Angst vor der Liebe, Katrina? Betty Neels
Julia 1392
8 1/2000
scanned by Suzi_Kay
1. KAPITEL Die Straße war schmal...
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Angst vor der Liebe, Katrina? Betty Neels
Julia 1392
8 1/2000
scanned by Suzi_Kay
1. KAPITEL Die Straße war schmal. Wie so viele englische Landstraßen, wand sie sich in abenteuerlichen Kurven zwischen hohen Hecken und unter Bäumen dahin, hatte kaum Verkehr und passte ganz in die idyllische Stimmung eines sonnigen Frühlingsmorgens. Der Mann, der am Steuer des grauen Bentley saß, fuhr langsam, um die Ruhe und den Frieden zu genießen. Es gibt doch immer wieder hübsche Winkel, dachte er, aber man entdeckt sie nur durch Zufall. Schon seit mehreren Meilen war er durch kein Dorf gekommen, und das letzte einsame Cottage lag mindestens eine Meile zurück. Ein Motorrad kam um die Kurve. Es fuhr zu schnell und in der Mitte der Straße. Es sauste knapp an dem Bentley vorbei und war Sekunden später verschwunden. Der Mann hinter dem Steuer stieß eine Verwünschung aus und bremste gleich darauf. .Der Inhalt eines Einkaufskorbs lag verstreut auf der Straße, ein Fahrrad - kaum noch als solches erkennbar - war auf den linken Grasstreifen geschleudert worden, und daneben saß eine junge Frau. Sie schien nicht verletzt, dafür aber um so wütender zu sein. "Dieser Idiot!" schimpfte sie, als der Mann ausgestiegen war. "Haben Sie ihn gesehen? Auf der falschen Seite zu fahren ... noch dazu in diesem Tempo!"
Was für ein atemberaubendes Geschöpf! dachte der Mann, während er auf die Frau zuging. Groß, volles braunes Haar und ein Gesicht, das man nicht so schnell vergaß. "Ja, ich habe ihn gesehen", antwortete er. Er war selbst auffallend groß und nicht mehr jung. Sein aschblondes Haar begann, grau zu werden, aber er hatte ein anziehendes Gesicht mit einer ausgeprägten Nase und einem schmalen, beredten Mund. "Sind Sie verletzt?" Er beugte sich zu der Frau hinunter und bemerkte die blutende Wunde an ihrem Bein. "Bleiben Sie ruhig sitzen. Ich hole meine Tasche." "Dann sind Sie Arzt? Was für ein glücklicher Zufall!" Der Mann kam mit einer Arzttasche zurück und reinigte die Verletzung behutsam. "Ja, ich bin Arzt, aber hier kann ich wenig für Sie tun. Sind Sie sonst noch verletzt? Waren Sie bewusstlos?" "Nein. Mir tut alles weh, aber das hat wohl nichts zu sagen." "Ich werde Sie nach Hause fahren und Ihren Hausarzt verständigen. Wohnen Sie in der Nähe?" "In Rose Cottage - eine gute Meile entfernt; Bis zum Dorf ist es etwas weiter." Der Mann verband das Bein, reinigte noch mehrere unbedeutende Kratzer und, zupfte der Frau einige Grashalme aus dem Haar. Dann nahm er sie mühelos auf die Arme und trug sie zu seinem Auto. "Das hätten Sie nicht tun sollen", protestierte sie, nachdem er sie hineingesetzt hatte. "Ich bin schwer." "Nicht für eine so große Frau", antwortete er und lächelte. Er hatte ein angenehmes Lächeln, freundlich und unpersönlich zugleich. Und natürlich hatte er Recht - sie war groß. Sie sah zu, wie er ihre Lebensmittel in den Korb sammelte und das verbogene Fahrrad unter die Büsche schob. Der Anblick war zu viel für sie. Als er sich wieder hinter das Steuer setzte, liefen ihr Tränen über die Wangen.
Er nickte verständnisvoll, reichte ihr ein großes schneeweißes Taschentuch und sagte freundlich: "Weinen Sie sich nur aus, das hilft am besten." Dann wartete er geduldig, bis sie sich beruhigt und ihr Gesicht abgetupft hatte. "Ich werde das Taschentuch waschen und Ihnen zurückschicken", sagte sie. Ihr Gesicht war vom Weinen verquollen, aber immer noch schön. "Ich heiße Katrina Gibbs." Der Mann nahm die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. "Simon Glenville. Kann sich zu Hause jemand um Sie kümmern?" "Im Augenblick nicht, aber später ... gegen ein Uhr." Simon Glenville griff zum Autotelefon. "Ich werde Ihren Hausarzt und die Polizei anrufen. Sie sollten vorerst nicht allein sein. Wie heißt Ihr Arzt? Wissen Sie seine Telefonnummer?" Katrina nickte. "Er hält heute Vormittag im Dorf Sprechstunde. Er kommt drei Mal in der Woche... zufällig auch heute." Sie hörte kaum zu, während der Doktor erst die Polizei und dann Dr. Peters anrief. Sie fühlte sich plötzlich müde und schläfrig. Das muss der Schock sein, dachte sie. Zu Hause wird es mir bald besser gehen. Eine Tasse Tee und vielleicht kurz schlafen... Die Fahrt bis Rose Cottage dauerte nicht lange. Es war klein, hatte rote Backsteinwände und ein schadhaftes Strohdach. Es stand etwas abseits von der Straße und war durch ein Holztor und über einen Backsteinweg zu erreichen. "Bleiben Sie sitzen", sagte der Doktor und stieg aus. "Haben Sie einen Hausschlüssel?" "Auf dem schmalen Sims ... links über der Tür ..." Der Schlüssel war groß und schwer. Nicht gerade geeignet, um ihn in der Tasche bei sich zu tragen, dachte Simon Glenville, während er aufschloss. Die Haustür führte direkt ins Wohnzimmer, und durch die hintere, halb offene Tür konnte er die Küche erkennen. Es gab noch zwei weitere Türen. Die eine
führte in ein kleines Zimmer, das wahrscheinlich als Esszimmer diente, hinter der anderen verbarg sich eine schmale, gewundene Treppe. Der Doktor kehrte zum Auto zurück, öffnete die Tür und hob Katrina aus dem Wagen. "Ich kann gehen", protestierte sie. "Damit sollten Sie warten, bis Dr. Peters Sie untersucht hat." Als sie die Tür zur Treppe erreichten, protestierte Katrina heftiger. "Sie können mich nicht hinauftragen", erklärte sie entschieden, aber der Doktor reagierte nicht. "Welche Tür?" fragte er, als sie den oberen Treppenabsatz erreicht hatten. "Die rechte, aber ich möchte endlich ..." Der Doktor öffnete die Tür mit dem Ellbogen und legte Katrina behutsam auf das schmale Bett. Nachdem er ihr die flachen Sandaletten ausgezogen hatte, deckte er sie mit der Flickendecke zu, die zusammengefaltet am Fußende lag. "Liegen Sie still, und schließen Sie die Augen", befahl er, gerade als unten der Türklopfer ertönte. "Das wird die Polizei oder Dr. Peters sein. Ich bin gleich wieder da." "Das ist wirklich zu albern", sagte Katrina gereizt, schloss aber gehorsam die Augen und war eingeschlafen, ehe Simon Glenville die Haustür erreicht hatte. Draußen stand ein Polizist, ein kräftiger Mann mit einem fröhlichen runden Gesicht. Er hatte sein Fahrrad an die Gartenhecke gelehnt und betrachtete den Doktor misstrauisch. "Ich komme aus dem Dorf. Wir wurden telefonisch verständigt, und ich soll mich nach Miss Katrina erkundigen. Ist sie verletzt worden?" Der Doktor streckte die Hand aus. "Simon Glenville. Ich habe Miss ... Katrina auf der Landstraße gefunden. Ein Motorradfahrer hat sie erwischt und ihr Rad zertrümmert. Sie liegt jetzt oben auf ihrem Bett - mit einem Schock und leichten äußeren Verletzungen."
"Haben Sie den Unfall gesehen, Sir?" "Nein, aber das Motorrad hätte mich Sekunden später fast gerammt. Als ich um die Kurve bog, sah ich die junge Dame am Straßenrand sitzen, etwa eine Meile von hier." Der Polizist überlegte. "Am besten sehe ich mir die Stelle einmal an. Konnten Sie sich die Nummer des Motorrads merken?" "Nein", antwortete der Doktor, "dazu fuhr es zu schnell. Ich habe das Fahrrad unter die Büsche geschoben, damit nicht noch ein Unfall passiert." "Bleiben Sie noch hier, Sir?" "Bis Dr. Peters kommt, vielleicht auch etwas länger. Brauchen Sie eine Aussage von mir?" "Ich werde mir zunächst den Unfallort ansehen und einen Bericht schreiben." Der Polizist schwang sich auf sein Fahrrad, und der Doktor holte Katrinas Einkaufskorb aus dem Auto, ehe er ins Haus zurückkehrte. Es erschien ihm besser, bis ein Uhr zu bleiben, um zu erfahren, wen Katrina um diese Zeit erwartete. Er hatte es nicht besonders eilig, und es wäre herzlos gewesen, die junge Frau allein zu lassen. Der Doktor sah sich in der Küche um. Sie war fast so groß wie das Wohnzimmer, hatte bunte Tapeten und einen gekachelten Boden. Eine Tür führte in den lang gestreckten Garten, daneben befand sich ein Fenster, das offen stand. Eine kleine schwarzweiße Katze saß ruhig und gefasst auf der Fensterbank. Der Doktor kraulte sie unterm Kinn und brauchte nicht lange, um erst eine Untertasse und dann die Milch zu finden. Doch die Katze verschmähte das angebotene Getränk. Sie sprang von der Fensterbank und verließ die Küche in Richtung der Treppe. Simon Glenville, der unter der doppelten Fürsorge einer liebevollen Mutter und einer altmodischen Kinderfrau gelitten hatte, stellte die Milch wieder in die Speisekammer, hielt die
Untertasse unter fließendes Wasser und trocknete sie ab. Als er das Geschirrtuch sorgfältig über die Trockenstange hängte, näherten sich Schritte auf dem Gartenweg. Der Mann, der hereinkam, war in mittleren Jahren. Er hatte graues Haar, ein langes, schmales Gesicht und einen leicht gekrümmten Rücken. "Dr. Glenville?" fragte er und, streckte die Hand aus. "Ich bin Dr. Peters. Was für ein Glück, dass Sie Katrina helfen konnten! Ist sie oben?" "Ja. Der Dorfpolizist war inzwischen hier und sieht sich jetzt die Unfallstelle an. Ist es Ihnen recht, wenn ich noch bleibe?" "Ich möchte Sie sogar darum bitten. Haben Sie sich schon eine Meinung gebildet? Gibt es eine ernsthafte Verletzung?" "Anscheinend nicht, aber ich habe die junge Dame nicht untersucht. Ich habe nur ihr Bein verbunden und mich vergewissert, dass sie nicht bewusstlos war." Dr. Peters nickte. "Ich werde hinaufgehen." Nach einer Weile kam er wieder herunter und setzte sich zu seinem Kollegen auf die Holzbank neben der Haustür. "Ich kann keine besondere Verletzung feststellen", meinte er. "Katrina ist eine gesunde junge Frau und hat alles heil überstanden. Trotzdem lasse ich sie nur ungern allein zurück. Sie muss sich ausruhen, aber ich kenne sie. Sobald wir beide gegangen sind, steht sie auf, um entweder im Garten zu graben oder im Haus staubzusaugen. Sie lebt hier mit ihrer Tante, Miss Thirza Gibbs, die heute zum Zahnarzt nach Warminster gefahren ist. Sie kommt erst mit dem Mittagsbus zurück. Ob man die Pfarrersfrau um Hilfe bitten könnte?" "Ich bleibe gern hier", erklärte Simon Glenville und fragte sich gleichzeitig, warum er das Angebot machte. "Ich bin auf dem Weg nach London, habe aber nichts Besonderes vor." Nach einer Pause fügte er hinzu: "Ich praktiziere privat und im St. Aldrick's Hospital, aber ich wohne in Wherwell." "St. Aldrick's?" wiederholte Dr. Peters. "Dann müssen Sie der Hämatologe sein, der den Artikel im ,Lancet' geschrieben
hat. Es freut mich, Sie kennen zu lernen, obwohl ich mir einen netteren Anlass gewünscht hätte. Können Sie die Zeit wirklich erübrigen?" "Unbedingt. Soll ich der Tante der jungen Dame etwas ausrichten?" "Miss Thirza? Das wäre sehr freundlich. Schildern Sie ihr, was passiert ist, und fügen Sie hinzu, dass ich heute Abend oder morgen früh wieder vorbeikomme." Dr. Peters lächelte. "Sie ist eine sehr unverblümte Frau - wie Katrina übrigens auch." Wieder allein, stieg Simon Glenville die Treppe hinauf, fragte an der offenen Tür, ob er hereinkommen dürfe, und ging zum Bett. "Dr. Peters ist fort", berichtete er, "aber ich bleibe, bis Ihre Tante kommt. Möchten Sie eine Tasse Tee?" Katrina setzte sich auf und bedauerte es sofort, denn ihre Kopfschmerzen verstärkten sich dadurch. Kein Wunder bei dem ganzen Theater, das um sie veranstaltet wurde! "Ich weiß wirklich nicht, warum Sie noch hier sind", sagte sie gereizt. "Dafür besteht absolut kein Grund. Ich bin kein Baby, und außerdem fehlt mir nichts. Bitte gehen Sie. Sie haben mir sehr geholfen, dafür danke ich Ihnen." Der Doktor betrachtete ihr Gesicht. "Möchten Sie eine Tasse Tee?" fragte er noch einmal in übertrieben sanftem Ton. Katrina nickte mit geschlossenen Augen. Sie benahm sich unmöglich, aber als sie die Augen wieder öffnete, um sich zu entschuldigen, war der Doktor schon gegangen. Während das Wasser heiß wurde, durchstöberte er die Küche nach allem, was er brauchte. Es war ein fröhlicher Raum. Zu den bunten Tapeten kamen noch bunte Gardinen, vor denen der Esstisch mit zwei Stühlen stand. Der Herd war alt, aber makellos sauber, und die Schränke blitzten geradezu vor Reinlichkeit, Allerdings enthielten sie nicht viel. Das Notwendigste war vorhanden, aber es gab keine Vorräte an Lebensmitteln oder Konserven. Auch ein Kühlschrank fehlte,
dafür gab es eine altmodische Speisekammer mit Steinregalen, die sehr kühl war. Der Doktor brühte den Tee auf, und da die Katze diesmal zugänglicher wirkte, suchte er nach ihrem Futter. Er fand keine Dosen, aber in einem Topf auf dem Herd entdeckte er einen Brei, der ihm geeignet erschien. Er füllte etwas davon auf eine Untertasse, goss Tee in einen Becher und trug ihn nach oben. Schade, dass Mrs. Peach mich nicht sehen kann, dachte er dabei. Sie gehörte zu den altmodischen Haushälterinnen, die darauf achteten, dass niemand einen Finger rührte, wenn sie oder ihr Mann hl der Nähe waren. Katrina richtete sich auf, als der Doktor hereinkam. Er »teilte den Becher hin, stopfte ihr ein Kissen in den Rücken und bot ihr dann den Tee an. Da ihre Hände zitterten, setzte er sich auf die Bettkante und half ihr, den Becher zu halten. "Lassen die Kopfschmerzen nach?" fragte er. Als sie vorsichtig nickte, fuhr er fort: "Kann ich irgendetwas tun, während ich warte? Vielleicht jemanden anrufen?" "Wir haben kein Telefon", antwortete Katrina. Sie trank den Tee und fühlte sich danach besser. "Es tut mir Leid, dass ich so unhöflich war." "Das macht nichts." Er sprach so gleichgültig, dass Katrina wünschte, nichts gesagt zu haben. Ich mag ihn nicht, dachte sie irritiert. Er ist freundlich und hilfsbereit, aber nur, weil er Arzt ist und nicht einfach in seinem Luxusauto weiterfahren kann. Der Doktor bemerkte ihre Verstimmung. Ich habe lange keine so schöne Frau gesehen, dachte er, aber diese Miss Katrina Gibbs hat eine scharfe Zunge und ist störrisch wie ein Maulesel. Wahrscheinlich hat sie sich unglücklich verliebt und ist dadurch so widerspenstig geworden. Ein Jammer. Er ging wieder in die Küche hinunter, schenkte sich selbst Tee ein und trank ihn, während die Katze es sich auf seinem Schoß bequem machte. Schade, dass man immer wieder
Menschen begegnet, mit denen man nicht zusammenpasst, dachte der Doktor. Als er hörte, dass jemand durch das Gartentor kam, ging er zur Haustür, um zu öffnen. Eine große, überschlanke Frau mit schmalem Gesicht und markanter Nase schritt rasch den Gartenweg entlang. Sie war in unbestimmbarem A3|er und trug ein zeitloses beiges Kostüm mit einem äußerst schlichten Hut. Kurz vor dem Doktor blieb sie stehen und fragte: "Wer sind Sie, junger Mann? Ich werde gewöhnlich nicht von Fremden in meinem Haus empfangen. Sind Sie etwa ein Freund von Katrina?" Falls das ein Kompliment sein soll, klingt es eher zweifelhaft, dachte Simon Glenville und trat zur Seite, um Miss Thirza Gibbs in ihr Haus zu lassen. "Nein, ich bin kein Freund von Katrina. Ihre Nichte hatte einen leichten Unfall, und ich war zufällig zur Stelle. Es besteht kein Grund zur Aufregung ..." "Ich rege mich nicht so leicht auf", erklärte Miss Gibbs schroff. "Würden Sie bitte zur Sache kommen? Wo befindet sich Katrina?" "In ihrem Bett." Der Doktor klang ganz sachlich. "Ihre Nichte wurde von einem Motorrad angefahren. Sie hat eine Wunde am Bein, mehrere Abschürfungen und Prellungen und überdies einen Schock. Dr. Peters hat sie versorgt und will wiederkommen. Sie war die ganze Zeit bei Bewusstsein." "Warum sind Sie dann hier?" Der Doktor zog die Augenbrauen hoch. "Ihre Nichte sollte in diesem Zustand nicht allein gelassen werden, Miss Gibbs. Ich bin jedoch sicher, dass sie sich rasch erholt. Noch einen schönen Tag." Miss Gibbs errötete, was ihr nicht gut stand. "Es war sehr freundlich von Ihnen", begann sie, wurde aber von dem Doktor unterbrochen.
"Durchaus nicht, Miss Gibbs. Bitte grüßen Sie Ihre Nichte von mir." Er ging zur Straße, stieg in sein Auto und fuhr davon, während Tante Thirza die Treppe hinaufstieg. Katrina schlief fest und sah trotz der Abschürfungen und Prellungen so gesund wie immer aus. Daher ging Tante Thirza in die Küche, machte sich ein belegtes Brot und wärmte sich eine Suppe auf. Dann setzte sie sich hin, um auszuruhen. Sie hatte einen anstrengenden Vormittag hinter sich, und die Begegnung mit dem fremden Mann hatte sie irritiert. Sie hatte sich nie gescheut, offen ihre Meinung zu sagen, auch wenn sie damit die Gefühle anderer verletzte. Trotzdem musste sie zugeben, dass der Mann freundlich gewesen war. Sie schlief ein, und als sie eine halbe Stunde später erwachte, saß Katrina am Tisch und aß gerade den Rest ihrer Suppe. "Ist er fort?" fragte sie, als ihre Tante die Augen aufmachte. "Ich meine den Mann, der mich nach Hause gebracht hat. Ich habe mich gar nicht bei ihm bedankt. Bist du ihm noch begegnet?" Tante Thirza stand auf und stellte den Kessel aufs Feuer, denn sie brauchte dringend eine Tasse Tee. "Erzähl mir, was passiert ist", sagte sie dabei. "Ja, ich bin dem Mann begegnet, wenn auch nur kurz." "Nun, dieser Motorradfahrer fuhr auf der falschen Seite - in der Kurve bei dem Rübenfeld, verstehst du?" Katrina gab einen kurzen Bericht der Ereignisse, denn ihre Tante schätzte weder Gefühlsergüsse noch unnötige Ausschmückungen. "Die ganze Sache muss Dr. Glenville sehr lästig gewesen sein", sagte sie zum Schluss. "Dann ist er Arzt?" Tante Thirza runzelte die Stirn. "Vielleicht war ich doch etwas kurz angebunden mit ihm. Wenn er Dr. Peters seine Adresse genannt hat, werden wir ihm schreiben und uns korrekt bedanken."
"Unnötige Mühe", widersprach Katrina. "Wahrscheinlich hat er die ganze Sache inzwischen vergessen, und außerdem mochte er mich nicht." "Hat er das gesagt?" "Nein, Tante Thirza, natürlich nicht. Er war nur so ..." Katrina suchte nach dem richtigen Wort. "Er war so überaus nachsichtig, als würde er nur seine Pflicht tun, ohne inneren Anteil zu nehmen. Ich mochte ihn auch nicht." "In dem Fall ist es gut, dass wir ihn wahrscheinlich nicht wieder sehen", sagte Tante Thirza. Katrina stimmte ihrer Tante zu, obwohl sie insgeheim zugeben musste, dass sie gern mehr über den Doktor gewusst hätte - auch wenn sie ihn nicht mochte. Wenn Katrina auch nicht damit rechnen konnte, dem Doktor wieder zu begegnen, so erfuhr sie doch bald mehr über ihn, denn Dr. Peters kam noch einmal vorbei. Er war auf dem Nachhauseweg, nahm sich aber zehn Minuten Zeit, um Tee zu trinken und Katrina zu versichern, dass sie völlig gesund sei. "Ich höre von Katrina, dass der Mann, der ihr geholfen hat, Arzt sei", mischte sich Tante Thirza ein. "Sogar ein bekannter Spezialist - ein Hämatologe", bestätigte Dr. Peters. "Er praktiziert privat und ist Chefarzt im St. Aldrick's Hospital, wie er mir sagte. Es passt zu ihm, dass er seine Verdienste nicht ausposaunt. Er blieb vermutlich zum Lunch?" Tante Thirza wurde verlegen. "Nein. Wir tauschten einige Worte aus, und dann fuhr er weg." Dr. Peters sah sie vorwurfsvoll an. "Es ist immer dasselbe mit Ihnen, Thirza. Sie gehen zu schroff mit den Menschen um. Im Dorf hat man sich daran gewöhnt, aber ein Fremder muss es als unhöflich empfinden." "Vielleicht war ich etwas schroff", gab Tante Thirza zu. "Jetzt wissen wir ja, wer er ist, und können uns schriftlich bei ihm bedanken." Bei den letzten Worten sah sie ihre Nichte an.
"Waren wir nicht übereingekommen, ihn zu vergessen?" fragte Katrina unwillig. Dr. Peters schüttelte den Kopf. "Das halte ich für unklug, mein Kind. Immerhin hat er Ihnen einen halben Tag geopfert." "Wir machen zu viel daraus", beharrte Katrina. "Trotzdem werde ich ihm schreiben, wenn Tante Thirza es wünscht. Er wird den Brief kaum lesen - Männer wie er haben eine Sekretärin, die sich um die Post kümmert. Oder eine Ehefrau", fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu, denn natürlich war der Doktor verheiratet, hatte zwei Kinder, ein Stadthaus in guter Lage und dazu ein Landhaus oder eine Villa in der Algarve. Nein, sie mochte ihn wirklich nicht, obwohl sie ihm seinen beruflichen Erfolg und seine Stellung nicht neidete. "Ich glaube, ein Brief wäre angebracht", entschied Dr. Peters. "Übrigens ist er Professor - ich habe im Medizinerlexikon nachgesehen. Professor Simon Glenville. Schicken Sie den Brief an das Krankenhaus, Katrina. Die Adresse seiner Privatpraxis kenne ich nicht." Tante Thirza begleitete den Doktor zum Gartentor. "Katrina hat doch einen leichten Schock", meinte er, ehe er sich verabschiedete. "Gönnen Sie ihr einige Tage Ruhe, Thirza. Diese Gereiztheit passt nicht zu ihr." Damit hatte er Recht. Katrina war ein warmherziges Geschöpf. Alle schätzten sie, denn sie war freundlich und hilfsbereit und mochte jeden, der ihr begegnete. Nur nicht den Mann, der ihr am Morgen zu Hilfe gekommen war. Doch deshalb brauchte sie nicht undankbar zu sein. Sie musste mehrmals anfangen, bis der Text richtig klang, aber endlich war sie zufrieden. Am nächsten Tag gab sie den Brief in der kleinen Poststelle im Dorf auf und hielt die Angelegenheit damit für erledigt. Natürlich musste sie bei der Polizei eine Erklärung abgeben und dann in Warminster nach einem gebrauchten Fahrrad suchen. Ein neues kam aus finanziellen Gründen nicht infrage,
zumal das alte Fahrrad nicht versichert gewesen war. Doch irgendein Verkehrsmittel brauchte sie. Es fuhr täglich ein Bus nach Warminster, aber das Fahrgeld war hoch, und Katrina hatte sich längst angewöhnt, nur einmal wöchentlich groß einzukaufen und die täglichen Ergänzungen mit dem Fahrrad aus dem Dorf zu holen. Viel war das nicht, denn Ihre Tante und sie lebten bescheiden. Aus dem Garten versorgten sie sich mit Gemüse, und die Eier bekamen sie von Lovegrove's Hof, der nicht weit entfernt lag. Es war erstaunlich, wie viele verschiedene Gerichte man mit Eiern zubereiten konnte.
2. KAPITEL Während der nächsten Tage dachte Katrina häufiger an Professor Glenville. Wenn sie ihn auch nicht gemocht hatte - sie erfuhr so wenig von dem; was außerhalb des Dorfs geschah, dass jeder interessant wurde, der auch nur am Band auftauchte. Mit ihrer Tante sprach sie nicht über den Professor, und Tante Thirza erwähnte ihn genauso wenig. Der Unfall blieb eine unbedeutende Episode in ihrem stillen, gleichmäßigen Leben, denn sie neigten beide nicht dazu, über Dinge nachzugrübeln, die jedem passieren konnten. Katrina kümmerte sich schon bald nicht mehr um ihre kleinen Verletzungen. Sie übernahm weiter den größten Teil der Hausarbeit, versorgte den Garten und fuhr mit dem neuen Fahrrad zum Einkaufen. Im Dorf empfand man unbestimmtes Mitleid mit ihr. Man bedauerte, dass eine so schöne junge Frau mit ihrer ältlichen Tante in einem engen Cottage wohnen musste und niemals unter junge Männer kam. Manch einer sagte ihr das auch offen ins Gesicht, aber dann lachte sie nur und erwiderte, sie sei glücklich und sehne sich nicht nach den bunten Lichtern der Großstadt. "Aber dort könntest du dir hübsche Kleider kaufen und Menschen treffen", hatte einer hinzugefügt. "Hier gibt es auch Menschen", hatte Katrina geantwortet, "und wann sollte ich hübsche Kleider tragen?" In einem Ton,
der keine Widerrede zuließ, hatte sie abschließend erklärt: "Ich bin wirklich glücklich hier." Das stimmte allerdings nicht ganz. Katrina war nicht direkt unglücklich, aber doch jung, schön und lebenslustig. Hübsche Kleider, Theaterbesuche, Dinner- und Tanzeinladungen lockten sie wie jede andere Frau, aber gleichzeitig wusste sie, dass sie all das nicht erleben würde. In ihrem zwölften Lebensjahr hatte sie ihre Eltern durch ein Flugzeugunglück verloren und lebte seitdem bei Tante Thirza. Sie hatte keine Geschwister, und von den zahlreichen Verwandten war keiner bereit gewesen, ihr ein Heim zu bieten. Das war jetzt genau zwölf Jahre her. Tante Thirza war damals noch Direktorin einer Mädchenschule gewesen - einer angesehenen Privatschule, die auch Katrina besucht hatte. Als Tante Thirza pensioniert wurde, war Katrina siebzehn und hoffte sehnlich, die Universität besuchen zu können. Doch das stellte sich bald als Illusion heraus. "Ich habe nur meine Pension", erklärte Tante Thirza unumwunden, "und die reicht nicht aus, um dir ein Studium zu bezahlen. Doch die Dinge können sich ändern. Ich schlage vor, dass du vorerst bei mir bleibst. Du bist noch jung - ein oder zwei Jahre machen da wenig aus. Ich werde an deine Verwandten schreiben und sie um Unterstützung für dich bitten. Immerhin sind sie die Geschwister deiner Eltern." Doch die Hilfsangebote blieben aus. Man fragte in leicht vorwurfsvollem Ton, ob Thirza vielleicht vergessen habe, dass schon die eigenen Kinder eine ständige finanzielle Belastung bedeuteten und ebenfalls einen guten Start ins Leben verdienten. Einige stellten für die Zukunft vage Summen in Aussicht, was immerhin dazu beitrug, dass Katrina ihre erste Enttäuschung überwand und Tante Thirza erklärte, sie würde sehr gern in Rose Cottage bleiben. Gelegentlich bot sie an, sich eine Arbeit zu suchen. Sie hatte gute Abschlussnoten bekommen
und war intelligent und auffassungsfähig. Bis Warminster war es nicht weit. Als Verkäuferin oder Zahnarzthelferin ... Davon hielt Tante Thirza wenig. "Keine meiner Nichten soll ihre Talente in einem Geschäft verschleißen", erklärte sie kategorisch, "Wenn deine Cousinen studieren, steht dir das auch zu. Gedulde dich ein bis zwei Jahre, dann sieht alles anders aus." Doch die Jahre vergingen, ohne dass Katrinas Verwandte etwas Geld für ihre Ausbildung erübrigen konnten. Ihre Cousinen besuchten längst nicht mehr die Universität, aber jetzt brauchte man das Geld, um sie glänzend zu verheiraten oder ihren Brüdern den Start in einen guten Beruf zu ermöglichen. Irgendwann hörte Tante Thirza auf, von der Universität zu sprechen, und Katrina bat nicht mehr darum, sich eine Arbeit suchen zu dürfen. Sie hatte zu Hause genug zu tun. Seit Tante Thirza älter wurde, versorgte sie sowohl das Haus wie den Garten, und auch für Abwechslung war gesorgt. Es gab den Jugendclub, regelmäßig stattfindende Basare und Dorffeste... Nein, sie konnte sich wirklich nicht beklagen. "Du hast hier doch deine Freunde", hatte Tante Thirza einmal gesagt und mit unsicherer Stimme hinzugefügt: "Oder bist du bei mir nicht glücklich?" Katrina hatte die Angst aus der Frage herausgehört und sofort versichert, dass sie sogar sehr glücklich sei. Tante Thirza hatte sie bei sich aufgenommen, als niemand dazu bereit gewesen war. Dafür konnte sie ihr nie genug danken, und außerdem liebte sie die alte Dame - trotz ihrer Direktorinnenstrenge. Professor Glenville war auf der Heimfahrt nach Wherwell. Er benutzte gern die schmalen, unbelebten Straßen zu dem versteckten Hampshire-Dorf, das so nah an der Autobahn lag, dass man London bequem erreichen konnte. Seine Freunde und Kollegen neckten ihn oft, weil er nicht in der Stadt wohnte, aber er schätzte die Fahrt in der Frühe zu seiner Praxis, sogar noch bei schlechtem Wetter, und bemühte sich regelmäßig, abends nach Wherwell zurückzukehren. Nur wenn ein Notfall vorlag,
über nachtete er in der kleinen Wohnung, die über den Praxisräumen lag. Beim Fahren überlegte der Professor, was er mit dem restlichen Tag anfangen sollte. Als Mitglied einer Prüfungskommission für Krankenhäuser war er mehrere Tage in Bristol gewesen und hatte bis zum nächsten Morgen frei. Er konnte an seinem Fachbuch weiterschreiben, etwas Lektüre nachholen, mit den Hunden im Garten spielen und Mrs. Peachs köstlichen Tee genießen. Zwischendurch dachte er auch flüchtig an Miss Thirza Gibbs und ihre Nichte. Schade, dass Katrina so ablehnend gewesen war. Selbst wenn er ihren Schock berücksichtigte, hatte sie sich ungewöhnlich schroff verhalten. Ihre Tante hatte er dank seiner Menschenkenntnis auf den ersten Blick durchschaut. Er kannte diesen Typ - scharfzüngig, kein Mitleid fordernd und dahinter ein weiches Herz. Eine sympathische Frau, entschied der Professor und vergaß Tante und Nichte. Wherwell war ein hübsches Dorf mit überwiegend strohgedeckten Häusern und einer friedlichen Umgebung. Der Professor fuhr durch die Hauptstraße, bog auf eine Seitenstraße ab und passierte das Tor zu seinem Haus - einem schwarz weißen Fachwerkhaus mit einem tief gezogenen Strohdach, das noch die Fenster des ersten Stocks einfasste. Es war ein stattliches Haus mit einem weitläufigen, von Bäumen umstandenen Garten. Der Professor parkte an der rechten Seite und betrat das Haus durch die Nebentür, von der ein mit Fliesen belegter Gang direkt in die Küche führte. Dort traf er das Ehepaar Peach an. Mrs. Peach rollte gerade einen Pastetenteig aus, während ihr Mann am anderen Tischende Silber putzte. Er stand sofort auf, um den Professor zu begrüßen. "Guten Tag, Sir. Darf ich Ihnen einen verspäteten Lunch servieren?" "Nein, danke, Peach, aber wenn ich in einer halben Stunde den Tee bekommen könnte ... Ist alles in Ordnung?"
"Alles bestens, Sir. Barker und Jones sind im Garten." Der Professor durchquerte den Flur, stellte seine Tasche im Arbeitszimmer ab und ging weiter in den Garten, wo ihn zwei Hunde erwarteten; Sie kamen fröhlich bellend angesprungen und ließen sich abwechselnd streicheln: ein pechschwarzer Schäferhund und ein kleinerer Hund unbestimmter Rasse mit Fuchsgesicht. Zu dritt spazierten sie den Gartenweg hinunter, der von blühenden Rabatten eingefasst war, überquertes den großen Rasen, an dessen Ende ein Teich lag, und kamen durch eine Pforte auf offenes Feld. Während die Hunde frei umherliefen und der Professor ihnen folgte, dachte er an dies und das und stellte am Ende ärgerlich fest, dass seine Gedanken immer wieder zu dem Unfall zurückkehrten, der nun schon Tage zurücklag. Nach einer Weile kehrte er ins Haus zurück, ließ sich Mrs. Peachs Tee schmecken und verbrachte dann eine Stunde in seinem Arbeitszimmer, wo ihm die Hunde Gesellschaft leisteten. Nach dem Dinner fuhr er fort, sich Notizen für sein Buch zu machen. Er war ein kluger Mann, der in seinem Beruf aufging, aber keineswegs ein Einsiedler. Er hatte gute Freunde, eine über das ganze Land verstreute Familie und viele Bekannte, aber eine Frau zum Heiraten war ihm bisher nicht begegnet. Peach beklagte sich darüber oft bei seiner Frau. "Master Simon sollte schon seit Jahren verheiratet sein und Kinder haben", sagte er auch an diesem Abend. "Er geht auf die vierzig zu und kennt genug Frauen, unter denen er wählen kann." "Die Richtige wird schon noch kommen", beruhigte ihn Mrs. Peach. "Man muss dem Schicksal seinen Lauf lassen." Das Schicksal schien diese Worte gehört zu haben. Etwa eine Woche nach dem Unfall bemerkte Katrina, dass ihre Tante schlecht aussah. Wenn sie es sich recht überlegte, hätte sie das schon früher bemerken müssen, aber Tante Thirza war keine Frau, die klagte oder auf sich aufmerksam machte. Wenn man
sie fragte, ob es ihr gut gehe, pflegte sie meist zu antworten: "Wozu die dumme Frage? Natürlich geht es mir gut." Diesmal ließ sich nicht übersehen, dass sie blasser als sonst war und auch kraftloser wirkte. Katrina begann, sich Sorgen zu machen. Als sie eines Morgens ins Wohnzimmer kam und ihre Tante, die den Geschirrschrank ausräumen wollte, mit geschlossenen Augen in einem Sessel vorfand, entschied sie sich zum Handeln. Trotz Tante Thirzas entschiedenem Protest, setzte sie sich auf ihr Fahrrad und fuhr ins Dorf, um in der Praxis eine Nachricht für Dr. Peters zu hinterlassen. Er hielt heute zwar keine Sprechstunde, aber Katrina wusste, dass er so bald wie möglich nach Rose Cottage kommen würde. Er schätzte Tante Thirza trotz ihres schroffen Wesens, und sie würde auf ihn hören, so schwer ihr das auch fiel. Noch am selben Abend traf der Doktor ein. Er untersuchte Tante Thirza, ohne auf ihre spitzen Bemerkungen zu achten, und nahm ihr gegen ihren Protest eine Blutprobe ab. "Also, was ist los mit mir?" fragte Tante Thirza, als die Untersuchung beendet war. "Sie haben sich etwas übernommen", antwortete Dr. Peters in einem Ton, der Katrina an den Professor erinnerte. Es war der locker zuversichtliche Ton, mit dem Ärzte ihre wahre Meinung verschleierten. "Ich lasse Ihr Blut untersuchen ... das wird ein bis zwei Tage dauern. Sobald wir das Ergebnis haben, wissen wir auch, wie wir vorgehen müssen, um Sie wieder auf die Beine zu bringen. Bis dahin sollten Sie sich möglichst schonen was Sie natürlich nicht tun werden." Drei Tage später kam Dr. Peters wieder. "Es ist Anämie", erklärte er unumwunden. "Zu ernster Sorge besteht kein Anlass, aber ich möchte doch, dass Sie einen Spezialisten aufsuchen, der meine Diagnose bestätigt/' Als Tante Thirza heftig antworten wollte, fuhr er ernst fort: "Nein, Thirza, diesmal werden Sie auf
mich hören. Wir wollen doch, dass Sie schnell wieder gesund werden, nicht wahr? Darum brauchen wir fachärztlichen Rat." Katrina begleitete den Doktor zum Gartentor. "Ist es ernst?" fragte sie. "Vielleicht, mein Kind. Wir müssen abwarten, was der Spezialist sagt. Ich werde einen Termin für Ihre Tante ausmachen. Sie begleiten sie natürlich." Sobald Dr. Peters in seiner Praxis war, griff er zum Telefon und rief Professor Glenville an. Tante Thirza war überrascht, als schon nach wenigen Tagen ein Brief eintraf, in dem sie aufgefordert wurde, sich am nächsten Montag zu einer Untersuchung im St. Aldrick's Hospital einzufinden. "Schon Montag", erklärte sie mürrisch. "Wissen die Leute in diesem Krankenhaus nicht, wie umständlich es für mich ist, nach London zu kommen? Und wozu der ganze Aufwand? Für nichts und wieder nichts. Ich glaube, ich werde nicht hinfahren." Katrina wartete, bis sich ihre Tante etwas beruhigt hatte, und sagte dann diplomatisch: "Da Dr. Peters sieh die Mühe gemacht hat, diesen Termin für dich zu arrangieren, wäre es unfreundlich, nicht hinzufahren. Du bist für elf Uhr angemeldet. Wir können den Frühzug von Warminster nehmen und zum Tee wieder hier sein." Bob, der Tankwart, fuhr sie zum Bahnhof von Warminster. Das schöne, für die Jahreszeit ungewöhnlich warme Wettet erlaubte es Katrina, ihr hübsches Jerseykleid anzuziehen, das sie nur bei besonderen Gelegenheiten trug. Und dies war eine besondere Gelegenheit. Schließlich fuhr sie nicht jeden Tag nach London, da machte es wenig aus, dass sie die meiste Zeit im Wartezimmer des Krankenhauses verbringen würde. Vielleicht tauchte Professor Glenville auf ... Katrina verwarf den Gedanken sofort. Wahrscheinlich hatte er sie längst vergessen, und wenn nicht, würde er kaum den Wunsch haben, ihre Bekanntschaft zu erneuern.
Das Wartezimmer im St. Aldrick's Hospital war groß und voll besetzt. Obwohl sie rechtzeitig zu dem angegebenen Termin eintrafen, teilte eine Schwester ihnen mit, dass sie mindestens eine halbe Stunde warten müssten. Da Tante Thirza von der Bahnfahrt erschöpft war, hatte sie nichts dagegen, still dazusitzen, und für Katrina gab es genug Ablenkung. Außerdem bestand immer noch die Möglichkeit, dass Professor Glenville auftauchte. Sehr wahrscheinlich war das allerdings nicht. So, wie Dr. Peters ihn geschildert hatte, besaß er eine angesehene Privatpraxis und kam nur ins Krankenhaus, wenn ein Notfall vorlag, bei dem man seinen fachärztlichen Rat brauchte. Es war beinahe zwölf Uhr, als Tante Thirza endlich aufgerufen wurde. "Ich gehe lieber allein", sagte sie zu Katrina. "Falls du gebraucht wirst, wird dich jemand rufen." Sie ging sehr aufrecht neben der Schwester her und wurde in eins der Sprechzimmer geführt, wo eine andere Schwester ihren Blutdruck und ihre Temperatur maß und sie fragte, ob sie Medikamente nehme, und wenn ja, welche. "Ich halte nichts von Tabletten und Tinkturen", erklärte Tante Thirza bestimmt. "Ich bin eine gesunde Frau und brauche solche Dinge nicht." Die Schwester gab eine unverbindliche Antwort und führte sie in das angrenzende Zimmer, wo ein Mann hinter einem mächtigen Schreibtisch saß und erwartungsvoll zur Tür blickte. "Oh, Sie sind es!" rief Tante Thirza. "Sie werden verstehen, dass ich nur gekommen bin, weil Dr. Peters und ich alte Freunde sind, die sich gegenseitig gern einen Gefallen tun." Professor Glenville erhob sich und streckte die Hand aus. "Guten Tag, Miss Gibbs. Ich weiß, wie lästig da alles für Sie ist. Bitte setzen Sie sich, und sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann." Tante Thirza setzte sich auf den angebotenen Stuhl, ohne sich anzulehnen. "Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen,
Professor", begann sie. "Es war unverzeihlich von mir, mich nicht bei Ihnen zu bedanken." "Sehr verzeihlich, wenn man die Umstände bedenkt, Miss Gibbs." Der Professor sprach in dem für seinen Beruf typischen höflich-reservierten Ton. "Wenn Sie mir jetzt einige Fragen beantworten würden? Es wird nicht lange dauern." Tante Thirza beantwortete jede Frage ebenso klar wie kurz, und der Professor machte sich Notizen dazu. Er wirkte sehr sicher und, das musste sie zugeben, sehr attraktiv. Eine wunderbare Ruhe ging von ihm aus, obwohl es natürlich keinerlei Grund gab, beunruhigt zu sein. Nach einer Weile sah der Professor von seinen Notizen auf. "Würden Sie mit der Schwester nach nebenan gehen und sich beim Auskleiden helfen lassen, Miss Gibbs? Ich möchte Sie untersuchen." "Muss das unbedingt sein?" "Ja, Miss Gibbs." Er nickte der Schwester zu, die Tante Thirza daraufhin in einen dritten, sehr kleinen Raum führte, ihr beim Ausziehen half und sie aufforderte, sich auf einer Liege auszustrecken. Als der Professor hereinkam, hatte sie sich so weit gefasst, dass sie keinen Widerstand leistete, sondern sich geduldig seinen behutsamen Händen überließ. Wenig später saß sie wieder im Sprechzimmer vor dem großen Schreibtisch. Ihr schlichter Hut war in der Eile des Anziehens etwas verrutscht. "Nun, Professor?" fragte sie. "Darf ich erfahren, was mir fehlt? Wenn mir nämlich etwas fehlt..." "Sie leiden unter Anämie, Miss Gibbs, und dagegen müssen wir etwas tun. Ich werde an Dr. Peters schreiben und ihm Vorschläge für Ihre Behandlung machen. Außerdem möchte ich Sie in zwei Wochen wieder sehen." Tante Thirza runzelte unwillig die Stirn. "Ist das wirklich nötig? Die Reise hierher ist äußerst unbequem."
Der Professor nickte verständnisvoll. "Hat Sie heute jemand begleitet? Vielleicht Ihre Nichte?" "Katrina, ja." Tante Thirza sah ihn scharf an, erntete aber nur ein freundliches Lächeln. "Leider habe ich keine Zeit, noch einmal vorbeizukommen. Bitte danken Sie ihr in meinem Namen für ihren Brief." Der Professor dachte daran, wie er über die steifen, widerwillig niedergeschriebenen Entschuldigungsworte gelächelt hatte. Er stand auf, reichte Tante Thirza zum Abschied die Hand und wartete, bis die Schwester sie hinausbegleitet hatte. "Es ist lymphatische Leukämie", sagte er, als sie zurückkam, "und leider im fortgeschrittenen Stadium. Natürlich werden wir sie bestmöglich behandeln. Mit etwas Glück bleiben ihr vielleicht noch einige Jahre. Die Krankheit entwickelt sich langsam, aber sie ist tödlich." Die Schwester seufzte. "Eine so nette alte Dame. Sie wurde von einer Schönheit begleitet." "Das ist ihre Nichte." Der Professor nahm sich vor, mit Katrina zu sprechen und sie über den Zustand ihrer Tante aufzuklären. Miss Gibbs war eine charakterstarke Frau, aber er wollte nicht riskieren, sie selbst über ihren Zustand zu informieren. Er vervollständigte seine Notizen über die Patientin Thirza Gibbs und überlegte dabei, was aus Katrina werden sollte, falls ihre Tante nicht mehr lange lebte. Nachträglich bedauerte er, dass er sie nicht begrüßt hatte. Die Versuchung, sie durch eine Schwester holen zu lassen, war groß gewesen, aber das hätte ihre Tante unzweifelhaft misstrauisch gemacht. Am besten besuchte er Dr. Peters in seiner Praxis und bat ihn, Katrina in die Situation einzuweihen. Der Professor forderte die Schwester auf, den nächsten Patienten hereinzurufen, und vergaß dabei Tante Thirza und ihre Nichte.
Erst als er abends zurück nach Hause fuhr, waren ihre Gedanken plötzlich bei den beiden. Katrina musste unbedingt schnell von dem wahren Zustand ihrer Tante in Kenntnis gesetzt werden. Vielleicht war es doch nicht richtig, alles Dr. Peters zu überlassen. Er würde selbst mit Katrina über alles sprechen. Aus irgendeinem ihm unbekannten Grund fühlte er sich jetzt dazu verpflichtet.
3. KAPITEL Die nächsten Tage verliefen für Tante Thirza und Katrina wieder normal. Dr. Peters kam, verschrieb Tabletten, mahnte zur Ruhe und einer mäßigen Diät, strahlte die übliche Sicherheit aus und bat Katrina beim Abschied, die Tabletten am nächsten Morgen in der Praxis abzuholen. "So viel unnützer Aufwand", klagte Tante Thirza, war aber ausnahmsweise gehorsam. Sie setzte sich mit ihrem Strickzeug ins Wohnzimmer und erlaubte ihrer Nichte, sich allein um den Haushalt zu kümmern. Während Katrina die Wäsche aufhängte und für das Mittagessen Salat und Radieschen erntete, gab sie sich heimlich ihren Sorgen hin. Dr. Peters hatte sich fast zu optimistisch geäußert. Sie würde ihn morgen bitten, ihr die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. Doch dazu kam es nicht, denn am nächsten Morgen begrüßte Dr. Peters sie mit den Worten: "Wir haben keinen Grund, die Hoffnung aufzugeben, Katrina. Die Krankheit Ihrer Tante entwickelt sich meist sehr langsam, aber sie ist nicht mehr die Jüngste." Nachdem er sich mit einem Blick davon überzeugt hatte, dass Katrina ihn verstand, fuhr er fort: "Wir brauchen ihr vorläufig noch nicht alles zu sagen, aber sobald sie fragt, wird Professor Glenville ihr die Situation erklären. Übrigens erwarte ich ihn am nächsten Sonntag. Er möchte persönlich mit Ihnen
sprechen und sich davon Überzeugen, dass Sie die Lage richtig einschätzen." "Ist das wirklich notwendig?" fragte Katrina rau. "Sie sind ebenfalls Arzt und können mir alles sagen, was ich wissen muss." Dr. Peters lächelte nachsichtig. "Mein liebes Kind, Professor Glenville ist ein anerkannter Spezialist. Er wird alles tun, um Ihrer Tante zu helfen, aber dafür braucht er Ihre Mitarbeit. Er hat vorgeschlagen, dass ich Ihre Tante für Sonntag einlade. Thirza und Mary sind alte Freundinnen, denen es nie an Gesprächsstoff mangelt. Der Professor wird die Gelegenheit nutzen und bei Ihnen vorbeikommen." "Erwartet er, zum Essen eingeladen zu werden?" Dr. Peters lächelte aufs Neue. "Das halte ich für unwahrscheinlich. Eine Tasse Kaffee und vielleicht etwas Gebäck ... mehr wird nicht nötig sein. Warum mögen Sie den Professor nicht, Katrina?" "Wenn ich das wüsste ..." "Aber Sie vertrauen ihm?" "Ja, und ich werde alles tun, um Tante Thirza zu helfen." Katrina zögerte. "Sie können wohl nicht voraussagen, wie lange es noch dauern wird?" Dr. Peters schüttelte den Kopf. "Nein, mein Kind, das ist unmöglich. Wenn einer es ungefähr voraussagen kann, dann Professor Glenville." Katrina verließ die Praxis mit einer schriftlichen Einladung von Mrs. Peters, und Tante Thirza erklärte sich gern bereit, den Sonntag bei ihren alten Freunden zu verbringen. "Wirst du dich auch nicht einsam fühlen?" fragte sie Katrina. "Es wäre sicher langweilig für dich, mich zu begleiten, aber allein herumzusitzen ..." "Ich werde nicht herumsitzen", versicherte Katrina. "Im Garten ist viel zu tun, und ich kann endlich etwas schaffen. Der Salat muss umgesetzt und der Rhabarber geerntet werden.
Außerdem will ich die hinteren Beete umgraben und die Sämlinge einpflanzen, die ich vom Nachbarhof geholt habe. Sonst bekommen wir später keine Erbsen." Dr. Peters wollte Tante Thirza um zehn Uhr mit dem Auto abholen. Deshalb stand Katrina am Sonntag früh auf, machte sauber, bereitete das Frühstück zu und sorgte dafür, dass ihre Tante alles bei sich hatte, was sie tagsüber brauchen würde. Bevor sich Katrina an die Gartenarbeit machte, zog sie ein altes Baumwollkleid an, das zu einem blassen Blau verblichen war und ihr mehr schmeichelte, als sie ahnte. Es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, sich für Professor Glenville hübsch zu machen. Sie band ihr Haar zurück, um sich ungehindert bewegen zu können, und schlüpfte in flache Sandaletten. Umgraben war anstrengend, und im Mai konnte es schon recht warm werden. Nachdem Katrina das Kaffeegeschirr und die Keksdose bereitgestellt hatte, ging sie zum Schuppen am Ende des Gartens, wo die Geräte standen. Zuerst der Rhabarber, dachte sie, nahm den großen Spankorb und machte sich an die Arbeit. Der Korb war etwa halb voll, als der Professor vor dem Cottage hielt, leise das Gartentor öffnete, um jedes Geräusch zu vermeiden, und langsam zur Haustür schlenderte. Da sich auf sein Klopfen niemand meldete, ging er weiter in den Garten und erschien bei Katrina, die sich gerade tief über den Rhabarber beugte. "Guten Morgen, Katrina", begrüßte er sie. Katrina richtete sich erschrocken auf und drückte die eben geernteten Rhabarberstangen wie schützend an sich. "Himmel ... so früh hatte ich Sie nicht erwartet." Der Professor ließ sich nicht beirren. "Soll ich noch eine kleine Autotour machen, bis Sie mit der Gartenarbeit fertig sind?" "Ich ernte nur den Rhabarber", verbesserte Katrina ihn und zeigte auf die hinteren Gartenbeete. "Die eigentliche Arbeit
wartet noch auf mich. Ich wollte dort hinten umgraben und Erbsenpflanzen setzen. Tante Thirza wird sich wundern, warum ich nichts geschafft habe." "Wenn wir uns später gemeinsam daran machen ..." "Gemeinsam?" "Sehen Sie mich nicht so erstaunt an, Katrina. Ich arbeite gern im Garten." "Tatsächlich? Nun, so lange werden Sie ja nicht brauchen, um mir alles Notwendige zu sagen." Katrina legte die Rhabarberstangen in den Korb und wischte sich den Sand von den Händen. "Drinnen ist der Kaffee fertig." Etwas verspätet fügte sie hinzu: "Sie opfern uns Ihren Sonntag." Der Professor fühlte sich immer wohler und versicherte, dass es noch früh sei und ein ganzer freier Tag vor ihm liege. Sie tranken den Kaffee in dem kleinen Wohnzimmer, wo die Sonne die abgenutzten Sessel, den polierten Sofatisch und die antike Kommode beschien, die ziemlich wertvoll war. Sie beschien auch Katrinas volles braunes Haar, das der Professor heimlich bewunderte. Ein bezauberndes Geschöpf, dachte er. Wie anstrengend sind Frauen, die immer nur auf sich aufmerksam machen! Nachdem Katrina die Tassen nachgefüllt hatte, kam sie auf das eigentliche Thema zu sprechen. "Sie sind wegen Tante Thirza hier, nicht wahr? Dr. Peters meinte, Sie würden mir gern selbst alles erklären." "Ihre Tante leidet an lymphatischer Leukämie. Die Krankheit ist unheilbar, entwickelt sich aber sehr langsam. Dabei müssen wir das fortgeschrittene Alter Ihrer Tante berücksichtigen. Normalerweise führt lymphatische Leukämie nicht zum vorzeitigen Tod." Katrina sah starr aus dem Fenster. "Wollen Sie damit sagen, dass Tante Thirza so weiterleben kann, ohne von der tödlichen Bedrohung zu erfahren?"
"Genau das meine ich, Katrina. Sollte sie mich fragen, würde ich ihr natürlich Rede und Antwort stehen, aber ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Meiner Meinung nach sollten wir sie in dem Glauben lassen, dass sie an gewöhnlicher Anämie leidet, die ordnungsgemäß behandelt wird. Miss Gibbs ist eine verständige Frau und wird sich der Behandlung fügen. Sie wird ihre Tabletten einnehmen, Diät halten und sich nicht anstrengen. Fühlen Sie sich dem gewachsen?" . "Selbstverständlich", antwortete Katrina und wandte dem Professor ihr Gesicht zu. In ihren Augen standen Tränen! "Ich verdanke meiner Tante alles. Sie hat mich aufgenommen, als kein anderer dazu bereit war." Eine Träne rollte über Katrinas Wange und gab ihr das Aussehen eines traurigen Kindes, das niemand gewollt hatte. Der Professor bot ihr sein blütenweißes Taschentuch an und schwieg. Worte würden Katrinas Abneigung ihm gegenüber nur erhöhen, denn er hatte schlechte Nachrichten überbracht und sie auch noch weinen sehen. Also saß er still da, bis sie ihr Gesicht abgetupft hatte und ungeschickt erklärte, dass sie ihm das Taschentuch gewaschen zurückschicken würde. "Ich weine sonst nie", versicherte sie beinahe heftig. "Wie alt waren Sie, als Sie in dieses Haus kamen?" fragte der Professor. Sein freundlicher Ton machte ihr das Antworten leicht. "Zwölf Jahre", erklärte sie. "Meine Eltern kamen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Sie waren auf dem Rückweg aus dem Nahen Osten. Dad baute dort Brücken, und Mum begleitete ihn manchmal." "Hatten Sie keine Geschwister oder andere Verwandte außer Ihrer Tante?" "Mehrere Onkel und Tanten und natürlich Vettern und Cousinen ..." Katrina unterbrach sich. "Das alles kann Sie nicht interessieren. Würden Sie mir sagen, wie Sie Tante Thirza behandeln wollen und wie ich dabei helfen kann?"
"Gewiss." Der Professor sah aus dem Fenster. "Es ist ein schöner Tag. Wollen Sie mich nicht nach Hause begleiten und mit mir zu Mittag essen? Dabei könnten wir alles in Ruhe besprechen." "Mittagessen?" fragte Katrina. "Mit Ihnen?" Sie bemerkte, dass es um die Mundwinkel des Professors zuckte, und fuhr schnell fort: "Vielen Dank, aber ich muss unbedingt noch die Beete umgraben." Der Professor hatte sich im Lauf der Jahre vollendete Manieren und eine neutrale, mit kaum spürbarer Sympathie gemischte Höflichkeit zugelegt. "Überlassen Sie mir das Umgraben", schlug er vor, "dann haben Sie Zeit für sich selbst. Aber ziehen Sie sich ja nicht um. Wir werden allein essen." Von ihm aus könnte ich als Vogelscheuche herumlaufen, dachte Katrina erbost. "Sie sind nicht richtig angezogen, um umzugraben." Das stimmte, denn der Professor trug zu seiner maßgeschneiderten Hose ein offenes Seidenhemd und einen Kaschmirpullover. Seine großen Füße steckten in teuren Lederschuhen. Statt zu antworten, stand er auf und ging zur Tür. "Ich brauche etwa eine halbe Stunde", meinte er und verschwand im Garten. "Er hat wirklich Nerven", murmelte Katrina, während sie das Geschirr so laut zusammenstellte, dass sie den Professor nicht zurückkommen hörte. "Als Arzt braucht man manchmal seine Nerven, Katrina", sagte er plötzlich hinter ihr. "Ich darf Sie doch Katrina nennen? Miss Gibbs passt einfach nicht zu Ihnen. Besitzen Sie einen größeren Spaten?" "Im Schuppen steht einer", antwortete Katrina, trug das Geschirr in die Küche und ging in ihr Schlafzimmer hinauf. Das alte Kleid würde sie anbehalten, denn es war dem Professor offenbar gleich, was sie trug. Nur die flachen Sandaletten waren
etwas zu schäbig, und natürlich musste sie sich ein bisschen zurechtmachen. Sie bürstete ihr Haar, bis es sich im Nacken feststecken ließ, puderte ihr Gesicht und nahm sogar etwas Lippenstift, ehe sie wieder hinunterging. Sie füllte gerade Futter für die kleine Katze in einen Napf, als der Professor hereinkam. Er bemerkte den Lippenstift und ihr sorgfältig frisiertes Haar, fragte aber nur: "Wie heißt die Katze?" "Betsy." Katrina stellte den Napf auf den Boden. "Sollte ich mir Ihr Werk ansehen?" Der Professor hatte die Aufgabe vorbildlich erfüllt und sah noch genauso untadelig aus wie bei seiner Ankunft. Katrina dankte ihm aufrichtig und vergaß vorübergehend, wie sehr er sie sonst reizte. Als er fragte, ob sie fertig sei, bestätigte sie das bereitwillig. "Ich muss nur das Küchenfenster öffnen, damit Betsy hinauskann", fügte sie hinzu. Der Professor schloss ab und versteckte den Schlüssel auf dem Sims über der Tür. "Wann wird Ihre Tante zurückkommen?" "Bald nach dem Tee, vermute ich. Aber wenn sie nun früher kommt und mich nicht vorfindet?" "Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist." Als sie im Auto saßen, fragte Katrina: "Wohnen Sie in London? Dann sind wir nie rechtzeitig zurück." "Ich wohne in Wherwell, einem kleinen Dorf südlich von Andover", antwortete der Professor und verfiel in Schweigen. Die Strecke bis Wherwell betrug etwa fünfunddreißig Meilen, und der große Bentley schaffte sie mühelos. Abgesehen von einigen belanglosen Bemerkungen schwieg der Professor, was Katrina nur recht war, denn so konnte sie in Ruhe über die Zukunft nachdenken. Natürlich hatte sie immer gewusst, dass ihre Tante nicht ewig leben würde, aber sie hatte sich nicht gestattet, darüber
nachzudenken. Tante Thirza war ihr immer gleich erschienen: lebhaft, nüchtern, tatkräftig und ständig mit den Problemen der anderen Dorfbewohner beschäftigt. Den Gedanken an ihre eigene Zukunft hatte Katrina hartnäckig verdrängt. Sie war inzwischen vierundzwanzig, und die Jahre, die sie gern an der Universität oder in einer guten Stellung verbracht hätte, waren vergangen - genauso wie die Chancen, einen Mann zu finden, der sie heiraten wollte. Natürlich kannte sie mehrere junge Männer, die kurz vor der Ehe standen oder bereits verheiratet waren. Einige hatten sich sogar für sie interessiert, aber Tante Thirza hatte sie - ohne das zu beabsichtigen - immer wieder abgeschreckt. "Hinter der nächsten Kurve liegt Wherwell", sagte der Professor und brachte Katrina in die Gegenwart zurück. Sie blickte neugierig um sich und verliebte sich sofort in das kleine verschlafene Dorf, das in der Sonntagsstille besonders friedlich wirkte und sie mit den hübschen Häusern und der imposanten Kirche an ein Postkartenbild erinnerte. Als der Professor vor seinem Haus hielt, stieg sie zögernd aus. "Hier wohnen Sie?" Was für eine lächerliche Frage! "Ein wunderschönes Haus. Sie sind verheiratet und haben Kinder?" Der Professor antwortete nicht, sondern sah sie von oben herab an, bis sie vor Verlegenheit errötete. "Ich bin nicht verheiratet und habe auch keine Kinder", erklärte er dann. "Natürlich kann sich das täglich ändern." "Es tut mir Leid, ich hätte nicht fragen dürfen. Ihre Familienverhältnisse gehen mich nichts an." "Allerdings nicht. Finden Sie das Haus zu groß für mich allein?" "Nein, natürlich nicht. Es ist wunderschön, und der Garten..." "Ja, der Garten gefällt mir besonders. Übrigens befindet sich das Haus seit langem in Familienbesitz." Peach hatte inzwischen die Tür geöffnet. Er begrüßte den Professor und schüttelte Katrina die Hand. Eine reizende junge
Dame; ging es ihm dabei durch den Kopf. Viel netter als diese Mrs. Carew. Sie mag Witwe und dazu attraktiv sein, aber für ein "Guten Tag" fehlt ihr jedes Mal die Zeit. Gott verhüte, dass sie den Professor zur Heirat überredet, sonst erleben Mrs. Peach und ich noch schwere Zeiten. "Die Hunde sind im Garten, Sir", sagte er laut, und das herüberschallende Gebell bestätigte seine Worte. "Möchten Sie oder Miss Gibbs Kaffee trinken?" "Nein, danke, Peach. Könnten wir in einer halben Stunde den Lunch bekommen?" "Ich werde Mrs. Peach Bescheid sagen. Möchte sich die junge Dame vielleicht frisch machen?" Der Professor betrachtete Katrina. "Auf mich wirkt sie frisch genug." Als sie trotzig schwieg, fuhr er lachend fort: "Miss Gibbs verzichtet für den Moment, Peach. Sie finden uns im Garten." Er führte Katrina durch den Flur in den Garten, wo die Hunde angesprungen kamen. "Der Schäferhund heißt Barker", erklärte der Professor, "der andere Jones." "Wie schön du bist!" sagte Katrina und kraulte Barker den Kopf. Dann beugte sie sich zu Jones hinunter. "Kann es sein, dass sich unter Jones' Vorfahren ein Corgi befindet?" Der Professor nickte. "Höchstwahrscheinlich," "Vertragen sie sich gut?" "O ja. Jones ist der treueste Begleiter, den Barker sich wünschen kann." Der Professor führte Katrina zu einem etwas erhöht stehenden Pavillon, der einen hübschen Ausblick auf den Teich gewährte. Er wurde von einem Bach gespeist, der unter dichtem Gebüsch hervorsprudelte. Der Garten wirkte dadurch ungewöhnlich groß, aber im Stil hätte er zu einem Cottage gepasst. Auf der einen Seite fiel er zum Küchengarten ab, der von einer hohen, strohgedeckten Mauer umgeben war, auf der
ändern Seite lagen der Rasen und die Blumenbeete. Katrina seufzte. So einen Garten hatte sie sich immer gewünscht. "Würden Sie mir jetzt sagen, wie ich Tante Thirza helfen kann?" fragte sie, um nicht allzu sehr ins Träumen zu geraten. "Deshalb habe ich Sie an diesen friedlichen Platz geführt", erwiderte der Professor. "Schlechte Nachrichten werden erträglicher, wenn man sie in der richtigen Umgebung hört. Ist es nicht so?" Er versuchte, nichts zu beschönigen, ohne den Fall deshalb hoffnungslos erscheinen zu lassen. "Wir müssen jeden Tag nehmen, wie er ist", erläuterte er. "Der Zustand Ihrer Tante kann sich so langsam verschlechtern, dass man es kaum bemerkt, aber es kann auch ganz plötzlich vorbei sein. Denken Sie immer daran, das wird Ihnen helfen. Ihre Tante verabscheut es, krank zu sein. Lassen Sie sie daher tun, was sie möchte, und sorgen Sie nur unauffällig dafür, dass sie sich schont. Dr. Peters wird sich regelmäßig melden und Sie immer genau informieren. Und nun zur Diät." Katrina hörte aufmerksam zu und stellte dabei fest, dass ihr der Professor gar nicht so unsympathisch war, wie sie gedacht hatte. Natürlich mochte sie ihn nicht wirklich, aber nur, weil sie zu wenig über ihn wusste. Und sie hatte allen Grund, ihm dankbar zu sein. Der Professor beendete seinen Bericht, pfiff nach den Hunden und erklärte, dass es Zeit zum Essen sei. Tante Thirza wurde nicht mehr erwähnt. Stattdessen ermunterte der Professor Katrina, über sich selbst zu sprechen, so dass er allerlei erfahren hatte, als sie vom Tisch aufstanden und ins Wohnzimmer gingen. Ein langweiliges Leben, dachte er, während Katrina den Kaffee in zierliche Porzellantassen goss. Lebendig begraben, wäre das richtige Wort. Dabei hätte sie das Zeug zu einer anständigen Karriere. "Wie alt sind Sie, Katrina?" fragte er unvermittelt.
"Vierundzwanzig, aber diese Frage stellt man einer Frau nicht." "Ich weiß. Als Arzt ist man leider dazu gezwungen, so dass es zu einer schlechten Angewohnheit wird." "So schlimm ist es auch wieder nicht. Wie alt sind Sie, Professor?" Der Professor lachte und sah plötzlich zehn Jahre jünger aus. "Ich bin neununddreißig - also mittleren Alters." Katrina rechnete nach. "Dann waren Sie fünfzehn, als ich geboren wurde." "Hatten Sie eine glückliche Kindheit, Katrina? Ich meine, bis zu Ihrem zwölften Lebensjahr?" "Ja." Katrina hätte ihm gern dieselbe Frage gestellt, aber das wagte sie nicht. Sie durfte nicht zu persönlich werden, was bei einem Mann wie dem Professor allerdings kaum möglich war. Er würde falsche Intimität niemals dulden. "Wir sollten langsam aufbrechen", meinte er nach der zweiten Tasse Kaffee. Katrina stand sofort auf. Sie wollte seine Gastfreundschaft auf keinen Fall missbrauchen. "Es war sehr freundlich, mich einzuladen", erklärte sie. "Hoffentlich habe ich Ihnen nicht den Sonntag verdorben." Peach wartete im Flur, um ihr eine gute Heimfahrt zu wünschen. "Auch im Namen meiner Frau", fügte er hinzu. Katrina drückte ihm die Hand. "Bitte danken Sie ihr für den köstlichen Lunch. Ich wünschte, ich könnte so gut kochen." Der Lunch war wirklich köstlich gewesen. Zu den marinierten Garnelen hatte es hauchdünn geschnittenes Schwarzbrot mit Butter gegeben, dazu einen halbtrockenen Weißwein, den sie auch zu dem nachfolgenden Lammrücken getrunken hatten. Rhabarberkompott mit Schlagsahne hatte das Menü abgerundet. Der Professor versteht zu leben, dachte Katrina, als sie wieder im Auto saß. Ob er sehr viel Geld verdient?
Wahrscheinlich. Dr. Peters hält ihn für hoch angesehen, daher muss schon seine Ausbildung sehr teuer gewesen sein. "Braucht man viel Geld, um Arzt zu werden?" fragte sie geradeheraus. Der Professor gab nicht zu erkennen, ob ihn die Frage überraschte. "Ja", antwortete er, "aber es geht dabei nicht nur um Geld, sondern auch um Jahre harter Arbeit." "Sind Sie schon lange Arzt?" "Ich erhielt meine Approbation mit dreiundzwanzig." "Aber danach folgten Zusatzprüfungen?" Der Professor lächelte. "Mehr, als mir lieb waren." "Und jetzt sind Sie ganz oben - ein Könner auf Ihrem Spezialgebiet." "Vielleicht, aber man hört nie auf zu lernen." Der Professor sah Katrina von der Seite an. "Hätten Sie gern einen Beruf erlernt?" "O ja", erklärte Katrina lebhaft. "Wenn man die Schule verlässt, steckt man voller Ideen. Trotzdem bin ich glücklich bei Tante Thirza, und ich könnte nie in einer großen Stadt leben." Sie hielten vor dem Cottage, das im Schein der Nachmittagssonne seinen ganzen Charme entfaltete. Betsy saß vor der Tür und wartete. Der Professor holte den Schlüssel aus dem Versteck und schloss auf. "Ein Glück, dass Tante Thirza noch nicht da ist", sagte Katrina erleichtert. "Wie hätte ich ihr meine Abwesenheit erklären sollen?" "Mir wäre schon etwas eingefallen", beruhigte der Professor sie. "Ob wir noch Zeit für eine Tasse Tee haben?" Katrina setzte bereitwillig den Kessel auf. Sie hatte plötzlich Angst, allein zu sein, und sah den Professor eine halbe Stunde später nur ungern in sein Auto steigen und abfahren. Sie hatte ihm noch einmal für den Lunch, das Umgraben und seinen ärztlichen Rat gedankt - mit dem Ergebnis, dass er sie mit einer Handbewegung gebeten hatte, still zu sein. War sie vielleicht zu
überschwänglich gewesen? Eine peinliche und erniedrigende Vorstellung. Tante Thirza kam in heiterer Stimmung zurück, und Dr. Peters blieb noch eine Weile, um mit ihr über den vergangenen Tag zu plaudern. "Sie sollten öfter zu uns kommen", meinte er beim Abschied. "Mary und Sie haben so viel gemeinsam. Sie freut sich sehr, dass Sie den Kirchenbasar unterstützen wollen." Er warf Katrina einen raschen Blick zu. "Sie machen doch auch mit?" "Ich bleibe in diesem Jahr hinter den Kulissen", antwortete Katrina. "Man hat mir das kalte Büfett anvertraut." Beim Abendessen erzählte Tante Thirza von ihren Plänen. "Ich liebe die Sommermonate", erklärte sie. "Man erlebt während dieser Zeit immer so viel. Die Gartenfeste, die Basare, Tennisturniere ... Ich habe gehört, dass die Kleinen vom Kindergottesdienst dieses Jahr sogar ein Theaterstück aufführen wollen. Wir werden also ständig beschäftigt sein." Sie legte ihr Besteck auf den Tisch. "Mary hat mich schon so reich bewirtet, dass ich jetzt nicht mehr hungrig bin. Hast du eigentlich die Erbsenbeete umgegraben?" Katrina beantwortete die Frage ihrer Tante einfach nur mit einem Nicken und wich so einer Lüge geschickt aus. "Es bleibt im Garten immer noch genug zu tun", versicherte sie Tante Thirza. "Alles gedeiht gerade sehr prächtig. Wenn nur endlich Regen käme."
4. KAPITEL Die Tage vergingen in dem routinemäßigen Ablauf, den Tante Thirza seit ihrer Pensionierung bevorzugte und nicht zu ändern beabsichtigte. Katrina gab sich große Mühe, die übertriebenen Aktivitäten ihrer Tante einzudämmen, aber das war nicht leicht. Tante Thirza ließ sich nicht bevormunden und meinte manchmal beinahe vorwurfsvoll, dass man sie am Ende noch für krank halten würde. "Die Tabletten, die ich ständig einnehme, werden mich bald wiederherstellen", sagte sie ein anderes Mal. "Ich habe in diesem Sommer noch viel vor." Da kein Widerspruch geduldet wurde, verzichtete Katrina bald darauf, ihre Tante zum Essen oder zum Trinken der Milch zu drängen, die Dr. Peters für besonders genesungsfördernd hielt. Sie beschränkte sich darauf, immer mehr Haushaltspflichten zu übernehmen, indem sie darauf hinwies, dass Tante Thirza genug mit den Gemeindeveranstaltungen zu tun habe. Doch das alles half der Kranken nur wenig. Sie wurde immer blasser und ermüdete schnell, obwohl sie das niemals zugab. Sogar die Nachricht, dass ihr letzter Bluttest nicht besser ausgefallen sei, beeindruckte sie nicht. "Nicht besser, aber auch nicht schlechter?" fragte sie nur. "Nicht besser", wiederholte Dr. Peters, und für Katrinas Ohren klang das unheilvoll genug.
Wenig später kam ein Brief vom St. Aldrick's Hospital, in dem Tante Thirza aufgefordert wurde, sich wieder bei dem Professor vorzustellen. "Du wirst mich begleiten", sagte sie zu Katrina. "Wenn ich nicht zu lange warten muss, machen wir noch einen kleinen Bummel durch die Geschäfte. Ich brauche dringend neue Geschirrtücher - am liebsten von ,John Lewis'." Es war warm, als sie von Warminster abfuhren, so dass Tante Thirza erschöpft und gereizt im Krankenhaus ankam. "Wozu das Ganze?" fragte sie Katrina ärgerlich. "Dieser Termin bei Professor Glenville ist völlig überflüssig. Ich fühle mich prächtig, ich bin nur manchmal ein bisschen müde. Ist das in meinem Alter so ungewöhnlich?" "Du bist erst etwas über siebzig", wandte Katrina ein. "Der Professor will wahrscheinlich nur feststellten, ob alles nach Plan verläuft." Tante Thirza wurde aufgerufen und verschwand hinter der ersten Tür des langen Korridors. Katrina sah auf die Uhr. Sie hatten eine halbe Stunde gewartet. Wenn der Professor länger brauchte und Tante Thirza noch einkaufen wollte, mussten sie einen späteren Zug nehmen. Tante Thirza blieb über zwanzig Minuten fort und kam sehr aufrecht und sehr zornig zurück; Sie verließ das Krankenhaus so schnell, dass Katrina kaum Schritt halten konnte. "Was hat er gesagt?" fragte sie. "Warum bist du so aufgebracht?" "Weil ich in drei Wochen wiederkommen muss", antwortete ihre Tante. "Offenbar spreche ich nicht auf die Behandlung an. Der Professor meint, dass das häufiger vorkommt, und bittet mich um Geduld." Plötzlich lächelte sie. "Als ich das letzte Mal hier war, sprachen wir über den Garten. Der Professor hat den Rosenstrauch am Fenster bemerkt, der nicht recht wachsen will. Eben fragte er mich, ob ich eine Moosrose aus seinem Garten annehmen wurde - er hätte zu viele und müsste sich von einigen
trennen. Er kommt Sonntagvormittag vorbei. Wir werden ihm Kaffee anbieten." "Wie nett!" sagte Katrina und überlegte, welches Motiv der Professor haben könnte. Sie würde ein Blech voll der Mandelplätzchen backen, die bei Dorf Veranstaltungen immer so begehrt waren. Warum hatte der Professor keine bessere Nachricht für ihre Tante gehabt? Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, ihr zu helfen. Vielleicht eine Bluttransfusion? Sie würde eine günstige Gelegenheit abwarten und ihn fragen. "Sieh nicht so traurig drein", meinte Tante Thirza. Sie war wieder ganz sie selbst. "Der Professor ist wirklich nett. Und nun auf in die Oxford Street." Die Geschirrtücher wurden gekauft und boten einen guten Vorwand, bei "John Lewis" herumzustöbern und die neuesten Angebote zu bewundern. "Nur gut, dass wir auf dem Land leben und keine großartige Garderobe brauchen", sagte Tante Thirza und steuerte auf das Restaurant zu, um sich mit einem Sandwich und einer Tasse Kaffee zu stärken. Der Professor wurde nicht mehr erwähnt, aber Katrina bemerkte, wie müde ihre Tante aussah. "Wenn es dir recht ist, nehmen wir doch den früheren Zug", sagte sie. "Ich habe plötzlich heftige Kopfschmerzen." Am Sonntag stand Katrina früh auf, um die Mandelplätzchen zu backen und das gute Geschirr und die Silberlöffel auf einem Tablett bereitzustellen. Nachdem sie Betsy gefüttert hatte, trug sie eine Tasse Tee nach oben und fragte ihre Tante, ob sie vielleicht im Bett frühstücken wolle. Die Antwort fiel höchst ungnädig aus. "Frühstück im Bett?" wiederholte Tante Thirza empört. "Das ist für Leute, die zu faul sind aufzustehen, und sich schämen müssten. Außerdem habe ich keinen Appetit. Nur Tee und Toast, mein Kind. Ich bin in einer halben Stunde unten."
Professor Glenville traf kurz nach zehn Uhr ein. Tante Thirza sah ihn den Gartenweg entlangkommen und öffnete die Haustür. "Guten Morgen, Professor", begrüßte sie ihn. "Haben wir nicht herrliches Wetter? Hoffentlich hat es Ihnen nicht zu viele Umstände gemacht, mir die Rose zu bringen. Sie trinken doch eine Tasse Kaffee mit uns?" "Sehr gern, Miss Gibbs", antwortete der Professor. "Sie sehen heute sehr wohl aus." "Ich fühle mich auch so. Die Behandlung scheint endlich zu wirken. Das freut mich besonders, weil ich allerlei vorhabe." "Doch nichts Anstrengendes?" Der Professor setzte sich zu Tante Thirza auf die Gartenbank. "Nein, nein. Ich habe mich nur für mehrere Komitees verpflichtet ..." Tante Thirza genoss es, einen willigen Zuhörer zu haben, und berichtete in ihrer unverblümten Art über das Dorfleben, bis Katrina mit dem Kaffeetablett erschien. Der Professor wünschte ihr einen guten Morgen und rückte den wackligen Holztisch zurecht, damit sie das Tablett abstellen konnte. Er schien sich äußerst wohl zu fühlen. Er lobte die Mandelplätzchen, trank den Kaffee und bat dann um einen Spaten. "Die Rose liegt im Kofferraum, Miss Gibbs. Welche Stelle haben Sie vorgesehen?" Sie einigten sich auf die sonnige Südseite des Hauses, und während der Professor zu seinem Auto ging, holte Katrina einen Spaten aus dem Schuppen. Sie ließ sich absichtlich Zeit, so dass der Professor ihr auf dem Rückweg entgegenkam. "Haben Sie mir etwas zu sagen?" fragte sie unumwunden. "Ja, Katrina, und leider nichts Gutes. Neue Bluttests haben meine Diagnose von der letzten Untersuchung Ihrer Tante bestätigt. Ihr Zustand verschlechtert sich sehr schnell, und wir müssen täglich mit dem Ende rechnen." Katrina setzte sich auf eine umgedrehte Holzkiste, die am Weg stand. Sie war sehr blass geworden, aber ihre Stimme blieb
beherrscht. "Danke, Professor, dass Sie mich vorbereitet haben. Sind Sie auch ganz sicher? Gibt es wirklich keine Heilung?" "Leider nicht, und ich möchte Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Dies ist nicht der richtige Moment, aber Sie haben kein Telefon, und solche Dinge bespricht man lieber persönlich. Kann ich Ihnen auf irgendeine Weise helfen?" "Nein, danke. Sie waren schon freundlich genug. Hoffentlich stirbt Tante Thirza im Schlaf." Katrina stand auf. "Wir sollten jetzt die Rose pflanzen. Tante Thirza freut sich sehr darüber." "Ich weiß." Der Professor sah Katrina forschend an. "Werden Sie auch nicht weinen?" "Dafür ist später noch genug Zeit." Der Professor pflanzte die Rose unter Tante Thirzas wachsamen Augen und nach ihren genauen Anweisungen, so dass sie mit dem Ergebnis überaus zufrieden war. "Wie aufmerksam, mir eine Rose zu schenken, die schon Knospen hat!" meinte sie. "Natürlich hätte man sie im Herbst pflanzen müssen. Dies ist nicht die richtige Jahreszeit." "Es lohnt den Versuch", antwortete der Professor. "Wenn die Rose nicht gedeiht, bringe ich Ihnen im Herbst eine neue." Er trug den Spaten zum Schuppen und verabschiedete sich. Tante Thirza dankte ihm warmherziger, als es sonst ihre Art war. "Sie verbringen den restlichen Sonntag wohl bei Freunden?" fragte sie zum Schluss. Der Professor nickte. "Es ist immer gut, einige Stunden von London fortzukommen. Ich wohne zwar auf dem Land, aber meine Arbeit führt mich täglich in die Stadt, und St. Aldrick's liegt nicht gerade in der besten Gegend." Er reichte Tante Thirza die Hand und ermahnte sie, den neuen Sprechstundentermin nicht zu vergessen. Wenn man ihn so hört, würde man nicht glauben, dass er die tödliche Wahrheit kennt, dachte Katrina und sah dein davonfahrenden Auto nach.
"Bestimmt hat er eine Freundin oder eine Verlobte", meinte Tante Thirza. "Er ist nicht mehr jung und sollte längst verheiratet sein. Ich werde ihn beim nächsten Mal fragen." "Er hat neulich angedeutet, dass er möglicherweise bald heiratet", sagte Katrina vorsichtig. "Also können wir wohl davon ausgehen, dass er verlobt ist." "Er hätte gut zu dir gepasst." "Aber Tante Thirza!" protestierte Katrina. "Er mag mich nicht einmal. Wir kommen miteinander aus, wenn wir uns begegnen, aber er hat nicht das geringste Interesse an mir." Sie verschwand, um das Geschirr abzuräumen und das Mittagessen vorzubereiten. Die Mandelplätzchen hatten ihm wenigstens geschmeckt. Zwei Tage später starb Tante Thirza. Sie saß mit Katrina im Garten und bewunderte die neue Rose. Es war ein warmer Nachmittag. Keiner sprach viel, die Anwesenheit des anderen genügte ihnen. "Du bist immer ein gutes Kind gewesen", sagte Tante Thirza plötzlich. "Meine eigene Tochter hätte nicht liebevoller sein können." Sie lächelte sanft, seufzte leise und starb. Im ersten Augenblick war Katrina fassungslos. Der Professor hatte sie gewarnt, aber im innersten Herzen hatte sie ihm nicht geglaubt. Jetzt konnte sie nur noch dankbar sein, dass ihre Tante so gestorben war, wie sie es sich gewünscht hätte: friedlich, ohne große Umstände, in ihrem geliebten Garten. Katrina küsste ihre Tante, sprach ein stilles Gebet und sagte mit einer Stimme, die seltsam fremd klang: "Ich muss dich jetzt allein lassen, um zu telefonieren, liebe Tante, aber die Rose wird dir Gesellschaft leisten." Sie holte ihr Fahrrad aus dem Schuppen, fuhr zum Nachbarhof und rief Dr. Peters und den Pfarrer an. Dann kehrte sie zu ihrer Tante zurück. Sie saß noch genauso auf der Bank und sah aus, als schliefe sie. Erst jetzt begann Katrina zu weinen.
Dr. Peters und der Pfarrer kamen kürz hintereinander. Sie trugen Tante Thirza in ihr Zimmer, und bald darauf erschien Mrs. Tripp, die Gemeindeschwester. Von da an empfand Katrina alles als unwirklich, obwohl jeder besonders freundlich zu ihr war. Mary Peters kam, um ihr mütterlich zur Seite zu stehen. "Sie sollten heute Nacht bei uns schlafen", meinte sie, als Katrina sich den ersten Kummer von der Seele geredet hatte. Doch davon wollte Katrina nichts wissen. "Ich würde lieber hier bleiben", erklärte sie. "Es wird schon gehen ..." Mrs. Peters verstand sie, sorgte dafür, dass sie etwas aß, und fuhr wieder nach Hause. Seltsamerweise schlief Katrina tief und fest. Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt dem Professor. Sie bedauerte, dass er nicht da gewesen war, aber was hätte er tun können? Nichts - und alles. Er hätte ihr gesagt, wie dankbar sie für Tante Thirzas friedliches Ende sein müsse. Er hätte sie Weinen lassen, ihr sein Taschentuch gereicht und sie sanft ermahnt, sich zusammenzunehmen. Katrina lächelte, schluchzte einmal auf und schlief ein. Viele Dorfbewohner erschienen, um Katrina ihr Bedauern und ihr Mitgefühl auszusprechen, aber sie hatte zu viel zu tun, um sich ihrem Schmerz hinzugeben. Da waren zum Beispiel Tante Thirzas Geschwister, die tausend Entschuldigungen gefunden hatten, warum sie Katrina kein Heim geben und ihr keine Ausbildung bezahlen könnten. Katrina kannte sie kaum, denn sie hatten Tante Thirza nie besucht, sondern sich damit begnügt, Geburtstags- und Weihnachtskarten zu schicken. Trotzdem mussten sie benachrichtigt und zur Beerdigung eingeladen werden. Katrina rechnete nicht damit, dass sie kommen würden. Wozu auch? Sie hatten die alte Dame ein Leben lang ignoriert. Doch sie kamen, in großen Wagen von BMW und noch größeren von Mercedes. Die Tanten tätschelten Katrina die
Wange, die Onkel gaben ihr die Hand, und die Vettern und Cousinen - fünf an der Zahl - blickten sie stumm von oben bis unten an. Katrina war höflich zu ihnen, weil Tante Thirza, die schlechtes Benehmen verabscheut hatte, es so gewollt hätte. Zum Glück war die Trauergemeinde so groß, dass Katrina während der Beisetzung kaum mit ihren Verwandten sprechen musste, aber danach kamen sie alle mit nach Rose Cottage. "Schließlich war Thirza unsere Schwester", meinte die älteste Tante. "Sicher hat sie uns ein Andenken hinterlassen, und natürlich wird der Anwalt das Testament verlesen," Mr. Thrush war ein alter Herr. Er hatte Tante Thirza seit Jahrzehnten gekannt und wunderte sich über die Anwesenheit der Verwandten. Was wollten sie hier, nachdem sie Katrina so gleichgültig ihrem Schicksal überlassen hatten? Katrina fragte sich das ebenfalls, aber sie sagte nichts, sondern reichte Tee und Gurkenhäppchen herum und hoffte, dass der Vorrat reichen würde. Das Testament war eindeutig. Tante Thirza hatte alles Katrina vermacht - das Cottage mit Grundstück und alles womöglich vorhandene Geld. Die Tanten waren empört und durchbohrten Mr. Thrush mit ihren Blicken. "Es wäre korrekt gewesen, wenn Thirza auch ihren anderen Nichten und Neffen etwas vermacht hätte", erklärten sie übereinstimmend. "Wie viel Geld hat sie denn hinterlassen?" "Das kann ich jetzt noch nicht sagen", erwiderte Mr. Thrush gereizt. "Da Sie nicht persönlich bedacht sind, dürfte das auch kaum von Interesse für Sie sein." Sobald er in seinem alten Wagen abgefahren war, stürzten sich die Tanten auf Katrina. "Du glückliches Kind! Jetzt kannst du dein Leben genießen, ohne an jemand anders denken zu müssen. Bestimmt hat Thirza eine hübsche Summe zurückgelegt. Sie war immer gemein ..."
Katrina vergaß ihre guten Manieren mit einem Schlag. "Wagt es nicht, so über Tante Thirza zu sprechen", sagte sie heftig. "Sie war wie eine Mutter zu mir, und ich habe sie geliebt. Sie hat in ihrem ganzen Leben nichts Gemeines gesagt oder getan. Und ihr? Was habt ihr getan, um ihr zu helfen? Oh, verschwindet endlich aus diesem Haus! Ich möchte keinen von euch jemals wieder sehen!" Katrina war eine hübsche Frau, und im Zorn wurde sie sogar schön. Sie stand da wie eine leibhaftige Amazone, und für einen Moment herrschte tiefes Schweigen. Die älteste Tante reagierte zuerst. "Es scheint, dass wir hier nicht willkommen sind, Katrina." Sie stand auf und verließ das Cottage. Die anderen folgten ihr. Katrina schloss hinter ihnen die Tür und brach in Tränen aus. Bisher hatte sie tapfer dagegen angekämpft, aber jetzt fehlte ihr Tante Thirza, die sie in ihrer nüchternen Art aufgefordert hätte, nicht so töricht und albern zu sein. Als die Tränen versiegt waren, trug sie das Geschirr in die Küche, wusch es ab und stellte es wieder sorgfältig in den Schrank. Sie fütterte Betsy, wusch sich das Gesicht und setzte sich zu der Rose in den Garten. Dort fand Dr. Peters sie. "Ich nehme Sie zum Abendessen mit nach Hause", erklärte er. "Ja, ja, ich weiß, mein Kind. Sie möchten nicht über Nacht bleiben, und ich verspreche, Sie zurückzufahren, wann Sie wollen. Mary und ich würden so gern noch einmal über die Beerdigung sprechen. Eine so schöne und würdige Feier ... Thirza hätte sich darüber gefreut." Katrina ließ sich überreden und aß sogar mit Appetit, denn die Gegenwart des Arztehepaars tröstete sie. Nach dem Essen kamen noch der Pfarrer und seine Frau, und es überraschte Katrina, wie leicht es ihr fiel, über den Gottesdienst, die Berge von Blumen und die herzliche Anteilnahme aller Freunde und Bekannten zu sprechen.
Später fuhr der Doktor sie zum Cottage zurück, wo Betsy sie erwartete. Alles wirkte so anheimelnd wie sonst, als lebte Tante Thirza noch. Katrina fühlte sich einsam und verloren, aber sie war zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Sie ging gleich ins Bett, und die verständnisvolle Betsy folgte ihr. Während der nächsten Tage hatte Katrina zu viel zu bedenken, um in Kummer zu versinken. Das Cottage gehörte ihr. Sie hatte ein Heim - ein Heim, das sie liebte -, und sie würde das Dorf nicht verlassen müssen. Aber das war nicht alles. Die Zukunft barg noch andere Probleme. Am dritten Tag nach der Beerdigung kam ein Brief von Mr. Thrush. Der Anwalt forderte Katrina auf, in der Bank ihrer Tante vorzusprechen, und erbot sich gleichzeitig, ihr in allen Schwierigkeiten zu helfen. Katrina fuhr mit dem Fahrrad nach Warminster, sprach mit dem Abteilungsleiter der Bank und kehrte beruhigt nach Rose Cottage zurück. Auf dem Konto ihrer Tante lagen mehrere hundert Pfund - genug, um sie für die nächsten Monate zu versorgen. Sie erzählte niemandem davon. Als Mrs. Peters vorsichtig fragte, ob sie finanziell gesichert sei, antwortete sie unbeschwert mit Ja. Dieselbe Antwort gab sie auch allen Freunden, die sich nicht aus Neugier, sondern aus Anteilnahme nach ihren Verhältnissen erkundigten. Überhaupt erfuhr sie von allen Seiten nur Freundliches. Sie wurde zum Lunch und zum Tee eingeladen, man nahm sie im Auto mit und besuchte sie unter tausend Vorwänden. Katrina war dafür sehr dankbar, aber nach dem Abendessen, wenn sie Berechnungen anstellte und Pläne machte, kehrten die trüben Gedanken zurück. Dann fragte sie sich auch, warum der Professor keine Beileidskarte geschickt hatte. Anfangs hatte sie sich sogar der sinnlosen Hoffnung hingegeben, er würde sie vielleicht persönlich aufsuchen, um ihr sein Mitgefühl für den Tod ihrer Tante auszusprechen. Doch sie
hatte vergeblich darauf gewartet, und kein Anruf, keine, einzige Zeile von Professor Glenville war gekommen. Eine Patientin von ihm war gestorben. Das musste eine alltägliche Erfahrung für ihn sein, aber hatte der Professor Tante Thirza denn nicht gern gehabt? Hatte er nicht auch sogar Sympathie für ihre Nichte Katrina gezeigt? "Wie dumm ist es von mir, das zu denken!" sagte Katrina zu ihrer Katze und beugte sich dann wieder über ihren Schreibblock, um an der Aufstellung eines neuen Sparprogramms für die nahe Zukunft zu arbeiten.
5. KAPITEL Katrina gewöhnte sich an, spät schlafen zu gehen und früh aufzustehen. Das machte die Tage zwar länger, aber wenn sie im Garten arbeitete, das Haus sauber machte, die Schränke ausräumte, Messing und Silber polierte, obwohl es schon glänzte, war sie am Ende müde genug, um an nichts mehr zu denken und einige Stunden fest zu schlafen. Sie wusste, dass sie ihr inneres Gleichgewicht eines Tages wieder finden würde, aber bis dahin musste jeder Tag für sich bewältigt werden. Natürlich erhielt sie weiterhin Besuch, und wenn sie zum Essen eingeladen wurde, sagte sie zu und tat, als wäre alles in bester Ordnung. "Sie ist vernünftig und wird Thirzas Tod rasch verschmerzen" , hieß es dann. "Es fällt ihr nicht schwer, allein zu leben, und Thirza wird ihr eine anständige Summe hinterlassen haben. Irgendwann muss sie sich natürlich eine Arbeit suchen, aber bis dahin..." Tatsächlich hatte Katrina schon den ersten Schritt dazu unternommen. Sie war nach Warminster gefahren und hatte sich bei einer Stellenvermittlung eintragen lassen. Die streng aussehende Sekretärin hatte ihr allerdings wenig Hoffnung gemacht. "Ich werde an Sie denken, Miss Gibbs", hatte sie gesagt, "aber da Sie weder Zeugnisse noch Empfehlungen vorweisen können..."
"Wie wäre es mit Hausarbeit?" hatte Katrina gefragt. "Hausarbeit? Da Sie in Rose Cottage bleiben und nicht bei der Familie wohnen würden ... Im Supermarkt werden Leute fürs Auspacken gesucht. Gehen Sie doch einmal vorbei." Katrina hatte es getan und mit dem Geschäftsführer gesprochen. Leider war nichts dabei herausgekommen. "Sie müssten morgens von sieben bis zehn Uhr und abends von neun bis halb elf Uhr arbeiten", hatte er gesagt. "Wenn Sie nicht in der Stadt wohnen, können wir Sie nicht brauchen." "Arbeit zu ungewöhnlicher Zeit macht mir nichts aus", hatte Katrina beteuert. Der Geschäftsführer hatte sie jedoch nur mitleidig angesehen. "Und wenn schlechtes Wetter ist? Wenn Ihnen ein Reifen platzt, oder wenn Sie verschlafen? Es tut mir Leid, Miss. Das Risiko ist uns zu groß." Das war gestern gewesen. Heute saß Katrina wieder am Küchentisch und rechnete. Die ersten Erfahrungen bei der Arbeitssuche hatten sie so entmutigt, dass sie den Kopf auf die Arme legte und zu weinen begann. Warum sollte sie sich zusammennehmen? Außer Betsy sah sie ja niemand. Professor Glenville kam den Gartenweg entlang, fand die Haustür offen und trat nach kurzem Zögern ein. Er durchquerte das Wohnzimmer und blieb an der Küchentür stehen. "Katrina?" fragte er leise. Katrina richtete sich hastig auf. Ihr Gesicht war verweint, aber sie putzte sich energisch die Nase, rieb sich die Augen und sagte leidlich gefasst: "Guten Tag, Professor." "Wie wäre es mit Tee?" Der Professor schien ihre Tränen nicht bemerkt zu haben. Er ging zum Herd, setzte den Kessel auf und ließ ihr Zeit, sich zu sammeln. Dann setzte er sich ihr gegenüber an den Tisch. "Ich habe es heute Morgen im Krankenhaus erfahren. Es tut mir sehr Leid."
"Sie waren verreist? Sie wussten es noch nicht? Erst seit heute Morgen?" Der Professor nickte. "Ich war auf einer zweiwöchigen Vortragsreise." "Dann müssen Sie heute sehr früh im Krankenhaus gewesen sein." Katrina lächelte, und der Professor erkannte, dass sie traurig, aber keineswegs entmutigt war. "Und Sie sind gleich gekommen. Tante Thirza wäre Ihnen dafür dankbar gewesen, und ich bin es auch. Sie müssen müde sein ... und hungrig ..." Der Professor goss den Tee auf und stellte ihn mit Bechern, Milch und Zucker auf den Tisch. "Ich bin unterwegs in Wherwell vorbeigefahren. Mrs. Peach hat uns einen Lunchkorb zusammengestellt. Während wir essen, können Sie mir alles erzählen. Das wird Sie erleichtern." Er holte den Picknickkorb aus dem Auto. Während er Suppe, Hühnchen, frischen Salat, Brötchen mit Butter und eine Flasche Weißwein auspackte, deckte Katrina den Tisch. "Wo haben Sie Vorträge gehalten?" fragte sie, als sie sich hingesetzt hatten. "In Holland und Belgien." Er nannte die einzelnen Städte, und was er dazu erzählte, klang so alltäglich und normal, dass Katrina vorübergehend ihre unsichere Zukunft vergaß. Der Professor beobachtete sie unauffällig. Ja, sie war unglücklich, aber sie würde ihren Kummer überwinden und feststellen, dass sie ihn nicht mochte. Er selbst mochte sie mehr, als er anfangs gedacht hatte. Das überraschte ihn und bestärkte ihn in dem Vorsatz, nicht zu freundlich zu sein. Sie waren beide hungrig, und Mrs. Peachs Lunch schmeckte köstlich. Nachdem sie erst den Tee und anschließend den Weißwein getrunken hatten, gestand Katrina: "Es geht mir schon viel besser. Wie dumm von mir, dazusitzen und vor Selbstmitleid zu weinen! Tante Thirza hätte sich meiner geschämt."
Der Professor bestrich das letzte Brötchen mit Butter. "Werden Sie weiter in Rose Cottage wohnen?" fragte er. "Ich will nicht neugierig sein, aber sind Sie finanziell abgesichert?" "Ja", antwortete Katrina etwas zu schnell, "Vielleicht werde ich mir irgendwann eine Arbeit suchen, aber nicht während des Sommers." "Und Ihre Verwandten?" Katrina erzählte von den Tanten und Onkeln, den Vettern und Cousinen, die zur Beerdigung gekommen waren, um zu erben. Sie bemühte sich, alles in humorvollem Licht erscheinen zu lassen, und schloss ihren Bericht: "Mr. Thrush zeigte ihnen ebenfalls die kalte Schulter. Er war sehr um mich besorgt und hilft mir bei allen Schwierigkeiten." Ob das überzeugend genug klang? Es war nett von dem Professor, sie zu besuchen, zumal sie sich nicht näher standen, aber sie wollte ihm auf keinen Fall verpflichtet sein oder sein Mitleid erregen. Warum hatte sie dann nach Tante Thirzas Tod so sehnlich auf ihn gewartet? Wie auch immer, sie begann, ihr Selbstbewusstsein wieder zu finden, und kam ohne fremde Hilfe und fremdes Mitleid aus. Die Gedanken ernüchterten Katrina, und das entging dem Professor nicht. Die Antwort auf seine Frage nach ihren finanziellen Umständen war ihm zu glatt gewesen, aber er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Es passte zwar nicht zu Katrina, scheinbar sorglos in die Zukunft hineinzuleben, aber sie konnte ihre Pläne ja jederzeit ändern. Vorläufig war es sicher am besten für sie, hier zu bleiben, wo man sie kannte und wo sie Freunde hatte. Außerdem ... was ging ihn das alles an? Der Professor spürte, dass Katrina wieder allein sein wollte. Er half ihr, die Reste vom Lunch zusammenzupacken, und trug den Korb zum Auto. Katrina begleitete ihn. "Danke, dass Sie gekommen sind", sagte sie in übertrieben heiterem Ton. "Es tut mir Leid, dass Sie mich so angetroffen haben. Wahrscheinlich war die Anstrengung der letzten Wochen
daran schuld, Ich freue mich wirklich auf den Sommer und hoffe ..." Was hoffte sie eigentlich? Wenn sie das nur gewusst hätte! "Noch einmal danke für alles, was Sie für Tante Thirza getan haben. Ich werde es nicht vergessen. Leben Sie wohl, Professor." Der Professor nahm ihre Hand. "Sie haben Glück, dass Sie hier so viele Freunde haben. Genießen Sie den Sommer. Später werden andere Dinge auf Sie zukommen. Vielleicht werden Sie sogar heiraten." "Heiraten?" Katrina schüttelte traurig den Kopf. "Wen denn? Die Männer, die ich kenne, sind schon verheiratet... oder es sind ältere Herren." Da der Professor sie nicht aus den Augen ließ, fügte sie lächelnd hinzu: "Aber hinter jeder Ecke kann der Traummann warten. Ist es nicht so?" "Allerdings", bestätigte der Professor und lächelte ebenfalls. "Besonders wenn er eine hübsche Frau sucht, die ein eigenes Heim hat und unabhängig ist. Seien Sie vorsichtig, Katrina. Gehen Sie den Glücksrittern aus dem Weg." Katrina blickte dem davonfahrenden Wagen nach. Sie würde den Professor nicht wieder sehen. Sie würde weder erfahren, ob er heiratete, noch, ob er glücklich war. Vielleicht würde Dr. Peters ab und zu von ihm hören und es ihr erzählen, aber wozu eigentlich? Er war ihr zufällig begegnet, und genauso zufällig verschwand er jetzt wieder - gerade als sie merkte, dass sie ihn doch gern hatte. Um nicht trübsinnig zu werden, ging sie in den Garten, wo immer noch viel zu tun war. Die Erbsenpflänzchen waren inzwischen gut angewachsen, und sie hatte auch noch Bohnen, Rosenkohl und weiße Rüben gepflanzt. An Gemüse würde es ihr jedenfalls nicht fehlen. Als sie sich müde gearbeitet hatte, ging sie wieder hinein und brühte Tee auf. Wie gern hätte sie den Professor wieder gesehen, aber das war ein aussichtsloser Wunsch. Er hatte sie aus Mitleid besucht - und aus Achtung vor Tante Thirza.
Wahrscheinlich war er froh, dass er sich dieser unliebsamen Pflicht entledigt hatte. Nach dem Abendessen setzte sie sich hin und stellte eine Liste der Arbeiten zusammen, die für sie infrage kamen. Sehr groß war die Auswahl nicht. Es durften keine Vorkenntnisse erforderlich sein, und die Arbeitsstelle musste nah genug liegen, um sie mit dem Fahrrad erreichen zu können. Kinderbetreuung? Altenbetreuung? Landwirtschaftliche Hilfe? Die letzte Möglichkeit gefiel ihr am besten. Sie hatte Gartenerfahrung, und rund um das Dorf lagen viele Höfe. Sie konnte Kartoffeln ausgraben, Gemüse ernten, Obst pflücken ... An diesem Abend ging Katrina fröhlicher als sonst ins Bett. Wenn sie in der Umgebung eine Arbeit fand, würde sie problemlos durch den Winter kommen. Sie konnte Heimkurse nehmen oder die Abendschule in Warminster besuchen. Sobald sie das erste Zeugnis hatte, standen ihr normale Berufe offen. Sekretärin, Arzthelferin, Bibliothekarin ... Den Kopf voller Hoffnungen und Pläne, schlief Katrina ein. Während der Heimfahrt dachte Professor Glenville über seinen Besuch nach. Eigentlich war es seine Absicht gewesen, Katrina zum Abendessen mit nach Wherwell zu nehmen, aber dann war ihm klar geworden, dass sie abgelehnt hätte. Anfangs war es ihm gelungen, sie etwas heiterer zu stimmen - bis er nach ihren Zukunftsplänen gefragt hatte. Da war sie sofort empfindlich geworden und am Ende offenbar froh gewesen, ihn wieder los zu sein. Peach begrüßte ihn im Flur. "Haben Sie die junge Dame nicht mitgebracht, Sir?" "Nein, Peach. Wurden Sie ihren Dank für den Lunchkorb an Mrs. Peach weitergeben? Alles hat köstlich geschmeckt." Der Professor öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer. "Ich werde mit den Hunden spazieren gehen." "Nach dem Tee, Sir?" "Vorher, Peach. Tee in einer halben Stunde?"
"Wie Sie wünschen, Sir." Der Professor pfiff nach den Hunden und spazierte mit ihnen hinaus auf die Felder. Vielleicht hätte er Katrinas plötzliche Reserviertheit ignorieren und länger bleiben sollen. Ihre guten Manieren hätten sie gezwungen, ihm Tee anzubieten. Vielleicht hätte er erfahren, was sie bedrückte. Ihre Verschlossenheit hatte beinahe an Unhöflichkeit gegrenzt, als wäre ihr sein Besuch unangenehm gewesen. Nachträglich wunderte es ihn, dass er sich um eine Frau sorgte, die ihm gegenüber kaum die Höflichkeitsformen wahrte. Aber sie in Tränen anzutreffen ... Beinahe hätte er sie in den Arm genommen und wie ein unglückliches Kind getröstet. Hatte sie diese instinktive Nähe gespürt und war deshalb so zurückhaltend gewesen? Der Professor kehrte um, ließ sich Mrs. Peachs Tee schmecken und vergrub sich anschließend in seine Arbeit. An Katrina dachte er nicht mehr. Auch am nächsten Tag war er mit anderen Dingen beschäftigt. Er fuhr erst in seine Praxis und dann ins Krankenhaus, um Sprechstunde zu halten. Sein Assistent erwartete ihn bereits - ein stiller, wesentlich jüngerer Mann. Er arbeitete seit Jahren mit dem Professor zusammen, und sie verstanden sich gut. "Die Liste der Patienten ist lang", begrüßte er den Professor. "Wir haben die meisten auf Ihre Rückkehr vertröstet. Kollege Taylor hat sich gut eingearbeitet, aber Sie hatten mich gebeten, noch einen Vierteil für unser Team zu suchen. Sie ist seit letzter Woche bei uns. Maureen Soames - sehr begabt und tüchtig." Sie gingen gemeinsam zu den Sprechzimmern, wo sie von Dr. Taylor - einem viel versprechenden jungen Talent - und Dr. Soames erwartet wurden. Sie war klein und zierlich, hatte kurzes dunkles Haar und große dunkle Augen. Ein hübsches Gesicht, dachte der Professor, und ein sympathisches Lächeln. Ob sie nicht zu jung ist, um Ärztin zu sein und Hämatologie als
Fachgebiet anzustreben? Sie wirkt wie ein sorgloses Mädchen, das von jungen Männern umschwärmt wird, gerne tanzen und einkaufen geht... "Guten Tag, Dr. Soames", sagte er und gab ihr lächelnd die Hand. "Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen." Dann verschwand er mit der Schwester in seinem Sprechzimmer. Die Sprechstunde dauerte länger als sonst. Als der Professor gerade gehen wollte, kam Maureen in sein Zimmer. "Hätten Sie vielleicht einen Moment Zeit, Sir? Diese Mrs. Wiseman ... Ich weiß, Sie ist eine alte Patientin und hält sich tapfer, aber warum haben Sie diese spezielle Behandlung angeordnet?" Der Professor stellte seine Tasche hin. "Haben Sie den Krankenbericht bei sich? Dann Werde ich Ihnen die Behandlung erklären." Sie brauchten nicht lange, verließen das Krankenhaus gemeinsam und verabschiedeten sich vor dem Eingang. Der Professor sah Maureen nach. Eine ebenso hübsche wie intelligente Frau, dachte er - und genau das sollte er denken. Soweit sich Katrina erinnern konnte, hatte Tante Thirza im Komitee für den Kirchenbasar den Vorsitz geführt. Sie selbst gehörte nicht zum Komitee, und darum schob man ihr jetzt wie selbstverständlich die unattraktiven Aufgaben zu. Von dem kalten Büfett, das sie hatte übernehmen sollen, war nicht mehr die Rede. Sie musste bei den wohlhabenden Dorfbewohnern ausgediente Hüte, Kleider und Handtaschen einsammeln, ihren Wert schätzen und unter den kritischen Blicken der Komiteedamen die Preisschilder schreiben. Sie musste Bücher schleppen, Nippsachen putzen und Vorrat für den "Flaschenstand" besorgen, in dem es alles gab, was in Flaschen aufbewahrt wurde - von Whisky bis zu Haarwasser und Tomatenketchup. Sie hatte genug zu tun, um vorübergehend alle Sorgen und Pläne zu vergessen.
Am Tag des Basars herrschte warmes Sommerwetter. Katrina - in einem hübschen, aber nicht mehr modernen Kleid - traf früh im Herrenhaus ein. Sie half dabei, die Stände auf dem Rasen aufzubauen, die Auslagen zu arrangieren und mit Sonnenschirmen geschützte Sitzecken einzurichten. Lady Truscott, die Besitzerin des Herrenhauses, sollte den Basar um elf Uhr eröffnen. "Wie nett von Lady Truscott, uns wieder ihren Garten zu überlassen", sagte Mary Peters, während sie mit Katrina einige zu spät gelieferte Hüte dekorierte. "Schade, dass sie keine Familie hat - abgesehen von einer Nichte, die sehr erfolgreich im St. Aldrick's Hospital arbeiten soll. Oh, da kommt Lady Truscott, und ihre Nichte ist bei ihr. Eine hübsche Frau, nicht wahr?" Katrina musste zustimmen. Jede Frau hätte in einem so teuren Seidenkostüm hübsch ausgesehen, aber Lady Truscotts Nichte wirkte darüber hinaus elegant und selbstsicher und wurde bestimmt von vielen Männern umschwärmt. Katrina versuchte, sieh vorzustellen, eine umschwärmte Frau zu sein, aber es gelang ihr nicht. Lady Truscott und ihre Nichte spazierten an den Ständen entlang. Sie kauften Eierwärmer, Bastuntersetzer und kleine Strickarbeiten und blieben wider Erwarten auch bei den Hüten stehen. "Ich glaube, Sie kennen meine Nichte noch nicht", sagte Lady Truscott zu Mary Peters, aber Katrina spürte, dass sie gemeint war. "Maureen Soames - sie ist Ärztin und spezialisiert sich bei Professor Glenville auf Hämatologie." Sie lächelte selbstgefällig. "Wie ich höre, verstehen sie sich großartig." Maureen schien dieses Lob ablehnen zu wollen, aber sie lächelte ebenfalls, so verhalten und eingeweiht, dass es Katrina ärgerte. Diese Maureen spielt Theater, dachte sie, und ich mag sie nicht. Sie will nur mit dem Professor angeben.
"Sie müssen sehr begabt sein", sagte sie laut. "Haben Sie einen freien Tag, oder machen Sie gerade Urlaub?" Maureen sah sie schillernd an. "Ich bin nur heute hier. Der Professor ist ein strenger Chef, aber er gönnt uns auch Erholung." Sie lachte melodisch. "Heute Abend gehen wir zum Beispiel aus. Ich darf auf keinen Fall zu spät kommen." "Hoffentlich übernehmen Sie sich nicht", bemerkte Katrina boshaft. "Wie wäre es mit einem meiner Hüte?" Maureens Blick war eine offene Kampfansage. Als sie wieder allein waren, fragte Mrs. Peters: "War das nicht eine erfreuliche Mitteilung? Ausgerechnet der Professor! Wahrscheinlich hat er sich in Maureen verliebt. Man sagt ja, dass sich große Männer oft in zierliche Frauen verlieben." Das Ergebnis dieser Bemerkung war, dass sich Katrina unnatürlich groß und unbeholfen vorkam. Abends, als der Basar abgebaut und das eingenommene Geld gezählt war, kehrte Katrina nach Hause zurück. Mrs. Peters' Einladung zum Abendessen hatte sie mit dem Hinweis abgelehnt, noch zu viel zu tun zu haben. Sie fütterte Betsy, die sie ängstlich erwartet hatte, kochte sich ein Ei, machte Toast und Tee und setzte sich damit an den Küchentisch. Es war ein anstrengender und erfolgreicher, aber kein sehr glücklicher Tag gewesen. Die Begegnung mit Maureen hatte die Erinnerung an den Professor unliebsam wachgerufen. Katrina hätte ihn lieber vergessen, aber das schien ihr nicht vergönnt zu sein. Auch wenn sie ihn nicht wieder sah, würde sie regelmäßig von ihm hören. Dafür bürgten sowohl Lady Truscott wie Mary Peters, die in Maureen schon die zukünftige Mrs. Glenville sahen. "Es geschieht ihm ganz recht, wenn er sie heiratet", sagte Katrina halblaut vor sich hin und meinte kein Wort davon. Mochte Maureen noch so hübsch sein und sich noch so elegant anziehen - unter der schönen Hülle lauerte ein Raubtier mit scharfen Krallen.
"Sie will sich den Professor angeln." Diesmal sprach Katrina so laut, dass Betsy aufwachte und sie blinzelnd ansah. "Entschuldige, Betsy, ich wollte dich nicht stören. Aber er wird nie im Leben glücklich mit ihr." Eine dumme Bemerkung, wie sie gleich darauf zugeben musste. Sie kannte den Professor kaum und konnte über sein Privatleben und seinen persönlichen Geschmack natürlich höchstens Vermutungen anstellen. Aber wahrscheinlich gefielen ihm kleine, zierliche Frauen, besonders wenn sie so klug waren wie Maureen. "Na, wenn schon", beendete Katrina ihr Selbstgespräch und ging schlafen.
6. KAPITEL Am nächsten Morgen stand Katrina früh auf. Sie wollte im Garten noch einige Beete bepflanzen und dann zu Mr. Thorns Hof hinüberfahren und fragen, ob er Hilfe brauchen könne. Der Hof lag weit genug vom Dorf entfernt, um keinen Klatsch aufkommen zu lassen. Mochten die Leute ruhig erfahren, dass sie Arbeit suchte, aber ihr Mitleid, ihre Sorge und die Angebote zu helfen... Und doch brauchte Katrina Hilfe. Als sie herunterkam, lag ein Brief vor der Tür, der eine unbezahlte Rechnung enthielt. Tante Thirza musste sie übersehen haben, und man forderte sie auf - zum letzten Mal, wie es hieß -, die ausstehende Summe umgehend zu bezahlen. Der Betrag war nicht übermäßig hoch, hinterließ aber doch ein spürbares Loch in Katrinas Bankguthaben. Sie schrieb einen Scheck aus, fügte einige erklärende Zeilen hinzu und ging ins Dorf, um den Brief aufzugeben. Mrs. Dyer, die in ihrem Laden auch die kleine Poststelle unterhielt, hatte mehr Kunden als sonst, und Katrina musste warten, bis sie endlich an der Reihe war. "Ich höre, dass der Basar ein voller Erfolg war", sagte Mrs. Dyer, während sie die passenden Briefmarken heraussuchte. "Und das Wetter hat auch mitgespielt. Meine Amy hat sich einen Hut gekauft - aus rosa Stroh. Sie fährt nächste Woche zur
Hochzeit einer Freundin, und niemand wird ahnen, wo sie den Hut herhat." "Den rosa Strohhut?" rief Katrina. "Der kam von Lady Truscott und muss sehr teuer gewesen sein. Amy hat einen Glücksgriff getan." "Sag ich's doch. Die Leute reden jetzt so viel über Lady Truscotts Nichte ... wie hübsch und klug sie ist, und wie erfolgreich sie im St. Aldrick's arbeitet. Eigentlich müssten Sie ihr begegnet sein, als Sie mit Miss Gibbs dort waren? Sie arbeitet für einen bekannten Professor, der angeblich hinter ihr her ist." "Wer sagt das?" fragte Katrina und hoffte, dass ihre Stimme wie sonst klang. "Nun, Sie wissen doch, Miss Katrina. Ein Wort hier, ein Wort da ... Wie sagt man? Wo Hauch ist, ist auch Feuer." Mrs. Dyer schmunzelte und schob Katrina die Briefmarken und das Wechselgeld hin. "Sie kennen den Professor, nicht wahr? Ein gut aussehender Mann, wie man hört..." "O ja, das stimmt. Er versteht sein Fach und hat sich sehr um meine Tante bemüht." Mrs. Dyer setzte eine mitleidige Miene auf. "Haben Sie sich schon an das einsame Leben gewöhnt, Miss Katrina? Bestimmt wollen Sie etwas von der Welt sehen, wenn sich die Wogen erst geglättet haben." "Ja, vielleicht", antwortete Katrina, "aber den Sommer verbringe ich bestimmt in Rose Cottage. Ich kann den Garten doch nicht im Stich lassen." "Aber so allein in dem abgelegenen Haus... Mrs. Dyer zwinkerte, "Hoffentlich kommt bald ein netter junger Mann, der Sie heiratet." Katrina lachte mit, kaufte noch eine Dose von Betsys Lieblingsfutter und kehrte nach Hause zurück. Sie hatte einen guten Teil des Vormittags verloren und musste ihr Programm zusammenstreichen. Etwas Gartenarbeit, dann die Wäsche und
das Mittagessen ... Sie würde erst nachmittags zu Thorns Hof hinüberfahren. Der Hof lag vier Meilen entfernt. Zu Tante Thirzas Lebzeiten war Katrina öfter hingefahren, um ein Huhn oder eine Pute zu holen. Es war ein reicher Hof, mit einem großen Obstgarten und ausgedehnten Feldern, auf denen Kartoffeln und Gemüse wuchsen. Mr. Thorn befand sich im Gewächshaus und überprüfte die Tomaten. Er war ein schweigsamer Mann und hörte Katrina bis zum Ende zu, ohne sie zu unterbrechen. "Ich verstehe, dass Sie in Rose Cottage bleiben wollen", sagte er dann. "Ein hübsches Anwesen, und Miss Thirza hat gut dafür gesorgt. Viel Geld hat Sie Ihnen wohl nicht hinterlassen? Da trifft es sich gut, dass ich Hilfe brauchen kann. Zum Beispiel die Puffbohnen ... sie müssen gepflückt werden, solange sich das Wetter hält." Mr. Thorn sah auf Katrinas schmale, gut gepflegte Hände. "Es ist harte Arbeit..." "Wann kann ich anfangen?" fragte Katrina. "Wann Sie wollen. Was die Bezahlung betrifft,,. je mehr Sie pflücken, desto mehr Geld bekommen Sie. Das hängt ganz von Ihnen ab. Die meisten ändern Pflücker beginnen um acht Uhr und bleiben bis mittags. Sie können aber auch länger arbeiten. Für die Bohnen rechne ich eine gute Woche, danach kommen die Erbsen dran." "Ich fange morgen früh an", sagte Katrina und fuhr wieder nach Hause, wo sie sich hinsetzte und neue Berechnungen anstellte. Wenn sie wöchentlich vier Tage arbeitete, konnte sie ihr Bankkonto auffüllen und die übrigen Tage wie bisher gestalten. Blumen für die Kirche, eine gelegentliche Tennispartie, das Sommerfest ... Sie war nicht zu stolz, um ändern von ihrer Arbeit auf Thorns Hof zu erzählen, aber niemand sollte denken, dass sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befand. Das war sie schon Tante Thirza schuldig. .
Katrinas Konzept bewährte sich. Zeitig aufzustehen machte ihr nichts aus. Sie frühstückte, fütterte Betsy, packte belegte Brote für die Lunchpause ein und schwang sich auf ihr Fahrrad. Die Arbeit war schwer, schwerer, als sie angenommen hatte, aber wenn sie nachmittags nach Hause fuhr, hatte sie Geld in der Tasche. Sie aß eine Kleinigkeit, nahm ein langes, heißes Bad, um die Muskelschmerzen zu lindern, und pflegte anschließend ihre Hände, die immer rauer wurden. Ordentlich frisiert und in einem hübschen Baumwollkleid, präsentierte sie sich dann auf einem der Komitees, die im Dorfleben eine so große Rolle spielten. Man brauchte sie immer - um ein Protokoll zu schreiben, einen Terminplan aufzustellen oder Rundschreiben zu verteilen. Ihre Freunde - meist ältere Damen, die Tante Thirza nahe gestanden hatten -, nickten einander zu und äußerten ihre Genugtuung darüber, dass Katrina so vernünftig sei, sich in das Unabänderliche zu fügen. Jetzt sei nur noch zu hoffen, dass sie einem netten jungen Mann begegnen und heiraten würde. Einige Damen gingen sogar so weit, ihre Neffen mit Katrina zusammenzubringen, in der Hoffnung, dass sie sich verlieben würde. Doch den Gefallen tat sie ihnen nicht. Sie war freundlich, spielte Tennis und begleitete die jungen Herren auf Ausflügen nach Warminster, aber ihr Herz blieb unberührt. Immerhin bedeuteten die Neffen eine angenehme Abwechslung von der anstrengenden Landarbeit. Katrina war gern mit Gleichaltrigen zusammen, aber ans Heiraten dachte sie nicht. Sie wollte erst etwas aus sich machen. Ihr Bankkonto wuchs ständig. Im Herbst würde sie in Warminster Abendkurse besuchen - sie dachte an eine Ausbildung als Bibliothekarin -, und dann stand ihr die Welt offen. Zumindest die Welt, die sich mit dem Fahrrad oder dem Bus erreichen ließ. Ganz im Hintergrund schlummerte auch noch das Bild des Professors, das trotz all ihrer Bemühungen nicht ganz verblassen wollte,
Da es kaum regnete, ging die Ernte gut voran. Nach den Bohnen kamen die Erbsen dran und danach die ersten Kartoffeln. Auch die reifen Erdbeeren mussten unverzüglich gepflückt werden, was bei der sommerlichen Hitze keine Kleinigkeit war. Die Arbeit zehrte an Katrinas Kräften und war ruinös für die Hände, obwohl sie Handschuhe trug. Doch sie hatte inzwischen ihren Rhythmus gefunden. Sie arbeitete, so lange Mr. Thorn es ihr gestattete. Ihr Gesicht und ihre Arme wurden braun, aber sie verlor auch an Gewicht und war abends zum Umfallen müde. Manchmal wurde sie im Dorf gefragt, warum sie so dünn geworden sei und nicht mehr ihre schön gepflegten Hände habe. "Es ist der Garten", pflegte sie dann zu antworten. "Es gibt so viel zu tun, und ich habe Freude daran. Manchmal bin ich den ganzen Tag draußen und wühle in der Erde herum. Ich muss unbedingt nach Warminster fahren und mir eine Maniküre leisten." Am Tag vor dem Sommerfest beschloss Katrina, länger zu arbeiten, um sich mit gutem Gewissen den nächsten Tag freinehmen zu können. Sie war schon um sieben Uhr früh auf dem Erdbeerfeld und kniete zwischen den saftigen roten Früchten, während die Sonne am Himmel aufstieg und ihre heißen Strahlen auf die Erde sandte. Als Katrina im Schatten einer Hecke mit ändern Pflückern Mittagspause machte, kam Mr. Thorn zu ihr. "Wollen Sie wieder bis fünf Uhr arbeiten?" fragte er. Als Katrina nickte, fuhr er fort: "Lady Truscott bittet für heute Abend um drei Kilo Erdbeeren. Würden Sie sie auf dem Fahrrad mitnehmen? Brechen Sie etwas früher auf - ich bezahle Sie bis fünf Uhr." Mr. Thorn ging, ohne eine Antwort auf seine Bitte abzuwarten. Er behandelte seine Pflücker fair, aber Katrina wusste, dass er ihr eine Weigerung übel genommen hätte. Da sie auf keinen Fall Lady Truscott begegnen wollte, beschloss sie,
den Feldweg zu nehmen und die Erdbeeren an der Küchentür abzugeben. Katrina musste einen Umweg von einer Meile machen, und die Sonne brannte immer noch vom Himmel. Da der Weg durch die Felder selten benutzt wurde, war er voller Unkraut und Schlaglöcher. Katrina schlingerte auf ihrem Rad vorwärts, mit den Erdbeeren auf dem Gepäckträger. Sie dachte an das morgige Fest. Sie würde ihr schönstes Kleid anziehen - das aus bernsteingelbem Seidenkrepp mit den halblangen Ärmeln und dem kleinen Stehkragen. Tante Thirza hatte es ihr vor einigen Jahren geschenkt, und sie trug es nur bei ganz besonderen Gelegenheiten. Natürlich war es längst aus der Mode, aber es hatte Stil, und mit etwas Glück würde man es für neu halten. Man hatte ihr diesmal den Flaschenstand anvertraut, was bedeutete, dass sie rechtzeitig im Dorf sein musste. Das Fest wurde zwar erst um elf Uhr eröffnet, aber die Leute kamen schon früher, um die Hauptstraße entlangzubummeln, sich die Stände anzusehen und Luftballons für die Kinder zu kaufen. Es würde mehrere Karussells geben, Lotterien und natürlich den Flaschenstand, an dem man nur mit Losen gewinnen konnte. Der Feldweg lief am Park des Herrenhauses entlang und mündete seitlich in die breite Auffahrt. Katrina musste den Vorplatz überqueren, um den Kücheneingang an der entgegengesetzten Seite zu erreichen. An der Weggabelung blickte sie kurz in beide Richtungen. Niemand war zu sehen. Lady Truscott saß wahrscheinlich beim Tee, entweder im Wohnzimmer oder im Garten zwischen den Blumenbeeten. Katrina sauste über den Vorplatz. Kurz bevor sie um die Ecke bog, glitt der dunkelgraue Bentley an ihr vorbei, mit dem Professor am Steuer und Maureen neben ihm. Ob er sie erkannt hatte? Wahrscheinlich nicht. Sie sah zu anders aus als sonst. Sie gab die Erdbeeren ab und schlich zurück an die Hausecke. Der Bentley stand vor der Tür, aber niemand war zu
sehen. Rasch stieg sie auf ihr Rad und trat kräftig in die Pedale. Sie musste die erste Kurve der Auffahrt hinter sich haben, ehe jemand zufällig aus dem Fenster sah ... Der Professor brauchte nicht aus dem Fenster zu sehen. Er stand mit Maureen in der offenen Haustür und erkannte Katrina sofort. Maureen erkannte sie auch. "Wer war das denn?" fragte sie und blickte sich um, als könnte ihr nur ein anderer als der Professor Auskunft geben. "Was für eine Vogelscheuche! Wahrscheinlich kommt sie von einem der umliegenden Höfe." Sie lächelte den Professor an. "Können Sie wirklich nicht bleiben? Auch nicht eine halbe Stunde?" Professor Glenville hatte tadellose Manieren. Er lehnte höflich, aber entschieden ab, stieg wieder in den Bentley und fuhr davon. Am Parktor überholte er Katrina, die noch eine gute Meile bis Rose Cottage zu fahren hatte. Als sie dort ankam, stand der Bentley am Gartentor. Daneben wartete der Professor. "Hallo", begrüßte er sie. "Komme ich zu spät zum Tee?" Er öffnete das Gartentor, und Katrina folgte ihm mit dem Fahrrad. "Kommen Sie herein", antwortete sie höflich, um einerseits ihre Freude über das Wiedersehen und andererseits ihren Ärger über den ungünstigen Moment zu verbergen. Wie sah sie, um Himmels willen, aus? "Sicher haben Sie es eilig." "Was bringt sie auf diesen Gedanken?" Der Professor folgte Katrina in die Küche. "Ich habe heute Abend nichts mehr vor." "Dann sind Sie auf dem Weg nach Wherwell?" "Nein. Warum sind Sie so dünn geworden, Katrina? Und warum sehen Sie so müde und abgearbeitet aus? Ihre Hände ..." "Ich habe noch keine Zeit gehabt, mich zu waschen und umzuziehen." Katrina stellte Betsy eine Schale mit Milch hin und begann, den Tisch zu decken. "Wenn ich von Ihrem Besuch gewusst hätte, wäre ich vorbereitet gewesen." Der Professor wartete geduldig, bis der Tee gezogen hatte, und schenkte dann selbst ein. "Erzählen Sie mir alles, Katrina."
"Was soll ich Ihnen erzählen? Es gibt nichts ... und wenn, ginge es Sie nichts an." "Also noch einmal. Was führte Sie in diesem Aufzug nach Truscott Manor? Soweit ich mich erinnere, waren Ihre Tante und Lady Truscott gut bekannt. Warum schlichen Sie um den Kücheneingang herum, als dürften Sie sich nicht sehen lassen?" "Ich bin nicht herumgeschlichen", protestierte Katrina. "Ich habe Obst abgegeben. Natürlich kenne ich Lady Truscott, aber ich wollte ihr in diesem Augenblick nicht begegnen." Der Professor nahm Katrinas Hand. "Und Ihre Hände, Katrina? Arbeiten Sie auf dem Feld?" "Warum nicht? Ich bin gern draußen ..." "Um Kartoffeln auszugraben, Erbsen und Erdbeeren zu pflücken?" Es war zum Verzweifeln, wie genau er den Nagel auf den Kopf traf. Katrina beschloss, nicht zu antworten. "Sie wollen nicht reden", fuhr der Professor ruhig fort, "daher muss ich es tun. Sie sind in finanziellen Schwierigkeiten, nicht wahr? Rose Cottage gehört Ihnen, aber es fehlt an Bargeld. Die Leute glauben, dass Ihre Tante Ihnen eine ausreichende Summe hinterlassen habe, und in diesem Glauben wollen Sie sie bestärken. Sie haben Ihre Tante geliebt und wissen, wie sehr es sie gequält hätte, sie unversorgt zurückzulassen. Daher führen Sie ein Doppelleben. Im Dorf hält man sie für die wohlhabende Miss Katrina Gibbs, während sie auf einem Hof, der weit genug entfernt liegt, um Ihnen Anonymität zu garantieren, Ihren Lebensunterhalt verdienen." Katrina schwieg. Ihr fiel keine passende Antwort ein, und Leugnen wäre sinnlos gewesen. Der Professor lehnte sich zurück und sah sie abwartend an. Als das Schweigen bedrückend Wurde, sagte sie aufs Geratewohl: "Morgen findet das Sommerfest statt, und ich habe den Flaschenstand übernommen." Nach einer weiteren Pause
fügte sie hinzu: "Ich wusste nicht, dass Sie Lady Truscott kennen." "Ich kenne sie nicht. Maureen Soames, die in meinem Team arbeitet, bat mich, sie mitzunehmen. Sie hatte eine Autopanne und wollte unbedingt zum Sommerfest hier sein." "Maureen ist Ärztin, ich weiß. Übernachten Sie in Truscott Manor?" "Nein." Der Professor unterdrückte ein Lächeln und nahm den letzten Keks aus der Dose. "Ich muss gehen, man erwartet mich zu Hause." Er stand auf, und Katrina erhob sich ebenfalls. "Natürlich, das verstehe ich. Vielen Dank für Ihren Besuch." Sie reichte dem Professor die Hand, und er fühlte, wie rau sie war. Sie gingen zusammen zum Gartentor. Es war ein warmer, stiller Sommerabend. Der blaue Himmel färbte sich langsam rosa und schmückte sich an den Rändern mit Gold. Das Geißblatt an der Hecke duftete süß. Der Professor atmete tief. "Ich rieche Jelängerjelieber ..." "Ja. Tante Thirza liebte den Duft besonders. Er begrüßte mich schon, als ich zum ersten Mal hierher kam." Der Professor nickte. "Es verspricht ein schöner Tag zu werden, genau richtig für das Sommerfest." Er stieg in sein Auto, hob eine Hand und fuhr davon. Katrina blieb noch eine Weile am Gartentor stehen, ehe sie hineinging, um sich der täglichen Handpflege zu widmen. Das kleine Haus kam ihr plötzlich sehr leer vor. Im Dorf herrschte schon reges Leben, als Katrina gegen acht Uhr ankam. Entlang der Hauptstraße Wurden Stände aufgestellt, Limonadekästen wurden abgeladen, Lebensmittel, Bücher und Porzellan wurden ausgepackt und möglichst wirkungsvoll dekoriert. Die Damen des Dorfs begrüßten Katrina herzlich. "Ein bildhübsches Mädchen", sagte Mrs. Dyer zu der Frau des Fleischers, "und so geschmackvoll angezogen. Sie spielt ein
wenig die Einsiedlerin, aber das tat die alte Miss Gibbs auch. Schade, dass kein geeigneter Mann in Sicht ist, aber noch ist nicht aller Tage Abend, und Miss Katrina kann sich den Richtigen aussuchen. Rose Cottage ist ein ansehnlicher Besitz, und genügend Bargeld wird auch vorhanden sein." Die Frau des Fleischers nickte und sah zu Katrina hinüber, die auf der ändern Straßenseite ihre Flaschen aufstellte. "Sie ist ein bisschen dünn geworden, aber wen wundert das? Es ist der Kummer über den Verlust ihrer Tante." Katrina beschriftete die verschiedenen Flaschen, stellte sie reihenweise auf und plauderte zwischendurch mit jedem, der vorbeikam. "Ich kann leider nur bis Mittag bleiben", vertraute ihr Mrs. Tripp, die Gemeindeschwester, an. "Dr. Peters möchte, dass ich zu den Stokes hinausfahre. Es geht Mrs. Stoke nicht besonders. Hoffentlich bekomme ich vorher Lady Truscotts Nichte zu sehen. Sie soll ebenso hübsch wie intelligent sein und ist extra aus London gekommen, um ihre Tante auf das Fest zu begleiten. Sie kam im Auto, nicht in irgendeinem, sondern in einem Bentley. Und erst ihr Begleiter! Einfach atemberaubend, sagt die Köchin vom Herrenhaus. Riesengroß und dazu gut aussehend ... Ein echtes Traumpaar, meint sie." "Hoffentlich bekommen Sie das Wunderwesen zu sehen, ehe Sie aufbrechen müssen", sagte Katrina und beugte sich über ihre Flaschen. Sie war froh, etwas zu tun zu haben. Die Flaschen mussten geschickt verteilt werden. Whisky und Wein ganz nach vorne, dahinter Sojasoße, Tomatenketchup und Barbecue-Dressing. Jemand hatte einen ganzen Kasten Coca-Cola gestiftet. Kreisförmig aufgestellt, bildeten die Flaschen einen hübschen Blickfang und den richtigen Hintergrund für Estragonessig, Olivenöl, Mundwasser und Duschgel. Letzteres schien in diesem Jahr ein Renner zu werden. Jemand musste zu viel davon zu Weihnachten bekommen haben.
Die ersten Besucher tauchten auf. Sie konnten noch nichts kaufen, aber sie bummelten von Stand zu Stand und merkten sich, was sie später zu gewinnen hofften. Diesmal sollte ein Fernsehstar das Fest eröffnen. Katrina, die fast nie ins Kino ging und den von ihrer Tante gemieteten Fernseher zurückgegeben hatte, konnte mit dem Namen wenig anfangen. Trotzdem verrenkte sie sich wie alle ändern den Hals, als der Star in Begleitung von Lady Truscott und ihrer Nichte eintraf. Er machte keinen besonderen Eindruck auf sie, und seine Rede War viel zu langatmig. Nach den ersten Sätzen gab sie es auf, ihm zuzuhören, und konzentrierte sich lieber auf Maureen Soames. Maureen verstand es, sich in Szene zu setzen, das musste sie ihr lassen. Das cremefarbene Seidenkleid war so kurz, dass es sich kaum lohnte, es zu tragen - wie Mrs. Tripp Katrina zuflüsterte. Dafür war der Hut umso ausladender. Katrina konnte sich nicht erinnern, je einen Strohhut mit so breiter Krempe und so üppigem Rosenbesatz gesehen zu haben. Das dunkle Haar, soweit unter dem Hut erkennbar, war kurz und lockig, das Make-up perfekt. Ein feines, nicht nachlassendes Lächeln schien anzudeuten, dass Maureen nur ihrer Tante zuliebe gekommen war und diese ländliche Zeremonie eher belustigend fand. Das genügt, um sie nicht zu mögen, dachte Katrina und überging die anderen Grunde, die gegen Maureen sprachen. Nachdem alle Reden gehalten worden waren, begann das eigentliche Fest. Jeder wollte sich nach Herzenslust amüsieren. Alle Kinder waren da, alle Frauen von den umliegenden Höfen, die sonst nur an Markttagen kamen, und sogar die Pensionäre, die am Rand des Dorfs in größeren Villen wohnten. Katrina machte ein blendendes Geschäft und musste ihren Vorrat ständig aus dem versteckten Warenlager ergänzen. Als
ihr Stand einmal nicht so umlagert war, näherte sich Lady Truscott mit ihrer Nichte. "Meine liebe Katrina", sagte sie in ihrer lauten, taktlosen Art. "Ich sehe, Sie führen das gute Werk Ihrer Tante fort. Dass die Ärmste sterben musste, noch dazu so plötzlich ..." Sie bemerkte, dass man und sie her verstummte, und fuhr schnell fort: "Würden Sie mir vielleicht einige Lose verkaufen? Maureen, Liebes, du erinnerst dich doch an Katrina Gibbs? Ihr seid euch auf dem Kirchenbasar begegnet. Maureen wurde von Professor Glenville hergebracht, der Ihre liebe Tante behandelt hat." Katrina schenkte Maureen ein strahlendes Lächeln. "Wie schnell man sich wieder sieht, Miss Soames. Sie müssen einen abwechslungsreichen Beruf haben. Bleiben Sie länger hier?" Diesmal lächelte Maureen nicht. "Ich habe morgen Frühdienst", erklärte sie spitz. "In der Sprechstunde des Professors. Ich habe sehr viel zu tun." Katrina händigte Lady Truscott die Lose aus. Während sie auf das Ergebnis wartete, bemerkte sie wie zufällig: "Zum Glück ist es nicht weit bis London. Sind Sie mit dem Zug gekommen?" "O nein. Simon ... ich meine, Professor Glenville hat mich in seinem Bentley hergebracht." Maureen sah Katrina erstaunt an. "Das hat meine Tante doch eben erzählt." Als Katrina nicht reagierte, sagte sie ungnädig: "Ich nehme auch zwei Lose." Katrina verkaufte ihr zwei und hoffte, dass sie gar nichts oder, noch besser, etwas Langweiliges gewinnen würde - etwa eine Flasche Essig. Ihre Hoffnung erfüllte sich. Maureen gewann eine kitschige Kristallflasche mit rosa Showergel, noch dazu von einer völlig unbekannten Firma. Das irritierte sie sehr, was sie hinter einem nervösen Lachen zu verbergen suchte. Sie wollte die Flasche zurückgeben, aber Katrina schüttelte den Kopf und sagte zuckersüß: "Gewinn ist Gewinn." Maureen sah sie giftig an. "Ich gewinne immer." Das Fest endete gegen sechs Uhr nachmittags, und danach begann das Aufräumen. Das Lob über den Tag war einhellig.
Fast alles war verkauft, verlost, aufgegessen und ausgetrunken worden. Die wenigen Geschäfte des Dorfs hatten guten Gewinn gemacht, und der Erlös der Lotterien floss wie immer in den Fonds zur Erhaltung des Kirchturms. Obwohl Katrina rechtschaffen müde war, nahm sie Mary Peters' Einladung zum Abendessen an. Dr. Peters, der den ganzen Tag über Patienten besucht hatte, ließ sich alles genau erzählen. "Wie gefiel Ihnen Lady Truscotts Nichte?" fragte er Katrina zwischendurch. "Sie ist ein attraktives Geschöpf. Wussten Sie, dass Professor Glenville sie hergebracht hat?" Katrina nickte. "Er kam auf dem Rückweg kurz bei mir vorbei." "Bei mir auch", meinte der Doktor. "Er hält Sie für zu dünn." "Tatsächlich?" Katrina errötete. "Ich habe mich nie besser gefühlt, und außerdem wurde ich zu dick." "Das kann ich nicht finden", mischte sich Mrs. Peters ein. "Sie hatten gerade die richtige Figur. Es geht mich ja nichts an, meine Liebe, aber warum machen Sie nicht eine kleine Erholungsreise? Eine Kreuzfahrt, zwei Wochen in einem schönen Hotel an der Küste ... Und wenn Sie zurück sind, sollten Sie etwas mehr unter Menschen gehen. In Warminster gibt es einen regen Theaterclub, und Miss Grimm will im Herbst einen Töpfereikurs einrichten." "Ich werde daran denken", antwortete Katrina, "aber während des Sommers kann ich mich nicht vom Cottage trennen. Außerdem habe ich alle Hände voll im Garten zu tun." Nach dem Essen fuhr der Doktor Katrina nach Hause. "Morgen können Sie sich erst mal nach Herzenslust ausruhen", meinte er beim Abschied. "O ja", antwortete Katrina fröhlich und küsste den Doktor auf die Wange. Er brauchte nicht zu wissen, dass sie Mr. Thorn versprochen hatte, morgen besonders früh anzufangen.
"Irgendetwas stimmt nicht mit Katrina", sagte der Doktor nachdenklich, als er wieder zu Hause war. "Wenn ich nur wüsste, was es ist." Er gähnte, denn er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. "Ich fürchte, wir müssen weiter abwarten." Professor Glenville, der allein zu Abend gegessen hatte, war entschlossen, nicht länger abzuwarten. Obwohl er kein persönliches Interesse an Katrina hatte, fühlte er sich verpflichtet, ihr zu helfen. Aber wie? Er wurde in seinen Überlegungen gestört, denn Peach kam herein und meldete, dass Miss Soames am Telefon sei. Der Professor folgte ihm irritiert und nahm den Hörer. "Hier Glenville", sagte er so schroff, dass Maureen im ersten Moment keine Antwort wusste. Doch sie fasste sich schnell. "Ich habe meinen Zug verpasst, und meine Tante ist mit dem Auto unterwegs", erklärte sie unschuldig, "Es ist mir äußerst unangenehm, lieber Professor, aber könnten Sie mich vielleicht abholen?" "Nein", lautete die knappe Antwort. "Ich bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Nehmen Sie sich ein Taxi."
7. KAPITEL Etwa zwei Wochen nach dem Sommerfest kam der Professor früher als sonst nach Hause. Er bat Mrs. Peach, den Tee zu servieren, und fuhr anschließend nach Rose Cottage. Er bezweifelte, dass er Katrina willkommen sein würde. Auch sein Vorschlag würde auf Widerstand stoßen, aber er hatte lange genug darüber nachgedacht, um zu wissen, dass er eine perfekte Lösung für Katrinas Probleme darstellte. Wenn sie einwilligte, konnten er und alle Beteiligten nur zufrieden sein. Eine junge Patientin, ein achtjähriges Mädchen, das an Leukämie litt und gut auf die Chemotherapie ansprach, hatte ihn auf die Idee gebracht. Tracey und ihre verwitwete Mutter wohnten in einem Hochhaus in der Nähe vom St. Aldrick's Hospital. Ein mehrmonatiger Landaufenthalt würde ein Segen für sie sein. Sie würden gesund leben, gutes Essen und frische Luft haben und den Stress der Großstadt vergessen. Dun selbst boten Traceys Nachuntersuchungen die Möglichkeit, regelmäßig in Rose Cottage vorbeizuschauen. Natürlich musste er sehr behutsam vorgehen und Katrina vor allem über die finanzielle Seite beruhigen. Sie brauchte nicht zu wissen, dass er vorhatte, fast alles aus eigener Tasche zu bezahlen. Er hatte sich bei der Staatlichen Krankenversicherung erkundigt, was in derartigen Fällen gezahlt wurde. Natürlich viel zu wenig. Er würde die Summe erhöhen und Katrina nur sagen, dass Tracey dadurch eine echte Chance hatte. Katrina gab sich
oft schroff und unzugänglich, aber sie besaß ein liebevolles Herz. Er verstand nicht recht, warum er das wusste, aber er wusste es. Es dämmerte bereits, als der Professor in Rose Cottage ankam. Die Luft war warm und voller Blütenduft. Da die Haustür verschlossen war, ging er in den Garten und fand Katrina auf Knien beim Pflanzen des Winterspinats. Als sie ihn kommen sah, richtete sie sich rasch auf und sagte: "Oh, Sie sind es." Das war natürlich eine alberne Begrüßung, aber sie hatte oft an den Professor gedacht, und jetzt stand er plötzlich vor ihr, selbstsicher und leicht belustigt. "Ist etwas passiert?" "Nein, nein", beruhigte er sie. "Habe ich Sie erschreckt, oder denken Sie bei meinem Anblick immer gleich an das Schlimmste?" Katrina schüttelte den Kopf. "Ich bin nur überrascht. Ich hatte Sie nicht... ich hatte niemanden erwartet." Der Professor blickte sich um. "Ein bezaubernder Garten. Wenn man bedenkt, dass Sie tagsüber kaum etwas Zeit für ihn haben..." Katrina hob den leeren Korb und das Pflanzholz auf. "Ich arbeite nicht mehr für Mr. Thorn. Er kann nicht mehr so viel zahlen, und die anderen Pflücker haben Familien." "Eine erfreuliche Nachricht." "Wie kann man so etwas Gemeines sagen? .Ich weiß nicht, warum Sie gekommen sind, aber wenn Sie mich Kränken wollen, können Sie wieder gehen." "Immer mit der Ruhe, meine hitzige Miss Gibbs. Da ich einmal hier bin, könnten Sie mir wenigstens eine Tasse Kaffee anbieten." "Also gut, meinetwegen. Übernachten Sie im Herrenhaus?" Katrinas Neugier übertraf noch ihre Gereiztheit. "Nein." Der Professor nahm ihr den Korb und das Pflanzholz ab und trug beides in den Schuppen. Während sie sich in der
Küche die Hände wusch, setzte er Kaffeewasser auf, als wäre er hier zu Hause. Katrina stellte Becher hin und nahm die letzte, kaum noch halb volle Keksdose aus dem Schrank - ihre eiserne Reserve für unerwarteten Besuch aus dem Dorf. Sie sah kurz hinein, um den spärlichen Inhalt zu überprüfen, was dem Professor nicht entging. Er hatte auch bemerkt, wie leer die Regale im Vorratsschrank waren. "Seit wann arbeiten Sie nicht mehr für Mr. Thorn?" erkundigte er sich. "Seit einer Woche." Um zu zeigen, dass ihr das nichts ausmachte, fügte Katrina hinzu: "Es ist schön, wieder mehr freie Zeit zu haben. Der Garten verlangt viel Arbeit, und im Dorf ist immer etwas los. Eine Komiteessitzung, ein paar Blumen für die Kirche ... Der Professor rückte ihr einen Stuhl zurecht. "Was wollen Sie mir beweisen, Katrina?" Als sie ihn wütend ansah, bat er: "Gehen Sie nicht gleich wieder in die Luft, sondern hören Sie mich an. Ich brauche Ihre Hilfe." "Meine Hilfe?" "Ganz recht. Vergessen Sie einmal, dass Sie mich nicht mögen, denn das hat mit der Sache nichts zu tun. Bleiben Sie einfach ruhig sitzen, und hören Sie mir zu." Der Professor begann, von Tracey zu erzählen. Er schilderte ihren Krankheitsfall in seiner knappen, undramatischen Art und fuhr dann fort: "Tracey verdient eine Chance. Sie ist ein nettes Kind, und ihre Mutter, eine stille, ängstliche Frau, braucht eine Freundin. Der monatliche Zuschuss der Versicherung reicht aus. Ich denke an einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten, vielleicht auch länger. Ich würde mich inzwischen bemühen, mit Hilfe des Sozialamts eine neue Wohnung für die beiden zu finden. Sagen Sie mir ehrlich, wenn Ihnen der Plan nicht gefällt. Vielleicht haben Sie andere Dinge vor, vielleicht möchten Sie
auch niemanden bei sich aufnehmen. In diesem Fall sage ich kein Wort mehr." "Warum haben Sie an mich gedacht?" fragte Katrina. Der Professor lächelte. "Tracey hat mir erzählt, wie sehr sie sich eine Katze wünscht, aber in der winzigen Wohnung können sie sich kein Haustier halten. Da dachte ich an Betsy." Als Katrina weiter schwieg, stand er auf. "Ich habe Sie lange genug gestört." Katrina sah ihn an. Warum wollte er ihr ständig einreden, dass sie ihn nicht mochte? Vielleicht war es anfangs so gewesen, aber inzwischen stimmte es längst nicht mehr. Der Professor weckte großes Vertrauen in ihr. Wenn sie nicht aufpasste, schüttete sie ihm am Ende noch ihr Herz aus ... "Ich würde Tracey und ihre Mutter gern bei mir aufnehmen", sagte sie. "Ich bin manchmal etwas einsam, und ich brauche das Geld. Aber wenn sie mich nun nicht mögen?" Der Professor lächelte. "Das halte ich für unwahrscheinlich, aber wenn es so sein sollte, kümmern wir uns dann darum. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Dr. Peters einweihe? Er sollte über Tracey Bescheid wissen, obwohl ich sie natürlich persönlich im Auge behalten werde." Katrina stand auf. "Erfahre ich rechtzeitig, wann die beiden kommen?" "Vermutlich noch in dieser Woche. Ich habe Traceys Zustand gerade überprüft und brauche sie vorerst nicht zu sehen." Die Antwort enttäuschte Katrina, obwohl sie keinen Grund dafür hatte. Im Gegenteil. Ihre Probleme waren vorerst gelöst, auf mehr kam es nicht an. Der Professor verabschiedete sich auf seine freundlich neutrale Art. "Sie werden bald von meiner Sekretärin hören", sagte er, gab Katrina die Hand und stieg in seinen Bentley. Als die roten Rücklichter verschwunden waren und wieder die übliche Stille herrschte, ging Katrina in das Schlafzimmer ihrer Tante hinauf. Es war das größere der beiden oberen
Zimmer. Der altmodische Frisiertisch, der wuchtige Schrank und das Doppelbett, das Tante Thirza von ihren Eltern geerbt hatte, gaben ihm einen würdigen Charakter. Katrina blieb unentschlossen in der Mitte des Zimmers stehen. Hätte sie dem Professor nicht sagen müssen, dass das Cottage eigentlich nur für zwei Personen gedacht war? Wenn die Kleine allerdings bei ihrer Mutter schlief ... Das Zimmer war groß genug und ließ sich mit Blumen, frischem Obst und einigen Büchern wohnlich genug herrichten. Ich muss den Professor wegen der Betten fragen, dachte sie, während sie wieder hinunterging. Die Berechnungen, die Katrina an diesem Abend anstellte, stimmten sie wesentlich optimistischer. Wenn sie ihre Gäste gut versorgen wollte, konnte sie kaum etwas zurücklegen, aber sie brauchte auch nichts für sich selbst auszugeben. Ihr Bankkonto würde unangetastet bleiben. Die Summe, die der Professor genannt hatte, reichte aus, um Strom und Gas zu bezahlen, und für kleinere Anschaffungen blieb auch noch etwas übrig. Im Dorf würde man natürlich Fragen stellen. Man würde sich wundern, weil sie Gäste bei sich aufnahm, und sich dann damit zufrieden geben, dass sie einem kranken Kind und seiner Mutter einen Gefallen tat. Und wenn sie etwas anderes vermuten, dachte Katrina kämpferisch, soll es mir auch recht sein. Am nächsten Morgen packte sie die wenigen persönlichen Dinge ihrer Tante zusammen und verwahrte sie in der Kommode unter der Treppe. Dann wischte sie Schrank und Schubladen aus, hängte das Bettzeug zum Lüften in die Sonne und rieb die Möbel mit Politur ab. Das Zimmer erinnerte sie jetzt kaum noch an Tante Thirza, aber vielleicht war sie voreilig gewesen. Wenn der Professor nun seine Meinung änderte? Er änderte sie nicht. Schon am nächsten Tag kam ein Brief von seiner Sekretärin, in dem noch einmal alles schriftlich festgelegt wurde. "Bitte erwarten Sie Ihre Gäste in drei Tagen",
hieß es am Schluss. "Für eine kurze Bestätigung wären wir Ihnen dankbar." Katrina schrieb sofort eine Antwort und brachte sie zu Mrs. Dyer. Dann rief sie von der einzigen Telefonzelle des Dorfs das St. Aldrick's Hospital an und ließ sich mit der Sekretärin des Professors verbinden. Sie erklärte das Problem mit dem Doppelbett und wurde sofort beruhigt. "Mrs. Ward hat bestimmt nichts dagegen, das Bett mit Tracey zu teilen", versicherte die Sekretärin. "Sie wohnen in einem düsteren Loch im zwölften Stockwerk. Ich bin einmal mit Professor Glenville dort gewesen. Das Schlafzimmer war winzig, und es stand nur ein schmales Bett darin." Katrina bedankte sich und hängte ein. Die Sekretärin hatte eine hübsche Stimme. Ob sie auch eine hübsche Frau war? Sie hatte natürlich viel mit dem Professor zu tun und sah ihn täglich. Ein unangenehmer Gedanke, zu dem Katrina allerdings wenig Veranlassung hatte. Von ihr aus konnte er ein Dutzend hübsche Sekretärinnen haben. Was ging sie das an? Tracey und ihre Mutter sollten zum Lunch eintreffen. Katrina vermutete, dass sie mit der Bahn kommen und in Warminster den Bus oder ein Taxi nehmen würden. Sie stand früh auf, schmückte alle Zimmer mit frischen Blumen und bereitete einen Salat vor, falls sie früher kommen sollten. Als sie gerade oben war, um noch einmal nach dem Rechten zu sehen, rief der Professor von unten: "Hallo! Ist niemand da?" Katrina eilte die Treppe hinunter. "Guten Tag, Professor. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie die Wards herbringen würden." Der Professor lächelte. "Ich habe es Ihnen absichtlich nicht gesagt. Freut es Sie, mich zu sehen, Katrina?" Natürlich freute es sie, aber sie gab sich große Mühe, das nicht zu zeigen. "Sie sind immer willkommen, Professor", erklärte sie würdevoll und blickte über seine Schulter. "Wo sind meine Gäste?"
"Noch im Auto. Beide sind aufgeregt und nervös, vor allem Mrs. Ward, die es in letzter Zeit sehr schwer gehabt hat. Hier bei Ihnen wird sie ihren Mut und ihre Lebensfreude wieder finden." Der Professor ging, um seine Schutzbefohlenen zu holen, und Katrina folgte ihm bis zum Gartentor. Der Professor stellte erst Mrs. Ward und dann Tracey vor, die mit großen blauen Augen zu Katrina aufsah. Sie war klein und sehr blass und trug zu ihrem viel zu langen Sommerkleid eine Stoff kappe. Katrina gab ihr lächelnd die Hand. "Guten Tag, Tracey. Ich bin Katrina, und wir werden viel Spaß zusammen. haben. Kommt herein, ich habe Kaffee und Limonade vorbereitet." Sie sah den Professor an. "Sie trinken doch auch eine Tasse, bevor Sie zurückfahren?" "Sehr gern, aber vorher hole ich das Gepäck." Katrina führte Mutter und Tochter ins Haus. "Ich bin glücklich, wieder Gesellschaft zu haben", sagte sie dabei zu Mrs. Ward. "Hoffentlich fühlen Sie sich wohl bei mir." Sie ging voran in die Küche. "Setzen Sie sich, und machen Sie es sich gemütlich. Der Professor wird nicht lange brauchen. Hatten Sie eine angenehme Fahrt?" Mrs. Ward nickte und sah sich scheu um. "Macht es Ihnen auch wirklich nichts aus, uns aufzunehmen? Der Professor meinte..." Katrina lächelte beruhigend. "Ich bin entzückt, Sie hier zu haben, und um es von Anfang an klarzustellen ... Mrs. Ward gibt es nicht für mich. Ich heiße Katrina ..." "Und ich Molly." Mrs. Ward lächelte schüchtern. "Es ist wie ein Traum ..." Der Professor kam herein und setzte sich zu den ändern. Katrina schenkte Kaffee und für Tracey Limonade ein und schnitt dicke Scheiben von dem Rosinenkuchen ab, den sie gebacken hatte. Er war noch ofenwarm und schmeckte dem Professor so gut, dass er um eine zweite Scheibe bat.
Zwischendurch scherzte er mit Tracey und fragte Katrina nach dem Garten, so dass kein unangenehmes Schweigen entstand. Nach einer Weile sagte er zu Mrs. Ward: "Ich muss jetzt zurückfahren, aber in einigen Wochen komme ich wieder, um nach Tracey zu sehen. Katrina weiß genau Bescheid, und im Dorf gibt es einen ausgezeichneten Arzt, der mit ihr befreundet ist. Sollten Sie meine Hilfe brauchen, können Sie mich jederzeit in meiner Praxis oder im Krankenhaus erreichen." Auf dem Rückweg zum Auto blieb der Professor bei der neu gepflanzten Rose stehen, deren Knospen sich alle geöffnet hatten. "Ihre Tante wäre mit Ihnen zufrieden", sagte er leise zu Katrina. "Ja, das glaube ich auch." Sie sah in sein ernstes, ruhiges Gesicht und verstand nicht, dass er ihr jemals unsympathisch gewesen war. Er erwiderte den Blick, lächelte plötzlich und sagte leicht spöttisch: "Sieh einer an." Gleich darauf war er wieder der strenge Arzt. "Ich erwarte natürlich einen wöchentlichen Bericht, Katrina." Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg er in sein Auto und fuhr davon. Katrina zeigte ihren Gästen erst das Haus und dann den Garten, wo Betsy in der Sonne lag und sich willig von Tracey streicheln ließ. Tracey hatte inzwischen die Kappe abgenommen, und beim Anblick ihres kleinen kahlen Kopfes empfand Katrina tiefes Mitleid. "Das sind die Folgen der Chemotherapie", erklärte Molly traurig. "Früher hatte sie blonde Locken." "Sie werden nachwachsen", versicherte Katrina. "Wenn ihre Behandlung abgeschlossen ist, wird sie wieder Locken haben und, was wichtiger ist, gesund sein." Molly nickte. "Ich kann den Ärzten und Schwestern nie genug danken und dem Professor auch nicht. Er ist immer so freundlich zu Tracey und den ändern Kindern, die er behandelt. Alle lieben ihn. Er lässt alles wie Spaß erscheinen und hat
immer genug Zeit. Wenn man etwas nicht gleich versteht, wird er nie ungeduldig. Ist er ein Freund von Ihnen?" "Nur ein Bekannter", antwortete Katrina nach kurzem Zögern. "Er hat meine Tante bis zu ihrem Tod behandelt und liebevoll für sie und mich gesorgt. Ich glaube, er ist ein gütiger Mann." Nach den ersten, noch von Verlegenheit bestimmten Tagen fügten sich Tracey und ihre Mutter willig in den Alltag von Rose Cottage ein. Katrina merkte, wie sie sich täglich mehr entspannten, und stellte überrascht fest, dass auch sie beinahe glücklich war. Für drei zu kochen machte Spaß, während das Kochen für sich allein nur eine Pflicht war. Jeden Morgen wurden beim Frühstück Pläne geschmiedet, und jeder Tag brachte etwas Neues und Aufregendes. Tracey liebte es besonders, Katrina zum Nachbarhof zu begleiten, um Eier oder ein Hühnchen zu holen. Die Katze dort hatte gerade Junge bekommen, und außerdem gab es ein neugeborenes Lamm zu bewundern. Molly bekam wieder Farbe im Gesicht und schien sich um Jahre zu verjüngen. Sie war eine bescheidene, zurückhaltende Frau mit einer raschen Auffassungsgabe und nahm Katrina von Anfang an die Hälfte der Hausarbeit ab. Später beteiligte sie sich auch an der Gartenarbeit. Sie hatte immer in London gelebt anfangs in Stepney, wo ihr Mann gearbeitet hatte, bis er krank geworden war. Von da an war nie genug Geld in der Kasse gewesen. Der Hausbesitzer hatte ihnen schließlich gekündigt, und so waren sie in dem Hochhaus gelandet, in dem Mr. Ward nach kurzer Zeit gestorben war. Molly erzählte die traurige Geschichte, ohne zu übertreiben oder um Mitleid zu werben. "Der Professor hält es für möglich, dass er eine andere Wohnung für uns findet", sagte sie zum Schluss. "Wegen Tracey."
"Wenn er das gesagt hat, wird er es auch wahr machen", erklärte Katrina zuversichtlich. "Übrigens sind wir heute bei Dr. Peters angemeldet. Er wird Ihnen gefallen." Katrina hatte ihre Gäste gleich zu Beginn in Mrs. Dyers Laden mitgenommen. Die harmlose Begründung, die sie dort für den Besuch gab, machte erwartungsgemäß die Runde, so dass Molly und Tracey bald von jedem begrüßt wurden, der ihnen begegnete. Molly, die es gewohnt war, beim Verlassen ihrer Wohnung ignoriert oder beschimpft zu werden, fand das zuerst etwas unheimlich und dann wunderbar. "Stellen Sie sich vor", sagte sie einmal zu Katrina. "Die Leute bleiben stehen und unterhalten sich mit mir. Sie sind alle so freundlich, und eine nette alte Dame hat Tracey einen Apfel geschenkt." Am Ende der ersten Woche schrieb Katrina ihren Bericht für den Professor. Sie tat es mit trockenen, gestelzten Ausdrücken, ohne zu ahnen, dass der Professor inzwischen mit Dr. Peters telefoniert und sich nach Tracey erkundigt hatte. Jedes kleinste Detail wurde so gewissenhaft erwähnt, dass der Professor beim Lesen mehr als einmal schmunzeln musste. Ursprünglich hatte er mit seinem ersten Besuch länger warten wollen, aber vielleicht war es nett, früher hinzufahren und sich mit eigenen Augen zu überzeugen, dass alles nach Plan verlief. Als er eines Morgens mit seinem Assistenten über Tracey sprach, kam Maureen dazu. Sie hörte eine Weile zu und fragte dann: "Sprechen Sie über die kleine Tracey Ward, die wir chemotherapeutisch behandelt haben? Wo, sagen Sie, befindet sie sich jetzt? Ausgerechnet in dem Dorf, in dem meine Tante wohnt? Ich kenne diese Miss Gibbs, wir haben beim Sommerfest miteinander gesprochen. Bester Professor, könnten Sie den geplanten Besuch nicht auf das nächste Wochenende legen? Da habe ich frei, und ich wollte meine Tante besuchen. Würden Sie mich in Ihrem Wagen mitnehmen? Ich kann gar
nicht sagen, wie dankbar ich wäre." Sie lächelte den Professor betörend an. "Ich bin fertig, wann immer Sie wollen ..." Der Professor hatte an Katrina gedacht und nickte hastig. "Gut, gut, Dr. Soames, warum nicht? Seien Sie Sonnabendmorgen um acht Uhr am Haupteingang." Er wandte sich wieder an seinen Assistenten. "Und nun zu Mrs. Turner, Tom." Maureen merkte, dass der Professor sie schon wieder vergessen hatte, und entfernte sich unauffällig. Das hat geklappt, dachte sie. Es wäre sträflich gewesen, eine solche Gelegenheit zu verpassen. Der Assistent sah ihr nach, ohne es sich anmerken zu lassen. Ob der Professor in Maureen verliebt war? Hoffentlich nicht, denn eine berechnendere Person hatte er noch nicht kennen gelernt. Sein Chef konnte andere Frauen haben - Frauen die seiner wert waren. Der Professor entwarf einen genauen Plan. Er beriet sich mit Mr. und Mrs. Peach und blieb Freitagabend in London, um in der Wohnung über seiner Praxis zu übernachten. Als er Sonnabend pünktlich um acht Uhr vor dem Krankenhaus hielt, wartete Maureen bereits. Sie wünschte ihm einen guten Morgen und schwieg danach, denn sie spürte, dass er nicht an einer Unterhaltung interessiert war. Erst als er zu ihrer Überraschung von der Hauptstraße abbog, durch mehrere Dörfer fuhr und schließlich vor seinem Haus in Wherwell hielt, fragte sie neugierig: "Wohnen Sie hier?" "Ja", antwortete er kurz. "Ich nehme die Hunde mit." Gleich darauf erschien Peach - mit einem großen Lunchkorb, Barker und Jones. Er stellte den Korb in den Kofferraum, öffnete den Hunden die hintere Autotür und nickte dem Professor zu. Kein unnützer Augenblick war vergeudet worden, aber Peach hatte ausreichend Gelegenheit gehabt, sich von Maureen ein Bild zu machen.
"Die macht uns noch Schwierigkeiten", berichtete er drinnen seiner Frau. "Du wirst an mich denken." Gegen Ende der Fahrt, als das Dorf gerade in Sicht kam, fragte Maureen mit dem koketten Unterton, der ihr meist Erfolg brachte: "Darf ich Sie zu Tracey begleiten, Professor? Sie war so ein interessanter Fall." Diesmal hatte Maureen einen Fehler gemacht, denn während Traceys Behandlung hatte sie noch nicht zum Team des Professors gehört. "Sie haben Tracey einmal in der Sprechstunde gesehen", antwortete er fast schroff. "Mehr kann Sie an dem Fall doch wohl nicht interessieren." "Natürlich nicht", verbesserte sich Maureen hastig. "Sie haben völlig Recht." Sie wartete, bis sie die Auffahrt zum Herrenhaus hinauffuhren, und fragte dann: "Darf ich Sie auf eine Tasse Kaffee hineinbitten? Es ist noch früh." Der Professor hielt vor dem Haus, half Maureen beim Aussteigen und nahm ihre Tasche aus dem Kofferraum. "Ich muss leider ablehnen, Miss Soames", erklärte er höflich. "Viel Spaß am Wochenende." Er übergab die Tasche dem Butler, der inzwischen die Tür geöffnet hatte. "Seien Sie am Montag bitte pünktlich. Uns erwartet ein umfangreiches Programm." Er stieg wieder in den Bentley und fuhr weiter nach Rose Cottage, wo die Tür einladend geöffnet war. Jemand sang im Haus, und Tracey beugte sich über das vordere Blumenbeet, um einen Strauß zu pflücken. Sobald sie das Auto erkannte, lief sie zum Gartentor. Sie war ein scheues Kind, aber nach der langen Behandlungszeit erschien ihr der Professor mehr wie ein guter Freund. "Sind Sie meinetwegen gekommen?" fragte sie. "Sehe ich nicht gut aus? Mummy nennt mich ihr kleines Wunder. Oh, und wie finden Sie mein Kleid? Katrina hat es für mich genäht - mit einer dazu passenden Kappe."
Sie griff vertrauensvoll nach der Hand des Professors und wich dann ängstlich zurück. "Hu, da ist ein großer Hund ..." "Er gehört mir, Tracey, und hinter ihm wartet noch ein zweiter. Du musst keine Angst haben, sie sind sehr gutmütig." Der Professor ließ die Hunde heraus, und nach kurzem Sträuben streichelte Tracey erst den einen und dann den anderen. Beide ließen es ruhig geschehen und folgten ihrem Herrn gehorsam bis zum Haus. Im Wohnzimmer war niemand zu sehen, aber in der Küche wurde gehämmert. Katrina stand auf einem Stuhl und schlug einen Nagel ein, während Molly den Stuhl hielt. "Sehen Sie nur, wer da kommt!" rief sie und ließ den Stuhl, der wenig tragfähig wirkte, los. "Guten Morgen", erwiderte der Professor ruhig und hob Katrina von ihrem erhöhten Platz. "Ehe Sie herunterfallen", erklärte er dabei. "Hoffentlich bringe ich Ihre Pläne nicht durcheinander. Ich konnte mir heute überraschend freinehmen, und es wird Zeit, dass ich einmal wieder nach Tracey sehe." "Ach, Professor Glenville", sagte Molly aufgeregt. "Es geht ihr ja so gut. Sehen Sie sie nur an. Es ist wunderbar hier ..." Der Professor nickte lächelnd und betrachtete Katrina, deren Gesicht leicht gerötet war. Sie war plötzlich verlegen - wofür es natürlich keinen vernünftigen Grund gab - und brauchte einige Augenblicke, um sich zu sammeln. Ohne den Professor direkt anzusehen, sagte sie dann: "Sie bringen gar nichts durcheinander, Professor, und Tracey ... ich meine, wir alle freuen uns, Sie wieder zu sehen. Ich werde Kaffee machen." Tracey nahm Katrinas Hand. "Da sind zwei Hunde. Glaubst du, dass Betsy Angst vor ihnen hat?" "Nein, Schatz, bestimmt nicht", beruhigte Katrina sie. "Was hältst du davon, wenn du mit deiner Mummy und dem Professor in den Garten gehst? Ich rufe euch, wenn der Kaffee fertig ist."
"Eine ausgezeichnete Idee." Der Professor lächelte, denn Katrina gefiel ihm in ihrer Verwirrung. Kaum war Katrina allein, lief sie in ihr Zimmer hinauf, um ihr Haar zu ordnen. Sie bereute jetzt bitter, es nicht hochgesteckt, sondern nur zurückgebunden zu haben. Leider ließ sich daran nichts mehr ändern, und außerdem hätte es aussehen können, als machte sie sich für den Professor hübsch. Sie tupfte etwas Puder auf ihre Nase und eilte wieder hinunter. Als der Kaffee fertig war und die Gäste auf der Türschwelle erschienen, war sie wieder ganz sie selbst. Sie tranken den Kaffee im Garten. Tracey hatte ihre Scheu vor den Hunden endgültig überwunden und spielte hingebungsvoll mit ihnen. "Es geht ihr besser, nicht wahr?" fragte Molly den Professor. "Sie isst für zwei und schläft die ganze Nacht." Sie sah Katrina an. "Und das alles verdanken wir Katrina. Das leckere Essen, der Garten, die Spaziergänge ..." Der Professor lehnte sich zurück und streckte die Beine aus. "Ja, Tracey kommt mir viel gesünder vor. Ich werde sie nachher kurz untersuchen. In ein bis zwei Wochen erwarte ich sie dann für einige Tests im St. Aldrick's Hospital." Er sagte das so beruhigend, dass Molly glücklich zustimmte. "Natürlich, Professor, wir kommen gern. Tracey wird zum ersten Mal nichts dagegen haben, denn wir kehren ja hierher zurück." Der Professor machte keine Anstalten zu gehen, so dass Katrina nach einer Weile fragte: "Möchten Sie zum Lunch bleiben, Professor?" Sie sprach wie eine höfliche Hausfrau, die heimlich auf eine Absage hoffte. Das belustigte den Professor. "Darf ich einen Gegenvorschlag machen und Sie alle zu einem Picknick einladen?" fragte er. "Die gute Mrs. Peach hat reichlich vorgesorgt, und ein kleiner Ausflug würde Tracey vielleicht Spaß machen. Es gibt in der Nähe ein offenes Parkgelände - Heaven's Gate. Sie kennen es sicher, Katrina?"
Als sie nickte, fuhr er fort: "Ich freue mich, wenn Sie alle mitkommen." Tracey hatte die letzten Sätze gehört. "Ach, bitte!" rief sie. "Dürfen wir fahren und Jones und Barker mitnehmen? Dürfen wir gleich fahren?" Das kleine Gesicht unter der Kappe strahlte und wirkte beinahe anmutig. "Wenn Katrina damit einverstanden ist." Alle drei sahen Katrina an: Tracey hoffnungsvoll, Molly unsicher und der Professor abwartend. "Wir wollten heute Mittag kalt essen", sagte Molly. "Ich meine, es würde nichts verderben. Wir könnten alles bis morgen aufheben." Der Professor schwieg und machte ein völlig teilnahmsloses Gesicht. Das ärgerte Katrina, aber sie sagte nur: "Ein wunderbarer Vorschlag, Professor. Natürlich kommen wir gern mit. Es ist herrliches Wetter, und Heaven's Gate lohnt einen Besuch." Hör schon auf, durchfuhr es sie. Du redest Unsinn! Der Professor beobachtete Katrina und versuchte, nicht zu lächeln. "Dann sind wir uns einig. Wenn ich Tracey jetzt kurz untersuchen könnte ... Vielleicht am besten oben?" Während die anderen fort waren, räumte Katrina das Kaffeegeschirr ab und ging anschließend in ihr Zimmer. Sie konnte Molly und Tracey durch die Wand sprechen hören, dazwischen erklang die ruhige Stimme des Professors. Sie würde Zeit haben, ihr Haar hochzustecken ... Als sie wieder zusammentrafen, drückte der Professor seine Genugtuung über Traceys Fortschritte aus. "Meine Sekretärin wird Ihnen mitteilen, wann ich Sie in London erwarte", sagte er zu Molly. "Vielleicht schließt sich Katrina an?" Katrina stimmte bereitwillig zu, ohne ihre Freude zu verraten. Sie würde den Professor wahrscheinlich nicht zu Gesicht bekommen, aber er würde da sein, und das genügte ihr.
8. KAPITEL Heaven's Gate war von idyllischer Schönheit. Trotz vieler Besucher fand der Professor eine versteckte Stelle im Schatten hoher Bäume, von der man einen prächtigen Ausblick hatte. Es dauerte eine Weile, bis der Picknickkorb herbeigeschafft war, denn sowohl Tracey wie Jones und Barker sprangen vergnügt um den Professor herum und behinderten ihn bei jedem Schritt. Katrina und Molly übernahmen das Auspacken und kamen aus dem Staunen nicht heraus. Mrs. Peach hatte sich selbst übertroffen. Räucherlachs, Schinken, Brathühnchen, Fleischpastete, Salat, Kartoffelchips, Käseröllchen, Fruchtgelee, Mousse au Chocolat... es wollte nicht enden. Molly traute ihren Augen nicht. "Sehen Sie nur", flüsterte sie Katrina zu. "Es gibt sogar Besteck, Gläser und Servietten." Der Professor und Tracey waren mit den Hunden spazieren gegangen, um die Vorbereitungen nicht zu stören. Als sie zurückkamen, sagte Molly: "Es ist fantastisch, Professor. So etwas kenne ich nur aus den Zeitschriften, die beim Zahnarzt und im Krankenhaus ausliegen." Der Professor setzte sich auf den Rasen. "Meine Wirtschafterin kocht nicht nur gut, sondern auch gern. Hoffentlich sind alle hungrig. Ich bin es jedenfalls." Er öffnete eine Flasche Rotwein und schenkte drei Gläser ein. Tracey bekam Orangenlimonade. Für Katrina ging alles nicht ganz mit rechten Dingen zu. Wie kam ein berühmter Professor, der im Luxus lebte und sicher
unzählige Freunde hatte, auf den Gedanken, für eine Patientin ein Picknick zu veranstalten? Noch dazu so ein Picknick - eher ein Festgelage! Ging es Tracey vielleicht doch nicht besser? Wollte der Professor sie aus Mitleid noch einmal nach Herzenslust verwöhnen? Nein, ermahnte sie sich. Das darfst du nicht denken. Ihr Blick begegnete dem des Professors, und sie merkte, dass er sie beobachtet hatte. Molly und Tracey wurden nicht von derartigen Zweifeln geplagt. Sie waren seit langer Zeit nicht so glücklich gewesen. Sie aßen und tranken, lachten viel und merkten nicht, wie geschickt der Professor die Unterhaltung lenkte. Am Ende fand auch Katrina ihre Unbekümmertheit wieder. Sie ließ es sich ebenfalls schmecken, neckte Tracey und überließ sich der allgemeinen fröhlichen Stimmung. Mochte alles auch etwas unwirklich sein - der Professor hatte seine Gründe, und sie vertraute ihm genug, um nicht danach zu fragen. Als alle satt waren, packte Katrina die Picknickreste wieder in den Korb. Tracey hatte sich mit den Hunden müde getobt und schmiegte sich an ihre Mutter, um ein wenig zu schlafen. Der Professor stand auf. "Ruhen Sie sich aus, Mrs. Ward", sagte er zu Molly. "Katrina und ich machen mit den Hunden einen Spaziergang." Molly nickte träumerisch. "Ich könnte den ganzen Tag hier sitzen", seufzte sie. Tracey war bereits fest eingeschlafen. Katrina musste sich dem Professor wohl oder übel anschließen. Anfangs sprachen sie wenig, aber dann brachte der Professor das Gespräch auf das Leben in Rose Cottage. "Sind Sie mit unserem Arrangement weiterhin zufrieden, Katrina?" fragte er. "Tracey und Mrs. Ward sind glücklich, aber Ihr Leben wird davon erheblich beeinträchtigt." "Ich bin auch glücklich", versicherte Katrina. "Molly ist bescheiden und sehr hilfsbereit, und Tracey ist ein Schatz. Geht es ihr besser ... ich meine, wirklich besser?"
"Ich glaube, ja. Sie leidet an einer anderen Art von Leukämie als ihre Tante. Sie kommt meist bei Kindern vor und kann durch rechtzeitige radio- und chemotherapeutische Behandlung geheilt werden. Ich hoffe aufrichtig, dass Tracey es geschafft hat, aber mehr würde Ihnen kein Arzt zusichern." "Und wenn sie nach London zurückkehrt?" "Mit diesem Problem beschäftige ich mich schon länger. Auch wenn die nächsten Tests günstig ausfallen, sollte Tracey mindestens noch einen Monat hier bleiben. Danach müssen wir sie behutsam an ein normales Leben gewöhnen. Sie ist glücklich hier, ebenso wie ihre Mutter, aber wenn ich eine andere Wohnung für sie finde, in einem ruhigeren Viertel, mit einem Garten oder einem Park in der Nähe, könnten sie wieder für sich selbst sorgen. Mrs. Ward ist noch jung und wird vielleicht wieder heiraten. Tracey muss eine gute Schulausbildung bekommen, damit sie später über ihre Zukunft entscheiden kann." Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, dann fragte der Professor: "Und was ist mit Ihnen, Katrina? Sollten Sie nicht auch an Ihre eigene Zukunft denken? Sie haben noch das ganze Leben vor sich und dürfen es nicht planlos vergeuden." "Darüber denke ich seit langem nach, Professor, und ich glaube, die richtige Lösung gefunden zu haben. Ich kenne die Leiterin der Stadtbibliothek in Warminster. Sie war mit Tante Thirza befreundet und hat mir einmal den Vorschlag gemacht, Bibliothekarin zu werden. Ich könnte dort stundenweise arbeiten, solange ich in der Ausbildung bin, aber vielleicht würden sie mich auch ohne Ausbildung nehmen. Ich habe gute Abschlussnoten - je eine Eins in Englisch, Englischer Literatur und Mathematik." Der Professor nickte. "Wie ich merke, haben Sie Ihr Licht bisher unter den Scheffel gestellt. Warum haben Sie damals nicht gleich mit der Ausbildung angefangen?"
"Tante Thirza meinte, ich solle noch abwarten ..." Katrina schwieg und setzte scharf hinzu: "Trotzdem war ich sehr glücklich." "Ich weiß", meinte der Professor besänftigend. "Übrigens gefällt mir der Plan. Sie würden andere Menschen kennen lernen, vielleicht heiraten ... Würde Ihnen das gefallen?" "Zu heiraten? O ja. Ich halte mich, ehrlich gesagt, nicht für eine Karrierefrau. Ich hätte gern ein eigenes Heim, einen Mann und Kinder. Sie sagten einmal, dass Sie selbst Heiratspläne hätten..." "Allerdings. Wir haben alle unsere Hoffnungen und Träume, Katrina. Manchmal dauert es länger, bis sie in Erfüllung gehen." Das war keine Antwort, eher eine freundliche Zurechtweisung. Schade, dachte Katrina. Ich weiß inzwischen, dass ich ihn mag, aber er teilt meine Gefühle nicht. Er ist freundlich und hilfsbereit, doch das wäre er bei jedem, der in Not ist. "Wir sollten umkehren", sagte sie unvermittelt. "Bleiben Sie noch zum Tee? Wir könnten ihn im Garten trinken." Der Professor war einverstanden, und sie gingen langsam zurück, ohne sich auf ein neues Gesprächsthema einzulassen. Der Tag war immer noch voller Zauber und verging unmerklich. In Rose Cottage bereiteten Katrina und Molly den Tee zu, während der Professor mit Tracey im Garten die ersten Himbeeren pflückte. Der Tisch wurde neben Tante Thirzas Rose gedeckt. Es gab Rosinenbrötchen, Schokoladenkuchen und hauchdünne Butterbrote, die man mit Honig oder Rhabarbermarmelade bestreichen konnte. Tracey verteilte die Himbeeren in vier Schälchen, und zum Schluss brachte Katrina den Tee. Es war immer noch warm. Ein goldener Sommernachmittag, dachte Katrina, an den ich mich lange erinnern werde. Tracey und ihre Mutter waren glücklich, und auch der Professor schien
sich wohl zu fühlen. Als sich ihre Blicke zufällig begegneten, lächelte er, als hätte er sie doch ein bisschen gern. "Es wird Zeit für mich", sagte er nach einer Weile. "Ich gehe heute Abend aus." "Mit einer Dame?" fragte Tracey. "In einem hübschen Kleid?" "Ja, mit einer Dame", bestätigte der Professor. "Ob ihr Kleid hübsch ist, kann ich jetzt noch nicht sagen, aber ich vermute es." Er stand auf. "Es war ein bezaubernder Tag, Katrina. Vielen Dank dafür," "Sie selbst haben das Picknick spendiert..." "Aber man braucht Leute, die es essen." Der Professor reichte Molly die Hand, strich Tracey über die Wange und pfiff nach den Hunden. "Begleiten Sie mich zum Gartentor, Katrina?" "Es war sehr freundlich, uns zu besuchen", sagte sie unterwegs. "Und das üppige Picknick ... Bitte danken Sie Mrs. Peach im Namen von uns allen. Hoffentlich verbringen Sie einen netten Abend. Und bitte, fahren Sie vorsichtig." Der Professor unterdrückte ein Lächeln. "Ich werde mich bemühen. Die A303 ist eine gut ausgebaute Schnellstraße. Allerdings sind wir heute Morgen zwei Mal in einen Stau geraten." Er bemerkte Katrinas fragenden Blick und fügte erklärend hinzu: "Ich habe Maureen Soames mitgenommen. Sie verbringt das Wochenende bei ihrer Tante." Katrina versuchte, nicht zu ergründen, warum der Tag plötzlich seinen Glanz verloren hatte. "Ich verstehe", sagte sie nur. "Wahrscheinlich holen Sie Maureen jetzt wieder ab?" "Nein, nein. Angeblich will sie morgen den Zug nehmen, aber der Chauffeur ihrer Tante wird sie wohl zurückfahren." Katrina bückte sich, um erst Barker und dann Jones zu streicheln. "Hoffentlich wird es ein netter Abend", wiederholte sie, weil ihr nichts anderes einfiel. Warum hatte der Professor ihr von Maureen erzählt? Das wäre nicht nötig gewesen - es sei
denn, er wollte ihr klarmachen, dass er doch nur wegen Tracey nach Rose Cottage gekommen war. Sie wartete, bis der Professor eingestiegen war. Als er ihr noch einmal zuwinkte, lächelte sie und kehrte langsam in den Garten zurück, wo Molly und Tracey alles noch einmal in der Erinnerung durchlebten. "Ein denkwürdiger Tag", meinte Molly glücklich. Katrina gab ihr Recht. In der folgenden Woche erhielt Molly einen Brief, in dem sie gebeten wurde, sich vier Tage später vormittags um halb zwölf mit Tracey im St. Aldrick's Hospital einzufinden. Weiter wurde sie gebeten, einige Sachen für Tracey einzupacken, falls man sie über Nacht dabehalten würde. Die letzte Bitte löste einen Tränenstrom bei Molly aus. "Irgendetwas stimmt nicht", klagte sie. "Warum wollen sie Tracey dabehalten? Sie haben den ganzen Tag Zeit für die Untersuchung..." "Manche Tests dauern länger", unterbrach Katrina Mollys Klagen. "Es ist besser, wenn Tracey das Ergebnis im Krankenhaus abwartet und nicht erst nach Hause kommt, um am nächsten Tag wieder hinzufahren. Sie bleiben natürlich bei ihr, und außerdem kennt sie das Krankenhaus. Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn es Grund dafür geben würde, hätte der Professor es Ihnen gesagt. Sie wissen, dass Sie ihm vertrauen können." Molly fuhr sich beschämt über die Augen. "Ich bin dumm, Katrina. Sie haben ganz Recht. Werden Sie uns begleiten?" "Natürlich, und wenn Sie über Nacht bleiben müssen, fahre ich zurück und bereite alles für den nächsten Tag vor. Jetzt sollten Sie zu Mrs. Dyer gehen und noch etwas für uns besorgen. Wir brauchen Schinken und Käse, und ich habe Tracey ein Eis versprochen. Am besten erwähnen Sie gar nicht, dass Sie vielleicht über Nacht bleiben müssen. Mrs. Dyer könnte sich Sorgen machen und falsche Dinge weitererzählen."
Vier Tage später brachen sie früh und bei strahlendem Wetter von Rose Cottage auf. Tracey trug das Kleid mit der dazu passenden Kappe, das Katrina ihr genäht hatte, und freute sich darauf, den Professor wieder zu sehen. Katrina fürchtete sich eher vor einem Wiedersehen und tröstete sich damit, dass es kaum dazu kommen würde. Da die Patienten zum Professor gerufen wurden, brauchte er sein Sprechzimmer nicht zu verlassen, und sie würde unentdeckt bleiben. Trotzdem zog sie ihr hübschestes Kleid an. Das Wartezimmer war schon voll, als sie ankamen, und die einzelnen Termine verzögerten sich. Tracey bekam ein Buch zu lesen, während Molly und Katrina die Leute beobachteten und sich gelegentlich etwas zuflüsterten. Zwei Mal tauchte Dr. Soames auf, mit Akten unter dem Arm. Der weiße Kittel stand ihr gut, und sie wirkte sehr professionell. Kein Wunder, dass die Männer ihr zu Füßen liegen, dachte Katrina giftig. Endlich wurden Tracey und ihre Mutter aufgerufen. Katrina blätterte in einer Zeitung, die jemand liegen gelassen hatte, aber es war so stickig im Wartezimmer, dass sie sich nicht konzentrieren konnte. Gerade, als ihr die Lider zufallen wollten, kam Molly zurück. "Tracey soll hier bleiben", berichtete sie. "Der Professor sieht keinen Anlass zur Sorge, aber er möchte einige Ergebnisse abwarten, ehe er Tracey wieder nach Hause schickt. Ich soll ebenfalls bleiben." Molly hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. "Ach Katrina, es wird doch alles gut gehen?" "Ganz bestimmt", versicherte Katrina, "sonst hätte der Professor etwas gesagt. Sie dürfen das Vertrauen nicht verlieren." Sie öffnete ihre Handtasche. "Hier sind Ihre Rückfahrkarten und noch etwas Geld. Sagen Sie Tracey, dass wir morgen zu Mrs. Dyer gehen und das größte Eis kaufen, das sie hat. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?"
Molly schüttelte den Kopf. Sie umarmte Katrina, nahm die Tasche, die sie für Tracey und sich gepackt hatte, und hastete davon. Den Zug nach Warminster hatte Katrina inzwischen verpasst. Sie fuhr mit dem Bus in das nächste Einkaufszentrum, stärkte sich mit Kaffee und Kuchen und machte sich dann auf die Suche nach einem Geschenk für Tracey. In einem kleinen, versteckten Juwelierladen fand sie, was sie suchte: ein schmales Silberarmband, hübsch ziseliert und im Preis leicht herabgesetzt. Sie kaufte es und fuhr zum Bahnhof. Wenn der Zug pünktlich in Warminster eintraf, konnte sie sogar den Bus ins Dorf nehmen und das Taxigeld sparen. Im späten Nachmittagslicht machte Rose Cottage einen besonders friedlichen Eindruck. Katrina versorgte Betsy, bereitete sich ein leichtes Abendessen zu und ging früh schlafen. Tracey und ihre Mutter würden kaum vor Mittag zurück sein, aber sie wollte trotzdem früh aufstehen» um alles in Ruhe vorbereiten zu können. Bevor Katrina einschlief, dachte sie an den Professor. Ob er den Abend mit Maureen verbrachte? Sie konnte nicht wissen, dass er bis spät im Krankenhaus zu tun hatte und erst gegen Mitternacht zu Hause ankam. Der nächste Morgen war so schön wie die vorangegangenen, und es wehte ein leichter Wind. Katrina frühstückte, machte das Cottage sauber und bereitete anschließend das Mittagessen vor. Sie wollte eine Quiche backen, die Tracey besonders gern aß, Und dazu Erbsen und Karotten aus dem Garten holen. Es gab immer noch einige Erdbeeren. Der Junge, der die Milch vorbeibrachte, hatte zwar keine Sahne, aber er ließ ihr mehr Milch für die Erdbeeren da. Für den Nachmittag backte sie Rosinentörtchen, das Eis konnte sie erst holen, wenn Tracey und Molly zurück waren. Zum Schluss presste sie noch frische Zitronen für Limonade aus, wie sie es bei Tante Thirza gelernt hatte. Neben den Krug
und die Gläser stellte sie einen Teller mit Käsestangen und mitten auf den Tisch eine Schale mit Rosen. Der Empfang sollte so freundlich wie möglich ausfallen. Für sich selbst hatte Katrina wenig getan. Ihr Haar war flüchtig zurückgebunden, das Gesicht ohne Make-up. Da sie unentwegt am Herd gestanden hatte, trug sie über ihrem Kleid eine blau-weiß karierte Schürze. Ein Blick auf die Uhr überzeugte sie davon, dass sie keine Zeit mehr hatte, sich hübsch zu machen. Wenn die Wards mit dem Frühzug gefahren waren und in Warminster ein Taxi genommen hatten, mussten sie jede Minute hier sein. Und sie kamen tatsächlich: Tracey, ihre Mutter und der Professor. "Wir sind wieder da!" rief Tracey, während sie in die Küche gestürmt kam und sich Katrina in die Arme warf. "Der Professor hat uns in seinem Auto hergebracht, und ich bin so gesund wie alle Mädchen in meinem Alter. Er hat es mir selbst gesagt!" Katrina drückte Tracey an sich, lächelte Molly zu und wünschte dem Professor höflich einen guten Morgen. Dass er sie wieder in einem so ungünstigen Aufzug erwischen musste! "Bleiben Sie zum Kaffee?" fragte sie. "Sehr gern." Während sie draußen neben der Rose Kaffee tranken, tanzte Tracey durch den Garten und suchte nach reifen Himbeeren. Sie war überglücklich, wieder zu Hause zu sein, was den Professor nachdenklich stimmte. "Wir müssen daran denken, eine neue Wohnung für Sie zu finden", sagte er zu Molly. "Vielleicht mit einem kleinen Garten ... oder zumindest mit einem Park und einer guten Schule in der Nähe." "Es wird uns schwer fallen, von hier fortzugeben", gestand Molly, "aber wenn Tracey wirklich wieder gesund wird und wir etwas Hübsches finden ..."
"Irgendetwas findet sich immer", erklärte der Professor zuversichtlich. "Darf ich zum Lunch bleiben, Katrina?" "Natürlich", antwortete sie, ohne zu überlegen. "Sie müssen allerdings mit einer Quiche und frischen Erdbeeren vorlieb nehmen. Ich habe Tracey ein großes Eis versprochen. Wenn Sie mich kurz entschuldigen, fahre ich schnell zu Mrs. Dyer und hole es." "Soll ich Sie im Auto hinfahren?" "Ich nehme mein Fahrrad." "Dann gehen wir zu Fuß. Es ist so schönes Wetter, und etwas Bewegung wird mir gut tun." Der Professor betrachtete Katrina von oben bis unten. "Wir großen Menschen neigen zu Übergewicht." Katrina blieb die Luft weg, und Molly lachte. "Ärgern Sie Katrina nicht, Professor Glenville. Sie hat genau die richtige Figur." Der Professor lachte ebenfalls, nahm das Kaffeetablett und trug es in die Küche. "Ich bin bereit", erklärte er unbekümmert. "Möchten Sie sich nicht lieber im Garten ausruhen?" fragte Katrina gekränkt. "Ich bin neununddreißig", antwortete er gelassen. "Nicht mehr ganz jung, aber auch nicht auf einen Gartenstuhl angewiesen. Wirke ich alt, Katrina?" "O nein, kaum wie neununddreißig. Ich dachte nur, Sie wären vielleicht müde." Sie wählten den Fußweg zum Dorf, um keinen Autos zu begegnen. "Ist Tracey wirklich geheilt?" fragte Katrina nach kurzem Schweigen. "Nein, aber ich glaube, dass wir für viele Jahre nichts zu befürchten haben. Mrs. Ward begreift das, und Tracey braucht nichts zu wissen. Sie wird nicht uralt werden, aber doch ein normales und hoffentlich glückliches Leben führen. Jetzt müssen wir nur noch die passende Wohnung finden." "Sie setzen sich sehr für die beiden ein, Professor."
"Ich kenne viele Leute, die in einem solchen Fall behilflich sein können. Warum waren Sie neulich so verstimmt, als ich abfuhr?" Mit dieser Frage hatte Katrina nicht gerechnet. "Verstimmt?" fragte sie. "Ich? Welchen Grund hätte ich dafür gehabt?" "Das beschäftigt mich ja gerade, aber ich merke, dass Sie mir nicht antworten wollen." Der Professor schwieg eine Weile und fragte dann: "Waren Sie schon in Stourhead?" "O ja. Es ist zwar schon lange her, aber Tante Thirza hat mich früher oft mitgenommen. Der Park und das Schloss sind wunderschön." "Ich habe Karten für das Open-Air-Konzert am nächsten Sonnabend. Würden Sie mich begleiten?" "Es wäre mir ein Vergnügen. Mit Molly und Tracey?" "Nein, nur wir beide. Ich hole Sie um halb acht ab. Mrs. Peach wird uns ein kleines Picknick zusammenstellen." "Für die Pause? Tante Thirza war nie dazu zu bewegen. Ist große Garderobe erforderlich?" "Ziehen Sie etwas Hübsches an, und denken Sie an ein Tuch, falls es kühl wird." "Vielen Dank, Professor." Katrina sah ihn lächelnd an. "Ich komme sehr gern mit. Hier ist Mrs. Dyers Laden." Mrs. Dyer machte große Augen, als Katrina in Begleitung des Professors hereinkam, aber sie sagte nichts. Der Himmel mag wissen, welches Gerücht morgen im Dorf umgeht, dachte Katrina auf dem Rückweg, aber sie freute sich viel zu sehr auf Stourhead, um darüber nachzudenken. Die Quiche wurde fast vollständig aufgegessen, ebenso die Erdbeeren und das Eis. Anschließend erbot sich der Professor, den Abwasch zu übernehmen. Da Molly versprochen hatte, mit Tracey frische Eier vom Nachbarhof zu holen, blieb Katrina nichts anderes übrig, als abzutrocknen. "Sie sollten das nicht tun", sagte sie, als der Professor die ersten Teller gespült hatte. "Es ist nicht nötig."
"O doch", widersprach er. "Ich muss üben." "Üben? Warum das?" "Ich weiß von meinen verheirateten Freunden, dass man ihnen den Abwasch zuschiebt, wenn die Haushaltshilfe nicht da ist. Darum fange ich rechtzeitig an zu üben." Katrina nahm den nächsten Teller. "Dann wollen Sie heiraten?" "Ich finde, es wird langsam Zeit." "Sie hätten jederzeit heiraten können, Professor", sagte Katrina irritiert. "Immerhin muss man die richtige Frau finden." "Und jetzt haben Sie sie gefunden? Dann sollten Sie nicht länger warten." Katrina zögerte, aber eine Frage musste sie noch stellen. "Kenne ich sie?" "O ja. Darf ich zum Tee bleiben?" Abgeblitzt, dachte Katrina. Warum konntest du auch nicht den Mund halten? "Es ist eine Ehre für uns, wenn Sie bleiben", erklärte sie steif. Der Professor schien es heute durchaus nicht eilig zu haben. Auch nach dem Tee - von den Rosinentörtchen war nichts übrig geblieben - schien er nicht aufbrechen zu wollen. Erst als es dämmrig wurde, stand er widerwillig auf und verabschiedete sich. Katrina brachte ihn zum Auto. Einerseits tat es ihr Leid, dass er ging, andererseits war sie froh darüber. Warum beunruhigte er sie nur so? "Es muss hübsch sein, durch den Sommerabend zu fahren", sagte sie, als sie neben dem Bentley standen. Der Professor nickte. "Danke für den Lunch und den Tee, es war eine angenehme Abwechslung. Sonnabend um halb acht... seien Sie rechtzeitig fertig." Er küsste sie auf die Wange, stieg ein und fuhr davon. Katrina sah dem grauen Wagen nach. Was er wohl mit dem Abend anfangen würde?
9. KAPITEL Katrina wusste, dass es sich nur um eine ganz gewöhnliche Abendeinladung handelte, aber sie sah den ganzen Sonnabend zum Himmel hinauf, aus Angst, ein plötzlicher Wolkenbruch könnte alles zunichte machen. Sie erledigte ihre häuslichen Aufgaben schneller als sonst, um den ganzen Nachmittag für sich zu haben. Sie wollte ihre Nägel pflegen, sich das Haar waschen und in aller Ruhe ein passendes Kleid aussuchen. Etwas Hübsches, hatte der Professor gesagt - eine höchst vage und unbefriedigende Umschreibung. Nach langem Schwanken entschied sich Katrina für ein Kleid mit Rosenmuster, das sie vor mehreren Jahren bei der Hochzeit einer Freundin getragen hatte. Es hatte kurze Ärmel, lag oben eng an und mündete in einen langen, weiten Rock. In einer Kommodenschublade hatte sie ein helles Tuch von Tante Thirza entdeckt. Sie war nicht unbedingt modern gekleidet, aber unter den anderen Besuchern würde sie nicht auffallen, und außerdem würde es den überwiegenden Teil des Abends dunkel sein. Tracey klatschte in die Hände, als Katrina sich unten vorstellte, und Molly meinte: "Wie hübsch Sie aussehen, Katrina! Alle werden Sie bewundern." Das bezweifelte Katrina, denn sie bildete sich nichts ein. Wenn nur der Professor ein Wort der Anerkennung fand! Er kam pünktlich, begrüßte alle und erklärte, dass. man sich für ein Open-Air-Konzert kein besseres Wetter wünschen
könne. "Sehr hübsch", fuhr er dann zu Katrina gewandt fort. "Sind Sie fertig?" Tracey tastete nach seiner Hand. "Sieht sie nicht wunderschön aus?" fragte sie. "Das Kleid ist nicht neu, aber es steht ihr, nicht wahr? Und sie hat sich sogar die Haare gewaschen." "O Tracey, Darling, sei um Himmels willen still!" rief Molly, während Katrina am liebsten im Erdboden versunken wäre. "Es ist ein reizendes Kleid", entschied der Professor. "Katrina sieht darin wie Aschenputtel aus." Tracey stimmte lebhaft zu. "Das habe ich doch gesagt. Jetzt fehlt nur noch der Prinz ..." "Haben Sie Barker und Jones zu Hause gelassen?" fragte Katrina mit schriller Stimme. Der Professor nickte. "Die Musik würde ihnen nicht gefallen, und außerdem sind sie müde. Ich habe heute Nachmittag einen langen Spaziergang mit ihnen gemacht, auf dem wir eine verletzte Brieftaube gefunden haben. Ich erzähle bei Gelegenheit davon." "Haben Sie sie mitgenommen?" fragte Tracey eifrig. "Natürlich." Der Professor sah lächelnd in das kleine angespannte Gesicht. "Sie hatte einen Splitter im Flügel, den ich entfernt habe. Wenn die Wunde verheilt ist, lasse ich sie wieder fliegen." Während der Fahrt plauderte der Professor, so locker, dass sich Katrina entspannen konnte. Ihre Verlegenheit verschwand schnell, und bald verstand sie nicht mehr, warum der Scherz über Aschenputtel sie so gekränkt hatte. Es waren knapp zwanzig Meilen bis Stourhead, und der Professor fuhr langsam. Er parkte den Wagen auf dem großen Platz neben dem Pub "Spread Eagle", nahm den Picknickkorb aus dem Kofferraum und schloss sich mit Katrina den anderen Besuchern an, die dem großen Rasen oberhalb des Sees zuströmten.
Sie wählten einen ruhigen Platz mit Blick auf das Pantheon und die hohen Bäume, die es einrahmten. Auf dem See schwammen Schwäne und Enten. Viele Besucher warfen Münzen ins Wasser, vermutlich als Glücksbringer. Ein Rundgang um den See hätte eine Stunde gedauert, mit Besichtigung des Pantheons, des Apollo-Tempels und der künstlichen Grotten fast die doppelte Zeit. Katrina hätte gern den ganzen Landschaftsgarten mit dem Professor durchstreift, aber heute waren sie wegen des Konzerts hier. Der Professor breitete eine Decke auf dem Rasen aus, auf der sie nebeneinander sitzen konnten. "Jedes Mal, wenn ich hier bin, nehme ich mir vor, öfter zu kommen", sagte er. Katrina nickte. "Mir geht es genauso. Einmal war ich mit Tante Thirza im Winter hier, bei heftigem Frost. Wir waren fast die einzigen Besucher und kamen uns wie im Märchen vor." Das Konzert begann. In der ersten Hälfte wurden Concerti grossi von Händel gespielt. Sobald die Musiker das am See errichtete Podium verließen, kam Bewegung unter die Zuhörer. Die meisten hatten etwas zu essen mitgebracht, andere schlenderten umher und begrüßten Freunde. Der Professor öffnete den Picknickkorb und breitete den Inhalt auf der Decke aus: hauchdünne Schwarzbrotscheiben mit Räucherlachs, Pasteten mit Hühnerfleisch, Käsecracker, Waldorfsalat, Karamellspeise und süßes Gebäck. Dazu gab es gekühlten Weißwein und heißen Kaffee. Nach der Pause erklangen Serenaden von Mozart. Der Professor hatte einen Arm um Katrinas Schultern gelegt, und so saßen sie da und lauschten den zauberhaften Melodien. Als der letzte Ton verklang, war es dunkle Nacht. Unzählige Sterne schimmerten am Himmel, dazwischen zog der Mond seine helle Bahn. Die Zuhörer blieben noch eine Weile wie verzaubert sitzen, dann standen sie langsam auf, packten ihre Sachen zusammen und gingen zu ihren Autos. Der Professor und Katrina waren unter den Letzten, die den Parkplatz erreichten.
Sie bemerkten weder den Wagen von Lady Truscott noch Maureen Soames, die neben ihrer Tante saß. Es war beinahe Mitternacht, als sie Rose Cottage erreichten. Bevor Katrina ausstieg, sagte sie: "Es war ein wunderschöner Abend, vielen Dank. Und das Picknick war sehr ... die gute Mrs. Peach ..." Sie sah den Professor von der Seite an. "Vermutlich haben Sie morgen frei? Sie werden sehr spät zu Hause sein." Statt zu antworten, stieg der Professor aus und öffnete ihr die Tür. "Einen angenehmen Abend lässt man am besten bei einer Tasse Tee ausklingen." "Möchten Sie das?" Katrina stieg schnell aus. Also war der Abend noch nicht ganz vorüber. Sie genoss die Gesellschaft des Professors - mehr noch, sie war glücklich. All ihre Zweifel und Probleme existierten nicht mehr, wenn er bei ihr war. Betsy schlief in ihrem Korb, und der Frühstückstisch war bereits gedeckt. Während der Professor den Kessel aufsetzte, suchte Katrina Becher, Milch und Zucker zusammen. Sie nahm auch den Sonntagskuchen aus der Speisekammer und freute sich, als der Professor eine dicke Scheibe verzehrte. Endlich stand er auf und verabschiedete sich. Als Katrina ihn zum Gartentor bringen wollte, hielt er sie zurück. "Bleiben Sie hier, und schließen Sie hinter mir ab", sagte er. "Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag." Katrina hatte nichts Besonderes erwartet, aber seine Worte enttäuschten sie. "Hoffentlich liegt keine allzu anstrengende Woche vor Ihnen", antwortete sie förmlich. "Und nochmals vielen Dank, Professor." "Simon", verbesserte er und küsste sie. Es war kein Gutenachtkuss und keine flüchtige Geste, sondern ein Kuss, der Katrina innerlich erglühen ließ. Das geht nicht, dachte sie, als sie benommen ins Bett sank. Er will heiraten, und außerdem kennen wir uns gar nicht. Katrina erwachte mit einem Glücksgefühl, an dessen Grund sie sich nicht zu erinnern wagte. Sie gab Molly und Tracy eine
genaue Schilderung des Konzertabends in Stourhead, beschrieb die Kleider, die sie gesehen hatte, und pries abwechselnd die Leistung der Musiker und Mrs. Peachs Können. "Das klingt alles wunderbar", meinte Molly, "Sie sollten öfter ausgehen. Hoffentlich hält unsere Anwesenheit Sie nicht davon ab." Sie machte dabei ein so bedrücktes Gesicht, dass Katrina rasch antwortete: "Nicht im Geringsten. Ich bin nie viel ausgegangen - höchstens ins Dorf, um eine Partie Tennis zu spielen oder an einer Komiteessitzung teilzunehmen. Tante Thirza und ich haben immer sehr zurückgezogen gelebt. Begleiten Sie mich zum Gottesdienst, Molly?" Beim Verlassen der Kirche wenig später stand Katrina plötzlich Maureen gegenüber. Sie wäre mit einem höflichen Gruß weitergegangen, wenn Maureen sie nicht am Arm festgehalten hätte. "War das Konzert in Stourhead nicht fantastisch?" fragte sie. "Ich habe jede Minute genossen. Wie günstig, dass Simon Sie mitnehmen konnte! Er war ziemlich enttäuscht, als ich ihm absagen musste, weil ich bereits mit Gästen vom Herrenhaus verabredet war. Wirklich schade, zumal wir beide gute Musik lieben. Aber Mrs. Peachs Picknick war wenigstens nicht vergeudet..." "Ja, sie kocht ausgezeichnet", antwortete Katrina betont locker. "Es war wirklich ein gelungener Abend, und das Wetter hätte nicht schöner sein können. Sind Sie über das Wochenende hier?" Maureen nickte. "Heute Abend werde ich abgeholt. Wenn ich gewusst hätte, dass Simon freihat, hätte ich meinen Lunchtermin mit Freunden abgesagt. Wirklich zu dumm! Aber es gibt ja noch den Abend." "Ja", bestätigte Katrina. "Wahrscheinlich haben Sie am Montag wieder viel zu tun?"
Maureen strahlte. "Gewiss, aber natürlich arbeiten wir nicht nur." Sie sah sich flüchtig um. "Ich begreife nicht, wie Sie in diesem Nest leben können. Wahrscheinlich gewöhnt man sich daran, wenn man nichts anderes kennt." "Ich muss gehen", sagte Katrina. "Tracey wartet auf ihr Mittagessen." "Tracey? Ach ja, das kleine Mädchen, über das Simon manchmal spricht. Sieht sie mit dieser albernen Kappe nicht lächerlich aus?" Katrina sah Maureen starr an. "Wissen Sie was, Maureen?" fragte sie kalt. "Manchmal fällt es mir schwer zu glauben, dass Sie Ärztin sind." Molly hatte etwas entfernt gewartet, aber Katrina war zu empört, um auf ihren Plauderton einzugehen. Wie konnte der Professor eine so grässliche Frau mögen oder sogar lieben? Und warum war er nicht ehrlich gewesen? Er hätte ihr sagen können, dass sie für Maureen einspringen sollte - es wäre ihr völlig egal gewesen! Nein, das stimmte nicht, aber eine Lehre würde es ihr sein. Keine weiteren Verabredungen mit dem Professor, keine gemeinsamen Abende. Wenn er wieder zu Besuch kam, würde sie sich unter einem Vorwand entschuldigen. Sollte Molly ihn doch bewirten. Er kam ja ohnehin nur, um nach Tracey zu sehen! "Ich wünschte, der Professor würde zum Tee kommen", sagte Tracey plötzlich beim Mittagessen. "Ob er das wohl tut?" "Nein", antwortete Katrina, "zumindest ist es sehr unwahrscheinlich. Er hat viele Freunde und kommt nur zum Tee, wenn er sich nach dir erkundigen will. Da es dir inzwischen so gut geht, wird das kaum noch der Fall sein." "Und wenn ich wieder ins Krankenhaus muss? Ob ich ihn dann wieder sehe?"
"Bestimmt. Du und Mummy wisst ja jetzt, wie alles läuft. Vielleicht nimmt er sich so viel Zeit, dass du ihm vom Garten und von den Küken auf dem Nachbarhof erzählen kannst." Katrina bemühte sich, möglichst fröhlich zu klingen, und Molly unterstützte sie darin. "Was hältst du davon, wenn wir ihm beim nächsten Mal frische Eier mitbringen? Sicher isst er gern eins zum Frühstück, genau wie du." Am Nachmittag machten sie einen Spaziergang und blieben dann bis zum Abend im Garten. Morgen ist ein neuer Tag, dachte Katrina beim Zu-Bett-Gehen. Morgen beginnt eine neue Woche. Trotz ihres Zorns dachte sie an den Professor und fragte sieh, was er gerade tat. Die Frage war nicht schwer zu beantworten. Natürlich fuhr er Maureen nach London zurück. Sie schlüpfte unter die Bettdecke und schloss die Augen, aber auch im Dunkeln sah sie das Gesicht des Professors vor sich. "Das ist wirklich zu dumm", sagte sie laut, drehte sich zur Wand und schlief ein. Der Professor hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass die Wards innerhalb der nächsten Wochen nach London zurückkehren würden. Vielleicht in vier, vielleicht in sechs Wochen, das hing davon ab, wie schnell er eine passende Wohnung für sie fand. Katrina ließ ihre Schützlinge nur schweren Herzens ziehen, aber sie war vernünftig genug, auch an ihre eigene Zukunft zu denken. Als sie das nächste Mal nach Warminster fuhren, überließ sie Molly und Tracey die Haushaltseinkäufe und suchte die Bibliothek auf. Es war ein Glückstag. Die Leiterin hätte sie nicht vergessen und konnte ihr sogar eine Teilzeitstellung anbieten, die in einigen Wochen frei werden sollte. "Drei Tage in der Woche", meinte sie und nannte das Gehalt. Es war nicht viel, aber für Katrina reichte es aus. Und es war ein Anfang. Sie konnte nebenbei lernen und eine richtige Bibliothekarin werden. Du bist ein Glückskind, dachte sie und
ging zu dem Caf6 in der High Street, wo sie sich mit Molly und Tracey verabredet hatte. Sie aßen jeder einen Eisbecher und stöberten anschließend bei "Woolworth's", damit Tracey ihr Taschengeld ausgeben konnte. Molly kaufte Wolle und Stricknadeln, um für Tracey Pullover zu stricken. "Ich muss mich mit dem Gedanken vertraut machen, wieder in London zu wohnen", sagte sie halb entschuldigend. "Natürlich", antwortete Katrina. "Ich werde Sie beide sehr vermissen, aber das Einrichten der neuen Wohnung wird Ihnen Spaß machen, und Tracey braucht die Schule." "Werden Sie uns besuchen, Katrina?" "Liebend gern." Zwei Wochen später wurden Tracey und ihre Mutter wieder ins Krankenhaus bestellt. Wie sie es sich vorgenommen hatte, blieb Katrina diesmal zu Hause und nutzte die Zeit, um längst überfällige Besuche im Dorf zu machen. Beim Tee mit den Peters erzählte sie ihnen dann auch von ihren neuen Zukunftsplänen. "Das klingt alles recht viel versprechend, mein Kind", meinte Mary Peters. "Etwas eintönig, aber Sie werden ja nette junge Menschen kennen lernen. Schließlich besuchen viele die Bibliothek. Sie werden Ihre Gäste vermissen." "Ja", gab Katrina zu, "aber Tracey wird wieder ein normales Leisen führen. Ist das nicht wunderbar?" "Der Professor ist ein glänzender Arzt", mischte sich Dr. Peters ein. "Ein Mann mit hoher Erfolgsquote, aber auch sehr beschäftigt. Das Krankenhaus, die Privatpraxis, die Vortragsreisen ... Als wir neulich im Herrenhaus eingeladen waren, erwähnte Lady Truscott, wie glücklich ihre Nichte im Team des Professors sei. Sie erinnern sich doch an Maureen, Katrina? Sie scheint sich gut mit dem Professor zu verstehen. Lady Truscott ging sogar so weit, etwas mehr anzudeuten. Das
wundert mich nicht. Maureen ist sehr attraktiv." Dr. Peters nahm noch ein Stück Kuchen. "Es wird auch Zeit, dass er heiratet." Katrina ließ sich nichts anmerken. "Sicher haben sie viel gemeinsam." "Nicht, dass ich wüsste", widersprach Mrs. Peters. "Maureen hat kein Herz, keine Wärme. Gesellschaftlich passt sie zu ihm, und es würde ihr sicher nicht schwer fallen, sein Geld auszugeben, aber was hat er davon? Er braucht eine Frau, die ihn liebt." Dr. Peters lachte. "Eine Frau wie dich, meine Liebe?" "Ganz genau. Eine Frau wie mich." Oder eine wie mich, dachte Katrina. Die plötzliche Erkenntnis verdrängte jeden anderen Gedanken. Seltsam, dass sie sich plötzlich so sicher war, da sie bisher ganz anders über den Professor gedacht hatte. Wann hatte sich ihre vage Abneigung in Liebe verwandelt, und warum hatte sie bisher nichts davon gewusst? Jetzt wüsste sie es, aber was konnte es ihr nützen? Abends, als sie allein war, dachte sie über die Situation nach. Sie spürte eine innere Hochstimmung, aber sie war auch traurig, denn was sollte aus ihrer Liebe werden? Sie konnte nur dem Augenblick entgegenbangen, an dem sie von der Verlobung des Professors mit Maureen hören würde. "Nur gut, dass ich Bibliothekarin werde", sagte sie zu Betsy und ging schlafen. In der Nacht wachte sie auf und fragte sich, ob der Professor wieder Zeit finden würde, Tracey und ihre Mutter nach Hause zu bringen. Sie hätte ihn gern wieder gesehen, aber sie durfte nicht vergessen, äußerst zurückhaltend zu sein. Höflich und kühl... es würde sehr schwer sein. Sie stand früh auf und begann gleich nach dem Frühstück mit der Vorbereitung des Mittagessens. Sie würde von allem etwas mehr kochen, es konnte ja sein, dass der Professor mitkam. Sie bereitete das Kaffeetablett vor, stellte Kekse bereit und
verwandte viel Mühe auf ihre Frisur und ihr Make-up. Dann setzte sie sich in den Garten und wartete. Sie wartete bis zum Nachmittag. Die Wards hatten den Frühzug verpasst und erzählten überglücklich, dass Traceys nächste Untersuchung erst in drei Monaten stattfinden würde. Außerdem hätte der Professor eine Wohnung gefunden, in die sie in drei Wochen einziehen könnten. Katrina war enttäuscht und freute sich gleichzeitig über die guten Nachrichten. "Haben Sie die Wohnung schon gesehen?" fragte sie. "Noch nicht. Der Professor will uns Sonnabend zu einer Besichtigung abholen. Ist das nicht aufregend? Das Sozialamt will mir kostenlos einige Möbel überlassen, und von meinen Ersparnissen können wir Gardinen und Teppiche kaufen." Molly umarmte Katrina. "O Katrina, Sie ahnen ja nicht, wie glücklich ich bin!" Die nächsten Stunden vergingen damit, die neue Einrichtung zu planen. Katrina sagte nichts, aber sie schwor sich, am Sonnabend unter einem Vorwand zu verschwinden, um dem Professor nicht zu begegnen. "Wann werden Sie abgeholt?" fragte sie scheinbar gleichgültig. "Ziemlich früh, gegen neun Uhr. Wir sollen pünktlich fertig sein und ihm nicht erst Kaffee anbieten." Katrina war nie eine Langschläferin gewesen und stand an diesem Sonnabend besonders früh auf. Es hatte über Nacht geregnet, aber der Morgen war warm und sonnig. Sie bereitete das Frühstück vor, weckte Molly und Tracey und wartete, bis sie herunterkamen. Gegen Ende des Frühstücks - es war kurz nach halb neun sagte Katrina plötzlich: "Du lieber Himmel, da hätte ich beinahe vergessen, die Hühnchen vom Nachbarhof zu holen. Ich werde gleich hinüberfahren, bevor es zu warm wird. Sie kennen ja das Versteck für den Schlüssel, Molly. Sollte ich nicht rechtzeitig
zurück sein, schließen Sie einfach ab und legen den Schlüssel auf den Sims. Genießen Sie den Tag, ich bin schon gespannt, was Sie heute Abend erzählen. Ich habe Mary Peters für heute Nachmittag einen Besuch versprochen und werde nicht da sein, wenn Sie zurückkommen. Grüßen Sie den Professor, und vergessen Sie nicht, ihm etwas anzubieten." Katrina schwang sich auf ihr Fahrrad und fuhr im Eiltempo davon. Sie würde mindestens bis zehn Uhr fortbleiben, danach bestand keine Gefahr mehr, dem Professor zu begegnen. Sie holte die Hühnchen ab, führte ein längeres Gespräch mit der Bäuerin und setzte sich auf dem Rückweg auf eine schattige Wiese, um über den Professor und ihre Zukunft nachzudenken. Als es vom Kirchturm zehn Uhr schlug, stieg sie wieder auf ihr Fahrrad und fuhr nach Rose Cottage zurück. Schon von weitem erkannte sie den Bentley und den Professor, der am Gartentor lehnte. "Da sind Sie ja endlich", begrüßte er sie harmlos. "Mrs. Ward brüht noch einmal Kaffee auf, aber dann müssen wir uns beeilen." Er betrachtete Katrinas schlichtes Sommerkleid. "Sie sehen reizend aus, Katrina. Ziehen Sie sich ja nicht um." "Ich komme nicht mit", erwiderte sie und hatte Angst, er könnte ihr Herz klopfen hören. "Im Garten ist viel zu tun, und ich habe Mrs. Peters ..." Der Professor hielt ihr das Gartentor auf. "Mein liebes Kind, wir fahren nicht ohne Sie. Wollen Sie Tracey das Herz brechen?" Katrina wurde unbehaglich zu Mute. "Wenn ich ihr alles erkläre, wird sie vernünftig sein." "Das wird sie nicht. Stellen Sie sich einfach vor, ich wäre nicht da. Ignorieren Sie mich, und sagen Sie mir später, wenn Sie in besserer Stimmung sind, warum Sie mir ausweichen. Und nun keine Widerrede mehr. Bringen Sie die Hühnchen in die Küche, der Kaffee wird inzwischen fertig sein." "Aber mein Haar..."
"Es gefällt mir, wie es ist, aber Sie möchten wahrscheinlich seriös wirken. Stecken Sie es meinetwegen hoch - ich gebe Ihnen fünf Minuten." Der Professor lächelte so charmant, dass Katrinas Widerstand dahinschmolz. Da ihr außerdem kein weiteres Gegenargument einfiel, tat sie einfach, was er gesagt hatte.
10. KAPITEL Eine halbe Stunde später waren sie unterwegs. Molly saß vorn neben dem Professor, Katrina und Tracey saßen hinten. Sie durchquerten die Londoner City und erreichten den Vorort Bow. Die Hauptstraße mit kleinen, eher schäbigen Geschäften war stark belebt, aber in den schmaleren Nebenstraßen standen gut gepflegte Häuser, darunter auch einige drei- bis vierstöckige Stadthäuser aus viktorianischer Zeit. In eine dieser Straßen bog der Professor ein und hielt vor einem Haus, das an einem kleinen Rasenplatz mit Bäumen lag. Das Haus hatte kein Kellergeschoss und keinen Vorgarten. Durch die Haustür gelangte man in einen Vorflur, von dem links eine Treppe abging, neben der eine Tür lag. Der Professor zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete diese Tür und bat seine Begleiterinnen einzutreten. Sie kamen in einen schmalen Flur mit einer hinteren Tür und je einer Tür an der rechten und linken Seite. Die linke Tür führte in ein angenehm großes Wohnzimmer, dessen Erker zur Straße lag. Die Wände waren zartgelb gestrichen, und es gab einen kleinen elektrischen Kamin. Molly sah sich aufmerksam um. "Ist das ein Wohn- und Schlafraum?" "Nein, nein", beruhigte der Professor sie. "Kommen Sie hier entlang." Er öffnete die gegenüberliegende Tür, die in ein kleineres Zimmer führte, das zum Garten hinauslag.
"Gehört der Garten uns?" fragte Tracey freudestrahlend. "Gewiss", antwortete der Professor. "Und nun die Küche." Sie lag hinter der Tür am Ende des Flurs und war eher eine Kochnische. Es gab ein kleines Fenster und eine Tür, die in den Garten führte. Links gelangte man in das kleine Badezimmer mit einem Gasboiler über der Badewanne und einem Waschbecken. Molly legte den Arm um Tracey. "Das ist zu schön, um wahr zu sein, und wenn es wahr wäre, könnte ich es nie bezahlen." "Sehen Sie noch den Garten an." Der Professor öffnete die Küchentür und ging voraus. Es war ein schmaler, eingezäunter und verwilderter Garten, aber Katrina begann bereits, ihn in Gedanken zu gestalten. Es gab mehrere wild wuchernde Büsche, darunter einige Rosen, die nur beschnitten und sorgsam gepflegt werden mussten. Eine Blumenrabatte, vielleicht das eine oder andere Gemüsebeet, einige Beerensträucher ... "Gefällt Ihnen der Garten?" fragte der Professor. "O Sir, er kommt mir wie ein kleines Paradies vor. Wie soll ich das alles nur bezahlen?" "Das Sozialamt verlangt nur eine geringe Miete. Es wird Ihnen auch bei der Möblierung helfen und für Gas und Strom einen Zuschuss gewähren. Übrigens gibt es in der Nähe eine gute Schule. Der Fußweg beträgt nur fünf Minuten." "Ich könnte mir wieder Arbeit suchen." Molly war ganz aus dem Häuschen. "Ich habe früher in besseren Haushalten geputzt." "Wollen Sie dann gleich mitkommen und die ganze Sache festmachen?" "Ach, Professor Glenville, wie soll ich Ihnen jemals danken?" "Tracey war ein so tapferes Mädchen, und auch Sie haben eine Belohnung verdient, Mrs. Ward. Möchten Sie sich noch einmal in der Wohnung umsehen, ehe wir weiterfahren?"
Diesmal blieb Katrina im Auto sitzen. Sie musste ziemlich lange warten, und da es stickig wurde, öffnete sie ein Fenster. Sie dachte an Mollys glückliches Gesicht und an Traceys kindliche Freude. Der Professor hatte ihnen nicht nur einen Gefallen getan. Er fühlte sich zutiefst für sie verantwortlich, und die Wards waren sicher kein Einzelfall. Katrina merkte plötzlich, wie wenig sie über den Professor wusste. Lebten seine Eltern noch? Hatte er Geschwister, und wo wohnten sie? Er sprach nie über sich und seine Familie, nur gelegentlich über seine Arbeit. Auch über seine Freunde sprach er nicht, aber Katrina vermutete, dass er über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis verfügte. Lady Truscott hatte neulich durchblicken lassen, dass ihre Nichte den Professor weit mehr beschäftigte als andere Frauen, die sich um ihn bemühten. Das behauptete jedenfalls Mary Peters, die einer guten Klatschgeschichte selten widerstehen konnte. Ärgerlicherweise glaubte Katrina dem Gerücht. Maureen war attraktiv und erfolgreich - noch dazu auf dem Fachgebiet des Professors -, und er selbst besaß alles, was sich eine Frau wünschen konnte: eine gute Position, internationalen Ruf, Vermögen, gutes Aussehen und ein bezauberndes Landhaus. Dabei hätte Katrina schwören können, dass ihm nur sein Beruf wirklich etwas bedeutete. Wenn sie nur mehr über ihn gewusst hätte! Natürlich war es ausgeschlossen, dass er sich in sie verliebte, aber wenn sie mehr über ihn wusste, konnte sie sich an mehr erinnern ... Auf der Rückfahrt saß Katrina neben dem Professor, ohne recht zu wissen, wie es dazu gekommen war. Er schien es nicht auf ein Gespräch abgesehen zu haben, denn er schwieg fast die ganze Zeit. Wahrscheinlich wollte er Molly und Tracey die Gelegenheit geben, nebeneinander zu sitzen und über die neue Wohnung und die Zukunft zu sprechen. Katrina fügte sich in das Schweigen, betrachtete die Hände des Professors, die ruhig auf dem Lenkrad lagen, und überlegte
dabei, was sie notfalls sagen könnte. Das erwies sich als überflüssig, denn der Professor sagte leise: "Sie müssen nicht sprechen, Katrina." Als sie Rose Cottage erreichten, bot sie ihm mit eisiger Höflichkeit eine Tasse Tee an, aber er lehnte auf die liebenswürdigste Weise ab. Nachdem er sich von den Wards verabschiedet hatte, klopfte er Katrina väterlich auf die Schulter, sagte, dass sie sich irgendwann wieder sehen würden, und fuhr davon. Auch eine Art, mir Lebewohl zu sagen, dachte Katrina. Er hatte ihr bereits für die Aufnahme der Wards gedankt. Das Arrangement war in ihrer beider Interesse gewesen - wozu also noch überflüssige Worte machen? Sie musste vernünftig sein und aufhören, sich wie ein dummes Schulmädchen zu benehmen. Endlich kam der Tag der Abreise. Der Professor hatte nichts mehr von sich hören lassen und auch nicht geschrieben. Die Wards sollten den Mittagszug von Warminster nehmen, und Katrina wollte sie bis dorthin begleiten. Sie hatte angeboten, bis London mitzukommen, aber zu ihrer Überraschung hatte Molly das Angebot abgelehnt. "Seien Sie nicht böse, Katrina, aber es ist besser, wenn Tracey und ich unser neues Leben allein beginnen. Sie haben schon mehr als genug für uns getan." Katrina verstand Molly. "Ich würde genauso handeln", antwortete sie. "Versprechen Sie mir nur, dass Sie sich melden, falls Sie Hilfe brauchen." Das Gepäck stand bereits im Flur. Katrina überprüfte gerade, ob nichts fehlte, als an die Haustür geklopft wurde. Simon, dachte Katrina, obwohl sie sich geschworen hatte, nie so an ihn zu denken. Sie eilte zur Tür und öffnete. Draußen stand Peach.
"Guten Tag, Miss Gibbs", begrüßte er sie. "Der Professor hat mir aufgetragen, Mrs. Ward und Tracey nach London zu fahren. Er selbst ist leider verhindert." "Oh, Mr. Peach, wie freundlich! Darf ich Ihnen vorher noch eine Tasse Kaffee anbieten? Er ist in wenigen Minuten fertig, und die kleine Pause wird Ihnen gut tun." Sie rief Molly und Tracey herunter, stellte ihnen Peach vor und ging in die Küche, um den Kaffee aufzubrühen. Es passte zu dem Professor, dass er Peach geschickt hatte. Die umständliche und ermüdende Reise wurde dadurch zu einer Vergnügungsfahrt. Was mochte ihn gehindert haben, selbst zu kommen? War er krank? Machte er Urlaub, oder gab es im Krankenhaus zu viel zu tun? Sie trug den Kaffee ins Wohnzimmer. Peach trank eine Tasse, lehnte die zweite ab und lud das Gepäck in den Kofferraum. Anschließend wartete er geduldig, bis Katrina Eier, Butter, eine Flasche Milch und ein halbes Brot eingepackt hatte. Sie würde später genug Zeit haben, ihre Vorräte zu ergänzen. Sie verabschiedete sich von Molly, umarmte Tracey und brachte sie bis zum Auto. Es war ein Rover - als Zweitwagen nicht schlecht, wenn man schon einen Bentley besaß. Sie wartete, bis alle eingestiegen waren, und winkte lange, ehe sie langsam ins Haus zurückkehrte. Alles wirkte plötzlich sehr still. Sie ging nach oben, suchte Bettwäsche und Handtücher zusammen und steckte sie in die Waschmaschine. Anschließend machte sie das Gästezimmer gründlich sauber. Da niemand mehr da war, mit dem sie sich unterhalten konnte, sprach sie mit Betsy. Später fuhr sie mit dem Rad ins Dorf und rief in der Bibliothek an. Die Auskunft, die sie erhielt, war äußerst günstig. Eine Mitarbeiterin wollte zu Beginn der nächsten Woche für vierzehn Tage in Urlaub gehen, und Katrina konnte ihre Stelle einnehmen.
"Die volle Stelle", hieß es ausdrücklich. "Eine Teilzeitbeschäftigung ist dann erst ab September möglich." Katrina stimmte sofort zu. Ich habe wirklich Glück, dachte sie, während sie wieder nach Hause fuhr. Zwei Wochen Vollbeschäftigung und dann frei bis September passt, mir gut. Sie hängte die Wäsche auf, arbeitete im Garten, bis sie müde war, und setzte sich abends hin, um ihre finanzielle Lage zu überdenken. Auch dieses Ergebnis war günstig. Bis zur Zahlung des ersten Bibliotheksgehalts brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Ihre Zukunft war gesichert. Aber als sie über diese Zukunft nachzudenken begann, stürzten ihr Tränen aus den Augen. Am nächsten Morgen fühlte sie sich besser. Unerfüllbaren Träumen nachzuhängen war dumm - Katrina konnte geradezu hören, wie Tante Thirza das sagte. Sie beschäftigte sich weiter mit sinnloser Hausarbeit und nicht ganz so sinnloser Gartenarbeit und erzählte jedem, der sie fragte, wie sehr sie sich auf die Beschäftigung in der Bibliothek freue. Der Montag kam, und die Arbeit gefiel ihr wirklich. Als Anfängerin teilte man ihr die einfachsten Aufgaben zu. Sie musste Bücher in die Regale einordnen, die Post öffnen, Kaffee kochen und sich den Routinebetrieb einprägen. Von Computern verstand sie nichts, aber am Ende der ersten Woche hatte sie genug begriffen, um allein zurechtzukommen. Ihre beiden Kolleginnen hatten sie anfangs mit Misstrauen behandelt. Sie fürchteten, Katrina würde sich über ihre Autorität hinwegsetzen, aber nach einigen Tagen legte sich das Misstrauen. Sie behandelten Katrina weiterhin von oben herab, aber sie akzeptierten sie als Mitarbeiterin. Katrina war nicht empfindlich. Sie hatte eine Stellung, war abends zu müde, um unglücklich zu sein, und verdiente Geld. Am Ende der zweiten Woche verabschiedete sie sich vorübergehend von den Leuten in der Bibliothek und verwandte den Sonnabend darauf, alle liegen gebliebene Hausarbeit
nachzuholen. Am Sonntag wollte sie nach London fahren, um die Wards zu besuchen. Das würde zwar Geld kosten, aber sie hatte Molly versprochen zu kommen, und außerdem war sie neugierig auf die neue Wohnung. Als Letztes holte sie einen Korb aus dem Schuppen, legte eine kleine Schaufel, Blumenzwiebeln und Ableger hinein und fügte noch Schokolade für Tracey und zwei Dutzend frische Eier hinzu. Dann ging sie frühzeitig schlafen. Am nächsten Morgen wollte sie gerade das Haus verlassen, um den Bus nach Warminster zu erreichen, als sie zufällig aus dem Fenster sah. Vor dem Gartentor stand der graue Bentley, und der Professor kam langsam den Weg herauf. Katrina riss die Tür auf. "Sie können nicht bleiben", platzte sie heraus. "Mein Bus fährt ... ich will Molly und Tracey besuchen." "Guten Morgen, Katrina." Die Stimme des Professors verriet deutlich Tadel. "Oh, guten Morgen", erwiderte sie schnell. "Das klingt schon besser. Einen Moment lang glaubte ich, Sie wären nicht erfreut, mich zu sehen." "Natürlich freue ich mich ..." Das hätte sie nicht sagen sollen, denn der Professor legte den Arm um sie und küsste sie. Es war ein sanfter Kuss, und er endete viel zu früh. Für Katrina hätte die Zeit stehen bleiben können, aber der Professor fragte: "Können wir fahren?" "Fahren? Wohin fahren? Ich werde den Bus verpassen. Wenn Sie mich ins Dorf bringen würden ..." "Mrs. Ward erwartet uns zum Lunch. Unterwegs trinken wir bei mir Kaffee." Der Professor lächelte so charmant, dass Katrina die ganze Welt vergaß. "Ich habe heute frei." Katrina hatte keine Wahl, und sie wollte keine haben. Schweigend sah sie zu, wie der Professor abschloss und den Schlüssel in das Versteck legte. Sie ließ sich auch den Korb für Molly abnehmen und folgte dem Professor zum Wagen. Erst als
sie unterwegs waren, sagte sie betont kühl: "Das war alles nicht geplant." "So ist das Leben." Der Professor behielt seinen fröhlichen Ton bei. "Man weiß nie, wann sich etwas ändert. Haben Sie schon von Mrs. Ward gehört? Sie klang am Telefon sehr zufrieden." Als Katrina ihn fragend ansah, fügte er hinzu: "Ich hatte sie gebeten, mich anzurufen, sobald sie von Ihnen hören würde." "Warum das?" "Weil ich Sie gefunden habe und nicht wieder verlieren möchte, Katrina." Darauf gab es keine sinnvolle Antwort. Katrina hörte an der Stimme des Professors, dass er nicht scherzte, aber worauf wollte er hinaus? Zum Glück schien er keine Antwort zu erwarten, denn er fragte: "Wie gefällt es Ihnen in der Bibliothek?" "Sehr gut. Anfang September kann ich wieder anfangen. Bis dahin ist genug im Garten zu tun. Mrs. Dyer kauft mir ab, was ich nicht brauche. Es wäre schade, Obst und Gemüse umkommen zu lassen." Der Garten war ein unverfängliches Thema, und der Professor bemühte sich nicht, es zu wechseln. Trotzdem, atmete Katrina auf, als sie in Wherwell ankamen. Bis Bow war es noch eine beträchtliche Strecke. Worüber sollten sie sich auch schon unterhalten? Sie tranken im Wohnzimmer Kaffee, machten einen Spaziergang durch den Garten und setzten die Fahrt fort. Katrina merkte bald, dass es gar nicht nötig war, ständig etwas zu sagen, und war fast enttäuscht, als sie London erreichten. Die Straßen waren verhältnismäßig leer, und sogar Bow machte am Sonntag einen friedlichen Eindruck. Der Empfang durch die Wards war außerordentlich herzlich. Katrinas Korb wurde ausgepackt, die Weinflasche, die der Professor als
Begrüßungsgeschenk mitgebracht hatte, wurde kalt gestellt, und dann begann die Besichtigungstour. Molly hatte die bescheidene Wohnung in ein wirkliches Heim verwandelt. Die Möbel waren billig und abgenutzt, und kein Stück passte zum anderen, aber alles war sorgfältig gepflegt, und die hübschen Vorhänge und mehrere bunte Kissen machten viel aus. Auf den Fußböden lagen farbfrohe Teppiche, den Tisch mit der Decke des Mütterkreises zierte ein Blumenstrauß, und neben Traceys Bett stand eine aparte Nachttischlampe. "Fantastisch", schwärmte Katrina. "Alles wirkt so gemütlich, als wohnten Sie schon seit Jahren hier." Molly strahlte. "Finden Sie wirklich? Ich habe auch schon eine Stellung gefunden - als Servierfrau in Traceys Schule. Ich muss nur fünf Minuten gehen und kann nebenbei darauf achten, dass Tracey genug isst. Aber jetzt wollen wir ein Glas Sherry zur Begrüßung trinken. Heute ist ein Festtag." Molly hatte für eine reichliche Mahlzeit gesorgt. Es gab eine legierte Gemüsesuppe, kalten Braten mit Salat und zum Nachtisch eingemachtes Obst mit Eiscreme und Schlagsahne. Während Molly und Katrina abwuschen, beschäftigte sich der Professor im Garten. Als die Frauen später dazukamen, hatte er ziemlich viel Unkraut gezogen, mit seinem Taschenmesser wuchernde Zweige abgeschnitten und hier und da in den schmalen Beeten Löcher für Katrinas Blumenzwiebeln und Ableger gegraben. Tracey sammelte Steine in einen leeren Kanister und sang vergnügt, wenn auch etwas falsch, vor sich hin. "Der Professor wirkt so zufrieden, als hätte er nie etwas anderes getan", sagte Molly leise zu Katrina. "Er sollte heiraten und Kinder haben." Katrina nickte. "Eines Tages wird es so weit sein", antwortete sie ebenso leise, und der Gedanke machte sie traurig.
Bald nach dem Tee drängte der Professor zum Aufbruch. "Wir kommen wieder", versprach er, und Katrina bekräftigte dieses Versprechen. "Wissen Sie zufällig, wann Mrs. Ward Geburtstag hat?" fragte er während der Rückfahrt. "Am fünften September." "Sie braucht Gartengeräte, aber ich kann ihr kaum ein so umfangreiches Geschenk machen. Dürfte ich die Geräte in Ihrem Namen schicken?" "Mit anderen Worten - Molly soll nicht wissen, dass die Geräte von Ihnen kommen?" Katrina dachte eine Weile nach. "Nun, vielleicht haben Sie Recht. Schicken Sie ihr, was Sie für nötig halten, und sagen Sie, es käme von mir." "Danke, Katrina. Glauben Sie, dass sich die Wards gut eingelebt haben? Tracey machte einen glücklichen und gesunden Eindruck." "Ich glaube, sie sind mehr als glücklich. Wenn sich Traceys Zustand hält..." "Wir tun unser Bestes, Katrina. Und nun sagen Sie mir eins. Werden Sie in Rose Cottage sein, bis Sie wieder in der Bibliothek anfangen?" "Gewiss. Wollen Sie mir noch einen Patienten schicken? Es hat mir Freude gemacht, für Tracey und Molly zu sorgen." "Nein, Katrina. Ich möchte, dass Sie da sind und Zeit für mich haben, wenn ich Sie besuche." Katrina sah ihn erstaunt an. "Mich besuchen? Warum das?" "Ich habe mich in Sie verliebt, aber Sie erwidern meine Gefühle noch nicht." Als Katrina antworten wollte, fuhr er fort: "Nein, sagen Sie jetzt nichts. Denken Sie nur an meine Worte. Es stört Sie doch nicht, wenn ich ab und zu bei Ihnen vorbeikomme?" Katrina atmete tief ein. "Nein, Professor, es stört mich nicht." Danach sprachen sie nicht mehr viel. Katrina hing ihren Gedanken nach. Sie wagte nicht, zu weit in die Zukunft zu
blicken, aber sie war glücklich. Sie spürte, dass der Professor erst auf das Thema zurückkommen würde, wenn er es für richtig hielt. Außerdem fiel ihr eine Äußerung von Tante Thirza ein. "Es ist leicht, sich zu verlieben, mein Kind", hatte sie einmal gesagt, "und noch leichter, diese Liebe wieder zu vergessen." Und dennoch, im Moment war Katrina glücklich. In Rose Cottage stieg der Professor aus. Er nahm den leeren Korb aus dem Kofferraum, öffnete das Gartentor und begleitete Katrina bis zur Haustür. Dort nahm er den Schlüssel aus dem Versteck, schloss auf und trat beiseite, um sie vorbeizulassen. Betsy kam angesprungen. Katrina nahm sie auf den Arm und sagte zu dem Professor: "Danke für den schönen Tag. Es freut mich, dass Molly und Tracey so glücklich sind." Um nicht undankbar zu erscheinen, fügte sie hinzu: "Außerdem war es eine unterhaltende Fahrt." Der Professor sah sie an und lächelte ein wenig. Dann küsste er sie. "Wir sehen uns bald wieder", versprach er. "Schlafen Sie gut." Nachdem er das gesagt hatte, schob er Katrina sanft ins Haus, schloss hinter ihr die Tür und kehrte zum Auto zurück. Katrina ging in die Küche, um den Wasserkessel aufzusetzen. Vielleicht würde eine Tasse Tee ihr helfen, die Welt wieder normal und nicht durch eine rosarote Brille zu sehen.
11. KAPITEL Während der nächsten Tage fehlte es Katrina nicht an Beschäftigung. Frei von Verpflichtungen, begann sie wieder, ihre Freunde zu besuchen. Sie traf sich zum Lunch oder zum Tee, spielte Tennis und half wie immer in der Gemeinde. Bei einer dieser Gelegenheiten begegnete sie Lady Truscott. "Ich höre, dass Ihre Gäste abgereist sind", sagte Lady Truscott und lachte melodisch. "Nun, Gäste ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Professor Glenville war sicher froh, die Wards bei jemandem unterzubringen, solange sie keine eigene Wohnung hatten. Die Versorgung entlassener Patienten ist so wichtig, das weiß ich von Maureen. Übrigens plant der Professor eine längere Vortragsreise, auf der sie ihn wahrscheinlich begleiten wird." "Warum das?" fragte Katrina. "Will sie auch Vorträge halten?" Lady Truscott lachte hell auf. "O nein, mein Kind. Er braucht doch eine Assistentin ... eine persönliche Assistentin. Vermutlich steckt noch mehr dahinter." Katrina zog es vor, die Dumme zu spielen. "Sie meinen Briefe schreiben, Telefongespräche führen ..." "Nein, nein. Maureen ist schließlich Ärztin. Mit solchen Dingen braucht sie sich nicht abzugeben." Lady Truscott legte eine Hand auf Katrinas Arm. "Die beiden stehen sich sehr nah, müssen Sie wissen. Wie Maureen neulich andeutete ... Ich
erwarte täglich freudige Nachrichten. Ein ideales Paar, das sagt jeder. Wir sollten auch für Sie einen Mann finden, Katrina. Das sind wir schon Ihrer lieben Tante schuldig." "Keine Sorge", antwortete Katrina. "Es gibt da mehrere Kandidaten. Hat Mrs. Potter mir nicht eben zugewinkt? Sicher soll ich ihr beim Ausschenken der Getränke helfen." Sie strahlte Lady Truscott an und eilte geschäftig davon. Sie glaubte kein Wort von dem, was sie gerade gehört hatte. Der Professor hatte zwar von einer Vortragsreise gesprochen, aber selbst wenn er Maureen als Assistentin mitnahm... Er und sie? Nein, das konnte einfach nicht sein. Nicht nach dem, was er am letzten Sonntag gesagt hatte. "Wir sehen uns bald wieder", hatte er gesagt und sie geküsst. Es war kein unschuldiger Kuss gewesen. Katrina lächelte, als sie daran dachte. Am Sonnabend brach in Truscott Manor ein Feuer aus. Katrina war gerade im Garten und pflückte Himbeeren, als ihr ein brenzliger Geruch in die Nase stieg. Sie stellte die Schüssel hin und ging ins Haus. Hatte sie vergessen, den Gasofen oder das Bügeleisen auszuschalten? Höchst unwahrscheinlich, aber es war besser nachzusehen. Da Katrina im Haus nichts feststellen konnte, ging sie weiter bis zur Straße. Schon auf dem Gartenweg sah sie Rauchschwaden aufsteigen und wie dünne Wolken über den Himmel ziehen. Sie kamen nicht vom Dorf, sondern von einem Ort weiter westlich. Das Herrenhaus! Vielleicht ein Schornstein oder eins der Nebengebäude ... Katrina holte ihr Rad aus dem Schuppen, verschloss die Haustür und fuhr so schnell, wie sie konnte, die Landstraße hinunter. Kurz vor dem Dorf, wo die Nebenstraße nach Truscott Manor abzweigte, hielt sie an. Kein Mensch war zu sehen. Allem Anschein nach trieb der Wind den Rauch in eine andere Richtung, so dass man im Dorf noch nichts bemerkt hatte.
Je näher Katrina dem Herrenhaus kam, umso dichter wurde der Rauch. Er stieg vom hinteren Teil des Gebäudes auf, von wo auch erregte Stimmen zu hören waren. Sie fuhr um das Haus herum und sah Bellows, Lady Truscotts fülligen Butler, aus der Seitentür kommen. "Ich habe die Feuerwehr angerufen, Miss", keuchte er. "Die dumme Nelly hat einen Topf auf dem Herd vergessen. Die ganze Küche steht in Flammen, und Nelly ist hysterisch. Lady Truscott war gerade im Badezimmer... die Zofe hilft ihr jetzt beim Anziehen ..." Dicke graue Rauchschwaden quollen hinter dem Butler aus der Tür. "Ist schon etwas unternommen worden?" fragte Katrina. "Sind Türen und Fenster geschlossen? Kann das Feuer begrenzt werden?" "Ich habe die Fenster geschlossen." "Wenn wir von drinnen kommen, können wir das Feuer vielleicht löschen oder mit nassen Decken ersticken. Wo sind die anderen, Mr. Bellows?" "Das ist ja gerade das Schlimme, Miss. Alle sind draußen in Long Meadow, um das letzte Heu einzuholen. Außer Nelly und mir ist niemand da." Katrina lehnte ihr Fahrrad an die Hauswand. "Ich benutze den Vordereingang. Können Sie Nelly nach Long Meadow schicken? Die Leute sollen so schnell wie möglich zurückkommen. Hoffentlich trifft die Feuerwehr bald ein." In der Eingangshalle war es kühl und still, und es roch nur ganz schwach nach Rauch. Katrina durchquerte die Halle und öffnete die Schwingtür zum Küchentrakt. Mit jedem Schritt wurde der Rauch dichter. Sie blickte in die Vorratskammer, die Geschirrkammer, den Anrichte- und den Wäscheraum, aber erst in der Küche schlugen ihr die Flammen entgegen. Sie züngelten die Wände hoch und verursachten schwarzen, öligen Qualm. Es war zum Fürchten.
Katrina kehrte in den Wäscheraum zurück und tränkte ein Handtuch mit Wasser. Nachdem sie es sieh schützend um den Kopf gewickelt hatte, sah sie sich genauer in der Küche um. Das Feuer war schon zu stark, um es mit nassen Decken oder einigen Eimern Wasser aufhalten zu können. Die Flammen hatten fast den großen Schrank erreicht und fraßen sich gerade durch die daneben liegende Tür, die plötzlich mit einem Knall nachgab und prasselnd in sich zusammenstürzte. Katrina lief in die Halle und sah Lady Truscott die Treppe herunterkommen. Sie hatte sich nur flüchtig angezogen und trug noch ihre Seidenslipper. "Ich höre, dass es in der Küche brennt", jammerte sie und eilte auf Katrina zu. "Wo ich doch heute Gäste zum Dinner erwarte! Warum kommt niemand, um das Feuer zu löschen? Wo ist die Feuerwehr? Wo ist Bellows?" "Er schickt Nelly nach Long Meadow, um die Leute zurückzuholen. Die Feuerwehr ist ebenfalls benachrichtigt und müsste bald hier sein. Hören Sie, Lady Truscott, wir sollten die wertvolleren Dinge aus dem Haus schaffen, ehe es zu spät ist. Leider kann ich keinen Feuerlöscher finden ..." "Oh, Sie meinen diese roten Kanister? Ich hatte mehrere, das weiß ich genau. Du liebe Güte, was für eine Aufregung!" Lady Truscott sah Katrina starr an. "Warum sind Sie hier?" "Ich habe den Rauch in meinem Garten bemerkt. Rasch, Mylady. Wollen wir mit den Bildern anfangen?" "Mein Schmuck!" schrie Lady Truscott auf. "Das Silber. Wo ist meine Zofe?" "Vermutlich in Ihrem Schlafzimmer. Sehen Sie nach, ich kümmere mich inzwischen um das Silber." Während Lady Truscott die Treppe hinaufhastete und laut nach ihrer Zofe rief, ging Katrina ins Esszimmer. Auf der Anrichte standen schwere Silberleuchter, mehrere Servierteller, ein prunkvoller Tafelaufsatz und ein reich verziertes Tablett. Sie schlug alles in die große Tischdecke ein und schleppte das
Bündel nach draußen. Dann kamen die Bilder dran, denn Katrina wusste von früheren Besuchen, dass einige davon wertvoll waren. Sie mühte sich gerade mit einer grässlichen Bronzeuhr ab, als zwei Jungen aus dem Dorf erschienen. Sie riefen Katrina zu, dass mehr Hilfe unterwegs sei, und begannen, die zierlichen Rokokostühle ins Freie zu tragen, auf denen kein Gast sitzen mochte, weil sie so zerbrechlich waren. Plötzlich geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Die Feuerwehr erschien, und einer der Jungen stürzte durch die Schwingtür in den raucherfüllten Gang zur Küche. Es herrschte inzwischen ein heilloses Durcheinander, und Katrina war die Einzige, die den Unfall bemerkte. Sie rief um Hilfe, aber niemand achtete auf sie. Also müsste sie dem Jungen selbst helfen. Sie nahm das nächstbeste Tischtuch, tauchte es in einen Eimer mit Wasser und hüllte sich hinein. Das Tischtuch gehörte zu Lady Truscotts erlesensten Kostbarkeiten - wenn sie davon sprach, wurde regelmäßig der Herzog von Wellington erwähnt -, aber das kümmerte Katrina wenig. Es war nass und gewährte einigen Schutz. Der Junge lag gleich hinter der Schwingtür. Er war nicht bewusstlos, aber durch den Sturz so betäubt, dass er sich nicht regen konnte. Katrina zog ihn in die Halle und besprengte ihn mit Wasser, bis er sich langsam aufrichtete. Dann hielt sie einen der Feuerwehrmänner am Arm fest. "Er hat Rauch geschluckt", sagte sie und zeigte auf den Jungen. "Ich glaube, es ist nicht schlimm, aber jemand sollte sich um ihn kümmern." "Überlassen Sie ihn mir", antwortete der Feuerwehrmann bereitwillig. "Miss Gibbs vom Rose Cottage, nicht wahr? Ist alles in Ordnung?" "Ja, danke, es geht mir gut. Ich fahre jetzt nach Hause. Es sind genug Helfer da."
Professor Glenville saß mit seinem Assistenten und Maureen im Büro der Oberschwester. Er hatte lange operiert und hörte kaum, was sich Maureen und die Oberschwester erzählten. Er dachte an das Wochenende, das vor ihm lag und hoffentlich ohne Zwischenfälle verlief. Er würde Katrina besuchen ... Das Telefon klingelte. Die Oberschwester nahm den Hörer ab und reichte ihn an Maureen weiter. "Für Sie, Dr. Soames ... von auswärts." Während Maureen zuhörte, dachte sie hektisch nach. Das Feuer in Truscott Manor und die Aufregung ihrer Tante kümmerten sie wenig. Der Schaden schien nicht groß zu sein, und außerdem war niemand verletzt worden. Alles, was Maureen interessierte, war die Chance, die sich für sie selbst ergab. "Das Haus meiner Tante brennt", sagte sie und sah die Oberschwester mit tränenfeuchten Augen an. "Ihr ist nichts passiert, aber man versucht, die Möbel zu retten. Sie ist verzweifelt, so allein, ohne Verwandte ..." Sie sprach wieder in den Hörer, ihre bebende Stimme musste bei jedem Mitleid erregen. "Ja, Tantchen, natürlich komme ich. Sobald ich kann." Maureen legte den Hörer auf und wandte sich an den Professor. "Ich muss zu ihr, Sir. Ich habe am Wochenende Bereitschaftsdienst, aber wenn mich jemand vertreten könnte ... Sobald ich mich überzeugt habe, dass es meiner Tante gut geht, komme ich zurück." Der Professor nickte. "Natürlich müssen Sie fahren. Hat Ihre Tante Freunde, die sie notfalls aufnehmen können?" "Ja, natürlich, aber am Wochenende sind die meisten unterwegs." Das klang sogar in Maureens Ohren etwas dürftig, denn es gab niemanden im Dorf, der ihrer Tante nicht jederzeit geholfen hätte. Es gelang ihr, einige Tränen hervorzupressen und ein leises Aufschluchzen zu unterdrücken.
Eine schauspielerische Glanzleistung, dachte der Assistent. Er hörte die Oberschwester mitleidig seufzen und wartete auf die Reaktion seines Chefs. "Ich fahre Sie", sagte der Professor und sah auf die Uhr. "Bleiben Sie über Nacht, wenn es nötig ist, und kommen Sie morgen so früh wie möglich zurück." Maureen tat, als zögerte sie. "Ich würde Ihnen das Wochenende verderben ..." Der Professor stand auf. "Machen Sie sich fertig, Miss Soames. Ich sorge für eine Vertretung und erwarte Sie in zwanzig Minuten vor dem Haupteingang." "Vielen Dank, Professor." Maureen lächelte tapfer. "Ich bin Ihnen ja so dankbar." Was für eine Chance! dachte sie, während sie ein leinenes Jackenkleid in der Farbe ihrer Augen anzog und sich sorgfältig schminkte. Wenn sie erst in Truscott Manor waren, würde sie alles versuchen, um den Professor möglichst lange festzuhalten vielleicht sogar über Nacht. Sie packte einige Kleinigkeiten in ihre große Umhängetasche und eilte zum Haupteingang. Sie kam zehn Minuten zu spät, und der Professor forderte sie auf, schnell einzusteigen, und fuhr los. Er hörte kaum, was sie über den Anruf ihrer Tante erzählte, denn er dachte an Katrina. Er würde Maureen nach Truscott Manor bringen und anschließend Katrina besuchen. Es war zwar schon später Nachmittag, aber sie würden den Abend zusammen verbringen, und am Sonntag würde er sie nach Wherwell holen. Wenn Maureen nur endlich den Mund halten würde ... Doch Maureen nutzte die unerwartete Gelegenheit und ließ ihren ganzen Charme spielen. Sie wusste, dass der Professor sie für eine gute Ärztin hielt, aber jetzt kam es ihr darauf an, hilflos zu wirken, als sehnte sie sich nach dem Schutz und der Fürsorge eines starken Mannes. Als sie Truscott Manor erreichten, war das Feuer eingedämmt, aber noch nicht vollständig gelöscht. Das halbe
Dorf war da und half, Möbel und Teppiche hinauszutragen. Lady Truscott saß auf den Stufen vor dem Eingang, und der Professor erkannte auf den ersten Blick, dass sie keineswegs ohne Beistand war. Hatte Maureen das nicht gewusst? Sie musste ihre Tante inniger lieben, als er angenommen hatte. Lady Truscott wollte mit einem langen Redestrom beginnen, aber Maureen unterbrach sie mit den Worten: "Liebe Tante, Professor Glenville hat mich freundlicherweise hergebracht. Du kannst ihm doch etwas zum Dinner anbieten und ein Gästezimmer herrichten lassen?" Bevor Lady Truscott antworten konnte, sagte der Professor: "Vielen Dank, aber ich muss mich gleich auf den Rückweg machen. Ich freue mich, dass Sie nicht verletzt sind und genügend Unterstützung haben, Lady Truscott." Er wandte sich an Maureen. "Bitte denken Sie daran, dass Sie in London erwartet werden." Auf dem Weg zum Auto erkundigte er sich mehrmals nach Katrina, aber erst beim vierten Mal erhielt er eine Antwort. "Miss Katrina? O ja, die war hier. Sie kam als Erste und packte kräftig zu. Ein Junge wäre im Rauch erstickt, wenn sie ihn nicht herausgeholt hätte. Ganz schön mutig, unsere Miss Katrina. Jetzt ist sie nach Hause gefahren. Kein Wunder nach der Anstrengung..." Der Professor bedankte sich, stieg in seinen Bentley und fuhr zum Rose Cottage. Da die Haustür halb offen stand, ging er ohne Anklopfen hinein. Katrina saß in der Küche, die kostbare Wellington-Tischdecke hing ihr noch um die Schultern. Ihr Gesicht war rauchgeschwärzt, das Kleid war versengt, und die Arme zeigten Kratzspuren. Kein erfreulicher Anblick, aber für den Professor hätte sie nicht schöner sein können. Sie sah auf und sagte das Erstbeste, was ihr einfiel. "Würden Sie Betsy ihr Futter geben? Im Speiseschrank steht eine Dose ..."
Der Professor versorgte die kleine Katze ohne sichtliche Eile. Dann trat er neben Katrina, zog sie vom Stuhl hoch und schloss sie in die Arme. "Sind Sie verletzt?" "Nur ein bisschen zerkratzt... wie dumm von mir!" Sie begann, heftig zu weinen, und der Professor wartete geduldig, bis die Tränen langsam versiegten. "Gehen Sie nach oben, und nehmen Sie ein warmes Bad", sagte er dann. "Ich setze inzwischen Wasser auf. Wir trinken zusammen Tee, und Sie erzählen mir, was passiert ist." Er sprach ruhig und freundlich, wie ein Onkel oder älterer Bruder. Als er seine Aufforderung sanft wiederholte, ging sie widerspruchslos nach oben, nahm ein Bad und wusch sich die Haare. Als sie wieder herunterkam, duftete sie nach Shampoo und Seife. Der Morgenmantel stand ihr nicht, aber er erwies sich wieder einmal als äußerst praktisch. Der Professor hatte inzwischen Tee aufgebrüht und einen Teller mit Buttertoast vorbereitet. Er rückte Katrina einen Stuhl zurecht, setzte sich ihr gegenüber und schenkte Tee ein. Dabei wirkte er so natürlich, als wäre er hier zu Hause, und sein Schweigen tat Katrina besonders gut. "Es tut mir Leid, dass Sie mich so angetroffen haben", sagte sie und trank einen Schluck Tee. "Ich war ziemlich erschöpft. Wussten Sie, dass es im Herrenhaus gebrannt hat?" Der Professor nickte. "Wie ich hörte, entstand kein großer Schaden, und Lady Truscott hat viel Hilfe." Er bot Katrina einen Toast an, nahm selbst einen und biss kräftig hinein. Katrina schilderte die Ereignisse in ihrer nüchternen Art. "Es traf sich ungünstig, dass Lady Truscott gerade im Badezimmer war und nur ihre Zofe, Nelly und den Butler zur Verfügung hatte", sagte sie zum Schluss. "Ein Glück, dass der Schaden nicht groß ist. Das schöne alte Haus ..." Der Professor schenkte mehr Tee ein und setzte sich neben Katrina. "Ich möchte mir doch gern die Kratzer ansehen. Haben
Sie sich wirklich nicht verbrannt? Auch keinen Rauch eingeatmet?" "Die Kratzer sind unbedeutend. Etwas Rauch habe ich eingeatmet, deshalb wurde mir auf dem Nachhauseweg auch übel. Jetzt fühle ich mich besser." Der Professor öffnete seine Tasche und versorgte Katrinas kleine Wunden. "Es war mutig, den Jungen aus dem Rauch zu holen", sagte er dabei. "Haben Sie nicht daran gedacht, einen der Männer um Hilfe zu bitten?" "Ich habe es versucht, aber in dem Durcheinander achtete niemand auf mich. Rieche ich noch nach Rauch?" Der Professor strich ihr das Haar aus dem Gesicht, Es war noch feucht und duftete süß, wie bei einem zarten Kind. "Überhaupt nicht", sagte er leise. Er hätte Katrina gern in die Arme genommen und geküsst, aber er wusste, dass das bei ihr ein Fehler gewesen wäre. Deshalb stand er auf und setzte sich wieder auf seinen Platz. "Waren Sie bei Dr. Peters?" fragte Katrina. Ihr war plötzlich klar geworden, dass es für den Besuch des Professors keine andere Erklärung gab. "Ich habe Maureen Soames hergebracht. Sie erhielt im Krankenhaus einen Anruf von ihrer Tante und machte sich große Sorgen wegen des Feuers. Wie sich herausgestellt hat, ist alles nur halb so schlimm, so dass sie nicht hier bleiben muss. Sie hat an diesem Wochenende Bereitschaftsdienst." Die Wärme, die Katrina so wohltuend durchglüht hatte, verwandelte sich in Eiseskälte. "Trotzdem muss es ein Schock für sie gewesen sein", sagte sie leise, "und für Lady Truscott war ihre Anwesenheit bestimmt ein Trost. Es war sehr freundlich, bei mir vorbeizukommen, Professor. Hoffentlich habe ich Ihnen nicht den Abend verdorben. Genießen Sie, was noch davon übrig ist, Und lassen Sie sich nicht länger aufhalten." Der Professor hörte den veränderten Ton und runzelte die Stirn. Warum verhielt sich Katrina plötzlich so abweisend?
Wahrscheinlich war sie müde und sehnte sich nach ihrem Bett. Wie auch immer - er war nicht länger erwünscht. Während er das Geschirr zum Abwaschbecken trug, sagte er betont locker: "Ich muss mich auf den Weg machen. Eine ruhige Nacht wird Ihnen gut tun, Katrina, Leben Sie wohl." Katrina zögerte. Vielleicht hatte sie den Professor etwas zu grob vor die Tür gesetzt. "Fahren Sie heute Abend nach London zurück?" fragte sie. Er lächelte überlegen. "Mein liebes Kind. Sie sollten inzwischen wissen, dass die Jünger und Jüngerinnen Äskulaps immer dem Ruf der Pflicht folgen. Nein, bleiben Sie sitzen. Ich finde allein hinaus." Katrina ging mit einem leeren Gefühl im Herzen schlafen. Irgendwie musste sie den Professor dazu bringen, sie nicht mehr zu besuchen. Er kam aus Freundlichkeit, aber mit jedem Mal fiel es ihr schwerer, ihn zu vergessen. Wie dumm von ihr zu glauben, dass er kam, um ihr seine Liebe zu beweisen! Er liebte sie nicht. Sie musste ihn falsch verstanden haben. "Das kommt bei der Tagträumerei heraus", sagte sie zu Betsy, als sie das Licht löschte. "Was würde Tante Thirza von mir denken?" Der Sonntagsgottesdienst war ungewöhnlich gut besucht. Möglich, dass der eine oder andere den Wunsch hatte, für die glückliche Rettung von Truscott Manor zu danken - die meisten kamen in der Hoffnung, von anderen Besuchern mehr über das Unglück zu erfahren. Nach dem Gottesdienst leerte sich die Kirche nur langsam, denn jeder hoffte, etwas aufzuschnappen, das er noch nicht wusste. Lady Truscott, die selbstverständlich erschienen war, konnte sich nicht über mangelndes Interesse beklagen, und ihre Nichte verstand es, einen guten Teil der Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Maureens Anwesenheit hatte Katrina überrascht. Warum war sie nicht mit dem Professor nach London zurückgefahren? Nun,
ihr konnte das gleichgültig sein, und sie wäre unauffällig verschwunden, wenn der Pfarrer sie nicht am Ausgang festgehalten hätte. "Katrina! Ich höre, dass Sie gestern so umsichtig wie immer gehandelt haben. Lady Truscott muss Ihnen außerordentlich dankbar sein. Ah, da kommt sie selbst und wird meine Worte sicher bestätigen." Lady Truscott war ganz in ihrem Element. Sie glich einer antiken Heldin und genoss es, nach dem Brand eine doppelte Sonderrolle zu spielen. "Meine liebe Katrina", flötete sie. "Ich hatte gehofft, Sie hier anzutreffen, um Ihnen danken zu können. Sie waren einfach großartig. Dass ich ausgerechnet im Badezimmer war!" Ein melodisches Lachen erscholl. "Aber Feuer hin, Feuer her - ich musste mich schließlich anziehen, sonst hätte ich alles selbst in die Hand genommen. Wie klug von Ihnen, das Silber und die Bilder aus dem Haus zu schaffen!" Sie tätschelte Katrinas Arm. "Ganz wie unsere gute Thirza." Maureen trat neben ihre Tante. Sie wechselte einen kurzen Gruß mit Katrina und fixierte sie. "Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein. Professor Glenville hat mich gestern hergebracht. Er wollte mich abends wieder mitnehmen, aber ich bat ihn, bleiben zu dürfen. Er ist so verständnisvoll, nicht wahr? Wie gern wäre er auch geblieben, aber er musste einfach zurückfahren. Natürlich kommt er im Lauf des Tages, um mich abzuholen." "Sonntags fahren ja auch keine Züge", antwortete Katrina. "Nur gut, dass sich im Krankenhaus eine Vertretung finden ließ." Sie lächelte zuckersüß. "Man sieht es immer wieder. Niemand ist unersetzlich." "Das gilt nicht für den Arztberuf", entgegnete Maureen kalt. "Wie langweilig es für Sie sein muss, seit Ihre Schützlinge fort sind! Haben Sie keine Arbeit?" "Ich beginne im September ..."
"Ach ja, Simon erzählte mir davon. Bibliotheksarbeit ... jedenfalls besser, als zu Hause herumzusitzen und langsam alt und grau zu werden." Mit einem höhnischen Unterton fügte Maureen hinzu: "Dabei musste es doch zahlreiche Männer geben, die zu Ihnen passen." Katrina ließ sich nicht reizen. "O ja", antwortete sie fröhlich. "Es gibt eine ganze Menge, aber im Moment gefällt mir das Alleinsein. Vierundzwanzig ist kein Alter. Wenn ich auf die dreißig zuginge, würde ich mir vielleicht Sorgen machen..." Maureen war neunundzwanzig, das hatte ihre Tante einmal in einem unbedachten Moment verraten. Jetzt zeigte ihr verzerrtes Gesicht, wie genau Katrina ins Schwarze getroffen hatte. Lady Truscott beendete ihr Gespräch mit dem Pfarrer und fragte Maureen: "Nun? Habt ihr beiden nett geplaudert? Sicher habt ihr viel gemeinsam." Ja, Simon, dachte Katrina, behielt das aber für sich. Sie verabschiedete sich von Lady Truscott und Maureen und ging zu den Peters, die sie zum Lunch eingeladen hatten, um alles über den Brand zu erfahren.
12. KAPITEL In der Mitte der folgenden Woche schlug das Wetter plötzlich um. Es war ein besonders heißer Tag, und schon am frühen Nachmittag zogen bleigraue Wolken auf, die sich an den Rändern giftig gelb färbten. Ein Gewitter war im Anzug. Katrina hastete durch den Garten, um möglichst viel reifes Obst zu retten, das geerntete Gemüse mit Säcken und Plastikfolie abzudecken und alle Geräte in den Schuppen zu bringen. Die ersten schweren Regentropfen trieben sie ins Haus, und als sie die Tür schloss, zuckte der erste Blitz über den tief verhangenen Himmel. Katrina hatte Angst vor Gewitter, ebenso wie Betsy. Sie sahen sich stumm an und waren dankbar, nicht allein zu sein. Das Gewitter entlud sich mit ungewöhnlicher Wucht. Nachdem es langsam vorübergezogen war, kehrte es zurück und tobte mit noch grelleren Blitzen und noch lauterem Donner. Als das elektrische Licht zu flackern begann, legte Katrina vorsorglich Kerzen zurecht. Jetzt fürchtete sie sich wirklich. Sie kauerte sich in einen Sessel und starrte auf die Tür, die sich plötzlich öffnete. Riesengroß stand der Professor da. Katrina hatte noch nie geschrien, aber jetzt tat sie es. Nicht so laut, dass es den dröhnenden Donner übertönt hätte, aber laut genug, um den Professor mit zwei Schritten an ihre Seite zu bringen. Er war völlig durchnässt, ebenso wie Barker und Jones, die sich um ihre Beine drängten. Das störte Katrina nicht. Sie
drückte ihr Gesicht an die breite Brust des Professors und schloss die Augen vor den nächsten Blitzen. Ganz allmählich besänftigte sich die Natur. Katrina öffnete vorsichtig die Augen, und der Professor sagte: "Hallo, Katrina. Haben Sie Kerzen im Haus? Wir könnten sie brauchen." "Eine steht auf dem Tisch." Sie zuckte zusammen, denn es blitzte wieder, aber der Donner klang gedämpft. "Sind noch mehr da?" "Zwei liegen auf dem Bord neben der Tür." . Der Professor zündete die erste Kerze an, und fast im selben Moment ging das Licht aus. "Gerade rechtzeitig", meinte er. "Wie wäre es mit einer Tasse Tee?" Katrina richtete sich zögernd auf. "An der Küchentür hängt ein Handtuch, wenn Sie sich abtrocknen wollen. Ich kann mehr Tücher holen..." Der Professor drückte sie wieder in den Sessel. "Bleiben Sie sitzen, Katrina. Ich finde mich schon zurecht." Er setzte Wasser auf, trocknete sein Gesicht und rieb die Hunde ab. Als das Wasser kochte, brühte er Tee auf, stellte Becher, Milch und Zucker auf ein Tablett und trug alles ins Wohnzimmer. "Sie sind sehr tüchtig im Haus", bemerkte Katrina. "Daran sind eine liebevolle Mutter und ein strenges, altmodisches Kindermädchen schuld. Einige Dinge, meinten sie, müsste ich beherrschen, um ein guter Ehemann zu werden. So lernte ich Tee zu kochen, Geschirr zu spülen und Tränen zu trocknen." Er setzte sich hin und schenkte Tee ein. Die Kerze verbreitete einen milden Schein. Katrina sah blass aus, aber in den Augen des Professors war sie wunderschön. "Und Ihr Vater?" fragte sie unvermittelt. "Dad ist Orthopäde im Ruhestand. Meine Eltern wohnen in einem Dorf bei Huntington. Dort wurde ich geboren. Ich habe
zwei verheiratete Schwestern und einen jüngeren Bruder." Der Professor lächelte. "Nicks Herz ist vorübergehend frei." "Eine richtige Familie", seufzte Katrina. Ein verspäteter Donnerschlag ließ sie verstummen, aber dann konnte sie die Frage nicht länger unterdrücken. "Sind Sie mit Maureen im Herrenhaus zu Besuch?" Dem Professor ging endlich ein Licht auf. Er trank einen Schluck Tee, stellte den Becher hin und sagte ernst: "Nein, Katrina, mein Besuch gilt Ihnen. Wie kommen Sie auf den Gedanken, ich könnte mit Maureen hier sein?" Katrina senkte den Kopf. "Nun", begann sie unsicher, "Lady Truscott hat mehrmals angedeutet, dass Sie und Maureen ... Und Maureen sagte ebenfalls ... Himmel noch mal, ist das so wichtig?" "Sehr wichtig sogar. Sprechen Sie weiter." "Sie versuchte, den Eindruck zu erwecken, als würden Sie beide heiraten." Katrina hob den Kopf und sah direkt in die hellblauen Augen des Professors, "Und Sie haben ihr geglaubt? Nachdem ich Ihnen gesagt hatte, dass ich Sie liebe?" "Ich wollte es nicht glauben, aber Maureen schien so gut zu Ihnen zu passen. Schließlich müssen Sie an Ihre Zukunft denken. Sie werden immer berühmter werden und andere berühmte Leute kennen lernen. Da wäre Maureen die richtige Frau. Jemand wie ich, der im Garten herumwühlt, Blumen in die Kirche bringt und ständig rechnen muss ..." "Liebstes Herz!" Über das Gesicht des Professors glitt ein heiteres Lächeln. "Ich kann mir nichts Schöneres denken, als gemeinsam mit dir im Garten herumzuwühlen, wie du es nennst. Bring so viele Blumen in die Kirche, wie du willst, und überlass das Rechnen in Zukunft mir." "Wollen Sie Maureen denn nicht heiraten?" "Nein, Schatz, ich möchte dich heiraten. Ich habe nur gewartet, bis ich sicher sein konnte, dass du denselben Wunsch
hast. Vergiss den Unsinn mit Maureen, und denk lieber an uns. Denk darüber nach, was du mir antworten willst." Katrina schwieg betroffen, und bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr der Professor fort: "Lass dir Zeit, mein Herz. Vergiss nur nicht, dass ich dich liebe." Dann wurde er plötzlich sachlich. "Du musst hinaufgehen und eine Reisetasche packen. Ich leuchte dir mit der Kerze." "Eine Reisetasche? Warum das?" Der Professor sah auf die Uhr. "In drei Stunden können wir in Huntington sein. Du wirst meine Mutter gern haben, und sie wartet sehnlich darauf, dich kennen zu lernen." Auf Katrinas erstaunten Blick hin setzte er hinzu: "Sie weiß alles über dich." Er stand auf und schob Katrina sanft zur Treppe. "Pack genug für mehrere Tage ein. Falls etwas fehlen sollte, wird man dir aushelfen. Hat Betsy einen Korb, oder soll ich einen Karton suchen?" "Ihr Korb steht im Schrank unter dem Abwaschbecken." Katrina ging die ersten Stufen hinauf und drehte sich um. "Simon", sagte sie ernst, "das geht doch nicht. Ich kenne deine Mutter nicht, und draußen tobt ein Gewitter. Außerdem habe ich Angst." Simon lächelte zärtlich. "Hast du Angst, wenn ich bei dir bin, Katrina?" "Nein", gestand sie, und ihr Herz klopfte schneller. "Nein, Simon. Bei dir habe ich keine Angst." "Gut." Er drückte ihr die Kerze in die Hand. ;,Ich hole Betsys Korb und sorge dafür, dass Fenster und Türen geschlossen sind. Wenn du Angst bekommst, brauchst du nur zu rufen." Katrina glaubte zu träumen. Sie fürchtete, jeden Augenblick aus diesem Traum aufzuwachen, aber sie packte ihre Reisetasche, so unordentlich, dass Tante Thirza entsetzt gewesen wäre. Sie zog das alte Gartenkleid aus, ließ es achtlos auf dem Boden liegen und zog das Jerseykleid an, zu dem sie eine dazu passende Jacke besaß. Noch einige rasche Striche mit
der Haarbürste, und sie war fertig - gerade als Simon auf dem oberen Treppenabsatz erschien. "Braves Mädchen!" lobte er sie. "Betsy sitzt in ihrem Korb. Ich habe sie vorher gefüttert. Du siehst reizend aus." Sein Blick ließ Katrina erröten. "Mein Morgenmantel", sagte sie verlegen. "Meine Mutter wird dir einen geben. Aber vergiss deinen Regenmantel nicht." Das Gewitter hatte sich verzogen, und auch der Regen ließ langsam nach. Der Himmel zeigte ein fahles Grau, aber im Bentley war es warm und gemütlich. Katrina saß vorn neben Simon, Betsy und die Hunde teilten sich den Rücksitz. Sie sprachen nicht viel, und das war ganz in Katrinas Sinn. Es gab viel zu bedenken, aber in ihrem Kopf ging alles so durcheinander, dass sie das Nachdenken schließlich aufgab und sich bequem zurücklehnte und nur noch glücklich war. Simon schien zu ahnen, was in ihr vorging, denn er sagte tröstend: "Quäl dich nicht mit unnützen Gedanken, mein Liebling. Du vertraust mir doch, oder?" "Ja, Simon", gestand sie. "Ich vertraue dir." "Morgen früh, wenn du ausgeschlafen hast, können wir uns unterhalten. Sitzt du bequem? Ist es warm genug? Wir fahren über die A303 bis zur M25 und dann in nördlicher Richtung bis Huntington. Wir müssten gegen elf Uhr da sein." Es herrschte wenig Verkehr, und sie kamen gut voran. Vor der Einfahrt zur M25 hielten sie an einer Raststätte, ließen die Hunde heraus und tranken eine Tasse Kaffee. Dann ging es zügig weiter. Kurz nach halb elf durchquerten sie Huntington und bogen in die Straße nach Brampton ein. Von dort war es nicht mehr weit bis Buckden, an dessen äußerstem Ende das Haus der Glenvilles lag. Da alle unteren Fenster erleuchtet waren, konnte Katrina erkennen, dass es sich um einen stattlichen Backsteinbau aus dem siebzehnten Jahrhundert
handelte, der von weiten Rasenflächen und Blumenrabatten umgeben war. Als sie hielten, wurde die Haustür geöffnet. Ein Neufundländer sprang die Stufen hinunter, gefolgt von einem älteren Mann. Simon stieg aus, öffnete Katrina die Tür und ließ die Hunde heraus. Nachdem er den Mann begrüßt hatte, nahm er Katrinas Arm. "Das ist mein Vater, Katrina. Dad, das ist deine zukünftige Schwiegertochter." Dr. Glenville nahm Katrinas Hand. "Wir warten schon so lange darauf, Sie kennen zu lernen", begrüßte er sie herzlich. "Kommen Sie herein. Sie werden müde sein, aber die Familie erwartet Sie." In der dunkel getäfelten Halle stand eine grauhaarige Frau, die mit erwartungsvollem Lächeln zur Tür sah. Simon führte Katrina zu ihr und sagte schlicht: "Hier ist sie, Mum. Katrina, das ist meine Mutter." Mrs. Glenville umarmte Katrina. "Wir freuen uns sehr, mein Kind. Kommen Sie ins Wohnzimmer, die anderen warten schon." Simons Geschwister sorgten für eine lebhafte und herzliche Begrüßung. "Wir mussten einfach herkommen", meinte Miriam, die ältere Schwester, "aber wir bleiben nicht lange, denn du bist sicher müde. Donald und ich wohnen in Huntington, John und Becky in Cambridge. Nick arbeitet im Krankenhaus - natürlich auch in Cambridge. Morgen kommen wir alle zum Lunch, aber wir konnten einfach nicht warten." Nachdem die Geschwister gegangen waren, brachte Dolly, die Haushälterin, Kaffee und belegte Brote. Katrina aß und trank, um nicht unhöflich zu erscheinen, beantwortete Mrs. Glenvilles Fragen und sah sich nebenbei neugierig um: Das Wohnzimmer war groß und hatte hohe, schmale Fenster, die mit schweren, weinroten Samtgardinen verhangen waren. Auf dem Parkettboden lagen kostbare Teppiche. Sessel und Sofas, ebenfalls weinrot bezogen, waren Prunkstücke aus
georgianischer Zeit. An einer Wand stand ein großer Schrank aus Walnussholz, ihm gegenüber eine Glasvitrine. Den Marmorsims über dem Kamin schmückte eine zur Uhr umgearbeitete Messinglaterne, Auf mehreren niedrigen Tischen standen Lampen und verbreiteten gedämpftes Licht. Es war ein eleganter und zugleich behaglich wirkender Raum. "Wenn Simon Sie morgen eine Stunde freigibt, machen wir einen Rundgang durch das Haus", versprach Mrs. Glenville. "Jetzt ist es Zeit zum Schlafengehen." Simon, der mit seinem Vater am Fenster stand, bitte die letzten Worte gehört. Er ging zu Katrina und sagte: "Dein Zimmer hat einen Balkon. Möchtest du Betsy bei dir haben?" Die kleine Aufmerksamkeit rührte Katrina zu Tränen. "Wäre das möglich?" fragte sie. "Betsy ist brav ..." "Mein liebes Kind", mischte sich Mrs. Glenville ein. "In diesem Haus haben Katzen und Hunde seit langem Wohnrecht. Als die Jungen klein waren, hatten sie sogar zahme Ratten. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer." Simon öffnete die Tür und ließ seine Mutter vorangehen. Ehe Katrina folgen konnte, hatte er sie in die Arme genommen. Er küsste sie zärtlich, und da sie den Kuss erwiderte, küsste er sie noch einmal. "Gute Nacht, mein Herz", sagte er warm. "Meine liebe, liebe Katrina." Katrina dachte an diese Worte, als sie hinter Mrs. Glenville die Treppe hinaufging, die auf einen breiten Korridor führte. Mrs. Glenville öffnete eine Tür. "Dolly hat Ihre Sachen ausgepackt. Scheuen Sie sich nicht zu fragen, wenn Sie etwas brauchen. Sie sind sicher überstürzt aufgebrochen. Das Badezimmer ist nebenan." Sie küsste Katrina auf die Stirn. "Gute Nacht, mein Kind. Schlafen Sie gut." Katrina ging langsam durch das Zimmer, um alles gehörig zu bewundern: die Chintzgardinen, die Bettdecke, den dicken Teppich und die rosa Lampen rechts und links vom Bett. Die Möbel waren aus leichtem hellem Holz. Auf dem Frisiertisch
lagen Kamm und Bürste, sogar an Haarnadeln und -spray hatte man gedacht. Auf dem schmalen Balkon saß Betsy würdevoll in ihrem Korb. Der leere Teller daneben zeigte, dass sie gefüttert worden war. Katrina konnte sich über die Umsicht ihrer Gastgeberin nur wundern. Sie zog sich aus und nahm in dem kleinen angrenzenden Badezimmer ein Bad. Dolly hatte auch ihre Kosmetiktasche ausgepackt, und daneben war ein Vorrat an Seifen, Lotions und Badeessenzen vorhanden, mit dem sie mindestens einen Monat ausgekommen wäre. Es war kurz nach Mitternacht, als Katrina endlich im Bett lag. Sie war unendlich glücklich, aber sie musste auch vernünftig sein. Der Tag hatte so viel gebracht. Sie würde alles noch einmal an sich vorbeiziehen lassen ... Betsy sprang auf das Bett und rollte sich am Fußende ein. Bevor Katrina ihren Vorsatz ausführen konnte, fielen auch ihr die Augen zu. Katrina erwachte, als ein Hausmädchen ins Zimmer kam, die Vorhänge auf zog und ein Teetablett auf den Nachttisch stellte. "Guten Morgen, Miss. Ich heiße Alice. Mr. Simon lässt ausrichten, dass er Sie in zwanzig Minuten an der Haustür erwartet." Katrina war sofort hellwach. Sie trank den Tee, bot Betsy etwas Milch an und sprang aus dem Bett. Sie duschte kurz und zog das leichte Baumwollkleid an, das sie auf gut Glück aus dem Schrank genommen hatte. Schade, dass nicht genug Zeit gewesen war, ihre Garderobe sorgfältiger auszuwählen. Sie steckte ihr Haar hoch, zog die Sandaletten an, die sie im letzten Moment eingepackt hatte, bat Betsy, brav zu sein, und eilte die Treppe hinunter. Simon stand vor der offenen Haustür, mit Barker, Jones und dem Neufundländer, der Bobby hieß. Er sah Katrina herunterkommen, ging ihr in der Halle entgegen und betrachtete ihr strahlendes Gesicht.
"Hast du gut geschlafen? Vielleicht hätte ich dich nicht so früh stören sollen." Er küsste sie nicht, und nach kurzem Zögern antwortete sie: "Ich habe wunderbar geschlafen und könnte an einem so schönen Morgen doch nicht liegen bleiben. Gehen wir spazieren?" Simon nickte, und Katrina folgte ihm schweigend. Sie hatte erwartet, mit einem Kuss begrüßt zu werden, aber Simon hatte eher gleichgültig gewirkt. Bereute er inzwischen, was er gestern gesagt hatte? Fern von Rose Cottage, in dem schlossartigen Landhaus seiner Eltern, sah er sie vielleicht in neuem, weniger vorteilhaftem Licht. Sie gingen über den weiten Rasen hinter dem Haus, überquerten einen kleinen Fluss und stiegen auf den dahinter liegenden Hügel, der locker mit Gebüsch bewachsen war. Oben befand sich ein freier Platz, von dem man einen herrlichen Blick hatte: auf die umliegenden Felder, auf denen der letzte Weizen geerntet wurde, auf die Kühe und Pferde, die dazwischen grasten, und auf den Fluss, der sich bis zum Horizont durch die Wiesen schlängelte. Über allem wölbte sich ein strahlend blauer Himmel. Simon hielt Katrinas Hand, und so standen sie schweigend und sahen ins Land hinaus. Endlich sagte Katrina: "O Simon, wie schön! Dürfen wir auch hier sein?" Er nickte. "Der Hügel gehört der Familie. Ich liebe ihn besonders, und deshalb frage ich dich hier, ob du mich heiraten willst." Katrina drehte sich zu ihm um und antwortete: "Nichts auf der Welt wünsche ich mir mehr, Simon. Ja, ich will dich heiraten." Er nahm sie in die Arme und küsste sie, und auf einmal wusste sie, warum er sie vorhin nicht geküsst hatte. Nach einer Weile sagte sie versonnen: "Ich hatte nie den Eindruck, dass du mich liebst."
"Weil ich mich verstellt habe, um dich nicht abzuschrecken. Ich liebe dich, seit ich dich damals am Straßenrand sitzen sah so tapfer und so wütend!" Simon küsste sie wieder. "So bezaubernd und so abweisend, weil niemand merken sollte, wie verlassen du dich fühltest." "Ich hatte Tante Thirza." "Ja, die großartige Tante Thirza. Sie war dir Vater und Mutter, Bruder und Schwester, und sie liebte dich aufrichtig. Jetzt hast du eine neue Familie." Etwas nüchternen fügte er hinzu: "Wir sollten umkehren und die Eltern nicht mit dem Frühstück warten lassen." Sie blieben drei Tage in Buckden, und als sie nach Rose Cottage zurückfuhren, stand das Programm für die Hochzeit fest. Sie wollten in einem Monat heiraten, auf Katrinas Wunsch in der Dorfkirche, in der die letzte Feier für Tante Thirza stattgefunden hatte. Es sollte eine weiße Hochzeit werden. Katrina, die nur noch von weißer Seide und Orangenblüten träumte, hatte noch einen zweiten Wunsch geäußert. "Tracey soll meine einzige Brautjungfer sein", hatte sie zu Simon gesagt und sich noch in Buckden hingesetzt, um einen ausführlichen Brief an Molly zu schreiben. Inzwischen machten Simon und seine Mutter die Gästeliste. Katrinas Einwand, dass sie keinen ihrer Verwandten einladen würde, hatte Simon mit dem Hinweis entkräftet: "Die Peters sind jetzt deine Verwandten, Darling, die Wards und sogar Lady Truscott. Vergiss das bitte nicht." Sie waren gleich nach dem Frühstück aufgebrochen und erreichten Rose Cottage gegen Mittag. Simon blieb nicht lange, denn er hatte nachmittags Sprechstunde, aber Dolly hatte ihnen ein Picknick mitgegeben, das sie in der Küche aßen, während die Hunde und Betsy im Garten umhertollten. "Ich werde während der nächsten zwei Wochen wenig Zeit für dich haben", sagte Simon. "Natürlich werde ich hier sein, wenn am Sonntag in der Kirche das Aufgebot verlesen wird,
aber in der Woche darauf bin ich in Bristol." Er sah auf die Uhr. "Wir können gerade noch den Pfarrer besuchen. Er wird meinen Brief inzwischen bekommen haben. Wir brauchen also nicht lange." Eine Stunde später war Katrina wieder zu Hause. Das Aufgebot war bestellt, und Simon befand sich auf dem Rückweg nach London. Er hatte sie zum Abschied geküsst und war davongefahren. Daran musste sie sich in Zukunft wohl gewöhnen. Ärzte hatten nur wenig Zeit für ihr Privatleben, aber Simon würde immer zu ihr zurückkommen. Katrina lächelte vor sich hin, während sie in der Küche aufräumte. Bis spät in den Abend saß sie am Küchentisch und machte Listen. Eine für die Hochzeitsanzeigen, die Mrs. Glenville umgehend hatte drucken lassen. Eine zweite für die Garderobe, die sie brauchen würde. Hochzeitskleid, Schleier, Schuhe, ein Kleid für Tracey... Und schließlich eine dritte Liste für alles, was sie sonst noch brauchte, um ihr Leben als verheiratete Frau würdig zu beginnen. Die Nachricht von Katrinas bevorstehender Hochzeit brachte ungewohntes Leben in das kleine Dorf. Man sprach allgemein von der Hochzeit des Jahres. Die besten Hüte wurden aus den Schränken genommen und aufgefrischt. Von überall kamen Angebote, den Blumenschmuck für die Kirche zu übernehmen, und Mrs. Dyer fuhr mit einer Gruppe auserwählter Damen nach Warminster, um das Hochzeitsgeschenk zu kaufen. Lady Truscott stellte das Herrenhaus für den Empfang zur Verfügung, Dr. Peters bat um die Ehre, Katrina zum Altar führen zu dürfen, und Molly schrieb, dass Tracey überglücklich sei und sich ein rosa Kleid wünsche. Am Sonnabend schickte Simon einen großen Strauß roter Rosen, und am Sonntag kam er selbst. Katrina stand viel zu früh auf, um ja rechtzeitig fertig zu sein. Was hatte sie ihm nicht alles zu erzählen! Als er endlich kam, flog sie ihm in die Arme und
vergaß alles, was sie hatte sagen wollen. Dafür war später noch Zeit. Simon sah müde aus, aber seine Begrüßung war warm und herzlich. "Nach dem Gottesdienst fahren wir nach Wherwell", sagte er. "Mrs. Peach ist die halbe Nacht aufgeblieben, um uns mit etwas Besonderem zu überraschen. Haben wir noch Zeit für eine Tasse Kaffee?" Der Kaffee stand bereits fertig auf dem Herd, und sie setzten sich an den Küchentisch. "Jetzt erzähl mir deine Neuigkeiten", forderte Simon Katrina auf. Dann musste er lächeln. "Es ist schwierig," klar zu denken, nicht wahr?" Katrina nickte und überließ ihm ihre Hand. "Ja", gestand sie, plötzlich verlegen. "Alle sind so freundlich und hilfsbereit zu mir. Dr. Peters wird mich zum Altar führen, und Lady Truscott hat angeboten, den Empfang für uns auszurichten. Es soll ihr Hochzeitsgeschenk sein, aber ich habe gesagt, ich musste dich erst fragen. Was meinst du?" Simon lächelte. "Die gute Lady Truscott. Wir wollen sie doch nicht kränken, oder? Also werden wir das Angebot annehmen. Übrigens brauchst du nicht zu fürchten, dass Maureen dabei sein wird. Sie hat um Urlaub gebeten, um sich einem Ärzteteam anzuschließen, das nach Indien geht. Aus Dringlichkeitsgründen ist der Bitte stattgegeben worden." Simon beugte sich vor und küsste Katrina. "Wie ich dich vermisst habe, Darling! In der nächsten Woche bin ich, wie gesagt, in Bristol, aber ich habe ein Mobiltelefon für dich mitgebracht, damit wir jeden Abend miteinander sprechen können. Und hier ist noch etwas." Er stellte seinen Kaffeebecher hin, zog ein kleines Etui aus der Tasche und öffnete es. Der Ring, der darin lag, war alt und wertvoll. Drei Saphire, eingebettet in Diamanten - Katrina traute ihren Augen nicht. "Er gehörte meiner Großmutter", sagte Simon und steckte Katrina den Ring an den Finger.
"O Simon", antwortete sie bewegt. "Wie wunderschön. Ich werde den Ring mit Stolz und Liebe tragen." Er nahm ihre Hand und drückte die Lippen darauf. "Sobald ich zurück bin, suchen wir gemeinsam unsere Eheringe aus." Einige Tage später hob Katrina alles Geld von ihrem Konto ab und fuhr damit nach London. Sie brauchte ein Hochzeitskleid, ein Abendkleid, zwei elegante Tageskombinationen, Schuhe und Unterwäsche ... und natürlich rosa Seide für Traceys Kleid. Sie verbrachte den ganzen Tag damit, von Geschäft zu Geschäft zu gehen, und fuhr abends schwer beladen, aber äußerst zufrieden nach Warminster zurück. In einem kleinen Geschäft abseits der Oxford Street hatte sie das Hochzeitskleid gefunden; cremefarbigen Chiffon über einem seidenen Unterkleid mit langen Ärmeln und schlichtem Ausschnitt. Der dazu passende Schleier hatte den Preis natürlich erhöht, aber mit viel Geduld war es Katrina gelungen, das bei den späteren Einkäufen auszugleichen, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Am Ende hatte sie sogar noch genug Geld in der Tasche, um sich in Warminster ein Taxi nehmen zu können. Am nächsten Tag begann sie, das Kleid und die Kappe für Tracey zu nähen. Das nahm sie voll in Anspruch, und da laufend Besucher kamen, um Geschenke zu bringen und ihr Glück zu wünschen, verging die Woche wie im Flug. Außerdem rief Simon jeden Abend an. Am nächsten Sonntag war er wieder da. Sie fuhren nach Wherwell, besuchten den Gottesdienst und verbrachten den restlichen Tag im Garten. Es gab viel zu erzählen, und zwischendurch wurden sie nicht müde, sich ihrer Liebe zu versichern. Am späten Abend fuhren sie nach Rose Cottage zurück, und Simon verabschiedete sich mit dem Versprechen, Katrina am nächsten Tag abzuholen, damit sie in London die Eheringe aussuchen konnten.
Und dann war endlich der Hochzeitstag da. Molly und Tracey waren bereits eingetroffen und sollten Rose Cottage und Betsy bis nach der Hochzeitsreise hüten. Sie brachen früh zur Kirche auf, und für Katrina blieb nichts mehr zu tun, als auf Dr. Peters zu warten. Sie sah bezaubernd aus, und Simons Brautstrauß lag neben ihr auf dem Tisch. Er hatte ihn am frühen Morgen schicken lassen: weiße Rosen, Lilien, Orangenblüten und Stephanotis und ganz in der Mitte kleine gelbe Moosrosen. Katrina atmete den süßen Duft ein und wünschte, Tante Thirza wäre bei ihr gewesen. Doch sie wollte nicht wehmütig werden, und bald darauf kam Dr. Peters den Gartenweg herauf. Die Kirche war voll besetzt, und wer keinen Platz gefunden hatte, wartete draußen, um Katrina ankommen zu sehen. Die vielen neugierigen Gesichter unter den aufgeputzten Hüten schüchterten sie einen Moment ein, aber dann sah sie nur noch Simon, ihren über alles geliebten Professor, der in einem eleganten grauen Anzug vor dem Altar wartete. Er lächelte ihr entgegen, während sie an Dr. Peters' Arm den Gang entlangging, und sie erwiderte das Lächeln. Mochte die Kirche noch so überfüllt sein - es gab nur sie beide und den Pfarrer, der die traditionelle Hochzeitszeremonie vollzog. Als sie im Herrenhaus auf die Ankunft der ersten Gäste warteten, nahm Simon Katrina an der Hand und führte sie in einen kleinen Nebenraum. "Was wollen wir hier?" fragte Katrina. "Die Gäste erwarten uns in der Halle. Simon, Lieber ..." Er nahm sie sanft in die Arme. "Die Gäste kommen erst in einigen Minuten. Bis dahin habe ich Zeit, meine junge Ehefrau zu küssen." Er lüftete Katrinas Schleier und ließ dem Wort die Tat folgen. "Ich glaube, es gefällt mir, verheiratet zu sein", seufzte Katrina glücklich und lehnte den Kopf an seine Schulter.
Simon küsste sie noch einmal, rückte ihren Schleier zurecht und nahm ihren Arm. Sekunden später standen sie in der Halle und begrüßten die ersten Gäste. Professor Glenville und seine Frau.
-ENDE