echte Zukunftsängste. Und das, obwohl er nicht einmal ansatzweise ahnte, wie schlimm es noch werden sollte.
* Kommandant Sollio suchte seine mit silberglänzenden Schulterstücken besetzte Uniform nach imaginären Staubkörnern ab, während Ratneron Kaluna darauf wartete, endlich aus dem Dienstzimmer entlassen zu werden. Die beiden Offiziere standen einander nicht sonderlich nahe, obwohl sie seit fünf Jahren auf dem gleichen Schiff dienten. Außerhalb der Dienstzeit gab es zwischen ihnen kaum Kontakte, aber sie respektierten sich gegenseitig als Fachleute auf ihrem Gebiet, die Hand in Hand arbeiteten. Zumindest so weit, wie es das natürliche Spannungsfeld zwischen fliegendem Personal und Landetruppen zuließ. Beide kannten einander gut genug, um zu wissen, dass es wegen des Zwischenfalls noch einigen Klärungsbedarf gab. Nachdem Sollio von der makellosen Reinheit seiner Kleidung überzeugt war, sah er endlich in die Höhe. Seine Lippen zeigten ein unverfängliches Lächeln, aber die beiden stahlblauen Augen, die den hervorspringenden Nasenrücken flankierten, glänzten so hart wie polierte Glaskugeln. »Bist du vielleicht etwas nervöser als sonst, Ratneron?« Für einen zufälligen Zuhörer mochte das wie eine unverfängliche
Frage klingen, aber so, wie der Dienstgrad am Ende des Satzes betont wurde, machte Sollio unmissverständlich deutlich, dass er als Vorgesetzter sprach. »Früher hättest du so eine Bagatelle innerhalb deiner Einheit gelöst, wenn nicht völlig unter den Tisch gekehrt.« Kaluna versuchte sich an einem ausdruckslosen Gesicht, das leidlich gut gelang. Nur die rechte Schläfenader, die deutlich unter der Haut hervortrat, verriet, wie sehr ihn der Tadel des Kommandanten ärgerte. »Bagatelle? Du heißt diese Art von Wachvergehen also gut, Ratner?« »Natürlich nicht.« Der Kommandant ließ den Vorwurf lächelnd an sich abprallen. »Ich stelle lediglich fest, dass wir uns nicht im Alarmzustand befinden, es sich bei dem Kleinwaffen-Depot um keinen wirklich neuralgischen Punkt handelt und Ratner Nermoy für diesen unplanmäßigen Dienst absolut überqualifiziert war.« Mit süffisantem Lächeln ließ er die Aufzählung eine Weile im Raum stehen, bevor er hinzufügte: »Außerdem weiß ich aus den Akten, dass du in jungen Jahren selbst gern die Vorschriften außer Acht gelassen hast.« »Für meinen Leichtsinn musste ich auf Shagdul Fünf teuer bezahlen«, entgegnete Kaluna, während er wie zufällig über die Narben seines Gesichts strich. »Meinen Untergebenen würde ich gern ein ähnliches Fiasko ersparen. Und da liegt auch schon das Problem, vor dem die DROKAR steht. Ein großer Teil der Neuzugänge ist viel zu undiszipliniert, um sich sinnvoll auf den Ernstfall vorzubereiten. Ratner Nermoy ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Brodaler halten ihre Ausbildung für einen Riesenspaß!« »Zum Glück, kann man da nur sagen!« Sollio schenkte dem empört dreinblickenden Offizier ein entwaffnendes Lächeln. »Vergessen wir lieber nicht, wie unpopulär der Flottendienst noch vor kurzem gewesen ist. Mit ihrer Imagekampagne in Kampfzone hat die Pressekompanie allerdings gute Arbeit geleistet. Die Broda-Liga erweist sich
32 als wahre Fundgrube für unsere Truppen, und die Holo-Generatorkammer ist der Köder, mit dem wir die besten Spieler des Shah'taman in unseren Dienst locken. Das ist eine ganz neue Qualität an Kampfkraft, die den Truppen zugute kommt.« Sollio deutete voller Begeisterung auf sein Terminal. »Und damit das so bleibt, müssen wir die Truppenvorschriften eine Zeit lang lockern, bis sich unsere Wunderkinder eingewöhnt haben.« Hatte der Kommandant bis dahin wie ein gütiger Vater gesprochen, gewann seine Stimme nun übergangslos an Schärfe. »Sollte sich Ratner Nermoy also noch einmal eines so lapidaren Dienstvergehens schuldig machen wie heute Abend, ruf nicht gleich wieder die offiziellen Instanzen an. Sperr ihn lieber für eine Woche vom HoloTraining aus. Du wirst sehen, danach fressen dir die ganzen Adrenalinjunkies aus der Hand. Was wir dagegen auf keinen Fall brauchen können, ist ein unehrenhaft entlassener Ratner, der zur besten Sendezeit darüber jammert, wie öde, streng und reglementiert der Flottendienst ist. Ich hoffe, wir sind uns einig.« »Ich zweifle den höheren Kampfwert der Brodaler entschieden an!«, begehrte Kaluna wider besseres Wissen auf. »Niemand weiß, wie diese naiven Kindsköpfe reagieren, wenn es wirklich zum Gefecht kommt.« »Das weiß man bei keinem Soldaten, bis er den ersten Toten sieht«, sagte Kommandant Sollio beschwichtigend. »Niemand, der den Krieg nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie es ist. So ist es dir und mir ergangen, und für die Brodaler wird es irgendwann dasselbe böse Erwachen geben.« Obwohl Sollio nur ausgesprochen hatte, was sie beide wussten, begann die Ader an Kalunas Schläfe plötzlich unkontrolliert zu zucken. Seine dunkle Stimme klang jedoch völlig teilnahmslos, als er entgegnete: »Ich möchte nur, dass meine Untergebenen möglichst gut auf den Ernstfall vorbereitet sind. Damit der Preis, den sie einmal zahlen müssen, nicht so hoch wird wie auf Shagdul
Bernd Frenz Fünf.« »Aber selbstverständlich«, pflichtete Sollio bei. »Wir alle kennen deine Motivation und schätzen dich dafür. Es erwartet auch niemand, dass ein Kriegsheld wie du gegen seine Überzeugung handelt.« Sollio legte eine bedeutungsvolle Pause ein, in der die Spannung, die zwischen den Männern lastete, beinahe zu knistern begann. Dann fuhr er mit gnadenloser Schärfe fort: »Die Raumflotte ist groß, Ratneron. Wenn du dich den Anforderungen als Ausbilder nicht mehr gewachsen fühlst, findet das Flottenkommando sicher einen anderen, gleichwertigen Posten für dich.« Sekundenlang erschien Kaluna wie erstarrt, dann deutete er ein leichtes Kopfschütteln an. »Eine Ablösung ist nicht nötig«, bekräftigte er mit brüchiger Stimme. »Ich habe die Lage in meiner Truppe völlig im Griff.« »Phantastisch.« Sollios Mundwinkel formten übergangslos das freundlichste Lächeln des ganzen Tamaniums. »Dann sind ja alle Probleme aus der Welt geschafft. Und nicht vergessen …«, er deutete mit dem Zeigefinger auf Kaluna, »… in fünf Tagen präsentieren wir unsere Restrukturierungszahlen in Anwesenheit der Tamrätin. Das ist auch deine große Stunde! Sollte mich nicht wundern, wenn bald eine Beförderung ansteht. Jetzt, da uns die Brodaler so gute Popularitätswerte einbringen.« Kaluna nickte nur schwach und versicherte erst auf Nachfrage des Kommandanten, dass er an dem Treffen teilnehmen würde. Danach meldete er sich vorschriftsmäßig ab und verließ das Dienstzimmer. Geschlagen, gedemütigt und seiner Ehre beraubt. Seit Shagdul V hatte er keine derartige Niederlage mehr hinnehmen müssen.
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Die feindlichen Kugelraumer zogen einen engen Ring um die DROKAR, aber der ver-
Angriff der Bestien nichtende Schlag blieb aus. Statt das Flaggschiff durch massive Energieeinwirkung zu zermalmen, sandten sie nur wohl dosierte Nadelstiche aus, die zwar Bewaffnung und Antrieb ausschalteten, die Stabilität der Hülle aber nahezu unangetastet ließen. Was mochte nur hinter dieser neuen Strategie der Zurückhaltung stecken? Ich wusste es nicht, und ich hatte auch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn der Gegner saß uns weiter fest im Nacken. Nicht einmal der Virtuellbildner verschaffte uns einen Aufschub. Die Besatzung der TOSOMA gab trotzdem ihr Bestes. Altra da Orbanaschol, mein Patensohn, hoch kompetent und reaktionsschnell, flog ein waghalsiges Ausweichmanöver nach dem anderen. Dabei bestrichen die Doppellafetten der Transformkanonen unsere Verfolger unentwegt mit schweren Salven, die ihre Schirme erbeben ließen. Ein Leichter Kreuzer zerplatzte in glühenden Eruptionen, während die großen Feindraumer trotz Altras gewagter Manöver in Waffenreichweite blieben und uns mit ihren Gegenpol-Kanonen zu bepflastern versuchten. Mein Logiksektor meldete: Die Baylamoro wollen die DROKAR entern. Erschrocken blickte ich auf einen Bildschirm rechts von mir. Was ich sah, bestätigte die Worte meines inneren Selbst. Während sechs Feindraumer das treibende Flaggschiff der shahanoischen Flotte abschirmten, schleusten die übrigen vier ihre Beiboote aus, die in einem unablässigen Strom der DROKAR entgegenstrebten. Wozu soll das gut sein?, fragte ich. An Bord des Flaggschiffs gibt es viele nützliche Daten. Wenn es den Baylamoro gelingt, den Bordrechner auszubauen, stehen ihnen sämtliche Informationen zur Verfügung, die sie zur Eroberung von Shahana benötigen. Alarmiert sah ich zu dem Hasproner hinüber. »Funkspruch ans Geschwader«, wies ich ihn an. »Jeder, der dazu in der Lage ist, muss der DROKAR zur Hilfe eilen.« Umgehend erfolgte die Antwort. Niemand
33 konnte dem Flaggschiff beistehen. Alle hatten genug mit sich selber zu tun. Agir-Ibeths braune Knochenkämme traten deutlich zwischen dem zotteligen Fell hervor, das seinen faunartigen Schädel bedeckte, als er hinzufügte: »Noch immer keine Verstärkung von Shahana zu orten.« Ich reagierte nicht auf seine Bemerkung. Wozu auch? Wir wussten alle, dass wir nur überleben konnten, wenn wir diesen Kampf alleine gewannen. Nur wie? Der Feind musste schleunigst geschwächt werden, sonst war alles verloren. Knapp achtzig Prozent der Beiboote haben inzwischen an der DROKAR angedockt, teilte mir der Extrasinn mit. Die Enterkommandos gehen an Bord. Es klang fast wie ein Todesurteil. Und das war es wohl auch. Bei solchen Nahkämpfen, in denen um jeden einzelnen Korridor gerungen wurde, ging es immer sehr urtümlich zu. Barmherzigkeit wurde in aller Regel weder erwartet noch gewährt. Jetzt möchte ich wirklich nicht in der Haut der Besatzung stecken, dachte ich. Ratner Sollio ist auf jeden einzelnen seiner Männer angewiesen.
6. Gesprengte Ketten Flaggschiff DROKAR 28. Februar 1225 NGZ, nach Mitternacht Als Shat aus dem Schlaf hochschreckte, brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was ihn gerade geweckt hatte. Ein durchdringender Heulton erfüllte draußen den Korridor. Gefechtsalarm! Und dazwischen eine Stimme, die laufend wiederholte: »Achtung, dies ist keine Übung! Eine unbekannte Flotte dringt in unseren Sektor ein. Alles auf Gefechtsstation! Achtung, dies ist keine Übung!« Krächzend richtete er sich auf der Stahlliege auf. Was Shat da hörte, wollte ihm nicht recht in den Sinn. Eine feindliche Flotte auf Angriffskurs? Das durfte doch nicht wahr sein! Ausgerechnet jetzt, da er hilflos
34 im Bunker saß. Draußen auf dem Korridor erklangen vorbeihastende Schritte. Gleichzeitig wurde das Schiff von einer sanften Vibration erfasst, die auf eine Leistungserhöhung der achtzehn Ringwulst-Triebwerke schließen ließ. Es wurde tatsächlich ernst. Oder doch nicht? Ich habe Mittel und Wege, dir die Extravaganzen auszutreiben! Kalunas Drohung, die noch in seinen Ohren dröhnte, erhielt plötzlich eine vollkommen neue Bedeutung. Wollte ihm der Kerl vielleicht eins auswischen, indem er ein reales Gefecht simulierte? Nur um zu beweisen, dass den Brodalern im Ernstfall die Nerven so sehr flatterten, dass sie keinen zielgerichteten Schuss mehr abgeben konnten? Zuzutrauen war es dem Schleifer sicherlich. Shat sah zur Überwachungsoptik empor. Womöglich zeichnete man soeben seine Reaktionen auf, um sie später in großer Runde zu analysieren. Es war zwar nur eine wahnwitzige Theorie, aber letztlich auch nicht unwahrscheinlicher, als dass gerade in dem Augenblick eine Raumschlacht entbrannte, wenn er in Arrest saß. Eine auf den Korridor begrenzte Durchsage und einige Veteranen, die draußen hin und her trampelten; mehr brauchte es doch nicht, um so eine Vorstellung auszuhecken. Nervös wischte er sich den perlenden Schweiß von der Stirn. Nicht mit mir, Freunde!, dachte er grimmig. So schnell mache ich mich nicht nass. Obwohl Shat inzwischen überzeugt war, dass Kaluna ihn nur foppen wollte, blieben seine Nerven zum Zerreißen gespannt. Er versuchte sich einzureden, dass alles gleich wieder vorbei sein würde, als ein kurzes, aber heftiges Beben die DROKAR erschütterte. Gut, das war's! Einen Treffer gegen das doppelt gestaffelte Halbraumfeld konnte selbst Kaluna nicht für ihn inszenieren. Draußen gab es tatsächlich ein Gefecht! Shat begann wie wild in die Überwachungsoptik zu winken, in der vagen Hoff-
Bernd Frenz nung, dass die Sicherheitskräfte jemanden vorbeischicken würden, der ihn aus der Gefangenschaft entließ, als eine Welle weiterer Beben das Schiff erschütterte. Wenn er das Krachen, das sich als dumpfer Laut durch Wände und Denken fortpflanzte, richtig interpretierte, explodierten da gerade einige Triebwerke. Gleichzeitig meinte er das Wummern von abgeschossenen Torpedos zu hören. Aber stimmte das auch wirklich? Trotz aller Aufregung war er einige Stunden zuvor vom Schlaf übermannt worden. Äußerst verdächtig! Vielleicht hatte man ihn ja nur betäubt, um ihn unbemerkt in die Holo-Generatorkammer zu schaffen? Eine Arrestzelle nachzubilden konnte doch kein großes Problem für die Servicetechniker sein. Die Beben erfolgten nun in regelmäßigen Abständen. Das Licht im Vorraum begann zu flackern, stabilisierte sich jedoch wieder. Natürlich, wie sollte man auch sonst seine Panik in Großaufnahme abspeichern? Aber was wollte Kaluna damit schon beweisen? Hier, hilflos in der Zelle, hätte doch jeder Todesangst verspürt. Mit einem Nadler oder Desintegrator in der Hand sah die Welt dagegen ganz anders aus, dachte er und zwang sich, ruhig und kontrolliert zu atmen. Ob der Angriff nun real war oder nicht, sich aufzuregen hatte keinen Zweck. Seine Finger um die stählerne Liegefläche gekrampft, lauschte er, was sich in den Weiten des Kugelraumers angeblich abspielte. Anhand der zunehmenden Erschütterungen konnte er genau verfolgen, wie das Halbraumfeld unter dem harten Beschuss kollabierte und weitere Triebwerke zerbarsten. Selbst das Andocken der feindlichen Enterschiffe verursachte ein metallisches Knarren, das bis zum Bunker drang. Typisches Kampfszenario für Bodentruppen, kombinierte er erleichtert. In Wirklichkeit würde uns der Gegner doch einfach zusammenschießen. Von neuer Hoffnung erfüllt, trat Shat an den Energieschirm, der ein Verlassen der
Angriff der Bestien Zelle verhinderte. Seine Blick suchte die Optiken im Vorraum. »Ist da wer?«, fragte er laut. »Ich habe euer Spiel durchschaut, ihr könnt aufhören.« Statt einer Antwort erklangen nur weitere Durchsagen aus dem Korridor. Besatzungsmitglieder wurden in ihre Verfügungsräume befohlen, verlorene Sektoren gemeldet und neue Verteidigungslinien ausgerufen. Dazwischen immer wieder Stimmengewirr, das von vielfachem Laufschritt durchbrochen wurde. Aber niemand hielt an, um Shat aus der dämmrigen Enge seiner Zelle zu befreien. »Holt mich endlich hier, raus!«, brüllte er wütend. »Gebt mir einen Kombistrahler in die Hand, damit ich euch zeigen kann, wozu ich fähig bin!« Natürlich wurde er nicht erhört. Dazu war der Lärmpegel auf dem Korridor zu groß – oder das Szenario sah keine Rettung vor. Shat wusste einfach nicht mehr, was er noch glauben sollte. Er wollte nur noch eins: raus, um selbst nachzusehen, was Sache war. Wider besseres Wissen versuchte er das Prallfeld mit bloßen Händen zu durchbrechen. Alles, was er damit erreichte, war ein unangenehmes Kribbeln, das seine Nervenbahnen durchflutete, bis der unsichtbare Widerstand schlagartig anwuchs und ihn zurückstieß wie einen entgegengesetzt gepolten Magneten. Shat spürte einen harten Schlag, als er mit der rechten Schulter gegen die Rückwand geschleudert wurde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er über die geprellte Stelle. Verdammt, in über fünfzig Trainingseinheiten hatte er nicht so viele Blessuren davongetragen wie in den letzten Minuten. »Übung abbrechen!«, verlangte er erbost, aber niemand reagierte darauf. Selbst die Durchsagen verstummten nach und nach, bis eine unheimliche Stille aufkam. Irgendwie war das noch viel schlimmer als der Gefechtslärm, der zuvor getobt hatte. Ob die DROKAR tatsächlich geentert worden war? Shat blieb nichts anderes übrig, als sich
35 wieder auf der Liege niederzulassen. Doch die Ungewissheit zerrte an seinen Nerven. Heftig atmend sprang er auf und rannte von einer Zellenwand zur anderen. Da die Entfernung jedes Mal mit vier Schritten durchmessen war, schlug er wütend gegen die Kunststoffverkleidung, bevor er den Rückweg antrat. Abwechselnd verlangte er brüllend oder bettelnd, dass man ihn endlich freilassen möge. Nichts dergleichen geschah. Das machte Shat stutzig. Wenn man ihn wirklich in die Holo-Kammer verfrachtet hatte, musste es dann Kaluna und den anderen nicht langweilig werden? Nun, da er ruhig stand, glaubte er wieder Schritte zu hören. Langsamer diesmal, überlegter, als wären nur wenige Personen unterwegs. Shat rief erneut um Hilfe, auch auf die Gefahr hin, damit den Feind herbeizulocken. Diesmal wurden seine Worte erhört. Zischend fuhr das Korridorschott zur Seite. Shat ballte vor Aufregung seine Hände. Alles in ihm betete darum, dass Kaluna mit höhnischem Grinsen eintreten möge, um die Übung für beendet zu erklären. Stattdessen füllten zwei Lemurer in geschlossenen Raumkampfanzügen die Öffnung aus. Den Abzeichen nach gehörten sie dem Reich Baylamor an. Shat wusste erst nicht, was er davon halten sollte. Soweit er wusste, konnten die Holo-Techniker nur Schwarze Bestien als Gegner generieren. Waren die beiden Kerle also echt, oder hatte Kaluna einige feindliche Uniformen aus der Asservatenkammer besorgt, um das hinterhältige Spiel noch weiter zu treiben? Seiner Hoffnung folgend, entschied sich Shat für die zweite Variante. Wütend trat er gegen die Zellenwand und forderte barsch: »Los, holt mich endlich hier raus, ihr Volltrottel!« Die beiden Raumsoldaten wechselten einen kurzen Blick miteinander, den kein Fremder zu deuten vermochte. Dann legte einer von ihnen auf Shat an, während der andere ans Kontrollpult trat und mit seinen behandschuhten Fingern über die Armaturen
36 glitt. Die Bedienung war offensichtlich ein Kinderspiel. Das Summen des Generators erstarb, und der zweite Soldat feuerte in das zusammenbrechende Prallfeld hinein. Gleichzeitig klappte Shat mit dem Oberkörper nach vorn und hechtete in den Vorraum. Er wusste selbst nicht, warum er so reagierte, obwohl er überzeugt war, in einem virtuellen Szenario zu stecken. Er reagierte einfach aus einem Reflex heraus, ohne sagen zu können, ob der Energiestrahl, der nun über ihn hinwegjagte, real war oder nicht. Die Wucht, mit der er auf den Boden schlug, war jedenfalls keine Illusion. Den Schmerz ignorierend, sprang er wieder in die Höhe, auch wenn sein Gegner nur den Arm schwenken musste, um ihm mit einem zweiten Schuss endgültig den Garaus zu machen. Das Abstrahlfeld glotzte Shat bereits wie ein kaltes Auge an, als er sich vorwärts wuchtete. Keine Chance mehr, die Waffe noch rechtzeitig beiseite zu schlagen. Gleich würde er wissen, ob seine Auflösung auf molekularer Ebene nur durch ein holografisches Energiefeld simuliert wurde oder nicht. Falls es sich wirklich um ein Szenario handelte, bewies er Kaluna wenigstens, dass er bis zum Letzten kämpfen würde. Und falls nicht, war sowieso alles egal. Eine dumpfe Detonation ließ Shats Gedankengebilde wie eine Blase zerplatzen. Noch bevor sein Gegner abdrücken konnte, explodierte dessen Unterarm. Bereits einen Sekundenbruchteil später hämmerte etwas mit großer Wucht gegen die Brust des Soldaten. Eine Mischung aus Entsetzen und ungläubigem Staunen zeichnete sich unter dem Visier seines Raumhelmes ab, als er zu Boden ging. Sein Kamerad versuchte noch, den explosiven Mikronadeln auszuweichen, die plötzlich die Luft erfüllten, aber zwei blutige Knospen, die auf seinem Anzug erblühten, ließen ihn ebenfalls in der Bewegung erstarren. Wie in Zeitlupe kippten beide Baylamoro nach hinten weg und schlugen beinahe syn-
Bernd Frenz chron zu Boden. Shat spürte einige warme, klebrige Spritzer auf seinem Gesicht. Wenn es sich um holografische Felder handelte, waren sie von erstaunlich guter Qualität. Ungläubig drehte er sich zu seinem Retter um, der mit ausgestreckter Waffe im Schott stand. Craso! »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte sein alter Freund, der den Nadler auf die am Boden liegenden Soldaten schwenkte und vorsichtig näher trat. »Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte, aber das war gar nicht so einfach. Überall auf dem Schiff wird gekämpft.« Von den Angeschossenen ging keine Gefahr mehr aus. Die Atemluft, die aus ihren zerrissenen Anzügen entwich, schlug blutige Blasen auf den dunklen Lachen, die sich unter ihren Körpern ausbreiteten. Shat wollte etwas sagen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Er musste sich erst räuspern, bevor die Stimmbänder ihm wieder gehorchten. »So ein Zufall, dass du gerade rechtzeitig gekommen bist, um das Ende noch weiter hinauszuzögern«, würgte er endlich hervor. »Das nennt man Glück, was?« Craso strahlte ihn an wie nach einem gewonnenen Match. »Los, schnapp dir eine Waffe! Es gibt jede Menge zu tun.« Shat rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. »Reicht es nicht, dass du mir den Arrest eingebrockt hast?«, fragte er verächtlich. »Musst du Kaluna auch noch helfen, diese Scharade zu verlängern?« Das Lächeln seines Kameraden erstarb. »Wie bitte? Was soll das denn heißen?« »Ich weiß, was hier läuft«, behauptete Shat. »Das ist ein Holo-Szenario, um mich zu disziplinieren. Die Techniker mögen inzwischen Lemurer als Gegner generieren können, aber sicher keine exakten Kopien aus dem realen Leben.« Anklagend deutete er mit dem blanken Finger auf sein Gegenüber. »Du musst also echt sein.« Seine Hoffnung, dass Craso – derart mit der Wahrheit konfrontiert – alles gestehen
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würde, ging in einer schallenden Ohrfeige unter. Shat sah den Schlag nicht einmal kommen. Er spürte nur das höllische Brennen auf seiner linken Wange, als der Kopf zur Seite geschleudert wurde. »Komm zu dir!«, herrschte ihn sein Freund an. »Egal, was für eine Theorie du dir da zurechtgesponnen hast, wir stehen mit beiden Beinen in der Realität. Fünfzig Schiffe von Baylamor'taman sind in unser System eingedrungen, und wie es scheint, haben sie es speziell auf die DROKAR abgesehen. Unser Streit ist völlig nebensächlich, solange da draußen unsere Freunde sterben. Reiß dich also gefälligst zusammen!« Bei den letzten Worten entwand er einem der Toten den Desintegrator und drückte ihn Shat grob in die Hand. »Los, komm mit«, schnauzte Craso weiter, »oder lass es bleiben! Ich habe jedenfalls meine Schuld erfüllt.« Der verletzte Ausdruck in seinen Augen war echt, aber vielleicht ärgerte er sich auch nur, dass er so schnell durchschaut worden war. Als Craso sich umwandte und mit großen Schritten den Bunker verließ, zielte Shat auf seinen Rücken, wagte aber nicht abzudrücken. Falls er sich irrte und der Desintegrator echt war, würde ihn die Salve zum Mörder machen. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Seinen aufkeimenden Zorn unterdrückend, schloss er sich Craso an. Ob es ihm gefiel oder nicht: Bis absolute Gewissheit herrschte, musste Shat das böse Spiel mitmachen.
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Mein Blick ruhte auf der Panoramagalerie. Sie zeigte die Kaperung der DROKAR. Das Flaggschiff der shahanoischen Flotte war von einem Ring feindlicher Kugelraumer umgeben, gegen den wir nichts ausrichten konnten. »Kaum zu glauben, dass wir von der Bevölkerung Braangons jetzt erst erfahren,
nicht wahr?«, murmelte Altra da Orbanaschol. Er hatte die TOSOMA gerade außer Schussweite der feindlichen Einheiten gebracht und überprüfte nun mit einer Seelenruhe, als stünden wir nicht mitten in einer Schlacht, den Zustand unseres Schiffes. Khemo-Massai, der ebenfalls einen Routinecheck vornahm, antwortete automatisch: »Die Kleinreiche, die wir hier vorgefunden haben, verwenden zwar Transitionstriebwerke, aber ihre Positroniken sind speziell auf die herrschenden Bedingungen ausgelegt. Ihre Transitionsreichweite liegt pro Einzelsprung bei höchstens drei bis fünf Lichtjahren, und die Speicherenergie reicht nur für eine begrenzte Sprunganzahl aus. Deshalb bleibt unsere Milchstraße für sie in gewisser Weise unerreichbar.« Er musste sich darüber schon vor einiger Zeit Gedanken gemacht haben, sonst hätte es nicht so heruntergeleiert geklungen. Die Frage lag ja auch auf der Hand, da sehr viele Völker in diesem Sternhaufen über eine hoch entwickelte Raumfahrt verfügten. Und Arkon befand sich nur 40.000 Lichtjahre von Omega Centauri entfernt. Vergiss nicht, raunte mein Extrasinn, dass man innerhalb von Braangon, wie wir Arkoniden diesen Sternhaufen nennen, im Verlauf der Jahrtausende »Transitionsrouten« ermittelt hat. Auf ihnen ist die Wahrscheinlichkeit sich öffnender Lücken größer als im übrigen Sternhaufen, um nicht zu sagen hundert Prozent. Raumfahrt hat sich hier immer auf die als »ruhige Enklaven« umschriebenen Zonen beschränkt. Wir Arkoniden? Ich stutzte über die Zurechtweisung dafür, dass ich die terranische Bezeichnung des Sternhaufens gewählt hatte. Seit wann fühlte sich mein Dialogpartner einer bestimmten Nationalität zugehörig? Eine Erschütterung lief durch die gesamte Zentrale. Völlig unvorhergesehen und entsprechend beängstigend. Es war eine dumpfe, tief schwingende Vibration, die bis in den Magen fuhr. Einige Meter entfernt ertönte ein
38 lauter Knall, dem eine Kaskade zischender Geräusche folgte. Beißend dunkler Qualm, der aus einem Terminal aufstieg, markierte die Stelle, an der einige Schaltungen unter der Überlastung zusammengeschmolzen waren. »Der Zusammenbruch der Schutzschirmstaffeln droht«, meldete sich der Leiter der Schiffsverteidigung. »HÜ-Schirm bei 125 Prozent.« Langsam wurde es brenzlig. Ein neuer Schachzug musste her. Eine Finte, die so überraschend kam, dass wir die Übermacht brechen konnten. Nur wie? Ich durchforstete mein fotografisches Gedächtnis nach Erfahrungen aus längst vergangenen Schlachten und stieß dabei auf etwas, das so abwegig war, dass es vielleicht klappen konnte. »Das Thema Transitionen hat mich auf etwas gebracht«, sagte ich zu Altra, während ich meinen tollkühnen Plan weiter ausformte. »Beschleunige! Geschwindigkeit ist das Einzige, was uns noch helfen kann.« Narr, schimpfte mein Extrasinn. Das ist viel zu gefährlich. Uns weiter zusammenschießen zu lassen ist auch nicht gerade risikofrei, du Nationalist, hielt ich ihm entgegen und erntete darauf nur Schweigen. »Flucht?«, fragte Khemo-Massai heiser. Der Kommandant blickte mich fassungslos an. Der Schock über meine vermeintliche Feigheit musste sehr tief sitzen, denn mehr als dieses eine Wort brachte er nicht hervor. »Nein, keine Absetzbewegung«, beruhigte ich ihn und den Rest der Mannschaft. »Wir werden quasi auf der Stelle springen. Etwas Ähnliches habe ich schon während der Auffangschlachten des Methankrieges praktiziert. Was damals funktioniert hat, sollte uns doch heute ebenfalls gelingen, oder?« »Das von dir vorgeschlagene Manöver erfordert ein Maximum an Präzision«, gab Khemo-Massai zu bedenken. Aber ich kannte ihn gut genug, um bereits am Tonfall zu hören, dass er mit dem Plan einverstanden war.
Bernd Frenz Altra bot sein ganzes fliegerisches Können auf, um den Impulssalven der Feindraumer so lange zu entkommen, wie der Kommandant und ich für die positronische Berechnung des Sprungs brauchten. Die Koordinaten lagen dafür nahezu bei null, und an Energie wandten wir so wenig auf wie gerade nötig, um den Normalraum zu verlassen. Obwohl prasselnde Impulssalven den HÜSchirm immer stärker an die Grenze der Belastbarkeit führten, breitete sich in der Zentrale eine konzentrierte Ruhe aus. Altra wählte die Flucht nach vorn, was unsere Verfolger einen Augenblick lang aus dem Konzept brachte. Ihre Einschläge schienen zu verebben, als unsere Distanz zueinander dahinschmolz. Genau der richtige Zeitpunkt für den berechneten Trick. »Fertig?«, fragte ich. »Fertig!«, bestätigte Altra. Jetzt gab es kein Zurück mehr. »Achtung – Sprung!« Auf der Panoramagalerie tauchte übergangslos das Grau des Hyperraums auf. Was danach folgte, lag nicht mehr in meiner Hand. Nach unserem Empfinden hielt etwas die TOSOMA an Ort und Stelle fest, und wir wollten ja auch keine echte Bewegung im Sinne eines fünfdimensionalen Koordinatengefüges durchführen. Zumindest nicht, wenn alles nach Plan verlief. Falls wir uns allerdings verrechnet hatten, materialisierten wir womöglich weitab vom Schlachtfeld. In diesem Fall kam für die DROKAR jede Hilfe zu spät …
7. Die Nackten und die Toten Flaggschiff DROKAR Während sie Seite an Seite durch die Korridore eilten, gewann Shat langsam die alte Sicherheit zurück. Ohne Gravopak oder Individualschirm, nur mit der blanken Waffe in der Hand, schlich er dahin, spähte und reagierte.
Angriff der Bestien Fast wie in alten Zeiten. In der unteren Broda-Liga. Die konditionierten Verhaltensmuster halfen ihm, einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne einen Gedanken an die Zerstörung zu verschwenden, die sie von allen Seiten umgab. Zwei Korridore entfernt blockierten zerfetzte Deckenplatten den Weg. Hier musste ein harter Kampf getobt haben. Die Wände waren von Nadlergeschossen durchlöchert worden, und dort, wo einst zwei schwere Schotten den unbefugten Zutritt verwehrt hatten, gab es nur noch geschmolzenen Stahl. Die Folgen eines schweren Thermobeschusses. Blut klebte an den Wänden, teilweise bis hinauf zur Decke. Sie stiegen über zertrümmerten Kunststoff und Leichen hinweg. Die meisten der Toten gehörten zur Besatzung der DROKAR. »Der Angriff kam völlig überraschend«, erklärte Craso leise. »Wir hatten nur noch Zeit, uns mit leichten Waffen einzudecken, dann standen die Baylamoro auch schon in unserem Sektor. Mit ihrer Ausrüstung sind sie den meisten von uns überlegen. Wir müssen versuchen, zu unserem Deck zu gelangen. Kaluna hat dort eine Verteidigungslinie aufgebaut.« Shat war mit dem Vorschlag einverstanden. Was blieb ihm auch anderes übrig? Sie eilten gerade geduckt zum Antigravschacht, als zwei feindliche Soldaten aus dem Nebengang traten. Noch aus der Bewegung heraus feuerte Shat auf den Vorderen der beiden, während Craso hastig in Deckung sprang. Die auf den Punkt genau fokussierten Strahlen brachten den gegnerischen Schirm zum Flackern, konnten ihn aber nicht auf Anhieb durchdringen. Statt den Beschuss in aller Ruhe zu erwidern, stolperte der Getroffene zurück und feuerte erschrocken, bevor seine Waffe richtig im Anschlag lag. Die ausgesandte Garbe schlug zwei Meter entfernt in die Wand ein und brannte dort mehrere Löcher in die Ver-
39 kleidung. Shat nutzte die Zeit, um eine zweite Salve abzufeuern, die den Schirm des Soldaten weiter in Bedrängnis brachte. »Zieh den Kopf ein, du Idiot!«, brüllte ihm Craso zu, der endlich das gleiche Ziel anvisierte. Shat kniete nieder. Gerade noch rechtzeitig, um dem fauchenden Blitz zu entgehen, den der zweite Baylamoro abstrahlte. Der Schirm des ersten kollabierte inzwischen unter dem doppelten Beschuss. Crasos Nadler spie einen weiteren Schwarm mikrofeiner Nadeln aus, denen nur noch der Raumanzug entgegenstand. Das war zu wenig. Vom Explosionshagel zerrissen, brach der Mann zusammen. Shat lenkte das Feuer auf den verbliebenen Gegner, der von ihrer heftigen Gegenwehr so überrascht war, dass er im Schutz seines rettenden Schirms das Weite suchte. Von Jagdfieber gepackt, wollte Shat die Verfolgung aufnehmen, aber Craso hielt ihn zurück. »Das ist zu gefährlich«, warnte er. »Wir müssen zu den anderen.« Ohne weiteren Zwischenfall erreichten sie den Gravoschacht, der sie sieben Decks höher transportierte. Eine weitaus größere Entfernung, als eine Holo-Kammer simulieren konnte. Flach auf ein funktionstüchtiges Laufband gepresst, ging es weiter in den blauen Sektor. Auf der vorüberziehenden Promenade brannten mehrere Feuer, deren verzehrende Flammen nicht nur im zerschlagenen Mobiliar, sondern auch in den überall herumliegenden Toten reiche Nahrung fanden. Dichte Schwaden übel stinkenden Rauches zogen Shat entgegen, aber solche Szenen gab es auch in den Holo-Kammern zu sehen und zu riechen. Es waren eher feine Nuancen, die den Unterschied zu den Trainingsszenarien ausmachten. Etwa der schwere Grad der Verletzungen, die sie überall sahen. Oder die überaus vorsichtige Weise, in der Craso plötzlich agierte. All das gab Shat zu denken. Mit ei-
40 nem flauen Gefühl im Magen dämmerte ihm langsam, dass das Geschehen echt sein musste. Panikattacken, rasender Herzschlag und unkontrollierter Schweißausbruch waren die Folge. Wenigstens näherten sie sich dem vertrauten Sektor der Landungstruppen. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen, sprangen beide vom Laufband und eilten die blaue Promenade entlang. An einem zur Verteidigung errichteten Prallfeld wären sie fast erschossen worden, aber zum Glück erkannte Trog Kang noch rechtzeitig, wen er da anvisierte. Hastig schuf er eine Öffnung in der Energiebarriere und rief den hinter ihm Versammelten zu: »Die Ratner sind zurück!« Shat und Craso wurden sofort von weiteren Mitgliedern ihrer Ausbildungsgruppe umringt. Eine gewisse Freude über das Wiedersehen stand allen ins Gesicht geschrieben, aber richtig lachen mochte niemand. Nicht einmal Larina, die Shat sofort herbeiwinkte. Mit tränennassen Augen kniete sie neben einem Verletzten, den er erst auf den zweiten Blick als Ratneron Kaluna identifizieren konnte. Von der rechten Schulter bis zur Hüfte wies der Ausbilder schwere Verbrennungen auf, die von einer Thermogranate stammen mussten. Uniform und Haut waren regelrecht miteinander verbacken. Sein Gesicht wirkte unnatürlich blass und die tief in den Höhlen ruhenden Augen seltsam trüb, wie von milchigen Schlieren umgeben. Shat korrigierte seine erste Einschätzung: Kaluna war nicht verletzt, sondern tot. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Steeg Kaluna, der Held von Shagdul V, im Kampf gefallen. Wenn es selbst so einen erfahrenen Veteranen erwischen konnte, wie sollte er dann überleben? Larina sah zitternd zu ihm auf. »Jetzt sind wir erledigt.« Shat hätte ihr gern zugestimmt, aber ihm fiel rechtzeitig ein, dass er nun – zusammen mit Craso – den höchsten Dienstgrad beklei-
Bernd Frenz dete. Unbehaglich ließ er den Blick über die Toten gleiten, die überall mit verrenkten Gliedern auf dem Boden lagen. So viele es auch waren, es konnte unmöglich die gesamte Landungstruppe sein. Auf Nachfrage wurde ihm bestätigt, dass der überwiegende Teil ihrer Einheit in andere Sektoren abgerückt war. Irgendwo in der eintausend Meter durchmessenden DROKAR, ob nun fünfzig oder hundert Decks entfernt, mochten sie gerade um ihr Überleben kämpfen … oder längst verblutet sein. Ein Schicksal, das den hier Verbliebenen ebenfalls drohte. Der traurige Rest sammelte sich um die beiden Ratner und bestürmte sie mit Fragen. Shat erkannte Guzko, Kuunz und Akno sowie einige Techniker, die sich notdürftig bewaffnet hatten. Alle wirkten älter, als Shat sie in Erinnerung hatte. Ihre Haut war fahl, und in den matten Augen stand ein Wissen um Dinge, die sie nie wieder vergessen würden. In Anbetracht dieser vielen bekannten Gesichter verging auch seine letzte Hoffnung, dass er sich nur in einem virtuellen Szenario befand. Es hatte keinen Zweck mehr, das Offensichtliche zu leugnen. Der Angriff auf die DROKAR fand wirklich statt! Mit dieser Erkenntnis nahte ein nie gekanntes Gefühl der Furcht, das Shat bis in die letzte Nervenspitze erfüllte. »Wir sind von den übrigen Einheiten abgeschnitten, Ratner«, riss ihn Guzko aus den Gedanken. »Was sollen wir jetzt machen?« Shat versuchte zu antworten, aber er hatte plötzlich vollauf damit zu tun, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. Orientierungslos taumelte er zur Seite, bis seine Rechte Halt an einer glatten Kunststoffverkleidung fand. Heißer Schweiß perlte auf seiner Stirn, und zwar in solchen Mengen, dass ihm das salzige Nass brennend in die Augen rann. Nur nicht übergeben, hämmerte er sich ein. Dann bist du bei allen unten durch. Shat schämte sich zwar für den Gedan-
Angriff der Bestien ken, aber am liebsten wäre er in seine Unterkunft gerannt und hätte den Eingang mit einem Prallfeld versiegelt, um das Ende der Kampfhandlungen abzuwarten. Natürlich ging das nicht. Seine Kameraden würden es nicht zulassen. Schon bevor er aufsah, fühlte er ihre ungläubigen Blicke auf seiner Haut brennen. Sie hatten alle auf ihn gebaut, den bekannten Brodaler aus Kampfzone, und nun stand er da wie ein bibbernder Idiot, der keinen Ton hervorbrachte. »Lasst Shat in Ruhe«, nahm ihn ausgerechnet Craso in Schutz. »Er hat während des Gefechts allein in der Zelle gesessen.« Ehe jemand antworten konnte, wies Craso allen Umstehenden eine Aufgabe zu. Sie sollten Waffen, Magazine und Aggregate herbeischaffen, Verbindung zu den übrigen Verbänden aufnehmen und die Verteidigungsstellung stärker ausbauen. Egal was, Hauptsache, die Männer und Frauen waren zu beschäftigt, um über ihre eigene Angst nachzudenken. Craso machte seine Sache wirklich gut, das musste Shat anerkennen. Und mit jedem Satz, den sein Freund von sich gab, strahlte er eine größere Selbstsicherheit aus, an der sich die anderen aufrichten konnten. Plötzlich waren alle Augen auf ihn gerichtet. Selbst Larina schien den rundlichen Mann mit dem schütter werdenden Haar plötzlich in anderem Licht zu sehen. Mit glühenden Wangen blickte sie zu Craso auf, als er befahl, Kalunas Leichnam beiseite zu schaffen und sich neu zu bewaffnen. Du eitler Geck, fuhr es Shat durch den Kopf. Das ist wohl deine große Stunde, in der du dich vor allen zum Helden aufspielen kannst! Der aufkeimende Zorn dämpfte die Angst, die seine Glieder lähmte. Krächzend richtete er sich auf, überprüfte den Desintegrator und trat an Crasos Seite. Larina, die ihre Hände gerade von Kalunas Blut reinigte, schenkte ihm ein verhaltenes Lächeln. Ganz abgeschrieben war er also noch nicht. Während sie fortging, um die Waffen der
41 Toten einzusammeln, rannte ein Techniker herbei, der sich um die Kommunikation gekümmert hatte. Über seinem rechten Ohr glitzerte ein goldenes Akustikfeld, mit dem er den verbliebenen Bordfunk abhörte. »Die feindlichen Raumsoldaten stoßen zur Zentrale vor, Ratner«, berichtete er atemlos, an Craso gewandt. »Unser Widerstand steht kurz vor dem Zusammenbruch. Es ist nur noch eine Frage von Minuten, bis die Zentrale von den Invasoren besetzt wird.« »Die glauben wohl, wenn sie unsere Führungsoffiziere in der Hand haben, wäre die Schlacht gewonnen«, erwiderte Craso grimmig. »Da haben sie aber die Rechnung ohne die Brodaler gemacht.« Mit lauter Stimme hielt er eine flammende Rede, in der er einen Sieg heraufbeschwor, der einzig und allein vom Kampfeswillen ihrer kleinen Truppe abhing. Untätig herumzusitzen, bis ein Rollkommando aus Baylamor vorbeikam, konnte den Untergang bedeuten, argumentierte er. Dann schon lieber selbst zuschlagen. Die allgemeine Begeisterung hielt sich in Grenzen, aber es widersprach auch niemand. Craso taxierte Shat mit einem kurzen Seitenblick. »Hast du einen besseren Vorschlag?« »Du hast die Führung übernommen, also behalte sie auch.« Sein alter Freund grinste eine Spur selbstzufriedener, als es eigentlich seine Art war. Shat wurde misstrauisch. Erst jetzt, da sie sich Auge in Auge gegenüberstanden, fiel ihm auf, wie klein Crasos Pupillen waren. Für den Laien kaum sichtbar, erkannte ein Eingeweihter darin ein sicheres Zeichen für einen Baal-Rausch. Kein Wunder, dass er so selbstsicher auftrat. Der Kerl war dicht bis unter die Haarspitzen! »Seht mal, Jungs, was ich euch mitgebracht habe«, unterbrach Larina die Analyse. Triumphierend hielt sie drei Aggregatgürtel in die Höhe. Einen für jeden von ihnen.
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Gemeinsam legten sie die Ausrüstung an und aktivierten die Individualschirme. Die flirrende Aura, die ihre Körperform nachzeichnete, strahlte für Shat etwas Beruhigendes aus. Trotzdem blieb ein übles Gefühl in der Magengegend, als er sich den anderen anschloss, die zielstrebig den nächsten Gravoschacht ansteuerten.
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA Als unser Schiff materialisierte, benötigte ich nur einen Augenblick der Orientierung, um mich davon zu überzeugen, dass das Manöver gelungen war. Trotz der geringen Sprungweite gab es die gewohnten körperlichen Nachwirkungen der Transition. Allerdings hatten wir alle gelernt, mit der Übelkeit und Benommenheit umzugehen. AgirIbeth bediente seinen Orter sogar schneller, als ich die Hologalerie absuchen konnte. »Entfernung zu unserem nächsten Verfolger …«, der Hasproner zog alle Aufmerksamkeit auf sich, um dann stolz zu verkünden: »… 38.000 Kilometer!« Geschafft! Ich atmete erleichtert auf. Die TOSOMA war tatsächlich genau im Rücken der acht Kugelraumer aufgetaucht. Während die Baylamoro noch unsere überstürzte »Flucht« feierten, rasten wir bereits wieder auf sie zu. Der Überraschungseffekt würde nur den Bruchteil einer Millitonta andauern, aber wenn wir präzise arbeiteten, reichte diese Zeitspanne vollkommen aus. »Wir konzentrieren uns zuerst auf das große Schlachtschiff!«, befahl ich. »Wenn wir das knacken, sind die anderen demoralisiert.« Khemo-Massai, Altra und Cisoph Tonk agierten zeitgleich an den verschiedenen Systemen, um möglichst effizient zuzuschlagen. Mit positronischer Unterstützung feuerten sie Salve um Salve aus den Transformkanonen und MVH-Geschützen ab. Der 1000-Meter-Raumer wuchs auf der Panoramagalerie zu einem beängstigend großen
Abbild heran, das zuletzt ein Viertel der Wandrundung einnahm. In einem Ausschnitt war deutlich zu sehen, wie unsere Geschosse allesamt innerhalb eines Quadrats von zwei mal zwei Kilometern Kantenlänge einschlugen. Das rote Halbraumfeld erzitterte unter mehreren tausend Gigatonnen VergleichsTNT. Eine Belastung, der es nur 3,8 Sekunden lang standhielt. Danach brach das Feld zusammen, worauf die nachfolgende Breitseite verheerende Schäden in der stählernen Hülle verursachte. Wie in einer Kettenreaktion explodierten die Triebwerke entlang des Äquatorwulstes, bis die gesamte Sphäre von glühenden Eruptionen geschüttelt wurde. Den berstenden Koloss als Deckung nutzend, beschrieb Altra mit der TOSOMA einen Halbkreis, bevor er erneut auf Angriffskurs ging. Die Baylamoro schienen von unserem unerwarteten Wiederauftauchen völlig schockiert zu sein. Unser Jagdkreuzer entging ihren gegnerischen Salven, während wir zwei 600-Meter-Raumer kampfunfähig schossen. Ein drittes Schiff, das uns die Stirn bieten wollte, erlitt das gleiche Schicksal, während es die übrigen vier vorzogen, die Flucht in den Hyperraum anzutreten. Und zwar mit einer ausgedehnten Transition, die sie in weite Ferne sandte. »Die scheinen ja mächtig Respekt bekommen zu haben!« Cisoph Tonk stieß ein befreiendes Lachen aus, das angesichts der ausgebrannten Wracks, die uns in diesem Raumsektor umgaben, reichlich deplatziert wirkte. »Ich will dein Selbstbewusstsein ja nicht über Gebühr dämpfen«, versetzte Agir-Ibeth ein wenig spitz, »aber ich denke, die Flucht der Baylamoro hängt auch mit der Verstärkung zusammen, die gerade von Shahana eintrifft.« Tatsächlich! Auf der Hologalerie zeichnete sich eine ganze Armada von Kugelraumern ab, die aus allen Teilen des Doppelsonnensystems angeflogen kamen. Angeführt wurde sie von einem Ratner Kenk Ru-
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vo, der sich per Hyperfunk mit mir in Verbindung setzte. In wenigen Worten klärte ich ihn über das Schicksal der geenterten DROKAR auf, die dringend Hilfe benötigte. Noch war es vielleicht möglich, einige ihrer Besatzungsmitglieder zu retten.
8. Apocalypse Now Flaggschiff DROKAR Auf dem Weg zur Zentrale stieß ihre Gruppe überall auf Spuren zurückliegender Kämpfe. In einigen der Korridore hatten Thermostrahler so große Hitze entwickelt, dass selbst die feuerfeste Verkleidung geschmolzen war. Klebrige Kunststoffpfützen glänzten dort auf dem Boden, und manchmal, wenn die herabfließende Masse schneller getrocknet war, als sie abtropfen konnte, mussten sie sogar glühend heißen Stalaktiten ausweichen. Der Widerstand auf Seiten der DROKAR erlahmte zusehends, andererseits streiften zahlreiche Baylamoro durchs Schiff, die erbarmungslos jeglichen Widerstand mit Waffengewalt brachen. Gefangene wurden nicht gemacht. Angesichts der verheerenden Kampfgeräte, die eingesetzt wurden, war das auch kaum möglich. Über die aktuelle Lage im Schiff wusste Crasos Gruppe wenig bis gar nichts. Positronische Durchsagen warnten vor dem Betreten einiger Sektoren, die wegen der Hüllenschäden abgeschottet werden mussten. Darüber hinaus gab es nur Funkmeldungen von versprengten Widerstandsnestern, denen immer stärker zugesetzt wurde. Andere Verbände blieben ebenfalls in Bewegung, weil sie sich so höhere Überlebenschancen ausrechneten. Ihr Ziel gab jedoch keiner preis, aus Furcht, dass der Feind die interne Kommunikation abhören könnte. Craso hielt es genauso, auch auf die Gefahr hin, dass sie allein an der besetzten Zentrale eintrafen. Bei einem überraschenden Zusammentreffen mit einer gegnerischen Einheit verlo-
ren sie beinahe die Hälfte ihrer Leute. Direkt an Shats Seite, keine zwei Meter entfernt, wurde Trog Guzko unter breit gefächerten Schüssen das Fleisch von den Knochen gerissen. Eigentlich nichts Neues. In der HoloGeneratorkammer war ihm das gut zwei Dutzend Mal passiert. Angesichts der Endgültigkeit, die diesmal damit verbunden war, erschauerte Shat jedoch bis ins Mark. Immer wieder verzweifelt die Deckung wechselnd, entging er der eigenen Vernichtung gerade lange genug, bis ihre Gruppe den zahlenmäßig unterlegenen Angriff abgewehrt hatte. Shats Trefferquote war so miserabel wie nie zuvor. Er brachte einfach nicht die nötige Ruhe auf, um seine Garben sauber zu platzieren. Erst die Wut darüber, dass Kaluna am Ende noch Recht behalten mochte, spornte ihn weit genug an, um den Baylamoro erfolgreich die Stirn zu bieten. Auf ein trauriges Häuflein von neun Männern und Frauen geschmolzen, setzten sie den Weg fort. Mittels eines funktionsfähigen Gravoschachtes schwebte die Gruppe in das über der Zentrale liegende Deck, um von dort aus, über eine enge Wartungsröhre, wieder hinabzusteigen. Auf diese Weise hofften sie, eine eventuell vorgelagerte Abwehrfront zu umgehen. Tatsächlich gelangten sie ungesehen in den umlaufenden Korridor, der, eine Abzweigung später, direkt auf die Zentrale zuführte. Mit desaktivierten Schilden schlichen sie näher. Ihre Handorter registrierten ein starkes Prallfeld, das die Zentrale umgab. Der Struktur nach entstammte es einem baylamorischen Generator. »Wir durchbrechen den Schild mit punktgenauem Beschuss«, schlug Craso vor. »Sobald ein Loch hineingeschnitten wurde, nehmen wir die Zentrale im Sturm.« Larina, Kang und die anderen nickten beflissen, nur Shat runzelte die Stirn. »Das ist doch Wahnsinn«, widersprach er. »Keiner von uns weiß, wie viele Verteidigungskräfte dort zusammengezogen wurden.« Der Blick, den ihm Craso daraufhin zu-
44 warf, redete eine deutliche Sprache. Feigling!, stand darin zu lesen, aber stattdessen fragte sein alter Freund schnippisch: »Hast du einen besseren Vorschlag, Ratner Nermoy?« Plötzlich stand Shat wieder im Mittelpunkt des Interesses. Nicht alle in der Gruppe waren darauf versessen, ihr Leben im Kampf zu opfern. Entsprechend hingen sie an seinen Lippen in der Hoffnung auf eine gangbare Alternative. Shat fand zuerst nicht den Mut, seine Idee auszusprechen, aber schließlich platzte es aus ihm heraus: »Hier drinnen ist die Schlacht doch längst verloren. Wir sollten uns lieber zu den Rettungskapseln durchschlagen, um wenigstens unser Leben zu retten.« Larinas Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie den Vorschlag hörte, und Craso grinste nur höhnisch. Von den anderen schienen einige der Idee nicht ganz abgeneigt zu sein, aber niemand wagte es, das offen auszusprechen. »Du willst dich also drücken?«, fragte Craso lauernd. »Einfach abhauen, nachdem die Baylamoro über uns hergefallen sind? Falls das stimmt, bist du deines Ranges nicht würdig.« »Mag sein«, gestand Shat. »Dafür bin ich wenigstens klar im Kopf.« Die Anspielung auf das Baal war zu viel für Craso. Aufgebracht packte er Shat am Kragen und drängte ihn mehrere Schritte zurück, bis sie außer Hörweite waren. Unter dem Einfluss der enthemmenden Droge mutierte sein Gesicht zu einer verzerrten Fratze. »Jetzt hör mir mal gut zu«, flüsterte er rau. »Wenn für den Angriff nicht jeder Mann wichtig wäre, würde ich dich auf der Stelle wegen Insubordination erschießen lassen. Wir nehmen jetzt die Kommandozentrale ein und erfüllen unsere Mission, ist das klar?« Shat ließ den Aggressionsschub widerstandslos über sich ergehen. Eine Prügelei in unmittelbarer Nähe des Feindes war nun wirklich das Letzte, was sie brauchen konnten. Auf Larinas leisen Zuruf hin dämmerte
Bernd Frenz das sogar Craso. Mit einer verächtlichen Bewegung ließ er den Kragen los. Nach kurzem Zögern fischte er noch zwei blaue Pastillen aus seiner Brusttasche, die er Shat grob in die Hand drückte. Baal. In höchster Konzentration. »Hier, schluck das!«, empfahl er. »Dann bist du wieder der Alte.« Als Craso zur Gruppe zurückkehrte, um die Einplanung des Angriffs vorzunehmen, gab es keinen, der ihm noch widersprochen hätte. Eigentlich auch verständlich. Jeder von ihnen hatte gewusst, auf was er sich beim Eintritt in die Flotte einließ. Nun mussten sie den eingeschlagenen Weg auch bis zum bitteren Ende gehen. Niedergeschlagen steckte Shat die Drogen ein und hockte sich neben die anderen. Angesichts der erlittenen Niederlage schlug ihm weder Ablehnung noch heimliche Zustimmung entgegen. Niemand sah ihn direkt an. Alle schienen völlig mit sich selbst beschäftigt zu sein. Nur zu Larina fühlte er plötzlich eine unüberbrückbare Distanz. Sie hatte sich wohl etwas anderes unter dem leidlich bekannten Brodaler vorgestellt und er selbst, wenn er ehrlich war, auch. Wenn es wirklich stimmte, dass im Angesicht der Gefahr der wahre Charakter einer Person zutage trat, konnte Shat mit seinem Ergebnis nicht sonderlich zufrieden sein. Seine Knie zitterten unentwegt, obwohl die anfängliche Furcht längst einer gewissen Gleichgültigkeit gewichen war, die allerdings nichts mit der Ruhe und Gelassenheit im Training gemein hatte. Wie aus weiter Ferne vernahm er Crasos Anweisungen, die er beflissen abnickte. Alle Verantwortung abzugeben machte es leichter, die einmal eingeschlagene Richtung fortzusetzen. Die vorgesehene Taktik wurde ein letztes Mal durchgesprochen, bevor sich alle auf den Weg machten. In Sichtweite des georteten Prallfeldes wurden die Individualschirme aktiviert. Dann stürmten sie vor, und das Inferno
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begann …
* Aus der Deckung einer zerschmolzenen Wand heraus nahmen sie den Prallschirm unter neunfachen Punktbeschuss. Drei feindliche Raumsoldaten erwiderten zwar das Feuer, konnten jedoch nicht verhindern, dass die Barriere unter dem konzentrierten Ansturm zusammenbrach. Trog Kang fiel während der Attacke auf das geborstene Schott, aber den Übrigen gelang es, die Verteidiger zurückzudrängen und in die Zentrale vorzudringen. Drinnen wurden sie von einer zwanzig Mann starken Einheit erwartet, die sich hinter weiteren Prallfeldern verschanzte. Schlagartig wurde der Raum von einem grün schimmernden Strahlenmeer durchflutet. Mikronadeln und Desintegratorstrahlen zogen unerbittlich ihre Bahnen. Dort, wo sie in dem engen Geflecht aufeinander stießen, wuchsen faustgroße Glutbälle heran, ausgelöst durch die Sprengköpfe, die vorzeitig zur Explosion gebracht wurden. Crasos Gruppe bediente sich des wohl einstudierten Doppelschlag-Manövers. Selbst immer in Bewegung, um das eigene Individualfeld zu schonen, konzentrierten sich jeweils zwei Duo-Partner auf einen Gegner, um dessen Schild zu überlasten. Die Trainingsstunden in der Holo-Kammer zahlten sich Schuss um Schuss aus, aber obwohl sie viele der überraschten Baylamoro töten, nahm der eigene Blutzoll erschreckende Dimensionen an. Zwei Techniker, die ein Duo bildeten, zerriss es als Erstes. Drei Trogs folgten. Shat, der als Einziger die Deckung des geborstenen Schotts nutzte, spürte einen Stich durchs Herz, sobald er einen Kameraden fallen sah. Bei diesem Gefecht war alles anders. Diesmal brachen keine holografischen Energieballungen zusammen, sondern Individuen, von denen jedes auf seine Weise einmalig, kostbar und unersetzlich war.
Trotzdem verging einer nach dem anderen im Sturm der Desintegratoren. Wofür nur? Wofür? Shats Blick irrte durch die Zentrale, während seine Freunde niedergemäht wurden. Anfangs wollte ihm nicht in den Kopf, warum die Zentrale mit solcher Verbissenheit gehalten wurde, bis er sah, dass man die Kernspeichereinheit des Bordrechners von den Abdeckungen befreit hatte. Natürlich, das musste der Hintergrund dieses Überfalls sein! Geheime Informationen, die nicht anders zu erhalten waren. Welchen immensen Wert mochten sie nur besitzen, dass solche Mengen an Leben und Material bedenkenlos geopfert wurden? Fast beiläufig registrierte er, wie Larinas Schirm zusammenbrach. Die geschmeidige Trog versuchte noch, in Deckung zu hechten, aber eine Mikronadel, die ihre Stirn streifte, beendete die Bewegung schon im Ansatz. Mit abgesprengtem Kopf sank sie in sich zusammen wie eine schlaffe Gliederpuppe mit versiegter Energiequelle. Alles in Shat verkrampfte sich. Ein gequälter Schrei erfüllte die Zentrale bis in den hintersten Winkel. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es seine eigene Stimme gewesen war. Der letzte Rest seines klaren Verstandes verkroch sich in die hinterste Windung seines Gehirns. Hier, losgelöst von den Empfindungen und Reflexen des Körpers, handelte er mit einer überraschenden Klarheit, die er nie zuvor im Leben verspürt hatte. Sein rechter Arm hob sich von ganz allein. Mit tausendfacher Routine visierte Shat den freigelegten Speicherkern an und feuerte den Desintegrator ab. Salve auf Salve schnitt quer durch die Zentrale. Seine Hand lag so ruhig, dass jeder Strahl exakt dem Schusskanal des vorhergehenden folgte. Eine grün schimmernde Schneise der Vernichtung brach sich unerbittlich Bahn, schlug in den Bordspeicher ein und zerfetzte das heiß begehrte Objekt zu einem Häufchen Staub.
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Der Schmerz, den er damit seinen Feinden zufügte, verschaffte ihm einen Hauch von Genugtuung, obwohl das weder Larina noch einen der anderen wieder lebendig machte. Keinen von ihnen. Selbst Craso lag am Boden, und so wenig, wie von seinem Körper noch übrig war, würde er sich auch nie wieder erheben. Sobald die Baylamoro das Scheitern ihrer Mission erkannten, erstarb das Gefecht. In einer Mischung aus Unglauben und Hass starrten sie zu Shat herüber, bevor sie ihre Waffen neu ausrichteten, um fürchterliche Rache zu nehmen. Angesichts der Übermacht tat Shat das einzig Vernünftige, was ihm noch blieb. Er machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon.
* Schwerer Jagdkreuzer TOSOMA »Ich stelle dir zwei Schlachtkreuzer zur Verfügung, damit du den Riegel um die DROKAR durchbrechen kannst«, bot Ratner Ruvo spontan an. »Mehr kann ich nicht entbehren, bevor die Lage unter Kontrolle ist. Aber ich stoße sofort mit weiteren Schiffen nach, wenn die Baylamoro die Waffen strecken.« »Mehr Unterstützung ist gar nicht nötig«, versicherte ich voller Überzeugung. »Wie es scheint, nimmt die Absetzbewegung der Baylamoro bereits größere Dimensionen an.« Das war eine Einschätzung, mit der ich leider nur etwa halbwegs richtig lag. Die Hologalerie leerte sich zwar tatsächlich von blau markierten Schiffen, aber der Riegel rund um die DROKAR blieb weiter bestehen. Erst nachdem wir einige massive Angriffe geflogen hatten, kehrten die Beiboote zu ihren Mutterschiffen zurück. Der größte Schwung wurde in die Hangars aufgenommen, aber einige Nachzügler, die nicht schnell genug waren, ließ man einfach zurück, als die Lage zu prekär für die Kugelraumer wurde.
Gut ein Drittel der ausgesandten Beiboote blieb jedoch an Bord der DROKAR. Entweder hatte es sehr hohe Verluste gegeben und ihre Besatzungen waren gefallen, oder es tobten dort drüben noch Gefechte, die den Rückzug verzögerten. Ein Gefühl der Bitternis durchströmte mich. Diese Schlacht hatte schon zu viele Opfer gefordert. Jeder Raumsoldat, der jetzt noch starb, war ein unnötiger Toter mehr. »Wir gehen an Bord«, entschied ich. »Ratner Sollio und seine Besatzung haben es verdient, dass wir ihnen nach Kräften helfen.« Die anderen in der Zentrale empfanden ganz ähnlich. Niemand zuckte auch nur missbilligend mit der Braue. Akanara wollte mich sogar begleiten, aber ich lehnte entschieden ab. Der Junge hatte an diesem Tag schon weit mehr gesehen, als er verarbeiten konnte. Den Anblick der Toten, die uns auf der DROKAR erwarteten, wollte ich ihm lieber ersparen. So machte ich mich als Einziger der Zentrale auf den Weg zum Expressaufzug, um mich mit Zanargun, dem Chef der Landungstruppen, im Hangar der Stealth-Shifts zu treffen. Mit diesen Beibooten wollten wir den gleichen Weg nehmen wie die Enterkommandos, die sich einen Weg durch die Außenschotten der DROKAR gebrannt hatten. Es war unser fester Wille, das Blutvergießen an Bord des vom Schicksal geprüften Raumers zu beenden. Wie hätte ich auch ahnen sollen, das ich stattdessen Tod und Verderben brachte?
* Flaggschiff DROKAR Ein halbes Dutzend Raumsoldaten nahm die Verfolgung auf, aber das war Shat nur recht. Während der vom Überlebensinstinkt getriebene Körper ganz automatisch reagierte, fasste sein Verstand einen tollkühnen Entschluss. Endlich. Zum ersten Mal seit Ausbruch des Gefechtes wusste Shat ganz genau, was er wollte.
Angriff der Bestien Sein Individualschirm begann bereits unter dem Einschlagshagel zu flirren, als er auf einen aktiven Gravoschacht zuhielt und sich mit einem kräftigen Sprung in die rettende Tiefe absetzte. Das Zittern, das seinen Körper durchlief, ließ im gleichen Maße nach, wie sein tollkühner Plan gedanklich Gestalt annahm. Ein Schwarm Mikronadeln, die ihn wie angriffslustige Insekten attackierten, erinnerte ihn daran, dass die Raumsoldaten an seinen Fersen klebten. Obwohl Shat instinktiv die Augen schloss, drang die Glut der Explosionen durch seine Lider und blendete ihn sekundenlang. Glücklicherweise gehörte Gefechtsverhalten im Gravoschacht zu den trainierten Szenarien, sonst wäre er womöglich in Panik geraten. Ohne über die Gefahr fürs eigene Leben nachzudenken, bestrich er die gravomechanischen Projektoren mit Dauerfeuer. Der Ausfall dieser Felder verursachte Turbulenzen, denen die Verfolger zum Opfer fielen, als sie Sekunden später die beschädigte Stelle passierten. Der erste Raumsoldat geriet ins Trudeln und schlug mit lautem Knall gegen die Stahlwandung. Seinen über ihm folgenden Kameraden erging es nicht besser, so dass plötzlich alle wild durcheinander purzelten, bis die Kraftfelder im folgenden Abschnitt ihre Körper wieder ins Lot brachten. Dank der Individualschirme nahm niemand ernsthaft Schaden, aber bevor sie sich von der Überraschung erholen konnten, hatte Shat den Schacht bereits verlassen und war auf ein Rollband gewechselt. Mit dem Rücken zur Fahrtrichtung nahm er den Schachtzugang ins Visier und empfing seine Verfolger mit einer gezielten Garbe, die sie am Betreten des Decks hinderte. Auf diese Weise vergrößerte er den Vorsprung, bis zu seiner Linken ein Gang abzweigte, in den er mit einem geschmeidigen Sprung eintauchte. Sein Mulifunktionsarmband zeigte Prallfelder an, die in einiger Entfernung den Weg versperrten. Also wechselte er erneut die Richtung und suchte sich ei-
47 ne freie Strecke. Seine Häscher waren allerdings trainierte Burschen, die sich nicht so leicht abhängen ließen. Mit Hilfe der Handscanner spürten sie Shats Individualschirm auf, der verräterische Frequenzen ausstrahlte. Und obwohl er um sein Leben rannte, gelang es ihnen bald darauf, wieder zu ihm aufzuschließen. Sobald sie in Sichtweite gerieten, prasselten Geschosse auf Shats Abschirmung. Bevor sie das Aggregat überlasten konnten, gelang es ihm erneut, um die nächste Ecke zu entkommen. Auf Dauer konnte er sich mit solchen Manövern natürlich nicht der Vernichtung entziehen, aber was für die Baylamoro wie eine kopflose Flucht aussehen mochte, war in Wirklichkeit der Teil eines wohl durchdachten Plans. Shat wollte nämlich, dass sie ihm auf den Fersen blieben. Und zwar so lange, bis die Falle zuschnappte! Sein Ziel lag noch fünf Decks und vierhundert Meter in der Waagerechten entfernt, aber indem er immer neue Haken in angrenzende Korridore und Schächte schlug, entkam er seinen Häscher lange genug, um das vertraute Blau des heimischen Sektors zu erreichen. Höchste Zeit, denn sein Körper zeigte bereits schwere Erschöpfungserscheinungen. Mehr taumelnd als rennend erreichte Shat die Stelle, an der ihn Trog Kang mit einem Prallfeld empfangen hatte. Nicht einmal zwanzig Minuten war das her, und doch schien es schon wie eine Episode aus einem vergangenen Leben zu sein. Damals hatten Kang und die anderen noch gelebt, jetzt waren sie tot. Alle! Ohne Ausnahme. Shat wischte den Gedanken an die Verstorbenen fort, während er sich ausgepumpt neben dem mobilen Aggregat zu Boden warf, das noch immer an der gleichen Stelle stand. Zwei glühende Strahlen hüllten die Luft über ihm in grünen Schimmer, allerdings nur so lange, wie er brauchte, um das Gerät zu aktivieren. Danach zerschellten sie an dem emporfahrenden Energieschild.
48 Am liebsten wäre Shat liegen geblieben, um ein wenig zu verschnaufen, aber dazu blieb ihm leider keine Zeit. Begleitet von dem wütenden Gebrüll der Feinde, rappelte er sich auf und rannte weiter. Zehn, vielleicht fünfzehn Sekunden; länger würden sie nicht brauchen, um die Barriere zu durchbrechen. Diese Zeitspanne musste reichen, sonst war er endgültig verloren. Seine Lunge brannte bei jedem Atemzug, während er zum Schott der HoloGeneratorkammer schwankte. Shat wartete nicht ab, bis es vollständig aufgeglitten war, sondern zwängte sich hindurch, sobald es einen Spalt weit offen stand. Drinnen empfing ihn Dunkelheit. Nur das zwanzig Meter entfernte Kontrollpult wurde von indirektem Licht beleuchtet. Keuchend hielt er darauf zu. Seine Schritte klangen seltsam hohl durch die dunkle Halle, deren wahre Abmessungen zu einem konturlosen Nichts verschwammen. Solange kein Szenario lief, wirkte der Raum so einladend wie ein Exerzierplatz, aber das sollte sich bald ändern. Die blinkenden Statusanzeigen tauchten die Arbeitskonsole in ein buntes Lichtermeer, als Shat die Startsequenz aktivierte. Mit fliehenden Händen rief er das aktuelle Trainingsszenario auf. Was folgte, waren die längsten Sekunden seines Lebens. Nur quälend langsam bauten sich die Projektionsfelder auf, die den Dschungel von Di'akir nachbildeten. Draußen sackte bereits das Prallfeld unter dem konzentriertem Beschuss seiner Verfolger zusammen. Shat stellte rasch die höchste Schwierigkeitsstufe ein, dann richtete er seine Waffe auf das offene Schott. Von dem Deflektorfeld der Konsole verborgen, hatte er freie Sicht auf den erleuchteten Zugang, während seine Gegner nur üppige Vegetation zu sehen bekamen, die von hohen Baumstämmen, Blättern, Strauchwerk und Farnen dominiert wurde. Entsprechend verdutzt blieben die Raumsoldaten stehen, nachdem sie durch die Tür
Bernd Frenz gestürmt waren. Ihre aktivierten Schirme provozierten umgehend eine Reaktion der positronischen Szenarioführung. Ein Lächeln glitt über Shats Lippen, als er daran dachte, wie sie selbst beim ersten Training niedergeschossen worden waren. Auch diesmal hatte sich eine Schar virtueller Bestien aus dem Unterholz gelöst und die Neuankömmlinge unter schweres Feuer genommen. Die Raumsoldaten spritzten sofort auseinander, ohne zu ahnen, dass die Einschläge, die ihre Individualabschirmungen erschütterten, keine reale Gefahr bildeten. Verzweifelt stellten sie sich dem anrückenden Feind entgegen, der nicht die geringste Angst vor ihrem Abwehrfeuer zeigte. Shat wartete, bis die Schilde der Baylamoro zusammenbrachen, bevor er selber ins Geschehen eingriff. Mit stark fokussiertem Strahl streckte er zwei Angreifer auf Anhieb nieder. Der Beschuss schwächte zwar die tarnende Wirkung des Deflektorfeldes, aber die Verwirrung der Raumsoldaten war zu groß, um in dem holografischen Dschungel einen weiteren Gegner auszumachen. Nachdem drei den Tod gefunden hatten, zog sich die restliche Truppe in Panik zurück. Hals über Kopf sprangen sie auf den Korridor hinaus und liefen mit langen Schritten davon. Shat ließ das Schott hinter ihnen zugleiten und verdammte die holografischen Bestien mit einem Tastendruck zu absoluter Friedfertigkeit. Die unmittelbare Gefahr war erst einmal gebannt. Mit festem Schritt hielt er auf die Toten zu, deren junge Gesichter vor Angst und Schmerz verzerrt waren. Sie konnten nicht viel älter sein als Craso und die anderen. Ob sie wohl von ihrem Einsatzbefehl genauso überrascht gewesen waren wie die Besatzung der DROKAR von ihrem Angriff? Vermutlich, aber es war müßig, darüber zu spekulieren. Solange die Baylamoro bewaffnet durchs Schiff streiften, musste Shat jeden von ihnen als potentiellen Feind anse-
Angriff der Bestien hen. Mit sicherem Blick suchte er sich einen Toten aus, der etwa seine Statur besaß, und entkleidete ihn. Die Schutzanzüge der Baylamoro unterschieden sich nur in Nuancen von den Standards der Shahano. Nach knapp einer Minute hatte er die Uniform übergestreift. Der Raumhelm mit dem getönten Visier machte Shat endgültig unkenntlich. Nur der schwarz umrandete Durchschuss im Brustbereich verriet, dass diese Kleidung keinem Lebenden gehören konnte. Routiniert verriegelte er alle Verschlüsse und überprüfte die Ladeanzeige des baylamorischen Thermostrahlers. Nicht einmal halb leer. Damit ließ sich noch ein ganzer Krieg gewinnen. Er atmete tief ein und aus und ging zum Schott. Das ist nur eine Simulation, hämmerte er sich ein. Dir kann gar nichts passieren. Du musst nur genauso reagieren wie immer. Ist alles eine reine Trainingssache. Sein unter Schock stehender Verstand war nur zu gern bereit, dieser Selbstverleugnung zu folgen. Shat musste nicht einmal Baal schlucken, um sich in Kampfstimmung zu bringen. Er brauchte nur den Tod von Larina und Craso Revue passieren zu lassen, den Rest besorgte seine Konditionierung aus den Übungseinheiten. Entschlossen öffnete er das Schott, presste eine Hand auf den verräterischen Durchschuss und stolperte vornübergebeugt auf den Korridor hinaus. Zuerst wirkte alles leer, so dass er schon dachte, die Gegner wären gänzlich geflohen, dann verrieten erstaunte Ausrufe ihre Position. Nahe der Promenade, hinter geschmolzenen Wandverkleidungen verborgen, winkten sie ihn näher. Sie hielten ihn tatsächlich für einen der ihren. Sehr gut! In Erwartung weiterer Schwarzer Bestien behielten sie das Schott hinter Shat im Visier. Ihm selbst gaben sie Deckung, während er sich bis auf wenige Schritte näherte. Erst als Shat sie nicht mehr verfehlen konnte, riss er den Thermostrahler hoch und schickte ih-
49 nen glühend heiße Salven entgegen. Auf diese geringe Entfernung konnten die geschwächten Schirme der Attacke nichts entgegensetzen. Zwei Männer gingen sofort in Flammen auf. Von gelborange Lohen umgeben, sprangen sie in die Höhe und rannten schreiend davon. Das vermochte die sengende Hitze nicht zu lindern, deshalb warfen sie sich schon wenige Schritte später verzweifelt auf den Boden und versuchten, die Feuersbrunst durch heftiges Sichwälzen zu ersticken. Vergeblich. Sie verbrannten bei lebendigem Leib. Ein furchtbarer Anblick, aber Shat hatte solche Szenen schon häufiger in der HoloGeneratorkammer gesehen. Das ist nicht real, hämmerte er sich ein. Nur eine Übung. Gleichzeitig schoss er auf die übrigen Raumsoldaten, die gar nicht wussten, wie ihnen plötzlich geschah. Von Panik erfüllt, brachen sie in blindwütiges Abwehrfeuer aus und rannten davon. Shat sandte ihnen eine wohlgezielte Garbe hinterher, die einen der Schirme durchbrach. Danach nahm er die Verfolgung auf und trieb sie regelrecht vor sich her. Von Jagdfieber erfasst, dezimierte er sie gnadenlos. Shat wusste nicht, ob es der blinde Wunsch nach Erfüllung seiner Mission oder Rachegelüste waren, die sein Handeln bestimmten. Sein Körper reagierte jedenfalls von allein, während der Verstand seltsam unberührt blieb. Verbissen blieb er den Gegnern auf den Fersen. Es war nicht zu übersehen, dass die Raumsoldaten den äußeren Habitaten entgegenstrebten, vermutlich, um sich über eines der Enterschiffe abzusetzen. Ihr Sperrfeuer sorgte für einen rapiden Energieabfall in seinem Gürtelaggregat, bis der Schutzschirm übergangslos zusammenbrach. Auch das vermochte ihn nicht zu stoppen. Im Gegenteil. Er verringerte die Distanz und setzte ihnen weiter zu. Ein grüner Energiestrahl, der knapp an seiner rechten Helmseite entlang-
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jagte, löste das Schulterpolster seines Raumanzuges auf. Auch das schreckte ihn nicht. Von brodelndem Kampfesrausch erfasst, folgte er dem Trupp in einen Laderaum, der zu den Hangars führte. Hier spritzten die fünf plötzlich auseinander, um hinter Kunststofftonnen und schwebenden Antigravplattformen Deckung zu suchen. Ehe Shat ihnen mit dem Waffenlauf folgen konnte, fiel sein Blick auf neu einrückende Soldaten in fremden Kampfanzügen, die plötzlich wie aus dem Boden gewachsen im Raum standen. An der Spitze dieser Invasoren marschierte eine hochgewachsene Gestalt mit langem weißem Haar, das bei jedem Schritt auffächerte. Ein hoher Offizier zweifellos. Die Situation veränderte sich zu schnell, um sie wirklich zu erfassen. Zum Nachdenken blieb keine Zeit, Shat musste reagieren. Sein Verstand blendete alles um ihn herum aus, während er den Fremden wie durch einen Tunnelblick fixierte. Alles, was er noch assoziieren konnte, war: UNBEKANNT = GEFÄHRLICH = VERNICHTEN! Noch bevor die Gedankenkette richtig beendet war, löste er die Waffe aus. Warnschreie hallten durch den Hangar, aber für den Weißhaarigen war es längst zu spät. Der tödliche Strahl raste ihm bereits unaufhaltsam entgegen.
9. Atlan An Bord der DROKAR Der offene Hangar, in dem wir mit dem Stealth-Shift landeten, besaß ein Kraftfeld, das die Halle gegen das Vakuum des Alls schützte. Zanargun und seine Männer sicherten schon den Vormarsch, als auch zwei Beiboote eines shahanoischen Raumers den halb durchlässigen Schirm passierten. Sie wollten ebenfalls nach Überlebenden suchen. Ihr kommandierender Offizier, Ratner Aruso, bot an, unsere Gruppen zusammenzuschließen.
Ein Vorschlag, den ich gern annahm. Nach allen Seiten sichernd, betraten wir einen der üblichen Laderäume, wie sie sich jedem Hangar anschlossen. Wie berechtigt unsere Vorsicht war, zeigte sich Sekunden später, als ein Schott in der Rückwand zur Seite glitt und förmlich fünf Soldaten ausspie, die mit gezückten Waffen auf uns zurannten. Ihre Uniformen entlarvten sie als Angehörige des baylamorischen Enterkommandos, die in uns ebenfalls ihre Feinde erkannten. Hastig warfen sie sich hinter Kunststofftonnen und Antigravplattformen in Deckung und eröffneten das Feuer. Zanargun und seine Raumsoldaten waren viel zu gut trainiert, um sich so leicht überrumpeln zu lassen. Sie erwiderten den Angriff mit kühler Präzision und deckten die fünf mit breiten Garben aus ihren Kombistrahlern ein. Der Schlagabtausch erfolgte so schnell, dass sich mein Eingreifen erübrigte. Einer alten Routine folgend, behielt ich lieber das offene Schott im Auge, nur für den Fall, dass dort weitere Überraschungen lauerten. Ich sollte Recht behalten. Kaum hatte ich den Kombistrahler in Anschlag gebracht, stürmte schon ein Nachzügler herein. Seine Bewegungen drückten blanke Mordlust aus, als er seinen Thermostrahler in meine Richtung stieß und abdrückte. Der Strahl zerfaserte an meinem Individualschirm, der die aufschlagende Energie nur mühsam absorbieren konnte. In diesem Moment der Gefahr dachte ich nicht nach, sondern handelte rein intuitiv, mit einer Routine, die sich in Tausenden von Kämpfen eingeschliffen hatte. Den Gegner anvisieren und die Waffe auslösen bedeutete nicht mehr als eine flüssige Gebärde, die nur den Bruchteil einer Sekunde währte. Eine grün schimmernde Garbe bohrte sich in die Brust des unbekannten Soldaten. Er blieb stehen, als wäre er gegen eine Mauer gerannt. Der Helm mit dem dunkel getönten Visier war reglos auf mich gerichtet, während er in den Knien einbrach und vornüber zu Boden schlug.
Angriff der Bestien Ich hatte den Mann gar nicht töten wollen, aber alles war so schnell gegangen. Zwei Kämpfer in unterschiedlicher Uniform, jeder eine verhängnisvolle Waffe in der Hand. Diese Faktoren führten zwangsläufig zu einem bestimmten Ergebnis. Und so fühlte ich in diesem Moment sicher Trauer, aber keine tiefere Schuld. Du hast in Notwehr gehandelt, bestätigte mein Logiksektor. Selten waren wir derart einer Meinung wie in diesem Fall. Das Gefecht mit den übrigen Baylamoro ging ähnlich aus, nur zwei von ihnen waren so vernünftig, rechtzeitig die Waffen zu strecken. Während die Überlebenden gefangen genommen wurden, arbeiteten Zanargun und ich uns durch das offene Schott tiefer in den Schiffsleib vor. Dem Raumsoldaten, der vor dem Schott lag, schenkte ich keine Beachtung mehr, zumindest so lange, bis mich ein lautes Keuchen herumfahren ließ. Meine Befürchtung, dass noch weitere Gegner aus ihren Verstecken stürmten, erwies sich zum Glück als unbegründet. Stattdessen sah ich Ratner Aruso, der neben dem Mann kniete, den ich getötet hatte, den Helm des Toten in der Hand. »Was ist los?«, fragte ich überrascht. »Stimmt etwas nicht?« Aruso sah mit offenem Mund in die Höhe. Aus seinem Gesicht war alles Blut gewichen. Er sah tatsächlich blasser aus als der Tote zu seinen Füßen. »Den kenne ich«, flüsterte Aruso leise, von einer gewissen Ehrfurcht erfüllt. »Das ist Shat Nermoy, der Broda-Spieler. Das ist einer von uns.« Ich wollte zuerst nicht glauben, was Aruso sagte, aber als man Nermoy den Schutzanzug abstreifte, trug er darunter tatsächlich die Uniform der shahanoischen Landetruppen. Bei dieser Erkenntnis drehte sich mir fast der Magen um. Wir hatten auf derselben Seite gestanden und trotzdem aufeinander geschossen. Wozu das Ganze nur? Wozu? Du hast dir nichts vorzuwerfen, mahnte der Logiksektor. Es war eine Verkettung un-
51 glücklicher Umstände, in der du nur deine Haut verteidigt hast. Während wir noch über den Grund für Nermoys Maskerade rätselten, trafen weitere Truppen ein, die sich statt unser der Durchsuchung des Flaggschiffs annahmen. Viel war es nicht, was sie fanden. In erster Linie Tote. Zuerst mochte es niemand recht glauben, aber aus anfänglicher Skepsis erwuchs schließlich die bittere Erkenntnis, dass es auf der DROKAR tatsächlich keinen einzigen Überlebenden gab. Dafür hatten einige automatische Optiken in der Zentrale aufgezeichnet, wie Nermoy in einem hitzigen Gefecht den Hauptspeicher zerstörte. Bereits zwei Minuten später war der Rückzug der Enterkommandos eingeleitet worden. Also nicht, weil die TOSOMA das Schlachtschiff zerstört hatte, sondern weil das Gefecht an Bord der DROKAR ohne den Speicherkern sinnlos geworden war. Shat Nermoy, ein Ratner, der noch Stunden zuvor wegen eines Wachvergehens eingesessen hatte – er galt plötzlich als der wahre Held dieser Schlacht! Und ich hatte ihn erschossen. Nicht, dass mir jemand deshalb einen Vorwurf machte, die Situation war eindeutig gewesen und von Ratner Aruso bestätigt worden. Trotzdem fühlte ich mich so schlecht wie lange nicht mehr, als ich mit Zanargun und seinen Männern an Bord der TOSOMA zurückkehrte. Sicher, ich besaß genügend Lebenserfahrung, um zu wissen, dass jedes Erlebnis im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte verblasste. Aber da gab es noch den Fluch meines fotografischen Gedächtnisses, das mich die Sekunden des kurzen Feuergefechtes noch unzählige Male erleben lassen würde, bevor ich halbwegs Ruhe fand. Wenn ich nun gehofft hatte, dass es an diesem Tag nicht mehr schlimmer kommen konnte, wurde ich schon kurze Zeit später eines Besseren belehrt. Wir befanden uns gerade im Anflug auf Shahana, als in der Zentrale ein Hyperraumruf von Nestara
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Cherhay einging. Das holografische Abbild der Tamaron wirkte ungewöhnlich blass, als sie sich für die tatkräftige Hilfe der TOSOMA bedankte. Ihre Stimme klang brüchig. Sie verhaspelte sich oft und wirkte fahrig. Sie redet um den heißen Brei herum, raunte mein Extrasinn. Er lag richtig. Das zeigte sich, als Nestara Cherhay eine kurze Pause einlegte, ihr Kleid mit bedächtigen Bewegungen glatt strich und mir fest in die Augen sah. »Es gibt da noch etwas, das ich dir mitteilen muss«, sagte sie endlich. »Es ist eine
Nachricht, die dich sicher schockieren wird, aber ich kann sie dir nicht länger vorenthalten.« »Um was geht es denn?«, fragte ich gönnerhaft, denn ihre Herumdruckserei zehrte langsam an meinen Nerven. So einen rüden Ton war sie als Tamaron sicher nicht gewohnt. Aber sie schien es mir nicht zu verübeln, sondern antwortete nur: »Es geht um deine Gefährtin, Li da Zoltral. Sie ist entführt worden.«
ENDE
Atlan hat Shahana in einer großen Raumschlacht gegen das angreifende Reich Baylamor verteidigt. Damit die Tamrätin ihm überhaupt den Oberbefehl über ihre Flotte anvertraute, bot sich seine Geliebte als Geisel an. Wer steckt hinter der Entführung? Und gelingt es Atlans Crew, Li aus den Fängen der Entführer zu befreien? VORSTOSS ZUR WASSERWELT Unter diesem Titel erscheint in zwei Wochen der nächste Roman unserer spannenden Miniserie. Geschrieben wurde er von Frank Borsch.